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Burt Frederick
Kurs auf Arica
Die Seewölfe und die Mannen Jean Ribaults hatten allen Grund, jede Begeg...
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Seewölfe 453 1
Burt Frederick
Kurs auf Arica
Die Seewölfe und die Mannen Jean Ribaults hatten allen Grund, jede Begegnung mit den Spaniern zu vermeiden, auch wenn man unter spanischer Flagge segelte. Aber die beste Absicht taugt nichts, wenn Zwänge entstehen–wie in diesem Fall, als Eric Winlow, der Koch der „Le Vengeur“, lapidar meldete, seine Holzkohle sei aufgebraucht. Es war eine Schlamperei, daß er das erst jetzt meldete. Entsprechend war Jean Ribault in Braß. Holzkohle war an Bord so lebensnotwendig wie Proviant und Trinkwasser. Und darum mußten die „Estrella de Malaga“ und die „San Lorenzo“ den Hafen von Mollendo anlaufen. Das war schon heikel genug. Doch dann wurde es gefährlich, als der sture Koch auch noch spurlos verschwand, nachdem sie glücklich die Holzkohle geordert haften... Die Hauptpersonen des Romans: Luis Carrero – der Oberaufseher über die Potosi-Minen gibt den Seewölfen ungewollt einen wertvollen Tip. Araua – die Tochter Arkanas zeigt, daß sie harte Fäuste hat. Philip Hasard Killigrew – unternimmt mit sechs Männern eine gefährliche Flußfahrt. Pater Francisco – der Dominikaner erträgt die Folter und hat mit dem Leben abgeschlossen. Perez de Mescua – der Teniente hat für Kirchengesang und Indio-Affen nichtsübrig.
1. Luis Carrero hatte aufgehört, die Tage zu zählen. In der Finsternis der Vorpiek war ihm ohnehin jegliches Zeitgefühl verlorengegangen. Den fauligen Modergeruch nahm er kaum noch wahr. Sein Lebensrhythmus wurde bestimmt von den täglichen Mahlzeiten, und er fühlte sich wie ein Schwein, das dann gefüttert wurde, wenn es seinem Herrn paßte. Zugegeben, das Essen war nicht schlecht. Aber das war auch alles, für das er die Britenbastarde an Bord der „Estrella de Malaga“ loben konnte. Ansonsten wünschte er ihnen die Pest an den Hals. Wenn er sich zu einer gewissen Zusammenarbeit bereit erklärt hatte, dann nur deshalb, weil es seinem Gesundheitszustand zuträglicher war. Eines nicht so fernen Tages, das schwor er sich, würde er ihnen alle Erniedrigungen heimzahlen. Doppelt und dreifach. Sie würden sich wünschen, nicht geboren zu sein, diese Hurensöhne aus England, die sich großkotzig Korsaren ihrer Königin nannten.
Aber es gab möglicherweise einen Weg, den verdammten Killigrew schon jetzt zu demütigen und ihm zu zeigen, daß auch er verwundbar war. Araua! Killigrew selbst hatte die Wilde als seine Tochter bezeichnet. Und er war vor Wut geplatzt, als Carrero sie eine farbige Hure genannt hatte. Also mußte ihm mächtig viel an dem gut gewachsenen Ding gelegen sein. Seit vielen Mahlzeiten schon kreisten Carreros düstere Gedanken um diesen einen Punkt. Aber wie, in aller Welt, sollte er das braunhäutige kleine Biest in seine Finger kriegen? Bei einem offiziell genehmigten Spaziergang an Deck konnte er so etwas niemals riskieren. Mit Schaudern dachte er an das riesenhafte Monstrum von einem Profos. Die Hiebe, die ihm dieser verfluchte Bastard ausgerechnet mit seiner eigenen Peitsche verabreicht hat, spürte Carrero noch jetzt. Nein, an Deck durfte er nichts wagen. Da mußte er sich zahm und einsichtig zeigen, mußte den Schuldbewußten spielen und ganz so tun, als ob er sich endgültig auf die
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Seite des derzeit Stärkeren geschlagen habe. Doch es würde andere Zeiten geben. Es ging nicht an, daß Bastarde wie dieser Killigrew und seine Horde für immer und ewig die Oberhand behielten. Eines Tages fanden auch diese Mistkerle ihren Meister, das war gewiß. Carrero hoffte nur, daß er rechtzeitig von Bord der Karavelle verschwinden oder sich zu erkennen geben konnte, wenn ein Verband von spanischen Kriegsschiffen auftauchte und die „Estrella de Malaga“, in tausend Einzelteile zerlegt, auf den Meeresgrund beförderte. Aber das war Zukunftsmusik. Leider. Carrero wandte sich wieder den gegenwärtigen Dingen zu. Er mußte die Sache- anders anpacken. Wie hatte er in kniffligen dienstlichen Angelegenheiten stets seinen Weg gefunden und das durchgesetzt, was für ihn am vorteilhaftesten gewesen war? Durch ein bewährtes Mittel -das einzige, das immer wieder zuverlässig funktionierte. Bestechung. In seiner augenblicklichen Lage war das allerdings leichter gedacht als getan. Schließlich hatte er keinen einzigen lausigen Escudo bei sich. Trotzdem mußte es möglich sein. Er war nicht irgendwer. Natürlich! Das war die Lösung. Jeder in der Mannschaft der Britenbastarde wußte, daß er der Oberaufseher in den Minen von Potosi war. Sie wußten also, daß er Einfluß und Macht hatte und jederzeit jeden Wunsch erfüllen konnte. Wenn er sich erst einmal wieder in Amt und Würden befand, war es für ihn ein Kinderspiel, sich erkenntlich zu zeigen. Das mußte jeder an Bord begreifen. Aber nicht jeder war dafür geeignet. Kerle wie der Profos und seinesgleichen würden beim ersten leisesten Wort, das nach Bestechung klang, sofort anfangen, loszuprügeln. In der Beziehung waren sie sich alle verdammt ähnlich. Aber gab es denn nicht irgendeinen, der unzufrieden war und dem es nicht mehr paßte in der Mannschaft? Einer, dem man mit
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Versprechungen eine goldene Zukunftsaussicht vorgaukeln konnte? Das Naheliegende fiel ihm erst nach langem Nachdenken ein. Carrero fluchte innerlich auf sich selbst, daß er so lange gebraucht hatte, um zu der Erkenntnis zu gelangen. Dafür stand sein Entschluß nun aber fest. Natürlich. Dieser griesgrämige Kerl, der ihm immer den Fraß brachte! Mac Pellew. Carrero kannte inzwischen fast alle Namen der Killigrew-Mannschaft. Und der Kombüsenmann Pellew sah tatsächlich so aus, als ob ihm ständig eine Laus über die Leber gekrochen sei. Der war ganz einfach mit nichts und niemandem zufrieden. Und das mußte seine Ursache haben. Wie auch immer, er war ein geeignetes Objekt für einen Bestechungsversuch. Carrero zuckte ungewollt zusammen, als sich Schritte näherten, dumpf und dröhnend. Wenn man an den Teufel dachte, dann war er nicht weit. Die Schritte stammten von Pellew, eindeutig. Carrero konnte die meisten der Kerle inzwischen am Klang ihrer Schritte erkennen. Der Kombüsenknecht hatte einen Begleiter bei sich, natürlich. Sie trauten ihm also nicht und wollten sichergehen, daß der Gefangene nicht entwischte. Über so einen Mangel an Vertrauen muß Pellew auch ganz schön erbittert sein, sagte sich Carrero. Darauf, daß es sich ganz einfach um eine strikte Sicherheitsmaßnahme des Seewolfs handelte, kam er nicht. Das Schott wurde geöffnet, und blakendes Lampenlicht kroch in die Düsternis der Vorpiek. Obwohl es nur ein schwacher Lichtschein war, schloß Carrero geblendet die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er Pellew, der die mit einem Tragegriff ausgestattete Essenskiste vor ihn hinstellte. Der Aufpasser war nicht zu sehen. Er wartete offenbar ein Stückchen vom Schott entfernt und mußte gelangweilt sein, weil sich der Gefangene nun ja endgültig zur „guten Führung“ durchgerungen hatte. „Vielen Dank, Senor Pellew“, sagte Carrero und nahm den Napf, der einen deftigen Eintopf aus Bohnen, Speck und
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Dörrfleisch enthielt. Ein Segen war es, daß fast jeder an Bord Spanisch sprach, denn er war des Englischen nicht mächtig. Mac Pellew nickte, brummte mürrisch und setzte sich in zwei Schritten Abstand auf eine Kiste. Die Öllampe stand im offenen Schott. Vorschrift war es, daß derjenige, der das Essen brachte, den Gefangenen während der Mahlzeit beaufsichtigte. Hasard legte Wert auf solche Vorsichtsmaßnahmen. Es sollte schon Leute gegeben haben, die sich das Essen in den falschen Hals stopften und einen Erstickungsanfall vortäuschten, um sich eine Befreiungschance zu verschaffen. „Darf ich Sie etwas fragen, Senor Pellew?“ sagte Carrero, während er gemächlich löffelte. Er senkte seine Stimme und gab ihr einen vertraulichen Klang. Vor allem aber sollte der Kerl draußen vor dem Schott nichts mitkriegen. „Mir liegt da eine bestimmte Sache auf der Seele:' Der Kombüsenmann blies die Luft durch die Nase. „Na und? Was geht mich das an?“ „Ich brauche jemanden, mit dem ich darüber reden kann.“ „Wüßte nicht, daß ich ein guter Zuhörer bin.“ „Senor Pellew“, flüsterte Carrero eindringlich, „ich habe viel Zeit gehabt zum Nachdenken. Wissen Sie, ein Mann sollte sich nicht scheuen, zuzugeben, daß er dazugelernt hat. In meinem Fall ist das so. Ich. habe mich widerwärtig benommen, insbesondere dem jungen Mädchen gegenüber. Ich weiß, es war unrecht, ausgerechnet vor ihrem Vater auf so niederträchtige Weise von ihr zu reden. Diese Last muß ich mir von der Seele schaffen. Ich muß einfach kundtun, wie leid es mir tut. Verstehen Sie?“ „Fällt mir nicht schwer“, erwiderte Mac Pellew brummend. „Aber was geht mich das an? Wenn Sie sich darüber ausfaseln wollen, dann melden Sie sich bei Sir Hasard. Er wird Ihnen bestimmt aufmerksam zuhören.“ „Das bezweifle ich nicht. Aber ich möchte, daß meine Entschuldigung direkt an die richtige Adresse gelangt. Ich finde nicht
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eher Ruhe, bis ich weiß, daß das Mädchen selbst über meine Reue unterrichtet ist. Mit anderen Worten, ich möchte Araua persönlich um Verzeihung bitten.“ „Auch das wird der Seewolf ermöglichen.“ Carrero beugte sich noch weiter vor. „Senor Pellew, verstehen Sie denn nicht? Es ist mir peinlich, wenn andere davon etwas mitbekommen. Ich will mit dem Mädchen allein sprechen. Sie wissen, daß meine Gefangenschaft nicht ewig währen wird. Wenn ich mich wieder in meiner Position befinde, werde ich mich erkenntlich zeigen. Äußern Sie einen Wunsch, Senor Pellew, und ich schwöre Ihnen, daß ich ihn erfüllen werde. Natürlich muß es sich um einen Wunsch handeln, der im Bereich des mir Möglichen liegt.” Carreros Blick nahm etwas Lauerndes an. Mac Pellew hatte von Anfang an begriffen, auf was der blonde Schönling hinauswollte. Es brachte nichts, einen Burschen wie Carrero einfach abblitzen zu lassen. Der würde es bei der nächsten Gelegenheit mit einem anderen versuchen. Nein, sagte sich Mac, der Hundesohn braucht einen richtigen Denkzettel. Deshalb tat er interessiert. „Ist das wirklich wahr?“ sagte er leise, mit einem scheelen Seitenblick zum offenen Schott. Er senkte seine Stimme ebenfalls zum Flüstern. „Ich wünsche mir schon lange, die verfluchte Seefahrerei an den Nagel hängen zu können. Nur fehlt mir das Geld dazu. Eine kleine Schenke, eine Herberge oder so etwas, das wäre mein Wunschtraum.“ „Der sich jederzeit erfüllen ließe“, sagte Carrero rasch, „in Potosi oder anderswo. Sie brauchen mir nur den Gefallen zu tun, Senor Pellew. Eine Hand wäscht die andere. Schlagen Sie ein! Ein Ehrenmann wie ich ist an sein Wort gebunden.“ Er nahm den Löffel in die Linke und hielt seinem Gegenüber die Rechte hin, Die Kette, mit der Carreros Handgelenke verbunden waren, klirrte leise. Mac Pellew tat erfreut. „Und wie haben Sie sich das Ganze vorgestellt?“
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„Ganz einfach“, sagte Carrero gedämpft, „bringen Sie die kleine Araua zu mir. Sagen Sie ihr, daß ich mich entschuldigen möchte. Am besten zu einem Zeitpunkt, an dem es kein anderer merkt. Ich weiß, Sie werden das hinkriegen, Senor Pellew. Denken Sie an die eigene Schenke.“ Mac setzte ein Grinsen auf. „Klar doch. Wird schon klappen, Senor Carrero. Und Sie wollen sich bei Araua natürlich wirklich nur entschuldigen, stimmt's?“ „Stimmt haargenau“, antwortete der Spanier und grinste zurück. „Sagte ich nicht, daß ich ein Ehrenmann bin?“ „Ich habe es vernommen“, entgegnete Mac und dachte sich seinen Teil. Diesem Schweinehund würde er die Suppe kräftig versalzen. Und zwar auf eine Art und Weise, die der sehr ehrenwerte Ehrenmann so schnell nicht vergessen würde. * Draußen mußte es mittlerweile dunkel geworden sein. Carrero folgerte es daraus, wie sich die Geräusche an Bord verändert hatten. Wie ein Tier hatte er gelernt, bestimmte Laute in Verbindung mit Tageszeiten zu bringen. Wenn zum Beispiel kaum noch Schritte zu hören waren, die von den Planken der Kuhl bis in die Unterdecksräume dröhnten, dann bedeutete das, daß sich die Kerle ins Logis begeben hatten. So wußte Carrero, daß oben inzwischen die Deckswache aufgezogen war. Es wurde also Nacht. Die günstigste Zeit für das Vorhaben, das der Kombüsenmann bestimmt so schnell wie Möglich in die Tat umsetzen würde. Der Griesgram war wie alle anderen, die Carrero im Laufe seines Lebens schon gekauft hatte. Kerle dieser Sorte verscherbelten die sprichwörtliche eigene Großmutter, wenn sie sich dadurch einen Vorteil verschaffen konnten. Luis Carrero war felsenfest davon überzeugt, daß er Mac Pellew richtig einschätzte. So wunderte ihn überhaupt nicht, daß er irgendwann am späten Abend leise Schritte
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hörte, die sich jedoch zügig der Vorpiek näherten. Die Schritte endeten, tuschelnde Stimmen waren zu vernehmen, dann bewegte sich knirschend der Riegel des Schotts. Carrero blinzelte in gewohnter Weise gegen das Lampenlicht an und öffnete die Augen nach einer Weile, als er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. „Araua ist bereit, Ihre Entschuldigung anzunehmen“, sagte Mac Pellew und stellte die Lampe in das offene Schott. „Aber sehen Sie zu, daß es kurz und schmerzlos geht. Es würde auffallen, wenn sie zu lange wegbleibt.“ Carrero richtete sich auf. Er hielt die Kette dabei fest, um das Klirren zu vermeiden. „Mein Dank ist Ihnen sicher“, flüsterte er heiser. „Schicken Sie das Mädchen jetzt herein.“ Mac Pellew nickte nur, schlurfte hinaus und murmelte etwas. Araua, die der Spanier nach wie vor für eine primitive Wilde, ein farbiges Flittchen hielt, trat ein und musterte Carrero mit scheinbar zaghaftem Gesichtsausdruck. „Ich danke dir, daß du gekommen bist“, sagte er. Mit einer theatralischen Geste hielt er ihr die gefesselten Hände mit nach oben gekehrten Handflächen entgegen. „Ich habe dich schmählich beschimpft, deinem Vater gegenüber. Du mußt mich hassen. seit du es gehört hast.“ Araua schüttelte den Kopf. Ihre Schüchternheit war glaubhaft gespielt. Denn sie bemerkte - und es war ihr peinlich -, daß der Blonde mit seinen Blicken ihren Körper abtastete - ohne jegliche Zurückhaltung. „Mein Vater verschont mich mit solchen Dingen“. entgegnete sie leise und senkte den Kopf. „Er sagt, daß die weißen Männer manchmal nicht sehr nett sind im Umgang mit Frauen und Mädchen: „Da hat er leider recht“, sagte Carrero mit einem Seufzer. „Gerade deshalb möchte ich nicht, daß ich in deiner Erinnerung als ein solcher Schweinehund haften bleibe. Komm zu mir, laß mich dir die Hand geben und dich um Verzeihung bitten. Du sollst spüren. daß es mir ernst damit ist.“
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Araua tat, als zögere sie. In Wahrheit spannte sie die Muskeln an. „Es schickt sich nicht, mit einem Mann allein in einem Raum zu sein“, sagte sie scheinbar unsicher. „Senor Pellew wartet draußen”, entgegnete Carrero wegwerfend. „In der Beziehung brauchst du dich nun wirklich nicht zu sorgen. Außerdem muß ich als spanischer Ehrenmann stets darauf achten, meinen guten Ruf zu wahren.“ „Wenn Sie meinen“, sagte Araua achselzuckend, trat einen Schritt auf ihn zu und hielt ihm die Rechte entgegen. Blitzschnell packte er zu. Mit beiden Händen wollte er sie an sich reißen. Doch im selben Moment trat grenzenlose Überraschung in seine Züge. Denn sein Angriff traf die Tochter der Schlangenpriesterin nicht etwa unvorbereitet. Sie setzte ihm alle Kraft ihrer jugendlich straffen Muskeln entgegen. Und er hatte nicht die leiseste Chance, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. „Willst du wohl herkommen!“ zischte er. „Verdammtes Biest, wenn du nicht gleich parierst, bringe ich dir Manieren bei!“ „Versuchen Sie es“, erwiderte Araua ruhig und mit kaltem Lächeln. Entgeistert starrte er sie an. Alles andere hatte er erwartet, nur nicht diesen Tonfall. Einen Atemzug später stürzte er sich mit einem wütenden Knurrlaut auf sie. Sie hatte es erwartet, denn er hatte ihre Hand nicht losgelassen: Statt auf ihren gertenschlanken und biegsamen Körper, prallte er gegen ihr plötzlich hochruckendes Knie. Sie traf ihn sehr empfindlich. Er brüllte los wie ein Stier, klappte zusammen und ließ zwangsläufig ihre Hand los. Im nächsten Augenblick schmetterte sie ihm ihre harten kleinen Fäuste ins schutzlose Gesicht und trieb ihn damit zurück. Vergeblich versuchte er, mit den Händen den Schmerz zu überdecken, den ihr Knie verursacht hatte. Die Schläge ins Gesicht waren vergleichsweise harmlos, doch es saß genügend Wucht dahinter, um ihn
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zurückzutreiben. Sein Gebrüll ging in gellende Schmerzensschreie über. Immer noch zusammengekrümmt, geriet er ins Stolpern und knallte zu allem Überfluß mit dem Allerwertesten gegen die Kante der Kiste, auf der Mac Pellew zu sitzen pflegte, wenn er ihn beim Essen beaufsichtigte. Carreros Geschrei steigerte sich zu schrillem Diskant. Er stürzte zu Boden, und noch im selben Augenblick war Araua über ihm. Sie ließ ihm keine Chance, neue Kräfte zu sammeln und sich von Schmerz und Schreck zu erholen. Luis Carrero mußte erleben, zu welchen kämpferischen Fähigkeiten Arkana die Schlangenkriegerinnen und auch ihre Tochter ausgebildet hatte. Natürlich hatte er nicht die leiseste Ahnung von diesem Hintergrund des scheinbar so zaghaften jungen Mädchens. Deshalb traf ihn die Demütigung umso niederschmetternder. Wimmernd und sich auf den Bodenplanken krümmend, wurde er von Araua nach allen Regeln der Kunst verprügelt. Da setzte es Hiebe und Stöße, daß er glaubte, er sei in das Zentrum eines Wirbelwinds geraten. Nach einer Weile schaffte er es nicht einmal mehr, abwehrend die Arme hochzureißen. Alles in ihm war ein einziger brennender Schmerz, an seinem ganzen Körper gab es keine Stelle mehr, die nicht wie Feuer glühte. Er konnte nur noch stöhnen und nach Luft japsen, als Araua endlich von ihm abließ. Er spürte den Geschmack von Blut. Seine Lippen waren aufgeplatzt, seine Gesichtshaut straffte sich über grün und blau anlaufenden Schwellungen. Araua wandte sich ab, ohne das Häufchen Elend noch eines Blickes zu würdigen. Der Lichtschein aber blieb. Carrero brauchte endlos lange Minuten, um sich so weit zu erholen, daß er sich aufsetzen konnte. Die gefesselten Hände erschwerten es ihm. Doch kaum hatte er seinen Oberkörper aufgerichtet, zuckte er zusammen, wie von einem Peitschenhieb Ed Carberrys getroffen. Philip Hasard Killigrew stand da, groß und breitschultrig, die Arme vor der Brust
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verschränkt. Das blakende Lampenlicht gab seinen Gesichtszügen eine grimmige Bewegung, obwohl sie wie gemeißelt waren. „Ich werde nicht viele Worte an Sie verschwenden, Carrero“, sagte der Seewolf eisig. „Denn Sie begreifen ohnehin nichts. Aber eines ist sicher: Sie werden an diese Stunde noch lange zurückdenken. Mac Pellew ist kein Mann, der sich bestechen läßt. Er hat mir sofort alles berichtet. Und Araua hat Ihnen gezeigt, wie Menschen, die in Freiheit leben, auf Ihre dreckigen Anmaßungen reagieren. Araua ist kein hilfloses Indiomädchen, das Sie sich mit Gewalt nehmen können. Vielleicht haben Sie wenigstens diese Lektion begriffen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm der Seewolf die Lampe auf und knallte das Schott zu. 2. Die frühen Morgenstunden des 24. November 1594 brachten keinerlei Änderung. Die aufgehende Sonne erglühte rotgolden über dem peruanischen Hochland, am azurblauen Himmel war nicht der Hauch einer Wolke zu erkennen. Der Wind wehte handig aus Südwesten, und die „Estrella de Malaga“ und die „San Lorenzo“ klüsten südwärts an der Küste entlang. Im Grunde brachte dieser 24. November also nichts Neues. Dennoch waren die Männer an Bord beider Schiffe von einer spürbaren Spannung ergriffen. Gespräche wurden weniger lautstark geführt, ja, beschränkten sich meist sogar auf einen Austausch knapper Worte. Den Ausgucks war jene Spannung am deutlichsten anzumerken, denn sie hatten Order erhalten, den Küstenbereich besonders scharf zu beobachten, was beim Gegenlicht der gleißenden Sonne keine leichte Aufgabe war. Die Männer an Deck konnten sehen, wie ihre Gefährten oben in den Marsen immer wieder die Augen mit der Hand abschirmten. Ausgangspunkt und Ursache der ungewöhnlich gespannten Atmosphäre
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waren jedoch die Männer auf den Achterdecks der beiden Schiffe. Sowohl Hasard als auch Jean Ribault waren mit ihren Überlegungen aus dem Stadium der Vorplanungen heraus. Was das Unternehmen Potosi betraf, würde dieser Tag eine entscheidende Wende bringen. Das spürten die Arwenacks, und das spürten die Männer Ribaults. Die Ahnung saß ihnen buchstäblich in den Knochen. Die „Estrella de Malaga“, und die „San Lorenzo“ standen etwa 25 Meilen vor Arica. „Das ganze Vorhaben steht und fällt mit einem geeigneten Versteck für die Schiffe“, sagte der Seewolf, der gemeinsam mit seinem Ersten Offizier an der Heckbalustrade der Karavelle stand. Ben Brighton rieb sich das Kinn. „Es dürfte da noch ein paar weitere Unsicherheitsfaktoren geben. Zum Beispiel die Dauer des Versteckspiels. Dann die Mannschaftsstärke, die zur Verteidigung verfügbar bleibt. Danach richtet sich auch, welche Art von Versteck wir wählen.“ „Richtig“, sagte Hasard und nickte. ..Gehen wir mal davon aus, daß wir nördlich oder südlich von Arica wirklich einen brauchbaren Unterschlupf finden. Dann müssen wir damit rechnen, daß der Trupp, der nach Potosi marschiert, mehrere Wochen unterwegs sein wird.“ „Eineinhalb bis zwei Monate werden dabei draufgehen.“ „Stellen wir uns lieber gleich auf zwei Monate ein, Ben. Der Marsch nach Potosi wird kein Zuckerlecken sein. Und was unterwegs alles passieren kann, steht in den Sternen.“ Ben Brighton lächelte kaum merklich. „Wir sind keine blutigen Anfänger. Die Männer haben schon andere Schwierigkeiten bewältigt als Potosi. „Keine Frage. Aber hier blüht uns so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann - Flachland und Gebirge, Schluchten und Wüste, reißende Flüsse und eisige Bergseen. Der Cerro Rico hat den Spaniern nicht den Gefallen getan, in günstiger Küstennähe zu liegen.“ Ben mußte nun doch lachen.
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„Wie du das beschriebst, klingt es fast furchteinflößend. Als ob wir unserem Schicksal ins Auge sehen müßten. Unser Freund, der Theaterdirektor Don Gonzale, hätte es kaum wirkungsvoller beschreiben können.“ Der Seewolf grinste. „Vielleicht habe ich ihm ungewollt ein bißchen abgeschaut.“ „Wenn du sonst keine bleibenden Schäden abgekriegt hast, dürfte es sich von selbst erledigen.“ Lächelnd dachten die beiden Männer an das turbulente Geschehen, das ihnen die Galeone der Komödianten beschert hatte. Roger Lutz, der beklagenswerte Kerl, schlich drüben an Bord der „San Lorenzo“ noch jetzt mit blauen Flecken herum. Seine Gefährten hatten es ihm heimgezahlt, als er sich allen Anweisungen widersetzt und versucht hatte, als einziger ein Liebesabenteuer zu erleben. Ed Carberry hingegen hatte keinen Schiffbruch erlitten. Als Held, der die Schauspieler-Galeone vom Riff befreit hatte, war er von der strammbusigen Dona Mariana reichlich belohnt worden. Nach dem „gemütlichen Beisammensein“ hatte das Urvieh Carberry an einen vom Hurrikan gerupften Segler erinnert. Entsprechend lange hatte es gedauert, bis er wieder auf dem Posten gewesen war. Die Spötteleien hatte Ed mittlerweile kaltlächelnd überwunden. Inzwischen war er so weit, daß die Kerle ihm hingerissen zuhörten, wenn er Einzelheiten vom Beisammensein mit Dona Mariana schilderte. Der Halbkreis, der sich beim Backen und Banken regelmäßig um den Profos bildete, war von Tag zu Tag größer geworden. Erstaunlicherweise gingen ihm die immer neuen Einzelheiten nicht aus. Niemand verfiel jedoch auf die Idee, daß Ed sich etwa selbst etwas ausdachte und hinzufügte. Dazu waren die Einzelheiten viel zu schön. „Wie auch immer“, sagte Hasard und rief die Wirklichkeit zurück, „wir müssen uns jetzt möglichst bald über ein Versteck schlüssig werden.“
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Ben Brighton verschränkte die Arme vor der Brust und blinzelte gegen die Sonne, um die Küstenlinie zu betrachten. „In jedem Fall“, sagte er, „sollte das Versteck so gut sein, daß wir nicht befürchten müssen, entdeckt zu werden.“ „Weshalb sprichst du von ‚wir'?“ entgegnete Hasard. Ben wandte sich zu ihm um und lächelte. „Weil ich von vornherein davon ausgehe, daß ich zu den Zurückbleibenden gehöre.“ Hasard atmete tief durch. „Dein Scharfsinn ist mal wieder unschlagbar. Aber sei ehrlich: Wüßtest du einen besseren, dem ich das Oberkommando während meiner Abwesenheit übertragen könnte?“ „Die Frage solltest du nicht mir stellen“, erwiderte Ben. Der Seewolf nickte. Das war sein Erster Offizier, wie er leibte und lebte. Niemals würde er auch nur im Traum daran denken, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Wenn Bescheidenheit eine Zier war, dann war Ben Brighton der bestaussehende Mensch, den man sich vorstellen konnte. „Also gut“, sagte Hasard, „es dreht sich jedenfalls alles um die Frage, wie viele Männer nach Potosi gehen und wie viele auf den Schiffen zurückbleiben. Denn eines ist gewiß: Wir können uns zwar ein Versteck aussuchen, von dem wir annehmen, daß es sicher ist. Aber wir müssen trotzdem damit rechnen, daß es irgendwie aufgespürt wird. Es gibt die verrücktesten Zufälle.“ „Allerdings. Für einen solchen Fall müssen wir flexibel genug sein, um schnell genug verschwinden zu können. Dazu brauchen wir Ausgucks und Posten, die das Versteck ständig überwachen, und zwar nach Land und nach See hin. Notfalls müssen wir kämpfen, wenn es um den Erhalt der Schiffe geht.“ Der Seewolf nickte nachdenklich. „Alles richtig, Ben. Und wenn man deine Argumente in den Vordergrund stellt, bleibt eigentlich nur noch eine Folgerung: Wir werden für das Potosi-Unternehmen nur einen kleinen, aber harten Kern der beiden Crews einsetzen.“
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„Das habe ich damit nicht sagen wollen“, entgegnete Ben. „Wir müssen nur wissen, was wichtiger ist. An erster Stelle steht doch wohl der Erfolg in Potosi, oder?“ Hasard schüttelte den Kopf. „So kann die Frage nicht lauten. Ich drücke es anders aus: Sicherung und Erhalt der Schiffe haben unbedingten Vorrang. Darauf müssen alle Überlegungen aufbauen. Was nutzt uns ein erfolgreiches Unternehmen Potosi, wenn wir zur Küste zurückkehren und keine Schiffe mehr vorfinden?“ Ben Brighton preßte nachdenklich die Lippen zusammen. „Es wäre zumindest verdammt schwierig“, gab er zu. „Im übrigen“, sagte Hasard, „ist es sowieso naheliegender, mit einer kleinen Gruppe loszuziehen. Ein großer Trupp wäre viel zu auffällig.“ In diesem Punkt konnte Ben nicht widersprechen. Was die Männer an Land erwartete, war in keiner Weise vorherzusehen. Ein Zuckerlecken würde es ganz bestimmt nicht werden. Zunächst einmal galt es aber, ein passendes Versteck zu finden. * Kurze Zeit später enterte Dan O'Flynn zum Achterdeck auf. Er trug einen Packen zusammengerollter Seekarten unter dem Arm. „Der Navigator unserer Vorgänger an Bord muß ein ordentlicher Mensch gewesen sein“, sagte Dan heiter. „Sämtliches Material fein säuberlich in einem Schapp sortiert, jede einzelne Karte mit einer Nummer versehen, dazu ein Inhaltsverzeichnis - so etwas kann man nur loben.“ „Die Dons würden sich freuen, wenn sie das hören könnten“, entgegnete Hasard. Er deutete auf die Karten, die Dan auf die Planken purzeln ließ. „Sieht so aus, als ob du genug Passendes gefunden hast.“ Dan O'Flynn verzog zweifelnd das Gesicht.
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„Die Küstenlinie Perus ist verdammt lang. Und ich habe gesehen, daß längst nicht alle Karten vollständig sind. Viele Abschnitte sind einfach nur als weiße Zonen eingetragen.“ „Also unerforscht“, brummte Ben Brighton. „Was wundert's? Die Dons haben alle Hände voll damit zu tun, das Land auszuplündern und die Ureinwohner zu knechten. Die Erforschung unzugänglicher Landstriche wirft schließlich keinen Gewinn ab.“ „Unsere eigenen Landsleute wären wahrscheinlich nicht viel besser“, sagte Hasard. Ben Brighton und Dan O'Flynn wußten nur zu gut, auf was der Seewolf anspielte. Die Geschehnisse um Duke Henry of Battingham und den alten Killigrew steckten ihnen allen noch mächtig in den Knochen. Von der Sorte dieser Adelsclique, die sich in der Neuen Welt nur bereichern wollte, gab es drüben im alten England leider noch mehr als genug. Dan ließ sich auf die Knie sinken und breitete nacheinander die Karten aus. Erst bei der vorletzten hatte er Glück. Ben Brighton brachte zwei Belegnägel, die die Karte auseinandergerollt hielten. „Da haben wir alles, was wir brauchen“, sagte Dan zufrieden. „Hier Arica“, er tippte mit dem Zeigefinger auf einen rot eingezeichneten Punkt an der Küstenlinie, „und hier, nordwestlich davon, den Rio de Tacna. Den müßten wir bald in Sichtweite haben. Vielleicht finden wir in der Flußmündung ein Versteck.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Sieh dir mal den Flußlauf an, Dan, weiter landeinwärts.“ „Du meinst den kleinen Ort?“ Dan O'Flynn beugte sich tiefer über die Karte und hob dann den Kopf. „Heißt auch Tacna, genau wie der Fluß. Na und?“ „Was schätzt du, wie weit liegt Tacna im Landesinneren?“ fragte Ben Brighton. Dan kalkulierte es nach dem Maßstab, indem er die Breite seines Daumens zu Hilfe nahm. „Ungefähr zwanzig Meilen.“
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„Genau deshalb scheidet die Flußmündung als Versteck aus“, sagte Hasard. „Man kann davon ausgehen, daß die Dons, die in Tacna wohnen, über den Flußweg und an der Küste entlang Verbindung mit Arica haben. Das bedeutet, daß man an der Mündung ständig mit ungebetenem Besuch rechnen müßte.“ Dan O'Flynn richtete sich auf. „Aber die Flußmündung wäre wirklich günstig. Für die Schiffe und auch für den Beginn der Expedition.“ Hasard wiederholte, was er zuvor mit Ben Brighton besprochen hatte. „Aber meinetwegen können wir uns bei unserem speziellen Freund und Hundesohn danach erkundigen“, sagte er. „Da bin ich mal gespannt, was der uns wieder auftischt“, entgegnete Dan skeptisch. „So etwas wird er nach der letzten Nacht wohl kaum noch riskieren“, sagte Ben Brighton und warf dem Seewolf einen vielsagenden Blick zu. Hasard zog die Schultern hoch. „Bei solchen Halunken weißt du nie, woran du bist. Den könnte Ed Carberry heute unangespitzt zwischen die Planken rammen, morgen würde er sich wieder herauswinden und Gift und Galle spucken. Laß ihn trotzdem holen.“ „Aye, Sir“, sagte Ben grinsend, wandte sich nach vorn und gab die entsprechende Order weiter. Fünf Minuten später war der Profos mit dem Gefangenen zur Stelle. Carrero schlich an Ed Carberrys Seite wie ein folgsamer Hofhund. Das Gesicht des blonden Schönlings war verquollen und schillerte in allen Regenbogenfarben. Das linke Auge war noch vollständig geschlossen, mit dem rechten konnte er nur mühsam blinzeln. „Weiß nicht, ob dieser Blindfisch euch eine große Hilfe ist“, sagte Carberry dröhnend. „Ich nehme an, er sieht immer noch Sterne. Wie soll er da eine Karte entziffern?“ „Ich kann sehr gut sehen“, protestierte Carrero weinerlich. „Ich wüßte nicht, warum das nicht der Fall sein sollte.“
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Carberry ruckte herum, und seine Riesenpranken zuckten vor. Er packte den Spanier am Kragen und schüttelte ihn einmal kurz und kräftig hin und her. Carrero quiekte wie eine getretene Ratte. „Du redest nur, wenn du gefragt wirst. Ist das klar?“ Es schien, als würde Carrero beim Klang der Donnerstimme Carberrys um einen Zoll kleiner. „Schon gut, Ed“, sagte Hasard. „Paß auf, daß du ihm nicht die Klüsen aus dem Kopf schüttelst, sonst ist's mit dem Kartenlesen ganz aus.“ „Aye, Sir, Klüsen nicht aus dem Kopf schütteln“, erwiderte Carberry und verzog das Narbengesicht zu einem Feixen. Dann bugsierte er den Schlotternden vor die ausgebreitete Karte. „So, Amigo, nun zeig mal, wie gut deine Peilung noch ist.“ Geduckt und unterwürfig sah Carrero den Seewolf an. „Es handelt sich um den Rio de Tacna“, sagte Hasard energisch. _Landeinwärts gibt es am Fluß einen Ort gleichen Namens. Uns interessiert, wie groß der Ort ist, wie die Befestigungen sind, welche Handels- und Frachtwege von dort unterhalten werden.“ Noch während er die Frage vernahm, blühte Carrero regelrecht auf. Seine Miene erhellte sich, was trotz der vielen Beulen und Schrammen erstaunlicherweise zu erkennen war. Auch seine Haltung straffte sich, und er strahlte auf einmal den Stolz des Besserwissenden aus. Die Männer mußten an Hasards Beispiel denken. Dieser Bastard war in seiner Verschlagenheit tatsächlich nicht kleinzukriegen. „Ort?“ Carrero spie das Wort verächtlich aus. „Das ist kein Ort, Senores, nicht einmal ein verdammtes Nest. Dieses Tacna wurde nur eingezeichnet, weil eine Horde von lausigen Betbrüdern da ein Kloster eingerichtet hat. Ausnahmslos Verrückte. Bilden sich ein, die Indio-Affen bekehren zu können!“ Hasard und die anderen horchten auf, ließen sich aber nichts anmerken.
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„Betbrüder?“ fragte der Seewolf scheinbar beiläufig. „Was für Betbrüder?“ „Dominikaner“, erwiderte Carrero sofort, und es war offenkundig, daß er zumindest dieses Mal nicht log. Hasard wechselte einen unauffälligen Blick mit Ben Brighton. Sicherlich wäre Carrero mit seiner Antwort zurückhaltender gewesen, wenn er gewußt hätte, daß es sich bei dem „Betbruder“ an Bord der „Estrella de Malaga“ gleichfalls um einen Dominikaner handelte. Pater David war zur Zeit jedoch nicht an Deck. Wiederum ließen sich der Seewolf und die anderen von ihrem erwachten Interesse nichts anmerken. Hasard wirkte beinahe gleichgültig, als er seine nächste Frage stellte. „Was gibt es sonst noch über Tacna zu berichten?“ War Carrero anfangs aufgeblüht in dem Stolz, mehr zu wissen als andere, so steigerte er sich jetzt in einen wahren Rausch. Es schien ihm ein Vergnügen zu bereiten, seine Meinung über die Dinge kundzutun, von denen die Einfaltspinsel aus England natürlich nicht die geringste Ahnung hatten. Wie sollten sie auch? Spanier waren es schließlich gewesen, die die Neue Welt entdeckt hatten. Und Spanier waren dabei, diesen Teil der Erde zu erforschen und zu erschließen. Für einen Mann wie Carrero waren Engländer und was es da sonst noch in Europa gab nur Schmarotzer, die den wirklich Großen dieser Welt ein paar Krumen aus dem Kuchen bröckeln wollten. „Diese Kuttenträger sind die reinen Narren“, sagte Carrero voller Verachtung. Er verschränkte die Arme vor der Brust und begann, im Takt seiner Worte auf den Zehenspitzen zu wippen. „Halten sich für Weltverbesserer, diese sauberen Betbrüder. Denken, sie könnten Urwald- und SteppenAffen auf eine Stufe mit Menschen edlen spanischen Ursprungs stellen! Abgesehen davon, daß das allein schon eine Anmaßung ist, dürfte es sich um die Illusion. von hirnrissigen Phantasten handeln.“ Carrero warf sich erneut in die Brust und reckte das Kinn vor. „Ich habe
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jedenfalls dafür gesorgt. daß die Betbrüder mit ihren schwachsinnigen Ideen nicht zum Zuge gelangen. Ehe sie sich's versahen, habe ich die dort lebenden Indio-Affen einer nützlichen Arbeit zugeführt - wie sich das gehört.“ Der Seewolf wechselte einen Blick mit den anderen. Natürlich war ihnen klar, was der blonde Schönling mit seinem herablassenden Gerede meinte. Die Indios, vornehmlich die gesunden und kräftigen jüngeren Männer, waren auf brutale Art und Weise verschleppt worden, damit sie im Cerro Rico Sklavenarbeit leiste- ten. Die meisten von ihnen würden elend zugrunde gehen und ihre Familien und ihr Zuhause niemals wiedersehen. Luis Carrero war indessen in seinem Redefluß nicht mehr zu bremsen. „Jetzt gibt es in der Nähe des Klosters nur noch alte Weiber, ein paar Greise und Kinder.“ Er stieß ein kurzes, gehässiges Lachen aus. „Die Betbrüder sind dämlich genug, für die verlausten Affen auch noch Feldarbeit zu, leisten, um das faule Pack durchzufüttern - ohne jede Gegenleistung, abgesehen davon, daß das Indiovolk vielleicht irgendwann zum rechten Glauben übertritt. Aber kann man sich dafür etwas kaufen? Zahlt sich das in klingender Münze aus?“ Carrero schüttelte heftig den Kopf, um zu unterstreichen, wie wenig Geschäftssinn die seiner Meinung nach so dummen Betbrüder doch hatten. Hasard mußte die sich immer heftiger aufsteigende Wut verbeißen. Am liebsten hätte er dem aufgeblasenen Kerl links und rechts eine Ohrfeige versetzt, obwohl auch das kaum dazu beigetragen hätte, ihn zur Einsicht zu bringen. Im übrigen war es unsinnig, den Informationsfluß abzuschneiden, zu dem Carrero nun einmal angesetzt hatte. Hasard hatte die Charakterzüge dieses Kerls sehr wohl erkannt. Carrero war grenzenlos eitel, er schwadronierte drauflos, um seine Wichtigkeit als Oberaufseher über die Potosi-Minen herauszustellen. Insofern stimmte wahrscheinlich alles, was er über Tacna gesagt hatte. Auf eine widersinnige Art
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und Weise blieb er ehrlich, wenn er seinem geradezu krankhaften Haß auf die „IndioAffen“ freien Lauf lassen konnte. „Es gibt bei Tacna also überhaupt keine jungen Menschen mehr“, sagte Dan O'Flynn nach einer Weile des Nachdenkens. Er blickte den blonden Spanier an. „Sie sagten, die jungen Männer wären einer angeblich nützlichen Arbeit zugeführt worden. Die jungen IndioFrauen haben Sie nicht erwähnt. Wo sind die abgeblieben?“ Luis Carrero verzog sein aufgequollenes Gesicht zu einem breiten Grinsen. Hasard warf Dan einen mißbilligenden Blick zu. Diese Frage war nun wirklich nicht nötig gewesen. Denn sie führte nur dazu, daß der Spanier sich abermals zu einer widerwärtigen Tirade versteigen würde. „Die Affenweiber?“ sagte Carrero denn auch prompt. „Die stinkigen und verlausten Schlampen aus der Wildnis? Was kann man mit denen schon anstellen? Auch diese Urwaldhuren werden natürlich sinnvollen Betätigungen zugeführt. Das heißt, nach einer gründlichen Reinigung werden sie ihren Dienstherren zugeteilt und üben dann äußerst nützliche Verrichtungen aus. Wenn Sie ein paar Beispiele hören möchten, Senores...“ „Nein“, sagte der Seewolf rauh. „Es reicht jetzt, Carrero.“ Er wandte sich an den Profos. „Ed, schaff ihn zurück in die Vorpiek. Ich glaube, die Luft wird dann frischer.“ „Aye, Sir“, knurrte Carberry. „Du brichst mir aus der Seele.“ Der Spanier starrte die Männer verständnislos an. Er begriff nicht, daß sie nach so bereitwilliger Auskunft seinerseits nicht begeistert waren. Noch viel weniger ahnte. er, daß seine Informationen für den Seewolf und seine Gefährten sehr viel wichtiger waren, als er sich vorstellen konnte. Luis Carrero wußte nicht, daß er ihnen den Weg für den ersten Schritt in Richtung Potosi geebnet hatte. 3.
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Im Verlauf der weiteren Vormittagsstunden gab es weder für die „Estrella de Malaga“ noch für die „San Lorenzo“ irgendwelche Vorkommnisse, die Hasard oder Jean Ribault für das Logbuch als eintragenswürdig betrachten konnten. Die Karavelle und die Galeone klüsten weiter in Küstennähe, und die Arbeit der Männer an Schoten und Brassen war zur monotonen Bordroutine geworden, die nun schon tagelang anhielt. Der Südwest war auf eine hartnäckige Art und Weise zuverlässig, die so manchem Arwenack und Ribault-Mann allmählich auf den Nerv ging. Eine Wetteränderung wollte und wollte sich nicht einstellen. Der Himmel erbarmte sich nicht, auch nur einen einzigen Regentropfen fallen zu lassen. Das Frischwasser in den Schiffsladeräumen war zu einer schalen, lauwarmen Brühe geworden - als Durstlöscher ganz und gar ungeeignet. Zur Spannung, die sie alle empfanden, gesellte sich ein Anflug von Ungeduld. Eine Hafenschenke mit kühlem Bier war zwar nicht zu erwarten. Aber der Traum von einem sprudelnden Felsenquell war denn doch realistisch. Mit leiser Wehmut dachten die Männer an Old Donegals Felsenkneipe auf der Schlangen-Insel. Wieviel Zeit würde vergehen, bis sie wieder einen dieser unvergleichlich gemütlichen Abende beim alten O'Flynn und seiner Mary verbringen würden? An Bord der „Estrella de Malaga“ sorgte Ed Carberry dafür, daß es für die Arwenacks keine Langeweile gab. Groß und klotzig hockte er auf einer Taurolle am Steuerbordschanzkleid, und die Männer von der Freiwache hatten einen Halbkreis um ihn gebildet. Dazu gesellten sich die anderen jeweils zwischen zwei Kreuzschlägen, um wenigstens einen Teil der neuesten „Einzelheiten“ mitzukriegen, die der Profos zu berichten wußte. „Also“, sagte er feierlich und faltete die Riesenpranken über der Gurtschließe. „Ich habe euch noch nicht erzählt, was sich abspielte, nachdem Dona Mariana mir die unteren Decksräume gezeigt hatte.“
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„Was?“ rief Gary Andrews glucksend. „Ein Nachspiel hat's auch gegeben?“ „Und was für eins“, sagte Sam Roskill trocken. „Wenn man so bedenkt, was vorher alles gewesen ist, dann muß es hinterher gewaltig gewesen sein.“ „Von den Unterdecksräumen hat der gute Ed sowieso nichts gesehen“, sagte Al Conroy im Brustton der Überzeugung. „Die ganze Besichtigung war also für die Katz.“ Bob Grey kicherte. „Unser Profos hat sich wohl mehr auf gewisse Vorbauten konzentriert, was, wie?“ Die ganze Meute grölte los. Plymmie, die bei den Zwillingen und Araua auf der Back lag, hob erschrocken den Kopf, ließ ihn dann aber wieder zwischen die Vorderpfoten sinken, als sie feststellte, daß der Lärm keine ernsthafte Ursache hatte. „Seid ihr jetzt fertig?“ fragte Ed Carberry dröhnend. „Wenn euch die Geschichte nicht interessiert, braucht ihr's nur zu sagen. Dann halt ich das Maul und bin ab sofort stumm wie ein Plattfisch. Bei der Besichtigung handelte es sich übrigens um die Laderäume mit dem Theaterkram. Die haben richtige Zimmereinrichtungen bei sich. Damit können sie auf der Bühne nachbauen, was sie wollen.“ „Auch Schlafzimmer?“ fragte Luke Morgan wißbegierig, und auch die anderen beugten sich voller Interesse vor. „Ja, was glaubt ihr denn“, sagte Carberry großspurig, „was mich an der Besichtigung so gereizt hat!“ Ein paar Sekunden lang waren alle sprachlos. Dann war es Matt Davies, der als erster wieder Worte fand. „Davon hast du aber die ganze Zeit noch nichts erzählt, Mann. Ist doch wohl schon ein paar Tage her, seit die Ladys von der ,Torbellino' mit ihren Dessous hinter uns hergewinkt haben. Und jetzt fällt dir plötzlich die Sache mit dem Schlafzimmer unter Deck ein?“ Carberry legte das Narbengesicht in listige Falten. „Normalerweise hätte ich die Geschichte ja für mich behalten. Aber dann hab ich mir
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gesagt, wir in der Crew sollten wohl keine Geheimnisse untereinander haben. Und es handelt sich ja auch nicht bloß um das Doppelbett allein ...“ Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein. „Sondern?“ ertönte es sofort im Chor. „Um das, was sich zwischen Dona Mariana und mir so alles ergeben hat.“ Ed Carberry blinzelte mit einem Anflug von Verlegenheit und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was soll sich in einem Doppelbett schon ergeben!“ rief Blacky und prustete gleich darauf los. „Ist doch klar, der?“ Jeff Bowie versetzte ihm einen Stoß mit der Hakenprothese. „Er meint doch, was sich hinterher ergeben hat, du Esel! Stimmt's, Ed?“ „Haargenau“, sagte Carberry brummend und nickte mit versonnenem Lächeln. „Hinterher, im trauten Gespräch - da ist selbst das wildeste Weib weich wie Butter in der Sonne. Also, ich muß mir das mal von der Seele reden ...“ Er senkte seine Stimme zum Flüsterton. „Dona Mariana war von mir wohl mächtig beeindruckt. Jedenfalls hab ich das rausgehört aus ihren Worten. Und jetzt kommt's, Freunde: Sie hat gesagt, daß sie sich eine gemeinsame Zukunft mit mir vorstellen könnte.“ Wieder herrschte Sprachlosigkeit. Die Arwenacks sperrten den Mund auf und starrten den narbengesichtigen Riesen entgeistert an. „Was soll denn das heißen, so was Geschraubtes?“ murmelte Matt Davies schließlich. Die Blicke der anderen hefteten sich auf ihn, während Carberry sich zurückgelehnt hatte und zufrieden grinsend die Reaktion der Kerle beobachtete. „Was soll denn das heißen?“ äffte Stehmark den Grauhaarigen nach. „Daß sie ihn an Land ziehen will, Mann! Sie will sich unseren guten alten Ed einverleiben, mit Haut und Haaren. Ist das nicht klar?“ Matt blinzelte ungläubig. „Aber dieses Teufelsweib ist doch verheiratet.“
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„Die gibt ihrem Theateraffen einen Tritt in den Hintern, wenn sie was Besseres findet“, sagte Al Conroy überzeugt. Wieder hefteten sich die Blicke auf Ed Carberry - fragend diesmal. „Stimmt“, sagte er mit väterlichem Nicken. „Sie will auf mich warten. In Panama. Ich brauche bloß hinzugehen und zu sagen, hier bin ich. Dann läßt sie ihren Don Gonzale mit seinem Theater weiterwirtschaften, und mit mir zusammen fängt sie irgendwo was ganz Neues an.“ „Die zweite Kneipe auf der SchlangenInsel, was?“ rief Smoky dröhnend. „Nach dem Vorbild von Old Donegal und Miß Snugglemouse!“ Der ganze Halbkreis brach in röhrendes Gelächter aus. „Blödsinn, ihr Affenärsche!“ brüllte Ed Carberry. „Ihr habt ja keine Ahnung, ihr Trantunten! Mariana und ich - das wird was ganz Großes, was ganz Besonderes.“ „Klar doch!“ grölte Luke Morgan. „Und ich sehe schon deinen Nachwuchs mit deinem Quadratschädel und deinem ...“ Weiter gelangte, er nicht, denn er mußte die Flucht ergreifen, da Ed Carberry sich mit einem wütenden Knurrlaut von seiner Taurolle aufrappelte. Die Verfolgungsjagd, die vom Johlen der Arwenacks begleitet wurde, endete jedoch schon nach wenigen Schritten. Denn der Ausguck überschrie den Lärm mit gellender Stimme. „Deck! Flußmündung Backbord voraus!“ * Der Seewolf, Ben Brighton und Dan O'Flynn schnappten sich ihre Spektive und eilten zur Backbordverschanzung des Achterdecks. Auf der „San Lorenzo“ waren Jean Ribault und seine Männer ebenfalls aufmerksam geworden. Dank der hervorragenden Sichtverhältnisse waren durch die Kieker bereits Einzelheiten zu erkennen. Die Flußmündung öffnete sich zur See hin wie ein großer Trichter.
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Wenn Dan O'Flynns Navigation stimmte, konnte es sich nur um den Rio de Tacna handeln. Hasard traf eine schnelle Entscheidung, die durch Carreros Aussage bestimmt wurde. Da sich am Oberlauf des Flusses außer dem Kloster keine spanischen Ansiedlungen befanden, war an der Mündung auch nicht mit spanischen Fracht- oder Kriegsschiffen zu rechnen. Ben Brighton schob sein Spektiv zusammen, trat an die Querbalustrade und sorgte mit kurzen und bündigen Befehlen dafür, daß die Order des Seewolfs in die Tat umgesetzt wurde. Hasard verständigte sich unterdessen durch Zuruf mit Jean Ribault. „Wenn wir in der Flußmündung ein Versteck finden“, rief der Seewolf, „sind die Schiffe dort sicher!“ Mit knappen Worten informierte er Ribault über die Schilderung Carreros. „Einverstanden!“ rief der schlanke Franzose. „Wir bleiben hinter euch. Warnt uns rechtzeitig, wenn es flacher werden sollte!“ Hasard gab ihm mit einem Handzeichen zu erkennen, daß er verstanden hätte. Nach einem letzten Kreuzschlag in Richtung auf die Küste legte Pete Ballie die Karavelle auf Befehl des Seewolfs auf neuen Kurs. Ben Brighton scheuchte die Männer in die Wanten und ließ die Marssegel bergen. Der Bug der „Estrella de Malaga“ zeigte jetzt genau auf den Mittelpunkt der Flußmündung. „Smoky!“ brüllte der Seewolf. „Sir?“ Der Decksälteste wirbelte auf der Kuhl herum und hob den Kopf, als er zum Achterdeck spähte. „Hol dir das Senkblei und sing die Tiefe aus!“ „Aye, Sir, Tiefe aussingen.“ Smoky rannte los. Wenige Minuten später sprang er mit einem federnden Satz auf die Galion hinunter und ließ das Blei zum ersten Mal in die Fluten gleiten. Sekunde um Sekunde verrann. Die ..Estrella de Málaga“, hatte sich der Mündung mittlerweile auf etwa hundert Yards genähert.
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„Zwölf Faden!“ ertönte Smokys langgezogene Stimme unvermittelt. Danach sang er die Wassertiefe in kurzen Abständen aus. Allem Anschein nach hatte der Fluß aus der Mündung heraus eine Rinne gegraben. Die Vorsichtsmaßnahme, den geringeren Tiefgang der Karavelle zu nutzen, damit sie für die „San Lorenzo“ das Terrain sondierte, erwies sich als unbegründet. Bis in die Mündung hinein war die Wassertiefe mehr als ausreichend. Soweit man es hier im Küstenbereich beurteilen konnte, verlief der Fluß offenbar von Nordosten nach Südwesten. Deshalb war es für Hasard und Jean Ribault ein leichtes, bei dem immer noch herrschenden Südwestwind die Gegenströmung auszusegeln. Auf beiden Seiten des Flusses war das Ufergelände felsig und zerklüftet. Im unmittelbaren Mündungsbereich war es noch verhältnismäßig flach, aber auch immerhin schon etwa fünfzehn Fuß hoch. Dann jedoch stiegen die Felsen auf beiden Seiten stark an und erreichten sehr bald ei Höhe von schätzungsweise dreihundert Fuß. Smokys Stimme gewann zwischen Felsen einen hohlen Nachhall. Der monotone Singsang des Decksältesten klang beinahe schaurig. Immer wieder legten die Arwenacks die Ribault-Mannen die Köpfe weit in den Nacken, um nach oben zu spähen. Jeden Moment, so dachten sie insgeheim, konnten dort oben menschliche Gesichter auftauchen, die feindselig nach unten spähten. Aber Luis Carrero hatte offensichtlich ganze Arbeit geleistet. Wo es in der Nähe von Potosi Indios gegeben hatte, waren sie nicht mehr vorhanden. Samt und sonders übten sie die ach so „nützliche“ Betätigung in den Silberminen aus. Von den bronzehäutigen Ureinwohnern hatte man folglich keine Gefahr zu erwarten. Etwa dreihundert Yards weit waren die beiden Schiffe in die sich trichterförmig verjüngende Mündung vorgedrungen.
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Dan O'Flynn, der an Bord noch immer die schärfsten Augen hatte, sichtete plötzlich einen Einschnitt im rechten Flußufer. Hasard überlegte nicht lange und wies Pete Ballie an, Kurs auf die Felsenlücke zu nehmen. Unablässig tönte Smokys Stimme. Die Wassertiefe lag durchschnittlich noch immer bei neun Faden. Der Einschnitt führte in eine Bucht, die in einem Felsenkessel lag. Nach Nordosten hin war diese Bucht weit geöffnet und groß genug, um zu manövrieren. Indessen war es zwischen den Felswänden jetzt fast windstill. Mit auslaufender Fahrt glitten die „Estrella de Malaga“ und die „San Lorenzo“ lautlos in das Versteck, das sich schon jetzt als ideal erwies. Im nordöstlichen Bereich ertönten Hasards und Jean Ribaults Befehlsstimmen, und die Anker rauschten auf Tiefe. Smokys Singsang war verstummt. Hier, in der Bucht, hatten sie nicht weniger als zehn Faden unter dem Kiel. Alles in allem hatten der Seewolf und seine Gefährten Grund, zu frohlocken. An ihrem Ankerplatz im Nordostbereich der Bucht waren die beiden Schiffe vom Fluß her nicht zu sehen. Ein wirklich ausgezeichnetes Versteck; zumal die hohen Felsen auch vor Sturm den besten Schutz boten. Die Segel wurden aufgetucht. Stille kehrte ein, als die Männer auf Laute aus der Umgebung horchten. Aber die Felswände ließen nicht einmal das Singen des Windes bis in die Bucht vordringen. * Von kraftvollen Riemenschlägen getrieben, glitten die Jollen der „San Lorenzo“ über die spiegelglatte Wasseroberfläche. Jean Ribault und Karl von Hutten enterten als erste über die Jakobsleiter auf. Dann folgten die Mitglieder der Crew, bis auf die Ankerwache und den Koch. Hasard hielt es für besser, wenn alle an der Entscheidung beteiligt waren. Niemand sollte sich
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hinterher beklagen können, nicht gefragt worden zu sein. Außerdem hatten die Männer stets das Recht, ihre Meinung zu äußern. So war es auf der Schlangen-Insel üblich, und so sollte es auch hier sein. Jean Ribault hatte sofort zugestimmt, die Lagebesprechung und die anschließende Abstimmung an Bord der „Estrella de Málaga“ stattfinden zu lassen. Während sich die Männer auf der Kuhl versammelten, hatten der Seewolf und Ribault ihren Platz vor dem Steuerbordniedergang zum Achterdeck gewählt. Die Mitglieder der beiden Crews begrüßten sich durch Schulterklopfen, rauhe, aber herzliche Sprüche waren zu hören. Hasard hob die Hand, und es kehrte Ruhe ein. „Wir stehen jetzt vor der wichtigsten Entscheidung, Freunde! Das Unternehmen Potosi kann beginnen. Dieses Versteck haben wir gewählt, weil wir es für außergewöhnlich sicher halten. Diejenigen, die an Bord zurückbleiben, werden hier kaum mit bösen Überraschungen rechnen müssen.“ Er berichtete über das, was Luis Carrero geschildert hatte. „Das hat letztlich den Ausschlag gegeben, diesen Fluß anzulaufen - vorausgesetzt, es ist tatsächlich der Rio de Tacna. Unser Navigator ist seiner Sache jedenfalls absolut sicher.“ Alle Blicke richteten sich auf Dan O'Flynn, der bekräftigend nickte. Hasard fuhr mit seinen Ausführungen fort. „Ich gehe davon aus, daß Carrero diesmal die Wahrheit gesagt hat, was wiederum bedeutet, daß die Dominikanermönche in Tacna ganz und gar nicht mit den brutalen Zwangsmaßnahmen ihrer Landsleute einverstanden sind.“ „Und wenn es eine Falle ist?“ rief Pierre Puchan dazwischen. „Vielleicht ist dieser Carrero raffinierter, als wir alle denken! Was, wenn Tacna kein Kloster ist, sondern ein Fort oder so etwas? Pardon, aber dann ist die ganze schöne Planung im Eimer.“ Gemurmel setzte ein. Ed Carberry meldete sich zu Wort, indem er die Pranke hob. Hasard gab ihm einen auffordernden Wink.
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„Ich war dabei, als der spanische Hurensohn verhört wurde“, erklärte der Profos dröhnend. „Und ich kann nur sagen, daß Hasard recht hat. Carrero ist überhaupt nicht mehr fähig, zu lügen, der hat die Hosen randvoll.“ Er wandte sich Puchan zu, dessen Perücke wieder einmal etwas verrutscht war. „Dein Gerede von Falle und Fort und so kannst du dir also schenken, Franzmann.“ Pierre Puchan wollte aufbrausen, doch die anderen aus der Crew Ribaults besänftigten ihn. Schließlich kannten sie das Rauhbein Carberry zur Genüge. Auf die Goldwaage brauchte man seine Worte ganz gewiß nicht zu legen. „Bleiben wir dabei, daß Tacna ein Kloster ist“, fuhr der Seewolf fort. „Die Dominikaner sind also mit Sicherheit dagegen, daß die Indios als Sklavenarbeiter in die Minen von Potosi verschleppt werden.“ „Aber natürlich sind sie dagegen!“ rief Pater David erregt. „Meine Ordensbrüder würden sich niemals dafür hergeben, mit den grausamen Unterdrückern gemeinsame Sache zu machen.“ Aus den Augen des hünenhaften Gottesmannes war zu erkennen, wie sehr ihn die Schilderung des Seewolfs fesselte. Der Bericht über die Verhältnisse beim Kloster Tacna war für den Pater naturgemäß inhaltsschwerer als für alle anderen an Bord der „Estrella de Malaga“. Hasard nickte ihm zu und lächelte grimmig. „Eben drum“, sagte er. „Das ist der springende Punkt an der ganzen Geschichte - gewissermaßen der Hebel, mit dem wir ansetzen werden, um Potosi zu knacken. Etwas Besseres konnte uns Carrero gar nicht verraten. Denn für uns ergibt sich nun die Möglichkeit, die Dominikaner für das Potosi-Unternehmen zu gewinnen.“ In der Pause, die der Seewolf einlegte, um Reaktionen abzuwarten, gab es etliche zweifelnde Gesichter. Karl von Hutten, Sohn einer indianischen Häuptlingstochter, der die Spanier abgrundtief haßte, schob sich in den Vordergrund. Groß,
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breitschultrig, dunkelhäutig und mit dunklen Augen und blonden Haaren hatte er ein ungewöhnlich exotisches Aussehen. „Ich weiß nicht“, sagte von Hutten ruhig, „ob Mönche sich als Kämpfer eignen. Wenn es so wäre, hätten sie sich längst gemeinsam mit den Indios zum Aufstand gegen die Unterdrücker erhoben. Dann gäbe es keine Indio-Sklaven in den spanischen Bergwerken, und dann würden die Frauen der Ureinwohner nicht von den weißen Eroberern vergewaltigt.“ Er warf Pater David einen Seitenblick zu. „Verzeih mir, Pater, aber das ist meine Meinung.“ Der hünenhafte Gottesmann nickte, ohne jedoch aufzubrausen, wie er es bei einer unsachgemäßen Äußerung vielleicht getan hätte. „Oberflächlich betrachtet, mag dein Eindruck richtig sein, mein Sohn. Aber wirklich nur oberflächlich. Die Aufgabe meiner Ordensbrüder und aller anderen, die das Wort Gottes verkünden, ist es nicht -und kann es auch nicht sein -, mit dem Schwert zu kämpfen. Außerdem wären sie rein zahlenmäßig dazu auch gar nicht in der Lage. Und wenn die Indios Waffen 'hätten, mit denen sie gegen die Unterdrücker eine Chance hätten, sähe die Sache auch schon anders aus. Nein, mein Sohn, es bleibt ihnen nichts anderes, als passiven Widerstand zu leisten:' „Nach dem Grundsatz, man solle seine Feinde lieben?“ entgegnete Karl von Hutten unwillig. Pater David nickte abermals. „Du hast verstanden, was ich ausdrücken wollte.“ „Aber so ein Grundsatz bedeutet, daß ganze Völker ausgerottet werden!“ rief von Hutten, und seine Augen funkelten. „Männer gehen unter den unwürdigsten Umständen elend zugrunde, nachdem man sie ihrer Freiheit beraubt und sie zu Sklaven gemacht hat. Frauen werden vergewaltigt und von den ehrenwerten Senores als billiges Mittel zur Vergnügung mißbraucht. Wenn man dann genug von ihnen hat, wirft man sie weg. Was übrigbleibt, ist nicht mehr lebensfähig. Stolze Menschen werden auf diese Art und
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Weise zerbrochen, sie werden regelrecht ausgelöscht,- und ihre Kultur geht zugrunde. Und das alles auf Geheiß eines Königs, der behauptet, von Gottes Gnaden in seinem Amt zu sein.“ Es herrschte plötzliche Stille an Bord. Die Männer schauten betroffen drein. Was Karl von Hutten vorzubringen hatte, war aus seiner Sicht mehr als begreiflich. Und jeder von ihnen, jeder einzelne, empfand haargenau so wie er. Er sprach ihnen gewissermaßen aus der Seele, und sie wußten auch, daß er nicht etwa Vorwürfe gegen den Gottesmann erheben wollte. Pater David schnaufte. „Das sind schwere Geschütze, die du da auffährst, mein Sohn. Ich könnte mich nun sehr leicht aus der Affäre ziehen, indem ich darauf hinweise, daß ich mich von Spanien und König Philipp II. abgewandt habe. Schließlich habe ich mich euch angeschlossen, und ihr wart bereit, mich aufzunehmen, nicht wahr?“ „Und du hebst auch mal das Schwert, alter Freund“, sagte Ed Carberry brummend. Die Arwenacks und die Ribault-Mannen lachten leise und ein wenig erleichtert darüber, daß Carberry dem Gespräch die ernsthafte Wendung nahm. Der Seewolf hatte indessen nicht vor, Unmutsäußerungen abzuwürgen, wenn sie unmittelbar mit der Sache zu tun hatten. Und Karl von Hutten hatte den Kern eben jener Sache getroffen. Vielleicht war es gut, wenn den Männern das noch einmal so eindringlich vor Augen geführt wurde. Das Potosi-Unternehmen würde allen das Äußerste abverlangen. Deshalb war es wichtig, daß sie wußten, wofür sie es taten. Pater David lachte und hieb dem Profos auf die Schulter. „Ich wollte dich nicht persönlich angreifen, Pater“, sagte Karl von Hutten. „So hast du es hoffentlich nicht verstanden. Ich wollte nur meine Zweifel äußern, weil ich nicht glaube, daß wir auf einen kleinen Haufen von Dominikaner-Mönchen wirklich bauen können.“ „Zumindest in dem Punkt muß ich dir widersprechen“, sagte Pater David. „Sie
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werden uns unterstützen, soweit es in ihrer Kraft steht. Dafür gebe ich mein Wort.“ Der Seewolf hob die Hand. Karl von Hutten und auch die anderen sahen ihn an. „Ich gehe nicht davon aus, daß sich die Mönche mit Musketen und Pistolen auf unsere Seite schlagen. So war meine Bemerkung nicht gemeint. Nach allem, was wir von Carrero wissen, setze ich vielmehr voraus, daß die Dominikaner in Tacna uns auf ihre Weise unterstützen werden. Wir brauchen beispielsweise Packtiere und einen zuverlässigen Führer. Beides könnten uns vielleicht die Mönche stellen, wenn wir ihnen erklären, was wir in Potosi vorhaben. Darum mein Vorschlag: Eine kleine Gruppe, der Pater David angehören muß, segelt zunächst mit einer der Jollen flußaufwärts und nimmt in Tacna Verbindung mit den Dominikanern auf. Die Verhandlungen mit ihnen sollte meiner Meinung nach Pater David führen.“ „Wüßte nicht, was ich lieber täte!“ rief der hünenhafte Gottesmann begeistert. „Ich versichere euch, ich werde alles tun, um die Ordensbrüder von der Richtigkeit unseres Vorhabens zu überzeugen. Wobei ich glaube, daß gar nicht einmal viel Überzeugungskraft nötig sein wird.“ Alle spürten, daß Pater David schon jetzt Feuer und Flamme für die Aufgabe war, die Hasard ihm zugedacht hatte. „Also gut“, fuhr der Seewolf fort. „Wenn wir uns mit den Dominikanern in Tacna einigen können, kehrt die Jolle zurück, damit der Trupp zusammengestellt werden kann, der nach Potosi aufbricht.“ „Weshalb das Hin und Her?“ wandte Jean Ribault ein. „Sollten wir den Trupp nicht gleich losmarschieren lassen? Dann gibt es in Tacna nur einen kurzen Aufenthalt, und weiter geht es in Richtung Potosi -einerlei, ob mit oder ohne Unterstützung der Dominikaner.“ „Ein berechtigter Einwand“, sagte Hasard und nickte. „Aber ich habe darüber nachgedacht, Jean. Es gibt zwischen hier und Potosi derart viele Unsicherheitsfaktoren, daß wir meiner Meinung nach alles tun sollten, um das Risiko ein wenig zu mindern. Das heißt,
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wenn wir von den Dominikanern die erhoffte Unterstützung erhalten, dann ergeben sich daraus Erkenntnisse, die der Potosi-Trupp verwerten kann. Ich denke da beispielsweise an die Ausrüstung. Aber wir sollten darüber abstimmen. Wenn die Mehrheit gegen meinen Vorschlag ist, setzen wir eben den gesamten Trupp gleich in Marsch.“ Leises Gemurmel setzte ein. Die Männer beratschlagten untereinander. „Ich bin für Hasards Plan“, sagte Ben Brighton. „Wir wissen überhaupt nicht, was uns erwartet. Dieses Land ist uns völlig fremd. Ich kriege schon Bedenken, wenn ich nur an die Höhenunterschiede denke, die die Potosi-Gruppe zu überwinden hat.“ Viele der Männer nickten zustimmend. „Ich bin auch dagegen, einfach auf Verdacht loszuziehen!“ rief Dan O'Flynn. „In Tacna haben wir die Möglichkeit, uns gründlich zu informieren, bevor wir wirklich aufbrechen. Also sollten wir die Möglichkeit auch nutzen.“ Wieder erfolgte beifälliges Gemurmel. Jean Ribault meldete sich abermals zu Wort. „Ich will mich nicht als Besserwisser aufspielen, und ich will auch nicht behaupten, daß Hasards Idee verkehrt ist. Mir geht es nur darum, daß man das Für und Wider gründlich genug abwägt. Dazu gehört zum Beispiel ein weiterer Punkt: Wir wissen nicht einmal, ob die Mönche überhaupt. einen Weg nach Potosi kennen. Vielleicht sind sie über die unmittelbare Umgebung ihres Klosters nie hinausgekommen.“ „Aber sie haben Kontakte zu den Indios“, entgegnete Hasard. „Und daraus ergeben sich wiederum Punkte, die wir nicht abschätzen können.“ Er blickte kurz in die Runde, bevor er weitersprach. „Wenn ihr einverstanden seid, wollen wir jetzt abstimmen; Wer für meinen Vorschlag ist, der hebe die Hand.“ Fast alle hoben die Rechte, auch die Mehrzahl der Ribault-Mannen. Der Franzose nickte dem Seewolf lächelnd zu und gab damit zu verstehen, daß er eine auf
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diese Art und Weise getroffene Entscheidung natürlich voll und ganz akzeptiere. „Und wie soll sich nun der Potosi-Trupp zusammensetzen?“ fragte Ribault. „Eben das ist die Frage“, sagte Hasard und erläuterte seine entsprechenden Überlegungen, wie er sie schon mit Ben Brighton und Dan O'Flynn angestellt hatte. Mit ernster Miene schloß er: „Bei allem, was wir tun, müssen also Sicherheit und Erhalt der beiden Schiffe an erster Stelle stehen.“ Abermals blickte er in die Runde. Die Männer nickten beipflichtend. Es erhob sich kein einziges Wort des Widerspruchs. „Außerdem“, fuhr der Seewolf fort, „sollten die zurückbleibenden Crews nicht etwa herumsitzen und Däumchen drehen. Allerdings sollten sie mit der gebotenen Vorsicht zu Werke gehen. Ich denke beispielsweise an eine behutsame Erkundung Aricas. Nach Abschluß des Unternehmens Potosi könnte man dann dort noch einen empfindlichen Schlag landen. Zum Beispiel die Zerstörung der Hafenanlagen und der vorhandenen Schiffe. Denkbar wäre auch das Sprengen des Pulverlagers.“ Die Männer grinsten, und in ihren Mienen war buchstäblich zu lesen, was sie von Hasards Plänen hielten. Genau das war nach ihrem Sinn, und sie waren sich darüber im klaren, daß so ein kleiner Besuch bei den Dons in Arica genauso wichtig war wie das Potosi-Unternehmen selbst. Mit der Lahmlegung des Stützpunkts Arica verband sich auch ein weiteres nützliches Ziel: Wenn man Potosi hinter sich hatte und aus dieser Ecke Perus verschwinden mußte, dann war es gut, keine Verfolger im Kielwasser zu haben. Eben das erreichte man, wenn man sich die Hafenanlagen und die militärischen Einrichtungen von Arica vornahm. „Im übrigen“, sagte Hasard, „wird der Marsch nach Potosi und zurück alles andere als ein Spaziergang sein. Die Stadt liegt an die dreihundert Meilen landeinwärts, von der Küste aus gemessen
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- in Luftlinie! Pater David kann euch vielleicht am besten beschreiben, was das bedeutet.“ Er nickte dem Hünen zu. „Das schwierigste Hindernis werden die Bergzüge sein“, sagte der Pater. „Die Entfernung, die wirklich zurückzulegen ist, können wir deshalb nicht einmal schätzen es sei denn, wir erhalten auch darüber genauere Informationen. Jedenfalls müssen die Höhenzüge überstiegen werden, und wahrscheinlich werden dort Flüsse und Bäche zu durchqueren sein - all das in einer Höhe, in der sich Atemnot, Schwindel, fliegender Puls und Kopfschmerzen einstellen können. Das sind die Anzeichen von ,Soroche`, der gefürchteten Höhenkrankheit.“ Die Männer hatten dem Pater aufmerksam zugehört, und ihre Mienen waren nachdenklich geworden. Sie ahnten, daß sie sich trotz aller Vorwarnungen nur einen Bruchteil dessen ausmalen konnten, was ihnen wirklich bevorstand. Der Marsch nach Potosi konnte zur Hölle werden. Doch gemessen daran mußten die Qualen der Indio-Sklaven in den Minen des Cerro Rico noch viel schlimmer als die Hölle sein. Hasard rollte einen Bogen Papierauseinander, auf dem er seine Aufzeichnungen über die Einzelheiten des Planes gemacht hatte. „Ich habe mir gedacht, daß außer mir folgende Männer dem Potosi-Trupp angehören: Pater David, Jean Ribault, Karl von Hutten, Edwin Carberry, Dan O'Flynn, Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark, Mel Ferrow und Fred Finley. Wir sind also insgesamt elf Mann. Ben Brighton wird mich während unserer Abwesenheit vertreten. Wie ist es bei dir, Jean?“ „Ich bestimme Jan Ranse zu meinem Stellvertreter“, sagte Ribault kurzentschlossen. „Gut.“ Der Seewolf nickte. „Das Oberkommando über beide Schiffe hat folgerichtig Ben Brighton. Hat dagegen jemand etwas einzuwenden - insbesondere gegen die Zusammensetzung des PotosiTrupps?“
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Niemand widersprach. Die Entscheidung des Seewolfs wurde einstimmig angenommen. 4. In der Felsenbucht war es noch fast dunkel, als die Männer des Tacna-Trupps am frühen Morgen des 25. November zum Aufbruch rüsteten. Sonnenlicht würde in das Versteck der „Estrella de Malaga“ und der „San Lorenzo“ erst in den Mittagsstunden fallen. Schon jetzt war zu spüren, daß im Laufe des Tages eine brütende Hitze in der kesselartigen Bucht entstehen würde. Bereits nach der Lagebesprechung an Bord der Karavelle hatte Hasard die Ausrüstung zusammenstellen und in der Jolle verstauen lassen. Die Pulverhörner für Musketen und Pistolen waren wasserdicht in einer Kiste verpackt worden. Gut geschützt waren auch die Proviantvorräte, denn man wußte nicht, ob man unterwegs Gelegenheit haben würde, die Verpflegung zu vervollständigen. Hasard verabschiedete sich von Ben Brighton, während die Jolle gefiert wurde. Auch auf der Kuhl gab es herzhaftes Händeschütteln und Schulterklopfen. Dann enterten die Mitglieder des Trupps über die Jakobsleiter in die Jolle ab. Smoky und Bob Grey klarierten die Besegelung. Neben ihnen gehörten Pater David, Ed Carberry, Dan O'Flynn und Karl von Hutten der Tacna-Gruppe an. Der Seewolf enterte als letzter in die Jolle ab und nahm den Platz auf der Achterdocht ein. Für den Weg aus der Bucht mußten noch die Riemen eingesetzt werden. Von Bord der „Estrella de Malaga“ und der „San Lorenzo“ winkten die Männer der Bootsbesatzung nach, als die Jolle, von kraftvollen Riemenschlägen getrieben, auf den Felseneinschnitt zusteuerte. Gleich darauf wurde die Jolle von der schon beträchtlichen Strömung des Flusses erfaßt. Hasard richtete den Bug sofort stromaufwärts und hielt die Ruderpinne mit eiserner Kraft. Die Männer waren
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gezwungen, die Schlagzahl zu erhöhen. Nur mit erheblicher Anstrengung gelang es ihnen, die Höhe des Felseneinschnitts zu halten und schließlich die Flußmitte zu erreichen. Dann erst verhalf ihnen der nach wie vor handige Südwestwind zu ausreichendem Vortrieb. Auf Hasards Kommando wurden die Riemen eingeholt. Das Segel stand prall, und die Jolle lief trotz der Strömung gute Fahrt. Der Eingang zur Bucht blieb zurück. „Himmel, Arsch“, sagte Ed Carberry schnaufend, „da konnte man ja fast annehmen, die Sache artet in Arbeit aus.“ „Und das, bevor es richtig losgeht!“ rief Bob Grey. Der Seewolf hatte andere Sorgen. Soweit der Morgendunst das erkennen ließ, verlief der Fluß zunächst eine beträchtliche Strecke in Nordost-Südwest-Richtung. Auch reichten die höheren Felsformationen nur vereinzelt bis an das Wasser heran. Das Tal des Rio de Tacna glich also in Meeresnähe eher einer Mulde, deren Kanten in undenklich langen Zeitspannen von Wasser und Wind abgeschliffen worden waren. Was aber, wenn der Flußlauf weiter stromauf in engen Windungen verlaufen sollte? Wenn hohe Felswände bis unmittelbar an das Wasser reichten? Dann konnte man vom Südwestwind nur noch träumen. Ob die Muskelkraft der Männer dann noch ausreichte, war ebenfalls fraglich. Denn man mußte damit rechnen, daß die Fließgeschwindigkeit des Wassers zunahm, je weiter man landeinwärts gelangte. Aber zunächst schienen sich solche Befürchtungen noch nicht zu bestätigen. Die aufgehende Sonne zeichnete ein eher freundliches Bild vom Rio de Tacna und seiner Uferlandschaft. Sehr rasch wich der Morgennebel aus den Niederungsgebieten zwischen den felsigen Anhöhen, die den Flußlauf begleiteten teils nahe, teils bis an die Grenze der Sichtweite entfernt. Noch überschritt die Höhe jener Felsen nicht nennenswert jene
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300 Fuß, wie sie die Männer in der Umgebung des Verstecks geschätzt hatten. In den Talzonen war die Vegetation durchaus üppig. Hasard vermutete, daß der Rio de Tacna häufig über seine Ufer trat, bedingt durch Schneeschmelze in den Bergen und möglicherweise auch durch anhaltende Regenfälle. Zweifellos verwandelte sich der Fluß dann in ein reißende Wildwasser, was hervorgerufen wurde durch die engen Felsdurchbrüche, die in der Ferne schon jetzt zu sehen waren. Offensichtlich hatten die Überschwemmungen im Laufe der Zeit für fruchtbaren Boden in den Niederungen gesorgt. Überwiegend beschränkte sich der Pflanzenwuchs jedoch auf erdnahe Gewächse wie Buschwerk, Schlingpflanzen und tropische Blütengewächse unterschiedlichster Art. Nur vereinzelt waren Mangroven oder Palmen zu sehen. Wenn der Rio de Tacna über seine Ufer trat, wurde vermutlich alles weggespült, was zuviel Angriffsfläche bot. Etwa eine halbe Stunde nach dem Aufbruch der Männer waren die Nebelschwaden des frühen Morgens bereits vollends aus den Niederungen gewichen. Häufiger schoben sich Felsblöcke bis unmittelbar an den Fluß heran. Das kahle Gestein schimmerte im frühen Sonnenlicht. Der Seewolf und seine Männer wußten, welche unbarmherzige Hitze sie im Verlauf des Tages zu erwarten hatten. Deutlich war indessen schon jetzt festzustellen, daß die Fahrt der Jolle nachließ. Da das Segel unverändert prall stand, konnte sich der Windvortrieb nicht verringert haben. Ursache für den Verlust an Fahrt konnte also nur eine zunehmende Strömung sein. Diese wiederum wurde zweifellos durch immer mehr Gefälle hervorgerufen. Wenig später beschrieb der Rio de Tacna die erste Biegung, die allerdings nicht nennenswert war. Dann jedoch hatte es ein Ende mit dem beinahe schnurgeraden Flußlauf. Engere Biegungen folgten, und
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die Höhe der Felsformationen und die anwachsende Strömung taten das Ihre. Das Segel der Jolle begann zu schlagen, dagegen halfen alle Bemühungen des Seewolfs nichts. Die Männer waren gezwungen, die Riemen einzusetzen. Der Südwestwind erwies sich als ein immer unzuverlässigerer Helfer, und trotz des Riemenvortriebs hatte sich die Fahrt der Jolle weiter verringert. Die Männer begannen zu fluchen. Schweiß rann ihnen in Bächen über die Gesichter, und aus den Augenwinkeln heraus sahen sie an der Uferlandschaft, daß sie sich Yard um Yard buchstäblich vorankämpfen mußten. Unvermittelt gab es ein durchdringendes Schaben, das durch den Bootsrumpf lief. Die Männer zuckten zusammen. Die Jolle begann aus dem Ruder zu laufen und drohte, sich in der Flußmitte querzustellen. „Pullt weiter!“ brüllte der Seewolf. Eine Minute später erwies sich seine instinktive Reaktion als richtig. Im Kielwasser sah er eine kuppenartige Felsspitze nur knapp unter der Oberfläche. Der Bootsrumpf war darüber hinweggeschrammt. Bei der mäßigen Fahrt hatte ohnehin nicht viel passieren können. Anders hätte es ausgesehen, wenn das Boot von der Strömung gepackt und gegen den Unterwasserfelsen getrieben worden wäre. „Wenn du mich fragst, Sir“, sagte Ed Carberry dröhnend, „so habe ich nichts gegen harte Arbeit. Aber sinnlose Schinderei ...“ „Sprich nicht von Sinnlosigkeit“, fiel Pater David ihm ins Wort. „Es könnte bald sein, daß wir uns nach dieser Möglichkeit der Fortbewegung zurücksehnen.“ Hasard lächelte. Er wußte, auf was der Pater anspielte. „Über kurz oder lang werden wir an Land gehen müssen“, sagte er, „aber wir sollten uns eine geeignete Stelle dafür suchen.“ Er deutete auf die Uferlandschaft, die beiderseits des Flusses aus überwiegend felsigem Boden bestand. Den Männern war klar, was der Seewolf meinte. Wenn sie das Boot zurückließen, brauchten sie ein günstiges Versteck dafür. Die Gegend sah
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zwar nicht nach menschlicher Besiedlung aus, aber man konnte nie wissen, was sich auf dem Fluß bewegte. Allenfalls galt für die Jolle das Gleiche wie für die beiden Schiffe. Wenn der Trupp zurückkehrte, konnte er nicht darauf verzichten. Die Jolle näherte sich einer neuen Krümmung des Flusses, die offenbar nach Osten verlief. Genau ließ sich das nicht erkennen, weil die Felsen am südöstlichen Ufer jetzt unmittelbar bis an das Flußbett heranreichten. Immer häufiger ragten jetzt auch Felsen aus dem Wasser, größtenteils scharfkantig geformte Gesteinsbrocken, die einen Bootsrumpf mühelos aufschlitzen würden. Allerdings war der Abstand zwischen den Felsen noch groß genug, so daß Hasard einen fast geradlinigen Kurs steuern konnte. Mit Unbehagen beobachtete er allerdings den nahezu senkrechten Uferfelsen an Steuerbord in der Flußbiegung. Dort gurgelte das Wasser, bildete Strudel und möglicherweise auch Gegenströmungen. Der Seewolf achtete darauf, diesem Uferbereich fernzubleiben. Minuten später erreichten sie die Biegung. Jäh spürten sie, wie die Strömung zunahm. Nicht nach Osten, sondern fast rechtwinklig nach Südosten verlief der Rio de Tacna jetzt - doch nur auf zweihundert oder dreihundert Yards. Die nächste Biegung, vermutlich wieder nach Nordwesten, war schon zu erkennen. Doch die Arwenacks spürten, daß sie es bis dorthin nicht schaffen würden. Zu allem Überfluß killte auch noch das Segel. „Schlagzahl erhöhen!“ rief der Seewolf und hatte Mühe, das Rauschen der Fluten zu übertönen. Tosend schäumte das kristallklare Wasser über die Felsen im Flußbett. Die Männer pullten wie verrückt und mußten doch entnervt feststellen, daß sie endlose Minuten brauchten, um auch nur einen Yard zurückzulegen. Zur Rechten flachten sich die Felsen wieder ab, und eine ausgedehnte Grünzone war zu sehen.
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„Noch fünfzig Yards!“ brüllte der Seewolf. „Dann haben wir es geschafft.“ Die Männer pullten verbissen weiter. Ihre Adern an Hals und Schläfen schwollen zu Strängen an. Zoll um Zoll rangen sie der Strömung an Distanz ab. Hasards Hoffnung, daß der Wind sich wieder einstellte, erfüllte sich nicht. Die Niederung war noch zu weit entfernt, vielleicht wurde der Südwest auch von dahinterliegenden Höhenzügen abgeblockt. Plötzlich ging ein Ruck durch die Jolle. Fast kippten die Männer auf den Duchten hintenüber. Es schien, als sei der Kiel von einer riesigen Faust gepackt worden. Nur der Moment des Erschreckens genügte. Der Moment, in dem die Männer das Pullen unterbrachen, reichte für die Strömung, um das Boot von Backbord her zu packen und den Bug nach Steuerbord herumzudrücken. Vergeblich bemühten sich die Männer durch noch höhere Schlagzahl, wieder auf Kurs zu gelangen. Auch Hasards Arbeit an der Pinne bewirkte nichts. Die Jolle drehte sich wie ein träger Kreisel in den Strom. Einen Atemzug später gab es einen erneuten Ruck. Die Jolle war frei und wurde wie von einem unsichtbaren Tau gezogen auf das südöstliche Ufer zugetrieben - nahezu dwars zur Strömung. Unaufhaltsam schienen die Uferfelsen auf die Männer im Boot zuzuwachsen. Ed Carberry konnte nicht anders, er mußte sich Luft verschaffen. Dabei kümmerte es ihn wenig, daß auch Pater David zu denjenigen gehörte, die er mit seinem Losröhren bedachte. „Pullt, ihr Affenärsche, pullt, pullt! Wollt ihr euch wohl zusammenreißen, ihr lausigen Transäcke, oder muß ich euch erst die Haut in Streifen abziehen, was, wie? Pullt, verdammt noch mal, oder wir sehen uns alle beim Gehörnten wieder!“ Pater David konnte sich trotz der mörderischen Kraftanstrengung eines Grinsens nicht erwehren. Aber er verkniff sich eine passende Gegenbemerkung. Im
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übrigen ging der Profos mit gutem Beispiel voran, was die Schnelligkeit betraf. Sie waren nur noch zwanzig, dreißig Yards von den Uferfelsen entfernt, als sie es endlich schafften, die Jolle wieder auf Kurs zu bringen. Doch damit gab es noch keinen Anlaß, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen und zu verschnaufen. Abermals mußten sie sich dem Kampf gegen die Strömung stellen, denn bis zum flachen Uferbereich waren immer noch an die fünfzig Yards zurückzulegen. Die Minuten schienen sich zu Ewigkeiten zu dehnen, bisweilen hatten die Männer wieder das quälende Gefühl, daß sie auf der Stelle standen, sich vergeblich abmühten und den verfluchten Kahn um keinen Zoll vorwärtsbewegten. Doch je mehr sie sich von der Flußbiegung entfernten, schienen die Naturgewalten ein Einsehen mit ihnen zu haben. Die Strömung ließ kaum merklich nach, was auf eine Verbreiterung des Flußbettes vor dem Engpaß zwischen den Uferfelsen zurückzuführen war. Dann endlich konnte Hasard das Boot in eine winzige Bucht steuern. Dan O'Flynn sprang als erster an Land und belegte die Bugleine an den knorrigen Luftwurzeln einer verkrüppelten Mangrove. Pater David und die übrigen Männer folgten Dan O'Flynn. per Boden war morastig, ihre Stiefel sanken bis zu den Knöcheln ein. Hasard übernahm es, gemeinsam mit Dan die unmittelbare Umgebung am Ufer zu erforschen. Gleich hinter der Krüppelmangrove gab es dichtes Buschwerk, das etwa brusthoch war. Auch war der Erdboden dort trocken. Hasard entschied, diese Stelle als Versteck für das Boot zu nehmen. Vor etwaigem Hochwasser war die Jolle hier vermutlich sicher. Gemeinsam zogen sie sie an Land und schoben sie ruckweise unter das Gebüsch. Selbst aus zwei bis drei Yards Entfernung, so stellte der Seewolf fest, war die Jolle nicht zu erkennen. Smoky und Bob Grey verzurrten sie vorsichtshalber mit zwei Tauen im Gebüsch. Der Seewolf gönnte den Männern die Pause, die sie sich mehr als verdient hatten.
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Außerdem konnten sie einen Happen vertragen. Sie genossen das gegarte Fleisch, das ihnen der Kutscher mitgegeben hatte, dazu Schiffszwieback und Dörrobst. Das kristallklare Flußwasser löschte den Durst. „Eins ist jedenfalls sicher“, sagte Hasard. „Befahrbar ist dieser Fluß nicht.“ „Schon gar nicht bis Tacna“, fügte Dan O'Flynn hinzu. „Eben drum“, sagte Hasard. „Infolgedessen kann es auch keine Verbindung per Wasserweg von Tacna nach Arica geben. Wir können also davon ausgehen, daß wir für die beiden Schiffe ein erstklassiges Versteck gefunden haben.“ „Gehen wir meinetwegen davon aus“, sagte Smoky brummend und blickte den Seewolf an. „Aber wer sagt uns, daß wir wirklich am Rio de Tacna sind?“ Hasard deutete mit einer Kopfbewegung auf Dan, der dem Decksältesten einen vernichtenden Blick zuwarf. „Natürlich sind wir am Tacna“, sagte Dan bissig. „da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Verdammt noch mal, ich habe die Karte dabei. Ihr könnt euch meinetwegen alle überzeugen. Ich habe mir den Flußlauf genau eingeprägt. Jede Einzelheit stimmt. Das hat man selten bei Landkarten, die aus halbwegs unerforschten Gebieten stammen.“ „Schon gut“, sagte Hasard und winkte ab. Er wußte, daß Dan sich so gut wie nie irrte, wenn er sich in eine Sache richtig vertieft hatte. „Smoky, du solltest nichts anzweifeln, was du überhaupt nicht nachgeprüft hast. Du kannst dich darauf verlassen, daß Dan die Karte auswendig kennt.“ „Stimmt“, sagte Dan voller Selbstüberzeugung. „Ich würde nicht so unqualifiziert daherquasseln, wenn ich keine Ahnung hätte.“ „Oh, tut mir leid“, entgegnete der Decksälteste und hob beschwichtigend die Hände. „Ich werde mich doch nicht in die Nesseln setzen und dich nicht als Fachmann anerkennen, verehrtester Mister O'Flynn.“
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„Den Spott kannst du dir schenken“, fauchte Dan, „er ist nämlich völlig unangebracht.“ „Gut, gut, ich entschuldige mich auch dafür.“ Smoky verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich glaube von jetzt ab fest daran, daß wir uns am Ufer des Tacna den Bauch vollgeschlagen haben.“ Hasard griff ein, bevor Dan zu einer erneuten gesalzenen Bemerkung ansetzen konnte. Denn Smoky konnte es einfach nicht lassen, je ernster Dan O'Flynn reagierte, desto mehr forderte ihn das heraus. „Befassen wir uns lieber mit dem, was vor uns liegt“, sagte der Seewolf. „Ich denke, wir haben noch einen ziemlichen Marsch zu bewältigen.“ Ed Carberry stieß einen zustimmenden Knurrlaut aus. „Laß hören, Dan“, sagte er dröhnend und faltete die Hände über der Gürtelschließe, „wie weit ist es noch bis zu den Betbrüdern?“ Dan O'Flynn räusperte sich. „Ich schätze, die Hälfte der Strecke haben wir nicht ganz geschafft. Das bedeutet, daß wir vielleicht noch elf bis zwölf Meilen marschieren müssen. Was natürlich überhaupt nichts besagt. Tacna - oder auch ,San Pedro de Tacna' - liegt in etwa eintausendachthundert Fuß Höhe. Das ist das Problem. Wir wissen nicht, wie das Gelände aussieht, das wir vor uns haben.“ Der Seewolf mahnte zum Aufbruch. Die Männer rüsteten sich mit Kugelbeuteln, Pulverflaschen und Flints aus, dazu mit Pistolen und Musketen, wobei die Entermesser schon fast zur selbstverständlichen Kleidung zählten. Auch einen ausreichenden Proviantvorrat nahmen sie in Umhängetaschen mit, da sie nicht wußten, ob sie Tacna noch an diesem Tag erreichen würden. Der Marsch durch das Dickicht der Flußniederung war beinahe unbeschwerlich zu nennen - verglichen mit dem, was den Männern danach bevorstand. Die Entermesser als Haumesser einzusetzen und sich von Mücken und
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sonstigem Ungeziefer plagen zu lassen, war“ noch vergleichsweise erholsam. Der darauffolgende Teil des Fußmarsches verlangte den Männern alle Kraft ab, denn der Seewolf legte ein forsches Tempo vor. In unmittelbarer Ufernähe galt es, beträchtliche Steigungen auf' felsigem Untergrund zu überwinden. Ausgedehnte Plateaus waren nicht viel angenehmer, denn dort waren sie der mittlerweile gnadenlos sengenden Sonne ausgesetzt. Dann gab es wieder ausgedehnte Geröllfelder, auf denen die Schritte doppelt schwerfielen, und auch etliche üppig bewachsene Niederungen. Unvermittelt jedoch standen die Männer vor einem riesigen Steilfelsen, der ihnen den Weg versperrte. Hasard überlegte nicht lange. Auf der anderen Seite des Flusses war das Ufergelände flacher. Es war daher einfacher, den Fluß zu durchwaten und drüben weiterzumarschieren, als den Steilfelsen auf dieser Seite landeinwärts zu umgehen. Ohne Umschweife hängten sich die Männer die Pulverflaschen und die Beutel mit den Flints um den Hals. Hasard übernahm die Führung und watete als erster in das steinige Flußbett. Sofort spürte er die Kraft der Strömung, die seine Beine packte und sie ihm unter dem Leib wegzureißen drohte. Entsprechend vorsichtig setzten die Männer einen Fuß vor den anderen, als sie mit geringem Abstand voneinander dem jenseitigen Ufer entgegenstrebten. Wenig später konnten sie aufatmen. In der Flußmitte reichte ihnen das Wasser nur bis zur Hüfte. Wie es schien, wurde der Rio de Tacna mit zunehmender Höhe auch flacher. Ein weiteres Vordringen mit der Jolle wäre folglich auch aus diesem Grund riskant gewesen. In der Nachmittagssonne trocknete ihre Kleidung rasch wieder, nachdem sie das andere Ufer erreicht hatten und ihren Marsch fortsetzten. Nach etwa zwei Meilen versperrte ihnen abermals eine senkrecht aufragende Felswand den Weg. Das Gesteinsmassiv setzte sich landeinwärts fort, so weit das
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Auge reichte. Auch diesmal war es also unmöglich, den Felsen zu umgehen. Doch der Fluß brodelte und kochte an dieser Stelle. Schäumend schossen die Fluten über scharfkantige Felsbrocken. Ohne Sicherung war die reißende Strömung nicht zu überwinden, wenn auch die Wassertiefe offenkundig gering war. Auf einen Wink von Hasard entledigte sich Dan O'Flynn wortlos seiner Ausrüstung, schnappte sich das Ende eines Seils, schlang es sich um die Hüfte und arbeitete sich durch das tosende Wasser voran. Smoky und Ed Carberry hielten den Tampen am Ufer, bereit, sofort zu reagieren, falls Dan von der Strömung erfaßt werden sollte. Mehr als einmal konnte er sich denn auch gerade noch an einem Felsen festklammern. Doch dann, nach endlos scheinenden Minuten, schaffte er es, das jenseitige Ufer zu erreichen und das Tau an einem Felsbrocken zu belegen. Die Männer verfuhren am diesseitigen Ufer ebenso und wateten dann los. An der tiefsten Stelle reichte ihnen das Wasser nur knapp bis über die Knie. Dank der Seilsicherung geriet keiner von ihnen in ernsthafte Gefahr, und für die zweite Flußüberquerung wurde insgesamt nur wenig mehr als eine Viertelstunde benötigt. Der Seewolf ließ eine kurze Pause einlegen. Dann setzten sie den Marsch im gewohnten zügigen Tempo fort. Am späten Nachmittag erreichten sie die letzte Felsenanhöhe, die sie noch von jenem fruchtbaren Tal trennte, in dem das Kloster Tacna lag. Hasard bedeutete den Männern, in einer durch Buschwerk geschützten Bodenmulde zurückzubleiben. Er erstieg die Anhöhe, um sich einen Überblick zu verschaffen. Kaum hatte er den Kopf über den Felsen hinausgeschoben, zog er ihn wieder zurück. Schritte knirschten auf geröllartigern Untergrund - nur um Stein-wurfweite entfernt, rhythmische Schritte, wie man sie von Trupps kannte, die militärischen Drill genossen hatten.
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Die Helme der Soldaten waren wie tanzende grelle Lichter. Immer. wieder kniff Joaquin Oliveras die Augen zu. Seine Schritte waren unsicher geworden, aber er riß sich zusammen. Natürlich hatte de Mescua ihn mit voller Absicht wieder als Schlußmann eingeteilt. Die reinste Schikane war das. Er durfte den Staub schlucken, den die elf anderen mit ihren Stiefeln aufwirbelten. Er durfte sich ihrem Marschtritt anpassen. Und er durfte sich von den verdammten Lichtreflexen blenden lassen, die die Nachmittagssonne auf ihren Helmen hervorrief. Oliveras spürte ein erstes deutliches Schwindelgefühl. Nur eine Sekunde lang währte es, kaum mehr. Die Marschkolonne vor ihm bewegte sich bei ihren Schritten plötzlich pendelnd von links nach rechts, rechts nach links, wie Stehaufmännchen. Der felsige Untergrund und der geröllübersäte Pfad begannen zu tanzen, auf und ab schwankend wie ein Schiffsdeck bei rauher See. Der schwere Brustpanzer, der Helm, die Gurte und die Waffen wurden für Oliveras auf einmal zur unerträglichen Last. Schweiß brach ihm aus allen Poren, er hätte am liebsten alles von sich geschleudert,. sich zu Boden sinken lassen und sich ausgeruht. De Mescua, dieser Misthund, war ein Schinder. Teniente Perez de Mescua! Oliveras hatte seinen Schwächeanfall überwunden und konzentrierte seine gedankliche Wut auf den jungen Offizier, der an der Spitze der Kolonne marschierte. Selbstverständlich trug er kein Gepäck. Seine Bewaffnung bestand aus einem Degen und einem kostbar ziselierten Pistölchen. Auch trug de Mescua besonders hochwertige Stiefel, die eigens für ihn aus butterweichem Leder angefertigt worden waren. Helm und Brustpanzer blieben ihm natürlich ebenfalls erspart. Stattdessen trug er ein dunkles Barett und eine Uniform aus
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leichtem, luftdurchlässigem Tuch, wie es für den Einsatz in heißen Ländern sehr gut geeignet war. Ja, dieser Geck von einem Teniente stammte aus sehr gutem Hause, und er konnte es sich leisten, für sich selbst das Beste auszusuchen. Den Dienst als Offizier betrachtete er als eine Art sinnvollen Zeitvertreibs -wobei allerdings die Karriere an erster Stelle aller Überlegungen stand. De Mescua war der Typ, der eines Tages an einflußreicher Stelle sitzen und nur noch Befehle erteilen würde. Seine Herkunft war die beste Voraussetzung dafür. Als Teniente und in baldigen höheren Rängen brauchte er sich nur noch zu bewähren. Dann war er endlich so weit, daß er sämtliche Menschen in seiner Umgebung mit Füßen treten konnte. Joaquin Oliveras zählte zu den Soldaten einfacher Herkunft. Doch ihn unterschied von der Masse, daß er Köpfchen hatte, denken konnte und auch über ein Wissen verfügte, das für einen Mann niederen Standes ungewöhnlich war. De Mescua hatte das sofort gespürt, als er seinem Trupp zugeteilt worden war, und von diesem Augenblick an hatten die Schikanen begonnen. In der Garnison, in Arica, wurde ein de Mescua wenigstens gelegentlich noch von einem Capitan oder sogar vom Stadt- und Hafenkommandanten zurechtgewiesen, wenn er es gar zu schlimm trieb. Aber hier draußen in der Wildnis war ein Mann wie Oliveras dem ehrgeizigen Schinder hoffnungslos ausgeliefert. Oliveras spürte, wie der in Bächen über sein Gesicht rinnende Schweiß erkaltete. Trotz der unbarmherzigen Sonnenglut begann er auf einmal zu frösteln. War das nur ein Zeichen der Schwäche nach mörderischen Strapazen? De Mescua hatte ihnen auf dem Marsch von Arica nach Tacna nur kurze Pausen gegönnt. Die Mehrzahl des zwölf Mann starken Trupps war dieser höllischen Belastung auch gewachsen. Die Männer murrten nicht. Sie hielten allein aus Trotz durch, um dem Teniente nicht die Genugtuung zu geben, daß er sie
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verspotten und sich neue Schikanen ausdenken konnte. Oliveras wußte, daß er seinen elf Kameraden körperlich unterlegen war. Er war nicht der zähe Kämpfer, der unmenschliche Strapazen durchstand und selbst dann noch einen Gegner im Kampf Mann gegen Mann bezwang. Nein, Joaquin Oliveras wußte, daß er nur für leichten Innendienst in der Garnison geeignet war. Am besten hätte er seine Fähigkeiten bei Tätigkeiten wie etwa im Nachschubwesen oder in der allgemeinen Garnisonverwaltung einsetzen können. Auch Teniente de Mescua wußte das. Und aus eben diesen Gründen hatte er Oliveras für den Marsch nach Arica eingeteilt. Der kalte Schweiß lief dem schmächtigen Soldaten am Schluß des Marschtrupps unter das Linnenhemd, und er erschauerte. Die Helme vor ihm waren jetzt wie höhnisch funkelnde Irrlichter in der Sonnenglut. Das harte Knirschen und Mahlen der Schritte erhielt einen seltsam hohlen Nachhall. Abermals wurde Oliveras von einem Schwindelanfall gepackt. Die sonnendurchglühte Welt um ihn herum begann zu tanzen und sich zu drehen. Hilfesuchend streckte er die Arme aus. Er taumelte. Der Vorderschaft der Muskete, die er auf dem Rücken trug, schlug ihm gegen den Hinterkopf. Er stöhnte auf und stürzte nach vorn, ohne es zu wissen. Der Soldat, der vor ihm marschierte, drehte sich rechtzeitig um. Er faßte zu, erwischte den Fallenden bei den Oberarmen und bewahrte ihn 'davor, der Länge nach hinzuschlagen. Mit unbeirrbarem Marschtritt entfernte sich der Trupp. „Um Himmels willen, Joaquin, du bist weiß wie eine Wand“, sagte der Soldat betroffen. „Was ist mit dir? Hältst du noch durch? Oder soll ich dem Teniente Bescheid sagen?“ Oliveras Blick wurde wieder klarer. „Nein, Amadeo“, sagte er keuchend, „laß den Teniente aus dem Spiel. Ich schaffe es schon. Wirklich.“
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„Wenn du meinst.“ Der Soldat zog die Schultern hoch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Oliveras nickte schwach. Dann folgte er seinem Kameraden mit noch schnelleren Schritten, um wieder aufzuschließen, bevor der Teniente etwas von dem mitkriegte, was sich am Schluß seiner Kolonne abgespielt hatte. Oliveras atmete auf, als Amadeo und er wieder ihre Position eingenommen hatten. Erstaunlich, dachte der schmächtige Soldat, wie gut es jetzt geht. Das Marschieren machte ihm auf einmal nichts mehr aus. Er ging leicht und beschwingt, als brauche er kein Gewicht mehr zu schleppen. Der dritte Schwächeanfall traf ihn völlig überraschend. Jähe Kälte legte sich auf seine Brust wie eine eisige Faust, die ihn umklammerte. Ein eisiger Hauch schien auch sein .Gesicht zu treffen. Diesmal blieb es nicht bei einem vorübergehenden Schwindelgefühl. Die felsige Umgebung schwankte, begann sich zu drehen - schnellerund schneller. Dann schien es Oliveras, als stürze er in einen flirrenden grauen Strudel, der ihn gnädig aufnahm. Er spürte nicht, wie er seitlich auf das Geröll schlug, mit dem Gesicht aufprallte und sich die rechte Wange und die Schläfe blutig schrammte. Er versank in ein Nichts. Wie durch Watte hörte er Stimmen. Daß sie ihm galten, begriff er erst nach und nach. Sein wiederkehrendes Bewußtsein war noch nicht in der Lage, zu erfassen, wie viele Minuten seit seinem Sturz vergangen waren. Die schneidende Stimme des Teniente traf ihn wie ein Stich. „Wohl kneifen, was? So haben wir das gern, Oliveras. Wenn man glaubt, schlappmachen zu müssen, wirft man sich einfach hin, nicht wahr? Das ist Weiberart, aber eines Mannes nicht würdig!“ De Mescua beugte sich vor, die Fäuste in die Taille gestemmt und das Gesicht höhnisch verzerrt. „Oder wollen Sie gleich nach Ihrer Mama rufen?“ Er äffte die weinerliche Stimme eines Kindes nach.
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„Ich kann nicht mehr, Mama, meine Füße tun mir weh!“ Die Männer, die einen Halbkreis gebildet und anfangs mitleidig auf den am Boden Liegenden geblickt hatten, lachten jetzt. De Mescua wußte, wie man ihre Schadenfreude wachkitzelte. Joaquin Oliveras schloß gequält die Augen und stöhnte leise. Er versuchte, sich aufzusetzen, aber seine Arme versagten den Dienst und knickten in den Ellenbogen ein. „Trag mich, Mama!“ höhnte die Mescua in seiner albernen Kinderstimme weiter. Wieder lachten die Männer, und der Teniente drehte sich zu ihnen um. „He, ihr Affen, ist denn keiner da; der unseren lieben Kleinen auf den Arm trägt?“ Die Kerle brüllten los, und keiner dachte in seiner lärmenden Heiterkeit mehr darüber nach, wie es wohl um Oliveras wirklich bestellt war. De Mescua brachte die Soldaten mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen. Seine Stimme klirrte. „Stehen Sie auf, Oliveras. Das ist ein Befehl.“ Der Schmächtige versuchte abermals, sich aufzurichten. Wieder knickte er ein und sank entkräftet zurück. Einer der Männer wollte ihm zu Hilfe eilen, doch der Teniente scheuchte ihn zurück. „Sie wollen nicht aufstehen, Oliveras?“ sagte de Mescua lauernd. „Das ist Gehorsamsverweigerung, Mann! Ist Ihnen das klar?“ Oliveras raffte seine ganze Kraft zusammen, um wenigstens sprechen zu können. „Ich will Ihren Befehl befolgen, Teniente. Das sage ich hier vor elf Zeugen. Ich will alles tun, um Ihre Befehle zu befolgen. Aber ich schaffe es nicht mehr, aufzustehen. Geben Sie mir eine kleine Verschnaufpause. Dann bin ich wieder in Ordnung.“ De Mescua preßte die Lippen zu einem Strich zusammen. Die Wut entstellte sein junges, glattes Gesicht zu einer Fratze.
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Dieser simple Soldat hatte ihn durchschaut, und er hatte ihm die Handhabe gegen Gehorsamsverweigerung mit wenigen Worten genommen. Denn de Mescua wußte nur zu gut, daß unter elf Zeugen immer ein unsicherer Kandidat sein konnte. Er konnte den Schwächling nicht standrechtlich erschießen, ohne Gefahr zu laufen, vors Kriegsgericht gestellt zu werden. „Also gut, Oliveras“, sagte de Mescua nach kurzem Überlegen. Seine Augen waren wie Schlitze. „Sie kriegen Ihre Verschnaufpause. Bleiben Sie hier. Wenn ich mit dem Trupp aus Tacna zurückkehre, lesen wir Sie wieder auf.“ Oliveras sperrte den Mund auf und öffnete weit die Augen. Er wollte etwas sagen, doch nur noch ein Röcheln drang aus seiner Kehle. Zu sehr hatte ihn der Schreck getroffen. De Mescua wandte sich grinsend ab und hob den rechten Arm. „Vorwärts, marsch!“ gellte seine Stimme. Die Männer standen noch sekundenlang starr, dann schloß sich der erste dem Teniente an. Dann der zweite, der dritte. Als letzter Amadeo, der dem flehentlichen Blick des Hilflosen auswich. Das rhythmische Knirschen und Mahlen der Marschtritte entfernte sich. Ein aberwitziger Gedanke keimte in einem fernen Winkel von Oliveras' Bewußtsein auf. De Mescua meinte es doch ernst. Weshalb, in aller Welt, verdächtigte er den Teniente des vorsätzlichen Mordes?. Er, Joaquin Oliveras, hatte endlich Zeit, sich auszuruhen. Er konnte es genießen, einfach dazuliegen, alle viere von sich zu strecken und sich zu erholen. Ja, er spürte schon, wie es seinen Muskeln und Knochen wohl tat. Später, wenn der Trupp zurück war, würde er .wieder marschieren wie ein junger Gott. Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel des schmächtigen Soldaten, als er den Blick zum Himmel richtete. Später, wenn genügend Indios rekrutiert worden waren, würde auch der Teniente bessere Laune haben. Denn er konnte sich dann bei seinen Vorgesetzten in ein gutes
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Licht rücken und vielleicht sogar mit einer Beförderung rechnen. Denn in diesem Fall schien die Beschaffung von „Arbeitermaterial“ wirklich wichtiger zu sein als sonst. Joaquin Oliveras hatte de Mescuas butterweiche Stiefel putzen müssen, als zufällig der Stadtkommandant aufgekreuzt war. Keiner der beiden Männer hatte an den interessiert zuhörenden Schuhputzer im Nebenraum gedacht. So war es geschehen, daß Oliveras als einfacher Soldat die Zusammenhänge kannte. Deshalb war seine Hoffnung auf eine bessere Laune des Teniente auch begründet. Ein Brief aus Potosi hatte die ganze Aufregung in Arica ausgelöst. Der Bote des Provinzgouverneurs, Don Ramon de Cuba, war buchstäblich mit hängender Zunge in Arica eingetroffen und hatte dem Bürgermeister die versiegelte Nachricht überbracht. Seine Exzellenz, der Provinzgouverneur, äußerte seine höchste Empörung darüber, daß der Oberaufseher Luis Carrero noch nicht wieder in Potosi eingetroffen sei. Don Ramon ließ in diesem Zusammenhang die Order ergehen, daß Carrero bevorzugt abzufertigen und zur Eile anzutreiben sei, sollte er jetzt in Arica eintreffen. Es mangelte täglich mehr an Arbeitskräften für den Cerro Rico, was naturgemäß zu einem unerhörten Rückgang des Silberabbaus führe. Unabhängig von Carrero hatte der Provinzgouverneur jedoch die Unterstützung des Bürgermeisters von Arica gefordert. Don Ramon de Cuba erwartete schlicht und einfach, daß Bürgermeister Diego de Xamete ihm Sklavenarbeiter zuführte. Dazu sei er letzten Endes verpflichtet. Eine Warnung für den Fall mangelnden Pflichtgefühls hatte der Provinzgouverneur in aller Deutlichkeit hinzugefügt. Sollte Bürgermeister de Xamete seiner Pflicht nicht nachkommen, so werde er, Don Ramon de Cuba, den Vizekönig in Lima diesbezüglich unterrichten und ihn gleichzeitig bitten, den Bürgermeister von
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Arica wegen Unfähigkeit aus dem Amt zu entfernen. Dieser Brief hatte den ach so bedauernswerten Bürgermeister natürlich in höchste Bestürzung und Besorgnis versetzt. Er mußte ernsthaft um seinen Posten als Stadtoberhaupt bangen. Welche Gründe es für das Fernbleiben Carreros geben mochte, interessierte den verfluchten Provinzgouverneur natürlich nicht. Don Ramon wollte frische Sklavenarbeiter sehen. Wer sie ihm beschaffte, war ihm gleichgültig. In allergrößter Aufregung hatte Diego de Xamete also den Hafenund Stadtkommandanten angeherrscht, ihm gefälligst und schleunigst Sklaven für Potosi zu beschaffen. Der Kommandant wiederum hatte die Order an seine Offiziere weitergegeben. Teniente Perez de Mescua war einer von ihnen. Voller Diensteifer war er mit seinem Trupp sofort aufgebrochen. Die Anweisung lautete, rücksichtslos jeden brauchbaren Indio aufzugreifen. Der Provinzgouverneur hatte einen Hinweis hinzugefügt, man möge sich nicht scheuen, auch gewisse Betbrüder festzunehmen. Letztere hätten nämlich nichts anderes zu tun, als gegen den König zu arbeiten, indem sie sich gegen das Requirieren von Sklaven stellten. Damit seit jetzt endgültig Schluß. Auch die subversiven Elemente aus dem Kloster Tacna seien der nützlichen Arbeit in den Silberminen zuzuführen. Joaquin Oliveras war sich über die Ungeheuerlichkeit dieses Befehls natürlich sofort im klaren gewesen. Von Anfang an hatte es für ihn nicht den geringsten Zweifel darüber gegeben, daß er niemals eine Waffe gegen einen Gottesmann erheben würde. So konnte er eigentlich froh sein, daß ihm der Marsch nach Tacna erspart blieb. Denn dort hätte es. mit Sicherheit jene Gehorsamsverweigerung gegeben, die ihm de Mescua vor ein paar Minuten so gern in die Schuhe geschoben hätte.
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Farben schillerten jetzt am Himmel. Es war wie ein mächtiger Regenbogen, der im Sonnenlicht glühte. Joaquin Oliveras betrachtete das Spiel der Farben und fühlte sich unendlich glücklich dabei. Der Regenbogen begann sich zu drehen. Oliveras staunte darüber, daß es wieder wie ein Schwindel war, obwohl er doch fest auf dem Boden lag. Hatte ihm die Sonne etwa zu sehr auf den Schädel gebrannt? Und gaukelten ihm seine Sinne nun etwas vor? Ein jäher Stich schien seinen Brustkorb von innen her zu durchbohren. Gellend schrie er auf, bäumte sich hoch und krümmte sich. Sein Schrei währte nur einen Atemzug und versiegte dann. Er sank zurück. Der Glanz der spiegelnden Sonne auf seinem Brustpanzer blieb stetig und unverändert. Denn dieser Brustpanzer hob und senkte sich nicht mehr. 6. Ein sanfter Wind spielte mit dem leuchtend grünen Blattwerk des Orangenhains, wodurch ein stetes Rascheln entstand. Bienen summten emsig, und die Wärme staute sich zwischen den Bäumen. Pater Francisco durchschritt die Anlage voller Stolz, prüfte hier den Reifegrad einer Frucht und überzeugte sich dort, daß ein Stützpfahl noch festsaß. Es war eine prachtvolle kleine Obstplantage, die er in unmittelbarer Nähe des Klosters angelegt hatte. Außer den Orangen gab es Zitronen, Pfirsiche, Äpfel und Birnen. Alle Pflanzen stammten aus dem fernen Spanien und waren von Ordensbrüdern mitgebracht worden,' die sich mit missionarischem Eifer in der Neuen Welt niedergelassen hatten. Pater Francisco hatte von vornherein beabsichtigt, eine solche Plantage als Musteranlage einzurichten, und es war ihm in vollem Umfang geglückt. Die Indios waren gelehrige Schüler. Sie begannen bereits, die Erkenntnisse, die sie bei den Dominikanern von Tacna gewonnen hatten, in die Tat umzusetzen.
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Doch es gab schwarze Schleier, die das fruchtbare Tal von Tacna überschatteten. Grausame Schicksalsschläge hatten fast jede der Indiofamilien getroffen verursacht durch die Willkür von Menschen, die Pater Francisco als seine Landsleute bezeichnen mußte. Unterdrücker waren es, die ihresgleichen knechteten und nicht daran glauben wollten, daß vor Gott alle Menschen gleich seien. Zorn wallte in dem knorrigen Mann mit dem weißen Bart auf, wenn er nur daran dachte. Pater Francisco war an die sechzig Jahre alt, und er fürchtete darum, die Erfüllung seines guten Werkes nicht mehr zu erleben. Die Felder, die Anlagen, die Gebäude rings um das Kloster von Tacna - alles war mustergültig. Doch die Familien, die sich einst von den fruchtbaren Feldern ernähren sollten, konnten den Boden nur in begrenztem Maße bewirtschaften. Denn diese Familien waren zerrissen. Fast überall fehlten die jungen, kräftigen Männer. Die wenigen, die übriggeblieben waren, konnten die viele Arbeit nicht allein bewältigen. Obwohl die Mönche überall mit zupackten, wo es nur ging, empfanden sie letztlich auch nur ein Gefühl der Ohnmacht angesichts der bitteren Erkenntnis, daß das Ziel kaum zu erreichen war. Regelrechte seelische Qualen bereitete es Pater Francisco und seinen Glaubensbrüdern, zu wissen, daß die Frauen, Kinder und Greise an die Rückkehr der jungen Männer glaubten. Weder Pater Francisco noch einer der anderen hatte es fertiggebracht, den Indios diesen Glauben zu nehmen. Auch die wenigen jüngeren Männer, die man hatte retten können, nahmen an, daß ihre Stammesgefährten lediglich vorübergehend für eine Art Zwangsarbeit geholt worden waren. Irgendwann, so glaubten diese bedauernswerten Seelen, würden ihre Ehemänner und Brüder zurückkehren. Nein, Pater Francisco konnte ihnen beim besten Willen nicht sagen, daß aus den
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Minen von Potosi kaum jemand zurückkehrte. Eine helle Jungenstimme riß ihn aus seinen Gedanken. „Pater Francisco!“ „Hier!“ rief er laut und vernehmlich und trat mit wallender Kutte am Ende der Baumreihe ins Freie. Er lächelte gerührt. Die Kinder lernten die spanische Sprache schneller als ihre Eltern. Es klang genauso, als ob man daheim im Mutterland ein Kind hätte rufen hören. Das Lächeln des Paters schwand im nächsten Moment. Dem Indiojungen, der in panischer Hast auf ihn zurannte, stand das Entsetzen im Gesicht. Pater Francisco eilte ihm entgegen, schloß ihn in die Arme und beruhigte ihn, indem er ihm über die Haare strich. Der Atem des Jungen ging keuchend, stoßweise. „Soldaten - mit Waffen - und Maultieren! Sie kommen - von dort!“ Ruckartig befreite sich der Junge aus den Armen des Paters und deutete aufgeregt auf die Hügelkette am westlichen Rand des Tales. „Es ist gut, daß du das gleich gemeldet hast“, sagte Pater Francisco ruhig. Er schirmte die Augen mit der, rechten Hand und spähte nach Westen. Er glaubte eine Staubwolke zu sehen. Die Soldaten waren also noch zwei bis drei Meilen entfernt. „Lauf los!“ sagte er zu dem Jungen. „Verständige die anderen Kinder. Sie sollen ihren Eltern und Verwandten sagen, was geschieht. Und dann verlaßt alle schleunigst das Tal.“ „Ja, Pater“, erwiderte der Junge eifrig. Er war bereits wieder zu Atem gelangt und lief nun abermals los. Pater Francisco folgte ihm auf dem schmalen Weg, der von den Obstplantagen zum Kloster führte. Der Junge hatte den Klosterhügel schon fast erreicht und machte mit lautem Geschrei auf sich aufmerksam. Gleich darauf schwärmten die Kinder aus, um die Anweisung auszuführen. Es war ein fast generalstabsmäßiger Alarmplan, den die
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Mönche nach den ersten schlimmen Erfahrungen ausgearbeitet hatten. Und dieser Plan funktionierte - angefangen bei der Überwachung der Straße nach Arica bis hin zum Rückzug der Indios aus dem Tal. In den Bergen hinter dem Tal hatten die Männer mit ihren Familien ein Fluchtversteck eingerichtet. Pater Francisco eilte mit weit ausgreifenden Schritten auf das Kloster zu. Vor zwanzig Jahren hatte er es gegründet und dann nach und nach erweitert. Heute war es ein wehrhafter Bau, der auf jenem ummauerten kleinen Hügel stand. In der Mitte ragte eine Kapelle auf. Daneben gab es die erforderlichen Wirtschaftsgebäude, die Unterkünfte für die insgesamt acht Mönche, außerdem eine Spinnerei sowie Scheune, Geräteschuppen und weitere Nebengebäude. Die Hütten der Indios gruppierten sich säuberlich um den Hügel. Daran angrenzend erstreckten sich die Felder für den Anbau von Mais und anderen Feldfrüchten. Einer der Ordensbrüder hatte bereits auf die Alarmrufe des Jungen reagiert. Aus dem Glockenturm der Kapelle ertönte der helle Klang der Sturmglocke, die bei jeglicher Art von Gefahr im Verzug geläutet wurde. Soldaten im Anmarsch - das konnte nichts Gutes bedeuten. Pater Francisco hatte es längst aufgegeben, an die Menschlichkeit dieser Schergen zu glauben. Anfangs hatte er noch versucht, sie mit Worten von der Schändlichkeit ihres Tuns zu überzeugen. Sinnlos. Selbst die ranghöheren Offiziere schienen kein eigenes Hirn zu besitzen und waren reine Befehlsempfänger. Deshalb unternahm Pater Francisco schon seit langem nicht einmal mehr den Versuch, Soldaten zur Abkehr von ihrem menschenverachtenden Treiben zu bewegen. Zweckdienlicher waren eben jene Gegenmaßnahmen, die die Schergen des Provinzgouverneurs erst gar nicht zum Zug kommen ließen. Denn es gab nicht den geringsten Zweifel daran, daß sie wieder einmal Sklaven für ihre furchtbaren Minen suchten.
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Wenn in dem herrlichen Tal von Tacna überhaupt noch Indios übriggeblieben waren, so deshalb, weil Pater Francisco und seine Ordensbrüder gehandelt hatten, statt zu lamentieren. Die Spähertätigkeit der Kinder zahlte sich aus. Auch diesmal. Als Pater Francisco das Kloster erreichte, hatten die Indios auf den Feldern und in den Hütten bereits alles stehen und liegen lassen und entfernten sich in fliegender Hast nach Osten hin aus dem Tal. Mit seinen Ordensbrüdern traf sich Pater Francisco gleich darauf im Innenhof des Klosters. Er überzeugte sich, daß alle anwesend waren. Viel zu bereden gab es nicht. Man wußte in San Pedro de Tacna, wie man sich auf die Ankunft von Soldaten einzustellen hatte. Und man war sich darüber im klaren, mit was man schlimmstenfalls zu rechnen hatte. * „Ist ja ein richtiges kleines Paradies, dieses Tal von Tacna“, sagte Perez de Mescua überrascht. Er nahm das Barett vom Kopf und wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Dann gab er das Zeichen zum Halten. Die Männer brachten die Maultiere zum Stehen und formierten sich in Linie. Sie befanden sich auf der letzten Anhöhe, die sie noch vom Kloster trennte. Wenn man die Entfernung über die Felder hinweg schätzte, mochte es noch etwa eine halbe Meile sein. Die Straße, die nicht viel mehr als ein breiter Trampelpfad war, führte indessen am Flußufer entlang. Der Rio de Tacna teilte das Tal in zwei Hälften, und er diente nicht zuletzt dem Zweck, die mustergültig angelegten Felder zu bewässern. Überhaupt herrschte eine Ordnung in diesem Tal, wie sie für die lausigen Indios alles andere als typisch war. Die verdammten Betbrüder mußten ihre Hand im Spiel haben. Natürlich, dachte de Mescua, die können hier schalten und walten, wie sie wollen. Keine Aufsicht, keiner, der ihnen auf die
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Finger klopft, wenn sie die sogenannte christliche Nächstenliebe zu ernst nehmen. Der Teniente wollte sich umwenden, um seinen Männern den Befehl zu einer kurzen Rast zu geben. Bevor es hart auf hart ging, sollten sie Kräfte sammeln. Im selben Moment erstarrte de Mescua. Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Seine Kinnlade sank nach unten, und er starrte die Soldaten an, als hätten sie eine Erklärung dafür. „Was, in drei Teufels Namen, ist das?“ flüsterte er fassungslos. Keiner der Männer fühlte sich aufgerufen, eine Antwort zu geben. De Mescua erwartete auch nichts dergleichen. Er hatte das Gefühl, daß sich ihm die Haare sträubten. Langsam drehte er sich wieder um, dem Tal zu. Weit hallend und deutlich tönte es herüber, aus vielen Männerkehlen. Diese Gesangsstimmen waren geschult, das hörte man einwandfrei heraus. „Lobet den Herrn, alle seine Werke...“ Dem Teniente schoß das Blut in den Kopf. Zornbebend ballte er die Hände zu Fäusten. „Das ist nicht zu fassen!“ rief er zähneknirschend. „Dieses faule Pack hat nichts anderes zu tun, als zu singen! Unsereins hat dreißig Meilen von Arica bis hierher zurückgelegt, und was tut dieses lausige Mönchsvolk? Singen!“ Das letzte Wort brüllte er hinaus. Singen war für ihn gleichbedeutend mit Faulenzen. Perez de Mescua empfand es in der Tat als Unverschämtheit, diese langgezogenen Töne zu hören, die seiner Meinung nach ohnehin eines Mannes unwürdig waren. Unverschämt, weil er selbst etwas geleistet hatte. Hinter ihm lagen dreißig Meilen, zum Teil mit verdammten schwankenden Hängebrücken und schmalen Pfaden in Bergregionen, in denen man sich bei einem falschen Tritt das Genick brechen konnte. Und diese Himmelhunde von Betbrüdern hockten in ihrer stinkigen Kapelle und sangen!
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Überhaupt: Wo steckten die Leute, die um diese Tageszeit normalerweise auf den Feldern zu arbeiten hatten - das Indiopack, das den Ackerbau zu betreiben hatte? Hockten diese Affen etwa auch in der Kapelle und sangen mit? Das Gesicht des Teniente lief krebsrot an. Wenn es sich so verhielt, wie er vermutete, dann war das Verhalten der Mönche eindeutig subversiv. Denn möglicherweise hatten sie den herannahenden Trupp bemerkt und das Indiopack im Kloster Zuflucht suchen lassen. De Mescuas Überzeugung, daß es sich tatsächlich so verhielt, wuchs. Das wiederum bedeutete, daß sich die Mönche klar und unmißverständlich der Autorität der spanischen Krone widersetzten. Denn sie hatten zu wissen, daß Eingeborene jederzeit dem Zugriff der Staatsmacht verfügbar sein mußten. Niemand hatte das Recht, sie diesem Zugriff zu entziehen. De Mescua überlegte, ob er die Kuttenträger an die Wand stellen und erschießen lassen sollte. Er hatte das Recht dazu, das wußte er. Aber in seinem Hinterkopf war auch die Erinnerung daran, daß gewisse Betbrüder einer sinnvollen Betätigung in Potosi zuzuführen seien. Die Order des Provinzgouverneurs ging gewissermaßen über geltendes Recht. Also war es besser, nicht über die Stränge zu schlagen. Der Teniente hob abermals die Rechte. „Vorwärts, marsch!“ brüllte er, senkte den Arm und wies auf die vor ihm liegenden Maisfelder. „Ausschwärmen, Männer!“ In breiter Front setzten sie sich in Bewegung. Die mit Munition, Proviant und Decken schwer beladenen Maultiere begannen, den in schnurgeraden Reihen angepflanzten Mais plattzuwalzen. Brustpanzer und Helme der Soldaten blinkten im späten Sonnenlicht. Sie trieben die Tiere vor sich her, und der Teniente folgte ihnen mit gravitätischen Schritten, die Hände auf den Rücken gelegt. Es sah aus, als würde eine breite Schneise durch die Maisfelder gepflügt. Die Hufe der Maultiere und die Stiefel der Soldaten trampelten in Minutenschnelle alles nieder,
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was die Indios Stunden, Tage und Wochen harter Arbeit gekostet hatte. Ackerbau und die damit zusammenhängende Arbeiten waren für den Teniente Perez de Mescua ohnehin Begriffe, mit denen er nichts anfangen konnte. Den Vorrang hatten militärische Aktionen - basta! Ackerbau und Viehzucht hatten da nichts zu suchen. Bauern waren für ihn nichts anderes als minderwertiger Dreck. Nur etwa zehn Minuten brauchten Teniente de Mescua und sein Trupp, um das Tor in der Klostermauer zu erreichen. In der Kapelle wurde noch immer gesungen. Der Psalm klang erhaben und ruhevoll und wurde von einem ‚herrlichen Baß getragen. Die Soldaten wußten nicht, daß es die Baßstimme Pater Franciscos, des Gründers des Klosters, war. De Mescua gab das Haltzeichen. In Befehlshaberpose baute er sich am Wegesrand vor der Klostermauer auf. Mit einer herrischen Handbewegung wies er auf das Tor. „Öffnen!“ Zwei Männer rannten los. Sie ließen sich von de Mescuas selbstverständlich klingendem Tonfall leiten, packten die schweren schmiedeeisernen Klinken und wollten das Tor einfach aufziehen. Doch ebenso gut . hätten sie an der Mauer ziehen können. Das Tor gab nicht nach. Der ältere der beiden Soldaten wandte sich dem Truppführer zu. „Das Tor ist verriegelt, Teniente“, meldete der Soldat. De Mescua verzog unwillig das Gesicht. Jetzt auch noch so ein dämliches Hindernis! Und dieser verdammte Gesang ging ihm auf die Nerven. Es mußte etwas geschehen, und zwar bald. „Aufbrechen!“ befahl er. Vier weitere Soldaten setzten sich in Bewegung und versorgten sich mit Werkzeug aus dem Maultier-Gepäck Äxte, Hämmer. Keile, Kuhfuß. Mit den Äxten hieben sie zunächst nacheinander auf die Torflügel ein, in der Nähe der Klinken, wo sie sich den raschesten Erfolg versprachen. Dumpf hallten die Axtschläge
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und gaben dem Gesang der Mönche eine häßliche Untermalung. Splitter flogen aus dem Holz, doch das Tor war nicht zu öffnen. Die Soldaten schufteten, was das Zeug hielt, ihre Schweißtropfen tränkten den staubigen Boden vor dem Klostertor. De Mescua begann, ungeduldig auf den Zehenspitzen zu wippen. „Ja, Himmel-Herrgott-noch-Mal!“ schrie er, als nach einer Viertelstunde noch immer kein Ergebnis abzusehen war. „Soll ich mir hier die Beine in den Bauch stehen?“ Genau das hätte ihm manch einer der Soldaten gewünscht. Aber niemand wagte auch nur zu grinsen. „Teniente“, antwortete der Dienstälteste, „dieses Tor ist aus Hartholz angefertigt. Mit den Äxten schaffen wir es nie und nimmer, die Bohlen aufzuschlagen. Wir könnten es noch einmal mit den Keilen und dem Kuhfuß versuchen.“ „Dann versucht es!“ brüllte de Mescua gereizt. Der Mönchsgesang dröhnte in seinen Ohren. Die Soldaten trieben Keile in den Spalt zwischen den beiden Torflügeln. Dröhnend klangen die Hammerschläge, es gelang ihnen tatsächlich, den Spalt ein wenig zu erweitern. Hoffnungsvoll setzten sie den Kuhfuß an. Zwei Mann hängten sich an die Eisenstange, gaben sich selbst die Kommandos und versuchten, die Torflügel weiter auseinanderzuwuchten. Ein durchdringendes Knacken war von der Innenseite des Tores zu hören, und die Soldaten stimmten ein Triumphgebrüll an. In der Tat hatte sich der Spalt noch ein Stückchen erweitert. Mit heftigeren Hammerschlägen trieben sie die Keile weiter hinein, und die beiden Männer am Kuhfuß gaben ihr Letztes. Noch einmal knackte es drinnen, aber dann rührte sich nichts mehr. So sehr sie sich auch anstrengten, der Spalt erweiterte sich um keine Haaresbreite mehr. Aus der Kapelle tönte noch immer der Gesang der Mönche.
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„Verdamm noch mal!“ schrie de Mescua mit sich überschlagender Stimme. „Wenn das elende Tor nicht gleich offen ist, muß ich Disziplinarmaßnahmen ergreifen! Ist das klar? Also bewegt euch gefälligst ein bißchen, ihr Schlappschwänze!“ Der Dienstälteste trat furchtlos auf ihn zu. Es war einfach zuviel. Jeder mußte das einsehen, auch diese Witzfigur von einem Teniente. „So geht das nicht, Teniente“, sagte er erbittert. „Das Tor selbst kriegen wir nicht kaputt. Aber Sie haben gehört, daß sich der Riegel drinnen ein bißchen gelöst hat. Nur ist das Ding jetzt wahrscheinlich verkeilt. Wir haben nicht die richtige Druckrichtung, vermute ich. Frontale Rammstöße wären jetzt genau das, was wir brauchen.“ De Mescua nickte, halbwegs b sänftigt. „Also muß etwas zum Rammen her“, sagte er und sah sich um. Sein Blick fiel auf einen knorrigen Apfelbaum, der nur einen Steinwurf weit entfernt nahe am Weg stand. De Mescua streckte die Hand aus. „Nehmen wir den! Fällen, entasten und dann los! In einer Viertelstunde will ich das verdammte Tor offen sehen!“ Die Männer hasteten los. Sie wußten genau, daß die knappe Zeitspanne nicht einzuhalten war. Aber sie mußten es wenigstens versuchen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, sich boshaften Schikanen des Teniente auszusetzen. Mit rhythmischen Hieben gruben sich die Klingen der Äxte in den Stamm. Ungewollt gaben die Soldaten dem weithallenden Psalm der Mönche mit ihren Axtschlägen einen Takt. Es mochte auch sein, daß sie sich mit ihrem Arbeitsrhythmus dem Gesang der Klosterbrüder anpaßten, ohne es selbst zu bemerken. Den Apfelbaum hatte Pater Francisco als Schößling vor über zwanzig Jahren gepflanzt - damals, als er diesen Ort für die Gründung des Klosters ausgewählt hatte. Die junge Pflanze hatte als einzige die Überfahrt auf dem Hauptdeck einer Galeone überstanden. Viele andere Baumschößlinge, die Pater Francisco in
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der Neuen Welt hatte pflanzen wollen, waren ein Opfer von Stürmen und extremen Wetterbedingungen geworden. Nur dieser eine Apfelbaum hatte allen Naturgewalten getrotzt. Für Pater Francisco hatte jene Tatsache symbolischen Charakter. In jedem Jahr war der Baum ein beachtliches Stück gewachsen, und er wurde größer und kräftiger als seinesgleichen in Europa. Nach einigen Jahren trug er auch regelmäßig wahre Zentnerlasten von Äpfeln, die den Mönchen eine willkommene Bereicherung ihres damals noch kargen Speisezettels gewesen waren. Mittlerweile gab es genügend Obstbäume rings um das Kloster Tacna, so daß ein Verlust ohne weiteres zu verschmerzen war. Doch mit dem Instinkt abgrundtiefer Bosheit hatte sich de Mescua ausgerechnet jenen Baum ausgesucht, der älter als sämtliche Klosteranlagen war und für den Gründer einen unschätzbaren Wert hatte. Die Soldaten hatten ihre Helme abgenommen, und der Teniente duldete es. Sie wechselten sich mit den Äxten ab, und nach gut zehn Minuten hatten sie einen ausreichend großen Keil in den Fuß des Stammes geschlagen. Ein Zittern durchlief den Baum, und dann begannen die weißen Holzfasern, die ihn noch hielten, zu zerplatzen. Das Knacken und Bersten klang wie kleine, peitschende Schüsse. Die dicht belaubte Krone neigte sich immer schneller, schließlich gab es ein dumpfes Krachen, begleitet vom rauschenden Aufschlag des Blattwerks. Die Soldaten stimmten ein Jubelgebrüll an, hüpften und warfen die Arme in die Luft. Die Maultiere wandten die Köpfe und betrachteten die Szenerie mit ausdruckslosen Augen. Die Stimme des Teniente fuhr wie ein Peitschenhieb durch den Lärm. „Weitermachen! Zum Feiern gibt es noch keinen Grund, ihr faulen Stricke!“ Die Soldaten verstummten und schluckten die Beschimpfung ohne Murren. Von de Mescua waren sie Schlimmeres gewohnt. Wieder hieben sie die Äxte in das
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Baumholz, diesmal, um die Krone zu beseitigen. Der Stamm, der wenig später übrigblieb, hatte den Umfang eines normal gewachsenen Mannes-Oberkörpers. De Mescua gönnte ihnen keine Pause. Alle packten auf seinen Befehl an, wuchteten den schweren Stamm in Hüfthöhe und standen sekundenlang schwankend unter der Last. Der Teniente stand breitbeinig neben ihnen und stützte die flachen Hände in die Hüften. Ungeduldig und mit verkniffener Miene wartete er, bis die Männer ihre Haltung endlich stabilisiert hatten. „Fertig!“ brüllte er. „Im Gleichschritt marsch! Links - links -links Er beschleunigte die Folge seiner Kommandos, bis sich die Männer mit dem Stamm fast zum Laufschritt gesteigert hatten. Im nächsten Augenblick krachte der Fuß des Baumstammes wie ein mächtiger Rammsporn gegen die Mitte des Tores. Wieder schwankten die Männer und wurden durch den Aufprall fast aus dem Gleichgewicht gebracht. Aber sie schafften es, den Stamm nicht fallen zu lassen. Gleich darauf brüllten sie vor Begeisterung, als sie sahen, daß die Keile aus dem vergrößerten Spalt gefallen waren. Das beflügelte ihre Zerstörungswut. Rückwärts gehend nahmen sie ihre Ausgangsposition ein, und de Mescua trieb sie mit seinen peitschenden Kommandos abermals auf das Tor zu. Noch einmal hallte das Krachen wie Donner über den Klosterhof. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Mehr und mehr vergrößerte sich der Spalt zwischen den Torflügeln. Der Dienstälteste behielt recht. Der innere Riegel des Tores ließ sich durch die Rammstöße aus seiner Verankerung brechen. Der Gesang der Mönche hatte aufgehört. Perez de Mescua grinste boshaft. Die Kuttenaffen hatten endlich kapiert, daß sie mit ihrem Geleier niemanden abschrecken konnten. Ein letzter Rammstoß dröhnte durch die Stille im Tal von Tacna. Das Tor flog auf.
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„Brüder“, sagte Pater Francisco mit bebender Stimme, „ihr hört es alle, und ich brauche euch nichts zu erklären. Uns steht die schlimmste Prüfung bevor, die der Herr uns jemals auferlegt hat. Gott stehe uns bei!“ Er wollte sich dem Ausgang der Kapelle zuwenden. Einer der Ordensbrüder ergriff seinen Unterarm. „Bruder Francisco, du willst doch nicht etwa ...“ Das Gesicht des älteren Mannes war wie gemeißelt, als er bekräftigend nickte. „Doch, es muß sein. Es gibt keinen anderen Ausweg. Verriegelt die Tür sorgfältig hinter mir. Ihr wißt, was ihr zu tun habt, wenn es denn sein sollte.“ „Aber wir können dich nicht deinem Schicksal überlassen, während wir selbst ...“ „Es geht um den Fortbestand des Klosters“, sagte Pater Francisco rauh. „Jeder von uns hat seinen Teil dazu beizutragen. Ich muß es auf meine Weise tun, und ihr seid für das verantwortlich, was im Fall meines Versagens zu geschehen hat. Ich gebe mein Schicksal in Gottes Hand. Und nun hört auf zu lamentieren, Brüder.“ „Gott sei mit dir“, sagte sein Gegenüber dumpf, und die anderen fielen murmelnd mit ein. Pater Francisco hatte schon bei den ersten krachenden Schlägen gegen das Klostertor gewußt, daß es dieses Mal härter zugehen würde als jemals zuvor. Denn noch nie hatten die Soldaten gewagt, sich am Kloster zu vergreifen. Mit hoch erhobenem Haupt öffnete Pater Francisco die Kapellentür und trat ins Freie. Geblendet vom Sonnenlicht schloß er für einen Moment die Augen. Hinter ihm fiel die schwere Tür zu. Er konnte hören, wie der Ordensbruder die vier Riegel vorlegte. Im selben Augenblick stürmten die Soldaten grölend auf den Innenhof des Klosters. Sie hatten ihre Helme wieder aufgesetzt und die Säbel gezogen. Die
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Klingen blitzten im Licht der Spätnachmittagssonne. In der Mitte der halbkreisförmig vordringenden Front der Soldaten lief der Teniente mit federnden Schritten. Einer der Männer war beim zerborstenen Tor zurückgeblieben, um die Maultiere zu bewachen. Zwei Schritte vor der Kapelle blieb Pater Francisco stehen. Mit zusammengekniffenen Augen konnte er die heranstürmende Horde jetzt deutlich genug erkennen. Der Teniente stutzte beim Anblick des weißbärtigen Mannes, dessen imposante Statur trotz der Mönchskutte unverborgen blieb. De Mescua reckte den Arm und brüllte den Soldaten zu, stehenzubleiben. Sie gehorchten zögernd und ließen ihre Säbel sinken. De Mescua verlangsamte seine Schritte und ging auf den Pater zu. Er hatte seine ziselierte Pistole gezogen und hielt sie schußbereit. In drei Schritt Abstand vor dem Gottesmann blieb er breitbeinig stehen. Pater Francisco 'begegnete dem verächtlichen Blick des Offiziers mit stoischer Ruhe. „Sind Sie das Obermönchlein in diesem Bau?“ fragte de Mescua mit gehässiger Stimme. Pater Francisco nickte, ohne sich äußerlich seinen Zorn anmerken zu lassen. Doch er spürte, daß es keinen Sinn hatte, diesen jungen Schnösel zurechtzuweisen. Der freche Bursche wartete nur darauf, auf eine solche Art herausgefordert zu werden, um seiner Brutalität freien Lauf zu lassen. Pater Francisco hatte das Böse an diesem Mann auf den ersten Blick erkannt. „Ja, Teniente“, brüllte de Mescua. „So heißt die Antwort, verstanden? Ich bin Teniente Perez de Mescua, und ich verlange auch von verdammten Zivilisten, daß sie mich mit militärischem Titel anreden. Ist das klar?“ „Ja, Teniente“, erwiderte Pater Francisco, immer noch ruhig. „Na also“, sagte de Mescua und grinste. „Klappt doch! Die anderen Betbrüder
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stecken in der Kapelle?“ Er deutete mit einer Kopfbewegung auf das schlichte kleine Gebäude hinter dem Pater. „Ja, Teniente.“ „Und die Betschwestern? Die habt ihr wohl nicht, was?“ De Mescua stieß ein glucksendes, kehliges Lachen aus. Es veranlaßte die Soldaten, ebenfalls in Gelächter auszubrechen. Sie wußten, wann der Teniente erheitert genug war, um ein solches Verhalten zu dulden, In diesem Moment war es so. „Nein, Teniente“, antwortete der Pater mit unerschütterlichem Gleichmut. „Schon gut, Spaß muß sein“, sagte de Mescua und winkte ab. „Name?“ „Pater Francisco.“ „Gut. Sie, Pater Francisco, sind im Namen des Königs verhaftet. Desgleichen das gesamte Pack, das sich da in der Kapelle aufhält.“ Der Gottesmann erschrak, doch er ließ sich auch das nicht anmerken. ' „Darf ich die Gründe erfahren, Teniente?“ „Die Gründe?“ entgegnete de Mescua von oben herab. „Als ob die nicht klar wären! Aber meinetwegen, ich zähle Ihnen noch mal auf, was Ihnen sowieso klar sein dürfte: Sie und Ihre Mönchs-Kumpane sind der Subversion schuldig, indem Sie unter anderem arbeitsscheue Elemente aufgewiegelt haben. Ich denke, ich brauche das nicht näher zu erläutern. Schuldig sind Sie und Ihre Leute außerdem der Verschwörung gegen den König, der Hurerei mit Indio-Weibern, des Hoch- und Landesverrats, der Schädigung des Ansehens der spanischen Krone und der Kirche gleichermaßen und letztlich des Verstoßes gegen die Bestimmungen der Krone nach denen Eingeborenen nicht die gleichen Rechte wie den Angehörigen der spanischen Nation eingeräumt werden dürfen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“ Pater Francisco schluckte seinen Zorn herunter. Alles das war einfach lächerlich und an den Haaren herbeigezogen. Aber er wußte, daß er keine Chance hatte, sich dagegen aufzulehnen. Ein Blick auf die Säbel der Soldaten genügte ihm. Sie
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würden einen Widerspruch nur als Anlaß nehmen, ihrer Wut freien Lauf zu lassen. „Ja, Teniente“, sagte er daher. „Fein.“ De Mescua nickte mit breitem Grinsen. „Dann nehmen Sie weiterhin zur Kenntnis, daß Sie und Ihre Kumpane auf Befehl der Krone verurteilt sind, in den Minen von Potosi nützliche Arbeit zu verrichten.“ Pater Francisco glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Etwas in ihm zerbrach. Das war zuviel, einfach zuviel. Das konnte er sich nicht mehr bieten lassen. So mußte denn das Unvermeidliche seinen Gang nehmen. Stolz hob er das Kinn. „Niemals!“ rief er mit donnernder Stimme. „Niemals werde ich mich zur Schandarbeit zwingen lassen. Eher bin ich bereit, zu sterben!“ Pater Francisco wußte, daß ihn seine Brüder in der Kapelle hörten. Und sie würden so reagieren, wie er ihnen das aufgetragen hatte. In der Kapelle gab es einen Fluchtgang, an dem sie viele Jahre lang gearbeitet hatten. Der Zugang lag unter dem Altar. Man erreichte von dort aus den östlich gelegenen Berghang. Im ersten Moment war der Teniente unwillkürlich zusammengezuckt, als ihm die zornige Stimme des Paters entgegendröhnte. Doch de Mescua hatte sich sofort wieder in der Gewalt. Im Grunde konnte ihm der Pfaffe gar keinen größeren Gefallen tun, als sich renitent zu verhalten. Man würde eben ein Exempel statuieren, dann wußten die anderen gleich, in welche Richtung sie zu marschieren hatten. „Packt ihn!“ brüllte de Mescua den . Soldaten zu. „Fesselt ihn!“ Er zeigte auf den Walnußbaum, der gleich neben der Kapelle stand und mit seiner dichten Krone einen Teil des Innenhofes beschattete. Auch diesen Baum hatte Pater Francisco vor vielen Jahren eigenhändig gepflanzt. Vier Soldaten eilten herbei und stießen im Laufen ihre Säbelklingen in die Scheiden. Ein Fünfter lief zu den Maultieren, um ein Seil zu beschaffen. Im Handumdrehen hatten sie den Pater ergriffen und schleiften ihn zum Baum. Minuten später
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war er gefesselt und konnte nicht einmal mehr die Finger bewegen. De Mescua beobachtete es mit zufriedenem Nicken und gab den Soldaten einen Wink, wieder in die Reihe zu treten. Er stelzte vor die Kapellentür, beugte den Oberkörper zurück und brüllte los. „He, ihr da drinnen! Öffnet die Tür, und dann raus mit euch! Wenn ihr euch widerstandslos ergebt, passiert euch nichts!“ Keine Antwort. „Verfluchtes Gesindel!“ zischte der Teniente und wirbelte herum. „Los, los, Oberpfaffe, befiehl dem Pack, rauszukommen!“ Pater Francisco schwieg. Kein Laut drang über seine Lippen, die wie ein Strich waren. In seinen Augen lag ein harter Glanz. Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen. Niemals würden diese entmenschten Kreaturen erfahren, wohin seine Gemeinde geflohen war. Aber eben diese Gemeinde würde weiterbestehen - eine Gemeinde Gottes, die er im Sinne des Herrn aufgebaut hatte. Seine Brüder würden sie ebenso weiterführen, in seinem Gedenken, fern dem Zugriff jeglicher staatlicher Macht. Das Prinzip, daß vor Gott alle Menschen gleich seien, würde hier, im paradiesischen Tal des Tacna, auch in Zukunft gelten. Für alles das lohnte es sich, das Martyrium zu erdulden und den Tod hinzunehmen. Die Augen de Mescuas verengten sich. Er begriff, daß er diesem unbeugsamen, knorrigen Mann nicht mit Worten beikommen konnte. Mit einem bösartigen Gesichtsausdruck trat er auf ihn zu, hob die Pistole und drückte ihm den Lauf unter das Kinn. „Du willst also nicht gehorchen?“ fragte de Mescua lauernd. „Hast du dir das auch gut überlegt, Mönchlein? So alt bist du noch nicht, daß du mit dem Leben abschließen solltest. Weißt du, was passiert, wenn ich abdrücke?“ Er spannte den Hahn mit dem Flint, und das Knacken drang überlaut durch die Stille. „Die Kugel bläst dir das Hirn aus dem Schädel. Viel scheinst du
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davon nicht zu haben, denn sonst würdest du kapieren, daß sich deine Aufsässigkeit nicht lohnt.“ Pater Francisco richtete den Blick zum Himmel und beachtete den Teniente nicht. Der Pistolenlauf schien für ihn nicht zu existieren. De Mescua knurrte wütend und stieß den Lauf nach oben. Der Hinterkopf des Paters prallte gegen den Baumstamm. Doch kein Schmerzenslaut drang über die Lippen Dominikaners. Wutentbrannt wirbelte der Teniente herum. „Macht es euch gemütlich, Männer!“ brüllte er. „Diese verdammte Ordnung hier tötet einem den Nerv! Ich will ein bißchen Stimmung, klar?“ Die Soldaten johlten begeistert und warfen ihre Helme auf den Boden. Nach allen Seiten liefen sie auseinander und nahmen sich das Erstbeste vor, auf das sie stießen. Das Drama begann. Ein furchtbares Geschehen, wie es Pater Francisco in seinen schlimmsten Alpträumen nicht erlebt hatte. Er schloß die Augen, aber der Lärm allein genügte, um zu wissen, was sich abspielte. Sie zertrümmerten und zerschlugen buchstäblich alles, was ihnen in die Hände fiel. Im Wirtschaftsgebäude, in dem sich Küche und Speisesaal befanden, wurde am meisten Lärm verursacht. Fensterscheiben gingen scheppernd zu Bruch, von Tassen, Tellern und Krügen getroffen, die nacheinander wie Geschosse auf den Hof flogen und auf dem harten Boden zerbarsten. Eine andere Horde tobte sich in der Spinnerei aus, wo sie die Spinnräder mit ihren Säbeln zerhackten. Einer schichtete draußen Wollknäuel auf, die ihm die anderen zuwarfen, und setzte sie in Brand. Im Geräteschuppen schepperte und rumorte es. Die entfesselten Kerle rüsteten sich mit Schaufeln und Hacken aus und stürmten in die Vorratsräume. Säcke mit Maiskörnern und Maismehl wurden aufgeschlitzt oder einfach ins Freie geschleudert.
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Dann aber stießen sie auf die feineren Sachen. Der Dienstälteste war es, der als erster mit einem Weinkrug ins Freie stürmte. Zwei Kerle folgten ihm mit einem Faß, das sie mit Freudengebrüll auf den Hof rollten. Dann tauchten weitere auf mit Schinken in Leinenbeuteln, frischgebackenem Brot und großen Schalen mit Früchten. Sie schleppten Tische und Schemel ins Freie und ließen sich lärmend an der Tafel nieder. Becher wurden mit Wein gefüllt. Andere setzten einfach die Krüge an und ließen sich den roten Rebensaft in die Kehle rinnen. Mit den Säbeln zerhackten sie Brot und Schinken auf den Tischplatten und warfen sich gegenseitig große Stücke zu. Jedesmal gab es dabei grölendes Gelächter. Der Teniente de Mescua war neben dem Gefesselten stehengeblieben. „Sehen Sie, Pfäfflein, jetzt wird es richtig gemütlich wie ich versprochen habe.“ Seine Stimme troff vor Hohn. „Ist es nicht die reine Freude, die Männer nach hartem Dienst so ausgelassen zu erleben?“ Pater Francisco schwieg. Seine Kehle war wie versiegelt. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte keinen Laut hervorgebracht. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, doch er schämte sich dieser Tränen nicht. „He, ihr Saufbrüder!“ brüllte de Mescua, und an den Tischen wurden sie ein wenig stiller. „Ich brauche noch sechs Mann, die unseren wackeren Betbrüdern einen kleinen Gefallen tun. Nehmt ihnen ein bißchen Arbeit ab und ebnet die Felder ein! Schließlich haben wir die Maultiere für den Zweck. Das Indiopack würde viel länger dafür brauchen, stimmt's?“ Zustimmendes Gejohle ertönte. Sechs Männer meldeten sich freiwillig und begaben sich unter dem wohlwollenden Nicken des Teniente auf den Weg. Er ging hinüber zu den Tischen, ließ sich einen tönernen Becher mit Wein füllen und prostete den Männern zu. „Wer anstrengenden Dienst leistet, soll auch sein Vergnügen haben!“ schrie er:
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Die Männer klatschten und trampelten und brüllten: „Bravo Keiner dachte mehr an Joaquin Oliveras, der einsam in der Sonnenglut der Felsenlandschaft lag, 'und von dem niemand wußte, wie es überhaupt um ihn bestellt war. Eine Weile ließ de Mescua seine Kerle saufen und fressen, dann gab er Order, die Kapellentür aufzubrechen. Er nippte an seinem Weinbecher, während sie versuchten, eine Wagendeichsel zum Einrennen der Tür zu verwenden. Ohne Erfolg. „Wir brauchen Balken!“ brüllte einer der Kerle. Seine Zunge war bereits schwer. Die Meute johlte Zustimmung. Keiner dachte auch nur im Traum daran, den Baumstamm zu verwenden, mit dem sie das Tor aufgebrochen hatten. Viel interessanter und lohnenswerter erschien ihnen, die Scheune in ihre Bestandteile zu zerlegen. Einige der Kerle kletterten in den Dachstuhl hinauf, mit Äxten ausgestattet. Dort oben begannen sie, die Schindeln wegzufetzen und die Balken aus ihren Halterungen zu lösen. Krachend polterten schließlich auch die schwereren Balken zu Boden. Einen davon schnappten sie sich und rannten gegen die Kapellentür an. Diesmal schafften sie es. Knirschend lösten sich die Riegel aus ihren Verankerungen im Mauerwerk, die auffliegende Tür krachte gegen die Innenwand. Grinsend beobachtete Teniente de Mescua, wie die alkoholselige Meute mit Triumphgebrüll in die Kapelle stürmte. Er konnte sich sehr gut vorstellen, was für dämliche Gesichter die Kuttenaffen dort drinnen aufsetzten. Im nächsten Moment jedoch stutzte er. In der Kapelle wurde es auf einmal still. Einen Augenblick später torkelte einer der Soldaten mit irrwitzigem Gelächter ins 'Freie. Hoch in den Händen hielt er das Kruzifix mit Jesus Christus, schleuderte es zu Boden und trampelte es in Stücke. „Keiner da!“ schrie er schrill. „Keiner zu Hause! Die Mönchlein unternehmen einen Spaziergang, ha-ha-ha!“
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De Mescua versteinerte. Dann rannte er los, und fassungslos sah er, daß die Kapelle tatsächlich leer war. Drinnen hatten die Soldaten bereits begonnen, den Altar zu zertrümmern. In blinder Wut hieben sie darauf ein. Der Alkohol hatte sie enthemmt. Niemand hielt sie zurück, der Teniente schon gar nicht. Daß sie ein Gotteshaus schändeten, kam ihnen nicht in den Sinn. De Mescua stürzte zurück ins Freie und baute sich wutschäumend vor dem gefesselten Pater auf. „Wo stecken deine verfluchten Kumpane?“ brüllte er. „Los, heraus damit!“ Pater Francisco preßte die Zähne zusammen, daß es schmerzte. Furchtlos blickte er dem Teniente in die bösen Augen. Nichts würden sie von ihm erfahren, kein einziges Wort. „Wie du willst, du Mistkerl!“ sagte de Mescua leise und drohend. „Wir kriegen es schon aus dir heraus, verlaß dich drauf. Ich habe schon ganz andere Kerle zum Reden gebracht.“ Der Teniente drehte sich um. Drüben bei der Spinnerei brannten noch die Wollknäuel. „Bringt mir Kerzen und Fackeln!“ rief er den Männern zu. „Unsere Freunde, die Mönchlein, haben sicherlich genug davon gehortet!“ Die Männer liefen los, zu jeder Schandtat bereit.. Natürlich hatten sie von Anfang an geahnt, daß der Alte in der Mönchskutte gefoltert werden mußte. Jetzt war es soweit. Der Spaß ging erst richtig los. 8. Hasard und seine Männer duckten sich in das Gebüsch am Flußufer. Noch kochte in ihnen die Wut darüber, daß die Kerle einen Kameraden zurückgelassen hatten. Der arme Kerl war an Überanstrengung gestorben. Sein vermutlich schwaches Herz hatte ihm den Dienst versagt. Der Marsch in der mörderischen Hitze mußte ihn umgebracht haben. Aber die anderen hatten ihn nicht einmal ein ordentliches Begräbnis gegönnt.
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Hasard und die Arwenacks hatten dafür gesorgt. Jetzt aber hatten sie erneut allen Grund, vor Wut mit den Zähnen zu knirschen. Eine Gruppe von sechs Soldaten bewegte sich mit Getöse auf sie zu. Die Kerle trieben Maultiere kreuz und quer durch die Maisfelder und dachten nicht im Traum daran, dabei leise zu Werke zu gehen. Sie grölten und schwenkten Krüge und Trinkbecher. Das Tal, so dachten sie wohl, gehörte schon ganz ihnen. Was sich weiter entfernt, beim Kloster, abspielte, ließ dem Seewolf und seinen Männern indessen das Blut in den Adern gefrieren. Ein weißhaariger Mann in der Kutte der Dominikaner war an einen Baum gefesselt worden. Ein Offizier schrie herum, und die Soldaten hielten dem Pater brennende Kerzen unter den Bart. Es war höchste Zeit. Hasard und seine Gefährten hatten das quälende Gefühl, daß sie trotz allem noch zu spät kamen. Deshalb gab der Seewolf kurzentschlossen das Kommando, auf die sechs Kerle loszugehen, die von ihren Maultieren das Maisfeld plattrampeln ließen. Gemeinsam mit den anderen schnellte auch Pater David hinter dem Gebüsch hervor. Es war wie ein jäh losbrechender Gewittersturm, der die Soldaten völlig unvorbereitet traf. Da das Maisfeld bis unmittelbar an den Fluß reichte, hatten die Arwenacks sie nah genug herangelassen. Entsetzt ließen die Spanier Krüge und Becher fallen, als die Angreifer plötzlich zwischen den auseinanderstiebenden Maultieren auftauchten. Furchterregende Gestalten waren unter diesen Männern, die vom Nichts ausgespuckt worden sein mußten - der hünenhafte Pater David wirkte nicht minder eindrucksvoll als der Riese Carberry mit dem wütenden Narbengesicht. Verzweifelt griffen die Soldaten zu ihren Säbeln. Einer von ihnen schaffte es noch, blankzuziehen. Doch es nutzte ihm nichts mehr.
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Ed Carberry hieb ihm den Säbel weg, als handele es sich um einen Zahnstocher zwischen Daumen und Zeigefinger. Die Klinge schwirrte in hohem Bogen durch die Luft und blitzte im Sonnenlicht, bevor sie in den klaren Fluten des Rio de Tacna versank. Unterdessen stieß der Kerl einen gellenden Schmerzensschrei aus, als der Profos ihm die Faust auf den Schädel schmetterte. „Schrei nicht so, du Schweinebacke!“ grollte Carberry und beendete den Lärm mit einem zweiten Hieb, den er dem Don unter der Kinn setzte und ihn damit um Handbreiten über den Erdboden hob. Dann schlug der Soldat der Länge nach hin und streckte alle viere von sich. Ed Carberry packte ihn und warf ihn sich über die Schulter. Die anderen waren noch beschäftigt, hatten aber gleichfalls wenig Mühe. Pater David schlug mit seinen Riesenfäusten gnadenlos zu. Der untersetzte Soldat, der von dem Gottesmann keinen nennenswerten Widerstand erwartet hatte. erlebte sein blaues Wunder. Fast hatte es den Anschein, als würde der Pater dem, Kerl mit seinen Hieben den Kopf abreißen. Im Handumdrehen waren auch die übrigen Kerle überwältigt. Ed Carberry blickte den Seewolf fragend an. „In den Fluß mit ihnen“, sagte Hasard rauh. „Wir können uns keine Überlebenden leisten. Diesmal nicht.“ Es gab keinen Widerspruch, nicht einmal von Pater David. Klatschend landeten die bewußtlosen Soldaten nacheinander in den gurgelnd und rauschend dahinströmenden Fluten des Rio de Tacna. Keiner von ihnen würde das Wasser lebend wieder verlassen. Der Fluß würde sie nur noch als Tote ans Ufer spülen. Ohne Zeit zu verlieren, drangen die Männer unter der Führung des Seewolfs in Richtung auf das Kloster vor. Sie nutzten die noch unversehrten Teile des Maisfeldes als Deckung. Ohnehin hatten die Kerle beim Kloster offenbar nicht mitgekriegt, was sich unten am Fluß abgespielt hatte.
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Zu sehr waren sie damit beschäftigt, den Pater zu foltern. Unbehelligt erreichten die Männer das zerborstene Tor. Hasard schlich auf die Umfassungsmauer an der linken Seite zu. Geduckt verharrte er dort. Mit einer ausladenden Armbewegung gab er seinen Gefährten zu verstehen, daß sie ausschwärmen sollten. Innerhalb von Sekunden hatten sie sich beiderseits des Tores verteilt. „Rede, du Hund!“ gellte die Stimme des Teniente über den Hof des Klosters. Hasard riskierte einen Blick. Der Teniente hatte sich eine Fackel geschnappt und hielt sie drohend in der Rechten. Voller Vorfreude auf das, was jetzt folgen würde, stimmten die Soldaten um ihn herum ein wildes Gelächter an. „Ein letztes Mal!“ schrie der Teniente. „Ein letztes Mal fordere ich dich auf, zu reden. Du verdammtes Mönchlein sollst vor mir winseln. Ich will dich winseln hören, verstanden? Du sollst froh und dankbar sein, wenn du überhaupt noch einen Laut von dir geben kannst!“ Jedoch der weißhaarige Mann in der Kutte der Dominikaner hob nur stolz den Kopf und schwieg. Wut verzerrte das Gesicht de Mescuas, ein Zittern lief durch seinen Körper. Für den Seewolf und seine Gefährten wirkte er dadurch auf widerwärtige Weise wie ein Kind, das seinen Willen nicht kriegte. Doch in seiner Zügellosigkeit und Unbeherrschtheit war dieser Teniente eine tödliche Gefahr. Er packte die Fackel auch mit der Linken, senkte sie und rammte sie mit einem Wutschrei in den Leib des Paters. Nur für eine Sekunde blieb Pater Francisco still vor Schreck und Entsetzen. Der Geruch von versengtem Stoff breitete sich aus. Dann brüllte der Pater voller Qual. Die Fesseln erlaubten es ihm nicht, sich zusammenzukrümmen. Wieder stieß der Teniente mit der Fackel zu.
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Die Schmerzensschreie des Ordensmannes schwollen an, hatten nichts Menschliches mehr und erinnerten an ein waidwundes Tier, das von einem unbarmherzigen Jäger auch noch gequält wird. Die Soldaten grölten Beifall und schütteten Wein in sich hinein. Offensichtlich genossen sie es, einmal zuzuschauen, während ihr Teniente ausnahmsweise die „Arbeit“ erledigte. Abermals rammte de Mescua dem Pater die Fackel in den Leib. Und er lachte schrill, als die Schreie des Mönchs in ein Ächzen übergingen. „Deine Stimme funktioniert also noch, Kuttenaffe!“ schrie de Mescua und zog die Fackel zurück. „Dann kannst du auch reden!“ In der Bauchgegend bestand die Kutte Pater Franciscos nur noch aus einem großen, verkohlten Fleck. „Ich höre!“ brüllte de Mescua mit überschnappender Stimme. Aber über die Lippen des Paters drang nichts anderes als ein schmerzerfülltes Stöhnen. Der Teniente stieß einen wilden Schrei aus und rannte erneut auf den Gefesselten los. Wie eine Lanze führte er die Fackel und rammte sie dem Hilflosen in die Magengegend. Abermals schrie der Pater auf. Hasard konnte es nicht mehr ertragen. Irgendwo in ihm riß buchstäblich der Faden, und er dachte in seinem ohnmächtigen Zorn nicht einmal daran, den Männern einen Befehl zu geben. Es war zuviel, einfach zuviel. Mit einem federnden Satz schnellte er los, durch das offene Tor und auf den Teniente zu. Die alkoholisierten Kerle, die auch ihre Brustpanzer abgelegt hatten, bemerkten ihn erst, als er schon auf drei Schritte heran war. De Mescua spürte die Bewegung hinter sich, obwohl der Pater noch immer seine Qual hinausschrie. Der Teniente fuhr herum und hielt die Fackel wie eine Abwehrwaffe. Bestürzung grub sich in seine Gesichtszüge - und
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zugleich Wut über die unverschämte Störung. Denn durch das zerborstene Tor stürmten jetzt weitere Störenfriede auf den Hof. Hasard ließ dem Schinder keine Zeit zum Nachdenken. Es gab einen scharfen metallischen Laut, als er den Degen zog. Ein blitzschneller Hieb genügte, und die Fackel flog zerbrochen in den Sand. De Mescua stieß einen irren Schrei aus und starrte in grenzenlosem Erstaunen auf seine Rechte. Der Seewolf ließ ihn den Degen ziehen und drang im nächsten Atemzug mit einer blitzartigen Attacke auf ihn ein. Der Pater war unterdessen verstummt. Mit einer mühseligen Parade wich de Mescua auf den Hofbereich hinter dem Baum zurück. Aus den Augenwinkeln heraus sah Hasard, wie seine Gefährten die restlichen fünf Kerle attackierten. Weinkrüge und Becher fielen in den Staub, Säbelklingen schwirrten. Einer der Soldaten versuchte, seine Pistole zu ziehen, doch Smoky zerschmetterte ihm mit einem erbarmungslosen Säbelhieb das Handgelenk. Im nächsten Moment tötete Smokys Klinge den Soldaten. Es gab keinen Grund, den menschenverachtenden Kerlen Gnade zu gewähren. Hasard trieb den Teniente mühelos bis an die Klostermauer zurück. Die Augen des Mannes flackerten im schweißüberströmten Gesicht. Nichts war mehr vorhanden von seiner Überheblichkeit und seiner Geringschätzung für Unterlegene. Klirrend prallten die Klingen aufeinander. De Mescua war als Degenfechter ein durchaus ernstzunehmender Gegner. Er schaffte es immerhin, sich von der Mauer abzustoßen, und eine Attacke des Seewolfs zu unterlaufen. Doch Hasard wich seinem unkonzentrierten Angriff mühelos aus und trieb ihn mit einer rasenden Folge von kraftvollen Hieben abermals in die Enge. De Mescua hatte der Muskelkraft des Seewolfs nur wenig entgegenzusetzen.
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Eben dieser Umstand besiegelte das Schicksal des Teniente. Mit einem letzten Hieb schmetterte Hasard ihm den Degen weg. De Mescua stieß einen schrillen Schrei aus und riß die Hände schützend vors Gesicht. Der Seewolf stieß zu. Als de Mescuas Schrei endete, war auch sein Leben beendet. Sein Körper sackte an der Mauer in sich zusammen, und es war schon kein Leben mehr in ihm, als er vornüberkippte und auf den Boden schlug. Hasard wandte sich zu den anderen um. Sie hatten kurzen Prozeß gemacht. Die alkoholisierten Soldaten waren keine ernstzunehmenden Gegner gewesen. Auch Pater David war sich über die Notwendigkeiten im klaren. Er wechselte einen Blick mit dem Seewolf und nickte. Dann schob er sein blutiges Entermesser in die Scheide und lief auf den Walnußbaum zu. Auch Ed Carberry und die anderen hatten ihre Blankwaffen wieder verstaut. Keiner der Soldaten war mehr am Leben. Ihre Strafe war mehr als gerecht. Sie hatten die Kirche geschändet, als sie den Altar und das Kruzifix zerstörten. Und sie hatten einen Gottesmann gefoltert. Mit Sicherheit hätten sie ihn auch getötet, darüber war sich der Seewolf im klaren. Wenn er und seine Männer nicht eingegriffen hätten, wäre im Tal des Rio de Tacna über kurz oder lang ein Blutbad gefolgt. Nein, es hatte nicht den geringsten Anlaß gegeben, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Es durfte ohnehin keine Überlebenden geben, denn sonst war das PotosiUnternehmen des Seewolfs und seiner Gefährten ernsthaft gefährdet. Ed Carberry, Dan O'Flynn und die anderen waren ebenfalls zur Stelle, um die Fesseln des Dominikaners zu lösen. Pater Francisco hatte das Bewußtsein verloren, aber jetzt erwachte er. Er öffnete die Lippen, brachte aber nur einen schwachen Laut hervor. Mit staunend geweiteten Augen blickte er seinen Ordensbruder und die übrigen Retter an. Pater David stützte ihn.
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„Bruder“, sagte er sanft, „du hast viel
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erduldet. Aber jetzt ist es vorbei ...“
ENDE