Seewölfe 187 1
Fred McMason 1.
Unverändert stand die Sonne auch am nächsten Morgen trübe glosend und keine Wärme verst...
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Seewölfe 187 1
Fred McMason 1.
Unverändert stand die Sonne auch am nächsten Morgen trübe glosend und keine Wärme verstrahlend am Himmel. Hier, irgendwo an die Küste von Grönland, hatte es die „Isabella“ verschlagen, seit der harte Westwind sie gepackt hatte. Jetzt lag sie zwar wie in Abrahams Schoß, aber dieser Schoß war nichts anderes als eine tödliche Eisfalle. Ringsum waren sie von Eis umgeben, hoch über ihnen wölbte sich eine mehrere hundert Tonnen schwere Eiswächte wie ein gigantischer Dom aus strahlendem Weißblau. Das Schiff hatte nur noch wenig Wasser unter dem Kiel, der Rest war Eis, auf dem es festsaß. Die beiden Männer der morgendlichen und damit letzten Wache, Dan O'Flynn und Sam Roskill, blickten immer wieder in die Eishöhle, in der das eingeschlossene und völlig deformierte fremde Schiff lag. Das Wasser aus der Höhle war abgelaufen und hatte die Wände mit einem hellen Eisfilm überzogen. Aus der dunklen Grotte drangen immer noch knisternde und knackende Geräusche. Sam Roskill ging in den Aufenthaltsraum, wo der Ofen aus Silberbarren stand, den Ferris Tucker gebaut hatte. Er legte Holz nach, wärmte sich die eiserstarrten Hände ein Weilchen und kehrte dann wieder zurück. „Unser Holz reicht nur noch ein paar Tage“, sägte er. „Mit was wir dann den Ofen befeuern sollen, ist mir nicht klar. Dann nutzt uns das monströse Ding nichts mehr.“ „Feine Aussichten“, brummte Dan und zog fröstelnd die Schultern hoch. „Wir müssen eben alles aus der Höhle holen, was von dem fremden Schiff noch verwertbar ist. Diese Hundekälte bringt uns sonst noch alle um.“ Die beiden Männer schwiegen wieder; und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Dan O'Flynn starrte in das trübe Auge einer milchig erscheinenden Sonne. Er hatte das Gefühl, als wäre sie tausendmal
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weiter entfernt von der Erde als sonst. Kaum vorstellbar, dachte er, daß dieselbe Sonne in anderen Erdteilen glühende Hitze verstrahlte. Er sann noch darüber nach, als es an Deck der „Isabella“ munter wurde. Der Kutscher erschien - er war immer einer der ersten an Deck -, und gleich darauf tauchte auch Bill auf. Er hatte in einer der in die Messe eingebauten Kojen geschlafen und war noch reichlich zerknittert. Daher traf ihn die Kälte wie ein Hieb, 'und er verzog sich nach einem gemurmelten Morgengruß schnell in die Kombüse, um dem Kutscher zu helfen. „Unser Törn ist rum“, sagte Dan, „aber ich bin noch kein bißchen müde, ich habe nur Hunger.“ „Müde bin ich auch nicht, außerdem will ich sehen, was in der Höhle passiert“, erwiderte Sam. Das dauerte jedoch noch fast zwei Stunden. Inzwischen bereitete der Kutscher das Frühstück, und die Seewölfe hieben mit großem Appetit rein. Gleich nach dem Essen ließ Philip Hasard Killigrew Lampen entzünden und sie, in die Eishöhle bringen. Er selbst, Carberry, Ferris Tucker und Big Old Shane unternahmen den nächsten Erkundungsgang. „Donnerwetter, hat sich das seit gestern verändert“, sagte Ferris andächtig. Überall von den mit Eis überzogenen Wänden strahlte das Licht tausendfach und in schillernden Farben zurück. „Kaum zu glauben, daß es noch dieselbe Höhle ist wie gestern.“ Das in dieser Kälte schnell gefrierende Wasser hatte neue bizarre Formen geschaffen. Man konnte Gesichter daraus lesen oder abenteuerliche Gestalten erkennen das blieb jedem selbst und seiner Phantasie überlassen. Der Boden, vormals aus zerhackten Eissplittern bestehend, hatte sich mit einer festen Masse überzogen und wirkte spiegelglatt. Die Seewölfe mußten achtgeben, um nicht unversehens auszurutschen, denn jeder Schritt wurde zu einem unkontrollierbaren Dahinschlittern.
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„Augenblick mal“, sagte Ferris, als Carberry an ihm vorbeisegelte, einen Fluch ausstieß und mit dem Schädel an der Wand landete. „Ich werde den Untergrund etwas aufrauhen.“ Mit der Axt hieb er Kerben in das Eis, hackte hier ein Stück heraus, zog da eine Schramme und arbeitete sich schnell bis an das Schott vor, vor dem sie gestern kapituliert hauen. Jetzt konnte man besser gehen und rutschte nicht mehr aus. Die von oben nach unten verlaufenden säulenähnlichen Gebilde lagen zertrümmert am Boden und ragten scharfen Dolchen gleich aus dem Eis. Es war dieselbe Stelle, die sie gestern erreicht hatten, doch jetzt sah wiederum alles anders aus. Tucker blickte im Schein der blakenden Lampen ziemlich ratlos zu dem Seewolf hinüber, der eine herausragende Planke befühlte. „Einfach drauflos schlagen, Sir?“ fragte er. „Etwas anderes bleibt uns nicht übrig“, erwiderte Hasard. „Es kann sein, daß sich zwischen den Schotts riesige Eisklumpen gebildet haben und das Schiff inzwischen länger als hundert Yards geworden ist. Es sieht auch so aus, als hätte es die Mannschaft zum größten Teil selbst abgewrackt, um Feuerholz zu haben.“ „In genau der gleichen Lage befinden wir uns auch“, sagte Ferris Tucker ernst und führte den ersten Schlag gegen die neue Eiswand. Die hart geführten Schläge pflanzten sich durch den gesamten Eisberg fort und kehrten als überlautes Echo zurück, bis den Männern die Ohren dröhnten. Aber Tucker hieb unermüdlich weiter, bis ihm nach einer Weile der Schweiß in Bächen über das Gesicht rann und Carberry den rothaarigen Freund ablöste. Allmählich kam das Schott zum Vorschein. Das Holz zersplitterte wie Glas, sobald ein Hieb es traf. Big Old Shane raffte alles zusammen, was er an Holzstücken erreichen konnte, trug es ein paar Yards zurück und warf es vor den
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geschaffenen Eingang, wo Smoky und die anderen es an Deck brachten. Vor Carberry klaffte ganz überraschend ein riesengroßes Loch im Eis. Zersplitterte Planken flogen hinterher und verschwanden in der Dunkelheit irgendwo auf dem Boden. Hasard trat mit der Lampe in der Hand näher heran und leuchtete in die Finsternis. Anfangs sah er kaum etwas, doch dann erkannte er einen schlauchartigen Gang, der weiter ins Innere führte. Es war ein schmaler in den Konturen total verformter und zusammengestauchter Gang, den der Eisdruck geschaffen hatte. Teilweise war die vereiste Holzdecke so niedrig, daß man nur kriechen konnte, dann wieder erreichte sie Mannshöhe. Das Wrack ließ sich dem Typ nach nur noch sehr mühsam klassifizieren, und auch jetzt noch wußte niemand, welcher Nationalität es angehörte. „Dies hier ist wieder ein anderer Gang“, sagte Tucker. „Ich finde mich kaum noch zurecht. Gestern hatten wir einen ähnlichen Raum gefunden, aber es hat den Anschein, als würden hier zwei Kammern dicht nebeneinander liegen.“ Hasard blieb in gebückter Haltung stehen, die Lampe vorgestreckt, und versuchte, sich zu orientieren. „Ja, hier liegen auch zwei Räume nebeneinander, Ferris. Nur führt der eine Raum vermutlich in einem Bogen um den anderen herum. Die Räume haben sich gegeneinander verschoben, das Deck hat sich gesenkt, und die Planken haben sich etwas gehoben. Man gelangt sozusagen vom Vorschiff direkt aufs Quarterdeck. Das, was noch dazwischen lag, haben die Leute entweder abgeholzt, oder es ist im Eis verschwunden.“ Sie erreichten ein schief in den Angeln hängendes Schott, das keinerlei Eisüberzug aufwies. Nur auf dem Boden befand sich eine Schwelle, die aus dem Eis gewachsen war. Der Seewolf trat mit dem Stiefel zu, und unter ohrenbetäubendem Krachen und Splittern flog das Schott auseinander. Scharfkantige Holzsplitter flogen nach
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allen Seiten davon. Die blakenden Lampen erhellten nur notdürftig ein gespenstisches Bild. Niemand sprach ein Wort. Jeder blieb stocksteif an der Eisschwelle stehen und blickte in den Raum. Möbel gab es in dieser Kammer nicht, selbst die eingebauten Schapps waren herausgerissen worden, ebenso ein paar Planken von den Seitenwänden. Vermutlich hatte man sie verheizt, als es immer kälter und unerträglicher geworden war. In der hinteren Ecke der Kammer lag ein Mann. Er hatte sich in dicke Lagen Segelleinen gewickelt und war in dieser Haltung erstarrt. Sein Gesicht war von einem fahlen Grün überzogen, die weitoffenen Augen blickten starr an die Decke. Neben ihm standen zwei Korbflaschen. Die eine war leer, die andere war zersprungen und hatte ihren Inhalt in der Form rötlicher Kristalle auf dem Boden verstreut. Es war roter Wein, den der grimmige Frost in amorphe Substanz verwandelt hatte. Das Gesicht des Toten war hager und eingefallen, ein struppiger Bart bedeckte sein Kinn. Wie lange er schon tot war, ließ sich nicht einmal erahnen. Der Seewolf trat zwei Schritte näher. Er hatte nicht damit gerechnet, an Bord des Wracks einen Toten zu finden. Als er mit dem erfrorenen Mann auf gleicher Höhe war, entdeckte er hinter dem herausgerissenen Schapp die zweite Kammer, in die man ungehindert hineinsehen konnte. Hasard schluckte bei dem neuerlichen Anblick, der sich ihm bot. In dem zweiten Raum, fraglos war es die Kapitänskammer, hing starr und unbeweglich ein Mann. Seine Beine befanden sich einen halben Yard über dem Boden Sein Kopf war zur linken Seite geneigt. Er schien die Eindringlinge überlegen und höhnisch anzugrinsen. Der Strick, der ihn am oberen Deckenbalken hielt, war mit einer dünnen Eisschicht überkrustet.
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„Verdammt!“ entfuhr es Carberry, der hinter Hasard stand den zweiten Toten ebenfalls en deckte. Tucker und Shane sagten gar 'nichts. Sie sahen sich nur stumm und hilflos an. „Vermutlich der Kapitän dieses Schiffes“, sagte der Seewolf heiser. „Er hat sich erhängt, als er keinen Ausweg mehr wusste. Und der andere hat sich betrunken und ist dann erfroren.“ Er trat weiter in den mit blakendem Licht spärlich erhellten Raum und sah sich um. Auch hier hatten sich die Wände teilweise verzogen, und man hatte alles an Holz, was sich nur entbehren ließ, herausgerissen. Es gab keinen Tisch, kein Pult, nicht mal die Bretter in der Koje waren mehr vorhanden. Lediglich ein lächerlich winziger Hocker war alles, was sich fand. Auf den hatte sich der Kapitän allem Anschein nach gestellt, den Strick um den Hals, und war dann in den Tod gesprungen. Hinter dem zerstörten Schapp sah blankes Eis hervor. Es ging auch nicht weiter, rings um die beiden Kammern befand sich eine kompakte Masse aus glitzerndem Hasard begriff nicht, daß diese beiden Männer an Bord gestorben waren. So wie es schien, hatte der Kapitän resigniert und sich erhängt, als er keinen Ausweg mehr wußte. Aber warum hatte er nicht zumindest versucht, einen anderen Weg zu finden? Einen Weg über das nahe Land etwa? Nun, er mußte bestimmte Gründe gehabt haben, folgerte der Seewolf, Gründe, die vorerst noch im dunklen lagen. Er hob die Lampe, die Shane ihm gereicht hatte, höher und sah sich die Kammer genauer an. Es war ein trister Anblick, und er drückte alle Hilflosigkeit dieser Welt aus. Zerbrochene Planken, ein klaffendes Loch im Boden, darunter schimmerndes Eis, hinter den Wänden Eis. Und in der Mitte des trostlosen Jammers hing der bretthart gefrorene Mann. Wie lange schon? Monate — Jahre? Ewigkeiten? Aus dem gezackten Bodenloch schimmerte es hell herauf, als Hasard die Lampe darüber hielt.
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„Da liegt etwas“, sagte Tucker rauh. „Sieht aus wie eine Kladde, wie wir sie auch benutzen.“ „Kursangaben vielleicht“, meinte Carberry. „Ähnlich den spanischen Roteiros. Von hier aus scheint es in einen der Laderäume zu gehen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, bückte er sich, schob sich an den gezackten Planken vorbei und ließ sich vorsichtig nach unten gleiten. Der Raum unter ihnen war nicht tief, Carberry stand lediglich bis zur Hüfte auf einer kompakten Masse. „Die Lampe, Sir“, verlangte er. Hasard reichte sie ihm. Der Profos bückte sich noch tiefer, tastete mit der Hand umher und reichte dem Seewolf eine winzige Kladde nach oben. Die Deckseite war mit dunkler Tinte verschmiert und die Schrift unleserlich geworden. Wahrscheinlich war es der Name des Schiffes, der auf die Deckseite geschrieben war. Carberry fand noch ein paar Scherben eines dickbauchigen Fläschchens und einen abgebrochenen Federkiel. Das war alles, was er in dem vereisten und stark geschrumpften Laderaum entdeckte. Hasard steckte die steinharte Kladde ein und hoffte, durch ihre Hilfe nähere Anhaltspunkte über das Schicksal des Schiffes und seiner Mannschaft zu erhalten. Vor dem Toten blieb er stehen. „Wir nehmen ihn ab, Ed“, sagte er, „und legen ihn in den Raum, der früher mal Laderaum war. Den anderen Mann legen wir ebenfalls dort hinein.“ „Aye, Sir.“ Shane hielt den Toten fest, während der Profos Tuckers Axt nahm und leicht an das Tau schlug. Es zersprang sofort. Carberry ließ den Erhängten vorsichtig in das Loch im Boden gleiten. Dann holten sie den anderen und legten ihn daneben. Hasard blieb noch einmal stehen, schlug die brettharte Seite der Kladde auf und blickte hinein. „Ein portugiesisches Schiff“, sagte er. „Hier stehen ein paar Aufzeichnungen,
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aber es wird schwer werden, sie zu entziffern.“ „Den hat sicher ebenfalls der Sturm in diese Ecke verschlagen“, sagte Big Old Shane bedächtig. „Ich möchte nicht wissen, was diese armen Kerle alles erdulden mußten.“ „Vielleicht werden wir es erfahren. Wir gehen zurück, hier gibt es nichts mehr, was uns weiterbringt.“ „Und der andere Teil des Schiffes?“ fragte Tucker in die Stille hinein. „Sollen wir nicht versuchen, auch dort einen Gang zu finden? Kann sein, daß es dort noch etwas gibt.“ „Ja, wir versuchen es.“ Der Rückweg wurde schweigend zurückgelegt, bis sie sich in jenem Teil des Schiffes wieder fanden, wo sich die Decke wie ein Giebel in die Höhe wölbte. Hasard blieb stehen. Smoky, Dan und Sam Roskill standen vor dem Eingang und sahen ihnen gespannt entgegen. „Habt ihr was gefunden?“ fragte Dan. „Ja, zwei Tote in den achteren Kammern. Einer hat sich erhängt, der andere ist erfroren. Unter der einen Kammer befand sich vermutlich ein Laderaum, aber er ist nur noch hüfthoch. Dort hinein haben wir die beiden Toten gebettet“, sagte der Seewolf. „Also doch“, sagte Dan. „Damit' hatte wohl keiner von uns gerechnet. Wenn wir den Laderaum gestern entdeckt hätten, wären wir tiefer hinunter gestiegen. Aber das Wasser hat ihn überspült und ist gleich dar-, auf erstarrt.“ „So ist es“, erwiderte Hasard ernst. „Hier, Dan, nimm das und bringe es nach achtern oder in die Messe. Besser in die Messe, denn da ist es wärmer. Wir werden später versuchen zu entziffern, was an Bord geschehen ist, vorausgesetzt, es steht überhaupt etwas über das Schicksal dieses Schiffes drin.“ Dan nahm die Kladde entgegen und blickte sie an. „Arme Kerle“, murmelte er. „Wollt ihr euch jetzt auf der anderen Seite umsehen?“ „Ja, falls es da noch einen Weg gibt.“
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Dan nickte und ging mit der Kladde zurück. Smoky brachte eine weitere Lampe und schloß sich den Männern an. Auch Sam Roskill folgte ihnen beklommen. Das eingedrungene Wasser hatte ihnen jedoch einen Streich gespielt. Aus den tiefer gelegenen Räumen konnte es nicht mehr ablaufen, und so war es im Laufe der Nacht gefroren. Mächtige Eispanzer harten sich hier gebildet. Um die loszuschlagen, wäre eine unvorstellbar harte Arbeit erforderlich geworden. Tuckers mächtige Artschläge konnten das Problem nicht lösen. Das neue Eis war hart, dick und glatt. Es hatte sich schützend um das gelegt, was den Augen der Männer verborgen blieb. Der Seewolf gab auf denn er sah die Unsinnigkeit sofort ein. Das Eis offenbarte sein Geheimnis nicht weiter. „Es hat keinen Zweck“, sagte er zu Ferris. „In der Nacht ist hier an vereinzelten Stellen eine mehr als yardstarke Eisfläche gewachsen. Anderes Wasser ist noch tiefer nach unten versickert und hat alles erstarren lassen. Wir kehren wieder um. Der Schiffszimmermann nickte. „Ja, Sir, das hat wirklich keinen Zweck“, sagte er „Lassen wir die Toten in diesem Teil des Schiffes ruhen, wenn es hier überhaupt noch welche gibt.“ Damit wurde die weitere Suche abgebrochen. Außerdem stand ihnen ihr eigenes Schicksal deutlich vor Augen, und es würde sie noch Anstrengung genug kosten, um zu überleben. 2. Der von Ferris Tucker konstruierte Ofen verbreitete anheimelnde Wärme in dem Aufenthaltsraum, und jeder fragte sich besorgt, wie lange das noch gut gehen mochte, denn die Holzvorräte schrumpften spürbar zusammen. Wenn das Holz verbraucht war, würde hier bittere Kälte einziehen. Und was die Kälte bewirkte, das hatten sie alle mehr als klar und deutlich mit eigenen Augen gesehen. Seit mehr als einer Stunde hatte leichtes Schneetreiben eingesetzt. Anfangs waren
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es nur langsam fallende Flocken gewesen, doch jetzt blies der Wind dazu und verwandelte die Flocken in nadelscharfe Spitzen, die auf der Haut brannten und stachen. Einer nach dem anderen ging auf Carberrys Anordnung unter Deck. Das Arbeiten in der Kälte und dem Schneetreiben war sinnlos geworden, und die Eishäckerei wurde vorerst eingestellt. Hasard hatte die Kladde vor sich auf der Back liegen und versuchte immer noch, sie zu entziffern. Das meiste gelang, aber es gab einige schwer verständliche Stellen und andere Passagen, die überhaupt nicht mehr leserlich geschrieben waren. Es handelte sich um die Aufzeichnungen eines portugiesischen Kapitäns, der den Rest der letzten Seiten mit klammen, gefühllosen Fingern niedergeschrieben hatte — jenes Kapitäns, der sich in seiner Kammer erhängt hatte, weil die Lage aussichtslos geworden war. Die Seewölfe hingen an seinen Lippen, lauschten den Worten Hasards und hatten das Gefühl, einen Teil der Handlung mitzuerleben. Jedenfalls konnten sie es den anderen Seeleuten deutlich nachfühlen, denn die Fahrt begann so ähnlich wie ihre eigene. Die Eintragung begann mit den Worten: „Im Jahre des Herrn 15. Oc.“ Die Jahreszahl war nicht lesbar, Tinte, Feuchtigkeit und Kälte hatte sie unleserlich werden lassen. „Seit 21 Tagen lenzen wir vor hartem Sturm. Wir haben die Azoren mit Kurs auf Neufundland verlassen, doch wir sind so weit abgetrieben, daß wir nicht mehr wissen, wo wir uns befinden. Schneetreiben, Hagelschauer, eiskalter Wind jagt uns immer höher nach Norden. Es wird Zeit, daß wir Land sichten, irgendein Land, welches es auch immer sein mag. Gebe Gott, der Herr, daß diese Reise bald ein Ende haben möge. Gez. Manuel da Correz, Kapitän.“ Hasard blickte auf und sah in gespannte Gesichter. „Leider hat da Correz kein Datum mehr hinzugefügt, und hier folgt wieder eine
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unleserliche Stelle. Die Jahreszahl ist nicht zu erkennen. Es hat den Anschein, als hätte er erst viele Tage später weitergeschrieben.“ Er fuhr mit dem Finger über die nächste Eintragung und hatte alle Mühe, die krakelige Handschrift zu entziffern. „ ... lich ein Meer voller Eis. Merkwürdige Welt, in die uns der immerwährende Sturm treibt. Wir haben einen Mast im Sturm verloren, die Leute murren, eine Meuterei droht. Das Trinkwasser ist gefroren und kann nur sehr mühsam aufgetaut werden. Ein merkwürdiges Naturwunder begleitet uns und läßt mich an meinem Verstand zweifeln. Die Sonne steht ständig am Himmel und beschreibt eine eigenartige flache Bahn, die sie nicht mal von Horizont zu Horizont führt. Sie scheint auch nachts, oder gibt es hier keine Nacht? Wir wissen es nicht. Der Erste nimmt an, wir befanden uns im Innern der Erde. Ein geheimnisvoller Weg durch Eis und hohe Felsen hat uns anscheinend dorthin geführt. Sollten wir jemals den Weg zurückfinden, dann können wir unsere Vorstellung von einer kugelförmigen Erde korrigieren. Ich schließe mich der Ansicht des Ersten an: Unsere Welt ist ein Hohlkörper, verschiedenartig gewölbt und von mehreren Sonnen erleuchtet. Die ganze Menschheit wird aufhorchen, denn bis an diese Stelle ist sicher noch nie jemand vorgedrungen.“ „Eine merkwürdige Vorstellung hat der Mann“, sagte Dan erstaunt. „Wie kann er so etwas nur annehmen?“ „Aus seiner Sicht ist die Annahme gar nicht so abwegig“, meinte Hasard. „Es ist vermutlich eine seiner ersten Reisen überhaupt gewesen, und den Norden hat er noch nie kennengelernt. Wir selbst erleben ja auch täglich neue Überraschungen und sind jedesmal verblüfft, wenn wir die Lösung kennen. Erinnert euch nur daran, als wir in die Eisregionen des Südens trieben. Da wußte niemand mehr, was eigentlich los war.“ „Wir wissen jedenfalls, daß die Erde rund ist“, sagte Dan, „und daß es nicht irgendwo in die Tiefe geht. Wenn wir die Passage
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gefunden haben, sind wir sogar noch schlauer geworden. Dann haben wir eine weitaus bessere Vorstellung über die Verbindung der einzelnen Ozeane miteinander.“ „Wir sind auch etwas länger durch die Welt gesegelt als dieser bedauernswerte Portugiese, für den alles neu war, was er sah. Er kam damit nicht zurecht, daß die Sonne ständig am Himmel stand.“ „Wie geht es weiter?“ fragte der alte O'Flynn begierig. Hasard beugte sich wieder über die wenigen Seiten. * „ ... bin ich sicher, daß wir uns in einer Extrawelt bewegen. Eine unglaubliche Welt voller Wunder. Dome aus Eis, Landschaften aus Eis und dazwischen riesige Berge, aus einem einzigen Stück Eis bestehend. Der Sturm hat in dieser bizarren Welt etwas nachgelassen. Nur die Sonne steht noch wie ein Riesenauge am Himmel und scheint Aber diese andere Sonne ist kraftlos. es ist nicht dieselbe Sonne wie die über den Azoren. Wir wissen nicht, an welcher Stelle der Erde wir uns befinden, wir sind auch nicht in der Lage, den Standort zu bestimmen. Es hätte ohnehin auch keinen Zweck, denn hier gelten andere Gesetze. Wie wir jemals den Weg zurück finden werden, weiß nur Gott, der uns auch hierher geschickt hat.“ * „Diese andere Welt im Innern der Erde ist eine Hölle. Wir treiben wieder weiter nach Norden, falls dieser Begriff Gültigkeit hat. Unser Kompaß stimmt nicht mehr. Die Sonne ist bisher noch kein einziges Mal untergegangen, unentwegt steht sie am Himmel. Mit jedem Tag wird es kälter. Große Eisfelder versperren uns den Weg. Mitunter warten wir tagelang, bis die Eismassen sich zurückziehen, dann wieder bläst uns der Wind weiter. Wir halten
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Ausschau nach Land, doch scheint es hier keins zu geben. Wohin führt unser Weg — in die Hölle, direkt noch tiefer in das Innere der Erde, dorthin, wo noch nie ein Mensch war? Wir beten zu Gott und hoffen nur noch.“ * „Kalter, schneidender Sturm! Faustgroße Hagelkörner fielen vom Himmel. Unser Segelmacher wurde von einem dieser Brocken schwer verletzt und schwebt in Lebensgefahr. Andere Männer melden, daß sie kein Gefühl mehr in Armen oder Beinen haben. Die Stellen sind merkwürdig dunkel verfärbt, und alle Salben versagen. Wir brauchen Holz, wir benötigen Proviant. Unsere Lage wird mit jedem Tag verzweifelter und schlimmer. Wir sind gezwungen, einige Teile unseres Schiffes zu verheizen, denn die Kälte wird immer schlimmer.“ * „Der Segelmacher ist seinen Verletzungen erlegen. Er muß in dieser Nacht gestorben sein. Als man ihn aus der Koje holte, war er steif und hart wie das Eis. Ein weiterer Mann ist krank und kann die Hände nicht bewegen. Wir sind vom Eis umschlossen, das in riesigen Massen von allen Seiten auf uns zuströmt. Dem Segelmacher konnten wir kein ordentliches Begräbnis geben. Wir haben ihn auf das glitzernde Eis gelegt, und da liegt er jetzt noch immer und begleitet uns auf unserer weiten Reise ins Ungewisse. Wir fühlen, daß wir mit dem Eis treiben.“ * „Das ist der Anfang vom grauenvollen Ende“, sagte der Seewolf. „Das Endresultat haben wir direkt vor Augen. Correz muß sein Schiff Stück für Stück verheizt haben. Hoffen wir, daß wir nicht auch in diese tödliche Situation geraten.“
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Blicke wurden hin und her geworfen. Manch einer schluckte hart, wenn er an die restlichen Bestände an Holz dachte, die der große Ofen gierig fraß. Ja, was dann, wenn das letzte Stück Holz im Ofen verschwand? Dann ging es der „Isabella“ an die Substanz, und davor hatten sie alle einen verständlichen Horror. Damit begann ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Verheizte man, um zu überleben, die Masten oder Teile der Aufbauten, dann war das Schiff nach einer gewissen Zeit nicht mehr seetüchtig – und das war ebenfalls der Anfang vom Ende, genauso, wie es Correz mit klammen Fingern niedergeschrieben hatte. Welche Ersatzlösung bot sich aber dann an, fragte sich jeder bedrückt. Selbst an Land gab es kein Holz, keinen Strauch, keinen Baum. Nicht einmal ein Grashalm wuchs hier. Hasard entgingen nicht die Blicke, die sich die Männer zuwarfen. Auf seinen Lippen lag ein eigentümlicher Ausdruck, und er lächelte leicht. „Ich glaube nicht, daß wir ebenfalls erfrieren werden“, sagte er. „Es gibt noch eine letzte Möglichkeit, um uns davor zu bewahren. Aber das hat noch ein paar Tage Zeit.“ „Es gibt keine“, behauptete Carberry. „Sonst hätten die Portugiesen die Lösung sicher auch gefunden. Aber sie sind erfroren, einer nach dem anderen.“ Hasard lächelte immer noch unergründlich. „Trotzdem gibt es eine. Vielleicht fällt sie dir nach einigem Nachdenken auch ein, Ed.“ Aber da konnte Ed so lange nachdenken, wie er wollte, er stieg nicht dahinter und zog nur ein ratloses Gesicht. „Mit dem Schiff sitzen wir fest“, sagte er. „Sträucher wachsen hier auch nicht.“ „Das Schiff kriegen wir mit etwas Glück und viel Arbeit wieder frei, das ist Problem Nummer zwei. Problem eins ist, daß wir die Kälte lebend überstehen, und dafür sehe ich eine Chance.“ Unter den Seewölfen begann das große Grübeln. Aber nach einer Weile gaben sie achselzuckend auf.
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„Barmherzigkeit, Misericordia! Wir haben zwei weitere Tote an Bord. Andere Männer sind krank und nicht mehr arbeitsfähig. Unser Schiff ist von Eis überzogen und liegt tief in Eisschollen fest. Diese Eisschollen schieben uns zusammen, drücken uns hoch, und der Rumpf kracht und knackt. Der Boden wird nicht mehr lange halten, der Druck der Eismassen ist zu stark. Das Eis schiebt uns unaufhaltsam einem mächtigen Gebirge entgegen. Wir arbeiten pausenlos, aber wir schaffen es nicht. Wir haben die Masten verfeuert, der Proviant wird streng rationiert. Einige liegen apathisch in den Kojen und dämmern dem Tod entgegen. Unser Schiff ähnelt einem Wrack.“ Die Aufzeichnungen wurden mitunter unleserlich, und der Seewolf mußte sich einiges zusammenreimen. Vielleicht aber hatte der portugiesische Kapitän auch kein großes Interesse mehr gehabt, das Logbuch weiterzuführen. Tinte lief in einem Rinnsal über die krakeligen Zeilen und verunstaltete sie. Vielleicht aber hatte ihn auch die Kraft verlassen. Weitere Passagen folgten, die Hasard nicht verstand. Erst nach einiger Mühe gelang es ihm, wieder etwas zu entziffern. * „Eiseskälte. Das Schiff sitzt fest und schiebt sich tiefer in ein monströses Eisgebilde hinein. Zimmern eine Vorrichtung, mit der wir über das Eis zum Land ziehen können. Wir geben das Schiff auf. Kaum noch Proviant. Wasserfässer geplatzt. Alles zu Eis erstarrt. Profos schlug heute Eis von dem Berg ab und lutschte es vor Durst. Erstaunliche Entdeckung. Die riesigen Eisberge bestehen aus gefrorenem Trinkwasser. Schmeckt nicht nach Salz. Heute werden wir das Schiff verlassen, nur
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ein Mann bleibt zurück. Vielleicht gibt es auf dem Land doch noch Menschen, die uns helfen können. Das Logbuch lasse ich an Bord zurück. Kapitän da Correz.“ * Carberry blickte den Seewolf an und schüttelte den Kopf. „Eins verstehe ich nicht“, sagte er. „Wenn der Kapitän das Schiff verlassen hat, wieso hat er sich dann an Bord erhängt?“ „Die Aufzeichnungen gehen weiter“, sagte Hasard. „Sie sind noch nicht beendet. Wir werden den Rest der Tragödie bestimmt noch erfahren. Ich nehme an, Correz ist wieder zum Schiff zurückgekehrt und hat die Suche aufgegeben, weil sie nichts fanden.“ Es waren tatsächlich noch ein paar beschriebene Seiten übrig, lustlos und verzweifelt niedergeschrieben von einem Mann, der dem Tod näher stand als dem Leben. * „Unsere Suche war ein Fehlschlag. Es gibt in diesem Land keine anderen Menschen. Nur einmal sahen wir ein großes weißes, aufrecht gehendes Tier mit weißem zotteligen Pelz. Wir hatten den gesamten Proviant mit bis auf eine Ration für den Rudergänger, der an Bord blieb. Es wurde ein Weg in die Hölle. Schneetreiben nahm uns die Sicht. In der ersten Nacht, die wir in einer Eishöhle verbrachten, wachten zwei Männer nicht mehr auf. Der Tod hatte sie im Schlaf geholt. Jetzt waren wir nur noch vierzehn Männer. Wir verloren die Orientierung. Am Abend erschoß sich Blade, unser Zimmermann. Er hatte genug. Wir irrten herum, liefen durch klirrende Kälte und fanden nur Berge und weiße Gebirge. Zweiter oder dritter Tag: Wir haben kein Zeitgefühl mehr. Einige Männer stritten um die Verpflegung. Dabei wurde einer erschlagen. Einer rutschte in eine Eisspalte und verschwand. Jetzt sind wir noch elf
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Mann, die den sicheren Tod vor Augen haben. Zwei Tage später: Diese verdammte Sonne! Sie wärmt nicht, sie verströmt nur extreme Kälte. Unsere Gruppe besteht noch aus sechs Leuten. Alle anderen hat der Tod geholt. Sie verschwanden in Eisspalten oder wachten nicht mehr auf. Der Rest bewegt sich träge über das unendliche Eis. Noch später: Wir sind zu dritt und am Ende. Ich glaube, ich träume, denn wir sehen das Schiff wieder. Wir haben uns im Kreis bewegt. Rico wird wahnsinnig und rennt davon. Wir haben ihn nie wieder gesehen. Sollte jemand diese Zeilen finden, dann sei ihm das eine Warnung. Es gibt keinen Weg mehr zurück aus der Eishölle. Alle, die hier stranden, sind des Todes. Der Rudergänger liegt tot in der Kammer. Er hat den restlichen Wein getrunken. Zu essen hatte er nichts mehr. Wo sich der letzte überlebende, der Steuermann, aufhält, weiß ich nicht. Ich will nicht mehr, und ich kann auch nicht mehr. Es gibt nichts zu essen, es gibt keine Hoffnung mehr. Das Schiff ist zerdrückt worden und verschwindet langsam im Eis. Ich habe ein Tau entdeckt, ein gutes, starkes Tau. Es wird mir helfen, einen Weg aus dieser Hölle zu finden, denn ich mag nicht so sterben wie die anderen. Misericordia! Vielleicht finde ich jetzt in die andere Welt zurück. Kapitän Manuel da Correz. Im Jahre des Herrn.“ * Hasard legte die Kladde auf die Back zurück. Sein Gesicht war ernst und verschlossen, als er die Seewölfe der Reihe nach ansah. „Arme Hunde“, sagte der alte O'Flynn mitfühlend. „Das war ein einziger Leidensweg.“ „Ja, sie mußten viel erdulden“, sagte Tucker. „Das sollte uns auf jeden Fall zu denken geben. Aber was können wir selbst
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an unserer Lage ändern, damit es uns nicht ebenso ergeht?“ „Zunächst einmal“, sagte Hasard, „werden wir einige kleine Änderungen vornehmen. „Die Kombüse wird in den Aufenthaltsraum verlegt, und hier wird künftig gekocht. Das erspart eine weitere Feuerstelle und spart Holz. Gleichzeitig haben wir es dadurch warm und können unsere Vorräte strecken.“ Der Kutscher, der mit an der langen Back saß, nickte eifrig. „Sehr gut, Sir. Wenn wir uns etwas einschränken und in zwei oder drei Schichten essen, geht das ohne weiteres.“ „Das geborgene Holz aus dem Wrack wird so schnell wie möglich getrocknet, damit wir es verfeuern können. Ein paar Männer werden aus der Eishöhle alles an Holz bergen, was noch herauszukriegen ist. Und die anderen werden versuchen, die ,Isabella` von der Barriere herunterzukriegen. Drei weitere Mann halten mit dem Boot die Eisrinne offen, damit sie nicht wieder zufriert. Ich selbst und zwei andere Freiwillige werden uns an Land umsehen, so wie die anderen es getan haben. Nur nehmen wir einen Kompaß mit, damit wir nicht ebenfalls im Kreis laufen.“ „Was erhoffst du dir davon, Sir?“ fragte der Profos. „Die Portugiesen haben nichts gefunden und sind fast alle verunglückt.“ „Die Männer wußten auch nicht, wo sie sich befanden. Wir stehen etwas besser da, denn wir wissen einiges über dieses sogenannte Grünland und haben gehört, daß es hier Menschen gibt. Außerdem leben hier Tiere, wie Hendrik Laas erzählt hat. Wir haben den Portugiesen gegenüber also einen unschätzbaren Vorteil.“ „Ja, das stimmt, Sir“, sagte Ed. „Dann fangen wir gleich an“, sagte Hasard. 3. Das Schneetreiben hatte wieder aufgehört. Durch die graue Wolkendecke schob sich das trübe glotzende Auge der Sonne. Sie war von einem milchigen dunstigen Hof umgeben und schaute tückisch herab.
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Hasard hatte an Deck noch einmal umdisponiert, als er sah, daß der scharfe beißende Wind die Schollen in die andere Richtung trieb. Zuerst sollte die „Isabella“ vom Eis gezogen werden, denn jetzt war die Gelegenheit dazu einigermaßen günstig. Der Seewolf stand auf dem Eis, über sich die gewaltige Wächte, die wie eine gefrorene Riesenwelle aussah. Mit dem Bootshaken prüften er und der Profos, wie hart die „Isabella“ noch auf ihrem eisigen Untergrund lag. „Es müßte gehen“, sagte er nach einer Weile. Sein Atem gefror zu kleinen Wolken, und der eisige Wind riß ihm die Worte von den Lippen. „Wenn alle Mann im großen Boot pullen und wir außerdem die Segel setzen, könnte der Kiel gerade so über das Eis schlurren. Alle Mann an Deck, Ed, ohne Ausnahme. Wir werden das gleich herausfinden.“ Etwas später waren alle an Deck versammelt. „Zur Backbordseite“, sagte Hasard. „Auf mein Handzeichen laufen alle blitzschnell nach Steuerbord. Wenn die Lady sich dabei auch nur ein wenig bewegt, haben wir eine Chance. Aber es muß schnell gehen.“ Auf Hasard Zeichen bewegten sich mehr als zwanzig Männer gleichzeitig zur Steuerbordseite hinüber. Die Gewichtsverlagerung fiel bei dem Rahsegler kaum auf, man mußte schon ein gutes Gespür haben, ob sich das Schiff dabei bewegte oder nicht. Tucker nickte hocherfreut. „Die Tante hat sich bewegt, das habe ich ganz deutlich gespürt“, sagte er. „Sie krängte leicht über.“ Carberry grinste seinen rothaarigen Freund an. „Du mußt es ja wissen“, sagte er anzüglich. „Ich jedenfalls habe nichts davon bemerkt.“ „Du würdest es ja nicht einmal merken, wenn dir die riesige Eiswächte auf den Schädel fällt“, erwiderte Tucker. „Du hast eben kein Gefühl für die Feinheiten.“ „Hauptsache, du hast es“, brummte Ed.
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„Ja, sie hat sich gerührt“, sagte auch der Seewolf. „Und jetzt die Boote vertäuen. Wir versuchen es vierkant, verlagern den Druck dabei aber leicht nach achtern.“ Unter dem Heulen und Tosen des Windes kletterten sie in das große Boot. Hasard registrierte zufrieden, daß die gebrochenen Eisschollen vor der „Isabella“ langsam dorthin drifteten, wo es noch eine Stelle freien Wassers gab. Die Leinen wurden befestigt, das Segel im Boot gesetzt, und die Seewölfe griffen zu den Riemen. Harte kräftige Fäuste warteten auf das Kommando. Trotz des scharfen Windes killte das Segel, denn das Boot lag teilweise noch im Windschatten des Eisberges. Hasard ließ die Leinen loswerfen und so weit nachfieren, bis der Wind das Boot packte und das Segel sich stark blähte. „Ruder an!“ schrie er laut. Oberkörper beugten sich zurück, die Riemen tauchten in das Wasser, und kräftige Fäuste packten zu. Jeder wußte, um was es ging, denn wenn diese günstige Gelegenheit verschenkt wurde, gab es kaum noch eine zweite. Die „Isabella“ würde immer tiefer ins Eis wachsen und das Schicksal des anderen Schiffes teilen, das jetzt nur noch ein total verformter Trümmerhaufen aus Holz war. „Weiterpullen!“ rief der Seewolf. „Gebt alles, war ihr habt. Denkt an die Portugiesen!“ Das Bild, das schreckliche Schicksal der anderen stand wieder vor ihren Augen. Unmerklich begann die „Isabella“ zu krängen, aber noch hielten die aufgekanteten und übereinander geschobenen Eisschollen sie fest. Verbissen wurde gepullt, und schon bald war von der beißenden Kälte nichts mehr zu spüren. Die Riemen hieben ins Wasser, wurden mit aller Kraft durchgezogen und wieder eingetaucht, in so rasender Schlagfolge, daß eine Galeerenbesatzung vor Neid erblaßt wäre. „Diese Wanderhure!“ schrie Luke Morgan jähzornig. „Sie rührt sich nicht. Dir werde ich es schon zeigen!“
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„So, und jetzt wird richtig gepullt!“ brüllte Carberry. „Bisher war das nur eine Vorübung. Auf, ihr Rübenschweine, zeigt, was ihr könnt!“ Carberrys Gesicht lief dunkelrot an. Die Adern an seinem Hals traten wie Ankertaue hervor, und unter seiner Kleidung wölbten sich Muskeln, die alles zersprengen wollten. Ein lautes Krachen ertönte, und einer der Seewölfe stieß einen lauten Freudenschrei aus. Aber was da krachte, war lediglich das Splittern von Holz, und der Profos hatte statt des Riemens nur noch einen abgebrochenen scharfkantigen Knüppel in der Hand. Mit einem lauten Fluch schleuderte er ihn ins Boot zurück und griff nach einem Ersatzriemen. Die Gesichter der Männer waren vor Anstrengung knallrot. Bäche von Schweiß liefen ihnen über den Körper, aber sie pullten unermüdlich weiter, angeheizt zusätzlich noch von Carberrys provozierenden Worten. „Ar-we-nack!“ schrie Ed. Und noch einmal: „Ar-we-nack!“ Der alte Schlachtruf der Seewölfe, voller Zorn in die eisige Landschaft gebrüllt, schien bei der „Isabella“ einen Reflex auszulösen. Sie beugte sich der Gewalt, krängte leicht über und ließ den Achtersteven dezent über das Eis schlurren. Fast glich es einer sanften, tänzelnden Bewegung, als sie um gut zwei Yards herumschwang. Unter dem Hurragebrüll der Seewölfe schwang sie noch ein kleines Stück weiter und ließ sich dann behäbig nieder. „Aufhören zu pullen!“ schrie Hasard. Mit der Ruderpinne drückte er das Boot weiter hart in den Wind, ließ die Männer verschnaufen und wartete, bis ihr stoßweise ausgehauchter Atem etwas ruhiger wurde. „Die Leinen etwas einholen!“ befahl er. „Die Achterleine noch kürzer. So ist es gut. Belege das!“
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Carberrys Blicke saugten sich an der „Isabella“ fest. „Wenn wir jetzt herum schwingen“, sagte er, „dann legt ihr euch gefälligst noch mal mit aller Kraft in die Riemen, und wenn ihr euch die Ärsche wundscheuert. Ein harter Schlag, und wir haben sie auf dem Haken. Sie hält es nicht länger aus, oder ich will nicht mehr Carberry heißen, und ihr seid keine Rübenschweine mehr.“ Er sah das harte Grinsen in den Gesichtern der Männer. „Wie sollen wir dich anschließend nennen, Ed?“ fragte Matt Davies. „Mustopf“, sagte der Profos und setzte dabei seine Autorität aufs Spiel. „Aber wenn ihr bekalmten Seehunde glaubt, ihr werdet mich jemals so nennen, dann habt ihr euch getäuscht.“ Noch etwas weiter ließ Hasard das Boot abfallen. Dann tauchten sie wieder die Riemen ins Wasser, und jeder gab das letzte an Kraft, was er in den Armen hatte. Der ranke Segler bewegte sich, etwas widerwillig zwar, aber er gehorchte doch der Kraft, die an ihm zerrte und riß. Er begann im Schneckentempo über das Eis zu schlurren. Fast unmerklich glitt die „Isabella“ in ihr Element zurück. Nach einer knappen Viertelstunde schwamm sie frei und löste sich von der Eisschwelle. Sie hatten es geschafft, und ihr freudiges Geschrei nahm kein Ende, als sie an Bord zurückkehrten. „Tiefe ausloten!“ befahl der Profos. _Hinaus können wir noch nicht, aber vielleicht können wir ankern, damit wir nicht wieder in die lausige Grotte driften.“ Es war für alle ein befreiendes Gefühl, nicht mehr die riesige Eiswächte über sich zu wissen, auch wenn sie nach menschlichem Ermessen nicht stürzen und das Schiff zermalmen konnte. Das Ausloten brachte eine neue Überraschung. Die Tiefe ließ sich nicht loten. Die Lotleine lief ab, und das Lot fand keinen Grund. Demnach war das Ankern unmöglich.
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Hasard ließ das Schiff an die rechte Seite des Eisklotzes verholen, wo es keine unterseeische Eisschwelle gab. Dort wurden Krampen ins Eis geschlagen, die Festmacher ausgefahren und die „Isabella` vertäut. Danach stieg der Seewolf in die Wanten, nahm das Spektiv mit und versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen. Gut, sie waren gewissermaßen frei, dachte er, als er durch das Spektiv blickte, aber an ein Weitersegeln war zur Zeit nicht zu denken. Vor dem Schiff befand sich eine kleine eisfreie Zone, dahinter trieben die zersprungenen Schollen. Es folgte ein relativ breiter eisfreier Streifen, jene Stelle, wo sie die Wale gesichtet hatten. Dahinter jedoch war die Welt anscheinend zu Ende. Die durch das Abkalben ausgelöste Welle hatte sich ausgetobt, ihre Kraft verloren und war nicht in der Lage gewesen, die weit voraus liegende Eisbarriere ebenfalls zu sprengen. Sie waren ein Problem los, aber die anderen blieben noch. Lange blickte der Seewolf in die Runde, und was er sah, wirkte enttäuschend und demoralisierend. Sie waren noch Ewigkeiten von der legendären Passage entfernt, und es sah nicht so aus, als würden sie sie jemals finden. Eis, Eisberge, Eisschollen, so weit das Auge sah. Ab und zu ein schmaler Streifen dunklen Wassers. Ganz in der Ferne hohe eisbedeckte Berge und auf der anderen Seite das kalte, abweisende Land, lebensfeindlich und bedrohend. Und hier sollen tatsächlich Menschen leben, dachte Hasard. Hendrik Laas Worte fielen ihm wieder ein, aber er konnte einfach nicht glauben, daß sich in den lebensfeindlichen unbewachsenen Regionen Menschliche Wesen angesiedelt hatten. Das Land zog sich in einem ausgedehnten Halbkreis bis zum nebligen Horizont. Es ließ sich kaum von der Eiswüste auf dem Wasser unterscheiden. Man mußte schon sehr genau hinsehen, wenn man den winzigen kahlen Felsstreifen erkennen
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wollte, der sich um einen hohen Berg wand. Der bitterkalte Wind ließ ihn fast zum Eisklumpen erstarren. Er fuhr durch die Kleider und biß in die Haut. Die Finger wurden klamm und steif, und er hatte alle Mühe, das Spektiv zu halten. Sie müßten abwarten, ob der Wind die Schollen wieder auseinander trieb, ob er die Eisbarriere durchbrach und es ihnen ermöglichte, freie See zu erreichen. Nur — wie lange mochte das dauern? Nachdenklich enterte der Seewolf ab und überzeugte sich noch einmal, ob die „Isabella“ so vertäut war, daß der heulende Sturm sie nicht mehr losreißen konnte. Er fand nichts zu bemängeln und ging in die Messe. Dort hatten sich wieder einmal der Kutscher und Carberry am Haken. „Hast du einen Teil Wasser aus den Fässern abgelassen?“ fragte der Profos gerade. „Nicht, daß sie uns später zerplatzen!“ Der Kutscher war dem Profos noch nie eine Antwort schuldig geblieben. Die beiden meinten es nie ernst, aber sie kabbelten sich gern, und da der Kutscher sich immer als gebildeter Mann verstand, er war schließlich lange bei Doc Freemont gewesen, zog der gutmütige Profos meist den kürzeren. „Das habe ich schon vor ein paar Tagen getan, verdammt“, brauste der Kutscher auf. „Da hast du überhaupt noch nicht gewußt, daß Wasser bei Kälte in einen sogenannten Aggregatzustand übergeht. Heute hast du was durch das Tagebuch erfahren, und jetzt willst du deine Weisheit wieder an den Mann bringen.“ Den letzten Satz überhörte Ed. Er runzelte die Stirn, schob sein Rammkinn vor und fragte drohend: „Was für 'n Zustand?“ „Aggregatzustand. Das hab ich bei Sir Freemont mal gehört. Davon gibt es mehrere. Wasser kann sich nämlich verwandeln, verstehst du?“ „In was denn alles?“ fragte Ed mißtrauisch. Der Kutscher rieb sich das Kinn und lehnte sich mit dem Hintern gegen die Back.
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„Einmal in Eis“, dozierte er. „Dann natürlich in Dampf, wenn man es zum Sieden bringt.“ „Und in was noch?“ „In — äh — Eisnebel, glaube ich. Bei Hitze dehnt es sich aus, und bei Kälte zieht es sich zusammen.“ Carberry bohrte dem Kutscher den Zeigefinger gegen die Stirn. „Du spinnst“, stellte er fest. „Genau umgekehrt ist das. Wenn es Eis wird, dehnt es sich aus, und nur deshalb zerplatzen die Fässer.“ „Nein, das ist noch anders“, sagte der Kutscher und bemühte sich krampfhaft um eine Erklärung. „Natürlich, es dehnt sich schon sozusagen aus bei Kälte, aber ... ` „Du hast doch bei Sir Freemont nur die Nachttöpfe geleert“, sagte Carberry trocken. „Wasser kann sich nämlich noch in Tee oder Grog verwandeln, wenn man es richtig behandelt. Aber davon hast du ausgefranste Seenelke natürlich keine Ahnung.“ Sprach's, ließ den verdatterten Kutscher stehen und ging grinsend hinaus. Der Kutscher seufzte tief, blickte den Seewolf an und zuckte mit den Schultern. „Der Kerl raubt mir noch den letzten Nerv“, sagte er. „Der hat Argumente zur Hand, die einem die Stiefel ausziehen. Er dreht einem buchstäblich das Wort im Hals herum.“ „Er meint es nicht böse, Kutscher. Ed ist nun einmal so.“ „Ja, ich weiß, Sir. Ich habe die Holzkohle in die Messe gebracht und auch ein paar Töpfe und Pfannen. Es wird bald ein bißchen eng werden.“ „Lieber eng, als erfrieren. So sparen wir eine Menge Holz, und davon hängt unter anderem unser weiteres Leben ab. Wie steht es nun mit dem Proviant, Kutscher?“ Wieder seufzte der Kutscher. „Nicht sehr rosig, Sir. Ich wollte schon mit dir darüber sprechen. Noch ein paar Tage, und wir müssen etwas rationieren.“ „Das dachte ich mir. Deshalb werde ich nachsehen, ob sich hier jagdbare Tiere befinden, wie Laas gesagt hat. Ich glaube nicht mehr so richtig daran.“
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„Ich kann es mir auch nur sehr schlecht vorstellen, Sir. Wovon sollen die Tiere denn hier leben, sie haben doch überhaupt nichts zu fressen.“ „Eben“, sagte Hasard. „Das ist es ja. Aber es soll hier eine Bärenart geben, wie der portugiesische Kapitän es in seinen Aufzeichnungen vermerkt Und Robben und anderes Getier. Leider haben wir sie noch nicht gesehen.“ Der Seewolf ging wieder an Deck. Mit dem kleinen Boot waren Davies, Gary Andrews und der blonde Schwede Stenmark zu der Eishöhle gepullt. Hasard hörte das Dröhnen, Krachen und Splittern, das die drei Seewölfe verursachten, um Holz zu gewinnen. Viel war es jedoch nicht, was sie ans Tageslicht brachten, aber jedes noch so kleine Stück Holz war ein unschätzbarer Besitz, der nicht mit Gold aufzuwiegen war. Unterdessen war Ferris Tucker im Laderaum damit beschäftigt, einen kleinen Schlitten zu bauen. Es war ein einfaches Ding und bestand nur aus ein paar Brettern und zwei Kufen. Es war auch nur für den Fall gedacht, daß es ihnen gelang, ein Tier zu erbeuten, damit sie es besser transportieren konnten. Andere säuberten die „Isabella“ vom Schnee, der sofort festfror, sowie er an Deck gefallen war. Bill hatte eine Pütz voll Sand auf dem Deck stehen, griff ab und zu hinein und verstreute den Sand in hohem Bogen auf den Planken. So verging auch dieser Tag abwechselnd mit Arbeit, Aufwärmen, Essen und wieder Arbeit. In der folgenden Nacht blickte wieder das glosende Auge der Sonne auf die Eiswelt nieder. Richtig tückisch sieht es aus, dachte Hasard. So, als würde es die Männer ganz genau beobachten und höhnisch über sie grinsen. 4.
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Ben Brighton hatte das Kommando über die „Isabella“, als die drei Männer am nächsten Morgen loszogen. Immer noch heulte und tobte der Wind, und der Himmel war an diesem Morgen grau und verhangen: Es herrschte ein seltsames Zwielicht. Es war nicht Tag und auch nicht Nacht, aber es war auch keine Dämmerung. Es war eine trübe, kalte eiserstarrte Atmosphäre, und das Tageslicht lastete wie eine kaum sichtbare Glocke über allem. Der Seewolf hatte Dan O'Flynn und Matt Davies mitgenommen. Auf dem Schlitten lag Segeltuch zum Schutz gegen Schneetreiben oder Hagelschauer. Musketen und zwei Äxte lagen darauf, ebenso Proviant und etwas Holz, um ein Feuer zu entzünden. Der Rest bestand aus notwendigem Kleinkram und dem lebenswichtigen Kompaß, um sich in dieser Eiswelt nicht total zu verirren. Sie umgingen den gewaltigen Eisberg von der Seite, die sie schon einmal erkundet hatten. Dort, wo das riesenhafte Monstrum gekalbt hatte, glänzte jetzt eine Fläche, die tatsächlich so aussah wie die Rutschbahn des Teufels, wie der alte O'Flynn gesagt hatte. Spiegelglatt und wie blank poliert sah sie aus. „Ein verdammt beeindruckender Brocken“, sagte Dan. Er hatte sich das dünne Tau um die Hüften geschlungen und zog den Schlitten. Die Welt, durch die sie sich bewegten, schwieg wie ein Grab. Kein Ton durchbrach die majestätische Stille. Es war, als hätte hier die Natur den Atem angehalten und alles Leben ersterben lassen. „Wir gehen da links im Bogen hinüber“, sagte Hasard. „Wenn mich nicht alles täuscht, beginnt dort das Land. Es läßt sich aber nicht genau unterscheiden, wo das Eis aufhört, denn eins geht fast nahtlos ins andere über.“ „Achtet auf Spalten oder große Risse im Eis“, warnte Matt Davies noch einmal. „Wer hier in die Tiefe saust, dem kann selbst der liebe Gott nicht mehr helfen.“
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„Nur ein paar Sekunden in dem Wasser genügen, und du bist hart wie ein Brett“, sagte der Seewolf. „Also immer erst hinblicken, ehe man weitergeht.“ Noch war der Untergrund ziemlich glatt, bis auf einige Eisbrocken, die aus der Eisfläche wie Buckel emporwuchsen. Sie kamen gut voran. Schon bald entschwand die „Isabella“ ihren Blicken und geriet hinter den gigantischen Eisberg. Ab und zu knackte es leise, und einmal sprang Matt Davies fluchend einen Schritt zurück, als er einen dunklen Spalt sah. Aber es war festes Eis, und darunter schimmerte schwarzes Wasser wie Tinte. „Was hast du damit gemeint, Sir, als du sagtest, wir würden ganz sicher nicht so erfrieren wie die Portugiesen?“ fragte Dan. „Ich habe vergeblich darüber nachgedacht“ „Und hast die Lösung nicht gefunden?“ „Nein, ganz ehrlich nicht“ „Nun, es ist ein Gedanke, der mir eigentlich von Grund auf zuwider ist, aber früher oder später wird uns nichts anderes übrig bleiben. Um zu überleben, werden wir wohl oder übel einen Wal erlegen müssen.“ Dan blieb stehen und sah den Seewolf an. „Einen Wal?“ rief er. „Und das ist die Lösung?“ „Ja, das löst unsere Probleme“, sagte Hasard leichthin. „Vorausgesetzt allerdings, es gelingt uns, eins der Riesentiere zu jagen. So einfach ist das schließlich auch nicht.“ „Und der ausgekochte Tran ersetzt uns das Holz?” fragte Dan. „Der Tran nicht, aber die Blubberstücke des Wales. Sobald sie ausgekocht sind, brennen sie wie das Höllenfeuer.“ „Verflixt, auf diese Idee wäre ich nicht verfallen. Ganz ehrlich nicht, Sir. Einen Wal jagen“, sagte Dan andächtig. „Ja, mir tun diese Tiefseegiganten leid, und ich finde es schrecklich, so ein Tier jagen zu müssen, bis es qualvoll verendet. Wir haben es damals bei den Falkland-Inseln ja schon einmal getan, aber auch nur, um zu überleben.“
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„Das wird aber mächtig stinken, wenn das Fleisch verheizt wird“, wandte der Mann mit der Hakenprothese ein. „Willst du lieber erfrieren?“ „Nein, Sir, das nicht.“ Dan versank in Grübeleien. Gewiß, so einen Wal zu jagen, war schon eine aufregende Sache. Bei dem Kampf mit dem Giganten ging es immer auf Leben und Tod, aber es blieb ihnen wirklich nichts anderes übrig, wenn sie in dieser lebensfeindlichen Welt überstehen wollten. Wale hatten sie gesehen, sogar mehrere, und sie würden auch bald wieder hier auftauchen. Nur fing sich ein solcher Brocken nicht einfach mit der Angel. Der Gigant von den Falkland-Inseln hätte mit seiner gewaltigen Flunke fast die „Isabella“ zerschmettert. Das Land rückte fast sprunghaft näher heran, hervorgerufen durch eine optische Täuschung, die bei dem ungewissen Licht die Entfernungen rapide zu verkürzen schien. „Nanu“, sagte Matt verwundert. „Das ist, als hätten wir einen Riesensatz getan. Ich dachte, wir sind noch mindestens eine Meile vom Ufer entfernt.“ Das Ufer bestand ebenfalls aus Eis, aber jetzt hob es sich wesentlich schärfer von der Umgebung ab. Ab und zu sah man eine kahle Stelle, an der blankes Gestein hindurch schimmerte. Auf dem Boden wuchs nichts, kein noch so kleiner Grashalm fristete hier seine Existenz. Der Boden war größtenteils von einer mehr als yardstarken Schicht aus Eis überzogen. Die felsigen Stellen wurden selten, mitunter war es nur ein schmaler Streifen. Dort, wo die Eisfläche in das kaum sichtbare Land überging, blieb der Seewolf stehen und blickte zurück. Das Eisgebirge wirkte tatsächlich imponierend, wie es in seiner gewaltigen Höhe fast bis zum Himmel aufragte. Dahinter lag, nicht größer als eine Nußschale, die „Isabella“. Von hier aus war sie nicht zu sehen. Das freie Wasser hinter ihr war nur noch ein winziger schmaler Streifen.
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Trostloses Einöde, wohin das Auge sah. Gewiß hatte diese schweigende Eiswelt auch etwas Pittoreskes und Malerisches an sich, aber die sterile Atmosphäre überwog. Es war eben eine Welt für sich, nicht dazu bestimmt, menschliche Wesen aufzunehmen. Immer noch heulte der Sturm von den fernen Bergen herüber, aber die drei Männer hörten das Tosen nicht. Sie befanden sich in einem geschützten Winkel voller Ruhe, und das Heulen würden sie erst wieder wahrnehmen, sobald sie den ersten Grat überschritten hatten. Sie gingen zügig, beschrieben den Bogen nach links und gerieten auf eine spiegelglatte Eisfläche, die nach einigen hundert Yards in einen kleinen Eiscanyon überging. „Ob die Portugiesen diesen Weg auch gegangen sind?“ fragte Dan den Seewolf. „Das ist anzunehmen, es ist der beste Weg, den man von hier aus erkennen kann. Wie es weiter hinten aussieht, weiß ich nicht.“ „Merkwürdig, daß die im Kreis gelaufen sind“, überlegte Dan. „So schwierig ist die Orientierung hier doch gar nicht.“ „Du vergißt das Schneetreiben, Dan. Wenn es hier einmal losgeht, werden wir unser blaues Wunder erleben.“ Leider behielt Hasard mit seiner Vermutung recht. Nicht sehr viel später erlebten sie tatsächlich ihr blaues Wunder. Auf dem Schiff konnte man sich bei heftigem Schneetreiben und beißendem Wind immer noch nach unten verholen, aber hier war das nicht möglich. Zunächst verschwand die Sonne ganz hinter den Wolken, und es wurde merklich dunkler, als breche doch noch eine Dämmerung an. Sie hatten den breiten Eisgraben längst durchquert, und vor ihnen dehnte sich nun endlos eine Kette von schneebedeckten Bergen, Hügeln und Buckeln, von unzähligen Höhlen, Rissen und Spalten durchzogen. Fast übergangslos brach es dann los. Ein kurzer Hagelschauer ging nieder, so hart und prasselnd, daß er schmerzhaft die
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Körper traf und die drei Männer sich unter dem gewaltigen Schauer krümmten. Dann verschwand der Horizont in einer weißgrauen Wand, und eiskalter Wind blies von den Bergen herüber. Er wurde immer schärfer und schneidender und brachte die ersten Schneeflocken mit. „Dort hinüber!“ schrie Hasard, als sich die weißgraue Wand mit rasender Geschwindigkeit näherte. „Dort ist ein Riß oder eine Höhle im Eis! Beeilt euch, schnell!“ Hastend und stolpernd versuchten sie die von Hasard bezeichnete Stelle zu erreichen. Der Seewolf griff nach dem Schlitten und schob Dan vorwärts. Dann war die milchige Wand direkt über ihnen, und jetzt begann ein Höllentanz. Die harten Schneeschauer fielen fast waagerecht ein, von einem wütenden, tobenden und heulenden Sturm begleitet, der sein grausiges Lied mit jeder Sekunde wilder und drohender begleitete. Der Schnee fiel, so dicht, daß einer den anderen nicht mehr sah. Und jetzt erhielt Dan eine ungefähre Vorstellung davon, wie leicht man sich hier bei einem Unwetter verirren konnte. Urgewalten waren plötzlich entfesselt, es wurde dunkel, und der eisige Schneewind steigerte sich immer noch zu einem orkanartigen Sturm, der sogar den festgefrorenen Schnee losriß, aufwirbelte und brüllend nach allen Seiten schleuderte. Die drei Männer krochen auf dem Boden herum. Wenn jemand etwas rief, riß der heulende Sturm ihm die Worte von den Lippen und trug sie fort. Damit war auch eine Verständigung unmöglich geworden. Dan kroch in die Richtung, in der er die kleine Höhle vermutete, aber er fand sie nicht. Die ganze Umwelt hatte sich so verändert, daß er sich hoffnungslos und vor Entsetzen laut brüllend zu verständigen suchte. Keine Spur mehr von dem Seewolf, keine Spur von Matt Davies. Der Schnee hatte sie verschluckt, und so laut Dan auch brüllte und schrie, um sie
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zusammenzukriegen, sie waren weg, als hätten sie nie existiert. Er schützte sein Gesicht mit den Händen, in die nadelscharfe Schneekristalle mit unvorstellbarer Wucht geschleudert wurden. Es brannte und schmerzte, aber er biß die Zähne zusammen, wandte das Gesicht in die Leerichtung und kroch auf allen vieren weiter. Dan war entsetzt und verblüfft zugleich. Er hatte sich den Wind aller Herren Länder um die Ohren wehen lassen, auch den arktischen Wind am Südpol, aber da waren die Schneeschauer seltener und nicht so hart gewesen, obwohl es kälter gewesen war als hier. Aber hier kriegte er kaum noch Luft, er wußte nicht mehr, wo er sich befand, und verstand jetzt, daß man sich hier hoffnungslos verirren und im Kreis laufen konnte. Und dabei tobte das Unwetter noch keine fünf Minuten. Jemand packte ihn, und er schrak zusammen. Dann spürte er, daß es der Seewolf war, der sein Handgelenk umklammerte. Er hörte Hasard etwas brüllen, aber er verstand die Worte nicht und schrie, so laut er konnte, zurück. Der Seewolf zog ihn mit sich. Er ging gebeugt und tief geduckt, am Handgelenk Dan haltend, an der anderen Hand den Schlitten. „Verdammt, Sir!“ rief Dan. „Wie findest du dich denn jetzt noch zurecht?“ Er erhielt keine Antwort. Der Seewolf hatte die Worte nicht vernommen, oder er hatte sie nicht verstanden. Für den jungen O'Flynn war absolut klar, daß er sich für kurze Zeit in einem Anfall blinder, kopfloser Panik befunden hatte. Und das passiert ausgerechnet mir, dachte er bestürzt. „Bleib stehen!“ hörte er die Stimme des Seewolfs. Hasard drückte ihm eine Leine in die Hand und war von einer Sekunde zur anderen wieder in dem Schneegestöber verschwunden. „Er sucht Matt“, sagte Dan laut und versuchte, mit seinen scharfen Augen das Schneetreiben zu durchdringen. Er sah
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jedoch nicht einmal die eigene Hand vor Augen. Gleich darauf tauchten zwei Schatten direkt vor ihm auf, die aus dem Boden gewachsen sein mußten. Fast stieß er mit ihnen zusammen. Hasard schrie wieder etwas, und mit einiger Mühe verstanden die beiden ihn auch. Dabei hatte der Seewolf eine Stimme, die mühelos das gewaltige Organ des Profos noch übertraf. Und der konnte immerhin lauter brüllen als ein Stier. Hasard zog wieder den Schlitten, an dessen dünner Leine sich nun Dan und Matt festhielten. Dann war Eis über ihnen, das Schneetreiben ebbte ziemlich schnell ab, und sie fanden sich in einer langen Eisspalte wieder. Der Seewolf blieb schweratmend stehen, und auch Dan und Matt Davies kriegten kaum noch Luft. „Wir haben es gerade noch rechtzeitig geschafft“, sagte Hasard. „Holt die Segelplanen vom Schlitten und breitet sie aus. Es wird gleich richtig losgehen!“ Das Segelleinen war gefroren und steif, und sie hatten alle Mühe, es einigermaßen zu glätten. Jetzt erst sahen sie sich genauer um. Sie befanden sich in einer kleinen Eishöhle, mehr einer Spalte, aber diese Spalte war von oben durch einen schweren Eisblock geschützt. Der Boden war uneben und höckerig, aber wenigstens schneite es hier nicht mehr herein. Eine Plane nahmen sie als Unterlage zum Sitzen, die zweite wurde notdürftig an den vorstehenden Eiszacken der Spalte befestigt. „Jetzt ist mir einiges klar geworden“, sagte Dan. „Ich habe mich total in der Richtung geirrt. Ich hätte schwören können, es wäre genau die entgegengesetzte gewesen. Wie hast du dir die Richtung merken können, Sir?“ „Ich weiß es nicht, es war mehr ein reines Gefühl“, erwiderte der Seewolf. Er mußte immer noch schreien, um verstanden zu werden, denn „draußen“ heulte, pfiff und toste es mit Urgewalten.
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Eine riesige Orgel mit mehr als tausend Pfeifen schien da ihr wildes Lied zu spielen. Genauso hörte es sich an, wenn sich das Heulen des Windes veränderte, wenn es mal tiefer, mal höher wurde, sekundenlang abbrach und dann mit voller Kraft wieder einsetzte. Schneeschleier stoben herein und wehten ihnen in die Gesichter. Das Segelleinen knatterte wie ein killendes Segel' und bewegte sich wild hin und her. Hasard schob seine fast erstarrten Hände unter die Achseln und blickte auf den Boden. „Hoffentlich dauert es nicht so lange“, sagte er. „Sonst müssen wir hier übernachten.“ Darauf waren sie' zwar eingestellt, denn ihre Suche würde immerhin mindestens zwei oder drei Tage dauern. Fand sich dann immer noch kein Anzeichen von menschlichem Leben, wollten sie wieder umkehren. Aber dieser Spalt hier war nicht der Ort zum übernachten, den sich der Seewolf vorgestellt hatte. Hier zog, pfiff, jaulte und heulte es an allen Enden. So unglaublich das auch klingen mochte, aber das Wüten der Elemente nahm immer noch zu. Sie hatten das nicht für möglich gehalten, denn nun wuchs sich der Wind zu einem alles verschlingenden brüllenden Orkan aus. „Hoffentlich kriegt die ‚Isabella' nicht soviel davon ab“, sagte Matt Davies. „Wenn dieser Wind sie packt, schmettert er sie glatt gegen die Eisschollen.“ „Das glaube ich nicht“, sagte Hasard. „Der Sturm ist ablandig, und unsere Lady liegt relativ sicher und geschützt hinter dem mächtigen Eisgebirge. Der Sturm hat aber den Vorteil, daß er die Eismassen weiter ins Meer hinausdrückt und wir eine größere eisfreie Zone kriegen. Aber er wird sicher nicht lange anhalten.“ Auch damit behielt der Seewolf recht. Das Unwetter steigerte sich zu einer Kakophonie disharmonischer unglaublich greller Töne, dann brach es jäh ab. Ein lang gezogenes Heulen folgte wie das Klagen eines verletzten Tieres, dann hing
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das Segelleinen ganz ruhig und schlaff vor dem Spalt. So blitzschnell wie der Sturm über das Land gejagt war, so schnell verzog er sich auch und raste weiter aufs Meer hinaus. Dort würde er sich noch einmal kräftig austoben und wehe, wenn sich da irgendwo draußen ein Schiff verirrt hatte. „Gehen wir“, sagte Hasard. „Mal schauen, wie es da draußen jetzt aussieht.“ Draußen sah es wüst aus. Wie große Leichentücher lagen die Schneemassen auf Felsen und Steinen. Der Wind hatte den Schnee zusammengeschoben und an einzelnen Stellen hoch aufgetürmt. Innerhalb der kurzen Zeit hatte sich die Landschaft erschreckend verändert. Die drei Männer sahen sich an. Der einzige Anhaltspunkt, den sie bis jetzt noch zur Orientierung hatten, war das Eisgebirge, hinter dem die „Isabella“ lag. Alles andere hatte sich grundlegend geändert, und morgen, nach dem nächsten Sturm, konnte es sich schon wieder ein zweites Mal verändert haben. Die Segelleinen wurden zusammengefaltet und auf dem Schlitten verstaut. Dann ging es weiter. Immer noch war der Himmel grau wie kalter Haferbrei. Zum Horizont hin hatte sich eine dunkle Bank aufgetürmt - der Schneesturm, der nun weiter auf die offene See raste. Innerhalb der kurzen Zeit hatte der Wind es geschafft, Schneebarrieren von annähernd sechs bis sieben Yards Höhe aufzutürmen. Manche zogen sich endlos lange dahin, andere waren leicht zu umgehen. Es wurde ein beschwerlicher Weg, über tückische Unebenheiten und gefährlich klaffende Risse. Einmal blieb Hasard stehen und blickte auf den Boden. An dieser Stelle schimmerte nacktes Felsgestein durch. Nicht der kleinste Hauch von Eis befand sich darauf. Nach einer. Weile geriet der große Eisfelsen außer Sicht, und sie hatten keinen Orientierungspunkt mehr. Hasard blickte auf den Kompaß und merkte sich die Richtung.
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„Sobald die kleinste Wetteränderung eintritt“, sagte er, „müssen wir hautnah zusammenbleiben, so daß einer den anderen berühren kann. Ihr habt erlebt, wie schnell man sich aus den Augen verliert. Da hilft kein Brüllen und Schreien, der Sturm übertönt alles, und wer sich einmal verirrt hat - na ja, ihr wißt es selbst am besten.“ Vier Stunden gingen sie immer durch die gleiche Eintönigkeit einer lebensgefährlichen Umwelt. Es änderte sich kaum etwas, und Dan suchte mit seinen scharfen Augen pausenlos die Umgebung ab. „Kein Tier“, sagte er, „nicht mal eine lausige Polarkakerlake oder was anderes.“ „Nicht mal eine triefäugige Kakerlake und viel weniger ein Rübenschwein“, sagte Matt grinsend. In seinen Augenbrauen hatten sich winzige Eiskristalle gebildet, bei jedem Ausatmen stand eine dicke Wolke vor seinem Gesicht. „Irgendwo wird es schon welche geben“, meinte Hasard. „Im Landesinnern soll es ja nicht soviel Schnee und Eis geben wie hier direkt an der Küste. So, wir gehen dort hinüber!“ Eine Ebene aus Eis tat sich auf, die der Wind vom Schnee blank gefegt hatte. Weiter hinten gab es wieder Berge und ein Gebilde, das aussah, als hätte ein Bildhauer es geschaffen. Ein schneeweißer, fast quadratischer Felsen wuchs in den Himmel. Er mochte gut eine Meile Kantenlänge haben. Die Vorderseite sah aus, als hätte man sie mit einem großen Griffel bearbeitet und tiefe Rillen in die senkrecht abfallenden Wände gezogen. Ganz für sich, wie ein riesiger schimmernder Solitär, stand der Klotz da, und er war kein bißchen zerklüftet. „Ein Naturwunder aus Eis“, sagte Matt staunend. „Das sieht aus, als hätte ihn jemand bearbeitet und dann dort aufgestellt.“ Hasard ließ sich auf das Eis nieder und blickte auf die spiegelglatte Fläche. „Himmel“, meinte er beeindruckt. „Man kann mindestens drei bis vier Yards in die
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Tiefe blicken und sieht deutlich, wo der Eisrand ins Wasser übergeht und aufhört.“ „Und dabei wird man das lausige Gefühl nicht los, ständig einzubrechen“, sagte Dan und ließ sich eben-, falls nieder, um einen Blick nach unten in das tintenschwarze Wasser zu werfen. „Wir halten auf den Felsen zu und gehen rechts an ihm vorbei“, sagte Hasard. Sie marschierten weiter durch die Ebene, die einer geschliffenen Spiegelfläche glich. Nur einmal befand sich eine kleine Erhöhung im Eis, wie eine aufgeworfene Blase. Dan schlitterte darauf zu. Er fragte sich verwundert, wie diese Blase hier wohl in die spiegelglatte Fläche gelangt war. Als er sie erreichte, blickte er nach unten. Unwillkürlich stieß er einen verhaltenen Schrei aus, denn mit allem hatte er gerechnet, nur nicht mit diesem Anblick. „Was gibt es?“ fragte Matt. „Seht es euch selbst an“, sagte Dan tonlos. Hasard wich ebenfalls die paar Yards vom eigentlichen Kurs ab und stand dann schlitternd neben den beiden anderen. Hörbar stieß er die Luft aus und starrte ungläubig hinunter. In dem Eis ruhte ein bärtiger Mann. Er lag der Länge nach ausgestreckt da, hatte die Augen geschlossen und die Hände über der Brust gefaltet. Er sah aus, als hätte er sich zum Ausruhen hier hingelegt. Sein Gesicht war friedlich und wie von einem inneren Glück erfüllt. Um den Körper trug er eine dicke Jacke, seine Beine steckten von den Schenkeln abwärts in Segeltuch. Der Mann befand sich etwa zwei Yards unter ihnen. Das glatte Eis verzerrte unmerklich seine Konturen. Trotzdem war auch die kleinste Einzelheit zu erkennen. Lange sprach niemand ein Wort. Der Anblick dieses Mannes in seinem Sarg aus Eis hatte ihnen die Sprache verschlagen. „Gott sei seiner Seele gnädig“, sagte der Seewolf. „Ob es einer von den Portugiesen ist?“ fragte Dan scheu. „Das können wir ruhig voraussetzen, ich glaube es ganz bestimmt. Er gehörte zu jenen, die Correz auf seinen
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Erkundungsgang mitnahm und von denen einer nach dem anderen starb.“ „Aber wie gelangte er in diesen gewaltigen Eisblock?“ wollte Matt wissen. „Sie können ihn doch hier nicht beigesetzt haben.“ „Nein, das haben sie ganz sicher nicht. Aber erinnert ihr euch an das Logbuch, wo es hieß, daß einige Männer in tückischen Spalten verschwanden oder ins Wasser fielen? Das hier muß einer von ihnen gewesen sein. Er fiel ins Wasser und ertrank oder erfror auf der Stelle. Dann ist die Stelle wieder zugefroren und hat seinen Körper im Laufe der Zeit eingeschlossen. Hier ist ja ständig alles in Bewegung durch die starken Stürme.“ „Furchtbar, dieser Anblick“, murmelte der junge O'Flynn. „Der arme Kerl sieht aus, als würde er schlafen. Wahrscheinlich hat er nicht viel gespürt, als es ihn erwischte.“ „Nein“, sagte Hasard rauh, „wahrscheinlich nicht.“ Alle drei dachten das gleiche. Auch ihnen konnte dieses erbarmungswürdige Schicksal noch durchaus bevorstehen, sie waren noch lange nicht dagegen gefeit. Der Tote würde hier im Eis liegen bleiben bis in alle Ewigkeit oder bis sich einzelne Brocken von dem Eis lösten und irgendwie ins Meer drifteten. Vielleicht aber würde sein Körper auch für alle Zeiten an dieser Stelle ruhen. Sehr nachdenklich und bedrückt gingen sie weiter. 5. Sie richteten sich nicht nach einer angenommenen Zeit, sondern ruhten dann, wenn ihre Körper es verlangen. Den wie künstlich aussehenden Eisberg hatten sie hinter sich gelassen und näherten sich einer bizarren Formation steil und wild zerklüfteter Eismassen. Dahinter schimmerten wieder Berge, aber die waren nicht mehr so vereist. Auch hatte es den Anschein, als werde dort das Land flacher. Hasard sah es den beiden Männern daß der Marsch durch die teilweise holperige Eiswüste sie strapaziert hatte. Ihm selbst
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erging es nicht viel anders, auch er fühlte sich ausgelaugt und erschöpft. „Dort drüben scheint es eine große Eishöhle zu geben“, sagte er. „Ich denke, wir werden dort übernachten oder zumindest ausruhen, bis wir uns wieder besser fühlen. Dort entzünden wir ein kleines Feuer und bereiten uns ein Essen.“ „Ja, ein paar Stunden Ruhe würden mir ganz gut tun“, gab Dan zu. „Und wie steht es mit dir, Matt?“ „Ich hätte auch nichts dagegen, etwas Warmes zu trinken, einen Happen zu essen und ein wenig zu ruhen. Dann kann es meinetwegen weitergehen.“ „Gut, dann steigen wir dort hinauf, es ist kein großer Umweg, aber die Höhle bietet uns Schutz vor Unwetter.“ Die Höhle war deutlich zu sehen. Sie führte dunkel und breit ins Eis eines zerklüfteten Berges hinein. Dort würde sie kein Schneesturm überraschen. Der Weg war glatt und tückisch, aber sie schafften es unter einigen Mühen und erklommen einen ausgefurchten Grat, von dem aus es in die Grotte hineinführte. Die Öffnung war mehr als mannshoch. Sie erinnerte die Männer an eine große Bärenhöhle, in der die zottigen Wesen ihren Winterschlaf hielten. „Wie geschaffen für uns“, sagte Dan und rieb sich die klammen Hände. „Weiter im Innern gibt es kaum Eis, nur die Wände sind sehr glatt und eiskalt.“ Die Höhle führte in den Berg, endlos wie es schien, und nach den ersten Schritten wurde es bereits dunkel. Mit Fingern, die sich nur noch sehr mühsam bewegen ließen, entzündete der Seewolf mit Stahl und Flintstein eine Lampe, die trübe vor sich hinblakte. „Wir sehen mal nach, wie es weitergeht“, sagte er und ging mit der blakenden Lampe voran. Mal war die Höhle domartig groß, dann wieder schrumpfte sie auf Mannshöhe zusammen, dann folgte ein kleiner Gang, durch den man nur gebückt gehen konnte, aber es ging immer weiter in den. Berg hinein. Nach einigen weiteren Schritten endete die Höhle jedoch abrupt.
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Das war genau an der Stelle, wo sie die beiden anderen Toten fanden. Hasard blieb stehen und sah sie an. Hinter ihm räusperte sich Matt Davies die Kehle frei. Einer von ihnen, dem Anschein nach ein älterer Mann, lag in total verkrümmter Haltung am Boden. Arme und Beine waren abgewinkelt und sein Kopf zur Seite gedreht. Noch im Tod hatte er versucht, sich in den steinharten Boden zu krallen. Der andere lehnte friedlich an der Wand und ähnelte dem Gesichtsausdruck nach dem Mann im Eis. Auch er schien ganz friedlich entschlafen zu sein. Hasard schätzte sein Alter auf nicht viel mehr als zwanzig Jahre, ungefähr so alt wie der Moses Bill mochte der Tote sein. „Wir befinden uns haargenau auf den Spuren der Portugiesen“, sagte Dan und versuchte, den Kloß, der ihm im Hals steckte, herunterzuschlucken. Aber der saß fest und blieb stecken. „Ja, genau wie es im Logbuch steht. Wenn wir weitergehen, werden wir noch mehr Männer der Besatzung finden. Es ist grauenhaft, und man kann die armen Kerle nicht einmal begraben, weil der Boden endlos tief gefroren ist. Deshalb hat man sie vermutlich auch in den hintersten Teil der Höhle gebracht.“ Niemand wußte, wie lange die beiden Männer hier schon lagen, denn das Logbuch verschwieg die Jahreszahl, und da die Leichen keinerlei Anzeichen von Verwesung zeigten, ließ sich nicht einmal annähernd bestimmen, wann sie gestorben waren. Das konnte vor einer Woche, vor einem Monat oder zehn Jahren gewesen sein - oder noch länger. Die drei Seewölfe murmelten ein Gebet für die armen Seelen, die hier nach unsäglichen Strapazen ihr Leben ausgehaucht hatten. Ein letzter abschiednehmender Blick auf die beiden einsamen Toten, und sie kehrten wieder den Weg zurück. Sie konnten sie nicht begraben, genauso wenig, wie es die anderen gekonnt hatten. Ziemlich schweigsam säbelte Dan mit dem Entermesser weiter vorn in der Höhle Späne von einer zersägten Planke ab, goß
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etwas von dem tranigen Öl aus der Lampe darüber und entzündete es. Als es zu flackern begann, schichtete er gröberes Holz darüber. Matt schlug mit seiner Hakenprothese Eisstücke aus dem Höhleneingang und warf sie in den Kessel, den sie mitgenommen hatten. Hasard tat die Teeblätter hinein, die ihnen der Kutscher mitgegeben hatte und die noch aus dem Reich des Großen Chan stammten, und wartete, bis das Eis sich auflöste und das Wasser schließlich zu sprudeln begann. Gierig schlürften sie das heiße aromatische Getränk, das sie von innen her erwärmte und neue Lebensgeister weckte. Über die Toten, die sie bisher gefunden hatten, verlor nur sehr selten jemand ein Wort. Aber in Gedanken beschäftigten sie sich doch mit den Männern, die ein so grausames Ende gefunden hatten. Nachdem sie den Tee getrunken hatten, warf Hasard ein paar Stücke gesalzenen Fleisches in den Topf. „Eigentlich bin ich gar nicht mehr müde“, sagte Dan. „Der Tee hat mich aufgemöbelt, und ich weiß nicht, ob ich überhaupt schlafen kann.“ „Wir müssen trotzdem ausruhen, Dan“, meinte der Seewolf. „Ein wenig Kräftesammeln, und dann geht es weiter. Wenn du nicht schlafen kannst, übernimmst du die erste Wache.“ „Aye, Sir, ich werde aufpassen. Und wie steht es mit dir, Matt?“ „Ich bin müde zum Umfallen“, erwiderte Matt Davies. „Dann streckt euch aus.“ Segelleinen war auf den Boden gebreitet worden, und Dan war damit beschäftigt, ein weiteres Segelkleid vor den Eingang zu hängen. Es war schwierig, aber schließlich ging es. Zu seinem Leidwesen wurde es jedoch trotz des Feuers nicht warm, denn die Höhle war zu groß. Das Feuer konnte er auch nicht stundenlang brennen lassen, denn ihr Holzvorrat war begrenzt, und es sollte nur zum Kochen dienen. Ab und zu schob er ein kleines Stück Holz nach und wärmte seine Finger über der Flamme.
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Der Seewolf hatte sich in das Segelleinen gerollt und war eingeschlafen. Dan hörte seine gleichmäßigen Atemzüge, während Matt sich ruhelos und von schlechten Träumen geplagt, hin und her warf. Es war eine merkwürdige, fast makabre Situation, überlegte Dan. Sie lagen zusammen in einer Höhle mit Toten, ohne sich sonderlich daran zu stören. Während sie hier aßen oder schliefen, lagen nur ein paar Yards weiter ein paar andere Männer ebenfalls im Schlaf, aber in einem Schlaf, der ewig währte und aus dem es kein Erwachen mehr gab. In Gedanken versuchte Dan O'Flynn den Leidensweg dieser bedauernswerten Seeleute nachzuzeichnen. Dabei stellte er sich immer wieder vor, daß es ihnen ebenso ergehen könne. Er sah seine Kameraden vor sich, wie sie in Eisspalten verschwanden, sich aus Verzweiflung erschossen, wie sie erfroren und später reglos in irgendwelchen Höhlen lagen oder im ewigen Eis ruhten. Er schluckte hart. Nein, das durfte ihnen nicht passieren, nicht einmal das Holz durfte ihnen ausgehen, und niemals durften sie die „Isabella“ abwracken und verheizen, nur um ein paar Tage länger zu überleben. Sobald sie zurückkehrten, würden sie den Wal jagen, einen einzigen nur, der ihnen das weitere Überleben sicherte. Dan stand auf, reckte seine klammen Glieder und trat vor den Eingang der Höhle. Himmel, war das eine gottverlassene, einsame furchtbare Welt, dachte er schaudernd. Man konnte glatt verrückt werden vor lauter Einsamkeit und Öde. Kein Tier huschte davon, keine Menschenseele lebte hier, nicht einmal ein Vogel erhob sich in die kalte Luft. Kein Tier? Er kniff die Augen zusammen und blickte zu den fernen Bergen hinüber. Undeutlich hatte er eine huschende Bewegung wahrgenommen. Er lehnte sich an den vereisten Felsen und fixierte die Stelle genauer. Nichts rührte sich mehr, aber er war sicher,
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daß er etwas gesehen hatte, etwas, das sich ziemlich schnell bewegte und die gleiche Farbe hatte wie das ewige Eis. Es war ein Kontrast gewesen, als das Etwas an einem dunkleren Felsen vorbeihuschte. Er merkte sich die Stelle, ging in die Höhle zurück und nahm das Spektiv vom Schlitten, denn jetzt war seine Neugier erwacht. Wenn es ein Tier gewesen war, dann bedeutete das Nahrung, frisches Fleisch und ein Fell, das man sich umhängen konnte. Das bedeutete überleben, Gesundheit, Kraft — sofern man das Tier erwischte. Lange blickte er hindurch, und dann, nach einer ganzen Weile, sah er es wieder. Also gab es hier doch Lebewesen, jetzt war jeder Zweifel ausgeschlossen. Aus der Ferne ähnelte es einem mageren Wolf, der unruhig durch die Felsen streunte und Beute suchte. Nur war das Fell von dumpfem Weiß, und es hatte sich vorzüglich der Umgebung angepaßt. Dan weckte den Seewolf, indem er ihn leicht an der Schulter berührte. Hasards Reaktionen waren erstaunlich. Obwohl er tief und fest geschlafen hatte, war er blitzschnell auf den Beinen, und Dan spürte, wie sein Handgelenk von einer eisenharten Faust umklammert wurde. „Ein Tier“, sagte Dan leise, als der Seewolf ihn losließ. Auch Matt Davies war sofort hellwach. Etwas irritiert sah er sich um und hatte Mühe, in die Gegenwart zurückzufinden. „Ein Tier? Wo?“ fragte Hasard sofort. „Drüben, bei den Bergen.“ Müdigkeit und Kälte waren vergessen. Dafür war der Jagdeifer bei den Männern erwacht. Hier ging es nicht darum, nur ein Tier zu erlegen, hier ging es um ganz etwas anderes. Nur zu deutlich stand vor ihrem geistigen Auge noch das Bild der erfrorenen und verhungerten Portugiesen. Hasard blickte vor der Höhle lange durch das Spektiv. Erst nach einer Weile ließ er es wieder sinken. Enttäuscht zuckte er mit den Schultern. „Ich sehe nichts, Dan.“
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„Es ähnelt fast einem Wolf oder einem Fuchs und streunt dort drüben herum. Möglich, daß es jetzt hinter den Felsen verschwunden ist. Aber ich weiß, was ich gesehen habe.“ „Daran habe ich nicht gezweifelt. Wir sollten es suchen, aber du wirst müde sein, Dan.“ „Keine Spur, Sir“, versicherte Dan. „Ich bin hellwach, ihr beide habt ja nur ein paar Augenblicke geschlafen.“ „Dann gehen wir“, sagte Matt. Sie gossen den Rest vom Wasser über die Feuerstelle. Matt Davies sammelte die angekohlten Holzstücke sorgfältig wieder ein und verstaute alles auf dem Schlitten. Diesmal gingen sie schneller in der von Dan angegebenen Richtung. Nach relativ kurzer Zeit hatten sie die Felsen erreicht. Zum erstenmal war der Untergrund steinig und nur von vereinzelten Schneestellen bedeckt. Ab und zu gab es schillernde Eisflächen. Dan suchte nach Spuren, doch lange Zeit fand er nichts. Der Untergrund war zu hart. „Ich weiß genau, daß es hier gewesen ist“, sagte er. „Das Biest lief rum, als suche es Beute.“ „Dann teilen wir uns die Richtungen”, sagte Hasard. „Du, Matt, gehst dort hinüber, ich nehme diese Richtung und Dan die entgegengesetzte.“ Sie überprüften ihre Pistolen, die im Hosenbund steckten, und wollten gerade losziehen, als Dan laut ausrief: „Hierher! Ich habe die Spur!“ Eine Stelle war vom Schnee zugeweht, und darauf zeichneten sich klar und deutlich die Abdrücke von vier Tatzen ab. „Schrei nicht so“, sagte Matt, „sonst vertreibst du uns den Burschen noch.“ „Tut mir leid, das war das Jagdfieber.“ Hasard hielt seinen Radschloßdrehling locker in der Hand und sah sich nach allen Seiten um. Es war nicht mehr erforderlich, daß sie sich trennten, denn jetzt kannten sie die Richtung, in die sich das fremde Tier bewegte. Den Spuren nach konnte es fast ein Hund sein.
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Lautlos umschlichen sie den Felsen, verloren die Spur wieder aus den Augen, als der Boden steinig wurde, und entdeckten sie erst wieder in der nächsten kleinen Schneewehe. Dan umging den Felsen als erster, Matt folgte ihm, und der Seewolf sah in die Richtung, wo die Felsen eine schmale Gasse bildeten. Er wollte noch einen Schritt weitergehen, doch dann sah er sich dem Tier plötzlich direkt gegenüber. Keine drei Yards von ihm stand es. Ganz langsam hob Hasard die Waffe. * Das Tier starrte ihn an. Es blickte ihm direkt in die Augen. Es hatte einen weißen Pelz und sah aus wie ein Wolf. Nein, es sah nicht aus wie ein Wolf, berichtigte sich der Seewolf selbst, es war ein Wolf, ein weißer Wolf, der in seiner Bewegung erstarrt schien. Vielleicht war er genauso überrascht wie der Zweibeiner, der ihm gegenüberstand. Hasard wagte nicht zu atmen. Er hatte die Hand mit der Waffe noch nicht einmal halb erhoben und konnte aus dieser Position noch nicht feuern. Wie gebannt starrte er das ziemlich große Tier an. Die Lichter des Wolfes funkelten fast gelb, und wenn er ausatmete, stand vor seiner Schnauze eine Fahne aus weißem Dampf. Dann zogen sich ganz langsam die Lefzen von den scharfen Zähnen zurück. Ein Prachtgebiß mit langen Reißzähnen wurde sichtbar. Ganz tief aus der Kehle des Tieres kam ein leises Knurren. So standen sie sich gegenüber, beide bewegungslos, einer den anderen anstarrend. Ob der Polarwolf schon einmal einem Menschen begegnet war? überlegte Hasard. Das Tier fühlte sich in die Enge getrieben, denn zurück konnte es nicht mehr, da schlossen hohe Felsen den Rückweg ab. Und vor ihm stand ein Mensch, und daß ließ ihn heiser knurren. Ob vor Angst oder
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vor Angriffslust konnte Hasard nicht sagen. Er hob die Waffe unmerklich noch höher und bewegte dabei nur den Unterarm leicht. Aber dem Tier war die Bewegung nicht entgangen. Wie immer der Wolf sie auch auslegen mochte, jedenfalls faßte er das als Angriff auf oder als Revierverletzung. Der Wolf sprang so schnell, daß Hasard nur einen Schatten sah, der durch die Luft wirbelte. Er hatte sich nicht abgestoßen oder vorbereitet, er sprang aus dem Stand heraus mit einem mächtigen Satz. Es geschah alles so schnell, daß Hasard zu spät reagierte. Er fühlte einen harten Anprall an seinem Oberkörper und hatte alle Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Dennoch entglitt ihm die Waffe in dem Augenblick, als er den Finger krümmte. Ein lauter Knall ertönte. Der Polarwolf blieb wie gelähmt stehen, doch dann drang ein lautes Knurren aus seiner Brust, und er sprang den Seewolf mit einem wilden Sprung erneut an. Dan und Matt fuhren wie auf Kommando herum, als sie den lauten Knall hörten. „Er hat ihn!“ schrie Matt. Aber es war genau umgekehrt. Nicht der Seewolf hatte das wilde Tier, sondern es hatte ihn. Es brachte ihn zu Fall, riß seinen Rachen auf und wollte mit den scharfen Zähnen zubeißen, als Dan und Matt um den Felsen bogen. Hasard schlug zu und erwischte das Raubtier mit der Faust an der Flanke. Der Wolf jaulte auf, schnappte wie verrückt nach dem Seewolf und riß ihm einen Streifen Stoff aus der Jacke. Als er sich wieder auf sein Opfer stürzen wollte, sah er die beiden anderen und fuhr gereizt herum. Weder Dan noch Matt konnten etwas mit ihren Waffen anfangen, ohne das Risiko einzugehen, ihren Kapitän zu treffen, denn der Wolf sprang wild hin und her und verbiß sich jetzt schon zum zweitenmal in die Jacke des Seewolfs.
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Es war ein rasender, sich wild gebärdender Teufel, der wütend nach allem schnappte, was in seine Nähe geriet. Davies näherte sich dem Wolf und schob seine fürchterliche Waffe vor, die Hakenprothese. Hasard lag noch auf dem Rücken und versuchte, den wilden Bissen der Bestie zu entgehen. Dabei mußte er sich zwangsläufig wie ein Kreisel um sich selbst drehen, denn dauernd schnappten die scharfen Fänge zu. Der Wolf war in Angriff und Rückzug blitzschnell. So schnell, daß das Auge den Bewegungen kaum zu folgen vermochte. Er sprang vor, biß zu, und wenn ihn jemand packen wollte, war er schon wieder zurück, um erneut anzugreifen. Jetzt als er sich drei Angreifern gegenübersah, war er allerdings etwas irritiert und wußte nicht, wen er zuerst angreifen sollte. Er entschied sich jedoch für den am Boden liegenden Mann, der noch am wehrlosesten zu sein schien. Beim neuerlichen Zuschnappen und einem wilden Knurren, gelang es Hasard, den Schädel des Tieres zu packen. Er legte alle Kraft in diesen Griff und drehte dem Wolf das Fell am Genick zusammen. Stinkender fauliger Atem streifte ihn, und die langen Fänge waren dicht vor seinem Gesicht. Instinktiv suchte der Wolf nach der Halsschlagader seines Gegners. Hasard drehte ihm das Fell noch weiter zusammen und brachte sein Gesicht aus der unmittelbaren Nähe der gefährlichen Reißzähne. Wenn die ihn am Hals erwischten, dann war es aus, dann konnte ihm niemand mehr helfen. Der Wolf verlagerte sein Gewicht, drehte sich halb um und schnappte immer wieder zu. Dicht vor Hasards Augen klappten die Kiefer hart zusammen. Matt Davies sah jetzt seine Chance. Er stand links von dem Tier, während Dan auf der rechten Seite auf eine Gelegenheit wartete. Als der Wolf ihm den Schädel zustreckte, hieb der Mann mit den grauen Haaren hart zu. Der Schlag erfolgte aus dem
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Schultergelenk und war unglaublich hart geführt. Die Hakenprothese zertrümmerte dem Tier den Schädel. Es zuckte noch einmal und wurde dann schlaff, als es zusammensank. Hasard sprang auf die Beine, doch im selben Augenblick geschah etwas, womit keiner gerechnet hatte. Der scheinbar tote Wolf drehte sich herum und biß noch einmal zu. Hasards Schlag mit der Faust ließ das Tier endgültig zusammenbrechen. Es legte sich auf die Seite und rührte sich nicht mehr. Blut lief aus seiner Schnauze auf die Felsen und färbte auch das weiße Fell teilweise rot. Der Atem des Seewolfs ging hastig, als er auf den Beinen stand. „Danke, Matt“, sagte er schnaufend. „Das war ja ein höllisch schnelles Biest.“ Er beugte sich zu dem Wolf hinunter und drehte ihn mit dem Stiefel auf die andere Seite. Das Tier war tot, es regte sich nicht mehr. „Ein Satansbraten“, sagte Hasard. wer Bursche stand mir plötzlich auf ganz kurze Distanz gegenüber. Ich glaube, wir waren alle beide sehr überrascht.“ „Nichts zu danken, Sir“, erwiderte Matt. „Es hat mich gewundert, daß du ihn dir so lange vom Leib halten konntest.“„Es war nicht leicht. „Bist du verletzt?“ fragte Dan. „Nein“, sagte Hasard, „ich glaube nicht. Das Biest hat nur meine Jacke erwischt.“ „Sieh lieber nach, Sir“, warnte O'Flynn. „Wenn er dich auch nur mit den Zähnen angeritzt hat, kann das gefährlich werden.“ „Ja, ich weiß.“ Hasard krempelte den linken Ärmel hoch, so weit es ging. Aber außer einer dunklen Stelle, die er sich beim Sturz auf die Felsen zugezogen hatte, war nichts zu sehen. Nur Stoff fehlte, zwei ziemlich lange Streifen. „Alles in Ordnung“, sagte Hasard. „Was tun wir jetzt mit dem Burschen?“ fragte Matt. Der Seewolf überlegte nicht lange. „Natürlich nehmen wir ihn mit, aber vorher werden wir ihn noch aus der Decke schlagen. Später ist er bretthart gefroren,
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und dann wird es schlecht gehen, wenn es überhaupt noch geht.“ „Darauf verstehe ich mich“, sagte Davies. „Fangen wir am besten gleich an.“ Hasard bewunderte das Prachtexemplar, doch dabei sah er sich immer wieder nach allen Seiten um. „Ist etwas?“ fragte Dan. „Gebt acht, ob noch mehr von der Sorte hier herumstrolchen“, warnte Hasard: „Die grauen Wölfe jagen meist in Rudeln, und ich weiß nicht, wie es hier ist. Es kann ein Einzelgänger sein, es ist aber auch möglich, daß sich noch ein paar weitere Exemplare hier herumtreiben. Paßt also gut auf.“ Davies brach den Wolf auf. Er tat es geschickt und schnell. „Ob man das Fleisch essen kann?“ fragte Dan zweifelnd. Hasard nickte. „Ich bin überzeugt davon, Dan. Ich wüßte jedenfalls nichts, was dagegen spricht. In der Not frißt der Teufel Fliegen, und das stelle ich mir schlimmer vor, als einen Wolf zu verspeisen. Von den Fliegen wird man nämlich kaum satt.“ „Das ist richtig, Sir“, sagte Dan grinsend. „Soll ich' das Feuer wieder anzünden? Wir können ja gleich mal probieren, wie das Fleisch ist.“ Hasard schüttelte lächelnd den Kopf. „Später werden wir es nötiger haben. Außerdem haben wir vor ganz kurzer Zeit erst gegessen.“ „Ach richtig“, sagte Dan zerknirscht, der schon wieder Hunger hatte. Das Abhäuten ging ebenfalls ziemlich rasch. Während Hasard und Dan das Tier hielten, zog Davies ihm den Pelz aus. Es war ein schönes, dichtgewachsenes Fell, und wenn es der alte Segelmacher in die Hände kriegte, würde es bestimmt für eine Jacke reichen. Noch während des Abhäutens wurde das Fell steif und starr. Ebenso der Körper des Wolfs, der ziemlich schnell gefror und sich mit einer dünnen Schicht Reif bedeckte. Sie luden ihn auf den Schlitten und marschierten weiter.
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Die Berge wurden zu Hügeln, nur ab und zu ragte noch ein eisbedeckter Riese in den trüben Himmel. Hasard wußte nicht, wie viele Meilen sie zurückgelegt hatten, aber es konnten noch nicht sehr viel sein. Später übernachteten sie in einer eisbedeckten Felsnische. Diesmal waren sie zum Glück allein. Es gab keinen Toten, der das Lager mit ihnen teilte. Entweder waren die Portugiesen nicht bis hierher vorgedrungen, oder sie hatten einen anderen Weg gewählt. Am nächsten Morgen sollte der Marsch ins Neuland fortgesetzt werden, wenn sie sich ausgeruht hatten. 6. Der nächste Tag brachte jedoch eine Überraschung, für die selbst der Seewolf keine Erklärung fand. Der Himmel war zu einem Teil klar, und sie sahen neben der trüben Sonnenscheibe ein paar Sterne am Himmel. Das war es aber nicht, was sie so überraschte. In der Luft schwebte etwas und zwar dort, wo der Himmel dunkler war als sonst. Wirbelnde Lichter drehten sich im Kreis in Horizontnähe. Sie sahen aus wie ein flatternder Vorhang von bunter Farbe, der sich über den Himmel zog und dort wilde Tänze veranstaltete. Mal zog er sich zusammen, dann wieder strebte er auseinander und geriet in rasend schnelle Rotation. Dann wieder wurde er zu einem kronenähnlichen Gebilde, in das tausend Strahlen hineinliefen. Die Leuchtkraft veränderte sich fortwährend. Erst glühte der schwebende Vorhang in gelblichgrüner Farbe, dann verblaßte das Muster, und ein anderes tiefblaues erschien, das allmählich in dunkles Violett überging. Es pulsierte, blieb einmal in der Luft stehen und raste dann, um seine Achse wirbelnd, unglaublich schnell fort in gewaltige Höhen. Gleich danach erschien eine grüne Linie am Horizont, die sich majestätisch langsam
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ausbreitete, zusammenschrumpfte und nach oben strebte, wo sie einen strahlenden Kranz bildete. Wieder erschien das atemberaubende Bild einer Krone, in der alle Farben zusammenliefen. „Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten?“ fragte Matt entsetzt. „Das - das ist direkt unheimlich“, stammelte Dan, der dem Phänomen mit offenem Mund zusah. Selbst der Seewolf starrte in den Himmel und versuchte herauszufinden, was es mit diesem merkwürdigen Licht aus Schleiern, Strahlen und Kronen auf sich hatte. „Was ist das, Hasard?“ fragte Dan. ..Das ist doch nichts Natürliches. Wenn mein Alter das sehen könnte!“ „Ich weiß auch nicht, was es ist“, sagte Hasard verwundert. „Aber es scheint ungefährlich zu sein.“ „Vielleicht ein Taifun oder Wasserhosen?“ fragte Matt. Furchtsam blickte er in die wirbelnden Riesenschleier, die alle Augenblicke Farbe und Gestalt veränderten. „Nein, bestimmt nicht, obwohl - ich kann es nicht sagen, Matt. Ich habe so etwas noch nie gesehen.“ Die Muster wirbelten über den Himmel, stiegen wie bunte Heerscharen immer höher und verblaßten. Als sie verschwanden, erschienen an ihrer Stelle wieder andere. „Außerirdische Wesen vielleicht“, meinte Matt. „Oder die Götter aus den alten Sagen.“ „Quatsch“, sagte Hasard. „Götter aus den Sagen. Das muß ein Naturereignis sein, vielleicht ähnlich dem eines Regenbogens, wie wir ihn schon oft gesehen haben. Das Licht strahlt genauso.“ „Aber ein Regenbogen bewegt sich nicht oder jedenfalls kaum“, schränkte Matt ein. „Ich habe ja auch nicht gesagt, daß es einer ist. Aber ich nehme an, irgendwo bricht sich das Sonnenlicht, und das helle Eis spiegelt es zurück. Genauer kann ich es nicht sagen.“ Länger als eine halbe Stunde war das Ereignis zu beobachten. Erst dann
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verschwanden die Sterne langsam und verblaßten einer nach dem anderen. Das Glühen in den wirbelnden Luftschichten löste sich nach und nach auf. Nun war nur noch das trübe Auge der Sonne .zu erblicken, das unendlich traurig und gequält zur Erde zu blicken schien. Es wurde wieder bitterkalt. Nachdem das merkwürdige Leuchten erloschen war, regte sich auch wieder der Wind, der bis dahin geschlafen hatte. Sie zogen weiter, hielten gegen Mittag einmal an, rasteten und entzündeten ein Feuer. Zum erstenmal wurde ein Stück von dem erbeuteten Fleisch probiert. „Schmeckt vorzüglich“, sagte Dan. „Nur muß man etwas länger daran herumkauen. Ich glaube, der Bursche, dem wir aus dem Fell geholfen haben, war nicht mehr der Jüngste.“ „Jedenfalls zehnmal besser als das verdammte Salzfleisch“, sagte Matt grinsend und kauend. Auch der Seewolf probierte davon und fand es in Ordnung. Allerdings mußte er Dan recht geben, auf dem Fleisch ließ sich ziemlich lange herumkauen, ehe man es schlucken konnte. Eine Muck heißer Tee, diesmal mit einem Schuß Rum darin, bildete den Abschluß. Danach ging es zügig weiter, immer gegen den Wind, der ihnen hart in die Gesichter blies, bis die Ohren weh taten und jeder das Gefühl hatte, in der Nase würden sich Eiskristalle bilden. Allerdings stimmte die Annahme nicht, die Portugiesen wären nicht bis hierher vorgedrungen oder hätten einen anderen Weg gewählt. Das erwies sich später, als wieder eine Höhle entdeckt wurde, die einem Bunker aus Eis. gleich. Hasard hielt darauf zu. „Schon wieder rasten?“ fragte Dan. „Ich fühle mich noch ganz frisch und ausgeruht. Außerdem wärmt das Laufen. Vom Herumstehen kriegt man nur kalte Füße.“ „Ich will nur etwas feststellen“, sagte Hasard. „Danach geht es gleich weiter.“
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„Ob jemand von der portugiesischen Mannschaft in der Höhle liegt?“ fragte Dan. „Genau das.“ Es lag jemand darin, und sie kannten auch seinen Namen, als sie ihn sahen. Er sah furchtbar aus. Seine Brust war zerrissen, und neben dem Toten lag noch die Muskete, mit der er sich selbst gerichtet hatte. Er hatte sie zwischen die Felssteine in eine Spalte geklemmt und am Abzug einen Stein mit einer Schnur befestigt. Den hatte er in Richtung Wand geworfen, und dann war der Schuß losgegangen, der seinem Leben ein Ende bereitet hatte. „Dem Logbuch nach der Schiffszimmermann Blade, der genug von der weißen Hölle hatte“, sagte Hasard erschüttert. „Mein Gott, dieser ganze verdammte Weg ist mit Toten gepflastert.“ Dan O'Flynn schüttelte den Kopf. „Aber so schlimm war der Marsch doch gar nicht“, sagte er. „Gut, wir haben ordentlich was abgekriegt, aber deshalb trägt noch lange keiner von uns Selbstmordgedanken mit sich herum.“ „Du darfst nicht vergessen, daß diese Männer total am Ende waren, Dan“, erwiderte Hasard. „Während wir nur versuchen, das Land zu erkunden, um auf menschliche Spuren zu stoßen, hatten diese Leute keinen Proviant mehr, kein Feuerholz, nichts, woran sie sich wärmen konnten. Sie sind vor Hunger und Kälte losgegangen, nachdem sie ihr Schiff zum großen Teil verheizt hatten. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Nur deshalb haben sie es getan. Sie waren apathisch, ausgepumpt, haben sich verirrt und waren dem Wahnsinn nahe.“ „Ja, das sehe ich ein“, sagte Dan leise. Die anderen hatten nicht einmal die Muskete mitgenommen, mit der Blade sich erschossen hatte. Selbst dafür hatten sie kein Interesse mehr gehabt. Vielleicht hatten sie auch teilnahmslos mit angesehen, wie sich ihr Kamerad erschoß, als er nicht mehr weiter wußte. Sie verließen die Höhle.
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Den Toten ließen sie liegen, sie konnten ebenfalls nichts für ihn tun. Auch er würde bis in alle Ewigkeit hier liegen blieben, wenn ihn nicht die Wölfe holten. Sie marschierten weiter, den Schlitten zogen sie abwechselnd. Mal der Seewolf, mal Dan, dann wieder Matt Davies. Das Gelände war auch weiterhin unwirtlich, und später standen sie verblüfft und verärgert zugleich da. Das Land war zu Ende, der felsige, teilweise mit Schnee bedeckte Boden hörte auf, und vor ihnen dehnte sich ein Wasserstreifen aus, gerade so breit, daß man ihn nicht ohne Boote überqueren konnte. „Mist, verdammter“, sagte Hasard wütend. „Diese Stelle hier ragt wie ein Keil in die Eismassen, und jetzt sind wir genau so schlau wie vorher auch.“ Wenn er nach rechts blickte, sah er Wasser und eine winzige schmale Landzunge, die sich bis zum Horizont erstreckte. „Den Weg brauchen wir gar nicht erst zu versuchen“, sagte er verärgert. „Da gibt es nur Eisklötze und sonst nichts.“ Eisbarrieren streckten sich in die Höhe, soweit das Auge sah. In weiter Ferne hob sich der mächtige Kegel eines schneebedeckten Berges in den Himmel. Damit war die Welt zu Ende, jedenfalls was diese Ecke betraf. Hasard ging mit den beiden anderen bis dicht an das Wasser. Am Ufer lagen Eiswehen wie gekochter Brei, aus dem überall Blasen stiegen. Im Wasser schwammen winzige runde Schollen, die verblüffend an Pfannkuchen erinnerten, und ganz dicht vor ihnen war das Wasser wie schmierige Soße, als hätte jemand Mehl in Wasser verrührt und jede Menge Klumpen hinterlassen. Dick und träge schwappte die Brühe an das Ufer, setzte sich dort fest und bildete neues Eis. „Und jetzt?” fragte Dan. „Expedition abgebrochen?“ „Ja, es bleibt uns keine andere Wahl. Wir kehren um. Bis wir wieder zurück sind, haben wir fast drei Tage vergeudet. Das dort hinten ist zweifellos wieder Festland, aber da gibt
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nichts zu holen.“ Hasard zuckte mit den Schultern und sah Dan an, der einen merkwürdig starren Blick kriegte. „Was ist?“ fragte er. .Dort drüben, auf der anderen Seite. Ich sehe dunkle Punkte, die sich anscheinend bewegen. Aber die Luft flimmert, ich kann es nicht deutlich erkennen.“ Der Seewolf kniff die Augen zusammen. Er sah zwar ebenfalls die winzigen dunklen Punkte, aber er sah nicht, daß sie sich bewegten, wie O'Flynn vermutete. Er griff nach dem Spektiv und fluchte, als es sich nicht gleich auseinander ziehen ließ. Er mußte es erst mit den Händen ein wenig anwärmen, ehe es funktionierte. „Tatsächlich, die Punkte bewegen sich. Ich – ich glaube, das sind Menschen.“ Davies blickte seinen Kapitän erstaunt an. „Menschen?“ fragte er gedehnt. „Das kann doch nicht sein.“ „Sie kommen näher“, sagte Dan, nachdem auch er einen Blick durch das Spektiv geworfen hatte. „Es sind Menschen, in der Tat, und sie werden von Hunden oder Wölfen mit Schlitten begleitet.“ Zwölf Punkte ließen sich etwas später erkennen. Sie wurden rasch größer und bewegten sich mit verblüffender Geschwindigkeit über das Eis und zwischen den bizarren Barrieren. Sie bewegten sich parallel zu den Seewölfen. Die Hunde, die die Schlitten zogen, legten ein höllisches Tempo vor. Ganz dicht am Wasser glitt der seltsame Zug vorbei, so dicht mitunter, daß es den Anschein hatte, sie würden sich dort hineinstürzen. Leider waren sie so weit weg, daß man keine Einzelheiten erkennen konnte. Man sah Hunde und Menschen, und die Schlitten, auf denen Lasten bewegt wurden, oder Felle, so genau ließ sich das nicht erkennen. „Eskimos, Inuit“, sagte Hasard. „Das hat Laas berichtet. Es gibt sie also doch hier oben. Schade, daß wir nicht hinüberkönnen, aber wir werden versuchen, ob sie auf uns aufmerksam werden.“
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„Was willst du tun?“ fragte Dan. „Den Radschloßdrehling abfeuern. Den Knall müssen sie auf jeden Fall hören, selbst wenn sie uns kaum sehen können.“ Hasard griff zu der Waffe, richtete sie in den Himmel und betätigte den Abzug. Dreimal hintereinander ertönte ein lauter peitschender Knall. Dann griff er wieder zum Spektiv und sah hindurch. Die Kolonne blieb stehen, als wäre sie gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. Die Hunde bewegten sich nicht mehr, und auch die Inuit wirkten wie erstarrte Figuren. Hasard feuerte noch einen Schuß ab, steckte die Waffe wieder ein und winkte mit beiden Armen. Wenn sich in dieser Eiswüste Menschen begegneten, dachte er, dann würden sie ganz sicher versuchen, miteinander Kontakt aufzunehmen, denn hier war einer auf den anderen angewiesen. Aber bei den Inuits schien das nicht der Fall zu sein, oder sie dachten ganz anders. Vielleicht hatten sie auch Angst vor den unbekannten Wesen, die da auftauchten und den Donner brachten. Sie rührten sich immer noch nicht von der Stelle. Erst als der Knall verhallt war, begannen sie wieder zu leben. Die Hunde setzten sich ruckartig in Bewegung, nahmen aber nicht mehr den Weg am Wasser entlang, sondern rannten, wie von Furien gehetzt, weiter ins Landesinnere hinein. Immer schneller bewegten sie sich. Nach einer Weile waren sie hinter der bizarren Eisbarriere verschwunden und ließen sich nicht mehr blicken. „Man sollte ihnen die Haut in Streifen von ihren kalten Affenärschen abziehen“, sagte Dan O'Flynn erbost. „Verschwinden einfach, diese müden Krieger. Was wäre, wenn wir Hilfe benötigt hätten?“ „Dann wären sie genauso verschwunden“, sagte Hasard. „Sie sind offenbar noch keinen Fremden begegnet, und sie haben Angst. Eigentlich wundert es mich nicht.“ Hasard bedauerte es lebhaft, daß kein Kontakt zustande gekommen war. Gar zu gern hätte er diese Leute, von denen er nur
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durch Henrik Laas erfahren hatte, kennengelernt. Aber sie scheuten anscheinend jeden Fremden, und so war ihre Reaktion eigentlich ganz verständlich. Noch einmal griff er zum Spektiv und blickte in jene Richtung, in die die Inuits verschwunden waren. Aber er sah sie nicht mehr. Langsam schob er das Spektiv zusammen und verstaute es wieder auf dem Schlitten. „Kehren wir um“, sagte er. „Es war ein Fehlschlag. Wir haben so gut wie nichts erreicht.“ „Immerhin haben wir einen Wolf gefangen und die Eingeborenen wenigstens aus der Ferne gesehen“, bemerkte Dan. „Das ist doch schon etwas.“ Auf dem Rückweg packte sie noch einmal der Sturm, und wieder mußten sie in einer Eishöhle Schutz suchen. Bis sie wieder an Bord der „Isabella“ waren, vergingen insgesamt drei Tage. Drei verlorene Tage. * An Bord wurden die drei Männer überschwänglich begrüßt, und sie mußten haarklein erzählen, was alles passiert war. An Bord selbst hatte sich außer dem heftigen Sturm nichts von Bedeutung ereignet. Brighton hatte das Schiff noch zusätzlich sichern lassen, und so war auf den ersten Augenschein alles in bester Ordnung. Aber das war es keineswegs. Sie hatten nicht mehr viel Proviant, und das Holz ging jetzt endgültig zur Neige. „Was ist mit dem Holz und den Planken, die ihr aus dem Wrack gehabt?“ fragte Hasard. „Es will nicht brennen“, sagte Ben Brighton. „Das kann noch Wochen dauern. Es ist voller Eiskristalle, und selbst wenn es außen knochentrocken ist, bleibt es innen eisig. Es zerfällt mitunter in winzige Splitter.“ „Und unsere Ersatzplanken?“ Tucker hob bedauernd die Schultern. „Wir haben nur noch drei Planken, aber ich kann es nicht verantworten, wenn wir die auch noch verheizen.“
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„Nein, das wollen wir auch nicht“, sagte Hasard nachdenklich. Der Kutscher ließ es sich nicht nehmen, trotz Hasards Proteste genau seinen Arm zu untersuchen. „Ich habe schon selbst nachgesehen“, sagte der Seewolf. „Ich habe nicht mal einen Kratzer abgekriegt. Der dicke Stoff hat alles abgehalten.“ „Sir, manche Wunden sind so klein, daß man sie gar nicht sieht“, sagte der Kutscher beschwörend. „Und wenn du dir die Reißzähne von diesem Vieh ansiehst, dann spürt man richtig das Gift darin.“ „Ich glaube nicht, daß er giftig ist.“ Der Kutscher fand nichts, so sehr er auch suchte. Es gab nur ein paar dunkle Stellen, doch die rührten keineswegs von einem Biß her. Immer wieder wurde der Wolf bestaunt. Sie rissen sein Maul auf und sahen sich die gewaltigen Zähne an. Inzwischen versuchte Will Thorne, der Segelmacher der „Isabella“, das Fell des Tieres zu gerben. Er packte es in salziges Wasser und begann mit seiner Arbeit. Das Fleisch taute der Kutscher auf und haute es noch am selben Tag in die Pfanne. Während die Seewölfe im Aufenthaltsraum aßen, brachte der Kutscher jedem eine Zitrone. Die Dinger waren nur noch eigroß und stark verschrumpelt, und von etlichen hatte der Kutscher Saft gepreßt. Zum Abschluß kriegte jeder eine Kokosnuß. Carberrys Augen wurden groß, und er staunte nicht schlecht. „He, Kutscher!“ rief er. „Ich denke, das – äh – so etwas haben wir gar nicht mehr an Bord.“ Der Kutscher und Feldscher blickte den Profos ungerührt an. „Betrachtet das als eure Henkersmahlzeit“, sagte er, „denn ab morgen könnt ihr davon nur noch träumen. Dann gibt es nur noch halbe Portionen, und auch die werden halbiert.“ „Steht es so schlimm?“ „Schlimm genug“, erwiderte der Kutscher ernst.
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Sie alle wußten, daß er, wenn er so sprach, immer noch etwas in Reserve hatte, aber auch die Reserven hielten nicht ewig, und daher beugte der Kutscher immer vor. Lange und üble Erfahrungen hatten ihn gewitzt. Hasard blickte hoch und legte den Knochen beiseite, den er abgenagt. hatte. Er sah Ferris in die Augen. „Hast du die Speckspaten und Flensmesser aufgehoben, Ferris?“ Der rothaarige Riese nickte verblüfft. „Ja, natürlich. Alles ist gut eingefettet worden und steckt in hölzernen Überzügen. Ich frage mich, was ...“ „Was diese Frage soll, nicht wahr?“ „Richtig, Sir.“ „Nun, wir haben ein sehr ernstes Problem“, sagte der Seewolf. „Und um dieses Problem zu lösen, brauchen wir einen Wal.“ „Einen Wal?“ fragte Ferris erstaunt. Hasard nickte nachdrücklich. „Ja, wir werden einen Wal jagen. Ich habe darüber schon mit Dan und Matt gesprochen. Das Tier liefert uns Fleisch, Speck und Tran. Und es liefert uns außerdem Heizmaterial, wenn die Speckstücke ausgekocht sind.“ Auf einmal riefen alle durcheinander, bis Hasard mit einer Handbewegung Schweigen gebot. „Wir werden das Beiboot umrüsten, Ferris“, sagte er. „Denn mit der ,Isabella` können wir die Giganten nicht jagen, dazu ist sie nicht schnell und wendig genug. Wir haben damals einen Wal gejagt, bei den Falklandinseln, und ich habe mir geschworen, diese Riesenfische nur dann noch zu jagen, wenn es absolut keinen anderen Ausweg mehr gibt, denn eines Tages werden diese Giganten der Tiefsee ausgerottet sein, wenn immer mehr von ihnen erlegt werden. Aber das gehört jetzt nicht zum Thema. Das Boot wird mit einem Kompaß ausgerüstet, und das kleine Beiboot bleibt ganz in der Nähe.“ „Was sollen wir mit dem kleinen Boot?“ fragte Tucker. „Es hat einen anderen Zweck zu erfüllen. Es wird mit Notproviant, Rum, Feuerholz und Decken ausgerüstet, und in diesem
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Boot werden Siri-Tong und der Kutscher sein.“ Alle sahen ihn erstaunt an. „Ihr alle wißt, wie gefährlich die Jagd ist, und dabei sind nun einmal gewisse Regeln zu beachten. Stellt euch nur vor, jemand geht über Bord. Was dann?“ Ja, daran hatte kaum jemand gedacht, denn bei den meisten war jetzt der Jagdeifer erwacht, und sie brannten darauf, den Wal zu jagen. Das war eine Sache, die von jedem Mann das letzte abforderte. Aber der Seewolf dachte grundsätzlich weiter als die anderen. Es war, als blicke er gleichsam weit voraus, und bevor er eine Sache anging, durchdachte er sie bis in die letzte Konsequenz. Das war es zu einem großen Teil, daß sie immer noch lebten. Diese Umsichtigkeit, diese Planung, schon oft hatte sie ihnen das Leben bewahrt. So war es auch jetzt. Falls wirklich jemand über Bord ging, und diese Möglichkeit lag bei der Jagd auf der Hand, dann würde er in allerkürzester Zeit sein Leben aushauchen. Hatten sie aber das kleine Boot dabei, dann waren die Aussichten, gerettet zu werden, größer. Man konnte den betreffenden Mann sofort versorgen, ihn in warme Decken hüllen und heiße Getränke einflößen. „Du denkst aber auch an alles, Sir“, sagte Ed bewundernd. „Das wäre mir bestimmt nicht eingefallen.“ In aller Ruhe ging Hasard seinen Plan durch und fragte anschließend, ob jemand eine bessere Möglichkeit wußte oder ob ihm irgendetwas daran mißfiel. Einer nach dem anderen schüttelte den Kopf. Nein, daran gab es nichts auszusetzen, alles war wohl durchdacht. Nichts wurde Hals über Kopf in Angriff genommen. „Habt ihr in der Zwischenzeit Wale gesehen?“ fragte Hasard. „Ja, dreimal sogar. Zwei einzelne Tiere und einmal eine ganze Walschule“, erwiderte Brighton. „Sie zogen weiter in Richtung Norden und bewegten sich durch die schmale Eisrinne. Aber jetzt, nach dem letzten Sturm, ist diese Rinne wesentlich breiter geworden.“
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„Vielleicht verschwinden die Eisfelder bald ganz“, gab Jeff Bowie seiner Vermutung Ausdruck. „Wir beobachten seit drei Tagen genau die Drift und in welche Richtung sie sich bewegen.“ „Sehr gut. Von morgen früh an wird wieder der Ausguck besetzt. Alle halbe Stunde Ablösung, damit der Mann nicht anfriert. Die Besatzung für das Boot stelle ich später zusammen. Holt jetzt die Kupferkessel an Deck, die in den unteren Räumen sind. Ferris wird alles bereitlegen, was man zum Abspecken eines Wales benötigt.“ „Angenommen, wir haben einen erwischt“, sagte Carberry. „Wie bringen wir ihn zum Schiff?“ „Wir müssen ihn abschleppen, neben die ,Isabella' bringen und ihn an der Bordwand vertäuen, damit er nicht absackt. Haltet auch starke Taue bereit.“ So begannen die Vorbereitungen. Das Boot wurde umgerüstet und der Kompaß eingebaut, falls man im Jagdeifer zu weit abtrieb. Die Kupferkessel wurden an Deck gebracht und zwei provisorische Unterlagen konstruiert, auf denen man Feuer entfachen konnte, ohne daß das Deck brannte. Dabei gingen auch die letzten Kupferbleche drauf, die sie noch an Bord hatten. Ferris packte die eingefetteten Flensmesser aus, schliff sie nach und überprüfte die spitzen Harpunen. Äxte, Entermesser und Beile wurden zurecht gelegt,. denn wenn der Wal neben dem Rumpf lag, würde eine Heidenarbeit beginnen. „Jetzt fehlt nur noch der Fisch“, sägte Carberry zu seinem Freund Tucker. „Viel einfacher wäre es natürlich, der Bursche würde herbeischwimmen und sich kampflos ergeben.“ „Ja, nachdem er sich beim Profos gemeldet hat“, sagte Ferris Tucker spöttisch. „Wer wird ihn denn harpunieren?“ „Na, wer wohl?“ Der Profos warf sich in die Brust. „Für solche Sachen bin doch wohl ich zuständig. Zeig mir mal die Harpunen!“
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Es waren spitze Dinger mit Widerhaken, und Ferris hatte sie sehr scharf geschliffen. Einmal im Speck steckend, würden sie sich nicht mehr lösen können. Carberry prüfte sie genau. „Die sind schon in Ordnung, du Stint“, sagte Tucker. „Oder hast du etwas daran zu meckern?“ „Ich bin eben sehr gewissenhaft.“ „Soll das heißen, daß ich es nicht bin?“ fragte der rothaarige Riese mit drohendem Unterton. „Reg dich wieder ab! So war es nicht gemeint. Wenn du etwas tust, dann ist es schon richtig.“ Er hieb Ferris seine mächtige Pranke auf die Schulter und ging davon, um sich um den anderen -Kram zu kümmern. Die Vorbereitungen nahmen den ganzen Nachmittag in Anspruch. Ab und zu blickte mal einer zum Großmars hoch und wartete darauf, daß der Ausguck Wale melden würde. Doch der Ausguck blieb stumm. Es hatte den Anschein, als hätten die Wale gerochen, was ihnen blühte, denn kein einziger ließ sich blicken. Das ging auch den ganzen nächsten Tag so und den folgenden. Die Gesichter der Männer wurden immer besorgter. Im Aufenthaltsraum wurde jetzt nur noch ganz schwach geheizt, aber zum Glück speicherten die Silberbarren des Ofens die Wärme noch eine lange Zeit, ehe sie abkühlten. Hasard sah die besorgten Gesichter der Seewölfe. „Sie werden schon wieder auftauchen“, sagte er zuversichtlich. „Davon bin ich überzeugt. Es kann aber auch mitten in der Nacht losgehen, und dann müssen wir ebenfalls bereit sein. Es ist nachts ja nicht dunkel, aber ich möchte, daß alle Leute gut ausgeruht sind, wenn es soweit ist.“ An diesem Tag gab es zum ersten Male nur eine halbe Ration, aber sie alle hatten Verständnis dafür und mußten sich einschränken. Das einzige, was sie im Überfluß hatten, war Wasser. Es wuchs sozusagen direkt vor ihren Augen.
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Am dritten Tag wurden plötzlich alle aus der Ruhe gerissen. Es war knapp vier Uhr morgens, als drei Wale auftauchten. „Wal Backbord querab!” brüllte der Ausguck aus Leibeskräften. Der Ruf riß alles aus den Kojen. Hasard staunte, daß die Männer so schnell an Deck waren. Der Ausguck enterte ab und zeigte noch einmal die Richtung an, in der die Wale schwammen. In den Booten war alles gepackt und bereit. Sie brauchten nur noch hineinzuspringen. Auch die Plätze waren längst verteilt. Einer nach dem anderen enterte in auffallender Eile die Jakobsleiter ab und nahm seinen Platz ein. Die Müdigkeit war verflogen, das große Jagdfieber hatte sie gepackt. Scharfer, kalter Wind blies. Die trübe Sonne war ein Stückchen weitergewandert und stand wie erloschen dicht über dem Horizont. Der Profos sollte harpunieren. Aber Big Old Shane und Ferris Tucker sollten ihn ebenfalls unterstützen, mit Pfeil und Bogen und mit den Blunderbüchsen. Hasard war der Bootssteurer, und als der letzte Mann Platz genommen hatte, wurde abgelegt und das Segel gesetzt. Siri-Tong, dick vermummt in Pelze, und der Kutscher hatten ihren Platz in dem kleinen Boot ebenfalls eingenommen. SiriTong steuerte des kleine Boot, während der Kutscher darin hockte und nichts zu tun hatte. Er hockte nur da, fror und warf grimmige Blicke in die Richtung in der die Wale schwammen. Auf Batuti hatte Hasard diesmal verzichtet, obwohl der ausdrücklich betont hatte, mitzuwollen. Aber Hasard hatte gesehen, wie die Kälte dem Gambianeger zusetzte, und so er ihn an Bord gelassen. Nur ein paar kleine Eisstücke schwammen in dem schwarzen Wasser, die das Boot zur Seite schob.
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„Wal bläst zwei Strich in Luv!“ schrie Dan O'Flynn. Er hatte sich auf die Ducht gestellt, um besser sehen zu können. Das Boot jagte dahin. Hasard holte die Schot dichter und ließ es auf die Stelle zulaufen. Von den anderen im Boot sah noch keiner die blasenden Wale, doch schon sehr bald erschienen sie. Diese riesigen Tiere sind immer wieder beeindruckend und faszinierend, dachte Hasard. Der mächtige schwarze Körper hob sich geschmeidig aus dem Wasser, der Riese tauchte wieder ein, und die riesenhafte Schwanzfluke wurde sichtbar, die einen Augenblick in der Luft wedelte, ehe sie wieder im Wasser versank. Es geschah alles ganz langsam, nichts ging bei den Walen eilig vonstatten. Jetzt wurde auch der zweite Wal sichtbar, wie er sich fast gemütlich mit seinem gigantischen Buckel aus dem Wasser hob und geschmeidig zurücksinken ließ. Dann erst erschien die große Fluke, und es sah so aus, als gehe der Wal senkrecht auf Tiefe. Die Seewölfe hatten das Gefühl, als atme das Meer tief ein und aus, wenn sich ein Körper aus dem Wasser hob. Weit vor ihnen stob eine Fontäne aus dem Eiswasser hoch. Der Wal blies seinen Atem aus, er blowte, um wieder zu tauchen. Die beiden anderen schwammen weiter, auf und ab, mächtige beeindruckende Körper mit einem unvorstellbaren Gewicht. Das größte Säugetier der Erde sah seine Verfolger nicht, es nahm sie nicht wahr. Ruhig und in einem ganz bestimmten Rhythmus tauchte der Körper. Der dritte Wal war auf Tiefe gegangen, er tauchte auch vorerst nicht mehr auf. Der Seewolf steuerte das letzte Tier an, einen gewaltigen Brocken von erschreckender Größe, dessen Anblick ihn hart schlucken ließ. Hinter dem Wal war das Meer in Bewegung, und wenn er tauchte, sprudelte eine helle Fahne Sauerstoff durchs Wasser. Millionen kleiner Perlen erschienen wie
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quirliger Schaum. Das Tier zog diese Blasenbahn hinter sich her wie die „Isabella“ ihr Kielwasser. Vorn stand der Profos bereit. Er überprüfte noch einmal die Leine in der Balje, die er selbst aufgeschossen hatte. Er hatte sich große Mühe gegeben, damit nichts schief gehen konnte, denn wenn die Leine sich verhedderte, waren sie nicht nur den Wal los, sondern es konnte für den Harpunier selbst ebenfalls sehr unangenehm werden. Sein Narbengesicht trotzte dem Wind, der ihm schneidend kalt ins Gesicht fuhr. Aber das merkte der Profos nicht, und sein leichtes Zittern rührte keineswegs von Angst her. Es war das Fieber, das ihn gepackt hatte und von dem er immer stärker ergriffen wurde. Ein letzter Blick, das Tier war jetzt keine hundert Yards mehr entfernt. Die Harpune war klar, die Leine würde gut durchlaufen. Er warf einen Blick zurück und zeigte Hasard mit dem Daumen die Richtung an. Das Boot ging etwas weiter an den Wind, und kurz darauf hatten sie das mächtige Tier ganz dicht vor Augen. Der Anblick war- schön und schrecklich zugleich. Von dem dunklen Riesenleib troff das Wasser in mächtigem Schwall, sobald er sich aus der See hob. Das Meer schäumte und brodelte, wenn der Koloß tauchte, die Wellen schlugen über der ungeheuren Fleischmasse klatschend zusammen. Der Profos war so überwältigt, daß er die Harpune viel zu lange in der Hand hielt. Wie gebannt starrte er auf den Koloß, der ihn gar nicht zur Kenntnis nahm und so tat, als wäre er ganz allein auf dem Meer. Carberry riß sich von dem faszinierenden Anblick gewaltsam los, holte weit aus und warf die Harpune mit aller Kraft. Es war zwei Sekunden zu spät. Als hätte der Koloß die rasche, weit ausholende Bewegung aus den Augenwinkeln gesehen, tauchte er. Die Harpune zischte haarscharf über die Masse weg und versank im Meer. Carberry starrte ihr sprachlos nach, er war nicht einmal in der Lage, laut zu fluchen.
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Erst nach einer ganzen Weile fand er die Sprache wieder. „Ja, hat's der Teufel denn gesehen?“ schrie er. „Der Bursche glotzte mich an, als wüßte er genau, was los war. Dieser lausige Barsch.“ Tucker stand daneben und holte mit der Leine die verloren gegangene Harpune wieder ein. „Du hast dir verdammt lange Zeit gelassen, mein Lieber“, sagte er vorwurfsvoll. Ausnahmsweise gab der Profos keine Antwort. Himmel, Ferris hatte ja recht, er hatte wirklich zu lange gezögert, aber das lag an dem Anblick, den der Prachtbursche bot. Es war so überwältigend, daß Ed sekundenlang wie gelähmt war. „Vorsicht jetzt!“ rief Hasard. „Er kann jeden Augenblick wieder auftauchen. Haltet euch fest, gebt acht!“ „Und du, Mister Carberry, wirst das nächste Mal etwas schneller sein, wenn ich höflichst darum bitten darf.“ „Aye, aye, Sir“, brummte Carberry zerknirscht. Er konnte es immer noch nicht so richtig fassen. „Nehmen wir den nächsten?“ fragte Dan und deutete auf den anderen Koloß, der weit vor ihnen ruhig durch das Eismeer schwamm. „Ja, hinterher, sofort!“ Der Kurs wurde ein wenig geändert, und die Jagd auf den anderen Wal begann. Carberry schoß die Leine wieder peinlich genau auf. Als er die Harpune in die Hand nahm, glaubte er dicht neben dem Boot einen langgestreckten Schatten im Wasser zu sehen. „Achtung!“ brüllte er laut. Rein instinktiv klammerte sich jeder fest, denn schon einmal hatten sie erlebt, was ein auftauchender Wal alles anstellen konnte. Dicht neben dem Boot, genau an der Stelle, wo Ed ihn gesehen hatte, ragte der glänzende Körper aus dem Meer. Er hatte keineswegs die Absicht, das Boot zu zertrümmern, er schwamm nur seinen Kurs weiter.
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Ein ungeheuer großer Berg erhob sich aus dem Meer, ragte steil in die Höhe, blies eine gewaltige Wolke aus Luft und Wasser ab und wälzte sich dann weiter. Obwohl Hasard sofort den Kurs änderte, kriegten sie noch die Ausläufer eines kleinen Seebebens mit. Die Fluke hob sich aus dem Wasser und klatschte mit Wucht hinein. Das Wasser wurde wie von einem böartigen Wind gepeitscht, es schäumte wild auf, und eine Welle raste auf das Boot zu. Zum Zielen oder Harpunieren blieb diesmal keine Zeit. Es ging alles zu schnell, und jeder hatte genug zu tun, um sich einen festen Halt zu verschaffen. Eine Wassersäule donnerte in das Boot, das bedrohlich zu schwanken begann. Carberry, der ganz vorn stand, wurde von einem Vorhang aus weißer Gischt eingehüllt, der ihm unangenehm kalt durch die Kleider drang. Er schüttelte sich wie ein Hund und rief dem Riesentier einen Fluch hinterher. Das Boot rüttelte hart, dann war der Wasserschwall vorbei, und sie jagten wieder hinter dem Tier her. Diesmal klappte es beim ersten Anlauf. Hasard löste die Schot, als sie gerade in der richtigen Position waren. Das Segel schlug und flatterte im Wind, und das Boot lag ziemlich ruhig in der Dünung. Carberry holte aus, genau in dem Augenblick, als er die große Flosse des Riesentieres dicht vor sich sah. Nur kein Zögern, sagte er sich, wir brauchen das Tier, es hilft, unser Leben zu erhalten. Tief drang die Harpune in den Riesenkörper ein. Der Wal schien nicht das geringste davon zu merken, er schwamm ruhig weiter. Da feuerte Ferris Tucker mit der Blunderbüchse. Der scharfe Knall dröhnte über das Wasser, und das gehackte Blei, grobe Stücke, verschwand unter der Speckschicht des Wales. Blitzschnell hintereinander schoß Big Old Shane zwei lange Pfeile an die Stelle, wo die Flosse endete.
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Jetzt begann das große Tier spürbar unruhig zu werden. Sein Dahingleiten war nicht mehr so ruhig, die Bewegungen wurden schneller und etwas wilder. „Aufpassen jetzt!“ rief Hasard. „Ist der Wal fest, Ed?“ „Wal ist fest!“ schrie der Profos zurück. „Es wird gleich losgehen.“ Der Wal war „angemacht“, die Harpune steckte ihm so tief im Leib, daß man sie kaum noch sah. Carberry stand an der Leine, denn er wußte, daß jetzt gleich ein Höllentanz beginnen würde, ein Kampf auf Leben und Tod, und dabei mußte er höllisch schnell Leine nachfieren, sonst zog das verwundete Tier das Boot in die Tiefe. Tucker stand schon bereit und sah, wie der Gigant sich einmal hart schüttelte, als wolle er die lästigen Anhängsel abwerfen. „Paß gut auf die Leine auf!“ riet der Profos. „Mußt du das ausgerechnet mir sagen?“ fauchte der Zimmermann. Ganz langsam tauchte der Körper ein und zog unter Wasser davon. Hasard steuerte das Boot hinter dem fliehenden Wal her, und die anderen Seewölfe, die noch im Boot saßen, legten sich in die Riemen und begannen zu pullen. Das Segel wurde eingeholt, es nutzte hier nichts, und auch das Pullen würde gleich aufhören, sobald der Wal zog. Ein kurzer Ruck, die Leine straffte sich einmal kurz und begann dann blitzschnell auszurauschen. „Jetzt taucht er“, sagte der rothaarige Riese. Ein banger Augenblick folgte, in dem der Riesenfisch weiter auf Tiefe ging. Carberry schlang die Leine blitzschnell einmal um den Poller. Ihre Länge betrug fast hundert Faden. Thorne hatte sie aus zwei Leinen zusammen gespleißt. Das Tau rauschte immer schneller aus, es pfiff aus der Balje wie züngelnde Schlangen. Carberry prüfte jetzt, als fast die Hälfte der Leine ausgerauscht war, ob der Wal wirklich fest war.
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Noch einmal schlang er die Leine um den kleinen Holzpoller und ließ sie jetzt durch die Hände gleiten, indem er sie ganz langsam abbremste. Der nächste Ruck riß das Boot blitzschnell nach vorn. „Auf Riemen!“ rief Hasard. „Riemen ein!“ Die Riemen wurden ins Boot gebracht, und jetzt ging es in rasender Fahrt los. So schnell vermochte das Beiboot der „Isabella“ nicht zu segeln, selbst wenn es von den Ruderern unterstützt wurde. Eine Irrsinsfahrt begann. Hinter ihnen wurde das Boot, in dem der Kutscher und Siri-Tong saßen, schnell kleiner. Die rasende Fahrt ging nach Norden, und Carberry konnte sich nicht verkneifen zu lästern. „Er wird uns jetzt die Nordwestpassage zeigen. Paß mal auf, wie schnell wir jetzt da sind, Ferris.“ Tucker sah sich unbehaglich um, und er sah es auch an den verkniffenen Gesichtern der anderen. Bange Erwartung stand darin, und er fragte sich verblüfft, ob Carberry, der sich so sorglos gab, es noch nicht gemerkt hatte. „Gleich zeigt er sie uns wirklich, sieh mal nach vorn!“ Carberry war so mit dem Nachfieren der Leine beschäftigt, daß er darauf nicht geachtet hatte. Jetzt blickte er hoch. „Oh, verdammt noch mal“, sagte er inbrünstig. „Das dämliche Vieh wird uns doch nicht da durchziehen.“ „Sieht aber ganz so aus.“ Der Wal jagte in Richtung der Eisbarriere, die sich schroff aus dem Wasser hob. Es gab da zwar eine Lücke, durch die man bequem mit der „Isabella“ hätte segeln können, aber da wollte der verwundete Fisch nicht hin. Es wäre auch ein bißchen zuviel von ihm verlangt, dachte Ed, wenn er sie genau durch die Passage gezogen hätte. Er fühlte, wie sich seine Haare aufzurichten begannen. Sie würden mit Urgewalt in das Eis donnern, wenn der Fisch nicht doch noch die Richtung änderte.
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Das Boot würde sich bis in die letzte Planke auflösen, und sie alle würden über Bord fliegen. Er hatte die Leine jetzt belegt, und ließ sie nicht weiter ausrauschen. Ferris Tucker stand daneben, hatte ein kleines Beil in der Hand und warf dem Seewolf einen Blick zu. Sobald der nickte, würde er das Seil kappen. Dann waren sie zwar en Fisch, die Harpune und auch die Leine los, aber das war immer noch besser, als in die Eisbarriere zu donnern. Ganz unerwartet ließ der Zug nach. Carberry reagierte sofort. Matt Davies sprang hinzu. „Holt durch, holt durch!“ schrie der Profos. „Holt durch, so schnell ihr könnt, ihr Heringe!“ Hand über Hand wurde die Leine eingeholt und in einer großen Bucht in der Balje aufgeschossen. Die Männer holten durch, bis ihnen das Wasser von der Stirn lief. Die Leine war noch nicht ganz eingeholt, als Wasserblasen und ein dunkler Schatten das Auftauchen des Wales ankündigten. Und dann war er ganz schnell da. Der Kopf tauchte auf, die kleinen Augen schienen die Männer ärgerlich anzublinzeln. Das war natürlich nur Einbildung, denn der Wal guckte weder tückisch noch interessiert. Er kriegte gar nicht mit, was um ihn herum vorging. Das Boot schrammte leicht an den Riesenkörper, und Big Old Shane nutzte die Gelegenheit und schoß dem Wall zwei weitere Pfeile in den monströsen Leib. Zweimal krachten die Blunderbüchsen und jagten ihr Schrot in den Fisch. Eine übel riechende Wolke von Spout überschüttete das Boot, als der Wal eine Wolke Dampf abblies. Die Seewölfe sprangen, ohne daß es dazu eines Kommandos bedurft hätte, an die Steuerbordseite und stießen mit den Lanzen zu. Hasard hatte befohlen, das Tier so schnell wie möglich zu töten, damit es keinen langen Todeskampf hatte, aber das ging nicht so einfach.
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Der Wal tauchte wieder weg, ziemlich schnell diesmal und ging auf seinen alten Kurs in Richtung Eisbarriere. Carberry fierte schwitzend und fluchend Leine nach, bis er ihn wieder fest hatte. Dabei mußte er ständig genau darauf achten, daß der Wal nicht weiter auf Tiefe ging, sonst zog er das Boot kopf voran ins Wasser. Dafür mußte man Gefühl haben, und das hatte Carberry. Wieder begannen bange Minuten. Der Wal jagte weiter auf die Barriere zu, an der ihr Boot zersplittern würde. Tucker paßte auf wie ein Luchs, damit er bei Gefahr so schnell wie möglich die Leine kappen konnte. Seine Augen waren immer noch auf den Seewolf gerichtet. Um Hasards Lippen spielte ein Lächeln. Seine schwarzen Haare flatterten im Wind, seine eisblauen Augen blitzten. Die Männer sahen ihn an und warteten auf das Kommando zum Kappen der Leine. Hasards Lächeln stand wie festgefroren in dem Gesicht. Kein Muskel zuckte darin. Tucker hatte das Beil erhoben und stand in lauernder Haltung da. Verdammt, dachte der rothaarige Mann schluckend, jetzt mußte doch der Befehl ertönen. Die Eisbarriere rückte erschreckend rasch näher, und er sah im Geist, wie das Boot auseinander flog und seine Trümmer nach allen Richtungen verstreute. Statt des Befehls zum Kappen erklang Hasards Stimme. „Weiter nachfieren, Ed“, sagte er ruhig. „Bis auf die letzten Faden. Los die Leine!“ Himmel, hatte der Seewolf Nerven, dachte Ed. Das eisfreie Stück Wasser war annähernd sechzig Yards entfernt. Das konnte nicht gut gehen, überlegte er. Aber er fierte nach, so schnell er konnte, und warf wieder einen Blick zurück. Der Seewolf fuhr ein waghalsiges Manöver. Das Boot lag gut vor dem Wind, fast achterlich fiel er jetzt ein, nachdem der Kurs geändert und das Segel gesetzt worden war. Die Eisbarriere rückte sprunghaft näher. Hasard steuerte genau auf den äußersten Rand zu.
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Ed verzog das Gesicht, Ferris stand wie erstarrt neben ihm, immer noch das Beil in der Hand. Die Gesichter der anderen Seewölfe erschienen ihm grau. „Jetzt sieht er genauso aus wie damals, als er auf der Schlangen-Insel durch die Passage segelte“, raunte Carbery. „Er wird wieder mal dem Teufel ein Ohr absegeln.“ „Damals hat er es auch geschafft, obwohl das keiner für möglich gehalten hätte. Aber wenn der Wal jetzt auch nur einmal die Richtung ändert, dann kracht es.“ Kurz vor der Barriere wurde das Boot hart herumgerissen. Hasard blieb kaltblütig bis zum letzten Augenblick. Die Männer glaubten noch das Schurren am Eis zu hören, aber das bildeten sie sich nur ein, das Boot berührte das Eis nicht mehr. Von dem Wal gezogen raste es aufs Meer hinaus. Jetzt entschwand auch die „Isabella“ ihren Blicken. 8. Als der riesige Wal wieder auftauchte, klappten die Handgriffe mit Leine einholen, nachfieren, Kurs ändern und was der Dinge mehr waren, schon viel besser. Sie alle hatten sich jetzt besser eingespielt. Carberry jagte dem Wal eine lange Lanze mit aller Kraft in den Leib. Es dauerte nur Sekunden, bis sich der Spout, das Blasen des Wales, rötlich färbte. Die Lunge war durchbohrt, und sofort setzte die Flurry ein, der gefürchtete Todeskampf. Was ihnen jetzt bevorstand, das wußten sie alle. Jetzt gab es einen gnadenlosen Kampf. Das tödlich verwundete Tier tauchte blitzartig weg. Die Leine, die blitzschnell nachgefiert wurde, rauschte aus. Der Holzpoller begann von der Reibungshitze zu qualmen und wurde schwarz. Carberry fierte so lange nach, bis nur noch ein paar Yards in der Balje lagen. Dann ging es los! Das Tier erschien weit vor ihnen wieder an der Oberfläche und begann wie verrückt im Kreis herumzurasen.
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„Festhalten!“ brüllte Hasard. „Ferris klar bei Leine kappen, wenn er zu tief taucht!“ „Aye, Sir!“ schrie Tucker zurück. Mit einer Hand hielt er sich fest, in der anderen hatte er das Beil. Es war ein schrecklicher Augenblick. Der Wal blies eine gewaltige Fontäne Blut aus seinem Spoutloch, das Wasser in seiner Umgebung färbte sich rot. Die Fluke begann wie rasend das Wasser zu peitschen. Die Schläge waren überlaut zu hören. Hasard versuchte, das tobende Ungeheuer „auszusegeln“, doch der Gigant war in seinem Todeskampf schneller. Blindwütig raste er aus der See, als wolle er sein Element verlassen. Dann fiel der tonnenschwere Körper wieder zurück. Das Boot wurde herumgerissen, durch die See geschleudert, im Kreis gedreht, daß den Seewölfen Hören und Sehen verging. Die Leine, an der de Harpune hing, wurde straff und begann hell zu singen. Ferris Tucker hielt schützend eine Hand vor das Gesicht, damit das Tau, wenn es brach, nicht seine Augen traf. Schneller und wilder wurde die Fahrt, und dann tauchte der Titan wieder auf. Er hatte gewaltige Kräfte, und es sah ganz so aus, als suche er jetzt bewußt seinen Gegner, der ihm den tödlichen Stoß versetzt hatte. „Er rast auf uns zu!“ schrie Gary Andrews laut. Hasard hatte es schon gesehen, ihm entging nicht die kleinste Bewegung des Riesenfisches, der sich im Wasser herumwälzte, wieder Blut, Luft und Wasser ausblies und in mehr als hundert Yards auf Kollisionskurs ging. Dabei tauchte er tief. Wenn er jetzt aus dem Wasser brach und mit der gewaltigen Fluke um sich hieb, dann gab es Kleinholz. Alle Augen starrten gebannt ins Wasser. Der Koloß war nicht zu sehen, und er blieb verdammt lange unten. Hasard segelte von der Stelle weg, an der er vermutete, daß der Wal auftauchen würde. Aber diesmal hatten die Seewölfe kein Glück.
Der Kampf mit dem Wal
Plötzlich erschien dicht neben dem Boot die gewaltige Masse. Sie tauchte blitzschnell auf. Das Boot wurde von einem harten Stoß getroffen und erzitterte in allen Planken. Die Fluke hing in der Luft, hieb in wilder Wut über die See, peitschte das Wasser und warf Gischt und blutigen Schaum ins Boot. Jeder hielt sich fest, alle duckten sich in banger Erwartung und fürchteten den Schlag der mächtigen Schwanzflosse, die dicht vor dem Boot das Wasser zu wilden Wirbeln peitschte. Wieder gab es einen Stoß. Das Boot holte hart über, kenterte fast und richtete sich schwerfällig wieder auf. Eisiges Wasser schwappte über. Da erfolgte, dicht unter der Wasseroberfläche, der zweite Schlag mit der Fluke. Sie fühlten, wie sie in die Höhe gehoben wurden, wie das Boot sich fast auf den Kopf stellte und krachend mit dem Heck wieder ins Wasser zurückfiel. Gary Andrews verlor den Halt. Eine Ladung Salzwasser war ihm ins Gesicht geklatscht, eisiges Wasser, das höllisch brannte. Er ließ eine Hand los, als das Boot zu kentern drohte und konnte den harten Schlag nicht mehr ausgleichen. Mit einem Aufschrei ging er über Bord und verschwand in den kalten Fluten. In diesem Augenblick schlug Ferris Tucker mit dem Beil zu. Die Leine löste sich, der Wal verschwand, und Hasard ging hart in den Wind, um backzubrassen. „Verdammt jetzt haben wir den Mist!“ schrie Dan. Seine Augen suchten verzweifelt den über Bord gefallenen Kameraden. Darüber, daß sie den Wal samt Leine und Harpune verloren hatten, regte sich niemand auf. Gary Andrews war wichtiger, und jetzt zeigte sich Hasards Vorsorge als berechtigt. „Da schwimmt er!“ rief Carberry. „Da, Backbord!“
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Gary war prustend und schnaubend an die Oberfläche getrieben und schlug mit den Armen wild um sich. Lange konnte er sich in diesem eisigen Wasser nicht halten. Es lähmte zusehends seine Kräfte, und er würde es in dieser eisigen Brühe keine zwei Minuten aushalten. Der Profos warf die Leine genau vor Garys Kopf ins Wasser. Der fing das Tau auf und hielt sich mit allen Kräften daran fest. Während des Manövers hatte niemand mehr auf den Wal geachtet. Der drehte sich jetzt wie rasend im Kreis, schwamm in immer größer werdendem Bogen um das Boot und ging in kürzen Abständen auf Tiefe, immer noch gewaltige Blutmengen ausstoßend. Dicht bei Gary tauchte er auf. Zuerst sah der riesige Schädel aus dem Wasser, dann folgte der zuckende und bebende Körper, und wieder hieb das Tier in blinder Angst um sich. Gary wurde durch den Schlag aufs Wasser davongeschleudert. Er konnte das Tau nicht mehr halten und ließ los. Noch einmal gerieten sie in Gefahr zu kentern, als der Wal unter dem Boot wegtauchte. Da schoß das kleine Boot mit der Roten Korsarin und dem Kutscher heran. Wie ein Pfeil glitt es übers Wasser und näherte sich dem um sein Leben kämpfenden Gary Andrews. Beide Boote liefen aufeinander zu, aber die Rote Korsarin war schneller und hatte den Mann bereits erreicht. Der Kutscher ergriff seinen Arm und zog ihn aus dem Wasser. Gary war kaum noch in der Lage, sich zu bewegen. „Verdammt, ich bin halb erfroren“, stammelte er mit blassen Lippen und kalkweißem Gesicht. Hasard sprang in das kleine Boot. „Achtet auf den Wal“, schärfte er den Männern ein. „Sobald er in der Nähe ist, dreht ihr ab.“ Er wandte sich der triefenden Gestalt zu, die nun im Boot lag und schweratmend nach Luft rang.
Der Kampf mit dem Wal
„Alles in Ordnung, Gary?“ fragte er besorgt. Andrews nickte. Er fühlte sich an wie ein Eisblock, als der Kutscher ihn bearbeitete. Zunächst riß er ihm die Klamotten vom Leib, trocknete ihn ab und rieb und rubbelte, bis Gary rot anlief. Dann flößte er ihm Rum ein und zog ihm neue Sachen an, die er vorsorglich von Bord mitgebracht hatte. Danach fühlte Gary sich schon viel besser. Als Siri-Tong ihn anlächelte, konnte er schon wieder grinsen. „Ich bin gleich wieder dabei“, sagte er. Aber der Kutscher schüttelte den Kopf. „Daraus wird nichts, Gary, das kannst du vergessen. Wir bringen dich auf die ,Isabella`, und da wirst erst einmal in die Koje gesteckt.“ „Aber mir fehlt doch gar nichts mehr“, protestierte Gary. „Hast du räudiger Zackenbarsch nicht gehört, was der Kutscher sagte?“ fuhr Carberry ihn gutmütig an. „Du gehst in die Koje und kannst da meinetwegen weiter vom Wal träumen.“ „Verdammt, nur weil ich ins Wasser gefallen bin?“ „Das hier ist nicht irgendein Wasser“, belehrte ihn der Kutscher. „Das ist eisige Brühe, und darin kann man sich die beste Lungenentzündung holen. Und das willst du doch nicht, oder? Sei froh, daß der Seewolf diese Idee hatte, mein Lieber. Du befindest dich jetzt auf einem Hospitalschiff und hast nicht rumzumeckern. So, und jetzt trinkst du erst mal einen Schluck heiße Brühe, damit du von innen wieder auftaust. Und sieh dir mal deine Klamotten an, die brauchst du nicht mehr hinzulegen, die stehen von selbst.“ Die nasse Wäsche war in der kurzen Zeit bretthart gefroren, und Gary dachte mit Schaudern daran, wie es wohl sein würde, wenn er jetzt noch darin steckte. Seine Proteste halfen nicht, für ihn war die Jagd zu Ende. „Segelt zur ‚Isabella' und kehrt bald wieder zurück“, sagte Hasard zu Siri Tong. „Es kann sein, daß doch noch einer über Bord
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geht, denn der Wal spielt immer noch verrückt.“ „Ja, wir sind gleich wieder da“, versprach die Korsarin. Sie hörten Andrews noch fluchen, als das Boot ablegte und Kurs auf die „Isabella“ nahm. „Der wäre sicher erfroren, wenn wir das zweite Boot nicht hätten“, sagte der Profos. Sie blickten über das Wasser, das an vereinzelten Stellen immer noch rot verfärbt war. Der Wal verriet sich durch die Mengen von Blut im Wasser, wenn er sich nicht schnell bewegte. „Was tun wir jetzt?“ fragte Ed. „Den Burschen sind wir vorerst los, aber wir haben noch eine zweite Harpune.“ „Wir versuchen es natürlich weiter. Ferris hatte recht gehabt, als er die Leine kappte. Sicher wären noch mehr Männer über Bord gegangen bei dem Anprall, wenn die Leine dran gewesen wäre.“ „Der Bursche taucht gar nicht mehr auf“, sagte Matt Davies. „Ob er schon tot auf dem Grund liegt?“ „Das glaube ich nicht. Meist treiben die Tiere auf und versinken erst später. Ich denke, er wird gleich wieder auftauchen.“ Der Wal tauchte auch noch einmal auf und bewegte sich dabei in die Richtung der Eisbarriere. „Jetzt geht er uns durch die Lappen“, sagte Ben Brighton. „Wenn er unter das Eis taucht, sind wir ihn los.“ „Hinterher bis an den Eisrand“, befahl Hasard. „Wenn er nicht noch einmal die Richtung ändert, schwimmt er in die Nähe der ,Isabella`. Hast du die zweite Harpune bereit, Ed?“ „Aye, Sir, alles klar.“ „Gut, dann versuchen wir, ihn wieder festzumachen. Es wäre schade, wenn das Tier irgendwo nutzlos versinkt und stirbt. Genauso schlecht ist es, wenn er unter das Eis gerät.“ Der Wal schob sich bei Hasards letzten Worten träge aus dem Wasser, blies blutigen Spout aus und begann auf und ab zu tauchen wie ein Delphin.
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„Seine Kraft läßt schon nach“, sagte Hasard, der das Steuer herumriß und mit geblähtem Segel dem Tier hinterher jagte. Tatsächlich hatten ihn die Kräfte fast verlassen, wie er sich unsagbar müde durchs Wasser schob, tauchte, hochkam und sich einmal auf die Seite legte, daß man seine helle Unterfläche sah. Hasard tat der Riese leid, wie er sich quälte, dann wieder seine letzten Kräfte mobilisierte und sich im Todeskampf wand. Aber beharrlich schwamm er auf die Eisbarriere zu, bis er sie erreichte und wieder auf Tiefe ging. „Genau das habe ich befürchtet“, sagte der Seewolf leise. „Jetzt hat es ganz den Anschein, als würde er bis unter das feste Eis in Landnähe schwimmen. Verdammter Mist!“ Sie steuerten durch die eisfreie Rinne und legten sich auf der anderen Seite auf die Lauer. Nichts rührte sich. Das Tier mußte sich irgendwo, vielleicht ganz in der Nähe, unter der Eisdecke befinden. Lange Minuten vergingen. Die Männer froren und schlugen die Hände gegen den Körper, um sich warm zu halten. Hasard entkorkte eine Flasche Rum. „Einen Schluck zum Aufwärmen für jeden“, sagte er. Die Buddel ging reihum, und der Profos leckte sich genüßlich die Lippen. „Auf den Wal“, sagte er, „damit wir ihn endlich kriegen und die Jagd ein Ende hat.“ „Auf den Wal!“ riefen die anderen, und jeder trank einen Schluck. Der Rum brachte die Lebensgeister wieder auf Trab, heizte sie an, und jeder begann sich etwas wohler zu fühlen. Da geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Ein berstender Donnerschlag erfüllte die Luft. Eisbrocken stoben nach allen Seiten davon, die Eisdecke am vorderen Rand der Barriere wölbte sich krachend nach oben und fiel in tausend kleinen Klumpen in sich zusammen.
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Zwischen den zerbrochenen Schollen tauchte der riesige Kopf auf. Das Tier wälzte sich wie eine Ramme durch das Eis, zerbrach es, schob sich ein Stück hinauf und zerdrückte die Eisschollen unter seinem beachtlichen Gewicht. „Pullt, was das Zeug hält!“ rief Hasard. „Ed, klar bei Harpune. Jetzt müssen wir ihn kriegen.“ Das Tier mußte seine letzte Kraft mobilisiert haben, als es von unten aus der Tiefe herausschoß. Jetzt war das Eis rosarot verfärbt, und der Koloß walzte weiter, sich immer wieder auf die Seite drehend. Er ließ die zertrümmerte Eisfläche hinter sich zurück und bewegte sich nun in freiem Wasser. Die Harpune und die Pfeile ragten aus seinem Körper hervor, Wasser troff in langen Schleiern von seinem mächtigen Leib. Das Boot glitt heran. Carberry sah die Leine im Wasser schwimmen, verzichtete auf die Harpune und griff stattdessen zu einer der scharfgeschliffenen Lanzen. Ben Brighton hielt die zweite Lanze in der Hand. Der Profos hob die Lanze, fischte damit die Leine auf und warf sie in einer schleudernden Bewegung Ferris Tucker zu, der sie auffing und sofort am Poller belegte. Beide Männer stießen mit aller Kraft zu. Damit hatten sie dem Riesentier den Todesstoß versetzt. * Es brach kein Jubelgeschrei aus, denn ihnen allen tat das riesige Tier leid Sie hätten ihm einen kürzeren Todeskampf gewünscht. Die leblose, ungeheuer große Masse trieb auf dem Wasser wie ein dunkler Hügel. Die Fluke hing herab und bewegte sich nicht mehr. „Mann“, sagte Carberry, „das war ein ganz schönes Stück Arbeit und Aufregung. Meinst du, wir schaffen es, diesen Berg überhaupt an Bord zu schleppen, Sirr
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„Natürlich schaffen wir es“, sagte Hasard. „Wir haben schon ganz andere Sachen geschafft.“ „Hoffentlich sackt er uns nicht ab“, meinte Ben besorgt. „Selbst wenn er absackt, ziehen wir ihn weiter. Wir müssen nur genügend Leinen an ihm befestigen.“ „Der Kutscher kehrt zurück, Sir“, sagte Matt, auf das kleine Boot zeigend, das sich rasch näherte. „Sehr gut, dann ziehen wir mit zwei Booten.“ Diese ungeheure Fleischmasse, die jetzt leblos auf dem Wasser trieb, wurde immer wieder ehrfürchtig angestarrt. Der Wal erschien jetzt noch viel größer als vorher, weil er in seiner ganzen Länge auf dem Wasser trieb. „Holt die Leine auf fünfzig Yards durch“, sagte Hasard. „Dann können wir ihn am besten abschleppen. Und befestigt gleich eine weitere an ihm.“ Ben Brighton ergriff den lang gestielten Speckspaten, den sie mitgenommen hatten und beugte sich weit über das Dollbord. Er durchstach die Flosse des Wales und wollte auf den Kadaver hinüber springen, um eine Leine zu befestigen. Hasard hielt ihn zurück. „Du willst wohl unbedingt auch noch im Bach landen wie Gary, was?“ fragte er. „Laß dich mal schön anseilen, Ben.“ „Natürlich, manchmal geht eben der Jagdeifer mit einem durch“, erwiderte Ben. Davies legte ihm ein Tau um die Hüften, wickelte seinen Haken um das Tau und hielt es fest. Ben sprang hinüber. Der Leib des Fisches war aus der Nähe längst nicht so glatt, wie es den Anschein hatte. Die Haut war wie Schmirgelleinen, hart, dick und irgendwie sandig. Durch das Loch in der Flosse zog er ein Tauende und verknotete es. Anschließend kehrte er an Bord zurück. Da war das andere Boot heran und legte sich neben sie. „Wie geht es Gary?“ fragte Hasard.
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„Dem kann es gar nicht besser gehen“, sagte Siri-Tong. „Der bedauert nur, daß er nicht mehr mit dabei ist.“ Auch sie blickte voller Ehrfurcht auf das erlegte Riesentier, und ein leichter Schauer rann ihr über den Rücken beim Anblick dieses toten Giganten. Der Kutscher konnte sich an der ungeheuren Masse kaum satt sehen. „Er zählt schon die Steaks, die sich daraus herstellen lassen“, witzelte Ferris Tucker. „Wenn er ihn erst ausgenommen hat, wird ihm das Zählen schon vergehen“, sagte Ed, und diesmal grinsten sie alle, weil sie sich vorstellten, wie man einen Wal einfach so ausnahm. „So riesig habe ich mir den Burschen aber nicht vorgestellt“, sagte der Kutscher ehrlich verblüfft. „Das gibt ja mehr Tran und Speck, als wir je im Leben verbrauchen können. Den muß man ja regelrecht abwracken, den Burschen.“ „Da sagst du ein wahres Wort“, meinte Carberry. „Das wird noch eine Heidenarbeit geben.“ „Und die fängt heute noch an“, fügte der Seewolf hinzu. „Ausgeruht seid ihr Kerle ja zur Genüge, und da wird es euch sicherlich richtige Freude bereiten, das Tier zu zerlegen.“ Er wandte sich an die Korsarin. „Habt ihr noch Leinen an Bord?“ „Ja, zwei lange Ersatzleinen.“ „Gut, dann werden noch zwei Mann ins Boot zu euch gehen und die Leinen befestigen. Ihr spannt auf der Backbordseite vor, wir tun es auf Steuerbord, und dann geht es los.“ Die beiden Leinen wurden ebenfalls befestigt und Löcher durch die andere Flosse gestoßen. Jetzt hing der Riesenkadaver an vier Leinen, und Hasard heißte das Segel auf. „Legt euch in die Riemen und pullt“, sagte er. „Alle Mann zugleich!“ Das Segel füllte sich mit Wind, und das Boot fuhr los, bis die Leinen straff gespannt waren. Jetzt legten sie sich in die Riemen und begannen zu pullen.
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Das kleine Beiboot der „Isabella“ zog ebenfalls. Es dauerte lange, bis der Punkt überwunden war, bei dem sich die Masse träge in Bewegung setzte. „Mann, der rührt sich gar nicht von der Stelle“, sagte Sam Roskill zu Big Old Shane. „Und bis zur ,Isabella` ist es noch mehr als eine Meile.“ „Sei froh, daß es nicht zehn Meilen sind“, erwiderte Shane. „Sonst kannst du nächste Woche auch noch pullen.“ Mit vereinten Kräften, etlichen Flüchen und schwitzenden Gesichtern ging es dann aber doch. Die Masse, einmal in Bewegung gebracht, war anschließend leichter zu bewältigen. Sehr langsam rückte die „Isabella“ näher heran, und jetzt erkannten sie die zurückgebliebenen Männer und hörten ihr Gebrüll. Aber es vergingen noch mehr als zwei Stunden, bis sie das Schiff erreichten. „Auf Riemen!“ sagte Hasard. „Der Wal rammt sonst noch unser Schiff. Den Rest lassen wir ihn treiben.“ Die Riemen wurden eingeholt, und der Seewolf bedeutete den Männern im anderen Boot auszuweichen und an Bord zu gehen. Brighton warf ihnen die Leinen zu, löste auch die anderen und schleuderte sie an Bord, wo harte Fäuste sie auffingen. Etwas mehr als dreißig Yards vom Schiff entfernt trieb der gewaltige Berg jetzt in der See und rückte langsam näher heran. Das Boot wurde auf der anderen Seite vertäut, und einer nach dem anderen kletterte ausgepumpt an Bord. Hasard umfuhr mit dem kleinen Boot noch einmal den Wal und ließ ein starkes Tau unter der Fluke durchziehen. Hand über Hand wurde der Wal von der Kuhl aus näher herangezogen. Die Leinen wurden gewechselt und durch stärkere ersetzt, denn immer noch bestand die Möglichkeit, daß das Tier absackte. „So, Kutscher“, sagte Ed freundlich und hieb ihm krachend auf die Schulter. „Da liegt er nun. Jetzt kannst du den Hering
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ausnehmen, und wenn du damit fertig bist, sagst du uns Bescheid.“ „In gewisser Weise hast du mit dem Wal eine verdammt große Ähnlichkeit“, sagte der Kutscher sinnend. „In welcher Weise?“ fragte Ed und tippte sich an die Stirn. „Na ja, nicht ganz“, schwächte der Kutscher etwas ab. „Dein Maul ist etwas größer.“ Dann brachte er sich schleunigst in Sicherheit, denn Carberrys große Pranke schoß schon vor, um den Kutscher beim Kragen zu ergreifen und ihn durchzubeuteln. „Dir werden deine großkotzigen Töne schon noch vergehen“, versprach Ed. „Spätestens beim Abspecken.“ Der Wal lag jetzt parallel zur „Isabella“ ganz dicht an der Bordwand. Shane sah auf das erlegte Tier hinunter. „Wo beginnen wir?“ fragte er den Seewolf. „Am besten im Nacken“, erwiderte Hasard. „Aber erst fieren wir die Stellage auf seinen Rücken, damit man nicht ausgleitet. Die andere Gräting können wir auch verwenden.“ Ein paar zusammengenagelte Bretter wurden abgefiert und auf den Walrücken gelegt. Auch die Gräting wurde hinuntergelassen. Hasard ließ die Männer, die gepullt hatten, noch eine halbe Stunde lang verschnaufen. Die anderen trafen inzwischen die letzten Vorbereitungen. Zwischen Fock und Großmast waren Blöcke angeschlagen. Die Taue liefen zum Ankerspill, um die schwere Arbeit des Hochhievens zu erleichtern. Dann begann das, was die meisten der Einfachheit halber als „große Sauerei“ bezeichneten, das Abspecken nämlich. 9. Acht Männer standen auf der Gräting und der Stellage und hatten die langstieligen scharfen Speckspaten in der Hand. Carberry und Shane begannen an dem unförmigen Nacken. Sie stießen die Speckspaten in die unförmige Masse und
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stachen den dicken Speck in langen Streifen heraus. Wenn ein Stück gelöst war, wurde es festgebunden und nach oben gehievt. War es ein schweres Stück, dann trat das Ankerspill in Aktion, und die Blöcke zwischen den Masten begannen zu ächzen und zu stöhnen. Ferris Tucker hatte auf Flensmesser und Speckspaten verzichtet. Er hieb mit seiner Axt zu. Mit scharfen Schlägen zerschlug er hinter dem Nacken die Wirbelsäule. Es war ein hartes Stück Arbeit, und Tucker brauchte dazu eine ganze Weile. Aber dann hatte er es geschafft, und der unförmige Schädel hing nur noch an ein paar Speckschwarten fest. Luke Morgan und der alte O'Flynn stöhnten, als sie den Riesenschädel sahen. „Mann, müssen das denn immer so große Stücke sein?“ fluchte der alte O'Flynn. „Wie sollen wir die denn hochhieven?“ „Mit dem Ankerspill, du Dwarsläufer“, sagte Tucker und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Taue wurden am Schädel befestigt. Sieben Mann waren nötig, um den schweren Schädel mit Hilfe des Ankerspills hochzuhieven. Die straff gespannten Taue zwischen den Blöcken sangen, und die „Isabella“ legte sich leicht zur Seite über. Dann war der Schädel an Deck und wurde gebührend bestaunt. Alle arbeiteten, schufteten, fluchten oder tobten sich aus. Die Stücke, die hochgehievt wurden, zerteilten die Männer an Deck in kleinere Brocken, in Blubberstücke. Batuti packte sie mit einem eisernen Haken und warf sie in die Kupferkessel, unter denen das Feuer brannte. Schon sehr bald verwandelte sich das saubere Deck der „Isabella“ in eine Schmiere aus Blut, Fett und Tran. Der Moses streute Sand, gab acht, daß die Planken kein Feuer fingen und schöpfte mit einer großen Kelle den Tran ab. Er goß ihn in einen anderen Kessel und füllte ihn, wenn er genügend abgekühlt war, in die bereitstehenden Fässer.
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Blacky und der Decksälteste Smoky schufteten mit verbissenem Eifer. Blacky zog die ausgekochten Blubberstücke aus dem Kessel, ließ sie abtropfen und verfeuerte sie dann wieder, weil das Holz jetzt endgültig zur Neige ging. Hasard sah sich das an. Es interessierte ihn, wie die Blubberstücke brannten, denn das würde in Zukunft ihr Ersatz für Holz sein. „Die brennen prächtig“, sagte Blacky. „Es stinkt zwar ein bißchen, aber das ist nicht weiter schlimm.“ Der Seewolf lächelte. Das, was Blacky als ein bißchen Gestank bezeichnet hatte, pestete buchstäblich. Aus den Blubberstücken drang fast schwarzer Qualm, der zum Himmel strebte. Waren die Stücke aber erst einmal angebrannt, dann ging die Qualmentwicklung zurück, und sie brannten in heller Glut. Der Seewolf war zufrieden. „Laßt die Blubberstücke anbrennen, Blacky“, sagte er, „und dann bringt ihr sie nach unten. Wenn wir damit unseren Ofen beheizen, dann qualmen sie nicht mehr so stark.“ „Aye, Sir.“ „Aber laßt sie gut abkühlen vorher.“ Nach und nach war alles in Fett und Tran getränkt. Die Seewölfe spürten die Kälte nicht mehr, zumal auch der Wind etwas nachgelassen hatte. Wie verdreckte, schmierige Teufel sahen die Kerle aus, wenn sie an Deck hin und her huschten. Als ein Teil des Wales abgespeckt war, wurde der Gestank geradezu penetrant. Zu allem Überfluß erschienen auch noch die Zwillinge, und als der alte O’Flynn sie sah, lief er krebsrot an. „Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt unter Deck bleiben, ihr Polarwanzen!“ schrie er. „Wenn ihr hier durch den Matsch rennt, dann kennt euch euer eigener Vater nicht wieder.“ „Mann, hier stinkt’s aber ganz verdammt“, sagte Hasard, der ältere der beiden und hielt sich die Nase zu. „Hier stinkt’s noch viel verdammter“, echote sein Bruder Philip.
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Eine dunkle Pestwolke, erzeugt von frisch nachgelegten Blubberstücken, drang auf die beiden ein. Beide wurden ganz käsig im Gesicht, und Philip rülpste laut. „Das geschieht euch recht“, sagte O’Flynn. „Ihr könnt ja nicht hören und wisst immer alles besser. Unter Deck mit euch, noch einmal sage ich es nicht. Die Zwillinge konnten aber nicht mehr unter Deck gehen, denn nun würgte es sie wie noch nie im Leben. Alle beide rannten nach achtern, reckten ihre Köpfe über die Verschanzung und kotzten in stiller Eintracht, was ihre Mägen hergaben. „So, das wir euch eine Lehre sein, nicht auf mich zu hören“, brummte der Alte und sah ihnen nach, wie sie wortlos nach achtern verschwanden, wo sie von SiriTong in empfang genommen wurden. Die Arbeit ging weiter, und es hatte ganz den Anschein, als würden sie Jahre brauchen, um den Wal abzuspecken. Al Conroy, der Waffen- und Stückmeister, stand in einem riesigen matschigen Haufen von Speckstücken und Matsch und blickte über das Schanzkleid. Was er sah, ließ ihn verstört zusammenzucken. Da schufteten und schufteten die Männer, die „Isabella“ sah aus wie ein gigantischer Sauhaufen, war mit Speckstücken und Tran übersät, und dabei war der Wal noch nicht mal zu einem Viertel abgespeckt. Himmel, dachte er, wie lange würde das wohl dauern, und dabei war jetzt schon alles übervoll. Unermüdlich wurden Speckstreifen nach oben gehievt, auf das Deck geworfen, zerkleinert und zu den Kesseln geschafft, an denen Batuti schuftete. Dem Neger lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht, aber er grinste nur. Besser als die lausige Kälte, sollte dieses Grinsen besagen. „Können wir nicht mal mit dem Wal aufhören und erst hier oben an Deck alles wegschaffen?“ fragte Stenmark den Seewolf. „Man steht ja schon fast bis zum Hals im Speck.“
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„Doch, das werden wir auch tun, Sten. Die Kerle auf dem Wal arbeiten so schnell, als gelte es ihr Leben. Aber das ist kein Wunder, sie wollen auch fertig werden.“ „Carberry, Shane und Tucker“, zählte Stenmark auf. „Die allein würden genügen, die arbeiten für zehn.“ Hasard ließ eine Verschnaufpause einlegen. Es gab wieder eine Extraration Rum, den Siri-Tong brachte. „He, ihr arbeitet so schnell, daß die Männer an Deck es nicht schaffen“, sagte der Seewolf. „Drei Mann genügen vorerst, die anderen entern auf.“ Auch Carberry, Tucker und Shane enterten auf, um zu verschnaufen. Als der Profos auf der Kuhl stand, wurden seine Augen groß. „Das haben wir schon alles abgespeckt?“ fragte er. „Aber, das sind ja schon mindestens zwei Wale. Oh, Leute, ihr dürft euch später auch schon auf das Deckwaschen freuen. Hoffentlich kriegen wir den Tran jemals von den Planken wieder weg.“ „Ja“, sagte Ferris, „sonst müssen wir ein neues Schiff bauen. Das sieht ja hier schlimmer aus als in der Hölle.“ „Genau so stinkt es auch“, sagte O'Flynn. „Du mußt es ja wissen. Du bist ja schon ein paarmal da gewesen.“ Es war beachtlich, was der Wal an Speck hergab. Niemand hatte sich das vorher auch nur annähernd vorgestellt. Jetzt blickten sie auf den Riesen hinunter. Teilweise sah man schon das gewaltige Gerippe, die mächtigen, hellschimmernden Knochen. Das Meer in der Nähe des Schiffes war blutrot. „An dem Burschen haben wir morgen noch zu tun“, schätzte Ed. „Den schaffen wir nicht an einem Tag, beim besten Willen nicht.“ „Das ist auch nicht nötig“, sagte Hasard. „Es ist eine verfluchte Knochenarbeit, und die können wir uns einteilen. Wir müssen den Wal nachher nur leicht drehen. Dazu setzen wir die Taue später auf doppelte Bucht.“ Die Unterbrechung war ihnen gerade recht, denn bisher hatten sie nur stundenlang
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gehackt, gestochen und abgespeckt. Jetzt ruhten sie sich noch eine Weile aus. „Absacken kann er nicht mehr“, sagte Shane, der seine schmierigen Hände mit Sand abrieb. „Ich habe noch ein Tau unter das Gerippe geschoben, das hält ihn fest.“ „Eigentlich haben wir bei der Jagd viel Glück gehabt“, sagte Carberry. „Wenn der Kerl unters Eis gegangen wäre, würden wir vielleicht jetzt noch hinter dem anderen herjagen.“ Sie dachten daran, wie das mächtige Tier die Eisschollen mit einem gewaltigen Ruck und der Masse seines Gewichts ganz einfach gesprengt hatte. Eigentlich war es fast ein Wunder, überlegte Shane, daß eine Handvoll Männer so ein großes Tier erlegte. „So, wir fangen wieder an“, sagte der Profos. „Ihr anderen bleibt hier oben an Deck. Ferris und Shane specken weiter ab, damit ihr Heringe die Arbeit schafft, die wir euch besorgen.“ „He, wir schuften auch ganz schön!“ rief Luke Morgan. „Das verdammte Trankochen hält nur solange auf.“ „Ja, das sehe ich. Jedenfalls möchte ich nicht mit euch tauschen. Ihr müßt ja mit der Zeit alle ersticken.“ Die drei Männer enterten wieder ab, und die Arbeiten wurden fortgesetzt. Auch Hasard langte zu, und nach einer Weile sah er so verschmiert und dreckig aus wie die anderen. Am besten gefiel ihm der Schiffsjunge Bill. Der Moses sah aus wie eine verkleinerte Ausgabe von Batuti. Er hatte sich die Ärmel aufgekrempelt, und seine Arme waren so dunkel' wie die von Batuti. Auch sein Gesicht' war pechschwarz, und wenn er grinste, zeigte er eine Reihe weißer Zähne. Hasard lachte plötzlich, was den Moses irritierte. ,Nein, ich lache dich nicht aus, Bill“, sagte er. „Aber du könntest gut und gern ein Sohn von Batuti sein.“ „Das verstehe ich nicht, Sir.“ „Schau mal an die blankpolierte Seite des Kupferkessel“, sagte Hasard, „dann wirst du es schon verstehen.“
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Bill bückte sich und starrte in das spiegelnde Metall. Dann drehte er sich um, um nachzusehen, ob nicht ein anderer hinter ihm stand. Aber er war es tatsächlich, und erstaunt befühlte er sein Gesicht. Er war noch schwärzer als der Herkules aus Gambia, und da mußte auch er plötzlich lachen. Streifen um Streifen wurde nach oben gehievt. Immer wenn die Seewölfe dachten, jetzt müßte der Wal doch tatsächlich restlos abgespeckt sein, kam ein riesiger Brocken herauf, der ihre stille Hoffnung schlagartig zunichte machte. So ging es weiter, bis zum späten Abend und die Männer todmüde waren. * Zweieinhalb Tage dauerte es, bis der Wal abgespeckt war. Zwischendurch hatte stundenlang ein heftiger Sturm getobt, mit Schneegestöber und harten Böen, dann war es vorüber. Die letzten Blubberstücke waren ausgekocht und im Laderaum der „Isabella“ verschwunden. Dort stapelten sie sich jetzt tonnenweise neben Fässern voller Tran und Fleisch. Es war so viel, daß sie Ewigkeiten brauchen würden, um alles zu verbrennen oder aufzuessen. Das Knochengerüst des Wales ließen sie auf den Meeresgrund absacken, wo es verschwand. Hasard unternahm einen „Ausflug“ mit dem kleinen Beiboot, um zu erkunden, wie weit die Eisbarriere zurückgewichen war. Die Passage war breiter geworden, und dahinter befand sich Treibeis und dann wieder ein Streifen Wasser. Sie konnten also weitersegeln und die Suche nach der sagenhaften NordwestPassage wieder aufnehmen. Ferris Tucker hatte die ersten Blubberstücke im Ofen verheizt. Sie brannten gut, vorausgesetzt, sie hatten schon einmal im Feuer gelegen. Wenn sie anfingen zu brennen, dann brannten sie mit düsterroter Flamme und qualmten ein wenig. Hatten sie erst richtig Feuer
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gefangen, brannten sie besser. Das einzige Übel, das blieb, war eine kleine Pestwolke, die aus dem Schlot quoll und bei Windstille wie eine Glocke über dem Deck stand. „Wenn wir segeln, merken wir davon nicht viel“, sagte er. „Das bißchen Gestank verweht der Wind. Aber wir haben wenigstens einen warmen Hintern, und das ist ja auch etwas wert.“ „Richtig“, pflichtete Carberry ihm bei. „Die Kerle sind auch alle wieder ausgeruht, und jetzt werden wir unser Schiffchen polieren, daß es eine wahre Freude ist. So beschissen hat unsere gute Lady noch nie ausgesehen.“ Er wandte sich an die Männer, die an Deck standen und die letzten Reste beseitigten. „Hört zu, ihr Rübenschweine“, sagte er freundlich. „Ihr habt das Schiff in einen Saustall verwandelt, und jetzt wünsche ich, daß es wieder aussieht wie ein freundliches Kinderzimmer. Wir haben noch ein paar Bibeln an Bord, und damit werden wir jetzt gemeinsam unter fröhlichem Gesang das Deck abschrubben. Ich bin gespannt, wie es unter dieser Schmiere von Blut und Tran aussieht. Ihr auch?“ „Ja, laßt uns nachsehen“, sagte Smoky. „Vielleicht ist es gar nicht unser Schiff, und wir segeln auf einem falschen.“ Die „Bibeln“ wurden geholt, einfache gebrannte Backsteine, denn mit Wasser. und Schmierseife ließ sich das Deck nicht mehr säubern. Ein Segeltuchbehälter wurde an einem Block befestigt, und von außen wurde Wasser hineingepützt.. Bill streute wieder Sand, und später, wenn das Deck gereinigt war, mußte wieder Sand gestreut werden, weil das Wasser sofort gefror und alles spiegelglatt wurde. Dann ging es los. Ströme von Wasser ergossen sich über die verschmierten und verdreckten Planken. Die Seewölfe bearbeiteten das Deck mit Ziegeln, Sand und Schmierseife, und sie stellten fest, daß es doch noch ihr Schiff war, denn die hellen Planken kamen wieder zum Vorschein und wurden fast weiß.
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Der Profos goß wild mit Wasser um sich, und nach einer Weile begann die „Isabella“ wieder in ihrem alten Glanz zu erstrahlen, daß es eine Freude war. Diese Arbeit nahm noch einmal den ganzen Tag in Anspruch, und als dann auf dem glatten Deck Sand gestreut wurde, sah es wieder blitzblank aus. Tucker reinigte die Harpunen, Flensmesser, Speckspaten, Messer und Beile. Dann fettete er sie gut ein und brachte sie wieder in die Kammer zurück, wo sie hingehörten. Jetzt erinnerte nichts mehr an den Dreck, die Schmiere und das Blut, das sie vor kurzem noch umgeben hatte.
Der Kampf mit dem Wal
In derselben Nacht wurden die Krampen aus dem Eis geschlagen und die Leinen gelöst. Nachdem die Segel gesetzt waren, lief die „Isabella“ durch die schmale Rinne und glitt von dem Eisberg fort. Vor ihnen lag eisbedecktes Meer, ein Anblick, den sie jetzt schon gewohnt waren. Aber weit vor ihnen lag vermutlich auch die Nordwestpassage, und sie hofften, daß sie die eines Tages doch noch finden würden, und dann ging es vielleicht in ein Meer, wo wieder die Sonne schien, palmenumsäumte Strände waren und es kein verdammtes Eis mehr gab, denn davon hatten sie alle genug.
ENDE