2006 digitalisiert by Manni Hesse
Der Geisteskampf mit dem Drachen Aus dem Dämmer der Menschheitsfrühe dringt der schw...
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2006 digitalisiert by Manni Hesse
Der Geisteskampf mit dem Drachen Aus dem Dämmer der Menschheitsfrühe dringt der schwere Tritt von Titanen, dröhnt der Lärm kämpfender Giganten in I die Traum- und Sagenwelt vieler Gechlechter. Die Märchen der I Völker sind erfüllt von den Gespenstern der Riesen-Menschen, die mit gewaltigen Felsblöcken spielen, trotzend den Göttern und allen irdischen Gewalten. Aus Hügeln, Schluchten, Felshöhlen, aus Sumpf und Moor bringt man in Zufallenden dds vermeintliche Totengebein der einstigen Menschenkolosse ans Licht. Steinzeitliche Jäger stoßen auf die riesigen Knochenreste und schleppen die Funde an ihre Herdstätten. In Griechenland, auf italienischem Boden, in Altchina trägt man die Überreste dieser titanischen Widersacher der großen Götter in die Tempel und hütet ihre zerschmetterten Gebeine unter den Schätzen der Heiligtümer. ! In mancher mittelalterlichen Kapelle, in den Turmhallen von Klosterkirchen, in den Rathäusern findet man ihre mächtigen Knochen zur Schau gestellt. Der Glaube an diese Riesen gespenstert durch die Jahrtausende und durch die Epen der Weltliteratur. Was könnten sie anders sein, diese Ungetüme von Schädeln, von Beinknochen, von Schulterteilen, von baumlangen Wirbeln, als die Reste jener Übermenschen aus grauen Urzeiten? Auch die Neuzeit kommt lange von diesem Glauben nicht los, diesem Grauen vor dem Titanengeschlecht, das hier aus seinen Grabhügeln und Totenstätten hervorgekommen. Durch die gleichen Märchenträume der Welt aber geistert auch das Gezücht der Drachen, gehörnter, geflügelter, tatzen- | und krallenbewehrter Tierungeheuer, Tatzelwürmer, Dämonen, grausamer Unholde, Fabelwesen mit furchtbaren Bißmäulern, feuerspeienden Augenlichtern und gewaltigen Schweifen. Auch sie von riesigen Maßen und übertierischen Kräften, auch sie wie die Titanen zurückgehend bis in den Morgen der Menschheit. Diese Riesen und Drachen hat der aufgeklärte Geist des ausgehenden 18. Jahrhunderts aus der abendländischen Vor2
Stellungswelt ins Reich der Fabel verbannt und sie der buntfarbenen Phantasie der Kinder überlassen. Aber der Streit der Meinungen um Art und Wesen der Ungeheuer war nicht minder dramatisch wie der Kampf St. Georgs mit dem Lindwurm oder Siegfrieds mit dem Drachen Fafnir. Um diese Riesenknochen, die schon der Grieche Herodot beschrieben, und um all die versteinerten Pflanzen und Tierformen, die der Boden so freigiebig zum Vorschein brachte, hat die Wissenschaft lange Zeit mit allen Waffen des Geistes gerungen. Da standen die Ansichten hart gegeneinander: Nein, Tiere sind das nicht, das sind verirrte Erzeugnisse eines Lebensodems, der von den Sternen kommt; das sind Formspiele einer uns unbekannten Laune der Natur; Gebilde der Salze, Ausscheidungen der Meeresdämpfe, vergrabene Kunstprodukte ältester Völker — sagten die einen und bewiesen es mit viel ausgeklügelten Begründungen. Aber schon der Universalgeist Leonardo da Vincis hatte in ihnen Reste tierischer Wesen vermutet und der kluge Athanasius Kircher sie mit großen inneren Vorbehalten für Skeletteile von Elefanten oder ähnlichen gewaltigen Tierkörpern gehalten. Vielleicht waren es die Gebeine jener Elefanten, die Hannibal einst mit ungeheuren Verlusten über die Alpen geführt, oder Knochen von Tierwesen, die aus der schwarzen Unergründlichkeit der Tief see heraufgeschwemmt, oder gar Zeugen der großen biblischen Sintflut. Bis in den Beginn des vorigen Jahrhunderts währte dieser Streit, an dem sich oft die größten Geister des Abendlandes entzündeten. Dann setzte sich allmählich die richtige Erkenntnis durch. Aus dem Trümmerchaos der Fossilien *) erstand vor der überraschten Menschheit „die gewaltigste, die überwältigendste der Vorwelten, die alles überstrahlte, was bis dahin die großen Entdecker auf unserem Erdball erkundet hatten". Gigantenknochen werden geborgen Unsere Hochachtung gilt jener entsagungsvollen Forscherarbeit, die in den Wirrwarr der Bodenfunde gedankliche Ordnung brachte und aus totem Stückwerk, aus Splittern und *) Fossilien nennt man die Überreste, Versteinerungen, Spuren, Fährten und Abdrücke von Pflanzen und Tieren früherer Erdzeitalter. Die Paläontologie beschäftigt sich mit der Erforschung der Fossilien.
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Fährten das lebendige Abbild jener märchenhaften Tier- I geschlechter wiederherstellte, die 200 Millionen Jahre hin- j durch die Kontinente und Ozeane der Erde beherrschten. All 1 das war nicht nur Gedankenarbeit und Kombinationsgabe, 1 sondern auch eine technische Leistung, die unsere Hochachtung 1 erzwingt. Irgendwo ist in der Tiefe einer Lehmgrube zwischen 1 dem Abraum ein Knochen von unförmigen Maßen sichtbar I geworden. Jedes Kind weiß heute, daß hier laienhaftes Her- I umstöbern nur Unheil anrichten würde. Das sind keine Objekte 1 für unsachliche Neugier. Der herangezogene Fachmann wird es " gern zulassen, daß die Entdecker nun dabei sein dürfen, wenn der kostbare Schatz aus seinem Lager geborgen wird. Aber Geduld wird man haben müssen. Denn hier wird nicht mit groben und schnellen Händen zugefaßt. Allem Ausgraben geht eine genaue Durchforschung der Fundstätte voran, ihrer Schichtungen, ihrer Lage im Gelände und möglichst auch die zeichnerische und fotographische Aufnahme des eigentlichen Fundplatzes. Kriminalisten könnten an einem „Tatort" nicht umsichtiger vorgehen, als hier die Männer der Wissenschaft. Aber noch ist das eigentliche Fossil sozusagen tabu. Vorsichtig ist es mit Tüchern, Decken oder Brettern gegen Witterungseinflüsse geschützt. Erst wenn die erforderlichen Hilfsgeräte zur Stelle sind, wird der Sachverständige sich an das Fundstück selber machen. Er weiß, es ist morsch bis ins Mark und würde beim groben Zufassen zerfallen wie Zunder. So umgibt er den Knochen mit einer Papierhülle und fachkundige Hände legen den Gipsverband an. Nun kann der Rest ohne Gefahr freigelegt und auch die nun ans Licht kommende Knochenrückseite durch Gipsschienen gestützt werden. Kräftige Männer fassen zu, und endlich hebt sich der Schatz in seinem steinharten Gipsmantel aus seiner Bettung. Sorgfältig wird man die Umgebung absuchen, abtasten, durchgraben, und was zum Vorschein kommt, mit gleicher Behutsamkeit in Gipsröhren sichern. In Kisten wandern die Stücke, genauestens numeriert und nach ihrer ?J ursprünglichen Lage im Erdreich skizziert', dem Museum zu. Mit den erprobten Mitteln neuzeitlicher Konservierungstechnik, die sich internationaler Erfahrungen bedient, geht die weitere Bearbeitung vor sich. Leimlösungen durchtränken die mürbe Knochensubstanz. Eine Zeit geduldigen Wartens geht darüber hin. Nun kann man es wagen, die sichernde Gipshülle zu lösen. In lebensgenauen Umrissen erscheinen die Skelettreste eines 4
Giganten; Oberschenkelknochen, Schienbeine, Fußwurzelknochen, Zehen, Trümmer eines seltsam kleinen Schädeldaches, ein Unterkiefer von merkwürdiger Gestalt, vielerlei Wirbel. Es sind die Reste eines der größten Landtiere, die je gelebt haben, Knochen einer „Donnerechse" oder, wie sie der Paläontologe nennt, eines „Brontosauriers" (s. Umschlagbild). . Auferstehung des Riesen Die Museumsleute haben keinen Unbekannten vor sich. Man glaubt, diesen Saurier aus vielen Funden zu kennen: seinen Bau, seine Statik, seine Standform. Nach der maßgerechten Zeichnung ersteht der Koloß in seiner vermuteten Hochgestalt. Ein eisernes Gerüst ersetzt ihm d.ie einstigen Muskeln. Nun, da der Torso vor uns steht, erkennen wir den ungeheuren Hals, die Säulen der Beine, die Andeutung des Schädels, die Augenhöhlen, Teile des Wirbelskeletts und Stücke des nachschleppenden Schwanzes. Was fehlt, wird in Gips modelliert und in das Knochengerüst eingebaut. Oft müssen ausgedehnte Studien, anatomische Vergleiche und kühne, aber begründete Schlüsse das Wissen des Urweltforschers ergänzen. Nicht immer gelingt das. Gar zu absonderlich, eigenwillig und von allem Gewohnten abweichend ist das Körperbild jener Urweltwesen, und es hat in der Geschichte der Paläontologie nicht an Fehlschlüssen und falschen Rekonstruktionen gefehlt. Spätere günstigere Funde ermöglichten erst die Korrektur. Doch dann steht das Geschöpf der Vorzeit vor uns. Weiß heben sich die gipsernen Ergänzungen von den natürlichen graubraunen Skeletteilen ab. Jahrelange Gelehrtenarbeit ist oft an eine einzige dieser Nachschöpfungen verwandt worden. Frühere Zeiten machten sich meist nicht diese Mühe. Zwar konservierte man die Knochen, trug sie säuberlich in Kataloge ein und stapelte sie in Schauschränken oder staubigen Magazinen. Die Museen waren nicht viel mehr als „Beinhäuser", der Laie besah das Kolossalgebein mit Staunen und ehrfürchtigem Grausen, aber ihm fehlte jegliche Anschauung. Das Aufrichten der Skelette auf Eisengestelle aber vermittelte ihm ein erstes wirklichkeitsnahes Bild von jenen Gigantentieren. Dann kamen bildliche Darstellungen hinzu und heute ist in den Museumssälen den meisten Fossilien der Urwelt auch eine pla5
stisch-farbige Nachbildung in vollen Körperformen zur Seite gestellt. Jetzt erst sieht der Beschauer das Tier in seiner Lebensgestalt vor sich. Einfühlung in die Eigenart jener von keinem Menschenauge gesehenen Wesen, ausgreifende und doch gezügelte Phantasie, gründliche anatomische Kenntnisse und ein großes biologisches Wissen werden von den paläontologischen Modelleuren und Malern gefordert. Wie bewegte sich der Riese? In dem vollen Tageslicht, das durch die breiten Oberlichter der großen Glashalle fällt, steht aufgerichtet das kolossale Skelett des Brontosauriers, dessen Bergung aus den Bodenschichten der Lehmgrube wir miterlebt haben. Alles ist übersteigert und ungefüg an diesem Riesen; doch mit geradezu grotesker Winzigkeit sitzt hoch oben ein schmaler Schädel, ein Stecknadelkopf gleichsam auf langer Nadel. Unwillkürlich fragt sich der Beschauer, wo bei diesen Tieren das Gehirn gesteckt haben kann, von dem aus einst die Regie über die unvorstellbar weitgespannten Muskelzüge, über die tonnenschweren Gliedmaßen und die Riesenlänge des Schwanzes geführt wurde. Im Reich der Tiere gibt ein großes Gehirn im allgemeinen den Maßstab ab für eine höhere Intelligenz, und ein kleines Hirn deutet durchweg auf einen Verstand minderen Umfanges. Wir werden später hören, wie die Natur diesen Mangel des kleinen Gehirns bei manchen Sauriern in ganz absonderlicher Weise durch einen zweiten Gehirnsitz wettzumachen versuchte. Schwindlig wird einem, wenn man die Gleichgewichtsverhältnisse in diesen ab-
Riesensaurier (Diplodocus) von 20 m Länge. Skelett in alter Aulstellung, in der man das Tier wie ein riesiges Hultier schreitend nachbildete. 6
Ein ähnlich schlangenhalsiger Saurier wie der Diplodocus, der Brachiosaurus, in moderner grätschbeiniger Gangart mitten im Riesenschachtelhalmmeer. normen Lebewesen abzuwägen versucht. Auf vier kurzen, dicht beieinander stehenden Beinsäulen ruht nicht nur die ungeheuerliche Last des Mittelkörpers; die kurzen, gedrungenen Stämme der Gliedmaßen sind noch belastet durch die weit ausragenden Wirbelröhren des langen Halses und auch der ungeheure Hebel des Schwanzes wuchtet auf den niedrigen Beingestellen. Selbst den naiven Beschauer überkommt das Gefühl, daß die Natur hier ein Wesen am Leben und in Bewegung gehalten hat, dessen Gewichte wider alle Gesetze der Schwerkraft verteilt waren. Irgendwie wirkt die Stellung, in der man das präparierte Gebein in diesem Saale aufgereckt hat, nicht eben natürlich. Der Besucher vieler Vorzeit-Sammlungen wird sich dann daran erinnern, daß er in manchen anderen Museen den Brontosaurier-Skeletten in einer ganz anderen Haltung begegnet ist. Hier liegt offenbar einer jener Fälle vor, in denen die Vorwelt-Wissenschaft noch nicht mit sich ins Reine gekommen ist. Das Rätsel des Riesen-Brontosaurus ist bis heute noch nicht zur vollen Zufriedenheit der Forschung gelöst worden. 7
Weil der Gesamteindruck des Brontosaurus in seiner Hochform so unnatürlich erschien, hielten einige Forscher Ausschau unter den größten existierenden Echsen der heutigen Zeit; vielleicht konnten sie hier einen Anhaltspunkt für eine zutreffendere Rekonstruktion jenes unheimlichen Fabeltieres gewinnen. Bei den größten Eidechsenarten der Gegenwart beobachtete man eine sehr eigenwillige Gangart, die ein Hinweis sein konnte. Diese Eidechsen laufen nämlich nicht a u f ihren vier Beinen wie jeder Hirsch, jede Katze und jedes Säugetier es tut; als Kriechtiere laufen sie gleichsam z w i s c h e n ihren Beinen. Das mag seltsam klingen, aber dieses Bild gibt den Vorgang der Laufbewegung doch einigermaßen richtig wieder. Rieseneidechsen der Gegenwart sind Kriechtiere, sie gehen nicht; ihre Bewegung ist ein ruckweises Rutschen. Sie heben nicht dauernd den Bauch vom Erdboden ab, sondern lüften ihn vorübergehend nur so viel, wie für den einzelnen Schritt gerade erforderlich ist. Der Körper steht nicht auf den vier Beinsäulen, vielmehr stehen die Gliedmaßen seitlich vom Körper ab. Das Reptil läuft grätschbeinig. Könnte die Riesenmasse des Brotosauriers nicht ähnlich über Land gehuscht sein? Manche Gelehrten neigen zu dieser Ansicht. Und so versuchten einzelne Museen, die Skelette dieser gewaltigen Land- und Wasserwandler auf eine neue Art aufzubauen. Der Anblick, der sich dadurch ergab, hatte etwas Abenteuerliches an sich, aber für einen großen Teil der Paläontologen bot er, wie gesagt, ein durchaus überzeugendes Bild. Sie meinen, bei dieser kriechenden Fortbewegung müsse es das Tier im Leben bedeutend leichter gehabt haben. In dieser Stellung war der Hals auch nicht wie ein Kran weit nach vorn gestreckt, sondern bog sich in schwungvoller Krümmung wie der Hals eines Höckerschwanes im Halbrund nach vorne. Wenn es zutrifft, daß der Brontosaurus vermutlich zeitlebens oder überwiegend im Wasser oder Sumpf lebte und dort vor allem nach Nahrung suchte, ist diese Haltung der Hals- und Kopfpartie für uns keine Überraschung. Das Wasserelement, in dem er lebte, dürfte auch in anderer Hinsicht das viel erörterte Problem erklären, wie dieser Riese von Walfischlänge sich selber ausgelastet haben könnte. War er wirklich ein Wate-Tier, das Wasser und Sumpf belebte, so kam ihm die tragende Kraft des Wassers vorteilhaft zu Hilfe. Auf 35 Tonnen schätzt man das Körpergewicht der größten Exemplare dieser Dinosauren; das mithebende Salzwasser des Urmeeres müßte 8
dieses Gewicht und damit das Dasein der schwerfälligen Brontosaurier um vieles erleichtert haben. Die neuartige Rekonstruktion mit gegrätschten Gliedmaßen hat also, wie der Leser erkennen wird, viel gewichtige Gründe für sich. Das Hin und Her der Meinungen ist jedoch noch nicht zur Ruhe gekommen. Gründelnd wie die Störche Unvergeßlich ist jedem Besucher die „Halle der Brontosaurier" im New Yorker Museum für Naturkunde, wo ein einziges Exemplar aus der Familie dieses Riesendrachen einen der gewaltigen Säle von einem Ende bis zum anderen ausfüllt. In dieser großen Sammelstätte der Vorzeit ist die ganze Verwandtschaft der Brontosaurierriesen in einer Flacht von kühn überspannten Glashallen, Wundern der Architektur, beisammen. In dem Riesenzoo von Skeletten gibt es zum Glück keine Ernährungs- und Futtersorgen; aber den Besucher gruselt es doch bei dem Gedanken, wie ein solches Tiervolk einst überhaupt hat gesättigt werden können. Der lange Hals deutet darauf hin, daß die Ungeheuer sich wie die Störche mit lebender kleinerer Beute anfüllten, die einst die tropischen Meere in Überfülle bevölkerte. Vielleicht gründelten sie wie die Flamingos im nahrhaften Schlamm und schaufelten mit ihren vorschnellenden Mäulern die Unmenge an Fischen, Lurchen, Schnecken und Gewürm aus dem Küstengrund. Zu vegetarischer Kost werden die schwachen Zähne kaum ausgereicht haben-, die kleinen Köpfe waren auch gar nicht geräumig genug, die unvorstellbaren Mengen von Grünzeug hineinzustopfen, die der gigantische Magen begehrt hätte.
Das Tropenklima der Urwelt Wir sind am sonnenfrischen Sommermorgen über das Feld gestreift. Unsere Gedanken sind noch bei den Skelett-Giganten der Museumssäle und ihrem rätselhaften Dasein. Wie lebten sie? Wie paßten sie sich der Umwelt und ihren Bedingungen an? Wie wir nun beobachtend das grüne Gefild durchwandern, 9
fällt uns auf, daß wir keine der zahlreichen Eidechsen sehen, die sonst hier auf dieser schattenlosen, mit Gras und Gebüsch bewachsenen Halde über Baumstümpfe und Geröll huschen. Erstarrt von der Kühle der Nacht und des Morgens liegen sie steif und phlegmatisch unter den Moospolstern, in Erdlöchern und unter dem Gefels. Auch die am Hang so häufige Ringelnatter ist unsichtbar. Auch sie schläft noch in halber Erstarrung. Sie alle sind Kaltblütler oder wechselwarme Tiere, d. h. ihre Blutwärme ist im Gegensatz zur Bluttemperatur der Vögel und Säugetiere abhängig von der Temperatur der Luft und steigt und fällt mit ihr. Dagegen ist die gleichbleibende Blutwärme der sog. gleichwarmen Tiere weitgehend anpassungsfähig; denn bei großer Hitze kühlt sich der Körper durch eine raschere Atmung, durch die Abgabe von Schweiß und die stärkere Durchblutung der Haut angenehm ab, in der Kälte dagegen heizt sich der Organismus durch den inneren Stoffwechsel schnell wieder auf. Gleichwarme Lebewesen kennen deshalb nicht jene Erstarrungszustände, die Eidechse und Schlange in kühlen Stunden zur Ruhe zwingen. Da nun die Riesenreptilien der Urzeit Urahnen jenes wechselwarmen Echsengeschlechtes von heute sind, müßten sie also zu ähnlichen Ruhepausen gezwungen gewesen sein, sofern das Klima der Urwelt dem unseren entsprach. Die Riesensaurier hätten also sehr oft die Nahrungsaufnahme unterbrechen müssen. Aber wir können uns nicht vorstellen, wie unter diesen Umständen der Haushalt der Fleischkolosse dann überhaupt noch befriedigt werden konnte. So zog die Forschung den naheliegenden Schluß, daß eben in jener erdgeschichtlichen Epoche der Riesensaurier ein ganz anderes Klima geherrscht haben müsse, vergleichbar etwa mit der schwülen Hitze großer Gewächshäuser. Gleichbleibende Wärmegrade gaben den Riesensauriern die Möglichkeit, zu keiner Stunde die Futtersuche unterbrechen zu müssen. Da nun die Saurierknochen selbst in jenen Breiten gefunden wurden, in denen sich heute kühle und warme Stunden im Ablauf des Tages ablösen, ergab sich die große Wahrscheinlichkeit, daß die gemäßigten Zonen bis an die Grenzen der Polarregionen hinauf einst von immergrünen Wäldern und wärmeliebenden Pflanzen bedeckt gewesen sind. Was hier die Paläontologen aus der biologischen Durchforschung des Saurierlebens erschlossen, das hat die Erdforschung aus vielen fossilen Pflanzenfunden zu voller Beweiskraft gebracht: auch 10
die mittleren Zonen der Erde waren einst tatsächlich ein ein-' ziges Tropenparadies. Gigantenvolk in bunten Farben? Da ergibt sich für uns ein phantastischer Gedanke. Noch immer stehen die Maler ratlos vor ihren Staffeleien, wenn sie nach Farben für die Leiber der dargestellten Saurier suchen, Der Sand und die Steine, — ja da hat sich seit Urweltzeiten nichts geändert: sie tönt man in Grau, Braun, Gelb und in ein kreidiges Weiß. Auch die Bläue des Himmels und das Grün der Bäume sind keine Probleme; die Farbenskala der Tropen bietet Farbmuster in Fülle. Aber die Tiere selber! Da man von ihrer Färbung nichts weiß -— keine Schuppe ist uns erhalten, nur wenige vertrocknete und steinhart verkohlte Hautteile — taucht man sie eben in ein neutrales Grau oder Braun. Aber sind jene Urreptilien wirklich einfarbig gewesen? Schauen wir uns doch die Palette der Tropenfarben an, sehen wir uns im Bereich deichenden Echsen und Schlangen um, unter den bunt gefleckten Riesenschlangen der Tiergärten, den schöngezeichneten Teppichschlangen Afrikas, den Netzschlangen Sumatras. Wer würde solche Tierfarben für möglich halten, wenn diese Tiere nur als versteinerte Skelette existierten? Oder denken wir an die buntschillernden Eidechsen, die Siedleragamen mit ihrem zinnoberroten, grelleuchtenden Kopf und dem leuchtend blaugrünen Körper. Dieses wohl fesselndste Farbbild im ganzen Tierreich lehrt uns, wie sehr die Reptilienhaut der Entwicklung kräftigster Farbtöne zuneigt. Wer würde aus dem Skelett des Feuersalamanders auf die grellgelb getupfte, glänzende Schwärze seiner Haut schließen? So wäre es nicht ausgeschlossen, daß auch manche Riesensaurier in grellen Farben die Urweltlandschaft durchzogen, deren feuchtheiße Atmosphäre der Ausbildung vollster Farbensymphonien sehr zuträglich war. Denken wir nur an die heißen Zonen voll gloldschimmernder Vögel und Käfer, voll paradiesesschöner Fische und' grellbunter Schlangen. Doch noch gibt es keine klare Antwort: die Tiefe der Erde ist schweigsam. Der Friedhof der Kolosse von Bernissart Die Entdeckungsgeschichte dieses Riesenvolkes der Urwelt ist ein einziges Abenteuer und voller Zufälle. In der Kohlenil
grübe von Bernissart im südlichen Belgien treiben die Bergleute im Jahre 1878 einen Schacht von der siebten zur achten Sohle und stoßen auf ein „schlafendes Heer" von urweltlichen Kolossen. Im hellen Kreideton, den sie durchbrechen, um das tiefere Flöz anzuschlagen, liegen die Trümmergebeine wie die durcheinandergewürfelten Stämme eines ungeheuren Windbruchs am Talgrund eines Gebirgsbaches. Nachdenkliche Leute sind diese Kumpels. Nicht das erste Mal, daß ihnen der Berg Lebensgeheimnisse der Vorwelt preisgibt. Aber was waren die gelegentlichen Funde von versteinten Baumstücken und steinernen Moosgebilden gegen diese grausigen Tierreste! So lassen die Männer von der Kohle ab und rufen von über Tage fachkundige Hilfe herbei. Statt zu teufen, schlagen nach der Anleitung der Sachverständigen die Keilhauen der Bergleute nun behutsam in die weichen, kreidigen Wände und umfassen vorsichtig die tiefdunklen Umrisse der Fossilien. Doch die Bergung aus diesem Friedhof des Erdaltertums ist ungeheuer schwierig, das Nest der lagernden Kadaver ein riesiges Gewirr, und jede unvorsichtige Lageveränderung, jedes Zerbröckeln eines Gebeinstückes ein unwiederbringlicher Verlust. Da schafft man in Kesseln und Körben Berge von Gips herbei. So hebt man das ganze Lager in festgepackten Einzelblöcken ans Licht, und erst in den Präparierräumen des Brüsseler Museums löst man die erdigen und in Gipsbändern gesicherten Hüllen. Es ist eine Arbeit von Jahren. Urweltler von bisher unbekannter Gestalt erwachen aus ihrem Jahrmillionenschlaf. Iguanodon-Saurier hat man sie genannt. Mühsam war es, das Gefüge ihres Körperbaues zu rekonstruieren. Dann aber hat man sie als aufrecht hüpfende känguruhartige Riesen erkannt, als springende Türme mit mächtigen Hinterbeinen und kürzeren Greifpfoten vorne (vgl. Abb. Seite 32). Es ist fast ein erschreckender Anblick, die auferstandenen, auf eiserne Gerüste aufgereckten Ungetüme in der Riesenhalle beieinander zu sehen, die das Brüsseler Museum für Naturkunde eigens für sie errichtet hat. Zehn der Zehnmeterkolosse aus der Massenausbeute erfüllen den Raum wie ein Rudel grausiger Drachen. Aus schwarzen, fast viereckigen Augenhöhlen blicken die Riesensaurier unnahbar, zeitlos ins Leere. Unwillkürlich tritt der Besucher, als fürchte er sich, von den trennenden Glasscheiben zurück; aber noch erregender ist nun aus der Ferne der Anblick. Zu ihren Füßen und zur Seite 12
Iguanodon, eine pflanzenfressende Riesenechse, die besonders in Belgien ausgegraben wurde. Ihre Daumendolche dienten zum Auswühlen von Wurzelwerk. lagern die Skelette von zwanzig, dreißig ihrer Gefährten, so wie man sie aus der Kreide geborgen. Und dazwischen Kleingetier der Zeit, das aus dem gleichen Moder wie die Riesen herauspräpariert worden ist: Fische, Schildkröten, Molche. Mit dieser Altherde von Iguadon-Sauriern genießt Belgien den Ruhm eines einmaligen Besitzes. Es gibt kein Land der Welt mit einem gleich imponierenden Bestand an solchen fast dämonischen Urzeitwesen und in gleich erstaunlicher Erhaltung. Vielen der zahlreichen Skelette fehlt auch nicht der kleinste Teil, so sorgfältig wurden sie aus der Tiefe von 300 Metern heraufgeholt. Die Kunst der Präparatoren hat die bröckeligen Knochen wundervoll vor dem Auseinanderfallen gesichert und so kunstvoll konserviert, daß ihre Erhaltung für lange Zeit keine Sorge machen wird. Grausige Räuber der Vorzeit: das ist der Eindruck des Besuchers. Ein messerscharfer Hornschnabel umgibt die Schnauzenspitzen dieser Tiere. Aus den Kiefern drohen neunzig 13
doppeltgeschärfte Zähne und dahinter in Bereitstellung die Reinen der Ersatzzähne. Die Daumen der Vorderpfoten sind zu mächtigen Dolchen gespitzt. Die Riesenleiber umgab einst panzerfest die knotige, faltige Drachenhaut, überrascht lesen wir auf den beschreibenden Tafeln, daß diese dräuenden Riesen harmlose, friedliche Pflanzenfresser waren, die mit der Hornschneide des hochaufgereckten Maules das Blattwerk der Araukarien und Ginghobäume ästen und die Scharfzähne gebrauchten, um das Gezweig zu knacken und zu rupfen. Der Dolchdaumen, jenes schreckliche Gebilde, das einen Menschen mit Leichtigkeit durchbohren könnte, zerwühlte wie eine Pflugschar das Erdreich und zerrte das nahrhafte Wurzelzeug in kaubaren Stücken hervor. Nein, dieses vermutete Raubtier wäre nicht einmal einem Kinde gefährlich geworden! Aber dem Wald setzte es zu. Unvorstellbar ist die Menge des Grünzeugs, das diese Dickwänste zur Nahrung brauchten. Doch die Fruchtbarkeit jenes tropischen Zeitalters war unermeßlich. In schnellster Folge wuchs die Waldweide nach, wenn eine Dinosaurierherde darüber hergefallen. So weit das Auge reichte, dichter Urwald, nahrhafte Buschsteppen, wuchernde Moorgründe. Die Iguanodon-Saurier liebten Wasser und Morast. In Gefahr legten sie tiefe Wasserflächen zwischen sich und ihre Bedränger und witterten, körpertief im Wasser stehend, in Richtung des erwarteten Feindes. Das Sauriergrab im Schacht von Bernissart laßt uns die Katastrophen ahnen, die vermutlich oft und oft im Heer dieses Riesenwildes aufgeräumt haben. Die gleichen Todesfallen, die noch heute den Elefanten des Dschungels leicht zum Verhängnis werden, Sümpfe und Moore, rissen auch diese plumpen, schwerfälligen Kolosse hinab. Auch jene belgischen Dinosaurierriesen gerieten wahrscheinlich, Nahrung suchend, in die Wasserfalle eines trügerischen Morastbodens und fanden einer nach dem andern den Tod. Nicht anders läßt sich das enge Beieinander so vieler Saurierkadaver auf engstem Raum erklären. Vielleicht währten diese tödlichen Weidegänge in das Moor Jahrhunderte, Jahrtausende lang. ' Solche Zeiträume sind gering im Vergleich zu den Jahrmiliionen des Urweltzeitalters. Manche vermuten auch, daß die Tiere des belgischen Iguanodonten-Rudels von den Flutmassen einer Unwetterkatastrophe aus hochgelegenem Gelände hier in einen < Talgrund geschwemmt worden seien, aus dem es keine Rettung mehr gab. Aber niemand weiß es mit Bestimmtheit zu sagen. 14
Die martialische Gestalt jener Tierrecken in ihrem vermuteten Aussehen hat unsere Zeit mehrmals in den Stein zu bannen gesucht. Vor dem Berliner Aquarium, der Wirkungsstätte des großen Vogelforschers Oskar Heinroth, bäumt sich ein Vertreter der Iguanodonten in ganzer Lebensgröße auf. In Carl Hagenbecks Tierpark, Hamburg-Stellingen, reckt sich ein anderer, inmitten einer Urweltlandschaft, die man der Wirklichkeit von einst nachgebildet hat. Das Prinzip, auf den Hinterbeinen schreitend Riesenmaße zu entwickeln, ist im Volke der Saurier nicht nur einmal entwickelt worden. Da gibt es Körperkonstruktionen, die noch abenteuerlicher sind als die der Urkänguruhs: Hadrusaurus und Claosaurus, Formverwandte des Iguanodon-Sauriers, bildeten statt des schnauzenartigen Maules Entenschnäbel. Aber der Vergleich ist in den Maßen nicht „ganz" genau. Der Kopf der „geschnäbelten Saurier" war allein 1,20 Meter lang, der lange, breite und flache Schnabel ragte noch darüber hinaus. Was mögen diese Schnabelriesen mit ihren Pickmäulern angefangen haben? Fraßen sie Muscheln wie das eierlegende Schnabeltier, das tiefstehende Säugetier der Gegenwart? Ist wimmelndes Gewürm ihre Nahrung gewesen? Wir dürfen es vermuten. Mehr als 2000 kleine Zähne im Maul deuten darauf hin. Sie waren das rechte Sperrgitter, um die vom Schnabel aufgeschlürften Kleintiere und Wasserpflanzen einzubehalten. Es muß ein ewiges Gründein und Schlürfen gewesen sein bei diesen Mägen.
Ein merkwürdiges Geschlecht Die Saurier waren ein merkwürdiges Geschlecht, phantastische Gebilde der Natur, Rekorde und Extreme in jeder Hinsicht. Zwar gab es auch unter den Sauriern ein Krabbelvolk von Ratten- und Katzengröße. Aber in ihren Großstücken drängten sie sich an die Spitze aller Lebewesen, die je die Festländer bevölkerten. Sie strebten auch in anderer Hinsicht zur Übertreibung. Der maßlose Zug ins Groteske ist ihnen fast allen zu eigen, — ein rätselhafter Naturvorgang, der auch bei manchem Tier der Gegenwart noch zu beobachten ist. Es ist die Ausbildung von übertriebenen, sinnlos erscheinenden Körperzutaten. Die Stoßzähne der afrikanischen Elefanten15
bullen von heute sind solche Gebilde, von denen ein einzelnes kaum von einem erwachsenen Menschen gehoben werden kann. Und auch dem Elefanten scheinen diese gekrümmten, bis zu drei Meter langen und nicht mehr stoßfähigen Zahnspiralen mehr Last als nützliches Instrument und des Guten zuviel zu sein. Der starke nordamerikanische Wapiti-Hirsch schleppt ein weit ausladendes Geweih als heimtückisches Hindernis durchs Leben. Zweispießige Hörner wären ihm eine viel bessere Wehr. Die Paradiesvögel tragen jene unsinnig langen Federquasten, Schleppen und Girlanden, die ihnen im Urwaldgewirr so oft zum Verhängnis werden. Aber die Natur liebt nun einmal solchen Modezierrat, und die Saurierzeit war sozusagen die klassische Zeit für dieses überflüssige Formenspiel. Vielleicht reicht unser Wissen aber auch nicht aus, hier klar zu sehen. Der bis zu zehn Meter lange Dachsaurier (Stegosaurus) trug auf dem hochgewölbten Rücken einen Doppelkamm zugespizter Panzerplatten, die wie Zinnen steil in die Höhe standen. Wollte die Natur dem Koloß noch mehr Ansehen geben, indem sie ihn um diese Platten erhöhte? Sollte er dem Gegner mit diesem gesträubten Kamm noch mehr imponieren, wie etwa der kämpfende Kater seinen Katzenbuckel hervorwölbt, um in den eingeschüchterten Augen seines Rivalen
Dachsaurier (Stegosaurus), ein mehr als elelantengroßer Riesensaurier aus dem Mittelalter der Erde. 16
noch größer zu erscheinen? Oder sollte dem anspringenden Raubtier mit diesen Dolchen der Zubiß verleidet werden? Der stachelbesetzte Schwanz könnte eine solche Erklärung wohl rechtfertigen. Ja, Rücken- und Schwanzwaffe vereint — das mußte einem aufspringenden Angreifer ein fürchterlicher Empfang sein. Man kennt aus vielen Reiseberichten die gefährliche Wucht des Schwanzschlags der Krokodile. Der Altmeister des Tiergartenwesens Carl Hagenbeck hat davon erzählt. Beim Auspacken von Krokodilen verabfolgte ihm eine der Echsen solch einen Schwanzhieb. Der Länge nach stürzte der überrumpelte Tierfänger in das Wasserbecken, mitten in das Gewühle bereits ausgeladener Krokodile. Die Behendigkeit, mit der er davonsprang, rettete ihn vor den aufgerissenen Mäulern. Man denke sich zu diesem Schwanzschlag noch den Stich vier haarscharfer Panzerdolche, um die Hiebwaffe der Dachsaurier richtig zu würdigen. Riesen mit zwei Gehirnen . Eines besaßen die Urweltriesen bei aller Verschiedenheit gemeinsam. Wir lasen schon von dem winzigen Kopfgehirn, das bei den mächtigsten Dinosauriern oft nur die Größe etwa einer Streichholzschachtel erreichte und kaum mehr zur Lenkung dieser wandelnden Türme ausreichen konnte, über die riesig langen Schwänze scheint die Kopfzentrale überhaupt keine Gewalt gehabt zu haben. Bis dreißig Meter weit lagen in einzelnen Fällen Kopf und Schwanzende auseinander. Ünheure Muskelstränge waren hier zu bewegen. Lange währte es, bis man hinter die einfallreiche Eewegungstechnik in diesen Leibesmassen gekommen ist und erkannte, daß zur nervösen Lenkung des Schwanzteiles noch ein zweites „Gehirn" vorhanden war. Zu diesem Zweck war das Rückenmark, das im Innern der Wirbelsäulenröhre liegt, in der Gegend der Lendenwirbel zu einer Art Schädelhöhle verdickt, und hier hatte das zweite „Gehirn" der Saurier seinen Sitz. Ja, bei einigen Arten war dieses Lendengehirn in seinem Hohlraum so mächtig entwickelt, daß es das Kopfhirn weit übertraf. Zwei Zentralen brachten also den Gigantenkörper zu sinnvollen Bewegungen: die Befehlszentrale im Kopf (oder im Köpfchen) und die Kommandostelle im Bereich der Schwanzwurzel. Daß dieser raffinierte Ausweg besonders praktisch gewesen wäre, wird 17
niemand annehmen. Zweiteilung ist immer eine mißliche Sache. Ein einheitlich von einem zentralen Verstand regulierter Organismus hat sich im Tierreich immer noch als das Zweckmäßigste erwiesen, und so ist der Versuch des Doppelgehirns in der Geschichte der Organismen in dieser Form zum zweiten Mal nicht wieder gemacht worden. Wir sprachen von der mächtigen ausgeklügelten, scheinbar unangreifbaren Panzerung und Bewaffnung der Dachsaurier. Aber wie noch heute die Natur immer wieder zum Ausgleich der Kräfte und zur Dämpfung der Übermacht einzelner Tiere strebt, daß ihr Übermut nicht grenzenlos werde, so war auch in der urzeitlichen Tierwelt die Macht der ungefügen Panzerkästen der Saurier nicht unangreifbar. Schon die Schwere und Plumpheit der Dachsaurier bremste ihre Beweglichkeit und Wehrhaftigkeit. Der Feind, der sich an sie heranmachte, setzte der Kolossalwucht jener Ungetüme die eigene angeborene Behendigkeit und listvolle Tücke entgegen; oft auch die schneidend scharfen Raubtierzähne starker Gebisse. Mit langen, federnden Hinterbeinen sprangen die Laelaps-Saurier die gepanzerten Riesen an, um sich blitzschnell in ihre instinktmäßig erfaßten ungeschützten Weichteile zu verbeißen. Es war der Kampf von Titanen, der in jenen Urwelttagen oft und oft die Wälder und Steppen erfüllte. Vielleicht rotteten sich die Schwächeren zu Angriffstrupps zusammen, die dann wie Rudel hungriger Wölfe von vielen Seiten die weidenden Panzer überfielen. Denn auch das hatten die wendigeren Gegner den Großsauriern voraus, daß sie die Taktik des hordenweisen Überfalls kannten, während jene geistig tiefstehenden Riesen wohl kaum die Vorteile des Zusammenschlusses zu gemeinsamem Handeln wahrzunehmen wußten. Zu solch zielbewußter Vereinigung gehört in der Regel mehr als man Reptilien zutraut. Leichtfüßiges Räubertum schärft die Sinne, die Verschanzung hinter Panzerplatten wirkt dagegen irgendwie verdummend. In dieser Hinsicht sind die Schildkröten unserer Tage Musterstücke von Langsamkeit, Phlegma und offensichtlicher Unintelligenz.
Gepanzerte Giganten Schildkröten gehörten übrigens auch zu diesem Riesenvolk der Frühe. Dieser Zweig der Kriechtiere hat eine lange Ver18
• gangenheit. Noch leben einige besonders groß ausgefallene Nachfahren dieses Riesengeschlechtes, letzte Mohikaner aus berühmtem Stamm; Überbleibsel der Urzeit. In den Zoologischen Gärten sind sie beliebte und bestaunte Schaustücke, die bei einiger Wärme und etwas Grünzeug die langlebigsten Dauerinsassen der Tiergärten werden. In ruhiger Gelassenheit überdauern sie die sie bestaunenden Menschen. Riesenschildkröten, wie sie noch auf den Maskareninseln und den Galapagosinseln vorkommen, werden gut 1,50 m groß. Mit Leichtigkeit tragen sie auf ihrem Rücken einen Erwachsenen. Der Name „Riesenschildkröte", den diese Reptilien der Gegenwart tragen, macht es dem Paläontologen schwer, die Schildkröten der Urwelt noch treffend zu benennen. Denn gegenüber den „Riesenschildkröten" von heute kann man die Schildkröten
Riesenschildkröte aus dem Tertiär (Colossochelys) im Britischen Museum in London. Darunter die Schale einer ,, Riesenschildkröte' von heute. 19
des Tertiärs nur als Uberriesen bezeichnen. Wie ein Weltkriegspanzer schob sich das hornige Gewölbe durch die Steppe. Allein die Panzerkiste dieser ungeheuerlichsten Schildträger, die die Welt je gesehen, ragte zweieinhalb Meter auf und maß in der Länge fünf Meter. Ein Bau, in dessen Innenhöhle bequem eine Familie hausen könnte. Eine dieser Riesenschalen steht im Britischen Museum in London und daneben der Panzer eines heutigen Riesenexemplars. Er wird zu einer Lappalie neben der Urweltkonkurrenz. Vom Gewicht dieses Klotzes können wir uns nur schwer Vorstellungen machen. Wie sich ein derart überentwickelter Organismus überhaupt bewegt haben kann, ist ein ungelöstes Rätsel. Sicherlich ging jede Ortsveränderung nur langsam und in zögerndem Zeitmaße vor sich. Diese Tiere hatten Zeit. Vor ihren Feinden schützte sie der Rückzug ihrer Außenglieder in das schwer angreifbare Gehäuse. Als sehr genügsame Pflanzenfresser fanden sie in Greifnähe des Kopfes, was sie brauchten, und gegebenenfalls übten sie das Hungern und zehrten vom eigenen Vorrat. Die Lebensdauer dieser Panzertiere können wir nur vermuten. Kein tierisches Geschöpf der Erde wird sie an Alter je übertroffen haben. Dabei sind wir uns bewußt, daß Körpergröße allein noch kein Maßstab für das zu erwartende Alter ist. Elefanten, denen die Volksmeinung ein Methusalem-Alter zuschreibt, sind schon mit 80 bis 90 Jahren greisenhaft. Auch der Walfisch wird nicht vielhundertjährig, wie oft vermutet wird. Bei den gepanzerten Überriesen aber ist die Annahme des Uberalters berechtigt. Schildkröten sind ja auch heute noch die ältesten Tiere der Erde, soweit wir das überblicken können. Eine ruhmbeladene Schildkröte des Londoner Zoologischen Gartens wurde bereits in den ältesten Tierlisten dieses ehrwürdigen Institutes geführt; sie scheint die Zeit des dreißigjährigen Krieges noch erlebt zu haben. So dürfen wir den urweltlichen Schildkrötenriesen ohne Übertreibung als Lebenszeit ein volles Jahrtausend zuschreiben, ein Alter, das an das Zeitmaß mancher Baumarten herankommt. Nichts verrät die verkrustete und versteinte Riesenschale von ihrer einstigen Färbung. Wir wissen auch nichts von der farbigen Tönung der Hautpartien. Vielleicht war das alles tropenhaft grellbunt wie die Farbenskala der Schmuckschildkröten. Vielleicht, daß einmal eingehendere Untersuchungen auch in dieser Beziehung Auskunft geben werden. Bis jetzt fehlt das bunte Abbild jener Schildgenossen noch immer in der Mappe der Tiermaler. 20
Meerdrachen der Urzeit Die „Idee", wie die Schlange die Gliedmaßen ganz abzuschaffen, ist bei den Ursauriern aufgekommen. Dabei behalten wir im Auge, daß hier eine entwicklungsgeschichtliche Verbindung besteht. Schlangen leiten sich ja von Eidechsen ab; bei unseren Riesenschlangen stellen wir bei genauer Untersuchung am Hinterleib noch die beiden Reststummel fest, die einst ihre Hinterbeine waren; untrügliche Kennzeichen der Eidechsenahnen. Diese Abwandlung von den Lauftieren zu den beinlosen Bauchkriechern spielte sich jedoch in jüngeren Erdzeitaltern ab. Etwas Ähnliches aber ereignete sich auch schon einmal in der Altzeit der Erde, als manche Urweltsaurier in langen Zeiträumen ihre Vierfüße in flache Ruderschaufeln umwandelten, ihre Wirbelsäule schlangenähnlich hinausdehnten; sie wurden zu Meeressauriern, in Meeren, die wärmer gewesen sein müssen als unsere Ozeane; denn in kälteren Was-
Mosasaurus, ein wasserbewohnender, schlangenartiger Saurier von 8 bis 12 m Länge. sern hätten sich jene Reptilien ihrem Blutbild nach auf die Dauer gar nicht bewegen können. Der schuppentragende Mosasaurus (Maas-Saurier), eines dieser Meeresungeheuer, brachte es auf 8 bis 12 Meter Länge, der Riesenwuim in den Meeren der Kreidezeit, der Hainos urus auf 13 Meter. Zwei andere Schwimmsaurier, Tylosaurus und Clidastes genannt, werden gar auf dreißig Meter geschätzt. Solche Lindwürmer der Altozeane sind Prunkstücke und. Sensationen in manchen Museen. Weit über tausend dieser Ungeheuer nennt die palä21
ontologische Sammlung zu New Haven ihr eigen. Einige Sonderexemplare zeigt das schon genannte naturwissenschaftliche Museum zu Brüssel. In gigantischen Schausälen sind sie rekonstruiert und aufgestellt. Angesichts dieser Schlangensaurier ist schon manchem unserer Zeitgenossen die Phantasie durchgegangen. Las man nicht immer wieder von Seeschlangen, die da und dort auf hoher See, oft auch in Küstennähe hervortauchten; konnten das nicht Spätlinge jener Meeressaurier sein, die durch irgendwelche Zufälle ihre Artgenossen überlebt hatten? Genau das, was man von den Riesenschwimmern der Vorwelt zu wissen glaubte, ihre Jagd- und Tauchspiele, ihr scheues Gehaben — all das sagte man auch der Seeschlange nach. Die Wissenschaft verneint die Möglichkeit, daß eines jener Urwelttiere sich bis in unsere Zeit hinübergerettet haben könnte; für einen Schlangensaurier bietet unsere Erdepoche keinerlei Lebensmöglichkeiten mehr. Die Meere sind nicht mehr warm genug, vor allem nicht jene Meeresteile, in denen man die Seeschlange gesehen haben wollte. Auch waren die Schlangensaurier Luftatmer; die überlebenden kämen also zum Luftholen regelmäßig an die Meeresoberfläche und hätten dort oft beobachtet werden müssen. Für die „Seeschlangen" von heute hat man viele Erklärungen versucht; vielleicht, daß lange Reihen hintereinander schwimmender Delphine die Beobachter narrten, oder treibende Tangmassen oder ungeheure, glitzernde Fischschwärme. Vielleicht wird des Rätsels Lösung einmal die Entdeckung eines riesigen, als Tiefseefisch lebenden Aales sein, der gelegentlich einmal an die Meeresoberfläche heraufkommt. Gewisse abnorm große Aallarven, die in jüngster Zeit auf einer Expedition aus dem Meer gefischt wurden, haben diese Möglichkeit zu ernsthafter Diskussion gebracht. Das zu diesen Larven gehörende fertige Aaltier müßte den etwa drei Meter langen, größten bisher bekannten Konger oder Meeraal um das Vielfache übertreffen. Man hat lange darüber nachgedacht, was die Saurierschlangen der Urmeere wohl gespeist haben könnten. Das Gefüge des Skeletts und der Kiefer gibt darüber leider keine Auskunft. Vielleicht haben sie ihre Beutestücke wie es heutige Schlangen tun, in einem einzigen Happen hinuntergewürgt und dann im Ganzen verdaut. Vielleicht gab es aber auch nur Fischnahrung oder andere Kleintiernahrung. Sie müßte dann aber in unvorstellbaren Mengen einverleibt worden sein, um 22
den Riesenleib zu erhalten und den Mechanismus des Bewegungsapparates mit Kraftstoffen zu versehen. Ein ewiges Rätsel bleiben uns diese überzüchteten Dreißig-Meter-Kolosse, der Verstand findet keine Erklärung für dieses Riesenspielzeug der Natur. Der Naturforscher, gewohnt im Buche der Schöpfung zu lesen, erkennt in ihnen den Ausdruck einer naturhaften Gestaltungskraft. Diese Tierwesen sind für ihn weder „schön" noch „häßlich"; als ordnender und erklärender Wissenschaftler gebraucht er diese Begriffe nicht. Er spricht von einer Anpassung an den Daseinskampf, dem alles Geschaffene anheimgegeben ist. Aus der Liste der Lebenden gestrichen Wo aber sind jene schwimmenden Schlangen der Urwelt geblieben? Es ist immer die gleiche Frage bei allen Sauriern — und immer die gleiche Antwort: Sie sind wie alle ihre Lebensgenossen aus der Liste des Lebendigen gestrichen. Sie traten von der Bühne ab und hinterließen uns nur ihre oft so vagen Spuren. Wie ein Traum, wie ein Spuk sind sie vergangen. Wir suchen nach Gründen und Anlässen für dieses Absterben des ungeheuren Tiervolkes und kommen auch hier immer nur zu Vermutungen. Die Schlangensaurier liebten die Wärme der tropischen Meere. Wir wissen, daß mit der zunehmenden Abkühlung der Erdatmosphäre auch die Temperaturen der ozeanischen Wassermassen absanken. Möglich also, daß diese Tropentiere auf die Dauer die Unterkühlung des Blutes nicht ausgehalten haben, ihr ganzer Organismus aber eine Anpassung an die geänderten Umweltverhältnisse nicht zuließ. Vielleicht sind sie auch klügeren, tückischeren und wendigeren Gegnern zum Opfer gefallen. Denn in jenen Jahrmillionen sind große und räuberische Haie herangewachsen, die zwar an Größe des Körpers weit hinter den Schlangensauriern zurückblieben, an Intelligenz ihnen aber um eine gute Strecke voraus waren. Und es wäre nicht das erste Mal in dem großen Hin und Her der Organismen, daß der stärkere Tierstamm dem schwächeren, aber geistig bevorzugten weichen mußte. Es ist ein ständiges Auf und Ab in der Schöpfungswelt. Die vorherrschenden Geschlechter lösen einander ab wie die Dynastien in der Welt der Menschen. Neue Formen t cten auf, setzen sich durch, indem sie andere verdrängen. 23
Der Fischsaurier und was er zurückließ Die Reihe der urzeitlichen Wassergroßtiere wäre unvollständig ohne den typischen Fischsaurier, der am frühesten und am meisten populär und als Musterbild des grausigen Urweltriesen schlechthin geworden ist: Den Ichthyosaurus (Fisch sauiier). Im Jahre 1705 fand man erstmals auf deutschem Boden sein Gerippe, wenige Jahre später traten prächtige Funde aus englischem Boden hinzu. Ganze Körperabdrücke mit den Umrissen auch der Hautteile brachten die Jura-Formationen der Schwäbischen Alb zum Vorschein; so zahlreich waren die Funde, daß die Museen der ganzen Welt von dort mit Schauexemplaren beliefert werden konnten. Wahrscheinlich hatte die plötzliche Abschnürung eines Meerbusens sie hier , gefangengesetzt und der anschwemmende Schlick sie unter sich begraben. Mitten in Deutschland brandete damals das Kreidemeer, in dem sich diese Urwelträuber tummelten. Noch gab es keine Alpenkette. Aus dem Süden stieß der Urozean über Frankreich und die Schweiz bis zu uns vor, das rheinische Schiefergebirge und den Harz wie Inseln umströmend. Durch dieses Meer jagten die rauschenden Züge der Fischdrachen gierig und gefräßig hinter der Fischbeute her. Der große Tierforscher Cuvier hat ihr Aussehen in folgendem Vergleich beschrieben: Gebiß eines Krokodils, Kopf und Fuß einer Eidechse, Flosse eines Wals, Schwanz eines Delphins, Wirbel eines Fisches. Die Gestalt dieses Meeresdrachens wird noch am ehesten gekennzeichnet, wenn man ihn als Überdelphin bezeichnet. Ein lange nicht gelöstes Problem war die Frage, wie dieser Riesenfisch, der oft die halbe Größe eines ausgewachsenen Walfisches erreichte, seine Körpermasse vorangetrieben haben könnte. Das Skelett ließ keine Schlüsse auf die Bildung der für die Fortbewegung so wichtigen Schwanzflosse zu. Erst als jene Abdrücke ganzer Körper im Juraboden zu Tage getreten waren, sah man, daß der Fischsaurier neben den vier Ruderflossen, die sich aus den vier Gliedmaßen entwickelt hatten, zur Balancierung des Körpers eine hochstehende Oberflosse und eine aufrechtstehende Schwanzflosse als Hauptantriebs- und Steuerruder besaß. Man lernte die Familie der Fischsaurier als eine artenreiche Verwandtschaft von sehr unterschiedlicher Größe kennen. Die mächtigsten unter ihnen kommen uns wie lebendige U-Boote vor. Fische, Tintenfische und Belemniten dienten zur Nahrung. Die 200 Zähne des schnabel24
förmigen Gebisses räuberten, was in den Weg kam. Was uns am meisten überrascht, ist die wahrscheinliche Dreiäugigkeit dieses Raubwesens. Zwei übergroße Augen saßen an den Kopfseiten und sicherten nach vorn und nach den Seiten. Knöcherne Schutzvorhänge schützten das Augenpaar. Ein drittes Auge war in eine Höhle des Schädeldaches eingebettet und sicherte nach oben. Der Ichthyosaurus hat uns auch einiges — und zwar als einziger Saurier •—• über den Bau seiner inneren Organe verraten. In den Lagern, aus denen seine Skelette geborgen wurden, fand man massenhaft Kotballen des Tieres, aus deren Zusammensetzung der Forscher nicht nur über die Nahrung des Riesen unterrichtet wurde, sondern auch erfuhr, daß er jenen eigentümlichen Spiraldarm besaß, wie ihn heute noch viele Haie aufweisen. Gewiß hat dieser Drache sich nicht träumen lassen, daß seine Hinterlassenschaft aus gierig verschlungenen Mahlzeiten einstmals so ausgiebig zum Gegenstande ernster und aufschlußreicher Betrachtung werden könnte. Daß der Ichthyosaurus lebende Junge zur Welt brachte, die vermutlich in einer Eihülle im Körperinnern heranreiften, ist wahrscheinlich. Embryonenskelette wurden in großer Zahl aus den Gerippen erwachsener Ichthyosaurier herauspräpariert. Urweltfährten und Urwelteier Von den Urmeeren, dem Lebenselement der Schlangen- und Fischsaurier, wechseln wir noch einmal in die Tropenwälder und Steppen der Kreide. Im Schimmer einer Mondnacht, die ohne Dämmerung hereinbricht, treten ungeschlachte Kolosse aus dem Palmfarnwald in die Steppenmulde. Auf mächtigen Beinsäulen wiegen im gleichmäßigen Rhythmus die schweren Leiber. Aus den breiten, scharf geränderten Mäulern trieft grüner Geifer, Saft der in Masse gekauten Nahrung. Seltsame Gesichter blicken in die magisch dämmernde Ferne. Den zwei Meter langen Schädel überragt fast senkrecht ein Paar armdicker Stirnhörner; ein drittes Spitzhorn wächst aus dem Nasenrücken. Ein schirmartiger Knochenauswuchs überdeckt wie eine Halskrause schützend den ganzen Nacken. DreihornSaurier (Tricerasops) hat die Wissenschaft das vierschrötige Tier genannt. Längsamen Schrittes weiden die Tiere auf dem scheinbar festen Grund. Urplötzlich verdunkelt sich der Himmel. Schwarze Wolken haben den Mond verschluckt und es 25
Dreihornsaurier (Tiiceratops) der Kreidezeit, von einer Sturmflut überrascht und versinkend. bricht eines der furchtbaren Tropenwetter herein; ein sintflutartiger Wolkenbruch stürzt hernieder. In Sekundenschnelle ist das lehmige Gelände ein einziger Morast. Da flüchten die bestürzten Tiere. Aber die schweren Leiber finden nun plötzlich keinen Grund mehr, der sie trägt. Jeder Tritt ist ein verzweifeltes Absinken in einen tödlich zähen Brei, in eine unausweichliche Falle. Aus solchem Todesgelände hat die Neuzeit in der alten und neuen Welt viele dieser Hornsaurier geborgen. Und so sind die Dreihorn-Saurier dem Archäologen gute, ja beste Bekannte. Horntragendes Wild ist im Reich der Reptilien nichts Aufregendes. Der Nashonleguan und bestimmte Chamäleonarten tragen ähnlichen Zierrat auf ihren Nasen. Daß es auch unter den Sauriern Hornträger gab, war dann doch für die Wissenschaft eine Überraschung. Die also bewehrten Nashornsaurier waren Pflanzenfresser — das schloß man aus der Bildung ihrer Gebisse. Bei den Schädelauswüchsen dieser Tiere handelte es sich demnach nicht um Raubtierwaffen. Vielleicht waren die igelartige Bestachelung des Schädels und der Nackenschild nichts anderes als der Ansatz zum Erwerb eines festeren Panzerkleides, mit dem ein Schutz gegen gierige Raubsaurier angestrebt wurde. Aber soweit ist es nicht mehr gekommen. Die Hornsaurier sind ebenso spukhaft von der Erde verschwunden wie ihre Angreifer. 26
Aber auch diese Achtmetertiere haben etwas zurückgelassen, was uns erlaubt, mehr von ihnen zu wissen, als von den meisten anderen Vertretern des Sauriergeschlechtes. Sie hinterließen uns die Spuren ihres Erdenwandels in aufschlußreichen Fährten, aus denen wir in Verbindung mit den fossilen Skelettresten erkennen können, daß sie Hufträger waren und unter allen Sauriern am meisten den großen Huftieren unserer Tage glichen. Unter dem enormen Ballast der Körper, die etwa die doppelte Höhe eines Elefantenbullen erreichten, hat sich der Abdruck ihrer Tatzen unverlöschlich in die nie zerstörten Sandschichten eingeprägt. In den gleichen Sandlagen aber fanden sich Nester von Eiern, die wohl Vertretern dieser Saurierfamilie zugehören, 20 bis 25 cm lange, feinschalige, einst weiße, heute altersgraue Spitzeier, und darin vereinzelt deutlich erkennbar nichtausgeschlüpfte Embryonen. Die Wüste Gobi, wo diese Funde zu Tage traten, verspricht der Saurierforschung nach allen bisherigen Grabungsergebnissen noch manche Entdeckung. Wunder des Fliegens In jenen Jahren des ausgehenden 18. Jahrhunderts, als die Menschen im leidenschaftlichen Hin und Her der Meinungen die Möglichkeit des Menschenfluges erörterten, *) trat aus den berühmten Schieferschichten von Solnhofen das erste Skelett eines fliegenden Sauriers zu Tage. Es war ein dohlengroßer ,,Fingerflieger" (Pterodactylus), behaart und mit Flughäuten bespannt, ein Meerjäger. Dann aber gesellten sich aus den Urweltschichten des Bodens immer kühnere, ja riesige Fluggestalten hinzu, und es ergab sich, daß schon vor Jahrmillionen die Natur entwickelt hatte, um was sich nun die Menschen so heiß bemühten: den Aufstieg landwandelnder Tiere ins Reich der Lüfte. Was jene Urweltreptilien als Flieger leisteten, das haben in späterer Zeit nicht einmal mehr die Vögel, die Virtuosen des Fluges, erreicht. In Dauerflügen fast ohne Halt überguerte Pteranodon, der „Ohne-Zahn-Flieger" die Kreidemeere. Zu kurzem Schlaf, zur Eiablage, zur schnellen Sitzpause nur ging er zu Boden. Papierdünn war der dreiviertel Meter lange, stromlinienförmig nach hinten gezogene Schädel, das Gewicht ganz auf Ersparnis alles überflüssigen gebaut. Bis *) Vgl. Lux-Lesebogen 48 „Luftgaukler". 27
Der größte Flieger aller Zeiten: der Flugsaurier (Pteranodon) der Kreidezeit, der bis zu 9 m Spannweite besaß und iast sein ganzes Leben in der Lutt zubrachte. neun Meter weit klafterten die breiten Schwingen. Zu gleichen Maßen hat es vorher und nachher kein fliegendes Lebewesen mehr gebracht. Das „äußerste Fliegerwunder der Natur" nennt man die fliegenden Drachen der Kreide. Der gleiche Solnhofener Schiefer, der den „Fingerflieger" ans Licht brachte, gab uns auch Kunde von dem „Urvogel" Archaeopteryx, einem Flieger mit Zähnen und vielleicht buntfarbigen Federschwingen, mit einem Eidechsenschwanz und pfotenhaften Fingern. Aber mit ihm tun wir schon einen Schritt voraus; denn Archaeopteryr hebt sich bereits aus dem Heer der Saurier heraus und leitet uns hinüber in das nun langsam zum Dasein erwachende Volk der Vogeltiere. Auch von den Flugtieren der Saurierzeit hat keines sich bis in die Gegenwart hinübergerettet. Vielleicht weil auch sie Kaltblüter waren und den großen Wandel des Klimas nicht überlebten. Die Eiräuber In der Zeit, als die .Riesensaurier anfingen, seltener zu werden, durchstreiften ihre Urlandschaft ganz andersartige, niedriggebaute vierfüßige Geschöpfe, die ersten Boten eines neuen Tierstammes. Sie waren heraufgekommen, die Herrschaft der Urriesen abzulösen. Was sich da, geduldig und ängstlich, zwischen den Giganten herumtrieb und sich von Kadavern, dem Strandgetier und auch vom Tische der Großen ernährte, waren 28
die ersten primitiven Säugetiere; an Gestalt und Größe den Ratten oder den Opossums Südamerikas vergleichbar. Die spitzen Köpfe und das mit Spitzzähnen bewaffnete Gebiß könnte auch an einen Marder kleiner Gestalt erinnern. Diese Liliputaner im Riesenreich, die wie Nomaden auf Nahrungssuche blieben, entdeckten dann eines Urwelttages im heißen Sande die wohlschmeckenden Eier der zeitgenössischen Saurier und sie wurden seitdem zu notorischen ßierdieben. Denn die Gelege der Iguanodonten, Brachiosaurier und der anderen Riesenreptilien lagen ohne Bewachung in flachen Mulden. Eine Brutpflege kannten jene stumpfsinnigen Riesen nicht. Diesen wechselwarmen Tieren fehlte auch die zum Brüten notwendige Körperwärme; das mußte also die Sonne besorgen. Eine gangbare Theorie besagt, daß dieses systematische Plündern der Sauriergelege durch die Ursäugetiere nicht zuletzt die Ausrottung der Riesen mit herbeigeführt habe. Heute noch machen sich die Ichneumons in ähnlicher Weise über die Eier der Krokodile her und dezimieren ihren Bestand. Die Riesen des „Nachspiels" Als der Vorhang sich hinter dem Letzten aus dem Sauriergeschlechte geschlossen hatte und die schon längst heranentwickelten Tierstämme der Säugetiere, der Huftiere, der Affenartigen nun den Riesenraum der Erde zur eigenen Entfaltung ungefährdet geöffnet fanden, bot die Natur noch ein Nachspiel zu jenem gewaltigen Epos der Urweltzeit. Aber nun hatte sie für ihre neuen Riesengeschöpfe schon denkende Zuschauer: die Menschen. Denn jener zweite Auftritt von Riesengestalten ging nicht mehr auf der Bühne der Urwelt, der Vorzeit d: h. Vormenschenzeit vor sich, sondern, geologisch und paläontologisch gesehen, schon in der „Neuzeit" der Erde. Rund acht Jahrtausende liegt das zurück. Im Grunde gehört das Titanenvolk der neueren Erdgeschichte nicht mehr in unsere Darstellung. Aber sie runden die Sammlung aus vergangenen Drachenzeiten um einige seltsame Modelle, von denen lebende, aber heruntergekommene Abbilder noch heute die Erde bewohnen. In Elefantengröße stapften die Riesenfaultiere der Diluvialzeit über den Plan. Ihre Körperschwere reichte aus, Bäume zu 'rammen, um das Laub zu erreichen, das ihnen zur Nahrung diente. Mit mächtigen Krallen warfen sie die Erde auf und wühlten Knollen und Wurzelwerk hervor. Aus Höhlen29
Riesengürteltier (Glyptodon), ein mächtiges und ungeheuer schweres Säugetier der Eiszeit, das einst die Pampas Argentiniens belebte und noch mit den Menschen zusammengetrotien ist. funden schließt man, daß der Mensch diese Riesentiere in Gefangenschaft hielt, ob als lebenden Proviant für Notzeiten oder aus Gründen des magisch-kultischen Zaubers, ist ungeklärt. Er nutzte ihr Fell für seine Bekleidung und ihr Fleisch zu seiner Ernährung. Das schwerfällige und unkluge Geschöpf ist vermutlich den Nachstellungen menschlicher Jäger zum Opfer gefallen. Erinnert das Riesenfaultier in seiner ganzen Erscheinung an einen Überbären, so ahmte das gigantische Gürteltier von einst die Gestalt der Schildkröte nach. Auf schweren, plumpen Scharrfüßen mit eisenharten Krallen bewegten sich die Kugeltiere im zolldicken Schildkrötenpanzer durch die Wälder und begegneten so auch dem Menschen. In dramatischen Kämpfen trat der Urmensch diesen oft bis in den Schwanz gepanzerten Ungetümen entgegen und erlegte sie durch die verwundbaren Schalenlücken der Bein- und Kopföffnungen. Aber ihr gefährlichster Feind war nicht der Mensch, sondern der dritte Riese jenes Zeitalters, der wendige Säbeltiger. Mit seinem weit vorspringenden, scharfen Säbelzahn spießte er seine Beute und tötete sie dann nach Raubtierart. Ausgrabungen in Indien und Afrika brachten einen weiteren unbekannten und heute ausgestorbenen Koloß zum Vorschein, einen hornlosen Riesen aus dem Nashorngeschlecht. Noch sind die Forschungen über dieses ungeheure Huftier nicht abgeschlossen, das mehr als 30
Das größte Säugetier aller Zeiten. Das den Nashörnern verwandte riesige Baluchtherium aus den Tertiärschichten Indiens. Daneben zum Vergleich ein airikanisches Doppelnashorn der Gegenwart.
sechs Meter hoch aufragte. Dem Elefanten hat das Baluchtherium — das ist sein zoologischer Name — den Ruhm, das größte Säugetier aller Zeiten zu sein, längst genommen. Auch die klobigsten der heute lebenden Nashorne wirken neben dem Vorfahren Baluchtherium nur noch wie Zwerge. •Ar Das Buch der ausgestorbenen Tier-Riesen hat noch viele Blätter, buntfarbige, spannende, lehrreiche Seiten, Texte mit wahrhaft dramatischen Sensationen. Das zoologische Lehrbuch von den Giganten ist auch längst noch nicht abgeschlossen, jeder Eingriff in das Gewirr der Erdschichtungen kann Tierfunde noch unbekannten Charakters heraufführen. Die Gestaltungskraft der Natur ist in den winzigsten Gebilden wie in ihren Großformen abenteuerlich und schier unerschöpflich. LUX-LESEBOGEN Nr. 52 / Heftpreis 20 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte. Verlag Sebastian Lux, Murnau-München. Aufl. 50000. Bestellungen (vierteljährlich 6 Hefte zu DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. Druck: Buchdruckerei Hans Holzmann, Bad Wörishofen.
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