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Kampf mit der Urwelt Ein Zukunftsroman von J. E. Wells Mat Fraser, Tale Perkins, Mario Bora, Irving Lane, Harold Spier, Mary Ann Shelton,
Inspektor der Raumüberwachung Polizeichef von New York Mitarbeiter Frasers ein Mann, der Fraser viel Kopfzerbrechen macht Einbrecher seine Haushälterin •••••
Angebot und Nachfrage diktieren unsere Preise. Würde zum Beispiel auf dem Mond ein Diamantenvorkommen entdeckt, das den irdischen Markt speisen könnte – vorausgesetzt, der Transport sei nicht zu teuer – so müßten die Preise für Diamanten zwangsläufig sinken. Die irdische Menschheit ist ins All vorgestoßen. Planeten wurden entdeckt, deren Erdmetallvorkommen den irdischen Markt überschwemmen würden, ließe man einen interstellaren Handel zu. Ist es daher ein Wunder, daß die Behörden eine Goldeinfuhr verbieten? Noch besteht auf Terra die Goldwährung. Aber die Verbrecher aller Welt werden von diesen Aussichten angelockt. Der Transport rentiert sich, hier kann man also leicht Geld verdienen, wenn – ja, wenn Mat Fraser, der gefürchtete Boß der Raumüberwachung, nicht aufmerksam wird. 3
Harold Spier hatte bestimmt das Zeug in sich, eine ganze Bande zu beherrschen und zu führen. Aber der dreißigjährige New Yorker ist der Meinung, daß man sich am besten auf sich selbst verlassen kann. Und bis jetzt hat er auch keinen gefunden, mit dem er hätte zusammen „arbeiten“ wollen. Spier ist ein Einzelgänger. Seine Spezialität sind Villen. Mit bemerkenswerter Sicherheit führt er seine nächtlichen Raubzüge durch. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Nicht die kleinste Spur ist zu finden, noch niemals wurde ein Mensch dabei getötet oder auch nur verletzt – alles geschieht geräuschlos und mit fast spielerischer Leichtigkeit. Und für das Auffinden von Wertgegenständen hat Harold Spier eine Art sechsten Sinn. Im Privatleben spielt er die Rolle eines Versicherungsvertreters. Die blonde Mary Ann versorgt die Wirtschaft in seinem kleinen Hause auf der Seaside Street, und einige sehr zuverlässige Hehler sorgen dafür, daß die wertvollen Sachen, die Spier in regelmäßigen Abständen bringt, möglichst schnell aus der Gegend verschwinden. Auch heute wartet der prächtige, durch eine Atomkapsel angetriebene Wagen Spiers an einer unverfänglichen Straßenecke. Am Steuer sitzt Mary Ann Shelton. Mary Ann steckt eine Zigarette zwischen die Lippen. Ein Mann tritt an den Wagen heran, braungebrannt, hochgewachsen, mit den etwas kühnen Gesichtszügen eines Abenteurers. „Das trifft sich gut“, sagt er lässig, während er auf den Anzünder zeigt und eine Zigarette im Mundwinkel auf und nieder wippen läßt. Mary Ann reicht ihm den glühenden Anzünder bis ans Wagenfenster. Er beugt sich hinein, um nicht naß zu werden. „Danke“, sagt er kurz, nachdem er sich bedient hat. Plötzlich bricht der Regen los. Er trommelt wütend aufs 4
Dach und spritzt zum Fenster herein. Der Mann schlägt den Kragen seines sommerlichen Jacketts hoch. „Blödsinniges Wetter!“ knurrt er, während er sich nach einem trockenen Platz zum Unterstellen umsieht. Mary Ann öffnet die Tür auf der anderen Seite des Wagens. „Nehmen Sie Platz!“ fordert sie ihn auf. Er zögert. „Und wenn der Herr Gemahl kommt, kriege ich die Jacke voll“, meint er. „Wenn Sie sich fürchten“, lacht sie, „dann nehmen Sie eben lieber ein Bad …“ Er ist verschwunden und taucht Sekunden später auf der anderen Seite wieder auf. „Fürchten …“, sagt er, „das ist ja nun gleich ein bißchen viel gesagt …“ Es blitzt und donnert. Im Scheine der Neonlampen sieht der Asphalt wie ein Spiegel aus. Einige verspätete Automobile bahnen sich spritzend ihren Weg durch die Fluten. In dem großen Wagen Harold Spiers sitzt man trocken und gemütlich. Die Uhr am Armaturenbrett leuchtet gespenstisch grün und läßt ihre Zeiger auf halb zwei rücken. Mary Ann betrachtet den Mann an ihrer Seite. Er hat am Hals eine weiße Narbe. Im übrigen scheint er von besseren Eltern zu sein, denn alles an ihm ist von guter Qualität. Sie schätzt ihn auf vierzig Jahre, eher darüber als weniger. „Sie sind zu Fuß?“ fragt sie beiläufig. „Nein“, antwortet er. „Mein Wagen steht auf der Cleveland Avenue. Hatte noch jemanden ein Stück zu Fuß begleitet und stellte dann fest, daß ich mein Feuerzeug im Wagen gelassen hatte. Da sah ich Sie …“ Es gießt. Der Wind ballt den Regen zu rauchigen Wogen zu5
sammen, die eine hinter der anderen über den Asphalt jagen. Ein unterhaltsames Schauspiel, wenn man trocken sitzt … „Hallo!“ sagt da plötzlich jemand am hinteren Wagenfenster. Mary Ann dreht sich schnell um. „Oh, Harold!“ begrüßt sie den triefenden, breitschultrigen Mann. „Steig ein – bist du sehr naß geworden?“ „Nasser geht’s nicht mehr“, lacht er. Er wirft einen gewichtigen Packen in den Fond des Wagens. „Na, da will ich mich nur wieder, auf die Socken machen“, meint der fremde Mann. „Sie müssen entschuldigen, Sir, aber ich habe Ihren Wagen als Regenschirm benutzt …“ „Bleiben Sie ruhig sitzen, es genügt, wenn einer naß geworden ist – und das bin ich. Wo wollen Sie hin?“ „Wenn Sie zufällig zur Cleveland Avenue fahren – dort steht mein eigener Wagen …“ „Kommen wir dran vorbei. Fahr los, Ann!“ Der Wagen schnurrt ab wie eine riesige Katze. Die Scheibenwischer summen. Noch immer rauscht der Wolkenbruch auf die Stadt nieder. Da ist schon die Cleveland Avenue, die zur City führt. Am Straßenrand parken lange Reihen von Automobilen. Es ist taghell durch die Lichtreklamen. Mary Ann tritt auf die Bremse. Der große Fremde öffnet die Tür und springt auf die Straße. „Besten Dank!“ Er bleibt stehen, während der Wagen an ihm vorbeirollt. Ein harmloses Erlebnis, über das man keine Worte verliert. Zwanzig Minuten später steht der Wagen triefend und tropfend in der Garage, die zu dem kleinen Haus auf der Seaside Street gehört, das laut Grundbuch-Eintragung das Eigentum des Versicherungsvertreters Harold Spier ist.
6
* Boris Toranow schaltet sofort auf hundertprozentiges Mißtrauen, als er – aus dem Asyl für Obdachlose kommend – auf der Straße von einem recht gut gekleideten Mann angesprochen wird. Solche Ansprachen enden meistens mit einer kleinen Verhaftung und endlosen Scherereien durch Gerichte und Gefängnisse. „He, Freund …“, sagt der gutgekleidete Herr und behält die linke Hand vielsagend in der Tasche seines Trenchcoats, „kann man dich vielleicht mal unter vier Augen sprechen?“ Toranows Augen irren in der Gegend umher. Es herrscht ein toller Fahrzeug- und Fußgängerverkehr, da ist es schwierig, unbemerkt abzuhauen. „Was ist denn los?“ fragt der Bulgare mürrisch, ohne das Tempo seiner Schritte herabzusetzen. „Warum rennst du denn so, Freund?“ „Was wollen Sie von mir?“ „Paß auf, Freund … Hast du Lust, dir eine Stange Geld zu verdienen?“ Der Bulgare bedient sich aus dem angebotenen Zigarettenetui. Aber vorläufig verzichtet er darauf, eine Antwort zu geben, denn man weiß nicht, ob dieser Mann vielleicht von der Polizei … na ja, und so einige Dinge gibt es immer, die das Licht der Öffentlichkeit nicht vertragen. „Habe dich beobachtet, Freund“, fährt der Fremde fort. „Scheinst kein Dummer zu sein. Wir haben da ’nen wundervollen Coup vor, zu dem wir noch ein paar Mann brauchen. Hast du in New York noch Bekannte oder Verwandte?“ „Habe ich nicht …“ Toranow ist nun doch ein bißchen neugierig geworden. „Was ist denn dabei zu verdienen? Und wie ist das – ist die Sache sehr krumm?“ 7
„Überhaupt nicht, Freund. Und der Verdienst. Was hältst du von … von einer Million?“ Jetzt ist aber Boris überzeugt, daß dieser Mann ein Spitzel, ein verdammter Polizist ist. „So dick sind die Millionen nicht gesät“, meint er deshalb. „Und wenn Sie denken, mich verkohlen zu können …“ „Quatsch nicht!“ unterbricht ihn der Fremde. „Wenn ich sage, eine Million – dann ist es eine Million. Und wenn du nicht mitmachst, dann verdient ein anderer.“ „Ich habe doch gar nichts gesagt!“ wird jetzt der Bulgare sehr eifrig. „Ich bin selbstverständlich damit einverstanden, mich an einer guten Sache zu beteiligen.“ „Habe ich mir gedacht“, nickt der andere. „Du bist übrigens nicht der einzige, den wir engagieren. Aber wir können nur Leute gebrauchen, die vollkommen unabhängig sind …“ „Und wie sind Sie ausgerechnet auf mich gekommen?“ „Zufall, Freund! Ebensogut hätte ein anderer aus dem Obdachlosenasyl kommen können – dann wäre es eben der gewesen. Du fährst jetzt mit mir in unser Camp, dort werden wir dich über alles informieren.“ „Wo ist das Camp?“ fragt der mißtrauische Toranow. „Du mußt dir abgewöhnen, dumme Fragen zu stellen. Ist es nicht völlig gleichgültig, wo das Camp liegt? Oder hast du keine Zeit?“ „Ich habe Zeit …“ brummt Toranow. „Na also! Dort drüben seht mein Wagen. Wir können sofort starten.“ * Mary Ann betrachtet den Besucher mit Mißtrauen. Es ist der gleiche Mann, den sie gestern nacht während des Gewitterre8
gens in ihr Auto eingeladen hat. Ist das ein Zufall? Hat er sie erkannt? Oder ist er – hier droht das Herz Mary Anns zu erstarren – ein Polizeispitzel, der dieses Theater nur veranstaltet hat, um Harold Spier zu nageln? „Ich weiß nicht …“, sagt sie vorsichtig, „ob Mr. Spier zu Hause ist. Warten Sie einen Augenblick!“ „Ich weiß zufällig genau, daß er zu Hause ist“, erklärt der Mann an der Flurtür. „Brauchen sich nicht erst zu bemühen. Sagen Sie Mr. Spier, daß Irving Lane ihn sprechen möchte … Und daß ich verdammt keine Lust hätte, vor fremder Leute Türen zu warten …“ Mary wirft den blonden Kopf zurück. „Wird Ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben, Mr. Lane, wenn Harold Spier nicht die Absicht hat, Sie zu empfangen.“ Mit kleinen, raschen Schritten geht sie durch den Flur zu einer Tür. Dann verschwindet sie in dem Raum. „Harold, da ist einer, der dich unbedingt sprechen will“, berichtet sie. „Es ist der Mann, den wir gestern nacht mit in den Wagen nahmen …“ „So? Und woher hat der Mann unsere Adresse?“ Sie zuckt die Achseln. „Ich weiß es nicht“, sagt sie endlich. „Er heißt Irving Lane – sonst hat er nichts verraten …“ „Bring ihn herein!“ Irving Lane nickt Mary Ann Shelton kurz zu, als habe er keinen anderen Bescheid erwartet. Dann betritt er den blauen Dunst, mit dem Spier sich umgeben hat. „Hallo!“ grüßt er kurz. „Wollte Sie sprechen, Sir.“ „Woher wissen Sie meine Adresse?“ unterbricht ihn Spier mit schmalen Augen. Der Gefragte lacht. „Kein Kunststück, Sir! Haben erstens eine Nummer am 9
Wagen – und dann kann man ja schließlich auch hinterherfahren.“ „So sind Sie von der Cleveland Avenue hinter mir her gefahren?“ „Ich war so frei …“ „Und warum?“ „Weil Sie mich interessieren, Mr. Spier. Nehmen Sie einmal an, ich sei von der Polizei …“ Harold Spier hat plötzlich eine Pistole in der Hand. Aus seinen Mienen ist alle Gemütlichkeit verschwunden. „Wollen uns doch in verständlicher Sprache unterhalten“, erklärt er gleichmütig. „Habe wenig Lust, Rätsel zu lösen. Was bedeuten Ihre ganzen Redereien?“ „Furchtbar einfach, Mr. Spier“, sagt Lane, ohne sich um den auf ihn gerichteten Colt zu kümmern. „Sie gefallen mir, Mr. Spier, und ich will Ihnen ein schönes Geschäft vorschlagen. Ich brauche dazu einige Leute von Ihrer Sorte, verstehen Sie? Die Hauptsache ist dabei, daß Sie über Ihre Zeit verfügen und daß Sie schweigen können. Es wird bei der Sache gut verdient.“ „Das klingt schon besser“, unterbricht ihn Spier, indem er den Colt neben sich auf die Schreibtischplatte legt, „bis jetzt habe ich mir noch kein Bild machen können. Um was handelt es sich?“ „Sie werden verstehen, Mr. Spier, daß ich meine guten Karten nicht so schnell auf den Tisch legen kann. Ich darf Ihnen nur das eine sagen: Monatlicher Verdienst ohne Risiko rund eine Million. Genügt Ihnen das?“ „Klingt sehr hübsch“, lacht Spier. „Und wie steht es mit dem Strafgesetzbuch?“ „Es gibt hunderttausend Dinge, Mr. Spier, für die das Strafgesetzbuch einen Paragraphen übrig hat. Diejenigen, die sich als Richter aufspielen, wissen genau, daß man jede Sache von 10
zwei Seiten aus beurteilen kann. Jedes Ding ist Recht und Unrecht zugleich. – Wenn Sie jetzt mit mir aufbrechen, sind wir in einer Stunde in unserem Camp.“ Harold Spier überfliegt die Gestalt seines Gegenübers mit einem scharfen, forschenden Blick. Es steckt eine ungeheure Energie in diesem Manne, aber auch Rücksichtslosigkeit und Brutalität. Ein eiskalter Rechner – schätzt Spier, einer, der weiß, was er will. Die versprochene monatliche Million nimmt Gestalt an, je länger man diesen Mann betrachtet. „Well“, entscheidet Harold Spier, „ich will’s mal mit Ihnen versuchen. Sie sehen mir nicht so aus, als erzählten Sie Kindermärchen …“ „Dank für das Lob“, antwortet Lane ohne jeden Humor. Harold Spier geht zur Tür und öffnet sie um einen Spalt. „Hallo, Ann!“ ruft er. Und als sie erscheint, fährt er fort. „Ich fahre da mal mit diesem Herrn ein Stück spazieren. Wann ich zurück sein werde, weiß ich noch nicht, es kann aber – wie lange kann’s dauern, Mr. Lane?“ „Na, so gegen vier Tage beim ersten Mal.“ „Also, du hast’s gehört, Ann …“ Die blonde Ann verschwindet merkwürdig schnell. Sie hat kein Wort dazu gesagt, sondern nur den fremden Besucher mit einem herablassenden Blick gemustert. In der vergangenen Nacht gefiel er ihr bedeutend besser – heute wird sie ein unheimliches Gefühl nicht los. Hat dieser Mann eine Lumperei vor? Mary Anns Mißtrauen läßt sie zur Eingangspforte des kleinen Grundstückes auf der Seaside Street eilen. Dort steht der dunkelgrüne Wagen jenes Irving Lane. Blitzschnell hat sie sich die Nummer des schweren Fahrzeuges notiert: NE 17 – LV 50403. Dann läuft sie zum rückwärtigen Eingang des Hauses, um durch diesen wieder ins Innere zu gelangen. 11
Niemand hat sie gesehen. Und als wenige Augenblicke später die beiden Männer das Zimmer verlassen, um die besprochene Reise anzutreten, ahnt keiner von ihnen, daß die weißblonde Mary Ann sich noch vor wenigen Sekunden als Privatdetektiv betätigt hat. * Mickey Hasting ist Kassierer bei der Weltzentralbank in New York. Vor allem im Umgang mit Edelmetallen ist er ein anerkannter Experte, und man erzählt sich, daß er einem Goldbarren durch einmaliges Wiegen mit der Hand auf das Gramm genau die richtige Legierung zuzusprechen vermag. Wenn aber Mickey Hasting, der mit seinem schwarzen Bärtchen auf der Oberlippe wie ein Chefcroupier eines Spielkasinos aussieht, die Brauen emporzieht und den Fünf-Kilo-Barren auf und nieder stößt – so, wie er es in diesem denkwürdigen Augenblick tut – dann kann man jede Sorte Gift darauf nehmen, daß irgend etwas nicht stimmt. Mickey Hasting hat den Barren vorsichtig auf die Marmorplatte zurückgelegt und bleibt mit schiefgehaltenem Kopf davor stehen, als halte er mit dem Objekt stumme Zwiesprache. Aber es scheint nichts dabei herauszuspringen, denn sein Blick irrt ab zu dem vor ihm stehenden, breitschultrigen Mann, der seine Bemühungen mit überlegen-spöttischem Lächeln quittiert. „Stimmt wohl was nicht?“ fragt der Besitzer des Barrens jovial. „Wo haben Sie denn das Ding her?“ lautet die Gegenfrage. „Alaska“, erwidert der Gefragte kurz. Hasting schüttelt den Kopf. Seine gute Erziehung verbietet es ihm, weitere indiskrete Fragen zu stellen. Andererseits ist er zu ehrlich, als daß er die Tatsache, daß es sich hier um ein ein12
maliges Ereignis auf dem Gebiete der Metalle handelt, völlig unerwähnt lassen könnte. „Was verlangen Sie für dieses Gold?“ fragt er. „Normalen Preis, Sir …“ „Wissen Sie, daß dieses Gold überkarätig ist?“ „Damit habe ich nichts zu tun. Das mag Ihre Sache sein …“ „Haben Sie noch mehr von dieser Sorte?“ will Hasting wissen. „Zunächst mal rund zwanzigtausend Tonnen.“ Mickey Hasting hält die Hand ans Ohr. Zwanzigtausend Tonnen dreißigkarätiges Gold? Macht dieser Mann einen Witz? Der ganze Weltmarkt gerät durch eine solche Menge ins Wanken – schlimmer, das Gold verlöre seinen Wert, würde billiger als Silber. „Himmel!“ murmelt Hasting. „Haben Sie eine Bonanza entdeckt?“ „Darüber kann ich nicht sprechen, denn sonst habe ich im Nu die Presse sämtlicher Erdteile auf dem Halse.“ „Natürlich! Verzeihen Sie meine Frage! Ich meinte nur …“ „Zahlen Sie mir mein Geld aus?“ fragt der hochgewachsene, sonnenverbrannte Fremde ungerührt. „Selbstverständlich, sofort, mein Herr!“ * Mickey Hasting nimmt den Barren unter den Arm und begibt sich damit ins chemische Untersuchungslaboratorium des Polizeipräsidiums. „Hallo, Doktor Ronfield …“, spricht er den ihm bekannten Chemiker an. „Ich habe da etwas Eigenartiges entdeckt. Wollen Sie bitte einmal diesen Barren auf seinen Goldgehalt hin untersuchen?“ 13
„O weh!“ lacht Dr. Ronfield. „Sind Sie betrogen worden, Hasting?“ „Eher das Gegenteil, Doktor!“ erklingt die unerwartete Erwiderung. Es ist so, wie es Hasting schon selbst feststellte: Das Gold hat dreißig Karat, steht also in der Qualität fünfundzwanzig Prozent über dem Normalfeingehalt. Und auch Dr. Ronfield, der Polizeichemiker, schüttelt den Kopf. „Das verstehe ich nicht, Mr. Hasting“, sagt er. „Wo ist dieses Gold gefunden worden?“ „Man sagte mir, daß es aus Alaska stamme.“ „Ausgeschlossen! Vierundzwanzig Karat ist das höchste der Gefühle. Mehr bewillige ich meinem besten Freund nicht! Das ist eine Sensation ersten Ranges. Wieviel Barren haben Sie von diesem Zeug?“ „Nur den einen – vorläufig. Es sollen jedoch noch zwanzigtausend Tonnen geliefert werden …“ „Sind Sie wahnsinnig, Hasting? Hier stimmt etwas nicht. Dieses Gold ist so rein, daß es in sich aktiv wird, das heißt, es strahlt. Eine Menge von zwanzigtausend Tonnen dieses Erzes wäre längst durch sämtliche Meßinstrumente auf der Erde festgestellt worden.“ Er denkt einige Augenblicke lang nach. „Es gibt hier nur eine Möglichkeit: Dieses Übergold stammt nicht von der Erde. Sie kennen die diesbezüglichen Gesetze?“ „Ja“, nickt Hasting. „Von fremden Gestirnen dürfen keine edlen oder gewöhnlichen Metalle auf die Erde eingeführt werden …“ „Und das ist richtig so, solange unsere Weltwährung auf Gold basiert. Wo kämen wir hin, wenn zum Beispiel das Gold des Planeten Kondaki, von dem Sie ja sicher schon gehört haben, auf die Erde verfrachtet würde? Es ist eine der Aufgaben unseres Raumüberwachungsdienstes, diesen Weltraumschmug14
gel zu verhindern. Kleinere Posten irdischfremden Materials werden zwar durch die Raumschiffe laufend eingeschmuggelt, aber sie fallen nicht so stark ins Gewicht. Machen Sie mir Mitteilung, Hasting, wenn dieser Mann seine Drohung wahrmachen sollte und dieses Zeug tatsächlich angeschleppt bringt. Wir müssen feststellen, woher dieses Übergold kommt und wer es anbietet …“ Am nächsten Tag versendet die Weltzentralbank an sämtliche Filialen der Erde ein Fernschreiben, in dem die Kassierer angewiesen werden, auf einen Einlieferer von Gold zu achten und mit allen Mitteln zu versuchen, dessen Wohnung und Namen ausfindig zu machen. Im Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung und der Verhütung einer Panik ist von Gewaltmaßnahmen abzusehen. * Mat Fraser, der blonde Hüne vom Raumüberwachungsdienst, hat alle Hände voll zu tun. Über die ganze Erde ist ein Netz von Radarleitstellen und Beobachtungsposten errichtet, die ihre Meldungen zur Zentrale nach New York weiterreichen. Fast täglich gibt es solche Meldungen. Aus Gründen der Verkehrssicherheit ist man im New Yorker Präsidium gezwungen, jede einzelne zu verfolgen. Jedes Raumschiff, das die Helligkeit des riesigen Sonnenraumes verläßt, steht unter dauernder Überprüfung. Air-Fraser blättert die Meldungen durch und versieht sie mit Randbemerkungen … „Reisegesellschaft in zwei Raumschiffen zur Venus, Kurs in Ordnung, Landung beabsichtigt …“ (Anmerkung Frasers: Rückstart kontrollieren, Radarleitung über Raumstützpunkt AS 9.) 15
„Einzelnes Raumschiff Pluto passiert, Kurs Stern Geldron, Besatzung Professor Haisan, Kairo, und vier geologische Mitarbeiter …“ (Anmerkung Frasers: Beobachtung nicht nötig. Bei Rückflug abschreiben.) „Polizeiraumschiff Querflug Corna – Essab – RX 21 …“ Mat Fraser kennt alle Gestirne, auch diejenigen, die noch namenlos sind und nur mit Ziffern und Buchstaben angegeben werden. Er weiß bei jeder Meldung Bescheid, nickt verstehend vor sich hin, runzelt die Stirn, pfeift durch die Zähne, zieht verwundert die Brauen hoch – alles zu seiner Zeit und je nach Inhalt der Meldung. Er streut die Asche seiner Zigarette achtlos auf den Parkettboden seines Dienstzimmers, hat die Beine über die Lehne seines Sessels gelegt und greift nach dem nächsten Blatt. „Unbekanntes Raumschiff Richtung Gandar … Arbeitet mit eigener Radarleitung … Pflichtmeldung fehlt.“ Mat Fraser liest die Meldung ein zweites Mal. Jedes Raumschiff, das den Lichtmantel der Sonne verläßt, hat die Pflicht, Meldung beim Luftüberwachungsdienst zu machen. Das geschieht sowohl zur eigenen Sicherheit der Reisenden, als auch im Interesse und zum Schutze der vielen bewohnten Gestirne, die sehr befriedigt sind, daß die Raumschiffe Frasers für Ordnung sorgen. Hier ist also wieder mal einer, der glaubt, auf eigene Faust handeln zu können. Nun, es ist schließlich seine Sache, wenn er dabei kaputtgeht … Und ausgerechnet zum Gandar! Der Inspektor lehnt sich in seinem Sessel zurück und denkt an jenes Erlebnis, das er auf dem Stern Gandar hatte. Er war mit Mario Bora auf dem Gandar niedergegangen, einem Planeten mit riesigen Urwäldern, erschreckend hohen Gebirgen und einer wilden Vegetation, die zum Teil aus Bäumen bestand, die geradezu gigantische Ausmaße hatten. Fraser hatte das alles 16
interessiert, deshalb hatte er sich zu einem Abstecher auf diesen Stern entschlossen. Und dann gab es ein erschreckendes Erlebnis. Auf diesem Planeten lebten noch Urtiere, unter ihnen Exemplare mit einer Größe von mehr als fünfzehn Metern, richtige Ungeheuer mit stählerner Haut und fürchterlichen Kräften. Und eines dieser Viecher kam aus der Luft geradewegs auf das Raumschiff zugeflogen! Als es die Flügel öffnete, sah es aus wie ein ausgewachsener Elefant. Dabei stieß es Töne aus, die den Männern einen Schauer des Schreckens über den Rücken jagten. So schnell war noch nie ein Raum« schiff gestartet wie dasjenige Air-Frasers damals vom Gandar. Von diesem Tage an hat Mat Fraser einen vorsichtigen Bogen um den Planeten Gandar geschlagen und sich schwer gehütet, sein Raumschiff und sein Leben noch einmal aufs Spiel zu setzen. Und jetzt hat ein unbekanntes Raumschiff die Richtung zum Gandar eingeschlagen? Die werden sich wundern! Was soll er tun? Als Leiter des Raumüberwachungsdienstes ist er verpflichtet, das Raumschiff zu warnen und ihm notfalls zu Hilfe zu eilen. Er hat die Meldung erhalten – er kann sich jetzt nicht damit herausreden, daß er von dem Flug zum Gandar nichts gewußt habe. Und außerdem ist es auch gar nicht Mat Frasers Art, sich vor irgendeiner Verantwortung zu drücken. Er faltet die Meldung zusammen und steckt sie in seine Brieftasche. Das ist wieder einmal eine Sache, die er keinem Untergebenen überlassen kann, hier muß er selbst eingreifen. Mit einem elastischen Schwung hat er die Beine auf den Fußboden gestellt und springt auf. Einige Sekunden lang bleibt er mit geschlossenen Augen stehen, um sein Blut an die veränderte Zirkulation zu gewöhnen. Dann begibt er sich hinaus auf den Gang, groß und mächtig, ein bemerkenswertes Exemplar männlicher Kraft und Energie. 17
Auf dem Gang, der zum Dienstzimmer des Polizeipräfekten führt, wäre er in seinem unaufmerksamen Schlendrian beinahe mit einer blonden, sehr schick gekleideten, entzückend aussehenden jungen Dame zusammengerannt, die nur dadurch einem harten Zusammenprall entgeht, daß der Inspektor in blitzartiger Reaktion beide Fäuste griffsicher um ihre Arme legt und sie festhält. Ein erschrockenes Gesicht mit hübschen, blauen Katzenaugen und einem herzförmig bemalten Mund befindet sich für einige Augenblicke nahe dem seinen, doch dann zeigt sie mit einem wirkungsvollen Filmlächeln die weißen Zähne. „Bitte um Verzeihung, Sir!“ lacht sie ihn aus schillernden Augen an. „Es war meine Schuld, Miß!“ antwortet er lustig. „Ich habe geträumt …“ Sie hält den Kopf mit den glatten Wellen weißblonden Haares etwas schief. „Dann bin ich Ihnen im Traum erschienen?“ flirtet sie. „Wünschte, es wäre so …“ Auch Mat Fraser flirtet gern, und wenn er lacht, gibt es nur wenige Frauen, die sich nicht auf der Stelle in ihn verlieben würden. Mat Fraser setzt seinen Weg ins Chefzimmer fort. Das Lächeln, mit dem er die entzückende Blondine an sich vorbeiließ, liegt noch auf seinem Antlitz, als sich der untersetzten Gestalt Tale Perkins, des Polizeichefs von New York gegenübersieht. * Mary Ann Shelton wirtschaftet nun schon einige Tage allein in dem kleinen Hause auf der Seaside Street. Über allzu reichliche Arbeit hat sie sich nicht zu beklagen. Die Zimmer sind gesäubert, und das, was sie zum Essen braucht, nimmt sie in der City 18
ein. Sie hat genügend Geld zur Verfügung, und auch der große Wagen Harold Spiers steht ihr jederzeit zur Benutzung frei. Heute ist der vierte Tag, seitdem er mit jenem breitschultrigen Kerl, der sich Irving Lane nannte, weggefahren ist. Heute muß Harold Spier zurückkommen. Er hat ihr versprochen, Nachricht zu geben, falls sich dieser Termin aus unvorhergesehenen Gründen ändern sollte. Er hat es ihr unter vier Augen versprochen, als sie sich von ihm verabschiedete. Je länger die Schatten werden, um so unruhiger wird Mary Ann. Sollte Harold tatsächlich einem Komplott von geheimen Gegnern zum Opfer gefallen sein? Oder war dieser Irving Lane ein Kriminalbeamter? Sie wird es erfahren, koste es was es wolle. Sie wird zur Polizei gehen und eine Vermißtenanzeige aufgeben. Wenn ihn die Polizei tatsächlich eingesperrt hat, wird sie wohl Auskunft geben müssen. Als es zwölf Uhr nachts ist, weiß sie, daß mit Harold Spier etwas passiert ist. Länger warten? Lächerlich! Harold kommt nicht wieder, davon ist sie überzeugt. Am nächsten Morgen sucht sie den Polizeipräfekten Tale Perkins persönlich auf. „Mr. Perkins läßt bitten!“ meldet die Sekretärin, indem sie die schalldichte Doppeltür öffnet. Tale Perkins ist ein robuster, etwas untersetzter Mann mit grauen Schläfen. Er mag gegen sechzig Jahre alt sein und zeigt beim Erscheinen seiner charmanten Besucherin Höflichkeit und Zuvorkommenheit. „Ich möchte Anzeige erstatten …“ beginnt Mary Ann, nachdem sie sich dankend mit einer Zigarette bedient hat, die ihr Perkins galant über den Schreibtisch reichte. „Es handelt sich um meinen – meinen Verlobten, um Mr. Harold Spier. Er wurde vor fünf Tagen von einem Unbekannten, der sich Irving La19
ne nannte, mit dem Auto abgeholt und sollte bis gestern wieder zurück sein, aber ich ahnte bereits, daß er nicht zurückkehren würde …“ „Sie ahnten es, Miß Shelton?“ unterbricht sie der Baß des Präfekten. „Ja, Sir. Der Mann machte auf mich den denkbar schlechtesten Eindruck. Er trat sehr selbstbewußt und herausfordernd auf, was ich am Abend vorher …“ Mary Ann stockt. Sie hat sich überlegt, daß „der Abend vorher“ nicht eigentlich zu den Dingen gehört, über die sie diesem Polizeimann gegenüber sprechen darf. Leider ist es schon zu spät. Das gesprochene Wort ist nach einem uralten arabischen Sprichwort das schnellste Ding der Welt; kein Mensch vermag es mehr ein zuholen. Und auch Tale Perkins reagiert darauf in der befürchteten Weise … „Am Abend vorher …? Sie kannten diesen Mann schon vorher?“ „Nun, so ist es eigentlich nicht …“ lenkt Mary Ann ab. „Es war ein Zufall. Ich wartete in der Nacht während der Zeit des Gewitters auf meinen Verlobten … ich wartete im Wagen auf ihn … Da kam dieser Lane ans Wagenfenster und bat mich, ihm während des Wolkenbruches ein trockenes Plätzchen zu geben. Nun, wer tut so etwas nicht, wenn er darum gebeten wird? Ich gestattete ihm, sich zu mir in den Wagen zu setzen …“ „Und dann kam Ihr Verlobter?“ „Ja, und dann kam mein Verlobter. Er war sehr naß geworden, und dann fuhren wir nach Hause, das heißt, zuerst auf die Cleveland Avenue, auf der dieser Lane seinen Wagen stehen hatte. Wir setzten ihn dort ab und fuhren weiter. Am anderen Tage erschien er bei uns in der Wohnung, obwohl wir ihm unsere Adresse nicht gesagt hatten. Er war uns wahrscheinlich heimlich mit dem Wagen gefolgt …“ 20
„Und wo hatten Sie mit dem Wagen geparkt, als Sie von dem Nachtgewitter überrascht wurden?“ Mary Ann hat die Beine übereinandergeschlagen und sich in ihrem Sessel zurückgelehnt. Die seidenglänzenden Strümpfe schmiegen sich um ihre runden Knie. „Es war am Thorton Place, Mr. Perkins“, entfährt es Mary Ann gegen ihren Willen. „Am Thornton Place?“ überlegt der Polizeichef. Dort gibt es doch gar keine Häuser. Thornton – Thornton – wann hat er eigentlich diesen Namen schon gehört? Es muß in den letzten Tagen gewesen sein. – Wie ein Blitz überfällt ihn eine vage Erinnerung. – Richtig – gab es nicht in der Thornton Street in einer der letzten Nächte einen ziemlich umfangreichen Villeneinbruch? Eigentlich ist es nur eine Ideenverbindung ohne ernsthafte Begründung. „Und an welchem Tage war das, wenn ich fragen darf?“ erkundigte er sich dennoch. „Das war am – warten Sie – das war am vergangenen Montag.“ „In der Nacht von Montag auf Dienstag?“ „Ja.“ „Und am Dienstag kam dann jener Unbekannte, um Ihren Verlobten zu jener – jener Spazierfahrt zu animieren?“ „So war es, Mr. Perkins.“ „Hm. – Können Sie noch nähere Angaben machen?“ „Ja, ich habe die Autonummer dieses Mannes!“ Der Polizeichef schlägt mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte. „Na also!“ ruft er erfreut. „Da ist ja schon alles in bester Ordnung. Haben Sie die Nummer da?“ „Ja, sie lautet NE 17 – LV 50403.“ „Aha! Der Wagen ist also aus Las Vegas in Nevada. Wir 21
werden sofort mit den Nachforschungen beginnen. – Und wie sieht der Mann aus? Groß, klein, dick, schlank, hat er schwarzes, blondes, rotes Haar?“ „Er ist groß, sehr groß, und hat ziemlich breite Schultern. Ach ja, jetzt entsinne ich mich, er hat auch eine Narbe am Hals. – Schwarzes Haar, glaube ich, die Kleidung ist von guter Qualität. – Schmaler Mund, kalte, eiskalte Augen.“ „Eine Narbe am Hals, sagen Sie?“ fragt Perkins, der sich eine Reihe Notizen gemacht hat. „Ja“, nickt sie eifrig. „Aber …“ „Was meinen Sie, Miß?“ „Ach“, meint Mary Ann mit einem verführerischen Augenaufschlag, „ich hatte da nur einen dummen Gedanken. Sehen Sie, Mr. Perkins – man steckt ja nicht drin in den Menschen. Ist es nicht möglich, daß sich mein Verlobter irgend etwas hat zuschulden kommen lassen?“ Mary Ann ringt sichtlich nach Worten, sie ist verlegen und wirkt in ihrer kindlichen Hilflosigkeit rührend und liebenswert. „Bitte, fahren Sie fort, Miß!“ fordert sie Perkins freundlich auf. „Ja, ich dachte nur daran – man kann das ja nie wissen – ob nicht vielleicht die Polizei meinen Verlobten festgenommen und vielleicht eingesperrt hat?“ „Haben Sie einen Grund für diese Annahme, Miß?“ möchte Perkins wissen. „Nein, absolut nicht“, entgegnet sie rasch. „Aber es könnte doch immerhin sein, daß Harold von der Polizei festgehalten wird, und ich warte und warte auf ihn.“ „Nein, Miß, das gibt es nicht. Wenn wir Ihren Verlobten tatsächlich aus irgendeinem Grunde in Gewahrsam genommen hätten, dann wären Sie noch am gleichen Tage benachrichtigt worden.“ 22
„Dann bin ich beruhigt“, atmet Mary Ann auf. Sie erhebt sich unvermittelt. „Wann darf ich wiederkommen, Mr. Perkins?“ „Wir werden den Fall sogleich untersuchen. Nachdem wir die Autonummer und die Personenbeschreibung haben, dürfte der Fall ja ziemlich klar liegen. Kommen Sie doch bitte morgen nachmittag wieder – es sei denn Ihr Verlobter ist inzwischen zurückgekehrt. Dann geben Sie uns bitte sofort Bescheid!“ „Selbstverständlich, Sir! Und haben Sie recht vielen Dank!“ „Keine Ursache, es ist unsere Pflicht!“ Mary Ann schreitet den Gang entlang, in ihre vielfältigen Gedanken verstrickt. Hoppla! Da kam ein Mann auf sie zu, ein Riese, ein blonder Riese. – Sie fühlt, wie zwei harte Fäuste ihre Arme umspannt haben. – Mein Gott, wie dieser Kerl zupackt! Und was hat er für schöne, blaue Augen! Man könnte nur immer in diese klaren Augen hineinsehen, ohne dessen müde zu werden. Ihr anfänglicher Schreck ist verflogen. „Bitte um Verzeihung, Sir!“ Sie lacht ihn an. „Es war meine Schuld, Miß! Ich habe geträumt.“ Was hat er doch für eine wohltuende, beruhigende Stimme! Er hat sie wieder losgelassen – fast bedauert sie es, seine festen Hände nicht mehr zu spüren. „Dann bin ich Ihnen im Traum erschienen?“ Sie hat den Wunsch, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Noch nie in ihrem Leben hat ein Mann einen solchen Eindruck auf sie gemacht. Sie freut sich über seine Antwort. „Wünschte, es wäre so.“ Wenn er lacht, bilden sich in seinen Augenwinkeln unzählige kleine Falten. Sein Gesicht ist vom Wetter gegerbt, sonnenverbrannt, er muß Sportsmann sein. 23
Sie ist zornig auf sich selbst, daß ihr nicht gleich eine passende Entgegnung einfällt. Sekunden vergehen, die nie wiederkehren. Sie lächelt ihn an, er tritt höflich zur Seite. – Sie muß sich zwingen, sich nicht nach ihm umzusehen. Als sie mit ihrem Wagen durch das Verkehrsgewühl der City in das kleine Haus auf der Seaside Street zurückfährt, überrascht sie sich einige Male beim Träumen. Sie träumt von jenem großen, blonden Mann, mit dem sie im Polizeipräsidium zusammentraf. Er war ein Mann nach ihrem Geschmack. * Tale Perkins, der Chef des Präsidiums, blickt überrascht auf seinen Abteilungsleiter, auf dessen markanten Zügen noch das versonnene Lächeln liegt, das von dem kurzen Intermezzo auf dem Gang herrührte. „Hallo, Fraser!“ begrüßt er ihn. „Haben Sie die Spitze im Punktelotto?“ „Leider nicht, Sir“, antwortet Air-Fraser, während er sich schwer in einen Sessel fallen läßt. „Traf da gerade ein nettes weibliches Wesen auf dem Gang, besser gesagt – ich rannte mit ihr zusammen.“ „Ah! Sie meinen die Mary Ann Shelton? Die war gerade hier. – Dienstlich, natürlich.“ „Bedarf das einer besonderen Erläuterung?“ lacht Fraser. „Wer ist sie?“ „Haben sich wohl verguckt, Inspektor? Teufel, sie war sehenswert. Übrigens habe ich die Adresse, wenn Sie sich dafür interessieren sollten. Sind Sie gekommen, um mich danach zu fragen?“ „Nein, Sir. War aber immerhin eine seltene Attraktion in unserem langweiligen Zirkus. Was gibt es Neues?“ 24
„Ich hab da ’ne Kleinigkeit für Sie, Fraser.“ Perkins kramt in seinen Papieren und bringt dann eine Meldung zum Vorschein. „Hier haben Sie’s schwarz auf weiß. Es fällt wahrscheinlich in Ihr Gebiet. Da ist einer auf der Zentralbank gewesen und hat einen Goldbarren von dreißig Karat abgeliefert.“ „Seit wann gibt’s denn das?“ „Haben wir uns auch gefragt, Inspektor. Und wir sind zu dem Schluß gekommen, daß das Gold nicht von der Erde stammen kann.“ „Na ja, das ist dann immer die letzte Vermutung, seitdem wir in der Lage sind, im Weltall umherzuschwirren.“ „Nein, nein, Fraser, in diesem Falle ist es wirklich so. Das ist interplanetarisches Gold, und der Mann, der es einzahlte, hat angekündigt, daß er davon noch zwanzigtausend Tonnen anliefern werde.“ „Zwanzigtausend Tonnen? Will er die etwa aus dem All auf die Erde befördern?“ „Das zu verhindern, dürfte Ihre Sache sein, Fraser. Ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu erklären, was es für unsere Währung bedeuten würde, wenn solche Mengen überkarätigen Goldes in die Kanäle unserer Wirtschaft einströmten.“ „Verstehe alles, Sir. Glauben Sie, daß dieses Gold vom Kondaki kommt?“ „Unser Chemiker, der Doktor Ronfield, sagt nein! Das Gold vom Kondaki ist bekannt. Es muß sich um eine ganz neue, noch unbekannte Quelle handeln.“ Inspektor Fraser hat den Kopf in die Hand gestützt und denkt intensiv nach. „Sagen Sie jetzt nur, Sie überlegten, von welchem der Milliarden Sterne dieses Gold stammen könnte, Fraser“, spottet der Polizeichef. „Sie haben’s erfaßt“, erwidert der Inspektor. „Im übrigen 25
sind es keine Milliarden, sondern nur gegen zweitausend, die dafür in Frage kommen.“ „Und die haben Sie alle im Kopf?“ „Ich tue ja den ganzen Tag über nichts anderes, als mich mit diesen Planeten herumzuschlagen. Aber Sie haben recht: Vom grünen Tisch aus ist da nichts zu machen. Hier hilft nur eine Überwachung des Luftraumes und des luftleeren Raumes. Geben Sie den Banken am besten einen Hinweis. Wenn der Mann wiederkommt, soll man möglichst versuchen, seine Adresse festzustellen, aber so, daß er keinen Verdacht schöpft. Es kann sich nämlich nur um eine ganze Bande handeln, denn allein wird kaum einer auf einem fremden Planeten landen und Gold holen.“ Fraser zieht seine Brieftasche aus der Jacke, um die Meldung hineinzutun. Dabei fällt sein Blick auf die „Gandar“- Meldung vom heutigen Tage. Es fährt ihm durch den Kopf, daß man vielleicht beide Meldungen auf einen Hauptnenner bringen könnte. Der Gandar? Warum nicht? Warum sollte sich auf dem Gandar kein Gold finden? Das Gold kann ebenso dort wie auch auf jedem anderen Stern sein. Auf dem Gandar landen? Mat Fraser denkt nur mit äußerstem Unbehagen an eine solche Notwendigkeit. Viel lieber wäre es ihm, wenn der Gandar mit diesen Dingen gar nichts zu tun hätte. Nach einigen Minuten verabschiedet er sich von Perkins. Er hat heute seinen „faulen“ Tag, das heißt, er verspürt zu größeren Aktionen absolut keine Lust. Vielleicht liegt das an der Hitze, die draußen herrscht und die trotz der Gewitter der letzten Tage noch immer anhält. Er entschließt sich zu einem Bummel durch die City. Nur selten hat er hierzu Gelegenheit, denn er ist meistens mit dem Raumschiff unterwegs. Als er zu seinem Dienstzimmer zurückgeht, denkt er an jene 26
bildhübsche Frau, mit der er im Gang zusammenstieß. Es wird eigentlich auch verdammt Zeit, daß er sich mal mit einer Frau beschäftigt. Wozu lebt man eigentlich? * Harold Spier reibt sich die Augen. Eine lähmende Müdigkeit lastet noch immer wie ein schweres Gewicht auf allen seinen Gliedern. Er ist nicht imstande, sich zu erheben oder irgendeine anstrengende Bewegung zu machen. Als er um sich blickt, ist er vor Verwunderung keines Wortes und keines Gedankens fähig. So sehr er auch in seinem Gedächtnis nachforscht – diese Stätte ist ihm völlig unbekannt. Er liegt auf einem primitiven Lager, das man auf feuchtem Lehmboden notdürftig mit Blättern aufgeschüttet hat. Die Blätter sind unglaubhaft groß und hängen noch frisch an den Ästen. Der Raum ähnelt im ganzen einer Erdhöhle und ist nur schwach erhellt – das Tageslicht fällt durch eine Lücke an der Decke spärlich ins Innere. Er hat wahnsinnige Kopfschmerzen. Nur unter Aufbietung aller Willenskraft vermag er seine Gedanken zu ordnen. Wie ist er auf dieses Lager gekommen, wie ist er in diese Höhle gelangt? Nur ganz trübe und verschleiert tauchen Erinnerungen auf. Wie war das alles gekommen? Er war in den Atom wagen jenes Irving Lane gestiegen, der vor der Einfahrt zu seinem Grundstück parkte. In einer rasenden Fahrt auf glasblanker, radargeschützter Autobahn hatte man Las Vegas im Staate Nevada erreicht. Dort wurde der Wagen eingestellt und die Fahrt mit einer zweisitzigen Rakete fortgesetzt. Dieser Flug dauerte nur wenige Minuten. Man landete schließlich in einer Felsensenke des sogenannten „Death Valley“, jenes berüchtigten „Todestales“, das durch seine Trocken27
heit, seine Hitze und seine Dürre in der ganzen Welt bekannt ist. Hier war eine Baracke errichtet, während zwei große Kreiselflugschiffe unterhalb der Felsen wenige Zentimeter über dem Sandboden schwebten. Yuccastauden machten den Boden dieses geräumigen Platzes unsichtbar. In der Mitte waren diese Stauden in einem Durchmesser von dreißig Metern abgehauen. Man hatte dort einen Radarspiegel errichtet, der leicht nach Norden geneigt war. Acht Männer warteten in der Baracke. Es waren Leute, die von Irving Lane und seinen Helfern auf dem ganzen amerikanischen Kontinent zusammengesucht worden waren, richtige Galgenvögel, denen man nicht über den Weg trauen konnte. Harold Spier erinnerte sich jetzt. – Es fand ein Gelage wüsten Ausmaßes statt, als er den verräucherten Barackenraum betrat. Man drückte ihm ein Glas Whisky in die Hand – er konnte nicht unterscheiden, wer zu den „Angeworbenen“ gehörte und wer zu den Leuten Irving Lanes. Man begrüßte ihn, ohne ihn nach seinem Namen zu fragen, man nahm ihn in eine Gemeinschaft auf, die er als bisheriger Einzelgänger durchaus ablehnte. Aber wie das so ist: Er trank mit und redete nach einiger Zeit konfuses Zeug wie die anderen. Schließlich verschwimmen die Einzelheiten in seinem Gedächtnis und enden in undurchdringlicher Schwärze. Er denkt scharf nach. Niemand hat ihm gegenüber ein Wort fallen lassen, weshalb und warum man diese ganze Sache ins Leben gerufen hat, worum es sich handelt und was man beabsichtigt. Seine Augen haben sich an das Halbdunkel der Erdhöhle gewöhnt. Er zählt im ganzen neun Lager, ähnlich dem seinen, die an der Längsseite der Höhle errichtet worden sind. Am Ende dieser Lagerreihe scheint der Ausgang zu liegen. Spier stellt erstaunt fest, daß dieser Ausgang mit Stacheldraht dicht versperrt ist. 28
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Wo ist er? Haben sie sich so sehr betrunken, daß man sie in diese Höhle bringen mußte? Er versucht, sich aufzurichten, doch will ihm das nicht recht gelingen. Und jetzt wird es auch auf den anderen Blätterlagern lebendig. Mann für Mann richten sie sich auf, stützen sich auf die Ellbogen, blicken verwirrt um sich. – Einer von ihnen steht auf den Füßen und hält sich wie ein Kind, das Laufen lernt, an der Wand fest. Unterdrückte Rufe werden laut. Gespräche beginnen, rauhes Lachen erklingt. Man erkennt sich wieder, man erzählt sich vom Saufgelage der vergangenen Nacht. War es denn überhaupt die vergangene Nacht? Erst jetzt sehen die Männer, daß den Eingang der Erdhöhle eine Holztür abschließt, die mit dickem Stacheldrahtverhau stark gesichert ist. Diese Tür wird in diesem Augenblick mit einem Schlüssel geöffnet, und darin erscheint – mit Pistolentaschen und einem Schnellfeuergewehr bewaffnet – Irving Lane. An seiner Seite drängen sich noch weitere vier Männer in den Raum, die ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet sind. Die fünf nehmen vor der Front der Blätterlager Aufstellung. Sie halten die Gewehre schußbereit in den Händen und haben sich über den ganzen Raum verteilt. Harold Spier schüttelt mit Gewalt alle Müdigkeit und allen Katzenjammer von sich ab. Das, was er hier sieht, will ihm gar nicht gefallen. Heimlich tastet er nach seinem Revolver, den er immer bei sich trägt. Aber mit Erschrecken stellt er fest, daß seine Waffe verschwunden ist. Man hat sie ihm aus der Tasche genommen, wahrscheinlich in dem Augenblick, als man ihn aus der Baracke, wo das Trinkgelage stattfand, in diese Erdhöhle schleppte. Verdammt – wird hier mit solchen Karten gespielt? Spier ist im Nu hellwach. Er beabsichtigt nicht, sich an Aktionen zu beteiligen, in denen nicht völlige Gleichberechtigung vorhanden ist. Jetzt aber lauscht er zunächst einmal wie die an30
deren den Worten Irving Lanes, der, in der Mitte des Raumes stehend, zu sprechen begonnen hat. „Hallo, Leute!“ ruft er. „Ihr habt ja gleich am ersten Tage eine wunderbare Sauferei veranstaltet. So geht das natürlich nicht, das möchte ich euch in aller Freundschaft sagen. Ich habe euch hierhergebracht, damit wir gemeinsam eine gewinnbringende Aktion unternehmen – und statt dessen besauft ihr euch wie die Tiere. Aber lassen wir das! Ich will euch jetzt in kurzen Zügen erklären, um was es sich handelt. In dem Berg, in dem ihr jetzt seid, liegen gewaltige Mengen Gold. Dieses Gold muß abgebaut werden, wir beginnen noch heute mit der Arbeit. Das gefundene Gold wird von zuverlässigen Gewährsleuten in Barren gegossen und von mir zum normalen Goldpreis abgesetzt. Doch damit habt ihr nichts zu tun, ihr habt bloß zu arbeiten.“ „Und was kriegen wir für diese Arbeit?“ fragt einer, ein stiernackiger, untersetzter Kerl, der aus Chicago stammt. „Ihr kriegt das, was wir euch versprochen haben“, antwortet Lane mit einem Grinsen. „Teilt euch die Arbeit ein, euer Essen kocht ihr selber, und in diesem Raum könnt ihr euch aufhalten und auch schlafen.“ „Nanu?“ ruft jetzt Harold Spier. „Ihr glaubt doch nicht etwa, daß ich in dieser Dreckhöhle bleibe? Und wie lange soll das eigentlich gehen mit dem Abbau? Wann kriegen wir unser Geld? Und wo sind wir hier überhaupt?“ „Du interessierst dich für ’ne ganze Menge Sachen, die dich nichts angehen“, wendet sich Lane spöttisch an ihn. „Denkst wohl, wir bauen dir extra noch ein Luxushotel? Zeige erst mal, ob du arbeiten kannst – dann wollen wir uns über die Bezahlung unterhalten. Bis jetzt haben wir von euch nur gesehen, daß ihr saufen könnt. Und wie lange das hier dauert? Richte dich ruhig für ein paar Tage häuslich ein. Und ich rate dir in deinem eigenen Interesse, deine Nase nicht so weit in gewisse Angele31
genheiten zu stecken, denn sonst könnte es sein, daß du gehörig den Schnupfen kriegst.“ „Ach so? So stehen also die Aktien? Nun, da will ich dir gleich, damit du Bescheid weißt, von allem Anfang an sagen, daß ihr ohne mich wirtschaften könnt. Für mich hat sich diese Sache erledigt.“ Irving Lane lacht schallend auf; auch seine bewaffneten Komplicen stimmen in dieses Gelächter ein. „Wenn das so einfach wäre, mein Junge!“ höhnt Lane. „Du würdest nicht solches ungewaschenes Zeug reden, wenn du wüßtest, wo du bist. Wir haben euch wegtransportiert, auf einen anderen Planeten haben wir euch geschafft, und der liegt verdammt weit entfernt von deinem Geburtsort.“ „So hast du uns erst dort unten betrunken gemacht und uns irgend so ein verdammtes Zeug in den Whisky geschüttet – und dann hast du uns regelrecht geshanghait! Soll dir verdammt schlecht bekommen, Irying Lane! Was ist übrigens mit euch – beteiligt ihr euch auch mit an der Arbeit?“ „Wir? Bist du verrückt? Wir haben genug mit dem Transport und dem Verkauf zu tun.“ „Hahaha! Wir machen hier die Arbeit und ihr habt mit dem Transport zu tun? Das ist ja ’ne lustige Arbeitseinstellung. Schlaft ihr etwa auch hier in diesem Raume?“ Irving Lane überlegt einen Augenblick lang, dann fordert er plötzlich Spier durch einen Wink auf, ihm zu folgen. „Komm mit, wir wollen dir’s zeigen! Kannst ja nachher den anderen sagen, was du gesehen hast.“ Er geht voraus. Harold Spier folgt ihm. Er ist noch schwach auf den Füßen, und in seinem Kopfe drehen sich funkelnde Räder. Als er sich umdreht, bemerkt er, daß ihm die Komplicen Lanes auf dem Fuße folgen. Der letzte von ihnen schließt die Tür der Erdhöhle hinter sich ab. 32
Sie schreiten durch einen Stollen, in dem man Verschläge eingebaut hat. Der Boden besteht aus hartem, festgestampftem Sand, die Seitenwände aus einer quarzhaltigen Gesteinsart. Der Gang mündet ins Freie. Irving Lane ist stehengeblieben und beobachtet Harold Spier, der sich die Landschaft kritisch ansieht. Und das, was Spier hier zu sehen bekommt, trägt wenig dazu bei, seine Stimmung zu heben. Gleich in der Nähe stehen riesige Baumfarne, die die Größe von Palmen haben. Sie wachsen teils am Rande, teils aber auch schon inmitten eines gewaltigen Sumpfgebietes, das sich wohl zehn Kilometer breit bis zum Fuß eines mächtigen Gebirges ausdehnt. Hier und da ragen morsche Stümpfe aus der dicken Brühe. Über allem brennt heiß und unbarmherzig eine fast weiße Sonne und verwandelt die Luft der Ebene in flimmernden Glast. Das Gebirge aber, das wie eine drohende Unwetterwolke aus der Ebene steigt, ist von geradezu teuflischer Wildheit. Fels- und Eismauern ragen fast senkrecht in den Himmel empor und verschwinden mit ihren Gipfeln in Wolken, Nebel und Dunst. Zwei Raumschiffe sind im Schatten des Bergmassivs verankert, in dem die Erdhöhle liegt. Sie stehen bewegungslos in der stillen Luft. Das Massiv erstreckt sich als weite Vorgebirgskette nach rückwärts und ist auch seitlich von dickflüssigen, urweltartigen Sümpfen umgeben. Es besteht aus Felsen, die in den Strahlen der Sonne zuweilen aufblitzen. Zwischen seinem Standort und der mächtigen Alpenkette aber hat Harold Spier eine eigenartige Bewegung festgestellt. Es ist ein riesiger, grauer Schatten, der sich langsam und fast schwankend in ziemlicher Entfernung über die Fläche der Sümpfe schiebt. Es hat den Anschein, als bewege sich dort eine 33
ins Groteske verzerrte Gummifigur, wie sie in den Karnevalsumzügen auf der Erde öfters zu sehen sind. „Siehst du die Bestie dort drüben?“ fragt Irving Lane. „Von diesem Viehzeug wimmelt es hier. Bist du nun davon überzeugt, auf einem fremden Planeten zu sein?“ Harold Spier wendet sich ihm langsam zu. Haß sprüht aus seinen Augen. „Du wirst uns sofort wieder zur Erde zurückbringen. Im anderen Falle sollt ihr diesen Stern nicht lebend verlassen.“ Irving Lane wechselt einen raschen Blick mit einem seiner Kumpane, einem kräftigen, schwarzhaarigen Burschen. Dieser beantwortet die stumme Frage Lanes mit einer Kopfbewegung, die ins Innere des Bergmassivs weist. „Komm mal mit!“ fordert Lane seinen Gefangenen auf. „Wir haben dir noch nicht alles gezeigt.“ Schweigend folgt Spier dem Gangsterboß wieder ins Innere des Bergmassivs. Dieser öffnet einen Verschlag und tritt ein. Ein notdürftig hergerichteter Raum mit einem Matratzenlager. Irving Lane stellt seine Maschinenpistole in eine Ecke, die anderen folgen seinem Beispiel. Dann legt Lane noch seinen Gürtel dazu, an dem sich die Pistolentasche befindet. Zwei der Männer stehen am Eingang des Verschlages, die anderen sind in die Mitte des kleinen Raumes getreten. Mit verschränkten Armen tritt Lane auf Harold Spier zu. „Nun“, sagt er ruhig, „hast du dich jetzt überzeugt, daß es das beste für euch ist, zu arbeiten?“ „Im Gegenteil!“ erwidert Spier herausfordernd. „Ich wiederhole dir nur das eine: Wir werden keinen Handgriff tun. Wenn wir hier kaputtgehen sollen, dann geht ihr mit kaputt!“ „Du meinst also, daß du die anderen gegen uns auf hetzen willst?“ 34
„Darauf kannst du Halunke dich hundertprozentig verlassen …“ Plötzlich schlägt Irving Lane dem ahnungslosen Spier die Faust mitten ins Gesicht. Und ehe der New Yorker in Abwehrstellung gegangen ist, läßt ihn ein weiterer harter Schlag in die Magengrube zu Boden gehen. Harold Spier rafft sich mühsam auf. Mit einem wütenden Knurren wirft er sich auf Lane. Ein rechter Haken wirft Lane gegen die Erdwand, und der Gangsterboß wäre von dem rasenden Spier in dieser Sekunde ohne Zweifel ausgelöscht worden, wenn nicht die Genossen Lanes in den Kampf eingegriffen hätten. Harold Spier fühlt sich von hinten an der Kehle gepackt und zurückgezerrt, so daß der Gangsterboß Zeit findet, sich wieder aufzurichten. Als Spier sich umgewandt hat, um seinen neuen Gegner anzugreifen, hält auch Lane den Zeitpunkt für gekommen, sich wieder aktiv einzuschalten. Von allen Seiten fallen jetzt die Schläge – ein aussichtsloser Kampf für Harold Spier. * Sie haben Harold Spier aufgenommen und auf sein kümmerliches Lager gebracht. Hierbei hat sich besonders ein rothaariger Irländer hervorgetan, ein Mann aus Texas City, der sich auf Jahrmärkten und bei allen möglichen Veranstaltungen als Preisboxer und Meisterringer betätigte. Ronald McIddle ist der Typ des passionierten Rausschmeißers, eines Totschlägers, dem man nachts nicht gern allein im finsteren Walde begegnen möchte. Er ist bepackt mit Muskeln wie ein italienischer Leitesel mit Apfelsinenkisten. Dabei ist McIddle durchaus gutmütig, wenn es auch zu empfehlen ist, es nicht auf eine Schlägerei mit ihm ankommen zu lassen. 35
Das erfährt der Bulgare Toranow am eigenen Leibe. Beim Transport Spiers von der Tür bis zu seinem improvisierten Blätterlager stellt sich Boris so ungeschickt wie nur möglich an. Der irische Elefant sieht sich das einige Augenblicke lang an, dann gibt er kopfschüttelnd dem Bulgaren einen Stoß vor die Brust. Dieser Stoß war mehr freundschaftlich gemeint – trotzdem überschlägt sich Toranow mehrere Male und kommt anschließend recht unsanft zu Fall. McIddle winkt einen anderen herbei, Simon Savage, einen ehemaligen Taschendieb aus St. Louis. „Los, Kollege!“ brummt McIddle. „Aber sei vorsichtig! Den hier haben die Strolche miserabel behandelt. Wir scheinen hier in ein verfluchtes Wanzennest hineingetreten zu sein, Kollegen. – Nur ruhig Blut! Laßt den erst wieder zu sich kommen! Und wenn diese Pennbrüder inzwischen kommen sollten, so haltet ihr hübsch die Klappen und laßt mich reden! Ich habe so ’ne verdammte Ahnung, als ob wir hier mit ganz besonderen Karten spielen müßten.“ Die „Kollegen“ sagen gar nichts, teils, weil sie erschrocken sind über den Anblick, den ihr Genosse Spier bietet, andererseits aber, um den muskelbepackten Irländer nicht durch einen Widerspruch zu reizen. Langsam dämmert es auch dem Dümmsten, daß er sich hier in einer verzweifelten Situation befindet, gegen die ein Aufenthalt im Polizeigefängnis von Chicago einer Kur in einem Luxushotel gleichkommt. „Gibt es Wasser in diesem verlausten Dreckloch?“ erkundigt sich der Irländer, der sich um Harald Spier bemüht. „No, nix Wasser“, antwortet ein schlitzäugiger Mischling aus den Südstaaten. Ronald McIddle murmelt einen Fluch, der selbst einen Polizisten von Texas City zum Erröten bringen könnte. Dann begibt er sich zu der verschlossenen, von Stacheldraht umsäumten Tür. „He!“ ruft er mit donnernder Stimme. „He! Hallo!“ 36
Nach einigen Minuten wird es draußen auf dem Gang lebendig. Die beiden als Wächter vorgesehenen Gangster erscheinen mit umgehängten Maschinengewehren und geöffneten Pistolentaschen. „Was ist denn los? Was brüllt ihr denn so? Habt wohl noch nicht genug an dem einen?“ ruft der Vertraute des Anführers, der auf den schönen Namen Fine Moriller hört. „Verzeihung, habe leider so ’ne verdammt laute Stimme“, sagt McIddle mit dem naivsten Gesicht der Welt. „Aber einem unserer Kollegen ist schlecht geworden. Wenn ich deshalb um etwas Wasser bitten dürfte, vielleicht um einen Eimer voll.“ Moriller dreht sich, ohne ein Wort zu verlieren, auf dem Absatz herum und verschwindet wieder nach vorn. Und auch Ronald McIddle stampft mit schweren Schritten wieder zu dem Lager Harold Spiers, um seine Bemühungen fortzusetzen. Endlich werden die Versuche des Irländers von Erfolg gekrönt. Spier tut einen tiefen Atemzug und verzieht schmerzvoll das Gesicht. Dann kommt ihm das Geschehene zum Bewußtsein. Er will aufspringen, doch McIddle drückt ihr auf sein Lager zurück. „Nur ruhig Blut, Kollege!“ spricht er ihn auf seine Art an. „Brauchst uns nicht viel zu erzählen. Hast wahrscheinlich die Ruhe verloren, und dabei ist es dann passiert. Hast du denn wenigstens Gelegenheit gehabt, dir so verschiedenes anzusehen?“ „Es ist trostlos“, berichtet Spier leise. Mit seinen geschwollenen Lippen verursacht ihm jedes Wort Schmerzen. „Draußen ist alles Sumpf, und da scheint es unheimliche Tiere zu geben, die größer sind als ein Haus.“ „Na ja, Kollege, es gibt ja nun verschiedene Häuser. So meinst du also, daß man uns tatsächlich auf einen anderen Stern verschleppt hat?“ 37
„Ja, das ist schon so. Ich glaube, wir sind verloren.“ „Nur mal langsam, Kollege! So schnell ist der Mensch nicht verloren!“ McIddle reckt den breiten Schädel in die Höhe. Er hat etwas gehört – und auch die anderen blicken teils erwartungsvoll, teils ängstlich auf die Tür, hinter der das Geräusch näher kommender Schritte zu vernehmen ist. „Ruhe jetzt!“ raunt McIddle. „Ich werde den Brüdern ein schönes Gedicht aufsagen.“ Der Schlüssel klirrt im Schloß, die Tür wird geöffnet. Alle fünf Gangster, bis an die Zähne bewaffnet, erscheinen in der Erdhöhle. Irving Lane tritt auf McIddle zu, der ihm in all seiner imposanten Mächtigkeit entgegengegangen ist. Lane bleibt im Abstande von zwei Metern stehen. „Na?“ sagt er. „Hat euch dieser Spier berichtet, um was es hier geht?“ „Sehr erfreut“, antwortet der Irländer mit einem tiefen Bückling. „Es wäre allerdings notwendig, uns Werkzeug zur Verfügung zu stellen. Wir möchten gleich mit der Arbeit anfangen. Wie wird das mit unserer Entlohnung?“ „Ihr werdet euer Geld pünktlich bekommen, da brauchst du gar keine Sorge zu haben“, entgegnet Lane. „Es hat natürlich keinen Zweck, wenn wir euch die Banknoten hier herauf auf den Gandar – äh – ich meine natürlich – auf diesen Stern bringen, denn hier könnt ihr doch nichts damit anfangen. Wir zahlen die Beträge auf der Erde auf verschiedene Banken ein und bringen euch dann die Vollmachten mit. Das dauert eine gewisse Zeit, denn das Gold muß erst aus dem Gestein herausgeschmolzen und dann zu Barren verarbeitet werden. Das ist alles nicht so einfach.“ „Geht vollkommen in Ordnung“, verbeugt sich McIddle. „Wir sind nicht so dumm, von Ihnen Unmögliches zu verlangen. Allerdings müßte dann noch wegen unserer Ernährung 38
alles Notwendige geregelt werden. Sie müssen einsehen, daß man ohne Essen nicht …“ „Wird alles geregelt“, tut Lane diesen Punkt mit einer großzügigen Handbewegung ab. „Spier hat euch sicherlich auch berichtet, daß es hier sehr gefährliche Tiere gibt. Wir lassen euch deshalb, wenn wir zur Erde zurückfliegen, um das Notwendige zu beschaffen, zwei Mann zurück, die euch mit ihren Waffen beschützen.“ „Sehr verbunden, sehr freundlich, das ist wirklich sehr notwendig. Und wenn Sie dann auch noch an Whisky und Zigaretten denken würden …“ „Selbstverständlich, ihr werdet alles bekommen. Ihr braucht euch um nichts zu kümmern, ihr braucht nur zu arbeiten. Das andere ist unsere Sache. In einem Jahr seid ihr alle reiche Leute.“ An der Seite Irving Lanes läßt sich McIddle über alle Einzelheiten informieren. Das gewonnene Gestein wird mit Schubkarren nach draußen geschafft und dort aufgestapelt. Der rothaarige Koloß geht auf alles ein. Seine kleinen Augen schweifen hurtig in die Runde, er besieht sich fachmännisch den Berg, in dem sie eingesperrt sind, er betrachtet das Gebirge, den Urweltsumpf, ohne jedoch durch ein gesteigertes Interesse besonders aufzufallen. „Wenn Sie uns beim nächsten Male noch Bretter mitbringen möchten, damit die Schubkarren mit dem Gestein nicht einsinken“, schlägt er vor. „Das ist richtig“, nickt Lane zufrieden. „Sag mir nur, was die Arbeit vorantreiben kann. An uns soll es nicht liegen, wir werden alles herbeischaffen. Sorge dafür, daß nicht gebummelt wird und daß die Arbeit ’flott vorangeht.“ McIddle reckt sich hoch auf und zeigt seine gewaltigen Fäuste. „Dafür werde ich schon sorgen“, erklärt er mit Pathos. „Das ist ja auch in unserem eigenen Interesse.“ 39
„Das meine ich auch. Und das wirst du ja auch einsehen: Wir haben so viel Mühe und auch Geld in diese Sache hineingesteckt, und wenn dann einer kommt wie Spier und will da einfach meutern und uns damit auch noch in Gefahr bringen – da hat uns eben die Wut gepackt, und wir haben ihn eben mal verprügelt.“ Er winkt jovial ab. „Ist ja alles nicht so schlimm, und wir tragen es euch auch nicht nach.“ Eine Stunde später gibt McIddle das Zeichen zum Beginn der Arbeit. Er hat selbst eine schwere Hacke in der Hand und tut die ersten Schläge. Prasselnd stürzen die goldhaltigen Brocken aus dem Erdreich, in dem sie Milliarden Jahre gelegen haben. Eine Weile bleibt Irving Lane noch stehen, um den Gang der Arbeit zu beobachten. Dann gibt er seinem Komplicen einen Wink, um sich wieder nach draußen zu begeben. * Lane und Moriller besprechen die letzten Einzelheiten im Raumschiff Lanes. „Dieser Dicke scheint dumm wie Kuhdreck zu sein“, meint Irving Lane höhnisch. „Aber solche Kerle brauchen wir. Ihr habt nichts weiter zu tun, als aufzupassen, daß sie nicht stiften gehen. Könnte mir allerdings nicht vorstellen, wohin sie wollten, denn die Gegend eignet sich nicht für Spaziergänge. Fangt keinen Streit mit den Brüdern an, wir haben sonst bloß Scherereien, und sie verlieren die Lust an der Arbeit. Wir werden die Geschichte hier so lange aufrechterhalten, wie es geht – dann verschwinden wir und lassen die Kerle hier sitzen. Wenn wir sie wieder zur Erde zurückbrächten, müßten wir immer Angst haben, daß sie uns verpfeifen oder daß sie Ansprüche an uns stellen. Nein, wenn die Aktion hier beendet ist, soll die Kerle der Teufel holen.“ 40
„Sehr vernünftig“, lobt Moriller. „Auf der Erde kann man uns dann sowieso nichts beweisen. Außerdem sind es ja ohnehin alles Spitzbuben, um die kein Hahn krähen wird.“ „Hm“, sagt Irving Lane plötzlich nachdenklich, „da bringst du mich auf einen Gedanken. – Die anderen, die wir hier heraufgeschafft haben, werden allerdings keine Angehörigen mehr haben, es sind alles einsame Junggesellen. Aber Spier hat da eine Haushälterin oder Freundin. – Hoffentlich macht uns die keine Schwierigkeiten.“ Er wendet sich wieder Moriller zu. „Du weißt also Bescheid, Fine. Paß auch auf, daß sich die Kerle kein Gold beiseite schaffen. Wir sind in sechs Tagen wieder da. Seht euch vor mit dem verdammten Viehzeug, das hier umherkriecht. In die Erdhöhle können sie ja nicht hinein, dazu sind die zu groß. Laßt euch auch auf keine Schießereien mit diesen Bestien ein, es wäre schade um die Munition.“ Wenig später schießt das Raumschiff Irving Lanes senkrecht nach oben und ist bald den Blicken entschwunden. Die andere Luftscheibe schwebt, hart an den Berghang gedrückt, nur wenige Zentimeter über dem Erdboden. Sie dient Moriller und Hootweed als Aufenthalt und Schlafstätte. Auf dem Bildschirm ist im Zentrum eines Fadenkreuzes ein roter Punkt zu sehen. Dieser Punkt ist der große Radarspiegel auf der Erde. Solange er sichtbar ist, steht das Raumschiff mit dem Erdplaneten in Verbindung. * Tale Perkins pfeift überrascht durch die Zähne. Da ist vor wenigen Minuten eine sehr interessante Meldung eingegangen. Ein Goldbarren von dreißig Karat wurde in der Filiale der Weltbank in San Franzisko eingeliefert. Der Bankdetektiv ver41
folgte den Einlieferer bis zur Haltestelle der Schnellbahn, die auf den Flugplatz für Raumschiffe und Raketen führt. Dort bestieg der Mann eine zweisitzige Rakete, mit der er die Stadt in südöstlicher Richtung verließ. Personenbeschreibung: groß und breit, schwarzes Haar, weiße Narbe an der linken Halsseite. Spricht mit belegter Stimme. Heftpflaster über der linken Augenbraue, blutunterlaufene Stelle unter dem Kinn, Augen grau, kalt und ausdruckslos. Der Name konnte nicht festgestellt werden. Alter ungefähr vierzig Jahre. Perkins hat die Meldung zu einer Rolle zusammengedreht und schlägt damit im Takt auf die Kante des Schreibtisches. Zum Teufel, hat er nicht schon einmal in letzter Zeit etwas von einer weißen Narbe gehört? Wann ist das gewesen? Es war bei der Bearbeitung eines anderen Falles. Tale Perkins ärgert sich über seine Vergeßlichkeit. Und in diesen Ärger hinein schrillt die Glocke des Telefons. Der Polizeichef nimmt den Hörer ab und meldet sich. Dann hört er zu, was ihm seine Sekretärin zu sagen hat. „Reinschicken!“ sagt er kurz und legt auf. Es ist Marv Ann Shelton. Vier Tage lang hat sie ihm jetzt ihre Besuche abgestattet. Und jedesmal mußte er ihr sagen, daß mit den Nachforschungen nach Harold Spier noch kein Fortschritt erzielt wurde. Auch heute. „Tut mir verdammt leid, Miß, aber wir haben noch keine neuen Meldungen. Der Wagen war aus einem Verleih, da ist natürlich nichts zu machen. Und die Personenbeschreibung dieses Irving Lane ist längst nicht ausreichend für eine Großfahndung. Ja, wenn der Mann besondere Kennzeichen hätte! Aber die Narbe, die Sie an – ge – ge – ben ha – ben …“ Er unterbricht sich. „Warten Sie doch mal! Ich habe da etwas.“ Der Polizeichef glättet einen Zettel, der zerknüllt und zusammengerollt neben ihm auf dem Schreibtisch liegt. Als er ihn 42
noch einmal durchgelesen hat, wählt er eine Nummer des Haustelefons. „Hallo, Inspektor!“ ruft er. „Ich habe hier Miß Shelton zu Besuch. Lassen Sie sich doch mal von ihr persönlich ihr Anliegen vortragen. Und dann schicke ich Ihnen eine Meldung, die ich heute erhielt. – Wissen Sie, die Goldangelegenheit … Ja, ja … Will Ihnen einen Tip geben, Inspektor: Erkundigen Sie sich doch einmal nach der Narbe! Ich rufe Sie dann wieder an, Inspektor. Das übrige überlasse ich Ihrer Intelligenz.“ Mary Ann folgt der vorausgehenden Sekretärin über lange Gänge des Präsidiums bis ins Nebengebäude. Die Sekretärin öffnet eine Tür, auf der ein Schild angebracht ist: Leiter des Raumüberwachungsdienstes, Inspektor Mat Fraser. Mary Ann ist erstaunt. Was hat sie mit dem Raumüberwachungsdienst zu tun? Doch sie findet keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn die Sekretärin fordert sie auf, einzutreten. Hinter dem Schreibtisch erhebt sich die Gestalt eines blonden, athletisch gebauten Mannes. Und beinahe hätte Mary Ann einen lauten Freudenruf ausgestoßen. Das ist doch … Auch er hat sie erkannt. Sein gebräuntes, männlich-kühnes Antlitz färbt sich um eine Nuance dunkler. Er rückt einen Sessel zurecht und deutet mit der ausgestreckten Hand darauf. „Der Polizeichef rief mich gerade an“, erklärt er, während er oberflächlich das von der Sekretärin auf den Schreibtisch gelegte Papier überfliegt. „Er sagte mir, Sie hätten mir eine schöne Story zu erzählen. Darf ich bitten …?“ Mat Fraser hat den Kopf ein wenig zur Seite geneigt und zeigt mit verbindlichem Lächeln die weißen Zähne. Mary Ann findet ihn reizend. Als sie ihren Bericht beendet hat, lauscht er noch immer auf den Tonfall dieser so weiblich-verträumten Stimme. Erst als 43
diese Stimme wie ein schönes Lied verklungen ist, besinnt er sich seines Berufes und der damit verbundenen Pflichten. Es sind da einige Dinge, die er mit dem Feingefühl des begabten Kriminalisten bemerkt hat und die ihm über dieses scharmante, äußerst reizvolle weibliche Wesen ein gewisses Übergewicht verleihen. Diese Feststellung trifft er mit gewissem Behagen. Zunächst aber entsinnt er sich der Bemerkung Perkins’. „Erlauben Sie, Miß“, sagt er höflich. „Da ist eine Narbe am Hals, über die ich gern noch etwas hören möchte.“ „Narbe?“ fragt Mary Ann erstaunt. „Ach so, ja, bei Irving Lane!“ ruft sie. „Das hatte ich ganz vergessen. Woher wissen Sie das?“ „Ah! Also Irving Lane hatte am Hals eine Narbe? Hatte er sonst noch Verletzungen? Haben Sie Heftpflaster gesehen oder zum Beispiel unterm Kinn eine blutunterlaufene Stelle?“ „Nein, bestimmt nicht! Das hätte ich gesehen …“ „Hm …“ Mat Fraser greift nach einem Papier, das er aus einem Stoß anderer hervorfischt. Dann wendet er sich wieder an Mary Ann. Seine Miene drückt nur dienstliches Interesse aus, was Mary Ann außerordentlich bedauert. Aber vielleicht muß ein Mann so sein – entschuldigt sie ihn gleich darauf wieder. „Hatte Ihr Verlobter einen Beruf?“ „Ja, er ist Versicherungsvertreter.“ „Und was hat er in jener Gewitternacht getan, als Lane zum ersten Male Ihre Bekanntschaft machte?“ „Er hat Bekannte besucht“, antwortet sie, doch sie vermeidet es, seinem Blick zu begegnen. Mat Fraser lächelt. „Im Interesse der weiteren polizeilichen Ermittlungen wäre es notwendig, die Anschrift dieser Leute zu erfahren. Können Sie mir da einige Angaben machen?“ 44
„Leider nicht, Herr Inspektor. Spier hat mir nie etwas über seine geschäftlichen Angelegenheiten erzählt.“ Er sieht ihr voll ins Gesicht. „Sie sind aber doch seine – Verlobte?“ „Nein, eigentlich noch nicht … Ich habe ihm den Haushalt geführt.“ Wie kommt es, daß Mat Fraser über diese Antwort Freude empfindet? Ist er etwa gar – verliebt in dieses schillernde Wesen aus weiblichem Charme und kosmetischen Zutaten? Wieder klingelt ein Telefon. Fraser nimmt den Hörer in die Hand und hört sich an, was Tale Perkins ihm zu berichten hat. Für einen Augenblick bilden sich einige harte Falten auf seiner hohen Stirn. Dann legt er mit einem kurzen „Gut!“ den Hörer wieder auf die Gabel. „Hören Sie mal gut zu, Miß“, beginnt er bedächtig und für Mary Anns Begriffe recht unverbindlich. „Ist es nicht vielleicht besser, wir spielen hier mit offenen Karten? Was hatte Harold Spier am Thornton Place zu suchen?“ Sie weicht seinem klaren Blick aus und hält ihre Katzenaugen unter den langen Wimpern verborgen. „Ich – weiß es wirklich nicht“, sagt sie endlich. Sie zuckt erschrocken zusammen, denn sie verspürt eine kräftige Männerhand, die sich um ihr Handgelenk gelegt hat. „Hallo, Miß“, lächelt er, „vor wenigen Augenblicken sagten Sie mir, daß Spier einen Bekannten habe, den er besucht hat. Jetzt sagen Sie mir wieder, daß Sie es nicht wissen. Warum schwindeln Sie?“ Durch einen leichten Druck versucht sie, sich von seinem festen Zugriff um ihr Handgelenk zu befreien. Doch er hält sie fest und versucht, einen ihrer Blicke zu erhaschen. Sie zuckt hilflos die Schultern. „Ich – ich weiß es nicht“, sagt sie leise. „Was brachte er mit? Was war in dem Paket?“ 45
„Ein Paket“, fragt sie erschrocken. „Das wissen Sie?“ Also doch! denkt Fraser bei sich. Er wußte es nicht, aber er klopfte auf den Busch. Mit Erfolg. „Ja, das weiß ich“, lacht er, ohne dabei das Gesicht zu verziehen. „Komm, Mädchen“, sagt er dann sanft, „erzähl mir doch mal den ganzen Schwindel!“ „Er war immer – so anständig zu mir“, schluchzt sie. „Natürlich, Miß, das kann man verstehen. Und unter solchen Umständen kann man ihn auch nicht an die Polizei verraten. Aber die Polizei weiß bereits alles.“ Sie hebt rasch den Kopf. „So ist er also tatsächlich – von der Polizei verhaftet worden?“ „Stop, Miß, jetzt sehen Sie wieder zu schwarz. Nein, die Polizei hat ihn nicht verhaftet. Ich fürchte nur, Mädchen, daß er sich jetzt mit einigen Dingen beschäftigt, die recht schlimm sind. Sagen Sie mal, Miß: Ist es eigentlich notwendig, daß Sie sich in eine solch häßliche Situation begeben? Nicht wahr, Sie haben nicht gewußt, was Spier in der Nacht getrieben hat?“ Er hat seine Hand auf ihr Haar gelegt und verstärkt den Druck seiner Finger. Sie erschauert unter seinem Griff. „Ja – oder nein, Mary Ann?“ fragt er noch einmal. „Nein …“ Wie ein Hauch kommt die Antwort von ihren Lippen. „Sind Sie diesem Spier gegenüber irgendwie verpflichtet?“ erkundigt sich der Inspektor weiter. „Eigentlich nicht. Aber – wo sollte ich hin?“ „Sehen Sie, Miß, das wird nun folgendermaßen werden: Das Haus und das Eigentum Spiers werden polizeilich beschlagnahmt. Und er selbst wird wahrscheinlich auf viele Jahre ins Zuchthaus wandern. Dazu kommt noch die Sache, die er sich mit Lane eingebrockt hat. Darüber wissen wir noch nichts Ge46
naues, aber unsere Weltregierung versteht gerade in diesen Dingen keinen Spaß.“ „Was sind das für Dinge, Herr Inspektor?“ „Ich darf nicht zu Ihnen darüber sprechen. Und ich wünsche auch nicht, daß Sie sich mit diesen Dingen beschäftigen. So, wie ich die Sache zu übersehen vermag, werden Sie Mr. Spier sobald nicht mehr Wiedersehen. Es ist schade um Sie, Miß …“ Mary Ann hat sich den Verlauf dieses Besuches auf dem Präsidium ganz anders vorgestellt. Gewiß, sie hat immer ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn die Rede auf das nächtliche Parken auf dem Thornton Place kam. Sie ist im Grunde ihres Herzens nicht schlecht, nur bodenlos leichtsinnig, sonst hätte es niemals geschehen können, daß sie sich einem Harold Spier verschrieb. Mat Fraser sucht einen Ausweg. Als Polizist und Hüter der Gesetze muß er Mary Ann Shelton verurteilen, als Mensch fühlt er Mitleid und ist zum Verzeihen geneigt, als Mann aber sucht er einen rettenden Ausweg. Das aber kann nicht in seinem Dienstzimmer im New Yorker Polizeipräsidium geschehen. „Ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagt plötzlich Mary Ann in die eingetretene Stille hinein. „Ich sehe jetzt ein, daß ich nicht richtig gehandelt habe. Aber das ist ja jetzt alles zu spät.“ „Wir können uns über diese Dinge nicht in meinem Arbeitszimmer unterhalten. Solange ich mich in diesem Hause aufhalte, muß ich die polizeilichen Belange vertreten.“ Er blickt auf die Armbanduhr. „Es ist jetzt Mittag. Paßt es Ihnen, mich gegen drei Uhr im Atlantic-Café auf der 4th Avenue zu treffen, Miß?“ Sie betrachtet ihn mit einem prüfenden Blick. Für einen Augenblick ist sie versucht, ihr altes Wesen wieder zur Schau zu stellen, ihre Koketterie, ihren Flirt. Doch zur rechten Zeit besinnt sie sich, daß dies einem solchen Manne gegenüber und in einer solchen Situation wenig angebracht ist. 47
Sie erhebt sich rasch, streicht mit der Hand über ihr Haar. „Ich freue mich, Mr. Fraser“, sagt sie mit dem Anflug eines Lächelns. „Ich werde dort sein.“ Lange noch sitzt Mat Fraser vor seinem Schreibtisch, ohne sich mit einer Arbeit zu beschäftigen. Er denkt über Mary Ann Shelton nach. Ob es sich wohl lohnt, daß er sich mit ihr beschäftigt? Er sieht auf die Uhr. Es ist Viertel nach zwölf, die Zeit will nicht vergehen. Soll er noch arbeiten? Er hat jetzt keine rechte Lust dazu. Zwei blaugrüne Katzenaugen locken ihn ins Freie, die Enge des Präsidiums bedrückt ihn. * Gerade will Mary Ann in ihr Zimmer gehen, da klingelt es an der Tür. Als Mary Ann die Flurtür öffnet, erfaßt sie im gleichen Augenblick ein furchtbarer Schrecken. Denn dort steht – mit einer weißen Narbe am Hals, einem Heftpflaster über der linken Augenbraue und einem geschwollenen und blutunterlaufenen Kinn –. kein anderer als Irving Lane. Schon will Ann in plötzlicher Abwehr die Flurtür wieder zuschlagen, aber Lane hat seinen Fuß dazwischengesetzt. „Kennen Sie mich nicht, Miß? Ich bringe Ihnen Grüße von Harold Spier, darf ich näher treten?“ Mary Ann betrachtet den Mann mit unverhohlenem Mißtrauen. „Ja, natürlich“, sagt sie, ohne ihn zum Nähertreten aufzufordern. „Wo ist er?“ „Ich habe Ihnen einiges auszurichten. Aber ich kann das nicht an der Tür tun.“ „Es ist nur“, entgegnet sie, „ich habe im Augenblick furchtbar wenig Zeit. Können Sie nicht heute abend wiederkommen?“ „Ich werde mich nur einige Minuten aufhalten, Miß.“ 48
Mary Ann gibt nur widerwillig den Weg frei. Sie geht dem Manne voraus und öffnet die Tür zum Wohnsalon. Ungeduldig nimmt sie ihm gegenüber Platz. Sie deutet diese Eile durch einen demonstrativen Blick auf ihre Armbanduhr an. „Es handelt sich darum“, beginnt Irving Lane in schleppendem Ton, „daß Mr. Spier Sie sofort sprechen möchte. Er bittet mich, Ihnen auszurichten, daß Sie mit mir fahren sollen. Ich fahre jetzt gleich los – sind Sie bereit, mich zu begleiten?“ „Ist es weit?“ erkundigt sich Mary Ann, die schon fest entschlossen ist, der Aufforderung nicht nachzukommen. „Ich darf Ihnen nicht verraten, wo er sich aufhält“, sagt Lane. „Es ist absolut geheim. Sie werden es ja selbst sehen. Er besitzt jetzt ein viel schöneres Haus als dieses hier, und Sie werden wahrscheinlich ebenfalls dort bleiben.“ „Warum ist er nicht selbst gekommen?“ „Er hat keine Zeit. Deshalb mußte ich ihm diese Reise nach New York abnehmen.“ Nie werde ich dorthin fahren, denkt Mary Ann verbissen. „Ich bedaure“, sagt sie, „es geht jetzt nicht. Ich habe eine Verabredung.“ „Mit wem?“ Sie sieht ihn verwundert an. „Das geht Sie wohl nichts an“, antwortet sie. „Warum hat mir Harold erst heute Nachricht gegeben, obgleich er mir versprochen hatte, es nach fünf Tagen zu tun? Er wollte mir doch pünktlich Bescheid geben.“ „Er bittet um Entschuldigung, aber er war mit dem Raumschiff unterwegs. Da klappte es nicht mit der Nachricht. Dafür läßt er Sie ja jetzt durch mich abholen. Wollen wir fahren? Mein Wagen steht draußen.“ „Ihr Wagen?“ lacht sie spöttisch. „Ist das denn wirklich Ihr Wagen?“ 49
Er hebt schnell den Kopf. „Wie kommen Sie darauf?“ fragt er hart. „Nun, ich meine, daß Ihr Wagen ein Fahrzeug aus einem Wagenverleih …“ Er beugt sich vor. Er hat beide Hände auf die Lehnen des Sessels gelegt, als wolle er im nächsten Augenblick aufspringen und sich auf sie stürzen. Mary Ann ist unvorsichtig gewesen. Aber sie kann diesen Mann nicht leiden, und sie wollte ihm zu verstehen geben, daß sie seine Unwahrheiten durchschaut. Doch bei Irving Lane steht viel auf dem Spiel. Wie gelangte diese Frau zu diesen Kenntnissen? „Woher wissen Sie das?“ Wie eine Drohung klingt diese kurze Frage. Mary Ann hört den Unterton, der sie zur Vorsicht mahnt, sehr wohl heraus. „Weil ich Ihren Wagen gesehen habe“, weicht sie aus. „Er sieht aus, als käme er aus einem Verleih.“ Wieder ein Blick auf die Armbanduhr. Es ist zwei Uhr. In einer Stunde will sie sich auf der 4th Avenue mit Mat Fraser treffen – und sie ist noch nicht umgezogen. Plötzlich kommt ihr ein Gedanke. Um alles in der Welt wird sie die Verabredung mit dem Kriminalinspektor einhalten. Aber das kann sie diesem Gangsterboß schließlich nicht verraten. Unvermittelt erhebt sie sich. „Ich werde mit Ihnen fahren“, erklärt sie. „Warten Sie hier auf mich, ich will mich umziehen.“ Mary Ann verläßt das Zimmer, holt auf dem Flur tief Atem, um ihre Nerven wieder ins Gleichgewicht zu bringen, eilt dann mit raschen Schritten die Treppen hinauf in ihr Zimmer. Mit fliegender Hast nimmt sie das grüne, ärmellose Kleid aus dem Schrank und wirft es aufs Bett. Dann kleidet sie sich um, ohne Zeit zu finden, sich noch einmal im Spiegel zu betrachten. Wenige Minuten später ist sie fertig. 50
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Sie schlüpft in einen leichten Sommermantel, dann wechselt sie noch die Schuhe. Mat Fraser braucht sich seiner Partnerin nicht zu schämen. Sie sieht elegant aus und gepflegt. Leise schließt sie die Tür, nachdem sie sich ihre Handtasche an langem Riemen über die Schulter gehängt hat. Auf Zehenspitzen schleicht Mary Ann zur Treppe. Sie muß sich große Mühe geben, unhörbar aufzutreten, denn ihre hohen Absätze eignen sich nicht für geräuschlose Schritte. Stufe um Stufe gleitet sie hinunter. Wenn sie den Haupteingang benutzt, muß sie am Wohnsalon vorbei, in dem Irving Lane wartet. Außerdem knarrt die vordere Flurtür – sie wird besser den hinteren Ausgang nehmen. Im unteren Flur ist alles still. Auch aus dem Wohnsalon ist nichts zu hören. Es sind kaum zehn Minuten vergangen, seitdem sie den Wohnsalon verließ. Sie schleicht an der Treppe vorbei, die zum Keller führt, dann an dem großen Geräteschrank vorbei, hinter dem ist die Tür. Vorsichtig drückt sie die Klinke nieder – und fährt mit einem gellenden Aufschrei herum. – Eine Hand hat sich auf ihre Schulter gelegt, eine schwere Männerhand. – Hinter ihr steht, mit einem höhnischen Lachen auf dem Gesicht, doch mit gefährlich glitzernden, eiskalten Augen – Irving Lane. „Was sollen diese Scherze, Miß?“ vernimmt sie seine rauhe Stimme. Jetzt erkennt sie erst, woher er so überraschend gekommen ist. Er hat hinter dem Schrank auf sie gewartet. Sie schüttelt seine Hand ab. Erschrecken und Enttäuschung haben einen maßlosen Zorn in ihr hervorgerufen. „Das sind keine Scherze, Mr. Lane, sondern das ist Ernst!“ entgegnet sie wütend. „Haben Sie noch nicht gemerkt, daß ich nicht mit Ihnen fahren möchte? Dann will ich es Ihnen hiermit gesagt haben. Bei solchen Geschäften mache ich nicht mehr mit!“ 52
„Ihre Sache, Miß, wenn Sie in ein Kloster gehen wollen. Aber Sie fahren in einem Zug, aus dem man nicht nach Belieben ein- und aussteigen kann. Gehen Sie von der Tür weg“, herrscht er sie plötzlich an. „Wir lassen nicht mit uns spielen, haben Sie das kapiert? Wenn wir unsere Aktion beendet haben, können Sie tun, was Sie wollen.“ „Was geht mich Ihre Aktion an?“ schreit Mary Ann in einem Ausbruch ungebändigter Wut. „Scheren Sie sich zum Teufel, Mann, oder ich werde …“ „Nun, was werden Sie denn?“ fragt Lane, während er nahe an sie herantritt. „Das kann ich Ihnen sagen, werter Herr!“ Mary Ann hat jetzt alle Beherrschung verloren. „Ich werde Sie dem Inspektor Fraser zur Anzeige bringen! Vielleicht wird der mir helfen!“ „Damned!“ Irving Lane ist die Kälte in Person. „Wie kommen Sie zu dem Air-Fraser?“ „Air-Fraser?“ wiederholt sie erstaunt. Doch dann kommt ihr wie ein Blitz die Erleuchtung. Die ganze Welt kennt diesen kühnen, todesmutigen Mann, von dem die Zeitungen laufend berichten. Mein Gott – wo hat sie denn ihren Verstand gehabt? Das also ist der berühmte Air-Fraser, mit dem sie sich in der Stadt treffen will? Natürlich, es stand ja an der Tür: Raumüberwachung. Blitzschnell hat sie sich umgedreht und die Klinke in der Hand. Aber noch viel schneller ist Irving Lane. Er hat sie von hinten an der Kehle gepackt und zurückgerissen. Als sie schreien will, drückt er ihr den Hals so zusammen, daß sie nur ein Röcheln hervorbringen kann. Mit der letzten, erbitterten Kraft der Verzweiflung setzt sie sich zur Wehr, doch sind ihre schwachen Kräfte Irving Lane nicht gewachsen. Stumm kämpfen die beiden ungleichen Gegner miteinander. 53
Ohne einen Laut von sich zu geben, sinkt Mary Ann ohnmächtig zu Boden. Er überzeugt sich durch einen schnellen Blick, daß Mary Ann augenblicklich wohl kaum zu fliehen vermag. Er eilt hinaus, öffnet das Gartentor und bringt seinen Wagen zum Gartenausgang. Aus dem Fond des Wagens nimmt er einen großen Leinensack, den er zu diesem Zweck mitgebracht hat. Mit Stricken, die er im Geräteschrank auf dem Flur findet, fesselt er dem Mädchen Hände und Füße, dann bindet er ihr eine Gartenschürze, die er gleichfalls dort fand, fest um den Mund, um sie am Schreien zu hindern. Lane verstaut den Sack im Fond seines Wagens. Dann schießt das grüne Kabriolett aus der Garteneinfahrt und strebt der Highway zu, die in südwestlicher Richtung verläuft und dem Staate Nevada zustrebt. Die beiden Wächter Moriller und Hotweed können sich über den Eifer ihrer Zwangsarbeiter nicht beklagen. John Hotweed ist mit dem Ablauf der Ereignisse durchaus zufrieden, während Fine Moriller einen leisen Verdacht nicht loswerden kann. Irgend etwas stimmt mit diesen Leuten nicht, ihre Arbeitsbegeisterung macht ihn mißtrauisch. Er ist zu wenig diplomatisch, dieses Mißtrauen zu verbergen – so ergeben sich im Laufe der Tage Spannungen, die das Leben zwischen den beiden Parteien recht unangenehm gestalten. McIddle, der Mann aus Texas City, führt noch immer das Kommando. Er hat seine Leute in den Plan eingeweiht, den er schon vom ersten Tage an fieberhaft verfolgt. „Wir müssen das Raumschiff haben“, erklärt er seinen Kumpanen leise. „Mit Gewalt ist da nichts zu machen, denn diese Halunken sind bewaffnet und brennen uns die schönsten Löcher in den Pelz. Am Tage laufen sie dauernd mit dem Schießzeug herum und kehren uns nie den Rücken zu. Das können wir nur nachts machen.“ 54
„Wie denn?“ wirft einer ein. „Wir sind ja eingeschlossen und können nicht heraus.“ „Du redest, ohne erst zu überlegen, Pearson“, weist ihn der Irländer zurecht. „Es gibt ja nicht nur diesen Ausgang, Mann! Ich habe mir den Berg, in dem wir herumschaufeln, sehr genau angesehen. Wenn wir uns nach rechts hin einen Seitenstollen graben, dann kommen wir bestimmt raus ins Freie.“ „Das ist eine gute Idee!“ pflichtet ihm Harold Spier bei. „Ich habe mir das Massiv ebenfalls angesehen – es verläuft hart neben unserer jetzigen Behausung in gerader Linie. Wenn es nicht hartes Gestein ist, auf das wir treffen …“ „Ist es nicht, Kollege!“ meint McIddle. „Es ist alles weicher Dreck, in dem die Quarzklumpen liegen. Wir müssen die Kerle natürlich täuschen. Eine Abteilung gräbt am Hauptgang weiter, und wenn keiner von den Spitzbuben in der Nähe ist, dann arbeiten wir am Nebengang. Ich schätze, daß wir diesen Gang in acht Tagen durchgestoßen haben. Dann überfallen wir die Kerle, wenn sie frühmorgens die Tür aufschließen. Weiß einer von euch mit so einem Raumschiff umzugehen?“ Schweigen. Sie sehen sich an, doch keiner spricht das erlösende Wort. Sie alle sind Männer, die sich ihr Leben lang in den Tiefen menschlicher Zivilisation herumtrieben – wie sollten sie jemals Gelegenheit gefunden haben, sich mit der modernen Technik zu beschäftigen? Ein Raumschiff – der Traum jedes abenteuerhungrigen Mannes, ein Millionenobjekt, an das man nicht so leicht herankommt. Aber McIddle, der Mann mit den Muskeln, macht sich keine Gedanken über dieses Problem. Er schnippt mit den Fingern, als sei das eine lächerliche Kleinigkeit. „Nun seid ihr mal wieder am Ende eurer Weisheit, he?“ höhnt er. „Wenn wir nicht mit der Kreiselkiste fertig werden, dann müssen uns eben die anderen Herrschaften zurückfahren. 55
Wir schnappen uns diese Kadetten und bitten sie dann höflichst, mit vorgehaltenem Strahler, versteht sich, die Sache mit der Heimfahrt zu regeln.“ Die Männer schweigen. Der Irländer winkt resigniert ab. „Da bin ich ja in einen blödsinnigen Verein hineingeraten“, beklagt er sich. „Keinen Humor, keine Phantasie haben die Kerle! Ich will euch auch das sagen, Kollegen: Wir werden diese Herrschaften sehr höflich ersuchen, mit uns die Plätze zu tauschen. Wir könnten ja schließlich auch so ein bißchen Gold gebrauchen, und da ist es sehr praktisch, wenn man Arbeitskräfte zur Hand hat.“ Wie gesagt: Fine Moriller traut dem Landfrieden nicht. Er hält trotz der scheinbaren Freundlichkeit der Atmosphäre den Finger am Abzugshebel seiner Maschinenpistole. Und er läßt denjenigen, der jeweils alle vier Stunden das gewonnene Erz mit der Schubkarre nach draußen schaffen muß, nicht aus den Augen. Nur jeweils einer darf den stacheldrahtumzäunten Aufenthaltsraum verlassen, alle anderen müssen während dieser Zeit im Innern des Berges arbeiten. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, die Moriller für angebracht hält. Und draußen auf dem Abladeplatz steht Hotweed, ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet, und hält strikt einen Abstand von wenigstens fünf Metern, damit man ihn nicht unversehens überfallen kann. Karren auf Karren wird hinausgeschleppt. Die Männer wühlen sich in den Berg, und als man von der Eingangstür her nichts mehr erkennen kann, gibt McIddle die Anweisung, nun mit dem Gang nach rechts zu beginnen. Es geht schneller, als man glaubte. Der Boden ist verhältnismäßig weich und nur schwach mit Steinen durchsetzt. Zur Ablenkung arbeitet die Abteilung im Hauptgang mit doppelter Kraft, um das übliche Quantum nach vorn zu bringen. 56
Schon am zweiten Tage ist die Strecke durch armdicke Wurzeln versperrt, ein Zeichen, daß man sich der Oberfläche nähert. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg. Die Wurzeln dieser fremdartigen Bäume sind hart wie Stahl und ziehen sich wie Ölleitungen im Erdreich hin. Nach irdischen Begriffen vermag kein Orkan diese Riesenbäume zu entwurzeln. Am dritten Tage stößt die Spitze der schweren Hacke ins Leere. Sie haben es geschafft. McIddle hat alle Mühe, seine „Kollegen“ von einem Massensturm in die Scheinfreiheit des Gandar zurückzuhalten. Sie haben nur einen schmalen Gang gegraben, den sie gerade notdürftig in tiefgebückter Haltung durchqueren können. Keiner läßt es sich nehmen, einen Blick hinaus zu tun. Das Bild, das sich ihnen bietet, dämpft ihren Tatendrang in beachtlicher Weise. Diese Gegend ist nur wenig geeignet, größere Spaziergänge zu unternehmen. Öligschillernde Sümpfe, mit Urwaldbäumen, die wie riesige Aloestauden aussehen, und Baumfarne, die unten einen Durchmesser von fast zwei Metern haben. – Aber alles ist totenstarr und von beängstigender Leblosigkeit. Nichts ist von den unheimlichen Tieren zu sehen, die Irving Lane erwähnte. Vielleicht ist alles nur ein Schreckgespenst, ein Ammenmärchen? Aber Harold Spier behauptet ja, eines dieser Ungeheuer mit eigenen Augen gesehen zu haben. Es sei so groß gewesen wie eine Lokomotive mit anhängendem Tender und Gepäckwagen. Selbst McIddle kneift die Augen ungläubig zusammen und ist der Meinung, daß Spier gewaltig aufschneidet. Der Irländer hat den Schlachtplan fertig. Er selbst und Spier werden ihn ausführen. Im Morgengrauen werden sie um den Berg herum von außen her in einen der Verschläge kriechen und dort auf die beiden Wächter warten. Es wird verhältnismäßig leicht sein, sie zu überwältigen, weil sie ja völlig ahnungslos sind. 57
Eine Uhr besitzen sie nicht. Die Armbanduhren sind ihnen mit den Pistolen und allen anderen Wertgegenständen während ihrer Ohnmacht abgenommen worden. So müssen sie sich nach der Dunkelheit richten, die auf dem Gandar nur sehr kurz anhält, da die Sonne dieses Planeten senkrecht über dem Pol steht und das Lager zwischen diesem sonnenbeschienenen Pol und dem Äquator liegt. Unter den verschleppten Männern herrscht eine begreifliche Aufregung. Auch Harold Spier ist nicht so ruhig, wie er sich nach außen hin den Anschein gibt. Der einzige, der eine wirklich apathische Ruhe zeigt, ist Ronald McIddle. Ein Mißlingen der Aktion – pah, niemals, wenn er dabei ist. Und er wird dabei sein. Und wenn man seine mächtigen Arme und Fäuste so ansieht, so möchte man ihm beinahe recht geben. McIddle schläft so ruhig, als wäre er im Waldorf-AstoriaHotel auf der 5th-Avenue abgestiegen. Schon nach schätzungsweise drei Stunden dringt der erste Schein des anbrechenden Morgens durch die Lücke im Gestein, die am obersten Punkt des Gewölbes klafft. Diese Lücke ist zu schmal, als daß sich ein Mann hindurchzwängen könnte, ganz abgesehen davon, daß die Wände zu steil und auch zu überhängend sind, so daß man sie nicht erklimmen kann. * Harold Spier ist so aufgeregt wie ein Rennpferd vor dem Start. Er tastet sich voraus durch die nachtschwarze Finsternis der unterirdischen Gänge. Als er in den rechten Seitengang einbiegen will, hält ihn McIddle zurück. „Laß mich das mal machen, Kollege“, fordert er ihn leise auf. „Wir wollen ja letzten Endes nicht um die Wette laufen.“ 58
Sie vermeiden es, sich mit Hilfe der Streichhölzer zu orientieren. Schon der kleinste Lichtschein könnte zum Verräter werden. Sie haben das Ende des Ganges, dort, wo er ins Freie führt, mit Sand zugeschüttet. Als McIddle jetzt mit den Händen dagegenstößt, beginnt er sofort mit der Wühlarbeit. Wie ein Maulwurf arbeitet er sich durch den Sand und scharrt das lose Erdreich nach hinten. Endlich ein Lichtschein. Die Dämmerung bricht durch die freigewordene Lücke. McIddle nimmt Witterung wie ein Leithirsch. Totenstill und in der Einsamkeit erstarrt, liegt die gewaltige Sumpfebene vor den beiden Männern. Bis zum Horizont dehnt sich diese unheimliche Sumpflandschaft. Rechts davon erhebt sich das Gebirge. Auch jetzt liegen die Gipfel unter der Last schwerer Wolken, dem menschlichen Auge verborgen. Harold Spier starrt in das schwärzliche Grün des Sumpfes. Über ihnen steigt der Hang des Goldberges wohl vierhundert Meter hoch auf. In weiten Abständen ist dieser Hang von gigantischen Baumfarnen bewachsen, während das Unterholz eine undurchdringliche Wildnis darstellt, mit mannshohen, unbekannten Kräutern, Büschen, Stachelpflanzen und Blüten durchsetzt. Soeben will McIddle seinem Gefährten ein Zeichen geben, vorsichtig an der Lehne des Berghanges vorwärtszuschleichen, als er plötzlich wie angewurzelt stehenbleibt. Das gleißende Licht des aus der Tiefe des Alls emporschießenden Sonnenkörpers läßt diese Urwelt wie das Szenenbild eines utopischen Films aufleuchten. Für einige Augenblick blitzen grelle Farben, und selbst das brackige Sumpfwasser schillert im leuchtend blauen und grünen Widerschein des Himmels. Doch das ist es nicht, was McIddle erschreckt. Denn da ist ein Geräusch zu vernehmen, ein schleichendes, klapperndes Geräusch. – Es kommt von links oben, es nähert sich den Hang herab wie ein Erdrutsch. 59
Die beiden Männer wagen nicht zu atmen. Und dann wird Harold Spier von der mächtigen Faust McIddles wortlos in den Ausschlupf zurückgedrängt. Stumm weist der Irländer auf die Masse eines Schlangenpanzers, die mit bedächtiger Langsamkeit zum Ufer des Sumpfes hinunterkriecht. Eine Schlange? Nein, für dieses gigantische Ungeheuer gibt es keine Bezeichnung. Ein Krokodil mit einem Schlangenkopf, von einem bräunlichen Panzer bedeckt, wie der meterdicke Stamm eines Urwaldbaumes anzusehen, wälzt sich wie eine Schlange durch das rauschende und splitternde Unterholz, zehn – fünfzehn – zwanzig – dreißig Meter lang. Jetzt gleitet das Untier ins Sumpfwasser, daß es hohe Wellen wirft und schäumend den trockenen Uferrand überflutet. Dieses Tier – wenn es das von Menschen geprägte Prädikat überhaupt verdient – ist so häßlich und in seiner Wildheit so schreckenerregend, daß die beiden Männer Spier und McIddle mit aufeinanderschlagenden Zähnen und krampfhaft geballten Fäusten noch immer unschlüssig und mutlos auf ihrem Platz stehen. Was wäre wohl geschehen, wenn dieser Schlangenkoloß den Eingang zur Erdhöhle gefunden und sich dann durch den engen Gang gewälzt hätte? „Verdammt!“ flucht McIddle. „Das war ein Brocken! Der frißt dich ohne Senf!“ Spier antwortet nicht. Doch er fürchtet sich jetzt vor dem bevorstehenden Abenteuer. Diese ungeheuerlichen Tiere verschlimmern die Lage noch; plötzlich sieht alles ein bißchen anders aus, als man es sich vorher ausgemalt hat. Jeder Schritt, den man auf diesem unheimlichen, unbekannten Planeten tut, ist von Gefahren umlauert, von schreckenerregenden Ereignissen. Was ist zu tun, wenn man einer solchen Amphibie plötzlich gegenübersteht? Flucht – aber wohin? McIddle wird nicht von solchen Gedanken bewegt. Er nimmt 60
das Leben so, wie es an ihn herantritt. Er reagiert darauf mit seiner behäbigen Kritik und sieht im übrigen zu, daß er sich aus der Gefahr herauswindet. Auch jetzt läßt McIddle sich nicht aus der Ruhe bringen. „Weiter, Kollege!“ meint er gemütlich. „Sonst kommen wir zu spät zum Frühstück!“ Er stapft mit einer solchen fröhlichen Miene an der Berglehne entlang, als bewohnten diesen Gandar nur Schmetterlinge und wilde Kaninchen. Erst, als sie das Ende des vorspringenden Berges erreicht haben, läßt er sich auf den Boden fallen. „Nun mal schön vorsichtig, damit wir die Herrschaften nicht aus dem Schlafe wecken“, raunt er Spier zu. „Jetzt gibt es erst einmal eine langweilige Vorbereitung. Wir gehen in den Verschlag, wo die Geräte stehen.“ Unter den mannshohen Farnkräutern winden sie sich wie Schlangen am Boden entlang, bis sie den vorderen Eingang des Stollens erreicht haben. Sie richten sich erst dann wieder auf, als sie außerhalb des Sichtbereichs des Raumschiffes sind. Dann setzen sie sich in dem Verschlag, in dem die Geräte aufbewahrt werden, auf den Boden und warten. Und dann nähern sich endlich die Schritte der beiden Wächter. Sie unterhalten sich miteinander. „Übermorgen kommt Lane wieder“, sagt gerade Moriller. „Wird auch höchste Zeit, daß er anrückt. Ist doch stinklangweilig, dieses Gesindel zu bewachen. Hast du übrigens schon gemerkt, daß sich die Kerle heimliche Blicke zuwerfen, als führten sie etwas im Schilde?“ „Nee, nichts gemerkt“, antwortet der etwas beschränkte Hotweed. „Ich gehe jede Wette ein, daß da etwas nicht stimmt!“ fährt Moriller fort. Sie kommen in diesem Augenblick an dem Verschlag vorbei, in dem die beiden Männer auf der Lauer liegen. 61
McIddles rundes Vollmondgesicht wird von einem breiten Grinsen überzogen. Er stößt Spier in die Seite und ist mit zwei Schritten, die auf dem weichen Sandboden unhörbar sind, hinter Fine Moriller. „Die Wette hättest du glatt gewonnen, Junge“, erklärt der Irländer gemütlich, während er ihm auf die Schulter klopft. Entsetzt fahren die beiden Gangster herum. Der Schreck hat ihnen die Sprache verschlagen. Und erst in dem Augenblick, da Harold Spier dem fassungslosen Hotweed die Faust unters Kinn geschlagen hat und dieser, ohne einen Laut von sich zu geben, mit allen seinen Waffen zu Boden geht, kommt Bewegung in Fine Moriller. Er will die Maschinenpistole von der Schulter reißen, aber in dem Augenblick, als er die Waffe berührt, packt McIddle zu. „Besten Dank!“ grinst der wuchtige Mann aus Texas City, indem er Moriller mit einem einzigen Ruck die Maschinenpistole aus der Hand windet. Da Moriller trotz allem nicht losläßt, ist es nicht zu vermeiden, daß er von der Zugkraft mitergriffen wird und höchst unsanft mit dem Kopf gegen die Felsmauer prallt. Dann aber nimmt ihn McIddle schon beim Genick. „So, mein Junge“, sagt der Preisringer gemächlich, „jetzt sei mal schön brav, sonst muß ich dir noch eins auf den Ballon geben!“ Hilflos und benommen zappelt der Gangster unter dem eisenharten Griff des Irländers. Spier hat ihm schon den Gürtel mit der Pistolentasche abgeschnallt und wirft ihn zu der Maschinenpistole auf den Boden. Dann werden die beiden Gangster kunstgerecht gefesselt. „Sie gestatten wohl, daß ich mir den Schlüssel aus Ihrer Tasche nehme“, sagt McIddle. Er hat das Gewünschte bald gefunden und geht sofort zur Tür des Aufenthaltsraumes, um die „Kollegen“ zu befreien. Auch Hotweed ist inzwischen wieder wach geworden. Er 62
stößt einen grimmigen Fluch aus und versucht, sich von seinen Fesseln zu befreien. McIddle versetzt ihm eine Ohrfeige, daß dem Gangster der Schädel brummt. „Was willst du denn eigentlich, du Holzkopf?“ fährt ihn McIddle an. „Es ist doch ganz in der Ordnung, daß wir die Plätze mal wechseln. So schön dort drin in dem Berg – warum solltet ihr beide nicht auch mal dort arbeiten? Hier draußen ist’s viel zu gefährlich für euch – denkt doch nur an das Viehzeug, das hier herumläuft!“ Die anderen sind in der Zwischenzeit herausgekommen und umringen die beiden Gangster unter höhnischen Bemerkungen. Am liebsten hätten sie die „Wächter“ verprügelt, doch der Irländer treibt sie zurück. „Laßt sie in Ruhe, Kollegen! Die werden uns jetzt zeigen, wie man besser und schneller arbeitet. Pearson und Ellice – ihr werdet mal die Knarren nehmen und aufpassen, daß sie ihre jetzige Freizeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Kollege Spier – wir gehen am besten einmal zum Raumschiff und gucken uns dort ein bißchen um wegen der Heimfahrt. Und ihr anderen könnt ja meinetwegen Spazierengehen.“ Mit ihrer neuerworbenen Freiheit wissen die Männer noch nichts anzufangen. Sie lehnen am Ausgang des Stollens und unterhalten sich. „Wo sind denn nun die verdammten Biester, mit denen man uns dauernd Angst machte?“ fragt Savage, der Taschendieb aus St. Louis. Er sieht sich herausfordernd im Kreise um und kann trotz allen Umherspähens nichts bemerken. Die anderen lachen. „Na ja“, meint einer, „jetzt haben wir ja wenigstens Waffen. Wenn eine von den Bestien kommt, wird sie abgeschossen.“ „Hat auch seine dreitausend Meter, das Gebirge“, sagt ein anderer, indem er über die Sumpfebene auf den Kampf hin63
zeigt, den die grauschwarzen Wolken auf den Gipfeln miteinander führen. „Dreitausend – sagst du?“ lacht Jim Bott aus Chikago. „Gib noch mal fünftausend zu, dann kommst du hin! Achttausend sind’s mindestens! Pfui Teufel, dort oben möchte ich nicht sein.“ „Wie weit mag denn dieser Gandar von der Erde entfernt sein?“ fragt der Bulgare Toranow. „O weh!“ lacht Jim Bott. „Das ist ’ne ganz andere Sonne! Was so im Umkreis unserer eigenen Sonne herumfliegt, das kennen wir ja so ziemlich alles.“ McIddle und Harold Spier haben das Raumschiff der Gangster betreten und stehen zum ersten Male in ihrem Leben im Innern eines solchen technischen Wunderwerks. Hilflos stehen sie vor der Ansammlung von Schalttafeln, Bildschirmen und Hebeln und wissen mit den darauf vermerkten Bezeichnungen nichts anzufangen. Als Harold Spier einen der Hebel mit der Hand berührt, fährt ihn McIddle scharf an: „Laß das Zeug in Ruhe, Kollege!“ sagt er. „Wenn du diese Scheibe zufällig in Bewegung bringst – was ist dann? Weißt du vielleicht, wie man so’n Ding wieder abbremst oder wie man überhaupt damit umgeht? Dann stehst du plötzlich im Finstern und weißt nicht mehr, wo der Stern war, von dem du hergekommen bist. Das kann bloß einer machen, der damit Bescheid weiß. Vorläufig geht’s uns ja noch ganz gut, wir haben genügend Lebensmittel und hier drin auch ’ne ziemlich ordentliche Schlafgelegenheit. Ist unbedingt notwendig, daß wir die anderen Kerle abfangen, wenn sie wiederkommen.“ Die beiden Gefangenen sind vorläufig froh, daß sie noch leben. Sie machen sich an die Arbeit und hoffen im übrigen, daß sie Irving Lane befreit. Dann wird die ganze Sache wieder mit umgekehrten Vorzeichen abrollen. 64
Der geheime Gang, aus dem die Männer den Weg in die Freiheit fanden, wird von den Männern McIddles sorgfältig zugeschüttet. Das ist die letzte Arbeit, die sie auf diesem Stern zu tun haben. Mat Fraser hat die Eigentümlichkeit, sich und seine Gefühle unter eine scharfe, kritische Lupe zu nehmen. Als er jetzt im Atlantic-Café auf Mary Ann Shelton wartet, genießt er diese Wartezeit mit dem Auskosten einer Vorfreude, die mit polizeilichen Angelegenheiten absolut nichts zu tun hat. Die Minuten verstreichen. Mat Fraser hat sich schon einen zweiten Kaffee bestellt und einen Kognak dazu. Er, der durch nichts aus seiner Ruhe zu bringen ist, wird merklich nervös. Fürchtet sie sich vor ihm? Ist sie eine Lügnerin, eine „Kriminelle“? Als eine Stunde vergangen ist, ohne daß sich Mary Ann sehen ließ, begibt er sich zum Telefon. Er wählt die Nummer Harold Spiers und wartet. Es meldet sich niemand, Mary Ann ist nicht zu Hause. Vielleicht ist sie unterwegs? Frauen kommen ja meistens zu spät, sie wird in dieser schlechten Angewohnheit keine Ausnahme machen. Mat Fraser ärgert sich über seine schlechte Menschenkenntnis. Ist er tatsächlich einer Modepuppe zum Opfer gefallen, hat er tatsächlich geglaubt, daß „man“ ihn um seiner selbst willen begehrt? Es ist eigentlich beschämend, wenn man sich’s recht überlegt; sie hat ein wenig geflirtet, hat die Augen verdreht, eine zärtlich-sentimentale Platte gespielt – und er, der berühmte Air-Fraser, geht auf diesen Leim wie der Kater auf den Baldrian. Soll er diese Tatsache einfach zur Kenntnis nehmen und Mary Ann aus seiner Gedankenwelt bannen? Dann dürfte er nicht Mat Fraser sein. Als die fünfte Stunde herangebrochen ist, beschließt er zu handeln. Sein Entschluß ist schnell gefaßt: Er 65
wird ihr einen Besuch abstatten. Denn da ist ja nicht nur das Persönliche, sondern auch das Dienstliche, das er als Vorwand nehmen darf. Ob privat oder dienstlich – er wird sie Wiedersehen. Sein schwerer Wagen rauscht durch die City und hat bald darauf die einsame Seaside Street erreicht. Die Garteneinfahrt ist offen – er lenkt seinen Wagen in den Garten. Auf sein Klingeln hin öffnet niemand. Er geht um das Haus herum und sieht sich alles genau an. Die Garage ist nicht verschlossen, der Wagen Harald Spiers steht darin. Wie ist das möglich? Ist sie zu Fuß weggegangen? Mehr aus Gewohnheit, als daß er sich einen Erfolg davon versprochen hätte, drückt er die Klinke zur Tür des hinteren Eingangs nieder. Nanu – die Tür ist unverschlossen? Hat sie vergessen abzuschließen, als sie wegging? Sein Mißtrauen ist erwacht. Durch ein Tasten mit den Fingerspitzen überzeugt er sich, daß der Revolver in seiner Tasche geladen und entsichert ist. Er behält die rechte Hand in der Tasche, als er das Haus betritt. Sorgfältig schiebt er hinter sich den Riegel vor. Dann bleibt er einige Augenblicke lang lauschend stehen. Nicht das kleinste Geräusch ist zu hören, das Haus liegt still und ausgestorben. Mat Fraser beginnt mit der Durchsuchung des Hauses. Die Küche ist sauber aufgeräumt, was er gar nicht erwartet hat, denn der Läufer, der durch den Flur gelegt ist, war an der Tür verschoben und völlig schief. Es sah so aus, als habe man dort einen schweren Gegenstand darübergeschleift und dabei vergessen, den Läufer wieder geradezurücken. Die nächste Tür. – Das ist der Wohnsalon. Zigarettenrauch hängt im Raum. Im Aschenbecher liegen Stummel verschiedener Marken. Wahrscheinlich hat Mary Ann Besuch gehabt, doch es ist nicht zu erkennen, wer es gewesen sein könnte. 66
Mat Fraser geht ins obere Stockwerk. Das Schlafzimmer Mary Anns. Das Kostüm, das sie am Vormittag im Präsidium trug, liegt auf dem Bett. Es scheint, als habe sie es eilig hingeworfen, denn es ist nicht ordentlich zusammengelegt und bildet mit Rock und Strümpfen einen wirren Haufen. Auch die Schuhe liegen unordentlich herum, der eine unter dem Bett, der andere an der Tür. Mat Fraser betrachtet diese Verwüstung mit Mißtrauen. Er öffnet einen der Schränke. Parfümgeruch schlägt ihm entgegen, in den einzelnen Fächern herrscht mustergültige Ordnung. Ihre Unterwäsche, die Strümpfe und Pullover, die Bettwäsche und alles andere ist sauber gestapelt und in bestem Zustand. Fraser ist es gewohnt, selbst solche scheinbaren Belanglosigkeiten zu beachten. Die Unordnung auf dem Bett und die Gewissenhaftigkeit der Stapelung im Schrank passen nicht zusammen. Wie bringt er diese beiden Beobachtungen auf einen Nenner? Wo ist Mary Ann? Sie hat Besuch empfangen, das steht fest. Ist sie mit diesem Besucher weggegangen? Der Wagen steht noch in der Garage, die hintere Haustür stand offen, sie hat sich anscheinend sehr eilig umgezogen. Wie bringt er alle diese Faktoren miteinander in einen richtigen Zusammenhang? Sollte sie zu Harold Spier gefahren sein, um ihn zu warnen? Nein, unmöglich! Denn sie hat nicht gewußt, wo er sich aufhielt. Wenn sie es aber dennoch gewußt hat? Warum wäre sie dann ins Präsidium gegangen, um ihn als vermißt zu melden? Nein, das scheidet aus. Wer käme also dann in Frage? Es kann nur jener andere in Betracht gezogen werden, Irving Lane. Er hat Harold Spier verschwinden lassen – dann besann er sich der gefährlichen Mitwisserin, der Haushälterin Spiers. Er hat sie vielleicht beobachtet und festgestellt, daß sie einige Male ins Polizeipräsidium fuhr. Vielleicht hat er sogar in Erfahrung ge67
bracht, daß sie im Raumüberwachungsdienst vorsprach. Seine Reaktion darauf war, daß er sie einfach zum Schweigen brachte. Mat Frasers Verstand beginnt eiskalt zu arbeiten. Er ist auf Grund seiner Beobachtungen überzeugt, daß das Ausbleiben Mary Anns zur heutigen Verabredung keine normalen Ursachen hat. Hier ist etwas geschehen, was mit dem von ihm bearbeiteten Fall zu tun hat. Das ist ihm einesteils sehr recht, denn er kann nun seine persönlichen Interessen mit den dienstlichen verbinden. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Er denkt an die Meldungen, die er während der letzten Tage erhielt. Das Death Valley, das Todestal. – In Nevada war der Wagen beheimatet, den Irving Lane fuhr, und das Todestal, in dem das unbekannte Raumschiff landete, liegt nicht weit davon. Der Mann mit der Narbe, der Harold Spier aus seinem Hause entführte, hieß Irving Lane. Der Mann, der das Gold einwechselte, hatte ebenfalls eine solche verheilte Narbe. Und schließlich die Erkenntnis, das Gold stammt nicht von der Erde. Also ist es sein Ressort, es geht seinen Dienstbereich an. Was nützen alle Fragen, die er sich stellt? Er muß handeln, sofort handeln, mit Härte und Umsicht handeln. Jedes Warten, jedes Zögern erschwert seine Aufgabe. Er legt den Revolver neben sich auf den Schreibtisch und nimmt den Hörer des Telefons zur Hand. „Hallo, Miß“, sagt er leise zur Vermittlung, „verbinden Sie mich mit Mario Bora, Zimmer 917.“ Er braucht nicht lange zu warten. Schon nach wenigen Sekunden meldet sich die Stimme seines bewährten Mitarbeiters. „Hallo, Mario, paß auf“, fährt Fraser so leise fort, daß seine Stimme kaum im Raum selbst gehört werden kann, „laß dir vom Radardienst die ungefähre Lage mitteilen, wo vor einigen Tagen das Raumschiff vom Gandar gelandet ist. Zeichne das in 68
Frage kommende Gebiet auf einer Spezialkarte des Death Valley ein! Und dann weiter, Mario – hörst du noch? Fliege sofort mit der Scheibe zum Militärlager East und lasse ein ZweiZentimeter-Schnellfeuer-Geschütz anstelle unseres Maschinengewehrs einbauen. Ich spreche einstweilen mit Oberst White, damit die Sache in Ordnung geht. Du landest in spätestens einer Stunde auf dem Dach des Präsidiums. Okay, Mario?“ Mario Bora hat verstanden. Und wenn der Italiener verstanden hat, dann geht die Sache in Ordnung. Beruhigt legt Mat Fraser den Hörer auf die Gabel. Dann folgt gleich das nächste Gespräch. Mit Oberst White. – Auch das geht in Ordnung. Ein Zwei-Zentimeter-Geschütz. – Zuerst wollte der Oberst eine anzügliche Bemerkung machen, doch als er erfuhr, wer ihn anrief, verzichtete er darauf. Der Air-Fraser – na ja, der kommt in Gegenden, in die man als gewöhnlicher Sterblicher kaum hineingerät. Der Inspektor hat das Suchen aufgegeben. Er zweifelt nicht mehr daran, daß Mary Ann etwas passiert ist. Er wird diese Angelegenheit auf seine Weise anpacken. * Inspektor Fraser hat noch einige Besorgungen zu machen. Nach vierzig Minuten Umherkreuzens in der City jagt sein Wagen in die Hofeinfahrt des Präsidiums. Schnell noch eine kurze Unterredung mit Tale Perkins. „So glauben Sie auch, daß die beiden Fälle miteinander in Verbindung zu bringen sind?“ erkundigt sich der Polizeichef interessiert. „Nicht nur diese beiden Fälle, sondern auch der dritte“, meint Fraser. „Welcher dritte?“ 69
„Miß Shelton ist seit heute nachmittag spurlos verschwunden, Sir.“ „Alle Teufel! Woher wissen Sie das?“ „Ich hatte mich für heute nachmittag mit ihr verabredet.“ Air-Fraser erzählt dem gespannt lauschenden Polizeichef alles, was er am heutigen Nachmittag unternommen und beobachtet hat. Dieser lächelt, als Fraser endet: „Also hat man sie entführt!“ „Hat Ihnen wohl gut gefallen, dieses Mädchen?“ will er wissen. „Wie man’s nimmt. – Es ist ja wohl ein ganz interessanter Fall.“ „Hm“, schmunzelt der ältere Mann. Er winkt ab, als wolle er damit zum Ausdruck bringen, daß er jede nur mögliche Diskretion walten lassen will. „Glauben Sie eigentlich an eine Mitschuld dieses Mädchens, Fraser?“ „Sie ist in diese Sache hineingeraten wie ein Blinder in eine Schlägerei“, antwortet der Leiter des Raumüberwachungsdienstes „Ich glaube nicht, daß sie bewußt ein Verbrechen begangen hat.“ „Da müssen Sie aber verdammt gut jonglieren, Fraser, wenn Sie dem Untersuchungsrichter das begreiflich machen wollen. Es dürfte feststehen, daß Spier nicht nur den Einbruch in der Thornton Street, sondern noch mehrere andere Villeneinbrüche auf dem Kerbholz hat. Sollte da die kleine Shelton mit ihren Katzenaugen und ihren verdammt schönen Beinen wirklich so ganz unschuldig sein?“ „Nun, man kann es ihr nicht beweisen.“ „Ich weiß, ich weiß, Fraser!“ Tale Perkins lacht dröhnend auf. „Soll Ihre Sache sein, Inspektor, wie Sie sich da herauswinden. Muß Sie allerdings warnen, als alter Freund muß ich Sie warnen. Es könnten sich Komplikationen ergeben.“ 70
„Wir wollen erst mal sehen, Sir, wie sich alles entwickelt. Zunächst würde ich vorschlagen, das Haus des Harold Spier zu beschlagnahmen und alles festzustellen, was zur Aufklärung der Villeneinbrüche nötig ist. Sollte ich mit meiner Vermutung fehlgehen und Mary Ann Shelton doch wieder auftauchen, so wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich sofort durch Radarfunk benachrichtigten – ich werde nun zunächst das Nest im Death Valley ausheben und dann versuchen, den Gandar anzufliegen.“ „Sie sind ein toller Bursche, Fraser“, sagt Perkins bewundernd. „Beinahe könnte man Sie beneiden um Ihr Ressort. Aber diese verdammten Raumschiffe sind nichts für meine verbrauchten Nerven. Da lobe ich mir unsere alten braven Raketen mit ihren zehntausend Stundenkilometern. – Aber zu diesen Anti-Protonen – oder wie sich das Zeug nennt – da habe ich kein Zutrauen!“ „Gar kein Grund zur Furcht, Sir! Mache Ihnen einen Vorschlag: Fliegen Sie doch mal mit! Wird ein interessantes Abenteuer, kann ich Ihnen garantieren. Und wenn Sie mit mir und Bora fliegen, wird Ihnen nichts passieren. – Haben Sie Angst?“ „Pah, Angst!“ Tale Perkins spielt einige Augenblicke lang unschlüssig mit seinem Bleistift. Dann erhebt er sich plötzlich und streckt Fraser seine Hand entgegen. „Abgemacht, Fraser, ich fahre mal mit! Da kann ich wenigstens sagen, daß ich in allen meinen Abteilungen Bescheid weiß. Wann wollen Sie starten?“ „In zehn Minuten, Sir!“ „Was?“ ruft Perkins erschrocken. „Mann, das kommt mir aber ein bißchen sehr über den Hals. Na ja, ich sehe ein, daß es notwendig ist, schnell zu handeln. – Well, werde meiner Frau Bescheid sagen.“ Er wählt eine Nummer. 71
„Hallo, Darling“, sagt er dann, „ich muß in einem sehr dringenden Fall einige Stunden …“ „Tage!“ unterbricht ihn Fraser flüsternd. „Wie? Ah, ja, also, es wird einige Tage dauern. – Wohin? Nach – nach Alaska, Darling – Mache ich, keine Sorgen. Bis später, Darling!“ Er legt den Hörer auf die Gabel und grinst. „Das kann ich ihr nicht sagen“, meint er verschmitzt. „Sie hätte sonst keine ruhige Minute mehr. So, und nun noch mein Stellvertreter …“ Fünf Minuten später ist Tale Perkins fertig. Er fühlt sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Zum ersten Male macht er mit dem berühmten Air-Fraser einen Vorstoß in den Weltraum. Er hätte nicht geglaubt, daß er jemals eine jener unheimlichen Untertassen besteigen würde. „Das Raumschiff steht auf dem Dach bereit“, erklärt Fraser. „Ich habe es heute mit einem Zwei-Zentimeter-Geschütz ausrüsten lassen.“ „Teufel! – Und warum?“ „Weil es auf dem Gandar Dinge gibt, denen man mit Maschinengewehren nicht beikommen kann.“ „Oh? Was sind das für Dinge?“ „Bestien, Chef!“ „Tiere?“ lacht Perkins. „Na, wenn’s weiter nichts ist.“ Mat Fraser verzichtet auf weitere Erklärungen. Der Polizeichef wird noch rechtzeitig genug feststellen, warum man die Kanone mitgenommen hat. Mario Bora, der kleine, schwarzhaarige Italiener, macht große Augen, als er den mächtigen Chef gewahrt, der mit unternehmungslustiger Miene erklärt, mitfahren zu wollen. Seine Blicke fliegen zwischen ihm und Mat Fraser hin und her. Dann nimmt er den Entschluß seines obersten Chefs mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis. 72
* Der Italiener hat alles zur besten Zufriedenheit erledigt. Während er das Raumschiff auf die vorgeschriebene Höhe von fünfzig Kilometern steigen läßt, studiert Mat Fraser die Spezialkarten des Death Valley, in die die Meldungen der Radarstationen eingetragen sind. Für Tale Perkins gibt es so viel Neues zu sehen, daß er aus dem Staunen nicht herauskommt. Er steht neben Bora und starrt auf die verschiedenen Bildschirme. Fassungslos sieht er, wie die Erde nur noch als Kugel im Raum schwebt. „Verflixt!“ murmelt er ein über das andere Mal. „Das ist ja eine tolle Erfindung. Wie findet man sich da eigentlich zurecht?“ „Durch Radar, Chef“, erklärt Bora. „Jetzt sind wir über Nevada. Wir gehen mit der Scheibe nach unten …“ „Aber bitte langsam!“ mahnt Perkins. „Mein Magen macht das sonst nicht mit.“ Bora lacht. „Wir haben unser eigenes Schwerefeld, Sir. Sie werden gar nichts spüren.“ „Eigenes Schwerefeld? Verstehe ich nicht. Na ja, machen Sie’s nur, wie Sie’s für richtig halten.“ Das Raumschiff stürzt mit Fallgeschwindigkeit auf die Erde zurück. Es schwebt in geringer Höhe über dem „Todestal“. Langsam rollt auf dem Bildschirm der Film des darunterliegenden Landes ab. Man hat den Punkt, an dem das fremde Raumschiff gelandet war, von allen Radarstationen im Umkreis ziemlich genau markiert, so daß das Gebiet, welches abgeflogen werden muß, verhältnismäßig klein ist. „Bleib über der Mitte des Tales!“ ordnet Mat Fraser an, in73
dem er sich mit dem Chef neben die Bildschirme stellt und jeden Kilometer, den das langsam fliegende Raumschiff zurücklegt, mit scharfem Blick überprüft. „Was suchen Sie eigentlich, Inspektor?“ fragt Perkins. „Entweder Raumschiffe oder einen Radarspiegel“, erwidert Fraser. „Ein Radarspiegel, der bis zum Gandar reicht, muß eine ziemliche Größe haben.“ Schweigend beugen sich die beiden Männer über den Bildschirm. Und dann zuckt Mat Fraser wie elektrisiert zusammen. „Stop, Mario!“ ruft er. Es ist nicht zu bemerken, daß die fliegende Scheibe tatsächlich ihren Flug unterbrochen hat, obgleich Bora blitzschnell einen Hebel zurückwarf. Nur das Bild auf dem Schirm zeigt plötzlich keine Bewegung mehr. Und auf diesem Bild ist allerdings etwas Interessantes zu sehen. Einige primitive Baracken aus schwarzverwittertem Holz. – Aber das ist nicht das Wichtige. Viel aufschlußreicher ist ein von allen Yuccastauden gesäuberter Platz, auf dem ein Rundgestell von wohl zwanzig Metern Durchmesser steht, das zuweilen in den Strahlen der heißen Sonne aufblitzt. Kein Zweifel, das ist eine Radaranlage großen Ausmaßes. Neben diesem Gestell hat man aus Steinen ein Häuschen errichtet, das von einer Zeltplane überdacht ist. „Das ist es“, bemerkt Fraser gelassen. „Lande mitten in den Yuccastauden, Mario!“ Wieder ein Hebeldruck. Der Italiener heftet seinen Blick auf den Bildschirm, der die Außenwelt mit Hilfe eines InfrarotFilmapparates ins Innere des Raumschiffes überträgt. Eine kleine, unscheinbare Bewegung seiner Fingerspitzen – das Raumschiff schwebt in der befohlenen Lage, setzt auf. Fraser und Perkins treten ins Freie. Sie stehen jetzt auf der 74
unteren Scheibe, auf der ein aus Metall gehämmerter Weg zu der Bodenleiter verläuft. Der Inspektor hält sich nicht lange mit Erkundungen und anderen Vorbereitungen auf. Rasch ist er die wenigen Stufen hinabgestiegen und landet mit einem Sprung auf dem Sandboden. Er überzeugt sich durch einen kurzen Blick, daß ihm Perkins auf dem Fuße gefolgt ist – dann begibt er sich zu dem kleinen Steinhaus. Mit einem Ruck schiebt er den Zeltvorhang beiseite und betritt mit erhobener Schußwaffe den kleinen Raum. Ein Mann fährt erschrocken herum. Er war mit der Kontrolle eines Bildschirmes beschäftigt und hatte bei dieser Tätigkeit die überraschende Landung des unbekannten Flugschiffes nicht beachtet. Er ist noch jung, sieht intelligent aus und macht keine Anstalten, sich zur Wehr zu setzen. „Was tun Sie hier?“ fragt Fraser kurz. „Mit welchem Recht stellen Sie diese Frage?“ lautet die Erwiderung. „Polizei“, entgegnet der Inspektor. „Raumüberwachung. – Zum zweiten Male: Was tun Sie hier?“ „Ich leite ein Raumschiff“, sagt der# junge Mann achselzuckend, indem er auf den Radarschirm weist. „Das ist doch wohl nicht verboten.“ „Wohin leiten Sie das Objekt?“ „Zum – zum – der Teufel mag wissen, wohin! Ich habe Anweisung, das Raumschiff zu beobachten und …“ „… und zu leiten“, entgegnet Fraser. „Mann, glauben Sie nicht, daß Sie es hier mit Beamten der Milchkontrolle zu tun haben. Vielleicht haben Sie schon von Air-Fraser gehört? Also – was ist hier los?“ „Sie sehen’s ja! Man hat mich engagiert, weil ich mit diesen Dingen Bescheid weiß.“ „Das Raumschiff fliegt zum Gandar?“ 75
„Wenn Sie’s schon wissen – weshalb fragen Sie?“ „Wer ist Ihr Auftraggeber?“ „Er hat mich auf der Straße angesprochen.“ „Wie heißt er?“ „Das weiß ich nicht.“ „Was hat er Ihnen geboten?“ „Nicht so schlimm. Aber ich hatte momentan keine Arbeit.“ „Wissen Sie, aus welchem Grunde das Raumschiff zum Gandar fliegt?“ „Nein, das interessiert mich nicht.“ „Wann flog das Schiff zum letzten Male von hier ab?“ „Vor reichlich einer Stunde.“ „Ah! Wer war an Bord?“ „Mein Auftraggeber und ein Pilot. Und außerdem …“ Er hält inne, als habe er schon zuviel gesagt. Mat Fraser legt ihm die Hand schwer auf die Schulter. „So, mein Freund“, erklärt er ruhig, „jetzt haben Sie mich genug belogen. Wie können Sie eigentlich die Polizei für so dumm halten? Zu Ihrer Information möchte ich Ihnen nur sagen, daß Sie mit einem Bein im Zuchthaus stehen. Sollte sich herausstellen, daß Sie hier maßgeblich beteiligt sind, so können Sie schon jetzt die Abschiedsbriefe an Ihre Eltern schreiben. Wir spaßen nicht, merken Sie sich das!“ Der Angesprochene hat sich die Worte Frasers mit ängstlichbeunruhigter Miene angehört. „Ich habe hier nur meine Pflicht erfüllt“, sagt er. „Na ja, lassen Sie mal diese schönen Worte ganz beiseite! Ihr Auftraggeber ist Irving Lane?“ „Wenn Sie es schon wissen …?“ „Ja, wir wissen es. Und nun los, Mann, packen Sie alles aus! Dort oben auf dem Gandar wird nach Gold gesucht, nicht wahr?“ 76
„Sie wissen ja alles.“ „Wieviel Mann sind denn dort oben?“ „So ein Dutzend ungefähr“, antwortet der Radarspezialist, dem es doch ratsam erscheint, sich nicht durch faule Ausreden und Ausflüchte noch weiter ins Unglück zu stürzen. Im Gegenteil, jetzt verläßt er das sinkende Schiff seiner Auftraggeber mit fliegenden Fahnen und wechselt ins andere Lager hinüber. „Überhaupt – wenn Sie nun einmal da sind, da kann ich Ihnen ja gleich mal verschiedenes erzählen, was mir nicht paßt. – Ich habe wirklich nichts mit dem ganzen Kram zu tun, meine Herren. Ich bin hier nur als Techniker. – Ich habe auch mit der Geschichte mit dem Mädel nichts zu tun, aber was sollte ich denn gegen diese Leute unternehmen? Die hätten midi glatt getötet, wenn ich mich da eingegemengt hätte, aber eine Gemeinheit bleibt es trotzdem.“ Mat Frasers Antlitz gleicht gehärtetem Stahl. Kein Muskel zuckt in seinem markanten Gesicht, als er fragt: „Was ist das für ein Mädel, von dem Sie sprechen?“ „Nun, vor einer Stunde ungefähr kam Lane mit einem Mädchen hier an. Er hatte sie in einen weißen Leinensack gesteckt und sie war an Händen und Füßen gefesselt …“ „Woher wissen Sie das?“ unterbricht ihn Fraser, der die Fäuste geballt hat. „Ich habe sie gesehen, als er sie aus dem Sack herausließ. War ein bildschönes Geschöpf, hatte weißblondes Haar und überhaupt … War eine Hundsgemeinheit von dem Lane, sie zu zwingen, mit ins Raumschiff zu steigen.“ „Er hat sie mit auf den Gandar genommen?“ Der Mann machte ein spöttisches Gesicht. „Ich habe da so was aufgeschnappt“, erzählt er. „Aber Lane hat keine Ahnung, daß ich es weiß. Dieses Mädchen stand ihm bei seinen faulen Geschäften irgendwie im Wege. Ich glaube 77
nicht, daß ich mich verhört habe: Er will das Mädchen dort oben irgendwo verschwinden lassen. Wie gesagt – ist ’ne große Gemeinheit von dem Lane, und es ist gut, daß Sie gekommen sind, damit ich es Ihnen sagen kann.“ „Schweinerei!“ murmelt Tale Perkins, der New Yorker Polizeichef. Mat Frasers Atem geht schneller. „Wie heißen Sie?“ fragt er den jungen Techniker. „Mike Godfrey. – Ich bin aus Frisco.“ „Wie ist Irving Lane auf Sie gekommen?“ „Ich war bei einer Herstellerfirma für Radareinrichtungen beschäftigt. Dort hat er mich auf der Straße abgefangen. Er bot mir eine Million, wenn ich ein Jahr lang bei ihm tätig wäre.“ „Und die Männer, die mit Lane auf dem Gandar sind – was sind das für Leute?“ „Das war die erste Schweinerei, Sir. Er hat die armen Hunde in allen Asylen der Staaten zusammengesucht, sie dann hier betrunken gemacht und einfach weggeschafft. Mir selbst hat er weisgemacht, daß die Leute freiwillig mitgegangen wären, aber ich weiß es besser. Er hat sie regelrecht geshanghait.“ „Kennen Sie die Namen?“ „Nein, wirklich nicht. Es ging alles verdammt schnell.“ „Und das Mädchen, von dem Sie sprachen? Ging sie freiwillig mit?“ „Absolut nicht! Sie haben es zu zweit gepackt und mit Gewalt ins Raumschiff gebracht.“ „Und Sie haben zugesehen?“ erkundigt sich Fraser mit schmalen Augen. „Was sollte ich machen? Sie hätten mich glatt …“ „Schon gut! Sie bleiben jetzt hier und lassen das Raumschiff nicht aus der Kontrolle! Ich mache Sie für jeden Fehler verantwortlich!“ 78
„Jawohl, Herr Inspektor.“ Godfrey verbeugt sich, es ist ihm anzusehen, daß er froh ist, nicht auf der Stelle verhaftet worden zu sein. Fraser tritt an den Bildschirm. Auf diesem bewegt sich langsam ein hellgrauer, fast durchsichtiger, winziger Strich. Für einen Laien wäre es unmöglich, sich in dem Gewirr der Gestirne und Fremdkörper zurechtzufinden. Doch Mat Fraser ist kein Laie auf diesem Gebiet. Er weiß, was das alles bedeutet, was der Bildschirm zeigt. Er flüstert Tale Perkins einige Worte zu, worauf er neben Godfrey stehenbleibt, während Fraser zum Raumschiff zurückeilt. Funkverbindung mit Kommissar Jesse Townsend im Stützpunkt Borrighel. Dort hat die Polizei ihre Raumschiffstation. „Hallo, Jesse – hier spricht Mat Fraser. – Starte sofort mit vier Mann ins Death Valley in Nevada. Bring einen ausgekochten Radarexperten mit, am besten Conny Smith. – Ist er da?“ „Ja, steht zur Verfügung“, klingt es aus dem Lautsprecher. „Ich erwarte dich hier in spätestens zehn Minuten. Es ist sehr eilig und sehr wichtig. Schluß!“ Genau sieben Minuten sind vergangen, als das Raumschiff der Polizei sichtbar wird. Fraser lotst es durch Sprechfunk heran und veranlaßt es zur Landung. Einen Augenblick später wird schon der etwas korpulente Kommissar Jesse Townsend auf der Leiter sichtbar. Zwei weitere Beamte folgen ihm. Der Inspektor gibt Townsend präzise Anweisungen. „Dieser Mike Godfrey ist als verhaftet anzusehen“, erklärt er. „Jeder Fluchtversuch ist zu verhindern. Mr. Smith“, wendet er sich an den Radarspezialisten, „Sie überwachen Godfrey, damit er keine Dummheiten macht. Ich fliege jetzt zum Gandar. Übernehmen Sie die Leitung unserer Maschine von hier aus! Sollten wir in fünf Tagen nicht zurück sein, so ist uns etwas passiert. Lassen Sie dann nach uns suchen! Wenn 79
die Gangster vor uns hier sein sollten, nehmen Sie die ganze Gesellschaft in Haft.“ Mike Godfrey macht wieder sein ängstliches Gesicht, als Jesse Townsend ihm in kurzen, dienstlichen Worten die Order des Inspektors übermittelt. Dieser Techniker scheint es mit der Ehrlichkeit nicht ganz genau zu nehmen, ist aber andererseits ein Feigling ganz besonderer Prägung. Das interessiert jetzt aber weder Mat Fraser noch den Polizeichef. Bora läßt das Raumschiff in rasendem Steilflug aufsteigen, erhöht durch Zugabe von Antiprotonenladungen die Geschwindigkeit bis auf unvorstellbare Ziffern – und dennoch geht es Mat Fraser nicht schnell genug. „Wieviel fliegen wir, Mario?“ „Vier Fünftel Licht“, antwortet der Italiener. „Geht’s noch schneller?“ „Will’s versuchen“, nickt der kleine, schwarzhaarige Mann. Im Inneren der unteren Scheibe, die jetzt senkrecht umgekippt ist, peitscht das Zyklotron die Protonen zu rasendem Wirbel. Neue Antiprotonen werden geboren, neue Träger einer künstlichen Schwerkraft. Längst hat man jenen Gipfel der Schnelligkeit überschritten, den man als Begriff wahrnehmbarer Fortbewegung betrachten kann. „Eins Komma eins“, meldet Bora gleichmütig. „Genug, Mario! Wir dürfen das Material nicht überfordern!“ „Was meint er damit: eins Komma eins?“ mengt sich Tale Perkins in das Gespräch der beiden Männer. „Er will damit sagen, daß wir ein Ganzes und ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit fliegen; also dreihundertdreißigtausend Kilometer in der Sekunde.“ „Dreihundertdr…?“ Dem biederen Polizeichef treten die Augen aus den Höhlen. „Das wäre doch dreiunddreißigmal so schnell wie unsere Raketen?“ 80
„Falsch gerechnet, Chef!“ lacht Fraser. „Die Raketen werden nach Stundenkilometern berechnet, wir aber fliegen mit Sekundenkilometern. Eine Stunde hat aber 3600 Sekunden. Wir fliegen also dreiunddreißig mal dreitausendsechshundertmal so schnell wie Ihre Rakete, das ist also rund einhunderttausendmal so schnell!“ „O verfl…!“ Unwillkürlich hält sich Perkins mit beiden Händen den Kopf fest, als fürchte er, daß ihm bei einer solchen Geschwindigkeit der Schädel platzen würde. „Jetzt leuchtet es mir ein“, meint er endlich, sichtbar erschöpft, „weshalb alle Zeitungen über Sie schreiben und die Frauen Sie bewundern. Was Sie hier machen, ist Zauberei. Du liebe Güte! Eins Komma eins – wie verdammt harmlos das klingt!“ „Ja, Chef, auch der Name Gandar klingt harmlos.“ „Wollen Sie damit sagen, daß uns noch andere Sensationen erwarten?“ „Wie man’s nimmt, Sir“, lächelt Fraser. „Umsonst habe ich das Geschütz nicht einbauen lassen.“ „Wir holen auf“, sagt Mario Bora nach einer Fahrtzeit von zwei Stunden. Wieder blicken die beiden Männer interessiert auf den Bildschirm. „Wie sieht er das, Fraser?“ erkundigt sich Perkins, dem das alles ungelöste Rätsel sind. „Es ist die jahrelange Gewohnheit, Mr. Perkins. Selbst Radarexperten haben nicht einen solchen Blick wie Mario. Er hat die Weltraumentfernungen sozusagen im Blut. Meinst du, daß wir sie einholen?“ wendet er sich wieder an seinen Mitarbeiter. „Wir werden nahe herankommen, sie aber nicht einholen. Und schneller kann ich nicht fliegen.“ „Nein, nein, es ist schon gut so. Du, Mario“, sagt er leise, 81
„ich muß das Mädel wiederhaben. – Ich kenne sie schon seit einiger Zeit. – Verstehst du?“ Mario Bora riskiert einen schnellen Blick. Er kennt Mat Fraser zu gut, als daß er nicht die geheime Sorge im Antlitz des Inspektors bemerkt hätte. Er nickt mehrere Male verstehend vor sich hin. „Wird schon klappen, Mat“, sagt er herzlich zu seinem Gefährten. „An mir soll’s nicht liegen.“ Mit Überlichtgeschwindigkeit, schnell wie ein Blitz – in des Wortes wahrster Bedeutung – jagt die Scheibe durch die unendliche Nacht des Weltraumes. * Harold Spier hat sein Vorhaben, den Planeten zu erforschen, doch wahrgemacht. Und zwei Mann haben sich ihm angeschlossen: Pearson und Savage. Den anderen hat die Erzählung und Warnung McIddles restlos genügt. Sie verlassen das Raumschiff kaum, und wenn sie dennoch den freien Platz bis zum Stolleneingang überqueren müssen, so tun sie das im Galopp und möglichst auf Zehenspitzen. Gestern sahen sie auf der Ebene, die sich bis zu dem himmelhohen Gebirge ausdehnt, ein furchtbares Urwelttier. Wahrscheinlich war es das gleiche, das damals Harold Spier in Begleitung Irving Lanes gesichtet hatte: Ein unheimliches Vorderteil, so groß wie eine Rangierlokomotive, dann folgte ein halsähnliches Zwischenstück, dem sich der eigentliche Körper, der aussah wie der Gepäckwagen eines Eisenbahnzuges, anschloß. Schwankend überquerte das unheimliche Monstrum den grünschillernden Sumpf und wurde dann im Schatten des Gebirges unsichtbar. „Ich kann euch kein Gewehr mitgeben, Kollegen“, sagte McIddle zum Abschied zu den drei abenteuerlustigen Männern. 82
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„Wir brauchen die Waffen, wenn der Gangsterchef angebrummt kommt. Und das wird spätestens morgen der Fall sein. Außerdem könnt ihr mit Gewehren sowieso nichts ausrichten. Wenn solch ein Biest kommt, dann nehmt hübsch die Beine in die Hand oder versteckt euch in irgendeinem Loch.“ „Glaube nicht, daß sie sich oben auf der Höhe herumtreiben, diese Untiere“, meint Harold Spier unbekümmert. „Bis später, Kollege!“ Und damit stapft die kleine Kolonne unter die übermannshohen Farnkräuter, in denen sie sich wie in einem Wald fortbewegt. Der Anstieg ist steil. Manchmal müssen sie die Hände zu Hilfe nehmen, um den Hang zu erklimmen. Harold Spier hält den Revolver, den ihm McIddle doch noch mitgegeben hat, schußbereit in der Hand. Man kann nie wissen … Sie haben die Höhe erreicht. Der Kamm des vorgeschobenen Gebirges ist kahl und übersichtlich. Auf ihrem Wege liegen grün- und rotblitzende Steinchen. Wenn die Männer mehr Kenntnisse von Edelsteinen besäßen, würden sie unschwer feststellen, daß dies Rubine und Smaragde sind. So aber gehen sie achtlos an dem im Sande liegenden Vermögen vorüber. Der Gebirgskamm zieht sich endlos hin. Von einem erhöhten Punkt aus können sie erkennen, daß sie auf dem Ausläufer eines mächtigen Massivs stehen. Auch bei dieser Gebirgskette stecken die höchsten Erhebungen in grauem Gewölk. Gewaltige Gletscher strecken ihre Zungen bis in die Sumpfebene hinab und zerschmelzen in der Sonnenglut zu Wasser, das die Sümpfe immer wieder aufs neue auffüllt und ein Austrocknen verhindert. So wie hier scheint der ganze Planet auszusehen: mächtige Gebirge wechseln mit Sumpfflächen ab. Es ist unmöglich, diesen Stern für Siedlungszwecke zu benutzen. 84
Drei Stunden sind die Männer schon marschiert, ohne auf etwas Bedeutsames zu stoßen. Links und rechts fallen die Hänge steil ab und enden in den Sümpfen. Der zuerst breite Rücken des Berges wird zum schmalen Felsgrat, der noch immer ansteigt. Noch niemals betrat eines Menschen Fuß diese unwirtliche Landschaft. Große Blöcke aus verwittertem Gestein versperren den Männern manchmal den Weg. Sie klettern darüber hinweg oder umgehen sie. Aber dieses Umgehen wird zusehends schwieriger, denn jetzt stürzen steile Wände in die Tiefe, so daß jeder Fehltritt den Tod bedeuten kann. Pearson wird zuerst müde und verliert die Lust an weiteren Entdeckungsreisen. „Nehme an, daß es auch weiter vorn nicht anders aussieht“, meint er. „Wollen wir umkehren?“ Spier wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er hat den Revolver längst wieder in die Tasche gesteckt, um seine Hände frei zu haben. „Wir können ja noch ein Stück bis zum Massiv gehen“, schlägt er vor. „Ist gar nicht mehr weit.“ Simon Savage sagt nichts. Er schwitzt und findet die ganze Tour über alle Maßen langweilig. Er wird weiter mitgehen, und er kehrt auch mit um – wie es die anderen bestimmen. Er übt Stimmenthaltung. Der Weg wird alpin-beschwerlich. Sie haben keine Zeit mehr, auf ihre Umgebung zu achten. Sie klettern über das verwitterte Gestein und sind vollauf damit beschäftigt, ihr Gleichgewicht zu halten und eine Stelle zu finden, an der sie vor einem Absturz ziemlich sicher sind. Harold Spier klettert voran, seiner Schätzung nach sind es noch rund zwei Kilometer, bis sie das große Gebirge erreicht haben. Tief unter ihnen schillert die ölige Fläche des Sumpfes. Me85
ter um Meter ringen die Männer dem schmalen Grat ab. Pearson folgt dem voranschreitenden Spier im Abstand von nur wenigen Metern, während Savage als letzter rund hundert Meter hinter den beiden anderen herkriecht. Und da geschieht es. – Harold Spier hat plötzlich das Gefühl, als sei eine Wolke über die Sonne gezogen. Er blickt hoch, um sich zu überzeugen, klammert sich dabei an einen großen Block, um nicht in die Tiefe abzugleiten. – Ein Schrei Pearsons läßt ihn erschrocken zusammenfahren. – Und dann sieht er … Ein ungeheurer, massiger Körper stößt mit breiten Schwingen auf ihn herab. – Dieses Tier hat die Größe eines ausgewachsenen Elefanten, seine Flügel sind schwarz und schwer und lassen bei jedem Schlag ein metallisches Klirren hören. Und hinter diesem ersten Ungeheuer taucht noch ein zweites auf, das jetzt seinen Platz an der Seite des ersten einnimmt. Spier klammert sich entsetzt an den Stein. Die furchtbaren Greifer des Untieres rücken näher wie das Fahrgestell eines Flugzeuges. Sinnlos vor Angst läuft Spier davon. Er erreicht eine flache Felsplatte, an deren linker Seite der Abgrund gähnt. Aber der Vogel ist schneller. Wie die Fänge eines Baggers dringen die messerscharfen Klauen des Vogels durch seine Kleidung hindurch. Spier empfindet einen wahnsinnigen Schmerz, und läuft auf den Abgrund zu. Doch er stürzt nicht in die Tiefe, denn der Vogel hält ihn fest. Spier versucht unter Aufbietung aller seiner Kräfte, die Krallen von seinem Körper zu lösen. Im Unterbewußtsein vernimmt er den Schrei eines Menschen in höchster Todesnot. Pearson hat ihn ausgestoßen, der hilflos in den Fängen des anderen Raubvogels zappelt und jetzt von ihm mit unwiderstehlicher Kraft in die Höhe gehoben wird. Diese entsetzliche Szene hat Savage, der hundert Meter weiter hinten kauert, mit ansehen müssen. Er sieht, wie einer der 86
beiden Riesenvögel seinen Kameraden Pearson am Rücken gepackt hat und mit ihm über den Abgrund der Sümpfe hinweg entfliegt. Und gleich darauf geschieht mit Harold Spier das gleiche. Der Greif erhebt sich in die Lüfte, den schreienden Mann fest in den Klauen, und gewinnt mehr und mehr an Höhe. * Simon Savage, der ehemalige Taschendieb aus St. Louis, ist dem Wahnsinn nahe. Wimmernd hockt er zwischen den Steinen, in panischer Angst blickt er sich um, während ihm noch immer die Schreie seiner Gefährten in den Ohren gellen. Die Riesenvögel sind nur noch als Punkte über den unermeßlichen Weiten der Sümpfe zu sehen. Und er steht allein auf dem sonnenheißen Grat eines Gebirges, allein auf einem fremden Stern, viele Kilometer von den Kameraden entfernt, jeden Augenblick gewärtig, daß noch ein Untier auftaucht und ihn ins unheimliche Nichts dieses trostlosen Planeten entführt. Für Spier und Pearson gibt es keine Rettung. Sollten sie sich tatsächlich aus den Klauen der Riesenvögel befreien können, so werden sie durch den Sturz in die Tiefe zerschellen. Savage fühlt, wie ihm vor Angst kalte Schauer den Rücken hinunterlaufen. Er weiß nicht, wie lange er voller Todesangst zwischen den Steinen verbracht hat. Erst, als er die Schmerzen empfindet, die ihm seine verkrampften Glieder bereiten, besinnt er sich auf die Wirklichkeit. Das Leben erwacht in ihm wieder, das Leben mit allen seinen Wünschen und Hoffnungen. Seine Augen beginnen wieder zu sehen, seine Ohren zu hören, seine Gedanken jagen sich. Er richtet sich auf, doch er fällt noch einmal zurück, da seine Füße den Dienst versagen. Wo sind die beiden Gefährten ge87
blieben? Wie lange ist es her, daß er sie sah, daß er ihre Stimmen hörte? Wo mögen sie sein? Nicht daran denken jetzt! Noch nie erlebte ein Mensch Grausameres, Gräßlicheres. Zwei ausgewachsene Männer, zwei Menschen der Erde – hilflos zappelnd und schreiend in den Fängen vorweltlicher Riesentiere, fortgetragen in unermeßliche Höhen, in unbekannte Felsennester. Nur er allein ist übriggeblieben, er, Simon Savage aus St. Louis, einer Stadt, die unfaßbar weit von hier entfernt liegt. Dazwischen gibt es nur die Nacht des Alls, das leere, große, tote Nichts! Ohne sich dessen bewußt zu sein, ist Savage über die Steine geklettert, läßt Stein um Stein hinter sich, stürzt und stolpert, mit aufgeschundenen Händen und Knien, nur dem Triebe der Selbsterhaltung folgend. – Wenige ebene Strecken folgen der Anhäufung der Blöcke – er durcheilt sie wie ein flüchtiger Hirsch, mit keuchenden Lungen, mit zitternden Knien. – Er gönnt sich keine Sekunde Rast, wie ein Besessener zwingt er seine Muskeln zum Laufen, weiter, nur weiter! Der Kamm des Gebirges wird breiter, der furchtbare Grat ist überwunden, liegt hinter ihm. – Langsam nimmt die Steilheit der Hänge ab, die Mammutbäume der Tiefe recken ihre Äste mit den meterlangen Blättern über den sandigen Pfad, der noch die Spuren von drei Männern zeigt, die ihn vor kurzem in entgegengesetzter Richtung begingen. Wie von Furien gehetzt, stürmt Simon Savage über den weichen, staubtrockenen Sand. Er weiß nicht, ob er diese Landschaft schon einmal sah, er weiß nur, daß er das Ende dieses Berges erreichen muß. Da fällt das Vorgebirge ab, steiler und steiler. Er beschleunigt seinen Lauf. Sein keuchender Atem ist mit Schluchzen vermischt, er läßt sich den steilen Abhang hinunterrollen, er 88
sieht unter den hohen Farnkräutern den Einfall der Sonne, er hört die Stimmen von Männern, auf die er – zu Tode erschöpft, zu jagt. , Er hat die Gefährten erreicht, alles wird schwarz vor seinen Augen, er will etwas sagen, doch die Stimme versagt ihm. Simon Savage bricht vor den Füßen seiner Leidensgefährten ohnmächtig zusammen. * Mary Ann ist nach Stunden – von der Müdigkeit überwältigt – eingeschlafen. Sie hat bis jetzt noch kein Wort mit den Männern im Raumschiff gesprochen und eine betont verächtliche und feindselige Miene zur Schau getragen. Sie schläft auch noch, als Irving Lane sich aus seinem Sessel erhebt und zu Boce tritt, der den Antriebsmechanismus bedient. „Wann sind wir da?“ fragt er leise. Boce deutet auf den Bildschirm, auf dem der Gandar als mondgroße Kugel sichtbar ist. „Zehn Minuten noch“, antwortet er. Das nächtliche Schwarz wurde von der Helligkeit der Gandar-Sonne abgelöst. Boce mindert die Geschwindigkeit auf ein Tausendstel der bisherigen herab – die Scheibe schwebt jetzt über Gebirgen mit grauschwarzen Wolkenbänken und schillernden Sumpfflächen. Auf dem Schirm zeigt sich ein phantastischer Eindruck. Die Scheibe schwebt etwa zwanzigtausend Meter über der Schneeregion eines zerklüfteten Gebirges. Wie immer sind die Eiskuppen der Berge nicht sichtbar. Wolken- und Nebelfetzen fliegen – vom Sturm getragen – bis tief hinab, branden gegen die Wände und lösen sich dann in Rauch auf, der in Sekunden verfliegt. Zwischen zwei hohen Gebirgsketten erstreckt sich eine 89
schneebedeckte Rinne, die von oben gut zu erkennen ist. Lane und Boce wechseln einen raschen Blick, dann verfolgt Lane mit dem ausgestreckten Zeigefinger das Hochtal und bleibt schließlich an dessen Ende stehen. „Hier!“ Boce nickt. Er läßt die Scheibe im Gleitflug auf das breite, schneeflimmernde Tal niedergehen, verfolgt dieses noch bis zu der Stelle, an der es an die Felsen stößt, und geht dann nach unten. „Wir sind am Ziel“, sagt Irving Lane zu dem blonden Mädchen, das inzwischen aus dem Schlaf erwacht ist. „Harold Spier und die anderen wohnen hinter diesem Felsen. Wir können dort nicht mit dem Raumschiff landen, sondern müssen das letzte Stück zu Fuß gehen.“ Mary Ann ist aufgestanden. Ohne Lane eines Blickes zu würdigen, geht sie an ihm vorüber, dem Ausgang der Kabine zu. Irving Lane folgt ihr auf dem Fuße. Als Mary Ann an der Leiter steht, hält sie es doch für angebracht, etwas zu sagen. „Wie soll ich mit meinen Schuhen durch diesen Schnee?“ „Innerhalb der Felsen liegt keiner mehr“, erwidert Lane. „Es ist nur das kleine Stück bis zur Ecke.“ Sein Ton ist freundlich und versöhnlich, beinahe beflissen. Mary Ann zuckt nur die Achseln und beginnt, die Leiter hinabzusteigen. Wenn sie sich in späteren Zeiten ihr jetziges Tun vergegenwärtigte, so kann sie dafür keine Erklärung finden. Nicht einen einzigen Gedanken verschwendet sie in diesem Augenblick an die Möglichkeit, daß diese Männer, die doch Verbrecher übelster Sorte sind, eine gräßliche Schurkerei mit ihr beabsichtigen. Sie steigt die Leiter hinab mit dem Gedanken, in wenigen Minuten Harold Spier gegenüberzustehen. Sie nimmt sich vor, ihm einiges zu sagen, und dieser Gedanke macht sie blind 90
gegenüber jeder möglichen Entwicklung, die sich noch ergeben könnte. Vorsichtig tastet sie sich durch den tiefen Schnee. Sie stapft die wenigen Schritte bis zur Felsenmauer hinüber. Hier hat sie wieder festen Boden unter den Füßen. Es ist grimmig kalt. Um die Ecken dieses Felsentals pfeift ein scharfer Wind. Fröstelnd hüllt sie sich in ihren leichten Sommermantel und schlägt den Kragen in die Höhe. Sie vernimmt die Stimme Irving Lanes: „Dort um die Ecke, Miß! Dort sind die Leute!“ ruft er von der Höhe der Scheibe herab. Er macht keine Anstalten, herabzusteigen. Im Gegenteil, das Raumschiff steigt plötzlich mit einem Satz nach oben. Sie sieht, wie sich Lane auf der unteren Scheibe zum Kabinenraum zurücktastet. Was soll das? Warum steigt Irving Lane nicht mit aus? Warum zeigt er ihr nicht den Weg? Warum schießt das Raumschiff jetzt im Steilflug dem Kamm des Gebirges zu und verschwindet nach wenigen Augenblicken hinter dem Vorhang der grauschwarzen Schneewolken? Mary Ann steht noch immer mit dem Rücken an der Felswand. Ihre Gedanken sind verwirrt. Noch immer ist die furchtbare Lage nicht bis in ihr Bewußtsein vorgedrungen. Nur etwas Angst und Unsicherheit machen sich bemerkbar, ein kleines Mißtrauen. Aber noch immer durchschaut sie den teuflischen Plan nicht. Um die Ecke – so hat ihr Lane den Weg beschrieben. Sie setzt langsam einen Fuß vor den anderen und tastet sich an der Felswand entlang. Dort vom ist jene „Ecke“, von der Lane sprach. Dort ist der steile Fels unterbrochen und läßt nach links einen Durchschlupf frei. Als sie die Ecke der Felswand erreicht hat, fährt ihr ein eisi91
ger Windstoß ins Gesicht. Für Sekunden hebt sie die Hände, um ihr Gesicht vor den winzigen Eisnadeln zu schützen, die ihre Augen tränen lassen und schmerzhaft auf ihre Haut prallen. Um die Ecke herum – so sagte Irving Lane. Sie kämpft gegen den Sturm an, weiter an der nun im rechten Winkel abzweigenden Felswand. Diese Felswand ist grausam in ihrer schwarzen, unüberwindlichen Höhe. Auch gegenüber ragt eine solche himmelhohe Wand auf, ungefähr zwanzig Meter entfernt. Und dann hat sie die Kante des Felsendurchbruchs erreicht. Sie steht am Rande eines gähnenden Abgrundes, der wohl tausend Meter in die Tiefe stürzt. Unten aber dehnen sich riesige, schneebedeckte Flächen aus. In weiter Ferne kriechen graue Schwaden wie Schlangen an den Felswänden empor, deren Gipfel unsichtbar sind. Mary Ann steht allein inmitten einer trostlos gigantischen Szenerie. Nach links gibt es kein Abbiegen mehr, der Fels und die Tiefe versperren ihr den Weg. Und auch drüben auf der anderen Seite des schmalen Durchgangs ist es das gleiche Bild. Der Wind braust über das weite, verhangene, einsame Land und drängt sich kalt und stäubend durch die Lücke im Fels. Mary Ann steht stumm und starr. Mit klammen Händen tastet sie sich an der grauen Wand entlang, es sind sinnlose, überhastete Bewegungen. – Und plötzlich bricht sie in ein müdes Schluchzen aus. Dieses Land wird nicht nur aus hohen Bergen bestehen, sagt sie sich. Wenn ich versuche, in die Tiefe zu gelangen, so wird es dort auch wärmer sein. Hier oben scheint die Sonne mit kalten Strahlen, und während der meisten Zeit ist sie durch jagende Wolken unsichtbar. Auch auf der Erde gibt es Gebirge, ln denen es kalt und unwirtlich ist. Tiefer, tiefer – das muß jetzt ihr Ziel sein. Vielleicht leben in 92
der Tiefe sogar Menschen, Geschöpfe wie sie. – Hier oben ist ihr der Tod gewiß. Dort, von wo sie herkam, gibt es keine Möglichkeit, weiterzukommen. Dort gähnen die Abgründe. Sie wird die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Es scheint ihr, als fiele die Fläche, die vor ihr liegt, sanft ab. Das Hochtal verläuft in einem weiten Bogen. Es ist nicht vorauszusehen, wo es endet. Der Marsch über die tiefe Schneefläche ist unsagbar anstrengend. Bis an die Knie steht sie bei jedem Schritt im Schnee, muß dann das Bein sehr hoch heben, um es aus dem entstandenen Loch herauszuziehen und es weit vorsetzen. Längst schon empfindet sie die Kälte des Schnees nicht mehr. Ihre Füße und Beine sind heiß, und auch ihr Gesicht brennt von der Anstrengung. Plötzlich bleibt sie wie angewurzelt stehen. Da zieht sich eine eigenartige Kette von tiefen, kreisrunden Eindrücken über den Schnee, Eindrücke oder Spuren, die einen Durchmesser von mindestens zwei Metern haben und die tief mit scharfen Rändern in den Schnee gegraben sind. Diese gleichmäßigen, fast kreisrunden Löcher verlaufen in zwei Linien nebeneinander, die einen Abstand von rund drei Metern voneinander haben. Sie kommen von rechts herüber, wo die Felsenmauern emporragen,’ kreuzen den Weg Mary Anns im rechten Winkel und verschwinden nach links hinüber, wo sich gleichfalls Felsen zu schwindelnder Höhe erheben. Was ist das? Eine Spur? Unmöglich! Selbst die Elefanten auf der Erde würden nur Fußabdrücke von höchstens dreißig Zentimetern hinterlassen. Gibt es eine natürliche Erklärung für diese Fährte? Eine Maschine? Wer weiß, was man auf diesem Planeten für Maschinen benutzt! Wenn es aber eine Maschine war, dann muß es auch 93
intelligente Lebewesen geben, die sie bedienen. Also haben sich hier Menschen oder menschenähnliche Bewohner des Planeten befunden. Sie überlegt, ob sie der eigenartigen Spur folgen soll und setzt diesen Entschluß auch in die Tat um. Doch schon nach wenigen Schritten hält sie erschöpft inne. Die zwei Meter breiten Löcher sind so tief in den Schnee gegraben und stehen so weit auseinander, daß es über ihre Kräfte geht, von einer Spur in die andere zu springen. Bis zu den Hüften müßte sie die Füße heben, um aus jedem dieser Löcher herauszukommen. Unmöglich! Es ist besser, wenn sie auch weiterhin dem gleichmäßigen Abfall der Schneefläche folgt. Der Weg ist dort bedeutend leichter. Wieder vergeht mehr als eine Stunde, in der sie Meter um Meter zurücklegt. Wohl vierhundert Meter ist sie gelaufen. Mit Befriedigung stellt sie fest, daß der Schnee zuerst körnig und dann pappig und naß geworden ist. Auch kommt ihr die Luft etwas milder vor als oben in der alpinen Region. Das Tal verbreitert sich immer mehr. Rechts und links läßt sich schon manchmal das schwärzliche Gestrüpp von Knieholz erkennen. Die Berge sind nach allen Seiten hin zurückgetreten. Sie macht die Entdeckung, daß sie bisher auf der Oberfläche eines ungeheuren Gletschers gegangen ist. Weit, weit in der Ferne scheint der Strom des Gletschers sein Ende zu finden, denn dort zeichnet sich eine dunkle Linie ab, die den Anfang einer Vegetation vermuten läßt. Mary Ann wundert sich über sich selbst, wenn sie zurückblickend den Ausgangspunkt ihres ungewissen Unternehmens sucht. Wie ein riesiges, weißes Band strebt der im Bogen verlaufende Gletscher nach oben. Der Platz des Beginnens ihres Marsches ist nicht mehr zu sehen. 94
Die Landschaft wird freundlicher. Die Sonne strahlt mit beachtlicher Wärme, so daß sie gezwungen ist, die Knöpfe ihres Sommermantels zu öffnen. Das hauchzarte, hellgrüne Tüllkleid, das sie anzog, um Mat Fraser zu treffen, läßt Hals und Schultern bis zum Brustansatz frei. Strümpfe und Schuhe sind durchnäßt, bei jedem Schritt quietscht das Wasser in ihren Schuhen. Da geschieht es, daß ihr Blick nach links abirrt, hinüber zu dem weit entfernten Rand des Gletschers. Dort bewegt sich etwas. Es hebt sich gegen die grauen Felswände in tiefschwarzer Färbung ab. – Zunächst glaubt Mary Ann, einem Schattenspiel zum Opfer gefallen zu sein, dem Schatten einer Wolke, die sich auf der Felswand abzeichnet. Denn es ist zu groß, zu ungeheuerlich, was sich dort in einer Entfernung von schätzungsweise einem Kilometer bemerkbar macht. Sie bleibt stehen und hält die Hand über die Augen. – Was mag das denn sein? Nein, das ist kein Schatten, das ist – das ist … Eiskalt kriecht es ihr über den Rücken. – Was sich dort drüben bewegt und jetzt aus der Nähe der Felsen auf die ebene Schneefläche des Gletschers hinüberwechselt, ist ein Tier. – Nein, auch ein Tier kann es nicht sein, denn sie hat von Tieren ganz bestimmte, irdisch begründete Vorstellungen. – Ein Tier von solchen Ausmaßen gibt es nicht. Denn das, was sich dort drüben bewegt, hat eine Höhe von mindestens sechs Metern und somit die Größe eines Hauses. Und doch ist es ein Tier! In furchtbarem Entsetzen stellt es Mary Ann fest. Denn der Gigant beginnt sich in schnellere Bewegung zu setzen. Es ist ein Mammut, aber viel größer, viel gewaltiger, viel mächtiger, als sie es jemals aus Abbildungen auf der Erde kennenlernte. Es hat vorn am Kopf gewundene Zähne, die wie Baumstämme aussehen. Seine tonnenschweren Füße trampeln wie Stahlsäulen in den Schnee, und Mary Ann 95
hat fast das Gefühl, als schwanke und zittere der ganze Gletscher, als sich das Untier wie ein zum Leben erwachter Häuserblock in Bewegung setzt. Mary Ann hat sich niedergekauert, denn ihre Beine versagen den Dienst. Sie ist so entsetzt, sie wird von einem solchen Grauen geschüttelt, daß sie hilflos und ohne Kraft alles über sich ergehen läßt. Und immer näher wälzt sich die unheimliche Masse dieses Riesentieres heran. Mary Ann liegt am Boden, jeder Fluchtbewegung unfähig. Was hätte es wohl auch für einen Sinn, vor einer solchen urgewaltigen Fleischmasse zu fliehen? Der Riese steht wie ein Bauwerk auf den Säulen seiner Füße und nimmt Witterung. Er hat das Mädchen bemerkt und schüttelt den Kopf. Dann stampft er weiter und kommt direkt auf sie zu. Mary Ann erhebt sich mit der letzten Kraft der Verzweiflung. Sie fliegt über die Schneefläche hinweg, den Weg zurück, den sie gekommen ist. Sie stürzt. – Mühsam richtet sie sich wieder auf und läuft weiter. Eine Panik hat sie ergriffen. Doch auch das Untier hat sich in Trab gesetzt. Viel schneller, als man es ihm Zutrauen würde, überquert es das Schneefeld und bleibt an dem Platz, an dem Mary Ann noch vor kurzem am Boden lag, schnüffelnd stehen. Auf ihrer Spur trampelt der Koloß weiter. Er hat einen Brustkorb von drei Metern Breite, es gibt keinen Vergleich mit den Dimensionen dieses gigantischen Ungeheuers. Mary Ann läuft um ihr Leben. Zweihundert Meter weiter hinten dröhnt das Untier über den Gletscher. Mary Ann ist rettungslos verloren. Sollte es auf dem Gandar Wunder geben, so wäre das die einzige Rettung für das Mädchen aus New York. Schon ein einziger Tritt der tonnenschweren Urweltbestie würde sie zermalmen. 96
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Es ist in jeder Sekunde damit zu rechnen, daß Mary Ann stürzt. Sie hat längst ihre Schuhe verloren, doch darauf achtet sie jetzt nicht. Wenn sie wirklich den Gipfel des Gletschers erreicht, so bleibt ihr dort nur noch der Sprung in die Tiefe. Ist aber dieser Tod nicht dem durch die grausame Bestie vorzuziehen? Gibt es ein Wunder, das sie rettet? Sie hat nicht auf den Himmel geachtet. Denn von dort braust plötzlich in rasendem Sturzflug eine hellgraue Scheibe heran, ein Raumschiff, ähnlich denen, wie man sie auf der Milliarden Kilometer entfernten Erde benutzt. Mary Ann fällt lang hin in den Schnee, zu Tode erschöpft, zu Tode gehetzt. Sie hat beide Hände auf die grausam schmerzende Brust gelegt und starrt mit weitoffenen Augen auf das furchtbare Drama, das sich in Sekundenbruchteilen abwickelt. Die Scheibe ist kurz hinter ihr, zwischen ihr und dem verfolgenden Untier, flach auf den Boden gegangen. Eine Detonation, gleich darauf eine zweite. – Mary Ann dröhnen die Ohren. Dem Riesenmammut gibt es mitten im Heranstürmen einen Ruck, als habe eine übermächtige Faust es gepackt. Doch noch ist Mary Ann nicht gerettet. Die beiden Geschosse haben das Untier wohl getroffen, jedoch nicht getötet. Es stößt ein gräßliches Röcheln aus, das Mary Ann aufs neue in Schrecken versetzt. Dann schwankt der furchtbare Riese weiter, noch immer röchelnd und fauchend. Noch knapp fünfzig Meter trennen Mary Ann von der heranwuchtenden Bestie. Unter Aufbietung ihrer letzten Kraft erhebt sie sich wieder, mit Stichen in der Brust stolpert sie auf zerfetzten Strümpfen durch den körnigen Schnee. Das Raumschiff hat einen blitzschnellen Bogen geschlagen, hat in rasendem Zwischenspurt das fauchende Untier überholt. Wieder kracht ein dröhnender Schuß, dessen Echo sich tausendfältig in dem ansteigenden Gletschertal bricht. 98
Mary Ann wendet sich erschrocken um. Das Tier hat sein Tempo verlangsamt, ein Fuß knickt ein. Es stößt einen urgewaltigen Schrei aus, wie der dumpfe Klang einer Tuba anzuhören. Und dann geschieht abermals etwas Unvorhergesehenes. Das Raumschiff jagt plötzlich mit gesteigerter Geschwindigkeit hart am Boden entlang, direkt auf das Urwelttier zu. Ein Krachen. Das Raumschiff schwankt, kippt zur Seite, schlägt hart auf die Schneedecke. Aber auch das Untier wälzt sich am Boden. Ringsum ist der Schnee rot gefärbt. Der mächtige Körper wurde durch den Zusammenprall mit dem Raumschiff umgeworfen und wahrscheinlich tödlich verletzt. Ein letztes Zucken der riesigen Masse, dann bleibt die Bestie regungslos liegen. Mary Ann aber sinkt zu Boden, und nur noch ein erschöpftes Weinen ist es, das befreiend aus ihr hervorbricht. * Der Bericht, der nur satzweise aus Simon Savage herausgequetscht werden konnte, hat die Männer erschüttert. Dieses Erlebnis konnte sich niemand drastischer ausmalen. Die Männer schleichen jetzt mit ängstlichen Gesichtern herum. Und wäre nicht Ronald McIddle mit seiner phlegmatischen Ruhe gewesen, so wäre bestimmt eine Panik ausgebrochen. Allerdings hat McIddle sofortige Gegenmaßnahmen angeordnet: Ein Mann muß jetzt immer aus der obersten Luke des Raumschiffes mit dem Gewehr Wache stehen. Und der Irländer hat dem Betreffenden angedroht, ihn den Riesensumpfschlangen zum Fraße vorzuwerfen, wenn er nicht aufpaßt und die anderen nicht sofort durch einen Schuß warnt, falls sich diese fliegenden Elefanten irgendwo blicken lassen. 99
Mit Simon Savage ist nicht mehr viel anzufangen. Er ist fertig mit seinen Nerven und sieht im Geist überall jene Vögel mit den stählernen Schwingen, die vor seinen Augen die Gefährten fortschleppten. McIddle hat ihm strengstens untersagt, sich draußen im freien Gelände sehen zu lassen, damit er die „Kollegen“ nicht verrückt macht. Für die Ankunft Irving Lanes hat der Irländer ebenfalls alles vorbereitet. Dieses Ereignis steht unmittelbar bevor, denn heute soll Lane nach den Aussagen Morillers und Hotweeds auf dem Gandar eintreffen. . Und dann landet das Raumschiff, schon lange vorher auf dem Radarschirm gesichtet, mit Irving Lane, Boce und Feet wirklich. Niemand ist auf dem weiten Platz zu sehen, und auch das Raumschiff steht leer und verlassen da. Irving Lane wirft nur einen kurzen Blick zu dem Raumschiff hinüber, dann erblickt er den Berg des geförderten Erzes. „Na, die haben ja schon ganz gut gearbeitet“, meint Lane. Boce nickt zufrieden, während Norman Feet keine Miene verzieht. Es schwebt etwas Unausgesprochenes zwischen den Männern, ein verborgener Haß, der nach Entladung drängt. Vielleicht ist auch das der Grund, weshalb Feet den Stolleneingang als letzter betritt. Er traut den beiden anderen nicht mehr – und seitdem Lane das blonde Mädchen entführte, hat sich dieses Mißtrauen noch verstärkt. Ein Mann, der solche Untaten begeht, schreckt auch nicht davor zurück, den Verbündeten zu liquidieren, wenn er der Ansicht ist, daß er im Wege stände. * Als Irving Lane den Verschlag betritt, den er und die Wächter als Aufenthaltsraum benutzen, findet er auch dort die beiden Zu100
rückgebliebenen nicht vor. Boce und Feet sind ebenfalls eingetreten. „Sie werden hinten die Arbeit beaufsichtigen“, sagt Boce. „Sind tüchtig, die beiden“, lobt Lane, indem er sich anschickt, den Kaum wieder zu verlassen. Doch er prallt an der Tür mit einem sehr gewichtigen Manne zusammen, der – wenn ihn sein Gedächtnis nicht im Stich läßt – der Irländer McIddle ist. „Ah!“ ruft der ehemalige Freistilringer in gespielter Überraschung. „Da sind Sie ja endlich! Wir haben schon lange sehnsüchtig auf Sie gewartet. Kommen Sie nur gleich mit zum Arbeitsraum, wir haben Ihnen einige hübsche Neuigkeiten zu erzählen.“ „Wo ist Moriller?“ wundert sich Irving Lane, der sich aus dieser freundlichen Begrüßung absolut keinen richtigen Vers machen kann. „Sind alle noch da, der Moriller und der Hotweed“, antwortet McIddle vergnügt. „Sind zwei tüchtige Kerle, der Moriller und der Hotweed. Haben seit einigen Tagen fast die ganze Arbeit allein gemacht.“ „Was?“ fragt Lane, während er den Kopf vorschiebt. „Was soll dieser Blödsinn? Die beiden sind doch nicht zum Arbeiten hiergeblieben!“ „Na, was denn sonst?“ lacht McIddle. „Muß doch alles ein bißchen gerecht zugehen, Boß. Zuerst haben wir die Arbeit gemacht und die zwei haben uns bewacht. Und jetzt machen sie mal die Arbeit, und wir wachen. Oder meinst du, Boß, daß das nicht in Ordnung ist?“ Sie haben inzwischen den ziemlich finsteren Gang nach hinten passiert und stehen nun vor der verschlossenen Tür, die zum Arbeits- und Aufenthaltsraum führt. Wäre es heller gewesen, so hätten die drei Neuankömmlinge sicher gesehen, daß aus dem gegenüberliegenden Geräteverschlag vier Männer herauskamen, die ihre Maschinenpistolen und Revolver schußbereit in den Händen hielten. So aber ist sich Irving Lane über die wah101
ren Tatsachen und die umgekehrten Verhältnisse noch durchaus im unklaren. „Sag mal“, braust jetzt Irving Lane auf, „du bist wohl verrückt geworden, Kerl? Raus mit der Sprache jetzt: Was ist mit den beiden los?“ „Sie arbeiten, Sir“, entgegnet McIddle gelassen. „Wollen Sie sie einmal sehen?“ Mit diesen Worten hat McIddle schon den Schlüssel in der Hand und öffnet die durch Stacheldraht gesicherte Tür. „Gehen wir hinein, Sir!“ fordert er Irving Lane auf. Ehe sich Lane zu einer Erwiderung aufraffen kann, fühlt er schon die schwere Faust des Irländers auf seinem Oberarm, die ihn wie eine Stahlklammer umschließt. Mit unwiderstehlicher Gewalt hat McIddle den Gangsterboß schon ins Innere des Raumes expediert. Irving Lane reißt sich mit einem Ruck los und greift in die Tasche. Und auch sein Gefährte Boce wird nun aktiv: Er dreht sich rasch um und will wieder nach vom eilen. Doch dabei sieht er sich einer Front von vier Schußwaffen gegenüber, die eine recht deutliche Sprache sprechen. Der Irländer hat die Hand Irving Lanes ergriffen und sie wie in einem Schraubstock zusammengedrückt. Der Schmerz zwingt Lane, den hervorgezogenen Revolver fallen zu lassen. Am Eingang der Erdhöhle stehen vier Männer, die Waffen im Anschlag. „Was soll das bedeuten?“ keucht Irving Lane endlich fassungslos. „Das weißt du noch nicht, du Spitzbube?“ lacht ihn McIddle an. „Nimm die Hände auf den Rücken!“ befiehlt der Irländer dem Gangsterboß. „Dein Spiel ist aus.“ Irving Lane wirft sich mit einem tierartigen Satz auf McIddle. Hätte er sich für einen Angriff doch einen anderen ausge102
sucht! Denn McIddle ist wirklich nicht das geeignete Objekt für Schlägereien. Seine Hände schließen sich um den Hals Lanes und drücken zu. Da ist allerdings für Irving Lane nicht mehr viel zu machen. Nach einigen vergeblichen Bemühungen, sich aus der Klammer zu lösen, werden seine Anstrengungen zusehends schwächer. Zuletzt strampelt er nur noch hilflos mit den Beinen und hängt dann wie ein Sack mit rot angelaufenem Gesicht in den Händen McIddles« „So“, sagt der Mann aus Texas City mit völligem Gleichmut, „das wäre fürs erstemal erledigt. Binde ihn zusammen, Wooderson. Will noch einer?“ fragt er dann die beiden anderen, indem er die massigen Arme vorstreckt. Boce läßt sich fesseln, ohne Widerstand zu leisten. Und auch Norman Feet hält es für das beste, auf weitere Worte zu verzichten. „Denke nicht daran“, sagt er. „Habe das alles kommen sehen.“ „Hoffentlich hast du es auch kommen sehen, daß zwei von unseren Gefährten von Riesenvögeln verschleppt wurden“, erwidert McIddle ohne jedes Wohlwollen. „Von Riesenvögeln?“ erschrickt Feet. „Gibt es hier solches Viehzeug?“ „Glaubst es wohl nicht, Mann? Wir können ja mal zusammen einen kleinen Spaziergang machen.“ „Ich glaube es schon!“ erklärt Feet rasch. „Aber ich frage nicht ohne Grund. Es handelt sich da um ein Mädel …“ „Das können wir nachher in aller Ruhe besprechen“, winkt McIddle ab. Er wendet sich an Boce: „Verstehst du, mit einem Raumschiff umzugehen?“ Boce sieht ihn höhnisch ‚an. Dann spuckt er aus. Doch das hätte er auf keinen Fall tun sollen, denn McIddle holt aus und schlägt ihn mit einem einzigen Faustschlag zu Boden. 103
„So, das ist Nummer zwei“, erklärt der Irländer. „Wir wollen doch mal sehen, ob diese Burschen nicht noch aus der Hand fressen. Und wie ist es mit dir, Freundchen?“ wendet er sich an Norman Feet. „Ich kann es leider nicht“, antwortet Feet. „Wenn ich es könnte, würde ich euch helfen. Boce weiß genau Bescheid mit dem Raumschiff, er wurde deswegen von Lane engagiert.“ „Und wie heißt du?“ „Norman Feet.“ „Scheinst einigermaßen vernünftig zu sein. Komm mal mit!“ Bevor er den Raum vor Feet verläßt, ruft McIddle seinen Helfer noch an: „Wooderson, du paßt mir gut auf, daß diese Kerle nicht miteinander sprechen. Nimm dir einen ordentlichen Knüppel in die Hand, hau ihnen eins drauf, wenn sie Volksreden halten wollen. Denk an Spier und Pearson!“ „Okay, Boß!“ Der Irländer hat Feet die Fesseln gelöst. Es ist für den Mann aus den Südstaaten unmöglich, zu fliehen, denn einer der Männer McIddles steht mit der Maschinenpistole an der Tür, und außerdem – wo sollte er hin? McIddle hat die Arme verschränkt und baut sich breit vor Norman Feet auf. „Jetzt höre mal gut zu, was ich dir sage, Kollege!“ ermahnt er ihn zum Anfang. „Wir haben verdammt wenig Lust, uns von dir beschwindeln zu lassen. Mit Schwindel und Lügen habt ihr uns reichlich genug bedient – beim nächstenmal platzt uns der Kragen. Hast du das kapiert, Freund?“ „Ich lüge nicht“, beteuert Feet. „Tut mir verdammt leid, daß ich mitgemacht habe, als Lane euch hier heraufgeschleppt hat. Habe nicht gewußt, daß Lane das auf eine solche Art machen wollte.“ Der Irländer winkt ab. „Kommt leider zu spät, diese Einsicht“, sagt er. „Unsere bei104
den Kollegen Spier und Pearson werden dadurch nicht wieder lebendig. Und wie ist das jetzt mit dem Mädel, Kollege?“ „Die haben das Mädel mitgenommen bis hier herauf auf diesen verdammten Planeten. Sie haben ihr weisgemacht, daß Spier sie sprechen wollte. Als sie sich weigerte, wurde sie mit Gewalt ins Raumschiff gebracht. Dann haben sie das Mädel ganz hoch oben im Gebirge auf einem Schneefeld abgesetzt und ihr erzählt, daß gleich hinter der Felsenecke Spier auf sie warte. Als sie von der Scheibe runter war, sind sie getürmt. Das ist alles. Ist erst ’ne halbe Stunde her, als es passierte.“ Schweigend haben die Männer diesen furchtbaren Bericht angehört. Sie alle sind Leute, die es auf der Erde mit der Ehrlichkeit und den Gesetzen nicht ganz genau nahmen – das aber, was sie hier hören, hat mit kleinen Ganovereien nichts mehr zu tun. Dieser Plan der Aussetzung eines wehrlosen, weiblichen Geschöpfes geht über ihre Begriffe. „Ein schönes Märchen“, sagt endlich McIddle. „Was bezweckst du eigentlich damit?“ „Ich will gleich verdammt sein, wenn es nicht wahr ist! Jedes Wort ist wahr! Es ist alles noch viel schlimmer, als ich es erzählte.“ „Und du? Was hast du dabei getan? Warum hast du dem Mädel nicht geholfen?“ „Was sollte ich denn machen, Sir? Die beiden hätten mich kaltgemacht. Ich dachte, es ist besser, wenn ich vorläufig ruhig bin und die Sache dann irgendwelchen Leuten – oder sogar der Polizei – melde. Das war bestimmt besser, als wenn ich als einziger Zeuge auch noch weggefallen wäre.“ „Da hast du natürlich auch wieder recht. Glaubst du denn, daß du die betreffende Stelle wiederfinden würdest?“ Feet zuckt die Achseln. „Ich kenne mich schlecht aus mit dem Radarzeug und den 105
Bildschirmen. Aber Boce weiß es ganz genau, und auch Lane wird es wiederfinden.“ „Aber Lane wird behaupten, er wüßte nichts von einem Mädel!“ „Pah, der weiß es ganz genau! Erinnere ihn nur an den Elektrischen Stuhl!“ „Well, dann werden wir uns die Herren mal ein bißchen vornehmen. Haben sowieso noch ein Hühnchen mit ihnen zu rupfen. Was ich noch sagen wollte – du weißt wohl selbst, Freund, was dir blüht, wenn du fliehen willst oder wenn du uns angeschwindelt hast?“ „Sie können ganz unbesorgt sein. Ich meine es ehrlich.“ McIddle erteilte Lighting und dem Mischling den Befehl, die beiden Gangster herbeizuholen. Als sie gebracht werden, ordnet der Irländer an, sie draußen vor dem Eingang zum Stollen an zwei starken Bäumen festzubinden. „Ihr anderen paßt auf wegen der Vögel! Wenn sie kommen sollten, dann haben wir zwei prima Leckerbissen für sie!“ Die Männer reiben sich unternehmungslustig die Hände. Sie gönnen diesen beiden Halunken jede Todesart. Aber auch sie sind jetzt erst einmal gespannt, wie der „Texas-Ronny“ – diesen Namen hat man McIddle in der Zwischenzeit beigelegt – mit den Gangstern umspringen wird. Es ist klar, daß die Leute McIddles nicht gerade sanft mit den in ihre Gewalt geratenen Gangstern verfahren. Als der Trupp mit den beiden Gefesselten erscheint, ist zu erkennen, daß es nicht ohne Püffe und Schläge abgegangen ist. Sie werden an zwei dicht nebeneinander stehende, dicke Bäume gebunden. Sie stehen mit dem Rücken an den Bäumen, die Arme sind nach hinten darumgeschlungen, doch man hat das gleiche auch mit den Beinen gemacht, so daß sie sich nicht bewegen können. Dann beginnt McIddle, der Texas-Ronny. Neben ihm stehen 106
seine sechs Kameraden, zu denen sich auch Norman Feet gesellt hat. „Elender Schuft und Verräter!“ faucht Lane. „Selber Schuft!“ ruft ihm Feet zu. „Mit schwachen Frauen ist es wohl leichter, du Feigling? Solche Gauner wie du müßten hängen!“ „Eher hängst du!“ brüllt Irving Lane in ohnmächtiger Wut. „Wir werden ja noch feststellen, wer der Schuldige ist!“ „Das werden wir allerdings tun!“ unterbricht ihn McIddle, der sich mit verschränkten Armen, geplatzten Nähten, dunkelgebräuntem Gesicht und bemerkenswerten Muskelpaketen vor ihm aufgebaut hat. „Und jetzt möchte ich dir empfehlen, dir jedes Wort, was du hier sagst, sehr genau zu überlegen. Wir befinden uns hier auf dem Gandar – und du bist schuld daran, daß das so ist. Du wirst jetzt nicht nach Erdgesetzen, sondern nach dem Gesetz des Gandar behandelt. Diese Gesetze sehen ein bißchen anders aus. Wie ist das also mit dem Mädel?“ „Ich weiß nicht, was du meinst“, entgegnet Irving Lane. „Dieser Mann dort will uns jetzt bloß irgendwie hineinlegen.“ „Na schön“, nickt der Irländer, ohne sich durch dieses Leugnen aus der Ruhe bringen zu lassen. Er wendet sich an Boce, der dem Gespräch der beiden Männer mit hellwachen, aber tückischen Blicken gefolgt ist. „Und jetzt kommst du an die Reihe! Wie ist das mit dem Mädel, mein Sohn?“ „Ich weiß von keinem Mädel“, knurrt Boce mit einem bösartigen Blick. „Du auch nicht“, stellt McIddle bedächtig fest. „Paß auf, was ich dich jetzt frage: Wo steckt eigentlich die Braut von unserem Kollegen Harold Spier? Sie startete doch mit euch von der Erde – ist sie noch im Raumschiff?“ „Im Raumschiff ist kein Mensch.“ „Wo ist sie denn dann?“ 107
„Zum Teufel, ich weiß von keiner Braut! Sie fuhr nicht mit uns.“ „Aber du, Lane, kennst sie doch?“ „Ich kenne Spiers Braut nicht. Habe sie noch nie gesehen.“ Der Irländer wendet sich seelenruhig an Feet. „Wie ist das, Feet – hat dieser Mann recht?“ „Er ist ein verdammter Lügner. Er hat das Mädel genauso geshanghait, wie er euch betrunken gemacht hat. Ich kann euch das ja jetzt erzählen, er hat euch ein Schlafmittel in den Whisky geschüttet.“ „Und das hat er auch mit dem Mädchen gemacht?“ „Nein, er brachte sie im Auto. Sie steckte in einem Sack und war gefesselt und geknebelt.“ „Wo bist du denn mit dem Auto gewesen, Lane?“ forscht McIddle weiter. „Das klingt ja wie’n Verhör!“ ruft der Gangsterboß wütend. „Im übrigen geht’s dich einen Dreck an.“ Der Irländer läßt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Er wendet sich wieder dem untersetzten, pockennarbigen Boce zu. „Na, du Rattengesicht – wie war das mit deinem Chef? Wo kam er denn her?“ „Das kann der gar nicht wissen!“ ruft Lane dazwischen. „Halt gefälligst deinen Mund, du Halunke!“ fährt ihn McIddle an. „Wie ist es jetzt, du Lausekerl? Wo kam dein Chef her?“ „Das weiß ich nicht.“ „Du mußt doch gesehen haben, aus welcher Richtung der Wagen kam?“ „Habe ich nicht. Als ich dazukam, war der Wagen schon da.“ „Ah, der war schon da? Das ist immerhin ein Eingeständnis. Ich dachte schon, ihr wolltet leugnen, daß er überhaupt mit dem Wagen gekommen ist. Und wie ist das jetzt mit dem Mädel?“ „Hol der Teufel dein Mädel!“ braust Boce auf. 108
„Noch nicht, du sauberes Pflänzchen, noch nicht!“ meint McIddle phlegmatisch. „Du hast also das Raumschiff gesteuert?“ „Das geht dich nichts an!“ „Irrtum, großer Irrtum! Du sollst uns nämlich wieder zur Erde zurückbringen.“ „Da kannst du lange warten!“ Die Männer lassen deutliche Zeichen des Unwillens hören. Sie sind sich nicht im klaren darüber, wie sie diesen haßerfüllten, verbitterten Kerl veranlassen sollen, das Raumschiff zu bedienen, mit dem sie wieder auf die Erde zurückkehren wollen. Um so mehr scheint aber McIddle zu wissen, was er tut und was er sagt. Er wendet sich plötzlich wieder Irving Lane zu. Doch sein Tonfall hat sich um einiges verändert. Die bis jetzt zur Schau getragene Gemütlichkeit ist völlig daraus verschwunden – McIddle spricht jetzt kalt und sachlich. „Na, Lane, wie ist’s jetzt mit einem Geständnis? Komm, beeile dich, damit wir das arme Mädel noch retten können!“ „Du bist wohl taub? Hab dir doch gesagt, ich weiß nichts von einem Mädel!“ „Du nicht? Aber ich!“ antwortet der Irländer ruhig. Er dreht sich um und winkt zwei seiner Leute heran, denen er leise Befehle erteilt. Die beiden Männer eilen davon und kommen kurz darauf wieder, beide Arme voll Holz und Reisig, das sie um den Baum Lanes herum aufschichten. Schließlich bringt noch einer eine Ölkanne angeschleppt, deren Inhalt er über das Holz schüttet. Irving Lane hat all diese Vorbereitungen mit sichtbarer Besorgnis beobachtet. Doch er sagt kein Wort, sondern beißt die Zähne aufeinander und blickt mit harten, haßerfüllten Augen um sich. McIddle wendet sich an seine Kameraden. 109
„Kollegen, ihr habt gehört, daß ich diese beiden Männer mit aller Anständigkeit gefragt habe. Und ihr habt auch gehört, was ich von ihnen für Antworten erhalten habe. Habe ich ehrlich und nach dem Gesetz gehandelt?“ „Ja!“ antworten die Männer, Feet eingeschlossen. „Seid ihr der Meinung, daß man dem armen Mädel, das diese Bestien dort oben im einsamen Gebirge der Kälte und dem Hunger und den schrecklichen Raubtieren überlassen haben, helfen muß?“ „Ja!“ rufen die Männer wie aus einem Munde. „Und glaubt ihr, daß der Kollege Feet, der uns die Geschichte von dem Mädel erzählt hat, gelogen hat?“ „Nein!“ antworten alle. „Ihr habt es gehört, ihr zwei“, wendet sich der Irländer an die beiden Gefangenen. „Ich gebe euch noch eine Minute Zeit, ein Geständnis abzulegen.“ McIddle blickt auf die Armbanduhr, die er Fine Moriller abgenommen hat. Keiner der Männer rührt sich. Die sechzig Sekunden sind von einem bedrohlichen Schweigen erfüllt. McIddle blickt unverwandt auf die Uhr. „Schluß!“ sagt er. „Die Minute ist um!“ Er nimmt ein Feuerzeug aus der Tasche, setzt es in Brand und nähert sich Irving Lane. Dann zündet er mit Hilfe des darübergegossenen Öles den Holzstoß zu Füßen des Gangsterbosses an. Eine Rauchwolke steigt auf, das Feuer frißt sich weiter und ergreift das Holz, das prasselnd in Brand gerät. Irving Lane ist von schwärzlichem Rauch eingehüllt. Er bäumt sich unter seinen Fesseln auf und schreit: „Ich ‚verlange, vor ein ordentliches Gericht gestellt zu werden, ihr Lumpen! Ihr habt nicht das Recht …“ „Wie ist es mit dem Mädel, Lane?“ fragt McIddle ruhig. 110
Die Flammen breiten sich schnell aus. Jetzt haben sie sich an Irving Lane herangearbeitet, versengen seine Schuhe. Dann erklingt ein Schrei aus Rauch und Flammen: „Aufhören!“ brüllt Lane. „Wie ist das mit dem Mädel?“ fragt McIddle wieder. „Aufhören! Aufhören! Ich verbrenne! Hilfe! Ich verbrenne!“ Wütend zerrt Irving Lane an den Stricken, die ihn am Baum festhalten. Die Flammen schlagen links und rechts an ihm hoch. „Hilfe! Hilfe! Aufhören!“ „Wie ist das mit dem Mädel?“ McIddle ist eisern und läßt sich durch nichts aus der Fassung bringen. „Ich sage es, ich sage es! Nehmt das Feuer weg, schnell schnell!“ Lane stößt kreischende Schreie aus. Schon verschlägt ihm der Rauch den Atem. „Wie ist das mit dem Mädel, Lane?“ „Ja! Ich kenne das Mädel! Nehmt das Feuer weg! Schnell, schnell, ich verbrenne!“ „Wo ist das Mädel, Lane?“ „Auf dem Gandar! Ja, sie ist hier! Schnell, schnell!“ „Feet hat die Wahrheit gesagt, Lane?“ „Ja!“ brüllte Lane überlaut. McIddle gibt seinen Kumpanen einen Wink. Mit Stangen reißen sie den Holzstoß ein, binden Irving Lane vom Baum los. Der macht einen verzweifelten Sprung und bricht dann – besinnungslos vor Angst – zusammen. Der Irländer wendet sich dem zweiten Verbrecher zu. Boce betrachtet ihn mit Blicken, die Gift speien. „Nun, du ungewaschenes Reptil“, spricht ihn der TexasRonny an, „möchtest du auch noch angeheizt werden? Oder sollen wir dich zur Abwechslung mit dem Kopf in den Sumpf hängen? Es gibt keinen Pardon! Wie ist es also – wirst du das 111
Raumschiff dorthin bringen, wo ihr das Mädel abgesetzt habt?“ Statt einer Antwort spuckt Boce den Irländer an. McIddle hebt die Hand und führt damit einen Schlag in die höhnisch verzerrte Fratze. Noch einmal schlägt McIddle zu. „Warte!“ kreischt nun Boce, wie es vor einigen Augenblicken sein Boß schon getan hat. „Ja, ich will euch die Stelle zeigen! Ich kenne die Stelle!“ McIddle wirft Boce einen verachtungsvollen Blick zu. „Das hättet ihr euch beide sparen können“, bemerkt er. „Und nun los! Wir haben keine Zeit zu verlieren! Und wehe euch beiden, wenn wir das Mädel nicht finden oder wenn ihm etwas passiert ist! Bindet diesen Verbrecher los!“ In diesem Augenblick stößt einer der Männer einen Ruf aus. Er deutet mit der Hand nach oben, in die Bläue des Firmaments. Die Männer folgen der Richtung seiner Hand. Dort oben schwebt in unermeßlicher Höhe ein hellgraues Etwas von runder Form. Ein Raumschiff! In sausendem Gleitflug jagt das Raumschiff über die weite Ebene des Sumpfes, überwindet mit Fallgeschwindigkeit die Höhe und rast schließlich, kaum einhundert Meter über dem Boden, dem Platz zu, an dem sich die Männer aufhalten. Mit einem Ruck verharrt es mitten im Daher jagen, und eine dröhnende Stimme erfüllt die Männer mit lähmendem Schrecken. * Es ist so eingetroffen, wie es Mario Bora vorausgesagt hat. Sie sind wohl sehr nahe an das verfolgte Raumschiff Irving Lanes herangekommen, haben es jedoch nicht mehr erreicht. „Wir bleiben vorläufig außer Sichtweite“, bestimmt Mat Fraser. „Behalte es aber genau im Bildschirm!“ 112
Sie beobachten aus einer Höhe von fünfzig Kilometern, wie die Scheibe Lanes auf dem höchsten Punkt eines Gletschers niedergeht. Auf dem Radarspiegel sehen sie deutlich, daß ein Mensch das Raumschiff verläßt und der Felsenmauer zustrebt, die das Tal abschließt. Trotz der enormen Höhe ist die Spur im Schnee als schwarzer Strich deutlich sichtbar. Nach wenigen Augenblicken erhebt sich das Raumschiff Lanes wieder in die Lüfte. „Kannst du diese Stelle wiederfinden?“ fragt Fraser den Gefährten. Bora blickt in die Runde. „Ich denke doch. Wollen wir erst die Scheibe verfolgen?“ „Wenn sie zur Erde zurückfliegt, lassen wir sie in Ruhe. Townsend wird die prüder schon hochgehen lassen. Jetzt interessiert mich vor allem, wo sich die verschleppten Männer aufhalten.“ Mario Bora hat die Scheibe noch nicht wieder in Bewegung gesetzt. Auf dem Bildschirm können sie sehen, daß das Raumschiff Irving Lanes das Gebirge überfliegt und dann am Rande einer weiten Sumpfebene zu Boden geht. Bora läßt das Polizei-Raumschiff nach links gleiten und hält dann die Ereignisse auf der Oberfläche des Planeten im Bildschirm fest. „Dort steigen welche aus!“ sagt Tale Perkins. „Es sind einer – zwei – drei. Sie gehen an den Berg heran – jetzt sind sie in dem Berg verschwunden.“ „Waren es Männer?“ fragt Mat Fraser gespannt, obwohl er selbst am eifrigsten auf den Bildschirm gestarrt hat. „Es sah so aus“, erklärt der Italiener mit einem Kopfnicken. „Vielleicht ist es besser, wir fliegen ins Gebirge zurück.“ „Glaubst du, daß man sie dort …?“ „Es gibt keine Schandtat, zu der Lane nicht fähig ist“, ant113
wortet Bora vieldeutig, „nach allem, was ich bisher von ihm gehört habe.“ Schon auf den ersten Anhieb glückt Mario Bora das Wiederauffinden des verschneiten Gletschers. Er endet in einer von hohen Bäumen umstandenen Sumpfniederung. „Wir landen an der gleichen Stelle wie das andere Raumschiff“, schlägt Fraser vor. Die Scheibe stürzt nach unten, wird kurz vor der Schneefläche abgebremst und landet schließlich sanft am Boden. Mat Fraser klettert die Leiter hinab, während Tale Perkins mit schußbereitem Gewehr die Sicherung übernimmt und oben auf der Scheibe stehenbleibt. „Das ist keine Männerspur!“ ruft Mat Fraser von unten aufgeregt Perkins zu. „Das ist ein kleiner Fuß mit hohen Stöckelabsätzen.“ „Wo führt die Spur denn hin?“ „Warten Sie, das ist nicht so einfach! Hier geht eine Spur zum Felsen hinüber, aber es kommt auch eine zurück! Halt, hier! Sie ist wieder vom Felsen zurückgekommen und dann das Tal hinuntergegangen. Die Spur verläuft abwärts! Du lieber Himmel! Wenn ich diesen Lane erwische …“ Der Inspektor hastet die Leiter wieder hinauf. Er trägt seinen weißen Raumanzug, auf dessen Schultern die Rangabzeichen sichtbar sind. Über dem Raumanzug trägt er das hellbraune Koppel mit der Revolvertasche. Der Wind spielt mit seinem blonden Haar, denn Mat Fraser hat eine Abneigung gegen das Tragen von Kopfbedeckungen aller Art, solange die Atmosphäre des Planeten ihn nicht dazu zwingt. Mario Bora, der kluge Italiener, weiß schon Bescheid, bevor Mat Fraser seine neue Anweisung ausgesprochen hat. Kaum ist die Kabinentür ins Schloß geflogen, befindet sich das Raumschiff bereits in der Luft. Die Spur Mary Anns zeichnet sich 114
deutlich im Schnee ab und wird weiter unten von einer Kette großer, runder Eindrücke gekreuzt. „Stop, Mario! Siehst du diese runden Abdrücke?“ „Sie verlaufen in anderer Richtung“, meint Bora optimistisch. „Was mag das sein?“ fragt Perkins. Mat Fraser wendet ihm das Antlitz zu. Dieses Antlitz ist von einem tiefen Ernst und nicht geringer Sorge überschattet. „Ich machte Ihnen bereits in New York eine Andeutung, Sir“, erwidert er. „Ich fürchte, daß es noch einige Aufregungen geben wird.“ „Das verstehe ich nicht, Fraser. Diese Spur sieht mir so aus, als ob man dort mit einem Rammbock gearbeitet hätte.“ „Dort ist sie!“ ruft plötzlich Mario Bora und weist mit der Hand auf das Ende der Spur. Drei Augenpaare starren auf den winzigen Punkt inmitten der Schneefläche. Das Raumschiff steht bewegungslos in tausend Meter Höhe. Sie sehen, daß Mary Ann Shelton stehengeblieben ist. Sie trägt einen hellen Sommermantel und seidene Strümpfe. Ihr Haar leuchtet in hellem Blond. „Diable!“ Mario Bora hat erschrocken den Arm Frasers ergriffen. Dann deutet er auf ein riesiges Etwas, das an der Seite des Bildschirmes aufgetaucht ist und sich schwankend über die weite Fläche des Gletschers bewegt. Es ist das Riesenmammut, das auch Mary Ann mit Entsetzen erfüllt. „Alle Heiligen und Teufel!“ ruft nun auch der Polizeichef. „Was ist das für ein fürchterliches Biest?“ Mat Fraser ist bleich geworden. „Um Gottes willen! Wenn wir hier nicht helfen, ist Mary Ann – ist Miß Shelton – verloren. Was sollen wir tun?“ „Warten Sie, Inspektor!“ mahnt Perkins. „Sie flieht! Sie hat es gesehen.“ 115
Aus ihrer sicheren Höhe betrachten die Männer die Jagd, die sich auf dem Schnee des Gletschers abspielt. Sie sehen Mary Ann, die in panischer Angst vor dem Untier flieht, das sie verfolgt. Boras Hand zuckt zum Hebel, der das Raumschiff in Bewegung zu setzen vermag, aber unschlüssig zieht er sie wieder zurück. Er murmelt einige Worte. – Mat Fraser sieht ihn aus flackernden Augen an, ebenfalls unentschlossen und so erregt, wie ihn der Italiener noch nie gesehen hat. „Ich kann nicht mehr landen, das Tier ist schon zu nahe heran“, sagt Bora. „Aber – wir haben doch das Geschütz! Schieß die Bestie ab, Mat, ich bringe die Scheibe in Schußrichtung!“ Auf einer eisernen Wendeltreppe jagt der Inspektor nach oben. Das Zwei-Zentimeter-Geschütz ist geladen. Das Raumschiff geht im Gleitflug nach unten, rast über die Schneefläche. Jetzt, jetzt hat der Inspektor die Bestie im Fadenkreuz. Er drückt auf den Abzug. Der Schuß donnert durch das Tal. Ein Volltreffer. Schon hat Bora die Maschine aus voller Fahrt zurückgerissen, hat sie wieder wenige Meter vor die furchterregende Bestie gebracht. Wieder ein Schuß! Das Untier hält inne – stampft dann weiter. Mary Ann, die zu Boden gestürzt war, setzt ihre Flucht fort. Ihre Hände sind vor die Brust gepreßt – sie hat die Schuhe verloren. Zweimal ist das Untier getroffen worden, trotzdem lebt es noch und wankt Mary Ann nach, die mit erlöschender Kraft über das Schneefeld taumelt. „Es geht nicht, Mario!“ klingt Frasers heiserer, verzweifelter Ruf von oben. „Ich habe getroffen, aber es nützt nichts!“ Noch einmal bringt Bora die Scheibe in Schußrichtung. Wieder jagt eine Granate pfeifend aus dem Rohr des Geschützes. Wieder kein sichtbarer Erfolg. 116
„Was sollen wir machen, Mario?“ Fraser ist verzweifelt. Mit dem Fuß versetzt er dem Geschütz einen Wütenden Tritt. Er hat dabei nicht so sehr auf die Flugbahn der Scheibe geachtet und ist deshalb über die Antwort des Italieners erstaunt. „Achtung, Mat! Festhalten!“ Der Inspektor klammert sich an die eiserne Wendeltreppe, die in den Geschützraum führt. Durch eines der Hartglasfenster sieht er, wie Bora die Scheibe in eine Kurve reißt und sie so nahe an den Erdboden heranbringt, daß sie beinahe die Schneedecke streift. Um Gottes willen – was hat der tollkühne Mario vor? Plötzlich gewahrt Fraser unmittelbar vor sich das riesenhafte Untier – dann erfolgt schon ein heftiger Schlag. – Das Raumschiff hat die Bestie gerammt, ist durch den Anprall aus der Flugbahn geschleudert worden, zur Seite gekippt und bekommt Bodenberührung. – Krachend setzt die Scheibe auf der Schneefläche auf. Bora hat den Mechanismus ausgeschaltet. Das Raumschiff bleibt liegen. Mit einem Sprung ist Fraser im unteren Raum, dann öffnet er die Kabinentür. Sein Blick gilt dem Urweltgegner, pas Ungeheuer wälzt sich in letzten Zuckungen auf dem Schnee und stößt ein Röhren aus, das wie ein Ruf aus der Hölle klingt. Auch Tale Perkins und Mario Bora sind ins Freie gegangen. Kopfschüttelnd betrachtet der New Yorker Polizeichef die gigantische Bestie. „Damned!“ knurrt er. „Da sind wir gerade zur rechten Zeit gekommen. Hoffentlich hat das Vieh keine Gefährten, mit denen wir es noch zu tun bekommen.“ Die Abstiegsleiter ist bei dem Aufprall auf den Boden abgeknickt. Unbrauchbar hängt sie herunter, so daß die Männer regelrecht klettern müssen, um die Maschine zu verlassen. „Hoffentlich ist mit dem Mechanismus nichts passiert“, meint 117
Perkins. „Das fehlte gerade noch, daß wir mit einer verdammten Panne hier den Rest unserer Tage beschließen müßten.“ „Nur keine Angst!“ tröstet ihn Bora. „Ich werde den Kasten sofort wieder herrichten.“ Mat Fraser ist mit schnellen Schritten zu der Stelle geeilt, an der Mary Ann im Schnee liegt. Auf der kalten Schneedecke breitet sich ihr weißblondes Haar aus, ihr Gesicht ist gebräunt vom Widerschein der Sonne. Der Inspektor hat grenzenloses Mitleid mit diesem jungen, entzückenden Geschöpf. Wie sie so mit halbgeöffneten Lippen und geschlossenen Augen, mit runden Schultern und schlanken Beinen vor ihm liegt, ist sie von einer beängstigenden Schönheit. Fraser hat den Wunsch, sich neben ihr im Schnee niederzulassen und zu warten, bis sie von selber erwacht. Doch die Gegend, in der sie sich befinden, ist nicht für solche Betrachtungen geeignet. Er öffnet den Knopf seiner Revolvertasche, um die Waffe im Notfall gleich zur Hand zu haben, blickt noch einmal sichernd in die Runde, denn dieser Planet Gandar flößt ihm jedes denkbare Mißtrauen ein – dann beugt er sich zu Mary Ann hinab und hebt sie wie eine Feder vom Boden auf. Was macht einem Hünen wie Air-Fraser das Gewicht eines solchen Mädchens aus? Der Inspektor stapft mit ihr durch den Schnee. Er hat sie unter beiden Achseln und in den Kniekehlen gefaßt. Ihre Strümpfe sind naß. Ihre Schuhe liegen irgendwo in der Schnee wüste – er hat jetzt keine Lust, sie zu suchen und dabei vielleicht einer zweiten Bestie zu begegnen. Das Erklimmen der abgeknickten Leiter ist noch ein schweres Stück Arbeit. Kurz entschlossen legt sich Fraser den leichten Körper Mary Anns über die Schulter und klettert auf diese Weise ins Raumschiff. Bora ist schon mit Werkzeug dabei, den Schaden notdürftig zu reparieren. 118
Der Inspektor legt Mary Ann auf eines der einfachen Lager, die für die Besatzung des Raumschiffes bestimmt sind. Er streicht ihr das Haar aus der Stirn und versucht, ihre froststarren Hände zu erwärmen, indem er diese in seine eigenen Fäuste einschließt. Behutsam löst er die nassen Strümpfe und zieht sie ihr aus. Mit einem Frottiertuch trocknet er ihre Füße und Beine ab und hüllt sie dann in eine weiche Decke. Nun bleibt er wartend mit einer Zigarette bei ihr sitzen. Es dauert nicht allzu lange, bis sie erwacht. Sie schlägt die Augen auf und sieht sich erstaunt um. Dann scheint sie sich zu erinnern. Wieder tritt der Ausdruck des Entsetzens in ihre Züge. „Nur keine Angst, es ist alles gut, Mädchen!“ beruhigt er sie. „Wo – wo ist – das Tier?“ stammelt sie. „Tot, Mädchen. Nun laß mal das Tier ganz aus dem Spiel! Weißt du, wer ich bin?“ Jetzt richtet sie zum erstenmal einen großen, fragenden Blick auf den Mann. „Oh!“ sagt sie dann. „Bin ich wieder – zu Hause?“ „Noch nicht, noch nicht! Vorläufig aber bist du in Sicherheit. Wir haben nur noch einige kleine Dinge zu erledigen, dann fliegen wir sofort nach Hause.“ „Haben Sie – hast du – gewußt, warum ich – warum ich nicht kommen konnte?“ Ein sanftes Lächeln fliegt über ihr schönes Gesicht. Sie ist entspannt, gelöst, sie dehnt sich auf dem weichen Lager im Bewußtsein ihrer Geborgenheit. „Natürlich habe ich es gewußt, Mary Ann“, antwortet er, während er sich über sie neigt. „Glaubst du vielleicht, AirFraser gäbe sich so ohne weiteres zufrieden, wenn er umsonst warten muß? Ich habe dich gesucht – und gefunden!“ Die Knöpfe ihres Mantels sind noch immer geöffnet. Darun119
ter schimmert das hellgrüne Cocktailkleid, welches verbirgt und dennoch offenbart. Er hat seinen Arm auf die andere Seite des Lagers gestützt und beugt sich nun lächelnd über sie. Und er weiß nicht mehr, was daran schuld war. – War es das leichte Aufheben ihrer Arme, oder ihr Blick, der voll unschuldigen Verlangens auf ihn gerichtet war, der Mund, der wie eine leuchtende Blume lockte – Mat Fraser hat sich plötzlich tiefer geneigt, wie ein Mensch, der dem Rausch des Schwindels Unterliegt und sich einfach in den Abgrund fallen läßt. „Und was wird mit Harold Spier?“ fragt Mat Fraser nach einer langen Pause. „Mach dir deswegen keine Sorgen, Mat! Ich bereue es, mich jemals mit ihm eingelassen zu haben.“ * Bora hat die Leiter notdürftig repariert. Tale Perkins betrachtet sich angelegentlich das komplizierte Schaltbrett der Scheibe, immer bemüht, seine Anwesenheit so wenig wie möglich bemerkbar zu machen. Als er vor wenigen Minuten den saalartigen Kabinenraum betrat, wollte er seine Schritte zu jenen beiden Personen lenken, die im hinteren Teil beisammen saßen. Doch der Polizeichef von New York hat da etwas gesehen, was ihn bewog, wieder umzukehren und die beiden vorläufig allein ihrem Schicksal zu überlassen. Nun ist auch Bora wieder da. Die beiden Männer räuspern sich vernehmlich. Mat Fraser lacht und erhebt sich zu seiner imponierenden Größe. „Haben Sie sich eine Erkältung zugezogen, meine Herren?“ fragt er in bester Laune. „Nun, ich glaube, wir könnten jetzt den Schlußstrich unter unser Abenteuer setzen. Mario, ist unser Kasten okay?“ 120
Bora berührt sanft den Starthebel. Wie durch eine übermächtige Kraft richtet sich die Scheibe auf und schwebt frei in der Luft. „So“, meint Fraser mit schmalen Augen, „jetzt kommt der letzte Akt. Fliegen wir zu dem Sumpf!“ Das Raumschiff hat keinen Schaden genommen. Sekunden später, mit gewohnter Präzision, haben sie die Stelle erreicht, über der sie vor zwei Stunden schwebten. * „Achtung! Achtung!“ dröhnt die Stimme aus einem Lautsprecher des über ihnen schwebenden Raumschiffes. „Hier sprechen Mat Fraser, Inspektor des Raumüberwachungsdienstes, und Tale Perkins, Polizeichef von New York. Wenn Sie Widerstand leisten, sind Sie verloren, denn wir haben ein Geschütz an Bord. Flaggen Sie zum Zeichen der Übergabe ein weißes Tuch!“ Nur wenige Augenblicke dauert es, bis einige Hemden hin und her geschwenkt werden. „Nanu?“ wundert sich Fraser. „Das ging schneller, als ich dachte. Das geht mir eigentlich zu schnell. Halten Sie mir den Rücken frei, Chef! Und du auch, Mario, nimm mal ein Schießgewehr in die Hand! Ich traue dem Frieden nicht!“ Bora landet. Mat Fraser, das Gewehr über der Schulter und die Pistole in der Hand, betritt den Laufsteg und entert zum Boden hinab. Ein kompakter, braungebrannter, über sein ganzes Vollmondgesicht grinsender Mann kommt ihm entgegen. Schon von weitem vollführt er tiefe Verbeugungen. „Habe die Ehre“, spricht er den Inspektor an. „Ich bin Ronald McIddle, genannt Texas-Ronny. Ich habe mir erlaubt, mit meinen Kollegen die Spitzbuben allesamt in sicheres Gewahrsam zu nehmen. Sie müssen wissen, daß man uns von der Erde unter Anwendung von Schlaftabletten entführte.“ 121
Fraser winkt lächelnd ab und reicht dem Mann mit den geplatzten Nähten freundlich die Hand. „Ich weiß Bescheid, Mr. McIddle, und ich bin sehr erfreut, daß Sie der Polizei die Arbeit dieser Verhaftungen erspart haben. Wie viele Männer sind Sie im ganzen?“ „Noch sieben, Euer Gnaden“, strahlt der Irländer. „Noch sieben, leider! Wir waren ursprünglich neun Personen, die dieses verruchte Gelichter geshanghait hat, aber die Vögel, diese verdammten …“ „Die Vögel? Was meinen Sie?“ „Es gibt hier eine Sorte von Vögeln, Euer Gnaden, die mit unseren Sperlingen oder Papageien nichts mehr zu tun haben. Unsere beiden Kollegen Pearson und Spier wurden auf einem Spaziergang von diesen Vögeln überrascht und entführt. Der Kollege Savage wird Ihnen den Fall genau schildern können, denn er war dabei, als das Unglück passierte. Allerdings hat Savage einen kleinen Schock davon bekommen, er redet wirres Zeug.“ „Das ist ja schrecklich!“ Mat Fraser ist ehrlich betroffen über diesen fast unmöglich anmutenden Bericht des Mannes. Doch dann erinnert er sich seines eigenen Erlebnisses mit diesen fliegenden Ungeheuern, als er mit einem schweren Maschinengewehr darauf schoß und diese Tiere nicht verletzen konnte. „Ich kenne diese Biester“, sagte er deshalb. „Wenn ich richtig gehört habe, sprachen Sie soeben von Ihrem Kameraden Spier. Ist das Harold Spier aus New York?“ „Jawohl, genau derselbe“, dienert McIddle eifrig. „Und da wir gerade darüber sprechen, so muß ich Ihnen gleich eine sensationelle Angelegenheit unterbreiten, die wir soeben im Begriff waren, zu bereinigen …“ Einige der Männer sind inzwischen herangekommen. McIddle dreht sich wie ein Feldherr nach ihnen um und herrscht sie an: 122
„Wollt ihr wohl sofort verschwinden und auf die Gefangenen aufpassen, ihr neugierigen Halunken! Und wie ist es mit der Wache für die Vögel? Ich lasse euch einzeln im Sumpf ersäufen, wenn etwas passieren sollte!“ Die Männer murmeln eine rechtfertigende Entschuldigung, dann machen sie schleunigst, daß sie aus der Reichweite des ehemaligen Preisboxers kommen. „Sie haben Ihre Leute gut in Schuß“, lobt Fraser lächelnd. „Muß man, muß man. Wo käme man hin, wenn nicht ein überlegener Geist solche armseligen Gehirne dirigierte?“ „Durchaus richtig, Mr. McIddle. – Wie war das also mit Harold Spier?“ „Ja, er ist es, der von den Vögeln entführt wurde.“ „Und weiß man genau, daß er tot ist?“ forscht Fraser weiter. „Es ist anzunehmen, Mister. Die Vögel haben die beiden gepackt und sind mehrere tausend Meter hoch mit ihnen geflogen. Wahrscheinlich sind sie mit ihnen in ihr Nest geflogen.“ „Aber genau weiß man es nicht?“ „Nun, genau? Man hat es natürlich nicht gesehen. – Aber, das hätte ich bald vergessen: Da ist die Braut des Spier. – Einer der Gangster, der ein noch halbwegs anständiger Kerl zu sein scheint, hat es uns erzählt. Das Mädel ist von Irving Lane zum Gandar entführt und dann oben im Gebirge ausgesetzt worden. Wir haben die Gangster ein bißchen behandelt, weil sie nichts verraten wollten. Lane hat dabei alles gestanden.“ Fraser, der den massigen McIddle um einen Kopf überragt, klopft dem Dicken freundlich auf die Schulter. , „Wir haben das Mädchen gerettet, Mr. McIddle. Besten Dank für Ihren guten Willen! Das Mädchen ist übrigens nicht die Braut des Mr. Spier, sondern meine eigene. Wenn ich auf der Erde einmal etwas für Sie tun kann, so stehe ich gern zur Verfügung. Wir sprechen noch darüber.“ 123
„Damned!“ murmelt McIddle und kratzt sich den mächtigen Schädel. „Was man so alles erlebt! Einfach kolossal!“ Auf dem Antlitz Mat Frasers liegt ein nachdenklicher Zug, als er sich mit McIddle und dem New Yorker Polizeichef, der inzwischen ebenfalls hinzugetreten ist, zu den Gefangenen begibt. Irving Lane läßt die Beamten gar nicht erst zu Wort kommen, sondern faucht sie gleich an: „Ich werde mich beschweren, Sir! Wir sind hier mißhandelt worden! Man hat meinen Gefährten geschlagen und mich selbst hat man verbrannt! Das wird diesen Halunken teuer zu stehen kommen! Ich verlange, daß die Leute sofort verhaftet und streng bestraft werden.“ „Seien Sie froh, daß Sie nicht in meine Hände geraten sind, Sie Verbrecher!“ erwidert Fraser. „Ich werde dafür sorgen, daß Sie auf den Elektrischen Stuhl kommen. Diese Leute sind sanft genug mit Ihnen umgesprungen.“ Als Mat Fraser Mary Ann die Geschichte vom tragischen Tod Harold Spiers berichtet hat, senkt sie doch ein wenig den schönen Kopf. „Er war nicht schlecht zu mir, Mat, und er hat dieses Ende gewiß nicht verdient. Er tut mir leid. – Und ich liebe dich trotzdem, Mat, auch wenn ich das sage.“ „Du bist ein gutes Kind, Mary Ann“, sagt er, während er ihre Fingerspitzen küßt. * Mat Fraser hat es sich nicht ausreden lassen, trotz aller Unwahrscheinlichkeit eines Erfolges einen ausgedehnten Erkundungsflug durchzuführen. Simon Savage hat sich unter Zittern und Zähneklappern bereit erklärt, jene Stelle zu zeigen, an der seine beiden Gefährten abhandengekommen waren. 124
Systematisch sucht Fraser sämtliche umliegenden Gebirgsstöcke nach dem Nest der Riesenvögel ab. Es war nicht zu finden. Endlich bricht Fraser die Suche ab. „Wir werden später diesen Planeten noch einmal anfliegen und noch einmal genau nachsehen. Ich nehme ja auch an, daß die beiden tot sind. Allerdings ist es meine Pflicht, nicht eher an diesen Tod zu glauben, bis ich die feste Gewißheit habe.“ Fraser übernimmt persönlich die Lenkung des Polizeiraumschiffes, während Mario Bora die Scheibe Irving Lanes zur Erde zurückbringt. Boce, der Gangster, der einzige sonst, der ein Raumschiff zu lenken versteht, muß die dritte Scheibe übernehmen. McIddle, der Anführer der Geretteten, wird ihm beigegeben, und es ist zu erwarten, daß alles glatt geht, zumal Bora ihm noch in einer kleinen Privatstunde die notwendigsten Handgriffe zum Bedienen eines Antiprotonenflugschiffes beigebracht hat. So kann McIddle im Notfälle die Scheibe selbst steuern. Mat Fraser aber hält sein Wort. Der brave McIddle wird von ihm in den Raumüberwachungsdienst übernommen, und in der späteren Zukunft kann sich der Inspektor zu seinem guten Griff öfters gratulieren. Denn es gibt keine Aufgabe, die der stämmige Preisboxer aus Texas scheut. Zwei Jahre später ist er schon zum Sergeanten ernannt. Und Mary Ann – und Mat Fraser? Sie haben geheiratet und bewohnen das entzückende Haus des Inspektors in einer der schönsten Villenvorstädte New Yorks. Zwei Monate sind nach jenen aufregenden Ereignissen auf dem Gandar vergangen, und wieder einmal mehr kann sich Mat Fraser zu seiner Menschenkenntnis beglückwünschen. Denn die Vorstellungen, die er von Mary Ann hatte, sind noch bei weitem übertroffen worden. „Sag mal Mat“, fragt Mary Ann, und sie richtet sich aus ihrer 125
liegenden Stellung auf die Ellenbogen auf, „sag mal, Mat, wer hat mir eigentlich damals auf dem Gandar die Strümpfe ausgezogen?“ Ihre Augen flimmern wie die einer Katze, hellwach und träge zugleich. Und sie wartet auf seine Antwort, obwohl sie diese schon kennt. „Das war ich, Mary Ann“, antwortet er. Sie senkt einen Augenblick lang die Lider. Dann schlingt sie ihre Arme um den Hals ihres Mannes – und küßt ihn.
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