Andrea Moser Kampfzone Geschlechterwissen
VS RESEARCH
Andrea Moser
Kampfzone Geschlechterwissen Kritische Analyse ...
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Andrea Moser Kampfzone Geschlechterwissen
VS RESEARCH
Andrea Moser
Kampfzone Geschlechterwissen Kritische Analyse populärwissenschaftlicher Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Verena Metzger / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17416-7
Vorwort
Das Interesse für das Thema der vorliegenden Arbeit entstand einerseits aus Verwunderung und andererseits aus Verunsicherung. Verwundert haben mich das vielfältige Angebot und der große Erfolg von populärwissenschaftlichen Publikationen zu Männern und Frauen. Ratgeber und Sachbücher die Frauen bzw. Männern erklären, was es heißt und wie es gelingen kann ganz Frau bzw. Mann zu sein und Bücher, die Männern bzw. Frauen en Detail erläutern wie sie das jeweils andere Geschlecht verstehen, behandeln und beeinflussen können, waren und sind meiner Wahrnehmung nach vielfältig und prominent in Buchhandlungen platziert. Offensichtlich war und ist die Nachfrage nach dieser Art von Geschlechterwissen in Kombination mit der entsprechenden inhaltlichen und (in)formellen Präsentation vorhanden. Verunsichert hat mich demgegenüber die persönliche Erfahrung, dass sogenanntes feministisches Geschlechterwissen außerhalb der feministischen Community schwer Anklang findet und kein ExpertInnenwissen ist, das in Diskussionen und Gesprächen auf fruchtbaren Boden oder Anerkennung stößt. Dem Eindruck, dass einerseits ein großes Interesse an populärwissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu Geschlecht besteht und andererseits feministisches Geschlechterwissen auf Unverständnis bzw. Ablehnung stößt und in populärwissenschaftlichen Publikationen kaum berücksichtigt wird, versuche ich in der vorliegenden Analyse auf den Grund zu gehen. Die Untersuchung wurde als Abschlussarbeit für das Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität Innsbruck eingereicht und mit dem Johanna Dohnal Förderpreis 2009 und dem Preis für frauen- und geschlechtsspezifische Forschung der Leopold Franzens Universität Innsbruck 2009 ausgezeichnet. Für die wissenschaftliche Begleitung bedanke ich mich bei Maria A. Wolf. Für Anregungen, Korrekturen und Unterstützung aller Art gilt mein Dank Carmen Reider, Elisabeth Jörer, Sabine Moser, Maria Moser, Bernhard Moser und Robert Possenig.
Andrea Moser
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ................................................................................................. 9 Kapitel 1: Wissensforschung und Geschlechterwissen ...................... 13 1.1 Wissen als Gegenstand der Soziologie ............................................. 13 1.2 Woher wissen wir was wir wissen? .................................................. 15 Michel Foucaults Diskurstheorie.................................................. 15 Wie kommt Wissen zu Stande? .................................................... 15 Wie kommt Wissen in die Menschen? ......................................... 17 Pierre Bourdieus Habitustheorie .................................................. 20 Wie wird Geschlecht zum Habitus? ............................................. 22 1.3 Historisches Geschlechterwissen...................................................... 25 1.4 Feministisches Geschlechterwissen.................................................. 29 Frauenbewegung und feministische Politik ................................. 29 Feministische Theorie .................................................................. 31 Differenztheoretisches Paradigma ............................................... 37 Dekonstruktivistischer Feminismus ............................................. 42 Geschlechterkonstruktionen heute ............................................... 53 Feministisches Geschlechterwissen als Verunsicherungswissen . 55 Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern .................................. 59 2.1 Die Qualitative Inhaltsanalyse .......................................................... 59 Rahmenbedingungen..................................................................... 59 Der Ablauf der Analyse ................................................................ 60 Arbeitsschritte der vorliegenden Analyse ..................................... 61 2.2 Das Sachbuch ................................................................................... 63 Das Sachbuch als Forschungsgegenstand ..................................... 64
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Inhaltsverzeichnis
Vom „Allbuch“ zur Definition des Sachbuchs ............................. 65 Zur Geschichte des Sachbuchs ...................................................... 66 Inhaltliche Form und Funktion der Sachliteratur .......................... 68 Autoren, Rezeption und das Sachbuch am Buchmarkt ................ 69 2.3 Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln .............................. 71 Die AutorInnen der Sachbücher ................................................... 79 Allgemeine Aussagen .................................................................. 80 Eine Antwort auf Verunsicherung?.............................................. 82 Die Darstellung des weiblichen Habitus ...................................... 86 Die Darstellung des männlichen Habitus ..................................... 98 Zwischenresümee ....................................................................... 111 Argumentationsfiguren und Argumentationslinien.................... 112 Kapitel 3: Resümee - Kritische Betrachtung .................................... 125 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus ............................. 125 Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen .............. 126 Männer sind anders. Frauen auch ................................................... 127 Sachbücher - Resümee ................................................................... 128 Legitimation und Ordnung ............................................................. 129 Ausblick.......................................................................................... 134
Literaturverzeichnis ............................................................................ 135
Einleitung
Der Soziologe, die Soziologin ist jemand, „…der (die) sich Mittel verschafft, um erklären zu können, was niemand wissen will.“ (Bourdieu 2001: 164)
Was niemand wissen will hat, unter anderem, ein hohes Verunsicherungspotential. In der Hoffnung auf Interesse zu stoßen und in dem Bewusstsein, dass das keineswegs der Fall sein muss, versuche ich mir in der vorliegenden Untersuchung Mittel zu verschaffen an Hand derer ich die Frage nach einem potentiellen Zusammenhang zwischen dem Erfolg populärwissenschaftlichen Geschlechterwissens, der Verunsicherung durch feministisches Geschlechterwissen und der Legitimation einer gesellschaftlichen Ordnung bearbeiten kann. Dabei stelle ich populärwissenschaftliches bzw. alltagsweltliches Geschlechterwissen feministischem Geschlechterwissen gegenüber und arbeite unter Bezugnahme auf theoretische Konzepte, wie Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Pierre Bourdieus Habitustheorie und Michel Foucaults Diskurstheorie Verknüpfungen zur symbolischen Sinnwelt einer Gesellschaft heraus. Die Wissensforschung im Allgemeinen und die Wissenssoziologie im Besonderen beschäftigen sich mit der Analyse der sozialen Bedingungen und Bedingtheiten des Wissens. Verschiedene Ansätze in der Wissenssoziologie lassen sich grundlegend danach unterscheiden, welche Theoriekonzepte sie ihrer Forschung zu Grunde legen. Welche theoretische Perspektive auf Wissen an sich, d.h. auf Sozialformen, Funktionalität, Produktionsweisen und Ordnungssysteme von Wissen angewandt wird, ist je nach wissenssoziologischem Ansatz unterschiedlich. Diesbezüglich lässt sich die vorliegende Arbeit in der wissenssoziologischen Diskursanalyse verorten. Ich beziehe mich auf den Diskursbegriff von Michel Foucault und in der wissenssoziologischen Tradition auf die Arbeiten von Peter L. Berger und Thomas Luckmann. In dieser theoretischen Perspektive gilt Wissen als diskursiv hervorgebracht und kontingent. Es steht in einer engen Wechselbeziehung zu Macht und ist ein konstitutiver Bestandteil der symbolischen Sinnwelt einer Gesellschaft. Der Begriff Geschlechterwissen wurde 2003 von Irene Dölling eingeführt und zur Analyse verschiedener Arten kollektiven Wissens zu Geschlecht und deren Begründungen, normativen Implikationen und Handlungsrelevanzen für
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Individuen verwendet. 2008 unterscheiden Sünne Andresen und Irene Dölling „…zwischen a) Alltags- und Erfahrungswissen, das die Gegebenheiten der Geschlechterdifferenz und die hierarchisierenden Geschlechterklassifikationen meist unreflektiert produziert; b) Expertenwissen, das arbeitsteilig z.B. von den Wissenschaften produziert wird und in dem konkurrierende Auffassungen zur Relevanz, zur gesellschaftlichen Verfasstheit und Strukturiertheit des Geschlechterverhältnisses etc. kursieren sowie c) das in Medien etc. popularisierte Wissen, das eine Vielfalt von (konkurrierenden) Meinungen, Standpunkten, Interpretations- und Deutungsangeboten für Sinnproduktionen von Individuen und sozialen Gruppen bereitstellt“ (Andresen; Dölling 2008: 210). Zuvor stellte Stefan Hirschauer 1996 Überlegungen zur Zweigeschlechtlichkeit als Wissenssystem an und traf dabei eine systematische Unterscheidung in kognitives und sprachförmiges (diskursives) Wissen, in bildförmiges Wissen und in praktisches Wissen der Akteure der Geschlechtsdarstellung (vgl. Wetterer 2008: 25). Angelika Wetterer differenziert Geschlechterwissen in Anlehnung an Alfred Schütz, Peter L. Berger und Thomas Luckmann nach unterschiedlichen Praxisfeldern in alltagsweltliches Geschlechterwissen, Gender-Expertenwissen und wissenschaftliches Geschlechterwissen (vgl. Wetterer 2008: 57). Silvia Stoller trifft aus phänomenologischer Perspektive schließlich die Unterscheidung zwischen reflexivem und vorreflexivem oder latentem Geschlechterwissen (vgl. Stoller 2008: 65). Die breite wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Geschlechterwissen im deutschsprachigen Raum findet unter anderem Ausdruck in dem interdisziplinären Netzwerk »Geschlechterwissen & soziale Praxis« das seit 2006 an der Universität Graz besteht. In Anlehnung an diese Diskussion widme ich mich in der vorliegenden Analyse popularisiertem Geschlechterwissen und stelle dabei Bezüge zu alltagsweltlichem und wissenschaftlichem Geschlechterwissen sowie der symbolischen Ordnung einer Gesellschaft her. Die leitende Erkenntnisfrage ist zunächst, wie und wozu die eine oder andere Form von Geschlechterwissen in populärwissenschaftlichen Sachbüchern argumentiert wird und welchen Stellenwert der Feminismus in diesem Diskurs einnimmt. Die für die Analyse ausgewählten Sachbuch-Bestseller „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“ (Pease 2002), „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ (Evatt 2003) und „Männer sind anders. Frauen auch“ (Gray 2002) und deren Verkaufszahlen gelten als Beleg dafür, dass ein breites Interesse und Bedürfnis an populärwissenschaftlich dargestelltem Geschlechterwissen besteht; an „einfachen“ Erklärungen warum Männer bzw. Frauen so und nicht anders sind und an unterhaltsamen Darstellungen, wie sich Frauen bzw. Männer verhalten, wie sie denken, reden und fühlen. Wie in der theoretischen Beschreibung des Genres Sachbuch herausgearbeitet wird, ist ein markantes Kennzeichen der Sachliteratur, dass sie auf
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aktuelle Bedürfnisse des Marktes und der Lesenden zu antworten versucht und folglich oft große, wenn auch kurzzeitige, Verkaufserfolge feiert. Meine Hypothese ist, dass dieses Bedürfnis nach Erklärungen zu Geschlecht, zu Weiblichkeit und Männlichkeit aus einer Verunsicherung resultiert. Einer Verunsicherung, die als eine mögliche Reaktion auf die vermeintliche Modernisierung des Geschlechterverhältnisses und die daraus hervortretende „Unordnung der Geschlechter“ auf realer und symbolischer Ebene, so wie auf die durch den Feminismus vorangetriebene Denaturalisierung von Geschlecht entstanden ist. Den theoretischen Rahmen der Analyse bildet einleitend die Frage „Woher wissen wir, was wir wissen?“, die ich mit Bezug auf den Diskurstheoretiker Michel Foucault (1926-1984) und seinen grundlegenden Aussagen zu einer Theorie des Diskurses bearbeite. Wissen wird in dieser Konzeption diskursiv hergestellt und in ein Feld der symbolischen Ordnung eingeschrieben. Es zeigt Effekte in der Wirklichkeit und verobjektiviert sich in institutionellen und individuellen Praktiken und in kulturellen Konfigurationen (vgl. Bublitz 2003). Die Frage danach, wie dieses diskursiv hergestellte Wissen schließlich in die Menschen kommt und deren Verhalten mitbestimmt, behandle ich in Anlehnung an den Sozialtheoretiker Pierre Bourdieu (1930-2002) und dessen Konzept des Habitus. Nach der allgemeinen Darstellung von Formierungs- und Verbreitungsprozessen von Wissen widme ich mich dem „alltäglichen Geschlechterwissen“ und seinen historischen Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen. Demgegenüber werden im Anschluss die Entwicklung und die grundlegende Fassung feministischen Geschlechterwissens auf Basis der Unterscheidung der drei prominentesten feministischen Theorie- und Praxiskonzepte – Gleichheitsfeminismus, Differenzfeminismus und dekonstruktivistischer Feminismus – dargestellt. Unter Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse von Phillipp Mayring erfolgt im Anschluss die Bearbeitung und Beantwortung der Fragen, wozu wird in den Sachbüchern welches Geschlechterwissen wie vermittelt? Abschließend treffe ich Aussagen zum Zusammenhang der Konkurrenz zwischen alltagsweltlichem, populärwissenschaftlichem und feministischem Geschlechterwissen und der Legitimation einer gesellschaftlichen Ordnung.
1 Kapitel 1: Wissensforschung und Geschlechterwissen
Es kann wohl unbestritten behauptet werden, dass Menschen orts- und zeitabhängig immer schon über eine je spezifische Art des Wissens verfügt haben. So kann man auch davon ausgehen, dass jeweils kulturabhängig immer schon ein bestimmtes Geschlechterwissen vorhanden war. In meiner Untersuchung leitet mich die Frage, welches Geschlechterwissen heute von populärwissenschaftlichen Sachbüchern vermittelt wird und ob meine Hypothese, dass es sich dabei um ein Angebot von Absicherung als eine Antwort auf ein unter anderem durch den Feminismus verunsichertes Geschlechterwissen handelt, haltbar ist.
1.1 Wissen als Gegenstand der Soziologie Im Anschluss an den österreichisch/ US-amerikanischen Soziologen Peter L. Berger und den deutschen Soziologen Thomas Luckmann und ihr für die neuere Wissenssoziologie grundlegendes Werk „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ (1966) wird Wissen heute in der Soziologie als alles das gefasst, was in der Gesellschaft als Wissen gilt, inbegriffen der Gesamtheit der symbolischen Ordnung - von sinnstiftenden privaten Alltagspraxen bis hin zu sehr spezifischem wissenschaftlichen Wissen (vgl. Keller 2008: 94). Der Philosoph Peter Heintel stellt bei seiner Definition von Wissen bereits eine Verbindung zu Macht her und beschreibt es „…als all das, was kollektive Macht und verbindliche Wirklichkeit erreicht hat“ (Heintel 1996: 56). Einigkeit herrscht heute in der Soziologie darüber, dass Wissen immer ein gesellschaftlich konstruiertes und historisches ist. Wir leben also immer in einer vom je aktuell anerkannten Wissen ausgedeuteten und gestalteten Welt, wobei das über sie konstruierte Wissen mit Handlungsaufforderungen an jeden und jede Einzelne verbunden ist. Als eine zentrale Funktion des Wissens kann die Herstellung von Sicherheit genannt werden. Etwas nicht zu wissen bzw. ein aufkommender allgemeiner Zweifel an der Wahrheit des Wissens, löst in den meisten Individuen
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Kapitel 1: Wissensforschung und Geschlechterwissen
Verunsicherung und den Wunsch nach Ab- oder Versicherung aus (vgl. Heintel 1996: 52). Fragen nach dem Wissen wurden in der Soziologie und der Philosophie implizit immer schon gestellt. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts prägten der Philosoph und Soziologe Max Scheler (1874–1928) und später der Soziologe und Philosoph Karl Mannheim (1893–1947) den Begriff der Wissenssoziologie. Sie beschäftigten sich explizit mit Fragen nach der sozialen Gebundenheit des Wissens, der Seinsgebundenheit des Denkens. Die neuere Wissenssoziologie verschob ab den 1960er Jahren ihr Erkenntnisinteresse auf die Frage nach der gesellschaftlichen Konstruktion von Wissen und den Bedingungen der Produktion von Wissen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930–2002), der in den weiteren Ausführungen dieser Studie ein zentraler Bezugspunkt ist, wird von dem Soziologen Rainer Keller in dessen Publikation zur wissenssoziologischen Diskursanalyse (2008) dieser „neueren“ Richtung der Wissenssoziologie zugeordnet. In den 1990er Jahren wurde im Zuge des kommunikativen Paradigmas der Schwerpunkt auf die kommunikative Konstruktion von Wissen gesetzt. Alle drei Forschungsrichtungen setzen unterschiedliche Akzente und generieren je spezifische Forschungsfragen, können jedoch als Weiterführungen vorangehender Paradigmen betrachtet werden (vgl. Keller 2008: 22ff). Der französische Philosoph Michel Foucault (1926–1984), dessen Theorie für die vorliegende Untersuchung ein wichtiger Bezugspunkt ist, hat durch seine Verwendung und Etablierung des Diskurs-Begriffes und durch seine historischen Analysen der Entstehungs- und Entwicklungsprozesse von Wissen im Verhältnis zu Macht et vice versa eine befruchtende Rolle für die Wissenssoziologie gespielt. In Anlehnung an dessen Diskurskonzeption schlägt Keller die Grundlegung einer wissenssoziologischen Diskursanalyse, die von einer diskursiven Herstellung von Wissen ausgeht, vor. Im Folgenden wird die Frage „Wie kommt Wissen in die Menschen?“ behandelt. Theoretischen Bezug bilden dabei Konzepte von Michel Foucault und Pierre Bourdieu, die erklären, wie Wissen entsteht, wie es gesellschaftliche Bedeutung und Macht erlangt und durch welche Mechanismen es zu individuellem Alltagswissen mit entsprechenden Handlungsanforderungen wird.
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1.2 Woher wissen wir was wir wissen? Michel Foucaults Diskurstheorie Michel Foucault (1926-1984), französischer Philosoph und Soziologe, wurde in den Sozialwissenschaften und speziell im dekonstruktivistischen Feminismus viel beachtet und rezipiert. Trotzdem er sich ein Leben lang gegen eine Zuordnung zu wissenschaftlichen, philosophischen oder politischen Strömungen verwehrt hat, wird er heute gern als Wegbereiter des Poststrukturalismus bezeichnet. Sein Leben und Werk sind von seinem Wunsch nach NichtZuordenbarkeit und nach Dynamik gekennzeichnet und bestechen durch zahlreiche Verschiebungen eigener Begrifflichkeiten und Orientierungsänderungen. Sein Wirken als Wissenschaftler wird gemeinhin grob in drei Phasen eingeteilt: in den 1960er Jahren widmete er sich Fragen der Erkenntnis und des Denkens, in den 1970er Jahren fand die eingehende Beschäftigung mit dem Komplex Macht – Wissen statt und in den letzten Jahren seines Lebens widmete er sich vor allem Fragen des Subjekts. Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf seine Arbeiten und deren Rezeption zu den Themenbereichen Wissen, Macht und Diskurs.
Wie kommt Wissen zu Stande? In seinen Werken „Die Ordnung der Dinge“ (1971), „Die Geburt der Klinik“ (1973), „Die Ordnung des Diskurses“ (1974), „Archäologie des Wissens“ (1975), „Überwachen und Strafen“ (1976), „Mikrophysik der Macht“ (1976), „Sexualität und Wahrheit 1. Der Wille zum Wissen“ (1976) u.a. trifft Foucault grundlegende Aussagen zu einer Theorie des Diskurses, die das Verhältnis von Macht und Wissen und dessen Bedeutung für die Vergesellschaftung von Individuen aufzeigen (vgl. Keller 2008: 123). In der Nachfolge Foucaults und mit starkem Bezug zu seinen Werken wurde von verschiedenen Sozial- und KulturwissenschafterInnen (u.a. Siegfried Jäger, Andrea Bührmann, Hannelore Bublitz, et.al.) eine Theorie des Diskurses bzw. die Diskursanalyse entwickelt. Diskurse sind zentrale Bestimmungsmerkmale der Regelstrukturen einer Gesellschaft und beschreiben das in der Sprache aufscheinende Verständnis der Wirklichkeit, d.h. was als „wahr“, „wichtig“, „richtig“, „möglich“ und als das jeweilige Gegenteil zu einem historischen Zeitpunkt aufgefasst wird. Im Feld des Diskurses herrscht ein Kampf um die Deutungsmacht darüber, was als „wahr“ gelten soll (vgl. Kajetzke 2008: 45). Diskurse durchkreuzen die Kultur, die Sprache, die Wahrnehmung, die Technik, Werte, Normen, Praktiken und
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Hierarchien einer Gesellschaft und entstehen aus einem Versuch, eine Antwort auf eine gesellschaftliche Problemlage zu finden. Die Gegenstände, von denen Diskurse handeln, werden durch das diskursiv geordnete Sprechen über sie erst hervorgebracht, materialisiert, sozial, politisch und kulturell etabliert (vgl. Bublitz 1998: 10; Foucault 1983). Das eindrücklichste Beispiel Foucaults einer solchen Hervorbringung ist die Konstitution des Menschen als autonomes, rationales, männliches Subjekt. Sie ist Folge einer Diskursivierung der Humanwissenschaften im 19. Jahrhundert, die den Menschen zum zentralen Gegenstand des Wissens machte. Der Mensch wurde durch die Anhäufung menschenbezogenen Wissens in einer bestimmten Form hervorgebracht, die mit Foucaults Worten auch „wieder verschwinden wird, wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“ (Foucault 2003: 462) („...und mit ihm das Weib“ Honegger 1991: 214). Hervorbringung und Beschreibung eines Gegenstandes sind mit einem diskursiven Verständnis also gleich ursprünglich. Indem ein Gegenstand beschrieben wird, wird er in der beschriebenen Form hervorgebracht. Form und Art des jeweils historisch gültigen Wissens und der Wirklichkeit unterliegen also ihrer Herstellung durch Diskurse; der Bereich dessen was zu einem historischen Zeitpunkt als wahr und gültig angesehen wird, wird durch vorherrschende, hegemoniale Diskursen hervorgebracht (vgl. Bublitz 2003). Als zentrale Steuerungsformationen von Diskursen wirken Wissen und Macht, die sich gegenseitig bedingen und unterstützen. Diskurse generieren Wissen und Macht und werden durch Wissen und Macht generiert, verbreitet, gestaltet und verändert. „Es handelt sich um ein wechselhaftes Spiel, in dem der Diskurs gleichzeitig Machtinstrument und –effekt sein kann, aber auch Hindernis, Gegenlager, Widerstandspunkt und Ausgangspunkt für eine entgegengesetzte Strategie.“ (Foucault 1983: 100)
Der Machtbegriff bei Foucault nimmt Abstand von der Vorstellung einer souveränen Macht, die durch das Recht über Leben und Tod gekennzeichnet ist. Er erarbeitet in seinen historischen Analysen ein Machtkonzept, dessen beginnende Etablierung im 17.Jahrhundert verortet wird und das durch eine „sorgfältige Verwaltung der Körper und rechnerischen Planung des Lebens gekennzeichnet ist“ (Foucault 1983: 135). „… diese Macht ist dazu bestimmt, Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten. Nun verschiebt sich oder stützt sich jedenfalls das Recht über den Tod auf die Erfordernisse einer Macht, die das Leben verwaltet und bewirtschaftet, und ordnet sich diesen Erfordernissen unter.“ (Foucault 1983: 132)
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Eine Anhäufung von Wissen geht immer einher mit einer Anhäufung von Macht und vice versa, da Wissen über etwas auch die Regulation dessen ermöglicht. Eine Anhäufung von Wissen über den Menschen ist seit dem 17. Jahrhundert mit Foucault also der zentrale Ankerpunkt an dem die Regulation der Menschen ihren Ausgang nimmt. Die Gesamtheit der Diskurse, alle institutionellen Praktiken, sozialen Regeln und Hierarchien gehen in dem Konzept des Dispositivs auf. Das Dispositiv besteht aus durchaus heterogenen Elementen, dauerhaft, in einem stabilen Netz aus Wissen- und Macht-Komplexen, die ihrer je historischen Regelstruktur folgen (vgl. Bublitz 1999: 10). Es kann als vorbereiteter Boden beschrieben werden, auf dem bestimmte Dinge (Diskurse) wachsen können, andere jedoch nicht. Im Zusammenspiel von Dispositiv und diskursiven Regelformen ergeben sich Bedingungen der Möglichkeiten, die in der symbolischen Ordnung einer Gesellschaft aufgehen und die anzeigen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt gesagt, gedacht und getan werden kann und was nicht. Wissen wird in diesem Zusammenhang diskursiv hergestellt und in ein Feld der symbolischen Ordnung eingeschrieben. Es zeigt Effekte in der Wirklichkeit, verobjektiviert sich in institutionellen und individuellen Praktiken und in kulturellen Konfigurationen, d.h. in den Bereichen einer Gesellschaft, die alle diskursiv durchzogen und hervorgebracht sind (vgl. Bublitz 2003; Foucault 1983). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Diskurse eine Gesellschaft und ihre Wirklichkeit hervorbringen, strukturieren und mit einem Netz von Regeln, das sich in der symbolischen Ordnung darstellt, durchziehen. Macht und Wissen sind dabei die zentralen Steuerungsmechanismen. Wie Individuen dazu gebracht werden, dass sie sich dieser symbolischen Ordnung gemäß verhalten und somit Gesellschaft ermöglichen und aufrechterhalten, wird im Folgenden argumentiert.
Wie kommt Wissen in die Menschen? Das Subjekt gilt als diskursiv hervorgebracht und entworfen und ist der zentrale Ansatzpunkt diskursiver Macht- und Wissenstechnologien. Damit Gesellschaft funktioniert, muss sichergestellt sein, dass sich die Individuen der symbolischen Ordnung gemäß verhalten. Die Regulierung der Gesamtbevölkerung ist nach Foucault grundlegend mit einer Disziplinierung und Normierung individueller Körper verstrickt (vgl. Bublitz 2003; Foucault 1983). Die Normalisierung der Bevölkerung, die über Praktiken der Disziplinierung und Regulierung funktioniert, dient der Etablierung und Aufrechterhaltung einer gesellschaftlichen Ordnung, die als zentrale Grundlage für die Sicherheit der Einzelnen und
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der Gesamtgesellschaft gilt. Foucault erarbeitet in seinen historischarchäologischen Untersuchungen die These, dass die Macht der Normalisierung im 19. Jahrhundert primär über die diskursive Herstellung von Normalitätsvorstellungen im Bereich der Sexualität organisiert ist. Die Diskursivierung der Sexualität erfolgte primär anhand von vier Phänomenen: „In der Besorgtheit um den Sex, die im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weiter um sich gegriffen hat, zeichnen sich vier Figuren ab, die privilegierte Wissensgegenstände sowie Zielscheiben und Verankerungspunkte für die Machtunternehmungen sind: die hysterische Frau, das masturbierende Kind, das familienplanende Paar und der perverse Erwachsene.“ (Foucault 1983: 104f)
Hauptakteure dieses Prozesses waren die „neuen“ Humanwissenschaften Medizin, Anatomie, Anthropologie, Pädagogik und Psychologie. Zunächst wurden Diskurse (medizinische, pädagogische, biologische, anatomische, psychologische) zu einer Anhäufung von Wissen über einen spezifischen Gegenstand (z.B. das masturbierende Kind) angeregt, wodurch der jeweilige Gegenstand hervorgebracht, d.h. in der Wirklichkeit, der Wahrnehmung etabliert wurde. Das Wissen über den nun existenten Gegenstand (z.B. das masturbierende Kind), seine spezifischen Verhaltensweisen und Besonderheiten, führte durch die Beschreibung des „Besonderen“ (z.B. des masturbierenden Kindes) zu einer Konstitution des „Allgemeinen“ (des nicht-masturbierenden Kindes). So entstand ein scheinbar homogenes Feld der Normalität, welches „menschliche Monster“, „verhaltensauffällige Kinder“ und „masturbierende Kinder“ ausschloss. Das außerhalb der Normalität Liegende wurde in der Folge als Abweichung, von der es sich abzugrenzen galt, hervorgebracht. Ergebnis eines solchen Diskursprozesses, der mit verschiedenen Inhalten ( z.B. die gute Mutter, der Kranke, die Hysterikerin, der Fremde,…) gefüllt sein kann, ist eine Matrix, in der alle Individuen einer Gesellschaft in verschiedenen Normalitäts- oder Abnormalitätsgraden verortet werden bzw. sich durch die Entwicklung von Selbsttechnologien (individuelle Handlungs- und Denkpraxen) selbst verorten und sich somit dieser Matrix unterordnen (müssen). Die Macht der Normalisierung setzt ihre Wirkung also an individuellen Körpern an. „Eine solche Macht muß (!) eher qualifizieren, messen, abschätzen, abstufen als sich in einem Ausbruch manifestieren. Statt die Grenzlinie zu ziehen, die die gehorsamen Untertanen von den Feinden des Souveräns scheidet, richtet sie die Subjekte an der Norm aus, indem sie sie um diese herum anordnet. (…) Eine Normalisierungsgesellschaft ist der historische Effekt einer auf das Leben ausgerichteten Machttechnologie. (Foucault 1983: 134ff)
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Kontrolle und Regulation von Ereignissen dient der Herstellung von sozialer Ordnung und Sicherheit und passiert einerseits über den Prozess der Wissensanhäufung und der damit einhergehenden Konstitution eines Normalitätsfeldes und andererseits, durch die gesellschaftlich induzierte, individuelle Verortung in diesem Normalitätsfeld über die Entwicklung von Selbstpraktiken, die „um einen Platz in der Gesellschaft zu haben“ in den Dispositionen (den Verhaltensneigungen) der Individuen verankert sind (vgl. Bublitz 2003). Dieser Prozess wird zum Beispiel bei der Aneignung einer geschlechtlichen Identität wirksam. In „Sexualität und Wahrheit“ erarbeitet Foucault wie auch in Bezug auf Geschlecht, durch die Vorherrschaft der Humanwissenschaften im 19. Jahrhundert und die Diskursivierung der Sexualität, Normalitätsfelder des „Männlichen“ bzw. des „Weiblichen“ aufgespannt und in der Folge für die Konstitution der polaren Geschlechterordnung und die Bildung von geschlechtlicher Identität virulent wurden. Auf der Mikro-Ebene wirkt bei der Entwicklung von Selbstpraktiken die Verbindung von Macht und Wissen als Politische Anatomie durch Disziplinierung und Normalisierung, wobei die entsprechenden Selbsttechniken über Institutionen und die Sozialisation angeeignet werden. Auf der MakroEbene, der Ebene der gesellschaftlichen Institutionen, dient die von Foucault so benannte Bio-Politik zur Regulation. Beide Techniken zusammen fasst Foucault unter dem Begriff Bio-Macht, die für das Individuum Lebens- und Handlungsmöglichkeiten auf ein Feld des Möglichen beschränkt (vgl. Kajetzke 2008: 37f; Foucault 1983). „Konkret hat sich die Macht zum Leben seit dem 17. Jahrhundert in zwei Hauptformen entwickelt, die keine Gegensätze bilden, sondern eher zwei durch ein Bündel von Zwischenbeziehungen verbundene Pole. Zuerst scheint sich ein Pol gebildet zu haben, der um den Körper als Maschine zentriert ist. Seine Dressur, die Steigerung seiner Fähigkeiten, die Ausnutzung seiner Kräfte, das parallele Anwachsen seiner Nützlichkeit und seiner Gelehrigkeit, seine Integration in wirksame und ökonomische Kontrollsysteme – geleistet haben all das die Machtprozeduren der Disziplinen: politische Anatomie des menschlichen Körpers. Der zweite Pol, der sich etwas später – um die Mitte des 18. Jahrhunderts – gebildet hat, hat sich um den Gattungskörper zentriert, der von der Mechanik des Lebenden durchkreuzt wird uns den biologischen Prozessen zu Grunde liegt. Die Fortpflanzung, die Geburten- und Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit all ihren Variationsbedingungen wurden zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen und regulierender Kontrollen: Bio- Politik der Bevölkerung. (…) Die Installierung dieser großen doppelgesichtigen - anatomischen und biologischen, individualisierenden und spezifizierenden, auf Körperleistungen und Lebensprozesse bezogenen – Technologie charakterisiert eine Macht, deren höchste Funktion nicht mehr das Töten, sondern eine vollständige Durchsetzung des Lebens ist.“ (Foucault 1983: 134f)
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Kapitel 1: Wissensforschung und Geschlechterwissen
In Foucaults Konzeption gilt das Subjekt als unterworfen, widersprüchlich, frei und handlungsfähig. Es ist der Bio-Macht und den daraus entstehenden LebensEinschränkungen und Lebens-Möglichkeiten unterworfen, und befindet sich immer im Einflusskreis von unterschiedlichen Diskursen, die mitunter widersprüchliche und kontingente Formen von Wissen, Normen usw. hervorbringen. In diesem von der Bio-Macht und den Diskursen begrenzten Feld von Möglichkeiten kann sich das Subjekt reflexiv und kreativ verhalten und gilt insofern als frei. Die Machtkonzeption von Foucault beinhaltet die Grundannahme, dass Macht und Widerstand immer gepaart auftreten und jeweils aus allen Richtungen kommen können. Das Subjekt ist also handlungsfähig, insofern es sich in einem Feld von Möglichkeiten verhalten und sich zu bestimmten Diskursen in Praktiken der Unterwerfung, des Widerstandes oder der Befreiung verhalten kann. In dieser Subjektkonzeption liegt auch auf der individuellen Ebene ein Veränderungspotential von Diskursen, was in der Folge dazu führen kann, dass bestimmte Inhalte in Diskursen hegemonial oder marginal werden können.1 Zu einer genaueren Erläuterung dessen, wie diskursiv hergestelltes Wissen in die Menschen kommt, nehmen die folgenden Erläuterungen Bezug auf das Konzept des Habitus von Pierre Bourdieu.
Pierre Bourdieus Habitustheorie Pierre Bourdieu (1930 – 2002) war einer der wichtigsten Soziologen und Kulturforscher Frankreichs der Nachkriegszeit. Zu seinen bedeutendsten Werken zählen „Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft“ (1987), „Homo academicus“ (1988), „Die Intellektuellen und die Macht“ (1991), „Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft“ (1997), „Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns“ (1998), „Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion“ (1998), „Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes“ (1999), „Die männliche Herrschaft“ (2000) und „Pascalianische Meditationen“ (2001). Während Foucault sein Forschungsinteresse der Erzeugung gesellschaftlichen Wissens in einem Macht-Wissen Komplex und seinen disziplinierenden Folgen für die Individuen widmet, fokussiert Pierre Bourdieu seine Analyse auf die Bedingungen der Produktion von Wissen und die Position 1
Dieser Aspekt wurde vor allem von den Queer Studies in ihren politischen Strategien übernommen. Die explizite Darstellung des Besonderen in der Öffentlichkeit, dient hier dem Ziel der Aufweichung von Normalitätsvorstellungen die konsequent der zweigeschlechtlichen Heteronormativität folgen (vgl. Hartmann 2006).
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der ProduzentInnen von Wissen – der Akteure – im sozialen Feld, das sich durch eine unterschiedliche Verteilung von verschiedenen Kapitalien auszeichnet. Bourdieu spricht von zwei Formen, in denen sich Geschichte und damit die symbolische Ordnung einer Gesellschaft verobjektiviert; einerseits in den Institutionen und andererseits im Habitus (vgl: Kajetzke 2008: 77ff). Mit seinem Habituskonzept bricht Bourdieu mit der dichotomen Vorstellung von Individuum und Gesellschaft. Das Individuum gilt bei ihm als immer schon vergesellschaftet und wird nicht als Gegensatz zur Gesellschaft konstruiert. Im individuellen Habitus, d.h. in Prinzipien des Handelns, Denkens, Wahrnehmens und Bewertens, ist die symbolische Ordnung der Gesellschaft verkörpert (vgl. Engler 2004: 223; Bourdieu 1987b: 277ff). Der Habitus ist ein „System von Grenzen“, d.h. er eröffnet und beschließt einen Raum, in dem Individuen handeln, denken, wahrnehmen und bewerten können (Bourdieu 2005a: 33). Als Körper gewordene gesellschaftliche Struktur ermöglicht der Habitus den Individuen in einem je nach Klasse, Geschlecht, Ethnie und sozialem Feld variierenden Ausmaß, in den gesellschaftlichen Institutionen zu wohnen und sie sich anzueignen (vgl: Krais 2001: 221ff). Durch die Einkörperung gesellschaftlicher Strukturen werden primär auch Machtverhältnisse (kulturelle Herrschaft, männliche Herrschaft) einverleibt und wir sind durch den Habitus „…immer versucht, Komplizen dieser Zwänge zu sein, die auf uns wirken, mit unserer eigenen Beherrschung zu kollaborieren.“ (Bourdieu 2001: 166) Die Wirkungsweise der Herrschaft, die im Habitus eingelegt ist, ist symbolisch, da sie nicht greifbar – und somit angreifbar – ist. Der Körper gilt also nicht mehr als vom Geist gelenkter Behälter, sondern als ein konstitutiver Bestandteil des handelnden Subjekts. Erworben wird der Habitus durch das Mitspielen eines Individuums in der sozialen Praxis: soziale Erfahrungen, Beobachtungen und Erlebnisse lassen beim Individuum bestimmte Handlungsdispositionen entstehen, die es ihm ermöglichen, auch in neuen sozialen Situationen der symbolischen Ordnung gemäß zu handeln. Soziale Interaktionen finden im sozialen Raum statt, der durch die unterschiedliche Verteilung von ökonomischem Kapital, kulturellem Kapital (Bildung, Zugang zu Wissen und Kultur), sozialem Kapital (Verbindungen, Beziehungen, Netzwerke) und symbolischem Kapital (Prestige, das mit der Verfügung über andere Kapitalsorten verbunden ist) in verschiedene soziale Felder differenziert werden kann. In jedem dieser Felder gibt es spezifische Regeln des Spiels, des Ablaufs sozialer Interaktionen, die die Akteure im Kampf um ihre soziale Position und Positionierung beherrschen müssen und die im feldspezifischen Habitus Ausdruck finden (vgl. Engler: 2004: 227f; Bourdieu 2005a: 49ff). Als zentrale Prinzipien der gesellschaftlichen Strukturierung des sozialen Raumes gelten die Klasse, die vertikale soziale Ungleichheiten organisiert, das
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Geschlecht, das die Arbeitsteilung von Mann und Frau strukturiert und das soziale Feld, das für eine funktional differenzierte arbeitsteilige Gliederung sorgt. Um als soziale Ordnung wirksam werden zu können, müssen diese Prinzipien von den Individuen durch Inkorporation in einen spezifischen Habitus übersetzt werden (vgl. Krais, Gebauer 2002: 34; Bourdieu 1987b). „Die soziale Welt konstruiert den Körper als geschlechtliche Tatsache und als Depositorium von vergeschlechtlichten Interpretations- und Einteilungsprinzipien. Dieses inkorporierte soziale Programm einer verkörperten Wahrnehmung wird auf alle Dinge in der Welt und in erster Linie auf den Körper selbst in seiner biologischen Wirklichkeit angewandt. Es konstruiert den Unterschied zwischen den biologischen Geschlechtern gemäß den Prinzipien einer mythischen Weltsicht, die in der willkürlichen Beziehung der Herrschaft der Männer über die Frauen wurzelt, die mit der Arbeitsteilung ihrerseits zur Wirklichkeit der sozialen Ordnung gehört. Der biologische Unterschied zwischen den Geschlechtern (sexes), d.h. zwischen den männlichen und weiblichen Körpern, und insbesondere der anatomische Unterschied zwischen den Geschlechtsorganen, kann so als die natürliche Rechtfertigung des gesellschaftlich konstruierten Unterschieds zwischen den Geschlechtern (genres) und insbesondere der geschlechtlichen Arbeitsteilung erscheinen. (…) Das gesellschaftliche Deutungsprinzip konstruiert den anatomischen Unterschied. Und dieser gesellschaftlich konstruierte Unterschied wird dann zu der als etwas natürliches erscheinenden Grundlage der Bürgschaft der gesellschaftlichen Sichtweise, die ihn geschaffen hat.“ (Bourdieu 2005b: 22f)
Wie wird Geschlecht zum Habitus? Die Konzeption von Geschlecht ist mit Pierre Bourdieu ein Ergebnis von Diskursen und eines der zentralen Ordnungsprinzipien der modernen Gesellschaft. Die polare Setzung von Männlich und Weiblich sowie das implizierte Herrschaftsverhältnis werden von Bourdieu als historische Phänomene qualifiziert, die zu Gunsten ihrer Reproduktion einer beständigen Enthistorisierung und somit Naturalisierung unterzogen werden. „Es ist in der Tat klar, dass das Ewig-Währende in der Geschichte nichts anderes sein kann, als das Ergebnis einer geschichtlichen Verewigungsarbeit. Das bedeutet, dass es, um dem Essentialismus zu entgehen, nicht darum zu tun sein kann, das Dauerhafte und Invariante zu leugnen, das unzweifelhaft einen Teil der geschichtlichen Wirklichkeit ausmacht. Vielmehr gilt es, die Geschichte der geschichtlichen Enthistorisierungsarbeit zu rekonstruieren oder, wenn man das vorzieht, die Geschichte der fortdauernden (Wieder-)Herstellung der objektiven und subjektiven Strukturen männlicher Herrschaft, die sich, seit es Männer und Frauen gibt, permanent vollzieht und durch die die männliche Herrschaft kontinuierlich von Generation zu Generation weitergegeben wird.“ (Bourdieu 2005b: 144)
Die sich ergänzenden Prinzipien der Differenzierung und Herrschaft gehen im Habitus, der die vermittelnde Instanz zwischen gesellschaftlicher Ordnung und
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individuellen Dispositionen darstellt, auf (vgl. Krais, Gebauer 2001: 48f). Den geschlechtsspezifischen Habitus entwickelt jeder Mensch von Beginn an, da in jeder sozialen Interaktion, in die das Kind einbezogen ist, Geschlecht als grundlegendes Differenzierungsschema fungiert. „Bewerkstelligt wird die zugleich geschlechtlich differenzierte und geschlechtlich differenzierende Arbeit an der Transformation der Körper teils durch die Wirkungen mimetischer Suggestion, teils durch explizite Einschärfungen und teils durch die ganze symbolische Konstruktion der Sicht des biologischen Körpers (…). Das Produkt dieser Arbeit sind systematisch differenzierte und differenzierende Habitus. Die Maskulinisierung des männlichen und die Feminisierung des weiblichen Körpers sind gewaltige und in einem bestimmten Sinn unendliche Aufgaben, die, heute wohl mehr denn je, einen beträchtlichen Aufwand an Zeit und Anstrengung erfordern und eine Somatisierung des Herrschaftsverhältnisses zur Folge haben, das auf diese Weise naturalisiert wird.“ (Bourdieu 2005b: 99f)
Die Entwicklung einer sozialen Identität ist von vornherein nur als männliche oder weibliche möglich. Mann-Sein und Frau-Sein sind als entgegengesetzte Identitätsmuster konstruiert. Dieser polare Gegensatz lagert sich im individuellen Habitus insofern ein, als dass der daraus resultierende Blick auf die Welt, die soziale Praxis, das Denken, Wahrnehmen und Fühlen immer diesem Differenzierungsmuster folgen. Der Prozess der Aneignung des Habitus erfolgt durch „die beständigen, stillschweigenden und unmerklichen Weisungen, die die geschlechtlich hierarchisierte Welt erteilt“, in sozialer Interaktion über eine ständige Orientierung an Signalen, Wahrnehmungen und Handlungen, die dem binären Code der Geschlechterdifferenz folgen (Bourdieu 2005b: 101). Die „andere“ von zwei Möglichkeiten wird durch diese Orientierung ständig verworfen. Die geschlechtsbezogene Identitätsentwicklung eines Individuums erfolgt also über die Somatisierung einer gesellschaftlichen Ordnung. Dadurch, dass sie von Anfang an „in den Körper eingeschrieben“ wird, wird sie in der Folge als natürlich wahrgenommen und ihre gesellschaftliche Bedingtheit gerät ins Vergessen (vgl. Krais: 2001: 50ff; Bourdieu 2005b). Das diskursiv hervorgebrachte, hegemoniale Geschlechterverhältnis impliziert eine polare Differenzierung und ein Herrschaftsverhältnis, welches das „Männliche“ dem „Weiblichen“ überordnet. In dem Werk „Die männliche Herrschaft“ (2001) widmet sich Bourdieu der Frage „warum diese etablierte Ordnung funktioniert“ und versucht sie durch eine ethnologische Analyse der kabylischen Gesellschaft zu beantworten (vgl. Engler: 2004: 226; Bourdieu 2005b). Als Ergebnis beschreibt er die symbolische Gewalt als tragendes Element der Reproduktion von Herrschaft und Differenz. „Die Frauen selbst wenden auf jeden Sachverhalt und insbesondere auf die Machtverhältnisse, in denen sie gefangen sind, Denkschemata an, die das Produkt der Inkorporierung dieser
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Kapitel 1: Wissensforschung und Geschlechterwissen Machtverhältnisse sind und die in den Gegensätzen, auf denen die symbolische Ordnung basiert, ihren Ausdruck finden. Ihre Erkenntnisakte sind eben dadurch Akte der praktischen Anerkennung, einer doxischen Übereinstimmung, eines Glaubens, der sich nicht als solchen weiss (!) und behaupten muss und der gleichsam die symbolische Gewalt »macht«, der er unterliegt.“ (Bourdieu 2005b: 64)
Die symbolische Gewalt kommt in der sozialen Interaktion zum Tragen und wird nicht als Form von Gewalt erkannt, da sie gleichermaßen im Habitus des Herrschenden (des Mannes) und der Beherrschten (der Frau) verankert ist. Sie beschreibt das Einverständnis der Beherrschten mit ihrer Beherrschung. Dieses Einverständnis ergibt sich daraus, dass die Beherrschten in der Sozialisation ihres Habitus die gesellschaftliche Ordnung als Ordnung der Herrschenden inkorporiert haben. Daraus folgt, dass die Sicht der Männer auf die Frauen bzw. auf die Männer, in der Sicht der Frauen auf die Frauen bzw. auf die Männer übernommen wird, Frauen sich somit „zufrieden geben“, sexistische Witze und Handlungen von Männern unterstützen oder unterhaltsam finden, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als gerecht empfinden usw. (vgl. Bourdieu 2005b; Krais, Gebauer 2002: 50ff) Aus dem Zusammenwirken der zentralen gesellschaftlichen Strukturmechanismen Klasse, soziales Feld und Geschlecht ergeben sich abhängig vom sozialen Feld und der Verortung im Klassensystem viele verschiedene je spezifische Geschlechtshabitus, die nach wie vor die Orientierung am binären Code des „Männlichen“ und „Weiblichen“ verbindet (vgl. Krais, Gebauer 2002: 50ff; Engler 2004: 227f). Als „männlich“ oder „weiblich“ kann also in jeder sozialen Klasse, in jedem sozialen Feld etwas anderes gelten, wie z.B. Sünne Andresen oder Margareta Steinrücke in ihren Analysen feld- bzw. klassenspezifischen Geschlechterwissens zeigen (vgl. Andresen 2006; Steinrücke 2005).
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1.3 Historisches Geschlechterwissen Wenn die Geschlechter in der symbolischen Ordnung als zwei polar differenzierte und hierarchisch Angeordnete gelten, stellt sich natürlich die Frage, mit welchen Argumenten dies begründet wird. In der historischen Betrachtung der Entwicklung dieser Argumentation wird noch einmal deutlich, dass Wissen als historisch und durch vorherrschende Diskurse konstruiert betrachtet werden kann. Bis ins 18. Jahrhundert galt die Frau als „weniger gut gelungene Version“ eines Mannes; es gab keine eigene Bezeichnung für weibliche Geschlechtsorgane und so wurde die Vagina als nach innen gestülpter Penis und die Gebärmutter als Gegenstück zum Hodensack bezeichnet. Der amerikanische Kultur- und Wissenschaftshistoriker Thomas Laqueur (*1941) beschrieb in seinem Werk „Making Sex. Body and Gender from the Greeks to Freud“ (1990) für diese Epoche das biologische Ein-Geschlecht-Modell (vgl. Bührmann 1998: 85f). Sozial wurden zur Sicherstellung des Funktionierens von reproduktiver und produktiver Arbeit zwei Geschlechter unterschieden. Dieses Verhältnis der Geschlechter galt als gottgewollt, wurde also metaphysisch und religiös begründet und fand dadurch auch lange Zeit keinen Angriffspunkt. An der Epochenschwelle um 1800 wurde im Zuge der Aufklärung und der zunehmenden Bedeutung und Deutungsmacht der Humanwissenschaften, allen voran der Medizin, der Anthropologie und der Anatomie, der Mensch zum zentralen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, und somit neben dem Subjekt auch zum Objekt der Erkenntnis. Um angesichts des aufklärerischen Postulats der Gleichheit aller Menschen die Hierarchie zwischen den Geschlechtern zu rechtfertigen und zu begründen, sowie um der aus einem Geburtenrückgang entstandenen Sorge um die Sicherstellung der Generationenfolge zu begegnen, wurden durch wissenschaftliche Anstrengungen Fundamente für ein neues Zwei-Geschlechter-Modell gelegt (vgl. Bührmann 1998: 85f; Bublitz 2001c). Die Produktion und Anhäufung von medizinischem, anatomischem und anthropologischem Wissen über das Geschlecht an den Universitäten führte mit dem bereits dargestellten Prozess der Funktionsweise von Diskursen zur Herstellung eines Normalitätsfeldes des biologischMännlichen und des biologisch-Weiblichen. Die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Gruppe wurde und wird seitdem über „Wahrzeichen des Geschlechts“, die man primär in der Optik der Geschlechtsorgane verortet, bestimmt. Uneindeutigkeiten, „Abarten“ und „Verirrungen“ dienen seit dem 18. Jahrhundert als Anzeichen, Hinweise und Verdeutlichungen des „wahren Geschlechts“ (vgl. Bublitz 2001c).
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Die Tatsache, dass in der Folge statistische Serien anstatt zweier eindeutiger Geschlechter viel eher eine Streuung und Abstufung zwischen „männlich“ und „weiblich“ lieferten, führte jedoch nicht zu einer Überarbeitung der polaren Kategorien, sondern zu einer Anhäufung von als Perversionen, Krankheiten und Abarten klassifizierten Sonderformen, die wiederum dazu dienten, die idealtypische (aber kaum existente) Norm zu betonen (vgl. Bublitz 2001). Zusätzlich wurden soziale Erwartungen, Normen und soziokulturelle Funktionen an anatomische Differenzen geknüpft bzw. in biologische Tatsachen transferiert (vgl. Bührmann 1998; Fuchs, Habinger 1995). Die „alte“ metaphysische Begründung und gesellschaftliche Ordnung fanden in der Tatsache Ausdruck, dass das „Männliche“ als das Allgemeine, Universale die Norm, das Individuelle, das Schöpferische konstituiert wurde, das „Weibliche“ demgegenüber als das Besondere, das Andere, die Natur. Die Mutterschaft und die Verortung im Privaten wurden zum „natürlichen Schicksal“ der Frau (vgl. Fuchs, Habinger 1995). Die Dichotomie von Körper (weiblich) und Geist (männlich), Natur (weiblich) und Kultur (männlich) wurde in die Differenzierung der Geschlechter eingeschrieben und die „Natur“ galt und gilt weithin bis heute als Grundlage dieser Ordnung. Die zunehmende Naturalisierung der Geschlechterdifferenz fand Ausdruck in dem Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Konzept der „Geschlechtscharaktere“ dessen Nachwirkungen bis in die Jetztzeit reichen und dessen Inhalte im modernen Selbstverständnis der Natur der Geschlechter verankert sind (vgl. Mitterauer 1985: 69ff). Psychische Geschlechtsunterschiede wurden als Entsprechung von physiologischen Unterschieden konstruiert, woraus sich eine Vielfalt an polar gesetzten Beschreibungen und Erwartungen an die Geschlechter ergab. Am Beispiel eines Auszuges aus dem Brockhaus von 1815 lässt sich diese Polarität gut illustrieren: „Daher offenbart sich in der Form des Mannes mehr die Idee der Kraft, in der Form des Weibes mehr die Idee der Schönheit … Der Geist des Mannes ist mehr schaffend, aus sich heraus in das Weite wirkend, zu Anstrengungen zur Verarbeitung abstracter (!) Gegenstände, zu weitaussehenden Plänen geneigter; unter den Leidenschaften und Affecten (!) gehören die raschen, ausbrechenden dem Manne, die langsamen, heimlich in sich selbst gekehrten dem Weibe an. Aus dem Manne stürmt die laute Begierde; in dem Weibe siedelt sich die stille Sehnsucht an. Das Weib ist auf einen kleinen Kreis beschränkt, den es aber klarer überschaut; es hat mehr Geduld und Ausdauer in kleinen Arbeiten. Der Mann muß (!) erwerben, das Weib sucht zu erhalten; der Mann mit Gewalt, das Weib mit Güte oder List. Jener gehört dem geräuschvollen öffentlichen Leben, dieses dem stillen, häuslichen Circel (!). Der Mann arbeitet im Schweiße seines Angesichts und bedarf erschöpft der tiefen Ruhe; das Weib ist geschäftig immerdar, in immer ruhender Betriebsamkeit. Der Mann stemmt sich dem Schicksal selbst entgegen, und trotzt schon zu Boden liegend der Gewalt; willig beugt das Weib sein Haupt und findet Trost und Hilfe noch in seinen Thränen (!).“ (Brockhaus 1815 zit. nach: Mitterauer 1985: 72).
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Grundpfeiler des Konzepts der Geschlechtscharaktere sind zusammenfassend die physiologische Differenzierung zweier Geschlechtskörper, die Anbindung sozialer und psychologischer Merkmale an die körperlichen Geschlechtsmerkmale und die polare Organisation der „männlichen“ bzw. „weiblichen“ Eigenschaften. Als Faktoren, welche die Entwicklung des Konzeptes der Geschlechtscharaktere bedingten, nennt der Sozialhistoriker Michael Mitterauer erstens die Säkularisierung, die zur Folge hatte, dass für vormals „göttliche Ordnungen“ nun die Natur die Verantwortung übernehmen musste, zweitens das aufklärerische Prinzip der Gleichheit, das nunmehr eine Begründung der männerrechtlichen Herrschaftsordnung und der Ungleichheit von Frauen verlangte, und drittens die sich entwickelnde Gleichberechtigung der höfischen Frau, gegen die es andere Gesellschaftsschichten abzusichern galt. Bildung und Aktivität der Frau am Hof wurden durchaus positiv bewertet und die Konzeption der Geschlechtscharaktere kann als bürgerliches Kontrastprogramm gegen den Hof betrachtet werden (vgl. Mitterauer 1985). Diese Tatsache ist auch ein Beispiel für die von Bourdieu argumentierte potentielle Differenz in der Bedeutung von „weiblich“ und „männlich“ in verschiedenen Klassen bzw. sozialen Feldern. Ausgehend vom Bürgertum und der darin starken Polarisierung von Haus- und Erwerbsarbeit die durch die Industrialisierung auch auf die Arbeiterschaft überging, sowie der Emotionalisierung der Familie im 19. Jahrhundert, fand das Konzept der Geschlechtscharaktere eine weite Verbreitung. Für diese Verbreitung und deren Akzeptanz waren die Absicherung und der Ausbau des Konzeptes durch immer neu hinzukommende wissenschaftliche Erkenntnisse der Biowissenschaften entscheidend. Gesellschaftlich wurde das Argument der Natur der Differenzen vor allem gegen die erste Frauenbewegung Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Der von dieser sozialen Bewegung geforderte Zugang zu Bildung und politischer Mitbestimmung konnte so mit dem Argument des Widerspruchs zur natürlichen Weiblichkeit noch abgewehrt werden (vgl. Mitterauer 1985). Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ergaben sich durch gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale und politische Veränderungen Verschiebungen in den Inhalten der als „weiblich“ oder „männlich“ konzipierten Eigenschaften. Die Differenzierung zweier biologischer Geschlechter und die damit einhergehende Arbeitsteilung sind jedoch grundlegend in das Alltagsverständnis eingegangen und werden nach wie vor hauptsächlich als „natürlich“ und damit „unveränderbar“ wahrgenommen. Bourdieu spricht in seiner historischen Betrachtung der männlichen Herrschaft von einer konstanten Enthistorisierungsarbeit, die zu Gunsten der Reproduktion der sozialen Ordnung geleistet wird, einer „konstanten Differenzierungsarbeit, der die Männer und Frauen unaufhörlich
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unterworfen sind und die sie dazu bringt, sich zu unterscheiden, indem sie sich vermännlichen oder verweiblichen“ (Bourdieu 2005b: 147). Verschiedene Ansätze der biologischen Begründung der Geschlechterdifferenz, darunter die Soziobiologie, Humanethologie, Evolutionstheorie, Gentechnologie, Hirnforschung u.a. hatten und haben im 20. und 21. Jahrhundert Hochkonjunktur und weiteten ihren Anspruch auf Erklärungskompetenz auf Kultur, Geschichte und Gesellschaft kontinuierlich aus (vgl. Ehalt 1991: 9). Aus den Alltagsvorstellungen über Geschlecht lassen sich fünf grundlegende Annahmen, deren Wurzeln in den Naturalisierungsprozessen der Aufklärung liegen, herausarbeiten:
es gibt nur zwei Geschlechter die Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter wird über äußerliche Zeichen bestimmt eine Doppelzugehörigkeit ist nicht möglich für das Geschlecht das man hat kann man nichts im Laufe eines Lebens bleibt das Geschlecht gleich (vgl. Wobbe 2005: 460; Heintz 1993: 26)
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint die „natürliche Ordnung der Geschlechter“ in der westlichen Gesellschaft an Funktionalität einzubüßen. Feminismus, der Zugang zu Bildung, dramatisch sinkende Geburtenraten, Gleichberechtigungsnormen, Frauen, die den Arbeitsmarkt auch für sich beanspruchen und „sich die Tür lieber selbst aufmachen“, neue Lebens- und Familienformen usw. führen zu einer Unsicherheit in Bezug auf Geschlechterwissen und zu einem Kampf der Disziplinen um die Deutungsmacht über Geschlechterkonzeptionen. Einen entscheidenden Beitrag zur Dynamisierung des Geschlechterdiskurses leistete und leistet der Feminismus, der seit Ende des 19. Jahrhunderts mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen um Gleichberechtigung der Geschlechter kämpft. Wissenschaftliche Disziplinen die ebenfalls zentral am Geschlechterdiskurs beteiligt sind, sind nach wie vor die Biologie, die Medizin, allen voran die Bereiche der Genforschung, Hirnforschung und Reproduktionsforschung, die Psychologie, die Sozialwissenschaften und die Erziehungswissenschaften. Als eine Transformationsplattform von wissenschaftlichem Wissen in „verständliches“ Wissen leisten unter anderem Sachbücher einen wichtigen Beitrag zur Qualität gesellschaftlich historischen Wissens. Die Art und Weise, wie in ihnen welches wissenschaftliche Wissen wozu in populärwissenschaftliches Geschlechterwissens transformiert wird, ist Gegenstand der vorliegenden
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Untersuchung. Der nächste Schritt führt zur Darstellung des Feministischen Geschlechterwissens, wobei es zunächst darum gehen wird, wichtige Grundlagen und Entwicklungen dieser jungen Wissenschaft zu beschreiben. Im Anschluss wird das Feministische Geschlechterwissen nach seinem Verunsicherungspotential befragt und untersucht, in welcher Form dieses wissenschaftliche Wissen von den Geschlechtern Eingang in ausgewählte populärwissenschaftliche Publikationen findet oder nicht findet.
1.4 Feministisches Geschlechterwissen Frauenbewegung und feministische Politik Wie bereits dargestellt wurde, diente die zunehmende Naturalisierung der Geschlechter, durch die das soziale Geschlecht als Emanation des natürlichen Geschlechts festgelegt wurde (vgl. Maihofer 1995: 69), als Begründung dafür, dass die Ideale der Aufklärung, alle Menschen sind frei geboren und gleich an Rechten, für Frauen nicht galten. Als kritische Reaktion und Gegenbewegung entstand im Zuge dieser Entwicklung die Erste Frauenbewegung, in der es primär darum ging, den Zugang zu Recht und Bildung für Frauen einzufordern und die mit dem Naturrecht argumentierte Gleichsetzung von Mann = Mensch zu kritisieren. Die binäre Geschlechterdifferenzierung, die den Frauen ausschließlich den privaten, häuslichen, reproduktiven Bereich als ihrem Wesen entsprechendes Metier zugestand, war die Grundlage dafür, dass Frauen aus allen öffentlichen Belangen ausgeschlossen wurden (vgl. Wobbe 2005: 449ff). In der Ersten Frauenbewegung ist allen voran die französische Frauenrechtlerin und Revolutionärin Olympe de Gouges (1748-1793) zu nennen, die, reagierend auf die im Zuge der Französischen Revolution verkündete, exklusiv für Männer geltende „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ (1791), die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ verfasste, in denen sie volle rechtliche, politische und soziale Gleichstellung der Frauen forderte (vgl.http://de.wikipedia.org/wiki/Erklärung_der_Rechte_der_Frau_und_Bürgerin ). In dem Prozess, der de Gouges daraufhin gemacht wurde und in dem sie schließlich zum Tode verurteilt wurde, tauchte der Begriff Feminismus zum ersten Mal auf (vgl. Thiessen 2004: 35). Im weiteren zeitlichen Verlauf bildeten sich immer wieder Kollektive, die sich mit der „Frauenfrage“ beschäftigten. Einen weiteren Höhepunkt erreichte die erste Frauenbewegung an der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Nach wie vor kämpften Frauen für einen (den Männern) gleichen Zugang zu Recht und Bildung.
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Die Zweite Frauenbewegung begann in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts und widmete sich primär Fragen der geschlechtlichen Arbeitsteilung und der Befreiung der Frauen aus einer männlichen Herrschaft und Logik, die sich durch alle Bereiche der Gesellschaft zog. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts lag schließlich die Geburtsstunde der Queer Bewegung, die bis heute aktiv ist und deren politisches und gesellschaftliches Ziel in der Aufweichung und Sprengung des engen Korsetts der Geschlechterordnung liegt (vgl. Gese 2001: 74; Hartmann 2006). Die politische Strategie der Queer Bewegung liegt dabei in der Sichtbarmachung und Darstellung von bisher Unsichtbar-Gemachtem und unterhält einen starken Bezug zur amerikanischen Soziologin Judith Butler, deren Theorie zu einem späteren Zeitpunkt vorgestellt wird. Aktuell herrschen in der politischen Diskussion zu Geschlechterfragen die Konzepte des Gender Mainstreaming und Managing Diversity vor. Gender Mainstreaming wurde Ende der 1990er Jahre zur Leitlinie der EU Gleichstellungspolitik erhoben und findet sich derzeit in vielen politischen und wirtschaftlichen Programmen als Richtlinie wieder. Managing Diversity ist eine Strategie des Personalmanagements, bei der das Ziel verfolgt wird, die Vielfalt der Potentiale der ArbeitnehmerInnen, die durch deren Verschiedenheit entstehen, positiv für die Effizienz des Unternehmens zu nutzen. Gender Mainstreaming ist eine Variante des Managing Diversity und konzentriert sich einerseits auf die Nutzung weiblicher Potentiale und will auf politischer Ebene erreichen, dass alle zu treffenden Entscheidungen auf ihre unterschiedlichen Auswirkungen auf Männer und Frauen untersucht werden. Beide Konzepte stammen aus der Ökonomie, was in ihren spezifischen Begrifflichkeiten leicht abzulesen ist: Genderkompetenz, Gendersensibilität, Gendercoachings, Gender Change Management, Gender Trainings dienen hierfür als Beispiele und erwecken den Eindruck, dass beide Konzepte ein spezielles ExpertInnenwissen erfordern. Kennzeichnend ist ebenso die Top-Down-Strategie der Konzepte, d.h. dass die speziellen Bedürfnisse von Frauen und Männern von (Gender)ExpertInnen, ManagerInnen usw. erforscht, definiert und befriedigt werden (vgl. Wetterer 2003: 131ff). Angelika Wetterer, Professorin für Geschlechtersoziologie & Gender Studies an der Universität Graz, ortet bei beiden Strategien eine „rhetorische Modernisierung“, und beschreibt damit den Umstand, dass vor allem über die verwendete Sprache eine vermeintliche Modernisierung transportiert wird, tatsächlich durch die Suche nach und die Betonung von Geschlechtsunterschieden ein Revival von Geschlechtertheorien, die in der aktuellen feministischen Geschlechterforschung bereits als überholt gelten, stattfindet. Rhetorisch ist die Modernisierung ebenso, weil Grundsätze zwar als Leitlinien
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formuliert werden, die praktische Umsetzung jedoch weitgehend auf sich warten lässt. Wetterer kritisiert beide Strategien unter dem Aspekt der Professionalisierung, d.h. der Herstellung eines ExpertInnenwissens, das nur durch die Beteiligung von bzw. Supervision durch GenderexpertInnen in die Tat umgesetzt werden kann. Sie spricht kritisch von einem „Arbeitsbeschaffungsprogramm für GenderexpertInnen“ und stellt fest, dass es sich bei beiden Konzepten in der Zielsetzung und Konzeption nicht um Gleichstellung im Sinne einer feministischen Gleichstellungspolitik handelt (vgl. Wetterer 2003: 139ff). Grundlagen für eine feministische Gleichstellungspolitik formulierte Gudrun Axeli Knapp 1997. Sie orientiert sich dabei an feministischer Theorie und arbeitet deren Nutzen für politische Strategien der Gleichstellung heraus (vgl. Knapp 2004).
Feministische Theorie Parallel zu und im Austausch mit den politischen Frauenbewegungen formierte sich der Feminismus als wissenschaftliche Disziplin, die sich bis heute ausdifferenziert und pluralisiert hat. So existieren zur Zeit im wissenschaftlichen Feld verschiedene Feminismen, die jedoch nach wie vor eine gemeinsame Grundlage haben, nämlich, die Kritik an einer Gesellschaftsordnung, die Frauen benachteiligt, und das Ziel, die Lebenssituationen von Frauen und bestehende Machtverhältnisse zu verändern (vgl. Thiessen 2004: 36). Der politik- und gesellschaftskritische Impetus der Frauenbewegung ist bis heute allen Feminismen erhalten geblieben, die Wege zur Gleichberechtigung bzw. das Verständnis von Gleichberechtigung und die darin liegende Vorstellung des Geschlechterverhältnisses variieren mitunter jedoch stark. Differenzen innerhalb der Feminismen bestehen in der grundlegenden Konzeption der Bedeutung der Geschlechterdifferenz, der Geschlechtsidentität und des Geschlechterverhältnisses sowie in der Fokussierung bestimmter Aspekte der Geschlechterordnung und in den Ansätzen für Veränderung und politische Strategien (vgl. Heinrichs 2001: 70ff). Generell lassen sich drei wissenschaftliche Paradigmen innerhalb des Feminismus unterscheiden, die historisch zwar nacheinander entstanden sind, heute jedoch nebeneinander weiter existieren: der Gleichheitsfeminismus, der Differenzfeminismus und der Dekonstruktivistische Feminismus. Die elementare Auffassung von Geschlecht ist dabei der Angelpunkt, auf den sich alle weiteren Unterschiede und Unterscheidungen zurückführen lassen. Einhellig wird die Naturalisierung von Geschlechterdifferenzen abgelehnt und die Grundvorstellung, dass wir nicht als Mädchen geboren, sondern dazu gemacht werden, die
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die französische Philosophin und Autorin Simone de Beauvoir in „Le Deuxieme Sexe“ (dt. „Das andere Geschlecht“) 1949 formuliert hat, ist einheitlicher Ausgangspunkt der Theorien (vgl. Schmidt; Knapp 2007: 32).
Sex und gender Um dem Diskurs über die natürliche Bestimmung der Geschlechter argumentativ begegnen zu können, wurde Ende der 1960er Jahre ein Konzept in den Feminismus integriert, das in weiterer Folge viel diskutiert und so zentral wurde, dass sich kaum eine feministische Theorierichtung einer Positionierung diesem Konzept gegenüber enthalten konnte (vgl. Heinrichs 2001: 123). Aus der medizinischen Diskussion um die Transsexualität, in der der Psychoanalytiker Robert Stoller darauf aufmerksam machte, dass die Beziehung zwischen dem biologischen Geschlecht und den gängigen Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen viel komplexer sei als bisher angenommen (vgl. Hof 2005: 12), wurde die Unterscheidung von „sex“ und „gender“ in den Feminismus übernommen (vgl. Schmidt & Knapp 2007: 71). Sex bezeichnet dabei das biologische Geschlecht, den Geschlechtskörper, und gender die kulturelle Formung, das gesellschaftliche, soziale Geschlecht. Der Zusammenhang zwischen sex und gender lässt sich nicht kausal bestimmen; die Konzeption, dass auf ein biologisch weibliches Geschlecht ein ebenso sozial weibliches Geschlecht folgt, wird als ein Ergebnis eines repressiven Androzentrismus betrachtet (vgl. Heinrichs 2001: 123). Ethnologische Studien konnten diese These durch zahlreiche Untersuchungen bestätigen, die ergaben, dass die Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit kulturell variieren können, (vgl. Hof 2005: 12; Heintz 1993: 19). Durch die Konzeption von sex als biologischem und gender als sozialem Geschlecht und die Annahme, dass beide in einem nicht-kausalen Verhältnis zueinander stehen, wurde eine scharfe Trennlinie zwischen Natur und Kultur gezogen. Damit begegnete man Argumenten, die für kulturelle Aufgaben und Zuordnungen der Geschlechter nach wie vor mit dem natürlichen Wesen des Weibes argumentierten. Gender galt als soziale Konstruktion und folglich war es nicht mehr möglich, die hierarchische Geschlechterordnung mit dem Rückgriff auf ein Naturrecht zu verteidigen (vgl. Hof 2005: 16). In der feministischen Forschung lag die Konzentration auf Gender-Fragen und die Beschäftigung mit sex, dem biologischen Geschlecht, wurde primär den Naturwissenschaften überlassen (vgl. Villa 2008: 202).
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Geschlecht als Strukturkategorie Neben der Unterscheidung von sex und gender ist die Konzeption von Geschlecht als Strukturkategorie, die aus den Untersuchungen zum Geschlechterverhältnis Mitte der achtziger Jahre von der deutschen Soziologin Ursula Beer erarbeitet wurde, ein für den Feminismus wichtiges Theorem (vgl. Schmidt & Knapp 2007: 35). Geschlecht wird dabei als Ursache für soziale Ungleichheit identifiziert und funktioniert als sozialer Platzanweiser, d.h. als Bezugspunkt für die ungleiche Verteilung von Status und Lebenschancen zwischen den Genusgruppen (vgl. Degele 2008: 65). Die strukturierende Wirkung geht dabei von dem Umstand aus, dass sich die Unterscheidung der Geschlechter durch das gesamte Kulturgefüge zieht und von ihm vollzogen wird, so dass gesellschaftliche, soziale, politische Ordnungs- und Organisationsprinzipien notwendiger Weise der grundlegenden Logik der Differenz folgen. Problematisch ist diese Logik wiederum insofern, dass gleichzeitig mit der Differenzierung der Geschlechter in zwei, eine Hierarchisierung erfolgt und so Frauen auf strukturelle Benachteiligung in gesellschaftlichen Institutionen stoßen (vgl. Schmidt & Knapp 2007: 36). TheoretikerInnen, die zentral mit dem Konzept der Strukturkategorie arbeiten (u.a. Regina Becker-Schmidt, Ursula Beer, Claudia Honegger und Sylvia Walby) nehmen eine kritische, politische Perspektive auf gesellschaftliche Phänomene, die eine Grundstruktur geschlechtlicher Ungleichheit transportieren, ein (vgl. Degele 2008: 15). Heute wird in Zusammenhang mit diesem Konzept und der Modernisierung des Geschlechterverhältnisses in den letzten Jahrzehnten durch Erwerbsbeteiligung von Frauen, Angleichung des Bildungsniveaus und der Tatsache, dass nunmehr auch Männer von sozialen Ausschlüssen betroffen sind, über die strukturelle Bedeutsamkeit der Geschlechtskategorie debattiert. Geschlecht als Strukturkategorie wurde im Zuge dieser Debatte von einigen Wissenschafterinnen zu Gunsten des Konzepts von Geschlecht als Prozesskategorie verabschiedet. Vor allem SystemtheoretikerInnen orten eine Dethematisierung von Geschlecht, das heißt, dass Geschlecht als Strukturkategorie dysfunktional geworden ist und somit an Bedeutung verliert. Andere Wissenschafterinnen argumentieren, dass die Thematisierung oder Dethematisierung von Geschlecht kontextabhängig ist und variabel passiert. Wieder andere, wie zum Beispiel Angelika Wetterer entlarven hinter einer vermeintlichen Dethematisierung eine rethorische Modernisierung, eine Modernisierung, die zur Norm auserkoren ist und zwar gut klingt, an den tatsächlichen Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis jedoch nichts ändere.
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Feministische Paradigmen Der Gleichheitsfeminismus ist die historisch älteste Auffassung und entstand aus der Ersten Frauenbewegung, in der es darum ging, gleiches Recht für Männer und Frauen zu fordern. Hauptargument ist die Annahme, dass biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern keinerlei soziale Bedeutung haben und somit alle Menschen von Natur aus gleich sind. Soziale Unterschiede entstehen demnach nur aus unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen von Frauen und Männern. Die Logik, die hinter dieser Auffassung steckt, folgt der Idee, dass gleiche Rechte nur bekommen kann, wer gleich ist. Da Frauen um den Zugang zu gleichen Rechten kämpften, verfolgten sie die Strategie, sich in ihrer Argumentation als (den Männern) gleich zu konstruieren und die grundsätzliche Gleichheit der Geschlechter zu propagieren. Der liberale, der marxistische und der sozialistische Feminismus sind Theorien, die dem Paradigma der Gleichheit folgen. Die zahlreiche Kritik an diesem Ansatz richtet sich vor allem gegen die Orientierung am Mann als Norm, an der sich die Gleichheit misst. Sie arbeitet heraus, dass die Gleichbehandlung von Ungleichen (den Frauen) lediglich Ungleichheit verstärkt und nicht retrospektiv Gleichheit herstellen kann (vgl. Knapp 2004: 154). Diese Kritik wurde in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erstmals von VetreterInnen des Differenzfeminismus formuliert. Sie stellten sich gegen den Gleichheitsgedanken und postulierten die Differenz der Geschlechter indem sie das spezifisch Weibliche und dessen Aufwertung, z.B. weibliche Sexualität, weibliche Erfahrungs- und Lebenszusammenhänge usw. in den Mittelpunkt ihres Interesses stellten. Analog dazu wurde in der politischen Frauenbewegung die Befreiung der Frauen aus der männlichen Ordnung, weibliche Selbstbestimmung und weibliche Selbstverwirklichung gefordert. Im Unterschied zum Gleichheitsfeminismus gewann das biologische Geschlecht sex deutlich an Bedeutung und galt als Ausgangspunkt der Differenz. Der gesamte Fokus der Frauenforschung lag auf der Frau: Frauen forschten über und mit Frauen für Frauen. Gesucht wurden Antworten auf die Frage wie man zur Frau wird und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Ein weibliches Sonderwissen wurde theoretisch erforscht und gefasst und dem männlichen Denken korrigierend gegenübergestellt (vgl. Heinrichs 2001: 115). Wissenschafterinnen die von einer grundlegenden Differenz ausgehen, formierten und formieren sich je nach Hauptaugenmerk zum Psychoanalytischen, Radikalen, Postkolonialen, Phänomenologischen, Italienischen oder Französischen Feminismus. Am Differenzansatz wurde und wird vor allem kritisiert, dass er die häusliche Arbeitsteilung zementiert, die bipolare Geschlechterkonstruktion
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fortschreibt und Gefahr läuft, traditionelle Weiblichkeitsbilder zu ikonisieren (vgl. Knapp 2004: 153). In den 80er Jahren entstand gegenüber der Frauenforschung die Männerbzw. Männlichkeitsforschung, die zunächst auch eine differenztheoretische Position vertrat und ihren Fokus primär auf Männer und Männlichkeitsvorstellungen richtete. Sie lieferte die wichtige Erkenntnis, dass auch Männer ein Geschlecht haben bzw., dass die bestehende Geschlechterordnung nicht nur Hierarchien zwischen Männern und Frauen bedingt, sondern durch die Bevorzugung einer exklusiven, bürgerlich geprägten Männlichkeit ebenfalls Hierarchien unter Männern einrichtet (vgl. Maihofer 2004: 60ff). Hauptakteure der Männerforschung sind die australische Soziologin Raewyn Connell (ehemals Robert Connell), der deutsche Sozialwissenschaftler Hans-Joachim Lenz, der deutsche Politikwissenschaftler Peter Döge, der britische Soziologe Jeffrey Richard Hearn, der deutsche Soziologe Michael Meuser et.al.. Die Erkenntnis, dass Frauen bzw. Männer alles was sie tun immer in einer bestimmten gesellschaftlichen und geschlechtlichen Konstellation tun, dass das Eine (das Männliche) immer im Verhältnis zum Anderen (dem Weiblichen) handelt und hergestellt wird und vice versa, verbreitete sich in den 1980er Jahren und der Fokus in der Forschung wurde vom Geschlecht Frau (bzw. Mann) auf das Geschlechterverhältnis verschoben bzw. erweitert. In weiterer Folge setzte sich Ende der 1990er Jahre die Bezeichnung Geschlechterforschung durch, die sich von der Frauen- bzw. Männerforschung insofern unterscheidet, dass sie beansprucht, immer beide Geschlechter und die Kategorie Geschlecht an sich in die Forschungsperspektive einzubeziehen (vgl. Maihofer 2004: 69). Das Dilemma des Gleichheitsfeminismus, dass nämlich durch die Gleichbehandlung Ungleicher lediglich größere Ungleichheit entsteht, und das Dilemma des Differenzfeminismus, der durch die Betonung der Differenz die dichotome Konstruktion der Geschlechter fortschreibt, wurden seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts ausgiebig diskutiert (vgl. Knapp 2004: 155). Als Grundstein der hierarchischen und ungerechten Gesellschaftsordnung wurde in dieser Diskussion die Konzeption der Zweigeschlechtlichkeit an sich herausgearbeitet, die vom Gleichheitsansatz und vom Differenzansatz bisher lediglich in ihren Auswirkungen, nie jedoch in ihren Grundfesten kritisiert worden war (vgl. Nentwich 2004: 28). Als mögliche Auswege aus der Zweigeschlechtlichkeit wurden das Aufgeben des Geschlechts (Androgyniekonzept), die Einführung mehrere Geschlechter (z.B. sieben), die Auflösung der hierarchischen Struktur durch das Konzept der Egalitären Differenz (vgl. Ralser 2001) sowie die Auflösung der Dichotomien und die damit einhergehende Ermöglichung von Wechseln und Kombinationen der Geschlechtsidentität(en) innerhalb eines Körpers und eines Lebens diskutiert (vgl. Nentwich 2004: 27).
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Als Reaktion auf die Problematisierung der Zweigeschlechtlichkeit formierte sich schließlich, ausgehend aus dem angloamerikanischen Raum, der postmoderne (englische Bezeichnung) bzw. dekonstruktivistische (deutsche Bezeichnung) Feminismus. Charakteristisch dafür ist die Auffassung, dass das Geschlecht ein Effekt von Diskursen im Sinne Foucaults ist und, dass niemand ein Geschlecht (von Natur aus) hat, aber jeder und jede ein Geschlecht (sozial) tun muss. Die Ursache für die Ungleichheit wird in sozialen Prozessen identifiziert, die, um das Funktionieren der Interaktion sicherzustellen, die Teilnehmenden dazu nötigen, ein Geschlecht einerseits herzustellen und andererseits vom Gegenüber zu erwarten (vgl. Nentwich 2004: 29). Das Ziel des Postmodernen Feminismus besteht in der Dekonstruktion von Geschlecht als relevanter gesellschaftlicher Ordnungskategorie an sich. Der Ethnomethodologische Feminismus mit der Grundkonzeption des „doing gender“ und der Diskurstheoretisch-Dekonstruktivistische Feminismus mit der „Performance Theorie“ sind die Hauptvertreter des dekonstruktivistischen Paradigmas. Die Kritik am dekonstruktivistischen Ansatz ortete und ortet wiederum ein theoretisches Paradox: durch die Dekonstruktion von Geschlecht kommt dem Feminismus nämlich sein Objekt abhanden. Denn wenn Geschlecht dekonstruiert wird, ist es schwierig zu argumentieren, dass man nach wie vor für geschlechtliche Gleichberechtigung kämpft. Aus diesen Gründen wurde für den dekonstruktivistischen Feminismus auch der Begriff des Postfeminismus geprägt, der sich aus Perspektive der KritikerInnen in einem Prozess der Selbstdemontage befindet. Im 21. Jahrhundert wird von vielen WissenschafterInnen vorgeschlagen, dass die Grundkonzeptionen des Gleichheits-, Differenz- und dekonstruktivistischen Feminismus nicht mehr in einem Konkurrenzverhältnis gedacht, sondern in ein gegenseitigen Ergänzungs- und Befruchtungsverhältnis gebracht werden sollen (vgl. Knapp 2004; Nentwich 2004; Galster 2004). Vor allem für politische Aktivitäten bietet sich an, je nach Thema bzw. Anlass die eine oder andere Perspektive zu wählen: für rechtliche Fragen den Gleichheitsansatz, für den Aufbau frauenspezifischer Strukturen den Differenzansatz und für die Kritik an binären Geschlechterkodierungen den dekonstruktivistischen Ansatz (vgl. Knapp 2004: 156). Zur Illustration der heute primär relevanten Theorien des Differenzfeminismus und des Dekonstruktivistischen Feminismus und des dazugehörigen elaboriert-feministischen Geschlechterwissens werden im Folgenden ausgewählte feministische Theorien, die sich dem Differenz- oder Dekonstruktivistischen Paradigma zuordnen lassen, exemplarisch dargestellt.
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Differenztheoretisches Paradigma Grundlegend für den differenztheoretischen Feminismus ist die Auseinandersetzung mit und die Betonung von Differenz/en. Die natürliche Existenz der Geschlechterdifferenz wird dabei zunächst vorausgesetzt, im weiteren Verlauf aber als kulturell hervorgebracht beurteilt. Problematisiert und kritisiert wird die unterschiedliche Bewertung der beiden Seiten der Differenz, die Abwertung und Ausblendung des Weiblichen und der Frau in den Wissenschaften und in der Gesellschaft. Im Zentrum steht die Betonung und Aufwertung der anderen Seite der Differenz, des Weiblichen. Verschiedene differenztheoretische feministische Theorien bewegen sich bei dieser Betonung des Weiblichen auf einer Skala bei der ein Pol die Existenz der Differenz lediglich bejaht und der andere Pol eine spezifische, ganz andere Natur der Frau postuliert (vgl. Heintz 1993: 21; Nentwich 2004: 23f; Hof 2005: 8f; Knapp 2004: 154ff). Als Vorteil des Differenzansatzes ist anzumerken, dass er zugleich eine Orientierung an Erfahrungen von Frauen, eine Betrachtung der Geschlechterdifferenz als historisches Konstrukt und die Analyse der sozialen Re/konstruktion von Geschlecht ermöglicht (vgl. Galster 2004: 95). Als zwei exemplarische Beispiele für feministische Theorien, die dem Differenzparadigma zuzuordnen sind, stelle ich kurz den Psychoanalytischen und den Mailänder Feminismus vor. Ein Blick auf die französische Philosophin und Psychoanalytikerin Luce Irigaray, eine Vertreterin des Philosophischen Feminismus, bietet sich einleitend an, da sie ein wichtiger Bezugspunkt für beide genannten Theorien ist.
Luce Irigaray Luce Irigaray, Psychoanalytikerin, Feministin und Kulturtheoretikerin (*1930) hat für den feministischen Differenzansatz wichtige Grundlagen und Bezugspunkte erarbeitet. Wesentlich beeinflusst ist ihre Theorie einerseits vom französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan (1901-1981) und seiner Konzeption des Spiegelstadiums und andererseits von der Dekonstruktionstheorie des französischen Philosophen Jacques Derrida2 (1930-2004). In ihrem 2
Jacques Derrida, *1930 in El Biar bei Algier, +2004 in Paris, war Professor für Philosophiegeschichte an der Ecole Normale Supérieure in Paris. Seine Schriften vertreten und praktizieren eine faktische Unabschließbarkeit von Bedeutungsgeschehen und versuchen klassische Dichotomien und Hierarchien als bedingte Möglichkeiten zu analysieren; sie befragen und verschieben historische „Selbstverständlichkeiten“ und erproben mediale Formen eines (un-)möglichen Denkens an den Grenzen konfigurativer Kräfte der abendländischen Tradition; sie vertrauen auf die Gabe, die
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Werk versucht sie die „Ideologie des Einen“, die sie hinter der Patriarchatskonstruktion vermutet und die im Phallus materialisiert ist, historisch herauszuarbeiten und ihr eine Ideologie der Differenz, deren Verobjektivierung sie in den zwei Schamlippen der Frau ausmacht, eine neue Sprache der Frauen („parler femme“) entgegenzusetzen. Mit der Befreiung der Frau aus der patriarchalen Logik sieht sie den Weg zu einer möglichen neuen Art der Beziehung zwischen Frauen und Männern bereitet. Ihre wichtigsten Veröffentlichungen sind „Speculum, Spiegel des anderen Geschlechts“ (1974), „Das Geschlecht, das nicht eins ist.“ (1979) und „Ethik der sexuellen Differenz“ (1991) (vgl: http://de.wikipedia.org/wiki/Luce_Irigaray). Die Unterdrückung der Frau liegt für Irigaray auf körperlicher Ebene begründet: die ganzheitliche Körpererfahrung die eine Frau bei einer sexuellen Begegnung erlebt, löst beim Mann eine Angst vor Verschmelzung aus und die Befürchtung, dass die Frau durch ihre Zweiheit (Schamlippen) die Einheit (Penis) des männlichen Systems bedroht. Als Reaktion auf diese Angst entwickelte sich die Unterdrückung und Verdrängung der Frau, die in der patriarchalen Ordnung durchgehend eingeschrieben ist (vgl. Pinl 1993: 15). Die Emanzipation aus der die Frauen unterdrückenden, symbolischen Ordnung des Patriarchats muss sich nach Irigaray an der Betonung der Differenz orientieren. Sie betont, dass die gängige Konzeption von Weiblichkeit ein Produkt des Patriarchats ist und nicht der von ihr gemeinten Differenz entspricht. Im Patriarchat wird der Mann als Mensch gesetzt, die Frau dient ihm als Spiegel und Ablagefläche für eigene Defizite. In dieser Umgebung kann die Frau keine vollständige, eigene und vom Männlichen unabhängige Identität erreichen, weil nie sie, sondern, auch in ihr und über sie, immer nur der Mann und das Männliche projiziert wird. Um zurück zur wahrhaften Natur der Frau zu kommen, die außerhalb der binär organisierten Geschlechterkonzeption und des Patriarchats liegt, schlägt Irigaray eine konsequente Nichtanpassung an männliche Diskurse und im Gegenzug die Entwicklung eines „weiblichen Sprechens“ („parler femme“), einer weiblichen Ökonomie, einer weiblichen Philosophie, Religion – kurz einer weiblichen symbolischen Ordnung vor (vgl. Heinrichs 2001: 81ff). Um zu einer eigenen Identität zu gelangen müssen sich Frauen einen eigenen Ort außerhalb der patriarchalen Logik schaffen. Laut Luce Irigaray kann es über die Stärkung der Mutter-Tochter Beziehung bzw. der Beziehung unter Frauen, über die Entwicklung einer weiblichen Sexualität und die Praxis der Mimesis, die sich durch Annahme und Umdeutung männlicher Bilder beschreiben lässt, Frauen gelingen ihre weibliche Phänomenologie, die zu
Freundschaft und die Gastfreundschaft, jeweils als un-bedingt gedacht, als Orientierungsideal. Derrida verstand seine Arbeit als praktisch-politische Angelegenheit.
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Zeiten des Matriarchats bestand, zurückzugewinnen und wieder auferstehen zu lassen (vgl. Heinrichs 2002: 84; Pinl 1993: 15ff; Galster 2004: 42f).
Die Mailänderinnen Unter der Bezeichnung „Die Mailänderinnen“ werden die Vertreterinnen der Philosophinnengemeinschaft „Diotima“ und das Autorinnenkollektiv der Mailänder „Libreria delle Donne“ zusammengefasst, die sich in den 1970er Jahren zusammengeschlossen haben und sich mit der Verknüpfung von persönlicher und politischer Theorie und Praxis, sowie mit Fragen der Weiblichkeit und der Differenz beschäftigten (vgl. Kahlert 2004: 91). Ihr Buch „Wie weibliche Freiheit entsteht“ (Originaltitel: „Non credere dei avere dei diritti“ 1987) wurde in der Frauenbewegung zum Kultbuch. Die Autorinnen sprechen sich darin dezidiert gegen eine Politik der Gleichheit aus, kritisieren die mitunter zerstörerischen Strukturen innerhalb der Frauenbewegung, die sich in Neid, Kampf und gegenseitiger Abwertung äußern, und liefern mit der Politik des „affidamento“ gleich eine Alternative der neuen Solidarität unter Frauen mit (vgl. Pinl 1993: 23). In Anlehnung an Luce Irigaray unterstreichen sie, dass die „wahre“ Differenz der Geschlechter erst in einer Form, in der das Weibliche nicht auf das Männliche zurückgeführt wird, entwickelt werden muss. Die sexuelle Differenz bildet dafür die unhinterfragbare Grundlage. „Die sexuelle Differenz ist eine ursprüngliche Differenz im Menschsein. Wir dürfen sie nicht in dieser oder jener Bedeutung einschließen, wir müssen sie zusammen mit unserem KörperSein akzeptieren und ihr Bedeutung geben – als unerschöpflicher Quelle immer neuer Bedeutungen.“ (Libreria delle donne die Milano 1988: 150)
Ebenso betonen sie die Differenzen zwischen Frauen (Ethnien, Alter, Interessen, Klasse, usw.) als auch innerhalb einer Frau und plädieren in der „Praxis der Ungleichheit“ für deren Anerkennung und Wertschätzung als zentrale Aspekte auf dem Weg zur Befreiung der Frau. Die Mailänderinnen sehen den Ursprung der Gesellschaft in einer Tauschordnung von Gütern und Worten, in der Männer Subjekte des Tausches waren, also getauscht haben und sich gegenseitig Anerkennung und Autorität verliehen. Frauen hingegen waren entweder vom Prozess des Tausches ausgeschlossen oder selbst Tauschobjekte, wurden also getauscht. Deshalb hatten Frauen nicht die Möglichkeit und Position sich gegenseitig Anerkennung entgegenzubringen und Autorität zu verleihen. Um sich (heute) zu befreien, müssen Frauen Tauschende werden und aus der Abhängigkeit von einer männlichen Anerkennung (die ihnen nichts nützt) in ein Anerkennungsverhältnis zu anderen Frauen treten. Die Anerkennung der
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Symbolischen Mutter, die als Schlüsselsignifikat und Vermittlerin der symbolischen Ordnung eine Subjektwerdung der Frau ermöglicht, eine ihr gegenüber gelebte Dankbarkeit, sowie die Anerkennung der Unterschiede die unter Frauen bestehen, sind für diesen Befreiungsprozess entscheidend. Für diese angestrebte Praxis der Beziehungen unter Frauen prägten die Mailänderinnen den Begriff „affidamento“. Um befreiend zu wirken sollen Beziehungen unter Frauen von gegenseitiger Anerkennung, Verantwortung, Dankbarkeit, Wertschätzung und Solidarität getragen sein. Frauen sollen sich gegenseitig Autorität verleihen, sich anderen Frauen als Vermittlerin zur Welt anbieten, sich somit gegenseitig spiegeln und dadurch aneinander wachsen und voneinander lernen (vgl. Pinl 1993: 25ff; Kahlert 2004: 92f; Giese 1990: 81f). Durch dieses Gegenmodell zur männerbündnischen Kameradschaft wollen die Mailänderinnen einen Austritt aus dem „weiblichen“, vom Patriarchat gezähmten Zustand erreichen. Die Konzeption der Mailänderinnen bewegt sich auf ideeller und geistiger Ebene. In den Blick kommen primär Unterschiede von Frauen in Bezug auf Begehren, Wollen, Wünschen, Können, usw. während soziale Unterschiede wenig bearbeitet werden. Wie Luce Irigaray stellen sie sich gegen Gleichbehandlungsgesetze, die Frauen nur vehementer der männlichen, symbolischen Ordnung unterwerfen und setzen sich für eine geschlechtsspezifische Gesetzgebung, die die Differenz der Geschlechter berücksichtigt, ein. Die Rezeption der „ItalienerInnen“ erreichte ihren bescheidenen Höhepunkt in den 1980 und 90er Jahren (vgl. Galster 2004: 93).
Psychoanalytischer Feminismus Ziel des psychoanalytischen Feminismus war und ist es, Unterschiede in der psychischen Entwicklung von Jungen und Mädchen aufzuzeigen und eine Erklärung dafür zu finden, wie patriarchale Strukturen in die Psyche des/der Einzelnen eingeschrieben werden und dazu führen, dass Frauen zu einem Großteil so bereitwillig an ihrer Unterdrückung teilhaben (vgl. Heinrichs 2001: 93f). Dafür wurden zunächst die Theorien der klassischen Psychoanalyse, allen voran diejenigen von Sigmund Freud, der primär in seinen Untersuchungen zur weiblichen Hysterie und zur sexuellen Entwicklung beim Kind viel dazu beigetragen hat, die Frau als Mangelwesen, als Kastrierte und Entsexualisierte zu konstruieren, rezensiert. Die kritische Überarbeitung seiner Thesen leisteten vor allem Luce Irigaray und die deutsche Religionswissenschafterin Renate Schlesier in ihrem Buch „Konstruktionen des Weiblichen bei Sigmund Freud“ (1991). Im Gegensatz zu Freud, der als zentralen Prozess für die psychische
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Entwicklung die Verarbeitung des Ödipuskomplexes anführte, verlagerten sie ihren Blick auf die präödipale Phase und konzentrierten sich auf die frühe Mutter-Kind Beziehung (vgl. Schmidt & Knapp 2007: 138). Prämisse im psychoanalytischen Feminismus war und ist immer beide Geschlechter im Blick zu haben und beiden in ihren Besonderheiten gerecht zu werden. Die amerikanische Soziologin und Psychoanalytikerin Nancy Chodorow (*1944) war und ist eine der Vielen, die sich mit der weiblichen Sozialisation auseinander setzen. Sie widmet sich vor allem der Frage, wie es möglich ist, dass Care Tätigkeiten von Generation zu Generation immer wieder auf das weibliche Geschlecht übertragen werden. Dafür untersuchte sie in den späten 1970er Jahren die frühe Mutter- Kind Beziehung. Sie arbeitete heraus, dass ab dem Zeitpunkt, zu dem die Vorstellung des symbiotischen Einsseins mit der Mutter zu Gunsten von ersten Ablösungstendenzen langsam aufgegeben wird, die Entwicklung von Mädchen und Jungen entscheidend zu differieren beginnt. Mädchen tendieren dazu, sich stärker mit der Mutter zu identifizieren (und umgekehrt) und in einem Prozess des sich gegenseitigen Festhaltens von Mutter und Tochter, dauert es länger, bis das Mädchen sich von der Mutter lösen kann. Die Fähigkeiten des „Mutterns“ übernimmt es folglich für das eigene Selbstbild und speichert sie als Charakteristika des weiblichen Geschlechts schlechthin. Der Sohn drängt demgegenüber stärker in die Autonomie und wird auf diesem Wege von der Mutter auch unterstützt. Er identifiziert sich mit dem Vater oder dem Männlichen, der bzw. das ihm in der präödipalen Phase als konkretes Vorbild jedoch auf Grund von der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die der Mutter die Verantwortung für die Kindererziehung überlässt, unter Umständen gefehlt hat. Aus diesem Grund kann er „das Männliche“ nur negativ, als „das NichtWeibliche“, bestimmen. In diesem Prozess kommt es zu einer Abwehr und Abwertung des Weiblichen (weil es das Nicht-Männliche ist), was im weiteren Verlauf dazu führt, dass Männer die Fähigkeit des „Mutterns“ nicht erwerben und die geschlechtliche Arbeitsteilung über Generationen erhalten bleibt (vgl. Heinrichs 2001: 97f; Schmidt & Knapp 2007: 140f). Weitere WissenschafterInnen die dem Psychoanalytischen Feminismus zuzuordnen sind, sind die amerikanische Feministin und Psychoanalytikerin Jessica Benjamin, die die Gründe für die weibliche Entwicklung zur Unterordnung im Mangel an (väterlicher) Anerkennung, die der Vater der Tochter nicht in einem ausreichenden Ausmaß gewähren kann, da er sich nach wie vor vom Weiblichen abgrenzt, ortet; die britische Feministin Juliet Mitchell, die in Auseinandersetzung mit Jaques Lacan und Sigmund Freud den Ödipuskomplex als zentralen Mechanismus der Verinnerlichung patriarchaler Strukturen entlarvt; die amerikanische Psychologin Irene Fast, die sich mit
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unterschiedlichen Vorgängen der Geschlechterdifferenzierung bei Jungen und Mädchen beschäftigt, u.v.m.. In Auseinandersetzung mit den verschiedenen differenztheoretischen Feminismen und deren Betonung der Geschlechterdifferenz haben sich in den 1990er Jahren Ansätze entwickelt, die dem postmodernen, dekonstruktivistischen oder postfeministischen Paradigma angehören. Im Unterschied zum Gleichheits- oder Differenzparadigma versuchen sie das Problem der Zweigeschlechtlichkeit nicht mehr in seinen Auswirkungen zu kritisieren und zu bekämpfen, sondern es an seinen Wurzeln zu packen.
Dekonstruktivistischer Feminismus Die Sex-Gender-Debatte Das Ende der 1960er Jahre in den Feminismus eingeführte Konzept der Unterscheidung von sex, dem biologischen, und gender, dem sozialen Geschlecht, das primär dazu dienen sollte, Argumente von der Naturhaftigkeit der Geschlechterdifferenz besser zurückweisen zu können, stand Ende der 1980er Jahre innerhalb des Feminismus erneut zur Diskussion. Im Zuge der Sex-GenderDebatte kam es zur konstruktivistischen Wende, die einen Paradigmenwechsel in der feministischen Theorie einläutete (vgl. Mehlmann 2006; Hof 2005; Degele 2008). Die Kritik arbeitete dabei heraus, dass durch die Trennung von sex (Natur) und gender (Kultur), die Grundlage für die Geschlechterdifferenz (sex) nach wie vor in der Natur belassen wird und somit unangetastet bleibt, d.h. dass die Geschlechterdifferenz durch den Feminismus selbst naturalisiert und reifiziert wurde. Der Biologismus, den man durch die Trennung von sex und gender aus den Angeln heben wollte, wurde durch das Konzept also viel mehr (unabsichtlich) weiter getragen und bestätigt (vgl. Mehlmann 2006: 41ff). Die kritische In-Frage-Stellung der Unterscheidung von sex und gender innerhalb des Feminismus erfolgte Ende der 1980er Jahre schließlich auf mehreren Ebenen. Feministische kulturanthropologische Studien lieferten empirische Befunde die ergaben, dass sich Geschlechterkonzeptionen anderer Kulturen durchaus von unserer westlich-abendländischen Konzeption der Zweigeschlechtlichkeit unterscheiden. Die biologische Forschung brachte Ergebnisse, die eine scharfe Trennung von Natur und Kultur auf Ebene der Biologie deutlich in Frage stellten und die Wende, dass auch auf Seiten der Biologie durch die unterschiedlichen Möglichkeiten der Geschlechtsbestimmung (genetisches Geschlecht, Keimdrüsengeschlecht, hormonelles Geschlecht, morphologisches Geschlecht) Geschlecht als Kontinuum im Sinne eines mehr
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oder weniger und nicht mehr innerhalb der Logik entweder männlich oder weiblich gefasst wurde. Schließlich wurden wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die die Historizität des Geschlechtskörpers und der biologischen Begründung der Zweigeschlechtlichkeit herausarbeiteten (vgl. Mehlmann 2006: 43ff). Auf Grund dieser neuen Erkenntnisse wurde die Relation von sex und gender innerhalb des Feminismus neu bestimmt. Den entscheidenden Bezugspunkt zu dieser Neubestimmung bildete die Theorie des Konstruktivismus3, nach der es keinen reinen Zugang zur Natur geben kann, sondern die menschliche Begegnung mit der Natur immer schon kulturell und im Horizont eines zeitlich und kulturell je spezifischen Wissens vermittelt und ermöglicht wird. Die konstruktivistische Wende im Feminismus beschreibt den Zeitpunkt zu dem diese Konzeption in die feministische Theorie übertragen und nunmehr gefasst wurde, dass alle Aussagen über sex immer schon kulturell geformt und geprägt sind (und waren) und sex (das biologische Geschlecht) folglich ebenso wie gender als sozial und kulturell konstruiert gelten kann (vgl. Mehlmann 2006: 44f). Unter dieser neuen Perspektive wurden kulturelle Verfahren, die der Naturalisierung der Zweigeschlechtlichkeit dienen (sog. Biologismen) als Voraussetzung und Stabilisatoren für die jeweils existierende Geschlechterordnung und das Geschlechterverhältnis beschrieben (vgl. Villa 2008: 201f; Degele 2008: 21). Feminismen, die diesen Grundkonzeptionen folgen, werden unter dem Begriff des dekonstruktivistischen Feminismus (bzw. Postfeminismus oder postmodernen Feminismus) zusammengefasst. Die Begriffswahl wird dabei kontrovers diskutiert und durch die dekontextualisierte Verwendung der Begriffe Dekonstruktion und Konstruktion sowie durch deren Zusammenfassung unter dem Begriff „dekonstruktivistisch“ geht die nachvollziehbare Rede von einer Begriffsverwirrung um (vgl. Wartenpfuhl 1996).
3 Konstruktivismus ist ein Begriff, der in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen verwendet wird und mit der grundlegenden Annahme verknüpft wird, dass Wissen, Erkenntnisse, Ideen, Zusammenhänge usw. vom Menschen konstruiert werden. Die Suche nach der reinen Wahrheit, der wahren Natur usw. erweist sich dabei als illusionär, da der Mensch allen Phänomenen nur im jeweils sozial, kulturell, historischen Horizont und Kontext und mit seinen ebenfalls in diesem Kontext gehaltenen Werkzeugen der Wahrnehmung begegnen kann.
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De/konstruktion Der Begriff der „Dekonstruktion“ geht zurück auf den französischen Philosophen Jaques Derrida4, der die Bezeichnung in den 1960er Jahren aus einer Zusammensetzung der Begriffe Destruktion und Konstruktion bildete um damit in Anlehnung an den deutschen Philosophen Martin Heidegger seine Theorie, dass jede Zerstörung zugleich Aufbau bedeutet, zu bezeichnen (vgl. Wartenpfuhl 1996: 195). Beim Verfahren der Dekonstruktion liegt das Hauptaugenmerk auf dem in den verschiedenen Diskursen Nicht-Gedachten, Nicht-Gesagten, dem Unterdrückten und Ausgeschlossenen. Mit der Dekonstruktion wird ein Umbruch in der Hierarchie durch die Herabsetzung des Hohen (des Hegemonialen) herbeigeführt, um dann durch die Einführung eines neuen Begriffs, der in der alten Logik nicht mehr zu verstehen ist, eine Veränderung zu initiieren. Um mit der Einführung eines neuen Begriffes nicht wieder in die Hierarchiefalle zu tappen, entwickelte Derrida den Begriff der „Differance“, der beschreibt, dass Gegensätze nicht komplementär sondern gleich sind, da das Eine immer auf das Andere verweist und beide sich nur durch gegenseitige zeitliche und räumliche Aufschiebung unterscheiden (Licht ist die aufgeschobene Dunkelheit) (vgl. Wartenpfuhl 1996: 201). In der feministischen Theorie des diskursanalytischen Dekonstruktivismus wird mit Hilfe des Verfahrens der Dekonstruktion versucht, das in der abendländischen Philosophie und Gesellschaft Verdrängte und Ausgeschlossene freizulegen und zur Sprache kommen zu lassen. Prominenteste Vertreterin dieser Theorierichtung ist die amerikanische Philosophin Judith Butler. Die zweite zentrale Theorierichtung des dekonstruktivistischen Feminismus ist der ethnomethodologischen Konstruktivismus. Zentraler Bezugspunkt für konstruktivistische Theorien sind die Arbeiten vom gebürtig österreichischen Soziologen Peter L. Berger und dem deutschen Soziologen Thomas Luckmann („Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ 1966) und der Wissenssoziologen Karl Mannheim und Max Scheler, die zeigen, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit durch soziale Handlungen in Interaktionen hervorgebracht, d.h. konstruiert wird (vgl. Micus Loos 2004: 115). Der Begriff 4 Jacques Derrida, *1930 in El Biar bei Algier, +2004 in Paris, war Professor für Philosophiegeschichte an der Ecole Normale Supérieure in Paris. Seine Schriften vertreten und praktizieren eine faktische Unabschließbarkeit von Bedeutungsgeschehen und versuchen klassische Dichotomien und Hierarchien als bedingte Möglichkeiten zu analysieren; sie befragen und verschieben historische „Selbstverständlichkeiten“ und erproben mediale Formen eines (un-)möglichen Denkens an den Grenzen konfigurativer Kräfte der abendländischen Tradition; sie vertrauen auf die Gabe, die Freundschaft und die Gastfreundschaft, jeweils als un-bedingt gedacht, als Orientierungsideal. Derrida verstand seine Arbeit als praktisch-politische Angelegenheit.
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„ethnomethodologisch“ verweist auf den amerikanischen Soziologen Harold Garfinkel, der ihn in den 1950er Jahren in den USA entwickelte. Zentral für ethnomethodologische Ansätze ist das Interesse an alltagspraktischen Handlungen und deren Bedeutung für die Herstellung sozialer Wirklichkeit (vgl. Micus Loos 2004: 115).
Ethnomethodologischer Dekonstruktivismus Die aus der Sex-Gender-Debatte hervorgegangene neue Fassung von Geschlecht als Konstruktion ist dem Alltagswissen über Geschlecht (dass es zwei Geschlechter gibt die biologisch begründet sind, sich gegenseitig ausschließen und, dass die Geschlechtszugehörigkeit von Geburt an bestimmt ist und unveränderbar bleibt) entgegengesetzt (vgl. Wetterer 2004: 122). Körperliche und soziale Aspekte von Geschlecht werden als Ergebnis von sozialen Konstruktionsprozessen betrachtet. Das bedeutet, dass das Geschlecht keine Eigenschaft und kein Merkmal ist, dass ein Mensch hat, sondern etwas, das jeder Mensch tun muss. Im ethnomethodologischen Konstruktivismus richtet sich das Erkenntnisinteresse auf dieses Tun, auf die interaktiven Prozesse der Herstellung von Geschlecht und Geschlechterdifferenzen sowie auf Prozesse der Geschlechterdifferenzierung. Die Leitfrage dabei lautet, wie es zur binären und exklusiven Klassifikation von zwei Geschlechtern kommt und wie die alltägliche Aufrechterhaltung dieser Exklusivität funktioniert (vgl. Becker-Schmidt & Knapp 2000: 76). Empirisch untersucht und rekonstruiert werden dabei Darstellungs-, Wahrnehmungs- und Zuschreibungshandlungen die den Aufbau und die Festschreibung eines Zweigeschlechtersystems vollziehen (vgl. Mehlmann 2006: 50). Ebene der Analyse ist dabei die Interaktion5, in der durch gegenseitige Identifikationsleistungen der Kategorie Geschlecht eine zentrale Bedeutung zukommt. Der amerikanische Soziologe Harold Garfinkel beschrieb 1967 den Fall der Mann zu Frau Transsexuellen Agnes und arbeitete heraus, wie die Geschlechtszugehörigkeit in alltäglichen Interaktionen immer wieder hergestellt wird und hergestellt werden muss. 1978 zeigten Suzanne Kessler und Wendy McKenna in einer Studie, dass die Frage nach Differenzen immer schon Differenzierungen voraussetzt und entlarvten in der Geschlechtsattribution den so genannten „Phallozentrismus“ der besagt, dass der Penis als letztlich entscheidendes Merk5 In Anlehnung an soziologische Interaktionstheorien, entsteht eine Interaktion dann, wenn Personen physisch präsent sind, sich wahrnehmen und aufeinander reagieren und beinhaltet unter anderem den Zwang, dass die InteraktionsteilnehmerInnen sich gegenseitig kategorial und individuell identifizieren (vgl. Gildemeister 2004: 133).
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mal in der Geschlechtszuschreibung fungiert. Merkmale wie Kleidung, Gestik, Stimme, Frisur usw. fungieren dabei als Verweise auf die faktische Existenz des Penis und führen zur Klassifikation als Mann. Frauen werden auf Grund der Abwesenheit des männlichen Genitals negativ als Nicht-Männer, also Frauen klassifiziert. Ebenso beschreiben sie die Notwendigkeit der Selbstevidenz der Geschlechtsdarstellung, was bedeutet, dass die Darstellung des Geschlechts einen eindeutigen Verweis auf das Geschlecht liefern muss, da Fragen nach der Geschlechtszugehörigkeit einen Tabubruch in der Interaktion bedeuten würden (vgl. Gildemeister o.J.). 1987 entwickelten die amerikanischen Ethnomethodologen Candace West und Don Zimmerman im Anschluss an diese Ergebnisse das Konzept des doing gender. Gender konzipierten sie dabei nicht mehr als Eigenschaft von Individuen, sondern als ein Ergebnis sozialer Interaktionen und Handlungen. Im Sinne des doing gender ist gender grundlegend an eine Aktivität geknüpft, die in der Darstellung, der Wahrnehmung und Zuschreibung von Geschlechtszugehörigkeiten virulent wird (vgl. West & Zimmerman 1987: 126). Die in der Unterscheidung von sex und gender klar differenzierte Natur wird nun als kulturell betrachtet und in die soziale Konstruktion von Geschlecht integriert. An die Stelle der Unterscheidung von sex und gender stellten West und Zimmerman die dreigliedrige Klassifikation von sex, der Geburtsklassifikation die auf Grund sozial vereinbarter biologischer Kriterien getroffen wird; sex category, die soziale Zuordnung zu einem Geschlecht im Alltag; und gender, der intersubjektiven Validierung in Interaktionsprozessen (vgl. Gildemeister o.J.:10; West & Zimmerman 1987: 127). Die Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität sind in dieser Fassung keine Eigenschaften von Individuen mehr, sondern unterliegen einem fortlaufenden Herstellungsprozess, den Individuen in all ihren Aktivitäten (nebenbei) leisten (müssen). Die Unsichtbarmachung dieses Prozesses als ein Konstruktionsprozess und die Verlagerung der Geschlechtszugehörigkeit in die Natur wird als „Naturalisierung“ und „Biologismus“ beschrieben und kritisiert, weil dadurch kulturelle Prozesse als Naturhafte konzipiert und damit als unveränderbar beschrieben werden (vgl. Gildemeister o.J.: 10). Das doing gender folgt nicht bewussten Prozessen sondern beruht auf Typisierungen und Klassifikationen, die jeder Interaktion bereits vorausgehen. Sie aktualisieren institutionelles Wissen (was ist weiblich, was ist männlich) das einerseits zur Klassifikation herangezogen wird und andererseits auch zu Verhaltenserwartungen an das weibliche oder männliche Gegenüber führt. Als Individuum kann ich mich trotz aller Reflexivität dem doing gender nicht entziehen – meine Handlungen, Gesten, Aussagen usw. werden in jeder Interaktion dem Alltagswissen zu Geschlecht folgend als Verweise und Bestätigungen für die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Genusgruppe wahrgenom-
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men werden und entsprechende Erwartungen mir gegenüber nach sich ziehen. Als Tiefenschicht des Alltagshandelns fungiert dabei das Alltagswissen über die Zweigeschlechtlichkeit und die polare Anordnung der Geschlechter, das durch die Ausrichtung der Wahrnehmung auf die Unterscheidung in zwei polare Geschlechter immer wieder reifiziert und aktualisiert wird (vgl. Gildemeister 2004: 136). Aus dem Alltagswissen zu Geschlecht werden Regeln für sinnvolles Handeln gebildet. Die Alltagstheorie zu Geschlecht bildet den regulativen Bezugsrahmen für das alltägliche doing gender und bedingt den normativen Zwang, entweder das weibliche oder das männliche Geschlecht darzustellen, wahrzunehmen und zu kategorisieren (vgl. Mehlmann 2006: 50). Sexuierte Zeichen, oder im Sinne Bourdieus der Habitus, gelten unter anderem als Darstellungsmittel für das Geschlecht und verweisen auf einen Geschlechtskörper, als ob er ihnen (den Zeichen) zu Grunde läge. In den interaktiven Prozessen der gegenseitigen Zuschreibung der Geschlechtszugehörigkeit spielt der Begriff der „accountability“ eine große Rolle. Er beschreibt, dass Individuen sich gegenseitig dahingehend überprüfen wie angemessen, wie „zurechnungsfähig“ die jeweiligen Handlungen im Bezug auf die zugeschriebene Geschlechtszugehörigkeit sind (vgl. Micus-Loos 2005: 117). Der deutsche Professor für Soziologie an der Johannes GutenbergUniversität Mainz Stephan Hirschauer beschreibt Grenzüberschreitungen und Irritationen auf der Ebene von Alltagshandlungen so lange als möglich und tolerabel, solange sie die kategorisierte Zugehörigkeit zu einer Genusgruppe nicht in Frage stellen. 1994 prägte Stephan Hirschauer das Konzept der „Zweigeschlechtlichkeit als Wissenssystem“. Er unterscheidet dabei vier Wissensformen, die Einfluss auf dieses Wissenssystem nehmen (vgl. Mehlmann 2006: 50). Erstens, das Alltagswissen mit seinen unhinterfragbaren Annahmen der natürlichen und polaren Zweigeschlechtlichkeit sowie der Konstanz der Geschlechtszugehörigkeit, zweitens, wissenschaftliches Wissen über die Natur und die Genese der Geschlechterdifferenz (Biologie, Psychologie), das durch die Verortung der Entstehung der Geschlechterdifferenz außerhalb der Gesellschaft zur Naturalisierung derselben beiträgt, drittens, wissenschaftliche Hilfstheorien die es ermöglichen Anomalien durch zusätzliche Theorien in das System der Zweigeschlechtlichkeit über Verfahren der Normalisierung oder Pathologisierung einzubauen, und viertens, normative Annahmen, die durch wissenschaftliches Wissen ausgearbeitet werden (vgl. Mehlmann 2006: 54). Das Alltagswissen konzipiert Hirschauer dabei als Grundlage für das wissenschaftliche Wissen, das seinerseits die Funktion hat, Alltagstheorien abzusichern, zu explizieren und zu legitimieren. Diese Funktion erfüllt es durch Prozesse der Normalisierung und Universalisierung der Zweigeschlechtlichkeit.
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Kritisiert wird Hirschauers theoretische Annahme, dass das Alltagswissen dem wissenschaftlichen Wissen immer schon vorausgeht, weil er dadurch eine historische Kontinuität der Zweigeschlechtlichkeit nahe legt und die Funktion wissenschaftlichen Wissens auf die Reproduktion von Alltagstheorien reduziert (vgl. Mehlmann 2006: 58). Einen wichtigen Forschungsschwerpunkt im ethnomethodologischen Dekonstruktivismus bildet die Analyse des doing gender bei der Arbeit. Herausgearbeitet wurde dabei, dass die seit dem 18. Jahrhundert mit dem Entstehen der bürgerlichen Familie wirksame Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern eine zentrale Ressource des doing gender ist. Auf der Ebene der Interaktion werden dabei Aspekte des doing gender while doing work untersucht, auf Ebene der Institution Prozesse der Berufskonstruktion und Professionalisierung, die als spezifischer Modus der Geschlechterkonstruktion angesehen werden (vgl. Wetterer 2004: 127). Die Arbeitsteilung erweist sich dabei als zentrale Möglichkeit Zweigeschlechtlichkeit herzustellen, wobei als Konstante in der Herstellung von Zweigeschlechtlichkeit eine geschlechtliche Hierarchie herausgearbeitet wurde. Die Unterscheidung zweier Geschlechter im doing gender macht aus den Unterschiedlichen immer auch Ungleiche. Differenz und Hierarchie werden als gleichursprünglich betrachtet, was in der Formel doing gender = doing male dominace Ausdruck findet. Die Inhalte von „Männlichkeit“ oder „Weiblichkeit“ sind historisch variabel – konstant ist, dass sie in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gestellt werden (vgl. Degele 2008: 82f; Wetterer 2002; 2004; 2007). Andere relevante Untersuchungsfelder sind die Aspekte des doing gender im Kinder- und Jugendalter, in der Familie, in der Schule, beim Sport usw. (vgl. Degele 2008: 81). Aktuell wird innerhalb des ethnomethodologischen Konstruktivismus die Frage nach der Omnirelevanz von Geschlecht diskutiert. West und Zimmerman haben dazu 1987 formuliert „doing gender is unavoidable“ (West & Zimmerman 1987: 137); Stephan Hirschauer hingegen spricht davon, dass dem doing gender gegenüber auch ein undoing gender denkbar sein muss. Von anderer Seite wird argumentiert, dass das doing gender nicht von sich aus relevant in Interaktionen ist, sondern vielmehr relevant gemacht werden muss. TheoretikerInnen postkolonialer Theorien beschreiben gender als eine von mehreren relevanten Differenzkategorien (Klasse, Ethnie, Alter,...) und verwenden den Begriff des doing difference. Verhandelt werden bei dieser Debatte die Begriffe der Omnirelevanz gegenüber der Omnipräsenz und der differentiellen Relevanz (vgl. Gildemeister 2004: 138; Degele 2008: 93). Ebenso zentral und aktuell ist die Diskussion um die De-Thematisierung und De-Institutionalisierung von Geschlecht und Geschlechterdifferenz innerhalb des Feminismus. Manche TheoretikerInnen beschreiben eine im Zuge der Gleichstellungspolitik, der damit
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verbundenen Gleichberechtigungsnormen und der erweiterten Zugangsmöglichkeiten zu Erwerbsarbeit und Bildung für Frauen, eingetretene Modernisierung des Geschlechterverhältnisses, die eine andauernde Thematisierung von Geschlecht unnotwendig macht (z.B. Bettina Heintz, Eva Nadai). Andere, wie z.B. Angelika Wetterer, entdecken hinter dieser vermeintlichen Modernisierung eine primär Rethorische und sprechen von einer widersprüchlichen Gleichzeitigkeit von Prozessen der Ent-Geschlechtlichung einerseits und der ReVergeschlechtlichung andererseits, konstatieren also ein Parallelgeschehen von Persistenz und Wandel in Bezug auf das Geschlechterverhältnis (vgl. Wetterer 2004: 128). Die Kritik am ethnomethodologischen Konstruktivismus bemängelt vor allem die einseitige Konzentration auf die Mikro-Ebene des doing gender und vermisst eine dem Ansatz zu Grunde liegende Gesellschaftstheorie, die es auch ermöglichen würde eine angemessene Sozialkritik zu leisten (vgl. Degele 2008: 15). Im Gegensatz zum ethnomethodologischen Konstruktivismus bewegt sich die zweite Theorierichtung der dekonstruktivistischen Ansätze im Feminismus, der diskursanalytische Dekonstruktivismus, auf Ebene der Theorie und der Diskurse und untersucht mit der Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse, wie Subjekte durch Ein- und Ausschlussverfahren konstruiert und unterworfen werden. Beiden Theorierichtungen gemeinsam ist die Konzeption von Geschlecht als soziale und kulturelle Konstruktion, sowie die Kritik an Naturalisierungsprozessen und an Essentialismen (vgl. Wartenpfuhl 1996: 193; Degele 2008: 15).
Diskursanalytischer Dekonstruktivismus Wichtige Bezugspunkte für die Theorie des diskursanalytischen Dekonstruktivismus sind das Verfahren der Dekonstruktion im Sinne Jaques Derridas und die Beschreibung des Diskurses und des Wechselspieles von Wissen und Macht nach Michel Foucault. Die amerikanische Soziologin und Philosophin Judith Butler gilt als die wichtigste Theoretikerin des diskursanalytischen Dekonstruktivismus und hat mit ihrem Werk „Gender Trouble“ (dt. Titel „Das Unbehagen der Geschlechter“ 1991), in dem sie das Projekt einer kritischen Genealogie der Geschlechterkategorien verfolgt, für Provokation, Aufsehen und Diskussion in der feministischen Community gesorgt. Ausgangspunkt bildete auch bei Butler einerseits eine grundlegende Kritik an den Kategorien von sex und gender und der darin enthaltenen dualistischen Konzeption von Natur und Kultur und andererseits eine kritische Absage an
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Identitätskategorien und damit an die theoretische und politische Implementierung eines Subjektes „Frau“. Sie arbeitet dabei auf diskurs- und sprachtheoretischer Ebene und analysiert mit Hilfe des Verfahrens der Dekonstruktion Naturalisierungs- Normierungs- und Ausschließungsprozesse und deren Funktionsweise in Bezug auf die Geschlechterkategorien Geschlechtskörper (sex), Geschlechtsidentität (gender) und sexuelles Begehren (desire) (vgl. Mehlmann 2006: 59f). Im Unterschied zur differenzfeministischen Konzeption von sex als natürlicher und gender als kultureller Gegebenheit, beschreibt sie sowohl den Geschlechtskörper, als auch die Geschlechtsidentität als Effekte von Diskursen. „Im Gegenteil, das Geschlecht ist die zwingende, ständige Wiederholung kultureller Konventionen am Körper, die man niemals gewählt hat. Man wird sozusagen 'mädchenhaft zum Sein gebracht'; das Geschlecht ist einer von vielen Orten einer bestimmten diskursiven Beseelung des Körpers. Der Körper wird von Anfang an einem Set geschlechtlicher Normen unterworfen.“ (Butler 1993: 10)
Ihrer theoretischen Arbeit liegt erstens die Annahme zu Grunde, dass das zeitgenössische Machtfeld der Diskurse grundlegend von einer binären Logik und Struktur geprägt ist und die oppositionelle Setzung von Begriffen (Natur – Kultur, aktiv – passiv, innen – außen, usw.) dabei als zwanghafte Einschränkung des Vorstellungshorizonts kultureller Intelligibilität wirkt. Das Konzept der Binarität ist für Butler demnach bereits ein Träger von Machtrelationen, da es Ansatzpunkte für Grenzziehungen bietet, anhand derer politische, gesellschaftliche, soziale Werte, Inhalte, Rechte und Möglichkeiten verteilt werden. Zweitens sieht sie in der Zwangsheterosexualität ein für die binäre Strukturierung von Geschlecht zentrales hegemoniales, diskursives Modell, das die binäre Strukturierung der Geschlechtskategorien und die heterosexuelle Relation von sex – gender – und desire (wenn sex = weiblich, dann gender = weiblich und desire = Mann) als scheinbar natürliche Tatsachen hervorbringt. Drittens betrachtet sie in Anlehnung an Luce Irigaray den Phallogozentrismus, der eine überlegene Positionierung des Männlichen gegenüber dem Weiblichen in der symbolischen Ordnung hervorbringt, als strukturell angelegt und prägend für die Konstitution der Geschlechtskategorien (vgl. Mehlmann 2006: 62f). Innerhalb des theoretischen Rahmens, den diese drei Grundannahmen bilden, formuliert Butler eine grundlegende Kritik an Identitätskategorien, allen voran an der Geschlechtsidentität und an Naturalisierungsprozessen, die die hervorbringende und ausschließende Wirkung von Diskursen verschleiern und diskursive Effekte als natürliche Gegebenheiten hervorbringen. In der abendländisch-humanistischen Tradition wird Identität als etwas Substanzielles aufgefasst, als eine Essenz, die im Individuum begründet liegt,
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seinen Handlungen vorausgeht und in ihnen zum Ausdruck kommt (vgl. Becker Schmidt & Knapp 2000: 90). Im Gegensatz dazu beschreibt Judith Butler Geschlechtsidentität als einen Effekt von Diskursen, d.h. dass Geschlechtsidentität erst durch die Wiederholung diskursiver Inhalte und Normen in performativen Handlungen hervorgebracht wird. Der Prozess der Subjektivation ist also ein Prozess der Unterwerfung, wobei das Individuum in bestimmten diskursiv hervorgebrachten Subjektpositionen platziert wird (vgl. Villa 2008: 219). Die heterosexuelle Matrix, d.h. die binäre Strukturierung und kohärente InBeziehung-Setzung von sex, gender und desire ist dabei das hegemoniale, diskursive Regime das die symbolische Ordnung durchzieht und die Geschlechtskategorien als natürliche, binär konzipierte und innere Struktur des Subjekts hervorbringt (vgl. Mehlmann 2006: 67). Die Aneignung einer Geschlechtsidentität ist dabei nicht an den Willen oder die Absicht eines Individuums gebunden, sondern stellt einen normativen Zwang ausgehend von der heterosexuellen Matrix dar (vgl. Mehlmann 2006: 65). Aus der hegemonialen Wirkmächtigkeit der heterosexuellen Matrix ergeben sich gesellschaftliche Regulierungsverfahren, die ein Feld des Normalen und des Nicht-Normalen in Bezug auf den Geschlechtskörper, die Geschlechtsidentität und das sexuelle Begehren abstecken. Die Abweichungen, die im Feld des Anormalen hervorgebracht werden, sind dabei nicht jenseits der Kultur verortet, sondern werden innerhalb kultureller Möglichkeiten als unmöglich abgewiesen. Das Außen der Abweichungen ist demnach ein Außen im Innen der herrschenden Diskurse und ruft deshalb bei den Individuen Denormalisierungsängste und Angst vor Marginalisierung hervor. Aus diesen Ängsten heraus werden im Individuum Selbstnormalisierungsprozesse in Gang gesetzt, d.h. es unterwirft sich den diskursiv hervorgebrachten möglichen (geschlechtlichen) Subjektpositionen (vgl. Mehlmann 2006: 68f; Degele 2008: 217). Die Geschlechtsidentität ist demnach an eine Unterwerfung unter diskursive Formationen, an eine Verwerfung anderer Identitätskonstrukte und an eine Konstitution durch ständig neue, performative Wiederholung diskursiver Inhalte gebunden. Der Begriff der Performativität verweist auf die produktive Macht der Sprache, die Dinge durch Benennung erst hervorbringt und an das Moment der Wiederholung. Judith Butler beschreibt mit dem Begriff der Performativität, dass unsere Handlungen Zitate und Wiederholungen verschiedener diskursiv hervorgebrachter Normen und Existenzmöglichkeiten sind, die das was sie zitieren, wiederum (neu) hervorbringen (vgl. Mehlmann 2006: 71). Im Prozess des Wiederholens, der immer auch an Verschiebungen geknüpft ist, sieht Judith Butler die Möglichkeit der Veränderung normativer Vorgaben und Bedeutungsverschiebungen durch Variation der Zitate begründet (vgl. Becker-Schmidt & Knapp 2000: 90f; Micus Loos 2005: 119). Parodie und gender trouble (Geschlechterverwirrung) sind
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ihrer Meinung nach zentrale Möglichkeiten für subversiv politisches Handeln mit dem Ziel, Geschlechterkategorien zu denaturalisieren und dekonstruieren oder zumindest, um eine radikale Vervielfältigung von möglichen Geschlechtsidentitäten zu erreichen (vgl. Mehlmann 2006: 73; Degele 2008: 117; Villa 2008: 221). Am folgenden Beispiel der Unterwerfung unter eine Geschlechtsidentität lassen sich zentrale Begriffe von Judith Butlers Theorie illustrieren. Auf ein Kind strömen spätestens ab dem Zeitpunkt seiner Geburt Aussagen wie „Du bist ein hübsches Mädchen“, „Du bist Papas Mädchen“,... ein, die performativ als Anweisungen, ein Mädchen zu sein, verstanden werden können. Die diskursiv hergestellte Vorstellung und Norm, dass einem bestimmten Körper ein, und nur ein, bestimmtes Geschlecht und damit eine Geschlechtsidentität zugeordnet wird, wird durch den performativen Akt der Anrufung zitiert und wiederholt. Die Anrufung „Du bist ein Mädchen“, die im Laufe der kindlichen Entwicklung immer wieder zitiert wird, wirkt beim Kind als Aufforderung, die Subjektposition des Mädchens anzunehmen. Durch die Unterwerfung unter die weibliche Subjektposition muss die Möglichkeit der männlichen Subjektposition verworfen werden. An die weibliche Identität sind durch die normative Wirkung verschiedener Diskurse Eigenschaften gekoppelt, die das Kind in der Folge performativ wiederholt. Bei diesem Prozess muss es immer wieder die andere von zwei Möglichkeiten verwerfen und bestätigt somit die Anrufung „Du bist ein Mädchen“. Ein Mädchen ist es also durch den Effekt von sozialen Prozessen und diskursiven Formationen geworden und nicht auf Grund natürlicher Tatsachen. Durch das performative Handeln besitzt es nun die Möglichkeit, die Inhalte der Bedeutungen, die an das Mädchen-Sein geknüpft werden, zu bestätigen, zu erweitern oder zu unterlaufen. Judith Butler argumentiert zusammenfassend gegen eine Naturalisierung der Geschlechtskategorien sex, gender und desire, die sie als Effekt von Diskursen und gesellschaftsregulierenden Maßnahmen die aus der heterosexuellen Matrix hervorgehen entlarvt. Sie wendet sich gegen die Verwendung von Subjektkategorien, allen voran der Subjektkategorie „Frau“, da diese immer auf Verwerfungen und Ausschlüssen beruhen. Es existieren unzählige Möglichkeiten wie eine Identität als Frau mit anderen Identitätsfaktoren kombiniert werden kann, dass es ein repräsentatives Identitätsmerkmal „Frau“ schlichtweg nicht mehr gibt. Auf wissenschaftlich-theoretischer Ebene erteilen die Dekonstruktivistinnen dem Subjekt Frau eine Absage. Trotzdem begegnen wir in unserem Alltag durchgehend Frauen oder Männern und sind irritiert, wenn wir einen Menschen nicht gleich der einen oder anderen Kategorie zuordnen können. Die Frage nach der alltäglichen, beruflichen und privaten Relevanz von Geschlecht und nach den
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Entwicklungstendenzen des Geschlechterverhältnisses auf empirischer Ebene und wie diese von feministischer Seite eingeschätzt werden, steht als nächstes zur Diskussion.
Geschlechterkonstruktionen heute Für die Beschreibung des aktuellen Geschlechterverhältnisses ergeben sich zwei Möglichkeiten, die sich auf den ersten Blick zwar widersprechen, die jedoch beide empirisch belegbar sind. Einerseits wird von einer Modernisierung des Geschlechterverhältnisses gesprochen, die im Zuge der Veränderung der Lebensentwürfe, der erhöhten Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen, der Angleichung des Bildungsniveaus zwischen den Geschlechter und der allgemeinen Tendenzen der Individualisierung und Gleichberechtigung dazu geführt hat, dass die Geschlechterdifferenz und die Kategorie Geschlecht deutlich an Bedeutung verloren haben. So besprechen die Soziologinnen Bettina Heintz und Eva Nadai bereits in den 1990er Jahren, dass die Geschlechterdifferenz ihre Ordnungsfunktion in beruflichen und öffentlichen Belangen verloren hat und diagnostizieren eine De-Institutionalisierung der Geschlechterdifferenz (vgl. Wetterer 2006: 8). Der deutsche Soziologe Stephan Hirschauer beschreibt in ähnlicher Weise, dass die Zweigeschlechtlichkeit institutionell nicht mehr fortgepflanzt wird. In den Argumentationen, die eine Modernisierung des Geschlechterverhältnisses konstatierten, hat die Semantik der Gleichberechtigung die Semantik der Differenz abgelöst. Ein undoing gender scheint damit in bestimmten sozialen Kontexten möglich. Eingeräumt wird allerdings, dass die Geschlechterdifferenz, so sie hergestellt wird, primär interaktiv, verdeckt und kontextspezifisch reproduziert wird (vgl. Wetterer 2006: 9). Auf der anderen Seite gibt es TheoretikerInnen, die von einer Reformulierung der Geschlechterdifferenz sprechen und an der strukturellen Bedeutung derselben festhalten (Wetterer 2002: 521). Als zentrales Merkmal der Konstruktion der Geschlechterdifferenz wird dabei das sameness taboo herausgearbeitet, das besagt, dass die Inhalte der Geschlechterdifferenz, also was als männlich bzw. weiblich betrachtet wird, historisch und kontextspezifisch variabel sind, während die Struktur und Bedeutung der Geschlechterdifferenz konstant bleiben (vgl. Wetterer 2002: 23). Die Uneinigkeit zur Einschätzung der aktuellen Bedeutung der Geschlechterdifferenz zeigt sich auf Ebene feministischer Theorie im „Streit um die Differenz“ zwischen VertreterInnen des Differenzparadigmas und VertreterInnen des dekonstruktivistischen Paradigmas. Die Begriffe „Persistenz“ und „Wandel“, die Angelika Wetterer 2002 zur Beschreibung der verschiedenen Tendenzen in Entwicklung, Theorie und Praxis herangezogen hat, beschreiben
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die Tatsache, dass sich nicht von entweder Modernisierung oder ReTraditionalisierung der Kategorie Geschlecht sprechen lässt, sondern dass beide Entwicklungen parallel verlaufen. Sowohl Wandel als auch Persistenz sind in Bezug auf die Geschlechterkategorien zu beobachten. Empirisch belegt Angelika Wetterer diese Argumentation anhand der Untersuchung von Professionalisierungsprozessen im Bereich der Medizin. Sie analysiert Konstruktionen von „männlichen“ oder „weiblichen“ Berufen oder Tätigkeiten und arbeitet heraus wo und wie Geschlecht nach wie vor für die berufliche Arbeitsteilung und deren Rechtfertigung herangezogen wird (vgl. Wetterer 2002; 2007). Auf der Ebene des Geschlechterwissens führten primär drei Entwicklungen zu einer breiten Ausdifferenzierung und zu dem Umstand, dass das elaborierte, wissenschaftliche Geschlechterwissen feministischer WissenschafterInnen und die Ansichten von GenderExpertInnen mit dem alltagsweltlichen Geschlechterwissen kaum mehr kompatibel sind: Die Institutionalisierung der Frauen und Gleichstellungspolitik, die Integration der Frauen- und Geschlechterforschung in die Wissenschaft und die Akzeptanz und Popularisierung vieler Ziele der Frauenbewegung, die sich in den letzten 30 Jahren vollzogen hat. Diese Entwicklungen sind einerseits als großer Erfolg zu verzeichnen, haben andererseits aber auch dazu geführt, dass ein neues Selbstverständnis für Gleichberechtigung und Individualisierung im alltagsweltlichen Geschlechterwissen Einzug gehalten hat, das es erschwert, Geschlechterfragen überhaupt auf den Tisch zu bringen (vgl. Wetterer 2005: 3f). Dieses Selbstverständnis führte zur Etablierung einer „Gleichberechtigungsnorm“ (nicht der Gleichberechtigung), die als Regulativ des Redens dafür Sorge trägt, dass Fragen des Geschlechts im privaten und beruflichen Bereich kaum thematisiert werden. Wetterer spricht in diesem Zusammenhang von einer „rethorischen Modernisierung“, einer Modernisierung, die sich im Diskurs und der Sprache, kaum jedoch in der Praxis zeigt (Wetterer 2006: 12). Die Gleichberechtigungsnorm und die Individualisierungsentwicklung sind im alltagsweltlichen Geschlechterwissen hegemonial geworden und Angelika Wetterer beschreibt diese Aspekte als diskursfähiges Geschlechterwissen, sprich als das, worüber gesprochen werden kann. Als primär handlungsrelevant identifiziert sie jedoch zwei weitere Wissensformen. Erstens latente Wissensbestände tradierter Geschlechterbilder und Arbeitsteilung, die in der Praxis meist mit Verweis darauf, dass „die anderen das so wollen“ (Probleme und Gefühle besprechen Menschen lieber mit Frauen), aktualisiert werden und zweitens inkorporierte Formen, die vor allem in der Aufteilung der Hausarbeit zuverlässig dafür sorgen, dass Frauen diesbezüglich die Hauptverantwortung zukommt. So ergibt sich auf der Ebene des alltagsweltlichen Geschlechterwissens eine deutliche Diskrepanz zwischen diskursivem und praktischem Wissen. Diese Diskrepanz ist ein weiterer Beleg für die widersprüchliche
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Gleichzeitigkeit von kulturellem Wandel und strukturellem Beharrungsvermögen, die sich auf der Ebene feministischer Theorie, des Geschlechterverhältnisses und des Berufsfeldes konstatieren lässt (vgl. Wetterer 2005: 13). Das Wissen um Möglichkeiten der Egalität eilt den tatsächlichen Verhältnissen also voraus und die praktische Bewährung der Modernisierung des Geschlechterverhältnisses steht noch aus. Jedes neue, modernisierte Wissen über Geschlecht bedarf der Anerkennung, der Anschlussfähigkeit an aktuelles Wissen und entsprechender Gelegenheitsstrukturen um praktisch werden zu können und neue Routinen zu institutionalisieren. Dass diese notwendigen Bedingungen nur spärlich gegeben sind, führt dazu, dass sich der soziale Wandel des Geschlechterverhältnisses schleppend und in einer Vor-und-Zurück-Bewegung vollzieht (Wetterer 2006: 19; 2002: 35). Viele Ansprüche der Frauenbewegung haben in Form der Gleichberechtigungsnorm Eingang in das alltagsweltliche Geschlechterwissen gefunden, wobei noch einmal daran zu erinnern ist, dass die Gleichberechtigungsnorm mit einer tatsächlichen Gleichberechtigung in privaten und öffentlichen Zusammenhängen nicht gleichzusetzen ist. Nichts desto trotz genießt die Gleichberechtigung eine bestimmte (rethorische) Form der Anerkennung. Demgegenüber wird dem aktuell in der Geschlechterforschung verhandelten Wissen um Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht diese Anerkennung außerhalb der feministischen Wissenschaft nicht breitenwirksam zu Teil. Eine Begründung dafür könnte in der Verunsicherung liegen, die das feministische Geschlechterwissen für das Alltagswissen bedeutet.
Feministisches Geschlechterwissen als Verunsicherungswissen Prof.in für Soziologie und Geschlechterforschung Nina Degele bezeichnet die Soziologie im Allgemeinen und die Geschlechterforschung im Besonderen als „paradigmatische Verunsicherungswissenschaften“ (Degele 2003: 9). Ihre diesbezügliche Argumentation wird hier kurz aufgegriffen. Die Soziologie entstand um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert aus einer Problematisierung gesellschaftlicher Verunsicherungen, die sich durch die Auflösung traditioneller Gefüge, Vereinzelung und Orientierungslosigkeit breit machten (vgl. Degele 2008: 24). Die gesellschaftlichen Modernisierungsschübe des 19. Jahrhunderts, die den Übergang von einer vormals traditionellen, agrarischen und hierarchisch organisierten Ständeordnung zu einem modernen, bürokratischen, industriellen, klassenbasierten, aber demokratischen System begleiteten, lösten quer durch die Gesellschaft strukturelle, kulturelle und individuelle Veränderungen aus. Die Soziologie selbst war ein Produkt dieses
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Modernisierungsprozesses und trat dazu an, denselben zu beschreiben. Die Entzauberung der Welt als Resultat der Aufklärung und die Verabschiedung einer göttlichen Ordnung und Urheberschaft führten zu der klassisch soziologischen Erkenntnis, die Wurzel der Gesellschaft und ihrer Ordnung liege im Sozialen (vgl. Degele 2008: 24). Ent-Traditionalisierung, Rationalisierung, Versachlichung und Individualisierung waren (und sind) Aspekte des sozialen Wandels, die das Individuum aus vormaligen Selbstverständlichkeiten entließen und zu Überforderung und Verunsicherung führten. Die durch die Soziologie geleistete Auseinandersetzung mit und Thematisierung von Unsicherheit, die Sozialisierung von vormals Naturgegebenem und die damit einhergehende Bewusstmachung der Kontingenz gesellschaftlicher Verhältnisse, führten ihrerseits wieder zu Verunsicherung. Das Sicherheitsversprechen vieler Wissenschaften konnte und kann die Soziologie also nicht erfüllen. Im Laufe des 20. Jahrhundert nahmen die Modernisierungstendenzen stark zu, wobei durch die Frauenbewegung nun auch die geschlechtliche Arbeitsteilung und das hierarchische Geschlechterverhältnis thematisiert und Veränderungsentwicklungen in Gang gesetzt wurden. Die klassische Soziologie hatte die Zweigeschlechtlichkeit immer als natürliche Tatsache verbucht, sie in den Entnaturalisierungsprozess nicht einbezogen und von den gesellschaftlichen Analysen ausgeklammert. Der Feminismus stellte sich gegen diese soziologische Tradition und leistete im 20. Jahrhundert eine radikale Kritik an der androzentrischen Wissenschaftskultur. Durch historische, diskurstheoretische und empirische Analysen wurde nun auch eine Entnaturalisierung der Zweigeschlechtlichkeit vorgenommen (vgl. Degele 2003; 2008). Im Zuge dieser Entwicklung wurde Geschlecht als soziales Konstrukt ausgewiesen, es wurde kontextualisiert, pluralisiert, in seiner sozialen Konstruktion entverselbstständlicht und schließlich dekonstruiert. Verunsicherung löste diese Entwicklung vor allem innerhalb der feministischen Community aus, die sich mit dem Problem konfrontiert sah, einerseits empirisch mit den Kategorien männlich und weiblich arbeiten (zu müssen) und andererseits diese Kategorien theoretisch zu dekonstruieren. Derzeit wird versucht diesem Dilemma mit einer Arbeitsteilung zwischen der Analyse der symbolischen Ordnung und der Analyse der materiellen Ordnung zu begegnen (vgl. Degele 2003: 18). Eine Zumutung und Verunsicherung bedeutet dieses feministische Geschlechterwissen aber auch für die Ebene des alltagsweltlichen Geschlechterwissens und die geschlechtlich-arbeitsteilige Organisation der Gesellschaft. Auch feministische empirische Untersuchungen belegen die Bedeutsamkeit und Handlungsrelevanz der Kategorie Geschlecht in alltäglichen beruflichen und privaten Interaktionen. Das feministische Geschlechterwissen bietet jedoch für
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das handlungsrelevante, alltagsweltliche Geschlechterwissen und seine Grundannahmen, dass 1. 2. 3. 4. 5.
es nur zwei Geschlechter gibt, die Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter über äußerliche Zeichen bestimmt wird, eine Doppelzugehörigkeit nicht möglich ist, man für das Geschlecht das man hat nichts kann und, dass das Geschlecht im Laufe eines Lebens gleich bleibt, (vgl. Wobbe 2005: 460; Heintz 1993: 26)
keine Anschlussmöglichkeiten. Es stellt vielmehr alles in Frage, was für Menschen in Alltagssituationen in Bezug auf Geschlecht als Orientierung dient und handlungsleitend ist. Das Verunsicherungspotential des feministischen Geschlechterwissens für das alltagsweltliche Verständnis von Geschlecht ist also enorm und ein Grund dafür, dass feministisches Wissen die Bedingungen, die jedes neue Wissen braucht um praktisch werden zu können, nicht vorfindet. Das Problem der Soziologie, die dazu angetreten ist soziale Prozesse offenzulegen und zu enthüllen, ist mit Pierre Bourdieu die Tatsache „dass die Dinge, die die Soziologie enthüllt, entweder selbstverständlich sind oder abgewehrt werden und die einfache Tatsache sie zu enthüllen, einen Effekt der Denunziation hat. Überdies kann es sein, dass diejenigen, die über das, was enthüllt worden ist, reden, hören oder lesen, durch Dinge berührt werden, die sie nicht wissen wollen, nicht nur, weil sie nicht wollen, dass sie bekannt werden, sondern weil sie sie nicht wissen wollen. Da wird natürlich dem Soziologen eine denunziatorische Absicht unterstellt.“ (Bourdieu 2001: 163) Die Arbeit der Soziologie und des Feminismus als soziologische Disziplin besteht darin, Dinge zu enthüllen. Diese Dinge sind auf eine bestimmte Art und Weise jedem Menschen bekannt, sie wirken, Menschen handeln danach und tragen sie weiter. Das reflexive Wissen um sie befindet sich aber auf einer Ebene, die entweder nicht (leicht) zugänglich ist, oder auf der man nicht nachforschen will. Der Soziologe, die Soziologin ist allerdings jemand, „…der (die) sich Mittel verschafft, um erklären zu können, was niemand wissen will.“ (Bourdieu 2001: 164) Er/ sie begibt sich auf die Suche nach verdeckten Mechanismen der Macht, der Herrschaft, der Ordnung, des Verhaltens etc.. In diesem Sinne sind die Soziologie und der Feminismus Wissenschaften, die ein großes Störungs- und Verunsicherungspotential mit sich bringen. Die Arbeit die sie darin leisten scheinbar Selbstverständliches zu ent-verselbstständlichen macht sie zu einer Wissenschaft, die einfach gesagt lästig und verunsichernd ist, da sie bestehende Ordnungen in Frage stellt, als kontingente Herrschaftsordnungen ausweist und
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Individuen damit konfrontiert, willentlich oder unwillentlich Teil eines Ordnungssystems zu sein, das die Struktur der Gesellschaft mit all ihren Ungerechtigkeiten und Gerechtigkeiten aufrecht erhält.
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2.1 Die Qualitative Inhaltsanalyse Die qualitative Inhaltsanalyse wurde von Philipp Mayring, Professor für Angewandte Psychologie und Methodenforschung an der Universität Klagenfurt, 1983 erstmals umfassend ausgearbeitet. Es handelt sich dabei um eine Methode der Textanalyse, die an Vorerfahrungen und Erkenntnisse aus den Kommunikationswissenschaften (Content Analysis), der Hermeneutik, dem symbolischen Interaktionismus, der Ethnomethodologie, den Literaturwissenschaften und der Psychologie anknüpft und die aus einer Kombination und Erweiterung derselben entwickelt wurde. Die qualitative Inhaltsanalyse orientiert sich an alltäglichen Prozessen des Verstehens und Interpretierens und erweitert diese zu einer wissenschaftlichen Methode, die sich anhand von Gütekriterien auch valifizieren lässt (vgl. Mayring 2000; Mayring 2002; Mayring & Gläser-Zikuda 2005).
Rahmenbedingungen Als Material für die qualitative Inhaltsanalyse dient jede Form von fixierter Kommunikation, die immer in ihrem kontextuellen Zusammenhang betrachtet und interpretiert wird. Inhaltsanalytisch geht man davon aus, dass gesprochener und geschriebener Text Absichten, Werte, Normen, Meinungen, Deutungen, Umstände und Wissen eines Senders und der soziokulturellen Umgebung in die er eingebettet ist, ausdrückt, und, dass es durch die Analyse des Textes möglich wird Rückschlüsse auf die genannten Aspekte in Bezug auf den Sender und auf gesellschaftliche Phänomene zu ziehen (vgl. Lamnek 2005: 478). Die Erkenntnisse, die mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse gewonnen werden können, beziehen sich also nicht ausschließlich auf die Form und den manifesten und latenten Inhalt des Materials, sondern betreffen ebenfalls den Kommunikationsprozess, indem sie Aussagen über den Sender (Absichten), die Empfänger (Wirkungen) und das jeweilige soziokulturelle Umfeld der Kommunikation ermöglichen.
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
Der Ablauf der Analyse Systematisch beginnt man bei inhaltsanalytischem Vorgehen mit einer detaillierten Vorstellung des Ausgangsmaterials. Entscheidend ist hier die genaue Darstellung der Entstehungssituation des Materials, das heißt die Beschreibung von wem, wann, wo, unter welchen Bedingungen, an welche Adressaten, in welchem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext WAS produziert wurde (vgl. Mayring 2000; Mayring 2002; Mayring & Gläser-Zikuda 2005; Flick 2007). In einem nächsten Schritt wird die Fragestellung die an das Material gerichtet wird expliziert und theoretisch differenziert. Zunächst geht es dabei darum zu bestimmen, in welche Richtung die Analyse orientiert ist, d.h. festzulegen über welchen Aspekt der Kommunikation bzw. der Kommunikationskette Erkenntnisse gewonnen werden wollen. Dabei unterscheidet Mayring nach Lagerberg (1975) die Quelle, den Kommunikator, den Text und die Zielgruppe bzw. die Rezipienten einer Kommunikation. Bei der theoretischen Differenzierung geht es darum, die Fragestellung im Kanon der bisherigen themenspezifischen Forschungsergebnisse einzubetten und zu positionieren (vgl. Mayring 2000; Mayring 2002; Mayring & Gläser-Zikuda 2005). An die Definition der Analyseeinheiten schließt die konkrete Analyse des Materials an. Dafür unterscheidet Mayring die drei Techniken der Zusammenfassung, der Explikation und der Strukturierung. Bei der Zusammenfassung wird das vorhandene Material durch Befolgung bestimmter Regeln so reduziert, dass als Ergebnis die Grundaussagen in komprimierter und überschaubarer Form vorliegen. Grundsätzlich folgt die Zusammenfassung einer immer größer werdenden Reduktion der Materialmenge und einer immer größer werdenden Abstraktion des Materialinhaltes, um am Schluss die Grundaussagen in konzentrierter und verallgemeinbarer Form vorliegen zu haben. Die nach diesen Reduktionsprozessen übrig gebliebenen Paraphrasen werden im Sinne eines Kategoriensystems zusammengefasst. Als Ergebnis erhält man schließlich verschiedene Kategorien als Aussagen zu einem bestimmten Thema. Je nach Forschungsinteresse werden die Kategorien interpretiert, induktiv bzw. deduktiv Hauptkategorien gebildet oder quantitativ analysiert (vgl. Mayring 2000: 59 ff). Die Explikation wird verwendet, wenn für einzelne Textteile ein tieferes Verständnis angestrebt wird. Um das zu erreichen, wird auch die Textteile betreffendes Zusatzmaterial herangezogen. Bei der engen Kontextanalyse wird ausschließlich Material aus dem Ausgangstext verwendet, das zur fraglichen Textstelle in Beziehung gesetzt werden kann. Bei der weiten Kontextanalyse können Zusatzmaterialien auch über den eigentlichen Text hinausgehen und z. B.
Die Qualitative Inhaltsanalyse
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Informationen zum Verfasser/ zur Verfasserin, zu den Entstehungsbedingungen oder den Vorarbeiten liefern. Bei der Strukturierung wird das Ziel verfolgt das Material anhand von bestimmten, vorab festgelegte Kriterien zu analysieren. Mayring unterscheidet hier inhaltliche, formale, typisierende und skalierende Strukturierung (vgl. Mayring 2000: 58 f). Das Ziel bei der Strukturierung ist, aus dem Textmaterial eine bestimmte Struktur herauszufiltern. Die Strukturierungsdimensionen müssen genau definiert und theoretisch begründet werden. Die verschiedenen Dimensionen und Ausprägungen der Strukturierung werden dann in einem Kategoriensystem zusammengestellt (vgl. Mayring 2002; Mayring & GläserZikuda 2005, Flick 2007, Lamnek 2005).
Arbeitsschritte der vorliegenden Analyse In Bezug auf die Untersuchung von Sachbuchtexten, wie sie in der vorliegenden Studie geleistet wird, eignet sich das inhaltsanalytische Verfahren der Zusammenfassung insofern, als dass es ermöglicht die großen Textmengen, die der Analyse zu Grunde liegen, systematisch zu reduzieren und Kernaussagen schließlich in nachvollziehbarer Weise mit Hilfe eines Kategoriensystems darzustellen. Die Analyse wurde entlang folgender Schritte durchgeführt: Die Beschreibung des Genres der Sachliteratur und eine kurze Vorstellung der Autorinnen dienen zunächst der Qualifizierung und Verortung des Ausgangsmaterials, einer Beschreibung der Charakteristika und der Entstehungssituation. Die anschließende Festlegung der Richtung der Analyse und der Fragestellungen ergaben sich einerseits aus den theoretischen Ausarbeitungen zum Thema Geschlechterwissen, andererseits aus dem vorliegenden Material. Die Fragestellungen, die dabei für die inhaltsanalytische Bearbeitung an das Material gerichtet wurden, lauten: a. b.
c.
Wozu haben die AutorInnen dieses Buch geschrieben? (Absichten der AutorInnen) Welcher Geschlechtshabitus wird in den Büchern konzipiert und vermittelt? Wie wird Habitus und Handeln durch die AutorInnen vergeschlechtlicht? (inhaltliche Aspekte) Welches Geschlechterwissen wird in die Vergeschlechtlichung von Habitus und Handeln eingearbeitet, wie wird dies erklärt, argumentiert und begründet? (inhaltliche Aspekte)
Zur Frage wozu die Bücher geschrieben wurden, wurden die extrahierten Textpassagen folgenden Codes zugeordnet:
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern persönliche Motive der AutorInnen Reaktion auf Verunsicherungen
Die Codes zu der Analysefrage nach der Vergeschlechtlichung in der Konzeption von geschlechtstypischem Habitus und Handeln wurden in Auseinandersetzung mit Bourdieus Habitus Konzept entwickelt und in Bearbeitung des Textmaterials ergänzt. Folgende Codes wurden jeweils auf die Analyse von Aussagen zum männlichen und zum weiblichen Habitus und Handeln angewandt:
Handlungen generell und in Beziehungen Wahrnehmen und Fühlen Denken und Wissen Bewerten Bedürfnisse und Wünsche
Für die Analyse der Erklärungen, Argumentationsfiguren und Begründungszusammenhänge wurden schließlich Erkenntnisse aus den theoretischen Grundlagen (Foucault und Bourdieu) und aus der Beschreibung des Genres der Sachliteratur zu folgendem Codesystem zusammengefasst:
persönliche Aussagen der AutorInnen Bezüge zum Alltag Vergleiche, Humor, Genus Spezies Argument, Relativierung Phantasmen, Märchenhaftes Wissenschaftliche Sprache und wissenschaftlicher Jargon Evolutionstheorie Psychologie Gehirnforschung Biologie und biologistischer Jargon Geschichte Soziologie
Das Codesystem wurde zunächst einzeln auf die extrahierten Textteile der Sachbücher angewandt. In der Darstellung der Ergebnisse der inhaltsanalytischen Zusammenfassung erfolgt schließlich eine parallele und vergleichende Illustration der Aussagen aus den drei der Analyse zu Grunde liegenden Sachbüchern „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“ (Pease 2002), „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ (Evatt 2003) und „Männer sind anders. Frauen auch“ (Gray 2002).
Das Sachbuch
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2.2 Das Sachbuch Bei meinen Recherchearbeiten konnte ich feststellen, dass das Sachbuch ein wissenschaftlich eher wenig beforschtes Genre darstellt und dementsprechend unscharf scheint die Abgrenzung zu anderen Literaturgattungen auch zu sein. Die geringe Beachtungsintensität des Sachbuchs von Seiten der Literatur- und Sozialwissenschaften hängt nach meinem Verständnis wohl damit zusammen, dass Bücher dieses Genres von WissenschafterInnen, aber nicht nur von ihnen, meist als trivial, undifferenziert, oberflächlich, sprachlich unattraktiv bis unerträglich, ungenau, schlecht recherchiert, populistisch, aufdringlich – schlichtweg als tendenziell banale Literatur, die in erster Linie Unterhaltung und nicht Wissen oder gar Bildung bietet, betrachtet wird. Die Popularität des Sachbuchs, das 2006 laut statistischen Untersuchungen des Börsenvereines des Deutschen Buchhandels 17,6 Prozent des Umsatzes am deutschen Buchmarkt ausmachte, ist demgegenüber jedoch belegbar (vgl. Honnefelder 2007). Im November 2007 hat sich schließlich ein Kreis deutscher WissenschafterInnen rund um Erhard Schütz, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Humbold Universität Berlin und Stefan Porombka, Professor für Literatur und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim zu dem Forschungsschwerpunkt „Das populäre deutsche Sachbuch im 20. Jahrhundert“ zusammengeschlossen, um das Genre primär literatur- und sprachwissenschaftlich in den Blick nehmen.6 In den folgenden Ausführungen zur Verortung des Sachbuchs im Literaturkanon und am Buchmarkt beziehe ich mich immer wieder auf Texte, die von WissenschafterInnen im Zuge dieses Forschungsprojektes verfasst und veröffentlicht wurden. Ich nehme hier das Sachbuch nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Popularität aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive in den Blick und folge damit der Annahme, dass Bücher, die so gern gekauft und gelesen werden, einen Beitrag zum diskursiven und praktischen Wissen von Individuen leisten, der nicht unterschätzt werden sollte. Die Nachfrage nach und der Erfolg von Sachbüchern scheint mir ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie als einfach handhabbare und leichte „Wissensressource“ ein Bedürfnis der KonsumentInnen erfüllen und somit durchaus (unter vielen anderen Faktoren) Einfluss darauf nehmen (können) welches Wissen Verbreitung findet.
6
Die Ziele des Forschungsschwerpunktes sind die Grundstocklegung für eine empirische Forschung im Bereich Sachbuch, die Erarbeitung der literaturhistorischen Grundlagen, sowie die Erstellung und Erprobung eines Curriculums für das professionelle Konzeptionieren, Schreiben und Lektorieren von Sachbüchern (vgl. www.sachbuchforschung.de)
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
Das Sachbuch als Forschungsgegenstand Andy Hahnemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsprojekt: „Das populäre deutschsprachige Sachbuch im 20. Jahrhundert“ spricht in seinem Artikel von einer „weitgehenden Ignoranz dem Sachbuch gegenüber“ (Hahnemann 2006/1: 3) und gibt dafür zwei zentrale Gründe an, die im Folgenden durch die Ausführungen von David Oels ergänzt und erweitert werden. Das Sachbuch wird als Phänomen der Moderne betrachtet, die sich einerseits durch eine massive Anhäufung von Wissen durch alte und neu entstehende Wissenschaften und andererseits durch die sich entwickelnde Idee der Demokratisierung kennzeichnen lässt. Die Wissensanhäufung trägt in der Moderne zur Schaffung von Eindeutigkeiten und der Legitimation und Herstellung einer gesellschaftlichen Ordnung bei, die durch Ein- und Ausschlüsse in Demokratisierungsprozesse gekennzeichnet ist. Das Sachbuch hat in diesem Zusammenhang eine vermittelnde Funktion indem es wissenschaftliches Wissen in einer der Allgemeinheit zugänglichen Sprache aufbereitet (vgl. Schikowski 2006: 50). Zum wissenschaftlichen Gegenstand wurde das Sachbuch jedoch erst in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, als es unter den neu aufkommenden Anforderungen des lebenslangen und berufsbegleitenden Lernens an Bedeutung gewann. Wissenschaftlich wurde es vor allem unter didaktischen Aspekten in den Blick genommen und zunächst viel eher bewertet als erforscht (vgl. Oels 2005: 10). Der Unterhaltungswert der Sachbücher wurde „geduldet“, so lange an sich didaktisch naturwissenschaftlich verwertbares Wissen dargeboten wurde. Die Vorstellung von den Leserinnen und Lesern der Sachbücher war die von Ungebildeten und die Wissensvermittlung nach wie vor vertikal organisiert. Bis in die 70er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts wurde von LiteraturwissenschafterInnen, die sich zu professionellen BegutachterInnen der Sachbuchliteratur berufen fühlten, vor allem die Verzerrung wissenschaftlicher Inhalte durch die romanhafte Gestaltung, die affirmative und antiemanzipatorische Wirkung und die große Bedeutung der Unterhaltung kritisiert (vgl. Oels 2005: 12). Das Sachbuch galt als ein „augenfälliges Symptom einer literarischen Verfallsgeschichte“ (Oels 2005: 9) und wurde als solches als wichtiges Element einer Literaturgeschichte ausgeblendet. Einen weiteren Grund für die weitgehende Nichtbeachtung des Sachbuchs sieht David Oels, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin, in der Wissenschaftsentwicklung des 20. Jahrhunderts und dabei vor allem in der Erkenntnis, dass Wissen ein historisches, kulturelles und somit relatives Phänomen ist. Es wird als zentrales Element eines Diskurses, eines Komplexes aus Macht – Wissen Verhältnissen, der variabel durch die Zeit fließt, betrachtet und verliert somit
Das Sachbuch
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seinen absoluten Wahrheitsanspruch (vgl. Foucault 1977). Das Sachbuch befindet sich an den Grenzen des Wissenschaftsdiskurses einerseits und an den Grenzen des Literaturdiskurses andererseits, wird jedoch weder dem einen noch dem anderen zugeordnet und fällt damit auch Mangels einer ausreichend differenzierenden Definition aus den Forschungsaktivitäten beider Diskursformationen heraus (vgl. Hahnemann 2006/1: 4; Oels 2005: 19). Die kulturinterne Wissensvermittlung im Sinne einer unterhaltenden Aufbereitung und Popularisierung wurde als Teilbereich der Wissenskultur zunächst kaum noch in Betracht gezogen (vgl. Oels 2005: 16). Erst seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wird unter dem Einfluss von diskursanalytischen und dekonstruktivistischen Strömungen das Verhältnis von Wissenschaft und Literatur beforscht. David Oels und Andy Hahnemann beschreiben das Sachbuch als quasi idealen Gegenstand um sich wissenschaftlich mit kulturellem Wissen, seinen Inszenierungsweisen und Ausprägungen und seiner Popularisierung zu beschäftigen. Hahnemann betrachtet es als „zentrale Ausprägung jenes kulturellen Wissens … als hervorragenden Resonanzkörper kultureller Schwingungen“ (Hahnemann 2006/1: 11). Bezugnehmend auf diese Qualifizierung des Forschungsgegenstandes Sachbuch wird in der vorliegenden Studie das kulturelle Geschlechterwissen, wie es in Sachbüchern der Gegenwart dargestellt und vermittelt wird zum Gegenstand der Untersuchung. Zunächst gilt es aber genauer zu klären was überhaupt gemeint wird, wenn vom „Sachbuch“ gesprochen wird.
Vom „Allbuch“ zur Definition des Sachbuchs Der Begriff „Sachbuch“ hat sich im Laufe der ersten sechzig Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gegen Begriffe wie „Sachroman“, „Allbuch“, „Bildungsbuch“, „Informationsbuch“ oder „Fachbuch des Nichtfachmannes“, „Volkstümliche Wissenschaft“ usw. zur Benennung der Buchform, die weder Roman noch Wissenschaft war, durchgesetzt. Bücher, die jenen Kriterien entsprechen, gab es zwar schon vorher, der Begriff „Sachbuch“ entwickelte sich jedoch erst aus dem Bemühen von WissenschaftspublizistInnen und Verlegern, die junge und viel versprechende Literaturgattung genau benennen und abgrenzen zu können (vgl. Kindler 1980: 11). Von 1962 bis 1971 existierte in Deutschland der verlegerische Zusammenschluss „dms – Das moderne Sachbuch“, der sich zum Ziel gemacht hatte, monatlich ein preisgünstiges und vorher in Ausschüssen genehmigtes Werk herauszugeben. 1961 erschien die erste Spiegel Bestsellerliste mit der Unterteilung in Sachbuch und Belletristik und der Begriff galt danach weithin als etabliert (vgl. Hahnemann 2006/1: 4). Was der Begriff genau
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
bezeichnen sollte, wurde von Verlags- und AutorInnenseite jedoch noch lange diskutiert und bis heute lässt sich keine eindeutige allgemeine Definition für das Sachbuch finden, sondern viel eher Vorschläge von verschiedenen Seiten, wie man das Genre abgrenzen könnte (vgl. Kindler 1980: 14ff). Die einfachste Beschreibung des Sachbuches ergibt sich durch die englische Bezeichnung des Genres als Non-Fiction, also alles andere als Fiction, sprich Belletristik, d.h. schöngeistige (Unterhaltungs)literatur. Diese Definition lässt allerdings zu viel Raum offen und vermittelt auch das falsche Bild, dass Sachbücher nichts Fiktionales, sondern ausschließlich Tatsächliches beinhalten würden. Um zu einer tragfähigen Definition des Sachbuchs zu kommen, fasse ich aus den verschiedenen den diesbezüglichen Überlegungen zu Grunde liegenden Texten, die wichtigsten Aspekte des „Sachbuchs“ wie folgt zusammen: Das Sachbuch versucht Wissen, welcher Art auch immer, in einer ansprechenden, leicht verständlichen und unterhaltenden Weise einer LeserInnenschaft zu vermitteln und bedient sich dabei der verschiedensten literarischen Erzählformen und -techniken. Die ausgewählten Themen orientieren sich an ideellen Trends und geistigen Moden, was auch bedeutet, dass Sachbücher primär für die Gegenwart geschrieben und produziert werden und relativ kurze Erfolge feiern. Schließlich werden Sachbücher meist von professionellen AutorInnen, einzeln oder in der Gruppe, absichtsvoll und für die Verkäuflichkeit am Markt produziert (vgl. Oels, Porombka & Schütz 2004, Schikowski 2006, Hahnemann 2006/1, Kindler 1980, Oels 2005). Wie auch immer Definitionen und Beschreibungen für das Sachbuch heute ausfallen, steht auf alle Fälle fest, dass es so etwas wie Sachbücher schon lange vor den Uneinigkeiten über ihre Definition gegeben hat und, dass wir retrospektiv von einer Geschichte der Sachliteratur sprechen können, die allerdings je nach Perspektive, unterschiedlich erzählt werden kann.
Zur Geschichte des Sachbuchs David Oels nennt auf die Frage, seit wann es denn so etwas wie „das Sachbuch“ gibt, drei populäre Antworten: Die einfachste wurde 1956 von Werner Keller gegeben und lautet kurz gefasst: schon immer; bezieht er sich doch auf Werke, die vor gut viertausend Jahren in Vorderasien und im Nilland verfasst wurden. Die vorherrschende Antwort verortet das Auftreten des Sachbuches mit dem Zeitalter der Aufklärung, die dritte Antwort verschiebt die Geburtsstunde in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts (vgl. Oels 2005: 5ff). Verwendet man für die Betrachtung der Kulturgeschichte des Sachbuchs den von Porombka vorge-
Das Sachbuch
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schlagenen weiteren Begriff der Sachliteratur, die „das Sachbuch“ als eine mögliche Form im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, lässt sich die zeitliche Verortung in der Aufklärung auch ohne definitorische Unschärfen begründen (vgl. Porombka 2005: 5ff). Rückblickend spricht Porombka sogar von einer bereits 500 Jahre andauernden Hochkonjunktur der Sachliteratur, deren Wurzeln bis zur Etablierung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert und der gleichzeitigen Geburtsstunde der Wissensgesellschaft zurückreichen. Im 18. Jahrhundert entsteht durch den Versuch, die Wirklichkeit vernünftig zu erklären und durch die diesem Zweck gewidmete Nutzung verschiedener Medien ein wahres Labor der Sachliteratur, das bereits Gesetzmäßigkeiten des Genres erkennen lässt. So ortet Kindler beim jungen Voltaire, der die einprägsame Szene von Newton, dem ein zu Boden fallender Apfel, das entscheidende „Heureka!“ zur Idee des Gravitationsgesetztes bringt, schon das in der Folge für die Sachliteratur gängige Darstellungsmittel der „Verbindung des Stofflichen mit dem Menschlichen“, eine Erzähltechnik die im Abschnitt zu den Kennzeichen der Sachliteratur unter dem Begriff Anthropomorphisierung besprochen wird (vgl. Kindler 1980: 29). Durch die zunehmende Spezialisierung der Wissenschaften und auf Grund von liberalen politischen Strömungen im 19. Jahrhundert wurde der Impuls, Wissenschaft verständlich und für das Volk zugänglich zu machen, immer größer. Die verschiedenen Autoren legten ihre Absichten in Bezug auf die „Vermehrung des Wissens“, auf „Unterhaltung höherer Art“, auf die Verbindung von einem „literarischen und scientifischen Zweck“ in den Vorreden zu ihren Büchern dar, aus deren Gesamtheit sich bereits die wichtigsten Kategorien der Sachliteratur ableiten lassen (vgl. Kindler 1980: 23ff). Andererseits regte sich schon damals Kritik an der Popularisierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. 1874 schrieb der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche verächtlich über das „berüchtigte Zuschneiden des Rocks der Wissenschaften auf den Leib des gemischten Publikums“ und 1899 wurde in einem Buch die fundamentale Kritik veröffentlich: „Die modernen populären Sachbücher thun (!) sehr viel zur Verallgemeinerung des Wissens, aber herzlich wenig zur Verallgemeinerung des Denkens.“ (zit. nach Kindler 1980: 27). Die Sachliteratur war also schon vor 150 Jahren ein genauso beliebtes wie umstrittenes Genre. Welche kulturelle Funktion es damals wie heute erfüllte und welche typischen Kennzeichen sich daraus für die Sachliteratur ergeben, wird im Folgenden besprochen.
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
Inhaltliche Form und Funktion der Sachliteratur Andy Hahnemann beschreibt die Sachliteratur als ein hybrides Genre, da sie sich stilistisch der Techniken aus verschiedenen anderen Literaturgattungen wie dem Roman, der Biografie, der Erzählung usw. bedient (vgl. Hahnemann 2006: 8). Die jeweiligen Erkenntnisse werden aus Wissenschaft, Religion oder Kultur entlehnt und dann literarisch organisiert, erweitert und ausgelegt. Somit gilt die Sachliteratur als klassische Sekundärliteratur, die Legitimationsfragen bezüglich ihres Inhaltes an die Primärquellen delegiert (vgl. Oels 2005: 17). Die Referenz auf Faktisches in Kombination mit einem sanften, erzählerischen Flow regt die Leser zu Leichtgläubigkeit an, vermittelt den Anspruch auf Wahrhaftigkeit und verdeckt die konstruktiven Aspekte der Produktion des Wissens und des Sachbuches (vgl. Hahnemann 2006: 10). Die literarische Gestaltung und die damit einhergehende Transformation des Wissens ist deutlich erkennbar durch die Technik der Anthropomorphisierung, d.h. der Zuschreibung von menschlichen Eigenschaften an Objekte und Phänomene der Natur, die der Erzählung einen gewissen „human touch“ verleiht, sowie die Techniken der Personalisierung und der Narrativierung, sprich des prozesshaften, erzählerischen Aufbaues. Die Anknüpfung des Inhaltes an menschliche Alltagserfahrungen zählt ebenfalls zu den genuinen Techniken der Sachliteratur, die unter anderem zu einer erheblichen Transformation des Wissens beitragen (vgl. Oels 2005: 14ff). Syntax und Semantik sind dabei allgemeinverständlich gehalten, d.h. es werden einfache, kurze, meist Aussagesätze mit wenigen Bedeutungseinheiten pro Satz verwendet. Aus den genannten Komponenten entsteht schließlich ein Sachbuch, zu dessen Stärken es zählt, dass es nicht nur etwas erzählt, vermittelt und dabei unterhält, sondern dass seine Inhalte auch gut weitererzählbar sind. Bezüglich der Themenwahl ist die Sachliteratur sehr marktorientiert, d.h. sie greift aktuelle Themen, die in journalistischen Texten bearbeitet werden auf und adaptiert sie für das eigene Genre, was dazu führt, dass sie einerseits wegen ihrer Aktualität sehr populär ist, andererseits jedoch sehr schnell veraltet. Die Popularisierung von wissenschaftlichem Wissen ist eine wichtige kulturelle Funktion des Sachbuchs, wobei zu beachten ist, dass durch die Weitervermittlung von Wissen immer auch eine Transformation der Inhalte passiert (vgl. Niederhauser 1997: 108). Die populäre Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse wird erreicht durch eine Reduktion der Informationsfülle und -komplexität, d.h. durch die Trennung von scheinbar Wichtigem und scheinbar Unwichtigem, durch die Konzentration auf scheinbar wesentliche und zentrale Aussagen und die Aussparung oder Umformulierung von Fachwörtern. Die Popularisierung führt weiters zu einer weitgehenden Eliminierung des wissenschaftlichen Apparates, d.h. es werden keine vollständige Bibliografie und keine
Das Sachbuch
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Anmerkungen angeführt, die Inhalte werden nicht in das Forschungsfeld eingeordnet und es erfolgt keine Darstellung theoretischer und fachlicher Hintergründe und Zusammenhänge. Schließlich trägt die Verwendung literarischer Darstellungsformen erheblich zur Transformation des wissenschaftlichen Wissens bei (vgl. Niederhauser 1997: 111ff; Ruitz & Helm 2007). Die Sachliteratur erfüllt eine grundlegende Orientierungsfunktion indem sie, wie von Porombka postuliert, Regelwissen, Weltwissen und einen Bezug zur Gegenwart vermittelt (vgl. Porombka 2005: 11ff). Durch die Vermittlung einer je nach Inhalt differierenden Kunst des Lebens, die Wissen über verschiedene Verhaltensregeln in verschiedenen Situationen liefert, kann die Sachliteratur das Bedürfnis nach Orientierung, das viele Menschen vor allem heute im Zeitalter der Individualisierung, in dem sie sich durch auf sie zuströmende Anforderungen überfordert fühlen, befriedigen. Weiters wird durch die Darstellung von Weltwissen der Wunsch zur Information über das Neue erfüllt. Die Verbreitung von Weltwissen erzeugt ihrerseits wieder neues Regelwissen, also neue normative Verhaltensanforderungen an das Individuum. Beides, Regel- und Weltwissen wird im Sachbuch immer in einem Bezug zur Gegenwart und zum Alltag vermittelt und trägt durch die Konstruktion sinnhafter Zusammenhänge zu einer Beruhigung über die Welt, zur Orientierung und schließlich auch zu einem Gefühl der Sicherheit bei (vgl. Porombka 2005: 11ff). Vor dem Hintergrund dieser Qualifizierung des Sachbuches, als Beitrag zum Gefühl der Sicherheit, ist es naheliegend, das Sachbuch in der vorliegenden Studie als Medium von Absicherungspraktiken zu untersuchen, im konkreten Fall, Absicherungspraktiken gegenüber der Verunsicherung, die aus dem Wandel der Geschlechterverhältnisse der letzten Jahrzehnte resultiert.
Autoren, Rezeption und das Sachbuch am Buchmarkt Die AutorInnen von Sachbüchern sind heute weitgehend JournalistInnen oder KommunikationsexpertInnen, die sehr schnell, sehr viel und auch bezüglich Recherche nicht zu kleinlich und penibel arbeiten und schreiben können. Den Blick richten sie auf die LeserInnen und den Markt, d. h. sie sind gegenwartsorientiert und trendbewusst (vgl. Oels, Porombka, Schütze 2007: 110). Im Vorwort lässt sich meist interessanter Weise eine Hervorhebung des Wertes des Gegenstandes und eine Abwertung der eigenen Schreib- und Mitteilungsfähigkeit beobachten. Aus diesem Verweis auf das Faktische und - je nach Gebiet – Wissenschaftliche, bezieht der Autor/ die Autorin eine gewisse Autorität, eine Glaubwürdigkeit und einen Vertrauensvorschuss. Historisch war die Positio-
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
nierung der AutorInnen gegenüber den LeserInnen eher herablassend und hat didaktisch das Ziel verfolgt, die Ungebildeten zumindest ein wenig zu bilden. Mit der Tatsache, dass immer mehr JournalistInnen Sachbücher schrieben, verschob sich diese Positionierung mit dem Ergebnis, dass die AutorInnen nunmehr als neutrale, den LeserInnen und ihren Interessen verpflichtete VermittlerInnen auftreten. Eine gewisse Gemeinsamkeit wird hergestellt, die den LeserInnen das Gefühl vermittelt, dass die AutorInnen als in ihrem Sinne aufmerksame BeobachterInnen agieren, die das Beobachtete neutral und unverändert vermitteln, wobei das Urteil über Relevanz und Richtigkeit der Inhalte scheinbar den LeserInnen überlassen wird (vgl. Oels 2005: 21ff). Erfolgreich können Sachbücher dann werden, wenn sie die Bedürfnisse der LeserInnen nach Wissen, Orientierung, Information und legitimierter Unterhaltung befriedigen. Im Zeitalter der Individualisierung in dem der/die Einzelne als „Lebensunternehmer“ herausgefordert ist, „das Beste aus sich zu machen“, wird die Vermittlung von Wissen, Weltanschauungen und Identitätskonstruktionen mittels Sachbüchern von vielen LeserInnen als eine Form der Selbst- und Lebensversicherung dankbar angenommen (vgl. Porombka 2005: 13). Diese Qualifizierung des Sachbuches lässt die Hypothese zu, dass in Zeiten gesellschaftlicher Transformationsprozesse, die u.a. auch Verunsicherung in unterschiedlichen Feldern der Lebensgestaltung provozieren, die Wissensaneignung über Sachbücher als eine Alltagspraktik subjektiver Absicherung untersucht werden kann. Um eine gute Platzierung im Buchhandel zu erreichen, arbeiten Verlage, LektorInnen und AutorInnen gemeinsam am Marketing. Bei der Produktion wird vor allem auf die Unterscheidbarkeit des Buches geachtet, die auf einem mit Sachbüchern sehr vollen Buchmarkt recht schwierig zu erreichen ist. Ebenso kann man ein Autorenmarketing beobachten, was bedeutet, dass die AutorInnen auch für ihr Produkt quasi in den Ring steigen müssen – d.h. Buchvorstellungen machen, Lesungen, Interviews, Einblick in die Privatsphäre geben u.v.m. . Auf den gerade für den Sachbuchmarkt sehr wichtigen Bestsellerlisten, unter anderem der wohl bekanntesten Spiegel- Bestsellerliste, lassen sich schließlich der Erfolg und die Früchte der gemeinsamen Arbeit ablesen (vgl. Schikowski 2006: 52). Porombka fasst entscheidende Elemente für eine gute Platzierung in den Bestsellerlisten in seinem Artikel „Wie man ein verdammt gutes Sachbuch schreibt“ prägnant zusammen. Er rät potentiellen AutorInnen erstens den Markt aufmerksam zu beobachten und einen abgeklärten und souveränen Schreibstil zu pflegen, zweitens die Themen für LeserInnen zu entwickeln und in der Darstellung an deren Lebenswelt anzuknüpfen, drittens durch dynamisches, konkretisierendes und aus dem Stoff heraus dramatisierendes Erzählen bei den LeserInnen einen Schwebezustand zu erreichen, und schließlich viertens durch
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln
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eine gute, dichte, persönliche und nachvollziehbare Erzählweise die LeserInnen zu berühren, anzusprechen und in gewisser Weise auch zu bestätigen. Folgt man dieser Anleitung, so ist laut Porombka der erste Schritt zur Landung eines Bestsellererfolges bereits getan (vgl. Porombka 2006: 30f).
2.3 Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln Die Grundlage meiner Analyse bilden Sachbücher, die sich mit Fragen des Geschlechts bzw. der Geschlechter und des Geschlechterverhältnisses auseinandersetzen. Anknüpfend an die allgemeine Definition des Sachbuchs lässt sich für die entsprechenden Bücher feststellen, dass sie versuchen Geschlechterwissen in einer ansprechenden, leicht verständlichen, unterhaltsamen Weise und mit Einsatz verschiedener literarischer Erzählformen und Techniken, zu vermitteln. Die AutorInnen orientieren sich an aktuellen Trends und beabsichtigen das Bedürfnis einer breiten LeserInnenschaft nach Orientierung, Regel- und Weltwissen, Beruhigung und (Selbst)-Versicherung zu wecken und zu erfüllen (vgl. Porombka 2005: 11ff). Die Tatsache, dass Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln, geschrieben, verlegt und gekauft werden, legt die Vermutung nahe, dass es eine nicht zu unterschätzend große LeserInnenschaft für sie gibt; dass es also Menschen gibt, die ein Bedürfnis nach Orientierung, Wissen und Sicherheit in Zusammenhang mit Fragen des Geschlechts haben. Dieses Bedürfnis nach Orientierung, das die Sachbücher per definitionem erfüllen (sollen), lässt wiederum Rückschlüsse auf ein Gefühl der Verunsicherung in Bezug auf das Geschlechterwissen und das Geschlechterverhältnis zu. Die Aussage, dass Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln, ein Absicherungsangebot an in Fragen zum Geschlecht verunsicherte Menschen ist, scheint also zutreffend. Die kontinuierliche Relevanz dieses Genres lässt sich anhand der Platzierung entsprechender Bücher auf den Spiegel Sachbuch-Bestsellerlisten der Jahre 2002 bis 2008 darstellen. Seit 2001 werden alle Listen durch elektronische Abfrage in den Warenwirtschaftssystemen von derzeit rund 350 Buchhändlern ermittelt. Die Buchhandlungen werden dabei so ausgewählt, dass sie mit ihren Umsätzen und Standorten der Gesamtheit des Buchhandels in Deutschland
entsprechen (http://www.buchreport.de/topnavi/ueber_buchreport.htm). Die so ermittelten Daten zum Verkauf und die daraus erwachsenden Bestsellerlisten sind auf der Internetseite http://www.buchreport.de/bestseller. htm veröffentlicht und abrufbar und können als repräsentativ für den deutschsprachigen Buchmarkt angesehen werden. In den folgenden Tabellen
72
Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
sind die jeweils jahresbezogenen Rankings von Sachbüchern, die Geschlechterwissen vermitteln, abzulesen. Tabelle 1: Jahresbestseller Sachbuch, Taschenbuch Jahresbestseller Sachbuch, Taschenbuch http://www.buchreport.de/bestseller.htm (2008/10) Jahr
Platz 19.
2008,von insgesamt 50 Titeln
21. 39.
43. 10. 21. 24. 28. 2007,von insgesamt 50 Titeln
38. 39.
50. 9. 15. 2006,von insgesamt 20 Titeln
Titel Langenscheidt Deutsch-Frau / Frau-Deutsch Die perfekte Liebhaberin Der perfekte Liebhaber. Sextechniken, die sie verrückt machen Die verbotene Frau Langenscheidt Deutsch-Frau / Frau-Deutsch Baustelle Mann Die perfekte Liebhaberin Der perfekte Liebhaber. Sextechniken, die sie verrückt machen Langenscheid Deutsch Mann, Mann - Deutsch Wie Frauen ticken
Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken Langenscheidt Deutsch-Frau / Frau-Deutsch Die perfekte Liebhaberin
18.
Langenscheid Deutsch Mann, Mann - Deutsch
20.
Wie Männer ticken
AutorIn Barth, Mario Paget, Lou Paget, Lou
Wermuth, Verena Barth, Mario Kraus, Sonya Paget, Lou Paget, Lou
Fröhlich, S.; Kleis, C. Brost, H.; Kroetz-Relin, M. Th. Pease, Allan; Pease, Barbara Barth, Mario Paget, Lou Fröhlich, Susanne; Kleis, Constanze Brost, Hauke
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln 2. 9. 10. 2005,von insgesamt 20 Titeln
11.
14. 1. 2004,von insgesamt 20 Titeln
4. 8. 12.
1. 2003,von insgesamt 20 Titeln
3. 4.
1. 2002,von insgesamt 20 Titeln
4. 6. 11.
Langenscheidt Deutsch-Frau / Frau-Deutsch Die perfekte Liebhaberin Langenscheid Deutsch Mann, Mann - Deutsch Der perfekte Liebhaber. Sextechniken, die sie verrückt machen Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken Langenscheidt Deutsch-Frau / Frau-Deutsch Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken Die perfekte Liebhaberin Der perfekte Liebhaber. Sextechniken, die sie verrückt machen Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken Die perfekte Liebhaberin Der perfekte Liebhaber. Sextechniken, die sie verrückt machen Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken Männer sind anders. Frauen auch Die perfekte Liebhaberin Der perfekte Liebhaber. Sextechniken, die sie verrückt machen
73 Barth, Mario Paget, Lou Fröhlich, S.; Kleis, C. Paget, Lou
Pease, Allan; Pease, Barbara Barth, Mario Pease, Allan; Pease, Barbara Paget, Lou Paget, Lou
Pease, Allan; Pease, Barbara Paget, Lou Paget, Lou
Pease, Allan; Pease, Barbara Gray, John Paget, Lou Paget, Lou
74
Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
Tabelle 2: Jahresbestseller Sachbuch, Hardcover Jahresbestseller Sachbuch, Hardcover http://www.buchreport.de/bestseller.htm (2008/10) Jahr
2008 (von 50)
Platz
2006 (von 20) 2005 (von 20) 2004 (von 20) 2003 (von 20) 2002 (von 20)
Autorin
9.
Ein Mann - Ein Buch
11.
Eine Frau - Ein Buch
38. 7.
19.
Liebling, ich komm später Runzel-Ich. Wer schön sein will ... Reifeprüfung. Die Frau von 50 Jahren Ein Mann - Ein Buch
39.
Das weibliche Gehirn
19. 9.
Das Eva-Prinzip. Für eine neue Weiblichkeit Moppel-Ich
Fröhlich, Susanne
1.
Moppel-Ich
Fröhlich, Susanne
2.
Warum Männer lügen und Frauen dauernd Schuhe kaufen Warum Männer lügen und Frauen dauernd Schuhe kaufen
Pease, Allan; Pease, Barbara
8. 2007 (von 50)
Titel
2.
Augustin, E.; Keisenberg, P. v.; Zaschke, C. Blümner, H.; Thomae, J. Nick, Désirée Fröhlich, S.; Kleis, C. Gerster, Petra Augustin, E.; Keisenberg, P. v.; Zaschke, C. Brizendine, Louann Herman, Eva
Pease, Allan; Pease, Barbara
Angesichts der Platzierung auf den Bestsellerlisten, kann man durchaus von einer konstant hohen Nachfrage und von einem schon mindestens fünf Jahre andauernden Erfolg von Sachbüchern, die Geschlechterwissen vermitteln, sprechen. Dass das Angebot entsprechender Sachbücher weit über die Anzahl der Top-Seller hinausgeht, lässt sich mit einer Auflistung der über das
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln
75
Internetversandhaus Amazon verfügbaren Bücher, die mit der Suche nach einschlägigen Schlagwörtern (Frau, weiblich, Frauen, Weiblichkeit, Mann, männlich, Männer, Männlichkeit) in Rubriken, die überwiegend und im weitesten Sinne der vorliegenden Definition von Sachliteratur entsprechen, ermittelt wurden, darstellen. Die angeführten Zahlen sind das Ergebnis einer Online Recherche, die am 7. Oktober 2008 auf www.amazon.de für deutschsprachige Bücher durchgeführt wurde. Tabelle 3: Anzahl verfügbarer Titel Oktober 2008 Übersicht der Anzahl verfügbarer Titel auf Amazon.de im Oktober 2008 Schlagwörter weiblich
Frauen
Weiblichkeit
Gesamt
Lernen Nachschlagen 13294
3587
10681
960
28522
Ratgeber
11012
2808
9694
1127
24641
Psychologie
2335
946
2170
448
5899
Sozialwissenschaft
4440
1532
4900
716
11588
Medizin
5357
2210
4722
378
12667
Biowissenschaft
615
311
434
30
1390
Rubrik
Mann
männlich
Männer
Männlichkeit
Gesamt
Lernen Nachschlagen 13852
3398
8420
1077
26747
Ratgeber
9975
2620
7655
1138
21388
Psychologie
2212
865
1707
432
5216
Sozialwissenschaft
3487
1315
3206
840
8848
Rubrik
Frau
„Fachbücher“, davon
„Fachbücher“, davon
Medizin
5721
1987
3807
285
11800
Biowissenschaft
1249
275
338
26
1888
76
Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
Um schließlich herauszufinden, über welche Schienen Geschlechterwissen in Sachbüchern primär vermittelt wird, wurden die Titel von 353 Büchern aus der Online Recherche auf http://www.Amazon.de analysiert. Die ausgewählten Titel entsprechen den in dieser Studie verwendeten Kriterien von Sachbüchern und die Analyse erfolgte entlang der Fragen, an wen sich die Sachbücher richten und wovon sie handeln, d.h. über welche Thematik die Vermittlung von Geschlechterwissen erfolgt. Die Codes ergaben sich aus dem vorliegenden Material.
Lebenskunst für Männer Lebenskunst für Frauen
Themen, Beispiele
Anteil %
Code
Männer Frauen
Zielgruppe
Tabelle 4: Themen in Sachbüchern die Geschlechterwissen vermitteln
Mann sein, Mann werden, männliche Entwicklung, Fitness, Ernährung und Gesundheit für Männer, Männer und das Alter, Vaterschaft z.B. Du bist der Mann deines Lebens!: Bewusstes Mannsein als Kraftquelle im Alltag von Frank Fiess und Thomas Simon-Weidner von Simon & Leutner, 2007 Einsame Klasse: Wenn Männer in die Jahre kommen von Wolfgang Michal von Booklett, 2007 Frau sein, Frau werden, weibliche Individuation, weibliche Kraft und Energie, Frauen und das Alter, Frauen und Selbstbestimmung, Freiheit, Frauen und Gesundheit, Körper und Styling z.B. Aufbruch nach Hause - Frauen unterwegs zu sich selbst. Ein spirituelles Praxisbuch für die Reise der inneren Heldin von Sabine Treeß von Via Nova, 2004 Starke Frauen sagen nein: So lernen Sie sich abzugrenzen von Ulrike Dahm von Ariston, 2006
24,1
22,8
Beziehung Beziehung zu Frauen
Beziehung zu Männern
Frauen und Männer Männer
Frauen
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln Wie Männer sind, wie sie denken Was Männer wollen Wie Männer zu behandeln sind Männer verstehen lernen „Nutzen“ von Männern Wie Männer manipulierbar sind
77
18,3
z.B. Männer verstehen in 60 Minuten von Jonathan Byron, Friederike Berner, und Julian Eschbach von Thiele, 2008 Die MANNagerin: Wie er macht, was sie will von Julia Richter von Südwest, 2007 Warum und worin Männer und Frauen verschieden sind Warum sie sich nicht verstehen (können) Warum die nettesten Männer bei den schrecklichsten Frauen bleiben ...: ... und die netten Frauen verlassen von Sherry Argov von Goldmann, 2007 Der ganz alltägliche Beziehungswahnsinn: Was er denkt und was sie meint von Michaela Merten und Pierre Franckh von Ariston, 2007 Wie Frauen sind, wie sie denken Erfolg bei Frauen haben Frauen verstehen lernen Was Männer über Frauen denken Wie man Frauen verführt Was Frauen wollen Frauen sind Männersache: Was Männer über Frauen wissen sollten von Shaunti Feldhahn, Jeff Feldhahn, und Eva M. Nietzke von Gerth Medien, 2007
15,6
9,3
78
Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern Karrierestrategien für Frauen, Kommunikation erfolgreicher gestalten, Erfolg ist weiblich, Selbstbewusstsein im Job, Selbstpräsentation Beruf Sex
Frauen und Männer
Frauen
7,6 Ich mach' Geld und nicht den Abwasch. Wie Frauen zu einem kleinen Vermögen kommen von Mirjam Müller von humboldt / Schlütersche, 2008 Was Frauen oder Männer in der Sexualität wollen und wie Mann oder Frau es ihnen geben kann Was Männer von Frauen über Sexualität lernen können von Chuck Spezzano von Via Nova , 2008
1,9
Die Analyse zeigt, dass Geschlechterwissen in Sachbüchern zu 43,29 % über die Schiene von Fragen, Tipps, Anregungen und Erklärungen zu Paarbeziehungen vermittelt wird, wobei anzumerken ist, dass dabei praktisch ausschließlich über heterosexuelle Paarbeziehungen gesprochen wird. In 47,01 % der Bücher wird Geschlechterwissen über das Thema Lebenskunst für Frauen bzw. Männer verhandelt, das sich entlang der Fragen (ganz) Frau bzw. Mann sein und (ganz) Frau bzw. Mann werden, bewegt. Interessant ist, dass sich die Sparte Beruf mit den Inhalten Karriere, Erfolg, Selbstpräsentation in der vorliegenden Analyse von 353 Titel ausschließlich an Frauen richtet. Offensichtlich ist die berufs- und erfolgsorientierte Frau noch immer keine Selbstverständlichkeit. Die Sachbücher, die ich für die vorliegende Untersuchung ausgewählt habe, sind der Rubrik „Beziehung“ zuzuordnen und richten sich an Männer und Frauen. „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“ (2002) von Allan und Barbara Pease ist das populärste der drei Bücher und neben dem Vorgängerbuch der Autoren „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ des Öfteren an prominenter Stelle in den Jahresbestsellerlisten vertreten. Ebenso auf der Bestsellerliste ist das Buch von John Gray „Männer sind anders. Frauen auch.“ (1998, 32. Auflage). Das Buch von der Autorin Cris Evatt „Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus“ (2007, 5.Auflage) ist das am wenigsten populärste Buch der drei ausgewählten Sachbücher und dementsprechend auch auf keiner der Bestsellerlisten vertreten.
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln
79
Die AutorInnen der Sachbücher Allan und Barbara Pease sind die Autoren von „Warum Männer immer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“, das in der englischen Originalausgabe den Titel „Why men lie and women cry“ (Orion 2002) trägt. Die AutorInnen sind glücklich miteinander verheiratet und leben in Australien. Allan Pease wird auf der offiziellen Homepage http://www.peaseinternational.com als international bekannter „Mr. Body Language“ beschrieben. Seine diesbezüglichen Kenntnisse erlangte er durch äußerst erfolgreiche Verkaufstätigkeiten von Lebensversicherungen und vermittelt sie nun seit dreißig Jahren über Seminare, Radiound Fernsehshows, DVDs und Bücher, deren Vertrieb und Vermarktung über die Firma Pease International Pty Ltd unter der Leitung von Barbara Pease organisiert wird. Barbara Pease startete ihre Karriere als Modell und leitete eine Zeit lang auch eine eigene Modellagentur. Heute fungiert sie als Co-Autorin für zahlreiche Bücher. Gemeinsam haben sie bisher vierzehn Bestseller produziert, acht davon rangierten auf Platz eins in diversen Bestsellerlisten. Ihre Bücher wurden in fünfzig Sprachen übersetzt und über zwanzig Millionen Mal in hundert verschiedenen Staaten verkauft. In „Warum Männer immer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“ beschäftigen sie sich mit dem Thema der Geschlechterdifferenz und der Tatsache, dass diese zu grundlegenden Miss- und Unverständnissen in heterosexuellen Paarbeziehungen führt und geben dabei „ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Beziehungen“. (vgl. http://www.peaseinternational.com/default.asp15.10.2008) Der Amerikaner John Gray (*1951) ist der Autor des Buches “Männer sind anders. Frauen auch“, das im englischen Original unter dem Titel “Men are from Mars, Women are from Venus” (Harper Collins 1992) erschienen ist. 1982 schloss er sein Studium der Psychologie und der Menschlichen Sexualität an der Columbia Pacific University mit dem Doktorat ab. Heute arbeitet Gray als Paarund Familientherapeut und lebt „mit seiner Frau Bonnie“ und drei Kindern in Mill Valley, Kalifornien. Er ist Autor von mittlerweile sechzehn Büchern, die in den letzten fünfzehn Jahren über vierzig Millionen Mal in insgesamt 45 verschiedenen Sprachen verkauft wurden. Sein Spezialgebiet ist dabei die zwischenmenschliche Kommunikation und deren potentielle Verbesserung in heterosexuellen Paarsituationen. Die Formel, „Männer sind vom Mars - Frauen von der Venus“, kann dabei als roter Faden seiner Publikationen betrachtet werden, kommt sie doch allein bei zehn Büchern bereits im Titel vor. Neben Fernseh- und Radioauftritten, sowie dem Verfassen einer wöchentlichen Kolumne, die in verschiedenen Zeitungen erscheint und dreißig Millionen Lesende erreicht, betreibt John Gray die Homepage http://home.marsvenus.com
80
Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
die neben Büchern, DVDs, Online Videos, Artikel, Cds, Spielen, einem Ernährungsratgeber und einem Wellness- und Pflegeprogramm speziell für Frauen oder Männer, auch Partnervermittlung anbietet. In dem meiner Analyse grundgelegten Buch, „Männer sind anders. Frauen auch“, widmet er sich dem Thema wie Frauen und Männer sich jeweils unterschiedlich in heterosexuellen Paarkonstellationen verhalten und erklärt das Verständnis für die „grundlegende Verschiedenheit von Frau und Mann“ als zentrale Voraussetzung für die Möglichkeit eine „gesunde Beziehung“ zu führen. (vgl. http://home.marsvenus.com 08.09.2008) Cris Evatt ist die Autorin von “Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus. Tausend und ein kleiner Unterschied zwischen den Geschlechtern“, das in der amerikanischen Originalausgabe unter dem Titel „Opposite sides of the bed“ (Conari Press 1992) 1992 erstmals erschienen ist und derzeit auf Deutsch in der fünften Auflage im Piper Boulevard Taschenbuchverlag aufliegt. In der deutschen Übersetzung bekam das Buch verwirrender Weise den Titel „Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus.“, den gleichen Titel also, den John Gray seinem Buch in der englischen Originalversion gab (“Men are from Mars, Women are from Venus”). Cris Evatt arbeitete unter anderem als Zahnarzthelferin, als Kolumnistin und als Yoga-Lehrerin. Seit 1981 arbeitet sie als Autorin mit den Themenschwerpunkten Selbstorganisation, Haushaltsorganisation, freier Wille, Geschlechterdifferenzen sowie Fragen von Geben und Nehmen. Sie lebt mit ihrem Mann Dave und zwei Stiefsöhnen in Hawai und Kalifornien. Ihre Bücher wurden weltweit in fünf Sprachen übersetzt und neben ihrer Tätigkeit als Autorin leitet sie Workshops, die den Teilnehmenden helfen sollen, ihr Leben besser zu organisieren und zu vereinfachen. Mit dem vorliegenden Buch liefert sie ein schnelles Nachschlagewerk für tausend und einen kleinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. (vgl. http://www.crisevatt.com 22.09.2008)
Allgemeine Aussagen Die AutorInnen der Sachbücher „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“, „Männer sind anders. Frauen auch.“ und „Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus“ gehen einhellig von einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit der Menschen aus, die allen ihren Aussagen als implizite Voraussetzung zu Grunde liegt. Die Alltagsannahmen zu Geschlecht - dass es nur zwei Geschlechter gibt, die Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter über äußerliche Zeichen bestimmt wird, eine Doppelzugehörigkeit nicht möglich
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln
81
ist, man für das Geschlecht das man hat nichts kann und, dass das Geschlecht im Laufe eines Lebens gleich bleibt (vgl. Wobbe 2005: 460; Heintz 1993: 26) - wird durchgehend als unhinterfragte Selbstverständlichkeit benützt. Die Rede von den Frauen und den Männern ist Ausdruck dieser Grundannahme und impliziert, dass es so etwas wie Männer und Frauen gibt, dass Menschen jeweils wissen, ob sie das Eine oder das Andere sind und, dass sie andere Menschen dem Einen oder Anderen zuordnen können. Nur selten und ausschließlich in Cris Evatts „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ wird diese Formulierung unterbrochen von harmlosen Relativierungen im Sinne von „Natürlich sind nicht alle Frauen unbedingt auf Anerkennung aus. Madonna, Shirley MacLaine und Whoopi Goldberg sollen hier nur als Beispiel für selbstbewußte (!) Frauen genannt werden, die nach ihrer eigenen Fasson leben.“ (Evatt 2007: 28).
Die Tatsache, dass in keinem der Bücher definiert oder erklärt wird, wovon bei der Rede von Männern und Frauen gesprochen wird, ist ein Beleg dafür, dass die Zweigeschlechtlichkeit als Naturtatsache, und das Wissen um sie als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden. Wenn Geschlecht als Naturtatsache gefasst wird, dann existiert es folglich jeweils schon vor einer Handlung, es geht dieser Handlung voraus und die Tatsache eines bestimmten Geschlechts bestimmt Art und Weise einer Handlung. Dem gegenüber geht man mit der Konzeption des doing gender im ethnomethodologischen Dekonstruktivismus davon aus, dass Geschlecht nicht die Voraussetzung sondern vielmehr das Ergebnis von Handlungen ist. Das Konzept von Geschlecht als Naturtatsache, das in den vorliegenden Sachbüchern als implizite Voraussetzung gebraucht wird, ist dieser Konzeption feministischen Geschlechterwissens diametral entgegengesetzt. Zweigeschlechtlichkeit wird im dekonstruktivistischen Feminismus an sich als kulturelle oder soziale Konstruktion und Herrschaftsinstrument betrachtet. Ein gesellschaftstheoretischer Feminismus stellt nachhaltig die Problematisierung von Ungleichheit ins Zentrum seiner Kritik, die als Ursache der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung aufgezeigt wird, und fordert im Interesse von Frauen Anerkennung und Verteilungsgerechtigkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Ein Differenzfeminismus zielt auf die Aufwertung und Anerkennung des Beitrags von Frauen zur Existenz von Mensch und Gesellschaft. Das dekonstruktivistisch-feministische Geschlechterwissen stellt ebenso wie die Kritik an geschlechterungerechten Verhältnissen oder die Aufwertung von Frauen eine grobe Verunsicherung des alltäglichen Geschlechterwissen zu Männlichkeit und Weiblichkeit dar. Damit stellt sich die Frage, ob die ausgewählten Sachbücher ein Mittel sind, um das unter anderem
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
durch diverse Feminismen in Unordnung geratene alltagsweltliche Geschlechterwissen wieder in feste und sichere Formen zu gießen.
Eine Antwort auf Verunsicherung? Auf die Frage, wozu die AutorInnen ihre Bücher geschrieben haben, ergab die Analyse der Sachbuchtexte drei relevante Antworten. Erstens beschreiben die Autoren eine Art persönliches Bedürfnis, ihr Wissen und ihre Erfahrungen, sowie ihre Freude darüber, dass sich in ihren persönlichen Beziehungen durch dieses Wissen vieles zum Positiven verändert hat, auszudrücken. So zum Beispiel teilt John Gray „sein Wissen aus Freude“ (Gray 2002: 24) und möchte „etwas im Leben des Lesers bewirken“ (ebd: 318). Allan und Barbara Pease feiern in ihrem Buch auch ihren persönlichen Beziehungserfolg mit der Aussage: „Wir dagegen haben uns so weit entwickelt, dass wir jetzt wissen müssen, wie man am besten mit dem anderen Geschlecht zurecht kommt, um auch nur die Chance auf ein glückliches Leben zu haben und einen Gutteil der Freude, Erregung und Bereicherung zu genießen, die harmonische Beziehungen mit sich bringen können.“ (Pease 2002: 22)
Ähnlich wie John Gray verkünden sie die Absicht die Lesenden „bei der Kommunikation mit dem anderen Geschlecht auf den richtigen Weg zu bringen.“ (ebd: 15) Der zweite Aspekt bezieht sich auf das Ziel der AutorInnen, den Leserinnen und Lesern den Weg zu einer harmonischen Beziehung zu weisen. Dieser führt in den drei Sachbüchern einhellig über ein Verständnis für und ein Wissen um die Differenz der Geschlechter, um potentielle Konfliktsituationen entschärfen zu können. Denn „wenn Unterschiede angenommen werden, hat Liebe eine Chance“ (Gray 2002: 29) und, „es gibt für alles eine Lösung, wenn wir nicht vergessen, dass Männer vom Mars, Frauen von der Venus sind.“ (ebd: 26) Ähnlich klingt die Absichtserklärung bei Cris Evatt, die zu „glücklicheren und zufriedeneren Beziehungen“ (Evatt 2007: 7) und zum „Abbau von Spannung zwischen den Geschlechtern“ (ebd: 7) verhelfen will. Allan und Barbara Pease beschreiben den Zweck und Nutzen ihres Buches wie folgt: „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen ist ein Handbuch zum besseren Verständnis des anderen Geschlechts, und Sie lernen damit, welche Knöpfe Sie drücken müssen, um die besten Ergebnisse zu erzielen.“ (Pease 2002: 24)
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln
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Sie richten an die Lesenden den Appell: „Folgen Sie unseren einfachen Strategien, und Sie beide werden eine viel glücklichere und erfülltere Zukunft aufbauen“ (ebd: 58)
und stellen den LeserInnen in Aussicht, dass das Befolgen der Strategien ihnen dazu verhelfen wird „…ihre Beziehung so glücklich zu gestalten, wie sie es nicht zu träumen wagten.“ (ebd: 139)
Der dritte Aspekt bezieht sich auf das Angebot von Absicherung gegenüber einer verunsicherten Geschlechtsidentität bzw. einem verunsicherten Geschlechterverhältnis. Am deutlichsten wird die Verunsicherung von Allen und Barbara Pease in folgenden Textpassagen konstatiert: „Die Welt ist ein verwirrender Ort für Männer geworden - ihre wichtigsten Gehirnleistungen sind heute weitgehend überflüssig, und von allen Seiten sind sie weiblichen Angriffen ausgesetzt. […] Mann zu sein ist eine schwierige Sache geworden. […] Frauen sind heute überarbeitet, oft wütend und immer häufiger allein. Männer haben das Gefühl, dass Frauen von ihnen verlangen, dass sie wie Frauen denken und sich wie Frauen benehmen. Wir alle sind verwirrt. […] Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen bietet eine echte Chance, in Ihrem Leben zumindest einen Teil dieses Elends, dieser Angst und Verwirrung zu überwinden.“ (ebd: 15ff)
Die in diesen Aussagen in Zusammenhang mit Geschlecht und dem Geschlechterverhältnis verwendeten Begriffe wie „Verwirrung“, „Angriff“, „schwierige Sache“, „Elend“ und „Angst“ fungieren als Beschreibung des Phänomens der Verunsicherung. In weiteren Textabschnitten sprechen Pease und Pease von einem „entstandenen Beziehungslabyrinth“, einem „Irrgarten“ für den sie eine neue „Landkarte“ zur Verfügung stellen wollen. Mit anderen Worten bieten sie damit Orientierung in der Orientierungslosigkeit bzw. neue Sicherheit in der Unsicherheit an. Gründe für die Entwicklung dieser „Verwirrung“ und dieses „Elends“ im Geschlechterverhältnis sehen die Autoren Pease primär im Feminismus. „Seit den Sechzigerjahren wurden die Feministinnen immer lauter und erfolgreicher. Die Selbstmordrate von Frauen ist in dieser Zeit um 34 Prozent zurückgegangen, die der Männer dagegen um 16 Prozent gestiegen. Und trotzdem wird immer noch unablässig das harte Los der Frauen beklagt. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts entdeckten die Frauen ihre Freiheiten und betrachteten die Männer oft als den Feind schlechthin. […] Beziehungen und Familien wurden einer enormen Belastung ausgesetzt. Die Frauen waren zornig; die Männer waren gelähmt und verwirrt. Ihre Rolle war bislang immer klar definiert gewesen: Der Mann war der Herr im Hause. Er war der Haupternährer seiner Familie, sein Wort war Gesetz, und die Bereiche, in denen
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern er die Entscheidungen traf, waren fest umrissen. Er war der Beschützer und Versorger. Seine Frau war Mutter, Haushälterin, Privatsekretärin und Betreuerin. Er kannte seine Verantwortlichkeiten und seine Ehefrau die ihren. Das Leben war einfach.“ (Pease 2002: 17) „Aber auch die Frauen haben es nicht leicht. Der Feminismus kritisierte die ungleichen Chancen von Männern und Frauen und versprach den Frauen die Befreiung aus den Fesseln, die sie an der Spüle fest ketteten. Heute arbeiten etwa 50 Prozent der Frauen in westlich geprägten Gesellschaften - ob sie wollen oder nicht. In Großbritannien ist eine allein erziehende Frau bereits in einer von fünf Familien das Familienoberhaupt, doch nur in einer von 50 Familien ist das ein allein erziehender Mann. Diese Frauen sollen heute die Rolle der Mutter, des Vaters und des Versorgers übernehmen. Frauen bekommen heute Magengeschwüre, haben Herzanfälle und leiden unter stressbedingten Krankheiten - früher litten darunter fast ausschließlich Männer.“ (ebd: 19)
Die Mobilisierung der Emanzipation von Frauen aus patriarchalen Abhängigkeitsverhältnissen durch den Feminismus, wie z.B. aus der Abhängigkeit von einem Ehemann hin zur ökonomischen eigenen Existenzsicherung, und die daraus erwachsende männliche Verwirrung machte also ein vormals „einfaches Leben“ mit einfachen und klar definierten Rollen zu einem „Irrgarten“ und einer neuerdings „schwierigen Sache“. Um den Problemen und Verunsicherungen, die aus dieser „schwierigen Sache“ entstanden sind zu begegnen, verfassten Barbara und Allen Pease das vorliegende Buch. Sie wollen damit ihren Beitrag dazu leisten, wieder ins Lot zu bringen, was der Feminismus aus der Balance gebracht hat. John Gray begründet die Verunsicherung der Geschlechter mit nachstehender Aussage: „Es ist in Vergessenheit geraten, dass Männer und Frauen das Recht haben, anders zu sein. Folglich sind unsere Beziehungen voller unnötiger Reibungen und Konflikte.“ (Gray 2002: 26)
Aber „Misstrauen und Missverständnis verschwinden“ und „…es gibt für alles eine Lösung, wenn Sie nicht vergessen, dass Männer vom Mars und Frauen von der Venus stammen.“ (ebd: 26) John Grays Angebot an Absicherung besteht also in der Erinnerung an vergessenes Wissen von und um die Differenz der Geschlechter. Cris Evatts Verweis auf eine Verunsicherung im Geschlechterwissen besteht schließlich in der Aussage: „Es kann uns ein Trost sein zu erfahren, dass Geschlechtsunterschiede normal sind und wir mit ihnen rechnen müssen. Es ist eine Erleichterung zu wissen, dass Männer und Frauen tatsächlich anders reden, denken, fühlen, wahrnehmen, lieben, verstehen und unterschiedliche Bedürfnisse haben.“ (Evatt 2007: 7)
Erleichtert kann schließlich nur werden, was zuvor schwer und schwierig war. In diesem Sinne verfasste sie ihr Buch, „…um konstruktive Lösungen zu finden
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln
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wenn Probleme zwischen den Geschlechtern auftauchen.“ (ebd.) Im Unterschied zum Ehepaar Pease und zu John Gray verfolgt Cris Evatt auch die Absicht „unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen Rechnung (zu) tragen“ und will eine „… ausgewogene Darstellung, bei der beide Seiten vertreten sind“ leisten, um schließlich „… die geschlechtsspezifischen Wesenszüge, die uns von Nutzen sind zu bewahren und die, die uns im Weg sind, abzulegen.“ (ebd: 10ff) Im Hinblick auf die Frage nach dem Wozu? der Produktion von Sachbüchern zu Geschlechterfragen lassen sich zusammenfassend drei verschiedene Motivationslagen, die in den Aussagen der AutorInnen deutlich werden, nachzeichnen: Erstens eine persönliche Motivation, die aus der Freude resultiert, persönliches Wissen und persönlichen Beziehungserfolg (mit) zu teilen; zweitens eine altruistische Motivation, die in dem Wunsch Ausdruck findet, den Leserinnen das (Beziehungs-)leben zu erleichtern, und drittens eine gesellschaftspolitische Motivation, die in der Absicht, ein in Unordnung geratenes Geschlechterwissen wieder in die richtige Fassung zu bringen, aufgeht. Die bereits vorgestellten Funktionen von Sachbüchern, die Geschlechterwissen vermitteln, können durch die Absichtserklärungen der AutorInnen und den daraus abgeleiteten Motivationslagen bestätigt werden. Die AutorInnen wollen das Bedürfnis einer breiten LeserInnenschaft nach Orientierung, Regel- und Weltwissen, Beruhigung und (Selbst)-Versicherung erfüllen. Die Hypothese, dass die Sachbücher unter anderem als Reaktion auf ein durch den Feminismus verunsichertes und desorientiertes Geschlechterwissen verstanden werden können, wird durch die Analyse bestätigt. Nachdem nun die Frage, wozu die Sachbücher geschrieben wurden mit Hilfe von Aussagen der AutorenInnen bearbeitet wurde, widme ich mich in einem nächsten Schritt der Frage, welches Geschlechterwissen in den Büchern vermittelt wird. Bereits in den Absichtserklärungen der AutorInnen wurde deutlich, dass sie übereinstimmend die Berücksichtigung der Differenz der Geschlechter als Grundvoraussetzung für eine „harmonische Beziehung“ und ein „gelungenes Leben“ betrachten. Um herauszuarbeiten welcher Art diese Differenz ist, wurde für die Analyse auf das von Pierre Bourdieu entwickelte Konzept des Habitus Bezug genommen. Er konzipierte den Habitus als Körper gewordene gesellschaftliche Struktur. Die symbolische Ordnung wird von Beginn eines Lebens an in den Körper eingeschrieben und diese Tatsache lässt im Habitus natürlich erscheinen, was ein Ergebnis gesellschaftlicher Konstruktions- und Normalisierungsprozesse ist. Neben der Klasse und dem sozialen Feld konzipiert Bourdieu Geschlecht als zentrales Organisationsprinzip von Gesellschaft. Der Habitus wiederum gilt als bedeutendste Ressource für die Wahrnehmung und Darstellung von Geschlecht (vgl. Bublitz 1999).
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
Die Darstellung des weiblichen Habitus In Anlehnung an Bourdieu äußert sich der Habitus in Prinzipien des Denkens, Handelns, Wahrnehmens und Bewertens. Für die vorliegende Analyse wurde unter Berücksichtigung des Textmaterials die Kategorie der Bedürfnisprinzipien hinzugefügt. Entlang dieser Parameter wird im Folgenden abgebildet, wie der weibliche Habitus in den vorliegenden Sachbüchern dargestellt wird. Da die diesbezüglichen Aussagen in „Männer sind anders. Frauen auch“(Gray 2002), „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ (Evatt 2007) und „Warum Männer immer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“(Pease/ Pease 2002) kaum widersprüchlich sind, erfolgt die Darstellung der Inhalte parallel.
Weibliche Prinzipien des Handelns In den genannten Sachbüchern werden weibliche Prinzipien des Handelns entlang von verschiedenen Phänomenen beschrieben: dem weiblichen Sprechhabitus, der weiblichen Beziehungsarbeit, dem weiblichen Umgang mit dem Körper bzw. dem Aussehen und dem weiblicher Umgang mit Emotionen. In Bezug auf den weiblichen Sprechhabitus wird in den drei Sachbüchern das Reden einheitlich als ausgesprochene Domäne der Frauen beschrieben und die AutorInnen sind sich darin einig, dass „Frauen manchmal reden, um zu reden.“ (Evatt 2007: 54) Reden gälte bei Frauen also als Selbstzweck und diene nicht primär dazu, eine Lösung für ein Problem zu finden, denn „Das Gehirn der Frauen ist auf Kommunikation ausgelegt und der Hauptzweck des Redens ist nun einmal das Reden. Meistens erwartet sie (die Frau, Anm.) keine Antworten, und Lösungen sind nicht erforderlich.“ (Pease 2002: 63)
Frauen würden aber nicht nur viel reden, sie würden es auch besser können als Männer: sie würden sich besser und variantenreicher ausdrücken und seien ausgezeichnete Zuhörerinnen: „Da Frauen auf andere bezogen sind, hören sie im Allgemeinen besser zu als Männer.“ (Evatt 2007: 60) [...] Auf der anderen Seite sind Frauen bei bestimmten Aufgaben, die vor allem die Sprech- und Ausdrucksfähigkeit fordern, besser, und in manchen manuellen Fertigkeiten, die Fingerspitzengefühl verlangen.“ (ebd: 124) [...] „»Die Fähigkeit ein Problem mit beiden Hirnhälften gleichzeitig anzugehen, macht Frauen viel einfühlsamer in andere Menschen. Sie spüren viel besser den Unterschied zwischen dem, was Leute sagen, und dem, was sie meinen, und hören viel besser Nuancen heraus, die die wahren Gefühle eines anderen offenbaren«, sagte Joyce Brothers.“ (ebd: 128)
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln
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Die bevorzugten Gesprächsthemen von Frauen seien Menschen, persönliche Probleme, Beziehungen und vor allem Männer. Frauen hätten das Bedürfnis, alles über ihre Mitmenschen zu wissen, da sie aus ihrer Sicht dadurch am Leben anderer Teil haben können. Mit anderen Menschen über Probleme zu reden, würden Frauen als Auszeichnung des besonderen Vertrauens und als Qualitätsmerkmal von Beziehungen betrachten. „Wenn Frauen reden, dann in gewisser Weise, um den anderen zu belohnen und eine engere Bindung herzustellen. Einfach gesagt, wenn sie Sie mag oder liebt, wenn sie dem, was Sie sagen, zustimmt oder Ihnen das Gefühl vermitteln möchte, akzeptiert und wichtig zu sein, wird sie mit Ihnen reden. Mag sie Sie nicht, redet sie auch nicht mit Ihnen.“ (Pease 2002: 195)
Beim Reden würden Frauen Emotionen betonen und übertreiben und Inhalte zu Gunsten einer intensiven Darstellung einer Geschichte ausschmücken: „Für Frauen ist es völlig in Ordnung wenn sie Gemeinplätze von sich geben, die nicht ins Gespräch passen. Was zählt sind Emotionen und Gefühle die vor allem durch Körpersprache und Ton zum Ausdruck gebracht werden.“ (ebd: 202)
Frauen würden sich generell vorsichtig ausdrücken und Kritik, Aufforderungen, Wünsche und negative Gefühle nur indirekt formulieren. Diese Taktik würden sie verwenden, um keine Konflikte zu provozieren. „Wenn eine Frau redet, verwendet sie häufig die indirekte Ausdrucksweise. Das heißt, dass sie auf Dinge anspielt oder sie andeutet. […] Die indirekte Ausdrucksweise dient einem ganz bestimmten Zweck: Sie hilft, ohne Aggressionen, Auseinandersetzungen und Unstimmigkeiten, Beziehungen zu festigen und Harmonie herzustellen.“ (Pease 2002: 206)
Im Gespräch würden Frauen also primär nach Bestätigung, Zuspruch und Harmonie suchen und Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen. „Sie (Linda Carli, Anm.) stellte fest, dass die Sprache von Frauen vorsichtiger, zurückhaltender und weniger überzeugend ist als bei Männern, weil sie sehr häufig folgendes machen: halb dementieren […], ausweichen […], Bestätigung suchen.“ (Evatt 2007:57)
Das Reden diene den Frauen als Mittel um persönliche Nähe herzustellen, sich zu beruhigen und Stress abzubauen. Dementsprechend werde von ihnen Schweigen als persönliche Bestrafung angewandt und betrachtet. „Schweigen wird als eine Form der Bestrafung verwendet und ist eine effektive Taktik, wenn es um andere Frauen geht. Bei Männern funktioniert diese Taktik nicht – Männer empfinden die Ruhe als angenehm.“ (Pease 2002: 196)
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern
Frauen würden beim Sprechen kein bestimmtes Ziel verfolgen und in ihren Aussagen, meist zum Ärger von Männern, keine konkrete Struktur und Logik erkennen lassen. „Auch heute noch geschieht es häufig, dass eine Frau, wenn sie beginnt zu sprechen, noch gar nicht recht weiß, welche Meinung sie vertreten wird. Erst im Lauf ihrer Rede findet sie heraus, was sie sagen will.“ (Gray 2002: 86) […] „Sie spricht über ein bestimmtes Thema, macht eine Pause und geht über zum nächsten. Auf diese Weise kommt sie auf alles zu sprechen, auf ihre Probleme, Sorgen, Enttäuschungen und Frustrationen. Dabei gibt es keine bestimmte Reihenfolge oder keinen logischen Zusammenhang. Fühlt sie sich unverstanden, kann es passieren, dass sie vom Hundertsten ins Tausendste kommt und sich immer mehr aufregt.“ (ebd: 53)
In Bezug auf das Geschlechterverhältnis lässt sich aus den Sachbüchern entnehmen, dass das in diesen konstruierte, anhaltende Redebedürfnis der Frauen für Männer, die angeblich einerseits sachliche Gespräche und andererseits Ruhe bevorzugen, ein Problem darstellt. „…haben wir gezeigt, dass eine Frau mühelos 6000-8000 Wörter am Tag von sich geben kann. Bedenkt man, dass ein Mann gerade mal 2000-4000 Wörter am Tag von sich gibt, ist es leicht verständlich, warum die weibliche Sprachmacht Paaren so viele Probleme bereitet. Ein Mann hat nachmittags, wenn er von der Arbeit kommt, meist schon sein Tagespensum erfüllt, während einer Frau vielleicht 4000 bis 5000 Wörter bleiben, die sie noch loswerden muss!“ (Pease 2002: 194) […] „Der enorme Redefluss der Frauen gehört zu den Verhaltensweisen, die die meisten Männer völlig ratlos machen.“ (ebd: 193)
Neben dem Sprechverhalten wird der weibliche Habitus in den Sachbüchern auch an Hand der Darstellung des Verhaltens in der heterosexuellen Paarbeziehung beschrieben. Dieses Verhalten sei dadurch gekennzeichnet, dass Frauen nach Außen, zum Partner und zu anderen Menschen hin, orientiert sind. „Frauen erleben sich in erster Linie in Beziehung zu den Menschen in ihrem Umfeld, und ihr Selbstwertgefühl kommt aus dieser Bezogenheit. Frauen orientieren sich gewöhnlich mehr nach Außen, und sie haben ein geradezu unerschöpfliches Interesse für andere und ihre Bedürfnisse. Eben das macht Frauen zu so guten Müttern, Partnern und Freunden. Sich um andere zu kümmern, ist ein derart starker weiblicher Charakterzug, dass eine Frau es oft sogar zu ihrem eigenen Schaden macht.“ (Evatt 2007: 18)
Aus dieser Orientierung nach Außen ergäbe sich in der Folge, dass Frauen ihr Selbstwertgefühl aus der Qualität ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen bzw. aus der Anerkennung, die sie von ihren Partnern erhalten, beziehen würden. Die logische Konsequenz daraus sei, dass sie sehr viel Zeit und Energie in die Pflege dieser Beziehungen investieren und eigene Bedürfnisse hintanstellen würden. In ihren Handlungen würde sich diese Prioritätensetzung darin äußern, dass Frauen sich vermehrt Sorgen um ihre Mitmenschen machen würden, dass
Sachbücher, die Geschlechterwissen vermitteln
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sie jederzeit ihre Hilfe und Unterstützung anbieten und, dass sie die persönliche Entwicklung ihrer Partner, Freunde, Kinder,… mit Ratschlägen und kritischen Bemerkungen fördern wollen würden. Sprich, dass sie immer für andere da seien. „Geben ist für Frauen wie Atmen- also lebensnotwendig. Frauen geben viel und oft, weil sie sich auf andere konzentrieren; Fürsorglichkeit ist eine hochgeschätzte weibliche Tugend. Sie ist so sehr Teil ihrer Identität, dass Frauen häufig damit übertreiben.“ (Evatt 2007: 98) „Indem Frauen sich um andere sorgen, bringen sie ihre Liebe und Fürsorge zum Ausdruck. So zeigen sie ihre Liebe. Wenn es der Person, die eine Frau liebt, nicht gut geht, kann sie nicht glücklich sein. Das wäre nicht fair.“ (Gray 2002: 96)
Diese vermehrte Sorge um andere führe bei Frauen zu einer verminderten Sorge um sich und zu einer Minderbewertung persönlicher Bedürfnisse und Leistungen. „Die durchschnittliche Frau will sich nicht offen in den Vordergrund drängen. Ihr vorrangiges Ziel ist ja Intimität, und sie weiß instinktiv, dass die Intimität mit anderen darunter leidet, wenn sie die Aufmerksamkeit auf sich zieht. […] achten Sie darauf, wie oft Frauen ihre Leistungen herunterspielen.“ (Evatt 2007: 41) „Eine Frau gibt soviel sie kann. Erst wenn sie ausgebrannt und leer ist, merkt sie, dass sie wenig zurückbekommen hat.“ (Gray 2002: 216)
In einer Paarbeziehung würden Frauen außerdem versuchen, den jeweiligen Partner den eigenen Wünschen anzupassen, was sich darin äußere, dass „Frauen versuchen, das Verhalten des Mannes durch Verbesserungsvorschläge, Rat oder Kritik zu ändern.“ (Gray 2002: 40) Diese weibliche Eigenart wird in den Sachbüchern auch als Nörgeln bezeichnet, wobei unzufriedenen Frauen eine besondere Neigung zum Nörgeln zugeschrieben wird. „Sie macht einen Aufstand wegen »jeder Kleinigkeit«, weil ihr Leben eine Ansammlung von Kleinigkeiten geworden ist. Es ist schwer, sich selbstbewusst und mächtig zu fühlen, wenn alles, was man von morgens bis abends macht, trivial und vorhersagbar ist. Jeder kann Staubsaugen. Anders als der Soldat, dessen Andenken geehrt wird, weil er sein Leben für das Wohl seines Landes geopfert hat, wird niemand ihren Namen in Granit auf ein Denkmal meißeln, nur weil sie ihr Leben dem Wohl ihrer Familie geweiht hat. Es gibt keine Nobelpreise dafür, dass man den Frieden zu Hause hegt und pflegt. Adams Mutter nörgelt, weil ihre Aufgaben so wenig geschätzt werden und sie zu wenig Anerkennung bekommt.“ (Pease 2002: 43)
Der weibliche Umgang mit dem Körper und dem Aussehen wird, neben dem Sprech- und Beziehungsverhalten, in den Büchern von John Gray, Allen und Barbara Pease und Cris Evatt ebenfalls beschrieben. Aussehen und die Verfassung ihres Körpers würden demzufolge für Frauen eine große Rolle spielen. Beide Aspekte werden in einen engen Zusammenhang mit dem weiblichen
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Gefühlsleben und Fragen der Partnerschaft bzw. der Familiengründung gebracht. Die Wahl der Kleidung sei für Frauen eine Möglichkeit ihre Gefühlslage auszudrücken und Aufmerksamkeit zu bekommen. „Frauen haben ein himmlisches Vergnügen daran jeden Tag ein anderes Kleid zu tragen, je nachdem wie sie sich gerade fühlen.“ (Gray 2002: 33) „Aber obwohl Männer mit Doppelkinn und Bierbauch herumlaufen, sind es die Frauen, die eine Diät nach der anderen machen. […] »Die Frau, die Diät hält, hat die Vorstellung, dass Schlanksein sie zu einem besseren und liebenswerteren Menschen macht.«“ (Evatt 2007: 126)
Der weibliche Körper wird in den Sachbüchern als ein wichtiges Instrument für Frauen in Fragen der Partnerschaft bzw. Familiengründung dargestellt. „Ein flacher, glatter Bauch vermittelt, dass eine Frau nicht schwanger und aus diesem Grund für männliche Interessenten noch zu haben ist. Aus diesem Grund drängen sich Frauen überall in Fitnessstudios und Yogakurse, machen Bauchgymnastik und versuchen, den perfekten Waschbrettbauch zu bekommen.“ (Pease 2002: 244) […] „Die meisten Frauen verstehen unbewusst den Reiz langer Beine und lernen als Teenager schnell, wie man sie einsetzt. Oft tragen sie Schuhe mit hohen Absätzen, damit die Beine noch länger wirken, oder sie bevorzugen auch bei kaltem Wetter kurze Kleider. […] Männer lieben es, wenn Frauen hohe Absätze tragen, weil diese dadurch wieder die langen, auf ihre hohe Fruchtbarkeit verweisenden Beine aus der Teenagerzeit haben.“ (ebd: 238)
Das Streben nach einem schönen Körper und dem perfekten Aussehen sei für Frauen also ein Mittel zum Zweck. Es gehe darum, durch ein ansprechendes Äußeres den Zugang zu einer wünschenswerten Partnerschaft und Familie zu bekommen bzw. das Aussehen in Beziehungen als Tauschmittel für positive Gefühle und Anerkennung einzusetzen. „Die besessene Suche der Frau nach äußere Vollkommenheit ist ihr verzweifelter Versuch der Liebe würdig zu sein und ihre emotionalen Schmerzen zu lindern.“ (Gray 2002: 259)
Weibliche Prinzipien des Handelns werden in den vorliegenden Sachbüchern außerdem über die Beschreibung des Umganges mit Gefühlen vermittelt. Zentrale Aussage dabei ist, dass Frauen eigene und fremde Gefühle sehr intensiv wahr und wichtig nehmen. „Um ihren Gefühlen Luft zu machen, nehmen sich Frauen die dichterische Freiheit und gebrauchen Superlative, Metaphern und Verallgemeinerungen.“ (Gray 2002: 78) „Frauen reagieren auf viele Dinge emotional, die Männer lediglich mit einem Schulterzucken und Grunzer quittieren.“ (Evatt 2007: 32)
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Das Mitteilen und Austauschen von Gefühlen solle für Frauen einerseits Erleichterung bringen und würde andererseits dazu dienen, zwischenmenschliche Nähe und Vertrauen herzustellen: „Wenn eine Frau gestresst ist, fühlt sie instinktiv das Bedürfnis über ihre Gefühle und Probleme, die damit zusammenhängen, zu sprechen. Dabei ist für sie ein Problem so wichtig wie das andere. Ihr Ärger gilt Kleinigkeiten wie großen Dingen gleicher Maßen. Es ist ihr anfangs gar nicht wichtig, Lösungen für ihre Probleme zu finden. Zunächst sucht sie vielmehr Erleichterung indem sie ihre Probleme zum Ausdruck bringt und sich verständlich macht. Indem sie wahllos über ihre Probleme spricht baut sie allmählich ihren Ärger ab.“ (Gray 2002: 52)
In allen drei vorliegenden Sachbüchern wird emotionale Erpressung bzw. der strategische Einsatz von Gefühlen als spezifisch weibliche Eigenschaft eingeführt und mit der weiblichen Besonderheit, nicht direkt sondern indirekt zu kommunizieren in Zusammenhang gebracht. Da Frauen den direkten Konflikt scheuen würden, suchten sie über den strategischen Einsatz von Gefühlen ihr Ziel zu erlangen. „Ihr Gehirn ist darauf programmiert, Beziehungen positiv zu gestalten. Deswegen greifen sie, um ihren Willen durchzusetzen, oft auf emotionale Erpressung zurück, statt direkt zu sagen, was sie möchten, und damit Ablehnung zu riskieren.“ (Pease 2002: 108) „Frauen können durch Unwohlsein peinlichen Situationen, Ärger, Trauer und Reue aus dem Weg gehen.“ (Gray 2002: 262)
Die weibliche Bezogenheit auf andere und das weibliche Streben nach Harmonie würde sich im Umgang mit Gefühlen auch darin äußern, dass Frauen zu Gunsten von Harmonie eigene Gefühle verkennen und leugnen. „Um dem Konflikt auszuweichen kommt es durchaus vor, dass eine Frau sogar sich selbst an der Nase herumführt und meint, alles sei »in Ordnung«, »prima« und »kein Problem«, wenn in Wirklichkeit alles anders ist. Sie opfert oder negiert ihre Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle um die Möglichkeit einer Auseinandersetzung zu vermeiden.“ (ebd: 175) „Frauen lügen, damit andere sich besser fühlen. […] Frauen lügen, um eine Beziehung zu schützen.“ (Pease 2002: 303)
Ein verbindender Aspekt von weiblichen Handlungsprinzipien ist laut den AutorInnen der Sachbücher die ausschließlich weibliche Fähigkeit „viele Sachen gleichzeitig tun zu können“. Allen und Barbara Pease ziehen diese besondere Kompetenz als Begründung für die hohe Anzahl von Frauen und deren gute Eignung für den Beruf der Sekretärin heran. „…Deshalb sind auch 96 % aller Sekretärinnen Frauen. […] Sie kann am Telefon reden, in einer Zeitschrift blättern und gleichzeitig noch fernsehen. Sie kann Auto fahren, Make-up auflegen und Radio hören, während sie über die Freisprechanlage telefoniert. Wenn aber ein Mann
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern kocht und man mit ihm nebenbei reden will, sollte man besser schon mal einen Tisch in einem Restaurant reservieren.“ (Pease 2002: 163)
Weibliche Prinzipien des Wahrnehmens und Fühlens In der Sprache der Sachbücher ist die weibliche Gefühlswelt von einem ständigen und fast unberechenbaren Auf und Ab gekennzeichnet. John Gray drückt dies mit der Metapher der Welle aus und bescheinigt Frauen eine so genannte Wellennatur. „Damit eine Frau wirklich glücklich sein kann, muss sie manchmal bis auf den Boden ihres Wellentales hinabsteigen, um ihre Emotionen zu befreien, zu reinigen und zu heilen. Das ist völlig natürlich und gesund.“ (Gray 2002: 147)
Das Gefühlsleben von Frauen sei demnach also sehr intensiv und von einem langsamen Pendeln zwischen den zwei Polen des Glücks und des Unglücks geprägt. Für die emotionale Gesundheit der Frauen sei es entscheidend, dass sie dieser Wellenbewegung folgen. „Frauen, die dieser Wellenbewegung nicht folgen haben oft psychische Schwierigkeiten während und vor ihrer Periode.“ (ebd: 138)
Neben dieser Diagnose zur grundsätzlichen Beschaffenheit der weiblichen Gefühlswelt geben die Sachbücher auch Aufschluss darüber, unter welchen Umständen Frauen positive, negative und aggressive Gefühle entwickeln. Positive Gefühle würden Frauen demzufolge erleben, wenn sie in Beziehungen anerkannt, geliebt und unterstützt werden. Sie würden sich wohl fühlen, wenn man ihnen zuhört, ihnen die Möglichkeit gibt ausreichend über ihre Probleme und Emotionen sprechen zu können und ihnen Komplimente über ihr Äußeres macht. „…wie eine Frau sich plötzlich viel besser fühlen kann, wenn sie das Gefühl hat, man hört ihr zu. Mit einem mal bekommt sie eine viel positivere Sicht der Dinge.“ (ebd: 57) „Frauen sind glücklich, wenn sie darauf vertrauen können, dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden.“ (ebd: 65) „Frauen fühlen sich gut dabei, wenn ihr Äußeres anerkennend gewürdigt wird, denn das ist ein Bereich, wo Frauen schon immer glänzen durften.“ (Evatt 2007: 41)
Spaß und Entspannung würden Frauen unter anderem beim Einkaufen erfahren. „Spaß haben heißt für viele Frauen, mit einer Freundin einkaufen gehen, dann eine Kleinigkeit essen und noch ein bisschen herumgucken.“ (Evatt 2007: 144)
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„Für die meisten Frauen ist Einkaufen dagegen eine beliebte Form, Stress abzubauen.“ (Pease 2002: 79)
Ärger oder Wut resultiere bei Frauen aus dem Gefühl heraus, nicht verstanden oder mit Insensibilität konfrontiert zu werden. Die Tatsache, dass Äußerlichkeiten bei Männern anders wahrgenommen und bewertet würden als bei Frauen, könne ebenso für Verärgerung sorgen. „Wenn sich zum Beispiel ein Mann auf eine Weise verhält, die für sie enttäuschend ist, so fühlt sie möglicherweise zugleich Ärger, weil er so unsensibel ist, Trauer darüber, dass ihm seine Arbeit wichtiger ist und Angst, dass er sich nichts mehr aus ihr machen könnte.“ (Gray 2002: 231) „Es ist eine Tatsache, dass das Aussehen einer Frau einen Mann zu jedem beliebigen Zeitpunkt einer Beziehung anziehen oder abstoßen kann. Viele Frauen macht das wütend. Sie halten es für ungerecht, dass ein Mann mit Falten oder grauen Haaren als distinguiert und weise gilt, während eine Frau dagegen einfach alt ist.“ (Pease 2002: 264)
Aggressive Gefühle zu zeigen und auszuleben sei für Frauen problematisch, da sie befürchten würden, dass das eine Beziehung negativ beeinflussen könnte. Das Harmoniebedürfnis der Frauen hindere sie daran Zorn, Ärger und Wut richtig wahrzunehmen und auszudrücken. „Außerdem sind Frauen die Beziehungen zu anderen so wichtig, dass sie nichts tun wollen, was diese Bindungen belasten oder zerstören könnte. Von daher ist Zorn für Frauen eine sehr riskante Sache. Statt also geradeheraus zu explodieren, verdrängen sie ihren Zorn eher, was zu Depressionen und Ressentiments oder einem indirekten Dampfablassen führen kann - in spitzen Bemerkungen, Vorwürfen und Schuldzuweisungen.“ (Evatt 2007: 36)
Gefühle wie Trauer, Verunsicherung und Enttäuschung würden sich bei Frauen, entwickeln, wenn ihre Bedürfnisse nach Harmonie, menschlicher Nähe und Verständnis nicht erfüllt werden. „»Ich bin traurig darüber, dass du nicht mit mir zusammen sein willst. Ich bin traurig darüber, dass du so schwer arbeitest. […] Ich bin traurig, weil du nicht mit mir sprechen willst. Ich fühle mich verletzt, weil du dich nicht um mich kümmerst.«“ (Gray 2002: 236) […] „Eine Frau fühlt sich ungeliebt, wenn sich niemand um sie kümmert, niemand sie versteht.“ (ebd: 223) „Es sind die Frauen, die am meisten leiden, wenn von anderen gefühlsmäßig nichts kommt.“ (Evatt 2007: 30)
Dieser Charakterzug gehe sogar so weit, dass es Frauen Leid tue, wenn sie ihrem Partner gegenüber aggressive Handlungen setzen. „»Es tut mir leid, dass ich Dich so zurückweise. Es tut mir leid, dass ich ständig auf Dir herumhacke und Dich kritisiere. Es tut mir leid, dass ich dich nicht mehr schätze. Es tut mir leid, dass ich soviel gebe und dann von Dir verlange, dasselbe zu tun.«“ (Gray 2002: 245)
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Eine große Verunsicherung bedeute es für Frauen ebenso, wenn ihre Vorstellung des starken Mannes und Partners zu bröckeln beginnt. „Frauen können es nicht ertragen wenn Männer emotional verletzt sind. […] Daran gewöhnt Männer als starke unfehlbare Wesen zu sehen, sind Frauen zutiefst betroffen wenn dieses Bild ins Wanken gerät.“ (Pease 2002: 111)
Angst würden Frauen entwickeln, wenn ihre persönlichen Beziehungen auf welche Art auch immer bedroht werden. Dabei könne Abhängigkeit genauso wie Unabhängigkeit von einem anderen Menschen Angst auslösen. Abhängigkeit, weil damit das Risiko bestehe, dass Bedürfnisse nicht erfüllt werden, Unabhängigkeit, weil damit potentiell auch Einsamkeit drohe. „Grenzen zu setzen und etwas anzunehmen ist für eine Frau äußerst beängstigend. Sie hat Angst davor, auf andere angewiesen zu sein und dann möglicher Weise zurückgewiesen und alleingelassen zu werden. Ablehnung, Verurteilung und Einsamkeit sind für sie das Schmerzlichste, denn tief in ihrem Innern unterliegt sie dem Irrtum, dass sie nicht wert ist, beschenkt zu werden.“ (Gray 2002: 71)
Persönlicher Erfolg und die direkte Artikulation von Bedürfnissen würden in diesem Zusammenhang ebenfalls als beängstigend erlebt werden können und deshalb vermieden werden, da sie einem Zeichen für einen potentiellen Selbstbezug von Frauen und somit einer Bedrohung für ihr Beziehungskonzept entsprechen würden. „Viele Frauen fürchten, dass Erfolg ihre Beziehungen mit Männern belasten könnte.“ (Evatt 2007: 43)
Abschließend lässt sich aus den Sachbüchern in Zusammenhang mit der weiblichen Gefühlswelt entnehmen, dass Frauen eine große und ausdifferenzierte Wahrnehmungskompetenz in Bezug auf ihr eigenes und auf fremdes Gefühlsleben haben. „Sie haben das Gefühl, er hasst es zu spülen. […] Sie spüren, dass er ebenfalls müde ist und fragen ihn erst gar nicht, ob er die Mülltonne rausstellt. […] Sie möchten ihn nicht unterbrechen denn Sie merken, wie konzentriert er ist. Andererseits würden Sie gern mit ihm sprechen. Normalerweise würden Sie seinen Widerstand spüren und ihn gar nicht erst fragen.“ (Gray 2002: 288) […] „In den meisten Fällen kennt die Frau die Antwort schon intuitiv, bevor sie eine Frage stellt.“ (ebd: 286) […] „Die meisten Frauen erkennen sieben unterschiedliche Bedeutungen im Weinen von Säuglingen und schätzen damit deren Bedürfnisse ein.“ Pease 2002: 98) […] „Frauen haben Antennen dafür, die versteckten Botschaften zu empfangen.“ (ebd: 207)
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Weibliche Bedürfnisprinzipien In den Sachbüchern wird Frauen ein primäres Bedürfnis nach emotionaler Mitteilung und Beantwortung zugeordnet. Frauen würden demnach das Gefühl brauchen, dass jemand für sie da ist, jemand, der ihnen Verständnis, Unterstützung, emotionale Wärme, Anerkennung und Sicherheit bieten kann. „… während Frauen in erster Linie Fürsorge, Verständnis, Respekt, Hingabe, Wertschätzung und Sicherheit brauchen.“ (Gray 2002: 150)
Frauen würden eine feste, monogame und harmonische Bindung mit einem Partner wollen, der als potentieller, fürsorglicher und Sicherheit bietender Familienvater und Beschützer in Frage komme. „Sie (die Frau des 21. Jahrhunderts, Anm.) will auch einen Mann, der ihre emotionalen Bedürfnisse befriedigt. Deshalb hat sich ihr Gehirn so entwickelt, dass sie nach zwei gegensätzlichen Tugenden Ausschau hält: Härte und Sanftmut. Härte heißt, dass der erwählte Partner Tugenden zeigen soll, die das bestmögliche genetische Erbe für ihre Nachkommenschaft liefern und ihr eine größere Überlebenschance sichern.“ (Pease 2002: 274)
Das weibliche Bedürfnis nach Frieden und Einklang und ihr Wunsch von anderen gemocht zu werden seien wiederum ein Ausläufer ihrer starken Außenorientierung. „Frauen wollen Frieden schließen und alle Meinungsverschiedenheiten ausräumen. Sie glauben, dass sich nach dem Reden alle besser fühlen.“ (ebd: 199)
Frauen würden in Beziehungen zu anderen Menschen eingebettet sein wollen, sie hätten jedoch nicht das Bedürfnis im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Frauen würden eher intime, emotionale Anerkennung suchen. „Die durchschnittliche Frau will sich nicht offen in den Vordergrund drängen. Ihr vorrangiges Ziel ist ja Intimität, und sie weiß instinktiv, dass die Intimität mit anderen darunter leidet, wenn sie die Aufmerksamkeit auf sich zieht. […] Die meisten Frauen wollen lieber gemocht werden als bewundert, beklatscht und respektiert.“ (Evatt 2007: 40)
Die Bedürfnisse einer Frau würden sich also primär auf emotionale Wärme, Zustimmung und Sicherheit beziehen. Ihre Wünsche würden sich auf eine heile, friedvolle Welt in einem kleinen und persönlichen Rahmen richten.
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Weibliche Prinzipien des Bewertens Bei den Prinzipien des Bewertens richtet sich die Aufmerksamkeit darauf, was Frauen als positiv bzw. negativ bewerten. In den Sachbüchern liegt dieser Aspekt des Habitus einerseits in Form von Aussagen dazu vor, was aus weiblicher Perspektive eine „gute, richtige Frau“ bzw. ein „guter, richtiger Mann“ ist, und andererseits in Form von Ausführungen darüber, was von Frauen generell als positiv bzw. negativ bewertet wird. Diesen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass Frauen im Allgemeinen Beziehungen, Liebe, emotionale Wärme, zwischenmenschliche Kommunikation, soziales Engagement und Vertrauenswürdigkeit als positive und wichtige Aspekte eines glücklichen Lebens ansehen. „Da für Frauen aber Freundschaften und das Familienleben sehr wichtig sind und sie hier starke Bindungen haben, identifizieren sie sich weniger mit ihrer Arbeit als Männer.“ (Evatt 2007: 140) „Kommunikation war für sie (die Venusianerinnen, Anm.) von vorrangiger Bedeutung. Ihre persönlichen Gefühle mitzuteilen, war viel wichtiger für sie als aller Erfolg und das Durchsetzen ihrer Ziele. Anteilnahme und Verständnis stellten ihre Quelle der Befriedigung dar.“ (Gray 2002: 34)
Gerade im Berufsleben würden Frauen Selbstverwirklichung, Herausforderung und soziales Engagement höher einschätzen als Gewinn, Macht und Geld. „Von 450 Unternehmerinnen die sich an der Umfrage von Avon Products beteiligten, gaben nur 12% Gewinn als wichtigsten Erfolgsindikator an. Höher bewertet wurden Selbstverwirklichung, berufliche Herausforderung und anderen helfen.“ (Evatt 2007: 45)
Als positive weibliche Eigenschaften werden vor allem sozial orientierte Aspekte der Persönlichkeit und eine gewisse Pflege des eigenen Körpers und der eigenen Erscheinung gewertet. „Irene war eine wunderbare Frau. Sie war ruhig und einfühlsam, großzügig, freundlich und loyal und stellte ihre Bedürfnisse nie über die anderer.“ (Pease 2002: 117) […] „Wie sich eine Frau anzieht, sich schminkt, sich pflegt und präsentiert ist wichtiger als ein paar Kilo zu viel, ein paar Pickel oder ein kleiner Busen.“ (ebd: 261)
Demgegenüber würden Frauen bei Männern einen hohen sozialen und materiellen Status als sehr wichtig und positiv einschätzen. Die körperliche Erscheinung eines Mannes spiele für die positive Anerkennung seiner Männlichkeit durch die Frauen keine zentrale Rolle. „Wenn ein Mann seine Kleidung vernachlässigt und allmählich einen Bierbauch bekommt, ist das für die Frau selten ein Problem.“ (ebd: 289) „…während Frauen mehr auf den sozialen Status, und den materiellen Hintergrund eines Mannes schauen.“ (Evatt 2007: 91)
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In einer Paarbeziehung würden Frauen kleine und große Gesten als gleichwertig bewerten und generell sei nicht der Erfolg einer Handlung für eine positive weibliche Bewertung notwendig, sondern der gute Wille. Die Liebe ihres Partners würden Frauen an Hand seines Verhaltens ihr gegenüber bewerten. Emotionaler Austausch und die Artikulation von Gefühlen würden von Frauen generell als positiv beurteilt, emotionaler Rückzug hingegen könne Frauen sehr verunsichern. „Frauen schätzen Liebe, Kommunikation, Schönheit und Beziehungen. Sie verbringen einen Großteil ihrer Zeit indem sie einander zu helfen und pflegen. Das weibliche Selbstbewusstsein definiert sich über Gefühle und die Qualität von Beziehungen. Frauen erleben Erfüllung durch Teilen und Mitteilen.“ (Gray 2002: 33)
Weibliche Prinzipien des Denkens Über weibliche Prinzipien des Denkens findet man in den Sachbüchern relativ wenig Information. Herausarbeiten lässt sich jedoch, dass Frauen generell nicht zielbewusst, sondern beziehungsbewusst seien und denken würden. Menschen, nicht Dinge und abstrakte Ziele würden im Zentrum ihrer Überlegungen stehen. Rückschlüsse, die sich aus der Darstellung des weiblichen Sprechhabitus ziehen lassen, verweisen darauf, dass Frauen eine wenig logische und kaum sachliche Denkstruktur und eine primär intuitive Orientierung unterstellt wird. „Statt zielbewusst zu sein sind Frauen eher beziehungsbewusst.“ (Gray 2002:34) „Männer empfinden den weiblichen Mangel an Struktur und Zielstrebigkeit als irritierend, und beschuldigen Frauen, nicht zu wissen, worüber sie reden.“ (Pease 2002: 207) „Frauen sind sehr intuitiv. Sie haben diese Fähigkeit über Jahrhunderte entwickelt um ihren Mitmenschen die Wünsche von den Augen abzulesen. Sie sind besonders stolz darauf auf die Bedürfnisse und Gefühle ihrer Mitmenschen Rücksicht zu nehmen.“ (Gray 2002: 35)
Frauen würden beim Denken meist beide Gehirnhälften benutzen, was sie dazu befähigen würde Gesagtes von tatsächlich Gefühltem zu unterscheiden und einen breiten Überblick über bestimmte Zusammenhänge zu gewinnen.
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Der Habitus der Frauen Zusammenfassend lässt sich für den in den vorliegenden Sachbüchern vermittelten weiblichen Habitus ein Kernelement herauskristallisieren, das in allen dargestellten Prinzipien Ausdruck findet. Demgemäß seien Frauen im Handeln, Wahrnehmen, Bedürfen, Denken und Bewerten stets primär auf andere, deren Bedürfnisse, deren Wohlbefinden und deren Einstellung gegenüber den Frauen, bezogen. Soziale Beziehungen und deren Gestaltung werden in dem für diese Analyse ausgewählten Textmaterial als zentrale Interessen, Handlungsfelder und Aufgaben von Frauen vermittelt. Das Private wird als ihr Wirkkreis festgeschrieben. Dort suchten sie Anerkennung, Selbstwert und Geborgenheit. Dort würden sie ihr Leben einrichten und Entscheidungen treffen. Die Anerkennung, die Frauen aus dem privaten Lebensbereich ziehen, gewännen sie primär über Tugenden wie Fürsorglichkeit, Sensibilität und die Herstellung von Harmonie, sowie über eine ordentliche und ästhetische Selbstpräsentation ihres Körpers und Auftretens.
Die Darstellung des männlichen Habitus Ähnlich wie der weibliche Habitus wird der männliche Habitus in den Sachbüchern entlang verschiedener Themenbereiche, die für die Analyse wiederum den Prinzipien des Handelns, Denkens, Wahrnehmens und Fühlens, Bewertens und Bedürfens zugeordnet wurden, illustriert.
Männliche Prinzipien des Handelns Für die Beschreibung männlicher Handlungsprinzipien wird das in den Sachbüchern kommunizierte männliche Verhalten in der Kommunikation, in Beziehungen, im Umgang mit Emotionen, im Umgang mit dem Aussehen und dem eigenen Körper, im Umgang mit Arbeit und Leistung und in Männergemeinschaften herangezogen. Zum männlichen Sprechhabitus lässt sich demnach festhalten, dass er sich deutlich und grundsätzlich vom Weiblichen unterscheide. Im Gegensatz zu Frauen würden Männer nur sprechen, wenn sie triftige Gründe zum Reden haben. Diese würden sie in der Berufswelt deutlich häufiger vorfinden als im Privatleben.
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„Frauen wissen nicht, dass jeder Mann erst einmal einen triftigen Grund braucht, bevor er anfängt zu reden. Er spricht nie, nur um sich mitzuteilen.“ (Gray 2002: 118) „In der Öffentlichkeit sprechen Männer ganz frei; im Privatleben befällt sie eine seltsame Stummheit.“ (Evatt 2007: 54)
Im Privatleben seien Männer also eher wortkarg. Sie würden nicht über ihre Gefühle sprechen und seien überfordert, wenn andere Menschen (primär ihre Frauen) ihre Befindlichkeiten en Detail mitteilen wollen. Sie seien keine guten Zuhörer und verstünden nicht, wenn man (Frauen) Probleme verbal und emotional hin und her wälze, anstatt sie einfach zu lösen. Deshalb würden Männer dazu neigen, ihr Gegenüber mit schnellen Ratschlägen und Lösungsangeboten zu unterbrechen, wenn es über verschiedenste persönliche Problemlagen spricht. Über eigene Probleme würden Männer nur sprechen, wenn sie sie nicht allein lösen können und wirklich Hilfe von ihrem Gegenüber erwarten und wünschen würden. Eine andere Möglichkeit für Männer mit Problemen und Gefühlen umzugehen sei, sie über den Umweg von Witzen zur Sprache zu bringen und zu bearbeiten. „Männer benutzen das Lachen, um mit Gefühlen und Schmerzen umzugehen. Je schwieriger es für einen Mann ist, über bestimmte Gefühle zu sprechen, desto herzhafter wird er lachen, wenn jemand einen Witz darüber reißt, so herz- und gefühllos er Frauen auch erscheinen mag.“ (Pease 2002: 92) […] „Männer dagegen behalten ihre Gefühle für sich. Mit Hilfe von Witzen »sprechen« Männer auf ihre Art über ein Ereignis, ohne starke Gefühle zu zeigen, denn diese könnten als Schwäche gedeutet werden.“ (ebd: 90)
Bei sachbezogenen Themen würden Männer eine direkte Ausdrucksweise bevorzugen und dementsprechend auch Gesagtes wörtlich nehmen. „Männer verwenden die direkte Ausdrucksweise und fassen alles wörtlich auf.“ (ebd: 207)
Das habe auch zur Folge, dass Männer in Gesprächen einen emotional raueren Ton verwenden würden. Dieser werde unter Männern jedoch nicht als verletzend, sondern als ehrlich aufgefasst. Sie würden keine Konfrontation scheuen und in einer Diskussion vor allem Recht behalten wollen. Dazu würden sie jedes Argument gedanklich vorbereiten und seine mögliche Wirkung antizipieren. Sie würden also nachdenken bevor sie anfangen zu sprechen, sie würden logisch argumentieren und eine Strategie verfolgen um sich durchzusetzen. „Bevor sie anfangen zu sprechen, grübeln sie im Stillen über alles nach, was sie gehört oder erfahren haben. Allein für sich im Stillen versuchen sie, die zutreffendste oder nützlichste Reaktion herauszufinden. Zuerst formulieren sie ihre Antwort innerlich vor, dann drücken sie sie aus.“ (Gray 2002: 86) […] „Wenn ein Mann sich herausgefordert fühlt, konzentriert sich ge-
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern wöhnlich seine Aufmerksamkeit völlig darauf, Recht zu behalten. Dabei vergisst er völlig, dass er ja eigentlich freundlich und nett sein wollte.“ (ebd: 171)
Der bevorzugte Gesprächsstoff von Männern seien konkrete Themen wie Arbeit, Sport, Politik, Technik und Leistung. Sie würden dazu neigen Daten und Fakten zu übertreiben, primär um sich selbst bzw. ihr Wissen, ihr Können und ihre Leistung in ein gutes Licht zu rücken. „Männer diskutieren gerne ohne Umschweife darüber, welches Sportteam das Beste ist, welche politische Partei ihr Land regieren soll und bei welchem Bier man am wenigsten Gefahr läuft, einen Kater zu bekommen. Männer befassen sich mit Konkretem, Fakten und Daten.“ (Pease 2002: 117)
Da Männer nur das Wort ergreifen würden, wenn sie triftige Gründe dafür haben, würden sie auch häufig schweigen. Im Gegensatz zu Frauen, die Schweigen mitunter als Bestrafung verwenden würden, würden Männer die Gesprächspausen nutzen um nachzudenken, sich zu entspannen und um zu sich zu kommen. Des Weiteren falle es Männern sehr schwer, sich in einem Gespräch zu entschuldigen, da dies einem Eingeständnis von Schuld, einer Bestätigung der Tatsache, dass sie einen Fehler gemacht haben, gleichkäme. „Männer sagen nur selten: »Es tut mir leid«, weil das auf dem Mars bedeutet, dass man etwas falsch gemacht hat und sich entschuldigen muss.“ (Gray 2002: 183) „Männer haben Schwierigkeiten, »Es tut mir Leid« zu sagen, weil sie damit zugeben, dass sie im Unrecht sind.“ (Pease 2002: 155) „Tatsächlich entschuldigen sich viele Männer nur, wenn es von ihnen erwartet wird oder nicht zu vermeiden ist, insbesondere um einem Streit aus dem Weg zu gehen.“ (Evatt 2007: 70)
Ähnlich wie der Sprechhabitus wird in den Büchern von Pease und Pease, Gray und Evatt das männliche Verhalten in einer heterosexuellen Paarbeziehung erheblich vom Weiblichen unterschieden. Männliches Beziehungsverhalten ist den AutorInnen zu Folge wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass Männer nur ein begrenztes Maß an Nähe aushalten können, dass sie immer wieder Distanz zur Partnerin brauchen und sich gerne zurückziehen würden. „Er kann nur ein begrenztes Maß an Nähe vertragen. […] Es gibt für jeden Mann eine Grenze der Intimität. Wenn die überschritten wird, geht seine Alarmanlage los, und er muss wieder seine innere Balance finden, indem er sich zurückzieht.“ (Gray 2002: 115f)
Eine Paarbeziehung scheine für Männer überhaupt nur möglich, wenn Nähe und Distanz zur Partnerin in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Generell würden Männern fürchten durch eine Beziehung bzw. durch ein unausgeglichenes Nähe-Distanz Verhältnis ihre Freiheit und ihre Identität zu verlieren.
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Der weibliche Beziehungshabitus ist in den Sachbüchern dagegen durch den Wunsch nach mehr Nähe und Intimität gekennzeichnet. Männer seien von diesem Wunsch überfordert und es sei ihnen unangenehm, wenn die Frau mehr Präsenz des Partners in der Beziehung einfordere, d.h. sie zu mehr Emotionalität und Gesprächsoffenheit anhält. „Erhält ein Mann nicht die Gelegenheit sich zu entfernen, wird er niemals die Chance haben, seinen starken Wunsch nach Nähe zu verspüren.“ (ebd: 112) „Freunde eines Mannes machen Witze darüber, dass das Leben des Unglücklichen quasi vorbei ist, sobald er eine dauerhafte Beziehung eingeht oder heiratet. »Sobald du >Ja< gesagt hast, hat sie dich an den Eiern«, spotten sie. »Verabschiede dich schon mal von der Hälfte deines Hauses und von 90 Prozent deines Sexlebens!«“ (Pease 2002: 151)
Der weibliche Charakterzug, ausgiebig über Gefühle und Probleme sprechen zu wollen, verunsichere Männer ebenfalls. Sie würden sich für die Probleme ihrer Partnerin verantwortlich fühlen und deren Erzählung häufig mit Ratschlägen und Hinweisen unterbrechen, wie ihr Problem zu lösen sei. Wie bereits erwähnt suche die Frau aber nicht nach Lösungen, sondern wünsche sich Aufmerksamkeit und Verständnis von ihrem Partner. Männer würden ihre Liebe aber zeigen, indem sie sich gerade keine Sorgen machen und Probleme nicht zu ernst nehmen und relativieren. „Seltsamerweise zeigt ein Mann seine Liebe indem er sich keine Sorgen macht.“ (Gray 2002: 96) „Unglücklicherweise aber denken Männer, Frauen würden ihre Probleme diskutieren, weil sie nicht allein damit fertig werden, und unterbrechen sie ständig mit gut gemeinten Ratschlägen.“ (Pease 2002: 195)
Insgesamt würden Männer weniger als Frauen in eine Beziehung investieren. Wenn sie jedoch etwas aufbieten würden, dann handle es sich um große Gesten, die Männer auch als bedeutender und wertvoller als kleine Gesten bewerten würden. „Männer dagegen sind im Geben sparsamer und achten mehr darauf, was sie dafür bekommen. […] Männer sind im Allgemeinen weniger fürsorglich. Sie geben nicht so spontan. Sie sorgen oder kümmern sich nicht von Natur aus um andere. Das gilt im familiären Bereich wie am Arbeitsplatz.“ (Evatt 2007: 98)
In den Sachbüchern werden Männer zusammenfassend als „beziehungsungeschickt“ dargestellt. Sie wüssten nicht, was für das Funktionieren einer Beziehung wichtig ist, sie könnten sich die Bedürfnisse anderer Menschen kaum vorstellen, sie redeten nicht über eigene Gefühle und seien mit den Emotionen der Partnerin überfordert. Als Fazit zum männlichen Beziehungsverhalten könnte
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man formulieren, dass man (ihre Frau) Männern sagen muss, wie sie sich in einer Paarbeziehung verhalten sollen damit diese funktionieren kann. „Denken Sie daran, dass Männer Hinweise brauchen, wann und wie sie mehr geben können. Sie wollen gefragt werden. Sie brauchen einen Anstoß. Nur so erkennen sie, was sie zu tun haben.“ (Gray 2002: 217)
Die Beschreibung des männlichen Umganges mit dem Körper und Aussehen ist ein weiterer Aspekt in den Sachbüchern der Aufschluss zur populärwissenschaftlichen Konstruktion männlicher Prinzipien des Verhaltens gibt. Im Unterschied zu Frauen kümmerten sich Männer demnach wenig um ihren Körper, ihre Gesundheit und ihre äußerliche Erscheinung. „Männer dagegen behalten ihre gesundheitlichen Schwierigkeiten für sich. Schließlich ist es nicht besonders männlich über körperliche oder psychische Probleme zu klagen.“ (Evatt 2007: 130) […] „Männer kümmern sich in der Regel weniger um ihr Aussehen. Sie reden höchst selten über Kleidung, Haarschnitte, Pflegeprodukte, Rasierwässer. Wichtiger für ihr Selbstwertgefühl sind ihre Leistungen. Deshalb halten viele Männer Schönheitspflege auch für eines richtigen Mannes nicht würdig.“ (ebd: 136)
Männer würden sich der optischen Wandlungsfähigkeit durch Kleidung höchstens bedienen um Leistung, soziale Stellung, Position und Macht darzustellen. Abgesehen davon werde die Sorge und Pflege von Äußerlichkeiten unter Männern eher als unmännlich empfunden. „Männer lieben auch Uniformen und tragen gern Mützen mit Rangabzeichen, denn sie spiegeln ihre Kompetenz und ihre Befähigung zur Problemlösung wider.“ (Pease 2002: 157) „Alles auf dem Mars war auf diese Werte ausgerichtet. Selbst die Kleidung der Marsmänner reflektierte Fähigkeiten und Kompetenz ihrer Träger. Polizisten, Soldaten, Wissenschaftler, Chauffeure, Ingenieure, Köche und viele andere kleideten sich in Uniformen als Zeichen ihrer Kompetenz und Macht.“ (Gray 2002: 31)
Schließlich wird der männliche Umgang mit Emotionen in den Sachbüchern dadurch gekennzeichnet, dass sie aggressive Gefühle wie Ärger und Wut unmittelbar ausdrücken können und sanfte Gefühle wie Mitgefühl und Liebe kaum zeigen. „Männer können ihren Zorn meistens besser direkt äußern, weil sie weniger Angst haben, sich das Wohlwollen anderer zu verscherzen.“ (Evatt 2007: 36)
Das führe dazu, dass sie oft an Stelle der tatsächlich empfundenen Trauer oder Enttäuschung, Aggressivität und Verärgerung ausagierten.
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„Männer können in Wut einen Ausweg sehen, um schmerzliche Gefühle wie Trauer, Verletztheit, Reue, Schuld und Angst zu meiden.“ (Gray 2002: 262)
Generell würden sie Mitleid hassen, da es sie daran erinnere, dass ihnen etwas nicht gelungen sei, dass sie traurig und schwach seien und ein Problem nicht in der sachlich männlichen Art lösen konnten. Wenn Männer Probleme oder Stress haben, würden sie kaum darüber reden, sich zurückziehen und versuchen, die Probleme allein zu lösen. Um Hilfe zu bitten sei für sie das absolut letzte Mittel und werde als Selbstversagen in der Problemlösung bewertet. „Wenn Männer sich sehr unter Druck fühlen, ziehen sie sich meistens zurück und sind verschlossener als normal. Sie sind dann weniger zugänglich und geben oft anderen die Schuld an ihren Gefühlen. Es widerstrebt ihnen, um Hilfe zu bitten.“ (Evatt 2007: 135)
Rückzug, der in den Sachbüchern in Zusammenhang mit Männern gern als „in die Höhle gehen“ beschrieben wird, ist eine der zentralsten Verhaltensweisen, die Männern im Umgang mit Gefühlen unterstellt wird und erscheint als notwendig, damit Männer das emotionale Gleichgewicht aufrechterhalten können. „Wenn er seine Höhle aufgibt und sein wahres Wesen verleugnet, wird er reizbar, überempfindlich, defensiv, schwach, passiv und unberechenbar.“ (Gray 2002: 102)
Humor und Witze seien für Männer ebenfalls ein probates Mittel, um mit Gefühlen wie Ohnmacht, Trauer, Verletzung usw. zurechtzukommen und ihnen Ausdruck zu verleihen. Mit eigenen und fremden Gefühlsausbrüchen seien Männer überfordert, sie würden nicht wissen wie sie darauf reagieren sollen und oft erleben, dass ihr Impuls das „Problem“ so schnell wie möglich zu lösen nicht als positive Unterstützung wahrgenommen werde. Der Problemstellung und Analyse der Sachbücher folgend zeigten Männer unter Männern ein anderes Verhalten als in gemischtgeschlechtlichen Gruppen. In Männergruppen wird demzufolge wenig und wenn dann über Technik, Maschinen, Sport und Arbeit gesprochen. Zutiefst persönliche Themen blieben ausgespart und Gefühle fänden lediglich Ausdruck in Witzen und Blödeleien. „Humor und Witze haben bei Männern drei Zwecke: Mit einem guten Repertoire von Witzen imponieren sie anderen Männern, sie bewältigen mit Witzen tragische Ereignisse oder deren Folgen, und Witze helfen ihnen, die Wahrheit bei einem akuten Problem einzugestehen.“ (Pease 2002: 88)
Generell biete ein Mann dem anderen keine Hilfe an, wenn dieser nicht ausdrücklich danach verlange. Gemäß dem männlichen Umgang mit Problemen
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gelte es primär, Probleme selbst zu lösen. Das Bitten um fremde Hilfe werde als persönliches Versagen in der Problemlösung wahrgenommen. „Ein Mann redet mit einem anderen Mann nur dann über seine Probleme, wenn er glaubt, der andere könnte ihm eine Lösung bieten.“ (ebd: 195)
Jemandem nicht von sich aus Hilfe anzubieten, gelte als Geste des Respekts und werde konsequenter Weise als Anerkennung von und Glauben an die Problemlösungskompetenz des Gegenübers gewertet. „Männer unterstützen sich instinktiv gegenseitig, indem sie einander keine Hilfe anbieten.“ (Gray 2002: 99)
Die männliche Konkurrenzorientierung finde in Männergruppen darin Ausdruck, dass Männer gerne und ausgiebig ihre Leistungen vergleichen würden. Sportliche Leistungen, Arbeitsleistungen, wirtschaftliche Leistungen und die körperliche Erscheinung seien häufige Gesprächsthemen und dienten als Vergleichsparameter für die internen Rangordnungen. „Männer vergleichen ständig ihre Erfolge und Leistungen. Wenn zwei Männer sich zum ersten Mal begegnen, wird sofort die Frage gestellt: »Was machen Sie beruflich?« Männer messen alles, von der Größe des Bankkontos bis zur Größe des Geschlechtsorgans, um sich im ständigen Vergleich mit anderen Männern einzuschätzen.“ (Evatt 2007: 42)
Die Beziehungen unter Männern seien von Konkurrenz geprägt und hierarchisch strukturiert. Aus diesem Grund würden Gefühle und persönliche Probleme, die als Zeichen von Schwäche interpretiert werden könnten, in Männergruppen kaum zur Sprache kommen. Sympathie und Zusammengehörigkeit würden Männern nicht direkt zeigen, sondern in Form von Witzen und gegenseitigen Sticheleien Ausdruck verleihen. „…Sticheleien sind auch eine Form der Verbrüderung. […] Die meisten Männer bringen solche Frotzeleien nur bei Männern an, die sie mögen.“ (ebd: 68 )
Abschließend findet der männliche Umgang mit Leistung und Arbeit, wie er in den der Analyse zu Grunde liegenden Büchern gezeigt wird, Berücksichtigung für die Darstellung männlicher Handlungsprinzipien. „Männer mögen den Konflikt. Sie genießen Machtkämpfe in Beruf, Sport und Privatleben.“ (ebd: 86)
Arbeit und Leistung seien zentrale Parameter im Leben eines Mannes. Männer würden den Wettkampf genießen und gern über eigene Leistungen sprechen. Sie
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würden sich selbst über das was sie hervorbringen und über den Erfolg, den sie damit haben definieren und ihren Selbstwert aus erbrachten Leistungen beziehen. „Männer schätzen es, Macht zu haben, kompetent zu sein, effizient zu arbeiten und etwas zu leisten. Sie machen ständig etwas um sich selbst zu beweisen, dass sie etwas können und entwickeln dabei ihre Fertigkeiten und ihre Kraft. Männliches Selbstverständnis definiert sich durch die Fähigkeit etwas Greifbares hervorzubringen. Erfüllung finden sie im Erfolg.“ (Gray 2002: 31)
Männer würden Probleme selber lösen, Aufgaben selbstständig erledigen und Herausforderungen selbst begegnen wollen. Um das zu erreichen würden sie ihr Vorgehen strategisch planen und rational und überlegt handeln. „Männer versuchen Probleme eher zu lösen, als sich Gedanken darüber zu machen. Sie wollen Action. Männer gehen mit Problemen meistens pragmatischer, nüchterner und weniger emotional um.“ (Evatt 2007: 34)
Sie würden gern im Mittelpunkt stehen und die Anerkennung genießen, die ihnen für ihre Leistungen entgegengebracht werde. Macht, Geld und Erfolg seien in diesem Zusammenhang die bedeutendsten männlichen Werte. „Männer versuchen sowohl auf subtile wie direkte Art Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie reden ganz ungeniert über ihre Leistungen, indem sie Geschichten aus dem Büro und vom Sportplatz erzählen. Sie beschreiben ganz plastisch ihre Spielzeuge - Auto, Segelboot, Flugzeug, Stereoanlage, Kamera oder Taucherausrüstung, um nur ein paar zu nennen. Im Gespräch versuchen sie dem anderen immer eine Nasenlänge voraus zu sein.“ (Evatt 2007: 40)
Alle in den Sachbüchern vorgestellten männlichen Prinzipien des Handelns sind letztlich auch dadurch gekennzeichnet, dass Männer nicht in der Lage sind, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. Im Gegensatz zu Frauen könnten sie nur eine Sache nach der anderen machen, da sie sich nur fokussiert konzentrieren könnten. „Sie können sich nur auf jeweils eine Sache konzentrieren. Wenn ein Mann eine Karte öffnet, macht er das Radio aus. Wenn sie mit ihm redet, während er in einen Kreisverkehr fährt, verpasst er die richtige Ausfahrt und gibt ihr die Schuld, weil sie geredet hat. Wenn das Telefon klingelt, bittet er alle im Raum, leise zu sein, damit er rangehen kann. Manche Männer, oft solche in höchsten Positionen, haben schon Schwierigkeiten, gleichzeitig zu gehen und Kaugummi zu kauen.“ (Pease 2002: 38)
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Männliche Prinzipien des Wahrnehmens und Fühlens Im Zusammenhang mit der männlichen Gefühlswelt vermitteln die AutorInnen Pease und Pease, Gray und Evatt, dass Männer weniger Zugang zu den eigenen Gefühlen hätten als Frauen und sie demzufolge auch anders ausdrücken würden. „Ein Mann der sich zurückzieht weiß nicht was ihn verletzt hat.“ (Gray 2002: 221)
Positive Gefühle wie Zufriedenheit und ein generelles Wohlgefühl würden sich bei Männern einstellen, wenn sie Probleme und Aufgaben ohne fremde Hilfe lösen können. Sie würden ebenso beflügelt, wenn sie wahrnehmen, dass sie gebraucht und geliebt werden und ihre Handlungen und Leistungen Anerkennung und Wertschätzung finden. „Liebe hilft einem Mann zu sehen, dass er gut genug ist, andere zufrieden zu stellen.“ (ebd: 76)
Männer würden sich gut bei Gruppenaktivitäten und sportlichen Betätigungen fühlen, da sie dabei ihr Konkurrenzverhalten, ihren Wetteifer und ihren Teamgeist ausleben könnten. „Neunzig Prozent aller Ballsportarten entwickelten sich zwischen 1800 und 1900 als Äquivalent für das Jagen. Deswegen sind die meisten Männer im Unterschied zu den meisten Frauen von ihrer Arbeit und vom Sport besessen.“ (Pease 2002: 337)
Aggressive Gefühle wie Ärger und Wut würden Männer vor allem dann entwickeln, wenn sie mit Undankbarkeit und Kritik konfrontiert seien. Aggressiv und genervt würden sie ebenfalls reagieren, wenn ihre Partnerin sehr emotional sei, viele Fragen stelle und belehrend auftrete. „»Es ärgert mich, dass du so emotional wirst. Ich bin wütend darüber, dass du mich missverstehen willst. Ich bin wütend, dass du bei einem Gespräch zwischen uns nicht sachlich bleiben kannst. Es geht mir auf die Nerven, dass du so empfindlich und leicht verletzbar bist.«“ (Gray 2002: 238) […] „In der umgekehrten Situation empfindet er Ärger, weil sie so undankbar ist. Trauer darüber, dass sie ihm nicht genug Vertrauen entgegenbringt und Angst, dass sie ihm nie mehr verzeihen könnte.“ (ebd: 231)
Männer hätten Angst vor dem Versagen, Angst davor „nicht gut genug zu sein“ bzw. nicht (mehr) gebraucht zu werden und dadurch Anerkennung und Respekt zu verlieren. Männer hätten Angst vor dem „Geben“, da sie dabei jedes Mal Gefahr laufen würden, das Falsche zu geben, zu wenig zu geben bzw. Zugang zu den eigenen Gefühlen zu ermöglichen, die wiederum als Schwäche ausgelegt werden könnten.
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„Sie wollen geben, haben aber vor dem möglichen Versagen Angst und versuchen es dann gar nicht. Natürlich wird er, wenn seine größte Furcht sein Unzulänglichkeit ist, jedem vermeidbaren Risiko aus dem Weg gehen.“ (ebd: 74)
Sie seien frustriert und verärgert, wenn sie Probleme die besprochen werden, nicht gleich lösen können. Männer würden sich verantwortlich für die Probleme und das Wohlbefinden ihrer Partnerin fühlen und seien deshalb enttäuscht, traurig oder verärgert wenn sie deren Probleme nicht lösen können, wenn die Partnerin ihre Lösungsvorschläge nicht annehme und ganz allgemein, wenn es der Partnerin nicht gut gehe. „Männer fühlen sich verletzt und als Versager wenn in ihrer Gegenwart eine Frau von ihren Problemen spricht.“ (Gray 2002: 75) „Es frustriert Männer besonders, wenn eine Frau über Probleme spricht, die sie (die Männer) nicht gleich lösen können.“ (ebd: 54)
Demgegenüber würden es Männer nicht mögen, wenn man ihnen ungefragt helfe, da diese Hilfe als Zeichen dafür gewertet werde, dass man ihnen die Lösung eines Problems nicht selbst zutraue. „Wie Deborah Tannen und andere feststellen, lassen sich Männer sehr ungern helfen, weil es ihnen peinlich ist und erniedrigend vorkommt. Es ist unmännlich. Männer sehen sich als Problemlöser, als entschlussfreudige Typen, die alles unter Kontrolle haben. Jemanden um Hilfe zu bitten, versetzt den, der die besseren Informationen hat, in eine überlegene Position, und Hilfe anzunehmen gibt Männern das Gefühl, unterlegen zu sein: »Ich bin ein Versager. Ich habe es allein nicht geschafft«.“ (Evatt 2007: 74)
Männer seien verunsichert und würden sich wie Versager fühlen, wenn sie eine Schwäche oder einen Fehler eingestehen müssen oder von anderen darauf aufmerksam gemacht werden. „Einem Mann zu sagen, dass es falsch war, was er entschieden oder getan hat, trifft ihn bis ins Mark. Es heißt für ihn, dass er an Respekt als Autoritätsperson eingebüßt hat, und da er selbstbezogen ist, ist seine Autorität das, worauf er sich verlassen können muss, um sich in der Welt zu bewegen.“ (Evatt 2007: 82 )
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Männliche Bedürfnisprinzipien In den vorliegenden Sachbüchern wird Männern ein primäres Bedürfnis nach Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, Autonomie und Freiheit zugesagt. Das bedeutet auch, dass Männern, ganz im Gegensatz zu Frauen, nicht zugestanden wird enge Bindungen eingehen zu wollen und, dass Beziehung für Männer immer schon einem partiellen Verlust an persönlicher Freiheit und Identität gleichkomme. Wenn Männer trotzdem in einer Beziehung stehen, würden sie ein starkes Bedürfnis haben sich zuweilen auch zurückzuziehen und auf Distanz zur Partnerin zu gehen. „Ihr Bedürfnis nach Distanz macht Männer empfindlicher gegenüber der Gefahr, von anderen aufgefressen zu werden. Sie können nur ein bestimmtes Maß an Nähe - Reden, Zärtlichkeit, Zuneigung, Zusammensein - verkraften, und wenn dieses Maß überschritten wird, ziehen sie sich meistens zurück.“ (Evatt 2007: 22)
Männer würden sich wünschen akzeptiert, respektiert und bewundert zu werden; all das motiviere sie mehr zu leisten, zu geben und zu investieren. „Ein Mann ist im Vollbesitz seiner Kräfte wenn sie ihn akzeptiert, anerkennt, ihm vertraut, und zustimmt und zu neuen Taten anspornt.“ (Gray 2002: 164) „Für viele Männer ist Anerkennung ebenso wichtig wie Macht und Geld. Männer definieren sich stark über ihre Leistungen und möchten, dass sie von anderen bewundert werden - vor allem von anderen Männern.“ (Evatt 2007: 46)
Männer würden sich durchsetzen wollen. Sie würden in Gesprächen Recht behalten wollen und ein Bedürfnis nach Zustimmung haben. Sie würden Befehle erteilen wollen und nicht empfangen, Entscheidungen treffen wollen und nicht durchführen. „Warum wollen Männer immer Recht behalten?“ (Pease 2002: 144) „Männer kämpfen darum das Gespräch zu beherrschen, sie wollen nicht Zuhörer sein, weil für sie der Sprecher dem Zuhörer eine Nasenlänge voraus ist.“ (Evatt 2007: 60)
Etwas Hervorzubringen, eine entscheidende Handlung zu setzen, unabkömmlich zu sein, gebraucht und geachtet zu werden, ein Risiko einzugehen, andere (meist Frauen) zu beschützen und etwas Besonderes zu leisten – all das seien männliche Bedürfnisse, die sich in dem männlichen Wunsch ein „Ritter“ oder „Held“ zu sein vereinen. „Pragmatisch und lösungsorientiert, wie sie sind, meinen Männer, etwas unternehmen zu müssen, das eine Wirkung auf die Welt und in der Welt hat.“ „In der Tiefe seines Herzens ist jeder Mann ein Held oder ein edler Ritter.“ (Gray 2002: 156)
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Männliche Prinzipien des Bewertens Bei den männlichen Prinzipien des Bewertens ist zunächst zu unterscheiden, was Männer als positive männliche Eigenschaften bewerten und welche Eigenschaften sie bei Frauen hochschätzen. Unter Männern erfahre demnach vor allem eine hohe Leistungsfähigkeit, kompetentes Auftreten, Problemlösungskompetenz, Unabhängigkeit, wirtschaftlicher Erfolg und Macht ein hohes Maß an Anerkennung und gelte als unabdingbar für ein glückliches und erfolgreiches Leben. Als persönliche Eigenschaften würden Männer bei Männern primär Humor, Standfestigkeit, Stärke und Loyalität schätzen. „Erfolg, Leistung und Effektivität sind für einen Mann das Wichtigste im Leben.“ (Gray 2002: 74) „Für Männer sind Macht und Geld Symbole für Männlichkeit, Beweis für Leistung und ein schneller Weg, um Applaus, Respekt, Selbstvertrauen, Freiheit und Frauen zu bekommen.“ (Evatt 2007: 44)
Im Gegensatz dazu würden Männer Frauen nach einem vollkommen anderen Maßstab bewerten. Allen und Barbara Pease äußern sich in dem Kapitel über „Die Macht der sexuellen Anziehungskraft der Frau“ ausgiebig zu dieser Thematik. Darin zählt für Männer in Bezug auf Frauen primär Schönheit, körperliche Attraktivität oder die Pflege des eigenen Körpers um zumindest „das Beste aus sich zu machen“. Der Aufwand, den eine Frau um ihr Äußeres betreibt, würde als Gradmesser für die Liebe die sie ihrem Partner entgegenbringt verwendet. Vor allem bei einem ersten Treffen sei die Optik einer Frau für Männer entscheidend. Streben sie eine längere Beziehung an, gälte das männliche Interesse auch der weiblichen Persönlichkeit, der Intelligenz, dem Humor und ihren mütterlichen Fähigkeiten. „Männer haben zwei Listen – eine für den ersten Eindruck, eine für die Lebenspartnerin. Frauen dagegen haben immer nur eine Liste.“ (Pease 2002: 289) […] „…denn blonde Frauen haben einen höheren Östrogenspiegel als Brünette. Das spüren Männer, sie wittern dahinter eine höhere Fruchtbarkeit und fühlen sich davon angezogen.“ (ebd: 253 ) […] „Männer bevorzugen eine schwere, kräftigere Frau gegenüber einer Schlanken, weil zusätzliches Fett beim Stillen hilft.“ (ebd: 234) […] „Als besonders verführerisch werden Frauen mit normalem Gewicht und einem Hüft-Taille Verhältnis von 70 % eingestuft – bemerkenswert ist an der Untersuchung, dass Männer auch extrem dicke Frauen sehr attraktiv fanden, wenn das Verhältnis von Hüfte zu Taille stimmte.“ (ebd: 242)
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Männliche Prinzipien des Denkens In den Sachbüchern finden sich auch in Bezug auf männliche Prinzipien des Denkens wenig explizite Hinweise. Entnehmen lässt sich jedoch die Konstruktion, dass Männer grundsätzlich ergebnisorientiert denken würden. Sie hätten ein Ziel vor Augen und möchten so schnell wie möglich zu einem positiven Ergebnis kommen. Dafür würden sie eine rationale Logik verfolgen und ein mathematisches Denken in Wenn-dann-Beziehungen anwenden. Sie seien dabei sehr zielstrebig und auf eine Sache konzentriert, da sie meistens nur eine Gehirnhälfte zum Denken benutzen würden. „Das Zusammenspiel von strukturellen Unterschieden und Hormonen, hat bei Männern ein mehr lineares Denken zu Folge – d.h. in einer geraden Linie von A zu B zu C. […] Auf Grund dieses Unterschieds können sich Männer leichter auf eine Aufgabe konzentrieren, ohne sich ablenken zu lassen.“ (Evatt 2007: 128) […] „Außerdem denken Männer eher analytisch und ziehen aus Informationen das Wichtige heraus. […] Pragmatisch und lösungsorientiert wie sie sind, meinen Männer, etwas unternehmen zu müssen, was eine Wirkung auf die Welt und in der Welt hat.“ (ebd: 67)
Der Habitus der Männer Zusammenfassend lässt sich der in den Sachbüchern vermittelte männlichen Habitus als selbst- und sachbezogen beschreiben. Männer orientierten sich demnach im Handeln, Wahrnehmen, Bedürfen, Denken und Bewerten an einem persönlichen Nutzen. Als persönlicher Nutzen gälte für Männer primär ein Zuwachs an Respekt, Status, Prestige, Macht und Geld. Männer strebten danach etwas Hervorzubringen, das Relevanz für „die Welt“ hat. Ihr Handlungsfeld sei die Öffentlichkeit. Aus ihrem Wirken in der Öffentlichkeit beziehen sie Anerkennung und Selbstwert. In der Öffentlichkeit würden sie etwas erreichen und leisten wollen das Beachtung findet und Respekt hervorruft. Männer würden Probleme und Aufgaben sachlich und selbstständig lösen wollen. Emotionen würden dabei als Hindernis wahrgenommen und abgewertet. Männer würden auch allein sein wollen und vor allem im Privaten ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz brauchen.
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Zwischenresümee Der dargestellte weibliche und männliche Habitus lässt in einem Vergleich mit dem bereits im theoretischen Teil dieser Arbeit zitierten Ausschnitt aus dem Brockhaus von 1815, aufhorchen: „Daher offenbart sich in der Form des Mannes mehr die Idee der Kraft, in der Form des Weibes mehr die Idee der Schönheit … Der Geist des Mannes ist mehr schaffend, aus sich heraus in das Weite wirkend, zu Anstrengungen zur Verarbeitung abstracter (!) Gegenstände, zu weitaussehenden Plänen geneigter; unter den Leidenschaften und Affecten (!) gehören die raschen, ausbrechenden dem Manne, die langsamen, heimlich in sich selbst gekehrten dem Weibe an. Aus dem Manne stürmt die laute Begierde; in dem Weibe siedelt sich die stille Sehnsucht an. Das Weib ist auf einen kleinen Kreis beschränkt, den es aber klarer überschaut; es hat mehr Geduld und Ausdauer in kleinen Arbeiten. Der Mann muß (!) erwerben, das Weib sucht zu erhalten; der Mann mit Gewalt, das Weib mit Güte oder List. Jener gehört dem geräuschvollen öffentlichen Leben, dieses dem stillen, häuslichen Circel (!). Der Mann arbeitet im Schweiße seines Angesichts und bedarf erschöpft der tiefen Ruhe; das Weib ist geschäftig immerdar, in immer ruhender Betriebsamkeit. Der Mann stemmt sich dem Schicksal selbst entgegen, und trotzt schon zu Boden liegend der Gewalt; willig beugt das Weib sein Haupt und findet Trost und Hilfe noch in seinen Thränen (!).“ (Brockhaus 1815 zit. nach: Mitterauer 1985: 72).
Dieser Auszug gibt in wenigen Worten das Konzept der Geschlechtscharaktere aus dem 18. Jahrhundert wieder. Zentral dabei ist die Naturalisierung geschlechtsspezifischer Eigenschaften und die Einschreibung von männlich und weiblich in altbekannte Dichotomien wie öffentlich und privat, Kultur und Natur, passiv und aktiv, rational und intuitiv (vgl. Mitterauer 1985: 69ff). Betrachtet man demgegenüber den männlichen bzw. weiblichen Habitus der in den aktuellen Sachbüchern herausgearbeitet wird, fällt auf, dass sich die populärwissenschaftliche Konzeption nicht wesentlich vom Konzept der Geschlechtscharaktere unterscheidet. Sprachlicher Ausdruck und die Rechtschreibung mögen sich verändert haben, die vermittelten Inhalte hielten sich jedoch im Wesentlichen standhaft und finden sich heute in leicht abgeänderter Form in „Männer sind anders. Frauen auch.“(Gray 2002), „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus.“ (Evatt 2007) und „Warum Männer immer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen.“(Pease/ Pease 2002) wieder. Die vorliegende populärwissenschaftliche Konzeption von Geschlecht entspricht also einem dualistisch geprägten Zwei-Geschlechter-Modell, das als Grundlage einer funktionierenden patriarchalen Gesellschaftsordnung gilt. Das nächste Kapitel widmet sich der Frage wie der in den vorliegenden Sachbüchern vermittelte Habitus konzipiert und begründet wird: als kulturelles Produkt oder als natürliche Gegebenheit?
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Argumentationsfiguren und Argumentationslinien Der erste Blick bei der Frage nach der Argumentation richtet sich darauf, wie grundsätzlich „korrekt“ in einem wissenschaftlichen Sinne in den Büchern argumentiert wird. „Korrekt“ bedeutet dabei in erster Linie, dass in nachvollziehbarer Weise dargestellt wird, woher die AutorInnen das Wissen haben, das sie in ihren Büchern vermitteln, das heißt, dass Quellen des Wissens angegeben und zitiert werden (müssen). „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“, „Männer sind anders. Frauen auch.“ und „Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus“ lassen sich demnach wiederum eindeutig als Sach- und nicht Fachbücher qualifizieren, da die AutorInnen dem wissenschaftlicher Apparat nur unzureichend Rechnung tragen. So verzichtet John Gray völlig auf die Angabe seiner Quellen, Cris Evatt so wie Allen und Barbara Pease stellen zwar ein Literaturverzeichnis zur Verfügung, versäumen es aber, im laufenden Text ihre Quellen in nachvollziehbarer Weise anzugeben. Der zweite Blick richtet sich darauf, welche rhetorischen Mittel die AutorInnen verwenden, um das von ihnen vermittelte Geschlechterwissen plausibel erscheinen zu lassen und die Lesenden von ihren Thesen zu überzeugen. Der dritte Blick fällt schließlich darauf, welches wissenschaftliche Wissen sie für ihre Argumentation heranziehen.
Rhetorische Mittel Wie bereits erwähnt, entspricht die Argumentation in den Sachbüchern keiner wissenschaftlich korrekten und sorgfältigen, da die AutorInnen ihre Quellen im laufenden Text nicht angeben. Das Genre der Sachliteratur zeichnet sich ja dadurch aus, nicht wissenschaftlich, sondern vielmehr populärwissenschaftlich für die Verbreitung von Wissen zu sorgen. Die Aufmerksamkeit richtet sich bei der Darstellung der populärwissenschaftlichen Argumentation in den Sachbüchern zunächst auf rhetorische Mittel die John Gray, Cris Evatt und Barbara und Allen Pease anwenden, um glaubwürdig und plausibel zu erscheinen. Eine zentrale Technik ist dabei das Weitergeben persönlicher Erfahrungen. Die AutorInnen geben damit Einblick in ihr Privatleben und stilisieren sich als Verbündete der Leserinnen und Leser. Sie hatten schließlich dieselben Probleme und konnten sie durch Anwendung der in den Sachbüchern angeführten Ratschläge und Berücksichtigung des präsentierten Geschlechterwissens lösen
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bzw. entschärfen. Der Erfolg, dass die eigene Beziehung oder Beziehungen von Bekannten und Klientinnen gesund wurden, gibt dem vermittelten Wissen somit Recht. „Als ich frisch mit meiner Frau Bonnie verheiratet war .. .“ (Gray 2002: 100) […] „Dadurch, dass Bonnie und ich gelernt haben unsere Unterschiede zu respektieren und uns besser zu verstehen, ist unsere Ehe viel leichter geworden. Ich habe diese Entwicklung bei vielen, vielen Einzelpersonen und Paaren beobachten können.“ (ebd: 109) […] „Jim war 39, seine Frau Susan 41 als sie zu mir in die Beratung kamen. […] Heute sind sie glücklich verheiratet und haben drei Kinder.“ (ebd: 67) „Seit über 15 Jahren beobachte ich die Körpersprache der anderen Gäste, wenn ich essen gehe. Dabei ist mir folgendes aufgefallen…“ (Evatt 2007: 120) […] „Paul, mein Vater ist da keine Ausnahme…“ (ebd: 72) „Wir, die Autorin und der Autor, sind glücklich verheiratet, treue Liebende und die besten Freunde. Außerdem haben wir vier wunderbare Kinder. In Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen haben wir auch auf unsere persönlichen Erfahrungen zurückgegriffen.“ (Pease 2002: 25) […] „Deshalb haben wir selten Streit mit jemandem, der uns nahe steht, und dafür liebt man uns.“ (ebd: 25) […] „Ein Mann, der sich selbst »Jeremy, der Pantoffelheld« nannte, schickte uns in seiner Verzweiflung folgende E-Mail, nachdem er Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken gelesen hatte: […] Stimmt es, dass Frauen geborene Nörglerinnen sind? Bitte helfen Sie mir«.“ (ebd: 32)
Diese Anhäufung von persönlichen Geschichten, von Vornamen, die von greifbaren Menschen erzählen, die Darstellung persönlicher Schwächen und Erfolge schafft eine emotionalisierte Atmosphäre und verleiht den Sachbüchern einen „human touch“. Die AutorInnen produzieren dadurch Gefühle bei den LeserInnen, die sich folglich emotional angesprochen und involviert fühlen. Diese Technik macht das dargestellte Wissen greifbar und ermöglicht den Leserinnen, sich als Verbündete zu fühlen. Der Alltag der Leserinnen wird berührt, die Gemeinschaft, die durch diese Erzähltechnik hergestellt wird, regt zu Leichtgläubigkeit an und kann das Gefühl vermitteln, als sitze man gemeinsam um einen großen gemütlichen Tisch und als erzählten alle von ihren Erfahrungen. Die Fähigkeit zur Kritik, die ein bestimmtes Distanzverhältnis erfordert, wird durch diese Konstruktion persönlicher Betroffenheit gemildert. (vgl. Oels 2005; Hahnemann 2006) Eine zweite häufig angewandte Technik ist die Berufung auf den gesunden Menschenverstand, darauf, dass alle, die die Augen in der Welt offen halten, wissen und erkennen müssen, was offensichtlich ist. Diese Technik verleitet Lesende dazu, keine Fragen zu stellen. Die meisten Menschen möchten schließlich zu den vernunftbegabten Wesen zählen und in Anlehnung an „Des Kaisers neue Kleider“ wird schon wahr sein, was alle glauben. Die Verwendung von „wir“ oder „man“ suggeriert eine Gemeinschaft, die sich einig ist, und die direkte Ansprache der Lesenden verstärkt dabei die Tendenz, zustimmend zu nicken.
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern „Außerdem ist ja allgemein bekannt, dass…“ (Evatt 2007: 124) […] „Männer und Frauen sind verschieden. Wir alle wissen das.“ (ebd: 10) „Sie haben vielleicht schon einmal bemerkt, dass Frauen offensichtlich einen biologischen Drang verspüren, hübsche Kissen zu kaufen oder Möbel anders zu stellen, …“ (Pease 2002: 17) […] „»Warum hört er nicht, was ich ihm gerade sage, wenn er Zeitung liest oder fernsieht?« Solche Klagen hört man von Frauen auf der ganzen Welt.“ (ebd: 163) „In der alltäglichen Kommunikation können wir beobachten…“ (Gray 2002: 158) […] „Man kann unschwer erkennen, dass ein Mann …“ (ebd: 78) […] „Wir haben aber bereits festgestellt, dass ein Mann …“ (ebd: 149)
Eine weitere Überzeugungstechnik ist das Anstellen von Vergleichen. Dabei wird die rationale und wiederum offensichtliche Logik der Vergleichserzählung über die damit verglichenen Inhalte des Geschlechterwissens gelegt und folglich vermittelt, dass diese Inhalte derselben rationalen Logik folgen. Als Vergleichserzählungen werden hierfür natürliche und physikalische Phänomene sowie menschliches Verhalten in anderen Zusammenhängen herangezogen. „Wenn Sie sich ein Handy kaufen, ist ein Bedienungshandbuch dabei. Wenn Sie lernen, wie Ihr Telefon funktioniert, und es so programmieren, dass es tut, was Sie wollen, wird es Ihnen viel Spaß und Nutzen bringen. […] Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen ist ein Handbuch zum besseren Verständnis des anderen Geschlechts und Sie lernen damit, welche Knöpfe Sie drücken müssen, um die besten Ergebnisse zu erzielen.“ (Pease 2002: 24) […] „Es ist eine Tatsache, dass das Aussehen einer Frau einen Mann zu jedem beliebigen Zeitpunkt in einer Beziehung abstoßen kann. […] Doch das ist nun einmal so. Damit muss man sich abfinden wie mit schlechtem Wetter. Es ist absolut sinnlos, sich über Regen und Gewitter zu ärgern, sie als unfair oder ungerecht zu bezeichnen oder Demonstrationen dagegen zu veranstalten.“ (ebd: 264) „Eine Art, es zu illustrieren, ist die Vorstellung, dass Frauen ein Reservoir an Liebe haben, das sie regelmäßig auffüllen müssen, so wie ein Auto Treibstoff tanken muss.“ (Gray 2002: 202) […] „Männer sind wie Gummibänder – wenn sie sich entfernen gehen sie nur eine bestimmte Strecke weit und kommen dann mit Schwung zurück. […] Männer haben einen instinktiven Drang sich zu entfernen. Es liegt nicht in ihrer Hand. Es ist ein natürlicher Vorgang, der Zyklus des Mannes.“ (ebd: 110) […] „Um wirklich wieder aus ihrem Loch herauszukommen, muss sie (die Frau, Anm.) erst einmal ganz unten angekommen sein. […] Wenn er versteht, dass eine Welle erst einmal ganz zusammenbrechen muss, um sich wieder zu erheben, merkt er, dass seine Erwartung, dass sie sich auf Grund seiner Hilfe sofort wieder besser fühlen soll, unangebracht ist.“ (ebd: 133) „Harry Stein, Verleger: »Der Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Sexualtrieb entspricht oft ungefähr dem, ob ich eine Pistolenkugel abschieße oder mit der Hand werfe.«“ (Evatt 2007: 105) […] „Geben ist für Frauen wie Atmen- also lebensnotwendig.“ (ebd: 98)
Eine andere Möglichkeit das Publikum mit dem vermittelten Wissen zu bezaubern, ist die geschickte Auflockerung und Illustration der Inhalte mit humorigen Elementen und Witzen. Die heitere Anekdote veranlasst schnell zum Schmunzeln und minimiert die Tendenz, kritische Fragen zu stellen. Man will schließlich kein „Spielverderber“ sein. Allen und Barbara Pease sind Meister
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dieser Strategie und ihr Buch ist voll gespickt mit Witzen. Cris Evatt setzt dagegen Humor nur sehr vereinzelt als Überzeugungsstrategie ein und John Gray verzichtet völlig auf die Mitwirkung der Lachmuskeln. Das wiederum kann durchaus eine Methode sein, um der Publikation Seriosität zu verleihen. „Wir halten immer Händchen. Wenn ich loslasse kauft sie ein. Allan Pease.“ (Pease 2002: 82) […] „Welchen Schluss legt jeder gut gekleidete Mann nahe? Seine Frau sucht die Kleider für ihn aus.“ (ebd) [...] „Warum braucht man vier Millionen Spermien, um ein Ei zu finden und zu befruchten? Weil kein einziges nach dem Weg fragen will.“ (ebd: 74) „»Meine Vorfahren irrten 40 Jahre lang in der Wüste umher, weil die Männer schon in biblischer Zeit nicht stehen blieben und nach dem Weg fragten« - Elayne Boosler, Humoristin.“ (Evatt 2007: 75)
Schließlich dient die Verwendung eines wissenschaftlichen Jargons dazu, auf die Autorität der Wissenschaft zu verweisen und dadurch Legitimation für das vermittelte Geschlechterwissen zu erhalten. Zentrale Begriffe, die eine Verbindung zur wissenschaftlichen Autorität herstellen, sind dabei „Experiment“, „Statistik“, „Untersuchung“, „Ergebnis“, „Forscher“, „Wissenschaftler“, „Studie“, usw.. Durch diese Verbindung wird die Rationalität, Objektivität, und Seriosität die der Wissenschaft häufig zugedacht und der Respekt, der ihr vielfach gezollt wird, für die eigene Überzeugungskraft genützt. Das präsentierte Geschlechterwissen erscheint somit glaubwürdig. „Die Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts im Jahr 1989 hat erbracht, dass…“ (Evatt 2007: 130) […] „Jeder der 60 Unterschiede ist durch einschlägige Forschungsergebnisse belegt.“ (ebd: 12) […] „Viele Studien belegen, dass Frauen …“ (ebd: 121) […] „Untersuchungen belegen, dass Frauen bezeichnender Weise …“ (ebd: 65) „Unter Zuhilfenahme unserer Erfahrungen und Forschungen, statistischer Erhebungen, neuester Untersuchungen, naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht zuletzt des gesunden Menschenverstandes…“ (Pease 2002: 15) […] „Die Wissenschaft kann heute erklären, warum Frauen so viel reden, oft…“ (ebd: 16) […] „Die Forschung hat gezeigt, dass Männer…“ (ebd: 80) […] „Ausgehend von den Ergebnissen von 23 Untersuchungen und Experimenten haben wir den verschiedenen Körperteilen eine Rangfolge gegeben und werden erklären, welche Wirkung ein bestimmter Körperteil hat. Fast jede Untersuchung der letzten 60 Jahre kommt zu demselben Ergebnis wie Maler, Dichter und Schriftsteller in den vergangenen 6000 Jahren – das Erscheinungsbild und der Körper einer Frau sind für einen Mann wesentlich attraktiver als ihre Intelligenz oder Charakter. Daran hat sich auch im politisch korrekten 21. Jahrhundert nichts geändert.“ (ebd: 233) „Alle Regeln die in diesem Buch aufgestellt werden, und alle Anregungen, die gegeben werden, sind vielfach getestet und erprobt. Über 90% der befragten 25000 Seminarteilnehmer haben mit Entschiedenheit bestätigen können, dass die sich in den beschriebenen Beispielen wiederfinden konnten.“ (Gray 2002: 19) […] „Das (ein Erlebnis mit seiner Frau Bonnie, Anm.) inspirierte die sieben Jahre Forschung und Entwicklung von Einsichten in das Wesen von Mann und Frau, die in diesem Buch dargelegt werden.“ (ebd: 17)
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Das letzte Mittel, das hier unter dem Aspekt rhetorischer Überzeugungstechniken angeführt wird, ist der Verweis auf „die Natur der Sache“. Verschiedene Inhalte des Geschlechterwissens werden hier mit einfachen Ausdrücken wie „natürlich“, „instinktiv“, „natürlicher Drang“, „wesenhaft“ usw. als Naturtatsache dargestellt. Dem, was in der Natur liegt, ist mit Kultur nicht beizukommen. Es ist wie es ist, unveränderbar. „Frauen verlassen sich instinktiv darauf, dass…“ (Gray 2002: 141) […] „Diese Entwicklung ist natürlich, normal und vorhersehbar.“ (ebd: 146) […] „Sie sind von Natur aus nicht motiviert die kleinen Dinge zu beachten und zu tun.“ (ebd: 215) […] „Das Bitten zwingt sie dazu ihre Verletzlichkeit zu spüren, ihre weibliche Natur.“ (ebd: 285) „Sie müssen jedoch wissen, dass Männer von ihrer Entwicklungsgeschichte her nicht die Hüter des Hauses sind. Ordnung und Sauberkeit sind ihnen nicht von Natur aus mitgegeben.“ (Pease 2002: 95) […] „Sofort sind ihre Mutterinstinkte geweckt und sie wollen den Schmerz lindern.“ (ebd: 111) […] „Ihr weiblicher Instinkt sagt ihnen…“ (ebd: 294) „»Männer konkurrieren von Natur aus mit jedem, der Autorität besitzt«, schreibt Lynn Darling in Self.“ (Evatt 2007: 86) […] „Anstelle der Erkenntnis, dass das Verhalten auf einem tief verwurzelten Geschlechtsunterschied beruht,…“ (ebd: 22) […] „Frauen tun das nicht, es ist meistens einfach nicht ihre Art.“ (ebd: 44)
Mit den dargestellten rhetorischen Techniken stellen die AutorInnen eine Atmosphäre der Glaubwürdigkeit her und versuchen die Leserinnen und Leser empfänglich für das konstatierte Geschlechterwissen zu machen. Im Anschluss richtet sich der Blick zunächst auf die Überzeugungsstrategie, die John Gray in „Männer sind anders. Frauen auch.“ anwendet. Er verzichtet darin weitgehend auf eine wissenschaftliche Referenz und beschränkt seine Argumentation fast ausschließlich auf die Erzählung einer fantasievollen Geschichte. In einem nächsten Schritt gilt die Aufmerksamkeit der Frage, auf welche wissenschaftlichen Disziplinen sich die AutorInnen in „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen.“ und „Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus.“ wie beziehen.
Märchenhafte Argumentation bei John Gray John Gray formuliert in seinem Buch eine Geschichte, die darauf aufbaut, dass Frauen ursprünglich auf der Venus und Männer am Mars wohnten. In der venusianischen Frauenwelt galten die Regeln der Frauen und diese entwickelten folglich ein ganz spezifisches Verhalten. Auf dem Mars dagegen konnten sich die Männer ihrem ureigensten Wesen nach verhalten. Eines Tages langweilten sich die Frauen auf der Venus und die Männer auf dem Mars. Über Umwege, auf
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denen bezeichnender Weise die Männer „ein Raumschiff erfanden“ und die Frauen „ihre Herzen für die Marsmänner weiteten“, kamen Männer und Frauen schließlich auf die Erde, um sie gemeinsam zu bevölkern. Zu Beginn erfreuten sie sich an ihrer Gegensätzlichkeit, mit der Zeit begannen sie jedoch zu vergessen, dass sie von unterschiedlichen Planeten kamen. So passierte es, dass die Frauen die Eigenarten der Männer nicht mehr verstehen konnten und umgekehrt. Seit diesem Tag ist das Geschlechterverhältnis kompliziert und von Missverständnissen geprägt. John Gray tritt in seinem Buch an, dieses vergessene Wissen von der männlichen und weiblichen Ursprünglichkeit wieder zu beleben. Seine Absicht ist, die Menschen daran zu erinnern, dass Frauen von der Venus und Männer vom Mars kommen und dass ihr unterschiedliches Verhalten gut, gesund und natürlich ist, kurz gesagt, dass „sie verschieden sein sollten“. „Stellen Sie sich vor, Mars war einmal der Planet der Männer und Venus der Planet der Frauen... Eines schönen Tages schauten die Marsmänner durch ihr Teleskop und entdeckten die Venusfrauen. Ein einziger Blick rief bei ihnen Gefühle hervor, die sie noch nie verspürt hatten. Sie verliebten sich unsterblich. Schnell erfanden sie ein Raumschiff und flogen zur Venus. Die Venusfrauen empfingen die Marsmänner mit offenen Armen. Sie hatten intuitiv gespürt, dass dieser Tag einmal kommen würde. Ihre Herzen weiteten sich, und sie verspürten eine Liebe, derart, wie sie es nie zuvor erlebt hatten. Ihre Liebe war wie ein Zauber. Sie erfreuten sich aneinander und teilten alles. Sie hatten ein königliches Vergnügen daran, sich gegenseitig die Unterschiede ihrer verschiedenen Welten klarzumachen. Viele Monate verbrachten sie damit, voneinander zu lernen, ihre Bedürfnisse, Vorlieben und Verhaltensweisen zu erforschen und zu achten. Viele Jahre lebten sie zusammen in Liebe und Harmonie. Dann entschlossen sie sich, gemeinsam die Erde zu bevölkern. Am Anfang verlief alles sehr harmonisch. Eines Morgens jedoch wachten sie auf, und die Welt war über Nacht eine andere geworden. Die Erdatmosphäre hatte ihre Wirkung auf sie ausgeübt, und alle verfielen in einen seltsamen Schlaf des Vergessens. An bestimmte Dinge konnten sie sich einfach nicht mehr erinnern. Sie hatten beispielsweise vergessen, dass sie von verschiedenen Planeten stammten. Sie hatten vergessen, dass sie verschieden sein sollten. An einem einzigen Tag war ihnen alles, was sie in den vergangenen Jahren über ihre Unterschiede gelernt hatten, wieder entfallen. Von diesem Tag an lebten Männer und Frauen im Streit miteinander.“ (Gray 2002: 25)
Abgesehen von den einleitenden Worten „stellen Sie sich vor,…“ macht John Gray in seinem Buch nie mehr deutlich, dass es sich bei seiner Argumentation um eine Fantasiegeschichte handelt. Beharrlich wiederholt er die Geschichte in zahlreichen Variationen und Anekdoten und verweist immer wieder darauf, dass Männer vom Mars kommen und Frauen von der Venus. „Im Folgenden finden Sie eine Reihe von Auszügen aus dem venusianisch-marsianischen Sprachführer: …“ (ebd: 80) […] „Eine dieser tief verwurzelten marsianischen Angewohnheiten ist …“ (ebd: 101) […] „Seine Vorfahren stammen vom Mars, das Bedürfnis zu reden ist für ihn also etwas Fremdes.“ (ebd: 118) […] „Frauen kommen ursprünglich von der Venus und es liegt in ihrer Natur anders zu kommunizieren.“ (ebd: 162) […] „Vergessen Sie nie, dass Män-
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern ner vom Mars kommen. Sie sind von Natur aus nicht motiviert die kleinen Dinge zu beachten und zu tun.“ (ebd: 215) […] „Auf der Venus unterstützte man sich von Natur aus gegenseitig.“ (ebd: 270)
Die Assoziationen, die er damit weckt, dass er den Männern den Planeten des römischen Kriegsgottes Mars und den Frauen den Planeten der römischen Schönheitsgöttin Venus als Heimatplaneten zuordnet, bestärken die Dualismen, die auch in der Darstellung des Habitus deutlich wurden. Durch die Wahl eines mythologischen Märchens als einzige Argumentationsstrategie verlegt der Autor die Begründung für das von ihm vermittelte Geschlechterwissen in eine Sphäre nicht von dieser Welt. Also nicht in die Kultur, nicht in die Natur, sondern über die Natur, ins Metaphysische sozusagen und somit ins Un(an)greifbare. Diese Argumentation ist in einem Maße irrational, dass ihr mit Rationalität nicht beizukommen ist. Geschickt und konsequent verweist Gray auf „marsianisches Verhalten“ oder „venusianische Kommunikationsregeln“ bis man als Leserin dazu geneigt ist, ihm letztlich zu glauben, dass er diese Geschichte aus einer tatsächlichen Überzeugung heraus erzählt. Der nächste Blick führt nun wieder zu Argumentationsstrategien, die eindeutig von dieser Welt sind. Im Gegensatz zu John Grays mythologischer Erzählung verweisen Allen und Barbara Pease und Cris Evatt auf wissenschaftliche Erkenntnisse, um ihr Geschlechterwissen zu untermauern. Wissenschaftliche Disziplinen, die in den Sachbüchern dabei rezipiert werden sind die Biologie, die Psychologie, die Evolutionstheorie, die Hirnforschung, die Geschichtswissenschaften und die Soziologie. Der Verweis auf eine Wissenschaft lagert die Frage der Legitimation des Wissens aus und gilt dementsprechend als „Autoritätsargument“ (vgl. Schopenhauer 2006). Die Sachbücher stellen sich als Vermittler von wissenschaftlichem Wissen dar und verschleiern, dass das wissenschaftliche Wissen durch die populärwissenschaftliche Verarbeitung selektiert, reduziert, vereinfacht, umformuliert, sprich, transformiert wird (vgl. Niederhauser 1997: 111ff).
Biowissenschaften Hier geht es um eine Illustration dessen, welche Wissenschaften bzw. wissenschaftlichen Teilerkenntnisse in den vorliegenden Sachbüchern verwendet werden, um das vermittelte Geschlechterwissen zu belegen. Die Frage richtet sich darauf, inwiefern diese Erkenntnisse und damit in weiterer Folge das vermittelte Geschlechterwissen als absolut oder relativ, im Sinne einer Konstruktion dargestellt werden. Die Absicht ist hierbei nicht, das „zitierte“ Wissen
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exakt in einen wissenschaftlichen Kanon einzuordnen und auf seine Korrektheit und Aktualität zu überprüfen. Die Biowissenschaften sind eine zentrale Disziplin, die Cris Evatt und Allen und Barbara Pease für die Argumentation heranziehen, wobei die konkreten Quellen des Wissens im laufenden Text nicht korrekt zitiert werden und somit nicht überprüfbar sind. Der Rückgriff auf Hormone und hormonelle Prozesse im menschlichen Körper ist eine prominente Methode Geschlechterwissen zu argumentieren und wird auch in „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“ und „Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus“ angewandt. Vor allem Cris Evatt verweist in ihrem Buch sehr häufig auf biologische Prozesse der Hormonproduktion, -ausschüttung und -verteilung um geschlechtstypisches Verhalten zu erklären. Die Erkenntnis aus der neueren feministischen Wissenschaftsforschung, dass die so genannten „Geschlechtshormone“ zwar zur Legitimation eines Geschlechterverhältnisses instrumentalisiert werden, in Bezug auf ihren Entstehungsort, ihre Funktionszusammenhänge und ihre Wirkungsweise aber keineswegs einem Zwei-GeschlechterModell entsprechen und de facto keine Geschlechtshormone sind, findet in den Sachbüchern keine Berücksichtigung (vgl. Ebeling 2006: 241). „Diese Anlagen werden offenbar durch die Geschlechtshormone beeinflusst. Wissenschafter von der Universität Hamburg haben in einer Studie festgestellt, dass »Männer mit einem erhöhten Testosteronspiegel und zwei verwandten Hormonen bei Aufgaben, die räumliches Vorstellungsvermögen erfordern, besser und in der verbalen Ausdrucksfähigkeit schlechter sind als Männer mit einem normalen Hormonspiegel.«“ (Evatt 2007: 124) […] „Patricia Schreiner Engel vom Mount Sinai Lehrkrankenhaus in New York hat Frauen mit einem höheren Testosteronspiegel untersucht, die sie kurz »Testo«-Frauen nannte. Diese Frauen wählen eher stark konkurrenzorientierte, sie sehr fordernde Berufe aus. Sie sind sexuell aktiver und haben mehr Spaß am Sex als Frauen mit einem normalen Testosteronspiegel. Außerdem haben sie mehr Probleme in Liebesbeziehungen und heiraten seltener als die anderen Frauen.“ (ebd: 125) „Wegen ihres höheren Hormonspiegels sind kahle Männer üblicherweise aggressiver und sexuell aktiver als ihre Brüder mit vollem Haar. Deshalb gilt Kahlköpfigkeit als Kennzeichen starker Männlichkeit.“ (Pease 2002: 281)
Ein weiteres Teilgebiet der Biowissenschaften auf das sich die AutorInnen in den Sachbüchern stützen, ist die Physiologie. Die Beschaffenheit des Körpers ist dabei die Begründung für den geschlechtsspezifischen Habitus. „Meist dient der Busen nur einem einzigen eindeutigen Zweck – als sexueller Reiz. Als die Menschen noch auf allen vieren gingen zog ein runder, fleischiger Hintern die Männchen an, denn diese besprangen ihre Partnerin von hinten. Mit dem aufrechten Gang des Menschen wurde der Busen größer, um die Aufmerksamkeit des Mannes zu wecken, denn nun näherte er sich von vorne.“ (ebd: 235) […] „Die starken, festen männlichen Beine sind die längsten aller Primaten, und seine schmalen Hüften erlauben dem Mann, geschmeidig lange Strecken zu laufen um Wild zu jagen. Die breiten Hüften der Frau machen vielen Frauen Schwierigkeiten
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern beim Laufen, da ihre Unterschenkel und Füße sich oft nach außen drehen, um das Körpergewicht auszubalancieren.“ (ebd: 284) „Männer packen doppelt so fest zu wie Frauen. Männer haben im Allgemeinen längere Knochen mit mehr Knorpeln in den Gelenken, breitere Schultern und ein schmaleres Becken.“ (Evatt: 117)
Schließlich dienen die Zoologie und der Vergleich mit tierischen Verhaltensweisen der Rechtfertigung spezifischer weiblicher und männlicher Eigenschaften. Bei diesen Vergleichen handelt es sich meist um Anthropomorphismen, die bei der Beschreibung des Genres bereits als genuine Erzählstrategien der Sachliteratur erwähnt wurden. Dabei werden menschliche Verhaltensweisen bzw. Eigenschaften auf Tiere (oder Dinge) übertragen und in ein Analogieverhältnis gebracht (vgl. Ebeling, Schmitz & Bauer 2006: 351). So kann es passieren, dass, wie im angeführten Beispiel, Körner pickende Hühner plötzlich Rückschlüsse auf männliches Einkaufverhalten ermöglichen. „Ein Hinweis darauf, wie Männer einkaufen, ergab sich aus einer Untersuchung mit Hühnern. Den Hühnern wurden männliche Hormone ins Futter gemischt. Anschließend wurden sie mit gefärbten Körnern gefüttert. Alle pickten zuerst nach den roten Körnern, bis keine mehr da waren, und fraßen dann die gelben Körner. Die anderen Hühner, die nicht mit Hormonen behandelt worden waren, fraßen die verschiedenfarbigen Körner ohne bestimmte Reihenfolge.“ (Pease 2002: 82) „Nur drei Prozent aller Tierarten, beispielsweise Füchse und Gänse, leben monogam. Beide Geschlechter haben die gleiche Größe und Färbung, man kann sie normalerweise nicht unterscheiden. Die Gehirne der meisten anderen Männchen, einschließlich der Menschen, sind nicht für die Monogamie geschaffen.“ (ebd: 150) „»Monogamie ist bei Säugetieren selten, bei Primaten fast unbekannt, und sie scheint eine relativ neue Erfindung bestimmter menschlicher Kulturen zu sein.« - David Barash, Zoologe.“ (Evatt 2007: 101)
Als Teil der Biowissenschaften gilt weiters die Hirnforschung, eine fächerübergreifende Disziplin, die in der Medizin, der Biologie und der Psychologie beheimatet ist. In den vorliegenden Sachbüchern werden Erkenntnisse aus der Hirnforschung primär von Allen und Barbara Pease zur Begründung und Legitimation des dargestellten Geschlechterwissens verarbeitet. Der Aufbau des Gehirns und die unterschiedliche Aktivität verschiedener Zentren bei bestimmten Tätigkeiten, die mit bildgebenden Verfahren illustriert wird, sind dabei die zentralen Themenbereiche, die für die Argumentation verwendet werden. „Das Gehirn der Frau ist auf den Multitaskbetrieb ausgerichtet. Sie kann mehrere unterschiedliche Dinge gleichzeitig tun, und Gehirnscans zeigen, dass das weibliche Gehirn niemals untätig ist; es arbeitet immer, auch im Schlaf. Vor allem deshalb sind auch 96 Prozent aller Sekretärinnen Frauen.“ (Pease 2002: 163) […] „Wenn man das Gehirn eines Mannes scannt, während er liest, stellt man fest, dass er praktisch taub ist.“ (ebd.) […] „Gehirnscans zeigen, dass bei ei-
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ner Frau im Durchschnitt 14 bis 16 Schlüsselbereiche in beiden Gehirnhälften aktiviert sind, wenn sie mit jemandem von Angesicht zu Angesicht kommuniziert. Die Bereiche werden zur Entschlüsselung von Wörtern, Veränderungen des Tonfalls und Körpersignalen verwendet und sind die Voraussetzung der »weiblichen Intuition«. Ein Mann aktiviert normalerweise nur 4 bis 7 dieser Bereiche, weil das männliche Gehirn mehr auf räumliche Vorstellung als auf Kommunikation ausgelegt ist.“ (ebd: 306) […] „Die plausibelste Erklärung für diesen Orientierungssinn ist, dass Männer in der rechten Gehirnhälfte eine höhere Konzentration an Eisen haben, dank der sie den magnetischen Nordpol spüren können. Die gleiche Fähigkeit nutzt ein Mann auch, um seinen Sitz im Fußballstadion wieder zu finden, sein Auto in einem mehrstöckigen Parkhaus aufzuspüren oder an einen Ort zurückzukehren, an dem er erst einmal zuvor war.“ (ebd: 73) „Viele Forscher berichten, dass Teile des corpus callosum, des Balkens, der die rechte mit der linken Großhirnhemisphäre miteinander verbindet, bei Frauen größer sind als bei Männern, obwohl Männer insgesamt ein größeres Gehirn haben. [...] Aufgrund dieses Unterschieds benutzen Frauen häufiger beide Hirnhälften gemeinsam. […] »Die Fähigkeit, ein Problem mit beiden Hirnhälften anzugehen, macht Frauen viel einfühlsamer in andere Menschen. Sie spüren viel besser den Unterschied zwischen dem, was die Leute sagen, und dem, was sie meinen und hören viel besser die Nuancen heraus, die die wahren Gefühle eines anderen offenbaren«, sagte Joyce Brothers.“ (Evatt 2007: 128)
In der Hirnforschung lassen sich zwei grundlegende Konzeptionen von Gehirn unterscheiden. Einerseits wird das Gehirn als determiniert gefasst, d.h. dass die Funktionsfähigkeit des Gehirns im Grunde gegeben ist; andererseits wird das Gehirn als plastisch aufgefasst, d.h. dass es permanenter Optimierungsbemühungen bedarf, um die bestmögliche Funktionalität sicherzustellen. Feministische ForscherInnen, die sich mit der soziokulturellen Bedingtheit der neurowissenschaftlichen Forschung auseinandersetzen, kritisieren das erste Konzept des determinierten Gehirns als klassische Grundlage für eine biologistische Geschlechterdifferenzforschung (vgl. Schmitz 2006,2: 224) und entlarven das Plastizitätskonzept als Motor eines neoliberalen Selbstoptimierungszwangs (vgl. Lettow 2007: 89). Argumentationen aus dem Bereich der Hirnforschung sind in den Sachbüchern häufig mit Annahmen aus der Evolutionstheorie verknüpft, da, so die These, das Leben in Jäger- und Sammlergesellschaften wesentlich den Aufbau und die Organisation des menschlichen Gehirns prägte. Die Theorie, dass Männer Jäger waren während Frauen das Nest hüteten ist für die Argumentation geschlechtstypischer Eigenschaften und Verhaltensweisen offensichtlich ein Fass ohne Boden. „In einer Welt der Jäger und Sammler ermöglichten diese Verhaltensweisen den Frauen und Kindern das Überleben. So schreiben die Psychologen Glantz und Pearce: […] »Die Abneigung einer Frau gegen ein unabhängiges Leben basiert nicht auf einer pathologischen Angst. Sie ist vielmehr eine genetische Strategie und dazu gedacht, dass sie eine Verbindung mit einem Mann eingeht, der sie mit Fleisch versorgt. Diese Strategie wird indirekt durch die Emotionen gesteuert: Frauen fühlen sich unwohl und sind unzufrieden, wenn sie ganz auf eigenen
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern Füßen stehen.«“ (Evatt 2007: 31) […] „In einer Untersuchung von Kalman Glantz und John K. Pearce wird das Verhalten von Männern und Frauen von der Evolution her beleuchtet. Um das menschliche Verhalten wirklich zu verstehen, muss man zu der Zeit zurückgehen, als wir Jäger und Sammler waren, und unsere Anlagen begreifen, indem wir uns mit den in Archäologie, Anthropologie und Biologie gewonnenen Daten beschäftigen.“ (ebd: 57) […] „Anthony Stevens schreibt: »Die Evolution hat Männer zu Experten in der Kunst der Gruppengewalt gemacht, während Frauen zu Expertinnen in der Kunst wurden, Leben hervorzubringen und zu erhalten.«“ (ebd: 116) „Früher lebten Frauen in einer Gruppe mit anderen Frauen und Kindern, die sich alle nah bei der Höhle aufhielten. Die Fähigkeit, enge Beziehungen aufzubauen, war für das Leben aller Frauen von größter Bedeutung. Männer hingegen saßen schweigend auf einem Hügel und hielten nach Wild Ausschau. Wenn Frauen eine Aufgabe gemeinsam erledigten, schwatzen sie die ganze Zeit miteinander um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Wenn Männer jagten oder fischten, sprach keiner, aus Angst, die erhoffte Beute zu verscheuchen.“ (Pease 2002: 193) […] „Männer sind von der Evolution dazu geschaffen, Tiere zu jagen und Feinde abzuwehren, nicht dazu, Frauen zu verstehen oder sensibel auf ihre emotionalen Bedürfnisse zu reagieren.“ (ebd: 153) […] „Männer haben sich evolutionsbedingt zu Geschöpfen entwickelt, die rasch Beute machen und dann wieder zurück in ihre Höhle wollen. Auch heute noch möchten Männer so einkaufen. Frauen kaufen ein, wie ihre weiblichen Urahnen sammelten: Sie zogen einen Tag lang mit einer Gruppe anderer Frauen zu einem Ort, an dem laut Aussage einer Frau schmackhafte Dinge wuchsen. Ein bestimmtes Ziel oder eine vorgegebene Richtung waren nicht erforderlich, und auch zeitliche Begrenzungen waren ohne Bedeutung. Die Frauen zogen den ganzen Tag lang durch die Gegend und drückten, schnüffelten, betasteten und probierten all die interessanten Dinge, die sie fanden. Gleichzeitig redeten sie miteinander über verschiedene, scheinbar unzusammenhängende Themen. Wenn sie nichts fanden oder die Früchte noch nicht reif waren und sie abends mit leeren Händen zurückkehrten, waren sie trotzdem froh und munter, weil sie einen schönen Tag gehabt hatten.“ (ebd: 79f) […] „Frauen sind von der Evolution her zum Kindergebären und Nestverteidigen bestimmt, und deshalb ist das weibliche Gehirn so organisiert, dass Frauen die Menschen in ihrem Leben besonders gut nähren und pflegen, sie lieben und für sie sorgen können. Männer entwickelten sich mit einer völlig anderen Arbeitsplatzbeschreibung - sie waren Jäger, Beschützer, Versorger und Problemlöser. Es ist durchaus sinnvoll, dass männliche und weibliche Gehirne auf verschiedene Funktionen und Prioritäten hin vernetzt sind. Wissenschaftliche Untersuchungen, besonders die neuen Techniken der Computertomographie des Gehirns, bestätigen dies.“ (ebd: 20)
Die Wissenschaftsforscherin Sigrid Schmitz arbeitet in einer Analyse die zahlreichen Vorannahmen und eingedeuteten Bilder, die in der Evolutionsforschung mit eher uneindeutigen Befunden korrelieren, heraus und kritisiert die Naturalisierung von Geschlechterverhältnissen, die mit der Evolutionstheorie trotz diverser und widersprüchlicher Befunde vorangetrieben wird (vgl. Schmitz 2006,1: 190ff). In den Sachbüchern finden solch kritische Betrachtungen der Evolutionsforschung keine Erwähnung. Die Psychologie gehört bereichsübergreifend zu den Biowissenschaften und den Sozialwissenschaften und ist eine weitere wissenschaftliche Disziplin auf deren Ergebnisse die AutorInnen der Sachbücher gerne verweisen. Da Evatt und Pease und Pease primär auf die Entwicklungspsychologie und die Verhaltenspsychologie rekurrieren, wird ihre diesbezügliche Argumentation hier den
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Biowissenschaften zugeordnet. Vor allem Cris Evatt greift in „Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus.“ auf psychologische Erkenntnisse zurück, um unterschiedliches Verhalten von Männern und Frauen zu erklären. „Levinson & Gottman untersuchten 1985 das Aktivationsniveau bei Männern, die darauf warteten, ihren Frauen erzählen zu können, wie ihr Tag gewesen war. Sie stellten fest, dass allein schon die Erwartung von Intimität für Männer Aufregung (d. h. Streß) (!) bedeutet.“ (Evatt 2007: 21) […] „Die weibliche Bezogenheit auf andere belegt eine faszinierende Studie zur Wahrnehmung, die in den 70er Jahren durchgeführt wurde. Eine Gruppe von Kindern bekam spezielle Brillen, mit denen sie auf dem linken und rechten Auge gleichzeitig verschiedene Bilder sahen. Alle bekamen das gleiche zu sehen, aber die Jungen zählten mehr Objekte auf, die Mädchen nahmen mehr Menschen.“ (ebd: 19) „Bei Frauen ist es in der Psyche verankert, dass sie wenigstens so lange in einer Beziehung leben sollten, bis ihre Kinder auf eigenen Beinen stehen können.“ (Pease 2002: 151) […] „Das Konzept der Konzentration auf eine Beziehung ist kein natürlicher Bestandteil der männlichen Psyche, des männlichen Denkens oder der männlichen Prioritätenskala.“ (ebd: 20)
Mit den genannten Argumentationsbeispielen aus den Biowissenschaften werden gesellschaftliche Phänomene wie ein bestimmtes Geschlechterverhältnis als überhistorische Tatsachen dargestellt. Die Ursache gesellschaftlicher und kultureller Phänomene wird in der Natur verortet. Durch diesen Prozess der Naturalisierung, gelangen jene außerhalb des Bereiches gesellschaftlicher und kultureller Einflussnahme und erscheinen somit als unveränderbar. Naturalisierungsprozesse werden unter anderem dazu forciert, um gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse zu legitimieren und aufrecht zu erhalten und gerade in Bezug auf Geschlecht und Rasse wurden seit dem 18. Jahrhundert Naturalisierungen dazu herangezogen, Hierarchie- und Machtverhältnisse zu festigen (vgl. Honegger 1991). Schließlich findet noch Wissen aus der Soziologie und den Geschichtswissenschaften, die im Folgenden den Geisteswissenschaften zugeordnet werden, Anwendung in der Argumentation der Sachbücher.
Geisteswissenschaften Aus der Soziologie beziehen die AutorInnen primär Erkenntnisse darüber, wie Erziehung und eine bestimmte kulturelle Umgebung, menschliche Verhaltensweisen prägt und formt und welche Auswirkungen das bestehende Geschlechterverhältnis auf Männer und Frauen hat. „Um dieses Charakteristikum moderner Männer zu verstehen, müssen wir uns ansehen, wie sie als Jungen erzogen werden. Jungen sollen hart sein, nie weinen und bei allem, was sie tun, die
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Kapitel 2: Geschlechterwissen in Sachbüchern Besten sein. Zu ihren Rollenmodellen gehören Superman, Batman, Spiderman, Zorro, Tarzan, James Bond, Rocky und das Phantom, alles männliche Einzelgänger, die niemals weinen, sondern sich immer sofort an die Lösung des Problems machen.“ (Pease 2002: 154) „In Der Mythos Schönheit werden Umfragen zitiert, wonach an einem beliebigen Tag 25 % der Frauen auf Diät sind, und 50 % gerade eine beenden, abbrechen oder beginnen.“ (Evatt 2007: 126) […] „Und tatsächlich hat eine Studie der Soziologin Laub Coser gezeigt, dass Männer wie Frauen es lustiger finden, wenn Frauen die Zielscheibe des Spotts sind.“ (ebd: 72) […] „Weibliche Eigenschaften werden in unserem Kulturkreis immer noch als schwach angesehen, und heterosexuelle Männer wollen »hart« erscheinen, damit man ihnen nicht womöglich unterstellt, sie seien verweichlicht. Das ist immer noch so, trotz aller Veränderungen in den letzten dreißig Jahren.“ (ebd: 47) […] „Es gibt in den USA rund 257000 Ganztagsväter- das entspricht rund 2% der verheirateten Eltern mit Kindern unter 18 Jahren, berichtet das amerikanische Arbeitsministerium.“ (ebd: 146) […] „Dem US Bundesamt für Statistik zufolge leben 57,4% der geschiedenen Exhausfrauen und 47,6% der Alleinerzieherinnen nahe oder unter der Armutsgrenze.“ (ebd: 147)
Cris Evatt verweist mit ihren soziologischen Ausführungen darauf, dass Geschlechterverhältnisse immer auch Herrschaftsverhältnisse sind und gibt somit einen breiteren Einblick in verschiedene Konzepte von Geschlechterwissen. Soziologische Erkenntnisse, die darauf hinweisen, dass das Geschlechterverhältnis Frauen und Männer in verschiedenen Bereichen benachteiligt, finden in den Sachbüchern von John Gray und Allen und Barbara Pease keine Berücksichtigung. Zu guter Letzt spielen noch Erkenntnisse aus den Geschichtswissenschaften eine Rolle für die Darstellung des Geschlechterwissens in den vorliegenden Sachbüchern. „»Da Männer in unserer Gesellschaft stets dominiert und einen Großteil der Macht und des Geldes in Händen gehabt haben, mussten Frauen die Sprache historisch gesehen vorsichtig einsetzen, um zu bekommen was sie wollten.,« schreibt Robin Lakoff.“ (ebd: 58) „Noch Mitte des 20. Jahrhunderts waren Toiletten kleine Häuschen im Hinterhof. Wenn eine Frau auf die Toilette ging, nahm sie zu ihrer eigenen Sicherheit eine andere Frau mit. Von Männern dagegen erwartete man, dass sie allein gingen und sich wenn nötig selbst verteidigten. Männer pinkelten nie auf der Toilette - das erledigten sie an einem Busch oder Baum oder einer Mauer, eine Gewohnheit, die moderne Männer von ihren Vorvätern geerbt haben.“ (Pease 2002: 75)
Nach der kommentierten Darstellung von Argumentationstechniken und Argumentationslinien in den Sachbüchern erfolgt abschließend eine kritische Betrachtung der vorliegenden Publikationen.
3 Kapitel 3: Resümee - Kritische Betrachtung
Bezüglich der in den Sachbüchern vermittelten Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit, ergab die Analyse keine nennenswerten Unterschiede. Als Grundkonzept wird in allen drei vorliegenden Publikationen ein dualistisch geprägtes Zwei-Geschlechter-Modell vertreten, das die Grundannahmen des Alltagsverständnisses von Geschlecht teilt und sie in den Habitus und das Handeln von Individuen einschreibt. Bei der Illustration der Argumentation an Hand von Auszügen aus „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen.“, „Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus“ und „Männer sind anders. Frauen auch.“ lassen sich jedoch Qualitätsunterschiede in Bezug auf die Frage wie Wissen vermittelt und wissenschaftliches Wissen dargeboten wird feststellen.
3.1 Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus Cris Evatt stellt die Erkenntnisse aus den jeweiligen Wissenschaften bzw. statistische Aussagen durch die Angabe der Urheberschaft im Sinne von „…sagt XY in Z.“ in einen Kontext, der darauf verweist, dass es sich bei diesen Erkenntnissen und Zahlen um Aussagen von bestimmten Personen oder Institutionen handelt. Dem wissenschaftlichen Apparat trägt sie damit freilich noch nicht Rechnung, aber sie suggeriert dadurch, dass das jeweilige Wissen personen-, institutions-, zeit- und ortsgebunden zu verstehen ist. Beurteilt man ihr Buch jedoch an der von ihr formulierten Vorgabe „unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen Rechnung (zu) tragen“, kann man ihr zwar zu Gute halten, dass sie vor allem mit ihren Anleihen soziologischer Erkenntnisse einen breiteren und differenzierteren Blick auf den Diskurs um das Geschlechterwissen gibt, muss jedoch negativ anmerken, dass sie einerseits die Kritik am Objektivitätsbegriff der Naturwissenschaften völlig ausspart und andererseits Erkenntnisse aus feministischer Wissenschaft kaum bis gar nicht berücksichtigt. Feministische Erkenntnisse wären aber ein zentraler Aspekt, wenn die Autorin verkündet, einen Überblick über unter-
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Kapitel 3: Resümee - Kritische Betrachtung
schiedliche Blickwinkel auf Geschlechterfragen zu geben. Zwar kann ihr Buch unter den vorliegenden Sachbüchern durchaus als das „differenzierteste“ beschrieben werden, ihre Zielsetzung eine „ausgewogene Darstellung, bei der beide Seiten (Theorien dazu, ob geschlechtsspezifische Unterschiede angeboren oder erlernt sind, Anm.) vertreten sind“ (Evatt 2007: 10) zu bieten, erreicht sie nicht. Problematisch ist das vor allem im Hinblick darauf, dass sie durch ihre Ankündigung der LeserInnenschaft suggeriert, sie hielte ein Buch in Händen, das in leicht verdaulicher Form einen Einblick in verschiedene Theorien zum Geschlechterverhältnis gibt. Sie konzipiert sich als quasi objektive Vermittlerin verschiedener Aspekte wissenschaftlichen Wissens und verschweigt die Tatsache, dass es sich bei den dargestellten Erkenntnissen um eine enge Selektion von Beiträgen handelt, die im (wissenschaftlichen) Diskurs um das Geschlechterwissen allgemein vorliegen. Ihre „ausgewogene Darstellung beider Seiten“ hat dann auch einen derart widerspruchsarmen Charakter, dass es ihr gelingt, ihr Buch mit einer in tabellarischer Kurzform abgefassten Auflistung der männlichen und weiblichen Persönlichkeitsmerkmale und der Aufforderung, „Lesen Sie die Eigenschaften zuerst von links nach rechts durch, damit Sie einen Vergleich zwischen Männern und Frauen haben, und dann von oben nach unten, um ein Gespür zu bekommen, was Mann-sein und Frau-sein ausmacht.“ (ebd: 154), zu beschließen.
3.2 Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen Barbara und Allen Pease stellen ihre Argumentation absolut dar und sie verweisen nicht darauf, dass es sich bei ihrem entliehenen Wissen um einen zeitlich, örtlich und kulturell gebundenen „Stand der Wissenschaften“ handelt. Sie stellen ihre Anleihen wissenschaftlicher Erkenntnisse in keinen Bezug zu einer Urheberschaft und produzieren damit den Eindruck, dass es sich schlichtweg um Fakten handelt, die allgemein anerkannt und bekannt sind. Durch die Selektion wissenschaftlicher Teilerkenntnisse suggerieren sie ein homogenes Feld der Wissenschaften, das sich durch weitgehende Einigkeit in Bezug auf Geschlechterwissen auszeichnet. Ihre Auswahl wissenschaftlicher Erkenntnisse besteht durchwegs aus Beiträgen, die die vorgestellten Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit bestätigen und untermauern. Widersprüche und kontroverse Ansichten kommen nicht vor. Durch die zahlreichen unreflektierten und nicht verorteten „Zitate“ aus den Biowissenschaften treiben sie die Naturalisierung von Geschlecht und Geschlechterverhältnisse im Sinne eines biologischen Determinismus voran.
Männer sind anders. Frauen auch
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3.3 Männer sind anders. Frauen auch John Gray verlagert seine Argumentation schließlich ins Märchenhafte. Dadurch erscheint sie zwar einerseits absurd, andererseits jedoch unangreifbar. Er hält diese Strategie das ganze Buch durch und ein Blick auf zehn weitere Veröffentlichungen unter seiner Autorenschaft, die die Begriffe „Mars“ und „Venus“ bereits im Titel aufweisen, legt die Vermutung nahe, dass er einerseits dieser Argumentationslinie weitgehend treu bleibt und dass sie andererseits auch Erfolg versprechend ist. Die Annahme, dass durch stetige Wiederholung vieles glaubhaft und „wahr“ wird, was rational nicht begründbar ist, bestätigt John Gray mit seinem mythischen Märchen, dass Männer einst am Mars und Frauen einst auf der Venus lebten eindrucksvoll. Fragen, wie zum Beispiel wie es die Frauen auf der Venus bzw. die Männer auf dem Mars schafften, für Nachkommen zu sorgen, was passierte, wenn auf der Venus ein Neugeborenes kein Mädchen war oder wer auf dem Mars für das leibliche Wohl der Männer sorgte, stellen sich dem Leser und der Leserin nur peripher, vor allem, weil sie sich dem Autor nicht zu stellen scheinen. Er vertritt sein Konzept so kontinuierlich und heldenhaft, dass man als Leserin dazu geneigt ist ihm zuzugestehen, dass er für „derlei Nebensächlichkeiten“ natürlich eine Erklärung parat hätte. Er scheint so fest an seine Geschichte zu glauben, dass „da etwas Wahres, etwas Logisches wohl dran sein muss“ und er nimmt nahezu die Position eines fatalistischen Idealisten ein, der bei den Betrachtern den Eindruck erwecken kann, dass er Recht hat und weiß, eben weil er sich so sicher ist. Dieser religiöse Touch wird auch durch einen Blick auf die Homepage http://home.marsvenus.com/ bestätigt, die Antworten auf Fragen der Gesundheit, des Glücks, der Partner- und Körperpflege gibt, die sich zum Spiel feierlicher Musik öffnet und John Gray mit einem messianischen Lächeln zeigt.
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Kapitel 3: Resümee - Kritische Betrachtung
3.4 Sachbücher - Resümee Bei der Frage nach dem Zustandekommen von Wissen wurde herausgearbeitet, dass Wissen über Menschen und Welt diskursiv hervorgebracht wird. Diskurse entstehen als Reaktion auf eine bestimmte Problemlage. Im Streit um die Definitionsmacht wird von den verschiedenen AkteurInnen im diskursiven Feld darum gekämpft, was als „wahr“ und „richtig“ gelten soll. Menschliches Wissen über die Welt ist also immer ein Ergebnis von kulturellen Konstruktionsprozessen. Die Wissenschaftsforschung beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit der Frage was NaturwissenschafterInnen tatsächlich tun und wirft einen soziologischen, historischen und philosophischen Blick auf Prozesse die in den Naturwissenschaften zur Wissensgenerierung durchlaufen werden. Dabei geht es nicht um Fragen, welche naturwissenschaftlichen Erkenntnisse die wahrscheinlichsten sind, sondern um den Versuch, Sinnzusammenhänge im naturwissenschaftlichen Diskurs zu beschreiben und herauszuarbeiten. Ein Ergebnis daraus ist die Erkenntnis, dass vor allem auch naturwissenschaftliche Forschung ein sozialer Prozess ist und deren Thesen und Konzepte somit ein Ergebnis sozialer Aushandlungsprozesse einer jeweiligen scientific community sind, die ein gemeinsamer Denkstil und gemeinsame Vorannahmen eint (vgl. Bauer 2006: 254 ff). Zusammenhänge und Umstände in denen Wissen produziert wird, finden in den vorliegenden Sachbüchern keine Berücksichtigung. Cris Evatt spart bei ihrer „Darstellung unterschiedlicher Blickwinkel“ zahlreiche Blickwinkel aus, Allen und Barbara Pease suggerieren, dass die Wissenschaft erstens Einigkeit und zweitens Sicherheit in Bezug auf die Konzeption von Männlichkeit und Weiblichkeit aufweist und John Gray macht das Wissen zu einer Glaubensfrage. Durchgängig präsentieren sich die AutorInnen als objektive VermittlerInnen, als ReferentInnen von (wissenschaftlichem) Wissen und verschleiern ihren produktiven Beitrag, der in der Selektion, der Formulierung, der Vereinfachung und der Einbettung und Benützung von Wissen besteht. AutorInnen von Sachbüchern orientieren sich an aktuellen Trends und es ist ein genuines Kennzeichen der Sachliteratur, dass sie das Bedürfnis einer breiten LeserInnenschaft nach Orientierung, Regel- und Weltwissen, Beruhigung und (Selbst)-Versicherung wecken und erfüllen will (vgl. Porombka 2005: 11ff). In den vorliegenden Sachbüchern erfüllen die AutorInnen dieses Bedürfnis primär über die Vermittlung von Sicherheit, die sie in ihren persönlichen Beziehungen und in Bezug auf das dargestellte Geschlechterwissen haben. Die Darstellung von Uneinigkeit und Zufälligkeit, sowie der Abhängigkeit von soziokulturellen Faktoren, die die Produktion von wissenschaftlichem Wissen kennzeichnet, wäre zwar aus sozialwissenschaftlicher Perspektive angebracht, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine populäre Taktik, um einer breiten Verunsicherung zu begegnen.
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Verunsicherung lässt sich nun mal am besten mit der Suggestion von Sicherheit beschwichtigen. Mit Bezug auf die theoretischen Arbeiten von Peter L. Berger und Thomas Luckmann möchte ich abschließend Frage nachgehen, was das vermehrte Auftreten von Sachbüchern, die Geschlechterwissen vermitteln mit der Legitimation einer gesellschaftlichen Ordnung zu tun haben könnte.
3.5 Legitimation und Ordnung Es hat sich gezeigt, dass im Diskurs um das Geschlechterwissen verschiedene Disziplinen um die Definitionsmacht darüber ringen, was im Bezug auf Geschlecht und das Geschlechterverhältnis als wahr, richtig und gültig bezeichnet wird. Außerordentlich bedeutsam ist dieser Diskurs auch deshalb, weil die Konzeption von Geschlecht als zentrale Ordnungsstruktur in unserer Gesellschaft gilt und grundlegend in die symbolische Ordnung der Gesellschaft eingeschrieben wird – welches Geschlechterwissen als wahr gilt hat also Auswirkungen auf allen Ebenen der Gesellschaft, auf Institutionen und auf den Habitus. Grob lässt sich Wissen in Anlehnung an Pierre Bourdieu in doxisches und heterodoxes Wissen unterscheiden. Doxisches Wissen beschreibt ein Wissen, das der allgemeinen Meinung, dem allgemeinem Glauben und der gesellschaftlichen Ordnung entspricht, heterodoxes Wissen ist demensprechend ein dem Allgemeinen entgegenstehendes Wissen. Alltagswissen zu Geschlecht, populärwissenschaftliches Geschlechterwissen und wissenschaftliches Geschlechterwissen, das einem hierarchisch organisierten Zweigeschlechtermodell entspricht kann als doxisches Wissen beschrieben werden, da es eine bestehende Gesellschaftsordnung aufrechterhält und legitimiert. Feministisches Geschlechterwissen bezeichne ich als heterodoxes, da es durch seine Neuordnung und Neubewertung des Geschlechterverhältnisses und der Konzeption von Geschlecht an sich die bestehende Gesellschaftsordnung in Frage stellt und als heterogene ausweist. Den Prozess des Kampfes zwischen Doxa und heterodoxem Wissen analysiere ich im Folgenden unter Rückgriff auf Berger und Luckmanns Konzept der Analyse jenes Wissens, welches das Verhalten in der Alltagswelt strukturiert, eine Analyse, die sie in „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ (1969) vorgenommen haben. Darin beschreiben sie die Gesellschaftsordnung als ein Produkt und eine ständige Produktion des Menschen, die aus menschlicher Aktivität entsteht und nur so lange existiert, wie menschliche Aktivität sich nach ihr richtet (vgl. Berger, Luckmann 1980: 55). Die Installierung der Gesellschaftsordnung bedarf einer Legitimation. Im Prozess der Legitimation wird ein
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bestimmtes Wissen in gesellschaftliche Institutionen integriert und im Subjekt einverleibt. Dadurch entsteht die symbolische Sinnwelt (symbolische Ordnung) einer Gesellschaft. „Die symbolische Sinnwelt ist als Matrix aller gesellschaftlich objektivierten und subjektiv wirklichen Sinnhaftigkeit zu verstehen.“ (Berger, Luckmann 1980: 103) „Die symbolische Sinnwelt „setzt Ordnung und Recht“ auf institutioneller und subjektiver Ebene.“ (ebd.: 104)
Legitimation von Wissen erfolgt auf vier verschiedenen Ebenen – auf der ersten, vortheoretischen Ebene beschreiben Berger und Luckmann simple und übliche Erklärungen im Sinne von „So ist das eben“, die als Grundlage alles späteren Wissens fungieren. Auf der zweiten Ebene wirken sogenannte Lebensweisheiten und Legenden. Diese sind bereits theoretisch, schemenhaft und direkt mit konkretem Tun verbunden. Auf der dritten Ebene stehen explizite Legitimationstheorien, die durch differenziertes theoretisches Wissen eine gesellschaftliche Ordnung rechtfertigen. Diese sind exklusiv und einem bestimmte Personenkreis (z.B. WissenschafterInnen) zugänglich. Auf der vierten Ebene der Legitimation stehen schließlich symbolische Sinnwelten, die die institutionelle Ordnung rechtfertigen. „Besondere Maßnahmen zur Erhaltung von Sinnwelten werden nötig, wenn eine symbolische Sinnwelt zum Problem wird.“ (ebd.: 113)
Zum Problem wird die symbolische Sinnwelt dann, wenn sie nicht mehr selbstevident ist, ihr Gewissheitscharakter ins Wanken gerät und ganze Gruppen eine alternative Wirklichkeit konstruieren. Diese alternative Konstruktion ist eine Bedrohung für die bestehende Ordnung, da sie diese als historisch und als eine unter vielen Möglichen ausweist. „Das eigentliche Problem verschärft sich jedoch, sobald ganze Gruppen von »Bewohnern« symbolischer Sinnwelten sich auf eine abweichende Version ihrer Auslegung einlassen. (…) Die Gruppe, welche die Abweichung objektiviert hat, wird Träger einer alternativen Wirklichkeitsbestimmung. Es versteht sich von selbst, daß (!) häretische Gruppen die symbolische Sinnwelt nicht nur theoretisch anfechten, sondern für die institutionelle Ordnung, deren Legitimation die angefochtene symbolische Sinnwelt ist, auch eine praktische Gefahr darstellt.“ (ebd.: 115) „Das Auftauchen einer alternativen symbolischen Sinnwelt ist eine Gefahr, weil ihr bloßes Vorhandensein empirisch demonstriert, daß (!) die eigene Sinnwelt nicht zwingend ist.“ (ebd.: 116)
Zu diesem Zeitpunkt der Anfechtung und Relativierung der symbolischen Sinnwelt treten Erklärungen und Rechtfertigungen der symbolischen Sinnwelt
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über die Konstruktion von Wissen auf. Legitimationsprozesse haben die Aufgabe, die symbolische Sinnwelt (erneut) zu vermitteln und zu erhalten. „Um sie wieder herzustellen und so ihre beiden Aspekte plausibel zu machen, muss man zu Erklärungen und Rechtfertigungen in die Augen springender Elemente der institutionellen Überlieferung übergehen. (…) Legitimation »erklärt« die institutionelle Ordnung dadurch, daß (!) sie ihrem objektiven Sinn kognitiv Gültigkeit zuschreibt. (…) Sie ist, mit anderen Worten, keineswegs einfach eine Frage der »Werte«, sondern impliziert immer auch Wissen. (…) Legitimation sagt dem Einzelnen nicht nur, warum er eine Handlung ausführen soll und die andere nicht ausführen darf. Sie sagt ihm auch, warum die Dinge sind, was sie sind.“ (ebd.: 99f)
Dabei entstehen Stützkonzeptionen die dazu dienen, die symbolische Sinnwelt abzusichern. Doxisches und heterodoxes Konzept von Wirklichkeit stehen sich nun gegenüber und versuchen im Kampf um die Ordnung Boden unter den Füßen zu gewinnen. Es gibt eine Fülle von Stützkonzeptionen. Als besonders markante Typen nennen Berger und Luckmann die Mythologie, die Theologie, die Philosophie und die Wissenschaft (vgl. ebd. 118). Die Wissenschaft fungierte zum Beispiel in der europäischen Moderne als zentrale Stützkonzeption um die vormals mythologisch und theologisch legitimierte Ordnung der Geschlechter im Angesicht der neuen Ideale Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit zu legitimierten und aufrechtzuerhalten. Das aktuell zu beobachtende vermehrte Auftreten von Sachbüchern die Geschlechterwissen vermittelt kann mit der Legitimationstheorie von Berger und Luckmann als Anzeichen dafür bewertet werden, dass die doxische Ordnung der Geschlechter in Gefahr ist und an Selbstevidenz einbüßt. Ebenso ist erneut ein vermehrtes Auftreten von biologischen Theorien zu Geschlecht zu registrieren. Feministisches Geschlechterwissen kann in diesem Sinne als Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung qualifiziert werden. Der feministische Versuch eine neue (Geschlechter)ordnung zu etablieren trifft auf gegenläufige Bemühungen die bestehende Ordnung zu erhalten. Die der Analyse zu Grunde liegenden Sachbücher können als Stützkonzeptionen der Konzeption von Geschlecht, die zur Zeit der Aufklärung mit Hilfe der Anhäufung von Wissen über den Menschen legitimiert wurde und seither in der symbolischen Ordnung der Gesellschaft verankert ist. Als ein tragender Teil der symbolischen Ordnung prägt diese Konzeption von Geschlecht Ordnung und Recht auf institutioneller und subjektiver Ebene. Das Auftreten vermehrter impliziter Legitimationsversuche durch Stützkonzeptionen ist ein Zeichen dafür, dass die bestehende (Geschlechter)ordnung zum Problem wurde, dass sie an Selbstverständnis eingebüßt hat und von alternativen Ordnungen herausgefordert wird. Als zwei angewandte Formen der sinnweltstützenden Theoriebildung nennen Berger und Luckmann beispielhaft Therapie und Nihilierung. Bei der Therapie geht es darum, Individuen wieder in die bestehende Ordnung zu
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integrieren. Bei der Nihilierung werden „die abweichende Auffassungen (werden) nicht nur mit einem negativen Status versehen, sondern es wird im Einzelnen theoretisch mit ihnen gerungen. Das Endziel dieses Vorgehens ist, sie der eigenen Sinnwelt einzuverleiben und so endgültig zu liquidieren.“ (ebd.: 124f) In Bezug auf die vorliegende Analyse von Geschlechterwissen scheint es zulässig, die analysierten Sachbücher im weitesten Sinne dieser Idee von Therapie zuzuordnen. Sie stellen den LeserInnen ein detailliertes Ordnungsraster zur Verfügung in dem diese sich verorten, orientieren und absichern können. Die Praxis der Nihilierung könnte in Zusammenhang mit der Etablierung des Gender Mainstreaming vermutet, oder besser gesagt, untersucht werden. Die vermehrte Kritik feministischer ForscherInnen an Gender Mainstreaming legt nahe, dass offensichtlich nicht überall Feminismus drin ist, wo gender mainstreaming draufsteht (vgl. Wetterer 2003, 2008). „Zwei Gesellschaften, die sich widersprüchlichen Sinnwelten entgegensetzen, entwickeln beiderseits Konzeptionen, um die jeweils eigene Sinnwelt abzusichern. (…) Welche gewinnen wird, hängt von der Macht, nicht vom theoretischen Genie ihrer Legitimation ab.“ (ebd.: 117)
In der Auseinandersetzung um das (die) Geschlechterwissen wie sie in der vorliegenden Analyse nachgezeichnet wurde, geht es also um deutlich mehr als um die Frage wer abends abwäscht. Der Streit um die Worte ist ein bedeutungsvoller, denn „Ein Wort an die Stelle eines anderen zu setzen heißt (!) die Sicht der sozialen Welt zu verändern und dadurch zu deren Veränderung beizutragen.“ (Bourdieu 2005a: 84) Es macht große Unterschiede wie ein Phänomen oder eine Praxis benannt wird und von wem sie so benannt wird. Ob ich oder Sie eine soziale Praxis als sexistisch oder charmant bezeichnen und folglich als sexistisch oder charmant erleben und bewerten macht für alle Beteiligten große Unterschiede. „Darum geht es in den Auseinandersetzungen um die Definition des Sinns der Sozialwelt: um Macht über de Klassifikations- und Ordnungssysteme, die den Vorstellungen und damit der Mobilisierung wie Demobilisierung der Gruppen zu Grunde liegen. (…) Nur in der und durch die Auseinandersetzung werden die verinnerlichten Grenzen zu Schranken, an die man (sich) stößt und die es zu versetzen gilt. Erst dann bildet sich in der Tat das System der Klassifikationsschema zu einem objektivierten und institutionalisierten hierarchischen Ordnungssystem aus, wenn es seine Funktion, die eines Sinns für Grenzen, nicht mehr erfüllt und die Hüter der etablierten Ordnung für Produktionsprinzipien dieser ebenso realen wie vorgestellten Ordnung explizieren, systematisieren und kodifizieren, kurzum: die Doxa in Orthodoxie verwandeln müssen, um sie auf diesem Wege gegen die Anfechtungen der Häretiker abzudichten.“ (Bourdieu 1987: 748)
Als Hüter der etablierten Ordnung haben sich zum Beispiel Sachbücher die Geschlechterwissen vermitteln und damit auch Wissenschaften, auf die diese zur
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Argumentation zurückgreifen (Soziobiologie, Hirnforschung etc.) erwiesen. Häretiker wären demgegenüber FeministInnen. Ersichtlich wurde auch, dass die Hüter und die Häretiker mit unterschiedlichen Waffen kämpfen. So erreichen die HüterInnen und Hüter über die Schiene populärwissenschaftlicher, unterhaltsamer, an Trends und Bedürfnissen orientierter Sachbücher ein ungleich größeres Publikum als gesellschaftskritische Publikationen feministischer WissenschafterInnen, die sich an Eliten richten. Dieses Problem ortet Pierre Bourdieu wenn er schreibt: „Die Soziologie hat alle Mühe der Welt, sich einem großen Publikum verständlich zu machen. Dies, weil die Profis der öffentlichen Rede, die Medienverantwortlichen, die den Zugang zum großen Publikum kontrollieren, alle möglichen Gründe haben, der Verbreitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse der sozialen Welt Hindernisse in den Weg zu stellen. Das hat zur Folge, dass ein großer Teil dessen, was die Sozialwissenschaften beitragen könnten, verlorengeht und dass die Errungenschaften dieser Wissenschaften nicht zum Alltagsbewusstsein durchdringen können.“ (Bourdieu 2005a: 137f)
Bourdieu sieht es weiter als wichtigen Auftrag der Wissenschaft, ihre Erkenntnisse selbst zu verbreiten oder dafür zu sorgen, dass diese verbreitet werden. „…Ich sage mir oft , dass es auf der Seite der Forschergruppe eine Gruppe geben müsste, die nach einer anderen Logik arbeitete, um die Erkenntnisse der Forschung breiter bekannt zu machen, um den Preis einer ganz speziellen Arbeit, die nicht notwendig denjenigen obliegt, die diese Erkenntnisse produziert haben. Es handelt sich nicht um eine hochmütige Ablehnung der Verbreitung und Popularisierung. Es ist wirklich eine andere Arbeit: Diejenigen die die Forschung gemacht haben, haben nicht immer die Zeit, sie für ein breites Publikum umzuschreiben und au der anderen Seite fügen sie nicht über die Kompetenz dazu. (…) So gibt es Vorsprünge in der Forschung, die ein wenig verloren gehen oder die nur deformiert ankommen, umso mehr, als die Leute, die die Rolle der Vermittler spielen könnten, nicht nur sich weigern, diese Rolle zu spielen, sondern oft alles tun, was sie können, um die Kommunikation zu erschweren.“ (Bourdieu 2005a: 144f)
Die Installation von Lautsprechern, von Personen die professionell daran arbeiten, feministisches Geschlechterwissen zu popularisieren, hätte den Nutzen im Streit um die Worte besser gewappnet zu sein. Sie wäre eine Möglichkeit die gesellschaftskritische Haltung des Feminismus bekannt zu machen und zu verbreiten und dadurch vielleicht eine Debatte in Gang zu setzen, bei der es wie gesagt um mehr geht, als um die Frage wer abends abwäscht. „Es geht darum, der illegitimen, häretischen, heterodoxen Rede ein wenig Kraft zu verleihen. Die Wissenschaft ist per definitionem häretisch, paradox, im Bruch mit der Doxa, d.h. der allgemeinen Meinung und dem Glauben, die die üblichen Debatten in Gang setzen. Dieser häretischen Rede ein wenig soziale Kraft zu verleihen, das ist die Aktion, die ich für militant erachte.“ (Bourdieu 2005a: 136)
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3.6 Ausblick Die Untersuchung hat vor allem einen Einblick in die unterschiedlichen Produktionsarten von Wissen gegeben und versucht zu vermitteln, dass verschiedene Medien, allen voran die Sachliteratur, der Tatsache der Konstruiertheit von Wissen in unterschiedlichem Maße (nicht) gerecht werden. Wichtig erscheint, dass die verschiedenen Medien der Wissensvermittlung weiterhin einer qualitativen Einschätzung und Verortung unterzogen, und Produktions- und Transformationsprozesse von Wissen kritisch analysiert werden um Naturalisierungen und Absolutismen begegnen zu können. Die Frage nach dem Wozu eine bestimmte Art von Wissen produziert und Wie es „wahr“ wird und es schließlich bis zu einer populärwissenschaftlichen Verbreitung schafft, sollte hier stetig gestellt werden, um der Tatsache gerecht zu werden, dass es sich bei Meinungen, Aussagen, Erkenntnissen und Fragen in Bezug auf das Geschlechterwissen in privaten, öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen um eine Kampfzone handelt, bei der immer auch Fragen der gesellschaftlichen Ordnung mitverhandelt werden.
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