Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte
Josef Ponn • Udo Lindemann
Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte Systematisch von Anforderungen zu Konzepten und Gestaltlösungen 2. Auflage
1C
Dr.-Ing. Josef Ponn Hilti Entwicklungsgesellschaft mbH Hiltistraße 6 86916 Kaufering Deutschland
[email protected]
Prof. Dr.-Ing. Udo Lindemann Technische Universität München Lehrstuhl für Produktentwicklung Boltzmannstraße 15 85748 Garching Deutschland
[email protected]
ISBN 978-3-642-20579-8 e-ISBN 978-3-642-20580-4 DOI 10.1007/978-3-642-20580-4 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2008, 2011 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort zur zweiten Auflage
In den letzten drei Jahren sind zahlreiche neue Erkenntnisse entstanden, die in die zweite Auflage dieses Buches eingeflossen sind. Aktuelle Ergebnisse aus Forschungsprojekten fanden dabei genauso ihren Niederschlag wie Rückkopplungen aus der industriellen Praxis und der Zusammenarbeit mit Studierenden in der Lehre sowie in studentischen Projekten. Auf Basis der ersten Auflage wurde bei der Überarbeitung zudem der Fokus auf eine bessere Verständnisvermittlung und gesteigerte Anschaulichkeit der Inhalte gelegt. Hierzu tragen neben einem aktualisierten Beschreibungsmodell des Entwicklungsprozesses und einer Schärfung von Begrifflichkeiten eine Reihe neuer Beispiele bei, die eine konkrete und praxisnahe Vermittlung von Fragestellungen und methodischen Lösungsansätzen in der Produktentwicklung fördern. Bei dieser Überarbeitung konnten wir wieder auf die Unterstützung des gesamten Teams des Lehrstuhls für Produktentwicklung der Technischen Universität München zugrückgreifen. Hervorheben möchten wir dabei besonders Arne Herberg, dessen inhaltliche und organisatorische Mitwirkung maßgeblich zur Fertigstellung dieser zweiten Auflage beigetragen hat. Als Diskussionspartner und Autoren von Teilkapiteln haben Katharina Helten (Kapitel 1 und 4) Clemens Hepperle (Kapitel 5, 11 und 12), Arne Herberg (Kapitel 3, 8 und 13), Stefan Langer (Kapitel 2, 9 und 10) und Bernd Schröer (Kapitel 6 und 7) wesentlich zur inhaltlichen Ausgestaltung des Buches beigetragen. Ebenso ist Constantin von Saucken zu nennen, der neben punktuellen inhaltlichen Beiträgen vor allem durch seinen Einsatz bei der Überarbeitung und Realisierung des Bildmaterials zu einer diesbezüglichen Qualitätssteigerung gegenüber der ersten Auflage beigetragen hat. Unterstützt wurde er dabei von Eva Körner. Des Weiteren gilt unser Dank Dr.-Ing. Joachim Günther von der Hilti Entwicklungsgesellschaft für seine inhaltliche Mitwirkung an Kapitel 7. Auch allen weiteren Personen, die sich in die intensiven Diskussionen eingebracht haben, danken wir für ihr Engagement und ihre Unterstützung. Unser Dank für die unverändert ausgezeichnete Zusammenarbeit gilt dem Springer Verlag Berlin und hier besonders Herrn Thomas Lehnert. Wir hoffen, mit dieser überarbeiteten Auflage einen Beitrag zur Intensivierung der systematischen Produktentwicklung zu leisten. Garching, im Februar 2011 Udo Lindemann und Josef Ponn
Vorwort zur ersten Auflage
Die Entwicklung und Konstruktion erfolgreicher Produkte fängt mit den frühen Vorbereitungen der Entwicklungsarbeit an. Hier werden oft bereits entscheidende Weichenstellungen vorgenommen. Der Konzeptentwicklung technischer Produkte kommt eine hohe Bedeutung zu, da hier Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen für den Erfolg des Produktes am Markt getroffen werden. In Forschung, Ausbildung wie auch in der industriellen Praxis ist in den vergangenen Jahrzehnten das Bewusstsein gewachsen, dass mehr Systematik im Vorgehen und bei der Durchführung von Arbeitsschritten erforderlich ist. Ebenso wird aber festgestellt, dass „vorgedachte“ Vorgehensmodelle und Arbeitsmethoden an die jeweils spezifischen Randbedingungen der konkreten Entwicklungssituation angepasst werden müssen. Es wird auch in der Industrie zunehmend anerkannt, dass die anstehenden Aufgaben und Problemstellungen nur mit einer hinreichenden Systematik im Vorgehen beherrschbar sind. In der Forschung beschäftigen wir uns seit vielen Jahren mit der Frage, wie eine Hilfestellung zur Bestimmung der jeweils geeigneten Vorgehensweisen, Methoden und sonstiger Hilfsmittel realisiert werden kann. Eine zentrale Herausforderung ist die verbesserte Unterstützung der Navigation durch die Vielzahl der alternativen Möglichkeiten der nächsten Entwicklungsschritte vor dem Hintergrund des großen Spektrums denkbarer Entwicklungsszenarios. Wir wollen ein zielorientiertes, systematisches Vorgehen fördern, welches den Freiraum für Kreativität und individuell erforderliche Gestaltungsmöglichkeiten offen hält. Aus Forschungsprojekten, Dissertationen und Erfahrungen in und mit der Industrie sowie zahlreichen Diskussionen mit Mitarbeitern, Industrievertretern, Kollegen in Forschung und Lehre sowie Unternehmensberatern haben wir viele Hinweise gewonnen, die uns zu diesem Buch motiviert haben. Dabei war es unser Bestreben, bewährte Punkte beizubehalten, neue Erkenntnisse zu integrieren sowie strukturelle Aspekte zu überarbeiten. Das gesamte Team des Lehrstuhls für Produktentwicklung hat uns dabei nachhaltig unterstützt. Besonders nennen möchten wir Andreas Gaag, der durch seine inhaltliche wie auch organisatorische Mitwirkung die Fertigstellung ermöglicht hat. Inhaltlich haben Andreas Gaag (Kapitel 3 und 10), David Hellenbrand (Kapitel 5 und 8), Clemens Hepperle (Kapitel 12), Julia Roelofsen (Kapitel 2 und 9) und Bernd Schröer (Kapitel 6 und 12) in Diskussionen wie bei der Abfassung von Teilkapiteln mitgewirkt. Die Überarbeitung und Realisierung des Bildmaterials übernahm Rainer Hinterberger. Allen Beteiligten, auch allen die sich an Diskussionen beteiligt haben, gilt unser Dank für ihr Engagement und ihre Unterstützung.
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Vorwort
Dem Verlag und hier besonders Herrn Thomas Lehnert gilt unser Dank für die stets hervorragende Zusammenarbeit. Mit dem Ziel der besseren Lesbarkeit wurde im weiteren Verlauf des Buches auf eine Differenzierung zwischen weiblichen und männlichen Formen verzichtet. Auf Abkürzungen wurde weitgehend verzichtet. Begriffe aus dem englischen Wortschatz wurden ebenfalls nur mit Zurückhaltung benutzt, an einigen Stellen erschienen sie uns aber klarer als die jeweiligen deutschen Umschreibungen. Wir hoffen, dass dieses Buch einen Beitrag leistet, um die systematische und erfolgreiche Entwicklung von technischen Produkten in der Aus- und Weiterbildung in den technischen Disziplinen sowie in der industriellen Praxis noch intensiver zu verankern. Garching, im Februar 2008 Udo Lindemann und Josef Ponn
Inhaltsverzeichnis
Einführung ............................................................................................................. 1 Welches Ziel verfolgt dieses Buch?................................................................... 2 An wen richtet sich dieses Buch? ...................................................................... 3 Was waren die wichtigsten Einflüsse auf dieses Buch? .................................... 4 Wie ist dieses Buch aufgebaut? ......................................................................... 5 1 Produktentwicklung und Konstruktion ........................................................... 9 1.1 Entwicklungssituationen ............................................................................ 11 1.2 Technische Produkte.................................................................................. 14 1.3 Entwicklungsprozesse................................................................................ 16 1.4 Vorgehensmodelle ..................................................................................... 17 1.5 Produktmodelle .......................................................................................... 20 1.6 Methoden und Werkzeuge ......................................................................... 22 1.7 Das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM) ......................... 24 1.8 Hauptzielsetzungen und Gerechtheiten...................................................... 28 1.9 Beispielhafte Entwicklungsszenarios......................................................... 30 1.10 Zusammenfassung ................................................................................... 32
Teil A – Systematische Produktkonkretisierung .............................................. 33 2 Anforderungen ................................................................................................. 35 2.1 Anforderungsklärung für eine medizintechnische Versuchseinrichtung ... 36 2.2 Methoden des Anforderungsmanagements ................................................ 39 2.2.1 Wie lassen sich Anforderungen ermitteln?......................................... 41 2.2.2 Wie lassen sich Anforderungen strukturieren? ................................... 45 2.2.3 Wie lassen sich Anforderungen analysieren und priorisieren?........... 48 2.2.4 Wie lassen sich Anforderungen über den gesamten Entwicklungsprozess pflegen und einsteuern? ............................................ 53 2.3 Anforderungsklärung für eine Schablonenvorrichtung für chirurgische Gelenkkorrekturen ........................................................................................... 57 2.4 Zusammenfassung ..................................................................................... 60
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Inhalt
3 Funktionen ........................................................................................................ 61 3.1 Funktionsmodellierung von hybriden Antriebssträngen für ein Kraftfahrzeug ................................................................................................... 62 3.2 Methoden zur Funktionsmodellierung ....................................................... 65 3.2.1 Wie lassen sich Funktionen aus Anforderungen ableiten? ................. 70 3.2.2 Wie lassen sich Funktionen aus bestehenden Lösungen ermitteln? ... 74 3.2.3 Wie lassen sich Funktionen variieren? ............................................... 77 3.2.4 Wie lassen sich Funktionen in den weiteren Entwicklungsprozess einbringen? .................................................................................................. 79 3.3 Funktionsmodellierung für einen Pflanzenölkocher .............................. 80 3.4 Zusammenfassung ..................................................................................... 84 4 Wirkprinzipien ................................................................................................. 85 4.1 Ermittlung von Wirkprinzipien für eine Schaltkupplung ........................... 86 4.2 Methoden zur Ermittlung von Wirkprinzipien ........................................... 91 4.2.1 Wie lassen sich Wirkprinzipien für geforderte Funktionen ermitteln?..................................................................................................... 94 4.2.2 Wie lassen sich Wirkprinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche ermitteln? ............................................................................. 99 4.2.3 Wie lassen sich Wirkprinzipien aus bestehenden Lösungen ermitteln?................................................................................................... 102 4.2.4 Wie lassen sich Wirkprinzipien bewerten und auswählen? .............. 105 4.3 Ermittlung von Wirkprinzipien für einen innovativen Nussknacker ....... 108 4.4 Zusammenfassung ................................................................................... 110 5 Wirkkonzepte.................................................................................................. 111 5.1 Entwicklung von Konzepten für eine Zitruspresse .................................. 112 5.2 Methoden zur Erstellung und Auswahl von Konzepten........................... 114 5.2.1 Wie lässt sich der Lösungsraum strukturieren? ................................ 116 5.2.2 Wie lässt sich der Lösungsraum reduzieren?.................................... 119 5.2.3 Wie lassen sich Wirkkonzepte erstellen? ......................................... 124 5.2.4 Wie lassen sich Wirkkonzepte bewerten und auswählen? ................ 126 5.3 Entwicklung von Konzepten für einen Gangschaltungssimulator für Nutzfahrzeuge ................................................................................................ 129 5.4 Zusammenfassung ................................................................................... 132 6 Produktgestalt ................................................................................................. 133 6.1 Konkretisierung der Gestalt für eine Staubsaugerdüse ............................ 134 6.2 Methoden zur Konkretisierung der Gestalt .............................................. 136 6.2.1 Wie lassen sich Ansatzpunkte für die Konkretisierung der Gestalt erarbeiten? ................................................................................................. 139 6.2.2 Wie lässt sich die Gestalt eines Produktes konkretisieren? .............. 143 6.2.3 Wie lässt sich das Gestaltlösungsspektrum strukturiert darstellen und ergänzen? ............................................................................................ 148 6.2.4 Wie lassen sich Gestalt-Gesamtlösungen zusammenführen? ........... 152
Inhalt
XI
6.2.5 Wie lassen sich Gestaltlösungsalternativen bewerten und auswählen? ................................................................................................ 154 6.3 Erarbeitung von Gestaltlösungen für ein Klappfahrrad ........................... 155 6.4 Zusammenfassung ................................................................................... 158 7 Baumodelle...................................................................................................... 159 7.1 Erstellung von Baumodellen für ein Diamant-Trenngerät (1) ................. 160 7.2 Methoden zur Erstellung von Baumodellen............................................. 163 7.2.1 Wie lassen sich Baumodelle detaillieren? ........................................ 165 7.2.2 Wie lassen sich Schnittstellen detaillieren? ...................................... 167 7.2.3 Wie lassen sich die Produkteigenschaften ermitteln und absichern?.................................................................................................. 172 7.2.4 Wie lässt sich die Produktdokumentation erstellen? ........................ 176 7.3 Erstellung von Baumodellen für ein Diamant-Trenngerät (2) ................. 177 7.4 Zusammenfassung ................................................................................... 180
Teil B – Produktgestaltung mit Fokus auf Hauptzielsetzungen (Design for X)..................................................................................................... 181 8 Sichere und zuverlässige Produkte ............................................................... 183 8.1 Sicherheit und Zuverlässigkeit von Windkraftanlagen ............................ 183 8.2 Maßnahmen zur Gestaltung sicherer und zuverlässiger Produkte ........... 186 8.2.1 Wie lassen sich die Sicherheit und Zuverlässigkeit eines Systems analysieren und bewerten? ........................................................................ 189 8.2.2 Wie lassen sich Sicherheits- und Zuverlässigkeitsanforderungen ermitteln? .................................................................................................. 194 8.2.3 Wie lassen sich Sicherheit und Zuverlässigkeit im Funktionsmodell berücksichtigen? ............................................................ 197 8.2.4 Wie lassen sich Sicherheit und Zuverlässigkeit im Wirkmodell einbeziehen? .............................................................................................. 198 8.2.5 Wie lassen sich Sicherheit und Zuverlässigkeit im Baumodell berücksichtigen? ........................................................................................ 202 8.3 Verminderung des Unfallrisikos einer Ringspinnmaschine ..................... 205 8.4 Zusammenfassung ................................................................................... 208 9 Gewichtsoptimierte Produkte........................................................................ 209 9.1 Auswirkungen des Gewichts auf eine Verzahnungsschleifmaschine ...... 210 9.2 Maßnahmen zur Optimierung des Produktgewichts ................................ 211 9.2.1 Wie lässt sich das Produktgewicht analysieren und bewerten? ........ 212 9.2.2 Wie lassen sich Anforderungen in Bezug auf das Produktgewicht ermitteln? .................................................................................................. 212
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Inhalt
9.2.3 Wie lässt sich das Produktgewicht im Funktionsmodell berücksichtigen? ........................................................................................ 214 9.2.4 Wie lässt sich das Produktgewicht im Wirkmodell beeinflussen? ... 216 9.2.5 Wie lässt sich das Produktgewicht im Baumodell beeinflussen? ..... 217 9.3 Gewichtsoptimierung in der Luftfahrtindustrie ....................................... 220 9.4 Zusammenfassung ................................................................................... 224 10 Montagegerechte Produkte.......................................................................... 225 10.1 Montagegerechte Gestaltung eines Hochvoltsteckers für Elektrofahrzeuge ............................................................................................ 226 10.2 Methoden zur Analyse und Gestaltung der Montageeignung von Produkten ....................................................................................................... 228 10.2.1 Wie lassen sich Produkte hinsichtlich ihrer Montageeignung analysieren und bewerten? ........................................................................ 231 10.2.2 Wie lassen sich montagerelevante Anforderungen ermitteln?........ 234 10.2.3 Wie lassen sich Montageaspekte im Funktionsmodell berücksichtigen? ........................................................................................ 235 10.2.4 Wie lassen sich Montageaspekte im Wirkmodell und bei der Konzepterstellung berücksichtigen? .......................................................... 236 10.2.5 Wie lassen sich Montageaspekte im Baumodell und bei der Produktgestaltung berücksichtigen? .......................................................... 237 10.3 Montagegerechte Gestaltung eines Pneumatikventils ............................ 242 10.4 Zusammenfassung ................................................................................. 245 11 Variantengerechte Produkte ....................................................................... 247 11.1 Variantenvielfalt bei pneumatischen Ventilen ....................................... 247 11.2 Methoden zur Entwicklung variantengerechter Produkte ...................... 249 11.2.1 Wie lässt sich die Variantenvielfalt analysieren? ........................... 252 11.2.2 Wie lassen sich Anforderungen bei variantenreichen Produkten handhaben? ................................................................................................ 255 11.2.3 Wie lassen sich Funktionen bei variantenreichen Produkten modellieren? .............................................................................................. 258 11.2.4 Wie lassen sich Wirkprinzipien und Lösungskonzepte für variantenreiche Produkte ermitteln? .......................................................... 260 11.2.5 Wie lassen sich Gestaltlösungen und Baumodelle für variantenreiche Produkte ermitteln? .......................................................... 264 11.3 Entwicklung eines variantenreichen Produktprogrammes für Automobilsitze ............................................................................................... 268 11.4 Zusammenfassung ................................................................................. 272 12 Nachhaltige Produkte ................................................................................... 273 12.1 Entwicklung eines verwertungsgerechten Toasters ............................... 274 12.2 Maßnahmen zur Entwicklung nachhaltiger Produkte ............................ 275 12.2.1 Wie lassen sich Umweltbeeinträchtigungen eines Produktes analysieren und bewerten? ........................................................................ 278
Inhalt
XIII
12.2.2 Wie lassen sich Anforderungen mit Bezug zur Nachhaltigkeit handhaben?................................................................................................ 280 12.2.3 Wie lassen sich Aspekte der Nachhaltigkeit auf Funktionsebene berücksichtigen? ........................................................................................ 281 12.2.4 Wie lassen sich Aspekte der Nachhaltigkeit auf Wirkebene berücksichtigen? ........................................................................................ 284 12.2.5 Wie lassen sich Aspekte der Nachhaltigkeit auf Bauebene berücksichtigen? ........................................................................................ 285 12.3 Entwicklung eines umweltgerechten PET-Flake-Wäschers .................. 288 12.4 Zusammenfassung ................................................................................. 292
13 Systematisch von Anforderungen zu Konzepten und Gestaltlösungen ... 293 13.1 Entwicklung eines Elektro-Gokarts ....................................................... 294 13.2 Beispielhafte Betrachtung der Entwicklung des Lenksystems .............. 296 13.2.1 Anforderungen ............................................................................... 297 13.2.2 Funktionen...................................................................................... 299 13.2.3 Wirkprinzipien und Wirkkonzepte ................................................. 301 13.2.4 Produktgestalt und Baumodelle...................................................... 303 13.3 Entwicklungsergebnis und Zusammenfassung ...................................... 306
Literatur ............................................................................................................. 309 Bildnachweis ...................................................................................................... 325 Anhang A Checklisten und Hilfsmittel ............................................................ 327 A1 Anforderungsraum ................................................................................... 329 A1-1 Checkliste zur Anforderungsklärung ............................................... 329 A1-2 Suchmatrix zur Anforderungsklärung .............................................. 330 A2 Funktionebene.......................................................................................... 333 A2-1 Umsatzorientierte Funktionsmodellierung ....................................... 333 A2-2 Checkliste zur Variation der Funktion ............................................. 337 A2-3 Relationsorientierte Funktionsmodellierung .................................... 338 A2-4 Problemformulierungen ................................................................... 340 A2-5 Nutzerorientierte Funktionsmodellierung ........................................ 341 A3 Wirkebene ................................................................................................ 343 A3-1 Lösungssuche mit physikalischen Effekten ..................................... 343 A3-2 Sammlung physikalischer Effekte.................................................... 344 A3-3 Widerspruchsorientierte Lösungssuche............................................ 365 A3-4 Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche .................. 366
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Inhalt
A3-5 Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder .............................. 386 A3-6 Assoziationsliste............................................................................... 387 A4 Bauebene.................................................................................................. 397 A4-1 Systematische Variation ................................................................... 397 A4-2 Checkliste mit Gestaltparametern .................................................... 399 A4-3 Gestaltungsprinzipien ....................................................................... 414 Glossar ................................................................................................................ 427 Sachverzeichnis .................................................................................................. 461
Einführung
Wie kam es zu diesem Buch und was ist dessen Ziel? Die Entwicklung und Konstruktion erfolgreicher Produkte beginnt mit der richtigen Vision oder Zielsetzung. Die darauf aufsetzende zielgerichtete und schrittweise ablaufende Konkretisierung und Verfeinerung der Lösungsbeschreibung erfolgt vor dem Hintergrund einer schier unüberschaubaren Menge an Anforderungen und Randbedingungen. Da Produkte nach wie vor von handelnden Personen entwickelt werden, sind hier die Aspekte der Fähigkeiten und Grenzen menschlich bestimmter Handlungen zu berücksichtigen. Das komplexe Umfeld, in welchem sich die Handelnden bewegen, und gewisse historische Prägungen spielen dabei eine große Rolle. Wir alle kennen den sogenannten „Scheuklappeneffekt“, das Haften an den bekannten und vertrauten Lösungsmustern. Dann und wann kommt eine Lösung auf den Markt, die viele Wettbewerber, Kunden und unter Umständen auch uns selbst überrascht. In solchen Fällen ist die Not oft groß, sind doch unter Umständen Chancen nicht erkannt und „verschlafen“ worden. Es stellt sich die Frage: „Warum sind wir nicht selbst auf diese Lösung gekommen?“ Das schrittweise Vorgehen bei der Konkretisierung des zu entwickelnden Produktes verlangt vom Konstrukteur und Entwickler Systematik. Ein „Verweilen“ im abstrakten Raum ist dabei nicht immer beliebt, aber doch oft erfolgreich. Wesentlich ist hierbei die Schaffung von alternativen Lösungsideen zur Verhinderung des gedanklichen Verharrens in alten Lösungen oder in Sackgassen. Der Produktentwicklungsprozess und dessen Ergebnis bilden den Gegenstand dieses Buches. Dabei steht nicht alleine das Endergebnis im Fokus, vielmehr sind auch die vielen Zwischenergebnisse von Interesse, die auf dem Weg zur finalen Produktbeschreibung entstehen. Die Ausführungen orientieren sich an der Frage, welches Vorgehen im Entwicklungsprozess in Abhängigkeit der aktuellen Entwicklungssituation sinnvoll und zielführend ist. Ebenso von Bedeutung ist die Fragestellung, welche Methoden, Werkzeuge und sonstigen Hilfsmittel zur Unterstützung der auszuführenden Aktivitäten herangezogen werden können und wie sie gewinnbringend einzusetzen sind. Diese und viele weitere Fragen wurden in den vergangenen Jahren in einer Vielzahl von Forschungsprojekten behandelt und im Verbund mit Industrieunternehmen beleuchtet. Dadurch wurden teilweise neue Begriffe und Modellvorstellungen generiert beziehungsweise bekannte Begriffe und Modelle modifiziert, um mehr Systematik und Klarheit zu erhalten.
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Einführung
Welches Ziel verfolgt dieses Buch? Dieses Buch soll dazu beitragen, die Effektivität und Effizienz in Produktentwicklungsprozessen zu erhöhen. Es soll das Bewusstsein für den Situationsbezug und die Systematik in der Entwicklung und Konstruktion technischer Produkte fördern. Um dies zu erreichen, wurde ein Rahmen geschaffen, in dem sowohl die Aktivitäten als auch die Ergebnisse der Produktentwicklung eingeordnet werden können. Diesen Rahmen bildet das „Münchener Produktkonkretisierungsmodell“ (MKM) in einer für die 2. Auflage überarbeiteten Form. In diesem wird das Vorgehen im Entwicklungsprozess als Interaktion zwischen dem Anforderungsraum und dem Lösungsraum, sowie als Konkretisierung von Produktmodellen auf Funktions-, Wirk- und Bauebene dargestellt. An diesem Modell soll die Bedeutung von Produktmodellen und ihrer Vernetzung verdeutlicht werden. Produktmodelle werden auf allen Konkretisierungsebenen für unterschiedliche Zwecke aufgestellt: zur Erfassung und Strukturierung der Ziele, zur Durchdringung der Problemstellung, zur Spezifikation der Lösung oder zur Ermittlung relevanter Produkteigenschaften. Grundsätzlich sollte das Vorgehen der handelnden Personen zielgerichtet erfolgen. Das „Delta“ zwischen der aktuellen Entwicklungssituation und der Zielsetzung bestimmt demnach die erforderlichen Aktivitäten im Entwicklungsprozess. Das Denken und Handeln kann sich dabei an bestimmten Grundprinzipien orientieren, deren Beachtung die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Entwicklungsprozess erfolgreich durchlaufen wird. Solche Grundprinzipien sind unter anderem die Problemzerlegung und das Denken in Alternativen. Das Grundprinzip der Projektion bedeutet in der Anwendung, dass der Blick auf ein System je nach Situation und Fragestellung aus unterschiedlichen Sichten erfolgen kann. Das Grundprinzip des Modalitätenwechsels besagt, dass ein von Zeit zu Zeit bewusst durchgeführter Wechsel der Perspektive (beispielsweise vom Ganzen zum Detail oder vom Abstrakten zum Konkreten) ebenfalls hilfreich sein kann. Ferner sollen in diesem Buch Möglichkeiten der Unterstützung bei der Festlegung von Produkteigenschaften auf den Konkretisierungsebenen des Lösungsraums aufgezeigt werden, was durch eine enge Kopplung zum Anforderungsraum auf allen Ebenen gefördert wird. Zum einen sind es Arbeitsmethoden, die in Abhängigkeit der Problemstellung auszuwählen, anzupassen und zum Teil in Kombination anzuwenden sind. Darüber hinaus steht Entwicklern und Konstrukteuren ein großes Spektrum an Gestaltungsrichtlinien, Gestaltungsprinzipien und Informationssammlungen zur Verfügung. Aus dieser Vielfalt wurden zahlreiche Methoden und Hilfsmittel für dieses Buch ausgewählt und den hier betrachteten Konkretisierungsebenen zugeordnet. Die Beschreibung der Anwendung im Kontext verschiedener Entwicklungsszenarios soll Verständnis für Zweck und Wirkung der jeweiligen Methoden und Hilfsmittel erzeugen. Darüber hinaus enthält der Anhang zahlreiche Checklisten und Informationssammlungen, die einen gezielten Zugriff auf relevante Aspekte ermöglichen und durch die sich Entwicklungsprozesse operativ unterstützen lassen.
An wen richtet sich dieses Buch?
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Schließlich werden Ansätze für das X-gerechte Entwickeln und Konstruieren diskutiert, das heißt die Gestaltung des Produktes unter Berücksichtigung gewisser Hauptzielsetzungen im Sinne eines „Design for X“ beziehungsweise „Design to X“. In der Literatur wird hier auch von so genannten „Gerechtheiten“ gesprochen, denen das Produkt Genüge leisten muss. Anhand fünf ausgewählter Hauptzielsetzungen beziehungsweise DfX-Kriterien wird gezeigt, dass sich der durch das „Münchener Produktkonkretisierungsmodell“ aufgespannte Rahmen auch hier anwenden lässt. Die spezifische Zielsetzung stellt dabei eine Konkretisierung der Entwicklungssituation dar und erfordert daher ein angepasstes Vorgehen. Aufgrund der Vielfalt an Themen, die die Produktentwicklung umfasst, und der Notwendigkeit, einen klaren Fokus zu schaffen, konnte auf einige Aspekte nicht oder nur am Rande eingegangen werden. Zu diesen Themen zählt die Rechnerunterstützung der Produktentwicklung (beispielsweise Computer Aided Engineering, Virtual Reality oder Produktdatenmanagement). Außerdem wird die Produktentwicklung in erster Linie aus dem Blickwinkel des Maschinenbaus betrachtet. Die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen im Zeitalter von mechatronischen Produkten wird betont. Die Spezifika und Herausforderungen beispielsweise bei der Entwicklung von Elektronik- oder Software-Komponenten werden jedoch nicht vertieft.
An wen richtet sich dieses Buch? Als Buch für die industrielle Praxis werden den Entwicklern und Konstrukteuren wertvolle Anregungen und Anleitungen gegeben, ihr Vorgehen flexibler zu gestalten und an die spezielle Situation anzupassen. Besonders für die frühen Entwicklungsphasen, für die Erarbeitung und Ausgestaltung von Konzepten für technische Produkte, werden konkrete Arbeitsunterlagen angeboten. Damit soll ein Beitrag zum Erkenntnistransfer geleistet werden, der die erheblichen Potenziale bezüglich Leistung wie auch Qualität in der Produktentwicklung nutzbar machen soll. Als Lehrbuch richtet es sich an Studierende des Maschinenwesens, die sich für Fragen der Produktentwicklung interessieren. Da überwiegend grundsätzliche Fragen des Vorgehens diskutiert werden, ist der Inhalt auch für andere Disziplinen der Technikwissenschaften von Bedeutung. Darüber hinaus kann es auch für die technisch ausgerichteten Gebiete der Naturwissenschaften, Informatik, Mathematik oder Betriebswirtschaft eine wertvolle Hilfe sein. Wissenschaftlern sollen durch die Diskussion in diesem Buch Ansätze für weitere Forschungsarbeiten gegeben werden. Die hier behandelten Themen bieten die Grundlage für eine weitere Vertiefung noch offener Fragen, zum Beispiel zu der situativen Gestaltung von Entwicklungsprozessen, dem gezielten Einsatz von Produktmodellen, der Entwicklung von unterstützenden Softwarewerkzeugen oder der Entwicklungsarbeit in Abhängigkeit verschiedener Hauptzielsetzungen.
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Einführung
Was waren die wichtigsten Einflüsse auf dieses Buch? In der Literatur ist das Thema der Produktentwicklung und Konstruktion seit vielen Jahren intensiv behandelt worden. Darüber hinaus haben zahlreiche intensive Diskussionen mit einzelnen Forschern hinsichtlich der in diesem Buch vorgestellten Ansätze Anregungen gegeben und die Inhalte damit beeinflusst. Wichtige Quellen waren die Werke von Pahl und Beitz [Pahl et al. 2005] und Ehrlenspiel [Ehrlenspiel et al. 2007, Ehrlenspiel 2009]. Sie haben das Lehr- und Forschungsgebiet der Produktentwicklung und Konstruktion maßgeblich geprägt. Daher wird auch an vielen Stellen in diesem Buch auf diese Werke referenziert. Allerdings wurde die Notwendigkeit gesehen, einen klareren Fokus und eine deutlichere Struktur für die Vermittlung der Inhalte zu schaffen. Außerdem wurde dem Fortschritt und neuen Erkenntnissen im Bereich der Produktentwicklung Rechnung getragen, was sich unter anderem in der verwendeten Terminologie widerspiegelt. Noch stärker als in der bestehenden Literatur der Entwicklungs- und Konstruktionsmethodik soll außerdem ein Bewusstsein für die Entwicklungssituation und die Notwendigkeit eines flexiblen, an die Situation angepassten Vorgehens geschaffen werden. Die Arbeiten von Grabowski [Grabowski et al. 1993] und Rude [Rude 1998] gaben wertvolle Hinweise hinsichtlich der Bedeutung von Produktmodellen und den Ebenen im Konkretisierungsgrad. Weitere Denkanstöße gaben die Arbeiten von Gausemeier und seinen Mitarbeitern [Gausemeier et al. 2006b], vor allem hinsichtlich der Betrachtung von Entwicklungsprozessen als vernetzte Zyklen. Die in den einzelnen Kapiteln behandelten Themen sind ebenfalls von einer Reihe von Vorarbeiten geprägt, beispielsweise hinsichtlich der Morphologie bei der Erstellung von Gesamtkonzepten [Birkhofer 1980], der Sicherheitstechnik bei der Entwicklung und Konstruktion [Neudörfer 2005], der Zuverlässigkeit im Fahrzeug- und Maschinenbau [Bertsche et al. 2004] sowie dem Montagegerechten Konstruieren [Andreasen et al. 1988]. Die Arbeiten von Altschuller [Altschuller 1984] haben zunächst einige Kraft gekostet, da seine blumige Sprache durchaus gewöhnungsbedürftig und ein Teil der Folgeliteratur zu seinen Ansätzen durch die Aura des „unfehlbaren Meisters“ geprägt ist. Das oft als starr-präskriptiv beschriebene Vorgehen der TRIZ-Methodik, durch das Lösungen nahezu deterministisch erzwungen werden sollen, widerspricht der Grundhaltung dieses Buchs, dass in Abhängigkeit der Entwicklungssituation das Vorgehen flexibel zu gestalten ist. Dennoch muss die wesentliche Bereicherung der Entwicklungsmethodik durch die Arbeiten von Altschuller unbedingt berücksichtigt werden, auch deshalb, weil viele Parallelen zur klassischen Entwicklungs- und Konstruktionsmethodik existieren. Schließlich wurde im Buchprojekt „Methodische Entwicklung technischer Produkte“ [Lindemann 2009] gewissermaßen auch ein Grundstein für dieses Buch gelegt. Während dort das Hauptaugenmerk auf die Produktentwicklung als Problemlösung und zugehörige Arbeitsmethoden gerichtet wird, steht hier die zunehmende Konkretisierung der Produktmodelle im Vordergrund. Letztendlich
Wie ist dieses Buch aufgebaut?
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sind es aber zwei unterschiedliche Sichten auf denselben Betrachtungsgegenstand: den Entwicklungsprozess. Daher sind beide Bücher als gute Ergänzung zueinander zu verstehen. Ein wesentliches Merkmal des Methodenbuchs, das auch hier beibehalten wurde, ist die klare Strukturierung und Form der Vermittlung der Inhalte, durch welche die Ziel- und Handlungsorientierung gefördert werden soll. Arbeiten in und mit der Industrie sowie die Auswertung von Forschungsprojekten haben grundsätzliche Probleme immer wieder deutlich aufgezeigt. Zu diesen gehören der sofortige Übergang von der Aufgabenstellung in die Lösungssuche, ohne das Problem immer richtig verstanden zu haben, sowie die Fixierung auf die ersten augenscheinlichen Lösungsideen. Auf der anderen Seite haben viele Projekte jedoch auch gezeigt, dass systematisches Vorgehen und der situationsgerechte Einsatz von Methodik zum Erfolg führen kann. Neben den zahlreichen anderen Quellen hat auch eine Vielzahl von Dissertationen am Lehrstuhl für Produktentwicklung Anregungen für dieses Buch geliefert, wegen des engen thematischen Bezugs sind besonders zu nennen: Baumberger [Baumberger 2007], Bichlmaier [Bichlmaier 2000], Braun [Braun 2005], Danner [Danner 1996], Dick [Dick 2010], Diehl [Diehl 2009], Dylla [Dylla 1991], Eiletz [Eiletz 1999], Erdell [Erdell 2006], Felgen [Felgen 2007], Förster [Förster 2003], Fuchs [Fuchs 2005], Gaag [Gaag 2010], Gahr [Gahr 2006], Giapoulis [Giapoulis 1998], Gorbea [Gorbea 2011], Gramann [Gramann 2004], Günther [Günther 1998], Herfeld [Herfeld 2007], Heßling [Heßling 2006], Huber [Huber 1995], Hutterer [Hutterer 2005], Jung [Jung 2006], Kreimeyer [Kreimeyer 2010], Lauer [Lauer 2010], Maurer [Maurer 2007], Mörtl [Mörtl 2002], Müller [Müller 2006], Nißl [Nißl 2006], Pache [Pache 2005], Phleps [Phleps 1999], Ponn [Ponn 2007], Pulm [Pulm 2004], Renner [Renner 2007], Schwankl [Schwankl 2002], Stoll [Stoll 1995], Stößer [Stößer 1999], Stricker [Stricker 2006], Wach [Wach 1994], Wulf [Wulf 2002] und Zirkler [Zirkler 2010]. Darüber hinaus gab es eine Fülle weiterer Impulse aus anderen, zum Teil noch laufenden Arbeiten und Projekten, sowie aus zahlreichen Gesprächen.
Wie ist dieses Buch aufgebaut? Kapitel 1 bietet einen kurzen Überblick über wesentliche Aspekte der Produktentwicklung und Konstruktion, die für die Ausführungen in diesem Buch relevant sind. Ausgangspunkt ist die Charakterisierung des vielfältigen Spektrums an Entwicklungssituationen, welches die handelnden Personen vor zahlreiche Herausforderungen stellt. Es wird erläutert, wie je nach Art des betrachteten technischen Produktes unterschiedlichste Anforderungen entstehen. Des Weiteren wird ein Überblick über Ansätze der Unterstützung wie Vorgehensmodelle, Methoden, Produktmodelle und Werkzeuge gegeben. Ferner wird das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM) als zentrales Leitmodell dieses Buches vorgestellt. Es beinhaltet als Hauptkomponenten den Anforderungsraum und den Lösungsraum, welche die Einordnung einzelner Produktmodelle erlauben und durch
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Einführung
drei Konkretisierungsstufen charakterisiert sind: die Funktionsebene, die Wirkebene und die Bauebene. Schließlich wird auf die Bedeutung des X-Gerechten Entwickelns und Konstruierens eingegangen. Teil A des Hauptteils beschäftigt sich mit der schrittweisen, systematischen Produktkonkretisierung und beinhaltet die Kapitel 2 bis 7. Eine Orientierung erfolgt dabei an der Struktur des Münchener Produktkonkretisierungsmodells (MKM). Der Anforderungsraum ist Gegenstand in Kapitel 2, wo auf die Bedeutung eines gezielten Anforderungsmanagements über den gesamten Entwicklungsprozess hinweg eingegangen wird. In Kapitel 3 wird auf die Funktionsebene eingegangen und aufgezeigt, welche Möglichkeiten der Darstellung und Strukturierung von Funktionen in Abhängigkeit der Zielsetzung existieren. Thema von Kapitel 4 ist die Betrachtung von Wirkprinzipien und die darauf basierende Ermittlung von prinzipiellen Lösungsideen auf der Wirkebene. In Kapitel 5 liegt der Fokus auf der Zusammenführung von Teillösungen zu Gesamtkonzepten, ebenfalls auf der Wirkebene. Kapitel 6 zeigt den Übergang von der Wirkebene zur Bauebene im Zuge der zunehmenden Konkretisierung der Produktgestalt auf. Dabei wird die Bedeutung der Alternativenbildung und Variation betont. In Kapitel 7 wird schließlich auf die Detaillierung von Gestaltlösungen auf Bauebene und die Erarbeitung von Baumodellen für unterschiedliche Zwecke in den weiteren Phasen des Produktlebenszyklus eingegangen. In den Teilmodellen auf den verschiedenen Konkretisierungsebenen müssen unterschiedlichste Zielsetzungen und geforderte Eigenschaften der Produkte behandelt und berücksichtigt werden. Daher werden im Teil B des Hauptteils, der die Kapitel 8 bis 12 umfasst, beispielhaft fünf unterschiedliche Themengebiete aufgegriffen, die Hauptzielsetzungen im Sinne eines „Design for X“ beziehungsweise „Design to X“ darstellen. Kapitel 8 beschäftigt sich dabei mit der Sicherheit und Zuverlässigkeit von Produkten, Kapitel 9 mit dem Produktgewicht. Damit werden Produktanforderungen angesprochen, die unmittelbar im Interesse des späteren Nutzers stehen. Gegenstand von Kapitel 10 ist die Montagegerechtheit von Produkten, ein Aspekt, der in unmittelbarem Herstellerinteresse steht. In Kapitel 11 wird die Thematik der Variantenvielfalt von Produkten angesprochen, Kapitel 12 behandelt die Entwicklung ökologisch nachhaltiger Produkte. Die Diskussion dieser fünf Themengebiete zeigt grundsätzliche Strategien und Vorgehensweisen auf, die durch eine adäquate Adaption auf weitere Produkteigenschaften übertragbar sind. Es wird auch die oft hochgradige Vernetzung zwischen den verschiedenen Gesichtspunkten verdeutlicht. Kapitel 13 schließt das Buch mit einem exemplarischen Durchlauf durch einen Entwicklungsprozess anhand eines ausführlichen Entwicklungsbeispiels sowie mit zusammenfassenden Überlegungen ab. Der Anhang enthält neben einem Glossar und Sachverzeichnis eine Sammlung an Checklisten und weiteren Hilfsmitteln, die zum operativen Einsatz im Rahmen von Entwicklungsprozessen gedacht sind. Die Kapitel 2 bis 12 besitzen alle dieselbe Struktur. Sie beginnen jeweils mit einem einführenden Beispiel, welches die Thematik und die damit verbundenen Herausforderungen für die Produktentwicklung anschaulich charakterisiert. Es folgen Grundlagen zum jeweiligen Themenbereich, zum Beispiel in Form von De-
Wie ist dieses Buch aufgebaut?
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finitionen wichtiger Begriffe. In den daran anschließenden Unterkapiteln wird auf vier bis fünf konkrete Themen eingegangen. Diese sind als handlungsorientierte Fragen formuliert, beispielsweise „Wie lassen sich Anforderungen ermitteln?“ oder „Wie lässt sich der Lösungsraum strukturieren?“. Zum einen wird hier die durch die Frage adressierte Problemstellung charakterisiert, zum anderen werden geeignete Unterstützungsmöglichkeiten in Form von Vorgehensweisen, Methoden, Gestaltungsrichtlinien, Werkzeugen oder Checklisten aufgezeigt. Abschließend folgen ein bis zwei konkrete, praxisnahe Beispiele, in denen noch einmal zusammengefasst einige der behandelten Aspekte verdeutlicht werden.
Wichtige Begriffe und Methoden, die im Glossar erläutert sind, wurden aus Gründen der Übersicht im Hauptteil des Buchs fett markiert, beispielsweise Funktion oder Umsatzorientierte Funktionsmodellierung. Die Stellen im Hauptteil des Buches, an denen auf die Inhalte der Checklisten im Anhang verwiesen wird, sind mit einem Symbol gekennzeichnet, beispielsweise Checkliste mit Gestaltparametern . Auf diese Weise wird der Leser dieses Buchs darauf hingewiesen, dass zu der jeweiligen Thematik Checklisten und sonstige Hilfsmittel der Unterstützung existieren.
1 Produktentwicklung und Konstruktion
Produktentwicklung bezeichnet sowohl eine Organisationseinheit als auch einen Prozess im Unternehmen. Entwickler generieren darin als Individuen oder in Teams Konzepte und Gestaltlösungen für innovative Produkte. Die Situationen in der Produktentwicklung sind dabei geprägt von einer Vielzahl von Einflussfaktoren aus unterschiedlichen Bereichen. Einige dieser Faktoren sind beispielsweise die Art des Produktes, die Entwicklungsaufgabe, die Organisation der Produktentwicklung im Unternehmen sowie die eingesetzten Methoden und Werkzeuge. Externe Einflussfaktoren stammen unter anderem aus den Bereichen Absatzmarkt, Wettbewerb, Gesellschaft und Umwelt.
Abb. 1-1. Einflussbereiche auf die Produktentwicklung
Erfolgreiche Produkte sind eine wichtige Voraussetzung für eine prosperierende Wirtschaft. Wichtig für den Erfolg eines Produktes ist es, dass es die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden erfüllt, zum Beispiel hinsichtlich Funktion, Qualität, Kosten, Design und Ergonomie. Neben einem ausreichend großen Absatzmarkt für die angebotenen Produkte ist es für den Unternehmenserfolg auch von Bedeutung, dass die Leistungserbringung wirtschaftlich erfolgt. Der Charakter der Produkte des Maschinenbaus hat sich von Gebilden mit einem hohen Anteil an mechanischen Komponenten hin zu mechatronischen Produkten gewandelt. Trends wie die Integration von mechanischen, elektronischen und softwaretechnischen Anteilen sowie die zunehmende Miniaturisierung führen dabei zu einer erhöhten Produktkomplexität. Auch sind Produkte heutzutage als Leistungsbündel zu verstehen, bei denen neben dem Sachprodukt verstärkt auch die zugehörigen Dienstleistungen eine große Rolle spielen.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
Zur Entwicklung von Produkten sind Prozesse notwendig, die die Abläufe der Entwicklungsarbeit und das Vorgehen der involvierten Individuen und Teams regeln. Dabei ist der gesamte Produktlebenszyklus zu betrachten, der sich von der ersten Idee für ein Produkt bis hin zu dessen Recycling erstreckt. Prozesse der Produktentwicklung sind geprägt durch Iterationen, was eine Strukturierung und Planung erschwert. Eine große Herausforderung ist die Verkürzung der Entwicklungsdauer, die neue Strategien und Methoden des Prozessmanagements erfordert. Um effektive und effiziente Abläufe zu erreichen, ist es wichtig, auf bewährte Vorgehensweisen zurückzugreifen, die in Form von Vorgehensmodellen vorliegen. Diese sind allerdings nicht im Sinne von starren Plänen anzuwenden, sondern müssen an die Situation angepasst werden. Trotz eines zunehmenden Rechnereinsatzes spielen Menschen in der Produktentwicklung nach wie vor die zentrale Rolle. Die Eigenschaften der involvierten Personen, die Erfahrung und das Wissen, sowohl in fachlicher als auch methodischer Hinsicht, ebenso wie die sozialen Kompetenzen bestimmen den Erfolg eines Entwicklungsprojektes. Kreativität ist eine wichtige Voraussetzung, um innovative Lösungen zu anspruchsvollen Problemen zu erarbeiten. Teamarbeit und eine funktionierende Kommunikation zwischen den Beteiligten nehmen angesichts einer zunehmenden Vernetzung auf allen Ebenen an Bedeutung zu. Wegen der hohen Komplexität realer oder geplanter Produkte werden mithilfe einer Systembetrachtung Modelle entwickelt und eingesetzt. Produktmodelle stellen formale Abbilder realer Produkteigenschaften dar. Sie entstehen zum Beispiel zum Zwecke der Analyse durch Abstraktion eines komplexen Sachverhalts und trennen das für die jeweilige Aufgabe Wesentliche vom Unwesentlichen. Aber auch im Rahmen der Synthese entstehen Produktmodelle. Zur Unterstützung des Entwicklungsprozesses werden Methoden eingesetzt. Diese stellen regelbasierte, planmäßige Vorgehensweisen dar und bieten Vorschläge für die Abfolge und Ausführung von Tätigkeiten. Um den Erfolg eines Methodeneinsatzes zu gewährleisten, müssen in Abhängigkeit der Situation geeignete Methoden ausgewählt werden. Außerdem ist in der Regel eine Anpassung der Methoden an die vorliegenden Rahmenbedingungen erforderlich. Zur Unterstützung der Anwendung von Methoden und der Erzeugung von Produktmodellen stehen Werkzeuge zur Verfügung. Diese können sehr einfach oder höchst komplex sein. Beispiele für einfache Werkzeuge sind Formblätter und Checklisten. Beispiele für komplexe Werkzeuge sind Rechnerprogramme für die numerische Simulation. Schließlich spielen die Faktoren Information und Wissen eine große Rolle. Die Produktentwicklung ist ein Prozess der Informationsverarbeitung – aus Informationen zu den Anforderungen und Bedürfnissen der Kunden werden Informationen zur Gestalt und Herstellung des Produktes erzeugt. Das notwendige Wissen liegt nicht immer explizit vor, sondern ist auch implizit in den Köpfen der Entwickler verborgen. Zudem sind die verfügbaren Informationen gerade in frühen Phasen der Produktentwicklung vage und unsicher. Durch einzelne Arbeitsschritte der Analyse, Synthese und Bewertung wird der Wissensstand konkretisiert und detailliert. Hier kommt einem funktionierenden Informations- und Wissensmanagement eine hohe Bedeutung zu.
1.1 Entwicklungssituationen
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1.1 Entwicklungssituationen Entwicklungssituationen sind vielfältig, dynamisch und komplex [Ponn 2007]. Sie werden beeinflusst durch zahlreiche Faktoren, zum Beispiel Zeit, Kosten und Qualität. Diese Einflussfaktoren stammen aus unterschiedlichen Bereichen, unter anderem der zu lösenden Entwicklungsaufgabe, der Organisation, innerhalb welcher sich Produktentwickler bewegen, und der zur Verfügung stehenden Rechnerlandschaft. Dabei besitzen nicht alle Einflussfaktoren auf die Entwicklungssituation denselben Stellenwert. Hinsichtlich der zeitlichen Dimension lassen sich kurz-, mittelund langfristige Aspekte unterscheiden. Die Erkrankung eines Kollegen, der daraufhin an einer wichtigen Sitzung nicht teilnehmen kann, ist ein Beispiel für einen kurzfristigen Aspekt. Ein langfristiger Einflussfaktor ist die Unternehmensphilosophie und -strategie. Erschwerend kommt die Dynamik hinzu, mit der sich Situationen ändern. Daher ist es die Aufgabe des Entwicklers, sich mit der Situation auseinandersetzen und mit angepassten Handlungen darauf zu reagieren. Im Folgenden wird das Spektrum an Entwicklungssituationen anhand ausgewählter Merkmale und deren möglichen Ausprägungen diskutiert.
Abb. 1-2. Systematik der Merkmale von Entwicklungssituationen (beispielhaft)
Im Bereich des Maschinenbaus, der hier primär betrachtet wird, existiert ein breites Spektrum hinsichtlich der Produktart. Entwickler haben es nicht mehr lediglich mit rein mechanischen, sondern zunehmend mit mechatronischen Produkten zu tun [Isermann 1999, Bender et al. 2005, Gausemeier et al. 2006a]. Hier wirken Elemente des Maschinenbaus, der Elektrotechnik sowie der Informationstechnik intelligent zusammen. Der Trend zur Integration und Miniaturisierung führt zu einer zunehmenden Produktkomplexität. Darüber hinaus sind heutzutage nicht mehr alleine Sachprodukte zu betrachten, sondern vielmehr Leistungsbündel, die aus Sachprodukten und zugehörigen Dienstleistungen bestehen.
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
Abb. 1-3. Grundstruktur eines mechatronischen Systems [nach VDI 2206]
Die Absatzmärkte, für welche die Produkte entwickelt werden, sind sehr unterschiedlich. Kunden sind sowohl im privaten Konsumbereich als auch in diversen Branchen und Bereichen des öffentlichen Lebens zu finden. Die Anforderungen an Produkte ändern sich, wenn es sich nicht um Konsumgüter, sondern um Investitionsgüter handelt, die in unterschiedlichen industriellen Bereichen eingesetzt werden. In Bezug auf die Absatzmärkte gilt es außerdem regionale Besonderheiten zu berücksichtigen. Unterschiedliche Kulturen, Bräuche, anthropometrische Charakteristika, Sprachen, Gesetze oder klimatische Bedingungen haben auch Einfluss auf die Gestaltung von Produkten. In der gesamten Wertschöpfungskette treten vielfältige Kunden- und Lieferantenbeziehungen auf. Kunde kann der Endverbraucher sein, zum Beispiel eine Privatperson, die ein Automobil kauft. Der Automobilkonzern als Endprodukthersteller (OEM oder Original Equipment Manufacturer) ist wiederum Kunde für Systemhersteller, also beispielsweise Unternehmen, die Automobilsitze, Klimageräte, Getriebe oder Abgasanlagen entwickeln und produzieren. Der Systemhersteller seinerseits ist Kunde von Subsystem- oder Komponentenherstellern, von denen er Elektromotoren, Getriebe, Wälzlager, Dichtungen oder Schrauben bezieht. Unabhängig von der Rolle in der Wertschöpfungskette macht es auf Kundenseite einen Unterschied, ob es sich um Entscheider, Beschaffer oder Benutzer des Produktes handelt. Jede Rolle oder Funktion innerhalb der Prozesskette hat eine unterschiedliche Sicht auf Produkte und benötigt andere Informationen über das Produkt. Kunden haben Bedürfnisse und Wünsche, die in die Entwicklung der Produkte mit einzubeziehen sind. Daher ist die Kenntnis der Rolle der verschiedenen Kunden im Prozess wichtig. Die Kommunikation mit den Kunden kann sich mitunter sehr schwierig gestalten, da sie oft eine andere „Sprache“ sprechen. Kunden denken primär in Anforderungen und Anwendungen (Problemsicht), Entwickler und Konstrukteure dahingegen oft in Komponenten und Spezifikationen (Lösungssicht).
1.1 Entwicklungssituationen
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Einen weiteren Einfluss auf die Situation des Produktentwicklers hat die Fertigungsart des Produktes. Hier kann nach kundenanonymer und kundenspezifischer Fertigung unterschieden werden, aber auch nach Einzelfertigung, Serienfertigung und Massenfertigung oder hinsichtlich der zu realisierenden Stückzahl. Beispiele für Sondermaschinen nach individueller Kundenspezifikation können Montageanlagen, Flugzeuge oder Werkzeugmaschinen sein. Kundenanonym gefertigte Massenprodukte sind zum Beispiel Schrauben, Dübel oder Wälzlager. Je nachdem, ob das Produkt für die Einzel-, Serien- oder Massenfertigung vorgesehen ist, spielen unterschiedliche Aspekte für die Produktgestaltung eine Rolle. Bei hoher Stückzahl können scheinbar nebensächliche Details schnell zu enormen Kostendifferenzen führen. Neue Trends, wie beispielsweise Mass Customization oder Kundenindividuelle Massenproduktion [Piller 1998, Lindemann et al. 2006], verfolgen das Ziel, Kunden individuell maßgeschneiderte Produkte zur Verfügung zu stellen. Dies soll unter vergleichbaren Konditionen wie in der Massenfertigung geschehen, was Kosten und Entwicklungs- beziehungsweise Lieferzeiten anbelangt. Die Art und Ausprägung der Komplexität von Produkten kann sehr unterschiedlich sein. Produkte wie Flugzeuge und Kraftwerke zeichnen sich durch eine hohe Zahl an Bauteilen und Baugruppen aus und sind aufgrund der Vernetzung und der daraus resultierenden zahlreichen Schnittstellen sehr komplex. Aber auch scheinbar einfache Produkte, wie zum Beispiel PVC-Einkaufstaschen, können eine hohe Komplexität besitzen, die sich hier jedoch in den Prozessen der Auslegung (Minimierung der Herstellkosten bei hoher Haltbarkeit), Herstellung (Blasfolienextrusion) oder Distribution (Verteilung an Supermärkte) verbirgt. Ein weiteres Merkmal ist die Art der Entwicklungsaufgabe. Eine in der Literatur übliche Unterscheidung in Bezug auf den Neuheitsgrad der Entwicklung ist die Differenzierung nach Neuentwicklung, Anpassentwicklung und Variantenentwicklung [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009]. Diese Entwicklungsaufgaben können aber auch alle im selben Projekt auftreten. Bei der Weiterentwicklung oder Modellüberarbeitung eines bestehenden Produktes, beispielsweise einer Bohrmaschine, kann es vorkommen, dass gewisse Umfänge neu entwickelt werden (Vibrationsdämpfung), andere aber vom Vorgängerprodukt übernommen werden können und lediglich an neue Rahmenbedingungen anzupassen sind (Elektromotor). Bei einer Neuentwicklung ist es oft der Fall, dass neue oder andere Technologien zum Einsatz kommen (zum Beispiel Wasserstoffantrieb statt Verbrennungsmotor im Automobil). Außerdem sind im Rahmen einer Neuentwicklung häufig Überlegungen hinsichtlich der Systemarchitektur notwendig (beispielsweise bei der Entwicklung eines Hybridantriebs im Automobil). Schließlich wird die Entwicklungssituation geprägt durch die Art der Hauptzielsetzung im Entwicklungsprojekt. Ein Produkt hat zahlreichen Anforderungen zu genügen, die sich gegenseitig beeinflussen. Hier ist eine Priorisierung der Entwicklungsziele von großer Bedeutung. Bei der ersten Generation eines neuen Akkuschraubers stellt unter Umständen die Funktionalität das Hauptziel dar, beispielsweise eine gegenüber dem Wettbewerb erhöhte Reichweite des Akkus bei gleichzeitig reduziertem Gewicht. In der zweiten Generation kann das Hauptziel dann die Senkung der Herstellkosten bei annähernd gleicher Funktionalität sein.
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
1.2 Technische Produkte Das Spektrum an technischen Produkten ist sehr groß. Je nach Produktbereich und Branche existieren spezielle Anforderungen und Rahmenbedingungen, auf die der Entwickler besonders zu achten hat und welche die Entwicklungssituation prägen. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob es sich um ein Konsumoder Investitionsgut handelt. Auch sind bei der Entwicklung von Haushaltsgeräten teilweise deutlich andere Aspekte relevant als bei der Entwicklung von Produktionsanlagen. Im Folgenden wird auf ausgewählte Produktbereiche und auf einige ihrer speziellen Merkmale eingegangen.
Abb. 1-4. Ausschnitt aus dem Spektrum betrachteter technischer Produkte
Einen für den Privatkonsum relevanten Produktbereich stellen Haushaltsgeräte wie beispielsweise Pflanzenölkocher, Zitruspressen oder Staubsauger dar. Neben allgemeinen Anforderungen an die Funktionalität und Sicherheit dieser Produkte dient hier das Design als Differenzierungsmerkmal, welches dazu beiträgt, einen Markenwert zu erzeugen und den Absatz zu garantieren. Da bei diesen überwiegend massengefertigten Erzeugnissen außerdem Stückzahleneffekte angestrebt werden, steht oft auch das Thema der Kostenoptimierung im Vordergrund. Sportgeräte wie Fahrräder, Schlittschuhe oder Tourenskibindungen besitzen wiederum ganz eigene Anforderungen. Unter anderem spielen hier die Faktoren Ergonomie, Mobilität, Sicherheit, aber auch Gewicht eine wichtige Rolle. In der Automobiltechnik – damit ist hier der private Sektor gemeint – spielen neben anderen Aspekten die Themen Preis, Leistung, Verbrauch und Komfort eine
1.2 Technische Produkte
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Rolle. Betrachtet man einzelne Kundensegmente, werden die Anforderungen differenzierter. Die Kunden im Premiumbereich haben andere Bedürfnisse als die Kunden in der Kompaktklasse. Hier gilt es in der Entwicklung vor allem die Vielfalt an Varianten zu beherrschen, sowohl auf Ebene des Gesamtsystems (Modellvarianten) als auch auf den untergeordneten Ebenen der Baugruppen und Bauteile (Motor, Antriebsstrang, Sitze und so weiter). Einen Produktbereich in der Kategorie der Investitionsgüter stellen Maschinen und Geräte für Profianwender in der Bauindustrie dar, zum Beispiel Bohrmaschinen, Betonmischer oder Meißelhämmer. Hier ist von hoher Bedeutung, dass die Geräte ihre Funktion mit hoher Sicherheit und Zuverlässigkeit erfüllen. Die Themen der Lebensdauer und Robustheit gegenüber Störeinflüssen am Bau (Staub, Wasser, Schmutz) stellen eine Herausforderung für die Entwicklung dar. Entwickler haben zu berücksichtigen, dass die Geräte auch bei Missbrauch durch den Benutzer zum einen weiterhin ihre Funktion erfüllen müssen, zum anderen keine Gefahr für Menschen und die Umwelt darstellen dürfen. Ein weiterer Produktbereich ist die Fahrzeugtechnik, hier stehen Nutzfahrzeuge im Fokus. Beispiele für Projekte in diesem Bereich sind die Entwicklung einer Gangschaltung für Lkw oder eines Pneumatikventils für Schienenfahrzeuge. Themen von Relevanz für den Entwickler sind unter anderem Zuverlässigkeit, Sicherheit, Lebensdauer, Gewicht und Variantenmanagement. Die klinikorientierte Medizintechnik verlangt von den hier eingesetzten Produkten eine hohe Zuverlässigkeit, da durch Fehlfunktionen Menschenleben gefährdet werden können. Eine Herausforderung für die Entwicklung stellt die Tatsache dar, dass eine funktionierende Kommunikation zwischen den involvierten Disziplinen (Mediziner als Kunden, Ingenieure als Lieferanten von Produktlösungen) vonnöten ist. Hier sind Barrieren zu überwinden, die sich aufgrund der unterschiedlichen Begriffswelten und Denkweisen ergeben. Entwicklungsprojekte in der Anlagentechnik sind vor allem durch die hohe Produktkomplexität geprägt. Beispiele für Produkte aus diesem Bereich sind PET-Flake-Waschanlagen oder Kraftwerke auf Basis von Gas- und Dampfturbinen. Ein Thema von Bedeutung ist angesichts der langen Betriebsdauer der Anlagen unter anderem die Gewährleistung von Nachhaltigkeit. Beispielsweise werden geeignete Konzepte für die Wartung, Instandhaltung und Modernisierung der Gesamtanlage oder von Teilsystemen benötigt. Produktbeispiele aus dem Bereich Produktionstechnik sind Industrieroboter oder Werkzeugmaschinen. Hier sind die Optimierung von Leistungsparametern, die Minderung von Störfaktoren wie Vibrationen oder Lärm und das Thema der Sicherheit von hoher Bedeutung. Eine weitere Anforderung ist die Flexibilität, mit der die Maschine oder Anlage an neue Rahmenbedingungen (zu fertigende oder montierende Produkte, Losgrößen und so weiter) angepasst werden muss. Schließlich werden auch Großmaschinen wie Flugzeuge, Containerschiffe oder Hochgeschwindigkeitszüge betrachtet. Bei diesen spielt ebenfalls die zu bewältigende Komplexität aufgrund der hohen Anzahl an Baugruppen und Bauteilen sowie deren Vernetzung eine Rolle.
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
1.3 Entwicklungsprozesse Ziel der Produktentwicklung ist es, funktionsfähige und produzierbare Produkte zu generieren. Dafür sind unterschiedlichste Prozesse notwendig, die die Abläufe der Entwicklungsarbeit und das Vorgehen der involvierten Individuen und Teams regeln. Unter einem Prozess wird eine Folge von Aktivitäten unter Nutzung von Information und Wissen sowie materiellen Ressourcen verstanden [Lindemann 2009]. Dabei werden Eingangsinformationen (Input) durch Aktivitäten zu Ausgangsinformationen (Output) verarbeitet. Zum Beispiel erhält ein Berechnungsingenieur von einem Konstrukteur Informationen zur Geometrie eines Bauteils in Form eines CAD-Modells und weitere Angaben zu Schnittstellen und Lasteinleitung. Nach Erfüllung seiner Aufgabe spielt er dem Konstrukteur die gewünschte Aussage zur Festigkeit oder Verformung des Bauteils zurück. Der Entwicklungsprozess als Teil der Ablauforganisation im Unternehmen lässt sich einordnen in die Produktentstehung. Diese kann wiederum als ein Netzwerk verschiedener Zyklen aufgefasst werden, die miteinander in Interaktion stehen [nach Gausemeier et al. 2006b]. In dem der Produktentwicklung vorgelagerten Zyklus der Strategischen Produktplanung werden Erfolgspotenziale der Zukunft, Produkt- und Geschäftsideen entwickelt und geplant. In der Produktentwicklung selbst werden Produkte konzipiert, entworfen und ausgearbeitet. Diesem Zyklus nachgelagert ist die Entwicklung des Produktionssystems, die den Fokus auf die notwendigen Abläufe, Arbeitsmittel, Logistik und Arbeitsstätten für die Herstellung des Produktes legt.
Abb. 1-5. Produktentstehung als Netzwerk verschiedener Zyklen [nach Gausemeier et al. 2006b]
Der Produktentwicklungsprozess ist darüber hinaus mit weiteren Zyklen eng verknüpft, beispielsweise mit Zyklen des Marktes, des Produktes und der Organi-
1.4 Vorgehensmodelle
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sation. Der Produktlebenszyklus erstreckt sich von der ersten Idee für ein Produkt bis zu dessen Recycling. In Abhängigkeit der Entwicklungssituation sind auch vor- und nachgelagerte Bereiche in die Betrachtung mit einzubeziehen. Vorgelagert ist zum Beispiel die Entwicklung von Grundlagenwissen und Basistechnologien, nachgelagert die Wiederverwertung von Materialien. Entwicklungsprozesse als Teil der Ablauforganisation sind eng verknüpft mit der Aufbauorganisation. Ein Kernpunkt der Aufbauorganisation ist die Festlegung von Verantwortung, Zuständigkeit und Kooperation der am Prozess beteiligten Individuen und Teams. Häufig anzutreffen ist die Orientierung an Funktionen innerhalb des Unternehmens. In dieser Organisationsform gibt es zentrale Verantwortliche für Funktionen wie zum Beispiel die Entwicklung, die Produktion, den Vertrieb und das Finanzwesen. Die Konstruktion als wichtiger Teilbereich der Produktentwicklung befasst sich primär mit der Konzipierung und Gestaltung von Produkten. Sie grenzt sich zu anderen Funktionsbereichen innerhalb der Produktentwicklung ab, zum Beispiel der Berechnung, der Simulation, dem Prototypenbau und dem Versuch [Ehrlenspiel 2009]. Im Gegensatz zur Funktionsorientierung stehen bei einer Spartenorientierung die Produktfamilien eines Unternehmens im Vordergrund. Produziert ein Unternehmen zum Beispiel Lkws, Omnibusse und Dieselmotoren, stellen diese Produktfamilien die einzelnen Unternehmenssparten dar. In einer Matrixorganisation wird versucht, die Vorteile der Funktions- und der Spartenorientierung zusammenzuführen. Die Vernetzung der Aufbau- und der Ablauforganisation wird in der Produktentwicklung häufig in Form einer Projektorganisation realisiert. Eine optimale Organisationsform beinhaltet auch organisatorische Veränderungen, um dadurch ein Verkrusten der Strukturen zu verhindern. Dies betrifft sowohl die Ablauf- als auch die Aufbauorganisation. Um die Barrieren und Grenzen von Organisationseinheiten zu überwinden, werden daher immer wieder neue oder modifizierte Organisationsformen entwickelt. Reorganisation gehört in den Unternehmen entweder zur Alltagsroutine oder erfolgt zumindest in gewissen Zyklen [Lindemann 2009].
1.4 Vorgehensmodelle In Vorgehensmodellen der Produktentwicklung werden wichtige Elemente einer Handlungsfolge abgebildet, die als Hilfsmittel zum Planen und Kontrollieren von Entwicklungsprozessen dienen können. Der Anwender kann prüfen, an welcher Stelle er sich in einem solchen Prozess befindet und welche Schritte als Nächstes zu bearbeiten sind. Auch kann der Entwickler über sein eigenes Vorgehen anhand eines Vorgehensmodells reflektieren und seine Handlungen damit kontrollieren. In der VDI-Richtlinie 2221 [VDI 2221] wird das generelle Vorgehen beim Entwickeln und Konstruieren ausgehend von der Entwicklungsaufgabe bis hin zum Abschluss der Konstruktion in sieben einzelne Schritte unterteilt. Der Fokus liegt hierbei auf den Ergebnisdokumenten, die aus den einzelnen Schritten als Ar-
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
beitsergebnisse hervorgehen. Diese Ergebnisdokumente (beispielsweise die Anforderungsliste, die Funktionsstruktur und die prinzipielle Lösung) stellen Repräsentationen beziehungsweise Partialmodelle des Produktes mit zunehmendem Detaillierungs- und Konkretisierungsgrad dar. Die Darstellung des Vorgehensmodells vermittelt einen stark sequenziellen Charakter, obwohl die Notwendigkeit von Rücksprüngen im Sinne von Iterationen ebenfalls betont wird.
Abb. 1-6. Vorgehen beim Entwickeln und Konstruieren [nach VDI 2221]
Das ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammende V-Modell in der Erweiterung nach VDI-Richtlinie 2206 [VDI 2206] beschreibt das generische Vorgehen beim Entwurf mechatronischer Systeme, das fallweise auszuprägen ist. Ausgangspunkt bildet wie in VDI-Richtlinie 2221 ein konkreter Entwicklungsauftrag. Es folgen die Schritte „Systementwurf“, „domänenspezifischer Entwurf“ und „Systemintegration“. Ziel des Systementwurfes ist die Festlegung eines domänenübergreifenden Lösungskonzeptes, das die wesentlichen physikalischen und logischen Wirkungsweisen des zukünftigen Produktes beschreibt. Auf der Basis dieses gemeinsam entwickelten Lösungskonzeptes erfolgt die weitere Konkretisierung meist getrennt in den beteiligten Domänen (Maschinenbau, Elektrotechnik, Informationstechnik). Die Ergebnisse aus den einzelnen Domänen werden anschließend zu einem Gesamtsystem integriert, um das Zusammenwirken untersuchen und eine Eigenschaftsabsicherung betreiben zu können. Ein komplexes mechatronisches Produkt entsteht in der Regel nicht innerhalb eines Makrozyklus. Vielmehr sind auch hier mehrere Durchläufe erforderlich (grafisch als ineinander verschachtelte „V’s“ dargestellt), in denen die Produktreife zunimmt.
1.4 Vorgehensmodelle
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Abb. 1-7. V-Modell für den Entwurf mechatronischer Systeme [VDI 2206]
Eine weitere Sicht auf die Produktentwicklung ist die Auffassung als Prozess der Problemlösung. Diese Sicht wird beispielsweise durch das Münchener Vorgehensmodell (MVM) [Lindemann 2009] abgebildet. Dieses generische Modell enthält sieben Elemente: „Ziel planen“, „Ziel analysieren“, „Problem strukturieren“, „Lösungsideen ermitteln“, „Eigenschaften ermitteln“, „Entscheidungen herbeiführen“ und „Zielerreichung absichern“. Die grafische Visualisierung des Vorgehensmodells wurde in Form eines Netzwerks realisiert, was es von bestehenden Vorgehensmodellen zur Problemlösung unterscheidet. Diese Darstellung kommt realen Prozessen mit ihrem sprunghaften Verlauf näher als lineare Darstellungen mit einem Verweis auf erlaubte Rücksprünge. In der Anwendung des Modells sind die einzelnen Elemente nicht immer klar voneinander abgrenzbar. Daher erfolgt die Darstellung der Elemente des Modells mithilfe sich überschneidender Kreise.
Abb. 1-8. Das Münchener Vorgehensmodell (MVM) [Lindemann 2009]
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
Mithilfe des Münchener Vorgehensmodells kann der Entwicklungsprozess gesamthaft oder im Detail betrachtet werden. Die Wichtigkeit der umfassenden Beschäftigung mit der Problemstellung und der damit verbundenen Vorbereitung der Lösungssuche wird mit den drei Elementen „Ziel planen“, „Ziel analysieren“ und „Problem strukturieren“ betont. Ferner finden die Konsequenzen von Entscheidungen im Element „Zielerreichung absichern“ Berücksichtigung. Der Netzwerkcharakter des Modells führt zu einer großen Flexibilität hinsichtlich der Anwendung, wodurch eine situationsgerechte Unterstützung von Entwicklungsprozessen ermöglicht werden soll. Vorgehensmodelle sind – wie alle Modelle – zweckorientierte und informationsreduzierte Abbilder der Realität. Dadurch kann es geschehen, dass wichtige Punkte ausgeblendet werden und eine unreflektierte Anwendung zu Fehlern führt. Bei der situationsspezifischen Verwendung dieser generischen Modelle ist daher immer eine kritische Betrachtung nötig. In der Praxis trifft man auf Situationen, in denen ein stringentes Vorgehen nach einem Vorgehensmodell äußerst wertvoll und auch notwendig ist. Genauso sind jedoch Situationen erkennbar, in denen dieses stringente Vorgehen keine unterstützende Wirkung zeigt. Ausgehend von einer sinnvollen Analyse ist es oft möglich, ein Vorgehensmodell an die Situation anzupassen. Für die Änderung bestehender Produkte aufgrund neuer gesetzlicher Vorschriften ist beispielsweise ein anderes Vorgehen erforderlich als für die Entwicklung neuer Produkte für die Erschließung zusätzlicher Märkte.
1.5 Produktmodelle Als Mittel zur Komplexitätsbeherrschung werden mithilfe der Systembetrachtung Modelle entwickelt und eingesetzt. Als Produktmodell wird die Spezifikation von Produktinformationen in Form technischer Dokumente oder sonstiger Produktrepräsentationen verstanden, die im Entwicklungsprozess als Ergebnisse entstehen. Produktmodelle sind formale Abbilder realer oder geplanter Produkteigenschaften [Grabowski et al. 1993]. Sie sind aufgabenspezifisch und zweckorientiert, das heißt sie trennen das für die jeweilige Aufgabe Wesentliche vom Unwesentlichen. Produktmodelle werden beispielsweise für folgende Zwecke eingesetzt: x zur Erfassung, Strukturierung und Dokumentation von geforderten Systemmerkmalen (Zielmodell) x zur Generierung eines besseren Problem- oder Systemverständnisses in Bezug auf existierende oder zu entwickelnde Systeme, zur Darstellung von Schwachstellen und Optimierungspotenzialen (Problemmodell) x zur Spezifikation der Struktur sowie der geometrischen und stofflichen Beschaffenheit eines zu entwickelnden Produktes (Entwicklungsmodell) x zur Erfassung und Analyse wesentlicher Eigenschaften eines Produktes, die für eine Bewertung hinsichtlich der Produktqualität und Anforderungserfüllung relevant sind (Verifikationsmodell)
1.5 Produktmodelle
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Abb. 1-9. Arten von Modellen im Entwicklungsprozess [Lindemann 2009]
Produktmodelle können im Gedächtnis des Entwicklers (intern) vorliegen, beispielsweise als Problemmodell, das die individuelle, subjektive Sicht auf ein Problem darstellt [Gramann 2004]. Externe Produktmodelle wiederum können von mehreren Individuen wahrgenommen werden und dienen der Kommunikation zwischen den Beteiligten im Prozess, zum Beispiel den Projektverantwortlichen aus den Bereichen Konstruktion, Versuch, Simulation und Marketing. Die folgende Aufzählung zeigt beispielhaft verschiedene Arten externer Produktmodelle, die im Rahmen von Entwicklungsprozessen eine Rolle spielen: x Funktionsmodelle und -strukturen im Sinne von grafischen oder symbolischen Darstellungen, welche die Elemente eines Systems (Bauteile, Funktionen) und die Relationen zwischen den Elementen enthalten (zum Beispiel Umsatzorientiertes Funktionsmodell, Relationsorientiertes Funktionsmodell) x Modelle von prinzipiellen Lösungskonzepten oder zur Darstellung des Produktdesigns in Form von Handskizzen x Detaillierte digitale Geometriemodelle in 2D und 3D (CAD, VR) x Kinematische Modelle in physikalischer oder virtueller Form zur Darstellung dynamischer Abläufe im Produkt (beispielsweise Mehrkörpersimulation) x Analytische oder numerische Berechnungsmodelle (zum Beispiel FEM) x Physische Modelle, zum Beispiel als Funktions-Prototypen für orientierende Versuche oder Hartschaummodelle zur Bewertung des Designs Modelle können als Vorgabe für die Entwicklung und Konstruktion eines Systems dienen. Allerdings kann es passieren, dass bei einer intensiven Arbeit mit Modellen der Unterschied zur Realität nicht mehr bewusst ist und Modelle in ihrer Aussagekraft überschätzt werden. Zusätzlich wird die Komplexität durch Unschärfen in der Festlegung der Elemente und deren Relationen oder durch man-
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
gelndes Wissen erhöht. Gerade in frühen Phasen der Produktentwicklung werden Überschlagsrechnungen oder erste grobe Auslegungen erstellt, denen bestimmte Annahmen zugrunde liegen. Dessen muss sich der Entwickler bewusst sein.
Abb. 1-10. Beispiele verschiedener Partialproduktmodelle [Lindemann 2009]
Häufig werden standardisierte Modelle eingesetzt, beispielsweise die Structured Analysis and Design Technique (SADT) [Marca et al. 1989] für die Abbildung von Prozessen und das Umsatzorientierte Funktionsmodell für die Abbildung von Produkten. Vorteile dieser Standards sind bei einer bereits bewährten Anwendung eine Vereinfachung im Einsatz, eine bessere Vergleichbarkeit von Modellen und die Reduzierung von Schnittstellenproblemen. Allerdings kommen diese Modelle dem Bedürfnis einer situations- und personenspezifischen Anwendung nicht nach, so dass eine dogmatische starre Anwendung zu vermeiden ist [Fuchs 2005].
1.6 Methoden und Werkzeuge Für eine systematische Unterstützung werden im Entwicklungsprozess Methoden eingesetzt. Der Begriff Methode kennzeichnet die Beschreibung eines regelbasierten und planmäßigen Vorgehens, nach dessen Vorgabe bestimmte Tätigkeiten auszuführen sind, um ein gewisses Ziel zu erreichen [Lindemann 2009]. Methoden sind präskriptiv, also als eine Vorschrift zu verstehen. Sie sind zielorientiert und damit auf die Lösung eines Problems oder einer Aufgabenstellung fokussiert. Methoden bieten Vorschläge für die Abfolge bestimmter Tätigkeiten an und die Art und Weise, in der diese Tätigkeiten durchzuführen sind. Sie besitzen einen stark operativen Charakter. Oftmals stellen Methoden einen Formalismus dar, der festlegt, wie Schritte durchzuführen beziehungsweise Arbeitsergebnisse zu dokumentieren sind. Je nach durchzuführender Aktivität existieren unterschiedliche Arbeitsmethoden und umfassendere Methodiken. Zur Analyse und Strukturierung von technischen Systemen und Problemen bieten sich beispielsweise ein Wirkungsnetz oder
1.6 Methoden und Werkzeuge
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eine Einflussmatrix an. Für die Lösungssuche ist der Einsatz intuitiver Methoden (zum Beispiel Brainstorming) oder diskursiver Methoden (beispielsweise Systematische Variation) denkbar. Zur Eigenschaftsermittlung werden in der Praxis verschiedenste Methoden (Berechnung, Simulation, Versuch) angewandt, für die es oftmals geschulte Experten und spezielle Rechnerwerkzeuge bedarf. Schließlich existieren für die Lösungsbewertung sowohl einfache (Vorteil-NachteilVergleich) als auch differenzierende Methoden (Nutzwertanalyse). Für den erfolgreichen Methodeneinsatz sind mehrere Überlegungen notwendig [Braun 2005]. Zunächst ist zu klären, ob in einer spezifischen Entwicklungssituation überhaupt Bedarf nach einer Methodenanwendung besteht. Erscheint ein Methodeneinsatz sinnvoll, so ist eine adäquate Methode auszuwählen. Hierbei gilt es abzuklären, ob die vorliegende Aufgabenstellung von der zur Auswahl stehenden Methode unterstützt wird und ob die mit der Methode erzielbare Wirkung mit den angestrebten Ergebnissen übereinstimmen. Zumeist lassen sich Methoden nicht unverändert auf unterschiedliche Einsatzsituationen übertragen. Aus diesem Grund sind Methoden an die individuelle Einsatzsituation anzupassen. Die Anwendung der Methode umfasst die Bearbeitung der Aufgabenstellung mithilfe der Methode. Der Transfer von Methoden in andere Bereiche, beispielsweise aus dem Maschinenbau in die Hochbauplanung [Erdell 2006], verspricht Potenziale, bringt aber auch große Herausforderungen mit sich. Werkzeuge unterstützen die Anwendung von Methoden und die Generierung von Produktmodellen. Sie können einfach bis komplex sein. Beispiele für einfache Werkzeuge sind Formblätter, Checklisten und Konstruktionskataloge. Beispiele für komplexe Werkzeuge sind Software-Programme zur FEM-Simulation oder grafen- und matrizenbasierte Rechnerprogramme zur Analyse und Optimierung komplexer Strukturen. Bei der Auswahl von Werkzeugen ist analog zur Methodenauswahl die Tatsache zu berücksichtigen, dass der Einsatz von Werkzeugen mit Aufwand verbunden ist. Beispielsweise fallen Kosten für Lizenzgebühren an oder es sind Zeit und Geld für Schulungen einzuplanen. Daher muss der Aufwand immer gegenüber dem erzielbaren Nutzen abgewogen werden. Produktmodelle, Methoden und Werkzeuge stehen in einem engen Zusammenhang. Produktmodelle entstehen oft als Ergebnis einer Methodenanwendung. Der Name der Methode entspricht häufig dem des resultierenden Produktmodells. Beispiele sind die Methoden (beziehungsweise Produktmodelle) „Anforderungsliste“ oder „Morphologischer Kasten“. Derartige Methoden nehmen einen Schwerpunkt in den weiteren Ausführungen ein. Ein weiterer Fokus wird auf Methoden gelegt, die externe Informationsspeicher als Werkzeuge nutzen um Produktmodelle zu erstellen, also beispielsweise Checklisten zur Anforderungsklärung, Sammlungen physikalischer Effekte, Konstruktionskataloge, Gestaltungsrichtlinien und so weiter. Eine der wesentlichen Arbeitsmethoden, die hier von Relevanz sind, ist die Systematische Variation. Andere Problemlösungsmethoden, die allgemeiner Art sind und nicht nur im Bereich der Produktentwicklung Anwendung finden (wie zum Beispiel Recherche oder Brainstorming), werden hier nicht ausführlich behandelt. Hinsichtlich dieses Typs an Arbeitsmethoden sei auf das Buch „Methodische Entwicklung technischer Produkte“ [Lindemann 2009] verwiesen.
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
1.7 Das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM) Mit dem Vorgehensplan der VDI-Richtlinie 2221 [VDI 2221] wurde bereits ein Beschreibungsmodell für Entwicklungsprozesse vorgestellt, das seinen Fokus auf die erzeugten Produktmodelle und deren zunehmenden Konkretisierungs- beziehungsweise Detaillierungsgrad legt. Der Konkretisierungsgrad ordnet die vom Abstrakten zum Konkreten hin entstehenden Ergebnisse des Entwicklungsprozesses. Entgegengerichtet kann vom Abstraktionsgrad gesprochen werden. Zugehörige Tätigkeiten sind das Konkretisieren beziehungsweise das Abstrahieren. Eine Schnittzeichnung, die von einem detaillierten 3D-CAD-Modell abgeleitet wurde, ist demnach ein Produktmodell auf höherem Konkretisierungsgrad als eine grobe Handskizze, welche die prinzipiellen Merkmale der Lösung beschreibt. Eine Konzeptskizze ist wiederum konkreter als ein Funktionsmodell. Beschreibungsmodelle für technische Systeme, die die unterschiedlichen Ebenen der Produktkonkretisierung darstellen, finden sich unter anderem auch bei [Rodenacker 1991] und [Pahl et al. 2005]. Ein weiteres Modell in diesem Zusammenhang ist das Pyramidenmodell der Produktkonkretisierung [Ehrlenspiel 2009]. In diesem Modell sind die Bereiche Funktion (funktionelle Lösungsmöglichkeiten), Physik (prinzipielle physikalische Lösungsmöglichkeiten) und Gestalt (gestalterische und stoffliche Lösungsmöglichkeiten) dargestellt. Im Sinne einer durchgängigen Produkterstellung ist als zusätzliche Ebene der Produktionsbereich (fertigungs- und montagetechnische Lösungsmöglichkeiten) enthalten. Prozesse der Lösungssuche und -auswahl sind schematisch als Dreiecksflächen eingezeichnet. Die Pyramidenform des Modells bringt die Zunahme von sinnvollen Lösungsmöglichkeiten und den Informationszuwachs mit zunehmender Konkretisierung zum Ausdruck.
Abb. 1-11. Pyramidenmodell der Produktkonkretisierung [Ehrlenspiel 2009]
1.7 Das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM)
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Der Grad der Produktkonkretisierung ist nicht die einzige Dimension, die im Rahmen der Entwicklung und Konstruktion eine Rolle spielt. Eine weitere wichtige Dimension ist der Zerlegungsgrad des Systems. Die zugehörigen Tätigkeiten sind das Zerlegen und Detaillieren (Erhöhung des Zerlegungsgrades) beziehungsweise das Kombinieren und Zusammenfügen (Reduzierung des Zerlegungsgrades). In Entwicklungsprozessen treten sehr häufig komplexe Problemstellungen auf. Diese sind vom Entwickler ohne geeignete Unterstützung nur schwer zu bearbeiten. Eine Möglichkeit, mit dieser Komplexität zurechtzukommen, ist die Zerlegung eines Problems in Teilprobleme. Diese sind besser überschaubar und somit leichter zu bearbeiten. Die Lösung der Teilprobleme stellt einen wesentlichen Schritt bei der Lösung des Gesamtproblems dar (Grundprinzip der Problemzerlegung [Dörner 2000]). Die gefundenen Teillösungen müssen anschließend zur Gesamtlösung zusammengefügt werden, was den Zerlegungsgrad des Systems wieder verringert. Diese Aspekte finden sich ebenfalls im bereits diskutierten V-Modell: Im „Systementwurf“ wird der Zerlegungsgrad erhöht, in der „Systemintegration“ wird der Zerlegungsgrad reduziert. Als dritte Dimension von Relevanz ist hier der Variationsgrad zu erwähnen. Dieser ordnet die zu einem gewissen Zeitpunkt betrachtete Menge an Lösungsalternativen. Die zugehörigen Tätigkeiten sind das Variieren (Erhöhung des Variationsgrades) beziehungsweise das Festlegen und Einschränken (Reduzierung des Variationsgrades). Das „Denken in Alternativen“ ist ebenfalls ein wesentliches Grundprinzip der Produktentwicklung beziehungsweise der Problemlösung [Daenzer et al. 1999]. Grundsätzlich sollten Entwickler im Rahmen der Lösungssuche zunächst prüfen, ob nicht auch andere Lösungen in Frage kommen könnten als die erste, die ihnen einfällt. Hierbei geht es nicht darum, möglichst viele Lösungen zu sammeln. Das Ziel ist es, realistische Alternativen zur vorhandenen Lösung zu generieren, um dadurch die Chance auf innovative Lösungen zu erhöhen. Alle drei Dimensionen zusammen (Konkretisierungsgrad, Zerlegungsgrad, Variationsgrad) spannen einen Modellraum des Konstruierens auf [Rude 1998]. Die Dimensionen dienen der Ordnung von Ergebnissen aus dem Entwicklungsprozess. Innerhalb des Modellraums werden den vier Konkretisierungsstufen Anforderung, Funktion, Prinzip und Gestalt jeweils Partialmodelle eines integrierten Produktmodells zugeordnet. Der Entwicklungsprozess lässt sich wiederum als eine Navigation durch diesen Modellraum darstellen. Ein Beispiel ist der Übergang von der Anforderungs- auf die Funktionsebene, indem auf Basis einer Anforderungsliste eine Funktionsstruktur erstellt wird (Konkretisierung). Ein weiteres Beispiel stellt die Festlegung eines Gesamtkonzeptes auf Basis eines Morphologischen Kastens dar, welcher zu verschiedenen Teilfunktionen alternative Lösungsideen enthält (Kombination, Einschränkung).
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
Abb. 1-12. Modellraum des Konstruierens [nach Rude 1998]
Auf Basis der vorgestellten Modelle sowie diverser Forschungsprojekte wurde ein Beschreibungsmodell für den Entwicklungsprozess entwickelt, das sich an den Eigenschaften der für den Prozess relevanten Produktmodelle orientiert: das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM). Die beiden Hauptkomponenten des Modells sind der Anforderungsraum und der Lösungsraum. Der Konkretisierungsgrad dient hier wie bei den anderen Beschreibungsmodellen als wesentliche Dimension zur Ordnung der Produktmodelle im Entwicklungsprozess. x Anforderungsraum: Anforderungen repräsentieren technische Entwicklungsziele beziehungsweise geforderte Produkteigenschaften. Eine Anforderungsklärung zu Beginn des Entwicklungsprojektes stellt die Weichen für alle folgenden Entwicklungsaktivitäten. Im Verlauf des weiteren Entwicklungsprozesses wird das Anforderungsmodell in Schritten erweitert, detailliert und angepasst. x Lösungsraum: Der Lösungsraum spannt die Menge aller Lösungsmöglichkeiten zur Umsetzung der Anforderungen in einem Produkt auf. Im Lösungsraum werden drei Konkretisierungsebenen unterschieden: die Funktions-, Wirk- und Bauebene. x Funktionsebene: Durch Funktionen werden das Produkt beziehungsweise seine Bestandteile auf abstrahierter Ebene zweckorientiert beschrieben. Durch das Denken in Funktionen wird die Loslösung von konkreten Sachverhalten beziehungsweise Vorprägungen und damit die Entwicklung neuer, innovativer Lösungsansätze ermöglicht. Im Funktionsmodell sind die Funktionen des Produktes sowie deren Zusammenhänge (Funktionsstruktur) dargestellt. Funktionen stellen die erste Konkretisierungsstufe im Lösungsraum dar.
1.7 Das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM)
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x Wirkebene: Auf Wirkebene lassen sich die prinzipiellen Lösungsideen und Lösungskonzepte einer technischen Problemstellung darstellen. Die für die Funktion relevanten Aspekte der Lösung sind im Wirkmodell abgebildet, was durch die Vorsilbe „Wirk“ ausgedrückt wird. Wirkprinzipien zur Realisierung einzelner Teilfunktionen werden dabei zur Wirkstruktur verknüpft. Auf Wirkebene erfolgt die Festlegung eines Gesamtkonzeptes, dessen Qualität bereits früh im Entwicklungsprozess den Erfolg des späteren Produktes beeinflusst. x Bauebene: Um ein Produkt herstellen zu können, muss es auf Bauebene in seiner konkreten Gestalt festgelegt werden. Ergebnis ist das Baumodell, das alle Bauteile und Baugruppen sowie deren Verknüpfung in der Baustruktur enthält. Bei der Gestaltung des Baumodells sind eine Reihe von Anforderungen zu beachten (Fertigbarkeit, Montierbarkeit, kostengünstige Beschaffung und so weiter), die alle miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen, was die Komplexität der Produktgestaltung auf Bauebene erhöht.
Abb. 1-13. Das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM)
Im Gegensatz zum Beschreibungsmodell nach [Rude 1998] wird im Münchener Produktkonkretisierungsmodell die besondere Rolle der Anforderungen im Entwicklungsprozess betont. Bestimmte Anforderungen werden zu Beginn des Prozesses festgelegt (Kundenfunktionen, Gesamtsicherheit und so weiter). Parallel zu der Konkretisierung der Lösungen im Lösungsraum werden die Anforderungen ergänzt, detailliert und konkretisiert. Daher ziehen sich die Anforderungen über die gesamte Achse der Produktkonkretisierung und bilden einen eigenen Anforderungsraum parallel zum Lösungsraum, der durch die Funktions-, Wirk- und Bauebene beschrieben wird. Im Entwicklungsprozess ist ein ständiger Abgleich zwischen Anforderungsraum und Lösungsraum erforderlich, der in Aktivitäten der Eigenschaftsanalyse und Lösungsbewertung erfolgt. Für den Einsatz des Modells sind einige wichtige Aspekte zu beachten. Die Ebenen sind nicht als starr zu betrachten, in der Realität sind die Übergänge fließend. Der Entwicklungsprozess ist durch zahlreiche Iterationen und die Änderung
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
beziehungsweise Verfeinerung von Produktmodellen gekennzeichnet. So kommt man häufig nicht alleine mit einem einzigen Lösungskonzept aus, sondern es wird zunächst ein Grobkonzept erstellt, das im Zuge weiterer Schritte zu einen Feinkonzept weiterentwickelt wird. Das Modell bedarf außerdem einer flexiblen Anwendung. Es wurde daher auf die Kennzeichnung einer Arbeitsrichtung durch Pfeile, wie sie in anderen Vorgehensmodellen zu finden ist, verzichtet. Zur Orientierung für den Entwickler enthält das Modell jedoch die wesentlichen Dimensionen für das Vorgehen im Entwicklungsprozess: den Konkretisierungsgrad, den Zerlegungsgrad und den Variationsgrad. Der Entwicklungsprozess stellt tendenziell einen kontinuierlichen Übergang vom Abstrakten zum Konkreten dar, was einer Bewegung von oben nach unten entlang der vertikalen Achse des Modells entspricht. Je nach Entwicklungssituation sind jedoch auch Schritte der Abstraktion vonnöten, beispielsweise bei der Analyse eines konkreten Bauteils hinsichtlich seiner Funktionen. Derartige Aktivitäten sind im Modell als Sprünge auf höher gelegene Ebenen darstellbar.
Abb. 1-14. Darstellung von Entwicklungs- und Konstruktionstätigkeiten
1.8 Hauptzielsetzungen und Gerechtheiten Dem systematischen Umgang mit Produktanforderungen kommt im Entwicklungsprozess eine große Bedeutung zu. An Produkte werden zahlreiche Anforderungen gestellt, die vielfältige Abhängigkeiten untereinander aufweisen. Entwicklungsprojekte sind häufig auch durch gewisse Hauptzielsetzungen charakterisiert. Beispiele sind die Kostensenkung an einem Getriebe, die Geräuschoptimierung an elektrischen Antrieben im Pkw (für die Sitzverstellung, Fensterheber und so weiter) oder die Gewichtsreduzierung bei Flugzeugen. Eine Zielsetzung beschreibt dabei einen gewünschten zukünftigen Zustand. Der Begriff ist etwas weiter gefasst als der Anforderungsbegriff. Anforderungen beziehen sich auf konkret ge-
1.8 Hauptzielsetzungen und Gerechtheiten
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forderte Produkteigenschaften und lassen sich als Kombination aus Produktmerkmalen und ihren Ausprägungen formulieren. Die Zielsetzung eines montagegerechten Produktkonzeptes lässt sich beispielsweise durch Anforderungen an die Anzahl und Abmessungen einzelner Bauteile konkretisieren. Unter den Begriffen „Design for X“ beziehungsweise „Design to X“ subsummieren sich eine Reihe von Gestaltungsrichtlinien für die Produktentwicklung und Konstruktion. Das „X“ steht dabei als Platzhalter für verschiedene Hauptzielsetzungen, die in der Produktentwicklung verfolgt werden. Diese werden zwar schon in frühen Phasen berücksichtigt, müssen aber gegebenenfalls beim Konkretisieren der Produktgestalt und Ausarbeiten der Baumodelle erneut fokussiert werden. So ist eventuell bei der Detailkonstruktion eines Produktes speziell darauf zu achten, dass Fertigung und Montage in optimaler Weise möglich sind, oder dass hinsichtlich der Recyclinganforderungen die passenden Werkstoffe gewählt werden. In der Literatur wird in Bezug auf die Hauptzielsetzungen in der Entwicklung und Konstruktion von so genannten „Gerechtheiten“ gesprochen, denen das Produkt Genüge leisten muss, beispielsweise verschleißgerecht, ergonomiegerecht, fertigungsgerecht, instandhaltungsgerecht, normengerecht und so weiter [Pahl et al. 2005]. Traditionelle Themen stellen dabei das Fertigungsgerechte Konstruieren („Design for Manufacturing“, [Ulrich et al. 1995]), das Montagegerechte Konstruieren („Design for Assembly“, [Andreasen et al. 1988]) und das Kostengünstige Konstruieren [Ehrlenspiel et al. 2007] dar, welche primär die X-gerechte Produktgestaltung zum Schwerpunkt haben. Daneben rücken in der heutigen Zeit auch verstärkt Prozessthemen in den Fokus der Betrachtung, zum Beispiel die Workflowgerechte Gestaltung des Entwicklungsprozesses [Meerkamm 2006]. Darunter werden verschiedene Maßnahmen zur Prozessoptimierung verstanden, beispielsweise, dass Entwickler gezielt in der Entscheidungsfindung im Prozess unterstützt werden und dass relevante Wissens- und Informationsinhalte situationsgerecht zur Verfügung gestellt werden.
Abb. 1-15. Übersicht über Hauptzielsetzungen beziehungsweise Gerechtheiten (Auswahl)
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
Zur Unterstützung des Entwicklers und zur Realisierung dieser Zielsetzungen existieren vielfältige Hilfsmittel, zum Beispiel Methoden, Konstruktionskataloge, Gestaltungsrichtlinien und Rechnerwerkzeuge. Neben allgemeinen Grundregeln der Gestaltung („einfach, eindeutig und sicher“ [Pahl et al. 2005]) und generellen Prinzipien (Axiomatic Design, [Suh 1990]) gibt es viele spezifische Richtlinien, die oftmals katalogartig aufgebaut sind und Negativ-/Positivbeispiele enthalten. Viele Hilfsmittel fokussieren auf das jeweilige X, das Produkt muss jedoch zahlreichen Aspekten gleichzeitig gerecht werden. Aufgrund vielfältiger Querbeziehungen zwischen den einzelnen Anforderungen, die je nach Produkt und situativen Rahmenbedingungen unterschiedlich ausgeprägt sind, ist das Thema entsprechend vielfältig und von Komplexität geprägt. Wichtig ist es hierbei, je nach Situation die Sichten zu wechseln (Modalitätenwechsel, Systemdenken). Innerhalb dieser Hauptzielsetzungen existieren zum einen Produkteigenschaften, die unmittelbar für den Nutzer des Produktes dienend sind. Es handelt sich um kaufentscheidende Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Gewicht und Kosten des Produktes. Diese stellen für den Entwickler klare Ziele dar, die qualitativ oder quantitativ ermittelbar sind (durch Messung, Versuch, Simulation, Schätzen). Daneben gibt es Prozessgerechtheiten, die erfüllt sein müssen damit das Produkt für diverse Phasen und Prozesse im Produktlebenslauf „fit“ ist, wie beispielsweise die Fertigung, die Montage, den Transport, die Reparatur oder das Recycling. Diese Produkteigenschaften oder Zielsetzungen sind unmittelbar für den Hersteller des Produktes dienend. Der Entwickler muss diese beachten, da sie für ihn sowohl Gestaltungsfreiräume als auch Restriktionen bedeuten. Schließlich existieren übergeordnete Themen, die wiederum Einfluss auf die erwähnten Produkteigenschaften und Prozessgerechtheiten nehmen. Zielsetzungen wie „variantengerecht“ oder „ökologisch nachhaltig“ sind in diesem Sinne mittelbar wirkend, da sie letztendlich wiederum Eigenschaften betreffen, die unmittelbar dem Nutzer oder dem Hersteller dienen. Die Grenzen zwischen diesen drei Kategorien (unmittelbar dem Nutzer dienend, unmittelbar dem Hersteller dienend, mittelbar wirkend) sind zum Teil fließend, da zwischen einzelnen Aspekten eine starke Vernetzung herrscht. Daher ist dies als grobe Strukturierung zu verstehen.
1.9 Beispielhafte Entwicklungsszenarios Zur Veranschaulichung der Vielfalt von Entwicklungssituationen werden im Folgenden zwei Beispielszenarios beschrieben. Diese beziehen sich dabei auf unterschiedliche Ebenen im Münchener Produktkonkretisierungsmodell und haben verschiedene Hauptzielsetzungen im Fokus. Ausgehend von der jeweiligen Situation des Entwicklers werden Fragestellungen formuliert und hierzu passende methodische Lösungsansätze vorgeschlagen. Ein Szenario bezieht sich auf ein Unternehmen in der Sportgerätebranche. Ein Entwickler für Mountainbikes hat soeben den ersten Entwicklungsstand einer neuen Rahmengeneration in Form eines CAD-Modells fertig gestellt. Er hat bereits
1.9 Beispielhafte Entwicklungsszenarios
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am Vorgängermodell mitgewirkt und hierbei eine Menge an Erfahrung aufgebaut. Als organisatorische Rahmenbedingung ist zu beachten, dass das komplette Fahrrad in zwei Monaten zu einem Messetermin fertig sein muss. Für den Rahmen dürfen die Herstellkosten maximal 800 Euro betragen. Hauptziel der Entwicklung ist vor allem der Leichtbau, neben weiteren wichtigen Anforderungen aus den Bereichen Kosten und Fertigung. Die jetzige Lösung des Rahmens ist allerdings 300 Gramm zu schwer. In der aktuellen Situation ist der Entwickler daher mit folgenden Fragestellungen konfrontiert: „Wie lassen sich alternative Gestaltlösungen systematisch entwickeln?“ oder „Wie lassen sich gestalterische Maßnahmen zur Gewichtsoptimierung einsetzen?“. Als Lösungsansatz bietet sich beispielsweise eine Systematische Variation des aktuellen Baumodells hinsichtlich geeigneter Gestaltparameter an, um dem Ziel einer Gewichtsreduzierung näher zu kommen. Die Kenntnis von Leichtbauprinzipien und -werkstoffen leistet hierbei eine Hilfestellung.
Abb. 1-16. Szenario Gestaltoptimierung für einen Mountainbikerahmen
Ein komplexeres Szenario beinhaltet die Betrachtung einer Siebanlage für Anwendungen im Bereich der Abwasserreinigung [Lindemann 2009]. Die Anlage scheidet mit hoher Leistung Feststoffe aus Suspensionen ab. Bei dem bisherigen System handelt es sich um einen rotierenden Spaltsiebkorb, dem das zu entwässernde Medium zugeführt wird. Durch Rotation des Korbes verteilt sich das Medium auf der Siebfläche, die Flüssigkeit fließt nach außen ab und die Feststoffe werden abhängig von der Sieb-Spaltweite zurückgehalten. Der Wasserstrahl der Spritzdüsenleiste realisiert zwei Funktionen, die Reinigung der Siebfläche zum einen und die Definition der exakten Ablösestelle des Feststoffes vom Siebkorb direkt über dem Auffangtrichter zum anderen. Die aktuelle Entwicklungssituation ist durch das Problem gekennzeichnet, dass der Absatz der Anlage am Markt aufgrund mangelnder Akzeptanz rückgängig ist. Eine Untersuchung ergab, dass die Anlage zu schwer und zu teuer ist und Mängel in der zuverlässigen Funktionserfüllung aufweist. Dies führte zu der Entscheidung, das gesamte Konzept der Anlage deutlich zu überarbeiten. Aktuelle Aufgabe des zuständigen Entwicklers ist es daher, vor der Suche nach neuen Lösungen zunächst einmal das Produkt auf Schwachstellen hin zu untersuchen und Handlungsschwerpunkte für die Überarbeitung des Konzeptes zu definieren. Die Be-
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1 Produktentwicklung und Konstruktion
trachtung der Funktionen des Systems steht hier im Mittelpunkt. Eine mögliche Fragestellung lautet: „Wie lassen sich nützliche und schädliche Funktionen des Systems ermitteln?“ Zur Abbildung der Systemfunktionen bietet sich an dieser Stelle zum Beispiel eine Relationsorientierte Funktionsmodellierung an.
Abb. 1-17. Szenario Schwachstellenanalyse bei einer Siebanlage
Die Szenarios zeigen, dass je nach Entwicklungssituation, in Abhängigkeit der Zielsetzung, der Produktart und -komplexität sowie der Rahmenbedingungen des Entwicklungsprozesses, jeweils unterschiedliche Vorgehensweisen und Methoden erforderlich sind. Das Münchener Produktkonkretisierungsmodell bietet hier Orientierung für die Planung der nächsten Entwicklungsschritte.
1.10 Zusammenfassung Die Produktentwicklung stellt den Unternehmensprozess dar, in dem funktionsfähige und produzierbare Produkte als Ergebnis entstehen. Schnittstellen bestehen sowohl zu vorgelagerten Schritten (wie der Produktplanung) als auch zu nachgelagerten Unternehmensprozessen (wie der Beschaffung, Fertigung und Montage). Die Konstruktion ist ein wichtiger Teilbereich der Produktentwicklung, der sich mit der Konzipierung und Gestaltung von Produkten befasst. Es existieren unterschiedliche Sichten auf den Entwicklungsprozess. Unter anderem kann die Produktentwicklung als ein Prozess der Problemlösung aufgefasst werden. Darüber hinaus kommen Produktmodelle zum Einsatz, die im Verlauf des Prozesses zunehmend konkretisiert und detailliert werden. Entwickler beschäftigen sich mit Anforderungen und Lösungen auf Funktions-, Wirk- und Bauebene. Zur Darstellung der Aktivitäten des Entwicklers und Einordnung der im Laufe des Prozesses entstehenden Produktmodelle auf den unterschiedlichen Konkretisierungsebenen wurde das Münchener Produktkonkretisierungsmodell entwickelt. Schließlich ist der Entwicklungsprozess geprägt durch eine Vielzahl an Zielen und Anforderungen, die das Produkt zu erfüllen hat und hinsichtlich derer es optimiert werden muss. Dabei spielen in Abhängigkeit der Entwicklungssituation gewisse Hauptzielsetzungen beziehungsweise Gerechtheiten eine besondere Rolle.
Teil A – Systematische Produktkonkretisierung
Grundlage für die folgenden Kapitel 2 bis 7 ist das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM), ein Beschreibungsmodell für den Entwicklungsprozess, das sich am Konkretisierungsgrad der im Laufe des Entwicklungsprozesses erzeugten und genutzten Produktmodelle orientiert. Die beiden Hauptkomponenten des Beschreibungsmodells sind der Anforderungsraum und der Lösungsraum. Zur Orientierung für den Entwickler enthält das Modell die wesentlichen Dimensionen für das Vorgehen im Entwicklungsprozess: den Konkretisierungsgrad (zugehörige Aktivitäten: konkretisieren / abstrahieren), den Zerlegungsgrad (zugehörige Aktivitäten: zerlegen / zusammenfügen) und den Variationsgrad (zugehörige Aktivitäten: variieren / einschränken). Im Lösungsraum werden drei Konkretisierungsebenen unterschieden: die Funktions-, Wirk- und Bauebene. Im Folgenden wird eine Übersicht über die Kapitelinhalte gegeben.
Kapitel 2: Anforderungen – Anforderungen repräsentieren technische Entwicklungsziele beziehungsweise geforderte Produkteigenschaften. Eine Anforderungsklärung zu Beginn des Entwicklungsprojektes stellt die Weichen für alle folgenden Aktivitäten. Im Verlauf des gesamten weiteren Entwicklungsprozesses wird das Anforderungsmodell in Schritten erweitert, detailliert, angepasst und fortgeschrieben.
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Teil A – Systematische Produktkonkretisierung
Kapitel 3: Funktionen – Durch Funktionen werden das Produkt beziehungsweise seine Bestandteile auf abstrahierter Ebene zweckorientiert beschrieben. Durch das Denken in Funktionen wird die Loslösung von konkreten Sachverhalten beziehungsweise Vorprägungen und damit die Entwicklung neuer, innovativer Lösungsansätze ermöglicht. In Funktionsmodellen werden die Funktionen des Produktes sowie deren Vernetzung dargestellt. Kapitel 4: Wirkprinzipien – Wirkprinzipien repräsentieren die für die Erfüllung einer technischen Funktion erforderlichen physikalischen Effekte in Kombination mit den geometrischen und stofflichen Merkmalen, die das Prinzip der Lösung sichtbar werden lassen. Wirkprinzipien sind im Lösungsraum auf Wirkebene angeordnet. Durch die Vorsilbe „Wirk“ wird ausgedrückt, dass die für die Funktion relevanten Aspekte der Lösung abgebildet werden. Zur Unterstützung der Suche nach geeigneten Wirkprinzipien können physikalische Effekte, allgemein formulierte Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche oder auch Phänomene aus der Biologie herangezogen werden. Die bewusst abstrakte Beschreibung der technischen Problemstellung ermöglicht hierbei die Loslösung von bestehenden Denkmustern und der Fixierung auf bekannte Lösungen. Kapitel 5: Wirkkonzepte – Auf Wirkebene erfolgt die Festlegung eines prinzipiellen Gesamtkonzeptes durch die konsistente Kombination einzelner Wirkprinzipien und Teillösungsideen. Durch das Wirkkonzept wird bereits früh im Entwicklungsprozess der Erfolg des späteren Produktes maßgeblich beeinflusst. Daher ist es wichtig, mehrere alternative Wirkkonzepte zu bilden, um Raum für innovative Lösungen zu schaffen und schließlich ein oder mehrere aussichtsreiche Konzeptalternativen zur Weiterbearbeitung auszuwählen. Kapitel 6: Produktgestalt – Die Gestalt eines technischen Produktes umfasst die Gesamtheit aller geometrischen und werkstofflichen Eigenschaften seiner Bestandteile. Die Produktgestalt wird ausgehend vom Wirkkonzept schrittweise konkretisiert und detailliert. Zur systematischen und zielgerichteten Konkretisierung der Produktgestalt ist das Gesamtsystem dabei in sinnvolle Module zu zerlegen, deren Schnittstellen zu definieren sind. Wichtig bei der Konkretisierung der Gestalt ist es, Alternativen zu betrachten, ein Spektrum möglicher Gestaltlösungen zu erarbeiten und dieses strukturiert darzustellen. Danach sind Teillösungen zu konsistenten Gesamtlösungen zusammenzuführen. Schließlich sind die alternativen Gestaltlösungen zu bewerten und auszuwählen. Kapitel 7: Baumodelle – Als Baumodell wird die Darstellungsform oder Repräsentation eines technischen Produktes auf der Ebene konkreter Bauelemente, wie sie anschließend gefertigt und montiert werden, bezeichnet. Neben Fertigung und Montage existieren weitere Phasen beziehungsweise Zwecke im Produktlebenszyklus, für die Baumodelle von Bedeutung sind, beispielsweise Transport, Nutzung und Instandhaltung. Im Rahmen der Erarbeitung von Baumodellen werden die endgültige Form, Abmessungen und Oberflächenbeschaffenheit aller Einzelteile definiert, die Werkstoffe festgelegt, die Beschaffungs- und Herstellungsmöglichkeiten geklärt, sowie die endgültigen Kosten ermittelt. Ferner werden die für die weiteren Phasen im Produktlebenslauf benötigten Unterlagen (Produktdokumentation) geschaffen.
2 Anforderungen
Anforderungen sind geforderte Eigenschaften des zu entwickelnden Produktes. Sie stellen die Maßgabe für die Lösungsfindung und die Basis für die Bewertung von Lösungskonzepten und ausgearbeiteten Gestaltlösungen dar. Werden Anforderungen vergessen oder falsch definiert, kann das gravierende Folgen haben. Werden diese Fehler im Laufe des Projektes erkannt, führt das oft zu einem erhöhten Aufwand im Entwicklungsprozess durch zeit- und kostenintensive Änderungsschleifen und möglicherweise zu einer Verzögerung der Markteinführung. Eine mangelhafte Qualität des Ergebnisses kann sogar den Misserfolg des Produktes im Markt bedeuten. Einem angemessenen Umgang mit Anforderungen kommt somit eine hohe Bedeutung zu. Das Anforderungsmanagement umfasst zahlreiche Aktivitäten, von der Identifikation und Dokumentation, der Strukturierung und Analyse, über die Abstimmung und Kommunikation bis hin zur Anpassung und Pflege der Anforderungen. Dieser Prozess erstreckt sich als wichtiges Element über die gesamte Produktentwicklung. Anforderungen werden zu Beginn eines Entwicklungsprojektes in dem zu diesem Zeitpunkt erforderlichen Umfang geklärt. In Folge werden sie während des gesamten Entwicklungsprozesses angepasst, konkretisiert und erweitert und für die Bewertung von generierten Lösungsalternativen herangezogen. Neben der zentralen Funktion in Bezug auf den internen Entwicklungsprozess nehmen Anforderungen auch nach außen hin eine wichtige Rolle ein, beispielsweise als Basis für die Kooperation mit Zulieferern und Entwicklungspartnern. So können Teile der Anforderungsdokumentation in der Form von Lastenheft und Pflichtenheft als Vertragsgrundlage herangezogen werden. Eine methodische Unterstützung des Anforderungsmanagements umfasst verschiedene Aspekte. Zunächst bedarf die Ermittlung der Anforderungen einer strukturierten Herangehensweise, um keine wichtigen Anforderungen zu vergessen. Hierbei gilt es relevante Quellen zu identifizieren und die Kunden als wichtigste Informationsquelle in die Anforderungsklärung einzubinden. Um angesichts der Fülle an zu beachtenden Aspekten den Überblick nicht zu verlieren, kommt der Strukturierung und formalen Dokumentation der Anforderungen eine hohe Bedeutung zu. Ferner gilt es Wechselbeziehungen zwischen Anforderungen zu analysieren und Zielkonflikte zu identifizieren, denen im weiteren Prozessverlauf eine besonders hohe Aufmerksamkeit zu schenken ist. Außerdem sind Prioritäten zwischen Anforderungen festzulegen, um eine Fokussierung der Aktivitäten zu ermöglichen. Schließlich sind auch für die Weiterentwicklung der Anforderungen über den gesamten Prozess strukturierte Herangehensweisen erforderlich.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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2 Anforderungen
2.1 Anforderungsklärung für eine medizintechnische Versuchseinrichtung Die extrakorporale Zirkulation gehört zu den Routineverfahren der offenen Herzchirurgie. Konventionelle Herz-Lungen-Maschinen liefern einen nahezu konstanten Blutdruck und Blutfluss, der mit den Eigenschaften des menschlichen Blutkreislaufs nicht vergleichbar ist. Dies führt zu einer Zunahme des Widerstands der Blutgefäße und einer Verschlechterung der kapillaren Durchblutung. Die Folge der mangelnden Durchblutung kann die Bildung von entzündungsverursachenden Hormonen sein, die in Einzelfällen zu Organversagen führen können. Bisher herrscht Unklarheit darüber, ob das Nachempfinden des menschlichen Pulses eine bessere Kopplung des Systems Mensch-Maschine gewährleisten kann, um diese schädlichen Effekte zu reduzieren. Ziel eines Entwicklungsprojektes war die Erarbeitung einer Versuchseinrichtung, die durch eine verbesserte Anpassung an den menschlichen Organismus eine natürlichere extrakorporale Zirkulation ermöglicht [Jung 2006]. Dadurch sollen sowohl die Risiken als auch die Nachwirkungen einer Operation am offenen Herzen nachhaltig verringert werden. Deswegen wurde im Rahmen dieses Projektes ein System entwickelt und in Betrieb genommen, das es auf Basis einer konventionellen Herz-Lungen-Maschine ermöglicht, den Puls des Patienten weitestgehend nachzubilden (Pulsator). Anhand der Versuchseinrichtung wurde dann der eigentlichen medizinischen Fragestellung nachgegangen.
Abb. 2-1. Schema einer Herz-Lungen-Maschine (links: ohne Pulsator, rechts: mit Pulsator)
Bei dem Pulsator handelt es sich um eine Pumpe, bestehend aus einer ZylinderKolben-Kombination, die über einen flexibel steuerbaren Antrieb betrieben wird. Der Zylinder wird von dem kontinuierlichen Grundfluss, der von der Rollerpumpe der Herz-Lungen-Maschine geliefert wird, durchflossen. Diesem kontinuierlichen Grundfluss kann mittels des Kolbens ein in gewissen Grenzen frei wählbarer Puls aufgeprägt werden. Der Puls lässt sich hinsichtlich Frequenz, Druckanstiegsgeschwindigkeit, minimalen und maximalen Drucks mittels einer eigens dafür entwickelten Software regeln.
2.1 Anforderungsklärung für eine medizintechnische Versuchseinrichtung
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In den ersten Schritten des Entwicklungsprojektes arbeitete sich das Entwicklungsteam, das keine medizinischen Fachkenntnisse aufwies, anhand von Fachliteratur intensiv in die medizinischen Belange dieser Fragestellung ein. Die Bedeutung einer intensiven Analyse der Anforderungen zu Beginn der Entwicklung war allen Beteiligten klar und wurde anhand von Recherchen und vor allem Interviews mit den Partnern der medizinischen Disziplin und Entwicklern eines Herstellers für Herz-Lungen-Maschinen durchgeführt. Aufgrund fehlender ähnlicher Vorgängerprojekte der Beteiligten konnte auf keine vorhandenen Informationen zurückgegriffen werden. Zur methodischen Unterstützung des Prozesses kamen vor allem Checklisten zur Anforderungsklärung [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005] zum Einsatz. Im Verlauf der Entwicklung sind trotz der methodischen Vorgehensweise Störungen aufgetreten, die ihre Ursache in der Anforderungsklärung hatten. Der wohl schwerwiegendste Fehler war die Festlegung eines ungeeigneten Werkstoffs für die blutführenden Teile des Pulsators. Ein weiteres Problem betraf die Auslegung der Pulsator-Steuerung. Im Folgenden wird beschrieben, wie die Probleme erkannt wurden, worin ihre Ursachen lagen und welche Folgen sie für den weiteren Prozessverlauf und das Projektergebnis hatten. Da sich während der extrakorporalen Zirkulation das gesamte Blutvolumen zeitweise außerhalb des Organismus befindet und somit vollständig mit Fremdmaterialien in Kontakt kommt, wurde die Frage der zu verwendenden Werkstoffe schon sehr früh als eine besonders wichtige identifiziert. In medizinischen Vorschriften wird definiert, dass durch den verwendeten Werkstoff weder der Organismus geschädigt werden darf, noch vom Organismus Schäden an den medizintechnischen Geräten hervorgerufen werden dürfen. Als Maßgabe für das verwendete Material galt somit die Verträglichkeit in Bezug auf den Organismus. Nach Recherchen unter anderem in medizinischer Fachliteratur und Werkstoffdatenbanken wurde in Absprache mit dem medizinischen Kooperationspartner ein Edelstahl ausgewählt. Im Anschluss wurden die notwendigen Teile und Komponenten beschafft beziehungsweise gefertigt, der Prototyp aufgebaut und nach der Programmierung der Steuerungssoftware in Betrieb genommen. Etwa ein Jahr nach der Fertigstellung des Prototypen, kurz vor Beginn der eigentlichen Versuche, erkannte man in einem Gespräch mit einem medizinischen Mitarbeiter zufällig, dass diese Werkstofffestlegung sehr ungünstig war, da die mikroskopische Oberfläche des Edelstahls und die im Blut befindlichen Blutplättchen zueinander nicht oberflächenkompatibel sind, was zur Zerstörung der Blutplättchen führt. Auf dieses Problem angesprochen äußerten die beteiligten Mediziner, dass dies korrekt sei, sie aber im Moment der Festlegung der Anforderung und auch danach nicht an diesen Zusammenhang gedacht hätten. Hätte es sich bei dieser Entwicklung um eine Serienentwicklung gehandelt, wäre dieses Problem für das Projekt äußerst kritisch gewesen, da das gewählte Lösungskonzept nicht ohne weiteres aus einem anderen Werkstoff hätte hergestellt werden können. Für den weiteren Projektverlauf wurde dieser Fehler jedoch in Kauf genommen, da die Versuchsergebnisse durch die Zerstörung der Blutplättchen gar nicht oder nur unwesentlich beeinflusst wurden. Außerdem war der Pro-
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totyp bereits gefertigt und in Betrieb, so dass sich zumindest der Beginn der Versuche um einige Monate verzögert hätte. In diesem Fall wurde das Merkmal der Anforderung sehr früh als wichtig erkannt, die Ausprägung aber trotz intensiver Diskussion mit Experten falsch festgelegt. Ein weiteres Problem im Projekt ergab sich aus der unzureichenden Klärung der Anforderungen an die Steuerung des Pulsators. Im Rahmen der Anforderungsermittlung wurde mit den medizinischen Kooperationspartnern der Ablauf der geplanten Versuche detailliert besprochen. Um die erhoffte Verbesserung der pulsartigen Durchblutung gegenüber der herkömmlichen extrakorporalen Zirkulation bewerten zu können, wurden zunächst Referenzversuche ohne Pulsation geplant. Im Anschluss sollten die Versuche mit Pulsation durchgeführt werden. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Referenzversuche wurde der erste Test in der Versuchsreihe mit Pulsation durchgeführt. Als die Wiederherstellung der Herzdurchblutung eingeleitet werden sollte, wurde der Pulsator außer Betrieb genommen. Hierüber zeigte sich der den Versuch vornehmende Chirurg verwundert: Für eine wirkliche Vergleichbarkeit der beiden Versuchsreihen hätte der Pulsator seiner Meinung nach weiter in Betrieb bleiben müssen. Es stellte sich heraus, dass dies mit der realisierten Anwendung nicht möglich gewesen wäre. Da in dieser Phase das Herz bereits wieder eigenaktiv schlägt, müsste die Pulsation mit dem Herzschlag synchronisiert werden. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass der Pulsator gegen die Herzkontraktion einen Puls erzeugt und so das Herz weiter geschädigt werden würde. Eine solche Synchronisation ist technisch aber nur sehr schwer und unter großem Aufwand zu realisieren. In den bestehenden Prototypen war eine nachträgliche Integration nicht möglich. Das Entwicklungsteam versuchte zu analysieren, warum diese Anforderung trotz Einbeziehung des Versuchsverlaufs in die Anforderungsklärung und der zahlreichen Gespräche mit den Projektpartnern nicht erfasst worden war. Es konnte rekonstruiert werden, dass die Unterschiede zwischen den Pulsationsversuchen und den Referenzversuchen nicht ausreichend berücksichtigt worden waren. Man war implizit der Meinung, dass „diese Versuche ja nichts Neues wären und man sie wie immer durchführen könne“. Dabei wurde nicht bedacht, dass in diesem Fall die erforderliche Synchronisation mit dem Herzschlag einen neuen Gesichtspunkt darstellte. Eine Gegenüberstellung der Versuchsabläufe, bei der dieser neue Zusammenhang vielleicht aufgefallen wäre, fand nicht statt. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Klärung der Anforderungen zu Beginn einer Entwicklung wichtig aber nicht trivial ist. Anforderungen wurden falsch definiert oder vergessen und zogen damit negative Auswirkungen auf den Projektverlauf und das Ergebnis mit sich. Eine besondere Herausforderung für die Anforderungsklärung stellte in diesem Fall die Tatsache dar, dass die Beteiligten im Projekt, also die medizinischen Kooperationspartner einerseits und die Teilnehmer des Entwicklungsteams mit Maschinenbauhintergrund andererseits, aus verschiedenen Disziplinen stammten. Dies führte zu Schwierigkeiten in der Kommunikation, die aus unterschiedlichen Begriffswelten und Denkweisen der Disziplinen resultierten.
2.2 Methoden des Anforderungsmanagements
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2.2 Methoden des Anforderungsmanagements Der Umgang mit Anforderungen verlangt ein strukturiertes, methodisches Vorgehen. In der Praxis sind je nach Produktart und -komplexität bis zu einige Tausend Anforderungen relevant, die letztendlich die Grundlage für eine Bewertung von Lösungskonzepten und Gestaltlösungen bilden. Eine Anforderung stellt eine geforderte Eigenschaft in Bezug auf das Produkt oder den Entwicklungsprozess dar. Formal lassen sich Anforderungen durch Merkmale und Ausprägungen ausdrücken. Das Merkmal beschreibt dabei das Bezugsobjekt der Anforderung beziehungsweise stellt ihren Namen dar [Ahrens 2000]. Die Ausprägung bezeichnet den Sollwert für das Anforderungsmerkmal. Sie beinhaltet bei quantitativen Anforderungen einen Größenwert beziehungsweise Wertebereich und eine Einheit, bei qualitativen Anforderungen einen entsprechenden verbalen Ausdruck [Kickermann 1995]. Die Anforderung an ein Produkt kann beispielsweise lauten „Gewicht maximal 2,0 kg“ – hier handelt es sich um das Merkmal „Gewicht“ und die Ausprägung „maximal 2,0 kg“. Eine Anforderung repräsentiert ein konkret formuliertes Entwicklungsziel. Eine initiale Klärung der Anforderungen findet zu Beginn eines Entwicklungsprojektes statt. Den Anforderungen ist jedoch im gesamten Verlauf der Entwicklung Aufmerksamkeit zu schenken. Das Management der Anforderungen zieht sich demnach durch den gesamten Entwicklungsprozess und umfasst eine Vielzahl von Aktivitäten. Anforderungen müssen unter anderem identifiziert, dokumentiert, kommuniziert, gepflegt und bei der Bewertung von Lösungsideen und -konzepten berücksichtigt werden.
Abb. 2-2. Einordnung in das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM)
Wie sich die Aktivitäten des Anforderungsmanagements methodisch unterstützen lassen, wird im Folgenden dargestellt. Da sie während der gesamten Entwick-
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lung berücksichtigt werden müssen und in Wechselwirkung mit den entwickelten und ausgewählten Lösungen stehen, bilden Anforderungen im Münchener Produktkonkretisierungsmodell einen Raum, der sich über alle Konkretisierungsebenen zieht. Der Anforderungsraum repräsentiert die Summe der Anforderungen an ein Produkt sowie deren Abhängigkeiten und Struktur. Zunächst gilt es zu klären, wie Anforderungen ermittelt werden können. Je nach Art der Anforderung existieren unterschiedliche Quellen und Ermittlungsarten. Besonderes Augenmerk muss dabei auf die Kunden des zukünftigen Produktes gelegt werden, um dieses marktgerecht entwickeln zu können. Darüber hinaus resultieren Anforderungen aus allen Phasen des Produktlebenszyklus und aus den Bedürfnissen der jeweiligen Nutzer [Reinicke 2004], die mit dem Produkt in diesen Phasen in Interaktion treten. Eine methodische Unterstützung der Anforderungsermittlung zielt darauf ab, die relevanten Quellen für Anforderungen zu erschließen und eine hinreichende Vollständigkeit der Anforderungen zu gewährleisten beziehungsweise keine wichtigen Anforderungen zu vergessen. Parallel zu ihrer Ermittlung ist die Strukturierung, Formulierung und Dokumentation der Anforderungen von Bedeutung. Die Erstellung einer strukturierten Anforderungsdokumentation schafft Transparenz und verringert das Risiko von Unklarheiten, Missverständnissen und Inkonsistenzen. Zum Umgang mit der großen Menge an Informationen helfen hierbei Ansätze zur Gliederung beziehungsweise Klassifikation von Anforderungen nach unterschiedlichsten Gesichtspunkten sowie Formulierungsregeln für Anforderungen. Die Anforderungsliste stellt ein Hilfsmittel zur strukturierten Dokumentation von Anforderungen dar. Sie kann unterschiedliche Formen annehmen. Das Lastenheft ist die vom Auftraggeber festgelegte Gesamtheit der Anforderungen an die Lieferungen und Leistungen eines Auftragnehmers innerhalb eines Auftrags [DIN 69905]. Im Pflichtenheft finden sich die vom Auftragnehmer erarbeiteten Realisierungsvorgaben aufgrund der Umsetzung des Lastenheftes [DIN 66905]. Im Lastenheft wird mit den Auftraggebern und Kunden festgelegt, was das Produkt können soll, im Pflichtenheft dokumentiert der Lieferant, wie die Kundenanforderungen umgesetzt werden. Das Pflichtenheft enthält in der Regel vertraglich bindende Anforderungen, die vom zu entwickelnden Produkt erfüllt werden müssen und ist somit, im Gegensatz zum Lastenheft, unveränderlich. Die Analyse der Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten zwischen den Anforderungen unterstützt den Entwickler dabei, die Konsistenz der Informationen zu gewährleisten und die Ableitung von Schwerpunkten der Entwicklung zu ermöglichen. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf Zielkonflikte zu richten, die eine negative gegenseitige Beeinflussung zwischen Anforderungen darstellen [Eiletz 1999]. Sie müssen zunächst identifiziert werden, bevor ein adäquater Umgang mit ihnen festgelegt werden kann. Schließlich sind das Setzen von Prioritäten und die Definition von Entwicklungsschwerpunkten erforderlich, um die Ressourcen im Projekt sinnvoll fokussieren zu können. Die Analyse und Priorisierung der Anforderungen lässt sich mit verschiedensten Methoden und Hilfsmitteln unterstützen. Insbesondere matrizenbasierte und grafische Ansätze zur Erfassung und Visualisierung der Abhängigkeiten haben sich hier bewährt.
2.2 Methoden des Anforderungsmanagements
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Schließlich müssen Anforderungen über den gesamten Entwicklungsprozess den Erfordernissen nach ergänzt und angepasst werden, damit die Einhaltung der Entwicklungsziele sichergestellt werden kann. Hier ist zu differenzieren zwischen den Anforderungen, die aus den Vereinbarungen mit dem Auftraggeber stammen, und anderen Anforderungen, die sich erst im Laufe des Entwicklungsprojektes ergeben, beispielsweise durch die Entscheidung für konkrete Lösungskonzepte. Eine Erweiterung, Detaillierung und Anpassung der Anforderungen ist erforderlich, da mit der zunehmenden Konkretisierung und Detaillierung des zu entwickelnden Systems der Erkenntnisstand wächst. Das Einsteuern von Anforderungen bedeutet die Berücksichtigung der Anforderungen bei der Erstellung anderer Produktmodelle auf Funktions-, Wirk- und Bauebene. Methoden und Hilfsmittel zur kontinuierlichen Anforderungsklärung legen unter anderem einen Fokus auf die Berücksichtigung der Relationen zwischen den Systemelementen. Der sinnvolle Umgang mit den Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt hängt auch stark von der Art des Entwicklungsprojektes ab. Bei einer Neuentwicklung, die nicht auf direkten Vorgängerprodukten basiert, sollten die Anforderungen zu Beginn noch sehr abstrakt und lösungsneutral formuliert werden, um sich Freiheitsgrade für die Lösungsfindung zu erhalten. Mit steigender Konkretisierung des Produktes werden die Anforderungen erweitert, detailliert und präzisiert. Bei Anpass- und Weiterentwicklungen kann es bereits zu Anfang detailliert festgelegte Anforderungen geben, die einzuhalten sind.
2.2.1 Wie lassen sich Anforderungen ermitteln? Die Klärung von Anforderungen an ein neues Produkt beginnt zu Anfang einer Entwicklung mit ihrer Ermittlung. Ausgangspunkt der Entwicklung ist im Allgemeinen ein (interner oder externer) Entwicklungsauftrag, ausgehend von einer Geschäfts- oder Produktidee, oder die konkrete Bestellung durch einen Kunden [Pahl et al. 2005]. Je nach Neuheitsgrad der Entwicklung existieren eigene Vorgängerprodukte oder Konkurrenzprodukte als Referenz oder aber nichts dergleichen bei einer kompletten Neuentwicklung. Als Ergebnis der Anforderungsermittlung sind relevante Quellen für Anforderungen identifiziert, die Anforderungen an das Produkt liegen dem Entwicklungsteam vor und sind „hinreichend“ vollständig. Zu Beginn eines Entwicklungsprozesses ergibt sich das Problem, dass viele Anforderungen noch nicht quantifizierbar sind und somit nicht alle relevanten Informationen messbar festgehalten werden können. Manche Quellen für Anforderungen oder die Anforderungen selbst sind nicht von Anfang an offensichtlich. Hierdurch besteht die Gefahr wichtige Zusammenhänge zu übersehen, was in späteren Phasen der Entwicklung zu Problemen führen kann. Eine „hinreichende“ Vollständigkeit und Konkretisierung der Anforderungen zu Beginn des Entwicklungsprozesses ist zwar anzustreben, aber auch schwer zu beurteilen. Zur Ermittlung von Produktanforderungen muss eine Vielzahl von Quellen berücksichtigt werden. Zu diesen gehören unter anderem externe Quellen wie Kun-
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den, Wettbewerber, Normen und Gesetze sowie interne Vorgaben aus der Unternehmensstrategie, Fertigung und Montage, Einkauf und Logistik, Service und anderen Unternehmensbereichen. Die für ein Produkt relevanten Quellen müssen zunächst identifiziert werden, um im Anschluss daran die Anforderungen aus den einzelnen Quellen zusammentragen und strukturieren zu können.
Abb. 2-3. Quellen für Anforderungen [Lindemann 2009]
Zur Identifikation von relevanten Anforderungen und um keine wichtigen Quellen zu vernachlässigen, können beispielsweise Checklisten zur Anforderungsklärung herangezogen werden. Bei derartigen Checklisten handelt es sich um Sammlungen häufig wiederkehrender Anforderungsarten, die bei der strukturierten Ermittlung von Anforderungen unterstützen. Sie sind zum Beispiel nach Hauptmerkmalen wie Geometrie, Kräfte, Sicherheit, Ergonomie, Fertigung, Montage, Gebrauch, Recycling, Kosten und Termin gegliedert [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009]. Eine andere Form stellt die Suchmatrix zur Anforderungsklärung [Roth 1994a] dar. Hier werden als Gliederungskriterien für Anforderungen einerseits Phasen im Produktlebenszyklus und andererseits bestimmte Anforderungsarten verwendet, beispielsweise technisch-physikalische, menschbezogene, wirtschaftliche und normative Anforderungen. Derartige Checklisten dürfen keine statischen Dokumente sein, da Veränderungen in den Bereichen Markt, Technologie, Gesetzgebung und anderen Rahmenbedingungen bereits in der Anforderungsklärung berücksichtigt werden müssen. Dies erfordert die Einbeziehung neuer Informationsquellen im Laufe des Entwicklungsprozesses und somit eine regelmäßige Anpassung und Ergänzung der Checklisten. Weiterhin wird zur Ermittlung von Produktanforderungen oft ein Benchmarking [Fahrni 2002, Kairies 2007] genutzt. Für ein Benchmarking können firmeneigene oder fremde Produkte und Prozesse als Partner herangezogen werden. Ziel dieses Vergleiches ist es, das Verbesserungspotenzial des eigenen Produktes oder Prozesses in Hinblick auf definierte Vergleichsgrößen zu ermitteln. Die identifizierten Verbesserungspotenziale werden im Anschluss zur Formulierung neuer Anforderungen genutzt.
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Abb. 2-4. Checkliste mit Hauptmerkmalen zur Anforderungsklärung (Ausschnitt) [nach Pahl et al. 2005]
Die Einbeziehung des Kunden (hier stellvertretend für einen bekannten oder die Gesamtmenge der potenziellen Kunden) in die Anforderungsklärung ist wesentlich, um ein markt- und damit kundengerechtes Produkt zu entwickeln. Wenn ein Produkt die Kundenwünsche nicht erfüllt, lässt es sich am Markt nicht verkaufen. Der Kunde ist somit die wichtigste Quelle für Anforderungen im Rahmen der Anforderungsklärung und sollte in den gesamten Entwicklungsprozess eingebunden werden. Wesentlichen Einfluss darauf, wie der Kunde eingebunden werden kann, hat die Frage, ob es sich um eine kundenspezifische Entwicklung handelt oder um eine, bei der der Kunde anonym ist. Bei einer kundenspezifischen Entwicklung, zum Beispiel eines Bremssystems für Schienenfahrzeuge, ist ein direkter Dialog mit dem Kunden möglich. Dieser ist in geeigneter Form zu führen, unter Berücksichtigung der jeweiligen Kompetenzen auf Kundenseite. Bei anonymen Kunden, beispielsweise für Massenprodukte wie Digitalkameras, können Methoden wie Marktanalysen oder Lead-User-Analysen [Lüthje et al. 2004] zur Anforderungsermittlung herangezogen werden. Um Kunden in die Produktentwicklung einbeziehen zu können, müssen diese zunächst identifiziert werden. Es gibt interne Kunden, das sind vor allem andere Abteilungen oder Unternehmensbereiche, und externe Kunden für die jeweilige Entwicklungsleistung. Diese Unterscheidung ist zur Identifizierung der Kundenanforderungen aber nicht differenziert genug. Der Hersteller eines Bremssystems für Schienenfahrzeuge muss beispielsweise die Anforderungen des Fahrzeugherstellers, des Betreibers des Fahrzeuges, des Fahrzeugführers und des endgültigen Nutzers, das heißt des Passagiers, aufnehmen. Diese können teilweise unterschiedlich oder sogar gegensätzlich sein. Der Fahrzeughersteller kann zum Beispiel das
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Bremssystem mit dem geringsten Anschaffungspreis bevorzugen, wohingegen für den Betreiber geringe Unterhalts- und Wartungskosten sowie eine hohe Verfügbarkeit von größerer Bedeutung sind. Der Fahrzeugführer wird besonders hohen Wert auf die einfache und eindeutige Bedienung der Bremse legen und der Passagier erwartet einen möglichst hohen Fahrkomfort.
Abb. 2-5. Verschiedene Arten von Kunden und Nutzern am Beispiel Bremssystemhersteller
Die Berücksichtigung der Wünsche und Anforderungen all dieser Kunden ist eine Herausforderung. Erschwert wird die Ermittlung der Kundenanforderungen durch die Tatsache, dass den Kunden viele Anforderungen unter Umständen gar nicht bewusst sind. Es ist also notwendig, diese impliziten Kundenwünsche explizit zu erfassen und diese in technische Anforderungen zu übersetzen. Die Identifikation dieser unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Kunden beziehungsweise Nutzer eines Produktes kann beispielsweise durch die Nutzerorientierte Funktionsmodellierung [Lindemann 2009] unterstützt werden. Hierbei werden die Nutzer und deren Interaktion mit dem Produkt über alle Phasen des Produktlebenszyklus modelliert. Daraus werden Anforderungen an das Produkt abgeleitet. Schon in einem homogenen Kulturkreis ist das Kundenverhalten teilweise sehr unterschiedlich, was beispielsweise die Frequenz und Intensität der Nutzung eines Elektrogerätes im Haushalt anbelangt oder die ergonomischen Anforderungen an das Gerät. Bei der Entwicklung eines Produktes für mehrere Märkte in unterschiedlichen Kulturkreisen sind oftmals noch viel größere Unterschiede im Nutzerverhalten, abhängig vom kulturellen Hintergrund, zu beobachten. Dies bedeutet, dass bei der Klärung der Kundenanforderungen die Besonderheiten des Nutzerverhaltens unterschiedlicher kultureller Gruppen berücksichtigt werden müssen, um in diesen Märkten erfolgreich zu sein. Eine weitere Herausforderung im Zusammenhang mit der Ermittlung der Kundenanforderungen ist gegeben, wenn diese für das Produkt in einem zukünftigen Markt bestimmt werden. Für die Klärung der Anforderungen an ein Automobil
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bedeutet dies mehr als fünf Jahre in die Zukunft zu blicken, bei Flugzeugen kann diese Zeitspanne aufgrund des langen Betriebes Jahrzehnte betragen. Die Antizipation der zukünftigen Kundenanforderungen ist auch deswegen schwierig, da keine sichere Aussage über den Technologiestand zum Zeitpunkt der Markteinführung getroffen werden kann. Ein Bild der zukünftigen Entwicklungen auf dem Markt kann im Rahmen der strategischen Produkt- und Prozessplanung beispielsweise durch die Szenariotechnik [Gausemeier et al. 1996] erarbeitet werden. Hierbei wird die aktuelle Situation analysiert, indem relevante Merkmale mit Einfluss auf das betrachtete System identifiziert werden, aus denen sich wiederum Schlüsselfaktoren ableiten lassen. Die zukünftige Situation wird abgeschätzt, indem denkbare Entwicklungsmöglichkeiten dieser Schüsselfaktoren (so genannte Zukunftsprojektionen) ermittelt werden. Dieses Vorgehen kann durch Expertenbefragungen und DelphiAnalysen unterstützt werden. Durch die konsistente Kombination einzelner Ausprägungen der Schlüsselfaktoren werden schließlich Zukunfts-Szenarios entwickelt. Jedes Szenario stellt ein schlüssiges, mögliches Gesamtbild der Zukunft dar. Wichtig ist die Betrachtung und Bewertung mehrerer, alternativer Szenarios. Aus diesen lassen sich wiederum strategische Maßnahmen und Handlungsoptionen ableiten. Wie aus den beschriebenen Vorgehensweisen deutlich wird, ist die Erhebung und Quantifizierung der Informationen über ein neues Produkt sehr aufwändig. Die in dieser Phase festgelegten Anforderungen dienen als verbindliche Basis für die Entwicklungsarbeit und müssen daher zur Ausführung der Entwicklungsaufgaben ausreichend vollständig sein, weshalb der hohe Aufwand gerechtfertigt ist. Andererseits ist zu beachten, dass eine vollständige Anforderungsklärung unmöglich und zu Beginn der Produktentwicklung nicht gewünscht ist, um eine Lösungsfixierung durch eine zu detaillierte Festlegung der Produktanforderungen zu vermeiden. Hier ist vielmehr zu beachten, dass eine Betrachtung der Anforderungen nicht nur zu Beginn einer Entwicklung erfolgt, sondern diese auf allen Konkretisierungsebenen immer berücksichtigt und vervollständigt werden müssen.
2.2.2 Wie lassen sich Anforderungen strukturieren? Parallel zu ihrer Ermittlung müssen Anforderungen strukturiert und in geeigneter Form dokumentiert werden, um später gezielt darauf zugreifen zu können. Dies ist notwendig, um im weiteren Verlauf die Abhängigkeiten der Anforderungen und Zielkonflikte zu erkennen. Außerdem können die Anforderungen auf diese Weise geprüft und zur Bewertung von Lösungsalternativen herangezogen werden. Eine ungeeignete Dokumentation führt dazu, dass Anforderungen nicht aktuell sind oder übersehen werden. Eine Gefahr bei der Anforderungsklärung besteht darin, dass ungünstig formulierte Anforderungen zu Missverständnissen oder zu Lösungsfixierung führen können. Dies kann Schwachstellen oder Mängel im Produkt nach sich ziehen und das Innovationspotenzial einschränken.
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Die dokumentierten Anforderungen bilden in Form von Lastenheft und Pflichtenheft außerdem oft einen Bestandteil von Verträgen zwischen Kunde und Hersteller. Im Lastenheft [DIN 69905] legt der Auftraggeber alle Anforderungen an die Leistungen eines Auftragnehmers innerhalb eines Auftrags fest. Es wird darin definiert, was das Produkt können soll. Im Pflichtenheft [DIN 66905] finden sich die vom Auftragnehmer erarbeiteten Realisierungsvorgaben. Hier dokumentiert der Lieferant vertraglich bindend, wie das Lastenheft und damit die Kundenanforderungen umgesetzt werden sollen. Kauft beispielsweise ein Papierhersteller eine Anlage zur Papierherstellung, so werden im Lastenheft unter anderem Anforderungen an die zu produzierende Menge Papier pro Stunde und die Verfügbarkeit der Anlage festgehalten. Werden die dokumentierten Anforderungen nicht eingehalten, muss das Produkt nachgebessert werden, was zu hohen Änderungskosten führen kann, oder aber es werden Konventionalstrafen fällig. Zur strukturierten Dokumentation von Anforderungen wird in der Regel ein Formular, die Anforderungsliste, genutzt. Deren Aufbau gestaltet sich wie folgt: Jede Anforderung erhält eine Identifikationsnummer, um sie später eindeutig identifizieren und referenzieren zu können. Weiterhin werden das Merkmal der Anforderung sowie die geforderte Ausprägung angegeben. Als zusätzliche Informationen bieten sich die Erläuterung der jeweiligen Anforderung sowie der Hinweis auf weiterführende Dokumente an. Für inhaltliche Fragen ist es außerdem notwendig Verantwortliche zu benennen, um Missverständnissen vorzubeugen. Dies ist einerseits der Verantwortliche für die Einsteuerung der Anforderung in den Prozess, andererseits derjenige, der die Anforderung später umsetzen muss. Anforderungen an die Eigenfrequenzen eines Fahrzeuges werden beispielsweise vom Fachbereich Schwingung und Akustik eingesteuert, müssen aber vom Fachbereich Karosserie umgesetzt werden. Wichtig ist außerdem, Änderungen an der Liste nachvollziehbar zu dokumentieren. Dazu sollten der Änderungsstatus und der für die Änderung verantwortliche Mitarbeiter festgehalten und darauf geachtet werden, dass alte Anforderungen nicht einfach gelöscht, sondern durchgestrichen werden.
Abb. 2-6. Anforderungsliste am Beispiel eines Handstaubsaugers
Zur Strukturierung der Informationen in der Anforderungsliste können unterschiedliche Kriterien herangezogen werden. Als Hilfsmittel bieten sich Checklisten zur Anforderungsklärung an. Diese enthalten Kategorien, die als Grund-
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lage für die Strukturierung dienen können, beispielsweise Hauptmerkmale wie Geometrie, Kinematik, Sicherheit, Ergonomie, Kosten, Termin [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009]. Eine andere Gliederungsmöglichkeit stellen Phasen im Produktlebenszyklus dar, in denen die Anforderungen eine Rolle spielen, wie Herstellung, Distribution, Nutzung und Recycling [Roth 1994a]. Schließlich lassen sich Anforderungen auch nach Funktionen oder Modulen des Produktes gliedern, was oftmals in Zusammenhang mit der Zuordnung zu Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation steht. Für die Formulierung von Anforderungen haben sich folgende Empfehlungen in der Praxis bewährt: Die Angaben sollen lösungsneutral, positiv formuliert, klar und eindeutig sein. Weniger günstig ist beispielsweise die Formulierung „Gehäuse aus rostfreiem Stahl“. Dagegen legt die Anforderung „Gehäuse korrosionsresistent bezüglich Meerwasser“ das Ziel lösungsneutral fest. Daneben empfiehlt es sich, die Anforderungen zwar anspruchsvoll, aber erreichbar zu formulieren. Die Aufstellung unrealistischer Ziele zu Beginn hat oftmals die Konsequenz, dass die Anforderungen im Laufe des Projektes angepasst werden müssen („moving targets“), worunter die Effektivität und Effizienz der Entwicklungsaktivitäten leidet. Um die angestrebten Ziele besser kommunizieren und eine Ergebnisüberprüfung durchführen zu können, ist auf die Quantifizierbarkeit der Anforderungen zu achten. Schon bei der Formulierung der Anforderungen ist zu klären, wie eine Prüfung erfolgen soll. Dies ist zum Beispiel bei der Erstellung von Testvorschriften zu berücksichtigen. In interdisziplinären Teams besteht die Herausforderung der unterschiedlichen Denkweisen und des unterschiedlichen impliziten Wissens in den Disziplinen. Eine Anforderung, die für einen Elektrotechniker selbstverständlich ist, ist einem Maschinenbauingenieur unter Umständen gar nicht bewusst. Daher ist bei der Anforderungsklärung darauf zu achten, dass auch scheinbar selbstverständliche Anforderungen dokumentiert werden. Wichtig ist hierbei, dass in verschiedenen Disziplinen gleiche Begriffe in unterschiedlicher Bedeutung genutzt werden. Bei der Entwicklung eines mechatronischen Produktes kann zum Beispiel der SoftwareEntwickler den Begriff Schnittstelle für eine Softwareschnittstelle benutzen, während der Mechanik-Entwickler damit den Übergang von der Entwicklung zur Fertigung assoziieren könnte. Eine strukturierte Form der Anforderungsdokumentation bildet eine wichtige Basis für ein erfolgreiches Anforderungsmanagement. Sie ermöglicht es, trotz der großen Menge an Informationen den Überblick zu behalten und die Informationen an der richtigen Stelle in den weiteren Entwicklungsprozess einfließen zu lassen. Bei komplexen Serienprodukten werden in der Praxis oftmals Datenbanken zur Verwaltung der Anforderungen genutzt. Hilfreich kann auch eine logische und datentechnische Verknüpfung des Anforderungsmodells mit weiteren Partialmodellen sein. Dadurch wird die ständige Verfügbarkeit der relevanten Anforderungen unterstützt und die Lösungsbewertung vereinfacht sowie der Aufwand zur Dokumentation und Aktualisierung verringert [Humpert 1995].
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2.2.3 Wie lassen sich Anforderungen analysieren und priorisieren? Im Rahmen der Anforderungsklärung wird eine Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen, welche vom zukünftigen Produkt erfüllt werden müssen, in der Anforderungsliste dokumentiert. Um diese im weiteren Entwicklungsprozess handhaben zu können, sind folgende Schritte erforderlich: x die Bereinigung der Anforderungsliste um Inkonsistenzen und Redundanzen x die Analyse der gegenseitigen Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Anforderungen, insbesondere die Identifikation von Zielkonflikten x die Priorisierung von Anforderungen sowie die Definition von Entwicklungsschwerpunkten, also die Konzentration auf wesentliche Aspekte, ohne die anderen Anforderungen aus dem Auge zu verlieren Gerade zu Beginn der Produktentwicklung ist es oft schwierig, die Abhängigkeiten zwischen Anforderungen zu erkennen. Weiterhin werden Anforderungen meist sowohl für das Gesamtsystem als auch für Teilsysteme bestimmt, wobei sich Inkonsistenzen und Redundanzen ergeben können. Damit eine Anforderungsänderung nicht zu Inkonsistenzen führt ist es sinnvoll, die Anforderungsliste auf Doppelnennungen hin zu überprüfen und diese Redundanzen zu beseitigen. Dies ist aufgrund der großen Flut an Dokumenten, aus denen Anforderungen abgeleitet werden, eine umfangreiche und schwierige Aufgabe, insbesondere bei komplexen Produkten mit mehreren Subsystemen. Nach der Bereinigung der Anforderungsliste können die Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den Anforderungen genauer betrachtet werden. Zwischen Anforderungen oder Zielen existieren unterschiedliche Wechselbeziehungen [Eiletz 1999]. Zielneutralität liegt vor, wenn die Erfüllung eines Zieles keinen Einfluss auf die gleichzeitige Erfüllung eines anderen Zieles hat. Bewirkt die zunehmende Erfüllung eines Zieles die wachsende Erfüllung eines anderen Zieles, so sind diese Ziele zueinander komplementär. Führt hingegen die zunehmende Erfüllung eines Zieles zur wachsenden Nicht-Erfüllung eines anderen Zieles, so liegt ein Zielkonflikt vor. In diesem Zusammenhang ist auch von technischen Widersprüchen die Rede [Altschuller 1984]. Ziele an sich stehen zunächst meist nicht in Beziehung zueinander. Der Zusammenhang zwischen Zielen ergibt sich oft erst anhand des gemeinsamen Anspruchsobjektes, dessen Ausprägungen die Zielbeziehungen hervorrufen. Das Anspruchsobjekt kann unter anderem das Produktkonzept oder die konkrete Gestaltlösung sein. Beispielsweise besteht im Pkw ein grundsätzlicher Zielkonflikt zwischen der Erhöhung der passiven Sicherheit auf der einen Seite und der Senkung des Kraftstoffverbrauchs auf der anderen Seite. Die den Zielkonflikt hervorrufende Ausprägung des Anspruchsobjektes stellt das Gesamtgewicht des Fahrzeuges dar: eine Senkung des Kraftstoffverbrauchs ist durch eine Senkung des Fahrzeuggewichts zu realisieren, eine Erhöhung des Insassenschutzes führt jedoch zur Erhöhung des Fahrzeuggewichts [Eiletz 1999].
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Abb. 2-7. Zielkonflikte beim Pkw [nach Eiletz 1999]
Zur Darstellung der Abhängigkeiten zwischen Anforderungen und der Identifikation von Zielkonflikten eignet sich die Korrelationsmatrix. Hierbei werden die Anforderungen des Produktes einander gegenübergestellt. In die Felder der Matrix werden die Wechselbeziehungen zwischen den Anforderungen eingetragen. Dies kann dreistufig mit der Unterscheidung in positive, negative und keine Beeinflussung geschehen oder es wird eine Gewichtung zur Darstellung der Stärke der Abhängigkeiten eingeführt. Da Zielkonflikte zwischen Anforderungen in der Regel ungerichtet sind und die Matrix somit symmetrisch ist, genügt es eine Hälfte der Matrix auszufüllen.
Abb. 2-8. Korrelationsmatrix für einen Handstaubsauger
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Am Beispiel eines Handstaubssaugers ergibt sich ein Zielkonflikt unter anderem zwischen den Anforderungen nach einer hohen Saugleistung und einem niedrigen Gewicht. Bei dem bestehenden Gerätekonzept wird die Saugleistung maßgeblich von der Motorleistung beeinflusst. Eine Steigerung der Motorleistung führt jedoch zu einer unerwünschten Erhöhung des Produktgewichts. Die Anforderung nach einer gesteigerten Saugleistung bei einer gleichzeitigen Reduzierung des Gewichts stellt daher eine Aufgabe dar, die sich mit dem bestehenden Konzept unter Umständen nicht lösen lässt. Ein Ansatz wäre es hier beispielsweise, eine alternative Motortechnologie mit geringerem Leistungsgewicht zu wählen. Bei der Identifikation und Dokumentation der Abhängigkeiten zwischen Anforderungen können grafische Darstellungen das Verständnis unterstützen, da die Zusammenhänge besser deutlich gemacht werden können als in einer Matrix. Hierfür sind besonders Mind Maps® [Buzan 1993] oder Wirkungsnetze [Lindemann 2009] geeignet. Ein Wirkungsnetz lässt sich auch aus einer Korrelationsmatrix ableiten. Umgekehrt kann es auch hilfreich sein, mit einem Wirkungsnetz zur ersten Darstellung von Wechselbeziehungen zwischen Anforderungen zu starten, um darauf aufbauend die Korrelationsmatrix zu befüllen und die Abhängigkeiten systematisch zu vervollständigen.
Abb. 2-9. Wirkungsnetz für einen Handstaubsauger
Aufgrund der Vielzahl von Anforderungen und deren Wechselbeziehungen ist eine Priorisierung erforderlich, das heißt eine Unterscheidung der Anforderungen nach ihrer Wichtigkeit. Dies ermöglicht die Definition von Entwicklungsschwerpunkten und die Entscheidung hinsichtlich der Reihenfolge, in der die Anforderungen im Produkt umzusetzen sind [Ilie et al. 2009]. Eine Priorisierung der Anforderungen ist unter Einbezug aller relevanten Bereiche durchzuführen, zum Beispiel mit Vertretern aus Entwicklung, Marketing, Qualität, Einkauf und Produktion. Ein möglicher Ansatz hierbei ist die Unterscheidung zwischen Forderungen und Wünschen [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005]. Forderungen, die weiter in Festforderungen und Bereichsforderungen unterteilt werden können, sind unter allen Umständen zu erfüllen. Wünsche sind nach Möglichkeit zu berücksichtigen, eventuell mit dem Zugeständnis, dass ein begrenzter Mehraufwand dabei zulässig ist. Eine weitere Möglichkeit ist die numerische Gewichtung, die in einer zusätzlichen Spalte in der Anforderungsliste dokumentiert wird [Lindemann 2009].
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Eine Gewichtung von Anforderungen nach der Kundenrelevanz ist mit dem Kano-Modell durch die Unterscheidung in Basis-, Leistungs- und Begeisterungsmerkmale möglich [Kano et al. 1984]. Die Erfüllung von Basismerkmalen wird vom Kunden stillschweigend vorausgesetzt (zum Beispiel elektrische Sicherheit). Die Erfüllung von Leistungsmerkmalen (beispielsweise Saugleistung oder Betriebsdauer) steht im proportionalen Zusammenhang mit der Kundenzufriedenheit. Begeisterungsmerkmale werden vom Kunden nicht erwartet, heben ein Produkt jedoch in positiver Hinsicht deutlich von anderen ab, können also die Kaufentscheidung maßgeblich beeinflussen (zum Beispiel selbstreinigender Filter). Ein weit verbreitetes Hilfsmittel zur Erhebung, Übersetzung und Priorisierung von Kundenanforderungen ist die Methodik Quality Function Deployment (QFD) [Akao 1992, Danner 1996, Saatweber 2007]. Sie ist vor allem dann hilfreich, wenn Referenzlösungen zum Vergleich vorliegen, beispielsweise Vorgängermodelle oder Konkurrenzprodukte. Der Ansatz besteht aus mehreren Einzelmethoden, auf die im Folgenden genauer eingegangen wird. Die Ergebnisse einzelner Arbeitsschritte werden dabei in einer Matrixstruktur eingetragen, dem House of Quality, das der übersichtlichen Visualisierung der Inhalte dient.
Abb. 2-10. Elemente der Methodik Quality Function Deployment (QFD)
Ausgangspunkt sind Kundenanforderungen, die beispielsweise in Kundenumfragen, Lead-User-Analysen, Applikationsstudien oder Expertengesprächen ermittelt wurden. Anhand dieser Kundenanforderungen wird ein Vergleich des eigenen Produktes mit ausgewählten Konkurrenzprodukten durchgeführt. Ergebnis ist eine Aussage zu den Stärken und Schwächen des bestehenden Produktes im Vergleich zur Konkurrenz in Bezug auf die Bedeutung und Erfüllung relevanter Eigenschaften. Nach der Bestimmung der Zufriedenheit der Kunden hinsichtlich des vorliegenden Produktes wird die angestrebte Kundenzufriedenheit für das zu entwickelnde Produkt festgelegt. Der Entwicklungsbedarf ergibt sich aus dem Verhältnis von Soll- zur Ist-Zufriedenheit der Kunden mit dem Produkt in Bezug auf die betrachteten Kundenanforderungen. Zur Gewichtung der Kundenanforderungen wird das Produkt aus den Faktoren „Bedeutung der Kundenanforderung“ und „Entwicklungsbedarf“ herangezogen.
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Mittels einer Verknüpfungsmatrix lässt sich die Kundensicht mit der Techniksicht im House of Quality abgleichen. Hierfür werden die wesentlichen Kundenanforderungen in die Zeilen der Matrix eingetragen, in die Spalten werden die technischen Qualitätsmerkmale des Produktes aufgenommen. Darunter versteht man spezifizierende Merkmale des zu entwickelnden Systems, die zur Erfüllung der Kundenanforderungen beitragen und unter anderem durch die Analyse existierender Vorgänger- oder Konkurrenzmodelle abgeleitet werden können. Weiterhin wird festgelegt, ob die Ausprägung der technischen Merkmale für das Nachfolgeprodukt beibehalten, gesteigert oder reduziert werden soll. In den Zellen der Matrix wird nun die Verknüpfungsstärke zwischen Kundenanforderungen und technischen Merkmalen dargestellt (beispielsweise mit den Werten 1, 3 und 9). Für jedes technische Merkmal findet eine Multiplikation der Verknüpfungsstärken mit den Gewichtungen der Kundenanforderungen statt sowie eine Summenbildung über alle Kundenanforderungen. Auf diese Weise wird die Bedeutung der technischen Merkmale in Bezug auf ihren Beitrag zur Erfüllung der Kundenanforderungen ermittelt. Dieses Vorgehen wird am Beispiel des Handstaubsaugers verdeutlicht. Im Rahmen einer Kundenumfrage wurden eine hohe Saugleistung, ein ansprechendes Design und ein geringes Gewicht als Kundenanforderungen mit einer hohen Bedeutung ermittelt. Die Saugleistung hängt unter anderem stark von den technischen Merkmalen Motorleistung, Unterdruck an der Saugfläche und Filtertyp ab. Die Kundenanforderung nach einem ansprechenden Design kann beispielsweise durch die Gehäusegeometrie und das Gehäusematerial beeinflusst werden. Die Summenbildung über die Zusammenhänge in der Verknüpfungsmatrix unter Berücksichtigung der Gewichtung der Kundenanforderungen führt zu dem Ergebnis, dass die Motorleistung, die Gehäusegeometrie und die Größe des Saugbehälters einen hohen Beitrag an der Erfüllung der Kundenanforderungen haben. Diesen Merkmalen ist somit im weiteren Verlauf des Entwicklungsprozesses eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Abb. 2-11. Verknüpfungsmatrix am Beispiel eines Handstaubsaugers
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Die Analyse der Wechselbeziehungen zwischen Anforderungen sowie der Abgleich zwischen Kundenanforderungen und technischen Qualitätsmerkmalen helfen dabei, Schwerpunkte für die Entwicklungsarbeit herauszuarbeiten. Unterstützt wird dieser Prozess durch die übersichtliche Darstellung der Zusammenhänge beispielsweise im House of Quality der QFD-Methodik. Entwicklungsschwerpunkte orientieren sich zum einen daran, welchen Beitrag die technischen Merkmale zur optimalen Erfüllung der Kundenanforderungen leisten, zum anderen wie schwierig die technische Umsetzung der Anforderungen sein wird. Liegt ein Zielkonflikt vor und gibt man sich nicht mit einem Kompromiss zufrieden, sondern ist bestrebt eine Lösung zu finden, mit der die konkurrierenden Ziele gleichermaßen erfüllt werden können, ist hierauf ein entsprechender Fokus in der Entwicklungsarbeit zu legen. Generell ist zu beachten, dass Prioritäten unter Umständen, genauso wie die Anforderungen selbst, im Laufe des Entwicklungsprozesses angepasst werden müssen, bedingt durch externe als auch interne Einflüsse.
2.2.4 Wie lassen sich Anforderungen über den gesamten Entwicklungsprozess pflegen und einsteuern? Nach der Klärung der Anforderungen an ein zu entwickelndes Produkt zu Beginn der Entwicklung ist ein systematischer Umgang mit den Anforderungen über den gesamten Entwicklungsprozess erforderlich. Dies bedeutet eine kontinuierliche Erweiterung, Detaillierung, Anpassung und gegebenenfalls Änderung der Anforderungen. Auch die Prioritäten der Anforderungen sind gegebenenfalls anzupassen [Ilie et al. 2009]. Dies hat in Abhängigkeit des Entwicklungsfortschrittes sowie unter Berücksichtigung der Vereinbarungen mit dem Auftraggeber zu geschehen. Ebenso ist die Anforderungsdokumentation wiederholt auf Vollständigkeit, Korrektheit und Konsistenz zu überprüfen. Eine Regel insbesondere für die Anforderungsklärung zu Beginn des Entwicklungsprozesses ist die lösungsneutrale Formulierung von Anforderungen, um Freiheitsgrade für die Entwicklung von innovativen Lösungskonzepten zu schaffen. Bei Anpass- und Variantenentwicklungen, die zu großen Teilen auf bereits bestehenden Produkten aufbauen, sind diese Freiheitsgrade eingeschränkt. Hier lassen sich bereits zu Beginn detaillierte, lösungsbezogene Anforderungen für unveränderliche Systemelemente identifizieren und in die Anforderungsliste übernehmen. Bei einer Neuentwicklung ist die Anzahl der Freiheitsgrade dahingegen wesentlich höher. Werden die Anforderungen hier am Anfang zu konkret und detailliert formuliert, sind sie meist nicht mehr lösungsneutral und verhindern somit eine innovative Lösungsfindung. Im Laufe des Entwicklungsprozesses nehmen die Freiheitsgrade durch die zunehmende Konkretisierung der Lösungen auf Funktions-, Wirk- und Bauebene ab. Parallel hierzu ist eine Anpassung der Anforderungen erforderlich, die zunehmend lösungsbezogen zu formulieren sind.
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Eine Herausforderung für eine konsistente Anforderungsmodellierung stellen die Systemhierarchien dar. Ausgangspunkt der Entwicklung ist zunächst das Gesamtprodukt, für das Anforderungen ermittelt werden. Im Laufe des Entwicklungsprozesses wird das Produkt zergliedert in Subsysteme. Je nach Komplexität des Gesamtproduktes kann diese Zergliederung über mehrere Stufen erfolgen. Ein Pkw lässt sich beispielsweise in die Module Antriebsstrang, Fahrwerk, Karosserie und Innenraum unterteilen. Diese Module setzen sich ihrerseits wieder aus Subsystemen zusammen. Für die Subsysteme werden in der Regel eigene Anforderungsdokumente gepflegt. Die darin enthaltenen Anforderungen müssen konsistent sein zu den Anforderungen an das Gesamtprodukt. Genau dies stellt jedoch in der Praxis eine große Schwierigkeit dar. Der Anforderungsraum steht in Interaktion mit dem Lösungsraum. Einerseits bedeutet dies, dass die Anforderungen bei der Erstellung von PartialProduktmodellen auf Funktions-, Wirk- und Bauebene zu berücksichtigen sind. Andererseits müssen die gewonnenen Erkenntnisse bei der Konkretisierung der Lösungen wieder in das Anforderungsmodell zurückfließen. Auch dies stellt in der Praxis eine Herausforderung dar, unter anderem weil oftmals die relevanten Informationen nicht zum richtigen Zeitpunkt verfügbar sind. Eine Methode zur kontinuierlichen Erweiterung und Detaillierung der Anforderungen über den gesamten Entwicklungsprozess ist die Relationale Iterative Anforderungsklärung [Jung 2006]. Hier werden in einem Systemmodell, das im Laufe des Prozesses kontinuierlich detailliert wird, Relationen zwischen Systemelementen untersucht. Diese Relationen dienen als Anhaltspunkte für die Identifikation von Anforderungen. Zunächst wird das Systemmodell erstellt, das neben dem Produkt und seinen Komponenten auch das Umfeld umfasst, also beispielsweise den Anwender oder Elemente aus der Anwendungsumgebung des Produktes. Das zu Beginn der Entwicklung noch grobe und abstrakte Systemmodell wird im Verlauf der Entwicklung weiter detailliert und konkretisiert. An die Systemmodellierung schließt sich die Relationenanalyse an. Hierbei stellt man sich unter dem Gesichtspunkt möglicher Anforderungen die Frage, ob ein bestimmtes Element mit einem anderen Element eine Relation hat, das heißt ob Einflüsse zwischen diesen Elementen existieren. Zur systematischen Analyse der Relationen bietet sich der Einsatz einer Einflussmatrix an. Die Auseinandersetzung mit den Elementen des Systems, den Relationen sowie deren Attributen stößt einen Denkprozess an, der das Identifizieren neuer Anforderungen fördert. Für eine prozessbegleitende Anforderungsklärung ist es notwendig, die Relationen iterativ und parallel zur Detaillierung des Systems zu analysieren. Ebenso wird auf diese Weise das Anforderungsmodell detailliert und erweitert. Am Beispiel eines Handstaubsaugers wird das Vorgehen bei der Relationalen Iterativen Anforderungsklärung verdeutlicht. Das initiale Systemmodell enthält als Elemente unter anderem den Staubsauger, den Anwender, das Sauggut und die Saugfläche. Im weiteren Verlauf werden als Bestandteile des Saugers das Gehäuse, die Energieeinheit und die Saugeinheit identifiziert. Als Anwender kommen Erwachsene und Kinder in Betracht. In Bezug auf das Sauggut werden Staub, Essensreste und Haare unterschieden. Im Rahmen der Relationenanalyse wird unter
2.2 Methoden des Anforderungsmanagements
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anderem eine Relation zwischen den Elementen Anwender und Staubsauger identifiziert, die zur Formulierung der Anforderung nach einem Maximalgewicht des Saugers führt. Die Ausprägung dieser Anforderung unterscheidet sich danach, ob als Anwender ein Erwachsener oder ein Kind ist.
Abb. 2-12. Relationale Iterative Anforderungsklärung am Beispiel Handstaubsauger [Jung 2006]
Im Laufe des Entwicklungsprozesses lassen sich neue Anforderungsquellen erschließen beziehungsweise neue Anforderungen aus Quellen ableiten, die schon in der ersten Klärungsphase als relevant identifiziert worden waren. So kann durch erweiterte Recherchen von Normen, Patenten und Gesetzen eine Aktualisierung der Anforderungen unterstützt werden. Durch die Betrachtung des Produktlebenszyklus und der Erkenntnisse aus der Anwendung bereits produzierter und genutzter Produkte lassen sich ebenfalls neue Anforderungsquellen finden. Im Rahmen des Simultaneous Engineering wird parallel an Aspekten gearbeitet, die sich im Produktlebenslauf an die Produktentwicklung anschließen. Aus diesen Aktivitäten wie der Erstellung von Fertigungs-, Verpackungs-, Logistik- und Recyclingkonzepten können weitere Anforderungen abgeleitet werden. Neben der Klärung von Kundenanforderungen zu Beginn der Produktentwicklung ist die Einbeziehung der Kunden über den gesamten Entwicklungsprozess wichtig [Kain et al. 2009, Kirschner et al. 2009]. Die Einbindung ausgewählter Kunden in späteren Projektphasen kann beispielsweise durch eine ConjointAnalyse realisiert werden, eine häufig eingesetzte Analysemethode zur Erhebung der Präferenzen von Konsumenten [Gustafsson et al. 2007]. Hierbei wird untersucht, in welchem Maß einzelne Merkmale oder Merkmalskombinationen des Produktes vom Nutzer bevorzugt werden. Die Methode bietet sich beispielsweise dann an, wenn bei der Entwicklung eines Haushaltsgerätes anhand eines physikalischen Designmodells Nutzerpräferenzen hinsichtlich der Ergonomie und der Ästhetik erfasst werden sollen, während die technische Spezifikation beispielsweise hinsichtlich Motorleistung und Getriebeübersetzung noch nicht komplett ist. Anforderungen müssen in den weiteren Entwicklungsprozess eingesteuert werden. Beispielsweise dient die Anforderungsliste als Grundlage für die Bewertung
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2 Anforderungen
von Lösungsalternativen. Dazu ist zu klären, wie der Grad der Übererfüllung einzelner Anforderungen für die Bewertung der Alternativen gewertet werden soll. Genauso sind Anforderungen als Ausschlusskriterien zur Reduzierung des betrachteten Lösungsspektrums heranzuziehen. Eine Lösungsalternative muss alle gestellten Anforderungen erfüllen, um weiterverfolgt zu werden, ansonsten wird sie aus der Betrachtung ausgeschlossen. Eine klare Strukturierung und Priorisierung der Anforderungen ermöglicht einerseits die Bildung von Schwerpunkten für die Lösungssuche und schafft andererseits eine möglichst objektive Basis zur Lösungsbewertung. Im Zusammenhang mit dem Einsteuern von Anforderungen ist das Timing wichtig: kritische Anforderungen beziehungsweise Anforderungen, deren Realisierung besonders lange dauert, sind besonders früh zu adressieren. Im Folgenden wird auf den Umgang mit den Anforderungen auf den verschiedenen Ebenen der Produktkonkretisierung eingegangen. Die Informationen in der Anforderungsliste sind bei der Erstellung von Funktionsmodellen zu berücksichtigen, da sich viele Funktionen direkt aus Anforderungen ableiten lassen. Umgekehrt eignen sich Funktionsmodelle zur Erweiterung der Anforderungsliste, da durch die Funktionsmodellierung das Systemverständnis verbessert und so der Blick für neue Aspekte geöffnet wird, die noch nicht identifizierte funktionale Anforderungen aufzeigen können. Auf der Wirkebene werden die Anforderungen zum einen als Leitlinie für die Ermittlung von Lösungsideen und Lösungskonzepten genutzt. Zum anderen werden Anforderungen als Kriterien zur Lösungsbewertung herangezogen. Bei der Beurteilung von Wirkprinzipien geht es dabei vor allem um den Ausschluss ungeeigneter Lösungsideen. In der Konzeptbewertung ist es wichtig, aus den Anforderungen ein schlüssiges und ausgewogenes Kriteriensystem abzuleiten. Nach der Konzeptentscheidung sind die Anforderungen zu konkretisieren und anzupassen. Je nachdem, wie eine Funktion umgesetzt werden soll, gestalten sich die Ausprägungen, teilweise auch die Merkmale der Anforderungen unterschiedlich. Wenn beispielsweise in der Konzeptentscheidung für einen Antrieb die Wahl auf eine elektrische Lösung fällt, ist unter anderem festzulegen, welche Werte für Strom und Spannung zulässig sind. Soll der Antrieb jedoch als Verbrennungsmotor realisiert werden, sind die Anforderungen in Bezug auf Merkmale wie den Kolbendurchmesser oder die Anzahl der Ventile zu konkretisieren. An diesem Punkt der Entwicklung wird also ein Teil der Anforderungen aufgrund der Konzeptentscheidung detailliert, andererseits kommen neue Anforderungen hinzu. Die Gestaltung und Optimierung des Produktes auf Bauebene ist von einem iterativen Wechsel zwischen Synthese- und Analyseaktivitäten geprägt. Die Anforderungen dienen daher zum einen als Maßgabe für die zielorientierte Festlegung von Gestaltmerkmalen, zum anderen der Validierung des Produktes und damit der Überprüfung der Zielerreichung. Insofern ist ein intensiver Abgleich zwischen der Anforderungsliste und den Validierungsvorgaben erforderlich, wie sie beispielsweise in Simulationskatalogen und Testprofilen dokumentiert sind. In dieser Phase der Produktentwicklung werden die Anforderungen mit fortschreitender Ausgestaltung des Produktes und wachsendem Wissensstand über das Produkt iterativ konkretisiert.
2.3 Anforderungsklärung für eine Vorrichtung für chirurgische Gelenkkorrekturen
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Der Umgang mit Anforderungen erfordert auch eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten, das Anforderungsmanagement muss in geeigneter Weise in der Organisation verankert sein. Ansätze eines umfassenden Requirements Engineering finden sich zum Beispiel im Bereich des Software Engineering [Deifel 2001]. Bereits bei der ersten Anforderungsklärung empfiehlt es sich zu definieren, in welchem Bereich oder welcher Abteilung die einzelnen Anforderungen umgesetzt werden sollen und zu welchem Zeitpunkt. Anforderungen, die zu Beginn noch nicht quantifiziert werden können oder besonders unspezifisch sind, sollten in der Liste markiert und im Laufe der Entwicklung angepasst werden. Dieses Vorgehen ist in der Entwicklung mechatronischer Produkte nur bedingt anwendbar, da eine solche Zuordnung aufgrund fehlender Informationen darüber, welche Funktion durch welche Domäne umgesetzt wird, nicht möglich ist. Die Anforderungen an ein Produkt werden über den gesamten Entwicklungsprozess immer wieder angepasst, detailliert und teilweise sogar revidiert. Wichtig ist, dass Anforderungen mit unmittelbarem Bezug zum Kundennutzen in der Produktentwicklung unveränderbar sind, da die Erfüllung des Kundennutzens für den Erfolg des Produktes essenziell ist. Gleiches gilt für Normen, Gesetze und andere Rahmenbedingungen, die für die Markteinführung einzuhalten sind.
2.3 Anforderungsklärung für eine Vorrichtung für chirurgische Gelenkkorrekturen Bei der chirurgischen Gelenkkorrektur wird bei Fehlstellungen der Hüfte der Hüftkopf vom Oberschenkelknochen getrennt und nach Entfernen eines Knochenkeils auf diesem neu orientiert. Auf diese Weise kann der Hüftkopf im Gelenk neu eingestellt werden. Durch die gewünschte Endposition des Hüftkopfes auf dem Oberschenkelknochen wird die Lage und Ausrichtung der Schnittflächen des zu entfernenden Keils bestimmt. Der Operationserfolg wird maßgeblich von der Genauigkeit dieses Vorgangs bestimmt. Bisher hing diese überwiegend von dem Augenmaß, dem räumlichen Vorstellungsvermögen und dem handwerklichen Geschick des Chirurgen ab.
Abb. 2-13. Prozessschritte bei der Gelenkkorrektur [Jung 2006]
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2 Anforderungen
Die Genauigkeit dieser Operation kann mit dem Einsatz einer Software verbessert werden. Zunächst wird mittels einer Computertomografie oder Röntgenaufnahmen des betroffenen Gelenkes ein vereinfachtes dreidimensionales Geometriemodell des Oberschenkelknochens erstellt. Anschließend wird dem Chirurgen ermöglicht, die gewünschte neue Position des Gelenkes mithilfe der Software zu definieren. Auf dieser Basis können die Schnittkoordinaten für den zu entfernenden Keil berechnet werden. Zur Übertragung der Schnittflächen auf den Knochen wird eine Schablone genutzt, die in sechs Achsen verändert und fixiert werden kann. Die Einstellung erfolgt in der Schablonenvorrichtung. Der vorhandene Prototyp der Schablonenvorrichtung erfüllte die Anforderungen für einen operativen Einsatz nicht. Zu diesen nicht erfüllten Anforderungen gehörten die Stabilität, Genauigkeit, Kalibrierbarkeit und Sterilisierbarkeit der Schablone. Im Rahmen eines Entwicklungsprojektes [Jung 2006] wurde der existierende Prototyp optimiert und weiterentwickelt, um durch Vermeidung der Nachteile des Prototyps einen operativen Einsatz zunächst für Versuchszwecke zu ermöglichen.
Abb. 2-14. Schritte bei der Übertragung des Schnittmusters auf den Knochen und Prototyp der Schablone am Knochen befestigt [nach Jung 2006]
Zu Beginn dieses Projektes lagen bereits umfangreiche Informationen und Erfahrungen aus Versuchen mit dem ersten Prototyp vor. Da das Funktionsprinzip beibehalten werden sollte, bildete die Analyse des Aufbaus und der Funktionsweise des Prototyps eine wertvolle Basis für die Entwicklungsarbeit. Diese Analyse diente in erster Linie der Verbesserung des Systemverständnisses innerhalb des Entwicklungsteams, das neben einem Mediziner aus drei Ingenieuren bestand, die zu Beginn des Projektes keine medizinischen Vorkenntnisse aufwiesen. Neben der Systemanalyse wurden auch die bereits bestehenden Anforderungen zusammengetragen und in einer Anforderungsliste dokumentiert. Weiterhin wurden im interdisziplinären Team die Relationen innerhalb des Systems analysiert und soweit möglich den bestehenden Anforderungen zugeordnet. Aus den Relati-
2.3 Anforderungsklärung für eine Vorrichtung für chirurgische Gelenkkorrekturen
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onen, das heißt den Einflüssen zwischen den Systemelementen, die keinen bestehenden Anforderungen zugeordnet werden konnten, wurden neue Anforderungen generiert. Außerdem wurden alle Anforderungen auf ihre formale und inhaltliche Richtigkeit hin überprüft, besonders in Hinblick auf ihre Ausprägungen. Das Vorgehen orientierte sich hierbei an der Methode der Relationalen Iterativen Anforderungsklärung. Im Rahmen der Analyse wurden als wichtige zu berücksichtigende Systemelemente, die nicht direkt zum Produkt gehören, identifiziert: der Patient, der Bediener, die Sterilisation sowie die Software zur Ermittlung der Schnittflächen. Die neuen Anforderungen, die auf Basis der Relationenanalyse identifiziert wurden, betrafen vor allem die Sterilisation und die Bedienung beziehungsweise Wartung der Schablonenvorrichtung. Am Beispiel der Sterilisation wird die Durchführung dieses Vorgehens zur Anforderungsklärung dargestellt. Die Sterilisation ist eine wesentliche Anforderung an die Schablonenvorrichtung für einen operativen Einsatz, die für den ersten Prototyp vernachlässigt wurde. Im Vorfeld der Klärung dieser Anforderung war allen beteiligten Medizinern bewusst, dass die Teile, die direkt mit dem Patienten in Berührung kommen, sterilisierbar sein müssen. Ein Ergebnis der Relationenanalyse war jedoch, dass auch die komplette Schablonenvorrichtung voll sterilisierbar sein muss. Bisher war man davon ausgegangen, dass eine Desinfektion in Verbindung mit einer sterilen Folieneinhüllung ausreichend wäre, was sich jedoch durch die intensive Anforderungsklärung als falsch erwies. Diese Erkenntnis führte zur nächsten Fragestellung nach möglichen Sterilisationsverfahren und deren Eigenschaften. Es musste eine Entscheidung zwischen Dampf- und Gassterilisation herbeigeführt werden. Die Wahl des Sterilisationsverfahrens hatte unterschiedliche Auswirkungen auf die Ausprägungen anderer Anforderungen. Bei einer Dampfsterilisation sind die Temperaturen und Drücke wesentlich höher. Eine Gassterilisation erfordert einen Einsatz flüchtiger Schmierstoffe, wohingegen bei der Dampfsterilisation nicht flüchtige Schmierstoffe verwendet werden, um ein Eindringen von Wasser in die geschmierten Bereiche der Vorrichtung zu vermeiden. Das Team entschied sich aufgrund der einfacheren Handhabbarkeit und der geringeren Kosten für die Dampfsterilisation. Diese Entscheidung hatte wiederum Einfluss auf die Anforderungen an die zu verwendenden Materialien und Zukaufteile. Dieses Beispiel zeigt, wie die Detaillierung der in einer frühen Phase festgelegten Anforderung nach Sterilisierbarkeit Änderungen der Ausprägungen anderer Anforderungen in späteren Prozessphasen nach sich zieht. Anforderungen treten also im Laufe des Prozesses zunehmend lösungsabhängig auf beziehungsweise nehmen lösungsabhängig unterschiedliche Ausprägungen an. Im Rahmen der Anforderungsklärung war eine intensive Systembetrachtung durchgeführt worden. Dies ermöglichte die Identifikation wichtiger Anforderungen und half insbesondere dem interdisziplinären Team bei der Entwicklung einer gemeinsamen Sprache beziehungsweise eines gemeinsamen Systemverständnisses.
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2 Anforderungen
2.4 Zusammenfassung Anforderungen beschreiben die Soll-Eigenschaften des späteren Produktes und geben den Rahmen für die Entwicklung vor. Ihre Klärung, Detaillierung und Pflege erstreckt sich über den gesamten Entwicklungsprozess. Nach einer initialen Anforderungsklärung zu Beginn des Entwicklungsprojektes gilt es die Anforderungen kontinuierlich weiter zu entwickeln und über den gesamten Verlauf der Entwicklung hinweg zu berücksichtigen. Es existiert eine Vielzahl von Quellen, die bei der Ermittlung von Anforderungen von Bedeutung sind. Zentrale Quelle sind die Kunden, für die das Produkt entwickelt wird. Daher ist die Einbeziehung der Kunden in die Anforderungsklärung und den weiteren Entwicklungsprozess wichtig. Nur wenn die Anforderungen der Kunden erfüllt werden, kann ein Produkt am Markt erfolgreich sein. Besonders deutlich wird dieser Punkt bei kundenspezifischen Produktentwicklungen. Die Gewährleistung des gewünschten Kundennutzens ist das Hauptziel der Entwicklung, weshalb Anforderungen, die sich unmittelbar auf den Kundennutzen beziehen, unveränderbar sind und als zentrale Punkte berücksichtigt werden müssen. Anforderungen stammen auch aus internen Quellen, wie Produktion, Logistik und Service. Die Berücksichtigung von Anforderungen aus diesen Bereichen ist wichtig, damit das Produkt „fit“ ist für die weiteren Phasen im Produktlebenszyklus. Schließlich sind in der Anforderungsklärung externe Rahmenbedingungen zu beachten wie einzuhaltende Gesetze und Normen. Der Umgang mit Anforderungen ist nicht trivial aufgrund der großen Menge an relevanten Informationen und der großen Anzahl von Anforderungen, die schon bei Produkten mit überschaubarer Komplexität zu berücksichtigen sind. Eine Herausforderung ist die Gewährleistung der Konsistenz im Anforderungsmodell, beispielsweise zwischen den Anforderungen für das Gesamtsystem und jenen für Teilsysteme. Zudem beeinflussen sich Anforderungen gegenseitig und stehen teilweise im Konflikt miteinander. Es ist wichtig, diese Zielkonflikte zu einem möglichst frühen Zeitpunkt aufzudecken, um späte Änderungen am Produkt zu vermeiden. Ein optimales Anforderungsmanagement erfordert somit systematische Herangehensweisen sowie den Einsatz geeigneter Methoden und Werkzeuge. Eine strukturierte Dokumentation in Form einer Anforderungsliste, die Gliederung nach relevanten Kriterien und die sinnvolle Formulierung der Anforderungen unter Einhaltung gewisser Regeln schaffen Übersicht, Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Die Analyse der Wechselbeziehungen zwischen Anforderungen unter Zuhilfenahme matrix- oder grafenbasierter Methoden unterstützt die Identifikation von Inkonsistenzen oder Zielkonflikten. Im gesamten Entwicklungsprozess ist ein kontinuierliches Pflegen und Einsteuern der Anforderungen erforderlich. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Beachtung der Relationen zwischen Elementen des zu entwickelnden Systems. Mit fortschreitender Detaillierung des Produktes werden auch die Anforderungen detailliert und um Anforderungen, die sich durch ausgewählte Lösungen ergeben, ergänzt.
3 Funktionen
Funktionen beschreiben den Zweck eines Systems oder Systemelements. Konkrete Realisierungs- und Umsetzungsmöglichkeiten werden dabei nicht betrachtet, die Beschreibung des Systemzwecks erfolgt so lösungsneutral wie erforderlich. Bei der Funktionsmodellierung werden die Funktionen eines Produktes oder technischen Systems in einem oder mehreren Modellen dargestellt. Funktionsmodelle werden sowohl zur Analyse bestehender Systeme als auch zur Synthese neuer Lösungen eingesetzt. Das Funktionskonzept definiert das Produkt in seinen wesentlichen funktionalen Eigenschaften und bildet die Grundlage für die weiteren Entwicklungsschritte auf Wirk- und Bauebene. Um ein Funktionsmodell zu erstellen, wird zuerst die Gesamt- oder Hauptfunktion des Systems in abstrakter Form beschrieben und anschließend die zugehörigen Teilfunktionen ermittelt. In Funktionsmodellen werden die Haupt- und Teilfunktionen abgebildet und so der Funktionsumfang und die Funktionsweise eines Systems dokumentiert. Abhängig von der Sicht auf das System können unterschiedliche Arten und Darstellungsformen der Funktionsmodellierung zielführend sein. Das Umsatzorientierte Funktionsmodell fokussiert Stoff-, Energie- und Signalumsätze im System. Das Relationsorientierte Funktionsmodell dient der Identifikation von Schwachstellen und Zielkonflikten. Das Nutzerorientierte Funktionsmodell bildet die Interaktionen unterschiedlichster Nutzer (beispielsweise Monteur, Einkäufer, Servicefachkraft, Endanwender) mit dem System ab. Die Betrachtung eines Systems auf funktionaler Ebene bringt große Vorteile für die weiteren Schritte der Produktkonkretisierung. Zunächst erfolgt auf diese Weise eine Zerlegung der Problemstellung in kleinere handhabbare Bestandteile (Problemzerlegung). Zudem wird durch den hohen Abstraktionsgrad ein weiter Lösungsraum für technische Aufgabenstellungen eröffnet, da eine zu frühe Festlegung von Lösungen und Lösungsprinzipien (Vorfixierung) vermieden wird. Ferner werden Funktionsmodelle dazu eingesetzt, die grundlegende Systemarchitektur festzulegen. Dies geschieht über die Zusammenstellung der Teilfunktionen zu Funktionsmodulen sowie durch die Zuordnung von Teilfunktionen zu Funktionsträgern. Bei der Suche nach Lösungsalternativen können Lösungssammlungen in Form von Konstruktionskatalogen genutzt werden, die bewährte Lösungskonzepte für einzelne Teilfunktionen enthalten. Schließlich ermöglicht eine Systematische Variation des Funktionsmodells strukturell unterschiedliche Produktalternativen und bietet damit die Ausgangsbasis für innovative Lösungen.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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3 Funktionen
3.1 Funktionsmodellierung von hybriden Antriebssträngen für ein Kraftfahrzeug Sowohl das Kundenbewusstsein als auch immer strengere Umweltgesetze veranlassen Pkw-Hersteller dazu, den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeuge zu reduzieren. Der Einsatz von Elektromotoren zur Unterstützung der Verbrennungsmotoren in hybriden Antriebssträngen ist dabei nur eine der unterschiedlichen Technologien, auf die Automobilhersteller im Rahmen dieser Herausforderung setzen. In hybriden Antriebssträngen wirken mindestens zwei verschiedene Antriebsarten zusammen, sehr häufig Verbrennungsmotor und Elektromotor [Gorbea 2011].
Abb. 3-1. Beispielhafte Konfigurationen für hybride Antriebsstränge im Kfz (links: serieller Hybrid, rechts: paralleler Hybrid mit integriertem Starter-Generator) [Gorbea 2011]
Ein deutscher Automobilhersteller setzt bereits in Serienmodellen HybridAntriebe aus eigener Entwicklung ein. Da die Technologie noch sehr jung ist, bestand der Wunsch eine Gesamtübersicht über den Lösungsraum hybrider Antriebsstränge zu erlangen und daran die eigene Strategie zu reflektieren. Zu diesem Zweck wurde in einem Projekt eine umfangreiche Betrachtung der Funktionen des Systems durchgeführt. Zunächst erfolgte eine Umsatzorientierte Funktionsmodellierung von acht bestehenden Konfigurationen, wobei sowohl eigene als auch fremde Lösungen untersucht wurden. Danach wurden eine Abstraktion dieser Modelle und die Erarbeitung eines generischen Funktionsbaums durchgeführt. Schließlich erfolgte eine Systematische Variation der möglichen Konfigurationen, um zu eine vollständigen Abbildung des gesamten Lösungsraums zu gelangen [Deubzer 2009]. Die Analyse von acht existierenden Konfigurationen – darunter die beiden etablierten Konfigurationen des seriellen und des parallelen Hybridantriebs – erfolgte mittels einer Umsatzorientierten Funktionsmodellierung . Beim seriel-
3.1 Funktionsmodellierung von hybriden Antriebssträngen für ein Kraftfahrzeug
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len Hybridantrieb wird die durch einen Verbrennungsmotor erzeugte mechanische Energie über eine Elektromaschine (integriertes Elektromotor-/Generator-Modul) in eine Batterie eingespeist, deren elektrische Energie durch eine zweite Elektromaschine in mechanische Energie umgewandelt und über das Differenzial und die Räder an die Straße abgegeben wird. Beim parallelen Hybridantrieb wirken Verbrennungsmotor und Elektromaschine (teilweise) gleichzeitig. Beide Systeme erlauben die Hybridfunktionen „Motor-Start-Stopp“, „Boosten“, „Generatorbetrieb“ und „rekuperatives Bremsen“.
Abb. 3-2. Umsatzorientiertes Funktionsmodell eines seriellen Hybridantriebs [nach Deubzer 2009]
Abb. 3-3. Umsatzorientiertes Funktionsmodell eines parallelen Hybridantriebs [nach Deubzer 2009]
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3 Funktionen
Eine eingehende Analyse der erzeugten Funktionsmodelle erlaubte die Abstraktion der betrachteten Systeme und Darstellung in Form eines daraus abgeleiteten generischen Funktionsbaums. Dabei stand das Umsatzprodukt Energie im Fokus, und es fand eine Konzentration auf die drei Hauptfunktionen „Energie speichern“, „Energie wandeln“ sowie „Energie nutzen“ statt. Auf Basis des Funktionsbaums fand eine Systematische Variation der möglichen Konfigurationen statt, was eine systematische Abfrage des gesamten Lösungsraums erlaubte [Deubzer 2009]. Insgesamt konnten damit aus den acht analysierten Systemarchitekturen 432 prinzipielle Möglichkeiten generiert werden, von denen nach einer Plausibilitätsprüfung 76 übrig blieben [Gorbea 2011].
Abb. 3-4. Generischer Funktionsbaum zur Ableitung möglicher Konfigurationen hybrider Antriebsstränge (Ausschnitt)
Die abstrahierte Darstellung von Systemen auf Basis ihrer Funktionen ist besonders in den frühen Phasen von Entwicklungsprozessen empfehlenswert, um zu einem besseren Systemverständnis sowie passenden Formulierungen vorliegender Problemstellungen zu gelangen. Im vorliegenden Beispiel wurde eine vollständige Abbildung des Lösungsraums erzielt, was in erster Linie die Einordnung und Bewertung der eigenen Lösungen des Unternehmens erlaubte. Des Weiteren wurden die Detaillierung des Potenzials einzelner Energiearten und deren Kopplungsarten im Antriebsstrang sowie der Vergleich möglicher Lösungen hinsichtlich ihres CO2-Einsparpotenzials ermöglicht. Durch die systematische Strukturierung kann auf den erzeugten Lösungsraum jederzeit zurückgegriffen werden, beispielsweise zur Bewertung von Lösungen im Kontext neuer und weiterentwickelter Technologien. In einem weiteren Schritt wurde das System um zusätzliche Energiearten erweitert, deren Nutzung in bisherigen Antriebssträngen heute noch keine Rolle spielt, beispielsweise Strahlungs-, Kern- und thermische Energie. Letztere liegt in Form von Abwärme vor, ist aber nur schwer nutzbar, da sie über das gesamte Fahrzeug verteilt ist. Durch die Identifikation von potenziell zukünftigen Möglichkeiten auf Basis von Funktionen kann durch eine solche Erweiterung des Betrachtungsrahmens die Lösungssuche innovationsorientiert unterstützt werden.
3.2 Methoden zur Funktionsmodellierung
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3.2 Methoden zur Funktionsmodellierung Nach der Festlegung der Anforderungen an das Produkt werden im Entwicklungsprozess die Funktionen des Systems betrachtet, was dem nächsten Schritt in der Produktkonkretisierung entspricht. Funktionen beschreiben den Zweck von technischen Systemen und deren Elementen, das heißt die Beziehung zwischen Eingangs- und Ausgangsgrößen des Systems, ohne Information darüber geben zu müssen, wie diese Transformation realisiert wird (Black Box). Funktionen werden formal durch die Kombination eines Substantivs mit einem Verb beschrieben [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005]. Die explizite Beschreibung und Darstellung von Funktionen wird als Funktionsmodell bezeichnet. Bei der Ermittlung der Funktionen eines technischen Produktes sind eine Reihe von Grundprinzipien des Denkens und Handelns von besonderer Bedeutung, insbesondere die Grundprinzipien der Abstraktion, der Problemzerlegung, der Projektion und der Konzentration [nach Lindemann 2009]. Denken in Funktionen heißt Abstrahieren und Arbeiten auf abstraktem Niveau. Das Grundprinzip der Abstraktion bedeutet in der Anwendung, dass nur die wesentlichen Aspekte eines Systems zu betrachten sind, die für die jeweilige Zielsetzung unwesentlichen Details werden weggelassen. Eine Abstraktion muss somit immer zielgerichtet erfolgen. Die Abstraktion kann sich dabei auf das betrachtete Objekt, die in der Funktion beschriebene Operation oder auf beides beziehen. Als Beispiel wird ein Luftschiff betrachtet. Mit der Formulierung „Güter transportieren“ ist dessen Funktion lösungsneutral beschrieben. Sie kann über unterschiedliche Wirkprinzipien und technische Konzepte realisiert werden. So könnte dieselbe Funktion beispielsweise auch durch einen Ochsenwagen oder einen Lastkraftwagen umgesetzt werden. Die Abstraktion kann auch über mehrere Stufen erfolgen, auf einem noch höheren Abstraktionsgrad kann die Funktion des Luftschiffs zum Beispiel mit „Stoffe leiten“ beschrieben werden.
Abb. 3-5. Verschiedene Möglichkeiten zur Realisierung der Funktion „Güter transportieren“
Bei der Funktionsmodellierung wird außerdem das Prinzip der Problemzerlegung angewandt. Gesamtfunktionen lassen sich in Teilfunktionen gliedern, die
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3 Funktionen
durch ihr Zusammenwirken zur Erfüllung der Gesamtfunktion beitragen. Die Betrachtung einzelner Teilfunktionen bietet die Möglichkeit, nur Teilausschnitte des Systems zu analysieren und dadurch die Komplexität der Bearbeitung zu reduzieren. Vor allem bei komplexen Systemen stellt die Funktionsmodellierung ein geeignetes Werkzeug dar, um schrittweise das System in seine Teilfunktionen zu zergliedern und diese in ihrem Zusammenhang zu erfassen. Dieses Vorgehen unterstützt die Festlegung von Arbeitsschwerpunkten.
Abb. 3-6. Zergliederung von Funktionen [nach Pahl et al. 2005]
Je nach Anwendungsfall und Entwicklungssituation können unterschiedliche Sichten auf das System im Fokus einer Funktionsmodellierung stehen (Projektion). Folglich können für ein und dasselbe Produkt ganz unterschiedliche Funktionen und Funktionsmodelle ermittelt werden. Zu den bedeutendsten Sichten bei der Entwicklung technischer Produkte zählen: x Betonung des Umsatzproduktes: Hier steht die Betrachtung von Umsatzprodukten im Vordergrund, wie es beispielsweise beim Umsatzorientierten Funktionsmodell der Fall ist. Dabei werden als Umsatzarten der Stoffumsatz, der Energieumsatz und der Signalumsatz unterschieden. x Betonung der Relationen: Stehen die Wechselbeziehungen von Funktionen untereinander im Mittelpunkt, so bietet sich die Relationsorientierte Funktionsmodellierung als Modellierungsmethode an. Hier werden Funktionen danach unterschieden, ob sie den Systemzweck oder eine andere Funktion im System positiv oder negativ beeinflussen, und werden dementsprechend als nützliche Funktionen und schädliche Funktionen abgebildet. x Betonung des Nutzers: Die Interaktionen des Nutzers mit dem System stehen hier im Fokus. So lassen sich Funktionen beispielsweise in Gebrauchsfunktionen oder Geltungsfunktionen einteilen [Ehrlenspiel 2009]. Die Abbildungen der Funktionen aus Nutzersicht und der Interaktion verschiedener Nutzer mit dem System kann in einem Nutzerorientierten Funktionsmodell erfolgen [Lindemann 2009].
3.2 Methoden zur Funktionsmodellierung
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Abb. 3-7. Unterschiedliche Sichtweisen auf die Funktionen eines Systems (Projektionen)
Ein technisches Produkt kann nicht in einem Schritt in seiner Gesamtheit erfasst und modelliert werden. Daher bietet es sich an, zunächst nur die wichtigen Teilaspekte zu betrachten, was sich in dem Grundprinzip der Konzentration ausdrückt. Hauptfunktionen tragen dabei unmittelbar zur Gesamtfunktion des Systems bei. Nebenfunktionen tragen nicht unmittelbar zur Gesamtfunktion bei, sind aber beispielsweise als Voraussetzungen im System erforderlich, damit Hauptfunktionen erfüllt werden können. Zunächst ist also eine Konzentration der Betrachtung auf die Hauptfunktionen sinnvoll, die weitere Vervollständigung und Detaillierung des Funktionsmodells und die Betrachtung von Nebenfunktionen erfolgt dann schrittweise. In einem Funktionsmodell werden die einzelnen Funktionen des Produktes in ihrem Zusammenhang dargestellt. Hierbei sind verschiedene Formen von Funktionsstrukturen zu unterscheiden. Die einfachste Form eines Funktionsmodells ist die Aufzählung der Funktionen in einer Funktionsliste. Diese Form der Darstellung bietet sich an, wenn die Teilfunktionen relativ unabhängig voneinander zu betrachten sind. Funktionslisten können zudem eingesetzt werden, um die zu betrachtenden Funktionen komplexer Systeme zu sammeln, bevor sie anschließend in einer vernetzten Darstellung abgebildet werden. Im nächsten Schritt können Funktionen hierarchisch als Funktionsbaum aufgebaut werden. Den Ausgangspunkt bildet die Gesamtfunktion des Systems. Dieser sind die Teilfunktionen, die zum Generieren der Gesamtfunktion erforderlich sind, in hierarchischer Form untergeordnet. Den Teilfunktionen sind weitere Teilfunktionen untergeordnet. Funktionen treten häufig in netzwerkartigen Beziehungen zueinander auf. Deshalb ist die Darstellung der Funktionen in Form eines Funktionsnetzes oftmals hilfreich. Betrachtet man beispielsweise ein System aus Sicht der bearbeiteten Umsatzprodukte (Projektion), können die Funktionen zuerst in einer Liste aufgezählt und anschließend in einem Umsatzorientieren Funktionsmodell in einer netzartigen Struktur abgebildet werden. Formal existieren verschiedene Formen der Funktionsmodellierung. Die Beschreibung von Funktionen kann grundsätzlich verbal, grafisch oder in einer Kombination aus verbaler und grafischer Beschreibung erfolgen. Dabei ist zu beachten, dass sich in verschiedenen Disziplinen, Branchen und Unternehmen unterschiedliche Symbole und Nomenklaturen für die Beschreibung der Funktionen
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3 Funktionen
etabliert haben. Je nach Domäne und Anwendungsfall kommen unterschiedliche Modellierungsformen zur Anwendung. So werden in der Pneumatik und Hydraulik die Funktionsweise und der flussorientierte Zusammenhang zwischen den Funktionen und Zuständen im sogenannten Funktionsschaltplan abgebildet. Aussagen zur konkreten Realisierung der Funktionsträger auf Wirk- und Bauebene werden dabei nicht getroffen. Zur Beschreibung der Funktionsweise eines Elektronischen Stabilitätsprogrammes (ESP) kann die mechanisch-hydraulische Funktionalität beispielsweise in einem Funktionsschaltplan nach [DIN ISO 1219-1] dargestellt werden. Die Abbildung der logischen Sequenzen der Steuerung aus regelungstechnischer Sicht kann beispielsweise mittels der Modellierungssprache der Ereignisgesteuerten Prozesskette (EPK) [Scheer 2001] erfolgen. In der Softwaretechnik werden Funktionen anhand von Use-Case-Diagrammen dargestellt, einer Modellierungsart der Unified Modeling Language (UML) [Rumbaugh et al. 1993, Bruegge et al. 2000].
Abb. 3-8. Darstellungsformen in Funktionsmodellen am Beispiel eines elektronischen Stabilitätsprogrammes (ESP) bei Kraftfahrzeugen
Die Auswahl einer geeigneten Darstellungsform hängt stark vom Anwendungsfall und der Entwicklungsaufgabe ab. Für verschiedene Projektionen auf ein System eignen sich die verschiedenen Darstellungsformen unterschiedlich gut. Meist ist ein einzelnes Modell nicht ausreichend. Durch die Erarbeitung unterschiedlicher Funktionsmodelle können mehrere Aspekte des Systems – auch aus unterschiedlichen Blickrichtungen – betrachtet werden. Eine Auswahl der geeigneten Modellierungsmethode kann unter anderem nach folgenden Kriterien erfolgen: x Zweck der Modellierung: Analyse existierender Systeme, Lösungssuche für ein neu zu entwickelndes System, Vergleich verschiedener Systemalternativen x Art der abzubildenden Funktionen: Gebrauchsfunktionen, Geltungsfunktionen x Art der abzubildenden Abhängigkeiten: zeitliche Abläufe, logische Abhängigkeiten, Systemumsätze
3.2 Methoden zur Funktionsmodellierung
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Im Rahmen der Produktkonkretisierung repräsentiert die Funktionsebene die abstrakteste Beschreibungsform des Produktes. Ausgangspunkt für die Funktionsmodellierung ist zum einen der Anforderungsraum und die darin enthaltenen (funktionalen) Anforderungen an das technische System, wie sie im Lastenheft, im Pflichtenheft oder allgemein in einer Anforderungsliste dokumentiert sind. Funktionsmodelle stellen eine erste Konkretisierung der inneren Struktur des Systems dar und beschreiben beispielsweise, wie die durch die Anforderungen formulierten Wirkungen, zum Beispiel Zustände der Umsatzprodukte, funktionell erzeugt werden können.
Abb. 3-9. Einordnung in das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM)
Funktionsmodelle werden außerdem häufig dazu eingesetzt, bestehende technische Systeme zu analysieren und in ihrer Funktionsweise zu durchdringen. Dieser Prozess der Abstraktion hilft den Entwicklern zum einen dabei, ein besseres Systemverständnis zu erarbeiten, zum anderen wird dadurch eine gezielte Lösungssuche vorbereitet. Bei der Systemanalyse kommt insbesondere der Untersuchung der Vernetzung der Funktionen eine hohe Bedeutung zu, um Zielkonflikte und Verbesserungspotenziale systematisch zu identifizieren. Funktionsmodelle stellen die Beschreibung des Systems auf abstraktem Niveau dar. Somit ist es bereits auf Funktionsebene möglich, alternative Lösungsansätze zu generieren, beispielsweise durch das Hinzufügen oder Weglassen von Funktionen beziehungsweise die Variation der Relationen zwischen den Funktionen. Funktionsmodelle werden schließlich in vielfältiger Weise in den weiteren Entwicklungsprozess eingebracht. Die Berücksichtigung von Funktionen ist bedeutsam für die Lösungssuche, die Produktkonkretisierung, die Fehlersuche und andere Entwicklungsaktivitäten. Aufbauend auf Funktionsmodellen werden im Rahmen der Lösungssuche Wirkprinzipien zur Realisierung der Teilfunktionen ermittelt und ausgewählt. Die abstrakte Darstellung eines Systems auf Funktionsebene hat besondere Bedeutung bei der Entwicklung innovativer Produkte. Eingefahrene Denkmuster können durch den hohen Abstraktionsgrad aufgebrochen und die Entwicklung von innovativen Lösungen gefördert werden. Funktionsmodelle
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als abstrakte Systembeschreibungen stellen insbesondere für eine interdisziplinäre Lösungssuche eine geeignete Ausgangsbasis dar, beispielsweise bei der Entwicklung mechatronischer Produkte. Aus Funktionsmodellen heraus lassen sich größere Einheiten zusammengehöriger Funktionen ermitteln, auch Funktionseinheiten oder Funktionsmodule genannt. Somit unterstützt die Funktionsmodellierung die Gliederung des Gesamtsystems in Subsysteme, die im Rahmen des weiteren Prozesses parallel weiter bearbeitet und später wieder integriert werden können. Die Funktionsmodellierung stellt den Übergang von der Aufgabenklärung in die Lösungssuche dar. Funktionen besitzen hier je nach Sichtweise einen unterschiedlichen Charakter. Funktionen beschreiben zum einen das geforderte Verhalten des Produktes, sind damit Teil des Zielmodells und stehen in enger Verbindung zu den Anforderungen. Andererseits können mithilfe von Funktionen Problemstellungen formuliert werden, beispielweise über schädliche Funktionen. Funktionen können somit auch Teil des Problemmodells sein. Schließlich ist das Funktionsmodell eine erste Beschreibung der Lösung. Funktionen sind somit in diesem Kontext Teil des Entwicklungsmodells. Die Festlegungen im Funktionsmodell haben entscheidenden Einfluss auf die Systemarchitektur und auf die Gestaltung des Produktes auf Wirk- und Bauebene. Da Funktionsmodelle oftmals den Ausgangspunkt für die Entwicklung von umfassenden variantenreichen Produktfamilien darstellen, ist ihr Einfluss nicht nur auf ein einzelnes Produkt begrenzt. Weiterhin fördert die Erstellung eines Funktionsmodells im Team das gemeinsame Verständnis für das System. Besonders bei Entwicklungen in interdisziplinären Teams stellt die abstrakte Beschreibung eine Arbeitsgrundlage bereit, die die Kommunikation und Abstimmung erleichtert.
3.2.1 Wie lassen sich Funktionen aus Anforderungen ableiten? Funktionsmodelle lassen sich auf Basis von Anforderungsmodellen ableiten, es existiert ein enger Zusammenhang zwischen (funktionalen) Anforderungen und den korrespondierenden Funktionen. Eine Anforderung an ein Elektrogerät lautet beispielsweise „Drehmoment am Werkzeug: 20 Nm“, die zugehörige Funktion lautet „Drehmoment bereitstellen“. Für die Realisierung dieser Funktion sind wiederum weitere Funktionen erforderlich. Bei der Erstellung eines Funktionsmodells auf Basis der Anforderungen können unterschiedliche Herangehensweisen und Methoden gewählt werden, je nach Sichtweise auf das System. Ausgangspunkt für ein Funktionsmodell kann die Gesamtfunktion des Produktes sein. In einem Funktionsbaum lassen sich nun schrittweise die zugehörigen Teilfunktionen ermitteln und in einer hierarchischen Struktur dokumentieren. Die Gesamtfunktion „Güter transportieren“ lässt sich beispielsweise in die Teilfunktionen „Antriebsenergie bereitstellen“ und „Güter schützen“ gliedern. Diese Gliederung kann über mehrere Ebenen erfolgen. Die Lösungsneutralität nimmt dabei tendenziell mit jeder Hierarchiestufe ab.
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Abb. 3-10. Funktionsbaum am Beispiel der Funktion „Güter transportieren“
Die Umsatzorientierte Funktionsmodellierung [nach Ehrlenspiel 2009] dient der Beschreibung der Eigenschaftsänderungen von Umsatzprodukten. Sie ist gut geeignet, Systeme mit Stoff-, Energie- und Signalflüssen darzustellen. Grenzen der Eignung dieser Modellierungsmethode liegen in der Abbildung dynamischer Vorgänge, wie dies beispielsweise bei über der Zeit veränderlichen Systemen nötig ist. Ferner stellt die Umsatzorientierte Funktionsmodellierung nur begrenzte Verknüpfungsmöglichkeiten bereit, um logische Zusammenhänge (beispielsweise Entscheidungsabfragen in der Regelungstechnik) abzubilden. Eine Funktion wird im Umsatzorientierten Funktionsmodell über mindestens einen Eingangszustand, einen Ausgangszustand sowie eine Operation dargestellt. Zustände werden dabei als Kreise, Operationen als Rechtecke repräsentiert. Die Operation beschreibt die Eigenschaftsänderung des Umsatzproduktes. Der Operation können ein oder mehrere Funktionsträger zugeordnet werden, deren Realisierung über Wirkprinzipien und Bauelemente in späteren Konkretisierungsstufen beschrieben wird. Zustände und Operationen werden durch Relationen verbunden, die durch Pfeile dargestellt werden. Pfeilart und Pfeilrichtung geben dabei Auskunft über die Umsatzart (Stoff, Energie, Signal) und die Wirkrichtung der Zustandsänderung. Die einzelnen Funktionen und Zustände eines Systems werden bei einem Umsatzorientierten Funktionsmodell über Relationen zu einem Funktionsnetz beziehungsweise einer Funktionsstruktur verknüpft.
Abb. 3-11. Formaler Aufbau einer Funktion im Umsatzorientierten Funktionsmodell [nach Ehrlenspiel 2009]
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Die Erstellung eines Umsatzorientierten Funktionsmodells wird im Folgenden erläutert. Zunächst wird das Ziel der Funktionsmodellierung festgelegt, also zu welchem Zweck die Modellierung erfolgt. Im nächsten Schritt ist ein geeigneter Abstraktions- beziehungsweise Detaillierungsgrad zu wählen. Sodann ist die Systemgrenze festzulegen, die das zu betrachtende System vom Umfeld trennt. Dabei hat eine Konzentration auf wesentliche Aspekte und Systemelemente zu erfolgen. Detaillierungsgrad und Systemgrenze hängen direkt miteinander zusammen: bei einer weiten Systemgrenze bietet es sich an, das System eher gröber zu betrachten. Bei einer engeren Systemgrenze kann man das System detaillierter untersuchen. Im Verlauf des Entwicklungsprozesses sind sowohl der Abstraktionsgrad als auch die Systemgrenze in Abhängigkeit der Problemstellung geeignet anzupassen. Ausgehend von den Eingangs- und Ausgangszuständen an der Systemgrenze wird sodann das Systeminnere, das zunächst unbekannt ist und durch eine Black Box repräsentiert wird, schrittweise konkretisiert. Um die Komplexität von Systemen zu beherrschen, werden bei der Umsatzorientierten Funktionsmodellierung Haupt- und Nebenumsätze unterschieden. Dabei ist der Hauptumsatz der direkt am Systemzweck beteiligte Umsatz. Als Nebenumsätze werden Umsätze abgebildet, die nur indirekt zum Systemzweck beitragen oder an Operationen des Hauptumsatzes anknüpfen. Zunächst wird der Hauptumsatz modelliert. Dabei werden die Zustände und Operationen im Hauptumsatz beschrieben und derart vernetzt, dass dadurch die für den Hauptumsatz relevanten Eingangs- und Ausgangsgrößen an der Systemgrenze miteinander in Beziehung gebracht werden. Schließlich werden die Nebenumsätze modelliert. Es werden diejenigen Zustände und Operationen ermittelt und verkettet, die für die Realisierung des Hauptumsatzes erforderlich sind. Um unterschiedliche Nebenumsätze sinnvoll an den Hauptumsatz anbinden zu können, sind mehrere Verknüpfungsarten möglich. x Bedingungszustand: Ein Zustand im Nebenumsatz ist notwendig für eine Operation im Hauptumsatz. Liegt dieser Zustand nicht vor, kann die Operation im Hauptumsatz nicht erfolgen. x Ergänzungszustand: Eine Operation im Hauptumsatz führt zu einem Zustand in einem Nebenumsatz, der sich aufgrund von Gleichgewichtsbedingungen oder Erhaltungssätzen zwangsweise ergibt. x Prozesszustand: Ein Nebenumsatz knüpft an die Eigenschaftsänderung des Hauptumsatzproduktes an. Bei der Aufstellung eines Umsatzorientierten Funktionsmodells sind gewisse formale Regeln zu beachten. Beispielsweise herrscht innerhalb eines Haupt- oder Nebenumsatzes nur eine Umsatzart vor, der Fluss des jeweiligen Umsatzproduktes darf nicht unterbrochen sein (Flussregel). Zudem beginnt ein Hauptumsatz mit einem oder mehreren Zuständen und endet mit einem oder mehreren Zuständen (Vollständigkeitsregel). Im Funktionsmodell lassen sich zudem charakteristische Strukturformen darstellen, beispielweise Reihenschaltungen, Parallelschaltungen und Kreisschaltungen.
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Am Beispiel eines Palettierroboters wird die grundsätzliche Struktur eines Umsatzorientierten Funktionsmodells erläutert. Umsatzprodukte im Hauptumsatz sind in diesem Fall Paletten, es handelt sich um einen Stoffumsatz. Der Eingangszustand an der Systemgrenze ist „Palette auf Förderband“, der Ausgangszustand ist „Palette auf Stapel“. Um die Paletten in ihren Zielzustand zu überführen, sind verschiedene Teilfunktionen erforderlich, nämlich das Greifen, das Bewegen und das Absetzen der Paletten. Diesen Operationen kann man Funktionsträger zuordnen, beispielsweise einen Greifer für das Greifen und Absetzen sowie einen Roboterarm für das Bewegen der Paletten. Das Funktionsmodell wird im Folgenden um Nebenumsätze erweitert, die auf verschiedene Weisen an den Hauptumsatz angebunden werden können. Die Operation „Palette bewegen“ kann nur durchgeführt werden, wenn ein Drehmoment am Roboterarm anliegt. Daher stellt der Zustand „Drehmoment am Roboterarm“ einen Bedingungszustand dar. Der Zustand „Drehmoment im Grundgerüst“ stellt einen Ergänzungszustand der Operation „Energie wandeln“ dar, da das Drehmoment der Bewegung des Roboterarmes im Gestell aufgenommen und abgestützt werden muss. Die Stapelhöhe der gestapelten Paletten wird direkt am Hauptumsatz als Prozessgröße abgegriffen. Diese Verknüpfung ist über einen Prozesszustand dargestellt.
Abb. 3-12. Umsatzorientiertes Funktionsmodell am Beispiel eines Palettierroboters
Eine weitere Möglichkeit der Funktionsbetrachtung ausgehend vom Anforderungsraum ist die Relationsorientierte Funktionsmodellierung, bei der nützliche und schädliche Funktionen unterschieden werden. Ausgangspunkt für die Aufstellung des Modells sind die geforderte wesentliche nützliche Funktion und die vermutete wesentliche schädliche Funktion. Beim Palettierroboter stellt beispielsweise die Beschädigung der Paletten eine schädliche Funktion dar.
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Anforderungen und Funktionen stehen in einem engen Zusammenhang. Anforderungen beschreiben die Soll-Eigenschaften des zu entwickelnden Produktes. Funktionen beschreiben auf einer abstrakten und lösungsneutralen Ebene die Zusammenhänge im Produkt, die erforderlich sind, um diese Soll-Eigenschaften zu erfüllen. Der geeignete Grad der Lösungsneutralität ist dabei situationsabhängig zu definieren. Wenn im Beispiel des Palettierroboters von Anfang an eine Fokussierung auf pneumatische Lösungen für die Greiffunktion erfolgen soll, kann im Funktionsmodell die Erzeugung der für den Greifer erforderlichen Druckluft in einem Nebenumsatz dargestellt werden.
3.2.2 Wie lassen sich Funktionen aus bestehenden Lösungen ermitteln? Ausgangspunkt für eine Funktionsbetrachtung sind oftmals bestehende Lösungen auf Wirk- oder Bauebene. Hierbei kann es sich um das eigene Vorgängermodell oder um Wettbewerbsprodukte handeln. Die Systeme liegen dabei entweder konkret als physische Produkte vor, die im Markt vertrieben werden, oder aber in konzeptueller Form, beispielsweise als Patent. Ziel der Erstellung eines Funktionsmodells ist es hier, sich auf wesentliche technische Systemzusammenhänge zu konzentrieren und Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Basis für das Funktionsmodell kann zum Beispiel die vorhandene Baustruktur bilden, also die Gliederung des Produktes in Bauelemente, das heißt Module, Baugruppen und Bauteile. Anhand dieser Struktur lässt sich ein Funktionsbaum ableiten, indem für jedes Bauelement die realisierten Funktionen identifiziert werden. Dabei ist eine geeignete Strukturierung anzustreben, unter anderem über die Wahl der Anzahl der Hierarchiestufen. Dabei kann die funktionsorientierte Struktur im Funktionsbaum abweichen von vorhandenen Baustrukturen, wie sie beispielsweise in montageorientierten Stücklisten dargestellt sind. Die Relationsorientierte Funktionsmodellierung dient dazu, die betrachtete technische Problemstellung als Vorbereitung zur Lösungssuche zu analysieren. Ziel ist es, aus dem Funktionsmodell heraus Problemformulierungen abzuleiten, die eine gezielte Lösungssuche ermöglichen. Die Art der Problemformulierung gibt dabei oft bereits einen Hinweis darauf, wie das jeweilige Problem gelöst werden kann. Im Fokus einer Relationsorientierten Funktionsmodellierung stehen nicht die vollständige Modellierung eines Systems, sondern die Identifikation der wesentlichen Systemzusammenhänge und die Konzentration auf die wichtigsten technischen Problemstellungen. Bei der Relationsorientierten Funktionsmodellierung werden zwei Arten von Funktionen unterschieden. Funktionen, die dem Systemzweck zuträglich sind, werden als nützliche Funktionen dargestellt. Funktionen, die den Systemzweck stören oder negativ beeinflussen, werden als schädliche Funktionen abgebildet. Das Funktionsmodell wird durch die sinnvolle Verknüpfung der technischen
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Funktionen über Relationen gebildet. Zur Verknüpfung der Funktionen stehen dabei drei Relationsarten zur Verfügung. Es wird unterschieden, ob eine Funktion als Voraussetzung für eine andere Funktion benötigt wird, ob sie diese verursacht oder ob sie zu deren Vermeidung eingeführt wurde. In Kombination mit der Klassifikation in nützliche und schädliche Funktionen, ergeben sich dadurch insgesamt vier unterschiedliche Relationsmuster [Herb 2000].
Abb. 3-13. Elemente und Symbole des Relationsorientierten Funktionsmodells
Der Aufbau des Funktionsmodells erfolgt durch systematisches Befragen des betrachteten technischen Systems [Terninko et al. 1997]. Die Fragestellungen bei Beginn der Modellierung sind: „Was ist die wesentliche nützliche Funktion des betrachteten Systems?“ und „Was ist die wesentliche schädliche Funktion des betrachteten Systems?“. Ausgehend von diesen beiden Funktionen (eventuell auch kleinen Funktionsgruppen) findet eine zweite Fragerunde statt. Für jede Funktion wird geklärt, ob eine Relation zu einer weiteren relevanten Funktion besteht. Dazu werden folgende vier Fragen an die nützlichen Funktionen gestellt: x „Wird diese nützliche Funktion für die Erfüllung einer weiteren nützlichen Funktion benötigt?“ x „Verursacht diese nützliche Funktion irgendwelche schädlichen Funktionen?“ x „Wurde diese nützliche Funktion eingeführt, um schädliche Funktionen zu unterdrücken?“ x „Setzt diese Funktion die Erfüllung weiterer nützlicher Funktionen voraus?“ Im Anschluss werden analog vier Fragen an die schädlichen Funktionen gestellt. Deren Beantwortung führt zu neuen Funktionen, um die das Funktionsmodell ergänzt wird. Die neu hinzugekommenen Funktionen werden in anschließenden Fragerunden ebenso untersucht. Diese Fragerunden werden im Allgemeinen etwa dreimal durchgeführt, bevor ein Abbruch der Modellierung erfolgt. Am Beispiel eines elektrisch betätigten Schiebedachs [Felgen 2007] wird das Vorgehen bei der Relationsorientierten Funktionsmodellierung verdeutlicht. Der Zweck und die wesentliche nützliche Funktion des Schiebedachs ist das automatische Öffnen und Schließen. Für die Realisierung dieser Funktion sind weitere nützliche Funktionen erforderlich, beispielsweise „mechanische Energie bereit-
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stellen“. Die wesentliche schädliche Funktion des Schiebedachs ist „Gliedmaßen einer Person einklemmen“. Um diese zu vermeiden, können weitere nützliche Funktionen eingeführt werden, zum Beispiel „Einklemmschutz gewährleisten“. Weitere nützliche und schädliche Funktionen können analog zur beschriebenen Vorgehensweise identifiziert und abgebildet werden.
Abb. 3-14. Relationsorientiertes Funktionsmodell eines elektrisch betätigten Schiebedachs [Felgen 2007]
Das Relationsorientierte Funktionsmodell bietet die Grundlage für die formale Ableitung von Problemformulierungen . Diese greifen zentrale Problemstellungen im Funktionsmodell auf und geben Anregungen für die Lösungssuche. Unter Problemformulierungen werden Sätze verstanden, die handlungsorientierten Charakter besitzen und damit die Suche nach Lösungen für das betrachtete technische Problem zielgerichtet initiieren. Zentrale Problemstellungen sind im Funktionsmodell als charakteristische Konstellationen zwischen den Funktionen erkennbar. Ein Beispiel hierfür ist der Umstand, dass bei dem Schiebedach für die nützliche Funktion „Einklemmschutz gewährleisten“ die nützliche Funktion „Öffnungs-/Schließvorgang selbstständig stoppen“ benötigt wird, diese aber wiederum die schädliche Funktion „Fehlreversierung hervorrufen“ verursachen kann. Die zugehörige Problemformulierung lautet rein formal: „Finde eine alternative Möglichkeit, (Öffnungs-/Schließvorgang selbstständig stoppen), die (Einklemmschutz gewährleisten) ermöglicht und nicht [Fehlreversierung hervorrufen] verursacht.“ Dabei werden die nützlichen Funktionen in runden Klammern, die schädlichen Funktionen in eckigen Klammern dargestellt. Durch die Identifikation von weiteren charakteristischen Konstellationen im Funktionsmodell und die Ableitung der entsprechenden Problemformulierungen ergibt sich eine Vielzahl von Ansatzpunkten für die Lösungssuche. Auch mittels einer Umsatzorientierten Funktionsmodellierung lassen sich bestehende Lösungen abstrahieren. Hierbei geht man von vorhandenen Funktionsträgern aus (Wirk- oder Bauelemente) und ordnet diesen die von ihnen realisierten Funktionen zu. Dabei werden Stoff-, Energie- und Signal-Umsätze identifiziert und im Modell dargestellt.
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Die Analyse bestehender Produktlösungen zu Beginn der Entwicklung führt somit zu wertvollen Erkenntnissen für die folgenden Schritte im Entwicklungsprozess. Für die Betrachtung eignen sich unter anderem eigene Vorgängermodelle, Wettbewerbsprodukte und Patente. Durch die Darstellung auf Funktionsebene werden die unterschiedlichen Lösungen vergleichbar, das System- und Problemverständnis kann auf diese Weise verbessert werden.
3.2.3 Wie lassen sich Funktionen variieren? Ein Funktionsmodell stellt einen guten Ausgangspunkt für die Lösungssuche dar. Erste Lösungsansätze für das zu entwickelnde Produkt können dabei durch die Variation des Funktionsmodells generiert werden. Die Bildung von Alternativen auf Funktionsebene bietet sich besonders dann an, wenn Entwicklungsaufgaben mit besonderem Innovationsanspruch vorliegen, oder zur Absicherung eigener Lösungen gezielt ein großes Lösungsfeld untersucht werden soll. Das Anstreben einer besonderen Innovationshöhe ist beispielsweise motiviert, wenn aus Wettbewerbsgründen bewusst neue Lösungen gesucht werden, die sich dadurch gegenüber den Produkten der Konkurrenz differenzieren lassen. Denkbar ist auch, dass aus Schutzrechtsgründen zur Absicherung der eigenen Lösungen oder der Umgehung fremder Schutzrechte gezielt ein Alternativenfeld untersucht werden soll. Durch die Systematische Variation können die durch intuitiv geprägte Methoden erarbeiteten Lösungen systematisch ergänzt werden. Das Vorgehen bei der Systematischen Variation auf Funktionsebene gestaltet sich wie folgt. Zunächst ist das Ausgangsobjekt für die Variation zu bestimmen. Dies kann ein Funktionsmodell sein, das aus der Funktionsanalyse eines Wettbewerbsgerätes stammt oder die erste Darstellung der eigenen Lösung auf Funktionsebene sein. Sodann ist das Ziel der Variation zu bestimmen. Das Funktionsmodell wird variiert, indem Merkmale des Systems in ihren Ausprägungen verändert werden. Wie dies konkret aussieht, hängt von der Art des Funktionsmodells ab. Im Anschluss an die Variation hat eine Prüfung und Bewertung der alternativen Lösungsmöglichkeiten auf Funktionsebene zu erfolgen. Die Umsatzorientierte Funktionsmodellierung kann dazu verwendet werden, alternative Funktionskonzepte für ein Produkt zu generieren. Die Variation dient dabei zum Beispiel der Vereinfachung der Funktionsstruktur. Als Hilfsmittel kann eine Checkliste zur Variation der Funktion herangezogen werden. Diese stellt eine Übersicht über grundsätzliche Operationen zur Variation von Umsatzorientierten Funktionsmodellen dar. Beispielsweise können Funktionen weggelassen, hinzugefügt oder die Reihenfolge bestehender Funktionen vertauscht werden. Eine Parallelschaltung von Funktionen kann die Zuverlässigkeit des Systems erhöhen (Redundanz), durch die Einführung von Kreisschaltungen können Regelungs- und Steuerungsfunktionen im System hinzugefügt werden.
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Abb. 3-15. Checkliste zur Variation der Funktion (Umsatzorientiert)
Eine Systematische Variation kann auch im Relationsorientierten Funktionsmodell durchgeführt werden, beispielsweise über die Elimination schädlicher Funktionen durch die Einführung neuer nützlicher Funktionen. Eine wesentliche nützliche Funktion von Eishockey-Schlittschuhen ist es, die Mobilität des Spielers zu gewährleisten. Voraussetzung hierfür ist die Gewährung von Standvermögen, was durch eine vergrößerte Aufstandslänge gewährleistet wird. Dies führt jedoch zu schädlichen Funktionen wie der Verschlechterung der rotatorischen Beweglichkeit und damit zur Belastung von Gelenken und Bändern. Um diese zu vermeiden, kann das Funktionsmodell variiert werden, indem eine nützliche Funktion eingeführt wird, welche die rotatorische Beweglichkeit unterstützt. Diese trägt außerdem zur wesentlichen nützlichen Funktion bei, die Mobilität des Spielers zu erhöhen. Realisiert wird diese Funktion zum Beispiel durch einen flexiblen Kufenträger, der sich bei Kurvenfahrten ein wenig entlang des Kurvenradius verbiegt.
Abb. 3-16. Variation des Relationsorientierten Funktionsmodells für einen Eishockey-Schlittschuh
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3.2.4 Wie lassen sich Funktionen in den weiteren Entwicklungsprozess einbringen? Nach ihrer Ermittlung und Darstellung in Funktionsmodellen spielen Funktionen an verschiedenen weiteren Stellen im Entwicklungsprozess eine wichtige Rolle. Sie sind von Bedeutung für die Lösungssuche wie auch für die Eigenschaftsanalyse. Außerdem wirken sich die Festlegungen auf Funktionsebene auf die Systemarchitektur und die Möglichkeiten der Realisierung auf Wirk- und Bauebene aus.
Abb. 3-17. Funktionen im weiteren Entwicklungsprozess – Übersicht
Funktionen stellen einen Input dar für die gezielte Suche nach Wirkprinzipien. Die Zergliederung der Problemstellung im Funktionsmodell und die Ermittlung einzelner Teilfunktionen ist Basis für eine fokussierte Suche nach Teillösungen. Methoden wie die Lösungssuche mit physikalischen Effekten oder die Widerspruchsorientierte Lösungssuche bauen explizit auf Funktionen auf [Lindemann 2009, Herb 2000]. Wurde eine große Vielfalt an Lösungsideen generiert, dienen Funktionen wiederum zur Ordnung des Lösungsspektrums, beispielsweise in einem Morphologischen Kasten. Funktionen stellen auch einen wichtigen Input für die Eigenschaftsanalyse dar. Die strukturierte Übersicht über die Funktionen eines Produktes dient als Basis für eine Funktionskostenanalyse, die im Rahmen von Wertanalyseprojekten und im Target Costing [Ehrlenspiel et al. 2007, Zirkler 2010] genutzt wird. Analog dient das Funktionsmodell der Analyse weiterer Produkteigenschaften wie der Sicherheit und Zuverlässigkeit. Bei einem Einsatz von Methoden der präventiven Qualitätssicherung wie beispielsweise der Failure Mode and Effects Analysis (FMEA) dienen Funktionen als Ausgangspunkt für die Suche nach Schwachstellen und Risiken im Produkt. Die Nichterfüllung einer Funktion stellt dabei eine tatsächliche oder potenzielle
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Schwachstelle dar. Diese Zusammenhänge können in einem Funktionsbaum dokumentiert werden, der durch die Ergänzung um Schwachstellen und Risiken zum Fehlerbaum wird. Darüber hinaus ist bei der Fehlersuche die Ermittlung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen erforderlich. Die Zusammenhänge in einem Funktionsnetz können als Basis dienen für die Ableitung eines Fehlernetzes. In späteren Schritten im Entwicklungsprozess findet eine Verknüpfung des Funktionsmodells mit dem Baumodell statt [Diehl 2009], was einen deutlichen Einfluss auf die Systemarchitektur hat. Relevante Gestaltungsprinzipien in diesem Zusammenhang sind die Funktionsintegration, bei der einzelne Bauelemente mehrere Funktionen realisieren, sowie die Funktionsdifferenzierung, bei der einzelne Bauelemente jeweils nur eine Funktion realisieren. Die Ausprägung dieser Verknüpfungen hat wesentlichen Einfluss auf die Modularität des Produktes, und damit auf weitere Eigenschaften wie Montagegerechtheit oder Variantengerechtheit. Von hoher Bedeutung ist hierbei die Betrachtung der Schnittstellen. Funktionen spielen somit eine wichtige Rolle für die weiteren Konkretisierungsstufen des Produktes. Ebenso wie das Anforderungsmodell ist das Funktionsmodell im Laufe des weiteren Entwicklungsprozesses kontinuierlich zu detaillieren und anzupassen. In diesem Zuge nimmt auch die Lösungsneutralität des Funktionsmodells ab.
3.3 Funktionsmodellierung für einen Pflanzenölkocher Die zunehmende Verknappung fossiler Brennstoffe macht die Entwicklung alternativer Konzepte zur Energiewandlung nicht nur für hoch entwickelte Industrienationen, sondern auch für Schwellen- und Entwicklungsländer notwendig. Ein Produkt, das auf den Einsatz nachwachsender Rohstoffe setzt, ist ein Pflanzenölkocher, der seit mehreren Jahren von einem der weltgrößten Hersteller für Hausgeräte speziell für Entwicklungsländer entwickelt wird [BSH 2006].
Abb. 3-18. Pflanzenölkocher für Entwicklungsländer mit Darstellung der Verdampferwendel (mit freundlicher Genehmigung der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH)
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Bei diesem Kocher wird flüssiges Pflanzenöl von einem Drucktank in den Verdampfer geleitet, wo es durch die Wärmezufuhr der Verdampferflamme in den gasförmigen Zustand übergeht. Dieser nun gasförmige Brennstoff vermischt sich mit Umgebungsluft, verbrennt und gibt so die benötigte Heizenergie ab. Nachdem die prinzipielle Funktionsweise dieses Verfahrens in mehreren Forschungs- und Entwicklungsprojekten sichergestellt werden konnte, zeigten sich im praktischen Einsatz jedoch große Herausforderungen zur Reinigung der Verdampferwendel. Bei der Umwandlung des Pflanzenöls in das Brenngas entstehen Nebenprodukte, die sich in der Wendel absetzen und diese zunehmend verengen. Daher sollten in einem Entwicklungsprojekt Lösungen gefunden werden, die eine kostengünstige Reinigung der Verdampferwendel ermöglichen. Im Laufe des Projektes wurden verschiedene Funktionsmodelle erstellt. Ein erstes Modell diente dem Team zunächst zur Erlangung eines detaillierten Systemverständnisses in Bezug auf das existierende System. Später fanden mithilfe eines zweiten Funktionsmodells eine Fokussierung der Problemstellung und die Vorbereitung einer zielorientierten Lösungssuche statt. Schließlich diente ein drittes Funktionsmodell zur strukturierten Darstellung der entwickelten Lösung. Im Folgenden werden die Schritte im Entwicklungsprozess und die erarbeiteten Funktionsmodelle näher beschrieben. Die prinzipielle Funktionsweise des gesamten Kochers wurde in einem Umsatzorientierten Funktionsmodell abgebildet. Da die Entwicklung eines Reinigungskonzeptes im Team stattfand, diente das Funktionsmodell dazu, ein gemeinsames Verständnis zur Funktionsweise des Kochers zu erlangen. Ein zentrales Element im System stellt beispielsweise die Wendel dar, in der die Verdampfung des Pflanzenöls sowie die Verbrennung des Gemischs aus gasförmigem Pflanzenöl und Umgebungsluft stattfinden.
Abb. 3-19. Umsatzorientiertes Funktionsmodell des Pflanzenölkochers
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Um die Problemstellung gezielt herauszuarbeiten, wurde im Anschluss daran ein Relationsorientiertes Funktionsmodell aufgestellt. Als wesentliche schädliche Funktion wurde die Ablagerung von Verbrennungsnebenprodukten in der Wendel identifiziert. Diese verursacht die ungewünschte Funktion „Verdampferwendel reinigen“. Aus dem Funktionsmodell wurden verschiedene Problemformulierungen abgeleitet, die eine fokussierte Lösungssuche unterstützten.
Abb. 3-20. Relationsorientiertes Funktionsmodell des Pflanzenölkochers
In einem ersten Schritt wurde zunächst nach Lösungsmöglichkeiten gesucht, das Anlagern der Feststoffe in der Wendel durch konstruktive Maßnahmen gänzlich zu vermeiden. Es wurden verschiedene Lösungsideen entwickelt, die alternative Geometrien, Werkstoffe oder Oberflächen vorsahen. Nach Rücksprache mit dem Auftraggeber waren hier jedoch die Freiheitsgrade äußerst eingeschränkt, da derartige Änderungen im Wendelrohr negative Einflüsse auf den eigentlichen Verbrennungsvorgang zur Folge gehabt hätten. Dieser Weg wurde deshalb nicht weiter verfolgt. Das Entwicklungsteam entschied sich daher, in einem zweiten Schritt nach konstruktiven Lösungsmöglichkeiten zum Entfernen der Feststoffe aus der Verdampferwendel zu suchen. In mehreren Kreativsitzungen wurden hierfür Lösungsideen generiert. Die vielversprechendsten Lösungsideen wurden ausgewählt und zu alternativen Lösungskonzepten konkretisiert. Schließlich wurde ein Konzept ausgewählt, das die Reinigung der Wendel über einen Schlauch mit aufgesetzten Schneidkörpern vorsieht. Dieses Konzept wurde bezüglich der Kriterien Reinigungswirkung und Kosten als die beste Lösung bewertet. Zur Detaillierung des Lösungskonzeptes wurde für die Reinigungsvorrichtung anschließend ein Funktionsbaum erstellt [Biedermann 2006]. Ausgangspunkt ist die Gesamtfunktion „Wendel reinigen“, die hierarchisch in Teilfunktionen untergliedert wurde. Teilfunktionen der Reinigungsvorrichtung sind „Rückstände lösen“ und „Rückstände abtransportieren“. Das Lösen der Verbrennungsrückstände wird durch die Bewegung der Schneidkörper realisiert. Um die Wirkung der Schneidkörper zu erhöhen, werden diese mit einem aufgeblasenen Schlauch auf die Rückstände gedrückt. Die Schneidkörper und der Schlauch sind so verbunden, dass eine Bewegung des Schlauchs zu einer Bewegung der Schneidkörper führt.
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Abb. 3-21. Funktionsbaum der Reinigungsvorrichtung [nach Biedermann 2006]
Die Detaillierung der Funktionen im Funktionsbaum ist zunehmend lösungsspezifisch. Auf der untersten Ebene wurden den Teilfunktionen die entsprechenden Funktionsträger zugeordnet. Funktionsträger sind hier die Elemente Druckspeicher, Verschluss, Schlauch, Einführhilfe, Verbindung und Schneidkörper. Dabei übernehmen einzelne Systemelemente mehrere Funktionen. Beispielsweise ist der Schlauch sowohl an der Bewegung der Schneidkörper als auch an dem Drücken der Schneidkörper auf die Verbrennungsrückstände beteiligt. Die Visualisierung der Zusammenhänge zwischen Funktionen und Funktionsträgern im Funktionsbaum war dem Entwicklungsteam eine Hilfestellung bei der weiteren Konkretisierung des Lösungskonzeptes und der Erarbeitung einer Gestaltlösung für die Reinigungsvorrichtung. Im Laufe des Entwicklungsprozesses wurden somit verschiedene Funktionsmodelle für unterschiedliche Zwecke erstellt. Die Funktionsmodellierung ermöglichte zum einen die systematische Herausarbeitung der relevanten Funktionen des Pflanzenölkochers, zum anderen die Fokussierung der Problemstellung als Vorbereitung für die Lösungssuche. Darauf aufbauend konnte ein innovatives Lösungskonzept mit besonders guter Reinigungswirkung innerhalb des definierten Kostenrahmens gefunden werden. Die Zuordnung der Teilfunktionen zu Funktionsträgern ermöglichte schließlich die Strukturierung des ausgewählten Lösungskonzeptes und stellte die Basis für die weitere Produktkonkretisierung auf Wirk- und Bauebene dar.
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3.4 Zusammenfassung Die Betrachtung von Funktionen ist zum einen für die Analyse technischer Systeme von Bedeutung, um das System- und Problemverständnis zu erhöhen. Zum anderen können bereits auf Funktionsebene im Rahmen der Synthese erste Lösungskonzepte generiert werden (Funktionskonzepte). Das Denken in Funktionen basiert auf den Grundprinzipien Abstraktion, Problemzerlegung, Projektion und Konzentration. Diese unterstützen den Entwickler dabei, im Rahmen der Problemklärung die wichtigen und entscheidenden Fragestellungen zu identifizieren, um somit eine zielgerichtete Lösungssuche vorzubereiten. Funktionsmodelle können in unterschiedlichen Darstellungsformen verschiedenen Zwecken dienen. Während bei einer einfachen Aufzählung der Funktionen in Form einer Liste der Überblick über den Funktionsumfang des technischen Systems im Vordergrund steht, geht es bei einer vernetzten Darstellung um die Wechselbeziehungen zwischen den Funktionen untereinander und die Systemlogik. Zur vernetzten Darstellung von Funktionen eignen sich für mechatronische Produkte aus dem Maschinen- und Anlagenbau die Umsatzorientierte und die Relationsorientierte Funktionsmodellierung. Die Relationsorientierte Funktionsmodellierung hat durch die Möglichkeit zur Aufstellung von Problemformulierungen einen starken handlungsorientierten Charakter, außerdem steht die Identifikation technischer Widersprüche und Zielkonflikte im Vordergrund. Hauptziele der Umsatzorientierten Funktionsmodellierung sind die Gliederung der Gesamtfunktion des technischen Systems in Teilfunktionen sowie die Darstellung von Stoff-, Energie- und Signalumsätzen. Funktionsmodelle werden im weiteren Entwicklungsprozess in verschiedenster Form genutzt. Im Rahmen der Lösungssuche werden für die einzelnen Teilfunktionen Realisierungsmöglichkeiten gesucht. Hierfür können beispielsweise Lösungssammlungen und Konstruktionskataloge herangezogen werden, die bewährte Wirkprinzipien und Lösungselemente enthalten. Die Schaffung einer strukturierten Übersicht über die Funktionen eines Produktes dient ferner als Basis für Prozesse der Eigenschaftsanalyse, zum Beispiel für eine Funktionskostenanalyse im Rahmen des Target Costing oder zur Ermittlung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Systems. Schließlich stellt die Erfassung und Dokumentation der Funktionen auch bei einem Einsatz von Methoden der Qualitätssicherung, beispielsweise der Failure Mode and Effects Analysis (FMEA), einen wesentlichen Input dar. Damit kommt den Funktionsmodellen im Entwicklungsprozess eine hohe Bedeutung zu, da sie die Analyse und Beschreibung von Funktionsumfang und Funktionsweise eines Systems in abstrakter Form ermöglichen. Im Funktionsmodell getroffene Festlegungen haben grundlegende Auswirkungen auf die gesamte Systemarchitektur und damit auf die Möglichkeiten der Realisierung der Teilfunktionen auf Wirk- und Bauebene. Werden Funktionsmodelle zu einem Zeitpunkt im Entwicklungsprozess geändert, an dem die Produktkonkretisierung schon deutlich fortgeschritten ist, hat dies meist erheblichen Einfluss auf die darauf basierenden Wirkmodelle und Baumodelle.
4 Wirkprinzipien
Basierend auf Anforderungen und Funktionen stellt die Entwicklung von Wirkmodellen den nächsten Schritt in der Produktkonkretisierung dar. Wirkmodelle beschreiben die prinzipiellen Lösungen einer technischen Problemlösung auf Wirkebene. Durch die Vorsilbe „Wirk“ wird dabei ausgedrückt, dass die für die Funktionserfüllung relevanten Aspekte einer Lösung abgebildet sind. Während ein Funktionsmodell das Produkt noch lösungsneutral beschreibt, adressiert ein Wirkmodell die grundsätzliche Realisierung der Produktfunktionen und ist somit lösungsspezifisch. Wirkprinzipien beziehen sich dabei auf Lösungsmöglichkeiten für Teilfunktionen des Produktes. Einzelne Wirkprinzipien werden im weiteren Verlauf der Entwicklung in Wirkstrukturen beziehungsweise Wirkkonzepten zu Gesamtlösungen verknüpft. Durch die Darstellung von Lösungen auf Wirkebene können Fixierungen auf bestehende konkrete Gestaltausprägungen vermieden werden, was die Chance auf Innovationen eröffnet. Jedoch ist die Erstellung von Wirkmodellen auch durch eine Reihe von Herausforderungen gekennzeichnet. Beispielsweise wird hier vom Produktentwickler ein gewisses Abstraktionsvermögen verlangt, da nur die wesentlichen funktionsrelevanten Aspekte einer Lösung abgebildet werden und alle anderen Details ausgeblendet bleiben. Methoden zur Ermittlung von Wirkprinzipien unterstützen den Entwickler dabei, sich bei Bedarf von der konkreten Problemstellung zu lösen und auf abstrahierter Ebene vielversprechende prinzipielle Lösungsideen zu ermitteln. Dies geschieht häufig unter Einbezug externer Informationen aus dafür geeignet aufbereiteten Sammlungen, beispielsweise Konstruktionskatalogen oder Sammlungen physikalischer Effekte. Auch die Integration von Informationen und Wissen aus anderen Disziplinen, zum Beispiel der Biologie, können dem Entwickler dabei helfen, über die Bildung von Assoziationen zu neuen prinzipiellen Lösungsansätzen zu gelangen. Ein Wirkmodell stellt auch ein Mittel zur Kommunikation zwischen Experten aus unterschiedlichen Disziplinen dar, insbesondere bei der Entwicklung mechatronischer Produkte. Hier werden die Weichen dafür gestellt, wie die lösungsneutralen Funktionen im Produkt realisiert werden beziehungsweise ob eine bestimmte Funktion auf mechanische, elektronische oder softwaretechnische Weise, oder in kombinierter Form umgesetzt wird. Je nach Disziplin geschieht die Beschreibung von prinzipiellen Lösungen in einer anderen „Sprache“ oder Darstellungsform. Wichtig ist jedoch, dass disziplinenübergreifend im Entwicklungsteam ein gemeinsames Verständnis aufgebaut wird.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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4 Wirkprinzipien
4.1 Ermittlung von Wirkprinzipien für eine Schaltkupplung Am Beispiel einer Schaltkupplung, die im Antrieb einer Kühlmittelpumpe im Kraftfahrzeug eingesetzt wird, werden die Bedeutung der Suche nach prinzipiellen Lösungsmöglichkeiten für eine technische Problemstellung, aber auch die Herausforderungen bei der Ermittlung von Wirkprinzipien erläutert. Im betrachteten Kühlsystem des Fahrzeuges erfolgt der Antrieb der Kühlmittelpumpe direkt vom Motor über einen Riementrieb. Das Drehmoment für das Pumpenrad wird mithilfe einer Magnetkupplung berührungslos in den Kühlkreislauf übertragen. Dadurch ist das Risiko eines Dichtungsschadens an der Kühlmittelpumpe minimal. Aufgabe des beschriebenen Entwicklungsprojektes war die Integration einer zusätzlichen Schaltfunktion in das Kühlsystem [Wulf 2002]. Hierdurch sollte eine Verbesserung des Abgasverhaltens des Motors in der Warmlaufphase erzielt werden. Damit der Motor schnell die aus Emissionsgründen günstige Betriebstemperatur erreicht, sollte während der ersten Betriebsminuten kein Kühlmittelumlauf erfolgen. Anforderungen an die Entwicklung waren die Beibehaltung des Prinzips der berührungslosen Drehmomentübertragung zum Pumpenrad sowie ein gleichbleibender Bauraum für den Pumpenantrieb.
Abb. 4-1. Kühlsystem im Kraftfahrzeug und verfügbarer Bauraum für die Integration der Schaltkupplung [Wulf 2002]
Zu Projektbeginn startete das Entwicklungsteam mit der Klärung der Aufgabe und der Erstellung einer Anforderungsliste. Außerdem wurde eine Recherche hinsichtlich existierender Kupplungsbauformen durchgeführt. Der Fokus lag hierbei auf elektromagnetisch ansteuerbaren Wirkprinzipien. Als erstes Fazit ergab sich in dieser Phase des Entwicklungsprozesses, dass handelsübliche Kupplungen kaum in der Lage sind, das geforderte Drehmoment im zur Verfügung stehenden Bauraum zu übertragen.
4.1 Ermittlung von Wirkprinzipien für eine Schaltkupplung
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Bei der im Anschluss durchgeführten Funktionsbetrachtung erkannte das Team, dass es grundsätzlich zwei verschiedene funktionelle Lösungsmöglichkeiten gab. Der erste Ansatz, basierend auf einer Funktionsdifferenzierung, würde die Platzierung einer eigenständigen Schaltkupplung zwischen Riemenscheibe und Magnetkupplung bedeuten. Der zweite Ansatz wäre mittels Funktionsintegration über die Integration der Schaltfunktion in die Magnetkupplung zu realisieren.
Abb. 4-2. Übersicht über prinzipielle Lösungsmöglichkeiten
Der Ansatz der Funktionsintegration erschien wegen der zu berücksichtigenden Bauraumrestriktionen zunächst attraktiver. Für die Realisierung der Funktionsintegration gab es wiederum zwei unterschiedliche Lösungsansätze auf funktioneller Ebene: zum einen eine wahlweise Deaktivierung der Dauermagnete in der Kupplung, zum anderen eine berührungslose Drehmomentübertragung, bei der das Schalten von Natur aus möglich ist. Für den ersten Ansatz, die wahlweise Deaktivierung der Dauermagnete in der Kupplung, wäre eine Unterbrechung der Flusslinien zwischen Innen- und Außenrotor erforderlich. Hierfür müssten beide Rotoren in axialer Richtung auseinandergedrückt oder eine Hülse aus einem Material mit hoher magnetischer Permeabilität in den Übertragungsspalt eingeschoben werden. Es wurden Versuche beim Industriepartner durchgeführt, bei denen das Abreißen der magnetischen Kraftübertragung dadurch herbeigeführt wurde, dass der abtriebsseitige Kupplungsteil festgehalten und anschließend wieder losgelassen wurde. Das Ergebnis war, dass der abtriebsseitige Kupplungsteil nicht wieder selbstständig anlief, sondern in ein unkontrolliertes Rattern verfiel. Erst nach dem Abstoppen des Antriebsstranges arbeitete er wieder wie vorgesehen. Daher wurden diese Lösungsansätze nicht weiterverfolgt. Im nächsten Schritt suchte das Team nach einem Prinzip zur berührungslosen Drehmomentübertragung, das gleichzeitig ein Schalten des Drehmomentflusses erlaubt. Eine Recherche führte zu folgenden Kupplungsprinzipien: Hysteresekupplung, Wirbelstromkupplung und Induktionskupplung. Theoretisch wäre noch eine elektrostatische Anziehung beziehungsweise Abstoßung als Wirkprinzip denkbar gewesen. Aufgrund der im Vergleich zu den anderen Prinzipien geringen erzeugbaren Kräfte wurde dieses Prinzip jedoch nicht betrachtet. Die recherchierten Kupplungsprinzipien wurden sodann auf ihre Eignung hin untersucht. Die Hyste-
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4 Wirkprinzipien
rese- und Wirbelstromkupplungen sind grundsätzlich mit Schlupf behaftet. Daher ist die Verlustleistung prinzipbedingt höher als bei einer Induktionskupplung. Eine möglichst geringe Verlustleistung war jedoch ein wichtiges Auswahlkriterium. Daher wurde im weiteren Prozess ein Fokus auf das Prinzip der Induktionskupplung gelegt. Um konkretere Aussagen zur Eignung des Prinzips der Induktionskupplung machen zu können, wurde ein Grobentwurf für eine Kühlmittelpumpe mit Käfigläufersynchronkupplung erstellt. Die Induktionskupplung entspricht im geometrischen Aufbau weitgehend der Magnetkupplung, die ursprüngliche Konstruktion musste hinsichtlich ihrer Struktur daher kaum verändert werden. Ein Vergleich des Grobentwurfs mit käuflichen Käfigläufersynchronkupplungen führte zu der Erkenntnis, dass herkömmliche Synchronkupplungen nur ungefähr 60 Prozent des geforderten Drehmoments übertragen können, jedoch ein sehr viel größeres Bauvolumen beanspruchen. Daher musste auch hier das Fazit gezogen werden, dass das Wirkprinzip der Induktionskupplung in diesem Falle nicht realisierbar war. Das Team befand sich somit in der Situation, dass alle verfolgten Lösungsansätze in Richtung einer Funktionsintegration zu keinem brauchbaren Wirkprinzip geführt hatten. Daher wurde die Aufgabenstellung umformuliert und im weiteren Verlauf des Entwicklungsprozesses nach Lösungen gesucht, die auf dem Prinzip der Trennung von Schaltfunktion und berührloser Drehmomentübertragung auf das Pumpenrad beruhten. Hierbei war allerdings zu berücksichtigen, dass in der bisherigen Konstruktion der Bauraum vollkommen ausgeschöpft war. Daher wurde folgende Problemformulierung aufgestellt: „Wie kann zusätzlicher Bauraum für die Integration einer Schaltkupplung geschaffen werden?“ Als Lösungsideen kam den Entwicklern in den Sinn, durch eine kompaktere Gestaltung der Magnetkupplung Platz zu schaffen oder durch die Umordnung und Umgestaltung der übrigen Bauteile zusätzlichen Bauraum zwischen Antriebs- und Abtriebsstrang zu gewinnen. Die Erstellung von Gestaltalternativen führte jedoch zu der Erkenntnis, dass die vorhandene Lösung der Magnetkupplung bereits die kompakteste Bauform darstellte. Es wurde daher eine Recherche nach alternativen Kupplungsprinzipien durchgeführt. Deren Bewertung ergab, dass bei einer formschlüssigen Kupplung (Zahnkupplung) keine Schaltung großer Drehzahldifferenzen möglich ist. Bei einer klassischen Reibungskupplung oder einer Magnetpulverkupplung sind die Betätigungskräfte so groß, dass sie im zur Verfügung stehenden Bauraum nicht von einem Elektromagneten aufgebracht werden können. Auch eine Schlingfederkupplung schied als Lösungsalternative aus. Letztlich konnte das Problem nicht durch die einfache Anpassung eines bestehenden Wirkprinzips gelöst werden. Die Reflexion des bisherigen Prozesses führte zu zwei Erkenntnissen. Zum einen benötigten alle grundsätzlich verwendbaren Kupplungsprinzipien zu große Kräfte, um sie unter den gegebenen räumlichen Einschränkungen elektromagnetisch betätigen zu können. Zum anderen stand im Antriebsstrang quasi „unbegrenzt“ viel Energie für den Schaltvorgang zur Verfügung. Aus diesen beiden Gedanken heraus formulierte das Entwicklungsteam als neue Zielsetzung: „Wie könnte eine Kupplung arbeiten, die den Großteil ihrer Schaltenergie aus dem An-
4.1 Ermittlung von Wirkprinzipien für eine Schaltkupplung
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triebsstrang selbst entnimmt?“. Hierbei entstand die Assoziation mit einem Freilauf im Fahrrad: bei der Rotation in eine Richtung erzeugt der Freilauf die zur Übertragung des Drehmoments notwendigen Kräfte unmittelbar aus dem Antriebsmoment, bei der Rotation in die entgegen gesetzte Richtung ist jedoch die Verbindung zwischen Antriebs- und Abtriebsstrang aufgehoben. Die Recherche nach Funktionsprinzipien und Bauformen von Freiläufen führte zu dem Prinzip der Eintouren-Rollenkupplung. Hierbei wird die kinetische Energie des Antriebsstrangs dazu genutzt, Rollen aus den Keilspalten eines Freilaufs herauszubewegen. Das Prinzip ist jedoch nur für relativ langsam rotierende Systeme geeignet. Da der Abtriebsstrang aber beim Schalten sehr abrupt abgestoppt werden muss, stellten sich die zu überwindenden Drehzahldifferenzen bei der Kühlmittelpumpe als viel zu groß heraus. Somit war das Prinzip der EintourenRollenkupplung in dieser Form nicht für die Lösung des Problems geeignet.
Abb. 4-3. Prozess der Lösungsfindung [nach Wulf 2002]
Aufgrund der enormen Drehzahldifferenz zwischen An- und Abtriebsstrang schien Gleitreibung als einziges Prinzip zur Drehmomentübertragung möglich. Die Schaltkräfte für die Kupplung mussten jedoch hauptsächlich aus dem Antriebsstrang entnommen werden, um eine elektromagnetische Betätigung des Systems zu ermöglichen, wofür sich wiederum das Prinzip der Eintouren-Rollenkupplung anbot. Daher suchte das Team nach einer Möglichkeit, um das Betätigungsprinzip der Eintouren-Rollenkupplung mit einer Drehmomentübertragung durch Reibung zu kombinieren. Für die Übersetzung der tangentialen Relativdrehung zwischen den Elementen der Eintouren-Rollenkupplung in die axiale Wirkbewegung, die für die Funktionsweise der Reibungskupplung erforderlich ist, wurde das Wirkprinzip des Stirndrehkeils ausgewählt. Schließlich wurden alle Wirkprinzipien in einem Lösungskonzept für eine federbetätigte Reibungskupplung vereint, die sich mithilfe von Massenkräften der Abtriebswelle lüften lässt. Im Grundzustand verbindet die Kupplung die Antriebsund Abtriebswelle drehmomentschlüssig. Die dafür erforderliche Anpresskraft
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4 Wirkprinzipien
wird durch eine tangentiale Anfederung einer Keilscheibe gegen die Abtriebswelle realisiert. Zum Lösen der Kupplung wird diese von außen festgehalten. Aufgrund der Massenträgheit bewegt sich die Abtriebswelle gegen die Anfederung der Keilscheibe in Antriebsrichtung weiter. Hierdurch ergibt sich eine Verschiebung des Stirndrehkeils derart, dass ein Kupplungsspalt entsteht, in dem sich die Kupplungsscheibe frei drehen kann. Für eine Wiederherstellung der Drehmomentübertragung ist die Blockade der Keilscheibe zu lösen. Durch die tangentiale Anfederung kehrt sie in die Grundposition zurück, der Reibkontakt zwischen Antriebsund Abtriebsstrang wird wieder hergestellt. Das Abstoppen und Freigeben der Keilscheibe kann über einen elektromagnetisch betätigten Schalthebel erfolgen.
Abb. 4-4. Konzept der trägheitsgeschalteten Reibungskupplung [Wulf 2002]
Durch die Erarbeitung einer groben Gestaltlösung auf Basis des beschriebenen Wirkkonzeptes konnte nachgewiesen werden, dass die Integration des Kupplungskonzeptes in den zur Verfügung stehenden Bauraum möglich ist. Darüber hinaus wurden die für eine zuverlässige Funktion der Kupplung kritischen Fragestellungen identifiziert und einer Überprüfung mittels Berechnung unterzogen. So wurde der Verdrehwinkel der Hohlwelle gegenüber der Keilscheibe beim Auskuppeln mit der minimal auftretenden Drehzahl berechnet und es zeigte sich, dass es auch in diesem Fall zu einem zuverlässigen Lüften der Kupplungsscheibe kommt. Dieses Beispiel demonstriert, dass es oftmals erforderlich ist, sich gedanklich von der existierenden Gestaltausprägung eines technischen Systems loszulösen, um auf neue innovative Lösungen zu kommen. Die Betrachtung des Lösungsraums auf der Wirkebene ermöglicht es, dass Denkblockaden aufgelöst und Vorfixierungen der Entwickler auf konkrete Gestaltlösungen aufgeweicht werden. Im hier beschriebenen Beispiel wurde die Entwicklung einer anforderungsgerechten Lösung dadurch begünstigt, dass eine Vielzahl physikalischer Wirkprinzipien herangezogen wurde. Viele der untersuchten Lösungswege führten bei einer kritischen Analyse in eine Sackgasse, der Schlüssel zum Erfolg lag letztlich in der geschickten Kombination mehrerer Wirkprinzipien. Auf der Wirkebene lassen sich in der Regel auch Zielkonflikte besser erkennen und beheben, da der Fokus der Betrachtung auf die wesentlichen, die funktionsrelevanten Aspekte gelegt wird.
4.2 Methoden zur Ermittlung von Wirkprinzipien
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4.2 Methoden zur Ermittlung von Wirkprinzipien Zur Erfüllung der Anforderungen und Realisierung der Funktionen eines zu entwickelnden Produktes werden im Rahmen der Produktkonkretisierung Lösungsansätze auf Wirkebene erarbeitet. Ein Wirkmodell beschreibt die prinzipielle Lösungsmöglichkeit für eine technische Aufgabenstellung. Die Vorsilbe „Wirk“ drückt dabei aus, dass es sich um funktionsrelevante Aspekte handelt [Ehrlenspiel 2009]. Als Wirkprinzip werden die für die Erfüllung einer Funktion erforderlichen physikalischen Effekte in Kombination mit den geometrischen und stofflichen Merkmalen, die das Prinzip der Lösung sichtbar werden lassen, bezeichnet [Pahl et al. 2005]. Die Verknüpfung mehrerer Wirkprinzipien führt zur Wirkstruktur einer Lösung. Ein Wirkkonzept stellt ein Produktkonzept auf Wirkebene dar. Es umfasst die einzelnen Wirkprinzipien und deren Verknüpfung in der Wirkstruktur. Die Wirkgeometrie als Teil eines Wirkmodells umfasst die Flächen und Körper sowie deren geometrische und kinematischen Beziehungen untereinander, die für die Funktion beziehungsweise den Systemzweck relevant sind. Zur Wirkgeometrie gehören unter anderem Wirkflächen, Wirkräume und Wirkbewegungen [Rodenacker 1991]. Wirkflächen sind in der Regel nicht isoliert zu betrachten, da sie immer mit anderen Wirkflächen in Interaktion stehen. Wirkflächenpaare werden aus genau zwei Wirkflächen gebildet, die zeitweise, ganz oder teilweise in Kontakt stehen und zwischen denen eine Übertragung von Stoff, Energie und Informationen stattfindet. Die Verbindung zwischen einzelnen Wirkflächenpaaren, die eine dauernde oder zeitweise Leitung von Stoff, Energie und Information ermöglicht, wird auch als Leitstützstruktur bezeichnet [Matthiesen 2002].
Abb. 4-5. Aspekte der Wirkgeometrie am Beispiel eines Handnussknackers
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4 Wirkprinzipien
Die Generierung von Wirkmodellen als Teilschritt in der gesamten Produktkonkretisierung stellt einen Problemlösungsprozess dar. Die Ermittlung geeigneter Wirkprinzipien und Wirkstrukturen wird dabei oftmals durch gewisse Barrieren behindert, die typisch für menschliche Denk- und Handlungsvorgänge sind. Zu diesen Barrieren gehören unter anderem das Denken in alten Lösungsmustern, die Angst vor Fehlern und auch die Zufriedenheit mit dem Bekannten. Um systematisch zu neuen Lösungsideen zu gelangen und die vorhandenen gedanklichen Barrieren zu überwinden, ist zunächst eine Abstraktion der konkreten Problemstellung erforderlich. Ergebnis ist ein Problemmodell, das heißt eine verfremdete oder abstrahierte Beschreibung der Problemstellung. Auf dieser Ebene können nun Lösungsideen ermittelt werden, die daraufhin wieder in den ursprünglich betrachteten Bereich zu übertragen sind, um eine Lösung für das eigentliche Problem zu erzeugen. Dieses allgemeine Vorgehen zur Lösung technischer Problemstellungen ist auf Wirkebene anwendbar. Der zugrunde liegende Mechanismus zur Übertragung des Problems in einen anderen Bereich findet sich in zahlreichen Methoden beziehungsweise Methodenkombinationen wieder.
Abb. 4-6. Vorgehen bei der Lösung technischer Problemstellungen [Lindemann 2009]
Die Wirkebene ist im Münchener Produktkonkretisierungsmodell zwischen der abstrakteren Funktionsebene und der konkreteren Bauebene angeordnet. Ausgangspunkt für die Ermittlung von Wirkprinzipien können Anforderungsmodelle, Funktionsmodelle oder Baumodelle sein. Mit einer Betrachtung des Produktes auf Wirkebene lassen sich dabei unterschiedliche Zwecke verfolgen, beispielsweise die Erhöhung des Problem- und Systemverständnisses, die Schaffung einer Übersicht über den Lösungsraum oder die Ermittlung neuer Lösungsideen. Ist die Funktionsebene der Ausgangspunkt, stellt die Generierung von Wirkprinzipien einen Schritt der Konkretisierung dar. Methodisch lässt sich dieses Vorgehen unter anderem dadurch unterstützen, indem die Zusammenhänge in einem Funktionsmodell formalisiert beziehungsweise klassifiziert werden. Durch Einbeziehen von Informationsspeichern oder Lösungskatalogen lassen sich prinzipielle Lösungsmuster zuordnen, die ihrerseits wiederum auf die konkrete Problemstellung zu übertragen sind. So können Funktionen beispielsweise mittels phy-
4.2 Methoden zur Ermittlung von Wirkprinzipien
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sikalischer Größen beschrieben werden. Dies ermöglicht es, über die Betrachtung physikalischer Effekte zu neuen Wirkprinzipien zu gelangen. Die Funktionsbetrachtung kann ebenso dabei unterstützen, Wissen aus anderen Disziplinen, zum Beispiel aus der Biologie, in die Lösungssuche zu integrieren, um durch die Bildung von Assoziationen auf Basis biologischer Phänomene prinzipielle Lösungsideen zu generieren. Ein weiterer denkbarer Ausgangspunkt für die Synthese von Wirkprinzipien sind Zielkonflikte oder technische Widersprüche, die sich aus Anforderungen oder Funktionsmodellen ableiten lassen. Indem die Problemstellung als Widerspruch zwischen Systemparametern formuliert wird, lassen sich allgemeine Lösungsprinzipien zur Überwindung des technischen Widerspruches identifizieren und zuordnen, die ihrerseits zu neuen Lösungsideen führen. Ausgangspunkt der Betrachtung können auch bestehende Lösungen sein. Eine Abstraktion konkreter Produktmodelle auf der Bauebene unterstützt den Vergleich verschiedener Lösungen und die Identifikation der zugrunde liegenden Wirkprinzipien. Konkrete Produktdarstellungen beinhalten in der Regel Informationen zur Gestalt der Bauteile und der Baustruktur. Die Herausforderung hierbei ist es zu erkennen, welche Funktionen vom Produkt erfüllt und wie diese prinzipiell realisiert werden. Unterstützend kann hierbei das Denken in Wirkflächenpaaren und Leitstützstrukturen sein.
Abb. 4-7. Einordnung in das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM)
Die Darstellung von Wirkprinzipien erfolgt häufig in Form von Prinzipskizzen oder Schemazeichnungen, welche auch für andere Beteiligte im Prozess die grundsätzliche Art und Weise erkennen lassen, wie die Produktfunktionen realisiert werden. Mithilfe von Prinzipskizzen lassen sich sowohl Geometrien als auch Kräfte und kinematische Verhältnisse darstellen. Skizzen können schematischabstrakte, visuell-grafische oder textuelle Informationen enthalten [Pache 2005, Müller 2006]. Um prinzipielle Lösungen zu speichern, zu kommunizieren und im Bedarfsfall auch wieder verwenden zu können, bedarf es einer geeigneten Form der Dokumentation. Trotz der zunehmenden Virtualisierung der Produktentwick-
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lung (CAD, Computer Aided Engineering, Virtual Reality und so weiter) spielen auch in der heutigen Zeit für die Darstellung von ersten Lösungsideen Handskizzen eine große Rolle. Um den Aufwand bei der Darstellung von Lösungsprinzipien gering zu halten, existiert für oft verwendete Lösungselemente (zum Beispiel Schrauben, Lager und Ventile) ein schematisches Vokabular. Dieses ist spezifisch ausgeprägt, je nachdem aus welcher Disziplin ein Lösungselement stammt (beispielsweise Mechanik, Pneumatik, Hydraulik oder Elektrotechnik).
Abb. 4-8. Prinzipskizzen zur Darstellung von Wirkprinzipien [Pahl et al. 2005]
Eine Lösungssuche auf Wirkebene, unterstützt durch systematische und/oder intuitive Methoden, führt oftmals zur Generierung einer großen Zahl an Lösungsideen. Bevor eine weitere Konkretisierung erfolgt, ist daher eine Bewertung und Auswahl von Wirkprinzipien erforderlich. Dieser Prozess muss sich an den Rahmenbedingungen des Entwicklungsprozesses orientieren. Die Bewertung hat unterschiedlich zu erfolgen, je nachdem, ob explizit neuartige Lösungen mit Innovationspotenzial gefordert sind, oder aber ob es darum geht, in möglichst kurzer Zeit eine anforderungsgerechte Lösung zu entwickeln und umzusetzen. Auf Basis der ausgewählten Wirkprinzipien ist es dann möglich, alternative Gesamtkonzepte für das zu entwickelnde Produkt zu erstellen.
4.2.1 Wie lassen sich Wirkprinzipien für geforderte Funktionen ermitteln? Die Erstellung von Funktionsmodellen unterstützt den Entwickler bei der Durchdringung der Problemstellung und hilft dabei, das Systemverständnis zu erhöhen. Die in diesem Prozess erarbeiteten Funktionen stellen wiederum einen Ausgangspunkt für die Lösungssuche auf Wirkebene dar, das heißt für die Ermittlung von Wirkprinzipien zur Realisierung der Funktionen im Produkt. Viele technische Probleme sind physikalischer Natur. Die meisten technischen Produkte funktionieren nach physikalischen Grundprinzipien, sie sind angewandte Physik. Deshalb ist es für Ingenieure unerlässlich, mit dem physikalischen Ursache-Wirkungs-Denken vertraut zu sein und die Eigenschaften und Anwendungs-
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möglichkeiten der physikalischen Effekte zu kennen [Ehrlenspiel 2009]. Wirklich neue Maschinen und Geräte entstehen häufig durch neuartige Anwendungen der Physik. Tintenstrahldrucker mit piezoelektrischen Druckköpfen, die CommonRail-Einspritzung bei Verbrennungsmotoren, Navigationssysteme für Flugzeuge und Fahrzeuge, elektromechanische Bremsen im Automobil [Bertram 2002] und die Blu-Ray Disc als optisches Speichermedium in der Unterhaltungselektronikbranche sind Beispiele dafür. In der Praxis beschränken sich viele Ingenieure oft auf den Einsatz weniger physikalischer Prinzipien, die sie aufgrund ihrer Spezialisierung kennen und beherrschen. So denken Mechanikspezialisten zum Beispiel in mechanischen Lösungen und Hydraulikspezialisten bevorzugen hydraulische Lösungen. Auch ganze Unternehmen sind oft auf bestimmte Technologien fixiert. Das hat aufgrund der gesammelten Erfahrung bezüglich dieser Technologien viele Vorteile, bringt durch die träge Reaktion auf technische Entwicklungen aber auch Nachteile mit sich. Dies resultierte zum Beispiel in Umstellungsschwierigkeiten der mechanischen Uhrenindustrie im Massenmarkt auf die Elektronik [Ehrlenspiel 2009]. Die Betrachtung physikalischer Effekte bei der Lösungssuche bietet verschiedene Chancen. Zum einen können bisher traditionell produzierte Produkte wieder innovativ werden, wenn die zugrunde liegende Physik besser verstanden und optimiert wird. Zum anderen kann die Lösungssuche mit physikalischen Effekten bei vielen konstruktiven Aufgaben neue Sichtweisen eröffnen, Denkblockaden auflösen und damit die Generierung neuartiger Lösungsideen unterstützen. Physikalische Effekte sind elementare physikalische Erscheinungen, die als Gesetzmäßigkeiten formuliert werden können, wodurch sich physikalisches Geschehen voraussehbar beschreiben lässt. Die Beschreibung physikalischer Effekte erfolgt zumeist durch relevante physikalische Größen, die in einen formelmäßigen Zusammenhang gebracht werden können, sowie durch eine Skizze der Anordnung. Hilfreich ist die Angabe von Anwendungsbeispielen, die verdeutlichen, wie die abstrakten Effekte in konkreten Produkten umgesetzt werden. Ein Hebel ist beispielsweise ein „starrer, um eine Achse drehbar gelagerter Körper mit ein- oder zweiseitigem Hebelarm“. Dieser Effekt wird unter anderem für Kraftübersetzungen und zum Wandeln von Kräften in Drehmomente (und umgekehrt) eingesetzt, wie es beispielsweise bei Drehmomentenschlüsseln der Fall ist. Im Folgenden wird das Vorgehen bei der Lösungssuche mit physikalischen Effekten beschrieben. Diese Methode ist gut anwendbar bei Problemen, die durch den Umsatz von Stoff, Energie und Information beschrieben werden können. Zur Veranschaulichung wird hierfür die Problemstellung „Heben einer Last“ betrachtet. Zunächst sind die zu realisierenden Funktionen zu bestimmen. Diese können beispielsweise aus einem Umsatzorientierten Funktionsmodell stammen. Eine Teilfunktion lautet „Handkraft vergrößern“. Um die Suche nach geeigneten physikalischen Effekten zu erleichtern, ist die Funktion mittels relevanter physikalischer Eingangs- und Ausgangsgrößen zu beschreiben. In diesem Fall ist die Kraft F1 die Eingangsgröße, die Kraft F2 die Ausgangsgröße, wobei F2 größer als F1 ist. Im nächsten Schritt sind geeignete physikalische Effekte zur Realisierung der Funktion zu identifizieren. Es werden somit Effekte gesucht, die die
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4 Wirkprinzipien
Änderung einer Kraft als Eingangsgröße in eine größere Kraft als Ausgangsgröße ermöglichen. Ein in Frage kommender Effekt zur Erfüllung dieser Funktion ist unter anderem die „Druckfortpflanzung“. Die Kraftübersetzung entspricht in diesem Fall dem Verhältnis der beiden Kolbenflächen. Durch die Anwendung des Effektes auf die konkrete Problemstellung lässt sich als Wirkprinzip und damit als prinzipielle Lösungsmöglichkeit eine hydraulische Hebebühne skizzieren.
Abb. 4-9. Vorgehen bei der Lösungssuche mit physikalischen Effekten
Als Hilfsmittel für die Identifikation alternativer Lösungen auf Wirkebene finden Kataloge beziehungsweise Sammlungen physikalischer Effekte [Koller et al. 1994, Ehrlenspiel 2009] Anwendung. Diese stellen unterschiedliche Effekte in strukturierter Form bereit. Digitale Kataloge, beispielsweise in Form von webbasierten Datenbanken, bieten dabei verschiedene Vorteile gegenüber herkömmlichen papierbasierten Effektkatalogen. Es besteht unter anderem die Möglichkeit einer schnellen Suche nach relevanten Effekten über Suchmasken und Schlagworteingaben. Außerdem ist eine Vernetzung der Inhalte möglich, zum Beispiel als Hyperlinks zu Funktionen, verwandten Effekten und Anwendungsbeispielen [Gaag 2010]. Der systematische Zugriff auf geeignete physikalische Effekte kann über eine Funktionsgrößenmatrix [VDI 2222] erfolgen. Bei dieser sind in den Zeilen mögliche physikalische Eingangsgrößen und in den Spalten mögliche physikalische Ausgangsgrößen aufgetragen. Die Zellen der Matrix enthalten jeweils in Frage kommende Effekte oder die Nummern der Effekte im Katalog. In der Regel lässt sich für die Realisierung einer Funktion eine Vielzahl an physikalischen Effekten ermitteln, die prinzipiell in Frage kommen. Für das Beispiel der Kraftübersetzung sind neben der „Druckfortpflanzung“ unter anderem auch die physikalischen Effekte „Hebel“, „Keil“, „Kniehebel“ oder „Flaschenzug“ denkbar.
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Abb. 4-10. Sammlung physikalischer Effekte und Funktionsgrößenmatrix
In ähnlicher Weise wie physikalische Effekte können für Maschinen auch chemische oder biologische Effekte eingesetzt werden. Beispiele sind Vorgänge bei der Verbrennung oder der „Lotuseffekt“. Die Integration von Wissen aus anderen Disziplinen bietet in bestimmten Fällen ein hohes Potenzial zur Entwicklung innovativer Lösungen. In diesem Kontext hat sich der Begriff Bionik etabliert, ein durch die Verknüpfung von Biologie und Technik entstandenes Kunstwort [Gramann 2004, Hill 1997]. Im Englischen ist in diesem Kontext ebenfalls der Begriff „Biomimetics“ gebräuchlich [Bhushan 2009]. Eine konkrete Methode zur Ermittlung von prinzipiellen Lösungsideen mittels der Integration von Wissen aus dem Bereich der Biologie ist die Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder [nach Gramann 2004]. Das Vorgehen bei der Methodenanwendung besteht aus folgenden Handlungsabschnitten: Analyse der Problemstellung, Formulierung des Suchziels, Zuordnung biologischer Systeme, Analyse der zugeordneten Systeme und technische Umsetzung. Die Schritte werden durch drei Entscheidungspunkte erweitert, die Iterationen oder das Verlassen der Sequenz erlauben. Den Ausgangspunkt bildet die Analyse der technischen Problemstellung, die durch das Aufstellen eines Funktionsmodells unterstützt werden kann. Welche Art von Funktionsmodellierung dabei zu bevorzugen ist, hängt von der Entwicklungssituation und den Präferenzen der Anwender ab. Zentrale Funktionen eines Staubsaugers sind beispielsweise die Ablösung des Schmutzes vom Untergrund durch eine Düse, die Leitung des Luft-Schmutz-Gemisches durch Saugrohr und Saugschlauch, die anschließende Trennung von Schmutz und Luft im Filter sowie die Erzeugung des Luftstroms durch Motor und Gebläse. Als eine verbesserungswürdige Schwachstelle an konventionellen Saugern wurde unter anderem die unzulängliche Schmutzablösung durch die Fadenheber an der Düse identifiziert. Eine weitere Schwachstelle stellt die strömungsungünstige Gestaltung von Düsen, Saugrohren und Saugschläuchen dar.
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4 Wirkprinzipien
Abb. 4-11. Vorgehen bei der Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder
Um biologische Systeme zu identifizieren, die vergleichbare Funktionen erfüllen wie die zu verbessernden Funktionen des betrachteten technischen Systems, sind aufbauend auf der Systemanalyse Suchziele zu formulieren. Die Suchziele können im Beispiel des Staubsaugers folgendermaßen lauten: „Welche Organismen existieren, die Partikel von Oberflächen entfernen?“ oder „Wo in der Natur sind Fluide mit Partikeln versetzt und welche Organismen oder Organe trennen die Partikel vom Fluid?“. Bei der Suche nach potenziellen Analogien bieten abstraktere Formulierungen eine höhere Trefferquote. Mithilfe der formulierten Suchziele kann im nächsten Schritt eine zielgerichtete Suche nach biologischen Systemen beziehungsweise Phänomenen erfolgen. Generell ist die Zuordnung biologischer Systeme nicht zu unterschätzen. Aufgrund des meist nur unzureichenden spezifischen Wissenstandes unter Ingenieuren im Bereich der Biologie besteht hier eine Barriere, die den Zugang zu potenziellen biologischen Vorbildern deutlich erschwert. Um die Suche nach interessanten biologischen Systemen für den Ingenieur zu erleichtern, existieren Hilfsmittel wie zum Beispiel die Assoziationsliste [Gramann 2004]. Diese ermöglicht einen Zugang zu Suchfeldern in biologischer Fachliteratur, basierend auf technischen Funktionen und zugeordneten Stichwörtern. Denkbare Assoziationen im Beispiel des Staubsaugers sind für die Funktion „lose Stoffe heben“ Systeme der Nahrungsaufnahme in der Biologie wie Insektenrüssel, Raspelzungen von Schnecken, klebrige Zungen von Fröschen, Zungen von Katzen zur Fellpflege und einige mehr. Die gewonnenen Analogien müssen in einem weiteren Schritt einer Analyse unterzogen werden, um die Übertragbarkeit auf die technische Problemstellung beurteilen zu können. Zur Erhöhung des Informationsstandes können ähnlich wie
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bei technischen Recherchen Quellen wie das Internet, Experten oder Fachliteratur herangezogen werden. In überschaubaren Fällen kann darüber hinaus eine physikalische Modellbildung und Berechnung zielführend sein. Häufig werden derartige Modelle aber so komplex sein, dass es sinnvoll ist, Versuche durchzuführen. Orientierende Versuche können hier sehr schnell und unkompliziert zu aussagekräftigen Ergebnissen führen.
Abb. 4-12. Ausschnitt aus der Assoziationsliste [Gramann 2004]
Den letzten Schritt stellt die technische Umsetzung dar, also die Übertragung der biologischen Phänomene auf das eigentliche technische Problem. In der Regel werden sich biologische Vorbilder nicht direkt in technische Lösungen umsetzen lassen. Für die Umsetzung muss das biologische Vorbild in der Regel abstrahiert werden. Dabei sind diejenigen Merkmale (Geometrie, Werkstoff und so weiter) zu identifizieren, die im Produkt einen entscheidenden Vorteil bringen. Im Falle der Staubsaugerdüse ist dies beispielsweise der Übergang von einem zentralen Kanal auf mehrere Kanäle auf der Düsenunterseite. Dies stellt auch eine Anwendung des Gestaltungsprinzips der Kaskadierung dar. Im Rahmen der Suche nach Wirkprinzipien zur Realisierung geforderter Funktionen sind zahlreiche Quellen aus verschiedenen Disziplinen (Physik, Chemie oder Biologie) nutzbar. Die Qualität der darin enthaltenen Informationen hängt ganz entscheidend vom Abstraktionsgrad ihrer Darstellung ab. Sind Informationen zu konkret, können sie zu Fixierungen führen, sind sie zu abstrakt, kann der Informationsgehalt zu gering sein.
4.2.2 Wie lassen sich Wirkprinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche ermitteln? Im Rahmen der Aufgabenklärung wird eine Vielzahl von Anforderungen ermittelt, von denen sich in der Regel etliche negativ beeinflussen, was zu Zielkonflikten führt. Ein typischer Zielkonflikt bei der Entwicklung eines Automobils ist die An-
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forderung nach einer hohen Leistung einerseits und einem geringen Kraftstoffverbrauch andererseits. Zielkonflikte stellen Entwickler vor große Herausforderungen, bieten aber auch Potenziale für Innovationen. Sie basieren unter anderem auf technischen Widersprüchen, die den Umstand beschreiben, dass die Verbesserung eines Parameters eines technischen Systems gleichzeitig die Verschlechterung eines anderen Parameters des gleichen Systems bewirkt. In physikalischen Widersprüchen sind Zielkonflikte aufs Äußerste zugespitzt und erscheinen daher zunächst meist unlösbar. Ein physikalischer Widerspruch entspricht der Anforderung, dass ein Produktparameter gleichzeitig unterschiedliche Zustände einnehmen soll, also dass ein Produkt zum Beispiel sowohl heiß als auch kalt sein soll (Produktparameter Temperatur). Auf der Grundlage von Patentanalysen hat der russische Ingenieur G. Altschuller seine Methodik des erfinderischen Problemlösens entwickelt, die das Ziel verfolgt, technische Erfindungen systematisch hervorzubringen. Diese Methodensammlung ist unter dem Kürzel TRIZ (Teorija Reschenija Izobretatel’skich Zadaþ) [Altschuller 1984, Terninko et al. 1997] als innovationsorientierte Methodik populär geworden. Ein wesentliches Element der Methodik sind Ansätze zur Überwindung von Widersprüchen. Wurde ein Widerspruch ermittelt, existieren im Wesentlichen zwei Strategien zur Lösungsfindung: eine Kompromissfindung, bei der lediglich Gestaltparameter optimiert werden, oder die Auflösung des Widerspruches, die durch die Änderung des Wirkkonzeptes geschieht. Die TRIZMethodik verfolgt letzteren Ansatz. Zur Auflösung eines Widerspruches können alternative technische Effekte herangezogen werden. Technisch nutzbare Effekte sind in unterschiedlichen Bereichen zu finden (unter anderem in der Physik, Biologie, Chemie und Mathematik). Für eine effiziente Suche können geeignete Informationsquellen verwendet werden, beispielsweise Sammlungen physikalischer Effekte . Zur Auflösung physikalischer Widersprüche bietet sich die Anwendung von Prinzipien der Separation [Herb 2000] an. Es werden vier Prinzipien unterschieden: die Separation im Raum, in der Zeit, innerhalb eines Objektes und seiner Teile sowie die Separation durch Bedingungswechsel. Grundgedanke der Separation in der Zeit ist es beispielsweise, sich widersprechende Erfordernisse zeitlich zu trennen. Die Umsetzung des Prinzips lässt sich anhand der Wirkungsweise von Sesselliften erläutern. Diese sollen sich zum einen schnell bewegen, damit die Fahrzeit kurz ist, zum anderen aber langsam fahren, um den Passagieren ein sicheres und bequemes Einsteigen zu ermöglichen. Die Lösung ist es, für das Ein- und Aussteigen den Sessel vom schnell laufenden Seil abzukoppeln, damit er sich in dieser Zeitspanne sehr langsam bewegen kann. Die Widerspruchsorientierte Lösungssuche dient der Überwindung technischer Widersprüche. Die einzelnen Schritte in der Anwendung der Methode werden am Beispiel eines Regenschirms erläutert. Ein Regenschirm soll im geöffneten Zustand möglichst groß sein, um Schutz vor Regen zu bieten. Im geschlossenen Zustand hat er dahingegen möglichst klein und handlich zu sein, um beispielsweise in einem Rucksack transportiert werden zu können.
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Abb. 4-13. Vorgehen bei der Widerspruchsorientierten Lösungssuche
Zunächst ist der technische Widerspruch im Rahmen der Aufgabenklärung oder Funktionsanalyse zu formulieren. Als Ausgangspunkt für die Identifikation technischer Widersprüche im betrachteten System bietet sich die Relationsorientierte Funktionsmodellierung an. Aus dem Funktionsmodell heraus lassen sich formal Problemformulierungen ableiten. Die sich widersprechenden Merkmale des Systems sind sodann den von Altschuller vorgegebenen technischen Parametern zuzuordnen. Beim Regenschirm sind das beispielsweise die Parameter „Länge des beweglichen Objektes“ und „Volumen des beweglichen Objektes“, die im Widerspruch stehen. Für die Zuordnung der Parameter gibt es in der Regel mehrere Möglichkeiten, die alternativ oder ergänzend verfolgt werden sollten. Im nächsten Schritt können auf Basis der identifizierten Zweierkombinationen von technischen Parametern relevante Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche [Altschuller 1984] ausgewählt werden. Als Hilfsmittel zur zielgerichteten Auswahl aus der Gesamtmenge von vierzig Prinzipien steht die so genannte Widerspruchsmatrix zur Verfügung. Die Auswahl der Parameter „Länge des beweglichen Objektes“ und „Volumen des beweglichen Objektes“ führt zu vier Prinzipien, unter anderem zum Prinzip Nummer sieben, der „Steckpuppe“ (Matrojschka). Dieses besagt, dass ein Objekt im Inneren eines anderen unterzubringen ist beziehungsweise ein Objekt durch den Hohlraum eines anderen Objektes verlaufen soll. Sollte dieses Vorgehen nicht zum Erfolg führen, können die Prinzipien auch einzeln auf ihre Anwendbarkeit geprüft werden. Schließlich sind die Lösungsprinzipien auf das eigentliche Problem anzuwenden. Im Falle des Regenschirms ist eine mögliche Lösung (angeregt durch das Prinzip der Steckpuppe), den Stiel als Teleskopzylinder auszuführen, wodurch er sich für den Transport im Rucksack verkürzen lässt. Die Lösungsprinzipien sind
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sehr abstrakt formuliert. Dadurch eröffnet sich auf der einen Seite eine Vielzahl an konkreten Lösungsmöglichkeiten, die sich daraus ableiten lassen. Auf der anderen Seite ist für eine erfolgreiche Lösungssuche eine gewisse Erfahrung im Umgang mit den Prinzipien notwendig.
Abb. 4-14. Auswahl von allgemeinen Lösungsprinzipien mithilfe der Widerspruchsmatrix
Durch die Identifikation und Auflösung von technischen Widersprüchen können technische Systeme verbessert und Potenziale für Innovationen geschaffen werden. Hierbei ist aber auch zu berücksichtigen, dass Widersprüche meist nicht rein technischer Natur sind, sondern aus einer Kombination von technischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren bestehen.
4.2.3 Wie lassen sich Wirkprinzipien aus bestehenden Lösungen ermitteln? Oft haben es Entwickler bereits in frühen Phasen des Entwicklungsprozesses mit konkreten bestehenden Lösungen zu tun, die als Input für die Entwicklung dienen. Dies können beispielsweise Vorgängermodelle, Konkurrenzprodukte oder Patente sein. Diese bestehenden Lösungen können in unterschiedlicher Form vorliegen, zum Beispiel als CAD-Modell, als Fertigungszeichnung oder als Hardware. Um die in diesen Modellen enthaltenen Informationen optimal in den Entwicklungsprozess einbringen zu können, vor allem in den ersten Phasen der Lösungsfindung, ist es erforderlich, die vorliegenden konkreten Modelle auf die wesentlichen Zusammenhänge, das heißt die Wirkprinzipien, zu reduzieren.
4.2 Methoden zur Ermittlung von Wirkprinzipien
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Zunächst sind relevante bestehende Lösungen zu identifizieren. Geeignete Quellen für eine Recherche sind unter anderem Patentdatenbanken, Herstellerkataloge, Fachmagazine und Fachmessen. Eine gezielte Suche zur Filterung relevanter Lösungen ist beispielsweise mittels geeigneter Merkmale über Suchmasken in Patentdatenbanken möglich. Leider wird eine anwendungs- und funktionsorientierte Suche nach bestehenden Lösungen bisher nur in geringem Maße unterstützt. Ein Ansatz in dieser Richtung ist die Entwicklung einer firmenübergreifenden, allgemein anerkannten, anwendungsorientierten Klassifikation von Unternehmensangeboten [Gaag 2010]. Wurden geeignete Systeme identifiziert, sind diese zu analysieren, um die für die eigene Entwicklung relevanten Zusammenhänge zu ermitteln. Zunächst ist eine geeignete Systemgrenze für die Analyse zu definieren. Hierfür sind diejenigen Stellen im System zu identifizieren, die für die Aufgabenstellung Relevanz besitzen. Falls es um die gezielte Behebung von Schwachstellen geht, kann die Systemgrenze zunächst recht eng um die Orte im System gezogen werden, an denen die Schwachstellen sichtbar werden. Dies können Bauteilpaarungen sein, an denen unerwünscht hoher Verschleiß oder ein Bauteilversagen auftritt. Im Rahmen der Analyse kann die Systemgrenze dann gezielt erweitert werden, um die Ursachen für das Problem zu erforschen. Umgekehrt kann es sinnvoll sein, zunächst eine weite Systemgrenze zu wählen, um diese schrittweise einzugrenzen. Eine gezielte Systemgrenzenverschiebung [Ehrlenspiel 2009], das heißt eine Ausdehnung wie auch eine Verengung der Systemgrenzen, kann vor allem dann hilfreich sein, wenn es darum geht, ein Problem klarer zu erkennen oder einen ins Stocken geratenen Lösungsprozess wieder zu aktivieren. Der nächste Schritt ist die Zerlegung des Systems. Hier existieren zwei Sichtweisen: die geometrische Zerlegung und die zeitliche Zerlegung. Bei der geometrischen Zerlegung sind innerhalb der Systemgrenze relevante Wirkflächen beziehungsweise Wirkflächenpaare [Rodenacker 1991] und Leitstützstrukturen [Matthiesen 2002] zu identifizieren. Hierfür ist ein geeigneter Startpunkt zu wählen. Bei der Analyse konkreter Schwachstellen in existierenden Systemen bieten sich beispielsweise diejenigen Stellen als Ausgangspunkt der Modellierung an, an denen das Systemversagen auftritt. Ein schrittweiser Ausbau des Modells kann sich unter anderem an Funktionspfaden orientieren, also an Stoff-, Energie- und Informationsumsätzen. Schließlich stellt sich die Frage, welches der geeignete Detaillierungsgrad der Modellierung ist. Grundsätzlich bietet sich zunächst eine grobe Systemmodellierung an. Können die relevanten Phänomene damit nicht erklärt werden, ist der Detaillierungsgrad der Modellierung schrittweise zu erhöhen („Hineinzoomen“). Bei der zeitlichen Zerlegung sind relevante Systemzustände und Sequenzen zu unterscheiden. Diese spielen beispielsweise bei der Analyse des Anwendungsprozesses des Produktes eine Rolle. Je nach Systemzustand sind unterschiedliche Wirkflächenpaare relevant und Funktionen des Systems wirksam. Auch Fehlfunktionen oder Schwachstellen im System können gewissen Systemzuständen oder Sequenzen dieser Zustände zugeordnet werden. Diese Sichtweise ist vor allem bei dynamischen Systemen erforderlich, um diese besser zu durchdringen.
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4 Wirkprinzipien
Abb. 4-15. Geometrische Zerlegung, Systemgrenzenverschiebung [nach Ehrlenspiel 2009]
Abb. 4-16. Zeitliche Zerlegung: Systemzustände und Sequenzen [nach Ehrlenspiel 2009]
Die Festlegung der Systemgrenze, die Betrachtung von Wirkflächen wie auch von Zuständen haben wechselseitige Beziehungen. Am Beispiel einer klassischen Fruchtpresse mit manueller Press- und Drehbewegung wird dies deutlich. Wird die Systemgrenze eng um das Gerät gelegt, dann ist die Wirkfläche, die in der Anwendung gegen die Wirkfläche der Frucht wirkt, nur als singuläre Wirkfläche enthalten. Wird die Systemgrenze dagegen weiter gefasst, indem die Hand eines Bedieners eingeschlossen wird, so muss das Wirkflächenpaar Gerät-Frucht mit seinen Anforderungen und Eigenschaften betrachtet werden. Werden verschiedene Systemzustände analysiert, so ist zum Beispiel das Aufsetzen der Frucht, der eigentliche Entsaftungsvorgang wie auch das Abnehmen der ausgepressten Frucht differenziert zu betrachten, da hier jeweils unterschiedliche geometrische, kräftemäßige und andere Bedingungen sowie Wechselwirkungen zu beachten sind.
Abb. 4-17. Wirkflächen, Wirkflächenpaare und Systemgrenzen am Beispiel einer Fruchtpresse
4.2 Methoden zur Ermittlung von Wirkprinzipien
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Daraus resultiert die Notwendigkeit, im Entwicklungsprozess die Systemgrenzen sinnvoll zu verschieben und gleichermaßen die möglichen Zustände eines Systems zu betrachten, um die daraus resultierenden Erkenntnisse in Wirkstrukturen zu realisieren und geeignete Schlussfolgerungen zu ziehen. Werden bestehende Systeme und Lösungen auf diese Weise abstrahiert und analysiert, um die zugrunde liegenden Wirkmechanismen zu identifizieren und zu verstehen, ist eine geeignete Darstellung dieser Zusammenhänge erforderlich. Für die abstrahierte Darstellung technischer Zusammenhänge werden häufig schematische, symbolhafte Beschreibungselemente genutzt. Beispielsweise werden Wälzlager abstrahiert als Rechteck mit einem Kreuz oder Federn als Zick-Zack-Linie dargestellt. Um die bereichsübergreifende Kommunikation dieser Zusammenhänge zu fördern, bietet es sich ferner an, für häufig verwendete Beschreibungselemente Standards zu etablieren. Dabei ist zu beachten, dass je nach Fachdisziplin unterschiedliche Darstellungsformen verwendet werden beziehungsweise für unterschiedliche Zusammenhänge in verschiedenen Disziplinen gleiche Darstellungsformen existieren. Bei der Betrachtung mechanischer Zusammenhänge lassen sich Wirkflächenpaare durch zwei parallele Striche symbolisieren, in der Elektrotechnik wiederum werden auf diese Weise Kondensatoren dargestellt. Bei der Analyse konkreter Systeme und Lösungen und der Ermittlung der zugrundeliegenden Wirkprinzipien ist die jeweilige Zielsetzung im Projekt und die Entwicklungssituation zu berücksichtigen.Je nachdem ob der Fokus der Betrachtung auf der Behebung konkreter Schwachstellen oder der Analyse der allgemeinen Funktionalität liegt ist ein unterschiedliches Vorgehen erforderlich. Die Systemgrenze ist nicht statisch, sondern ist ziel- und problemorientiert zu erweitern oder zu verengen. Gleiches gilt für den Detaillierungsgrad des betrachteten Systems innerhalb der Systemgrenze.
4.2.4 Wie lassen sich Wirkprinzipien bewerten und auswählen? Nach einer Sammlung von Wirkprinzipien und prinzipiellen Lösungsideen für eine technische Problemstellung ist es meist erforderlich, eine Bewertung durchzuführen und eine Auswahl zu treffen. Hierbei ist ein situativ angepasstes Vorgehen zielführend. Ist das vorrangige Ziel im Projekt zum Beispiel die möglichst schnelle Entwicklung einer technisch umsetzbaren Lösung, sind unbrauchbare Prinzipien auszusortieren, um sich auf diejenigen zu konzentrieren, die eine zeitnahe Realisierungschance besitzen. Hat allerdings die Erarbeitung einer neuartigen innovativen Lösung Priorität vor der Einhaltung eines engen Terminplans, ist darauf zu achten, dass nicht voreilig vermeintlich schwache Effekte verworfen werden. Vergleicht man physikalische Effekte hinsichtlich ihrer technischen Realisierbarkeit, kann man teilweise sehr große Unterschiede feststellen. Gerade neue Technologien werden häufig mit Skepsis bedacht. In Bewertungsprozessen haben diese dann unter Umständen Nachteile gegenüber konventionellen, bewährten Lösungsprinzipien und Effekten.
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4 Wirkprinzipien
Konstruktionskataloge [Roth 1994b] enthalten in der Regel einen Zugriffsteil, der charakteristische Eigenschaften von Effekten auflistet. Diese ermöglichen einen Vergleich von Effekten und können daher als Kriterien für die Bewertung und Auswahl herangezogen werden. Mögliche Kriterien beziehungsweise Eigenschaften sind die Größe der erzeugbaren Kräfte, die charakteristischen Abmaße oder die Frage, ob eine ständige Energiezufuhr notwendig ist. Die Auswahl eines geeigneten Effektes hat in Abhängigkeit von den Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt zu erfolgen. Wichtig für die Auswahl eines passenden Effektes ist außerdem die Betrachtung von Störgrößen, die auftreten können. Beim Reibungseffekt sind beispielsweise Schmierungszustand, Oberflächenrauheit und Temperatur bedeutend, die Auswirkungen auf den Reibwert P haben können.
Abb. 4-18. Eigenschaften physikalischer Effekte im Konstruktionskatalog [Roth 1994b]
Physikalische Effekte können erheblich in ihrer Effektstärke variieren. Die Auswahl eines geeigneten Effektes unter technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten muss dies berücksichtigen. Als Beispiel wird die Funktion „Kraft erzeugen“ betrachtet. Mit dem Effekt „Druckkraft“ lassen sich beispielsweise gegenüber dem Effekt „elektrostatische Anziehung“ größere Kräfte erzielen, wenn die Anordnung in etwa dieselben geometrischen Abmessungen annehmen darf. Um dieselbe Kraft zu erzeugen, ist mit dem elektrostatischen Prinzip bei bestimmten Parametern ein siebzehnmal größerer Durchmesser vonnöten gegenüber einer hydrostatischen Lösung. Es zeigt sich allerdings, dass ein voreiliges Verwerfen vermeintlich „schwacher“ Effekte in manchen Fällen zu einer Lösungseinschränkung führt, die Innovationen verhindern kann. Beispielsweise existieren erfolgreiche Produktlösungen am Markt, die den Effekt der „elektrostatischen Anziehung“ zur Befestigung eines Whiteboards an der Wand nutzen: eine stark elektrostatische Folie hält sogar auf Raufasertapete. Außerdem mochte es vor einiger Zeit noch unmöglich erscheinen,
4.2 Methoden zur Ermittlung von Wirkprinzipien
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einen tonnenschweren Zug mittels Magneten zum Schweben zu bringen. Doch auch hier hat die Entwicklung des Transrapids gezeigt, dass sich der Effekt der „magnetischen Anziehung beziehungsweise Abstoßung“ sehr wohl zur Anhebung, Führung und Beschleunigung eines Zugs nutzen lassen kann.
Abb. 4-19. Vergleich der Effektstärke am Beispiel der Funktion „Kraft erzeugen“
Schließlich ist bei der Bewertung und Auswahl von Wirkprinzipien zu beachten, dass Funktionen meist nicht durch einzelne Effekte alleine realisiert werden, sondern durch Kombinationen mehrerer physikalischer Effekte beziehungsweise so genannter Effektketten. Einzelne Wirkprinzipien zur Umsetzung von Teilfunktionen sind außerdem zu Wirkstrukturen im Gesamtprodukt zu verknüpfen. Hier sind die jeweils in Frage kommenden Effekte auf Kompatibilität zu prüfen. Nach Möglichkeit sind Effekte gleichen Typs auszuwählen und zu kombinieren, also beispielsweise nur mechanische, hydraulische oder elektrische Effekte. Ein Wechsel der Energieart führt in der Regel zu einer aufwändigeren Konstruktion. Für die Ermittlung relevanter Eigenschaften von Wirkprinzipien beziehungsweise zur Beurteilung der grundsätzlichen Tauglichkeit von Prinziplösungen bieten sich unter anderem überschlägige Berechnungen an. Bei Wirkprinzipien basierend auf physikalischen Effekten sind einfache Auslegungsrechnungen häufig durch die Anwendung physikalischer Gesetzmäßigkeiten möglich. Darüber hinaus können einfache Bewertungsmethoden herangezogen werden, wie eine Vorauswahl anhand von Ausschlusskriterien oder ein Vorteil-Nachteil-Vergleich. Als Fazit lässt sich ziehen, dass die Umsetzung neuer physikalischer Wirkprinzipien oft grundlegender konzeptueller Überlegungen und eines erhöhten Aufwands für die Realisierung bedarf. Eine Veränderung der wirkenden Physik ermöglicht aber mitunter einen bedeutenden Technologiesprung.
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4 Wirkprinzipien
4.3 Ermittlung von Wirkprinzipien für einen innovativen Nussknacker Dass Wirkprinzipien genutzt werden können, um auch scheinbar einfache Produkte des alltäglichen Gebrauchs zu verbessern, veranschaulicht das folgende Beispiel. Ziel dieses Projektes war die Entwicklung eines Konzeptes für einen innovativen Handnussknacker [von Saucken 2007]. Dieser sollte sich vor allem durch ein eine geringe Bedienkraft und eine schnelle, intuitive Bedienung auszeichnen. Der Nussknacker sollte darüber hinaus ein neuartiges Design aufweisen, um ihn gegenüber der Vielfalt verfügbarer Modelle zu differenzieren. Zunächst wurden die Anforderungen an den Nussknacker ermittelt und in einer Anforderungsliste dokumentiert. Dabei galt es vor allem, Aspekte in Bezug auf das Öffnen der Nuss sowie die Nuss selbst zu klären. Darunter fallen Anforderungen wie zum Beispiel die erforderliche Kraftaufbringung auf die Schale, die zulässigen Handkräfte sowie ein guter Zugang zum Kern und die Unversehrtheit des Kerns. Darüber hinaus wurden weitere Anforderungen festgelegt, die unter anderem die Gewährleistung der Anwendersicherheit, einen einfachen Zusammenbau durch den Benutzer und Randbedingungen der Fertigung betreffen.
Abb. 4-20. Anforderungsliste für einen innovativen Handnussknacker [nach von Saucken 2007]
Anschließend wurden im Rahmen einer umfassenden Recherche bestehende Lösungen identifiziert und analysiert. Dazu wurden für jede einzelne Lösung zunächst die zugrunde liegenden Wirkprinzipien ermittelt. Da verschiedene Lösungen auf gleichen oder ähnlichen physikalischen Effekten beziehungsweise Effektketten aufbauen, wurden die Lösungen nach Haupteffekten geclustert, zum Beispiel „Keil“, „Hebel“ und „Stoß“. Um für die weitere Produktentwicklung Hinweise hinsichtlich Optimierungsmöglichkeiten zu finden, wurde im Anschluss ein Vorteil-Nachteil-Vergleich durchgeführt. Vorteil der Lösungen im Cluster „Keil“ ist unter anderem die gute Kraftverstärkung, ein Nachteil ist die umständliche, langsame Bedienung. Dagegen sind die Nussknacker im Cluster „Stoß“ einfach und schnell zu bedienen. Jedoch ist die Kraft schlecht dosierbar und es besteht eine mögliche Verletzungsgefahr durch starke Zersplitterung von Schale und Kern.
4.3 Ermittlung von Wirkprinzipien für einen innovativen Nussknacker
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Abb. 4-21. Analyse und Bewertung bestehender Lösungen von Nussknackern
Um weitere Optimierungsmöglichkeiten zu identifizieren, wurde die bisherige Funktionsweise konventioneller Nussknacker in einem Relationsorientierten Funktionsmodell dargestellt. Mithilfe dieses Modells wurden Problemformulierungen abgeleitet sowie technische Widersprüche ermittelt. So führt zum Beispiel die Kraftaufbringung zum Öffnen der Nussschale, aber gleichzeitig auch zur Beschädigung des Nusskerns oder der Nussschale. Zur Erarbeitung möglicher Lösungsansätze wurde die Problemstellung formal durch eine Kombination sich widersprechender technischer Parameter nach Altschuller ausgedrückt, zum Beispiel „von außen auf das Objekt wirkende schädliche Faktoren“ und „Spannung oder Druck“. Für die Initiierung der Lösungssuche wurden sodann über die Widerspruchsmatrix zugehörige Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche nach Altschuller identifiziert, unter anderem die Prinzipien der „Abtrennung“ und der „Anwendung von Wärmedehnung“. Unabhängig von der Widerspruchsmatrix wurden weitere Prinzipien für die Anregung von Lösungsideen herangezogen, zum Beispiel die Prinzipien der „Ausnutzung mechanischer Schwingungen“ und der „Anwendung dünner Folien“.
Abb. 4-22. Wirkprinzipien zur Lösung technischer Widersprüche im Nussknacker
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4 Wirkprinzipien
Ergänzend zu den beschriebenen Ansätzen wurden unter Einsatz von Kreativtechniken weitere Lösungsideen zur Realisierung der Teilfunktionen des Nussknackers ermittelt. Aus der Vielzahl an Lösungsideen wurden mittels einer Vorauswahl diejenigen Ideen ausgeschlossen, deren Realisierungschancen als äußerst gering eingestuft wurden, wie beispielsweise der Einsatz von Säure zur Öffnung der Nusschale oder die Trennung von Schale und Kern mittels Magnetismus. Auf Basis der verbleibenden Ideen konnten jedoch im Laufe des weiteren Entwicklungsprozesses mehrere unterschiedliche innovative Lösungskonzepte erarbeitet werden [von Saucken 2007].
4.4 Zusammenfassung Die Lösungssuche auf Wirkebene bietet große Potenziale für Innovationen, stellt die Entwickler aber auch vor gewisse Herausforderungen. Kreativitätsbarrieren in dieser Hinsicht sind unter anderem das Denken in eingefahrenen Lösungsmustern, die Angst vor Fehlern oder die Zufriedenheit mit dem Bekannten. Zur Unterstützung der Suche nach geeigneten Wirkprinzipien können physikalische Effekte, allgemein formulierte Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche oder auch Vorbilder aus der Biologie herangezogen werden. Die bewusst abstrakte Beschreibung der technischen Problemstellung ermöglicht hierbei die Loslösung von bestehenden Denkmustern und bekannten Lösungen. Die Vielzahl der physikalischen Effekte, von denen Entwickler oftmals nur eine kleine Teilmenge nutzen, erfordert den Einsatz geeigneter Informationssysteme wie Physikbücher, Effektesammlungen oder auch Datenbanken. Viele Innovationen beruhen auf der Nutzung alternativer physikalischer Effekte. Heutzutage müssen aber zunehmend auch chemische, biologische und sonstige Effekte einbezogen werden. Die Suche nach Lösungen in anderen Wissensgebieten stellt für Ingenieure aufgrund der „Sprachbarriere“ mitunter eine Hürde dar. Hier bietet es sich an, die Kommunikation mit Experten aus diesen Disziplinen zu suchen. Außerdem existieren einfache Hilfsmittel für den Einstieg in die Suche nach Analogien aus anderen Disziplinen, zum Beispiel die Assoziationsliste. Die bewusste Suche von technischen Widersprüchen, zum Beispiel auf Basis einer Funktionsanalyse, ist ein wichtiger Ausgangspunkt für eine mögliche Überwindung dieser Widersprüche und damit die Generierung von innovativen und optimierten neuen Lösungen. Der Weg über die Widerspruchsmatrix nach Altschuller ist nicht immer zwingend zielführend. Geübte Anwender können auch direkt auf geeignete Lösungsprinzipien zurückgreifen. Die Bewertung und Auswahl von Wirkprinzipien hat sich an den Erfordernissen der Entwicklungssituation zu orientieren. Sind Lösungen gesucht, die sich schnell technisch umsetzen lassen, werden sich vermutlich viele Prinzipien als unbrauchbar erweisen. Sind jedoch echte Innovationen gefragt, ist darauf zu achten, dass vermeintlich schwache Effekte nicht voreilig verworfen werden.
5 Wirkkonzepte
Im Rahmen der Anforderungsklärung und Funktionsmodellierung wird die technische Problemstellung in Teilprobleme zerlegt. Hierdurch wird die Komplexität der Aufgabenstellung für die Bearbeitung reduziert und eine gezielte Lösungssuche ermöglicht. Bei der Lösungssuche werden wiederum für einzelne Teilprobleme und Teilfunktionen Lösungsideen ermittelt. Durch die Anwendung geeigneter Methoden, die eine systematische oder intuitive Ideengenerierung unterstützen, wird dabei häufig eine große Vielzahl an Lösungsideen erarbeitet. Diese befinden sich meist auf unterschiedlichem Konkretisierungs- und Detaillierungsgrad. Im weiteren Verlauf des Entwicklungsprozesses sind aussichtsreiche Lösungsideen für die jeweiligen Teilfunktionen aus der Ideensammlung auszuwählen und schlüssig zu möglichen Gesamtlösungen zu kombinieren. Diese Gesamtlösungen werden als Lösungskonzepte bezeichnet. Lösungskonzepte beschreiben somit die prinzipielle Lösung für eine technische Problemstellung. Grundsätzlich ist dieses Vorgehen auf verschiedenen Konkretisierungsebenen möglich. Die Konzepterstellung findet häufig auf der Wirkebene statt, die Kombination einzelner Wirkprinzipien zu einer möglichen Gesamtlösung wird damit auch als Wirkkonzept bezeichnet. Die Generierung von Lösungskonzepten kann jedoch ebenfalls auf Bauebene durchgeführt werden, entsprechend ist dann von Baukonzepten die Rede. Bei der Konzepterstellung sehen sich Entwickler mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Zum einen enthält die Aufgabenstellung in der Regel mehrere Teilaspekte (Teilprobleme, Teilfunktionen), für die jeweils eine große Zahl an Lösungsmöglichkeiten denkbar ist. Daher ist es aufgrund der eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten des menschlichen Gehirnes meist nicht möglich, den Überblick über alle Zusammenhänge zu behalten. Zum anderen besteht die Gefahr, dass sich Entwickler sehr schnell auf ein Lösungskonzept konzentrieren und alternative Möglichkeiten außer Acht lassen. Schließlich besteht eine weitere Herausforderung darin, aus einer gewissen Anzahl alternativer Lösungskonzepte das beste auszuwählen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, kann bei der Erstellung und Auswahl von Lösungskonzepten auf bewährte Vorgehensweisen und Methoden zurückgegriffen werden. Es existieren hier Ansätze zur Ordnung und strukturierten Darstellung des Lösungsraums, zur Reduzierung der Lösungsvielfalt, zur Synthese von alternativen Gesamtkonzepten sowie zur systematischen Konzeptbewertung und -auswahl. Der Fokus der hier durchgeführten Betrachtungen liegt auf der Erstellung von Wirkkonzepten, das heißt von Lösungskonzepten auf Wirkebene.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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5 Wirkkonzepte
5.1 Entwicklung von Konzepten für eine Zitruspresse Bei einer Zitruspresse für den Hausgebrauch wurde der Bedarf identifiziert, das aktuelle Modell zu überarbeiten. Zum einen waren die Verkaufszahlen nicht zufriedenstellend, zum anderen gingen verstärkt Reklamationen ein, die sich unter anderem auf die schlechte Saftausbeute oder Mängel in der Bedienergonomie bezogen. Das Gerät wurde von Kunden als schwer und klobig, die Bedienung als wenig intuitiv eingestuft. Aufgabe eines Entwicklungsprojektes war es daher, alternative Lösungskonzepte zu erarbeiten, die eine Verbesserung der Ausgangslösung sowie eine Behebung der identifizierten Defizite ermöglichten. Zunächst wurde eine Klärung der Aufgabenstellung durchgeführt. Auf Basis der Analyse der Kundenreklamationen wurden die Aspekte der Saftausbeute und der Bedienergonomie als zwei zentrale Themen für die Lösungssuche festgelegt. Zur weiteren Durchdringung des Systems wurde außerdem ein Relationsorientiertes Funktionsmodell erstellt. Darin wurden unter anderem die Funktionen „Gerät und Umgebung reinigen“ sowie „Anwender verletzen“ dokumentiert, auf die ein weiterer Hauptaugenmerk in der Lösungssuche gerichtet werden sollte.
Abb. 5-1. Relationsorientiertes Funktionsmodell der Zitruspresse
Im Anschluss an die Analyse der vorliegenden Ausgangslösung der Zitruspresse wurde eine Ideensammlung mit Fokus auf die herausgearbeiteten zentralen Problemstellungen durchgeführt. Durch die Anwendung von Kreativitätstechniken konnte im Team schnell eine Vielzahl an Lösungsideen ermittelt und dokumentiert werden. Die generierten Lösungsideen bezogen sich zum einen auf einzelne Teilfunktionen oder Details der Anordnung. Ideen zur Erhöhung der Saftausbeute konzentrierten sich beispielsweise auf die Form des Presskegels und auf die Art und Weise, wie Kraft auf die Zitrusfrucht aufgebracht werden kann. Zum anderen wurden auch Vorschläge erarbeitet, die einen Bezug zu mehreren Teilfunktionen oder gar zur gesamten Anordnung hatten. Auf einem Ideenblatt wurde zum Beispiel eine Handhebelpresse skizziert, die Aspekte einer einfachen Reinigung (Plastikabdeckung) und der Erleichterung der Bedienung (Integration eines Elektromotors zur Reduzierung der Bedienerkräfte) enthielt.
5.1 Entwicklung von Konzepten für eine Zitruspresse
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Abb. 5-2. Alternative Lösungsideen für einzelne Teilfunktionen und Teilprobleme
Die Lösungsideen wiesen zum Teil starke Unterschiede im Konkretisierungsbeziehungsweise Detaillierungsgrad auf. Manche Vorschläge beinhalteten das Wirkprinzip und wurden auf abstraktem Niveau beschrieben, beispielsweise die Nutzung des Lotuseffektes oder von Ultraschall zur Vereinfachung der Reinigung des Gerätes. Andere Ideen wiederum hatten ihren Fokus auf der konkreten Gestalt von Details der Anordnung und wurden anschaulich und detailliert skizziert. So gab es einen Vorschlag für eine optimierte geometrische Anordnung zur Reduzierung der Verletzungsgefahr für den Anwender. Mit dem Konkretisierungsgrad der Darstellung einher ging die inhaltliche Ausrichtung der Vorschläge, die zum Teil sehr unterschiedlich war. Manche Ideen waren eher konservativ und bezogen sich auf eine Optimierung der Ausgangslösung. Andere wiederum hatten einen hohen Neuheitsgrad und innovativen Charakter. Der kreative Prozess führte somit zu einer großen und sehr heterogenen Fülle an Lösungsideen. Dem Entwicklungsteam stellte sich nun aber die Frage, wie mit diesen Zwischenergebnissen umgegangen werden sollte. Ziel war es, letztendlich zwei bis drei schlüssige Gesamtkonzepte präsentieren zu können, die alle relevanten Aspekte der Aufgabenstellung adressierten. Der vorgestellte Ausschnitt aus dem Entwicklungsprozess soll demonstrieren, dass der geeignete Umgang mit einer großen Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten eine gewisse Herausforderung darstellt. Die Zerlegung einer Aufgabenstellung in Teilprobleme und Erarbeitung alternativer Teillösungsideen für jedes Teilproblem bietet das Potenzial, bekannte Lösungswege zu verlassen und innovative Produkte zu entwickeln. Jedoch erfordert es Methoden und Hilfsmittel, die entstehende „Lösungsflut“ zu beherrschen und zielgerichtet anforderungsgerechte Lösungskonzepte daraus abzuleiten. Zur Vorbereitung der Entwicklung aussichtsreicher Gesamtkonzepte ist es erforderlich, sich einen strukturierten Überblick über den Lösungsraum zu verschaffen und die Alternativenfülle schrittweise zu reduzieren.
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5 Wirkkonzepte
5.2 Methoden zur Erstellung und Auswahl von Konzepten Der Erfolg eines Produktes am Markt wird maßgeblich von der Qualität des zugrunde liegenden Konzeptes beeinflusst, das die Basis für die gestalterische Detaillierung und die produktionstechnische Realisierung bildet. Ein Konzept oder Lösungskonzept ist ein prinzipieller Lösungsvorschlag für eine technische Aufgaben- oder Problemstellung [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005]. Der prinzipielle Charakter bedeutet dabei, dass keine vollständige Beschreibung der Lösung vorliegt, sondern dass grundsätzliche Aspekte der Lösung beschrieben werden, beispielsweise in welcher Art und Weise die Funktion realisiert wird. Für die Konzepterstellung werden einzelne Lösungsideen beurteilt, ausgewählt und kombiniert. Wählt man für jede Teilfunktion des Produktes eine Teillösung aus und verknüpft diese miteinander, entsteht ein mögliches Gesamtkonzept. Hierbei ist das Denken in Alternativen wichtig, um Raum für innovative Lösungen zu schaffen. Dies ist besonders bei Neuentwicklungen mit Innovationsanspruch der Fall, die die Grundlage für die Erreichung einer guten Marktposition darstellen. Die Betrachtung von alternativen Lösungskonzepten ist auch dann von Bedeutung, wenn eigene Schutzrechtsansprüche abgesichert oder fremde Schutzrechtsansprüche umgangen werden sollen. Die Herausforderung besteht in der Handhabung des sich ergebenden umfangreichen Lösungsraums, der prinzipiell die Ableitung einer Fülle alternativer Lösungskonzepte zulässt. Die Konzepterstellung ist grundsätzlich auf allen Konkretisierungsebenen des Lösungsraums, also auf Funktionsebene, Wirkebene und Bauebene möglich. Dementsprechend ist von Funktionskonzept, Wirkkonzept und Baukonzept die Rede. Der Schwerpunkt der folgenden Betrachtungen liegt beispielhaft in der Erstellung von Wirkkonzepten. Die behandelten Methoden und Vorgehensweisen lassen sich jedoch auch grundsätzlich auf Funktions- und Baukonzepte anwenden.
Abb. 5-3. Einordnung in das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM)
5.2 Methoden zur Erstellung und Auswahl von Konzepten
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Zunächst ist es erforderlich den Lösungsraum zu strukturieren, um einen Überblick sowohl über die Teillösungsideen als auch die möglichen Gesamtlösungen zu erhalten. Zur Strukturierung des Spektrums an Teillösungsideen bietet sich der Einsatz von Ordnungsschemata an. Ein spezielles Ordnungsschema ist der Morphologische Kasten, in welchem den Teilfunktionen Teillösungsideen zugeordnet werden. Durch die Kombination verschiedener Teillösungsideen können mögliche Gesamtlösungen beziehungsweise Lösungskonzepte erstellt werden. Die Kombinatorik ist ein mathematischer Ansatz, um einen Überblick über die Menge aller theoretisch denkbaren Gesamtlösungen zu generieren. Im Allgemeinen ergibt sich aus der systematischen Kombination eine Alternativenfülle, aus der nun in einem eigenen Arbeitsschritt aussichtsreiche Lösungskonzepte extrahiert werden müssen. Um die aus der Flut theoretisch möglicher Gesamtkonzepte resultierende Komplexität zu handhaben und zielgerichtet sinnvolle Alternativen zu erarbeiten, werden Ansätze zur Reduktion des Lösungsraums eingesetzt. Diese Ansätze werden teilweise vor der Kombination wirksam. So führt die Anwendung von Reduktionsstrategien [Birkhofer 1980] zu einem übersichtlicheren Lösungsraum, was den Aufwand für die Kombination erheblich einschränkt. Teilweise helfen diese Ansätze auch, den Aufwand während der Kombination zu reduzieren, indem zusätzliche Auswahlschritte integriert werden. Das Ergebnis ist eine Fokussierung der Betrachtung und der Ausschluss wenig vielversprechender Teile des Lösungsraums. Die rein mathematische Kombination von Teillösungen führt noch nicht zu einem vollständigen Lösungskonzept. Zusätzlich muss die Systemarchitektur des zu entwickelnden Produktes berücksichtigt werden. Für das Wirkkonzept zählen hierzu die grobe räumliche Anordnung der Teillösungen zueinander sowie die Art ihrer Verknüpfung. Die Synthese eines räumlichen Wirkkonzeptes erfolgt in einem gesonderten Schritt im Anschluss an die Auswahl der zu kombinierenden Teillösungen. Das Baukonzept beschreibt die Gesamtlösung auf der Ebene konkreter Bauelemente. Hierbei werden die geometrische Anordnung und Lage der einzelnen Bauteile und Baugruppen zueinander sowie deren Schnittstellen adressiert. Während das Wirkkonzept Schlüsse in Bezug auf die Funktionserfüllung des Gesamtsystems zulässt, lassen sich anhand des Baukonzeptes konkretere Aussagen zu wesentlichen Produkteigenschaften wie Bauraum, Gewicht, Herstellbarkeit und Herstellkosten ableiten. Nicht alle alternativen Lösungskonzepte können weiterverfolgt werden. Daher ist eine Bewertung und Auswahl erforderlich. Hierzu sind zunächst die Eigenschaften der Lösungskonzepte zu ermitteln, indem für relevante Lösungsmerkmale die Ausprägungen ermittelt werden. Darauf basierend kann ein Vergleich der Lösungseigenschaften mit zuvor festgelegten Anforderungen erfolgen. Schließlich ist eine Entscheidung hinsichtlich der weiter zu konkretisierenden Lösungskonzepte zu treffen. Für die Eigenschaftsanalyse und Lösungsbewertung stehen zahlreiche Methoden und Hilfsmittel zur Verfügung, die in Abhängigkeit des Konkretisierungsstands der Produktmodelle, der angestrebten Genauigkeit des Ergebnisses und des zulässigen Aufwands auszuwählen sind.
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5 Wirkkonzepte
5.2.1 Wie lässt sich der Lösungsraum strukturieren? Der Lösungsraum beschreibt die Menge aller denkbaren Lösungen für eine Problemstellung, das heißt sowohl die Summe aller Teillösungsideen als auch die Menge aller theoretisch möglichen Gesamtlösungen. Nach einer Ideenfindungsphase liegt häufig eine Vielzahl an Lösungsideen vor, der Überblick über den Lösungsraum fehlt jedoch. Um aus den Ideen Konzepte abzuleiten, ist es daher zunächst erforderlich, den Lösungsraum übersichtlich und strukturiert darzustellen. Dieser Überblick kann mithilfe von Ordnungsschemata [Dreibholz 1975] gewonnen werden, die eine tabellenartige Struktur darstellen, in welche sich Lösungsideen und Lösungen systematisch eingliedern lassen. Zur Strukturierung von Lösungen im Ordnungsschema werden geeignete Kriterien (auch ordnende Gesichtspunkte genannt) herangezogen, mit welchen sich wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Lösungen beschreiben lassen. Die Anzahl der verwendeten Ordnungskriterien bestimmt dabei die Dimensionalität des Ordnungsschemas. Dementsprechend gibt es eindimensionale und mehrdimensionale Ordnungsschemata. Der Morphologische Kasten [Zwicky 1966] ist ein spezielles eindimensionales Ordnungsschema zur übersichtlichen Darstellung eines Spektrums an Teillösungsideen und den daraus abgeleiteten Lösungskonzepten. Der Morphologische Kasten ordnet in einer tabellenartigen Struktur den Teilfunktionen die jeweils zugehörigen Teillösungsideen zu. Gesamtkonzepte lassen sich als Pfade darstellen, die einzelne Teillösungen miteinander verbinden. Die Methode des Morphologischen Kastens wurde von Zwicky entwickelt, um die „Totalität aller Lösungen“ für eine Entwicklungsaufgabe übersichtlich darzustellen. Morphologisch bedeutet dabei „gestaltgebend“. Der Morphologische Kasten ist auch unter den Bezeichnungen „Morphologisches Schema“ oder nur „Morphologie“ bekannt.
Abb. 5-4. Schematischer Aufbau eines Morphologischen Kastens [nach Birkhofer 1980]
Das Vorgehen beim Aufbau eines Morphologischen Kastens wird im Folgenden beschrieben. Die Teilfunktionen werden in der Kopfspalte aufgelistet. Es bietet sich an, die ermittelten Teilfunktionen entlang einer Wirkkette abzubilden und in der entsprechenden Reihenfolge von oben nach unten in den Morphologischen Kasten einzutragen. Falls die Teilfunktionen für die alternativen Konzepte unterschiedlich stark lösungsbestimmend sind, ist es weiterhin zweckmäßig, sie in der Reihenfolge ihrer Lösungsdominanz zu ordnen. Dies erleichtert den Überblick
5.2 Methoden zur Erstellung und Auswahl von Konzepten
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beim nachfolgenden Kombinieren der Teillösungsideen. Die Teillösungsideen werden für jede Teilfunktion zeilenweise eingetragen und dabei möglichst anschaulich und verständlich dargestellt, zum Beispiel mittels einer kurzen prägnanten Bezeichnung und einer Skizze [Dick 2010]. Dies erleichtert die Beurteilung der später zu bildenden Kombinationen der Teillösungsideen erheblich und regt Assoziationen über günstige Kombinationen an. Jeder Teilfunktion kann dabei eine unterschiedliche Anzahl von Teillösungsideen zugeordnet werden. Der Morphologische Kasten bietet somit eine Übersicht über den aufgespannten Lösungsraum und erleichtert die Diskussion über alternative Lösungsideen. Die Methode kann auf unterschiedlichen Konkretisierungsebenen eingesetzt werden, zum Beispiel auf Wirkebene und Bauebene. Entsprechend beziehen sich die im Morphologischen Kasten aufgeführten Teillösungsideen entweder auf Wirkprinzipien oder konkrete Bauelemente. Die Anwendung auf Wirkebene wird am Beispiel eines Pneumatikventils verdeutlicht. Die Teilfunktionen des Ventils sind „Automatisches Öffnen und Schließen“, „Bereitstellung der Betriebskraft“ und „Sicherung der Einstellung“. Für das automatische Öffnen und Schließen sind Wirkprinzipien denkbar, die auf den physikalischen Effekten „Querkontraktion“, „Hebel“ oder „Wärmeausdehnung“ basieren. Neben der Nennung der Effekte bietet sich die Darstellung des Wirkprinzips in Form von Skizzen an, welche neben dem Effekt die grundsätzlichen wirkgeometrischen Zusammenhänge darstellen.
Abb. 5-5. Morphologischer Kasten am Beispiel eines Pneumatikventils
Zur Verknüpfung der Teillösungsideen zu möglichen Gesamtlösungen bietet sich Anwendung der Kombinatorik an. Dabei handelt es sich um einen mathematischen Ansatz, bei dem die Elemente aus einer Elementmenge zu vollständigen Kombinationen verknüpft werden [Franke 1976]. Jede Kombination der im Mor-
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5 Wirkkonzepte
phologischen Kasten enthaltenen Teillösungsideen pro Teilfunktion repräsentiert ein eigenes Lösungskonzept. Durch die Kombination aller Teillösungsideen einer Teilfunktion mit allen Teillösungsideen der jeweils anderen Teilfunktionen entsteht ein vollständiges Spektrum an Gesamtlösungsalternativen. Die maximale Anzahl an alternativen Konzepten ergibt sich rein rechnerisch als Produkt der jeweiligen Gesamtzahl an Teillösungsideen pro Teilfunktion. Der Ansatz der Kombinatorik bietet eine Reihe von Vorteilen bei der Erstellung alternativer Lösungskonzepte. So wird durch das algorithmische Vorgehen sichergestellt, dass bei der Erstellung der Konzepte keine Konzeptalternative vergessen wird und somit aus der Lösungssuche ausscheidet. Darüber hinaus ist es möglich, das mathematische Verfahren der Kombinatorik zu programmieren und somit den Aufwand für diesen Schritt stark zu reduzieren. Demgegenüber steht der Nachteil, dass es sich beim Kombinieren um ein reines Generierungsverfahren handelt, das neben geeigneten auch eine Vielzahl von ungeeigneten beziehungsweise unsinnigen Kombinationen erzeugt. Daher ist bei der Anwendung der Kombinatorik immer eine anschließende Beurteilung notwendig. Die durch Kombinatorik ermittelten alternativen Gesamtlösungen lassen sich auch in einem Alternativenbaum darstellen. Ein Alternativenbaum ist die grafische Repräsentation der durch Verkettung der einzelnen Elemente erzeugten Alternativen in Form einer hierarchischen Baumstruktur. Diese Darstellungsform vermittelt auf übersichtliche Weise ein Gefühl für die Menge der Gesamtlösungsalternativen und zeigt auch anschaulich die jeweiligen Generierungspfade der einzelnen Lösungskonzepte. Die Übersichtlichkeit geht jedoch verloren, wenn sehr viele Alternativen beziehungsweise Kombinationsstufen dargestellt werden sollen. Der Alternativenbaum eignet sich daher besonders für die Visualisierung kleiner Alternativenspektren mit weniger als etwa 50 Alternativen. Für die strukturierte Darstellung größerer Lösungsspektren bietet sich wiederum die Verwendung einer Alternativenmatrix an.
Abb. 5-6. Darstellung von möglichen Gesamtlösungen in einem Alternativenbaum
Die Schaffung eines Überblicks über den Lösungsraum stellt die Grundlage für die Erstellung von Lösungskonzepten dar. Methodische Ansätze wie der Morphologische Kasten, die Kombinatorik und der Alternativenbaum können hierbei hilf-
5.2 Methoden zur Erstellung und Auswahl von Konzepten
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reich sein. Im nächsten Schritt ist es jedoch erforderlich, sich innerhalb des theoretisch denkbaren Lösungsraums auf diejenigen Aspekte zu konzentrieren, die auch praktisch von Relevanz sind.
5.2.2 Wie lässt sich der Lösungsraum reduzieren? Der Ansatz, Teillösungsideen mithilfe der Kombinatorik zu alternativen Gesamtkonzepten zu verknüpfen, führt zu drei Herausforderungen: x Problem der Alternativenfülle („Alternativenflut“): Bereits bei einer kleinen Anzahl von Teilfunktionen und Teillösungsideen ergeben sich schon Hunderte von theoretisch möglichen alternativen Lösungskonzepten. x Problem des „Alternativenschrotts“: Erfahrungsgemäß ist ein hoher Anteil der theoretisch möglichen Lösungskonzepte untauglich, da durch die Kombinatorik auch sinnlose Alternativen generiert werden. x Problem des Mangels an „echten Alternativen“: Auch sehr ähnliche Lösungskonzepte werden von der Kombinatorik als eigenständige Alternativen generiert, auch wenn nur unwesentliche Unterschiede bestehen. Bei der Konzeptentwicklung ist es daher wichtig, aus dem theoretisch möglichen Lösungsraum zielgerichtet und effizient wenige aussichtsreiche Lösungskonzepte zu ermitteln, die echte Alternativen darstellen. Es sind zwei Ansätze für den Umgang mit der Alternativenfülle und die Beherrschung der damit einhergehenden Komplexität zu unterscheiden. Der erste Ansatz fokussiert auf die zu kombinierenden Elemente. Eine Komplexitätsbeherrschung findet hier über eine geeignete Strukturierung und Fokussierung der Elemente vor ihrer Kombination statt. Der zweite Ansatz wird während der Kombination wirksam und fokussiert auf die Relationen zwischen den Elementen. Hierbei geht es um den Ausschluss nicht zielführender Kombinationen sowie die Konzentration auf vielversprechende Kombinationen von Elementen. Im Folgenden werden konkrete Methoden vorgestellt, die auf diesen beiden Ansätzen basieren.
Abb. 5-7. Ansätze zur Beherrschung der Alternativenfülle
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5 Wirkkonzepte
Ein erster Ansatz zur Beherrschung der Alternativenfülle besteht darin, den Morphologischen Kasten so zu strukturieren, dass der Aufwand für das Ableiten alternativer Konzepte verringert wird [Birkhofer 1980]. Als Zweierkombinationen werden Paare von Teillösungsideen unterschiedlicher Teilfunktionen bezeichnet. Diese müssen hinsichtlich ihrer Eignung als Lösungsbestandteile beurteilt werden. Der Beurteilungsaufwand bei der Erarbeitung alternativer Konzepte ist annähernd proportional zur Gesamtzahl dieser Teillösungspaare. Ein schmaler Morphologischer Kasten mit wenigen Teillösungsideen pro Teilfunktion enthält deutlich weniger Zweierkombinationen als ein breiter Morphologischer Kasten mit vielen Teillösungsideen pro Teilfunktion. Breite Morphologische Kästen sollten also nach Möglichkeit vermieden beziehungsweise in schmale überführt werden, indem die ursprünglichen Teilfunktionen in mehrere Unterfunktionen aufgeteilt werden. Die Möglichkeit zur Umstrukturierung des Morphologischen Kastens sollte vor der Kombination von Teillösungsideen zu Konzepten in die Überlegungen einbezogen werden. Reduktionsstrategien sind Vorgehensweisen, die einen Morphologischen Kasten so reduzieren, dass aussichtsreiche Konzeptalternativen mit geringerem Aufwand gewonnen werden können [Birkhofer 1980]. Durch den Umfang eines Morphologischen Kastens ist die Anzahl der möglichen alternativen Lösungskonzepte festgelegt. Durch eine sinnvolle Reduzierung der Teilfunktionen und Teillösungsideen vor dem Kombinieren lässt sich die Anzahl der möglichen Gesamtkonzepte sowie der Kombinations- und Beurteilungsaufwand drastisch verringern. Es hat sich bewährt, Reduktionsstrategien in der nachfolgend genannten Reihenfolge anzuwenden: x Teilfunktionen nach Wichtigkeit ordnen, sofern nicht die Betrachtung einer Wirkkette erforderlich ist, beispielsweise Orientierung an den Hauptfunktionen x Teilfunktionen, die weniger wichtig oder weniger lösungsbestimmend sind, für die erste Kombination zurückstellen, zum Beispiel Nebenfunktionen x Teillösungsideen nach ihrer Eignung sortieren x weniger geeignete Teillösungsideen für die erste Kombination zurückstellen x einzelne Teillösungsideen zu Lösungsklassen zusammenfassen, beispielsweise alle mechanischen, elektrischen oder hydraulischen Lösungsideen x für die erste Kombination zunächst nur ähnliche Lösungsklassen beachten
Abb. 5-8. Reduktionsstrategien Übersicht
5.2 Methoden zur Erstellung und Auswahl von Konzepten
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Die Reduktionsstrategien basieren somit auf der Sortierung nach Wichtigkeit, der Zusammenfassung von Ähnlichem und der bewussten Zurückstellung von Teilen des Lösungsspektrums für die erste Kombination. Hierdurch wird die Anzahl der zu betrachtenden alternativen Gesamtkonzepte drastisch eingeschränkt. Außerdem sind in einem reduzierten Morphologischen Kasten die grundsätzlich unterschiedlichen und aussichtsreichen Lösungskonzepte meist wesentlich besser zu identifizieren. Das Zurückstellen von Teilfunktionen und Teillösungsideen schneidet ganze Äste des Alternativenbaumes und damit alle darunter liegenden Teillösungskombinationen ab. Es muss daher genau überprüft werden, ob hierdurch der Lösungsraum nicht unzulässig eingeschränkt wird. Die zurückgestellten Teilfunktionen und Teillösungsideen sollten bei der konkreteren Beschreibung aussichtsreicher Konzeptalternativen wieder mit aufgegriffen werden. Ein Ansatz zur Beherrschung der Alternativenfülle während der Kombination ist die Verträglichkeitsmatrix [Birkhofer 1980]. Die Methode unterstützt den systematischen, vollständigen Paarvergleich von Elementen hinsichtlich ihrer Verträglichkeit, in diesem Falle die Verträglichkeit zwischen Teillösungsideen für unterschiedliche Teilfunktionen im Morphologischen Kasten. Die Verträglichkeit zweier Teillösungen ist dann gegeben, wenn beide Lösungen in funktioneller, geometrischer, energetischer oder anderer Hinsicht kombinierbar sind. Unverträglichkeiten oder Inkompatibilitäten zwischen Teillösungen, die ihre Kombination verhindern, können durch die unterschiedlichen Eigenschaften der Teillösungen selbst begründet sein, wie zum Beispiel durch Unterschiede in Wirkprinzip, Bauprinzip, Design oder Handhabung. Weiterhin können sie auch aus nicht kompatiblen Anschlussbedingungen resultieren, zum Beispiel in geometrischer, kinematischer oder energetischer Hinsicht. Diese Unverträglichkeiten führen zum Ausschluss einer Kombination. So ist beispielsweise ein Elektromotor verträglich mit einem Stirnradgetriebe, jedoch unverträglich mit einem Hydraulikzylinder.
Abb. 5-9. Aufbau einer Verträglichkeitsmatrix
Zur Erstellung einer Verträglichkeitsmatrix werden alle Teillösungsideen eines Morphologischen Kastens in der Kopfzeile und in der Kopfspalte einer Matrix eingetragen. Durch einen paarweisen Vergleich werden alle Teillösungsideen mit-
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5 Wirkkonzepte
einander hinsichtlich ihrer Verträglichkeit beurteilt. Jede unverträgliche Zweierkombination wird in der Matrix gekennzeichnet. Hierbei ist unter Umständen eine Differenzierung nach Klassen notwendig, da die Verträglichkeit von weiteren Randbedingungen abhängen kann. Es empfiehlt sich außerdem für spätere Rückgriffe, auch den Grund der Unverträglichkeit zu dokumentieren. Da es sich um eine symmetrische Matrix handelt, ist nur die Hälfte oberhalb der Hauptdiagonalen auszufüllen. Die Methode bietet den Vorteil einer objektiven Beurteilung der Zweierkombinationen losgelöst von einer möglichen Fixierung auf favorisierte Wirkkonzepte. Schon bei der Bearbeitung kleiner Verträglichkeitsmatrizen ist es nicht möglich, den Überblick über der das gesamte Alternativenspektrum zu behalten und die Ergebnisse zu beeinflussen. Dem gegenüber stehen gewisse Nachteile bei der Anwendung der Verträglichkeitsmatrix. Zunächst ist der nicht unerhebliche Aufwand der Methode zu nennen, der sich bei einem umfangreichen Lösungsspektrum ergibt. Hinzu kommt, dass das beschriebene Verfahren wegen seines schnellen Wechsels zwischen Vorstellungsbildern kognitiv extrem anspruchsvoll ist. Weiterhin werden nur Zweierkombinationen betrachtet. Die Verträglichkeit von Wirkungsketten mit mehr als zwei Teillösungen muss gesondert untersucht werden. Durch eine rechnerunterstützte Präsentation der Zweierkombinationen lässt sich die kognitive Beanspruchung für den Anwender reduzieren, so dass sich dieser voll auf die Beurteilung konzentrieren kann. Die Alternierende Kombination und Auswahl integriert Auswahlschritte in das Generierungsverfahren, indem nach jedem Kombinationsschritt sofort die erzeugten Kombinationen beurteilt werden [Birkhofer 1980]. Das Ergebnis lässt sich in einem Alternativenbaum visualisieren, jeder Kombinationsschritt entspricht hier einer Ebene im Baum. Ausgeschlossene Kombinationen werden im Alternativenbaum als abgebrochene Äste dargestellt, auf der nächsten Ebene werden lediglich die zulässigen Kombinationen weiter betrachtet. Ebenso ist die Darstellung in Form einer Alternativenmatrix möglich. Diese ist gegenüber dem Alternativenbaum insbesondere bei großen Lösungsräumen rechnertechnisch besser abbildbar und somit besser handhabbar.
Abb. 5-10. Darstellung der Alternierenden Kombination und Auswahl im Alternativenbaum
5.2 Methoden zur Erstellung und Auswahl von Konzepten
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Die Alternierende Kombination und Auswahl ist ein sehr effizientes Verfahren zur Beherrschung der Alternativenfülle, da die hohe Anzahl der theoretisch möglichen Kombinationen durch dieses Vorgehen sehr schnell erheblich eingeschränkt werden kann. Gleichzeitig werden dabei die Eigenschaften der Teillösungsideen selbst, ihre direkte Verträglichkeit zu den Teillösungsideen auf der darüber liegenden Ebene sowie die Verträglichkeit zu allen anderen, bisher kombinierten Teillösungsideen berücksichtigt. Auf diese Weise gewinnt man mit jedem Kombinationsschritt einen zunehmend gesamthaften Eindruck der jeweiligen Lösungskonzepte. Es empfiehlt sich, die Teilfunktionen vorher so zu ordnen, dass die Lösungsideen für konzeptbestimmende Teilfunktionen zuerst kombiniert werden. Vor der Durchführung der Methode sollten daher die Reduktionsstrategien angewandt werden. Morphologische Kästen lassen unter Umständen bereits vor der Kombination deutliche Schwerpunkte hinsichtlich aussichtsreicher Lösungsklassen erkennen. Lösungsklassen zeichnen sich durch charakteristische Eigenschaften aus, zum Beispiel die Art der zugrunde liegenden Physik (mechanische, hydraulische, elektrische Lösungen). Durch eine gezielte „Ansprache“ dieser Lösungsklassen und Konzentration auf ihre typischen Elemente können repräsentative Lösungskonzepte, so genannte Stellvertreterlösungen, ermittelt werden, die eine schnelle Abschätzung der Eignung der gesamten Lösungsklasse ermöglichen. Als Grundlage für die Erstellung der Stellvertreterlösungen können beispielsweise Vorgängerprodukte oder Lösungen des Wettbewerbs herangezogen werden. Weiterhin ist es sinnvoll, Konzepte mit in die Betrachtungen aufzunehmen, welche sich in den Wirkprinzipien grundlegend unterscheiden.
Abb. 5-11. Morphologischer Kasten mit Stellvertreterlösungen
Die vorgestellten Ansätze zur Beherrschung der Alternativenfülle unterstützen den Entwickler dabei, einzelne Teillösungsideen zielgerichtet zu Gesamtkonzepten zu kombinieren, die echte Alternativen darstellen. Das geschieht mithilfe einer bewussten Konzentration auf die sinnvollen Teile des theoretisch möglichen Lösungsraums. Jedoch ist hierbei darauf zu achten, dass keine aussichtsreichen Lösungsalternativen übersehen oder ausgeschlossen werden.
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5 Wirkkonzepte
5.2.3 Wie lassen sich Wirkkonzepte erstellen? Mithilfe eines Morphologischen Kastens lassen sich Teillösungsideen zu konsistenten Gesamtkonzepten kombinieren. Dies geschieht zunächst aus rein funktionaler Sicht, das heißt es werden für alle zu realisierenden Teilfunktionen Lösungsideen ausgewählt. Ferner wird im Rahmen der Kombination die Verträglichkeit zwischen den Teillösungsideen überprüft, wobei verschiedene Gesichtspunkte herangezogen werden können, zum Beispiel energetische, werkstofftechnische oder geometrische Aspekte. Zur Beschreibung eines vollständigen Wirkkonzeptes ist es zudem notwendig, die räumliche Struktur festzulegen, das heißt die Anordnung der Teillösungsideen zueinander sowie deren Verbindungen. Bei der Erstellung eines Wirkkonzeptes spielen somit zum einen funktionale und geometrische Aspekte eine Rolle. Zum anderen ist hier ebenfalls eine Vielzahl von Anforderungen zu berücksichtigen, beispielweise bezüglich Design, Raumbedarf, Kosten, Montage, Gewicht und Sicherheit. Die Darstellung des Wirkkonzeptes hat auf eine Art und Weise zu erfolgen, in der das Prinzip der Gesamtlösung sichtbar wird. Jedoch müssen auch die strukturellen Freiheitsgrade für die Lage der Teillösungen und deren Verbindungselementen erkennbar sein. Die Herausforderung ist also, dass die Darstellung konkret genug ist, um ein adäquates Verständnis für das Konzept zu vermitteln, jedoch abstrakt genug, um eine Fixierung auf eine konkrete Gestalt zu vermeiden. Zur Erleichterung des räumlichen Zusammensetzens von Teillösungsideen zu einem Gesamtkonzept bietet es sich an, zunächst die räumliche Lage von Wirkflächen sowie „verbotene Gebiete“ mithilfe von Hüllelementen zu definieren [Tjalve 1978]. Unter einem „verbotenen Gebiet“ werden Bereiche des Systems verstanden, in denen aus systemspezifischen Gründen, wie beispielsweise Funktionalität, Gewichtsverteilung oder Sicherheit, keine Bauteile oder Baugruppen untergebracht werden dürfen. Ein Beispiel hierfür ist der Bewegungsraum der Rotorblätter einer Windkraftanlage, der von keinem Bauteil geschnitten werden darf, da ansonsten die Rotation nicht möglich wäre. Ein zweites Beispiel ist der Antriebsstrang im Pkw. Hier darf unter anderem der Bewegungsraum der Achskinematiken aus funktionalen Gründen nicht geschnitten werden. Die räumliche Anordnung und Verknüpfung von Teillösungen erfordert weitere Systemelemente zur Fixierung der Teilsysteme in der Gesamtanordnung sowie zum Leiten relevanter Umsatzprodukte (Stoff-, Energie- und Signalumsätze) von einem Teilsystem in das andere. Diese werden auch als Leitstützstrukturen [Matthiesen 2002] bezeichnet. Bei der räumlichen Anordnung müssen zusätzlich zu den geometrischen Einschränkungen durch verbotene Gebiete noch weitere produktspezifische Ziele und Anforderungen beachtet werden. Diese sind aus der Anforderungsliste abzuleiten und betreffen unter anderem Bereiche wie Bauraum, Gewicht, Design, Montage oder Wiederverwertung. Anordnungen, die mit einem „Minimum an Leitstützstruktur“ auskommen (integrales Konzept), können unter Umständen vorteilhaft bezüglich der Gewichts- und Bauraumanforderungen sein, auf der anderen Seite jedoch Schwierigkeiten für die Montage bedeuten.
5.2 Methoden zur Erstellung und Auswahl von Konzepten
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Aus der Festlegung der Wirkflächen, der verbotenen Gebiete und der Leitstützstrukturen können schließlich die strukturellen Freiheitsgrade für die Lage der einzelnen Teillösungen sowie der Verbindungselemente ermittelt werden. Mittels Systematischer Variation von Lage, Anzahl und Anordnung der Systemelemente können im Anschluss auf Basis des Wirkkonzeptes alternative Gestaltlösungen abgeleitet werden. Das beschriebene Vorgehen wird am Beispiel eines Handnussknackers verdeutlicht. Im Morphologischen Kasten wurden die Teillösungen „Stoß“ zur Realisierung der Funktion „Kraft auf Schale aufbringen“, die Teillösung „elastische Verformung“ zur Realisierung der Funktion „Handkraft verstärken“ und die Teillösung „Formschluss“ zur Realisierung der Funktion „Nuss fixieren“ ausgewählt. Aus der Kombination dieser Teillösungen wurde das Wirkkonzept „Schnalzer“ abgeleitet. Bei der räumlichen Anordnung dieser Teillösungen wurde die Federvorrichtung zur Erzeugung des Stoßimpulses in einem Gehäuse untergebracht. Bestimmte Bereiche der Anordnung, wie zum Beispiel der Bewegungsraum des Schlagelementes dürfen aus funktionalen Gründen nicht geschnitten werden (verbotene Gebiete). Zusätzlich zu berücksichtigende Anforderungen sind unter anderem die Anwendersicherheit, die hier durch das abgeschlossene Gehäuse gewährleistet wird, sowie die Bedienergonomie, die durch einen Knauf realisiert wird, der ein sicheres Greifen des Gerätes beim Spannen der Druckfeder ermöglicht. In diesem Wirkkonzept existieren diverse strukturelle Freiheitsgrade. Das Spannen der Schlagvorrichtung könnte beispielsweise nicht linear, sondern rotatorisch mithilfe einer Biegefeder anstelle einer Druckfeder erfolgen.
Abb. 5-12. Synthese von Wirkkonzepten am Beispiel eines Handnussknackers
Die Synthese eines Gesamtkonzeptes geht somit über die reine Kombination von Teillösungsideen im Morphologischen Kasten hinaus. Der räumlichen Anordnung und Verknüpfung der Teillösungsideen im Wirkkonzept kommt eine hohe Bedeutung zu, da durch die räumliche Struktur die Systemarchitektur in weiten Teilen festgelegt wird.
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5 Wirkkonzepte
5.2.4 Wie lassen sich Wirkkonzepte bewerten und auswählen? Bei der Generierung von Wirkkonzepten wird schon im Rahmen der Kombination von Teillösungsideen zu Gesamtkonzepten sowie bei der Synthese räumlicher Wirkkonzepte der Lösungsraum eingeschränkt. So werden beispielsweise nicht verträgliche Kombinationen von Teillösungsideen im Vorfeld ausgeschlossen. Die verbleibenden Wirkkonzepte stellen somit „echte“ Alternativen in dem Sinne dar, dass sie aus aussichtsreichen und untereinander verträglichen Teillösungsideen bestehen und vor allem die funktionalen Anforderungen aller Voraussicht nach erfüllen. Aus Gründen des Aufwandes können nicht alle alternativen Konzepte weiter konkretisiert werden, daher ist eine Bewertung und Auswahl der Lösungskonzepte erforderlich. Bei der Bewertung werden die Eigenschaften der Lösungskonzepte mit zuvor festgelegten Zielvorstellungen (Anforderungen) verglichen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewertung ist, dass dabei nicht nur einzelne Gesichtspunkte berücksichtigt werden, sondern die Bewertung so umfassend erfolgt, wie es der jeweilige Informationsstand im Entwicklungsprojekt zulässt. Die zu bewertenden Lösungskonzepte müssen hierbei einen vergleichbaren Konkretisierungsgrad aufweisen. Ferner ist auch die Auswahl der Bewertungskriterien in Abhängigkeit vom Konkretisierungsgrad der zu vergleichenden Lösungen zu treffen. Falls hier starke Unterschiede vorherrschen, weil zum Beispiel ein neuartiges Konzept mit einem bereits existierenden Produkt verglichen wird, besteht tendenziell die Gefahr, dass potenzielle Innovationen schlecht bewertet und konservative Lösungen favorisiert werden. Grundlage für die Bewertung ist die Analyse der Eigenschaften der Lösungskonzepte [Lindemann 2009]. Hierfür werden die für die Bewertung relevanten Merkmale ausgewählt und die Ausprägungen dieser Merkmale bei den einzelnen Lösungskonzepten ermittelt. Für die Eigenschaftsanalyse existieren verschiedene Methoden, die je nach Entwicklungssituation, gefordertem Genauigkeitsgrad der Ergebnisse und zulässigem Aufwand auszuwählen sind. So können Lösungseigenschaften unter anderem durch Berechnung, numerische Simulation oder Versuche ermittelt werden. Besonders in frühen Phasen, wenn der Konkretisierungsgrad der Lösungen noch gering ist, können mittels Orientierender Versuche, Schätzen durch Experten oder auch Überschlagsrechnungen wesentliche Eigenschaften grob ermittelt werden. Die gewonnenen Erkenntnisse sind dabei häufig qualitativer Art, können aber für einen Vergleich alternativer Wirkkonzepte vollkommen ausreichend sein. Zur Dokumentation der Lösungseigenschaften bietet sich eine Eigenschaftsliste [Bichlmaier 2000] an, die analog zur Anforderungsliste ständig aktuell zu halten ist und in der unter anderem Merkmale zu kennzeichnen sind, die wichtig für die Bewertung sind, bei denen aber benötigte Informationen noch fehlen. Bei der Bewertung werden die ermittelten Eigenschaften der Lösungskonzepte mit den Anforderungen an das zukünftige Produkt verglichen. Je nach Phase im Entwicklungsprozess und Konkretisierungsgrad der Produktmodelle kommen ver-
5.2 Methoden zur Erstellung und Auswahl von Konzepten
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schiedene Bewertungsmethoden zur Anwendung. Die Auswahl einer geeigneten Bewertungsmethode erfolgt auch in Abhängigkeit der Aussagekraft der vorliegenden Informationen bezüglich der Lösungseigenschaften sowie der Bedeutung der anstehenden Entscheidung. Häufig wird hierbei stufenweise vorgegangen, indem zunächst einfache und aufwandsarme Methoden angewandt werden. Im weiteren Verlauf wird die Bewertung dann zunehmend differenzierter. Einfache Bewertungsmethoden werden vor allem in den frühen Phasen der Produktentwicklung angewandt, wenn die Lösungseigenschaften eher qualitativ als quantitativ bekannt sind. In späteren Phasen werden sie häufig während einer Vorauswahl eingesetzt, die der differenzierenden Bewertung vorgeschaltet ist. Außerdem werden sie in späteren Phasen dann eingesetzt, wenn die zu treffende Entscheidung entweder keine große Tragweite hat oder sehr kurzfristig getroffen werden muss. Einfache Bewertungsmethoden sind in der Regel aufwandsarm durchführbar und helfen dabei, den Lösungsraum schnell zu reduzieren. Für eine systematische Vorauswahl bietet sich die Nutzung einer Vorauswahlliste [nach Pahl et al. 2005] an. In dieser werden die Lösungen nach aus der Anforderungsliste abgeleiteten Ausschlusskriterien bewertet. Sobald eine Lösung ein Kriterium nicht erfüllt, wird sie nicht weiter betrachtet. Beim Vorteil-NachteilVergleich werden die Vorteile und Nachteile einer Lösungsalternative in Relation zu einer vorhandenen oder auch zu einer gedachten Lösung gesetzt. Der Paarweise Vergleich ermöglicht einen direkten Vergleich von jeweils zwei Lösungsideen bezüglich eines einzigen Kriteriums. Hierdurch lässt sich eine Rangfolge der Lösungsalternativen nach ihrer Eignung ableiten. Bei einer Punktbewertung werden den Lösungen in Bezug auf einzelne Bewertungskriterien Punktwerte zugeordnet und über alle Kriterien hinweg summiert. Die Punktesumme dient als Entscheidungshilfe bei der Auswahl einer Lösungsalternative. Differenzierende Bewertungsmethoden kommen dann zur Anwendung, wenn der Informationsstand bezüglich der zu vergleichenden Lösungskonzepte höher ist. Es können damit auch Lösungsalternativen, die nach der Anwendung einfacher Bewertungsmethoden als fast gleichwertig erscheinen, genauer untersucht werden, um die Unterschiede besser herauszuarbeiten und damit die Entscheidung zu erleichtern. Die Gewichtete Punktbewertung berücksichtigt gegenüber einer einfachen Punktbewertung die unterschiedliche Bedeutung der betrachteten Kriterien. Die Gewichtung ist nur dann für den Gesamtwert wirkungsvoll, wenn sie mit deutlichen Unterschieden erfolgt und sich die Eigenschaften in den höher gewichteten Kriterien merklich unterscheiden. Die Nutzwertanalyse ist der Gewichteten Punktbewertung sehr ähnlich. Ein besonderes Merkmal dieser Methode ist die hierarchische Struktur der Bewertungskriterien, verbunden mit einer Kriteriengewichtung. Der Einsatz der Nutzwertanalyse bietet sich besonders bei einer großen Zahl von Bewertungskriterien an, um dem Zielsystem eine übersichtliche Struktur zu geben. Im Anschluss an die Bewertung sollte stets eine Plausibilitätsprüfung und Sensibilitätsanalyse zur Kontrolle der Ergebnisse durchgeführt werden [Lindemann 2009]. Weiterhin müssen Risiken und potenzielle Probleme analysiert und gegebenenfalls eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchgeführt werden.
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5 Wirkkonzepte
Aufbauend auf dem Ergebnis der Bewertung erfolgt unter Abwägung der Chancen und Risiken eine Empfehlung beziehungsweise Entscheidung für eine oder mehrere Lösungsalternativen. Für die Entscheidung sind in der Praxis oft andere Gremien beziehungsweise Beteiligte verantwortlich als für die Bewertung. So kann es beispielsweise sein, dass das Projektteam eine Bewertung durchführt und eine Empfehlung abgibt, die Entscheidung jedoch in Abhängigkeit der Tragweite und Bedeutung durch das Management getroffen wird. Am Beispiel eines Handnussknackers wird die Anwendung der Gewichteten Punktbewertung erläutert. Zur Auswahl stehen die drei Konzepte „Zirkelschraubenbrösler“, „Schnalzer“ und „Knackspinne“ [von Saucken 2007]. Für die Bewertung werden Kriterien mit einer unterschiedlichen Gewichtung herangezogen. Bei der Gewichtung werden drei Stufen unterschieden: hoch (zum Beispiel Bedienkraft und Neuartigkeit), mittel (beispielsweise Design und Anwendersicherheit) und niedrig (Kriterien Bauraum und Umsetzungsaufwand).
Abb. 5-13. Alternative Wirkkonzepte am Beispiel eines Handnussknackers
Für jedes Konzept werden die für die Bewertung relevanten Eigenschaften ermittelt. Dies erfolgt unter anderem durch überschlägige Berechnungen, zum Beispiel bezüglich der erforderlichen Bedienkräfte, die die Bedienergonomie maßgeblich beeinflussen. Weitere Eigenschaften lassen sich anhand von physischen Funktionsmustern beurteilen. Für die Bewertung werden die ermittelten Eigenschaften in Punktwerte übersetzt. Basierend auf dem Gesamtergebnis wird entschieden, die Konzepte „Knackspinne“ und „Schnalzer“ weiter zu verfolgen.
Abb. 5-14. Gewichtete Punktbewertung am Beispiel eines Handnussknackers
5.3 Entwicklung von Konzepten für einen Gangschaltungssimulator für Nutzfahrzeuge
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5.3 Entwicklung von Konzepten für einen Gangschaltungssimulator für Nutzfahrzeuge In einem Fahrsimulator für Nutzfahrzeuge [nach Graebsch 2004] soll es ermöglicht werden, die Einflüsse auf den Fahrer in allen Fahrsituationen möglichst realitätsnah zu simulieren. Hierzu gehören neben den optischen Einflüssen (Wahrnehmungsfeld) und akustischen Einflüssen (Motor- und Fahrgeräusche) auch die Haptik bei der Bedienung des Fahrzeuges. Die Gangschaltung ist (ähnlich wie die Lenkung) eine Baugruppe, die über haptische Informationen Fahrer, Fahrzeug und Umwelt im Regelkreis verbindt. Eine umfassende realitätsnahe Simulation erfordert folglich die Bereitstellung eines Handschalters inklusive der auftretenden Kräfte und Momente. Bei dem nachzubildenden Handschalter handelte es sich um eine einfache H-Schaltung. Im realen Nutzfahrzeug wird die mechanische Arbeit des Anwenders über Hydraulikzylinder an das Getriebe weitergegeben, in welchem diese Arbeit nach einer Verstärkung die Gangänderungen ermöglicht. Zum Schalten aller sechzehn Vorwärtsgänge werden am Schaltknauf die Split- und Vorgelegegruppe elektronisch geschaltet. Die einzelnen Schaltgassen sind folglich mehrfach belegt. Der Hebel lässt sich in zwei Richtungen bewegen, in denen er dem Anwender durch die Hydraulik definierte Kräfte entgegensetzt. Der Bewegungsraum ist dabei auf die Schaltkulisse beschränkt. Der Handschalter selbst gibt die Information, welcher Gang eingelegt ist, nicht an den Fahrzeugführungsrechner aus, stattdessen wird im Fahrzeug die Gangwahlinformation vom Getriebe übermittelt. Zur Erstellung möglicher Wirkkonzepte für die Realisierung des Handschaltaktuators wurden zunächst die Anforderungen an das zu entwickelnde System geklärt. Diese bezogen sich unter anderem auf den Bauraum, das Gewicht und die zu realisierenden Handgegenkräfte. Im Anschluss wurden die notwendigen Teilfunktionen ermittelt, welche die Erzeugung eines realistischen Fahreindrucks ermöglichen. Dazu wurden eine detaillierte Analyse der realen Schaltung vorgenommen und daraus die zu erfüllenden Teilfunktionen abgeleitet: x x x x
Bewegung ermöglichen Schalthebel führen Handgegenkräfte erzeugen Gangwahl erkennen
Auf dieser Grundlage wurde eine zielgerichtete Suche nach Lösungsideen für die identifizierten Teilprobleme durchgeführt. Hierbei kamen sowohl systematische Vorgehensweisen (unter anderem Recherchen in Patentdatenbanken und Herstellerkatalogen) wie auch Kreativitätstechniken zum Einsatz. Um die gefundenen Lösungsideen zu strukturieren und einen gesamthaften Überblick über den aufgespannten Lösungsraum zu erhalten, wurde ein Morphologischer Kasten erstellt. In diesem wurden die Lösungsideen den einzelnen Teilfunktionen zugeordnet. Für ein besseres Verständnis wurden dabei neben den rein textuellen Beschreibungen der Lösungsideen auch Skizzen in das Ordnungsschema eingetragen.
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5 Wirkkonzepte
Abb. 5-15. Morphologischer Kasten des Gangschaltungssimulators [nach Graebsch 2004]
In dem erstellten Morphologischen Kasten ergaben sich bereits bei nur vier Teilfunktionen mit jeweils vier bis fünf Teillösungsideen 500 theoretisch mögliche alternative Wirkkonzepte. Vor der weiteren Ausarbeitung der Teillösungsideen war es daher erforderlich, diese Anzahl einzugrenzen, da die detaillierte Analyse und Bewertung sämtlicher Alternativen den zur Verfügung stehenden Zeitrahmen deutlich überschritten hätte. Um den Aufwand für die Kombination und Bewertung von Gesamtlösungskonzepten zu verringern, wandte das Team Reduktionsstrategien an. So wurde beispielsweise entschieden, die Funktion „Gangwahl erkennen“ zunächst zurückzustellen und erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder mit in die Betrachtungen aufzunehmen. Weiterhin wurde die Erstellung von Stellvertreterlösungen beschlossen, um auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen eine zusätzliche Reduktion der theoretischen alternativen Wirkkonzepte zu erreichen. Es wurden drei grundsätzlich unterschiedliche Wirkkonzepte für die Realisierung des Handschaltaktuators erarbeitet. Das erste Konzept basierend auf einem Kugelgelenk und einem Reibkonus sah ausschließlich passive Elemente vor. Das zweite Konzept basierte auf einer hydraulischen Lösung. Die dritte Lösung sah den Einsatz von Elektromotoren zur Führung des Schalthebels und Erzeugung der Handgegenkräfte vor. Diese drei Lösungskonzepte wurden weiter detailliert, um eine Bewertung zu ermöglichen. Zunächst wurden dazu die notwendigen Bauteile und Baugruppen zur Umsetzung des Konzeptes ermittelt und mit überschlägigen Rechnungen dimensioniert. Auf dieser Basis wurden weiterhin die räumliche Anordnung der Bauteile zueinander sowie deren Schnittstellen festgelegt.
5.3 Entwicklung von Konzepten für einen Gangschaltungssimulator für Nutzfahrzeuge
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Abb. 5-16. Alternative Wirkkonzepte des Gangschaltungssimulators [nach Graebsch 2004]
Für die Vorbereitung einer Bewertung wurden anschließend geeignete Bewertungskriterien ermittelt. Dazu zog das Team die vor der Lösungssuche erstellte Anforderungsliste heran, aus der fünf grundlegende Bewertungskriterien abgeleitet wurden: x x x x x
Benötigter Bauraum (Package) Gewicht Nachbildung der Kinematik Erzeugung der erforderlichen Handgegenkräfte Güte der erzeugten Kräfte und Momente
Durch Einsatz einer Punktbewertung entschieden sich die Entwickler für das Wirkkonzept „Passiv“. Dieses besitzt nur ein geringes Gewicht und kann gut in den zur Verfügung stehenden Bauraum integriert werden. Außerdem bietet es gegenüber den beiden anderen Lösungskonzepten den entscheidenden Vorteil, dass keine Regelung und somit keine der damit verbundenen Komponenten benötigt wird, da die Nachbildung der Kräfte rein durch Reibung realisiert wird. Die Güte der erzeugten Handgegenkräfte ist bei den Lösungen mit Regelung realistischer, jedoch ist der Unterschied zur passiven Lösung nicht so deutlich, dass dies den entsprechenden Mehraufwand rechtfertigen würde. Mit dieser Auswahl des Wirkkonzeptes konnte anschließend zur detaillierten Auslegung und Konstruktion der einzelnen Bauteile übergegangen werden. In der weiteren Ausarbeitung zeigte sich, dass sämtliche gestellten Anforderungen mit dem gewählten Konzept erfüllt werden konnten. Die Entwicklung führte schließlich zu einem erfolgreichen Einsatz im Gesamtsystem des Fahrsimulators.
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5 Wirkkonzepte
5.4 Zusammenfassung Die Erstellung und Auswahl von Wirkkonzepten erfolgt im Anschluss an die Lösungssuche auf Wirkebene. In diesem Schritt werden einzelne Teillösungsideen zu aussichtsreichen Gesamtkonzepten integriert und verdichtet. Dabei ist es wichtig, mehrere alternative Wirkkonzepte zu bilden, um Raum für innovative Lösungen zu schaffen und schließlich ein oder mehrere aussichtsreiche Konzeptalternativen zur Weiterbearbeitung auswählen zu können. Zur Vorbereitung der Konzepterstellung ist es zunächst notwendig, einen Überblick über den gesamten Lösungsraum zu gewinnen. Hierzu eignet sich besonders die Verwendung eines Morphologischen Kastens, in welchem den betrachteten Teilfunktionen die entsprechenden Teillösungsideen zugeordnet werden. Aus diesem Ordnungsschema heraus können mittels Kombinatorik alternative Wirkkonzepte erstellt werden. Die Betrachtung aller theoretisch denkbaren Kombinationen im Morphologischen Kasten wäre weder vom Aufwand her zu bewältigen noch sinnvoll. Daher ist es notwendig, diese Alternativenfülle vor der weiteren Bearbeitung einzugrenzen. Dies kann zum einen durch eine Anpassung des Morphologischen Kastens vor der Kombination geschehen, zum anderen durch die Integration von Auswahlverfahren in die Kombination. Ergebnisse dieser Schritte sind aussichtsreiche Wirkkonzepte, welche untereinander verträgliche Teillösungen enthalten und die funktionalen Anforderungen erfüllen. Zur Erstellung eines vollständigen Wirkkonzeptes müssen die geometrische Anordnung der einzelnen Teillösungen zueinander sowie deren Verbindungselemente festgelegt werden. Hierbei ist es hilfreich, die aus funktionalen Gründen „verbotenen Gebiete“ zu identifizieren und daraus die strukturellen Freiheitsgrade abzuleiten. Zusätzlich sind meist noch weitere Gesichtspunkte im Wirkkonzept zu beachten, welche unter anderem Themen wie Bauraum, Gewicht, Ergonomie, Energiebedarf oder Sicherheit betreffen. Schließlich erfolgt eine Bewertung und Auswahl der alternativen Wirkkonzepte. Die Entscheidung bezüglich des Wirkkonzeptes hat bedeutenden Einfluss auf die weiteren Schritte im Entwicklungsprozess, da hier die verwendeten Lösungsprinzipien sowie die Systemarchitektur des zu entwickelnden Produktes im Wesentlichen festgelegt werden. Werden hier Fehlentscheidungen getroffen, ist mit einem erhöhten Aufwand zur Korrektur auf den folgenden Konkretisierungsebenen zu rechnen. Dieser Schritt sollte daher sorgfältig durchgeführt und nachvollziehbar dokumentiert werden. So kann bei Bedarf auf alternative Konzepte zurückgegriffen werden, sollte sich die favorisierte Lösung zu einem späteren Zeitpunkt doch als nicht geeignet erweisen.
6 Produktgestalt
Die Gestalt eines technischen Produktes umfasst die Menge aller geometrischen und werkstofflichen Eigenschaften seiner Bestandteile. Geometrische Eigenschaften beschreiben beispielsweise die Form, Lage, Größe und Zahl von Gestaltungselementen. Werkstoffliche Eigenschaften beschreiben unter anderem die Werkstoffart, die Werkstoffbehandlung und die Werkstoffoberfläche. Gestaltungselemente lassen sich hierarchisch gliedern und können Bauteilflächen, Bauteile, Baugruppen oder das Gesamtprodukt sein. Die Gestalteigenschaften des zu entwickelnden Produktes werden im Entwicklungsprozess sukzessive festgelegt. Dabei werden die Produktbeschreibungen beziehungsweise die generierten Produktmodelle mit jedem Schritt weiter konkretisiert, detailliert und vervollständigt. Basis für die Produktgestalt bilden Wirkkonzepte, das heißt Lösungen auf Wirkebene, die erste Gestaltaspekte enthalten, welche zur Beschreibung der Funktionserfüllung relevant sind. Auf Bauebene ist die Produktgestalt schließlich so vollständig beschrieben, dass das Produkt gefertigt und montiert werden kann. Herausforderungen ergeben sich in diesem Zusammenhang unter anderem durch die Vielzahl von Gestaltmerkmalen und ihre vielfältigen Abhängigkeiten. Mit der Konkretisierung und Detaillierung des Produktes nimmt die Anzahl der Informationen in den Produktmodellen zu, was den Überblick über die wesentlichen Zusammenhänge erschwert. Hinzu kommt, dass sich bestimmte geforderte Eigenschaften des Produktes nur indirekt beeinflussen lassen, zum Beispiel Gewicht, Zuverlässigkeit und Kosten. Die Beeinflussung dieser indirekten Eigenschaften geschieht über die Festlegung direkter Eigenschaften wie Geometrie, Werkstoff oder Oberflächenbeschaffenheiten. Die Herausforderung besteht darin, Kenntnis bezüglich der konkreten Zusammenhänge zwischen direkten und indirekten Eigenschaften zu erlangen. Zur systematischen und zielgerichteten Konkretisierung der Produktgestalt ausgehend vom Wirkkonzept sind verschiedene Schritte erforderlich. Zum einen ist das Gesamtsystem in sinnvolle Module zu zerlegen, deren Schnittstellen zu definieren sind. Die Konkretisierung der Gestalt verläuft in der Regel schrittweise. Dabei ist es wichtig, Alternativen zu betrachten, ein Spektrum möglicher Gestaltlösungen zu erarbeiten und dieses strukturiert darzustellen. Danach sind Teillösungen zu konsistenten Gesamtlösungen zusammenzuführen. Schließlich hat eine Bewertung der vorliegenden Gestaltlösungen zu erfolgen, um die beste Alternative für die weitere Bearbeitung auszuwählen.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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6 Produktgestalt
6.1 Konkretisierung der Gestalt für eine Staubsaugerdüse Aufgabe eines Entwicklungsprojektes war die Verbesserung der Leistungsfähigkeit einer Staubsaugerdüse, wie sie in konventionellen Staubsaugern im Haushalt zum Einsatz kommt [Gramann 2004]. Als Schwerpunkte für die Optimierung wurden die Saugleistung und Fadenabhebung definiert. Zur Ermittlung aussichtsreicher Wirkprinzipien wurde eine Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder durchgeführt. Das dabei entwickelte Wirkkonzept zeichnet sich einerseits durch optimierte Luftkanalstrukturen in der Düse aus, die in Anlehnung an den Rüsselapparat der Stubenfliege erarbeitet wurden, und die der Verbesserung der Saugleistung dienen sollten. Zum anderen enthält das Konzept „Zähnchen“ in der Saugdüse zur verbesserten Partikel- und Fadenablösung, die nach den Vorbildern von Schnecken- und Katzenzungen entwickelt wurden. Die Aufgabe für den hier beschriebenen Teil des Entwicklungsprozesses war es nun, dieses Wirkkonzept weiter zu detaillieren und die Produktgestalt zu konkretisieren. Für die Kanalstruktur in der Saugdüse wurde hierzu eine dem natürlichen Vorbild nachempfundene Anordnung erarbeitet. Im Gegensatz zur Ausgangslösung, die lediglich einen Luftkanal enthielt, sieht die neue Anordnung mehrere parallele Luftkanäle vor. Im nächsten Schritt wurde die Anordnung weiter variiert, um ein Spektrum an Lösungsalternativen in Bezug auf die Gestalt der Düse zu erarbeiten. Dazu wurden sowohl Zahl als auch Breite, Länge und Anordnung der Luftkanäle in der Düse systematisch variiert. Das Spektrum alternativer Kanalstrukturen reichte dabei von nur einem quer zur Saugrichtung ausgerichteten Kanal bis zu sieben sternförmig über einen Halbkreis angeordneten Kanälen.
Abb. 6-1. Kanalstruktur der Staubsaugerdüse [Gramann 2004]
Zur Erarbeitung der Gestalt der in der Düse arbeitenden „Zähnchen“ wurde ein ähnliches Vorgehen gewählt. Zunächst wurde eine dem biologischen Vorbild der Katzen- und Schneckenzungen nachempfundene, relativ komplexe Zahnform gewählt. Auf dieser Basis wurde auch für die Zähnchen mithilfe Systematischer Variation ein Spektrum an alternativen Gestaltlösungen erarbeitet. Bei der Variation wurden die Anzahl an Kanten und Rundungen aber auch die Anstellwinkel der Zähnchen variiert. Die Variation führte zu einer deutlichen Vereinfachung der Zahnform. Neben der Form der Zähnchen wurden zudem unterschiedliche Anordnungsalternativen der Zähnchen innerhalb der Düse entwickelt.
6.1 Konkretisierung der Gestalt für eine Staubsaugerdüse
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Abb. 6-2. Zahnformen und Zahnanordnungen in der Staubsaugerdüse [Gramann 2004]
Die entwickelten Lösungsalternativen wurden im Anschluss prototypisch realisiert, um eine Eigenschaftsanalyse zu ermöglichen. Als physikalische Verifikationsmodelle wurden Versuchsmuster aus Aluminium aufgebaut. Zunächst wurden die Teillösungen getrennt voneinander untersucht. Das heißt, es gab zum einen Versuchsträger für die hinsichtlich der Saugleistung optimierten Düsenformen und Kanalstrukturen. Zum anderen wurden Versuchsmodelle für die Untersuchung der optimierten Fadenabhebung über die Variation der Zahnformen und Zahnanordnungen aufgebaut. Zur Analyse und Bewertung verschiedener Anordnungs- und Gestaltalternativen wurde ein variables Testmodell verwendet. Basis bildete eine aus Aluminium gefertigte Grundplatte, auf der die aus Aluminiumblech gefertigten Zähnchen austauschbar und auf vorgegebenen Schienen verschiebbar angeordnet werden konnten. Somit war eine flexible Gruppierung der Zähnchen in nahezu beliebigen Anordnungen möglich. Durch anschließende Versuche an genormten Teppichproben konnten mithilfe der beschriebenen Testmodelle die optimalen Gestaltausprägungen für die Düsenformen und Kanalstrukturen sowie für die Zahnformen und -anordnungen identifiziert werden. Zur Ermittlung der optimalen Gestaltlösung hinsichtlich der Saugleistung wurden die einzelnen Versuchsmodelle nach einem genormten Versuchsdesign getestet und dabei untereinander sowie mit einer Referenzstaubsaugerdüse verglichen. Bei der Untersuchung der verschiedenen Gestaltalternativen hinsichtlich einer optimalen Fadenabhebung zeigten die Tests, dass die dem biologischen Vorbild nachempfundene Zahnform deutlich zu scharfkantig war und den Versuchsteppich teilweise sogar beschädigte. Einfachere Formen hingegen erzielten die gewünschte Wirkung und waren für den Testteppich deutlich verträglicher. Im Anschluss an die separate Lösungsfindung für die Aspekte Saugleistung und Fadenabhebung wurden die in den Versuchen ermittelten besten Teillösungen zusammengeführt und in eine Gesamtlösung integriert. Es wurde ein Demonstrator aufgebaut, der sich durch ein gegenüber herkömmlichen Staubsaugerdüsen neuartiges Design auszeichnet: eine veränderte Düsenform, veränderte Kanalstrukturen und zusätzliche Zähnchen in einer definierten Anordnung auf der Düse. Diese prototypisch realisierte Kombination wurde in einem abschließenden Versuch mit einer handelsüblichen Staubsaugerdüse verglichen. Hierbei wurden bei einmaligem Saugvorgang circa 20 Prozent mehr Schmutz aus dem Versuchsteppich entfernt [Gramann 2004].
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6 Produktgestalt
Abb. 6-3. Demonstrator der optimierten Staubsaugerdüse [Gramann 2004]
Das Beispiel zeigt wichtige Aspekte und Herausforderungen beim Übergang vom Wirkkonzept zur konkreten Produktgestalt. Um sich nicht zu schnell auf erste Gestaltausprägungen zu fixieren und gute Lösungen zu übersehen, ist die Erarbeitung eines Spektrums an alternativen Gestaltlösungen wichtig. Für die Eigenschaftsanalyse sind geeignete Verifikationsmodelle erforderlich, die nach Möglichkeit so flexibel sind, dass mit vertretbarem Aufwand mehrere Gestaltalternativen untersucht werden können. Schließlich ist beim Zusammensetzen von Teillösungen darauf zu achten, dass auch die Gesamtlösung ein Optimum darstellt.
6.2 Methoden zur Konkretisierung der Gestalt Unter der Gestalt eines materiellen Produktes wird die Gesamtheit seiner geometrisch und werkstofflich beschreibbaren Eigenschaften verstanden. Die geometrischen Eigenschaften beschreiben unter anderem die Form, Lage, Größe und Anzahl von Systemelementen [Pahl et al. 2005]. Werkstoffliche Eigenschaften beschreiben unter anderem die Werkstoffart, die Werkstoffbehandlung und die Werkstoffoberfläche [VDI 2223]. Das Produkt lässt sich als System von Gestaltungselementen auffassen, die hierarchisch gegliedert werden können [VDI 2223]. Gestaltungselemente können Bauteilflächen, Bauteile, Baugruppen und das Gesamtprodukt sein. Dementsprechend lässt sich auch eine Unterscheidung in Mikrogestalt und Makrogestalt treffen [nach Ehrlenspiel 2009]. Die Mikrogestalt bezieht sich auf die Oberflächeneigenschaften von Bauteilflächen, beispielsweise die Rauheit. Hier ist die Grenze zwischen geometrischen und werkstofflichen Eigenschaften fließend. Die Makrogestalt wird beschrieben durch die Form, Größe und Abmessungen einzelner Bau-
6.2 Methoden zur Konkretisierung der Gestalt
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teile beziehungsweise die Anzahl, Lage, Anordnung und Verbindung von Bauteilen und Baugruppen im Gesamtprodukt. Die Gestalt des Produktes lässt sich durch gestaltbezogene Eigenschaften beschreiben. Eine Eigenschaft setzt sich dabei formal zusammen aus einem Merkmal und seiner Ausprägung [Lindemann 2009]. Merkmale mit Bezug zur Gestalt des Produktes können wie bereits erwähnt Form, Lage, Größe und Anzahl von Systemelementen sein. Die Ausprägung ist dabei Teil einer merkmalspezifischen Wertemenge. Die Wertemenge kann binären Charakter aufweisen und beispielsweise beschreiben, ob ein Merkmal vorhanden oder nicht vorhanden ist. Eine Wertemenge kann auch diskrete Elemente enthalten, zum Beispiel für das Merkmal „Form“ die Ausprägungen „Würfel“, „Kugel“ oder „Zylinder“. Kontinuierliche Wertebereiche ergeben sich für Ausprägungen, die zahlenmäßig quantifizierbar sind, für Merkmale wie Drehmoment, Gewicht oder Kosten. Die Wertemenge kann beidseitig offen, einseitig offen oder geschlossen sein, beispielsweise Drehmoment im Bereich [0 Nm; 100 Nm].
Abb. 6-4. Gestalteigenschaften am Beispiel eines Getriebes [nach Ehrlenspiel 2009]
Es lassen sich direkte und indirekte Eigenschaften unterscheiden [Lindemann 2009]. Direkte Eigenschaften können vom Entwickler unmittelbar festgelegt werden. Sie werden beschrieben über die Ausprägungen direkter Merkmale, beispielsweise Geometrie, Werkstoff oder Oberflächenbeschaffenheit eines Bauteils. Im Gegensatz dazu können die indirekten Eigenschaften nur mittelbar beeinflusst werden. Sie werden beschrieben über die Ausprägungen indirekter Merkmale, zum Beispiel Zuverlässigkeit, Gewicht und Kosten. Bei einem Großteil der Positionen in einer Anforderungsliste handelt es sich um indirekte Eigenschaften, die zur Erfüllung der Funktion beziehungsweise der Bedürfnisse und Anforderungen unterschiedlicher Nutzer zu realisieren sind. In der Literatur ist in diesem Zusammenhang auch von Beschaffenheitsmerkmalen (oder Stellgrößen) die Rede, die den direkten Merkmalen entsprechen, beziehungsweise Funktionsmerkmalen und Relationsmerkmalen (oder Folgegrößen), die den indirekten Merkmalen entsprechen [DIN 2330, Göker 1996]. Dabei beschreiben Funktionsmerkmale die von einem Objekt durchführbaren Handlungen. Für die Funktion „Drehmoment übertragen“ ist das Funktionsmerkmal das zu
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6 Produktgestalt
übertragende Drehmoment. Relationsmerkmale kennzeichnen Eigenschaften des Objektes, die erst in Relation mit anderen Objekten oder zum Tragen kommen. Ein Beispiel ist das Relationsmerkmal „Herstellbarkeit“, das im Zusammenhang mit dem Produktionssystem von Bedeutung ist. Im Entwicklungsprozess stehen direkte und indirekte Eigenschaften in enger Wechselwirkung. Auf Basis der Anforderungen, das heißt der geforderten und zum Teil indirekten Eigenschaften, werden die direkten Eigenschaften festgelegt (Synthese). Basierend auf den festgelegten direkten Eigenschaften werden wiederum die tatsächlichen indirekten Eigenschaften des Produktes ermittelt (Analyse), beispielsweise durch Versuche, Berechnungen oder mittels numerischer Simulation. Eine hohe Bedeutung im Entwicklungsprozess besitzt die Identifikation und möglichst quantitative Beschreibung der Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten zwischen den direkten und indirekten Eigenschaften. Im Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM) finden sich erste Gestaltaspekte auf Wirkebene. Das Wirkkonzept beschreibt die durch die technische Funktion festgelegte Gestalt, das heißt diejenigen geometrischen, kinematischen und stofflichen Eigenschaften sowie die Lage der einzelnen Unterstrukturen, die dem Produkt eine erste Gesamtgestalt verleihen. Ausgehend von der Wirkebene findet eine zunehmende Konkretisierung der Produktgestalt statt, bis hin zur Ausarbeitung der einzelnen Komponenten sowie ihrer Schnittstellen untereinander auf der Bauebene. Hierbei spielen neben technischen Produktfunktionen nutzerbezogene Aspekte eine Rolle. Neben rein ergonomischen Aspekten können Anzeichen-Funktionen sowie ästhetische und symbolische Funktionen betrachtet werden [Heufler 2009]. Anzeichen-Funktionen visualisieren technische Funktionen oder erläutern Handhabung und Bedienung eines Produktes. Ästhetische Funktionen betreffen dessen sinnlich wahrnehmbare Erscheinung, während symbolische Funktionen kulturelle sowie soziale Zugehörigkeit vermitteln und eine Gefühlsbindung zum Besitzer herstellen können. Eine Berücksichtigung dieser Sichtweisen sowie die Abstimmung mit den hierfür zuständigen Disziplinen wie Ergonomie, Interface- und Industrie-Design bilden die Grundlage für einen erfolgreichen Gestaltungsprozess. Schließlich sind bei der Gestaltkonkretisierung Aspekte zu berücksichtigen, die nicht nur für die Nutzungsphase des Produktes von Bedeutung sind, sondern seinen gesamten Lebenszyklus betreffen. Hierzu zählen zum Beispiel die von einem Produkt ausgehenden Umweltbeeinträchtigungen, die unter anderem durch die Wahl geeigneter Werkstoffe in der Gestaltfindung beeinflusst werden können. Zunächst gilt es, Ansatzpunkte für die Konkretisierung der Gestalt zu ermitteln. Dies kann einerseits aus einer Betrachtung des Gesamtsystems heraus geschehen. In vielen Fällen ist es andererseits erforderlich, die Wirkstruktur zu zerlegen und einzelne Module und deren Schnittstellen zu definieren. Durch diese Zerlegung wird das Gesamtsystem auf überschaubare und damit handhabbare Teilsysteme heruntergebrochen, die gezielt bearbeitet werden können. Sodann sind im Gesamtsystem oder innerhalb der Module geeignete Ansatz- oder Startpunkte zu identifizieren, von denen aus die Gestalt konkretisiert wird. Hierfür ist die Kenntnis der Freiheitsgrade und Fixpunkte im Wirkkonzept erforderlich.
6.2 Methoden zur Konkretisierung der Gestalt
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Bei der Konkretisierung der Gestalt eines Produktes ist eine große Menge an Gestaltparametern in ihren Ausprägungen festzulegen, was unter anderem durch die Vielzahl vernetzter Abhängigkeiten erschwert wird. Um eine zielgerichtete Konkretisierung zu gewährleisten und die Anzahl an Iterationen zu minimieren, sind daher geeignete Strategien im Vorgehen erforderlich. Aufbauend auf den ersten Gestaltlösungsideen empfiehlt es sich, Alternativen zu betrachten beziehungsweise ein breites Spektrum möglicher Gestaltlösungen zu erarbeiten. Hierbei sind Ansätze hilfreich, die zum einen die gezielte Erarbeitung eines Lösungsspektrums unterstützen und zum anderen dessen übersichtliche Darstellung unterstützen. Dabei wird insbesondere auf die Methoden Systematische Variation und mehrdimensionales Ordnungsschema eingegangen. Der nächste Schritt stellt die Synthese von Gestalt-Gesamtlösungen dar, die durch die Kombination von Teillösungen und deren Anordnung in einer räumlichen Struktur realisiert wird. Hierbei sind einzelne Sichtweisen (zum Beispiel Funktion, Fertigung und Ästhetik) zu integrieren und eine Verträglichkeit der einzelnen Teilsysteme zueinander zu gewährleisten. Schließlich sind die alternativen Gestalt-Gesamtlösungen zu bewerten und weiter zu verfolgende Lösungen auszuwählen. Die Grundlage hierfür ist die Ermittlung der Lösungseigenschaften mittels geeigneter Analyseverfahren.
Abb. 6-5. Einordnung in das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM)
6.2.1 Wie lassen sich Ansatzpunkte für die Konkretisierung der Gestalt erarbeiten? Das Wirkkonzept stellt die prinzipielle Lösung für eine technische Problemstellung dar. Es beschreibt die Teillösungen zur Realisierung einzelner Teilfunktionen sowie deren grundsätzliche Verbindungsstruktur und räumliche Anordnung. Somit bildet das Wirkkonzept den Ausgangspunkt für die Konkretisierung der Produktgestalt, das heißt für die Festlegung der konkreten Ausprägungen von Gestalt-
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6 Produktgestalt
merkmalen innerhalb der Freiheitsgrade, die das Wirkkonzept beinhaltet. Es stellt sich dabei folgende Frage: Wo und wie beginnt man am besten mit der Konkretisierung der Produktgestalt? Ausgangspunkt kann zum einen das Gesamtsystem sein. Zum anderen ist es jedoch häufig erforderlich, das Wirkkonzept in handhabbare Einheiten zu zerlegen. Die Notwendigkeit für diesen Schritt erklärt sich dadurch, dass erst durch eine geschickte Zergliederung des Gesamtsystems in sinnvolle Teile deren gezielte Detaillierung ermöglicht wird. Eine Chance dieser Aufteilung ist die Ermöglichung einer parallelen Bearbeitung durch unterschiedliche Bearbeiter oder Teams und somit die Reduzierung der Entwicklungszeit. Dies gilt neben der Entwicklung auch für andere Fachbereiche wie Produktion, Beschaffung und Service. Herausforderungen ergeben sich jedoch durch die erhöhte Komplexität aufgrund der entstehenden Schnittstellen und Wechselwirkungen der Systemelemente untereinander. Ferner ist die Beantwortung der Frage, wo die Grenzen zu legen sind und wie man das System am geschicktesten schneidet, nicht immer trivial. Bei der Zerlegung des Wirkkonzeptes werden Module und Schnittstellen definiert und somit auch im Wesentlichen die Baustruktur (oder Modulstruktur) des Produktes festgelegt. Für eine sinnvolle Gliederung des Systems in Module existieren verschiedene Kriterien. Eine Möglichkeit ist die Gliederung nach Funktionen des Produktes, beispielsweise Antrieb, Fahrwerk und Karosserie im Automobil. Denkbar ist auch eine Gliederung nach Disziplinen, zum Beispiel Mechanik, Elektronik und Software. Es existieren außerdem verschiedene Arten von Schnittstellen, die beispielsweise geometrischer, energetischer oder signaltechnischer Natur sein können. Die technischen Schnittstellen haben vielfach ihre Entsprechung in der Organisation. Im Hinblick auf eine effiziente Kommunikation und Synchronisation der Aktivitäten im Entwicklungsprozess ist vor allem auch den organisatorischen Schnittstellen eine große Bedeutung beizumessen. Eine wichtige Grundlage für die Gliederung des Systems und die Festlegung der Baustruktur ist die Analyse der Vernetzung zwischen einzelnen Teilsystemen. Ziel dabei ist es, innerhalb der Struktur stark vernetzte Bereiche zu ermitteln, die zu Modulen zusammengefasst werden können. Die Einflussmatrix, in ihrer Ausprägung auch als Design Structure Matrix bekannt [Steward 1981, Maurer 2007, Lindemann et al. 2009], ist eine Methode um die Vernetzung zwischen Systemelementen zu dokumentieren, analysieren und optimieren. Grafisch lassen sich die Zusammenhänge in einem Wirkungsnetz darstellen. Eine rechnergestützte Vernetzungsanalyse bietet verschiedene Vorteile. Mithilfe geeigneter Rechnerprogramme kann die Qualität (Stärke, Richtung) der Wechselwirkung dargestellt werden. In Stärkebasierten Grafen ist außerdem der Vernetzungsgrad einzelner Elemente gut zu erkennen. Hoch vernetzte Elemente nehmen dabei automatisch eine zentrale Position ein, weniger stark vernetzte Elemente liegen eher am Rand. Bei einer sehr großen Zahl an Elementen wird die Darstellung im Wirkungsnetz schnell unübersichtlich. Hier können verschiedene Filter helfen, nur die für bestimmte Aspekte jeweils relevanten Elemente und Relationen anzuzeigen. Bei der Entwicklung eines Rennwagens wurden die Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Systemelementen analysiert, um eine sinnvolle Gliederung in Teil-
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systeme zu ermöglichen und Transparenz hinsichtlich des Abstimmungsbedarfes zwischen den Subsystem-Teams zu schaffen [Maurer et al. 2007]. Beispielsweise war ein Team für den Motor und anliegende Komponenten verantwortlich, ein anderes Team beschäftigte sich mit der Steuerung, den Rädern und den Bremsen. Die Schnittstelle für beide Teams war der Rahmen, der aufgrund seiner vielen Wechselwirkungen mit anderen Systemelementen im Stärkebasierten Grafen eine zentrale Position einnahm.
Abb. 6-6. Darstellung der Vernetzung von Systemelementen mittels Einflussmatrix und Wirkungsnetz am Beispiel eines Rennwagens [Maurer et al. 2007]
Neben der Vernetzungsanalyse helfen Gestaltungsprinzipien bei der zielgerichteten Festlegung einer optimalen Baustruktur, insbesondere Prinzipien mit Bezug zur Systemarchitektur. Die Systemarchitektur oder Produktarchitektur [Ulrich et al. 1995] beschreibt unter anderem die Vernetzung zwischen Funktionen und Bauelementen, bezieht sich also auf eine übergreifende Betrachtung des Produktes über mehrere Konkretisierungsebenen hinweg. Das Prinzip der Funktionsintegration besagt, dass ein Bauteil zwei oder mehrere Funktionen erfüllt. Die Anwendung des Prinzips verspricht Vorteile hinsichtlich Bauraum, Produktgewicht und Kosten, da von einem Funktionsträger mindestens zwei Funktionen erfüllt werden, für die sonst mehrere Bauteile notwendig wären. Das Gegenteil davon ist das Prinzip der Funktionsdifferenzierung. Hier existiert im Extremfall für jede Funktion ein eigenes Bauteil. Da jede Komponente nur eine Funktion zu erfüllen hat, ergibt sich meist eine besser berechenbare und damit in der Regel eine betriebssicherere konstruktive Lösung. Das Bauelement kann besser an seine Funktion angepasst werden und hat damit eine besondere Leistungsfähigkeit. Resultat ist eine modulare Struktur. Alternativ wird bezüglich dieser Prinzipien in der Literatur auch von Funktionsvereinigung und Funktionstrennung [Ehrlenspiel 2009] sowie von gekoppeltem und entkoppeltem Design [Suh 1990] gesprochen.
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6 Produktgestalt
Abb. 6-7. Prinzipien der Systemarchitektur: Funktionsintegration, Funktionsdifferenzierung
Weitere Gestaltungsprinzipien beziehen sich auf die Bauweise des Produktes, das heißt die Art und Weise, wie die Fertigung erfolgt. Unter Differenzialbauweise versteht man die Auflösung eines Einzelteils in mehrere Werkstücke, die günstig gefertigt und montiert werden können. Das Prinzip wird meist bei kleinen Stückzahlen eingesetzt. Die Integralbauweise bezeichnet die Zusammenfassung von mehreren Einzelteilen, die aus einem einheitlichen Werkstoff bestehen. Die Anwendung dieses Prinzips ist nützlich, wenn eine hohe Stückzahl angestrebt wird. Außerdem wird insgesamt der Montageaufwand verringert und die Logistik wesentlich vereinfacht [Ehrlenspiel 2009]. Im Unterschied zu den Prinzipien der Systemarchitektur (Funktionsintegration, Funktionsdifferenzierung) beziehen sich die Prinzipien der Bauweise (Integralbauweise, Differenzialbauweise) lediglich auf die Bauebene. Es werden rein fertigungstechnische und keine funktionalen Aspekte betrachtet. In der praktischen Anwendung erfolgt jedoch oft eine kombinierte Umsetzung dieser Gestaltungsprinzipien. Die Festlegung einer geeigneten Baustruktur spielt eine wichtige Rolle, bevor es an die Gestaltung der Einzelteile und Schnittstellen geht. Die Strukturierung des Systems kann dabei anhand funktionaler und fertigungstechnischer Aspekte erfolgen. Es sind aber auch weitere Sichten denkbar. So können organisatorische Aspekte die Gliederung des Produktes in Module auf Basis der involvierten Disziplinen, Entwicklungsabteilungen oder Zulieferer bestimmen. Unabhängig davon, ob man vom Gesamtsystem ausgeht oder eine Zerlegung des Wirkkonzeptes in einzelne Module vorgenommen hat, ist die Identifikation geeigneter Ansatzpunkte oder Startpunkte für die Konkretisierung eine wesentliche Herausforderung. Hierbei kommt der Kenntnis der Fixpunkte und Freiheitsgrade im Wirkkonzept eine entscheidende Bedeutung zu. Wichtig ist auch die Unterscheidung, ob es sich um eine Neuentwicklung oder eine Anpassungsentwicklung handelt, da dies die Freiheitsgrade im System maßgeblich beeinflusst. Wie lassen sich nun Ansatzpunkte für die Konkretisierung der Gestalt identifizieren? Zum einen kann der Start der Konkretisierung an Wirkflächen beziehungsweise Wirkflächenpaaren erfolgen, an denen eine Übertragung von Stoff, Energie oder Signal stattfindet. Die Ausprägungen funktionsrelevanter Parameter ermöglichen eine erste Dimensionierung der jeweiligen Baugruppe oder des Bau-
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teils. Das Übersetzungsverhältnis bei einer Drehmomentübersetzung ermöglicht beispielsweise die Bestimmung der Hauptdimensionen eines Getriebes. Auch Fixpunkte der Konstruktion bieten sich als Ansatzpunkte für die Konkretisierung an. Sollen bei einer Neukonstruktion eines Getriebes die umgebenden Baugruppen unverändert bleiben, ergeben sich „verbotene Gebiete“ und Schnittstellen zur Umgebung, welche die Freiheitsgrade einschränken.
Abb. 6-8. Festlegung der Ansatzpunkte am Beispiel Planetengetriebe [nach Ehrlenspiel 2009]
Am Beispiel eines Planetengetriebes wird verdeutlicht, dass je nach Entwicklungssituation unterschiedliche Ansatzpunkte für die Konkretisierung der Gestalt herangezogen werden können: Eine Möglichkeit ist die Konkretisierung ausgehend vom maximalen Außendurchmesser, der durch die Konstruktionsumgebung vorgegeben ist und damit einen Fixpunkt darstellt. Nach einer Ermittlung der Wandstärke folgen die Dimensionierung der Ritzel, der Planetenträger und schließlich der Lager. Jedoch sind auch andere Ansatzpunkte und Pfade zur Konkretisierung der Gestalt des Planetengetriebes möglich.
6.2.2 Wie lässt sich die Gestalt eines Produktes konkretisieren? Die Beschreibung des Produktes auf Wirkebene fokussiert auf die Art und Weise, wie die Funktionen des Systems realisiert werden. Das Wirkkonzept beinhaltet dabei erste Gestaltaspekte, beispielsweise die räumliche Lage und Anordnung der Subsysteme zueinander. Zur Beschreibung des Produktes auf Bauebene bedarf es jedoch einer weiteren Detaillierung sämtlicher Einzelkomponenten und ihrer Schnittstellen zueinander, also einer Konkretisierung der Gestalt. Dies bedeutet, dass eine Vielzahl an Gestaltparametern in ihren Ausprägungen festzulegen ist, beispielsweise Form, Abmessungen, Werkstoff und Oberflächen-
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6 Produktgestalt
beschaffenheit der einzelnen Bauteile. Eine große Herausforderung neben der Vielzahl an Informationen stellt die Tatsache dar, dass zahlreiche Abhängigkeiten bestehen: zwischen den Gestaltparametern untereinander sowie zwischen Gestaltparametern und angestrebten indirekten Eigenschaften des Produktes, wie Zuverlässigkeit, Gewicht, Montagegerechtheit oder Herstellkosten. Hier bedarf es geeigneter Vorgehensweisen, um die Produktgestalt zielgerichtet zu konkretisieren, die Zahl der Iterationen gering zu halten und letztendlich eine anforderungsgerechte Lösung zu entwickeln. Grundsätzlich bieten sich folgende Strategien für das Vorgehen an [Dylla 1991]: x x x x
vom Abstrakten zum Konkreten vom Groben zum Feinen von Hauptaspekten zu Nebenaspekten vom Unvollständigen zum Vollständigen
Der Übergang vom abstrakten Wirkkonzept zur konkreten Gestalt erfolgt in der Regel in Zwischenschritten [Dylla 1991]. Dabei werden Zwischenzustände erarbeitet, die die Lösung mehr oder weniger eingrenzen, jedoch noch nicht exakt festlegen. Es wird in diesem Zusammenhang auch von Grobgestalt und Feingestalt gesprochen. Die Grobgestalt wird unter anderem durch die Verbindungsstruktur, die Lage der Baugruppen und Bauteile zueinander oder durch die Form der Bauteile beschrieben. Die Feingestalt wird beispielsweise durch konkrete Bemaßungen von Bauteilen, die Angabe von Werkstoffen und durch die Art der Passung einer Bauteilpaarung beschrieben. Das Wirkkonzept eines Absperrventils ist zum Beispiel durch eine schematische Prinzipskizze beschrieben. Das System lässt sich in die Module Ventilschrägsitz, Antrieb, Abdichtung und Leckageanzeige gliedern. Die Konkretisierung der Gestalt beginnt bei dem für die Funktion wichtigsten Modul, dem Ventilschrägsitz und seiner Anordnung im Gehäuse. Hier wird ein grobmaßstäblicher Vorentwurf als Freihandzeichnung erstellt. Nach dessen Freigabe werden auch die restlichen Module in ihrer Gestalt konkretisiert [VDI 2223].
Abb. 6-9. Vom Abstrakten zum Konkreten am Beispiel eines Absperrventils [VDI 2223]
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Zur Unterstützung der Gestaltkonkretisierung existieren verschiedene Methoden und Hilfsmittel. Checklisten mit Gestaltparametern geben dem Entwickler eine Orientierung, welche Stellgrößen er für die Konkretisierung der Gestalt zur Verfügung hat. Gestaltungsprinzipien stellen allgemeine Grundsätze dar, die der Optimierung eines Produktes dienen und die Produktgestaltung auf unterschiedlichen Konkretisierungsebenen unterstützen [Pahl et al. 2005]. Während die Checklisten somit zeigen, was am Produkt beeinflusst werden kann, geben Gestaltungsprinzipien Hinweise darauf, warum und wie es beeinflusst werden kann. Im Folgenden wird auf Prinzipien der Strukturökonomie eingegangen. Diese helfen dem Entwickler bei der Kompromissfindung zur Lösung des Zielkonfliktes zwischen der Belastbarkeit einer Struktur und ihrer Masse. Grundsätzlich besteht die Anforderung, dass eine Struktur bei minimaler Masse den geforderten Beanspruchungen standzuhalten hat. Der Kraftfluss ist eine Modellvorstellung aus der Strömungsmechanik zur Kraftübertragung, die Entwickler und Konstrukteure dabei unterstützt, mechanische Strukturen belastungsgerecht zu gestalten. Dabei wird davon ausgegangen, dass Kräfte in Bauteilen wie eine Flüssigkeit „zirkulieren“. Es handelt sich hierbei um eine rein statische Systembetrachtung. Für die Aufstellung eines Kraftflusses gelten folgende Grundsätze [Ehrlenspiel 2009]: x Der Kraftfluss ist bei einer umfassenden Betrachtung des Systems immer geschlossen. Dies führt zu Schwierigkeiten bei Strukturen, in denen Massenkräfte eine bedeutende Rolle spielen. In diesem Fall kann die Bauteilmasse als „Kraftquelle“ betrachtet werden, der zum Beispiel eine „Kraftsenke“ im Fundament gegenübersteht. x In einem Kraftfluss-„Kreislauf“ ändert sich die Beanspruchungsart. Es treten immer Zug, Druck und Biegung auf. x Der Kraftfluss sucht sich den kürzesten Weg. „Kraftlinien“ drängen sich in engen Querschnitten zusammen, in weiten dagegen breiten sie sich aus. Das Prinzip der kraftflussgerechten Gestaltung beinhaltet das Befolgen gewisser Regeln. Der Kraftfluss sollte eindeutig geführt werden. Überbestimmtheiten sind dabei möglichst zu vermeiden, da sonst eine eindeutige Zuordnung des Kraftverlaufs schwer fällt. Grundsätzlich sollten sanfte Kraftumlenkungen angestrebt werden, da scharfe Umlenkungen immer zu unerwünschten Spannungsspitzen führen. In steifen, leichten Strukturen muss der Kraftfluss auf kürzestem Wege geführt werden, beispielsweise bei Zugankern. In elastischen, arbeitsspeichernden Strukturen ist der Kraftfluss dagegen auf weiten Wegen zu führen, zum Beispiel bei Schraubenfedern. Grundsätzlich wird bei der Modellvorstellung des Kraftflusses zwischen Makrokraftfluss und Mikrokraftfluss unterschieden [Ehrlenspiel 2009]. Die Anwendung des Prinzips der kraftflussgerechten Gestaltung für den Makrokraftfluss, der relevant ist für die Festlegung der Grobgestalt, lässt sich anhand zweier Pressen unterschiedlicher Bauart darstellen. Eine C-förmige Presse unterliegt wegen ihrer asymmetrischen Bauform hohen Biegebelastungen und muss sehr massiv gebaut sein, um Verformungsprobleme zu vermeiden. In einer symmetrischen Presse mit
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6 Produktgestalt
zwei Zugankern unterliegen dagegen nur die Traversen einer Biegebelastung. Sie kann insgesamt leichter gebaut werden. Ein Beispiel für die Anwendung des Prinzips auf den Mikrokraftfluss, der relevant ist für die Festlegung der Feingestalt, stellt die Betrachtung von Kerben in Wellen dar. Um Spannungsspitzen zu vermeiden, muss der Fluss der Kraftlinien möglichst sanft umgeleitet werden. Dies kann durch großzügig gestaltete Radien oder Entlastungskerben erreicht werden. Die Umlenkung des Kraftflusses kommt als Hilfswirkung jedoch nicht zum Tragen, wenn die Entlastungskerbe zu weit von der Hauptkerbe entfernt ist. Die Entlastungskerbe muss daher nahe der Hauptkerbe liegen und bei gleicher Tiefe einen größeren Radius aufweisen.
Abb. 6-10. Beispiele für Makrokraftfluss und Mikrokraftfluss [Ehrlenspiel 2009]
Das Prinzip der Kaskadierung besagt, dass es sinnvoll sein kann, den Kraftfluss in einem System über mehrere unabhängige Pfade zu führen. Dadurch reduziert sich die in jedem der einzelnen Pfade wirkende Kraft in ihrer Größe und die betroffenen Strukturelemente müssen nicht so massiv ausgelegt werden, wodurch Material und damit auch Gewicht eingespart werden kann. In Bezug auf die Grobgestalt ist eine Kaskadierung auf Systemebene, in Bezug auf die Feingestalt ist das Prinzip unter anderem an Schnittstellen anwendbar. Die Anwendung des Prinzips lässt sich am Beispiel von Schaufelbefestigungen von Turbomaschinen erläutern. Verdichter- und Turbinenschaufeln müssen zuverlässig auf extrem schnell rotierenden Scheiben befestigt werden. Dafür werden unter anderem Schwalbenschwanz- beziehungsweise Tannenbaumfüße eingesetzt. Welche Konstruktion gewählt wird, hängt von der Fliehkraftbelastung der Schaufel ab. Wird diese zu hoch, reicht der nutzbare Querschnitt zur Kraftübertragung bei einer vertretbaren Länge des Schaufelfußes nicht mehr aus. Durch eine Kaskadierung der Kraftübertragung im Tannenbaumfuß lässt sich jedoch der effektive Übertragungsquerschnitt bei hochbelasteten Schaufeln vergrößern. Ein anderes Beispiel für die schrittweise Konkretisierung der Gestalt stellt die Ausgestaltung einer Radlagerung dar. Zunächst ist die Struktur der Anordnung, das heißt die Reihenfolge der einzelnen Lager auf der Welle und relativ zum Rad
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festzulegen mit dem Ziel, eine möglichst optimale Abstützung zu gewährleisten. Zur Darstellung reichen hier in der Regel einfache Prinzipskizzen, eine Unterscheidung nach Lagertypen ist an dieser Stelle noch nicht relevant. Im nächsten Konkretisierungsschritt sind die Lager in ihrer Art festzulegen, hier sind eine Reihe von Gestaltausprägungen denkbar, beispielsweise in Bezug auf die Merkmale Lagertyp (Gleitlager, Wälzlager) sowie Anzahl, Form und Größe der Wälzlagerkörper. Entscheidend für die Wahl der richtigen Wälzkörperform sind Art und Größe der wirkenden Kräfte. Während beispielsweise Zylinderrollenlager radial hoch belastbar sind aber nur in geringem Maße axial, können Kegelrollenlager auch große axiale Kräfte aufnehmen. Die Festlegung der Größe des Lagers orientiert sich unter anderem an geforderter Belastbarkeit und an begrenzenden Randbedingungen wie dem verfügbaren Bauraum und den zulässigen Herstellkosten.
Abb. 6-11. Konkretisierung der Gestalt am Beispiel Wälzlager
Die Konkretisierung der Gestalt läuft tendenziell in Schritten vom Abstrakten zum Konkreten beziehungsweise vom Groben zum Feinen ab. Hilfreich kann jedoch ein von Zeit zu Zeit bewusst durchgeführter Modalitätenwechsel sein, das heißt ein gezielter Wechsel der Perspektive oder des Betrachtungsgegenstandes [Lindemann 2009]. Das kann beispielsweise bedeuten, von der Betrachtung eines einzelnen Bauteils auf die Betrachtung des Gesamtsystems zu wechseln, um die übergeordneten Zusammenhänge besser wahrnehmen und verstehen zu können. Hierdurch lassen sich auch Wechselwirkungen mit anderen Teilsystemen sowie mögliche Verträglichkeits- und Schnittstellenprobleme rechtzeitig erkennen. Umgekehrt ist es häufig erforderlich, an gewissen Stellen im System den Detaillierungsgrad der Betrachtung zu erhöhen, sozusagen in das System „hinein zu zoomen“. Ein Modalitätenwechsel kann auch bedeuten, ab und zu einen bewussten Rückschritt auf ein abstrakteres Niveau durchzuführen und sich von konkreten Gestaltausprägungen zu lösen. Der Übergang vom Abstrakten zum Konkreten stellt also keinesfalls ein streng lineares Vorgehen dar.
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6.2.3 Wie lässt sich das Gestaltlösungsspektrum strukturiert darstellen und ergänzen? Bei der Konkretisierung der Gestalt wird eine Vielzahl an Entscheidungen hinsichtlich der Ausprägungen von Gestaltmerkmalen getroffen. Dies geschieht teils bewusst, teils unbewusst. In der Regel ist es nicht möglich, auf Anhieb eine optimale Lösung zu entwickeln, das heißt eine Produktgestalt, die alle geforderten Funktionen realisiert und alle relevanten Eigenschaften im gewünschten Umfang erfüllt. Dies gilt für das Gesamtprodukt wie auch für seine Einzelkomponenten und ihre Schnittstellen zueinander. Daher kommt dem Denken in Alternativen eine entscheidende Bedeutung zu, das heißt einer bewussten Generierung alternativer Gestaltlösungen. Eine Herausforderung ist das richtige Maß an Alternativen. Zu wenige Alternativen bedeuten oft ein suboptimales Produkt. Zu viele Alternativen bedeuten einen hohen Aufwand in der Bearbeitung. Eine weitere Herausforderung stellt die Schaffung einer Übersicht über den Lösungsraum dar. Eine bewährte Methode zur zielgerichteten Erzeugung von Gestaltalternativen ist die Systematische Variation . Hierbei werden direkt festlegbare Merkmale in ihrer Ausprägung, die sich an festgelegten Zielen orientiert, systematisch variiert. Je nach konkreter Entwicklungssituation können mit dieser Methode verschiedene Zielsetzungen verfolgt werden: x gezielte Beseitigung von Schwachstellen, das heißt Optimierung nicht zufrieden stellender Lösungen nach bestimmten Kriterien (beispielsweise Leistung, Gewicht, Bauraum, Herstellkosten) x Ermittlung „aller” denkbarer Lösungsmöglichkeiten zu einem Problem, Erarbeitung eines umfassenden Lösungsraums, zum Beispiel zur Patentabsicherung beziehungsweise Patentumgehung oder zur Absicherung einer Entscheidung x Ermittlung der Freiheitsgrade einer Lösung Das Vorgehen bei der Systematischen Variation gliedert sich in die Schritte „Ausgangsobjekt bestimmen“, „Variationsziel definieren“, „Variationsmerkmal bestimmen“ und „Alternative erzeugen“. Grundsätzlich kann die Methode auf allen Konkretisierungsstufen eingesetzt werden. Die Wahl des Ausgangsobjektes für die Variation hängt also davon ab, ob funktionelle, prinzipielle oder gestalterische Alternativen erarbeitet werden sollen. Bei der Variation der Produktgestalt liegen in der Regel bereits Bauelemente in mehr oder weniger konkreter Beschreibung vor. Die Variationsziele lassen sich aus den Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt ableiten. Beispiele sind die Steigerung der Leistung, die Erhöhung der Funktionssicherheit (Zuverlässigkeit), die Reduzierung des Produktgewichts oder die Senkung der Herstellkosten. Diese Zielorientierung bei der Variation hilft auch Variationsmerkmale zu identifizieren. So kann das Ziel einer Reduzierung des Gewichts (indirekte Eigenschaft) durch die Variation direkter Produkteigenschaften mit Einfluss auf das Gewicht erreicht werden, wie beispielsweise des Werkstoffs, der Bauweise oder der Verbindungsstruktur.
6.2 Methoden zur Konkretisierung der Gestalt
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Ausgehend von einem Ausgangsobjekt und dem angestrebten Ziel der Variation werden relevante Merkmale des Produktes ermittelt. Grundsätzlich sollten für die Variation nur direkte Merkmale herangezogen werden, da diese direkt vom Entwickler beeinflusst werden können. Zur Identifikation geeigneter Variationsmerkmale können Checklisten mit Gestaltparametern verwendet werden. Hilfreich kann es dazu sein, bekannte Lösungen zu analysieren und daraus zielführende Merkmale zu ermitteln. Um eine Variation effizient zu gestalten ist es deshalb unumgänglich, nur für die jeweilige Zielstellung wesentliche Merkmale in ihrer Ausprägung zu variieren. Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis, welche Variationsziele (indirekte Eigenschaften) sich durch die Variation direkter Merkmale in ihren Ausprägungen (direkte Eigenschaften) beeinflussen lassen.
Abb. 6-12. Beispiele von Parametern zur Variation der Gestalt [Tjalve 1978]
Durch die Zuordnung neuer Ausprägungen oder Ausprägungsbereiche zu den ausgewählten Variationsmerkmalen erhält man neue Alternativen. Die Möglichkeiten zur Variation der Merkmalsausprägungen sind abhängig von den jeweiligen Wertebereichen. Formal eignen sich Merkmale gut für eine Systematische Variation, wenn ihre Ausprägungen folgende Wertebereiche aufweisen: x klar abgrenzbare, diskrete oder gar binäre Ausprägungen (beispielsweise translatorisch oder rotatorisch, radial oder axial) x endliche qualitative oder quantitative Wertebereiche mit wenigen Ausprägungen (beispielsweise [1, 2, 3, 4, 5]) x Klassen, in denen Ausprägungsbereiche mit einer Vielzahl von Ausprägungen beziehungsweise einem Ausprägungskontinuum in disjunkte Bereiche unterteilt werden (beispielsweise 0 – 10, >10 – 20, >20 – 30) Grundsätzlich können bei der Variation zwei Vorgehensweisen unterschieden werden: die generierende und die korrigierende Variation [Günther 1998]. Eine Genese erster Gestaltideen findet bei beiden Vorgehensweisen überwiegend intuitiv statt. So haben die meisten Entwickler bei der Erarbeitung eines Produktkonzeptes bereits erste konkrete Gestaltausprägungen vor Augen. Bei der generie-
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renden Variation wird zuerst eine Reihe unterschiedlicher möglicher Gestaltausprägungen erzeugt, aus denen in einem nächsten Schritt zielgerichtet ausgewählt wird. Dieses Vorgehen bietet eine größere Chance im Hinblick auf neue unkonventionelle Lösungsideen und somit ein breiteres Lösungsfeld. Es birgt aber auch Schwierigkeiten bezüglich der zielgerichteten Auswahl in sich und kann somit einen Aufwand mit sich bringen, der später als unnötig erachtet wird. Mithilfe der korrigierenden Variation (auch mehrstufige Variation) wird dagegen zu Beginn nur eine Gestaltlösung definiert, die dann in der weiteren Bearbeitung fortschreitend auf Schwachstellen analysiert und entsprechend abgeändert oder ersetzt wird. Dieses Vorgehen kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn ähnliche Anwendungsfälle bekannt sind und somit bestehende Gestaltalternativen adaptiert werden können. Es bietet den Vorteil einer relativ zügigen Gestaltkonkretisierung, birgt aber das Risiko in sich, dass man möglicherweise in einem prinzipiell ungünstigen Lösungsansatz verharrt.
Abb. 6-13. Variation der Gestalt am Beispiel Nussknacker [nach von Saucken 2007]
Am Beispiel eines Nussknackers wird die Systematische Variation der Gestalt erläutert. Betrachtet wird das Wirkkonzept „Schnalzer“, bei dem das Öffnen der Nussschale über einen Stoß erfolgt, der durch eine vorgespannte Druckfeder realisiert wird [von Saucken 2007]. Zunächst wird eine generierende Variation betrachtet, bei der zwei unabhängige Variationsschritte jeweils auf Basis des Ausgangskonzeptes erfolgen. Im ersten Schritt wird die lineare Bewegung in eine rotatorische Bewegung geändert (Merkmal Bewegungsart und -richtung), um die Anordnung kompakter zu gestalten. In einem zweiten Schritt wird die Form der Bauelemente, an denen der Stoß auf die Nussschale übertragen wird, von flach auf spitz geändert, um ein zuverlässigeres Öffnen der Nussschale zu erreichen.
6.2 Methoden zur Konkretisierung der Gestalt
151
Nun wird eine korrigierende Variation beschrieben, in der zwei Variationsschritte aufeinander aufbauen. Zunächst erfolgt die Variation der Anzahl der Bauteile beziehungsweise der Übergang von einer Integral- auf eine Differenzialbauweise. Durch die Einführung von Deckeln an den Stirnseiten des zylindrischen Nussknacker-Gehäuses wird die Fertigung vereinfacht beziehungsweise die Montage erst ermöglicht. Im darauf folgenden Schritt wird die Form der Deckelfläche variiert (von gerade nach konkav), um ein Herausschießen der Nuss aus der Anordnung zu vermeiden und damit die Anwendersicherheit zu erhöhen. Auch wenn sie zielgerichtet und fokussiert erfolgt, kann eine Systematische Variation sehr schnell zu einem großen, kaum mehr überschaubaren Alternativenspektrum führen. Um daraus gezielt die weiter zu verfolgenden Lösungen auswählen zu können, sind Ansätze erforderlich, den Lösungsraum strukturiert und übersichtlich zu ordnen und darzustellen. Hierfür bietet sich der Einsatz mehrdimensionaler Ordnungsschemata [Dreibholz 1975] an. Die Dimension des Ordnungsschemas richtet sich dabei nach der Anzahl der Gestaltmerkmale, die für eine Einordnung der Lösungsalternativen herangezogen werden. Die einfachste Form ist ein zweidimensionales Ordnungsschema in Form einer Matrix, in der die Ausprägungen des ersten Merkmals in den Zeilen, die Ausprägungen des zweiten Merkmals in den Spalten aufgetragen werden. Die Darstellung von mehr als zwei Dimensionen in einem Ordnungsschema wird durch eine entsprechende Anzahl zweidimensionaler Tabellen erreicht. Alternativ können vorgegebene Merkmalskombinationen innerhalb einer Tabelle verwendet werden In einem derartigen Schema ist die Identifikation „weißer Felder“ möglich. Dabei handelt es sich um Bereiche im Ordnungsschema, die noch nicht mit Lösungen belegt sind. Diese weißen Felder bieten sich unter Umständen für die Ergänzung des Lösungsspektrums an. Der kreative Prozess kann angeregt werden, indem Entwickler gezielt nach Lösungen suchen sollen, die in diese Felder passen. Es gibt aber auch weiße Felder, die als Lösungsansatz verworfen werden müssen, da sie nicht realisierbare Lösungen darstellen. Weitere Möglichkeiten, den Lösungsraum strukturiert und übersichtlich darzustellen sind der Alternativenbaum oder die Alternativenmatrix. Am Beispiel unterschiedlicher Gestaltvarianten von handelsüblichen oder theoretisch denkbaren Schraubenköpfen wird die Anwendung eines mehrdimensionalen Ordnungsschemas verdeutlicht. Relevante Gestaltmerkmale von Schraubenköpfen sind unter anderem die Anzahl, Lage und Form der Wirkflächen. Die Anzahl der Ecken wird als erstes Ordnungskriterium in den Spalten angetragen. Die Lage der Wirkflächen (innen, außen) wird als zweites Ordnungskriterium in den Zeilen angetragen. Als drittes Ordnungskriterium wird die Form des Schraubenkopfes herangezogen, die zwei Ausprägungen annehmen kann, sich aber nur auf Schraubenköpfe bezieht, welche die Wirkflächen außen haben. Somit lässt sich ein dreidimensionales Ordnungsschema erstellen. Aus diesem Lösungsspektrum lassen sich abhängig von den Zielen und Anforderungen, die sich aus der Anwendung ergeben, geeignete Gestaltvarianten auswählen. Besteht beispielsweise die Anforderung, eine Schraube ohne Werkzeug montieren zu können, ist ein in Flügelform ausgestalteter Schraubenkopf geeignet.
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6 Produktgestalt
Dieser erlaubt aufgrund seiner relativ zur Schraube großen und rechtwinklig zur Drehrichtung angeordneten Kontaktflächen eine sichere Kraftübertragung mit der Hand. Unter der Zielsetzung einer planen Oberfläche ohne überstehende Konturen bieten sich unterschiedliche Senkkopfformen mit innen angeordneten Werkzeugkontaktflächen an, die in Zusammenhang mit dem entsprechend vorbereiteten zu verschraubenden Werkstück eine plane Fläche gewährleisten.
Abb. 6-14. Mehrdimensionales Ordnungsschema am Beispiel Schraubenkopf
Die Anwendung der beschriebenen Methoden kann schnell und zielgerichtet zu einem großen Lösungsspektrum führen. Um der hieraus resultierenden Alternativenflut zu begegnen, ist es wichtig, sich an den Anforderungen der Anforderungsliste zu orientieren und eine Prüfung zum Beispiel hinsichtlich Realisierbarkeit und Umsetzungsaufwand durchzuführen. Hierdurch können wenig aussichtsreiche Lösungsideen oder Felder des Lösungsraums schnell ausgeschlossen werden.
6.2.4 Wie lassen sich Gestalt-Gesamtlösungen zusammenführen? Bei der Konkretisierung der Produktgestalt auf Basis eines Wirkkonzeptes lässt sich durch eine Systematische Variation schnell ein großes Spektrum an Gestaltlösungsideen erzeugen und mithilfe mehrdimensionaler Ordnungsschemata strukturiert darstellen. Aus diesem Lösungsspektrum heraus sind Gestalt-Gesamtlösungen zu erarbeiten, was durch die Kombination von Teillösungen und deren Anordnung in einer räumlichen Gesamtstruktur geschieht.
6.2 Methoden zur Konkretisierung der Gestalt
153
Bei der Synthese von Gestalt-Gesamtlösungen stellt die Integration verschiedener Sichtweisen eine Herausforderung dar. Bei der Systematischen Variation der Gestalt werden einzelne Alternativen durch die Orientierung an spezifischen Zielen generiert, zum Beispiel zuverlässige Funktionserfüllung, niedriges Produktgewicht oder Erhöhung der Montagegerechtheit. Eine Gesamtlösung muss jedoch vielen unterschiedlichen Zielen beziehungsweise Anforderungen gleichzeitig gerecht werden. Eine weitere Herausforderung stellt die Gewährleistung der Verträglichkeit der Lösungen für Teilsysteme dar. Hier kommt vor allem den Schnittstellen zwischen den Bauteilen und Modulen eine große Bedeutung zu. In der Gesamtlösung sind verschiedene Sichten zu integrieren, unter anderem die der Funktion, Fertigung und Ästhetik [Lemburg 2009]. Technisch funktionale Aspekte spielen bereits im Wirkkonzept eine zentrale Rolle, hier werden beispielsweise funktionsrelevante Wirkflächen identifiziert. Bei der Konkretisierung der Gestalt findet eine Detaillierung dahingehend statt, dass die Lage der Wirkflächen geometrisch exakt festgelegt wird, um eine optimale Funktionserfüllung (zum Beispiel die Übertragung von Kräften und Drehmomenten) auch in Bezug auf die geforderten quantitativen Zielwerte zu ermöglichen. Die Berücksichtigung von Fertigungsaspekten gewährleistet, dass ein Bauteil mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auch herstellbar ist, beispielsweise durch die Einhaltung von Mindestradien bei einer Fräsbearbeitung. Bei der Sichtweise der Ästhetik steht die Anmutung des zu kreierenden Objektes im Vordergrund. Diese Eigenschaft lässt sich nur schwer auf einzelne Gestaltelemente wie Wirkflächen herunterbrechen, sondern erfordert eine ganzheitliche Betrachtung des Systems. Darüber hinaus existieren viele weitere Sichten, aus der Betrachtung des Produktlebenszyklus heraus sind dies beispielsweise Transport, Reparatur und Service sowie Demontage und Recycling. Die Gesamtgestalt des Produktes ergibt sich schließlich durch die Zusammenführung beziehungsweise Superposition der einzelnen Zusammenhänge.
Abb. 6-15. Zusammenführung verschiedener Produktgestalt-Sichten [nach Lemburg 2009]
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6 Produktgestalt
6.2.5 Wie lassen sich Gestaltlösungsalternativen bewerten und auswählen? Um eine anforderungsgerechte Lösung zu erarbeiten, werden im Entwicklungsprozess alternative Gestaltlösungen verfolgt. An gewissen Stellen im Projekt ist es erforderlich, zwischen diesen Alternativen eine Bewertung durchzuführen und eine Priorisierung vorzunehmen beziehungsweise eine Auswahl zu treffen. Der Umfang der Bewertung hängt dabei vom Konkretisierungsstand der betrachteten Lösungsalternativen ab. Die Bewertungskriterien sind aus den Anforderungen abzuleiten und in Abhängigkeit des Konkretisierungsgrads auszuwählen. Ausprägungen indirekter Merkmale sind oft nicht ohne Weiteres ersichtlich, sie müssen vielmehr durch geeignete Prozesse der Eigenschaftsanalyse ermittelt werden. Manche indirekten Merkmale hängen über gewisse Gesetzmäßigkeiten von bestimmten direkten Merkmalen ab. Beispielsweise ist das Gewicht einer Komponente einerseits abhängig von seinem Volumen, das sich aus seinen geometrischen Abmaßen Länge, Breite und Höhe ergibt, andererseits aber auch von der spezifischen Dichte des verwendeten Werkstoffs. Der Analyseprozess ist letztlich die Anwendung dieser Gesetzmäßigkeiten zur Ermittlung der indirekten aus den direkten Merkmalen mittels Berechnung. Derartige Gesetzmäßigkeiten sind nicht immer so leicht zu formulieren wie im beschriebenen Fall. Ist dies nicht möglich, können die Ausprägungen indirekter Merkmale beispielsweise auch empirisch durch Versuche an Prototypen ermittelt werden. Um den Analyseaufwand in Grenzen zu halten und den Einfluss von Variationen in den Lösungsparametern gezielt zu untersuchen, werden zunehmend virtuelle Methoden der Eigenschaftsermittlung eingesetzt, unter anderem die numerische Simulation. Sind die Eigenschaften der unterschiedlichen Gestaltalternativen bekannt, kann eine Lösungsbewertung erfolgen, um die am besten geeigneten Lösungen für die weitere Bearbeitung auszuwählen. Hierfür existiert eine Reihe unterschiedlicher Bewertungsmethoden, die in Abhängigkeit des Informationsstands und der Konkretisierungsstufe heranzuziehen sind. Bei vielen Aufgabenstellungen können einfache Bewertungsverfahren wie der Vorteil-Nachteil-Vergleich, der Paarweise Vergleich oder auch die Punktbewertung genutzt werden, um bei geringem Aufwand die besten Lösungen zu identifizieren. Zur differenzierenden Bewertung von Gestalt-Gesamtlösungen, die bereits einen hohen Konkretisierungsgrad aufweisen, bietet sich darüber hinaus die Gewichtete Punktbewertung an. Hier wird die unterschiedliche Bedeutung der einzelnen Bewertungskriterien mit im Ergebnis berücksichtigt. Um die Aussagekraft des Bewertungsergebnisses zu überprüfen, sollten eine Plausibilitätsprüfung sowie eine Sensibilitätsanalyse durchgeführt werden [Lindemann 2009]. Bei der Sensibilitätsanalyse werden relevante Eingangsparameter in sinnvollen Grenzen variiert und die Auswirkungen auf das Ergebnis analysiert. Dabei ist eine Visualisierung der Abweichungen vom Originalergebnis hilfreich. Auf diese Weise lassen sich Parameter mit wesentlichem Einfluss auf das Ergebnis identifizieren und Aussagen über die Risiken einer Entscheidung ableiten.
6.3 Erarbeitung von Gestaltlösungen für ein Klappfahrrad
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6.3 Erarbeitung von Gestaltlösungen für ein Klappfahrrad Fahrräder werden heutzutage von unterschiedlichen Benutzern für vielfältige Zwecke eingesetzt, was schon anhand der zahlreichen Typen von Fahrrädern ersichtlich wird (Mountainbike, Rennrad, Trekkingrad, Klapprad, Tandem, Liegerad). Dem Einsatzzweck entsprechend sind auch die Anforderungen, die an die Gestalt eines Fahrradrahmens gestellt werden, zum Teil sehr unterschiedlich. Grundsätzlich hat der Rahmen die Funktion, verschiedene charakteristische Punkte des Fahrrads miteinander zu verbinden und die im Einsatz (beispielsweise durch das Gewicht des Fahrers oder während der Fahrt auftretende Stöße) entstehenden Kräfte aufzunehmen. Durch die Wahl der Rahmengestalt lässt sich die Steifigkeit des Fahrrads maßgeblich beeinflussen. Zu den wichtigsten Anforderungen an einen Fahrradrahmen zählen körpergerechte Abmessungen sowie eine hohe Festigkeit bei geringstem Gewicht.
Abb. 6-16. Mögliche Varianten der Verbindungsstruktur bei Fahrrädern (mit freundlicher Genehmigung des Herstellers der Marken Focus und Kalkhoff (Derby Cycle Werke GmbH))
Für die Wahl der Verbindungsstruktur zwischen den vier charakteristischen Punkten am Fahrrad (Lenkerrohr, Sattel, Tretlager, Hinterradnabe) und somit der Rahmengestalt existiert theoretisch eine sehr große Zahl von Alternativen, von denen aber bereits viele von vornherein ausgeschlossen werden können. Eine wichtige Bauform ist hierbei der Diamantrahmen, der aus zwei verbundenen Dreiecken besteht. Diese Rahmenform ist beispielsweise bei klassischen Rennrädern zu finden. Bei Damenrädern wird dagegen durch die Gestaltung der Rahmenstruktur ein tiefer Einstieg realisiert, was jedoch Nachteile in Bezug auf die Steifigkeit mit sich bringt.
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6 Produktgestalt
Klappräder beziehungsweise Falträder lassen sich zu Transportzwecken auf ein kleineres Packmaß zusammenklappen. Dies bietet Vorteile für Kurz- und Mittelstrecken im innerstädtischen Gebrauch sowie für den Pendlerverkehr. Ein Vorteil ist hier die Ermöglichung eines kostenfreien und handlichen Transports in öffentlichen Verkehrsmitteln. Klappräder zeichnen sich jedoch auch durch eine Reihe von Defiziten aus, unter anderem: x schlechte Eignung für große Personen mit einer Körpergröße von über 1,85 m x hohes Fahrradgewicht x hoher Preis Zielsetzung eines Projektes war es daher, ein kompaktes Fahrrad für unterschiedliche Körpergrößen zu entwickeln, das mit einem faltbaren Rahmen ausgestattet ist und sich durch eine einfache Handhabung, ein geringes Gewicht, Wartungsarmut und einen moderaten Preis auszeichnet [Müller 2004]. Das System wurde hierzu in folgende Module gegliedert: Rahmen, Antriebsstrang, Bremsen, Laufräder und Anbauteile. Der Fokus der Entwicklungsarbeit lag vor allem auf dem Fahrradrahmen, der im System das zentrale Element darstellte. Durch die Analyse bestehender Lösungen wurden relevante Gestaltparameter von Rahmenkonstruktionen und Faltmechanismen ermittelt. Hier sind zum einen die Anzahl der Gelenkpunkte und deren Freiheitsgrade für den Faltvorgang zu nennen, die die Art des Faltmechanismus und somit die Anzahl der Faltschritte unmittelbar beeinflussen. Darüber hinaus sind die Lage der Drehachse sowie die Querschnittsprofile in der Trägerstruktur von Bedeutung. Durch eine Systematische Variation dieser Merkmale und die Bildung schlüssiger Merkmalskombinationen wurden vier unterschiedliche Lösungskonzepte für neuartige Faltmechanismen entwickelt und mittels Handskizzen visualisiert.
Abb. 6-17. Lösungskonzepte für den Faltmechanismus [Müller 2004]
Das erste Konzept zeichnet sich durch ein gebogenes Zentralrohr und zwei Klappverbindungen aus, die ein Zusammenklappen über eine horizontale Achse ermöglichen. Das Faltprinzip in Konzept zwei hat Ähnlichkeiten mit dem eines
6.3 Erarbeitung von Gestaltlösungen für ein Klappfahrrad
157
Regenschirms. In Konzept drei wird das Zusammenklappen durch Drehbewegungen um zwei vertikale Achsen realisiert. Durch einen großen Querschnitt des Zentralrohrs wird eine vergleichsweise hohe Stabilität des Rahmens gewährleistet. Konzept vier schließlich basiert auf einem teleskopartig zusammenschiebbaren Hauptrohr, ausgeführt als Vierkantprofil, um die Übertragung von Torsionsmomenten zu ermöglichen. In dem sich anschließenden Bewertungs- und Auswahlprozess wurde die Entscheidung zugunsten von Konzept drei getroffen, das Vorteile hinsichtlich der Handhabung, dem Fahrverhalten und der Eignung für große Personen verspricht. Im nächsten Schritt erfolgte eine Konkretisierung der Gestalt des Rahmens. Den zentralen Punkt der Neuentwicklung stellte dabei der Klappmechanismus am hinteren Teil des Fahrrades dar. Der Rahmen besteht hier aus zwei unabhängigen Teilen, dem Hauptrohr und dem Hinterbau. Das Sattelrohr und damit der gesamte Hinterbau samt Hinterrad und Antriebseinheit werden zum Zusammenklappen um die Sattelachse gedreht. Die Klappverbindung muss sowohl gegen Verdrehung um die Sattelrohrachse als auch gegen eine translatorische Verschiebung nach oben oder unten gesichert werden. Hierfür wurde eine Kombination aus Reibschluss und Formschluss vorgesehen (Klemmung und Nutverbindung). Für den Hauptrahmen wurden Design-Entwürfe erstellt, zunächst als Handskizzen, später als CAD-Modell. Danach wurden mögliche Fertigungsverfahren ermittelt. Es wurde hier unter anderem das Innenhochdruck-Umformen in Betracht gezogen. Eine Analyse stellte die grundsätzliche Machbarkeit sicher, das Verfahren wurde jedoch aufgrund der hohen Werkzeugkosten nicht weiter verfolgt. Auch andere Verfahren erwiesen sich als zu aufwändig, so dass letztendlich ein relativ einfaches Verfahren zur Anwendung kam: die Umformung eines Rundrohres zum Ovalquerschnitt und ein anschließendes Radiusbiegen.
Abb. 6-18. Konkretisierung der Gestalt des Fahrradrahmens [Müller 2004]
Im weiteren Verlauf des Prozesses wurde ein CAD-Geometriemodell des gesamten Klapprades erstellt. Für die restlichen Module (Antriebsstrang, Bremsen, Laufräder und Anbauteile) wurde größtenteils auf am Markt erhältliche Zukaufteile zurückgegriffen. Zum Teil war hier eine Modifikation an den Schnittstellen zum Rahmen erforderlich. Schließlich wurde ein Prototyp aufgebaut, der sich als funktionsfähig erwies und die an ihn gestellten Anforderungen erfüllte.
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6 Produktgestalt
Abb. 6-19. Funktionsfähiger Prototyp des Klapprades KlaRa (fahrbereit und gefaltet)
6.4 Zusammenfassung Mit der Konkretisierung der Produktgestalt bekommt das zuvor im Wirkkonzept noch relative abstrakt definierte Produkt eine konkrete räumliche Ausprägung. Hierbei wird eine Vielzahl von Produkteigenschaften festgelegt, die sich durch unterschiedliche Merkmale beschreiben lassen. Eine große Herausforderung für den Entwickler ist dabei die Tatsache, dass eine Reihe dieser Merkmale – die indirekten Merkmale – nicht unmittelbar beinflussbar sind, sondern nur durch die Festlegung von direkten Merkmalen in ihren Ausprägungen bestimmt werden können. Um Ansatzpunkte für die Konkretisierung der Gestalt zu finden, ist es zielführend, das System geeignet zu strukturieren, um die Komplexität zu verringern und eine parallele Bearbeitung der einzelnen Module zu ermöglichen. Wichtig ist hierbei eine saubere Definition der Schnittstellen. Als Ansatzpunkte eignen sich unter anderem Wirkflächen und Fixpunkte der Konstruktion, von denen aus die Lösung schrittweise detailliert wird. Für ein zielgerichtetes Vorgehen bei der Erarbeitung der konkreten Produktgestalt bieten sich verschiedene Strategien an, zum Beispiel vom Abstrakten zum Konkreten, vom Groben zum Feinen und von Hauptaspekten zu Nebenaspekten. Das Vorgehen ist dabei nicht streng linear, ab und zu ist auch ein bewusster Perspektivenwechsel hilfreich. Aufbauend auf ersten Gestaltlösungen ist es sinnvoll, diese anhand unterschiedlicher Gestaltparameter und unter Berücksichtigung der Anforderungen zielgerichtet zu variieren, um eine Vielfalt an alternativen Lösungsmöglichkeiten zu erhalten. Checklisten mit Gestaltparametern helfen sowohl bei der Erarbeitung der initialen Gestaltvariante als auch bei der Systematischen Variation der Gestalt. Durch die Anwendung von strukturierenden Methoden wie mehrdimensionalen Ordnungsschemata lässt sich eine Übersicht über das erarbeitete Lösungsspektrum schaffen, um die Entscheidung für die weiter zu verfolgenden Gestaltalternativen vorzubereiten. Zur Erarbeitung von Gestalt-Gesamtlösungen sind schließlich verschiedene Aspekte beziehungsweise Sichtweisen (beispielsweise Funktion, Fertigung, Ästhetik) in einer Lösung zusammenzuführen.
7 Baumodelle
Als Baumodell wird die Darstellungsform oder Repräsentation eines technischen Produktes auf der Ebene konkreter Bauelemente, wie sie anschließend gefertigt und montiert werden, bezeichnet. Bauelement wird hier als Überbegriff für die Bestandteile des Gesamtproduktes gebraucht, also für einzelne Bauteile, Baugruppen oder Module. Neben Fertigung und Montage existieren weitere Phasen im Produktlebenslauf, für die Baumodelle von Bedeutung sind, beispielsweise Transport, Nutzung, Instandhaltung und Recycling. Vom Wirkkonzept ausgehend wird die Produktgestalt schrittweise unter der Berücksichtigung technischer und wirtschaftlicher Gesichtspunkte konkretisiert und detailliert. Im Rahmen der Erarbeitung von Baumodellen werden die endgültige Form, Abmessungen und Oberflächenbeschaffenheit aller Einzelteile definiert, die Werkstoffe festgelegt, die Beschaffungs- und Herstellungsmöglichkeiten geklärt, sowie die endgültigen Kosten ermittelt. Ferner werden die für die weiteren Phasen im Produktlebenslauf benötigten Unterlagen (Produktdokumentation) erstellen. Es existieren vielfältige Herausforderungen bei der Erstellung und Detaillierung von Baumodellen. Zum einen führen die vernetzten Abhängigkeiten der Bauelemente und deren Eigenschaften untereinander zu einer hohen Komplexität. Festlegungen an einer Stelle haben daher mitunter unerwünschte Auswirkungen an anderer Stelle, derer man sich nicht bewusst ist. In dieser Phase des Entwicklungsprozesses sind in der Regel mehrere iterative Arbeitsschritte zwischen Synthese und Analyse erforderlich. Ein weiterer Grund ist neben der schon angesprochenen Komplexität oftmals auch ein noch nicht ausreichendes Systemverständnis bei Neuentwicklungen, bei denen technologisches Neuland betreten wird. Gewisse Iterationen sind daher für den Erkenntnisgewinn erforderlich und wichtig. In der Praxis kommt es jedoch häufig zu unnötigen Iterationen, die keinen Erkenntnisgewinn bringen, jedoch Zeit und Geld kosten. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Prototypen aufgebaut und getestet werden. Schließlich ergeben sich Herausforderungen in der Erstellung der Produktdokumentation, beispielsweise hinsichtlich der Gewährleistung einer ausreichenden Vollständigkeit und der Vermeidung von Inkonsistenzen zwischen verschiedenen Dokumenten. Im Rahmen der Entwicklung von Baumodellen für technische Produkte beschäftigt sich der Entwickler somit mit der Detaillierung der Bauelemente und Schnittstellen, der Ermittlung und Absicherung der Produkteigenschaften und der Erstellung der Produktdokumentation. Für eine zielgerichtete Ausführung dieser Aktivitäten bedarf es geeigneter Vorgehensweisen, Methoden und Werkzeuge.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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7 Baumodelle
7.1 Erstellung von Baumodellen für ein Diamant-Trenngerät (1) Im Folgenden wird die Entwicklung eines Trenngerätes mit Diamantwerkzeug für den Profianwender am Bau beschrieben, das zum Trennen von Beton und Mauerwerk verwendet wird. Ein Anwendungsbeispiel ist die Erstellung von Fenster- und Türausschnitten bei Gebäudeumbau oder -renovierung. Ein Hauptziel bei der Entwicklung des Trenngerätes war es, eine deutliche Differenzierung gegenüber Wettbewerbsgeräten, zum Beispiel Winkelschleifern, anzubieten.
Abb. 7-1. Prinzipskizze des Diamant-Trenngerätes mit Hauptkomponenten
Aus einer Analyse des Ist-Standes von Trenngeräten am Markt ergab sich, dass folgende Produkteigenschaften zur Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb einen signifikanten Beitrag leisten können: x x x x
hohe Schnitttiefe staubarmes Arbeiten optimale Ergonomie hohe Arbeitssicherheit
Die Gerätemerkmale des Wirkkonzeptes, die Einfluss auf die Erfüllung dieser Anforderungen besitzen, werden im Folgenden beschrieben. Die Schnitttiefe wird maßgeblich durch den Scheibendurchmesser und die Bauform des Getriebes beeinflusst. Außerdem muss das Getriebe eine hohe Motorleistung übertragen können, deutlich über 2000 Watt, notwendig für die hohe Schnitttiefe in Beton. Staubarmes Arbeiten ist möglich durch das Ableiten und Absaugen des Staubs in einer geeigneten Haube. Eine ausgewogene Geräte-Ergonomie ergibt sich durch ein geringes Produktgewicht, ein balanciertes Gerät, dessen Schwerpunkt zwischen den beiden Händen des Anwenders liegt, geeignete ergonomische Griffformen und eine benutzerfreundliche Arbeitsrichtung (Schieben oder Ziehen beim Trennen). Je nach Drehrichtung der Scheibe trennt das Gerät den Untergrund im
7.1 Erstellung von Baumodellen für ein Diamant-Trenngerät (1)
161
Gleichlauf beziehungsweise im Gegenlauf. Gleichlauf-Trennen erfordert geringere Kräfte durch den Anwender, während Gegenlauf günstiger für die Staubabfuhr ist. Die Arbeitssicherheit, die sich zum Teil aus zulassungsrelevanten Anforderungen ergibt, fordert zum einen, dass die Schutzhaube stabil ist, um im Berstfall den Anwender vor wegfliegenden Stücken der Scheibe zu schützen. Zum anderen sollen im Betrieb vom Benutzer möglichst wenige Querkräfte auf die Scheibe übertragen werden, damit sich die Scheibe im Untergrund nicht verklemmt. Das Trenngerät musste darüber hinaus weitere Anforderungen erfüllen, die zum Teil auch aus internen Randbedingungen resultierten. Die maximalen Herstellkosten waren durch geplante Stückzahlen und Preise definiert. Eine hohe Gerätelebensdauer gehörte zu den Basisanforderungen. Ferner waren ein äußeres Design, das Robustheit und Leistungsstärke ausdrückt, sowie die Herstellung und Montage der Komponenten im Rahmen der bestehenden Herstellungs- und Montageprozesse zu gewährleisten. Eine Herausforderung im Rahmen der Entwicklung waren Zielkonflikte, die sich aus der Vielzahl an unterschiedlichen Anforderungen ergaben. Aus Gründen der Arbeitssicherheit sollte die Haube massiv gestaltet sein. Dies widersprach jedoch dem Wunsch nach Leichtbau im Sinne der Ergonomie. Ebenso wären ein schwerer, leistungsstarker Motor und ein mit hoher Sicherheit dimensioniertes Getriebe zum Erreichen einer hohen Lebensdauer für das Gerät hilfreich. Beide Lösungsansätze führten jedoch nicht zu einem geringen Gerätegewicht. In der Konzeptphase wurden auch verschiedene Motortechnologien betrachtet. Ein mit Kohlebürsten behafteter Universalmotor versprach Vorteile hinsichtlich der Herstellkosten. Dagegen zeichnete sich ein bürstenloser Motor mit elektronischer Kommutierung durch eine hohe Robustheit und Lebensdauer aus. Der Konzeptentscheid fiel schließlich zugunsten des Universalmotors aus, da mit dem bürstenlosen Motor der geplante Kostenrahmen eingehalten werden konnte.
Abb. 7-2. Wirkungsnetz mit Abhängigkeiten zwischen Merkmalen des Trenngerätes
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7 Baumodelle
Im Rahmen der Getriebeauslegung waren Lösungsalternativen mit unterschiedlichen Trennscheibendurchmessern zu betrachten und zu berechnen, die die vom Motor abgegebene Leistung übertragen können und einen kleinen Getriebedurchmesser realisieren. Das Merkmal Getriebedurchmesser beeinflusst mit dem Scheibendurchmesser direkt die erreichbare Schnitttiefe. Außerdem dürfen Trennscheiben nach Norm nur mit einer bestimmten maximal zulässigen Umfangsgeschwindigkeit betrieben werden, so dass Scheibendurchmesser und maximale Scheibendrehzahl voneinander abhängen. Wichtig für die Dimensionierung des Getriebes und damit für den Getriebedurchmesser sind die Getriebeausgangsdrehzahl, die der Scheibendrehzahl entspricht, sowie die Getriebeeingangsdrehzahl, die der Motordrehzahl entspricht und in diesem Fall als konstant anzusehen ist. Je größer die Getriebeübersetzung ist, desto mehr Bauraum beansprucht normalerweise ein Getriebe, vor allem, wenn eine Getriebeart und -übersetzung gewählt wird, die nur mit zwei Getriebestufen erreichbar ist. Die Erarbeitung einer guten technischen Lösung für die Parameter Scheibendurchmesser, Scheibendrehzahl, Übersetzungsverhältnis sowie Bauraum und Belastung des Getriebes war nur durch einen iterativen Wechsel zwischen Synthese (Produktgestaltung) und Analyse (Berechnung, Simulation und Test) möglich.
Abb. 7-3. Abhängigkeiten mit Bedeutung für die Dimensionierung des Getriebes (mit freundlicher Genehmigung der Hilti AG)
Neben den technischen Zeichnungen der Bauteile des Trenngerätes für die Herstellung, sind viele weitere Elemente der Produktdokumentation zu erstellen. Unter anderem sind dies Montagestücklisten für die Herstellung von Baugruppen und Ersatzteilstücklisten für den späteren Reparaturservice. Eine Herausforderung für das Stücklistenmanagement von Elektrogeräten für den Weltmarkt stellt die Vielzahl der Spannungsvarianten dar (unter anderem 230V Geräte für Deutschland und 110V Geräte für die USA). Mit länderspezifisch unterschiedlichen Varianten für Stromkabel und Netzstecker erhöht sich die Komplexität im Stücklistenmanagement. Außerdem muss eine Bedienungsanleitung für jedes Land, in dem das Gerät vertrieben werden soll, erstellt, gedruckt und mit dem Gerät ver-
7.2 Methoden zur Erstellung von Baumodellen
163
packt werden. Neben der jeweiligen Landessprache muss diese Bedienungsanleitung, wie auch das Gerät selbst, Zulassungsanforderungen der jeweiligen Länder erfüllen. Auf allen Elektrogeräten für den mexikanischen Markt muss beispielsweise ein Aufkleber gut sichtbar platziert werden, der in Englisch, Französisch und Spanisch den Anwender darauf hinweist, vor der Gerätebenutzung die Bedienungsanleitung zu lesen.
Abb. 7-4. Technische Daten mit Spannungsvarianten für verschiedene Länder; Ausschnitt aus der Bedienungsanleitung des Trenngerätes (mit freundlicher Genehmigung der Hilti AG)
Um für die unterschiedlichen, vernetzten Anforderungen mit wenigen Iterationsschleifen optimale Lösungen zu finden, ist es notwendig, geeignete Methoden und Hilfsmittel im Prozess anzuwenden. Auch zur systematischen Handhabung der Produktdokumentation und der technischen Daten in verschiedenen Varianten und Ländern sind geeignete Vorgehensweisen erforderlich.
7.2 Methoden zur Erstellung von Baumodellen Den abschließenden Schritt in der Produktkonkretisierung stellt die Erstellung von Baumodellen dar, was eine Detaillierung, Vervollständigung und Optimierung der in den vorangegangenen Schritten erarbeiteten Gestaltlösungen entspricht. Als Baumodell wird die Darstellungsform oder Repräsentation eines technischen Produktes auf der Ebene konkreter Bauelemente, wie sie anschließend gefertigt und montiert werden, bezeichnet. Bauelement wird hier als Überbegriff für die Bestandteile des Gesamtproduktes gebraucht, also für einzelne Bauteile, Baugruppen oder Module. Neben Fertigung und Montage existieren weitere Phasen im Produktlebenszyklus, für die Baumodelle von Bedeutung sind, beispielsweise Transport, Nutzung und Instandhaltung. Die Baustruktur beschreibt die Verknüpfung der einzelnen Bauelemente innerhalb des Gesamtproduktes. Als Baukonzept werden Lösungsmöglichkeiten auf Bauebene bezeichnet, sie betreffen somit die Gestalt der einzelnen Bauteile und Baugruppen sowie der Schnittstellen.
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7 Baumodelle
In der Literatur werden im Kontext der Erstellung und Detaillierung von Baumodellen die Begriffe Entwerfen und Ausarbeiten verwendet [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005]. Unter Entwerfen wird dabei der Teil des Entwickelns beziehungsweise Konstruierens verstanden, der für ein technisches Gebilde die Baustruktur nach technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten eindeutig und vollständig erarbeitet. Beim Ausarbeiten werden die verbindlichen Unterlagen für die Produktion und Nutzung des Produktes geschaffen. Hier werden unter Berücksichtigung relevanter Normen und Vorschriften die letzten Gestaltdetails hinsichtlich Form, Werkstoff, Oberflächenbeschaffenheit und so weiter festgelegt. Die Begriffe Entwerfen und Ausarbeiten werden hier weitgehend vermieden, da sie in einer Zeit geprägt wurden, als die Konstruktion noch am Reißbrett stattfand. Im Entwurf wurde dabei die Produktgestalt unter maßstäblicher Darstellung entwickelt, bevor die Ausarbeitung der Fertigungsunterlagen stattfand. Im Zuge der Entwicklung moderner Methoden und Werkzeuge für die Produktentwicklung und Konstruktion (hier sind vor allem 3D-CAD-Systeme zu nennen) hat sich die Vorgehensweise bei der Generierung von Baumodellen grundlegend geändert. Das Hauptarbeitsmedium ist das 3D-Geometriemodell, aus dem nach Bedarf 2DZeichnungen abgeleitet werden. Zur gezielten Unterstützung der Erstellung von Baumodellen sind sowohl Gestaltungsprinzipien als auch Gestaltungsrichtlinien anwendbar. Ein Gestaltungsprinzip ist ein allgemeiner Grundsatz, der der grundsätzlichen Optimierung eines Produktes dient und die Produktgestaltung auf unterschiedlichen Konkretisierungsebenen unterstützt. Beispiele sind das Prinzip der Kaskadierung, das Prinzip des Lastausgleichs oder das Prinzip der Selbsthilfe. Gestaltungsrichtlinien helfen, den jeweiligen Hauptanforderungen im Sinne eines „Design for X“ beziehungsweise „Design to X“ gerecht zu werden. Beispiele sind Richtlinien zur fertigungsgerechten, montagegerechten oder recyclinggerechten Produktgestaltung. Eine Gestaltungsrichtlinie ist spezifischer formuliert und besitzt hinsichtlich der Produktoptimierung einen konkreteren Fokus als ein Gestaltungsprinzip (in Anlehnung an [Pahl et al. 2005]).
Abb. 7-5. Einordnung in das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM)
7.2 Methoden zur Erstellung von Baumodellen
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Eine Gestaltung des Produktes auf Bauebene, das heißt die Erstellung, Konkretisierung und Detaillierung von Baumodellen, erfordert unter anderem folgende Aktivitäten [nach Pahl et al. 2005]: die Festlegung der Abmessungen und Untersuchung der räumlichen Verträglichkeit, die Wahl von Werkstoffen und Fertigungsverfahren, die Vervollständigung des Produktes durch Teillösungen für sich ergebende Nebenfunktionen. Die Detaillierung des Produktes findet dabei im Kontext vielfältiger vernetzter Abhängigkeiten und Optimierungsziele statt. Bei der Detaillierung von Baumodellen ist insbesondere den Schnittstellen eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Schnittstellen sind hierbei als Verknüpfungen zwischen Elementen eines technischen Systems zu verstehen. Die optimale Gestaltung der Schnittstellen ist unter anderem abhängig vom Schnittstellentyp. Es existieren je nach Sicht auf das System verschiedene Arten von Schnittstellen, beispielsweise materielle, energetische, informationstechnische und organisatorische Schnittstellen. Ferner ist eine systematische Ermittlung und Absicherung der Produkteigenschaften von großer Bedeutung. Geeignete Methoden und Hilfsmittel (wie Versuche, Simulation oder Konstruktions-Reviews) sind dabei in Abhängigkeit des Konkretisierungsstandes und der abzusichernden Eigenschaften auszuwählen. Dabei sind unnötige Iterationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Schließlich ist die Dokumentation für die der Entwicklung nachgelagerten Phasen im Produktlebenslauf zu erstellen. Die Produktdokumentation enthält verbindliche Unterlagen unter anderem für die Fertigung und Montage, den Transport, die Nutzung, Wartung und Instandhaltung sowie das Recycling. Hier sind unter anderem die Vollständigkeit der Inhalte für den jeweiligen Zweck zu gewährleisten und Inkonsistenzen zu vermeiden.
7.2.1 Wie lassen sich Baumodelle detaillieren? Bei der Detaillierung von Baumodellen ist eine Vielzahl konstruktiver Entscheidungen und Festlegungen zu treffen, welche sich auf Details der Produktgestalt beziehen, zum Beispiel Angaben zu Oberflächen, Toleranzen und Passungen. Jede dieser Festlegungen hat Auswirkungen auf die Eigenschaften des Produktes, wie die Leistung, die Robustheit gegenüber Belastungen unterschiedlicher Art, die Montageeignung oder die Herstellkosten. Eine Herausforderung dabei ist die Vielzahl vernetzter Abhängigkeiten im System. Zum einen sind vielfältige Anforderungen zu berücksichtigen, die sich oft auch widersprechen. Zum anderen sind die Auswirkungen von Festlegungen, die an einer Stelle getroffen werden, auf andere Stellen im Gesamtsystem aufgrund der Komplexität nicht immer absehbar. Ein wichtiger Aspekt sind die Oberflächen von Bauteilen [Grote et al. 2005]. Die ideale geometrische Oberfläche, wie sie in einem Baumodell (2D-Zeichnung oder 3D-Volumenmodell) beschrieben wird, wird in der Realität nie zu erreichen sein. Bei der Fertigung entsteht eine reale Oberfläche, die gegenüber der idealen Oberfläche Gestaltabweichungen aufweist, wie beispielweise Schieflagen, Wel-
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ligkeiten und Rauheiten. Für die Detaillierung der Konstruktion ist die Angabe relevanter Oberflächeneigenschaften und Rauheitskenngrößen von Bedeutung. Auf Zeichnungen werden Oberflächen, Rauheitsmaße und Zusatzangaben unter der Verwendung genormter Symbole gekennzeichnet [DIN EN ISO 1302]. Die Festlegung beispielsweise der zulässigen Rauhtiefe erfolgt einerseits in Abhängigkeit der zu erfüllenden Funktion. Zum anderen sind dabei auch die Möglichkeiten der Herstellung und die zulässigen Herstellkosten zu berücksichtigen. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Detaillierung von Baumodellen ist die Festlegung von Toleranzen [Grote et al. 2005]. Es werden hierbei Maß-, Formund Lagetoleranzen unterschieden. Zur Größenangabe wird in der Zeichnung das Nennmaß angegeben. Da es jedoch nicht möglich ist, das Werkstück auf dieses Maß absolut genau zu fertigen, ist die Angabe einer Maßtoleranz erforderlich, welche die Differenz zwischen dem zulässigen Höchst- und Mindestmaß angibt. Die Kennzeichnung von Toleranzen in Zeichnungen ist nach internationalen Normen geregelt, beispielsweise [DIN ISO 286-1, DIN ISO 2768-2]. Die Toleranzen sollten vom Konstrukteur bewusst gewählt werden unter der Berücksichtigung des Grundsatzes: je kleiner die Toleranz, desto teurer die Fertigung. Passungen entstehen durch die Beziehung der Toleranzfelder gepaarter Teile zueinander und stellen bei gleichem Nennmaß eine bestimmte Funktion aber auch die Austauschbarkeit sicher [Grote et al. 2005]. Beispiele für Passungsarten sind der Presssitz (Übermaßpassung, bei Naben von Zahnrädern oder Flanschen auf Wellen), der Schiebesitz (Übermaßpassung oder Spielpassung möglich, bei Handrädern und Lagerbuchsen) oder der Laufsitz (stets Spielpassung, beispielsweise bei verschiebbaren Kupplungsmuffen). Passungssysteme helfen dabei, die mögliche Vielfalt der Toleranzfelder beziehungsweise Toleranzklassen einzuschränken und damit die Anzahl der Werkzeuge in der Fertigung sowie der Prüf- und Messgeräte auf eine Mindestzahl zu beschränken. Orientierung bei der Detaillierung des Produktes auf Bauebene bieten die Grundregeln der Gestaltung „einfach, eindeutig und sicher“ [Pahl et al. 2005]. Diese gelten unabhängig von der Art des Produktes und lassen bei ihrer Einhaltung ein hohes Maß guter Realisierungschancen erwarten, weil mit ihnen Funktionserfüllung, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit bewusst angesprochen werden und miteinander verknüpft sind. Neben diesen Gestaltungsregeln existiert eine Vielzahl weiterer Entwicklungsziele und spezifischer Gerechtheiten, die zu berücksichtigen sind und die je nach Entwicklungssituation mehr oder weniger im Vordergrund stehen (fertigungsgerecht, montagegerecht, korrosionsgerecht, ergonomiegerecht, um nur einige wenige zu nennen). Zwischen diesen Zielen bestehen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten, zum Beispiel zwischen der geforderten Funktion und Qualität, den Möglichkeiten beziehungsweise Restriktionen der Fertigung und den Herstellkosten. Unterstützung bieten hier Gestaltungsrichtlinien. Ist für ein Werkstück beispielsweise eine spanende Fertigung vorgesehen, sind hinsichtlich der Festlegung von Gestaltdetails unter anderem folgende Regeln zu berücksichtigen, um eine wirtschaftliche Realisierung zu gewährleisten [Ehrlenspiel et al. 2007]:
7.2 Methoden zur Erstellung von Baumodellen
x x x x x x
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möglichst wenig zerspanen (Bearbeitungsflächen vorstehen lassen) möglichst wenig fein bearbeiten (Oberfläche rauh lassen) möglichst grobe Toleranzen verwenden (je feiner desto teurer) alles in einer Aufspannung bearbeiten (Umspannen führt zu Mehrkosten) Anordnung von Flächen in gleicher Höhe und parallel zur Aufspannung große Werkzeugradien vorsehen (ermöglicht höhere Schnittgeschwindigkeiten beim Fräsen)
Abb. 7-6. Gestaltungsrichtlinien zur Detaillierung von Baumodellen am Beispiel der spangerechten Gestaltung [Pahl et al. 2005]
7.2.2 Wie lassen sich Schnittstellen detaillieren? Schnittstellen (beziehungsweise Verbindungsstellen) sind Verknüpfungen zwischen Elementen eines Systems, beispielsweise Verbindungen zwischen zwei Bauteilen. Diese können fest sein, wie im Falle einer Schweißverbindung, oder lösbar, wie zum Beispiel bei einer Schraubverbindung. Neben mechanischen Verbindungsstellen spielen weitere Schnittstellen für die Entwicklung und Konstruktion eine Rolle. Hier können insbesondere bei der Betrachtung mechatronischer Produkte unter anderem geometrische, stoffliche, energetische oder signaltechnische Schnittstellen unterschieden werden. Die produktbezogenen Schnittstellen stehen zum Teil in engem Zusammenhang mit organisatorischen Schnittstellen, die die Folge der Arbeitsteiligkeit innerhalb eines Unternehmens sind sowie aus den vielfältigen unternehmensübergreifenden Kooperationen resultieren. So sind firmenintern, insbesondere bei komplexen Produkten, die Verantwortlichkeiten für bestimmte Baugruppen aufgeteilt. Externe organisatorische Schnittstellen existieren unter anderem zu Kunden, zum Mutterkonzern, zu Zulieferern oder zu Entwicklungspartnern.
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Schnittstellen ergeben sich zwangsläufig aus der Notwendigkeit heraus, ein komplexes System in Subsysteme zu gliedern. Sie führen jedoch zu Herausforderungen, beispielsweise einer Steigerung der Komplexität sowohl im Produkt als auch im Prozess aufgrund des erhöhten Kommunikations- und Abstimmungsbedarfs. Der Betrachtung von Schnittstellen und dem geeigneten Umgang mit ihnen abhängig vom Schnittstellentyp kommt daher in der Entwicklung und Konstruktion eine hohe Bedeutung zu. Produktinterne Schnittstellen, zum Beispiel zwischen Motor und Getriebe, bedürfen einer Abstimmung der technischen Schnittstellenparameter wie Leistung, Drehmoment und Drehzahl, damit das System seine Funktion optimal erfüllen kann. Darüber hinaus besitzen Produkte auch Schnittstellen nach außen, zum Nutzer hin, wie beispielsweise Gehäuse, Handgriffe oder Bedienfelder. Neben rein leistungstechnischen Aspekten sind hier in der Produktgestaltung auch Themen wie Bedienergonomie, Ästhetik und Design zu berücksichtigen.
Abb. 7-7. Schnittstellentypen innerhalb eines technischen Produktes
Lösungsansätze zur optimalen Handhabung von Schnittstellen sind unter anderem die Vermeidung, die Wahl einer geeigneten Lage, die optimale Gestaltung und die Standardisierung von Schnittstellen. Falls sich keine funktionale oder organisatorische Notwendigkeit dazu ergibt, sind Schnittstellen zu vermeiden. Aus Kosten- und Zeitgründen ist besonders bei Serienprodukten die beste Schnittstelle diejenige, die gar nicht existiert. Sind Schnittstellen nicht vermeidbar, sind hinsichtlich ihrer Lage geeignete Überlegungen anzustellen. Zur optimierten Gestaltung von Schnittstellen tragen Gestaltungsprinzipien bei, beispielsweise die Prinzipien zu Mechanismen technischer Systeme. Diese verfolgen das Ziel, Bauteile zu entlasten oder deren Funktion gezielt zu unterstützen, damit der Mechanismus insgesamt zuverlässiger arbeitet, was sich unmittelbar in der Sicherheit, in der Wartung und damit auch in den Kosten niederschlägt.
7.2 Methoden zur Erstellung von Baumodellen
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Hinsichtlich einer optimierten Gestaltung der Schnittstellen konzentrieren sich die Prinzipien auf die Schaffung von Ausgleichselementen. Mit dem Prinzip des Lastausgleichs [Ehrlenspiel 2009] wird die gleichmäßige Aufnahme von Kräften und Momenten bei einer Leistungsverzweigung an mechanisch parallel geschalteten Wirkflächen angestrebt. Das Ziel dabei ist eine möglichst gleichmäßige mechanische Belastung von statisch unbestimmten Komponenten. Gründe für eine Parallelschaltung, wie sie auch durch das Prinzip der Kaskadierung verfolgt wird, sind unter anderem eine Verringerung von Baugröße, Gewicht und Kosten des Produktes. Probleme, die aufgrund eines ungenügenden Lastausgleichs auftreten, werden unter anderem durch die Beseitigung des Problems oder eine Verringerung der Störgröße gelöst. Das Problem wird dadurch beseitigt, dass das System statisch bestimmt gemacht wird, beispielsweise über einen gelenkigen oder elastischen Lastausgleich. Störgrößen als Ursachen für ungleiche Lasten sind zum Beispiel in einer fehlerhaften Fertigung und Montage zu finden. Diese Störgrößen können zum Beispiel durch eine genauere Fertigung, durch Anpassungen in der Montage (Justieren) oder durch die Anwendung der Integralbauweise (Vermeidung von Schnittstellen) reduziert werden.
Abb. 7-8. Prinzip des Lastausgleichs [Ehrlenspiel 2009]
Das Prinzip des Kraftausgleichs [Pahl et al. 2005] verfolgt den Ausgleich beziehungsweise die Vermeidung großer Reaktionskräfte, insbesondere bei einer dynamischen Belastung des Systems. Funktionsbedingt treten in einem technischen System Kräfte und Drehmomente auf (Antriebsmoment, Umfangskraft, aufzunehmende Last und so weiter). Daneben entstehen sehr oft Kräfte und Momente, die nicht zur direkten Funktionserfüllung beitragen, sich aber nicht vermeiden lassen. Diese Reaktionskräfte belasten das Gehäuse, die Lager oder andere Elemente des Produktes zusätzlich, so dass ein Ausgleich erfolgen muss, damit die Belastung nicht zu groß wird. Für einen Kraftausgleich kommen im Wesentlichen zwei Maßnahmen in Betracht: der Einsatz von Ausgleichselementen oder das Anstreben symmetrischer Anordnungen. Die Prinzipien des Lastausgleichs und Kraftausgleichs weisen gewisse Ähnlichkeiten auf, insbesondere hinsichtlich der Lösungsmaßnahmen (zum Beispiel das Einbringen elastischer Ausgleichselemente). Der Unterschied ist, dass sich der Lastausgleich auf Massenkräfte bezieht, die von außen auf das System wirken. Der Kraftausgleich bezieht sich hingegen auf Reaktionskräfte, die durch die Funk-
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tion des Systems entstehen. Beim Lastausgleich erfolgt außerdem eine statische, beim Kraftausgleich eine dynamische Betrachtung des Systems. Das Prinzip des Kraftausgleichs wird beispielsweise zur Impulsentkopplung bei Werkzeugmaschinen mit Linearantrieb eingesetzt. Durch den Aufbau des Linearmotors entstehen eine Kraft im Primärteil des Antriebs sowie eine gegengleiche Reaktionskraft im Sekundärteil. In der Praxis wird der Motorschlitten am Primärteil befestigt, während die Kraft im Sekundärteil ebenso auftritt, aber nicht genutzt wird. Dabei muss lediglich der Primärteil die hohen Beschleunigungskräfte auf das Werkzeug übertragen. Üblicherweise überträgt der Sekundärteil die Kraft mit dem gleichen Ruck auf das Maschinenbett und erzeugt so Deformationen und Schwingungen. Ohne Ausgleichsmaßnahmen entsteht so für das Maschinenbett eine hohe Belastung.
Abb. 7-9. Prinzip des Kraftausgleichs: Impulsentkopplung bei Werkzeugmaschinen
Durch eine Impulsentkopplung kann jedoch dieser Belastung entgegengewirkt werden. Hierbei wird dem Sekundärteil ein Freiheitsgrad hinzugefügt, so dass sich dieser unter dem Einfluss der Reaktionskraft bewegen kann. So wird ein Teil der Reaktionskraft in einen Impuls überführt, bevor die Kraft dann abgeschwächt in das Maschinenbett geleitet wird. Damit sich der Sekundärteil nicht über den Deckungsbereich des Primärteils hinweg bewegen kann, wird der Sekundärteil durch eine Feder-Dämpfer-System mit dem Maschinenbett verbunden. Dadurch wird erreicht, dass die statischen Kraftanteile in das Maschinenbett geleitet werden. Die dynamischen hochfrequenten Kraftanteile werden mit der Eigenbewegung des Sekundärteils „aufgezehrt“. Unter dem Prinzip der Selbsthilfe [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009] versteht man eine konstruktive Anordnung, bei der durch eine geschickte Wahl und Anordnung der Systemelemente eine unterstützende Wirkung erzeugt wird, die es dem System ermöglicht, die Funktion besser zu erfüllen. Die Selbsthilfe ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwischen Ursprungs- und Hilfswirkung. Die Ur-
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sprungswirkung entspricht dabei in vielen Fällen der Wirkung des Systems ohne Selbsthilfe. Die Hilfswirkung ergibt sich entweder aus funktionsabhängigen Kräften und Momenten (zum Beispiel Axialkraft aus Schrägverzahnung, Zentrifugalkraft) oder durch eine geeignete Wahl des Kraftflusses. Bei der Selbsthilfe lassen sich verschiedene Ausprägungen unterscheiden: x Selbstverstärkung: Bei Normallasten ergibt sich eine Hilfswirkung, die mit der Ursprungswirkung eine verstärkende Gesamtwirkung erzeugt. Der Vorteil liegt in der Kraft- und Leistungsverstärkung. x Selbstausgleich: Hier kann sich bei Normallast eine Hilfswirkung einstellen, die der ursprünglichen Wirkung entgegen wirkt und damit einen Ausgleich schafft, damit das System trotz einer eventuellen Störung betriebsbereit ist. x Selbstschutz: Bei einer Überlast tritt eine Hilfswirkung ein, bei der eine Umverteilung der Hauptgröße stattfindet um das System zu schützen. Die Hilfswirkung ist dabei anderer physikalischer Natur oder ist durch eine andere Kraftleitung als die Ursprungswirkung charakterisiert. Ein Beispiel für die Anwendung des Prinzips der Selbsthilfe im Kontext der Optimierung von Schnittstellen sind Wellendichtungen [Pahl et al. 2005]. Die Dichtung stellt dabei die Schnittstelle zwischen dem rotierenden Teil (Welle) und dem feststehenden Teil (Gehäuse) dar. Hier wird der Betriebsdruck, gegen den abgedichtet werden muss, zur Erzeugung der Hilfswirkung herangezogen. Durch eine geschickte Anordnung werden die Dichtlippen durch den Betriebsdruck stärker an die Welle gepresst (Selbstverstärkung). Das Prinzip findet in ähnlicher Form in schlauchlosen Autoreifen Anwendung.
Abb. 7-10. Prinzip der Selbsthilfe am Beispiel von Wellendichtungen [Pahl et al. 2005]
Schnittstellen sind nach Möglichkeit zu standardisieren, um eine Kompatibilität und Austauschbarkeit verschiedener Komponenten, beispielsweise in einem Baukastensystem zu gewährleisten. Dies unterstützt zum einen die flexible Umgestaltung eines Systems für unterschiedliche Applikationen in der Nutzung als auch den einfachen und damit kostengünstigen Wechsel von Verschleißteilen im Service. Beispiele für standardisierte Schnittstellen sind Einsteckenden von Bohrern und Werkzeugaufnahmen von Bohrmaschinen, Steckerverbindungen zum Anschluss an elektrische Stromnetze und so weiter. Ferner spielen Schnittstellen in der Produktion eine große Rolle, beispielsweise in der Montage beim Fügen von Bauteilen. Gestaltungsrichtlinien zum montagegerechten Konstruieren beziehungsweise „Design for Assembly“ [Pahl et al. 2005, Andreasen et al. 1988] können verschiedene Ziele verfolgen, zum Beispiel das Vereinfachen, Vereinheitlichen und Automatisieren der Montage sowie die Erhöhung der Montagequalität.
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Insbesondere bei der Entwicklung von mechatronischen Produkten [Gausemeier et al. 2006a] kommt der Betrachtung der Schnittstellen eine hohe Bedeutung zu. Dies betrifft sowohl die technischen Schnittstellen im Produkt, als auch die organisatorischen Schnittstellen zwischen den Spezialisten aus den beteiligten Disziplinen wie Maschinenbau, Elektronik und Softwaretechnik.
7.2.3 Wie lassen sich die Produkteigenschaften ermitteln und absichern? Bei der Detaillierung von Baumodellen sind viele gestalterische Parameter festzulegen, die sowohl einzelne Bauteile als auch deren Schnittstellen betreffen. Ergänzungen oder Änderungen beeinflussen dabei die bereits gestalteten Zonen. Auswirkungen im Gesamtsystem sind außerdem oft aufgrund der Vielzahl vernetzter Abhängigkeiten und der damit einhergehenden Komplexität nicht vollständig absehbar. Konstruktive Maßnahmen sind daher mithilfe geeigneter Methoden und Werkzeuge auf ihre Wirkung hinsichtlich der Anforderungserfüllung zu überprüfen. Neben dem Entwicklungsmodell, in dem die Lösung spezifiziert wird (in der Regel in Form eines 3D-CAD-Modells), sind daher Verifikationsmodelle erforderlich, um Produkteigenschaften zu ermitteln und abzusichern.
Abb. 7-11. Verifikationsmodelle am Beispiel Nussknacker [nach von Saucken 2007]
Eine wesentliche Herausforderung bei den Aktivitäten zur Eigenschaftsermittlung und -absicherung ist es, einen angepassten Aufwand zu betreiben und unnötige Iterationen zu vermeiden. Da es sich um ein mehrdimensionales Optimierungsproblem handelt, wird man selten auf Anhieb die optimale Detailgestalt finden. Daher ist der Prozess durch zahlreiche Iterationen zwischen Synthese- und Ana-
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lyseschritten gekennzeichnet. In der Praxis sind jedoch neben den notwendigen Iterationen, die zum Beispiel aufgrund von Informationsdefiziten erforderlich sind, viele unnötige Iterationen zu beobachten [Hutterer 2005]. Diese ergeben sich unter anderem aufgrund von Problemen in der Kommunikation zwischen an der Entwicklung beteiligten Bereichen (zum Beispiel Konstruktion, Berechnung, Versuch). Ein zweiter Grund für unnötige Iterationen sind Medienbrüche, beispielsweise zwischen Prinzipskizze und CAD-Modell, zwischen Geometriemodell und Simulationsmodell oder zwischen dem Ergebnisdokument einer Schwachstellenanalyse und der Maßnahmenliste für die Konstruktion. Diese Medienbrüche können dazu führen, dass wichtige Informationen aus einem Arbeitsschritt nicht als Input für weitere Schritte zur Verfügung stehen. Iterationen innerhalb einer Konkretisierungsebene (Funktionsebene, Wirkebene, Bauebene) sind oftmals für den Erkenntnisgewinn erforderlich. Hier kann mithilfe eines systematischen Vorgehens erreicht werden, die Zahl dieser Iterationen auf das notwendige Maß zu begrenzen. Kritisch sind Iterationen vor allem dann, wenn sie über verschiedene Konkretisierungsebenen hinweg stattfinden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Produktgestalt auf Bauebene festgelegt wurde, sowie eventuell bereits ein Prototypentest erfolgt ist, und dann nochmals eine Anpassung auf Funktionsebene durch die Integration neuer Funktionen in das Produkt notwendig wird. Zur Vermeidung unnötiger Iterationen ist ein gezieltes Wechselspiel zwischen Synthese und Analyse erforderlich. Hierbei ist in jedem Schritt ein angemessener Aufwand zu betreiben. Außerdem müssen die jeweils geeigneten Modelle, Methoden und Werkzeuge herangezogen werden. Die Synthese im Sinne der Festlegung von Gestaltparametern erfolgt auf Bauebene hauptsächlich im CAD-System. Die Analyse im Sinne der Ermittlung relevanter Gestalteigenschaften kann auf unterschiedliche Weise erfolgen: durch Berechnungen und Simulationen, durch Versuche oder durch Einschätzungen von Experten. Unter dem Begriff Berechnungen werden hier alle analytischen Verfahren verstanden, deren Spanne von einfachen Überschlagsrechnungen bis hin zur Ableitung analytischer Zusammenhänge aus empirischen Untersuchungen reicht [Lindemann 2009]. Die Durchführung überschlägiger Rechnungen, beispielsweise auf Basis von Ähnlichkeitsgesetzen, kann durchaus aussagekräftige Ergebnisse liefern, insbesondere wenn die Angabe einer Größenordnung wichtiger ist als präzise Werte. Einfache Überschlagsrechnungen dienen beispielsweise der Ermittlung von Lagerreaktionen oder Spannungen in Bauteilen. Oft können analytische Zusammenhänge auch nur aus empirisch ermittelten Kennfeldern abgeleitet werden. Ein weiterer Ansatz zur Eigenschaftsermittlung ist die Simulation, unter der allgemein die Nachbildung eines Systems mit seinen dynamischen Prozessen in einem experimentierfähigen Modell verstanden wird, um zu Erkenntnissen zu gelangen, die auf die Wirklichkeit übertragbar sind [nach VDI 3633 Blatt 1]. Im Rahmen der Produktentwicklung kommen verschiedenste Simulationsverfahren zum Einsatz. Bei der Finite-Elemente-Methode (FEM) können Körper, die unter dem Einfluss von mechanischer und/oder thermischer Belastung stehen, hinsichtlich ihres Spannungs- und Verformungszustands untersucht werden. Bei der
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Mehrkörper-Simulation (MKS) liegt der Fokus der Analyse auf dem kinematischen beziehungsweise dynamischen Verhalten von Mehrkörper-Systemen. Die Eigenschaftsanalyse durch numerische Simulation bietet eine hohe Flexibilität in der Anwendung und gewinnt in allen Phasen der Produktentwicklung zunehmend an Einfluss. Viele Eigenschaften lassen sich trotz der zunehmenden Virtualisierung nicht mittels Berechnung oder Situation überprüfen. Hier sind Versuche erforderlich, das heißt das Testen von Produkteigenschaften anhand physischer Verifikationsmodelle wie Prototypen oder Nullserienmuster. In frühen Phasen bei Vorliegen erster Lösungskonzepte können mittels Orientierender Versuche wesentliche Eigenschaften grob ermittelt und dabei wertvolle Erkenntnisse gesammelt werden. Versuche in späteren Phasen sind bewusst zu planen, da sie in der Regel einen großen Aufwand (Kosten, Zeit) für das Entwicklungsprojekt bedeuten. Eine Methode zur statistischen Versuchsplanung ist das Design of Experiments (DoE), mit dessen Hilfe ein maximaler Erkenntnisgewinn bei gleichzeitiger Reduzierung des Analyseaufwands angestrebt wird. Es existieren auch Mischformen zwischen Versuch und Simulation. Bei der so genannten Hardware-in-the-Loop (HIL) Untersuchung wird ein reales Bauteil in einer simulierten Umgebung untersucht, beispielsweise bei Motorprüfständen. Eine Methode zur präventiven Fehlererkennung ist die Failure Mode and Effects Analysis (FMEA). Diese dient der Identifikation und Bewertung von vorhandenen und potenziellen Schwachstellen im betrachteten System. Eine derartige Risikoanalyse kann beispielsweise im Rahmen eines moderierten Workshops unter Einbezug von Erfahrungsträgern aus verschiedenen Disziplinen durchgeführt werden. Der Detaillierungsgrad richtet sich nach dem Betrachtungsumfang. Bei der Analyse eines Gesamtsystems, beispielsweise eines Bohrhammers, erfolgt die Systembeschreibung in der Regel gröber, bei der Untersuchung kritischer Baugruppen, beispielsweise des Antriebs des Bohrhammers, wird das System detaillierter analysiert. Hier kann die Betrachtung bis auf einzelne Wirkflächenpaare heruntergebrochen werden, zum Beispiel zwischen Rotorwelle und Lagerring.
Abb. 7-12. Ausschnitt aus einer FMEA für einen elektrischen Antrieb
7.2 Methoden zur Erstellung von Baumodellen
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In der Praxis ist eine optimale Kombination und Verzahnung der unterschiedlichen Analysemethoden im Entwicklungsprozess anzustreben, um dadurch unnötige Iterationen zu vermeiden. Beispielsweise sind die Durchführung von Simulationen und einer Risikobewertung mittels FMEA im Team sinnvoll, bevor physische Prototypen für Versuche aufgebaut werden. Hierdurch lassen sich oftmals Schwachstellen in der Konstruktion frühzeitig erkennen und beheben, bevor eine zeit- und kostenintensive Testschleife durchgeführt wird. Andererseits hat ein Rückfluss von Versuchsergebnissen in die Simulation zu erfolgen, um beispielsweise Lastannahmen in den Simulationsmodellen zu optimieren. Um eine effiziente Kommunikation zwischen den verschiedenen Funktionsbereichen (beispielsweise Konstruktion und numerische Simulation) zu ermöglichen, sowie eine Abstimmung der Aktivitäten in den jeweiligen Bereichen zu gewährleisten, bietet sich unter anderem der Einsatz einer Bauteil-Lastfall-Matrix [Herfeld 2007] an. Diese enthält die für die Konstruktion relevanten Bauteile, die für die Simulation relevanten Lastfälle, und deren gegenseitige Beeinflussung.
Abb. 7-13. Beispiel für eine Bauteil-Lastfall-Matrix [Herfeld 2007]
Der Aufwand für die Ermittlung und Absicherung von Produkteigenschaften hängt letztendlich vom Umfang der Betrachtung und der erforderlichen Genauigkeit der Ergebnisse ab. Bei Versuchen lassen sich orientierende Versuche und Hauptversuche, teilfaktorielle und vollfaktorielle Versuche, Komponententests und Systemtests unterscheiden. Der Aufwand für Simulation und Berechnung hängt unter anderem von der Genauigkeit des FEM-Netzes oder der Komplexität des mathematischen Modells ab. Ein wesentlicher Hebel für einen effizienten Prozess und eine Vermeidung unnötiger Iterationen ist die geschickte Kombination und Verzahnung der verschiedenen Analysemethoden.
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7.2.4 Wie lässt sich die Produktdokumentation erstellen? Der letzte Schritt im Entwicklungsprozess umfasst die Ausarbeitung der Unterlagen für die weiteren Phasen im Produktlebenszyklus, beispielsweise die Fertigung, die Montage, den Transport, die Nutzung, den Service und das Recycling. Die Produktdokumentation beinhaltet daher unter anderem folgende Punkte: x Fertigungsunterlagen zur Herstellung von einzelnen Bauteilen, in Form von technischen Zeichnungen und Stücklisten x Montageanleitungen einschließlich der Montagewerkzeuge, als Grundlage für den Montageprozess in der Produktion x Transportunterlagen inklusive der Definition der Transportverpackung x Verkaufsverpackungen x Werbeunterlagen und Produktkataloge, die unter anderem Bilder des Produktes in seiner Anwendung enthalten x Bedienungsanleitungen für den Anwender, als wichtiger Teil der Zulassung x Trainingsunterlagen für den Vertrieb und die Reparaturmitarbeiter x Reparaturunterlagen als Unterlage für den Reparaturfachmann x Dokumentation zum Recycling beziehungsweise zur Verschrottung Grundlage für eine Strukturierung beziehungsweise Ordnung der Fertigungsunterlagen ist die Produktstruktur [DIN 6789-1] (auch Erzeugnisgliederung genannt [Pahl et al. 2005]), die sich im Zeichnungs- und Stücklistensatz widerspiegelt. Die Produktstruktur kann sich an verschiedenen Gesichtspunkten orientieren, zum Beispiel an Funktions-, Fertigungs- oder Montageaspekten. Um den Arbeitsablauf in der Montage abzubilden, haben sich Montagevorranggrafen [Friedmann 1989] bewährt, aus denen ersichtlich wird, in welcher Reihenfolge das Produkt zu montieren ist. Da eine Erzeugnisgliederung sowohl den Aufbau der Fertigungsunterlagen als auch den Fertigungsfluss stark beeinflusst beziehungsweise umgekehrt von ihr bestimmt wird, hat es sich in der Praxis als zweckmäßig erwiesen, alle beteiligten Betriebsbereiche (Entwicklung/Konstruktion, Normung, Arbeitsvorbereitung, Fertigung, Montage, Einkauf) bei ihrer Aufstellung zu beteiligen. Eine optimale Produktstruktur spielt vor allem auch bei variantenreichen Produkten eine bedeutende Rolle für die Beherrschung der Komplexität. Gesichtspunkte, die bei der Erstellung der Produktdokumentation zu berücksichtigen sind, sind die Gewährleistung der Vollständigkeit der Inhalte für den jeweiligen Zweck und die Vermeidung von Inkonsistenzen. Um Durchgängigkeit und Konsistenz in den Produktdaten zu gewährleisten, wird der Zeichnungssatz für die Produktion zum Beispiel in abgeänderter Form auch für andere Zwecke verwendet: in der Montagestückliste und -anleitung, der Ersatzteilstückliste und der Reparaturanleitung sowie den Bildern der Bedienungsanleitung. Gefährlich ist es, die Bedienungsanleitung zu erstellen, wenn das Produkt nur nahezu fertig ist. Dann kann es passieren, dass letzte Änderungen nicht mehr in die Bedienungsanleitung aufgenommen werden und ein Unterschied zwischen dem Text in der Bedienungsanleitung und den realen Eigenschaften des Produktes besteht.
7.3 Erstellung von Baumodellen für ein Diamant-Trenngerät (2)
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Abb. 7-14. Ausschnitt aus der Bedienungsanleitung: Abbildung zur Montage des Tiefenanschlags in der Schutzhaube des Trenngerätes (mit freundlicher Genehmigung der Hilti AG)
Die Gewährleistung der Vollständigkeit relevanter Produktinformationen ist auch erforderlich für eine effiziente Kommunikation und Kooperation mit externen Partnern, beispielsweise Lieferanten. Dies gilt unter anderem für die Beschreibung der Anforderungen an Lieferanten für Zukaufteile, insbesondere bei kritischen Komponenten. Funktionskritische Komponenten werden in vielen Fällen als 100 Prozent zu prüfende Bauteile beim Lieferanten definiert. Auch die Methode der Prüfung wird dann vorgegeben. Schließlich ist die Eindeutigkeit von Produktinformationen sicherzustellen. Bei der Angabe von technischen Daten des Produktes im Produktkatalog ist es wichtig, den Bezug für die Ermittlung dieser Daten anzugeben. Dies bezieht sich beispielsweise auf die Referenzmethode oder Norm, nach der das Gewicht des Gerätes bestimmt wird. Nach der EPTA-Norm (European Power Tools Association) wird das Arbeitsgewicht eine Elektrogerätes ohne Netzkabel, aber mit Werkzeug bestimmt, im Falle eines Trenngerätes also mit Trennscheibe. Diese Eindeutigkeit ist unter anderem für Vergleiche mit Wettbewerbsgeräten erforderlich.
7.3 Erstellung von Baumodellen für ein Diamant-Trenngerät (2) In der konstruktiven Ausarbeitung des Diamant-Trenngerätes wurden die Themen hohe Schnitttiefe, staubarmes Arbeiten, optimale Ergonomie und hohe Arbeitssicherheit adressiert. Im Folgenden wird dargestellt, wie diese Anforderungen konstruktiv im Baumodell der ersten Prototypen und später im Seriengerät umgesetzt wurden. Die hohe Schnitttiefe wurde erreicht durch ein schlankes, zweistufiges Getriebe. Jeder Millimeter, den das Getriebe schlanker gestaltet wird, ergibt bei konstantem Scheibendurchmesser einen halben Millimeter mehr Schnitttiefe im Beton. Die Getriebeauslegung erforderte einen iterativen Wechsel zwischen Synthese und Analyse, wofür entsprechende Kompetenzen in Konstruktion und Simulation erforderlich waren. Im vorliegenden Fall müssen eine Untersetzung und gleichzeitig eine Umlenkung der Drehenergie erfolgen, zum Beispiel durch Kegelräder. Eine
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einstufige Ausführung erfordert nach grober Abschätzung einen sehr großen Kegelraddurchmesser. Durch die Konzeptentscheidung für ein zweistufiges Getriebe konnte ein Getriebezahnrad mit kleinem Durchmesser in der detaillierten Auslegung gewählt werden, was schließlich in einer deutlichen Verringerung des Getriebedurchmessers gegenüber relevanten Wettbewerbsgeräten resultierte.
Abb. 7-15. Oben: Prinzipskizze zum Einfluss des Getriebedurchmessers auf die Schnitttiefe; unten: Schnittmodell des zweistufigen Getriebes des Trenngerätes (mit freundlicher Genehmigung der Hilti AG)
Ein nahezu staubfreies Arbeiten wurde durch eine geschlossene Haube mit Anschluss an einen Staubsauger realisiert. Die Drehrichtung der Scheibe wurde so gewählt, dass der entstehende Staub vom Anwender weg direkt in den Absaugstutzen geschleudert wird. Dieser Staubtransport wurde im Entwicklungsprojekt mit geschweißten Schutzhauben aus Blech getestet und optimiert. Im Rahmen der Systementwicklung wurden die Parameter „produzierte Staubmenge beim Betonschneiden“ und „Saugleistung des Staubsaugers“ aufeinander abgestimmt. Ein Trenngerät generiert im Einsatz feinen Staub aus dem abgetrennten Material Beton (zum Beispiel 330 mm3/s). Der Staubsauger muss mit seiner Saugleistung in der Lage sein, ausreichend Luft abzuführen, damit diese Staubmenge sicher von der Trennstelle entfernt wird. Die Geometrie des Luftstroms von der Stelle, an der die Scheibe den Beton trennt, über die Haube, durch den Schlauch bis zum Staubsammelbehälter sollte möglichst ohne Ecken und Hindernisse ausgeführt sein, da
7.3 Erstellung von Baumodellen für ein Diamant-Trenngerät (2)
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davon die Saugleistung des Systems beeinflusst wird. Bei zu geringer Saugleistung steht der Anwender in einer Staubwolke, die eine Gefahr für seine Atemwege darstellt und dadurch die Arbeitssicherheit beeinträchtigt. Deshalb wurde eine intensive Abstimmung der Schnittstelle zwischen Trenngerät und Staubsauger sowohl rechnerisch als auch im Versuch durchgeführt. Das Arbeitsgewicht des Trenngerätes wurde durch mehrere Leichtbaumaßnahmen gering gehalten. Zum Beispiel gelang es, eine ausreichend stabile Schutzhaube aus Aluminium-Druckguss zu gestalten. Der Aluminiumdruckguss muss gegenüber einer Stahlhaube jedoch mit Rippen zur Stabilisierung versehen werden. Die Stabilität der Haube testet man im sogenannten „Bersttest“. Dabei wird eine Scheibe vorgeschädigt und dann bei voller Drehzahl in einer Sicherheitszelle zum Bersten gebracht. Die Bruchstücke der Scheibe dürfen nicht in Richtung Anwender fliegen, und die Schutzhaube muss nach dem Berstfall noch intakt sein. Dafür waren Muster und Tests in mehreren Schritten notwendig. Eine ergonomische Arbeitsweise konnte durch die asymmetrische Gestalt des hinteren Handgriffs erzielt werden. Der Griff liegt in der Ebene der Trennscheibe, so dass beim Schieben des Gerätes keine beziehungsweise nur sehr geringe Querkräfte entstehen. Der vordere Handgriff liegt nahe am Schwerpunkt des Gerätes.
Abb. 7-16. Links: Schnitt der Schutzhaube mit Absaugstutzen; rechts: CAD-Modell des Trenngerätes mit Tiefenanschlag und asymmetrischem hinteren Handgriff (mit freundlicher Genehmigung der Hilti AG)
Die Arbeitssicherheit des Gerätes wird gewährleistet durch eine geschlossene, massive Schutzhaube. Zusätzlich bedeckt ein federnder Tiefenanschlag, den man in die Haube einsetzen kann, die rotierende Trennscheibe. Entscheidend für die Funktion des Tiefenanschlags aus Polyamid im Arbeitseinsatz ist, dass er präzise mit wenig Spiel in die Schutzhaube aus Aluminiumdruckguss passt, und sich dort ohne Reibungsstellen bewegen kann. Das Druckgussbauteil Haube und das Kunststoffbauteil Tiefenanschlag wurden dafür einer aufeinander abgestimmten Toleranzrechnung unterzogen.
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Für die Kontrolle beim Anschneiden dienen Stützrollen an der Schutzhaube, über die man das Trenngerät beim Ansetzen am Untergrund führen kann. Diese Rollen verhelfen dem Anwender zu einem sicheren, definierten Kontakt zwischen Gerät und Untergrund.
Abb. 7-17. Fertiges Trenngerät in der Anwendung (mit freundlicher Genehmigung der Hilti AG)
Im Ergebnis waren die Anforderungen erfüllt und eine Differenzierung zu Wettbewerbsprodukten erreicht. Besonders die Merkmale staubfreies Arbeiten, ergonomische Balance des Geräts und hohe Schnitttiefe waren für die Kunden überzeugend.
7.4 Zusammenfassung Baumodelle werden für die der Entwicklung und Konstruktion nachgelagerten Phasen und Zwecke im Produktlebenszyklus erstellt, neben Fertigung und Montage sind dies unter anderem Logistik, Nutzung, Service und Recycling. Hierbei werden die letzten Details des Produktes festgelegt, beispielsweise Oberflächen, Toleranzen und Passungen, sowie alle erforderlichen Dokumente und Unterlagen erstellt. Eine besondere Herausforderung stellt die Vielzahl der vernetzten Anforderungen und DfX-Kriterien dar, die es dabei zu berücksichtigen gilt. Insbesondere den technischen sowie den organisatorischen Schnittstellen kommt dabei eine hohe Bedeutung zu. Zur Ermittlung und Absicherung der Produkteigenschaften ist ein iterativer Wechsel zwischen Synthese und Analyse erforderlich. Durch den Einsatz geeigneter Vorgehensweisen, Methoden und Werkzeuge lassen sich die Iterationsschleifen auf ein erforderliches Maß begrenzen.
Teil B – Produktgestaltung mit Fokus auf Hauptzielsetzungen (Design for X)
Unter dem Begriffen „Design for X“ beziehungsweise „Design to X“ subsumieren sich eine Reihe von Gestaltungsrichtlinien für die Produktentwicklung und Konstruktion. Das „X“ steht dabei als Platzhalter für verschiedene Hauptzielsetzungen, die in der Produktentwicklung verfolgt werden. Diese werden zwar schon in frühen Phasen berücksichtigt, müssen aber gegebenenfalls bei der Konkretisierung der Produktgestalt und der Ausarbeitung der Baumodelle erneut fokussiert werden. So ist eventuell bei der Detailkonstruktion eines Produktes speziell darauf zu achten, dass Fertigung und Montage in optimaler Weise möglich sind, oder dass hinsichtlich der Recyclinganforderungen die passenden Werkstoffe ausgewählt werden. In den folgenden Kapiteln 8 bis 12 werden ausgewählte Aspekte im Sinne einer X-gerechten Produktgestaltung vertieft. Dabei wird auf die Bedeutung des jeweiligen X-Aspektes im gesamten Entwicklungsprozess eingegangen, von der Anforderungsklärung bis zur Erstellung von Baumodellen. Als Orientierung hierfür dient das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM) .
Kapitel 8: Sichere und zuverlässige Produkte – Die Themen Sicherheit und Zuverlässigkeit haben eine grundlegende Bedeutung in der Entwicklung technischer Produkte. Durch Maßnahmen der Sicherheitstechnik werden Gefährdungen und Gefahren sowohl für die Kunden und Nutzer eines Produktes als auch für die Umwelt verhindert oder zumindest minimiert. Im Zusammenhang mit der Produktsicherheit spielen primär rechtliche Aspekte eine Rolle. Zuverlässige Produk-
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Teil B – Produktgestaltung mit Fokus auf Hauptzielsetzungen (Design for X)
te zeichnen sich durch eine hohe Verfügbarkeit aus. Die Zuverlässigkeit zielt vornehmlich auf wirtschaftliche Aspekte ab. Kapitel 9: Gewichtsoptimierte Produkte – Das Produktgewicht steht in unmittelbarem Interesse sowohl des Nutzers als auch des Herstellers. In vielen Branchen ist die Reduktion des Produktgewichtes eine wichtige Anforderung, beispielsweise im Flugzeug- und Automobilbau. Ein zu schweres Produkt führt unter anderem zu Problemen im Betrieb (hoher Energieverbrauch, hohe Betriebskosten) und anderen Phasen im Lebenszyklus (hohe Fertigungs- und Transportkosten). Das Gewicht des Produktes spielt darüber hinaus bei dynamischen Überlegungen überall dort eine Rolle, wo Objekte beschleunigt und verzögert werden müssen. Kapitel 10: Montagegerechte Produkte – Die Montage spielt im Produktlebenszyklus eine wichtige Rolle in Bezug auf Kosten, Zeit und Qualität des Produktes. Das Ziel einer montagegerechten Produktgestaltung bezieht sich auf die Eignung des Produktes für die Montage und steht damit im unmittelbaren Herstellerinteresse. Es herrschen vielfältige Wechselbeziehungen zwischen dem Produkt, der Montageanlage und dem Montageprozess. Daher sind alle diese Aspekte integriert zu betrachten, um eine hohe Prozessqualität zu erreichen und sowohl Montagekosten als auch Montagezeiten gering zu halten. Kapitel 11: Variantengerechte Produkte – Die Variantenvielfalt nimmt sowohl auf Gesamtsystem- als auch auf Bauteilebene ständig zu. Hier ist ein Optimum zu finden zwischen externer Vielfalt, die vom Kunden gefordert wird, und interner Vielfalt, die es nach Möglichkeit zu reduzieren gilt. Die Variantenvielfalt hat sowohl Auswirkungen auf Nutzerziele (beispielsweise eine Gewichtserhöhung aufgrund Modulbauweise mit zusätzlichen Schnittstellen) sowie auf Herstellerziele (zum Beispiel die Montagegerechtheit von Produkten in Modulbauweise). Daher kommt dem Variantenmanagement im Unternehmen, also der Beherrschung und gezielten Beeinflussung der Variantenvielfalt, eine hohe Bedeutung zu. Hier steht vor allem die variantengerechte Produktgestaltung im Fokus. Kapitel 12: Nachhaltige Produkte – Durch die zunehmende Knappheit von Ressourcen und Belastungen der Umwelt gewinnt eine nachhaltige Produktentwicklung an Bedeutung. Das zunehmende Umweltbewusstsein in der Gesellschaft schlägt sich auch in der Entwicklung ökologisch nachhaltiger Produkte nieder. Produkte sind hinsichtlich ihrer Energiebilanz zu optimieren und die Wechselwirkungen mit der Umwelt zu reduzieren, sowohl was die Nutzung von Ressourcen als auch die Erzeugung von Emissionen anbelangt. Von großer Wichtigkeit ist es in diesem Zusammenhang, den Produktlebenszyklus ganzheitlich zu antizipieren und somit mögliche Umweltschädigungen des (weiter) zu entwickelnden Produktes frühzeitig zu identifizieren.
8 Sichere und zuverlässige Produkte
Der Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und vor allem der Sicherheit eines Produktes wird vom Markt eine sehr hohe Bedeutung beigemessen. Die Produktentwicklung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Gewährleistung dieser Produkteigenschaften. Der gezielte Einsatz geeigneter Methoden und Modelle auf den verschiedenen Ebenen der Produktkonkretisierung unterstützt den Entwickler dabei. Die Eigenschaften Sicherheit und Zuverlässigkeit haben viele Gemeinsamkeiten. Ihre Aspekte beschreiben immer ein zukünftiges Verhalten unter vereinbarten oder festgelegten Bedingungen und tragen damit Wahrscheinlichkeitscharakter. Sie unterscheiden sich darin, dass Aspekte der Sicherheit nur eine Teilmenge der Zuverlässigkeit umfassen, nämlich die Ereignisse und Zustände, die zu Gefährdungen von Mensch, Maschine und Umwelt führen können. Während die Zuverlässigkeit eine berechenbare Größe darstellt, spielt bei der Sicherheit auch die subjektive Akzeptanz von Individuen und der Gesellschaft eine Rolle.
8.1 Sicherheit und Zuverlässigkeit von Windkraftanlagen Die Bedeutung der Windenergie und die Größe der zu ihrer Nutzung eingesetzten Windkraftanlagen sind in den letzten Jahren rasant angestiegen. Von 1998 bis 2008 hat sich die installierte Windleistung in Deutschland mehr als verachtfacht, die durchschnittliche Nennleistung der installierten Anlagen ist im gleichen Zeitraum um den Faktor zwei auf 1,92 MW gestiegen. Seit August 2009 speisen die ersten Offshore-Anlagen das deutsche Energienetz, durch deren Ausbau diese Leistungen noch weiter steigen werden. Die größten Anlagen verfügen heute über eine Leistung von 6 MW, wobei die ideale Größe für ein gesamtwirtschaftliches Optimum noch nicht abzusehen ist [BMU 2009]. Es wurde jedoch beobachtet, dass die Schadenhäufigkeit der im Betrieb befindlichen Windkraftanlagen relativ hoch ausfällt und damit die Lebensdauer einer Vielzahl von Anlagen deutlich unter den erwartenden Werten zurückbleibt. Dabei wurden Schäden an unterschiedlichen Baugruppen, wie Rotorblättern, mechanischem Antriebsstrang und dem elektrischen System festgestellt. Einen Schwerpunkt der Schäden stellen jedoch die mechanischen Komponenten dar. Hierbei sind insbesondere die eingesetzten Getriebe zu nennen [Bauer et al. 2005].
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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8 Sichere und zuverlässige Produkte
Abb. 8-1. Baugruppen und Schäden an Windkraftanlangen [nach Johnson 2003]
Die Belastungen des mechanischen Antriebsstranges sind durch die vorherrschende Antriebscharakteristik mit schnell und häufig wechselnden Drehzahlen und Drehmomenten hoch dynamisch und nur schwer vorhersehbar. Dies führt dazu, dass die bekannten Modelle zur Berechnung und Auslegung der Getriebe nur sehr begrenzt auf Windkraftanlagen übertragen werden können, da die realen Bedingungen nicht in ausreichender Weise wiedergegeben werden. Zudem können infolge der rasanten Leistungssteigerung kaum Erfahrungen aus kleineren Baureihen genutzt werden. Dies führt in Kombination mit den ebenfalls schwierigeren Umweltbedingungen und den aufwändigeren Wartungs- und Reparaturmöglichkeiten zu den beobachteten hohen Schadensraten und geringen Lebensdauern der Anlagen. Die Art der auftretenden Schäden im mechanischen System betreffen beispielsweise Laufbahnschälungen der Lager sowie Graufleckigkeit und Flankeneinbrüche der Verzahnungen [Bauer et al. 2005, Bauer et al. 2007]. Neben diesen mechanischen Schäden treten weiterhin Fehler im elektrischen System wie im Generator oder der Steuer- und Leistungselektronik auf. Diese Schäden sind teilweise auf Blitzschlag zurückzuführen, der entweder eine Beschädigung der Rotorblätter hervorruft oder einen Schaden der Elektrik. Ein großes Problem in diesem Zusammenhang stellt ein Brand in einer Windkraftanlage dar. Da aufgrund der Turmhöhen ein Löschen meist nicht möglich ist, kommt daher nur ein kontrollierter Abbrand in Frage, was in vielen Fällen einem Totalverlust der Anlage entspricht. Es existieren bereits Lösungen zum Einfangen von Blitzen über spezielle Rezeptoren und zum kontrollierten Ableiten der hohen Ströme (über 100 kA) durch das Innere der Rotorblätter [Gasch et al. 2009]. Jedoch werden ältere Anlagen meist nicht entsprechend nach- oder umgerüstet, so dass dieser Schadenfall immer noch auftritt.
8.1 Sicherheit und Zuverlässigkeit von Windkraftanlagen
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Abb. 8-2. Schäden an Windkraftanlagen (mit freundlicher Genehmigung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherer (links) und der Allianz AG (rechts) 2008)
Die aufgezeigte hohe Bedeutung der Zuverlässigkeit und die damit verbundenen Probleme sind bei Offshore-Anlagen deutlich ausgeprägter. Damit trotz der meteorologisch bedingten erschwerten oder zeitweise unmöglichen Erreichbarkeit vor allem in den Wintermonaten eine hohe Verfügbarkeit der Anlagen erreicht werden kann, müssen sämtliche damit verbundenen Komponenten bezüglich ihrer Zuverlässigkeit, Zugänglichkeit, Wartungs- und Servicefreundlichkeit optimiert werden. Hinzu kommen die deutlich erschwerten Randbedingungen durch die hohe Luftfeuchtigkeit, den hohen Gehalt an salzhaltigen Wassertropfen in der Luft sowie dem ebenfalls salzigen Spritzwasser (Gischt), welche einen wirksamen Schutz aller Teile gegenüber Korrosion und weiteren schädlichen Ablagerungen erfordern. Dies gilt vor allem für sämtliche Komponenten des elektrischen und elektronischen Systems [Kaltschmitt et al. 2006]. Neben diesen hohen Zuverlässigkeitsanforderungen ist außerdem die Sicherheit der Anlagen von starkem Interesse. Es muss gewährleistet sein, dass bei einer Kollision mit Schiffen nicht das Schiff durch Beschädigungen an der Anlage weiter gefährdet wird. Außerdem sind Notfallrettungsräume in der Windkraftanlage erforderlich, in denen sich Personen auch über einen längeren Zeitraum aufhalten können, falls die Anlage aufgrund der Wettersituation nicht erreichbar ist [Kaltschmitt et al. 2006]. Ein weiterer Gesichtspunkt vor allem in kälteren Regionen ist die Bildung von Eisablagerungen auf den Rotorblättern. Je nach Wettersituation können sich kontinuierliche Eisschichten von mehreren Zentimetern Dicke aufbauen. Dies führt primär zu einer Veränderung der Strömungsverhältnisse, wodurch sich die Energieausbeute verschlechtert. Ferner werden durch die teilweise erheblichen ungleichmäßig verteilten zusätzlichen Massen starke statische und dynamische Lasten erzeugt, welche aufgrund der entstehenden Vibrationen eine Schädigung des mechanischen Triebstranges hervorrufen und zur Notabschaltung der Anlage füh-
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ren. Die abgelagerten Eisschichten stellen außerdem ein erhebliches Sicherheitsrisiko für Personen und Güter in der Umgebung der Anlage dar. Die Eisbrocken können mit erheblichen Geschwindigkeiten abgeworfen werden und bis zu 100 Meter weit fliegen. Insbesondere gilt dies für Anlagen, die sich in der Nähe von Straßen und Autobahnen befinden. Es sind daher entsprechende Enteisungsmaßnahmen notwendig, zum Beispiel elektrische Widerstandsheizungen in der Rotorblattvorderkante nach dem Vorbild des Flugtragflügels [Hau 2008]. Andernfalls ist die Anlage stillzusetzen, was sich negativ auf die Verfügbarkeit und die Energieausbeute auswirkt [Durstewitz 2003, Volkmer et al. 2006].
Abb. 8-3. Links: Vereisungen an Rotorblättern (mit freundlicher Genehmigung von M. Durstewitz, Institut für Solare Energieversorgungstechnik); rechts: Heizelemente zur Rotorblattenteisung [Hau 2008]
Das Beispiel der Windkraftanlagen zeigt, dass es für Entwickler von erheblicher Bedeutung ist, die Anforderungen an Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer Produkte zu kennen und in der Produktgestaltung zu berücksichtigen. Hierbei ist es vor allem wichtig die genauen Einsatzbedingungen und Betriebszustände zu kennen, da ansonsten eine zuverlässige und sichere Auslegung nicht möglich ist. Weiterhin müssen sämtliche Fälle von möglichen Störungen, Schäden oder Gefährdungen und deren Auswirkungen abgeschätzt werden. Gerade bei hochkomplexen und völlig neuartigen Produkten ist daher eine systematische und strukturierte Vorgehensweise unumgänglich.
8.2 Maßnahmen zur Gestaltung sicherer und zuverlässiger Produkte Die Themen Sicherheit und Zuverlässigkeit haben eine grundlegende Bedeutung in der Entwicklung technischer Produkte. Der Stellenwert von Zuverlässigkeit ist für viele Kunden ein wesentliches Kriterium zur Gesamtbeurteilung eines Produktes. Bei Kundenbefragungen wird sie daher regelmäßig an erster oder zweiter Stelle genannt [Bertsche et al. 2004]. Nach [Pahl et al. 2005] ist „sicher“ eine der drei
8.2 Maßnahmen zur Gestaltung sicherer und zuverlässiger Produkte
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Grundregeln für die Gestaltung erfolgreicher Produkte und bezieht sich sowohl auf die Funktionserfüllung als auch den Schutz von Mensch und Umwelt. Zuverlässigkeit ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Betrachtungseinheit (Produkt, Verfahren) während einer definierten Zeitdauer unter angegebenen Funktions- und Umgebungsbedingungen nicht ausfällt [nach VDI 4001, Bertsche et al. 2004]. Sicherheit ist eine immaterielle Eigenschaft eines Produktes, die bewirkt, dass innerhalb der vorgesehenen Lebensdauer und der festgelegten Betriebsbedingungen vom Produkt oder Verfahren keine Gefährdungen für Mensch, Maschine und Umwelt beziehungsweise keine höheren Risiken als das akzeptierte Restrisiko ausgehen [nach Neudörfer 2005]. Sicherheit und Zuverlässigkeit haben viele gemeinsame Aspekte und beeinflussen sich teilweise gegenseitig. Beide Eigenschaften beziehen sich immer auf das zukünftige Verhalten eines Produktes unter definierten Randbedingungen und besitzen somit einen Wahrscheinlichkeitscharakter. Der grundsätzliche Unterschied besteht jedoch darin, dass bei Überlegungen zur Zuverlässigkeit im Wesentlichen wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen, während Sicherheitsstrategien darauf ausgerichtet sind ein akzeptiertes Risiko für Menschen, Maschine und Umwelt zu gewährleisten. Die Sicherheit eines Produktes hat folglich auch einen starken rechtlichen Aspekt [Neudörfer 2005]. Das Ziel der Sicherheitstechnik ist es, die Gefahren unterhalb des vereinbarten Grenzrisikos zu bringen. Unter Gefahr wird im sicherheitstechnischen Sinn ein objektiv vorhandenes Potenzial verstanden, aus dem sich Beeinträchtigungen, Schäden oder Unfälle ergeben können. Eine Gefährdung entsteht, wenn ein zeitliches und räumliches Zusammentreffen der konkreten Gefahren und des Menschen möglich ist. Das Risiko ist schließlich die hieraus abgeleitete Wahrscheinlichkeitsaussage zu den Gefährdungen von Mensch, Maschine und Umwelt und deren Schwere [nach Neudörfer 2005]. Ein Risiko wird somit durch die Häufigkeit und den Umfang des zu erwartenden Schadens beschrieben.
Abb. 8-4. Zusammenhang von Gefahr, Gefährdung und Risiko [nach Neudörfer 2005]
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Die Maßnahmen zur Sicherheit zielen darauf ab, eine Situation zu schaffen, in der das Risiko kleiner als das gerade noch vertretbare und akzeptierte Risiko eines technischen Vorgangs oder Zustandes ist. Der Idealzustand einer völligen Sicherheit im Sinne von Freisein von Gefahren kann somit nie erreicht werden. Es muss dem Entwickler bewusst sein, dass stets ein gewisses Restrisiko verbleibt. Es werden lediglich die technischen und wirtschaftlichen Grenzen angestrebt, die aber nie vollständig erreicht werden können. Die Betrachtungen zur Sicherheit beziehen sich im Wesentlichen auf drei Bereiche [Pahl et al. 2005, VDI 2244]. Die Betriebssicherheit umfasst Einschränkungen von Gefährdungen beim Betrieb von technischen Systemen, so dass sie selbst oder die Umgebung keinen Schaden nehmen. Die Arbeitssicherheit beschäftigt sich mit Maßnahmen zur Verminderung von Gefährdungen von Menschen beim Gebrauch eines technischen Systems. Die Umweltsicherheit soll sicherstellen, dass die Umwelt des Systems keinen Schaden nimmt. Um diese Ziele zu erreichen, werden Schutzmaßnahmen eingesetzt, welche die Aufgabe haben das Risiko auf ein akzeptiertes Niveau zu reduzieren.
Abb. 8-5. Zusammenhang von Sicherheit und Zuverlässigkeit [nach Pahl et al. 2005]
Im Gegensatz dazu haben Betrachtungen zur Zuverlässigkeit das Ziel, die Funktionsfähigkeit von Bauteilen oder eines gesamten technischen Systems innerhalb eines bestimmten Zeitraums unter definierten Rand- und Einsatzbedingungen zu gewährleisten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Verfügbarkeit eines Systems, welche als Maß für die Zuverlässigkeit einer Maschine oder Anlage herangezogen wird. Verfügbarkeit ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich ein System während einer definierten Zeitspanne in einem funktionsfähigen Zustand befindet, wenn es vorschriftsmäßig betrieben und instandgehalten wurde [Bertsche et al. 2004].
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Die Verfügbarkeit ist somit das Verhältnis aus der Zeit, in der das System zur Nutzung zur Verfügung steht, zur vereinbarten Zeitdauer. Sie wird in den meisten Fällen vertraglich festgelegt. Von entscheidender Bedeutung für Entwickler und Kunden ist, welche Auswirkungen die Nichtverfügbarkeit eines Systems hat. So kann bei Ausfall einer Produktionsanlage der gesamte Herstellprozess zum Stillstand kommen. Wichtig sind bei diesen Betrachtungen ebenfalls die Instandhaltbarkeit und die Reparierbarkeit, die ebenfalls Einfluss auf die Verfügbarkeit eines Systems haben. Die verfügbare Zeit beispielsweise einer Werkzeugmaschine ergibt sich aus der festgelegten Betriebszeit abzüglich der Zeiten für unvorhergesehene Reparaturen infolge von Bauteilausfällen, Wartezeiten auf erforderliche Ersatzteile sowie geplanten Wartungsarbeiten, welche innerhalb der vorgesehenen Betriebszeit durchgeführt werden. Bei den Überlegungen zur Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit eines Systems spielen daher in erster Linie Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen eine Rolle. Im Entwicklungsprozess ist es erforderlich, die Sicherheit und Zuverlässigkeit eines Produktes zu analysieren und zu bewerten. Dabei muss unter anderem beurteilt werden, welche Auswirkungen ein Fehler im Konzept oder der Gestalt auf die Sicherheit des Systems hat. Eine Herausforderung ist es hierbei, dass es nicht möglich ist, die von den Ausfällen von Bauteilen ausgehenden Gefahren exakt vorauszusagen. Sie sind somit immer von stochastischer Natur und es können lediglich übergeordnete Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden. Bei der Ermittlung von Anforderungen an die Sicherheit technischer Produkte spielen vor allem rechtliche Aspekte eine Rolle. Wichtige Quellen für Sicherheitsanforderungen sind Richtlinien, Gesetze und Normen. Bei der Klärung der Anforderungen an die Zuverlässigkeit eines Produktes geht es primär darum, ein wirtschaftliches Optimum über den gesamten Produktlebenszyklus zu erreichen. Auf Funktionsebene können durch die Strukturierung des Systems auf abstrahiertem Niveau die Voraussetzungen für eine qualitative und quantitative Zuverlässigkeitsermittlung geschaffen werden. Auf Wirk- und Bauebene stehen zahlreiche Prinzipien und Maßnahmen für die Generierung von zuverlässigen und sicheren Lösungskonzepten sowie Gestaltlösungen zur Verfügung.
8.2.1 Wie lassen sich die Sicherheit und Zuverlässigkeit eines Systems analysieren und bewerten? Die Entwicklung zuverlässiger Produkte erfordert eine Vielzahl von Maßnahmen während der gesamten Entwicklung von der ersten Produktidee bis hin zur Planung der Serienfertigung. Nur eine durchgängige Berücksichtigung der Zuverlässigkeit garantiert die Qualität des Produktes während seines Einsatzes. Dies beinhaltet Analysen, Berechnungen, Simulationen, Versuche und die Beobachtung der Endprodukte sowohl auf Ebene von Bauteilen und Baugruppen als auch für das Gesamtsystem.
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Zur Ermittlung der Zuverlässigkeit von technischen Systemen können zwei grundlegend unterschiedliche Ansätze unterschieden werden. Bei der qualitativen Analyse wird systematisch und erfahrungsbasiert nach Schwachstellen und ihren Auswirkungen auf das System gesucht. Hierfür haben sich in der Praxis beispielsweise die Methoden Fehlerbaumanalyse (Fault Tree Analysis, FTA) und Failure Mode and Effects Analysis (FMEA) bewährt [Bertsche et al. 2004, Maurer 2011]. Diese Methoden liefern dabei lediglich eine rein qualitative Aussage über die Zuverlässigkeit eines Systems und die Auswirkungen eines möglichen Fehlverhaltens. Die quantitative Analyse strebt hingegen eine quantitative Prognose des erwarteten Systemausfallverhaltens an. Die Zuverlässigkeit beziehungsweise das Ausfallverhalten werden dabei mit Methoden der Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie (Boole, Markoff) berechnet. Außerdem kann auch hier die Fehlerbaumanalyse in angepasster Form eingesetzt werden. Die zu untersuchenden Produkte werden dazu als Systeme betrachtet. Das Ausfallverhalten einzelner Systemelemente (Baugruppen, Bauteile) kann zum Beispiel aus Versuchs- und Simulationsergebnissen abgeleitet werden. Das Ausfallverhalten des Gesamtproduktes kann aus einer Systembetrachtung gewonnen werden, welche die Zuverlässigkeiten der Bauelemente nach definierten Regeln verknüpft.
Abb. 8-6. Möglichkeiten zur Analyse von Zuverlässigkeit und Systemfehlverhalten [nach Bertsche et al. 2004]
Die abstrakte Beschreibung von Systemen kann mithilfe der Logik und der Schaltungstechnik durchgeführt werden. Diese Betrachtung mit logischen Symbolen unter Beachtung der logischen Gesetzmäßigkeiten (Rechenregeln) dient der exakten und nachvollziehbaren Abbildung von Systemen. Sie schafft damit die Grundlage für verschiedene Berechnungen, wie zum Beispiel die Berechnung von Bauteilzuverlässigkeiten oder Ausfallraten und -wahrscheinlichkeiten. Diese Beschreibungsform führt weiterhin zu einem besseren Verständnis des Systems und dem Erkennen von Zusammenhängen und Abhängigkeiten.
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Zur Darstellung dieser Systeme können Tabellen, Symbole und Gleichungen verwendet werden, die miteinander verknüpft werden. In der Booleschen Algebra existiert eine Reihe von Theoremen, die zur Berechnung beziehungsweise Vereinfachung der resultierenden Gleichungen verwendet werden. Beispielweise eignen sich Karnaugh-Diagramme zur Vereinfachung von logischen Schaltnetzwerken [Beuth 2006]. Im Folgenden wird auf die Berechnung der Zuverlässigkeit und die dazu verwendeten Kenngrößen eingegangen.
Abb. 8-7. Formeln zur Berechnung der Zuverlässigkeit
Die Zuverlässigkeit oder Überlebenswahrscheinlichkeit eines Systems ist definiert als die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das System während einer definierten Zeitdauer unter gegebenen Randbedingungen nicht ausfällt. Die empirische Zuverlässigkeitsfunktion R(t) gibt den zeitlichen Verlauf der Zuverlässigkeit R an. Sie kann aus dem Verhältnis von überlebenden Einheiten zur Zahl der Ausgangsysteme berechnet werden. Die Ausfallwahrscheinlichkeit F(t) ist der zur Überlebenswahrscheinlichkeit komplementäre Begriff. Die Summe der Ausfälle und die Summe der noch intakten Einheiten ergeben zu einem Zeitpunkt t stets 100 Prozent. Unter der Ausfallrate Ȝ(t) versteht man das Verhältnis der durchschnittlichen Zahl von Ausfällen pro Zeit zur Zahl der überlebenden Systeme. Zur Vereinfachung kann davon ausgegangen werden, dass eine konstante Anzahl von Ausfällen je Zeiteinheit vorliegt. Im Falle eines sehr ausgereiften Produktes kann weiterhin angenommen werden, dass nur eine geringe Anzahl an Ausfällen im Betrachtungszeitraum auftritt. Somit kann die Zuverlässigkeit vereinfacht direkt aus der Ausfallrate berechnet werden.
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Der tatsächliche Verlauf der Ausfallrate über der Zeit ist die typische Badewannenkurve. Zu Beginn der Einsatzdauer treten verstärkt Frühausfälle zum Beispiel infolge Montage- oder Fertigungsfehlern auf. Anschließend sinkt die Ausfallrate auf ein stabiles Niveau ab, um zum Ende der Lebensdauer wieder anzusteigen. In dieser Phase treten Verschleiß- und Ermüdungsausfälle auf. Bei der Berechnung von Gesamtsystemen können zwei unterschiedliche Schaltungsarten der Systemelemente unterschieden werden. Voneinander unabhängige, funktionserfüllende Elemente werden in Reihenschaltung angeordnet. Dies hat zur Folge, dass beim Ausfall eines Elementes das gesamte System versagt. In Systemen, die die Erfüllung ein und derselben Aufgabe auf verschiedenen Wegen zulassen, sind die einzelnen Elemente in einer Parallelschaltung angeordnet und werden auch als redundant bezeichnet. Die Zuverlässigkeit ist bei diesen Systemen höher, da der Ausfall eines Elementes nicht zwangläufig zum Versagen des Gesamtsystems führt. Neben den Betrachtungen zur Zuverlässigkeit müssen auch Aussagen über die Sicherheit eines Systems getroffen werden. Die Gefährdungsanalyse dient neben der Identifikation von Gefährdungen und Risiken auch zum Festhalten notwendiger Maßnahmen und Prüfungen sowie zur Erfassung sicherheitsrelevanter Benutzerinformationen. Die Durchführung einer Gefährdungsanalyse ist festgelegt in der EG-Maschinenrichtline und Voraussetzung für eine CE-Kennzeichnung. Die Gefährdungsanalyse besteht aus folgenden Schritten: x x x x x
Definition des Anwendungsbereiches der Maschine Identifikation der Gefährdung Abschätzung des Risikos durch die Gefährdung Definition der zu erreichenden Schutzziele Bestimmung der Anforderungen und Maßnahmen zur Beseitigung der Gefährdung und zur Begrenzung des Risikos x Feststellung der Übereinstimmung mit den festgelegten Anforderungen und Maßnahmen Es sind zwei Arten der Gefährdungsanalyse zu unterscheiden: die prospektive (vorausschauende) und die retrospektive (nachträgliche) Gefährdungsanalyse. Während prospektiv Risiken und damit verbundene mögliche Gefährdungen betrachtet werden, behandelt man retrospektiv die Ursachen bereits eingetretener Gefährdungen. In Folge jeder dieser Analyse-Arten werden konstruktive Maßnahmen eingeleitet. Generell gilt, dass bei Konstruktionen mit hohem Neuheitsgrad eher vorausschauende Methoden, bei Anpassungs- und Variantenkonstruktionen eher nachträgliche Methoden eingesetzt werden [Neudörfer 2005].
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Abb. 8-8. Verfahren zur Gefährdungsanalyse [nach Neudörfer 2005]
Eine verkürzte Gefährdungsanalyse ist dann möglich, wenn eine Maschine entsprechend einer Produktnorm gebaut wird. Ansonsten muss eine ausführliche Gefährdungsanalyse durchgeführt werden. Für die Risikobewertung, wie sie im Rahmen einer Gefährdungsanalyse durchzuführen ist, haben sich analytische Verfahren, multiplikative Verfahren und Risikografen bewährt [Neudörfer 2005]. Analytische Verfahren finden vor allem in Bereichen mit hohem Gefährdungspotenzial wie etwa in der Luft- und Raumfahrttechnik sowie Kerntechnik Anwendung. Mit Methoden wie der Fehlerbaumanalyse kann die Vernetzung von Gefährdungen in einem komplexen System transparent gemacht werden. Bei multiplikativen Verfahren steht die Quantifizierung des Risikos im Vordergrund. Zur Charakterisierung der Höhe des Risikos wird eine Kennzahl, oft auch als Risikoprioritätszahl (RPZ) bezeichnet, verwendet. Die Risikoprioritätszahl erhält man durch Multiplikation der Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung eines schädlichen Ereignisses. Ab einer bestimmten Höhe der Risikoprioritätszahl müssen geeignete Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet werden. Es ist zu beachten, dass sich diese Kennzahl von der FMEA Risikoprioritätszahl unterscheidet. Mit der FMEA ist ebenfalls eine Bestimmung des Risikos einer Komponente möglich, jedoch zielt diese Art der Analyse auf die Qualitätssicherung ab. Die Gefährdungsanalyse berücksichtigt hingegen den Zusammenhang zwischen Gefahr und menschlicher Interaktion. Die Abschätzung des Risikos mithilfe von Risikografen erfolgt über ein geeignetes Zuordnungs- und Klassifizierungsschema sowie unter Verwendung eines Entscheidungsbaums. Diese ermöglichen es somit, das Risiko auf Grundlage einiger weniger charakteristischer Parameter abzuschätzen. Die sinnvolle Kombination der vier verwendeten Beurteilungskriterien Schadensausmaß, Aufenthaltsdauer, Gefahrenabwendung und Eintrittswahrscheinlichkeit führt zur Einordnung in acht Risikoanforderungsklassen.
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8.2.2 Wie lassen sich Sicherheits- und Zuverlässigkeitsanforderungen ermitteln? Die Ermittlung von Anforderungen zur Zuverlässigkeit eines technischen Systems ist zumeist darauf ausgerichtet, die Gesamtkosten des Produktes über den kompletten Produktlebenszyklus hinweg (Lebenslaufkosten) zu minimieren, sofern nicht Sicherheitsanforderungen widersprechen. Hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit sind stets mit Aufwand und damit auch Kosten verbunden. Gleichzeitig sinken bei hoher Zuverlässigkeit Garantie-, Reparatur- und Instandhaltungskosten, so dass ein Optimum gefunden werden kann. Es reicht dabei zumeist nicht aus, lediglich die Herstellkosten zu optimieren, da die Zuverlässigkeit einerseits hohen Einfluss auf die Wahrnehmung durch den Kunden hat und andererseits häufig Vertragsbestandteil ist.
Abb. 8-9. Abhängigkeit von Zuverlässigkeit und Kosten [nach Bertsche et al. 2004]
Eine wichtige Quelle für die Ermittlung von Anforderungen in Bezug auf die Zuverlässigkeit des zu entwickelnden Produktes ist die Analyse bestehender Systeme. Hierbei existieren jedoch zahlreiche Herausforderungen. Insbesondere ist hier die mangelnde Verfügbarkeit an konkreten Informationen hinsichtlich der Zuverlässigkeit von Produkten, Baugruppen und einzelnen Bauteilen zu nennen. Folgende Aspekte sind vielfach nur unzureichend bekannt: x Beanspruchungskollektive (mechanische Lasten, Temperatur und so weiter) x Ausfallverhalten beziehungsweise „Lebensdauer-Verteilungen“ funktionskritischer oder risikoreicher Bauteile x Zusammenhang zwischen der Lebensdauer im Ein-Stufen-Versuch (Wöhlerlinie) und Lastkollektiven (Lebensdauerlinie) x Verhalten der Bauteile bei gegenseitiger Abhängigkeit im System Es liegen dem Entwickler häufig nur ungenügende Aufzeichnungen, Auswertungen und Zusammenfassungen von Ausfalldaten während der Entwicklung, Prototypenerprobung und beim Kunden vor. Es fehlen zuverlässigkeitsorientierte Datenbanken, auf die bei Bedarf zugegriffen werden kann. Hinzu kommt der Umstand, dass Untersuchungen zur Zuverlässigkeit in der Regel langwierig und kostspielig sind, da sie stets eine statistische Absicherung erfordern.
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Bei der Festlegung von Anforderungen zur Sicherheit technischer Produkte spielen vornehmlich rechtliche Aspekte eine Rolle. Alle Tätigkeiten eines Entwicklers sind von den drei großen Rechtsgebieten öffentliches Recht, Zivilrecht und Strafrecht betroffen. Der Entwickler trägt Verantwortung für die von ihm entworfenen Produkte, die aus der Entwicklung resultierenden Fehler im Produkt und die daraus entstehenden Schäden. Tritt ein Schadensfall ein, kann der verantwortliche Entwickler je nach Sachlage haftbar sein.
Abb. 8-10. Rechtsfolgen von Konstruktionsfehlern [nach Neudörfer 2005]
Eine wichtige Quelle für Sicherheitsanforderungen sind CE-Richtlinien (Communautés Européennes), die von der Europäischen Union verabschiedet und von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Ihre Beachtung und Umsetzung ist daher für alle Hersteller, Importeure und Händler juristisch verbindlich. Durch die Anbringung einer CE-Kennzeichnung [93/68/EWG], wie sie für den Verkauf sämtlicher Maschinen und Anlagen (Fahrzeuge ausgenommen) innerhalb der Europäischen Union verpflichtend ist, erklärt der Hersteller die Übereinstimmung mit den geltenden Richtlinien. Die Verantwortung tragen die Unterzeichner (üblicherweise die Verantwortlichen für Entwicklung und Produktion) persönlich. Für Maschinen- und Anlagenhersteller sind die wichtigsten zu beachtenden Richtlinien: x x x x x
Maschinenrichtlinie [98/37/EWG] Niederspannungsrichtlinie [73/23/EWG] Elektromagnetische Verträglichkeit [89/336/EWG] Produktsicherheitsrichtlinie [92/59/EWG] Produkthaftungsrichtlinie [85/374/EWG]
In diesen Richtlinien ist beispielsweise die Durchführung einer Gefährdungsanalyse mit anschließender Risikobewertung und die Ableitung geeigneter Sicherheitsmaßnahmen verbindlich in Maschinenrichtlinien vorgeschrieben und damit eine Voraussetzung für die CE-Kennzeichnung. Bei der Durchführung der Gefährdungsanalyse sind dabei sowohl beabsichtigte als auch unbeabsichtigte sicherheitsgefährdende Handlungen des Benutzers zu berücksichtigen.
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Nach dem Produkthaftungsgesetz als nationale Umsetzung der Produkthaftungsrichtlinie ist jeder Hersteller bereits bei Entwicklung und Herstellung verpflichtet, den neuesten Stand der Technik und Wissenschaft sowie Fehlgebrauch zu berücksichtigen und Neuentwicklungen zu testen. Außerdem ist eine fortlaufende Kontrolle der Produktion notwendig. Weiterhin sind verständliche Instruktionen, Warnungen vor Gefahren sowie Hinweise auf den Gefährdungsumfang und das Restrisiko zu verfassen. Über die gesamte Nutzungsdauer besteht die Verpflichtung zur Produktbeobachtung im gesamten Vertriebsgebiet auch in Kombination mit anderen Produkten. Bei einem ernsthaften Verdacht sind Warnungen zu verbreiten und gegebenenfalls ein Rückruf durchzuführen. Neben diesen verbindlichen Richtlinien existieren weiterhin Normen. Diese werden unter Mitwirkung von interessierten Kreisen erarbeitet und von anerkannten Institutionen angenommen. Sie dienen der Vereinheitlichung von materiellen beziehungsweise immateriellen Gütern zum Nutzen einer Gruppe Interessierter oder der Allgemeinheit. Normen haben infolge der technischen Entwicklung meist eine kurze Lebensdauer und sind im juristischen Sinne nicht unbedingt verbindlich. Die Einhaltung der Normung kann im Rechtsstreit jedoch von Vorteil sein. Die wichtigsten zu beachtenden Normen sind globale (ISO, IEC), europäische (CEN, CENELEC), nationale (DIN) sowie firmeninterne Normen. Weiterhin sind Vorschriften zu beachten, die meist umfangreicher als Normen sind und sich vorwiegend auf Produkte oder Marktgebiete konzentrieren. Sie werden häufig national verfasst und zielen auf die Minimierung von Unfallrisiken ab. Da sie zumeist eine rechtliche Verpflichtung beinhalten, ist ihre Einhaltung zwingend erforderlich und wird vielfach staatlich geprüft. Die Sicherheit und Zuverlässigkeit eines technischen Systems stehen in Wechselwirkung mit einer Vielzahl anderer Anforderungen und Rahmenbedingungen im Entwicklungsprozess, beispielsweise größerer Funktionalität, höherer Komplexität und gestiegenen Kundenanforderungen bei gleichzeitig verkürzten Entwicklungszeiten und verringerten Produkt- und Produktionskosten [nach Bertsche et al. 2004]. Dem Entwickler muss stets bewusst sein, dass ein Zustand absoluter Sicherheit beziehungsweise Zuverlässigkeit nicht erreicht werden kann. Konstruktive Maßnahmen können dazu beitragen, die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Produktes zu steigern, in der Regel ist hierfür jedoch ein erhöhter Aufwand erforderlich, der sich in der Verschlechterung anderer Eigenschaften wie Bauraum, Gewicht oder Herstellkosten auswirkt. Somit muss bei der Festlegung der Anforderungen ein Kompromiss gefunden werden. Es ist zu klären, welcher zusätzliche Aufwand zur Gewährleistung einer hohen Sicherheit und Zuverlässigkeit im Kontext der gegebenen Rahmenbedingungen gerechtfertigt ist. Die angestellten Überlegungen sind somit auch immer wirtschaftlicher Natur. Die eingesetzten Methoden und Prinzipien können hierbei auf allen Ebenen der Produktkonkretisierung umgesetzt werden. Bei Sicherheitsanforderungen wird zunächst stets die unmittelbare Sicherheitstechnik auf Wirkebene angestrebt. Falls dies nicht möglich oder zu aufwändig ist, werden Methoden der mittelbaren und hinweisenden Sicherheitstechnik auf Bauebene angewandt [DIN 31000, VDI 2244].
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8.2.3 Wie lassen sich Sicherheit und Zuverlässigkeit im Funktionsmodell berücksichtigen? Die Erstellung von Funktionsmodellen bietet sich im Rahmen einer umfassenden Systemanalyse an. Diese wird häufig als Vorbereitung für die qualitativen und quantitativen Methoden der Zuverlässigkeitsermittlung verwendet. Der Einsatz einer Funktionsmodellierung hilft dabei einen Überblick über das Gesamtsystem zu gewinnen und somit das Systemverständnis zu erhöhen. Die Analyse und Interpretation der Systemzusammenhänge erfolgt hierbei im Kontext von Sicherheits- und Zuverlässigkeitsaspekten. Dies bedeutet, dass eine schädliche Funktion in diesem Zusammenhang als Funktion zu verstehen ist, die beispielsweise zu einer reduzierten Systemzuverlässigkeit führt oder von der direkt oder indirekt eine Gefährdung für Mensch, Maschine oder Umwelt ausgeht. Die Art der eingesetzten Funktionsmodellierung hängt von der Aufgabenstellung, dem technischen System und dem Fokus der Untersuchungen ab. Bei der Betrachtung von Energie-, Stoff- und Informationsumsätzen bietet sich die Umsatzorientierte Funktionsmodellierung an. Über die Wahl der Schaltungsart zwischen den Funktionen lässt sich hier gezielt Einfluss auf die Zuverlässigkeit des Systems nehmen, beispielsweise über die Parallelschaltung gleicher Funktionen. Zur Darstellung der Interaktionen zwischen Mensch und technischem System kann die Nutzerorientierte Funktionsmodellierung verwendet werden. Diese unterstützt die Identifikation möglicher Gefährdungen für unterschiedliche Nutzer und dient damit der Analyse der Sicherheit des Systems. Zur Analyse von kausalen Abhängigkeiten zwischen einzelnen Funktionen sowie der expliziten Betrachtung schädlicher Funktionen kann wiederum die Relationsorientierte Funktionsmodellierung herangezogen werden. In dieser Modellierungsart stehen zwei alternative Ansätze zur Verfügung, um die Sicherheit und Zuverlässigkeit technischer Systeme gezielt zu beeinflussen [Augustin 1985]. Diese sind zum einen die gezielte Unterdrückung von schädlichen Funktionen, zum anderen die Realisierung nützlicher Funktionen, ohne dass eine damit verbundene schädliche Funktion auftritt. Die gezielte Unterdrückung von schädlichen Funktionen ist dann besonders geeignet, wenn bereits ein technisches System vorliegt, an dem diese auftreten. In diesem Fall wird das bestehende Produkt zunächst einer ausführlichen Systemanalyse unterzogen, um die schädlichen Funktionen zu identifizieren. Im Anschluss erfolgt eine Analyse der physikalischen und geometrischen Zusammenhänge, die dazu beitragen, dass die ermittelte schädliche Funktion auftritt. Daraus können geeignete Maßnahmen abgeleitet werden, um diese zu verhindern. Der zweite Ansatz besteht darin, eine bestimmte nützliche Funktion zu ermöglichen, ohne dass eine andere damit verknüpfte schädliche Funktion auftritt. Es erfolgt ebenfalls eine Analyse der geometrischen und physikalischen Zusammenhänge der betroffenen nützlichen Funktion, um daraus eine Möglichkeit abzuleiten, diese ohne das Auftreten der schädlichen Funktion zu realisieren.
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Das Vorgehen mithilfe eines Relationsorientierten Funktionsmodells wird am Beispiel eines Geländers verdeutlicht, an welchem bereits nach geringer Einsatzdauer ein Versagen infolge von Korrosion festgestellt wurde. Das Geländer wird aus einem verzinkten Blech hergestellt und vor Ort aus mehreren Einzelteilen montiert um es den örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Dazu ist ein nachträgliches Anbringen von Bohrungen erforderlich. Bei der Herstellung der Bohrungen und bei der Handhabung der Einzelteile wird die Zinkschicht jedoch teilweise beschädigt und die entsprechenden Stellen müssen nachbehandelt werden. Dies ist aus Zeit- und Kostengründen jedoch häufig nicht der Fall.
Abb. 8-11. Relationsorientiertes Funktionsmodell der Montage eines Geländers
Um die Zusammenhänge nachzuvollziehen, wurde ein Relationsorientiertes Funktionsmodell der Montage des Geländers erstellt. Aus diesem wird ersichtlich, dass die nützlichen Funktionen „Einzelteil bewegen“ und „Bohrungen anbringen“ für die Kette an schädlichen Funktionen verantwortlich sind. Da eine vollständige Vormontage nicht realisierbar ist, besteht die Aufgabe darin, die geforderten nützlichen Funktionen zu ermöglichen, ohne gleichzeitig die schädlichen Funktionen zu verursachen. Ein Lösungsansatz ist es, anstelle des verzinkten Materials einen rostfreien Edelstahl einzusetzen, bei dem Beschädigungen in Form von Bohrungen oder Kratzern keine Auswirkungen auf die Korrosionsbeständigkeit haben. Die Zuverlässigkeit des Systems Geländer kann somit erhöht werden.
8.2.4 Wie lassen sich Sicherheit und Zuverlässigkeit im Wirkmodell einbeziehen? Die in einem Produkt angewandten Wirkprinzipien und Wirkkonzepte müssen sowohl unvorhersehbaren stochastischen, als auch vorhersehbaren deterministischen Fehlern und Gefahren entgegenwirken. Die unterschiedliche Wirkungsweise dieser beiden Gefährdungen bedingen somit unterschiedliche Lösungsansätze und Prinzipien zu ihrer Behebung [Neudörfer 2005].
8.2 Maßnahmen zur Gestaltung sicherer und zuverlässiger Produkte
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Die Prinzipien der Sicherheitstechnik lassen sich nach der Art des Auftretens von Fehlern in zwei Gruppen einteilen. Bei den stochastischen Fehlern und Gefahren sind dies: das Prinzip des sicheren Bestehens („safe-life“), das Prinzip des beschränkten Versagens („fail-safe“) und das Prinzip der Redundanz. Die Maßnahmen um den deterministischen Fehlern und Gefahren entgegenzuwirken sind unter den Begriffen unmittelbare Sicherheitstechnik, mittelbare Sicherheitstechnik und hinweisende Sicherheitstechnik [DIN 31000] zusammengefasst. Die stochastischen Gefährdungen lassen sich vor allem auf Bauteilausfälle beziehungsweise -versagen zurückführen. Sie zielen damit in erster Linie auf die Zuverlässigkeit eines Produktes und können, aber müssen nicht die Sicherheit der Betroffenen beeinträchtigen. Nicht jede Erhöhung der Zuverlässigkeit führt damit zu einer Erhöhung der Sicherheit und umgekehrt. Die Maßnahmen, die den stochastischen Gefährdungen entgegenwirken, verfolgen das Ziel, die zeitabhängige Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, mit der ein Produkt die geforderte Funktionalität erfüllt. Dies bedeutet, die verwendeten Methoden haben das Ziel die Auswirkungen zufälliger, Gefahren verursachender Fehler zu beherrschen. Bei der Anwendung des Prinzips des sicheren Bestehens („safe-life“) sind die Bauteile und ihr Zusammenhang so beschaffen, dass sie sicher während der vorgesehenen Einsatzzeit sind [Pahl et al. 2005]. Beispiele sind Lenkhebel im Pkw oder die Achse einer Kranseiltrommel. Diese Sicherheit kann durch eine ausreichend sichere Auslegung der Teile entsprechend den im Gesamtlebenszeitraum zu erwartenden Beanspruchungen und Umweltbedingungen erzielt werden. Ferner sind gründliche Werkstoff-, Fertigungs- und Montagekontrollen erforderlich. Die Teile werden schließlich unter erhöhten Lastbedingungen und unter erschwerten Umweltbedingungen eine ausreichende Zeit geprüft. Konkrete Maßnahmen zur Gewährleistung eines sicheren Bestehens sind: x umfassende Klärung der einwirkenden Belastungen und Umweltbedingungen (Art der Belastungen, zum Beispiel mechanisch, thermisch, chemisch; Höhe und Zeitverhalten der Belastung; Art der Umgebung) x ausreichend sichere Auslegung der Teile und Baugruppen nach bewährten Hypothesen und Verfahren x Durchführung von Tests an Komponenten und dem Gesamtsystem zur Ermittlung der Lebensdauer unter zum Teil erhöhten Lastbedingungen x umfangreiche und gründliche Kontrollen der Fertigungs- und Montageprozesse Das Prinzip des beschränkten Versagens („fail-safe“) bedeutet, dass es während der Einsatzzeit des Produktes zu einer Funktionsstörung kommen kann, zum Beispiel zum Ausfall einer Komponente, ohne dass dies zum Versagen des Gesamtsystems oder zu schwerwiegenden Folgen führt. Eine torsionselastische Kupplung muss beispielsweise bei Aufzugsantrieben auch nach einem Bruch der Druckfedern nach wie vor Drehmoment auf die Seiltrommel übertragen können. Das Versagen ist beschränkt auf die elastische Eigenschaft der Kupplung. Bei einem Ausfall der Druckfedern erfolgt die Drehmomentübertragung durch Festkörperkontakt. Beim Verschiebeanker-Motor lüftet im Normalbetrieb beim Anlaufen des Motors die aus dem elektromagnetischen Feld resultierende Axialkraft des ko-
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nischen Läufers die Kegelbremse gegen die Federkraft. Bei Stromausfall wird die Bremse durch die Schraubenfeder automatisch eingedrückt und der Motor somit abgebremst. Der Verschiebeankermotor wird beispielsweise als Bremsmotor in Krananlagen eingesetzt.
Abb. 8-12. Beispiele für Anwendung des „Fail-Safe“-Prinzips [Neudörfer 2005, Pahl et al. 2005]
Unter dem Prinzip der Redundanz versteht man eine „Überflüssigkeit“ in dem Sinne, dass durch Mehrfachanordnung von Bauelementen (Bauteile, Baugruppen, Module, Aggregate) gleiche Funktionen realisiert werden. Fällt einer der redundant angeordneten Funktionsträger aus, übernimmt der andere dessen Aufgabe und die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems wird nicht oder nur geringfügig eingeschränkt. Die Anwendung des Prinzips der Redundanz ist meist mit zusätzlichen Kosten, Aufwand, Bauraum und Gewicht verbunden. Es ist jedoch ein wirksames Mittel um die Funktionsfähigkeit und damit die Verfügbarkeit des Systems zu erhöhen. Es werden zwei unterschiedliche Arten von Redundanz unterschieden. Bei der kalten Redundanz, auch als Standby bezeichnet, ist das Redundanzelement bis zum Ausfall des arbeitenden Elements keiner oder nur geringen Belastungen ausgesetzt. Beispiele für kalte Redundanz sind Notstromaggregate in Kraftwerken sowie unterbrechungsfreie Stromversorgungen. Bei der heißen Redundanz (Parallelbetrieb) ist das Redundanzelement von Anfang aktiv und in der Lage, die entsprechende Funktion zumindest eingeschränkt in Bezug auf Leistung und Zeit zu übernehmen. Alle eingesetzten Elemente sind somit stets den gleichen Belastungen ausgesetzt. Beispiele für die Verwendung von heißer Redundanz sind die Verwendung von drei Triebwerken im Flugzeug, ein zweimotoriger Schiffsantrieb oder Zwillingsreifen bei Lkw. Es gibt auch redundant angeordnete Elemente, die die gleiche Funktion erfüllen, aber auf verschiedenen physikalischen Wirkprinzipien aufbauen. Man spricht in diesem Fall auch von Prinzipienredundanz. Dadurch wird es ermöglicht, systematische Fehler bei der Auslegung des Systems zu vermeiden. Deutlich wird dies bei der Handbremse im Fahrzeug. Bei Ausfall der Hauptbremskreise, bei der die Kraftweiterleitung durch eine Hydraulikflüssigkeit geschieht, kann das Fahrzeug mit der Handbremse, bei der die Kraftübertragung durch einen Seilzug erfolgt, verzögert und zum Stillstand gebracht werden. Auch in Hochdrucksystemen, bestehend aus Druckkesseln und Druckleitungen, werden Sicherheitssysteme einge-
8.2 Maßnahmen zur Gestaltung sicherer und zuverlässiger Produkte
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setzt, welche auf unterschiedlichen Wirkprinzipien beruhen. So existiert neben dem Sicherheitsventil zur Regulierung des Drucks vielfach eine Bersteinrichtung für den Fall, dass das Sicherheitsventil versagt. Die Maßnahmen gegen deterministische Gefährdungen sind darauf ausgerichtet, diese während der voraussichtlichen Lebensdauer eines Systems zu beseitigen. Diese Gefährdungen entstehen aus den verwendeten physikalischen Prinzipien sowie dem Aufbau des Produktes. Die betroffenen Systemelemente lassen sich aufgrund ihrer Funktion nicht beseitigen. Die Gefährdungen sind daher während der gesamten Lebensdauer mit einer Auftrittswahrscheinlichkeit vorhanden. Die Prinzipien der unmittelbaren Sicherheitstechnik beruhen auf dem Grundsatz, eine mögliche Gefahr durch entsprechende Auswahl von Wirkprinzipien und -strukturen ganz zu vermeiden. Ein technisches System ist dann unmittelbar sicher, wenn aus seinem Lösungsprinzip heraus keinerlei Gefährdung entsteht beziehungsweise ein vernachlässigbares Ausfallrisiko besteht. Ein technisches Produkt kann durch geeignete Wahl von physikalischen Effekten, Wirkbewegungen und Wirkflächen sowie durch energetische Gestaltungsmaßnahmen unmittelbar sicher konzipiert werden. Sichere physikalische Effekte sind zum Beispiel wasserhydraulische statt elektrische Energieübertragung in explosionsgefährdeten Räumen oder die Verwendung von Niederspannung (12 Volt statt 240 Volt). Ebenso ermöglicht es die Verwendung von Maschinenprinzipien ohne mechanische Wirkbewegung oder gekapselte Bauweisen Gefahren unmittelbar zu vermeiden. Die energetischen Maßnahmen sehen eine Begrenzung der Energie, die Unterbrechung des Kraftflusses zur Gefahrenstelle oder die gezielte Verformung von Maschinenteilen zur Reduzierung von Gefährdungen vor.
Abb. 8-13. Anwendung der unmittelbaren Sicherheitstechnik [nach Neudörfer 2005]
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8.2.5 Wie lassen sich Sicherheit und Zuverlässigkeit im Baumodell berücksichtigen? Auf Bauebene können zur Erhöhung der Sicherheit eines Produktes die Prinzipien der Sicherheitstechnik zur Anwendung kommen. Die unmittelbare Sicherheitstechnik ist darauf ausgerichtet, mögliche Gefahren von vornherein zu vermeiden. Im Gegensatz dazu sichert die mittelbare Sicherheitstechnik vor funktionellen Gefahren, die eine gewollte technologische Funktion besitzen und daher nicht durch das Prinzip des Systems vermeidbar sind. Diese Gefahren müssen durch besonders gestaltete Bauteile oder Baugruppen unwirksam gemacht werden. Die hinweisende Sicherheitstechnik hingegen soll lediglich auf Gefahren hinweisen und schützt selbst nicht vor möglichen Gefahren.
Abb. 8-14. Abgrenzung zwischen den Prinzipien der Sicherheitstechnik [Neudörfer 2005]
Von den Prinzipien der unmittelbaren Sicherheitstechnik können im Baumodell die verwendeten Stoffe und Materialien so ausgewählt werden, dass eine Gefährdung für den Menschen vermieden wird. So wird beispielsweise in einem Elektrorasierer, der häufig in Räumen mit hoher Luftfeuchtigkeit eingesetzt wird, ein magnetischer Schwingankerantrieb eingesetzt, wobei alle spannungsführenden Teile in nicht leitenden Kunststoff eingelassen sind. Neben der sicherheitsgerechten Materialauswahl können außerdem die Lage und Gestaltung von vorhandenen Wirkflächen beeinflusst werden. Die Verwendung scheibenförmiger (Hand-) Räder anstelle von Speichenrädern verhindern Quetschungen, wenn die Spalte zu stillstehenden Teilen wesentlich kleiner als die Fingerspitzen sind. Weiterhin kann ein zugangssicheres Maschinenprinzip beziehungsweise eine zugangssichere Maschinengestaltung verwendet werden, um ein System unmittelbar sicher zu gestalten. Durch die Nichterreichbarkeit der Gefahrenstellen werden Verletzungen vermieden. Das Produkt ist dazu vom Lösungsprinzip her so zu konstruieren, dass der Mensch als unfallerleidendes und schadenauslösendes Subjekt keinen Zugang hat und somit keine negativen Vorgänge ausgelöst werden können. Bei der Gestaltung mechatronischer Systeme ist zu beachten, dass vielfach durch Anwendung der mittelbaren Sicherheitstechnik (Schutzeinrichtungen) einfacher zu realisierende Lösungen gefunden werden können. Hier muss ein geeigneter Kompromiss zwischen Schutzwirkung und Aufwand gefunden werden.
8.2 Maßnahmen zur Gestaltung sicherer und zuverlässiger Produkte
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Abb. 8-15. Vermeidung des Zusammentreffens von Menschen mit Gefahrstellen [Augustin 1985]
Allein durch die Anwendung der unmittelbaren Sicherheitstechnik kann aus funktionalen Gründen nicht immer ein ausreichender Schutz gewährleistet werden. In diesem Fall können Prinzipien der mittelbaren Sicherheitstechnik eingesetzt werden. Die mittelbare Sicherheitstechnik wird größtenteils durch Schutzeinrichtungen realisiert. Sie lassen sich nach [Neudörfer 2005] in die vier Grundtypen trennende, abweisende, ortsbindende Schutzeinrichtungen sowie Schutzeinrichtungen mit Annäherungsreaktion unterteilen. Die trennenden Schutzeinrichtungen sichern Gefahrenstellen, indem sie dem räumlichen und zeitlichen Zusammentreffen von Person und Gefahrenstelle durch ruhende materielle Sperren entgegenwirken und so verhindern, dass die Person die Gefahrenstelle erreicht. Sie können nach [Neudörfer 2005] in die Grundbauarten Verkleidungen, Verdeckungen, Umzäunungen und Abschirmungen unterteilt werden. Zu den trennenden Schutzeinrichtungen zählen weiterhin Verriegelungen und Zuhaltungen. Sie ermöglichen durch eine logische Freigabe und Sperre von Funktionen, dass eine festgelegte Reihenfolge bestimmter Tätigkeiten strikt eingehalten wird. Bei einer Verriegelung muss für eine bestimmte Tätigkeit erst eine andere bewusste Handlung durchgeführt werden, zum Beispiel eine Schutzeinrichtung entriegelt werden. Bei hohen Risiken werden Zuhaltungen angewandt, um eine Fehlbedienung zu verhindern. Dabei müssen zunächst sichere Zustände eingetreten sein, bevor Handlungen erlaubt werden. Bei abweisenden Schutzeinrichtungen werden bewegte materielle Sperren eingesetzt, durch die Personen oder Körperteile zwangsläufig von der Gefahr getrennt werden. Diese Art der Schutzeinrichtungen war früher weit verbreitet, wurde aber im Laufe der Zeit durch wirkungsvollere Systeme ersetzt. Ein Beispiel hierfür ist ein Fingerabweiser. Ortsbindende Schutzeinrichtungen sind nichttrennende Schutzeinrichtungen. Sie binden eine Person oder bestimmte Körperteile an einen sicheren Ort, räumlich von der Gefahr getrennt. Umgesetzt wird dies beispielsweise durch geeignete steuerungstechnische Maßnahmen wie eine Zweihandschaltung. Schutzeinrichtungen mit Annäherungsreaktion sind ebenfalls nichttrennend. Sie überwachen mithilfe von Sensoren bestimme Schutzfelder und lösen bei einem Eindringen über die Steuerungstechnik eine Sicherheitsfunktion aus. Als Sensoren
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können kontaktempfindliche wie auch berührungslos wirkende Systeme verwendet werden. In mechatronischen Systemen kommen hauptsächlich die beiden letzten Typen von Schutzeinrichtungen zur Anwendung. Darüber hinaus werden Schutzsysteme eingesetzt, die bei Bestehen einer Gefahr selbsttätig eine Schutzreaktion aktivieren, um Gefährdungen von Personen und Gegenständen zu verhindern. Dies kann zum Beispiel durch Außerbetriebnahme (Stillsetzen) oder Verhinderung der Inbetriebnahme einer Maschine erfolgen. Ein Schutzsystem hat folgende Anforderungen zu erfüllen [Pahl et al. 2005]: x Warnung: Meldung über Tatsache des Eingriffs und die Art der Gefährdung x Selbstüberwachung: Reagieren auf Fehler im Schutzsystem x mehrfache, prinzipverschiedene und unabhängige Schutzsysteme: Existenz eines primären und sekundären Schutzkreises, vor allem wenn Schäden größeren Ausmaßes möglich sind x Bistabilität: Ein Schutzsystem löst bei einem definierten Zustand aus, ohne dabei Zwischenzustände zu berücksichtigen. x Wiederanlaufsperre: Verhindert das unkontrollierte Anlaufen der Maschine nach Auslösen des Schutzsystems. x Prüfbarkeit: Die Funktionsweise eines Schutzsystems muss prüfbar sein. Dabei darf die Schutzfunktion selbst nicht verloren gehen. Abschließend sind im Zusammenhang der mittelbaren Sicherheitstechnik die Schutzorgane zu nennen. Diese sind aufgrund ihrer Funktionsfähigkeit in der Lage eine Schutzreaktion auszuüben, ohne dass dafür eine externe Signalumsetzung benötigt wird. Als Beispiele für Schutzorgane sind Überdruckventile in hydraulischen oder pneumatischen Anlagen, elektrische Schmelzsicherungen, SicherheitsRutsch-Kupplungen und der Sicherheitsgurt im Pkw zu nennen. Die Maßnahmen der hinweisenden Sicherheitstechnik sind dann notwendig, wenn eine Restgefahr beim Nutzen der Maschine sich weder durch die mittelbare noch unmittelbare Sicherheitstechnik in ausreichender Weise entschärfen lässt. Der Hersteller muss deshalb dafür sorgen, dass der Benutzer Gefahren rechtzeitig erkennt und durch statische Sicherheitsinformationen beziehungsweise durch aktive Warneinrichtungen darauf aufmerksam gemacht wird. Diese Maßnahmen dienen nicht dazu, die Gefährdung für den Menschen direkt herabzusetzen, sondern können lediglich auf die Gefahr hinweisen. Das angepasste Verhalten des Benutzers in dem Bewusstsein der Gefährdung trägt zur Erhöhung der Sicherheit bei. Zu den statischen Sicherheitsinformationen zählen Hinweise auf potenzielle Gefahren. Dies kann durch die Anbringung von Text, Bildzeichen, Sicherheitszeichen oder Markierungen erfolgen. Daneben gibt es aktive Warneinrichtungen, die durch Lichtsignale, aktive Schemata, akustische Signale oder bewegte Gegenstände auf Fehler und Gefahren aufmerksam machen sollen. Bei der Verwendung dieser Einrichtungen ist zu berücksichtigen, dass die hinweisende Sicherheitstechnik immer nur eine ergänzende Maßnahme zur unmittelbaren beziehungsweise mittelbaren Sicherheitstechnik darstellen kann. Sie ist als alleinige Sicherheitsmaßnahme weder geeignet noch zuverlässig, da sie vom Benutzer nicht immer wahrgenommen oder auch ignoriert werden kann.
8.3 Verminderung des Unfallrisikos einer Ringspinnmaschine
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8.3 Verminderung des Unfallrisikos einer Ringspinnmaschine Ein Hersteller von Ringspinnmaschinen [nach Augustin 1985] beschäftigt sich mit der Reduzierung der Verletzungsgefahr im Fall einer Betriebsstörung einer Anlage. Bei einem Fadenriss innerhalb der Anlage verfängt sich der abgerissene Faden in einer Welle und bildet dort einen Wickel. Dieser muss von einem Bediener manuell entfernt werden, wobei wiederholt Verletzungen auftraten. Aufgrund der Häufigkeit dieser Unfälle wurde eine Verbesserung dieser Situation angestrebt. Eine Ringspinnmaschine dient der Verarbeitung des Vorgarns zu einem weboder strickbaren Faden. Das Vorgarn wird auf so genannten „Kopsen“ aufgewickelt und angeliefert. Es besteht aus Baumwolle, Synthetik oder einem Gemisch dieser beiden Stoffe. Die beiden Hauptarbeitsschritte der Maschine sind das Strecken und das Drehen des Vorgarns. Das Strecken erfolgt in einem Streckwerk, welches aus mehreren Walzen und Riemchenpaaren besteht. Die Drehzahlen sind beim jeweils folgenden Paar um den gewünschten Streckfaktor erhöht. Das Drehen des gestreckten Vorgarns zu einem Faden findet beim Aufwickeln des Fadens unmittelbar nach dem letzen Walzenpaar des Streckwerkes statt. Erst nach dem Drehen hat der Faden seine endgültige Festigkeit erreicht.
Abb. 8-16. Ringspinnmaschine und schematische Darstellung der Funktionsweise [Augustin 1985] (mit freundlicher Genehmigung der Zwickauer Kammgarn GmbH)
Zunächst wurde eine ausführliche Analyse des Unfallhergangs und der Auswirkungen durchgeführt. Die Ursache für den betrachteten Unfall an Ringspinnmaschinen ist ein Fadenbruch mit anschließender Wickelbildung. Der Bruch des Fadens erfolgt meist unmittelbar hinter dem aus Vorderzylinder und vorderer Druckwalze bestehenden letzten Walzenpaar, da an dieser Stelle einerseits die Belastung durch den Aufwickelvorgang anliegt, andererseits der Faden noch nicht seine volle Festigkeit erreicht hat. Da dieser Umstand bereits bekannt war, befin-
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det sich in diesem Bereich eine Absaugvorrichtung, welche einen gebrochenen Faden abführen soll. Diese funktioniert jedoch aufgrund von Verschmutzung, ungenügender Zentrierung oder zu geringer Ansaugleitung häufig nicht reibungslos. In diesem Fall wird das gestreckte Vorgarn häufig um den Vorderzylinder gezogen und bildet einen Wickel, dessen Festigkeit in weiten Grenzen variiert. Um Produktionsausfälle gering zu halten, wird dieser Wickel im laufenden Betrieb durch eine Bedienperson entfernt und der Faden neu geknüpft. Zum Entfernen des Wickels wird dieser mit einem Messer aufgeschnitten und abgenommen, sofern er sich nicht von selbst gelöst hat. Der Handgriff des Messers muss nach den Unfallverhütungsvorschriften beim Aufschneiden mit beiden Händen gefasst werden. Dies erfolgt jedoch häufig nicht, so dass sich die Bediener beim Abrutschen des Messers Schnittwunden an Hand und Unterarmen zufügen können. Bei Rechtshändern treten diese Verletzungen an der linken Hand auf, bei Linkshändern an der rechten Hand. Die Schwere der Verletzungen reicht von kleinen Schnitten bis zu Sehnendurchtrennungen, wobei die kleineren Verletzungen überwiegen. Im Anschluss an die Analyse des Unfallgeschehens wurde ein Relationsorientiertes Funktionsmodell des betrachteten Mensch-Maschine-Systems erstellt. Es sollte verwendet werden, um die im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen schädlichen Funktionen identifizieren und daraus geeignete Maßnahmen ableiten zu können um das Unfallrisiko zu verringern. Die Analyse des Funktionsmodells zeigte, dass die nützliche Funktion „Vorgarn strecken“ die schädlichen Funktionen „Faden / Vorgarn zerreißen“ und „Wickel bilden“ zur Folge hatten. Daraus leiten sich zwei mögliche Problemformulierungen ab: zum einen die Vermeidung des Zerreißens des Fadens bei der Streckung des Vorgarns, zum anderen die Vermeidung der Wickelbildung unter der Bedingung, dass der Faden zerreißt.
Abb. 8-17. Vereinfachtes Funktionsmodell des Mensch-Maschine-Systems [Augustin 1985]
Im Rahmen der Lösungssuche wurde ein Konzept gesucht, bei dem sich kein Wickel bildet, wenn das Vorgarn zerrissen ist. Diese Problemstellung war auch bei anderen Spinnereibetrieben und Forschungsinstituten vorhanden, so dass bereits die wesentlichen Einflussgrößen auf die Wickelbildung bekannt waren. Eine der ermittelten Einflussgrößen ist das Verhältnis von Walzendurchmesser zu Faserlänge. Die Entwickler kamen daher zum Entschluss die Konstruktion des Streckwerks so zu verändern, dass eine Wickelbildung zumindest erschwert wird.
8.3 Verminderung des Unfallrisikos einer Ringspinnmaschine
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Es wurde ein Konzept ausgearbeitet, in dem der vordere Zylinder durch einen Riemen ersetzt wird, dessen Führung in Verbindung mit einem Abstreifblech die Wickelbildung erschwert. Im Prinzip entspricht diese Maßnahme einer Vergrößerung des Durchmessers der Walze.
Abb. 8-18. Prinzipskizze einer verbesserten Spinnstelle [Augustin 1985]
Neben diesem Konzept zur Umgestaltung des Streckwerkes sollten weitere Maßnahmen ergriffen werden, um auch im Falle der Wickelbildung die Unfallverhütung beim Auftrennen des Wickels zu verbessern. Dies bedeutet, dass die Operation „Wickel entfernen“ so zu realisieren ist, dass die schädliche Funktion „Hand verletzen“ nicht mehr auftritt. Zunächst wurde nach alternativen physikalischen Effekten gesucht, die das Durchtrennen der Fäden ermöglichen und gleichzeitig ein geringes Unfallrisiko darstellen. Es zeigte sich jedoch, dass keine geeigneten Effekte gefunden werden konnten, so dass der Effekt „Keilwirkung“ beibehalten wurde. Anschließend wurden die geometrischen Zusammenhänge des Mensch-Maschine-Systems genauer betrachtet. Aus der Analyse der Bewegungsabläufe des Bedieners ist ersichtlich, dass die Bewegung des Messers von rechts nach links (bei Rechtshändern) als gefährlich einzustufen und daher zu vermeiden ist. Weiterhin zeigte eine Analyse der Größenverhältnisse von menschlicher Hand und Wickel, dass es zweckmäßig ist, ein System zu entwickeln, welches nur kleine und bewegte Objekte schneidet. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden zwei neuartige Messer zur Entfernung des Wickels entworfen. Zum einen entstand ein Messer, bei dem die Schneide durch eine Feder in das Innere des Handgriffs gezogen wird, wenn nicht der Knopf in der Mitte des Griffes nach oben geschoben wird. Durch diese Lage des Knopfes ist die Lage des Daumens relativ zum Handgriff festgelegt und die Schneide weist automatisch nach rechts. Die Nutzung der Größenunterschiede zwischen den Fasern und der Hand führten weiterhin zu einem handelsüblichen Messer, bei dem die Schneide mit einem Abdeckblech versehen wird. Die Maße dieses Bleches wurden so gewählt, dass die Hände nicht mehr oder nur noch leicht verletzt werden. Dieses zweite Konzept wurde in Versuchen erfolgreich getestet und kann außerdem von den Betrieben leicht selbst hergestellt werden.
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8 Sichere und zuverlässige Produkte
Abb. 8-19. Alternative Konzepte zur unfallsicheren Gestaltung des Messers [nach Augustin 1985]
8.4 Zusammenfassung Die Themen Sicherheit und Zuverlässigkeit besitzen eine hohe Bedeutung bei der Entwicklung technischer Produkte. Sie beeinflussen zum einen sehr stark die Wahrnehmung eines Produktes durch den Kunden, zum anderen spielen in diesem Zusammenhang stets wirtschaftliche und rechtliche Überlegungen eine Rolle. Sicherheit und Zuverlässigkeit beziehen sich auf zukünftiges Verhalten eines Systems und besitzen viele Gemeinsamkeiten. Die Abgrenzung besteht darin, dass unter Zuverlässigkeit eine ordnungsgemäße Funktionserfüllung zu verstehen ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Verfügbarkeit eines Systems. Hingegen sind Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit darauf ausgerichtet, einen Schutz vor Gefahren für Mensch, Maschinen und Umwelt zu erzielen. Hierbei ist zu beachten, dass die verantwortlichen Entwickler für eventuelle Schäden und deren Konsequenzen haftbar gemacht werden können. Zur Bestimmung von Sicherheit und Zuverlässigkeit können verschiedene quantitative und qualitative Methoden auf Bauteil- und Systemebene eingesetzt werden. Die Festlegung von Anforderungen zur Zuverlässigkeit erfolgt meist mit dem Ziel die Lebenslaufkosten zu optimieren, während bei Sicherheitsanforderungen Richtlinien, Gesetze, Normen und Vorschriften einzuhalten sind. Die hierzu eingesetzten Prinzipien der Sicherheitstechnik können auf allen Ebenen der Produktkonkretisierung zur Anwendung kommen. Sie werden nach Art des Auftretens von Gefährdungen in zwei Gruppen unterteilt. Um stochastischen Fehlern entgegenzuwirken werden die Prinzipien der unmittelbaren, mittelbaren und hinweisenden Sicherheitstechnik in der genannten Reihenfolge angewandt. Zur Verminderung von Auswirkungen deterministischer Gefahren können das Prinzip des sicheren Bestehens („safe-life“), das Prinzip des beschränkten Versagens („fail-safe“) und das Prinzip der Redundanz eingesetzt werden. Auch bei Einsatz dieser Prinzipien muss bedacht werden, dass ein Zustand absoluter Sicherheit beziehungsweise Zuverlässigkeit nie erreichbar ist.
9 Gewichtsoptimierte Produkte
Das Gewicht beziehungsweise die Masse eines Produktes ist im Hinblick auf seine Nutzung, aber auch über alle Phasen im Produktlebenszyklus hinweg ein wichtiger Faktor. In der Nutzungsphase haben das Gewicht und dessen Verteilung Auswirkungen auf den Energieverbrauch und die Handhabung des Produktes. Durch eine höhere zu beschleunigende Masse steigt beispielsweise der Energieverbrauch bei Kraftfahrzeugen. Ebenso wirken sich höhere zu beschleunigende Massen negativ auf Beschleunigungs- und Verzögerungszeiten von dynamischen Systemen aus. Eine ungünstige Massenverteilung innerhalb eines Produktes kann aber ebenfalls zu höherem Energieverbrauch führen, da hierdurch hohe Momente entstehen. Auch Eigenfrequenzen und Eigenformen eines Produktes ändern sich bei veränderter Massenverteilung. Das Produktgewicht spielt im Rahmen der Produktnutzung ebenfalls eine erhebliche Rolle in Bezug auf die Bedienergonomie. So ist bei Handstaubsauggeräten der Motor, der maßgeblichen Anteil an der Gesamtmasse des Gerätes hat, meist nah am Griff angebracht, um die Handhabung zu erleichtern. Weiterhin können das Gewicht und die Gewichtsverteilung andere für den Benutzer relevante Produkteigenschaften wie Akustik oder Sicherheit erheblich beeinflussen. In der Produktion spielt das Gewicht in Bezug auf Materialkosten aber auch in der Handhabung von Teilen bei der Bearbeitung und Montage eine Rolle. Der Transport eines Produktes verteuert sich bei größerem Gewicht und größeren Abmaßen ebenfalls. Die geplante Transportart eines Produktes sollte bei der Festlegung der Gewichtsziele für ein Produkt berücksichtigt werden, damit beispielsweise der Transport im Flugzeug nicht durch ein zu hohes Produktgewicht verhindert wird und sich so Auslieferungszeiten deutlich verlängern. Ebenso hängen die Entsorgungskosten eines Produktes stark von seiner Masse ab. Hier haben allerdings auch die Materialkombination und die Demontagefähigkeit wesentlichen Einfluss auf die entstehenden Kosten. Es ist nicht immer ausschließlich das Ziel das Produktgewicht zu verringern. Bei einigen Produkten wirkt sich ein höheres Gewicht durch hochwertigere Materialien sogar positiv auf die Produkteinschätzung durch die Kunden aus, wie beispielsweise bei Möbeln oder auch hochwertigen Küchengeräten. Weiterhin gibt es Produkte, die ein gewisses minimales Gewicht benötigen, um ihre Funktion überhaupt erfüllen zu können. Hier sind unter anderem Schirmständer oder Kräne zu nennen. Daher sind die Zielwerte für das Gewicht des Gesamtproduktes und seiner Komponenten im Entwicklungsprozess zu klären, um anschließend mit geeigneten Maßnahmen bei der Produktgestaltung darauf Einfluss zu nehmen.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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9 Gewichtsoptimierte Produkte
9.1 Auswirkungen des Gewichts auf eine Verzahnungsschleifmaschine Im Rahmen eines Entwicklungsprojektes [Wulf 2002] war es das Ziel eine Hochgeschwindigkeits-Verzahnungsschleifmaschine zu entwickeln, die eine Halbierung der bis dahin üblichen Fertigungszeiten erlaubte. Dazu sollte die Technologie des High-Speed-Grindings (Hochgeschwindigkeitsschleifen) zur Anwendungsreife entwickelt werden, bei der Werkzeugdrehzahlen von bis zu 40.000 Umdrehungen pro Minute realisiert werden. Um die Vorteile der im Vergleich zu konventionellen Maschinen zehnfach höheren Schnittgeschwindigkeiten ausnützen zu können, musste sowohl die Geschwindigkeit, als auch die Dynamik der Maschine beziehungsweise einzelner Elemente des Gesamtsystems deutlich erhöht werden.
Abb. 9-1. CAD-Modell der zu optimierenden Verzahnungsschleifmaschine [Wulf 2002]
Welche Rolle das Produktgewicht in den Betrachtungen spielte, wird im Folgenden erläutert. Das Ziel der Entwicklung war es, eine Reduzierung der Eigenfrequenzen und deren Amplituden zu erreichen. Für das bestehende Maschinenkonzept wurde daher eine Frequenzganganalyse durchgeführt. Auf diese Weise konnten die drei dominanten Eigenformen analysiert und strukturelle Schwachpunkte des aktuellen Systems aufgezeigt werden. Als kritische Elemente wurden der Vorschubantrieb der z-Achse, der Schleifkopf sowie das Maschinenbett identifiziert. Eine verwendete Maßnahme in der Gestaltungsphase war es, die bewegten Massen an Vorschubantrieb und Schleifkopf soweit wie möglich zu reduzieren. Dies bewirkte in der Folge tatsächlich eine Absenkung der Eigenfrequenzen, zog aber eine Erhöhung der Amplituden der Eigenformen nach sich. Die reine Reduzierung der bewegten Masse hatte also negative Auswirkungen auf die dynamische Steifigkeit des Gesamtsystems. Auch die auftretenden Momente in der Maschine verändern sich bei unterschiedlichen Massenverteilungen. Dies kann dazu führen, dass die geforderten Bearbeitungskräfte nicht mehr aufgebracht werden können oder dass durch die neu auftretenden Momente andere Eigenformen ent-
9.2 Maßnahmen zur Optimierung des Produktgewichts
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stehen, die beispielsweise zu höherem Werkzeugverschleiß führen können. In diesem Beispiel resultierte demnach eine reine Berücksichtigung der Masse, nicht aber der Massenverteilung, in ungewünschten Eigenschaften des Systems. Da die gewünschten Produkteigenschaften durch die gewählten gestalterischen Maßnahmen nicht gewährleistet werden konnten, waren aufwändige Nacharbeiten an Axialantrieb und Schleifkopf notwendig. Eine Berücksichtigung des Produktgewichts erst spät in der Entwicklung und eine reine Betrachtung der Masse ohne Berücksichtigung ihrer Verteilung haben also in diesem Fall dazu geführt, dass das angestrebte Entwicklungsziel nur durch aufwändige Nacharbeit erreicht wurde. Eine Betrachtung des Produktgewichts zu einem früheren Zeitpunkt im Entwicklungsprozess hätte dieses Problem unter Umständen verhindern können.
9.2 Maßnahmen zur Optimierung des Produktgewichts Das Produktgewicht stellt eine wichtige Produkteigenschaft dar, die unter anderem die Handhabung, die Akustik und das dynamische Verhalten des Produktes beeinflusst. Die Masse des Produktes ist für den Produktnutzer direkt spürbar und beeinflusst damit auch die Kaufentscheidung. Darüber hinaus wirkt sich das Produktgewicht in allen Phasen des Produktlebenszyklus auf die entstehenden Kosten aus. In der Fertigung wirkt es sich auf Materialkosten, in der Logistik auf Transportkosten und bei der Nutzung vor allem auf die Energiekosten aus. Die Wechselwirkungen des Produktgewichts mit anderen Produkteigenschaften können unterschiedlicher Natur sein. Zum einen kann die Anforderung nach einer geringeren Masse komplementär sein zu anderen Anforderungen, zum Beispiel der Senkung der Materialkosten (bei Beibehaltung des Werkstoffs) oder der Reduzierung des Energie- beziehungsweise Ressourcenverbrauchs. Andererseits kann die Forderung nach einer deutlichen Verringerung des Produktgewichts auch zu Zielkonflikten führen, unter anderem zu deutlich höheren Kosten, wenn beispielsweise wie bei Flugzeugen teure Leichtbauwerkstoffe eingesetzt werden. Höhere Anforderungen an die Sicherheit von Produkten können ebenfalls im Widerspruch mit der Forderung nach einer Senkung des Produktgewichts stehen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Öltanker aus Sicherheitsgründen doppelwandig verkleidet werden müssen. Eine Berücksichtigung des Produktgewichts in der Entwicklung ist also in vielen Fällen wichtig und notwendig. Dies geschieht typischerweise durch die Anwendung der klassischen Prinzipien des Leichtbaus [Klein 2000] wie Strukturoptimierung, die Auswahl von Leichtbauwerkstoffen oder auch den Einsatz von Sandwichbauweisen. Diese Herangehensweise alleine ist aber nicht zielführend, da diese Maßnahmen im Wesentlichen auf die Produktgestalt auf Bauebene abzielen. Vielmehr müssen Aspekte des Produktgewichts auf allen Ebenen des Münchener Produktkonkretisierungsmodells berücksichtigt werden.
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9 Gewichtsoptimierte Produkte
9.2.1 Wie lässt sich das Produktgewicht analysieren und bewerten? Das Produktgewicht beziehungsweise die Masse ist eine quantitativ messbare, physikalische Eigenschaft. Sie ist daher leichter und objektiver zu bestimmen als subjektive Eigenschaften wie beispielsweise die Ästhetik des Produktes. Die Masse des Gesamtproduktes ergibt sich additiv durch Summenbildung über die Subsysteme beziehungsweise Einzelteile. Analysemöglichkeiten und Aussagekraft des Ergebnisses sind abhängig vom Konkretisierungsstand des Produktes. Auf Funktionsebene ist die Bestimmung des Produktgewichtes noch nicht möglich, da dieses von der Realisierung der Funktionen abhängt. Je nachdem, ob Funktionen beispielsweise mechanisch oder elektronisch gelöst werden, wird das Ergebnis unterschiedlich ausfallen. Grundsätzlich kann man jedoch sagen, dass zusätzliche Funktionen tendenziell zu einer Erhöhung von Bauraum und Gewicht führen. Auf Wirkebene sind über physikalische Zusammenhänge erste grobe Abschätzungen beziehungsweise relative Vergleiche zwischen Wirkkonzepten möglich. Auf Bauebene ist bei Vorliegen einer konkreten Geometrie über das Bauvolumen und Materialkennwerte (Dichte) eine Bestimmung des Produktgewichtes sehr präzise möglich. Bei virtuell vorliegenden Produkten in Form von 3D-CADModellen lässt sich das Gewicht im CAD-System berechnen. Physisch vorliegende Produkte, beispielsweise Wettbewerbsmodelle oder eigene Prototypen, lassen sich klassisch vermessen beziehungsweise wiegen. Darüber hinaus werden neuartige Methoden eingesetzt, zum Beispiel die 3D-Computer-Tomografie. Diese ermöglicht zum einen die zerstörungsfreie Analyse von Wettbewerbsprodukten, das heißt eine Ermittlung der Maße und Gewichte auch von Einzelkomponenten, ohne das Produkt in seine Teile zerlegen zu müssen. Zum anderen ermöglicht diese Methode die Ableitung eines virtuellen Produktmodells aus der Hardware.
9.2.2 Wie lassen sich Anforderungen in Bezug auf das Produktgewicht ermitteln? Wie bei allen wichtigen Produkteigenschaften ist es auch beim Gewicht wesentlich, zu Beginn der Entwicklung Zielwerte festzulegen. Werden nicht bereits am Anfang einer Entwicklung Ziele für das Produktgewicht definiert, besteht die Gefahr, dass das Produkt am Ende für die geplante Nutzung zu schwer wird oder einen zu hohen Kraftstoff- oder Energieverbrauch aufweist. Auch Transport- und Fertigungskosten können steigen, wenn ein Produkt schwerer wird. Zu Beginn der Produktentwicklung ist noch nicht klar, welche Funktionen, Bauteile und Module das Produkt am Ende aufweisen wird, weshalb eine Einschätzung des zukünftigen Produktgewichts schwierig ist. Weiterhin können auch im Zusammenhang mit dem Produktgewicht Zielkonflikte auftreten, die in möglichst frühen Phasen erkannt und aufgelöst werden sollen. Durch eine frühe Be-
9.2 Maßnahmen zur Optimierung des Produktgewichts
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rücksichtigung des Produktgewichts bereits in der Zieldefinition können die Chancen eines Produktes auf Markterfolg erhöht werden, da leichte Produkte einfacher handhabbar sind und geringe Betriebskosten ein wichtiges Verkaufsargument darstellen. Dies gilt besonders bei Investitionsgütern wie beispielsweise Produktionsmaschinen. Zur Definition von Gewichtszielen können unterschiedliche Quellen genutzt werden. Bei einer Weiterentwicklung oder Modellüberarbeitung wird in der Regel das Vorgängerprodukt als Referenz herangezogen. Darüber hinaus kann ein Benchmarking [Fahrni 2002] in Bezug auf das Produktgewicht durchgeführt werden, bei dem neben dem eigenen Vorgängermodell auch Konkurrenzprodukte betrachtet werden, um aus diesen Ergebnissen die Ziele für das geplante Produkt abzuleiten. Hier sind allerdings geplante neue Funktionalitäten, die in den Benchmark-Produkten eventuell noch nicht umgesetzt sind, ebenfalls mit einzubeziehen. Für die Ermittlung von Einsparpotenzialen ist die Aufstellung der Gewichtsstrukturen der betrachteten Produkte anhand einer ABC-Analyse hilfreich. Wird ein Produkt entwickelt, das von Menschen zur Nutzung bewegt werden muss, so ist zu beachten, dass die zu bewegenden Massen nicht zu groß werden. Um hierzu Grenzwerte zu ermitteln, sind entsprechende Normen [beispielsweise DIN 33411] heranzuziehen. So können beispielsweise je nach Zielgruppe und Anwendungsfall die maximal zulässigen Kräfte zum Anheben eines Gerätes ermittelt werden, um daraus das maximal zulässige Produktgewicht abzuleiten.
Abb. 9-2. Hebekräfte [Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung 1989]
Weiterhin ist es wichtig, bereits bei der Anforderungsklärung Wechselwirkungen und Zielkonflikte in Bezug auf das Gewicht zu berücksichtigen. Bei handgeführten Elektrogeräten liegt in der Regel eine Wechselwirkung zwischen der geforderten Leistung und dem zulässigen Gewicht vor. Ein reiner Gewichtsvergleich zwischen dem Vorgängermodell und dem zu entwickelnden Neuprodukt ist hier nicht zielführend. Die Anforderung nach einer Leistungserhöhung führt oftmals zunächst zu einer Gewichtserhöhung, beispielsweise durch einen leistungsstärke-
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9 Gewichtsoptimierte Produkte
ren Antrieb, der auch mehr Gewicht und Bauraum beansprucht. Hier ist die kombinierte Betrachtung erforderlich, es gilt das Leistungsgewicht zu optimieren. Darüber hinaus sind Zielkonflikte zu erkennen und wenn möglich aufzulösen. Ein solcher Zielkonflikt ist beispielsweise, dass ein Baukran, da er häufig transportiert werden muss, ein möglichst geringes Gewicht aufweisen soll, aber ein gewisses minimales Gewicht benötigt, um überhaupt seine Funktion des Lastentransportes erfüllen zu können. Außerdem besteht ein Zielkonflikt, wenn das Gewicht einer Fahrzeugkarosserie gesenkt, die Steifigkeit aber gleich bleiben oder erhöht werden soll, um eine optimale Fahrzeugsicherheit zu gewährleisten.
9.2.3 Wie lässt sich das Produktgewicht im Funktionsmodell berücksichtigen? Auf Funktionsebene ist die Bestimmung des Produktgewichts noch nicht möglich, da dieses von der Realisierung der Funktionen abhängt. Dennoch lässt sich das Gewicht bereits bei der Erstellung von Funktionsmodellen berücksichtigen. Zum einen ist es von Bedeutung gewichtsrelevante beziehungsweise gewichtskritische Aspekte im System zu identifizieren. Zum anderen lassen sich in eingeschränkter Form auch bereits im Funktionsmodell Potenziale zur Gewichtsersparnis identifizieren. Um auf Funktionsebene das Gewicht berücksichtigen zu können, muss zunächst ermittelt werden, welcher Anteil des Gewichts zur Erfüllung der einzelnen Teilfunktionen aufgewendet wird. Dies kann analog zur Funktionskostenanalyse im Target Costing [Stößer 1999, Nißl 2006, Seidenschwarz 2006] geschehen. Die Ermittlung von Funktionsgewichten ist aber problematischer als die Ermittlung von Bauteilgewichten. Die Problematik besteht in diesem Fall darin, dass ein Bauteil mehrere Funktionen vereinen kann oder eine Funktion durch verschiedene Bauteile erfüllt wird. Es muss also eingeschätzt werden, welchen Anteil einzelne Bauteile an der Funktionserfüllung besitzen. Bei einer Funktionsgewichtsanalyse wird zunächst auf Bauteilebene die Gewichtsstruktur des Vorgänger- oder Konkurrenzproduktes erstellt. Die Bauteile und zugehörigen Gewichte werden dann in die Zeilen einer Tabellenkalkulation eingetragen. In die Spalten werden die Funktionen des Produktes aufgetragen. Nun wird bestimmt, welche Funktion von den Bauteilen zu welchem Anteil erfüllt wird. Dies geschieht durch Schätzen der Funktionsanteile durch Experten. Danach werden die Funktionsanteile mit den Bauteilgewichten multipliziert und durch Addition der Funktionsgewichtsanteile die Funktionsgewichte ermittelt. Dadurch ergibt sich eine Rangfolge der Funktionsgewichte. Dieses ermöglicht eine ABCAnalyse zur Ermittlung von Einsparpotenzialen. Auf diese Weise kann unter Berücksichtigung der neu geplanten Funktionen für das zu entwickelnde Produkt eine Soll-Rangfolge für die Funktionsgewichte erstellt und den einzelnen Funktionen realistische Zielfunktionsgewichte zugeordnet werden.
9.2 Maßnahmen zur Optimierung des Produktgewichts
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Im Nutzerorientierten Funktionsmodell können Funktionen ermittelt werden, bei denen das Produktgewicht für gewisse Nutzergruppen von Bedeutung oder sogar kritisch ist, zum Beispiel bei der Handhabung von Bauteilen oder dem Gesamtprodukt in der Anwendung, im Transport und in der Montage. Ebenso lassen sich im Umsatzorientierten Funktionsmodell Funktionen mit Gewichtsrelevanz identifizieren, also Funktionen, in denen es beispielsweise um die Bewegung und Beschleunigung von Massen geht.
Abb. 9-3. Gewichtsrelevante Aspekte im Umsatzorientierten Funktionsmodell
Bei der Erstellung von Funktionsmodellen und der Planung von zukünftigen Produktfunktionen sollte immer beachtet werden, dass zusätzliche Funktionen in der Regel auch zu einem erhöhten Produktgewicht führen, da meist weitere Bauteile zu deren Erfüllung benötigt werden. Bei der Entwicklung von Bohrmaschinen müssen beispielsweise gesetzliche Vorgaben über die zulässige Dosis an Vibrationen, der Benutzer täglich ausgesetzt sein dürfen, eingehalten werden. Eine Möglichkeit, um diese Anforderung zu berücksichtigen, ist die Einführung einer neuen Funktion, der Vibrationsreduzierung. Deren Realisierung im Produkt darf aber nicht zu einer wesentlichen Erhöhung von Bauraum und Gewicht führen. Dies ist bei der Entwicklung und Bewertung technischer Lösungen zur Vibrationsminderung (beispielsweise Tilger oder Dämpfelemente) zu berücksichtigen. Auf Funktionsebene sollten bereits erste Überlegungen angestellt werden, welche Funktionen später räumlich vernetzt sein müssen, um ein möglichst optimales Produktgewicht zu erzielen. Dazu ist zu berücksichtigen, welche Stoff-, Energieund Informationsflüsse für das zukünftige Produkt vorgesehen sind. Funktionen, die von den Produktumsätzen nacheinander durchlaufen werden müssen, sollten demnach räumlich möglichst nah beieinander angeordnet werden, um nicht unnötig viele Transporte durch Rohre, Kabel oder andere Trägermedien zwischen einzelnen Systemelementen nach sich zu ziehen. Diese Überlegungen werden auf Wirkebene konkretisiert.
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9 Gewichtsoptimierte Produkte
9.2.4 Wie lässt sich das Produktgewicht im Wirkmodell beeinflussen? Die Berücksichtigung des Gewichts und einer möglichen Verteilung der Massen im Produkt auf Wirkebene ist von großer Bedeutung, um die zuvor definierten Gewichtsziele erreichen zu können. Die Herausforderung dabei ist, dass sich allein aus den Wirkprinzipien nicht direkt auf das absolute Produktgewicht schließen lässt. Dazu müssen in dieser Phase Schätzungen und Vergleiche herangezogen werden. Bei diesen Schätzungen besteht das Problem, dass mit der Wahl des Wirkprinzips noch nicht festgelegt ist, mit welchem Material dieses Prinzip umgesetzt werden soll, was wesentlichen Einfluss auf das Gewicht des späteren Produktes und seiner Bestandteile auf Bauebene hat. Eine Abschätzung des resultierenden Produktgewichts für verschiedene physikalische Wirkprinzipien ist aber zum Beispiel anhand von Vergleichen mit Vorgängerprodukten möglich und kann als Bewertungskriterium in die Konzeptentscheidung einfließen. Ob beispielsweise zum Aufbringen einer Kraft ein Hydraulikzylinder oder ein Piezoelement verwendet wird, hat Auswirkungen auf das Produktgewicht, die sich bereits auf Wirkebene abschätzen lassen.
Abb. 9-4. Vergleich der Wirkprinzipien von Transrapid und Rad/Schiene-System (mit freundlicher Genehmigung der Transrapid International GmbH & Co. KG)
Der Transrapid als Magnetschwebebahn weist beispielsweise nur ein etwa halb so hohes Gewicht pro Sitzplatz auf wie ein ICE3. Hier führt die Änderung des Wirkprinzips von einem Rad-Schiene-Antrieb hin zur Magnetbahn dazu, dass Antrieb und Bremsen nicht in das Fahrzeug eingebaut werden müssen, sondern fast der gesamte Antrieb in den Fahrweg integriert werden kann. Dies zieht eine erhebliche Gewichtsreduktion des bewegten Systems im Vergleich zum konventionellen Konzept nach sich [Schach et al. 2006].
9.2 Maßnahmen zur Optimierung des Produktgewichts
217
Auch Widersprüche, die in Bezug auf das Produktgewicht auftreten können, sollten bereits im Wirkmodell betrachtet werden. Zur Überwindung dieser Widersprüche kann die Widerspruchsorientierte Lösungssuche [Altschuller 1984] genutzt werden, um zielgerichtet Möglichkeiten zu deren Auflösung zu entwickeln. Wenn beispielsweise der Konflikt auftritt, dass bei reduziertem Gewicht die Steifigkeit eines Bauteils ebenfalls geringer wird, liefert die Widerspruchsmatrix unter anderem als Anregung zur Lösungssuche das „Prinzip des Ersatzes mechanischer Systeme“. Dieses Prinzip besagt, dass ein mechanisches System durch ein optisches, akustisches oder geruchsaktives System zu ersetzen ist. Der Ersatz eines mechanischen Systems zur Informationsübertragung durch ein elektronisches, wie es beim Wechsel von Steuerung über Schubstangen und Stahlseile zur elektronischen Steuerung (Fly-by-Wire) in Flugzeugen der Fall war, kann durch dieses Prinzip angeregt werden und ermöglicht eine deutliche Gewichtsreduzierung bei gleicher Systemfunktionalität. Auf Wirkebene sind, wie bereits auf Funktionsebene, die Umsätze des Produktes zu beachten (Stoff, Energie und Information). Auf dieser Ebene werden für das Produktgewicht wesentliche Entscheidungen getroffen, wie unter anderem die Bestimmung der Energieart oder auch der Informationsträger. Diese Festlegungen in Kombination mit den Überlegungen der Funktionsvernetzung haben wesentlichen Einfluss auf die Umsetzung in der konkreten Produktgestalt. So wird beispielsweise bestimmt, welche Art von Energietransport durch das Produkt notwendig ist, und ob ein Energiespeicher, wie zum Beispiel ein Kraftstofftank oder eine Batterie, vorgesehen werden muss, was wesentliche Auswirkungen auf das Produktgewicht und die Masseverteilung im System hat.
9.2.5 Wie lässt sich das Produktgewicht im Baumodell beeinflussen? Bei der Festlegung der Produktgestalt und der Erarbeitung von Baumodellen wird das Produktgewicht durch die endgültige Auswahl des Werkstoffes und Ausarbeitung der geometrischen Gestalt der Bauteile definiert. Dabei kommen aber nicht nur Aspekte des Produktgewichts ins Spiel, sondern es müssen auch alle anderen Anforderungen an das Produkt, beispielsweise in Bezug auf Beanspruchungen, Fertigung, Einkauf oder Vertrieb berücksichtigt werden. Hier ist der optimale Weg zur Erfüllung aller Anforderungen für das ausgewählte Produktkonzept zu finden. Auf dieser Konkretisierungsebene kommen die „klassischen“ Prinzipien des Leichtbaus zum Einsatz. Folgende Maßnahmen lassen sich unterscheiden: x x x x
die Anwendung von Gestaltungsprinzipien der Einsatz neuer Leichtbauwerkstoffe die Entwicklung neuer Fertigungsverfahren der Einsatz von computergestützten Berechnungs- und Simulationswerkzeugen
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9 Gewichtsoptimierte Produkte
Im Folgenden wird die Anwendung von Gestaltungsprinzipien zur Beeinflussung des Produktgewichts beschrieben. Eine Möglichkeit Gewicht einzusparen besteht beispielsweise darin, Bauteile in Integralbauweise anstatt Differenzialbauweise auszulegen. Hierbei werden mehrere Einzelteile, die aus einem einheitlichen Werkstoff bestehen, zu einem Werkstück zusammengefasst, zusätzliche Verbindungselemente sind nicht erforderlich. Eine weitere Möglichkeit ist die Anwendung des Prinzips der Kaskadierung. Dieses besagt, dass es sinnvoll sein kann, den Kraftfluss in einem System über mehrere unabhängige Pfade zu führen. Dadurch reduziert sich die in jedem der einzelnen Pfade wirkende Kraft in ihrer Größe und die betroffenen Strukturelemente müssen nicht so massiv ausgelegt werden, wodurch Material und damit auch Gewicht eingespart werden kann. Ein Beispiel für die Anwendung des Prinzips der Kaskadierung findet sich in den Schaufelbefestigungen von Turbomaschinen. Verdichter- und Turbinenschaufeln müssen zuverlässig auf extrem schnell rotierenden Scheiben befestigt werden. Dafür werden unter anderem Schwalbenschwanz- beziehungsweise Tannenbaumfüße eingesetzt. Welche Konstruktion gewählt wird, hängt von der Fliehkraftbelastung der Schaufel ab. Wird diese zu hoch, reicht der nutzbare Querschnitt zur Kraftübertragung bei Schwalbenschwanzfüßen bei einer vertretbaren Länge des Schaufelfußes nicht mehr aus. Durch Kaskadierung der Kraftübertragung im Tannenbaumfuß lässt sich jedoch der effektive Übertragungsquerschnitt bei hochbelasteten Schaufeln vergrößern.
Abb. 9-5. Prinzip der Kaskadierung bei Turbinenschaufeln
Theoretisch kann die Zahl der Übertragungselemente im Tannenbaumfuß so weit vergrößert werden, bis schließlich fast der gesamte Querschnitt des Scheibensektors zur Kraftübertragung genutzt wird. Praktisch sind der Zähnezahl in einem Tannenbaufuß jedoch Grenzen gesetzt: Um eine gleichmäßige Kraftübertragung durch alle Zähne zu erreichen, steigen die Anforderungen an die Genauigkeit der Geometrie mit zunehmender Zähnezahl stark an. Tannenbaumfüße mit zu vielen Kaskadenstufen sind daher nicht mehr wirtschaftlich fertigbar. In modernen Flugtriebwerken wird teilweise die Blisk-Technologie eingesetzt (das Wort Blisk ist dabei eine Kurzform für „Blade Integrated Disk“). Die Blisk-Technologie stellt
9.2 Maßnahmen zur Optimierung des Produktgewichts
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den theoretischen Grenzfall der Kaskadierung dar. Die Turbinenschaufel wird hier zum Beispiel stoffschlüssig durch Reibschweißen mit dem Außenumfang der Scheibe verbunden. Bei Produkten mit einem deutlichen Entwicklungsschwerpunkt auf der Optimierung des Produktgewichts kommen immer häufiger Leichtbauwerkstoffe zum Einsatz. Dabei handelt es sich um Metalllegierungen, wie zum Beispiel Magnesiumlegierungen, oder auch Kunststoffe und Faserverbundwerkstoffe. Im Bereich der Leichtbauwerkstoffe findet eine intensive Entwicklung statt, mit dem Ziel das spezifische Gewicht der Werkstoffe zu verringern, dabei aber gleichzeitig die Materialeigenschaften, wie zum Beispiel Steifigkeit oder Zugfestigkeit, zu verbessern. Oft werden Werkstoffe mit definierten Eigenschaften für spezielle Anwendungen entwickelt und eingesetzt. Besonders Faserverbundwerkstoffe können durch die Anordnung von Fasern und Schichten gewünschte Werkstoffeigenschaften bei einem geringen spezifischen Gewicht ermöglichen. Hierzu werden ebenfalls Sandwichbauweisen, meist mit Waben aus Aluminium oder Kunststoffen, eingesetzt. Zur Herstellung und Verarbeitung dieser Werkstoffe werden oft neue Fertigungsverfahren benötigt. Die spezielle Entwicklung dieser Werkstoffe und Verfahren kann aber zu deutlich höheren Produktkosten führen. Neben der Entwicklung neuer Werkstoffe und Fertigungsverfahren spielt schließlich der Einsatz computergestützter Berechnungs- und Simulationswerkzeuge zur Optimierung der Produktstruktur und Materialverteilung eine wichtige Rolle, um die Gewichtsanforderungen an ein Produkt einhalten zu können. Mit Ansätzen der numerischen Simulation, beispielsweise der Finite-ElementeMethode (FEM), lässt sich aufzeigen, an welchen Stellen Material eingespart werden kann und an welchen Stellen ein Bauteil den geforderten Belastungen noch nicht standhält. Besonders bei Gussteilen wird dieses Vorgehen oft genutzt.
Abb. 9-6. Strukturoptimierung am Flugzeugflügel mittels FEM-Berechnung [CADplus 2003]
Wird in der Entwicklung ausschließlich der Schwerpunkt auf die Reduzierung des Gewichts gelegt, kann dies negative Auswirkungen auf Eigenschaften des Systems nach sich ziehen. Die Gewichtsreduktion von Teilen der Karosserie eines Automobils kann beispielsweise zu ungewollten akustischen Effekten führen, die unter Umständen aus Zeitgründen kurzfristig mit schweren Tilgern gelöst werden müssen. Dies führt in der Gesamtbilanz sowohl in Bezug auf das Gewicht als auch auf die Kosten zu Nachteilen.
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9 Gewichtsoptimierte Produkte
Neben der Reduzierung des Gewichts bedeutet Gewichtsoptimierung, besonders bei dynamischen Systemen, auch eine optimale Gewichtsverteilung innerhalb des Produktes zu erzielen. Diese hat wesentlichen Einfluss auf die Funktionalität des Produktes. Wenn beispielsweise bei einem Kraftfahrzeug mit Frontantrieb der größte Teil des Gewichts auf der Hinterachse lastet, wirkt sich dies negativ auf die Fahreigenschaften aus. Die ungünstige Massenverteilung kann in diesem Fall unter anderem dazu führen, dass sich die Traktion des Fahrzeuges verschlechtert, also die Fahrzeugsicherheit eingeschränkt ist. Bei Werkzeugmaschinen kann sich durch ungünstige Massenverteilung und daraus resultierenden Eigenfrequenzen und -formen die erzielbare Fertigungsgenauigkeit reduzieren oder der Werkzeugverschleiß erhöhen. Dies bedeutet, dass bei ungünstiger Massenverteilung die funktionalen Anforderungen an das Produkt nicht eingehalten werden können. Das Bewusstsein für die Wichtigkeit einer guten Massenverteilung innerhalb eines Produktes ist für dessen Realisierung allein aber nicht ausreichend. Es müssen zusätzlich unter anderem auch physikalische Anforderungen und Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Wird etwa ein Steuergerät thermisch ungünstig in der Nähe eines Verbrennungsmotors angeordnet um eine scheinbar optimale Massenverteilung zu erzielen, kann sich in der Testphase herausstellen, dass dieses Steuergerät vor den thermischen Einwirkungen geschützt werden muss. Dies wird in der Regel durch zusätzliche Bauteile (zum Beispiel Wärmeschutzbleche oder auch separate Kühlluftleitungen) realisiert, was den vorher gewonnen Gewichtsvorteil zumindest teilweise wieder zunichte macht. Die Erreichung einer optimalen Massenverteilung in einem Produkt ist somit von vielen Einflussfaktoren abhängig. Zu diesen gehören unter anderem funktionale und wirkprinzipielle Zusammenhänge, die räumlichen Möglichkeiten, die durch Bauraum und Anforderungen vorgegeben sind, oder auch die Werkstoffauswahl.
9.3 Gewichtsoptimierung in der Luftfahrtindustrie In der Luftfahrtindustrie ist schon seit langer Zeit die Optimierung des Flugzeuggewichts ein Entwicklungsschwerpunkt. Bei möglichst geringem Leergewicht soll eine möglichst hohe Zuladung realisiert werden, um den Energieverbrauch und damit die Energiekosten pro transportiertem Passagier oder pro Container zu reduzieren und die Reichweite des Flugzeuges zu steigern. Besonders bei Passagierflugzeugen zeigt sich jedoch der Trend, immer mehr Unterhaltungselektronik vorzusehen, was zu einer deutlichen Erhöhung des Flugzeuggewichts führt. Mit dieser Problematik musste man sich bei der Entwicklung des Airbus A380 auseinandersetzen. Im Durchschnitt 555 Passagiere sollen in dem 72 Meter langen und 24 Meter hohen Flugzeug mit einer Spannweite von 79 Metern transportiert werden. Das maximale Startgewicht des A380 ist dabei um etwa 40 Prozent größer als das der ersten Boeing 747 [Spaeth 2005].
9.3 Gewichtsoptimierung in der Luftfahrtindustrie
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Abb. 9-7. Der Airbus A380 (mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Lufthansa AG)
Ziel in der Entwicklung war es, die hohen Anforderungen an Zuladung, Reichweite und Wirtschaftlichkeit dadurch zu erreichen, dass durch eine Reduzierung des Flugzeuggewichts und den Einsatz optimierter Triebwerke die Treibstoffkosten möglichst gering gehalten werden. Damit einher gehen jedoch viele konstruktive Herausforderungen, um die Strukturfestigkeit bei gleichzeitig geringstmöglichem Gewicht für einen wirtschaftlichen Betrieb sicherzustellen. Während diese Problematik generell bei neuen Luftfahrtentwicklungen auftritt, kamen beim A380 noch während der Entwicklung zusätzlich gewichtssteigernde Kundenwünsche hinzu, unter anderem eine aufwändigere Unterhaltungselektronik sowie zusätzlicher Lärmschutz. Die genutzten Maßnahmen zur Gewichtsreduktion erstrecken sich von der Verwendung leichter und hochfester Materialien über innovative Konzepte und Technologien bis hin zu neuen Fertigungsverfahren und den Einsatz von Simulations- und Berechnungsmethoden. Im Bereich der metallischen Werkstoffe werden Legierungen auf Aluminium-, Titan- und Nickelbasis unter anderem im Fahrwerk des Flugzeugs genutzt. Zur Realisierung hochintegrierter Schaltkreise kommen reinste Siliziummaterialien zum Einsatz. Wegen seiner hervorragenden Leichtbaueigenschaften wird verstärkt die Legierung Al-Li (Aluminium-Lithium) eingesetzt. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Lithium die Dichte des Aluminiums mit jedem Prozent Beimischung um etwa 3 Prozent senkt und gleichzeitig der Elastizitätsmodul um 6 Prozent steigt. So wird ein klassischer technischer Widerspruch, nämlich die Reduzierung des Gewichts bei gleichzeitiger Steigerung der Steifigkeit, zumindest teilweise beseitigt. Insgesamt wird die Gewichtsersparnis durch Kombination neuer innovativer Legierungen auf etwa 10 Prozent beim A380 eingeschätzt. Die erstmalige Anwendung von Aluminiumkabeln für elektrische Leitungen in einem Verkehrsflugzeug erbrachte zum Beispiel 300 kg Gewichtsersparnis [Ziegler et al. 2005]. Gegenüber der konventionellen Verwendung von Kupferkabeln bedeutet dies eine Gewichtseinsparung von 20 Prozent.
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9 Gewichtsoptimierte Produkte
Abb. 9-8. Maßnahmen zur Gewichtsreduzierung im A380 (mit freundlicher Genehmigung von Andreas Spaeth, www.aspapress.com)
Darüber hinaus kommt dem Einsatz innovativer Verbundwerkstoffe eine immer größere Rolle zu. Im Flügelmittelkasten, dem Verbindungsstück zwischen beiden Flügeln und dem Rumpf, wird beispielsweise durch den Einsatz von faserverstärkten Kunststoffen ein Gewichtsvorteil von etwa 1,5 Tonnen erzielt. Als weiteres neuartiges Material wird der Verbundwerkstoff GLARE verwendet (Glas Fibre Reinforced Aluminium), ein glasfaserverstärktes Aluminiumlaminat. Im Vergleich zu konventionellem Aluminium ergeben sich hier deutliche Gewichtsvorteile. Der Gesamtwerkstoffmix des A380 enthält etwa 61 Prozent Aluminiumbauteile, 10 Prozent Titan und Stahl sowie 22 Prozent Verbundwerkstoffe [Spaeth 2005]. Durch neue konstruktive Konzepte und Technologien lassen sich ebenfalls Gewichtsersparnisse realisieren. So ermöglicht der Einsatz eines Fly-By-WireSystems eine Schwerpunktverlagerung, wodurch fast 40 Quadratmeter der Fläche der Höhenleitwerksflossen und damit auch erhebliches Gewicht eingespart werden [Ziegler et al. 2005]. Der Einsatz eines Hochdruckhydrauliksystems mit einem verbesserten Sicherheitskonzept brachte über eine Tonne Gewichtsersparnis gegenüber der konventionellen Bauweise. Dabei wurde der Hydraulikdruck in einem zivilen Passagierflugzeug erstmals auf die im militärischen Bereich üblichen 5000 psi anstatt 3000 psi ausgelegt. Da der Druck definiert ist als Kraft pro Fläche, lässt sich eine bestimmte Kraft, beispielsweise zum Bewegen eines Ruders, bei höherem Druck der Hydraulikflüssigkeit mit einem geringeren Leitungsquerschnitt realisieren. Zusätzlich brachte die Umstellung des Flugsteuerungssystems von drei hydraulischen auf nunmehr zwei hydraulische und zwei elektrische Steuerkreise, die völlig unabhängig voneinander arbeiten, neben einem weiteren Gewichtsvorteil noch einen Sicherheitsgewinn mit sich [Figgen et al. 2005].
9.3 Gewichtsoptimierung in der Luftfahrtindustrie
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Durch innovative Fertigungsverfahren wie das Laserstrahlschweißen konnte weiterhin gleichzeitig Gewicht gespart und die Funktionserfüllung verbessert werden. Früher benötigten die Längsverstrebungen, die mit der Außenhaut vernietet waren, einen eigenen Fußteil, hinzu kam das Gewicht der Nieten und des benötigten Dichtmittels. All diese Elemente können bei der geschweißten Verbindung entfallen. Neben den Vorteilen in Bezug auf das Flugzeuggewicht führt diese neue Ausführung zu einer erhöhten Beschädigungs- und Materialermüdungsresistenz sowie zu verkürzten Produktionszeiten und damit einer Kostenreduktion in der Produktion. Verwendung findet dieses Verfahren beim A380 beispielsweise bei der Beplankung der vorderen und hinteren Rumpfunterschale [Figgen et al. 2005]. Gegenüber herkömmlichen Methoden wurden dadurch 10 Prozent Gewicht eingespart [Spaeth 2005, Borchard-Tuch 2007]. Auch die Klebetechnik unterstützt die Leichtbauweise, da sie die Verwendung von Leichtmetalllegierungen, faserverstärkten Kunststoffen und Sandwichbauteilen möglich macht. Hier tragen weitere Neuerungen zur Gewichtsreduktion bei. So werden Klebstoffe für das Fügen von Kompositen und zur Verstärkung von Konstruktionselementen beispielsweise im Flugzeugrumpf eingesetzt. Ohne neuentwickelte spezielle Spaltfüllmaterialien hätte der großdimensionierte, aus Verbundmaterial bestehende Mittelkasten für die Tragwerksaufhängung nicht gefertigt werden können. Generell finden sich Klebetechnikanwendungen sowohl im Innenbereich als auch bei der Herstellung hochbeanspruchter Fügeverbindungen, wie zum Beispiel bei Außenblechversteifungen oder bei Sandwichstrukturen aus Aluminium- oder Kunststoffwaben [Borchard-Tuch 2007]. Weiterhin können auch neue, leistungsfähige Simulations- und Berechnungsmethoden wie rechnergestützte Optimierungsverfahren gezielt dazu beitragen die Bauteile optimal auszulegen und dabei Gewichtsreduzierungen zu realisieren. Im Airbus A380 wurden zur Topologieoptimierung beispielsweise der Rippenstrukturen des Vorflügels neue Berechnungsprogramme eingesetzt. Dabei wurde in einem ersten Schritt eine steifigkeitsoptimierte Struktur berechnet, die dann durch mathematische Variation von Wandstärken und Steghöhen weiter auf Lebensdauer und Beugeverhalten optimiert wurde. Dies brachte eine Gewichtseinsparung von etwa einer halben Tonne. Das Beispiel verdeutlicht, dass unterschiedlichste Maßnahmen im Rahmen der Entwicklung zur Optimierung des Produktgewichts herangezogen werden können. Trotz dieser Fülle an ergriffenen Maßnahmen wurden die gesetzten Gewichtsziele für den A380 nur mit Mühe erreicht. Daraus wird erkenntlich, dass eine Betrachtung des Produktgewichts eine hohe Bedeutung über den gesamten Entwicklungsprozess hinweg besitzt, um der Rolle des Produktgewichts für den Produktlebenslauf gerecht zu werden.
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9 Gewichtsoptimierte Produkte
9.4 Zusammenfassung Das Gewicht und die Gewichtsverteilung eines Produktes haben wesentliche Auswirkungen auf die Funktionserfüllung und andere Produkteigenschaften, wie beispielsweise die Sicherheit und den Energieverbrauch. Damit beeinflusst das Gewicht auch in einem erheblichen Maße die Kosten, die für ein Produkt im Laufe seines Lebenszyklus entstehen. Dies beginnt bei den Materialkosten und geht über die Transportkosten hin zu den Betriebs- beziehungsweise Energiekosten. Auch die Verteilung der Masse innerhalb eines Produktes ist dabei von Interesse und führt zu Wechselwirkungen mit anderen Produkteigenschaften, insbesondere bei einer dynamischen Betrachtung. So kann sich die Massenverteilung direkt auf die Funktionserfüllung des Produktes auswirken (zum Beispiel Eigenformen einer Werkzeugmaschine) oder auch das Komfortgefühl für den Kunden beeinflussen (beispielsweise in Kraftfahrzeugen). Aus den beschriebenen Gründen ist es sowohl für den Produzenten als auch für den Kunden eines Produktes relevant, die Anforderungen an das Gewicht und die Gewichtsverteilung eines Produktes zu kennen. Diese Aspekte müssen somit schon möglichst früh im Entwicklungsprozess berücksichtigt werden. Im Rahmen der Produktkonkretisierung kann auf allen Konkretisierungsebenen Einfluss auf die Gestaltung eines Produktes mit optimaler Masse und Massenverteilung genommen werden. Auf Funktionsebene kann beispielsweise die Ermittlung von Funktionsgewichten eingesetzt werden, um Einsparpotenziale aufzuzeigen. Die Auswahl gewichtssparender Wirkprinzipien und Wirkkonzepte liefert einen Beitrag dazu, auf Wirkebene der Forderung nach einem optimalen Produktgewicht nachzukommen. Auf Bauebene stehen dem Entwickler schließlich vielfältige Maßnahmen wie Leichtbauprinzipien, neuartige Materialien, Fertigungsverfahren sowie Berechnungs- und Simulationswerkzeuge zur Verfügung.
10 Montagegerechte Produkte
Unter der Montage eines Produktes wird der Zusammenbau von Bauteilen oder Baugruppen nach der Teilefertigung mit allen notwendigen Hilfsarbeiten verstanden [Stoll 1995]. Die Montage beeinflusst in starkem Maße Qualität, Kosten und Time-to-Market eines Produktes. So beansprucht die Montage 15 bis 70 Prozent der Gesamtfertigungszeit. Für den Maschinenbau im Allgemeinen ergeben sich – je nach Komplexität des Produktes und in Abhängigkeit von der jeweiligen Fertigungstiefe – Montagezeitanteile zwischen 20 und 45 Prozent, in der Elektro- und Feinwerktechnik zwischen 40 und 70 Prozent [Lotter et al. 2006]. Neben den hohen Zeitanteilen werden große Anteile der Herstellkosten eines Produktes in der Montage verursacht. Dies sind bei Produkten aus dem Maschinenbau bis zu 70 Prozent [Grunwald 2001, Ehrlenspiel et al. 2007], bei elektromechanischen Bauteilen sogar bis zu knapp 90 Prozent [Schmidt 1992]. Die Verantwortung und Einflussnahme auf die Kosten dagegen liegt nur zu einem sehr geringen Anteil bei der Montage, der höchste Anteil der Kosten wird in der Entwicklung sowie in der Fertigungs- und Montageplanung verantwortet.
Abb. 10-1. Kostenverursachung und Kostenverantwortung, beispielhaft an Produkten aus dem Maschinenbau [nach Ehrlenspiel et al. 2007]
Angesichts des hohen Einflusses der Entwicklung und Konstruktion auf die Festlegung der Montageeigenschaften des Produktes kommt der montagegerechten Produktgestaltung somit eine hohe Bedeutung zu. Um Fragestellungen, die im Entwicklungsprozess in Zusammenhang mit der Montage aufgeworfen werden, zu beantworten und eine optimale Montierbarkeit des Produktes zu gewährleisten, bietet sich der Einsatz verschiedener Vorgehensweisen, Methoden und Werkzeuge auf den unterschiedlichen Produktkonkretisierungsebenen an.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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10 Montagegerechte Produkte
10.1 Montagegerechte Gestaltung eines Hochvoltsteckers für Elektrofahrzeuge Ein Beispiel montagegerechter Produktgestaltung bietet die Entwicklung eines Verbindungskonzeptes für Hochvolt-Bordnetze, wie sie für den Einsatz in den elektrifizierten Antriebssträngen von Hybrid- und Elektrofahrzeugen benötigt werden [Langer et al. 2011]. Für den Einsatz in Bordnetzen zur Übertragung hoher Leistungen ergeben sich dabei auch veränderte funktionale Anforderungen im Vergleich zu konventionellen Bordnetzen, die unter anderem eine Anpassung des Endmontageprozesses nach sich ziehen – mit wesentlichen Auswirkungen auf die Produktgestaltung.
Abb. 10-2. Hochvolt-Bordnetz im Elektrofahrzeug (Mit freundlicher Genehmigung der BMW Group)
So basieren konventionelle Systemarchitekturen für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren auf 12V-Bordnetzen. Damit verbunden sind relativ hohe Querschnitte leistungsübertragender Kabel, etwa von der Batterie zum Anlasser. Dennoch werden im normalen Fahrzeugbetrieb nicht über längere Zeit nennenswerte elektrische Leistungen übertragen – somit sind auch Übertragungsverluste durch erhöhte Widerstände in den Kontaktstellen eher unkritisch. Die notwendige Kontaktkraft der Steckelemente ist daher relativ niedrig. Auch ist eine Berührung spannungsführender Kontaktteile während der Endmontage aufgrund der niedrigen Spannung für den Monteur unkritisch. Der Montageprozess gestaltet sich unter diesen Randbedingungen denkbar einfach: Das Bordnetz wird segmentweise in der Karosserie verlegt, der Zusammenschluss und der Anschluss an Komponenten erfolgt manuell und ohne besondere Vorrichtungen. Eine Verrastung – beispielsweise über Kunststoffclips – gibt dem Monteur die Rückmeldung über eine erfolgreiche Kontaktierung und sichert die Verbindung im Betrieb. Die gestaltbezogenen Anforderungen an das Produkt „Stecker“, die sich aus dem Endmontageprozess ergeben, sind somit leicht umsetzbar. Elektrisch betriebene Fahrzeuge hingegen ziehen technologiebedingt eine Reihe strengerer Anforderungen nach sich, die Auswirkungen auf die Montage haben. Zunächst ist die elektrische Leistungsübertragung mittels hoher Ströme der
10.1 Montagegerechte Gestaltung eines Hochvoltsteckers für Elektrofahrzeuge
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Regelfall, wodurch bereits marginale Widerstandserhöhungen in den Kontaktstellen vermeidbare Verlustleistungen bis hin zu sicherheitskritischen Wärmequellen verursachen. Um die Widerstände niedrig zu halten, müssen die Kontaktkräfte im Stecker über die gesamte Lebensdauer hinreichend hoch sein – entsprechend hoch ist die resultierende notwendige Fügekraft in der Endmontage. Auch aus Aspekten der Sicherheit ergeben sich neue Anforderungen: So dürfen potenziell spannungstragende Teile weder während der Montage noch während des Betriebs oder während Wartungsarbeiten berührbar sein. Um fehlerhaft gesteckte Verbindungen durch das Fahrzeugsystem identifizierbar zu machen, sind weitere Sicherungsmechanismen, sogenannte Interlock-Systeme, notwendig. Auch diese Vorrichtungen erhöhen die im Fügeprozess der Endmontage notwendige Kraft, die durch den Monteur aufgebracht werden muss. Die Fügekraft ist dabei aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen limitiert – somit muss eine entsprechende Gestaltung sowohl der Verbindung als auch von Montagehilfsmitteln vorgenommen werden. Zudem reicht die akustische Rückmeldung eines einrastenden Kunststoff-Clips nicht mehr, um Fehler in der Montage sicher ausschließen zu können. So zeigten Befragungen von Endmontage-Mitarbeitern eines Fahrzeugherstellers den Bedarf eines visuellen Feedbacks fehlerhaft montierter Steckverbinder auf. Damit ergibt sich eine Reihe von Anforderungen und erforderlichen Funktionen, die bei der konstruktiven Gestaltung der Hochvoltverbindung zu berücksichtigen ist. Eine wesentliche dabei zu berücksichtigende Größe ist zudem die Einhaltung der vorgegebenen Taktzeit in der Montage.
Abb. 10-3. Hochvoltstecker für den Einsatz in Elektrofahrzeugen
Das Ergebnis der montagegerechten konstruktiven Ausgestaltung der Hochvoltverbindung umfasst zum einen eine Verbindungsgeometrie und Elemente zur Kraftaufbringung, die konstant hohe Kontaktkräfte während des Betriebs ermöglichen. Zum anderen sind Elemente zur Gewährleistung der Berührsicherheit und zur Visualisierung fehlerhafter Montage umgesetzt. Die Gestaltung berücksichtigt darüber hinaus die Fügbarkeit über Montagehilfsmittel, die die erforderlichen Kräfte für die Monteure sowie die Taktzeit reduzieren. Durch diese Maßnahmen konnte die Montagegerechtheit des Produktes gewährleistet werden.
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10 Montagegerechte Produkte
10.2 Methoden zur Analyse und Gestaltung der Montageeignung von Produkten Die Montage stellt einen wichtigen Schritt im Erstellungsprozess eines Produktes dar und lässt sich folgendermaßen definieren [Stoll 1995, Lotter et al. 2006]: Die Montage umfasst den Zusammenbau eines Produktes mit vorgegebener Funktion in einer bestimmten Zeit aus einer Vielzahl an Einzelteilen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Produkterstellungsprozess mit unterschiedlichen Fertigungsverfahren hergestellt werden. Neben dem Zusammenbau gehören auch alle notwendigen ergänzenden Hilfsarbeiten dazu. Der Montageprozess kann in folgende Teiloperationen eingeteilt werden: x Handhaben: Zwei oder mehrere Körper (Bauteile, Baugruppen) werden in eine bestimmte räumliche Anordnung (Position und Orientierung) gebracht. x Fügen: Sichern dieser gegenseitigen Beziehung gegen äußere Störungen x Kontrollieren: Sicherstellen, dass der Zusammenbau wie geplant erfolgt ist Die VDI-Richtlinie 2860 [VDI 2860] ergänzt die Kernaufgaben der Montage um zusätzliche Tätigkeiten des Justierens und weitere Sonderoperationen (wie beispielsweise Markieren, Reinigen und Entgraten). Montieren Fügen Ineinanderschieben
Handhaben Speichern
Schrauben
Mengen verändern
Einlegen
Bewegen
Nieten
Sichern
usw.
usw.
Kontrollieren Prüfen Messen usw.
Justieren Justieren durch Einformen Justieren durch Umformen Justieren durch Treffen
Sonderoperationen Markieren Kühlen Reinigen Erwärmen Entgraten usw.
usw.
Abb. 10-4. Umfang der Operationen in der Montage [nach Lotter et al. 2006, VDI 2860]
Weiterhin lässt sich die Art der Montage nach dem jeweiligen Automatisierungsgrad unterscheiden. Unter der automatisierten Montage sind Montageoperationen zusammengefasst, die von Vorrichtungen oder Robotern ohne menschliches Einwirken durchgeführt werden [Andreasen et al. 1988]. Die manuelle Montage hat dabei – trotz der hohen Aufwändungen an Personal und Zeit – viele Vorzüge und ermöglicht den wirtschaftlichen Zusammenbau kleiner Stückzahlen, die in vielen verschiedenen Varianten gefertigt werden. Produkte mit kurzen Produktlebenszyklen sollten ebenfalls manuell montiert werden, um die
10.2 Methoden zur Analyse und Gestaltung der Montageeignung von Produkten
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Montage schnell an den häufigen Produktwechsel anpassen zu können. Die automatisierte Montage hingegen weist eine hohe Produktivität in Bezug auf kurze Durchlaufzeiten und hohe Stückzahlen auf, erfordert jedoch eine hohe Qualität der Bauteile und Baugruppen, um wirtschaftlich zu erfolgen [Andreasen et al. 1988, Lotter et al. 2006]. Zwischen der manuellen und der automatisierten Montage sind halbautomatische Montagesysteme (auch hybride oder flexible Montagesysteme genannt) zu finden. Diese verknüpfen die Vorteile aus manueller und automatisierter Montage. Sie erreichen dadurch ein hohes Maß an Variabilität und Flexibilität hinsichtlich Varianten des Produktes sowie Stückzahlschwankungen und Produktänderungen unter Beibehaltung einer hohen Produktivität [Schmidt 1992]. Zu den wesentlichen Einflussfaktoren auf die Montage gehören das Produkt, der Montageprozess und die Montageanlage. Montageprozesse und Montageanlagen werden dabei hauptsächlich im Rahmen der betrieblichen Montageplanung festgelegt. Zu den Aufgaben der Montageplanung zählen die Analyse von Produkt und Anforderungen, die Grob- und Feinplanung des Montageablaufs und die Anordnung, Konfiguration, Auswahl und Detaillierung von Betriebsmitteln [Grunwald 2001]. Die montagegerechte Entwicklung und Konstruktion hat hingegen das Ziel, den aus der Produktgestalt resultierenden Aufwand für die Betriebsmittel, das Personal sowie die Steuerung der Montage zu minimieren [Stoll 1995]. Dabei sind je nach Rahmenbedingungen (zum Beispiel vorhandene Montageanlagen, Stückzahlen und Varianten) unterschiedliche Gestaltlösungen und Ausprägungen konstruktiver Details (Geometrien von Verbindungsstellen, Oberflächen, Passungen und so weiter) als montagegerecht zu bewerten.
Abb. 10-5. Einflussgrößen auf die Montage und Zusammenwirken von Produkt, Montageprozess und Montageanlage [nach Bichlmaier 2000, Grunwald 2001]
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10 Montagegerechte Produkte
Das allgemeine Ziel der montagegerechten Produktgestaltung lässt sich in folgende Teilziele gliedern und konkretisieren [nach Lotter et al. 2006]: x Minimierung der Montage- und Einarbeitungszeit bei der manuellen Montage x Einsatz von möglichst einfachen und zuverlässigen Hilfsmitteln in der automatisierten Montage x Wirtschaftliche Sicherung der Produktqualität x Hohe Wiederholhäufigkeit von Montageabläufen, auch bei einer großen Anzahl an Produktvarianten Nur wenn es gelingt, die drei Gestaltungsbereiche Produkt, Montageprozess und Montageanlage optimal aufeinander abzustimmen, kann die Montage eines Produktes effizient erfolgen. Die wechselseitige Beeinflussung muss dabei besonders berücksichtigt werden. Aus diesem Grund kommt der Integrierten Produktentwicklung [Ehrlenspiel 2009] eine besondere Bedeutung zu. Hierbei ist eine intensive Zusammenarbeit aller bei der Produktentwicklung und Produkterstellung beteiligten Funktionsbereiche und Personen über alle Entwicklungs- und Planungsphasen hin anzustreben. Dazu sind auf allen Konkretisierungsebenen unterschiedliche Produkt- und Prozessinformationen notwendig, die sehr allgemeine Fragestellungen wie beispielsweise die Flexibilität der Montageanlagen und der gesamten Montage bis hin zur detaillierten Festlegung der Oberflächengüten einer spezifischen Produktvariante beeinflussen. Um die optimale Gestaltung und Abstimmung von Produkt, Montagevorgängen und Montageanlagen zu erreichen, ist die Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen diesen drei Bereichen auf allen Ebenen im Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM) erforderlich. Grundlage ist zunächst die Ermittlung, Abstimmung und Dokumentation der Anforderungen, die bei der Entwicklung montagegerechter Produkte beachtet werden müssen. Auf Funktionsebene lassen sich nur eingeschränkt Aussagen bezüglich der Montageeignung machen, da hierfür Angaben zur Produktgestalt erforderlich sind. Im Funktionsmodell können jedoch Aspekte mit Montagerelevanz identifiziert werden, die für die nachfolgenden Entwicklungsschritte Bedeutung besitzen. Durch die Strukturierung des Produktes auf Funktionsebene (beispielsweise in Form von Funktionsmodulen) werden darüber hinaus Weichen hinsichtlich der Systemarchitektur gestellt, die letztendlich auch die Montage beeinflussen. Auf der Wirkebene werden Lösungsprinzipien und -konzepte für das Produkt erarbeitet. In Bezug auf eine montagegerechte Entwicklung beinhaltet dies unter anderem die Definition der grundsätzlichen Verbindungstechnik und der Montageverfahren. Im letzten Schritt ist die Produktgestalt auf Bauebene zu konkretisieren. Dazu gehört die Gestaltung der Bauteile und deren Schnittstellen in Form und Abmessungen sowie die Festlegung der Handhabungstechniken bei der Montage. Die einzelnen Gestaltungsschritte werden dabei meist iterativ durchlaufen, da Erkenntnisse und Festlegungen beispielsweise bei den Montageverfahren eine nachträgliche Anpassung der Anlagenstruktur notwendig machen können.
10.2 Methoden zur Analyse und Gestaltung der Montageeignung von Produkten
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10.2.1 Wie lassen sich Produkte hinsichtlich ihrer Montageeignung analysieren und bewerten? Die Montageeignung oder Montagegerechtheit beschreibt den erforderlichen Aufwand für die Montage eines Produktes [Stoll 1995]. Eine Analyse und Bewertung der Montageeignung von Produkten hat zu verschiedenen Zeitpunkten des Entwicklungsprozesses zu erfolgen. Zu Beginn einer Entwicklung kann dies durch eine Analyse von Vorgängerprodukten geschehen, um Potenziale hinsichtlich der Verbesserung der Montagegerechtheit im neuen Produkt zu identifizieren. Danach sind die entwickelten Lösungsalternativen immer wieder konstruktionsbegleitend bezüglich ihrer Montageeigenschaften zu untersuchen. Je nach Konkretisierungsstand des Produktes und der Montageanlagen sind dabei unterschiedliche qualitative und quantitative Bewertungsverfahren anwendbar.
Abb. 10-6. Vergleich unterschiedlicher Bewertungsverfahren der Montagegerechtheit von Bauteilen und Produkten [nach Stoll 1995]
Checklisten zur Bewertung der Montageeignung von Produkten liegen in verschiedenen Formen vor. Dies können zum einen Stichpunktlisten wichtiger Anforderungen aus Montagesicht an das Produkt sein, aber auch Sammlungen von Gestaltungsregeln, Lösungskataloge und Beispielsammlungen [Andreasen et al. 1988, Dahl 1990, Pahl et al. 2005]. Mit diesen Hilfsmitteln kann der Anwender überprüfen, ob oder inwieweit Bedarf für Anpassungen und Änderungen des Produktes hinsichtlich einer optimierten Gestaltung aus Montagesicht besteht. Für spezifische Produkte, beispielsweise für Getriebe, existieren bereits angepasste und erweiterte Checklisten für die montagegerechte Gestaltung, die sehr schnell die wichtigen Gestaltparameter erkennen und überprüfen lassen [Huber 1995]. Zu den Vorteilen der Checklisten zählen der relativ geringe Aufwand bei der Nutzung sowie die einfache Anwendbarkeit. Zu den Nachteilen gehört, dass für vergleichende Zwecke keine quantiativen Kenngrößen ableitbar sind.
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10 Montagegerechte Produkte
Bei einer Bewertung nach einem „System vorbestimmter Zeiten“, beispielsweise der MTM-Methode (Methods-Time Measurement) [Antis et al. 1969], wird der Montageaufwand für ein Produkt oder eine Montagebaugruppe quantitativ nach Zeitaufwänden erfasst. Dabei erfolgt eine Ermittlung der Montagezeit durch die Analyse der Bewegungsabläufe bei der manuellen Montage. In die Bewertung fließen die Arbeitsplatzgestaltung, die verwendeten Betriebsmittel, der Produktaufbau und die Gestaltung der Einzelbauteile ein. Ausgangspunkt für eine Bewertung mit dem System vorbestimmter Zeiten sind detaillierte Einzelteilzeichnungen. Zudem muss der Bearbeiter umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen mit einer Bewertung der Standardzeiten besitzen, weshalb die Methode vor allem im Bereich der Arbeitsplanung eingesetzt wird. Für einen Einsatz im Rahmen der Produktgestaltung ist dieses Verfahren nur bedingt nutzbar. Ziel der Methode zur Bewertung der Montagegerechtheit eines Produktes nach Gairola [Gairola 1981] ist ebenfalls die Verringerung des Montageaufwands. In die Bewertung fließen folgende Kriterien ein: x x x x
allgemeine Eigenschaften des Montageobjektes (beispielsweise Form, Masse) Handhabungseigenschaften des Montageobjektes (beispielsweise Greifbarkeit) Komplexität der Fügeaufgabe (beispielsweise Art der Fügebewegungen) Eigenschaften des Verbindungsverfahrens (Verbindungsgestaltung)
Als Grundlage zur Bewertung der Montagegerechtheit bezüglich der oben genannten Kriterien dienen Arbeitsblätter, anhand derer der Anwender die Eigenschaften der untersuchten Bauteile und Baugruppen klassifiziert. Diese Methode ist insgesamt als sehr aufwändig einzustufen und erfordert vom Anwender Routine und umfangreiche Kenntnisse bei der Bewertung. Sie ermöglicht jedoch insbesondere einen quantifizierbaren Vergleich zwischen ähnlichen Produkten. Bei der DFA-Methode (Design for Assembly) [Boothroyd et al. 2002] werden die Montagekosten differenziert nach manueller und automatisierter Montage ermittelt. Dabei werden Kennziffern errechnet, die eine quantitative Aussage über die Montagegerechtheit einer Baugruppe ermöglichen. Grundlage für die Bewertungen sind Tabellen und Kennziffern, die aus Umfragen in verschiedenen Unternehmen stammen. Einzelne Bauteile werden dabei in Bezug auf ihre Handhabung sowie auf ihre Eignung zum Zusammenbau bewertet und ergeben so in ihrer Zusammenstellung eine Gesamtbewertungskennzahl (Design Efficiency) für ein Produkt oder eine Montagebaugruppe. Darüber hinaus existieren weitere Methoden und Verfahren zur Bewertung der Montagegerechtheit von Produkten. Die Assembly Evaluation Method (AEM) nach Hitachi [Miyakawa et al. 1986] basiert auf einer Zerlegung in Elementarvorgänge beim Fügen und einer Bewertung mit Kennzahlen. Sie eignet sich sehr gut zur Analyse der Montagegerechtheit bei der Konzeptentwicklung und ermöglicht insbesondere den Vergleich von unterschiedlichen Lösungsalternativen. Zum erweiterten Gebiet der Bewertung der Montagegerechtheit zählen auch CADMethoden, die den Zusammenbau von Baugruppen und Produkten darstellen sowie die Montierbarkeit überprüfbar machen (CAD, Digital Mockup, Simulationen der Montage und Produktionsabläufe).
10.2 Methoden zur Analyse und Gestaltung der Montageeignung von Produkten
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Abb. 10-7. Typische Handhabungs- und Fügezeiten für verschiedene Fügeteile [nach Boothroyd et al. 2002]
Um die Montagegerechtheit der Produktstruktur zu analysieren, eignen sich weiter verschiedene Darstellungen der Arbeitsabläufe in der Montage. Eine besonders wichtige Form der Abbildung der Montagereihenfolge eines Produktes stellt der Montagevorranggraf [Friedmann 1989] dar. Er macht logisch-zeitliche Verknüpfungen von einander abhängigen und sich beeinflussenden Bauelementen im Montageablauf sichtbar. Mit dem Montagevorranggrafen lässt sich die Produktstruktur somit in einer Form abbilden, aus der die Reihenfolge ersichtlich wird, in der die Bauteile des Produktes zu montieren sind. In der grafischen Darstellung werden die Montageoperationen als Knoten und die Reihenfolgebeziehungen zwischen ihnen als Kanten abgebildet. Der Montagevorranggraf wird von links nach rechts gelesen, die Montageoperationen werden dabei grundsätzlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingetragen. Der Montagevorranggraf ist hauptsächlich ein Planungsinstrument für den Montageplaner. Für einen konstruktionsbegleitenden Einsatz zur Analyse der Produktstruktur in Bezug auf ihre Montageeignung durch den Entwickler ist das Verfahren wegen seines Aufwands nur bedingt geeignet [nach Stoll 1995]. Wichtig bei der Analyse und Bewertung der Montageeignung ist die Einbindung aller relevanten Fachbereiche, beispielsweise Experten aus der Prototypenwerkstatt, der Produktion, dem Service und dem Versuch, für die jeweils unterschiedliche Montageaspekte relevant sind. Im Beispiel einer Bohrmaschine kann der Prototypenmonteur die Montagegerechtheit aller Bauteile und Baugruppen schon früh im Prozess, beim Aufbau von Funktionsmustern und Prototypen, bewerten. Der Produktionsingenieur aus dem Montagewerk kann Anforderungen und Expertise in Bezug auf eine produktive Endmontage von Antrieb, Getriebe und Handgriff unter Serienbedingungen in die Entwicklung einbringen. Der Service-Fachmann wiederum kann die leichte Austauschbarkeit von Verschleißteilen (beispielsweise Kohlebürsten im Antrieb) beurteilen. Und für den Versuchsingenieur sind schließlich Montageoperationen während der Nutzung des Produktes (zum Beispiel Werkzeugwechsel, Handgriffmontage) von Bedeutung.
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10 Montagegerechte Produkte
10.2.2 Wie lassen sich montagerelevante Anforderungen ermitteln? Vor der Festlegung der Produktstruktur, der Verbindungstechnik und der Bauteilgestalt sind die Anforderungen und Ziele für eine montagegerechte Entwicklung des Produktes zu definieren und im Anforderungsmodell zu dokumentieren. Dies kann eine umfassende Analyse des gesamten Produktprogrammes sowie der zur Verfügung stehenden Montageanlagen und Montageexpertise erforderlich machen. Neben den unternehmensinternen fertigungs- und montagetechnischen Rahmenbedingungen sind auch Informationen aus dem Vertrieb, dem Marketing und weiteren betroffenen Fachabteilungen zu beschaffen, beispielsweise Angaben über die abzusetzenden Stückzahlen und die geplante Laufzeit des Produktes. Auch Fragestellungen nach einer Recyclingstrategie und damit der Demontage fließen in die Festlegung der Anforderungen und Ziele an das Produkt ein. Die wesentlichen montagebestimmenden Anforderungen stammen aus folgenden Bereichen und sollten vor den weiteren Entwicklungsschritten definiert werden [nach Pahl et al. 2005, Roth 1994a]: x Produktbezogene Faktoren: Einzelprodukt oder Produktprogramm, Stückzahl und Anzahl der Varianten, Art der Schnittstellen für die Verbindungstechnik. x Prozessbezogene Faktoren: Montagetechnologien (manuell, automatisiert), Montagewerkzeuge, Betriebsmittel, Montagebedingungen, Prüfanforderungen und Qualitätsmerkmale. x Faktoren mit Bezug zum weiteren Produktlebenszyklus: Transport- und Verpackungsanforderungen, gebrauchsbedingte Anforderungen für erforderliche Montageoperationen durch den Anwender, Montage- und Demontageanforderungen hinsichtlich Instandhaltung, Wartung und Recycling. x Menschbezogene Faktoren: Teilehandhabung (Gewicht, Abmessungen), Teileerkennbarkeit, Verwechslungsgefahr. x Wirtschaftliche Faktoren: Montagelöhne, Werkzeugkosten, Investitionsbedarf. x Normative Faktoren: Sicherheitstechnische und gesetzliche Restriktionen, Schutzrechte für Montagetechnologien, Werkzeugnormen. Die in der Anforderungsliste gesammelten Anforderungen müssen während des gesamten Entwicklungsprozesses aktualisiert und geprüft werden. Die Anforderungen stellen auch die wesentlichen Kriterien dar, anhand derer unterschiedliche Produktkonzepte später bewertet und ausgewählt werden. Unterstützt wird die Festlegung der Anforderungen durch verschiedene detaillierte Checklisten und Hilfsmittel [Gairola 1981, Bäßler 1987]. Da der Automatisierungsgrad der Montage einen hohen Einfluss auf die Produktgestaltung hat, sind hier grundsätzliche Entscheidungen zu treffen, die in die Anforderungsliste für ein Produkt eingehen. So macht beispielsweise die Festlegung einer automatisierten Montage die Festlegung enger Toleranzen notwendig. Andererseits kann es hilfreich sein, wichtige Anforderungen und Ziele für die automatisierte Montage auch für die manuelle Montage zu prüfen.
10.2 Methoden zur Analyse und Gestaltung der Montageeignung von Produkten
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10.2.3 Wie lassen sich Montageaspekte im Funktionsmodell berücksichtigen? Ein Produkt lässt sich auf Funktionsebene nur eingeschränkt bezüglich der Montageeignung beurteilen, da hierfür Aussagen zur Produktgestalt (Anzahl und Form von Bauteilen und deren Verbindungsstellen) erforderlich sind. Im Funktionsmodell lassen sich jedoch Aspekte mit Montagerelevanz identifizieren, die für nachfolgende Entwicklungsschritte Bedeutung besitzen. Im Nutzerorientierten Funktionsmodell werden die Interaktionen verschiedener Nutzer mit dem Produkt dargestellt, zum Beispiel Hersteller, Transporteur, Anwender und Servicemitarbeiter. Aus Montagegesichtspunkten ist in diesem Kontext vor allem folgende Fragestellung von Interesse: „Wann wird das Produkt von wem für welchen Zweck und wie häufig montiert oder demontiert?“. Die Montage kann entweder durch den Hersteller oder den Anwender erfolgen, die Demontage durch den Anwender oder im Service im Rahmen einer Wartung beziehungsweise Reparatur. Eine Demontage kann auch wegen des Transportes erforderlich sein. Einfluss auf die weitere Produktgestaltung hat auch die Frage nach der Häufigkeit dieser Montage- beziehungsweise Demontagevorgänge. Daraus leitet sich beispielsweise ab, ob flexible Umbaumöglichkeiten oder stabile, dauerhafte Verbindungen im Produkt vorzusehen sind.
Abb. 10-8. Montageaspekte im Nutzerorientierten Funktionsmodell
Durch die Strukturierung des Produktes auf Funktionsebene werden darüber hinaus Weichen hinsichtlich der Systemarchitektur gestellt, die letztendlich auch die Montage beeinflussen können. Einzelne Teilfunktionen lassen sich beispielsweise zu Funktionsmodulen zusammenfassen. Diese können später auf Bauebene ebenfalls Module aus montagetechnischer Sicht darstellen. Allerdings muss dies nicht zwangsläufig der Fall sein, da Teilfunktionen, die aus Funktionssicht ein Modul darstellen, im physischen Produkt auch durch rämlich getrennte Funktionsträger realisiert werden können.
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10 Montagegerechte Produkte
10.2.4 Wie lassen sich Montageaspekte im Wirkmodell und bei der Konzepterstellung berücksichtigen? Lösungen auf Wirkebene (Wirkprinzipien, Wirkkonzepte) beschreiben, wie die Produktfunktion grundsätzlich realisiert wird, jedoch noch nicht, aus welchen Einzelteilen das Produkt letztendlich besteht und wie diese gefertigt und montiert werden. Daher ist die Bewertung montagerelevanter Eigenschaften auf Wirkebene nur eingeschränkt möglich. Dennoch ist auch auf dieser Konkretisierungsstufe die Betrachtung von Montageaspekten von hoher Bedeutung. Die Verbindung von Bauteilen stellt häufig eine Teilfunktion im Rahmen der technischen Aufgabenstellung dar. Hierfür steht eine Reihe von Wirkprinzipien zur Verfügung. Montageprinzipien zur Realisierung lösbarer Verbindungen (wie Schrauben, Klemmen, Klammern) und fester Verbindungen (wie Schweißen, Löten, Kleben, Nieten) können Konstruktionskatalogen entnommen werden. Auch für die Bewertung von Wirkprinzipien für andere Teilfunktionen, beispielsweise zur Realisierung von Kräften und Drehmomenten, können montagerelevante Aspekte herangezogen werden. Bei einer Lösung, die auf dem Prinzip des Magnetismus beruht, ist zu prüfen, inwiefern magnetische Kräfte bei der Montage des Produktes ein Hindernis darstellen können. Dies führt wiederum zu der Fragestellung, ob ein Magnetisieren vor oder nach der Montage am besten ist. Bei der Erstellung von Wirkkonzepten sind ebenfalls Aspekte des Montagevorganges zu berücksichtigen. Durch die geschickte Kombination und räumliche Anordnung von Teillösungen im Gesamtkonzept können bereits auf Wirkebene montagerelevante Aspekte beeinflusst werden, unter anderem die Einfachheit von Fügevorgängen und die Zahl der Fügerichtungen. Möglichkeiten der Funktionsintegration und damit einer vereinfachten Montage sind oftmals bereits im Konzept erkennbar. Bei der Bewertung und Auswahl von Lösungskonzepten sind die Rahmenbedingungen der Montage (unter anderem verfügbare Montageverfahren und -anlagen) zu berücksichtigen. Im Beispiel eines Klappfahrrads [Müller 2004] lässt das Konzept für den Klappmechanismus erste Schlüsse in Bezug auf montagerelevante Aspekte zu, unter anderem hinsichtlich der Anzahl an Schnittstellen und möglicher Verbindungsarten.
Abb. 10-9. Montageaspekte im Wirkkonzept am Beispiel Klapprad [Müller 2004]
10.2 Methoden zur Analyse und Gestaltung der Montageeignung von Produkten
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10.2.5 Wie lassen sich Montageaspekte im Baumodell und bei der Produktgestaltung berücksichtigen? Auf Basis von Wirkkonzepten erfolgt die Konkretisierung der Produktgestalt und die Erarbeitung von Baumodellen. Auf Bauebene wird dabei zum einen die Baustruktur, also die Gliederung des Produktes in Module, Baugruppen und einzelne Bauteile definiert. Zum anderen wird die konkrete Gestalt einzelner Bauteile und ihrer Verbindungsstellen festgelegt. Im Zusammenhang mit einer montagegerechten Gestaltung von Produkten auf Bauebene sind Strategien und Maßnahmen hilfreich, die auf eine Reduzierung, Vereinfachung und Vereinheitlichung von Bauteilen, Schnittstellen und Montageoperationen abzielen [nach Pahl et al. 2005]. Im Einzelnen sind folgende Aspekte anzustreben: x x x x x
montagegerechte Baustruktur optimale Montagestruktur optimale Montageoperationen montagegerechte Verbindungen / Fügestellen montagegerechte Bauteile
Durch Gliederung des Produktes in der Baustruktur kann ein wesentlicher Einfluss auf die Montageeigenschaften genommen werden. Aus Montagesicht kommt der Ermöglichung einer Montage mit Vor- und Endmontagestufen und damit der Strukturierung des Produktes in Montagemodule eine besondere Bedeutung zu. Diese Module sollten dabei möglichst wenige und möglichst gleichartige Schnittstellen aufweisen sowie separat geprüft werden können. Vor allem bei mechatronischen Produkten stellt dies eine besondere Herausforderung dar, da die eigentliche Funktion des Moduls nicht separat geprüft werden kann, sondern oft erst im Zusammenwirken mit weiteren Modulen im Gesamtsystem – insbesondere mit der Elektronik und Software. Das Prinzip der Gliederung in Vormontage und Endmontage ist beispielsweise bei der Montage von Kraftfahrzeugen stark ausgeprägt: Zahlreiche vormontierte Module wie Motor und Cockpit werden als Einheit in das Gesamtfahrzeug montiert. Neben einer Gliederung in verschiedene Montagestufen stellt die parallele Montage von Bauteilen eine weitere Möglichkeit zur Gliederung eines Produktes dar. Dazu werden voneinander unabhängige Montagebaugruppen definiert, die zeitgleich montiert werden können. Dieses Prinzip ist beispielsweise bei der Bestückung von Leiterplatten realisiert. Im Rahmen der Definition der Baustruktur ist eine übergreifende Betrachtung über mehrere Konkretisierungsstufen hilfreich. Das Funktionsmodell kann beispielsweise dahingehend überprüft werden, ob mehrere Funktionen durch ein einzelnes Bauteil realisiert werden können (Prinzip der Funktionsintegration). Die auf diese Weise erzielte Reduzierung der Teileanzahl hat wesentlichen Einfluss auf die Optimierung der Montage des Produktes. Dies wirkt sich bei der Serienproduktion direkt in einer Verringerung der Montageoperationen und meist auch in einer Reduzierung der Montagezeiten und -kosten aus.
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10 Montagegerechte Produkte
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Festlegung der Montagestruktur. Besonders bei variantenreichen Produktprogrammen wirkt sich eine Variantenbildung, die möglichst spät auf gleichen Montageplätzen erfolgt, besonders günstig auf die Montage aus. Dadurch werden möglichst viele identische Montageoperationen erreicht. In der Folge können identische Montageanlagen, Fachwissen und Montagekompetenzen für viele verschiedene Varianten genutzt werden und ermöglichen hohe Rationalisierungspotenziale durch große Losgrößen. Ferner wird der unternehmensinterne logistische und technische Aufwand zur Handhabung, zum Speichern und zum Transport der Varianten, im Gegensatz zu einer frühen Entstehung von Varianten, deutlich verringert. Durch diese Maßnahmen wird außerdem eine gleichbleibend hohe Qualität über alle Varianten hinweg sichergestellt, da Lerneffekte ermöglicht und Fehlerquellen, resultierend aus einer hohen Anzahl an verschiedenen Arbeitsschritten, vermieden werden.
Abb. 10-10. Gliederung der Produktstruktur und der Montageoperationen für die parallele und sequentielle Montage
Eine weitere Strategie zur Entwicklung montagegerechter Produkte ist die Vereinheitlichung und Vereinfachung der Montageoperationen. Grundlegendes Konstruktionsprinzip ist der Einsatz eines Basisteils, das als Start- oder Grundgefügeteil fungiert und auf dem alle weiteren Montageschritte aufbauen. So ermöglicht die Schachtelbauweise (auch Schalenbauweise genannt) als eine Ausprägung für eine Bauweise mit Basisteil einheitliche Fügerichtungen und Fügeverfahren für eine Montagebaugruppe. Die zu montierenden Bauteile werden formschlüssig vom Basisteil gehalten und über ein Sicherungsteil gegen Herausfallen gesichert. Weitere Ausprägungen von Basisteilen sind bei der Schichtbauweise oder der Nestbauweise zu finden. Bei der Schichtbauweise (auch Sandwich- oder Stapelbauweise genannt) wird jedes Montageteil vom Basisteil oder vom zuletzt montierten Bauteil aufgenommen. Die Montagereihenfolge ist nicht veränderbar. Die Nestbauweise hingegen ermöglicht eine parallele und in der Reihenfolge frei wählbare Montage. Besonders die Schichtbauweise und die Nestbauweise können durch den Einsatz von zentrierenden Formelementen zusätzlich unterstützt werden, wodurch eine weitere Vereinfachung der Montageoperationen erreicht werden kann.
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Abb. 10-11. Verschiedene konstruktive Ausführungen von Basisteilen [nach Lotter et al. 2006]
Eine weitere Möglichkeit zur Vereinfachung und Rationalisierung von Montageoperationen stellt die Reduzierung von Fertigungs- und Montageoperationen durch das Zusammenfassen einzelner Schritte dar. Dies ist beispielsweise bei selbstbohrenden Schrauben realisiert: zusätzlich zur Operation der Befestigung des Bauteils mit einer Schraube wird die notwendige Bohrung eingebracht. Neben einer Beeinflussung der Montageoperationen „Handhaben“ und „Fügen“ können auch das „Prüfen“ und „Kontrollieren“ bei oder nach der Montage durch eine gute Zugänglichkeit und das Ermöglichen von Sichtkontrollen erleichtert werden, wenn dies bereits bei der Produktstrukturierung Berücksichtigung findet. Aufbauend auf der Festlegung der Baustruktur und der Montagestruktur, das heißt der Strukturierung des Produktes in Montagebaugruppen und der Definition der grundsätzlichen Montagereihenfolge, ist auf eine montagegerechte Gestaltung der Verbindungen und Fügestellen zwischen den Bauteilen und Montagebaugruppen zu achten. Wesentliche Ziele sind hierbei die Reduzierung des Aufwands für Verbindungselemente und Fügeoperationen sowie die Senkung der Qualitätsanforderungen an die Fügeteile. Die grundsätzliche Vorgehensweise gliedert sich in die Auswahl und Definition des Verbindungsverfahrens und der Verbindungsmethode und in die montagegünstige Gestaltung dieser Verbindung. Dabei sind Fragen ausgehend vom Produktprogramm zu berücksichtigen, beispielsweise einzuhaltende Normen und Anforderungen, die sich aus einem Baukastensystem, in dem die Montagebaugruppe eingesetzt werden soll, an die Verbindungsstellen ergeben. Die Festlegung der Verbindungen und Fügestellen muss darauf abzielen, das Fügen zu automatisieren sowie die Fügestellen eindeutig und prüfbar zu gestalten. Zur Festlegung des richtigen Verbindungsverfahrens und der richtigen Verbindungsmethode existieren zahlreiche Checklisten und Gestaltungsregeln [Gairola 1981, Schmidt 1992]. Als einfache Möglichkeit zur Überprüfung der Montagegerechtheit der Verbindungen und Fügestellen eignet sich eine Untersuchung hinsichtlich folgender Fragestellungen [Pahl et al. 2005]: x Kann die Anzahl der Fügestellen und -elemente reduziert werden? x Können die Fügestellen und -elemente vereinheitlicht werden? x Können die Fügestellen und -elemente vereinfacht werden?
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Ansätze zur Reduzierung von Fügestellen bietet der Wechsel von einem Fügeverfahren mit mehreren Fügeelementen (wie Schraubverbindungen) hin zu einem Fügeverfahren mit wenigen Fügeelementen (beispielsweise Nieten, Klemmen oder Schnappen) oder keinen Fügeelementen (zum Beispiel Kleben). Zur Vereinfachung des Fügevorgangs ist unter anderem auf folgende Aspekte zu achten [Andreasen et al. 1988, Pahl et al. 2005]: x Vermeidung von eng tolerierten Maßketten durch Auflösen der Maßkette x Vermeidung von Doppelpassungen zur eindeutigen Positionierung sowie der Verringerung der Maßtolerierung x Bevorzugung einfacher Einstellmöglichkeiten x Anstreben zugänglicher Einstellmöglichkeiten ohne Demontage anderer Teile x Vorsehen geradliniger Fügebewegungen, Vermeidung mehrachsiger und insbesondere gekrümmter Fügebewegungen x Vermeidung langer Fügewege x Ermöglichung eines leichten Einführens, beispielsweise durch Anfasen der Fügepartner beziehungsweise Vorsehen von Einführschrägen x Vermeidung gleichzeitiger Fügeoperationen mit gegenseitiger Beeinflussung
Abb. 10-12. Reduzierung des Montageaufwands durch Auswahl des richtigen Fügeverfahrens [Ehrlenspiel et al. 2007]
Schließlich sind bei der Gestaltung von Bauteilen auch die Montageoperationen „Handhaben“ und „Transportieren“ zu berücksichtigen. Durch entsprechende Maßnahmen sollen die Handhabung und der Transport der Fügeteile ermöglicht und vereinfacht werden. Um dies zu erreichen, müssen die Arbeiten zum Erkennen, Ordnen, Ergreifen und Bewegen der Fügeteile unterstützt werden. Folgenden Bauteileigenschaften kommt dabei besondere Bedeutung zu, sie sollten entsprechend den Gestaltungsrichtlinien zur montagegerechten Produktgestaltung Berücksichtigung finden [Gairola 1981]: x Form: Die Form der Bauteile sollte entweder komplett symmetrisch sein oder eine ausgeprägte Asymmetrie aufweisen. x Masse: Eine zu große Bauteilmasse führt zu aufwändigen Montagemitteln mit großem Energie- und Platzbedarf. Bei der automatisierten Montage können ho-
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x
x
x
x
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he Bauteilmassen außerdem zu Schwingungen und dadurch zu relativ langen Taktzeiten führen. Durch verschiedene Maßnahmen (Leichtbau, Verwendung von Werkstoffen mit geringem spezifischen Gewicht, Differenzialbauweise) kann der Einfluss der Bauteilmasse reduziert werden. Abmessungen: Die Handhabungsmöglichkeiten und -aufwände hängen stark von den Bauteilabmessungen ab. Dabei stehen abhängig von den Abmessungen nur bestimmte Handhabungsgeräte zur Verfügung. Auch bei der manuellen Montage führen beispielsweise zu kleine Abmessungen zu einem deutlich erhöhten Aufwand. Toleranzen: Besonders bei der automatisierten Montage spielen Toleranzen eine bedeutende Rolle. So können Toleranzen, die für die eigentliche Funktion keinen Einfluss haben, darüber entscheiden, ob oder wie reibungslos die automatische Handhabung funktioniert. Zur Herstellung von Bauteilen mit hohen Toleranzanforderungen sind möglicherweise eine hochpräzise Fertigung oder Anpassungen der Bauteile nach der Fertigung (beispielsweise durch Anpassen der Bauteile über Reiben oder Schleifen) notwendig. Oberflächen: Bauteile mit besonderen Oberflächenanforderungen müssen bei den Montageoperationen zusätzlich berücksichtigt werden. So müssen für Bauteile mit stoßempfindlicher Oberfläche besondere Vorkehrungen (beispielsweise in Form weicher Unterlagen) getroffen werden. Elastische Eigenschaften: Bauteile mit elastischen Eigenschaften können die Montage positiv beeinflussen, da sie – bedingt durch die Elastizität – durch Nachgeben der Form höhere Toleranzen beim Montieren ermöglichen und dadurch das Fügen erleichtern. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn die Bauteile zu elastisch werden: hier wird das Handhaben zu einem Problem, da das Bauteil zu nachgiebig ist.
Abb. 10-13. Exemplarische Gegenüberstellung von ungünstiger und günstiger Bauteilgestaltung in Bezug auf die Handhabung bei der Montage [Pahl et al. 2005]
Zur montagegerechten Gestaltung von Bauteilen sind die entsprechenden Bauteileigenschaften hinsichtlich ihrer Montageeignung zu überprüfen und das Bauteil gegebenenfalls durch konstruktive Maßnahmen anzupassen. Zahlreiche Sammlungen von Gestaltungsregeln unterstützen bei der Auswahl und dem Einsatz von Maßnahmen zur montagegerechten Gestaltung der Baustruktur, der Bauteile und ihrer Verbindungsstellen. Grundsätzlich ist auch hier die Orientie-
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rung an den allgemeinen Grundregeln der Gestaltung („einfach, eindeutig und sicher“ [Pahl et al. 2005]) empfehlenswert. Im Kontext der montagegerechten Gestaltung bedeutet das unter anderem: x Einfache Gestaltung: Vereinfachung, Vereinheitlichung und Reduktion von Montageoperationen, Fügestellen und Bauteilen x Eindeutige Gestaltung: Vermeidung von Über- und Unterbestimmtheiten, Vermeidung der Gefahr einer Teileverwechslung oder Fehlmontage x Sichere Gestaltung: Gewährleistung der Stabilität der Verbindung in allen Betriebszuständen sowie der Arbeitssicherheit in der Montage
10.3 Montagegerechte Gestaltung eines Pneumatikventils Pneumatische Sicherheitsventile stellen vielfältige Anforderungen an die Entwicklung, Fertigung und Montage. Oftmals bestehen diese Produkte zwar aus einer relativ geringen Anzahl an Bauteilen, die zugehörigen Montagevorgänge sind zum Teil jedoch recht aufwändig und nehmen viel Zeit in Anspruch. Das im Folgenden dargestellte Sicherheitsventil bestand in seiner Ausgangslösung aus 14 Bauteilen und sollte in einem Entwicklungsprojekt hinsichtlich seiner Montageeigenschaften optimiert werden [Bichlmaier 2000].
Abb. 10-14. Pneumatisches Sicherheitsventil in seiner Ausgangslösung, dargestellt als Explosionsdarstellung [nach Bichlmaier 2000]
Der Montageprozess für die Ausgangslösung gestaltet sich wie folgt: Zunächst wird die Baugruppe „Kolben“ vormontiert. Sie erfüllt die Funktion der Schaltung verschiedener Wege durch das Ventil und besteht aus den Bauteilen Kolben, Ventildichtring, Strömungskegel, Sicherungsscheibe und Sechskantmutter. Besonders kritische Schritte bezüglich dieser Baugruppe (im Hinblick auf Qualität und Kosten) sind das Auftragen von Gewindekleber auf die Sechskantmutter sowie das Bündigschleifen von Ventildichtring und Kolbenunterseite nach erfolgter Vormontage (was einen Fertigungsschritt während der Montage darstellt).
10.3 Montagegerechte Gestaltung eines Pneumatikventils
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Nachdem der Übergangsdoppelnippel, der die Anbindung an unterschiedliche pneumatische Anschlussmaße ermöglicht, in das Gehäuse eingeschraubt worden ist, wird der Kolben gefettet, in das Gehäuse eingesetzt und der Sicherungsring montiert. Diese Operation ist ungünstig, da der Ring mit einem Spezialwerkzeug gespannt werden muss. Anschließend wird die Baugruppe „Kappe mit Griff“ vormontiert. Diese ist vorrangig für die Funktion der manuellen Handentlüftung des Ventils zuständig und besteht aus den Teilen Kappe, Feder, Federtopf, Griff und Zylinderstift. Die Montage dieser Baugruppe ist sehr aufwändig, da die Feder mit entsprechenden Betriebsmitteln stark vorgespannt werden muss. Bevor nun die Baugruppe „Kappe mit Griff“ im abschließenden Montageschritt auf das Gehäuse aufgeschraubt werden kann, muss das Gewinde am Gehäuse genau dosiert gefettet werden. Wird zu wenig Fett aufgetragen, besteht die Gefahr, dass das Gewinde beschädigt wird. Bei zu starkem Fetten gelangt das überschüssige Fett während des Prüfvorgangs in das pneumatische System. Im Rahmen eines Entwicklungsprojektes sollten das Ventil selbst, der Montageprozess und die Montageanlage optimiert werden. Beim Produkt sollten insbesondere die Montageeigenschaften verbessert werden. Bei der Montageanlage war die Hauptzielsetzung der Übergang von der Handmontage zur automatisierten Montageanlage. Nach Generierung mehrerer Lösungsalternativen wurde gemeinsam mit der Montageplanung ein optimiertes Ventilkonzept erarbeitet.
Abb. 10-15. Montagegerechtes Konzept des Pneumatikventils [nach Bichlmaier 2000]
Zu den konstruktiven Maßnahmen, die eine deutlich montagegerechtere Produktstruktur und Produktgestalt ermöglichten, gehörte schwerpunktmäßig eine Reduzierung der Teileanzahl durch eine Funktionsintegration. So wurde die Baugruppe „Kolben“ von fünf auf drei Bauteile reduziert: die Funktionen des
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10 Montagegerechte Produkte
Strömungskegels, des Kolbens sowie des Griffes zur Handentlüftung wurden komplett im Kolben realisiert. Die Funktionen der Bauteile Federtopf und Kappe wurden in das Gehäuse integriert. Durch die Verlagerung der Variantenbildung in späte Montagephasen wurde der Übergangsdoppelnippel aus der Montagefolge genommen. die Anbindung an die unterschiedlichen pneumatischen Systeme erfolgt nun erst im Rahmen der Systemintegration beim Kunden. Aufwändige Montageschritte wie das Vorspannen der Feder und das Einsetzen des Sicherungsrings entfielen aufgrund der Konzeptänderung ebenfalls. Die Vorspannung der Feder konnte durch eine Feder kleinerer Bauart ebenfalls als Montageoperation vermieden werden. Insgesamt konnte durch die konstruktiven Änderungen die Anzahl der Bauteile von 14 auf 6 reduziert werden.
Abb. 10-16. Montagevorranggraf und Bewertung der Montageeignung des pneumatischen Sicherheitsventils [nach Bichlmaier 2000, Symbole nach VDI 2860]
10.4 Zusammenfassung
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Um die konstruktiven Veränderungen und die Montagezeit für das neue Ventil abschätzen zu können, wurde ein Montagevorranggraf für das Ventil erarbeitet, in welchem die verschiedenen Montageschritte und Montagezustände grafisch dargestellt und verbal beschrieben sind. Eine Analyse der Montagezeit mit der DFA-Methode (Design for Assembly) nach [Boothroyd et al. 2002] ergab eine Reduzierung der Montagezeit von 95 auf 32 Sekunden.
10.4 Zusammenfassung Die Montage spielt im Produktlebenszyklus eine wichtige Rolle in Bezug auf Kosten und Qualität des Produktes. Aufgrund der vielfältigen Wechselbeziehungen, die zwischen dem Produkt, den Montageprozessen und den Montageanlagen bestehen, muss die Montage auf allen Ebenen der Produktkonkretisierung berücksichtigt werden. Bei der Anforderungsklärung steht die Ermittlung, Dokumentation und Berücksichtigung der Anforderungen, die sich aus Montagevorgängen und Montageanlagen ergeben, im Mittelpunkt. Die Sammlung von Anforderungen aus Montagesicht stellt die Grundlage für die Analyse und Bewertung eines Produktes in Bezug auf seine Montageeignung dar. Darauf aufbauend wird eine montagegerechte Strukturierung und Gestaltung des Produktes angestrebt. Auf Funktionsebene werden dabei bereits wichtige Weichen gestellt, beispielsweise durch die Gliederung von Funktionen in Funktionsmodule und die Identifikation von Funktionen mit Montagerelevanz. Auf Wirkebene können geeignete Wirkprinzipien zur Realisierung lösbarer und fester Verbindungen ermittelt werden. Durch die geschickte Kombination und räumliche Anordnung von Teillösungen im Gesamtkonzept können bereits auf Wirkebene montagerelevante Aspekte beeinflusst werden. Auf Bauebene wird die Baustruktur des Produktes festgelegt, hierzu gehört die Gliederung in einzelne Bauteile und Montagebaugruppen, die sequentiell oder parallel montiert werden können. Bei der Gestaltung der Verbindungsstellen ist eine Reduzierung, Vereinheitlichung und Vereinfachung von Fügestellen und Fügevorgängen anzustreben. Schließlich sind die einzelnen Bauteile auch hinsichtlich der Handhabung bei der Montage zu optimieren, unter anderem durch die Wahl geeigneter Formen, Abmessungen, Oberflächen und Toleranzen. Zur Analyse und Bewertung der Montageeignung eines Produktes können verschiedene konstruktionsbegleitende quantitative und qualitative Verfahren eingesetzt werden. Für die Unterstüzung einer montagegerechten Produktgestaltung existieren außerdem zahlreiche Methoden und Werkzeuge, beispielsweise Checklisten, Gestaltungsrichtlinien sowie Sammlungen von Beispielen und Lösungsprinzipien
11 Variantengerechte Produkte
In den vergangenen Jahrzehnten ist bei vielen Unternehmen die Variantenvielfalt kontinuierlich angestiegen, sowohl auf Produkt- als auch auf Teileebene. Ursachen sind beispielsweise im gehobenen Anspruchsniveau der Kunden zu finden. Kundenanforderungen sind heute wesentlich differenzierter, Kunden verlangen häufig Produkte, die auf ihre individuellen Bedürfnisse hin angepasst sind. Hinzu kommen eine erhöhte Innovations- und Technologiedynamik, massiv verkürzte Entwicklungszeiten und Produktlebenszyklen sowie die Auswirkungen der Informations- und Wissensgesellschaft. Die Gefahren einer explodierenden Variantenvielfalt sind unter anderem intransparente Entwicklungs- und Herstellungskosten und ein gestiegenes Entwicklungs- und Innovationsrisiko. Außerdem werden die Produkte und Prozesse anfälliger gegenüber Einflüssen wie zum Beispiel Nachfrageschwankungen oder technischen Änderungen. Daher kommt dem Variantenmanagement im Unternehmen, also der Beherrschung und gezielten Beeinflussung der Variantenvielfalt, eine hohe Bedeutung zu.
11.1 Variantenvielfalt bei pneumatischen Ventilen Die Bedeutung von Variantenvielfalt sowie die Herausforderungen beim Umgang mit Varianten lassen sich am Beispiel von pneumatischen Ventilen, welche in Bremssteuersystemen von Schienenfahrzeugen eingesetzt werden, nachvollziehen. Diese Branche zeichnet sich durch eine sehr hohe Kundenorientierung aus, wodurch es aufgrund spezifischer Kundenanforderungen zu immer neuen Varianten kommt. Weiterhin führt die Bedienung unterschiedlichster, global verteilter Märkte mit den einhergehenden Länderspezifikationen – beispielsweise was das Spannungsniveau bei der Ansteuerung der Ventile sowie die im Bremssteuersystem gebräuchlichen Druckniveaus angeht – zu einem drastischen Anstieg der Variantenvielfalt im Unternehmen. Dabei führt die fehlende Nachvollziehbarkeit von Anforderungen bezüglich bereits vorhandener Lösungsansätze zu immer neuen Produktvarianten. Neben branchenspezifischen Ursachen für die Variantenvielfalt können auch unternehmensspezifische Ursachen vorliegen. Beispielsweise kann es in etablierten Unternehmen zu einem historisch gewachsenen Produktportfolio kommen, in welchem immer noch mehr als 20 Jahre alte Bremssteuersysteme vorgehalten werden müssen. Weiterhin kann der Aufkauf weiterer Unternehmen mit dem je-
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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11 Variantengerechte Produkte
weils schon existierenden Bremssystem-Portfolio zu mannigfaltigen, teils redundanten Varianten führen. In pneumatischen Druckkreisläufen von Schienenfahrzeugen werden weiterhin für verschiedenste Funktionen spezifische Ventile eingesetzt. Hierbei sei die Verwendung von Rückschlagventilen, Impulsventilen, Druckminderventilen sowie von pneumatischen Wechselventilen angesprochen. In diesem Kontext bietet sich das Potenzial, über die verschiedenen Ventilarten soweit möglich gleiche Bauteile zu verwenden, um die geforderte hohe externe Vielfalt mit einer möglichst kleinen internen Bauteilvariantenvielfalt zu realisieren. Die einzelnen Ventilarten sind wiederum auch durch eine hohe Variantenvielfalt gekennzeichnet, was im Folgenden am Beispiel eines pneumatischen Wechselventils dargestellt wird. Ein Wechselventil zeichnet sich durch zwei Eingänge aus, wobei ein Eingang aufgrund entsprechender Druckverteilungen jeweils gesperrt wird und somit nur ein Drucksignal zum Ausgang gelangt. Ein Anwendungsbeispiel ist hier die Kopplung der Druckverteilungen bei normalen Bremsvorgängen und Notbremsungen. Die Gesamtfunktion, die Luftströmung umzuschalten, lässt sich im Rahmen einer Funktionsanalyse in verschiedenste Teilfunktionen unterteilen (zum Beispiel Kraft übertragen, Kolben führen). Diese Teilfunktionen lassen sich wiederum durch unterschiedlichste Wirkprinzipien sowie Gestaltvariationen umsetzen. Vor diesem Hintergrund besteht eine hohe Variantenvielfalt bereits auf Bauteilebene. Im Rahmen einer Analyse verschiedener pneumatischer Wechselventile wurden insbesondere unterschiedlichste Varianten im Hinblick auf die Lage der Anschlüsse (zum Beispiel oben oder seitlich), die Dichtelemente (zum Beispiel Form der ORinge sowie verwendete Materialien) sowie die Gestaltung der Kolbenführung (zum Beispiel symmetrisch oder einseitig) identifiziert.
Abb. 11-1. Zwei unterschiedliche Varianten pneumatischer Wechselventile
Eine Möglichkeit, spezifische Kundenwünsche zu ermöglichen und dabei gleichzeitig einer unnötigen Variantenvielfalt pneumatischer Wechselventile vorzubeugen, stellt die Modularisierung von Komponenten sowie die Definition einer Plattform auf Basis der Produktfunktionen dar [Daniilidis et al. 2010]. Daneben gibt es zahlreiche weitere Ansätze, den Umgang mit der Variantenvielfalt bereits sowohl in sehr frühen Phasen als auch entlang des gesamten Prozesses der Produktkonkretisierung zu unterstützen.
11.2 Methoden zur Entwicklung variantengerechter Produkte
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11.2 Methoden zur Entwicklung variantengerechter Produkte Die Handhabung variantenreicher technischer Produkte erfordert ein Verständnis für Erscheinungsformen, Ursachen und Folgen der Variantenvielfalt sowie eine Kenntnis möglicher Lösungsansätze zur Beherrschung der Variantenvielfalt. Varianten sind technische Systeme mit einem in der Regel hohen Anteil identischer Komponenten, die Ähnlichkeiten in Bezug auf Geometrie, Material oder Technologie aufweisen [Renner 2007]. Varianten unterscheiden sich voneinander in mindestens einer Beziehung oder einem Element. Unterschiede existieren bezüglich der Ausprägungen mindestens eines Merkmals [Firchau 2003, Gembrys 1998]. Die Variantenvielfalt kennzeichnet sowohl die Anzahl als auch die Unterschiedlichkeit der Varianten eines Typs. Die Unterschiedlichkeit der Varianten lässt sich dabei im Gegensatz zur Anzahl nur sehr selten eindeutig bestimmen [Gembrys 1998]. Eine Produktfamilie besteht aus einer Menge verwandter Produkte, das heißt einer Menge von Produktvarianten. Unter Produktprogramm werden alle auf dem Markt angebotenen Produkte eines Unternehmens verstanden. Die äußere Variantenvielfalt tritt als Angebotsvielfalt auf Produktebene auf, während die innere Variantenvielfalt in der Produktion eines Unternehmens auf Baugruppen- oder Teileebene vorliegt. Ein Produktprogramm wird sowohl durch seine Breite als auch durch seine Tiefe beschrieben [Lingnau 1994]. Programmbreite kennzeichnet dabei die Anzahl unterschiedlicher Produktarten (zum Beispiel Automobil, Motorrad) beziehungsweise einzelner Baureihen. Die Programmtiefe bezieht sich auf die Anzahl unterschiedlicher Varianten eines Produktes, beispielsweise die Anzahl der Varianten innerhalb einer Fahrzeugbaureihe. Im Folgenden wird näher auf die Ursachen der Variantenvielfalt eingegangen, die sich in unternehmensinterne und unternehmensexterne Aspekte gliedern lassen. Die externen Ursachen resultieren unter anderem aus den Faktoren Markt, Wettbewerb und Technologie, auf die das Unternehmen nur bedingt Einfluss hat. Unternehmensinterne Randbedingungen lassen sich hauptsächlich auf technische und organisatorische Defizite zurückführen, die zu einer unnötigen Variantenvielfalt auf Produkt- und Teileebene führen [Ehrlenspiel et al. 2007]. Am Markt nimmt die Nachfrage nach Standardprodukten ab, Kunden verlangen immer häufiger Produkte, die auf ihre individuellen Bedürfnisse hin angepasst sind. Die Reaktion der Unternehmen ist vielfach eine Individualisierung des Angebots [Lindemann et al. 2006]. Außerdem führt die Internationalisierung der Märkte zum Teil zu äußerst divergierenden länderspezifischen Anforderungen an die Produkte und wird so Verursacher der Variantenvielfalt im Produktprogramm vieler Unternehmen. Beispielsweise bestehen unterschiedliche ergonomische Anforderungen an die Produkte bedingt durch anatomische Unterschiede in der Bevölkerung. Auch klimatische Umgebungsbedingungen können zu veränderten Anforderungen führen (zum Beispiel Kühlung, Schmierung, Kapselung).
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11 Variantengerechte Produkte
Die Globalisierung und Deregulierung der Märkte führt zu einer Ausweitung der Intensität und Dynamik des Wettbewerbs. Unternehmen sehen sich einer größeren Anzahl an Konkurrenten gegenüber. Um nicht die Gunst der Kunden zu verlieren, bestimmt der aktuelle Stand der Wettbewerbsprodukte die Entwicklung der eigenen Produkte mit, die Innovationszyklen werden kürzer. Zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit sehen viele Unternehmen die Notwendigkeit zur Differenzierung gegenüber der Konkurrenz und zur konsequenten Markt- und Kundenorientierung. Auf die Sättigung von Märkten reagieren die Hersteller mit der Entwicklung zusätzlicher Produktvarianten in wenig besetzten Marktnischen, die von anderen Wettbewerbern möglichst noch nicht besetzt sind. Zusätzliche Marktanteile und Wettbewerbsvorteile erhoffen sich Unternehmen durch ein breit gestreutes Angebotsprofil und damit eine Diversifizierung der Produkte. Dies ist vor allem der Fall, wenn sich die übrigen Bedingungen wie beispielsweise Qualität, Preis, Lieferzeit und Service nicht wesentlich von der Konkurrenz abheben. Auch der technologische Fortschritt erzwingt eine ständige Weiterentwicklung von Produkten. Um konkurrenzfähig zu bleiben, ist der aktuelle Stand der Technik bei der Entwicklung neuer Produkte zu berücksichtigen. Eine hohe technologische Dynamik ist unter anderem im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien zu beobachten. In Folge der immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen erfahren hier viele Produkte eine immer kurzfristigere Überarbeitung oder Neuentwicklung – die Variantenvielfalt im Unternehmen steigt. Neben den beschriebenen externen Ursachen existieren viele unternehmensinterne Randbedingungen, die zu einer unnötigen Variantenvielfalt auf Produkt- und Teileebene führen und die hauptsächlich durch technische und organisatorische Defizite bedingt sind [Ehrlenspiel et al. 2007]. Bei Neuentwicklungen oder Modellüberarbeitungen werden vielfach vorhandene Lösungen nur ungenügend berücksichtigt. Die interne Variantenvielfalt steigt in Folge der mangelnden Übertragung bereits bestehender Teile in neue Produkte und des hohen Anteils an Neukonstruktionen anstelle von Änderungs- oder Anpassungskonstruktionen. Ferner existieren häufig historisch gewachsene Produktprogramme bei denen keine konsequente, kontinuierliche Reduzierung des Teilestammes durchgeführt wird. Vielfach wird Kunden zugesichert, dass sie auch nach Jahren nahezu alle Ersatzteile direkt vom Hersteller beziehen können, was die langfristige Pflege des Teilestammes verlangt. Ursache für organisatorische Defizite ist unter anderem der Umstand, dass einzelne Fachbereiche im Unternehmen unterschiedliche Zielsetzungen haben, die sich zum Teil als konfliktreich erweisen. Der Vertrieb fordert aus markt- und kundenstrategischen Gründen mehr Varianten, die Fertigung befürwortet ein höheres Maß an Standardisierung und Einheitlichkeit zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit der Produktion. Diese Zielkomplexität, in Kombination mit einem Mangel an Kommunikation und Koordination innerhalb und zwischen den Bereichen kann wiederum zu einer unnötig hohen Anzahl an Produktvarianten führen. Welche Bedeutung hat nun die Variantenvielfalt für das Unternehmen? Zum einen bietet sie Chancen, die primär durch Möglichkeiten der Differenzierung und eines gesteigerten Kundennutzens entstehen. Die Erhöhung der nach außen
11.2 Methoden zur Entwicklung variantengerechter Produkte
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hin sichtbaren, das heißt vom Kunden wahrgenommenen Variantenvielfalt bietet die Chance auf die Erfüllung zusätzlicher Kundenwünsche. Sie trägt zur Bedienung neuer Marktsegmente oder zur Erschließung weiterer Kundenkreise und damit zur Steigerung des Unternehmensumsatzes bei. Eine Produktdifferenzierung ermöglicht es, Produkte in mehreren Preislagen anzubieten und so verschiedene Kaufkraftgruppen anzusprechen. Die Kundenbindung wird durch das Produktprogramm beeinflusst. Ein breites und immer wieder aktualisiertes Produktprogramm (Diversifikation) erzeugt Kaufanreize sowohl bei neuen Zielgruppen, als auch Folgeaufträge bei bereits bestehenden Kunden. Auf der anderen Seite verursacht die Variantenvielfalt eine Menge Probleme, vor allem durch eine erhöhte Komplexität und Intransparenz sowie die daraus resultierenden Kosten. Das Problem einer zunehmenden Produkt- und Teilezahl ist der Anstieg der Komplexität in allen Unternehmensbereichen (Fertigung, Montage, Einkauf, Logistik, Vertrieb, Service und so weiter). Eine hohe Zahl eigengefertigter Komponenten sowie ein Variantenentstehungspunkt auf früher Wertschöpfungsstufe führen beispielsweise zu einer erhöhten Produktionskomplexität. Diese zeigt sich unter anderem in einer steigenden Zahl abzuwickelnder Fertigungsaufträge, kleineren Losgrößen und einer häufigeren Umstellung der Produktion. Ein Hauptproblem liegt in den Kosten der Variantenvielfalt. Diese spiegeln sich nur begrenzt und schwer erkennbar in den Herstellkosten der Produkte wider, da sie vor allem in Bereichen wie Entwicklung und Konstruktion, Vertrieb, Qualitätssicherung, Verwaltung, Rechnungswesen zu einem Kostenanstieg führen [Ehrlenspiel 2009]. Hohe, intransparente Gemeinkosten lassen sich mit konventionellen Methoden der Kostenrechnung kaum bestimmten Bauteilen oder Produkten zuordnen. Eine nicht verursachungsgerechte Zuordnung der Kosten birgt jedoch die Gefahr, dass Kosten treibende Varianten nicht oder erst spät identifiziert werden und der Aufwand zur Erstellung und Verwaltung der Varianten viel höher als der spätere Gewinn ist. Die Exoten des Produktspektrums werden daher typischerweise zu Preisen unterhalb der tatsächlich verursachten Kosten verkauft [Schuh et al. 2001]. Variantenmanagement umfasst alle Maßnahmen mit denen die Variantenvielfalt innerhalb eines Unternehmens bewusst beeinflusst wird. Dies gilt auf Produkt- und Prozessseite. Ziel ist hierbei eine Reduzierung und Beherrschung der Komplexität, was die Minimierung der internen Komplexität (Variantenvielfalt) bei einer gleichzeitig genügend hohen externen Vielfalt für Markt und Kunden bedeutet [nach Ehrlenspiel et al. 2007]. Vor allem die Entwicklung und Konstruktion hat durch die Festlegung von Produktkonzept und -gestalt einen maßgeblichen Anteil an der Entstehung von Varianten. Als wichtige technische Maßnahmen des Variantenmanagements haben sich bei variantenreichen Serienprodukten die Modularisierung, Produktplattformen, Baukastensysteme und Baureihen etabliert [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005, Schuh et al. 2001]. Modularisierung und Plattformstrategie zielen dabei primär auf den Aufbau einer geeigneten Produktstruktur beziehungsweise Sys-
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11 Variantengerechte Produkte
temarchitektur ab. Dabei kommt der Definition möglichst einheitlicher Schnittstellen eine hohe Bedeutung zu. Mit Baukasten- und Baureihenansätzen sollen Synergieeffekte im gesamten Produktprogramm erreicht werden. Zur Beherrschung der Vielfalt auf Teileebene existieren Ansätze der Standardisierung und Normung (Verwendung von Gleichteilen, Wiederholteilen und so weiter). Einen Schritt weiter als die genannten Maßnahmen gehen die Strategien der Kundenindividuellen Massenproduktion (Mass Customization) [Piller 1998] und der Produktindividualisierung [Lindemann et al. 2006], die auf eine optimale Befriedigung von Kundenbedürfnissen abzielen. Hier erfolgt ebenso wie bei den bereits genannten Ansätzen eine Vorentwicklung der Produktstruktur und des Variantenprogrammes. Darüber hinaus wird das Produkt jedoch auftragsspezifisch an individuelle Kundenbedürfnisse angepasst. Um dies zu angemessenen Kosten am besten erfüllen zu können, sind unter anderem flexible Leistungssysteme (Produkte und Prozesse) notwendig. Die Thematik der Variantenvielfalt ist auf allen Ebenen der Produktkonkretisierung von Bedeutung. Je nach Konkretisierungsgrad existieren unterschiedliche Ansätze für einen bewussten und zielgerichteten Umgang mit Varianten. Diese beziehen sich einerseits auf die Analyse der Variantenvielfalt bei existierenden Produktprogrammen und andererseits auf eine variantengerechte Produktgestaltung auf Funktions-, Wirk- und Bauebene.
11.2.1 Wie lässt sich die Variantenvielfalt analysieren? Variantenreiche Produkte und Produktprogramme zeichnen sich im Vergleich zu Einzelprodukten durch eine erhöhte Intransparenz und Komplexität aus. Bevor Maßnahmen zur Beeinflussung der Variantenvielfalt eines Produktes oder Produktprogrammes ergriffen werden können, ist eine Analyse der vorherrschenden Variantenvielfalt erforderlich. Für die Untersuchung der Variantenvielfalt und der damit zusammenhängenden Komplexität ist der gewählte Betrachtungsumfang beziehungsweise die betrachtete Ebene in der Produktstruktur von großer Bedeutung, weil davon die Potenziale zur Differenzierung beziehungsweise Standardisierung abhängen. Ebenen in der Systemhierarchie technischer Produkte sind unter anderem: Bauteil, Baugruppe, Modul, Gerät, Anlage [nach Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005]. Die Komplexität nimmt dabei mit jeder Ebene zu. Auf der Bauteilebene ist aufgrund der geringeren Komplexität die Realisierbarkeit von Standardisierungsmaßnahmen am größten (zum Beispiel in Form von Normteilen, Gleichteilen, Wiederholteilen). Mit zunehmender Komplexität und Teileumfang wird die Umsetzung von Ansätzen zur Standardisierung schwieriger, da die betrachteten Systeme (über alle Varianten gesehen) immer mehr spezifische Teile und Funktionen enthalten und die an sie gestellten Anforderungen zahlreicher und vielfältiger werden. Auf der Ebene von Modulen oder Geräten sind jedoch die durch eine Standardisierung zu erreichenden Einsparpotenziale größer als auf Bauteilebene. Dies lässt sich auf
11.2 Methoden zur Entwicklung variantengerechter Produkte
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den deutlich höheren Anteil an den Herstell- und Entwicklungskosten als bei Einzelteilen zurückführen. Folglich sind hier durch Skalen- oder Synergieeffekte in der Regel auch größere Kosteneinsparungen zu erzielen. Zur Analyse der vorliegenden Variantenvielfalt stehen verschiedene Methoden und Werkzeuge zur Verfügung. Bei der ABC-Analyse [Daenzer et al. 1999] erfolgt die Gegenüberstellung des gesamten Produktprogrammes nach dem Beitrag zum Gesamtumsatz beziehungsweise zum Deckungsbeitrag. Tragen 80 Prozent der Produktvarianten zu weniger als 20 Prozent des Umsatzes bei, muss eine große Anzahl nicht gängiger Varianten als real unwirtschaftlich gewertet werden. Ebenso ist es hilfreich, die Entwicklung der Teilevielfalt im Laufe der Zeit zu betrachten sowie den jeweils anteiligen Umsatz und die Produktion pro Sachnummer in den vergangenen Jahren zu vergleichen [Ehrlenspiel 2009]. Mit dem Variantenbaum ist eine systematische Darstellung der Variantenvielfalt möglich. Die Struktur orientiert sich zum Beispiel an der Montagereihenfolge [Schuh 1988] oder an den kundenseitigen Möglichkeiten der Produktkonfiguration. In Kombination mit einer ABC-Analyse lässt sich feststellen, welche Produktvarianten bei den Kunden besonders gefragt sind und welche eher zu den Exoten zählen. Bei einer großen Anzahl an Einzelteilen und Kombinationsmöglichkeiten verliert der Variantenbaum jedoch sehr schnell an Übersichtlichkeit. Hier bietet sich die Darstellung in Form einer Variantenmatrix an (abgewandelte Form der „Interface Structure Matrix“ [Kusiak 2008]). Die Varianten werden dabei in der Kopfspalte einer Matrix eingetragen, die Beschreibungsmerkmale und mögliche Ausprägungen in der Kopfzeile. Einträge in den Zellen der Matrix stehen für die Verwendung von Ausprägungen in den Varianten. Die Gegenüberstellung verschiedener Varianten ist hier durch den Vergleich der zugehörigen Zeilen möglich. Die Untersuchung der Verwendungshäufigkeit bestimmter Merkmalsausprägungen über alle Varianten hinweg erfolgt über die Analyse der Spalten in der Matrix. Durch die Analyse des Variantenspektrums mittels der Variantenmatrix lassen sich Potenziale beispielweise hinsichtlich der Zusammenlegung ähnlicher Varianten oder der Festlegung fester Merkmalskombinationen ermitteln.
Abb. 11-2. Variantenmatrix zur Darstellung der Variantenvielfalt
Wurde die vorliegende Variantenvielfalt untersucht, stellt sich die Frage, welche Potenziale das betrachtete Produkt oder Produktprogramm in Bezug auf Maßnahmen des technischen Variantenmanagements aufweist. Mithilfe von Baukastensystemen kann beispielsweise die gewünschte externe, für eine Differenzie-
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11 Variantengerechte Produkte
rung erforderliche Vielfalt mit einer geringen internen Teile- und Baugruppenvielfalt realisiert werden. Nicht alle Systeme oder Komponenten eignen sich jedoch in gleichem Maße zur Abbildung in einem Baukastensystem. Um Baukastensysteme mit einer hohen Effektivität zu erreichen, müssen zahlreiche Voraussetzungen erfüllt sein. Diese betreffen das anvisierte Baukastensystem, dessen Komponenten oder Bausteine, die notwendigen Schnittstellen und die zu verwirklichenden Eigenschaften und Funktionen. Für die Beurteilung der Güte eines Baukastensystems sowie der Baukastenfähigkeit eines betrachteten Systems und seiner Elemente bietet sich beispielsweise die Verwendung einer Checkliste für Baukastensysteme an [Renner 2007]. Bei der Entwicklung von Baukastensystemen ist darauf zu achten, dass entsprechende Anforderungen und Randbedingungen gelten und die Elemente baukastengerecht ausgeführt werden.
Abb. 11-3. Checkliste für Baukastensysteme [nach Renner 2007]
Schon bei den strategischen Überlegungen in den frühen Phasen der Entwicklung eines variantenreichen Produktprogrammes sind die Auswirkungen auf Prozessebene zu berücksichtigen, das heißt die Einflüsse in den Bereichen Entwicklung, Produktion, Beschaffung, Logistik, Service und so weiter. Beispielsweise ergeben sich je nach Beschaffenheit des Produktes und seiner Teile (Größe, Gewicht, Art der Schnittstellen) in der Montagelogistik Wirtschaftlichkeitsgrenzwerte in Abhängigkeit der Variantenzahl. So kann ein Monteur eine gewisse Anzahl von Varianten für ein Modul noch alleine im Montagezeittakt handhaben. Bei einer größeren Variantenzahl ist dann eine zweite Person erforderlich. Aufgrund der gegenseitigen Beeinflussung müssen die Maßnahmen in der Entwicklung und Konstruktion im Hinblick auf eine variantengerechte Produktgestaltung somit auch abgestimmt sein mit den Maßnahmen des Variantenmanagements in anderen Bereichen, zum Beispiel im Vertrieb (Sortimentsbereinigung) und in der Produktion (späte Variantengenerierung).
11.2 Methoden zur Entwicklung variantengerechter Produkte
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11.2.2 Wie lassen sich Anforderungen bei variantenreichen Produkten handhaben? Da mittels technischer Maßnahmen des Variantenmanagements übergreifende Synergien genutzt werden sollen, gewinnt das Anforderungsmanagement in diesem Zusammenhang noch mehr an Bedeutung. Im Gegensatz zur Entwicklung einzelner Produkte zielt beispielsweise eine Plattform- oder Baukastenentwicklung auf mehrere Produkte ab. Demzufolge sind die Anforderungen aller betrachteten Produktvarianten zu berücksichtigen. Im Vergleich zu der Entwicklung eines Einzelproduktes ergibt sich bei der Entwicklung eines Baukastensystems eine Steigerung der Komplexität, die sich unter anderem auf folgende Aspekte zurückführen lässt: x Spreizung der Anforderungen: Aufgrund des übergreifenden Ansatzes bei einer Baukastenentwicklung können die Ausprägungen gleicher Anforderungsmerkmale (zum Beispiel Motorleistung, Kraftstoffverbrauch, Gewicht) für einzelne Produktvarianten in verschiedenen Segmenten stark unterschiedlich sein. x Einsatzzeitpunkte der Baukastenprodukte: Die Anlaufzeitpunkte der einzelnen Produktvarianten liegen oftmals weit auseinander. Hieraus resultiert eine zusätzliche Unschärfe und Unsicherheit bezüglich Bekanntheitsgrad, Konkretisierungsgrad und Stabilität der Anforderungen. x Rückkopplung zwischen Baukastensystemen: Werden mehrere unterschiedliche Baukastensysteme eingesetzt, sind wechselseitige Auswirkungen zu berücksichtigen. So beeinflussen sich beispielsweise im Automobil ein Baukasten für das Cockpit und ein Baukasten für das Heiz-/Klimagerät gegenseitig. x Beschaffungs- und Lieferantenstrategien: Um die Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern zu vermeiden, kooperiert ein Hersteller von Gesamtsystemen (Endkundenprodukten) häufig bei unterschiedlichen Modellreihen mit verschiedenen Bauteil- oder Subsystemlieferanten. Die hieraus zwangsläufig resultierende Vielfalt an technischen Lösungen wird durch ein Baukastensystem reduziert, weil identische oder ähnliche Bausteine übergreifend Verwendung finden. Jedoch besteht dann die Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten. x Werke und Standorte: Die einzelnen Modellreihen eines Herstellers von Gesamtsystemen werden häufig in verschiedenen Werken gefertigt. Bei einem übergreifenden Baukastenansatz muss sichergestellt sein, dass jedes betroffene Werk in der Lage ist, entsprechende Baukastenkomponenten zu verbauen. Im Rahmen der Zielklärung beziehungsweise des Anforderungsmanagements ist es sinnvoll, hinsichtlich der übergeordneten Zielsetzung der Entwicklung strategische Stoßrichtungen zu definieren. Je nachdem, welche Effekte durch ein Baukastensystem primär erzielt werden sollen, ändert sich die Gestaltung des Systems. Mögliche Stoßrichtungen mit unterschiedlichem Entwicklungsfokus sind zum Beispiel die Reduktion der unternehmensinternen Variantenzahl, die Optimierung der Anforderungen oder die Erhöhung der Flexibilität. Die unterschiedlichen Stoßrichtungen lassen sich in einem Netzdiagramm übersichtlich darstellen.
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Abb. 11-4. Mögliche strategische Stoßrichtungen für Baukastensysteme [Renner 2007]
So steht beispielsweise bei der Baukastenentwicklung für Sitze im Automobil neben der Variantenbeherrschung die Erhöhung der Flexibilität im Vordergrund, um dem Kunden ein höheres Maß an Individualisierung zu ermöglichen [Renner 2007]. Beim in der Kundenwahrnehmung geringer angesiedelten Klimakompressor hingegen ist die Reduzierung der internen Variantenzahl das primäre Ziel. Da bei beiden Systemen unterschiedliche Ziele im Vordergrund stehen, werden sich die Baukastenkonzepte unterscheiden. Zwischen den einzelnen Kriterien herrschen zum Teil starke Interdependenzen. Dies liegt daran, dass sich diverse Stoßrichtungen gegenseitig beeinflussen können. Mit der Reduktion der Variantenzahl geht etwa eine Verringerung des Aufwands einher. Jedoch stehen die Reduktion der Variantenzahl und die Erhöhung der Flexibilität unter Umständen im Widerspruch. Eine isolierte Betrachtung der Kriterien ist daher nicht möglich. Zur Schaffung von Synergieeffekten und zur direkten Kostensenkung bieten sich im Rahmen des Anforderungsmanagements grundsätzlich zwei Strategien an: die Anforderungsoptimierung und die Anforderungsharmonisierung. Hauptziel der Anforderungsoptimierung ist es, etwaige Übererfüllungen durch zu hohe Anforderungen zu vermeiden und somit die Produktkosten zu verringern. In der Regel steigen die Kosten, je höher der Anspruch an die Ausprägungen der zu erfüllenden Anforderungen ist. Deshalb bietet es sich generell an, alle Ausprägungen der Anforderungen auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Dabei muss darauf geachtet werden, aufgrund ausgeprägten Sparwillens oder Sparzwängen die Anforderungen nicht zu weit herunterzusetzen. Anderenfalls entspricht das Produkt nicht den Kundenerwartungen und der Marktanteil sinkt. Die Anforderungsharmonisierung ist speziell im Umfeld der Baukastenentwicklung notwendig. Um den wiederholten Einsatz verschiedener Bausteine zu ermöglichen, sollten die Baukastenprodukte möglichst ähnliche Anforderungen aufweisen. Da dieser Idealfall in der Praxis selten auftritt, ist eine Harmonisierung der Anforderungen notwendig. Diese bezweckt eine Angleichung der Zielwerte, um mögliche Zielkonflikte zwischen den betrachteten Produkten verringern oder
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gar vermeiden zu können. Für eine Anforderungsharmonisierung müssen in der Regel Kompromisse eingegangen werden, die sich oft als Funktionsüber- und Funktionsuntererfüllung bemerkbar machen. Die daraus resultierenden Auswirkungen müssen untersucht und von den entsprechenden Verantwortlichen gebilligt werden. Dabei ist es notwendig, Anforderungen auf ihre Kundenwertigkeit hin zu überprüfen. Mittels einer Kanalisierung können die möglichen Ausprägungen von Anforderungen angeglichen werden [Ehrlenspiel 2009]. Bei der Ermittlung sinnvoller Größenstufen für die Ausprägungen von Anforderungen kann man sich an geometrisch gestuften Normzahlreihen orientieren.
Abb. 11-5. Harmonisierung der Anforderungen am Beispiel eines variantenreichen Klimakompressors [nach Renner 2007]
Im Beispiel eines Klimakompressors ergeben sich anforderungsgerecht ausgelegt 16 unterschiedliche Hubvolumina, deren Verschiedenartigkeit teilweise nur geringfügig ist. Durch das Zusammenlegen von Hubvolumina kann die Variantenanzahl auf lediglich drei reduziert werden, um den Klimakompressor wirtschaftlicher zu realisieren. Die Anforderungsharmonisierung führt zum Teil zu einer Funktionsübererfüllung, beispielsweise durch die Steigerung des Hubvolumens für eine Variante von 112 auf 129 cm3. Geht man von einzelnen Anforderungen über zu der Gesamtheit der Anforderungen an ein variantenreiches Produktprogramm, ist es wichtig ein stimmiges Zielsystem aufzustellen. Ein Baukastenzielsystem hat dabei zwei Hauptausrichtungen: zum einen sind Ziele zu berücksichtigen, die das geplante Baukastensystem in seiner Gesamtheit erreichen muss. Hierzu zählen beispielsweise die zu nutzenden Synergieeffekte und der zur Entwicklung notwendige Aufwand. Zum anderen sind auch Zielvorgaben betroffen, welche sich an die einzelnen Produktvarianten richten. Es werden zunächst die einzelnen Zielsysteme je Produktvariante aufgestellt. Das Zielsystem für das gesamte Produktprogramm setzt sich aus der Summe aller Einzelzielsysteme zusammen. Infolge von Kompromissen treten Abweichungen auf, die sich in Über- oder Untererfüllungen äußern. Diese Prozedur wird durchgeführt, bis für alle betroffenen Produktvarianten stimmige Zielsysteme erreicht sind. Vereinfacht lässt sich ein Baukastenzielsystem in einem Netzdiagramm darstellen, beispielsweise mit den Achsen Kosten, Gewicht, Funktion.
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11 Variantengerechte Produkte
Abb. 11-6. Vereinfachte Darstellung eines Baukastenzielsystems mittels Netzdiagramm [nach Renner 2007]
Für die weitere Entwicklung ist es angesichts des variantenübergreifenden Einsatzes von Bausteinen notwendig, die Spreizung der jeweiligen Anforderungen zu kennen. Diese zeigt an, wie eng die spezifischen Ausprägungen der Anforderungen an die einzelnen Produktvarianten beieinander liegen beziehungsweise wie stark sie sich unterscheiden. Je ähnlicher die Werte sind, desto besser kann ein entsprechendes Baukastensystem realisiert werden. Durch die Gegenüberstellung der einzelnen Zielsysteme können solche Unterschiede in den Anforderungen identifiziert werden. Dabei ist eine sinnvolle Clusterung der Anforderungen vorzunehmen, zum Beispiel nach den Kriterien Spreizung (hoch, mittel, gering) und Festlegbarkeit (langfristig, mittelfristig, kurzfristig). Auf dieser Basis erfolgt die Bildung alternativer Gestaltungsansätze für das Baukastensystem.
11.2.3 Wie lassen sich Funktionen bei variantenreichen Produkten modellieren? Die Problematik der Variantenvielfalt spiegelt sich auf Funktionsebene wider. Für Einzelprodukte oder einzelne Varianten im Produktprogramm lassen sich Funktionsmodelle aufstellen. Wie aber lässt sich die Funktionalität des gesamten Produktprogrammes übersichtlich darstellen? Vergleicht man die Funktionsmodelle der einzelnen Varianten, so wird man feststellen, dass sie viele gemeinsame Funktionen enthalten, aber auch Unterschiede aufweisen. Bei der Funktionsbetrachtung im Zusammenhang mit variantenreichen Produkten bietet sich eine Funktionsklassifikation an [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005]. Die Gesamtfunktion eines Produktes wird im Rahmen der Funktionsanalyse in Teilfunktionen aufgeteilt, die notwendig sind, um diese Gesamtfunktion zu erfüllen. Im weiteren Verlauf der Produktkonkretisierung kommt es dann darauf an, eine geeignete Zuordnung der einzelnen Teilfunktionen zu Funktionsträgern zu finden. Bei der Entwicklung eines Baukastensystems sind dies die Bausteine. Die Teilfunktionen werden nun je nach Häufigkeit des Vorkommens im Gesamtsystem und der Bedeutung für das Baukastensystem unterschiedlich benannt. Folgende Begriffe sind dabei zweckmäßig:
11.2 Methoden zur Entwicklung variantengerechter Produkte
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x Eine Grundfunktion ist eine Teilfunktion, die bei jeder zu erfüllenden Gesamtfunktion vorkommt. Grundfunktionen sind in einem System grundlegend, immer wiederkehrend und unerlässlich. Ein Grundbaustein wird daher auch als Muss-Baustein bezeichnet. x Eine Sonderfunktion stellt eine ergänzende, aufgabenspezifische Teilfunktion dar, die nicht in allen Gesamtfunktionsvarianten vorkommen muss. Sie wird durch einen Sonderbaustein erfüllt, der zum Grundbaustein eine spezielle Ergänzung oder ein Zubehör darstellt und daher Kann-Baustein ist. x Eine Anpassfunktion ist zur Anpassung an andere Systeme und Randbedingungen notwendig und wird durch Anpassbausteine verwirklicht. Diese sind nur zum Teil festgelegt und müssen im Einzelfall aufgrund nicht vorhersehbarer Randbedingungen in ihren Abmessungen angepasst werden. Sie können als Muss-Bausteine oder Kann-Bausteine auftreten. Anpassfunktionen können eventuell auch notwendig sein, um Sonderfunktionen mit Grundfunktionen zu verknüpfen und haben somit Schnittstellencharakter. x Eine auftragsspezifische Funktion stellt eine spezielle Teilfunktion für Einzelaufträge dar, die damit das Baukastensystem auch für spezielle Wünsche geeignet macht. Sie wird über so genannte Nicht-Bausteine verwirklicht, die nicht Bestandteil des eigentlichen Baukastensystems sind. Ihre Anwendung führt zu einem Mischsystem als Kombination von Bausteinen und Nicht-Bausteinen. Die Aufstellung einer Funktionsstruktur, das heißt die Aufgliederung der Gesamtfunktion in Teilfunktionen und deren Verknüpfung, erfolgt so, dass möglichst wenige gleiche und wiederkehrende Teilfunktionen vorkommen. Varianten mit hohem Absatz sind soweit wie möglich mit Grundfunktionen und dann mit Sonderfunktionen zu erfüllen. Zahl und Umfang der Sonder- und speziell der Anpassfunktionen sind klein zu halten. Die Darstellung der Funktionsstruktur kann beispielsweise in einem Umsatzorientierten Funktionsmodell erfolgen.
Abb. 11-7. Umsatzorientiertes Funktionsmodell eines variantenreichen Bohrhammers
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11 Variantengerechte Produkte
Als Beispiel werden die Funktionen eines variantenreichen Produktprogrammes für elektropneumatische Bohrhämmer beschrieben, das als Baukastensystem ausgeführt ist. Grundfunktionen (Grundbausteine), die in jedem Baukastenprodukt vorkommen, sind unter anderem die Wandlung elektrischer in mechanische Energie (Elektromotor), die Übersetzung des Drehmomentes (Getriebe), die Unterbrechung der Energieleitung bei einem Verhaken des Bohrers (Rutschkupplung) und die Erzeugung eines Schlagimpulses (Schlagwerk). Als Sonderfunktion kommt in Geräten im Premium-Segment eine zusätzliche Kupplung zum Einsatz, die dann die Energieleitung zwischen Motor und Getriebe unterbricht, wenn der Anwender bei einem Verhaken des Bohrers nicht die erforderliche Gegenkraft aufbringen kann, um das Drehmoment abzufangen. Diese Komfortfunktion wird als KannBaustein zum Beispiel durch eine magnetische Kupplung realisiert. Eine Diebstahlsicherung stellt eine weitere Sonderfunktion im Premium-Segment dar. Anpassfunktionen betreffen unter anderem die Versorgung des Motors mit elektrischer Energie. Hier sind in der Konkretisierung der zugehörigen Anpassbausteine unterschiedliche Länder- beziehungsweise Spannungsvarianten vorzusehen. Außerdem existieren Gerätevarianten mit Akku zur Energieversorgung. Weitere Anpassbausteine sind die Handgriffe (hinterer Handgriff und Seitenhandgriff), welche Schnittstellen des Gerätes zum Anwender darstellen. Schließlich stellt die Fixierung und Einleitung von Kräften in das Werkzeug (Werkzeugaufnahme) eine Anpassfunktion dar. Im beschriebenen Beispiel sind keine auftragsspezifischen Funktionen vorgesehen.
11.2.4 Wie lassen sich Wirkprinzipien und Lösungskonzepte für variantenreiche Produkte ermitteln? Auf Basis der Anforderungen und Funktionen können Wirkprinzipien und Wirkkonzepte für die Realisierung eines variantenreichen Produktprogrammes entwickelt werden. Dabei herrscht gegenüber den Konzepten für Einzelprodukte eine erhöhte Komplexität. Eine zentrale Herausforderung ist es, die Variantenvielfalt auch auf Wirkebene auf das notwendige Maß zu begrenzen. Dem Aufbau einer geeigneten Produktstruktur sowie dem Zeitpunkt der Variantenentstehung kommen hier eine entscheidende Bedeutung zu. Folgende Strategien beziehungsweise Gestaltungsprinzipien haben sich in der Praxis etabliert: x Die Modularisierung basiert auf der Zerlegung eines Systems in leicht austauschbare Teile (Module). Sie dient der Unterteilung des Gesamtsystems in überschaubare Einheiten, die unabhängig voneinander entwickelt, beschafft, produziert und geprüft werden können. Die Definition geeigneter Schnittstellen ist dabei Voraussetzung für die Bildung und den Austausch von Modulen. x Mit Plattform wird die Zusammenfassung derjenigen Komponenten, Schnittstellen und Funktionen bezeichnet, die über eine ganze Produktfamilie verein-
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heitlichbar und daher zeitlich stabil sind [Schuh et al. 2001]. Die Plattformbauweise kann als ein Sonderfall der Modularisierung aufgefasst werden. x Bei Baukastensystemen wird eine möglichst große Zahl an Produktvarianten aus einer möglichst geringen Anzahl an Bausteinen (Bauteilen, Baugruppen) mit unterschiedlicher Funktion und Gestalt zusammengesetzt [Biegert 1971]. x Bei Baureihen erfolgt die Variantenbildung durch Skalierung beziehungsweise Größenstufung bei ansonsten gleicher Funktion, gleicher konstruktiver Ausführung und gleichen Schnittstellen [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005]. Ein Merkmal dieser Ansätze ist die funktionale Zerlegung und damit eine verbesserte Konfigurierbarkeit des Produktes. Weiterhin wird eine klare Trennung von unveränderlichen und variablen Produktbereichen verfolgt. Eine Differenzierung des Produktes erfolgt mithilfe der variablen Produktbereiche. Ebenso sollten Wechselwirkungen zwischen Produktelementen, zum Beispiel bei Änderungen, eingegrenzt werden. Für die Bildung von Modulen existieren verschiedenste Kriterien, zum Beispiel Funktionen, Montagereihenfolge, Lebenszyklus, Disziplinen, Marktsegmente oder die (minimale) Schnittstellenzahl [Pulm 2004]. Bei der Definition eines Baukastensystems kann eine Orientierung an folgenden Merkmalen erfolgen [Biegert 1971, Kohlhase 1997, Ponn 2000]: Baukastennutzer, Systemabgrenzung, Baukastenstruktur und Reinheit des Baukastensystems.
Abb. 11-8. Klassifikation von Baukastensystemen
Zunächst kann eine Differenzierung in Bezug auf den Baukastennutzer erfolgen. Als Herstellerbaukasten wird ein Baukastensystem bezeichnet, welches beim Hersteller zusammengebaut und danach im Allgemeinen nicht mehr verändert wird (zum Beispiel Pkw-Baukastensystem, Getriebebaukasten). Bei einem Anwenderbaukasten werden dahingegen die Bestandteile des Systems als Bausteine beim Hersteller produziert und anschließend vom Benutzer montiert beziehungsweise konfiguriert. Sie können wieder in ihre Bausteine zerlegt werden, um diese zur Bildung neuer Kombinationsformen zu verwenden (beispielsweise Elektrowerkzeugbaukasten, Küchenmaschinensystem). Eine weitere Unterscheidung ist hinsichtlich der Systemabgrenzung möglich. Ein geschlossenes Baukastensystem ist durch ein vorgegebenes Bauprogramm mit einer endlichen Variantenzahl, das heißt einer begrenzten Zahl an Kombinationsmöglichkeiten der einzelnen Bausteine gekennzeichnet (zum Beispiel Getriebe-
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baukasten). Ein offenes Baukastensystem ist im Gegensatz dazu in seinen Variations- und Kombinationsmöglichkeiten unbeschränkt (beispielsweise bei Baugerüstsystemen). Die Darstellung und Planung des Systems in seinem vollen Umfang ist nicht möglich. Es existiert in der Regel ein Baumusterplan mit Beispielen, aus denen der Anwender typische Anwendungsmöglichkeiten ersieht. Ein weiteres Kriterium ist die Baukastenstruktur. Bei strukturgebundenen Baukastensystemen sind die Bausteinvarianten für bestimmte Funktionen an bestimmte Plätze der Produktstruktur gebunden, sie können nicht an jedem beliebigen Platz eingesetzt werden (zum Beispiel Sitzbaukasten im Automobil). Dies entspricht den Modularisierungskonzepten mit einer Produktplattform. Bei modularen Baukastensystemen sind die Bausteine nicht an Platzhalter in der Struktur gebunden, so dass sich die Produktstrukturen der Baukastenprodukte im Aufbau unterscheiden (beispielsweise bei Möbelsystemen). Die Reinheit eines Baukastensystems bezieht sich auf die Verwendung oder Nicht-Verwendung von auftragsspezifischen, das heißt kundenindividuellen Elementen. Reinsysteme sind Baukastensysteme, bei denen sich die Erzeugnisse aus einem gegebenen Bausteinvorrat zusammensetzen (zum Beispiel bei Elektrowerkzeugen). Bei Mischsystemen hingegen erfahren die Produktvarianten lediglich eine partielle Anwendung der Baukastenbauweise. Gewisse Systemumfänge, so genannte Nicht-Bausteine, werden erst bei Vorliegen von Aufträgen kundenindividuell entwickelt und gefertigt (beispielsweise im Sonderwerkzeugmaschinenbau).
Abb. 11-9. Baukastengesamtkonzepte – Formen der Modularisierung
Kombiniert man die Ausprägungen der diskutierten Merkmale, ergeben sich unterschiedliche Gesamtkonzepte für Baukastensysteme. So kann ein Baukastensystem zum Beispiel ein teilweise modulares, offenes Reinsystem oder ein strukturgebundenes, geschlossenes Mischsystem sein. Die Wahl eines geeigneten Baukastengesamtkonzeptes hängt unter anderem von der übergeordneten Stoßrichtung
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der Baukastenentwicklung sowie von der Ebene in der Systemhierarchie (Baugruppe, Modul, Gerät, Anlage) ab, auf die sich der Baukastenansatz bezieht. Ist die übergeordnete Zielsetzung die Reduktion des Aufwands in Entwicklung und Produktion, wird also ein Höchstmaß an Standardisierung angestrebt, so bietet sich ein strukturgebundenes, geschlossenes Reinsystem an. Wird mit dem Baukastenansatz jedoch ein Höchstmaß an Flexibilität verfolgt, um eine Vielzahl unterschiedlicher Kundenanforderungen bestmöglich zu bedienen, dabei aber trotzdem Synergieeffekte in Entwicklung und Produktion zu erreichen, bietet sich ein modulares, offenes Mischsystem an. Einen Schritt weiter als die reine Konfiguration von Produktvarianten aus einer vordefinierten Produktstruktur geht die Strategie der Produktindividualisierung [Pulm 2004, Lindemann et al. 2006, Baumberger 2007], bei der eine optimale Befriedigung von Kundenbedürfnissen verfolgt wird. Hierfür werden, vergleichbar den auftragsspezifischen Bausteinen, gewisse Produktumfänge kundenindividuell entwickelt beziehungsweise angepasst. Um dies in einem wirtschaftlich angemessenen Rahmen zu erreichen, bedarf es bei der Produktstrukturplanung der Wahl eines optimalen Individualisierungsgrades. Mit Individualisierungsgrad wird das Verhältnis zwischen Standardisierung und Freiräumen in der Produktstruktur bezeichnet. Bereiche der Produktstruktur mit zunehmendem Individualisierungsgrad sind: fixe Bereiche, obligatorische und optionale Alternativen, skalierbare Bereiche, prinzipielle Lösungen sowie definierte und allgemeine Freiräume. Dienstleistungen ergänzen das individualisierte Sachprodukt um immaterielle Leistungsbestandteile (zum Beispiel Finanzierung und Wartung) [Lindemann et al. 2006].
Abb. 11-10. Metamodell der Produktstruktur eines variantenreichen Produktprogrammes, deren Elemente einen unterschiedlichen Individualisierungsgrad besitzen [Lindemann et al. 2006]
Gegenüber der Entwicklung von Einzelprodukten bedarf es bei der Entwicklung von Wirkkonzepten für variantenreiche Produktprogramme einer höheren Flexibilität. Teilweise müssen dieselben Funktionen je nach Produktvariante oder kundenspezifischer Ausprägung auf unterschiedliche Weise realisiert werden. Hier bietet der Einsatz mechatronischer Lösungen große Potenziale [Gausemeier et al. 2006a]. Der Software-Anteil steigt in vielen Produkten, unter anderem aufgrund der ausgeprägten Flexibilität der Software [Bender et al. 2005].
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Zur Reduzierung der internen Vielfalt ist darauf zu achten, dass nach Möglichkeit für ähnliche Funktionen die gleichen Wirkprinzipien angewandt werden. Gerade bei der zeitlich unterschiedlichen Entstehung einzelner Produkte ist es wichtig, Wirkprinzipien übergreifend als Standard festzulegen. Die Dimensionierung erfolgt erst in der konkreten Ausführung nach den individuellen Anforderungen.
Abb. 11-11. Standardisierung von Wirkprinzipien am Beispiel eines Regelventils in pneumatischen Systemen [nach Monz 2006]
Ein Beispiel ist der Einsatz eines bewährten Ventilprinzips in pneumatischen Systemen [Monz 2006]. Die Funktion des betrachteten Ventils ist das Regeln des pneumatischen Drucks. Das Ventil wird dabei mechanisch durch einen pneumatischen, pneumatisch-mechanischen oder elektrischen Aktuator betätigt, bis der Regeldruck erreicht wird. Am Eingang des Ventils liegt in der Regel ein höherer Druck an und durch eine Betätigung wird der Eingang zum Ausgang hin geöffnet. Dadurch strömt Druckluft zur Ausgangsseite und erhöht mit zeitlichem Verzug den Ausgangsdruck bis zum Regelwert. Übersteigt der Ausgangsdruck den Regelwert, so findet durch eine Entlüftung ein Druckabbau statt. Die Entlüftung weist zumeist eine direkte Verbindung zur Atmosphäre mit entsprechendem Druck auf. Die beschriebene Funktion wird in allen Geräten innerhalb des gesamten Systems benötigt, in denen ein pneumatischer Druck zu regeln ist, zum Beispiel bei Steuerventilen, Druckübersetzern, Relaisventilen, Führerbremsventilen und Druckluftminderventilen. Eine Standardisierung des Wirkprinzips stellt beispielsweise die Ausführung als Doppelventilsitz in allen Geräten dar.
11.2.5 Wie lassen sich Gestaltlösungen und Baumodelle für variantenreiche Produkte ermitteln? Der Übergang von Funktionen über Wirkprinzipien und Wirkkonzepten hin zu Gestaltlösungen und Baumodellen wird durch die Verknüpfung von Funktionen und Bauelementen unterstützt. Bauelemente sind die konkreten Bestandteile des Produktes auf Bauebene, wie sie gefertigt und montiert werden, also Bauteile, Baugruppen oder Module. Herausforderungen ergeben sich hier unter anderem durch die zahlreichen Abhängigkeiten der Bauelemente in der Baustruktur einerseits und in der Verknüpfung der Funktionen und Bauelemente andererseits.
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Abb. 11-12. Verknüpfungsmatrix zwischen Funktionen und Bauelementen am Beispiel eines Vordersitzes im Automobil [nach Renner 2007]
Hier ist die Definition einer geeigneten Systemarchitektur von hoher Bedeutung, also die Festlegung der Baustruktur und deren Verknüpfungen zur Funktionsstruktur. Eine Systemdarstellung zum Zwecke der Strukturanalyse und -optimierung kann in Matrizen- und Grafenform erfolgen [Maurer 2007, Lindemann et al. 2009]. Mit der Visualisierung der Verknüpfung von Funktionen und Bauelementen anhand einer Verknüpfungsmatrix werden mehrere Absichten verfolgt: x die Bestimmung und Optimierung der Abhängigkeiten x die Optimierung der Funktions- und Baustruktur x die Bestimmung des optimalen Modularisierungsgrades Zur Optimierung der Funktions- und Baustruktur sowie zur Optimierung deren Vernetzung bieten sich zahlreiche Operationen zur Systematischen Variation an, zum Beispiel das Hinzufügen, das Löschen oder das Substituieren von Verknüpfungen zwischen Funktionen und Bauelementen. Durch eine Variation der funktionalen Vernetzung ist es möglich, die Modularität der Baustruktur zu beeinflussen. Der Grad der Ähnlichkeit von Funktions- und Baumodell hinsichtlich der Struktur ist ein wesentliches Kriterium für die Ausprägung der Modularität. Je größer der Grad der Übereinstimmung zwischen der Funktionsstruktur und der physischen Realisierung in der Baustruktur ist, desto modularer ist die Architektur möglich. Die Wahl des Modularitätsgrades erfolgt dabei im Spannungsfeld zwischen Funktionsoptimierung, Standardisierung und Überdimensionierung. Hier kann je nach Zielsetzung und Anforderungen die Anwendung von Gestaltungsprinzipien mit Bezug zur Systemarchitektur (Funktionsdifferenzierung, Funktionsintegration) oder mit Bezug zur Bauweise des Produktes (Differenzialbauweise, Integralbauweise) hilfreich sein. Zur rechnerunterstützten Visualisierung, Analyse und Optimierung der Produktstruktur bieten sich Rechnerwerkzeuge an, die auf Matrizen- und Grafentheorie basieren [Maurer 2007].
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Die Gestaltung variantenreicher Produkte auf Bauebene steht im Spannungsfeld zwischen Standardisierung und Differenzierung. Maßnahmen der Standardisierung umfassen unter anderem die Verwendung von Baureihen [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009]. Dies sind Produkte mit gleicher Funktion, gleichem Wirkkonzept sowie möglichst gleichen Werkstoffen und Fertigungsverfahren. Die einzelnen Varianten unterscheiden sich lediglich in Leistungsdaten, Abmessungen und davon abhängigen Größen (Gewicht, Kosten). Weitere Maßnahmen sind die Standardisierung von Schnittstellen, die Anwendung von Parametrik (schnelle Anpassung der Geometrie durch die Variation vordefinierter Parameter) und die Verwendung von Kauf-, Gleich- und Wiederholteilen. Maßnahmen zur Differenzierung umfassen unter anderem die Produktindividualisierung [Lindemann et al. 2006], bei der das Produkt in optimaler Weise an die Bedürfnisse individueller Kunden angepasst wird. Maßnahmen mit ähnlichem Fokus sind die Gestaltung von Sonderbausteinen eines Baukastensystems nach individueller Kundenspezifikation, die Differenzierung im Design, die Berücksichtigung von ästhetischen Aspekten und Nutzerpräferenzen sowie die Berücksichtigung von ergonomischen Aspekten in der Nutzerschnittstelle.
Abb. 11-13. Maßnahmen zur Standardisierung und Differenzierung
Bei der Gestaltung von variantenreichen Produktprogrammen kommt den Schnittstellen eine besondere Bedeutung zu. Hier ist zwischen organisatorischen und technischen Schnittstellen zu unterscheiden. Die organisatorischen Schnittstellen beinhalten den Informationsfluss zwischen den am Prozess beteiligten Funktionsbereichen (Konstruktion, Simulation, Versuch, Fertigung und so weiter). Bei den technischen Schnittstellen werden unter anderem geometrische, stoffliche, energetische und signaltechnische Gesichtspunkte unterschieden. Im Gegensatz zur Entwicklung von Einzelprodukten erhöht sich die Anzahl sowohl der technischen als auch der organisatorischen Schnittstellen, was einen gesteigerten Abstimmungsaufwand mit sich bringt. Dementsprechend sind Maßnahmen erforderlich, um die Komplexität zu reduzieren, vor allem in Richtung Standardisierung. Die Bedeutung der Schnittstellen wird am Beispiel einer digitalen Fotokamera erläutert. Geometrische Schnittstellen bestehen unter anderem zu Batterien/Akkus, zum Stativ, zum externen Blitzlicht, zum Objektiv und zum Speicherchip. Eine energetische Schnittstelle stellt die Energieversorgung (Batterien/Akkus) der Kamera dar. Eine signaltechnische Schnittstelle besteht darüber hinaus zum Speicherchip. Je nach Leistungsdaten (Auflösung, maximale Bildgröße, Belichtungs-
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zeiten, Gewicht, Zusatzfunktionen) und Preissegment der Kamera sind sowohl die Kamera als auch die weiteren Komponenten auszulegen. Im Rahmen eines Baukastenansatzes sind dabei varianten- beziehungsweise modellübergreifende Synergieeffekte zu erzielen.
Abb. 11-14. Bedeutung der Schnittstellen am Beispiel einer digitalen Fotokamera
Möglichkeiten zur Produktindividualisierung werden am Beispiel eines Hochdruckreinigers exemplarisch erläutert [Gahr 2006, Baumberger 2007]. Um eine ergonomische Nutzung des Gerätes zu ermöglichen, lässt sich der Handgriff der Reinigungspistole an die Handgröße und -form des Anwenders anpassen. Ferner kann die Größe der Räder variiert werden, um das Gerät an örtliche Gegebenheiten zu adaptieren (zum Beispiel Holzterrasse mit Treppen). Jedoch besitzen derartige geometrische Modifikationen oft auch Auswirkungen auf andere Komponenten. In diesem Falle wird bei der Vergrößerung des Raddurchmessers eine Längenanpassung des Standfußes sowie der Achsaufnahmen erforderlich.
Abb. 11-15. Möglichkeiten der Individualisierung am Beispiel eines Hochdruckreinigers
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11 Variantengerechte Produkte
11.3 Entwicklung eines variantenreichen Produktprogrammes für Automobilsitze Fahrzeugsitze bestehen aus zahlreichen Baugruppen und Einzelteilen. Gerade bei den Sitzanlagen stieg in den letzten Jahren im Premiumsegment die Möglichkeit zur kundenseitigen Individualisierung stark an. Dies liegt darin begründet, dass der (Vorder-)Sitz eine der wichtigen Schnittstellen zwischen Mensch und Automobil darstellt. Sobald ein Kunde sich im Fahrzeug befindet, kommt er mit dem Sitz in Berührung – egal ob bei stehendem oder fahrendem Fahrzeug. Der Sitz muss zahlreiche funktionale Anforderungen optimal erfüllen. Hierzu gehören unter anderem der Seitenhalt sowie die Abstützung der Oberschenkel und des Rückens. Aufgrund der langen Sitzzeiten sind außerdem Komfortmerkmale besonders wichtig, wie zum Beispiel die Vermeidung von Druckstellen, ein angenehmes Klima zwischen Person und Sitzoberfläche sowie ein entspanntes Sitzen. Etliche Komfortmerkmale sind aber von der Anatomie abhängig, weshalb zahlreiche Verstellmöglichkeiten für den Kunden vorzuhalten sind. Zusätzlich möchten viele Kunden gerne ihren persönlichen Sitz zusammenstellen, wozu neben funktionalen Ausstattungen auch werkstoffliche oder farbliche Aspekte zählen.
Abb. 11-16. Schematischer Aufbau eines Vordersitzes
Früher war die Vielfalt der Automobil-Sitze überschaubar. Die einzelnen Fahrzeugmodelle beziehungsweise Baureihen wurden mit jeweils spezifischen Sitzanlagen bedient. Dadurch konnte eine anforderungsgerechte und optimierte Entwicklung realisiert werden (zum Beispiel hinsichtlich Bauraum, Komfort und Kosten). Analog zur Stückzahl abgesetzter Fahrzeuge stieg auch die Vielfalt im Produktportfolio der Automobilhersteller an. Zugleich erhöhte sich damit die Variantenzahl der Sitzanlagen exorbitant, wobei immer mehr Funktionen aus höheren auch in niedrigeren Fahrzeugklassen Einzug hielten. Neu hinzugekommene Komfortfunktionen und Individualisierungsmerkmale verstärken diesen Effekt. Um die gestiegene Komplexität auf einem definierten Kostenniveau beherrschen zu können, sind neue Ansätze gefragt, die übergreifende Synergien nutzen. Im Folgenden wird die Entwicklung eines Baukastensystems für Sitze bei einem Automobilhersteller beschrieben [Renner 2007]. Neben generell gültigen Anforderungen (zum Beispiel Crashnormen) sind die Anforderungen an den Sitz unter an-
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derem abhängig von der Fahrzeugklasse (beispielsweise Mittel- und Oberklasse) und der Fahrzeugart (Limousine, Coupé, Roadster und so weiter). Im Rahmen der Anforderungsanalyse wurden folgende Variantentreiber identifiziert: x Bauraumanforderungen (zum Beispiel Spurweite, Sitzhöhe) x funktionale Anforderungen und Ausstattungsmerkmale (Easy-entry-Funktion, elektrische Verstellung, Sitzbelüftung) x Design (räumliche Wirkung des Sitzes im Fahrzeug, Nahtbilder, Farben) x monetäre Anforderungen (Herstellkosten, Montagekosten) x Möglichkeiten zur technischen Umsetzung gleicher Funktionen (Ausführung als Schweiß- oder Tiefziehkonstruktion) Auf Basis der Analyse ließen sich die baukastenspezifischen Anforderungen identifizieren. Auch bei den Komponenten des Sitzes existieren allgemeingültige und fahrzeugspezifische Anforderungen. Für alle Sitzschienen gelten zum Beispiel unabhängig vom Einsatzfahrzeug gewisse Crashnormen. Stark divergierende Ausprägungen kristallisierten sich dagegen bei der Spurweite der Sitzschienen heraus. Um bei voll besetzter Rückbank den drei Fondpassagieren einen angemessenen Sitzkomfort zuteil werden zu lassen, muss Platz für jeweils drei Füße unter den Vordersitzen vorgehalten werden. Die Spurweite der Sitzschienen ist aber unter anderem von der lichten Weite zwischen Seitenschweller und Mitteltunnel abhängig, die je nach Fahrzeugbreite unterschiedlich ausfällt.
Abb. 11-17. Unterschiedliche Spurweiten der Sitzschienen aus Komfortgründen
Diese Komfortanforderung hat unterschiedliche Spurweiten zur Folge. Hinsichtlich des übergreifenden Baukastengedankens bedeutet dies einen Zielkonflikt. Einerseits soll der jeweils mögliche Komfort realisiert werden. Andererseits erfordert die Anbindung des identischen Sitzrahmens unterschiedliche Kinematiken, wodurch die Variantenvielfalt ansteigt. Dies widerspricht dem Ziel des Baukastensystems, die Variantenvielfalt zu reduzieren und übergreifende Synergien zu nutzen. Zur Lösung dieses Zielkonflikts boten sich im Rahmen der Anforderungsklärung drei Handlungsalternativen an: x Anforderungsharmonisierung x Erfüllung der spezifischen Anforderungen x Kompromissfindung durch Anpassbausteine
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11 Variantengerechte Produkte
Zur Bewertung der Handlungsalternativen wurde für jede Alternative ein Zielsystem erarbeitet, um die Güte der Zielerfüllung zu bestimmen. Die Zielsysteme wurden mittels Netzdiagrammen in reduzierter Form schematisch dargestellt. In diesem Fall wurden hierfür die Eigenschaften Komfort, Kosten und Gewicht herangezogen, wobei die Achsen den Erfüllungsgrad der jeweiligen Anforderung darstellen. Die Visualisierung mittels Netzdiagrammen stellt eine starke Vereinfachung des Sachverhalts dar, die jedoch die wesentlichen Aspekte der unterschiedlichen Zielsysteme veranschaulicht.
Abb. 11-18. Bewertung der Handlungsalternativen mithilfe von Zielsystemen
Bei der Anforderungsharmonisierung können die unterschiedlichen Spurweiten der kleinsten angeglichen werden, um die Kinematik als Gleichteil zu nutzen, was eine optimale Kostensituation zur Folge hat. Mit dieser Lösung werden jedoch bewusst Kompromisse bezüglich des Komfortpotenzials bei größeren Fahrzeugen in Kauf genommen. Die Harmonisierung ist gewichtsneutral, das heißt das geforderte Gewicht der Sitzstruktur wird hiervon nicht beeinflusst. Für die Erfüllung der spezifischen Anforderungen werden ohne Rücksicht auf die Variantenvielfalt die jeweiligen Spurweiten umgesetzt. Durch die Entwicklung angepasster Kinematiken werden alle Komfortanforderungen optimal erfüllt. Die zusätzlich anfallenden Aufwendungen für Entwicklung, Absicherung und Produktion verschlechtern jedoch die Kostensituation drastisch. Bei dieser Maßnahme werden die jeweiligen Gewichtsanforderungen optimal erfüllt. Als dritte Option können Anpassbausteine verwendet werden, welche die unverändert einsetzbare Kinematik den unterschiedlichen Spurweiten anpassen. Neben dem übergreifenden Einsatz der Kinematik wird die optimale Erfüllung der Komfortanforderungen erreicht. Der Kostenvorteil durch Gleichteile wird durch zusätzlich anfallende Kosten für die Anpassbausteine teilweise reduziert. Wegen der hinzukommenden Bausteine wird das Produktgewicht negativ beeinflusst. Zur Bewertung sind die einzelnen Zielsysteme mit ihren Vor- und Nachteilen sowie den einhergehenden Kompromissen untereinander abzuwägen. Im vorliegenden Fall überwogen die Vorteile der Kompromisslösung, sodass die zusätzlichen Kosten für die Entwicklung und Produktion der Anpassbausteine gegenüber den anderen Alternativen in Kauf genommen wurden. Bei einer umfassenden Be-
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wertung müssen weitere Aspekte berücksichtigt werden, wie zum Beispiel die zu erwartenden Stückzahlen (Sonder- oder Serienausstattung), Fertigung, Montage und so weiter. Ferner sind die erzielbaren Skaleneffekte mit den jeweiligen Lieferantenstrategien abzugleichen. Der nächste Schritt war die Funktionsbetrachtung und Bestimmung der Kernelemente. Um einerseits der Forderung nach der Reduzierung der Variantenvielfalt und andererseits der Forderung nach der Differenzierung der einzelnen Sitze nachkommen zu können, wurde die aus Sitz- und Lehnenrahmen bestehende Metallstruktur als Kernelement des Baukastensystems definiert (Grundbaustein). Da die Metallstruktur dem Kunden meist verborgen bleibt, sind Vereinheitlichungen unbemerkt möglich. Mit den Polstern und Bezügen sind die kundenwertigen Komponenten losgelöst vom Baukastenansatz, um eine Differenzierung zu ermöglichen (Nicht-Bausteine). Die Optik und Haptik eines Sitzes kann somit vergleichsweise kostengünstig variiert werden, je nach Designstrategie oder Kundenwünschen. Die kostenintensive Entwicklung und Absicherung vielfältiger Metallstrukturen reduziert dieser Baukastenansatz durch den übergreifenden Einsatz. Für den Kunden sollten sich hieraus keine Nachteile ergeben. Weitere Funktionen, die in vielen Fahrzeugvarianten verwendet werden und bei denen sich daher die Ausführung als Grundbaustein anbietet, sind die Sitzlängsverstellung, die Lehnenneigungsverstellung und die Lordosenstütze. Selten verwendete Sonderfunktionen sind beispielsweise eine Massagefunktion (im komfortorientierten Sitz) und die sitzintegrierte Gurtfunktion (unter anderem für Cabrios relevant). Um eine konstruktive Breitenanpassung der Sitzgestelle in der Metallstruktur der Sitzanlage zu realisieren, wurden in einer Kreativsitzung verschiedene Wirkprinzipien erarbeitet. Beispiele für Lösungsideen sind Teleskoprohre, Schermechanismen und Keile zur Längenverstellung. Andere Lösungsideen basieren auf einer Systematischen Variation der Verbindungsstelle bei der Montage der Sitzgestelle. Bei dieser prinzipiellen Betrachtung wurden Faktoren wie Realisierbarkeit, Kraftflüsse, Montierbarkeit und Kosten noch nicht berücksichtigt.
Abb. 11-19. Wirkprinzipien zur Breitenanpassung von Sitzgestellen [Renner 2007]
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11 Variantengerechte Produkte
Mithilfe dieses Vorgehens, das hier nur ausschnittsweise wiedergegeben ist, wurde ein komplettes Baukastensystem für Fahrzeugsitze entwickelt. Der Baukastenansatz konzentriert sich vor allem auf die Metallstruktur des Sitzes. Hier konnten mittels einer gezielten Gleichteilestrategie hohe Kosteneinsparpotenziale und Synergieeffekte für die Produktion erreicht werden. Durch die Anpassung von Polstern und Bezügen blieb ein ausreichender Raum zur Differenzierung gegenüber den verschiedenen Kundengruppen bestehen.
11.4 Zusammenfassung Seit einigen Jahrzehnten ist in vielen Branchen eine extreme Zunahme der Variantenzahl auf Produkt- und Teileebene zu beobachten. Ursachen hierfür sind unter anderem ein gestiegenes Anforderungsniveau der Kunden sowie die Globalisierung der Märkte, die zu stärkeren Intensität und Dynamik des Wettbewerbs führt. Eines der größten Probleme einer ausufernden Variantenvielfalt ist die damit einhergehende Steigerung der Komplexität in allen Unternehmensbereichen und die damit verbundenen Kosten. Variantenmanagement umfasst alle Maßnahmen mit denen die Variantenvielfalt im Unternehmen bewusst beeinflusst wird. Die übergeordnete Zielsetzung ist es, die zum Kunden hin erforderliche externe Vielfalt mit einer minimalen internen Vielfalt zu realisieren. Hierfür stehen verschiedene Strategien, Methoden und Werkzeuge zur Verfügung. Herausforderungen bei der Anforderungsklärung für variantenreiche Produktprogramme ergeben sich durch die Spreizung der Anforderungen und eine Wechselwirkung der Zielsysteme verschiedener Varianten im gesamten Produktprogramm. Hier sind geeignete Strategien anzuwenden, beispielsweise eine Anforderungsoptimierung oder Anforderungsharmonisierung. Bei der Erstellung von Funktionsmodellen ist es zielführend, Funktionen nach deren Bedeutung für das gesamte Produktprogramm und der Häufigkeit des Vorkommens zu klassifizieren. Es werden beispielsweise Grundfunktionen, Sonderfunktionen, Anpassfunktionen und auftragsspezifische Funktionen unterschieden. Bei der Entwicklung von Lösungsansätzen auf Wirkebene gilt es die Komplexität zu begrenzen und Synergieeffekte zwischen den Produktvarianten zu nutzen. Dies lässt sich zum Beispiel durch den standardisierten Einsatz von Wirkprinzipien erreichen. Etablierte Strategien des Variantenmanagements in diesem Kontext sind die Modularisierung und Plattformbauweise sowie der Einsatz von Baukastensystemen und Baureihen. Bei der Definition von Gestaltlösungen und Baumodellen für variantenreiche Produkte ist ein optimaler Modularisierungsgrad zu bestimmen. Zum Zwecke der Darstellung und Optimierung der Systemarchitektur bieten sich dabei matrizen- und grafenbasierte Methoden an. Außerdem kommt hier der Betrachtung der Schnittstellen eine besondere Bedeutung zu. Die Gestaltung variantenreicher Produkte auf Bauebene steht generell im Spannungsfeld zwischen Standardisierung und Differenzierung. Für beide Richtungen existieren Gestaltungsrichtlinien, die dem Entwickler Unterstützung bieten.
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Das stetige Bevölkerungswachstum und die fortschreitende Industrialisierung führen zu einer kontinuierlich größer werdenden Belastung für die Umwelt, was seit geraumer Zeit in einem erhöhten Stellenwert von Umweltfragen in der Gesellschaft und damit auch in neuen Gesetzgebungen resultiert.
Abb. 12-1. Bevölkerungsprojektionen [nach United Nations 2006]
Nachdem in der Entwicklung und Konstruktion von Produkten bereits die wesentlichen Produkteigenschaften für alle Lebenslaufphasen festgelegt werden, besteht in diesen frühen Phasen des Lebenslaufes ein wichtiger Stellhebel, Produkte umweltgerecht und ökologisch nachhaltig zu gestalten. Dabei sollte der Entwickler nicht nur die umweltspezifisch vorgeschriebenen Gesetze und Normen umsetzen. Vielmehr gilt es die Auswirkungen des Produktes auf die Umwelt entlang des gesamten Produktlebenszyklus frühzeitig zu antizipieren und bei der Gestaltung des Produktes zu berücksichtigen. So wird beispielsweise in der Produktentwicklung festgelegt, welchen Energieträger und damit Rohstoff eine Maschine zum Betrieb nutzt. Auch die Wahl umweltgerechter Materialien oder das frühzeitige Festlegen der Verwertungsmöglichkeiten sind Ansatzpunkte zur Entwicklung und Konstruktion ökologisch nachhaltiger Produkte.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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12 Nachhaltige Produkte
12.1 Entwicklung eines verwertungsgerechten Toasters Der Toaster TT62 wurde im Jahr 1988 entwickelt. Bei der damaligen Entwicklung wurden recyclingspezifische Normen nur teilweise berücksichtigt [Mörtl 2002]. Die ganzheitliche Betrachtung aller Phasen entlang des Produktlebenszyklus fand nicht statt, was in verschiedensten Umweltbeeinträchtigungen durch das Produkt entlang der Lebenslaufphasen resultierte. Beispielsweise fand bei der Produkterstellung keine Kennzeichnung von Kunststoffteilen statt, was das Recycling und damit die ökologisch nachhaltige Verwertung des Toasters unmöglich machte. Aufgrund der mittlerweile geänderten Umweltrichtlinien sowie dem Markttrend zu ökologisch nachhaltigen Produkten beschloss der Hausgerätehersteller, dass es dringend notwendig sei, bei der Entwicklung des Nachfolgeproduktes (Toaster TT22) verstärkt auf eine recyclinggerechte Produktgestaltung hinzuarbeiten. Dabei standen eine gute Zerlegbarkeit und eine Schonung der verwendeten Ressourcen im Vordergrund. Um diese Ziele zu erreichen, wurde eine enge Zusammenarbeit zwischen den Entwicklern des Toasters sowie Mitarbeitern des Recycling-Fachbetriebs, welcher den Toaster später zerlegen sollte, vereinbart. Eine gemeinsam durchgeführte IstAnalyse eingesetzter Werkstoffe des Toasters TT62 sowie die Analyse der Verbindungsstruktur und Verbindungsarten benachbarter Bauteile, Baugruppen und Module ermöglichte es, Schwachstellen hinsichtlich der Verwertung aufzudecken. Insbesondere wurde eine hohe Anzahl unterschiedlicher Materialien, untereinander unverträgliche Kunststoffe, schlecht trennbare Verbindungen sowie ein Kabelgewirr bei der mechanischen Verwertung festgestellt. Diese Auswertung stellte eine breite Ausgangsbasis für die Überarbeitung und Neukonstruktion des Nachfolgemodells (Toaster TT22) dar.
Abb. 12-2. Verwertungsgerechtes Entwickeln und Konstruieren am Beispiel eines Toasters [nach Dietrich et al. 2000, Mörtl 2002]
Bei der Entwicklung und Konstruktion wurden konsequent Gestaltungsregeln, Checklisten sowie Wissen über ausgewählte Recyclingtechnologien genutzt (zum Beispiel firmeninternes Qualitätshandbuch, Gestaltungsregeln für Schraubverbin-
12.2 Maßnahmen zur Entwicklung nachhaltiger Produkte
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dungen). Somit erfüllte das neu gestaltete Produkt die Anforderungen einer verwertungsgerechten Produktgestaltung, wodurch frühzeitig auf das Ende des Produktlebenszyklus Einfluss genommen werden konnte. Im Zuge der recyclinggerechten Gestaltung des neuen Toastermodells konnten die Herstellungskosten um circa 30 Prozent gesenkt werden, ohne die Ausstattungsmerkmale gegenüber dem Vorgängermodell zu reduzieren. Die intensive Produktanalyse und die frühzeitige strategische Entscheidung zur Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der Produktentwicklung führten somit zur verbesserten Verwertbarkeit und geringeren Herstellkosten. Durch die ganzheitliche Herangehensweise konnte ein Zielkonsens zwischen ökonomisch und ökologisch nachhaltiger Produktentwicklung erzielt werden.
12.2 Maßnahmen zur Entwicklung nachhaltiger Produkte Für ein Verständnis der zunehmenden Bedeutung des Umweltgedankens müssen die Zusammenhänge zwischen Umwelt, Bevölkerung, Industrie und Abfallwirtschaft bekannt sein. Das Bevölkerungswachstum in den vergangenen Jahrzehnten führte zu einem erhöhten Konsum von Produkten und Dienstleistungen und damit auch zu einem Wachstum des Energieverbrauchs. Mit der Leistungserstellung als auch mit der Nutzung von Produkten geht eine Zunahme des Abfalls und auch des Verbrauchs von Rohstoffen einher. Dies hat wiederum zur Folge, dass die Umwelt durch Abgase und Schadstoffe belastet wird, was sich in Krankheiten in der Bevölkerung niederschlagen und weitere Umweltveränderungen, wie beispielsweise eine langfristige Änderung des Klimas, nach sich ziehen kann. Jedoch sind Reaktionen der Natur oftmals erst nach vielen Jahren erkennbar. Daher ist eine globale, zeitlich weit vorausschauende Betrachtung der Auswirkungen menschlichen Handelns, also von Produkten und Dienstleistungen, unbedingt notwendig. Dazu zählt zum Beispiel auch eine differenzierte Betrachtung von regional unterschiedlich ausgeprägten Faktoren wie das zur Verfügung stehende Rohstoffvorkommen oder auch die klimatischen Randbedingungen. Die unterschiedlichen Ausprägungen der Faktoren führen dazu, dass sich der Umgang mit den Produkten auch hinsichtlich umweltspezifischer Aspekte (zum Beispiel Auswahl der Werkstoffe, Nutzungsdauer, Form des Recyclings) weltweit sehr stark unterscheidet. Für den Begriff der Nachhaltigkeit wurden in der Vergangenheit zahlreiche mögliche Definitionen geschaffen, wobei hier eine Definition herangezogen wird, welche sich am Brundtland-Bericht von 1987 orientiert: Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können [nach Detzer et al. 1999].
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12 Nachhaltige Produkte
Dabei ist von Bedeutung, dass der Begriff der Nachhaltigkeit weit über den Umweltschutz hinausgeht und sowohl ökonomische als auch soziale Aspekte einbezieht. Eine nachhaltige Ressourcennutzung bedeutet im ökologischen Sinne somit beispielsweise, dass verwendete Ressourcen als Bestandteil oder zur Nutzung eines Produktes wieder- und weiterverwendet werden können beziehungsweise diese nicht verschwendet werden. Zudem sollten die Ressourcen so gewählt werden, dass es zu keinen nachhaltigen Beeinträchtigungen der Gesundheit nachfolgender Generationen kommt, wofür ebenfalls eine umweltgerechte Ressourcennutzung einen Beitrag leisten kann.
Abb. 12-3. Entwicklung des weltweiten Primärenergieverbrauchs von 1990-2005 sowie Aufteilung des Primärenergieverbrauchs in Deutschland nach Energieträgern in 2007 [nach Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2008]
Vor dem Hintergrund der gezielten Unterstützung nachhaltiger Produktgestaltung wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Begriffe geprägt, welche im Kontext mit den folgend vorgestellten Methoden und Vorgehensweisen stehen. Dabei sind insbesondere das „Design for Environment“, das „Design for Recycling“, sowie die Schlagworte „Ecodesign“ [Abele et al. 2008] und „Industrial Eco-
12.2 Maßnahmen zur Entwicklung nachhaltiger Produkte
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logy“ hervorzuheben. Deren Ziel ist es, den Schwerpunkt von Maßnahmen am Lebensende des Produktes im Sinne eines nachsorgenden Umweltschutzes stärker auf vorsorgende, ökologisch nachhaltige Maßnahmen zu Beginn des Produktlebenszyklus zu legen. Beispielsweise ist anstelle einer nachträglichen Behandlung von schädlichen Abgasen eine bewusste Vermeidung dieser Abgase anzustreben. Eine Strategie nachhaltigen Wirtschaftens, deren Kerngedanke in einer ganzheitlich vorausschauenden Betrachtung späterer Lebenslaufphasen besteht, stellt die Integrierte Produktpolitik (IPP) dar. Diese zielt auf eine stetige Verbesserung von Produkten (und Dienstleistungen) hinsichtlich ihrer Wirkungen auf den Menschen und die Umwelt entlang des gesamten Produktlebensweges [Umweltpakt Bayern 2001]. Die Strategie der Integrierten Produktpolitik steht somit dafür, dass ökologische, ökonomische und soziale Wirkungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung grundsätzlich als gleichrangig zu sehen sind [IHK 2001]. Nach einer Mitteilung der EU-Kommission an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament im Jahr 2003 [Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003] sind verschiedene Randbedingungen für die Integrierte Produktpolitik und daraus abgeleitete Schlussfolgerungen zu berücksichtigen.
Abb. 12-4. Randbedingungen der IPP und abgeleitete Schlussfolgerungen [nach Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003]
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Ausgehend von diesen Randbedingungen und Schlussfolgerungen stellte die EU-Kommission ein Konzept zur Integrierten Produktpolitik auf, welches aus den fünf folgenden Kerngrundsätzen besteht: x Denken in Lebenszyklen: Um die kumulativen Auswirkungen entlang des Lebenszyklus zu verringern, soll dieser ganzheitlich, das heißt „von der Wiege bis zur Bahre“ betrachtet werden. So soll vermieden werden, dass die isolierte Betrachtung von einzelnen Lebenszyklusphasen zum Verschieben von Umweltbelastungen in andere Phasen führt. x Zusammenarbeit mit dem Markt: Das Angebot von und die Nachfrage nach umweltgerechteren Produkten soll durch Anreize gefördert werden. x Einbeziehung aller Beteiligten: Alle Beteiligten entlang des Produktlebenszyklus sollen in ihrem jeweiligen Einflussbereich nachhaltig handeln, und auch die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten ist zu fördern. x Laufende Verbesserung: Um Umweltauswirkungen während des gesamten Produktlebenszyklus unter Berücksichtigung des Marktes zu verringern, sind häufig Verbesserungen sowohl bei der Gestaltung, der Herstellung, der Verwendung oder der Entsorgung eines Produktes möglich. Dabei sollen sich Unternehmen auf die effizientesten Verbesserungen konzentrieren können. x Unterschiedliche politische Instrumente: Im Rahmen der IPP besteht ein Trend zu freiwilligen Initiativen, wobei auch aufgrund der Verschiedenheit der Produkte und der jeweils Beteiligten am Produktlebenszyklus feste Vorschriften erforderlich sein können. Konkrete Maßnahmen zur Entwicklung nachhaltiger Produkte dienen zum einen der Analyse und Bewertung der Umweltbeeinträchtigungen eines Produktes entlang des Produktlebenslaufes. Zum anderen existieren Richtlinien, Methoden und Werkzeuge zur Unterstützung von Entwicklern bei der umweltgerechten Gestaltung des Produktes auf allen Konkretisierungsebenen.
12.2.1 Wie lassen sich Umweltbeeinträchtigungen eines Produktes analysieren und bewerten? Die Gewinnung und der anschließende Verbrauch von Ressourcen sowohl zur Produkterstellung als auch zur -nutzung stellen für eine Vielzahl von Produkten eine teils erhebliche Belastung für die Umwelt dar. Darüber hinaus treten Umweltbeeinträchtigungen auch beim Vertrieb und bei der Entsorgung der Produkte auf. Somit kommt es in den verschiedensten Phasen des Produktlebenszyklus zu Beeinträchtigungen der Umwelt. Erst die Untersuchung sämtlicher Lebensphasen erlaubt eine umfassende und aussagekräftige Ermittlung verschiedenster Umwelteinwirkungen und somit den Vergleich unterschiedlicher Lösungsalternativen bezüglich ihrer Umweltverträglichkeit. Zudem unterstützt die ganzheitliche Betrach-
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tung des Produktlebenslaufes die Identifikation und Priorisierung von Verbesserungspotenzialen in der Weiterentwicklung von Produkten. Im Rahmen der Integrierten Produktpolitik (IPP) wird die Wichtigkeit einer ganzheitlichen Erfassung von Informations-, Energie- und Stoffflüssen entlang des Produktlebenszyklus adressiert. Somit stellt die IPP eine bedeutende Strategie dar, um Umweltbeeinträchtigungen umfassend erkennen und bewerten zu können. Ein unterstützendes Instrument ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die Ökobilanz. Dieses Informations-, Planungs-, und Kontrollinstrument der Produktpolitik dient dazu, eine übergreifende Umwelt- und Recyclingstrategie für das Produkt zu formulieren. Die Ökobilanz soll dabei nicht nur einen lokal begrenzten und zeitlich eingeschränkten Charakter aufweisen. Vielmehr sollte diese langfristig und weitblickend angelegt sowie allgemein anerkannt, akzeptiert und vergleichbar sein. Diese Anforderungen erschweren oftmals die Erstellung einer Ökobilanz.
Abb. 12-5. Schematisches Produktsystem für eine Ökobilanz [DIN EN ISO 14040]
Bei der Aufstellung einer Ökobilanz werden zu Beginn das Ziel und der Untersuchungsrahmen festgelegt. Zu klären sind dabei unter anderem das zu untersuchendes Produktsystem und dessen Funktionen, die Systemgrenze, relevante Wirkungskategorien, die Methode zur Wirkungsabschätzung, Annahmen und Einschränkungen sowie Anforderungen an die Datenqualität. Darauf aufbauend besteht die Ökobilanz aus verschiedenen Einzelanalysen, beispielsweise einer Sachbilanz und einer Wirkungsbilanz [DIN EN ISO 14040]. Bei der Sachbilanz werden relevante Input- und Outputflüsse des Produktsystems quantifiziert, zum Beispiel die Luft-, Wasser- und Bodenbelastung, der Verbrauch von Wasser, Rohstoffen und Energie, der Flächenverbrauch sowie Abfallströme. In der Wirkungsbilanz werden basierend auf den Ergebnissen der Sachbilanz potenzielle Umweltauswirkungen bewertet, wie zum Beispiel Lärm, Geruch, Strahlung, Human- und Ökotoxizität. Neben der Ökobilanz sind im Zusammenhang mit der ganzheitlichen Erfassung von Umweltbeeinträchtigungen beispielsweise noch die Kurzbilanzierungsverfahren MIPS (Material-Input pro Serviceeinheit) [Schmidt-Bleek 1998] und KEA (kumulierter Energieaufwand) [VDI 4600] zu nennen.
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12.2.2 Wie lassen sich Anforderungen mit Bezug zur Nachhaltigkeit handhaben? Die Erfassung und Dokumentation von Anforderungen an ein zu entwickelndes Produkt stellt einen wesentlichen Schritt in der Produktkonkretisierung dar. Dabei ist es von großer Bedeutung auch Anforderungen hinsichtlich der ökologischen Nachhaltigkeit zu definieren, um teuren Maßnahmen am Lebensende vorzubeugen und hin zu Maßnahmen am Beginn des Produktlebenszyklus zu gelangen. Bei der Identifikation umweltspezifischer Anforderungen sieht man sich jedoch der Herausforderung gegenübergestellt, dass Einwirkungen des Produktes auf die Umwelt über den gesamten Produktlebenslauf sowohl qualitativ als auch quantitativ nicht absehbar sind. „Qualitativ“ bedeutet, dass die Existenz der Auswirkung bei der Anforderungsklärung noch nicht bekannt ist. „Quantitativ“ dagegen bedeutet, dass man mögliche Auswirkungen zwar bereits identifiziert hat, diese jedoch noch nicht quantifizierbar sind (zum Beispiel der Klimawandel). Als Quellen für umweltrelevante Anforderungen können verschiedenste Gesetze und Normen herangezogen werden, beispielsweise die Gefahrstoffverordnung, das Kreislaufabfallwirtschaftsgesetz sowie die Verpackungsordnung. Die VDIRichtlinie 2243 „Recyclingorientierte Produktentwicklung“ stellt darüber hinaus eine Checkliste mit Recyclingaspekten bereit, die ebenfalls im Rahmen der Anforderungsklärung anwendbar ist. Schließlich lassen sich durch den Einsatz verschiedener Bilanzierungsverfahren einerseits Anforderungen direkt ableiten und deren Ausprägungen andererseits auch quantifizieren.
Abb. 12-6. Checkliste für die Recyclingorientierte Produktentwicklung [VDI 2243]
12.2 Maßnahmen zur Entwicklung nachhaltiger Produkte
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Durch die Berücksichtigung umweltrelevanter Anforderungen kann es zu Zielkonflikten mit weiteren Anforderungen kommen, häufig in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit des zu entwickelnden Produktes. Um Anforderungen in diesem Kontext gegeneinander abzuwägen, zu gewichten und zu priorisieren, bietet sich ein situativ angepasster Einsatz von Methoden wie zum Beispiel Quality Function Deployment (QFD) , Failure Mode and Effects Analysis (FMEA) , Checklisten oder auch Regelsammlungen an.
12.2.3 Wie lassen sich Aspekte der Nachhaltigkeit auf Funktionsebene berücksichtigen? Um Umweltbeeinträchtigungen eines Produktes ganzheitlich erfassen zu können beziehungsweise um diese frühzeitig im Innovationsprozess zu identifizieren, gilt es, das betrachtete System zunächst auf einer geeigneten Abstraktionsebene zu betrachten. In diesem Zusammenhang sind die unterschiedlichen Möglichkeiten einer Funktionsmodellierung aufzugreifen. Diese ermöglichen es, Wechselwirkungen zwischen Funktionen des Produktes aufzudecken und können somit auch zur Identifikation von Stellhebeln beitragen, welche für die ökologische Nachhaltigkeit des betrachteten Produktes relevant sind. Die Umsatzorientierte Funktionsmodellierung trägt dazu bei, insbesondere während der Lebenslaufphasen Produktion, Nutzung und Entsorgung/Verwertung auftretende Stoff- und Energieflüsse darzustellen sowie die Eigenschaftsänderungen der betrachteten Medien entlang des Flusses darzustellen. Aus dem Funktionsmodell heraus sind somit Handlungsschwerpunkte in Bezug auf die ökologische Nachhaltigkeit ableitbar.
Abb. 12-7. Umsatzorientiertes Funktionsmodell einer Folienverarbeitungsanlage
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Der Nutzen der Umsatzorientierten Funktionsmodellierung zur Erarbeitung von Ansätzen für eine ökologische Nachhaltigkeit wird im Folgenden am Beispiel einer Folienverarbeitungsanlage veranschaulicht. Das Funktionsmodell zeigt innerhalb der Systemgrenze, wie Folie als Rohmaterial in einem Stofffluss zugeschnitten und überprüft wird. Die zugeschnittene Folie kann in weiteren Prozessschritten, beispielsweise in der Verpackungsindustrie, eingesetzt werden. Aus diesem Beispiel lassen sich zahlreiche Handlungsschwerpunkte in Bezug auf die ökologische Nachhaltigkeit der Schneid- und Überprüfungsvorrichtung ableiten, da neben dem eigentlichen Prozess des Zuschneidens der Folie auch betrachtet wird, was mit den Abfällen aus der Folienbearbeitung geschieht. Zudem ist der Energiefluss zur Bereitstellung thermischer Energie für den Ofen zur Verbrennung der Folienabfälle und des Folienausschusses dargestellt. Ein aus dem Funktionsmodell ableitbarer Fokus stellt die potenziell unnötig hohe Erzeugung von Folienverschnitt dar. Hier könnte man beispielsweise ein Konzept zur Minimierung beziehungsweise zur vollständigen Vermeidung von Folienverschnitt andenken und diskutieren. Ein weiterer Angriffspunkt stellt die Realisierung der Funktion „Folie zuschneiden“ dar, da durch ungenaues Zuschneiden möglicherweise unnötiger Folienausschuss erzeugt wird. Der Einsatz eines optimierten Schneidwerkzeuges beziehungsweise eine Verminderung der Abnutzung (Abstumpfung) des Schneidwerkzeuges wären hier mögliche Handlungsalternativen. Bei der Festlegung von Handlungsschwerpunkten ist es zudem sinnvoll, wenn im Funktionsmodell neben der Betrachtung qualitativer Aspekte zusätzlich quantifizierte Daten als Entscheidungsbasis hinterlegt werden. Ist beispielsweise der Folienverschnitt sehr hoch, während sich der Folienausschuss in einem tolerierbaren Rahmen hält, so sollte der Fokus auf einer Minimierung des Folienverschnittes liegen. Bezüglich der Entsorgung der Folienabfälle lassen sich aus dem Funktionsmodell heraus ebenfalls zahlreiche Ansätze in Bezug auf eine ökologische Nachhaltigkeit ableiten. Ein denkbarer Schritt ist beispielsweise eine Filterung der Abgase, bevor diese an die Luft abgegeben werden. Anstatt die Energie, welche bei der Verbrennung des Mülls entsteht, als Verlustenergie abzuführen, könnte diese anderweitig im System erneut eingespeist werden (zum Beispiel zum Heizen der Fabrikhalle). Somit könnte man das System sowohl ökologisch nachhaltiger gestalten als auch Kosteneinsparungen hinsichtlich des Energieverbrauchs realisieren, womit ein Zielkonsens zwischen Kosten- und Umweltgesichtspunkten erreicht wird. Ein weiterer Ansatzpunkt wäre es, weg von der Verbrennung des Folienmülls hin zu einem anderweitigen stofflichen Recycling des Abfalls zu gelangen. Eine derartige Analyse des betrachteten Systems auf abstrakter Ebene hilft somit dabei, Ansätze in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit zu identifizieren und das Funktionsmodell entsprechend zu variieren. Auch der Einsatz der Relationsorientierten Funktionsmodellierung bietet sich im Rahmen einer Produktanalyse im Kontext der ökologisch nachhaltigen Produktentwicklung an. Dabei sind insbesondere die Identifikation schädlicher Funktionen und deren Interaktion mit weiteren Funktionen des Systems von Interesse, um Problemformulierungen unter anderem vor dem Hintergrund der ökolo-
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gischen Nachhaltigkeit ableiten zu können. Dies wird am Beispiel der Produktanalyse einer Waschmaschine erläutert. Hier steht die nützliche Funktion „Wäsche waschen“ im Mittelpunkt. Dafür werden unter anderem die Funktionen „Waschtrommel rotieren“ und „Wasser erwärmen“ benötigt. Bei der Wandlung der elektrisch eingespeisten Energie in thermische sowie mechanische Energie, welche für den Waschvorgang benötigt wird, wird Verlustenergie abgeführt, da ein Wirkungsgrad der Wandlung von 100 Prozent nicht erreicht werden kann. Hier lässt sich bereits eine erste Problemformulierung bezüglich der umweltgerechten Produktentwicklung ableiten. Diese lautet: „Finde eine Möglichkeit, elektrische Energie in mechanische Energie (beziehungsweise thermische Energie) zu wandeln unter der Bedingung, dass sich die abgeleitete Verlustenergie vermindert“.
Abb. 12-8. Relationsorientiertes Funktionsmodell zur Produktanalyse einer Waschmaschine
Auch die Funktion „Waschmittel hinzugeben“ stellt eine nützliche Funktion dar, welche für die Funktion „Wäsche waschen“ benötigt wird. Jedoch wird in vielen Fällen zu viel Waschmittel hinzugegeben, was eine Ressourcenverschwendung (Funktion „Waschmittel verschwenden“) verursacht. Dahingehend wurde bereits die Funktion „Waschmittel dosieren“ eingeführt, um diese Ressourcenverschwendung zu vermeiden. Durch das Vorsehen der Funktion „Waschmittel dosieren“ trägt man sowohl zu einer umweltgerechten Entwicklung als auch zu einem in der Nutzungsphase kostengünstigen Betrieb der Waschmaschine bei. Somit lässt sich auch hier ein Zielkonsens zwischen Kosten- und Umweltaspekten erzielen. Die vorgestellten Beispiele der Umsatzorientierten und der Relationsorientierten Funktionsmodellierung zeigen, dass eine Systembetrachtung auf abstrakter Funktionsebene Schwachstellen im Produkt und somit Handlungsschwerpunkte hinsichtlich der umweltgerechten Produktentwicklung aufzeigen kann.
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12.2.4 Wie lassen sich Aspekte der Nachhaltigkeit auf Wirkebene berücksichtigen? Die Auswahl der im Produkt zu realisierenden Wirkprinzipien und die damit einhergehenden physikalischen Effekte spielen eine wichtige Rolle in Bezug auf die Entwicklung ökologisch nachhaltiger Produkte. Dies lässt sich dadurch erklären, dass physikalische Effekte teilweise nur durch spezielle, möglicherweise umweltschädigende Materialen erzielt werden können. Zudem können bestimmte physikalische Effekte die Auswahl unterschiedlicher Werkstoffe in einem Bauteil oder einer Baugruppe bedingen, was sich auf die Möglichkeiten des Recyclings der Produkte negativ auswirken kann. Ein weiteres Problem in diesem Kontext besteht darin, dass etliche Auswirkungen (insbesondere Langzeitauswirkungen) neuer Produkte bei ihrer Erstnutzung unbekannt sind beziehungsweise ein erheblicher Informationsmangel vorherrscht. Beispielhaft sei hier der erstmalige Einsatz von Katalysatoren in Kraftfahrzeugen genannt. Bei der Gestaltung des Katalysators war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bekannt, wie eine umweltgerechte Rücknahme und Entsorgung des Katalysators am Lebensende aussehen kann. Auch die anhaltende Diskussion zur Strahlenbelastung durch Mobiltelefone stellt ein Beispiel dar, dass Langzeitauswirkungen bei Produkten zum Teil nicht ausreichend geklärt sind. Um den angesprochenen Problemstellungen in Bezug auf die Entwicklung ökologisch nachhaltiger Produkte zu begegnen, stehen verschiedenste Lösungsansätze zur Verfügung. Beispielsweise können bereits auf Wirkebene Gestaltungsprinzipien mit Bezug zu energetischen Aspekten herangezogen werden. Bei der Ermittlung von Wirkprinzipien und der Synthese von Wirkkonzepten sind das „Prinzip zur Vermeidung von Irreversibilität“ und das „Prinzip zur Suche nach regenerativen Lösungen“ in das Vorgehen einzubeziehen. Die Vermeidung von Irreversibilität bedeutet, dass die Umwandlung mechanischer oder elektromagnetischer Energieformen nach Möglichkeit in andere mechanische oder elektromagnetische Energieformen, nicht jedoch in Wärme erfolgen soll. Die Suche nach regenerativen Lösungen ist eine praxisorientierte Umformulierung des Prinzips zur Vermeidung von Irreversibilität. Dies bedeutet, dass Lösungen zu priorisieren sind, welche die nicht vermeidbaren irreversiblen Energieverluste eines technischen Systems so weit wie möglich reduzieren. Auch die Anwendung der Widerspruchsorientierten Lösungssuche nach Altschuller bietet sich auf Wirkebene an [Altschuller 1984, Terninko et al. 1997]. Insbesondere die technischen Parameter „Energieverbrauch des beweglichen Objektes“, „Energieverbrauch des unbeweglichen Objektes“ und „Energieverluste“ sind hier in Betracht zu ziehen. Als Anregung für die Lösungssuche können unter anderem das „Prinzip der periodischen Wirkung“ oder das „Prinzip des Ersatzes mechanischer Systeme“ dienen. Bei der Bewertung und beim Vergleich verschiedener Lösungsalternativen beziehungsweise alternativer Wirkkonzepte bietet es sich an, Leistungsbilanzen (Inund Output) hinsichtlich der Produktnutzung zu erstellen und zu vergleichen.
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Hierbei sind insbesondere lösungsneutrale Kenngrößen, wie zum Beispiel der Energieverbrauch oder der Wirkungsgrad, heranzuziehen. Gegebenenfalls bietet sich der Einsatz von Ähnlichkeitskennzahlen [Deimel 2007] oder Äquivalenzkenngrößen (zum Beispiel CO2-Äquivalenten) bei der Bewertung an. Weiterhin ist es bei der Bewertung und Auswahl alternativer Lösungskonzepte wichtig, Verwertungsmöglichkeiten sämtlicher im Produkt genutzter Materialien zu antizipieren. Zudem kann die Erstellung von Szenarios im Rahmen unsicherer Erwartungen bezüglich der Umweltauswirkungen des Produktes den Erstellungs- und Auswahlprozess geeigneter Lösungsalternativen unterstützen. Hierfür bietet sich die Anwendung der Szenariotechnik [Gausemeier et al. 1996] an.
12.2.5 Wie lassen sich Aspekte der Nachhaltigkeit auf Bauebene berücksichtigen? Die Erstellung von Baumodellen hat wesentlichen Einfluss auf die Verwertungsmöglichkeiten eines Produktes nach seiner Nutzung. Doch schon während der Nutzung kann es zu Verschleiß und Ausfall von einzelnen Komponenten kommen, weshalb bei der Festlegung der Gestalt auf einfache Austauschbarkeit von Baugruppen und Bauteilen sowie auf eine nachhaltige Werkstoffauswahl geachtet werden sollte. Auch die Anpassbarkeit hinsichtlich sich ändernder Anforderungen an ein Produkt lässt sich bereits in den frühen Phasen des Produktlebenszyklus beeinflussen. Diese Anpassbarkeit ist insbesondere bei Produkten erforderlich, die über einen langen Zeitraum in Nutzung sind und die in diesem Zeitraum gewisse Modifikationen benötigen, zum Beispiel den Austausch von Modulen mit kurzen Innovationszyklen (Elektronik oder Software). Vor diesem Hintergrund ist zunächst die VDI-Richtline 2243 [VDI 2243] zu nennen, welche sich mit dem „Konstruieren recyclinggerechter technischer Produkte“ auseinandersetzt und entsprechende Gestaltungsregeln zur Verfügung stellt. Danach lassen sich unter anderem Aspekte der reinigungsgerechten, aufarbeitungsgerechten, sortiergerechten sowie der remontagegerechten Gestaltung unterscheiden. Weiterhin geht die VDI-Richtlinie 2243 auch auf die demontagegerechte Gestaltung ein, welche vor dem Hintergrund der recyclinggerechten, ökologisch nachhaltigen Produktentwicklung näher beschrieben ist. Für ein kosteneffizientes und damit wirtschaftlich durchführbares Recycling ist es erforderlich, dass der Zerlegevorgang der unterschiedlichen Bauteile einer Baugruppe in kurzer Zeit von statten geht. Dafür sind im Produkt möglichst wenige und einfach lösbare Verbindungen vorzusehen. Die Verbindungen sind zudem vor Korrosion und Verschmutzung zu schützen. Um die Demontage und somit die weitere Verwertung einzelner Bauteile zu unterstützen, muss bei der Festlegung der Gestalt bereits auf Zugänglichkeit der Demontagewerkzeuge sowie auf die Verwendung von Standardwerkzeugen geachtet werden.
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Abb. 12-9. Beispiele für demontagegerechte Fügestellen [nach VDI 2243]
Um bei einem Ausfall eines Produktes eine möglichst einfache Reparatur oder den Austausch bestimmter Komponenten zu erleichtern, bietet sich in Bezug auf die Produktstruktur eine Modularisierung an. Hier ist abzuwägen, wie viele Schnittstellen notwendig und sinnvoll sind. Ein hoher Grad an Modularität erleichtert die Demontage und den Austausch von Modulen. Allerdings sind unter Umständen Nachteile in Bezug auf Gewicht, Robustheit und Funktionserfüllung hinzunehmen, so dass auch hier die einzelnen Anforderungen gegeneinander abzuwägen sind. Um Service und Reparatur in wirtschaftlicher Form zu realisieren, ist darüber hinaus auf die Vermeidung von Verschleiß und die Verschleißlenkung auf ausgewählte, wertmäßig untergeordnete Bauteile zu achten. Zur Erläuterung einer produktionsabfallmindernden Konstruktion dient ein Beispiel aus der Automobilindustrie [VDI 2243]. Bei der Produktion von PkwTüren entstehen Tiefziehteil-Ausschnitte als Produktionsabfall. Diese können mittels Glätten durch Nachwalzen wieder aufbereitet werden. Die entstehenden Bleche können dann zur Fertigung von Kleinteilen verwendet werden.
Abb. 12-10. Produktionsabfallminderndes Konstruieren [VDI 2243]
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Bei der Wahl der Werkstoffe im Rahmen der Festlegung der Produktgestalt gilt es im Hinblick auf eine ökologische Nachhaltigkeit folgende Punkte zu berücksichtigen: x x x x x
Wahl kreislauffähiger Werkstoffe Minimierung der Werkstoffvielfalt Kombination untereinander verträglicher Werkstoffe Verzicht auf Schadstoffe Trenn- und Separierbarkeit der Werkstoffe und Schadstoffe
Kreislauffähige Werkstoffe lassen sich hierbei sowohl bei Kunststoffen, bei Metallen als auch bei Glas und Keramik finden. So lassen sich Thermoplaste beispielsweise durch Einschmelzen recyceln, wobei der irreversible Abbau, Alterung, inkompatible Verunreinigungen, Qualitätsschwankungen sowie die benötigte Sortenreinheit oftmals limitierende Faktoren darstellen. Weiterhin lassen sich auch Duroplaste und Elastomere werkstofflich recyceln, indem sie als Zumischung für Füllstoffe dienen können. Beim Recycling von Metallen kann man von einem theoretischen Verwertungsgrad von nahezu 100 Prozent ausgehen. Dabei findet das Recycling durch metallurgische Prozesse statt, wobei auch hier darauf hingewiesen werden muss, dass die Wiederverwertung zur Originalware aufgrund genauer Legierungszusammensetzungen meist nicht wieder möglich ist. Glas und Keramik können werkstofflich ebenfalls durch Reinigung und anschließendes Einschmelzen recycelt werden, wobei hier von einem geringeren Verwertungsgrad auszugehen ist, da in der Produktion große Anteile an Primärmaterial benötigt werden. Der Vergleich umweltrelevanter Materialwerte kann durch den Zugriff auf Materialdatenbanken, wie zum Beispiel IdeMat [Faculty of Design, Engineering and Production, University of Delft 2008], Campus [Chemie WirtschaftsförderungsGmbH 2008], oder euroMAT [Fachgebiet Systemumwelttechnik, TU Berlin 2008] unterstützt werden. Ein weiterer Aspekt, welcher bei der Festlegung der Gestalt hinsichtlich der ökologischen Nachhaltigkeit in Erwägung zu ziehen ist, besteht in der Berücksichtigung und Einarbeitung von Upgrademöglichkeiten im Produkt [Phleps 1999, Mörtl 2002]. Ziel eines Upgrades ist es, weitere Nutzungsphasen des Produktes und somit eine Lebensdauerverlängerung zu ermöglichen und zudem das Produkt an neue Funktionen anzupassen und somit eine Modernisierung am bestehenden Produkt einzuleiten. Dabei sind grundlegende Gestaltungsregeln wie ein modularer Produktaufbau, die gute Zugänglichkeit aller Bauteile, zeitloses Design sowie die Standardisierung von Schnittstellen zu berücksichtigen. Zudem muss bei der Gestaltung des Produktes eine frühzeitige Berücksichtigung des Innovationspotenzials beziehungsweise der Innovationszyklen von Funktionsträgern stattfinden. Zum Beispiel unterscheidet sich bei Werkzeugmaschinen oftmals die Lebensdauer der Mechanik (langlebig) von der Lebensdauer der eingesetzten Elektronik (kurzlebig).
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12 Nachhaltige Produkte
12.3 Entwicklung eines umweltgerechten PET-Flake-Wäschers In einem Unternehmen der Getränkeabfüllanlagenproduktion sollte ein neuer PET-Flake-Wäscher entwickelt werden, der geeignet ist, eine alte bestehende Anlage zu ersetzen [Heßling 2006]. PET-Flake-Wäscher werden in Recyclinganlagen eingesetzt, in denen aus alten PET-Getränkeflaschen Granulat für die Neuproduktion von lebensmitteltauglichen Verpackungen, wie beispielsweise Getränkeflaschen, gewonnen wird. Durch das Entfernen von Etiketten und Leimresten wird durch solche Anlagen die Ausschussrate des PET-Materials reduziert sowie die Qualität des sich anschließenden Reinigungsprozesses erhöht.
Abb. 12-11. Anlage für das PET-Recycling [Heßling 2006]
Für die Nutzungsphase wurden folgende Optimierungsziele formuliert: x Erhöhung der Recycling-Quote und der Qualität des PET-Materials x Erhöhung der Verfügbarkeit der Anlage während des Betriebs x Senkung des Energieverbrauchs der Anlage Zur Verbesserung der Produktion und des Recyclings des PET-Flake-Wäschers wurden folgende Strategien verfolgt: x Modularisierung und Standardisierung x optimierter Materialeinsatz Zu Beginn des Projektes galt es, den Produktlebenszyklus des neu zu entwickelnden Wäschers zu analysieren und mit den verschiedenen am Lebenslauf beteiligten Funktionsbereichen zu diskutieren. Dazu wurden die bestehenden Material- und Energieströme mithilfe einer Umsatzorientierten Funktionsmodellierung im Detail untersucht. Durch die Anwendung einer Relationsorientierten Funktionsmodellierung wurden schädliche Funktionen und Schwachstellen im bestehenden System identifiziert.
12.3 Entwicklung eines umweltgerechten PET-Flake-Wäschers
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Abb. 12-12. Bestehende Konstruktion des PET-Flake-Wäschers [Heßling 2006]
Auf Basis der Analyseergebnisse gelang es, das Produkt auf die wesentlichen Funktionen zu reduzieren und einige Schwachstellen schon in den frühen Entwicklungsphasen zu eliminieren. Durch eine Erweiterung der Systemgrenzen unter Einbeziehung der im PET-Recyclingprozess vor- und nachgelagerten Maschinen wurden weitere Einsparpotenziale aufgedeckt.
Abb. 12-13. Relationsorientiertes Funktionsmodell des Waschbereichs des PET-Flake-Wäschers [nach Heßling 2006]
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Basierend auf der Produktanalyse wurden konkrete Verbesserungsmaßnahmen identifiziert und nach ihrem Aufwand-Nutzen-Verhältnis priorisiert. In einem ersten Schritt wurden Lösungsansätze erarbeitet, die sich bezüglich Aufwand und Dauer mit dem engen Zeitplan für die Entwicklung, Konstruktion und Fertigung bis zum vertraglich festgelegten Zeitpunkt der Inbetriebnahme vereinbaren ließen. Darüber hinaus wurden Ansätze entwickelt, die auf eine weitere Optimierung des Systems abzielen und mittel- bis langfristig zu implementieren sind. Die ausgewählten Lösungsansätze zur Senkung des Energieverbrauchs zielen auf die Schwachstelle des bislang sehr hohen Wärmebedarfs für den Reinigungsprozess ab. Für die zu reinigenden 2.000 kg PET-Material pro Stunde wird ein Waschprozess mit einer Laugentemperatur von 80°C für ein optimales Reinigungsergebnis benötigt. Nach der Produktanalyse und Ideenfindung fiel die Entscheidung auf eine aufwändige Isolierung der die Lauge berührenden Teile. Damit konnten die Abstrahlungsverluste von 25 kW auf 1,7 kW reduziert und das Heizsystem um 23 kW geringer dimensioniert werden. Neben geringeren Investitionskosten für das kleinere Heizsystem konnte hierdurch eine jährliche Wärmeenergieeinsparung von 170.000 kWh realisiert werden. Zur Erzeugung der weiterhin benötigten Wärmeenergie entschied sich das Unternehmen trotz der höheren Investitionskosten für den Energieträger Gas, um so geringere Betriebskosten und eine bessere Ressourcennutzung zu erzielen.
Abb. 12-14. Aufwändige Isolierung des Wäschers zur Reduktion der nötigen Heizenergie während der Nutzungsphase [Heßling 2006]
Zur Reduktion der nicht unerheblichen Energiemenge von circa 50 kW zur mechanischen Reinigung wurden parallel Machbarkeitsstudien zum vielversprechenden Einsatz von Ultraschall vorgenommen, die aufgrund des hohen Zeitbedarfs der Studien allerdings nicht mehr für die erste Konstruktion berücksichtigt werden konnten. Bei der Durchführung von verschiedenen Versuchsreihen stellte sich
12.3 Entwicklung eines umweltgerechten PET-Flake-Wäschers
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heraus, dass einige am Markt verwendete Kleber mit ihren zähen, mechanischen Eigenschaften dem Prozess der Ultraschallreinigung widerstehen. Langfristig könnten erhebliche Vorteile durch den Austausch dieser Kleber durch recyclingfreundlichere Ersatzstoffe erzielt werden. Diese strategisch günstigen Veränderungen am Markt können beim PET-Recycling aber noch nicht vorausgesetzt werden. Daher schied die Ultraschallreinigung als Wirkprinzip trotz der Vorteile bezüglich des benötigten Energieverbrauchs aus. Eine Kombination zwischen dem mechanischen Wirkprinzip und dem Einsatz von Ultraschall war aufgrund der hohen Investitionskosten nicht erstrebenswert. Im Rahmen der Untersuchungen zur Reinigung mit Ultraschall wurden gleichzeitig die Messverfahren zur Beurteilung der Qualität des Reinigungsverfahrens weiterentwickelt. Diese erlaubten Untersuchungen zur Optimierung des Wirkprinzips der mechanischen beziehungsweise hydraulischen Reinigung nach Inbetriebnahme am Wäscher. Ein weiterer ausgewählter Lösungsansatz war die Erhöhung der Verfügbarkeit der Maschine. Diese wurde zum einen durch eine wartungsund instandhaltungsgerechte Konstruktion erreicht, zum anderen durch eine geringere Fehlerrate. Durch den Einsatz der Methode Failure Mode and Effects Analysis (FMEA) wurden auf Basis der Baustruktur und der zugehörigen Funktionen mögliche Fehlfunktionen identifiziert und Maßnahmen zu deren Vermeidung definiert, um dadurch die Verfügbarkeit der Maschine zu erhöhen. Weitere konkrete Verbesserungspotenziale, die in der Gesamtlebenslaufbetrachtung identifiziert wurden, waren in der Fertigung beispielsweise der Schweißverzug bei großen Edelstahlbaugruppen, dem im Rahmen der Optimierung durch eine fertigungsgerechtere Konstruktion begegnet werden sollte. Auch eine hohe Anzahl unterschiedlich gefertigter Bauteile stellte ein Potenzial zur Verbesserung dar. Hierbei wurde über verschiedene Ansätze – wie einer Erhöhung der Zahl an Gleichteilen und der Verringerung der Varianten auf Teileebene – zur Verringerung der unterschiedlichen genutzten Fertigungsverfahren beigetragen. Zur Verbesserung des Anlagenrecyclings wurde der Mix der verwendeten Materialien stark reduziert und leicht recycelbare Materialien verwendet. In der Umsetzung wurde fast ausschließlich Edelstahl eingesetzt. Aus Kostengründen ist als einzige große Baugruppe das Gerüst komplett aus Schwarzstahl. Nach der Überarbeitung zeichnete sich der PET-Flake-Wäscher durch eine Reihe quantifizierbarer Verbesserungen aus. So konnte durch die dargestellten Maßnahmen eine Reduktion des benötigten Bauraums um zwei Drittel sowie eine Reduzierung des Grundflächenbedarfs um 30 Prozent bei gleichzeitiger Senkung von Herstellungskosten um gut 60 Prozent und Materialeinsatz um 50 Prozent für die Fertigungsphase erzielt werden. In der Nutzungsphase wurden Einsparungen von 30 Prozent des Energieverbrauchs, 85 Prozent der Betriebsmittel und 55 Prozent der Betriebskosten realisiert. Schließlich konnten durch die frühzeitige Berücksichtigung von Verwertungsaspekten der im Produkt verwendeten Materialien sämtliche Bauteile so gestaltet werden, dass eine einfache und sortenreine Trennung der einzelnen Materialen bei der Entsorgung möglich wird, die wiederum die Grundlage für effizientes Materialrecycling bildet.
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Abb. 12-15. Optimierte Konstruktion des PET-Flake-Wäschers [Heßling 2006]
12.4 Zusammenfassung Das zunehmende Umweltbewusstsein in der Gesellschaft schlägt sich auch in der Entwicklung ökologisch nachhaltiger Produkte nieder. Dabei kann eine Unterstützung des Entwicklungs- und Konstruktionsprozesses auf den verschiedensten Ebenen entlang der Produktkonkretisierung stattfinden. Diese Herangehensweise lässt häufig einen Zielkonsens zwischen der ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit zu, obwohl zunächst häufig ein Konflikt zwischen den beiden Stoßrichtungen vermutet wird. Vor diesem Hintergrund ist von großer Bedeutung, den Produktlebenszyklus ganzheitlich zu antizipieren und somit mögliche Umweltschädigungen des zu entwickelnden Produktes frühzeitig zu identifizieren. Dafür ist im Sinne der Integrierten Produktpolitik (IPP) die Zusammenarbeit mit verschiedensten Beteiligten entlang des Produktlebenslaufes anzustreben. So sind schon im Rahmen der Anforderungsklärung umweltspezifische Aspekte einzubeziehen, sei es auf Basis von festgeschriebenen Gesetzen und Normen oder auch auf Basis von Bilanzierungsverfahren hinsichtlich der ökologischen Nachhaltigkeit. Der Einsatz von Funktionsmodellen eignet sich, um Schwachstellen hinsichtlich der Nachhaltigkeit eines zu entwickelnden Produktes frühzeitig aufzudecken und darauf aufbauend Handlungsschwerpunkte abzuleiten. Auf Wirkebene und Bauebene gibt es schließlich zahlreiche Ansatzpunkte hinsichtlich einer umweltgerechten Produktgestaltung. Hier sind insbesondere die Schonung von Ressourcen sowie die verwertungsgerechte Gestaltung von Produkten hervorzuheben. Abschließend sei noch angeführt, dass die Erstellung, Bewertung und Auswahl von Lösungsalternativen ebenfalls von Aspekten der ökologischen Nachhaltigkeit begleitet sein sollte. Hier bietet sich der Vergleich von Lösungen auf Basis umweltspezifischer Kennzahlen an.
13 Systematisch von Anforderungen zu Konzepten und Gestaltlösungen
Die Konzeptentwicklung als Teil der Produktentwicklung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Informationen bezüglich des angestrebten Produktes noch vorläufig sind. Das Handeln der Entwickler ist hier von Unsicherheit und Risiko geprägt. In der Konzeptphase sind Entscheidungen zu treffen, die weitreichende Konsequenzen für den gesamten Produktlebenslauf haben, hier wird der Grundstein für den späteren Erfolg des Produktes am Markt gelegt. Daher kommt der Konzeptentwicklung eine hohe Bedeutung im Entwicklungsprozess zu. Die Ausarbeitung von Gestaltlösungen erfordert die Festlegung aller Informationen, die zur Realisierung des Produktes in der Fertigung und Montage, aber auch in allen weiteren Phasen im Produktlebenszyklus (wie beispielsweise Transport, Nutzung, Service, Recycling) benötigt werden. Dieser Prozess ist geprägt durch vernetzte Abhängigkeiten der Bauelemente und deren Eigenschaften untereinander. Festlegungen an einer Stelle haben mitunter unerwünschte Auswirkungen an anderer Stelle, deren man sich nicht bewusst ist. Daher sind für die Konkretisierung der Produktgestalt und die Detaillierung der Baumodelle in der Regel mehrere iterative Arbeitsschritte zwischen Synthese und Analyse erforderlich. Entwickler nehmen als Individuen und Teams eine zentrale Position im Rahmen der Produktentwicklung ein. Ihre Kreativität ist erforderlich für die Generierung innovativer Lösungsideen und deren Umsetzung in markt- und kundengerechte Produkte. Sie sehen sich heutzutage mit einer zunehmenden Komplexität der Entwicklungssituationen und -prozesse sowie der technischen Zusammenhänge im Produkt konfrontiert. Um im Kontext dieser Herausforderungen zu Lösungen zu gelangen, welche die an sie gestellten Anforderungen in optimaler Weise erfüllen, sind in der Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte Systematik und ein situationsbezogen angepasstes Vorgehen erforderlich. Systematik beinhaltet dabei verschiedene Aspekte. Ein Ansatz ist der gezielte Umgang mit Information und Wissen. Hierbei hilft die Nutzung von Produktmodellen, um die vorliegende Komplexität bewusster zu handhaben. Je nach Situation und Aufgabe werden verschiedene Modelle eingesetzt. Zielmodelle helfen der Erfassung und Strukturierung gewünschter Systemeigenschaften. Problemmodelle unterstützen die Generierung eines besseren Problem- und Systemverständnisses. Entwicklungsmodelle dienen der Spezifikation von Struktur und Beschaffenheit des zu entwickelnden Produktes. Verifikationsmodelle werden schließlich aufgestellt, um die für eine Bewertung wichtigen Produkteigenschaften zu ermitteln.
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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13 Systematisch von Anforderungen zu Konzepten und Gestaltlösungen
Systematik heißt auch, in Abhängigkeit der konkreten Entwicklungssituation unter Berücksichtigung der angestrebten Ziele die dafür erforderlichen Aktivitäten einzuleiten. Hierfür existieren verschiedene Vorgehensmodelle der Produktentwicklung. Das Münchener Vorgehensmodell (MVM) bildet die Produktentwicklung als Prozess der Problemlösung ab. Die umfassende Beschäftigung mit der Problemstellung bildet darin einen Schwerpunkt. Der Netzwerkcharakter des Modells unterstützt eine situationsgerechte Navigation durch den Entwicklungsprozess. Das Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM) unterstützt ebenfalls eine situative Navigation und orientiert sich dabei an dem Konkretisierungsgrad der im Prozess erarbeiteten Produktmodelle. Der Produktkonkretisierungsgrad repräsentiert eine wichtige Dimension, an der sich Entwickler und Konstrukteure in ihren Aktivitäten orientieren können, um zielorientiert und systematisch vorzugehen. Das Anforderungsmodell wird zu Beginn des Entwicklungsprojektes aufgestellt und schrittweise konkretisiert sowie detailliert. Es bietet den Rahmen für die Lösungssuche und -bewertung. Funktionsmodelle beschreiben die Lösung auf abstraktem Niveau, wodurch die Loslösung von bekannten Lösungen und Vorprägungen ermöglicht wird. Auf der Wirkebene werden die für die Funktion relevanten Aspekte der Lösung dargestellt. Auf Bauebene schließlich wird das Produkt in seiner konkreten Gestalt beschrieben. Dabei sind insbesondere auch produktionsrelevante Details von Bedeutung.
13.1 Entwicklung eines Elektro-Gokarts Anhand des im Folgenden beschriebenen studentischen Entwicklungsprojektes „eKart“ wird der gesamte Durchlauf durch einen exemplarischen Entwicklungsprozess dargestellt. Ziel dieses Projektes war die Entwicklung eines elektrisch betriebenen Indoor-Gokarts. Durch dieses Projekt konnte darüber hinaus die Ausbildung von angehenden Ingenieuren im Bereich mechatronischer Produkte durch eine praktische Erprobung von Lehrinhalten in realitätsnahen Entwicklungssituationen gefördert werden. Das Aufgabenfeld der Studierenden erstreckte sich dabei von der Entwicklung beziehungsweise der Auswahl sämtlicher Komponenten bis hin zur Montage. Dabei wurden auch die Implementierung der Software und Regelungstechnik, die Integration der Einzelsysteme sowie die Koordination von Fertigung und Beschaffung von den Studierenden verantwortet. Ausgangspunkt für das Projekt war ein vorgegebener Grundrahmen eines durch einen Verbrennungsmotor angetriebenen Gokarts [Lauer 2010]. Auf dieser Basis wurde ein vollelektrifiziertes Gokart für den Betrieb auf Indoor-Kartbahnen entwickelt, das über zwei Elektromotoren an der Hinterachse angetrieben wird. Als Energiespeicher kommen Lithium-Eisenphosphat-Akkumulatoren zum Einsatz. Durch Einzelradantrieb ermöglicht das umgesetzte Konzept eine erweiterte Querdynamikregelung („Torque Vectoring“) und erlaubt dadurch hochdynamische Fahrmanöver.
13.1 Entwicklung eines Elektro-Gokarts
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Abb. 13-1. Ergebnis des studentischen Entwicklungsprojektes „eKart“
Das studentische Entwicklungsprojekt unterlag folgenden Rahmenbedingungen: Ausgehend von einigen Initialanforderungen sollten die Entwicklungsphasen der Konzeptentwicklung, der Gestaltung sowie der Realisierung in Form eines funktionsfähigen Prototyps durchlaufen werden. Insgesamt wurde dafür ein Jahr Entwicklungszeit veranschlagt, wovon sechs Monate allein auf die Umsetzung und die Erprobung fielen. Als Organisationsform wurde eine Einteilung in vier Teams gewählt: Gesamtfahrzeug, Antriebsstrang, Fahrwerk und Fahrstabilität. Innerhalb dieser Teams übernahmen einzelne Studierende bestimmte Verantwortungsbereiche. Dadurch sollte eine Projektstruktur hergestellt werden, die bestmöglich die industrielle Realität widerspiegelt.
Abb. 13-2. Beispielhaft betrachtetes Lenksystem und Einordnung in das Gesamtsystem
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13 Systematisch von Anforderungen zu Konzepten und Gestaltlösungen
Die Definition der Aufgabe für die angehenden Entwicklungsingenieure erfolgte durch die Vorgabe von Initialanforderungen, die sich auf das Gesamtsystem wie auch auf einzelne Teilsysteme bezogen. Diese hatten die Funktion eines Entwicklungsauftrags, wie er in der industriellen Praxis beispielsweise durch eine Produktplanungsabteilung erteilt werden würde. Bei der Formulierung dieser Initialanforderungen stand das Ziel der Integration innovativer und zukunftsrelevanter Konzepte im Vordergrund. Des Weiteren wurden Kriterien im Sinne eines Design for X (im Weiteren „DfX-Kriterien“) vorgegeben, die die Hauptzielsetzungen der Entwicklung des Projektes repräsentierten: „Sicherheit“, „Ergonomie“, „Kosten“, „Gewicht“ und „Fertigung“. Die Initialanforderungen nahmen teilweise direkt Bezug auf die vorgegebenen DfX-Kriterien. Ihre Formulierung fand auf unterschiedlichen Konkretisierungs- und Detaillierungsebenen statt, was ein typisches Charakteristikum von realen Entwicklungssituationen ist. Die folgende Auflistung dieser Anforderungen repräsentiert lediglich die Ebene des Gesamtsystems: x x x x x x x x x x x x x
Verwendung eines Elektroantriebs Verzicht auf Hydraulik Elektromechanisches Lenksystem Gewährleistung von Fahrstabilität und Fahrdynamik Rekuperation der Bremsenergie Torque Vectoring (aktive Beeinflussung des Gierwinkels) Zielwerte für Gewicht, Beschleunigung, Höchstgeschwindigkeit, Reichweite, Ladedauer des Akkus, Standzeit bis zum Akkutausch Geometrievorgaben (maximale Abmessungen, Wendekreis) Ergonomieaspekte (Maximalwerte für Bedienkräfte, Fahrergewicht und -größe) Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen für Montage und Betrieb Einhaltung der Zulassungsbestimmungen Berücksichtigung von Modularisierungs- und Gleichteileansätzen Entwicklungsbudget
13.2 Beispielhafte Betrachtung der Entwicklung des Lenksystems Im Folgenden wird detailliert auf die einzelnen Phasen des Entwicklungsprojektes eingegangen, wobei speziell auf das Lenksystem fokussiert wird, welches sich aus folgenden Subsystemen zusammensetzt: x Lenkrad, Lenkunterstützung, Lenkungsverstellung x Lenksäule und Lenkgeometrie x Räder und Radträger der Vorderachse Diese teilen sich in die Verantwortungsbereiche „Lenkung“ und „Rad/Radträger“ auf, weswegen zwischen diesen bezogen auf das Lenksystem erhöhter Abstimmungsbedarf erforderlich war.
13.2 Beispielhafte Betrachtung der Entwicklung des Lenksystems
297
Bei der Beschreibung der einzelnen Entwicklungsphasen wird stets auf die Ziele, das Vorgehen sowie die Ergebnisse der entsprechenden Phase eingegangen [Blaimer 2009, Okroy 2009]. Je nach betrachtetem Aspekt werden dabei verschiedene Perspektiven auf das System eingenommen. Dadurch soll auch die für Entwicklungsprozesse typische Systemgrenzenverschiebung – je nach adressierter Teilproblematik bieten sich punktuelle Betrachtungen oder eine Gesamtbetrachtung an – betont werden.
13.2.1 Anforderungen Durch eine systematische Anforderungsklärung wird darauf abgezielt eine möglichst eindeutige Basis für die weiteren Entwicklungsschritte herbeizuführen. Hierfür wird neben der Definition grundlegender Ziele, deren Detaillierung, Konkretisierung und Strukturierung zu einem zu diesem Stadium bestmöglichen Grad angestrebt. Eine besondere Herausforderung besteht dabei darin, Abhängigkeiten zwischen bestimmten Merkmalen zu erkennen und dadurch Zielkonflikte oder sogar Konflikte zwischen ausgewählten DfX-Kriterien transparent zu machen. Als Ausgangsbasis für die Entwicklungsarbeit in dem betrachteten Entwicklungsprojekt „eKart“ auf Ebene des Teilsystems „Lenksystem“ dienten zum einen die im Entwicklungsauftrag hinterlegten Initialanforderungen, die bereits in Bezug auf Teilsysteme formuliert waren. Zum anderen mussten die auf Ebene des Gesamtsystems formulierten Initialanforderungen auf das betrachtete Teilsystem heruntergebrochen werden. Hier wurde beispielsweise untersucht, welche konkreten Ergonomieaspekte bei Lenksystemen beachtet werden müssen. Insgesamt ergaben sich dabei folgende teilsystemspezifische Initialanforderungen: x x x x x x x x
präzise und schnelle Umsetzung der Lenkbewegung gute Rückstellung stabiler Geradeauslauf leichte Bedienbarkeit gute Rückmeldung angemessene Dämpfung von Stößen und Geräuschen geringes Gewicht bei geringem Bauaufwand und Verschleiß Eindeutigkeit des Lenkwinkels bezogen auf den Lenkeinschlag
Mit diesen Initialanforderungen ist nur ein kleiner Teil der das System beschreibenden Parameter festgelegt, und dies größtenteils auf rein qualitativer beziehungsweise funktionaler Ebene. Daraus leitet sich die Notwendigkeit einer weiteren Konkretisierung und Detaillierung der Anforderungen ab, die darauf abzielt, die Anforderungen an das zu entwickelnde System so vollständig wie zu dieser Phase möglich herauszuarbeiten.
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13 Systematisch von Anforderungen zu Konzepten und Gestaltlösungen
Abb. 13-3. Ermittlung wichtiger Größen und Zusammenhänge am Beispiel kinematisch zusammenhängender Lenkwinkel [Stoll et al. 1992]
Der Einsatz von Checklisten zur Anforderungsklärung ist dabei ein bewährtes Mittel um die Berücksichtigung wichtiger Anforderungen und Anforderungskategorien zu gewährleisten und deren Strukturierung zu unterstützen. Für die Ermittlung der Zielwerte für die einzelnen Anforderungen kann Fachliteratur (Normenwerke, Reglements, Fachbücher) herangezogen werden. Aber auch Benchmarkings sowie erste Versuche, Simulationen und Kalkulationen dienen der erforderlichen Einschränkung von Wertebereichen und der Identifikation wichtiger Kenngrößen und deren Zusammenwirken. Auf diese Weise ist eine (zu diesem frühen Zeitpunkt) bestmögliche Konkretisierung und Quantifizierung der Anforderungen anzustreben. Im vorliegenden Beispiel der Entwicklung des Lenksystems stellte sich beispielsweise der Reibwert zwischen den Reifen des Gokarts und der Fahrbahn als äußerst kritische Einflussgröße für weitere Größen heraus, erwies sich aber als schwierig recherchierbar beziehungsweise abschätzbar. Daher wurde die Messung dieses Wertes durch einen Realversuch als einzige Möglichkeit gesehen, um einen zuverlässigen Wert zu ermitteln. Gemessen wurde hierbei die nötige Kraft zum Ziehen eines Reifens auf einer Indoor-Kartbahn. Die in der Anforderungsliste hinterlegten Anforderungen stellen die Bewertungsgrundlage für im Entwicklungsverlauf generierte Lösungsalternativen dar. Unzureichende Klärung und Nicht-Berücksichtigung wichtiger Anforderungen können späte aufwändige Änderungen verursachen. Da Anforderungen zu Beginn eines Entwicklungsprojektes vielfach nur unscharf formulierbar sind (beispielsweise die ergonomiebezogene Anforderung „leichte Bedienbarkeit“) ist eine kontinuierliche prozessbegleitende Konkretisierung, Detaillierung und Anpassung, basierend auf dem zum entsprechenden Entwicklungsstand verfügbaren Produktwissen unverzichtbar. Hierfür ist sowohl die Identifikation geeigneter Zielgrößen (zum Beispiel das notwendige Lenkmoment) sowie deren Quantifizierung (zum Beispiel über die Ermittlung von Maximalwerten für dieses Lenkmoment für verschiedene Betriebszustände) erforderlich.
13.2 Beispielhafte Betrachtung der Entwicklung des Lenksystems
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Abb. 13-4. Strukturierte Anforderungsliste des Lenksystems – Repräsentation eines Zwischenstands während der Anfangsphase des Projektes
Anforderungen sind zudem stets auf ihren Einfluss auf andere Anforderungen zu überprüfen. Werden dabei Eigenschaften identifiziert, die andere Teilbereiche betreffen, so ist eine zügige Abstimmung nötig. Auch sollte dies in den jeweiligen Anforderungsmodellen der betroffenen Bereiche berücksichtigt werden. Bei der Entwicklung des „eKarts“ führte beispielsweise eine späte Abstimmung zwischen elektromechanischem Lenksystem und Bordnetz zu aufwändigen Anpassungen der Versorgungskonzepte.
13.2.2 Funktionen Die funktionale Beschreibung des Produktes bildet eine wichtige Grundlage für die Lösungssuche. Dabei wird eine möglichst lösungsneutrale Beschreibung des betrachteten Systems angestrebt. Dies ist zum einen sinnvoll, um eine zu frühe Lösungsfixierung zu vermeiden. Zum anderen trägt es aber vor allem auch dazu bei, das Systemverständnis deutlich zu steigern. Zu diesem Zweck kann eine Gliederung in einfachere Teilsysteme zudem zu einer reduzierten Komplexität verhelfen. Die explizite Darstellung der Systemgrenzen fördert außerdem das Erkennen wichtiger Schnittstellen zu anderen (Teil-)Systemen im Umfeld des Betrachtungsgegenstandes und zeigt auf, wo erhöhte Abstimmungen nötig sind. Die Identifikation wesentlicher Produktfunktionen und deren Abhängigkeiten kann sowohl aus den Anforderungen heraus geschehen als auch durch die Analyse von verwandten Systemen und deren Übertragung auf die vorliegende Entwick-
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lungsaufgabe. Für unterschiedliche Ziele in Bezug auf den Erkenntnisgewinn bieten sich verschiedene Arten der Systemmodellierung an, zum Beispiel die Relationsorientierte, die Umsatzorientierte oder die Nutzerorientierte Funktionsmodellierung. Oftmals ist es auch angemessen, das gleiche System aus unterschiedlichen Perspektiven zu modellieren. In dem beschriebenen Beispiel wurde eine Funktionsstruktur des Subsystems „Rad/Radträger Vorderachse“ durch die Anwendung der Relationsorientierten Funktionsmodellierung aufgestellt. Hierbei lag der Fokus auf der Darstellung des Zusammenwirkens verschiedener Teilsysteme über die Systemgrenze hinweg, sowie auf der Identifikation relevanter schädlicher Funktionen. Aus den auf diese Art ermittelten Schwachstellen wurden Problemformulierungen abgeleitet, die anschließend als Grundlage für die Lösungssuche herangezogen werden konnten. Des Weiteren gaben die schädlichen Funktionen Anhaltspunkte für kritische Einflussgrößen und deren Abhängigkeiten, wodurch deren Berechnung und Absicherung zielgerichtet durchgeführt werden konnte.
Abb. 13-5. Relationsorientiertes Funktionsmodell des Subsystems „Rad/Radträger Vorderachse“
Funktionsmodelle stellen zweckorientierte Beschreibungen des Produktes auf abstrakter Ebene als Basis für die Wirkmodelle und Baumodelle eines Produktes dar. Beim Aufstellen von Funktionsmodellen sollte es das Ziel sein, möglichst alle relevanten Funktionen in dem Modell zu verankern und über ihre Relationen korrekt zu vernetzen. Dies gelingt allerdings nicht immer im ersten Anlauf. Daher ist eine Nutzung der erstellten Funktionsmodelle im weiteren Verlauf der Entwicklung empfehlenswert. Auf Basis neuer Informationen und hinzugewonnenen Wissens müssen die Modelle überprüft und gegebenenfalls erweitert werden, um die dabei auf Funktionsebene neu entstandenen Erkenntnisse wieder in den Entwicklungsprozess zurückspiegeln zu können.
13.2 Beispielhafte Betrachtung der Entwicklung des Lenksystems
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13.2.3 Wirkprinzipien und Wirkkonzepte Aufbauend auf den Funktionsmodellen werden für die technischen (Teil-)Problemstellungen erste prinzipielle Lösungsideen auf Ebene physikalischer Wirkzusammenhänge erarbeitet, mit denen die zuvor identifizierten geforderten Funktionen im Produkt realisiert werden können. Dabei findet durch die Verknüpfung von Teillösungen zu Konzepten auf Wirkebene zunächst eine strukturierte Erarbeitung des Lösungsraumes statt. Durch die weitgehende Vermeidung konkreter Gestaltausprägungen wird gewährleistet, dass keine ungewollte Einschränkung des Lösungsraumes erfolgt. Es ist von großer Bedeutung, dass diese Einschränkung bewusst und systematisch durch die Anwendung von Bewertungs- und Auswahlmethoden geschieht. Ein strukturiertes Vorgehen bei der Durchführung der genannten Schritte kann durch die Verwendung eines Morphologischen Kastens unterstützt werden. Dessen Grundstruktur wird festgelegt, indem die zur Lösung einer bestimmten Teilproblemstellung nötigen Teilfunktionen zeilenweise aufgeführt werden. Diese sollten dabei möglichst unabhängig voneinander und auf einem ähnlichen Detaillierungsgrad formuliert sein. Im betrachteten Subsystem „Rad/Radträger Vorderachse“ wurden in diesem Schritt beispielsweise die Teilfunktionen „Räder einschlagen“, „Räder drehen“ und „Lenkmoment einleiten“ herangezogen.
Abb. 13-6. Morphologischer Kasten des Subsystems „Rad/Radträger Vorderachse“
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13 Systematisch von Anforderungen zu Konzepten und Gestaltlösungen
Basierend auf der Grundstruktur des Morphologischen Kastens wird anschließend auf Wirkebene nach möglichst vielen Lösungen zur Erfüllung der Teilfunktionen gesucht, wodurch der Lösungsraum aufgespannt wird. Die Lösungssuche selbst kann sowohl durch den Einsatz von intuitiven Methoden und geeigneten Kreativtechniken erfolgen, als auch durch eine systematische Herangehensweise, zum Beispiel in Form einer Recherche nach auf dem Markt befindlichen Lösungen. Im zweiten Fall werden existierende Lösungen hinsichtlich der zugrundeliegenden Wirkprinzipien analysiert, mit denen die geforderten Funktionen erfüllt werden (Abstraktion). Für die Teilfunktion „Lenkmoment einleiten“ wurden im betrachteten Beispiel unter anderem Wirkprinzipien auf Basis der physikalischen Effekte „Hebel“, „Umschlingungsreibung“ und „Magnetismus“ als Teillösungsideen erarbeitet. Nachdem eine ausreichende Anzahl an Teillösungen ermittelt wurde, entstehen durch die Kombination der einzelnen Lösungsideen Lösungskonzepte für das Gesamtsystem. Jedes Lösungskonzept muss genau eine Lösung für jede Teilfunktion enthalten. Die Anzahl durch Kombinatorik theoretisch möglicher Gesamtlösungen kann leicht sehr groß werden. Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit des Lösungsraumes sollten daher durch dessen Beschränkung auf konsistente Wirkkonzepte aus den Variationsmöglichkeiten maximiert werden. Die Reduzierung der Alternativenfülle kann zum einen durch Maßnahmen vor der Kombination geschehen. Weniger geeignete Lösungsideen können hierbei zurückgestellt oder ganz ausgeschlossen werden, ähnliche Lösungsansätze lassen sich zu Lösungsklassen zusammenfassen. Zum anderen können Auswahlschritte in die Kombination integriert werden, unter anderem durch die Identifikation nicht verträglicher Kombinationen zwischen Teillösungsideen mithilfe einer Verträglichkeitsmatrix. Auf Basis dieser ersten Reduzierung des Lösungsraumes können nun vielversprechende alternative Lösungskonzepte für eine anschließende systematische Bewertung ausgewählt werden. Zur Unterstützung empfiehlt es sich, hierfür vorbereitend Skizzen der Gesamtkonzepte anzufertigen, was einer Objektivierung der Bewertung im Team zuträglich ist.
Abb. 13-7. Konzeptskizzen (Auswahl) des Teilsystems Lenkung und ausgewähltes Konzept
13.2 Beispielhafte Betrachtung der Entwicklung des Lenksystems
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Die erstellten Wirkkonzepte werden nun einer multikriteriellen Bewertung zugeführt, beispielsweise mittels einer Gewichteten Punktbewertung. Die Bewertungskriterien sind dabei basierend auf den Anforderungen und möglichst unabhängig voneinander zu formulieren. Da eine vollständige Unabhängigkeit der Kriterien oftmals nicht gewährleistet werden kann, ist bei der Gewichtung der Kriterien darauf zu achten, dass eine ungewollte Übergewichtung bestimmter Aspekte, die sich in mehreren Bewertungskriterien widerspiegeln, vermieden wird. Im Beispiel der Lenkung wurden die in den Kriterien „Lenkkräfte“ und „Ergonomie“ existierenden Redundanzen durch eine Verminderung der Gewichtung dieser Aspekte berücksichtigt. Die Hauptzielsetzungen des Projektes (DfX-Kriterien) sollten sich in der Gewichtung der Bewertungskriterien widerspiegeln.
Abb. 13-8. Ergebnis der Gewichteten Punktbewertung des Subsystems „Lenkung“
Die anhand der Bewertungen ausgewählten Lösungskonzepte der Subsysteme mussten letztlich hinsichtlich gegenseitiger Kompatibilität im Sinne eines gesamten Lenksystems sowie in einem weiteren Schritt zu den übrigen Teilsystemen überprüft werden. Durch systematisches Vorgehen konnte dadurch die Festlegung eines Gesamtkonzeptes für das Elektro-Gokart erfolgen. Bei der Konzepterstellung und -auswahl sollte auf eine nachvollziehbare Dokumentation sowie auf eine Darstellung der Zwischenschritte Wert gelegt werden. Hierdurch kann – falls erforderlich – stets aufwandsarm auf Alternativlösungen zurückgegriffen werden. Des Weiteren kann der erarbeitete Lösungsraum für die Lösungssuche in Folgeprojekten ein wertvoller Wissensspeicher sein, der sich auch beispielsweise zur Ableitung von Analogien heranziehen lässt.
13.2.4 Produktgestalt und Baumodelle Die Entwicklungsschritte in Richtung der Bauebene und auf der Bauebene selbst haben in erster Linie die Konkretisierung und Detaillierung von Konzepten durch die Erarbeitung aller bis zur Befähigung der Herstellung notwendigen Baumodelle
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13 Systematisch von Anforderungen zu Konzepten und Gestaltlösungen
zum Ziel. Bei der Erarbeitung der Baustruktur findet die Zuordnung von Funktionen zu Funktionsträgern (in Form von Bauteilen und Baugruppen) statt. Dabei erfolgt die Festlegung einer Vielzahl technischer und wirtschaftlicher Produkteigenschaften. Für eine zielgerichtete Erarbeitung der konkreten Produktgestalt bietet sich die Orientierung an gewissen Strategien im Vorgehen an, zum Beispiel vom Groben zum Feinen und von Hauptaspekten zu Nebenaspekten. Hierbei ist ab und an auch ein bewusster Perspektivenwechsel hilfreich. Bei der Umsetzung der einzelnen Wirkkonzepte auf Bauebene greifen verschiedenste Faktoren ineinander. So sind beispielsweise erforderliche Festigkeitseigenschaften über die geeignete Festlegung von Werkstoffen und Geometrien sicherzustellen, die wiederum zahlreiche andere Eigenschaften maßgeblich beeinflussen. Eine große Herausforderung bei der schrittweisen Festlegung gestaltbestimmender Eigenschaften ist das Wechselspiel zwischen Analyse und Sysnthese des betrachteten Systems. Im Beispiel des Radträgers stellte sich in diesem Zusammenhang beispielsweise die Berücksichtigung von Größensprüngen bei zuzukaufenden Achslagern als problematisch für deren Integration heraus. Führen Situationen wie diese dazu, dass keine oder keine zufriedenstellende Lösung gefunden wird, kann dies sogar Einfluss auf Make-or-buy-Entscheidungen haben. Die Optimierung von Konzepten bezüglich bestimmter DfX-Kriterien kann ebenfalls erst mit der zunehmenden Festlegung der Produktgestalt vorgenommen werden. So kann zum Beispiel über die Anwendbarkeit bestimmter Herstellungsverfahren erst auf Bauebene bestimmt werden. Den DfX-Aspekten „Kosten“ und „Fertigung“ wurde bei der Entwicklung des „eKarts“ beispielsweise durch Fokussierung einer Gleichteilstrategie Rechnung getragen.
Abb. 13-9. Entwurfsskizze des ausgewählten Lösungskonzeptes des vorderen Radträgers
13.2 Beispielhafte Betrachtung der Entwicklung des Lenksystems
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Auch die mit der Konkretisierung einhergehende Integration von Teilsystemen zu Gesamtsystemen bringt spezielle Herausforderungen mit sich. So wird beispielsweise die Ermittlung des Systemverhaltens in bestimmten Bereichen erst durch die Verknüpfung der Baugruppen zur Baustruktur und die dadurch zu Tage tretenden Wechselwirkungen möglich. Einzelne indirekte Merkmale müssen durch Simulationen ermittelt und festgelegt werden, was umso aufwändiger ist, je höher die Systemkomplexität ist. Im Beispiel des Lenksystems sind hier exemplarisch die Lenkmomente zu nennen, welche sich beispielsweise durch die Festlegung direkter Merkmale wie Übersetzungsverhältnisse oder Werkstoffkombinationen ergeben. Des Weiteren ist das erforderliche Lenkmoment stark vom jeweiligen Einsatzszenario abhängig. Die zeitliche Abstimmung der Festlegung von Eigenschaften spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Im Beispiel des Lenksystems musste das Konzept der Radträger am Vorderrad grundlegend geändert werden, da es zu Bauraumkonflikten mit dem Bremssystem kam, die aufgrund dessen verzögerter Ausgestaltung zuvor nicht identifiziert werden konnten. Zur Erfüllung der Anforderungen „maximale Spurbreite“ und „minimaler Einschlagwinkel“ musste die Anordnung der Elemente der Achsschenkellagerung sowie von Sensorzahnrad und Bremsscheibe geändert werden (dabei wurde jeweils der Gestaltparameter „Reihenfolge“ variiert). Diese Anpassungen hatten notwendige Änderungen in sämtlichen Teilen bis auf Felge und Reifen zur Folge.
Abb. 13-10. CAD-Modellierung verschiedener Varianten eines Ausschnittes des Lenksystems
Zur Fertigstellung der Baumodelle müssen die einzelnen Konstruktionen soweit ausdetailliert werden, dass eine vollständige Beurteilung hinsichtlich der Fertigbarkeit möglich ist. Eventuelle, in Folge unzureichender Anforderungsklärung erst auf Bauebene identifizierte Änderungsbedarfe (beispielsweise aufgrund mangelnder Verfügbarkeit von Werkstoffen oder nötigen Werkzeugen wie im Beispiel des „eKarts“) müssen auf Basis des Gesamtsystems untersucht und umgesetzt werden, um Auswirkungen auf andere Teilsysteme unmittelbar identifizieren zu können.
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13 Systematisch von Anforderungen zu Konzepten und Gestaltlösungen
Abb. 13-11. Zusammenbauzeichnung der Montagebaugruppe des Achsschenkels
Das Beispiel der Entwicklung des „eKarts“verdeutlicht den Bedeutungszuwachs der Koordination und des Informationsaustausches zwischen verschiedenen Teilsystemen bei zunehmender Produktkomplexität. Das methodische Vorgehen darf sich demnach nicht auf Teilsysteme beschränken, sondern muss sich über das Gesamtsystem erstrecken, um die Entwicklungsziele effizient zu erreichen.
13.3 Entwicklungsergebnis und Zusammenfassung Am Beispiel des studentischen Entwicklungsprojektes „eKart“ wurde die systematische Konzeptentwicklung und Gestaltung eines technischen Produktes exemplarisch aufgezeigt. Die modellbasierte Konkretisierung des Produktes – von den Anforderungen über die Konzepterarbeitung bis zu seiner Realisierung – unterstützte die stufenweise Entwicklung des Verständnisses über die Zusammenhänge der Entwicklungsgegenstände und die Gestaltungsspielräume im Entwicklungsprozess sowie der Nutzung dieser Erkenntnisse im Verlauf der Produktentwicklung. Mithilfe eines systematischen Vorgehens konnte trotz eines sehr begrenzten Personaleinsatzes und des verhältnismäßig geringen spezifischen Vorwissens der Entwickler die Erreichung der Projektzielsetzungen unter Einhaltung des Zeitplans sichergestellt werden. Im Entwicklungsprozess findet tendenziell ein Fortschreiten vom Abstrakten zum Konkreten, vom Ganzen zu den Details, vom Vorläufigen zum Endgültigen statt. Jedoch sind in Abhängigkeit der Situation oftmals Iterationen und Rücksprünge erforderlich. Die Problemlösung und die Produktkonkretisierung repräsentieren dabei zwei Sichten auf den Entwicklungsprozess, die nicht voneinander losgelöst betrachtet werden dürfen. Je nach Entwicklungssituation steht mal die eine, mal die andere Sicht im Vordergrund.
13.3 Entwicklungsergebnis und Zusammenfassung
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Abb. 13-12. CAD-Modell des Gesamtsystems „eKart“
Die Unterstützung der Systematik im Entwicklungsprozess kann auf verschiedene Weise erfolgen: durch die Verwendung geeigneter Produktmodelle, durch ein situationsspezifisches Vorgehen unter Zuhilfenahme von Vorgehensmodellen und durch einen zielgerichteten Einsatz von Methoden und Werkzeugen. Viele Methoden gehen dabei mit einer gewissen Übung „in Fleisch und Blut über“ und werden implizit angewandt. Der Einsatz von Arbeitsmethoden leistet unter anderem folgenden Beitrag für einen effizienten und erfolgreichen Produktentwicklungsprozess [Lindemann 2009]: x Unterstützung der Entwickler, mit den natürlichen Möglichkeiten und Grenzen der individuellen kognitiven Fähigkeiten umzugehen, beispielsweise durch das Herunterbrechen komplexer Aufgabenstellungen in handhabbare Arbeitsumfänge und die Überwindung geistiger Barrieren wie Lösungsfixierungen x Verbesserung der Kommunikation und Kooperation im Team, unter anderem durch die explizite Nutzbarmachung von impliziten Zusammenhängen und die Stärkung des Sachbezugs von Bewertungs- und Entscheidungsprozessen x Optimierung des Umgangs mit Information und Wissen, zum Beispiel durch die Förderung einer nachvollziehbaren Dokumentation und die Fokussierung auf wesentliche und kritische Aspekte Die Auswahl und Anwendung der zur Verfügung stehenden Vorgehensweisen, Produktmodelle, Methoden und Werkzeuge hat in Abhängigkeit der Erfordernisse der Entwicklungssituation zu erfolgen. Gelingt dies, können die Ziel- und Handlungsorientierung im Entwicklungsprozess gefördert und die Risiken in der Produktentwicklung minimiert werden.
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Begriffe,
Definitionen,
Volkmer et al. 2006 Volkmer, P.; Müller, F.; Volkmer, D.: Vereisung: Wetterbeobachtung reicht nicht aus. In: Erneuerbare Energien, Ausgabe 08/2006, ISSN 1436-8773. Hannover: SunMedia Verlags- und Kongreßgesellschaft für Erneuerbare Energien mbH 2006. von Saucken 2007 von Saucken, C.: Entwicklung und Konstruktion eines innovativen Nussknackers unter Verwendung von situationsabhängig ausgewählten Methoden. Unveröffentlichte Semesterarbeit Nr. 2305. München: TU, Lehrstuhl für Produktentwicklung 2007. Wach 1994 Wach, J. J.: Problemspezifische Hilfsmittel für die integrierte Produktentwicklung. München: Hanser 1994. (Konstruktionstechnik München, Band 12). Zugl.: München: TU, Diss. 1993. Wulf 2002 Wulf, J.: Elementarmethoden zur Lösungssuche. München: Dr. Hut 2002. (Produktentwicklung München, Band 50) Zugl. München: TU, Diss. 2002. Wulf et al. 2000 Wulf, J.; Schuller, J.: Entwicklungsmethodik für mechatronische Karosseriesysteme. In: Mechatronik-Mechanisch/Elektrische Antriebstechnik, Wiesloch, 29.-30.03.2000. Düsseldorf: VDI EKV 2000, S. 181-198. (VDI-Berichte 1533). Ziegler et al. 2005 Ziegler, P.-M.; Benz. B.: Fliegendes Rechnernetz. IT-Technik an Bord des Airbus A380. c't 2005, Heft 17, S. 84-91. Zirkler 2010 Zirkler, S.: Transdisziplinäres Zielkostenmanagement komplexer mechatronischer Produkte. München: Dr. Hut 2010. (Produktentwicklung München). Zugl. München: TU, Diss. 2010. Zwicky 1966 Zwicky, F.: Entdecken, Erfinden, Forschen im morphologischen Weltbild. München: Droemer Knaur 1966. 73/23/EWG N. N.: Niederspannungsrichtlinie (73/23/EWG). Richtlinie des Rates für elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen.
324
Literatur
85/374/EWG N. N.: Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG). Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte. 89/336/EWG N. N.: EMV-Richtlinie (89/336/EWG). Richtlinie des Rates vom 03.05.1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit. 92/59/EWG N. N.: Produktsicherheitsrichtlinie (92/59/EWG). Richtlinie des Rates vom 29. Juni 1992 über die allgemeine Produktsicherheit. 93/68/EWG N. N.: CE-Kennzeichnungsrichtlinie (93/68/EWG). Richtlinie des Rates vom 22. Juli 1993 zur Änderung der Richtlinie 89/392/EWG für Maschinen und anderer Richtlinien. 98/37/EWG N. N.: Maschinenrichtlinie (98/37/EWG). Richtlinie des Rates vom 22. Juni 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für Maschinen.
Bildnachweis
Abbildungsnummer: Quelle: 1-4
Oben links: BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH Oben mittig: TU München Oben rechts: RECARO GmbH & Co. KG Mitte links: Hilti AG Mitte mittig: MAN Truck & Bus AG Mitte rechts: TU München Unten rechts: Lufthansa AG
1-10
TU München
2-13
TU München
2-14
Unten links: TU München Unten rechts: TU München
3-5
Rechts: CL CargoLifter GmbH & Co. KG
3-18
BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH
4-11
TU München
4-13
TU München
5-15
BMW Group
6-1
TU München
6-2
TU München
6-3
TU München
6-6
TUfast e.V.
6-14
TU München
6-16
Derby Cycle Werke GmbH (Hersteller der Marken Focus und Kalkhoff)
6-19
TU München
7-1
Hilti AG
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
326
Bildnachweis
Abbildungsnummer: Quelle: 7-14
Hilti AG
7-15
Hilti AG
7-16
Hilti AG
7-17
Hilti AG
8-2
Links: Gesamtverband der Deutschen Versicherer (gdv) Rechts: Allianz AG
8-3
M. Durstewitz (Institut für Solare Energieversorgungstechnik, ISET)
8-16
Zwickauer Kammgarn GmbH
9-4
Transrapid International GmbH & co. KG
9-7
Lufthansa AG
9-8
Andreas Spaath (www.aspapress.com)
10-2
BMW Group
11-14
TU München
11-16
RECARO GmbH & Co. KG
12-2
TU München
12-14
TU München
13-1
TU München
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel ............................................................ 327 A1 Anforderungsraum ................................................................................... 329 A1-1 Checkliste zur Anforderungsklärung ............................................... 329 A1-2 Suchmatrix zur Anforderungsklärung .............................................. 330 A2 Funktionebene.......................................................................................... 333 A2-1 Umsatzorientierte Funktionsmodellierung ....................................... 333 A2-2 Checkliste zur Variation der Funktion ............................................. 337 A2-3 Relationsorientierte Funktionsmodellierung .................................... 338 A2-4 Problemformulierungen ................................................................... 340 A2-5 Nutzerorientierte Funktionsmodellierung ........................................ 341 A3 Wirkebene ................................................................................................ 343 A3-1 Lösungssuche mit physikalischen Effekten ..................................... 343 A3-2 Sammlung physikalischer Effekte.................................................... 344 A3-3 Widerspruchsorientierte Lösungssuche............................................ 365 A3-4 Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche .................. 366 A3-5 Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder .............................. 386 A3-6 Assoziationsliste .............................................................................. 387 A4 Bauebene.................................................................................................. 397 A4-1 Systematische Variation ................................................................... 397 A4-2 Checkliste mit Gestaltparametern .................................................... 399 A4-3 Gestaltungsprinzipien....................................................................... 414
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
A1 Anforderungsraum
A1-1 Checkliste zur Anforderungsklärung Eine Checkliste kann zur Anforderungsklärung herangezogen werden, damit keine wesentlichen Aspekte übersehen und somit nicht durchdacht werden. Checklisten zur Anforderungsklärung sollten regelmäßig aktualisiert werden, um aktuelle Kundenbedürfnisse und Veränderungen in Normen und Gesetzen berücksichtigen zu können [nach Pahl et al. 2005]. Hauptmerkmale Geometrie Kinematik Kräfte
Energie
Stoff
Signal Sicherheit Ergonomie Fertigung
Kontrolle Montage Transport Gebrauch Instandhaltung Recycling Kosten Termin
Beispiele Größe, Höhe, Länge, Durchmesser, Raumbedarf, Anzahl, Anordnung, Anschluss, Ausbau und Erweiterung Bewegungsart, Bewegungsrichtung, Geschwindigkeit, Beschleunigung Kraftgröße, Kraftrichtung, Krafthäufigkeit, Gewicht, Last, Verformung, Steifigkeit, Federeigenschaften, Stabilität, Resonanzen, Dynamisches Verhalten Leistung, Wirkungsgrad, Verlust, Reibung, Ventilation, Zustandsgrößen wie Druck, Temperatur, Feuchtigkeit, Erwärmung, Kühlung, Anschlussenergie, Speicherung, Arbeitsaufnahme, Energieumformung Physikalische, chemische, biologische Eigenschaften des Eingangs- und Ausgangsproduktes, Hilfsstoffe, vorgeschriebene Werkstoffe (Nahrungsmittelgesetze u. ä.), Materialtransport, Logistik Eingangs- und Ausgangssignale, Anzeigeart, Betriebs- und Überwachungsgeräte, Signalform Unmittelbare Sicherheitstechnik, Schutzsysteme, Betriebs-, Arbeits- und Umweltsicherheit, CE-Sicherheitssiegel Mensch-Maschine-Beziehung: Bedienung, Bedienungsart, Übersichtlichkeit, Beleuchtung, Formgestaltung, Haptik, Gebrauchstauglichkeit Einschränkung durch Produktionsstätte, größte herstellbare Abmessungen, bevorzugtes Fertigungsverfahren, Fertigungsmittel, mögliche Qualität und Toleranzen, Beschaffungsmöglichkeiten Prüfmöglichkeit, besondere Vorschriften (TÜV, ASME, DIN, ISO, CE, AD-Merkblätter) Besondere Montagevorschriften, Zusammenbau, Einbau, Baustellenmontage, Fundamentierung, Inbetriebnahme, Endprüfung Begrenzung durch Hebezeuge, Bahnprofil, Transportwege nach Größe und Gewicht, Versandart und -bedingungen, Container, Luftfracht Geräuscharmut, Verschleißrate, Anwendung und Absatzgebiet, Einsatzort (z. B. schwefelige Atmosphäre, Tropen) Wartungsfreiheit bzw. Anzahl und Zeitbedarf der Wartung, Inspektion, Austausch und Instandsetzung, Anstrich, Säuberung Wiederverwendung, Wiederverwertung, Weiterverwendung, Weiterverwertung, Endlagerung, Beseitigung Zulässige Herstellkosten, Werkzeugkosten, Investition und Amortisation, Betriebskosten Ende der Entwicklung, Netzplan für Zwischenschritte, Lieferzeit
330
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A1-2 Suchmatrix zur Anforderungsklärung Die Suchmatrix nach [Roth 1994a] unterstützt durch gezielte Fragen in 90 Suchfeldern die Klärung von Anforderungen für den gesamten Produktlebenslauf. Eigenschaften und a Bedingungen Lebenslaufphasen
1 2 HerProduktstellung planung, Entwicklung, Konstruktion
Arbeitsvorbereitung und Teilefertigung
Montage
Verteilung
Transport
Lagerung
Vertrieb
Verwendung
Betrieb und Stillstand
Wartung
Reparatur
Rück- Recycling führung
b
Technisch-physikalische Technologische u. funktionelle 1 1.1 Stand der Technik, Entwicklungs-Knowhow
Physikalische u. naturbezogene 2 1.2 Bekannte Naturgesetze und -effekte, Stoffe
Menschbezogene Physisch
3 1.3 1 Stand der Arbeitswissenschaft, verfügbare ergonomische Versuchseinrichtung 2.3 2.2 2 2.1 Teilehandhabung, Technologische Verfügbare Verletzungsgefahr MaterialeigenFertigungs- und durch Grate, schaften, Betriebsmittel, fertigungsbedingte Fügbarkeit (Fase) technologisches Belastungen Know-how 3.3 3.2 3 3.1 Montagebedingte Teilehandhabung: Verfügbare Gewicht, Größe Belastungen, Montagewerkzeuge Klima bei Bauund Hilfsmittel stellenmontage 4 4.1 4.2 4.3 Verfügbare Spezielle Gewichte, Griffe, Transportmittel klimatische Schwerpunkte, (Lademaße), Bedingungen Sicherheit beim Ladegeschirre (z.B. SeetransBeladen port) 5 5.1 5.2 5.3 Platzbedarf, Gewicht, LagerungsHandhabung im Verpackung bedingte Alterung Lager, Stapelbar-, Standfestigkeit 6.3 6.2 6 6.1 Korrosionsbestän- Ergonomische Werbewirksame Vorzüge gegenüber digkeit, technische Prinzipe Klimaunabhängig- der Konkurrenz keit u.ä. als Verkaufsargument 7.3 7.2 7 7.1 Betriebsbedingte Ergonomische Funktion, Belastungen und Bedingungen, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Bewegungen, Lebensdauer, Vermeiden von klimatische Wirkungsgrad, Belästigungen UmgebungsKlapp- oder (z.B. Wärme, Zusammenlegbarkeit, bedingungen, Geräusche), Hygiene Verfügbarkeit von Rücksicht auf Wasser und Luft Nachbarsysteme 8 8.1 8.2 8.3 Zahl der WartungsWartungsbedingte Zugänglichkeit und stellen, verfügbare Belastungen und Sicht zu WartungsWerkzeuge Bewegungen stellen 9.3 9.2 9 9.1 Reparaturbedingte BewegungsspielAustauschbarkeit von Verschleißteilen Belastungen und raum, Kraft und Sicht bei Reparaturen Bewegungen 10.3 10.2 10 10.1 Gefährdung durch Grad der Wiederverwendung, Umweltbelastung Gifte, Strahlung Wiederverwertung, Weiterverarbeitung
Psychisch 4 1.4 Motivation und Ausbildung des Entwicklungspersonals, Konstruktionsmethodik 2.4 Qualifikation des Fertigungspersonals, fertigungsgerechte Bemaßung 3.4 Teileerkennbarkeit, Verwechslungsgefahr 4.4 Kennzeichnung empfindlicher Teile und der Lastangriffsstellen 5.4 Rücksicht auf ungelernte Lagerarbeiter 6.4 Firmenimage, Vorführeignung, Herkunftsinformation 7.4 Einfache sinnfällige Bedienung, Bedienungsanleitungen, Aussehen in Ruhestellung und Betrieb 8.4 Markierung von Wartungsstellen, Wartungsplan 9.4 Fehlersuchpläne, Verschleißanzeige 10.4 Einfluss auf Firmenimage bei Verursachung von Umweltschäden
A1 Anforderungsraum Wirtschaftliche Kostenbezogene
Normative
Organisatorische und planerische
Juristische und gesellschaftliche
331
Sonstige Normen und Richtlinien
Sonstige
5
6
7
8
9
1.5 Entwicklungskosten
1.6 Entwicklungsdauer, Rücksicht auf übergeordnete Unternehmensziele
1.7 Schutzrechte für Lösungsprinzipe
1.8 VDI-Richtlinien
1.9 Berücksichtigung von Trends, Moden, politischen Entwicklungen
2.5 Fertigungslöhne, Materialkosten, Maschinenkosten
2.6 Lieferanten, Fertigungsplanung, Investitionen
2.7 Schutzrechte für Fertigungstechnologien
2.8 Normen für Fertigungsmittel (DIN, ISO), Stoffnormen
2.9 Rohstoffmarkt, Arbeitsmarkt, Automatisierung
3.6 3.5 Stückzahlen, Montagelöhne, Werkzeugkosten Lagerhaltung von Werkstoffen, Halbzeugen usw.
3.7 Schutzrechte für Montagetechnologien
3.8 Werkzeugnormen, Normen für Verbindungen
3.9 Rohstoffmarkt, Arbeitsmarkt, Automatisierung
4.6 4.5 Transportkosten, Wahl eigener Transportmittel oder Zölle Inanspruchnahme von Spediteuren
4.7 Haftung für Transportschäden, Zollbestimmungen
4.8 Normen für Verkehrsmittel Fördermittel, Verpackungen
4.9 Langfristige Änderungen von Transportmitteln oder Lagerungstechniken 5.9 Langfristige Änderungen von Transportmitteln oder Lagerungstechniken
5.5 Raumkosten, Kapitalkosten
5.6 Durchschnittliche Lagerzeiten, Lagerorganisation
5.8 5.7 Vorschriften über zulässige Normen für Lagerregale, Lagerungsdauern Türen, Tore
6.5 Erzielbare Verkaufserlöse, verfügbarer Werbeaufwand
6.6 Vertriebswege, Vertriebsorganisation
6.7 Verbraucherschutzgesetze, Garantieleistungen, Konventionalstrafen
6.9 6.8 Marktforschung, Werksinterne Vertriebsrichtlinien Absatzmärkte (Inland, Ausland)
7.5 Lohnkosten für Bedienungspersonal, Kapitalkosten, Raumkosten, Kosten für Energie- und Betriebsstoffe
7.6 Inbetriebsetzungstermin, Nutzungsdauer, Stillstandszeiten
7.7 Arbeitsschutzgesetze, Sicherheitsbestimmungen und -vorschriften
7.8 TÜV, VDE-, VDIRichtlinien, ISO-, DIN-, Konstruktions-, Güte-, Typ-, Prüf- und Sicherheitsnormen
7.9 Leistungen von Konkurrenzprodukten, Eindrücke von Messen und Ausstellungen, Schrifttum, eigene ältere Produkte
8.5 Wartungskosten
8.6 Wartungsintervalle
8.7 Wartungsverträge
8.8 Wartungsrichtlinien, Normen für Betriebsmittel
8.9 Trend zur Wartungsfreiheit
9.5 Direkte Reparaturkosten infolge Ausfallzeiten
9.6 Kundendienstorganisation, Reparatur im Werk oder in Vertragswerkstatt
9.7 Verträge mit Einzelhändlern und Werkstätten
9.8 Werkzeugnormen
9.9 Trend zum Austausch statt Reparatur
10.5 Recyclingkosten bzw. -erlöse
10.6 Öffentlichkeitsarbeit zum Umweltschutz
10.7 Umweltschutzgesetze
10.8 Werksinterne Richtlinien
10.9 Allgemein gestiegenes Umweltbewusstsein
A2 Funktionebene
A2-1 Umsatzorientierte Funktionsmodellierung
Grundlagen und formale Regeln Zentraler Baustein im Umsatzorientierten Funktionsmodell ist die Darstellung einer Funktion. Diese wird über eine Operation beschrieben und besitzt einen Einund Ausgangszustand.
Abb. A2-1. Formaler Aufbau einer Funktion im Umsatzorientierten Funktionsmodell [nach Ehrlenspiel 2009]
Die Relationen zwischen Zuständen und Operationen werden durch Pfeile repräsentiert. Die Darstellung der Pfeillinie gibt dabei Auskunft über die Umsatzart (Stoff, Energie, Signal), während die Wirkrichtung der Zustandsänderung entsprechend über die Pfeilspitzen dargestellt wird:
Abb. A2-2. Wirkrichtungen von Relationen im Umsatzorientierten Funktionsmodell
334
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Folgende formale Regeln gelten bei der Erstellung Umsatzorientierter Funktionsmodelle: x Reihenfolgeregel: Die Bausteine Zustand, Relation und Operation werden ausschließlich in der Reihenfolge Zustand-Relation-Operation-Relation-ZustandRelation-Operation-Relation-Zustand usw. verwendet. x Flussregel: Innerhalb eines Umsatzes darf weder der Fluss unterbrochen werden, noch darf sich die Umsatzart ändern. x Vollständigkeitsregel: Ein Umsatz beginnt mit einem oder mehreren Zuständen und endet mit einem oder mehreren Zuständen.
Abb. A2-3. Reihenfolge-, Vollständigkeits- und Flussregel
Diese formalen Regeln gelten sowohl für den Hauptumsatz als auch für Nebenumsätze. Grundsätzlich werden im Nebenumsatz Zustände herbeigeführt, die mit Operationen im Hauptumsatz in Verbindung stehen. Die Nebenumsätze wiederum können weitere Nebenumsätze besitzen.
Abb. A2-4. Hierarchische Verknüpfung von Haupt- und Nebenumsätzen
A2 Funktionebene
335
Die Verknüpfung zwischen Hauptumsatz und Nebenumsatz (sowie zwischen verschiedenen Nebenumsätzen) findet ausschließlich über Verknüpfungszustände statt. Dabei wird zwischen folgenden drei Verknüpfungszuständen unterschieden:
Abb. A2-5. Verknüpfung von Hauptumsatz und Nebenumsätzen Bezeichnung des Zustands im Nebenumsatz
Beschreibung
Beispiel
Ergänzungszustand
Ein Hauptumsatz führt zu einem Zustand in einem Nebenumsatz, der sich aufgrund von Gleichgewichtsbedingungen oder Erhaltungssätzen zwangsweise ergibt.
Im Hauptumsatz wird ein Drehmoment in einem Getriebe gewandelt, das entstehende Reaktionsmoment muss im Getriebegehäuse abgestützt werden (Nebenumsatz Reaktionsmoment abstützen).
Bedingungszustand
Ein Zustand im Nebenumsatz ist notwendig für eine Operation im Hauptumsatz. Liegt dieser Zustand nicht vor, kann die Operation im Hauptumsatz nicht erfolgen.
Der Anschluss zur Stromversorgung eines Elektromotors muss geschlossen sein, damit der Motor elektrische Energie in mechanische Energie wandeln kann.
Prozesszustand
Ein Nebenumsatz knüpft an die Eigenschaftsänderung des Hauptumsatzprodukts an.
Im Hauptumsatz wird ein Objekt transportiert, dessen Position in einem bestimmten Zustand des Hauptumsatzes für den Nebenumsatz (Signalumsatz) einen Eingangszustand darstellt.
Abb. A2-6. Übersicht & Beschreibung der Verknüpfungen zwischen Haupt- und Nebenumsätzen
336
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Durch formale Strukturvereinigung und -verzweigung innerhalb eines Umsatzes ist die die Formulierung von logischen Ausdrücken möglich. Dabei kann ein Zustand mehreren Operationen oder eine Operation mehreren Zuständen zugeordnet sein:
Abb. A2-7. Formale Strukturvereinigung und -verzweigung [nach Ehrlenspiel 2009]
Durch Kombination dieser Vereinigungs- und Verzweigungsausdrücke lassen sich – unter Berücksichtigung der formalen Regeln – die Anordnungen Reihenschaltung, Parallelschaltung und Kreisschaltung aufbauen:
Abb. A2-8. Formale Strukturarten [nach Ehrlenspiel 2009]
A2 Funktionebene
337
A2-2 Checkliste zur Variation der Funktion Folgendes Vorgehen sollte bei der Systematischen Variation eines Umsatzorientierten Funktionsmodell gewählt werden: 1. Aufbau des Funktionsmodells. 2. Systematisches Ableiten von Alternativen des Funktionsmodells auf Grundlage der gegebenen Variationsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der Zielformulierungen. 3. Prüfen der physikalischen bzw. wirkgeometrischen Umsetzbarkeit der Alternativen 4. Bewertung und Auswahl umsetzbarer Alternativen Zur Unterstützung der Entwicklung von alternativen Funktionsmodellen kann folgende Checkliste verwendet werden:
Abb. A2-9. Mögliche Operationen zur Systematischen Variation eines Umsatzorientierten Funktionsmodells
338
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A2-3 Relationsorientierte Funktionsmodellierung
Grundlagen und formale Regeln Es werden zwei Arten von Funktionen unterschieden: nützliche und schädliche Funktionen, die wie unten abgebildet dargestellt werden. Das Funktionsmodell wird durch die sinnvolle Verknüpfung unterschiedlicher technischer Funktionen gebildet. Zur Verknüpfung der Funktionen stehen drei Relationsarten zur Verfügung, die in folgenden Relationsmustern verwendet werden [Herb 2000]:
Abb. A2-10. Darstellung von Funktionen und Arten von Funktionen im Relationsorientierten Funktionsmodell
Der Aufbau des Funktionsmodells erfolgt durch systematisches „Befragen“ des betrachteten technischen Systems [Terninko et al. 1997]. Dabei bietet sich folgendes formales Vorgehen an: 1. Fragen Sie sich: „Was ist die wesentliche nützliche Funktion des betrachteten Systems?“ und zeichnen Sie diese auf. 2. Fragen Sie sich: „Was ist die wesentliche schädliche Funktion des betrachteten Systems?“ und zeichnen Sie diese auf. 3. Stellen Sie die „vier Fragen an nützliche Funktionen“ an die wesentliche nützliche Funktion und ergänzen Sie das Funktionsmodell um die zusätzlichen Funktionen und ihre Verknüpfungen. 4. Stellen Sie die „vier Fragen an schädliche Funktionen“ an die wesentliche schädliche Funktion und ergänzen Sie das Funktionsmodell um die zusätzlichen Funktionen und ihre Verknüpfungen.
A2 Funktionebene
339
5. Befragen Sie die neu hinzugekommenen Funktionen analog zu den Punkten 3 und 4. Ergänzen Sie das Funktionsmodell um die zusätzlichen Funktionen und ihre Verknüpfungen. 6. Brechen Sie den Aufbau des Funktionsmodells ab, wenn alle wichtigen nützlichen und schädlichen Funktionen des betrachteten Systems abgebildet sind. Dies ist meist nach 2 bis 3 Durchgängen der Fall. Vier Fragen an nützliche Funktionen Wird diese nützliche Funktion für die Erfüllung einer weiteren nützlichen Funktion benötigt? Verursacht diese nützliche Funktion irgendwelche schädlichen Funktionen? Wurde diese nützliche Funktion eingeführt, um schädliche Funktionen zu unterdrücken? Setzt diese Funktion die Erfüllung weiterer nützlicher Funktionen voraus?
Abb. A2-91. Vier Fragen an nützliche Funktionen zum Erstellen von Relationsorientierten Funktionsmodellen Vier Fragen an schädliche Funktionen Wird diese schädliche Funktion durch eine andere schädliche Funktion verursacht? Verursacht diese schädliche Funktion weitere schädliche Funktionen? Wird diese schädliche Funktion durch eine nützliche Funktion verursacht? Wurde eine nützliche Funktion eingeführt, um diese schädliche Funktion zu unterdrücken?
Abb. A2-102. Vier Fragen an schädliche Funktionen zum Erstellen von Relationsorientierten Funktionsmodellen
340
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A2-4 Problemformulierungen Aufbauend auf ein Relationsorientiertes Funktionsmodell können Problemformulierungen abgeleitet werden. Nützliche Funktionen werden durch runde Klammern gekennzeichnet, schädliche Funktionen durch eckige Klammern. Problemformulierungen werden in folgenden Schritten aus dem Funktionsmodell abgeleitet: 1. Beginnend mit der wesentlichen nützlichen oder der wesentlichen schädlichen Funktion des Modells werden alle Funktionen mit einer Ordnungsnummer versehen. Dabei bekommen Funktionen eine umso höhere Nummer, je „weiter entfernt“ sie von der wesentlichen nützlichen oder schädlichen Funktion sind. 2. Beginnend mit der Funktion Nr. 0 werden bei der Ableitung von Problemformulierungen charakteristische Konstellationen zwischen Funktionen des Modells nach formalen Regeln in Handlungsanweisungen umgesetzt. Er ergeben sich für unterschiedliche charakteristische Konstellationen entsprechende Problemformulierungen. In der folgenden Tabelle sind diese zusammengestellt. Charakteristische Konstellationen
Problemformulierungen Finde eine Möglichkeit um (NF 1) zu verbessern. Finde einen alternativen Weg um (NF 1) zu ermöglichen, der nicht (NF 0) voraussetzt. Finde eine Möglichkeit um [SF 1] zu vermeiden oder zu vermindern, unter der Bedingung, dass [SF 0] erfolgt. Finde eine Möglichkeit, von [SF 1] zu profitieren. Finde einen alternativen Weg um [SF 1] zu vermeiden oder zu vermindern, der nicht (NF 0) voraussetzt. Finde eine Möglichkeit, von [SF 1] zu profitieren. Finde eine Möglichkeit, (NF 0) zu vermeiden. Finde eine Möglichkeit, [SF 1] zu vermeiden oder zu vermindern unter der Bedingung, dass (NF 0) erfolgt. Finde eine alternative Möglichkeit (NF 0), die (NF 1) ermöglicht und nicht [SF 1] verursacht. Finde einen Weg den Widerspruch aufzulösen: (NF 0) ermöglicht (NF 1), ohne [SF 1] zu verursachen. Finde eine alternative Möglichkeit um (NF 0), die [SF 1] vermeidet oder vermindert und nicht [SF 2] verursacht. Finde einen Weg, den Widerspruch aufzulösen: (NF 0) vermeidet oder vermindert (SF 1), ohne [SF 2] zu verursachen.
Abb. A2-113. Charakteristische Konstellationen im Relationsorientierten Funktionsmodell und entsprechende Problemformulierungen
A2 Funktionebene
341
A2-5 Nutzerorientierte Funktionsmodellierung Bei einer Nutzerorientierten Funktionsmodellierung werden verschiedene Anwendungsfälle in einem Modell skizziert. Die Modellierung ist angelehnt an die UseCase-Diagramme der Modellierungssprache Unified Modeling Language (UML) [Rumbough et al. 1993, Brügge et al. 2000]. Zur Modellierung stehen verschiedene Bausteine zur Verfügung:
Abb. A2-124. Bausteine zur Modellierung eines Nutzerorientierten Funktionsmodells
Am Beispiel eines Handrührgerätes soll die Zusammenstellung eines Nutzerorientierten Funktionsmodells erläutert und gezeigt werden. Dabei kann beispielsweise untersucht werden, mit welchen Nutzern das Gerät in welchen Anwendungen in Berührung kommt. Die Nutzerorientierte Funktionsmodellierung stellt ein Werkzeug bereit, um die Beanspruchungen, denen ein Handrührgerät ausgesetzt ist, zu erfassen und zu dokumentieren [Lindemann 2009].
Abb. A2-135. Nutzerorientierte Funktionsmodellierung am Beispiel eines Handrührgerätes
A3 Wirkebene
A3-1 Lösungssuche mit physikalischen Effekten Bei vielen konstruktiven Aufgaben kann die Lösungssuche mithilfe von physikalischen Effekten neue Sichtweisen eröffnen und Denkblockaden auflösen. Papierbasierte oder digitale Effektsammlungen unterstützen die systematische Suche nach geeigneten Effekten zur Realisierung der Systemfunktion. Sie enthalten in strukturierter Form Informationen zu den jeweiligen Effekten, zum Beispiel Skizzen, Formeln und Anwendungsbeispiele. Als Grundlage für die Lösungssuche mit physikalischen Effekten kann ein Umsatzorientiertes Funktionsmodell dienen. Nr
Schritt
Methoden und Werkzeuge
1
Abstraktion der Problemstellung: Ermittlung zu realisierender Funktionen, physikalische Beschreibung des Problems über physikalische Eingangs- und Ausgangsgrößen
Umsatzorientierte Funktionsmodellierung
2
Lösungssuche auf abstraktem Niveau: Auswählen geeigneter physikalischer Effekte zur Realisierung der Funktion
Sammlung physikalischer Effekte, Funktionsgrößenmatrix
3
Übertragung auf die Problemstellung: Konkretisierung der physikalischen Effekte zu Wirkprinzipien durch Ergänzung um geometrische und stoffliche Aspekte
Kreativitätstechniken (zum Beispiel Brainstorming, Methode 6-3-5), Systematische Variation
344
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A3-2 Sammlung physikalischer Effekte Als Hilfsmittel für die Identifikation alternativer Lösungen auf Wirkebene finden Kataloge beziehungsweise Sammlungen physikalischer Effekte [Koller et al. 1994, Ehrlenspiel 2009] Anwendung, die unterschiedliche Effekte in strukturierter Form bereitstellen. Zur gezielten Auswahl physikalischer Effekte aus diesen Sammlungen kann die Funktionsgrößenmatrix herangezogen werden [VDI 2222].
Liste physikalischer Effekte Kategorie Statik starrer Körper
Elastizität fester Körper
Dynamik
Reibung
Schwingungen
Molekularkräfte
Nr. 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Physikalischer Effekt Hebel (einseitig) Hebel (zweiseitig) Keil Kniehebel Übertotpunkt Seileck Flaschenzug Elastische Dehnung Elastische Biegung (1) Elastische Biegung (2) Scherung Torsion Querkontraktion Trägheit (translatorisch) Trägheit (rotatorisch) Stoß (allgemein) Stoß (elastisch) Corioliskraft Zentrifugalkraft Gravitation Präzessionsmoment Hysterese Plastische Verformung Coulomb´sche Reibung Rollende Reibung Umschlingungsreibung Stick-Slip-Effekt Gravitationspendel Resonanz Eigenfrequenz Stehende Welle Kohäsion fester Körper Adhäsion Kapillardruck Kapillarwirkung Diffusion Osmose Piezo-Effekt
A3 Wirkebene Kategorie Ideale Gase Ruhende Flüssigkeiten
Strömungen
Elektrik
Magnetismus Elektromagnetismus
Elektrische Leitung
Wärmelehre
Wärmetransport
Akustik
Nr.
Physikalischer Effekt
39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87
Gesetz von Gay Lussac Gesetz von Boyle-Mariotte Druckkraft Druckfortpflanzung Gravitationsdruck Auftrieb Gesetz von Toricelli Konti-Gleichung Gesetz von Bernoulli Staudruck Gesetz von Hagen-Poiseuille Druckabfall (Rohrleitung) Viskose Reibung Magnuseffekt Profilauftrieb Strömungswiderstand Gesetz von Ohm Elektrische Ladung Coulomb´sche Kraft Elektrostatische Anziehung (Abstoßung) Dielektrische Wärmeverluste Magnetische Anziehung (Abstoßung) Magnetostriktion Elektromagnetische Anziehung (Abstoßung) Gesetz von Biot-Savart Induktion (1) Induktion (2) Lorentzkraft Hall-Effekt Wirbelstrom (1) Wirbelstrom (2) Thermoeffekt Peltier-Effekt Halbleiter Transistoren Elektrokinetischer Effekt Stoßionisation Laser Vakuumentladung Änderung des Aggregatzustandes Wärmedehnungsanomalie Wärmedehnung Konvektion Wärmeleitung Wärmespeicherung Wärmestrahlung Saite Dopplereffekt Schalldruck
345
346
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Physikalische Größen – Variable Größen Bezeichnung
Zeichen
Einheit
m2
Beschleunigung
A a
m s2
Coriolisbeschleunigung
ac
m s2
Normalbescheunigung
an
m s2
Flussdichte
B
T
Kapazität
C c
F m s
Fläche
Wellengeschwindigkeit
E
V m
E Energie
J N
Corioliskraft
F Fc
Normalkraft
Fn
N
Zentrifugalkraft
Fz
N
Frequenz
f
Magnetische Feldstärke
H
Hz Am
Höhe
h
m
Elektrische Stromstärke
I Ip
A
Polares Trägheitsmoment
kgm 2
Sperrstrom
Elektrische Feldstärke Energie Kraft
N
I Sp
A
Torsionsträgheitsmoment
It
kgm 2
Massenträgheitsmoment
Jm, I
kgm 2
Teilchenstromdichte
J
mol m 2 s
Induktivität
H
Drehimpuls
L Li
Länge
l
Masse
M m
Anzahl der Windungen
N
Drehmoment
Nms m Nm kg W
Druck
P p, p d
Impuls
p, p i
Ns
Elektrische Ladung
Q
C
Wärmemenge
Q
J
Elektrischer Widerstand
R
:
Leistung
Pa
A3 Wirkebene Bezeichnung
Zeichen
Einheit
r
m
S s
kcal K
Zeit
T t
K s
Elektrische Spannung
U
V
Geschwindigkeit
V v, v r
m3 m s
Arbeit
W
J
Winkel
D , E ,M
°
Hebelarm / Radius Entropie Weg Temperatur
Volumen
Magnetischer Fluß Elektrischer Leitwert
N
Schubspannung Winkelgeschwindigkeit
m
) 1R
O W Z
Wellenlänge
S
Präzessionsgeschwindigkeit
Wb 1:
m N m2 Hz 1 s
Z Zp
Winkelbeschleunigung
347
1 s2 Hz
Physikalische Größen – Naturkonstanten Bezeichnung
Zeichen
Wert [Einheit]
Ortsfaktor (Erdbeschleunigung)
g
9,81 m s 2
Planck´sches Wirkungsquantum
h
6,63 10 34 >J / K @
Boltzmannkonstante
k
1,38 10 23 >J K @
Allgemeine Gaskonstante
R
8,31 >J molK @
Dielektrizitätskonstante
H0
8,85 10 12 >C Vm@
Permeabilität
P0
4S 10 7 mkg s 2 A 2
>
>
@
@
348
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Physikalische Größen – Materialkonstanten und Koeffizienten Zeichen
Einheit
Spezifische Wärmekapazität
Bezeichnung
c
kJ kgK
Auftriebsbeiwert
ca
dimensionslos
Widerstandsbeiwert
cw
dimensionslos
Diffusionskoeffizient
D
m2 s
Elastizitätsmodul
N m2
Emissionsgrad
E e
Schubmodul
G
dimensionslos
k
N m2 N m
Seebeck Koeffizient
DS
V K
Wärmeübertragungskoeffizient
D Da
W Km 2 1K
G Hr
°
F m
Oberflächenspannung
N Oberfläche
N m
Elektrische Leitfähigkeit
N
Federkonstante
Wärmeausdehnungskoeffizient Dielektrischer Verlustwinkel Dielektrizitätszahl
1U
Rohrverlustzahl
O
Wärmeleitfähigkeit
Ol
1 :m dimensionslos
W mK
Querkontraktionszahl (Poissonzahl)
P
dimensionslos
Reibwert
Pr K
dimensionslos dimensionslos
Spezifischer Widerstand
S Ud Uw
Stefan-Boltzmann-Konstante
V
Elektrokinetisches Potential
[
W m2 K 4 V
Dynamische Viskosität Peltierkoeffizient Dichte
Pa s kg m 3 : mm 2 m
A3 Wirkebene
349
Funktionsgrößenmatrix zur Auswahl physikalischer Effekte [nach VDI 2222] A
M
L
5
6
7
1 01;02 14 01;02 14;15 14 03;04 15 03;08 17;18 15 05;06 09;10 51;52 07;16 11;13 53;54 24;25 18;19 66;68 26;32 20;35 69;87 33;42 44;58 60;61 80
01 02
E F
F
pi
s
v
a
1
2
3
4
pi 2 14;15 3 08;09 10;11 13;44 58;60
v
4 14;15 14 01;02 01;02 51 15 45 03;46
a
5 14;15
01;02 01 03;11 02 13;35 42
f
pd
V
m
I
8
9
10
11
12
13
14
03 06 26
18 19 52
41
44
17 18 19 20
01 02
29 31
01 02 01;02
U
E H
T
Q
15
16
17 18
19
20
62 63
38 58
57 60
37 80
43
63
47
79 80
64;65 74
18;19
M 6 01;02
14;15 12
21 14;15 30
7
M 8
12
Z 9
Z
Z
14;15
s
L
Z
M
01 02
10
14;15 14 21 15 14;15
f 11 85 pd 12
20 27;86
30
34;43 48;50
30
37;39
V 13
39
39;40 49
m 14 I 15
64;65 66;67
U 16 38
58
38 64;65 56 68;69 74
64;65 55;66 75 67;72 77 68 69
74
55;66 64 67,72 65 77
70
E 17 H 18 T 19
78
Q 20 22;23 24
22;23 24
59;68 69
71
81;82 83,84
350
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Sammlung physikalischer Effekte (Auswahl) Nr.
Name Beschreibung
01
Hebel (einseitig)
Starrer, um eine Achse drehbar gelagerter Körper mit einseitigem Hebelarm.
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
M
F r
v Zr
Drehmomentschlüssel, Nussknacker 02
Hebel (zweiseitig)
Starrer, um eine Achse drehbar gelagerter Körper mit zweiseitigem Hebelarm.
l1 F2 s1 l 2 F1 s 2 s v, s a Wippe, Kraftübersetzung
03
Keil
Zwei um den Winkel Į zur Basis geneigte Ebenen, auf die senkrecht stehende Flankenkräfte ausgeübt werden.
04
Kniehebel
Spezielle Hebelanordnung, die es ermöglicht sehr hohe Kraftübersetzungen ( F2 o f ) zu generieren.
05
s1 s2
F2
F1
F2
tan D F1
Gewinde, Wegübersetzung, Bewegungsschraube Wegübersetzung
F2
F1 tan D1 tan D 2
Backenbrecher, Kniehebelpresse
Übertotpunkt
Spezielle Hebelanordnung, stark mit dem Kniehebel verwandt. Öffnen bzw. Schließen der Anordnung geschieht durch Überwinden des Totpunkts.
Türverriegelungen, Flaschenverschlüsse
A3 Wirkebene Nr.
Name Beschreibung
06
Seileck
Methode zur Ermittlung des Schnittpunkts der Wirkungslinien mehrerer Kräfte mit unterschiedlichen Angriffspunkten.
07
Flaschenzug
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
F3
F1 cos D F2 cos E
Seilstatik
F1
1 F2 n F1 F0
n/2 fest übereinander und n/2 lose angeordnete Rollen werden abwechselnd von einem Seil umschlungen, das einseitig befestigt ist.
Hebezeug
08
F
k 'l
F
EA
Elastische Dehnung
Bei einem (stabförmigen) Körper erzeugt eine Zugoder Druckkraft eine elastische Längenänderung.
351
F2
'l l
Zugstab, Federwaage 09
Elastische Biegung (1)
Die Einwirkung eines Biegemoments auf ein Volumenelement (Biegestab) resultiert in einer elastischen Verformung.
10
Elastische Biegung (2)
Die Einwirkung eines Biegemoments auf ein Volumenelement (Biegestab) resultiert in einer elastischen Verformung.
11
F
3EI s l3
Waage
F
48 EI l3
Blattfeder
Scherung
Schubkraft (Krafteinwirkung parallel zu zwei gegenüberliegenden Körperflächen) verursacht eine Scherung (elastische Schubverformung).
s
F
GA
2 'l ; l
Schraubenfeder
'l
's 2 2l
352
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Nr.
Name Beschreibung
12
Torsion
Schubkraft (Verdrehung der Schichten gegeneinander) verursacht eine Verdrillung (elastische Schubverformung) der Enden eines zylindrischen Stabes. 13
Querkontraktion
Querschnittabnahme bei gleichzeitiger Längenzunahme eines auf Zug beanspruchten Bauteils.
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
M
GI t M l
Torsionsfeder
F
EA
J J
'd
'r
d0 'l l0
Zugversuch, Flaschenverschluss 14
Trägheit (translatorisch)
Widerstand eines Körpers mit Masse gegen eine Bewegungsänderung.
F
ma
F
d pi dt
d m v& dt
Raketenantrieb, Stoßvorgänge 15
Trägheit (rotatorisch)
Widerstand eines Körpers mit Masse gegen eine Bewegungsänderung.
M Li
d Li dt I pZ
Schwungscheibe 16
Stoß (allgemein)
Zusammenprall zweier Körper bei Übertragung eines Impulses.
F2
't1 F1 't 2
F1 , F2
const.
Hammer 17
Stoß (elastisch)
Zusammenprall zweier Körper ohne bleibende Verformung.
F
k mv m
Billardkugeln, Abschlag beim Golfen
A3 Wirkebene Nr.
Name Beschreibung
18
Corioliskraft
Scheinkraft im rotierenden Bezugssystem auf mitbewegten Beobachter, welche diesen schräg von der Drehachse wegtreibt.
19
Zentrifugalkraft
Scheinkraft im rotierenden Bezugssystem, die einen mitbewegten Beobachter radial nach außen von der Drehachse wegtreibt.
20
Gravitation
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
Fc
2mZ vr
ac
2 vr Z
Föttingerkupplung
Fz
mrZ 2
an
rZ 2
Zentrifuge, Fliehkraftregler
F
mg
Massenabhängige gegenseitige Anziehung von Körpern (hier nur Betrachtung der an der Erdoberfläche auf alle Körper wirkenden Schwerkraft).
Gewichtskräfte, Waage
21
M
Präzessionsmoment
Zwangsdrehung, bei der ein Kreisel aus der ursprünglichen Drehachse kippt und unter dem Winkel - um diese „eiert“.
22
Hysterese
I p Z Z p
Kreisel
Qz
³ Fds
Elastische Nachwirkungen bei schneller periodischer Belastung, die in einer Hystereseschleife resultieren, wobei Wärme frei wird.
Ultraschallschweißen
23
Q
Plastische Verformung
Dauerhafte irreversible Formänderung eines Werkstoffes unter Wärmeabgabe.
³ Fds
Schmieden
353
354 Nr.
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel Name Beschreibung
24
Coulomb´sche Reibung
In Kontakt stehende Körper lassen sich nur gegenseitig bewegen, wenn Reibungswiderstandskräfte überwunden werden.
25
Rollende Reibung
Reibungswiderstand, der bremsend auf bereits rollende Körper bzw. der Rollbewegung entgegen wirkt.
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
Fr Q
Pr Fn P r Fr s
Bremse, Reibschluss, Reibschweißen
Fw
P r FQ
Pr
tan D
f r
Rollwiderstand, Kraftfahrzeug, Eisenbahn 26
Umschlingungsreibung
Haftreibung eines Seiles auf einer festen, vom Seil umschlungenen Rolle.
F2 Fr
e P r D F1
e
P rD
1 F1
Ankerspill, Schiffspoller, Bandbremse, Seilbefestigung
27
Stick-Slip-Effekt
Wechselhafter Übergang zwischen Haft- und Gleitreibung.
c m
w0
Werkzeugmaschinenschlitten, Scheibenwischerrubbeln
28
Gravitationspendel
Schwingungssystem bestehend aus einem Pendelarm und einer frei beweglichen Masse, die von der Schwerkraft angezogen wird. 29
Resonanz
Mitschwingen eines Systems bei Anregung durch äußere Kräfte, deren Frequenz nahe der Eigenfrequenz des Systems ist.
f
1 2S
g l
Pendeluhr
l
l0
1 f / Z0 2
Zungenfrequenzmesser
A3 Wirkebene Nr.
Name Beschreibung
30
Beispiel
Eigenfrequenz
Wenn ein freier ungedämpfter Schwinger einmalig aus der Ruhelage angeregt wird, führt er Schwingungen mit konstanter Eigenfrequenz aus. 31
Formel
Prinzipskizze
Stehende Welle
Interferenz zweier Wellen gleicher Frequenz, Wellenlänge und Amplitude, die sich entgegenlaufen.
f
1 2S
k m
M
4S 2 I p U f 2
Bestimmung von Massen bzw. Trägheitsmomenten
c f
l
Kund´sches Rohr, Wellenlängenmesser 32
Kohäsion fester Körper (KFK)
F1
F2
für D ! d
Zusammenhang zwischen den Molekülen eines Körpers durch gegenseitige Anziehung; Zusammenhalt der Materie.
Formschluss
33
F1
Adhäsion
Zusammenhang zwischen den Molekülen zweier Körper durch gegenseitige Anziehung; Haftung an den Grenzflächen.
34
Kapillardruck
Eine Flüssigkeit steigt in einem engen Rohr um eine gewisse Höhe an, wenn die Innenfläche zuvor gut benetzt war.
35
Kapillarwirkung
Eine Flüssigkeit steigt in einem engen Rohr um eine gewisse Höhe an, die von dem Rohrradius abhängig ist.
F2 W zul A
Stoffschluss, Kleben, Löten
2N cos M
pd
1 r
Docht, Kapillare
F
¦
0
¦0 2S r : Oberflächenspannung
Schwamm
355
356
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Nr.
Name Beschreibung
36
Diffusion
Unter Diffusion versteht man das selbständige Vermischen der Moleküle als Folge ihrer thermischen Bewegung.
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
J
D
wc wx
Schweißzusatz in der Schweißnaht 37
Osmose
Druck zwischen zwei durch eine semipermeable Membran getrennten Lösungen (Bestreben der Teilchen nach Konzentrationsausgleich). 38
Piezo-Effekt
Das Anlegen einer elektrischen Spannung an einen piezokeramischen Körper verursacht eine Formänderung und umgekehrt. 39
Gesetz von BoyleMariotte
Das Volumen eines eingeschlossenen Gases gleicher Temperatur ist seinem Druck umgekehrt proportional. 41
A
n RT V
Filter, Manometer
'l d U F c 'l Piezoelektrischer Kraftgeber, Dehnungsmesser, Piezozünder
Gesetz von Gay Lussac
Das Volumen eines eingeschlossen Gases ist zu der absoluten Temperatur proportional, solange der Druck nicht verändert wird.
40
F
Druckkraft
pd
mRT
1 ; V
U
Verbrennungsmotor
'V
§ p · ¨1 d 1 ¸ V1 ¨ pd 2 ¸¹ ©
Pneumatische Feder
F
A pd
Durch einen Druck auf eine Fläche ausgeübte Kraft.
Kolben, Verbrennungsmotor
m V
A3 Wirkebene Nr.
Name Beschreibung
42
Druckfortpflanzung
Die Kräfte an den Kolben verhalten sich wie die Kolbenflächen, d. h. wie die Quadrate der Kolbendurchmesser.
43
Gravitationsdruck
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
F2
A2 F1 ; A1
A1 s1 A2
s2
Hydraulik, Pneumatik, Hebeeinrichtungen, Bremsen, Bremskraftverstärker
pd
U gh
Druck einer jeden Flüssigkeit, welche diese in Folge ihrer eigenen Gewichtskraft erfährt, auch Schweredruck genannt. Hochbehälter 44
Auftrieb
Nach oben gerichtete Kraft, die an einem ins Wasser eingetauchten Körper wirkt und gleich der Gewichtskraft des verdrängten Fluidvolumens ist. 45
Gesetz von Toricelli
F
U Fl gA 'l
A 'l V
Schwimmventil, Schiff
v
2 gh
Ausströmen von inkompressiblen Fluiden aus Behältnissen. Bierfass 46
Konti-Gleichung
Durchfussgleichung für inkompressible Fluide.
v2
A1 v1 A2
Hydraulik 47
Gesetz von Bernoulli
In einer stationären Strömung ist die Summe aus statischem und dynamischem Druck konstant.
357
v
2('p U gh)
U 1 A2 A1 2
Düse, Turbinenrad, Tragflügel
358 Nr.
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel Name Beschreibung
48
Staudruck
Dynamischer oder kinetischer Druck, resultierend aus der Anströmgeschwindigkeit des Fluides.
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
U
pd
v2
2
Düse, Turbinenleitrad, Wasserstrahlpumpe 49
Gesetz von HagenPoiseuille
Für laminare Strömungen in einem Rohr bildet sich ein parabolisches Strömungsprofil mit Maximum in der Mitte aus.
50
Druckabfall (Rohrleitung)
Beim Durchströmen eines Rohres tritt ein Druckabfall auf.
V
S R4 ' pd 8K l
Laminare Rohrströmung
Ov
pd
l U 2 v d 2
Ölpipelines, Trinkwassernetz 51
Viskose Reibung
Zwischen einer festen Wand und einer bewegten Platte befindet sich eine Flüssigkeitsschicht, es tritt viskose Reibung auf.
52
Magnuseffekt
Durch Rotation des Zylinders nimmt die Strömungsgeschwindigkeit an der Oberseite zu und der statische Druck ab (Querkraft nach oben). 53
Profilauftrieb
Am umströmten Körper wirkt auf der Unterseite ein Überund auf der Unterseite ein Unterdruck (höhere Strömungsgeschwindigkeit).
F
AK
& & F v
dv ; dh
v
h F; KA
Flüssigkeitsdämpfung, Ölschmierung, Gleitlager
F
2S R 2UZ lv
Schiffsantrieb
U
F ca A v 2 2 & & F Av Tragflügel, Kreiselverdichter
A3 Wirkebene Nr.
Name Beschreibung
54
Strömungswiderstand
Proportionalitätsfaktor cw zwischen Druckabfall und Widerstandskraft; von Form des Körpers abhängig. 55
Gesetz von Ohm
In einem elektrischen Leiter ist die Stromstärke der Spannung direkt und dem Widerstand umgekehrt proportional.
56
Elektrische Ladung
Quantisierte Ladungsmenge, immer an Materie gebunden, wird durch Elektronen oder Ionen transportiert.
359
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
U
F cw v 2 2 & & F v Landeklappen, Fallschirm
I
U ; R R
Ul A
Spannungsteiler, Schiebewiderstand
U
H
F Q d d HA Q H0 Hr
Kondensator 57
Coulomb´sche Kraft
F
QE
Kraft, die auf eine elektrische Punktladung in einem elektrischen Feld wirkt. Elektronenstrahlröhre, Fernseher 58
Elektrostatische Anziehung (Abstoßung)
F
1C 2 U ; C 2 l
Basierend auf elektrostatischen Wechselwirkungen zwischen permanenten oder induzierten elektrostatischen Ladungen.
Photokopierer, Plattenkondensator
59
Q
Dielektrische Wärmeverluste
H 0H r A l
2S U 2Cf tan G
Energie, die ein Isolierstoff im Wechselfeld absorbiert und in Verlustwärme umwandelt. Kunststoffschweißen, Verkleben von Sperrholz
360 Nr.
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel Name Beschreibung
60
Magnetische Anziehung (Abstoßung)
Gleichartige Pole eines Magneten stoßen sich ab, ungleichartige Pole ziehen sich an.
61
Magnetostriktion
Ferromagnetika ändern je nach Magnetfeldstärke geringfügig ihre Länge, wodurch im magnetischen Wechselfeld Ultraschall erzeugt wird. 62
Elektromagnetische Anziehung (Abstoßung)
Moleküle mit einem magnetischen Dipol richten sich im Magnetfeld aus und erhöhen dadurch die Kraftflussdichte. 63
Gesetz von Biot-Savart
Magnetfeldstärke für beliebige Leitergeometrie. Beitrag des Leiterstücks der Länge l vom stromdurchflossenen Leiter.
64
Induktion (1)
Bei einer zeitlichen Änderung des Magnetflusses durch eine offene Oberfläche wird eine Spannung induziert.
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
F
1 P 0 AH 2 2
Magnetische Federung, Magnetkupplung
F
k >l B l B0 @
Ultraschall
F
P 0 w2 A l2
I2
Elektromagnet
l
F BI
Elektromotor, Generator, Lautsprecher
I
F1 ; Bl
v
1 U Bl
Elektromotor, Lautsprecher, Drehspulmesswerk 65
Induktion (2)
Durch einen von der Spule 1 erzeugten magnetischen Fluss, wird in der Spule 2 eine Spannung induziert.
U2
N2 U1 ; N1
Transformator, Übertrager
I2
N2 I1 N1
A3 Wirkebene Nr.
Name Beschreibung
66
Lorentzkraft
Kraft auf einen Massepunkt mit positiver elektrischer Ladung, der mit Relativgeschwindigkeit gegen Erreger eines Magnetfeldes bewegt. 67
Hall-Effekt
In einer stromdurchflossenen Leiterplatte im Magnetfeld werden die Elektronen durch die Lorentzkraft senkrecht abgelenkt, es entsteht eine Hall-Spannung. 68
Wirbelstrom (1)
Induzierte Ströme in einem Leiter, der einer Magnetfeldänderung ausgesetzt ist, wirken dem ursprünglichen Magnetfeld entgegen.
69
Wirbelstrom (2)
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
F
QBv
Hallsonde
I
U d BR
Magnetfeldmessung, Hallmultiplikator
U
kB
dZ dt
Gleichstromdynamo, Beschleunigungsmesser
Q
const B 2GZ 2 2S f
In einem elektrisch leitfähigen Körper, der sich in einem Wechselmagnetfeld befindet, entsteht infolge von Wirbelströmen Wärme.
Induktionserwärmung
70
U
Thermoeffekt
361
Z
D S T2 T1
Fließt Strom durch eine Metallkombination (Thermoelement), so entsteht zwischen den beiden Berührungsstellen eine Temperaturdifferenz.
Temperaturmessung, Thermoelement
71
Q SI
Peltier-Effekt
Erwärmung bzw. Abkühlen an einer Phasengrenze zweier verschiedener elektronischer oder ionischer Leiter bei Stromfluss (Umkehrung des Thermoeffekts).
Kühlaggregat
362
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Nr.
Name Beschreibung
72
Beispiel
Halbleiter
Material, mit einer elektrischen Leitfähigkeit, die je nach Temperatur zwischen derer metallischer Leiter (T hoch) und nicht metallischen Isolatoren (T bei 0 K) variiert. 73
Formel
Prinzipskizze
I
§ eU · I SP ¨ e kT 1¸ ¨ ¸ © ¹
Diode
Transistoren
Besteht aus einem in Durchlassrichtung und einem in Sperrrichtung gepolten Gleichrichter. Computertechnik, Transistorradio 74
Elektrokinetischer Effekt
An der Oberfläche eines Festkörpers bildet sich eine elektrochemische Doppelschicht. Es kommt zur Ladungstrennung und es entsteht elektrischer Strom. 75
Laser
Der Übergang vieler Atome in den Grundzustand führt zu einer intensiven, monochromatischen, kohärenten und eng gebündelten Strahlung. 77
H r H 0[ l pd KN
lK v [H r H 0
Hydroelektrische Wasserpumpe
Stoßionisation
Tritt in einer gasgefüllten Röhre ein hochenergetisches Teilchen ein, ionisiert dieses ein Gasatom. In Folge Sekundärionisation entsteht eine Ladungslawine. 76
U
Vakuumentladung
Elektrische Entladung im Vakuum zwischen zwei Leiterplatten.
Zählrohr
'E
h f
hc
O
Laserschweißen, Laserpointer
U ak
const. I a
23
Elektronenstrahlröhre, Diode
A3 Wirkebene Nr.
Name Beschreibung
78
Änderung des Aggregatzustands
Eine Aggregatszustandsänderung ist immer mit Energiezufuhr oder -abfuhr bei konstanter Temperatur am Phasenübergang verbunden. 79
363
Formel
Prinzipskizze
Beispiel Bei Phasenübergang gilt:
T
const.
Temperaturkonstanthalter
Wärmedehnungsanomalie
Wasser hat unter Normaldruck bei 3,98 °C das kleinste Volumen und die größte Dichte, es dehnt sich bei Erwärmung und bei Abkühlung.
Sprengen von Gestein mit Wasser
80
'l
Wärmedehnung
l0D 'T D EA'T k lT 1 lT0
Bei zunehmender Temperatur dehnen sich Körper aus, wobei ein linearer Zusammenhang zwischen Temperatur und Längenänderung festzustellen ist.
Thermostat, Thermometer, Bimetall, Schrumpfsitz
81
Q
Konvektion
F
Wärmeübertragung mit gleichzeitigem Stofftransport durch freie oder erzwungene Strömung von Materie.
h ATW TF
Heizkörper, Wärmetauscher 82
Wärmeleitung
Wärmetransport im Inneren eines Körpers oder einer Phase durch Gitterschwingungen und bewegliche Ladungsträger.
83
Wärmespeicherung
Q
OA l
T1 T2
Wärmetauscher, Isolator
Q
c m T2 T1
Ein Wärmespeicher ist ein Körper, der als Energiesenke fungiert und Wärme aufnimmt. Kachelofen
364
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Nr.
Name Beschreibung
84
Wärmestrahlung
Wärmeübergang durch elektromagnetische Strahlung; im Vakuum einzige Form des Wärmetransports.
85
Formel
Prinzipskizze
Beispiel
Q
4
4
Heizflächen, Heizstrahler
Saite
Seilartiger, schwingungsfähiger Körper, der zwischen zwei Punkten eingespannt ist.
eVA T2 T1
f
1 2l
1 F AU
Frequenzeinstellung bei Saiteninstrumenten (Gitarre) 86
Dopplereffekt
Ein Beobachter nimmt das Herannahen einer Schall- oder Lichtquelle als Frequenzerhöhung, ein Entfernen als Frequenzerniedrigung wahr. 87
Schalldruck
Durch die Schallschwingung hervorgerufener Wechseldruck; analog zum mechanischen Druck.
fE
fS
1 vE c 1 vS c
Geschwindigkeitsmessung
F
U cAv
Mikrofon
A3 Wirkebene
365
A3-3 Widerspruchsorientierte Lösungssuche Die von Altschuller begründete Methode nimmt ihren Ausgangspunkt bei Zielkonflikten, die auf Widersprüchen innerhalb eines technischen Systems basieren. Die Verbesserung eines Parameters (Teilziels) des Systems bewirkt dabei die gleichzeitige Verschlechterung eines anderen Parameters (Teilziels). Durch die Anwendung allgemeiner Lösungsprinzipien ist es hier möglich, die Widersprüche aufzulösen und innovative Lösungsideen zu generieren. Der Zugriff auf geeignete Prinzipien kann über die sogenannte Widerspruchsmatrix erfolgen. Dieser Ansatz ist ein Bestandteil der TRIZ-Methodik [Altschuller 1984, Terninko et al. 1996]. Nr
Schritt
Methoden und Werkzeuge
1
Abstraktion der Problemstellung: Formulierung als technischer Widerspruch, Zuordnung der sich widersprechenden Merkmale des Systems zu vorgegebenen technischen Parametern
Relationsorientierte Funktionsmodellierung, Problemformulierung, 39 technische Parameter nach Altschuller
2
Lösungssuche auf abstraktem Niveau: Auswählen geeigneter allgemeiner Lösungsprinzipien
Widerspruchsmatrix, 40 Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche nach Altschuller
3
Übertragung auf die Problemstellung: Anwendung der Lösungsprinzipien auf das konkrete technische Problem
Kreativitätstechniken (zum Beispiel Brainstorming, Methode 6-3-5), Systematische Variation
366
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A3-4 Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche Die Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche stellen allgemeine Gestaltungsprinzipien dar, welche die Lösungssuche bei Vorliegen von Widersprüchen zwischen technischen Parametern unterstützen. Die Prinzipien wurden von Altschuller auf Basis einer umfassenden Patentanalyse aufgestellt und müssen aufgrund der abstrakten Formulierung bei der Übertragung auf spezifische Probleme konkretisiert werden [Altschuller 1984, Terninko et al. 1996]. Die Prinzipien lassen sich auf Basis von Zweierkombinationen von technischen Parametern, die miteinander im Widerspruch stehen, auswählen. Als Hilfsmittel zur zielgerichteten Auswahl aus der Gesamtmenge von vierzig Prinzipien steht hierfür die so genannte Widerspruchsmatrix zur Verfügung.
39 technische Parameter nach Altschuller 1. Masse eines beweglichen Objektes Die von der Schwerkraft verursachte Kraft, die ein bewegtes Objekt auf die ihn vor dem Fallen bewahrende Auflage ausübt. Ein bewegtes Objekt verändert seine Position aus sich hieraus oder aufgrund externer Kräfte. 2. Masse eines unbeweglichen Objektes Die von der Schwerkraft verursachte Kraft, die ein stationäres Objekt auf seine Auflage ausübt. Ein stationäres Objekt verändert seine Position weder aus sich heraus noch aufgrund externer Kräfte. 3. Länge eines beweglichen Objektes Länge, Höhe oder Breite eines Körpers in Bewegungsrichtung. Die Bewegung kann intern oder durch externe Kräfte verursacht sein. 4. Länge eines unbeweglichen Objektes Länge, Höhe oder Breite eines Körpers in der durch keine Bewegung gekennzeichneten Richtung. 5. Fläche eines beweglichen Objektes Ebene bzw. Teilebene eines Objektes, welche aufgrund interner oder externer Kräfte ihre räumliche Position verändert. 6. Fläche eines unbeweglichen Objektes Ebene bzw. Teilebene eines Objektes, welche aufgrund interner oder externer Kräfte ihre räumliche Position nicht verändern kann.
A3 Wirkebene
367
7. Volumen eines beweglichen Objektes Volumen eines Objektes, welches aufgrund interner oder externer Kräfte seine räumliche Position verändert. 8. Volumen eines unbeweglichen Objektes Volumen eines Objektes, welches aufgrund interner oder externer Kräfte seine räumliche Position nicht verändern kann. 9. Geschwindigkeit Das Tempo, mit dem eine Aktion oder ein Prozess zeitlich vorangebracht wird. 10. Kraft Die Fähigkeit, physikalische Veränderungen an einem Objekt hervorrufen zu können. Die Veränderung kann vollständig oder teilweise, permanent oder temporär sein. 11. Spannung oder Druck Die Intensität der auf ein Objekt einwirkenden Kräfte, gemessen als Kraft oder Spannung pro Fläche. 12. Form Die äußerliche Erscheinung oder Kontur eines Objektes. Die Form kann sich vollständig oder teilweise, permanent oder temporär aufgrund einwirkender Kräfte verändern. 13. Stabilität der Zusammensetzung des Objektes Die Widerstandsfähigkeit eines ganzen Objektes gegen aufgezwungene Formänderungen oder Instabilität. 14. Festigkeit Die Fähigkeit eines Objektes, innerhalb definierter Grenzen Kräfte oder Belastungen auszuhalten, ohne zerstört zu werden. 15. Haltbarkeit (Dauer des Wirkens) eines beweglichen Objektes Die Zeitspanne, während der ein sich räumlich bewegendes Objekt in der Lage ist, seine Funktion erfolgreich zu erfüllen. 16. Haltbarkeit (Dauer des Wirkens) eines unbeweglichen Objektes Die Zeitspanne, während der ein räumlich fixiertes Objekt in der Lage ist, seine Funktion erfolgreich zu erfüllen.
368
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
17. Temperatur Der Verlust oder Gewinn von Wärme als mögliche Gründe für Verlängerungen an einem Objekt während des geforderten Funktionsablaufes. 18. Helligkeit (Sichtverhältnisse) Lichtenergie pro beleuchteter Fläche, Qualität und Charakteristik des Lichtes, Grad der Ausleuchtung. 19. Energieverbrauch eines beweglichen Objektes Der Energiebedarf eines sich aufgrund interner oder externer Kräfte räumlich bewegenden Objektes. 20. Energieverbrauch eines unbeweglichen Objektes Der Energiebedarf eines sich trotz äußerer Kräfte räumlich nicht bewegenden Objektes. 21. Leistung, Kapazität Das für die betreffende Aktion benötigte Verhältnis aus Aufwand und Zeit. Dient zur Charakterisierung benötigter, aber unerwünschter Veränderungen in der Leistung eines Systems. 22. Energieverluste Unfähigkeit eines Objektes Kräfte auszuüben, insbesondere wenn nicht gearbeitet oder produziert wird. 23. Materialverluste Abnahme oder Verschwinden von Material, insbesondere wenn nicht gearbeitet oder produziert wird. 24. Informationsverluste Abnahme oder Verlust an Informationen oder Daten. 25. Zeitverluste Zunehmender Zeitbedarf zur Erfüllung einer vorgegebenen Funktion. 26. Materialmenge Die benötigte Zahl an Elementen oder die benötigte Menge eines Elementes für die Erzeugung eines Objektes. 27. Zuverlässigkeit (Sicherheit) Die Fähigkeit, über eine bestimmte Zeit oder Zyklenanzahl die vorgegebene Funktion erfüllen zu können.
A3 Wirkebene
369
28. Messgenauigkeit Der Grad an Übereinstimmung zwischen gemessenem und wahrem Wert der zu messenden Eigenschaft. 29. Fertigungsgenauigkeit Das Maß an Übereinstimmung mit Spezifikationen. 30. Von außen auf das Objekt wirkende schädliche Faktoren Die auf ein Objekt einwirkenden, Qualität und Effizienz beeinflussenden äußeren Faktoren. 31. Vom Objekt selbst erzeugte schädliche Faktoren Intern erzeugte Effekte, die Qualität und Effizienz eines Objektes beeinträchtigen. 32. Fertigungsfreundlichkeit Komfort und Einfachheit, mit der ein Produkt erzeugt werden kann. 33. Bedienkomfort Komfort und Einfachheit, mit der ein Objekt bedient oder benutzt werden kann. 34. Instandsetzungsfreundlichkeit (Reparaturfreundlichkeit) Komfort und Einfachheit, mit der ein Objekt nach Beschädigung oder Abnutzung wieder in den arbeitsfähigen Zustand zurückversetzt werden kann. 35. Adaptionsfähigkeit, Universalität Die Fähigkeit, sich an veränderliche externe Bedingungen anpassen zu können. 36. Kompliziertheit der Struktur Anzahl und Diversität der Einzelbestandteile einschließlich deren Verknüpfung. Weiterhin ist die Schwierigkeit, ein System als Benutzer zu beherrschen, gemeint. 37. Kompliziertheit der Kontrolle und Messung Anzahl und Diversität von Elementen bei der Steuerung und Kontrolle des Systems, aber auch der Aufwand, mit akzeptabler Genauigkeit zu messen. 38. Automatisierungsgrad Die Fähigkeit, ohne menschliche Interaktion zu funktionieren. 39. Produktivität (Funktionalität) Das Verhältnis zwischen Zahl der abgeschlossenen Aktionen und des dazu notwendigen Zeitbedarfes.
370
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Widerspruchsmatrix (1 / 10)
Form
Stabilität der Zusammensetzung des Objekts
Festigkeit
Dauer des Wirkens des beweglichen Objekts
Dauer des Wirkens des unbeweglichen Objekts
Temperatur
Sichtverhältnisse
Energieverbrauch des beweglichen Objekts
Energieverbrauch des unbeweglichen Objekts
18
19
20
5
6
19
35
Kraft
17
28
Spannung oder Druck
16
1
Geschwindigkeit
15
10
9
10
11
8
17
2
8
10
36
14
35
27
34
29
1
12
29
38
40
15
18
37
35
19
18
31
4
32
34
34
34
28
38
37
40
40
39
40
35
38
31
10
35
5
8
13
13
26
28
2
28
19
18
1
30
35
10
29
10
39
2
27
19
32
19
29
13
14
19
10
29
1
10
19
32
35
28
35
2
2
35
18
14
40
27
6
22
1
1
1
8
7
13
17
15
17
17
4
10
8
8
8
35
15
35
29
4
4
8
4
35
10
15
29
19
24
29
34
34
35
19
10
1
15
32
35
17
35
28
1
13
39
15
1
3
3
28
7
8
10
14
14
37
14
40
35
25
40
10
2
35
15
35
28
35
39
29
40
14
7
26
8
18
2
14
7
29
19
10
5
11
3
6
2
15
19
17
15
14
30
30
15
34
2
15
3
15
32
32
29
18
17
4
35
36
29
13
40
16
19
4
34
4
4
6 Fläche des unbeweglichen Objekts
4 30 2 14
9
18
8 Volumen des unbeweglichen Objekts
14
10
8
8
4 Länge des unbeweglichen Objekts
7 Volumen des beweglichen Objekts
13
8
7 29
34
5 Fläche des beweglichen Objekts
12
2
Volumen des unbeweglichen Objekts
6
29
2 Masse des unbeweglichen Objekts 3 Länge des beweglichen Objekts
5
15
Volumen des beweglichen Objekts
4
Fläche des beweglichen Objekts
3
Fläche des unbeweglichen Objekts
2
Länge des unbeweglichen Objekts
1
1 Masse des beweglichen Objekts
Länge des beweglichen Objekts
Masse des beweglichen Objekts
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Masse des unbeweglichen Objekts
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
2
28
39
14
26
1
10
2
40
38
13 2
35
7
18
15
10
39
9
35
36
19
38
39
36
37
30
2
1
1
29
15
6
1
28
9
6
34
2
26
7
7
4
35
35
15
10
14
35
39
13
4
10
10
29
4
4
38
36
36
29
1
15
40
35
17
34
37
37
4
39
7
18
35
19
35
2
24
7
34
9
35
35
10
14
8
18
35
2
28
14
34
6
19
2
37
35
35
17
38
4
14
14
40
15
35
A3 Wirkebene
371
Widerspruchsmatrix (2 / 10)
4 Länge des unbeweglichen Objekts
Zeitverluste
Materialmenge
Zuverlässigkeit
Meßgenauigkeit
Fertigungsgenauigkeit
Von außen auf das Objekt wirkende Schädliche Faktoren
Vom Objekt selbst erzeugte schädliche Faktoren
Fertigungsfreundlichkeit
Bedienkomfort
Instandsetzungsfreundlichkeit
Adaptionsfähigkeit, Universalität
Kompliziertheit der Struktur
Kompliziertheit der Kontrolle und Messung
Automatisierungsgrad
Produktivität
3 Länge des beweglichen Objekts
Informationsverluste
2 Masse des unbeweglichen Objekts
Energieverluste
1 Masse des beweglichen Objekts
Materialverluste
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Leistung, Kapazität
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
12
6
5
10
10
3
3
28
28
22
22
27
35
2
29
26
28
26
35
36
2
35
24
35
26
11
27
35
21
35
28
3
27
5
30
29
35
3
18
34
3
35
20
18
1
35
26
18
31
1
2
28
15
36
36
18
24
31
19
31
28
31
27
26
18
27
39
36
24
11
8
34
32
19
37
15
18
5
10
10
19
10
18
10
2
35
28
6
2
19
1
25
2
1
19
19
8
15
20
6
28
26
1
19
22
1
13
27
15
10
28
26
28
18
28
13
35
35
18
8
28
35
22
1
9
29
26
17
35
15
22
15
30
26
26
3
27
37
39
39
15
1
1
4
1
15
29
10
28
10
1
17
35
2
29
24
2
35
14
32
28
15
15
35
23
29
4
29
17
29
40
1
28
32
11
1
15
1
14
1
35
17
29
29
28
15
19
1
24
4
17
35
10
1
26
26
26
28
16
24
24
16
29
1
1
26
35
26
39
10
37
24
12
6
10
24
30
15
32
2
1
15
2
8
28
28
26
29
29
28
32
18
17
25
14
28
3
10
24
4 3
35
30 14
27
7
35
5 Fläche des beweglichen Objekts 6 Fläche des unbeweglichen Objekts 7 Volumen des beweglichen Objekts 8 Volumen des unbeweglichen Objekts
11
26
19
15
10
30
26
29
29
26
2
22
17
13
15
15
15
14
2
14
10
10
17
35
26
4
30
9
28
32
33
2
1
17
13
30
1
36
30
26
32
30
2
6
32
28
18
26
13
10
13
26
28
34
18
26
39
13
3
1
39
24
16
1
18
23
2
17
17
10
30
10
27
22
40
16
16
23
10
7
14
16
16
4
30
18 39
32
35
7
36
2 22
2
32
26
2
35
18
35
28
29
2
1
4
40
40
32
18
39
40
18
4
4
3
36
35
2
14
14
25
25
22
15
1
2
16
18
35
15
36
30
17
18 17
29
15
6
15
39
6
1
1
26
28
21
2
1
13
13
13
34
34
40
40
28
2
27
40
40
30
18
16
10
10
11
11
16
35
1
30
10
35
35
2
35
34
30
6
39
16
3
35
10
39
18
35
32
16
25
19
35
34
18
27
4
10
26
29
35
10
29
1
26
34
6
4
16
2
24
34
12 35
1
7
15
1
2
35
31
17
37
26
10 2
372
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Widerspruchsmatrix (3 / 10)
Festigkeit
Dauer des Wirkens des beweglichen Objekts
Dauer des Wirkens des unbeweglichen Objekts
Temperatur
Sichtverhältnisse
Energieverbrauch des beweglichen Objekts
Energieverbrauch des unbeweglichen Objekts
3
28
10
8
28
14
30
29
28
18
15
33
3
19
30
13
15
13
8
34
34
15
38
18
1
26
35
36
19
35
19
40
34
18
14
5
2
38
Kraft
20
8
Spannung oder Druck
19
28
Geschwindigkeit
18
35
Volumen des unbeweglichen Objekts
17
6
Volumen des beweglichen Objekts
16
13
4
Fläche des beweglichen Objekts
15
7
3
Fläche des unbeweglichen Objekts
14
29
2
Länge des unbeweglichen Objekts
13
13
1
Länge des beweglichen Objekts
12
8
Masse des beweglichen Objekts
Form
9 Geschwindigkeit
Masse des unbeweglichen Objekts
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Stabilität der Zusammensetzung des Objekts
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
5
6
7
8
9
10
11
38
10 Kraft
11 Spannung oder Druck
12 Form
13 Stabilität der Zusammensetzung 14 Festigkeit
15 Dauer des Wirkens des beweglichen Objekts 16 Dauer des Wirkens des unbeweglichen Objekts
8
18
17
28
19
1
15
2
13
18
10
35
35
19
35
19
1
1
13
19
10
10
18
9
36
28
21
35
10
10
2
10
17
16
15
36
12
18
15
11
40
21
21
10
37
37
37
12
37
1
9
18
28
36
10
13
35
35
10
10
6
35
6
36
35
35
9
19
35
14
36
29
10
1
15
15
35
24
35
35
4
33
18
3
39
24
37
10
36
14
36
36
10
36
21
15
2
3
27
19
10
40
18
16
28
37
10
40
40
8
15
29
13
5
14
7
35
35
34
33
30
14
22
13
10
10
34
14
34
4
2
15
10
15
1
14
26
14
15
6
29
26
5
10
4
15
35
34
37
10
18
10
9
19
32
34
4
40
3
4
7
10
21
26
13
37
2
22
35
39
15
2
1
1
39
40
28
1
40
1
15
3
9
8
26
15
14
34
40
27
8
28
40
15
1
35
26
29
34
14 27
2
37
18
40
14
40
25
34
33
10
2
22
17
13
39
35
32
13
11
10
28
15
35
35
1
9
27
3
1
3
19
13
19
35
28
21
40
18
15
10
35
32
27
39
40
18
16
35
23
10
9
8
10
10
10
13
27
30
35
19
40
15
14
13
18
3
30
17
3
10
19
35
28
14
17
26
3
18
35
35
26
40
7
15
14
14
40
40
4
32
2
28
39
14
15
10
2
3
10
3
19
19
14
13
27
19
2
19
17
2
35
2
3
26
3
3
35
19
6
34
9
19
19
5
16
27
28
35
10
39
4
35
35
18
30
25
1
35
27
40
19
35
16
39
19
34
3
18
38
35
36
23
40
4 18
5
6
27 29
19
31
36 37
28
35
A3 Wirkebene
373
Widerspruchsmatrix (4 / 10)
10 Kraft
11 Spannung oder Druck
Energieverluste
Informationsverluste
Zeitverluste
Materialmenge
Zuverlässigkeit
Meßgenauigkeit
Fertigungsgenauigkeit
Von außen auf das Objekt wirkende schädliche Faktoren
Vom Objekt selbst erzeugte schädliche Faktoren
Fertigungsfreundlichkeit
Bedienkomfort
Instandsetzungsfreundlichkeit
Adaptionsfähigkeit, Universalität
Kompliziertheit der Struktur
Kompliziertheit der Kontrolle und Messung
Automatisierungsgrad
Produktivität
9 Geschwindigkeit
Materialverluste
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Leistung, Kapazität
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
19
14
10
13
10
11
28
10
1
2
35
32
34
15
10
3
10
35
20
13
26
19
35
32
28
28
24
13
28
2
10
28
34
18
38
19
28
29
27
1
32
35
35
8
13
28
26
4
27
2
35
38
38
28
24
25
23
21
1
12
27
34
16
19
14
8
10
14
3
35
28
1
13
15
1
15
15
36
36
2
3
35
15
35
37
29
35
10
29
35
3
37
28
1
17
35
37
35
28
18
40
36
11
18
10
10
37
5
20
18
19
35
19
2
35
10
21
14
18
13
23
37
40
36
18
3
36
21
24
36
18
24
1
25 11
10
2
10
37
10
10
6
3
22
2
1
35
36
36
36
14
13
28
35
2
33
35
1
36
14
25
3
4
36
19
25
37
27
16
35
37
37
12 Form
13 Stabilität der Zusammensetzung 14 Festigkeit
4
14
35
2
35 37
35
18
37
35
14
36
10
28
32
22
35
1
32
2
1
16
15
15
17
6
29
10
22
40
32
30
1
1
32
15
13
15
29
13
1
26
2
3
34
16
1
40
2
17
26
1
29
1
39
32
34
5
17
35
28
32
14
2
35
15
35
2
14
27
27
39
30
31
6
40
10
35
35
29
35
35
32
2
35
2
35
1
23
32
24
40
19
35
35
30
35
22
8
35
35
30
27
30
10
34
22
39
35
40
18
39
16
2
26
23
15
2
27
15
29
29
11 3
28
3
10
35
31
28
25
28
40
10
15 Dauer des Wirkens des beweglichen Objekts
19
28
10
16 Dauer des Wirkens des unbeweglichen Objekts
18
3
3
18
15
27
27
35 37
32
27
35
3
40
11
3
13
3
35
22
10
28
3
32
28
15
10
1
2
32
2
10
40
3
22
21
27
12
29
1
4
19
6
35
27
10
35
29
29
10
17
27
13
15
39
16
3
11
27
10
35
2
27
15
39
1
35
3
28
10
13
16
33
16
4
38
18
18
40
40
28
22
16
27
28
3
34
10
17
22
16
20
35
27
26
1
18
10
31
6
24
38
16
40
3
3
11
20
10
10
35
26
10
13
28
14
14
35 35 10
1
1
2
25
19 1
20
34
10
40
6
16
33
35
38
374
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Widerspruchsmatrix (5 / 10)
Volumen des unbeweglichen Objekts
Geschwindigkeit
Kraft
Spannung oder Druck
Form
Stabilität der Zusammensetzung des Objekts
Festigkeit
Dauer des Wirkens des beweglichen Objekts
Dauer des Wirkens des unbeweglichen Objekts
Temperatur
Sichtverhältnisse
Energieverbrauch des beweglichen Objekts
Energieverbrauch des unbeweglichen Objekts
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
15
15
3
25
34
35
2
35
35
14
1
10
19
19
32
19
22
35
19
19
35
38
39
6
28
10
39
22
35
30
13
18
30
15
6
32
9
9
39
40
4
36
3
19
19
32
22
39
36
21
3
18
18
30
21
2
32
40
16
17
38
18 Sichtverhältnisse
Volumen des beweglichen Objekts
Fläche des beweglichen Objekts
3
22
Fläche des unbeweglichen Objekts
Länge des unbeweglichen Objekts
2
36
Länge des beweglichen Objekts
1
17 Temperatur
Masse des unbeweglichen Objekts
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Masse des beweglichen Objekts
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
40
19
2
19
19
2
10
26
32
32
35
2
32
32
32
1
35
32
32
13
13
19
30
3
19
19
35
1
35
32
32
16
26
10
19
6
6
19
19
27
1 15
19 Energieverbrauch des beweglichen Objekts
12
12
15
35
8
16
23
12
19
5
28
19
2
18
28
19
13
15
26
14
2
13
19
35
24
15
25
18
35
21
25
29
19
28
20 Energieverbrauch des unbeweglichen Objekts 21 Leistung, Kapazität
22 Energieverluste
23 Materialverluste
24 Informationsverluste
17
9
6
3
2
24
35
18
14
19
36
27
35
9
37
4
2
29
35
31
6 27
19
18
32
8
19
1
19
17
35
30
15
26
22
29
35
26
19
36
26
10
38
32
6
6
35
2
10
14
32
10
38
17
35
13
38
25
2
36
35
2
15
28
31
27
37
40
31
15
19
7
6
15
17
7
7
16
36 38
38
35
14
16
2
16
35
14
6
6
10
17
19
19
38
25
26
16
37
19
1
2
38
13
39
7
6
6
2
38
26
7
18
35
19
18
6
7
17
30
23
38
28
9
13
30
18
35
35
14
10
35
10
1
3
10
14
3
29
2
35
28
27
21
1
35
28
6
6
29
28
2
18
29
39
13
15
36
35
14
28
27
16
36
6
18
27
23
22
10
24
10
39
30
18
28
18
37
3
30
31
3
18
39
13
24
12
40
32
39
31
31
36
31
38
40
10
5
40
40
18
38
31
5
31
10
10
1
30
30
2
26
10
10
24
35
26
26
16
22
32
35
5
26
6
32 15
19
A3 Wirkebene
375
Widerspruchsmatrix (6 / 10)
19 Energieverbrauch des beweglichen Objekts
Materialverluste
Zeitverluste
Materialmenge
Zuverlässigkeit
Meßgenauigkeit
Fertigungsgenauigkeit
Von außen auf das Objekt wirkende schädliche Faktoren
Vom Objekt selbst erzeugte schädliche Faktoren
Fertigungsfreundlichkeit
Bedienkomfort
Instandsetzungsfreundlichkeit
Adaptionsfähigkeit, Universalität
Kompliziertheit der Struktur
Kompliziertheit der Kontrolle und Messung
Automatisierungsgrad
Produktivität
18 Sichtverhältnisse
Informationsverluste
17 Temperatur
Energieverluste
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Leistung, Kapazität
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
2
21
21
35
3
19
32
24
22
22
26
26
4
2
2
3
26
15
14
17
36
28
17
35
19
33
35
27
27
10
18
17
27
2
28
17
35
39
21
30
3
24
35
2
16
27
16
35
19
35
25
38
31
18
39
10
2
24
31
16
13
13
1
19
1
11
3
15
35
19
28
15
15
6
32
2
2
16
1
6
1
19
15
32
19
19
35
26
17
1
32
15
26
25
32
28
19
13
19
13
10
16
39
26
32
1
26
6
17
6
12
35
35
34
19
3
1
2
28
19
1
15
2
35
32
12
22
24
38
23
21
1
35
35
26
35
15
17
29
38
2
28
37
15
18
19
16
11
32
6
6
30
17
13
27
18
24
5
18
18
27
27
28
16
28
28
3
10
10
19
1
19
1
27
35
36
2
22
4
35
6
18
31
23
22
18
31
21 Leistung, Kapazität
23 Materialverluste
24 Informationsverluste
16
19
20 Energieverbrauch des unbeweglichen Objekts
22 Energieverluste
32
35
16
37
25
10
28
10
35
4
19
32
32
19
2
26
26
35
19
20
19
28
28
35
27
19
20
34
24
15
2
22
35
10
35
2
17
19
35
2
35
38
18
10
19
26
2
31
18
34
10
10
34
30
16
17
34
38
6
31
2 32
34
34
3
35
19
10
7
11
21
21
35
2
7
35
28
38
27
10
18
18
10
22
35
22
19
23
3
10
2
32
25
35
35
2
1
15
29
37
7
2
22
23
35
28
35
15
6
10
16
35
33
10
15
32
2
15
35
35
35
28
27
27
18
3
29
34
10
22
2
34
28
35
10
10
18
10
35
18
2
35
10
39
31
24
30
34
33
2
34
2
28
10
18
10
38
31
10
24
35
28
31
40
29
24
27
24
13
10
19
24
24
10
22
10
19
10
26
28
28
10
21
28
35
23
1
22
32
32
27
35
22
33
23 35
13 23 15
376
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Widerspruchsmatrix (7 / 10)
Volumen des beweglichen Objekts
Volumen des unbeweglichen Objekts
Geschwindigkeit
Kraft
Spannung oder Druck
Form
Stabilität der Zusammensetzung des Objekts
Festigkeit
Dauer des Wirkens des beweglichen Objekts
Dauer des Wirkens des unbeweglichen Objekts
Temperatur
Sichtverhältnisse
Energieverbrauch des beweglichen Objekts
Energieverbrauch des unbeweglichen Objekts
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
15
30
26
10
2
35
10
37
4
35
29
20
28
35
1
35
1
20
20
2
24
4
35
5
16
37
36
10
3
3
10
20
29
19
38
37
26
29
14
5
17
34
32
36
4
34
22
28
28
10
21
26
19
35
5
5
16
4
10
18
5
17
5
18
18
16
18
17
18
35
27
29
15
2
15
35
35
10
35
15
14
3
3
3
34
3
6
26
14
14
18
20
29
14
36
14
2
35
35
35
17
29
35
18
18
35
29
40
29
34
3
14
17
34
10
31
39
16
31
31
35
18
3
40
10
40
3
3
15
15
17
32
3
2
21
8
10
35
11
2
34
3
11
21
36
8
10
9
29
10
35
10
35
35
28
24
1
28
35
27
35
32
11
23
10
8
14
28
14
40
14
24
11
10
35
16
3
6
10
13
27
40
28
4
11
16
4
24
28
3
19
11
25
40
32
28
28
32
26
26
32
28
32
6
6
32
28
28
10
6
6
35
34
26
28
28
28
13
13
2
28
28
35
6
6
26
19
1
6
26
25
5
3
32
32
6
32
32
32
13
32
32
24
28
32
32
28
26
16
16
3
3
28
28
10
2
28
2
32
25
10
28
3
32
30
3
2
19
1
32
32
35
28
32
33
29
28
10
28
19
35
30
18
27
27
26
32
2
13
27
29
10
29
18
2
35
32
34
26 Materialmenge
27 Zuverlässigkeit
28 Meßgenauigkeit
29 Fertigungsgenauigkeit
Fläche des beweglichen Objekts
Fläche des unbeweglichen Objekts
3
10
Länge des unbeweglichen Objekts
2
10
Länge des beweglichen Objekts
1
25 Zeitverluste
Masse des unbeweglichen Objekts
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Masse des beweglichen Objekts
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
4
28
18
24
19 3
24
40
40
18
9
37
32
36
30 Von außen auf das Objekt wirkende schädliche Faktoren 31 Vom Objekt selbst erzeugte schädliche Faktoren
22
2
17
1
22
27
22
34
21
36 13
22
22
35
18
22
17
22
1
1
21
22
1
18
1
2
23
39
22
35
2
1
24
35
15
1
33
19
24
2
27
13
39
33
39
37
19
35
39
37
3
30
37
33
40
35
32
6
22
39
24
4
28
35
35
27
28
18
35
18
1
28
33
2
13
27
37
19
35
17
17
22
17
30
35
35
2
35
35
15
15
21
22
19
2
19
22
22
15
2
1
2
18
28
28
33
1
40
35
22
39
35
24
35
22
15
1
16
18
40
40
35
3
1
27
27
22
33
16
2
39
6
18
39
39
22
4
23
40
18
39
2
31
22
24
32
32 Fertigungsfreundlichkeit
28
1
1
15
13
16
13
35
35
35
35
1
11
1
27
35
27
28
28
1
29
27
29
17
1
40
29
13
12
19
28
13
3
1
16
26
24
26
4
15
36
13
27
26
1
8
1
13
1
10
4
18
27
27
16
13
17
12
40
1
37
27
1
1
39
32
10
A3 Wirkebene
377
Widerspruchsmatrix (8 / 10)
Materialverluste
Zeitverluste
Materialmenge
Zuverlässigkeit
Meßgenauigkeit
Fertigungsgenauigkeit
Von außen auf das Objekt wirkende schädliche Faktoren
Vom Objekt selbst erzeugte schädliche Faktoren
Fertigungsfreundlichkeit
Bedienkomfort
Instandsetzungsfreundlichkeit
Adaptionsfähigkeit, Universalität
Kompliziertheit der Struktur
Kompliziertheit der Kontrolle und Messung
Automatisierungsgrad
Produktivität
26 Materialmenge
Informationsverluste
25 Zeitverluste
Energieverluste
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Leistung, Kapazität
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
35
10
35
24
35
10
24
24
35
35
35
4
32
35
6
18
24
20
5
18
26
38
30
34
26
18
22
28
28
1
28
29
28
28
10
18
10
28
18
4
28
28
34
18
34
10
10
32
35
6
32
39
32
16
32
18
39
4
34
10
30
35
7
6
24
35
18
3
33
35
3
29
35
2
15
3
3
8
13
18
3
28
38
3
2
30
33
35
1
29
32
3
13
27
35
29
25
10
35
18
28
28
29
40
35
25
10
29
27
29
3
16
40
31
39
27
10
25
10
18
27
24
27 Zuverlässigkeit
21
10
10
10
10
21
32
11
27
35
27
1
13
13
27
11
1
11
11
35
28
30
28
3
32
35
2
17
11
35
35
40
13
35
26
35
29
4
40
11
1
40
8
1
28
27
29
3
23
31
28 Meßgenauigkeit
29 Fertigungsgenauigkeit
39
2
40
40
26
24
38
3
26
10
24
2
5
28
3
6
1
1
13
27
26
28
10
6
32
16
34
6
11
24
33
35
13
32
35
35
24
2
34
32
27
31
28
32
1
22
39
25
17
13
2
10
32
10
28
28
32
23
26
10
18
34
11
34
28
34
32
32
13
35
32
32
11
26
4
1
25
26
26
10
2
32
31
26
30
32
28
17
32
10
2
28
18
2
10
28
1
10
34
35
18
18
32
24
18
36
26
23
23
39
30 Von außen auf das Objekt wirkende schädliche Faktoren 31 Vom Objekt selbst erzeugte schädliche Faktoren
19
21
33
22
35
35
27
28
26
24
2
35
35
22
22
33
22
22
22
22
10
18
33
24
33
28
35
25
10
11
19
19
3
35
31
35
19
2
34
29
2
23
10
2
28
2
22
29
29
34
13
2
2
40
31
40
26
18
31
40
40
2
21
10
10
1
3
24
3
4
19
2
35
35
1
21
22
24
2
33
17
1
21
35
18
2
34
29
39
40
26
34
31
27
18
1
39
32 Fertigungsfreundlichkeit
27
19
15
32
35
35
1
24
2
35
2
27
6
8
1
35
34
24
28
23
35
2
5
1
13
26
28
28
1
33
18
34
1
12
13
11
15
1
11
1
10
16
4
24
18
16
9
22
12 24
39
26
24 2
1
1
22
39 35
28
378
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Widerspruchsmatrix (9 / 10)
Masse des beweglichen Objekts
Länge des beweglichen Objekts
Länge des unbeweglichen Objekts
Fläche des beweglichen Objekts
Fläche des unbeweglichen Objekts
Volumen des beweglichen Objekts
Volumen des unbeweglichen Objekts
Kraft
Spannung oder Druck
Form
Stabilität der Zusammensetzung des Objekts
Festigkeit
Dauer des Wirkens des beweglichen Objekts
Dauer des Wirkens des unbeweglichen Objekts
Temperatur
Sichtverhältnisse
Energieverbrauch des beweglichen Objekts
Energieverbrauch des unbeweglichen Objekts
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
33 Bedienkomfort
25
6
1
1
18
1
4
18
28
2
15
32
32
29
1
26
13
1
34 Instandsetzungsfreundlichkeit 35 Adaptionsfähigkeit, Universalität 36 Kompliziertheit der Struktur
37 Kompliziertheit der Kontrolle und Messung 38 Automatisierungsgrad
39 Produktivität
Geschwindigkeit
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Masse des unbeweglichen Objekts
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
2
13
17
17
16
16
18
13
13
32
34
35
40
3
16
27
17
13
13
1
13
13
15
35
39
34
35
12
29
30
3
8
25
13
1
24
15
25
12
26
39
15
31
28
25
1
28
2
2
1
3
15
16
25
27
27
28
18
13
25
2
34
1
1
2
11
11
9
11
13
35
1
29
35
35
10
31
32
10
2
2
28
11
11
25
1
19
35
1
35
15
15
35
15
35
15
35
9
27
35
13
2
27
6
6
15
1
35
30
16
35
10
17
16
37
30
19
3
1
16
2
22
15
29
29
16
29
29
14
20
1
14
35
32
35
3
26
8
16
2
29
35
1
26
2
1
13
30
26
27
34
35
13
11
4
7 26
24
8
1
4
15
10
1
15 1
13
28 16
6
14
6
34
1
34
26
19
29
2
2
10
2
24
19
1
36
26
16
10
16
1
13
22
13
4
17
17
2
35
26
13
35
28
17
28
28
13
13
29
36
39
24
27
6
16
26
13
28
6
28
16
15
19
2
2
29
2
3
36
35
27
11
27
19
25
3
2
35
17
13
39
1
18
4
28
36
13
22
3
29
34
27
24
38
28
26
18
30
4
26
16
40
37
1
39
15
39
6
35
26
13
1
24
17
16
16
31
35
16
28
28
14
26
26
18 35
26
15
28
35
19
32
39
30
28
25
35
28
2
13
15
18
25
6
26
8
2
13
14
13
10
35
35
32
1
13
9
2
32
32
35
17
13
16
19
19
13
10
28
35
28
18
30
10
10
2
35
28
10
14
35
29
35
20
35
26
35
26
27
4
7
26
35
6
37
15
37
10
3
28
10
10
21
17
10
24
15
28
14
34
17
34
10
10
14
34
22
10
2
16
28
19
38
37
3
38
26
31
7
10
2
36
40
39
18
18
38
10
1
19
1
35 16
17
23
19
13 1
A3 Wirkebene
379
Widerspruchsmatrix (10 / 10)
Materialverluste
Informationsverluste
Zeitverluste
Materialmenge
Zuverlässigkeit
Meßgenauigkeit
Fertigungsgenauigkeit
Von außen auf das Objekt wirkende schädliche Faktoren
Vom Objekt selbst erzeugte schädliche Faktoren
Fertigungsfreundlichkeit
Bedienkomfort
Instandsetzungsfreundlichkeit
Adaptionsfähigkeit, Universalität
Kompliziertheit der Struktur
Kompliziertheit der Kontrolle und Messung
Automatisierungsgrad
Produktivität
33 Bedienkomfort
Energieverluste
A: Was wird den Bedingungen der Aufgabe entsprechend verändert (vergrößert, verringert, verbessert)?
Leistung, Kapazität
B: Was verändert (vergrößert, verringert, verschlechtert) sich unzulässig, wenn Veränderungen gemäß A mit herkömmlichen Verfahren herbeigeführt werden?
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
35
2
28
4
4
12
17
25
1
2
2
12
15
32
1
15
34
19
32
10
28
35
27
13
32
25
5
26
34
26
34
1
2
13
2
27
10
8
2
35
28
12
1
1
12
12
28
24
22
34
32
10
34 Instandsetzungsfreundlichkeit 35 Adaptionsfähigkeit, Universalität
40
34
23
39
16
17
3
15
15
2
32
2
11
10
25
35
1
1
7
35
34
1
10
1
35
1
28
10
2
10
10
35
12
1
1
35
32
32
32
34
10
10
1
13
2
11
26
4
13
7
10
2
19
27
25
25
16
16
10
15
16
11
13
19
18
15
35
3
35
35
35
1
15
1
15
27
35
1
15
10
28
35
13
5
11
13
34
16
29
34
28
29
1
2
15
8
1
32
31
1
7
37
35
24
10
31
16
4
28
13
36 Kompliziertheit der Struktur
37 Kompliziertheit der Kontrolle und Messung 38 Automatisierungsgrad
6 37
20
10
35
6
13
35
2
26
22
19
27
27
1
29
15
15
12
19
35
10
29
3
13
26
24
19
1
26
9
13
15
10
1
17
30
13
28
27
1
10
32
29
1
26
28
37
24
28
34
2
29
10
34
40
13
24
37
28
19
35
1
35
18
3
27
26
22
2
5
2
12
1
15
34
35
1
3
18
33
28
27
40
24
19
21
28
5
26
15
10
21
18
16
15
10
27
32
29
28
32
29
10
19
24
22
9
18
8
28
28
23
35
35
24
35
11
28
28
2
2
28
10
33
28
13
27
26
26
33
27
39 Produktivität
1
18
35
5
30
32
11
28
10
18
34
23
37
29 2
28
1
1
1
27
15
34
5
26
12
35
4
24
27
12
13
34
13
1
10
25
35
3
35
26
35
28
28
13
35
1
1
18
22
35
35
1
1
1
12
35
5
20
10
10
15
38
35
10
10
35
22
28
28
32
35
17
18
12
10
29
35
23
10
34
32
13
18
2
7
10
28
28
27
35
35
23
28
28
1
24
39
24
19
25
37
24
2
26
380
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
40 Innovative Prinzipien nach Altschuller 1. Prinzip der Zerlegung (Differenzial-Konstruktion) a) Das Objekt ist in unabhängige Teile zu zerlegen. b) Das Objekt ist zerlegbar auszuführen. c) Der Grad der Zerlegung des Objektes ist zu erhöhen. 2. Prinzip der Abtrennung a) Vom Objekt ist der “störende” Teil bzw. Eigenschaft abzutrennen. b) Vom Objekt ist der einzige notwendige Teil oder die einzige notwendige Eigenschaft abzutrennen. Im Unterschied zum 1. Prinzip, in dem es um die Zerlegung des Objektes in gleiche Teile ging, wird hier vorgeschlagen, das Objekt in unterschiedliche Teile zu zerlegen. 3. Prinzip der örtlichen Qualität a) Von der homogenen Struktur des Objektes oder des umgebenden Mediums (des äußeren Einflusses) ist zu einer inhomogenen Struktur überzugehen. b) Die verschiedenen Teile sollen unterschiedliche Funktionen erfüllen. c) Jedes Teil des Objektes soll sich unter solchen Bedingungen befinden, die seiner Arbeit am meisten zuträglich sind. 4. Prinzip der Asymmetrie a) Von der symmetrischen Form des Objektes ist zu einer asymmetrischen Form überzugehen. b) Wenn das Objekt schon asymmetrisch ist, so ist der Grad der Asymmetrie zu erhöhen. 5. Prinzip der Kopplung a) Gleichartige oder für zu koordinierende Operationen bestimmte Objekte sind zu koppeln. b) Gleichartige oder zu koordinierende Operationen sind zu koppeln. 6. Prinzip der Universalität (Integral-Konstruktion) Das Objekt erfüllt mehrere unterschiedliche Funktionen, wodurch weitere Objekte überflüssig werden. 7. Prinzip der “Steckpuppe” – Matrjoschka (Schachtelung) a) Ein Objekt ist im Inneren eines anderen untergebracht, das sich wiederum im Inneren eines dritten befindet usw. b) Ein Objekt verläuft durch den Hohlraum eines anderen Objektes.
A3 Wirkebene
381
8. Prinzip der Gegenmasse a) Die Masse des Objektes ist durch Kopplung mit einem anderen Objekt mit entsprechender Tragfähigkeit zu koppeln. b) Die Masse des Objektes ist durch Wechselwirkung mit einem Medium zu kompensieren. 9. Prinzip der vorherigen Gegenwirkung Wenn gemäß den Bedingungen der Aufgabe eine bestimmte Wirkung erzielt werden soll, muss eine erforderliche Gegenwirkung vorab gewährleistet werden. 10. Prinzip der vorherigen Wirkung a) Die erforderliche Wirkung ist vorher zu erzielen (vollständig oder teilweise). b) Die Objekte sind vorher so aufzustellen bzw. einzusetzen, dass sie ohne Zeitverlust vom geeignetsten Ort aus wirken können. 11. Prinzip des “vorher untergelegten Kissens” Eine unzureichende Zuverlässigkeit des Objektes wird durch vorher bereitgestellte Schadenvorbeugungsmittel ausgeglichen. 12. Prinzip des Äquipotentials Die Arbeitsbedingungen sind so zu verändern, dass das Objekt weder angehoben noch herabgelassen werden muss. 13. Prinzip der Funktionsumkehr a) Statt der Wirkung, die durch die Bedingungen der Aufgabe vorgeschrieben wird, ist die umgekehrte Wirkung zu erzielen. b) Der bewegliche Teil des Objektes oder des umgebenden Mediums ist unbeweglich und der unbewegliche ist beweglich zu machen. c) Das Objekt ist “auf den Kopf zu stellen” oder umzukehren. 14. Prinzip der Kugelähnlichkeit a) Von geradlinigen Konturen ist zu krummlinigen, von ebenen Flächen ist zu sphärischen und von Teilen, die als Würfel oder Parallelepiped ausgeführt sind, ist zu kugelförmigen Konstruktionen überzugehen. b) Zu verwenden sind Rollen, Kugeln und Spiralen. c) Von der geradlinigen Bewegung ist zur Rotation überzugehen; die Fliehkraft ist auszunutzen.
382
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
15. Prinzip der Dynamisierung a) Die Kennwerte des Objektes oder des umgebenden Mediums müssen so verändert werden, dass sie in jeder Arbeitsetappe optimal sind. b) Das Objekt ist in Teile zu zerlegen, die sich zueinander verstellen oder verschieben lassen. c) Falls das Objekt unbeweglich ist, so ist es beweglich (verstellbar) zu machen. 16. Prinzip der partiellen oder überschüssigen Wirkung Wenn 100% des erforderlichen Effekts schwer zu erzielen sind, muss “ein bischen weniger” oder “ein bisschen mehr” erzielt werden. 17. Prinzip des Übergangs zu höheren Dimensionen a) Schwierigkeiten, die aus der Bindung der Bewegung eines Objektes an eine Linie resultieren, werden beseitigt, wenn das Objekt die Möglichkeit erhält, sich in einer Ebene zu bewegen. Analog werden auch die Schwierigkeiten, die mit der Bewegung von Objekten auf einer Ebene verbunden sind, beim Übergang in den dreidimensionalen Raum überwunden. b) Statt Anordnung in nur einer Ebene (Etage) werden Objekte in mehreren Ebenen (Etagen) angeordnet. c) Das Objekt ist geneigt aufzustellen. d) Die Rückseite des gegeben Objektes ist auszunutzen. e) Auszunutzen sind die Lichtströme, die auf die Umgebung oder auf die Rückseite des gegebenen Objektes fallen. 18. Prinzip der Ausnutzung mechanischer Schwingungen a) Das Objekt ist in Schwingungen zu versetzen. b) Falls eine solche Bewegung bereits erfolgt, ist ihre Frequenz zu erhöhen (bis hin zur Ultraschallfrequenz). c) Die Eigenfrequenz ist auszunutzen. d) Anstelle von mechanischen Vibratoren sind Piezovibratoren anzuwenden. e) Auszunutzen sind Ultraschallschwingungen in Verbindung mit elektromagnetischen Feldern. 19. Prinzip der periodischen Wirkung a) Von der kontinuierlichen Wirkung ist zur periodischen (Impulswirkung) überzugehen. b) Wenn die Wirkung bereits periodisch erfolgt, ist die Periodizität zu verändern. c) Die Pausen zwischen den Impulsen sind für eine andere Wirkung auszunutzen. 20. Prinzip der Kontinuität (Permanenz) der Wirkprozesse a) Die Arbeit soll kontinuierlich verlaufen (d. h. alle Teile des Objektes sollen ständig mit gleichbleibend voller Belastung arbeiten. b) Leerläufe und Unterbrechungen sind zu vermeiden.
A3 Wirkebene
383
21. Prinzip des Durcheilens Der Prozess oder einzelne seiner Etappen (z. B. schädliche oder gefährliche) sind mit hoher Geschwindigkeit zu Durchlaufen. 22. Prinzip der Umwandlung von Schädlichem in Nützliches a) Schädliche Faktoren (insbesondere schädliche Einwirkung eines Mediums) sind für die Erzielung eines positiven Effekts zu nutzen. b) Ein schädlicher Faktor ist durch Überlagerung mit anderen schädlichen Faktoren zu beseitigen. c) Ein schädlicher Faktor ist bis zu einem solchen Grade zu verstärken, bei dem er aufhört, schädlich zu sein. 23. Prinzip der Rückkopplung a) Es ist eine Rückkopplung einzuführen. b) Falls eine Rückkopplung vorhanden ist, ist sie zu verändern. 24. Prinzip des “Vermittlers” a) Es ist ein Zwischenobjekt zu benutzen, das die Wirkung überträgt / weitergibt. b) Zeitweilig ist an das Objekt ein anderes (leicht zu entfernendes) Objekt anzuschließen. 25. Prinzip der Selbstbedienung a) Das Objekt soll sich selbst bedienen sowie Hilfs- und Reparaturfunktionen selbst ausführen. b) Abfallprodukte (Energie, Material) sind zu nutzen. 26. Prinzip des Kopierens a) Anstelle des unzugänglichen, komplizierten, kostspieligen, schlecht handhabbaren oder zerbrechlichen Objekts sind vereinfachte und billige Kopien zu benutzen. b) Das Objekt oder das System von Objekten ist durch seine optischen Kopien (Abbildungen) zu ersetzen. Dabei ist der Maßstab zu verändern (die Kopien sind zu verkleinern oder vergrößern). c) Wenn optische Kopien benutzt wurden, so ist zu infraroten oder ultravioletten Kopien überzugehen. 27. Prinzip der billigen Kurzlebigkeit anstelle teurer Langlebigkeit Das teure Objekt ist durch ein Sortiment billiger Objekte zu ersetzen, wobei auf einige Qualitätseigenschaften verzichtet wird (z. B. Langlebigkeit).
384
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
28. Prinzip des Ersatzes mechanischer Systeme a) Ein mechanisches System ist durch ein optisches, akustisches oder geruchsaktives System zu ersetzen. b) Wechselwirkungen elektrischer, magnetischer bzw. elektromagnetischer Felder mit dem Objekt sind auszunutzen. c) Von unbewegten Feldern ist zu bewegten Feldern, von konstanten zu veränderlichen, von strukturlosen zu strukturierten Feldern überzugehen. d) Die Felder sind in Verbindung mit ferromagnetischen Teilchen zu benutzen. 29. Prinzip der Abtrennung Anstelle der schweren Teile des Objektes sind gasförmige oder flüssige zu verwenden: Aufgeblasene oder mit Flüssigkeit gefüllte Teile, Luftkissen, hydrostatische und hydroreaktive Teile. 30. Prinzip der Anwendung biegsamer Hüllen und dünner Folien a) Anstelle der üblichen Konstruktionen sind biegsame Hüllen und dünne Folien zu benutzen. b) Das Objekt ist mithilfe biegsamer Hüllen und dünner Folien vom umgebenden Medium zu isolieren. 31. Prinzip der Verwendung poröser Werkstoffe a) Das Objekt ist porös auszuführen, oder es sind zusätzliche poröse Elemente (Einsatzstücke, Überzüge usw.) zu benutzen. b) Wenn das Objekt bereits porös ausgeführt ist, sind die Poren vorab mit einem bestimmten Stoff zu füllen. 32. Prinzip der Farbveränderung a) Die Farbe des Objektes oder des umgebenden Mediums ist zu verändern. b) Der Grad der Durchsichtigkeit des Objektes oder des umgebenden Mediums ist zu verändern. c) Zur Beobachtung schlecht sichtbarer Objekte oder Prozesse sind färbende Zusätze zu benutzen. d) Wenn diese Zusätze bereits angewandt wurden, sind Leuchtstoffe zu benutzen. 33. Prinzip der Gleichartigkeit bzw. Homogenität Objekte, die mit dem gegebenen Objekt zusammenwirken, müssen aus dem gleichen Werkstoff (oder einem Werkstoff mit annähernd gleichen Eigenschaften) gefertigt sein.
A3 Wirkebene
385
34. Prinzip der Beseitigung und Regenerierung von Teilen a) Der Teil eines Objektes, der seinen Zweck erfüllt hat oder unbrauchbar geworden ist, wird beseitigt (aufgelöst, verdampft u. ä.) oder unmittelbar im Arbeitsgang umgewandelt. b) Verbrauchte Teile eines Objektes werden unmittelbar im Arbeitsgang wiederhergestellt. 35. Prinzip der Veränderung des Aggregatzustands eines Objektes Hierzu gehören nicht nur einfache Übergänge, z. B. vom festen in den flüssigen Zustand, sondern auch die Übergänge in “Pseudo-” oder “Quasizustände” (“Quasiflüssigkeit”) und in Zwischenzustände, z. B. Verwendung elastischer fester Körper. 36. Prinzip der Anwendung von Phasenübergängen Die bei Phasenübergängen auftretenden Erscheinungen sind auszunutzen, z. B. Volumenveränderung, Wärmeentwicklung oder -absorption usw. 37. Prinzip der Anwendung von Wärme(aus)dehnung a) Die Wärmeausdehnung oder -verdichtung von Werkstoffen ist auszunutzen. b) Es sind mehrere Werkstoffe mit verschiedener Wärmedehnzahl zu verwenden. c) Der Grad der Zerlegung des Objektes ist zu erhöhen. 38. Prinzip der Anwendung starker Oxidationsmittel a) Die normale Luft ist durch angereicherte zu ersetzen. b) Die angereicherte Luft ist durch Sauerstoff zu ersetzen. c) Die Luft/der Sauerstoff ist der Einwirkung ionisierender Strahlung auszusetzen. d) Es ist ozonisierter Sauerstoff zu benutzen. e) Ozonisierter (oder ionisierter) Sauerstoff ist durch Ozon zu ersetzen. 39. Prinzip der Anwendung eines trägen Mediums a) Das übliche Medium ist durch ein reaktionsträges zu ersetzen. b) Der Prozess ist im Vakuum durchzuführen. Dieses Prinzip kann als Gegenstück zu dem vorangegangenen betrachtet werden. 40. Prinzip der Anwendung zusammengesetzter Stoffe Von gleichartigen Stoffen ist zu zusammengesetzten überzugehen.
386
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A3-5 Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder Die Integration von Wissen aus der Biologie in den Bereich der Technik bietet in bestimmten Fällen ein hohes Potenzial zur Entwicklung innovativer Lösungen. In diesem Kontext hat sich der Begriff Bionik etabliert, ein durch die Verknüpfung von Biologie und Technik entstandenes Kunstwort [Gramann 2004, Hill 1997]. Eine konkrete Methode zur Ermittlung von prinzipiellen Lösungsideen durch die Übertragung biologischer Phänomene in die technische Anwendung ist die Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder [nach Gramann 2004]. Nr
Schritt
Methoden und Werkzeuge
1
Abstraktion der Problemstellung: Formulierung als Suchziel für eine gezielte Suche in der Biologie
Relationsorientierte Funktionsmodellierung, Problemformulierung
2
Lösungssuche auf abstraktem Niveau: Zuordnung biologischer Systeme beziehungsweise Phänomene
Assoziationsliste, Katalog biologischer Effekte, Biologiebuch, Expertengespräch
3
Übertragung auf die Problemstellung: technische Umsetzung ausgewählter Aspekte des biologischen Vorbilds unter Berücksichtigung eines geeigneten Abstraktionsgrades
Kreativitätstechniken (zum Beispiel Brainstorming, Methode 6-3-5), Systematische Variation
A3 Wirkebene
387
A3-6 Assoziationsliste Bei der Assoziationsliste handelt es sich um eine Liste von Suchbegriffen für die Suche nach biologischen Systemen oder Phänomenen. Der Zugang zu diesen Begriffen erfolgt über technische Funktionen. Die Daten sind in Form von Literatur der Biologie und im Internet in sehr großer Menge vorhanden. Allein der Zugang dazu ist schwierig. Die angebotene Assoziationsliste setzt genau an dieser Schwierigkeit an. Ist erstmals ein Zugang zu Fachliteratur geschaffen, finden sich dort in der Regel auch noch weitere interessante Systeme. Die Assoziationsliste ist als einfaches lebendes Instrument zu verstehen, das erweitert und gegebenenfalls auch umstrukturiert werden kann [Gramann 2004]. Operation
Objekt / Feld / Parameter
Assoziationen (biologisch)
ändern
Absorption elektromagnetischer Wellen
Pigmentierung der Haut, Photosynthese (Chlorophyll)
ändern
chemische Parameter
in der Natur allgegenwärtig
ändern
Farbe
Farbwechsel der Haut bei Chamäleons (Chamaeleo) und Tintenfischen (Cephalopoda)
ändern
Konzentration geladener Partikel
Biochemisches Potenzial an Zellmembranen
ändern
Konzentration von Defekten
Immunsystem, Heilprozesse
ändern
Konzentration von submolekularen Partikeln
Stoffwechsel an biologischen Membranen, Exo- und Endocytose, Microtubuli, Osmose
ändern
Konzentration (Parameter)
Osmose
ändern
Verformung (Parameter)
Turgorbewegung, Nutationsbewegung, Myofilamente, Wachstum, Turgor, Abductin (Muscheln (Bivalvia), vernetztes Polymer), Resilin (Insekten (Insecta), vernetztes Polymer), Elastin (Aorta, globuläre Proteinkomplexe), Collagen (Haut, Kontraktion durch Ionen)
ändern
Abmessung
Wachstum (Zellteilung)
ändern
Anordnung von Objekten
Kernteilungsspindeln, Peristaltik
ändern
elektrischer Strom
Elektroplax des Zitteraals (Electrophorus)
ändern
elektrisches Feld
Elektroplax des Zitteraals (Electrophorus)
ändern
elektrische Parameter
Elektroplax des Zitteraals (Electrophorus)
ändern
Parameter von elektromagnetischer Induktion
Lorenzini-Ampullen der Haie (Selachii)
388
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Operation
Objekt / Feld / Parameter
Assoziationen (biologisch)
ändern
Energie eines bewegten Muskelarbeit, Segel und TragflächenObjekts konstruktionen von Pflanzensamen und Tieren, Fibrillen, Extremitäten
ändern
Energie von submolekularen Partikeln
ändern
Flüssigkeitsstrom
Schließmuskeln , Poren der Zellmembran (Flüssigmosaikmodell), Plasmaströmung in Zellen durch Aktomyosin
ändern
Parameter von Flüssigkeiten
Viskositätsänderung durch Konzentrationsänderungen von Sphäro- und Linearkolloiden, Blutgerinnung
ändern
Parameter von Kräften, Energie und Momenten
zu und abnehmendes Ansprechen kaskadierter Aktoren (Muskeln und Muskelzellen), Gelenkstellung der Extremitäten von Wirbelund Gliederfüßlern (Vertebrata und Arthropoda), Verformung der Sproßachse
ändern
Reibungsparameter
Sekretion (Speichel, Talg, Schleim), Blasenbildung, Haifischhaut (Selachii), Delphinhaut (Zahnwale: Odontoceti)
ändern
Feuchtigkeit
Schleimhäute der Atemwege, Sekretion
ändern
Abbild
Tarnung vor Hintergrund bei Kopffüßlern (Cephalopoda), allgemein Mimese
ändern
Intensität elektromagnetischer Wellen
elastische Linsen von Wirbeltieren (Vertebrata) und Kopffüßlern (Cephalopoda)
ändern
Parameter von Interferenzmustern
Insektenaugen (Insecta)
ändern
Lichtausbreitung
Leuchtorgane von speziellen Krebsen und Kopffüßlern (Crustacea und Cephalopoda)
ändern
Parameter von mechanischen Wellen und Schallwellen
Stimmmodulation
ändern
mechanische Kräfte
zu und abnehmendes Ansprechen kaskadierter Aktoren (Muskeln und Muskelzellen), Gelenkstellung der Extremitäten von Wirbelund Gliederfüßlern (Vertebrata und Arthropoda), Verformung der Sproßachse
ändern
Drehmoment
zu und abnehmendes Ansprechen kaskadierter Aktoren (Muskeln und Muskelzellen), Gelenkstellung der Extremitäten von Wirbelund Gliederfüßlern (Vertebrata und Arthropoda), Verformung der Sproßachse
ändern
Parameter von Bewegung und Vibration
zu und abnehmendes Ansprechen kaskadierter Aktoren (Muskeln und Muskelzellen), Gelenkstellung der Extremitäten von Wirbelund Gliederfüßlern (Vertebrata und Arthropoda), Verformung der Sproßachse
A3 Wirkebene Operation
Objekt / Feld / Parameter
389
Assoziationen (biologisch)
ändern
Parameter von optischen Geräten
elastische Linsen von Wirbeltieren (Vertebrata) und Kopffüßlern (Cephalopoda)
ändern
Eindringtiefe
Pigmentierung der Haut, Horn(haut)bildung
ändern
Druck
Osmose (regulierbar), Bombardierkäfer (Brachynus)
ändern
Feststoffparameter
Collagen (Haut, Kontraktion durch Ionen), Anordnung von Fasern (z. B. Zellulose bei Pflanzen, Resilin bei Insekten (Insecta), u.v.m.)
ändern
Ansprechzeit
Verschaltung von Neuronen, Schwellenwert für Nervenimpuls
ändern
Stoffdichte
Schwimmblase bei Knochenfischen (Osteichthyes), Walrat des Pottwals (Physeter macrocephalus), Bombardierkäfer (Brachynus)
ändern
Oberflächenparameter
Haut der Tintenfische (Cephalopoda)
ändern
Temperatur
Hecheln (Wasserverdunstung), Schwitzen, Ohren abstellen (afrikanischer Elefant (Loxodonta africana)), Anpassung des Stoffwechsels, Bombardierkäfer (Brachynus)
ändern
thermische Parameter
Bombardierkäfer (Brachynus), Durchblutungsänderung (z.B. Vertebrata)
ändern
Zuverlässigkeit von Geräten
Reparaturfunktion, extreme Kaskadierung (Muskeln), Wachstum (Zellteilung), Redundanz
ändern
Benetzbarkeit
Talgproduktion der Haut, Aufbau strukturierter Oberflächen (z. B. Wachscuticula der Pflanzen)
ablagern
Feststoffe
Schleim des Filters von Schwämmen (Porifera), Klebezungen bei Amphibien und Reptilien, Fangschleim des Sonnentaus (Drosera)
ablagern
strukturierte Stoffe
Schleim des Filters von Schwämmen (Porifera), Klebezungen bei Amphibien und Reptilien, Fangschleim des Sonnentaus (Drosera)
absorbieren elektromagnetische Wellen und Licht
Färbungen zur Tarnung (z. B. bei Kopffüßlern (Cephalopoda)), Schwarze Haut des Eisbären (Ursus maritimus), Abplatten von Reptilien (Sonnenbad)
absorbieren Kräfte, Energie und Momente
Knorpel, Muskeln, Entzündungsreaktion (Blasenbildung), Aufhängung des Spechtschnabels (Picidae), Lagerung von Horn und Geweih bei männlichen Paarhufern (Artiodactyla: Hirsche (Cervidae) und Hornträgern (Bovinae: Rinder, Antilopen, etc.))
absorbieren mechanische Wellen und Schallwellen
Knorpel, Muskeln, Entzündungsreaktion, Aufhängung des Spechtsschnabels (Picidae), Ohrmuscheln (insbesondere von Fledermäusen (Fledertieren: Chiroptera) und anderen nachtaktiven Tieren)
390
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel Objekt / Feld / Parameter
Operation
Assoziationen (biologisch)
absorbieren
molekulare und submolekulare Partikel
Darm, Lunge, Nasenschleimhaut, Geschmackszellen, Endocytose (Vesikel)
absorbieren
thermische Energie
Schwarze Haut des Eisbären (Ursus maritimus), Abplatten von Reptilien (Sonnebad)
einbetten
molekulare und submolekulare Partikel
"Vergiftung" von Geweben
speichern
elektrische Energie
Elektroplax des Zitteraals (Electrophorus)
speichern
thermische Energie
Isolation (Fett), Thermische Zonung (Vogelbeine), Chemische Energie (Verbrennung), Fell/Federn sträuben
messen, erkennen
chemische Verbindungen
Sensoren in Nasen und Mundschleimhaut (Geruch- und Geschmacksinn), Sensoren in Magenschleimwand
messen, erkennen
Deformationsparameter Muskelspindel (Wirbeltiere (Vertebrata)), Mechanorezeptoren
messen, erkennen
elektromagnetische Wellen und Licht
messen, erkennen
Polarisation von elektro- Insekten (Hexapoda), insbesondere Bienen (Apis) magnetischen Wellen
messen, erkennen
Feststoffe, Feststoffelemente
Tastsensoren der Haut, Sehzellen des Auges, Geschmackszellen
messen, erkennen
Gas
Sensoren in Nasen und Mundschleimhaut
messen, erkennen
Konzentrationsparameter
Chemotaxis von Bakterien (Prokaryonten)
messen, erkennen
mechanische Wellen und Schallwellen
Thigmotaxis von Bakterien (Prokaryonten), Haarzellen der Labyrinthsinnesorgane bei Wirbeltieren (Vertebrata), Kommunikation holzbewohnender Insekten (Hexapoda)
messen, erkennen
Oberflächenparameter
Antennen der Insekten (Insecta)
messen, erkennen
Parameter von elektrischen Feldern
Elektroortung bei Fischen (z.B. Gymnarchus)
messen, erkennen
Parameter von Flüssigkeiten
Seitenlinienorgan der Fische (Osteichthyes) und Amphibien (Amphibia) zur Druckmessung
messen, erkennen
Parameter von Kräften, Energie und Momenten
Thigmo-, Thermo- und Gravitaxis von Bakterien (Prokaryonten); Mechanorezeptoren, Muskelspindel (Wirbeltiere (Vertebrata))
messen, erkennen
Parameter von magnetischen Feldern
Magnetsinn bei Bakterien (Magnetotaxis), Vögeln (Aves), Termiten (Isoptera), Walen (Cetacea), Haien (Selachii) (Induktion) und Knochenfischen (Osteichthyes)
Sehzellen des Auges, Phototaxis von Bakterien (Prokaryonten), Photorezeptoren
A3 Wirkebene Objekt / Feld / Parameter
Operation
391
Assoziationen (biologisch)
messen, erkennen
thermische Parameter
Wärmesinn der Klapperschlange (Crotalus) und Insekten (Insecta), Thermotaxis der Bakterien (Prokaryonten)
erzeugen
Deformation
Muskelbewegung, Turgorbewegung, Wachstum
erzeugen
elektrischer Strom
Elektroplax (z.B. Electrophorus), Bakterium Rhodoferax ferrireducens
erzeugen
elektrische Entladung
Elektroplax (z.B. Electrophorus), Bakterium Rhodoferax ferrireducens
erzeugen
elektrisches Feld
Elektroplax (z.B. Electrophorus), Bakterium Rhodoferax ferrireducens
erzeugen
elektromagnetische Wellen und Licht
Biolumineszenz (Leuchtkäfer (Lampyridae), Anglerfische (z. B. Lophius))
erzeugen
Feststoffelemente
Wachstum (Zellteilung)
erzeugen
Stoffstrom
Peristalitik, Flimmerepithel, Flagellenschlag im Filter der Schwämme (Porifera), Kontraktion von Cisternen, Blutsysteme
erzeugen
Kräfte, Energie und Momente
Muskelaktivität, Turgor (Osmose), Quellen von Fasern (z. B. Sprengkräfte von Pflanzensamen), Stoffumsatz zur Wärmeerzeugung (nur bei homoiothermen Tieren)
erzeugen
Gas
Bombardierkäfer (Brachynus)
erzeugen
geometrische Objekte
siehe Feststoffelemente
erzeugen
Abbild
Tarnung vor Hintergrund bei Kopffüßlern (Cephalopoda), allgemein Mimese
erzeugen
Flüssigkeiten
Sekretion (Speichel, Talg, Schleim)
erzeugen
mechanische Wellen und Schallwellen
Stimmritze, Trommeln
erzeugen
molekulare und submolekulare Partikel
Stoffwechsel der Zelle
erzeugen
poröse Stoffe
Knochenwachstum, Schaum von Zikaden (Auchenorrhyncha) und Schnecken (Gastropoda), Kieselalgen (Diatomeen), Schwämme (Porifera), Schwammparenchym von Laubblättern
erzeugen
Feststoffe
Sekretion, Zellteilung
erzeugen
strukturierte Stoffe
Sekretion, Zellteilung
erzeugen
technische Objekte und Stoffe
siehe Biochemie
erzeugen
thermische Energie
Stoffwechsel, Muskelzittern, Bombardierkäfer (Brachynus)
erzeugen
chemische Verbindungen
Biochemische Reaktionen (Synthese)
392
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel Objekt / Feld / Parameter
Operation
Assoziationen (biologisch)
verdampfen Flüssigkeiten
Schwitzen (passiv), Schwammparenchym von Laubblättern (passiv), Bombardierkäfer (Brachynus) (aktiv)
kondensieren Gas
Nasengänge, wüstenbewohnende Pflanzen und Tiere, Pflanzenblatt
Schmelzen
Feststoffe
Walrat des Pottwals (Physeter macrocephalus)
trocknen
Feststoffe
Gefiederspreizen (z.B. Kormoran (Phalacrocorax carbo)), Wasserentzug im Darm, Fellschütteln, Hydrophobierung durch Lipide, osmotisches Potenzial, Pflanzensamen
vibrieren
Feststoffe
Ein- auskoppelbarer Flügelschlag der Insekten (Insecta)
rotieren
Feststoffe
Geißelschlag (Cilien)
heben
lose Stoffe
Extremitäten zum Graben (Maulwurf (Talpa europaea), Maulwurfsgrille (Gryllotalpa gryllotalpa)), Zungen, Mundwerkzeuge der Insekten (Insecta), Schweinerüssel (Suidae), Krallen
heben
Feststoffe
Hände, Schnäbel, Mäuler
bewegen
Gas
Atmung (je nach Klasse sehr unterschiedlich), Bombardierkäfer (Brachynus), Termitenbau (Isoptera), Bau des Präriehundes (Cynomys ludovicianus)
bewegen
Flüssigkeiten
Cilien-/Flagellenschlag, Peristaltik, Spucken, Blutgefäße (optimal verzweigtes Röhrentransportsystem), Bewegung der Zellplasmas (Plasmaströmung des Actomyosin-Systems), Wassertransport in Pflanzen
bewegen
molekulare und submolekulare Partikel
Bewegung der Zellplasmas (Plasmaströmung des Actomyosin-Systems)
bewegen
Partikel
Strömung in Schwämmen, Flimmerepithel
bewegen
Feststoffe
Bewegung von Organismen zu Land, Luft, Wasser und unter der Erde, Peristaltik
bewegen
strukturierte Stoffe
Bewegung von Organismen zu Land, Luft, Wasser und unter der Erde, Peristaltik
glätten
Feststoffelemente
Insektenflügel nach dem Schlüpfen aus dem Kokon, Blattentfaltung aus Knospe, Furchung von Kakteen (wasserspeichernde Pflanzen: Sukkulenten), Kehlsäcke (Vögel (Aves)), Schwellkörper, Mimik, Putzverhalten (Federn, Fell und Antennen)
umformen
Feststoffe
Kauwerkzeuge, Kiefer und Zähne, Wachstum, Turgor, Abductin (Muscheln (Bivalvia), vernetztes Polymer), Resilin (Insekten (Hexapoden), vernetztes Polymer), Elastin (Aorta, globuläre Proteinkomplexe), Collagen (Haut, Kontraktion durch Ionen)
A3 Wirkebene Objekt / Feld / Parameter
Operation
393
Assoziationen (biologisch)
reinigen
chemische Verbindungen
Abbaureaktionen in der Leber, selektive Stoffaufnahme im Darm, Desinfektion im Magen (Säure)
reinigen
Feststoffelemente
Zungen (Wirbeltiere (Vertebrata)), kammförmige Zähne, Antennenputzapparat bei Insekten (Insecta), Lidschlag (Wirbeltiere (Vertebrata)), WachsCuticula ("Lotuseffekt")
reinigen
Flüssigkeiten
Filterstrukturen der Schwämme (Porifera), Flamingos (Phoenicopterus) und Wale (Cetacea)
reinigen
Feststoffe
Zungen (Wirbeltiere), kammförmige Zähne (), Antennenputzapparat bei Insekten, Lidschlag (Wirbeltiere (Vertebrata)), Wachs-Cuticula ("Lotuseffekt")
zerlegen
Feststoffe
Kauwerkzeuge, Kiefer und Zähne, Krallen, Stachel der Holzwespen (Siricidae), Bohrmuscheln (Petricola pholadiformis), Verdauung
zerstören
chemische Verbindungen
Enzymreaktionen, Abbau durch Säuren/Basen
zerstören
strukturierte Stoffe
Kauen und chemische Aufspaltung im Verdauungstrakt
abtrennen
Teile von Feststoffen
Kauwerkzeuge von Gliedertieren (Artropoda), Kiefer und Zähne der Wirbeltiere (insbesondere selbstschärfende, nachwachsende Zähne von Nagetieren (Rodentia)), Krallen, Stachel der Holzwespe (Siricidae), Bohrmuscheln (Petricola pholadiformis)
abtrennen
Feststoffe
Kauwerkzeuge, Kiefer und Zähne, Krallen, Bohrmuscheln (Petricola pholadiformis)
entfernen
chemische Verbindungen
chemische Reaktionen
entfernen
Feststoffelemente
Verdauung
entfernen
Gas
Atmung
entfernen
Flüssigkeiten
Dickdarm
entfernen
molekulare und submolekulare Partikel
chemische Reaktionen
entfernen
Partikel
chemische Reaktionen
extrahieren
chemische Verbindungen
Verdauung (Kohlenhydrate, Proteine, Fette, Ionen, Wasser), Stofftransport an Pflanzenwurzeln (Rhizom)
extrahieren
Gas
Kiemen der Fische (Pisces), Mollusken und Amphibien; Haut der Amphibien, Lungen
extrahieren
Flüssigkeiten
Wasserentzug im Darm, Saugrüssel von Insekten (Insecta), osmotisches Potenzial (Pflanzenwurzeln)
394
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Operation
Objekt / Feld / Parameter
Assoziationen (biologisch)
schützen
Feststoffelemente
Harz in Pflanzen, Giftstoffeinlagerung, Reparaturfunktionen (Immunsystem), Wabe (Wachs, Zellulose, …), Nest (Gras, Äste, Lehm, …), Verhornung der Haut, Wachs-Cuticula ("Lotuseffekt"), Pollenhülle (Sporopollein), Stacheln
schützen
Flüssigkeitsstrom
Verdunstungsschutz der Pflanzen (Cuticula und Härchen der Königskerze (Verbascum))
stabilisieren Konzentrationsparameter
Chemische Pufferung, adaptive und selektive Permeabilität biologischer Membranen
stabilisieren Parameter von elektrischen Feldern
Neuronale Steuerung der Elektroplax, Ruhepotential der Neurone
stabilisieren Flüssigkeitsparameter
Aufrechterhaltung des Turgors
stabilisieren geometrische Parameter
Strukturversteifung durch Zellulose (Pflanzen, Bakterien (Prokaryonten)), Kalk (Korallen (Anthozoa), Knochen), Kieselsäure (Kieselalgen (Diatomeen)) und Chitin (Insekten), Aufrechterhaltung einer Position durch Muskelspindel-Reflexbogen bei Wirbeltieren (Vertebraten)
stabilisieren Parameter von Bewegung und Vibration
Selbsterregung des Herzens, neuronale Kontrolle, Bewegung des Zellplasmas
stabilisieren thermische Parameter
Speichern thermischer Energie (Ĺ), Schwitzen, Fächeln (afrk. Elefant (Loxodonta africana)), Durchblutungsregelung, Verbrennung von Nährstoffen
ausrichten
molekulare und submolekulare Partikel
Spindelapparat bei Zellteilung, Elementarmagnete für Magnetotaxis, piezoelektrischer Effekt des Knochens (Erregungsmechanisches Leitgerüst für den Transport von Kalziumverbindungen)
ausrichten
Feststoffe
Haken (an Hakenstrahlen) Federn
zusammenfügen
Feststoffe
Krallen, Saugnäpfe (Kopffüßler (Cephalopoden)), Härchen (Gecko (Gekkonidae)), Hinterlaibsenden (Cerci) von Insekten (Insecta), Gespinste (Kokon), Sehnen, Bänder, Wurzeln, Heftorgan der Schiffshalterfische (Echeneidae), Schädelnähte (Sutura), Widerhaken (Klette (Arctium), Wespenstachel (Vespidae), Fangzähne der Raubtiere (Carnivoren), …), Haftlappen der Insektenextremitäten, Klebstoffe (Miesmuschel u.v.m. (Mytilus edulis)), Hufe des Steinbocks (Capra ibex)
verteilen
chemische Verbindungen
Tracheen, Lungen, Kiemen, Blutsystem, Endo- und Exocytose, Duftdrüsen, Sekretion
verteilen
Druck
Extremitäten der Tiere, Bandscheibe, Meniskus
verteilen
elektrische Energie
Elektroplax des Zitteraals (Electrophorus)
verteilen
elektrische Entladung
Elektroplax des Zitteraals (Electrophorus)
A3 Wirkebene Objekt / Feld / Parameter
Operation
Assoziationen (biologisch)
verteilen
elektrisches Feld
Elektroplax des Zitteraals (Electrophorus)
verteilen
elektromagnetische Wellen und Licht
Biolumineszenz (Leuchtkäfer (Lampyridae), Anglerfische (z. B. Lophius))
verteilen
Feststoffe
Flugsamen der Pflanzen, Exkretion des Nilpferds (Hippopotamus)
verteilen
Flüssigkeiten
Blutsystem (optimale Verzweigung), Wasserleitung bei Pflanzen
verteilen
Gas
Tracheen, Lungen, Kiemen, Blutsystem, Bauten von Termiten (Isoptera) und Präriehunden (Cynomys ludoviciames)
verteilen
Gewicht
Extremitäten der Tiere, Bandscheibe, Meniskus
verteilen
Kräfte, Energie und Momente
Extremitäten der Tiere, Bandscheibe, Meniskus
verteilen
mechanische Wellen und Schallwellen
Ohren von Wirbeltieren (Vertebrata)
verteilen
thermische Energie
Blutsystem, Bauten von Termiten (Isoptera), thermische Zonung
395
A4 Bauebene
A4-1 Systematische Variation Die Systematische Variation stellt ein Vorgehen zur Erarbeitung neuer Lösungsalternativen dar und kann anhand der Ausprägung unterschiedlicher Merkmale geschehen. Anwendbar auf unterschiedlichen Konkretisierungsebenen gibt es für jedes Produktmodell einen eigenen Satz beschreibender Merkmale, die in Form von Parametern variiert werden können. Darüber hinaus gibt es merkmals- bzw. parameterübergreifende Variationsmöglichkeiten, wie die Umkehrung (von Merkmalsausprägungen), die ebenfalls für die Erarbeitung neuer Ideen genutzt werden kann. Im Folgenden wird das allgemeine Vorgehen beschrieben, wobei beispielhaft auf die systematische Variation auf Ebene der Produktgestalt eingegangen wird (Schritt 5 ist nicht unmittelbar Teil der Variation). Nr
Arbeitsschritt
1
Ausgangsobjekte bestimmen
2
3
4
5
Methoden, Hilfsmittel
Produktrepräsentationen (Funktionsmodelle, Skizzen) Variationsziel bestimmen: Die Variation Anforderungsliste, muss ein bestimmtes Ziel verfolgen (z. B. Problemformulierung, Gewichtsreduktion, Leistungserhöhung). Zielformulierung Variationsmerkmal bestimmen: Checkliste mit Dieses ergibt sich zum Teil schon aus dem Gestaltparametern Ziel (Gewichtsreduktion Æ zum Beispiel anderen Werkstoff verwenden) Neue Ideen durch alternative Merkmalsaus- Checkliste mit prägungen erzeugen: Gestaltmerkmalen Hierbei beachten wie sich das betrachtete Merkmal in seiner Ausprägung ändert. Generierte Ideen auf Umsetzbarkeit prüfen, Eigenschaftsanalyse, bewerten und auswählen Bewertungsmethoden
398
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Voraussetzung für die Variation ist das Vorhandensein eines Ausgangsobjekts, auf dessen Basis die Variation erfolgen kann. Die Variation erfolgt in der Regel in mehreren Stufen, bis ein ausreichender Lösungsraum erzeugt worden ist. Sinnvoll ist die Verwendung von Checklisten zur systematischen Variation. Umkehrungen (von Merkmalsausprägungen) Die Umkehrung stellt eine grundsätzliche „Form“ der Variation dar, die sich auf unterschiedlichen Konkretisierungsebenen sowie für verschiedene Merkmale bzw. Parameter anwenden lässt und auf eine Reihe von Variationsmöglichkeiten hinweist. Sie stellt somit eine Alternative zur Variation bestimmter Parameter dar. Bezüglich der Erarbeitung der Produktgestalt bezieht sich die Umkehrung einer Merkmalsausprägung oft auf geometrisch-gegenständliche Aspekte und steht hierbei in engem Zusammenhang mit Variationsparametern wie der Lage, der Reihenfolge, der Verbindungsstruktur aber auch des Bezugssystems. Allgemeine-abstrakte Ausprägungen Art der Variation
Ausprägung vorher
Ausprägung nachher
Negation
Merkmal vorhanden
Merkmal nicht vorhanden
Spiegelung
Bild
Spiegelbild
Grenzwert
Merkmal gegen Null
Merkmal gegen unendlich
Plus (+)
Minus (-)
links
rechts
oben
unten
innen
außen
Antrieb
Abtrieb
Vertauschung
Beispiel: Zyklische Vertauschung: Geometrie, Kinematik Ausgangslösung
Geometrische Umkehrung
Kinematische Umkehrung
A4 Bauebene
399
A4-2 Checkliste mit Gestaltparametern Die Variation von Gestaltparametern dient dem Zweck, unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten auf Ebene der Gestalt zu erzeugen. Die Genese von Alternativen soll zielbezogen erfolgen, um Schwachstellen an vorhandenen Lösungen zu eliminieren und die Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt bestmöglich zu erfüllen. Die aufgeführten Beispiele für Gestaltmerkmale basieren auf einer Sammlung von Ehrlenspiel [Ehrlenspiel 2009]. Sie stellen einen Leitfaden für die systematische Gestaltvariation dar. Sie sollen als Anregung in der Lösungsfindung dienen. Gestaltparameter können nach unterschiedlichen Gesichtspunkten gegliedert werden, eine eindeutige hierarchische Strukturierung ist dabei schwer möglich, für die Praxis aber ohnehin nicht unbedingt erforderlich. Die folgende Gliederung von Gestaltparametern stellt eine Möglichkeit der Strukturierung dar, die sich in der Praxis als hilfreiches Werkzeug in der systematischen Lösungssuche bewährt hat. Die Auflistung von Gestaltparametern, die auch als eine Kombination anderer interpretiert werden könnte zielt dabei darauf ab, ein und dieselbe Problemstellung aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. In der Folge kann sich eine gewisse Redundanz ergeben, die in Überschneidungen der Ergebnisse resultiert. So kann eine ähnliche Gestaltalternative durch die Variation unterschiedlicher Gestaltparameter zustande kommen. Die einzelnen Parameter sind prinzipiell in der Art gelistet, das jedes Merkmal allgemein erklärt wird. Zusätzlich werden sie anhand typischer allgemeinabstrakter Ausprägungen (auch im Sinne einer Klassifikation) und/oder konkreter Beispiele grafisch dargestellt. Kategorie
Nr.
Flächen und Körper
01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16
Beziehungen zwischen Flächen und Körpern
Produktionsbezogene Eigenschaften Bewegungen
Gestaltmerkmal Form Lage Zahl Größe Verbindungsart Berührungsart (Kontaktart) Kopplungsart Verbindungsstruktur Reihenfolge Kompaktheit von Bauweisen Werkstoff Fertigungsverfahren Bezugssystem Bewegungsart Bewegungsverlauf (zeitlich) Gelenkfreiheitsgrad
400
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
01 Form Der Gestaltungsparameter Form bezieht sich auf die geometrische Ausprägung von Objekten. Variiert werden kann hierbei zum einen die Gesamtform eines Volumenkörpers, aber auch nur eine Fläche oder Linie als Teil eines solchen. Beschreiben lässt sich die Form eines Körpers unter anderem durch Krümmungsradien, Umriss-Polygone und Begrenzungsflächen. Die Form kann sich aber auch in Folge der Variation anderer Gestaltparameter, beispielsweise von Zahl oder Größe, verändern. Allgemein-abstrakte Ausprägungen Flächenpunkt ohne Krümmung (eben) Ebene
Tetraeder
Prisma
Würfel
Quader
Sechskant
Flächenpunkt mit einem Krümmungsradius Halbzylinder
Halbkegel
Wellenmaterial
Zylinder
Rohr
Kegel
Flächenpunkt mit zwei Krümmungsradien Sattel
Kugel
Halbkugel
Linse
Tonne
Hyperboloid
Konkrete Beispiele: Form von Wälzlagerkörpern Zylinder Kugel (RillenTonne Kegel (KegelZylinder (Zylinderkugellager) (Tonnenlager) rollenlager) (Nadellager) rollenlager)
A4 Bauebene
401
02 Lage Der Gestaltparameter Lage bezieht sich auf die relative oder absolute Lage geometrischer Objekte wie Linien (beispielsweise Begrenzungen oder Normalen), Flächen und Körpern. Die Variation der Lage von Linien oder Flächen an ein und demselben Körper hat dabei oft einen Einfluss seine Form und umgekehrt. Die Variation der Lage von mehreren Körpern (relativ) zueinander kann hingegen die Reihenfolge von Systemelementen sowie ihre Verbindungsstruktur innerhalb eines Systems als weitere Gestaltparameter bedingen. Allgemein-abstrakte Ausprägungen: Gegensätzliche Lageaspekte außen vs. innen
radial vs. axial
horizontal vs. vertikal
Konkrete Beispiele: Lage von Wirkflächen an Schraubenköpfen Wirkfläche außen
Wirkfläche innen
03 Zahl Der Gestaltparameter Zahl bezieht sich auf die Anzahl an Systemelementen (Komponenten, Wirkflächen etc.). Eine Erhöhung kann z. B. zur Steigerung erwünschter Systemparameter beitragen (Durchsatz, Sicherheit etc.), eine Verringerung z. B. zur Senkung unerwünschter Parameter (Gewicht, träge Massen etc.). Konkrete Beispiele Unterschiedliche Anzahl an Zylindern bei Verbrennungsmotoren 1 2 3 …
Unterschiedliche Anzahl an Ecken bei Schraubenköpfen (Wirkfläche außen) 2 3 4 6 … 16
402
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
04 Größe Der Gestaltparameter Größe bezieht sich auf die Dimensionierung von Systemelementen (Komponenten, Wirkflächen etc.) aber auch auf die Auslegung von nichtgeometrischen Systemparametern (Leistung, Geschwindigkeit etc.). Bei der systematischen Variation kann die Größe entweder erhöht oder verringert werden. Konkrete Beispiele: Größe der Gelenke in einem Zweigelenk Gelenk 1 und 2 groß
Gelenk 1 und 2 klein
Gelenk 2 sehr viel größer
05 Verbindungsart Der Gestaltparameter Verbindungsart bezieht sich auf die Art der Verbindung unterschiedlicher i.d.R. physikalischer Systemkomponenten. Neben der Beweglichkeit der Verbindung, die im Falle der gelenkigen Verbindung zu weiteren Variationsmerkmalen wie dem Freiheitsgrad des Gelenkes führt, können Verbindungen weiter in ihrer Lösbarkeit und ihrer Schlussart variiert werden. Allgemein-abstrakte Ausprägungen Beweglichkeit Starr
Gelenkig
Elastisch
Lösbarkeit Lösbar (z. B. Schraubenverbindung)
Unlösbar (z. B. Nietverbindung)
A4 Bauebene
403
Schlussart Stoffschluss Schweißen
Formschluss Einseitig
Elastischer Zwischenkörper, anvulkanisiert
Kleben / Löten
Beidseitig
Kraftschluss Reibschluss
Feldschluss
Konkrete Beispiele: Verbindungsarten bei Flaschenverschlüssen Reibschluss Formschluss Reibschluss Stoffschluss (Schraub(Kronkorken) (Korken) (Klebefolie) verschluss)
404
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
06 Berührungsart (Kontaktart) Der Gestaltparameter Berührungsart bezieht sich auf die Art und Weise wie sich berührende physische Systemelemente (Körper) in Kontakt stehen. Die primär in Punkt-, Linien- oder Flächenberührungen einteilbare Kontaktarten haben einen unmittelbaren Einfluss auf Flächen- und Hertzsche Pressung zwischen den entsprechenden in Kontakt stehenden Komponenten. Die Variation der Kontaktart steht hierdurch in direktem Zusammenhang mit der zu erfüllenden Funktion der Berührung und somit auch der Verbindungsart. Allgemein-abstrakte Ausprägungen Punktberührung An 1 Punkt
An 2 Punkten
An 3 Punkten
Linienberührung Gerade Linie
Kreisförmige Linie
Flächenberührung Ebene Fläche
Zylinderfläche
Kugelfläche
Kegelfläche
KeilDrehfläche
KeilSchraubfläche
Tribologische Einteilung Konform = konvex-konkav
Flach
Kontraform = konvex-konvex
A4 Bauebene
405
07 Kopplungsart Der Gestaltparameter Kopplungsart bezieht sich auf die Kopplung (Verbindung und Lagerung) in Berührung stehender Körper, die sich relativ zueinander bewegen. Die Variation der Kopplungsart steht immer in engem Zusammenhang mit der Bewegungsart der Körper zueinander. Da sie oft unmittelbar zur Veränderung von Reibwerten beiträgt sind Geschwindigkeiten und Massen der entsprechenden Körper stets zu berücksichtigen. Da die zu koppelnden Flächen sich nicht immer direkt berühren stellen auch die entsprechenden „Zwischenmedien“ Variationsgrößen dar. Hier kann unterschieden werden zwischen festen Medien wie beispielsweise Wälzkörpern in Lagern oder elastischen Lenkern als Zwischenelement und flüssig- oder gasförmigen Zwischenmedien, die in hydrostatischen oder -dynamischen genutzt werden können. Allgemein-abstrakte Ausprägungen Berührend (mit Festkörperberührung) Gleiten (Gleitlager)
Rollen
Wälzen = Gleiten + Rollen (Wälzlager)
Lenkerkopplung
Nicht berührend (ohne Festkörperberührung) Hydrostatisches Hydrodynamisches Lager Lager (Flüssigkeit / Gas) (Flüssigkeit / Gas)
Magnetlager
406
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Konkrete Beispiele: Kopplungsart bei Lagern, Führungen und Gewinden Kopplungsart
Lager (Rotation)
Führung (Translation)
Gewinde (Schraubung)
Gleiten
Wälzen
08 Verbindungsstruktur Der Gestaltparameter Verbindungsstruktur bezieht sich auf die Anordnung und Verbindung von Systemelementen. Von Bedeutung ist hier die Frage, wie sich bei einer gegebenen Menge an im Raum verteilten Elementen die Verbindungen gestalten (Anzahl der Verbindungen insgesamt? Verbindung vorhanden/nicht vorhanden bei jeweils zwei betrachteten Elementen?). Allgemein-abstrakte Ausprägungen: Möglichkeiten der Verbindungsstruktur zwischen drei Elementen A-B-C (2 Verb.)
A-C-B (2 Verb.)
B-A-C (2 Verb.)
A-B-C (3 Verb.)
Konkrete Beispiele: Möglichkeiten der Verbindungsstruktur eines Fahrradrahmens (4 Verbindungspunkte)
A4 Bauebene
407
09 Reihenfolge Der Gestaltparameter Reihenfolge bezieht sich auf die Anordnung von Systemelementen (ähnlich zum Parameter Verbindungsstruktur). Hier steht die Frage im Vordergrund, welches Element an welcher Stelle (beispielsweise an erster, zweiter oder dritter Stelle) in einer Abfolge von Elementen steht. Konkrete Beispiele: Variation der Reihenfolge bei einer Fest-Los-Lagerung Festlager-Rad-Loslager
Festlager-Loslager-Rad
Loslager-Festlager-Rad
10 Kompaktheit Der Gestaltparameter Kompaktheit (von Bauweisen) bezieht sich auf das genutzte Materialvolumen zur Realisierung eines Bauteils. Die Kompaktheit einer Bauweise hängt unmittelbar von den verwendeten Werkstoffen ab und beeinflusst ihrerseits, Steifigkeit, Belastbarkeit (Festigkeit) und Masse einer Struktur. Allgemein-abstrakte Ausprägungen: Kompaktheit eines Elementes mit quadratischem Querschnitt Massiv
Hohl bzw. geschlossen
Offen
Konkrete Beispiele: Kompaktheit eines Elementes mit kreisförmigen Querschnitt Massiv bzw. hohl
Offen
408
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
11 Werkstoff Der Gestaltparameter Werkstoff bezieht sich auf Art, Qualität und Anzahl des beziehungsweise der verwendeten Werkstoffe. Neben der grundsätzlichen Variation von Werkstoffarten wie beispielsweise Kunststoff, Holz oder Metall und Werkstoffzusammensetzung (Verbundmaterial oder Legierung) können in diesem Zusammenhang auch der (stoffliche) Zustand, die makro- und mikroskopische Beschaffenheit sowie die Ausgangsform des entsprechenden Rohmaterials (beispielsweise des Halbzeugs bei Kunststoffen oder Metallen) variiert werden. Die Variation dieses Gestaltparameters steht in fast unlösbarem Zusammenhang mit dem Gestaltparameter des Fertigungsverfahrens. Allgemein-abstrakte Ausprägungen Zustand x fest, flüssig, gasförmig, amorph x metallisch / nichtmetallisch x organisch yyy / anorganisch (Kunststoff)
Physikalisches bzw. chemisches Verhalten
Makroskopische und mikroskopische Beschaffenheit
x starr, elastisch, plastisch, viskos
x „Festkörper“, körnig, pulvrig, staubförmig
x leitfähig / nicht leitfähig für Wärme, Elektrizität oder Magnetismus
x Gegenkörper (-stoff), Zwischenkörper (-stoff)
x durchsichtig / undurchsichtig x brennbar / nicht brennbar x edel / unedel
x Kristallstruktur, Textur, Einlagerungen (Stahl: Kohlenstoffeinlagerungen)
Konkrete Beispiele Merkmal
Ausprägung vorher
Ausprägung nachher GG 20
Bemerkungen (Einfluss auf die Gestalt)
Art des Werkstoffs
St 37
Qualität des Werkstoffs
Unbehandelt HRC 55 gehärtet
ggf. Schleifen nötig, dann ggf. Schleifauslauf vorsehen
Zahl unterschiedlicher Werkstoffe
Polyamid unverstärkt
andere Fertigungsund Trennverfahren
Art des Halbzeugs
Profilmaterial Blech
Polyamid glasfaser-
Änderung des Fertigungsverfahrens (Guss)
ggf. umformgerecht gestalten
A4 Bauebene
409
12 Fertigungsverfahren Nach DIN 8580 werden Fertigungsverfahren in die 6 Hauptkategorien Urformen, Umformen, Trennen, Fügen, Beschichten und Stoffeigenschaftenändern eingeteilt. Jede Kategorie enthält wiederum weitere spezielle Verfahren. Bei der Variation des Fertigungsverfahrens ist darauf zu achten, dass die Anforderungen an den verarbeiteten Werkstoff vom Verfahren abhängig sind. Konkrete Beispiel: Alternative Fertigungsverfahren für ein Bauteil Urformen gegossen (GG 20)
Umformen gesenkgeschmiedet (St 37)
Trennen aus dem Vollen gespant (St 37)
Trennen/Umformen: aus Blech gestanzt und abgekantet (St 37)
Fügen geschweißt (St 37-3)
Fügen gelötet (St 37)
410
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
13 Bezugssystem Der Variationsparameter Bezugssystem bezieht sich auf den Standpunkt der Betrachtung eines Objektes beziehungsweise eines Systems unterschiedlicher Objekte. Durch die Variation des Bezugssystems können Bauteile einerseits in ihrer Gestalt verändert werden, ihnen kann darüber hinaus aber auch eine andere Funktion zukommen (beispielsweise Antrieb wird zum Abtrieb). Letzteres kann wiederum Einfluss auf die Bauteil- beziehungsweise Produktgestalt haben. Die Variation des Bezugssystems steht oft in Zusammenhang mit der Variation von Lage, Bewegungsart und -richtung sowie der Reihenfolge, kann aber auch zu ähnlichen Ergebnissen wie die Umkehrung führen. Konkrete Beispiele Gestellwechsel (kinematische Umkehr; Wechsel des Bezugssystems) Systemelemente
Außenrad fest
Sonnenrad fest
Planeten fest
Art des Bezugssystems Eben
Räumlich
Antriebs- oder Abtriebswechsel Antrieb links unten Abtrieb rechts unten
Antrieb rechts unten Abtrieb links unten
Antrieb links unten Abtrieb rechts oben
Antrieb rechts oben Abtrieb rechts unten
A4 Bauebene
411
14 Bewegungsart und -richtung Dieser Gestaltungsparameter bezieht sich auf die Bewegung von Bauteilen oder -komponenten zu einem entsprechenden Bezugssystem. Dieses kann dabei durch das Gesamtsystem oder auch durch andere Bauteile und Komponenten gebildet sein. Die Bewegungsart als Gestaltungsparameter ist zunächst unabhängig von anderen Parametern, die den Kontakt zwischen zwei Körpern näher bestimmen. In der praktischen Produktausgestaltung steht die Variation der Bewegungsart aber oft in direktem Zusammenhang mit der Berührungsart, vor allem aber der Kopplungsart. So beruhen „Gleiten“, „Rollen“ und „Wälzen“, aber auch „Bohren“ oder „Prallen“ immer auch auf einer bestimmten Bewegungsart von Bauteilen oder -komponenten. Neben der grundsätzlichen Variation der Bewegungsart in Form von translatorisch, rotatorisch und Kombinationen dieser beiden können des Weiteren die Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit variiert werden Allgemein abstrakte Ausprägungen: Art der Bewegung translatorisch
rotatorisch
kombiniert rotatorisch / translatorisch
412
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
15 Bewegungsverlauf (zeitliche Veränderung der Bewegung) Neben der grundsätzlichen Variation einer Bewegungsart und -richtung kann auch ihr zeitlicher Verlauf variiert werden, um zu neuen Gestaltlösungen zu gelangen. Hierauf bezieht sich der Variationsparameter Bewegungsverlauf. Allgemein-abstrakte Ausprägungen Orientierung: G = Gleichsinnig; W = Wechselsinnig (oszillierend, hin und her) Bewegungs verlauf Orientierung Bewegungsart
Rotation
Translation
Kombiniert Rotation und Translation
Stetig, kontinuierlich G
W
Mit Rast, intermittierend G
W
Mit Pilgerschritt (Teilrücklauf) G
W
A4 Bauebene
413
16 Gelenkfreiheitsgrad Der Gestaltparameter Gelenkfreiheitsgrad beschreibt die Art eines Freiheitsgrades (translatorisch und rotatorisch) sowie die Anzahl der Freiheitsgrade eines Gelenks beziehungsweise einer gelenkigen Verbindung. Eine Variation dieses Parameters steht oft in direktem Zusammenhang mit einer Variation der Bewegungsart. Allgemeine Ausprägungen: Gelenke und ihre Freiheitsgrade 0 translatorisch 0 rotatorisch
1 rotatorisch
2 rotatorisch
3 rotatorisch
---
1 translatorisch
2 translatorisch
414
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A4-3 Gestaltungsprinzipien Gestaltungsprinzipien dienen der grundsätzlichen Optimierung eines Produktes und unterstützen die Produktgestaltung auf unterschiedlichen Konkretisierungsebenen [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009]. Abhängig von den konkreten Optimierungszielen müssen aus den Prinzipien die jeweils zielführenden ausgewählt und adaptiert werden. Entwicklungsprozesse können so deutlich effizienter ablaufen, da die Zahl der notwendigen Iterationen erheblich gesenkt werden kann. Aus Mechanik und Thermodynamik bekannte Grundlagen werden gestaltungsorientiert aufbereitet, bewusst gemacht und teilweise mit Erfahrungswissen angereichert. Bereich Energie Strukturökonomie Mechanismen
Prinzipien Prinzip der Vermeidung irreversibler Energieumwandlungen Prinzip der kraftflussgerechten Gestaltung Prinzip der Kaskadierung Prinzip der belastungsgerechten Werkstoffwahl Prinzip des Lastausgleichs Prinzip des Kraftausgleichs Prinzip der Selbsthilfe
Systemarchitektur
Prinzip der Funktionsdifferenzierung Prinzip der Funktionsintegration
Bauweisen
Prinzip der Differenzialbauweise Prinzip der Integralbauweise
A4-3-1 Prinzipien zu Energie Ziel ist hier die Optimierung technischer Systeme in energetischer Hinsicht, das heißt eine Steigerung des energetischen Wirkungsgrads. Es gelten die Hauptsätze der Thermodynamik. 1. Hauptsatz: In einem abgeschlossenen System bleibt der Gesamtbetrag der Energie konstant. Innerhalb des Systems können die verschiedenen Energieformen ineinander umgewandelt werden. Dies bedeutet, dass es kein Perpetuum Mobile erster Art gibt, welches ständig Arbeit abgibt, ohne gleichzeitig entsprechende Energie aufzunehmen. 2. Hauptsatz: Alle natürlich ablaufenden und technischen Prozesse sind irreversibel. Reversible Vorgänge sind lediglich idealisierte Grenzfälle. Das heißt, es gibt auch kein Perpetuum Mobile zweiter Art, das Wärme aus einer Wärmequelle entnimmt und vollständig in mechanische Arbeit umwandelt.
A4 Bauebene
415
Prinzip der Vermeidung irreversibler Energieumwandlungen Irreversible Energieumwandlungsprozesse, bei denen Energie in Form von abzuführender Wärme verloren gehen sind nach Möglichkeit zu vermeiden. So sollten beispielsweise mechanische möglichst in andere mechanische oder elektromagnetische möglichst in andere elektromagnetische Energieformen umgewandelt werden. Um Umwandlungsverluste zu vermeiden/minimieren sollte sämtliche dem System zugeführte Energie in gleicher Form zur Verfügung gestellt werden. Nicht vermeidbare (irreversiblen) Energieverluste eines technischen Systems sind so weit wie möglich zu reduzieren. Beispiel: Trassenführung bei U-Bahnen Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Die Bahnhöfe bei der optimierten Variante (rechts) liegen etwas höher als die sie verbindenden Streckenabschnitte. Dadurch erfolgt eine Wandlung von kinetischer in potenzielle Energie bei der Annäherung an den Bahnhof, der Anteil der dissipierten Energie bei der Abbremsung lässt sich deutlich verringern. Die potenzielle Energie steht dem Zug beim Verlassen der Station zur Beschleunigung wieder zur Verfügung.
Beispiel: Schleuder im Vergleich zu japanischem Kyudo-Bogen Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Im Gegensatz zu einer Schleuder (links) schwingt ein Kyudo-Bogen (rechts) nicht nach. Fast die gesamte (potenzielle) Energie der Vorspannung kann in kinetische Energie umgewandelt werden.
416
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A4-3-2 Prinzipien zur Strukturökonomie Ziel ist hier die Erleichterung der Kompromissfindung zur Lösung des Zielkonflikts zwischen der Belastbarkeit einer Struktur und ihrer Masse. Es besteht grundsätzlich folgende Anforderung: Die Struktur muss bei minimaler Masse den geforderten Beanspruchungen standhalten. Prinzip der kraftflussgerechten Gestaltung Der Kraftfluss ist eine Modellvorstellung, die Entwickler und Konstrukteure dabei unterstützen soll, mechanische Strukturen belastungsgerecht zu gestalten. Es wird davon ausgegangen, dass Kräfte in Bauteilen wie eine Flüssigkeit „zirkulieren“. Für die Aufstellung eines Kraftflusses gelten folgende Grundsätze [Ehrlenspiel 2009]: x Der Kraftfluss in einem Bauteil muss immer geschlossen sein. Dies führt zu Schwierigkeiten bei Strukturen, in denen Massenkräfte eine bedeutende Rolle spielen. In diesem Fall kann der Kraftfluss in Gedanken entweder „durch die Luft“ geschlossen werden, oder die Bauteilmasse wird als „Kraftquelle“ betrachtet, der zum Beispiel eine „Kraftsenke“ im Fundament gegenübersteht. x In einem Kraftfluss-Kreislauf ändert sich die Beanspruchungsart (zum Beispiel Zug, Druck oder Biegung). x Der Kraftfluss sucht sich den kürzesten Weg. Kraftlinien drängen sich in engen Querschnitten zusammen, in weiten dagegen breiten sie sich aus. Regeln für die kraftflussgerechte Gestaltung von technischen Systemen: 1) Der Kraftfluss ist eindeutig zu führen. Überbestimmtheiten sind zu vermeiden. 2) Für eine steife, leichte Bauweise ist der Kraftfluss auf kürzestem zu Weg führen: Biegung und Torsion sind zu vermeiden, Zug und Druck sowie symmetrische Kraftflüsse sind zu bevorzugen. 3) Für eine elastische, arbeitsspeichernde Bauweise ist der Kraftfluss auf einem weiten Weg zu führen: Biegung und Torsion sind zu bevorzugen, der Kraftfluss ist „spazieren zu führen“. 4) Sanfte Kraftumlenkungen sind anzustreben, da scharfe Umlenkungen Spannungsspitzen ergeben.
A4 Bauebene
Beispiel: Der Kraftfluss in der Alamillo-Brücke Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Richtung und Masseverteilung des Schrägmastes bei der Alamillo-Brücke (über den Guadalquivir in Sevilla, Spanien, siehe Bild rechts) sind genau so ausgelegt, dass die Gewichtskraft des Mastes mit den von den Tragseilen übertragenen Zugkräften im Gleichgewicht steht. Ein Teil des Kraftflusses verläuft als Druckkraft durch den Schrägmast, als Zugkräfte durch die Tragseile und wird als Druckkraft über die Fahrbahn der Brücke geschlossen. Die Massenkräfte der Brücke stellen eine Kraftquelle dar, sie werden in der Kraftsenke im Fundament abgefangen.
Beispiel: Anordnungen von Wälzlagern [Pahl et al. 2005] Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Die linke Anordnung ist hinsichtlich der Übertragung radialer Kräfte überbestimmt. Radialkräfte werden sowohl durch das Nadellager als auch durch das Kugellager übertragen. Die Kraftleitung ist daher unklar und somit schwer zu berechnen. In der rechten Anordnung wird der Kraftfluss dahingegen durch eine optimierte Anordnung der Wälzlager eindeutig geführt. Das Nadellager überträgt lediglich Radialkräfte, das Kugellager ausschließlich Axialkräfte.
417
418
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Beispiel: Verschraubung von zwei Gehäuseteilen Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Ziel ist hier eine steife, leichte Bauweise. Daher gilt es, den Kraftfluss auf dem kürzesten Weg zu führen. In der rechten Anordnung ist dies besser gelöst als in der linken Anordnung.
Prinzip der Kaskadierung Der Kraftfluss in einem System ist über mehrere unabhängige Pfade zu führen (Parallelschaltung). Dadurch reduziert sich die in jedem der einzelnen Pfade wirkende Kraft in ihrer Größe. Beispiel: Kaskadierung bei der Alamillo-Brücke Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Warum wurde die Alamillo-Brücke parallel abgespannt (rechts) und nicht zur Spitze des Schrägpfeilers (links)? Nach dem Prinzip der Kaskadierung kann es sinnvoll sein, den Kraftfluss in einem System über mehrere unabhängige Pfade zu führen. Wären alle Tragseile der Brücke an der Turmspitze befestigt, müsste die Summe aller Kräfte durch die gesamte Pfeilerlänge bis ins Fundament geleitet werden. Der Pfeiler müsste deshalb massiver ausgeführt werden als bei einer parallelen Abspannung. Hier wird der Pfeilerquerschnitt nach unten nur in dem Maße größer, in dem weitere Tragseile Kräfte einleiten.
A4 Bauebene
419
Beispiel: Kaskadierung bei Staubsaugerdüsen [nach Gramann 2004] Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Im linken Prototypen einer Staubsaugerdüse, das stellvertretend für konventionelle Staubsaugerdüsen steht, wird der Luftstrom über einen Saugkanal geführt. Im rechten Prototypen gibt es mehrere Saugkanäle, über die der Luftstrom parallel geführt wird. Dadurch lässt sich die Saugleistung erhöhen.
Prinzip der belastungsgerechten Werkstoffwahl Werkstoffe in einem technischen System sollten nach Möglichkeit der Belastungsart angepasst werden. Beispiel: Belastungsgerechte Werkstoffwahl bei der Alamillo-Brücke Optimiert
Erläuterung: Zur Übertragung der Zugbelastung durch die Tragseile werden klassische Stahlseile verwendet. Der Schrägmast überträgt fast ausschließlich Druckkräfte. Er besteht darum aus einem dünnen Stahlträger, der mit druckbelastbarem Beton ausgegossen ist. Die Fahrbahn der Brücke besteht aus Spannbeton, der druck-, zug- und biegebelastbar ist.
420
Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A4-3-3 Prinzipien zu Mechanismen Ziel ist die Entlastung von Bauteilen oder die gezielte Unterstützung der Funktion, damit der Mechanismus insgesamt zuverlässiger arbeitet, was sich unmittelbar in der Sicherheit, in der Wartung und damit auch in den Kosten niederschlägt. Prinzip des Lastausgleichs Mit dem Prinzip des Lastausgleichs wird die gleichmäßige Aufnahme von (in der Regel von außen auf das System einwirkenden statischen) Kräften und Momenten bei einer Leistungsverzweigung an mechanisch parallel geschalteten Wirkflächen angestrebt. Das Ziel ist eine möglichst gleiche mechanische Belastung der statisch unbestimmten Komponenten [Ehrlenspiel 2009]. Der Lastausgleich bezieht sich in erster Linie auf statische Massenkräfte, die von außen auf das System wirken (im Gegensatz zum Kraftausgleich, der sich auf dynamische Reaktionskräfte bezieht, die durch die Funktion des Systems entstehen). Ausgangspunkt beim Lastausgleich ist ein System mit parallel geschalteten, statisch unbestimmten Wirkflächen. Probleme, die aufgrund eines ungenügenden Lastausgleichs auftreten, werden durch folgende Maßnahmen gelöst [Ehrlenspiel 2009]: x Problem beseitigen: gelenkiger, elastischer oder hydrostatischer Lastausgleich zur Erreichung einer statischen Bestimmtheit x Störgröße verringern: genaue Fertigung, Integralbauweise, bei Montage anpassen, plastisch verformen, einlaufen lassen, ungewollte elastische oder thermische Verformungen verringern x Wirkung der Störgröße verringern: System schlupfläufig machen oder elastisch gestalten Beispiel: Gelenkiger oder elastischer Lastausgleich bei mehrachsig gelagertem Rollwagen [Ehrlenspiel 2009]
A4 Bauebene
421
Beispiel: Gelenkiger Lastausgleich an Scheibenbremsen [Ehrlenspiel 2009] Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Die linke Anordnung ist statisch unbestimmt. In der rechten Anordnung ist an der Welle ein zusätzliches Schubgelenk angebracht. Dieses erlaubt der Bremsscheibe soviel Axialbewegung, dass die einseitig eingeleitete hydrostatische Bremskraft F durch eine ebenso große Gegenkraft am rückwärtigen Reibbelag kompensiert wird.
Prinzip des Kraftausgleichs Beim Kraftausgleich wird der Ausgleich beziehungsweise die Vermeidung großer Reaktionskräfte in Lagerungen angestrebt, insbesondere bei einer dynamischen Belastung des Systems. Der Kraftausgleich erfolgt in erster Linie durch den Einsatz von Ausgleichselementen oder symmetrische Anordnungen [Pahl et al. 2005]. Der Kraftausgleich bezieht sich auf dynamische Reaktionskräfte, die durch die Funktion des Systems (in der Regel in Form sich bewegender Elemente) entstehen (im Gegensatz zum Lastausgleich, der sich auf statische Massenkräfte bezieht, die von außen auf das System wirken). Funktionsbedingt kann es passieren, dass die Hauptgröße wie eine zunehmende Last oder ein steigendes Antriebsmoment die Reaktionskräfte ansteigen lässt. Diese belasten dann das Gehäuse oder andere Elemente des Produktes, so dass ein Ausgleich mit einfließen muss, damit die Belastung nicht zu groß wird. Aus diesem Grund werden entweder Ausgleichselemente eingesetzt oder es wird eine symmetrische Anordnung angestrebt.
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Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
Beispiel: Kraftausgleich bei Strömungsmaschinen [Pahl et al. 2005] Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Das linke Bild zeigt eine Strömungsmaschine ohne Kraftausgleich. Durch den unsymmetrischen Läufer ergibt sich eine starke Belastung der rechten Lagerung, die entsprechend massiv auszulegen ist. Dahingegen ist die Anordnung im rechten Bild symmetrisch, wodurch sich eine gleichmäßige Belastung beider Lager ergibt.
Prinzip der Selbsthilfe Es sind konstruktive Anordnungen anzustreben, bei der ein besonderes oder geeignetes Element unterstützend eingreift, um die Funktion besser zu erfüllen. Dies geschieht meist mit einem geschlossenen Kraftfluss [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009]. Folgende Ausprägungen werden unterschieden: x Selbstverstärkung: bei Normallasten ergibt sich eine Hilfswirkung, die zusammen mit der Ursprungswirkung eine verstärkende Gesamtwirkung erzeugt. x Selbstausgleich: Hier kann sich bei Normallast eine Hilfswirkung einstellen, die der ursprünglichen Wirkung entgegen wirkt und damit einen Ausgleich schafft, damit das System trotz einer eventuellen Störung betriebsbereit ist x Selbstschutz: Bei einer Überlast tritt eine Hilfswirkung ein, bei der dann eine Umverteilung der Hauptgröße stattfindet.
A4 Bauebene
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Beispiel: Selbstverstärkung bei einer Schraubensicherung Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Die dargestellte Schraubensicherung (rechts) besteht aus zwei Scheiben und wird zwischen Bauteil und Schraubenkopf montiert. Die Steigung der Keilflächen des Sicherungselements (Į) ist größer als die Gewindesteigung der Schraube (ȕ). Werden Schraube und/oder Mutter angezogen, so erzeugen die Keilflächen einen Formschluss. Dabei wird die Flächenpressung zwischen den Radialrippen erhöht. Die gegenseitig auflaufenden Keilflächen verklemmen sich ineinander und die so erhöhte Vorspannkraft verhindert ein Losdrehen. Wird die Schraube gelöst, nimmt sie ihre formschlüssige Scheibe mit, so dass sie mit ihren Schrägflächen unmittelbar auf den Schrägflächen der Gegenseite aufläuft. Auf diese Weise wird der Keileffekt ausgenutzt und die Vorspannkraft erhöht.
Beispiel: Selbsthilfe bei Turbinenschaufeln [Ehrlenspiel 2009] Nicht optimal
Optimiert
Erläuterung: Die Belastungen für die Schaufeln (von Turbinen und Verdichtern in Gasturbinen) setzen sich unter anderem aus Gasbiegekräften und Fliehkräften zusammen. Die Gaskräfte können in Axial- und Tangentialkomponenten zerlegt werden. Sie rufen Biegespannungen in der Schaufel hervor, die im Schaufelfuß ein Maximum erreichen. Diese Spannungen können durch eine leichte Neigung der Schaufelachse in Drehrichtung durch das dann entstehende Fliehkraftmoment für eine Betriebsbelastung und Drehzahl ausgeglichen werden (Bild rechts). Für andere Belastungen tritt damit eine Verminderung der Biegebelastung ein. Somit können die Belastungen einer Schaufel deutlich reduziert werden.
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Anhang A Checklisten und Hilfsmittel
A4-3-4 Prinzipien zu Systemen Die Prinzipien zu Systemen betreffen die Systemarchitektur beziehungsweise die Systemstruktur [Ehrlenspiel 2009]. Zum Beispiel helfen die zugehörigen Prinzipien dabei, eine Aussage hinsichtlich der optimalen Verknüpfung zwischen Funktionsebene und Bauebene zu treffen [Ulrich et al. 1995]. Prinzip der Funktionsdifferenzierung Bei der Funktionsdifferenzierung erfüllt jedes Bauteil eine einzige Funktion. Prinzip der Funktionsintegration Bei der Funktionsintegration erfüllt ein Bauteil zwei oder mehr Funktionen. Beispiel: Funktionsdifferenzierung und -integration bei Mobiltelefonen Funktionsdifferenzierung
Funktionsintegration
Erläuterung: Im linken Modell werden die Funktionen Anzeige und Eingabe durch unterschiedliche Systemelemente realisiert. Im rechten Modell sind diese Funktionen in ein Systemelement integriert.
Prinzip der Differenzialbauweise Unter Differenzialbauweise versteht man die Auflösung eines Einzelteils in mehrere Werkstücke, die günstig gefertigt und montiert werden können. Sie wird meist bei kleinen Stückzahlen eingesetzt, da sie kostengünstiger in der Auslegung und in der Fertigung ist.
A4 Bauebene
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Prinzip der Integralbauweise Unter Integralbauweise versteht man die Zusammenfassung mehrerer Einzelteile, die aus einem einheitlichen Werkstoff bestehen, zu einem Werkstück. Die Anwendung dieses Prinzips ist nützlich, wenn eine hohe Stückzahl angestrebt wird. Weiter wird auch die Logistik wesentlich vereinfacht. Beispiel: Unterschiedliche Bauweisen [Ehrlenspiel 2009] Differenzialbauweise
Integralbauweise
Erläuterung: Beide Bilder zeigen einen Funktionsträger. Links ist dieser aus 11 Bauteilen, die miteinander verschraubt werden, in Differenzialbau-weise dargestellt. Dies ist bei einem Maschinenprototyp in Einzelfertigung aus Halbzeugen gerechtfertigt. Rechts ist der gleiche Funktionsträger nur noch als ein Feingussteil (Integralbauweise) mit weniger als ein Drittel der Kosten gezeigt, wie er in der Serienfertigung verwendet werden sollte.
Glossar
ABC-Analyse Methode der Informationsaufbereitung mit dem Ziel, Wichtiges von weniger Wichtigem zu trennen beziehungsweise Sachverhalte in der Reihenfolge ihrer Bedeutung zu ordnen [Daenzer et al. 1999]. Dabei erfolgt eine Klassifikation innerhalb einer betrachteten Menge (zum Beispiel Produkte oder Bauteile) in Bezug auf ein bestimmtes Merkmal (zum Beispiel Kosten, Gewicht oder Mängel). Abstraktion Grundprinzip des Denkens und Handelns. Bedeutet in der Anwendung, dass nur die wesentlichen Aspekte eines Systems betrachtet werden, die für die jeweilige Zielsetzung unwesentlichen Details werden weggelassen. Eine Abstraktion muss immer zielgerichtet erfolgen. Ähnlichkeitskennzahlen Dimensionslose Potenzprodukte von messbaren und mit Einheiten behafteten technischen Größen [Deimel 2007]. Ähnlichkeitskennzahlen können für den Vergleich und die quantitative Bewertung von Lösungsprinzipien und Lösungsalternativen herangezogen werden. Alternative Alternativen sind unterschiedliche Möglichkeiten oder Ansätze zur Lösung eines Problems. Das „Denken in Alternativen“ ist ein wesentliches Grundprinzip der Produktentwicklung beziehungsweise der Problemlösung [Daenzer et al. 1999]. Alternativenbaum Grafische Repräsentation der durch die Kombination einzelner Elemente erzeugten alternativen Gesamtlösungen in Form einer hierarchischen Baumstruktur. Alternativenmatrix Hilfsmittel zur strukturierten Darstellung eines Alternativenspektrums. Alternierende Kombination und Auswahl Methode zur Beherrschung der Vielfalt bei der Generierung von Gesamtkonzepten, beispielsweise auf Basis eines Morphologischen Kastens. Die Methode integriert Auswahlschritte in das Generierungsverfahren, indem direkt nach
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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Glossar
jedem Kombinationsschritt die erzeugten Kombinationen beurteilt werden [Birkhofer 1980]. Anforderung Geforderte Eigenschaft in Bezug auf das zu entwickelnde Produkt oder den Entwicklungsprozess. Anforderungen lassen sich formal durch Merkmale und Ausprägungen ausdrücken. Anforderungsharmonisierung Strategie im Rahmen des Anforderungsmanagements für variantenreiche Produktprogramme. Ziel einer Anforderungsharmonisierung ist es, Zielwerte von Anforderungen verschiedener Produktvarianten anzugleichen. Hierfür müssen in der Regel Kompromisse eingegangen werden. Anforderungsliste Hilfsmittel zur strukturierten Dokumentation von Anforderungen. Anforderungsmodell Formale Abbildung und Dokumentation der Anforderungen an ein technisches Produkt. Anforderungsoptimierung Strategie im Rahmen des Anforderungsmanagements für variantenreiche Produktprogramme. Ziel einer Anforderungsoptimierung ist es, etwaige Übererfüllungen von Anforderungen (beispielsweise durch "Overengineering") zu vermeiden und somit die Produktkosten zu verringern. Anforderungsraum Menge aller Anforderungen an ein Produkt auf unterschiedlichen Konkretisierungsebenen. Hauptkomponente des Münchener Produktkonkretisierungsmodells (MKM) neben dem Lösungsraum. Anpassbaustein Baustein eines Baukastensystems zur Realisierung einer Anpassfunktion. Anpassbausteine sind nur zum Teil festgelegt und müssen im Einzelfall aufgrund nicht vorhersehbarer Randbedingungen in ihren Abmessungen angepasst werden. Sie können als Muss- oder Kann-Bausteine auftreten. Anpassfunktion Teilfunktion zur Anpassung eines Baukastensystems an andere Systeme und Randbedingungen. Anpassfunktionen werden durch Anpassbausteine verwirklicht. Arbeitssicherheit Einschränkung von Gefährdungen des Menschen bei der Arbeit beziehungsweise bei Benutzung oder Gebrauch technischer Systeme auch außerhalb der Arbeitswelt, zum Beispiel im Sport oder in der Freizeit [nach Pahl et al. 2005].
Glossar
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Assoziationsliste Hilfsmittel zur Unterstützung der Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder [Gramann 2004]. Die Liste enthält Suchbegriffe für die Suche nach biologischen Systemen oder Phänomenen, wobei der Zugang zu diesen Begriffen über technische Funktionen erfolgt. Auftragsspezifische Funktion Spezielle Teilfunktion für Einzelaufträge, die ein Baukastensystem auch für spezielle Wünsche geeignet macht. Sie wird über so genannte Nicht-Bausteine verwirklicht, die nicht Bestandteil des eigentlichen Baukastensystems sind. Ausarbeiten Schaffung der verbindlichen Unterlagen für die Produktion und Nutzung des Produktes. Festlegung der letzten Gestaltdetails, unter anderem hinsichtlich Form, Werkstoff und Oberflächenbeschaffenheit unter Berücksichtigung relevanter Normen und Vorschriften [Pahl et al. 2005]. Ausprägung Teil einer merkmalsspezifischen Wertemenge. In Kombination mit zugehörigen Merkmalen (zum Beispiel Wandstärke) beschreiben Ausprägungen (zum Beispiel 12 mm) die Eigenschaften eines Systems und seiner Elemente. Bauebene Ebene im Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM), in der die konkreten gestaltbezogenen Lösungsmöglichkeiten für eine technische Problemstellung beschrieben werden. Bauelement Überbegriff für die Bestandteile des Gesamtproduktes auf Bauebene (Bauteile, Baugruppen oder Module), wie sie gefertigt und montiert werden. Baukastensystem Technisches und wirtschaftliches Gestaltungsprinzip, bei dem eine möglichst große Zahl an Produktvarianten aus einer möglichst geringen Anzahl an Bausteinen (Bauteilen, Baugruppen) zusammengesetzt wird [Biegert 1971]. Die zugehörige Bauweise wird als Baukastenbauweise bezeichnet. Baukonzept Produktkonzept auf Bauebene mit Bezug zur Gestalt einzelner Bauteile und Baugruppen sowie deren Schnittstellen. Baumodell Darstellungsform oder Repräsentation eines technischen Produktes auf der Ebene konkreter Bauelemente. Baumodelle dienen als Grundlage für die Fertigung und Montage des Produktes, aber auch für weitere Phasen im Produktlebenszyklus (beispielsweise Transport, Nutzung, Service, Recycling).
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Glossar
Baureihe Produkte gleicher Funktion, die der Größe nach systematisch gestuft sind [Ehrlenspiel 2009]. Anpassungskonstruktion mit gleicher Funktion, gleichem Wirkkonzept sowie möglichst gleichen Werkstoffen und Fertigungsverfahren, die sich lediglich in Leistungsdaten, Abmessungen und davon abhängigen Größen (Gewicht, Kosten und so weiter) unterscheiden. Baustein Bestandteil eines Baukastensytems. Hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Baukastensystem lassen sich Bausteine beispielsweise unterscheiden in Grundbausteine, Sonderbausteine und Anpassbausteine. Baustruktur Gliederung technischer Produkte in Baugruppen und Bauteile sowie die Kopplung der Bauteile [Kohlhase 1996]. Bauteil-Lastfall-Matrix Matrix, welche die für die Konstruktion relevanten Bauteile und die für die Simulation relevanten Lastfälle gegenüberstellt und deren gegenseitige Beeinflussung abbildet, um die Kommunikation zwischen den Bereichen Konstruktion und Simulation zu verbessern [Herfeld 2007]. Bedingungszustand Zustand im Nebenumsatz eines Umsatzorientierten Funktionsmodells, der notwendig ist für eine Operation im Hauptumsatz. Liegt dieser Zustand nicht vor, kann die Operation im Hauptumsatz nicht erfolgen. Benchmarking Methode zur Identifizierung von Verbesserungspotenzialen von Produkten oder Prozessen im Hinblick auf definierte Vergleichsgrößen durch einen Vergleich mit internen oder externen Benchmarkpartnern [Fahrni 2002, Kairies 2007]. Berechnung Analytisches Verfahren zur Ermittlung von Produkteigenschaften. Die Spanne reicht dabei von einfachen Überschlagsrechnungen bis hin zur Ableitung analytischer Zusammenhänge aus empirischen Untersuchungen. Beschaffenheitsmerkmal Merkmal, das beispielsweise durch die Geometrie, den Werkstoff oder auch die angewandten Fertigungsverfahren die Beschaffenheit einer Lösung beschreibt. Beschaffenheitsmerkmale stellen direkte Merkmale dar und können vom Entwickler unmittelbar festgelegt werden [DIN 2330, Göker 1996]. Betriebssicherheit Einschränkung von Gefährdungen beim Betrieb von technischen Systemen, so dass diese selbst und ihre unmittelbare Umgebung (Betriebsstätte, Nachbarsysteme und so weiter) keinen Schaden nehmen [Pahl et al. 2005].
Glossar
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Bewertungskriterium Merkmal, das zum Vergleich und zur Beurteilung von Lösungsalternativen herangezogen wird. Die Auswahl von Bewertungskriterien ist in Abhängigkeit vom Konkretisierungsgrad der zu vergleichenden Lösungen zu treffen. Bionik Durch die Verknüpfung von Biologie und Technik entstandenes Kunstwort [Gramann 2004, Hill 1997]. Verfolgt die Integration von Wissen aus der Biologie in den Bereich der Technik. Black Box Methode zur Abbildung der grundlegenden Funktion beziehungsweise des wesentlichen Zwecks eines Systems. Dabei wird der innere Aufbau vernachlässigt und nur die Interaktion mit der Umwelt betrachtet. Durch diese Form der Abstraktion lässt sich die Komplexität eines Sachverhalts deutlich reduzieren. Checkliste Hilfsmittel zur übersichtlichen Dokumentation wichtiger Gesichtspunkte. Einsatzgebiete sind insbesondere wiederkehrende Routinetätigkeiten, sicherheitsrelevante Aktivitäten und oder kreative Prozesse. Checkliste mit Gestaltparametern Strukturierte Sammlung von Gestaltparametern zur Unterstützung der Erarbeitung von alternativen Gestaltlösungen [Ehrlenspiel 2009]. Die Checkliste gibt dem Entwickler eine Orientierung, welche Stellgrößen er für die Konkretisierung und auch Variation der Gestalt zur Verfügung hat. Checkliste zur Anforderungsklärung Sammlung häufig wiederkehrender Anforderungsarten, die bei der strukturierten Ermittlung von Anforderungen unterstützt. Die Gliederung erfolgt zum Beispiel nach Hauptmerkmalen wie Geometrie, Kräfte, Sicherheit, Ergonomie, Fertigung, Montage, Gebrauch, Recycling, Kosten und Termin [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009]. Checkliste zur Variation der Funktion Strukturierte Sammlung von Variationsmöglichkeiten für Funktionen in Funktionsmodellen. Conjoint-Analyse Häufig eingesetzte Analysemethode zur Erhebung der Präferenzen von Konsumenten [Gustafsson et al. 2007]. Hierbei wird untersucht, in welchem Maß einzelne Merkmale oder Merkmalskombinationen des Produktes vom Nutzer bevorzugt werden. demontagegerecht Hauptzielsetzung im Sinne eines DfX-Kriteriums. Beinhaltet Aspekte, die einen optimalen Zerlegevorgang des Produktes gewährleisten und damit ein kosteneffizientes, wirtschaftlich durchführbares Recycling fördern.
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Glossar
Design for X / Design to X Subsummierung einer Reihe von Gestaltungsrichtlinien für die Produktentwicklung und Konstruktion. X steht dabei als Platzhalter für verschiedene Hauptzielsetzungen, die in der Produktentwicklung verfolgt werden (zum Beispiel Kosten, Sicherheit, Fertigung, Montage, Nachhaltigkeit). deterministische Gefährdung Gefährdung, die aus den verwendeten physikalischen Prinzipien sowie dem Aufbau des Produktes resultiert. Die Maßnahmen gegen deterministische Gefährdungen sind darauf ausgerichtet, diese während der voraussichtlichen Lebensdauer eines Systems zu beseitigen. DFA-Methode Methode zur Bewertung der Montageeignung von Montagebaugruppen und Produkten, basierend auf einem System an Kennziffern, die aus Umfragen in verschiedenen Unternehmen stammen [Boothroyd et al. 2002]. Differenzialbauweise Auflösung eines Einzelteils in mehrere Werkstücke, die günstig gefertigt und montiert werden können [Ehrlenspiel 2009]. Differenzierung Strategie, die die Abgrenzung einzelner Produktvarianten im Produktprogramm bezeichnet, um spezielle Kundengruppen anzusprechen. Mit Differenzierung ist auch die Abgrenzung zu Wettbewerbsprodukten im Sinne der Alleinstellung gemeint. direkte Eigenschaft Eigenschaft, die vom Entwickler unmittelbar festgelegt und verändert werden kann (beispielsweise Geometrie, Werkstoff und Oberflächenbeschaffenheit). direktes Merkmal Merkmal, das vom Entwickler unmittelbar in seinen Ausprägungen festgelegt und verändert werden kann (beispielsweise Geometrie, Werkstoff und Oberflächenbeschaffenheit). diskursiv Schrittweise und weitgehend bewusst, durch Vorgehenspläne strukturiert und von einem kritischen Hinterfragen begleitet (im Gegensatz zu intuitiv). Eigenschaft Tatsächliches oder gefordertes Charakteristikum eines Betrachtungsobjektes, beispielsweise eines Produktes oder Prozesses. Eine Eigenschaft setzt sich formal aus einem Merkmal (zum Beispiel Wandstärke) und einer Ausprägung (zum Beispiel 12 mm) zusammen. Eigenschaftsliste Formular zur Dokumentation von Lösungseigenschaften [Bichlmaier 2000], das analog zur Anforderungsliste ständig aktuell zu halten ist, und in dem unter
Glossar
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anderem Merkmale zu kennzeichnen sind, die wichtig für die Bewertung sind, bei denen aber benötigte Informationen noch fehlen. Einflussmatrix Methode, bei der in strukturierter Form die gegenseitige Beeinflussung von Elementen eines Systems (zum Beispiel Situationsmerkmale, Funktionen, Bauteile, Personen im Unternehmen) ermittelt wird. Als Ergebnis erhält man Aussagen über die Intensität der jeweiligen Wechselwirkung (sehr stark bis sehr schwach) und die Bedeutung der Elemente im Gesamtsystem (aktiv, kritisch, träge oder passiv). Element Bestandteil eines Systems. Entwerfen Teil des Entwickelns beziehungsweise Konstruierens, in dem für ein technisches Gebilde die Baustruktur nach technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten eindeutig und vollständig erarbeitet wird [Pahl et al. 2005]. Entwicklungsaufgabe Übergeordnete Aufgabenstellung des Entwicklungsprozesses mit Bezug zum Ergebnis, das am Ende erarbeitet werden soll. Eine übliche Unterscheidung des Neuheitsgrads in Bezug auf die Entwicklungsaufgabe ist die Differenzierung nach Neuentwicklung, Anpassentwicklung und Variantenentwicklung [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009]. Entwicklungsmodell Modell, das der Spezifikation der Struktur sowie der geometrischen und stofflichen Beschaffenheit eines zu entwickelndes Produktes dient. Entwicklungsprozess Unternehmerischer Prozess zur Festlegung von Sachprodukten und Dienstleistungen, der bei den Kundenanforderungen oder einem Entwicklungsauftrag startet und mit der Abnahme des Entwicklungsergebnisses durch den Auftraggeber abschließt. Entwicklungssituation Konkreter Zeitpunkt im Entwicklungsprozess, der sich durch den Zustand des zu entwickelnden Produktes und des Entwicklungsprozesses sowie durch Einflussfaktoren auf Produkt und Prozess beschreiben lässt [Ponn 2007]. Entwicklungsziel Angestrebtes Ergebnis des Entwicklungsprozesses, das in Form von Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt konkretisiert wird. Ergänzungszustand Zustand im Nebenumsatz eines Umsatzorientierten Funktionsmodells, der sich aufgrund von Gleichgewichtsbedingungen oder Erhaltungssätzen zwangsweise ergibt.
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Glossar
Failure Mode and Effects Analysis (FMEA) Methode zur präventiven Erkennung und Bewertung von vorhandenen und potenziellen Schwachstellen im betrachteten System (Produkt oder Prozess), um daraus gezielt Maßnahmen zur Fehlervermeidung und Risikominimierung abzuleiten. Fehler Nichterfüllen (Nichtkonformität) einer (festgelegten) Anforderung [DIN EN ISO 9000]. Fehlerbaum Methode zur strukturierten Darstellung von Fehlern und Schwachstellen eines technischen Systems. Entsteht durch die Ergänzung eines Funktionsbaums um Schwachstellen und Risiken. Fehlerbaumanalyse (Fault Tree Analysis, FTA) Methode zur Analyse des Zusammenhangs zwischen unerwünschten Ereignissen und deren Ursache sowie zur Ermittlung der Auftretenswahrscheinlichkeiten unerwünschter Ereignisse. Fehlernetz Methode zur strukturierten Darstellung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen bei der Fehlersuche in einem technischen System. Ausgangspunkt für die Herleitung eines Fehlernetzes kann ein Funktionsnetz sein. Finite-Elemente-Methode (FEM) Methode der numerischen Simulation zur Untersuchung von Körpern, die unter dem Einfluss von mechanischer und/oder thermischer Belastung stehen, hinsichtlich ihres Spannungs- und Verformungszustands. Fixpunkt Unveränderlicher Teil eines Systems, der die Handlungs- und Gestaltungsspielräume in einer Entwicklung einschränkt. Fixpunkte der Konstruktion eignen sich unter anderem als Ansatzpunkte für die Konkretisierung der Gestalt. Freiheitsgrad Veränderlicher Teil eines Systems, der Handlungs- und Gestaltungsspielräume in einer Entwicklung bietet. Funktion Funktionen beschreiben den Zweck von technischen Systemen und deren Elementen, das heißt die Beziehung zwischen Eingangs- und Ausgangsgrößen des Systems, ohne Information darüber geben zu müssen, wie diese Transformation realisiert wird (Black Box). Funktionen werden formal durch die Kombination eines Substantivs mit einem Verb beschrieben [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005].
Glossar
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Funktionsbaum Hierarchische Gliederung der Funktionen eines Systems. Ausgangspunkt ist die Gesamtfunktion, der die Teilfunktionen, die zum Generieren der Gesamtfunktion erforderlich sind, untergeordnet werden. Funktionsdifferenzierung Gestaltungsprinzip mit Bezug zur Systemarchitektur, das besagt, dass einzelne Bauelemente jeweils nur eine Funktion realisieren. Funktionsebene Ebene im Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM), in der die abstrakten, funktionellen Lösungsmöglichkeiten für eine technische Problemstellung beschrieben werden. Funktionsgewichtsanalyse Methode zur Ermittlung der Gewichtsstrukturen bestehender Systeme beziehungsweise zur Planung des zukünftigen Produktgewichtes. Funktionsgrößenmatrix Hilfsmittel zur gezielten Auswahl von physikalischen Effekten aus einem Effektkatalog auf Basis der Beziehung zwischen physikalischen Eingangs- und Ausgangsgrößen [VDI 2222]. Funktionsintegration Gestaltungsprinzip mit Bezug zur Systemarchitektur, das besagt, dass einzelne Bauelemente mehrere Funktionen realisieren. Funktionskonzept Produktkonzept auf Funktionsebene. Definiert das Produkt in seinen wesentlichen funktionalen Eigenschaften und bildet die Grundlage für die weiteren Entwicklungsschritte auf Wirkebene und Bauebene. Funktionsliste Aufzählung der Funktionen eines technischen Systems. Diese Darstellung bietet sich an, wenn die Teilfunktionen relativ unabhängig voneinander zu betrachten sind. Außerdem können damit die Funktionen komplexer Systeme gesammelt werden, bevor sie anschließend in einer vernetzten Darstellung abgebildet werden. Funktionsmerkmal Merkmal, das die von einem Objekt durchführbaren Handlungen beschreibt. Funktionsmerkmale stellen indirekte Merkmale dar, die sich in Folge der Festlegung von Beschaffenheitsmerkmalen ergeben [DIN 2330, Göker 1996]. Funktionsmodell Formale Abbildung und Dokumentation der Funktionen eines Systems. Funktionsmodellierung Abbildung der Funktionen eines Systems in einem Modell nach definierten Regeln. Wichtige Formen der Funktionsmodellierung in der Produktentwick-
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Glossar
lung sind die Umsatzorientierte, Nutzerorientierte und Relationsorientierte Funktionsmodellierung. Funktionsmodul Größere Einheit zusammengehöriger Funktionen, die sich aus einem Funktionsmodell heraus ermitteln lässt, auch Funktionseinheit genannt. Funktionsnetz Abbildung der Funktionen eines Systems in einer netzwerkartigen Struktur. Ausgangspunkt für die Erstellung eines Funktionsnetzes kann eine Funktionsliste oder ein Funktionsbaum sein. Funktionsstruktur Verknüpfung der Einzelfunktionen eines Systems über Relationen zu einem Funktionsnetz. Funktionsträger Systemelement (Baugruppe, Bauteil), das eine bestimmte Funktion in einem System übernimmt. Ein Funktionsträger ist ausschließlich über die zugeordnete Funktion beschrieben und enthält noch keine Angaben über die Realisierung auf Wirk- oder Bauebene. Gefahr Sachlage oder Situation, die durch stoffliches oder energetisches Potenzial gekennzeichnet ist, bei dessen Freisetzung akute Schädigungen von Personen oder Sachen möglich sind [Neudörfer 2005]. Gefährdung Räumliches und zeitliches Zusammentreffen von Personen und Gefahren, bei dem die Möglichkeit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder eines Körperschadens besteht [Neudörfer 2005]. Gefährdungsanalyse Methode, die dazu dient, die von einem Produkt ausgehenden Gefahren und Risiken möglichst frühzeitig zu identifizieren und mögliche Gefährdungen für den Menschen festzustellen. Ist Teil der Dokumentation der EG-Konformitätserklärung, welche die Kennzeichnung von Produkten/Maschinen mit dem CEZeichen erlaubt [Neudörfer 2005]. generierende Variation Vorgehen zur Lösungsvariation, bei dem zuerst eine Reihe unterschiedlicher möglicher Gestaltausprägungen erzeugt wird, aus denen in einem nächsten Schritt zielgerichtet ausgewählt wird. Gerechtheit Hauptzielsetzung in der Entwicklung und Konstruktion, der das Produkt genüge leisten muss, auch DfX-Kriterium genannt (Design for X). Beispiele für Gerechtheiten sind unter anderem verschleißgerecht, ergonomiegerecht,
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fertigungsgerecht, instandhaltungsgerecht und normengerecht [Pahl et al. 2005]. Gesamtfunktion Funktion, die den Zweck des Gesamtsystems beschreibt. Die Gesamtfunktion lässt sich in mehrere Teilfunktionen zergliedern, die durch ihr Zusammenwirken zur Erfüllung der Gesamtfunktion beitragen. Gestalt Gesamtheit der geometrisch und werkstofflich beschreibbaren Eigenschaften eines Produktes. Die geometrischen Eigenschaften beschreiben unter anderem die Form, Lage, Größe und Anzahl von Systemelementen [Pahl et al. 2005]. Werkstoffliche Eigenschaften beschreiben unter anderem die Werkstoffart, die Werkstoffbehandlung und die Werkstoffoberfläche [VDI 2223]. Gestaltlösung Lösung für eine technische Problemstellung, die durch konkrete Gestalteigenschaften beschrieben wird. Ausgangspunkt für die Erarbeitung von Gestaltlösungen ist beispielsweise ein Wirkkonzept. Gestaltparameter Beschreibungsmerkmal, das sich auf Gestaltaspekte eines technischen Systems bezieht Gestaltungselement Ein Produkt lässt sich als System von Gestaltungselementen auffassen, die hierarchisch gegliedert werden können [VDI 2223]. Gestaltungselemente können demnach Bauteilflächen, Bauteile, Baugruppen und das Gesamtprodukt sein. Gestaltungsprinzip Allgemeiner Grundsatz, der der grundsätzlichen Optimierung eines Produktes dient und die Produktgestaltung auf unterschiedlichen Konkretisierungsebenen unterstützt. Gestaltungsregel Allgemeine oder themenspezifische Vorgabe, die den Entwickler auf verschiedenen Konkretisierungsebenen dabei unterstützt, ein Produkt optimal zu gestalten. Gestaltungsrichtlinie Sammlung an Vorgaben, die den Entwickler dabei unterstützen, bestimmten Hauptanforderungen der Entwicklung im Sinne eines Design for X (Design to X) gerecht zu werden. Eine Gestaltungsrichtlinie ist spezifischer formuliert und besitzt hinsichtlich der Produktoptimierung einen konkreteren Fokus als ein Gestaltungsprinzip. Gewichtete Punktbewertung Differenzierende Methode zur Lösungsbewertung. Erweiterung der Punktbewertung um eine Gewichtung der Bewertungskriterien. Wird bei einer großen
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Glossar
Anzahl von Kriterien mit unterschiedlicher Wertigkeit angewandt [Lindemann 2009]. Grundbaustein Baustein eines Baukastensystems zur Realisierung einer Grundfunktion. Ein Grundbaustein stellt einen Muss-Baustein dar. Grundfunktion Teilfunktion, die bei jeder zu erfüllenden Gesamtfunktion in einem Baukastensystem vorkommt. Grundfunktionen sind in einem System grundlegend immer wiederkehrend und unerlässlich. Grundprinzipien des Denken und Handelns Allgemeine Grundsätze oder Strategien, häufig heuristischer Natur, die als bewährte, präskriptive Verhaltensweisen dem Handeln im Entwicklungsprozess zugrunde gelegt werden können. Diese Grundprinzipien finden sich auch in vielen Methoden wieder und prägen dadurch deren Wirkungsweise [Lindemann 2009]. Grundregeln der Gestaltung Allgemeine Gestaltungsregeln („einfach, eindeutig und sicher“), die unabhängig von der Art des Produktes gelten und bei ihrer Einhaltung ein hohes Maß guter Realisierungschancen für das Produkt erwarten lassen, weil mit ihnen Funktionserfüllung, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit bewusst angesprochen und miteinander verknüpft sind [Pahl et al. 2005]. Hauptfunktion Funktion, die unmittelbar zur Gesamtfunktion des Systems beiträgt. Hauptumsatz Umsatz in einem System (zum Beispiel Stoff, Energie oder Signal), der unmittelbar zum Systemzweck beiträgt. hinweisende Sicherheitstechnik Maßnahmen der Sicherheitstechnik, die dann notwendig sind, wenn sich eine Restgefahr für den Menschen weder durch die mittelbare noch unmittelbare Sicherheitstechnik in ausreichender Weise entschärfen lässt. Diese Maßnahmen dienen nicht dazu, die Gefährdung für den Menschen direkt herabzusetzen, sondern können lediglich auf die Gefahr hinweisen [Neudörfer 2005]. indirekte Eigenschaft Eigenschaft, die der Entwickler nicht direkt festlegen und verändern kann (beispielsweise Betriebsverhalten, Ästhetik und Kosten). Indirekte Eigenschaften lassen sich nur durch die Festlegung direkter Eigenschaften beeinflussen. indirektes Merkmal Merkmal, das der Entwickler nicht direkt in seinen Ausprägungen festlegen und verändern kann (beispielsweise Betriebsverhalten, Ästhetik und Kosten).
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Indirekte Merkmale lassen sich nur durch die Festlegung der Ausprägungen direkter Merkmale beeinflussen. Individualisierung Strategie, die auf eine optimale Befriedigung von Kundenbedürfnissen abzielt. Neben einer Vorentwicklung der Produktstruktur erfolgt eine auftragsspezifische Anpassung des Produktes an individuelle Kundenbedürfnisse. Um dies zu angemessenen Kosten am besten erfüllen zu können, sind unter anderem flexible Leistungssysteme (Produkte und Prozesse) notwendig [Lindemann et al. 2006]. Information Daten, die in einem Bedeutungskontext stehen, explizit vorliegen und zur Vorbereitung von Handlungen und Entscheidungen dienen. Integralbauweise Zusammenfassung von mehreren Einzelteilen, die aus einem einheitlichen Werkstoff bestehen, zu einem Werkstück [Ehrlenspiel 2009]. Integrierte Produktentwicklung Die Integrierte Produktentwicklung verfolgt das übergeordnete Ziel, die Zusammenarbeit aller am Entwicklungsprozess Beteiligten zu unterstützen, um Produkte unter verbessertem Zeit-, Kosten- und Qualitätsverhältnis auf den Markt zu bringen [Ehrlenspiel 2009]. Sie ist Bestandteil der Integrierten Produkterstellung. Integrierte Produktpolitik (IPP) Integrierte Produktpolitik fördert und zielt auf eine stetige Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen hinsichtlich ihrer Wirkungen auf Menschen und Umwelt entlang des gesamten Produktlebensweges [Umweltpakt Bayern 2001]. intuitiv Einfallsbetont, nach Gefühl (im Gegensatz zu diskursiv). Iteration Wiederholung einer Handlung beispielsweise bezogen auf das gleiche Problem bei gleicher Eingangssituation. Kano-Modell Methode zur Gewichtung von Anforderungen nach der Kundenrelevanz durch die Unterscheidung in Basis-, Leistungs- und Begeisterungsmerkmale [Kano et al. 1984]. Die Erfüllung von Basismerkmalen wird vom Kunden stillschweigend vorausgesetzt. Die Erfüllung von Leistungsmerkmalen steht im proportionalen Zusammenhang mit der Kundenzufriedenheit. Begeisterungsmerkmale werden vom Kunden nicht erwartet, heben ein Produkt jedoch in positiver Hinsicht deutlich von anderen ab, können also die Kaufentscheidung maßgeblich beeinflussen.
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Glossar
Karnaugh-Diagramm Methode zur übersichtlichen Darstellung und Vereinfachung von logischen Schaltnetzwerken [Beuth 2006]. Kaskadierung Gestaltungsprinzip, das besagt, dass es sinnvoll sein kann, den Kraftfluss in einem System über mehrere unabhängige Pfade zu führen. Dadurch reduziert sich die in jedem der einzelnen Pfade wirkende Kraft in ihrer Größe und die betroffenen Strukturelemente müssen nicht so massiv ausgelegt werden, wodurch Material und damit auch Gewicht eingespart werden kann Kombinatorik Teilgebiet der Mathematik, in dem unter anderem die Anzahl der verschiedenen möglichen Anordnungen der Elemente einer Menge oder die Anzahl von möglichen neuen Mengen, die mithilfe der Elemente einer Ausgangsmenge gebildet werden können, untersucht wird. Komplexität Abhängig von den Elementen (Art und Verschiedenartigkeit, Anzahl und Ungleichmäßigkeit der Aufteilung), den Relationen (Art, Verschiedenartigkeit und Anzahl) und der Dynamik (Art und Anzahl der möglichen Zustände). Kompromiss Ausgleich bei sich widersprechenden Zielen durch beiderseitige Zugeständnisse. Konkretisierungsgrad Dimension zur Ordnung der vom Abstrakten zum Konkreten entstehenden Ergebnisse des Entwicklungsprozesses. Entgegengerichtet kann vom Abstraktionsgrad gesprochen werden. Zugehörige Tätigkeiten sind das Konkretisieren beziehungsweise das Abstrahieren. Konstruktion Wichtiger Teilbereich der Produktentwicklung, der sich mit der Konzipierung und Gestaltung von Produkten befasst. Die Konstruktion grenzt sich zu anderen Bereichen der Produktentwicklung ab, zum Beispiel der Berechnung, der Simulation, dem Prototypenbau und dem Versuch [Ehrlenspiel 2009]. Konstruktionskatalog Sammlung bekannter und bewährter Lösungen auf Wirk- oder Bauebene. Konstruktionskataloge zeichnen sich vor allem durch eine systematische Ordnung der beinhalteten Einträge in einen Gliederungsteil, Hauptteil und Zugriffsteil aus [Roth 1994a]. Konzentration Grundprinzip des Denken und Handelns. Bedeutet in der Anwendung, dass im ersten Ansatz nur die wichtigen Teilaspekte eines Systems, beispielsweise Hauptfunktionen, betrachtet werden. Eine Vervollständigung der Betrachtung,
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beispielsweise unter Einbezug der Nebenfunktionen, kann dann schrittweise erfolgen. Konzept Prinzipieller Lösungsvorschlag für eine technische Aufgaben- oder Problemstellung [Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005]. Konzepte können auf verschiedenen Ebenen der Produktkonkretisierung erstellt werden (Funktions-, Wirk-, Baukonzepte). Korrelationsmatrix Hilfsmittel zur Analyse der gegenseitigen Beeinflussung von Elementen eines Systems (beispielsweise Anforderungen). Diese Analyse kann dreistufig mit der Unterscheidung in positive, negative und keine Beeinflussung geschehen oder mithilfe einer Gewichtung zur Darstellung der Stärke der Abhängigkeiten. korrigierende Variation Vorgehen zur Lösungsvariation, bei dem zu Beginn nur eine Gestaltlösung definiert wird, die dann in der weiteren Bearbeitung fortschreitend auf Schwachstellen analysiert und entsprechend abgeändert oder ersetzt wird. Auch mehrstufige Variation genannt. Kraftausgleich Gestaltungsprinzip, das den Ausgleich beziehungsweise die Vermeidung großer Reaktionskräfte, insbesondere bei einer dynamischen Belastung des Systems verfolgt [Pahl et al. 2005]. Kraftfluss Modellvorstellung bei der davon ausgegangen wird, dass Kräfte in Bauteilen wie eine Flüssigkeit „zirkulieren“. Es handelt sich hierbei um eine rein statische Systembetrachtung [Ehrlenspiel 2009]. Kunde Eine Person oder Organisation, die Güter oder Dienstleistungen bezieht. Kundenanforderung Anforderungen mit direktem Bezug zum Kunden des Produktes. Kundenindividuelle Massenproduktion Produktion von Gütern und Leistungen für einen (relativ) großen Absatzmarkt, welche die unterschiedlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Nachfragers dieser Produkte treffen, zu Kosten die ungefähr denen einer massenhaften Fertigung vergleichbarer Standardgüter entsprechen [Piller 1998]. Lastausgleich Gestaltungsprinzip, mit dem die gleichmäßige Aufnahme von Kräften und Momenten bei einer Leistungsverzweigung an mechanisch parallel geschalteten Wirkflächen angestrebt wird [Ehrlenspiel 2009].
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Lastenheft Dokument, das die vom Auftraggeber festgelegte Gesamtheit der Anforderungen an die Lieferungen und Leistungen eines Auftragnehmers innerhalb eines Auftrags wiedergibt [DIN 69905]. Leitstützstruktur Verbindung zwischen einzelnen Wirkflächenpaaren eines technischen Produktes, die eine dauernde oder zeitweise Leitung von Energie, Stoff und Information ermöglicht [Matthiesen 2002]. Lösung Erfüllt die gegebenen Anforderungen und wurde gegebenfalls aus Lösungsalternativen ausgewählt [Lindemann 2009]. Lösungsalternative Unterscheidet sich von einer Lösungsidee dadurch, dass die grundsätzliche Eignung in Bezug auf die Anforderungen abgesichert ist, dass somit ein erster Prozess der Eigenschaftsanalyse und Bewertung durchlaufen wurde [Lindemann 2009]. Lösungsidee Wird im Rahmen der Lösungssuche ermittelt; die grundsätzliche Eignung einer Lösungsidee in Bezug auf die Anforderungen ist nicht abgesichert [Lindemann 2009]. Lösungsklasse Zusammenfassung von mehreren einzelnen Lösungsideen oder Lösungen, die sich durch gemeinsame charakteristische Eigenschaften auszeichnen, zum Beispiel die Art der zugrunde liegenden Physik (mechanische, hydraulische, elektrische Lösungen). Lösungsraum Menge aller Lösungsmöglichkeiten für eine technische Problemstellung auf unterschiedlichen Konkretisierungsebenen. Hauptkomponente des Münchener Produktkonkretisierungsmodells (MKM) neben dem Anforderungsraum. Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder Methode zur Ermittlung von prinzipiellen Lösungsideen durch die Übertragung biologischer Phänomene in die technische Anwendung [Gramann 2004]. Konkrete Form der Anwendung von Bionik in der Produktentwicklung. Lösungssuche mit physikalischen Effekten Methode zur Lösungssuche die es ermöglicht, neue Sichtweisen zu eröffnen und Denkblockaden aufzulösen. Papierbasierte oder digitale Effektesammlungen unterstützen dabei die systematische Suche nach Effekten zur Realisierung der Systemfunktion. Als Grundlage für die Lösungssuche kann ein Umsatzorientiertes Funktionsmodell dienen.
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Mangel Nichterfüllung einer Anforderung in Bezug auf einen beabsichtigten oder festgelegten Gebrauch [DIN EN ISO 9000]. Mechatronik Intelligentes Zusammenwirken der Elemente des Maschinenbaus, der Elektrotechnik/Elektronik sowie der Informationstechnik. mehrdimensionales Ordnungsschema System zur Strukturierung von Lösungsalternativen nach mehreren unterschiedlichen Kriterien und damit zur Schaffung eines Überblicks über den Lösungsraum. Die Dimension des Ordnungsschemas richtet sich dabei nach der Anzahl der Gestaltmerkmale, die für eine Einordnung der Lösungsalternativen herangezogen werden. Merkmal Beschreibender Parameter eines Systems. Merkmale (zum Beispiel Wandstärke) beschreiben in Kombination mit zugehörigen Ausprägungen (zum Beispiel 12 mm) die Eigenschaften eines Systems und seiner Elemente. Methode Planmäßiges und regelbasiertes Vorgehen, nach dessen Vorgabe bestimmte Aktivitäten auszuführen sind, um ein gewisses Ziel zu erreichen. Methodik Zusammenfassung verschiedener Einzelmethoden und Vorgehenspläne, die eine gemeinsame Zielsetzung verfolgen und in Kombination anwendbar sind. Mind Map ® Hilfsmittel zur Visualisierung und Strukturierung eines Sachverhalts, das auf verschiedene Betrachtungsobjekte angewandt werden kann (zum Beispiel Situationsmerkmale, Anforderungen und Lösungen) [Buzan 1993]. mittelbare Sicherheitstechnik Maßnahmen der Sicherheitstechnik, die größtenteils durch Schutzeinrichtungen realisiert werden, wenn sich Gefahren für den Menschen nicht von vornherein vermeiden lassen. Sie lassen sich in die vier Grundtypen trennende, abweisende, ortsbindende Schutzeinrichtungen sowie Schutzeinrichtungen mit Annäherungsreaktion unterteilen [Neudörfer 2005]. Modalitätenwechsel Grundprinzip des Denken und Handelns. Bedeutet in der Anwendung einen gezielten Wechsel der Perspektive oder des Betrachtungsgegenstandes (beispielsweise vom Ganzen zum Teil oder vom Abstrakten zum Konkreten) [Lindemann 2009].
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Modell Gegenüber einem Original zweckorientiert vereinfachtes, gedankliches oder stoffliches Gebilde, das Analogien zu diesem Original aufweist und so bestimmte Rückschlüsse auf das Original zulässt. Modul Physisch zusammenhängende, in der Regel austauschbare Einheit des Gesamtsystems mit klar definierten Schnittstellen, das sich durch eine einfache Montagemöglichkeit mit nur wenigen Befestigungsteilen auszeichnet (auf Produkte bezogen). Modularisierung Gestaltungsprinzip, das auf der Zerlegung eines Systems in leicht austauschbare Teile (Module) basiert. Es ist sowohl auf Produkte wie auf Prozesse anwendbar. Das Prinzip dient der Unterteilung des Gesamtsystems in überschaubare Einheiten, die (bezogen auf Produkte) unabhängig voneinander entwickelt, beschafft, produziert und geprüft werden können. Montage Umfasst den Zusammenbau eines Produktes mit vorgegebener Funktion in einer bestimmten Zeit aus einer Vielzahl an Einzelteilen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Produkterstellungsprozess mit unterschiedlichen Fertigungsverfahren hergestellt werden. Neben dem Zusammenbau gehören auch alle notwendigen ergänzenden Hilfsarbeiten dazu [Stoll 1995, Lotter et al. 2006]. Montageanlage Wird zusammen mit dem Montageprozess im Rahmen der betrieblichen Montageplanung entwickelt. Für die Entwicklung montagegerechter Produkte ist eine integrierte Betrachtung der drei Einflussfaktoren Produkt, Montageprozess und Montageanlage erforderlich. montagegerecht Hauptzielsetzung im Sinne eines DfX-Kriteriums. Bedeutet, den aus der Produktgestalt resultierenden Aufwand für die Betriebsmittel, das Personal sowie die Steuerung der Montage zu minimieren. Montagegerechte Produkte erfüllen die Anforderungen, die sich aus der Montage an ein Produkt ergeben. Montageoperation Teilschritt im gesamten Montageprozess. Montageoperationen lassen sich in die Kategorien Handhaben, Fügen, Kontrollieren, Justieren und Sonderoperationen einteilen [VDI 2860]. Montageplanung Funktionsbereich im Unternehmen mit der Aufgabe, Montageprozesse und Montageanlagen zu entwickeln. Montageprozess Wird zusammen mit der Montageanlage im Rahmen der betrieblichen Montageplanung entwickelt. Für die Entwicklung montagegerechter Produkte ist eine
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integrierte Betrachtung der drei Einflussfaktoren Produkt, Montageprozess und Montageanlage erforderlich. Montagestruktur Struktur des Montageprozesses (beispielsweise sequentielle oder parallele Montage). Montagevorranggraf Hilfsmittel zur Abbildung der logisch-zeitlichen Struktur des Montageablaufs, der die Verknüpfungen von voneinander abhängigen und sich beeinflussenden Montageschritten aufzeigt. Aus dem Montagevorranggraf wird ersichtlich, in welcher Reihenfolge das Produkt zu montieren ist [Friedmann 1989]. Morphologischer Kasten Spezielles eindimensionales Ordnungsschema zur übersichtlichen Darstellung eines Spektrums an Teillösungsideen und den daraus abgeleiteten Lösungskonzepten. Der Morphologische Kasten ordnet in einer tabellenartigen Struktur den Teilfunktionen die jeweils zugehörigen Teillösungsideen zu. Gesamtkonzepte lassen sich als Pfade darstellen, die einzelne Teillösungen miteinander verbinden [Zwicky 1966]. Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM) Vorgehensmodell der Produktentwicklung, das sich an den Eigenschaften der für den Entwicklungsprozess relevanten Produktmodelle orientiert. Vor allem der Konkretisierungsgrad dient als wesentliche Dimension zur Ordnung der Produktmodelle und zur Navigation durch den Entwicklungsprozess. Münchener Vorgehensmodell (MVM) Vorgehensmodell der Produktentwicklung, das den Entwicklungsprozess als Prozess der Problemlösung beschreibt. Die grafische Darstellung des Vorgehensmodells wurde in Form eines Netzwerks realisiert, weil dadurch reale Prozesse mit ihrem sprunghaften Verlauf besser abgebildet werden können als durch lineare Darstellungen [Lindemann 2009]. Nachhaltigkeit Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können [nach Detzer et al. 1999]. Navigation Bezogen auf den Entwicklungsprozess: Bestimmung der Situation und Planung des weiteren Vorgehens unter Beibehaltung der Zielorientierung. Nebenfunktion Funktion, die nicht unmittelbar zur Gesamtfunktion des Systems beiträgt, die aber beispielsweise als Voraussetzung im System erforderlich ist, damit Hauptfunktionen erfüllt werden können.
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Nebenumsatz Umsatz in einem System (zum Beispiel Stoff, Energie oder Signal), der nur indirekt zum Systemzweck beiträgt oder an Operationen des Hauptumsatzes anknüpft. Netzdiagramm Hilfsmittel zur grafischen Visualisierung von mehrdimensionalen Zielsystemen und den geforderten beziehungsweise tatsächlichen Zielausprägungen von Betrachtungsobjekten. Nicht-Baustein Baustein zur Realisierung einer auftragsspezifischen Funktion und damit nicht Bestandteil des eigentlichen Baukastensystems. Norm verbindliche Empfehlung, die in Technik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung der Vereinheitlichung von Benennungen, Kennzeichen, Formen, Größen, Abmessungen und Beschaffenheit von Produkten dient. numerische Simulation Modellierung physikalisch-technischer Abhängigkeiten mittels partieller Differenzialgleichungen und Diskretisierungsmethoden; Bestimmung des Systemverhaltens ohne physischen Prototypen. Nutzer Personen oder Personengruppen, die mit dem Produkt in bestimmten Phasen des Produktlebenszyklus in Interaktion treten. Neben den Anwendern des Produktes sind dies beispielsweise Einkäufer, Monteure, Servicefachkräfte und so weiter. Nutzerorientierte Funktionsmodellierung Methode zur Modellierung der Funktionen eines Systems mit Betonung der Nutzer. Dabei werden Funktionen aus Nutzersicht und die Interaktion verschiedener Nutzer mit dem System abgebildet [Lindemann 2009]. Nutzwertanalyse Differenzierende Methode zur Lösungsbewertung, der Gewichteten Punktbewertung sehr ähnlich. Ein besonderes Merkmal ist die hierarchische Strukturierung der Bewertungskriterien, verbunden mit einer Kriteriengewichtung. Der Einsatz der Methode bietet sich besonders bei einer großen Zahl von Bewertungskriterien an, um dem Zielsystem eine übersichtliche Struktur zu geben [Lindemann 2009]. Oberfläche Reale Oberflächen, wie sie in der Fertigung entstehen, weisen gegenüber idealen Oberflächen in einem Baumodell Gestaltabweichungen auf [Grote et al. 2005]. Relevante Oberflächeneigenschaften und Rauheitskenngrößen werden auf technischen Zeichnungen unter der Verwendung genormter Symbole gekennzeichnet [DIN EN ISO 1302].
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Ökobilanz Zusammenstellung und Beurteilung der Input- und Outputflüsse und der potenziellen Umweltwirkungen eines Produktsystems im Verlauf seines Lebensweges [DIN EN ISO 14040]. Ordnungsschema System zur Strukturierung von Lösungsalternativen in einer tabellenartigen Struktur und damit zur Schaffung eines Überblicks über den Lösungsraum [Dreibholz 1975]. Orientierender Versuch In frühen Phasen bei Vorliegen erster Lösungskonzepte können mittels Orientierender Versuche wesentliche Eigenschaften grob ermittelt und dabei wertvolle Erkenntnisse gesammelt werden. Paarweiser Vergleich Einfache Methode zur Lösungsbewertung, die auf einem direkten Vergleich von jeweils zwei Lösungsideen bezüglich eines einzigen Kriteriums beruht. Hieraus lässt sich eine Rangfolge der Lösungsalternativen nach ihrer Eignung ableiten [Lindemann 2009]. Passungen Entstehen durch die Beziehung der Toleranzfelder gepaarter Teile zueinander und stellen bei gleichem Nennmaß eine bestimmte Funktion aber auch die Austauschbarkeit sicher [Grote et al. 2005]. Beispiele für Passungsarten sind der Presssitz, der Schiebesitz oder der Laufsitz. Pflichtenheft Dokument, in dem die vom Auftragnehmer erarbeiteten Realisierungsvorgaben aufgrund der Umsetzung des Lastenheftes dokumentiert werden [DIN 66905]. Hier dokumentiert der Lieferant vertraglich bindend, wie das Lastenheft und damit die Kundenanforderungen umgesetzt werden sollen. physikalischer Effekt Elementare physikalische Erscheinung, die als Gesetzmäßigkeit formuliert werden kann, wodurch sich physikalisches Geschehen voraussehbar beschreiben lässt. Die Beschreibung physikalischer Effekte erfolgt zumeist durch relevante physikalische Größen, die in einen formelmäßigen Zusammenhang gebracht werden können, sowie durch eine Skizze der Anordnung. physikalischer Widerspruch Anforderung, dass ein Produktparameter zur gleichen Zeit zwei unterschiedliche Zustände einnehmen soll (zum Beispiel: Temperatur soll zugleich hoch und niedrig sein). Plattform Zusammenfassung von Komponenten, Schnittstellen und Funktionen, die über eine ganze Produktfamilie vereinheitlichbar und daher zeitlich stabil sind
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[Schuh et al. 2001]. Die Plattformbauweise kann als ein Sonderfall der Modularisierung aufgefasst werden. Plausibilitätsprüfung Kritische Überprüfung der Ergebnisse von Analysen und Bewertungen um darauf basierte Entscheidungen sicherer zu machen und eine „Zahlengläubigkeit“ zu vermeiden [Lindemann 2009]. Prinzip des beschränkten Versagens („fail-safe“) Gestaltungsprinzip im Rahmen der Sicherheitstechnik, mit dem das Ziel verfolgt wird, dass es während der Einsatzzeit des Produktes zu einer Funktionsstörung kommen kann, zum Beispiel zum Ausfall einer Komponente, ohne dass dies zum Versagen des Gesamtsystems oder zu schwerwiegenden Folgen führt. Prinzip des sicheren Bestehens („safe-life“) Gestaltungsprinzip im Rahmen der Sicherheitstechnik, mit dem das Ziel verfolgt wird, Bauteile und ihren Zusammenhang so zu gestalten, dass sie während der vorgesehenen Einsatzzeit sicher sind [Pahl et al. 2005]. Prinzipien der Separation Gestaltungsprinzipien, die der Auflösung physikalischer Widersprüche dienen. Grundgedanke der Separation ist es, sich widersprechende Erfordernisse nach verschiedenen Kriterien zu trennen, zum Beispiel in Raum oder Zeit [Herb 2000]. Prinzipien der Sicherheitstechnik Sammelbegriff für die unter den Begriffen unmittelbare, mittelbare und hinweisende Sicherheitstechnik bekannten Maßnahmen zur Beseitigung von deterministischen Fehlern und Gefahren [Neudörfer 2005, DIN 31000]. Prinzipien der Strukturökonomie Gestaltungsprinzipien, die bei der Kompromissfindung zur Lösung des Zielkonfliktes zwischen der Belastbarkeit einer Struktur und ihrer Masse helfen. Prinzipien des Leichtbaus Gestaltungsprinzipien, die das Ziel verfolgen, das Produktgewicht zu reduzieren. Prinzipien zu Mechanismen Gestaltungsprinzipien, die das Ziel verfolgen, Bauteile zu entlasten oder deren Funktion gezielt zu unterstützen, damit der Mechanismus insgesamt zuverlässiger arbeitet, was sich unmittelbar in der Sicherheit, in der Wartung und damit auch in den Kosten niederschlägt. Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche Allgemeine Gestaltungsprinzipien, die von G. Altschuller auf Basis einer umfassenden Patentanalyse aufgestellt wurden. Die Prinzipien dienen zur Unter-
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stützung der Lösungssuche bei Vorliegen von Widersprüchen zwischen technischen Parametern [Altschuller 1984, Terninko et al. 1996]. Prinzipskizze Schematische Darstellung einer prinzipiellen Lösung, die sich auf die wesentlichen Aspekte (zum Beispiel Wirkprinzip) beschränkt. Mithilfe von Prinzipskizzen lassen sich sowohl Geometrien als auch Kräfte und kinematische Verhältnisse darstellen. Skizzen können schematisch-abstrakte, visuellgrafische oder textuelle Informationen enthalten [Pache 2005, Müller 2006]. Problem Liegt vor, wenn ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll, jedoch der Weg dorthin oder die erforderlichen Mittel dafür nicht bekannt oder verfügbar sind. Problemformulierung Satz mit handlungsorientiertem Charakter, der die Lösungssuche für ein betrachtetes technisches Problem zielgerichtet initiiert. Problemformulierungen können aus einem Relationsorientierten Funktionsmodell abgeleitet werden, indem charakteristische Konstellationen zwischen Funktionen des Modells nach formalen Regeln in Handlungsanweisungen umgesetzt werden. Problemmodell Modell, das der Strukturierung von Problemen dient und Kenntnis über die wesentlichen Herausforderungen der Entwicklungsaufgabe verschafft. Problemzerlegung Grundprinzip des Denken und Handelns. Bedeutet in der Anwendung eine Untergliederung des Gesamtproblems in Teilprobleme, die besser überschaubar und damit leichter zu bearbeiten sind. Produktdokumentation Enthält verbindliche Unterlagen für die der Entwicklung und Konstruktion nachgelagerten Phasen im Produktlebenszyklus, unter anderem für die Fertigung und Montage, den Transport, die Nutzung, Wartung und Instandhaltung sowie das Recycling. Produktentwicklung Prozess im Unternehmen, mit dem produzierbare und funktionsfähige Produkte gestaltet werden, sowie auch eine als Organisationseinheit identifizierbare Unternehmensfunktion. Darüber hinaus existieren noch viele weitere Facetten. Produktentwicklung ist zum Beispiel auch ein psychologischer oder kognitiver Prozess der Problemlösung beziehungsweise ein sozialer Prozess, der in Gruppen, Teams und ganzen Soziosystemen stattfindet [nach Pulm 2004]. Produktfamilie Menge verwandter Produkte, das heißt Menge von Produktvarianten.
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Produktgestalt Gesamtheit der geometrisch und werkstofflich beschreibbaren Eigenschaften eines Produktes. Die geometrischen Eigenschaften beschreiben unter anderem die Form, Lage, Größe und Anzahl von Systemelementen [Pahl et al. 2005]. Werkstoffliche Eigenschaften beschreiben unter anderem die Werkstoffart, die Werkstoffbehandlung und die Werkstoffoberfläche [VDI 2223]. Produktgewicht Das Gewicht beziehungsweise die Masse eines Produktes ist im Hinblick auf seine Nutzung, aber auch über alle Phasen im Produktlebenszyklus hinweg ein wichtiger Faktor. Auch die Verteilung der Masse im Produkt ist dabei von Interesse und führt zu Wechselwirkungen mit anderen Produkteigenschaften, insbesondere bei einer dynamischen Betrachtung. Produktlebenszyklus Umfasst den gesamten Zeitraum von der strategischen Produktplanung bis zur Außerbetriebnahme und Beseitigung des Produktes. Produktmodell Spezifikation von Produktinformationen in Form technischer Dokumente, Artefakte oder sonstiger Produktrepräsentationen, die im Laufe des Entwicklungsprozesses als (Zwischen-)Ergebnisse entstehen. Produktmodelle stellen damit formale Abbilder realer oder geplanter Produkteigenschaften dar [Grabowski et al. 1993]. Produktprogramm Alle auf dem Markt angebotenen Produkte eines Unternehmens. Produktstruktur Strukturierung des Produktes nach relevanten Gesichtspunkten, zum Beispiel orientiert an Funktions-, Fertigungs- oder Montageaspekten, auch Erzeugnisgliederung genannt. Produktstruktur stellt auch den Überbegriff für Strukturen des Produktes auf verschiedenen Konkretisierungsebenen dar (Funktionsstruktur, Wirkstruktur, Baustruktur). Projekt Komplexes, einmaliges Vorhaben mit festgelegtem Ziel, definierten Umfängen in Zeit und Ressourcen, welches geplant, umgesetzt und kontrolliert wird. Projektion Grundprinzip des Denken und Handelns. Bedeutet in der Anwendung, dass der Blick auf ein System je nach Entwicklungssituation und Fragestellung aus unterschiedlichen Sichten erfolgen kann. Prozess Folge von Aktivitäten unter Nutzung von Information und Wissen sowie materiellen Ressourcen [Lindemann 2009]. Dabei werden Eingangsinformationen (Input) durch Aktivitäten zu Ausgangsinformationen (Output) verarbeitet.
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Prozesszustand Zustand im Nebenumsatz eines Umsatzorientierten Funktionsmodells, der an eine Eigenschaftsänderung des Hauptumsatzproduktes anknüpft. Punktbewertung Einfache Methode zur Lösungsbewertung, bei der den Lösungen in Bezug auf einzelne Bewertungskriterien Punktwerte zugeordnet und über alle Kriterien hinweg summiert werden. Die Punktesumme dient als Entscheidungshilfe bei der Auswahl einer Lösungsalternative [Lindemann 2009]. Qualität Gesamtheit von Merkmalen und deren Ausprägungen einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesagte Eigenschaften zu erfüllen. Quality Function Deployment (QFD) Methodik zur strukturierten Erhebung, Übersetzung und Priorisierung von Kundenanforderungen [Akao 1992, Danner 1996, Saatweber 2007]. Die Ergebnisse einzelner Arbeitsschritte werden in einer Matrixstruktur eingetragen, dem House of Quality, das der übersichtlichen Visualisierung der Inhalte dient. Reduktionsstrategien Strategien zur Verringerung der Fülle von alternativen Lösungen bei der Kombination im Morphologischen Kasten. Prinzip der Redundanz Mehrfache Anordnung von Komponenten zur Erhöhung der Zuverlässigkeit mit der Zielsetzung, dass bei Ausfall oder Störung einer dieser Komponenten die Aufgabe durch die verbliebenen Komponenten weiter voll erfüllt wird [Neudörfer 2005]. recyclinggerecht Hauptzielsetzung im Sinne eines DfX-Kriteriums. Beinhaltet unter anderem Aspekte der reinigungsgerechten, aufarbeitungsgerechten, sortiergerechten sowie der remontagegerechten Gestaltung [VDI 2243]. Relation Verbindungen zwischen den Elementen eines Systems oder zwischen Systemen. Relationale Iterative Anforderungsklärung Methode zur Ermittlung sowie zur kontinuierlichen Erweiterung und Detaillierung von Anforderungen über den gesamten Entwicklungsprozess [Jung 2006]. Hier werden in einem Systemmodell, das im Laufe des Prozesses kontinuierlich detailliert wird, Relationen zwischen Systemelementen untersucht. Diese Relationen dienen als Anhaltspunkte für die Identifikation von Anforderungen. Relationsmerkmal Merkmal, das Eigenschaften eines Objektes kennzeichnet, die erst in Relation mit anderen Objekten zum Tragen kommen. Relationsmerkmale stellen indi-
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rekte Merkmale dar, die sich in Folge der Festlegung von Beschaffenheitsmerkmalen ergeben [DIN 2330, Göker 1996]. Relationsorientierte Funktionsmodellierung Methode zur Modellierung der Funktionen eines Systems mit Betonung auf die Relationen zwischen den Systemelementen. Hierbei werden nützliche und schädliche Funktionen unterschieden. Das Funktionsmodell wird durch die sinnvolle Verknüpfung der Funktionen mittels definierter Relationen gebildet [Herb 2000]. Risiko Wahrscheinlichkeitsaussage zu den Gefährdungen von Mensch, Maschine und Umwelt und deren Schwere. Kombination aus zu erwartender Schadenshäufigkeit und dem Schadensausmaß [Neudörfer 2005]. Risikobewertung Umfassender Prozess zur Ermittlung und Beurteilung des Risikos unter Nutzung aller verfügbaren Informationen [Neudörfer 2005]. Risikograf Abschätzung des Risikos über ein geeignetes Zuordnungs- und Klassifizierungsschema sowie unter Verwendung eines Entscheidungsbaumes. Die sinnvolle Kombination der vier verwendeten Beurteilungskriterien Schadensausmaß, Aufenthaltsdauer, Gefahrenabwendung und Eintrittswahrscheinlichkeit führt zur Einordnung in acht Risikoanforderungsklassen [Neudörfer 2005]. Sammlung physikalischer Effekte Strukturierte Sammlung beziehungsweise Katalog mit Informationen zu physikalischen Effekten, zum Beispiel in Form von Skizzen, Formeln und Anwendungsbeispielen [Koller et al. 1994, Ehrlenspiel 2009]. Schaden Versagen eines Systemelements oder Gesamtsystems durch Ursachen wie zu hohe Beanspruchungen (beispielsweise mechanische, thermische oder tribologische Beanspruchungen), Verschleiß oder Korrosion. Schnittstelle Verknüpfung zwischen Elementen eines technischen Systems. Es existieren je nach Sicht auf das System verschiedene Arten von Schnittstellen, beispielsweise geometrische, materielle, energetische, informationstechnische und organisatorische Schnittstellen. Schwachstelle Eigenschaft eines Systems, deren Veränderung eine wesentliche Verbesserung des Gesamtsystems erwarten lässt. Selbsthilfe Gestaltungsprinzip zur Erarbeitung konstruktiver Anordnungen, bei der durch eine geschickte Wahl und Anordnung der Systemelemente eine unterstützende
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Wirkung erzeugt wird, die es dem System ermöglicht, die Funktion besser zu erfüllen [Pahl et al. 2005, Ehrlenspiel 2009]. Sensibilitätsanalyse Überprüfung von Auswirkungen einer innerhalb eines als zulässig erachteten Rahmens vorgenommenen Parametervariation auf das Endergebnis hinsichtlich der Gültigkeit und Richtigkeit sowie der Empfindlichkeit gegenüber den Parametervariationen [Lindemann 2009]. Sequenz Abfolge von aufeinanderfolgenden Systemzuständen. Spielt eine Rolle bei der zeitlichen Zerlegung eines Systems, beispielsweise im Rahmen der Analyse des Anwendungsprozesses des Produktes. Sicherheit Immaterielle Eigenschaft eines Produktes, die bewirkt, dass innerhalb vorgesehener Lebensdauer und festgelegter Betriebsbedingungen vom Produkt oder Verfahren keine Gefährdungen für Mensch, Maschine und Umwelt beziehungsweise kein höheres Risiko als das akzeptiere Restrisiko ausgehen [Neudörfer 2005]. Simulation Verfahren zur Eigenschaftsanalyse, bei dem die Nachbildung eines Systems mit seinen dynamischen Prozessen in einem experimentierfähigen Modell erfolgt, um zu Erkenntnissen zu gelangen, die auf die Wirklichkeit übertragbar sind [nach VDI 3633 Blatt 1]. Sonderfunktion Ergänzende, aufgabenspezifische Teilfunktion, die nicht in allen Gesamtfunktionsvarianten eines Baukastensystems vorkommen muss. Sie wird durch einen Sonderbaustein erfüllt, der zum Grundbaustein eine spezielle Ergänzung oder ein Zubehör darstellt und daher Kann-Baustein ist. Standardisierung Strategie, die eine Vereinheitlichung und Verringerung der Variantenzahl verfolgt, wodurch letztendlich eine Reduzierung von Komplexität und Kosten erreicht werden soll. Die Strategie ist beispielsweise auf Produkte, Bauteile, Technologien, Wirkprinzipien, Schnittstellen und auch Prozesse anwendbar. Stellvertreterlösung Repräsentative Lösung für eine bestimmte Klasse von Lösungen (beispielsweise mechanische, hydraulische, elektronische Lösungen). Die Bewertung von Stellvertreterlösungen ermöglicht eine schnelle Abschätzung der Eignung der gesamten Lösungsklasse. stochastische Gefährdung Gefährdung, die sich vor allem auf Bauteilausfälle beziehungsweise Bauteilversagen zurückführen lässt. Die Maßnahmen, den stochastischen Gefährdungen
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entgegenzuwirken, verfolgen das Ziel, die zeitabhängige Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, mit der ein Produkt die geforderte Funktionalität erfüllt. Suchmatrix zur Anforderungsklärung Hilfsmittel zur Unterstützung der Anforderungsklärung für den gesamten Produktlebenslauf [Roth 1994a]. Als Gliederungskriterien für Anforderungen werden hier einerseits Phasen im Produktlebenszyklus und andererseits bestimmte Anforderungsarten verwendet (beispielsweise technisch-physikalische, menschbezogene, wirtschaftliche und normative Anforderungen). System Elemente und zwischen ihnen vorhandene Relationen, durch eine Systemgrenze vom Umfeld abgegrenzt und durch Input-/Output-Größen mit diesem Umfeld verbunden. MTM-Methode (Methods-Time Measurement) Methode zur Bewertung der Montageeignung von Produkten, bei der der Montageaufwand für ein Produkt oder eine Montagebaugruppe quantitativ nach Zeitaufwänden erfasst wird [Antis et al. 1969]. Die Methode ist ein Beispiel für die Bewertung nach einem „System vorbestimmter Zeiten“. Systemarchitektur Beschreibt den grundlegenden Aufbau und die Strukturierung des Systems über verschiedene Konkretisierungsstufen hinweg. Bei der Produktstruktur kann zwischen Funktionsstruktur, Wirkstruktur, Baustruktur und deren Verknüpfungen unterschieden werden. Systematische Variation Diskursive Methode zur Generierung von Lösungsalternativen, die grundsätzlich auf jedes Objekt (und somit auf jeder Konkretisierungsebene) anwendbar ist, und bei der direkte Merkmale in ihrer konkreten Ausprägung systematisch variiert werden, wobei eine Orientierung an festgelegten Zielen erfolgt. Systemelement Bestandteil eines Systems. Systemgrenze Abgrenzung der im zu betrachtenden System enthaltenen Elemente zu den außerhalb des Systems liegenden Elementen und Systemen (Elemente und Systeme im Umfeld). Systemgrenzenverschiebung Gezielte Ausdehnung oder Verengung der Systemgrenzen. Kann vor allem dann hilfreich sein, wenn es darum geht, ein Problem klarer zu erkennen oder einen ins Stocken geratenen Lösungsprozess wieder zu aktivieren [Ehrlenspiel 2009].
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Systemhierarchie Hierarchische Gliederung eines Systems. Bei technischen Produkten lassen sich beispielsweise folgende Hierarchiestufen oder Ebenen unterscheiden (die Komplexität nimmt dabei mit jeder Ebene zu): Bauteil, Baugruppe, Modul, Gerät, Anlage [nach Ehrlenspiel 2009, Pahl et al. 2005]. Systemzustand Die Beschreibung verschiedener Systemzustände ist wichtig bei einer dynamischen Systembetrachtung und der zeitlichen Zerlegung des Systems. Je nach Systemzustand sind unterschiedliche Wirkflächenpaare relevant und Funktionen des Systems wirksam. Szenariotechnik Methodik zur Erstellung und Bewertung von alternativen Zukunftsmodellen, die beispielsweise im Rahmen der Strategischen Produkt- und Prozessplanung Anwendung findet [Gausemeier et al. 1996]. Target Costing Methodik zur marktorientierten Planung, Steuerung und Beeinflussung von Produktkosten in der Produktentwicklung [Seidenschwarz 2006]. Team Arbeitsgruppe auf Zeit, die im Rahmen einer Zielvorgabe bestimmte Probleme gemeinsam löst, häufig interdisziplinär zusammengesetzt. technischer Effekt Technisch nutzbare Effekte aus unterschiedlichen Bereichen (zum Beispiel Physik, Biologie, Chemie, Mathematik). technischer Widerspruch Umstand, dass die Verbesserung eines Parameters eines technischen Systems die gleichzeitige Verschlechterung eines anderen Parameters des gleichen Systems bewirkt. technisches Produkt In sich geschlossenes, aus einer Anzahl von Bauteilen, Baugruppen oder Modulen bestehendes, funktionsfähiges Erzeugnis, zum Beispiel Maschine, Gerät oder Anlage. technisches System In sich geschlossenes, aus einer Anzahl von Bauteilen, Baugruppen oder Modulen bestehendes, funktionsfähiges Erzeugnis, zum Beispiel Maschine, Gerät oder Anlage. Teilfunktion Funktion, die im Zusammenwirken mit anderen Teilfunktionen zur Erfüllung der Gesamtfunktion und damit des Systemzwecks beiträgt. Teillösung Lösung für eine Teilfunktion oder ein Teilproblem.
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Teillösungsidee Lösungsidee für eine Teilfunktion oder ein Teilproblem. Toleranzen Da es nicht möglich ist, Werkstücke auf das Nennmaß absolut genau zu fertigen, ist die Angabe von Maßtoleranzen erforderlich, die die Differenz zwischen dem zulässigen Höchst- und Mindestmaß angeben. Neben Maßtoleranzen gibt es auch Form- und Lagetoleranzen. Die Kennzeichnung von Toleranzen in Zeichnungen ist nach internationalen Normen geregelt, beispielsweise [DIN ISO 286-1, DIN ISO 2768-2]. TRIZ (Innovationsorientierte Methodik) Methodik zur Unterstützung von Innovationsproblemen und zur Produktoptimierung [Altschuller 1984, Terninko et al. 1996]. Umsatzorientierte Funktionsmodellierung Methode zur Modellierung der Funktionen eines Systems mit Betonung der Umsatzprodukte. Die Eigenschaften der Umsatzprodukte (Stoff-, Energie- und Signalumsätze) werden als Zustände beschrieben, Eigenschaftsänderungen als Operationen [Ehrlenspiel 2009]. Umsatzprodukt An einem Umsatz (zum Beispiel Stoff, Energie oder Signal) in einem System beteiligte Objekte. In einem Umsatzorientierten Funktionsmodell werden Eigenschaftsänderungen von Umsatzprodukten durch Operationen beschrieben. umweltgerecht Hauptzielsetzung im Sinne eines DfX-Kriteriums mit dem Fokus, die Umweltbeeinträchtigungen durch das Produkt zu minimieren, beispielsweise durch die Gewährleistung einer ökologisch nachhhaltigen Ressourcennutzung im gesamten Produktlebenslauf. Umweltsicherheit Einschränkung von Schädigungen im Umfeld technischer Systeme [Pahl et al. 2005]. unmittelbare Sicherheitstechnik Maßnahmen der Sicherheitstechnik, die auf dem Grundsatz beruhen, eine mögliche Gefahr von vornherein zu vermeiden. Ein technisches System ist dann unmittelbar sicher, wenn aus seinem Lösungsprinzip heraus keinerlei Gefährdung entsteht beziehungsweise ein vernachlässigbares Ausfallrisiko besteht [Neudörfer 2005]. Upgrade Ziel eines Upgrades ist es, weitere Nutzungsphasen des Produktes und somit eine Lebensdauerverlängerung zu ermöglichen und zudem das Produkt an neue Funktionen anzupassen und somit eine Modernisierung am bestehenden Produkt einzuleiten.
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Variante Varianten sind technische Systeme mit einem in der Regel hohen Anteil identischer Komponenten, die Ähnlichkeiten in Bezug auf Geometrie, Material oder Technologie aufweisen [Renner 2007]. Varianten unterscheiden sich voneinander in mindestens einer Beziehung oder einem Element. Unterschiede existieren bezüglich der Ausprägungen mindestens eines Merkmals [Firchau 2003, Gembrys 1998]. Variantenbaum Hilfsmittel zur systematischen Analyse und Darstellung der Variantenvielfalt. Die Struktur orientiert sich zum Beispiel an der Montagereihenfolge [Schuh 1988] oder an den kundenseitigen Möglichkeiten der Produktkonfiguration. variantengerecht Hauptzielsetzung im Sinne eines DfX-Kriteriums. Variantengerechte Produktgestaltung bedeutet einen bewussten und zielgerichteten Umgang mit der Variantenvielfalt durch unterschiedliche Maßnahmen des technischen Variantenmanagements. Variantenmanagement Strategie die alle Maßnahmen umfasst, mit denen die Variantenvielfalt innerhalb eines Unternehmens bewusst beeinflusst wird. Dies gilt sowohl auf Produkt- als auch auf Prozessseite. Übergeordnetes Ziel ist eine Reduzierung und Beherrschung der Komplexität. Variantenmatrix Hilfsmittel zur Darstellung und Analyse großer Variantenspektren, abgewandelte Form der „Interface Structure Matrix“ [Kusiak 2008]. Ermöglicht unter anderem die Ableitung von Potenzialen hinsichtlich der Zusammenlegung ähnlicher Varianten oder der Festlegung fester Merkmalskombinationen. Variantenvielfalt Kennzeichnet sowohl die Anzahl als auch die Unterschiedlichkeit der Varianten eines Typs. Die Unterschiedlichkeit der Varianten lässt sich dabei im Gegensatz zur Anzahl nur sehr selten eindeutig bestimmen [Gembrys 1998]. Variationsgrad Dimension, die die zu einem gewissen Zeitpunkt betrachtete Menge an Lösungsalternativen ordnet. Die zugehörigen Tätigkeiten sind das Variieren (Erhöhung des Variationsgrades) beziehungsweise das Festlegen und Einschränken (Reduzierung des Variationsgrades). verbotenes Gebiet Bereiche eines Systems, in denen aus systemspezifischen Gründen, wie beispielsweise Funktionalität, Gewichtsverteilung oder Sicherheit, keine Bauteile oder Baugruppen untergebracht werden dürfen.
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Verfügbarkeit Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein System sich während einer definierten Zeitspanne in einem funktionsfähigen Zustand befindet, wenn es vorschriftsmäßig betrieben und instandgehalten wurde [Bertsche et al. 2004]. Verifikationsmodell Modell zur Lösungsanalyse, orientiert am momentanen Informationsbedarf mit dem primären Ziel des Erkenntniszuwachses. Verknüpfungsmatrix Hilfsmittel zur strukturierten Ermittlung der Einflüsse und Wechselwirkungen zwischen Betrachtungsobjekten aus unterschiedlichen Kategorien (zum Beispiel Kundenanforderungen und technische Qualitätsmerkmale). Versuch Verfahren zur Analyse von Produkteigenschaften anhand physischer Verifikationsmodelle wie Prototypen oder Nullserienmuster. Verträglichkeitsmatrix Hilfsmittel zur paarweisen Prüfung der Kompatibilität von sämtlichen betrachteten Teillösungen untereinander, auch Konsistenzmatrix genannt. Vorauswahl Methode zur Reduzierung einer großen Fülle an Lösungsideen auf ein überschaubares Maß. Dabei werden die Lösungsideen nach aus der Anforderungsliste abgeleiteten Ausschlusskriterien bewertet. Sobald eine Lösung ein Kriterium nicht erfüllt, wird sie nicht weiter betrachtet [Lindemann 2009]. Vorgehensmodell Beschreibung wichtiger Elemente einer Handlungsfolge für bestimmte Situationen oder Zielsetzungen. Die Formulierung erfolgt entweder im Sinne einer deskriptiven Beschreibung von Vorgehensmustern oder einer präskriptiven Vorgabe oder Empfehlung von durchzuführenden Arbeitsschritten und ihrer zeitlichen Abfolge. Drei wesentliche Anwendungszwecke sind die Prozessplanung, die Prozessnavigation und die Prozessreflexion. Vorteil-Nachteil-Vergleich Einfache Methode zur Lösungsbewertung, bei der die Vorteile und Nachteile einer Lösungsalternative in Relation zu einer vorhandenen oder auch zu einer gedachten Referenzlösung gesetzt werden [Lindemann 2009]. weißes Feld Bereich in einem mehrdimensionalen Ordnungsschema, der noch nicht mit Lösungen belegt ist. Weiße Felder bieten sich unter Umständen für die Ergänzung des Lösungsspektrums an. Werkzeug Hilfsmittel, das die Anwendung von Methoden und die Generierung von Produktmodellen unterstützt. Beispiele für einfache Werkzeuge sind Formblätter,
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Checklisten und Konstruktionskataloge. Beispiele für komplexe Werkzeuge sind Softwareprogramme zur FEM-Simulation oder grafen- und matrizenbasierte Rechnerprogramme zur Analyse und Optimierung komplexer Strukturen. Widerspruchsmatrix Auswahlmatrix, die im Rahmen der Widerspruchsorientierten Lösungssuche (als Bestandteil der TRIZ-Methodik) Anwendung findet. Die Matrix ermöglicht die zielgerichtete Auswahl von Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche. Hierzu sind Parameterpaare zu formulieren, die miteinander einen technischen Widerspruch bilden [Altschuller 1984, Terninko et al. 1996]. Widerspruchsorientierte Lösungssuche Methode im Rahmen der TRIZ-Methodik, die das Auflösen technischer Widersprüche unterstützt. Grundlage sind vierzig innovative Prinzipien nach G. Altschuller [Altschuller 1984, Terninko et al. 1997], von denen in Abhängigkeit der vorliegenden Problemstellung jeweils unterschiedliche Prinzipien anwendbar sind. Wirkebene Ebene im Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM), in der die prinzipiellen Lösungsmöglichkeiten für eine technische Problemstellung beschrieben werden. Wirkfläche Fläche eines technischen Systems, an der oder über die eine Wirkung erzwungen oder ermöglicht wird. Wirkflächenpaar Wird aus genau zwei Wirkflächen gebildet, die zeitweise, ganz oder teilweise in Kontakt stehen und zwischen denen Energie, Stoff und Informationen übertragen wird [Matthiesen 2002, nach Rodenacker 1991]. Wirkgeometrie Teil eines Wirkmodells. Umfasst diejenigen Flächen und Körper sowie deren geometrische und kinematischen Beziehungen untereinander, die für die Funktion beziehungsweise den Systemzweck relevant sind. Wirkkonzept Produktkonzept auf Wirkebene zur Beschreibung des Zusammenwirkens einzelner Wirkprinzipien in der Gesamtlösung. Umfasst die einzelnen Wirkprinzipien und deren Verknüpfung in der Wirkstruktur und verdichtet sie zu aussichtsreichen und leicht zu beurteilenden Gesamtkonzepten. Wirkmodell Modell, das die prinzipielle Lösungsmöglichkeit für eine technische Aufgabenstellung beschreibt. Die Vorsilbe „Wirk“ drückt dabei aus, dass es sich um funktionsrelevante Aspekte handelt [Ehrlenspiel 2009].
460
Glossar
Wirkprinzip Prinzipielle Lösungsmöglichkeit, welche die für die Erfüllung einer Funktion erforderlichen physikalischen Effekte in Kombination mit den geometrischen und stofflichen Merkmalen umfasst, die das Prinzip der Lösung sichtbar werden lassen [Pahl et al. 2005]. Wirkstruktur Verknüpfung mehrerer Wirkprinzipien einer Lösung. Wirkungsnetz Hilfsmittel zur Ermittlung und grafischen Darstellung von Systemelementen und deren Wechselwirkungen. Wissen Sinngebende Verknüpfung von Information. Zerlegungsgrad Dimension, die den Auflösungsgrad eines Systems beschreibt. Die zugehörigen Tätigkeiten sind das Zerlegen und Detaillieren (Erhöhung des Zerlegungsgrades) beziehungsweise das Kombinieren und Zusammenfügen (Reduzierung des Zerlegungsgrades). Ziel Durch absichtsvolle Handlungen angestrebter Zustand eines Systems. Zielkonflikt Spezielle Wechselbeziehung zwischen unterschiedlichen Zielen oder Anforderungen an ein Produkt. Führt die zunehmende Erfüllung eines Zieles zur wachsenden Nicht-Erfüllung eines anderen Zieles, so liegt ein Zielkonflikt vor [Eiletz 1999]. Zielmodell Modell, das der Erfassung, Strukturierung und Dokumentation von geforderten Systemmerkmalen dient. Zielsystem Menge aller Ziele für ein Produkt oder ein Produktprogramm. Zur Darstellung von Zielsystemen eignen sich beispielsweise Netzdiagramme. Zuverlässigkeit Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Betrachtungseinheit (Produkt, Verfahren) während einer definierten Zeitdauer unter angegebenen Funktions- und Umgebungsbedingungen nicht ausfällt [Bertsche et al. 2004, VDI 4001].
Sachverzeichnis
A ABC-Analyse 213, 214, 253 Abstraktion 64, 65 Ähnlichkeitskennzahlen 285 Alternative 25, 77, 114, 126, 148, 149, 155 Alternativenbaum 118, 122, 151 Alternativenflut 119, 152 Alternativenmatrix 118, 122, 151 Alternierende Kombination und Auswahl 122 Änderung 46 Anforderung 14, 28, 33, 37, 39, 58, 126, 148, 160, 194, 211, 255, 280 Anforderungsharmonisierung 256, 270 Anforderungsliste 23, 40, 46, 48, 55, 58, 108, 126, 131, 298 Anforderungsmodell 33, 234 Anforderungsoptimierung 256 Anforderungsraum 26, 33, 40, 54, 69 Anpassbaustein 270 Anpassentwicklung 53 Anpassfunktion 259 Applikationsstudie 51 Arbeitssicherheit 161, 188 Assoziationsliste 98 Ästhetik 153 Auftragsspezifische Funktion 259 Ausarbeiten 164 Ausfallrate 191 Ausprägung 38, 39, 46, 52, 56, 59, 126, 137 Ausschlusskriterium 56, 107, 127 automatisierte Montage 228
B Barriere (gedanklich) 92, 98 Bauebene 27, 56, 114, 117, 142, 165, 202, 237, 303 Bauelement 117, 163, 264 Baukastensystem 171, 239, 251, 253, 255, 258, 261, 268 Baukonzept 114, 163 Baumodell 34, 163, 177, 217, 285, 305
Bauprinzip 121 Baureihe 251, 261, 266 Bausteine 258 Baustruktur 74, 140, 163, 237, 264 Bauteil-Lastfall-Matrix 175 Bedingungszustand 72 Benchmarking 42, 213, 298 Berechnung 90, 99, 107, 126, 154, 173, 190 Beschaffenheitsmerkmal 137 Betriebssicherheit 188 Bewertung 126 Bewertungskriterium 126, 131, 154 Bewertungsmethode 127, 154 Biomimetics 97 Bionik 97 Black Box 65, 72 Brainstorming 23
C CE-Richtlinie 195 Checkliste 231, 234, 239, 254, 280 Checkliste mit Gestaltparametern 145, 149 Checkliste zur Anforderungsklärung 23, 37, 42, 46, 298 Checkliste zur Variation der Funktion 77 Conjoint-Analyse 55
D Demontage 285 demontagegerecht 285 Design for Assembly 29, 171 Design for Environment 276 Design for Manufacturing 29 Design for Recycling 276 Design for X / Design to X 29, 164, 181, 296 Design of Experiments (DoE) 174 Design Structure Matrix 140 deterministische Gefährdung 201 DFA-Methode (Design for Assembly) 232, 245 Dienstleistung 263 Differenzialbauweise 142, 218, 265 Differenzierung 250, 252, 261, 266
J. Ponn, U. Lindemann, Konzeptentwicklung und Gestaltung technischer Produkte, DOI 10.1007/978-3-642-20580-4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
462
Sachverzeichnis
direkte Eigenschaft 137 direktes Merkmal 137, 154, 305 diskursive Methode 23
E Ecodesign 276 Effektesammlung 23 Effektkette 107, 108 Effektstärke 106 Eigenschaft 126, 137 Eigenschaftsanalyse 79, 135, 154 Eigenschaftsliste 126 eindimensionales Ordnungsschema 116 Einflussmatrix 23, 54, 140 Element 119 Endmontage 226, 237 Entscheidung 128 Entscheidungsbaum 193 Entwerfen 164 Entwicklungsaufgabe 13 Entwicklungsmodell 20, 70, 172 Entwicklungsprojekt 13 Entwicklungsprozess 16 Entwicklungsschwerpunkt 53, 219 Entwicklungssituation 9, 11 Entwicklungsziel 13, 39, 211 Ereignisgesteuerte Prozesskette (EPK) 68 Ergänzungszustand 72 Exot 251
F Failure
Mode and Effects Analysis (FMEA) 80, 174, 190, 281, 291 Fehler 184, 189, 195, 198, 227 Fehlerbaum 80 Fehlerbaumanalyse (Fault Tree Analysis, FTA) 190 Fehlernetz 80 Feingestalt 144 Fertigung 153 Finite-Elemente-Methode (FEM) 173, 219 Fixpunkt 143 Freiheitsgrad 53, 82, 125, 142 Funktion 34, 62, 65, 103, 153, 197, 281 Funktionsbaum 64, 67, 70, 74, 80, 82 Funktionsdifferenzierung 80, 87, 141, 265 Funktionsebene 26, 69, 77, 114, 235, 258 Funktionseinheit 70 Funktionsgewichtsanalyse 214 Funktionsgrößenmatrix 96 Funktionsintegration 80, 87, 141, 236, 237, 243, 265 Funktionsklassifikation 258 Funktionskonzept 77, 114 Funktionskostenanalyse 79, 214
Funktionsliste 67 Funktionsmerkmal 137 Funktionsmodell 34, 56, 65, 77, 81, 197, 214, 237 Funktionsmodellierung 67 Funktionsmodul 70, 235 Funktionsnetz 67, 71, 80 Funktionsschaltplan 68 Funktionsstruktur 67, 71, 259 Funktionsträger 68, 71, 83, 235, 258
G Gebrauchsfunktion 66 Gefahr 187, 196, 198, 202 Gefährdung 187, 197, 202 Gefährdungsanalyse 192, 195 Geltungsfunktion 66 generierende Variation 150 Gerechtheit 29, 166 Gesamtfunktion 65, 67, 83, 258 Gesamtkonzept 114, 116, 119, 124, 262 Gesamtlösung 135, 152 Gestalt 113, 136, 143, 157, 285 Gestaltlösung 90, 139 Gestaltparameter 156 Gestaltungselement 136 Gestaltungsprinzip 30, 141, 145, 164, 168, 218, 265, 284 Gestaltungsregel 231, 239, 274, 285 Gestaltungsrichtlinie 29, 164, 166, 181, 240 Gewichtete Punktbewertung 127, 154, 303 Gleichteil 291 Grobgestalt 144 Grundbaustein 271 Grundfunktion 259 Grundprinzipien des Denken und Handelns 65 Grundregeln der Gestaltung 30, 166, 242
H Hardware-in-the-Loop (HIL) 174 Hauptfunktion 67 Hauptumsatz 72 Hauptzielsetzung 29, 181 hinweisende Sicherheitstechnik 204 House of Quality 51 Hüllelement 124
I indirekte Eigenschaft 137 indirektes Merkmal 137, 154, 305 Individualisierung 249, 268 Individualisierungsgrad 263 Information 10 Innovationszyklen 250, 285, 287
Sachverzeichnis Integralbauweise 142, 169, 218, 265 Integrierte Produktentwicklung 230 Integrierte Produktpolitik (IPP) 277, 279 intuitive Methode 23 Iteration 144, 172
K Kano-Modell 51 Karnaugh-Diagramm 191 Kaskadierung 99, 146, 169, 218 Kombinatorik 115, 117, 119 Komplexität 13, 115, 119, 196, 251 Kompromiss 257 Konkretisierungsgrad 24, 33, 126 Konstruktion 17 Konstruktionskatalog 23, 106, 236 Konzentration 67 Konzept 65, 114, 206, 222 Korrelationsmatrix 49 korrigierende Variation 150 Kraftausgleich 169 Kraftfluss 145 Kunde 12, 40, 43 Kundenanforderung 43, 51, 55, 196, 247 Kundenindividuelle Massenproduktion 13, 252
L Lastausgleich 169 Lastenheft 40, 46 Lead-User-Analyse 43, 51 Leitstützstruktur 91, 103, 124 Lösung 184 Lösungsalternative 134, 154, 162, 243 Lösungselement 94 Lösungsidee 82, 92, 95, 112, 114, 129, 271 Lösungskatalog 92 Lösungsklasse 123 Lösungskonzept 83, 89, 112, 114, 118, 119, 156, 302 Lösungsmuster 92 Lösungsraum 26, 33, 54, 64, 90, 114, 116, 119, 129, 148 Lösungssuche 79 Lösungssuche auf Basis biologischer Vorbilder 97, 134 Lösungssuche mit physikalischen Effekten 79, 95
M Makrogestalt 136 Makrokraftfluss 145 Mängel 45 manuelle Montage 228 Marktanalyse 43
463
Mechatronik 11, 47, 57, 172, 202, 263, 294 mechatronisch 237 Medienbruch 173 mehrdimensionales Ordnungsschema 139, 151 Mehrkörper-Simulation (MKS) 174 Merkmal 38, 39, 46, 52, 56, 99, 126, 137, 149, 162 Merkmalskombination 151 Methode 10, 22 Methodik 22 Mikrogestalt 136 Mikrokraftfluss 146 Mind Map 50 mittelbare Sicherheitstechnik 203 Modalitätenwechsel 30, 147 Modell 10, 20 Modul 138, 140, 156, 237, 260 Modularisierung 248, 251, 260, 286 Modulstruktur 140 Montage 161, 171, 182, 226, 228 Montageanlage 229 montagegerecht 29, 80, 182, 227, 229, 231, 243 Montageoperation 228, 233, 238 Montageplanung 229 Montageprozess 226, 228 Montagestruktur 238 Montagevorranggraf 176, 233, 245 Morphologischer Kasten 23, 79, 115, 116, 120, 125, 129, 301 MTM-Methode (Methods-Time-Measurement) 232 Münchener Produktkonkretisierungsmodell (MKM) 26, 30, 33, 92, 138, 181, 230 Münchener Vorgehensmodell (MVM) 19
N Nachhaltigkeit 182, 275, 287 Navigation 25 Nebenfunktion 67 Nebenumsatz 72 Nestbauweise 238 Netzdiagramm 255, 257, 270 Neuentwicklung 53 Nicht-Baustein 262, 271 Norm 196, 213, 280 nützliche Funktion 66, 74, 283 numerische Simulation 126, 154, 174, 219 Nutzer 40, 66 Nutzerorientierte Funktionsmodellierung 44, 66, 197, 215, 235
464
Sachverzeichnis
Nutzwertanalyse 23, 127
O Oberfläche 165, 241 Ökobilanz 279 Operation 71 Ordnungsschema 115, 116 Orientierender Versuch 99, 126, 174
P Paarweiser Vergleich 127, 154 parallele Montage 237 Parallelschaltung 192 Parametrik 266 Passung 166 Pflichtenheft 40, 46 physikalischer Effekt 95, 105, 108, 117, 201, 207, 284 physikalischer Widerspruch 100 Plattform 248, 251, 260 Plausibilitätsprüfung 127, 154 Prinzip der Redundanz 200 Prinzip des beschränkten Versagens („failsafe“) 199 Prinzip des sicheren Bestehens („safelife“) 199 Prinzipien der Separation 100 Prinzipien der Sicherheitstechnik 199, 202 Prinzipien der Strukturökonomie 145 Prinzipien des Leichtbaus 211, 217 Prinzipien zu Mechanismen 168 Prinzipien zur Überwindung technischer Widersprüche 101, 109 Prinzipienredundanz 200 Prinzipskizze 93 Problem 20 Problemformulierung 76, 82, 88, 101, 206, 283, 300 Problemmodell 20, 70, 92 Problemzerlegung 25, 65 Produktarchitektur 141 Produktdokumentation 162, 165, 176 Produkteigenschaft 160, 165, 172, 211 Produktentwicklung 9 Produktfamilie 249, 260 Produktgestalt 34, 134, 165, 217, 229, 243, 304 Produktgewicht 160, 182, 210, 211, 212 Produktindividualisierung 252, 263, 267 Produktlebenslauf 30 Produktlebenszyklus 17, 42, 47, 55, 153, 176, 194, 211, 250, 274, 277, 278, 280 Produktmodell 20, 24, 33 Produktprogramm 234, 238, 249
Produktstruktur 176, 219, 233, 243, 251, 252, 260, 286 Projekt 295 Projektion 66 Prozess 10, 16 Prozesszustand 72 Punktbewertung 127, 131, 154
Q Qualität 114 qualitative Analyse 190 Quality Function Deployment (QFD) 51, 281 quantitative Analyse 190
R Recherche 55, 86, 103, 108 Recycling 285 recyclinggerecht 274, 285 Reduktionsstrategien 115, 120, 123, 130 Reihenschaltung 192 Relation 54, 58, 66, 71, 75, 119 Relationale Iterative Anforderungsklärung 54, 59 Relationsmerkmal 137 Relationsorientierte Funktionsmodellierung 32, 66, 74, 78, 82, 101, 109, 112, 197, 206, 282, 288, 300 Requirements Engineering 57 Risiko 187, 193 Risikobewertung 193, 195 Risikograf 193 Risikoprioritätszahl (RPZ) 193
S Sammlung physikalischer Effekte 96, 100 Schachtelbauweise 238 Schaden 183, 195 schädliche Funktion 66, 74, 197, 282 Schaltungsart 192 Schätzen 126, 214 Schichtbauweise 238 Schnittstelle 47, 138, 140, 157, 165, 167, 179, 237, 252, 260, 266, 286, 299 Schutzeinrichtung 203 Schwachstelle 103 Selbstausgleich 171 Selbsthilfe 170 Selbstschutz 171 Selbstverstärkung 171 Sensibilitätsanalyse 127, 154 Sequenz 103 Sicherheit 181, 185, 187, 192, 195, 197, 202, 227 Sicherheitstechnik 187 Simulation 173
Sachverzeichnis Simultaneous Engineering 55 Sonderfunktion 259, 271 Standardisierung 252, 266, 287 Stärkebasierter Graf 140 Stellvertreterlösung 123, 130 stochastische Gefährdung 199 Strategische Produktplanung 45 Suchmatrix zur Anforderungsklärung 42 System 190 Systemarchitektur 13, 64, 80, 115, 125, 141, 226, 252, 265 Systematische Variation 23, 31, 64, 77, 125, 134, 139, 148, 156, 265, 271 Systemdenken 30 Systemelement 59, 190, 201 Systementwicklung 178 Systemgrenze 72, 103, 282, 289, 299 Systemgrenzenverschiebung 103, 297 Systemhierarchie 54, 252, 263 Systemzustand 103 Systemzweck 65 Szenariotechnik 45, 285
T Target Costing 79, 214 Team 16, 47 technischer Effekt 100 technischer Widerspruch 48, 100, 109, 221 technisches Produkt 9, 14 technisches System 65 Teilfunktion 65, 67, 82, 114, 116, 120, 129, 258 Teillösung 114 Teillösungsidee 113, 117, 120 Teilproblem 113 Testvorschrift 47 Toleranzen 166, 234, 241 Topologieoptimierung 223 TRIZ (Innovationsorientierte Methodik) 100
U Überschlagsrechnung 126 Umfeld 72 Umsatzorientierte Funktionsmodellierung 62, 66, 71, 77, 81, 95, 197, 215, 259, 281, 288 Umsatzprodukt 66 umweltgerecht 278 Umweltschutz 276 Umweltsicherheit 188 Unified Modeling Language (UML) 68 unmittelbare Sicherheitstechnik 201, 202 Upgrade 287
465
Use-Case-Diagramm 68
V Variante 162, 229, 238, 248, 249, 291 Variantenbaum 253 Variantenentwicklung 53 variantengerecht 80, 182, 252 Variantenmanagement 182, 251 Variantenmatrix 253 Variantenvielfalt 182, 247, 249, 252 Variationsgrad 25, 33 Variationsmerkmal 148 Variationsziel 148 Verbindungsstruktur 155 Verbindungstechnik 239 verbotenes Gebiet 124, 143 Verfügbarkeit 185, 188, 200, 291 Verifikationsmodell 20, 135, 172 Verknüpfungsmatrix 52, 265 Versuch 37, 126, 135, 154, 174 Verträglichkeitsmatrix 121 Virtual Reality 94 Vorauswahl 107, 110, 127 Vorgehensmodell 17 Vormontage 237 Vorschriften 196 Vorteil-Nachteil-Vergleich 23, 107, 108, 127, 154
W weißes Feld 151 Werkzeug 10, 23 Wertemenge 137 Widerspruchsmatrix 101, 109, 217 Widerspruchsorientierte Lösungssuche 79, 100, 217, 284 Wirkbewegung 91 Wirkebene 27, 56, 92, 114, 117, 216, 236, 260, 301 Wirkfläche 91, 103, 124, 142 Wirkflächenpaar 91, 103, 142, 174 Wirkgeometrie 91 Wirkkonzept 34, 91, 100, 114, 124, 125, 126, 129, 134, 139, 160, 236, 263 Wirkmodell 91 Wirkprinzip 34, 65, 79, 86, 91, 108, 113, 117, 121, 201, 216, 236, 264, 291 Wirkraum 91 Wirkstruktur 91, 107 Wirkungsbilanz 279 Wirkungsnetz 22, 50, 140 Wissen 10
Z Zerlegungsgrad 25, 33 Ziel 20, 166, 212, 297
466
Sachverzeichnis
Zielkonflikt 40, 48, 69, 99, 161, 211, 214, 269, 281, 297 Zielmodell 20, 70 Zielsystem 127, 257, 270
Zustand 71 Zuverlässigkeit 181, 185, 187, 189, 194, 197, 199