Kavitation und die Zugfestigkeit von Flüssigkeiten
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Kavitation und die Zugfestigkeit von Flüssigkeiten
Vom Fachbereich Maschinenbau an der Technischen Universität Darmstadt zur Erlangung des Grades eines Doktor-Ingenieurs (Dr.-Ing.) genehmigte
DISSERTATION
vorgelegt von Dipl.-Ing. Bernhard Brunn aus Regensburg
Berichterstatter: Mitberichterstatter: Tag der Einreichung: Tag der mündlichen Prüfung:
Prof. Dr.-Ing. B. Stoffel Prof. Dr.-Ing. P. Stephan 24. Januar 2006 26. April 2006
Darmstadt 2006 D17
1
Vorwort Diese Arbeit ist das Ergebnis meiner Tätigkeit am Institut für Turbomaschinen und Fluidantriebstechnik der Technischen Universität Darmstadt. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Bernd Stoffel, der mir alle Chancen eröffnet hat und stets fest darauf vertraute, daß ich sie zu nutzen weiß. Prof. Stephan danke ich für seine bereitwillige Übernahme des Koreferats. Die finanzielle Grundlage der mehrjährigen numerischen und experimentellen Untersuchungen wurde von der KSB-Stiftung geschaffen. Besonderen Dank schulde ich an dieser Stelle Prof. Schiele für seine Unterstützung und Anerkennung. Meinen Kollegen danke ich für die zahllosen fachlichen Diskussionen, zu denen sie jederzeit bereit waren. Ihre Hinweise sind für mich ebenso wichtig wie ihre Freundschaft. Hervorzuheben sind hier die Mitarbeiter der Werkstatt, die stets Wege finden, eine Idee Realität werden zu lassen. Gewidmet ist diese Arbeit meiner Frau Corina, die mir unermüdlich den Rücken frei gehalten hat ohne das Geringste für sich selbst zu fordern. Pflichtgemäß erkläre ich hiermit an Eides statt, die vorliegende Arbeit eigenständig und ausschließlich unter Verwendung der genannten Hilfsmittel angefertigt zu haben.
Bernhard Brunn
Darmstadt, 24.01.2006
III
Inhaltsverzeichnis Verwendete Symbole
VI
1 Einleitung 1.1 Erweiterter Stand der Forschung 1.1.1 Kavitation 1.1.2 Zugfestigkeit von Flüssigkeiten 1.1.3 Kavitationskeime 1.1.4 Einflußmöglichkeiten 1.1.5 Anwendungen und Auswirkungen 1.1.6 Meß- und Steuertechniken 1.1.7 Statistisches Verhalten der Zugfestigkeit 1.1.8 Kennzahlen für Kavitation 1.1.9 Messungen zu den Kennzahlen 1.2 Motivation und Ziel der Arbeit
1 1 1 2 4 9 11 14 22 27 31 35
2 Modellierung und numerische Simulationen 2.1 Keimdynamik 2.1.1 Modellierung eines Kavitationskeims 2.1.2 Statische Wandkräfte und Stabilität 2.1.3 Dynamische Größenänderung 2.2 Diffusion 2.2.1 Grundlagen 2.2.2 Diffusionsvorgänge an einem Keim 2.2.3 Diffusionsmodell 2.3 Wechselwirkung Keimdynamik - Diffusion 2.3.1 Gerichtete Diffusion am oszillierenden Keim 2.3.2 Resonanzverhalten 2.3.3 Diffusion am kavitierenden Keim 2.3.4 Abfall der Zugfestigkeit durch Diffusion 2.3.5 Turbulenz 2.3.6 Zeitverhalten des Konzentrationsfelds 2.3.7 Keimdynamik bei adiabater Zustandsänderung 2.3.8 Thermodynamische Effekte 2.3.9 Geschlossenes System
37 37 37 39 45 48 48 49 52 55 55 61 67 69 70 73 80 82 88
IV
3 Experimentelle Untersuchungen 3.1 Prüfstand 3.1.1 Anforderungen 3.1.2 Ausführung 3.1.3 Luftabscheidung 3.1.4 Klappen als Kavitatoren 3.1.5 Wasserstrahlpumpe 3.1.6 Hydrophonmeßstrecke 3.2 Meß- und Regeltechnik 3.2.1 Konventionelle Meßtechnik 3.2.2 Messung des Keimspektrums 3.3 Ergebnisse 3.3.1 Anstieg des Keimspektrums durch Druckabfall 3.3.2 Anstieg des Keimspektrums durch Kavitation 3.3.3 Rückgang des Keimspektrums durch Pressen 3.3.4 Bewertung der akustischen Keimspektrumsmessungen 3.4 Anwendung des Keimmodells
92 92 92 92 94 96 97 98 100 100 100 108 108 110 115 118 120
4 Zusammenfassung und Ausblick
124
Literaturverzeichnis
126
V
Verwendete Symbole Symbol Dimension Bedeutung a A c cs c D D f fe fV H k m madi mg mi miso mk mp mv mw n n NPSH p paus pein pf pf,gg pf,m pg pi pi pkrit pmin ps psys pv pw p r rs
m/s m² kg/m³ kg/m³ kg/m³ m m²/s Hz bar/vol% kg/m³ kg kg kg kg kg kg kg kg kg 1/s m Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa Pa m m
Schallgeschwindigkeit in Wasser Diffusionsoberfläche Gaskonzentration Sättigungskonzentration Gaskonzentration in unendlich entfernter Umgebung Hydraulischer Durchmesser Diffusionskonstante von Luft in Wasser Sättigungsgrad Eigenfrequenz einer Blase Vergrößerungsfaktor Henry-Koeffizient von Luft in Wasser Druckdifferenzfaktor Masse / Luftmasse in einem Blasenkeim Gasmasse eines adiabaten Keims Diffusive Gesamtluftmasse eines Systems Einzelgasmassen eines Gasgemisches Gasmasse eines isothermen Keims Gasmasse eines Keims Gasmasse eines Luftpolsters Dampfmasse im Keim In Wasser gelöste Gasmasse Index / Polytropenexponent Drehzahl Net Positive Suction Head, Kennzahl für Kavitation Lokaler statischer Druck Austrittsdruck einer hydraulischen Einrichtung Eintrittsdruck einer hydraulischen Einrichtung Statischer Flüssigkeitsdruck pf für Kräftegleichgewicht eines Keims Zeitlich gemittelter Flüssigkeitsdruck Partialdruck des Gasgemisches im Keim Lokaler stat. Druck am Kav.-Ort bei Kav.-Beginn Innerer Druck eines Keims Kritischer Druck, Kavitationsgrenze der Flüssigkeit Lokaler stat. Minimaldruck, Ort des Kav.-Beginns Druckäquivalent durch Oberflächenspannung Globaler Systemdruck Dampfdruck Wasserdruck pf in unendlicher Entfernung Radiale Polarkoordinate Radius einer virtuellen sphärischen Schale
VI
R RAmp Rg Rg,i Rm Ro Rv t t tf tges tk T Tf Tk u v v vaus vein vkav Vk Vf Vg Vp Vw Vg x xF Z Zmax Zf c pstoß pverlust rs 8
s t [ ]0
m m J/kg/K J/kg/K m m J/kg/K °C s s s s K K K m/s m/s m/s m/s m/s m/s m³ m³ m³ m³ m³ m³ m Pa Pa Pa kg/m³ Pa Pa m kg/m³ kg/m³ Pa·s N/m -
Radius, Keimradius Amplitude einer Keimschwingung Gaskonstante eines Gasgemisches Gaskonstanten der Gase eines Gasgemisches mittlerer Keimradius über der Zeit Keimradius zum Zeitpunkt Null Gaskonstante von Dampf Temperatur Zeit Kavitationsfreier Zeitanteil Gesamtdauer Zeitanteil mit Kavitation Temperatur Flüssigkeitstemperatur Keimtemperatur Umfangsgeschwindigkeit Geschwindigkeit räumlich gemittelte Geschwindigkeit Austrittsgeschwindigkeit einer hydr. Einrichtung Eintrittsgeschwindigkeit einer hydr. Einrichtung Lokale Geschwindigkeit am Ort von pmin Keimvolumen Flüssigkeitsvolumen Normvolumen eines Gases (1013 mbar, 0°C) Volumen eines Gaspolsters Wasservolumen Gesamtvolumen freier Gase in einem Systems Weg Differenzdruckverhältnis, Kennwert für Kavitation Lokale Zugspannung der Strömung Maximales Z, Ort des Kav.-Beginns Zugfestigkeit der Flüssigkeit Räumlicher oder zeitlicher Gradient Konzentrations- / Diffusionsungleichgewicht Druckverlust an einer Profilvorderkante Druckverlust durch Reibung Wandstärke einer virtuellen sphärischen Schale Dichte einer Flüssigkeit Dichte einer Flüssigkeit in unendlicher Entfernung Dynamische Viskosität Thoma-Zahl, Kennwert für Kavitation Oberflächenspannung Wert einer Größe zum Zeitpunkt Null
VII
1 Einleitung 1.1 Erweiterter Stand der Forschung 1.1.1 Kavitation Als Kavitation (engl.: cavity = Hohlraum) wird das räumlich begrenzte Verdampfen einer Flüssigkeit bezeichnet. Ursache ist für gewöhnlich ein hydrodynamischer Druckabfall (s. Abb. 1.1.a), zu experimentellen Zwecken kann Kavitation allerdings auch durch lokale Erhitzung (gewöhnlich mittels gekreuzter Laserpulse) induziert werden. Physikalisch entspricht die Kavitation dem Sieden (s. Abb. 1.1.b), unterscheidet sich davon jedoch durch eine unmittelbare Rückkondensation des entstandenen Dampfes und die resultierende örtliche Begrenzung des Dampfgebietes.
Abb. 1.1.a: Kavitation an einem Strömungsprofil (Keller [2]) Das Auftreten von Kavitation in technischen Anlagen ist mit zum Teil schwerwiegenden Problematiken behaftet (s. auch Stoffel et al. [1]), mit deren Beherrschung sich ein weitreichendes Forschungsgebiet beschäftigt: Geräuschentwicklung verbunden mit mechanischen Schwingungen und resultierender mechanischer Belastung der Bauteile. Versperrung der Strömungsquerschnitte durch ein stationäres Dampfgebiet. Die damit verbundene Beeinträchtigung des Strömungsfeldes vermindert die Leistungsfähigkeit hydraulischer Einrichtungen bis hin zum Funktionsverlust. Massive Schädigung von Bauteiloberflächen durch Materialabtrag. Man spricht hier von Kavitationsaggressivität oder Kavitationserosion. Sie ist in hydraulischen Einrichtungen Hauptursache für vorzeitiges Bauteilversagen. Es existieren allerdings auch Nutzanwendungen dieser die Kavitation begleitenden Effekte. So wird die Kavitationserosion bei Oberflächenreinigung, Wasserstrahlschneiden und dem Mischen bzw. Separieren von Flüssigkeiten eingesetzt und spielt eine tragende Rolle beim Zerstäuben von Flüssigkeiten. Ebenso kann das kavitationsbedingte Versperren des Strömungsquerschnitts eine gewünschte Volumenstrombegrenzung für eine hydraulischen Einrichtung 1
bedeuten. Auch in diesen Bereichen besteht ein hoher Bedarf für weiterführende Erkenntnisse zur Kavitationsphysik. 2 Flüssigkeit
Druck [bar]
1.5
1
0.5
Verdampfen durch: Druckabfall (Kavitation, Vakuumsieden)
Dampf
Erhitzen (Laserinduzierte Kavitation, Sieden)
0 0
50 100 Temperatur [°C]
150
Abb. 1.1.b: Verdampfen von Wasser
1.1.2 Zugfestigkeit von Flüssigkeiten Der heterogene Übergang eines Stoffes in einen anderen Aggregatzustand geht stets von bereits bestehenden Phasengrenzen aus. Folglich setzt das Verdampfen einer Flüssigkeit bereits vorhandene Grenzflächen flüssiggasförmig in Form von ungelösten Gasen voraus. Entsprechende Gasansammlungen finden sich in Poren der Wandung, in Poren von Schmutzpartikeln sowie als freie Mikrobläschen in der Strömung. Da diese Gaseinschlüsse die Voraussetzung für das Verdampfen der Flüssigkeit darstellen, werden sie als Siede- bzw. Kavitationskeime bezeichnet Das Fehlen derartiger Keime führt dazu, daß die Flüssigkeit trotz Überschreiten der Dampfdruckkurve (s. Abb. 1.1.b) nicht in die Gasphase übergehen kann. Im Falle des Verdampfens durch Erhitzen wird dieser Effekt Siedeverzug genannt, bei der Verdampfung durch Druckabfall hat sich dagegen der Begriff Zugspannung durchgesetzt. Er beschreibt die Unterschreitung des temperaturabhängigen Dampfdruckes: Z = pv(T) – p mit:
Z p pv T
= = = =
lokale Zugspannung [Pa] lokaler statischer Druck [Pa] Dampfdruck des Fluids [Pa] Temperatur [K]
2
Gl. 1.1.a
Abb. 1.1.c: Zugversuch an einer Flüssigkeit Der Begriff Zugspannung ist ein Hinweis auf die Analogie zum klassischen Zugversuch an festen Werkstoffen. (s. Abb. 1.1.c). Die real stets vorhandenen Kavitationskeime in einer Flüssigkeit wirken in gleicher Weise wie die Fehlstellen im Gefüge eines festen Werkstoffes. Die Schwächung des Gefüges führt in beiden Fällen zu einem vorzeitigen Versagen (Verdampfen) unter Zuspannung. Größe und Anzahl der Kavitationskeime werden im Begriff Keimspektrum zusammengefaßt, wobei der größte vorhandene Keim die Zugfestigkeit eines Flüssigkeitsvolumens bestimmt. Sie ist definiert als diejenige Zugspannung, die das Fluid gerade nicht mehr verdampfungsfrei (kavitationsfrei) ertragen kann (s. Gl. 1.1.b). Im Fall von Wasser wurden von Briggs [3] experimentell Zugspannungen bis zu 270 bar nachgewiesen. Zf = pv – pi mit:
Gl. 1.1.b
Zf = lokale Zugfestigkeit der Flüssigkeit [Pa] pi = lokaler statischer Druck am Ort der Kavitation bei Kavitationsbeginn (incipient cavitation) [Pa]
Durch die räumliche Verteilung und die zeitliche Entwicklung der Kavitationskeime ergibt sich eine inhomogene, veränderliche Zugfestigkeitsverteilung innerhalb einer Strömung. Anders als bei Feststoffen ist die Zugfestigkeit von Flüssigkeiten daher nicht als klassische Werkstoffeigenschaft zu verstehen. Im Zusammenhang mit Zugspannung in Flüssigkeiten ist statischer Druck als Flächenkraft zu verstehen, die entgegen der physikalischen Definition von Druck negative Absolutwerte annehmen kann. Während in Gasen nur molekulare Stoßkräfte auftreten und keine negativen Drücke existieren, ergeben sich in Flüssigkeiten Gitterkräfte, die eine Übertragung von Zugspannungen im herkömmlichen Sinn ermöglichen.
3
1.1.3 Kavitationskeime Zu unterscheiden sind die in Tab. 1.a aufgeführten Keimtypen. Sie spielen bei Siedevorgängen und Kavitation unterschiedliche Rollen, die im Folgenden näher beschrieben werden sollen. Bezeichnung Wandkeime Porenkeime Partikelkeime Blasenkeime
Erläuterung Gasansammlungen in Poren…
…der von der Flüssigkeit benetzten Oberflächen …von Schmutzpartikeln in der freien Strömung
Mikrobläschen in der freien Strömung
Tab. 1.a: Arten von Kavitationskeimen Ausschlaggebend für die unmittelbaren Ausmaße und das dynamische Verhalten eines Kavitationskeims sind nach Young und Laplace die auf seine Grenzfläche („Keimwand“) wirkenden Flächenkräfte (s. Abb. 1.1.d und Tab. 1.b). Seine langfristige Entwicklung wird darüber hinaus durch Diffusionsvorgänge bestimmt, welche die im Keim befindlichen Gasmengen und damit die Partialdrücke pg verändern. Beide Mechanismen stehen dabei in enger Wechselwirkung (s. Kap. 2.3).
Abb. 1.1.d: Statische Wandkräfte eines Blasenkeims 1 Solange innerer und äußerer Druck einen Gleichgewichtszustand erreichen, ist der Keim stabil, d.h. das Keimvolumen bleibt begrenzt und bietet der Flüssigkeit keinen Raum zu verdampfen. Fällt jedoch der äußere Druck unter den Dampfdruck und die Zugspannung erreicht einen kritischen Wert (s. Kap. 2.1), beginnt der Keim exponentiell zu wachsen und sich mit Dampf zu füllen, wodurch makroskopisches Verdampfen der Flüssigkeit einsetzt.
4
Symbol
Erläuterung Partialdruck der im Keim enthaltenen Gase
pg pi
Innerer Druck pv
Dampfdruck der Flüssigkeit
pf
Statischer Druck der Flüssigkeit
pa
Äußerer Druck ps
Druckäquivalent durch die Oberflächenspannung (surface tension)
Tab. 1.b: Statische Wandkräfte eines Blasenkeims Da der Radius eines Keimes von äußeren Faktoren wie dem Flüssigkeitsdruck bestimmt wird, empfiehlt es sich, die tatsächliche Größe eines Keimes durch die in ihm befindliche Gasmenge zu beschreiben. Kurzfristige Änderungen des Keimradius bei konstanter Gasmenge werden unter dem Begriff Keimdynamik beschrieben. Hierzu gehören auch Sieden und Kavitation, da hierbei die Gasmenge innerhalb des Keimes zunächst konstant bleibt. Mit dem Wachstum oder Schrumpfen eines Keimes ist dagegen eine langfristige Änderungen seiner Gasmenge aufgrund von Gasdiffusion in der umgebenden Flüssigkeit verbunden. Ausschlaggebend für die Richtung der Keimgrößenänderung ist der Partialdruck der Gasmengen innerhalb des Keims, der im Wesentlichen durch den Flüssigkeitsdruck bestimmt wird (s. Kap. 2.2.1). Liegt er oberhalb eines Grenzwertes, diffundiert Gas aus dem Keim in die Flüssigkeit und der Keim schrumpft. Umgekehrt führt ein niedriger Partialdruck zu Keimwachstum. Obwohl Keime bei Flüssigkeitsdrücken oberhalb des Dampfdruckes in jedem Fall stabil bleiben, können sie durch Ausgasung und sogenannte Pseudokavitation soweit anwachsen, daß sie sichtbar werden. Das Ausgasen ist ein Diffusionsprozeß und erfolgt, wenn durch Absenken des Flüssigkeitsdruckes ein anhaltendes Keimwachstum angeregt wird. Die Pseudokavitation dagegen gehört in den Bereich der Keimdynamik. Sie tritt auf, wenn in der Flüssigkeit aufgrund von Ausgasung bereits sichtbar vergrößerte Keime vorhanden sind (s. Abb. 1.1.e). Die reine Expansion in Gebieten lokaler Druckabsenkung macht dann einzelne Keime überdeutlich sichtbar, weshalb dieser Effekt auch Einzelblasenkavitation (travelling bubble cavitation) genannt wird. Im Gegensatz zur echten Kavitation findet hier keine Dampfdruckunterschreitung statt und die Keime bleiben durchgehend stabil. Als Hinweis darauf, daß Pseudokavitation oberhalb des Dampfdruckes auftritt, wird in diesem Zusammenhang von negativer Zugspannung gesprochen.
5
Die Dynamik von Pseudokavitation beschränkt sich auf Expansion und Kompression freien Gases, so daß weder erfaßbare Schallenergie freigesetzt wird noch erosive Aggressivität auftritt. Oft tritt Pseudokavitation wie in Abb. 1.1.e in Verbindung mit echter Kavitation auf, wenn lokal positive Zugspannungen erreicht werden.
Abb. 1.1.e: Pseudo-/Einzelblasenkavitation (Keller [2]) Blasenkeime besitzen eine stets konvex gekrümmte Grenzfläche, weshalb die durch Oberflächenspannung verursachte Flächenkraft ps nach innen gerichtet bleibt und fest zu den äußeren Drücken gerechnet werden kann. Im Fall von Porenkeimen dagegen variiert die Krümmung der Wand in Abhängigkeit des Flüssigkeitsdruckes, so daß ps sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet sein kann (s. Abb. 1.1.f).
Abb. 1.1.f: Porenkeime Im Bereich von Zugspannung (pf < pv < pi) überwiegt stets der innere Keimdruck gegenüber dem Flüssigkeitsdruck, so daß die Keimwand eine konvexe Krümmung beibehält. Somit gelten für Porenkeime grundsätzlich die gleichen Stabilitätsgrenzen wie für Blasenkeime (s. Kap. 2.1.2).
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Ein wesentlicher Unterschied zwischen Blasen- und Porenkeimen liegt in der langfristigen diffusionsbedingten Änderungen der Gasmenge innerhalb des Keimes. Die in einem Blasenkeim befindlichen Gase stehen durch die fest nach innen gerichtete Oberflächenspannung unter erhöhten Partialdruck, wodurch die Diffusion von Gas in das umgebende Wasser verstärkt wird. In ruhenden Flüssigkeiten haben sie daher begrenzte Lebensdauer und gehen je nach Flüssigkeitsdruck entweder vollständig in Lösung oder wachsen kontinuierlich an und steigen zur Grenzfläche der Flüssigkeit auf (s. Kap. 2.2.2). Porenkeime dagegen nehmen im Verlauf der Schrumpfung eine konkave Oberfläche an, deren Krümmung immer mehr zunimmt. Der benetzte Feststoff, in welchem sich die Pore befindet, ist anzunehmender Weise wasserunlöslich und damit in der Regel auch wasserabstoßend (hydrophob), wodurch die konkave Krümmung der Keimoberfläche verstärkt wird. Die nach außen gerichtete Oberflächenspannung senkt den Partialdruck der Gase innerhalb des Keims immer weiter ab und bringt so die Diffusion der Gase in die Umgebung zum Stillstand. Porenkeime gehen daher nie vollständig in Lösung. In ruhenden Flüssigkeiten befinden sich daher nach ausreichender Standzeit nahezu nur noch Porenkeime. Anschließende Erwärmung oder Absenkung des Flüssigkeitsdruckes führen zum Wachstum dieser Porenkeime. Da die Krümmung der Keimwand und damit die Wirkung der Oberflächenspannung innerhalb der Pore beschränkt ist, wachsen Porenkeime schnell über die Pore hinaus (s. Abb. 1.1.f). Bei ausreichender Größe kommt es dann zur wiederholten Ablösung von Blasenkeimen. Bei siedenden Flüssigkeiten wird diese periodische Bildung von Blasenkeimen durch Wandkeime erkennbar. Die aufsteigenden dampf- bzw. gasgefüllten Bläschen haben ihren Ursprung stets an festen Punkten der Gefäßwand. Je größer die vorhandenen Poren, desto größer die Gasmasse der gebildeten Blasenkeime und um so geringer deren Stabilität (s. Kap. 2.1.2). Bei glatten, porenarmen Gefäßwänden werden daher oft zusätzlich großporige Festkörper eingebracht, um den Siedepunkt der Flüssigkeit herabzusetzen oder ein Ausgasen zu beschleunigen. Bewegte oder strömende Flüssigkeiten sind meist mit Turbulenz und örtlichen Druckschwankungen verbunden, die sowohl eine Bildung von Blasenkeimen durch Porenkeime anregen als auch das Wachstum und die Lebensdauer der Blasenkeime durch gerichtete Diffusion (s. Kap. 2.3.1) erheblich erhöhen können. In der freien Strömung befinden sich daher freie Blasenkeime sowie gegebenenfalls Partikelkeime, die an mitschwebenden Schmutzteilchen anhaften. Beide Keimarten zeigen wie erwähnt das gleiche Stabilitätsverhalten, so daß sie in Hinblick auf Kavitation nicht getrennt betrachtet werden müssen. Bei einem plötzlichen hydrodynamischen Druckabfall an einem umströmten Körper lösen Blasen- und Partikelkeime gegebenenfalls Kavitation oder Pseudokavitation in der freien Strömung aus. Die Wandkeime auf der Oberfläche des umströmten Körpers werden dagegen bei beginnendem
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Wachstum über die Pore hinaus fortlaufend von der Strömung abgeschert. Die Größe derart gebildeter Blasenkeime ist um so kleiner, je höher die Strömungsgeschwindigkeit ist. Die Porenkeime selbst bleiben hierbei auf die Maße der Pore beschränkt und haben keinen unmittelbaren Einfluß auf die Kavitation. Der jeweilige Einfluß von Blasen- und Partikelkeimen auf Kavitation wurde von Kümmel [4] experimentell untersucht. Das verwendete Streulichtverfahren erfaßt mikroskopische Fremdkörperteilchen in der freien Strömung, eine Unterscheidung von Blasenkeimen und Schmutzpartikeln ist hiermit allerdings nicht möglich. Je nach Vorbehandlung der Flüssigkeit können jedoch beide Keimarten unabhängig voneinander eliminiert werden, so daß eine getrennte Untersuchung möglich wird. Eine Reduktion des Gasgehaltes führt zur beschriebenen gezielten Auflösung der Blasenkeime, mechanische Filterung dagegen beseitigt ausschließlich die Schmutzteilchen und die damit verbundenen Partikelkeime. Die Ergebnisse von Kümmel zeigen, daß beide Vorbehandlungen den Gehalt der Flüssigkeit an Fremdkörperteilchen in gleicher Weise reduzieren. Geht man von einer vollständigen Entfernung des jeweiligen Keimtyps aus, ließe sich daraus schließen, daß in einer technische Anlage beide Keimtypen in etwa gleicher Anzahl existieren. Dagegen konnte Kümmel bei unterschiedlicher Vorbehandlung aber gleichem resultierenden Gehalt an Teilchen keinen Unterschied im Kavitationsverhalten eines untersuchten Strömungsprofiles feststellen. Damit bestätigt sich weitgehend, daß Partikelkeime die Zugfestigkeit einer Flüssigkeit in gleicher Weise beeinflussen wie Blasenkeime. Tab. 1.c gibt einen Überblick über die beschriebenen Effekte, die in Zusammenhang mit den jeweiligen Keimtypen stehen. Die wesentliche Bedeutung der Porenkeime liegt in der Generierung von Blasenkeimen, da alle genannten Vorgänge letztendlich von Blasenkeimen ausgehen. Dies gilt insbesondere für ruhende Flüssigkeiten, die je nach Standzeit vorerst weitgehend frei von Blasenkeimen sind.
Vorgang
Wirkbereich
Kavitation Pseudokavitation
Instabil lokal
Blasendynamik
Stabil
Sieden Ausgasen
Keimräumliche stabilität Ausdehnung
Instabil Diffusion
Stabil
global lokal
Tab. 1.c: Überblick über die Wirkweise von Keimen
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Bei Sieden und Kavitation verlieren vorhandene Keime ihre Stabilität und wachsen extrem an, wodurch große Mengen Dampf freigesetzt werden. Die dazu benötigte hohe Verdampfungsenthalpie wird der umgebenden Flüssigkeit und nahen benetzten Oberflächen entzogen. Dies bedeutet einen Temperaturabfall, der den Verdampfungsprozeß hemmt. Die Intensität des Siedens wird somit durch den von außen zugeführten Wärmestrom bestimmt und ist fallweise vergleichbar mit der Intensität diffusionsbedingter Ausgasung. Lediglich überhitzte Flüssigkeiten haben genug Enthalpie gespeichert, um ein explosionsartiges Verdampfen der Flüssigkeit zu ermöglichen. Bei der lokalen Kavitation wird durch die Strömung permanent Flüssigkeit nachgeführt, so daß der Temperaturabfall gering bleibt und die Verdampfung weitgehend ungehemmt ablaufen kann. Entsprechend hoch ist hier die Intensität des Verdampfungsprozesses. Die örtliche Begrenzung verbunden mir der hohen Dynamik gibt der Kavitation ihr typisches Erscheinungsbild, wobei sie sich bezüglich der grundsätzlichen physikalischen Vorgänge nicht vom Sieden unterscheidet. Kavitation ist in technischen Flüssigkeiten stets auch mit Ausgasung verbunden. Die massive Expansion der Keime bei Stabilitätsverlust bedeutet einen starken Abfall der inneren Partialdrücke und damit eine massive Diffusion von in der Flüssigkeit gelösten Gasen in den Keim. Verlassen die Keime das räumlich begrenzte Kavitationsgebiet und kehren in den stabilen Zustand zurück, haben sie erheblich an Gasmasse zugenommen (s. Kap. 2.2.3). Kavitation bedingt somit ein starkes Keimwachstum, wodurch die Zugfestigkeit im Nachlauf von Kavitationsgebieten deutlich herabgesetzt wird.
1.1.4 Einflußmöglichkeiten Entsprechend den bisherigen Überlegungen ergibt sich die Zugfestigkeit und damit die Kavitationsneigung einer Flüssigkeit unmittelbar aus dem vorhandenen Spektrum an Keimen und deren Stabilitätsverhalten. Ausschlaggebend ist hierbei die Größe der Keime in Form ihrer ungelösten Gasmenge, die durch Diffusionsvorgänge im Austausch mit den in der umgebenden Flüssigkeit gelösten Gasen stehen. Somit können alle Eingriffe die Zugfestigkeit der Flüssigkeit verändern, welche ihre Gesamtgasmenge und das Gleichgewicht zwischen gelösten und ungelösten Gasen beeinflussen: Auf-/Entgasen der Flüssigkeit Druck- und Geschwindigkeitsfelder (Betriebspunkt, Anlagenkonstruktion) Turbulenz Temperatur Kavitation Vorgeschichte der Flüssigkeit Vorhandensein von Poren in Wandung/Partikeln
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Das Auf- und Entgasen einer Flüssigkeit meint eine gezielte Änderung der Konzentration gelöster Gase. Da das Gaslösungsvermögen einer Flüssigkeit mit dem statischen Druck zunimmt, erfolgt das Aufgasen durch intensiven Kontakt mit freiem Gas bei hohem Druck. Druckschwankungen durch Bewegung der Flüssigkeit sollten minimiert werden, da sie wie erwähnt die gerichtete Diffusion und somit Keimwachstum und folglich das Auslösen der Gase fördern. Ungewolltes Aufgasen der Flüssigkeit bei hohen Drücken kann durch fehlenden Kontakt zu freien Gasen verhindert werden. Entgasen erfolgt entsprechend durch Senken des statischen Druckes und starkes Bewegen der Flüssigkeit. Durch provozierte Kavitation wird das Ausgasen aufgrund des erwähnten massiven Keimwachstums erheblich intensiviert. Das makroskopische Abscheiden der frei gewordenen Gase verhindert das spätere selbständige Aufgasen der Flüssigkeit. Zudem empfiehlt sich auch eine nachträgliche Auflösung der entstandenen mikroskopischen Blasenkeime. Dies erfolgt durch das sogenannte Pressen, bei dem die Flüssigkeit längere Zeit bei geringer Bewegung unter hohen Druck gesetzt wird. Spätere unerwünschte Ausgasungen an Orten niedrigen Druckes können nur vermieden werden, wenn das Gaslösungsvermögen der Flüssigkeit nicht mehr überschritten wird. Die ausgasungsfrei möglichen Druckabsenkungen werden daher durch die verbliebene Konzentration an gelösten Gasen bestimmt (s. Kap. 2.2.1). Die lokalen Druck- und Geschwindigkeitsfelder einer Strömung bedeuten für die mitgetragenen Keime zeitliche Schwankungen des Flüssigkeitsdruckes. Darauf reagieren sowohl die Keimdynamik als auch die Diffusion und verursachen eine fortlaufende Änderungen von Keimgröße und -stabilität. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Turbulenz, deren hochfrequente Druckschwankungen die Eigenschwingung der Keime und damit erheblich die gerichtete Diffusion anregen. Turbulenz wirkt damit dem Auflösen von Blasenkeimen entgegen und könnte ein Grund für die nachweisbar unerwartet hohe Lebensdauer der Keime sein. Die durch Turbulenz verursachte aufgezwungene Konvektion an den Keimwänden verstärkt zudem die ablaufenden Diffusionsvorgänge erheblich. In Kavitationsgebieten kann die hohe Turbulenz „grenzstabile“ (bereits nah am Übergang zum instabilen Bereich befindliche) Keime destabilisieren und damit die Kavitation fördern. Die Temperatur der Flüssigkeit beeinflußt deren physikalische Eigenschaften (s. Kapitel 2.3.8). Insbesondere die Verschiebung des Dampfdruckes wirkt sich auf die Keimdynamik aus. So wurde von Briggs [3] eine Temperaturabhängigkeit der maximal erreichbaren Zugspannung in Wasser nachgewiesen. Über das Gaslösungsvermögens der Flüssigkeit wirkt sich die Temperatur zudem deutlich auf die Gasdiffusion aus und beeinflußt somit das längerfristige Keimwachstum. Das durch Kavitation hervorgerufene massive Keimwachstum wurde bereits angesprochen. Es führt zu deutlich herabgesetzter Zugfestigkeit der Flüssigkeit im Nachlauf bis hin zu erheblich beschleunigter Ausgasung. Von
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allen Einflußfaktoren auf das Keimspektrum hat Kavitation die weitaus stärkste Wirkung. Die Erfahrung aus vielseitigen Kavitationsuntersuchungen und die Ergebnisse aus dem experimentellen Teil der Arbeit belegen, daß sich Keimspektren träge verhalten und trotz veränderter äußerer Bedingungen unter Umständen lange ihren bisherigen Zustand aufrechterhalten können. Die Vorgeschichte der Flüssigkeit erhält daher für den aktuellen Keimgehalt eine hohe Bedeutung. Diese Trägheit der Keimspektren ermöglicht deren gezielte Beeinflussung durch Vorbehandlung der Flüssigkeit, die während anschließender Versuchsdurchführungen Bestand hat. Da Porenkeime Ausgangspunkt für die Entstehung von Blasenkeimen sind, wird die Zugfestigkeit durch die Größe und Anzahl der Poren in den benetzten Wänden und mitströmenden Feststoffpartikeln beeinflußt. Niedrige Oberflächenrauhigkeiten von Leitungen und Installationen sowie geringe Verschmutzung der Flüssigkeit fördern die Zugfestigkeit.
1.1.5 Anwendungen und Auswirkungen Die Kavitationsneigung einer hydraulischen Einrichtung (Armatur, Fitting, Strömungsprofil, Maschine, etc.) wird in hohem Maße durch die Zugfestigkeit und somit durch das Keimspektrum der Flüssigkeit mitbestimmt. Durch gezielte Vorbehandlung der Flüssigkeit unter Nutzung der benannten Einflußfaktoren läßt sich somit das Kavitationsverhalten der Einrichtung weitreichend steuern. Der Gasgehalt der Flüssigkeit ist hier als wesentlicher Parameter bekannt und wird soweit möglich zur Einflußnahme genutzt. Im Fall von Turbinen wirkt sich der Effekt des Gasgehalts im Allgemeinen positiv aus, da die Flüssigkeit gewöhnlich vor Erreichen der Maschine eine deutliche Druckerhöhung erfährt. Das Gaslösungsvermögen der Flüssigkeit steigt damit an und es entsteht eine Untersättigung, die zu erhöhter Zugfestigkeit führt. Pumpen sind grundsätzlich anfälliger für Kavitation, da sich dieser Effekt umkehrt. Der im Zulauf erzeugte Druckabfall reduziert das Gaslösungsvermögen und führt zu Übersättigung, wodurch die Zugfestigkeit abfällt. Durch Ausgasungen kann es hier auch zu Pseudokavitation kommen (s. Kap. 1.1.3). Bei der experimentellen Ermittlung des Kavitationsverhaltens einer hydraulischen Einrichtung ist eine reproduzierbare, hohe Zugfestigkeit der Flüssigkeit wünschenswert, um aussagekräftige, konkurrenzfähige Betriebsgrenzen zu erhalten. Daher wird vor der Aufnahme der charakterisierenden Kennlinien üblicherweise ein standardisiertes Entgasungsverfahren durchgeführt, auf das meist das beschriebene Pressen der Flüssigkeit folgt. Dabei ist zu beachten, daß eine Vorrichtung die derart ermittelten Leistungsdaten im späteren Betrieb nur in Flüssigkeiten mit ähnlich hoher Zugfestigkeit erfüllen kann. Aufgrund des genannten Einflusses der Anlagenkonstruktion ist dies auch unabhängig von den Prozeßbedingungen der Anlage unter Umständen nur schwer zu bewerkstelligen. So wurde bei
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Untersuchungen an einer Kreiselpumpe eines renommierten Herstellers an drei verschiedenen betriebseigenen Prüfständen, die nach einheitlichem Standardverfahren entgast worden waren, ein abweichendes Kavitationsverhalten festgestellt. In einer internationalen Versuchsreihe des ITTC [5] untersuchten verschiedene Forschungseinrichtungen ein weitergereichtes Strömungsprofil auf sein Kavitationsverhalten. Weder der Kavitationsbeginn am Profil noch der Einfluß der Geschwindigkeit konnten an den beteiligten Instituten reproduziert werden (s. Abb. 1.1.g). Die jeweiligen Keimspektren in den Prüfanlagen sowie deren unterschiedliche Entwicklung bei Änderung der Strömungsgeschwindigkeit dominieren das gesuchte grundlegende Kavitationsverhalten des Profils.
Abb. 1.1.g: Kavitationsbeginn an einem Tragflügel [5] (vgl. Kap. 1.1.8) Es ist festzuhalten, daß Kavitationsuntersuchungen ohne Kenntnis der Zugfestigkeit nur bedingt Aussagekraft besitzen, da diese unbeständige Flüssigkeitseigenschaft stets alle anderen Einflußfaktoren überlagert. Vergleiche von Kavitationszuständen sind nur dann zulässig, wenn eine Übereinstimmung der Zugfestigkeit zugrunde gelegt werden kann. Besonders in Anlagen, die als geschlossene Kreisläufe ausgeführt sind, wirkt sich die Beständigkeit der Keimspektren aus, da die im Betrieb entstehenden Keime in der Anlage verbleiben und die Zugfestigkeit nachhaltig herabsetzen. Je kleiner ein Kreislauf ist, desto deutlich wirkt sich dieser Effekt aus. Durch kurze Umlaufzeiten erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß Keime einen oder mehrere Umläufe überstehen. Ein kleines Anlagenvolumen führt zudem zu einer höheren Keimdichte.
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Dieser Zusammenhang muß bei der Ermittlung des Kavitationsverhaltens einer hydraulischen Einrichtung berücksichtigt werden. Nach längerer Standzeit der Anlage sind eventuelle Kavitationskeime weitgehend in Lösung gegangen, so daß die Flüssigkeit bei Inbetriebnahme der Anlage eine hohe Zugfestigkeit aufweist, die zu einer ungewohnt niedrigen Kavitationsneigung der untersuchten Einrichtung führt. Ein Phänomen, das vielfach als „Montagmorgeneffekt“ bezeichnet wird. Im Verlauf des ersten Kavitationsversuchs bildet sich jedoch durch den damit verbundenen niedrigen statischen Druck und die kurzzeitige Kavitation in der Vorrichtung bereits ein neues Keimspektrum, das auch über mehrere Stunden hinweg weitgehend unverändert erhalten bleibt. Als Folge der nachhaltig herabgesetzten Zugfestigkeit weist die Einrichtung in nachfolgenden Versuchen wieder die gewohnte Kavitationsneigung auf. Die Erfahrung zahlreicher Kavitationsuntersuchungen hat darüber hinaus gezeigt, daß sich das Keimspektrum bei anhaltender Kavitation nicht fortlaufend erhöht sondern einen gewissen Sättigungszustand erreicht (s. Kap. 3.3.1). Nur durch eine Intensivierung der Kavitation kann das Keimspektrum dann weiter angehoben werden. Es empfiehlt sich daher, bei Inbetriebnahme eines Prüfstandes für Kavitationsuntersuchungen nach den üblichen Vorbehandlungen der Flüssigkeit die zu untersuchende Einrichtung für kurze Zeit in einem Kavitationszustand zu fahren, dessen Intensität bei den geplanten Versuchen nicht mehr überschritten wird. Für Pumpen wäre dies beispielsweise der Förderhöhenabriß im äußersten Teillastpunkt. Dadurch wird ein nahezu gleichbleibendes Keimspektrum erzeugt, daß sich im Verlauf der Versuche nicht weiter erhöht. Es kann somit gewährleistet werden, daß die späteren Versuchsergebnisse sowohl untereinander vergleichbar als auch reproduzierbar sind. Die beschriebene Keimgenerierung durch Kavitation in einer hydraulischen Einrichtung kann in geschlossenen Kreisläufen ebenso dazu führen, daß die Einrichtung sich selbst mit Keimen versorgt und dadurch zunehmend in Kavitation fährt. Das erzeugte Keimspektrum setzt nach einem Umlauf die Zugfestigkeit im Eintritt der Installation herab und verstärkt die bestehende Kavitation. Folglich erhöht sich wiederum die Keimgeneration, weshalb Keimspektrum und Kavitation zunehmen bis der angesprochene Sättigungszustand erreicht ist. Das Auftreten von Pseudokavitation (s. Kap. 1.1.3) ist bei Untersuchungen des Kavitationsverhaltens von hydraulischen Einrichtungen als problematisch anzusehen. Der lokale Volumenanteil der freien Gase steigt hier schnell soweit an, daß er die Strömung nennenswert beeinflußt und diese als Zweiphasenströmung behandelt werden muß. Herabgesetzte Dichte und aufkommende Kompressibilität bedeuten einen Abbau der Druckgradienten und die Dämpfung von Druckwellen und -stößen. Zum einen reduzieren sich damit örtliche Zugspannungen und zeitgleich auftretende echte Kavitation nimmt ab, zum anderen wird die erosive Aggressivität der echten Kavitation und die Ausbreitung der freigesetzten Schallenergie erheblich gedämpft.
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Diese Effekte werden für Bauteile genutzt, deren Oberflächen durch Kavitation geschädigt werden. Durch kleine Wandbohrungen wird Luft gedrückt, die sich im besten Fall zwischen Wand und Kavitationsgebiet legt. Dabei muß meist ein Kompromiß zwischen Schutz der Oberflächen und den beschriebenen Nachteilen der Zweiphasenströmung mit eventuellen Wirkungsgradeinbußen gefunden werden.
1.1.6 Meß- und Steuertechniken Technik
Zielsetzung
Mikroskopie, Holographie (s. Chahine [6], Lauterborn [42]) Streulichtverfahren (s. Kümmel [4]) Phase Doppler (s. Damaschke [8 -11])
Wirkprinzip Optische Erfassung einer repräsentativen Keimanzahl
Erfassung des Keimspektrums
Acoustic Bubble Spectrometer (s. Chahine [6], Dynaflow [7])
Lichtstreuung durch Einzelkeime Interferenz der Lichtstreuung einer repräsentativen Keimanzahl Schallübertragungsverhalten des Keimspektrums
Zentrifuge (s. Briggs [3]) Venturidüse ± Center Body (s. Gowing [12], Henry [13], Gindroz[14,15], d’Agostino[16]) Wirbeldüse (s. Keller [17-19], Heller [20], Awad [21])
Erfassung der Zugfestigkeit
Zugversuch
Insitu Düse (s. Beinert [22]) Gassättigung der Flüssigkeit (s. Huber [26]) Keimgeneration (s. Awad [15], Striedinger [23], Brand [24], Gindroz [25])
Eliminieren der Zugfestigkeit
Anfachen des Keimwachstums Einsprühen von Gas oder gasübersättigter Flüssigkeit, Kavitation
Tab. 1.d: Meß- und Steuertechniken 14
Aufgrund des entscheidenden Einflusses der Zugfestigkeit auf die Kavitation gibt es zahlreiche Bestrebungen, Meßtechniken für das Erfassen dieser Flüssigkeitseigenschaft bzw. der sie verursachenden Keimspektren zu entwickeln. Alternativ wurden auch Konzepte entwickelt, die Zugfestigkeit gezielt auf nahezu Null herabzusetzen und die meßtechnische Erfassung somit zu umgehen. Die gängigen Verfahren sind in Tab. 1.d aufgeführt und in Kategorien unterteilt. Mit zunehmender Meßdauer für die Erfassung des vollständigen Keimspektrums geht die Möglichkeit verloren, zeitliche Entwicklungen der Zugfestigkeit zu verfolgen. Die Meßtechniken sind daher unter anderem dahingehend zu bewerten, wieviel Information über das Keimspektrum bzw. die statistische Zugfestigkeit eine Einzelmessung erbringt. Erfassung des Keimspektrums Die Mikroskopie ist die direkteste und zuverlässigste Methode zur Erfassung des Keimspektrums. Der Abstand zwischen erfaßten Keimen und Optik muß hierbei in einer engen Toleranz liegen, damit die Abbildungsgröße fest mit den Keimradien korreliert. Die entsprechend notwendige Abgrenzung des Meßvolumens in der Tiefe erfolgt durch einen Laserlichtschnitt oder eine virtuelle Bildebene, die sich aus der begrenzten Tiefenschärfe der Optik ergibt. Wesentlicher Nachteil des Verfahrens ist die geringe Größe des Meßvolumens, die zu hohem Aufwand bei Messung und Auswertung führt und nur statistische Aussagen über das Keimspektrum erlaubt. Die holographische Aufzeichnung von Keimen ist für die Erfassung von Keimspektren derzeit zu aufwendig. Das Streulichtverfahren basiert auf einem Laserlichtschnitt parallel zur Strömung. Ein Photosensor senkrecht zur Lichtschnittebene erfaßt den Helligkeitsanstieg durch die Lichtstreuung durchlaufender Keime. Damit der Anstieg der Helligkeit einem Keimradius zugeordnet werden kann, ist das Meßvolumen so klein zu wählen, daß die Wahrscheinlichkeit für die Anwesenheit von mehr als einen Keim im Meßvolumen verschwindend gering wird. Die gewonnene Information je Messung ist folglich noch geringer als bei der Mikroskopie. Das Phasen-Doppler-Verfahren kombiniert Mikroskopie mit einem verfeinerten Streulichtverfahren. Die Optik erfaßt sowohl die Reflektion als auch die Brechung des Lichtschnittes an den Blasenkeimen (s. Abb. 1.1.h). Beide Streulichter ergeben bei defokussierter Optik ein Interferenzmuster, dessen Frequenz eine Funktion der Distanz der Streulichter und damit des Keimradius ist. Die Abbildungen der Interferenzmuster sind für alle Keime gleich groß und aufgrund der Defokussierung deutlich größer als die direkten, fokussierten Abbildungen der Keime. Folglich kann ein erheblich größeres Meßvolumen erfaßt werden, als im Fall der Mikroskopie. Von den genannten optischen Meßtechniken erlaubt nur das Phasen-Doppler-Verfahren eine Unterscheidung zwischen tatsächlichen Blasenkeimen und mitströmenden Feststoffpartikeln.
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Abb. 1.1.h: Phasen-Doppler-Verfahren Das Acoustic Bubble Spectrometer (ABS) der Firma Dynaflow Inc. basiert auf dem Einfluß eines vorhandenen Keimspektrums auf das Schallübertragungsverhalten der Strömung. Letzteres wird durch senkrecht zur Strömung übertragene Schallsignale analysiert und anhand eines patentierten Algorithmus das verursachende Keimspektrum ermittelt. Der Vorteil liegt in der vollständigen Erfassung des Keimspektrums über nahezu den gesamten Strömungsquerschnitt und der Unempfindlichkeit für Feststoffpartikel. Aufgrund der verhältnismäßig langen Meßdauer (Größenordnung 1min) können dynamische Änderungen des Keimspektrums nur bedingt erfaßt werden. Dieses Verfahren wurde im Rahmen der experimentellen Untersuchungen eingesetzt und ist in Kapitel 3.2.2 im Detail beschrieben. Erfassung der Zugfestigkeit Die Meßverfahren zur Ermittlung der Zugfestigkeit der Flüssigkeit entsprechen im Vorgehen dem klassischen Zugversuch der Werkstoffprüfung (s. Kapitel 1.1.2). Die Flüssigkeit wird einer zunehmenden Zugspannung ausgesetzt, bis makroskopisches Verdampfen einsetzt. Um die Zugfestigkeit der Flüssigkeit während der Messung nicht zu beeinflussen, muß die Bildung zusätzlicher Blasenkeime durch Porenkeime vermieden werden. Gefäßwände, die im Bereich der Zugspannung liegen, müssen daher entweder umströmt sein oder höchste Oberflächengüte aufweisen (s. Kapitel 1.1.3). Für das Erzeugen einer definierten Zugspannung bietet sich zunächst das Verdrängerprinzip an. Allerdings dürfen keine elastischen Dichtmaterialien verwendet werden, da diese unweigerlich im Bereich der Zugfestigkeit liegen und weder umströmt sind noch ausreichende Oberflächengüten erreichen. Zudem eignet sich das Prinzip nur für Grundlagenuntersuchungen, da für die Messung eine Flüssigkeitsmenge separiert werden muß. Bereits bei der
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Entnahme einer Flüssigkeitsprobe aus einer Strömung würde die Zugfestigkeit unweigerlich verfälscht. Um die Verwendung von Dichtungen zu umgehen, brachte Briggs [3] die Zugspannung hydrodynamisch durch Zentrifugieren der Flüssigkeit in einem Glasröhrchen auf. Durch hohe Oberflächengüte des Röhrchens und hohe Reinheit des Wassers konnte er so unter Laborbedingungen für Wasser maximale Zugfestigkeiten bis zu 270bar nachweisen. Für das Ermitteln der Zugfestigkeit in industriellen Anlagen werden hydrodynamische Verfahren eingesetzt, die auf einer Querschnittsverengung in Form einer Venturi-Düse basieren. Durch die bei anwachsendem Durchfluß zunehmende Geschwindigkeitsüberhöhung im engsten Querschnitt der Düse wird ein Abfall des statischen Druckes bis hin zur erforderlichen Zugspannung erreicht. Entsprechend den in industriellen Anlagen erfahrungsgemäß erreichbaren Zugfestigkeiten liegen diese bei maximal 1-2 bar. Die Schwierigkeit der hydrodynamischen Verfahren liegt in der räumlichen Inhomogenität des statischen Druckes und damit der Zugspannung. Das Versagen der Flüssigkeit zeigt sich daher nicht durch das makroskopische Abreißen einer Flüssigkeitssäule sondern tritt in Form lokaler Kavitationsereignisse auf. Damit erschweren sich sowohl die Detektion der Kavitation als auch die Erfassung der verursachenden Zugspannung. Man ist bemüht, die allerersten Kavitationsereignisse während des Zugversuches zur Ermittlung der Zugfestigkeit zu nutzen, da diese bereits eine instationäre Rückwirkung auf die Strömung ausüben und somit die weitere meßtechnische oder numerische Analyse des räumlichen Zugspannungsfeldes erheblich erschweren. Als gemessene Zugfestigkeit gilt demnach die Zugspannung am Ort des ersten Kavitationsereignisses unmittelbar vor dessen Auftreten. Die Detektion der Kavitationsereignisse und das Ermitteln der verursachenden örtlichen Zugspannung vereinfachen sich wesentlich, wenn die Kavitation unabhängig von der zu messenden Zugfestigkeit stets am gleichen Ort einsetzt. Der räumliche Minimaldruck darf somit während des Zugversuchs trotz anwachsendem Volumenstrom nicht wandern. Erfahrungsgemäß entzieht sich der Minimaldruck einer Strömung einer direkten meßtechnischen Erfassung, die nur berührend, unmittelbar an den benetzten Oberflächen möglich ist. Der Minimaldruck tritt grundsätzlich an Orten hoher Geschwindigkeiten verbunden mit einer starken Umlenkung der Strömung auf. Die Flüssigkeitsteilchen auf einer gekrümmten Stromlinie verursachen durch ihre Massenträgheit orthogonale Druckgradienten verbunden mit einem Druckabfall auf der Innenseite der Krümmung. Unmittelbar an der benetzten Wand weisen die Stromlinien zwar die höchste Krümmung auf, ihre Geschwindigkeit geht jedoch gegen Null, so daß die Wirkung auf den statischen Druck gering bleibt. Der Ort des Minimaldrucks ist daher allgemein in geringem Abstand zur kavitierenden Oberfläche zu erwarten. Druckmessungen an den Wänden stark kavitierender Profile ergaben entsprechend stets nur statische Drücke oberhalb des Dampfdruckes.
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Auch die visuelle Beobachtung der Kavitation vermittelt meist den Eindruck, die Dampfbildung finde etwas abgehoben von der kavitierenden Oberfläche statt, was allerdings ebenso mit dem Fehlen von Keimen in der Grenzschicht erklärbar wäre. Mangels direkter Erfassung wird der Minimaldruck ausgehend von einer nahen Druckmeßstelle anhand eines Strömungsmodells errechnet. Um dies zu erleichtern, wird bei der Konstruktion der Querschnittsverengung ein möglichst einfaches, leicht abzubildendes Strömungsfeld angestrebt. Im Bereich der höchsten Zugspannungen ist daher trotz vorhandener Umströmung auf hohe Oberflächengüte zu achten, da bereits kleinste Unebenheiten eine kritische Störung des örtlichen Druckfelds bedeuten. Der Verzicht auf Druckmeßstellen in diesem Bereich wird somit bindend. Die Detektion der Kavitationsereignisse erfolgt vorzugsweise auditiv (durch Person) oder akustisch (mittels Sensoren), da bereits kleinste Ereignisse, die visuell nicht in Erscheinung treten, deutlich wahrnehm- und erfaßbare Schallenergie freisetzen. Die wandnahen Implosionen der Kavitationskeime bedeuten eine hochfrequente Körperschallanregung der betroffenen Bauteile, die im MHz-Bereich vermutet wird. Mittels konventioneller Meßtechnik können nur die angeregten tiefer liegenden Eigenfrequenzen der Konstruktion erfaßt werden, so daß in der Regel kein typischer Frequenzbereich für die Detektion von Kavitationsereignissen angegeben werden kann. Als Kavitationskriterium wird daher ein Schwellwert für den allgemeinen Schallpegel verwendet, der gerade oberhalb des Hintergrundlärms liegt. Da Pseudokavitation nahezu keine Schallenergie freisetzt (s. Kap. 1.1.3), wird sie durch die auditive oder akustische Detektion nicht erfaßt, und kann nicht wie im Fall optischer/visueller Detektion Fehlmessungen auslösen. Die Venturidüse als einfachste Ausführung der strömungsoptimierten Querschnittsverengung birgt hohe fertigungstechnische Anforderungen, da für eine ausreichende Geschwindigkeitsüberhöhung der kleinste Querschnitt im Verhältnis zum Nenndurchmesser sehr eng ausfällt, zugleich aber schwer zugänglich ist und hohe Oberflächengüte besitzen muß. Diese Komplikationen werden zum Teil mit einem als „Center Body“ bezeichneten zylindrischen Strömungskörper umgangen, der in den kleinsten Querschnitt einer weniger engen Düse eingeschoben wird und ihn so auf das nötige Maß reduziert. Bezüglich der Eignung für den Zugversuches haben sich beide Konstruktionen als gleichwertig erwiesen. Die resultierende Düsenströmung bewirkt stets wandnahe Kavitation. Entsprechend hoch ist der Störeinfluß geringster Wandunebenheiten, die durch die erosive Wirkung der Kavitation weiter verstärkt werden. Um die Kavitationsereignisse weg von den Wandungen in die freie Strömung zu verschieben, überlagert die Wirbeldüse eine zusätzliche Wirbelströmung. Der Minimaldruck liegt so im freien Wirbelzentrum des engsten Querschnitts und ist weitgehend ungestört durch Oberflächenfehler. Nachteil ist hier die komplexe Strömung, die eine Bestimmung dieses Minimaldruckes erschwert.
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Abhilfe schafft ein Kalibrationsverfahren, das einen empirischen Zusammenhang zwischen Volumenstrom im Düsenquerschnitt, dem Druck an einer Meßstelle außerhalb des Kavitationsgebietes und dem gesuchten Minimaldruck im engsten Querschnitt herstellt. Es basiert auf der theoretischen Grundlage, nach der oberhalb des Dampfdruckes keine Kavitation auftreten kann (s. Kap. 2.1.1). Mit Hilfe des Gasgehaltes der Flüssigkeit wird während der Kalibration die Zugfestigkeit schrittweise gesenkt. Die kleinsten hierbei gemessenen Werte gelten als Zugfestigkeit Null, der Minimaldruck entspricht gerade dem Dampfdruck. Die Konzepte von Venturi- und Wirbeldüse sehen für die Zugfestigkeitsmessung in Industrieanlagen gewöhnlich die Abzweigung eines variablen Teilvolumenstromes vor, der mit wachsender Geschwindigkeit durch die Meßeinrichtung gesaugt wird (s. Abb. 1.1.i). In den Zuleitungen von der Entnahmestelle zur Meßdüse erfährt der Teilvolumenstrom einen unvermeidlichen Druckabfall, der Ausgasungen und Keimwachstum provoziert. Im Fall der Wirbeldüse wird dieser Effekt durch hohe Turbulenz und eine verhältnismäßig lange Verweilzeit in der die Wirbelströmung aufprägenden Vorkammer erheblich verstärkt. Die in der Meßdüse ermittelte Zugfestigkeit ist somit niedriger als die Zugfestigkeit an der Entnahmestelle. Das Ausmaß der Abweichung hängt wesentlich von der Gassättigung der Flüssigkeit und der resultierenden Neigung zu Ausgasungen ab. Im Fall hoher Gassättigung ist die Auswirkung am stärksten und in der Meßdüse frühzeitig keine Zugfestigkeit mehr feststellbar.
Abb. 1.1.i: Applikation der Wirbeldüse Um der Veränderlichkeit der Zugfestigkeit zu begegnen, wurde die Insitu-Düse entwickelt. Die Düsengeometrie zur Erzeugung der nötigen Zugspannungen ist hier direkt in die Entnahmestelle integriert. Die Zugfestigkeit wird dadurch so unmittelbar wie möglich noch innerhalb der Anlage gemessen. Abb. 1.1.j zeigt den Düsenkopf von 15mm Durchmesser, der direkt in die Strömung eingebracht wird.
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Abb. 1.1.j: Prototyp der Insitu-Düse Ein weiterer Schritt könnte die Kombination aus Wirbel- und Insitu-Düse sein. Die Insitu-Düse wäre hierzu beispielsweise mit Flügeln vor der Eintrittsöffnung zu versehen, die der Strömung einen leichten Vordrall aufprägen, der sich bis zum engsten Querschnitt zu einer ausreichend starken Wirbelströmung aufbaut. Neben der Gefahr einer ungewollten Beeinflussung der Zugfestigkeit durch Turbulenz und Ablösung der Strömung an den Flügeln würde die Komplexität der überlagerten Strömungen wiederum eine Abhängigkeit vom beschriebenen Kalibrierverfahren bedeuten. Da in einer Anlage wie erwähnt keine einheitliche Zugfestigkeit sondern vielmehr eine räumliche und zeitliche Zugfestigkeitsverteilung vorliegt, muß die Zugfestigkeitsmessung so nahe wie möglich am Ort der eigentlichen Kavitationsuntersuchung erfolgen. Da Kavitation am Versuchsobjekt oder in der Meßeinrichtung die Zugfestigkeit im jeweiligen Nachlauf herabsetzt, sollte die Entnahme direkt stromauf des Versuchsobjektes, der Rücklauf dagegen in beliebiger Entfernung stromab liegen (s. Abb. 1.1.i). Es sei auch erwähnt, daß sich für die Pumpe einer für hydrodynamische Zugversuche verwendeten Absaugeinrichtung höchste Anforderungen bezüglich ihres Saugverhaltens ergeben. Ihr Eintrittsdruck liegt anwendungsbedingt nur sehr geringfügig oberhalb der herrschenden Zugfestigkeit. Eliminieren der Zugfestigkeit Verfahren für das zuverlässige Einstellen einer definierten Zugfestigkeit sollen Zugfestigkeitsmessungen überflüssig machen. Am einfachsten läßt sich eine Zugfestigkeit von Null einstellen, da diese auch ohne Meßverfahren durch die höchste erreichbare Kavitationsneigung eines Versuchsobjekts nachgewiesen werden kann. Hierzu muß eine ausreichende Anzahl und Größe von Keimen vorhanden sein, die der Flüssigkeit das frühstmögliche Verdampfen (bei Dampfdruck) erlaubt. Oberhalb des Dampfdruckes existiert keine Kavitation und damit keine negativen Zugfestigkeiten (Zf = 0). Eine mögliche Maßnahme zur Anreicherung des Keimspektrums ist entsprechend Kapitel 1.1.4 das Anheben des Gasgehaltes der Flüssigkeit. Die Schwierigkeit liegt darin, daß ein ausreichendes Keimspektrum erst dann vorliegt, wenn nahezu das Gaslösungsvermögen der Flüssigkeit erreicht ist (s. Kap. 2.2.2). Dadurch kommt es leicht zu unerwünschten Ausgasungen, Pseudokavitation und Ausbildung einer Zweiphasenströmung mit den damit verbundenen Beeinträchtigungen der Strömung (s. Kap.1.1.5). 20
Vermieden wird dies durch das direkte Generieren von Keimen. Ein Verfahren besteht im Einsprühen von Gas in die Flüssigkeit. Dies erfolgt durch enge Spalte und mit hohem Druck, so daß das Gas durch starke Scherströmungen und hohe Turbulenz in kleinste Bläschen zerrissen wird. Es ist hier jedoch nur schwer zu erreichen, daß ausschließlich die erforderlichen Mikrobläschen eingebracht werden. Ein alternatives Verfahren zeigt Abb. 1.1.k. Der Strömung wird ein Teilvolumenstrom entnommen, der in einem Gasvolumen unter erhöhtem Druck versprüht wird. Durch die Druckerhöhung steigt das Gaslösungsvermögen der Flüssigkeit (s. Kap. 2.2.1), so daß sie über die große Kontaktfläche in kurzer Zeit viel Gas aufnimmt. Die entsprechend gasreiche Flüssigkeit wird nun über enge Spalte zurück in die Strömung gedrückt. Durch den plötzlichen Druckabfall in den Spalten wird das Gas wieder frei. Die Verweilzeit in den Spalten ist aufgrund hoher Geschwindigkeiten sehr kurz, so daß die entstehenden Gasbläschen nicht über die gewünschten Durchmesser von wenigen Mikrometern anwachsen. Turbulenz im nachfolgenden Freistrahl verteilt die Mikrobläschen über den Strömungsquerschnitt und verhindert deren vorzeitiges Kumulieren. Da diese Vorgehensweise wiederum zu einem Anstieg des Gasgehaltes in der Strömung führt, kann sie in geschlossenen Kreisläufen nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Sobald Ausgasungen auftreten, muß der Kreislauf für eine Fortsetzung entgast werden.
Abb. 1.1.k: Applikation eines Keimgenerators Eine weitere Möglichkeit ist das Anregen intensiven Keimwachstums durch Kavitation (s. Kap. 1.1.4). Für die Verstärkung des vorhandenen Keimspektrums wird hier das in der Flüssigkeit gelöste Gas genutzt, so daß der Gasgehalt der Flüssigkeit insgesamt konstant bleibt. Es stellt sich die Aufgabe, einen Kavitator zu konzipieren, der eine deutlich höhere Kavitationsneigung besitzt, als die zu untersuchende kavitierende Einrichtung. Im einfacheren Fall nicht rotierender Einrichtungen könnte diesen Zweck bereits ein kavitationsanfälliges Profil erfüllen.
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Ein Kavitator kann die hohe Kavitationsneigung rotierender Maschinen nur übertreffen, wenn er ähnliche relative Strömungsgeschwindigkeiten erreicht, wie die umlaufenden Schaufeln der Maschine. Denkbar wäre hier ein ebenfalls rotierendes Profil oder die Abzweigung eines Teilvolumenstromes durch eine Venturidüse oder kavitationsanfällige Pumpe mit Rücklauf im Eintrittsbereich der rotierenden Maschine (vgl. Abb. 1.1.i). Eine zusätzliche Anforderung ist unter Umständen die gleichmäßige Verteilung des generierten Keimspektrums über den Strömungsquerschnitt.
1.1.7 Statistisches Verhalten der Zugfestigkeit
450
40
400
35
Häufigkeit [dm-³ ]
350
30
300
25
250 20 200 Zugspannung
150
101
100 -1 0 1
0.5
5 0-1
50 0 1.7
15
Zugfestigkeit [mbar]
Die räumliche Verteilung der Zugfestigkeit in einer Flüssigkeit ergibt sich direkt aus der räumlichen Verteilung der Kavitationskeime. Jedem Keim kann entsprechend seiner Größe eine kritische Zugspannung zugeordnet werden, der er gerade noch ausgesetzt werden kann, ohne daß er seine Stabilität verliert und Kavitation auslöst. Entsprechend bedingt jeder Keim eine mikroskopische örtliche Zugfestigkeit, die auch als kritischer Druck bezeichnet wird (s. Kap. 2.1.2). Abb. 1.1.l zeigt die Häufigkeitsverteilung eines mit dem Acoustic Bubble Spectrometer (s. Kap. 1.1.6) erfaßten Keimspektrums sowie den Verlauf der Zugfestigkeit der Keime (graue Linie). Die Keimgrößen werden entsprechend Kapitel 1.1.3 nicht mit den druckabhängigen Radien sondern mit ihren Massen (Gasmengen) angegeben.
5
10
15 20 25 Keimmasse [pg]
30
Abb. 1.1.l: Gemessenes Keimspektrum
22
35
0 1
Durchläuft ein solches Keimspektrum einen Strömungsbereich mit Zugspannung, verlieren an diesem Ort diejenigen Keime, deren Zugfestigkeit überschritten wird, vorübergehend ihre Stabilität und lösen einzelne Kavitationsereignisse aus (s. Abb. 1.1.m). Folglich beginnt Kavitation an einer hydraulischen Einrichtung zunächst mit stark vereinzelten Ereignissen, die durch die größten in der Strömung vorhandenen Keime verursacht werden, deren Häufigkeit für eine Detektion ausreicht. Je höher die Zugspannung steigt, desto kleinere Keime sind betroffen und entsprechend häufiger und zahlreicher werden die Ereignisse. Bei ausreichend hoher Zugspannung ist die Anzahl der sich überlagernden Ereignisse pro Zeit so hoch, daß ein geschlossenes Kavitationsgebiet entsteht (s. Abb. 1.1.n). Die Größe dieser Kavitationsgebiete fluktuiert zu Beginn sehr stark, stabilisiert sich jedoch bei weiterem Wachstum zunehmend. In dieser Phase sind in Hinblick auf Größe und Anzahl stets ausreichend Keime für anhaltende Kavitation vorhanden und im weiteren Verlauf kein Einfluß des Keimspektrums mehr erkennbar. Entsprechend gilt fortgeschrittene Kavitation, sofern sie erreicht wird, als weitgehend unabhängig von der Zugfestigkeit des Wassers.
Abb. 1.1.m: Einzelereignisse an einer Axialpumpenschaufel Der Schnittpunkt der herrschenden Zugspannung mit dem Verlauf der Zugfestigkeit der Keime ergibt eine kritische Keimmasse (Abb. 1.1.l). Keime, deren Masse höher liegt, verlieren ihre Stabilität und kavitieren. Je höher die Zugspannung liegt, desto kleiner wird die kritische Keimmasse und desto mehr Keime sind betroffen. Allerdings geht die Wirkung der Zugspannungsänderung auf die kritische Keimmasse in Richtung kleinerer Keime deutlich zurück. Zugleich nimmt die Anzahl der Keime zu, die von einer Änderung der kritischen Keimmasse betroffen sind. Eine entsprechende Auswertung von Keimspektren aus Kümmel [4], Chahine [6] und eigenen Messungen hat
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gezeigt, daß in diesen Fällen die Anzahl der von einer Zugspannungsänderung betroffenen Keime weitgehend konstant bleibt. Eine konstante Erhöhung der Zugspannung führt dann zu einer gleichmäßigen Zunahme der Kavitationsereignisse.
Abb. 1.1.n: Fortgeschrittene Kavitation an einer Axialpumpenschaufel Die unterschiedlichen Ausprägungen der Kavitation werden in Kavitationsbeginn, fortgeschrittene und ausgebildete Kavitation unterteilt, wobei diese Abstufungen fließend ineinander übergehen und keine klaren Grenzen besitzen. Der Kavitationsbeginn umfaßt den Bereich von den anfänglichen Einzelereignissen bis zu der Ausbildung des ersten stabilen Kavitationsgebietes. Ab hier wird von fortgeschrittener Kavitation gesprochen; als ausgebildet gilt die Kavitation, wenn das kavitierende Bauteil weitgehend vom Kavitationsgebiet bedeckt ist. In diesem Stadium beginnt gewöhnlich auch eine spürbare Änderung des Betriebsverhaltens. Angaben über den Kavitationsbeginn in hydraulischen Einrichtungen sind aufgrund der Unschärfe des Begriffs stets subjektiv und hängen von der individuellen Beurteilung des Beobachters ab. Werden bei einer durchgehenden Beobachtung der Kavitationszone Zeitanteile mit und ohne Kavitation unterschieden (s. Abb. 1.1.m), lassen sich die in Tab. 1.e aufgeführten Phasen des Kavitationsbeginns definieren, die eine differenziertere Bewertung ermöglichen. Durch die Festlegung auf eine dieser Phasen läßt sich eine konkretere und damit objektivere Detektion des Kavitationsbeginns sowohl optisch/visuell als auch akustisch/auditiv erreichen.
24
Phase
Zeitanteile
Beschreibung
Kavitationsfrei
tk = 0
Keine Kavitation
Einzelereignisse
tk < tf
Kurzzeitige Kavitation
Fluktuierend
tk = tf
Zeitanteil Kavitation 50%
Ausgebildet
tk > tf
Kavitation mit Unterbrechungen
Stabil
tf = 0
Durchgehend Kavitation
Tab. 1.e: Phasen des Kavitationsbeginns mit:
t k = Zeitanteil mit Kavitation t f = Zeitanteil ohne Kavitation
Um die Detektion zu vereinfachen, wird bei der Definition des Kavitationsbeginns meist eine fortgeschrittene Phase gewählt, die einen deutlichen Zeitanteil mit Kavitation aufweist. Der resultierende Abstand zum völlig kavitationsfreien Zustand darf dabei nicht mit der sogenannten Kavitationshysterese verwechselt werden. Diese beschreibt eine Diskrepanz zwischen beginnender (incipient cavitation) und verschwindender Kavitation (desinent cavitation), die aus einer Rückwirkung des entstandenen Kavitationsgebietes auf die Strömung resultiert (s. Lehmann [27], Zhiming [28,29]). Es läßt sich festhalten, daß die räumliche Verteilung der Zugfestigkeit in einer Flüssigkeit im Fall von strömenden Flüssigkeiten zu einer statistischen Schwankung der örtlichen Zugfestigkeit führt. Für eine Beurteilung des zu erwartenden Kavitationsverhaltens sollten daher neben der mittleren Zugfestigkeit auch deren Spannweite angegeben werden.
Abb. 1.1.o: Korrelation von Zugfestigkeit und Kavitationsbeginn 25
Abb. 1.1.o zeigt einen idealisierten Verlauf der Zugfestigkeit, wie er für Untersuchungen zum Kavitationsverhalten hydraulischer Einrichtungen charakteristisch ist. Für die Darstellung im Druckdiagramm ist sie als kritischer Druck wiedergegeben. Die statistische Verteilung der Zugfestigkeit kommt auch hier zum Tragen, so daß zu jedem Zeitpunkt ausreichend viele Messungen durchzuführen sind, um eine Häufigkeitsverteilung wiedergeben zu können. Entsprechend ist für die Zugfestigkeit ein Streubereich angegeben, deren oberer Rand die jeweils niedrigsten zu messenden Zugfestigkeiten, ausgelöst durch die größten in der Strömung vorhandenen Keime, markiert. In Richtung höherer Zugfestigkeiten nimmt die Anzahl der relevanten Keimgrößen kontinuierlich zu (s. Abb. 1.1.l); die Wahrscheinlichkeit, daß ein kleiner Keim bei einer Messung bei der hohen Anzahl früher kavitierender größerer Keime zum Tragen kommt, geht jedoch zunehmend zurück. Somit ergibt sich auch eine untere Grenze, welche die höchsten während der Messung detektierbaren Zugfestigkeiten angibt. Während eines Kavitationsversuches wird das als Systemdruck bezeichnete Druckniveau der Anlage zunehmend gesenkt, um am Versuchsobjekt Kavitation auszulösen. Durch den abfallenden statischen Druck geht jedoch auch das Gaslösungsvermögen der Flüssigkeit zurück (s. Kap. 2.2.1). Je nach Gasgehalt nähert sich die Flüssigkeit dabei zunehmend der Sättigungsgrenze und ein Ausgasen mit entsprechendem Keimwachstum setzt ein. Die Abbildung zeigt einen typischen resultierenden Rückgang der Zugfestigkeit im Verlauf des Versuches. Durch die steigende Anzahl größerer Keime werden kleinere Keime zunehmend überdeckt, so daß höhere Zugspannungen immer seltener zu detektieren sind und die Streubreite der Zugfestigkeit zurück geht. Die Kavitation an der untersuchten Einrichtung beginnt am Ort der höchsten Zugspannung, die als Minimaldruck der Anlage bezeichnet ist. Durch die Druckabhängigkeit der Zugfestigkeit bewegen sich Zugspannung und Zugfestigkeit während des Versuches aufeinander zu. Erreicht die Zugspannung den Rand der Zugfestigkeit, setzt der Kavitationsbeginn mit der Phase der ersten Einzelereignisse ein (s. Tab. 1.e). Bei Überschreiten des zweiten Randes kavitieren bereits so große Anteile des Keimspektrums, daß die Messung kleinere Keime kaum noch erfaßt. Folgerichtig treten an der Versuchsreinrichtung durchgehend sich überlagernde Kavitationsereignisse auf, wodurch ein stabiles Kavitationsgebiet entsteht und der Bereich der fortgeschrittenen Kavitation beginnt. Gemessene Zugfestigkeitsverteilungen und die Phasen des Kavitationsbeginns aus Tab. 1.e korrelieren somit direkt.
26
1.1.8 Kennzahlen für Kavitation Durch Kavitation wird der Anwendungsbereich hydraulischer Einrichtungen in zweierlei Hinsicht eingeschränkt. Von technischer Bedeutung ist zum einen der Kavitationsbeginn, da hier der Betriebsbereich potentieller Bauteilschädigung durch Kavitationserosion beginnt, und zum anderen der unmittelbare Funktionsverlust durch Kavitation, der durch das Verlassen eines vorgegebenen Toleranzbereiches für das Betriebsverhalten definiert wird. Da die Einbindung einer Komponente in ein System definierte Schnittstellen voraussetzt, werden die Betriebsgrenzen hydraulischer Einrichtungen durch meßbare Strömungsgrößen an Ein- und Austritt der Einrichtung angegeben. Hierzu wurden verschiedene Kennzahlen eingeführt, die den Einfluß der relevanten Größen zu einem einzigen signifikanten Wert zusammenführen sollen. Da das physikalische Kriterium für Kavitation die höchste innerhalb der Einrichtung auftretende Zugspannung ist, muß eine solche als Kavitationskriterium verwendete Kennzahl mit dieser korrelieren. Für eine einfachere Gegenüberstellung mit den gemessenen statischen Drücken wird die maximale Zugspannung durch den Minimaldruck wiedergegeben (s. Gl. 1.1.a). Die grundlegenden Strömungsgrößen an Eintritt- und Austritt einer hydraulischen Einrichtung sind der jeweilige statische Druck sowie der Volumenstrom, der über den örtlichen Strömungsquerschnitt eine jeweilige mittlere Geschwindigkeit ergibt. Um diese Meßgrößen näherungsweise auf den Minimaldruck pmin innerhalb der Installation zurückführen zu können (s. Abb. 1.1.p), wird angenommen, daß das Strömungsfeld bei allen Volumenströmen ähnlich bleibt. Es sind dann alle Geschwindigkeiten proportional dem Volumenstrom bzw. der mittleren Geschwindigkeit am Eintritt v ein. Darüber hinaus wird vorausgesetzt, daß der Ort des Minimaldruckes nicht wandert. Beide Annahme werden in Kapitel 1.1.9 näher untersucht. Betrachtet wird eine Stromlinie, die den Ort des Minimaldrucks mit der Geschwindigkeit vkav passiert. Ist die Forderung nach ausgeglichener Strömung für die Meßstelle am Eintritt erfüllt, ist der gemessen Druck pein konstant über den Querschnitt und ist somit auch Ausgangsdruck der Stromlinie. Für die Druckänderung entlang der Stromlinie p gilt nach der Gleichung von Bernoulli bei vernachlässigtem Höhenunterschied ( = Dichte der Flüssigkeit): p = pein - pmin = ½· ·(vkav2 - vein2) + pverlust
Gl. 1.1.c
Gemäß der getroffenen Annahmen ist vkav ~ vein ~ v ein. Bei Vernachlässigung des Einflusses der Reynoldszahl auf den Druckverlust durch Reibung pverlust ist dieser ebenfalls proportional zum Quadrat der 2 . Daraus folgt: Geschwindigkeit und es gilt p ~ v ein 2 pmin = pein - p = pein - k· v ein
27
Gl. 1.1.d
Der Faktor k entspricht einem Druckdifferenzbeiwert und ist über dem Volumenstrom konstant, sofern die Annahmen von Ähnlichkeit der Strömung und Ortsbindung des Minimaldrucks erfüllt sind.
Abb. 1.1.p: Minimaldruck in einer hydraulischen Einrichtung Im Fall rotierender Maschinen kann die geforderte Ähnlichkeit des Strömungsfeldes für alle Volumenströme nur innerhalb affiner Betriebspunkte erfüllt werden, d.h. die Drehzahl muß stets proportional dem Volumenstrom sein. Durch die hohen Stoßverluste an der Schaufelvorderkanten entsteht ein zusätzlicher Druckverlust pstoß, der aufgrund des gleichbleibenden Anströmwinkels proportional dem Drehzahlquadrat u2 (~ v ein2) ist, so daß p ~ v ein2 und damit Gleichung 1.2.d ihre Gültigkeit behalten. In Tab. 1.f sind klassische Kavitationskennzahlen für hydraulische Einrichtungen wiedergegeben. Die Pfeile zeigen die Tendenz der Kennzahlenwerte bei Kavitationszunahme, die sowohl durch Absenken des Druckniveaus bei konstantem Volumenstrom als auch Steigerung des Volumenstromes bei konstantem Eintrittsdruck erreicht werden kann. Als Referenz für die Kavitationskennzahlen dient die maximale Zugspannung innerhalb der Einrichtung, die aus den Gleichungen 1.1.a und 1.1.d hervorgeht.
28
Kennzahl
Gleichung
Maximale Zugspannung [Pa]
Zmax = pv - pmin =
Net Positive Suction Head [m] Thoma-Zahl [–]
p ein
xF =
2 v ein 2 g
pv g
p ein p v 2 /2 v ein
s=
Differenzdruckverhältnis [–]
v ein
2 k v ein
p v - p ein NPSH =
pein
p ein p aus p ein p v
Tab. 1.f: Kavitationskennzahlen Net Positive Suction Head Der NPSH-Wert, der im Bereich hydraulischer Turbomaschinen üblich ist, entspricht dem Dampfdruckabstand des Totaldruckes im Eintritt. Durch die Verwendung des Totaldruckes als Kavitationskriterium soll Manipulationen vorgebeugt werden, da dieser unabhängig vom Strömungsquerschnitt der gewählten Meßstelle ist. Der Zusammenhang zwischen NPSH und Zmax ergibt sich durch Elimination von pv zu: NPSH
Z max
2 /2 v ein
k g
Gl. 1.1.e
Es ergibt sich ein überlagerter Einfluß von v ein, der zu den widersprüchlichen Tendenzen des NPSH-Werts in Tab. 1.f führt. Zur Beurteilung des resultierenden Fehlers dient folgendes Fallbeispiel für Kavitationsbeginn (Zmax = Zf) bei einer gleichbleibenden konservativen Zugfestigkeit von Null und einer Flüssigkeitstemperatur von 20°C:
v ein = 3 m/s
pein = 0,5 bar
NPSH = 5,3 m
Werden nun Drehzahl und Volumenstrom verdoppelt, ergibt sich wiederum für Kavitationsbeginn:
v ein = 6 m/s
pein = 1,9 bar
NPSH = 21,3 m
Real ist aufgrund des Druckanstiegs im Eintritt eine Zunahme der Zugfestigkeit möglich, die jedoch anlagenspezifisch und nicht vorhersagbar ist. Daraus ergibt sich eine unsichere Minderung der extremen Abweichung des NPSH-Werts. Die für einen konstanten NPSH-Wert theoretisch erforderlichen
29
Änderungen der Zugfestigkeit liegen jedoch so hoch (hier: 1,56 bar), daß diese Minderung kaum Praxisrelevanz besitzt. Der NPSH-Wert beschreibt den Eintrittszustand der Strömung unabhängig von der Meßstelle und kann bei offenen Anlagen meist ohne Einsatz von Meßtechnik hinreichend gut über Druckverlustrechnungen abgeschätzt werden. Als Kavitationskriterium unterliegt er einem starken Geschwindigkeitseinfluß und stellt keine Kavitationszahl im Sinne einer global gültigen Kenngröße dar. Folgerichtig wird er für alle Betriebspunkte und Drehzahlen einer rotierenden Maschine empirisch bestimmt. Durch den Verzicht auf theoretische Annahmen können NPSH-Felder für beliebige definierte Kavitationszustände einer hydraulischen Einrichtung ermittelt werden. Üblicher Weise sind dies Kavitationsbeginn und ausgebildete Kavitation mit einem resultierenden Leistungsverlust von 3%. Die Unkenntnis der Zugfestigkeit der Flüssigkeit beschränkt die Gültigkeit von NPSH-Feldern. Thoma-Zahl Die Kavitationszahl s wird in der Kavitationsforschung als Kriterium für Kavitationsbeginn verwendet. Sie basiert auf den obigen Überlegungen zu Zmax, setzt jedoch konservativ Kavitationsbeginn bei Erreichen des Dampfdruckes voraus und setzt entsprechend pmin mit pv gleich. Dadurch entsteht auch hier eine Abhängigkeit von der Geschwindigkeit: s
2 k
Z max 2 /2 v ein
Gl. 1.1.f
Für Kavitationsbeginn bei Dampfdruck ist Zmax = Zf = 0 und damit s proportional dem Faktor k. Bei Ähnlichkeit der Strömung und ortsfestem Minimaldruck ist s dann ebenso wie k über dem Volumenstrom konstant, jedoch in gleicher Weise an den Ort der Meßstelle gebunden. In anderen Zuständen als dem Kavitationsbeginn oder bei auftretender Zugfestigkeit entsteht eine Abhängigkeit vom Volumenstrom in Form der mittleren Geschwindigkeit am Eintritt. Bei der Verdopplung des Volumenstromes in obigem Fallbeispiel bleibt s konstant. Geht man jedoch von einem konstanten Zmax ungleich Null aus, wie es bei vorhandener Zugfestigkeit oder fortgeschrittener Kavitation auftritt, steigt s mit dem Volumenstrom an: Zmax = 0.0 bar Zmax = 0.1 bar Zmax = 1.0 bar
s = 10.6 s = 10.6 s = 10.6
10.6 12.3 27.3
Die Ausführungen bezüglich einer möglichen Minderung der Abweichung des NPSH-Werts durch einen Anstieg der Zugfestigkeit während der Erhöhung des Volumenstromes gelten dabei für s in gleicher Weise. Es bleibt festzuhalten, daß die Thoma-Zahl nur als Kennzahl für den Kavitationsbeginn
30
bei einer Zugfestigkeit von Null geeignet ist. Ergebnisse bei vorhandender Zugfestigkeit (Zf 0) oder für fortgeschrittene Kavitation sind nicht übertragbar. Durch ihre Abhängigkeit von der Ausführung der Meßstelle läßt sie keine direkten Rückschlüsse auf andere Einbaubedingungen zu und findet daher kaum industrielle Anwendung. Differenzdruckverhältnis Der xF-Wert wird im Zusammenhang mit Armaturen für Kavitationsbeginn verwendet und beruht darauf, daß bei Ähnlichkeit der Strömung alle Druckverhältnisse entlang einer Stromlinie linear zum Quadrat des Volumenstromes und damit zueinander proportional sind. Ebenso wie s geht xF von Zugfestigkeit Null aus und setzt pmin mit pv gleich. Mit (pein - paus) ~ v ein2 ist xF proportional dem Kehrwert der s -Zahl (s. Gleichungen Tab. 1.f) und führt zu den selben Schlußfolgerungen. Die meßtechnische Erfassung des Volumenstroms entfällt. Die für eine industrielle Verwendung notwendige Allgemeingültigkeit des Kennwerts wird durch genormte Einbaubedingungen erreicht, die hierzu neben den Anforderungen für eine ausgeglichene Strömung an den Meßstellen lediglich eine Übereinstimmung des Leitungsdurchmessers an den Meßstellen mit dem Eintrittsdurchmesser der Einrichtung festlegen (s. DIN [30]). Eine Richtlinie (ISA [31]) der Instrumentation, Systems, and Automation Society gibt zu xF eine empirisch ermittelte Korrekturgleichung für unterschiedliche Eingangsdrücke pein an. Demzufolge nimmt die Kavitationsneigung einer Armatur bei sinkendem Eintrittsdruck trotz konstant gehaltenem xF-Wert ab. Da Armaturen bei verhältnismäßig hohen Eintrittsdrücken betrieben werden (die Richtlinie fordert für die Ermittlung von xF einen Eintrittsdruck von 6 bar), ist grundsätzlich von vorhandener Zugfestigkeit auszugehen. Folglich könnte die Korrekturgleichung aus der bereits für s diskutierten Geschwindigkeitsabhängigkeit für Zmax 0 resultieren.
1.1.9 Messungen zu den Kennzahlen Um die theoretischen Überlegungen zu den Kavitationskennzahlen an möglichst einfachen Versuchsobjekten zu überprüfen, wurden Kavitationsversuche an verschiedenen Strömungsprofilen in einer rechteckigen Kanalströmung (50mmx100mm) durchgeführt (s. Abb. 1.1.q). Die Meßstelle für den statischen Druck pein liegt ca. 220mm vor der Vorderkante des Profils, die ungestörte Einlaufstrecke beträgt 850mm (10,5·D). Ausführliche Meßreihen an dieser Konfiguration in Wasser (Schaad [44]) hatten gezeigt, daß in fortgeschrittener Kavitation die zeitlich gemittelte Fläche der fluktuierenden Kavitationswolke bei konstanter s -Zahl deutlich mit der Geschwindigkeit zunimmt. Dieser Zusammenhang wurde für verschiedene Profile, Anstellwinkel und Luftgehalte des Wassers in gleicher Weise festgestellt.
31
Abb. 1.1.q: Strömungsprofil in einer Kanalströmung Während die Zugfestigkeit des Wassers den Beginn der Kavitationszone bestimmt, ist für die Rückkondensation des Dampfes, die das abrupte Ende der Kavitationszone bedeutet, der Dampfdruck ausschlaggebend. Die räumliche Ausdehnung der Kavitation korreliert somit mit dem Bereich der Strömung, der Zugspannung aufweist. Gemäß Kapitel 1.1.8 führt ein konstant gehaltenes s bei fortgeschrittener Kavitation (Zmax > Zf = 0) zu mit der Geschwindigkeit ansteigenden Zugspannungen. Dies könnte die Ursache dafür sein, daß die Ausdehnung der Kavitation mit der Geschwindigkeit zunimmt. Zur Messung örtlicher statischer Drücke in unmittelbarer Nähe des Kavitationsgebietes wurde ein Profil mit Druckmeßbohrungen verwendet, das durch eine mit 25° abgeschrägte Vorderkante ein dreidimensionales Strömungsprofil erzeugt. Abb. 1.1.r zeigt die Positionen der 9 Meßstellen auf der Oberseite des Profils, die aufgrund des Anstellwinkels Ort der Kavitation ist.
Abb. 1.1.r: Druckmeßbohrungen Die wesentliche Annahme bei der Verwendung von Kavitationszahlen ist ein für alle Geschwindigkeiten ähnliches Druckfeld. Daraus ergibt sich ein ortsfester Minimaldruck (Zmax), dessen Differenz p zu einem stromauf des Kavitationsgebiets gemessenen statischen Druck pein aus dem Geschwindigkeitsquadrat v ein2 und einen konstanten Druckdifferenzfaktor k bestimmt
32
werden kann (s. Kapitel 1.1.8). Die kavitationsfrei an der Vorderkante des Profils gemessenen Druckdifferenzen p gegenüber dem Eingangsdruck des Kanals pein (s. Abb. 1.1.s) zeigen jedoch unmittelbar an der Oberfläche ein örtliches Druckfeld (Mittelwerte aus je 5 Meßwerten, mittlere Stdabw 5mbar), das sich mit der Geschwindigkeit auch qualitativ ändert und dessen Minimum zwischen Position 3 und 5 wandert. Auch für einfache Strömungen ist die Annahme der Ähnlichkeit über der Geschwindigkeit somit kritisch. 0.5
1 m/s 3 m/s 6 m/s 7 m/s 8 m/s 9 m/s 10 m/s 11 m/s 12 m/s
0
p [bar]
-0.5 -1 -1.5 -2 -2.5
1
2
3 Position
4
5
Abb. 1.1.s: Druckfeld auf einem Strömungsprofil Der Kavitationsbeginn hat sich bei den Versuchen dennoch als weitestgehend ortsfest erwiesen. Unklar bleibt, ob der für diesen Ort maximaler Zugspannung Zmax geltende Druckdifferenzfaktor k geschwindigkeitsunabhängig ist. Da p in der freien Strömung nicht gemessen werden kann, wird k aus der Forderung abgeleitet, daß bei Kavitationsbeginn (Zmax = Zf) und der Annahme gleichbleibender Zugfestigkeit Zf des Wassers Zmax ebenfalls konstant bleiben muß. Bei Berechnung von Zmax nach Tab. 1.f ist die Forderung mit k = 2600 kg/m³ annähernd erfüllt (s. Abb. 1.1.t). Der resultierende konstante Wert für Zmax, der zugleich die Zugfestigkeit wiedergibt, ist mit etwa 0,25bar plausibel. Für das verwendete Profil aus Abb. 1.1.r existieren numerische Strömungsberechnungen von Schaad [44]. In einer speziellen Auswertung der Daten wurde der Druckdifferenzfaktor k anhand des Wanddrucks am Ort der Meßstelle und einem ebenfalls ortfesten Punkt nahe des jeweiligen Minimaldrucks pmin für die mittleren Geschwindigkeiten von 8, 11 und 13m/s ermittelt. Es ergaben sich Werte von 2196, 2247 und 2195 kg/m³, die überraschend nahe am experimentell abgeschätzten Druckdifferenzfaktor liegen.
33
2.5 Kav.-beginn k = 2600 kg/m³ Fortg. Kav. k = 2600 kg/m³
Zmax [bar]
2
1.5
1
0.5
0
6
7
8
9 10 v [m/s]
11
12
13
Abb. 1.1.t: Abschätzung von Zmax Bei einer weiteren Versuchsreihe wurde fortgeschrittene Kavitation mit konstanter räumlicher Ausdehnung aufrechterhalten. Setzt man voraus, daß der experimentell gefundene Druckdifferenzfaktor k korrekt ist, nimmt hier die Zugspannung am Ort des vorherigen Kavitationsbeginns Zmax erheblich mit der Geschwindigkeit zu (s. Abb. 1.1.t). Mit leicht vermindertem Ausmaß gilt dies auch für das numerisch bestimmte k. Der gefundene Anstieg von Zmax stimmt mit den Beobachtungen überein, nach denen Dynamik, Aggressivität und Geräuschentwicklung der Kavitation deutlich ansteigen. Die unveränderte räumliche Ausdehnung der Kavitation belegt ein gleichbleibendes Strömungsgebiet der Dampfdruckunterschreitung. Die Größe des Kavitationsgebiets erlaubt demnach keinen Rückschluß auf die Höhe der örtlichen Zugspannungen. Im Vergleich zu den erwähnten Meßreihen von Schaad wurde die s -Zahl mit der Geschwindigkeit leicht angehoben und der entsprechend geringer ausfallende Anstieg von Zmax ist nicht mit einer Aufweitung des Kavitationsgebiets verbunden.
34
1.2 Motivation und Ziel der Arbeit Der Einfluß des Gasgehaltes der Flüssigkeit auf das Kavitationsverhalten einer hydraulischen Einrichtung ist in Fachkreisen in seiner Tendenz bekannt, kann allerdings nicht quantifiziert werden. Da diese Größe auch meist durch Anlage und Prozeß vorgegeben ist und nur selten gesteuert werden kann, besteht Interesse an einem tiefergehenden Verständnis für den physikalischen Zusammenhang von Gasgehalt und Kavitation sowie der Möglichkeiten, diesen gezielt zu beeinflussen. Zudem ist im Bereich der Kavitationsforschung die Beherrschung des dominierenden Einflusses des Gasgehaltes Voraussetzung für die Untersuchung weiterer Einflußfaktoren wie Geschwindigkeit und Turbulenzgrad. Bindeglied zwischen Gasgehalt und Kavitation ist das Keimspektrum der Flüssigkeit. Während das dynamische Verhalten sphärischer Blasenkeime und die damit verbundene Zugfestigkeit am Ort der Kavitation weitgehend theoretisch untersucht wurde, ist die räumliche und zeitliche Entwicklung von Keimspektren noch nicht hinreichend erforscht. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde ein numerisches Abbild eines sphärischen Blasenkeims basierend auf der erweiterten Rayleigh-PlessetZwick-Gleichung erstellt und um ein Diffusionsmodell erweitert, das den Austausch von Gasen zwischen Keim und umgebender Flüssigkeit kalkuliert. Damit sollte ein Werkzeug geschaffen werden, daß die theoretischen und experimentellen Untersuchungen zum Langzeitverhalten von Keimspektren wesentlich unterstützt und eine Identifizierung und Analyse von physikalischen Zusammenhängen ermöglicht. Die bisher wiedergegebenen Erkenntnisse über die Wechselwirkungen von Keimspektrum und Kavitation basieren vorrangig auf Beobachtungen, daraus abgeleiteten Hypothesen und theoretischen Betrachtungen. Ein experimenteller Nachweis für die vermeintliche Wirkweise von Kavitationskeimen wurde bislang nicht erbracht. Die durch ein modernes akustisches Meßverfahren gegebene Option, Keimspektren in einer strömenden Flüssigkeit zu erfassen, sollte in einem ersten Schritt dazu genutzt werden, den Nachweis für einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Keimspektrum und Kavitationsneigung der Flüssigkeit zu erbringen. Ein weiteres Ziel war, auf dieser Grundlage die gewonnenen Einblicke in das Langzeitverhalten von Kavitationskeimen zu verifizieren und eine Bewertung der verschiedenen Einflußfaktoren wie Luftgehalt, Druckverlauf, Turbulenzgrad und Kavitation vorzunehmen. Zu diesem Zweck wurde als Prüfstand ein geschlossener Kreislauf mit Fokus auf eine optimierte Strömungsführung konzipiert. Jede ungewollte Beeinflussung des Keimspektrums durch die Strömung sollte dadurch soweit minimiert werden, daß gezielte Eingriffe direkt mit den resultierenden Änderungen des Keimspektrums in Verbindung gebracht werden können. Die Anfachung des Keimspektrums erfolgt ebenso wie die Erfassung der resultierenden Zugfestigkeit durch Kavitation an hierfür vorgesehenen Drosselklappen.
35
Während allgemeine Kenntnisse über Rohrströmungen ausreichende Informationen für eine Simulation der diffusiven Vorgänge während eines Umlaufes liefern, mußte die komplexe Strömung im Bereich der kavitierenden Klappen mittels numerischer Berechnungen mittels CFD-Code näher analysiert werden, um sowohl die ermittelte Zugfestigkeit als auch das durch die Kavitation provozierte Wachstum der Kavitationskeime anhand des Keimmodelles nachvollziehen zu können. Die vollständigen Daten über den zeitlichen Druckverlauf, wie ihn ein Flüssigkeitsteilchen während eines Umlaufes im Prüfstand näherungsweise erfährt, können dem Keimmodell neben weiteren gemessenen Parametern für eine Simulation der zeitlichen Entwicklungen des Keimspektrums vorgegeben werden. Die damit ermöglichte Gegenüberstellung von numerischen und experimentellen Ergebnissen sollte zur Validierung und Optimierung des erstellten Keimmodells genutzt werden. Die vorliegende Arbeit ist als Beitrag zu dem langfristigen Ziel zu sehen, die Entwicklung der Zugfestigkeit in einer Anlage und das resultierende Ausmaß der Kavitation in den Installationen vorherbestimmen und innerhalb der physikalischen Grenzen gezielt steuern zu können.
36
2 Modellierung und numerische Simulationen 2.1 Keimdynamik 2.1.1 Modellierung eines Kavitationskeims Die Zugfestigkeit wird in gleicher Weise durch Blasen- und Porenkeime bestimmt (s. Kapitel 1.1.3). Beide Keimtypen zeigen das gleiche Stabilitätsverhalten im Kavitationsgebiet, unterscheiden sich jedoch in ihrer langfristigen Entwicklung aufgrund von Diffusionsvorgängen. Da sich das komplexere Verhalten eines Porenkeims wesentlich aus Geometrie und Oberfläche der Pore ergibt, ist eine allgemeingültige Modellierung nicht möglich. Die numerischen Untersuchungen basieren daher vorrangig auf dem Modell eines Blasenkeims. Tab. 2.a zeigt die bei der Modellierung getroffenen vereinfachenden Annahmen (s. auch Stoffel [1]). Annahme
Bedeutung
Bewertung
Sphärische Keimform
Keine Deformation durch Druckwellen, Wände, andere Keime
aufgrund hoher Oberflächenspannung ( < 100µm) unkritisch
Keine Konvektion
Konzentrationsfeld punktsymmetrisch
kritisch
Diffusionskonstante temperaturunabhängig
Entsprechende Stoffdaten fehlen
unklar
Flüssigkeit ideal inkompressibel
Keimdynamik << Schallgeschwindigkeit
kritisch für instabile Keime
Keimtemperatur homogen
Wärmeleitung im Gas unendlich hoch
aufgrund kleiner Volumina unkritisch
Wärmeleitung in der Flüssigkeit unendlich / Null Wärmekapazität der Flüssigkeit unendlich / Null Phasenübergang flüssig-gasförmig unendlich schnell Dämpfung und Erwärmung durch Dissipation fehlen
Isotherme + adiabate Abgrenzung der Keimtemperatur Abgrenzung: isotherm + Flüssigkeitstemperatur = Keimtemperatur
Flüssigkeitstemperatur homogen Flüssigkeitstemperatur konstant Partialdruck des Dampfs im Keim konstant über dem Volumen Keine viskose Flüssigkeitsreibung
kritisch für instabile Keime Korrekturwert in der Dynamikgleichung
Tab. 2.a: Vereinfachungen des Keimmodells 37
Die Oberflächenspannung der Flüssigkeit prägt freien, ungelösten Gasen die volumenminimierte Kugelform auf. Hochgeschwindigkeitsaufnahmen von Kavitationsgebieten und anderen Zweiphasenströmungen zeigen, daß Keime bis zu 1mm Durchmesser auch unter turbulenten Bedingungen eine weitgehend stabile sphärische Form aufweisen. Im Fall der mikroskopischen Kavitationskeime ist die formgebende Wirkung der Oberflächenspannung sehr 0,3 bar). Störungen der Keimform durch hoch (Bsp. Keim 5 m bei 20°C Druckwellen und Druckgradienten an der Keimwand sind daher nur in geringem Maße und äußerst kurzfristig möglich. Die Temperatur der im Keim befindlichen Gase wird entsprechend einer isothermen Zustandsänderung meist als konstant angenommen. Besonders kritisch ist diese Annahme für die erheblichen Volumenänderungen kavitierender Keime. Durch eine zusätzliche adiabate Betrachtung (s. Kap. 2.3.7) kann die reale Keimtemperatur zu beiden Seiten abgegrenzt werden. Dabei liegen stabile Keime grundsätzlich näher an der isothermen Zustandsänderung, instabile Keime näher an der adiabaten. Eine Modellierung der Wärmeleitung und des resultierenden Temperaturfelds in der Keimumgebung erfolgte im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht, kann jedoch aus der vorhandenen Modellierung von Gasdiffusion und Konzentrationsfeld unter Vernachlässigung des konvektiven Transports direkt abgeleitet werden. Erst mit dieser Abbildung des Wärmeaustausches zwischen Keiminhalt und umgebender Flüssigkeit wird die in der erweiterten RayleighPlesset-Zwick-Gleichung vorgesehene Berück-sichtigung der Verdampfungsenthalpie (s. Kap. 2.1.3) und damit eine Bestimmung der vorübergehenden Dampfdruckabweichung bei Volumen-änderungen des Keims möglich. Der konstanten Flüssigkeitstemperatur steht als anderes Extrem diejenige gegenüber, die entsprechend einer Wärmekapazität von Null direkt der ebenfalls extremen adiabaten Keimtemperatur folgt. Anhand dieser Grenzbetrachtung erfolgte in Kapitel 2.3 eine Bewertung thermodynamischer Effekte. Da das Keimmodell lediglich einen Einzelkeim abbildet, kann es die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen Keimen über das Konzentrationsfeld oder Druckwellen nicht aufzeigen. Ebenso ist die Rückwirkung, die ein Keimspektrum über sein freies Gasvolumen auf den Flüssigkeitsdruck ausübt, nur tendenziell darstellbar. Hierzu wäre die Kopplung einer größeren Anzahl von Keimmodellen notwendig, um die statistische Verteilung von Keimgrößen und deren volumetrische Interaktion wiederzugeben. Für die nachfolgenden Berechnungen wurde als Fluid Wasser mit Luft als dem einzigen darin gelösten Gasgemisch gewählt. Aufgrund der höheren Löslichkeit von Sauerstoff sind in Wasser, das in Kontakt zu atmosphärischer Luft steht, die Anteile von Stickstoff und Sauerstoff nahezu gleich. Andere Komponenten der Luft wurden vernachlässigt. Die Verfügbarkeit der notwendigen Stoffdaten vorausgesetzt, können die entwickelten numerischen Modelle auf beliebige Flüssigkeits-Gas-Kombinationen angewandt werden.
38
Ausschlaggebend für die Stabilität eines Keims unter gegebenen äußeren Bedingungen ist die Menge der durch ihn eingeschlossenen Gase (s. Kapitel 2.1.2). Die Größe eines Keims wird daher sinnvoller Weise nicht durch seinen druckabhängigen Radius sondern in Form seiner Gasmasse angegeben. Entsprechend beziehen sich die Begriffe Wachstum und Schrumpfung eines Keimes auf eine Änderung seiner Gasmasse.
2.1.2 Statische Wandkräfte und Stabilität Die Stabilität der Kavitationskeime in einer Flüssigkeit entscheidet darüber, welche Zugspannungen die Flüssigkeit aufnehmen kann, ohne daß es zu Kavitation kommt. Ausschlaggebend hierfür sind die an der Keimwand wirkenden statischen Flächenkräfte, die bereits in Kapitel 1.1.3 beschrieben wurden.
Abb. 2.1.a: Statische Wandkräfte eines Blasenkeims 2 Über der freien Oberfläche einer Flüssigkeit steht ihr Dampf, dessen Partialdruck im thermodynamischen Gleichgewicht dem temperaturbedingten Dampfdruck pv entspricht. Setzt man voraus, daß Verdampfung und Kondensation an der Keimwand unendlich schnell gegenüber Volumenänderungen des Keimes ablaufen, ist stets thermodynamisches Gleichgewicht gegeben. Die Dampfmenge innerhalb eines Keimes ist über die Gasgleichung folglich direkt an den Dampfdruck gebunden und ändert sich entsprechend mit dem Volumen des Keims (s. Gl. 2.1.a, Anmerkung: auch für die reale Gasgleichung nach van der Waals gilt mv ~ Vk). Aufgrund der geringen Ausmaße der Keime von wenigen Mikrometern treten die in stabilen Keimen enthaltenen Dampfmengen sowie die fortlaufend an der Keimwand ablaufenden Verdampfungs- und Kondensationsprozesse makroskopisch nicht in Erscheinung. p v T VK mv Gl. 2.1.a Rv T mit:
mv = Dampfmasse [kg] Vk = Keimvolumen [m³] Rv = Gaskonstante des Dampfes [J/kg/K] 39
Die in Abb. 2.1.a angedeutete Abhängigkeit der Flächenkräfte pg und ps vom Keimradius R führt jedoch dazu, daß für Keime instabile Zustände existieren. Diese führen zu einem explosionsartigen Anwachsen des Keimes um ein Vielfaches seiner Größe, wodurch große Mengen Dampf entstehen, die als Sieden bzw. Kavitation wahrgenommen werden. Der Partialdruck der im Keim enthaltenen Gase pg ergibt sich in erster Linie aus dem Keimvolumen und fällt daher bei wachsendem Keim mit der 3. Potenz: m i R g,i T Gl. 2.1.b pg 3 4 i 3 p R mit:
mi = Gasmassen [kg] Rg,i = Gaskonstanten der Gase [J/kg/K]
Das gegengerichtete Druckäquivalent ps beschreibt nach Young und Laplace die Flächenkraft, die von der Oberflächenspannung der Flüssigkeit an der gekrümmten Keimwand erzeugt wird. Es nimmt reziprok zum Keimradius ab: 2 t ps Gl. 2.1.c R mit:
t = Oberflächenspannung [N/m]
Im Falle eines Keimwachstums nimmt der innere Druck folglich schneller ab als der äußere. Bei Flüssigkeitsdrücken oberhalb des Dampfdruckes entsteht so ein stabiles Kräftegleichgewicht, in das der Keim durch inneren und äußeren Druck gezwungen wird (s. Abb. 2.1.b links). pf > pv
pf [bar]
0.15
pf < pv
Innerer Druck: pv + pg(R) Äußerer Druck: pf + ps(R)
0.1 stabiles Gleichgewicht pf
0.05
0 0
stabiles Gleichgewicht labiles Gleichgewicht
pv 50
100 R [µm]
150
200 0
50
100 R [µm]
150
Abb. 2.1.b: Innerer und äußerer Druck (20°C, mi = mLuft = 4.25 pg)
40
200
Fällt der Flüssigkeitsdruck dagegen unter den Dampfdruck, verschieben sich die äußeren Drücke soweit, daß ein weiterer Schnittpunkt mit den inneren Drücken entsteht, der ein labiles Gleichgewicht darstellt (s. Abb. 2.1.b rechts). Von diesem Punkt aus wird ein Keim durch die Wandkräfte entweder in Richtung des stabilen Gleichgewichtes oder zu unendlichem Radius hin bewegt. Letzteres führt aufgrund der zunehmenden Differenz zwischen inneren und äußeren Drücken zu einem exponentiellem Keimwachstum und damit zu Kavitation. Das labile Gleichgewicht wird daher auch als kritischer Radius bezeichnet. Bei weiterer Abnahme des Flüssigkeitsdrucks bewegen sich stabiles und labiles Gleichgewicht aufeinander zu. Der Flüssigkeitsdruck, bei dem beide Schnittpunke in einem labilen Gleichgewicht zusammenfallen, wird als kritischer Druck bezeichnet (nicht zu verwechseln mit dem kritischen Druck der Thermodynamik). Unterhalb dieses kritischen Drucks existiert für den Keim kein Gleichgewichtszustand mehr und er „kavitiert“ unweigerlich. Abb. 2.1.c zeigt den Verlauf des Keimradius für Kräftegleichgewicht („Gleichgewichtsradien“) über dem Flüssigkeitsdruck für einen Keim mit einer Gasmenge von 2,6 pg (piko = 10-12) Luft. Sie resultieren aus den positiven, realen Lösungen für das Polynom dritten Grades, daß sich aus der Forderung nach Kräftegleichgewicht gemäß Abb. 2.1.a und den Gleichungen 2.1.b & c ergibt. Die Pfeile geben die Wirkrichtung der Wandkräfte an. Unterhalb des schwarzen Linienzugs, der sich aus dem kritischen Druck und dem kritischen Radius ergibt, verliert der Keim seine Stabilität und beginnt zu kavitieren. Der kritische Radius nähert sich asymptotisch dem Dampfdruck, so daß für Keime oberhalb des Dampfdruckes ausschließlich stabile Zustände existieren. 20 Stabiles Gleichgewicht Labiles Gleichgewicht (Kritischer Radius) p
pf [mbar]
10
0
p
krit
-10 0
20
40
60
80
100
R [µm]
Abb. 2.1.c: Stabiler und instabiler Radienbereich
41
v
Liegt der Flüssigkeitsdruck zwischen Dampfdruck und dem kritischen Druck des Keimes, halten die Wandkräfte den Keim im stabilen Gleichgewicht. Bei dynamischen Schwingungen des Keimradius um dieses Gleichgewicht kann er jedoch den kritischen Radius überschreiten und der Keim seine Stabilität verlieren (s. Kap. 2.1.3). Die Größe eines Keimes in Form seiner Gasmenge bestimmt über den Partialdruck den Verlauf der inneren Drücke und damit das Stabilitätsverhalten des Keimes (s. Abb. 2.1.b). So ergeben sich aus der Keimgröße auch direkt der beim jeweiligen Flüssigkeitsdruck kritische Radius sowie der kritische Flüssigkeitsdruck, unterhalb dessen kein Gleichgewicht mehr existiert und der Keim zwangsläufig seine Stabilität verliert. Je kleiner der Keim bzw. die in ihm befindliche Gasmenge, desto tiefer liegt der kritische Druck (s. Abb. 2.1.d). und desto höher ist die Zugspannung (Dampfdruckunterschreitung), die der Keim ohne Stabilitätsverlust aufnehmen kann. Somit wirken sich Diffusionsvorgänge, die den Gasgehalt der Keime verschieben, unmittelbar auf deren Stabilitätsverhalten aus. 0.06 Stabiles Gleichgewicht Labiles Gleichgewicht (kritischer Radius)
0.04
pf [bar]
p
v
0.02 m = 32 pg m = 16 pg m = 8 pg m = 4 pg m = 2 pg m = 1 pg
0
-0.02 0
50
100
150
R [µm]
Abb. 2.1.d: Einfluß der Gasmasse auf die Stabilität Der kritische Druck eines Keimes ist durch das Minimum seiner Gleichgewichtskurve definiert. Diese ergibt sich aus der Gleichgewichtsforderung für die statischen Wandkräfte aus Abb. 2.1.a: pf,gg(R,m) = pg(R,m) + pv - ps(R) mit:
Gl. 2.1.d
pf,gg = Flüssigkeitsdruck für Kräftegleichgewicht [Pa] m = Gesamtgasmasse des Keims [kg]
42
Aus dpf,gg/dR = 0 und den Gleichungen 2.1.b & c ergibt sich der kritische Flüssigkeitsdruck zu:
p krit (m)
8 9
3
2
2 m Rg T
pv
Gl. 2.1.e
Die Abweichungen des Keimradius vom stabilen Gleichgewicht durch Eigenschwingung sind unter realen Bedingungen sehr gering, weshalb der kritische Radius meist erst nahe des kritischen Druckes überschritten wird. Der kritische Druck markiert somit ausreichend genau die Zugfestigkeit des Einzelkeimes, wie sie in Kapitel 1.1.7 beschrieben ist. Die Keimgröße bedingt neben dem kritischen Druck auch die Dynamik der Expansion überkritischer Keime. Ursache ist der Einfluß der Gasmenge auf die Verläufe von innerem und äußerem Druck (s. Abb. 2.1.e). Der für die Darstellung gewählte Flüssigkeitsdruck entspricht dem jeweiligen kritischen Druck. Somit zeigen die Druckverläufe annähernd den Zustand, in dem sich die Keime bei Stabilitätsverlust befinden. Kritischer Druck und somit auch äußerer Druck nehmen kontinuierlich mit der Gasmenge ab, wohingegen der innere Druck nicht unter Dampfdruck fällt (s. Abb. 2.1.a). Bei der Expansion eines instabilen Keimes ist die treibende Druckdifferenz zwischen innerem und äußeren Druck daher um so größer, je kleiner der Keim ist. Mit abnehmender Keimgröße nimmt neben der Zugfestigkeit also auch die Dynamik von Keimradiusänderungen zu. Daher gilt: je höher die Zugfestigkeit der Flüssigkeit, desto geräuschintensiver und aggressiver die Kavitation. Entsprechend ist die durch extrem große stabile Keime verursachte Pseudokavitation nahezu lautlos und verursacht keine Erosion. Innerer Druck Äußerer Druck (p = p
0.08
f
)
krit
Labiles Gleichgewicht
pf [bar]
0.06 32 pg 8 pg 2 pg
0.04
0.02
0 0
50
100
150 R [µm]
200
250
300
Abb. 2.1.e: Einfluß der Gasmenge auf die Dynamik 43
Steigt der Flüssigkeitsdruck nach vorübergehendem Überschreiten der Zugfestigkeit wieder über den Dampfdruck, verschwindet das labile Gleichgewicht und mit ihm der instabile Radienbereich. Die Wandkräfte zwingen alle Keime unabhängig von ihrem aktuellen Radius in das verbleibende stabile Gleichgewicht, wodurch die Expansion der überkritischen Keime und damit die Kavitation beendet wird. Dieser Effekt bedingt die typische räumliche Begrenzung der Kavitation. Theoretisch endet die Expansion der überkritischen Keime, wenn der kritische Radius aufgrund eines Anstiegs des Flüssigkeitsdrucks schneller zunimmt als der aktuelle Keimradius und diesen überholt. Die Expansion instabiler Keime ist jedoch so schnell, daß dies bei realen Verläufen des Flüssigkeitsdrucks erst im Bereich des Dampfdrucks geschieht, wenn der kritische Radius und sein Gradient gegen unendlich gehen. Aus diesen Betrachtungen lassen sich bereits einige Schlußfolgerungen ziehen. So wird daraus deutlich, daß bei einem Flüssigkeitsdruck oberhalb des Dampfdrucks ausschließlich das stabile Gleichgewicht existiert. Die Wandkräfte stabilisieren den Keim unabhängig von seinem aktuellen Radius und es kann nicht zu Kavitation kommen. Bei Flüssigkeitsdrücken unterhalb des Dampfdrucks existiert für den Keim weiterhin ein stabiler Bereich, so daß es nicht zu Kavitation kommen muß. Aufgrund der endlichen Radien vorhandener Keime ist die Zugfestigkeit einer Flüssigkeit nie Null (s. Abb. 1.1.l). Beispielsweise senken bereits sichtbare Keime mit einem Radius von 1mm bei Umgebungsdruck die Zugfestigkeit auf verbleibende 2,2 Pa. 0.05 0.04 labil stabil
0.03 pf [bar]
p
v
0.02 0.01 0
p (R) g p (R) g p = konst
-0.01
g
-0.02 0
50
100 R [µm]
150
(R) =0 (R) 200
Abb. 2.1.f: Anteile der Wandkräfte an den Gleichgewichtsradien
44
Abb. 2.1.f zeigt die Anteile der radienabhängigen Wandkräfte am Verlauf des Kräftegleichgewichts. Entsprechend Abb. 2.1.c kennzeichnet eine negative Steigung den stabilen Bereich einer Gleichgewichtskurve, eine positive Steigung dagegen den labilen Bereich. Die schwarz gestrichelte Linie zeigt den gewöhnlichen Verlauf des Gleichgewichtsradius mit dem nach außen gerichteten Partialdruck pg und der nach innen gerichteten Oberflächenspannung jeweils als Funktion des Radius. Die durchgezogene schwarze Linie ergibt sich bei Wegfall der Oberflächenspannung , wie beispielsweise im Fall von Seifenlauge. Der Keim ist stets stabil, weitet sich aber bei Absenken des Flüssigkeitsdruckes bis auf den Dampfdruck unendlich auf. Durch die unbegrenzte Volumenzunahme des Keims ist ein Absenken des Flüssigkeitsdruckes unter den Dampfdruck technisch nicht möglich. Da in einer realen Flüssigkeit immer ein Mindestmaß an Keimen vorhanden ist, ist folglich allein die Oberflächenspannung für das Auftreten von Zugfestigkeit verantwortlich. Geht man entgegen den tatsächlichen Verhältnissen davon aus, daß die Diffusion dm/dt unendlich groß gegenüber der Keimdynamik dR/dt ist, entspricht der Partialdruck pg des Keiminhaltes stets dem Sättigungszustand (s. Kap. 2.2.1, Gl. 2.2.a) und bleibt über R konstant. Für einen solchen Keim existiert nur ein labiler Gleichgewichtszustand (graue Kurve), in dem die Oberflächenspannung die Differenz zwischen Flüssigkeitsdruck und Dampfdruck gerade ausgleicht. Dies erklärt, warum für Kavitationskeime in ruhenden Flüssigkeiten mit dR/dt=0 aufgrund von Gasdiffusion kein stabiler Zustand existiert.
2.1.3 Dynamische Größenänderung Als Keimdynamik wird die zeitliche Änderung des Keimradius bezeichnet. Sobald die Keimwand in Bewegung kommt, treten zusätzlich zu den genannten statischen Wandkräften Trägheitskräfte durch das massenbehaftete mitzubewegende Fluid auf. Die Partialdrücke der Gase im Keim wirken als Gasfeder und die viskose Reibung des Fluids wiederum dämpft die Bewegungen der Keimwand. In der Summe liegt demnach ein schwingfähiges Feder-Masse-Dämpfer-System vor. Vorweg genommene Ergebnisse des dynamischen Keimmodells in Abb. 2.1.g. zeigen die charakteristischen Schwingungen von stabilen Blasenkeimen. Die Anregung erfolgte hier durch einen Sprung des Flüssigkeitsdrucks zum Zeitpunkt Null von 1,5 auf 0 bar. Die charakteristische Gestalt der Keimschwingungen ergibt sich durch die unterschiedliche Abhängigkeit der Wandkräfte vom Keimradius. Entsprechend Abb. 2.1.b nimmt bei Keimradien unterhalb des stabilen Gleichgewichtes der innere Druck erheblich schneller zu als der äußere Druck. Die Keimwand wird daher in der Kompressionsphase der Schwingung durch die progressiv ansteigende Druckdifferenz an der Wand extrem nach außen beschleunigt und der Keim beginnt in kürzester Zeit wieder zu expandieren. Daraus ergeben sich die charakteristischen spitzen Unterschwingungen der
45
Keime, wie sie in Abb. 2.1.g zu sehen sind. In der Expansionsphase zwischen stabilem und labilem Gleichgewicht dagegen sind die Kräfteunterschiede an der Keimwand beschränkt und die oberen Schwingungsbögen deutlich runder. Bei abnehmender Schwingungsamplitude bewegt sich der Radius zunehmend nur noch in Nähe des stabilen Gleichgewichtes bei ausgeglicheneren Druckdifferenzen. Entsprechend werden die Schwingungen symmetrischer und nähern sich einem Sinusverlauf. 120 R = 7 µm 0 R = 6 µm 0 R = 5 µm 0 R = 4 µm
Keimradius [µm]
100
0
80 60 40 20 0
0
0.1
0.2 Zeit [ms]
0.3
0.4
Abb. 2.1.g: Charakteristische Schwingung von Blasenkeimen Die Zugfestigkeit des größten Keims mit Ausgangsradius 7 µm liegt mit 28 mbar oberhalb der ab Zeitpunkt Null herrschenden Zugspannung von 23 mbar. Durch die Schwingung überschreitet er jedoch direkt seinen kritischen Radius von 54 µm und verliert seine Stabilität (s. Abb. 2.1.c). Die zunehmende Differenz zwischen inneren und äußeren Drücken (vgl. Abb. 2.1.b) führt zu der progressiven Expansion, die als Kavitationsereignis in Erscheinung tritt. Die Berechnung der Keimdynamik erfolgt im Modell anhand der erweiterten Rayleigh-Plesset-Zwick Gleichung:
1
R a
R R
mit:
3 2
a = 8 = t = pw =
R 2a
R
2
1
R a
pw
R a
1
R a
( pw ) t
Gl. 2.1.f
Schallgeschwindigkeit in der Flüssigkeit [m/s] Dichte der Flüssigkeit in unendl. Entfernung [kg/m³] Zeit [s] Treibende Druckdifferenz an der Keimwand [Pa]
46
Die Druckdifferenz pw beinhaltet neben den statischen Wandkräften aus Abb. 1.1.a einen Korrekturwert zur Berücksichtigung der viskosen Flüssigkeitsreibung: R - p Rbg 4 µFL Gl. 2.1.g R Die Verdampfungsenthalpie konnte im derzeitigen Modell entsprechend den Ausführungen in Kapitel 2.1.1 nicht berücksichtigt werden. Eine detaillierte Herleitung von Gl. 2.2.a findet sich bei Stoffel [1], Leighton [32] oder Brennen [33].
47
2.2 Diffusion 2.2.1 Grundlagen Das Gaslösungsvermögen einer Flüssigkeit resultiert nach dem Gesetz von Henry direkt aus dem Partialdruck der ungelösten Anteile des Gases, die in Kontakt mit der Flüssigkeit stehen (siehe Stoffel [1]): Vg Vf
mit:
c cs Vg Vf pg H t
= = = = = = =
100%
cs
s
pg H(t)
Gl. 2.2.a
Gaskonzentration [vol%] Sättigungskonzentration [vol%] Normvolumen (1bar, 0°C) des gelösten Gases [m³] Flüssigkeitsvolumen [m³] Partialdruck des Gases über der Flüssigkeit [bar] Henry-Koeffizient der Stoffpaarung [bar/vol%] Temperatur [°C]
Die Sättigungskonzentration stellt den Gleichgewichtszustand zwischen gelösten und ungelösten Anteilen eines Gases dar. Da Lösungsvorgänge an der Kontaktfläche ungehindert ablaufen können, entspricht die Gaskonzentration der Flüssigkeit unmittelbar an der Kontaktfläche folglich stets der Sättigungskonzentration. Weicht die Gaskonzentration der weiter entfernten Flüssigkeit von dieser ab, entsteht ein Konzentrationsgefälle innerhalb der Flüssigkeit und ausgleichende Diffusion in Form eines Massenstroms gelösten Gases setzt ein. Er berechnet sich nach dem 1. Fick´schen Gesetz: m/ t = A D mit:
m/ t A D c c/ x
= = = = =
c/ x
Gl. 2.2.b
Massenstrom in Richtung x [kg/s] Diffusionsfläche [m2] Diffusionskonstante [m2/s] Gaskonzentration [kg/m3] räumlicher Konzentrationsgradient [kg/m4]
Für das dem Modell zugrunde liegende System Wasser-Luft ergibt sich der Henry-Koeffizient näherungsweise aus H = 0,00927 t + 0,0346. Die zuge2 hörige Diffusionskonstante D beträgt 2,33 10-9 m /s bei 20 °C. In hydraulischen Anlagen wird die Luftkonzentration der Flüssigkeit oft mit dem Sättigungsdruck angegeben, der den Partialdruck für Diffusionsgleichgewicht nach Gl. 2.2.a angibt. Um eine gewünschte Luftkonzentration zu erreichen, wird der Partialdruck der Luft an der Oberfläche auf dem zugehörigen Sättigungsdruck gehalten und das Abklingen der Diffusionsprozesse abgewartet.
48
2.2.2 Diffusionsvorgänge an einem Keim Stimmt die aus dem Partialdruck pg innerhalb des Keims resultierende Sättigungskonzentration cs unmittelbar an der Keimwand mit der Gaskonzentration der umgebenden Flüssigkeit c8 überein, existiert an der Keimwand kein Konzentrationsgradient und es findet keine Diffusion statt (s. Gl. 2.2.b). Im Falle eines solchen Diffusionsgleichgewichtes bleibt die Gasmasse des Keimes konstant. Tritt dagegen ein Konzentrationsgefälle auf (s. Abb. 2.2.a), beginnt eine Diffusion von Gas in Richtung der Keimwand bzw. von ihr weg. An der Keimwand selbst kann das diffundierende Gas ungehindert ausfallen oder in Lösung gehen, womit sich die Gasmasse m des Keimes ändert.
Abb. 2.2.a: Konzentrationsfeld der umgebenden Flüssigkeit Mit einem Anstieg des Flüssigkeitsdrucks oder der Kompression des Keimes steigt der Partialdruck. Nach Gleichung 2.2.a nimmt damit die Sättigungskonzentration an der Keimwand zu und bei zuvor ausgeglichenem Konzentrationsfeld entsteht ein negatives Konzentrationsgefälle wie in Abb. 2.2.a. Die Diffusion beginnt die Konzentrationsdifferenz durch einen Gasmassestrom von der Keimwand in Richtung der Umgebung auszugleichen und der Keim beginnt zu schrumpfen. In umgekehrter Weise erklärt sich das Keimwachstum bei Druckabfall oder Expansion des Keims. Die Intensität der Diffusion an einem Keim ergibt sich nach Gl. 2.2.b aus dem Konzentrationsgradienten an der Keimwand, der aus der Differenz zwischen Sättigungskonzentration cs an der Wand und Gaskonzentration in der Flüssigkeit c8 resultiert. Für Diffusionsprozesse ist daher nicht die Gaskonzentration sondern der Sättigungsgrad f ausschlaggebend: f
c cs
Gl. 2.2.c
Die Sättigungskonzentration cs bezieht sich hier auf den Partialdruck an der ebenen Oberfläche der Flüssigkeit. In ruhenden Flüssigkeiten ist der Partialdruck innerhalb der Blasenkeime stets um den hydrostatischen Druck und die Wirkung der Oberflächenspannung höher als an der freien Oberfläche. Bei Diffusionsgleichgewicht an der Oberfläche (f=1) ist die Flüssigkeit an den
49
Keimen daher leicht untersättigt (f<1) und die Blasenkeime beginnen unabhängig von ihrer Größe zu schrumpfen und lösen sich aufgrund ihrer Diffusionsinstabilität vollständig auf. Der Partialdruck wird durch die Wandkräfte des Keims bestimmt, ist jedoch andererseits maßgeblich für die Sättigungskonzentration cs und die resultierenden diffusionsbedingten Änderungen der Keimmasse. Daraus ergibt sich eine enge Kopplung zwischen Keimdynamik und Diffusion (s. Kap. 2.3). Für Blasenkeime existiert nur ein labiles Diffusionsgleichgewicht. Ausgehend von einem Keim im Kräfte- und Diffusionsgleichgewicht bewirkt eine geringe Abnahme seiner Gasmasse einen Abfall des Partialdruckes. Durch die resultierende Verkleinerung des Keimradius wird das Kräftegleichgewicht wiederhergestellt, die damit verbundene erhöhte Wirkung der Oberflächenspannung führt jedoch zu ebenfalls erhöhtem Partialdruck. Damit steigt die Sättigungskonzentration an der Blasenwand, es beginnt eine Diffusion von Gas vom Keim in die umgebende Flüssigkeit und die Gasmasse des Keimes nimmt weiter ab. Gleiches gilt in umgekehrter Weise für das Keimwachstum. Die Labilität des Diffusionsgleichgewichtes eines Blasenkeimes zeigt Abb. 2.2.b. Im Ausgangszustand ist der Keim mit einem Radius von 10µm im Kräfte- und Diffusionsgleichgewicht. Die Luftkonzentration im Wasser c8 ist homogen und weicht jeweils nur um einen Bruchteil von der Sättigungskonzentration an der Keimwand cs ab. Die einsetzende diffusive Änderung der Keimmasse aufgrund dieses Diffusionsungleichgewichts beschleunigt sich, da die treibende Differenz zwischen c8 und cs mit der Entfernung zum Diffusionsgleichgewicht zunimmt (s. Kapitel 2.3.6).
10
c = (1 + 10-6 ) c
s
-6
Keimmasse [pg]
c = (1 - 10 ) c
s
8 6 4 2 0 0
25
50
75 Zeit [s]
100
125
150
Abb. 2.2.b: Diffusionsungleichgewicht Blasenkeim
50
Im Fall des sich auflösenden Keims behindert die abnehmende Oberfläche der Keimwand gemäß Gl. 2.2.b die Massenänderung des Keimes erheblich. Dennoch geht bei gleichem Diffusionsungleichgewicht die Schrumpfung des Keimes schneller voran als das Wachstum. Ursache ist die progressive Zunahme der Wirkung der Oberflächenspannung und damit des Partialdruckes bei abnehmendem Keimradius (s. Gl. 2.1.b). Der resultierende Anstieg des Konzentrationsgefälles an der Keimwand überwiegt gegenüber dem Rückgang der Diffusionsfläche (s. auch Kapitel 2.3.6). Im Gegensatz zu den Blasenkeimen existiert für konkave Porenkeime ein stabiles Diffusionsgleichgewicht (vgl. Kap. 1.1.3). Die ansteigende Oberflächenspannung bei einem Schrumpfen des Keimes senkt hier den Partialdruck innerhalb des Keims und bringt damit die Diffusion in Richtung der umgebenden Flüssigkeit zum Erliegen. Für die exakte Simulation eines Porenkeims wird der Zusammenhang zwischen Keimvolumen und -radius benötigt, der sich aus der Porengeometrie und der Hydrophobie der Porenwand ergibt. Für die numerische Überprüfung des stabilen Diffusionsgleichgewichts wurde eine kegelförmige Pore und ein tangentiales Anliegen des konkaven Keims an der Porenwand angenommen, wodurch sich ein dem Blasenradius entsprechender kubischer Zusammenhang zwischen Radius und Volumen ergibt. Abb. 2.2.c zeigt die Stabilisierung eines solchen Porenkeims bei anfänglichem Diffusionsungleichgewicht durch die umgekehrte Wirkung der Oberflächenspannung. Deren progressiver Verlauf in Richtung kleinerer Keimradien zeigt sich auch hier. 6
Keimmasse [pg]
5.5
c = c + c 10-2 s s c = c - c 10-2 s
s
5 4.5 4 3.5 3 0
25
50
75 Zeit [s]
100
125
150
Abb. 2.2.c: Diffusionsungleichgewicht Porenkeim
51
2.2.3 Diffusionsmodell Für die Berechnung der Massendiffusion von gelöster Luft in der Umgebung eines Keims wurde diese diskretisiert. Der modellierte Keim wurde mit mehreren Schalen konstanten Volumens umgeben, innerhalb derer eine homogene Luftkonzentration gilt (s. Abb. 2.2.d). Entsprechend den Kontaktflächen und Konzentrationsunterschieden wird nach Gl. 2.2.b ein diffusiver Luftaustausch zwischen benachbarten Schalen, über die Keimwand und zur umgebenden Flüssigkeit berechnet. Auf diese Weise ergibt sich ein zeitlich veränderliches Konzentrationsfeld, das Änderungen der Keimmasse verursacht. Die Differenz zwischen Keimradius und Radius der größten Schale gibt die Ausdehnung des modellierten Konzentrationsfeldes an und wird als Diffusionsradius rdiff bezeichnet. Der Transport von gelöstem Gas durch die Konvektion der Flüssigkeit ist im Modell nicht abgebildet. Insbesondere im Fall bewegter Flüssigkeit liegt somit der reale Luftmassetransport höher als das Resultat der simulierten Diffusion.
Abb. 2.2.d: Diskretisierung des Konzentrationsfeldes Die Schalenradien rS werden nach folgenden Gleichungen bestimmt: rS(n) = rS(n-1) + rS(n) rS(n) = fv rS(n-1) mit:
n rS rS fV
= = = =
Gl. 2.2.d Gl. 2.2.e
Index der Schalen beginnend am Keim [-] Außenradius der Schale [m] Wandstärke der Schalen [m] Vergrößerungsfaktor der Wandstärken nach außen [-]
Während die Luftkonzentration an der Keimwand direkt dem dynamischen Partialdruck folgt, setzten sich die durch Diffusion weitergegebenen Konzentrationsschwankungen verzögert und stark gedämpft nach außen hin fort. Dem wird durch eine höhere Auflösung des Konzentrationsfeldes in Keimnähe in Form reduzierter Wandstärken der Schalen Rechnung getragen. Der Vergrößerungsfaktor fV für die äußeren
52
Wandstärken ergibt sich aus der Wandstärke der ersten Schale rS(1), der Anzahl der Schalen und dem Diffusionsradius. Der Massestrom von Gas über die Keimwand ergibt sich aus der Intensität der Diffusion in der umgebenden Flüssigkeit. Die ausschlaggebenden Diffusionsflächen (s. Gl. 2.2.b) sind somit die Oberflächen der modellierten Schalen. Da die Radien der volumenkonstanten Schalen insbesondere in Keimnähe dem Keimradius folgen, wird eine Veränderung der Oberfläche des Keims vereinfachend als Indikator für die damit verbundene Änderung der Diffusionsoberflächen verwendet. Die Abb. 2.2.e bis Abb. 2.2.g zeigen an einem Fallbeispiel den Einfluß dieser Diskretisierungsparameter auf das Simulationsergebnis anhand des zeitlichen Verlaufs der Keimmassenänderung und des den Keim umgebenden Konzentrationsfelds nach 1ms. Ein Keim von 10µm Radius, der sich bei 1bar Flüssigkeitsdruck im Kräfte- und Diffusionsgleichgewicht befindet, wird einer sinusförmigen Druckschwingung von 0,1bar und 1kHz ausgesetzt. Die angeregte Schwingung des Keimradius mit einer Amplitude von ca. 0.3µm hat zum Zeitpunkt 1ms einen Nulldurchgang, so daß die Keimwand in den abgebildeten Momentanaufnahmen des Konzentrationsfelds nahe der anfänglichen 10µm liegt. 2 27.2 27
0
c [mg/l]
dm [10 -3 pg]
1
-1
26.8 Schalen 5 10 20 30 40
26.6 26.4
-2
26.2 -3 0
0.2
0.4 0.6 t [ms]
0.8
1
10
12
14
16
r [µm]
Abb. 2.2.e: Einfluß der Schalenanzahl ( r1 = 0.01µm, rdiff = 8µm) Die Anzahl der Schalen und ihre von der ersten Schale definierten Wandstärken sind ausschlaggebend für die Auflösung des wandnahen Konzentrationsfeldes, das sich direkt auf die zeitliche Änderung der Keimmasse auswirkt. Mit erhöhter Verfeinerung der räumlichen Diskretisierung ergeben sich zunehmend glattere Konzentrationsverläufe und die Simulationsergebnisse konvergieren.
53
2 27.2 1 0
c [mg/l]
dm [10 -3 pg]
27
-1
26.8 1. Schale 1.00 µm 0.50 µm 0.10 µm 0.05 µm 0.01 µm
26.6 -2
26.4
-3 0
0.2
0.4 0.6 t [ms]
0.8
1
10
11
12 r [µm]
13
14
Abb. 2.2.f: Einfluß der Schalenwandstärken (40 Schalen, rdiff = 8µm) Der Diffusionsradius definiert die Erstreckung des modellierten Konzentrationsfelds und den Übergang zu der unbeeinflußten Konzentration der weiter entfernten Flüssigkeit c8 . Damit ist er maßgeblich für die äußeren Bereiche des Konzentrationsfeldes, welche die langfristige Entwicklung der Keimmasse bestimmen. Mit Erreichen eines glatten asymptotischen Übergangs zu c8 werden die Ergebnisse unabhängig vom gewählten Diffusionsradius. 2 27.2 c
1 0
c [mg/l]
dm [10 -3 pg]
27
-1
26.8 Diffusionsradius 1 µm 2 µm 4 µm 6 µm 8 µm
26.6 -2
26.4
-3 0
0.2
0.4 0.6 t [ms]
0.8
1
10
12
14
16
r [µm]
Abb. 2.2.g: Einfluß des Diffusionsradius (40 Schalen, r1 = 0.01µm) Die Parameterstudie zeigt, daß eine hinreichende Abbildung des Konzentrationsfelds durch eine beschränkte Diskretisierung der Keimumgebung möglich ist. Die zugehörigen Parameter sind fallweise an die zeitliche Entwicklung des Konzentrationsfeldes anzupassen.
54
2.3 Wechselwirkung Keimdynamik - Diffusion 2.3.1 Gerichtete Diffusion am oszillierenden Keim Area- und Shell-Effekt Schwingt ein Keim um sein stabiles Kräftegleichgewicht, das zugleich auch sein Diffusionsgleichgewicht darstellt, schwingt entsprechend der Partialdruck innerhalb des Keims um den Sättigungsdruck, so daß sich Diffusion in und aus dem Keim laufend abwechseln. In der Summe gleichen sich beide Gasmasseströme jedoch nicht aus, sondern führen zu einer stetigen Zunahme der Keimmasse, die als gerichtete Diffusion („rectified mass diffusion“) bezeichnet wird. Ursache hierfür sind Area- und Shell-Effekt (s. Leighton [32], Brennen [33]).
Abb. 2.3.a: Shell- und Area-Effekt Der Shell-Effekt beschreibt den Einfluß der veränderlichen Wandstärken der virtuellen Schalen, die den Keim umgeben (s. Abb. 2.3.a). In der Kompressionsphase der Schwingung nehmen die Wandstärken der Schalen entsprechend ihres konstanten Volumens zu, wodurch der räumliche Konzentrationsgradient abflacht und die Diffusionsintensität nach Gl. 2.2.b zurückgeht. Die bereits in Kapitel 2.2.3 erwähnte Abhängigkeit der als Diffusionsflächen wirkenden Schalenoberflächen vom Keimradius wird als Area-Effekt bezeichnet. Der komprimierte Keim führt zu verkleinerten Diffusionsflächen und entsprechend gehemmter Diffusion. Beide Effekte kehren sich in der Expansionsphase der Keimschwingung um, so daß der hier stattfindende diffusive Gasmassenstrom in den Keim angefacht wird und in der Summe dominiert. Phasenlage der anregenden Druckschwingung Im Folgenden wird die Oszillation des Keims im Modell durch eine sinusförmige Schwingung des Flüssigkeitsdruckes mit 1Hz angeregt, wie sie für experimentelle Untersuchungen an Blasenkeimen durch Ultraschall erzeugt wird. Die Frequenz der Druckschwingung liegt dabei deutlich unter der Eigenfrequenz des Blasenkeims, so daß der Keimradius durchgehend quasistatisch dem Kräftegleichgewicht folgt. Durch die zeitliche Entwicklung 55
des Konzentrationsfelds ergibt sich eine Abhängigkeit des Gasmassestroms von der Phasenlage der Druckschwingung. Abb. 2.3.b zeigt diesen Einfluß isoliert bei unterdrücktem Shell- und Area-Effekt. Durch einen modifizierten Verlauf des Flüssigkeitsdruckes mit an- und abklingender Amplitude kann dieser Störeinfluß minimiert werden. Bereits kurze An- und Abklingphasen von wenigen Schwingungsperioden eliminieren ihn vollständig. Der geringe verbleibende Massenzuwachs resultiert nicht aus einem Resteinfluß der Phasenlage sondern ist Folge der asymmetrischen Keimschwingung, auf die nachfolgend eingegangen wird, und fällt entsprechend für beide Phasenlagen des modifizierten Druckverlaufes gleich aus. Aufgrund der verhältnismäßig hohen simulierten Zeitdauer erstrecken sich die Diffusionsvorgänge über weite Bereiche, so daß hier ein verhältnismäßig großer Diffusionsradius von 500µm notwendig wurde. 2
8 7
m [pg]
pf [bar]
1.5
1
0.5
0 0
2
4
6
8
10
6 5 4
Phase 0° Phase 180° Modifiziert ohne Ausklang
3 0
2
t [s]
4
6
8
10
t [s]
Abb. 2.3.b: Einfluß der Phasenlage der Druckschwingung
1. Nulldurchgang
2. Nulldurchgang
2
2 Phase 0° Phase 180° Modifiziert
1 c - c [mg/l]
c - c [mg/l]
1
0
-1
-2 0R
0
-1
50
100 r [µm]
150
200
-2 0R
50
100 r [µm]
150
Abb. 2.3.c: Wirkung der Phasenlage im Konzentrationsfeld
56
200
Die zugrundeliegenden Vorgänge im Konzentrationsfeld sollen anhand des Falles Phasenlage 0° diskutiert werden (s. Abb. 2.3.c). Der 1. Nulldurchgang des Flüssigkeitsdruckes zum Zeitpunkt t = 2s markiert das Ende der ersten Kompressionsphase, in der Luft aus dem Keim ins umgebende Wasser diffundiert ist. Entsprechend findet sich eine erhöhte Luftkonzentration in der näheren Umgebung des Keimes, die nun in den Keim zurück aber auch nach außen hin diffundiert. Die nachfolgende Expansionsphase endet beim 2. Nulldurchgang des Druckes. Nun ist die Luftkonzentration in der Umgebung durch Diffusion in den Keim gesunken. Aufgrund des abzubauenden Luftüberschusses aus der Kompressionsphase fällt der entstandene Luftmangel geringer aus. In etwa 100µm Abstand zur Keimwand bleibt sogar ein leichter Luftüberschuß bestehen, von dem weiterhin ein Luftmassestrom nach außen ausgeht. Betrachtet man den Keim mit seiner näheren Umgebung als geschlossenes System, gibt dieses folglich während der ersten Druckschwingung durchgehend Luft an die äußere Umgebung ab. Das setzt sich im Laufe der nachfolgenden Schwingungen fort und es entsteht der zunehmende Keimmasseverlust aus Abb. 2.3.b. Der modifizierte Verlauf des Flüssigkeitsdruckes wirkt diesem Effekt durch die kontinuierlich zunehmenden Amplituden entgegen. Jede Schwingungsphase überwiegt gegenüber der vorangehenden, so daß sie einen weitgehend vollständigen Ausgleich des Konzentrationsfeldes erzielen kann und einen Nettoluftstrom unterbindet. Die Bedeutung der allmählich abklingenden Amplitude am Ende der Druckschwingung zeigt eine Abwandlung des modifizierten Verlaufes in Abb. 2.3.b, der dieser Ausklang fehlt. Die Diffusion ist ein stark zeitabhängiger Prozeß, der träge auf die anregende Druckschwingung reagiert. Entsprechend folgen die Schwingungen des Konzentrationsfelds und der Keimmasse mit erheblicher Verzögerung. Endet die Druckschwingung nun abrupt in einem Nulldurchgang, befindet sich die Keimmasse gerade in einem Schwingungsausschlag und erfährt durch den Abbruch in dieser Phase eine künstliche Verschiebung. Asymmetrische Keimschwingung Auf einen sinusförmigen Verlauf des Flüssigkeitsdruckes reagiert der Keimradius mit der bereits angesprochenen asymmetrischen Schwingung (s. Abb. 2.3.d, schwarze Kurven). Die Ursache liegt im Verlauf des stabilen Gleichgewichtradius über dem Flüssigkeitsdruck (s. Abb. 2.1.c), dem der Keimradius während seiner quasistatischen Schwingung folgt. Die asymmetrische Keimschwingung setzt sich gemäß Kapitel 2.2.3 in den Diffusionsschalen fort, so daß durch betonte Expansions- und verminderte Kompressionsphasen Shell- und Area-Effekt verstärkt werden und eine Verstärkung des Keimwachstums erfolgt, die durch den modifizierten Verlauf des Flüssigkeitsdruckes nicht beseitigt werden kann (s. Abb. 2.3.b). Bei genauer Betrachtung ist auch eine geringfügige Asymmetrie des
57
Partialdruckes im Keiminneren erkennbar, die ebenfalls förderlich für das Keimwachstum ist. Grund hierfür ist das Kräftegleichgewicht (s. Abb. 2.1.a), demzufolge der Partialdruck entsprechend der radienabhängigen Oberflächenspannung vom sinusförmigen Flüssigkeitsdruck abweicht. Abb. 2.3.d zeigt zum Vergleich einen ideal sinusförmigen Verlauf des Partialdruckes gleicher Amplitude. 9 pg (pf=sin) pg (R=sin) pg = sin
2 8 pg [bar]
R [µm]
1.5 7
1 0.68
6 R (pf=sin)
0.5
0.66
R = sin 5 0
2
4
6
8
10
0
2
4
t [ms]
6
8
0.64 10
t [ms]
Abb. 2.3.d: Asymmetrische Keimschwingung Um die Auswirkungen der ungleichförmigen Keimschwingung auf die Diffusionsvorgänge bewerten zu können, wurde dem Diffusionsmodell alternativ ein vom Kräftegleichgewicht abweichender sinusförmiger Keimradius gleicher Amplitude vorgegeben (s. Abb. 2.3.d, graue Kurven). In diesem Fall ergibt sich eine weitaus stärkere Asymmetrie des Partialdrucks, die in diesem Fall mit verstärkten Ausschlägen in den Kompressionsphasen Area- und ShellEffekt entgegen wirkt. 2.04
m [pg]
2.035
R (pf=sin) R = sin R = sin R = sin
pg (pf=sin) p (R=sin) g p = sin g p (p =sin) g
f
2.03
2.025 2.0328 2.02 2.0324 2.015 0
2
4
6
8
2.0320 10
t [ms]
Abb. 2.3.e: Einfluß der asymmetrischen Keimschwingung 58
Die Auswirkung der beiden Verläufe des Keimradius zeigt Abb. 2.3.e anhand der resultierenden Massenänderung des Keims. Da in beiden Fällen eine Verschiebung von Shell- und Area-Effekt auftritt, wurde eine dritte Berechnung durchgeführt, die dem Diffusionsmodell sowohl sinusförmigen Keimradius als auch sinusförmigen Partialdruck vorgibt und somit die richtungsneutrale Schwingung der die Diffusion betreffenden Keimparameter repräsentiert (schwarz gestrichelte Line). Folgen Keimradius und Partialdruck dem sinusförmigen Flüssigkeitsdruck, ergibt sich der bekannte minimale Massenzuwachs. Ein sinusförmiger Keimradius hemmt dagegen das Wachstum aufgrund des deutlich asymmetrischen Partialdruckes erheblich. Folglich reagiert der Diffusionsprozeß weitaus empfindlicher auf einen ungleichförmigen Partialdruck als auf eine Verstärkung von Area- und Shell-Effekt durch einen asymmetrischen Keimradius. In Abb. 2.3.e ist ein weiteres Rechnungsergebnis wiedergegeben, welche für den Fall der asymmetrischen Keimschwingung die Anteile der Asymmetrien von Keimradius und Partialdruck am Massezuwachs aufzeigt. Während hier der Keimradius durch den Sinusverlauf neutralisiert wurde, behält der Partialdruck seine kaum wahrnehmbare Asymmetrie aus Abb. 2.3.d bei. Der somit isolierte deutliche Anteil des Partialdruckes am Massezuwachs belegt wiederum seine hohe Bedeutung für die Diffusion. Anteile von Area- und Shell-Effekt an der gerichteten Diffusion Insgesamt ist der Massezuwachs durch die asymmetrische Keimschwingung so gering, daß ein neutraler Vergleich von Shell- und Area-Effekt anhand einer durch den modifizierten Sinusverlauf des Flüssigkeitsdrucks angeregten Keimoszillation möglich scheint. 11 10 9
beide Effekte nur Area-Effekt nur Shell-Effekt Effekte unterdrückt
7.79 7.76
m [pg]
7.73 8 7 6 5 4 0
2
4
6
8
t [ms]
Abb. 2.3.f: Vergleich von Area- und Shell-Effekt
59
10
Abb. 2.3.f zeigt die zeitliche Entwicklung der Keimmasse bei abwechselnder numerischer Unterdrückung von Area- und Shell- Effekt. Davon ausgehend, daß die Schwingungsfrequenz des Flüssigkeitsdruckes deutlich unter der Eigenfrequenz des Keims liegt, sind die Anteile beider Effekte am Keimwachstum unabhängig von Phase, Frequenz- oder Amplitude der Druckschwingung nahezu gleich, wobei die Wirkung des Area-Effekts geringfügig höher ist. Amplitude und Frequenz der anregenden Druckschwingung Höhere Amplituden des Flüssigkeitsdruckes führen entsprechend des Kräftegleichgewichts an der Keimwand zu höheren Amplituden des Keimradius. Die Betonung der Expansionsphasen durch die beschriebene Asymmetrie der Keimschwingung nimmt mit steigender Schwingungsamplitude zu (s. Abb. 2.3.g und Abb. 2.3.h), wodurch auch der mittlere Radius Rm überproportional ansteigt und einen Abfall des mittleren Partialdruckes im Keiminneren bewirkt. Die resultierende Verstärkung von Area- und ShellEffekt führt zu einer exponentiellen Zunahme des Keimwachstums mit der Druckamplitude. Die Länge von Ein- und Ausklingphase der Druckschwingung von 1Hz beträgt für alle Rechnungen 3s, wodurch eine gleichbleibende Wirkzeit für die gerichtete Diffusion gewährleistet wird. 17 16 15 R [µm]
14
Amplitude p
f
60 mbar 50 mbar 40 mbar 30 mbar 20 mbar
13 12 11 10 9 0
2
4
6
8
10
t [s]
Abb. 2.3.g: Einfluß der Druckamplitude Abb. 2.3.i zeigt den Einfluß der Druckfrequenz auf den Diffusionsprozeß für Frequenzbereiche weit unterhalb der Eigenfrequenz von Kavitationskeimen. Mit steigender Frequenz ergibt sich eine Anstieg des Keimwachstums, der jedoch zunehmend geringer ausfällt. Für Frequenzbereiche oberhalb 100 Hz kann der Effekt als verschwindend und das Keimwachstum der quasistatischen Oszillation als unabhängig von der Druckfrequenz angenommen werden. 60
14
6 m [pg] nach 10s
Schwingung R [µm]
12
7 Mittelwert Amplitude
10 8 6 4 2
5 4 3 2 1
0 0
0.2 0.4 Amplitude pf [bar]
0 0
0.6
0.2 0.4 Amplitude pf [bar]
0.6
Abb. 2.3.h: Zusammenhang Keimschwingung und -wachstum 12 Frequenz p 11
m [pg]
10 9
f
5 Hz 4 Hz 3 Hz 2 Hz 1 Hz
8 7 6 5 0
2
4
6
8
10
t [s]
Abb. 2.3.i: Einfluß der Druckfrequenz
2.3.2 Resonanzverhalten Nähert sich die Frequenz der Druckschwingung der Eigenfrequenz eines Kavitationskeimes, wird dessen Eigenschwingverhalten angeregt und er beginnt um den stabilen Gleichgewichtsradius zu oszillieren. Die Amplitude der Keimschwingung folgt somit nicht mehr quasistatisch der Druckamplitude und es entsteht eine starke Abhängigkeit der gerichteten Diffusion von der Druckfrequenz. Je kleiner ein Blasenkeim ist, desto stärker wird er von den Wandkräften in sein stabiles Gleichgewicht gezwungen (s. Abb. 2.1.e). Für die Eigenschwingung bedeutet dies höhere Steifigkeit und somit höhere Eigenfrequenz
61
und geringere Amplituden bei gleicher Anregung. Die exemplarischen Frequenzgänge von Keimen unterschiedlicher Größe in Abb. 2.3.j wurden anhand von Druckschwingungen bei einem mittleren Druck von 0,777 bar und Amplituden von 0,1 bar erzeugt. 16
R = 20µm m R = 10µm m R = 5µm
14 Amplitude R [µm]
m
12 10 8 6 4 2 0 0
200
400 600 Frequenz p [kHz]
800
1000
f
Abb. 2.3.j: Resonanzverhalten von Blasenkeimen In Abb. 2.3.k sind die Ergebnisse des Keims mit einem mittlerem Radius Rm von 20µm für unterschiedliche Niveaus des Flüssigkeitsdruckes wiedergegeben. Die Kompression des Keims durch den erhöhten mittleren Druck pf,m hebt wiederum seine Steifigkeit an und sein Schwingverhalten entspricht dem eines kleineren Keims. 16
p = 0,777 bar f,m p = 1,554 bar f,m
Amplitude R [µm]
14 12 10 8 6 4 2 0 0
100
200 Frequenz p [kHz]
300
400
f
Abb. 2.3.k: Einfluß des mittleren Druckniveaus 62
Die von Keimgröße und Flüssigkeitsdruck abhängige Eigenfrequenz eines Blasenkeims läßt sich bei Vernachlässigung von Reibung, thermodynamischen Effekten und Kompressibilität des Fluids berechnen nach (s. Stoffel [1]):
fe
1 2p R m
3n (p f
p v ) (3n 1)
2t Rm
Gl. 2.3.a
Hierin ist n der Polytropenexponent für die Art der Zustandsänderung der Gasmasse innerhalb des Keims und Rm der mittlere Schwingungsradius, der dem für pf geltenden Gleichgewichtsradius (s. Kap. 2.1.2) entspricht. Für den Keim von 20µm ergibt sich bei einem mittleren Flüssigkeitsdruck von 0,777 bar bei isothermer Betrachtung eine Eigenfrequenz von 123,56 kHz. Um diese durch das Keimmodell zu bestätigen, wurde die Eigenfrequenz des Keimes mittels eines Druckstoßes differierender Höhe von 20ns Pulsdauer angeregt. Da der Keim nicht-lineares Schwingverhalten aufweist, ist die resultierende Eigenfrequenz eine Funktion der Radiusamplitude (s. Abb. 2.3.l ). Mit dem Abklingen der Amplitude nach dem Stoß nimmt die Schwingungsfrequenz entsprechend zu und ergibt für eine Amplitude gegen Null eine Eigenfrequenz von 123,54 kHz, die Gl. 2.3.a bestätigt. Für Keimschwingungen kleiner Amplitude liefert die Gleichung somit eine gute Näherung.
124
Frequenz R [kHz]
122 120 118 116 114 112 110 108 0
5
10 15 Amplitude R [µm]
20
Abb. 2.3.l: Eigenschwingfrequenz eines Blasenkeims Dies gilt auch für den Fall fremderregter Schwingung. Mit der Druckamplitude steigen die Amplituden des Keimradius allgemein an und die Resonanzfrequenz des Keims nimmt Abb. 2.3.l entsprechend geringfügig ab (s. Abb. 2.3.m). Neben dieser treten aufgrund des nicht-linearen
63
Schwingungsverhaltens auch harmonische Unter- und Oberschwingungen mit weiteren Amplitudenspitzen auf. Ihre Frequenzen sind ganzzahlige Teiler oder Vielfache der nominellen Eigenfrequenz aus Gl. 2.3.a, wobei auch hier mit zunehmender Amplitude leichte Verschiebungen zu kleineren Frequenzen auftreten.
Amplitude R [µm]
20
Amplitude p
f
200 mbar 100 mbar 50 mbar 10 mbar
15
10
5
0 0
50
100 150 200 Frequenz p [kHz]
250
300
f
Abb. 2.3.m: Einfluß der Druckamplitude 10
Frequenz p
115,6 kHz 123,6 kHz
8 Amplitude R [µm]
f
6
4
2
0 0
200
400 600 Frequenzanteile [kHz]
800
1000
Abb. 2.3.n: FFT-Analyse der Keimschwingungen
64
Abb. 2.3.n zeigt eine Fourieranalyse der Oszillation des 20µm Keims aus Abb. 2.3.k (pf,m = 0,777 bar) für die nominelle und tatsächliche Eigenfrequenz, die entsprechend der Radiusamplitude von 16,2 µm etwas niedriger liegt. Der Maximalausschlag markiert jeweils die Grundschwingung, deren Frequenz mit der Erregungsfrequenz übereinstimmt. Im Sinne einer Ordnungsverfolgung führt eine Anregung mit der Eigenfrequenz zu maximalem Ausschlag der Grundschwingung, so daß die Fourieranalyse 123,6 kHz als nominelle Eigenfrequenz bestätigt. Für die Oberschwingungen überwiegen jedoch die Ausschläge bei der tatsächlichen Resonanzfrequenz von 115,6 kHz, so daß die Gesamtamplitude der Radiusschwingung in der Summe höher ausfällt. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, daß mit zunehmender Amplitude der Keimschwingung das Ausmaß des nicht-linearen Schwingungsverhaltens ansteigt. Entsprechend tritt die bereits diskutierte Asymmetrie der Keimschwingung zum Vorschein und führt zu einem Versatz des mittleren Radius (s. Abb. 2.3.o), so daß sich neben dem Effekt der gerichteten Diffusion eine Verschiebung des mittleren Partialdruckes ergibt, die den Diffusionsprozeß zusätzlich beeinflußt. 22.5 Amplitude p 22 21.5 Rm [µm]
f
200 mbar 100 mbar 50 mbar 10 mbar
21 20.5 20 19.5 19 0
50
100 150 200 Frequenz p [kHz]
250
300
f
Abb. 2.3.o: Verschiebung des mittleren Keimradius Das Ausmaß dieses Effekts für die Diffusion belegt ein Vergleich bei anregenden Druckfrequenzen von 18,67 kHz und 173,63 kHz, die entsprechend Abb. 2.3.k (pf,m=0,777bar) zu einer einheitlichen Radiusamplitude von 0,860 µm führen. Gemäß Kap. 2.3.1 haben Druckfrequenzen dieser Größenordnung keinen unmittelbaren Einfluß auf die gerichtete Diffusion. Der im Fall der 18,67 kHz um 0,08 µm erhöhte mittlere Radius (s. Abb. 2.3.p) senkt jedoch den mittleren Partialdruck ab und fördert somit das Keimwachstum (s. Abb. 2.3.q).
65
21 18.67 kHz 173.63 kHz
R [µm]
20.5
20
19.5
19 0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
t [ms]
Abb. 2.3.p: Keimradius bei Frequenzen gleicher Radiusamplitude 32.907
18.67 kHz 173.63 kHz
32.906
m [pg]
32.905 32.904 32.903 32.902 32.901 0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
t [ms]
Abb. 2.3.q: Keimwachstum bei Frequenzen gleicher Radiusamplitude Für die Beurteilung des Einflusses von Druckfrequenzen auf die Diffusion muß somit neben der Amplitude der Keimschwingung auch der mittlere Keimradius herangezogen werden. Die Anregung mit Resonanzfrequenz führt sowohl zu maximaler Radiusamplitude als auch zu maximalem mittleren Radius und fördert somit die gerichtete Diffusion in zweifacher Weise. Entsprechend steigt das Keimwachstum im Bereich der Resonanzfrequenz überproportional an (s. Abb. 2.3.r).
66
30
0.3
25 Amplitude R [µm]
Amp
m
0.25
20
0.2
15
0.15
10
0.1
5
0.05
0 0
50
100 150 200 Frequenz p [kHz]
250
m nach 1ms [pg]
R
0 300
f
Abb. 2.3.r: Keimoszillation und -wachstum über der Druckfrequenz
2.3.3 Diffusion am kavitierenden Keim Um das durch Kavitation hervorgerufene Wachstum des Keimspektrums nachzuvollziehen, wurde im Modell ein Keim von 7µm durch eine kurzfristige Überschreitung seiner Zugfestigkeit vorübergehend destabilisiert. Zum Zeitpunkt Null befindet er sich im Kräfte- und Diffusionsgleichgewicht bei einem Flüssigkeitsdruck von 1bar. 40 Instabilität
1 30 0.8
pv
pf [mbar]
pf [bar]
20 0.6 0.4
10 0
0.2 0 0
-10
pv 0.2
0.4
0.6 0.8 t [ms]
1
pkrit
-20 0.4
0.5
0.6 t [ms]
Abb. 2.3.s: Flüssigkeitsdruck kavitierender Keim
67
0.7
Abb. 2.3.s zeigt den zeitlichen Verlauf eines fiktiven Flüssigkeitsdrucks, dem der Keim bei Durchströmung eines abstrahierten Kavitationsgebiets ausgesetzt wird. Die fortlaufende diffusive Änderung der Keimmasse bedingt die gezeigte Verschiebung seines kritischen Drucks, der die Zugfestigkeit markiert. Mit der Unterschreitung des kritischen Druckes durch den Flüssigkeitsdruck verliert der Keim seine Stabilität und kavitiert. Die Phase der Keiminstabilität endet zu einem Zeitpunkt, an dem der Flüssigkeitsdruck bereits wieder deutlich oberhalb des kritischen Drucks liegt. 140
5.5
120
5 4.5
80 60
5.24
3.5 3
40
5.23
2.5
20 0 0
5.25
4 m [pg]
R [µm]
100
2 0.2
0.4
0.6 0.8 t [ms]
1
1.2
1.5 0
0.2
0.4
0.6 0.8 t [ms]
1
1.2
Abb. 2.3.t: Radius und Luftmasse kavitierender Keim Zu Beginn des Druckabfalls folgt der expandierende Keimradius zunächst dem Verlauf des stabilen Gleichgewichts (s. Abb. 2.3.t und Abb. 2.3.u). Der Partialdruck fällt und leichtes Keimwachstum beginnt. Kurz vor Erreichen des kritischen Druckes pkrit bei t = 0,5 ms kann der Keimradius aufgrund der Trägheitskräfte der zunehmenden Krümmung des Gleichgewichtsradius nicht mehr folgen und hebt von diesem ab. Von diesem Moment an überwiegen die inneren Drücke und die Keimwand wird anhaltend nach außen beschleunigt. Die progressive Expansion des kavitierenden Keims führt zu einem rapiden Abfall des Partialdruckes bei zugleich extremen Diffusionsoberflächen, so daß in dieser Phase große Mengen Luft in den Keim diffundieren. Erst wenn der Flüssigkeitsdruck den stabilen Bereich bei t = 0,66 ms über das durch Diffusion leicht verschobene labile Gleichgewicht erreicht, kehrt sich die Beschleunigung der Keimwand um, die Expansion wird verzögert durch die Trägheitskräfte abgebremst und die Kompression beginnt, die mit dem Einschwingen auf das stabile Gleichgewicht mit der Eigenfrequenz des Keims endet. Die anfänglich starken Überschwingungen sind mit einer massiven Verdichtung der Luftmasse im Keiminneren verbunden und lösen damit die Druckstöße und Temperaturspitzen aus, die als aggressive Kavitationserosion in Erscheinung treten. Mit Beginn der Keimschwingungen endet die Zunahme der Keimmasse abrupt und kehrt sich trotz entstandenem Diffusionsungleichgewicht und des
68
bei Oszillation wirksamen Area- und Shell-Effekts um. Ursache sind die zeitlichen Entwicklungen des Konzentrationsfeldes in der Umgebung des Keims, die in Kapitel 2.3.6 diskutiert werden. Insgesamt hat sich die Keimmasse aufgrund einer Instabilität des Keims in 0,16 ms von 2 pg auf 5,2 pg mehr als verdoppelt. 250
15 Stabiles Gleichgewicht Labiles Gleichgewicht Verlauf Keimradius
10 5
150
pf [mbar]
pf [mbar]
200
100
0
t = 0.50 ms t = 0.66 ms pkrit
-5 50 -10 0 0
50
100 R [µm]
150
-15 0
200
50 R [µm]
100
Abb. 2.3.u: Gleichgewichtsradien kavitierender Keim (vgl. Abb. 2.1.c)
2.3.4 Abfall der Zugfestigkeit durch Diffusion Durch einen Drucksprung von 1,5 bar auf 0 bar zum Zeitpunkt t = 0,3 ms wird ein Keim von 6 µm in ein Diffusionsungleichgewicht gebracht (s. Abb. 2.3.v). Die anfängliche Eigenschwingung des Keims angeregt durch den Drucksprung hat einen Maximalausschlag von 41,3 µm. Dieser liegt unterhalb des zu diesem Zeitpunkt bei 0 bar geltenden kritischen Radius, so daß sich der Keim auf das stabile Kräftegleichgewicht einschwingt. In Abb. 2.3.w ist nur der Gleichgewichtsradius (x) ohne die Schwingungsausschläge dargestellt. 140 120
6
Keimradius Kritischer Radius
5
80
m [pg]
R [µm]
100
60
4 3
40 2
20 0 0
2
4 t [ms]
6
8
1 0
2
4 t [ms]
Abb. 2.3.v: Radius und Luftmasse kavitierender Keim 69
6
8
Nach Abklingen seiner Eigenschwingung verbleibt der Keim auf dem stabilen Gleichgewicht. Das entstandene Diffusionsungleichgewicht führt jedoch zu einer progressiven Zunahme der Keimmasse. Entsprechend steigt der kritische Druck und Gleichgewichtsradius und kritischer Radius bewegen sich aufeinander zu. Sobald der kritische Druck den konstanten Flüssigkeitsdruck von 0 bar erreicht, fallen die beiden Radien zusammen und die Wandkräfte beschleunigen den Keimradius nach außen, der Keim kavitiert diffusionsbedingt. 15 10
pf [mbar]
5 0 -5 nach Drucksprung 3 ms später Destabilisierung 0.3 ms später
-10 -15 0
20
40
60 R [µm]
80
100
120
Abb. 2.3.w: Verschiebung der Stabilität durch Diffusion (vgl. Abb. 2.1.c)
2.3.5 Turbulenz Das labile Diffusionsgleichgewicht von Blasenkeimen führt entsprechend Kapitel 2.2.2 zu deren langfristigen Auflösung in ruhenden Flüssigkeiten. Durch Bewegung der Flüssigkeit werden jedoch Poren- und Blasenkeime schnell zu Wachstum angeregt und es bildet sich ein Keimspektrum, das nach Beendigung der Bewegung nur langsam wieder in Lösung geht. Anhand der Kavitationsneigung hydraulischer Einrichtungen läßt sich zudem belegen, daß durch Kavitation erzeugte Keimspektren in strömenden Flüssigkeiten die Zugfestigkeit nachhaltig senken. Für die Erklärung der unerwartet hohen Lebensdauer von Blasenkeime in einer Flüssigkeitsumgebung, die ihre Auflösung begünstigt, gibt es verschiedene Ansätze, deren Anteile an diesem Phänomen jedoch unklar sind. So könnten kleinste Schmutzpartikeln in der Flüssigkeit die Wände eines Keims belegen und damit den Luftaustausch mit der Umgebung behindern. Des Weiteren könnten diese Partikel die Oberflächenspannung reduzieren und
70
durch räumliche Versperrung („sterische Hemmung“) das Schrumpfen der Keime blockieren, so daß sich diese ähnlich den Porenkeimen verhalten. Es ist davon auszugehen, daß die gerichtete Diffusion (s. Kapitel 2.3.1) einen wesentlichen Anteil an der Lebensdauer von Blasenkeimen besitzt. In der Strömung lokal auftretende Druckstöße und -schwingungen regen die Keime zur Oszillation an und fördern damit das Keimwachstum. Eine in technischen Strömungen permanent vorhandene Anregung der Keimschwingung ist die Turbulenz, deren Frequenzen in ihrer Größenordnung im Resonanzbereich der Keime liegen (s. Kapitel 2.3.2). Die Abb. 2.3.x zeigt die mittels Gleichung 2.3.a bestimmten Eigenfrequenzen von Blasenkeimen, deren Luftmassen Keimradien zwischen 2 µm und 90 µm bei einem Flüssigkeitsdruck von 0,3 bar entsprechen. 300 Keimmasse 1/16 pg 1/4 pg 1 pg 4 pg 16 pg 64 pg 256 pg 1024 pg
250 p
v
f e [kHz]
200 150 100 50 0 -0.2
-0.1
0
0.1 0.2 p [bar]
0.3
0.4
f
Abb. 2.3.x: Eigenfrequenzen von Blasenkeimen Die Wirkung der Turbulenz wurde durch numerisch generiertes weißes Rauschen (Zufallswerte mit definierten Übergangsgradienten) des Flüssigkeitsdruckes von 1 bar mit verschiedenen Bandbreiten simuliert. Die Fourieranalysen dieses Druckrauschens in Abb. 2.3.y zeigen die jeweils enthaltenen Frequenzen. Die Intensität der Turbulenz wurde konstant gehalten, so daß bei gleichbleibender Gesamtamplitude die Amplituden der einzelnen Frequenzanteile mit Erhöhung der Bandbreite zurückgehen. Die maximalen Ausschläge des Druckrauschens liegen bei 20 mbar. Entsprechend Abb. 2.3.m treten für Druckamplituden dieser Größenordnung kaum Unter- und Oberschwingungen auf und die Eigenfrequenz des vorgegebenen Keims (m = 41,78 pg) von 139,68 kHz bestimmt das Resonanzverhalten. Die unmittelbare Anregung der Eigenfrequenz beginnt bei einer Bandbreite bis 100 kHz und bleibt ab 200 kHz Bandbreite nahezu gleich.
71
50 kHz
2
150 kHz
250 kHz
300 kHz
Eigenfreq. des Keims
1 Amplitude pf [mbar]
100 kHz
0 200 kHz
2 1 0 0
250
500
0 250 500 Frequenzanteil pf [kHz]
0
250
500
Abb. 2.3.y: FFT von Rauschen verschiedener Bandbreite Die Intensität der Anregung der Eigenfrequenz zeigt sich direkt in der Amplitude der Keimschwingung (s. Abb. 2.3.z). Das aus der gerichteten Diffusion resultierende Keimwachstum nach 1,85 ms ausgehend vom Diffusionsgleichgewicht wird in Form der zeitlich gemittelten Keimmasse wiedergegeben, um kurzfristige Effekte durch die Zufallsverteilung des Rauschens aus der Betrachtung auszuschließen. Letztere führt zudem zu einer unsteten Abweichungen des mittleren Druckes über der Zeit. In den gezeigten Berechnungen beträgt sie innerhalb des betrachteten Zeitfensters zwischen -0,06 und -0,35 mbar. Die dadurch jeweils entstandene zusätzliche Anfachung des Keimwachstums wurde von der zeitlichen gemittelten Keimmasse subtrahiert, so daß diese Angaben allein den Einfluß der turbulenten Schwankung wiedergeben.
50 kHz
100 kHz
150 kHz
200 kHz
250 kHz
300 kHz
0.06
0.15
0.24
0.21
0.29
R [µm]
20.5
20
19.5
0
m [10-3pg] -0.03 2
4
6
8
10
t [ms]
Abb. 2.3.z: Keimradius bei Turbulenz verschiedener Bandbreite
72
2.3.6 Zeitverhalten des Konzentrationsfelds Konzentrationsgradienten und resultierende Diffusion in der Umgebung des Keims werden durch eine Abweichung der Sättigungskonzentration an der Keimwand cs von der Luftkonzentration im Wasser c8 initiiert. Ausgelöst wird ein solches Diffusionsungleichgewicht durch eine Änderung der Luftkonzentration der Flüssigkeit c8 oder des Flüssigkeitsdruckes, der über den Partialdruck des Keims maßgeblich die Sättigungskonzentration cs beeinflußt. Die theoretischen Betrachtungen zur zeitlichen Entwicklung des Konzentrationsfeldes gehen von anfänglichem Diffusionsgleichgewicht (cs = c8 ) bei zugleich homogenem Konzentrationsfeld (c(r)=const) aus, um alle Vorgänge auf ihre tatsächliche Ursache zurückführen zu können. Bei konstantem Diffusionsungleichgewicht erreicht das Konzentrationsfeld nach ausreichender Zeit einen ausgeglichenen Zustand, in dem keine Änderung der örtlichen Konzentrationen mehr auftritt und sich ein homogener diffusiver Luftmassenstrom einstellt (dm/dt(r) = const). In diesem Zustand bestimmen allein das Ausmaß des Ungleichgewichts und die Diffusionsgeschwindigkeit die zeitliche Änderung der Keimmasse. Sind die Änderungen des Diffusionsungleichgewichts so schnell, daß das Konzentrationsfeld den ausgeglichenen Zustand nicht mehr erreicht, nimmt sein Zeitverhalten Einfluß auf die kurz- und langfristige Entwicklung der Keimmasse. Trägheit des Konzentrationsfeldes Das Ausmaß des Diffusionsungleichgewichts bestimmt das Konzentrationsgefälle in der Umgebung des Keims und damit die Intensität der Diffusion. Bei hohen Abweichungen zwischen c8 und cs beschleunigt sich die Keimmassenänderung, ihr aus Kapitel 2.2.2 bekannter progressiver Verlauf wird jedoch zunehmend degressiv (s. Abb. 2.3.aa). Entgegen der aus der zeitlichen Keimmassenänderung resultierenden Zunahme des Diffusionsungleichgewichts verlangsamt sich hier der Diffusionsprozeß. Begründet liegt dieser Effekt in der Trägheit, mit der das Konzentrationsfeld auf ein Diffusionsungleichgewicht reagiert. Im Fall des anfänglichen Ungleichgewichts von 1% bleibt dem Konzentrationsfeld ausreichend Zeit, den verhältnismäßig langsamen Diffusionsprozessen zu folgen und einen annähernd ausgeglichenen Zustand aufrecht zu erhalten (s. Abb. 2.3.bb, links). Die asymptotischen Konzentrationsverläufe resultieren hierbei aus der nach außen hin zunehmenden sphärischen Diffusionsfläche. Für einen ausgeglichenen homogenen Luftmassestrom (dm/dt(r)=const) muß der Konzentrationsgradient dc/dr entsprechend Gleichung 2.2.b kontinuierlich zurückgehen.
73
6 c = 1%, t = 22.4s 0 ges c = 10%, t = 6.0s 0 ges c = 99%, t = 0.9s
5
0
ges
m [pg]
4 3 2 1 0 0
20
40 t/t
ges
60 [%]
80
100
Abb. 2.3.aa: Beschränkung der Diffusionsintensität 1 30
30 c0 = 1%, tges = 22.4s c0 = 99%, tges = 0.9s
29.5
25 20 c [mg/l]
c [mg/l]
29 28.5 28
15 10
27.5
5
27 R
20
40 r [µm]
60
R
80
20
40 r [µm]
60
80
Abb. 2.3.bb: Beschränkung der Diffusionsintensität 2 Bei höheren Diffusionsungleichgewichten nimmt die Diffusionsintensität zu und das Konzentrationsfeld entfernt sich zunehmend vom ausgeglichenen Zustand (s. Abb. 2.3.bb, rechts). Im vorliegenden Fall tritt die Luft schneller aus dem Keim aus, als sie durch Diffusion in der Flüssigkeit transportiert werden kann. Entsprechend staut sie sich in der Umgebung des Keims, die Konzentrationen steigen und die Konzentrationsgradienten nehmen ab. Die resultierende zunehmende Verzögerung des Luftmassestroms an der Keimwand führt zum degressiven Verlauf der Keimmasse. Die Konzentrationsverläufe der Abbildung zeigen für beide Fälle Phasen gleicher Keimmasse (s. Abb. 2.3.aa, x). Somit stimmen Keimradius, Partialdruck und Sättigungskonzentration jeweils überein.
74
Speicherwirkung des Konzentrationsfeldes Bei sprunghaft einsetzendem Diffusionsungleichgewicht an der Keimwand tritt ein kurzfristig hoher Gradient der Keimmasse auf, der asymptotisch in einen kontinuierlichen Verlauf entsprechend Abb. 2.3.aa übergeht (s. Abb. 2.3.cc). 0
m [10-3pg]
-0.5 -1 -1.5 -2 -2.5 -3 0
2
4
6
8
10
t [ms]
Abb. 2.3.cc: Anfangsphase einer diffusiven Keimmassenänderung 1
c
130 ms 100 ms 70 ms 40 ms 10 ms 1 ms
s
0.25
c-c [mg/l]
0.2 0.15 0.1 0.05
c 0 0
R
20
40 r [µm]
60
80
Abb. 2.3.dd: Anfangsphase einer diffusiven Keimmassenänderung 2
75
Durch die plötzliche Verschiebung von cs entsteht an der Keimwand zunächst ein extremer Konzentrationsgradient mit entsprechend hohem Luftmassestrom aus dem Keim in die stark untersättigte Umgebung (s. Abb. 2.3.dd). Damit beginnt deren Konzentration zu steigen, die Gradienten gehen zurück und das Konzentrationsfeld nähert sich dem ausgeglichenen Zustand. Die nähere Umgebung des Keims hat somit eine gewisse Speicherwirkung, die einen kurzfristig intensiven Luftaustausch mit dem Keim zuläßt. Wenn dieser Puffer ausgeschöpft ist, muß die Luftmasse immer längere Strecken in der Flüssigkeit zurücklegen und die Geschwindigkeit der Diffusion bestimmt zunehmend die Höhe des Luftmassestroms an der Keimwand. Die Speicherwirkung des Konzentrationsfeldes kommt auch zum Tragen, wenn sich ein bestehendes Diffusionsungleichgewicht plötzlich ändert oder gänzlich verschwindet. Im Beispiel von Abb. 2.3.ee steigt der Flüssigkeitsdruck bei t=0 ausgehend vom Diffusionsgleichgewicht um 10mbar an. Das entstandene Ungleichgewicht bedingt ein sofort einsetzendes Schrumpfen des Keims (s. Abb. 2.3.ee). Nach 0,5 s kehrt der Flüssigkeitsdruck auf seinen Ausgangswert zurück, die Änderung der Keimmasse kehrt sich kurzzeitig um, beginnt jedoch bald wieder mit verminderter Steigung abzufallen. 0
m [10-3pg]
-10 -20 -30 -40 -50 c -60 0
0 1
2
3
4
5
t [s]
Abb. 2.3.ee: Verschwinden des Diffusionsungleichgewichts 1
Kurz vor dem Wiederanstieg des Druckes bei 0,5 s liegt ein deutliches Diffusionsungleichgewicht an der Keimwand vor während das Konzentrationsfeld weitgehend ausgeglichen ist (Abb. 2.3.ff). Mit dem Anstieg des Druckes auf Ausgangsniveau fällt der Sättigungsdruck an der Keimwand cs stark ab, erreicht jedoch aufgrund der zwischenzeitlich reduzierten Keimmasse nicht seinen anfänglichen Wert und es bleibt ein geringes Diffusionsungleichgewicht an der Keimwand bestehen. 76
In der Nähe des Keims befindet sich zunächst ein Luftüberschuß, der sowohl in Richtung des Keimes als auch der äußeren Umgebung abgebaut wird. Der hohe Gradient an der Keimwand bedingt den zunächst steilen Anstieg der Keimmasse, der mit dem Gradienten allmählich zurückgeht. Zum Zeitpunkt t=2s ist das Konzentrationsfeld wieder nahezu ausgeglichen. Aufgrund der zwischenzeitlichen Diffusion von Luft in die äußere Flüssigkeit ist die Gesamtluftmenge des geschlossenen Systems Keim+Konzentrationsfeld gesunken und die Keimmasse erreicht nicht mehr ihren Anfangswert. Es bleibt somit ein geringes Diffusionsungleichgewicht bestehen und die Keimschrumpfung setzt sich verlangsamt fort. Die endgültige Auflösung des Keims wird letztendlich nicht durch das Diffusionsungleichgewicht des vorübergehenden Druckanstiegs bewirkt sondern den damit verbundenen Verlust an Luftmasse an die äußere Umgebung. 0.499 ms 0.501 ms 2 ms
0.25
c-c [mg/l]
0.2 0.15 0.1 0.05 0 0
R
20
40
60
80
100
r [µm]
Abb. 2.3.ff: Verschwinden des Diffusionsungleichgewichts 2
Änderung der Flüssigkeitskonzentration Die bisherigen Fallbeispiele gehen von einem Diffusionsungleichgewicht aufgrund einer Verschiebung der Sättigungskonzentration cs an der Keimwand aus. Ändert sich dagegen die Luftkonzentration in der Flüssigkeit, reagiert die Keimmasse verzögert auf das gleiche Diffusionsungleichgewicht (s. Abb. 2.3.gg).
77
0
c = 1% s c = 1%
-0.1
m [pg]
-0.2 -0.3 -0.4 -0.5
0
1
2
3
4
5
t [s]
Abb. 2.3.gg: Änderung der Konzentration in der Flüssigkeit 1 Bei Verschiebung der Sättigungskonzentration cs entsteht an der Keimwand sofort ein Konzentrationsgefälle und der Luftmassestrom über die Keimwand setzt unmittelbar ein. Die Änderung der Luftkonzentration in der äußeren Umgebung wirkt sich dagegen erst auf den Keim aus, wenn der Luftüberschuß des Konzentrationsfelds abgebaut ist und der diffusive Luftmassestrom den keimnahen Bereich erfaßt. Nach einer Sekunde ist das Konzentrationsfeld in beiden Fällen weitgehend ausgeglichen und der homogene Luftmassestrom identisch. 0.3 t = 0,1 s t=1s
c - c [mg/l]
0.2 0.1 c 0
c
u
-0.1 -0.2
0
R
20
40
60 r [µm]
80
100
Abb. 2.3.hh: Änderung der Konzentration in der Flüssigkeit 2
78
Aufgrund der beschränkten Ausdehnung des Konzentrationsfeldes ist das Diffusionsmodell nur bedingt für die Simulation einer Änderung der Luftkonzentration in der Flüssigkeit geeignet. Die Diffusion von der freien Oberfläche der Flüssigkeit bis zum Rand des modellierten Konzentrationsfelds kann nicht modelliert werden und wird als unendlich schnell angenommen. Entsprechend wird der äußersten Schale des Modells unmittelbar die an der freien Oberfläche durch den dortigen Partialdruck gegebene Sättigungskonzentration aufgeprägt.
Oszillierendes Konzentrationsfeld Die durch Keimoszillation ausgelöste gerichtete Diffusion wirkt sich in gleicher Weise aus, wie ein statisches Diffusionsungleichgewicht. Im Beispiel aus Abb. 2.3.ii erfolgt die Anfachung des Keimwachstums einmal durch Oszillation des Flüssigkeitsdruckes mit 10kHz und 0,1bar Amplitude; zum anderen durch einen anfänglichen Abfall des Flüssigkeitsdrucks um 6,2mbar.
2
10 kHz - 6.2 mbar
m [10-3pg]
1.5 1 0.5 0 -0.5 0
0.002
0.004
0.006
0.008
0.01
t [s]
Abb. 2.3.ii: Oszillation als Diffusionsungleichgewicht 1 Der Vergleich der Konzentrationsfelder zu verschiedenen Zeitpunkten in Abb. 2.3.jj zeigt, daß die Konzentrationsverläufe abgesehen von einem schmalen Bereich unmittelbar an der Keimwand deckungsgleich sind. Der im Fall des oszillierenden Druckes mitschwingende wandnahe Konzentrationsverlauf ist hier durch die von ihm bestrichene Fläche wiedergegeben. Da die langfristige Entwicklung der Keimmasse vom Luftaustausch zwischen Konzentrationsfeld und äußerer Flüssigkeit abhängt, hat die Dynamik der keimnahen Konzentrationen keinen Effekt auf die Keimmasse.
79
10 kHz - 6.2 mbar
2
0
-0.05 c-c [mg/l]
c-c [mg/l]
1 0 t = 10ms
-1
t = 1ms t = 5ms
-0.1
t = 10ms
-0.15 -2 10
15
20 r [µm]
25
30
-0.2
10
12
14 16 r [µm]
18
20
Abb. 2.3.jj: Oszillation als Diffusionsungleichgewicht 1 Somit gelten die bisherigen Beobachtungen zum Zeitverhalten des Konzentrationsfeldes in gleicher Weise für die gerichtete Diffusion. Die spontane Umkehr der Keimmassenänderung bei abklingender Oszillation, die einem Verschwinden des Diffusionsungleichgewichts entspricht, ist beispielsweise gut in Abb. 2.3.q zu sehen.
2.3.7 Keimdynamik bei adiabater Zustandsänderung Mit einer Änderung des äußeren Flüssigkeitsdruckes entsteht ein Kräfteungleichgewicht an der Keimwand (s. Abb. 2.1.a) und der Keimradius bewegt sich in die Richtung, die nach Gleichung 2.1.b eine entsprechende Änderung des inneren Partialdruckes bewirkt und das Kräftegleichgewicht wieder herstellt. Mit dem Keimradius verschiebt sich allerdings auch die Wirkung der Oberflächenspannung, wobei die Änderung der beiden äußeren Drücke stets gleichsinnig ist. Mit dem neuen Kräftegleichgewicht ergibt sich somit eine Partialdruckänderung, die größer ist als die auslösende Änderung des Flüssigkeitsdruckes. Bei einer Berechnung des Keiminnendrucks gemäß adiabater Zustandsänderung eines idealen Gases ergibt sich bei Kompression oder Expansion des Keims eine Temperaturänderung, die nach Gleichung 2.1.b die Verschiebung des Partialdruckes beschleunigt. Das Kräftegleichgewicht wird dadurch früher erreicht und die Änderung des Keimradius fällt geringer aus. Damit reduziert sich auch die Verschiebung der Oberflächenspannung und die resultierende Überhöhung der Partialdruckänderung. Mit der geringeren Änderung des Partialdruckes ist das entstehende Diffusionsungleichgewicht im adiabaten Fall stets niedriger als im isothermen Fall. Neben dem Diffusionsungleichgewicht an der Keimwand bestimmen die Diffusionsflächen in der umgebenden Flüssigkeit die Intensität des Luftmassestroms. Während im Fall der adiabaten Expansion der reduzierte Anstieg des Keimradius und damit der Diffusionsflächen die Diffusion in
80
gleicher Weise hemmt wie das verringerte Diffusionsungleichgewicht, ist die geminderte Verkleinerung der Flächen bei adiabater Kompression der Diffusion förderlich. Da die Temperatur- und Konzentrationsabhängigkeit der verschiedenen relevanten Stoffwerte hier nicht berücksichtigt wird, beeinflußt die adiabate Keimtemperatur den Diffusionsprozeß allein über die aus der Keimdynamik resultierenden Abhängigkeiten von Diffusionsungleichgewicht und -flächen. Abb. 2.3.kk zeigt die Keimmassenänderungen eines 10µm Keims nach 0,5s bei Flüssigkeitsdrücken, die jeweils konstant vom Sättigungsdruck 1bar abweichen. Der Vergleich von isothermer und adiabater Berechnung zeigt, daß der Einfluß der Diffusionsflächen überwiegt. Durch geförderte Diffusion bei Kompression und gehemmte Diffusion bei Expansion ist die resultierende Keimmasse im Fall adiabater Keimtemperatur grundsätzlich niedriger. 3
madi - miso [10-3pg]
2
0
isotherm adiabat
m [pg]
1 0 -1
-50
-100
-150
-2 Expansion Kompression -3 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 pf [bar]
0.6
0.8
-200 -0.4
-0.2
0
0.2 0.4 pf [bar]
0.6
0.8
Abb. 2.3.kk: Vergleich der Diffusion bei isothermer/adiabater Keimdynamik Nur in einem kleinen Bereich schwacher Kompression überwiegt der Einfluß des Partialdruckes. Das im adiabaten Fall verminderte Diffusionsungleichgewicht hemmt die Schrumpfung und die Keimmasse bleibt geringfügig höher als im isothermen Fall. Da sich die Diffusionsflächen quadratisch mit dem Radius ändern, wird der Einfluß des Partialdruckes bei stärkerer Kompression schnell überlagert. Mit der Rückwirkung der adiabaten Keimtemperatur auf die Keimdynamik ändert sich auch die Eigenfrequenz des Keims. Die Unterdrückung der Keimradiusänderungen durch den Partialdruck wirkt wie eine Versteifung und erhöht die Eigenfrequenz nach Gleichung 2.3.a um 20-30% (s. auch Abb. 2.3.mm). Diffusive Verschiebungen der Keimmasse sind mit Änderungen des Keimradius verbunden. Aufgrund der radiusabhängigen Wirkung der Oberflächenspannung ändert sich damit auch der Keiminnendruck. Im adiabaten Fall wirkt sich die Diffusion somit ebenfalls auf die Keimtemperatur
81
aus. Keimwachstum führt beispielsweise trotz gleichbleibenden Flüssigkeitsdrucks zu leichter Abkühlung.
2.3.8 Thermodynamische Effekte Die isotherme und adiabate Bestimmung der Keiminnentemperatur stellen entsprechend 2.1.1 die Grenzfälle dar, innerhalb deren Grenzen sich die reale Temperatur bewegt. Im Fall der veränderlichen Keimtemperatur muß in Ermangelung eines Modells für den Wärmetransport in der Flüssigkeit auch die Flüssigkeitstemperatur durch Extremfälle abgegrenzt werden. Neben einer isothermen Flüssigkeit ist dies eine der Keimtemperatur folgende Temperatur der Flüssigkeit entsprechend einer Wärmekapazität von Null. Mit Änderungen der Temperatur ergeben sich Verschiebungen der physikalischen Stoffdaten von Luft und Wasser, die sich unter dem Begriff „thermodynamische Effekte“ zum Teil erheblich auf die Entwicklung des Keims auswirken. Tab. 2.b gibt die für die Keimmodellierung relevanten Stoffdaten und ihre Abhängigkeiten von den verschiedenen Drücken und Temperaturen wieder. Darin steht Tk für die Keimtemperatur und Tf für diejenige der Flüssigkeit. Da die Luft innerhalb des Keims als ideales Gas betrachtet wird, handelt es sich ausschließlich um Stoffdaten von Wasser oder der Stoffpaarung Wasser-Luft. Die Häkchen markieren die Abhängigkeiten, die im vorliegenden Keimmodell berücksichtigt wurden. Für die Diffusionskonstante liegt lediglich der Wert für 20°C und 1bar vor. Physikalische Größe
Druckabhängigkeit
Temperaturabhängigkeit
Quellen
Dichte
pf
Tf
[34,35]
Schallgeschwindigkeit a
pf
Tf
a = (d /dp) -1/2
Dynamische Viskosität
pf
Tf
[36,37,38]
Diffusionskonstante D
pf
Tf
[35]
Lösungsvermögen H
pg
Tk
[1,35]
Oberflächenspannung
-
Tk
[34,35]
Dampfdruck pv
-
Tk
[39,40]
Tab. 2.b: Relevante physikalische Stoffdaten Mit der mit Kavitationskeimen verbundenen Zugspannung ergeben sich Flüssigkeitsdrücke unterhalb des Dampfdruckes bis hin zu negativen Absolutdrücken. Flüssigkeitseigenschaften, die an der freien Oberfläche der Keimwand wirken, sind zudem entsprechend Tab. 2.b abhängig von der Keiminnentemperatur, die bei hohen Gradienten des Keimradius sowohl Dampf- als auch Schmelzdruckkurve der Flüssigkeit bei weitem überschreiten kann. Für den theoretischen Extremfall einer Wärmekapazität der Flüssigkeit
82
von Null werden auch die in der umgebenden Flüssigkeit relevanten Stoffdaten nach der Keiminnentemperatur berechnet. Da die Lösungsalgorithmen des Keimmodells iterativ arbeiten, streuen die Modellparameter innerhalb der Zeitschritte um ihre konvergente Lösung und vergrößern den abzudeckenden Druck- und Temperaturbereich zusätzlich. Unstetigkeiten oder Lücken der Stoffdaten würden hier zu numerischer Instabilität führen. Entsprechend müssen die Stoffdaten weit über die Dampfoder Schmelzdruckkurve hinweg extrapoliert und geglättet werden. Graphische Darstellungen der entsprechend modifizierten Stoffdaten finden sich bei Brunn [41]. Bedeutung der Keimtemperatur für die Keimdynamik Die Temperaturabhängigkeit des Dampfdruckes pv wirkt sich über das Kräftegleichgewicht an der Keimwand erheblich auf die Keimdynamik aus. Temperaturänderungen durch Kompression oder Expansion bedeuten einen Anstieg bzw. Abfall des Dampfdruckes, der die Wiederherstellung des Kräftegleichgewichts beschleunigt und die Radiusänderungen mindert. Darin entsprechen sich die Auswirkungen des adiabaten Dampfdruckes pv(T) und des in Kapitel 2.3.7 beschriebenen adiabaten Partialdruckes pg(T) auf die Keimdynamik (s. Abb. 2.3.ll). 16 Expansion
Kompression
15 isotherm p adiabat g p und p adiabat g v p , p und adiabat
14
R [µm]
13 12
g
v
11 10 9 8 0
0.5
1 p [bar]
1.5
2
f
Abb. 2.3.ll: Dampfdruck und Oberflächenspannung adiabat Im Gegensatz zum Dampfdruck fällt die Oberflächenspannung mit der Temperatur ab. Da sie als äußere Kraft aber auch gegensinnig auf das Kräftegleichgewicht einwirkt, haben die Temperaturabhängigkeiten vom pv und den gleichen Effekt auf die Keimdynamik. Beide erhöhen die Hemmung der Keimradiusänderungen durch pg(T), womit die Steifigkeit des Keims und die beschriebenen Auswirkungen auf die Diffusion (s. Abb. 2.3.kk) zunehmen. 83
16
isotherm p adiabat g p ,T adiabat g k p ,T ,T adiabat
Amplitude R [µm]
14 12
g
k
f
10 8 6 4 2 0
50
100 150 Frequenz p [kHz]
200
250
f
Abb. 2.3.mm: Eigenfrequenz bei adiabater Keimtemperatur Abb. 2.3.mm zeigt die Auswirkungen der erhöhten Steifigkeit auf das Resonanzverhalten des 20µm Keims aus Kapitel 2.3.2 für die Fälle isotherm, adiabate Keimdynamik ohne thermodynamische Effekte und bei zusätzlicher Berücksichtigung der Auswirkungen der Keimtemperatur auf pv und (Tk adiabat). Bedeutung der Flüssigkeitstemperatur für die Keimdynamik Dichte , Schallgeschwindigkeit a und Viskosität der Flüssigkeit wirken nicht unmittelbar an der Keimwand und sind nur für den Fall verschwindender Wärmekapazität von der adiabaten Temperaturänderung des Keims betroffen. Im Gegensatz zu den bisher diskutierten Stoffdaten haben sie keine Bedeutung für die Gleichgewichtsradien des Keims, wirken sich jedoch zum Teil erheblich auf seine Dynamik aus. Abb. 2.3.mm zeigt bei veränderlicher Flüssigkeitstemperatur (Tf adiabat) einen geringfügigen Anstieg der Resonanzfrequenz bei deutlichem Rückgang der Radiusamplituden. Für die differenzierte Betrachtung der Effekte wurde ein Keim von 10µm einem Sprung des Flüssigkeitsdruckes von -0,5 bzw. +2bar ausgesetzt, um seine Eigenschwingung sowohl im komprimiert-erhitzten als auch expandiertabgekühlten Zustand aufzuzeigen (s. Abb. 2.3.nn). Ausgehend von 20°C liegen die erreichten mittleren Temperaturen bei 91,5 und -23,8°C. Die Kompression ergibt eine Versteifung des Keims mit erhöhter Eigenfrequenz, reduzierten Amplituden und beschleunigtem Abklingen der freien Schwingung. Für den Vergleich wurden die Amplituden durch den gegenüber der Expansion vierfach höheren Drucksprung angeglichen.
84
13
12.13 12.10
12
12.07
R [µm]
11 ,a,
10
,a ,a,
9
isotherm adiabat adiabat adiabat
8 7 0
0.01
0.02
0.03
0.04
0.05
t [ms]
Abb. 2.3.nn: Komprimierte und expandierte Eigenschwingung
[kg/m³]
1000 975 950 925
a [m/s]
Die adiabate Dichte fällt mit der erhöhten Keimtemperatur deutlich ab (s. Abb. 2.3.oo) und erhöht die Eigenfrequenz des Keims entsprechend der reduzierten Massenträgheit. Bei einer mittleren Temperatur von 91,5°C schwingt die adiabate Schallgeschwindigkeit a um einen Mittelwert, der dem isothermen Fall entspricht und wirkt sich nicht nennenswert aus. Der geringe Rückgang der adiabaten Viskosität bedeutet eine Abnahme der Flüssigkeitsreibung und das Abklingen der Amplituden verlangsamt sich.
1500 1400
[mPa s]
1300 15 10 5 0
-50
0
50 T [°C]
100
150
f
Abb. 2.3.oo: Temperaturabhängigkeiten bei 1bar
85
Die Abkühlung der Keimtemperatur bei Expansion führt zu keinen wesentlichen Änderungen der adiabaten Dichte und das Schwingverhalten des Keims bleibt unverändert. Der Abfall der Schallgeschwindigkeit a bedeutet erhöhte Elastizität und Schalldissipation der Flüssigkeit und führt zu unwesentlich schneller abklingenden Radiusamplituden. Die Auswirkungen der temperaturabhängigen Schallgeschwindigkeit auf die Keimdynamik erscheinen insgesamt eher vernachlässigbar. Die adiabate Viskosität steigt deutlich an und führt mit Zunahme der Reibung zu erheblich beschleunigtem Abklingen der Keimschwingung. Bedeutung der Keimtemperatur für die Diffusion Direkten Einfluß auf die Diffusion besitzt der Henry-Koeffizient H, der nach Gleichung 2.2.a den Zusammenhang zwischen dem Partialdruck pg und der Sättigungskonzentration cs an der Keimwand bestimmt. Über die in den Quellen als vernachlässigbar eingeschätzte Abhängigkeit des Koeffizienten vom Partialdruck liegen keine Daten vor, so daß sich die Betrachtung auf den unmittelbare Temperatureinfluß beschränkt. Oberhalb von 50°C ist die Temperaturabhängigkeit von H gering u nd die Verläufe von pg und cs sind gleich dem isothermen Fall nahezu parallel (s. Abb. 2.3.pp). Unterhalb 50°C fällt jedoch H zunehmend ab und kehrt den Verlauf von cs, in den es nach Gleichung 2.2.a reziprok eingeht, um. Das hat zur Folge, daß Änderungen des Flüssigkeitsdruckes bei adiabaten Keimtemperaturen unterhalb des Wendepunkts von cs widersprüchliche Entwicklungen der Keimmasse hervorrufen. Beispielsweise beginnt ein Keim ausgehend von Diffusionsgleichgewicht bei 20°C bei Expansion dur ch Druckabfall zu schrumpfen. 6 cs [vol%] pg [bar]
5 s. Legende
H [bar/vol%] 4 3 2 1 0 -50
pg(20°C) = 0.8 bar 0
50 T [°C]
100
150
pg(20°C) = 1.4 bar -50
0
50 T [°C]
100
Abb. 2.3.pp: Anomalie der adiabaten Sättigungskonzentration
86
150
Der Partialdruck pg innerhalb des Keims ergibt sich bei adiabater Zustandsänderung von Luft unabhängig vom Keimradius aus dem Ausgangszustand (T0, pg,0) nach: pg
T T0
p g,0
3,5
Gl. 2.3.b
Die Temperaturverläufe des Partialdrucks pg für unterschiedliche Ausgangszustände sind demnach zueinander proportional (s. Abb. 2.3.pp). Dies gilt auch für die Sättigungskonzentration cs, die nach Gleichung 2.2.a linear von pg abhängt. Somit liegt das Minimum von cs(T) stets bei gleichbleibenden 38,0°C. Bei langsamer adiabater Kompression durch einen Druckanstieg von 1bar auf 3bar innerhalb 1s steigt die Keimtemperatur eines 20µm Keims ausgehend von 20°C auf 95,4°C (s. Abb. 2.3.qq). Unterhalb von 38,0° führt die Temperaturabhängigkeit des Henry-Koeffizienten zu Keimwachstum. Bei Überschreiten von 38,0°C endet der Abfall der Sättigungskonzentr ation cs und sie beginnt wieder zu steigen. Aufgrund der erfolgten Massenzunahme des Keims geht das Keimwachstum in nachhaltiges Schrumpfen über, noch bevor die Sättigungskonzentration ihren Ausgangswert erreicht (cs = cs,0).
80
20
60
19
40
18
20
17
R [µm]
T [°C]
T = 38°C
m [pg]
42 41.8 41.6 c =c s
s,0
41.4 0
0.1
0.2
0.3 t [s]
0.4
0.5
0.6
Abb. 2.3.qq: Anomalie der adiabaten Sättigungskonzentration Da adiabate Keimtemperatur nur bei dynamischen Änderungen des Keimradius plausibel ist, sind die beschriebenen thermodynamischen Effekte der Diffusion eher theoretische Betrachtungen. Die Keimdynamik und daraus
87
indirekt hervorgehende Auswirkungen auf die Diffusion können dagegen dem adiabaten Fall sehr nahe kommen. Die Bedeutung der Flüssigkeitstemperatur für die Diffusion kann aufgrund der fehlenden Stoffdaten für die Diffusionskonstante von Luft in Wasser nicht untersucht werden.
2.3.9 Geschlossenes System In geschlossenen Anlagen wird der Flüssigkeitsdruck durch freie Gase bestimmt, die in Form von Keimspektren und als gewünschte oder ungewünschte Gaspolster an freien Oberflächen vorhanden sind. Im Wasser physikalisch gelöste Luftmoleküle nehmen kein Volumen ein, da sie Zwischenräume in der Gitterstruktur des Wassers besetzen, ohne dieses aufzuweiten. Übergänge zwischen gelösten und ungelösten freien Gasen sind daher mit Änderungen des Gesamtvolumens verbunden, die aufgrund des unveränderlichen Systemvolumens den Partialdruck der freien Gase und damit den Flüssigkeitsdruck beeinflussen. Die Annahme, Flüssigkeitsdruck und Gaskonzentration der Flüssigkeit entsprechen unverändert den äußeren Vorgaben ohne Rückwirkung durch das Keimverhalten, ist daher nur bedingt zulässig. Wird beispielsweise der Flüssigkeitsdruck durch einen äußeren Eingriff erhöht, wirken Keimspektrum und weitere freie Gase durch Volumenabnahme der Änderung zeitgleich entgegen. Zudem beginnt eine diffusive Auflösung von freien Gasen, die der Druckänderung mit Verzögerung entgegenwirkt und sie zunehmend kompensiert. Umgekehrt rufen Wachstum und Schrumpfung des Keimspektrums Verschiebungen von Flüssigkeitsdruck und Gaskonzentration hervor, die der Entwicklung der Keime entgegenwirken. Abb. 2.3.rr zeigt ein abstraktes geschlossenes System mit einem einzelnen Blasenkeim und einem Luftpolster an der freien Oberfläche entsprechend einem typischer Weise zur Druckregelung und Luftabscheidung verwendeten Windkessel. In Übereinstimmung mit den konstruktiven Maßnahmen zur Minimierung des ungewünschten Luftaustausches zwischen Windkessel und Anlage (s. Kapitel 3.1.3) wird an der freien Oberfläche keine Diffusion simuliert und das Luftpolster wirkt ausschließlich als Gasfeder mit konstanter Masse. Die Volumina von Wasser und Luftpolster entsprechen den Anteilen an Anlagenwasser und Windkessel, die einem einzelnen Keim aus dem Keimspektrum der Anlage zukommen.
88
Abb. 2.3.rr: Geschlossenes System Das Modell des geschlossenen Systems besitzt folgende Parameter: Vk, mk Vp, mp Vf, mf Vg mg
= = = = =
Volumen und Luftmasse des Keims Volumen und Luftmasse (const) des Luftpolsters Volumen (const) und gelöste Luftmasse des Wassers Vk + Vp = Volumen freien Gases (const) mk + mf = Diffusive Luftmasse (const)
Der Flüssigkeitsdruck pf entspricht dem Druck des Luftpolsters pp, das sich aus dem Partialdruck der Luft und dem Dampfdruck pv zusammensetzt. Der innere Druck des Keims pi liegt um das aus der Oberflächenspannung resultierende Druckäquivalent ps höher. Für die Simulation sind folgende konstante Parameter festzulegen: a) für das Kräftegleichgewicht (pi = pa) Masse des Luftpolsters mp und Volumen der freien Gase Vg Vg repräsentiert die Größe des Luftpolsters durch den Maximalwert bei vollständig aufgelöstem Keim. Das Verhältnis mp/Vg ergibt den zugehörigen Partialdruck des Luftpolsters und steht somit für dessen Vorspannung. b) für das Diffusionsgleichgewicht (cs=c8 , c(r)=const) Diffusive Luftmasse mg und Wasservolumen Vf Das Verhältnis mg/Vf gibt den Maximalwert der Luftkonzentration cs des Wassers für einen vollständig aufgelösten Keim an. Die Summe aus Vg und Vf ergibt das konstante Gesamtvolumen des Systems.
89
Das Luftpolster führt zu einem Flüssigkeitsdruck, der Änderungen des Keimradius entgegenwirkt. Für die Keimdynamik bedeutet dies erhöhte Steifigkeit und Stabilität, wodurch auch Änderungen des Partialdruckes im Keiminneren und damit die Diffusion gehemmt werden. Diffusive Änderungen der Keimmasse bedeuten eine entsprechende Ausschöpfung der Luftkonzentration im Wasser, die das Wachsen oder Schrumpfen des Keims begrenzt. Daraus ergibt sich für den Keim ein stabiles Diffusionsgleichgewicht. Die Verläufe des sich ergebenden totalen Gleichgewichts, das Kräfteund Diffusionsgleichgewichts mit einschließt, ähneln den Keimradien für Kräftegleichgewicht im offenen System (s. Abb. 2.1.c). Das labile Gleichgewicht und der Punkt an dem es mit dem stabilen Gleichgewicht zusammenfällt, markieren die Existenzgrenzen des Keims (s. Abb. 2.3.ss). Die Pfeile geben in diesem Fall die Wirkrichtung der Diffusion an. 500
R [µm]
300 200 100
400
R [µm]
0.40 0.20 0.10 0.05 labil
400
0 0
500
V g [mm³]
300
Vf [mm³] 40 12 4 1.2 labil
200 100
0.25
0.5 0.75 mp/ Vg [kg/m³]
1
0 0
1.25
20
40 60 mg/ Vf [mg/l]
80
100
Abb. 2.3.ss: Totales Gleichgewicht im geschlossenen System Die linke Graphik zeigt den Einfluß der Luftpolstervorspannung. Ein Verhältnis von mp/Vg = 1 kg/m³ entspricht bei 20°C einem Partialdruck von 0.84 bar. Das anteilige Wasservolumen des Einzelkeims beträgt 100 mm³, die Gesamtluftmenge 2,3µg entsprechend einer maximalen Luftkonzentration des Wassers von c8 = 23mg/l (Sättigungsdruck 1bar). Je größer das Volumen des Luftpolsters Vp, desto mehr Expansion des Keims ist möglich. Höhere Vorspannungen des Luftpolsters dagegen reduzieren den Keimradius. Bei einer Vorspannung größer 1bar (mp/Vg > 1,2 kg/m³) ist das Wasser selbst bei vollständig aufgelöstem Keim untersättigt und der Keim kann nicht existieren. Unterhalb des labilen Gleichgewichts überschreitet der Partialdruck den Sättigungsdruck von 1bar und der Keim löst sich auf. Da der Partialdruck die Summe aus Luftpolsterdruck und Oberflächenspannung (abzgl. Dampfdruck) ist, ist das labile Gleichgewicht eine Funktion von Luftpolstervorspannung und Keimradius. Der Einfluß des Luftpolstervolumens geht dagegen im Bereich kleiner Keimradien zurück. Je kleiner der Keim, desto geringer die Auswirkungen seiner Volumenänderungen auf das Luftpolster und dessen Rückwirkung.
90
Auf der rechten Seite der Abbildung ist das totale Gleichgewicht in Abhängigkeit von der maximalen Luftkonzentration des Wassers mg/Vf für unterschiedliche Wasservolumina Vf zu sehen. Ohne Keim beträgt die Vorspannung des 0,5mm³ Luftpolsters 1bar. Je größer das Wasservolumen und dessen Luftkonzentration, desto mehr Luftmenge steht im System für das Keimwachstum zur Verfügung. Bei einem Luftpolsterdruck von mindestens 1bar ist das Wasser unterhalb einer Luftkonzentration von maximal 23mg/l in jedem Fall untersättigt und löst den Keim vollständig auf. Die Diffusionsrichtung resultiert aus dem Partialdruck des Keims und der Luftkonzentration des Wassers, so daß das labile Gleichgewicht von beiden abhängt. Mit abnehmendem Keimradius ist die Rückwirkung auf die Luftkonzentration des Wassers wiederum verschwindend und im Bereich des labilen Gleichgewichts somit kein Einfluß des Wasservolumens erkennbar. Das stabile totale Gleichgewicht des geschlossenen Systems ergibt sich in dieser Form nur, wenn sich alle Keime des Keimspektrums in exakt gleicher Weise entwickeln. Tatsächlich schrumpfen jedoch Teile des Keimspektrums, während andere wachsen, so daß sich die Rückwirkungen auf Druck und Luftkonzentration des Wassers zum Teil kompensieren. Einerseits bleibt das Diffusionsungleichgewicht der Keime damit labil und ihre Lebensdauer in ruhenden Flüssigkeiten begrenzt. Auf der anderen Seite kann das im einzelnen statistische Verhalten der Keime in der Summe klare Tendenzen aufweisen und ein Keimspektrum insgesamt schrumpfen oder wachsen und damit in der beschriebenen Weise auf Änderungen des Flüssigkeitsdruckes oder der Luftkonzentration rückwirkend reagieren. Die dynamischen Bewegungen einzelner Keimradien wie im Fall von Eigenschwingungen führen zu örtlichen, sich überlagernden Druckwellen in der Flüssigkeit, die jedoch global nicht in Erscheinung treten und nicht mit Druck oder Luftkonzentration der Flüssigkeit korrelieren. Im örtlichen Schallübertragungsverhalten der Flüssigkeit kann das individuelle Resonanzverhalten einzelner Keime identifiziert werden (s. Kapitel 2.3.2 und 3.2.2).
91
3 Experimentelle Untersuchungen 3.1 Prüfstand 3.1.1 Anforderungen Für die Validierung der theoretischen und numerischen Modelle muß insbesondere das schwer abzubildende Verhalten von Keimspektren in einer Anlage untersucht werden. Entsprechend den bisherigen Betrachtungen wird das Keimspektrum neben dem gut zu regulierenden Niveau des Wasserdrucks wesentlich durch die Luftkonzentration des Wassers bestimmt. Während Ausgasungen bei übersättigtem Wasser unvermeidbar sind, kann die Luftkonzentration untersättigten Wassers konstant gehalten werden, wenn dieses in keinem Kontakt zu Luft steht. Bei der Konstruktion der Anlage ist entsprechend darauf zu achten, daß sich frei gewordene Luft nicht an hoch liegenden Stellen ansammeln kann und vollständig über den Windkessel abgeschieden wird (s. Kapitel 3.1.3). Die aus der Kavitationsforschung bekannte hohe Veränderlichkeit der Zugfestigkeit belegt neben den numerischen Untersuchungen in Kapitel 2.3, daß Keimspektren empfindlich auf Druckänderungen und örtliche Druckfelder in der Strömung reagieren. Um die Auswirkungen gezielter örtliche Eingriffe auf das Keimspektrum isolieren und quantifizieren zu können, muß eine Strömungsführung gewährleistet sein, die einen unbeeinträchtigten Umlauf des Keimspektrums frei von unsicheren Störeinflüssen sicherstellt.
3.1.2 Ausführung Der Prüfstand ist ein geschlossener Kreislauf mit Nennweite 100mm und einer Länge von 4,24 m (s. Abb. 3.1.a und Abb. 3.1.b). Die Rohrleitungen, die zur Vermeidung von Luftansammlungen und geodätischer Druckunterschiede horizontal verlaufen, bestehen aus U-PVC und sind für einen Nenndruck von 16bar ausgelegt. Rohre und Formteile wurden sowohl durch Klebemuffen als auch Schraubverbindungen verbunden, wodurch der Prüfstand sehr flexibel an beliebige Anforderungen angepaßt werden kann. Kleine Querschnittsübergänge an den Rohrverbindungen wurden mit Fasen von 15° versehen, um scharfe Kanten und damit verbundene Strömungsablösungen und Turbulenzen zu vermeiden. Der transparente Windkessel und die Sichtstrecken sind in Plexiglas ausgeführt und für Drücke bis mindestens 5 bar geeignet. Die Strömungsrichtung ist entgegen dem Uhrzeigersinn. Das Umwälzen des Wassers erfolgt durch eine mittels Frequenzumrichtung drehzahlgeregelte Doppelradialpumpe, die für große Förderhöhen bei niedrigen Volumenströmen ausgelegt ist. Da der Anlagenwiderstand bewußt gering gehalten wurde, um Störungen der umlaufenden Strömung mit den resultierenden Auswirkungen auf das Keimspektrum zu vermeiden, arbeitet die Pumpe meist in starker Überlast. In den nachfolgenden Untersuchungen zum Verhalten des Keimspektrums ist stets zu
92
berücksichtigen, daß auch im kavitationsfreien Betrieb die starken Umlenkungen der Strömung in der Radialpumpe mit hohen Druckgradienten und Turbulenz verbunden sind, die das Keimspektrum zusätzlich anfachen.
Pumpe
Windkessel Beruhigungsbehälter
MID
Meßstrecke
Abb. 3.1.a: CAD-Modell des Prüfstands
Abb. 3.1.b: Photographie des Prüfstands Durch Korrosion an Gehäuse und Laufrad der Pumpe hat sich auf den Innenseiten der Rohrleitungen nach kurzer Zeit ein für Wasseranlagen typischer Rostbelag gebildet (s. Abb. 3.1.c). Bezüglich der strömungsrelevanten Beschaffenheit der benetzten Oberflächen ist das Rohrmaterial damit unbedeutend und die PVC-Rohre unterscheiden sich in diesem Punkt nicht von ebenso gebräuchlichen verzinkten Stahlrohren.
93
gereinigt
Abb. 3.1.c: Rostbelag der Rohrleitungen
3.1.3 Luftabscheidung Im Anlagenwasser ausgasende Luft muß für die Beherrschung der verbleibenden gelösten Luftkonzentration nach Kapitel 3.1.1 abgeschieden werden. Hierzu wird sie dem Luftpolster an der Wasseroberfläche zugeführt, das der Stabilisierung und Steuerung des Systemdruckes dient. Da das Wasser hier unvermeidbar in Kontakt mit freier Luft steht, ergeben sich unerwünschte diffusive Veränderungen der örtlichen Luftkonzentration. Um zu vermeiden, daß sich diese im Anlagenwasser fortsetzen, sind Luftpolster und Wasseroberfläche im sogenannten Windkessel separiert und vom Anlagenwasser durch einen Kegel räumlich getrennt (s. Abb. 3.1.d). Eine kleine zentrische Bohrung im Kegel ermöglicht die Steuerung des Systemdrucks und ein ungehindertes, durch die Form des Kegels begünstigtes Aufsteigen der freien Luft. Eine zweite Bohrung in der Kegelfläche sorgt für Druckausgleich und verhindert eine Aufstauung der freien Luft. Die Luftdiffusion von Luft zwischen Windkessel und Anlage wird jedoch durch die minimale Diffusionsfläche in Gestalt der Bohrungen nahezu vollständig unterbunden. Im Windkessel abgeschiedene freie Luft kann somit weitestgehend nicht in gelöster Form in die Anlage zurückkehren und die Luftkonzentration der Anlage bleibt auch über mehrere Tage hin trotz Untersättigung konstant. Druckänderungen innerhalb der vorgegebenen Grenzen führen in Verbindung mit der Elastizität der Rohrleitungen zu Schwankungen des Füllstands. Das Volumen des Windkessels und der Ausgangsfüllstand sind so bemessen, daß die freie Wasseroberfläche den Windkessel nicht verläßt und das Luftpolster nicht so klein wird, daß sich die exakte Steuerung des Systemdruckes durch Zu- oder Abführen von Druckluft erschwert. Der Windkessel ist transparent gestaltet und die Intensität stattfindender Ausgasungen kann anhand der Menge aufsteigender abgeschiedener Luft bewertet werden. Dies ermöglicht ein Einstellen des Luftgehaltes über den Sättigungsdruck gemäß Kapitel 2.2.1. Dichtungslecks der Anlage bei Unterdruck können zudem durch anhaltend im Windkessel aufsteigende Luft aufgedeckt werden.
94
Druckluftanschluß
Windkessel Wasseroberfläche
Kegel
Beruhigungsbehälter
Freie Gase Rohrleitung
Wasseranschluß
Abb. 3.1.d: Beruhigungsbehälter und Windkessel
Der Beruhigungsbehälter beinhaltet mit seiner Querschnitterweiterung sowohl den höchsten als auch den niedrigsten Punkt der Anlage. Damit sammeln sich in ihm einerseits ausgegaste freie Luft und andererseits das Restwasser im Fall einer Entleerung. Entsprechend sind hier der Windkessel zur Luftabscheidung und der Wasserablauf positioniert. Die Querschnittserweiterung bewirkt zudem eine Verlangsamung der Strömung, die der in den Rohrleitungen mitgerissenen freien Luft das Aufsteigen bis zum Übergang in den Windkessel erleichtert. Im Hinblick auf ein möglichst ungestörtes homogenes Druck- und Geschwindigkeitsfeld wirkt sich der Beruhigungsbehälter nachteilig aus. Die Querschnittserweiterung beschränkt sich bei zugleich weichen Übergängen auf das notwenige Minimum, um Sekundärströmungen und Totwassergebiete zu vermeiden. Der Behälter ist unmittelbar vor der Saugseite der Pumpe angeordnet, da der dort herrschende Minimaldruck der Anlage das Ausgasen fördert und die freie Luft unter Erhöhung ihres Auftriebs expandiert.
95
3.1.4 Klappen als Kavitatoren Für die Beobachtung des Langzeitverhaltens und der Auswirkungen unterschiedlicher Keimspektren auf die Kavitation muß eine Variation von Keimspektren unter Aufrechterhaltung von Druck und Luftkonzentration des Wassers ermöglicht werden. Zu diesem Zweck dient eine als Kavitator bezeichnete Vorrichtung, die ohne Eingriff in den Betriebspunkt der Anlage gezielt in Kavitation versetzt werden kann und damit eine Anfachung des Keimspektrums bei unveränderten äußeren Bedingungen ermöglicht. Ein Kavitator kann auch als Versuchsobjekt für Kavitationsuntersuchungen zur Ermittlung der aus dem Keimspektrum resultierenden Kavitationsneigung des Wassers dienen.
Abb. 3.1.e: Klappe in geschlossener Position Da die mittels Radialpumpe erreichbaren Strömungsgeschwindigkeiten nicht ausreichen, um Strömungsprofile mit variablen Anstellwinkeln in Kavitation zu fahren, werden als Kavitatoren Klappen verwendet, deren hohe Querschnittsverengung eine ausreichende Geschwindigkeitsüberhöhung für intensive Kavitation ermöglichen (s Abb. 3.1.e). Da die Klappen als Kavitatoren und nicht als Absperrarmaturen dienen, sind sie oval geformt und verschließen den Querschnitt auch in der geschlossenen Position nicht vollständig. Durch die engeren Spalte im Bereich der Achse treten hier die geringsten Strömungsgeschwindigkeiten auf, wodurch Kavitation an der Achse vermieden wird. Um die Störung der Strömung bei offener Klappenposition zu minimieren, ist die Achse nicht durchgängig, sondern zweigeteilt in Gewindehülsen der Klappe eingeschraubt. Sie erfüllt sowohl die Aufgabe der Klappenverstellung als auch das Anpressen der beiden Deckel an die Rohrleitung. O-Ringe in 96
Dreiecksnuten auf den Innenseiten der Deckel dichten die Achse ausreichend beweglich gegen die Rohrleitung ab. Die mit der Querschnittsverengung der geschlossenen Klappen einhergehende Erhöhung des Anlagenwiderstands muß für einen konstanten Volumenstrom durch Drehzahlanpassungen der Pumpe kompensiert werden. Die Betriebspunkte mit geschlossener Klappe liegen näher am Auslegungspunkt der Radialpumpe und ihre Kavitationsneigung geht zurück. Unter ungünstigen Umständen ist es daher möglich, daß mit Schließen einer Klappe an dieser Kavitation einsetzt, während zugleich Kavitation in der Pumpe zum Erliegen kommt.
Abb. 3.1.f: Meßstrecke mit voll kavitierender geschlossener Klappe (links) Die Anordnung je einer Klappe stromauf und stromab der Meßstrecke des Acoustic Bubble Spectrometers dient dem Erfassen von Keimspektren sowohl unmittelbar nach Verlassen der Kavitationszone als auch nach einem kompletten Umlauf in der Anlage (s. Abb. 3.1.f) und ermöglicht so Untersuchungen zur Langzeitentwicklung eines Spektrums. Die Rohrleitungen im Bereich der Klappen sind transparent, um die Ausprägung der keimanfachenden Kavitation und den zugfestigkeitsabhängigen Kavitationsbeginn visuell detektieren zu können. Die Photographie zeigt die gute Kavitationsneigung der Klappen anhand Vollkavitation an einer geschlossenen Klappe (Strömungsrichtung ist von links nach rechts). Daß es sich um reine Kavitation handelt und das Kavitationsgebiet stromab der Klappe aus Dampf besteht, zeigt die Blasenfreiheit der Strömung in der zweiten Sichtstrecke. Örtlich ausgasende Luft geht nur langsam über mehrere Umläufe wieder in Lösung und erleichtert damit ihr Abscheiden im Beruhigungsbehälter.
3.1.5 Wasserstrahlpumpe Die örtlichen statischen Drücke der Strömung müssen für Kavitationsuntersuchungen bis in den Bereich von 1 bis 2 bar Zugspannung absenkbar sein. Dies ist nur möglich, wenn das durch das Luftpolster im Windkessel vorgegebene Druckniveau bereits nahe am Dampfdruck liegt. Dank des verhältnismäßig kleinen Volumens des Luftpolsters ist die geringe Förderleistung einer Wasserstrahlvakuumpumpe ausreichend, um den Luftpolsterdruck binnen 5 Minuten auf 30mbar abzusenken (s. Abb. 3.1.g).
97
1
p [bar]
0.8 0.6 0.4 0.2
p
v
0 0
50
100
150 200 t [s]
250
300
Abb. 3.1.g: Evakuieren mittels Wasserstrahlpumpe Die für die Luftabscheidung günstige Positionierung des Windkessels an der Saugseite der Pumpe ist für die Absenkung der Minimaldrücke in der Anlage nachteilig, da der hydrodynamische Druckabfall vom Luftpolster zum Ort der Minimaldrücke geringer ausfällt. Aufgrund der hohen Wirksamkeit der Wasserstrahlpumpe entsteht hieraus jedoch keine Einschränkung für die Experimente.
3.1.6 Hydrophonmeßstrecke Die Ermittlung von Keimspektren durch das Acoustic Bubble Spectrometer (s. Kapitel 3.2.2) erfordert die meßtechnische Erfassung des Schallübertragungsverhaltens der Strömung. Als Emitter und Empfänger der hierfür eingesetzten Schallsignale von 20 bis 180kHz werden Hydrophone mit einem nominellen Frequenzbereich von 0,1Hz bis 180kHz eingesetzt (s. Abb. 3.1.h).
Abb. 3.1.h: Hydrophon Typ 8103 von Brüel & Kjaer (CAD-Modell)
98
Sende- und Empfangshydrophon sind in der Rohrleitung der Meßstrecke gegenüberliegend angeordnet (s. Abb. 3.1.f). Die Schutzkappen schließen jeweils bündig mit der Rohrwand ab, um die Behinderung der Strömung und damit verbundene Strömungsgeräusche und ungewünschte Beeinflussungen des Keimspektrums zu minimieren (s. Abb. 3.1.i). Die Durchmesser der Bohrungen in den Rohrwänden stellen einen Kompromiß zwischen möglichst kleinem Totwassergebiet und ungehinderter Schallausbreitung dar. Aus der Lage des akustischen Zentrums der Hydrophone und dem Durchmesser der Rohrwandbohrung ergibt sich ein Abstrahlwinkel von 108°.
Abb. 3.1.i: Querschnitt durch eine Hydrophonaufnahme Es besteht die Option, die Hydrophone ähnlich einer externen Ankopplung (s. Ludwig [43]) durch dünne Kunststoffenster von der damit ungestörten und geräuschärmeren Strömung abzuschirmen. Aufgrund des guten Signal-Rausch-Verhältnisses und der hohen Schalldissipation (s. Kapitel 3.2.2) wurde hiervon bislang kein Gebrauch gemacht.
99
3.2 Meß- und Regeltechnik 3.2.1 Konventionelle Meßtechnik Die Erfassung des statischen Druckes erfolgt sequentiell an verschiedenen Positionen der Anlage über jeweils 4 am Umfang verteilte Druckmeßbohrungen (s. Abb. 3.1.f, Meßgenauigkeit ±13,5 mbar). Ein computergesteuerter Regelkreis ermöglicht über Schaltventile zwischen Windkessel und Wasserstrahlpumpe bzw. Preßluftanlage die Stabilisierung örtlicher Drücke. Druckschwankungen durch Diffusion im Windkessel, Änderungen von Volumenstrom oder Anlagenwiderstand werden automatisch ausgeglichen. Ein magnetisch-induktives Durchflußmeßgerät (MID) mit einer geraden Einlaufstrecke von 1,5m (15·D) erfaßt den Volumenstrom (Meßgenauigkeit ±5,78 l/min). Dieser ist ausreichend stabil und wird über die Drehzahl der Pumpe gesteuert. Ein gegenüber äußerer Wärmeinwirkung abgeschirmter PT100-Sensor erfaßt die Oberflächentemperatur der Rohrleitungen. Bei einer Wandstärke von 5,4mm kann so die Wassertemperatur ohne Beeinflussung der Strömung hinlänglich ermittelt werden. Die für das Keimspektrum wesentliche Luftkonzentration des Wassers wird mittels Brandt´schem Apparat nach dem bewährten Prinzip von Van Slyke ermittelt. Hierbei wird der Anlage eine geringe Wassermenge entnommen, diese durch extremen Unterdruck entgast und das Volumen der frei gewordenen Gase bestimmt. Durch die konstruktiv stabilisierte Luftkonzentration der Anlage (s. Kapitel 3.1.3) überwiegen Genauigkeit und Zuverlässigkeit des Verfahrens gegenüber Aufwand und Stichprobencharakter. Online-Meßgeräte auf Basis des elektrochemischen Verbrauchs von gelöstem Sauerstoff haben sich für strömende Medien nicht bewährt.
3.2.2 Messung des Keimspektrums Das Keimspektrum wird unter Verwendung des kommerziellen Acoustic Bubble Spectrometer der Firma Dynaflow, Inc. ermittelt (s. auch Kapitel 1.1.6). Die vorliegende No-Hardware Version 3.2 besteht aus der Auswertungssoftware und speziellen Importroutinen für die Eingabe der Meßdaten, die das Schallübertragungsverhalten der Strömung beschreiben. Erfassen des Schallübertragungsverhaltens Hierzu werden mittels der Hydrophone 22 Frequenzen zwischen 20 und 180kHz in Form von jeweils 5 Perioden Sinusschwingung übertragen. Aufgrund der hohen Schalldissipation durch größere Keimspektren müssen die emittierten und empfangenen Signale maximal verstärkt werden (s. Abb. 3.2.a). Im Fall des Emitterhydrophons ist die Eingangsleistung modellbedingt begrenzt, da die Wärmeisolation der Gummi-Ummantelung (s. Abb. 3.1.h) bei zu hohem Energieeintrag schnell zu Überhitzung führt. Mechanische Schwingungsbelastungen können die Leistungsgrenze gemäß Absprache mit dem Hersteller zusätzlich herabsetzen, so daß die Vorverstärkung auf 1/3 des
100
Maximums beschränkt wurde, um eine Beschädigung der Hydrophone auszuschließen. Die Verstärkung des empfangenen Schallsignals ist durch die Leistungsgrenze des Eingangsverstärkers limitiert. Eine Entlastung des Verstärkers durch vorausgehende Filterung der erheblichen, niederfrequenten Störgeräusche durch die Strömung ist nicht möglich, da die Hydrophone piezoelektrisch arbeiten und nur ungewandelte Ladungssignale ausgeben.
Abb. 3.2.a: Signalfluß Die Unterdrückung des Hintergrundrauschens erfolgt durch einen nachgeschalteten analogen Hochpaßfilter. Bei kavitationsfreier Strömung ist eine Eckfrequenz von 1kHz zur Abschirmung der Strömungsgeräusche ausreichend (s. Abb. 3.2.b). 0.4 ungefiltert
1kHz kavitationsfrei
U [V]
0.2 0 -0.2 -0.4 0.4 1kHz bei Kavitation
10kHz bei Kavitation
U [V]
0.2 0 -0.2 -0.4 0
0.02
0.04
0.06 0
0.02
t [s]
0.04 t [s]
Abb. 3.2.b: Hochpaßfilterung
101
0.06
Bei leichter Kavitation an der stromauf liegenden Klappe muß die Filterfrequenz für ein ausreichend rauschfreies Signal auf 10kHz angehoben werden. Im Fall starker Kavitation ist der Dampfanteil und die damit verbundene Schalldissipation in der Strömung so hoch, daß die Schallsignale das Empfängerhydrophon nicht mehr erreichen und keine Messung des Keimspektrums möglich ist. Die emittierten Signale liegen oberhalb 20 kHz und erzeugen im Meßvolumen durch die Anregung der hohen Eigenfrequenzen der Keime überlagernde Frequenzen, die noch höher liegen. Die gefilterten Frequenzbereiche unter 1 bzw. 10kHz enthalten daher keine Signalanteile, die das Übertragungsverhalten der Strömung betreffen. Das derart gefilterte Signal wird durch einen Transientenrekorder mit 2MHz abgetastet. Nach Fourieranalysen liegt das Frequenzband der Signale auch bei der höchsten Anregungsfrequenz unter 300kHz und das Fehlen eines geeigneten Tiefpaßfilters zur Vermeidung von Aliasing erscheint unkritisch (s. Abb. 3.2.c). In den aufgezeichneten Signalen sind stets schwache Anteile von Frequenzen nahe 500kHz und 1MHz mit gleichbleibenden Amplituden enthalten, die im gewählten signalschwachen Fallbeispiel der Abbildung deutlich hervortreten. Es handelt sich offensichtlich um eine elektronische Systemfrequenz der Meßkette und deren Oberschwingung erster Ordnung. Da die Auswertung anhand der Differenz zweier Signale erfolgt, ist keine Auswirkung dieser unveränderlichen Signalanteile zu erwarten. 16 14
Amp [mV]
12 10 8 6 4 2 0 0
200
400
600
800
1000
f [kHz]
Abb. 3.2.c: Exemplarische FFT eines empfangenen Signals Die Aufzeichnung durch den Transientenrekorder wird vom generierten Ausgangssignal mittels Triggerschwelle gestartet. Das Meßfenster wurde ausgehend von der niedersten Frequenz mit entsprechend längster Signaldauer auf einheitliche 1.024ms festgelegt.
102
Die Empfangsempfindlichkeit der Hydrophone fällt für Frequenzen von 120kHz bis 200kHz um 14dB ab; die weiterführende Charakteristik ist nicht bekannt. Bei den höchsten Anregungsfrequenzen von 160 bis 180kHz weisen die aufgezeichneten Signale wie erwähnt Anteile bis 300kHz auf. Die Sendeempfindlichkeit verhält sich gegensinnig und steigt im verwendeten Bereich von 20-180kHz um 34 dB an. Insgesamt variiert das frequenzabhängige Übertragungsverhalten der Signalstrecke zwischen Emitterhydrophon und Empfangsverstärker während einer Messung um 26.5dB. Bei einheitlichen 30V Eingangsspannung für das Emitterhydrophon ergeben sich so am Eingangsverstärker Ausgangsamplituden zwischen 11 und 233mV. Die A/D-Wandlung des Transientenrekorders erfolgt mit einer Auflösung von nur 8bit (256digits). Um trotz des starken Frequenzgangs der Signalstrecke stets eine ausreichende Signalauflösung zu erreichen, sind daher für die Signalamplituden optimierte Meßbereiche notwendig. Entsprechend erfolgt für jede der 22 Anregungsfrequenzen ein softwaregesteuertes Programmieren und Auslesen des Transientenrekorders durch den Computer. Da die Geschwindigkeit der Datenübertragung begrenzt ist, liegt die Meßdauer für das Erfassen des vollständigen Keimspektrums bei knapp 2 Minuten. Wesentliche Änderungen des Spektrums innerhalb dieses Meßfensters sind zu vermeiden und die zeitliche Entwicklung der Keime kann nur eingeschränkt verfolgt werden. Die Frequenzen der verwendeten akustischen Signale liegen exakt im Bereich der Eigenfrequenzen der innerhalb der Meßreihen detektierten Keime, so daß während eines Meßvorgangs von einer Anregung des Keimwachstums innerhalb der Meßstrecke auszugehen ist. Eine signifikante Änderung eines ausgeglichenen Keimspektrums durch wiederholte Messungen wurde jedoch nicht festgestellt. Auswertung mittels Acoustic Bubble Spectrometer (ABS) Für die Übergabe der Meßdaten an die Software des ABS ist eine Signalvorverarbeitung und die Konvertierung in das vorgegebene Importformat notwendig. Die mit einem einheitlichen Meßfenster aufgezeichneten Signale werden auf das Zeitfenster des Ausgangssignals und das direkt übertragene Empfangssignal reduziert (s. Abb. 3.2.d). Es ergibt sich aus der frequenzabhängigen Signallänge von 5 Perioden und der Laufzeit des Signals zwischen den Hydrophonen ein Zeitfenster von ca. 0,1ms. Nachfolgend empfangene Echos des Signals durch mehrfache Reflektionen an den Wänden der Rohrleitung haben keine Relevanz für die Auswertung. Da die Ermittlung des Keimspektrums anhand seines Einflusses auf das Übertragungsverhalten der Strömung erfolgt, muß dem Berechnungsalgorithmus das keimfreie Übertragungsverhalten bekannt sein. Jede Messung ist somit vor der Übergabe an die ABS-Software mit einer Referenzmessung zusammenzuführen. Da im Importformat beide Meßdatensätze für die 22 Frequenzen paarweise die gleiche Zeitachse verwenden, werden im Vorfeld
103
eventuelle zeitliche Verschiebungen der Signale zueinander im Rahmen der Abtastrate minimiert. 3
Emittiertes Signal130 /10kHz Empfangenes Signal Relevantes Zeitfenster
2 U [V]
1 0 -1 -2 -3 0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5 t [ms]
0.6
0.7
0.8
0.9
1
Abb. 3.2.d: Zuschneiden des akustischen Signals Das Ergebnis der Auswertung zeigt somit kein absolutes Keimspektrum sondern stets die Zunahme des Keimspektrums gegenüber der Referenzmessung. Da ein keimfreier Zustand in strömenden Flüssigkeiten nicht existiert, wurden als Referenz die beim jeweiligen Betriebspunkt erreichbaren keimärmsten Zustände verwendet. Durch das Verwenden einer Referenzmessung werden die Einflüsse des Frequenzgangs der gesamten Signalstrecke und systematische Störfrequenzen eliminiert. Abb. 3.2.e zeigt 9 von insgesamt 44 importierten akustischen Signalen, die entsprechend den jeweils 22 Frequenzen für Messung und Referenzmessung zur Bestimmung eines Keimspektrums benötigt werden. Der Algorithmus der eigentlichen Auswertung durch die ABSPatentsoftware der Firma Dynaflow, Inc. ist nicht zugänglich. Somit können lediglich Erfahrungswerte in der Anwendung dieser Software wiedergegeben werden. Neben den akustischen Meßdaten benötigt die Software folgende Informationen zu den Versuchsbedingungen: Distanz zwischen den akustischen Zentren der Hydrophone (11,78mm) Statischer Druck im Meßvolumen Wassertemperatur Physikalische Stoffdaten von Wasser Letztere wurden den recherchierten Stoffdaten aus Kapitel 2.3.8 entsprechend Druck und Temperatur entnommen. Eine Parameterstudie hat gezeigt, daß insbesondere die Werte für Druck und Dichte gefolgt von Hydrophondistanz, Schallgeschwindigkeit und der spezifischen Wärmekapazität von Luft das Ergebnis beeinflussen. Die besondere Bedeutung von Druck und Dichte resultiert aus deren starkem Einfluß auf die Eigenfrequenzen der Keime (s. Kapitel 2.3.2 und 2.3.8). Bei fehlerhaften Angaben werden ermittelte Keimfrequenzen folgerichtig falschen Keimgrößen zugeordnet.
104
Abb. 3.2.e: Importierte akustische Signale In der Basisversion des ABS steuert die Software auch die Aufzeichnung der Meßdaten und fordert die Eingabe entsprechender Parameter wie Abtastrate oder Amplitude des Ausgangssignals. Bei der reinen Auswertung durch die No-Hardware Version des ABS sind sie durch die Meßdaten vorgegeben und ohne Bedeutung. Abweichende Einträge bezüglich der emittierten Signale (verwendete Frequenzen, Anzahl Perioden) führen dennoch zu Abweichungen in den Ergebnissen. Weitgehend frei wählbar sind die Keimradienklassen, anhand derer die Analyse der akustischen Signalen und die Erstellung der Histogramme erfolgt. Über den minimalen und maximalen Radius wird der Radienbereich, über die Anzahl der Radienklassen ihre Breite festgelegt. Nach der bereits erwähnten Parameterstudie führen unnötig große Radienbereiche zu geringen Abweichungen im ermittelten Keimspektrum. Ein zu kleiner Radienbereich kann dagegen zur Folge haben, daß die Signale der Keime, deren Radien außerhalb liegen, fehlinterpretiert werden, und zu erheblichen Verfälschungen der Ergebnisse führen. Um dies auszuschließen, wurde der minimale Radius zu Null und der maximale Radius auf großzügige 300µm gesetzt. Es besteht die Option, in einer Wiederholung der Auswertung den Radienbereich anhand der ersten Ergebnisse zu optimieren.
105
Die Anzahl der Radienklassen bestimmt den Rechenaufwand der Auswertung und begrenzt so die Verfeinerung der Ergebnisse durch schmälere Radienklassen (s. Abb. 3.2.f). Für die Auswertungen der nachfolgend beschriebenen Versuche wurde eine Klassenbreite von 1µm gewählt. Bei einer Auswertung mit unterschiedlichen Klassenbreiten müßten sich die Häufigkeiten durch Aufteilen oder Zusammenfassen von Klassen ergeben. Hier wurden bei Kontrollrechnungen Abweichungen in den einzelnen Klassen in der Größenordnung von tolerierbaren 10% festgestellt, während die Gesamtanzahl an Keimen nur um wenige Prozent variiert. Tendenziell erfolgt die Fehlzuordnung der Keime bei reduzierter Auflösung in Richtung größerer Radienklassen.
Abb. 3.2.f: Auswertung mit verschiedenen Klassenbreiten Eine weitere Möglichkeit zur Bewertung des Meßsystems bietet sich durch die Verwendung verschiedener Referenzmessungen. Die Histogramme in Abb. 3.2.g zeigen die Keimspektren B und C, die unter Verwendung einer möglichst keimarmen Referenz A ermittelt wurden. Die Differenz zwischen den Keimspektren B und C läßt sich sowohl durch schlichte Subtraktion der Histogramme als auch einer Auswertung des Keimspektrums C mit Zustand B als keimärmere Referenz bestimmen. Ein Vergleich des jeweiligen Resultats in den unteren Histogrammen ergibt deutliche Abweichungen. Da die Ursache in der kritischen Verwendung des verhältnismäßig keimreichen Zustands B als
106
Referenz zu vermuten ist, wurde im Rahmen der experimentellen Untersuchungen stets eine weitestmöglich keimarme Referenz angestrebt.
Abb. 3.2.g: Auswertung mit verschiedenen Referenzmessungen Neben der Häufigkeitsverteilung des Keimspektrums berechnet die ABSSoftware auch einen Gesamtvolumenanteil der freien Gase in der Strömung (void fraction). Er liegt meist geringfügig höher, als es aus dem Keimspektrum durch schlichtes Aufsummieren der Keimvolumina hervorgeht. Da geringe Abweichungen in den Häufigkeitswerten der einzelnen Radienklassen mit der 3. Potenz in die Keimvolumina eingehen, wirken sich bereits geringe Auswertungsfehler erheblich im Volumenanteil der freien Gase aus.
107
3.3 Ergebnisse 3.3.1 Anstieg des Keimspektrums durch Druckabfall Aus den Erfahrungen von Kavitationsuntersuchungen und speziellen Zugfestigkeitsmessungen ist bekannt, daß die Zugfestigkeit bei einem Abfall des Flüssigkeitsdruckes nicht gleichmäßig zurückgeht. Abb. 3.3.a zeigt mittels Wirbeldüse (s. Kapitel 1.1.6) gemessene Zugfestigkeiten in einem geschlossenen Kreislauf für unterschiedliche Luftkonzentrationen. Die durchgezogenen Linien geben die Mittelwerte der stark streuenden Einzelmessungen (vgl. Kapitel 1.1.7) für den jeweiligen Druck an. Der steile Abfall der Zugfestigkeit liegt im Bereich des jeweiligen Sättigungsdruckes, der sich nach Gleichung 2.2.a aus der Luftkonzentration ergibt. Bei Druckabsenkungen beginnt Kavitation daher oft im Bereich des Sättigungsdruckes (vgl. Abb. 1.1.o). 1.5 1.25
Zf [bar]
1 0.75 0.5 Luftkonz. Niedrig Mittel Hoch
0.25 0
0.5
1
1.5 p
sys
2 [bar]
2.5
3
Abb. 3.3.a: Zugfestigkeit bei Druckabfall Das Meßprinzip des Acoustic Bubble Spectrometer erfordert zu jeder Messung eine keimlose Referenzmessung bei unveränderten Betriebsparametern der Anlage. Im Falle der Keimanfachung durch Druckabsenkung ist letztere Bedingung nicht erfüllbar. Dennoch wurde ein entsprechender Versuch mit einer anfänglichen Referenzmessung bei 1bar durchgeführt und die Auswirkungen des statischen Druckes auf das Schallübertragungsverhalten der Meßstrecke übergangen. Bei einer mittleren Strömungsgeschwindigkeit von 1,32m/s und schrittweiser Absenkung des statischen Druckes in der Meßstrecke wurde das Keimspektrum der Strömung vermessen (s. Abb. 3.3.b). In Übereinstimmung mit den charakteristischen Verläufen der Zugfestigkeit in Abb. 3.3.a nimmt das Keimspektrum kontinuierlich zu. Bei Erreichen des Sättigungsdruckes von 0,2bar beschleunigt sich das Wachstum erheblich und die Häufigkeiten steigen etwa um Faktor 10.
108
Abb. 3.3.b: Keimspektrum bei Druckabfall Nach Abschluß dieser Versuchsreihe wurde der Meßstreckendruck wieder auf 1bar gesetzt und das Keimspektrum bei Ausgangsbedingungen erneut gemessen (s. Abb. 3.3.c). Demnach bleibt ein Teil der während des Druckabfalls entstandenen Keime in der Strömung bestehen. 0.14
Häufigkeit [1/cm³]
0.12 0.1 0.08 0.06 0.04 0.02 0 0
20
40
60 80 100 120 140 160 180 Keimradius [µm]
Abb. 3.3.c: Keimspektrum nach Druckabfall 109
Die hohe Stabilität und Lebensdauer erzeugter Keimspektren (s. auch Kapitel 2.3.5) wirkt sich auch auf das Verhalten der Zugfestigkeit aus. Wird der Druck nach dem Absenken wieder angehoben, ergibt sich für den Verlauf der Zugfestigkeit eine deutliche Hysterese (s. Abb. 3.3.d). Die Kavitationskeime werden im selben Ausmaß aufgelöst, in dem sie zuvor erzeugt wurden. Die gezeigte Meßreihe erstreckt sich aufgrund des hohen Aufwands der Zugfestigkeitsmessung über einen ganzen Arbeitstag. Somit ist die erhaltene Hysterese der Zugfestigkeit keineswegs ein kurzfristiger Effekt.
1.25
Zf [bar]
1 0.75 0.5 0.25 0
1.5
2
2.5 p [bar]
3
3.5
sys
Abb. 3.3.d: Zugfestigkeit bei Druckabfall/-anstieg Eine aktuell in einer Flüssigkeit herrschende Zugfestigkeit geht somit auf zeitlich verhältnismäßig weit zurückliegende Vorgänge zurück, die als Vorgeschichte der Flüssigkeit bezeichnet werden. Im Zusammenhang mit Untersuchungen zum Kavitationsverhalten hydraulischer Einrichtungen tritt die Bedeutung der Vorgeschichte insbesondere bei längeren Standzeiten der Anlage zutage (vgl. Kapitel 1.1.5).
3.3.2 Anstieg des Keimspektrums durch Kavitation Nach den Erfahrungen der Kavitationsforschung (s. Kapitel 1.1.4) und den numerischen Ergebnissen (s. Kapitel 2.3.3) führt Kavitation zu einem deutlichen Keimwachstum. Im Nachlauf eines Kavitationsgebietes ist ein entsprechender Abfall der Zugfestigkeit und somit erhöhte Kavitationsneigung weiterer Einrichtungen zu erwarten. Anhand der beiden Klappen der Meßstrecke (s. Abb. 3.1.f) wurde dieser Effekt nachvollzogen. Die beiden oberen Bilder in Abb. 3.3.e zeigen den Ausgangszustand bei Strömungsrichtung von links nach rechts. Die Klappen liegen jeweils im linken Bildrand. Während die Klappe stromauf vollständig
110
geöffnet ist, wurde die 1,5m stromab liegende Klappe in einen Anstellwinkel gebracht, in dem sie gerade nicht kavitiert. Nun wurde, wie in den unteren Bildern zu sehen, die Klappe stromauf geschlossen und damit in Kavitation gebracht. Obwohl Volumenstrom und Eintrittsdruck der Klappe stromab aufrechterhalten wurden, beginnt diese aufgrund der reduzierten Zugfestigkeit des Wassers zu kavitieren.
Abb. 3.3.e: Lokaler Zugfestigkeitsabfall durch Kavitation In Anlagen, die als Kreislauf ausgeführt sind, kann dieser Effekt laut Kapitel 1.1.5 dazu führen, daß ein durch örtliche Kavitation angefachtes Keimspektrum in der Anlage umläuft und die Zugfestigkeit im gesamten Kreislauf herabsetzt. Abb. 3.3.f zeigt die zeitliche Entwicklung der anfangs schwach ausgeprägten Kavitation an einer geschlossenen Klappe des Prüfstands. Das durch die Kavitation angefachte Keimspektrum setzt nach einem Umlauf die Zugfestigkeit im Eintrittsbereich der Klappe herab und verstärkt somit deren Kavitation und damit wiederum das Keimwachstum. Die Klappe versorgt sich in dieser Weise selbst mit Keimen und gelangt ohne äußere Einflüsse in immer stärkere Kavitation. Eine Erfassung des Keimspektrums im Verlauf dieser Versuche ist nicht möglich, da innerhalb der Meßdauer von 2min keine Veränderungen des Keimspektrums erfolgen dürfen. Im Fall einer kavitierenden Einrichtung muß daher ein stationärer Zustand des Keimspektrums abgewartet werden, der sich nach ausreichender Zeit einstellt und eine von den Betriebsparametern abhängige Sättigungsgrenze darstellt, in der sich die örtliche Anfachung des Keimspektrums mit dem Abbau während eines Umlaufes die Waage hält.
111
Abb. 3.3.f: Globaler Zugfestigkeitsabfall durch Kavitation Mit Rücksicht auf diese Einschränkung wurden 21 kavitationsfreie Messungen des Keimspektrums durchgeführt, zwischen denen für jeweils 4045s Kavitation durch Schließen der Klappe erzeugt wurde. Der keimarme Ausgangszustand wurde durch eine standardisierte Vorbehandlung des Wassers erreicht, die sich aus den Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Pressen ergab (s. Kapitel 3.3.3). Die mittlere Geschwindigkeit betrug während der Messungen 1,28m/s, der statische Druck in der Meßstrecke 0,16bar. Dieser Betriebspunkt wurde wiederum für die Keimspektrumsmessungen als Standard festgelegt, um etwaige Abhängigkeiten der Auswertungsergebnisse des ABS von Druck und Volumenstrom zu umgehen. Die resultierende schrittweise Zunahme des Keimspektrums zeigt Abb. 3.3.g. Der Häufigkeitszuwachs betrifft alle ermittelten Keimradienklassen in gleicher Weise. Der durch Summe der Keimvolumina definierte Volumenanteil der freien Gase steigt von 10 auf 45 mm³/m³ an. Der eigentliche Zuwachs an Keimen erfolgt zwischen Messung Nr. 1 und 16. Nachfolgend weisen weder Häufigkeitsverteilung noch Gesamtvolumen eine weitere Entwicklung auf. Demzufolge ist für diesen Zyklus aus Kavitation und kavitationsfreier Messung mit Messung Nr.16 die beschriebene Keimsättigung erreicht. Im Vergleich zur kontinuierlichen Kavitation (s. Abb. 3.3.f) ist die Zunahme der Kavitationsintensität eher gering (s. Abb. 3.3.h). Offensichtlich geht ein erheblicher Teil des Keimspektrums während der langen kavitationsfreien Messungen wieder in Lösung und die eigentliche Anfachung des Spektrums durch die Kavitation ist wesentlich ausgeprägter, als es die Messung wiedergibt. Der in der Summe von den Messungen 112
registrierte verbleibende Zuwachs an Keimen belegt deren Stabilität und Langlebigkeit.
Abb. 3.3.g: Keimspektrum bei Kavitation und Luftuntersättigung Für diese Versuchsreihe wurde die Anlage nach der in Kapitel 2.2.1 beschriebenen Vorgehensweise für einen Sättigungsdruck von 0,13bar entgast. Dies entspricht bei 25°C einer Luftkonzentration von 2,2 mg/l. Bei einem gleichbleibenden statischen Druck von 0,16bar in der Meßstrecke war das Wasser in diesem Strömungsabschnitt somit leicht untersättigt.
Abb. 3.3.h: Kavitation im Verlauf der Meßreihe Für örtlich gesättigtes Wasser wurde die Versuchsreihe bei gleicher Luftkonzentration und einem Meßstreckendruck von 0,13bar wiederholt (s. Abb. 3.3.i). Bei einem höherem Keimspektrum im Ausgangszustand erreichen die Keimradien im Bereich um 15µm vergleichbare Häufigkeiten. Die Zunahme
113
an größeren Keimradien ist dagegen wesentlich ausgeprägter (vgl. Abb. 3.3.g) und führt zu einem deutlichen Anstieg des Gesamtkeimvolumens von 50 auf 170mm³/m³. Auch hier scheint mit Messung Nr. 5 eine gewisse Keimsättigung erreicht zu sein.
Abb. 3.3.i: Keimspektrum bei Kavitation und Luftsättigung 1 Der Fall gesättigten Wassers wurde ein weiteres Mal bei einem erhöhten Meßstreckendruck von 0,25bar wiederholt. Die Sättigungskonzentration für Luft ergibt sich hier bei 25°C zu 4,9 mg/l. Das Erscheinungsbild der ermittelten Keimspektren ändert sich und die maximalen Häufigkeiten liegen bei deutlich höheren Keimradien (s. Abb. 3.3.j). Das bereits im Ausgangszustand hohe Keimspektrum mit einem Gesamtvolumenanteil von 480 mm³/m³ scheint bereits Keimsättigung darzustellen und kann durch die druckbedingt schwächere Kavitation an der Klappe nicht weiter angehoben werden. Es ist zu vermuten, daß die Wirkung des Pressens durch die erhöhte Luftkonzentration reduziert wurde und daher kein ausreichend keimarmer Zustand erreicht werden konnte. Da bei höheren Meßstreckendrücken das Erscheinungsbild der ermittelten Histogramme zunehmend verzerrt erscheint und hier stets widersprüchliche Ergebnisse erzielt wurden, sind für alle Meßreihen die in Kapitel 3.3.2 beschriebenen Standardmeßbedingungen von 0,16bar und 1,28m/s festgelegt worden.
114
Abb. 3.3.j: Keimspektrum bei Kavitation und Luftsättigung 2 Im Vergleich zu den Anfachungen des Keimspektrums durch bloße Druckabsenkung in Kapitel 3.3.1 ist die Wirkung der Kavitation in Übereinstimmung mit den numerischen Untersuchungen enorm (vgl. Kapitel 2.3.3). Die erreichten maximalen Häufigkeiten im Bereich der erfaßbaren Keimradien liegen in ihrer Größenordnung um Faktor 104 höher.
3.3.3 Rückgang des Keimspektrums durch Pressen Das Pressen dient ebenso wie das Entgasen der Vorbehandlung der Flüssigkeit zur Steigerung deren Zugfestigkeit (s. Kapitel 1.1.4 und 1.1.5). Die nachfolgenden Versuche zielten darauf, den hierfür notwendigen Preßdruck in Zusammenhang mit der Preßdauer zu ermitteln. Zur Unterstützung der Keimauflösung beträgt die mittlere Geschwindigkeit während des Pressens minimal 0,6m/s. Da der Fokus auf der Nachhaltigkeit des Effektes liegt, wurden die Messungen vor und nach dem Pressen bei 0,16bar Meßstreckendruck und einer mittleren Geschwindigkeit von 1,28m/s durchgeführt. Abb. 3.3.k zeigt die Ergebnisse eines Versuches zum Einfluß der Preßdauer bei einem Preßdruck von 2,5bar. Die erste Messung zeigt ein mittels 5minütiger Kavitation an der Klappe bei 0,1bar Meßstreckendruck erzeugtes Keimspektrum. Messung Nr. 2 ist das Ergebnis von anschließendem Pressen über 15 Minuten. Nach erneutem Anfachen des Keimspektrums durch Kavitation (3. Messung) wurde ein weiteres Mal für 45 Minuten gepreßt.
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Während das Pressen über 15 Minuten das Keimspektrum bereits erkennbar reduziert hat, ist eine weitgehend vollständige Auflösung erst nach 45 Minuten Pressen erreicht worden. Darin zeigt sich sowohl die Stabilität von Keimspektren als auch die Eignung ausreichend intensiven Pressens zur Steigerung der Zugfestigkeit.
Abb. 3.3.k: Keimspektrum in Abhängigkeit der Preßdauer Die Bedeutung des Preßdruckes wurde in einer ähnlichen Meßreihe untersucht (s. Abb. 3.3.l). Die ungeraden Messungen zeigen das Keimspektrum nach jeweils erneuter Anfachung durch Kavitation in der beschriebenen Weise. Die geraden Messungen sind das Ergebnis 30-minütigen Pressens bei aufeinanderfolgend 2 - 1,5 - 1 und 0,5 bar. Das Pressen bewirkt in allen 4 Fällen einen erkennbare Verschiebung des Spektrums zu kleineren Keimradien, die jedoch mit abnehmendem Preßdruck zunehmend geringer ausfällt. Entsprechend überwiegt die Anfachung durch Kavitation zunehmend gegenüber der Auflösung durch Pressen und das Keimspektrum wächst in der Summe an. Dadurch steigt die Intensität der Kavitation während die Wirkung des Pressens gezielt reduziert wird und der Anstieg des Keimspektrums beschleunigt sich im Verlauf der Meßreihe.
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Abb. 3.3.l: Keimspektrum in Abhängigkeit des Preßdrucks
Anhand der gewonnen Erkenntnisse über die Wirksamkeit des Pressens wurde ein Standardablauf zur Vorbehandlung des Wassers festgelegt, der die geforderte Keimarmut für die benötigte Referenzmessung gewährleisten soll (s. Kapitel 3.2.2, Auswertung). Da höhere Luftgehalte entsprechend den Ergebnissen aus Abb. 3.3.j die Wirkung des Pressens erheblich mindern, wurde die Anlage bei einem Sättigungsdruck von 0,1bar entgast, wodurch je nach Wassertemperatur Luftkonzentrationen von 1,2 bis 1,9mg/l erreicht wurden (s. Kapitel 2.2.1). Das anschließende Pressen zur Auflösung des im Verlauf des Entgasens angefachten Keimspektrums erfolgt entsprechend Kapitel 1.1.3 bei der bereits erwähnten geringstmöglichen mittleren Geschwindigkeit von 0,6m/s, die lediglich dem Umwälzen des Anlagenwassers dient. Die Preßdauer wurde auf 3 Stunden bei einem Druck von 2,5bar festgelegt. Auf höhere Drücke wurde aus Sicherheitsgründen verzichtet, da die Sichtstrecken mit nominellem Berstdruck von 5bar durch die Anbohrungen für die Klappenachsen geschwächt sind.
117
3.3.4 Bewertung der akustischen Keimspektrumsmessungen Die Meßdauer von etwa 2 Minuten zur vollständigen Erfassung eines Keimspektrums in einer Strömung ist gegenüber dem zeitlichen Aufwand optischer Verfahren (s. Kapitel 1.1.6) äußerst gering. Da die durchgeführten Versuchsreihen die Auswirkungen äußerer Einflüsse auf ein Keimspektrum aufzeigen sollten, wurden die Messungen jedoch stets unmittelbar nach gezielten Eingriffen durchgeführt. Somit ist davon auszugehen, daß die Keimspektren zu Beginn der Messungen keinen stationären Zustand erreicht hatten und sich trotz der kurzen Meßdauer während der Messungen weiter verändert haben. Es ist davon auszugehen, daß hierdurch die Qualität der Ergebnisse beeinträchtigt wurde. Die reine Signalübertragung in der Meßstrecke nimmt nur 2,2s in Anspruch und der eigentliche Zeitaufwand einer Messung liegt in der Weitergabe und Archivierung der aufgezeichneten Daten (s. Kapitel 3.2.2). Durch eine diesbezügliche Optimierung der Signalkette könnte das Potential der Meßtechnik weiter gesteigert werden. Ein erster Ansatz hierzu ist eine Reduktion der zu übertragenden Datenmengen durch Minimierung der zeitlichen Meßfenster auf den notwendigen Bereich (s. Abb. 3.2.d) Der industrienahe Nenndurchmesser der Anlage von 100mm führt zu einer verhältnismäßig großen Distanz zwischen den Hydrophonen, die zum Zeitpunkt der Applikation außerhalb der Erfahrungswerte der Firma Dynaflow Inc. lag. Dies gilt auch für die verwendete Strömungsgeschwindigkeit von 1,28m/s, die für ausreichend intensive Kavitation an den Klappen benötigt wurde. Bei einem durch Entgasung erreichten Sättigungsdruck des Wassers von etwa 0,10bar war eine Absenkung des Meßstreckendrucks unter 0,16bar nicht ohne Gefahr von Ausgasungen möglich. Das hervorragende Signal-Rausch-Verhältnis der empfangenen Signale (s. Kapitel 3.2.2) führt zu der Ansicht, daß weder die distanzbedingte Schalldissipation zwischen den Hydrophonen noch die geschwindigkeitsbedingten Strömungsgeräusche im Meßvolumen kritische Ausmaße annehmen und die Anwendungsgrenze des Meßprinzips noch nicht erreicht wurde. Die Notwendigkeit einer idealerweise keimfreien Referenzmessung bedeutet neben der Eliminierung von systematischen Störeinflüssen innerhalb der Signalstrecke eine wesentliche Einschränkung für die Anwendung. Die Messungen aus Kapitel 3.3.1 zeigen, daß trotz unvermeidbarer Abweichungen des Betriebspunkts zumindest in Einzelfällen verwertbare Ergebnisse zu erzielen sind, deren Qualität jedoch unklar bleibt. Die weitestmögliche Keimfreiheit der Referenzmessung ist gemäß der diesbezüglichen Studien (s. Kapitel 3.2.2) eine wesentliche Forderung. Nach den erzielten Ergebnissen liegt der kleinste erfaßbare Keimradius bei 10µm. In Anbetracht der in den Histogrammen zu findenden Häufigkeiten größerer Keime, die laut Theorie ausschlaggebend für die Zugfestigkeit der Flüssigkeit sind (s. Kapitel 1.1.7), erfaßt die Meßtechnik damit einen ausreichend großen Bereich der relevanten Keimradien.
118
Nach den Signalanalysen in Kapitel 3.2.2 enthalten die empfangenen Signale zum Teil Frequenzanteile oberhalb der Eckfrequenzen des verwendeten Hydrophontyps, der nach Duraiswami [45] auch in der Entwicklung des Acoustic Bubble Spectrometer eingesetzt wurde. Es ist anzunehmen, daß mit höherfrequenter Erfassung der Signale zusätzliche Informationen insbesondere bezüglich kleinerer Keime zu gewinnen sind. Die Qualität von Messungen unter erhöhten Drücken, die nach Kapitel 2.3.2 einen Anstieg der Eigenfrequenzen der Keime bedingen, könnte sich hierdurch ebenfalls verbessern. Die Genauigkeit der Ergebnisse des Meßverfahrens läßt sich kaum bewerten. Die bei dem ausgewählten Betriebspunkt durchgeführten Versuche zeigen gemessene Keimspektren, deren Entwicklung qualitativ mit den Erfahrungen und theoretisch-numerischen Betrachtungen übereinstimmt. Eine quantitative Beurteilung der ermittelten Keimhistogramme ist dagegen bisher nicht möglich, da zum einen das Keimspektrum der Referenzmessung unklar bleibt und zum anderen die für eine Detektion an einem Kavitationsobjekt notwendige Häufigkeit überkritischer Keime schwer abzuschätzen ist. Es empfiehlt sich daher, die Ergebnisse der akustischen Messung in Einzelfällen einer aufwendigen aber zuverlässigen mikroskopischen Erfassung gegenüber zu stellen (s. Kapitel 1.1.6).
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3.4 Anwendung des Keimmodells Von Pawlik [46] liegen mittels CFD erzielte numerische Ergebnisse zu der Strömung an einer der als Kavitatoren verwendeten Klappen vor. Setzt man trotz des deutlich unterschiedlichen spezifischen Gewichts von Kavitationskeimen und umgebenden Flüssigkeitsteilchen voraus, daß die Keime der Strömung entlang der Stromlinien folgen, kann die zeitliche Entwicklung eines Keimes im Bereich der Klappe anhand der vorliegenden Strömungsdaten und des Keimmodells aus Kapitel 2 simuliert werden. Abb. 3.4.a zeigt die berechneten Stromlinien an der Klappe in Zylinderkoordinaten als Projektion auf die Ebene f =0. Die Strömungsrichtung ist von links nach rechts, die geschlossene Klappe befindet sich an der Position x=0,1535m. Bei einer mittleren Geschwindigkeit von 1,07m/s bildet sich hinter der Klappe ein großer Strömungswirbel, der aufgrund hoher Verweilzeiten bei niedrigen Drücken auch ohne Kavitation bereits starkes Keimwachstum verursacht.
Abb. 3.4.a: CFD-Stromlinien an der Klappe Für die Simulation eines Keims, der auf seinem Weg durch die Klappe einer der Stromlinien folgt, wurden zwei Stromlinien ausgewählt, die bezüglich der Anfachung des Keimwachstums Extremfälle darstellen (s. Abb. 3.4.b und Abb. 3.4.c). Während die graue Linie das Rechengebiet zügig ohne nennenswerte Beeinflussung durchläuft, wird die schwarze Kurve in den Strömungswirbel gezogen und führt von dort ausgehend ein weiteres Mal an der Klappe entlang. Erst jetzt durchläuft sie das Druckminimum an der schmalen Klappenoberseite, in das sie aufgrund der nun niedrigen Geschwindigkeit hineingesaugt wird. Dort wird sie wieder von der Hauptströmung erfaßt und verläßt mit dieser den Klappenbereich.
Abb. 3.4.b: Ausgewählte Stromlinien an der Klappe
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Abb. 3.4.c: Ausgewählte Stromlinien an der Klappe 3D Abb. 3.4.d zeigt den zeitlichen Druckverlauf der grauen Stromlinie sowie die resultierenden Ergebnisse des Keimmodells. Der Dampfdruck pv liegt wegen des mit 25° leicht erwärmten Wassers bei 31,7mbar. Der Ausgangswert der Keimmasse wurde so gewählt, daß der 20µm Keim bei dem über einen Umlauf gemittelten statischen Druck von 0,135bar im Diffusionsgleichgewicht ist. Das erhöhte Druckniveau vor der Klappe führt entsprechend zu einem Schrumpfen des Keims. Nach etwa 0,15s passiert der Keim die Klappe und beginnt aufgrund des deutlichen Druckabfalls wieder zu wachsen. Der anfangs hohe Gradient zu diesem Zeitpunkt resultiert aus dem Zeitverhalten des Konzentrationsfelds (s. Kapitel 2.3.6). Das langfristige Wachstum verläuft geringfügig steiler als das vorherige Schrumpfen und ein kompletter Umlauf in der Anlage könnte insgesamt mit leichtem Keimwachstum verbunden sein.
121
pf [bar]
0.2
0.1 p
v
0
R [µm]
35 30 25 20
m [pg]
10
9.5
9 0
0.05
0.1
0.15 t [s]
0.2
0.25
Abb. 3.4.d: Simulation eines Kavitationskeims 1 Druckverlauf und Ergebnisse der Keimsimulation für die schwarze Stromlinie sind in Abb. 3.4.e wiedergegeben. Der Flüssigkeitsdruck und die resultierende Entwicklung des Keims ähneln in den ersten 0.25s den Verläufen aus Abb. 3.4.d. Mit dem Eintritt in den Wirbel durchläuft die Stromlinie den Bereich niedrigen Druckes unmittelbar hinter der Klappe ein zweites und drittes Mal. Verbunden mit der langen Verweilzeit im Wirbel führt dies zu einem deutlichen Keimwachstum. Mit dem Passieren des Minimaldrucks auf der Klappenoberseite, der unter dem Dampfdruck liegt, wird die kritische Zugspannung des Keims erreicht und dieser kavitiert. Analog zu den Ergebnissen eines kavitierenden Keims in Kapitel 2.3.6 nimmt er dabei sehr viel Luftmasse aus der Flüssigkeit auf, wird mit Überschreitung des Dampfdruckes wieder stabil und implodiert kurz darauf. Das Wachstum des Keims in der kurzen Phase der Instabilität ist sogar noch etwas höher als während des vergleichsweise langen Aufenthalts im Wirbel.
122
pf [bar]
0.2
0.05
0.1 p
0
1.625
1.63
1.625
1.63
v
0 800 R [µm]
600
500
400 0
200
m [pg]
0 25 20 15 10 0
0.5
1
1.5
t [s]
Abb. 3.4.e: Simulation eines Kavitationskeims 2 Ein direkter Vergleich dieser Ergebnisse des Keimmodells mit der experimentell festgestellten Zunahme des Keimspektrums ist nicht möglich. Das Keimwachstum im Bereich der Klappe kann nicht mit dem Keimwachstum während eines Umlaufes gleichgesetzt werden. Während sich das Strömungsfeld und damit die Entwicklung der Keime in den strömungsgünstigen Rohrleitungen verhältnismäßig gut abschätzen läßt, ist der als erheblich einzuschätzende Einfluß der Radialpumpe nur durch eine vollständige numerische Strömungsberechnung mittels CFD zu bestimmen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden konnte. Während Abb. 3.4.e beginnende Kavitation zeigt (Gebiet der Dampfdruckunterschreitung sehr begrenzt) erfolgte die Anfachung des Keimspektrums in den Experimenten stets durch fortgeschrittene Kavitation, um entsprechend der Empfindlichkeit der akustischen Meßtechnik erfaßbares Keimwachstum zu erzielen (s. Kapitel 3.3.2). Eine numerische Abbildung fortgeschrittener Kavitation konnte nicht durchgeführt werden, da für die Rückwirkungen eines größeren Kavitationsgebiets auf die Strömung keine CFD-Daten zur Verfügung stehen und dem Modell des Einzelkeims die Wechselwirkungen zwischen den Keimen eines kavitierenden Keimspektrums fehlen.
123
4 Zusammenfassung und Ausblick Ergänzend zu den theoretischen Betrachtungen zu Kavitationskeimen und deren Auswirkungen auf die Zugfestigkeit der Flüssigkeit wurde ein numerisches Modell eines sphärischen Einzelkeims entwickelt, daß neben der Dynamik des Keimradius und der daraus unmittelbar resultierenden örtlichen Zugfestigkeit auch eine Abbildung des Konzentrationsfeldes gelöster Gase in der umgebenden Flüssigkeit beinhaltet und langfristige Entwicklungen des Keims unter Einbeziehung der Gasdiffusion berechnen kann. Anhand zahlreicher Simulationen auf Basis dieses Keimmodells wurden grundlegende Zusammenhänge zwischen Keim und umgebender Flüssigkeit untersucht. Schwerpunkt waren hier die Wechselwirkungen zwischen Dynamik und diffusiver Masseänderung des Keims. Die Ergebnisse der Abgrenzung thermodynamischer Effekte durch isotherme und adiabate Berechnung der Keimtemperatur legen eine Erweiterung des Keimmodells um ein umgebendes Temperaturfeld nahe, daß analog zum Gasaustausch auch eine Simulation des Wärmeaustauschs zwischen Keim und Flüssigkeit ermöglicht. Für eine Verifizierung der Simulationsergebnisse und Ermittlung von Meßdaten als Grundlage weiterer numerischer Studien wurde ein spezieller Prüfstand aufgebaut, der die aus der hohen Instabilität von Keimspektren resultierenden Anforderungen erfüllt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die verwendete Radialpumpe mit ihren starken Strömungsumlenkungen und der aus den ungünstigen Betriebspunkten resultierenden hohen Kavitationsneigung kritisch zu sehen. Abhilfe könnte eine axiale Rohrbogenpumpe schaffen, deren mechanischer Eingriff in die Strömung auf ein Minimum reduziert ist. Durch die zugleich höheren erreichbaren Geschwindigkeiten könnten die als Kavitatoren verwendeten Klappen durch Strömungsprofile mit deutlich geringerer Rückwirkung auf den Betriebspunkt ersetzt werden. Begleitende Kavitationsuntersuchungen zur Ermittlung des empirischen Zusammenhangs zwischen Keimspektrum und Zugfestigkeit der Flüssigkeit und detektierbarer Kavitation an einer einfachen hydraulischen Einrichtung würden dadurch erheblich erleichtert. Das eingesetzte Acoustic Bubble Spectrometer der Dynaflow Inc. ermöglichte erstmalig Vermessungen des vollständigen Keimspektrums innerhalb weniger Minuten. Bekannte grundlegende Zusammenhänge zwischen äußeren Einflüssen und der zeitlichen Entwicklung der Zugfestigkeit konnten mit den Ergebnissen der Keimspektrumsmessungen qualitativ nachvollzogen und somit die bestehenden theoretischen Ansätze zu Ursache und Wirkung der Zugfestigkeit erhärtet werden.
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Die patentierte Software des Acoustic Bubble Spectrometer ist im Verlauf dieser Arbeit durch den Hersteller weiter entwickelt worden und wird derzeit in der in vielen Punkten verbesserten Version 3.3 angeboten. Neben konstruktiven Maßnahmen an der Meßstrecke (s. Kapitel 3.1.4) und Optimierung von Signalerfassung und -aufzeichnung (s. Kapitel 3.3.4) bietet sich damit die Möglichkeit, das Potential der akustischen Messung von Keimspektren in höherem Maß zu nutzen. Unter Verwendung verfügbarer numerischer Strömungsdaten wurde das entwickelte Keimmodell dazu genutzt, die Entwicklung eines Kavitationskeimes bei Umströmung der als Kavitatoren verwendeten geschlossenen Klappen zu simulieren. Eine direkte Gegenüberstellung mit den experimentellen Ergebnissen ist beim aktuellen Entwicklungsstand von Meßtechnik und Keimmodell nicht möglich. Beide Werkzeuge haben jedoch ein hohes Potential unter Beweis gestellt und das langfristige Ziel einer verwertbaren Vorhersage von Ausmaß und Entwicklung der Zugfestigkeit einer Strömung scheint erreichbar.
125
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