Tobias Eberwein · Daniel Müller (Hrsg.) Journalismus und Öffentlichkeit
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Tobias Eberwein · Daniel Müller (Hrsg.) Journalismus und Öffentlichkeit
Tobias Eberwein Daniel Müller (Hrsg.)
Journalismus und Öffentlichkeit Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag Festschrift für Horst Pöttker
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dieser Band erscheint mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Presse-Haus NRZ (Essen).
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-15759-7
Inhalt
Daniel Müller & Tobias Eberwein Zur Einführung: professioneller Journalismus und die Aufgabe Öffentlichkeit ................. 9 I.
Gesellschaft und Öffentlichkeit Christian Schicha Öffentlichkeit und Journalismus in der Mediendemokratie ...................................... 23 Hans Poerschke Öffentlichkeit als Gegenstand gesellschaftswissenschaftlicher Diskussion in der DDR ................................................................................................................ 43 Slavko Splichal From Bryce’s ‘Government by Public Opinion’ to Global Governance – Without Public Opinion ............................................................................................ 57 Jürgen Heinrich Öffentlichkeit: Was sagt die Ökonomie dazu? ......................................................... 73 Claus Eurich Mythos und Öffentlichkeit ........................................................................................ 87 Christoph Neuberger Illusionäre Interaktion. Horst Pöttkers Analyse der Entfremdung und der Kompensation durch Massenmedien ........................................................................ 97
II.
Medienethik und publizistische Selbstkontrolle Kenneth Starck The News Ombudsman: Viable or Vanishing? ....................................................... 109 Peter Ludes Geld/Schein/Öffentlichkeiten ................................................................................. 119 Hans Hafenbrack Protestantischer Journalismus und kirchliche Öffentlichkeitsarbeit ....................... 129
Inhalt
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Tobias Eberwein Von „Holzhausen“ nach „Blogville“ – und zurück. Medienbeobachtung in Tagespresse und Weblogs ....................................................................................... 143
III. Journalismus und Migration Petra Herczeg Integration durch Kommunikation. Fünf Thesen über einen notwendigen kommunikationswissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs ...................... 169 Heinz Bonfadelli Rundfunk, Migration und Integration ..................................................................... 181 Leen d’Haenens & Hatim El Sghiar Ethnic Minorities and the Media. Trends in Research in the Low Countries With a Focus on Mechanisms of Identification With Media Contents and Functions Among Flemish Families of Moroccan Descent .................................... 193 Daniel Müller Zwischen Fremdbestimmung und Versagen am Markt. Beiträge zu einer politischen Geschichte der Medien ethnischer Minderheiten in Deutschland ........ 211 Harald Bader & Anne Weibert Flucht vor König und Castro. Presse und Integration politischer Emigranten in den USA ............................................................................................................. 231 Johannes Hoffmann Der Bergarbeiterstreik 1869/70 in Waldenburg (Schlesien) im Spiegel der Dortmunder Presse .................................................................................................. 247 Bärbel Röben Migrantinnen im deutschen Journalismus – ein weißer Fleck. Forschungsüberblick und Perspektiven .................................................................. 263
IV. Journalistik und Journalismusforschung Walter Hömberg Journalistenausbildung an Hochschulen – eine Erfolgsgeschichte? Eine Textcollage aus vier Jahrzehnten und ein Resümee ....................................... 283 Ulrich Pätzold Die Anfänge in Dortmund – eine Erfolgsgeschichte mit viel Glück ...................... 313
Inhalt
7 Gerd G. Kopper Strukturkrisen der Öffentlichkeit und das Fach Journalistik in Deutschland und Europa .............................................................................................................. 327 Andrea Czepek Voraussetzungen für unabhängigen Journalismus im internationalen Vergleich ... 353 Bernd Klammer Empirische Sozialforschung im Journalismus ........................................................ 361 Udo Branahl Recherchefreiheit und Grundgesetz. Die Rechtfertigung von Recherchehandlungen durch das öffentliche Informationsinteresse ....................... 369
V.
Journalismus und Geschichte Wolfgang R. Langenbucher & Irmgard Wetzstein Der real existierende Hochkulturjournalismus. Über Personen, Werke und einen Kanon ............................................................................................................ 387 Joachim Pötschke Die Geburt der Glosse aus dem Zeitungszitat. Der Wiener Publizist Karl Kraus und seine Zeitschrift „Die Fackel“ .......................................................................... 411 Arnulf Kutsch Professionalisierung durch akademische Ausbildung. Zu Karl Büchers Konzeption für eine universitäre Journalistenausbildung ....................................... 427 Kurt Koszyk Journalismus und „Volksstimmung“ im Ersten Weltkrieg ..................................... 455 Rolf Seubert „Friedrich Schiller – Der Triumph eines Genies“ oder: die Umdeutung eines Dichters der universalen Freiheit zum Propheten der nationalsozialistischen Revolution .............................................................................................................. 467 Hans Bohrmann Das Jahr 1945 als personeller und institutioneller Wendepunkt von der Zeitungs- zur Publizistikwissenschaft ..................................................................... 483
Rainer Geißler Wanderungen zwischen Theorie und Praxis. Notizen zum kurvigen Weg von Horst Pöttker ................................................................................................................... 507
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Inhalt
Daniel Müller Schriftenverzeichnis (Personalbibliographie) Horst Pöttker ........................................... 517
Autorinnen und Autoren .................................................................................................. 533 Personenregister .............................................................................................................. 543 Sachregister ..................................................................................................................... 551
Zur Einführung: professioneller Journalismus und die Aufgabe Öffentlichkeit Daniel Müller & Tobias Eberwein
Im Genre der Festschrift ist es weithin üblich, durch viel- und damit zugleich oft nichtssagende Nomina im Titel ein Dach aufzuspannen, unter dem so ziemlich alles Aufnahme finden kann. Im vorliegenden Fall müsste ein solcher Verdacht – eines Mangels an spezifischem Gehalt – besonders stark dem Begriff „Öffentlichkeit“ gelten, nachdem sich beispielsweise Joachim Westerbarkey schon 1994 zu einem Versuch veranlasst sah, Öffentlichkeit als „eine Alltagskategorie kommunikationstheoretisch zu rehabilitieren“ (Westerbarkey 1994). Tatsächlich ist es jedoch so, dass im wissenschaftlichen Denken Horst Pöttkers Öffentlichkeit und Journalismus erstens absolut zentral und zweitens in ausgesprochen spezifischer Weise gedeutet und miteinander verknüpft sind. Der deutsche Begriff Öffentlichkeit ist durchaus ambivalent, was seinen diffusen Gebrauch als „Alltagskategorie“ zweifellos begünstigt hat. Diese Mehrdeutigkeit zeigt sich in der Vielzahl der Übersetzungsmöglichkeiten, z. B. im Englischen. Gängige Möglichkeiten sind etwa „public“, „publicity“, „publicness“, „public discourse“, „public opinion“ und „public sphere“, was z. T. natürlich nicht wieder mit „Öffentlichkeit“ (rück)übersetzt werden muss. Alternativen sind oft durch das Adjektiv „öffentlich“ konstruiert. Die dominante Vorstellung ist seit geraumer Zeit – sei es in Anschluss an oder in Absetzung von Habermas’ Marburger Habilitationsschrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Habermas 1962) – vielfach die, wonach Öffentlichkeit (dann mit „public sphere“ zu übersetzen) einen bestimmten sozialen Raum – meist einen bestimmten Personenkreis – umfasst, im Idealfall die ganze Gesellschaft. In diesem Sinne trägt Öffentlichkeit dann als die Öffentlichkeit auch regelmäßig den Artikel und kann als „vierte Gewalt“ (fourth estate) neben Legislative, Exekutive und Judikative gedacht werden, aber auch als „bürgerliche“, „plebejische“, „proletarische“ (Negt/Kluge 1972) oder „Gegen-Öffentlichkeit“ apostrophiert bzw. parzelliert werden, ja überhaupt in Teilöffentlichkeiten zerfallen oder aber ebenso plausibel in Ebenen geschichtet werden: von der Encounter-Ebene der „Face-to-face“Kommunikation über die Versammlungs- und Themenöffentlichkeit bis hin zur Medienöffentlichkeit (vgl. Neidhardt 1994). Pöttker lehnt diese heute dominanten Sichtweisen auf Öffentlichkeit – denen bei allen Unterschieden gemeinsam ist, dass sie Öffentlichkeit als ein Gebilde betrachten – nicht ab, setzt aber den Akzent auf eine andere Lesart von Öffentlichkeit, ohne Artikel oder einschränkende Zusätze, ohne Möglichkeit der Pluralisierung: auf Öffentlichkeit als ein Prinzip, mit dem älteren Synonym Publizität. Die passende Übersetzung hierfür ist nicht „public sphere“, sondern „publicness“ (vgl. auch Splichal 2006). Diese „publicness“-Öffentlichkeit verfolgt Pöttker in die Aufklärung zurück, etwa hin zu den Schriften des „Robinson“-Autors Daniel Defoe. Öffentlich sein meint danach zunächst in negativer Definition die Abwesenheit von Kommunikationshemmnissen (vgl. Pöttker 1998).
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Ein uns sehr treffend scheinender Vergleich, den Pöttker gern zur Verdeutlichung anführt, ist der vom Markt. Der Markt(platz) kann durchaus als Gebilde, als sozialer Raum, als Institution gedacht werden; zugleich aber eben auch als ein Strukturprinzip des wirtschaftlichen Handelns. Analog ist Öffentlichkeit ein Strukturprinzip der gesellschaftlichen Kommunikation, das der Unbeschränktheit, der Barrierefreiheit. So wie das Marktprinzip sich nie in völliger (im Weber’schen Sinne idealtypischer) Reinheit verwirklichen lässt, weil andere, schutzwürdige Interessen dem entgegenstehen, so gilt dies auch für das Prinzip Öffentlichkeit. Die Grenzen müssen dabei stets neu verhandelt werden, sind aber im Zuge von Modernisierung von Gesellschaft allgemein wohl in Ausweitung begriffen. In komplexen Gesellschaften ist nun Barrierefreiheit nicht gegeben, sondern muss durch Medien und damit die in den Medien ausgeübten Kommunikationsberufe, speziell den Journalismus, jeweils hergestellt werden. Dies erklärt, warum Horst Pöttkers Verständnis von Öffentlichkeit kaum ohne einen zweiten zentralen Begriff nachzuvollziehen ist, der dem ersten stets auf dem Fuße folgt: eben den des „Journalismus“. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Journalismus hat im deutschen Sprachraum – auch wenn die vergleichsweise kurze Geschichte der akademischen Disziplin Journalistik das Gegenteil vermuten lässt – eine durchaus lange Tradition (vgl. z. B. Löffelholz 2004). Dementsprechend vielfältig sind die theoretischen Herangehensweisen an das zu beobachtende Phänomen, die oft unterschiedliche fachliche Hintergründe haben und über ein jeweils spezifisches Problemlösungspotenzial verfügen. Eine umfassende „Supertheorie“ des Journalismus hat sich bislang nicht herausbilden können. Als prägendes Paradigma dominierte zuletzt die systemtheoretische Sichtweise, welche – in Fortzeichnung des „Grundrisses“ von Niklas Luhmann (1984) – Journalismus als gesellschaftliches Teilsystem modelliert, dessen zentrale Funktion die Thematisierung gesellschaftlicher Kommunikation sei, wodurch es die Synchronisation und Selbstbeobachtung der (Welt-)Gesellschaft ermögliche (vgl. u. a. Blöbaum 1994; Scholl/Weischenberg 1998). Diese Perspektive ist jedoch nicht unumstritten und wird aus verschiedenen Richtungen unter Beschuss genommen: So lässt sich beispielsweise aus dem Blickwinkel der (Kritischen) Handlungstheorien monieren, dass der systemtheoretische Ansatz die Bedeutung individueller Akteure1 für das journalistische Handeln weitgehend ausblendet (vgl. etwa Baum 1994). Ebenso lässt sich im Sinne der Cultural Studies kritisieren, dass sich – systemtheoretisch untermauerte – Distinktionen wie Faktizität vs. Fiktionalität oder Information vs. Unterhaltung angesichts gegenwärtiger Entgrenzungsprozesse nicht länger aufrechterhalten lassen (vgl. etwa Renger 2000; Lünenborg 2005). In Pöttkers Herangehensweise finden Frontstellungen wie die zwischen System- und Kulturparadigma oder zwischen mikro- und makrotheoretischen Zugängen jedoch keinen Raum. Er vertritt stattdessen eine explizit berufsorientierte Journalistik (vgl. Meier 2007: 25ff.), in der Probleme der journalistischen Praxis, der Qualität und der Ethik des Journalismus in den Fokus rücken.
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Im vorliegenden wie auch allen anderen Beiträgen dieses Bandes wird aus Gründen der Lesbarkeit in der Regel nur die männliche Form verwendet. Alle Aussagen über Journalisten, Medienvertreter und sonstige individuelle Akteure gelten auch für Journalistinnen, Medienvertreterinnen usw., wenn nicht ausdrücklich eine Einschränkung erfolgt.
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Was macht für Pöttker den Beruf Journalismus aus? Konstitutiv ist zunächst einmal, im Sinne der Berufsdefinition Max Webers, eine typische „Spezifizierung, Spezialisierung und Kombination von Leistungen einer Person […], welche für sie die Grundlage einer kontinuierlichen Versorgungs- und Erwerbschance ist“ (Weber 1972: 80). Mit anderen Worten: Journalisten sollen für ihre spezielle Tätigkeit und die dafür erworbenen Kompetenzen ein regelmäßiges und zum Leben ausreichendes Einkommen erwarten (können). Darüber hinaus ist der Journalistenberuf mit einer ihm eigenen Aufgabe – bewusst vermeidet Pöttker den systemtheoretisch konnotierten Funktionsbegriff – verbunden: dem Herstellen von Öffentlichkeit (vgl. u. a. Pöttker 1999). Als Kernelement des journalistischen Berufsethos lässt sich damit ein Drang zum „An-den-Tag-bringen“ beschreiben, der bereits in der Berufsbezeichnung „Journalist“ erkennbar wird, in der das französische Nomen „le jour“ (der Tag) enthalten ist: Journalisten bringen an den Tag, was nicht verschwiegen werden darf, damit ihre Rezipienten sich in der Gesellschaft, in der sie leben, zurechtfinden können. Aus der Öffentlichkeitsaufgabe ergibt sich eine journalistische „Grundpflicht zum Publizieren, von der im Prinzip kein Gegenstand und kein Thema ausgenommen ist“ (ebd.: 221). Pöttker vergleicht diese Grundnorm oft anschaulich mit ähnlichen bei Ärzten, die menschliches Leben erhalten, oder Rechtsanwälten, die für ihre Mandanten das rechtlich Mögliche herausholen sollen. Sollte es Gründe geben, die gegen eine Befolgung dieser Gebote sprechen, so müssen diese besonders stark ausgeprägt sein. Nach dieser Argumentation ist das Nicht-Veröffentlichen von bestimmten Themen ein schwerer wiegender Verstoß gegen die journalistische Professionalität als eine Verfälschung publizierter Informationen. Allerdings lässt sich die Aufgabe Öffentlichkeit langfristig nur dann umsetzen, wenn Journalisten sich an spezifische Regeln und Verhaltensstandards halten, die für ihren Beruf charakteristisch sind. Dazu gehört die Pflege einer ganzen Reihe von Qualitätsmerkmalen, die dabei helfen können, Rezipienten auch solche Informationen zu vermitteln, die ihnen unbekannt und deshalb befremdlich sind. Mehr auf die Gegenstände gerichtete Qualitätsmerkmale sind etwa Richtigkeit, Vollständigkeit, Wahrhaftigkeit und Universalität; mehr auf das Publikum zielen Unabhängigkeit, Aktualität, Verständlichkeit und Unterhaltsamkeit (vgl. Pöttker 2000). Horst Pöttkers Arbeiten zu Journalismus und Öffentlichkeit stehen in vielerlei Hinsicht quer zum Mainstream der akademischen Auseinandersetzung mit diesen Themen. Ein durchgängiges Merkmal ist die Verschränkung unterschiedlicher Forschungstraditionen und Fachdisziplinen, die eine Zuordnung zu vorgefertigten Theorieschubladen schwierig, wenn nicht gar unmöglich macht. Dieser integrative Charakter seiner Studien, die sowohl individuelle journalistische Akteure als auch die Gesellschaft als Ganzes in den Blick nehmen, die sowohl system- als auch kulturorientiertes Denken zulassen, diente auch als Leitmotiv bei der Konzeption der vorliegenden, Horst Pöttker anlässlich seines 65. Geburtstages zugedachten Festschrift. Der Band vereint 29 Fachaufsätze von ehemaligen und gegenwärtigen Weggefährten, von Schülern und Kollegen, von Freunden und Förderern, mit denen Horst Pöttker in seiner Laufbahn als Wissenschaftler mal mehr, mal weniger intensiv in Berührung geraten ist. Gemeinsam ist den Texten der kontinuierliche Rückbezug auf die Oberthemen Journalismus und Öffentlichkeit. Unterscheiden lassen sie sich vor allem aufgrund ihrer vielfältigen fachlichen Hintergründe, die so verschiedenartige Disziplinen wie Soziologie, Politologie, Ökonomie, Jura, Geschichts-, Literatur- und Filmwissenschaft und natürlich immer wieder
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Journalistik und Kommunikationswissenschaft umfassen. Diese Pluralität der Herangehensweisen macht deutlich, dass es nicht das Anliegen der Textsammlung sein kann, ein möglichst distinktes und scharf konturiertes Verständnis von Journalismus und Öffentlichkeit zu generieren. Erst recht nicht sollen die Beiträge, obwohl sie in der Mehrzahl Bezug auf ihn nehmen, in Kongruenz mit den spezifischen Sichtweisen Horst Pöttkers gebracht werden. Vielmehr geht es darum, durch das Nebeneinander andersartiger und sich z. T. auch widersprechender Ansätze für Spannungen zu sorgen und Irritationen zu erzeugen. Diese ermöglichen, wenn sie konstruktiv gespiegelt werden, einen besonders aufschlussreichen und hoffentlich anregenden Blick auf das wissenschaftliche Werk des Jubilars. Insofern lässt sich der Band auch als kritische Bilanz seines bisherigen Schaffens lesen – und eine solche wird dem Querdenker und Nonkonformisten Horst Pöttker sicherlich besser gerecht als deskriptives Protokollieren oder devote Lobhudelei. Die einzelnen Beiträge sind in fünf – zwangsläufig nicht trennscharfe – thematische Panels gegliedert, die verschiedene Schwerpunkte der wissenschaftlichen Tätigkeit Horst Pöttkers reflektieren (vgl. dazu auch den Beitrag von Rainer Geißler in diesem Band): Das Oberkapitel zu „Gesellschaft und Öffentlichkeit“ spiegelt sein Interesse für die soziologischen Klassiker und ihre Arbeiten zur Öffentlichkeits- und Gesellschaftstheorie, aber auch seinen sozialwissenschaftlich geleiteten Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung eines funktionierenden Journalismus wider. Der Abschnitt über „Medienethik und publizistische Selbstkontrolle“ verweist auf seine intensive Auseinandersetzung mit journalistischen Qualitätskriterien und den Instanzen ihrer Sicherung. Der Block über „Journalismus und Migration“ verdeutlicht sein Engagement im Kontext des DFG-Projektes „Mediale Integration ethnischer Minderheiten“, das er gemeinsam mit Rainer Geißler im Sonderforschungsbereich „Medienumbrüche“ an der Universität Siegen geleitet hat. Ein weiterer Abschnitt nimmt die Entwicklung von „Journalistik und Journalismusforschung“ in Deutschland in den Fokus – und damit auch die jüngere Geschichte und Gegenwart der akademischen Journalistenausbildung, die Horst Pöttker vor allem als Hochschullehrer am Dortmunder Institut für Journalistik wesentlich mitgeprägt hat. Das Schlusspanel zu „Journalismus und Geschichte“ repräsentiert sein Faible für die Erforschung der historischen Entwicklungsstufen des Journalistenberufs, aber auch für die Geschichte der wissenschaftlichen Disziplinen zur Erforschung desselben, durch das er sich – obgleich kein studierter Historiker – in der Scientific Community einen besonderen Namen gemacht hat.
1.
Gesellschaft und Öffentlichkeit
Aus sehr verschiedenen Perspektiven, z. T. auch von ausgeprägten Positionen aus, nähern sich im ersten Abschnitt des Buches sechs Autoren dem Begriff der Öffentlichkeit, wobei mehrere ausgiebig Horst Pöttkers eigenen Beitrag zur Theorie der Öffentlichkeit diskutieren. Christian Schicha (Düsseldorf) geht in seinem Text aus politikwissenschaftlicher Sicht auf die Rolle von Journalismus und Öffentlichkeit in der „Mediendemokratie“ ein; er erörtert dabei Öffentlichkeit „nicht nur als ein beschreibbares empirisches Phänomen […], sondern […] auch als Postulat, einen anzustrebenden Zustand mit Hilfe der öffentlichen Willens- und Meinungsbildung“, die allerdings nur medialisiert erfolgen könne. Den normativen Gehalt des Öffentlichkeitsbegriffs insbesondere in Bezug auf die Diskursrationali-
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tät sieht der Autor dabei kritisch, warnt aber zugleich vor pauschalem Kulturpessimismus. Dem Journalismus bleibt demnach weiter eine zentrale Rolle. Mit einem zu Unrecht weitgehend unbekannt gebliebenen oder schnell vergessenen Korpus von öffentlichkeitstheoretischen Arbeiten befasst sich Hans Poerschke (Holzweißig/Leipzig). War die Öffentlichkeitstheorie in der DDR zuerst kein Thema, kam es nach zaghaften Ansätzen in den frühen 1980er Jahren ab 1987/88 zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Begriff, der seinen Reiz heute daher gewinnt, dass die Autoren versuchten, sich von den Vorgaben der Doktrin – die von Öffentlichkeit etwa im Sinne von Kritik- und Kontrollfunktion nichts wissen wollte, sondern nur ein einseitiges „Hineintragen“ der Vorgaben der Partei in die Bevölkerung erwartete – zu lösen, zugleich aber am Sozialismus festzuhalten. Slavko Splichal (Ljubljana) geht auf die Bedeutung der öffentlichen Meinung für die demokratische Regierung insbesondere im Zeitalter der zunehmenden Erosion von nationalstaatlichen Machtbefugnissen ein. Er beginnt mit Visionen, die von der Möglichkeit der Meinungsumfrage eine massive Stärkung und Vitalisierung der Demokratie erhofften, da die Regierenden ja nun jederzeit die „Stimme des Volkes“ berücksichtigen könnten, und endet – durchaus pessimistisch gestimmt – mit der Feststellung, dass die deliberative Öffentlichkeit allgemein durch das Zurücktreten des Nationalstaats an Bedeutung verloren hat, woran Meinungsumfragen wenig ändern, zumal deren Agenda nicht von den Bürgern vorgegeben wird, sondern von mächtigen Akteuren (im Falle des bekannten „Eurobarometers“ etwa von der Europäischen Kommission). Jürgen Heinrich (Felde/Dortmund) nähert sich dem Begriff der Öffentlichkeit ausdrücklich aus der Perspektive der Ökonomie, wobei er sich intensiv mit der von Horst Pöttker aufgestellten Forderung nach Folgentransparenz auseinandersetzt. Heinrich kommt zu dem Schluss, dass das reine Angebot solcher Transparenz nicht ausreiche; es müssten auch entsprechende Anreize gesetzt werden. So sei es nicht sicher, ob die Öffentlichkeit als reale Institution im ökonomischen Sinne positive Wirkungen entfalte, zumal zahlreiche normative Ansprüche an Öffentlichkeit stark von Wunschdenken gekennzeichnet seien. Claus Eurich (Dortmund) befasst sich zunächst mit dem Wesen des Mythos, wobei er von authentischen Mythen die sekundären und vor allem die Scheinmythen unterscheidet. Die Medien – und hier vor allem das Fernsehen, namentlich fiktionale Formate und die Werbung – bedienen sich der Mythenmotive, um die Zuschauer mit Scheinmythen zu überfluten. Eurich spricht sich gegen eine „Dämonisierung“, aber auch gegen das Hinnehmen dieses Prozesses aus. Christoph Neuberger (Münster) referiert zunächst prägnant die Kernthesen aus Horst Pöttkers Habilitationsschrift, die sich – vor dem Beginn des eigentlichen Internet-Zeitalters, wenn auch nicht des Internets – mit Formen der (Nicht-)Interaktion im Sinne der Dichotomie folgenreflexiv/rezeptiv auseinandersetzt. Denn das Internet (und zumal die als Web 2.0 bekannten Formate) habe gerade in Bezug auf die von Pöttker angesprochenen Interaktionsund Partizipationsdefizite erhebliche Erwartungen geweckt. Neuberger fragt dabei, ohne letztlich eine endgültige Antwort liefern zu können, nach dem illusionären Charakter dieser Interaktion, u. a. nach der Bereitschaft der Institutionen, sich der Interaktion auch zu öffnen und sie nicht entweder zu verweigern oder zu manipulieren. Für technikdeterministischen Optimismus sieht er keinen Anlass, zugleich weiter eine wichtige Rolle für den Journalismus.
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14 2.
Medienethik und publizistische Selbstkontrolle
Der zweite Abschnitt des Bandes führt vier Beiträge aus dem Themenfeld „Medienethik und publizistische Selbstkontrolle“ zusammen. Kenneth Starck (Iowa City) diskutiert das Konzept des Ombudsmannes, welches als Element der journalistischen Qualitätssicherung in Ländern wie Japan oder den USA eine lange Tradition hat, sich im deutschen Sprachraum jedoch nie durchsetzen konnte. Seine Zusammenschau der bisherigen Forschung zum Thema wird angereichert durch persönliche Erfahrungen: Starck war – neben seiner Tätigkeit in der akademischen Journalistenausbildung – sechs Jahre lang selbst als Ombudsmann für die Cedar Rapids Gazette Company aktiv. Umso mehr bedauert er, dass die Zahl der Ombudsleute inzwischen auch in den USA rückläufig ist: Eine derartige Instanz der journalistischen Selbstkontrolle sei ideal, um den redaktionellen Alltag transparent zu machen und damit bei den Rezipienten Vertrauen zu schaffen – und dies hätten viele Medien gerade in Zeiten des digitalen Umbruchs bitter nötig. Auch Peter Ludes (Bremen) interessiert sich für gegenwärtige „Umbrüche der Medieninformation“ und deren Auswirkungen auf die journalistische Qualität, speziell die Mechanismen der Themenselektion im Journalismus. Seine Analyse verweist – gestützt auf Manuel Castells’ Theorie der Netzwerkgesellschaft – auf verschiedene Probleme, die die Verbreitung neuerer Informations- und Kommunikationstechnologien mit sich bringt: etwa eine zunehmende Unterhaltungsorientierung und Kommerzialisierung, aber auch eine fortschreitende Deprofessionalisierung öffentlicher Kommunikation. Angesichts dieser Entwicklungen sieht Ludes neue Aufgaben für einen „aufklärerischen Journalismus“, der „Vernachlässigungen von Vergangenheit und Zukunft im tagesaktuellen Nachrichtengeschäft“ überwinden müsse. Dass vor allem Fragen des Glaubens und Themen der Kirche im öffentlichen Diskurs nicht vernachlässigt werden – dafür setzen sich unter anderem die publizistischen Organe der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein. Hans Hafenbrack (Wehrheim), fast zwei Jahrzehnte lang Chefredakteur des Evangelischen Pressedienstes (epd), nimmt diese Organe kritisch in den Blick. Nach einem fundierten historischen Überblick stellt er fest, dass „[d]er unabhängige Journalismus, einst Markenzeichen der evangelischen Publizistik, […] auf dem Rückzug [ist]. Die Leitungsgremien der Kirche entscheiden sich jedenfalls bei den Printmedien mehr und mehr für Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit“. Als noch bedenklicher empfindet er jedoch den zunehmenden „Druck des Internets, der die gesamte mediale Landschaft umzustürzen droht“. Dessen künftige Auswirkungen auf die evangelische Publizistik seien gegenwärtig aber noch nicht einzuschätzen. Die besondere Rolle des Internets als Instrument der öffentlichen Medienbeobachtung untersucht Tobias Eberwein (Dortmund). Da dem Medienjournalismus als Reflexionseinrichtung des journalistischen Systems in der Vergangenheit immer wieder eklatante Mängel zugeschrieben wurden, formuliert er die Hoffnung, medienspezifische Weblogs könnten die Funktionen und Leistungen massenmedialer Selbstberichterstattung wenigstens teilweise übernehmen. Eine vergleichende Inhaltsanalyse von Medienblogs und ausgewählten Medienseiten in der Tagespresse lässt diese Hoffnung jedoch schwinden. Zwar treten Blogger vor allem bei Internetthemen als kritische und ernst zu nehmende Beobachter auf. Insgesamt lässt ihre Berichterstattung jedoch viele thematische Lücken; zudem fehlt es ihnen an
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eigenständiger Recherche und Kontinuität. Ein modernes Wundermittel der Medien(selbst)kontrolle sind Blogs demnach nicht.
3.
Journalismus und Migration
Der Abschnitt „Journalismus und Migration“ bietet einen Überblick über neuere Forschungen zur Rolle der Massenmedien und speziell des Journalismus bei der Integration von Migranten. Ganz im Sinne von Horst Pöttker (vgl. die Arbeiten, die im DFG-Projekt „Mediale Integration ethnischer Minderheiten“ 2002-2009 entstanden sind) versammelt das Panel dabei nicht nur Beiträge, die sich mit dem Hier und Jetzt befassen, sondern enthält auch historische Rückblicke sowie den internationalen Vergleich sowohl mit den klassischen Einwanderungsländern Nordamerikas – hier den USA – als auch mit europäischen Nachbarstaaten. Ebenfalls ganz im Sinne des Jubilars stehen dabei prinzipielle theoretische Überlegungen am Anfang: Petra Herczeg (Wien) befasst sich grundsätzlich mit der Rolle von Kommunikation, namentlich medialer und durch Journalisten vermittelter, für den Prozess der Integration von Migranten, wobei sie fünf Thesen aufstellt; insbesondere bemängelt die Autorin, dass der öffentlich geführte Diskurs Integration eben nicht als gesellschaftlichen Prozess darstellt, sondern einseitig auf bestimmte Strukturmerkmale verkürzt. Dargestellt wird dies auch an einem Fallbeispiel, für das 1.900 Beiträge österreichischer Medien einer quantitativen Inhaltsanalyse unterzogen wurden. Im Beitrag von Heinz Bonfadelli (Zürich) steht nach Synopse der theoretischen Grundlagen für die Integrationsfunktion der Medien die Empirie im Mittelpunkt. Forschungsleitend war dabei die Frage, welchen Beitrag der Hörfunk zur Integration sprachkultureller Minderheiten in der Schweiz leistet. Dabei wurden drei Erhebungen parallelisiert: eine Inhaltsanalyse, wobei 468 migrationsbezogene Beiträge ermittelt und näher ausgewertet wurden; eine Befragung von zwölf Medienschaffenden in Bezug auf ihre Sicht auf die eigene Rolle bei der Integration von Migranten; und eine Online-Befragung von 361 Migranten (ergänzt durch elf Gruppengespräche) zur Nutzung und Bewertung des Hörfunks. Die Ergebnisse veranlassen den Autor zur Forderung nach stärkerer Verankerung interkultureller Verständigungsangebote im Programm, aber auch nach verstärkter „diversity“: mehr Repräsentation der Minderheiten in den Redaktionen. Leen d’Haenens (Leuven/Nijmegen) und Hatim El Sghiar (Leuven) geben in ihrem Beitrag eine gedrängte Synopse der Forschung in Bezug auf Medien und Migration in den Niederlanden und in Flandern und gehen dann ebenfalls zur Vorstellung eines empirischen Projekts über: In qualitativen Familieninterviews (mit marokkanischstämmigen Familien in Flandern) wurden die Nutzung des Fernsehens – auch z. B. der internationalen arabischen Sender wie Al Jazeera – und dessen Rolle bei der Identitätskonstruktion untersucht, wobei die verschiedenen Muster innerhalb der marokkanischen Community (und nicht der Vergleich mit der flämischen Mehrheitsgesellschaft) im Mittelpunkt stehen. Daniel Müller (Dortmund) befasst sich mit den heute vielfach als ‚Ethnomedien‘ bezeichneten Medien ethnischer Minderheiten in Deutschland. In zwei Überblickskapiteln über Entwicklungen bis und seit 1945 werden exemplarisch Aspekte der politischen Geschichte von Minderheitenmedien – in Abgrenzung von Auslandsmedien – zusammengefasst. Diese Beispiele werden dann bewertet, mit dem Ergebnis, dass die Medien ethnischer
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Minderheiten in Deutschland – mit Ausnahmen, etwa der russischsprachigen Presse – entweder von amtlichen Stellen des In- und Auslandes finanziell getragen und folglich politisch fremdbestimmt werden oder aufgrund der fehlenden Nachfrage am Markt scheitern. Harald Bader (Dortmund) und Anne Weibert (Dortmund/Siegen) untersuchen in ihrem Beitrag zwei historische Phänomene von Migration in die USA. Die Flucht der deutschen „Forty-Eighters“, der Anhänger der gescheiterten Revolution von 1848, wird mit der Einwanderung von Kubanern in die USA nach der erfolgreichen Revolution von Fidel Castro 1959 verglichen. Beide Wanderungsbewegungen unterscheiden sich von anderen vor allem durch ihre explizit politische Motivation. Im Mittelpunkt der Darstellung steht die Rolle der Minderheitenpresse, also der deutschsprachigen („New-Yorker Staats-Zeitung“) bzw. der spanischsprachigen; aber auch die Reaktion der Mehrheitsmedien wird thematisiert. Horst Pöttker hat sich in der Vergangenheit – u. a. auch mit Harald Bader – mehrfach mit der Rolle der Presse in Bezug auf Integration und Nicht-Integration der um 1900 in Massen ins Ruhrgebiet zugewanderten Polen befasst. Johannes Hoffmann (Dortmund) geht in seinem Beitrag zurück zum Beginn der Zuwanderung aus den Ostgebieten des preußischen Staates, die Ankunft – noch vor der Reichsgründung 1871 – einer großen Zahl von Bergleuten aus dem niederschlesischen Bergrevier Waldenburg im Zuge eines dort gescheiterten Arbeitskampfes 1869/70. Als Quellen dienen Dortmunder liberale Zeitungen, die mit den Streikenden, aus denen Zuwanderer wurden, sympathisierten; eine Reihe von Artikeln wird dokumentiert. Schließlich geht Bärbel Röben (Attendorn) in ihrem umfassend den Forschungsstand aufarbeitenden Beitrag auf die noch immer nur am Rande erforschte Rolle der Migrantinnen im Forschungsfeld mediale Integration ein, also auf die spezifische Situation der Frauen, namentlich beim Zugang zum Journalistenberuf. Über die Synopse hinaus stellt Röben Forderungen auf, die viel mit denen Bonfadellis gemeinsam haben.
4.
Journalistik und Journalismusforschung
Einen deutlichen Schwerpunkt auf die berufsbezogene Dimension akademischer Beschäftigung mit Journalismus und Öffentlichkeit bietet der Abschnitt „Journalistik und Journalismusforschung“. Die ersten drei Aufsätze des Panels zeichnen dabei die Institutionalisierung des Faches Journalistik in der deutschen Hochschullandschaft seit den 1970er Jahren und damit die jüngere Geschichte der akademischen Journalistenausbildung nach. Einen Überblick über diese Geschichte vermittelt die Textcollage von Walter Hömberg (Eichstätt). In Form von Rückblenden dokumentiert er die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Journalistik in Deutschland und veranschaulicht, welche Motive in den vergangenen vier Jahrzehnten für eine Akademisierung der Journalistenausbildung sprachen, aber auch, welche Widerstände sich dabei formierten. Im Rückblick bewertet er die Entwicklung als „Erfolgsgeschichte“, auch wenn der gegenwärtige „Bologna-Prozess“ und die damit verbundene „Modularisierung“ der Journalistik-Curricula das Fach vor große Herausforderungen stellten. Eine „Erfolgsgeschichte“ stellt für Ulrich Pätzold (Berlin/Dortmund) vor allem die Entstehung des Dortmunder Journalistik-Studienganges dar, den Kurt Koszyk in den 1970er Jahren als Modellprojekt für eine hochschulgebundene Journalistenausbildung ins Leben rief. Pätzold rekonstruiert die Frühphase des Dortmunder Modells und damit den
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Aufbau des dortigen Instituts für Journalistik, das bis heute in Deutschland das größte seiner Art ist. Die weitere Entwicklung des wissenschaftlichen Berufsfachs Journalistik verfolgt Gerd G. Kopper (Berlin/Dortmund) jedoch durchaus kritisch: Vor allem die Chance einer Europäisierung der journalistischen Ausbildung an Hochschulen sei verspielt worden, weil in der Phase ab 1990 entscheidende Innovationen ausblieben. Kopper diagnostiziert rückblickend „institutionelle Geburtsfehler“ in der Gründungsphase der Journalistik in Deutschland, die sich später – zeitversetzt – auf europäischer Ebene wiederholt hätten. Die entscheidende Herausforderung an das Fach liege nun darin, nicht zuletzt auf transnationaler Ebene seine Innovationsoption für das Berufsfeld Journalismus wiederzuentdecken und umzusetzen. Die Bedeutung der Journalistenausbildung betont auch Andrea Czepek (Wilhelmshaven). Sie stellt – ausgehend von einem internationalen Forschungsprojekt zur Pressefreiheit im europäischen Kontext – die provokative Frage: „Ist der Journalismus in Europa noch zu retten?“ Nach einer Analyse der gegebenen Rahmenbedingungen sucht sie nach verschiedenen Möglichkeiten zur Förderung eines verantwortungsvollen und unabhängigen Journalismus – und findet einen zentralen Ansatzpunkt in den Ausbildungseinrichtungen für Journalisten, die ausgebaut und weiterentwickelt werden müssten. Wie sich wissenschaftliche und berufspraktische Zugänge in der Journalistenausbildung wechselseitig befruchten können, veranschaulicht Bernd Klammer (Münster). Er arbeitet verschiedene Gemeinsamkeiten von Journalismus und empirischer Sozialforschung heraus und verdeutlicht den gegenseitigen Nutzen beider Tätigkeitsfelder: Das Vorbild einer sozialwissenschaftlich fundierten methodologischen Reflexion könne dabei helfen, journalistische Recherchestrategien zu optimieren, während die Sozialforschung und die Wissenschaft allgemein vor allem von journalistischen Kompetenzen bei der Themenauswahl und ihrer Vermittlung profitieren dürften. Die beschriebenen Vorteile seien in der akademischen Journalistenausbildung unter anderem in Form von Lehrforschungsprojekten fruchtbar zu machen, wie Horst Pöttker sie am Dortmunder Institut für Journalistik seit vielen Jahren pflegt. Dass auch die Vermittlung von Sachwissen in der Journalistenausbildung einen zentralen Stellenwert einnimmt, zeigt der Beitrag von Udo Branahl (Dortmund), der die rechtlichen Grundlagen journalistischer Recherchehandlungen erläutert und bewertet. Entsprechende Lehrveranstaltungen sind seit jeher ein fester Bestandteil der Dortmunder Journalistik-Curricula und stellen damit ein weiteres Beispiel für einen akademischen Blick auf den Journalismus mit dezidiert berufspraktischer Ausrichtung dar.
5.
Journalismus und Geschichte
Das Themenfeld „Journalismus und Geschichte“ bildet die Klammer für das Schlusspanel, welches wiederum sechs Aufsätze versammelt. Die breiteste Zeitspanne umfasst dabei der Beitrag von Wolfgang R. Langenbucher (München/Wien) und Irmgard Wetzstein (Wien). Sie stellen ihren „Kanon des Journalismus deutscher Sprache“ vor, in dem sie 100 journalistische Persönlichkeiten aus drei Jahrhunderten zusammenführen – und der Journalismusforschung damit viele gute Gründe für eine
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Abkehr vom Systemdenken und eine Refokussierung auf den journalistischen Akteur liefern. Einer dieser Akteure ist Karl Kraus. Auf ihn konzentriert sich Joachim Pötschke (Tutzing/Leipzig), der anhand von vier zentralen Essays aus der Feder dieses großen Wiener (Tages-)Schriftstellers dessen weltanschaulichen und künstlerischen Wandel nachvollzieht – und dabei unterstreicht, in welchem Maße er das Genre der Glosse beeinflusst und geprägt hat. Die fortschreitende Professionalisierung des Journalistenberufs zu Beginn des 20. Jahrhunderts thematisiert Arnulf Kutsch (Leipzig). Er widmet sich in seinem quellenreichen Aufsatz dem Nationalökonomen Karl Bücher, der – wie Kutsch zeigt – bereits vor dem Ersten Weltkrieg einen umfassenden und weit ausdifferenzierten Vorschlag für eine universitäre Journalistenausbildung konzipiert hatte. Damit liefert Kutsch gleichsam einige Bausteine für eine Vorgeschichte der deutschsprachigen Journalistik, auf die die Beiträge des vorhergehenden Panels aufbauen können. Kurt Koszyk (München/Dortmund) beschreibt, wie sich die Bedingungen für einen professionellen Journalismus mit dem Kriegsausbruch 1914 wandelten: „[D]er im 19. Jahrhundert erkämpften ‚Pressefreiheit‘ [wurde] ein Ende bereitet. Militärische und zivile Behörden sollten dafür sorgen, ‚Volksstimmung‘ so zu gestalten, dass sie militärische Planung und Aktion nicht gefährdete.“ Um das Zusammenwirken von deutschen Zeitungen und Pressepolitik zu illustrieren, untersucht Koszyk den „Modellfall Sommeschlacht und Verdun“ und zeigt, dass es der Zensur offenbar gelang, in der Öffentlichkeit trotz erschreckender Verluste keine Zweifel an einem deutschen Endsieg aufkommen zu lassen. Eine andere Facette deutscher Kriegspropaganda veranschaulicht Rolf Seubert (Siegen) am Beispiel des Historienfilms „Friedrich Schiller – Der Triumph eines Genies“. In dem 1940 uraufgeführten Streifen deuteten die nationalsozialistischen Filmschaffenden den Dichterfürsten zum Propheten eines kommenden „Tausendjährigen Reiches“ um, während sie die historische Person Schillers und sein Werk völlig aus dem Blick verloren. Daran konnte ihnen auch kaum gelegen sein, denn – so Seubert – „[d]as Werk des wirklichen Schiller war für die NS-Propaganda nicht nur uninteressant, sondern inzwischen gefährlich“. Welche Auswirkungen die NS-Zeit auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit Journalismus und Medien hatte, untersucht schließlich Hans Bohrmann (Dortmund). Das Jahr 1945 erscheint ihm dabei als personeller und institutioneller Wendepunkt, denn „der überwiegenden Mehrzahl der Zeitungswissenschaftler (einschl. der Rundfunkkunde), die das Kriegsende im dienstfähigen Alter erreichten, [wurde] kein neues Hochschulamt verliehen“. Die Entwicklung von der Zeitungswissenschaft im Nationalsozialismus hin zur Publizistik und Journalistik nach dem Kriege sei damit „gebrochener“, als bislang zu vermuten war. Auch Bohrmanns Beitrag liest sich – wie der von Kutsch – wie ein Präludium zu einer Geschichte der Journalistik in Deutschland, die bislang freilich noch nicht geschrieben ist. Die Zusammenschau der einzelnen Beiträge in diesem Band verdeutlicht nochmals die Heterogenität ihrer Herangehensweisen und die Vielschichtigkeit ihrer Befunde. Damit muss sich die Textsammlung wohl unweigerlich einer nahe liegenden Kritik stellen, mit der sich ähnliche Publikationsprojekte in der Vergangenheit immer wieder konfrontiert sahen: dass Festschriften nämlich in der Regel nicht mehr als inhaltlich unstrukturierte und häufig lieblos zusammengefügte Buchbinder-Synthesen seien, denen – ähnlich wie auch Tagungs-
Zur Einführung
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bänden – jegliche Existenzberechtigung abzusprechen ist (vgl. zuletzt Hoeren 2009). Dass wir uns diesem Unternehmen trotzdem angenommen haben, hat vor allem einen Grund – und der heißt Horst Pöttker. Faszinierende Forscherpersönlichkeiten wie er fordern – auch oder gerade wenn sie sich gelegentlich despektierlich über das Genre der Festschrift äußern – zu intellektueller Auseinandersetzung geradezu heraus; sie bieten Denkanstöße und Reibungsflächen – und werden damit zur Quelle der Inspiration. Auch um dieses Inspirationspotenzial zu würdigen, haben wir uns mit großer Genugtuung auf das akademische Ritual einer Festschrift eingelassen. Sie bietet einerseits den notwendigen Raum, um Horst Pöttkers Verdienste für Journalistik und Kommunikationswissenschaft zu dokumentieren – wie das vordergründig vor allem das von Rainer Geißler (Siegen) beigesteuerte Porträt und die Personalbibliographie von Daniel Müller (Dortmund) versuchen. Andererseits macht sie es möglich, diese Verdienste aufzugreifen, zu reflektieren, vielleicht auch zu revidieren, in jedem Falle aber weiterzuspinnen. Die Autoren der in diesem Band versammelten Aufsätze haben höchst unterschiedliche Strategien im Umgang mit dem Pöttker’schen Inspirationspotenzial entwickelt. Auch die Verschiedenartigkeit ihrer Beiträge ist ein Beleg dafür, wie vielfältig das Werk des Geehrten auf sein Umfeld ausstrahlt.
Literatur Baum, Achim (1994): Journalistisches Handeln. Eine Kritik der Journalismusforschung. Opladen. Blöbaum, Bernd (1994): Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung. Opladen. Habermas, Jürgen (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied am Rhein, Berlin. Hoeren, Thomas (2009): Akademische Rituale. Tod den Tagungsbänden! In: Spiegel Online v. 20.10.2009. Online unter: http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,655408,00.html Löffelholz, Martin (2004): Theorien des Journalismus. Eine historische, metatheoretische und synoptische Einführung. In: ders. (Hrsg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2. Aufl. Wiesbaden, S. 17-63. Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main. Lünenborg, Margreth (2005): Journalismus als kultureller Prozess. Zur Bedeutung von Journalismus in der Mediengesellschaft. Ein Entwurf. Wiesbaden. Meier, Klaus (2007): Journalistik. Konstanz. Negt, Oskar/Kluge, Alexander (1972): Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Frankfurt am Main. Neidhardt, Friedhelm (1994): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. In: ders. (Hrsg.): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Opladen, S. 7-41. Pöttker, Horst (1998): Von Nutzen und Grenze der Medienfreiheit. Daniel Defoe und die Anfänge eines Ethos der Öffentlichkeitsberufe. In: Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Freiheit und Medien. Beiträge zur Medienethik. Bd. 4. Frankfurt am Main, S. 207-226. Pöttker, Horst (1999): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Zum Verhältnis von Berufsethos und universaler Moral im Journalismus. In: Funiok, Rüdiger/Schmälzle, Udo F./Werth, Christoph H. (Hrsg.): Medienethik – die Frage der Verantwortung. Bonn, S. 215-232. Pöttker, Horst (2000): Kompensation von Komplexität. Journalismustheorie als Begründung journalistischer Qualitätsmaßstäbe. In: Löffelholz, Martin (Hrsg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. Wiesbaden, S. 375-390. Renger, Rudi (2000): Populärer Journalismus. Nachrichten zwischen Fakten und Fiktion. Innsbruck etc. Scholl, Armin/Weischenberg, Siegfried (1998): Journalismus in der Gesellschaft. Theorie, Methodologie und Empirie. Opladen, Wiesbaden. Splichal, Slavko (2006): In search of a strong European public sphere: some critical observations on conceptualizations of publicness and the (European) public sphere. In: Media, Culture & Society, 28. Jg., S. 695-714. Weber, Max (1972): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. 2. Aufl. Tübingen. [zuerst 1922]
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Westerbarkey, Joachim (1994): Öffentlichkeit als Funktion und Vorstellung. Der Versuch, eine Alltagskategorie kommunikationstheoretisch zu rehabilitieren. In: Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Öffentlichkeit und Kommunikationskultur. Beiträge zur Medienethik. Bd. 2. Hamburg, Stuttgart, S. 53-64.
Öffentlichkeit und Journalismus in der Mediendemokratie Christian Schicha
1.
Einleitung Öffentlichkeit meint zunächst nichts anderes als das Fehlen von Blockierungen und Blockaden in der Sphäre der gesellschaftlichen Kommunikation, die, wenn sie eben öffentlich sein soll, im Prinzip für alle Mitglieder der Gesellschaft und auch für alle Themen offen sein soll. (Pöttker 2001: 26)
Dass dieses von Pöttker skizzierte Leitbild einer Öffentlichkeit auch in demokratischen Gesellschaften vom Typ der Bundesrepublik Deutschland in der politischen Praxis kaum anzutreffen ist, skizziert das Spannungsfeld zwischen Idealnormen einerseits und den konkreten Ausprägungen in der gesellschaftlichen „Wirklichkeit“ andererseits. Schließlich ist die Kritik an der journalistischen Politikvermittlung1 in der Mediendemokratie2 zu recht weit verbreitet. Es werde – so auch der von Pöttker (2003: 165) skizzierte Vorwurf – ein inszeniertes „Bild der Politik als Showgeschäft“ vermittelt, aus dem sich eine „Entleerung der Berichterstattung von politischen Inhalten“ ergebe. Die Vermischung von Information und Unterhaltung fungiere auch im Rahmen der politischen Berichterstattung als triviale Form des „Infotainment“ oder „Politainment“. Nicht die rationale Abwägung sachlicher Handlungsalternativen im Verständnis einer deliberativen Politikkonzeption stehe im Blickpunkt. Vielmehr würden die Sympathie- und Kompetenzzuschreibungen politischer Akteure primär durch mediale Inszenierungen suggeriert. Schlagworte wie Popularisierung, Talkshowisierung, Entertainisierung, Fiktionalisierung, Trivialisierung und Marginalisierung beschreiben zunehmend das Geschäft der massenmedialen Politikvermittlung. Oberreuter (1997) geht davon aus, dass sich das Verständnis des Politischen in der durch Medien beeinflussten Öffentlichkeit verändert habe. Die Seriosität der Politik beginne sich aufzulösen und Politik avanciere immer mehr zu einem Schauspiel, das dem Unterhaltungsbedürfnis der Rezipienten gerecht werde. Politische Institutionen und Verfahren würden hingegen im Rahmen der Berichterstattung weniger thematisiert. Faktisch entspreche die Politikvermittlung in den Medien nicht der Komplexität politischer Willensbildungsprozesse. Durch dramaturgische Einsatzmöglichkeiten der Spannung, Verkürzung und Simplifizierung würden rationale Aspekte vielfach ausgeblendet oder zumindest redu1
2
Unter Politikvermittlung wird in Anlehnung an Sarcinelli (1994) ein breites Spektrum des kalkulierten Kommunikationsmanagements subsumiert, das sowohl die politische Dramaturgie und Inszenierung von Pseudorealität durch Showelemente umfasst als auch die sachbezogene Information und Aufklärung. Die Politikvermittlung bezieht sich im Gegensatz zur Politikerzeugung auf die Darstellung politischen Handelns, politischer Sachverhalte oder Ereignisse im Medium der Öffentlichkeit (vgl. Sarcinelli 1987). Dabei kommt es sowohl den Politikern als auch den Medien darauf an, die Öffentlichkeit durch spezifische Kommunikationsstrategien zu beeinflussen. Hinsichtlich der Mediendemokratie lassen sich nach Alemann und Marschall (2002) folgende Entwicklungen aufzeigen: eine zunehmende Ausweitung der publizistischen Medien, eine Mediatisierung der gesamten Gesellschaft, eine hohe gesellschaftliche Relevanz medialer Tätigkeiten und eine verstärkte Herausbildung neuer Medienformen z. B. durch das Internet.
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Christian Schicha
ziert. Symbolische Politik werde immer wichtiger. Die Politikvermittlung reduziere sich in vielen Fällen auf Aspekte der Visualisierung und Ritualisierung. Das Zeigbare in Form von bildfixierten Rückschlüssen werde präsentiert, während Hintergründe und Zusammenhänge immer seltener in den Blickpunkt rückten. Folgende Kritikpunkte lassen sich aufzeigen: x x x x
x x x
3
4 5
Aufgrund der prominenzzentrierten Perspektive ergebe sich eine Konzentration auf das bühnenöffentliche Akteursverhalten durch Personalisierung, aus dem wiederum handlungstheoretische Kurzschlüsse bei der Bewertung politischer Prozesse resultieren. Durch die primär fernsehfixierte Perspektive sei eine Reduktion der Wirklichkeit auf das Fernsehbild zu konstatieren. Auch meinungsführende Printmedien würden aktuell nicht mehr in angemessener Form wahrgenommen. Die Prozessdimension von Politik werde durch die Berichterstattung vernachlässigt. Beteiligungs- und Austauschprozesse innerhalb der Medienöffentlichkeit seien weiterhin angewiesen auf die Vermittlungsleistungen der Medien und daher abhängig von den spezifischen Rahmenbedingungen der Nachrichtenproduktion, von Nachrichtenfaktoren, Medienformaten und anderen medienspezifischen Einflüssen. Dadurch werde eine adäquate Form der Politikvermittlung zusätzlich beeinträchtigt.3 Der reale Ablauf politischer Willensbildungsprozesse in einer arbeitsteilig organisierten, in formelle und informelle Verfahrensweisen eingebetteten Verhandlungsdemokratie lasse sich im Rahmen der Fernsehberichterstattung nur schwer visualisieren. Langwierige verhandlungsdemokratische Entscheidungsprozesse würden im Rahmen der politischen Berichterstattung in der Regel nicht dargestellt, da sie den Zeitrahmen der entsprechenden Medienformate sprengen würden.4 Problematisch sei zudem, dass sich falsche Vorstellungen über den politischen Prozess, die an ihm beteiligten Institutionen, ihre Leistungen und ihre Problemlösungskapazitäten aufbauen. Somit bleibe auch die Rationalität von Entscheidungsverfahren in vielen Fällen unvermittelt.5 Journalisten orientierten sich schließlich an einer Reihe von Berichterstattungsformen, die Esser (2004: 316) zusammenfasst, beispielsweise „indem sie sich auf Skandale, Fehlleistungen, Fehlurteile, Pannen, Entgleisungen oder Ausrutscher konzentrieren, die in der Hauptsache negativ sind und die Bemühungen um Kontrolle und Choreographie als willkommene Sensation unterbrechen (‚Skandal‘-Orientierung); indem sie Politik als strategiebetonten Feldzug darstellen, der von Taktik, Darstellung und Stil bestimmt ist und bei dem Marketinganstrengungen, Werbung, Kundgebungen und Siegeswillen im Vordergrund stehen (KampagnenOrientierung); indem sie Politik sportlich dramatisieren durch den intensiven Einsatz selbstinitiierter Umfragen, über die es sich trefflich spekulieren und kommentieren lässt und die sich jedes Mal als exklusive, spannungsgeladene Neuigkeit präsentieren lassen (Umfrage-Orientierung); indem sie Politik zu einem Wettstreit zwischen Stars personalisieren und dabei im Sinne einer Charakterpolizei die Persönlichkeit und das Persönliche vor dem Publikum ausbreiten bzw. als relevant darstellen (Personen-Orientierung); indem sie inhaltliche Substanz, programmatische Positionen und originär politische Grundsatzfragen in den Hintergrund treten lassen zugunsten der Analyse von Wahlkampftaktik, Strategien, Stil-Fragen, Imageeinschätzungen, Kameratauglichkeit und Siegesspekulationen (Substanz-Reduzierung).“ Daher gelte: „Politik ist nicht zum ‚Nennwert‘ zu haben. [...] Politik ‚pur‘ gibt es nicht. Die ‚Darstellung‘, die Politikvermittlung, politische Inszenierung, auch symbolische Politik waren schon immer und sind in der Mediengesellschaft verstärkt Bestandteil der Politik selbst.“ (Sarcinelli 2000: 27) Insbesondere im Rahmen der Fernsehberichterstattung über Politik werde deutlich, dass sich dort „Charisma, Sendungsbewußtsein, Flunkerei und Magie nicht ganz durch Rationalität, Logik, Kalkül und Berechnung verdrängen lassen“ (Semrau 1985: 63f.). Der Wahlkampf etwa avanciere Sarcinelli (2003: 51) zufolge zum „Prototyp von politischer Kommunikation und von Politik überhaupt“. Dadurch sei eine „Reduktion von Politik auf [die] Sondersituation moderner Medienwahlkämpfe“ zu beobachten.
Öffentlichkeit und Journalismus in der Mediendemokratie
2.
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Politik und Medien
Weiterhin wird über die wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen dem politischen und dem medialen System diskutiert, die im Folgenden aufgezeigt werden. Insgesamt lassen sich drei Paradigmen zur Beschreibung der intersystemischen Beziehungen unterscheiden: Dazu gehören die Autonomie-Modelle, die Dependenz-Modelle und die Interdependenz-Modelle (vgl. Jarren/Donges/Weßler 1996: 20ff.). Den Autonomie-Modellen zufolge erbringen Politik und Medien nach wie vor systemisch gänzlich unabhängig voneinander ihre gesellschaftlichen Funktionen. Die Dependenz-Modelle gehen davon aus, dass ein System von den Leistungen und Operationen des anderen abhängig ist. Die einen sehen eine starke Abhängigkeit des politischen vom medialen System, während die anderen eine Abhängigkeit des medialen vom politischen System konstatieren. Die Vertreter des Ansatzes der „starken Medien” (Mediokratie) machen einen übermäßigen, legitimatorisch nicht mehr zu rechtfertigenden Einfluss der Massenmedien auf den demokratischen Entscheidungsprozess selbst aus. Die Vertreter der These, dass die Medien strukturell von der Politik abhängig seien, gehen davon aus, dass die Medien und ihre Reaktionen aufgrund der aufwändigen technischen Produktionsbedingungen und der Selektionsroutinen für professionelle politische Öffentlichkeitsarbeit mittlerweile so gut kalkulierbar sind, dass sie sich den entsprechenden Inszenierungen des politischen Systems gar nicht mehr entziehen könnten. Der Erklärungsansatz der Interdependenz-Modelle propagiert, dass vornehmlich Wechselwirkungen zwischen den beiden Systemen Politik und Medien bestehen. Sarcinelli (2005) skizziert die von ihm beobachteten Dependenzen zwischen Politik und Medien in einer vereinfachenden Formel. Er sieht zunehmend ein für beide Seiten existentielles Tauschverhältnis: Publizität wird gegen Information getauscht. Erst in dieser wechselseitigen Dependenz vollziehe sich die Konstruktion der politischen Realität in den Massenmedien. Sarcinelli geht dabei von einem symbiotischen Verhältnis aus.
3.
Von der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie
Medien begleiten und prägen kontinuierlich politische Prozesse. Fernsehen und Presse fungieren als permanente Beobachter des politischen Geschehens und berichten über die aktuellen Entwicklungen. Das Mediokratie-Modell (vgl. Meyer 2001) besagt, dass die Massenmedien im Verständnis einer „vierten Gewalt“ selbst zu einem wesentlichen Teil die öffentliche Meinungsbildung und demzufolge auch die politische Agenda bis hin zur weitgehenden „Vereinnahmung der Politik durch Medien“ (Westerbarkey 1995: 153) beeinflussen. Sie nehmen die Rückwirkungen von politischen Entscheidungen der realen Welt auf und spiegeln die Reaktionen zurück auf die Politik einerseits und das Publikum andererseits. Die Konzeption der Mediokratie impliziert jedoch nicht, dass eine Abschaffung der herausragenden Funktionsrolle der politischen Akteure und Parteien zu befürchten ist. Eine derartige Schlussfolgerung „basiert auf einer Fehlinterpretation von Phänomenen, die natürliche Begleiterscheinungen der modernen Politik darstellen und eng mit dem Bereich der Massenkommunikation verwoben sind. Medienpolitik ist kein Synonym für Politik mittels Medien“ (Mazzoleni 1998: 123).
Christian Schicha
26 4.
Öffentlichkeit(en)
Öffentlichkeit ist ein viel diskutierter Forschungsgegenstand, der sowohl aus makrosoziologischer als auch aus mikrosoziologischer Perspektive Bestimmungsdefizite aufweist und unterschiedliche Zuordnungsbereiche umfasst (vgl. Stöber 2008). Die soziale Einbettung in öffentliche Austauschprozesse ist auf allen denkbaren gesellschaftlichen Ebenen unverzichtbar, um ein funktionierendes gesellschaftliches Leben zu ermöglichen. Insofern nimmt die Analyse und Interpretation des Phänomens „Öffentlichkeit“ im Kontext der sozialwissenschaftlichen Forschung einen breiten Raum ein, da es sowohl normativ als auch demokratietheoretisch eine zentrale Rolle spielt. Die Forderung nach Öffentlichkeit soll dafür sorgen, dass alle den Staat und die Gemeinschaft betreffenden Fragen der allgemeinen Kenntnis und offenen Erörterungen zugänglich gemacht werden sollen. Beim Blick auf die Geschichte politischer Öffentlichkeit lässt sich bereits eine stark wertende Konnotation des Begriffes konstatieren. Öffentlichkeit stellt nach Kant ein grundlegendes Postulat seit der europäischen Aufklärung dar, steht im Gegensatz zu der in feudalen Zeiten üblichen „Geheimniskrämerei“ und fungiert als Ziel bürgerlicher Emanzipation. Im Rahmen der politischen Publizität im Anschluss an die Französische Revolution avancierte Öffentlichkeit zu einer zentralen Grundkategorie der Demokratie, nach dem Vorbild der „res publica“ (vgl. Hartmann 2008). In internationalen Diskursen wird mit Wortkombinationen wie „public sphere“ gearbeitet, wobei dann vor allem die Offenheit im Gegensatz zur Abgeschlossenheit der Kommunikationsabläufe gemeint ist (vgl. Hickethier 2003). Im Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution hat sich ein Begriff von Öffentlichkeit herausgebildet, der ab dem 19. Jahrhundert die liberale bürgerliche Auffassung vom Stellenwert und der Funktion der Öffentlichkeit innerhalb der Demokratie mitbestimmte. „Öffentlichkeit etablierte sich als normativer Antagonist des Geheimen.“ (Marschall 1998: 43) Sie wird begrifflich vom Intimen und Privaten getrennt. Daraus entwickelte sich der Gedanke einer Kontrollfunktion der Öffentlichkeit, um eine machtbegrenzende Wirkung zu erreichen, die im modernen Medienzeitalter unter dem Aspekt der Kontrollund Kritikfunktion erneut aufgegriffen wurde. Die Öffentlichkeit als Legitimation von Politik gilt seit langem als normative Zentralkategorie sowohl der Demokratie, der Demokratietheorie als auch der Demokratiepolitik (vgl. Meyer 1998: 126). Dem Bereich des Öffentlichen wird also eine essentielle gesellschaftliche Bedeutung zugeschrieben. Er fungiert als unverzichtbarer Bestandteil westlicher Demokratien. Öffentlichkeit gilt als Verfahrens- und Ordnungsprinzip bei politisch-administrativen Entscheidungsprozessen, als räumliches und thematisches Zugänglichkeitsprinzip sowie als Bereich des allgemeinen Interesses im Hinblick auf den Zustand des Gemeinwesens. Die Komplexität moderner Gesellschaften soll durch eine öffentliche Sphäre gesellschaftlicher Kommunikation reduziert werden, in der Erfahrungen, Erkenntnisse und Interessen aufgrund der Regulierungsnotwendigkeit veröffentlicht werden (vgl. Pöttker 1998). Aus einer demokratietheoretischen Perspektive soll durch die Herstellung von Öffentlichkeit Transparenz von politischen Prozessen erzeugt werden, aus der ein Partizipationsgewinn durch die Informationsweitergabe resultieren soll (vgl. Franz 2000: 12). Die Institutionalisierung von Öffentlichkeit ist verfassungsrechtlich verankert in der Meinungs-, Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit, die kollektive Diskurse ermöglichen
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kann. Informationen und Meinungen sollen nach diesem Verständnis ausgetauscht und kritisch kommentiert werden. Öffentlichkeit wird als der zentrale Bereich moderner Gesellschaften klassifiziert, da sich eine Gesellschaft als solche erst in der Öffentlichkeit erkennt und konstituiert (vgl. Kamber/Schranz 2002). Damit ist aber kein spezifisch räumlicher Ort im Verständnis eines räumlichen Forums gemeint, sondern die Option, in verschiedenen Kontexten und Formen öffentliche Austauschprozesse zu bewerkstelligen. Öffentlichkeit als gesellschaftliches Phänomen ist demzufolge dezentral (vgl. Franz 2000: 7). Die Öffentlichkeit kann in den westlichen Demokratien im Gegensatz zum Parlament, den Parteien oder Verbänden nicht als stabile Größe klassifiziert werden, da sie fortlaufend hergestellt und erneuert wird und demzufolge über keine festen Umrisse und Strukturen verfügt (vgl. Lang 2001). Neben der raumzeitlichen Abgrenzung fungiert Öffentlichkeit auch als Prozess. Sie wird immer neu manifestiert und ist niemals abgeschlossen: Öffentlichkeit ist „in Wahrheit nie verwirklicht“ (Adorno 1972: 524). In diesem Verständnis ist sie auch offen für neue Einflüsse. Öffentlichkeit gilt dann als ein Formbegriff, der Aussagen über die Struktur der Personenallgemeinheit macht und diese in ihrer personalen Offenheit zeigt (vgl. Groth 1960: 81). Insgesamt kann die gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften vom Typ der Bundesrepublik Deutschland „nicht mehr in einem wörtlichen Sinne hergestellt werden. Sie wird ersetzt durch eine Vielzahl von Gruppen- und Spezialöffentlichkeiten, die jeweils von bestimmten Publikumssegmenten getragen werden“ (Weßler 2002: 199). Es kann also die Öffentlichkeit in einer komplexen und ausdifferenzierten Gesellschaft nicht geben. Sie bildet sich vielmehr auf verschiedenen Ebenen heraus. Beim Blick auf die Ebenen der Öffentlichkeit lässt sich zunächst die Spontanöffentlichkeit als Encounteröffentlichkeit (Quartiers- und Betriebsöffentlichkeit) im direkten Austausch aufzeigen. Sobald spezifische gemeinsame Bezugspunkte zwischen den sich austauschenden Individuen entstehen, kann von einer organisierten Themenöffentlichkeit gesprochen werden, die sich ggf. in Form eines Vereins, einer politischen Gruppe oder einer Interessengemeinschaft manifestiert. Daran knüpft die Medienöffentlichkeit an, in der in den entsprechenden Kanälen über Themen berichtet wird (vgl. Jarren/Donges 2002). Merten (1999) differenziert zwischen einer episodischen Öffentlichkeit, in der beispielsweise vertrauliche Gespräche in einer unmittelbaren „Face-to-face“-Situation stattfinden, der Veranstaltungsöffentlichkeit, die im Rahmen eines Events, etwa einer Pressekonferenz, entsteht und einer Publikumsöffentlichkeit, bei der z. B. medienwirksame Kampagnen durchgeführt werden. Beim Versuch, das Phänomen „Öffentlichkeit“ weitergehend zu operationalisieren, bietet es sich zunächst an, die jeweils unterschiedliche Reichweite zu skizzieren, wobei Überlappungen durchaus möglich sind. Dies ist deshalb relevant, weil dadurch bereits strukturell unterschiedliche Formen von Interaktionsprozessen mit jeweils spezifischen Ausprägungen angelegt sind. Die öffentliche Sphäre ist nicht homogen. Die Segmentierungsprozesse moderner Gesellschaften führen vielmehr dazu, dass sich themenspezifische Teilöffentlichkeiten bilden (vgl. Kleinsteuber 2004). Diese werden in der Öffentlichkeitssoziologie in Anlehnung an die paradigmatische Konzeption von Gerhards und Neidhardt (1990) meist als „Arenen“ bezeichnet, die keine
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abgeschlossenen, permanenten Veranstaltungen bilden, sondern sich vielmehr situativ zusammensetzen. Habermas (1990: 98) spricht in diesem Zusammenhang von einer prinzipiellen „Unabgeschlossenheit des Publikums“. Querverbindungen zwischen einzelnen Teilöffentlichkeiten sind ebenso möglich wie deren Verschmelzen, wie neuerliche Ausdifferenzierungen oder auch das Verschwinden bestimmter Kommunikationszusammenhänge. Mögliche raumzeitliche Beschränkungen öffentlicher Begegnungen werden in massenmedial hergestellten Öffentlichkeiten zunehmend aufgelöst, indem Öffentlichkeit abstrahiert wird und durch ihre institutionelle Verankerung eine faktisch weit umfassendere gesellschaftliche Relevanz erhält als die spontane öffentliche Kommunikation in der Lebenswelt. In öffentlichkeitssoziologischen Näherungen werden folgende Formen von Öffentlichkeit unterschieden, die sich bisweilen überschneiden können (vgl. Gerhards 1993: 34): x x x x
Kommunikation au trottoir (einfache kommunikative Interaktionen, z. T. spontan), Veranstaltungen (thematisch zentrierte Interaktionen, die mit einem gewissen Organisationsaufwand verbunden sind), Proteste (thematisch zentrierte Handlungen, die mit einem gewissen Organisationsaufwand verbunden sind), massenmediale Kommunikation (durch Massenmedien organisierte Kommunikation).
Kennzeichnend für diese Differenzierungen nach der Reichweite des jeweiligen Kommunikationszusammenhangs ist vor allem der Grad der Wechselseitigkeit von Sprecher- und Publikumsrolle: Während die Kommunikation au trottoir noch stark davon geprägt ist, dass alle Teilnehmer sowohl Sprecher als auch Zuhörer sind, fallen diese beiden Rollen in den ausdifferenzierten Formen von Öffentlichkeit zunehmend auseinander. Die mehrdeutige und vielschichtige Verwendungsweise des nahezu unüberschaubaren Öffentlichkeitsbegriffs kommt zusätzlich durch attributive Ergänzungen zum Ausdruck. Auch hier können verschiedene Konzepte ausdifferenziert werden (vgl. Steininger 2005): x x x
Theoretische Konzeptionen beschäftigen sich u. a. mit hergestellter, aktiver, passiver und latenter Öffentlichkeit. Prototheoretische Vorstellungen skizzieren v. a. die für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit relevante demokratische, liberale, inszenierte, symbolische und performative Öffentlichkeit. Beschreibungskategorien für sektorale Öffentlichkeiten erörtern auch Formen von nationalen, integrierten, fragmentierten und ausdifferenzierten Öffentlichkeiten.
Diese Ergänzungen umfassen die meisten Öffentlichkeitskonzeptionen im Beziehungsfeld von Medien, Demokratie und Raum. Die zahlreichen Definitionen und Bestimmungsgrößen des Phänomens der Öffentlichkeit sorgen auch dafür, dass eine klare Abgrenzung der Bereiche problematisch ist. Zudem manifestiert sich in der Diskussion eine Debatte, ob der Öffentlichkeitsbegriff mit einer Zerfallssemantik (vgl. Jarren/Imhof/Blum 2000) in Verbindung gebracht werden kann. Durch die Expansion der Lebensstilgruppen und Spartenmedien im Zuge der gesellschaftlichen Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile
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und -formen ist ein Abbau traditioneller Bindungen und einheitlicher Mediengewohnheiten entstanden, wodurch eine Fragmentierung des Publikums in einer mehrfach differenzierten Gesellschaft zu verzeichnen ist (vgl. Schicha 1996). Grundlegend lassen sich für das Phänomen der Öffentlichkeit folgende charakteristische Merkmale aus einer normativen Perspektive konstatieren: Durch das Prinzip der Öffentlichkeit wird der erforderliche Pluralismus in freiheitlich-demokratischen Systemen vom Typ der Bundesrepublik Deutschland erst möglich. Aus der Eigenschaft der Offenheit und Unbegrenztheit im Sinne von „zugänglich für jedermann“ leitet sich letztlich die Bedeutung der Bezeichnung Öffentlichkeit ab. Im modernen Verfassungsstaat wird „Öffentlichkeit als verfassungsprägendes Prinzip“ klassifiziert, das „als Bedingung demokratischer Entscheidungsfindung und als normative Anforderung gegenüber dem Machthandeln“ angesehen wird (Jarren/Imhof/Blum 2000: 9). Öffentlichkeit gilt als der politische Bereich, an dem sich die Demokratie herausbildet und beweisen muss. Sie wird als Organisationsprinzip demokratischer Herrschaft bezeichnet. Im Forum Öffentlichkeit sollen konfliktträchtige gesellschaftliche Interessen zu einer vernünftigen Willensbildung und Interessenverallgemeinerung gelangen. Aus diesem Grund hängt die Verwirklichung von Demokratie eng mit der Verwirklichung von Öffentlichkeit zusammen (vgl. Raskob 1995). Öffentlichkeit wird dabei als Verständigungsprozess der Gesellschaft über sich selbst interpretiert. Dort sollen „öffentliche Problemlagen sowie normative und praktische Fragen gesellschaftlicher Handlungskoordination“ (Heming 1997: 5) erörtert werden. Die normative Charakterisierung des Begriffs Öffentlichkeit ist auch auf seine zentrale Stellung in der Theorie der Demokratie zurückzuführen. Dabei wird idealtypischerweise der Prozess einer öffentlichen Meinungs- und Willensbildung vorausgesetzt. Dieser Prozess soll alle Bürger des Gemeinwesens einbeziehen, damit sie ihre Interessen angemessen zur Geltung bringen können und diese über Meinungsäußerungen argumentativ artikulieren, indem sie ihre Standpunkte wechselseitig austauschen und durch konstruktive Debatten zu einer Konsens- oder zumindest Kompromissentscheidung gelangen. Die daraus resultierende Partizipation der Bürger soll dazu beitragen, die Kenntnis über politische Zusammenhänge zu intensivieren und ihr Engagement zu steigern. Ihre möglichst zahlreiche Mitwirkung soll schließlich dazu führen, dass kontroverse und interessengebundene Fragen sachgerecht und vernünftig debattiert und entschieden werden (vgl. Roß 1993).
5.
Öffentliche Meinung The term public opinion is given its meaning with reference to a multiindividual situation in which individuals are expressing themselves, or can be called to express themselves, as favoring or supporting […] some definite condition, person, or proposal of widespread importance, in such a proportion or number, intensity, and constancy, as to give rise the probability of affecting action, directly or indirectly, toward the object concerned. (Allport 1937: 23)
In dieser traditionellen Definition der öffentlichen Meinung sind ihre zentralen Bestimmungsgrößen bereits verankert. Die öffentliche Meinung gilt als relevante Angelegenheit, die eine entsprechende öffentliche Resonanz auslöst. Sie wird als Gesamtheit öffentlicher
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Sprecherbeiträge definiert, in der die Vielfalt der Meinungen und Themen sich kollektiv verdichtet (vgl. Gerhards/Neidhardt 1991). Für das allgemeine Meinungsklima wird seit Rousseau der Begriff „Öffentliche Meinung“ verwendet, inzwischen in nahezu inflationärem Ausmaß. Es lassen sich hinsichtlich der Entwicklung der Vorstellung der öffentlichen Meinung unterschiedliche theoretische Konzeptionen aufzeigen. Habermas (1990) klassifiziert in seinem historisch-normativen Konzept die öffentliche Meinung unter Rekurs auf eine Aussage von Kant aus dem Jahr 1775 als diskurserprobten Konsens vernünftig denkender Privatleute, die sich auf den Wahrheitsanspruch verpflichtet fühlen, wobei Öffentlichkeit als notwendige Voraussetzung für die Aufklärung angesehen wird: „Zu dieser Aufklärung wird nichts erfordert als Freiheit [...] nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“ (Kant 1968: 55) Die Vorstellung der öffentlichen Meinung resultiert zudem aus dem Vernunftdenken der Aufklärung und ist vom rationalen Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts getragen. Sie legt die Vorstellung zugrunde, dass sich ein allgemeines soziales Bewusstsein im Austausch rationaler Argumente herauskristallisiert. Durch die Diskussion vernünftiger Argumente – so die idealtypische Annahme – würde sich durch gemeinsame Debattenergebnisse ein „allgemeines Bewusstsein“ herausbilden, wodurch die individuellen Ansichten schließlich zu einer „öffentlichen Meinung“ werden (vgl. Schelsky 2002). Beim Versuch, das Phänomen der öffentlichen Meinung zu klassifizieren, lassen sich vier Prinzipien aufzeigen (vgl. Herbst 1993): x
x x x
x
Bei der Klassifikation als Aggregationsprinzip lässt sich die Öffentlichkeit als Masse von Individuen beschreiben, die jeweils eigene Meinungen vertreten. Durch Wahlen oder Meinungsumfragen werden diese einzelnen Meinungen dann zur öffentlichen Meinung. Nach dem Majoritätsprinzip gilt das als öffentliche Meinung, was durch Mehrheitsmeinung nach einer Aufsummierung der Einzelmeinungen zum Tragen kommt. Beim Diskurs- oder Konsensprinzip ist öffentliche Meinung das Ergebnis einer rationalen und kritischen öffentlichen Diskussion. Das Projektionsprinzip geht davon aus, dass öffentliche Meinung eine Fiktion darstellt. Sie wird auch als ein rhetorisches Instrument politischer Akteure charakterisiert, die sich auf eine behauptete öffentliche Meinung beziehen, die faktisch überhaupt nicht existiert. Im Zentrum der politikwissenschaftlichen Analyse von Kommunikationsprozessen steht der Begriff der öffentlichen Meinung, die als zentrale Kategorie der demokratischen Willensbildung demokratietheoretisch bedeutsam ist (vgl. Lenz 1955).
Die Qualität einer „anspruchsvollen“ öffentlichen Meinung liegt einem normativen Ansatz zufolge darin, dass sie aus öffentlichen Diskursen hervorgeht und daher Vernünftigkeit und Legitimität beanspruchen kann (vgl. Peters 1994: 47, 2007). Damit sich eine angemessene öffentliche Meinung herausbilden kann, sind – zumindest idealtypisch – einige Voraussetzungen erforderlich (vgl. Dombrowski 1997):
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Gleichheit der Zugangschancen zur Arena öffentlicher Kommunikation, Offenheit für unterschiedliche Themen und Meinungen, rationaler Diskurs sowie symmetrische Kommunikationssituationen zwischen den Sprechern und dem Publikum.
Insofern sind diesem Ansatz zufolge zentrale Aspekte des deliberativen Modells vorhanden (vgl. Brosda 2008). Die öffentliche Meinung fungiert als Fixpunkt, in der die als relevant eingestuften Themen und Themenstrukturen für gesellschaftliche Anschlusskommunikationsprozesse sorgen. Sie erfüllt dabei Regulations-, Sinnverdichtungs- und Orientierungsleistungen. Die öffentliche Meinung stellt auch das dar, was im deutschen Sprachgebrauch als die „veröffentlichte Meinung“ klassifiziert werden kann, die primär über die Medien transportiert wird (vgl. Pfetsch 1997). Öffentliche Meinung gilt als „kollektives Produkt von Kommunikationen, das sich zwischen den Sprechern als ‚herrschende Meinung‘ darstellt“ (Neidhardt 1994: 26). Sie besitzt eine Kontroll-, Kritik- und Orientierungsfunktion und macht gesellschaftliche Konflikte sichtbar. Dabei kann sie auch als strategisches Instrument eingesetzt werden. Die öffentliche Meinungsbildung findet auf mehreren Öffentlichkeitsebenen statt, die über eine unterschiedliche Offenheit und Kontrolle verfügen (vgl. Gerhards/Neidhardt 1991: 49ff.). Dazu gehören temporäre Interaktionen von Personen im öffentlichen Raum. Weiterhin existieren öffentliche Veranstaltungen, die organisiert sind und sich auf ein spezifisches Thema konzentrieren. Es gibt zudem die massenmediale Vermittlungsdimension, die aufgrund der technischen Infrastrukturoptionen einen hohen Verbreitungsgrad erzielen kann. Beim Versuch, das Phänomen der öffentlichen Meinung weitergehend zu operationalisieren, bieten sich zunächst zwei Möglichkeiten an. Das Elitekonzept sieht vor, dass vor allem Einflussreiche und Wohlinformierte die öffentliche Meinung bestimmen. Das Demoskopiekonzept hingegen ermittelt die Meinung der breiten Bevölkerung (vgl. Gallus/Lühe 1998). Ebenso wenig wie die Öffentlichkeit kann es die öffentliche Meinung geben, da im Rahmen öffentlicher Meinungsbildungsprozesse mannigfache und zum Teil auch widersprechende Ansichten zu gesellschaftlich relevanten Themen vorherrschen. Sie stellt eher ein Gedankengebilde dar (vgl. Schiewe 2004). Habermas (1992: 436) etwa geht davon aus, dass sich Öffentlichkeit primär „als ein Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen“ klassifizieren lässt, bei dem „die Kommunikationseinflüsse so gefiltert und synthetisiert“ werden, „daß sie sich zu themenspezifisch gebündelten Meinungen verdichten“. Dabei basiert der Entstehungsprozess öffentlicher Meinungen primär auf den Ausprägungen der massenmedialen Kommunikation, die im Folgenden als Medienöffentlichkeit bezeichnet werden (vgl. Derieth 1995).
6.
Medienöffentlichkeit Vielfach wird Wichtigkeit in der öffentlichen Wahrnehmung eben gerade durch Medienpräsenz erzeugt, jedenfalls dann, wenn Inhalte der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung nur massenmedial zugänglich sind. Abgesehen von lokalen Ereignissen trifft dies auf beinahe alle Themen zu. (Böhm/Seidler 2008: 68f.)
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Öffentlichkeitstheorien sind in den meisten Fällen übergreifend und sie verweisen nicht auf konkrete Medienkontexte mit ihren spezifischen Erscheinungsformen und strukturellen Zwängen. Gleichwohl werden konkrete Defizite im Rahmen der Medienberichterstattung benannt, die dazu führen können, dass sich eben keine kritische Öffentlichkeit herausbildet. Die Diskussion über die Konsequenzen einer politischen Öffentlichkeit unter Medienbedingungen findet in unterschiedlichen Disziplinen statt. Während die Debatten zum Thema Öffentlichkeit in den Fachrichtungen der Politischen Philosophie und Soziologie geführt werden, finden die Diskurse über Medienstrukturen und -entwicklungen vorwiegend in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft statt, die in ihren Analysen in der Regel empirisch vorgeht und auf der Ebene konkreter medialer Prozesse und Zusammenhänge argumentiert. Politikwissenschaftliche Diskurse zum Thema Öffentlichkeit beschäftigen sich hingegen vor allem mit Machtstrukturen insbesondere im Verhältnis zwischen Peripherie und Zentrum, also zwischen Bürgern und Entscheidungsträgern. Kommunikationswissenschaftler richten ihren Fokus stattdessen vorwiegend auf das Mediensystem selbst und lassen die Funktionsabläufe zwischen dem Zentrum der Politik und den Bürgern weitgehend außer Acht (vgl. Gerhards 1998). Während die politische Öffentlichkeit die operative Leistung politischer Personen, Institutionen und Organisationen umfasst, soll die mediale Öffentlichkeit – zumindest auf der Idealebene – durch einen unabhängigen Journalismus Vermittlungsleistungen über politische Zusammenhänge für das Publikum erbringen. Dabei fungiert die Kritik- und Kontrollfunktion der Medien als ein charakteristischer Teilaspekt und dient u. a. als Steuerungsprinzip der Öffentlichkeit im Rahmen moderner Gesellschaften (vgl. Pöttker 1998). Massenmedien bilden also den weitestgehenden Öffentlichkeitszusammenhang, der in ausdifferenzierten Gesellschaften überhaupt möglich ist. Mit dem Entstehen der Massenmedien haben sich die Öffentlichkeitsformen verändert, denn aus den realen Formen der „Face-to-face“-Öffentlichkeit (u. a. Marktplatz, Straße) haben sich zunächst weitergehende Versammlungsöffentlichkeiten herausgebildet (u. a. Theater, Zirkus), die dann durch massenmediale Medienöffentlichkeiten ergänzt worden sind, die nicht mehr an einen raum-zeitlichen Ort gebunden sind und auch virtuelle Orte des Austausches umfassen (z. B. Internet) und potenziell weltweit wahrgenommen und aktiv mitgestaltet werden können (vgl. Hickethier 2003). Insgesamt konstituiert sich die politische Öffentlichkeit in der „Mediendemokratie“ primär als massenmediale Öffentlichkeit. Dabei ist die politische Medienberichterstattung bei der Themenwahl und Darstellung spezifischen Selektions-, Gewichtungs- und Darstellungskriterien unterworfen, wodurch Wechselwirkungen und Verzerrungen bei der Reduktion von Komplexität zwischen den Ereignissen und der daraus resultierenden Berichterstattung zum Zuge kommen können. Professionelle Standards, etwa durch Auswahlkriterien von Nachrichtenfaktoren, die Zwänge der komprimierten Berichterstattung und die kommerziellen Bedingungen in einer konkurrenzgeprägten Medienlandschaft, sorgen beim Kampf um die Aufmerksamkeit der Rezipienten dafür, dass das skizzierte normative Öffentlichkeitsverständnis sich nicht ohne Weiteres auf die Rahmenbedingungen der Medienöffentlichkeit übertragen lässt. Autonome Öffentlichkeiten (vgl. Habermas 1990) entstehen in spontanen Zusammenhängen und können wieder zerfallen, während die institutionalisierten Massenmedien eine
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dauerhafte öffentliche Präsentation von Ereignissen, Themen und Meinungen anbieten, die sich jedoch auch rasch wieder verflüchtigen. Medienöffentlichkeiten bilden eine Pluralität, die sich aus unterschiedlichen Techniken (u. a. Print und Rundfunk), öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Organisationsformen und Trägern zusammensetzen. Ihre Inhalte werden durch spezifische Medienstrategien (u. a. Orientierung an Auswahlkriterien der Verkürzung, Vereinfachung, Personalisierung und Unterhaltungszentrierung) im Rahmen der konkreten Programmausgestaltung geprägt, um Interesse beim Publikum zu erzeugen. (Massen-)Medien organisieren [...] Öffentlichkeit, insofern sie selektieren und präzisieren, kontextualisieren und illustrieren, weiter entwickeln, prognostizieren, kommentieren und ironisieren, und all das ihrem Publikum zur Kenntnis bringen. (Krotz 2002: 47)
Sie informieren über Entwicklungen, die über den individuellen Erfahrungshorizont hinausgehen, und bilden somit ein frei zugängliches Podium, das Wissen verfügbar macht und einordnet. Verständigung, Urteilsvermögen, Sachkenntnis und Integrationsfähigkeit sollen nach diesem idealtypischen Verständnis durch die Berichterstattung über die massenmedialen Kanäle bedient werden. Die u. a. über die Medien konstituierte politische Öffentlichkeit vermittelt Informationen über die Prioritäten, Planung und Begründung politischer Prozesse. Die Massenmedien verfügen einerseits über einen integrierenden und festigenden Charakter, andererseits kommt ihnen aber auch eine innovative Funktion zu, indem sie über Ereignisse, Neuigkeiten und Tendenzen für Veränderungen berichten und Wertewandlungsprozesse dokumentieren. Massenmedien können als Subsystem eines umfassenden Kommunikationssystems „Öffentlichkeit“ interpretiert werden. In modernen Gesellschaften besteht aufgrund der annähernd flächendeckenden Verbreitung von Empfangsgeräten ein offener Kommunikationsraum, der die Option einer massenmedialen Öffentlichkeit der nahezu gesamten Bevölkerung zulässt, wobei die Vielzahl der Medien einen sehr unterschiedlichen Zugang mit entsprechenden Nischeninteressen zulässt und somit ein nur geringer Ausschnitt gesellschaftlicher Prozesse wahrgenommen wird (vgl. Kleinsteuber 2000). Die Teilhabe der Rezipienten reduziert sich jedoch im Bereich der klassischen Medien (Rundfunk und Print) primär auf die Auswahl und Rezeption von Medieninhalten (vgl. Marschall 1998: 46). Das Mediensystem stellt eine spezifische Institution mit eigenen internen Entscheidungsstrukturen für die Auswahl und Vermittlung politisch relevanter Sachverhalte dar. Insofern sollte ein normativer Öffentlichkeitsbegriff diese Strukturen berücksichtigen. Dabei geht es um die Fragen, in welcher Weise Themenselektion, Themengewichtung und Themendarstellung für die Öffentlichkeit durch interne subjektive Kriterien, professionelle Standards und organisatorische Mechanismen bestimmt werden und welche Wechselwirkungen zwischen Ereignissen und der Berichterstattung darüber entstehen (vgl. Dietz 1995). Faktisch kann jedoch nicht von der Medienöffentlichkeit ausgegangen werden, da sich die über die Medien hergestellte Öffentlichkeit aufgrund der Vielfalt der Medienangebote in unterschiedliche Teilöffentlichkeiten zergliedert. Daraus resultiert die Problematik, dass die Integrationsfunktion der Massenmedien zumindest gefährdet ist (vgl. Hoffmann/Sarcinelli 1999). Gleichwohl schaffen die Massenmedien mehr als nur Teilöffentlichkeiten, da sie trotz aller Fragmentierungstendenzen
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durch ihr Angebot einen öffentlichen Raum bereitstellen, in denen Informationen von einem spartenübergreifenden Publikum rezipiert werden können. Auch in der Machart zahlreicher journalistischer Beiträge bleibt eine spartenübergreifende Kontinuität erhalten. Dadurch bieten sie Möglichkeiten zur Anschlusskommunikation (vgl. Keppler 2002). Es lässt sich konstatieren, dass durch die Medien eine neue Qualität „autonomer Medienöffentlichkeiten“ entstanden ist, die keine unmittelbare Verortung im Verständnis einer physischen Präsenz besitzen (vgl. Beierwaltes 2000: 58). Das Kriterium der allgemeinen Zugänglichkeit der Bevölkerung zu den Massenmedien ist dem normativen Anspruch des liberalen Öffentlichkeitsmodells zufolge empirisch weitestgehend erfüllt. Von einer wechselseitigen Kommunikation kann hingegen nicht die Rede sein. Die Rezeption von klassischen massenmedialen Inhalten kann als „Einwegkommunikation“ bezeichnet werden; faktisch verläuft jegliche Übertragung durch technische Verbreitungsmittel wie das Fernsehen indirekt und einseitig an ein disparates und disperses Publikum, von dem in der Regel kein Feedback zurückkommt. Massenkommunikation im klassischen Verständnis fungiert als Distributionsprozess von einem Anbieter zu einer unbestimmten Anzahl von Rezipienten. Die Partizipationsoption des Publikums beschränkt sich – sieht man etwa von Leserbriefen und Anrufen in Fernsehsendungen (z. B. bei Votings) einmal ab – zunächst darauf, sich für oder gegen verschiedene Programmangebote und -formen zu entscheiden. Die rezipierende Medienöffentlichkeit besitzt also im Gegensatz zur idealtypischen Präsenzoder Versammlungsöffentlichkeit eine stark eingeschränkte Möglichkeit zur unmittelbaren Interaktion. Das politische Handeln der Öffentlichkeit reduziert sich bei der Rezeption politischer Programme primär auf eine kognitive Beteiligung. Trotz der skizzierten strukturellen Einschränkungen können Medien dennoch einen entscheidenden Beitrag zur politischen Meinungs- und Willensbildung leisten. Massenmedien erfüllen zwei zentrale Funktionen für die Öffentlichkeit, indem sie einerseits die massenweite Verbreitung von Informationen bewerkstelligen und andererseits als Repräsentation von Öffentlichkeit fungieren. Die über die Massenmedien informierte Öffentlichkeit handelt zunächst nicht, sondern erlebt die Eindrücke, die medial vermittelt werden (vgl. Bonacker 2002). Oftmals gelangen Themen erst durch die massenmediale Behandlung auf die öffentliche Agenda und sind somit dem möglicherweise räsonierenden Zugriff der Bürger zugänglich (vgl. Habermas 1992: 461). Massenmedien tragen darüber hinaus auch zur Verstetigung öffentlicher Auseinandersetzung bei, indem sie in ihrer Gesamtheit „eine besondere politische Institution mit eigenen internen Entscheidungsstrukturen“ bilden (Dietz 1995: 128). Aus dieser organisatorischen Verfasstheit können Massenmedien an bestimmten Stellen im öffentlichen Diskurs, an denen andere Öffentlichkeitsstrukturen und Akteure aufgrund mangelnder Beteiligung fehlen, eine Stellung als Repräsentant der politisch passiven Staatsbürger einnehmen. Massenmedien bilden demzufolge den größtmöglichen Öffentlichkeitszusammenhang, der in ausdifferenzierten Gesellschaften denkbar ist. Diese Erhöhung der Reichweite ist nur um den Preis einer erheblichen Abstraktion denkbar, die mit einer Ausdifferenzierung verschiedener Rollen von Öffentlichkeits-Akteuren einhergeht. Die wechselseitige Eingebundenheit, die Habermas für die episodische Öffentlichkeit beschreibt und die in ihrer umgangssprachlichen Verankerung ein wesentliches Kriterium für die prinzipielle Zugangsoffenheit von Öffentlichkeit ist, wird abgelöst durch eine Unterscheidung zwischen Arenen-
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Akteuren und Galerie-Publikum. Insgesamt unterscheidet Habermas (1990) drei verschiedene Gruppen von Akteuren, deren kommunikativer Erfolg jeweils von der Zustimmung der „Galerie“ abhängig ist: x x x
Akteure, die durch ihre Herkunft aus bestimmten Funktionsbereichen wie Parteien, Verbänden oder anderen etablierten Interessenvertretungen identifiziert werden können, Akteure, die aus der Zivilgesellschaft hervorgehen und sich Identifikationsmerkmale erst schaffen müssen (wie zum Beispiel soziale Bewegungen), und Publizisten, die orientiert an wahrgenommenen Rezeptionsbedingungen Informationen sammeln, selektieren und veröffentlichen.
Die Herstellung von Öffentlichkeit wird als „konstitutive Aufgabe“ des Journalismus interpretiert, der durch produktive Aktivität die Isoliertheit und Geschlossenheit moderner Gesellschaften zu überwinden sucht (vgl. Pöttker 1998: 237). Journalistisches Handeln in den Massenmedien produziert eine Vielfalt an Themen und Meinungen und dient demzufolge dem Demokratieprinzip. Weßler (1999: 44) entwickelt in Abgrenzung zu liberalen und diskursiven Modellen von Öffentlichkeit ein Modell einer Medienöffentlichkeit, das zwischen unterschiedlichen Ebenen differenziert: In struktureller Hinsicht konzipiert er Medienöffentlichkeit als „gegliedertes, offenes Feld“: Medienöffentlichkeit zeichnet sich durch eine weitgehende Trennung zwischen Sprecher- und Publikumsrolle aus. Darüber hinaus ist in Gestalt der Massenmedien eine Vermittlungsinstanz etabliert worden, die die Zugänglichkeit einschränkt. In funktionaler Hinsicht ist Medienöffentlichkeit zu verstehen als ein „Resonanzkörper für alle Aspekte persuasiver Kommunikation“. Dabei sind zunächst rationale und emotionale, normative und empirische Aspekte öffentlicher Kommunikation in den Blick zu nehmen. In prozessualer Hinsicht ist Medienöffentlichkeit gekennzeichnet durch eine Abfolge von episodischen Kommunikationszusammenhängen, in denen Ereignisse und Ruhephasen einander abwechseln. Diese Mediendiskurse weisen einerseits ein gewisses Maß an Regelmäßigkeit auf, ohne aber einer immanenten Tendenz zu mehr Reflexivität oder gar Konsens zu folgen. Die strukturelle Bestimmung Weßlers lehnt sich eng an formale Zugangskriterien für Öffentlichkeit an, doch in Teilen setzt er sich deutlich vom deliberativen Modell bei Habermas ab. Während Habermas mit den Rationalitätsunterstellungen der Öffentlichkeitsakteure weitreichende normative Maßstäbe aufrecht erhält, legt Weßler u. a. Aspekte der Emotionalisierung und Überredung anstelle der Verständigungsorientierung zugrunde, um das Konzept empirisch operationalisieren zu können. Damit reagiert er auf die Beobachtung, dass mediale Kommunikation keinesfalls allein der kommunikativen Rationalität des Diskurses nach Habermas verpflichtet ist. Das Ziel ist die Entwicklung operationalisierbarer Praxisnormen (vgl. Brosda/Schicha 2000), die einerseits über das liberale Öffentlichkeitsmodell hinausgehen, andererseits aber „realistischer“ sind als die regulativen Ideen des diskursiven Modells, das sich zur konkreten Bestimmung von Mängeln in der medialen Kommunikation Weßlers Ansicht nach aufgrund seiner hohen normativen Standards kaum
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eignet. Weßler (1999: 237ff.) gelangt in seiner Konkretisierung zu normativen Anforderungen an Massenmedien, die er drei unterschiedlichen Leistungen der Öffentlichkeit zuordnet: Auf der Input-Seite bedeutet die Forderung nach größtmöglicher Offenheit medienöffentlicher Diskurse, dass ressourcenschwache Akteure nicht übergangen werden dürfen. Auf der Throughput-Seite muss Öffentlichkeit vor allem gesellschaftliche Lernfähigkeit erhalten, indem sie einen episodischen Deutungswandel ermöglicht, einen problembezogenen Deutungshintergrund bereitstellt, Abwägung und Vermittlung zwischen verschiedenen Deutungen und Positionen ermöglicht und lagerübergreifende Vermittlungsversuche nicht der vereinfachenden Konstruktionslogik der Medien zum Opfer fallen lässt. Auf der Output-Seite ist die Forderung nach Kontinuität zentral. Das bedeutet, dass öffentliche Mehrheitsmeinungen bestreitbar bleiben und Verständigungsprozesse ergebnisoffen angelegt sind. Die Medienöffentlichkeit fungiert Weßler zufolge letztlich als Resonanzkörper für Aspekte persuasiver Kommunikation. Gleichwohl existieren davon unabhängige Postulate an die massenmediale Form der Politikvermittlung, die Qualitätsmaßstäbe für die Bewertung konkreter Medieninhalte liefern.
7.
Fazit Journalismus recherchiert, selektiert und präsentiert Themen, die neu, faktisch und relevant sind. Er stellt Öffentlichkeit her, indem er die Gesellschaft beobachtet, diese Beobachtung über periodische Medien einem Massenpublikum zur Verfügung stellt und dadurch eine gemeinsame Wirklichkeit konstruiert. Diese konstruierte Wirklichkeit bietet Orientierung in einer komplexen Welt. (Meier 2007: 13)
Öffentlichkeit stellt sich nicht nur als ein beschreibbares empirisches Phänomen dar, sondern fungiert auch als Postulat, einen anzustrebenden Zustand mit Hilfe der öffentlichen Willens- und Meinungsbildung ggf. auch über die Medien herzustellen. Auch die Politik benötigt die öffentliche Darstellung, Begründung und Rechtfertigung und erhält ihre Legitimation durch Kommunikation. Öffentlichkeit ist einerseits ein zentraler Gegenstand normativer Erwartungen an gesellschaftliche Gruppen und Institutionen, die sich auf das Funktionieren demokratischer Prozesse beziehen. Öffentlichkeit avanciert andererseits zu einem Formprinzip, das hohe Erwartungen an die Kommunikationsverhältnisse richtet. Bei den Beteiligungsmöglichkeiten werden die Wahl- und Meinungsfreiheit vorausgesetzt. Sie erzeugen den politischen Freiraum, der sich als Öffentlichkeit organisieren kann. Dabei ist Öffentlichkeit an die Medialität der Informations-, Kommunikations- und Selbstdarstellungsmöglichkeiten von Individuen und Gruppen gebunden. Das Phänomen Öffentlichkeit lässt sich nur schwer in seiner Reichweite und seinem konkreten Bedeutungszusammenhang eingrenzen oder gar operationalisieren. Zu vielschichtig und heterogen sind die unterschiedlichen Bedeutungszusammenhänge, in denen mit dem Begriff der Öffentlichkeit gearbeitet wird. Dies gilt auch für die öffentliche Meinung. Gleichwohl können normative Öffentlichkeitsmodelle als Leitbild eine Heuristik für die empirische Analyse öffentlicher Kommunikationszusammenhänge abgeben. Es ist von zentraler Bedeutung, die Kontexte konkreter Ereignisse und Prozesse vor allem aus journalistischer und politischer Perspektive mit den jeweiligen Aufmerksamkeitsstrategien sowie strukturellen und kommerziellen Zwängen mit in die Betrachtung einzubeziehen.
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Beim Blick auf den normativen Gehalt des Öffentlichkeitsbegriffs, der u. a. die Kriterien „allgemeine Zugänglichkeit der Debatte“, „Rationalität der Argumente“ sowie „Authentizität der Darstellung“ postuliert, lässt sich konstatieren, dass Politikvermittlung über die Massenmedien zwar das liberale Zugänglichkeitskriterium erfüllt, der Grad der Rationalität der Mediendiskurse jedoch höchst unterschiedlich in Erscheinung tritt und Authentizität in der Vorstellung eines realen Ausdrucks der faktischen Befindlichkeit zu einer Überforderung in der Praxis führen würde. Grundsätzlich kann auch die normative Diskurstheorie einen unterstützenden Maßstab für die Medienanalyse liefern, um festzustellen, inwieweit mediale Berichterstattung Diskursivität im definierten Sinne enthält oder zulässt. Sie markiert einen kommunikativen Idealzustand, an dem die Praxis der theatralischen Diskurse im Hinblick auf ihren jeweiligen argumentativen Gehalt gemessen werden kann. In modernen Gesellschaften stellt die Form der massenmedial gestützten Form von Öffentlichkeit – und damit auch die Vermittlergruppe der Journalisten und Publizisten – die zentrale Form der öffentlichen Kommunikationssphäre dar. Erfahrungen, Erkenntnisse und Interessen werden durch die Veröffentlichung bekannt. Derartige Wissensbestände können durch primäre Erfahrungen z. T. nicht gesammelt werden. Zudem setzt die Veröffentlichung Erkenntnisse in Beziehung und trägt zur Reduktion von Komplexität bei. Den Massenmedien kommt eine besondere Rolle bei der Herstellung von Öffentlichkeit zu, da sie für die Aufnahme substanzieller Beiträge von gesellschaftlichen Meinungsund Willensbildungsprozessen offen sind und über das technische Potenzial verfügen, Individuen und Gruppen zu einem Publikum zu versammeln. Die Herstellung von Öffentlichkeit über die zwischengeschalteten Medien richtet sich nicht mehr an eine Gemeinschaft kollektiver Akteure, sondern an ein disperses Publikum, das sich unabhängig von der Ortsgebundenheit der Zuschauer konstituiert. Der Versuch, eine Brücke zwischen theoretischen Konzeptionen von Öffentlichkeit einerseits und der Analyse von Medienbedingungen andererseits zu schlagen, ist problematisch, weil die strukturellen Rahmenbedingungen, unter denen die Medienberichterstattung vonstatten geht, in der bisherigen Forschung zum Themenkomplex Öffentlichkeit kaum behandelt worden sind. In der Tat sind die Partizipationsmöglichkeiten des Publikums im Rahmen der Medienöffentlichkeit begrenzt. Sie stellt – schon aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Massenmedien – eine hochgradig fragmentierte Teilöffentlichkeit mit unterschiedlichen Kommunikationsforen dar, die unterschiedlich genutzt werden. Insgesamt kann es also die Medienöffentlichkeit ebenso wenig geben wie die Öffentlichkeit oder die öffentliche Meinung. Da Politik als Gesamtphänomen für die breite Öffentlichkeit nicht unmittelbar erfahrbar ist und die Medienberichterstattung – unter anderem durch die Fokussierung auf Nachrichtenfaktoren – der vollen Komplexität politischer Entscheidungsverfahren nicht adäquat gerecht wird, konstruiert Journalismus ein simplifiziertes Bild von Politik, das durch wiederkehrende Darstellungen mit symbolhaften und rituellen Merkmalen geprägt sein kann. Es lässt sich konstatieren, dass die öffentliche Darstellung von Politik nicht deren realen Prozessen entspricht oder zumindest davon abweichen kann. Das Verhältnis zwischen normativen Ansprüchen zur Herstellung einer Öffentlichkeit, die über politische Entwicklungen informiert werden soll, und den faktischen medialen Ausprägungen politischer Berichterstattung lässt sich demzufolge als Spannungsverhältnis begreifen. Grundsätzlich existiert eine erhebliche Diskrepanz zwischen den anspruchsvollen normativen Öffentlichkeitspostulaten auf der Idealebene und der konkreten Praxis, in der sich die Medienöffentlichkeit herausbildet. Es lässt sich konstatieren, dass die Medienöffentlichkeit in
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den vorwiegend visuell geprägten Massenmedien nicht die anspruchsvollen Rationalitätspostulate einer Öffentlichkeit erfüllen kann, die als rationale Idee entwickelt wurde. Innerhalb der Medienöffentlichkeit bedienen sich die an der Politikvermittlung beteiligten Protagonisten (Journalisten und Politiker) spezifischer Darstellungsregeln des Theatralischen, die den hohen normativen Ansprüchen widersprechen können. Sofern eine Anpassung an die skizzierten Erfordernisse der Medienöffentlichkeit erfolgt, kann es zu einer Zunahme von Politiksurrogaten etwa in Form einer Dramatisierung symbolischer Politik kommen. Dadurch kann eine Kluft zwischen der öffentlich sichtbaren Inszenierung und den konkreten Inhalten und Sachfragen entstehen. Es ist unangemessen, in Bezug auf die politische Medienberichterstattung a priori und pauschal einer kulturpessimistischen These über das Ende rationaler, sachlicher, informativer Politikvermittlungsprozesse in den Massenmedien zuzustimmen. Medien haben weiterhin das Potenzial einer rationalen Berichterstattung und sie können es, wie das Beispiel der Qualitätspresse zeigt, auch weitreichend ausschöpfen. Ebenso sind Fernsehsendungen durchaus in der Lage, eine differenziertere Hintergrundberichterstattung über politische Prozesse zu ermöglichen, wie Beispiele aus dem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenspektrum trotz aller strukturellen Zwänge nahelegen. Unter dem Druck medialer Selektions- und Präsentationslogiken ist auch die ästhetische Überformung der Politikdarstellung unter der Prämisse einer bestimmten Wirkungsabsicht mit expressiven und symbolischen Inszenierungsstrategien generell bedeutsamer geworden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Politik unbeirrt ihrer Aufgabe der Erzeugung verbindlicher gesamtgesellschaftlicher Entscheidungen folgt, während die Medien die politischen Prozesse aus reservierter Distanz heraus nur beobachten, wiedergeben und (bisweilen kritisch) kommentieren. Insgesamt haben sich die Gewichte zwischen den beiden Bereichen dadurch verschoben, dass die Massenmedien in modernen Gesellschaften den primären Zugang zur Öffentlichkeit darstellen. Politik muss daher – in verschiedenen Formen und Abstufungen – auf die Logik des Mediensystems reagieren. Strukturen (polity), Prozesse (politics) und Inhalte (policy) können etwa aufgrund der Tendenz zur Personalisierung in den Hintergrund treten, da die politischen Protagonisten in den Vordergrund rücken und somit nur eine Oberflächenansicht von Politik liefern (vgl. Puppis 2007). Um eine Bewertung der Qualität politischer Mediendiskurse vornehmen zu können, sollten auch in weiteren Studien zentrale Kategorien des Politischen mit in die Analyse einbezogen werden. Sie können dazu beitragen, komplexe politische Zusammenhänge zu erschließen. Sofern diese Kategorien in einem ausreichenden Maße im Rahmen der Berichterstattung berücksichtigt werden, ist davon auszugehen, dass die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt werden, um die Öffentlichkeit den normativen Ansprüchen zufolge angemessen zu informieren. Die Herstellung von Öffentlichkeit ist dabei zunächst die zentrale Aufgabe eines unabhängigen Journalismus, der in der Demokratie die Möglichkeit besitzen sollte, seiner Kontroll- und Kritikfunktion gerecht werden zu können. Die Aufgabe der Politik wiederum besteht darin, den Journalisten entsprechende Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Dass sich diese Postulate aufgrund von strukturellen Zwängen u. a. durch kommerzielle Interessen sowie durch Konkurrenz in den Medienbetrieben in der Praxis oftmals nicht umsetzen lassen, sollte nicht davon abhalten, das Ziel einer möglichst breiten Aufklärungsfunktion des Journalismus im Blick zu behalten. Unter diesen Voraussetzungen kann dann zumindest die „seriöse Presse als Rückgrat der politischen Öffentlichkeit“ (Habermas 2008: 131) ihrer Aufgabe in der Mediendemokratie nachkommen.
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Öffentlichkeit als Gegenstand gesellschaftswissenschaftlicher Diskussion in der DDR Hans Poerschke
1. Öffentlichkeit war in der DDR drei Jahrzehnte lang ein nicht und danach ein wenig untersuchter Gegenstand. Beide Auflagen des „Wörterbuchs der sozialistischen Journalistik“ (Dusiska 1973; Sektion Journalistik 1981) enthielten wohl das Stichwort „Öffentlichkeitsarbeit“, keineswegs aber „Öffentlichkeit“. Weimann bedauerte 1982, dass ihm für seinen Aufsatz zur Kunstöffentlichkeit keinerlei Vorarbeit zur Verfügung stand (vgl. Weimann 1982: 8). Und noch 1988 sah sich Brie genötigt zu fragen, ob „Öffentlichkeit“ überhaupt eine Kategorie des Marxismus sei, da Lehr- und Wörterbücher des Marxismus-Leninismus nichts dazu enthielten (vgl. Brie o. J.: 7). Ein erster Schub der Beschäftigung mit diesem Gegenstand war Anfang der 80er Jahre zu verzeichnen, als Defizite öffentlicher Information und gar Diskussion längst zum gesellschaftlichen Problem geworden waren. Fast zeitgleich, wenn auch unabhängig voneinander, entstanden drei Arbeiten, deren Anliegen es war, die Bedeutung der Öffentlichkeit für das politische und kulturelle Leben ins Bewusstsein zu heben und ihr in der Praxis mehr Geltung zu verschaffen. 1980 wurden in die an der Leipziger Sektion Journalistik entstandene Monographie „Theoretische Grundfragen des sozialistischen Journalismus“ längere, vom Autor dieses Beitrags verantwortete Ausführungen zu Journalismus und Öffentlichkeit aufgenommen (Poerschke et al. 1980). Ein Jahr später verteidigte Günter Lippold – übrigens Absolvent der Leipziger Fakultät für Journalistik – an der Akademie für Staat und Recht Babelsberg seine Dissertation B (entsprach der Habilschrift) zum Thema Öffentlichkeit (Lippold 1981). 1982 schließlich erschien eine Arbeit des Anglisten Robert Weimann mit dem Titel „Kunst und Öffentlichkeit in der sozialistischen Gesellschaft“, der ein an der Akademie der Künste der DDR gehaltener Vortrag zugrunde lag (Weimann 1982). Ein zweiter, ungleich stärkerer Anstoß ging vom Reformprojekt der Perestrojka aus, das Michail Gorbatschow 1985 in der Sowjetunion eingeleitet hatte und zu dessen wesentlichen Merkmalen das Prinzip der Glasnost – der Öffentlichkeit – gehörte. Diese Reformbestrebungen wurden nicht zuletzt von Wissenschaftlern und Schriftstellern als für die DDR dringend nötig begierig aufgegriffen und, je weiter das um sich griff, von der Führung der SED erbittert und halsstarrig zurückgewiesen.1 Als diese, um den Zustrom von Ideen der Perestrojka einzudämmen, in den Vertrieb sowjetischer Publikationen eingriff und dann zum Verbot der Zeitschrift „Sputnik“ griff, löste das – auch bei Studenten der Journalistik –
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Auf dem X. Schriftstellerkongreß der DDR vom 24. bis zum 26. November 1987, auf den hier aus Raumgründen nicht eingegangen werden kann, waren die Zensurpraxis und der Umgang mit der literarischen und politischen Öffentlichkeit die wohl wichtigsten Diskussionsthemen. Näheres dazu in den zwei Protokollbänden (X. Schriftstellerkongreß der DDR 1988a, 1988b).
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heftige, wenngleich zunächst noch folgenlose Proteste aus. Dennoch war damit – den Zeitgenossen damals noch verborgen – die Endphase der DDR eingeläutet. In dieser Zeit arbeiteten, um überfällige Veränderungen zu fördern, an verschiedenen Stellen Wissenschaftler am Problem der Öffentlichkeit, die als eine Schlüsselfrage dieser Veränderungen begriffen wurde. In Leipzig gab es eine interdisziplinäre Forschungsgruppe „Philosophische Probleme sozialer Kommunikation“, der auch der Autor angehörte.2 Von ihr beeinflusst, entstanden an der Sektion Journalistik Kapitelentwürfe für ein Lehrbuch der Theorie des Journalismus, in denen versucht wurde, auch das Thema Öffentlichkeit auf neue Weise anzugehen (Poerschke 1988a, 1988b). Der Philosoph Wolfgang Luutz legte Arbeiten zur öffentlichen Meinung und zur Rolle der Kommunikation beim Austrag von Interessenwidersprüchen vor (Luutz 1989, 1990). Starke Anregungen gingen von den Arbeitsergebnissen des Projekts „Philosophische Grundlagen der Erarbeitung einer Konzeption des modernen Sozialismus“ an der Berliner Humboldt-Universität aus, die als Manuskriptdrucke kursierten.3 Zu ihnen gehörte Michael Bries Aufsatz „Sozialistische Öffentlichkeit – Entfaltungsform der Bewußtheit“, mit ziemlicher Sicherheit 1988 verfasst (Brie o. J.). Wolfgang Luutz setzte seine Bemühungen um unser Thema auch in den letzten Monaten der DDR nach der Wende im Herbst 1989 fort, getrieben von der Hoffnung, noch zur Neugestaltung und damit Fortsetzung des Sozialismus-Experiments beitragen zu können beziehungsweise, wenn das nicht mehr möglich war, den in der Öffentlichkeit diskursiv erstrittenen Weg in eine Übergangsgesellschaft bahnen zu helfen (Luutz 1990). All das ist heute, nach 20 Jahren, fast völlig dem Vergessen anheimgefallen. Das liegt zunächst daran, dass viele Texte seinerzeit nicht bis in eine breitere wissenschaftliche Öffentlichkeit gelangten und ihre Urheber samt ihren Gedanken dann per Abwicklung aus dieser ausgegrenzt wurden. Das liegt auch daran, dass der Blick der bisherigen Auseinandersetzung mit Öffentlichkeit in der DDR auf die Restriktionen der offiziellen Medienpolitik und ihre Folgen einerseits und auf das Entstehen oppositioneller Gegenöffentlichkeit andererseits fixiert war. So unbezweifelbar wichtig diese Forschungsfelder sind, so berechtigt ist aber auch der Anspruch, das hier zu Behandelnde als Teil der Theoriegeschichte wahrzunehmen. Für den Autor gehört das zur kritischen Bilanz seiner eigenen wissenschaftlichen Bemühungen, für die Wissenschaftlergemeinschaft ist es eine Gelegenheit, theoretische Fragestellungen aus einer anderen Himmelsrichtung zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen, ob sie dazu beitragen können, dem komplexen Phänomen Öffentlichkeit beizukommen. Im Folgenden wollen wir dieses Stück Theoriegeschichte, das ausführlich darzustellen der Raum nicht gestattet, daraufhin betrachten, mit welchen Intentionen und welchem Ansatz man sich dem Problem Öffentlichkeit jeweils näherte, welcher theoretische Gewinn damit erzielt wurde und wie dieser wiederum geeignet war, die verfolgten Intentionen zu realisieren. Dies wird – ebenfalls aus Platzgründen – jeweils an charakteristischen Beispielen demonstriert werden.
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Ihr Hauptergebnis war die Einführung eines reproduktionstheoretischen Denkansatzes in die Theorie der sozialen Kommunikation, 1990 als Studienmaterial für die Sektion Journalistik Leipzig, 1992 im ArgumentVerlag veröffentlicht (Luutz 1992). Ein Exemplar eines Konferenzmaterials der Arbeitsgruppe unter dem gleichen Titel hat sich in der Universitätsbibliothek Leipzig erhalten.
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2. Die Arbeiten vom Anfang der 80er Jahre weisen mehrere grundlegende Gemeinsamkeiten auf. Da ist erstens ein – freilich der Lesart der Zeit entsprechendes – emanzipatorisches Anliegen. Für Poerschke sollte öffentliche Kommunikation Bedingungen dafür schaffen, dass die Arbeiterklasse und alle Werktätigen „zum Subjekt der Politik, zu Herren ihrer eigenen Geschicke, zu bewußten Schöpfern der Geschichte werden“ (Poerschke et al. 1980: 15). Weimann sah für die Gestaltung sozialistischer Öffentlichkeit ungestellte Fragen und ungelöste Aufgaben, „die wir erst allmählich und eigentlich erst aus der Perspektive der Selbstbestimmung der Menschen jenseits der Klassengesellschaft in ihrer Größe und Dringlichkeit ausmachen können.“ Man müsse, so forderte er, „davon Abstand nehmen, sozialistische Öffentlichkeit als konfliktfreien Ausdruck einer Menschengemeinschaft zu sehen“, sie nicht „voluntaristisch verstehen, das heißt in hurtiger Kampagne aus der Presse zu stampfen suchen“ (Weimann 1982: 17). Da ist zweitens die Überzeugung, dass dieses Ziel mit der gegebenen politischen Strategie der SED, im Rahmen der aktuellen Parteibeschlüsse, insbesondere zur ideologischen Arbeit, zu erreichen sei. Dazu sollte konstruktiver Umgang mit Öffentlichkeit, und das hieß: die Überwindung von Mängeln der Informationspolitik, beitragen. Dem entsprach, das zum Dritten, dass Vorstellungen von Öffentlichkeit auf dem Boden der herrschenden, in ihrer Prägung durch Stalin’sche Deformationen zumeist nicht durchschauten marxistisch-leninistischen Doktrin, als deren notwendige Ergänzung, entwickelt wurden. Weimann hatte zunächst den weitesten, unkonventionellsten Begriff von Öffentlichkeit. Er sah sie als „eine Agentur der Sozialisation, ein Moment der Organisation sozialistischer Lebens- und Denkprozesse“, als „eine Verkehrsform [ein damals durchaus nicht geläufiger, freilich von ihm auch nicht erläuterter Marx’scher Begriff; H.P.] und Kultur, die von uns noch viel zu wenig studiert und gepflegt wird.“ (Weimann 1982: 16) Er befasste sich ausführlicher als die anderen mit der bürgerlichen Vorgeschichte der sozialistischen Öffentlichkeit und ihren Wurzeln in der Arbeiterbewegung, und er äußerte Anregendes zu der zu intensivierenden Wechselbeziehung zwischen der Öffentlichkeit „der Künstler und Kenner und Käufer“ und der Öffentlichkeit derer, „die auf Straßen und Plätzen von der Arbeit kommen“ (Weimann 1982: 9). Sobald es um die Erklärung der Funktionsweise der sozialistischen Öffentlichkeit ging, griff er aber auf das Lenin’sche Konzept der „Partei neuen Typs“ zurück, leitete daraus die Verantwortung der Künstler und ihrer Organisationen für die Bewusstseinsbildung der Massen ab. Ihm war „die Öffentlichkeit der Künstler und der Kritiker ein notwendiger Vortrupp, der dem Kunstverstand der breiten Öffentlichkeit gerade dort vorauseilt, wo er den werktätigen Leser als Partner, als Gleichgesinnten und Gleichberechtigten hochachtungsvoll begrüßt und ins öffentliche Gespräch zu ziehen sucht.“ (Weimann 1982: 14) Und in der Folge beschränkten sich seine Ratschläge für Veränderungen auf die bessere Nutzung und die Weiterentwicklung der im Sinne der Kulturpolitik der SED bewährten Formen. Vereinendes Merkmal damaliger Arbeiten war, dass die Öffentlichkeit als Bestandteil in das einheitliche System der politischen Leitung der Gesellschaft eingeordnet und zugleich als deren Objekt betrachtet wurde. Lippold verfuhr so im Rahmen der marxistischleninistischen Staatstheorie. Für ihn gehörte Öffentlichkeit als eine Gesamtheit von Menschen, die aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, zum politischen System als eine
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Form von sozialer Organisation mit einem bestimmten Grad von Organisiertheit, der aber geringer ist als bei „höheren Formen politischer Organisation“. Sie wird durch umfassende gesellschaftliche Kommunikation hergestellt, aufrechterhalten und entwickelt. Die festgefügten Formen sozialer Organisation sah Lippold als „Elemente und zugleich Führungskräfte bzw. Kristallisationspunkte der Öffentlichkeit“ (vgl. Lippold 1981: 17ff.). Obwohl Lippold mit seiner Arbeit eindeutig darauf zielte, die Öffentlichkeit zu stärken und ihr höhere Anerkennung zu verschaffen, obwohl er den staatlichen Organen riet, mehr auf die Öffentlichkeit zu hören, verbaute deren aus der marxistisch-leninistischen Staatstheorie erwachsende Unterordnung unter die „höher organisierten“ Teile eines monolithisch gedachten politischen Systems von vornherein die Möglichkeit, ihre selbständige Rolle gegenüber und in den „höheren Formen politischer Organisation“ zu erfassen, ihr letztlich mehr zuzubilligen als Mitwirkung bei der Ausführung gefasster Beschlüsse. Für Poerschke war Ausgangspunkt die marxistisch-leninistische Parteitheorie. Der Journalismus, seinem Wesen nach Instrument der politischen Leitung der Gesellschaft durch die Partei, habe dazu beizutragen, unter deren Führung breiteste Massen, letztlich das ganze Volk, zusammenzuschließen. Das bedeute Herstellung geistiger Beziehungen innerhalb der Vorhut, zwischen Partei und Massen sowie innerhalb Letzterer. Nur über den Journalismus könne unverzüglich und gleichzeitig eine unmittelbare Verbindung zu allen Teilnehmern der Bewegung hergestellt werden, „die ihnen dieses Ganze und die Stellung in ihm nicht nur theoretisch begreifbar, sondern konkret einsehbar, anschaulich erfahrbar, erlebbar macht.“ (Poerschke et al. 1980: 36) Die Unmittelbarkeit dieser Verbindung nun sei an eine „Eigenart ihrer Form gebunden: an ihre Öffentlichkeit im Rahmen der Gesamtgesellschaft“ (Poerschke et al. 1980: 38), hier als Publizität, als Zugänglichkeit der verbreiteten Information für jedermann begriffen, an anderer Stelle auch als ein kollektives Subjekt, an das man sich wenden, das eine Meinung haben, bei dem man jemandem Gehör verschaffen kann (vgl. Poerschke et al. 1980: 40). Poerschke umriss die Verantwortung des Journalismus für die Gewährleistung des demokratischen Charakters dieser geistigen Beziehungen: Sie seien „als intensive, schöpferische Wechselwirkung zwischen Führern, Partei, Klasse und Massen, in der alle Beteiligten als Gebende und Nehmende auftreten, also als Massenkommunikation im wahrsten und besten Sinne des Wortes“ zu gestalten. Als Bedingung für die aktive Teilnahme der Massen an der Ausarbeitung und Leitung der Politik sei zu sichern, „daß sie mit der Politik der Partei und des Staates vertraut sind, Aufgaben, Maßstäbe und Probleme der Gesamtbewegung kennen und von diesem Standpunkt aus über alles urteilen können.“ (Poerschke et al. 1980: 39f.) Mit diesen Anforderungen wurde vom Journalismus der DDR mehr verlangt, als er tatsächlich leistete. Sie waren faktisch eine Kritik an der Medienpolitik der SED und an der journalistischen Praxis und waren auch so gemeint. Das Problem war nur, dass diese Kritik nicht ausgesprochen wurde, dass sie nur wahrnahm, wer sie erkennen konnte und wollte. Das lag unter anderem daran, dass hier wie an anderen Stellen verborgen blieb, ob es sich um deskriptive oder normative Aussagen handelte. So hätten also Kritisierte sich immer darauf berufen können, dass genau ihre Praxis beschrieben werde. Ganz zu schweigen von der Naivität der Annahme, dass in den oberen Etagen der Partei und des Journalismus überhaupt jemand bereit gewesen wäre, solche Kritik zur Kenntnis zu nehmen und gar sich ernsthaft mit ihr auseinanderzusetzen.
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Einen entscheidenden Grund für medienpolitische Defizite sah Poerschke in unzureichender Umsetzung der marxistisch-leninistischen Theorie, insbesondere in mangelhafter Aneignung des Lenin’schen Erbes. Dreh- und Angelpunkt war für ihn Lenins – von Kautsky übernommene und im Stalin’schen Leninismus verabsolutierte – These, dass das sozialistische Bewusstsein von der Vorhut in die Massen getragen werden müsse, die es aus ihren alltäglichen Lebensbedingungen heraus nicht spontan ausbilden können (vgl. Lenin 1959: 394ff.). Es ging Poerschke darum, gegen verbreitetes triviales Verständnis dieser These eine Qualität des Hineintragens von Bewusstheit und Organisiertheit zu bestimmen, mit der das oben angeführte emanzipatorische Ziel erreichbar schien. Leitgedanke war dabei die Auffassung, dass die Bewusstseinsbildung nicht als einseitiger Prozess der Indoktrination, sondern nur in lebendiger geistiger Wechselbeziehung verlaufen könne und dass sie sich nicht nur über Aufklärung, sondern im Zusammenhang mit der Leitung der praktischen Aktion vollziehe. Hilfe für die Umsetzung dieses Gedankens fand sich bei Leipziger Erkenntnistheoretikern, die damals eine Erkenntnisstruktur herausgearbeitet hatten, die sie als Voraussetzung für jegliches sachkundiges, bewusstes Handeln betrachteten. Zu dieser Struktur gehören Erkenntnisse über die gesellschaftliche und geschichtliche Situation des handelnden Subjekts, über die Gegenstände menschlicher Tätigkeit, die mit ihren Gesetzen die Tätigkeit bestimmen, über die materiellen und ideellen Mittel der Tätigkeit, schließlich über die materiellen und ideellen Bedingungen, unter denen sie ausgeübt wird (vgl. Wittich/Gößler/Wagner 1978: 330ff.). Der Journalismus habe die betreffenden Erkenntnisse „auf einem Niveau zu vermitteln, das die politische Linie als ganze, als Verhaltenslinie der Klasse, mit ihren konkreten gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen, Zusammenhängen und Folgen, als Bestandteil einer zum Kommunismus führenden Strategie erkennen läßt.“ (Poerschke et al. 1980: 57) Auf diese Weise versuchte Poerschke theoretische Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Öffentlichkeit besser informiert, mit einem höheren Grad von Bewusstheit und mit größerem Gewicht im politischen Leben wirksam werden konnte. Auch dieser Anstoß wurde damals von kaum jemandem wahrgenommen. Dass er nicht wirksam werden konnte, lag vor allem daran, dass Poerschke im gleichen Atemzuge die Rolle der Öffentlichkeit in dem engen von der Partei abgesteckten Rahmen beließ, und zwar unter Berufung auf Lenins Sentenz, die Parteizeitung habe „jeden ‚Teilarbeiter‘ der revolutionären Sache mit dem Bewußtsein [zu] erfüllen, daß er ‚in Reih und Glied‘ marschiert, daß seine Arbeit für die Partei unmittelbar notwendig ist“ (Lenin 1960: 218). Poerschke schloss daraus, die journalistische Erkenntnisvermittlung habe „die sachkundige, politisch bewußte Erfüllung einer bestimmten Teilaufgabe bei der Verwirklichung der politischen Linie zu ermöglichen.“ (Poerschke et al. 1980: 57) Und er erklärte es für den „Normalfall des politischen Lebens […], daß die Führungsorgane der Partei oder des sozialistischen Staates die politische Linie für die Lösung irgendeines gesellschaftlichen Problems ausgearbeitet haben und daß nun der Journalismus eingesetzt wird […], um die politische Linie in die Massen zu tragen, die Werktätigen für ihre Verwirklichung zu gewinnen und zu mobilisieren.“ (Poerschke et al. 1980: 53) Freilich billigte er dem Journalismus auch zu, dass er „Potenzen für die Ausarbeitung und Weiterentwicklung der politischen Linie der Partei besitzt“ (Poerschke et al. 1980: 53), das blieb aber bloße Deklaration. Eine beabsichtigte ausführlichere Behandlung war in einer Publikation der Sektion Journalistik unter den damaligen Umständen nicht realisierbar.
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Das gleiche gilt für die wenigen Ausführungen zur Bedeutung der Öffentlichkeit für die sozialistische Demokratie. Sie blieben im Allgemeinsten stecken und enthielten nicht die geringste Aussage in Richtung konkreter Rechte und Pflichten, mit denen eine Einflussnahme der Öffentlichkeit auf die Ausarbeitung von Zielen und Methoden der Politik, eine entscheidungswirksame öffentliche Diskussion über Kriterien und Alternativen politischen Handelns, eine tatsächliche Kontrolle gesellschaftlicher Institutionen erst hätte Wirklichkeit werden können. Es blieb bei dem, was im Rahmen der herrschenden politischen Strategie und auf dem Boden der marxistisch-leninistischen Doktrin nur möglich war: dem Modell einer paternalistischen, dem Ermessen einer allmächtigen Parteiführung ausgesetzten Öffentlichkeit, weit davon entfernt, emanzipatorische Intentionen einlösen zu können.
3. In der zweiten Periode intensiverer Arbeit am Thema „Öffentlichkeit“ hatten sich die Umstände erheblich verändert. Der wachsende Produktivitätsrückstand und die zunehmende ökonomische, politische und geistige Stagnation wiesen immer deutlicher auf eine heranreifende Krise des gesellschaftlichen Systems der DDR hin. Deshalb gingen die theoretischen Bemühungen nunmehr ebenfalls von veränderten Prämissen aus. Der emanzipatorische Anspruch, klassisch verkörpert in der Vision einer „Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (Marx/Engels 1959: 482), wurde aus einer ernst gemeinten, aber abstrakten Leitidee zur konkreten, unmittelbar praktischen Forderung. Brie leitete aus drängenden globalen Problemen wie der Bedrohung des Weltfriedens und des ökologischen Gleichgewichts, aus der Defensivposition des Realsozialismus in der weltweiten wissenschaftlich-technischen Revolution und seiner Unfähigkeit, sich aus dieser Lage zu befreien, die Konsequenz ab, dass der Sozialismus nur entwicklungsfähig sein kann, wenn er Verhältnisse schafft, in denen jeder, Individuen, Kollektive wie Gesamtgesellschaft, sich nur entwickeln kann, indem er zugleich die Bedingungen für die Entwicklung der anderen Subjekte hervorbringt (vgl. Brie o. J.: 11). Nur unter solchen Verhältnissen können sich individuelle und kollektive Subjekte bilden, die willens und fähig sind, die herangereiften Probleme auf humane, solidarische und eine friedliche Zukunft sichernde, damit auf eine einem modernen Sozialismus gemäße Weise zu lösen. Unübersehbar war, dass Lösungen im Rahmen der politischen Strategie der SED nicht mehr möglich waren. (Am wenigsten ist das an Texten aus der Leipziger Journalistik abzulesen, wo wegen der direkten Unterstellung unter die Abteilung Agitation des ZK der SED die Sorge vor Sanktionen und der vorauseilende Gehorsam wohl größer waren als anderswo.) Aus Analyse und Kritik der Situation wurde die Forderung nach tiefgreifenden Reformen nach aktuellem sowjetischem Vorbild abgeleitet. Brie sah in umfassender Demokratisierung das Hauptkettenglied aller anstehenden Wandlungen. Nur sie konnte bei den breiten Massen das Bewusstsein, den Willen und die Kraft wecken, sie in Angriff zu nehmen. Und als Schlüsselproblem für die Demokratisierung machte er eine lebendige Öffentlichkeit aus. Ohne sie „wird es keine Subjekte der Beherrschung moderner hochkomplexer
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technischer Systeme geben“,4 keine zukunftsfähige Gestaltung der wissenschaftlichtechnischen Revolution; ohne sie „ist das Leistungsprinzip nicht durchsetzbar“; ohne sie „kann politische Stabilität nicht dauerhaft erhalten werden.“ Monopolisierung von Herrschaftswissen habe „blindes Vertrauen oder blinde Ablehnung des Staates und seiner Bestrebungen zur Folge. Die politischen Krisen des Sozialismus seit 1953 waren immer auch dem Mangel an sozialistischer Öffentlichkeit geschuldet.“ (vgl. Brie o. J.: 4ff.) Schließlich erwies es sich als unumgänglich, die Doktrin des Marxismus-Leninismus nicht nur mit moderneren und differenzierteren Einsichten zu verbessern, sondern sie zu überwinden – einerseits durch Zurückgehen auf die originären Wurzeln Marx’schen Denkens, andererseits durch Aufwerfen von Fragestellungen, die den Problemen einer weiterentwickelten Welt angemessen waren und mit dogmatischen Vereinseitigungen und Verengungen brachen, schließlich durch Aufnahme wichtiger, lange Zeit ignorierter und verketzerter Ergebnisse der „bürgerlichen“ Wissenschaft. Um nur als ein Beispiel Luutz zu zitieren: Für ihn war es eine elementare Voraussetzung erfolgreicher Suche nach weiterführenden Lösungen, sich den bis dahin vernachlässigten Problemen der sozialen Kommunikation zuzuwenden und die lange herrschende Auffassung vom Vorrang der gesellschaftlichen, von Partei und Staat vorgegebenen Interessen, an die jene der Individuen und Kollektive angepasst werden müssten, durch einen Neuansatz zu ersetzen, der das aktive, mit Eigenwillen ausgestattete, autonome, das heißt seine Lebensziele in kommunikativer Wechselwirkung mit anderen Subjekten selbst bestimmende Individuum zum Ausgangspunkt wählt (vgl. Luutz 1990: 6). Die theoretische Arbeit am Öffentlichkeits-Problem unter diesen Prämissen erbrachte eine ganze Reihe neuer, den bisherigen Rahmen sprengender Resultate.
4. Das betraf als erstes die Vorstellungen vom Wesen der Öffentlichkeit und ihrem Platz in der Gesellschaft. War früher die Führung der Gesellschaft durch die Partei, ihre Leitung durch den Staat, das Hineintragen sozialistischen Bewusstseins in die Massen der Ausgangspunkt für die Betrachtung der Öffentlichkeit, gewann nun eine neue Betrachtungsweise den Vorrang. Öffentlichkeit wurde nun durchgängig als „Verkehrsform“, als „eine gesellschaftliche Form sozialer Kommunikation“, als „gesellschaftliche Kommunikationsweise“ begriffen, die zu den Bedingungen gesellschaftlicher Existenz der Menschen in der modernen Gesellschaft gehört und von deren Funktionieren es abhängt, ob und wie diese ihr Zusammenleben bewusst gestalten können. Nach Brie (o. J.: 13) vermittelt sozialistische Öffentlichkeit geistig „die entstehende freie Assoziation sich universal entwickelnder Individuen. Ihren dialektischen Widerpart hat sie in der Intimität selbstbewußter Individualität, auf zunehmend freierer individueller Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums beruhend.“ Öffentlichkeit wird begriffen als wesentlicher Ort der Produktion des gesellschaftlichen Bewusstseins, als „relativ selbständiger Regulationsmechanismus in modernen Gesellschaften“ (Luutz 1990: 9). Die hypertrophierte, einseitige Hineintragensthese erhielt ihren Abschied. Sobald „das selbständige, auf den eigenen Interessen direkt beruhende Handeln 4
„In provozierender Zuspitzung“ formulierte Brie: „Tschernobyl ist auch ein Resultat mangelnder sozialistischer Öffentlichkeit.“ (Brie o. J.: 4)
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der mannigfaltigen Subjekte entscheidend wird“, schrieb Brie (o. J.: 12), „wird das ‚Hineintragen‘ als Hauptform der Durchsetzung von Bewußtheit durch die gesellschaftsweite Kommunikationsweise sozialistischer Öffentlichkeit abgelöst. In diese geht das Hineintragen von Bewußtheit in die Massen als untergeordnetes Moment des Gesamtprozesses ein.“ Das bedeutete nicht, dass damit die Überzeugung von der notwendigen Führung der Gesellschaft durch die kommunistische Partei aufgegeben war. Aber es war eine veränderte Partei gemeint, die in den eigenen Reihen und in ihren Wechselbeziehungen mit der Gesellschaft das Prinzip der Öffentlichkeit beispielhaft praktiziert. Erst Anfang 1990 bei Luutz spielt dieser Gedanke keine Rolle mehr. Wesentlich vertieft wurde die theoretische Ableitung der modernen Öffentlichkeit aus den grundlegenden, den sozialökonomischen gesellschaftlichen Verhältnissen. Poerschke entwickelte folgenden Gedankengang für die bürgerliche Öffentlichkeit: Die kapitalistische Produktionsweise sprengte als allumfassende Herrschaft des Warenaustauschs, mit der Jagd nach Profit als alles bewegender Triebfeder, die herkömmlichen selbstgenügsamen Lebensformen. Sie löste die in allen früheren Gesellschaften bestehende persönliche Abhängigkeit der Menschen auf, brachte freie, vereinzelte Individuen hervor, die sich im spontanen, unvorhersehbaren Auf und Ab des Marktes als konkurrierende Warenbesitzer behaupten, sich nüchtern kalkulierend zueinander und zu allem, was sie umgibt, verhalten müssen; die also zu unablässiger, vielseitiger Kommunikation untereinander genötigt sind. Jeder muss sich seine Situation in einer bis zum weltgeschichtlichen Maßstab erweiterten, weitaus dynamischeren Welt als Bedingung für Kapitalverwertung und Bestehen im Konkurrenzkampf geistig aneignen, jeder muss also gleichermaßen die Möglichkeit der Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge haben (vgl. Poerschke 1988a: 17f.). Die kapitalistischen Produzenten müssen, um die gesellschaftlichen Bedingungen der Mehrwertproduktion bewältigen zu können, „aus ihren realen Lebensumständen ihr Allgemeininteresse als Klasse erschließen und als Orientierung für gesellschaftliches Verhalten geltend machen.“ (Poerschke 1988a: 34) Dabei können sie, in Marx’ Worten, „keine andre Autorität anerkennen als die Konkurrenz, den Zwang, den der Druck ihrer wechselseitigen Interessen auf sie ausübt“ (Marx 1977: 377). Und weiter Poerschke (1988a: 34): „Deshalb müssen sie, einander als Gleiche und Freie gegenübertretend, jeder von seinem Privatinteresse ausgehend und es gegen die Ansprüche seiner Konkurrenten verteidigend, miteinander um jenen Grad an Übereinstimmung über die gesellschaftlichen Angelegenheiten ringen, der für die Realisierung der allgemeinen Interessen ihrer Klasse erforderlich ist.“ Dies erklärte für Poerschke grundlegend die historische Notwendigkeit der Öffentlichkeit als Verkehrsform in der bürgerlichen Gesellschaft, die sich von den kapitalistischen Produzenten auf alle Schichten der Gesellschaft ausweitete, teils durch ihre Einbeziehung als Massenbasis in das politische Leben, teils in Gestalt der von der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts geschaffenen Gegenöffentlichkeit. Eine ähnliche Darstellung dieser Zusammenhänge findet sich bei Brie (vgl. Brie o. J.: 7ff.). Bemerkenswert ist, dass mit dem Gewinn dieser Erkenntnisse sich die historische Wertung der bürgerlichen Öffentlichkeit wandelte. Bei Poerschke (1988a: 36) lesen wir: „Die Herausbildung der bürgerlichen Öffentlichkeit war Ausdruck und Voraussetzung einer Demokratisierung der Gesellschaft, einer bedeutenden Entwicklung der sozialen Aktivität der Massen, der politischen Handlungsfähigkeit der Klassen, des gesellschaftlichen Erkenntnisvermögens. Sie ermöglichte damit einen beträchtlichen kulturellen Fortschritt. Freilich hat die kapitalistische Gesellschaft diese Potenzen in der für sie charakteristischen
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Weise realisiert: äußerst beschränkt und zutiefst widersprüchlich.“ Aus einem bloß negativen Gegenbild, demgegenüber die historische Überlegenheit der sozialistischen Öffentlichkeit risikolos behauptet werden konnte, wurde eine hinter den kritisierten Schranken verborgene Errungenschaft, „die die sozialistische Gesellschaft bei ihrem Entstehen vorfand, mit der sie sich auseinandersetzen, die sie ihren Bedürfnissen entsprechend weiterentwickeln muß.“ (Poerschke 1988a: 20) Brie drückte diese Einsicht noch deutlicher und auf den philosophischen Begriff gebracht aus, wenn er schrieb: „Sozialistische Bewußtheit und Öffentlichkeit bleiben unverständlich, wenn man sie nicht als dialektische Aufhebung bürgerlichen Bewußtseins und seiner Öffentlichkeit verstehen würde.“ (Brie o. J.: 7) Gegen die vorherrschende Geringschätzung der Spontaneität gewandt, hob er hervor, „daß die Bauern, Plebejer, Kleinbürger und das Bürgertum in jener epochalen Revolution vom 16. bis 19. Jahrhundert eine spezifische Qualität spontanen Bewußtseins erzeugt haben, deren Negation nun aber wiederum angesichts der globalen Probleme der Menschheit Grundbedingung weiterer Entwicklung überhaupt geworden ist. Diese Negation verlangt aber […] zugleich die Bewahrung, ja die volle Entfaltung und Verallgemeinerung jener Errungenschaften.“ (Brie o. J.: 8) Was die sozialistische Öffentlichkeit anbelangt, beschränkte Poerschke sich darauf, sie abstrakt aus der Form der Gesellschaftlichkeit zu begründen, die das Wesen der mit dem Sozialismus eingeleiteten kommunistischen Gesellschaftsformation ausmache. Er schrieb: „Diesem Charakter der gesellschaftlichen Verhältnisse, der die freie, allseitige Entwicklung der Menschen mit der gemeinschaftlichen, auf Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten beruhenden Beherrschung der gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Existenz verbindet, kann die Massenkommunikation nur in einer Form gerecht werden, in der die Individuen als real gleichberechtigte Angehörige des Gemeinwesens und kameradschaftlich zusammenwirkend an der Erkenntnis, Erörterung und Regelung der gesellschaftlichen Angelegenheiten teilhaben. (Poerschke 1988a: 61) Das blieb als Behauptung stehen; die Kommunikationsweise aus der Dialektik der sozialökonomischen Verhältnisse im Sozialismus zu begründen, gestattete Poerschke sein damaliges theoretisches Rüstzeug nicht. Hier tat Brie den wichtigsten Schritt, indem er sich mit der in Lehrbüchern vertretenen Argumentation auseinandersetzte, „die das Problem der Öffentlichkeit sozusagen unter der Hand beseitigt. Gegen den bürgerlichen Pluralismus gewandt (der ‚natürlich‘ nur ein Scheinpluralismus sei), wird auf dem Monismus der sozialistischen Gesellschaft bestanden, der der Gewaltenteilung genausowenig bedürfe wie gegensätzlicher politischer Kräfte. Dieser Monismus wurzele in der Einheit des sozialistischen Volkseigentums und der dadurch begründeten Übereinstimmung der grundlegenden Interessen.“ (Brie o. J.: 10) Dem setzte Brie entgegen, das sozialistische Eigentum negiere die Widersprüchlichkeit des kapitalistischen Eigentums nicht, „indem [es] Widerspruchslosigkeit, sondern indem [es] eine andere, neue und höhere Art von Widersprüchen setzt. Sozialistisches Eigentum erscheint im Verhältnis von Volkseigentum, genossenschaftlichem und persönlichem Eigentum zueinander, wird geprägt durch die innere Widersprüchlichkeit des Volkseigentums selber.“ (Brie o. J.: 10) Das so, als „Einheit assoziierender Gegensätze“ (Brie o. J.: 10), verstandene Eigentum bewährt sich als sozialistisches, schrittweise die Marx’sche „freie Assoziation“ begründendes, sofern es „Individuen, Kollektive und die Gesamtgesellschaft in Verhältnisse zueinander [setzt], wo letztlich jedes dieser Subjekte sich nur entwickeln kann, indem es zugleich die Bedingungen für die Entwicklung der anderen Subjekte hervorbringt.“ (Brie o. J.: 11)
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Solche Verhältnisse sind nur bewusst zu gestalten, und sie haben zur Voraussetzung die klare Einsicht eines jeden in die Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen der eigenen Reproduktion und Entwicklung sowie in deren Vermittlung mit der Reproduktion und Entwicklung der anderen Subjekte (vgl. Brie o. J.: 12). Dies nun „ist in keiner Weise das absolute Wissen eines absoluten Subjekts über sich selbst“, sondern entsteht und erlangt gesellschaftliche Wirksamkeit „im bewußt gewordenen Bezug dieser Subjekte aufeinander. […] Sozialistische Öffentlichkeit ist ein gesellschaftlicher Produktionsprozeß von Bewußtheit und realisiert sich nur in der Kommunikation verschiedener Subjekte mit je besonderen Interessen, Funktionen und Möglichkeiten miteinander.“ (Brie o. J.: 12f.)
5. Öffentlichkeit wurde in mehrfacher Hinsicht als komplizierter, widerspruchsvoller Vermittlungsprozess begriffen. Dies zum ersten zwischen verschiedenen Ebenen des gesellschaftlichen Bewusstseins, der sozialen Kommunikation und der mit ihnen verbundenen Institutionen. Poerschke ging in seiner theoretischen Darstellung von Journalismus und Öffentlichkeit von einer historischen Differenzierung der sozialen Kommunikation aus, die mit der fortschreitenden Arbeitsteilung, mit der sozialen, vor allem der Klassenspaltung, mit der wachsenden Intensität und Reichweite der gesellschaftlichen Beziehungen einherging und zur Herausbildung eines Kommunikationssystems geführt hat, das „bis auf den heutigen Tag und auch in unserer [also der sozialistischen; H.P.] Gesellschaft“ (Poerschke 1988a: 12) folgende Ebenen umfasst: die mit der unmittelbaren Lebenswelt verbundene Alltagskommunikation (damals unkorrekt, weil nicht den Gegenstand, sondern die Form der Kommunikation treffend, als interpersonelle bezeichnet); die arbeitsteilig spezialisierte Kommunikation; als deren besonderer Bereich die Kommunikation der mit geistiger Produktion und sozialer Leitung Befassten; schließlich die zwischen diesen Ebenen vermittelnde, die gesellschaftliche Orientierung der Masse der Gesellschaftsmitglieder und überwiegend die geistige Herrschaft einer Klasse sichernde gesellschaftsintegrierende Kommunikation (vgl. Poerschke 1988a: 12ff.). In der Öffentlichkeit nun, begriffen als gesellschaftliche Form der gesellschaftsintegrierenden Kommunikation in der modernen Gesellschaft, treten diese Ebenen in Wechselwirkung miteinander, geht vielfältiger Austausch zwischen ihnen vonstatten. Aus dieser Wechselwirkung, so Poerschke, entstehe das Massenbewusstsein, das eine Synthese der verschiedenen Kommunikations- und Bewusstseinsebenen darstelle und im realen Lebensprozess das Verhältnis der Masse der Menschen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und zueinander leite (vgl. Poerschke 1988a: 38). Der Journalismus wurde als Instanz begriffen, die diesen Vermittlungsprozess in Bezug auf die aktuelle gesellschaftliche Praxis (im weitesten Sinne des Wortes) im Maßstab der Gesamtgesellschaft und mit einer Schnelligkeit ermöglicht, ohne die es Handlungsfähigkeit im ablaufenden geschichtlichen Prozess nicht geben kann. Eine vergleichbare Ausführung dieser Gedanken findet sich bei Brie als Versuch einer typologischen Bestimmung verschiedener Ebenen der Öffentlichkeit. Zweitens wurde in der Öffentlichkeit ein Prozess der Vermittlung zwischen den mannigfaltigen in der Gesellschaft vorhandenen und verfochtenen Interessen ausgemacht. Die-
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ses Thema hatte Anfang der 80er Jahre nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt, und Äußerungen dazu waren von der damaligen, in Zeiten des Dogmatismus entstandenen Auffassung von der Rolle der Interessen und Interessenwidersprüche im gesellschaftlichen Leben geprägt. Die lief darauf hinaus, die Vielfalt der individuellen und kollektiven Interessen geringzuschätzen, ihre Unterordnung unter die – von Partei- und Staatsführung vorgegebenen – gesellschaftlichen Interessen zu dekretieren, Interessenwidersprüche als zeitweilige Erscheinung zu betrachten und Interessengegensätze überhaupt zu leugnen. Wenn z. B. Lippold von der Funktion der Öffentlichkeit sprach, die Einheit von gesellschaftlichen, kollektiven und individuellen Interessen durch Vermittlung zwischen ihnen herstellen zu helfen, so war damit gemeint, jedem einzelnen die Orientierung an Erfahrungen, Interessen und Bedürfnissen der Gesellschaft zu ermöglichen (vgl. Lippold 1981: 46), also diesen die individuellen und kollektiven Interessen anzupassen. Erst der Bruch mit diesem Konzept, die Wiedereinsetzung der Dialektik in ihre Rechte, das vorbehaltlose Bekenntnis zu Widersprüchen, zum Kampf der Gegensätze als Triebkraft, machte den Blick frei für die wirkliche Konfrontation von Interessen. Luutz (1990: 8) konstatierte rückblickend, „daß ein Hauptgrund für das Zustandekommen der Krisensituation in unserem Land in der Unentwickeltheit der kommunikativen Beziehungen (der Existenz einer deformierten Öffentlichkeit) bestand – d. h. der fehlenden Möglichkeit, unterschiedliche und gegensätzliche Interessen im gesellschaftlichen Verständigungsprozeß zu artikulieren und bis zur Konsensbildung ausfechten zu können.“ Er analysierte geistige Ursachen für diesen Tatbestand sowie Möglichkeiten und Bedingungen seiner Überwindung, worauf noch einzugehen sein wird. Brie stellte fest, dass ohne Öffentlichkeit die Masse der Subjekte aus der bewussten Interessenartikulation ausgeschlossen wäre (vgl. Brie o. J.: 4f.). Aber nur wenn die eigenen Interessen und die Interessen anderer Gegenstand öffentlicher Kommunikation sind, können sie in ihren Beziehungen erkannt, können Widersprüche bewusst ausgetragen werden. Nur so ist im Lebensalltag die Einsicht überhaupt möglich, dass jeder einzelne sich nur frei entwickeln kann, wenn er zugleich dazu beiträgt, die freie Entwicklung aller anderen zu sichern. Der Weg zu dieser Einsicht und zur Bereitschaft, im wohlverstandenen eigenen Interesse im Sinne einer solidarischen Gesellschaft zu handeln, führt nicht über einen glatten Weg der Erkenntnis, sondern über den „Widerstreit der zur Sprache gebrachten Interessen- und Erfahrungswidersprüchlichkeiten“ (Brie o. J.: 13). Nun hat aber der Widerstreit der Interessen nicht nur nicht automatisch die Verbreitung solcher Einsicht und Handlungsbereitschaft zur Folge, sondern die Unwahrscheinlichkeit eines solchen Ausgangs ist, besonders nach allem, was wir seit dem Ende des Realsozialismus erlebt haben, mit Händen zu greifen. Es ist also unbedingt über die Widersprüchlichkeit der Öffentlichkeit selbst, die aus der Interessenkonfrontation erwächst, zu reden, über die Ambivalenz der von ihr ausgehenden Wirkungen und über das Verhalten zu diesem Phänomen, über Maßstäbe des Umgangs mit Öffentlichkeit. Was hatten die Journalistik und andere Gesellschaftswissenschaften der DDR dazu zu sagen? Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand von Anfang an bis in die Monate vor dem endgültigen Anschluss der DDR an die alte Bundesrepublik natürlicherweise das Eingebettetsein der DDR-Öffentlichkeit in die Systemauseinandersetzung, die Tatsache, dass die westlichen Medien unausgesetzt auf sie einwirkten, bestrebt, die Agenda der öffentlichen Kommunikation zu bestimmen und dieser die Spielregeln der bürgerlichen Öffentlichkeit aufzudrängen, wie Poerschke (1988a: 68) es damals formulierte. Die Parteiführung setzte
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diesem Druck im Grunde immer nur eine Strategie entgegen: Einschränkung der Öffentlichkeit, Vermeiden offener und konkreter argumentativer Auseinandersetzung, „um die Angriffe des Gegners nicht noch propagieren zu helfen“ (was durchaus unnötig war). Die hier behandelten Autoren reagierten darauf übereinstimmend damit, dass sie zu offensiverem und offenerem Verhalten rieten. „Derartigen Gefahren kann prinzipiell nicht durch eine Einschränkung der Öffentlichkeit des politischen Lebens begegnet werden“, schrieb Lippold (1981: 59). Poerschke (1988a: 69) erklärte: „Eine lebendige sozialistische Öffentlichkeit, in der die Bürger unseres Staates die Erfahrung machen, daß sie sich ihrer Fragen und aller wichtigen gesellschaftlichen Probleme sachlich, konstruktiv und den Interessen der Werktätigen entsprechend annimmt, ist die wichtigste Barriere gegen gegnerische Angriffe, ist eine Basis der Offensivität unseres ideologischen Kampfes, eine Quelle der Immunität gegen Einflüsse der bürgerlichen Ideologie.“ Wie eng aber die Grenzen für die Realisierung solcher Ratschläge gezogen waren, zeigt am drastischsten Lippolds Aussage, „daß jeder Konflikt und jegliche revisionistische und oppositionelle Regung in einem sozialistischen Land, zumal wenn sie sich in den noch lange Zeit labilen Teilen der Öffentlichkeit Positionen zu schaffen vermögen, dem Gegner nützen und einen nicht zu unterschätzenden Angriff auf die Existenz des Sozialismus darstellen“ (Lippold 1981: 59). Das hieß in der Konsequenz, dass auch subjektiv auf dem Boden des Sozialismus stehende Opposition als zwangsläufig antisozialistisch eingestuft wurde. Natürlich musste bei jeder nicht einmal oppositionellen abweichenden Meinung damit gerechnet werden, dass der Westen sie gegen die DDR zu nutzen versuchen würde. Dies aber war nicht das eigentliche Problem. Das bestand darin, dass die Führung der DDR augenscheinlich nicht in der Lage war, anders als mit Einschränkung der Öffentlichkeit zu reagieren. Die Unfähigkeit, mit Opposition oder fast beliebigen abweichenden Meinungen konstruktiv umzugehen, war ein mindestens bis auf das 1921 von Lenin durchgesetzte Fraktionsverbot in der Partei zurückgehender, letztlich letal wirkender Geburtsfehler des nach sowjetischem Vorbild konstruierten politischen Systems der DDR. Insofern hatte Lippold mit seiner Aussage durchaus Recht, wenn auch in einem ganz anderen als dem von ihm gemeinten Sinn. Auch Brie bezog sich auf in der Systemauseinandersetzung liegende Bedrohungen des Sozialismus, er stellte aber ab auf die angesichts dieser Konfrontation besonders ernst zu nehmende „Gefahr einer zweifachen Vereinseitigung“, mit der die eigene Öffentlichkeit als Lösungsform der dem sozialistischen Eigentum innewohnenden Widersprüche behaftet sei. „Einerseits droht […] die Gefahr, die Einheit der Bewußtheit herzustellen bei Ausschluß der Einsichten und Erkenntnisse wesentlicher Subjekte und ohne diese […] Subjekte in den Erkenntnisprozeß […] einzubeziehen. Dadurch verarmt diese Einheit und kann sich stark vereinseitigen oder sogar in bestimmtem Maße zum Interessenausdruck eines bürokratisierten Apparates […] deformiert werden […] Andererseits droht sozialistischer Öffentlichkeit die Gefahr, daß die Vermittlung der Mannigfaltigkeit zur bewußten Einheit sich in der Vielfalt des Besonderen verliert und zur Öffentlichkeit des geistigen Auseinanderfallens der sozialistischen Gesellschaft verkommt“ (Brie o. J.: 14). Noch sah Brie diese gefährlichen Tendenzen als beherrschbar an, wenn die Partei „mit der Durchsetzung von Leistungsprinzip, Demokratie und Öffentlichkeit die kommunistisch gerichtete Einheit der Bewegung der ökonomischen, politischen und geistigen Widersprüche als Erkenntnis, Wille und Tat produktiv zur Wirklichkeit bringt.“ (Brie o. J.: 14) Wir wissen, es war – falls die Chance überhaupt jemals bestanden haben sollte – viel zu spät
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dafür. Die Partei war unfähig und die Massen waren nicht mehr bereit, auf Veränderung des DDR-Sozialismus zu setzen. Luutz war mit den Widersprüchen der Öffentlichkeit unter anderen Umständen konfrontiert – nach der „Wende“, als für einen Augenblick die Zukunft der DDR offen zu sein schien. Nun, da die Extreme munter aufeinander prallten, war für ihn das wichtigste Problem die Suche nach produktiven Formen des Austragens von Interessenwidersprüchen. Als Grundvoraussetzung einer solchen Suche betrachtete er die „Ablösung der [bis dahin in der DDR herrschenden; H.P.] feindbildzentrierten Sozialintegration durch die wertezentrierte Sozialintegration, wobei diese gemeinsamen Werte kommunikativ erstritten werden müssen.“ (Luutz 1990: 6) Während er sich bei den für diese Ablösung erforderlichen „Spielregeln“ der Kommunikation auf „weitgehend Anerkanntes“ (z. B. von Habermas Erarbeitetes) stützen konnte, musste er selbst versuchen, Bedingungen zu erkunden, unter denen diese Spielregeln in der gegebenen Umbruchsituation Geltung erlangen konnten. Als eine Mindestforderung formulierte er, „daß das Austragen von Interessenwidersprüchen nicht zum sozialen Kollaps führen darf. […] Die Subjekte dürfen sich im Streit nicht gegenseitig aufreiben. Das geht nicht ohne Bereitschaft zum Interessenkompromiß, ohne ein gewisses Maß an gegenseitiger Akzeptanz der streitenden Subjekte.“ (Luutz 1990: 7) „Bewußt gegen den heute dominierenden Zeitgeist“ setzt er seinen Standpunkt zum Verhältnis von Zerstörung und Erhaltung: „Revolutionäre Umbrüche bedeuten notwendigerweise die Zerstörung alter Strukturen. Ohne Prozesse des dialektischen Aufhebens setzen sich die bekämpften Strukturen aber unter anderen Vorzeichen wieder durch. So sehr ich daher die kritische Abrechnung mit der Vergangenheit teile, muß ich doch zu bedenken geben: Eine Gesellschaft, die ihre Identität nicht zumindest partiell in der Vergangenheit findet, hat keine Zukunft.“ (Luutz 1990: 7) Eine weitere, nach den mittlerweile gewonnenen Erfahrungen sehr bedenkenswerte Bedingung für das produktive Austragen von Interessenwidersprüchen sah Luutz darin, „daß alle gesellschaftlichen Subjekte am gesellschaftlichen Fortschritt Anteil haben müssen. Maßstab ist also Humanitätsgewinn für alle, ist die Einheit von ökonomischer und sozialer Effektivität.“ (Luutz 1990: 7) Schließlich sind „Wettbewerbsbeziehungen zwischen gleichberechtigten Partnern erforderlich“, weil sie erst ökonomische und soziale Effektivität sichern und zugleich verhindern, dass Sonderinteressen als allgemeine ausgegeben werden. Die Dominanz von Wettbewerbsbeziehungen allerdings „darf nicht zur Einebnung spezifischer Interessen, die noch nicht oder nicht mehr wettbewerbsfähig sind, führen“, denn gerade „in Minderheiten sind Evolutionspotentiale angelegt, die vor überzogenen Forderungen nach ökonomischer Effektivität und politischer Majorität geschützt werden müssen.“ (Luutz 1990: 7) Luutz schloss diesen Exkurs mit der Bemerkung ab, er habe damit Mindestanforderungen formuliert, „die Bestandteil eines Überleitungsmodells sein könnten. Die Verwirklichung des Modells ließe uns die Chance für die Erneuerung der Gesellschaft, ohne die Richtungen der Entwicklung vorzugeben.“ (Luutz 1990: 7) Wir wissen nicht sicher, wie viel Hoffnung er in diesen Vorschlag noch gesetzt hat. Es wird wohl auch der Mut der Verzweiflung gewesen sein, der ihm die Feder führte. Was damals schon zu befürchten war, ist eingetreten: Ein Diskurs, der diesen Bedingungen und den Spielregeln erfolgreicher Verständigung entsprach, ist nicht zustande gekommen. Seine Verfechter waren viel zu schwach gegenüber denen, die radikalen und rücksichtslosen Bruch wollten. Die in der alten Bundesrepublik herrschende Politik hatte keinerlei Interesse an einem Vereinigungs-
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prozess als Diskurs zwischen gleichberechtigten Partnern. Für sie war an der DDR alles, am gesellschaftlichen System der BRD nichts in Frage zu stellen. Und im Übrigen hatte nicht zuletzt die jahrzehntelang deformierte Öffentlichkeit in der DDR längst in der Mehrheit der Bevölkerung einen Zustand wachsen lassen, den Brie Ende 1987 mit den scharfen, bitteren Worten eines Schlimmes ahnenden ambitionierten Sozialisten vorweggenommen hatte: Bei Fortsetzung eines administrativen Sozialismus „bleibt das Bewußtsein der Massen der privaten Kultivierung der eigenen Borniertheit überlassen, verlagern sich die Triebkräfte in den rein privaten Raum, werden die Massen anfällig, sofort dann einer konterrevolutionären Parole anheimzufallen, sobald eigene, oft eben privatistisch deformierte Interessen spürbar nicht realisiert werden können und sich scheinbare Alternativen bieten.“ (Brie o. J.: 14)
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From Bryce’s ‘Government by Public Opinion’ to Global Governance – Without Public Opinion1 Slavko Splichal
George Gallup was perhaps the most prominent but certainly only one among many scholars and researchers across the world praising the birth of polls as an impetus to democratic revival. He believed, exaggerating James Bryce’s enthusiasm, that with “the science of measuring public opinion,” as he called polls, “it will not be long before we can say with utmost confidence that the final stage in the development of our democracy, as described by Bryce, has been reached – that the will of the majority of citizens can be ascertained at all times” (Gallup 1938: 14). According to Gallup and Rae (1940), polls compensated for the growing limitations to citizens’ political participation in parliamentary democracy. He defined polling results as a “mandate from the people” to the government and suggested that polling might help re-establish the town meetings of antique Greece on a national scale. Public opinion revealed through polling was believed to provide a democratic counterweight to the growing independence of political elites and separation of representation from popular rule. Bryce’s zeal for public opinion was more moderate. Discussing “government by public opinion” in “The American Commonwealth“, he took the United States as an example of inexpedient “government by public opinion” in which “the wishes and views of the people prevail, even before they have been conveyed through the regular law-appointed organs, and without the need of their being so conveyed” (Bryce 1995: 925). According to Bryce, public opinion is expressed in practice through four main organs: 1) the press, 2) public meetings, primarily during election campaigns, 3) elections, and 4) citizen associations. The idea of ‘organs’ of public opinion goes back at least to Bentham, and was further elaborated by authors such as Gabriel Tarde, Ferdinand Tönnies and many others. They believed that although none of these diverse instruments or organs can provide a constant, instant, and reliable estimation of public opinion, elites act as if such instruments existed: they “look incessantly for manifestations of current popular opinion, and […] shape their course in accordance with their reading of those manifestations” (Bryce 1995: 920). Bryce identified three stages in the historical evolution of public opinion “from its unconscious and passive into its conscious and active condition” (1995: 919). According to his scheme, the most rudimentary stage of public opinion was when it acquiesced “in the will of the ruler whom it has been accustomed to obey.” In the second stage, conflicts arose between the ruling elites and “more independent or progressive spirits” – i. e., the bourgeois class – which were eventually “decided by arms.” In the third stage – in (until then) the most developed phase – the sovereign multitude expresses its will at certain intervals – in elections, and it is supposed that the general will expressed in that way would be heeded by 1
This article first appeared in Swedish (Splichal 2008).
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the legislative and executive branches of power. According to Bryce, a fourth stage could be imagined in which “the will of the majority of the citizens were to become ascertainable at all times, and without the need of its passing through a body of representatives, possibly even without the need of voting machinery at all.” In that way, the fifth ‘organ of public opinion’ would be established. Yet, Bryce believed that the fourth stage (or the fifth organ) of public opinion was utopian because “the machinery for weighing or measuring the popular will from week to week or month to month has not been, and is not likely to be, invented.” In a very short time, his prediction proved wrong: such a ‘machinery’ was invented only a few decades later in the form of public opinion polls, almost in the very form predicted a few years earlier by Carl Schmitt who in a cynical way, and alluding to the American ‘voting machines,’ anticipated that some day, “without leaving his apartment, every man could continuously express his opinions on political questions through an apparatus, and all these opinions will be automatically recorded in the head office” (Schmitt 1954: 245). A recent expression of this phenomenon is the idea of government by instant polling, as advocated by Ross Perot during the 1992 presidential race in the United States. Bryce was not as unconditionally happy with the rule of public opinion as Gallup was later. He expressed two main reasons for hesitation. The first was “the difficulty of ascertaining the will of the majority” and the possibility of abuses when immense interests are entangled in an issue. The second was that minority opinion could be completely run down. His conclusion was that “the duty of a patriotic statesman in a country where public opinion rules [is] rather to resist and correct than to encourage the dominant sentiment. He will […] confront it, lecture it, remind it that it is fallible” (1995: 921). Bryce would probably have been even less happy with government by public opinion if he had realized that the “the machinery for weighing or measuring the popular will” was already looming in the distance at the time when he published “The American Commonwealth”. Following Bryce’s scruples about public opinion, there were many who, quite contrary to Gallup, disdained polls for either political or scientific (ontological, epistemological, methodological) reasons, or both. In his critique of Gallup’s idea of democratic potentials of polling, Lindsay Rogers argued that it is misplaced to (try to) substantiate the validity of public opinion polling with its resemblance to referendum because in modern democracy, the vital role is with representative assemblies in which political issues are discussed. Rogers (unknowingly) resumed Carl Schmitt’s argument. According to Rogers, a ‘permanent referendum’ by polls would be a caricature of democracy because polling prevents the discussion and agreement that are essential to effective democratic government (Rogers 1949). The debates never brought about anything close to a consensus on the nature and function of public opinion and (public) opinion polls. Even the opposite was the case: the differences between the “classical and speculative mode of study” and the “statistical and survey techniques,” as Wilson (1962) labeled the two dominant streams of public opinion theories and research, have been firmly stabilized. Whilst Lazarsfeld suggested that not only can empirical research provide “sharper conceptual tools” that would bring to light “new implications of all sorts,” but also theory “brings to our attention ideas which might otherwise have been overlooked” in the process of empirical research because “[t]heorizing itself can make progress, and the logic of empirical research can contribute to it” (Lazarsfeld 1957: 41), Wilson argued that it would be impossible to achieve a reconciliation between the two streams of thought (Wilson 1962: 16f.). Indeed, preclusive statements of the
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sort that “public opinion does not exist” (Bourdieu 1979) and that “public opinion is created by the procedures that are established to ‘discover’ it” (Osborne/Rose 1999) leave little hope for ‘reconciliation.’ Nevertheless, 70 years after Gallup’s pretentious statement about “the final stage in the development of our democracy,” hopes and scruples about polls are confronted with a new challenge – that of globalization, which may incite some novel conceptual and methodological insights into public opinion studies. The consequences of globalization and the evolution towards ‘cosmopolitan public spheres’ and post-national politics are becoming key issues of contemporary public sphere theory and research, including polling. Globalization that brought about global interactive communication networks may be seen as an opportunity for the construction of a new – transnational – public sphere that would to a certain degree compete with national public spheres but also come closer to materializing the principle of deliberative publicness and personal right to communicate that national public spheres largely fall short of. This chapter explores the extent to which the concept of public opinion and the technology of polling are, or may/should be, influenced by the process of globalization paralleled by the processes of denationalization and depoliticization. Based on normative concerns that should prevent an operational (or empiricist) reduction of revived concerns for public opinion to existing social conditions, I begin with a brief discussion of how the invention of polling influenced broader social-theoretical conceptualizations of public opinion. I then turn to the issue of how the nature of relationship between public opinion and the nation-state has been theorized, and how it has been challenged by globalization. The final part is focused on the consequences of global governance, such as denationalization and depoliticization, for the national and transnational publics in both normative and empirical terms.
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Polling: scientifically invented, manufactured, measured, or politically institutionalized public opinion?
The invention of polling had an immense influence on conceptualizations of public opinion. Polling was often considered not only as a research technique (a scientific instrument) to ‘measure the popular will’ but also as a political artifact – a new institution of (political) democracy. Formerly, social sciences made rather unsuccessful attempts at scientific operationalization of normative concepts of public opinion. But with polling, as its prophets and pollsters in particular believed, they seemed to have achieved a satisfactory degree of empirical validity. It has been suggested that the introduction of random samples and quantitative statistical methods to ‘measure’ opinions in larger populations also solved all conceptual problems related to ‘public opinion.’ While having reduced public opinion to “the uniformities observed in opinions,” Herbert Hyman suggested that “we stand close to a sound theory of opinion formation, and only because of the riches and variety of empirical research” (Hyman 1957: 59). Philip Converse was convinced that “the firm establishment of a public opinion polling industry […] homogenized the definition [of public opinion] and stabilized it for foreseeable future” (Converse 1987: S13).
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The “establishment of public opinion polling industry” even seems to be a major scientific achievement. It is suggested that the phenomenon of public opinion is created by social sciences: “the term ‘public opinion’ conjures up, as its necessary technical part, the public opinion poll” (Osborne/Rose 1999: 371). In their criticism of the critical theory (e. g., Habermas, Bourdieu), Osborne and Rose argue that “public opinion is created by the procedures that are established to ‘discover’ it. The phenomenon of opinion is an artefact of the technical procedures that are designed to capture it” (ibid.: 382). Doubters took a very different view: Their critical assessments of polling were mainly focused on two rather independent issues: 1.
2.
Early critiques of public opinion polling in the 1930s and 1940s were primarily concerned with the epistemological status of polls and methodological questions of validity (following Bryce’s Type I concern about public opinion). One of the most important and enduring criticisms is that pollsters treat public opinion as a mere aggregation of individual opinions (e. g., Blumer 1948). More recent critiques, however, are mainly focused on social and, particularly, political implications of polling (following Bryce’s Type II concern). Ginsberg (1989), for example, sees opinion polling as an instrument of ‘pacification’ of public opinion because information about attitudes may be used by elites to suppress other (more indigenous) expressions of opinion.
In his article on “Meinungsforschung und Öffentlichkeit” that appeared some forty years ago, Theodor Adorno (2005) criticized the misunderstanding of public opinion research which undermines the very assumptions about the public/ness on which that research should rest. Essentially, Adorno followed Herbert Blumer’s criticism “that the formation of public opinion can only occur as a function of a society in operation, largely through the interaction of groups rather than individuals, which imply that the study of public opinion must reflect the functional composition and organization of society” (Blumer 1948: 543). For Blumer, equating empirical opinion research (or polling for that matter) with research into public opinion was a perfect example of the invalid dismissal of the interaction – the direct reciprocally oriented social action – between groups and individuals with varying amounts of influence, who in their interaction create and express public opinion that might be voiced through a variety of ‘mechanisms’ other than surveys, such as letters, telegrams, petitions, resolutions, lobbies, delegations (ibid.: 545). In particular, he criticized “the inability of public opinion polling to isolate ‘public opinion’ as an abstract or generic concept which could thereby become the focal point for the formation of a system of propositions” because only “[w]hen the generic object of study is distinguishable, it becomes possible to focus study on that object and thus to learn progressively more about that object” (ibid.: 542). Whereas Blumer pleaded for more intellectual efforts to understand “the functional composition and organization of society,” which he believed would eventually provide a ‘better definition’ of public opinion, Adorno argued that due to the nature of publicness such a conclusive (operational) definition is actually impossible: The vagueness, however, with which, certainly in Locke, the ideas of ‘public’ and ‘public opinion’ are tainted cannot be corrected through precise verbal definition. Publicness is not clearly demarcated; it is es-
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sentially polemical: what was once not public should become so. Only in this sense is the point to understand, as a criticism of absolute cabinet politics, how the inverted aristocratic orders allow – and contemporary elite theories even celebrate – the secret. (Adorno 2005: 121)
Adorno reproached the German term ‘opinion research’ (Meinungsforschung) for dropping, “for the sake of brevity, a key adjective, which alone identifies its concern: research on public opinion [and] refers to the idea of the public” (ibid.: 120). Technically speaking, dropping the term ‘publicness’ and swapping the term ‘public opinion’ with mere ‘opinion’ may ‘solve’ all the problems related to ‘publicness’ – without articulating the theory of public opinion. Of course, that was not Adorno’s solution. On the contrary, he suggested that public opinion polls should “not be a mere technique, but just as much an object of sociology as a science that inquires into the objective structural laws of society” (ibid.: 122). In the discussions on the validity of polls, critical suggestions as, for example, those formulated by Blumer and Adorno have been largely disregarded, while opinion polling has been increasingly treated synonymously with ‘public opinion.’ The core controversies were about reliability and partly validity of method, not theory. In the extreme case, what Blumer considered the main fallacy in public opinion research – that the polling procedures are creating the object of study instead of being derived from it – is even celebrated as its major achievement by a competing paradigm modeled upon natural sciences. The Gordian knot of the operationalization of public opinion that Blumer referred to and his intellectual heirs elaborated on but were not able to untie was ‘cut’ by the idea that polls are actually not a possible operational definition of public opinion but public opinion itself. “[P]ublic opinion is created by the procedures that are established to ‘discover’ it. The phenomenon of opinion is an artefact of the technical procedures that are designed to capture it. It is determined by technical considerations […] the artifactual aspect of public opinion brings it closer to the model of the successful natural sciences” (Osborne/Rose 1999: 382; emphasis original). Osborne and Rose claim that “clearly without surveys and forms of measurement we would not know of public opinion at all; we would have no knowledge of what there is to measure without procedures of measurement” (ibid.: 387), which is just the opposite to Bourdieu who argues that public opinion may (or does) exist elsewhere but it does not exist “in the form which some people, whose existence depends on this illusion, would have us believe” (Bourdieu 1979: 129) – i. e., in polls. Osborne and Rose suggest that “public opinion does not exist in so far as there are technologies – and respondents attuned to the technologies – to ensure that it does so” (Osborne/Rose 1999: 387). On the other hand, however, Osborne and Rose claim that “the existence of questionnaires and surveys themselves promote the idea that there is a public opinion ‘out there’ to be had and measured” (ibid.: 387), i. e., these procedures suggest that public opinion exists ‘out there’ independently of the procedures. If a procedure is aimed at ‘capturing’ a phenomenon, it implies that the phenomenon exists prior to and independently of measurement. The suggestion that there could be no knowledge of public opinion without interview response data gathering is based on two invalid assumptions. First, it implies that the presentation of interview response data is public opinion, but the description of an empirical procedure is at best its operational definition. Second, it suggests that there was no observable manifestation of public opinion at all (and thus public opinion was non-existing in empirical terms, or at least nobody was able to comprehend it) prior to the invention of
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polling, which is obviously historically incorrect. That would further imply that, for two strange centuries at least, public opinion theorists have acted as if public opinion existed, when in fact it did not exist; all ‘public opinion organs,’ discussed since Bentham, were mere illusions or phantoms. Were all dissertations on public opinion before the advent of polling discussing 1) “In what form should political institutions recognize public opinion?”, 2) “What characteristics should public opinion possess?” and 3) “What kind of political power should it be given?” (Althaus 2006: 98) – discussions on what empirically did not exist? Althaus argues that “empirical research, from the early twentieth century to the present, eagerly ran with the second question but punted the others to philosophers” (ibid.). Osborne and Rose deny that philosophers can say anything about the first question and make the other two irrelevant: there is only one form in which public opinion exists (polls), and the question of its characteristics and power is purely empirical rather than normative. We may consider polling a great (scientific) invention but we should not leave out other public opinion ‘technologies’ invented earlier in history, and take the polls as “the proper discipline necessary for public opinion to exist” (Osborne/Rose 1999: 382). Apart from polling, there were (and still are) other “technologies to ensure that public opinion exists.” The idea that “the notion of opinion is the product of the particular procedure by which opinion is elicited” omits the fact that opining – as a specific form of ‘holding for true’ which differs from believing and knowing – exists independently of any external ‘elicitation,’ and as such are created personal opinions. People “know how to create that phenomenon called opinion” and they validate their opinions in communication even if they are not asked questions by pollsters. They have known it for thousands of years. In other words, it is not the measuring instrument that “establishes the objective field called public opinion,” but the process of communication (including asking and responding to questions in polling) in which individuals express and validate their opinions. Arguing that public opinion can only exist with the technology of polling also implies that public opinion is merely a sum of individual opinions expressed privately to pollsters. Such a privatized conception of public opinion makes political relations, institutions, processes, and outcomes of democratic systems irrelevant to public opinion; what it counts is only the ways that individual citizens make sense of them. Yet, such a conception is methodologically very convenient, which is probably the main reason that the privatized conception of public opinion became so popular among many researchers. In a specific but unfortunate way, however, Osborne and Rose are right. Rather than ‘eliciting opinions’ from respondents, polls often do bring out ‘non-opinions’ or ‘nonattitudes,’ i. e., opinions that appear to be individual opinions because they were recorded by pollsters although they did not exist prior to the polling procedure. According to Converse’s empirically tested nonattitude thesis, people’s opinions may be “extremely labile for individuals over time” (Converse 1964: 241); “large portions of an electorate do not have meaningful beliefs, even on issues that have formed the basis for intense political controversy among elites for substantial periods of time” (ibid.: 245). Only for the ‘nonattitudes’ it is true that they are largely, if not exclusively, product of a particular procedure – which inspired Bourdieu to conclude that public opinion (as elicited in polls) in reality does not exist. The concept of nonattitude suggests that people’s opinions as identified in polls – in contrast to their true opinions – may change to a large extent randomly because they are simply too vague and instantaneously formed, but also as a consequence of ‘measurement errors,’ such as vague wording, order of questions, interviewer bias, scaling error, context
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in which the questions are asked. The critique blames the tool of opinion polls rather than ‘the public,’ and the experiments with ‘deliberative polls’ invented by James Fishkin and his colleagues at the University of Texas provide some strong empirical support to this criticism. Deliberative polls clearly suggest that when (additional) information is available to ‘respondents,’ and if they participate in discussion, they are likely to form a more consistent opinion often different from the one instantaneously formed as a reaction to the question asked by an interviewer. In a heretical perspective, we may consider the ‘technology’ of polling as intrinsically similar and functionally equivalent (both epistemologically and ontologically) to some other institutionalized political processes such as elections and referenda. “Participating in a survey, either as investigator, interviewer, or respondent, is no less natural than voting, meeting in a town hall, serving on a jury, or any other political practice” (Sanders 1999: 256). The technologies of general (or, indeed, any) political elections and referenda on important social issues differ from polling on party preferences and/or political attitudes in only two respects: 1) polling has no direct political/legal consequences as elections have, and 2) polling is based on random sampling in contrast to self-selection in elections. Elections define the composition of parliaments and other (political) institutions; results of legislative referenda have direct legislative effects (enacting or suppressing a law). In contrast, the consequences of polls in society are indirect, mediated by political institutions or other institutions participating in the governance. In polls, preferences are measured in a random sample of the electorate (with corrections related to the expressed intention of respondents to vote or not to vote), which ‘demonstrates’ their scientific character. In the authentic election ‘respondents’ are self-selected (and thus less valid or entirely invalid in scientific terms), and this process is considered political participation. Yet both are based on the very same idea of representation of popular will: the results of parliamentary elections and results of polling are assumed to fairly represent the general constituency. However, why should the division between forms of political process and a form of research be taken up as a matter of course? The most obvious argument for the thesis that polls are part of the political process, too, is the case of pre-election and exit polls. They ‘measure’ exactly the same as elections (citizens’ votes for political parties and individual candidates for political positions) with exactly the same instrument (secret ballot), but with slightly different procedures and degrees of reliability and, certainly, different consequences. Polls are also similar to any other political process in that they are legally regulated. For example, in no country the publication of election polls’ findings is allowed on the Election Day before polling stations are closed and the counting of votes begins, whereas in many countries the embargo is much longer and could extend up to thirty days. The fact that elections and referenda were invented as parts of the institutionalized political process and clearly not as a kind of research, whereas polls were invented as a form of research rather than a form of political institutionalization of public opinion is quite irrelevant. Specific functions of polls are not their inbred characteristics but depend on, and are defined by, users and observers; they do not exist in a phenomenon as ‘natural facts’ irrespective of the human context but are always relative to observer and context. In short, functions in the sense of the performance of a social phenomenon to attain an effect congruent with the defined goal are social constructs and thus culturally specific. It may well be that polls had been designed by Gallup and others with the aim of developing a research procedure to ‘measure public opinion.’ However, the embedding of polls in the political
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system resulted in specific political functions (e. g., fostering vs. weakening democracy) that have been assigned to polls irrespective of their scientific functions (e. g., measuring attitudes vs. public opinion); and both types of functions became contested because they are related to value-laden goals, which always happens when we enter the field of ‘institutional’ rather than ‘natural’ facts.
2.
Public opinion and the nation-state
Public opinion polls have come to play an increasingly important role in national politics during the last decades but they have hardly had any role in international politics. Does the internationalization of public debates in Tarde’s sense – as “currents of opinion” beyond national borders that establish “simultaneous conviction or passion and […] awareness of sharing at the same time an idea or a wish with a great number of other men” (Tarde 1901: 9) – lead to, or has it already brought about public opinion that transcends nation-states, a “cosmopolitan public opinion”? With the new interactive virtual spaces it has created, the Internet substantially increased the feasibility of citizens’ participation in public discourse beyond national boundaries. Globalization that brought about global interactive communication networks may be seen as an opportunity for the construction of a new kind of public sphere(s) that would to a certain degree compete with national public spheres but also help materialize the principle of deliberative publicness and the personal right to communicate that national public spheres largely fall short of. In the period of globalization, the tacit assumption that the public sphere and public opinion ‘belong’ to the nation-state is challenged. Contemporary ideas of transnational public sphere and cosmopolitan democracy are obvious reactions to the development of the complex, interconnected but at the same time diversified and hierarchically stratified world, which we live in. Local, national, regional and global issues, policies and actions affect us individually and collectively, but mechanisms are lacking that would enable citizens to act effectively beyond the national frame. The relation between the nation state and national public (sphere) is significantly changing. The normative requirement of the public sphere to be both a forum for citizens’ deliberation generating public opinion as well as a medium for mobilizing public opinion as a political force makes it necessary that a public sphere and a sovereign power correlate with each other. The states of the twenty-first century have definitely lost the exclusive power of “guardians of custom, as legislators, as executives, judges” (Dewey 1954: 35) who may effectively protect public interest by regulating actions of individuals and groups. Traditionally, the state was indeed able to regulate direct and indirect consequences of transactions to which people not directly involved were exposed, but today states are not the exclusive regulators of those transactions. However, while they have lost this exclusive ‘privilege,’ they (some of them at least) also have acquired a new one: today decisions made by states have implications not only for their own citizens but also for others – who can hardly act as ‘the public’ in relation to a foreign state. In other words, while formerly there was a symmetric relationship between national public(s) and the nation state which was held responsible to and by them, in a ‘postnational constellation’ the state and public sphere became much more vaguely associated.
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An often implicit understanding of public opinion and the public sphere as ‘national phenomena’ has prevailed throughout history because both were dominated by the pursuit of national ‘public’ interests eventually supported by (state) force. Or rather, due to empirical circumstances, this question never attracted much theoretical concern. Nevertheless, it is hard to find any author for whom the state, and particularly the nation-state and national territorial boundaries, would have had a constitutive role in theorizing the public (sphere). I would argue that the international dimension has not really been a blind spot in theorizing the public and public opinion for a long time. On the contrary, and explicitly, the public has not been seen as existing exclusively under the safeguard of a nation-state. Let me briefly point at three outstanding theorists who grappled with the international dimension of public opinion already a century ago.2 For Gabriel Tarde, a proponent of the ‘European federation’ in the late nineteenth century, it was precisely the permanent tendency toward internationalization – similar to that of human reason – which significantly differentiated public opinion and public spirit from tradition or “traditional national spirits.” Tarde indeed defined public opinion as “a momentary, more or less logical cluster of judgments which […] is reproduced many times over in people of the same country, at the same time, in the same society” (1901: 41). However, when elaborating on the process of public opinion, he emphasized that “international opinion […] has always existed, even before the press.” In the course of history, specific “strata of public mind” – from local and regional to national and international opinion in Tarde’s terms – differed with regard to their “importance and depth.” In early periods, local opinion prevailed whereas later on ever broader ‘strata’ of public opinion dominated (ibid.: 44). Tarde argued that, in contrast to tradition that is always national, public opinion always tends – “expansive as the wind” – to become international (ibid.: 40). He suggested that journalism and the press succeeded “to nationalize the public mind little by little and internationalize it even more and more” (ibid.: 44), and that the newspaper “finished the age-old work that conversation began, that correspondence extended, but that always remained in a state of a sparse and scattered outline – the fusion of personal opinions into local opinions, and this into national and world opinion, the grandiose unification of the Public Spirit” (ibid.: 83). Following Tarde, Ferdinand Tönnies discussed explicitly opinion formation by the international public, and even public opinion representing “the entire civilized humanity” (Tönnies 1922: 137). As a matter of fact, the earliest experiential forms of the publics in the middle ages were typically ‘transnational’ (or transregional, i. e., traversing administrative units), which was largely enabled by Latin as the lingua franca among intellectuals and actually imposed by the scarcity of literate individuals. A clear example presented by Tönnies were theologians who represented an international, educated public with internal differences in opinion. Like religion, ‘Zeitgeist,’ which in Tönnies’s theory “moves between liquid and firm states” of public opinion, is an exemplary form of public opinion that transcends national borders and is international by its very nature. Similarly to Tönnies, John Dewey emphasized the time and space variability of the public, caused by differences in “the consequences of associated action and the knowledge of them” and in “the means by which a public can determine the government to serve its 2
For a more detailed discussion see Splichal (1999).
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interests.” Dewey conceptualized the public as a consequence of transactions between individuals and groups that affect individuals and groups not involved in these transactions. It is constituted by “those indirectly and seriously affected for good or for evil” by consequences of transactions in which they are not involved – to such a degree that a systematic regulation of the consequences is believed necessary (Dewey 1954: 35, 16). The public therefore occurs because of the need for the (legal) regulation of such consequences, and regulation is only possible through the political organization of the public – which was, in concrete historical circumstances, the state. What different publics have in common is primarily “the function of caring for and regulating the interests which accrue as the result of the complex indirect expansion and radiation of conjoint behavior” (ibid.: 33, 47). Even if Dewey defined the state as an organizational form of the public, and the public as “a political state,” the state only meant political organization with the task “to care for its special interests by methods intended to regulate the conjoint actions of individuals and groups” (ibid.: 35). According to his definition, the state “is founded on the exercise of a function, not on any inherent essence or structural nature” (ibid.: 77). The public always implies the state, according to Dewey, only in the sense by which also a war or an earthquake “include in its consequences all elements in a given territory,” which means that they have immense consequences for an entire territory, but this does not imply that the inclusion is “by inherent nature or right” (ibid.: 72). According to Dewey, history clearly reveals that diversity rather than uniformity of political forms is the rule, which demonstrates that the nature of consequences and the ability to perceive them and act upon them varies with time and space. The loose status of the (nation-)state in his conceptualization of the public is quite clear from Dewey’s observation that “in no two ages or places is there the same public” and that “states may pass through federations and alliances into a larger whole which has some of the marks of the statehood” (ibid.: 48, 88). In other words, either explicitly or implicitly, a different (higher) level of regulation and decision making than the nation state was foreseen as correlative to the publics long ago. Dewey’s concept of the public, for example, directly calls for an appropriate deliberative and decision-making (infra)structure beyond the nation-state retaining “some of the marks of the statehood” to be used by those significantly affected by transnational consequences of (inter)national transactions, which would constitute them as a transnational ‘public.’ Thus we could speak of (the possibility of) a transnationalization of publics that parallels the formation of transnational political communities with their own regulatory means (e. g., the European Union) although such means do not imply that nation-states are dying out. In Dewey’s terms, transnationalization or globalization of the public (sphere) would be a ‘natural’ consequence of the ineffectiveness of the state policies in some areas where the spatial scope of national regulations did not extend as far as the real boundaries of transactions (e. g., social welfare programs or intervention into market processes).
3.
Global governance without public opinion?
Globalization has two important consequences for citizen social and political rights. It shakes economic security and social equalities, and weakens citizens’ participation in decision-making and democratic institutions. It also limits the scope and reach of actions of
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national governments, thus challenging sovereign states’ responsibility for the common good. Nation-states are increasingly becoming pawns on the global chessboard forced to renounce parts of their own autonomy and legitimacy. Three aspects of disempowerment of nation-states are particularly relevant for public opinion processes: “(a) the loss of state capacities for control; (b) the growing legitimation deficits in decision-making processes; and (c) the increasing inability to provide legitimate and effective steering in organizational services” (Habermas 2003: 89f.). While globalization fosters the independence of political elites from national citizenry (which can be clearly seen in a number of referenda across Europe where national ‘publics’ were less keen on shifting authority to the European level than national political elites), it also endangers their power to mobilize citizens for political participation. Due to the decrease in power relative to transnational and international actors and the increasing role of intergovernmental negotiations that hide decision making from public opinion and are not legitimized in national political arenas, national power actors have to search for new modes of legitimation. It seems, then, that polls could (again) help solve the problem of (non)legitimate power as it was argued seventy years ago when polling was born. In addition, when connected with ‘governance’ – not only because the term ‘governance’ has become such a catchword that there is lot of confusion about what it actually means – globalization also brings about a conceptual pitfall. Most generally, as I understand it, the idea of governance denotes the transformation of government (or governance for that matter) in an increasingly interdependent world and reflects fundamental changes in the decision-making process compared with the classical model of government. As opposed to ‘government,’ ‘governance’ refers to state and non-state forms of making and influencing decisions that significantly affect a particular locality. The idea of governance blurs the boundaries in the traditional dichotomy, the state – civil society, or the more recent trichotomy, the state – economy – civil society, since by definition the ‘civil society’ forms of governance lack the traditional enforcement capacities of the state or power of capital, yet they may (and they are even established with the intention to) influence decision making. Thus, ‘governance’ refers to “the reallocation of authority upward, downward, and sideways from central states” (Hooghe/Marks 2003: 233). As the term ‘governance’ has been used by the European Commission since it launched the debate on how the European Union is run in 2001, it even suggests a radical democratization by adopting “new governmental systems to bring the EU closer to ordinary people, make it more effective, reinforce democracy in Europe and consolidate the legitimacy of the institutions” (Glossary of EU jargon3), but this can only be seen as a blunt political statement. With the dispersal of authority in all directions, the idea of governance is closely related to globalization that is bringing about a ‘global system’ composed of a variety of combinations between national, international, and transnational political institutions, corporations, associations, individuals, and other groupings. In contrast to centralized state authorities, modern governance is seen as dispersed across multiple centers and levels of authority, both nationally and globally. On the one hand, decisional roles of individuals or collective bodies are becoming less visible, less formally recognized, less binding and thus the decision makers are less accountable compared to traditional (political) decisionmaking bodies. On the other hand, many of the power actors including mass media play a 3
http://international.lga.gov.uk/european_work/glossary.html#G
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significant role in the global system not by making decisions but rather by subsidizing information and mobilizing people, although “they can [only] orient and support the mobilization process, but they are unable to determine the precise form that it will take, since they lack any sanction applicable to nonconformist behavior” (Melucci 1996: 345; emphasis added). The conceptualization of governance comes confusingly close to the traditional concept of the public. In their differentiation between two types of multi-level governance – basically, general-purpose jurisdictions vs. task-specific jurisdictions – Hooghe and Marks define the latter: They are set up to solve particular policy problems, such as managing a common pool resource, setting a technical standard, managing an urban service, or shipping hazardous waste. The constituencies of [these] jurisdictions are individuals who share some geographical or functional space and who have a common need for collective decision making – e. g. as irrigation farmers, public service users, parents, exporters, homeowners, or software producers. These are not communities of fate; membership is voluntary, and one can be a member of several such groups. (Hooghe/Marks 2003: 40; emphasis added)
This is almost exactly what Dewey had in mind when he defined ‘the public’ as consisting of all those affected by indirect consequences of specific ‘transactions’ in which they could not participate, to such an extent that they consider it necessary to take some action. This public is organized and made effective by means of representatives who as guardians of custom, as legislators, as executives, judges, etc., care for its special interests by methods intended to regulate the conjoint actions of individuals and groups. (Dewey 1954: 35)
In many cases, new ‘jurisdictions’ have developed because of the failure of the traditional “general-purpose jurisdictions,” to offer new ways of problem solving. In that empirical sense, the term ‘global governance’ implies new actors or networks that could overcome the ‘democratic deficit.’ “Interdependence, flexibility and complementarity” seem to be “the three most important features of networks […] that facilitate the transfer and use of knowledge and other resources of various actors in the global public policy-making process” (Benner et al. 2004: 196f.). On the one hand, the concept of global governance treats governance as ‘the public’ in Deweyan or Habermasian sense – as a network of individuals and groups discursively engaged in global issues that seriously affect a significant part of population, in order to find a solution and/or come to a decision, which may be even based on argumentative rationality. On the other hand, however, the democratic participation of citizens that is essential for any political conceptualization of ‘the public,’ is completely left out of the process. The inclusion of non-state actors (e. g., nongovernmental organizations, but also private for-profit corporations) in (global) governance who act primarily in a non-hierarchical environment does not necessarily increase the communicative and decision-making power of citizens. The opposite may be (is?) the case, namely that the democratic participation of citizens is de-privileged or even restrained because of depoliticization. As Zürn suggests, “The absence so far of a fully developed transnational political community is incongruous with the existence of transnational social spaces, and poses a congruency problem that cannot easily be overcome” (Zürn 2004: 261). New forms of global governance often escape traditional mechanisms of accountability, while new accountability mechanisms (still) lack in efficiency. Transnational social
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actors undermine national decision-making authority but do not bear their responsibilities. ‘Denationalization’ may take different forms, in which responsibility from political institutions at the national level is transferred to those operating at the transnational level, or to the market. In the latter case, when issues previously subject to formal political scrutiny, deliberation and accountability are relegated to the market, denationalization clearly implies ‘depoliticization’ (Hay 2007: 83). Depoliticization in global governance is reflected in the absence of ‘transnational’ or ‘global’ publics. Thus, there is no such thing as, for example, ‘European public opinion’ in the sense that there is ‘American public opinion’ in the USA.4 It is true that public opinion research has been globalized5 and globally standardized (standardized closed questions are used around the world), and it is even largely acknowledged that “[t]o accept the state as the unit of analysis is to accept a questionable normative position” (Heath et al. 2005: 330). Nevertheless, public opinion polls remain national(ized), which makes the wrong impression that opinion formation is entirely national and there is no transnational public debate. Regardless of whether we consider polls as the emanation of public opinion, a research instrument to study public opinion, or a form of political institutionalization of public opinion, we also have to concentrate on their empirically-concrete functions in society. Like other social phenomena, polls not only satisfy certain needs, but also create and develop them; and they have to be questioned in terms of their historical preconditions and future possibilities. Leaving aside the perpetual conundrum of whether opinion polls can give citizens a voice (at best) or if they can be used to manipulate ‘public opinion’ (at worst), whether they are ethical, and whether they are about individual or public opinion, we are tempted to ask what ‘global polling’ may add to ‘global governance’. Can global polls help enhance the accountability of global actors? Can – in a world of global markets, global travel and global communication networks – public opinion have global reach, too? Similarly to mass media, polling – if not dominated by corporate interests – is a mode of social action by which the preferences of power actors can be influenced, challenged and changed. As Benjamin Barber put it in a recent interview for “Logos”, “We’ve got doctors without frontiers, we’ve got criminals without frontiers, we have capitalists without frontiers, and we have terrorists without frontiers. The one thing we’re missing is: citizens without frontiers. The Democratic project, I believe, should rest on finding ways to create citizens without frontiers” (Barber 2004: 136f.). Transnational polling could be one of the ways that would make cosmopolitan citizens’ claims be better heard and seen globally. As William Albig believed in the 1930s, polls “can limit the claims of pressure groups to the facts, and thus prevent many insupportable demands for special privilege” (Albig 1939: 232). In global governance, polling controlled by the public(s) could provide global decision makers and mobilizers with information about the global distribution of opinions to
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For Jacques-René Rabier, Eurobarometer founder, “European public opinion exists to the extent that, on a certain number of issues, Europeans think in the same way: about democracy, human rights and the status of women.” (http://ec.europa.eu/public_opinion/docs/30years_en.pdf) Gallup exported his approach and methods from the United States to Britain and France already before the Second World War, and to many other countries during the war years and later; by 1985, Gallup International had affiliates in 35 countries (Worcester 1987: 79ff.). Gallup International Association’s most recent pool, the 2006 “Voice of the People,” was administrated in more than sixty countries on all continents (http://www.voice-of-the-people.net).
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counter partial claims of pressure groups. The publication of transnational poll results in the media may possibly bring some relevant issues on the global agenda. The case of Eurobarometer – a biannual pan-European survey that started in 1970 and a rare example of transnational non-commercial polling – proves that this is not easy to achieve. Questions in Eurobarometer are not defined by independent experts, journalists, activists, or pollsters. Rather, they are defined by the European Commission and subject to its practical interests (Zetterberg 2005), which corroborates “the fact that the problematics devised by the polling institutes are subordinated to a specific kind of demand,” and that is why “any investigation of the generating principles behind these problematics must ask who can afford to pay for an opinion poll” (Bourdieu 1979: 124). Thus, transnational polls could only perform the function of enhancing accountability and legitimacy of global actors under the provision that they are not only ‘for the public’ but also ‘from the public.’
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From Bryce’s ‘Government by Public Opinion’ to Global Governance
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Öffentlichkeit: Was sagt die Ökonomie dazu? Jürgen Heinrich
Was Öffentlichkeit ist, bleibt bislang relativ unbestimmt (vgl. Gerhards 1998: 268). Viele Eigenschaften von Öffentlichkeit sind unklar, insbesondere das Ausmaß an normativer Zuschreibung, die Art der theoretischen Fundierung und die funktionalen Erwartungen, die an Öffentlichkeit gerichtet werden. Dabei werden implizit oder explizit immer wieder zentrale Konzepte der Ökonomie bemüht, um Wesen und Funktionsweise von Öffentlichkeit zu beschreiben, nämlich Markt, Marktzutrittsfreiheit und Wettbewerb. Daher fühlt sich auch ein Ökonom dazu aufgefordert, zum Konzept von Öffentlichkeit Stellung zu nehmen, auch wenn dies nicht zum Gegenstandsbereich der Ökonomie gehört. Es gibt zwei in der Diskussion vorherrschende Konzepte von Öffentlichkeit: die liberale und die diskursive Öffentlichkeit (vgl. Gerhards 1997). Das liberale Modell betont die Marktzutrittschancen der Meinungen der Bürger, die Funktion der Erzeugung von Transparenz und die Aggregation der Individualwillen zu einem legitimen Mehrheitswillen durch Wahlen (vgl. ebd.). Bereits dieses Modell ist durch ein erhebliches Ausmaß an Wunschdenken gekennzeichnet und durch einen Rückgriff auf ein veraltetes ökonomisches Theoriegebäude, das neueren Entwicklungen nicht Rechnung trägt. Das diskursive Modell ist ein „normatives, basisdemokratisch orientiertes Idealmodell von Öffentlichkeit, in dem alle Bürger mit Argumenten öffentliche Belange diskutieren, an deren Ende eine vernünftige öffentliche Meinung steht, die die Grundlage politischer Entscheidungen bildet“ (Gerhards 1998: 268). Dieses Modell ist, im Wesentlichen von Habermas entwickelt, der Kritischen Theorie verpflichtet (vgl. Habermas 1962). Es betont die Rolle und Legitimität der Zivilgesellschaft als dem Gemeinwohl verpflichtete demokratische Leistungsträger. Neuerdings sind diese beiden Konzepte von Lobigs weiterentwickelt worden. Lobigs entwickelt das Konzept einer von ihm so genannten mediativen demokratischen Öffentlichkeit (vgl. Lobigs 2007). Das Modell der mediativen demokratischen Öffentlichkeit ist in gewisser Weise ein vermittelndes Modell, es ist so liberal wie nötig und so diskursiv wie möglich (vgl. ebd.: 202f.). Vor allem aber klärt die Analyse von Lobigs das Ausmaß an vorauszusetzender Normativität, es berücksichtigt die neueren politökonomischen Ansätze einer politischen Minimalmoral- und Shortcut-Theorie und es macht explizit deutlich, in welchem Umfang auf meritorische, nicht marktlich institutionalisierte Medienangebote zurückgegriffen werden müsste, um eine funktionierende demokratische Öffentlichkeit zu ermöglichen. Das Modell einer mediativen demokratischen Öffentlichkeit macht die Voraussetzungen seiner Wirksamkeit spieltheoretisch fundiert sehr deutlich und eröffnet damit allerdings Raum für Zweifel an seiner möglichen Realisierung. Diese Konzepte beziehen sich allerdings explizit oder implizit nur auf eine Seite von Öffentlichkeit, nämlich auf die politische Öffentlichkeit. Diese ist ein Herzstück der verfassungsrechtlichen Zuschreibungen. Medien sollen so organisiert werden, dass eine demokratische Öffentlichkeit entsteht, die eine gemeinwohlorientierte öffentliche Meinungsbildung gewährleistet, an der die Politik sich dann im allgemeinen Interesse orientiert. In Urteilen
Jürgen Heinrich
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des Bundesverfassungsgerichts, in Lehrbüchern und in Grundgesetzkommentaren wird man nicht müde, die Presse- und Rundfunkfreiheit als „für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend“ (Schmidt-Bleibtreu/Klein 1995: 228) zu beschreiben und den Meinungsbildungsprozess reichlich naiv zu glorifizieren: „Durch ihre Teilnahme an diesem Prozess vermittelt die Presse dem Bürger Informationen, die es ihm ermöglichen, die Meinungen anderer kennen zu lernen und zu überprüfen, seinen eigenen Standpunkt zu finden, sich an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen und politische Entscheidungen zu treffen“ (ebd.: 222). Solche und ähnliche Sichtweisen der Entstehung und der Funktion von politischer Öffentlichkeit werden im Folgenden kritisch analysiert, wobei die Kritik auf die nicht angemessene Verwendung der klassischen Versatzstücke der Ökonomie, den Markt und den Wettbewerb, Rekurs nimmt (Abschnitt 1). Pöttker, der sich immer wieder mit dem Konzept von Öffentlichkeit befasst (hat), kritisiert diese einseitige Verengung auf die politische Öffentlichkeit: „Öffentlichkeit sollte aber auch nicht nur, ja nicht einmal vorwiegend als politische Institution aufgefasst werden“ (Pöttker 1998: 237). Pöttker betont sehr stark die Steuerungs- und Regelungsfunktion von Öffentlichkeit, als Ergänzung der Steuerungsmechanismen Markt und Recht (vgl. Pöttker 1998 und 1999). Er stellt damit sehr stark auf die positive, allgemeine Funktionalität dieses Konzepts ab, auf die positiven Wirkungen seiner Folgenreflexivität, und steht damit der Ökonomie nahe. Seinen Glauben an eine gemeinwohlorientierte Rationalität des zentralen Handlungsträgers, des Individuums, wenngleich er selbst auch nicht ganz sicher zu sein scheint (vgl. Pöttker 1999: 243), kann ich gleichwohl nicht teilen, auch nach manchen Diskussionen in den Fluren des Dortmunder Instituts für Journalistik nicht. Daher soll versucht werden, die Möglichkeiten und Grenzen einer positiven Funktionalität von Öffentlichkeit mit Konzepten der Ökonomie zu beleuchten (Abschnitt 2). Zum Schluss der Vorbemerkungen soll betont werden, wie groß meine Verwunderung darüber ist, dass die zentralen Konzepte, die im Problemfeld Öffentlichkeit eine Rolle spielen, in der dafür (auch) zuständigen Disziplin, der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, faktisch nicht thematisiert werden (vgl. die bittere Feststellung von Imhof [2005]: „Wir wollen nicht wissen, was ‚Öffentlichkeit‘ ist“). So blieb es bislang der Journalistik vorbehalten, auf die Produktion von Öffentlichkeit durch journalistisches Handeln hinzuweisen, wie Pöttker dies in seiner Antrittsvorlesung als Programmatik vorgestellt hat (vgl. Pöttker 1998).
1.
Zur Kritik der politischen Öffentlichkeit
Relativ ausgeprägt ist die ökonomische Kritik der Funktionsfähigkeit eines freien Meinungsäußerungswettbewerbs zur Herstellung einer gut funktionierenden Öffentlichkeit (vgl. z. B. Coase 1974; Heinrich 2002: 599ff.; Lobigs 2007; Schumpeter 1946; Wohlgemuth 2002). Möglicherweise ist das Ergebnis eines freien Meinungsäußerungswettbewerbs optimal, aber diese Optimalität ist nicht theoretisch fundiert. Sie ist auch nicht plausibel. Weil die Kritik bislang weitgehend folgenlos geblieben ist, soll sie hier zusammengefasst und geschärft werden. Es ist eine Kritik, die sich zum einen auf die Funktionsfähigkeit des Meinungsmarktes generell bezieht und sich aus dem Vergleich des Meinungsmarktes mit dem Gütermarkt speist, und es ist zum anderen eine Kritik an der Funktionsfähigkeit der Me-
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dienproduktion, die sich aus dem Vergleich zur gedachten Berichterstattungsnorm, nämlich objektiv, ausgewogen, vielfältig und vollständig zu berichten, ableitet.
Die öffentliche Meinung kann keine Ware sein Auf Gütermärkten werden Waren gehandelt, und der Markt sorgt dafür, dass diese Waren einerseits so billig wie möglich erstellt werden und andererseits so gut wie möglich den geoffenbarten Präferenzen der Individuen entsprechen. Auf dem oder den Meinungsmärkten werden indes keine Waren gehandelt und sollen auch keine Waren gehandelt werden. Die massenmediale Rekonstruktion der Realität zur Herstellung von Öffentlichkeit, die Produktion von Meinungsvielfalt und die Produktion einer validen und belastbaren öffentlichen Meinung ist keine Ware und soll vor allem keine Ware sein, die so billig wie möglich gemäß den Präferenzen der Bürger erstellt und gehandelt werden kann (vgl. Heinrich 2002: 45ff.). All diese wünschenswerten Güter dürften auch nicht den Erfordernissen eines ökonomisch erfolgreichen Marketings unterworfen werden. Während im Bereich der Güterwelt gegen Marketing einschließlich Werbung aus Sicht der Ökonomie nichts einzuwenden ist – sie schafft Transparenz und erhöht den subjektiven Nutzen der zu kaufenden Güter –, gibt es für Wahrheit, Meinungsvielfalt oder die Rekonstruktion der Realität eine Grenze der Verformung und Verfälschung. Die Dramaturgie der massenmedialen Darstellung der Realität sollte den Fakten entsprechen, aber das tut sie nicht, weil die Fakten nicht den Notwendigkeiten der wahrnehmungspsychologisch begründeten Dramaturgie der Darstellung entsprechen.
Keine Zurechnung von Handlungsfolgen im Meinungsmarkt Die Idee, dass die Öffentlichkeit als Meinungsoptimum zu denken ist, das aus der öffentlichen Diskussion vielfältiger Meinungen entsteht und das dann als Richtschnur politischen Handelns dient, ist, wie erwähnt, insbesondere in der Rechtsprechung weit verbreitet. Diese Vorstellung resultiert vermutlich aus der Gleichsetzung des Meinungsmarktes mit einem leistungsfähigen Gütermarkt. Diese Analogie kann aber nicht bemüht werden, weil im Prozess der öffentlichen Diskussion von Meinungen, Ideen und Wertvorstellungen ein zentrales Instrument der Optimierung völlig unzureichend ausgebildet ist: die Zurechnung von Handlungsfolgen. Ein Urheber falscher Meinungen und Ideen wird ebenso wenig zur Rechenschaft gezogen, wie ein Urheber richtiger Meinungen belohnt wird. Es existiert keine dem Gütermarkt vergleichbare Produzenten-Haftpflicht für die Folgen von Meinungen; Friedman verwendet in diesem Zusammenhang das Beispiel der Ideen von Karl Marx (vgl. Friedman 1979). Dies kann man vielleicht machen; wichtig erscheint zu sehen, dass der Wettbewerb von Meinungen in der Tat eher ein (folgenloser) Wettbewerb ist, ein „Palaverwettbewerb“ (Heinrich 1992). An Schärfe nicht zu überbieten ist die Darstellung dieses Sachverhalts durch Schumpeter: Das reduzierte Verantwortungsgefühl und das Fehlen wirksamer Willensäußerung erklären ihrerseits den Mangel an Urteilsvermögen und die Unwissenheit des gewöhnlichen Bürgers in Fragen der innern und äußern Politik, die im Fall gebildeter Leute und solcher Leute, die mit Erfolg in nichtpolitischen Lebensstel-
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lungen tätig sind, womöglich noch anstößiger sind als bei ungebildeten Leuten auf bescheidenen Posten. Informationsmöglichkeiten sind reichlich vorhanden und leicht zugänglich. Aber dies scheint überhaupt keinen Unterschied auszumachen. Und wir sollten uns drob nicht weiter verwundern. Wir brauchen nur die Haltung eines Advokaten gegenüber den Darstellungen politischer Tatsachen in seiner Zeitung zu vergleichen, um zu sehen, was los ist. Im einen Fall hat der Advokat durch jahrelange zielbewußte Arbeit, die unter dem eindeutigen Stimulus des Interesses an seiner beruflichen Tüchtigkeit stand, sich dazu befähigt, die Relevanz seiner Fakten richtig zu würdigen; und unter einem nicht weniger starken Stimulus richtet er nun seine Fertigkeiten, seinen Verstand, seinen Willen auf den Inhalt der Instruktionen. Im anderen Fall hat er sich nicht die Mühe genommen, die Informationen zu verarbeiten, oder die Regeln der Kritik, die er sonst so gut zu gebrauchen weiß, darauf anzuwenden; und lange oder komplizierte Argumentationen machen ihn ungeduldig. Dies läuft alles darauf hinaus, zu zeigen, dass ohne die Initiative, die aus unmittelbarer Verantwortlichkeit hervorgeht, die Unwissenheit angesichts zahlreicher und noch so vollständiger und richtiger Informationen weiterbesteht. Sie besteht weiter auch angesichts der verdienstvollen Bemühungen, die über das bloße Präsentieren von Informationen hinauszugelangen und ihre Verwendung mittels Vorträgen, Kursen und Diskussionsgruppen zu lehren suchen. Die Resultate sind nicht gleich Null. Aber sie sind gering. Man kann die Menschen nicht die Leiter hinauftragen. So fällt der typische Bürger auf eine tiefere Stufe der gedanklichen Leistung, sobald er das politische Gebiet betritt. Er argumentiert und analysiert auf eine Art und Weise, die er innerhalb der Sphäre seiner wirklichen Interessen bereitwillig als infantil anerkennen würde. Er wird wieder zum Primitiven. (Schumpeter 1946: 415f.)
Weil Handlungsfolgen nicht bzw. nur unzureichend, jedenfalls nicht in Geld, zugerechnet werden, kann man vom Bürger auch nicht erwarten, dass er sich umfassend informiert. Es ist „als ein Datum hinzunehmen, dass die typischen Bürgerinnen und Bürger weder in der Lage noch dazu bereit sind, einem sachkundig-rational validierenden Meinungsdiskurs über die verschiedenen Themen der Res Publica aufmerksam zu folgen, geschweige denn, einen solchen auch noch aktiv zu führen“ (Lobigs 2007: 187). Um deutlich zu machen, dass ein solches Verhalten weder eine Folge von Dummheit noch von Faulheit ist, spricht die Ökonomie von rationaler Ignoranz. Für Ökonomen ist es daher unverständlich, dass im Allgemeinen Staatseingriffe auf Gütermärkten mit dem Argument der mangelnden Transparenz der Konsumenten für wünschenswert gehalten würden, während Staatseingriffe auf dem Markt für Ideen nicht wünschenswert seien und streng begrenzt sein sollten. Dabei ist hier die Transparenz wesentlich geringer als dort (vgl. Coase 1974: 384). Eine begrenzte Abweichung von einer solchen staatsbürgerlichen Ignoranz und Abstinenz kann die Idee der Minimalmoral erklären (vgl. Kirchgässner 1996). Nach dieser, beobachtbaren, Idee sind Menschen im Durchschnitt bereit, begrenzt moralisch zu handeln, wenn die Kosten dieses moralischen Handelns gering sind bzw. wenn die Kosten dieses moralischen Handelns vom Handlungsträger nicht oder kaum getragen werden müssen. So sind viele Menschen bereit, zur Wahl zu gehen, aber nur, wenn das Wetter nicht zu gut oder zu schlecht ist; ebenso wären vermutlich viele Menschen bereit gewesen, einen Aufruf zum Boykott der Olympischen Spiele 2008 in Peking zu unterschreiben, aber sie hätten kaum eingewilligt, im stillen Kämmerlein auf die Fernsehübertragungen zu verzichten.
Fehlende Aggregationsmechanismen Der Markt verfügt mit dem Preis über ein optimales Informationskonzentrat. Die Öffentlichkeit des Marktes ist sozusagen inkorporiert in der Essenz des Marktes, im Preismechanismus und im Ergebnis des Preismechanismus: im Preis als optimalem Informationskonzentrat. Hier gehen individuelles Wissen über Kosten und Nutzen und individuelle Interes-
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sen von Marktteilnehmern ein, werden über den Preismechanismus aggregiert und generieren ein Informationsoptimum. Die unsichtbare Hand des Preismechanismus ist in dieser Sicht nicht Gottes Hand, aber auch nicht das Werkzeug der menschlichen Vernunft, sondern eher ein Konzept des habituellen Lernens mit dem Resultat einer spontanen Ordnung durch Trial and Error. Der Kurswert einer Aktie z. B. verkörpert, als optimales Informationskonzentrat, die durchdachten Meinungen aller derjenigen, die ein vitales Interesse an der Unternehmung haben, und die Summe dieser Meinungen ist das Informationsoptimum; es wäre eine Anmaßung von Wissen, z. B. zu glauben, der richtige Kurswert sei ein ganz anderer. In diesem Sinne sagt man, „der Markt hat immer Recht“ (Mannesmann-Chef Klaus Esser im „Spiegel“, zit. nach o.V. 1999: 127). Damit behauptet die Ökonomie, dass der Markt klüger ist als ein einzelner Mensch. Dies hat Hayek deutlich hervorgehoben (vgl. z. B. Hayek 1968). Im Meinungsmarkt ist hingegen unklar, wie sich Meinungen zu einer Gesamtmeinung verdichten oder wie unterschiedliche Meinungen dann unterschiedlich zu behandeln wären. Es müsste ein funktionierendes Meinungsverdichtungssystem geben, das, ähnlich wie der Markt die Knappheitssignale zum Preis als optimalem Informationskonzentrat verdichtet, die Dringlichkeit der Meinungen operational verdichtet. Dieses gibt es aber nicht automatisch, sondern das Bild der öffentlichen Meinung müsste durch Befragungen organisiert werden. Hier lässt sich das Spektrum der Meinungen zu bestimmten Sachverhalten oder Problemen erfragen, wenngleich immer reduziert auf grobe Zustimmungen/Ablehnungen zu einfach beantwortbaren Fragen.
Fragmentierung des Wissens im System der Wissensteilung des Marktes Wesensmerkmal des Wettbewerbs im Markt ist nicht nur die Arbeitsteilung, sondern genauso die Wissensteilung, die Fragmentierung des Wissens in einem System von Wissensteilung. Das einzelne Wirtschaftssubjekt interessiert sich nur für die Preise und Qualitäten der Güter, die in seinen Produktions- bzw. Begehrskreis fallen, aber nicht für Preise und Qualitäten aller Güter. Hier gehen also nur sehr partikuläre Interessen der Nachfrager und ein sehr partikuläres Wissen der Anbieter ein, das „Ganze“ interessiert die Wirtschaftssubjekte nicht. Dies hat Enzensberger einmal sehr schön als „Blindekuh-Ökonomie“ (Enzensberger 1982) beschrieben, allerdings mit einem kritischen Unterton, den die Ökonomie nicht akzeptieren würde, weil das System der Wissensteilung ebenso effizient ist wie die Arbeitsteilung. Es ist aber sehr fraglich, ob diese Fragmentierung des Wissens auch für die Produktion und Verteilung von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung gelten soll. Zumindest für das Bundesverfassungsgericht sicher nicht: Dieses fordert, eine positive Ordnung zu schaffen, die sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet (vgl. BVerfGE Bd. 57, S. 295 [320]; Bd. 74, S. 297 [324]). Dies entspricht auch Büchers Vorschlag eines zentralen Korrespondenzbüros mit Inseratemonopol der Gemeinden: Alle Gemeinden geben, nach Größe gestaffelt, mehrmals in der Woche ein Gemeindeblatt heraus, das, finanziert durch die Inserate, einen von der Regierung gelieferten Textteil enthalten soll, „der sich auf die Wiedergabe der neuesten Nachrichten sowie belehrende und unterhaltende Artikel zu beschränken hat“ (Bücher 1921: 227). Aus heutiger Sicht ist es eine bemerkenswert wirklichkeitsfremde
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Sicht, zu glauben, es gäbe ein klares Sortiment vorhandener Nachrichten und Meinungen, das von allen Bürgern in gleicher Weise zu konsumieren sei. Aber das Bundesverfassungsgericht scheint einer solchen Vorstellung immer noch anzuhängen, wenn es die Medienfreiheit nicht als formales Freiheitsrecht, sondern als Ergebnisnorm interpretiert. Dies wird aus ökonomischer Sicht nicht akzeptiert: „Eine bestehende Meinungsvielfalt als Maßstab für die zukünftige zu verwenden, würde bewirken, dass der Prozess der Meinungsbildung ein geschlossenes System wird, in dem die Freiheit der Meinungsbildung beschränkt ist“ (Hoppmann 1988: 187). Aber nicht nur das Bundesverfassungsgericht vertritt das Modell einer zentralisierten Öffentlichkeit, auch das Motto von Symposien, wie „Zerfall der Öffentlichkeit“ (Jarren/Imhof/Blum 2000), legt eine solche Sicht nahe. Es ist leider nicht theoretisch fundiert bekannt, wie eine gute Öffentlichkeit strukturiert sein sollte; es ist nur klar, dass die Ökonomie eine Ergebnisnorm nicht akzeptieren kann, sondern immer auf die Offenheit des Verfahrens setzt. Und das bedeutet Marktzutrittsfreiheit.
Freiheit des Marktzutritts als sine qua non Die Meinungsäußerungsfreiheit ist ein formales und individuelles Freiheitsrecht. Das bedeutet, dass der Zutritt zum Markt der Meinungen frei sein soll. Formal bedeutet die Freiheit des Marktzutritts den Zugang zu den notwendigen Ressourcen der Produktion zu kompetitiven und nicht diskriminierenden Preisen. Dieses Konzept der formalen Freiheit wird ergänzt durch die Forderung, Marktzutrittsschranken zu beseitigen. Mögliche Marktzutrittsschranken sind die folgenden: x x x
strukturelle Marktzutrittsschranken, die unabhängig vom aktuellen Unternehmensverhalten existieren – hierzu gehören insbesondere absolute Kosten-, Betriebsgrößen- und Produktdifferenzierungsvorteile, institutionelle Marktzutrittsschranken, die auf politischen Rahmenbedingungen beruhen, strategische Marktzutrittsschranken, die auf zutrittssperrende Handlungen der etablierten Anbieter zurückgehen – hierzu zählen die Limitpreisstrategie, die Schaffung von Überkapazitäten und Produktdifferenzierungsstrategien.
Wenn man die Medienproduktion nach ihren drei Wertschöpfungsstufen differenziert – Produktion der Inhalte, Vertrieb der Inhalte und Vermarktung der Inhalte –, kann man erkennen, dass der Marktzutritt in diesen drei Stufen unterschiedlich frei ist. Der Zugang zur Produktion der Inhalte ist formal völlig und materiell so gut wie völlig frei. Jeder darf, allenfalls beschränkt durch das allgemeine Recht, Informationen produzieren, und jeder kann es auch; strukturelle, institutionelle und strategische Schranken eines Marktzutritts existieren nicht. Mit der Digitalisierung der Information ist die Produktion von Inhalten sehr einfach und billig möglich. Der Zugang zum Vertrieb ist weit weniger frei. Im Vertriebsnetz von Kabel und Terrestrik bestehen erhebliche institutionelle Marktzutrittsschranken, solange die Landesmedienanstalten Lizenzen nach Rundfunkrecht vergeben; der umfangreiche Besitz des öffent-
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lich-rechtlichen Rundfunks an Rundfunkfrequenzen ist eine strategische Schranke, die den Zutritt privater Anbieter erheblich behindert, und auch strukturelle Marktzutrittsschranken sind erheblich, weil Distributionsnetze Vorteile großbetrieblicher Produktion aufweisen, die in weiten Teilen des Vertriebsnetzes ein natürliches Monopol begründen (z. B. Kabelnetze, das Pressegrosso als Gebietsmonopol, Satellitensysteme oder der Postvertrieb). Aber diese Schranken werden dadurch weniger hinderlich, dass der Zugang zum Internet formal völlig und materiell so gut wie frei ist: Vermutlich jeder Computernutzer ist in der Lage, Texte, Töne und Bilder zu produzieren, zu kopieren und weltweit zu verbreiten; eine stärkere Fundierung der formalen und materiellen Meinungsäußerungsfreiheit ist kaum vorstellbar. Weitaus am schwierigsten ist der Zutritt zum Markt der Aufmerksamkeit des Publikums, zur erfolgreichen Vermarktung der Inhalte. Dieser Zutritt ist deswegen so schwierig und kostspielig, weil die Aufmerksamkeit des Publikums, gemessen z. B. als Rezeptionszeit, ein sehr knappes Gut ist, vermutlich das einzige Gut, das absolut knapp ist. Der Markt gleicht daher einem Nullsummenspiel. Langfristig ist der Zutritt zum Markt der Aufmerksamkeit an den Aufbau eines Markennamens gebunden, an die Bekanntheit und die Reputation eines Anbieters. Dies erfordert eine relative Konstanz von Inhalten und Aufmachung, eine erkennbare Differenzierung von Konkurrenzprodukten und eine langfristige Glaubwürdigkeit. Eine solche Konstanz und Differenzierung zugleich lässt sich kaum durch die Inhalte der Informationen vermitteln, sie muss sehr stark durch die Instrumente der Kommunikationspolitik gestützt werden, vor allem durch Werbung. Dies macht den Marktzutritt schwierig. Aber das lässt sich nicht ändern. Eine staatlich organisierte Gleichverteilung der Aufmerksamkeit wäre absurd.
Produktion von Öffentlichkeit durch individuelle Rezeption massenmedialer Produktion Die Besonderheit des Gutes Öffentlichkeit ist, dass es nicht im eigentlichen Produktionsprozess entsteht, sondern erst durch die Rezeption des Publikums. Auch dies unterscheidet das Gut Öffentlichkeit von normalen ökonomischen Gütern und verbietet die Analogie zum Markt. Die ökonomische Erklärung der Rezeption bietet wiederum eine Erklärung für die Schwierigkeit der Produktion einer guten Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist heute ganz überwiegend massenmedial vermittelte Öffentlichkeit (vgl. Gerhards 1998: 270), sie wird durch die Rezeption massenmedial produzierter und verteilter Information produziert. Diese Rezeption muss einen Nutzen haben, und dieser Nutzen besteht prinzipiell in drei Arten: x x x
im möglichen Informationsnutzen, also im Nutzen für politisches und ökonomisches Handeln, im möglichen Animationsnutzen, also im Unterhaltungswert, und/oder im möglichen Gesprächswert der Anschlusskommunikation.
Da der Nutzen des politischen Handelns für den Einzelnen sehr gering ist, ist das Interesse an politischen Informationen per se äußerst gering. Wichtiger sind der individuelle Animationsnutzen und der Gesprächswert der Anschlusskommunikation. Die Menschen reden gerne über Politik und wohl noch lieber über Politiker und ihre Skandale. Skandalierung
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(vgl. Kepplinger 2001) und/oder Moralisierung (vgl. Heinrich/Lobigs 2004) der Berichterstattung sind die Folge. Beides ist einer valide informierten Öffentlichkeit abträglich.
Mängel der Medienproduktion Mögliche Mängel der Medienproduktion im Hinblick auf die Generierung einer funktionsfähigen politischen Öffentlichkeit seien hier nur kurz genannt. Medien stehen in einem Positionswettbewerb um die Aktualität der Berichterstattung. Die Informationen müssen einen Neuigkeitswert haben, und wenn Geld verdient werden soll, müsste man sie als erster bringen. Auch dies ist ökonomisch leicht erklärbar: Informationen, die man kennt, fragt man nicht mehr nach. Dies erklärt auch die hohen Einschaltquoten von Sportübertragungen – hier ist im Prinzip immer alles neu (vgl. Heinrich 2006). Und weil dies so ist, ist der Verkaufserfolg für den Anbieter am größten, der die Information als erster vermittelt. Daher entspricht die Berichterstattung nicht der Realität der Ereignisse und nicht der Relevanz der gesellschaftlichen Probleme. Die Medienpräsenz entspricht also nicht der Problempräsenz, die massenmediale Rekonstruktion der Realität weist einen systematischen Bias zu Gunsten der Aktualität auf. Dies lässt sich an vielen Einzelfällen exemplarisch belegen, so z. B. an der Berichterstattung zur Rinderseuche BSE und der Lungenkrankheit SARS (vgl. Tietzel/Wentzel 2005). Ein weiterer Mangel der Medienproduktion ist die häufig angeführte Neigung von Programmanbietern, nicht vielfältige Programme anzubieten, sondern erfolgreiche Programme mehrfach anzubieten („more of the same“). In der Tat gibt es bei den Programmwahlmodellen Konstellationen, bei denen es zu einer Verdoppelung bestehender erfolgreicher Programme kommt, wenn viele Wettbewerber existieren, die mit einem kleinen Programmbudget versuchen, Publikumsanteile zu gewinnen (vgl. Heinrich 2002). Gravierender ist vermutlich, dass die einzigartige Fixkostendegression der Medienproduktion einer vielfältigen Produktion nicht förderlich ist: Massenmedien realisieren ihre entscheidenden Kostenvorteile erst bei einem Massenkonsum, Massenmedien sind gerade dazu prädestiniert, in großer Masse verbreitet zu werden (vgl. Heinrich 2001: 105ff.). Damit ergeben sich Zweifel an der Fähigkeit der Medienproduktion, im Wettbewerb zu großer Meinungsvielfalt zu führen. Das Ergebnis der Analyse ist also betrüblich: Wohl generiert der Markt ein Produktions- und ein Tauschoptimum auf Gütermärkten, jedenfalls im Durchschnitt und bei Absenz von gravierenden Marktversagenselementen. Von der politischen Öffentlichkeit als Output im Meinungsbildungsprozess glaubt die Ökonomie dies aber nicht. Die nahe liegende und häufig bemühte Analogie zum Markt ist theoretisch nicht begründet (vgl. dazu auch Steininger 2004: 188), und daher können auch keine Analogien zur Funktionsfähigkeit des Gütermarktes gebildet werden. Grundsätzliche Alternativen zum Meinungsmarktmodell sind indes nicht in Sicht, bei aller Kritik bleibt ein massenmedial vermittelter Wettbewerb von Informationen unverzichtbar. Lobigs hat mit seinem Modell einer mediativen demokratischen Öffentlichkeit einen Ansatz vorgelegt, der Möglichkeiten aufzeigt, wie eine gemeinwohlorientierte politische Öffentlichkeit entstehen könnte, ein nicht kleiner Rest an Utopie verbleibt aber (vgl. Lobigs 2007).
Öffentlichkeit: Was sagt die Ökonomie dazu?
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Öffentlichkeit als Institution
Bislang ist vermieden worden, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung konzeptionell zu beschreiben oder gar zu definieren. Unstrittig scheint zu sein, dass Öffentlichkeit vorwiegend massenmedial vermittelt wird und damit massenmediale Öffentlichkeit ist (vgl. Gerhards 1998: 270). Das meiste, was die Menschen über andere Länder und andere Kulturen wissen, dürften sie aus Massenmedien erfahren. Darüber hinaus ist vieles unklar. Für Gerhards ist Öffentlichkeit zum einen die Summe der Meinungen der Bürger einer Gesellschaft und zum anderen ein Kollektiv, das der Souverän politischer Entscheidungen sein soll (vgl. ebd.: 268). Die „Summe der Meinungen der Bürger“ ist aber ein nicht zulässiges Konstrukt, weil, anders als etwa die Aggregation der Produktion einer Gesellschaft zum Bruttoinlandsprodukt, eine Aggregation von Meinungen nicht möglich ist. Es bleiben immer die Meinungen von Individuen, die sich nur dann aggregieren lassen, wenn sie homogen sind. Sonst muss differenziert werden, etwa so: 64 Prozent der Bürger sind für einen Mindestlohn, 26 Prozent sind dagegen und 10 Prozent sind unentschieden. Dann kann man die öffentliche Meinung als die vorherrschende Meinung verstehen, wie dies Noelle-Neumann tut, mit der Ergänzung, dass angesichts der öffentlichen Mehrheitsmeinung abweichende Meinungen verschwiegen werden, um sich nicht zu isolieren (vgl. Noelle-Neumann 1980: 91f. u. 255). Die Idee der Schweigespirale ist hier nicht so wichtig, sie zeigt aber, dass eine öffentliche Meinung einen gewissen Druck ausüben kann, sich dieser Meinung anzuschließen, und dass eine öffentliche Meinung damit einen gewissen Konformismus hervorrufen dürfte (vgl. Noelle-Neumann 1966: 10). Weiter führt die Analyse von Pöttker. Öffentlichkeit ist für Pöttker die Sphäre gesellschaftlicher Kommunikation, die dazu da ist, alle vorhandenen Erfahrungen, Erkenntnisse und Interessen allgemein bekannt zu machen und zueinander zu vermitteln (vgl. Pöttker 1998: 235f.). Oder: Öffentlichkeit ist die allgemeine Zugänglichkeit von Informationen, die für das individuelle Leben relevant sind (vgl. Pöttker 1999: 233). Dies ist insofern hilfreicher, als damit einerseits die Verengung auf die politische Öffentlichkeit vermieden wird und auf die Verarbeitung und Verbreitung von Wissen in arbeitsteiligen Gesellschaften allgemein und in der Perspektive auf das Individuum abgestellt wird. Es geht ja nicht nur um eine Kontrolle der politischen Steuerung, sondern viel allgemeiner um die Frage der Steuerung überhaupt, es geht um die Ordnung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse, und letztlich geht es immer darum, wie eine Gesellschaft Wissen verwerten und neues Wissen schaffen kann (vgl. Hayek 1968). Hier spielt die durch Journalisten produzierte Öffentlichkeit von Informationen eine zentrale Rolle als Steuerungsmechanismus und als Regulierungspotenzial. Das Angebot an journalistisch vermittelten Informationen ist möglicherweise so umfassend, dass es tatsächlich alle Erfahrungen, Erkenntnisse und Interessen allgemein bekannt machen könnte. Und andererseits wird bei Pöttker wieder deutlich, dass Öffentlichkeit und öffentliche Meinung verschiedene Konzepte sind (vgl. Pöttker 1998: 236). Öffentlichkeit ist, Pöttker folgend, in meiner Interpretation ein Distributionsprozess, in dem Informationen allgemein zugänglich verbreitet werden. Und öffentliche Meinung ist ein zentrales Ergebnis der Öffentlichkeit, nämlich die vorherrschende Meinung. Daneben gibt es andere Meinungen, die insofern auch öffentlich sind, als sie allgemein bekannt sind. Wichtiger als eine Begriffsklärung scheint mir die Betrachtung zu sein, welche Wirkung Öffentlichkeit und öffentliche Meinung haben. Pöttker vertraut auf die Transparenz
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schaffende Fähigkeit der Öffentlichkeit, auf die Überwindung der „Barrieren, die das Subjekt von dem Wissen trennt, das ihm ein Handeln auf der Höhe der kulturellen Möglichkeiten erlaubte“ (Pöttker 1999: 233). „Optimale Selbstregulierung […] setzt […] optimale Informiertheit über seine Strukturen voraus“ (ebd.: 241). Öffentlichkeit kann vermutlich Transparenz von Handlungsfolgen zunächst einmal anbieten – Aufklärung als Durchleuchten realer Folgen von Handlungsweisen (vgl. ebd.: 239). Fraglich ist aber 1. ob diese aufklärenden Informationen nachgefragt werden und 2. ob entsprechend gehandelt wird. Aus ökonomischer Sicht reicht das Angebot allgemeiner Folgentransparenz nicht. Das Individuum muss Anreize haben, solche Informationsangebote nachzufragen, also zu rezipieren, und das setzt einen persönlichen Nutzwert der Informationsangebote voraus. Die erwarteten Folgen müssen dann zusätzlich dem Handeln des Individuums allein zugerechnet werden können, und diese Folgen müssen für das Individuum spürbar sein, sonst gibt es keine unmittelbaren individuellen Anreize. Anderenfalls wären die Ansprüche an die Moral des Individuums so hoch, wie Kant sie als allgemeine Richtschnur menschlichen Verhaltens beschreibt. Um Pöttkers Beispiel der lokalen Pressekonzentration aufzugreifen: Der Leser weiß, dass seine Lokalzeitung wirtschaftlich nicht überleben kann, wenn viele Abonnenten kündigen. Er weiß aber auch, dass seine individuelle Kündigung allein nicht zum Sterben seiner Lokalzeitung führt, und er weiß, dass die Lokalzeitung stirbt, wenn er allein nicht kündigt, alle anderen aber doch, und er weiß, dass seine individuelle Entscheidung die Entscheidung der anderen Leser nicht beeinflusst. Das ist das klassische Risiko solidarischer Lösungen: Sie funktionieren nur, wenn jeder Teilnehmer sicher sein könnte, dass seine „Mitspieler“ sich genauso verhalten wie er selbst. Diese Sicherheit hat er aber nicht, auch wenn alle Spieler alle Regeln durchschauen. Um das Beispiel des Sterbens der Lokalzeitung aufzugreifen und mit der Annahme der Minimalmoral zu verbinden: Alle Leser wären vermutlich bereit, einen (kostenlosen) Aufruf zum Erhalt der Lokalzeitung zu unterschreiben, aber die wenigsten dürften bereit sein, ein Abonnement zu bezahlen, wenn sie nicht sicher sein können, dass die Mitspieler dies auch tun. Die Ökonomie kann Pöttker also nicht soweit folgen, dass schon Informationsangebote ausreichen, Handlungen zu induzieren. Dass die Öffentlichkeit aber ein Steuerungselement neben Recht und Markt ist, das kann die Ökonomie mit ihren Denkschemata vereinen, nur muss der Wirkungsmechanismus anreizkompatibel sein. Die Ökonomie, die auch handlungsorientiert ist, interessiert sich vor allem dafür, was eine öffentliche Meinung bewirkt, was die Öffentlichkeit bewirkt. Und gemäß ökonomischer Grundüberzeugung hat die Öffentlichkeit Auswirkungen auf das rationale individuelle Handeln. Genauer gesagt: Die Erwartung des Individuums, dass seine Handlungen Gegenstand öffentlicher Wahrnehmung und Bewertung werden könnten, hat Auswirkungen auf sein Verhalten. Dazu müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein: 1.
2.
Das Individuum muss erwarten, dass sein individuelles Verhalten Gegenstand öffentlicher Diskussion oder öffentlicher Wahrnehmung werden könnte, d. h. Gegenstand einer Wahrnehmung durch viele und Gegenstand einer Bewertung durch viele. Diese Erwartung muss die Erwartung individueller Sanktionen, positiver oder negativer Art, einschließen.
Öffentlichkeit: Was sagt die Ökonomie dazu?
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So hat z. B. die Erwartung öffentlicher Wahrnehmung einen Einfluss auf die Anreize, auf die Moralität individuellen Handelns, wie z. B. Bohnet/Frey im Experiment gezeigt haben: „Schweigen ist Silber und Reden ist Gold“ war die Erkenntnis (vgl. Bohnet/Frey 1995). Dies ist plausibel: Wenn der Mensch weiß, dass das Fernsehen Spendernamen und Spendersumme veröffentlicht, dann spendet der durchschnittliche Mensch sicher mehr, als wenn seine gute Tat verborgen bliebe. In diesem Sinn wird der private Nutzen für das Praktizieren von Gemeinsinn durch Öffentlichkeit verstärkt. Oder die erwartete Öffentlichkeit hat mit Sicherheit einen Einfluss auf das Handeln der Politiker, die immer in Rechnung stellen (müssen), welche Auswirkungen ihr Handeln auf die individuellen Wahrnehmungen und das individuelle Wahlverhalten haben mag. Oder die erwartete Öffentlichkeit hat mit Sicherheit einen Einfluss auf das Verhalten von Managern, von Autofahrern, von Konsumenten, von Steuerzahlern usw. Letztlich können alle individuellen Verhaltensweisen von der Bewertung durch die öffentliche Meinung beeinflusst werden. Hier wird ein vermutlich positives Handeln zum Wohle der Gesellschaft das Ergebnis individueller Anreizmechanismen sein: Der Politiker will wiedergewählt werden, der Manager möchte als Saubermann dastehen, der Autofahrer möchte nicht als Umweltsünder gesehen werden usw. Entscheidend ist die Kontrolle individuellen Verhaltens durch die Öffentlichkeit und die öffentliche Meinung. Öffentlichkeit kann damit interpretiert werden als eine Institution, eine Ressource der Gesellschaft, die, so ähnlich wie der Markt oder das Geld, eine effizientere Durchführung vieler Transaktionen gewährleistet. Eine Institution ist ein System von wechselseitig respektierten Regeln einschließlich ihrer Garantieinstrumente, die bei den Individuen wechselseitig verlässliche Verhaltensweisen bewirken. Sie strukturieren das tägliche Leben und verringern dessen Unsicherheiten. Die ökonomische Funktion der Institution besteht darin, Handlungsspielräume der Individuen einzugrenzen, zu stabilisieren und stabile Verhaltenserwartungen herauszubilden. Dies reduziert die Informationskosten, indem die Unsicherheit und Komplexität von Entscheidungssituationen verringert wird: Institutionen ersparen Transaktionskosten (Baßeler/Heinrich/Utecht 2006: 29).
Öffentlichkeit schafft in gewisser Weise Vertrauen, begrenzt den Opportunismus der Akteure, schafft eine gewisse Erwartungssicherheit und bietet eine gewisse Kontrolle der Akteure. So kann der Wähler, der seine Stimme gegen ein bestimmtes Wahlversprechen tauscht, auf eine gewisse Ex-post-Kontrolle der Wahlversprechen durch eine massenmedial produzierte Öffentlichkeit setzen (Andrea Ypsilanti ist aktuelles Beispiel). Und eine ähnliche Kontrolle gilt für die Aktivitäten von Unternehmen, die von Finanzanalysten und Rating-Agenturen kontrolliert werden und erwarten müssen, dass deren Ergebnisse veröffentlicht werden. Auch die allgemeine Berichterstattung, wie z. B. über Müllentsorgungsskandale oder Missstände in Pflegeheimen, über Probleme der Hochschulreform oder Verschwendung von Spendengeldern, ist eine Form der sozialen Kontrolle, die ihre Wirkung entfaltet. Offenbar lange bevor die Begriffe Öffentlichkeit oder öffentliche Meinung geprägt worden sind, ist dieses Phänomen der sozialen Kontrolle von John Locke ausführlich beschrieben worden (vgl. Locke 1690). Noelle-Neumann hat in ihrer Antrittsvorlesung die Entwicklung dieses Konzepts beschrieben (vgl. Noelle-Neumann 1966). Dabei wird deutlich, dass immer wieder versucht worden ist, diesen Begriff auf den politischen Bereich, auf sein Verhältnis zur herrschenden Regierung einzuengen. Diese Ansicht erscheint unnötig
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restriktiv. Öffentlichkeit als Institution berührt alle Lebensbereiche, alle Rollen, alle Handlungen – und es kann sich um eine sehr kleine Öffentlichkeit handeln, wie die Öffentlichkeit der Nachbarschaft in einer Siedlung, oder um eine große Öffentlichkeit, wie die Weltöffentlichkeit. Um wirksam zu werden, muss nur gewährleistet sein, dass eine Rückkoppelung auf individuelle Wahrnehmung erfolgt. Noelle-Neumann definiert öffentliche Meinung noch als „eine Kraft, die nach zwei Seiten wirkt: Sie integriert einerseits die Herrschaft und andererseits den einzelnen mit der Gesellschaft. Aus dem latenten Meinungsklima erhebt sie sich, verdichtet sich, wenn Störungen auftauchen“ (Noelle-Neumann 1966: 20). Aus ökonomischer Sicht ist die Hervorhebung der „Herrschaft“ nicht angemessen: Auch die „Herrschaft“ besteht aus Individuen, die unter einer sozialen Kontrolle stehen, wenngleich unter einer besonderen Kontrolle. Die Institution Öffentlichkeit entfaltet ihre Wirksamkeit im Prinzip gleichmäßig gegenüber allen Individuen. In der Regel werden Institutionen positive Wirkungen zugeschrieben, weil sie die Transaktionskosten von Tauschprozessen verringern. Dies ist für die Institution Öffentlichkeit nicht ganz sicher. Sie ist einerseits ein Mittel sozialer Integration und sozialer Stabilität, und sie erspart z. B. dem Wahlbürger Transaktionskosten seines Tauschs „Stimme gegen politisches Verhalten“ oder dem Aktionär Transaktionskosten seines Tauschs „Kapital gegen Aktien“. Die Öffentlichkeit ist andererseits aber ein Instrument, das die Gesellschaft prinzipiell zu einem traditionsgeleiteten Verhalten bewegt, das Neuerungen prinzipiell erschwert. In diesem Sinn ist die Öffentlichkeit einem raschen sozialen Wandel nicht förderlich. Auch dies ist ein zentraler Unterschied zum Markt, als dessen Wesensmerkmal die permanente Innovation von Produkten und Verfahren gelten kann. Und die öffentliche Meinung kann sich als Irrtum herausstellen, als falsch, verfälscht etwa durch eine Berichterstattung wie über Brent Spar, oder einseitig von Moralvorstellungen geprägt, wie in der Diskussion über die „Rüttgers-Rente“, verführt durch populistische Forderungen. Die öffentliche Meinung kann auch grundlegende Prinzipien der Ethik missachten. Oder das Bewusstsein von Öffentlichkeit kann ein Herostratentum bewirken. Solche möglichen Mängel müssen indes von der Gesellschaft akzeptiert werden. Eine Beschränkung der Öffentlichkeit ist nicht mehr denkbar und wünschbar.
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Mythos und Öffentlichkeit Claus Eurich
„Mythos“ – das Wort ist geläufig und allgegenwärtig, und zwar sowohl in wissenschaftlichen Diskursen als auch in den mannigfachen Feldern medialer Öffentlichkeit. Das Unbestimmte, das in dem Wort liegt, seine Geheimnishaftigkeit und das, was sich der industriegesellschaftlichen Rationalität mit ihrem instrumentellen Vernunftzugang zu entziehen scheint, machen die Verführung aus, vom Mythos zu sprechen. Die Verwendung des Wortes entlastet dabei von begrifflicher Schärfe und sprachlicher Präzision. Begründungen erscheinen obsolet. Die Unschärfe selbst ist die Botschaft. Der populäre und journalistische Gebrauch von „Mythos“ rückt das so Bezeichnete in die Nähe der Fabel, des Irrglaubens oder gar der Lüge. Der Mythos eignet sich in exzellenter Weise zur Diskriminierung von Sachverhalten, politischer Programmatik, historischen Deutungen und Zukunftserwartungen gleichermaßen. Doch wird das dem Wort selbst, seiner kulturellen Gewordenheit und Tiefe gerecht? Ich möchte zunächst versuchen, mich dem Wesen des Mythos zu nähern, bevor seine Beziehung zum Medium, insbesondere dem Fernsehen und der Öffentlichkeit, in den Fokus rückt. 1.
Das Wesen des Mythos1
Als universales menschheitsgeschichtliches Phänomen tritt der Mythos in Erscheinung. Bei aller kulturellen Spezifik seines Ausdrucks liegt er quer zu den Eigenheiten einzelner Kulturen. Das betrifft nicht nur die Tatsache seines Erscheinens an sich, sondern auch die Wiederkehr und Variation klassisch zu nennender Inhalte und Motive. Im Mythos kommt das Wesenhafte und Existenzielle des Menschseins zum Ausdruck. Hier geschieht der Entwurf von Urbildern der Existenz mit überzeitlicher Bedeutung und Epochen überschreitendem Gehalt. Die Fragen nach dem Woher und dem Wohin des Menschen, nach der tieferen Bedeutung von Leben und Tod, von Gut und Böse, von Himmel und Hölle liegen dem Mythos zugrunde. Die Weise des Zugangs zu Existenzwissen entzieht sich dabei der Festschreibung in Begriffen und Kausalitäten. Menschliche Grundfragen verdichten sich. Und dies bringt den Mythos, trotz seines Wirkens und seiner Ausformung in der Zeit, in ein schwebendes Verhältnis zur Geschichte und hält ihn darin. Die aufgeworfenen Fragen erscheinen geschichtsfrei, auch wenn jede Generation aus den im Mythos sich verbergenden Antworten das ihre zu lesen vermag. Es ist diese gleichsam dialektische Beziehung zwischen Überzeitlichkeit und Lebensbezug, die das Eigentümliche des Mythos ausmacht. Zum Ausdruck gebrachte exemplarische Lebenssituationen weisen bei aller Konkretion weit über sich hinaus. In dem Konkre1
Ich greife im Folgenden auf Überlegungen zurück, die ich erstmals in meinem Buch „Mythos Multimedia“ (1998) entwickelt habe (vgl. auch die dort angegebene weiterführende Literatur).
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ten ruht immer ein Grundsätzliches, das im Gesamt der Mythologie einer Kultur dieser ihr Wertgerüst verleiht. Es wirkt damit zugleich identitätsstiftend und selbstvergewissernd. Mythen sind in Geschichten und Bilder gekleidet. Woher nun stammt der Erzählgehalt, der aus einer bloß ergreifenden Geschichte einen Mythos macht? Die Vielfalt thematischer Motive hat daran ihren Anteil, vor allem aber die Wege des Erkennens und der Vergewisserung: Offenbarungswahrheit und Erfahrungsklarheit, Traumbild und Fantasie, Vision und Utopie verschmelzen zu einer Einheit. Transzendente Gewissheiten sowie das beobachtbare naturhaft und menschlich Existente formen sich in Weisheitsbilder, die Geschehnisse deuten lassen. Die Mythologie einer Kultur umschließt deren Umwelt-, Mitwelt-, Innenweltund Gotteserfahrung. Als übergeordnetes Seinswissen vereinigt sie somit Natur, Gesellschaft, Psyche und Offenbarung. Jeder authentische Mythos verfügt von dieser Blickweise her also über eine religiöse Tiefenstruktur. Er wird, neben allen anderen Gestalten, die er anzunehmen vermag, immer zugleich auch zum Vermittler religiöser Wahrheit bzw. zum Initiator religiöser Erkenntnis. Diese aktive, anstoßende und leitende Qualität gehört zu dem Besonderen des Mythos, das ihn aus allen anderen Überlieferungen heraushebt. Er gibt der Sehnsucht des Menschen nach dem Absoluten Raum. Der Transzendenzbezug des mythischen Motivs, die in ihm offenbar gewordene Urerfahrung des Menschen, macht es unmöglich, vom Mythos als richtig oder falsch im Sinne einer intersubjektiven Überprüfbarkeit zu sprechen. Auf seine Weise entsteht er einzigartig im einzelnen Menschen und ist er für die von ihm berührten und angesprochenen Menschen wahr. In ihm ereignet sich Versöhnung mit dem Arationalen, das in ihm tradiert und aufbewahrt wird. Der Mythos schreibt nicht Geschichte auf, erklärt nicht Natur- und Weltgeschehen. Er deutet! Er präsentiert nicht Faktizität, sondern schenkt Bedeutung und daraus folgende Gewissheit (vgl. Malinowski 1973: 1-74). Nimmt ein Mensch oder nehmen Menschengruppen die Erfahrungsgewissheit des Mythos an, so wird er verbindlich für das ganze Sein. Seine Dynamik greift gestaltend in das Leben ein und schafft den Menschen als Individual-, als Sozial- und Kollektivwesen neu. Er wirkt kulturell, sozial und kollektiv identitätsstiftend. Er stiftet Einheit zwischen dem Personalen und dem Gemeinschaftlichen. Aus ihm heraus erwachsen gemeinsame Lebensweltorientierungen und Lebensweltvollzüge, und es entstehen in der Folge gemeinsame Erfahrungen. So nimmt er nicht nur in Anspruch und fordert, sondern entlastet zugleich, schenkt Vertrautsein und Versöhnung mit sich selbst, mit der Um- und der Mitwelt. Er errichtet einen inneren Heimatraum. Zwar lebt der Mythos aus seinem überzeitlichen Gehalt, doch gleichzeitig verleiht ihm das Entstehen und Wachsen im einzelnen Menschen und in kollektiven Lebenswelten Offenheit und Anpassungsfähigkeit hinsichtlich unterschiedlicher Kultur- und Identitätsräume. Das macht seine Gestalt wandlungsfähig (vgl. Evers 1987: 197ff.). Für den einzelnen Menschen geschieht die Wahrnehmung und Integration des Mythos in lebendiger Beziehung zur ihn umgebenden Ist-Welt. Diese Welt ist bezogen auf die Seins-Möglichkeit und seinen Traum vom Leben immer defizitär. Und so heißt Leben im Angesicht des Mythos Leben in Differenzerfahrung, was unvermeidlich zu wechselseitigen Anpassungsversuchen führt. Da der Mythos nie alles enthüllt, sondern sich immer ein Verborgenes hält, entsteht der entsprechende Anpassungsspielraum für den Menschen in seiner konkreten Raum-Zeit und erhält der Mythos in eben dieser Zeit seinen variablen Deutungshorizont. So wird er zur angemessenen Antwort in der Zeit.
Mythos und Öffentlichkeit
2.
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Die dunkle Seite des Mythos
Bei aller Tiefe und Authentizität, die im Mythos ruht und die er auszustrahlen vermag, kann ihm doch – begründet durch die Vermittlung des Menschen – eine dunkle Seite nicht abgesprochen werden. Sie prägt die Geschichte als Beherrschung des Menschen durch den Mythos, als Gehaltensein und Gehaltenbleiben in Unmündigkeit. Diese dunkle Seite tritt immer hervor, wenn Menschen Weisheiten für Machtinteressen instrumentalisieren und damit der Weisheit ihr Edelstes rauben, den Anspruch der Befreiung. Diese dunkle Seite tritt hervor, wenn die Verbindlichkeit des Mythos genutzt wird, um Mündigkeit auszuschalten und Vernunft zu blockieren. So missbraucht, wurde das mythische Denken im Gang durch die Jahrhunderte immer wieder auch zur Sackgasse der Menschwerdung, die auf Erkenntnis und Entwicklung basieren will. Das, was wir heute „Aufklärung“ nennen, sagte solchen Fehlentwicklungen den Kampf an. Die Abkopplung des Mythos von der Vernunft wurde dabei einerseits zu einem unvermeidlichen und historisch notwendigen Vorgang; es war ein überfälliger Befreiungsschlag, der hier nicht zur Debatte stehen soll. Gleichwohl interessiert, was darüber hinaus daraus wurde. So geschah die schrittweise und konsequente Entzauberung der Welt, die Zerschlagung des mythischen Denkens als einem allgemeinen Denken bis in die Ansätze dieses Denkens. Mit der Demaskierung abergläubischer Orientierungen wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. All das erhielt nun das Stigma des Mythischen, was nachgewiesen Unsinn, unglaubwürdig war. Der Mythos geriet zum negativen Kampfbegriff gegen alles, was nicht einer bestimmten Form von Rationalität folgte. Dies dauert fort bis in die Gegenwart. So stellt etwa Roland Barthes heraus, dass der Mythos als „entpolitisierte Aussage“ das „Reale“ entleert und es als spürbare Abwesenheit verflüchtigt. Es raube dem „Realen“ seine Geschichte, reinige die Dinge bis hin zu ihrer „Unschuld“, gründe sie als Natur und Ewigkeit und verweigere ihnen die Klarheit der Erklärung (vgl. Barthes 1964: 131ff.). In seinem Wesen antidialektisch angelegt, so ein weiterer verbreiteter Vorwurf, betrüge der Mythos, ohne dass dies dem Betrogenen bewusst wird. Er wirke regressiv, werfe die Menschen auf eine frühere Bewusstseinsstufe zurück und gaukele ihnen die Aufhebung erlebter Defiziterfahrung vor. Zu dieser Reinfantilisierung komme die zyklische und damit ausweglose Sicht von Welt, die in der Sehnsucht nach der Rückkehr ins Paradies gipfele. Zu der dunklen Seite des Mythos zählt nicht unmaßgeblich seine perfide politischideologische Instrumentalisierung, etwa durch den Nationalsozialismus. Begriffe wie „Das tausendjährige Reich“, die einen Bezug zur Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch des Neuen Testaments, herstellten, zielten bewusst auf eine Parallelisierung hinsichtlich religiöser Heilserwartungen. Gewiss, all dies finden wir in der Geschichte von Mensch und Mythos. Doch lässt sich die Geschichte des Missbrauchs so einfach und undifferenziert gegen das Missbrauchte wenden? Mehr Differenzierung erscheint erforderlich. In meinem Buch „Mythos Multimedia“ (1998) habe ich drei Ebenen des Mythos vorgeschlagen, die sich in zahlreichen akademischen Diskursen und universitären Abschlussarbeiten als Basisorientierung bewährt haben.
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Authentischer Mythos, sekundärer Mythos, Scheinmythen
Die bereits angesprochene Vereinigung von Umwelt-, Mitwelt-, Innenwelt- und Offenbarungserfahrung prägt den authentischen Mythos. Um ihm erfahrungsbezogen zu begegnen, bedarf es der Verbindung von äußerer Wahrnehmung, innerem Erspüren und Empfinden sowie einer alles integrierenden inneren Erfahrungsgewissheit, die sich auch Glaubenszugängen nicht verschließt. Der authentische Mythos zielt immer auf das Ganze des Seins. Obwohl überzeitlich, ist er nicht statisch. Wenn also Horkheimer und Adorno (1947) es als der Aufklärung eigen ansehen, dass sie als Essenz des Bestehenden hinsichtlich der Formelhaftigkeit von Welterklärung in Mythologie zurückschlägt, so zielen sie damit zu kurz. Der authentische Mythos kehrt nicht als der zurück, der er in voraufklärerischer Zeit war. Vielmehr hat er den Gang durch die Aufklärung integriert und in sich aufgehoben. Er deutet durch die Epoche der Aufklärung hindurch, ohne sie zu negieren. Anders also als fundamentalistische Mythologeme, die auf gezielter Erkenntnisverweigerung basieren, lebt der authentische Mythos in Entwicklung. Andere Züge trägt der „sekundäre Mythos“. Auch er vermag Menschen zu berühren, zu treffen, zu erschüttern, zu begeistern. Auch er vermag für die Deutung von Welt zu stehen, doch er markiert immer nur Weltausschnitte. Seinen Deutungsanspruch bezieht er aus der Verabsolutierung einer oder mehrerer Motivlagen des authentischen Mythos – nicht aber von deren ganzheitlicher Integration. Vor allem aber vermag der sekundäre Mythos, obwohl oft in der Rolle einer Ersatzreligion, ohne wirkliche Religio, ohne Rückbindung an das Transzendente aufzutreten. Dieser Mythos ist von Menschen in einer Zeit für eine Zeit gemacht, konstruiert. Er ist eng an den Entwicklungsstand von Kulturen gebunden, entsprechend zeitlich begrenzt und kanalisiert in der Reichweite seiner Deutungstiefe. Die geläufigen industriezivilisatorischen Mythen wie „Fortschritt“, „Wachstum“, „Machbarkeit“ oder „Neuschöpfung“ stehen exemplarisch dafür, aber auch mythische Erfahrungswirklichkeiten, die sich rein auf ästhetisches Empfinden gründen. Erwachsen sekundäre Mythen noch aus der kulturellen und evolutionären Dynamik der Menschheit, mit möglicherweise ganze Epochen prägender Kraft, so lassen „Scheinmythen“ auch das vermissen. Sie sind rein zweckgebundene Konstruktionen, oberflächlich und flüchtig. Sie passen sich Trends und Moden an. Die von ihnen reklamierte Verbindlichkeit ist sofort als hohl identifizierbar. Scheinmythen bedienen sich der Motivlage des authentischen, gegebenenfalls in Verbindung mit der Zielrichtung des sekundären Mythos, und beuten sie für kurzfristige Interessen aus. Der Bilderschatz der Mythen dient ihnen seitens der Mythenkonstrukteure als Supermarkt für die Befriedigung nicht des Bedarfs nach Deutung, sondern nach Verführung, Manipulation und Blendung. Der Scheinmythos appelliert an das Unbewusste des Menschen, berührt ihn in seinen Emotionen und Sehnsüchten und versucht diese zweckgebunden auszurichten und auszubeuten. Die politische Sprache, die Sprache der Propaganda, die Werbung und unzählige weitere mediale Botschaften sind angehäuft mit Scheinmythen.
Mythos und Öffentlichkeit
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Mythos und Symbol
Die Beziehung von Mythos und Symbol ist im Kontext der medialen symbolischen Darstellungsweisen und Vermittlungsakte in der Moderne auf eine neue qualitative Ebene gelangt. Das erfordert eine Klärung auch hier. Das dem griechischen Symbolon entstammende Wort meint ursprünglich das, was gebunden, vereinigt, zusammengebracht werden kann. Neben seiner einfachen Bedeutung als Zeichen für irgendetwas verstehen wir es heute vor allem als Darstellungsform für das dem menschlichen Begreifen ansonsten schwer Zugängliche. Das Symbol dient als Medium der Vermittlung von Bewusstem und Unbewusstem, es eröffnet den Zugang zu Wirklichkeiten, die sich der rein sprachlichen Darstellung entziehen. Und so geht es über die sprachliche Ebene hinaus und vermag Gesichts- und Tastsinn zu erschließen und damit Formen, Linien, Proportionen. Es eröffnet neue Bilder und Vorstellungskomplexe. Während sich der Mythos dem Transzendenten sprachlich nähert, geschieht das im Symbol gegenständlich/ formhaft. Wie der Mythos besitzt auch das Symbolhafte eine eigene Tiefenstruktur und vermag den Menschen in seiner Seelentiefe zu berühren. Was es bedeutet, übersteigt zumeist die Vernunft. Und sein Gehalt erschließt sich nur durch das Eingebundensein bzw. die Vertiefung in das kulturelle Gesamt, aus dem es als „kollektive Repräsentation“ (Eco 1985: 210) entstanden ist. Je nach Kulturkreis sind Symbole vieldeutig und vielfältig interpretierbar. Universale Symbole/Ursymbole wie das Kreuz, das Pentagramm, das Hexagramm oder das Dreieck stehen beispielhaft dafür. Im Letzten sind Symbole unerschöpflich. Je nach Wahrnehmungsbereitschaft und Wahrnehmungsfähigkeit können sie leer oder voll tiefster Bedeutung erscheinen. Und diese Bedeutung, der Sinn, den sie transportieren, unterliegt wie beim Mythos dem zeit- und kulturbedingten Wandel. Symbole lassen das Transzendente im Immanenten formhaft durchscheinen, sie bringen das Unbedingte im Bedingten zum Ausdruck (vgl. Tillich 1978). Gleichzeitig stehen sie für sich selbst. Das Symbol selbst hat immer einen Anteil an dem, worauf es verweist. Es hat eigenen Wert, partizipiert an dem, was es ausdrücken will. Es ist geläufig, den Mythos zu den symbolischen Ausdrucksformen zu zählen. Doch dieser Blick verkennt, dass weniger der Mythos den symbolischen Ausdrucksformen zugeordnet werden kann als vielmehr das Symbol der Ausdrucksform bzw. dem Kontext des Mythos. Insofern ist das Symbol dem Mythos zugeordnet und ihm teilhaftig. Das, worauf es verweist, kann ohne die Einbettung in den Mythos kaum erschlossen bzw. erfahren werden. Es gehört dem Mythos zu. Wahrgenommen wird es als Verweisungswirklichkeit und -wahrheit.
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Medium und Mythos
Mythen versinnbildlichen u. a. eine kulturell und gesellschaftlich typische bzw. vorherrschende Weltdeutung. Den Mythisierungen der Gegenwart nachzuspüren, heißt demnach, sich den Weltbildstiftern der Gegenwart zuzuwenden. Dies sind in vorderster Linie die technischen Medien und hier wiederum insbesondere das Fernsehen als Gewohnheits- und Dominanzmedium. Zwar leben Menschen seit Urzeiten mit Bildern, von den ersten Höhlenmalereien über die tiefen und satten Bilder des Barock bis hin zur Fotografie und dem Kinofilm als Her-
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vorbringungen der Neuzeit. Doch Fernsehen steht für mehr als eine Bild-Kultur. In seiner sinnlichen und geistigen Bindung tangiert es den ganzen Menschen als kognitives, emotionales, sinnliches und soziales Wesen. Sein – trotz aller multimedialen Konkurrenz – noch immer Außergewöhnliches und zugleich Selbstverständliches liegt neben seiner Allgegenwärtigkeit in dem Umstand, sich auf nahezu alle Fragen und Gegebenheiten des normalen und besonderen, des alltäglichen und des erträumten, des realen und des fiktionalen Lebens zu beziehen. Drei Grundwirkungen des Mediums in Hinblick auf die von ihm hergestellte Öffentlichkeit möchte ich hervorheben: x
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Die erste Grundwirkung ist doppelt, und sie ist zirkulär. Die Fernsehnutzung der Gegenwart setzt einen hohen Grad an Individualisierung in der Gesellschaft voraus und treibt diese weiter voran. Das Medium tritt so als Mitursache, Wirkung und Verstärkung in einem auf, eingebettet in eine entsprechende begünstigende gesellschaftliche Gesamtverfassung. Als zweite Grundwirkung füllt das Medium die Lücke, die eine sich zunehmend von sich selbst entfremdende Gesellschaft mit dem Verlust an Erfahrungs-, Sozial- und Verwirklichungsräumen reißt. Und es vertieft diese Lücke zugleich. So steht ein bedeutender Teil seiner Angebote selten in einem Verwirklichungshorizont des Alltäglichen. Sie „bewahren“ vor der Überraschung der unmittelbaren und authentischen Erfahrung. Sie suggerieren und bieten einen eigenen, kontinuierlich abzurufenden und zu betretenden Vertrautheitsraum, der die Unwirtlichkeit des so genannten Realen zu überdecken vermag. Das Medium ordnet Welt durch seine Selektionen und Konstruktionen neu, stellt den Menschen in einen Weltrahmen. All dies geschieht mit seelischem Aufwand, mit Zuwendungs- und Aufmerksamkeitsenergie, und es geschieht im Vorbeifliegen der Bilder und Töne, ohne den Lebensprozess des Werdens, des Erlebens, Erleidens, Verarbeitens und Lösens. Die Verdrängung des Mythos im Rahmen einer instrumentellen Kultur und die damit verbundenen Prozesse der Entmythisierung schaffen Spielräume für neue Mythenproduzenten – und damit die dritte Grundwirkung, die an dieser Stelle von Belang erscheint. Menschen können ohne Mythen nicht leben, ohne wie auch immer geartete Deutungen von Sinn, von Sein und Werden und Vergehen. Im Alltag einer großen Zahl von Menschen erfährt das Fernsehen darauf bezogen die Hauptzuwendung, die größte Offenheit und eine hoffende Erwartung. So gesehen, hängt an ihm das Herz vieler Menschen. Es liefert religiösen Ersatz, ohne den Glauben an das Göttliche und die daraus resultierende Verbindlichkeit mit „in Kauf“ nehmen zu müssen. Das medial Aufbereitete verschmilzt mit dem Persönlichen, Subjektiven und Lebensweltbezogenen. In anderen Worten: Der Fluss der Bilder, ihre symbolischen Gehalte, ihre Weltdarstellungen und Weltdeutungen stellen bei den regelmäßigen Nutzern ein wesentliches und stützendes und stabilisierendes Element der inneren Ordnung dar, ja sie können diese Ordnung gar erst hervorbringen. Vor allem aber: Das Medium mit seinen bunten Bilderbotschaften bleibt im Fluss. Das Bilderrauschen ist immer präsent. Die Inhalte scheinen austauschbar. „Ewig“ sendet es in scheinbar unermesslicher Programmbreite weiter, lässt vergessen, besiegt die Hinfälligkeit.
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Fernsehen, so also die These, schafft und transportiert Mythen: Mythen der sekundären Art und Scheinmythen. Die quasi-magische Ausdrucksart des Bildes, welche die des Wortes auf so universelle Weise übersteigt, kommt in dem Transport mythischer Motive in großer Tiefe zum Ausdruck. Mythen aber sind von der Sehnsucht nach Verwirklichung nicht zu trennen. In den unterschiedlichen Fernsehgenres wird diese Sehnsucht angesprochen und verstärkt zu einem Traum vom Leben. Es ist ein Traum, der im Verlauf einer Handlung mit durchlebt werden kann. Die Defiziterfahrung der eigenen Befindlichkeit wird für eine begrenzte Zeitspanne aufgesogen durch den inneren Mitvollzug gelingender Existenz und der gleichzeitigen Herausnahme aus dem eigenen Sein. Klassische Fernseh- und Filmgenres wie das Melodram, aber auch Serien und Game-Shows, ja selbst die Werbung in ihrer verlässlichen Inhaltsstruktur und Konstanz der Wiederkehr garantieren das Aufgehen in der „zweiten Identität“ in Regelmäßigkeit. Diese Konstanz und Wiederkehr machen das Medium nicht nur zum Sehnsuchtsmedium für das, was der Alltag nicht halten kann. Sie erheben das Medium selbst zum Mythos. Es erzählt vom gelingenden Leben und gleichzeitig dem Außergewöhnlichen. Es zielt neben Rationalität auf das Unbewusste, es lädt ein, etwas für sich anzunehmen, ohne die Sicherheit des Wissens. Es weckt Träume, zielt auf Glück und Unglück, Hoffnung und Verzweiflung im Rahmen der unausgesprochenen Dogmen und Gesetze der Industriezivilisation. Es packt den Menschen an seiner verführerischsten Stelle, den Augen. Es übt Macht aus, indem es über die Augen auf den ganzen Menschen zielt – auf Intellekt und ästhetisches Empfinden und Gefühle und das Unbewusste. Das Medium bietet Identifikationsobjekte an, die auf das eigene Leben übertragen und integriert werden. Es kann emotionale Prozesse anstoßen, die auf der Erinnerung an eigene Erfahrungen des Schmerzes, der Ohnmacht, des Glücks und der Erfüllung basieren. Mythen im Bildschirmmedium sind die unserer Zeit angemessene mythische Spielart, was Form, Inhalte und Vermittlungsweise betrifft. Sie sind, so Umberto Eco, von schlichtester Allgemeinheit, sofort wieder erkennbar und zielen damit auf die Verflüchtigung der Individualität und Konkretheit menschlicher Erfahrungen und Vorstellungen (vgl. Eco 1984: 43). Gleichzeitig leisten sie ihren Beitrag zur Auflösung der Restbestände historisch überkommener Mythen- und Symbolwahrnehmung, wenn auch nicht der Mythen und Symbole selbst. Medienmythen als Massenprodukte garantieren eine bequeme Weise ihrer Aneignung. Sie geben etwas aufbereitet vor, ohne die Erfordernisse anspruchsvoller, individueller Transferleistungen. Durch die vereinheitlichte Weise ihrer Herstellung und den hohen Grad ihrer Vergesellschaftung erlangen sie eine quasi universale Bedeutung. Dies gilt in besonderer Weise überall da, wo Mythisierungen sich mit Produkten und deren Warencharakter verbinden und wo alles Übernatürliche aufgelöst ist – hin zum Typischen, Wiedererkennbaren und leicht Konsumierbaren. All dies unterscheidet die Bildschirmkultur von der althergebrachten Bild-Kultur, in der innere Sprachfähigkeit die Voraussetzung zur Aneignung des Bild-Gehaltes war, gedankliches Wort und Bild in einem inneren, untrennbaren Verweisungszusammenhang standen. Dieser muss beim Fernsehen nicht fortfallen, aber er ist auch nicht unbedingt erforderlich. Welche Mythisierungen nun gelangen durch das Medium in den öffentlichen Raum und in den Innenraum des Rezipienten?
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Entsprechend der thematischen, szenischen und genretypischen Angebotsvielfalt bleibt kaum ein Motiv ausgenommen. Der Zuschauer wird hineingenommen in den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, Terror und Gerechtigkeit, in den von Glanz und Stärke, Macht und Einfluss, in das Erleben von Glück und Lebensfreude, Besitz und Überfluss. In den Bildern kommt das Paradies ganz nahe, und die Hölle erlaubt einen Blick in ihre Untiefen. Fülle und Erfüllung scheinen greifbar, und sie überdecken das an anderer Stelle ins Haus gelieferte Grauen auf der weltpolitischen Agenda. Im Medium ereignet Liebe sich in Vollendung, präsentiert Schönheit sich ohne Makel, explodieren Gefühle als unwiderstehliche Naturgewalt (vgl. Busse 1996). Vergänglichkeit scheint aufgehoben, Frauenkörper ewig jung, Helden unsterblich und im Letzten unangreifbar. Die graue Maus des Mittelmaßes erfährt Verwandlung hin zum Heroischen. Zeit fließt nicht träge dahin, sondern präsentiert sich verdichtet, entscheidungsbezogen, dramatisch zugespitzt auf Vorbereitung und das Sich-Ereignen des Showdown. Zeit ist Ereignis-Zeit ohne Unterlass und damit von einer Bedeutung, die über den Augenblick hinausweist. Vor allem in der Fernsehwerbung drückt das Mythische sich mit aller Kraft und Verführungskunst aus. Hier liegt der Sinn ja auch darin, die Tiefenstruktur bis ins Unterbewusste des Einzelnen hinein zu erreichen und anzusprechen. Bedürfnis und Befriedigung, Sehnsucht und Erfüllung fließen im Produkt zusammen und ineinander. Mythisch-religiöse Motive in der Werbung ruhen oft versteckt in den Bildern. Sie sind in ihrem Wesen nur schwer zu entschlüsseln, wirken aber mit der ganzen Kraft des menschheitsgeschichtlich großen mythischen Motivs. Zumeist jedoch geschieht der Rückgriff auf mythisch-religiöse Motive und der Appell an die Ursehnsucht des Menschen nach dem Absoluten schamlos und direkt. Das verheißene Land tritt dem Menschen als Heilsversprechen in der Form der Ware gegenüber. Und gerade deshalb kann es kein Ankommen in jenem Land geben. Der Produktreigen muss weitergehen, wobei jede Innovation noch ein wenig näher an den paradiesischen Heilshorizont zu rücken scheint. Vergleichbar mit dem Film und anderen Bereichen des Fernseh-Fiktionalen hebt das Mythische in der Werbung die Trennung von Rationalität, Lebenswelt, Traum- und Fantasiearbeit und dem Utopischen auf. Die mythische Aneignung ist als Fantasiefähigkeit vollends profanisiert, und das sollte rückerinnern an die Unterscheidung in authentischen Mythos, sekundären Mythos und Scheinmythos. Im Bild des Mediums bewegen wir uns ausnahmslos auf der Ebene des sekundären und des Scheinmythos. Beide sind wirkmächtig, doch unverbindlich, sind willkürlich, doch nicht gestiftet, sind entkleidet, doch nicht rätselhaft verhüllt. Das Bild bietet sich an, eins zu werden mit dem geformten und gezeigten Raum. Es beschränkt sich auf die ihm vorgegebenen Grenzen, die vor der Tiefe des authentisch Mythischen als bildlich nicht wirklich zu Fassendem und formhaft nicht wirklich zu Begreifendem liegen. Beschleunigung leistet hinsichtlich des notwendigen Reflexionsraumes den Rest, denn die Bilderproduktion muss ohne Unterbrechung weitergehen. Um einem Missverständnis an dieser Stelle vorzubeugen: All dies soll keine PauschalDiskriminierung des die Öffentlichkeit suchenden Audiovisuellen sein. Das immer wieder auch Wunderbare, das sich unseren Augensinnen im Medium präsentiert und dessen wir sonst nie gewahrhaft würden, bleibt dabei nicht vergessen. Doch selbst die Bilder voller Tiefe und Schönheit heben nicht das massenmediale Grundgesetz aus der Geltung, dass die überwiegende Zahl der Bildmotive auf die Ausbeutung des mythischen Gehaltes zielen, der
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potenziell in ihnen selbst angelegt ist. Sie sind Stilmittel zur Optimierung von Verkaufsstrategien – dem Verkauf von Produkten, dem Verkauf von Meinungen und Ideologien, dem Verkauf der Sendung selbst, abgerechnet mit Einschaltquoteneinheiten. So gesehen, hat das Mythische nur dann einen Eigenwert, wenn das Verhältnis von Angebot und Nachfrage stimmt, sich seine Botschaft und die Form der Vermittlung mit dem Publikumsgeschmack auf messbarem Niveau decken. Nur so lange dürfen sie sich in der kostbarsten Zeit, über die diese Gesellschaft verfügt, die Fernsehnutzungszeit, tummeln. Allerdings haben sich die Methoden, vor allem der Werbepsychologie, erheblich verfeinert. Selbst hohe ethische Ansprüche und innerliche Bedürfnisse, bis hin zu spirituellen Fragen, werden angesprochen. So sichert man sich im Aufgreifen des Anspruchsvollsten eine gewisse Wertschätzung, selbst der Kritiker, und öffnet zugleich immer verborgenere Schichten des suchenden Menschen für die Techniken der Bilderindustrie. Und doch möchte ich an dieser Stelle keiner undifferenzierten Manipulationstheorie das Wort reden. Denn was an Mythisierung entsteht, und wie es entsteht, entscheidet sich noch immer im einzelnen Rezipienten selbst. Es entsteht während der Darstellung und Erzählung, und zwar auf doppelte Weise: Einmal hinsichtlich der Erzähl- und Darstellungsstruktur des Stoffes und zum anderen bezüglich der Bedeutungskonstruktion seitens des Rezipienten. Sei diese auch noch so stereotypisiert und angepasst, letztlich ist die Bedeutungszuweisung immer ein biografisches Unikat. Die klassischen Mythen waren in sich abgeschlossene Themen und Motive, die sich auf die Vorbildhaftigkeit von etwas historisch Gewesenem stützten. Ihre Vermittlung war auf überwiegend orale Traditionen und zweidimensionale bildliche Darstellungen beschränkt. Der Rezipient heute projiziert seine Erwartungs- und Bedürfniskonstellationen auf in Form und Inhalt multiple vorgegebene Motive. Was persönlich bedeutend erscheint, steuert die Zuwendung zu bestimmten Angeboten, die wiederum auf der Folie individueller Bedürfnisse, Erwartungen und auch Vorurteile reflektiert und verarbeitet werden. Formale Aspekte des Gesendeten sowie psychologische und soziale Faktoren auf Rezipientenseite greifen somit hinsichtlich der Wirkung ineinander. Und diese wird umso vielfältiger sein, je mehr Lesarten und Identifikationsangebote das Bildmaterial bereithält und offeriert. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass Nutzungspräferenzen großer Teile des Publikums, die sich auf ein inhaltlich und formhaft mehr oder weniger gleichförmiges Medienangebot beziehen, die Pluralität interpretativer Prozesse einschränken und damit die Steuerungsfähigkeit durch das medial Vorgegebene erhöhen. In diesem Falle schauen wir auf eine bilderdominierte Erstarrung, die paradoxerweise durch die Nichterfüllung des Versprochenen das regressive Bedürfnis nach immer mehr provoziert. Gewiss, zur Dämonisierung des Medialen, insbesondere des Fernsehens, besteht kein Anlass. Doch ebenso wäre es fatal, seine Selbstverständlich-Werdung zu verharmlosen. Denn hier liegt die Schlüsselwirkung in der Beziehung zwischen Mythos und Medium, Mythos und Öffentlichkeit. Das Selbstverständliche strahlt auf fast alles aus und durchdringt vieles. In hochkomplexen Gesellschaften lauert dabei die Gefahr in der Regression, der Sehnsucht nach Vereinfachung und Überschaubarkeit, der Flucht bzw. dem Rückzug aus der Komplexität. Denn genau dies prägt ja den Großteil der medialen öffentlichen Angebote nur zu oft – in Information und Unterhaltung, in Nachricht und Fiktion. Dem nachzugeben wäre ein weiterer, wohl verhängnisvoller Triumph des auf Vereinfachung und Stereotypisierung zielenden konstruierten und medial vermittelten Mythischen; es wäre ein Triumph wider das hohe kulturelle Gut der Differenzierung und des gesellschaftlichen Diskurses und nicht
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zuletzt über den authentischen Mythos und seine an sich in ihm ruhende überzeitliche Kraft. Die Beziehung von Mythos und Öffentlichkeit befindet sich durch die dramatische Entwicklungsbewegung innerhalb der technisch basierten Mediensysteme selbst in einem dynamischen Prozess. Dieser Prozess kann aus dem Blickwinkel beschrieben werden, den ich diesem Text zugrunde gelegt habe. Doch es gibt andere Perspektiven, die nicht minder triftig erscheinen. So spricht nicht nur viel dafür, sondern ist als Phänomen zu beobachten, dass die mediale Ausbeutung des Mythischen mit den hier angedachten Konsequenzen als Gegenimpuls die Sehnsucht nach dem Ursprung und nach dem Authentischen stärkt und wieder stärker in den kulturellen Fokus rückt. Die Frage dabei ist, für welche Rezipientengruppen bzw. Bevölkerungsteile das Jeweilige zutrifft. Die Forschung hat an dieser Stelle bislang wenig an substanziellen Aussagen und Einschätzungen zu bieten. Das mag einmal damit zusammenhängen, dass der Mythos schwer greifbar und fassbar ist. Ein weiterer Grund wird sein, dass er im einzelnen Menschen sowohl die tiefen Bewusstseinsschichten und Sehnsüchte als auch die Dimensionen des Unbewussten und nicht Verbalisierbaren anspricht und berührt. Wenn wir an dieser Stelle wissenschaftlich weiter kommen wollen, wird es unumgehbar sein, diese Fragen integral zu sehen und integral bzw. transdisziplinär anzugehen. Journalistik und Kommunikationswissenschaft, kulturelle Anthropologie, Religionswissenschaft, Tiefenpsychologie und die transpersonale Psychologie des Bewusstseins2 sind an dieser Stelle aufeinander verwiesen.
Literatur Barthes, Roland (1964): Mythen des Alltags. Frankfurt am Main. Busse, Tanja (1996): Mythos in Musikvideos. Münster. Eco, Umberto (1984): Apokalyptiker und Integrierte. Frankfurt am Main. Eco, Umberto (1985): Semiotik und Philosophie der Sprache. München. Eurich, Claus (1998): Mythos Multimedia. München. Evers, Tilman (1987): Mythos und Emanzipation. Hamburg. Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1947): Dialektik der Aufklärung. Los Angeles. [Raubdruck der Originalausgabe] Malinowski, Bronislaw (1973): Magie, Wissenschaft und Religion. Frankfurt am Main. Otto, Walter F. (1962): Das Wort der Antike. Darmstadt. Tillich, Paul (1978): Das religiöse Symbol. In: ders.: Die Frage nach dem Unbedingten. 2. Aufl. Stuttgart, S. 196212.
2
vgl. hierzu die Abhandlungen in der „Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie“
Illusionäre Interaktion Horst Pöttkers Analyse der Entfremdung und der Kompensation durch Massenmedien Christoph Neuberger
„Interaktion“ und „Interaktivität“ sind zwei in der Kommunikationswissenschaft zwar gängige, aber entwurzelte Begriffe, deren Herkunft aus der Soziologie oft in Vergessenheit geraten ist. Das Begriffspaar besteht aus einem Potenzial- und einem Prozessbegriff: „Interaktivität“ bezeichnet ein Potenzial von Medien- und Kommunikationstypen, während „Interaktion“ dessen Realisierung meint, also einen bestimmten Ablauf der Kommunikation. Die Forschungsfrage, der empirisch bislang vor allem nachgegangen worden ist, lautet: Wie prägen bestimmte Medien- und Kommunikationstypen und andere Randbedingungen den Grad an Interaktion? Es ist das Verdienst Horst Pöttkers, die Frage nach der Interaktion in einen größeren Zusammenhang gestellt zu haben. Er fügt in seiner Habilitationsschrift „Entfremdung und Illusion“ das fehlende Glied ein zwischen der Mikro- und Makroebene, zwischen der Massenkommunikation und ihrem gesellschaftlichen Kontext. Damit wirft er neue Fragen auf: Welche Ursachen hat das Interaktionsdefizit in der modernen Gesellschaft? Wie wird es illusionär mit Hilfe von Massenmedien kompensiert? Und wie lässt sich dieser Zustand der „Entfremdung“ ändern? Dieser Beitrag ist vor allem der zweiten der hier gestellten Fragen gewidmet. Zuvor werden aber Pöttkers Interaktionsbegriff und seine Gesellschaftsanalyse nachgezeichnet.
1.
Interaktion als wechselseitige Folgenreflexivität
Die Genealogie des Interaktionsbegriffs führt bei Pöttker zum Weber’schen Handlungsbegriff zurück, den er um einen Gesichtspunkt erweitert, nämlich um die Frage, in welcher Beziehung der Handlungssinn des eigenen Verhaltens zum zukünftigen Verhalten anderer steht (vgl. Pöttker 1997: 79). Berücksichtigt das Subjekt die Folgen seines Handelns für andere, so nennt dies Pöttker „folgenreflexiv“, berücksichtigt er diese Folgen nicht, so bleibt sein Handeln „rezeptiv“ (vgl. ebd.: 83). Folgen kann das Handeln für andere Subjekte nur haben, wenn diese zeitlich, räumlich und sozial erreichbar sind, was aber nicht ihre Anwesenheit voraussetzt (vgl. ebd.: 83f.). Unterscheidet man weiter zwischen dem subjektiven Handlungssinn und den tatsächlichen Handlungsfolgen, so lassen sich idealtypisch folgende Handlungen unterscheiden: Falls der Handlungssinn mit den (Nicht-)Folgen übereinstimmt, liegen dem Handeln realistische Annahmen zugrunde. Pöttker spricht hier von „realistischer“ Folgenreflexivität und Rezeptivität. Weichen dagegen die Annahmen über die (Nicht-)Folgen von den tatsächlichen Folgen ab, ist also der subjektive Sinn „fehlerhaft“ (ebd.: 87), kommt es zu „ideologischer“ Folgenreflexivität („Illusion“) und Rezeptivität („Entfremdung“) (vgl. ebd.: 85f.).
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Pöttker unterstellt ein universelles menschliches Bedürfnis nach (realistischer) Folgenreflexivität, was die davon abweichenden Handlungstypen als defizitär erscheinen lässt: Ein soziales Handeln, das der Kategorie der „ideologischen Rezeptivität“ oder „Entfremdung“ nahekommt, wird vom Verkennen realer Möglichkeiten geprägt, wessen Handeln „ideologisch folgenreflexive“ oder „illusionäre“ Züge hat, täuscht sich über reale Zwänge hinweg. Beide Idealtypen lassen die so begriffenen Zustände als mißlich und veränderungsbedürftig erscheinen. (ebd.: 97f.)
Unter „Interaktion“ versteht Pöttker eine soziale Beziehung, in der alle beteiligten Subjekte in Bezug aufeinander realistisch-folgenreflexiv handeln. Nur dadurch kann es zu Wechselwirkungen zwischen Handlungen kommen, die „im allgemeinen als konstitutiv für Interaktionen angesehen“ (ebd.: 88) werden. Die Wechselwirkungen können dabei mehrere Schritte im Voraus kalkuliert werden; es lassen sich also unterschiedliche Stufen von Folgenreflexivität unterscheiden, wobei jene Seite im Vorteil ist und über mehr Macht verfügt, die mindestens einen Schritt voraus ist (vgl. ebd.: 88f., 91). Soziale Beziehungen können auch nur auf einer Seite realistisch-folgenreflexiv sein, während die andere Seite rezeptiv oder illusionär-folgenreflexiv handelt (vgl. ebd.: 89). Auch an dieser Stelle gibt es eine normative Präferenz, und zwar für Interaktion als „ein tragendes Element der zur menschlichen Lebensweise gehörenden Gesellschaftlichkeit“ (ebd.: 94), das zur Bildung sozialer Ordnung, zur Bewältigung von Konflikten und Interessengegensätzen beiträgt. Die vergesellschaftende Funktion der Interaktion besteht nach dem „Symbolischen Interaktionismus“ darin, sich selbst aus der Sicht des Gegenübers in einer sozialen Beziehung sehen zu können (vgl. ebd.: 200). Damit gebraucht Pöttker den Interaktionsbegriff anders als z. B. Luhmann (vgl. ebd.: 95ff., 198): Während Luhmann nur auf die physische Anwesenheit als Kriterium abstellt, definiert Pöttker Interaktion über den Handlungssinn der Beteiligten. Physische Anwesenheit schafft zwar, so Pöttker, „günstige Bedingungen für die Bildung von folgenreflexivem Handlungssinn“, ist aber für Interaktion als Bedingung „weder notwendig noch hinreichend“ (ebd.: 198). Pöttker vermeidet also die verbreitete Idealisierung der „Face-to-face“Kommunikation und verweigert sich der Annahme, dass (massen)medial vermittelte Kommunikation prinzipiell defizitär sei.
2.
Kritik an der Rezeptionsforschung
Pöttker kritisiert den eingeschränkten Horizont der mikroanalytischen Rezeptionsforschung: Sie blende den gesellschaftlichen Kontext ihres Gegenstandes aus. Pöttker legt dagegen den Akzent auf die Makroebene und die gesellschaftlichen Ursachen für das Interaktionsdefizit. Aus der Gesellschaftsanalyse gewinnt er zum einen die Einsicht, dass Massenmedien ein gesellschaftliches Defizit kompensieren sollen. Zum anderen hat er ein Kriterium zur Hand, um zwischen objektiver und subjektiver Sicht, d. h. zwischen tatsächlicher und illusionärer Interaktion zu unterscheiden. Diesen Unterschied übersehen jene Ansätze, welche sich auf die subjektive Seite beschränken und die objektiven Voraussetzungen ausblenden (wie z. B. handlungstheoretische Ansätze und der „Radikale Konstruktivismus“) (vgl. ebd.: 243ff., 252f.).
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Ein Fall illusionärer Folgenreflexivität ist das Computerspielen, bei dem es „nur um einen technischen Stimulus [geht], der zur Illusion von Interaktion führt“ (ebd.: 262; Hervorhebung im Original), wobei diese Illusion in Computerspielen immer realitätsnäher wird (vgl. Mertens 2004). Ein zu breiter Interaktionsbegriff, der sowohl medienvermittelte Mensch-zu-Mensch- als auch Mensch-zu-Medium/Maschine-Beziehungen umfasst, verwischt den Unterschied zwischen der Interaktion als wechselseitiger Kommunikation unter Menschen und der Selektion vorfabrizierter Medienangebote oder algorithmisch fixierter Reaktionen des Computers (vgl. Pöttker 1997: 262).
3.
Interaktionsdefizit und Rezeptivitätsüberschuss
Pöttker diagnostiziert für die moderne Gesellschaft ein Interaktionsdefizit: Es werde kaum noch folgenreflexiv und interaktiv, sondern vor allem rezeptiv gehandelt (vgl. ebd.: 192). Die funktionale Differenzierung habe zu einem hohen Grad an Komplexität, d. h. zu einer Vielzahl und Vielfalt von Institutionen geführt […], mit denen die Menschen in Berührung kommen. Soziales Handeln in bezug auf diese modernen Institutionen bedeutet Handeln gegenüber scheinbar unausweichlichen Sachzwängen, Handeln unter der Bedingung der Schwierigkeit, sich die Folgen für das soziale Gegenüber, aber auch für die Sozialstruktur insgesamt vorstellen zu können. (ebd.: 180; Hervorhebungen im Original)
Nur auf der Seite der mächtigen Institutionen werde folgenreflexiv gehandelt, weshalb diese die Interessen der Leistungsempfänger nicht berücksichtigen müssten (vgl. ebd.: 199f.): Wähler, Beschäftigte, Kunden und Rezipienten bleiben passiv-rezeptiv und richten sich an den Vorgaben der Parteien, Unternehmen, Warenhäuser und Massenmedien aus (vgl. ebd.: 199). Dieses rezeptive Handeln sei allerdings illusionär: „Das für komplexe Strukturen charakteristische Phänomen der Entfremdung ist […] ein Phänomen der subjektiven Täuschung über die eigenen Einflußmöglichkeiten.“ (ebd.: 180; Hervorhebungen im Original) Diese Selbsttäuschung veranlasst Pöttker zu seinem Programm der „Aufklärung als Sozialtherapie der Moderne“ und seinem „Appell zur Zivilcourage“ (vgl. ebd.: 284ff.). Pöttker operiert mit dem Interaktionsbegriff also nicht nur auf der Mikroebene (wechselseitige Folgenreflexivität), sondern auch auf der Makroebene, wenn er das Verhältnis der Menschen zu gesellschaftlichen Institutionen in den Blick nimmt. Sein Interaktionsbegriff fällt auf dieser Ebene mit dem Partizipationsbegriff zusammen, nämlich mit der Frage nach den gleichberechtigten Beteiligungs- und Einflusschancen (vgl. ebd.: 199).
4.
Illusion von Interaktion als Kompensation
Um den Rezeptivitätsüberschuss zu kompensieren, sei es in der modernen Gesellschaft zu „einer verbreiteten illusionären Folgenreflexivität“ (ebd.: 229; Hervorhebung im Original) gekommen. Illusion sei das Ventil, um die Folgen der Entfremdung abzumildern. Diese Illusionierung bliebe kein privates Problem, sondern werde „im Dienst gesellschaftlicher Sonderinteressen, beispielsweise an der Stabilisierung bestehender Herrschaftsverhältnisse oder am ökonomischen Gewinn, gesellschaftlich organisiert und instrumentalisiert“ (ebd.: 229).
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Für den „aufgeklärten“ Menschen seien „empirische Anhaltspunkte“ (ebd.: 230; Hervorhebung im Original) für eine überzeugende Illusion erforderlich; Religion und Kirche reichten dafür nicht mehr aus. Es müsse sinnlich wahrnehmbare Hinweise für die Existenz eines handelnden Gegenübers geben und auch darauf, dass das Handeln des Subjekts Auswirkungen auf dessen Verhalten hat (vgl. ebd.: 230f.). Diese (scheinbaren) Hinweise müssten „schneller und deutlicher wahrgenommen werden als die zeitversetzten, komplizierten und deshalb viel schwerer wahrnehmbaren Folgen, die der Umgang mit modernen Institutionen oder Technologien tatsächlich hat“ (ebd.: 231; Hervorhebung im Original). Pöttker unterscheidet drei Möglichkeiten der Illusionierung (vgl. ebd.: 232): a) die Pseudo-Interaktion mit Akteuren in audio-visuellen Massenmedien, b) mit Maschinen (Spielautomaten) sowie c) mit tatsächlichen Personen, die vorgeben, zu interagieren, tatsächlich aber nicht reflexiv auf das Handeln von Subjekten eingehen, sondern sich an außerhalb der sozialen Beziehung bestehenden Rollenvorgaben orientieren.
5.
Pseudo-Interaktion durch audio-visuelle Massenmedien
In audio-visuellen Medien nähere sich die Darstellung der Realität an. Rezipienten neigten dazu, sie zu verwechseln (vgl. ebd.: 233).1 Vor allem die Illusion einer „Face-to-face“Kommunikation mit Akteuren auf dem Bildschirm, welche die Rezipienten direkt ansprechen und scheinbar mit ihnen interagieren („parasoziale Interaktion“), solle dazu dienen, das Interaktionsdefizit mit Hilfe von Massenmedien zu kompensieren. Pöttker kritisiert an der mikroanalytischen Rezeptionsforschung, dass sie diesen illusionären Charakter der Folgenreflexivität bei der aktiven Auseinandersetzung der Rezipienten mit den Angeboten von Fernsehen und Hörfunk kaum würdigt (vgl. ebd.: 239). Ihre Schwäche bestünde darin, dass sie die „subjektive Seite der Folgenreflexivität viel stärker beachtet als deren objektive Voraussetzungen, so daß die von Max Weber angedeutete Möglichkeit des Irrtums, die Gefahr der Täuschung, die jeder subjektiven Sinnbildung innewohnt, zuwenig berücksichtigt wird“ (ebd.: 243; Hervorhebung im Original). Am deutlichsten werde sie noch im Ansatz der „parasozialen Interaktion“ herausgearbeitet (vgl. ebd.: 239f.). Zwischen subjektiver und objektiver Sichtweise bestehe ein erheblicher Unterschied: Während das wie eine Interaktion gemeinte folgenreflexive Handeln des Zuschauers im Rahmen des simulierten Face-to-face-Kontakts mit dem Medienakteur also tatsächlich folgenlos für diesen bleibt, hat das nicht als Interaktion gemeinte rezeptive Einschaltverhalten, bei dem subjektiv kaum an die Medienverwalter oder andere Kommunikatoren gedacht wird, tatsächlich erhebliche Folgen für deren Handeln, die sich u. a. in der Programmgestaltung niederschlagen. (ebd.: 244, Hervorhebungen im Original) 1
Empirische Belege dafür, dass es subjektiv zu einer solchen (andauernden) Verwechslung von Sekundär- mit Primärerfahrungen kommt, lassen sich allerdings nur schwer finden. Illusionierung kann aber in einer schwächeren Variante auch bedeuten, dass die Rezipienten zwar nicht das Bewusstsein darüber verlieren, dass sie nicht mit der Realität selbst konfrontiert sind, sie aber das Erleben dennoch als realitätsnah empfinden. Ein starkes Präsenzerleben können „virtuelle Medien“ herstellen, die zugleich mehrere Sinneskanäle ansprechen und dem Rezipienten die Möglichkeit geben, auf die Umgebung einzuwirken (vgl. Klimmt/ Hartmann/Vorderer 2005). Pöttker spricht an dieser Stelle neben der Verwechslung von Primär- und Sekundärerfahrung als weitere Ausprägungen der Illusionierung auch die Verwechslung von fiktionaler und realitätsbezogener Darstellung sowie die Glaubwürdigkeit, d. h. die unterstellte „Wirklichkeitstreue“ der Berichterstattung von Medien, an (vgl. Pöttker 1997: 233ff.).
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Als Gründe für diesen „blinden Fleck“ der Rezeptionsforschung nennt Pöttker zum einen ihre „mikrologische Befangenheit“ (ebd.: 245; Hervorhebung im Original), zum anderen ihre „Konzentration auf die Formen gesellschaftlicher Zusammenhänge“ (ebd.: 245; Hervorhebung im Original) unter Ausblendung der Qualität der Inhalte und Folgen der Rezeption. Durch diese Verkürzungen werde das Moment der Täuschung von Pseudo-Interaktionen und die Ventilfunktion elektronischer Massenmedien übersehen (vgl. ebd.: 248). Dabei werde auch das „Machtverhältnis […] kaschiert“ (ebd.: 249), das zwischen Kommunikatoren und Rezipienten herrscht. Pöttker kritisiert allerdings auch die Gegenposition, nämlich die pessimistische Kritik der „Kulturindustrie“, die nur den illusionären Charakter der Massenmedien im Blick hat (vgl. ebd.: 253f.). Medienpolitisch schlage sich diese darin nieder, dass Massenmedien, besonders neue Medien, für gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht werden (vgl. ebd.: 254). Es sei darüber hinaus ein „kulturpessimistischer Irrtum“ (ebd.: 256; Hervorhebung im Original), anzunehmen, dass das Fernsehen interpersonale Kommunikation verdränge. Auch hier liege eine verkürzte Sichtweise vor: Erst wenn „Massenkommunikation als ein in die Sozialstruktur eingebettetes Phänomen, das von dort seine Prägung erhält und deshalb derselben Dynamik unterliegt wie die Gesellschaft insgesamt“ (ebd.: 255), betrachtet wird, wird deutlich, dass Massenmedien Defizite in der Interaktion eher kompensieren als durch Verdrängung erst schaffen. Als dritte Variante könnte man hier noch die euphorische Variante ergänzen, die nicht Verdrängung oder illusionäre Kompensation durch elektronische Massenmedien unterstellt, sondern die tatsächliche Erweiterung der interaktiven und partizipativen Chancen durch neue Medien, wie sie Brecht (1992) und Enzensberger (1973) erhofften. Alle drei Varianten (Verdrängung, illusionäre Kompensation, Erweiterung) nehmen nur jeweils einen bestimmten Gebrauch und Effekt technischer Medien in den Blick. Um eine technikdeterministische Sichtweise zu vermeiden, in der Medien ein feststehender Charakter zugeschrieben wird, sollten sie als Ausprägungen einer Variablen betrachtet werden. Wie Medien konkret gebraucht werden und was sie bewirken, muss im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext empirisch untersucht werden (vgl. Pöttker 1997: 255).
6.
Interaktionsautomaten
Bei einem zweiten Typ illusionärer Interaktion ist das Gegenüber anwesend und reagiert simultan, doch ist das Gegenüber kein handelndes Subjekt, sondern eine automatisch auf Reize reagierende Maschine, deren Reaktionen erklärbar, aber nur scheinbar verstehbar sind, auch wenn der Spieler einen anderen Eindruck gewinnen mag: „Der Schein von Handlungsautonomie und Verstehbarkeit kommt dabei durch ein Zufallsmoment in den Reaktionen der Maschine zustande, das dem naturwissenschaftlichen Kausalerklären allenfalls theoretisch zugänglich ist.“ (ebd.: 256; Hervorhebung im Original) Dieses Zufallsmoment, die mangelnde Berechenbarkeit für den Spieler, hat Ähnlichkeit mit der Interaktion mit Handlungssubjekten, „die wegen deren Autonomie stets etwas Spontanes an sich hat“ (ebd.: 256). Im Unterschied zu Pseudo-Interaktion mit Medienakteuren kommt es beim Spielen tatsächlich zu einer Veränderung der Umwelt, die allerdings auf das Spiel beschränkt und damit letztlich ebenso folgenlos bleibt (vgl. ebd.: 260f.). In der Entwicklung von Compu-
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terspielen werden die Angebote für Pseudo-Interaktionen immer raffinierter; sie können „der Sinneswahrnehmung eines skeptischen, empirisch orientierten Subjekts hinreichende Anhaltspunkte bieten, um folgenreflexiven Handlungssinn bilden zu können“ (ebd.: 261). Spiele, an denen sich mehrere Personen beteiligen, können gleichwohl auch zu echter Interaktion anregen (vgl. ebd.: 262). Die Ausweitung des Interaktionsbegriffs auf Mensch-Maschine-Beziehungen weckt bei Pöttker einen „Ideologieverdacht“ (ebd.: 263), weil diese Begriffserweiterung dem Interesse geschuldet sei, die Akzeptanz und Verbreitung neuer Medien zu fördern. Auch hier entdeckt Pöttker einen „kulturpessimistischen Irrtum“ (ebd.: 263), nämlich neue Medien als „Hauptursache für jene Entfremdung“ verantwortlich zu machen, „die tatsächlich die ganze Sozialstruktur mit allen ihren scheinbar eigendynamischen Teilentwicklungen hervorbringt“. Auch Computerspiele seien eher Kompensation als Ursache für das Interaktionsdefizit (vgl. ebd.: 264).
7.
Rollenillusionen
Die dritte Möglichkeit, Interaktion illusorisch zu erzeugen, liegt nach Pöttker vor, wenn existierende und auch physisch anwesende Menschen vorgeben, mit dem Handlungssubjekt persönlich zu interagieren, sich tatsächlich aber an externen Rollenvorgaben orientieren oder wegen der Vielzahl der Personen nicht auf die Einzelperson eingehen können (vgl. ebd.: 264). Hier liegt eine „Fehleinschätzung der innersubjektiven Motive“ (ebd.: 265; Hervorhebung im Original) vor. Soweit es um Medienakteure geht, entspricht dieser dritte Fall dem ersten Fall. Dass „eine Seite volle Folgenreflexivität und symmetrische, ergebnisoffene Interaktion vortäuscht, während sie sich tatsächlich nur an Zielen orientiert, die außerhalb der Interaktion liegen und durch sie nicht verändert werden können“ (ebd.: 266), geschieht in zwei Fällen: x
x
Entweder passiert dies in der – auch massenmedial vermittelten (vgl. ebd.: 251) – externen Kommunikation von Organisationen (Unternehmen, Parteien, Behörden etc.), also in Propaganda, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit („Public Relations“), mit der bei Konsumenten und Bürgern Konsum- oder Folgebereitschaft geweckt werden soll (vgl. ebd.: 265). Ihnen wird der Eindruck vermittelt, als werde folgenreflexiv gehandelt und als würden ihre Interessen berücksichtigt. Oder interaktive „Face-to-face“-Kommunikation wird selbst zur Ware. Pöttker nennt als Beispiele das Gaststättengewerbe (Barkeeper), den Tourismus (Reisebegleiter, Stewardessen) und die Prostitution. Auch Vertreter von Professionen, die in „Face-toface“-Situationen Leistungen erbringen (Lehrer, Geistliche, Ärzte, Psychotherapeuten etc.), sind mit Interaktionserwartungen der Leistungsempfänger konfrontiert (vgl. ebd.: 268f.).
Mit besonderer Raffinesse wird die Illusion einer gleichberechtigten Beziehung hergestellt, wenn eine „Institution die Folgenreflexivität des Publikums stimuliert und eben dadurch lenkt und berechenbar macht“ (ebd.: 92). Eine solche vorgetäuschte Partizipation ist die so genannte „symmetrische“ oder „dialogische“ Öffentlichkeitsarbeit, in der eine derartige
Illusionäre Interaktion
103
Kommunikation mit den Anspruchsgruppen („Stakeholders“) des Unternehmens behauptet wird. Tatsächlich aber sind Unternehmen zu Zugeständnissen nur soweit bereit, als dass sie längerfristig ihre Hegemonie sichern können (vgl. zur Kritik: Merten 2000; Roper 2005).
8.
Strukturtherapeutische Aufklärung
Pöttker entwirft das Konzept einer strukturtherapeutischen Aufklärung, die darin besteht, die Wechselwirkungen zwischen Alltagshandeln und gesellschaftlichen Makrostrukturen bewusst zu machen. Sozialisierungsinstanzen sollen die beschriebenen „modernen Formen der illusionären Folgenreflexivität, die kurzfristig entlastende Ventilfunktionen haben, aus einer Grundhaltung desillusionierender Nüchternheit heraus bekämpfen“ (Pöttker 1997: 315). Die Sozialisanden müssten lernen, weniger mit Medienakteuren, Spielautomaten, charismatischen Führern sozialer Bewegungen oder anderen Trugbildern zu interagieren und mehr mit den bürokratischen Makrogebilden wie Staat, Kirche, Rundfunk oder Industriekonzern, die letztlich über ihr Leben und ihre Zukunft entscheiden. (ebd.: 315)
Zu den „Vermittlungsinstanzen strukturtherapeutischer Aufklärung“ (ebd.: 303; Hervorhebung im Original) zählt Pöttker den Journalismus, die Schule und die Politik. Diese müssten allerdings dieser Funktion noch besser gerecht werden. Für den Journalismus konstatiert Pöttker die Aufspaltung in einen seriösen Informationsjournalismus und einen Boulevardjournalismus. Dadurch gelinge es nicht, „Alltagshandeln und Institutionen in ihrer Wechselwirkung aufeinander zu beziehen“ (ebd.: 304), beide seien in unterschiedlichen Berichterstattungsmustern getrennt. Die zerrissenen Fäden zwischen System und Lebenswelt müssten wieder verknüpft werden (vgl. ebd.: 305). Diese Verknüpfung ist das besondere Anliegen des „Public journalism“ (vgl. Forster 2006).
9.
Interaktions- und Partizipationsgewinne durch das Internet?
Es ist letztlich eine empirisch zu klärende Frage, welche Partizipationsgewinne durch realistische Interaktion in den gesellschaftlichen Teilsystemen erzielt worden sind (vgl. z. B. Gerhards 2001). Seit dem Erscheinen der Habilitationsschrift Horst Pöttkers vor mehr als einem Jahrzehnt hat vor allem ein neues Medium Interaktions- und Partizipationserwartungen geweckt: das Internet. Während die traditionellen Massenmedien den rezeptiven Zugang zur Öffentlichkeit erweitert haben, hat das Internet – zumindest in technischer Hinsicht – den kommunikativen Zugang vereinfacht. Es bietet die technischen Voraussetzungen und mittlerweile auch die geeigneten Formate („Web 2.0“) für eine breite Beteiligung an öffentlicher Kommunikation. Auch hier stellt sich die Frage: Taugt es nur zur illusionären Kompensation des Interaktionsdefizits? Oder erfüllt es die Erwartung, realistische Folgenreflexivität und Interaktion zu fördern? Das aber heißt in erster Linie: Wie viel Bereitschaft zu interaktiver Kommunikation besitzen die Institutionen aus Politik und Wirtschaft im Internet? Hier ist nicht der Ort, um die breite Diskussion über diese Frage im Detail nachzuvollziehen (vgl. z. B. Zerfaß/Boelter 2005; Grunwald/Banse/Coenen/Hennen 2006). Zu kurz
104
Christoph Neuberger
gegriffen und zu technikdeterministisch gedacht ist jedenfalls die Vorstellung, dass die bloße Beseitigung eines technischen „Nadelöhrs“ beim Zugang zur Öffentlichkeit schon ausreicht, um die Kommunikationskultur von Regierungen, Abgeordneten und Unternehmen zu ändern. Empirische Untersuchungen zeigen jedenfalls, dass sie nicht nur Zurückhaltung an den Tag legen, sondern auch versuchen, Mitsprache so zu kanalisieren, dass sie illusionär bleibt (vgl. z. B. Döring 2003; Westermann 2004: 359f.). Hoecker (2002: 40) stellt in einem Fazit über Studien zu Politikerforen fest, dass „nur geringe Bereitschaft der politischen Akteure zu einer zweiseitigen und weniger asymmetrischen Kommunikation“ bestehe und dass „ihr Umgang mit der Online-Kommunikation […] vielmehr in erster Linie der eigenen Öffentlichkeitsdarstellung“ diene: „Das interaktive Potenzial zur Intensivierung der Repräsentationsbeziehung zwischen Wählern und Gewählten bleibt somit (noch) weitgehend ungenutzt.“ Der Journalismus, der zwischen den Institutionen und ihren Leistungsempfängern vermittelt, baut im Internet die Beteiligungsmöglichkeiten für seine Nutzer aus (vgl. Neuberger 2006; Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2008). Dies geschieht aber auch hier nicht nur deshalb, um den Bürgern die Teilnahme an öffentlichen Diskursen zu ermöglichen. „User generated content“ ist für Medienunternehmen ökonomisch attraktiv, weil er die Kundenbindung stärkt und den Anbietern kostenlosen „Content“ verschafft. Aktive Nutzer sind zugleich unbezahlte Arbeitskräfte (vgl. Voß/Rieder 2006). Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es nicht neue Ausschlussmechanismen im Internet gibt („digital divide“) (vgl. Marr 2005) und wie stark das Internet die Nutzer zu mehr politischer Partizipation anregt (vgl. Emmer 2005). Auch im Internet ist also die realistische Interaktion kein Selbstläufer, sondern eine Gestaltungsaufgabe.
Literatur Brecht, Bertolt (1992): Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks. 1932/33. In: ders.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Schriften I. Bd. 21. Berlin, Weimar, Frankfurt am Main, S. 552-557. Döring, Nicola (2003): Politiker-Homepages zwischen Politik-PR und Bürgerpartizipation. In: Publizistik, 48. Jg., S. 25-46. Emmer, Martin (2005): Politische Mobilisierung durch das Internet? Eine kommunikationswissenschaftliche Untersuchung zur Wirkung eines neuen Mediums. München. Enzensberger, Hans Magnus (1973): Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Prokop, Dieter (Hrsg.): Massenkommunikationsforschung. 2 Bde., Bd. 2: Konsumtion. Frankfurt am Main, S. 552-557. Forster, Klaus (2006): Journalismus im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Verantwortung. Das Konzept des ‚Public Journalism‘ und seine empirische Relevanz. Köln. Gerhards, Jürgen (2001): Der Aufstand des Publikums. Eine systemtheoretische Interpretation des Kulturwandels in Deutschland zwischen 1960 und 1989. In: Zeitschrift für Soziologie, 30. Jg., S. 163-184. Grunwald, Armin/Banse, Gerhard/Coenen, Christopher/Hennen, Leonhard (Hrsg.) (2006): Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie. Tendenzen politischer Kommunikation im Internet. Berlin. Hoecker, Beate (2002): Mehr Demokratie via Internet? Die Potenziale der digitalen Technik auf dem empirischen Prüfstand. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 52. Jg., Beilage 39-40/2002, S. 37-45. Klimmt, Christoph/Hartmann, Tilo/Vorderer, Peter (2005): Macht der Neuen Medien? „Überwältigung“ und kritische Rezeptionshaltung in virtuellen Medienumgebungen. In: Publizistik, 50. Jg., S. 422-437. Marr, Mirko (2005): Internetzugang und politische Informiertheit. Zur digitalen Spaltung der Gesellschaft. Konstanz. Merten, Klaus (2000): Die Lüge vom Dialog. Ein verständigungsorientierter Versuch über semantische Hazards. In: Public Relations Forum, 6. Jg., Nr. 1, S. 6-9.
Illusionäre Interaktion
105
Mertens, Mathias (2004): Computerspiele sind nicht interaktiv. In: Bieber, Christoph/Leggewie, Claus (Hrsg.): Interaktivität. Ein transdisziplinärer Schlüsselbegriff. Frankfurt am Main, New York, S. 272-288. Neuberger, Christoph (2006): Nutzerbeteiligung im Online-Journalismus. Perspektiven und Probleme der Partizipation im Internet. In: Rau, Harald (Hrsg.): Zur Zukunft des Journalismus. Frankfurt am Main etc., S. 61-94. Neuberger, Christoph/Nuernbergk, Christian/Rischke, Melanie (2008): Der Leser: Unser neuer Mitarbeiter. In: message, Nr. 1, S. 10-16. Pöttker, Horst (1997): Entfremdung und Illusion. Soziales Handeln in der Moderne. Tübingen. Roper, Juliet (2005): Symmetrical Communication: Excellent Public Relations or a Strategy for Hegemony? In: Journal of Public Relations, 17. Jg., S. 69-86. Voß, G. Günter/Rieder, Kerstin (2006): Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden. Frankfurt am Main, New York. Westermann, Arne (2004): Unternehmenskommunikation im Internet. Bestandsaufnahme und Analyse am Beispiel nationaler und internationaler Unternehmen. Berlin. Zerfaß, Ansgar/Boelter, Dietrich (2005): Die neuen Meinungsmacher. Weblogs als Herausforderung für Kampagnen, Marketing, PR und Medien. Graz.
II. Medienethik und publizistische Selbstkontrolle
The News Ombudsman: Viable or Vanishing? Kenneth Starck
The announcements are ominous: x x x x
“Sacramento Bee drops ombud position” (Dell 2008). “A nervous news industry is killing off its ombudsmen” (Dvorkin 2008). “Is the Newspaper Ombudsman More or Less Obsolete?” (Dumenco 2008) “I am not writing a personal obituary, but rather an obituary that has mattered to The Courier-Journal and its readers for 40 years, a position that has mattered to world news media for that long too” (from the first news organization in North America to establish the ombudsman position, the Louisville, Kentucky, “Courier-Journal“: Platt 2008).
At least seven other ombudsmen have been eliminated at other newspapers in the United States, including “USA Today,” “Minneapolis Star-Tribune,” the “Baltimore Sun,” the “Fort Worth Star-Telegram,” the “Orlando Sentinel,” the “Hartford Courant” and the “Palm Beach Post” (Pritchard 2008b). Why is this happening? And mostly in the United States? “Today, there are ombudsmen working in Europe, Africa, Asia, Australia and South America, following the lead set by the US and Canada,” writes the president of the Organization of News Ombudsmen, Stephen Pritchard, reader’s editor of “The Observer,” London, “but by a cruel irony it is in America today where this system is most under threat. […] As the credit crunch bites, some managements are viewing the position of ombudsman as an indulgence they can no longer afford” (Pritchard 2008a). This paper is an essay based on the author’s previous research into the role of news ombudsmen and his experience as a news ombudsman for six years. The premise of the news ombudsman has been that the media can foster citizen participation in self-governance by promoting public understanding of the role and responsibility of the press. But the media environment is changing. Today’s technology has empowered every person with access to the Internet to practice journalism, or at least a kind of journalism. The question asked here is whether the changing media environment is rendering the concept of the news ombudsman – which at one time appeared to be such a patently superb and progressive idea – obsolete? To put it bluntly: Is the news ombudsman going the way of the buggy whip? In addressing that question, I want to explore the ombudsman concept with an introduction to its origin and application in newsrooms, the role of the Organization of News Ombudsmen, how the idea fits into a conceptual scheme of the press, a review of research about news ombudsmen and the advantages and disadvantages of having an ombudsman in a newsroom.
Kenneth Starck
110 1.
Ombudsman overview
The concept of the ombudsman originated in Sweden nearly two centuries ago. It was – and is – an agency independent of management established to promote responsibility and responsiveness on the part of government (Zagoria 1988). The idea caught on. Many organizations, ranging from government to corporations, from universities to hospitals, have found value in having an ombudsman specifically designated by the organization to act on behalf of its constituents. In July 2005 university and college ombudsmen merged with the Ombudsman Association to form the International Ombudsman Association (IOA). It is the largest international association of professional organizational ombudsmen practitioners in the world (http://www.ombuds-toa.org/). Let us begin by examining the word “ombudsman.” Inevitably ombudsmen debate among themselves whether the term is appropriate, i. e., politically correct. To many it is an alien term, regarded as sexist by some. Presumably the word in Swedish is gender free and will be used in that way in this paper. At any rate, variations of the term occasionally crop up, such as “ombud,” “ombudsperson” and “ombuddy.” News organizations have their own variations, as will be seen. om•buds•man (ǂm'bǎdz'mΩn, -bΩdz-, -b҂dz'-) n. A person who investigates complaints and mediates fair settlements, especially between aggrieved parties such as consumers or students and an institution or organization. A government official, especially in Scandinavian countries, who investigates citizens’ complaints against the government or its functionaries. [Swedish, from Old Norse umbodhsmadhr, deputy, plenipotentiary : umbodh, commission (um, about + bodh, command) + madhr, man.] (The American Heritage Dictionary of the English Language, 4th edition, 2000)
As early as the 1920s newspapers began embracing the ombudsman concept, though even before then some newspapers had assigned staff members to oversee accuracy and fair play. The ombudsman was seen as a formal mechanism to promote journalistic accountability and credibility. The idea appears to have taken hold in a significant way in the Japanese news media. The “Asahi Shimbun,” a Tokyo daily with the highest circulation in the world, formed a committee in 1922 to deal with reader complaints. The “Yomiuri Shimbun,” also a mass circulating newspaper in Japan, established a committee in 1938 to scrutinize journalistic performance for what is the world’s largest newspaper with a daily circulation of 10 million as certified by The Guinness Book of World Records. These committees today assume a vital role in the production of each day’s news. When I visited the “Yomiuri Shimbun” a few years ago, its ombudsman staff numbered 28, many of whom join top editors each afternoon to critique the newspaper. The afternoon I was there a dozen of the ombudsmen staff took seats at a long, rectangular table across from a dozen or so editors. Each ombudsman was responsible for a particular part of the newspaper – photos, international news, national news, etc. They also monitor language usage, fairness and accuracy and respond to complaints. The ombudsmen did most of the talking. Editors occasionally responded but mostly listened. One ombudsman held up page one and pointed to a color photo of a soccer match. Too dark, he said. Another ombudsman said a sports story lacked a focal point. Another commented on the international news coverage. The meeting was tense, never rancorous. What surprised me was the way the editors listened intently. They did not make excuses. They weren’t defensive. They just paid close
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attention. This daily face-off is the newspaper’s method of quality control. Is it effective? A daily circulation of 10 million says something (Starck 1998). The first newspaper in the USA to establish an ombudsman position was the Louisville, Kentucky, “Courier-Journal” (Nemeth 2003). That took place in 1967. The position was terminated in 2008, as noted at the outset of this paper. Other news organizations – including radio and television – in the United States and abroad liked the idea and adapted it to their own organizations. The “New York Times” added considerable cachet to the idea of monitoring performance on behalf of the public when in 2003 the newspaper named its first ombudsman, officially designated as “public editor.” Besides the term “ombudsman,” other designations used by news organizations include “readers’ editor (or representative),” “reader advocate,” “listening post editor” and “complaints review executive.” Just as the titles can vary, so can the responsibilities, which will be discussed later. An ombudsman, “editor in charge of reader relations,” or a team of reporters, employed by a newspaper or station, to listen to suggestions and complaints from customers, investigate, obtain redress if needs be and (usually) report on his activities (Bertrand 2005: 13).
Until recently the position of news ombudsman had been a consistent and generally successful phenomenon in news organizations despite never having developed into a fullblown movement (Starck/Eisele 1999). By 1980 ombudsmen activity had generated sufficient interest to result in establishment of the Organization of News Ombudsmen (ONO). Today ONO has more than 50 members representing 14 countries (Argentina, Australia, Brazil, Canada, Colombia, Denmark, Estonia, Great Britain, India, the Netherlands, South Africa, Sweden, Turkey and the United States) and Puerto Rico. The organization maintains an active website (http://www.newsombudsmen.org/) with such information as an introduction to ONO, a list of its members and links to columns by members. Members themselves meet annually (in São Paulo, Brazil, in May 2006; at Harvard University in 2007; in Stockholm in 2008).1 The ombudsman position has been seen by some media professionals as a tool to enhance newspaper integrity and credibility. Several scholars assert that the ombudsman position can make a significant contribution to media accountability by raising questions internally and by writing columns that address issues of press behavior (Klaidman/Beauchamp 1987; Goodwin/Smith 1994). Though news ombudsmen have been around for some time, we know little about how the concept has worked. In general, an ombudsman receives and analyzes complaints from readers about concerns such as fairness, balance, taste and accuracy, then suggests appropriate remedies to correct or clarify media reports. How exactly does the idea of an ombudsman fit conceptually into a press system? That is where we turn attention next.
2.
Conceptual role of ombudsmen
At its most elemental level, the concept of the ombudsman relates to the role of the press in a society. What is that role? Is it to serve the interests of those who own and manage the 1
A video summary of the 2008 conference is accessible at http://www.tv4.se/1.283438?videoId=1.525614.
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press? Does the press, in a given society, have a broader social responsibility in serving the interests of its readers, listeners and viewers? Or is the responsibility even broader than that, involving a requirement to serve all of the society? The press’ role in any society is determined in large part by economic, political and cultural factors. Further, there is the assumption that any news organization depends upon its audience for support, whether it be financial or in terms of being regarded credible and reliable. Another assumption is that freedom and responsibility are inseparable. Freedom and responsibility are dueling concepts bringing into play the most fundamental of human and social relationships, that is, the relationship of the individual to society. In the United States, for example, freedom vs. responsibility is a core issue that the press – and other institutions, for that matter, since historical and cultural factors are at work – has been struggling with for many years. Communication scholars in the U.S. generally agree that the U.S. press operated for nearly 250 years according to libertarian principles. These principles, as elaborated in a now-classic though simplistic and dated treatise by Siebert, Peterson and Schramm, upheld the supremacy of the individual and saw the press not only as “a partner in the search for truth” (1956: 3) but as a check on government. (The other principles, or theories as the title of the book implies, are authoritarian, Soviet and social responsibility.) Siebert, Peterson and Schramm developed their propositions from a long-neglected and controversial report issued almost a decade earlier, “A Free and Responsible Press,” known also as the “Hutchins Report,” after its chairman, Robert M. Hutchins, then chancellor of the University of Chicago. Influenced by events leading up to and through the Second World War, the Hutchins Report recognized the important role of the press in a democracy, arguing that “the relative power of the press carries with it relatively great obligations” (Leigh 1947: vii). The most enduring part of the report came in the form of five requirements for a free society. These are: 1) a truthful, comprehensive and intelligent account of the day’s events in a context which gives them meaning; 2) a forum for the exchange of comment and criticism; 3) the projection of a representative picture of the constituent groups in the society; 4) the presentation and clarification of the goals and values of the society; and 5) full access to the day’s intelligence. It follows from this framework that if a press is to be free to carry out its function in a democracy then some means must be in place to assure that freedom is exercised responsibly. Here is where the ombudsman concept comes in, along with other accountability devices such as public/civic/citizen journalism, press councils, codes of ethics, expanded letters to the editor and opinion columns and journalism education standards as certified through accreditation (Pöttker/Starck 2003). No one approach, as one might suspect, is a panacea, yet together the approaches produce a system that is at least modestly successful. What do we know about ombudsmen? Who are they? What do they do? What is their impact? That’s where we now turn our attention.
3.
What we know about news ombudsmen
The most complete account of news ombudsmen in North America has been carried out by Neil Nemeth (2003). He discusses the ombudsman concept as an agent of media accountability. He also presents a brief history and then devotes most attention to exploring the
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variety of ombudsman configurations, ranging from large newspapers (“Washington Post”) to mid-size newspapers (Cedar Rapids, Iowa, “Gazette,” where I served as ombudsman). The trade and popular press also has examined some of the issues pertaining to ombudsmen (e. g., Tate 1984; Bailey 1990; McKenna 1993). Few issues concerning news ombudsmen have been subjected to systematic, i. e., scholarly, inquiry. Early research dealt with the number of newspapers with ombudsmen and an exploration of ombudsmen responsibilities (Barnett 1973; Kapoor/Smith 1979). One study focused on staff views of the ombudsman, suggesting that staff members, after initial resentment toward the position, came to support the idea (Nelson/Starck 1974). An extensive examination of ombudsmen and their role by Mogavero (1982) indicated that a common goal was to raise public confidence in the news media. Another study, a telephone survey of Louisville, Kentucky, residents, indicated that people with a higher awareness of the ombudsman also had a higher perception of the newspaper’s accountability (Bernstein 1986). But the study yielded no support for the idea that those who frequently read ombudsman columns regarded the newspaper as more accountable. Another telephone survey, this conducted in San Diego, indicated that readers who contacted the ombudsman were satisfied with the response they received and, further, that their perceptions of the newspaper may have become more positive than those who had no contact with the ombudsman (Hartung/JaCoby/Dozier 1988). Several studies have examined the apparent role conflict of ombudsmen, that is, whether ombudsmen are press critics or public relations practitioners (e. g., Ettema/Glasser 1987; Nemeth/Sanders 1996). This conflict, it has been suggested, may contribute to the failure of the ombudsman idea to become widespread. Several other studies offer at least modest support for the ombudsman position. One showed that the presence of newspaper ombudsmen does not affect journalists’ views of controversial news gathering techniques (e. g., use of personal documents without permission) but that an ombudsman’s presence could suggest to staffers how serious the newspaper is about its relationship to its audience (Pritchard 1993). Another study dealt with how newspapers with and without ombudsmen resolved disputes. The conclusion was that the approach to resolving reader complaints and disputes by newspapers with ombudsmen indicated a positive influence on “public perceptions of newspaper quality and credibility” (McKinzie 1994). Another study, focusing on ombudsmen’s reactions to use of anonymous sources, suggested that ombudsmen may be able to offer “neutral advice” to reporters and editors and “can function as newsroom advisers and trainers, in addition to responding to complaints from readers” (Wilson/Babcock/Pribek 1997). These findings suggest support for ombudsmanship. Still, the concept never received widespread endorsement in the United States and, as noted, even that minimal level of interest has diminished in recent years. One reason may be differing perceptions of the ombudsman’s position by the person occupying the position and the supervising editor. A study focusing on how editors and ombudsmen within the same news organization perceive the role and impact of the ombudsman asked these questions (Starck/Eisele 1999): 1) What are the duties of the ombudsman? 2) What are the primary advantages/ disadvantages of the organization having an ombudsman? 3) In what ways, if any, does the ombudsman influence the behavior of the staff? A majority of both editors and ombudsmen involved in this study unquestionably agreed: Having an ombudsman on staff influences the reporters and editors in a way that enhances fairness and accuracy. They cited the ombuds-
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man’s primary duty as listening and responding to readers. In addition, they saw the duties including acting as a reader advocate, serving as a newsroom-reader liaison and writing columns. The two groups also agreed on the main advantages and disadvantages to having ombudsmen on staff. Primary advantages included direct access for readers, providing readers with “a voice” and showing them someone will listen. Disadvantages to having an ombudsman included shielding reporters and editors from complaints, and that some ombudsmen have “too many kooks and regular callers” whose views may not be representative of all readers. More than a third of the newspaper professionals responding said they saw no disadvantage to having an ombudsman on staff. Starck and Eisele concluded that “results tend to solidify and extend findings of previous studies” (1999: 46). They cite McKinzie’s suggestion that news organizations with ombudsmen rank higher in credibility than those without ombudsmen. But the question – what is the real impact of an ombudsman on the public? – has not yet been answered conclusively. On the surface, facilitating better understanding and communications in both directions – to the readers and to the staff – would appear to be beneficial. It makes sense that a news organization should have a solid and independent mechanism for feedback. Providing such a service to the audience may help restore credibility and confidence in the media. At the same time, both defenders and critics have to acknowledge that ombudsmanship is not a panacea. For example, a national study of newspaper handling of complaints indicates that nearly eight out of every ten newspapers with a circulation of 25,000 or more do not have a systematic means of recording the volume and nature of complaints about news coverage (Shepard 1998). National Public Radio’s former ombudsman, Jeffrey Dvorkin, posed a question to his audience: “Does an Ombudsman Do Any Good?” One indication of success he cited later was the volume of phone calls and e-mails he received: more than 750,000 in a little more than six years (Dvorkin 2008). The “Observer”’s Pritchard reports that in a 2007 poll of its readers 77 percent said the ombudsman made them feel the newspaper was being responsive. Wrote Pritchard: “The fact that my newspaper is prepared to correct its mistakes and allow criticism of its journalism from within is seen as a positive asset” (Pritchard 2008a). An ombudsman at least provides a mechanism to deal with the media-audience relationship thoughtfully, systematically and responsibly. Simply adding an ombudsman position does not assure desired goals will be achieved. The fact remains that most ombudsmen walk a tightrope between their newsrooms and their readers. Credibility of the ombudsman – from the standpoint of newsroom personnel as well as from the standpoint of readers – may be the most critical factor in the effectiveness of ombudsmanship. As some ombudsmen assert, a greater impact could be made if they were to take a more active stance in promoting their own visibility and in representing reader interests. The ombudsman barely represents a blip on the world’s media scene. Yet the concept of the ombudsman obviously has staying power. Most news organizations with ombudsmen firmly endorse the idea, even those who give up on the idea do so reluctantly. Our findings along with previous research indicate a growing body of evidence indicating that an ombudsman can make a positive difference in news organizations. Over time news ombudsmen deal with most of the enduring as well as contemporary issues of journalism. They may not settle any of the issues definitively, but as a result of their communication with the audience and their editors, they form an educational bridge
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that seldom has a chance to emerge in mass media which over the years has been – and essentially still is – one-way communication. At the same time, through their column writing, commentary and correspondence, news ombudsmen contribute in a general way to the enhancement of media literacy. Here are a few examples from my own ombudsman experience. Shortly after 9/11 I received an e-mail from a troubled reader. I verified the contents of the message. In a subsequent ombudsman column headlined “News post-9/11: All turbans, beards not the same” (Starck 2002), I wrote: Three days after 9/11 an Iowa City doctor e-mailed me. “I am, a Sikh, a member of a community from northern India, among whom many wear a turban and beard” began the message which went on to point out that Sikhs are Indian and had nothing to do with Osama bin Laden. “Please publish some kind of article or pictorial about who Sikhs are so people may appreciate differences among those who appear as foreigners among them.”
The column went on to discuss the role of culture in communication, concluding: And what of that e-mail from the Iowa City doctor? I forwarded it to Gazette editors. Though under no obligation to follow this ombudsman’s advice, Gazette followed up with a story explaining that all people who wear turbans and have beards aren’t alike.
Topics of columns I addressed over the years included objectivity (“the holy grail”), role of news sources, concept of news (“history shot on the wing – and wounded”), use of journalistic deception, standards for advertising, civic journalism, reporting polling results, codes of ethics, criteria for photographs. Contributing significantly to public discourse about news media the past few years has been the “New York Times” first ombudsman, Daniel Okrent. Characterizing himself as a readers’ surrogate, he has published a book (“Public Editor #1: The Collected Columns [with Reflections, Reconsiderations, and Even a Few Retractions] of the First Ombudsman of The New York Times”, 2006) of his work and ruminations as a news ombudsman. Through his columns and reflections, he deals with many of the issues that would make a first-rate primer on key journalism issues: objectivity (and why it should be questioned), confidential sources, the power of photographs, the use of experts and analysts and more. But now, at least in the United States, interest in the news ombudsman has declined. Why? That’s where we next turn our attention.
4.
Closing doors – opening others
So, to paraphrase Mark Twain, are reports of the death of the news ombudsman exaggerated? Yes and no. With massive layoffs over the past several years and declining circulations, many newspapers in the United States have looked for ways to reduce costs. Sadly, the ombudsman position has been one of the first to go. The reason? “Sacramento Bee” Publisher Cheryl Dell expressed the sentiments of others when she wrote in an August 22, 2008, memo announcing the elimination of the newspaper’s public editor position: “[…] the decision acknowledges several realities, the most pressing being our company’s need to focus
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our resources on newsgathering, advertising sales and customer service” (Dell 2008). She pointed out that readers now have multiple ways to interact with the newspaper and its staff, including e-mail, telephone, etc. In reassigning the Public Editor position at the Louisville “Courier-Journal” to the newspaper’s editorial board, Executive Editor Bennie Ivory is quoted as saying, “The [Public Editor, K.S.] position has been a very valuable part of the newspaper, but I felt the need to move the resource to another area. I didn’t think we should weaken the editorial voice of the newspaper” (Platt 2008). Underlying the cutbacks at newspapers in the United States is the impact that new technology is having on the established media. The effect of blogging has taken its toll on traditional reading and viewing habits. The technology has not only spurred interactivity between audience and media but, more importantly, has seen media and media outlets proliferate as journalism has deflected attention from the professional journalist to the notion that everyone, armed with a computer or cell phone with access to the Internet, is a potential journalist. What has now become a familiar phrase, “citizen journalist,” actually has a nice ring since it suggests a conversation in which everyone has an opportunity to be heard. If only it were so. “Ad Age”’s Simon Dumenco cited five reasons, some more mischief-making than substantive, supporting his suggestion that news ombudsmen were obsolete. One was technology. Readers no longer have to rely on someone in the media to advocate for them – they can do it themselves. But he went on to say there was no need to duplicate the Romenesko journalistic blog maintained at the Poynter Institute, that journalists themselves should be responding to readers, that ombudsmen are boring and that the money was better spent elsewhere. His comments drew the ire of a number of high profile defenders of ombudsmen. Daniel Okrent, arguably the best known ombudsman in the United States even though he left his three-year stint at the “New York Times” in 2005, wrote that Dumenco “is wrong when he suggests that ombudsmen or public editors no longer serve a worthwhile purpose” (Okrent 2008). Dvorkin, who responded to all those complaints and comments at National Public Radio for more than six years having left the position in 2006, wrote that sacrificing ombudsman positions was “shortsighted and wrong” (Dvorkin 2008). The vanishing of ombudsmen in the United States is linked by management to the lagging financial condition – meaning loss of circulation and advertising revenues – of newspapers. But the United States experience does not reflect what is happening in other parts of the world. In its annual world-wide survey of press trends, the World Association of Newspapers (WAN) reported that newspaper circulation in 2007 rose 2.56 percent (World Association of Newspapers 2008). Figures for the United States were going in the opposite direction. In 2007 newspaper circulation in the United States had dropped 3.03 percent; over the past five years the decline was 8.05 percent. Significantly, WAN noted that newspapers losing circulation in the United States and a few countries in Western Europe were continuing to extend their reach through a variety of other platforms, such as free and niche publications. The decline of newspaper circulation leads naturally to the question of why. The simple answer is the Internet. The more complicated answer is the way the Internet is transforming the information seeking habits of people. After much speculation that mass media
The News Ombudsman: Viable or Vanishing?
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were turning into narrow media, the Internet has finally delivered what niche magazines promised. Vin Crosbie, who has won acclaim for his crystal-ball gazing into the future of newspapers, asserts that the analog technology that newspapers employ today is the same as that from the era of Gutenberg. Newspapers publish content that editors think everyone should be informed about and content that has the greatest common interest. But now more and more people can choose the types of information they want based on their own preferences. The general interest product, he argues, has become obsolete. He uses this illustration in his treatise on “Transforming American Newspapers”: The average supermarket in America contains 45,000 different types of items (meat, produce, canned or bottled goods, etc.). However, imagine that you instead walked into a 400-year old market where the clerks hand you and every other customer an identical bag containing exactly the same mix of some 50 items and they tell you it contains what the supermarket’s manager thought you and everyone else should or would like to eat. Despite its venerable history, would you shop at this market again? (Crosbie 2008)
Other basic questions go well beyond the scope of this paper: Will there be a future role for professional journalists? Will any communicators who call themselves professionals need the legitimacy and acceptance that credibility brings? The brief answer to both questions is yes. “The Observer”’s Pritchard states flatly that media managers are simply wrong if they see an ombudsman as an indulgence. “An ombudsman engenders trust in an audience, and trust is a positive asset in any business, but particularly in the media” (Pritchard 2008a). He could have added that trust – call it credibility, confidence, integrity – is the most important attribute any communicator – journalist or otherwise – possesses. Those attributes come about only through transparency of process and responsiveness to audience. An ombudsman is one way to achieve both.
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Geld/Schein/Öffentlichkeiten1 Peter Ludes
Immer mehr Menschen weltweit wachsen mit mediatisierten Welt-Anschauungen auf: Mischungen aus Tönen, Bildern, Texten, von Selbstdarstellungen, PR, Werbung, Propaganda, Docufiction, Info-Edutainment, vereinzelt Information; mit Druckmedien, Radio, Fernsehen, Computerschirmen und Gameboys bis hin zu Nintendo Wii interaktiv. Eingebunden in diese Medienwelten sind unmittelbare Erfahrungen, voll sinnlich und nicht nur mono- oder bi-sensuell. Für jeden Typ alltäglicher und außeralltäglicher Erfahrungen, wie Elternliebe oder Ödipus-Komplex, Kücheneinrichtungen oder Kochen, Spielen, Sport oder Sterben, gibt es mediale Vervielfachungen, Modifizierungen, Übertönungen und Übertreibungen. Diese medialen Parallelwelten interpenetrieren und kodieren Erlebnismuster und Verhaltensmodelle. Das Fernsehen ist nicht mehr nur ein Fenster zur Welt, sondern ein Teil von ihr; Windows fungiert als erweitertes Zeichen- und Regelsystem, das zum selbstverständlichen Modus des Selbst-Ausdrucks und der parasozialen Interaktion wird. Eltern, Lehrer, Priester, Vorgesetzte – Kinder, Schüler, Gläubige und Mitarbeiter: Sie alle finden für sich und ihre realen Gegenüber medial vorgegebene Sozialtypen, so dass der Trend der 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zur Fernsehgesellschaft mit parasozialen Interaktionen nunmehr zu einer umfassenden Medialisierung (Livingstone 2008) führt. 1. Was bedeutet dies für Journalisten, die sich und ihre Mit-Argumentierenden auf bestimmte, strittige Themen konzentrieren wollen? 2. Inwieweit fördern neuere Informationsund Kommunikationstechnologien die Erfüllung dieser Aufgaben – oder implementieren sie fundamentale Kodierungen der Zerstreuung und Kommerzialisierung? 3. Wie kann die Vernachlässigung von Vergangenheit und Zukunft im tagesaktuellen Nachrichtengeschäft überwunden werden? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden, bevor ihre vernetzten Antworten 4. zu einer konstruktiven Kritik an Manuel Castells’ (2007) Theorie einer neuen Phase der Massen-Selbst-Kommunikation führen. 1.
Gemischte Meldungen im „kostenlosen“ Kaufhaus
Für viele Themen, Annahmen über „Selbstverständliches” und „Wichtiges” greifen Journalisten nicht nur auf akademisches und professionelles Fachwissen zurück, sondern auf ihre lebensweltlichen Erfahrungen und Überzeugungen. Diese „Nachrichtenwerte” – so Auswertungen von 166 Experteninterviews, die jeweils etwa zwei Stunden dauerten und zwischen 1989 und 1998 durchgeführt wurden (vgl. z. B. Ludes 2001), und mehrstündige Gespräche mit verschiedenen Jury-Mitgliedern der „Initiative Nachrichtenaufklärung“ zwischen 1997 und 2008 – entscheiden oft im Zweifelsfall. Nur so lässt sich wohl auch das 1
Eine umfangreichere englischsprachige Version des Beitrags wurde veröffentlicht in „Javnost – The Public“ (vgl. Ludes 2009).
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Peter Ludes
Hinterherhinken internationaler, transnationaler und globaler Themen in weiterhin stark national geprägten Weltsichten von „Tagesschau“, „Heute“, „RTL aktuell“ usw. erklären – in wechselseitiger Verstärkung mit den relativ natürlichen Weltanschauungen je medienspezifischer Teilöffentlichkeiten. In diese Kontinuität nationaler Medien (vgl. grundlegend Thussu 2006) hinein wirken aber „Umbrüche der Medieninformation“ Ende des 20./Anfang des 21. Jahrhunderts (vgl. Ergebnisse des gleichnamigen Siegener Sonderforschungsbereichs-Projekts unter Leitung von Rainer Geißler und Peter Ludes 1998/99 in Ludes 2001 und des Projekts von Rainer Geißler und Horst Pöttker im Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg „Medienumbrüche“ seit 2002). Zu den bisher weniger beachteten Faktoren akuter Medienumbrüche gehört die Mediensozialisation der Medienprofis (ob angestellt, freiberuflich oder feste Freie): Zum ersten Mal verfügt die Mehrheit dieser Berufsgruppe über seit Kindheitstagen dominierende Erfahrungen mit Bildschirmmedien (im Gegensatz zu Druckmedien). Immer stärker gemischte Zeichensysteme, mit höheren Anteilen an bewegten Bildern, prägen Erzählund Erklärungsmuster bis in die kulturellen Tiefendimensionen des nicht weiter zu hinterfragenden Selbstverständlichen. „Wer, was, wann, wo, wie und warum“ werden nicht mehr vorrangig in uni-linearen Texten thematisiert. Wer muss gezeigt werden und wird personalisiert vorgestellt, was passt in Genres und Hybridgenres, wann muss meist jetzt sein, wie spannend, und warum fällt – da es sich schlechter zeigen lässt und eigener Recherchen bedürfte – zunehmend aus dem Rahmen. Medienunternehmen verkaufen potenzielle Aufmerksamkeit und Beachtung an Werbekunden. Diese Leitfunktion deformiert langfristige Verantwortlichkeiten. Wie Jürgen Habermas 2007 schlussfolgerte: Aus historischer Sicht hat die Vorstellung, dem Markt der Presseerzeugnisse Zügel anzulegen, etwas Kontraintuitives. Der Markt hat einst die Bühne gebildet, auf der sich subversive Gedanken von staatlicher Unterdrückung emanzipieren konnten. Aber der Markt kann diese Funktion nur solange erfüllen, wie die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten nicht in die Poren der kulturellen und politischen Inhalte dringen, die über den Markt verbreitet werden. Nach wie vor ist das an Adornos Kritik der Kulturindustrie der richtige Kern. Argwöhnische Beobachtung ist geboten, weil sich keine Demokratie ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten kann. (Habermas 2007: 4)
Was bedeutet aber der „Doppelumbruch“ der Bildschirmmediensozialisation kombiniert mit der Kommerzialisierung von Medieninhalten für Journalisten, die sich und ihre MitArgumentierenden dennoch weiterhin auf bestimmte, strittige Themen konzentrieren wollen: mit herausragender politischer, wirtschaftlicher, militärischer, ökologischer, wissenschaftlicher Expertise? Eine Antwort hierauf liegt in einer Journalistenausbildung, die sich auf diese neuen Berufsherausforderungen eingestellt hat, z. B. durch entsprechend spezialisierte Projektseminare während der Ausbildung, ein „Netzwerk Recherche“ und Zivilcourage während des gesamten Berufslebens. Ausbildung und „learning by doing“ erfordern zunehmend facettenreichere Vermittlungen zwischen vertraulichen Gesprächen, (teilnehmenden) kritischen Beobachtungen und Auswertungen von Dokumenten, Presseerzeugnissen (gelegentlich auch ganzer Bücher oder vielseitiger Berichte), Fernsehprogrammen, Inter- und Intranetangeboten, besonders spezieller, kostenpflichtiger Datenbanken. Falls es einen Trend dahin gibt, die zuerst genannten Informations- und Hintergrundwissensquellen durch die zuletzt genannten zu ersetzen statt nur zu ergänzen, entstehen systematische Verzerrungen (vgl. Meyen et al. 2008;
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Deuze 2008). Insoweit diese für Vertreter bestimmter Generationskohorten als selbstverständlich erscheinen und durch Zeitnot erzwungen und legitimiert werden, emergiert eine Geld/Schein/Öffentlichkeit, deren Experten dazu beitragen, sie zu perpetuieren. Dass dies dann noch den Anschein der Kostenlosigkeit erhält („nicht Freibier, sondern freie Informationen für alle“), da die versteckten Zusatzkosten der Waren, für die geworben wird, fast nie systematisch thematisiert werden, verstärkt den Kaufhauscharakter mehr oder weniger gut gemischter Meldungen und Meinungen. Strategisch geplante Mehrfachverwertungen von Infotainment (vgl. Thussu 2007) divergieren immer stärker von Qualitätsjournalismus und Expertenwissen. Sind neue Informations- und Kommunikationstechnologien also immer zugleich als Desinformations- und Exkommunikationsmittel zu begreifen – und müssten sie sich selbst so desavouieren, um tatsächlich zu Entschleierungen beizutragen?
2.
Des-/Informations- und Ex-/Kommunikationsplattformen
In den meisten Gesellschaften verlagern sich Mediennutzungs-, -konsum- und Partizipationsbalancen von persönlichen Erlebnissen über massenmedialen Konsum hin zu interaktiven Netzwerkmedien, immer öfter mobil genutzt. Was Aufmerksamkeit erringt und erhält, wie lange und intensiv, wem vertraut wird und wie Widersprüche, Gegen-Sätze und -Bilder aufgehoben oder verdrängt werden, ist immer wieder neu auszutarieren, individuell, in Gruppen und Netzwerken, mit gesamtgesellschaftlichen Funktionen und Bedeutungen. Gemeinsame Wissensbestände und Relevanzhierarchien, Grundannahmen und -erfahrungen für „common sense“ werden zwar weiterhin multi- und intermedial verbreitet, werden aber unverbindlicher, weil auch weitere Institutionen der Vermittlung von Kulturtechniken und allgemeinem Orientierungswissen, wie Schulen und Arbeitswelten, für längere Lebenszeiten und kürzere Arbeitsverhältnisse an Bedeutung verloren. Aus diesen fragmentierten Perspektiven heraus werden nicht natürlich, sondern nur in anstrengenden Synopsen Denkstile entstehen, die größere Zusammenhänge verstehen lassen. Was Mannheim 1929 in „Ideologie und Utopie“ noch als besondere Herausforderung für frei schwebende Intellektuelle formulierte, die jenseits von Klassen- und Gruppenschranken eine dynamische Synthese unterschiedlicher Perspektiven erarbeiten konnten und sollten, wird in multimedialen Des-/Informationsgesellschaften zunächst zu einer allgemeinen Forderung an Informations-, im Unterschied zu Verschleierungsspezialisten: multiperspektivisch zu recherchieren und zusammen zu sehen und zeigen, was nicht allgemein offensichtlich ist, über Grenzen von Wirtschaft vs. Politik vs. Kultur, von Nationen und Regionen, von aktuellen Orientierungen und jetzt lebenden Generationen hinaus. „Hörer und Zuschauer sind nicht nur Konsumenten, also Marktteilnehmer, sondern zugleich Bürger mit einem Recht auf kulturelle Teilhabe, Beobachtung des politischen Geschehens und Beteiligung an der Meinungsbildung.“ (Habermas 2007: 2; vgl. Habermas 2006) Hier wird eine weitere Verkürzung der Habermas’schen Diagnose deutlich: Auch sie ist der Gegenwartsorientierung verhaftet, muss also durch eine Öffnung hin zu kollektiven Erinnerungen als Voraussetzungen für langfristige Ziele ergänzt werden (s. Abschnitt 3, unten). Demgegenüber affirmieren die meisten (Bildschirm-)Medien sehr vereinfachende Denkschablonen wie die einsam entscheidender Politiker, die deshalb voll verantwortlich für alle Nachteile und Fehler seien. Im internationalen Kontext lassen sich aber mit Thussu
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(2006: 219ff.) die folgenden Kontinuitäten und Diskontinuitäten internationaler und transnationaler Kommunikation zusammenfassen: In the era of real-time global communication, it is possible that the speed and quantity of news is undermining its quality, accuracy and context. […] contemporary journalism, especially on TV, has to operate in a fiercely competitive, commercial and increasingly fragmented news market, which in order to attract consumers is adopting the form of ‚infotainment‘. […] In this age of ever shorter sound- and sightbites, the question arises as to whether this ‚turbo news‘ can allow a critical assessment and reflection of the content presented, or whether information overload erodes the potential for anything other than a superficial response.
Diese Belege zeigen, dass Habermas’ Fokussierung auf Kommerzialisierung der Ergänzung durch die Gefahren der Beschleunigung und Verkürzung und der Vermischung von Information und Unterhaltung bedarf – die, so wird hier vorgeschlagen, nicht nur die Arbeitsund Verwertungsbedingungen des aktuellen Journalismus prägen, sondern internalisierte Selbstverständlichkeiten. One result of the proliferation of news outlets is a growing competition for audience and, crucially, advertising revenue, at a time when interest in news is generally declining. In the USA, audiences for network television peak time news bulletins declined substantially, from 90 per cent of the television audience in the 1960s to 30 per cent in 2000, partly as a result of many, especially younger viewers opting for online news sources […] (Thussu 2006: 221)
Letztere erscheinen allerdings auch nicht mehr als a democratizing and even subversive communication tool, the commercialization of the Internet is perceived by some as betraying the initial promise of its potential to create a ‚global public sphere‘ and an alternative forum. […] By 2006 such terms as moblog – a blog maintained via a mobile phone, usually containing both text and pictures – and Vlog – video blog, used to display various forms of video images, also known as vog – had become popular. (Thussu 2006: 227 und 230)
Diese Trends belegen die zunehmende Kolonialisierung der Lebenswelt auch in ihren mobilen Bereichen. Aber über Habermas’ (2006) neuere Arbeiten zum Strukturwandel der Öffentlichkeit hinaus sind auch seit Jahrzehnten bestehende Überwachungssysteme zu beachten, die mit neuesten Informations- und Kommunikationstechnologien und Schlagwortsuchmaschinen in zahlreichen Datenströmen fischen, nicht nur im nationalen Sicherheitsinteresse, sondern auch für wirtschaftliche Vorteile: The USA already has an extensive international surveillance operation, Echelon, run by the US National Security Agency. Through a combination of spy satellites (such as Orion/Vortex for telecom surveillance and Trumpet to interpret cell phone calls) and sensitive listening stations, it eavesdrops on international electronic communication – phones, faxes, telexes, email and all radio signals, airline and maritime frequencies. Established in 1948 […] the Echelon system […] can give a competitive advantage to Anglo-Saxon corporations […] (Thussu 2006: 235)2
In globaler Perspektive besteht die Gefahr einer Kommerzialisierung des Wissens unter westlichen Vorzeichen; der „digital divide“ exkommuniziert große Minderheiten in den reichen Ländern und die überwiegenden Mehrheiten der meisten Länder der Erde. Deshalb 2
vgl. die Nummer 2 der vernachlässigten Themen der „Initiative Nachrichtenaufklärung“ von 1998 (http:// www.nachrichtenaufklaerung.de)
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sollten die Exkommunikationsfunktionen neuer Kommunikationstechnologien gerade auch in der Berichterstattung über sie immer wieder gezielt untersucht und diskutiert werden. Hierzu gehören vorrangig kollektive (audio-visuelle) Gedächtnisse.
3.
Kollektive (audio-visuelle) Gedächtnisse
Selbst wenn man nur die Geburts- und wahrscheinlichen Sterbedaten der aktuell zum Beispiel in Deutschland lebenden Menschen zugrunde legt, ergibt sich ein biologisch kodeterminierter Zeithorizont von 200 Jahren, also ca. von Beginn des 20. Jahrhunderts, als unsere nun ältesten Mitbürger geboren wurden, bis Anfang des 22. Jahrhunderts, wenn ein immer noch beachtlicher Prozentsatz der in diesem Jahrzehnt geborenen Menschen sterben wird; nehmen wir das Alter von Staaten oder Institutionen, ergeben sich meist noch wesentlich langfristigere Horizonte: Es ist ein grundlegender Mangel „heutiger“ Medien, dass sie sich oft an den kurzfristigen Perspektiven von Agrargesellschaften orientieren, obwohl Kernenergie und Gentechnologie die Zeithorizonte bisher explizit kommunizierter Geschichte sprengen. Die nun folgenden Beispiele werden nur wenige Dimensionen dieser Problematik skizzieren: die Ko-Existenz verschiedener Medien-Generationen, mit unterschiedlichen kollektiven textuellen, auditiven, audio-visuellen, multimedialen und vollsinnlichen Erlebnissen in teilweise konfligierenden Mischungen. In einer von Ingrid Volkmer (2006) koordinierten internationalen Vergleichsstudie von Medienerinnerungen dreier aufeinander folgender Generationen war es Ziel, neue Dimensionen der Nachrichtenmedien für symbolische Integration zu erfassen. Auf der Basis von Fokusgruppen-Interviews in neun Ländern ergab sich als allgemeines Ergebnis die folgende Einteilung: die Radio-Generation der zwischen 1924 und 1929 Geborenen, mit ihren (im Sinne Mannheims) prägenden Jahren 1935-1946; die Fernseh-Generation, geboren zwischen 1954 und 1959, geprägt von 19651975, oft durch Schwarz-Weiß-Fernsehen; und die Internet-Generation, geboren 1979-1984 und geprägt 1989-1999. In Deutschland – so Rusch und Volkmer (2006) – wuchs die Radio-Generation in einer geschlossenen Medienwelt auf, begrenzt durch die Medientechnologie und deren Instrumentalisierung für Propagandazwecke. Nur wenige Freiräume in vertrauten persönlichen Umgebungen ermöglichten Infragestellungen kollektiv zensierter Weltanschauungen. Die Fernseh-Generation wuchs demgegenüber in der Phase nach (durch Großeltern und Eltern weiter) überlieferten nationalistischen Selbstverständlichkeiten und mit neuer internationaler Musik, Hollywood-Filmen und ersten weltweiten Medien-Ereignissen auf, wie der Ermordung von Präsident Kennedy oder der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Diese mittlere Generation ist an die alten Zeitungen, Radiosendungen und Kino-Filme gewöhnt, sieht in erheblichem Umfang (meist öffentlich-rechtliche Sender) fern und nutzt Computer und Internet. Die jüngere Generation ist nicht nur durch eine individuellere Nutzung öffentlich-rechtlicher und vor allem privat-kommerzieller Fernsehsender geprägt, sondern auch durch den Mauerfall und die (Wieder-)Vereinigung. International lässt sich diese Generationenfolge auch durch unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte kennzeichnen: 1. Information, 2. Musik, Shows, Nachrichten, Filme und 3. Unterhaltung und Spielfilme.
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Im historischen Rückblick werden auch offensichtliche Mängel journalistischer Informationen klar. So fasste Tunstall (2008: 64-68) die folgenden vergrabenen Nachrichten zusammen: 1. The Congo, around 1900. Several million people died in the Belgian Congo […] 2. In the Soviet Union, Stalin’s purges and the German invasion killed millions of civilians. […] 3. About six million Jews – and five million Poles, Roma, communists, and other ‚undesirables‘ – were killed in the Holocaust. […] 4. The British and American targeted bombing of civilians in Germany and Japan […] probably killed between three and four million civilians. […] 5. In China during Mao’s ‚Great Leap Forward‘ campaign (1958-1960) probably between 15 and 30 million people died […] 6. In Gutatemala some 200,000 civilians were killed by the army […] the late 1970s and late 1980s. […] 7. A significant fraction of the entire population of […] Ruanda was murdered […] in 1994. 8. Around 2000 the Congo experienced violence that produced over three million deaths. […] This was a classic example of a conflict too obscure, too complex, and too dangerous to allow reliable reporting.
Tunstall (2008: 69) folgert: „Some further revelations may surface several decades after the violent events.“ Es wäre verfehlt anzunehmen, im 21. Jahrhundert seien solche eklatanten Vernachlässigungen nicht mehr möglich – oder Journalisten entwickelten sich jenseits solcher Schlüsselerlebnisse. Vielmehr zeichnet sich bereits ein neuer Selbstverständlichkeitsumbruch hin zu (vernetzten) Multimedia-Spielen ab. Medienbiografische Selbst-Reflexionen nicht nur im Feuilleton könnten deshalb zu Erhellungen der jeweils als selbstverständlich unterstellten Horizonte verantwortlicher Berichte und Kommentare beitragen. Wie kann aber die Vernachlässigung von Vergangenheit und Zukunft im tagesaktuellen Nachrichtengeschäft überwunden werden? Eine Antwort hierauf ist technisch-ökonomisch: Der zunehmend schnellere und kostengünstigere Zugang zu den Archivbeständen, die bereits digitalisiert, indexiert, klassifiziert und systematisiert sind, erlaubt und fördert die Produktion immer neuer Rückblicke. Zuschauer- oder Nutzerbefragungen eröffnen neue Selektions- und Hierarchisierungskriterien, die allerdings meist die Text-, Sound- und Videobites der aktuellen Häppchenkultur reproduzieren. Hier sind deshalb neuartige Kooperationen zwischen Historikern, Archivaren und (Fach-)Journalisten nötig, die über die Reproduktion überlieferter Dateien hinaus die Chancen von Computersimulationen nutzen. Nur wenn mit den Visualisierungen in den Massenmedien eine Kompetenzsteigerung der Imaginationen einher geht, werden die neuen Merkmale einer Netzwerkgesellschaft wenn schon nicht offensichtlich, so doch vorstellbar. 1996 (2., verbesserte Auflage 2000) stellte Manuel Castells eine facettenreiche und sozialwissenschaftlich fundierte Theorie des neuen Typs einer Netzwerkgesellschaft vor. Ein Netzwerk ist a set of interconnected nodes. A node is the point at which a curve interacts itself. These are television systems, entertainment studios, computer graphics milieux, news teams, and mobile devices generating, transmitting, and receiving signals in the global network of the media at the roots of cultural expression and public opinion in the Information Age. […] The inclusion/exclusion in networks, and the architecture of relationships between networks, enacted by light-speed-operating information technologies, configure dominant processes and functions in our societies. Networks are open structures, able to expand without limits, integrating new nodes as long as they are able to communicate within the network, namely as long as they share the same communication codes […] (Castells 2000: 501)
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Castells (2000: 507 und 508) betont „image-making is power-making” und „flows of messages and images between networks constitute the basic thread of our social structure” und argumentiert im zweiten Band seiner Trilogie: „The new power lies in the codes of information and in the images of representation around which societies organize their institutions, and people build their lives, and decide their behavior. The sites of power are people’s minds.” (Castells 1997: 359; hier nicht kursiv) In „The Network Society: from Knowledge to Policy” diagnostiziert er (Castells 2006: 14): Mainstream media, and particularly television, still dominate the media space, although this is changing fast. Because the language of television is based on images, and the simplest political image is a person, political competition is built around leaders. […] People think in metaphors, and built these metaphors with images.
Allerdings konzentrierte sich politischer Wettstreit schon lange vor dem Fernsehen auf politische Führungspersönlichkeiten. Im Unterschied zu Castells betont Appadurai (1996: 33) „five dimensions of global cultural flows”, nämlich „ethno-, media-, techno-, finance-, and ideoscapes”. Elektronische Medien „decisively change the wider field of mass media and other traditional media […] because they offer new resources and new disciplines for the construction of imagined selves and worlds”; sie transformieren „preexisting worlds of communication and conduct”. The image, the imagined, the imaginary – these are all terms that direct us to something critical and new in global cultural processes […] the imagination has become an organized field of social practices, a form of work (in the sense of both labor and culturally organized practice), and a form of negotiation between sites of agency (individuals) and globally defined fields of possibility.
Diese Konvergenz von Castells’ und Appadurais Diagnosen einer zunehmenden Visualisierung impliziert die Notwendigkeit entsprechender visueller Kompetenzen und Imaginationen. Van Dijk (2005: 15f.) ergänzte, ICT-Netzwerke erfordern trust, commitment and richness of information exchanged […] trust is a vital condition in all networking both face-to-face and mediated […] Commitment to the activities and ties of networks is perhaps even more important than commitment to the goals, activities, and colleagues in traditional organizations. Otherwise networks will easily fall apart.
Hier liegen also weiter entscheidende Aufgaben eines verantwortlichen Journalismus im Rahmen neuer medialer Vernetzungen. Arjun Appadurai argumentiert (1996: 31): The world we live in today is characterized by a new role for the imagination in social life. To grasp this new role, we need to bring together the old idea of images, especially mechanically produced images (in the Frankfurt School sense), the idea of the imagined community (in Anderson’s sense) and the French idea of the imaginary (imaginaire) as a constructed landscape of collective aspirations, which is no more and no less real than the collective representations of Emile Durkheim, now mediated through the complex prism of modern media.
Er kommt zu dem Schluss: „The imagination is now central to all forms of agency, is itself a social fact, and is the key component of the new global order.” (Appadurai 1996: 31; vgl. Luhmann 1997: 305f.; Pfeiffer 2002) Ähnlich wie Castells betont Appadurai (1996: 35), dass „mediascapes” sich auf die folgenden Dimensionen beziehen:
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Peter Ludes
both to the distribution of the electronic capabilities to produce and disseminate information (newspapers, magazines, television stations, and film-production studios) […] and to the images of the world created by these media […] they provide (especially in their television, film, and cassette forms) large and complex repertoires of images, narratives, and ethnoscapes to viewers throughout the world. Mediascapes, whether produced by private or state interests, tend to be image-centered, narrative-based accounts of strips of reality […] out of which scripts can be formed of imagined lives […]
„Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft” erfordert also die folgenden Voraussetzungen: x x x x x x x x x
„open structures, able to expand without limits, integrating new nodes as long as they are able to communicate within the network, namely as long as they share the same communication codes” (Castells 2000: 501). „The new power lies in the codes of information and in the images of representation around which societies organize their institutions, and people build their lives, and decide their behavior. The sites of power are people’s minds.” (Castells 1997: 359; hier nicht kursiv)
4.
Massen-Selbst-Kommunikation oder die Popularisierung von Schwatzbuden
Demgegenüber verfestigt sich – zu erheblichen Teilen gegen den etablierten, professionellen Journalismus – eine Kultur der Selbst-Darstellung in Blogs und Vlogs, auf „YouTube“ oder „myspace“. Damit entstehen neue Formate der Selbst- und Fremddarstellungen, als Ergänzung und Ersatz diskursiver Elemente der medienspezifischen Teilöffentlichkeiten, die durch schriftliche und persönlich-mündliche Kommunikation ko-konstituiert wurden. Es emergiert also nicht nur die Chance neuer Formate interaktiver Multimedianutzungen, die Castells (2007) als Massen-Selbst-Kommunikation interpretiert, sondern ein Umbruch der Medieninformation hin zu individuelleren, unterhaltsamen und laienhaften Selbstdarstellungen, weg von professionellen Analysen, Kommentaren, Hintergrundrecherchen. Diese Laien-Öffentlichkeiten (vgl. für den wichtigen Sonderfall von „Wissensproduktion und Wissenstransfer“ Mayntz et al. 2008) sind eher als Aufmerksamkeitsmärkte zu verstehen denn als Öffentlichkeiten, mehr als „Schein-Öffentlichkeiten” (Ludes 1993; vgl. aber auch Metykova 2008) denn als hinterfragte Diagnosen. Im Gegensatz zu dem Schein kostenloser Kaufhausangebote spielt die finanzielle Investition in Informationsbeschaffung und -vermittlung zudem weiterhin eine entscheidende Rolle, denn Blogs und Vlogs sind – über den rein individuell selbstdarstellerischen Part hinaus – oft nur Dritt- und Viertverwerter von Datenbeständen, die doch weiterhin in Großorganisationen produziert wurden. Jürgen Habermas (2006: 416) unterschied zwei Haupttypen „among the actors who make their appearance on the virtual stage of an established public sphere”: Medienprofis und Politiker, ebenso wie fünf weitere Typen: Lobbyisten, Advokaten, Experten, moralische Unternehmer und Intellektuelle. Seine Argumentation legt allerdings weiterhin nahe, dass der Niedergang kritischer Öffentlichkeiten, „argwöhnischer Beobachtung“ bedarf, „weil sich keine Demokratie ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten kann“ (s. Abschnitt 1, oben; vgl. weiterführend: Wendler 2008).
Geld/Schein/Öffentlichkeiten
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Demgegenüber wird hier argumentiert, dass die langfristigen sozio-ökonomischen und medientechnologischen Umbrüche so eng mit den als selbstverständlich unterstellten Medienerfahrungen je neuer Generationen von Journalisten und Mediennutzern vernetzt sind, dass aus diesen neuen Erfahrungs- und Wahrnehmungsmodi heraus auch neue Formate diskursiver, multimedialer Ko-Orientierungen und Rückfrage-Selbstverständlichkeiten professionell entwickelt werden müssen, die zudem längerfristige Horizonte gegen kurzfristige Interessen etablieren. Die Sozialen Netze einer Netzwerkgesellschaft fangen nicht nur auf oder nehmen gefangen – sie haben vor allem (sonst wären sie keine Netze) Löcher, durch die viele hindurch fallen. Es gibt zudem kaum nur ein Netz für nationale Gesellschaften oder die Welt. Wenn sich innerhalb von europäischen Unternehmen die Relationen von Managergehältern zu denen einfacher Arbeiter vervielfachen und sie an einem Tag mehr verdienen als ihre „Untergebenen“ in einem Jahr, wird die Imagination eines Netzes sehr irreführend: Die Löcher sind enorm unterschiedlich groß, die Entfernungen zwischen den Knoten asymmetrisch, die Dichte und Festigkeit kaum so geknüpft, dass diese Netze nicht reißen könnten. Diejenigen, die besonders gerissen sind, können sich diese Netzeigenschaften zunutze machen. Die Auflösung von traditionellen Öffentlichkeiten in Netzwerkgesellschaften sollte also nicht den gleichmacherischen Assoziationen dieser Metapher aufsitzen. Auch hier liegt eine Aufgabe für aufklärerischen Journalismus, die in längerfristigen Vergleichen gründet und Infragestellungen der eigenen Knoten erfordert. Denn die heutigen Aufmerksamkeitsmärkte für Privaträume, mit hohen Anteilen an Selbstdarstellungen, Images und visuellen Stereotypen, ähneln bisher mehr Tages- und Jahrmärkten denn professionell informierten Öffentlichkeiten.
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Peter Ludes
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Protestantischer Journalismus und kirchliche Öffentlichkeitsarbeit Hans Hafenbrack
Pressefreiheit und kirchlicher Auftrag Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zieht einen klaren Trennungsstrich zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus. In ihrem vor zehn Jahren veröffentlichten Grundsatzdokument zur evangelischen Publizistik „Mandat und Markt“ heißt es: Zwei Grundformen medialer Information und Kommunikation im Auftrag der Kirche sind zu unterscheiden: die journalistische Arbeit von unabhängigen Redaktionen und die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit von Informations- und Pressestellen. […] Die journalistische Arbeit geschieht in redaktioneller Unabhängigkeit. Sie ist als Teil der evangelischen Publizistik dem Auftrag der Kirche verpflichtet, nicht aber an die verfasste Kirche als der konkreten Arbeitgeberin gebunden. Die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit hingegen ist an die verfasste Kirche und die jeweilige Einrichtung als Auftraggeberin unmittelbar gebunden. (Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1997: 21 u. 87)
An anderer Stelle des Gesamtkonzeptes heißt es, die Öffentlichkeitsarbeit sei an den kirchlichen Auftrag gebunden, die journalistische Arbeit hingegen sei der Pressefreiheit verpflichtet. Der Journalismus diene dem öffentlichen Diskurs, indem er Fragen des Glaubens und Themen der Kirche ins öffentliche Gespräch bringe. Ziel der Öffentlichkeitsarbeit sei es, die Kirche kommunikationsfähiger zu machen und das Vertrauen in die Kirche zu stärken. Es bedarf keiner Begründung, dass sich die EKD mit ihren über 25 Millionen Mitgliedern wie andere große Organisationen mit dem Instrumentarium der Öffentlichkeitsarbeit zu Wort meldet. Es ist hingegen bemerkenswert, dass die evangelische Kirche als fast einzige gesellschaftliche Großorganisation einen von ihrer Leitung unabhängigen kritischen Journalismus bejaht und gefördert hat. Die folgende Beschreibung beider Arbeitszweige mit ihrer Geschichte und ihren Perspektiven versucht, zwei Fragen zu beantworten: Hat der protestantische Journalismus mit seiner Unabhängigkeit eine Zukunft? Wird die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit zukünftig den Journalismus an Bedeutung übertreffen? Als Beispiele für den Journalismus werden der Evangelische Pressedienst (epd) und die evangelische Presse dienen. Die Entwicklung der Öffentlichkeitsarbeit, die so gut wie unerforscht ist, kann nur sehr lückenhaft skizziert werden (zur Geschichte des evangelischen Journalismus vgl. Mehnert 1983, Hafenbrack 2004 und Rosenstock 2002)1.
1
Für die Geschichte der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit fehlt bisher eine Darstellung.
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Hans Hafenbrack
Martin Luther hat die Deutschen zu Lesern „kolonisiert“ Der unabhängige Journalismus hat im Protestantismus tief reichende Wurzeln. Das zeigt ein Blick auf seine lange Ahnengalerie. Drei Portraits daraus seien kurz in Erinnerung gerufen. Sie zeigen den Kirchen- und Sprachreformer Martin Luther (1483-1546), den Schulreformer und Zeitungsverleger August Hermann Francke (1663-1727) sowie den Gründer der Inneren Mission und der evangelischen Pressearbeit Johann Hinrich Wichern (1808-1881). Alle drei Theologen stellten ihre Publizistik in den Dienst der Kirchen- und Gesellschaftsreform und agierten unabhängig von der Kirche. Martin Luthers Reformation war auch ein Medien- und Sprachereignis. Egon Erwin Kisch hat 1923 seine Anthologie „Klassischer Journalismus – Die Meisterwerke der Zeitung“ mit einem Luthertext eröffnet. Sein „Sendbrief vom Dolmetschen“ aus dem Jahr 1530 sei „als Bekenntnis zur Schwierigkeit des schriftstellerischen Schaffens, zur Suche nach dem Ausdruck und zu der Heiligkeit der Sprachenbehandlung und des Sprachgefühls eines der wichtigsten Dokumente allen Schrifttums“ (Kisch o.J.: 11ff.). Luther begann sein größtes Werk, die Bibelübersetzung, 1521 auf der Wartburg. In elf Wochen übersetzte der vor dem Kaiser versteckte „Junker Jörg“ ohne Wörterbuch das Neue Testament in eine Sprache, die es vorher noch gar nicht gab. Das 444-seitige „Septembertestament“ mit 3.000 Exemplaren war sofort vergriffen (zur Publizistik der Reformationszeit vgl. Mehnert 1983: 23ff.; vgl. auch Luther als Sprachereignis in Ebeling 1964: 1ff. und Hafenbrack 1996). „Die Druckerey ist summum und postremum donum durch welche Gott die Sache des Evangelij forttreibet“, heißt es in den Tischreden (vgl. Mehnert 1983: 14). Luther hat dieses „höchste und letzte Geschenk“ extensiv genutzt. Man hat von seinen Werken über 4.000 Drucke zu seinen Lebzeiten nachgewiesen. Allein in Wittenberg arbeiteten an der Drucklegung seiner Schriften sieben Druckereien mit 600 Angestellten, die oft mit der literarischen Produktion des Reformators nicht Schritt halten konnten. Luther, der in der Schule keine Stunde Deutschunterricht hatte, verwandelte den Wortschatz des „gemeinen Mannes“ in große Literatur. Der akademische Streit darüber, ob Luther das wichtigste Handwerkszeug des Journalismus, die deutsche Hochsprache, „erfunden habe“, ist müßig. Die Großen der deutschen Literatur wissen es besser. „Er ist’s, der die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgeweckt und losgebunden hat“, schrieb Johann Gottfried Herder (1978: 372). „Das Meisterstück der deutschen Prosa ist deshalb billigerweise das Meisterstück ihres größten Predigers: die Bibel war bisher das beste deutsche Buch. Gegen Luthers Bibel gehalten ist fast alles übrige nur Literatur“, urteilte Friedrich Nietzsche (1955: 715). Und Ernst Bloch (1968: 42) weist darauf hin, dass seit Luther, der die Deutschen „zu Lesern kolonisiert“ habe, die Bibel „Schrift schlechthin“ heiße. Der Wittenberger Mönch, der seinen römischen Kirchenoberen als „Antichrist“ verdammte, war ein ganz ungewöhnliches Beispiel eines von seiner Kirche unabhängigen Journalisten. Dazu gehört auch sein grundsätzlicher Verzicht auf Honorare, die ihn steinreich hätten machen können. Er wollte indes „seine Gnade nicht verkaufen“. Ein zweites Beispiel in der Geschichte des protestantischen Journalismus ist August Hermann Francke (zu Franckes Rolle als evangelischer Publizist vgl. Mehnert 1983: 47ff.). Der pietistische Gründer der Franckeschen Anstalten zu Halle mit ihrer in Deutschland einzigartigen Schulstadt war auch ein großer Publizist und Verleger. Er verstand die Halleschen Anstalten als Keimzelle einer „Generalreformation“ der Welt. Deshalb entfaltete er eine immense publizistische Wirksamkeit.
Protestantischer Journalismus und kirchliche Öffentlichkeitsarbeit
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Francke schuf in Halle eine damals einzigartige publizistische Zentrale. Sie brachte 350.000 seiner Predigttraktate unter das deutsche Volk. 1703 erwarb Francke vom preußischen König Friedrich I. das Privileg, eine Zeitung zu drucken und zu verlegen. Die erste Zeitung im preußisch-brandenburgischen Staat, die dreimal wöchentlich erscheinenden „Hallische Zeitungen“, gab es seit 1708. Der Plural „Zeitungen“ wird im ursprünglichen Sinn verwendet, das Blatt enthielt vor allem Nachrichten – und zwar aus aller Welt. Francke verfügte über ein vorzügliches Korrespondentennetz etwa in Skandinavien, Ungarn, Russland, Amerika und England. Selbst aus dem Orient und aus Afrika gab es Nachrichten und Berichte, über die andere Blätter nicht verfügten. Francke ging auch wirtschaftlich neue Wege, um die Unabhängigkeit seiner Publizistik zu sichern. So gehörten zu seinem Waisenhaus-Verlag eine eigene Druckerei, ein Buchhandel und eine Papierfabrik. Der Verlagskonzern warf so große Gewinne ab, dass das Unternehmen auch wirtschaftlich unabhängig war. Schließlich gebührt dem Sozialreformer Johann Hinrich Wichern in der Geschichte des protestantischen Journalismus ein Ehrenplatz (zum Folgenden vgl. Hafenbrack 2004: 21-27 und 2007). Wichern war nicht nur der Gründer der Inneren Mission (heute Diakonisches Werk). Er hat auch die evangelische Publizistik im 19. und 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt. August Hinderer, der Herausgeber des Evangelischen Pressedienstes von 1918 bis 1941, nannte ihn in seiner Pressegeschichte den „Vater der organisierten evangelischen Pressearbeit“ (Hinderer 1926: 4). In seiner Denkschrift „Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche“ entfaltet Wichern 1849 nicht nur ein Sozialprogramm (Wichern 1962). Er entwirft vielmehr die weitgreifende Vision von der Verwirklichung des Reiches Gottes in Kirche, Staat und Gesellschaft. Deshalb enthält die Denkschrift ein publizistisches Kapitel: Publizistik im Dienst der Christianisierung. Wichern hatte eine grundlegende Erkenntnis: Die Predigt als wichtigstes Medium der Vergangenheit war durch die Zeitung abgelöst worden. Das Jahr 1848 war mit der Aufhebung der Pressezensur eine tiefe Zäsur in der deutschen Pressegeschichte: Die Deutschen wurden zu einem Volk von Zeitungslesern. Deshalb fordert Wichern den Einsatz des gedruckten Wortes. Die Kirche habe drei Betätigungsfelder, die Predigt, die Presse und die Tat. „Über das geredete Wort hinaus gibt es noch ein anderes, das gedruckte Wort, die Presse, eine der anerkannten Großmächte der Zeit.“ Große Bedeutung maß Wichern, der selbst regelmäßig Zeitungsbesuche machte, der Gründung von Pressevereinen bei. Zwischen 1891 und 1914 entstanden im Deutschen Reich 29 evangelische Landespresseverbände. Die Initiative dazu ging fast ausschließlich von der Inneren Mission aus. Diese Verbände wurden die wichtigsten Träger des evangelischen Journalismus im 20. Jahrhundert. Wichern setzt sich für die Professionalität der evangelischen Redakteure ein. Er verlangt das Ende des Dilettantismus, der Journalist müsse seine Tätigkeit als „Lebensberuf“ und als politische Pflicht verstehen. Er dürfe „den Weg der politischen Presse und Rede nicht unbetreten lassen.“ Die Innere Mission konnte nur einen Teil von Wicherns groß angelegtem Programm verwirklichen. Er wollte die christliche Gesellschaft, und es kam ein imponierender christlicher Wohlfahrtsverband. Das publizistische Erbe Wicherns ging Anfang des 20. Jahrhunderts auf die evangelischen Presseverbände über. Sie forderten und erhielten mit der Parole „Los von der Inneren Mission“ ihre Unabhängigkeit. Mit der Gründung des „Evangelischen
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Presseverbandes für Deutschland“ (EPD)2 1910 in Wittenberg emanzipierte sich die evangelische Pressearbeit von der Inneren Mission.
Evangelische Publizistik in freier Trägerschaft Auch nach dem Wechsel in der Trägerschaft blieb die evangelische Pressearbeit ein Kind des Verbandsprotestantismus, nicht der verfassten Kirche. Der EPD und die regionalen Presseverbände waren unabhängig von der Kirche. Mitglieder des EPD, des ersten Herausgebers der zentralen epd-Dienste, waren die fast 30 evangelischen Landespresseverbände und andere protestantische Verbände. Kirchen waren keine Vereinsmitglieder. Die evangelischen Kirchen waren seit der Reformation im 16. Jahrhundert bis zur Novemberrevolution im Jahr 1918 landesherrlich regierte Staatskirchen. Die politische Vertretung der Kirchen lag in den Händen der Landesherren. Andere Aufgaben waren an den Verbandsprotestantismus delegiert, der eine zweite, nicht an die verfassten Kirchen gebundene Organisationsstruktur bildete. So waren karitative Aufgaben an die Innere Mission, publizistische an den EPD delegiert. Der Zusammenbruch des Kaiserreichs, der Sturz der Fürstenhäuser und die Ausrufung der Republik stürzte die evangelischen Kirchen in eine tiefe Krise. Die Revolution bedeutete das Ende der rechtlichen Ordnung des Protestantismus und gefährdete die wirtschaftliche Existenz der Kirchen. Sie waren, anders als die katholische Kirche, ohne politischen Rückhalt. Vor allem aber fehlte ihnen ein publizistisches Instrumentarium zur Wahrung ihrer Interessen in dem nunmehr religionsneutralen Staat. Vor diesem Hintergrund erlebte der protestantische Journalismus in der „Ära Hinderer“ (zur „Ära Hinderer“ vgl. das gleichnamige Kapitel bei Mehnert 1983: 218-249; vgl. auch Hafenbrack 2004: 127-395 und Höckele 2001) während der Weimarer Republik einen Höhenflug – und stürzte während des „Dritten Reiches“ ab in die fast völlige Abhängigkeit von der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie. August Hinderer (1877-1945) war der führende evangelische Publizist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der EPD-Direktor gab der verunsicherten Kirche durch seine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eine Stimme in dem „Staat ohne Gott“. Angetroffen hatte er die kleine epd-Redaktion und einen bescheidenen Verlag. Ab 1920 schuf Hinderer mit dem Aufbau von zehn weiteren Abteilungen mit einer Vielzahl von Publikationen eine für die Kirche unentbehrliche Zentrale der Presse- und Kulturpolitik. Neben Filmproduktionen gab es eine Rundfunkabteilung mit zwei medienpolitischen Publikationen und die Auslandsabteilung mit einem monatlich erscheinenden ökumenischen Nachrichtendienst in drei Sprachen. Der EPD verbreitete Pressefotos und den „Bilderboten“. Er galt mit einer Auflage von über einer Million als größte illustrierte Zeitschrift Deutschlands. Dazu kam „Das Evangelische Deutschland“, die „Kirchliche Rundschau für das Gesamtgebiet des deutschen Evangelischen Kirchenbundes“. Zu den Autoren der anspruchsvollen literarischen Monatszeitschrift „Eckart“ zählten Hermann Hesse, Gottfried Benn, Alfred Döblin und Ernst Jünger. Hinderer war Geschäftsführer des 1917 gegründeten Verbandes der Deutschen evangelischen Sonntagspresse und des Deutschen Evangelischen 2
Die Unterscheidung der Abbreviaturen „EPD“ für den Evangelischen Presseverband für Deutschland und „epd“ für den Evangelischen Pressedienst ist zu beachten.
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Pressetages. Ihm gehörte die gesamte evangelische Zeitschriftenpresse mit einer Gesamtauflage von über 17 Millionen an. Hinderers publizistisches Konzept war doppelgesichtig. Er verteidigte unerbittlich die journalistische Unabhängigkeit des epd gegenüber den kirchlichen Behörden und setzte bis heute gültige Maßstäbe durch. Er gab der Nachrichtenagentur die Bezeichnung epd, weil er sie als „Dienst an der Presse“ verstand. Er sorgte für die Professionalisierung. Anstelle der bisherigen „Schriftleiter“, Theologen ohne journalistische Ausbildung, berief er Berufsjournalisten in die epd-Zentralredaktion. Andererseits verwischte er mit seinem ausufernden Presseverband die Grenzen zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Die Pressearbeit, die seinem EPD einst den Namen gegeben hatte, geriet so an den Rand des Verbandes, dass eine Namensveränderung erwogen wurde. In seiner EPD-Geschichte schrieb er 1926: „Der Name Pressverband konnte nicht ahnen lassen, welche Werkstatt kultureller Arbeit dahintersteckte.“ Bei einigen Landespresseverbänden stieß Hinderers Forderung, sich „von der Pressearbeit zur Öffentlichkeitsarbeit und Erziehungsarbeit“ fortzuentwickeln, auf entschiedenen Widerstand.
Sprachrohr der NS-Propaganda Eine tiefe Zäsur für den evangelischen Journalismus war das „Jahr der Machtergreifung“. In dem so genannten „Kirchenkampf“ der Jahre 1933 und 1934 verlor der Evangelische Pressedienst seine Unabhängigkeit (zum Folgenden vgl. Hafenbrack 2004: 189-395). Bei den Kirchenwahlen im Juli 1933 erhielt die nationalsozialistische Kirchenpartei der Deutschen Christen (DC) 70 Prozent der Stimmen. Die DC mit über einer Million Mitgliedern eroberten die Macht in fast allen Landeskirchen. Sie besetzten im Sommer 1933 auch die Zentrale des EPD in Berlin und setzten für drei Wochen einen deutschchristlichen epdChefredakteur ein. August Hinderer änderte seine Pressepolitik. Mit der Gründung des 1.500 Mitglieder zählenden Reichsverbandes der evangelischen Presse, einer Untergliederung der Reichspressekammer, waren der epd und die ganze kirchliche Presse in den NSPropagandaapparat eingegliedert. Focko Lüpsen, epd-Chefredakteur von 1933 bis 1968, machte die epd-Ausgaben im Herbst 1933 zum Sprachrohr der Deutschen Christen. Spärliche Nachrichten über die Bekennende Kirche lieferte der epd allenfalls im Rahmen der Pressezensur. Die Herrschaft der Deutschen Christen war mit dem Ende des Kirchenkampfes praktisch vorbei. Von Dauer war die Gefährdung der gesamten Kirchenpresse durch die staatliche Pressepolitik. In den Jahren vor der Entfesselung des Weltkrieges waren die epd-Ausgaben zunehmend von der staatlichen Pressepolitik geprägt. Der epd stand im Dienst der propagandistischen Mobilmachung. Das endgültige Desaster der deutschen Presse im „Dritten Reich“ hat der Evangelische Pressedienst nicht erlebt. Er wurde, wie fast die gesamte kirchliche Presse, im Mai 1941 eingestellt. Zuvor hatte Joseph Goebbels im „totalen Krieg“ seinen Propagandaapparat entschlossen eingesetzt. Der epd verbreitete für die Millionenleserschaft der Kirchenzeitungen Propagandameldungen. In jeder Ausgabe mussten bestimmte Artikel „dem Kriegserleben Rechnung tragen“. Diese Meldungen markieren den Tiefpunkt in der Geschichte des protestantischen Journalismus. Seit Juli 1940 waren diese „Auflagenachrichten“ nicht mehr
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Hans Hafenbrack
mit dem Signum „epd“ ausgezeichnet. Das vor die Propagandameldungen gesetzte Zeichen „+/+“ wurde zum Menetekel des Evangelischen Pressedienstes. Focko Lüpsen hat sich nach dem Krieg mit einem Arsenal von Schutzbehauptungen als unangepassten Oppositionellen stilisiert. Schlimm war vor allem seine wiederholt aufgestellte Behauptung eines epd-Verbots im Jahr 1937. Diese Geschichtsfälschung verhinderte nach 1945 beim Neuanfang des Evangelischen Pressedienstes eine selbstkritische Diskussion über seine Arbeit während der NS-Zeit.
Nach dem Neubeginn 1945: Kampf um die Unabhängigkeit Auch beim Neubeginn war die Unabhängigkeit des Evangelischen Pressedienstes, diesmal aus kirchenpolitischen Gründen, gefährdet. Der alte epd-Herausgeber, der Evangelische Presseverband für Deutschland, war bei der Mehrheitsfraktion im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) diskreditiert. Diese aus der Bekennenden Kirche (BK) stammende Gruppe um Martin Niemöller wollte keine von der Kirche unabhängige Agentur mehr. Vielmehr sollten die Kirchenämter selbst diese Aufgabe wahrnehmen. Lüpsen distanzierte sich von dem EPD und baute ab 1946 den Evangelischen Pressedienst unter dem Dach des westfälischen Presseverbandes in Bethel bei Bielefeld auf. Vorsitzender dieses Presseverbandes war der westfälische Präses Karl Koch. Einen größeren Persilschein konnte Lüpsen nicht finden: Koch war Vorsitzender des Reichsbruderrates der Bekennenden Kirche und in der NS-Zeit ein Kontrahent Hinderers gewesen. 1947 erhielt Focko Lüpsen von der Militärregierung die Lizenz für den Evangelischen Pressedienst. Als Lizenzträger, Chefredakteur und Verbandsgeschäftsführer hatte er eine starke, unabhängige Stellung. Er baute sein neues Unternehmen aus mit den reichlich fließenden Einnahmen seiner Kirchenzeitung „Neue Kirche“ (heute „Unsere Kirche“). Er erzielte mit seinem Monopolblatt, das eine Auflage von 250.000 Exemplaren hatte, schon im ersten Halbjahr einen Reingewinn von über 450.000 Mark. Lüpsen war bald unabhängig genug, weiteren Begehrlichkeiten Widerstand zu leisten. Dazu zählte der Versuch Eugen Gerstenmaiers im Jahr 1947, den epd in den geplanten kirchenamtlichen Zentralverlag des Evangelischen Hilfswerks in Stuttgart zu integrieren. 1949 nahm die Redaktion in ihrem neuen Pressehaus in Bielefeld den Funkfernschreibdienst auf und gewann zahlreiche Kunden für ihre Nachrichtendienste. Von großer Bedeutung für das Ansehen des epd wurden die Informationsdienste „Kirche und Rundfunk“ (heute „epd medien“) und „Kirche und Film“ (heute „epd Film“). 1948 schlossen sich die epd-Landesdienste unter dem gemeinsamen Signum epd zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. Schon 1951 konnte der westfälische Presseverband die epd-Zentralredaktion nicht mehr finanzieren. Unter der Leitung des württembergischen Präsidenten Rudolf Weeber erwies sich ein epd-Finanzausschuss der Landeskirchen als zuverlässiger Geldbeschaffer. Weeber sorgte dafür, dass diese kirchliche Geldquelle nicht bekannt wurde, um die Unabhängigkeit der Agentur nicht zu gefährden.
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Die Angst vor der Verkirchlichung Das beherrschende Thema in den 60er Jahren war die Unabhängigkeit des epd von der „Amtskirche“. Auf der einen Seite standen noch einmal Versuche, kirchenamtliche Lösungen durchzusetzen. Ein Beispiel dafür war der Vorschlag des EKD-Ratsvorsitzenden Kurt Scharf, den Evangelischen Pressedienst als kirchliches Werk zu organisieren. Die EKD scheiterte mit ihren Versuchen, direkten Einfluss auf den epd zu gewinnen, an einer beachtlich geschlossenen Phalanx der im epd-Kuratorium versammelten Repräsentanten der Presseverbände und der Landeskirchen. In einem Rechtsgutachten kam der Jurist Weeber, selbst ein Mitglied des EKD-Rates, zu dem Ergebnis, ein direkter Einfluss der EKD auf den Evangelischen Pressedienst sei „grundsätzlich abzulehnen“. Mit dem Umzug nach Frankfurt am Main im Jahr 1968 begann das letzte Kapitel der epd-Geschichte. Von 1910 bis zu diesem Zeitpunkt war der epd stets von unabhängigen Presseverbänden herausgegeben worden. Mit der Eingliederung der Zentralredaktion in das 1973 gegründete „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik“ (GEP) bekam der Evangelische Pressedienst zum ersten Mal einen kirchlichen Herausgeber. Die epd-Redaktion lehnte die Integration in das von EKD und Landeskirchen getragene medienübergreifende Werk zunächst als Verkirchlichung ab. Aber die Befürchtung, der epd verliere unter dem Dach des von der EKD bezuschussten GEP seine „innere Pressefreiheit“, hat sich nicht bewahrheitet. Gegenwärtig ist der epd mit einer Bestandsgarantie der kirchlichen Gremien und mit seinem journalistischen Erfolg auf dem schwierigen Nachrichtenmarkt gut abgesichert. Im Jahr 2007 erreichte der epd die höchste Zahl von Agenturkunden in seiner fast 100-jährigen Geschichte. Sein aktueller Basisdienst wird von mehr als der Hälfte der deutschen Tageszeitungen abonniert und erreicht damit täglich potenziell 25 Millionen Leser. Zu seinen Nutzern gehören alle überregionalen und die meisten großen regionalen Zeitungen sowie alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Auch diese Akzeptanz bei den wichtigsten epd-Beziehern sichert die Unabhängigkeit der ältesten in Deutschland arbeitenden Nachrichtenagentur.
Die kirchliche Presse ist nicht mehr Leitmedium Der Evangelische Pressedienst hat die kirchliche Finanzkrise und auch die Krise der Printmedien unbeschadet überstanden. Dagegen hat die kirchliche Zeitschriftenpresse ihre einstige Führungsrolle als Leitmedium der unabhängigen evangelischen Publizistik verloren (zum Folgenden vgl. Mehnert 1983: 250ff. und Rosenstock 2002: 167ff. und 283ff.). Ganz vom Markt verschwunden sind die beiden überregionalen Wochenzeitungen. Eugen Gerstenmaiers „Christ und Welt“ startete 1948. Das zunächst an protestantischen Themen orientierte Blatt entwickelte sich unter der Mehrheitsbeteiligung des Verlegers Holtzbrinck als „Deutsche Zeitung“ zu einer wertkonservativen politischen Publikation. Nach der Fusion mit dem katholischen „Rheinischen Merkur“ blieb nur der alte Name „Christ und Welt“ als Rubrikbezeichnung. Das Flaggschiff der evangelischen Publizistik war das von dem hannoverschen Landesbischof Hanns Lilje gegründete Hamburger „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“. Das Blatt war schon 1970 stark defizitär, die Auflage sank von 126.000 im Jahr 1978 auf nur
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noch 43.000 im Jahr 1996. Millionenschwere EKD-Subventionen, für die sich das Blatt jahrelang vor der EKD-Synode öffentlich rechtfertigen musste, konnten das Aus im Jahr 2000 nicht verhindern. Ebenfalls hochsubventioniert mit jährlich vier Millionen Euro ist die Nachfolgepublikation „Chrismon“, die einmal im Monat der „Zeit“ und auflagenstarken Tageszeitungen in einer Auflage von über 1,5 Millionen Exemplaren kostenlos beigelegt wird. „Chrismon“ gehört zur Gattung des Corporate Publishing. Der Wechsel vom „Sonntagsblatt“ zu dem Magazin kann als Hinweis auf die Ablösung der unabhängigen kirchlichen Presse durch Medien der Öffentlichkeitsarbeit verstanden werden. Eine ähnliche Tendenz zeigen Beispiele aus dem Bereich der Kirchengebietspresse, die sich in einem offensichtlich unaufhaltsamen Abstieg befindet. Diese in den Grenzen der Landeskirchen erscheinenden regionalen Wochenzeitungen waren mit ihren einst hohen Auflagen lange Zeit das Leitmedium der evangelischen Publizistik und das finanzielle Rückgrat der Presseverbände. Sie hatten 1953 eine Gesamtauflage von über einer Million Exemplaren in den westdeutschen Landeskirchen. Inzwischen beträgt die verkaufte Auflage im wiedervereinigten Deutschland noch 350.000. Nur das „Evangelische Gemeindeblatt für Württemberg“ trägt sich mit seiner Auflage von 80.000 Exemplaren (1975: 180.000) noch selbst (zur Bedeutung der Kirchenzeitungen in der DDR vgl. Rosenstock 2002: 326ff.). Die Liste der verschwundenen Titel wird immer länger. Als erste Kirchengebietszeitung wurde 1993 der badische „Aufbruch“ eingestellt. Die Nachfolgepublikation „Standpunkte“ ist eine monatlich erscheinende Regionalausgabe von „Chrismon“. Auch in der zweitgrößten deutschen Landeskirche, im Rheinland, erscheint seit 2004 eine monatliche Regionalausgabe von „Chrismon“. „Chrismon plus Rheinland“ ersetzt die bisherige kirchliche Wochenzeitung „Der Weg“. Zwei Jahre später verschwand der 132 Jahre alte „Sonntagsgruß“ aus Saarbrücken. Vor dem Aus steht auch die in den niedersächsischen Landeskirchen erscheinende „Evangelische Zeitung“ aus Hannover. Sie soll durch ein zweimonatlich erscheinendes Magazin „Evangelisch in Niedersachsen“ ersetzt werden. Die Auflage von 55.000 Exemplaren im Jahr 1955 hatte sich bis zum Jahr 2007 halbiert. Die Gründe für den Abstieg der Kirchenblätter, die vor dem „Dritten Reich“ über 4,5 Millionen Bezieher hatten, sind vielfältig (vgl. Mehnert 1983: 232). Generell spiegelt ihr Abstieg den die ganze Kirche betreffenden Traditionsabbruch wider. Die Leserschaft gehört überwiegend zu den sehr kirchentreuen Mitgliedern und ist überaltert. Der Anteil der 18bis 25-jährigen Leser beträgt nur ein Prozent. Hinzu kommen wirtschaftliche und verlegerische Schwächen (vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1997: 40ff.). Mehrere Anläufe zur bundesweiten Kooperation etwa mit der einheitlichen Marke „Evangelische Zeitung“ scheiterten an Verlagen, die nicht über die aus kleinstaatlicher Zeit stammenden Grenzen der Landeskirchen springen konnten. Sie hatten es schon in den 90er Jahren abgelehnt, vom damaligen „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ einen gemeinsamen Mantel zu beziehen. Zur mangelnden Kooperationsbereitschaft kommt die zunehmende Abhängigkeit der Kirchenpresse von Kirchensteuermitteln. Die über die Zuschüsse entscheidenden Synoden neigen dazu, die nicht mehr lebensfähigen Publikationen durch Mitgliederzeitschriften oder Magazine zu ersetzen, die im Dienst von Public Relations und Werbung stehen. Nicht nur Kirchenzeitungen verabschiedeten sich in den letzten Jahren aus dem Kreis der evangelischen Printmedien. Als Beispiel sei die Einstellung der GEP-Zeitschrift „medium“ im Jahr 1996 genannt, die zehn Jahre lang von Horst Pöttker redigiert worden war. Die 1971 gegründete „Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse“ war ein Unikat auf dem
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Zeitschriftenmarkt. Sie schlug Brücken zwischen Kommunikations- und Medienwissenschaft auf der einen Seite und der Medienpraxis auf der anderen. Die multimediale Perspektive auf Presse, Hörfunk, Fernsehen und Film war eine Besonderheit. Die Publikation wurde mit der umstrittenen Begründung einer gesunkenen Auflage ein Opfer des Rotstiftes der GEP-Geschäftsleitung. Einen kleinen Lichtblick immerhin gibt es in der kleinparzellierten Landschaft der evangelischen Printmedien: Im Jahr 2000 fusionierten vier Monatszeitschriften mit einer Gesamtauflage von 16.500 Exemplaren zu der neuen Publikation „Zeichen der Zeit“. Die Vorgängerpublikationen waren die „Evangelischen Kommentare“, die „Lutherischen Monatshefte“, die seit 1851 erscheinende „Reformierte KirchenZeitung“ und die „Zeichen der Zeit“, die seit 1946 in der DDR erschienen war.
Öffentlichkeitsarbeit: Kirchliche Pressestellen seit 1920 Die Geschichte der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit ist jung. Eigentlich nimmt sie erst in den 1960er Jahren Gestalt an. Immerhin gab es schon am Anfang der 20er Jahre Pressestellen in den Kirchenämtern. Die Initiative dazu ging von dem damals einflussreichsten Repräsentanten des unabhängigen Journalismus, August Hinderer, aus (zum Folgenden vgl. Hafenbrack 2004: 132ff. und 139ff.). Hinderer hielt beide Bereiche, den unabhängigen Journalismus und die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit, angesichts der Herausforderungen im Weimarer „Staat ohne Gott“ für unverzichtbar. Der EPD-Direktor schlug im Jahr 1919 den 28 evangelischen Landeskirchen vor, sie sollten Pressestellen bei ihren Kirchenämtern einrichten. Ein Jahr später stimmten 25 Landeskirchen der Anregung des EPD-Direktors zu. Die erste Begegnung zwischen protestantischen Journalisten und den Vertretern der verfassten Kirchen fand am 13. September 1920 in Hannover statt. Dabei wurde eine Abgrenzung zwischen kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit und dem Journalismus der unabhängigen Presseverbände formuliert. Für den Presseausschuss des „Deutschen Evangelischen Kirchenbundes“ betonte dessen Vorsitzender Alfred Fischer die Vorzüge der Presseverbände. Ihre Mitarbeiter seien journalistisch gebildet und arbeiteten im kirchlichen Interesse. Sie schlössen aber eine „umbiegende“ Berichterstattung aus. Deshalb sollten die kirchenamtlichen Pressereferenten auf den direkten Verkehr mit der Presse verzichten. Hinderer betonte in Hannover, die Presseverbände hätten ein Vertrauensverhältnis zu den Zeitungen aufgebaut und arbeiteten auf dem Boden der Presse. Dazu komme das „Fehlen richtungsmäßiger Ausprägung“, das den Zugang zu Zeitungen unterschiedlicher Couleur garantiere. Reibungslos scheint die Zusammenarbeit nicht gewesen zu sein. Schon wenige Jahre später kritisierte Hinderer „die Neigung, den Presseverband zu verkirchlichen, den bisher freien Presseberufsarbeiter zum Beauftragten der kirchlichen Behörde zu machen oder überhaupt die Pressearbeit als Teil der kirchenregimentlichen Arbeit aufzunehmen“. Einsichtige Kirchenmänner hätten aber erkannt, dass „die evangelische Pressearbeit ihrem Wesen nach frei sein muss, gerade wenn sie der Kirche zu dienen sich zur Aufgabe macht“. Über die Entwicklung der kirchlichen Pressestellen in den Jahren der Weimarer Republik ist wenig bekannt. Einige Pressestellen spielten während des „Dritten Reiches“ eine unheilvolle Rolle. Sie stellten sich in den von Deutschen Christen regierten Landeskirchen in den Dienst der NS-Propaganda. Umwandlungen von evangelischen Presseverbänden in deutsch-christlich geleitete kirchliche Pressestellen gab es in Sachsen, Schleswig-Holstein,
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Mecklenburg und im Rheinland. Sie belieferten Kirchenzeitungen und Redaktionen des Evangelischen Pressedienstes mit „Auflagen-Nachrichten“.
Die Alternative von 1945: EKD-Nachrichtenagentur oder freie Verbandsarbeit Beim Neuaufbau der evangelischen Publizistik nach dem Ende des „Dritten Reiches“ kam es zur Auseinandersetzung über die Alternative „kirchenamtliche Pressestelle“ oder „Weiterführung der unabhängigen Verbandsarbeit“ (vgl. Hafenbrack 2004: 399ff.). Bei der Gründungsversammlung der EKD im August 1945 in Treysa artikulierte sich auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem NS-Regime ein neuer „Öffentlichkeitswille“ der Kirche. In Treysa wurde „Ein Wort zur Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben“ verabschiedet. Der von dem Historiker Gerhard Ritter verfasste Text lässt erkennen, dass an die Stelle der bisherigen unabhängigen Presseverbände eine ständige Kommission des EKD-Rates treten sollte. Im Auftrag des Bruderrates der Bekennenden Kirche (BK) legte der spätere Bundestagspräsident Hermann Ehlers 1946 „einen Entwurf über die Einrichtung einer amtlichen Presse-Agentur der EKD“ vor. Ehlers schlug eine „Eilkorrespondenz der Ev. Kirche in Deutschland“ vor, die nicht von einer „unabhängigen“ Stelle herausgegeben werden dürfe. Sie müsse vielmehr „in ständiger Fühlungnahme mit den leitenden Stellen der Kirche und unter Beachtung ihrer Jntentionen“ (sic!) erscheinen. Sie solle „die eine offizielle Auffassung wiedergeben“ – etwa „in der Form des ‚Osservatore Romano‘“. Dieser kirchenamtliche „Osservatore Romano“ hätte das Ende des unabhängigen Journalismus in der evangelischen Kirche bedeutet. Der Neuaufbau der evangelischen Publizistik sollte in der EKD-Kirchenkanzlei in Schwäb. Gmünd erfolgen. Der Präsident der Kanzlei, Hans Asmussen, setzte als Leiter seiner Pressestelle den württembergischen Pfarrer Günther Siegel ein. Siegel lehnte den Vorschlag von Ehlers ab, eine EKD-Nachrichtenagentur zu gründen. Stattdessen sollte der Einfluss der EKD auf den inzwischen von Walter Schwarz geleiteten Evangelischen Presseverband für Deutschland gestärkt werden. Siegel setzte sich durch und schrieb damit ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der evangelischen Publizistik. Die EKD-Pressestelle wurde nicht zum Kristallisationspunkt der evangelischen Publizistik. Die „Kammer für die publizistische Arbeit der EKD“ wurde erst im Jahr 1949 errichtet. Als Vertreter der Presseverbände, die längst wieder die Träger der evangelischen Publizistik waren, war Focko Lüpsen Vorsitzender des Fachausschusses „Presse“ in der EKD-Kammer.
1974 entsteht der GEP-Fachbereich Werbung und Public Relations Der Aufbau der Öffentlichkeitsarbeit nach 1945 spielte sich zunächst abseits der kirchenamtlichen Einrichtungen ab. Hanspeter Neumann, der die Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit bis 1988 skizziert hat, macht die damals in der evangelischen Kirche dominierende Theologie Karl Barths für die zögerliche Entwicklung verantwortlich (Neumann 1988; zur Haltung Karl Barths gegenüber der evangelischen Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit vgl. Hafenbrack 2004: 17ff.). Barth hatte gegen die Selbstdarstellung der evangelischen Presse
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auf der Kölner Weltausstellung „Pressa“ 1928 mit seiner Schrift „Quousque tandem“ einen radikalen Angriff auf die „verheerenden evangelischen Pressezentralen“ vorgetragen. Darin heißt es, es sei empörend, dass die Kirche hier mitmache: „Wenn sie das tut, wenn sie dazu übergeht und dabei bleibt als eine Marktbude neben anderen […] sich selbst anzupreisen und auszuposaunen, dann hat sie einfach und glatt aufgehört, Kirche zu sein. Die Kirche kann nicht Propaganda treiben“. Es dauerte lange, bis Einzelinitiativen zu einer überregionalen Struktur fanden. 1962 wurde in Stuttgart der Verein „Evangelische Werbung Vocamus“ gegründet. Eine finanzielle Absicherung durch Mittel der EKD war zunächst nicht zu erreichen. 1964 lehnte die EKD einen entsprechenden Antrag ab. 1970 bildete sich in Fulda der „Evangelische Arbeitskreis Werbung und Public Relations“. Gegen erhebliche Widerstände gelang es schließlich im Jahr 1974, die Öffentlichkeitsarbeit mit dem „Fachbereich Werbung und Public Relations“ in das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik zu integrieren. Vergleichsweise spät setzte eine Professionalisierung ein. Seit 1990 gibt es im Gemeinschaftswerk den Fernstudiengang Öffentlichkeitsarbeit, seit 1999 die Fundraising-Akademie. Unter dem Stichwort „Öffentlichkeitsarbeit“ lässt sich inzwischen eine Fülle von Aktivitäten auflisten. Als Beispiel sei die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen genannt, die 2007 einen Medienbericht vorlegte (o.V. 2007). Die Pressestelle ist bei der Kirchenleitung angesiedelt. Ihre Zielgruppe sind Journalisten, die nach wie vor das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit wesentlich prägten. Die Öffentlichkeitsarbeit ist zusammen mit den Redaktionen der Kirchenzeitung und des epd-Landesdienstes in einem Medienhaus untergebracht. Für das Corporate Design der Kirche wurde eine einheitliche Wort-Bild-Marke entwickelt. Seit 2001 wurde die Fortbildung intensiviert für Pfarrer und andere in der Öffentlichkeitsarbeit tätige Mitarbeiter auf Gemeinde- und Kirchenkreisebene. Ein zukünftiger Schwerpunkt soll das Internet sein. Dabei sollen die Internet-Angebote der Kirche und ihrer Einrichtungen koordiniert werden. Die Öffentlichkeitsarbeit vertreibt Werbemittel und verantwortet Werbekampagnen wie „Kirche mit Zukunft“ oder die „Nacht der offenen Kirchen“. Bei den etwa 160 von der EKD und den Landeskirchen subventionierten Publikationen mit einer jährlichen Druckauflage von 60 Millionen Exemplaren dominieren die Titel, die der Öffentlichkeitsarbeit zuzurechnen sind (vgl. Hahn 2007). Insgesamt gibt es sechs kostenlose Zeitungsbeilagen mit 23,4 Millionen Heften im Jahr. Flaggschiff der Beilagen ist „Chrismon“. Das auflagenstarke Monatsmagazin wird zwar von Journalisten professionell sehr gut redigiert. Das Nachfolgeorgan des Hamburger „Sonntagsblattes“ gehört aber zum Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Das nach der Zahl der Titel größte Segment bei den Printmedien bilden 52 Mitarbeiterzeitschriften. Anders als „Chrismon“, das sich an ein breites, säkulares Publikum wendet, zeigen die Mitarbeiterzeitschriften wie auch zahlreiche Verbandspublikationen und Magazine, dass in diesem Sektor der Öffentlichkeitsarbeit die kirchliche Binnenperspektive dominiert.
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Offenes Fazit: Gottsucher mit 50 Millionen Fundstellen Nach der in diesem Beitrag skizzierten Entwicklung scheint die Antwort auf die eingangs gestellten beiden Fragen leicht zu sein: Der unabhängige Journalismus, einst Markenzeichen der evangelischen Publizistik, ist auf dem Rückzug, die evangelische Presse hat ihre Rolle als Leitmedium der evangelischen Publizistik eingebüßt. Die Leitungsgremien der Kirche entscheiden sich jedenfalls bei den Printmedien mehr und mehr für Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit. Kostenlose Mitgliederzeitschriften für die Binnenkommunikation und werbende Magazine für der Kirche Fernstehende erhalten zunehmend den Vorzug vor unabhängig arbeitenden Redaktionen, die mit kritischem Journalismus den öffentlichen Diskurs befördern. Dieses Fazit ist aber nur scheinbar eindeutig. In Wirklichkeit geraten beide Bereiche der evangelischen Publizistik, Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit, immer schneller unter den Druck des Internets, der die gesamte mediale Landschaft umzustürzen droht. Ein Überangebot von Informationen, frei zugänglich für alle, wird auch die evangelische Publizistik grundlegender verändern, als es der oben geschilderte Wandel vermochte. Wer „Gott“ sucht, hat in der Suchmaschine Google die Auswahl unter 49,9 Millionen Treffern, „Kirchen“-Besucher werden immerhin an 26 Millionen Stellen fündig. Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik hat gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland die „christliche Qualitätssuchmaschine crossbot“ gestartet, die 240.000 „christliche Webseiten“ bereit hält. Die Suchmaschinen-Redaktion ist sowohl bei der Öffentlichkeitsarbeit des EKD-Kirchenamtes als auch bei dem publizistischen Werk GEP angesiedelt. Es ist nicht ausgemacht, wo in Zukunft das Kerngeschäft der evangelischen Publizistik liegen wird und wie unter den neuen technischen Bedingungen die Gewichte zwischen unabhängigem Qualitätsjournalismus und amtlicher Öffentlichkeitsarbeit verteilt sein werden.
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Von „Holzhausen“ nach „Blogville“ – und zurück Medienbeobachtung in Tagespresse und Weblogs Tobias Eberwein
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Fragen über Fragen
„Wozu Zeitung?“ Kaum eine Frage beschäftigt die Medienbranche in Zeiten des digitalen Umbruchs mehr als diese. Sie steht im Mittelpunkt von privaten Streitgesprächen und öffentlichen Podiumsdiskussionen, sie ist Gegenstand von journalistischen und wissenschaftlichen Analysen (vgl. beispielsweise Weichert/Kramp/Jakobs 2009; Weichert/Kramp 2009), sie wird diskutiert in den Chefetagen der Verlage und in eigens gestifteten Preisausschreiben (vgl. Akademie für Publizistik 2008). Am 8. Mai 2009 griff auch das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) die Frage aller Fragen auf: „Wozu Zeitung?“ In einem Themenheft versuchten 26 überwiegend mit der SZ affiliierte Autoren, die gegenwärtige Sinnkrise des Zeitungsjournalismus von A bis Z aufzuschlüsseln. Bemerkenswert an dieser Ausgabe waren allerdings weniger die Inhalte, die in vielen Fällen kaum über Altbekanntes und Immergleiches hinausgelangten, als vielmehr deren Nachhall im Netz. Um die Werbetrommel für das Projekt zu schlagen, hatte die Redaktion des „SZ-Magazins“ im Vorfeld der Veröffentlichung verschiedene JournalistikStudiengänge und Journalistenschulen, Blogs und andere Online-Medien angeschrieben und ihnen Auszüge des Themenheftes zur Veröffentlichung angeboten. Offenbar wollte man so Aufmerksamkeit für die Publikation schaffen und dezentrale Diskussionsanreize bieten. Rückblickend scheint dieses Ziel auch erreicht worden zu sein: Zwar setzten längst nicht alle Angesprochenen das Angebot einer Zweitverwertung der SZ-Artikel um, doch auch etliche derjenigen, die der PR-Masche kritisch gegenüberstanden, nahmen den Faden auf und spannen ihn weiter: Mal durchaus differenziert, mal in vernichtenden Verrissen thematisierten sie in ihren Blogs oder ähnlichen Formaten die Vermarktungsstrategie der Projektverantwortlichen, die Schwerpunktausgabe als solche oder einzelne Thesen daraus. Dabei gelang es einigen der Kommentatoren, Recherchefehler der SZ-Redakteure aufzudecken und die Analyse in wesentlichen Punkten weiterzudrehen (vgl. stellvertretend für andere Meier 2009; Niggemeier 2009).1 Erst in der Anschlusskommunikation glückte somit das, was sich laut Editorial eigentlich schon das „SZ-Magazin“ vorgenommen hatte: die Diskussionen „zur Lage des gedruckten Journalismus […] in ihrer ganzen Vielschichtigkeit ab[zu]bilden“ (SZ-Magazin v. 8.5.2009, S. 3). Interessanterweise verliefen die teilweise hitzigen Wortgefechte in Reaktion auf das Heft weitgehend ohne Beteiligung der SZ-Autoren. Das ist symptomatisch. Bislang scheinen journalistische Akteure die Stimmenvielfalt in der Blogosphäre mehrheitlich eher skeptisch zu beäugen; eine selbstbestimmte Nutzung der Instrumente des Social Web konnte 1
Die Website des „SZ-Magazins“ dokumentiert auf einer Übersichtsseite, welche Institutionen und Publikationen sich an der Diskussion beteiligt haben (http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/29195).
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sich zumindest in der Breite noch nicht durchsetzen (vgl. z. B. Holler/Vollnhals/Faas 2008: 104; Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2008: 111f.; Welker 2006: 162ff., 2007: 105f.). Eine ähnliche Skepsis den klassischen (Druck-)Medien gegenüber findet sich in vielen medienkritischen Blogs. Dort werden etablierte Printpublikationen als „Holzmedien“ verlacht, die eine Medienwelt von gestern repräsentieren und dem technischen und ökonomischen Wandel scheinbar hilflos gegenüberstehen. Aus dem rückwärtsgewandten „Holzhausen“ nehmen sie ihre Leser mit in das weltoffene „Blogville“, jenen Ort also, wo Öffentlichkeit nicht durch die Bedingungen des (Medien-)Marktes geprägte werde, sondern als unbeschränktes Forum zu fassen sei, das eine gleichberechtigte Teilhabe aller gesellschaftlichen Akteure ermögliche (vgl. z. B. Jarchow 2008). Das Beispiel des „SZ-Magazins“ zeigt, dass die Kommunikationsbedingungen der Blogosphäre gerade im Bereich der Medienkritik tatsächlich viele ungenutzte Chancen bieten. Erst durch die Unabhängigkeit von den Organisationen des journalistischen Systems – so scheint es – gelingt eine unbefangene und ergebnisoffene Erörterung des Medienumbruchs. Erst durch die Vielzahl der sich beteiligenden Stimmen wird eine umfassende Betrachtung des Gegenstandes möglich, die eine rein systemimmanente Analyse offenbar nicht zu bewerkstelligen in der Lage ist. Kann es sein, dass der herkömmliche Medienjournalismus als Reflexionseinrichtung des journalistischen Systems angesichts der gegenwärtigen Wandlungsprozesse an seine Grenzen stößt? Ist es denkbar, dass es unweigerlich einer neuen Instanz bedarf, um die aktuelle Entwicklung in der gebotenen Breite und Tiefe zu thematisieren und kritisieren? Ein Blick in die Mediengeschichte scheint dies zu belegen. Wann immer ein neues Medium für Journalismus und Gesellschaft breite Geltung erlangte, setzte auch eine intensive Beobachtung dieses Mediums ein – und zwar keineswegs ausschließlich mit journalistischen Mitteln, sondern auch durch systemexterne Akteure. So provozierte die Entstehung der Massenpresse im Verlauf des 19. Jahrhunderts einerseits eine immer kontinuierlicher werdende Selbstberichterstattung der Zeitungsjournalisten (vgl. Choi 1999: 18), andererseits spielten bei der Einordnung des neuen Medientyps gerade auch Kritiker aus dem Kunst- und dem Wissenschaftssystem eine tragende Rolle (vgl. Blöbaum 1994: 21ff.; Roß 1997, 2005, 2006; Schütz 2000: 42ff.). Auch mit dem Aufkommen von Radio und Fernsehen entwickelte sich ein neues Berichterstattungsfeld vor allem des Printjournalismus zur Wertung und Würdigung der spezifischen Funktionen und Leistungen der neuen Medien (vgl. Choi 1999: 19), das jedoch durch nicht-journalistische Stellungnahmen aus verschiedensten Gesellschaftsbereichen entscheidend ergänzt wurde (vgl. z. B. Roß 2005: 10f.). Daraus lässt sich in Anlehnung an Choi (1999: 56f.) die Annahme ableiten, dass technische und ökonomische Entwicklungen der Medien aufgrund ihrer Bedeutung für das Journalismussystem und für die Gesellschaft insgesamt immer auch neue Instanzen der journalismusinternen und -externen Medienbeobachtung und -kritik haben entstehen lassen. Durch sie sollte die Funktionsweise der betroffenen Systeme reflektiert und damit letztlich Systemerhalt ermöglicht werden. Dies müsste freilich auch für die Entwicklung des Internets und dessen journalistische und gesellschaftliche Kultivierung gelten. Bislang wurde in der Forschung allerdings bezweifelt, dass sich die Medienkritik der Kommunikation im Internet in ausreichendem Maße angenommen habe (vgl. Hallenberger/Nieland 2005a: 12). Dem ist die These entgegenzuhalten, dass mit der Gattung der Medienblogs eine Publikationsform entstanden ist, die sich mittlerweile immer häufiger als ernst zu nehmende Alternative zum herkömmlichen Medienjournalismus ausmacht. Gerade ihr augenscheinli-
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cher Fokus auf Themenstellungen rund um das Internet und den digitalen Medienumbruch verschafft ihnen besondere gesellschaftliche Legitimation, da eine medienkritische Instanz mit vergleichbarer Schwerpunktsetzung bislang fehlte, durch die jüngste Medienentwicklung jedoch notwendig geworden ist. Können Medienblogs mögliche Mängel der journalistischen Medienberichterstattung ausgleichen? Welche Unterschiede, welche Gemeinsamkeiten sind an den beiden Formen öffentlicher Medienbeobachtung festzumachen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Praxis des Medienjournalismus? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgespürt werden. Um die Untersuchung empirisch zu fundieren, wurde eine vergleichende Inhaltsanalyse der wichtigsten Medienseiten der überregionalen Qualitätspresse und ausgewählter Medienblogs im deutschen Sprachraum durchgeführt. Auf dieser Grundlage lassen sich die beiden Publikationstypen systematisch gegenüberstellen. Bevor die Befunde dargelegt werden, sind jedoch eine theoretische Verortung von Medienjournalismus und Medienblogs sowie ein knapper Überblick über die vorliegende empirische Forschung zum Thema notwendig, denn dadurch werden ein präziseres Begriffsverständnis und eine differenziertere Problematisierung des Forschungsgegenstandes möglich. In der Summe soll die Untersuchung dabei helfen, das oft angespannte Verhältnis zwischen medienkritischen Bloggern und Journalisten auf der Sachebene in Augenschein zu nehmen, und damit jenseits aller Polemik zu einer Neujustierung dieses Verhältnisses beitragen – in der Hoffnung, dass sich die Potenziale der Blog-Publizistik auch im professionellen Journalismus nutzbar machen lassen.
2.
Medienbeobachtung 1.0: Potenziale und Probleme des Medienjournalismus
In der Kommunikations- und Medienforschung hat der Medienjournalismus Hochkonjunktur. Das erscheint eigentlich paradox, wenn man den Stellenwert dieses Berichterstattungsfeldes in der journalistischen Praxis betrachtet (vgl. Fengler/Ruß-Mohl 2006: 15): Nach einem zwischenzeitlichen Aufschwung in den Boomjahren um die Jahrtausendwende werden nun – auch in Folge der anhaltenden Anzeigenkrise – die redaktionellen Ressourcen vielerorts wieder reduziert, eigens eingeführte Medienseiten in der Tagespresse abgeschafft oder inhaltlich ausgedünnt, Redaktionspersonal in andere Arbeitsbereiche abgezogen. Das ändert jedoch nichts an dem unvermindert starken Interesse der zuständigen wissenschaftlichen Disziplinen. Diese Wertschätzung lässt sich wohl vor allem durch die hohen normativen Ansprüche erklären, die an das Berichterstattungsfeld gestellt werden: Medienjournalismus übernimmt wichtige Funktionen und Leistungen für die Gesellschaft und ihre Teilsysteme, vor allem für das Journalismussystem. Worin bestehen diese Funktionen und Leistungen? Für eine Klärung dieser Frage bietet sich die Perspektive der systemtheoretischen Journalismusforschung an, denn sie kann das gängige Verständnis von Medienjournalismus als ‚journalistische Berichterstattung über Medien und Journalismus‘ (vgl. beispielsweise Ruß-Mohl 1994: 112, 1999: 197; Kreitling 1997: 124; Fengler 2002: 11 u. v. m.) präzisieren und fundieren. Aus Sicht der Systemtheorie (vgl. v. a. Choi 1999; Malik 2004; aber auch Beuthner/Weichert 2005a) lässt sich Medienjournalismus als Subsystem des Systems Journalismus beschreiben, das ebenso wie sein Muttersystem nach der Leitcodierung ‚aktuell‘/,nicht aktuell‘ operiert, sich in seinen Operationen jedoch auf ein exklusives Themengebiet spezialisiert. Während das Journalismussystem für die Thematisierung gesellschaft-
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licher Kommunikation insgesamt zuständig ist und so zur Selbstverständigung und Selbstbeobachtung von Gesellschaft beiträgt (vgl. Scholl/Weischenberg 1998: 77), schematisiert das medienjournalistische Subsystem seine Beobachtungen mit Hilfe der themenspezifischen Zweitcodierung ‚Medien‘/,Nicht-Medien‘. Seine Funktion ist damit die aktuelle Beobachtung und Thematisierung gesellschaftlicher Kommunikation über Medien, wodurch auf der Ebene des Gesellschaftssystems eine Selbstverständigung über die Medien der Gesellschaft möglich wird. Dabei ist zu beachten, dass das systemtheoretische Verständnis von (Massen-)Medien höchst unterschiedliche Kommunikationsformen wie Werbung, fiktionale Unterhaltung und Journalismus zusammenführt (vgl. Luhmann 2004: 51). Malik (2004: 23) hat deswegen zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Operationen des Medienjournalismus – sofern sie diese unterschiedlichen Phänomene der Medienkommunikation in den Blick nehmen – nicht ohne weiteres als Selbstbeobachtung und -thematisierung des Systems Journalismus beschreiben lassen. Sie konzipiert daher den konsequenteren Begriff des „Journalismusjournalismus“ (ebd.: 127ff.), um die Praxis der journalistischen Berichterstattung über Journalismus auch theoretisch präzise fassen zu können. Dieser rein selbstbezügliche Journalismustyp stellt jedoch nur einen Teilbereich des real existierenden Medienjournalismus dar, der in beträchtlichem Maße auch andere Themenfelder beackert – etwa in seinen Ausprägungen als „Medienmarktjournalismus“, „Rezensionsjournalismus“, „Medienforschungsjournalismus“, „Programmservice“ usw. (vgl. Beuthner 2005: 85ff.). Dies merkt Malik auch selbst, wenn sie in Anlehnung an Weischenbergs Ordnungsschema journalismusbezogener Umwelten (‚Zwiebelmodell‘) (vgl. Weischenberg 2004: 67ff.) die verschiedenen thematischen Kontexte identifiziert, an denen sich Medienjournalisten abarbeiten (vgl. Tabelle 1): „Ein Bezug zum Journalismus kann in fast jeder dieser Themenkategorien hergestellt werden – oder auch nicht.“ (Malik 2004: 185) Normenkontext
Strukturkontext
Funktionskontext
Rollenkontext
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Kommunikationspolitik Professionelle und ethische Standards Medienrecht Medienausbildung Medienforschung Mediengeschichte
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Medienorganisationen und Medienentwicklung Medienökonomie Medientechnik Werbung Public Relations
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Programminformation bzw. -kritik Medienrezeption und Medienwirkungen Darstellungsformen, Gattungen Informationsquellen, Recherchemethoden, Produktionsbedingungen
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Medienakteure in leitenden Positionen Journalisten/ Redakteure Moderatoren Medienpolitiker Schauspieler Regisseure Musiker
Tabelle 1: Die Themenstruktur des Medienjournalismus (Quelle: Malik 2004: 185) Medienjournalismus ist demnach aus systemtheoretischer Perspektive ein höchst komplexes Zusammenspiel aus journalistischer Selbstthematisierung und der Thematisierung journalismusexterner Umwelten. Selbstbezüglich operiert Medienjournalismus beispielsweise dann, wenn auf der Strukturebene die Arbeit journalistischer Redaktionen thematisiert wird; ein Bericht über die ökonomische Situation der zugehörigen Zeitungsverlage ist jedoch nicht selbstreferenziell, denn Unternehmen operieren nach dem Code des Wirtschaftssystems und sind für den Journalismus daher Umwelt. Ebenso fremdreferenziell ist auf der
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Normenebene eine Berichterstattung zum Themenfeld Medienforschung, etwa wenn die thematisierten Forschungsergebnisse aus dem Wissenschaftssystem hervorgehen; demgegenüber ist eine Berichterstattung über die berufsethischen Richtlinien des Pressekodex ein eindeutiges Beispiel für journalistische Selbstthematisierung, denn der Deutsche Presserat ist als journalistisches Selbstkontrollorgan Bestandteil des Journalismussystems. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Leistungspotenzial des Medienjournalismus erläutern: Zum einen erbringt Medienjournalismus im Sinne des „Journalismusjournalismus“ Reflexionsleistungen für das journalistische System, indem er über die Beobachtung der Grenzen des Systems zu dessen Identitätsbildung und Umweltorientierung beiträgt und mit der Beschreibung der systeminternen Strukturen und Prozesse Innovationen anregt oder ggf. Warnungen ausspricht; gleichzeitig sorgt er damit für eine Stabilisierung der Umweltbeziehungen des Systems (vgl. ebd.: 144ff.). Zum anderen ist Medienjournalismus in seiner fremdreferenziellen Spielart aber auch Leistungsträger für andere gesellschaftliche Subsysteme in der Umwelt des Journalismus, indem er durch die Beobachtung und Thematisierung der sie betreffenden Kommunikation ihre Selbsterkenntnis befördert und damit Anpassungsfähigkeit und Systemerhalt ermöglicht. Der systemtheoretische Blick auf die Potenziale des Medienjournalismus veranschaulicht die große gesellschaftliche Bedeutung dieses Berichterstattungsfeldes. Medienjournalismus ist weit mehr als nur eine Infrastruktur der journalistischen Qualitätssicherung (vgl. z. B. Ruß-Mohl 1994: 112f., 210ff.), er erfüllt je nach Gegenstandsebene auch für die Gesamtgesellschaft und ihre Teilbereiche systemerhaltende Funktionen und Leistungen (vgl. ähnlich auch Beuthner/Weichert 2005a: 19, 2005b: 46ff.). Seine volle Funktionalität scheint Medienjournalismus dabei durch eine zielgerichtete Interaktion zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung zu erlangen (vgl. Schmidt 2005: 22f.). Eine reine Reflexionseinrichtung des Systems Journalismus ist dieses journalistische Subsystem augenscheinlich nicht – jedenfalls nicht ausschließlich. Die Sichtweise der Systemtheorie eignet sich aber nicht nur, um die Potenziale des Medienjournalismus zu beschreiben. Durch ihre Begrifflichkeiten werden auch die spezifischen Probleme dieses Berichterstattungsfeldes nachvollziehbar, denn wie jede Form der reflexiven Selbstbeobachtung ist auch die selbstbezügliche Spielart des Medienjournalismus im Sinne von „Journalismusjournalismus“ mit anscheinend unüberwindbaren Grenzen konfrontiert (vgl. Malik 2004: 109ff.). So ist medienjournalistische Berichterstattung über Journalismus zum einen durch ihren so genannten „blinden Fleck“ eingeschränkt. Durch die Anwendung der systemeigenen Leitdifferenz bleibt sie an eine bestimmte Perspektive und damit verknüpfte Rahmenbedingungen gebunden, die all das ausblenden, was sich mit dieser Codierung nicht erfassen lässt. „Auch Journalismus über Journalismus kann allein durch journalistische Operationen entstehen und sich nur in journalistischen Darstellungsformen realisieren“, konstatiert Malik (ebd.: 112). Zum anderen begrenzen die Umwelterwartungen des Journalismus seine öffentliche Selbstthematisierung. Zum Zwecke des Systemerhalts muss das medienjournalistische Subsystem bedenken, welche Folgen eine Berichterstattung über Journalismus haben kann, wenn dadurch die Interessen journalismusnaher Nachbarsysteme tangiert sind. Im Zweifelsfalle wird es eine Thematisierung von systemrelevanten Tabus und Geheimnissen unterlassen. Letzteres gilt freilich auch für die medienjournalistische Berichterstattung über journalismusexterne Umwelt, weswegen fremdreferenzieller Medienjournalismus in dieser Hinsicht grundsätzlich nicht weniger problematisch ist als selbstreferenzieller.
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Das beschriebene Dilemma hat Auswirkungen auf die Selektionsstrategien des Medienjournalismus. Malik (ebd.: 151ff.) verweist in diesem Kontext auf die „doppelte Sinnorientierung“ medienjournalistischer Thematisierung, die einerseits auf Aktualität bedacht ist, andererseits jedoch auf Systemstabilität. Demnach sind alle Operationen des Medienjournalismus immer auch an systemische Eigeninteressen gebunden. Das Ziel des Selbsterhalts kann es dabei erforderlich machen, systemgefährdende Themen auszusortieren oder geheim zu halten. Diese Erkenntnis lässt sich auf die Ebene journalistischer Organisationen übertragen. Werden diese ebenfalls als autopoietische Sozialsysteme modelliert, entstehen innerhalb des Journalismussystems neue System/Umwelt-Differenzen, wobei die beobachtende Organisation jeweils als System, alle anderen Organisationen als Umwelt aufzufassen sind. In dieser Konstellation sind verschiedene Bezugsebenen denkbar, die für die medienjournalistische Selbstthematisierung jeweils unterschiedlich virulente Problemlagen bereithalten (vgl. ebd.: 161ff.): Ist bei einer intermedialen Selbstthematisierung, d. h. einer Berichterstattung über eine Organisation in einem anderen Medienbereich, noch von einem geringen Zusammenhang zwischen Berichterstatter und Gegenstand der Berichterstattung auszugehen, so wachsen die gegenseitigen Abhängigkeiten im Falle einer intramedialen Selbstthematisierung, bei der über eine Organisation aus dem eigenen Medienbereich berichtet wird. Im ersten Falle sind für die thematisierende Instanz allenfalls geringe Auswirkungen zu befürchten; der zweite Fall birgt jedoch ein erhöhtes Problempotenzial, denn durch die gesteigerte Konkurrenz zwischen den beteiligten Organisationen steigt bei einer kritischen Berichterstattung auch die Gefahr einer negativen Rückkopplung mit Folgen für die Systemstabilität. Ebenfalls problembehaftet ist der Fall der organisationsinternen Selbstthematisierung, denn eine selbstkritische Berichterstattung kann die eigene Glaubwürdigkeit genauso untergraben wie unkritisches Selbstlob. Die Zielsetzung des Selbsterhalts journalistischer Organisationen fällt auch bei einer fremdreferenziellen Berichterstattung über journalismusexterne Organisationen ins Gewicht: Sofern diese strukturell mit der thematisierenden Instanz gekoppelt sind, sind auch hier mögliche Folgen der Thematisierung zu bedenken. Die „doppelte Sinnorientierung“ des Medienjournalismus gilt damit auch auf Organisationsebene sowohl in Selbst- als auch in Fremdbeobachtungssettings. Diese und andere Fallstricke des Medienjournalismus fassen Beuthner und Weichert – theoretisch nicht ganz präzise – unter dem Label der „Selbstbeobachtungsfalle“ zusammen und konkretisieren dieses anschließend in verschiedenen Unterpunkten: „Definitionsfalle“, „Rollenkontextfalle“, „Unabhängigkeitsfalle“, „Vermittlungsfalle“, „Selbstverständnisfalle“ (vgl. Beuthner/Weichert 2005a, 2005b). Aufschlussreich ist ihre Typologie vor allem deshalb, weil sie es möglich macht, die verschiedenen Problemlagen des Medienjournalismus nach ihren kontextuellen Bezügen zu unterschieden. Sie ist deshalb gut dafür geeignet, die mittlerweile recht vielfältige empirische Forschung zum Thema, auf die hier nur stichpunktartig und in Ausschnitten eingegangen werden kann, zu gliedern: x
Definitionsfalle: Ein grundlegendes Problem des Medienjournalismus ist die mangelnde Profilierung seines Berichterstattungsgegenstandes. Worüber sollen Medienjournalisten berichten? Vergleicht man die theoretisch hergeleitete Themenstruktur des Medienjournalismus (s. oben) mit der tatsächlichen Medienberichterstattung der Tagespresse, stellt sich Ernüchterung ein: Anstelle eines ausgewogenen Themenmixes weisen verschiedene Inhaltsanalysen (vgl. Krüger/Müller-Sachse 1998: 72; Choi 1999:
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140f.; Hillebrand 2005: 48) eine deutliche Dominanz der Programminformation und -kritik nach. Daneben findet sich ein Schwerpunkt auf medienwirtschaftlichen Themen (vgl. dazu auch Hallenberger/Nieland 2005b: 391). Sonstige kontextorientierte Berichterstattung bleibt eine Ausnahmeerscheinung. Insgesamt hat sich ein klarer Fokus auf das Fernsehen zu Ungunsten der anderen Medien durchgesetzt (vgl. Krüger/ Müller-Sachse 1998: 65f.; Choi 1999: 148). Befragungen von Medienjournalisten belegen jedoch, dass sich die Themenselektion vor allem an gängigen Nachrichtenfaktoren wie Prominenz, Überraschung, Nähe und gesellschaftlicher Relevanz orientiert (vgl. Engels 2005a: 444ff.; Malik 2005: 48ff.). Rollenkontextfalle: Medienjournalisten stehen in einem ständigen Rollenkonflikt: Nach außen wollen sie als unabhängige Berichterstatter wahrgenommen werden, tatsächlich sind sie für die meisten Akteure, über die sie berichten, jedoch Berufskollegen. Die auffällige Kollegenorientierung des Medienjournalismus ist bereits im Rechercheprozess problematisch. Wie Befragungsstudien zeigen, ist die Informationssammlung zu Medienthemen in hohem Maße abhängig von „,guten Drähten‘, persönliche[n] Kontakte[n], die in der wechselseitigen Vernetzung schließlich so etwas wie einen ‚schwarzen‘, inoffiziellen Informationsmarkt bilden“ (Krüger/Müller-Sachse 1998: 205; ähnlich auch Engels 2005a: 453ff.). Als wichtigste Quelle werden die Medienredakteure der überregionalen Tageszeitungen genannt – vor Medienprominenten, Leitungspersonal der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter, Vertretern von Landesmedienanstalten und sonstigen Medienredakteuren (vgl. Engels 2005a: 468ff.). Dieser Netzwerkcharakter des Medienjournalismus fördert soziale Schließungsprozesse („Seilschaften“) (ebd.: 429), die sich auch in einer Kritikhemmung gegenüber Journalisten und anderen Medienakteuren äußern (vgl. z. B. Kreitling 1997: 132). Jarren (1997: 322) resümiert: „Es gilt schon fast als ‚professionelle‘ Regel, daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt – zumindest nicht ohne Not oder Auftrag.“ Unabhängigkeitsfalle: Auf Organisationsebene ist die Medienberichterstattung durch einen Loyalitätskonflikt zwischen den Berichterstattern und ihren Arbeitgebern geprägt, der Erstere in einem „Interessendschungel“ (Engels 2005b: 107) zurücklässt. Ruß-Mohl (1999: 199ff., 2000: 31ff.) weist anhand verschiedener Textbeispiele aus der Tagespresse auf die Gefahr hin, dass Medienjournalisten von der PR-Abteilung ihres eigenen Unternehmens instrumentalisiert werden. Heikel sind für ihn neben werblichen Formen der Selbstdarstellung auch die Konkurrenzberichterstattung und die „synergetische Berichterstattung“, d. h. die Thematisierung von Produkten oder Unternehmen des eigenen Medienkonzerns, die jedoch außerhalb der Organisationseinheit angesiedelt sind, der die eigene Redaktion angehört: „Hier ist die Manipulationsmöglichkeit besonders groß, weil das Publikum bestehende Konzernverflechtungen meist nicht durchschaut.“ (Ruß-Mohl 2000: 33f.; vgl. ähnlich auch Kreitling 2000: 68) Aus Befragungen geht hervor, dass die Hälfte aller Medienjournalisten vor der Veröffentlichung ihrer Beiträge von den Vorgesetzten kontrolliert wird, um eine Berichterstattung gegen die Unternehmensinteressen zu vermeiden (vgl. Malik 2004: 284ff.). Besonders Freie berichten von einer „Furcht […], es sich mit potenziellen Auftraggebern zu verscherzen“ (Engels 2005a: 517). Vermittlungsfalle: Medienjournalismus hat ein Rezeptionsproblem. Aufgrund vermeintlich schlechter Befunde zur Publikumsakzeptanz sehen sich Medienredakteure
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innerhalb ihrer Organisationen besonderen Legitimationszwängen ausgesetzt. Die mangelnde Publikumsorientierung spiegelt sich in Inhaltsanalysen wider, die eine überwiegende Thematisierung von Medienpraktikern, Schauspielern, Medienunternehmern und sonstigen Medienakteuren in der Medienberichterstattung nachweisen, während Rezipientenbezüge unterrepräsentiert bleiben (vgl. Choi 1999: 155; Hillebrand 2005: 74). Gleichzeitig geben befragte Medienjournalisten zu, nicht viel über ihre Leser zu wissen, da in der Regel kein Geld für Copytests oder Umfragen zur Verfügung steht, die wesentliche Informationen über die Leserschaft beschaffen könnten (vgl. Malik 2004: 300). Selbstverständnisfalle: Medienjournalisten verstehen sich in der Mehrzahl nicht als Kritiker, die als kontrollierender Faktor auf Journalismus und Medien einwirken können. Stattdessen erfüllen sie in erster Linie eine Chronistenpflicht, indem sie das Mediengeschehen neutral dokumentieren. Diese dominierende Rollenauffassung ist mittlerweile in verschiedenen Befragungsstudien nachgewiesen (vgl. z. B. Kreitling 1997: 127, 2000: 65ff.; Krüger/Müller-Sachse 1998: 205f.; Engels 2005a: 480ff.) und wird gestützt durch die vorliegenden Inhaltsanalysen, die eine auffällige Kritikarmut in den Darstellungsformen des Medienjournalismus belegen (vgl. Krüger/Müller-Sachse 1998: 69; Choi 1999: 132; Hillebrand 2005: 53). Der Befund einer jüngeren Befragung (vgl. Schader 2004, 2005), nach der sich die Einstellung von Medienjournalisten gegenwärtig hin zu einer stärkeren Akzeptanz der Kritikerrolle verändert, ließ sich inhaltsanalytisch bislang nicht verifizieren.
Ob die journalistische Berichterstattung über Medien und Journalismus angesichts der nachgewiesenen Defizite in der Lage ist, die an sie gestellten Ansprüche adäquat einzulösen, darf bezweifelt werden. So ist es für Malik (2005: 60) „dann auch an der Zeit, sich von unangemessenen Erwartungen an den Medienjournalismus zu verabschieden. Seine allgemeinen journalistischen Arbeitsroutinen erfüllen nicht die notwendigen Bedingungen, um als Kritik- und Kontrollinstanz sowie als Instrument der journalistischen Qualitätssicherung zu fungieren.“ Auch Pöttker (2006: 2) winkt ab: „Medienjournalismus, der der Profession immanent bleiben, gleichzeitig aber unbefangen und kritisch sein will, ist […] ein Ding der Unmöglichkeit.“ Ist die Vorstellung einer funktionsadäquaten aktuellen Beobachtung und Thematisierung gesellschaftlicher Kommunikation über Medien damit ad acta zu legen? Zur Beantwortung dieser Frage ist die These zu prüfen, dass mit der Publikationsform der Medienblogs eine Beobachtungs- und Thematisierungsinstanz entstanden ist, die das medienjournalistische Funktions- und Leistungsspektrum zumindest in Teilen übernehmen und die skizzierten Problemlagen dabei umschiffen kann. Ähnlich wie beim Medienjournalismus soll dafür das Phänomen Medienblogs zunächst theoretisch eingeordnet werden, um anschließend einen Überblick über die empirische Forschung zum Thema aufzureißen. Auf dieser Grundlage ist dann ein direkter Vergleich der beiden Untersuchungsgegenstände möglich.
3.
Medienbeobachtung 2.0: Potenziale und Probleme von Medienblogs
In den vergangenen Jahren hat sich ein lebhafter Diskurs über das Verhältnis von Journalismus und Weblogs entwickelt – sowohl unter beteiligten Beobachtern (vgl. Neuberger/
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Nuernbergk/Rischke 2009) als auch unter Wissenschaftlern (vgl. Neuberger/Nuernbergk/ Rischke 2007). Erstaunlich ist, dass wissenschaftliche Analysen dabei einen Untersuchungsgegenstand lange Zeit ausgespart haben, der eigentlich ein zentrales Scharnier dieses Verhältnisses darstellt: die Medienblogs. Sie sollen im Folgenden im Fokus stehen. Medienblogs sind, ebenso wie Weblogs generell (vgl. Schmidt 2006: 13), formal als regelmäßig aktualisierte Websites zu charakterisieren, die ihre Inhalte in umgekehrt chronologischer Reihenfolge anordnen. Die einzelnen Beiträge lassen sich über eindeutige Uniform Resource Locators (URLs) identifizieren und können in der Regel kommentiert werden. Im Gegensatz zu anderen Blogtypen zeichnen sich Medienblogs durch eine inhaltliche Spezialisierung auf das Themenfeld Medien und Journalismus aus. Die ersten vorliegenden Forschungsarbeiten zur Gattung der Medienblogs unterscheiden verschiedene Untertypen (vgl. Wied/Schmidt 2008: 179f.; Mayer et al. 2008b: 589): x x x x
persönliche Blogs von Rezipienten, bei denen eine Thematisierung von Journalismus und Medien vorkommen kann, aber nicht zwingend im Mittelpunkt der Site steht, Watchblogs, die sich explizit einer kritischen Fremdbeobachtung und -thematisierung von Journalismus und Medien widmen, Redaktionsblogs, die von Mitgliedern journalistischer Redaktionen geführt werden und in den Onlineauftritt ihres Mediums integriert sind, und Kritikerblogs, die ebenfalls in das redaktionelle Angebot eines Massenmediums integriert sind, jedoch von externen Kritikern gepflegt werden.
Eine derartige Typologie ist jedoch problematisch, da sie als Gliederungsmerkmale mal auf die Organisationsform abstellt (z. B. Integration in eine journalistische Organisation), dann jedoch wieder eine bestimmte Praxis des Bloggens in den Vordergrund rückt (z. B. kritische Fremdbeobachtung); damit arbeitet sie nicht trennscharf (vgl. Eberwein 2008b). Sinnvoller erscheint es, in Anlehnung an Domingo/Heinonen (2008: 7ff.) konsequent auf den Grad der Institutionalisierung als Unterscheidungsmerkmal zurückzugreifen und damit zu differenzieren zwischen: x x x x
Bürgerblogs: Medienblogs, die von Privatpersonen außerhalb des Journalismussystems betrieben werden, Rezipientenblogs: Medienblogs, die von Privatpersonen innerhalb des Journalismussystems betrieben werden, Journalistenblogs: Medienblogs, die von journalistischen Rollenträgern außerhalb journalistischer Organisationen betrieben werden, und Redaktionsblogs: Medienblogs, die von journalistischen Rollenträgern innerhalb journalistischer Organisationen betrieben werden.
Diese Gliederung macht deutlich, dass Medienblogs je nach Institutionalisierungsgrad mal journalismusextern und mal journalismusintern verortet werden können, im letzteren Falle sowohl innerhalb als auch außerhalb journalistischer Organisationen. Diese Erkenntnis korrigiert die Konzeption von Hutter (2009: 39ff.), der Medienblogs pauschal in das Journalismussystem inkludiert. Sie zeigt, dass Medienblogs prinzipiell nicht an ein bestimmtes Funktionssystem gebunden sind und auch selbst keinen Systemstatus haben. Vielmehr sind
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sie, wie andere Blogs auch, im Sinne der Systemtheorie eher als neuartiges Verbreitungsmedium zu beschreiben, dessen grundlegende Funktion es ist, Kommunikation mit weiterer Kommunikation zu verbinden (vgl. Luhmann 1997: 165ff.). Aufgrund ihrer technischformalen Eigenschaften sind Weblogs dazu in der Lage, die Kommunikationsmöglichkeiten unterschiedlicher Systeme entscheidend zu erweitern. In diesen Sinne werden Weblogs zu sozialen Strukturen, die die Autopoiesis der Kommunikation stützen. Die Systemzugehörigkeit dieser Strukturen hängt davon ab, von wem sie nutzbar gemacht werden. Im Falle der Medienblogs kann die Zuordnung unterschiedlich ausfallen: Werden sie von journalistischen Rollenträgern, z. B. Redakteuren oder nicht institutionell gebundenen Freelancern, als Kommunikationsmedium verwendet, ist eine Inklusion in das Journalismussystem nahe liegend. Auch können Medienblogs jedoch von nicht-journalistischen Rollenträgern aus unterschiedlichsten Funktionssystemen betrieben werden, sei es aus der Perspektive der Politik, der Wirtschaft, der Kunst, der Wissenschaft, der Religion, des Sports usw., womit sie für den Journalismus Umwelt darstellen. Die Frage der Systemzuordnung entscheidet nun darüber, welches Funktions- und Leistungspotenzial sich der Gattung der Medienblogs zuschreiben lässt. Bei journalistischen Medienblogs ist eine Ausrichtung der Nutzung im Sinne der Leitdifferenz ‚aktuell‘/ ,nicht aktuell‘ und der Zweitcodierung ‚Medien‘/,Nicht-Medien‘ erwartbar, weswegen ihre spezifische Funktion, analog zum Medienjournalismus, in der aktuellen Beobachtung und Thematisierung gesellschaftlicher Kommunikation über Medien begründet liegt. Dabei erbringen auch sie zum einen Reflexionsleistungen für den Journalismus, zum anderen ermöglichen sie auch benachbarten Systemen Selbsterkenntnis und Stabilisierung. Nichtjournalistische Medienblogs steuern ihre Medienbeobachtung anhand unterschiedlicher Leitcodes, im Falle wissenschaftlicher Medienblogs etwa über die Differenz ‚wahr‘/ ,falsch‘, im Falle wirtschaftsnaher Medienblogs über die Unterscheidung ‚Haben‘/,NichtHaben‘. Hieraus resultieren jeweils unterschiedliche Funktionen, beispielsweise Erkenntnisgewinn oder die Verteilung knapper Güter, die jedoch auch im Journalismussystem Irritationen und damit Anpassungsprozesse auslösen können. Ähnlich wie beim Medienjournalismus stellt die Beobachtungsstrategie von Medienblogs in ihrer Gesamtheit eine Kombination aus Selbst- und Fremdbeobachtungsmustern dar, die jedoch hier ergänzt wird durch eine mögliche Außensicht auf den Journalismus. Diese zusätzliche Perspektive relativiert das Problem des „blinden Flecks“ journalistischer Medienbeobachtung. Insgesamt zeigt sich, dass Medienblogs durch ihre Nutzbarmachung in unterschiedlichen Systemzusammenhängen zumindest theoretisch ein breites Spektrum an Medienbeobachtung und -thematisierung leisten können. Dank ihrer spezifischen Eigenschaften erscheinen die für den Medienjournalismus typischen Problemdimensionen teilweise umgehbar: Da ein Großteil der Medienblogs außerhalb journalistischer Organisationen, zum Teil sogar außerhalb des journalistischen Systems insgesamt angesiedelt ist, ist eine geringere Abhängigkeit von professionellen journalistischen Selektionsmechanismen (Nachrichtenfaktoren) und damit ein umfangreicheres inhaltliches Spektrum zu erwarten; dieser mögliche Ausweg aus der Definitionsfalle verspricht eine Abkehr von überrepräsentierter TVBerichterstattung und eine Hinwendung zu vernachlässigten Medienthemen. Auch die Rollenkontextfalle scheint sich zu lockern, denn bei Medienbloggern, die nicht im Kernbereich des Journalismussystems operieren, ist eine dominante Kollegenorientierung weniger wahrscheinlich; die konstatierte Kritikhemmung dürfte sich damit lösen lassen. Die weitgehende Abnabelung von journalistischen Organisationen verspricht zudem eine Umgehung der
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Unabhängigkeitsfalle; da einige Medienblogs bereits erfolgreich alternative Finanzierungsmodelle implementiert haben (vgl. das Beispiel „Bildblog“ in Mayer et al. 2008b: 592), schwinden die Abhängigkeiten von Großkonzernen und damit mögliche Loyalitätskonflikte. Überdies ermöglichen die kommunikativen Potenziale von Medienblogs eine verstärkte Interaktion mit dem Publikum, was einen Ausweg aus der Vermittlungsfalle greifbar werden lässt. Schließlich könnte auch die Selbstverständnisfalle der Vergangenheit angehören, denn im Gegensatz zur mehrheitlich neutralen Dokumentationshaltung des Medienjournalismus werden Weblogs in der Regel Eigenschaften wie Diskussionsfreudigkeit, Meinungsvielfalt und eine persönliche Perspektive der Autoren zugeschrieben – sowohl in der Selbstsicht (vgl. Neuberger 2005: 86) als auch aus der Perspektive von Journalisten (vgl. Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2007: 106, 2008: 110f.). Wie auch Rischke (2006) vermutet, verfügt die Berichterstattung in Medienblogs damit über eine Reihe potenzieller Vorteile, die sie als teilweise funktionsäquivalente Alternative zum herkömmlichen Medienjournalismus erkennbar werden lässt. Erste empirische Forschungsarbeiten zum Thema Medienblogs scheinen diese Vermutung zu bestätigen: So zeigt Hutter (2009: 95ff.) in einer vergleichenden Inhaltsanalyse, dass Medienwatchblogs eine höhere journalistische Qualität aufweisen können als die Berichterstattung in der Qualitätspresse. Auch Schönherr sieht Medienwatchblogs als mögliche Instanz der Medienkritik und -kontrolle; gemäß ihrer Inhaltsanalyse sei im deutschen Sprachraum vor allem das „Bildblog“ als „recht wirksam […] zu bewerten“ (Schönherr 2008: 132). Das legt auch die Nutzer-Befragung von Mayer et al. (2008a: 16, 2008b: 592) nahe, derzufolge fast 91 Prozent der „Bildblog“-Leser sich von der Site einen wenigstens indirekten Beitrag zur Qualitätssicherung und -verbesserung des Journalismus versprechen, auch wenn ein direkter Einfluss auf die „Bild“-Zeitung eher skeptisch beurteilt wird. Aus einer Inhaltsanalyse von Medienwatchblogs in den USA folgert Fengler (2008: 170), dass sie „[z]umindest punktuell […] die bisherigen Infrastrukturen der Qualitätssicherung immer wieder ergänzen“ dürften. Wied und Schmidt widmen sich den Gattungen der Redaktions- und Kritikerblogs (vgl. oben) und halten, gestützt auf Leitfadeninterviews mit deren Betreibern, auch diese für ein probates Mittel der journalistischen Qualitätssicherung, sofern in der beobachteten Redaktion „eine Offenheit für diese Kritik besteht und sie im journalistischen Arbeitsprozess Berücksichtigung findet“ (Wied/Schmidt 2008: 189). Leider haben die meisten der genannten Studien allenfalls explorativen Charakter und bringen aufgrund geringer Fallzahlen kaum verallgemeinerbare Befunde hervor. Zudem dominiert ein eingeschränktes funktionales Verständnis von Medienblogs als Infrastruktur journalistischer Qualitätssicherung, das die vielseitigen Potenziale dieses Medienformats verkennt. Unter dem Strich bleiben somit viele Forschungsfragen offen (vgl. Eberwein 2008a) – zumal größer angelegte Journalistenbefragungen gegenwärtig (noch) einen geringen Einfluss von Weblogs auf den redaktionellen Alltag diagnostizieren (vgl. Welker 2007: 106; Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2008: 115). Wie unterscheiden sich Medienblogs also tatsächlich von traditionellem Medienjournalismus? Können sie der großen gesellschaftlichen Bedeutung einer möglichst vielseitigen Medienbeobachtung und -thematisierung gerecht werden? Was bedeutet dies für die Zukunft des Medienjournalismus herkömmlicher Prägung? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt einer quantitativen vergleichenden Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung in Qualitätszeitungen und Medienblogs, die ich für diesen Beitrag durchgeführt habe.
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154 4.
Antworten
Für die Inhaltsanalyse wurden zum einen die Medienseiten der überregionalen Qualitätspresse in Deutschland untersucht, im Einzelnen die der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), der „Frankfurter Rundschau“ (FR) und der „tageszeitung“ (taz). Diese Publikationen wurden ausgewählt, weil sie unter den tagesaktuell publizierenden Medien am ehesten die Funktion eines Leitmediums übernehmen können, an denen sich andere medienjournalistische Organe in ihrer Themensetzung und -aufbereitung orientieren (vgl. ähnlich Krüger/Müller-Sachse 1998: 19; Hillebrand 2005: 36). Der Fokus auf tagesaktuelle Publikationen erschien sinnvoll, weil dadurch eine Vergleichbarkeit mit den kontinuierlich publizierenden Medienblogs erreicht wurde. Andere zentrale Organe des Medienjournalismus, so etwa die Medienfachdienste „epd medien“ und „Funkkorrespondenz“, wurden aufgrund ihres nicht-täglichen Erscheinungsrhythmus von der Untersuchung ausgeschlossen. Zum anderen wurden die zehn wichtigsten Medienblogs im deutschsprachigen Raum in die Analyse einbezogen. Mangels eines verlässlicheren Indikators für Relevanz wurden diejenigen Medienblogs ausgewählt, die gemäß der Weblog-Suchmaschine „Technorati“ die meisten eingehenden Links verzeichneten („Technorati-Authority“). Dafür ließ sich auf das Ranking der „Metaroll“ zurückgreifen, die diese Indexwerte unter anderem für eine Vorauswahl von deutschsprachigen Medienblogs dynamisch aktualisiert.2 In das Sample gingen damit ein: das „Bildblog“3, das Blog von Stefan Niggemeier4, „netzwertig.com“5, „Indiskretion Ehrensache“6, „medienlese.com“7, „Off the record“8, „turi2“9, „Coffee and TV“10, das „Tagesschau-Blog“11 und die „Blogbar“12. Auf diese Weise ließ sich ein breites Spektrum an Blogtypen generieren, die mal außerhalb, mal innerhalb des Journalismussystems anzusiedeln sind, mal in journalistische Organisationen integriert sind und mal unabhängig davon betrieben werden. Untersuchungszeitraum war das erste Halbjahr 2009 – oder exakter: die Kalenderwochen 1 bis 26, d. h. der Zeitraum vom 29.12.2008 bis zum 28.6.2009. Innerhalb dieser Periode wurden drei künstliche Wochen gebildet. An den so definierten Stichtagen wurden insgesamt 835 Beiträge veröffentlicht, davon 436 (52,2%) auf den Medienseiten der untersuchten Tageszeitungen und 399 (47,8%) in den analysierten Blogs. Diese Texte wurden ausgewertet im Hinblick auf ihren Umfang, den Urheber, das zugrunde liegende Recherchemuster, den vorherrschenden Medienbezug, die vorherrschende Referenzebene, die
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3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Die „Metaroll Media“ ist online unter http://www.metaroll.de/metaroll.php?seite=1&topic=media&sort= tech&spark=t abrufbar. Für diese Untersuchung wurde das Ranking vom 1.7.2009 zugrunde gelegt. Die so ausgewählten Blogs entsprachen bis auf zwei Ausnahmen den Top Ten der „Medienblogcharts“ von „medienlese.com“, die allerdings am 14.10.2008 letztmalig publiziert wurden (vgl. Reißmann 2008). http://www.bildblog.de http://www.stefan-niggemeier.de/blog http://www.netzwertig.com http://blog.handelsblatt.de/indiskretion http://www.medienlese.com http://www.off-the-record.de http://turi-2.blog.de http://www.coffeeandtv.de http://blog.tagesschau.de http://www.blogbar.de
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Haupt- und Nebenakteure, die Haupt- und Nebenthemenfelder, die Darstellungsform und das vorherrschende Kritikmuster. Ein Blick auf Anzahl und Umfang der publizierten Beiträge (vgl. Tabelle 2) verdeutlicht die unterschiedliche Produktivität der einzelnen Publikationen und Publikationstypen. Während die Medienseiten von FAZ und taz an den Stichtagen jeweils insgesamt 124 Texte veröffentlichten (das entspricht je 14,9% der Gesamttexte), kommt kaum eines der Medienblogs über 50 Beiträge hinaus. Schlusslicht ist die von Rainer Meyer („Don Alphonso“) betriebene „Blogbar“ mit 22 Beiträgen (2,6%). Das produktivste Medienblog ist „turi2“, das sich mit 83 publizierten Texten (9,9%) deutlich von den anderen Blogs abhebt und damit seinen Anspruch untermauert, als internetbasierter Medienfachdienst wahrgenommen zu werden. Klar unterhalb der anderen Tageszeitungen ist mit 71 Artikeln (8,5%) die „Frankfurter Rundschau“ anzusiedeln – dies wohl ein Resultat des Relaunchs als TabloidZeitung, in der kleinteilige Meldungsspalten weniger wichtig sind als großräumige Autorengeschichten. Tatsächlich gleicht sich die Diskrepanz zwischen den Ausreißern bei der Auswertung der Beitragsumfänge teilweise aus: Mit einer durchschnittlichen Textlänge von 1879 Zeichen (ohne Leerzeichen) erreicht die FR einen deutlich höheren Mittelwert als beispielsweise die taz, die mit 1141 Zeichen im Schnitt die kürzesten Texte veröffentlicht. Auf längere Textformen hat sich hingegen „netzwertig.com“ spezialisiert: Das Fachblog für Themen rund um die Internet-Ökonomie erreicht mit 3472 Zeichen den höchsten Durchschnittswert, erst mit weitem Abstand gefolgt von „medienlese.com“ (2597) und „Indiskretion Ehrensache“ (2510). FAZ und SZ liegen mit 2214 bzw. 2168 Zeichen im Mittel relativ nah am Gesamtdurchschnittswert von 1986 Zeichen, produzieren insgesamt jedoch – gemessen am Gesamtumfang der ausgewerteten Texte – deutlich die meisten Inhalte. Zusammenfassend zeigt sich, dass Medienseiten in der Tagespresse im Vergleich zu Medienblogs in der Regel deutlich produktiver sind – sehr wahrscheinlich eine Folge gefestigter redaktioneller Organisation und, damit verbunden, geregelter Längenvorgaben. Dies Publikation(styp)
Anzahl der Beiträge
Anteil der Beiträge
SZ FAZ FR taz Tageszeitungen Bildblog Stefan Niggemeier netzwertig.com Indiskr. Ehrensache medienlese.com Off the record turi2 Coffee and TV Tagesschau-Blog Blogbar Medienblogs Gesamt
117 124 71 124 436 38 27 48 29 39 43 83 34 36 22 399 835
14,0% 14,9% 8,5% 14,9% 52,2% 4,6% 3,2% 5,7% 3,5% 4,7% 5,1% 9,9% 4,1% 4,3% 2,6% 47,8% 100,0%
Durchschn. Umfang (Anschläge) 2167,84 2213,58 1879,31 1141,13 1841,86 1908,42 1981,70 3471,85 2509,66 2597,41 1206,12 2164,20 1556,65 1751,86 1862,82 2143,41 1985,96
Gesamtumfang (Anschläge) 253.637 274.484 133.431 141.500 803.052 72.520 53.506 166.649 72.780 101.299 51.863 179.629 52.926 63.067 40.982 855.221 1.658.273
Anteil des Gesamtumfangs 15,3% 16,6% 8,0% 8,5% 48,4% 4,4% 3,2% 10,0% 4,4% 6,1% 3,1% 10,8% 3,2% 3,8% 2,5% 51,6% 100,0%
Tabelle 2: Anzahl und Umfang der untersuchten Beiträge (Quelle: eigene Erhebung)
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bestätigt sich auch innerhalb der heterogenen Gruppe der Medienblogs, denn hier sind ebenfalls diejenigen Publikationen am produktivsten, die von redaktionell organisierten Autorengruppen betrieben werden – vor allem „turi2“ und „netzwertig.com“, aber auch „medienlese.com“ und das „Bildblog“. Medienblogs, die von Einzelpersonen und ggf. sogar als Privatprojekt bestückt werden, leisten den geringsten Output – etwa die „Blogbar“ oder das Niggemeier-Blog. Auch in der Urheberschaft ihrer Texte unterscheiden sich die Publikationstypen. In Medienblogs ist es die Regel, Eigenbeiträge zu veröffentlichen, die namentlich gekennzeichnet sind. In der Stichprobe fielen dabei lediglich zwei Ausnahmen auf: zum einen das „Bildblog“, das bis zum Relaunch im April 2009 die Eigenbeiträge mit einem Autorenkürzel kennzeichnete; zum anderen das Stefan-Niggemeier-Blog, das auf eine Kennzeichnung der enthaltenen Texte im Regelfall verzichtet, weil es als persönliches Blog des Namensgebers in punkto Urheberschaft ohnehin keine Fragen offen lassen dürfte (Ausnahme: Gastbeiträge). Insgesamt fallen bei den untersuchten Medienblogs damit 365 (91,5%) aller Artikel in die Kategorie ‚Eigenbeitrag mit Autorenname‘ und zehn (2,5%) in die Kategorie ‚Eigenbeitrag mit Autorenkürzel‘. Die 22 analysierten Texte (5,5%) ohne Angabe zum Urheber stammen allesamt aus dem Weblog von Stefan Niggemeier. Ein anderes Bild ergibt sich beim Blick auf die Medienseiten der Tagespresse: Hier finden sich nur 195 Eigenbeiträge mit Autorenname (44,7%) und 129 weitere Eigenbeiträge mit Autorenkürzel (29,6%). Hinzu kommen 48 Beiträge (11,0%), die von Nachrichtenagenturen übernommen wurden, sowie ein überraschend hoher Anteil von 58 Texten ohne Angabe zur Urheberschaft (13,3%). In den beiden letztgenannten Kategorien dominiert jeweils die taz: Sie hat mit 19,4 Prozent den höchsten Agenturanteil unter den Tageszeitungen und veröffentlichte an den Stichtagen 37,9 Prozent ihrer Beiträge ohne Autorennennung. Bei den nicht gekennzeichneten Texten handelte es sich überwiegend um kurze Empfehlungen zum TVProgramm des Tages, für die offenbar keiner der taz-Redakteure Verantwortung zeigen möchte. Den geringsten Anteil an Agenturtexten weist die SZ auf (5 Beiträge = 4,0%); die FR verfügt mit 63,4 Prozent über den höchsten Anteil an namentlich gekennzeichneten Autorentexten. Die Gegenüberstellung der Publikationstypen zeigt, dass die Medienseiten der Tagespresse wenigstens teilweise auf Fremdmaterial zurückgreifen müssen, um den angestrebten Output erreichen zu können. Die Medienblogs publizieren zwar insgesamt weniger Textmaterial, legen dafür aber gesteigerten Wert auf die Identifizierbarkeit der Urheber. Diese ist bei den Tageszeitungen auch deswegen eingeschränkt, weil ein beträchtlicher Anteil der Artikel nur mit einem Kürzel oder gar nicht gekennzeichnet ist. Die weitere Analyse der Beiträge zeigt jedoch, dass die formale Kennzeichnung ihrer Urheberschaft nicht zwangsläufig deckungsgleich ist mit dem Weg der Informationsbeschaffung. Unterscheidet man in Anlehnung an Malik (2005: 51ff.) zwischen den Recherchemustern ‚Reproduktion‘, ‚Addition‘ und ‚aktive Informationssammlung‘, so ergibt sich in der Stichprobe eine andere Gewichtung. Nicht nur die Medienseiten der Tagespresse publizieren durch die Übernahme von Agenturtexten Fremdmaterial, auch in den Medienblogs finden sich rein reproduzierende Inhalte – und zwar in 51 (12,8%) der untersuchten Beiträge, d. h. sogar geringfügig häufiger als in den Zeitungen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Blogautoren sich in ihren Postings auf die bloße Wiedergabe von Zitaten beschränken oder ohne weitere Beschreibung und Kommentierung Linktipps auflisten. Derartige Leseempfehlungen, die sich nicht selten auf Beiträge aus dem Umfeld des traditionellen Medienjournalismus beziehen, sind bei „medienlese.com“ und „netzwertig.com“ sogar
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in eigenständigen Rubriken institutionalisiert, weswegen vor allem diese beiden Publikationen als reproduktive Medienblogs auffallen. Auch in anderen Blogs finden sich jedoch vergleichbare Postings, die freilich trotz ihres ausschließlich reproduzierenden Charakters in der Regel mit dem Namen des Bloggers gekennzeichnet sind. Die Mehrzahl der Blogbeiträge ist allerdings dem Muster einer additiven Recherche zuzuordnen. Dabei basieren die Inhalte im Kern auf einem Thema, das von einem Fremdmedium recherchiert wurde, auf das im eigenen Beitrag Bezug genommen wird. Gleichzeitig wird diese Vorarbeit jedoch durch eigene Nachrecherchen oder eine selbständige Kommentierung ergänzt, die dem Text eine individuelle Note geben. Ein derartiges Vorgehen lässt sich bei insgesamt 190 Blogeinträgen (47,6%) nachweisen. Eine aktive, d. h. voll und ganz eigenständige, Informationssammlung ist bei 158 (39,6%) der Blogpostings erkennbar, wobei allerdings einzelne Medienblogs in dieser Kategorie deutlich hervorstechen – zum Beispiel das von Lukas Heinser betriebene „Coffee and TV“ sowie das Blog der „Tagesschau“-Redaktion, die in jeweils über drei Vierteln ihrer Texte eine aktive Recherche erkennen lassen, häufig im Stile eines Erfahrungsberichts. Insgesamt können jedoch vor allem die Medienseiten der analysierten Zeitungen mit einer eigenständigen Informationssammlung punkten – und zwar in 256 (58,7%) ihrer veröffentlichten Artikel. Den höchsten Anteil erreicht dabei mit über 70 Prozent die FR; negativer Ausreißer ist mit nur 44 (35,5%) aktiv recherchierten Beiträgen die taz, bei der stattdessen additive Muster der Informationssammlung überwiegen. Alles in allem bestätigen die Befunde eine These, die Neuberger/Nuernbergk/Rischke (2007: 109) auch für Weblogs allgemein herausgearbeitet haben: Demnach ist dieses noch junge Medienformat vorwiegend als „Resonanzraum der Massenmedien“ zu verstehen, der durch Bezugnahme auf Themen und Inhalte aus traditionellen Publikationen eine Möglichkeit zur Anschlusskommunikation bietet, gleichzeitig jedoch wenig originären Input in den öffentlichen Diskurs einspeist. Dies scheint in der Tendenz auch für Medienblogs zu gelten, die in vielen Fällen durch ihre kritische Auseinandersetzung mit herkömmlichen medienjournalistischen Erzeugnissen die gesellschaftliche Kommunikation über Medienthemen zwar entscheidend bereichern, jedoch zumeist nicht als Auslöser dieser Kommunikation gelten können. Medienblogs sind damit ohne originären Medienjournalismus kaum denkbar. Nur im Verbund mit diesem können sie ihre gesellschaftliche Funktion zur Entfaltung bringen. Können Medienblogs einen Gegenpol zur TV-Dominanz in der Medienberichterstattung der Tagespresse bilden? Ein Blick auf den vorherrschenden Medienbezug der untersuchten Beiträge legt dies nahe. 202 (50,6%) der analysierten Blogtexte richten ihr zentrales Augenmerk auf das Internet, während sich 93 Postings (23,3%) vorwiegend mit Printentwicklungen befassen und nur 60 (15,0%) das Fernsehen in den Mittelpunkt rücken. Das ist ein deutlicher Kontrast zur Berichterstattung der Medienseiten: Dort stehen TV-Themen klar im Fokus des Interesses (254 Texte = 58,3%), am zweitwichtigsten sind die Druckmedien (135 Texte = 31,0%), das Internet fällt mit 35 Printartikeln (8,0%) merklich ab. Hörfunkthemen haben sowohl in der Tagespresse als auch in Medienblogs allenfalls eine nebensächliche Bedeutung. Interessant scheint noch der Hinweis, dass in den untersuchten Blogs – im Gegensatz zu den Medienseiten – ein durchaus beachtlicher Anteil von 10,8 Prozent der Beiträge (n=43) überhaupt keinen Medienbezug aufweist. Offensichtlich nutzen Medienblogger ihr Publikationsformat auch für Einlassungen jenseits ihres Kernthemas, für die ihnen kein anderes Forum zur Verfügung steht. Bei Medienblogs, die von Privatpersonen betrieben werden, kann diese Art der Berichterstattung in bestimmten Publikationspha-
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sen sogar erhebliche Ausmaße annehmen, wie das Beispiel von „Coffee and TV“ mit über 40 Prozent entsprechenden Texten zeigt. Die untersuchten Medienseiten der Tagespresse scheinen in ihren Thematisierungsstrategien hinsichtlich des Medienbezugs jedoch überaus stringent konturiert und auch im medieninternen Vergleich relativ einheitlich. Zusammengenommen zeigen die Zahlen, dass die analysierten Blogs in ihrem Medienbezug über ein auffällig eigenständiges inhaltliches Profil verfügen, das sie als gewinnbringende Alternative zur Medienberichterstattung der Tagespresse erscheinen lässt. Vor allem bei Netzthemen können sie den Defiziten der Druckmedien eine umfangreiche Berichterstattung entgegensetzen. Die Randständigkeit des Radios ist allerdings sowohl in den Blogs wie auch im Print eklatant. Aus den aufgezeigten Unterschieden beim Medienbezug folgt, dass auch die Referenzebenen der Medienbeobachtung in Tageszeitungen und Weblogs differieren. Während auf den untersuchten Medienseiten mehr als zwei Drittel aller Beiträge (299 = 68,6%) primär intermediale Bezüge aufweisen, d. h. sich auf andere Medientypen konzentrieren, ist dies in den Blogs bei weniger als einem Drittel (128 = 32,1%) der Fall. Hier dominieren in 189 Texten (47,4%) intramediale Referenzen, die sich auf das Medium richten, dem auch die eigene Publikation angehört. Immerhin 39 Blogpostings (9,8%) wählen einen organisationsinternen Blickwinkel; dies kommt bei den Tageszeitungen nur in sechs Fällen (1,4%) vor. Als Spielwiese der Selbstreferenzialität darf vor allem das „Tagesschau-Blog“ gelten, wo sich zwei Drittel aller Beiträge auf organisationsinterne Vorgänge innerhalb der „Tagesschau“-Redaktion beziehen. Alle anderen Publikationen erreichen in dieser Kategorie deutlich geringere Werte. Die Medienseiten der Tagespresse scheuen sich offenbar nicht nur vor organisationsinternen Beobachtungen, sondern auch vor intramedialen Referenzen generell, die in nur 29,8 Prozent aller Texte (n=130) dominieren. Möglicherweise ist dies eine Folge der oben referierten Einsicht, dass intermediale Beobachtungsmuster für journalistische Organisationen im Hinblick auf einen anzustrebenden Systemerhalt generell weniger problembehaftet sind als intramediale oder gar organisationsinterne. Dies hält einige Medienblogs jedoch nicht davon ab, gerade in Beobachtungskonstellationen der beiden letzteren Typen einen besonderen Schwerpunkt zu setzen. Auffällig ist hier vor allem „netzwertig.com“ mit 100 Prozent intramedialen Bezügen, aber auch Don Alphonsos „Blogbar“ mit 86,4 Prozent in derselben Kategorie. Scheinbar sind die organisationellen Zwänge hier deutlich weniger stark ausgeprägt als im herkömmlichen Medienjournalismus – ein selbstbeschränkender Einfluss auf die Wahl der Referenzebenen lässt sich in den Blogs jedenfalls nicht nachweisen. Welche Akteure prägen die Medienberichterstattung? In den untersuchten Medienblogs dominieren Journalisten das Geschehen: Sie stellen in 38,1 Prozent der Blogpostings (n=152) den Hauptakteur. Das ist sogar ein höherer Anteil als in den medienjournalistischen Texten der Tagespresse, wo journalistische Akteure in 25,9 Prozent der Fälle (n=113) die Hauptrolle spielen. Die wichtigsten Akteure der gedruckten Medienseiten sind der Gruppe der ‚sonstigen Medienakteure‘ zuzuordnen, in der nicht-journalistische Rollenträger wie Filmregisseure, Schauspieler und Musiker zusammengefasst wurden. Sie bilden in 126 Zeitungsartikeln (28,9%) die Hauptakteursgruppe, während sie in den Blogtexten nur 28 Mal (7,0%) in den Mittelpunkt gerückt werden. Für beide Publikationstypen bedeutsam ist hingegen die Gruppe der ‚(medien)wirtschaftlichen Akteure‘, die in den untersuchten Zeitungen in 114 Beiträgen (26,1%), in den Blogs in 102 Beiträgen (25,6%) im Fokus stehen. ‚(Medien)politische Akteure‘ fallen demgegenüber mit 13,5 bzw. 8,1 Prozent bereits deut-
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lich ab. Offensichtlich, aber kaum überraschend ist, dass ‚Blogger‘ (egal aus welchem Systemkontext) fast ausschließlich in Medienblogs Hauptakteursstatus erlangen – und zwar in 16,8 Prozent der Fälle (n=67). In den Zeitungen erreichen sie nur in vier Texten (0,9%) eine entsprechende Bedeutung. Interessant ist hingegen, dass auch in den Blogs nur in zehn Postings (2,5%) Rezipienten als Hauptakteure figurieren. Sie sind damit in beiden Publikationsgattungen ebenso unter „ferner liefen“ einzuordnen wie die Gruppen der ‚unabhängigen Experten‘ sowie der ‚Verbände und sonstigen Institutionen außerhalb der Medienbranche‘. Diese gewinnen in der Medienberichterstattung allenfalls als Nebenakteure eine gewisse Bedeutung. Zusammengenommen zeigen die Daten zu den Akteuren der Medienberichterstattung, dass Medienblogs in hohem Maße als Instanz der Journalismusbeobachtung wahrgenommen werden müssen. Sie nehmen die entsprechenden Akteure sogar konstanter in den Blick als die Medienberichterstattung der untersuchten Tageszeitungen, die stattdessen lieber Akteure aus der Unterhaltungs- und Musikbranche auftreten lassen. Möglicherweise ist auch dies Ausdruck einer gewissen Scheu vor selbstbezüglichen Thematisierungsstrategien, die für den organisationellen Journalismus offenbar in der Regel mehr Probleme mit sich bringen als für die Individualkommunikatoren mancher Medienblogs. Hoffnungen, dass durch ein Mehr an Interaktivität in den Blogs häufiger Nutzerperspektiven eingenommen werden, müssen anhand der Befunde allerdings zerstreut werden: Entsprechende Akteurskonstellationen kommen in den untersuchten Internet-Publikationen nur minimal häufiger vor als in den Druckmedien. Sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede offenbaren auch die Befunde zu den verschiedenen Themenfeldern der Medienbeobachtung in Blogs und Tageszeitungen. Häufigstes Hauptthemenfeld ist der Bereich der ‚Beitrags- und Programminformation bzw. -kritik‘ – sowohl online wie auch in der Presse. In den untersuchten Blogs finden sich 81 Texte (20,3%), die primär dieser Kategorie zuzuordnen sind, auf den Medienseiten sogar 146 (33,5%). Allerdings unterscheiden sich die derartig codierten Beiträge in inhaltlicher Hinsicht zum Teil fundamental: Während die analysierten Presseerzeugnisse hier vor allem klassische Ankündigungen oder Rezensionen zum (zumeist unterhaltenden und/oder fiktionalen) Fernsehprogramm bieten, haben viele Blogs die Kampfzone ausgeweitet und thematisieren (mehrheitlich journalistische) Inhalte aus unterschiedlichsten Medien. Eindrucksvollstes Beispiel ist dabei das „Bildblog“, das im Stile eines Watchblogs bis zum Relaunch im April 2009 vor allem journalistische Fehlleistungen der „Bild“-Zeitung in den Blick nahm, in der Folgezeit jedoch auch andere Medien unter Beobachtung stellte. Hier sind 73,7 Prozent aller Postings Beitragskritik im weitesten Sinne, im Blog von Stefan Niggemeier immerhin 48,1 Prozent. Derartige Journalismuskritik kommt in der Tagespresse, wie auch die oben referierten Ergebnisse nahe legen, vergleichsweise selten vor. Daneben haben Blogs und Zeitungen allerdings noch einen weiteren gemeinsamen thematischen Schwerpunkt: Beide berichten mehr oder weniger häufig über ‚Medienorganisationen und Medienentwicklung‘ – die Tageszeitungen 91 Mal (20,9%), die Blogs wenigstens noch 32 Mal (8,0%). Ansonsten divergieren die Präferenzen für unterschiedliche Themenfelder zwischen den Medientypen, aber teilweise auch von Publikation zu Publikation recht deutlich: In den Blogs lassen sich Schwerpunkte in den Bereichen ‚Medienökonomie‘ (16,0%), ‚Medientechnik‘ (11,0%) und ‚Werbung‘ (10,3%) ausmachen, aber auch ‚Blogger‘ (6,3%) werden vergleichsweise häufig thematisiert. Die Medienseiten der Tageszeitungen interessieren sich neben den bereits genannten Bereichen vor allem für ‚Medienrecht‘ (8,3%) und ‚Kommunikationspolitik‘ (7,8%), auch ‚Journalisten/Redakteure‘ (8,0%) werden jedoch
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relativ oft zum (Haupt-)Thema. Darüber hinaus findet sich in beiden Publikationstypen eine ganze Reihe weiterer Themenfelder, die aber in den meisten analysierten Texten nicht im Kern der Auseinandersetzung stehen. Es ist daher verzichtbar, sie hier im Detail vorzustellen. Aufschlussreich ist es stattdessen, die verschiedenen Themenfelder im Sinne von Weischenberg und Malik (vgl. oben) in Kontextebenen zusammenzufassen, denn dabei zeigen sich weitere Unterschiede zwischen Blogs und Presse: Während Erstere fast die Hälfte ihrer Beiträge (46,1%) auf Strukturkontexte beziehen und die anderen Kontextebenen dementsprechend zu kurz kommen, zeigt sich bei Letzterer ein ausgewogeneres Bild. Zwar gibt es auch bei den Druckmedien mit 35,8 Prozent Beiträgen mit Bezug zu Funktionskontexten eine klare Schwerpunktsetzung, doch auch die Struktur- (27,7%), Rollen- (19,5%) und Normenkontexte (17,0%) werden keineswegs marginalisiert. Insgesamt hat die Medienberichterstattung in Tageszeitungen demnach einen eher universellen Charakter, während sich Medienblogs in der Themenwahl eher durch Spezialisierung auszeichnen. Auch wenn die Blogs in einigen Bereichen Thematisierungsdefizite der gedruckten Medienseiten möglicherweise ausgleichen können – ein vollgültiger Ersatz sind sie offenkundig nicht. Auf welche Art und Weise werden die Inhalte der analysierten Medienseiten und Blogs dargestellt? Aufschluss über diese Frage bietet eine Zuordnung der Texte zu verschiedenen journalistischen Genres. Zwar konnte vor allem im Falle der Blogs nicht davon ausgegangen werden, dass alle enthaltenen Postings journalistische Beiträge in Sinne einer ‚reinen Genrelehre‘ darstellen – dies ist nicht einmal in der Qualitätspresse der Fall. Wohl aber ließen sich sämtliche untersuchten Texte im Sinne von Pöttker/Kornilov (2009) nach ihrem vorherrschenden kommunikativen Prinzip in verschiedene Genregruppen aufteilen: So wurden ‚objektivierende‘, ‚argumentierende‘, ‚authentifizierende‘, ‚dialogische‘, ‚narrative‘ und ‚personifizierende Darstellungsformen‘ unterscheidbar. Auf den Medienseiten der Tageszeitungen dominieren, wie nicht anders zu erwarten, objektivierende Beiträge (v. a. Nachrichten) – sie stellen hier mit 256 Texten (58,7%) mit Abstand die größte Gruppe. Auch argumentierende Textformen (wie Kommentar, Glosse oder Rezension) nehmen mit 35,1 Prozent (n=153) jedoch einen beträchtlichen Anteil ein. Unter den sonstigen Darstellungsformen sind in der Tagespresse am ehesten noch die personifizierenden (z. B. Porträt) und die dialogischen (v. a. Interview) hervorzuheben, ihr Anteil ist mit 3,2 bzw. 2,1 Prozent jedoch bereits marginal. Auch in den Medienblogs stehen objektivierende und argumentierende Genres klar im Vordergrund, das Verhältnis kehrt sich hier allerdings um: 63,7 Prozent aller Postings (n=254) bauen auf ein argumentatives Kommunikationsprinzip, während nur 30,6 Prozent (n=122) eine objektivierende Informationsvermittlung anstreben. Besonders auffällig ist die Dominanz argumentativer Genres in Blogs wie Don Alphonsos „Blogbar“, Thomas Knüwers „Indiskretion Ehrensache“ oder „Off the record“, wo jeweils zwischen 90 und 100 Prozent aller Texte kommentieren und kritisieren. Weitere Darstellungsformen sind auch in den Blogs nur nebensächlich. Bemerkenswert ist, dass es bei den Bloggern keine Rolle zu spielen scheint, wen oder was sie thematisieren: Eine besondere Kritikhemmung bei bestimmten Medienbezügen, Akteuren oder Themen ist nicht nachzuweisen, denn die Gewichtung der Genres entspricht dort jeweils im Großen und Ganzen dem Gesamtdurchschnitt. Zudem fällt auf, dass fast zwei Drittel der kommentierenden Blogpostings eine negative Wertung formulieren, wie eine gesonderte Auswertung der Kritikmuster zeigt. Das ist bei den Tageszeitungstexten anders: Hier beziehen sich 81,7 Prozent der argumentierenden Beiträge auf das Fernsehen und nur 10,5 Prozent auf Printentwicklungen, die ihrerseits mehrheitlich objektivierend thematisiert werden. Eine ähnli-
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che Tendenz zeigt sich bei den Akteursbezügen: Während über Journalisten (67,3%), aber vor allem auch über Vertreter der (Medien-)Wirtschaft (82,5%) vorwiegend objektivierend berichtet wird, beziehen sich argumentierende Textformen besonders häufig auf (nichtjournalistische) Vertreter der Film- und Musikbranche. Aber selbst hier bleibt offene Kritik die Ausnahme: Nur 19,7 Prozent aller wertenden Beiträge haben einen negativen Einschlag; eine deutliche Mehrheit begnügt sich mit apologetischen Kritikmustern (54,1%) oder wägt zwischen positiven und negativen Aspekten ab, ohne zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen (26,1%). Insgesamt wird klar, dass sich die Medienredaktionen der Tageszeitungen offenbar vor allem dort mit kritischer und kommentierender Berichterstattung zurückhalten, wo sie am ehesten mit negativen Rückkopplungen auf das eigene System rechnen müssen. Derartige Erwägungen lassen sich für die Medienblogs anhand der vorliegenden Daten nicht vermuten. Gleichzeitig ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der hohe Anteil an kommentierenden Texten in den Blogs keinesfalls dafür geeignet erscheint, die Informationsfunktion des Medienjournalismus in ausreichendem Maße abzudecken. Auch im Hinblick auf die Darstellungsformen und die enthaltenen Kritikmuster lässt sich damit festhalten, dass Medienblogs kaum als Ersatz für die Medienberichterstattung der Qualitätszeitungen dienen können, wohl aber als sinnvolle Ergänzung, die eine mangelnde Kritik gegenüber journalistischen und (medien)wirtschaftlichen Akteuren vor allem aus dem Printbereich ausgleichen kann.
5.
Fazit
Der tagesaktuelle Medienjournalismus traditioneller Prägung steckt in einer Dauerkrise. Die vorliegende Forschung zum Thema attestiert ihm verheerende Defizite, die eine adäquate Erfüllung seiner gesellschaftlichen Funktionen und Leistungen scheinbar unmöglich machen. Können Medienblogs als neuartige Instanz der Beobachtung und Thematisierung von Medien und Journalismus diese Defizite auffangen und damit zur Alternative für den herkömmlichen Medienjournalismus werden? Eine vergleichende Inhaltsanalyse von ausgewählten Medienblogs und den Medienseiten überregionaler Tageszeitungen in Deutschland legt ein zwiespältiges Fazit nahe: Zwar bieten Blogs durch ihre Abkehr von gängiger TV-Berichterstattung und ihre Hinwendung vor allem zu Internetthemen einen wichtigen Gegenpol zu den Inhalten der Tagespresse. Eine größere Unabhängigkeit von journalistischen Rollenträgern und Medienorganisationen führt zudem zu mehr Meinung in den veröffentlichten Texten und macht somit einen kritischeren Blick primär auf den Journalismus und die Medienwirtschaft möglich. Gleichzeitig zeigen die erhobenen Daten jedoch, dass Medienblogs zum gegenwärtigen Zeitpunkt allenfalls als Ergänzung zum Medienjournalismus der Tagespresse funktionieren, nicht aber als Ersatz. Dafür fehlt es ihnen nämlich an Kontinuität in der Berichterstattung und an eigenständiger Recherche. Ihre Spezialisierung auf Themen aus den Strukturkontexten des Journalismus führt zu inhaltlichen Ausblendungen auf anderen Ebenen. Insgesamt erscheinen die medienjournalistischen Inhalte der Tageszeitungen damit trotz aller Mängel noch vielseitiger als die der Blogs, die auch eine Hoffnung auf mehr Rezipientenbezüge in den Beiträgen nicht erfüllen können. Medienblogs sind damit keinesfalls ein modernes Wundermittel der öffentlichen Medienbeobachtung. Sie können Defizite der Tageszeitungen in Teilen ausgleichen. Die viel-
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fältigen Funktionen und Leistungen des medienjournalistischen Subsystems in ihrer vollen Tragweite erfüllen – das können sie augenscheinlich nicht. Dies ist auch deshalb kaum möglich, weil ihnen dafür breite gesellschaftliche Aufmerksamkeit zuteil werden müsste. Im Vergleich zur Qualitätspresse mangelt es den Medienblogs bislang jedoch an Reichweite. Allein dies wäre Grund genug, die Frage „Wozu Zeitung?“ für das Feld der Medienberichterstattung konservativ zu beantworten: weil es eine funktionsadäquate Alternative zur Medienbeobachtung und -thematisierung der Tagespresse gegenwärtig nicht gibt. Dennoch täten gerade die Medienredakteure im Printbereich gut daran, die rege Publikationstätigkeit der Medienblogs intensiv zu verfolgen, denn diese können gerade in Zeiten des Medienumbruchs vielfältige inhaltliche Anregungen vermitteln. Das gilt nicht nur für ihre Auseinandersetzung mit Themen rund um das Internet. Gerade auch in der Journalismus-Berichterstattung entwickeln sich Blogs mehr und mehr zu einem kritischen Korrektiv, das der Branche einen Spiegel vorhält und damit Selbstreflexion motiviert. Überdies kann auch die Meinungsfreudigkeit der Medienblogger in den Zeitungsredaktionen für neue Diskussionsanreize sorgen, die es sich fortzuspinnen lohnt. Um es metaphorisch zu wenden: „Blogville“ ist immer eine Entdeckungsreise wert – die Heimstatt „Holzhausen“ kann von der dortigen Innovationslust nur profitieren.
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III. Journalismus und Migration
Integration durch Kommunikation Fünf Thesen über einen notwendigen kommunikationswissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs Petra Herczeg
Im Fernsehen hört Samuel Opoku die deutschen Politiker manchmal von ‚Integration‘ reden. Vor allem, wenn Kinder im Alter seiner Söhne wieder Mist gebaut haben. Aber was erwarten diese Politiker von ihm, von Samuel Opoku? Vor 27 Jahren ist er in Hamburg angekommen, fast ebenso lange stellt er sich diese Fragen. Nur kann sie niemand hören, weil Samuel Opoku sie niemals ausspricht. Sein Deutsch ist immer noch zu schlecht. (Die Zeit v. 7.5.2009)
In der „Zeit“-Reportage wird das Leben einer afrikanischen Migrantenfamilie beschrieben, die aufbereiteten Inhalte können prototypisch als theoretisier- und problematisierbare Dimensionen sowohl für den wissenschaftlich geführten als auch für den politischen und öffentlichen Diskurs geltend gemacht werden.
These 1: Das Integrationsmoment der Kommunikations- und Mediengesellschaft lässt sich nicht automatisch voraussetzen – es muss aktiv erkannt werden. Alle Integrationsprozesse – von ihren strukturellen bis zu den emotionalen Aspekten – sind im Kern Kommunikationsprozesse. Dies impliziert aber nicht, dass „Integration“ synonym mit „Kommunikation“ gesetzt wird, sondern es geht darum, eine vertiefende Begriffsanalyse und Arbeit am Begriffsfeld „Integration“ und „Kommunikation“ zu führen. Münch hat bereits 1993 darauf hingewiesen, dass moderne Gesellschaften – unabhängig von ihrer Größe – nicht nur aus funktional ausdifferenzierten Teilsystemen bestehen, „sondern auch aus sozialen Gruppen, die es in eine solidarische Bürgergemeinschaft zu integrieren gilt.“ (Münch 2008a: 70) Die Integration „in eine solidarische Bürgergemeinschaft“ erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Bereits in der „Theorie des Handelns“ beschreibt Münch – ausgehend von der Auseinandersetzung mit Talcott Parsons, Émile Durkheim und Max Weber –, dass es um die Einbeziehung der Individuen in die Verständigungsprozesse geht, um auf der emotionalen Ebene eine Identifikation und Verbundenheit mit einer gemeinsam zu teilenden Lebenswelt zu erzielen (vgl. Münch 1988: 597). Verständigungsprozesse sind Kommunikationsprozesse, die darauf abzielen, dass trotz der Ausdifferenzierung der Gesellschaft die Integration der Gesellschaft gewahrt wird. „Verständigung“ bedeutet, dass es auch um den Austausch von Regeln zwischen Menschen geht, und um die Regeln „teilen zu können, müssen sie sich über ihren Sinn verständigen können.“ (Münch 1988: 592) Wie Horst Pöttker feststellt, geht es bei Begriffen, die sich auf sozialen Wandel beziehen – also auch beim Begriff der „Integration“ –, nicht um absolute Eigenschaftsbegriffe, sondern um ein mögliches gesellschaftliches Veränderungspotenzial, das den Begriff charakterisiert. Integration ist kein Zustand, sondern ein Prozess (vgl. Pöttker 2005: 28). Integrationsprozesse haben keinen „definierten“ Endpunkt, sie sind per se endlos. Die Bürgerrechte mar-
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kieren dabei das Fundament einer Gemeinschaft, die sich aus freien und gleichen Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzt. Die kommunikative gesellschaftliche Selbstverständigung verlangt von allen Individuen und Gruppen permanent, dass diese Integrationsleistungen erbringen, indem sie bestimmte Aufgaben und Positionen in der Gesellschaft übernehmen. Samuel Opoku hofft, dass diese Schule eine Antwort ist auf jene Fragen, die ihm durch den Kopf gehen. Dass ihr Portal das Tor wird, durch das seine Kinder es nach Deutschland schaffen. Söhne eines putzenden Afrikaners, aus denen Juristen oder Wirtschaftswissenschaftler werden. Am liebsten aber Ärzte. Wer Arzt ist, ist oben. Deshalb wolle er, dass sie lernen. Damit sie nicht tun müssen, was er tut. Damit sie nicht werden, was er ist. In Samuel Opokus Worten heißt das: „I tell them to study hard. To have a better life.“ (Die Zeit v. 7.5.2009)
Was bedeutet aber „To have a better life“? Sind die Möglichkeiten eines gesellschaftlichen Aufstiegs die Maßeinheit für ein „besseres Leben“? In dieser Stellungnahme wird deutlich, dass Samuel Opoku einen stark strukturell bestimmten Gesellschaftsbegriff verwendet. Vor diesem Hintergrund lässt sich seit geraumer Zeit eine verstärkte Debatte um das Verständnis von „Integration“ festmachen, deren Interpretation keineswegs einem einheitlichen Duktus folgt (vgl. auch Gruber/Herczeg/Wallner 2009). Im Gegenteil, der Integrationsbegriff wird in den öffentlichen Diskursen zumeist sehr diffus verwendet, und der Interpretationsrahmen reicht von dem Verständnis einer Anpassung an die Gesellschaft (Stichwort: Assimilation) bis zur Position, dass Integration auch von Seiten der Mehrheit gewisse Leistungen erfordert (Stichwort: Interkulturelle Integration). Im wissenschaftlichen Diskurs werden zwei unterschiedliche Integrationszugänge unterschieden: die System- und die Sozialintegration. Die Systemintegration umfasst die institutionellen Regulierungen und das Verhältnis der kollektiven Akteursgruppen zur Öffentlichkeit. Sozialintegration ist ein umfassenderer komplexerer Vereinigungsprozess, der auch „des subjektiv gemeinten Sinns bedarf, den Menschen ihren Handlung(sweis)en unterlegen“ (Pöttker 2005: 30). Der Begriff „Integration“ weist – wie Geißler und Pöttker schreiben – einen Doppelcharakter auf, indem er einerseits eine analytisch-wissenschaftliche Dimension besitzt, gleichzeitig aber auch eine normativ-politische Komponente (vgl. Geißler/Pöttker 2006: 17f.). Denn Integration ist – dies zeigt sich in den öffentlich geführten Diskursen – eine „erwünschte“ Entwicklung mit bestimmten definierten Zielvorstellungen, die vor allem von der Mehrheitsbevölkerung vorgegeben werden. Integrationsleistungen müssen aber auch von der Mehrheitsbevölkerung – von einzelnen Gruppen – im Rahmen kommunikativer gesellschaftlicher Selbstverständigung erbracht werden.
These 2: Kommunikation gewährleistet Integration und Zusammenhalt in einer Gesellschaft. Wie Mummendey und Kessler schreiben, ist das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Zugehörigkeiten nicht mehr als eine vorübergehende Ausnahme zu verstehen, sondern es muss als eine auf Dauer gestellte Normalität begriffen werden (vgl. Mummendey/Kessler 2008: 513). Diese Normalität impliziert – wie die beiden Autoren ausführen – die Wahrnehmung und das Bewusstsein, dass es Unterschiede gibt, die auf verschiedene Faktoren in der Gesellschaft – wie Herkunft, Sprache, Religion oder Kultur – bezogen werden können. Natio-
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nal-ethnische Handlungsräume sind kulturelle Handlungsräume, in denen auch über mediale Vermittlung unterschiedliche Interpretationen gesellschaftlicher Wirklichkeiten ausverhandelt werden. Ein nationaler Raum ist immer auch ein kommunikativer Raum: „[E]r ist sozialer Raum, in dem sich Gruppen aufeinander beziehen und ständig voneinander abgrenzen.“ (Schiffauer 2008: 117) Gesellschaftliche Selbstverständigungsdiskurse, die auch den Umgang mit den Anderen umfassen, sind einerseits durch die Produktion von gemeinsamen sinnstiftenden Bedeutungen und andererseits in der Rezeption und Partizipation der unterschiedlichen Gruppenmitglieder zu charakterisieren. Der Nationenbegriff kann auch als eine kulturelle Chiffre für eine notwendige Inklusion aller Mitglieder einer Gemeinschaft gesehen werden (vgl. Nassehi 1990). Nationen sind von ihrer Ausrichtung her „keine ‚objektive‘ Gegebenheit der Gemeinschaftsbildung nach gleicher Rasse, Kultur oder Religion, sondern eine von solchen Unterschieden zwischen den Menschen absehende politische Konstruktion.“ (Münch 2008b: 253) Nationen sind „vorgestellte politische Gemeinschaften“ (vgl. Anderson 1998), die diskursiv entstehen und in Diskursen vermittelt werden. Nationale Identitäten sind das Ergebnis von Diskursen. Nationen sind von der Idee her ein universalistisches Projekt, auf der Realitätsebene entstehen Nationen durch das Zusammenwachsen von Bevölkerungsgruppen, begriffen als eine bestimmte Einheit mit einer spezifischen Identität, die sich von anderen Nationen abgrenzt und daher auch Schwierigkeiten hat, Menschen mit anderen Nationalitäten als gleichrangige Staatsbürger zu akzeptieren (vgl. Münch 2008b: 253f.). Die Einbeziehung des „Anderen“ erfolgt über Inklusionsund Exklusionsprozesse, die wiederum determiniert werden von den Diskursen, die von den unterschiedlichen Akteuren geführt werden. Nationen sind soziale Realitäten – darauf hat nicht zuletzt Münch (2008b: 253) wiederholt hingewiesen –, die von bestimmten Merkmalen geprägt sind, die die kollektive Identität und Vergangenheit einer Gemeinschaft ausmachen, auf die sich diese wiederum bezieht, um sich von anderen abzugrenzen. Wie wenig Migrantinnen und Migranten als Teil der Gesellschaft verankert sind, zeigt sich nicht zuletzt auch in der Wahrnehmung des „Anderen“ im kollektiven Gedächtnis. Hier wird vor allem nur die eigene Auswanderung der einheimischen Bevölkerung reflektiert. Die Migrationsgeschichte ist – zumindest kann dies für Österreich festgehalten werden – in den 1960er und 1970er Jahren vor allem eine „Gastarbeitergeschichte“, die nicht auf einer fundierten Auseinandersetzung mit der historischen und aktuellen Normalität von Migration in den Nationalstaaten fußt. Die Favorisierung der eigenen Gruppe und die Benachteiligung der Fremdgruppe sind robuste soziale Phänomene (vgl. Mummendey/Kessler 2008: 514).
These 3: Medien sind ein konstituierender Bestandteil gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozesse. Im gesellschaftlichen Kommunikationsprozess sind Medien Vermittlungsinstanzen, die durch ihre Eigenleistung, die Ergänzung und Bündelung von Kommunikationsbeiträgen, Öffentlichkeit herstellen. Medien als Teil der gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozesse müssen nicht per se Normen vorgeben, sie sollten aber – dies als normative Vorgabe formuliert – „alle Entwicklungen, Erfahrungen und Problemlagen über die Grenzen von Subgruppen hinaus bekannt“ (Schultz 2002: 43) machen, um einen Diskurs zu initiieren und einen öffentlichen Dialog aufrechtzuerhalten (vgl. Jäckel 2005: 226). Die Gemein-
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schaften handeln auf einer kommunikativ konstituierten Basis, wobei der zu teilende Wertekanon und die Sinnstrukturen real werden, wenn sie kommuniziert werden. Dabei müssen die Akteure über bestimmte Wissensbestände verfügen, um die vermittelten Werte und Sinnstrukturen in einen Kontext einordnen zu können. Der Prozess des Wissenserwerbs erfolgt über unterschiedliche Bereiche (Stichwort: Sozialisation) und ist geprägt von den Möglichkeiten zu partizipieren. Die Partizipation wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass in der Gesellschaft bestimmte Positionen eingenommen werden können. Akteure können aufgrund ihrer bestehenden Kompetenzen auch Kontrolle ausüben, indem vorhandene Ressourcen eingesetzt werden, um in den Medien zu Wort zu kommen. Die von Geißler formulierten Faktoren für interkulturelle Kommunikation bedeuten, dass das innovative und produktive Potenzial der Verschiedenheit (vgl. Geißler 2005: 65) verstärkt in den Medien erkannt und thematisiert werden sollte. Die Ausverhandlungsprozesse über das Selbstverständnis einer Gesellschaft inkludieren das Potenzial einer aktiven Akzeptanz von anderen ethnischen Gruppen bzw. Akteuren. Durch die Überschreitung bestehender Gemeinschaftsgrenzen durch unterschiedliche Kommunikationsformen und -möglichkeiten ergibt sich auch – im Sinne von Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns – die Notwendigkeit, sich über die abgegrenzten und ritualisierten Formen der eigenen Lebenswelt hinweg zu verständigen. Die eigene Lebenswelt aber ist eingebunden in eigene Traditionen, Sprachen und einen verbindlichen Wertekanon. „Je mehr die Kommunikation über die Grenzen eingespielter Lebenswelten hinausreicht und demgemäß die Begegnung zwischen Fremden mit unterschiedlichem lebensweltlichem Hintergrund impliziert, umso weniger hilft der normative Gehalt der Lebenswelt bei der Verständigung.“ (Münch 2008b: 149) Die Ausdifferenzierung der Lebensräume und die Inklusion von Anderen bedeutet, dass die Regeln über den kommunikativen Umgang mit den Anderen ausverhandelt werden müssen. Diese Ausverhandlungsprozesse inkludieren auch Fragen der Qualität der Integration in das bestehende Gesellschaftssystem (vgl. auch Gruber/Herczeg/Wallner 2009). In der Praxis stehen Medien vor einer doppelten Herausforderung – zum Beispiel im Falle der Vermittlung etwa der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist: Zum einen stellt sich ihnen die Aufgabe, gegenüber ihrem deutschen Publikum einen Beitrag zur „aktiven“ Akzeptanz der Migranten zu leisten; zum anderen ist es wichtig, einen möglichst großen Teil der bleibewilligen Zuwanderer als Rezipienten zu gewinnen, um diese bei der interkulturellen Integration und bei der Wahrnehmung von Chancen in der deutschen Gesellschaft zu unterstützen. (Geißler/Pöttker 2005: 396)
Die Berichterstattung über Migranten dokumentiert die wichtige Position, die Medien als Quelle indirekter Erfahrungen einnehmen (vgl. Bonfadelli 2007: 95). Medien können dadurch einen Beitrag zur Integration der Individuen in der Gesellschaft leisten, indem sie „Realitätsbilder und Werte wie Normen vermitteln und so die Chance bieten, an den Themen des öffentlichen Lebens teilzunehmen.“ (Bonfadelli 2007: 96) Medieninformationen besitzen eine hohe Relevanz für den Alltag und beeinflussen Einstellungen und Werthaltungen. Jäckel hat aber auf den problematischen Umstand hingewiesen, dass Massenmedien eben nicht Normen vorschreiben können und dass Medien auch nicht die Aufgabe zukommt, das Publikum an bestimmte Wertvorstellungen zu binden. Es ginge genau um das Gegenteil: „Massenmedien liefern sowohl Orientierungswissen als auch vielfältige Anlässe für Kontroversen“ (Jäckel 2005: 225), denn die Medienlogik orientiert sich nicht an einem normativen Anforderungsprofil, das Integration als eine zu erbringende Leistung bzw.
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Funktion definiert. In der kommunikationswissenschaftlichen Betrachtung stehen in diesem Bereich vor allem die Fragestellungen im Vordergrund, wie und ob Medien Orientierungen und Integrationsleistungen für Migranten anbieten, um „an sozialen Kontexten, Lebensstilen und gesellschaftlichen Ereignissen zu partizipieren.“ (Göttlich 2000: 38) Erschwerend kommt im Kontext dieser Debatte hinzu, dass es zu den unterschiedlichen theoretischen Zugängen bzw. zu der Frage, ob Medien Integrationsleistungen zu erbringen hätten, keine empirischen Evidenzen gibt, dass Medien überhaupt einen Beitrag zur Integration leisten können. Wenn von der Prämisse ausgegangen wird, dass eine Gesellschaft „auf die kommunikativen Leistungen der Massenmedien angewiesen ist“ (Jäckel 2005: 225), dann müssen die Massenmedien auch fähig sein, diese Leistungen zu erbringen. Denn der Diskurs und die Präsenz von bestimmten Themen erfolgt nicht nur über die Thematisierungsfunktion der Medien, sondern es geht auch um die aktive Teilhabe der gesellschaftlichen Akteure. In diesem Kontext formuliert Jäckel (2005: 226): x
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„Es findet eine Verlagerung der gesellschaftlichen Verantwortung von Fremdkontrolle auf Selbstkontrolle statt. Letzteres impliziert auch die Vorstellung einer hohen unstrukturierten Reflexionslast, die auf die Individuen verlagert wird. Hier wird generell erwartet, dass Position bezogen wird. Da sich die Medienangebote immer weiter ausdifferenzieren und gleichzeitig immer wieder neue inhaltliche Experimente stattfinden, wird dem Einzelnen mehr und mehr deutlich, was mit dieser Reflexionslast gemeint ist. An die Stelle einer normativen Steuerung von zulässigen bzw. nicht zulässigen Angeboten tritt die Selbstverantwortung. Die Individuen werden auf sich selbst verwiesen. Im Kontext der Vielfalts-Debatte wird diese Liberalisierung mit dem Hinweis auf die Konsumentensouveränität begründet. Im Zuge dieser Verantwortungsverlagerung sind insbesondere jene Institutionen unter Druck geraten, die sich aufgrund ihres historischen Auftrags in besonderer Weise der Integrationsaufgabe verpflichtet sahen. Dies führt im Kontext des vorliegenden Beitrags zu einer Diskussion um den öffentlichen Auftrag (Public ServiceFunktion) der Medien.“
Medien übernehmen eine wichtige Rolle in der Strukturierung von gesamtgesellschaftlichen Diskursen. Diskurse beeinflussen die gesellschaftliche Entwicklung und haben einen prägenden Einfluss auf die Wahrnehmung von bestimmten gesellschaftlichen Strömungen in der Öffentlichkeit (vgl. Jäger 1997: 76). In seinen diskursanalytischen Arbeiten hat van Dijk (vgl. 1993: 80ff.) herausgefunden, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Medien- und Politikdiskursen gibt. Medien- und Politikdiskurse finden nicht unabhängig von den gesellschaftlichen Entwicklungen statt, sondern es werden durch die Medien bestimmte gesellschaftliche Konstruktionen vermittelt. „Medien tragen entscheidend dazu bei, dass sich bestimmte Diskurse zu ‚dominanten Diskursen‘ (Michel Foucault) formieren und andere, wie beispielsweise jene, in denen die Alltagserfahrungen zum Ausdruck kommen, marginalisiert werden.“ (Yildiz 2006: 40) Wegen der Ausdifferenzierung und Fragmentarisierung des Medienangebotes und der Individualisierung der Medienbedürfnisse wird immer wieder auf die Gefahr der desintegrativen Folgen der Massenkommunikation hingewiesen, und darauf, dass es zu einer
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Segregation durch Medien (Geißler/Pöttker 2006: 21) kommen könne. Dies betrifft sowohl die Gesellschaft per se als auch speziell den Bereich der Integration. Kulturvermittlung ist ein Teil der Massenkommunikation und Teil der Inklusions- und Exklusionsprozesse, die u. a. Kamps beschreibt (vgl. Kamps 2000) – Wertungen und Bewertungen, die die Zugehörigkeit zu einer Gruppe markieren. In den europäischen Nationalstaaten besteht eine Relation zwischen den unterschiedlichen Gruppen, die sich darauf bezieht, dass eine nationalisierte Grenze zwischen der Mehrheitsbevölkerung und den unterschiedlichen ethnischen Gruppen gezogen wird. „Die Mehrheit ist im Besitz der meansof-symbolic-production und daher in der Lage, der Minderheit den ethnisierten Status von Alter öffentlich und diskursiv zuzuweisen.“ (Rauer 2008: 89) Und dabei zeigt sich auch das Dilemma, dass die Benennungsmacht auf eine Vereinheitlichung der einzelnen Migrantengruppen zielt, damit diese als eine gleichförmige Gruppe – „als ethnisch definierte Andere“ (Rauer 2008: 89) – in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Dies führt wiederum zu einer asymmetrischen Wahrnehmung von Migrantinnen und Migranten, denn es gibt nicht die eine Migrantengruppe, diese setzt sich aus unterschiedlichen Individuen mit unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen zusammen. Die Vereinheitlichung der Vielfalt in der öffentlichen Wahrnehmung schafft für die Migranten selbst kein Identifikationsangebot als Gruppe, sondern ist ein ambivalent konstruierter Zugehörigkeitsstatus Anderer (vgl. Mecheril 2003: 329). Sowohl auf nationalstaatlicher als auch auf EU-Ebene werden unterschiedliche Initiativen ins Leben gerufen, um das Bewusstsein der Mehrheitsbevölkerungen für Migranten zu stärken. Nicht von ungefähr war 2001 das „Europäische Jahr der Sprachen“ mit dem Anspruch versehen, dass jeder EU-Bürger und jede EU-Bürgerin zusätzlich zur Muttersprache noch zwei weitere Sprachen erlernen sollte. 2008 war das „Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs“. Es wurden zahlreiche Initiativen und Aktionen angeregt, wobei aber diese kurzfristigen Aktivitäten keine langzeitigen Effekte gezeigt haben. Für eine langfristige Förderung eines interkulturellen Austausches hat Geißler – mit dem Vorbild Kanada – „aktive Akzeptanz“ auf dreierlei Art definiert (vgl. Geißler 2005: 65f.): 1.
2.
3.
die Akzeptanz des Faktums der notwendigen Einwanderung: Dies impliziert, dass die Aufnahmegesellschaft erkennt, dass Einwanderung nötig ist, damit sich die Gesellschaft weiterentwickeln kann. Dafür müssen aber auch die erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Und auch die Massenmedien müssen diesen Diskurs führen. die Akzeptanz der Notwendigkeit, die Migranten soziostrukturell und interkulturell zu integrieren: Dies geht über eine sozialstrukturelle Gleichstellung hinaus, die interkulturelle Integration sollte nach dem „Einheit-in-Verschiedenheit-Prinzip“ erfolgen. die Einsicht in die Notwendigkeit kollektiver aktiver Förderung der Integration: Gemeint sind gesamtgesellschaftliche Bemühungen, um Migrantinnen und Migranten in die Gesamtgesellschaft aufzunehmen.
In diesem Kontext geht es nicht nur um Akzeptanz, sondern auch um Anerkennung. Anerkennung „umfasst immer zwei Momente, das der Identifikation und das der Achtung.“ (Mecheril 2003: 391) Die Achtung des Anderen ist im Kommunikationsprozess selbst zu berücksichtigen, indem die Migrantinnen und Migranten die Möglichkeit haben müssen,
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ihre Dilemmata und Probleme im Umgang mit der Mehrheitskultur zu artikulieren und mit ihren Anliegen wahrgenommen zu werden. Samuel Opoku kann sich heute noch wundern über das Land, dem er damals seine Zukunft anvertraut hat: Hier laufen Menschen und Hunde, mit Leinen verbunden, durch die Straßen. Hier geben Kinder ihre eigenen Eltern in sogenannte Altersheime; das erzählten ihm sehr bald andere Ghanaer, die dort Teller sauber kratzten und Matratzen wendeten. Hier rennen die Menschen zu den Haltestellen – und ärgern sich dann, dass der Bus noch nicht da ist. Samuel Opoku kommt wieder ein Sprichwort aus seiner Heimat in den Sinn: „Ihr Europäer habt die Uhren, wir Afrikaner haben die Zeit“. (Die Zeit v. 7.5.2009)
In dieser Textpassage zeigt sich der Blick des Anderen auf die Gesellschaft, die durch bestimmte Strukturmerkmale charakterisiert ist. Der Verweis auf kulturelle Unterschiede bietet die Möglichkeit der Grenzziehung zwischen den unterschiedlichen Gruppen und deren Einstellungen. Die Vermittlung unterschiedlicher Zugänge zu gesellschaftlichen Phänomenen ist ein Teil der journalistischen Aufgabe. Felix fängt den Blick des Lehrers auf. Dann ist es wie so oft, wenn Vater und Sohn sich hinaus nach Deutschland begeben: Der Sohn wird zum Dolmetscher. Jetzt übersetzt er in eigener Sache. (Die Zeit v. 7.5.2009)
These 4: Menschen leiden unter dem Mangel an Integration. Dies betrifft nicht nur Migranten, sondern auch andere gesellschaftliche Gruppen und Individuen. Für Maletzke sind Massenmedien integrierende Faktoren, da diese „dafür sorgen, dass der Mensch über seinen eigenen Erfahrungshorizont und über den Horizont seiner noch unvermittelt erkennbaren Bezugsgruppe hinaus die Gesellschaft als Ganzes sieht und sich ihr zugehörig fühlt, sich mit ihr identifiziert. Diese Klammer, die verschiedenen sozialen Differenzierungen übergreifend, ist für den Bestand der Gesamtgesellschaft unerlässlich.“ (Maletzke 2002: 71) Integration ist in der kommunikationswissenschaftlichen Betrachtung als ein mehrdimensionaler Begriff zu fassen, der die Problemperspektiven „Medien und Integration“ als Thema der Medien fasst und sich auch auf die Ebene „Integration durch Medien“ bezieht. Beide Bereiche betreffen die massenmedial geprägte Gesellschaft, die der Vermittlungsleistungen der Medien bedarf, damit es innerhalb der sich immer komplexer gestaltenden gesellschaftlichen Strukturen zu Austauschprozessen kommt (vgl. Gruber/ Herczeg/Wallner 2009). Zugangsmöglichkeiten zu den Medien sind Teil des gesellschaftlichen Integrationsprozesses und dokumentieren, ob und in welchem Ausmaß Individuen und Gruppen in diesen Prozess einbezogen werden. Im Vordergrund stehen hier die Selbstverständigungsprozesse einer Gesellschaft bzw. der Mitglieder einer Gesellschaft, um durch kommunikative Handlungen als Kommunikationspartner und durch indirekte Teilnahme als Repräsentierte in die Gesellschaft integriert zu werden (vgl. Jarren 2000). Medien sind Schnittstellen, die durch die mediale Aufbereitung gesellschaftlicher Themen einen diskursiven Definitions- und Interpretationsraum eröffnen, der zusätzlich dadurch charakterisiert ist, dass die im Gegenstandsbereich verwendeten Begriffe wie „Migration“, „Integration“ und „Zuwanderer“ oft inadäquat eingesetzt werden (vgl. auch Butterwegge 2006: 187). Diese Kommunikationsprozesse sind geprägt von Zugehörigkeitskontexten, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl und eine gemeinsame Identität vorspiegeln, aber auch schaf-
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fen (können). Zu untersuchen sind dabei die Zugehörigkeitskontexte, die durch sich ausdifferenzierende hybride Identitätsbildungsprozesse determiniert sind. Medien wird in diesem Kontext die potenzielle Möglichkeit zugeschrieben, Identifikationsangebote vor allem für Jugendliche – mit und auch ohne Migrationshintergrund – zu bieten. Auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene geht es um die Zuschreibung von Rechten, die in einer Staatsbürgerschaftsnation das Zusammengehörigkeitsgefühl verstärken und einen Schutz für die Autonomie der Individuen darstellen (vgl. Münch 2008b: 18).
These 5: Der Diskurs läuft falsch: In den öffentlich geführten Debatten und Inszenierungen von Integration in den Medien geht es nicht um Integration als gesellschaftlichen Prozess, sondern nur um bestimmte – vor allem strukturell bedingte – Integrationsfaktoren. Als Illustration für diese These soll die Studie „Integration im öffentlichen Diskurs: Gesellschaftliche Ausverhandlungsprozesse in der massenmedialen Öffentlichkeit. Analysiert anhand des Fallbeispiels ‚Arigona Zogaj‘ in den österreichischen Medien“ (Gruber/Herczeg/Wallner 2009) herangezogen werden. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde ausgehend von einem Fallbeispiel die Berichterstattung über Integration in den österreichischen Medien untersucht. Insgesamt wurden 1.900 Beiträge österreichischer Print- und ausgewählter ORF-Fernsehbeiträge in einer quantitativen Inhaltsanalyse im Untersuchungszeitraum vom 26. September 2007 bis zum 23. Dezember 2007 berücksichtigt. Der Fall „Arigona Zogaj“ sorgte in den österreichischen Medien für große Aufmerksamkeit. Zur kursorischen Chronologie der Ereignisse: Das kosovarische Mädchen Arigona Zogaj entzog sich der Abschiebung durch Flucht – während ihr Vater und ihre Geschwister abgeschoben wurden. Die Mutter durfte, da Arigona Zogaj minderjährig war, bis zu ihrem Auffinden in Österreich bleiben. Arigona Zogaj wandte sich mit einem Video, das in einer Informationssendung des österreichischen Rundfunks ausgestrahlt wurde, mit der Bitte, in Österreich bleiben zu dürfen, an die Öffentlichkeit, da weder ihre Familie noch sie „etwas getan“ hätten. Die Botschaft, die in einem einwandfreien oberösterreichischen Dialekt vorgetragen wurde, sorgte für rege Diskussionen über das weitere Vorgehen. Die vielfachen Asylanträge und Berufungen der Familie Zogaj waren von den österreichischen Behörden abgelehnt worden. Die Familie befand sich seit September 2002 in Österreich, die Kinder gingen hier in den Kindergarten bzw. in die Schule, die Eltern hatten Arbeit. Die Familie war in Oberösterreich gut integriert und die Bevölkerung in Frankenburg setzte sich auch in Demonstrationen für den Verbleib der Familie ein. In der österreichischen Tageszeitung „Salzburger Nachrichten“ vom 15. Januar 2009 wird Arigona Zogaj „mittlerweile als Symbolfigur für die umstrittene Asylpolitik in Österreich“ bezeichnet. Die ausgewerteten Daten zeigen, dass in dem massenmedial vermittelten Diskurs kein gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess über Integration stattfindet. D. h. in den Diskursen werden vor allem juristische Fragen rund um den problematisierten Anlassfall „Arigona Zogaj“ erörtert – und darüber hinaus, wie auf einer Legitimations- und Rechtfertigungsbasis mit Migranten umgegangen werden soll. Es werden keine grundsätzlichen Diskussionen über „Integration“ und „österreichische Identität“ geführt. Den massenmedialen Diskurs bestimmen einerseits die innenpolitischen Akteure, die mehr als ein Drittel aller Sprecher ausmachen (36,4%) – dies lässt auf einen elitenorientierten Diskurs schließen –,
Integration durch Kommunikation
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und auf der anderen Seite haben die Leserbriefautoren (allen voran die der „Kronen Zeitung“) aufgrund der Mobilisierung durch die Boulevardzeitung einen hohen Anteil am Diskurs (17,7%). Die Betroffenen selbst kommen wenig zu Wort (10,9%). „Arigona Zogaj“ ist ein Fallbeispiel, das in der massenmedialen Wahrnehmung eine große Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit erzielen konnte, die Öffentlichkeit gespalten hat, aber einen geringen Beitrag zum grundsätzlichen Diskurs über Integration in der österreichischen Gesellschaft leisten konnte (vgl. Gruber/Herczeg/Wallner 2009). Migrantinnen und Migranten wird ein bestimmter Status zugeschrieben, ihre Repräsentation erfolgt im Rahmen der Zuschreibungen durch die Mehrheit. Durch die fehlende öffentliche Anerkennung als Subjekt des Diskurses konstituieren sich die Migranten „als ethnisch definierte Andere, um das kommunikative Machtdefizit bei der Definition der eigenen Einwanderungssituation zu kompensieren.“ (Rauer 2008: 89) „Integration“ ist untrennbar mit den Selbstverständigungsprozessen einer Gesellschaft verbunden, diese Prozesse können auf mehreren Ebenen ablaufen. Für Jarren ist Integration ein Prozess, der „Einzelne, Gruppen wie Organisationen umfasst, der sich anhaltend auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen vollzieht und daher aufgrund seines hohen Komplexitätsgrades als soziales Totalphänomen nicht hinreichend empirisch gemessen oder erfasst werden kann. Integration als Konstruktion sozialer Realität vollzieht sich im Wesentlichen durch Kommunikation.“ (Jarren 2000: 23) Unterschiedliche Entwicklungen prägen die Gesellschaft, die sowohl von Desintegrationsprozessen, die auch Teile der Mehrheitsgesellschaft betreffen, als auch von neu zu bestimmenden Integrationsprozessen in Bezug auf den Umgang mit Migranten charakterisiert ist. Kommunikative Integration umfasst die Beteiligung an der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit, die wiederum nur über Kommunikation erzielt werden kann, und durch Kommunikation kann in bestimmten Bereichen – Jarren benennt diese in bestimmten Räumen – Integration stattfinden. Maletzke weist in seinem Aufsatz „Integration – eine gesellschaftliche Funktion der Massenkommunikation“ darauf hin, dass Gesellschaften permanenten Desintegrationsprozessen unterworfen sind, dass immer die Gefahr des Auseinanderfallens der Gesellschaft besteht und dass es über unterschiedliche Interessen und Interessenkonflikte und auch wegen der unterschiedlichen Möglichkeiten des Zugangs zu den Medien zu Abspaltungen kommen kann. Es geht auch darum, wer von der Teilnahme am Diskurs profitiert, ob hier bestimmte Eliten den Diskurs dominieren oder ob auch andere Individuen und Gruppen Partizipationsmöglichkeiten vorfinden. Journalismus und Medien nehmen dabei eine besondere Rolle ein, indem sie Öffentlichkeit herstellen, Reflexion ermöglichen und auch einen Beitrag zur Schaffung von symbolischen Gemeinschaften leisten. Integration vollzieht sich nicht von „allein“, sondern ist in einen wechselseitigen interaktionistischen Prozess eingebettet, der sowohl von den Migrantinnen und Migranten als auch von den Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung die Bereitschaft erfordert, den jeweils anderen in seiner Andersartigkeit zu akzeptieren. Das (kommunikative) Zusammenleben ist nicht um den Preis der Anpassung, sondern nur um den Preis der Aufrechterhaltung unterschiedlicher Identitäten zu erreichen.
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Resümee und Ausblick Die Kommunikationswissenschaft muss sich als Reflexionswissenschaft verstärkt den Bedürfnissen der Gesellschaft in Bezug auf das gesellschaftliche Phänomen „Integration“ stellen. Nicht umsonst stellt Richard Münch fest, dass der intellektuelle Diskurs über das europäische Integrationsprojekt – dem auch der wissenschaftliche Diskurs zugeordnet werden kann – „in Deutschland von der Sprache der Juristen geprägt“ (Münch 2008b: 336) ist. (Diese Diagnose gilt im Übrigen genauso für Österreich...) Die Imprägnierung der Sprache mit einer juristischen Begriffswelt führt zu einer veränderten und abstrakteren Kommunikation. Denn bereits in der juristischen Begrifflichkeit kommt es zu einer Verobjektivierung des Subjekts. In der Kommunikation geht es aber primär um die Auseinandersetzung mit dem „Anderen“ auf einer gesamtgesellschaftlichen und individuellen Ebene. Kommunikationsprozesse werden oft als Adaptionsprozesse missverstanden. Und genau dies bietet einen zentralen Hinweis auf einen Imperativ für den Umgang mit dem Anderen im Kommunikationsprozess: Der Andere ist in seinem Anderssein zu schützen – auch um sich selbst zu erkennen. „Die Frage ‚Wer bin ich eigentlich?‘ stellt sich damit im Immigrationsprozess immer wieder.“ (Schiffauer 2008: 127) Und es ergeben sich laufend Missverständnisse in der Deutung der Bedürfnisse des Anderen. In diesem Sinne argumentiert auch Schiffauer, Migranten seien nicht primär an der Anerkennung ihrer Herkunftskultur durch die Mehrheitsgesellschaft interessiert, sondern wünschten eine Anerkennung ihrer Situation und das Akzeptieren des Balanceaktes, den sie zwischen der Herkunfts- und Aufnahmekultur vollführen müssen (vgl. Schiffauer 2008: 128). Dies heißt aber nicht, dass es nicht auch um eine Akzeptanz der Herkunftskulturen von Migranten geht. Integrationsprozesse basieren auf dem prinzipiellen Verständnis, das sowohl auf Seiten der Migranten als auch der Mehrheitsbevölkerung aufgebracht werden muss. Um nochmals das erwähnte Fallbeispiel heranzuziehen: Hier hat der „Zeit“-Journalist Henning Sußebach die Vermittlerrolle übernommen und dargelegt, welche strukturellen und emotionalen Variablen das Leben von Migrantenfamilien in Bezug auf ihre Integration bestimmen. Deutlich wird dabei, dass strukturelle Aspekte wie die Verankerung im Beruf und im sozialen Leben evidenterweise eine wichtige Rolle im Integrationsprozess spielen. Aber es wird zusätzlich dokumentiert, dass es um mehr geht als um strukturelle Aspekte allein. Für die Kommunikationswissenschaft folgt daraus, dass der Begriff „Kommunikation“ weiter gefasst werden muss als bislang: Kommunikation ist ein Integrationsprozess. Und deshalb kann die Kommunikationswissenschaft durch die Auseinandersetzung mit dem Integrationsbegriff einen zentralen Beitrag zur grundsätzlichen Ausrichtung existenziell notwendiger Kommunikation leisten. Wichtig sind dabei nicht nur die kommunikativen Partizipationsmöglichkeiten unterschiedlicher Gruppen; im Verhältnis zwischen Migranten und Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung ist zum Beispiel auch der Umgang mit Differenz von wesentlicher Bedeutung. Integration ist per se der generalisierte Andere. Alle Kommunikationsprozesse vollziehen sich auf der Basis von Integration. Integrationsleistungen müssen auf politischer, kultureller und sozialer Ebene stattfinden – und dies auf dem Weg eines gesellschaftlichen Diskurses. Dabei müssen große Themenkreise benannt werden – in Bezug auf Ökonomie, Politik, die Entfremdung des Bürgers von der Politik und seine zunehmende Privatisierung.
Integration durch Kommunikation
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Die Kommunikationswissenschaft ist mehr denn je gefragt, sich den Problemen des 21. Jahrhunderts zu stellen, um die problematisierbare und theoretisierbare Dimension des medialen und öffentlichen Diskurses zu reflektieren.
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Rundfunk, Migration und Integration Heinz Bonfadelli
Die meisten industrialisierten Länder Westeuropas sind seit dem Zweiten Weltkrieg im Gefolge von Wirtschaftswachstum und zunehmender Globalisierung durch mehr oder weniger starke Migrationsbewegungen geprägt worden. So beträgt der Anteil der Ausländer an der Bevölkerung in der Schweiz mittlerweile über 20 Prozent und auch in Deutschland liegt er deutlich über zehn Prozent. Dieser tiefgreifende Gesellschaftswandel hat in der Politik und der medial vermittelten Öffentlichkeit immer wieder kontrovers geführte Diskussionen ausgelöst (Piguet 2006). Aber erst seit den Terroranschlägen von 2001 in den USA hat sich nicht zuletzt auch in Europa die Diskussion um die Integration vor allem von Migranten aus islamischen Gesellschaften stark intensiviert. Dabei ist auch die Rolle der Medien im Integrationsprozess stärker ins Zentrum gerückt, etwa im Zusammenhang mit Stichworten wie „negative Stereotypisierung“ einerseits und „Medienghetto“ (Weiß 2002; Schneider/Arnold 2006) andererseits. Argumentiert wird, dass die einheimische Bevölkerung in Deutschland oder der Schweiz meist nicht über direkten Kontakt zu ethnischen Minderheiten und Menschen mit Migrationshintergrund verfügt und darum die Berichterstattung der Mehrheitsmedien über die in Deutschland und der Schweiz lebenden Asylbewerber, Flüchtlinge und Arbeitsmigranten besonders relevant ist. Dies gilt zum einen für die Mehrheitsbevölkerung, welche über die Medienberichterstattung mehr oder weniger stereotype bzw. negativ akzentuierte „Bilder der Fremden“ vermittelt bekommt, welche wiederum die Grundlage für die Bildung, Bestätigung oder Verstärkung von Meinungen und Einstellungen im Sinne von Vorurteilen werden, die sich in einem weiteren Schritt in Form von Diskriminierung auf der Verhaltensebene äußern können. Die Medienberichterstattung ist aber auch von Relevanz für die Migranten selber, insofern diese im Sinne von Information und Orientierung einen Beitrag zur deren gesellschaftlicher und kultureller Integration zu leisten vermag; umgekehrt kann diese aber auch zur Exklusion und Ausgrenzung sowie zur Bildung von Ressentiments beitragen. Während sich die Soziologie schon seit den 1960er Jahren mit Fragen der Arbeitsmigration und Akkulturation zu beschäftigen begonnen hat (vgl. Esser 2001; Han 2005), wurden in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im deutschen Sprachraum erste quantitative Untersuchungen auf inhaltsanalytischer Basis zur Medienberichterstattung über Gastarbeiter erst in den 1970er Jahren durchgeführt (z. B. Delgado 1972): Diese wurden in der Folge ausgeweitet auf die Ausländerberichterstattung überhaupt (Merten 1986; Ruhrmann 1993; Hömberg/Schlemmer 1995; Wengeler 2006 u. a.), wobei sich in jüngster Zeit der Fokus auf die Darstellung des Islam verschob, nicht zuletzt auch mit qualitativen Studien (z. B. Schiffer 2005; Hafez/Richter 2007). – Eine Intensivierung der Forschung ist aber erst in den letzten zehn Jahren erfolgt. Davon zeugen verschiedene Forschungsübersichten aus Deutschland (Butterwegge/Hentges/Sarigöz 1999; Schatz/Holtz-Bacha/Nieland 2000; Butterwegge/Hentges 2006) wie auch der Schweiz (Bonfadelli/Moser 2007; Bonfa-
Heinz Bonfadelli
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delli u. a. 2008; Theunert 2008), nicht zuletzt auch durch Horst Pöttker vom Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund (Geißler/Pöttker 2005, 2006). Der Fokus der Forschung hat sich dabei von der bis anhin dominierenden inhaltsanalytischen Erfassung der Medienrealität (vgl. Müller 2005a; Bonfadelli 2007) deutlich ausgeweitet – und zwar auch auf Phänomene wie Ethnomedien (z. B. Weber-Menges 2006; Aumüller 2007; Becker 2007) einerseits und die Nutzung und Wirkung der klassischen Massenmedien, mit Fokus auf das Fernsehen (z. B. Trebbe/Weiß 2001; ARD/ZDF-Medienkommission 2007; Übersichten: Müller 2005b; Piga 2007) sowie auch die neuen Medien (z. B. Kissau 2008), durch die verschiedenen Migrantengruppen andererseits. Idealtypisch betrachtet können dabei drei Analyseebenen unterschieden werden, wie in Tabelle 1 visualisiert.
1.
Theoretischer Hintergrund: die Rolle der Medien im Integrationsprozess
1.1 Makroebene Den Massenmedien wurden im Rahmen von strukturfunktionalistischen Ansätzen auf der Makroebene immer schon und wenig hinterfragt gesellschaftsbezogen vielfältige Sozialisations- und Integrationsfunktionen zugeschrieben, obwohl klassische Autoren wie Robert King Merton und Paul F. Lazarsfeld schon in den 1950er Jahren durchaus auch auf (narkotisierende) Dysfunktionen der Medien aufmerksam gemacht haben. Auf solche dysfunktionalen Medieneffekte in Form von Stereotypisierung und Fragmentierung in Bezug auf gesellschaftliche Minderheiten hat später auch Denis McQuail (2000) hingewiesen. Im deutschen Sprachraum haben aber Publizistik- und Kommunikationswissenschaftler wie Franz Ronneberger (1964), Ulrich Saxer (1974) oder Otfried Jarren (2000) diese positivfunktionalistische Sichtweise übernommen, adaptiert und später systemtheoretisch weiter differenziert (vgl. Burkart 2002: 383ff.): Medien erbringen danach über Umweltbeobachtung und durch Reduktion von Umweltkomplexität vielfältige Funktionen im Sinne von Leistungen für die Gesellschaft wie 1) Information, 2) Meinungsbildung und -abstimmung, 3) Sozialisation und Wertevermittlung sowie 4) Unterhaltung. Insbesondere Franz RonneMakroebene
Mesoebene
Mikroebene
Medienfunktionen und Leistungen für Politik, Wirtschaft und Kultur Strukturen und Prozesse von Medien und Journalismus
Nutzung, Rezeption, Effekte im Integrationsprozess auf Rezipienten
Information, Orientierung, Meinungsbildung, Sozialisation, Integration, Unterhaltung Medienangebot (z. B. Ethnomedien) und journalistische Konstruktion von Medienrealität: Thematisierung, Framing und Bewertung Medienumgang und Konstruktion von soziokultureller Identität im Prozess der gesellschaftlichen Integration
Tabelle 1: Ebenen der Forschung im Feld von Medien und Migration
Rundfunk, Migration und Integration
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berger (1964) hat den Medien schon früh auch eine Integrationsfunktion für die Gesellschaft zugeschrieben. Diese positiven Leistungen wurden dem Mediensystem allerdings vorab normativ im Sinne von Erwartungen der Gesellschaft an die Medien zugeschrieben, ohne genauer zu spezifizieren oder gar empirisch zu überprüfen, über welche konkreten Medienangebote einerseits und damit zusammenhängenden Medienwirkungen andererseits diese Leistungen auch tatsächlich erbracht werden.
1.2 Mesoebene Hier befasst sich die Journalismusforschung mit dem Journalismus als einem spezialisierten Teilsystem der Gesellschaft. Journalismus wird dabei begriffen als organisatorische und institutionalisierte Herstellung und Bereitstellung von aktuellen Themen für die öffentliche Kommunikation und ermöglicht dadurch die Selbstbeobachtung der Gesellschaft. Für die konkrete empirische Forschung steht dabei die Frage im Zentrum, nach welchen Regeln bzw. Codes das System Journalismus die Komplexität der Umwelt reduziert und eine eigene symbolische Wirklichkeit konstruiert. Fokussiert wird vor allem auf drei Prozesse und die damit verknüpften Medienleistungen: Selektion als Thematisierung: Medien selektionieren aus dem Gesamt der möglichen Ereignisse tagtäglich nur eine sehr begrenzte Anzahl von Themen. Dies wird meist mit dem Konzept der Nachrichtenfaktoren erklärt. Aufgrund der bestehenden Forschung zeigt sich, dass „Migration und Migranten“ sowohl in der Presse als auch im Rundfunk als Thema deutlich untervertreten sind. Nach deutschen Inhaltsanalysen (Krüger/Simon 2005) und einer europäisch vergleichenden Studie (ter Wal 2004) beträgt der Anteil etwa zehn Prozent. In thematischer Hinsicht zeigen die Studien, dass der Fokus der Berichterstattung meist stark politikorientiert ist und Kriminalität als Thema und Nachrichtenwert übergewichtet ist. Interpretation als Framing: Die Berichterstattung über die ausgewählten Ereignisse erfolgt immer aus einer ganz bestimmten Perspektive, indem bestimmte Aspekte in den Vordergrund gerückt und betont werden, Unwichtiges vernachlässigt und weggelassen wird. Dadurch wird ein Interpretationsrahmen geschaffen, der dem Rezipienten hilft, die Information sinnvoll einzuordnen, indem auf mögliche Ursachen und Folgen verwiesen wird, Problemlösungen angedeutet werden und eine Bewertung geliefert wird (vgl. Bonfadelli 2002: 143ff.; Dahinden 2006). Auf die Migrationsproblematik bezogen heißt dies etwa, dass negative Kosten-Frames – z. B. Migranten belasten das Gesundheitswesen und die Sozialdienste – überwiegen und positive Erfolgs-Frames – z. B. Hinweise auf ökonomische Leistungen der ausländischen Arbeitnehmer oder der Wert der kulturellen Vielfalt – sich in der Medienberichterstattung kaum wiederfinden. Negatives Framing erfolgt aber auch durch die Verwendung von negativ konnotierten Metaphern wie „Asylflut“ etc. Bewertung: Schließlich wird in Medienberichten implizit oder sogar explizit eine Bewertung des Ereignisses vorgenommen. Dadurch kann ein so genannter (politischer) Bias entstehen, d. h. die Berichterstattung bekommt eine bestimmte Tendenz dafür oder dagegen. Kepplinger (1989) betont mit seinem Konzept der „aktuellen Instrumentalisierung“, dass Journalisten nicht direkt, sondern meist indirekt bewerten – und zwar durch selektive Auswahl von Experten und Quellen. Im Migrationskontext wird immer wieder eine stereo-
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typ-negative Berichterstattung bemängelt, welche die Integration der Migranten tendenziell behindere. Aufgrund der bestehenden inhaltsanalytischen Untersuchungen (z. B. Jäger/Link 1993; Ruhrmann 1999; Schiffer 2005; Ruhrmann/Sommer/Uhlemann 2006; Hafez/Richter 2007) kann festgehalten werden, dass die Medienberichterstattung zu stark problembezogen, in der Tendenz negativ oder mindestens ambivalent sei; Politiker und Experten dominierten als Sprecher, während die Migranten selber als aktive Subjekte zu wenig zu Wort kommen würden.
1.3 Mikroebene Hier steht schließlich die Frage im Zentrum, ob Migranten weiterhin vornehmlich die Medienangebote – sprich „Fernsehen“ – aus ihren Heimatländern und in ihren Herkunftssprachen nutzen und die deutschsprachigen Mehrheitsmedien der Aufnahmegesellschaften Deutschland oder der Schweiz vermeiden. Daran schließt sich die Frage an, ob eine solche Mediennutzung einer Integration entgegensteht oder nicht. Lange Zeit wurde der Akkulturationsprozess einseitig nur im Sinne eines Entweder-oder als Assimilation der Migranten an die Herkunftsgesellschaft bei gleichzeitiger Aufgabe der Werte, Normen und Verhaltensweisen der Herkunftskultur verstanden, wobei als relevante mediatisierende Faktoren beispielsweise das formale Bildungsniveau, die Länge der Aufenthaltsdauer oder die Sprachkompetenz in der neuen Sprache des Aufnahmelandes betrachtet werden. In medialer Hinsicht zeigen die vorliegenden Studien für verschiedenste Migrationsgruppen mit einem Schwerpunkt auf den USA (vgl. Subervi-Velez 1986; Jeffres 2000), dass der Zugang und die verstärkte Nutzung der Medien des Aufnahmelandes bei gleichzeitigem Rückgang der Nutzung von Medien aus dem Herkunftsland mit dem Ausmaß an Assimilation korrelieren.
Primäre Realität Lebenswelt, Öffentlichkeit und Gesellschaft
Medienrealität x Repräsentanz x Themen & Akteure x Wertungen
Agenda-Setting & Framing
Selektion & Interpretation
Soziale Realität x Wissen & Stereotype x Vorurteile x Diskriminierung
Schaubild 1: Medienrealität, Mediennutzung und Medieneffekte
Rundfunk, Migration und Integration
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Erst neuere empirische Studien wie jene von Jeffres (2000) und die theoretischen wie empirischen Arbeiten von Berry (1997, 2001) betonen auch den positiven Wert des Aufrechterhaltens einer ethnischen Identifikation mit der Herkunftskultur, insofern nicht die Assimilation, sondern vor allem die Integration als Ziel einer gelungenen Akkulturation betrachtet wird. Auf der gesellschaftlichen Ebene wird dabei mit dem Konzept des kulturellen Pluralismus (vgl. Geißler 2003, 2005; Pöttker 2005) argumentiert, und auf der individuellen Ebene erlangte das Konzept der hybriden Identität (Keupp u. a. 1999; Eickelpasch/Rademacher 2004; Morley 2001; Göttlich 2003) Relevanz, das davon ausgeht, dass eine gelungene Integration bedeutet, dass Migranten soziale und kommunikative Kompetenzen im Sinne einer Brückenfunktion als Vermittlung zwischen der Kultur des Herkunftslandes und jener des Aufnahmelandes erwerben. Im Sinne einer bikulturalistischen Perspektive wird davon ausgegangen, dass Migranten je nach sozialer und ethnokultureller Situation flexibel je andere Seiten ihrer ethnokulturellen Identität aktivieren und ausleben. Lange Zeit fehlten aber vor allem im Deutschland wie auch in der Schweiz empirische Studien zur sprachorientierten Mediennutzung von Rezipienten mit Migrationshintergrund. Erst in jüngster Zeit hat dazu beispielsweise die neue Studie der ARD/ZDF-Medienkommission (2007) auf breiter Basis verlässliche empirische Befunde erhoben, die belegen, dass die Mehrheit der Migranten die Medien sowohl in der Sprache des Aufnahmelandes als auch in ihrer Herkunftssprache nutzt, wobei intermediale Unterschiede (z. B. private vs. öffentliche Anbieter), aber auch Unterschiede innerhalb der Migrantengruppen (z. B. nach Bildungshintergrund) ausgemacht werden können. Von einem „Medienghetto“ kann also keine Rede sein. Allerdings gibt es zur Frage nach der Beziehung zwischen der Mediennutzung und dem Integrationsprozess nach wie vor Forschungsbedarf, bestehen doch komplexe wechselseitige Beziehungen.
2.
Rundfunk und Migration in der Schweiz: Darstellung und Bewertung
2.1 Zielsetzung der Studie Nach diesen einführenden theoretischen Überlegungen sollen Befunde aus einer aktuellen Studie zur Darstellung von Migration und Migranten in den öffentlichen und privaten Rundfunkprogrammen der Schweiz und zur Bewertung der Medienberichterstattung durch die Migranten selber präsentiert und diskutiert werden. Die forschungsleitende Frage war: Welchen Beitrag leisten die öffentlichen, privaten und die Komplementärradios zur Integration sprachkultureller Minderheiten in der Schweiz? Das Forschungsprojekt wurde von einer Arbeitsgruppe am IPMZ-Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich unter Leitung von Heinz Bonfadelli (2008) für das Bundesamt für Kommunikation BAKOM durchgeführt. Neben der inhaltsanalytischen Untersuchung des Programmangebots befassten sich zudem zwei weitere Module einerseits mit der Programmvielfalt und den Machern der so genannten alternativen bzw. komplementären Ethnomedien, andererseits mit der Mediennutzung und Medienbewertung von Migranten aufgrund einer standardisierten Befragung von Migranten und qualitativen Gruppengesprächen.
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2.2 Untersuchungsanlage und Methoden Im Modul „Programm und Programmschaffende“ wurden in den zwei Räumen (Zürich und Bern) die Nachrichtensendungen sowie die Lokalbeiträge der TV-Programme (Nachrichten, 10vor10, Schweiz aktuell) und der Radioprogramme (Kurznews, Heute Morgen, Echo der Zeit, Rendez-vous, Regionaljournal ZH + BE) der SRG sowie der privaten Radioanbieter (Info 24 Kurznews, NRJ Kurznews, Capital FM Kurznews, BE1 Kurznews) und TV-Anbieter (Züri News und Züri Info von Tele Züri, Tele Bärn News) mittels einer standardisierten Grobanalyse während drei Monaten (April bis August 2007) untersucht. Um der Frage nach dem Stellenwert der ethnokulturellen Minderheiten in den Programmen nachzugehen, wurden in einem ersten Schritt jene Inlandbeiträge identifiziert, welche sich mit Migration oder Migranten befassten. In den 1.291 untersuchten Sendungen mit total 10.269 Beiträgen konnten 7.286 Inlandbeiträge (71%) gefunden werden; davon befassten sich 468 Beiträge bzw. 6,4 Prozent mit Migranten und/oder Fragen aus dem Bereich der Migration. In einem zweiten Schritt wurden diese Migrationsbeiträge mittels einer Detailanalyse noch genauer bezüglich Themen, Akteuren und Wertungen untersucht. Die Sendungsanalysen wurden ergänzt durch eine Befragung von zwölf Medienschaffenden. Beim SRG Radio und beim Schweizer Fernsehen SF wurden je drei Medienschaffende auf Management- bzw. Programmebene und bei den privaten Anbietern wurden sechs Personen befragt, wobei Fragen nach Verständnis und Operationalisierung des Integrationsauftrags im Zentrum standen. Zur Ergänzung wurden mittels einer standardisierten Online-Befragung Daten zum Stellenwert und zu den Funktionen, aber auch zur Bewertung der Medien und ihrer Programme erhoben. Dabei wurde versucht, den Link zum Online-Fragebogen über Migrantenorganisationen möglichst breit zu streuen. Auf Verlangen wurden auch Papierversionen des Fragebogens mit frankiertem Rückantwortcouvert zugestellt. Insgesamt ergab sich so eine Stichprobe von 361 Migrantinnen und Migranten aus der Deutschschweiz, welche den Fragebogen ausfüllten. Thematisch standen Fragen nach der Nutzung der verschiedenen Medien in der Muttersprache oder in deutscher Sprache im Vordergrund (Ghetto-These); zudem interessierte die Beurteilung der Medienberichterstattung über das Thema Migranten und Migration in der Schweiz, aber auch deren Informationsbedürfnisse. Als Ergänzung und zur Vertiefung der Online-Befragung wurden zudem Gruppengespräche mit einzelnen Minderheitsgruppen durchgeführt. Total fanden elf Gruppengespräche im Sommer 2007 in verschiedenen Orten der Deutschschweiz statt. Die über lokale Migrantengruppen rekrutierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zu ihrer Einschätzung der Nutzung und Relevanz der angebotenen TV- und Radioprogramme befragt, aber auch zu den Leistungen der Medien zur Bewältigung des Alltags und zur Bewertung des Integrationsbeitrags der Medien im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Institutionen. Zudem wurden allfällig vorhandene Wünsche und Verbesserungsvorschläge eruiert. Überdies wurden noch vier Expertengespräche mit Personen realisiert, die sich beruflich im interkulturellen Bereich engagieren, und von denen drei selber einen Migrationshintergrund haben.
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2.3 Befunde zur Berichterstattung Nur minimale Thematisierung von Migration und Migranten: Die untersuchten Informationsprogramme der öffentlichen (SRG) und privaten Rundfunkanbieter in den Räumen Zürich und Bern sprechen dem Thema sehr wenig Relevanz zu. Insgesamt sind nur 6,4 Prozent aller Beiträge „Migrationsbeiträge“, d. h. Berichte, in denen Migranten vorkommen oder welche Migration auf Sachebene thematisieren. Die Unterschiede zwischen Radio und Fernsehen einerseits und zwischen öffentlichen und privaten Anbietern sind eher gering; im Vergleich berichtet Tele Züri mit einem Anteil von acht Prozent am häufigsten über das Thema. – Von einer Integration der Migranten in die mediale Realität kann somit noch kaum gesprochen werden, und die Schweizer Werte liegen auch im europäischen Vergleich, für den ein durchschnittlicher Wert von zehn Prozent festgestellt worden ist (ter Wal 2004; Krüger/Simon 2005), deutlich tiefer. Thematischer Fokus der Migrationsbeiträge: Die Themen Politik, Kriminalität und Justiz dominieren die Berichterstattung rund um die Migranten und das Thema Migration. Es liegt auf der Hand, dass Migranten im Kontext von Kriminalität und Justiz meist als soziales Problem dargestellt werden, doch auch im Zusammenhang mit Politik fokussieren die untersuchten Medien meist auf negativ behaftete Inhalte wie z. B. die MinarettInitiative, die Initiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer oder die Ablehnung von Einbürgerungsgesuchen. Ein beträchtlicher Unterschied ist diesbezüglich zwischen den öffentlichen und den privaten Sendern auszumachen. So steht das Thema Kriminalität bei den Privaten klar an erster Stelle, während die SRG-Programme am meisten im Zusammenhang mit Politik berichten, gefolgt von Justiz und Gesellschaft. Themenspezifische Hintergrundinformation bleibt dabei vielfach auf der Strecke. Negativ wertende Perspektive der Berichterstattung: Eine wertende Perspektive ist in der Berichterstattung nicht überall erkennbar. In 46 Prozent aller thematischen Beiträge, in welchen eine solche Perspektive ersichtlich ist, dominiert eine negativ wertende Sichtweise, wonach Migranten als kulturelle Bedrohung, Konkurrenz, finanzielle Belastung oder Unruhestifter betrachtet werden. Im Medienvergleich wird in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogrammen das Thema Migration stärker positiv bewertet als bei den privaten Sendern. Nur geringe Artikulationschancen der Migranten: Im Gegensatz zu Schweizer Akteuren erhalten Migranten kaum die Chance, sich selbst in den Medien zu äußern. Es wird in den Sendungen über mehr als drei Viertel der vorkommenden Migranten gesprochen – meist durch Politiker, Vertreter der Administration und Experten –, ohne dass diese selbst je zu Wort kommen. Im Medienvergleich zeigt sich, dass die beiden privaten TV-Stationen sowie das öffentlich-rechtliche Schweizer Fernsehen die Migranten am häufigsten zu Wort kommen lassen, während Migranten bei den Privatradios die geringsten Artikulationschancen haben. Wie werden Migranten beschrieben und bewertet? Wenn in der Berichterstattung von Migrantinnen oder Migranten die Rede ist, erfolgt in den meisten Fällen gleich eine Nennung der spezifischen Nationalität (z. B. „die Deutschen“) oder regionalen Herkunft (z. B. „ein Türke“). Verallgemeinernde Bezeichnungen treten seltener auf. Im Vergleich zur Bevölkerungsstatistik (3%) sind Personen, d. h. Flüchtlinge und Migranten aus Afrika (15%20%) in den Medien stark überrepräsentiert. Im Vergleich dazu entspricht die mediale Aufmerksamkeit für Migranten aus Ex-Jugoslawien mit 14 Prozent etwa ihrem Bevölke-
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rungsanteil (16%). Bezüglich der Nennung weiterer Persönlichkeitseigenschaften fällt auf, dass nur jeder zehnte Schweizer Akteur nicht bloß beschrieben, sondern auch bewertet wird; Migranten erfahren jedoch etwa zur Hälfte eine Bewertung, welche negativ ausfällt (68%). Während das Schweizer Fernsehen sowie die beiden privaten TV-Sender die Migranten stärker ausgewogen und positiv bewerten, zeichnen die privaten Radiosender hingegen das insgesamt negativste Bild.
2.4 Befunde zu den Programmschaffenden und Produktionsbedingungen Die befragten Medienschaffenden äußern die Ansicht, dass die meisten Mitarbeiter bei ihrem Sender für die Migrationsthematik sensibilisiert seien und entsprechend verantwortungsbewusst mit den Themen umgehen würden. Auch hätte das Thema „Migration“ in den letzten Jahren deutlich an Relevanz gewonnen. Allerdings existieren keine detaillierten und verbindlichen Konzepte, welche den Umgang mit der Migrationsthematik regeln würden. Bezüglich des inhaltsanalytisch belegten Mangels, dass Migranten nur selten in den Sendungen selbst zu Wort kommen, meinen die befragten Medienschaffenden interessanterweise, dass es keine Mühe bereiten würde, an Gesprächspartner mit Migrationshintergrund heranzukommen; allerdings wird als Voraussetzung auf einigermaßen gute Sprachkenntnisse verwiesen. Vertreter der Privatradios betonten hier zudem das Stichwort „Dialekt“. In Bezug auf den Integrationsauftrag wird argumentiert, dass der Rundfunk für neu eingewanderte Migranten keinerlei Leistungen übernehmen könne, weil Radio- und TVAngebote Grundkenntnisse in deutscher Sprache voraussetzen würden. Vor allem die Vertreter der Privatradios argumentieren auch, dass sie sich an ökonomischen Kriterien orientieren müssten, was zielgruppenorientierte Angebote nicht erlauben würde. Umgekehrt betonen die Medienschaffenden der öffentlich-rechtlichen SRG, dass der Integrationsauftrag wichtig sei und dass bereits viel getan werde. Alle befragten Medienschaffenden sowohl der öffentlichen wie der privaten Anbieter sind der Ansicht, dass weder im Radio noch im Fernsehen spezielle Sendungen für Migranten, bzw. in deren Heimatsprachen, angeboten werden sollten. Argumentiert wird einerseits damit, dass sich solche „Ghetto-Sendungen“ heute überlebt hätten, und andererseits, dass Migranten Sendungen aus ihren Heimatländern und in den Heimatsprachen via Kabel und Satellit empfangen könnten. Potenzial wird am ehesten dem Internet-Radio zugesprochen. Als ein Mangel machte sich zudem bemerkbar, dass zwar sowohl bei der SRG als auch beim Privatrundfunk nur sechs Prozent Medienschaffende mit Migrationshintergrund tätig sind (Bonfadelli/Marr 2008) und dass deren Anteil allerdings größer sein könnte bzw. müsste. Als Hinderungsgrund wurde betont, dass es für Personen anderer Muttersprache extrem schwierig sei, im Berufsfeld Rundfunk Fuß zu fassen, da gerade hier höchste Ansprüche an die Sprachbeherrschung gestellt würden. Nach Meinung der Experten werde sich diese Unterrepräsentanz aber allmählich abbauen; eine Quotenregelung wird jedoch deutlich abgelehnt.
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2.5 Befunde zur Programmbewertung durch die Migranten selbst Analog zur ARD/ZDF-Studie (2007) zeigte sich auch in der Schweiz, dass die Migrantinnen und Migranten gut mit Medien versorgt sind; dies gilt ebenso für das neue Medium Internet. Die Analyse der Mediennutzung nach genutzten Sprachen ergibt ebenso keine Belege für die so genannte „Medienghetto“-These. Die Nutzung der Medien erfolgt mehrheitlich in deutscher Sprache, wobei Migranten aus Italien und dem Balkan am stärksten TV-Programme komplementär auch in ihrer Heimatsprache nutzen. Die meisten Migranten, welche an der Befragung teilgenommen haben, finden sich nach ihren Auskünften im Alltag in der Schweiz sehr oder mindestens ziemlich gut zurecht. Bei Migranten aus dem Balkan und der Türkei ist der Anteil jener mit 20 bis 30 Prozent am größten, welche sich weniger oder sogar gar nicht gut zurechtfinden. Konsonant dazu gibt die Hälfte an, in der Schweiz sehr gut integriert zu sein. Interessanterweise zeigt sich in den Gruppengesprächen, dass Integration mehrheitlich im Sinne von Assimilation, d. h. als Anpassung an die „Schweizer Kultur“, verstanden wird, wobei von den Befragten der Sprache ein wichtiger Stellenwert zugewiesen wird. Betont wird aber immer auch die Wechselseitigkeit von Integration: Schweizer und Migranten müssten aufeinander zugehen! In den Gruppengesprächen wurde zudem angemerkt, dass die Migranten in den Schweizer Medien nur selten Informationen aus ihren Heimatländern angeboten erhielten. Darum wird die gesamte Medienpalette genutzt, um Kontakte mit dem Heimatland zu pflegen. Insbesondere Internet, E-Mail und Fernsehen sind für die meisten Migranten die wichtigsten und regelmäßig genutzten Kommunikations- bzw. Informationskanäle. Zwei Drittel der Befragten finden, dass in den Schweizer Medien über Migranten zu negativ berichtet würde; die Kritik am Medienbild der Migranten ist mit rund 80 Prozent am negativsten bei Migranten aus der Türkei und bei (eingebürgerten) Schweizern mit Migrationshintergrund. Dementsprechend besteht Skepsis in Bezug auf die Frage, ob die Schweizer Medien bei der Integration und beim Zurechtkommen in der Schweiz helfen würden. Allerdings finden die meisten, dass eine positive Thematisierung der Migration in den Medien zur Integration beitragen würde. In den Gruppengesprächen wurde vor allem der Presse ein Integrationspotenzial zugeschrieben, denn sie ermöglicht Anschlusskommunikation über Gespräche; zudem sei die (Gratis-)Presse ohne viel Aufwand zugänglich. Auch das Fernsehen wurde häufig erwähnt, wobei es immer wieder auch zu kulturellen Konflikten – Stichwort „Nacktheit“ – führt. Das Internet eignet sich vorab zur Informationssuche, jedoch kaum bezüglich Integration.
3.
Fazit: einige Forderungen
Aus den vielfältigen und differenzierten Befunden der hier nur ausschnitthaft präsentierten schweizerischen Studie zur Darstellung von Migration und Migranten im öffentlichen Rundfunk und zur Mediennutzung durch die in der Schweiz lebenden Migranten lassen sich folgende praxisrelevante Folgerungen im Sinne von Empfehlungen zur Verbesserung der bestehenden Medienrealität ziehen (vgl. auch Eidgenössische Ausländerkommission 2007) – und zwar gruppiert nach drei Ebenen: Mediensystem: Es sollten spezifische Sendegefäße beim öffentlichen Rundfunk zur Intensivierung der interkulturellen Kommunikation zwischen der Mehrheitskultur der
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Schweizer und den Minderheitskulturen der in der Schweiz lebenden Migranten geschaffen werden. Zudem sind komplementäre Community- bzw. Ethnomedien zu fördern und die Ausbildung der in den Ethnomedien tätigen (meist nicht professionellen) Medienschaffenden zu verstärken. Notwendig ist ebenso mehr Dialog zwischen den ethnischen, religiösen und kulturellen Gruppen in der Schweiz und den Medien bzw. Medienschaffenden zur Sensibilisierung in Bezug auf bestehende Probleme und nicht zuletzt zur Anhebung der journalistischen Qualität. Repräsentanz der Migranten in den Medien: Ganz generell ist weniger Marginalisierung und mehr Präsenz der ethnokulturellen Minderheiten in den Schweizer MainstreamMedien anzustreben. Neben der Intensivierung der Berichterstattung ist auf der Ebene der Medienqualität aber darüber hinaus eine größere Themenvielfalt in der Berichterstattung notwendig, insbesondere auch durch Miteinbezug von (lokalen) Alltagsthemen. Dazu gehört auch ein veränderter Fokus der Berichterstattung mit Betonung von Erfolgen und positiven Beispielen von Migranten in der Schweiz. Dies bedingt nicht zuletzt eine verstärkte Sensibilisierung der schweizerischen Medienschaffenden gegenüber potenziell diskriminierenden Anspielungen in der Migrationsberichterstattung. Und schließlich ist auch darauf zu achten, dass in der Berichterstattung mehr Innenperspektiven durch Berücksichtigung von direkten Minoritäts-Stimmen von Betroffenen Eingang finden. Medienschaffende: Im Vergleich zum heutigen Anteil von rund fünf Prozent ist eine bessere Repräsentation von Medienschaffenden in der Schweiz mit Migrationshintergrund in den Redaktionen und Ressorts der Schweizer Medien wünschenswert, insbesondere auch beim öffentlichen Rundfunk. Aber auch die schweizerischen Medienschaffenden bedürfen der verstärkten Sensibilisierung für das Thema der interkulturellen Verständigung, z. B. durch spezifische Module in der journalistischen Aus- und Weiterbildung.
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Ethnic Minorities and the Media Trends in Research in the Low Countries With a Focus on Mechanisms of Identification With Media Contents and Functions Among Flemish Families of Moroccan Descent Leen d’Haenens & Hatim El Sghiar
This chapter will sketch a brief overview of the variation in research on media and minorities in Flanders and the Netherlands over the last fifteen years. Its purpose is twofold: in a first section we will glance through the research on media and minorities from the perspective of media content as a potentially important source as well as from the perspective of the audience, looking into aspirations and needs of ethnic minority groups with regard to media contents. This research is, in the first place, our own research where the possible explanatory value of concepts such as ethnic-cultural position, religiosity and language knowledge, besides the current socio-demographic characteristics, is described in relation to access to and use of both Dutch media in the Netherlands and Flanders as well as media in other languages. In the second part we focus specifically on qualitative research among Moroccan families in Flanders and their identification with and functions of certain media content. Ultimately, a future research agenda is proposed, describing the transition from traditional to participative media platforms and the combinations therein.
The Netherlands and Flanders: pluriform information societies The Dutch and Flemish societies are both characterised by a growing demographic pluriformity. Figures of Statistics Netherlands (CBS) show that the Dutch society diversifies rapidly. About three million immigrants reside in the Netherlands, of which more than half come from non-Western countries. Population figures in Belgium show a similar trend. Brussels counts the most immigrants, almost as much as the Flemish region in its entirety. Both in the Netherlands and in Flanders, Moroccans and Turks belong to the numerically biggest groups of non-Western minorities. In the Netherlands, Turks and Surinamese are the biggest minority groups, followed by the Moroccans. By non-Western immigrants we mean residents of the Netherlands or Flanders who were born in a non-Western country (first generation immigrants) or who have at least one parent who was born in a nonWestern country (second generation immigrants). Our research is mainly aimed at minority youngsters of the second and also the third generation, although recently we added research on adults within their intergenerational family context. Different demographic prognoses illustrate that the non-Western population continues to grow faster than the other population groups in the Netherlands and Belgium. Immigrants with Turkish and Moroccan roots and their descendants are here to stay and are growing in both Dutch and Belgian societies. Considering this growth, it is not surprising
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that the position of immigrants is a matter of increasing public and political interest. Especially after the September 11 attacks in 2001 on the World Trade Centre in New York and the bombings in London and Madrid, or closer to home, the murder of Theo van Gogh in Amsterdam, the concern has been growing. This chapter concentrates mainly on Turkish and Moroccan youngsters of the second and third generations. The latter and their parents and grandparents, living in their new environments in the Netherlands and Flanders, have been confronted with fundamental changes as to family, labour and school education. This has not uncommonly led to feelings of social ambivalence, alienation and identity problems among first generation immigrants. During the 1980s, the Dutch government policy was aimed at the conservation of the “native” culture and identity of the different groups. In those days, the Flemish policy was still to be developed. In the current social climate, marked by economical recession and a general shift to the right, the attention is fixed more on assimilation of new arrivals through integration courses. The public media in particular assume a role for themselves in the promotion of integration of immigrants in society. The focus lies distinctly on public television which should, more than any other media channel, be aware of the different needs and preferences of the entire audience, without structurally excluding any group. The cultural diversity in the media landscape has received a great impulse both in the Netherlands and in Flanders. One manifestation of this is the more current appearance of immigrant actors in a growing variety of roles in home-grown fiction. One should observe that the Netherlands has an advantage of about fifteen years compared to Flanders in this respect. Broadcasting corporations are encouraged to employ more immigrants in an effort to provide a more balanced representation. In spite of these well-intentioned policy efforts, editorial staff only slowly “turns colour” (Leurdijk 2008). In the meantime, the internet is becoming the essential platform that contains all other media expressions and adds the participative function which gives the user the possibility, dependent on her/his intentions, interests and needs, to enter in contact with “soulmates” in online networks. Obviously, access to and use of digital applications are not synonymous, but access is a condition sine qua non for use. Access still seems to be a bottleneck that has not been completely removed, meaning that not everybody has equal opportunities to make use of the internet. In the Netherlands and Flanders we can still talk about a “digital gap” and even though this gap is gradually closing, immigrant groups still belong to the potential high-risk groups in the information society. Research on media and ethnic minorities roughly focuses on three main areas. A first, and extensive, group of studies deals with the representation of immigrants in the media; a second, so far neglected strand of research tackles the participation by immigrants in the production of media content; and a third type of studies refers to the so-called reception research. These studies examine to what extent and how immigrants make use of and interpret the supply of media. The research presented in this chapter belongs to the third type. The “local”, socio-culturally coloured interpretation by media users who operate in at least two socializing contexts – i. e., from the reliable home context characterized by a certain degree of prominence of the “home country” against the Dutch-speaking school context to “global”, homogenized media contexts – is a possible approach to look at the media experience of minority youngsters.
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From the very beginning in Flanders … Research on ethnic minorities and media is relatively new in Flanders. By the end of the 1980s (Schakenbos/Marsman 1988) a growing demand for data on media behaviour of newcomers emerged, including upon the request of policymakers. In 1992, the Flemish public broadcaster took the initiative for a first exploratory field study (De Aguirre et al. 1996; d’Haenens/Saeys 1996a, 1996b). As an alternative for continuous audience measurement research, which did not allow any conclusions on viewing habits of ethnic minorities, standardized questionnaires were administered to and discussions were held with ethnic minority respondents recruited through integration centres in order to assess the circumstances and motivations for their media use. The explorative character of such research was not principally aimed at the drawing of general conclusions. It was decided to examine the results against new material. An analysis of media behaviour of immigrant students in Ghent was a first replication study of the 1992 research results (De Sutter/Saeys 1996). Hence, it was necessary to find a way to identify a diverse cross-section of the immigrant population of Flanders. It was decided to conduct the research through schools, based on standardized questionnaires administered individually as well as on class level. For practical reasons, the region of Ghent was selected; a reference group of native Flemish youngsters was set up. In total 449 students were questioned, 100 of them native Flemish. The research supplied us with answers to our questions on circumstances, motivations and appreciation concerning media use. The results of this research proved similar to the earlier research of 1992. The discrepancy between the ownership of a radio (94 to 100%) and the actual use (several times a week: only 66 to 74%) was conspicuous. This meant that only two thirds of the minority population was reached through radio. Thus, radio seemed no appropriate platform for information campaigns aimed at this particular audience. Further analysis showed that Moroccans listened to radio more than Turks and youngsters more than older people. Meanwhile, television was omnipresent and even more popular than among Flemish people. Ethnic minority audiences proved less acquainted with the Flemish media supply. Both minority and majority youngsters favoured local Dutch-speaking commercial radio stations. The use of foreign radio and television stations by minority adults was striking (De Sutter/Saeys 1996). In addition to studies on media ownership and use, research was carried out on the stereotyping of ethnic minorities in the media (d’Haenens 1996b; d’Haenens/Saeys 1996a, 1996b). The latter often complain about incomplete and incorrect reporting, while natives have the impression that ethnic minorities get all the media attention. We intended to put the reliability of these mutual views on trial, confronting the statements of the respondents as a result of focus group discussions with content analysis results of the Flemish newspaper press and the television news (d’Haenens/Soens 1996; Staes 1996; d’Haenens 1996a). This content analysis showed that immigrants tend to be associated with problem groups and/or criminality in the media, especially in the newspaper press. The research was complemented with recommendations for journalists. More recent, additional research (both quantitative and qualitative) refined the above results (Saeys/Coppens 2002; Devroe/Saeys 2002). Several reception analyses showed the existence of an explicit information need among immigrants as well as their search for signs of recognition in the media. More recent
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qualitative research on the attitudes of immigrant youngsters towards television news confirms these findings (Clycq/Michielsens/Timmerman 2003).
… to comparative research in the Netherlands and Flanders As the Dutch and Flemish societies show common characteristics concerning demographic pluriformity and ICT penetration, more comparative research is obviously needed. In 2001 and 2002 an extensive survey (N=810) was conducted among Turkish and Moroccan students (12-19 years) and a Dutch and Flemish group of students with the same levels of education (n=214). A distinction was made between quantitative survey material and qualitative research based on in-depth interviews and focus groups. In this research, d’Haenens, van Summeren, Saeys and Koeman (2004) assessed the similarities and cross-ethnic divides among native Flemish and Dutch and ethnic minority youngsters of Turkish and Moroccan descent. The following research question was central: Is media use rather characterized by segregation – the creation of separate groups based on ethnicity – or does it offer opportunities for cross-ethnic overlap? We went in pursuit of both existing divides (due to sociodemographics) and new ones (related to culture-specific characteristics) that are promoted by access to, ownership and use of media. The question arose to what extent and how ethnic minority youngsters make use of the media supply and whether their orientation towards their “country of origin” plays a role in this. Basically the research showed that television is still a popular family medium with youngsters because of its entertaining value. For minority youngsters television even seems to be their main source of information. Turkish and Moroccan youngsters make use of the internet mainly in order to access information and less for communication purposes (e. g., to chat or e-mail) – as opposed to Flemish youngsters (cf. d’Haenens/Koeman/Saeys 2007). Flemish youngsters tend to be more consumptive and as such make more use of the gaming and entertaining functions of online platforms than the Turkish and Moroccan youngsters. Especially online information on religious subjects, their country of origin, study and work, hobbies as well as more general information on the society they live in appeals to Dutch and Flemish youngsters of Turkish and Moroccan descent. Moroccan youngsters are significantly more avid online media users than their Turkish peers. Furthermore, Turkish youngsters read approximately the same amount of Turkish and Dutch newspapers, unlike Moroccan youngsters who predominantly read Dutch newspapers. This can partly be explained by the limited supply of Moroccan newspapers in Belgium and the Netherlands combined with a frugal knowledge of written Arabic. All in all, the preference for Dutch-language media content increases with the educational attainment and the socio-economic status of the family, with longer residence in Flanders or the Netherlands, and with better language proficiency. Language seems to be the best culture-specific predictor for media use after all (i. e., good knowledge of the Dutch language is closely connected to regular use of Dutch-language media). Obviously, media use is partly determined by the nature of the media supply. The latter in the language of the “home country” compensates the Dutch media supply that is considered inadequate by ethnic minorities. In sum, the one-sided negative image as perceived by ethnic minorities in the media is experienced as an unfair reflection of the diverse society (d’Haenens et al. 2004).
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In that respect, the ethnic-cultural position or the degree of orientation towards the society one lives in or towards the region where one’s roots lay are an important indicator for the mixture of either media content in one’s “native language” or in Dutch. Three groups of media users are distinguished: the so-called “homelanders” make more use of “home language” content than of Dutch-speaking content; the media menu of the “omnivores” is characterized by a balanced mix of both, while the “adaptors” concentrate mainly on the Dutch-speaking media content. The so-called media ghetto-thesis (i. e., ethnic minority users are mainly oriented towards their “home language” media content) is refuted in that the use of both “own” and Dutch-spoken media content is not mutually exclusive but, on the contrary, complementary. The media-integration thesis applies as far as the amount of orientation towards the region one lives and operates in is also reflected in one’s media use and media needs. On top of this, it turned out that certain media platforms are more suitable for content on and communication with the “own” group: the internet is clearly more directed on homogenizing content than television (Peeters/d’Haenens 2005). Connecting this knowledge to the groups under study, we conclude that the Turkish minorities make significantly more use of the internet than the Moroccans for content and communication aimed at their own group. As main outcomes from a series of homogeneous focus groups with youngsters and indepth-interviews with adult key figures from the Turkish and Moroccan communities in the Netherlands (d’Haenens/Beentjes/Bink 2000) we retain that ethnic minorities are critical media users because they often compare the Dutch media with the media from their country of origin (for similar findings in the UK, cf. Gillespie 2006). In other words, they develop a broader view on news. Moroccan youngsters also turn out to be very interested in crime coverage and sports besides local and regional news. Turkish youngsters rather tend to be interested in information on their country of origin, followed by information on sports, crime coverage, local and regional news. The hunger for information on their “group” and their country of origin is only partially covered by the Dutch news supply. This counts for all age groups. Non-native Dutch cannot really recognize themselves in the Dutch media. The image that the media spread (in general, but television in particular) is not seen as a fair mirror of the Dutch multicultural society. Especially the lack of variation in the choice of interlocutors from ethnic minorities reduces the chance for the public to see those persons as individuals instead of bearers of (mainly not flattering) group features. This also explains the need for media from the country of origin among ethnic minority adults in particular, and to a lesser degree among non-native Dutch youngsters. The latter were mostly raised in the Dutch society and are therefore used to the western image supplied by the media. Their need for media focusing on their “country of origin” seems to be significantly lower. An online newspaper presents good possibilities for ethnic minority readers. An electronic newspaper can be an eye-catcher in the discussion on the one-sidedness of news coverage on ethnic minorities as it can be continuously accessible everywhere. Thanks to online journalism and “user generated content” originated in the ethnic minority community itself, contributions can be posted online without publishing them. In this way more interactivity and thus more participation in the news and news gathering can be stimulated.
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198 Current research on immigrant families in Flanders
Since recently, research on media use by Flemish families with Turkish and Moroccan roots is being carried out. This research adopts the so-called “emic” approach (opposed to the often used “etic” perspective) (Goodenough 1970; Harris 1980). The research departs from the finding that not only society diversifies, but also the so-called ethnic minority communities, and especially those who have already been residing in Flanders for a longer period, such as Moroccans and Turks (Jonker/Amiraux 2006). Independent from the (often ignored) inherent diversity of both groups in the multi-ethnic countries of origin, Flanders also copes with different generations, with diverging distances from the migration concept.1 Moreover, already 70 to 75 percent (and the percentage is growing) have acquired Belgian nationality – which makes them invisible in the official statistics – and of those who have not acquired Belgian nationality, 41 percent are born in Belgium (GéDAP/CGKR 2008; Jacobs/Rea 2006). Individuals of the third generation automatically acquire Belgian citizenship and are therefore not counted as ethnic minorities, although they still see themselves as ethnic minorities or are treated as such. This diversification makes it more difficult to set up an unambiguous image of these groups, especially when we start from static and “essentially contested” concepts such as ethnicity, religiosity, culture, identity, etc. (Laclau/ Mouffe 1985; Werbner 2002). Each categorization of individuals is as such a social construction (Barth 1969) whose content is strongly determined by hegemonic discourse, power factors, self-perception and perception by “others” (Verschueren 2002). It has been demonstrated (Bourdieu 1980; Wacquant 1997), however, that these constructions (“collective fictions”) can become an experienced reality (“reification”). Taking into account the demographic and political developments as well as the dynamics and the contexts of diaspora, the premise of homogeneity (Blommaert/Verschueren 1998) and the use of these “categories of practice” as “categories of analysis” (Brubaker/ Cooper 2000: 5) is not without risk. One example of this diversity: second generation entrepreneurs have more formal social networks (Rusinovic 2007), better digital skills (Dagevos 2001) and more mixed friendships (Van Ingen et al. 2007) in comparison to the first generation. Dagevos and Gijsberts (2005) also notice the creation of a middle class in later generations. Hence, for our further research with ethnic minority families, the concept of “identification” defined as “the making, maintaining and braking off of connections” (WRR 2007: 14) seems to us a good alternative in replacement of the abovementioned essentialist concepts. Identification inherently pays attention to history, context, actors, dynamics and influencing factors (e. g., the role of implicit codes and discrimination) and allows us to connect with other person- and media-related features (WRR 2007; Brubaker 2004, 2005; Sökefeld 2006). Connections with others do not only come through a shared language, history or territory, but mainly through the creation of collective experiences and shared memories (Castells 2004). The choice of identification possibilities is endless (e. g., national and cultural identities are part of these) and is (also) dependent on “others” (Goffman 1959; Giddens 1991). In the current phase of the research, three (not restrictive) dimensions 1
Next to first, second and third generations, there are also the families constituted by marriage migration (e. g., second and first generations as parents) or those who came to Belgium at a very young age (“one and a half” generation).
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of identification have been advanced: functional, normative and emotional identification. These consist of self-identification, self-identification with respect to others, relational and categorial identifications (e. g., ethnic, religious, professional, family-related classifications) and identification of others (e. g., family, peers, colleagues) in relation to media use and media perception (WRR 2007; Brubaker/Cooper 2000).2 The emphasis of our research lies on the dynamic and contextually determined social position as well as on the potential diversity of Turks and Moroccans rather than on the comparison with the Flemish native population. Moreover, the similarities in media use between native and non-native youngsters increase (d’Haenens et al. 2004; Gezduci/d’Haenens 2008). With this in mind, the following question arises: Which factors – i. e., identification, social capital3 and family ties – can play a role in the use and interpretation of media in general and television news (newscasts and current affairs programmes) in particular? We want to find out how the interpretation process (i. e., perception, use, memory, understanding) occurs, and what it is triggered by (i. e., source, content, format-related and personal features such as motivation). (News)media play a more complex and more central role in the lives of ethnic minorities than in those of native people, given their potentially broader media menu and its possibly greater impact, given the (real or perceived) negatively biased context of representation (among others, Karanfil 2008; Gillespie 1995, 2006; JohnsonCartee 2005; d’Haenens et al. 2004; Aksoy/Robins 2000). This research is grounded in the uses-and-gratifications research tradition (e. g., Katz et al. 1974; Ruggiero 2000; Rubin 2002), with attention to the perception of and the possible manipulation by the media in general (as producers or re-producers of discourse) (among others, Blommaert et al. 2004) or the potential influence of Iqra and Al Jazeera on opinion making in particular (Echchaibi 2007; Hamada 2008). Concretely speaking, qualitative family research is seen here both as our central focus and the follow-up of a survey study on media and news use with Moroccan and Turkish youngsters and adults.4 From the surveys, and through “social sampling”5, families were
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“Functional identification” focuses on the belonging to certain groups (e. g., student, resident of a town) that is functional in order to realize certain goals. In this process, existing borders between groups (e. g., ethnic) diminish or even disappear (de-categorization), and are re-categorized according to functionality. “Normative identification” departs from the possibilities to utilize and introduce own frames of reference (views and standards) into the public and political field. “Emotional identification” concerns feelings of connection with others, a “sense of belonging” to those with whom one identifies. For many (also non-native) ethnicity is the identification frame that appeals to the imagination, but many have different frames, known by different degrees and appreciation levels depending on time, place and context. Emotional (e. g., debates on loyalty and citizenship rituals) and normative identification (e. g., debates on compatibility of Islam and the West, work attitudes) prevail in the social and scientific debates on functional identification (e. g., minorities point at their citizenship and the discrimination they suffer). Social capital is seen as the entire set of links between individuals, social networks, standards on reciprocity and trust (Putnam 2000: 19). Since the relationship with media is our main concern in this research, we wish to emphasize the diverse (complementary and dynamic) parts of social capital: trust (in the future, in establishment, in citizenship, etc.), “life satisfaction”, reciprocity, and commitment to society, quality of social relations, the use of leisure and the nature of formal (membership of associations, etc.) and informal networks (citizenship, friendship, etc.). We are aware of the rich discussions on the definition and operationalization of Putnam’s social capital. Three surveys: x Turkish adults (18+) (N=400), carried out by Hasibe Gezduci (February-May 2006), translated into Dutch and Turkish;
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recruited of which all members older than twelve (due to the difficulty and lack of relevance of the theme for younger children) participated in two discussions of three hours each in their homes. The standard language for these interviews was Dutch – or French, Moroccan, Arabic or Turkish, when the informants were not proficient in Dutch. When our informants only spoke the Berber language, family members were called upon for translation. Through participating observation, combined with a field experiment (testing the recollection, understanding and evaluation of a television newscast), the needs, expectations, preferences as well as functions of the media in general and news in particular were assessed, and related to social, intellectual, economic and cultural capital, as well as demographic, ideological and family-related circumstances (i. e., interactions among the family members, balance of power) and identifications. The analysis of the evidence (i. e., family interviews, including field notes on non-verbal communication and the general ambiance) follows the grounded theory approach (Glaser/Strauss 1967). In an effort to discuss some – preliminary – results of our first ten family interviews, we limit ourselves to the Moroccan families for the purpose of this chapter. Television proves to be the most important medium. The portion of Western media (television and internet) in the total media menu is situated between 70 and 85 percent for the age group 18 to 42, but the parents watch significantly more satellite channels than their children (F=38.510; df=1; p=.000); the portion of Western media among the 42+ adults decreases to about 40 percent. Youngsters up to 18 also watch considerable amounts of cable television output (a portion of 50 to 60%). The influence of the parents is still strong at that age, as illustrated by the following statement of a 12-year-old boy: “Sometimes I watch Al Jazeera with my father and mother, just because I want to be with them when they are watching”. Based on the quantitative (Gezduci/d’Haenens 2007) and qualitative parts of the research, equal conclusions were reached: paramount importance of cable television (three parents and nine youngsters in fact never watch satellite television) except within the 42+ age group that indicates, however, to make use of Western and non-Western media complementarily. For most family members, the continued use of cable television is obvious. In spite of predominantly biased representations in the news media (cf. also Halloran 1998; d’Haenens et al. 2004; Devroe 2007), they wish to remain informed of Belgian events, as these may impact heavily on their daily lives. Orientation and homesickness towards the country of origin of the (grand)parents belong mainly to those who were not born in Flanders: not one youngster in our family interviews refers to this feeling. The perceived trustworthiness of Western and non-Western media does not seem to play a role either, at least not at a general level, except for certain issues. According to our informants, the media often make mistakes when publishing the origin of criminals, when allowing so-called experts to speak, and when referring to the term “Muslim terrorist”. These remarks indicate once more that we deal with a critical audience, both in relation to cable and satellite television output (d’Haenens et al. 2004). x
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Flemish, Moroccan and Turkish youngsters (12-19 years) in a selection of 30 Flemish secondary schools, carried out by Hasibe Gezduci (February-May 2007) (N=1774, from which 482 were Moroccan and 539 were Turkish youngsters), in Dutch; x Moroccan adults (18+) (N=417), carried out by Hatim El Sghiar (October-December 2007), in Dutch and French translations. in order to link up the quantitative and qualitative groups as much as possible, and taking into account the geographical distribution of both groups
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My parents taught me to watch TV critically [son, 21 years, and daughter, 15 years, confirm this]. I only believe things on TV that are thoroughly substantiated and founded with facts and examples. They cannot convince me of just anything. (son, 19 years)
The parents’ educational attainment, their spiritual/religious perceptions, and the degree of checking and re-checking going on when watching satellite television or searching the internet for news consumption are all possible explanations for the critical attitudes towards news by ethnic minority youngsters. They prefer a basic critical attitude and plea in favour of adjustments to be made to the current supply (i. e., more attention to culture, tradition, and religion, and differentiation in it). A possible alternative is suggested: some weekly broadcasting time inspired by the Dutch model (two parents and three young adults mention that they rather recognize themselves and feel acknowledged in the Dutch broadcasting system) instead of a separate broadcasting station aimed at immigrants (Clycq et al. 2005; Sreberny 2005). Another group goes looking for broadcasting alternatives actively (Ross 2001; Elias/Lemish 2008; d’Haenens et al. 2000) although this approach applies only to a small number of our informants. The majority of the family members, particularly the young adults and youngsters, does not seem to attach great importance to the amount of ethnic minorities in programmes, but requests that broadcasters concentrate on “whom” they allow to speak in their programmes. Suspicion against the media does not always lead to withdrawal from the media (Tsfati/Cappella 2003). Nevertheless, the families hardly notice efforts for improvement. The main misapprehension created by the Flemish press concerning the murder of Joe Van Holsbeeck in April 2006 (the mp3-murder in Brussels Central station by Polish Roma boys; the media at first wrongly assumed the criminals to be of Maghreb origin) is still indelibly printed in everyone’s memory as a typical example of mediated stereotyping. There are different trajectories of hope for the future, as presented in the following statement: Mother: Give the current generation a bit more time to advance and to get into the media in a positive way. I have confidence in the future. I see girls like my daughter [wearing a headscarf] in a few years as a possible anchorwoman in the news […] Daughter: [laughs] No, no mum, that will never happen in Flanders (mother, 45 years, and daughter, 22 years).
Reliability does seem to play a role when watching Moroccan broadcasters and those from the Arabic-Islamic world such as Al Jazeera. Especially the fact that they present more images directly from the battle fields seems to change the perception for the better, especially among adults. Al Jazeera matters for people from the Arabic world as CNN does for Western people, namely news from a reliable source, 24 hours a day. (father, 43 years)
Nevertheless, mainly among young adults and youngsters who were born here, critical voices concerning these broadcasting stations can be heard: Son (24): […] Flemish stations, they are pro-America I would say and Al Jazeera is actually against, so choosing is difficult as you don’t know which version is true. Son (20): […] I would say more pro-West than pro-America because they sometimes give criticisms, like in “Panorama” or so, against America. But I find that they are Western, because they do like, for example, a broadcast on Muslim women who euh… have had experiences with other men and so, you know. [laughs]
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And then they promote Moroccan homosexuals or Muslims. A boy who says: “I am Muslim and homosexual”. And then, yes, then we have to hear it from young Muslims, you know. And that while… Al Jazeera […] I think personally that they try to convince us “your religion becomes easier” […] because, you know, it is a fact, Muslims are going back to their religion. And so Al Jazeera is doing the same, you can see it, because they bring mainly a movement in Islam, Ilmaniya and those are rationalists. So the Koran comes at the second place euh… and they try to change everybody too… even Al Jazeera is a doubtful case, VRT is a doubtful case too… (sons, 20 and 24 years)
Knowledge of the language proves to be one of the main factors determining media use, as earlier research illustrated (Gezduci/d’Haenens 2007, 2008; Motivaction 2007). Those who are less proficient in Dutch indicate that they mainly watch satellite television, but then also language plays its part. Moroccan families who speak mainly the Moroccan dialect (Darija) watch Moroccan channels (about 30%), those who are fluent in Arabic prefer to watch channels as Al Jazeera and other broadcasting channels from the entire Islamic world (about 70%). This last group consists mostly of men, given that they are the ones with a limited knowledge of the Dutch language. Young people display an inadequate knowledge of Arabic and therefore watch the satellite channels less frequently. Our dad watches Al Jazeera frequently, but we don’t understand anything. It’s no use to watch it… We have only learned the Moroccan Arabic, not the Middle East one…. When Al Jazeera is turned on, we sometimes watch though and our dad translates for us, but we rather watch the Dutch language or English language channels. (daughters, 13 and 16 years)
Proficiency in Dutch as such is more than sufficient to watch the Flemish channels: this applies especially to the Moroccan parents (12 out of 19) who speak correct to perfect Dutch (as it happens, most of them were born in Belgium). But even here, language plays a role. The majority of informants mainly watches commercial broadcasters and some of them motivate this choice by saying that the language used on these commercial channels is easier, especially in the news. One young man of 20 motivates his choice for the online newspaper “Het Laatste Nieuws” in the same way. Others see their inadequate language knowledge and their willingness to improve it as a motivation to watch: some parents try to improve their knowledge of Dutch; the learning of Arabic is stated as a motivation by the parents to involve their children in satellite television. Most youngsters already attend Arabic lessons, mainly in the mosque, especially in order to attain better contact with their nonDutch-speaking family members (e. g., grandparents). This (atheistic) father states: Once in a while I still speak Arabic with my wife. In Morocco, people laugh at me because of my Dutch accent. […] Therefore I think it is important for my daughter to be proficient in it. She already speaks fluently but she attends school at the mosque mainly to learn how to write. I speak Arabic perfectly with my mother who still lives in Tanger. But writing is a different matter. I can hardly write my own name and I see this really as a handicap. […] My two daughters therefore need to learn how to write Arabic. It is really important. (father, 39 years)
A family without a satellite receiver would consider purchasing one, just because it would be good for the children to familiarize with Arabic. Also for the other languages (English for example) television is seen as a good teacher. Religion seems to be the second factor in the choice for satellite (Gezduci/d’Haenens 2008). This is about general use that can either have an entertaining, social and informative function, but it can also apply to religious programmes when reliable religious information
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is what one is after. Nevertheless, religion may not be interpreted too narrowly: for example, visits to the mosque should not be seen as the only indicator of religiosity. Women are known to visit the mosque less frequently (Van Tubergen 2007; Abdus Sattar 1993). Seeing visits to the mosque as an indicator of religiosity would make women appear as less religious: this is not necessarily the case. Some young people (three out of eight informants) appeared to be religious, even more so than their parents, but then in their own way. Amongst the young people under study, no one was very religious. For the time being, young adults seem to watch satellite to obtain religious information. This can possibly be explained by the concept of “emerging adulthood” (Arnett 2000, 2001). This phase of life can be situated between adolescence (late teenage) and young adulthood (second half of twenties) and is a period of instability and change, whereby adulthood is postponed in order to discover the possibilities of life and to make choices in terms of personal and relational areas and worldviews. The emergence of new media and satellite television with a religious bias (Abelman 1987; Karanfil 2008) is not without influence, given the popularity of the supply within the Arabic and Islamic diaspora (Miladi 2006; Hamada 2008). “Satellite Islamic television channels […] have been the laboratory in which the new Islam has emerged and evolved” (Echchaibi 2007: 2). Diverse tendencies and discussions flare up in our living rooms, while before only traditional religion, as experienced by the grandparents, was the dominant discourse (Karanfil 2008). Later generations rebel against the contents of their parents’ religion and want to follow their own path (Frisina 2006; Fadil 2006; Jonker 2003; El Sghiar/Kanmaz 2007). This also shows in the families in our study: as far as religion goes, little over one third of the parents in our study are religious in a rather “traditional” way, opposed to none of the young adults and youngsters. Most parents and youngsters adhere to a type of Islam influenced by the diaspora, directed towards the local needs and manners. A minority of the parents (four) and the youngsters (four) as well as one young adult are not or hardly religious: this is a result that is not often taken into account in quantitative research. News takes up a prominent position in each family, although three youngsters (between 13 and 15 years), one young adult and one parent in our study declare that news is of no interest to them and that they hardly ever consume it. In further research, attention should also focus on this group, but, nevertheless, in most families, exposure to at least one television newscast a day is common. Various families indicated that they felt as if they were watching the news more often than other Moroccan families in their circles. One set of parents beat them all by watching no less than seven newscasts from the Islamic world a day. The latter have no cable television but count on “second hand information” to keep informed on Belgian news, through the mosque, friends and their children. Nevertheless, most families watch the news daily on the Flemish public or private broadcaster, complemented with current affairs (mainly broadcast on the second public television channel) and one or more newscasts by satellite dish. Most family members (and more than half of the youngsters) consume news through television only, as that medium responds to their needs. One should also take into consideration the frequent lack of ICT literacy of the parents. While US-made serials seem to appeal to almost all young adults (youngsters and half of the parents alike), Flemish serials are hardly watched. The only important exception here was the daily serial “Sara” (an adaptation based on the original, Columbian-made telenovela “Yo Soy Betty La Fea”): eight out of ten mothers and all of their daughters frequently watched this programme. The two mothers who did not were not proficient in
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Dutch language. From the discussions it was not possible to find a real explanation for this specific inclination towards “Sara” in comparison to the daily soap series “Thuis” (Home) or “Familie” (Family), except for its recognizable format and the possible recognition for immigrant women of the social environment in which the protagonist Sara evolves. A father explains the phenomenon as follows: “Sara” is similar to a Moroccan programme […] On Moroccan channels, such soap series are broadcast all the time, also with very unrealistic situations. (father, 49 years)
The focus on identification is at times justified, both through the use of the words as in explicit and implicit contextual identifications. Reducing Moroccans to Muslims was brought up for discussion on several occasions during the interviews. When you say constantly, those are all Muslims, whatever happens, negatively, in the Muslim world, you know, you are identified with them. Then it doesn’t matter whether you are Moroccan or Muslim or anything else. (father, 43 years)
Moreover, different concepts, like Muslim, are conceived differently. Interviewer: Do you trust Islamic men and women more? Mother: That depends on what you mean by Muslim. Are they real Muslims or not? (mother, 48 years)
Throughout the interviews, countless identifications succeed one another, sometimes very quickly, as seen in the following example: Mother: It depends to what extent you are involved. When you are a parent and you hear something like that [paedophilia], then you have your children with you, but you feel… just imagine! […] Interviewer: And, something like the attacks on [Bhutto] in Pakistan? Mother: That was terrible, wasn’t it, that really touched me. You know, she was an example for so many oppressed women […] Interviewer: What about the other subjects, the ones that do not interest you as much, would they interest you more if they had something to do with Islamic countries? Mother: I think so, yes. Arabic, Islamic, […] I do think so. I am not so sure [laughs]. But I do think that it is true. Interviewer: […] Imagine, for example, an economic crisis, making the cost of living much higher. Compared between Algeria and Bulgaria for example. Mother: Ah well, I think that it is more or less the same as values and standards in Bulgaria. The people are as poor as they are in Algeria, they have no social security or food distribution programmes. Interviewer: According to which side…? Mother: Bulgaria, because that’s not far from home [laughs]. But then they come here! [laughs] […] Daughter: Yes, I also think Bulgaria because it is somewhat closer, yes, I think in the same way. (mother, 45 years, and daughter, 22 years)
Another factor that is surely playing a role in these identifications is the experience with racism. Each family paid a lot of attention to racism and, surprisingly, each family brought up stories, in most cases personal experiences, sometimes those of acquaintances. Examples from school, work, the housing market, the neighbours, etc. were passed in review. For example during history lessons, when the teacher explains how Arabic invaders conquered Europe at some point and then the teacher says “luckily they stopped in France, because otherwise we would all be wearing scarves by now too”. They say that kind of thing and then I just keep my mouth shut. (daughter, 15 years)
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In some cases we can talk about a strong des-identification6 becoming visible through, for example, expressions as “those people”, “they”, “that language”, when they talk about Moroccans, Muslims or the Arabic language. In short, deducing from this first explorative results, qualitative research will play an important role in the future strands of research on media and ethnic minorities, not only as a supplement to the quantitative research, but also as a source of differentiation needed in the changing diaspora context. The link with migration is getting thinner, religion is no longer Islam only (in fact it was never the case) and ethnicity is renounced more and more by the people under study. Without such qualitative research, there is the danger that the diaspora community will be erroneously analyzed from the point of view of migration instead of that of diaspora.
Conclusion: Whither research on media and ethnic minorities? Following this short sketch on media research related to ethnic minorities in the Low Countries, and without pretending to give an exhaustive image of the research agenda ahead, we do believe that future media research on the informal socio-cultural position of ethnic minorities should 1) mix with sociological research, and 2) further elaborate the multiple layered religiosity concept therein. Following our own research, we found that Moroccan and Turkish youngsters in the Netherlands use the internet to familiarize themselves with their Muslim-ness: they make use of the internet as a guide through the maze of standards and values (d’Haenens/van Summeren 2004). Especially the second and third generations see their Muslim-ness as separate from their religious practices. Moreover, almost two thirds of the Muslims in the Netherlands feel religious experience to be a private matter primarily (SCP 2004). In light of this, questions arise regarding the social basis of the interpretation of the Koran and the Islam experience in the Dutch Muslim community (and by extension, the Flemish) and regarding the role of the traditional and interactive media. Therefore, we think that for current and future research it is of paramount importance that a multidimensional definition of religiosity is applied, distinguishing between knowledge, doctrine, and the mixture (or lack thereof) with cultural views and the consequences on daily religious practices. In short, this variety within the Muslim stance in secular societies such as the Netherlands and Flanders needs further studying. The link to the political Islam, characterized by numerous factions, also needs to get its proper place. In view of the representation role of the media, future research should investigate how religion in general and Islam in particular are represented in the Dutch and Flemish media. E. g., one can ask oneself how journalists handle the continuous association between religion and violence. It would be worthwhile to compare the degree to which reform-minded voices from within the Islam get the floor in the Dutch-language media with their visibility (or lack thereof) in the “home” media. In this respect, the study of Web 2.0 applications and online social networks is interesting. Does this lead to a vision that is balanced and aimed at consensus of opinions and religious convictions that transcend the generally polarized framing in the regular media? To what extent does the content of the discussion panels on such social networks rely on the discourse held within the regular media. In other words: Does 6
to rupture or detach from a connection, category or possibility of identification
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Web 2.0 lead to reciprocal tolerance or rather to a compromise of societies that, due to shared features like specific interests and opinions, nurture each other? These seem to us the central questions for further research. In order to be able to anticipate in a professional fashion the specific media needs of non-native media users, large-scale and regularly repeated surveys (e. g., every two years, based on representative samples) are essential. In the Netherlands, such datasets can already be consulted, while in Flanders significantly less research of this kind is available. In this respect, continuous audience measurement on the basis of a representative sample of nonnative families (e. g., the numerically biggest ethnic minority groups) is strongly advisable. Large-scale research, in which time spent with a wide array of media platforms (i. e., cumulative media use) and value orientations are linked to one another, is still a wish for the future. Meanwhile, we have to make do with ad-hoc research. Anyhow, research questions as the ones we tackled in this chapter cannot be left to mere market research. Universities can play a central role in future research as impartial actors. In light of the above, the establishment of interdisciplinary research teams consisting of experts of the Arabic and Turkish languages, anthropologists, sociologists, social-psychologists, communication scientists and linguists is much recommended.
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Zwischen Fremdbestimmung und Versagen am Markt Beiträge zu einer politischen Geschichte der Medien ethnischer Minderheiten in Deutschland Daniel Müller
1.
Einführung: ethnische Minderheiten und ihre Medien
In den 1950er und 1960er Jahren entstanden in der Bundesrepublik zeitversetzt zu den Anwerbeabkommen, in denen die Rekrutierung von „Gastarbeitern“ mit deren Herkunftsländern formal geregelt wurde, erste wissenschaftliche und journalistische Arbeiten über die „Gastarbeiter“ (die vielfach und noch lange auch „Fremdarbeiter“ genannt wurden; z. B. Katsoulis 1974, zur zeitgenössischen Begriffsdebatte z. B. Klee 1972), auch in Bezug auf Massenkommunikation. Dabei war lange der Begriff „Gastarbeiter“ (z. B. Delgado 1972) dominant, gebräuchlich auch der korrektere des „ausländischen Arbeitnehmers“ (z. B. Infratest 1968). Diese wurden dann allmählich durch den allgemeineren des „Ausländers“ abgelöst (z. B. Merten 1986), dieser schließlich ebenso allmählich durch den des „Migranten“ (z. B. Schatz/Holtz-Bacha/Nieland 2000), „Immigranten“, „Einwanderers“ oder „Zuwanderers“, gelegentlich auch in Konstellationen mit „-hintergrund“, in Anerkennung der Tatsache, dass viele Personen, auf die der Begriff abzielt, selbst eben nicht eingewandert sind.1 Zunächst analog wurden die für diese Zielgruppen erstellten Medien bezeichnet: als „Gastarbeitersendungen“ (z. B. Rotter 1969), recht früh auch als „Ausländerprogramm(e)“ (z. B. Bogner 1972). Neben „Medien für Migranten, Immigranten, Einwanderer, Zuwanderer“ oder – natürlich sehr häufig – für einzelne Herkunftsgruppen taucht nun seit einigen Jahren auch verstärkt „Ethnomedien“ auf; das von der Kongruenz zu „Migranten“ her zu erwartende „Migrantenmedien“ dagegen kaum jemals, während in den USA vielfach beides geläufig ist, „ethnic newspapers/press/media“ (z. B. Wynar 1972) wie „immigrant press“ (z. B. schon Park 1922). Im vorliegenden Beitrag ist nicht von Migranten, sondern von „ethnischen Minderheiten“ die Rede. Die Existenz ethnischer Gruppen (inwiefern sie dann Minderheiten sind, ist weniger von Zahlen- als vielmehr von gesellschaftlichen Machtverhältnissen abhängig) ist grundsätzlich auf Dauer angelegt und nicht mit der Einwanderungsbiographie von Gruppenangehörigen verknüpft, erlischt also auch nicht automatisch mit dem Erreichen der zweiten, dritten oder irgendeiner anderen „Generation“, ebenso wenig wie – beispielsweise – Religionszugehörigkeit, ein wichtiges Merkmal für Ethnizität. Wer normativ totale Assimilation im Sinne des Verschwindens von Minderheitenidentität bei Einwanderern spätestens zu einem bestimmten Zeitpunkt voraussetzt, begeht sowohl ein Unrecht als auch einen
1
Das sind keine Impressionen, sondern vorläufige Ergebnisse einer quantitativen Untersuchung zur entsprechenden Begriffsverwendung in der deutschsprachigen kommunikationswissenschaftlichen Forschung. Natürlich werden auch die älteren Begriffe – etwa „Gastarbeiter“ oder „Fremdarbeiter“ – weiter verwendet, jedoch nur in ausdrücklich vergangenheitsbezogener Forschung.
212
Daniel Müller
Irrtum. Insofern haben die in Deutschland erst durch Zuwanderung seit den 1950er Jahren entstandenen – also allochthonen – ethnischen Minderheiten wie Türken oder Italiener durchaus etwas gemeinsam mit den autochthonen ethnischen Minderheiten wie Sorben, Dänen oder Friesen. In der internationalen Forschung werden allochthone und autochthone ethnische Gruppen mit der größten Selbstverständlichkeit alphabetisch geordnet in dieselben Nachschlagewerke aufgenommen, z. T. auch in Deutschland (vgl. z. B. für die USA Thernstrom 1981; für die Türkei Andrews 1989; für Deutschland Schmalz-Jacobsen/Hansen 1995). Gleichzeitig bedeutet dies für die deutsche Diskussion die Chance und Notwendigkeit, sich von der absurden, aber – rechts wie links – verbreiteten „politisch korrekten“ Logik zu lösen, Herkunft nur in nationalstaatlicher Deutung zuzulassen. Ein Einwohner der Türkei oder ein Migrant aus der Türkei muss kein (ethnischer) Türke sein, ein Einwohner Deutschlands und eben auch ein deutscher Staatsangehöriger und -bürger kein (ethnischer) Deutscher. So banal es ist, so gern wird es ausgeblendet: Geburtsland, Pass und Identität sind nicht unbedingt kongruent und es gibt auch keinen zwingenden Grund, warum dies wünschenswert sein sollte. Normative Festlegungen von Identitäten und Bezeichnungen – wie sie übrigens häufig auch von Minderheitenangehörigen und -verbänden selbst ausgehen – sind wohl selten hilfreich. Die Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen – wie auch, stärker politisch betrachtet, zu Nationen – wird zweifellos subjektiv konstruiert (vgl. besonders Barth 1969; Anderson 1983; Gellner 1983; Hobsbawm/Ranger 1983; Hobsbawm 1990). Die Konstruktion aus der Innensicht heraus, der „emic view“ der Anthropologen (im Unterschied zum „etic view“ des externen Beobachters) ist für die Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen von großer Bedeutung. Oft nützt jedoch diese Erkenntnis wenig. Wer mit Hilfe dieses Zugangs repräsentative Daten z. B. über die ethnische Gruppe der Türken und die ethnische Gruppe der Kurden erheben will, wird große Schwierigkeiten haben. Was bedeutet für die Befragten „Türke“, was „Kurde“? Inwieweit wird eine solche Selbstzuordnung von Befragten als Bekenntnis zu einer „ethnischen Gruppe“ (kennen sie den Begriff überhaupt?) aufgefasst? Was ist mit multiplen/partiellen Identitäten: Kurde und Türke – geht das? Und wenn eine Person, die sich selbst als Kurde versteht, einer anderen Person, die sich ebenso versteht, das Kurdentum abspricht – was dann? Ist das dann „bloß“ etic (unbeachtlich) oder doch „schon“ emic (valide), da es ja aus der „eigenen“ (Wunsch-)Gruppe kommt? Auch wird der emic view vielfach in hohem Maße vom etic view beeinflusst, nicht zuletzt durch Bildungseinrichtungen und Medien. (Nicht umsonst ist die idealtypische Dichotomie emic vs. etic in Feldforschungssituationen entstanden, wo dieser Einfluss eher gering zu halten war.) Jedenfalls greift die Forschung – vgl. etwa die genannten Nachschlagewerke – notgedrungen auf prozessproduzierte „objektive“ Daten zurück, etwa zu Staatsangehörigkeit/Geburtsort (eigene oder der Eltern, Großeltern etc.), Sprache oder Religion; oder sie unternimmt z. B. standardisierte Befragungen, die ebenfalls kaum dem Ideal der empathischen Einfühlung in den emic view entsprechen. Solche pragmatischen Lösungen sind unausweichlich und durchaus angemessen. Freilich sollte das Bewusstsein für die hinter so produzierten Daten liegende Komplexität vorhanden sein, was wohl eher die Ausnahme ist. Der Entscheidung für den Begriff „ethnische Minderheiten“ entspricht die für den kongruenten Begriff „Medien ethnischer Minderheiten“, der im Deutschen sperrig klingen mag, im Englischen aber – „ethnic minority media“ – eingeführt ist (z. B. Husband 1994).
Zwischen Fremdbestimmung und Versagen am Markt
213
Der Begriff „Ethnomedien“ erscheint dagegen vor allem aus zwei Gründen problematisch: Er kategorisiert nur die ethnischen Minderheiten als ethnisch, als ob die Mehrheit – also in Deutschland die Deutschen – nicht auch „ethnisch“ wäre, sondern irgendwie neutral, staatstragend, über „bloßen“ Ethnien stehend; und im Gebrauch wird er zu stark als Gegenpol zu „Mehrheitsmedien“ bzw. „Mainstream-Medien“ eingesetzt, übrigens ebenfalls ein problematischer Begriff: Die „taz“ ist sicher ein Medium der ethnischen Mehrheit; aber ist sie ein „Mehrheitsmedium“, ein „Mainstream-Medium“? Auch wenn mancher weiß, wie das gemeint ist, sollte auch der Fachjargon sich nicht zu weit von den nachvollziehbaren Bedeutungen von Wörtern entfernen. Der Autor hat schon vor einigen Jahren angeregt, die Dichotomie zwischen „Mehrheitsmedien“ (in Deutschland meist als „deutschsprachig“ gedacht, wobei Sprache kein entscheidendes Kriterium ist) und „Minderheiten“- bzw. „Ethnomedien“ (seinerzeit habe ich noch diesen Begriff benutzt) aufzufächern in eine Trichotomie (vgl. Müller 2005: 323):
(Haupt-) Zielgruppe
Deutsche Medien Deutsche in Deutschland
(Hauptsächliche) Produzenten
Deutsche in Deutschland
Besitz/Kontrolle
Deutsche in Deutschland
„Ethnomedien“ Ethnische Minderheiten in Deutschland Ethnische Minderheiten in Deutschland Ethnische Minderheiten in Deutschland
Auslandsmedien Bewohner anderer Länder Bewohner anderer Länder Bewohner anderer Länder
Tabelle 1: Deutsche Medien, „Ethnomedien“ und Auslandsmedien – idealtypisch Als genuine Ethnomedien bzw. Ethnomedien im engeren Sinne (Müller 2005: 324) habe ich somit nur die Medien bezeichnet, die von Angehörigen ethnischer Minderheiten für Angehörige ethnischer Minderheiten gemacht werden, wozu als drittes Element, auf das der vorliegende Text ausgiebig eingeht, noch die Frage der Kontrolle – vulgo: Macht – kommt. Diese idealtypische Dreiteilung ist zweifellos recht grobschlächtig, zumal es vielfach natürlich z. B. hybride Formen gegeben hat, die wohl auch zunehmen. Zahlreiche durchaus sinnvolle weitere typologische Unterscheidungen hat in Erweiterung dieses (im gemeinsamen DFG-Projekt „Mediale Integration ethnischer Minderheiten“ unter der Leitung von Rainer Geißler und Horst Pöttker vorgestellten) Modells z. B. Sonja Weber-Menges vorgenommen (Weber-Menges 2005: 308, 2007: 26), wobei jedoch auffällig ist, dass sie bei starker Binnendifferenzierung aus meiner Dreiteilung eine Zweiteilung macht, indem „Auslandsmedien“ und „Ethnomedien“ – sogar als „genuine“ (Weber-Menges 2005 in Übernahme meines Begriffs, aber in Umdeutung) bzw. „reine“ (Weber-Menges 2007) „Ethnomedien“ – zusammengefasst erscheinen. Auch vermisst man bei aller Ausdifferenzierung in ihren Typologien rein deutschsprachige Angebote. Können deutschsprachige Angebote keine „Ethnomedien“ sein? Die Antwort lautet natürlich „Doch!“, aber nach den Schemata bei Weber-Menges müsste man „Nein!“ vermuten. Auch hier ist offenbar die Gleichsetzung von „Ethnomedien“ und „fremdsprachigen Medien“ noch sehr präsent. Diese Dichotomie innen/außen, bekannt/fremd etc. liegt auch vielen Annahmen über die Rolle der Mediennut-
Daniel Müller
214
zung für die Integration zugrunde: Nutzung deutschsprachiger Medien = gut, nützlich; Nutzung fremdsprachiger Medien = schlecht, schädlich. Der Autor hält jedenfalls an seiner idealtypischen Dreiteilung fest, ohne damit die Binnendifferenzierungen bei Weber-Menges etwa grundsätzlich abzulehnen. Der vorliegende Beitrag gliedert sich in drei längere Abschnitte. Zunächst werden in zwei Abschnitten Episoden der politischen Geschichte von Medien ethnischer Minderheiten in Deutschland – hier noch i. w. S., wie auch manche Überschriften, die von „Medien für Minderheiten“ handeln, zeigen – zusammengefasst. Es handelt sich nicht um beliebig aus der großen Fülle herausgegriffene Fälle, sondern um jeweils besonders bedeutende Medien bzw. Gruppen von Medien. Der erste Abschnitt ist dabei in der Hauptsache chronologisch gegliedert, nach den großen Zäsuren der Ereignisgeschichte in Deutschland bis 1945. Warum weit – bis ins wilhelminische Deutschland – zurückgegriffen wird, wird noch deutlich werden. Der zweite Abschnitt für die Zeit ab 1945 ist nur noch bedingt chronologisch geordnet, da die meisten Episoden sich hier überlappen oder komplett parallel laufen; z. T. betreffen sie die Medien einzelner ethnischer Gruppen oder Gruppen von Gruppen, z. T. aber auch bestimmte Veränderungen im Medienangebot insgesamt. Der dritte Abschnitt greift einzelne Aspekte einer Matrix zur Bewertung der Angebote für Medien ethnischer Minderheiten heraus und wendet sie unter Berücksichtigung des Forschungsstandes auf die kurz skizzierten Episoden an, in generalisierender Form. Abschließend folgt ein kurzes Fazit.
2.
Bausteine zu einer politischen Geschichte der Medien ethnischer Minderheiten in Deutschland bis 1945
2.1 Pressepolitik im Kampf gegen Medien ethnischer Minderheiten 1871-1914 Das 1871 gegründete Deutsche Reich war ein deutscher Nationalstaat. Autochthone (alteingesessene) Sprachminderheiten siedelten vor allem kompakt in einigen grenznahen Gebieten (siehe zur Statistik, bezogen auf die Volkszählung 1910, Kaiserliches Statistisches Amt 1915; vgl. auch Belzyt 1998): x x x
Polen (und verwandte westslawische Gruppen) im Osten, wo Preußen u. a. an den polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 mitgewirkt hatte; Franzosen in Elsaß-Lothringen, 1870/71 im deutsch-französischen Krieg erobert; Dänen in Schleswig-Holstein, 1864 vom Deutschen Bund erobert und durch den Krieg von 1866 ganz an Preußen gefallen.
Andere Minderheiten waren noch die meist „Wenden“ genannten Sorben (in Preußen und Sachsen), Friesen (in Preußen) und Litauer (in Preußen). Verstreut im Reich lebten Juden (ca. 1% der Gesamtbevölkerung) und Zigeuner2. 2
Dem Autor ist bewusst, dass der Begriff „Zigeuner“ häufig diffamierend und pejorativ benutzt wird, so auch vom NS-Regime im Zuge seines Völkermords an den entsprechend bezeichneten Gruppen. Das gilt jedoch analog auch z. B. für den Begriff „Jude(n)“. Sicher lehnen (im Unterschied zu den Juden, die sich auch selbst
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Der Anteil aller Minderheiten zusammen lag bei ca. 10 Prozent der Bevölkerung, wovon die Polen den weitaus größten Teil ausmachten. Polen, Sorben und Friesen waren dabei sprachlich z. T. beachtlich differenziert, im Fall der Franzosen war die Muttersprache z. T. nicht entscheidend für die Identität, da viele deutschsprachige Elsässer bilingual waren, sich der französischen Hochkultur verbundener fühlten als der deutschen und sich mit Frankreich identifizierten. Dabei spielte auch die Konfession eine Rolle; die Elsässer waren überwiegend katholisch, wie auch die meisten Polen. Ein Teil der Letzteren war jedoch protestantisch (diese wurden meist Masuren genannt, wiewohl dies eigentlich eine landschaftliche Bezeichnung ist), ebenso die im Memelland siedelnden Litauer (ansonsten ein traditionell katholisches Volk!) und auch ein Teil der Sorben. Grundsätzlich standen die protestantischen Gruppen im Reich und zumal in Preußen dem Staat näher als die katholischen. Das Reich war zunächst selbst weiter Auswanderungsland; vor dem Ersten Weltkrieg emigrierten noch mehrere Millionen Deutsche nach Übersee, vor allem in die USA. Gleichzeitig machte sich jedoch vor allem in vielen Industriezentren Arbeitskräftemangel bemerkbar, sodass es zu großen Binnenwanderungen kam. Mehrere hunderttausend Polen kamen so ins Ruhrgebiet, weitere große Gruppen auch z. B. nach Berlin, Hamburg und Bremen (vgl. Murzynowska 1979). Die Zuwanderung aus dem Ausland, vor allem aus Österreich-Ungarn und Russland, hatte einen weit geringeren Umfang. Ausländische „Fremdarbeiter“ kamen auch temporär, so etwa Polen als Saisonarbeiter für die Landwirtschaft und z. B. Italiener und Kroaten für Straßen- und Eisenbahnbau (es wurden Karenzzeiten eingeführt, um die Rotation zu erzwingen und eine dauerhafte Einwanderung zu behindern). Polen – zumal die katholischen –, Franzosen und Dänen galten im Kaiserreich ohne weiteres als Reichsfeinde, die auf Ausgliederung ihrer Siedlungsgebiete (Rückkehr zu Frankreich und Dänemark; Wiedergeburt eines polnischen Staates) hinarbeiteten. Presse und sonstiges Schrifttum wurden daher streng zensiert und mit polizeilichen und geheimdienstlichen Methoden überwacht und bekämpft, wobei zugleich die Macht der Arbeitgeber eingesetzt wurde, indem z. T. massiver Druck auf Abonnenten polnischer Zeitungen ausgeübt wurde (Drohungen mit Entlassung, besonders bedrohlich durch von den Arbeitgebern ausgetauschte „schwarze Listen“; ggf. auch Verlust der vom Arbeitgeber gestellten Wohnung). Blätter wie der „Wiarus Polski“ [Der polnische Kämpe] oder der „Narodowiec“ [Der Nationalist] im Ruhrgebiet (vgl. Kleßmann 1974, 1978), aber auch die polnischen Zeitungen in den Ostprovinzen (Schlesien, Westpreußen, Posen) wurden regelmäßig von einer eigens eingerichteten „Polenüberwachungsstelle“ der Polizei ausgewertet (vgl. jetzt auch Pöttker/Bader 2008, 2009; Pöttker 2009). Die Redakteure der Zeitungen im Ruhrgebiet waren im Übrigen i. d. R. keine „Eigengewächse“, also etwa Bergarbeiter oder deren Kinder, sondern Intellektuelle aus dem polnischen Teilungsgebiet.
Juden nennen) viele „Zigeuner“ den Begriff ab, aber bei weitem nicht alle; und nicht alle „Zigeuner“ sind Sinti oder Roma (und die allerwenigsten beides, wenn es auch manch unfreiwillig komischer journalistischer Beitrag suggeriert!), wie die häufig gewählte Verlegenheitsalternative lautet (vgl. auch „Zentralrat der Sinti und Roma“). In Ermangelung eines besseren verwendet der Autor den Begriff als Sammelbezeichnung, ohne sich damit den bis heute andauernden pejorativen Gebrauch dieses Namens für vielfach brutal verfolgte Gruppen irgendwie zu eigen zu machen.
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Durch Zeitungsverbote und Zensur wurde auch im Reichsland Elsaß-Lothringen gegen die französische und auch die deutschsprachige katholische Presse vorgegangen. Wiederholt erfolgten gegen oppositionelle Zeitungen Beschuldigungen, von Frankreich verdeckt finanziell unterstützt zu werden, im Solde des „Erbfeinds“ zu stehen (siehe z. B. Verhandlungen des Reichstags 1911: 4198-4199, 4236). Ebenso erging es schließlich auch der dänischsprachigen bzw. dänisch gesinnten Presse in Schleswig-Holstein, die ebenfalls durch polizeilich-administrative Maßnahmen, Geldstrafen etc. gegängelt und massiv behindert wurde (vgl. Petersen 1934).3
2.2 Medien für ethnische Minderheiten als Kriegspropaganda 1914-18 Im Ersten Weltkrieg betrieb das Deutsche Reich eine umfangreiche Auslandspropaganda, vor allem zur Beeinflussung der Neutralen, aber auch zur Unterstützung und Modernisierung der übrigen Mittelmächte, namentlich Bulgariens und – vor allem – des Osmanischen Reiches. Hinzu kam die propagandistische Bearbeitung von Kriegsgefangenen, aber auch von „Fremdarbeitern“ aus neutralen und verbündeten Ländern. Die eigentliche Auslandspropaganda kann hier außer Betracht bleiben (vgl. dazu z. B. Koszyk 1968; Wilke 1993). Durch den Krieg kam es aber auch zur Herausgabe von wahrhaft exotischen Blättern in Deutschland, so einer georgischen Zeitung („Kartuli gazeti“ [Georgische Zeitung] 1916-18), die unter Kriegsgefangenen u. a. für die von Deutschland an der osmanischen Kaukasusfront gegen Russland eingesetzte „Georgische Legion“ Werbung machen sollte, aber auch einer persischen Zeitung („Kaveh“4 1917-22), mit der das formal neutrale Persien, das seit 1915 de facto Kriegsschauplatz war, im Sinne der Mittelmächte beeinflusst werden sollte. Federführend war jeweils die „Nachrichtenstelle für den Orient“ (vgl. Bihl 1975, 1992). Herzstück der orientalischen Propagandabemühungen war das Osmanische Reich, zumal das Deutsche Reich auf die Ausrufung des Heiligen Krieges durch den Sultan und Kalifen große Hoffnungen eines weltumspannenden islamischen Aufstandes gegen Briten, Franzosen und Russen setzte. Hierfür wurde sowohl die deutschsprachige Presse in Konstantinopel/østanbul eingespannt als auch in Deutschland Propaganda in osmanisch-türkischer Sprache gedruckt (vgl. Dahlhaus 1990; Farah 1993). Diese Propaganda war vollständig von der kaiserlichen Regierung kontrolliert, die das nötige Geld bereitstellte, da die Blätter entweder gar keinen „Markt“ aufwiesen oder zumindest nicht kostendeckend arbeiten konnten (das gilt auch für etablierte Blätter der deutschen Auslandspropaganda wie den „Osmanischen Lloyd“). Die Pressepolitik war dabei den deutschen Kriegszielen angepasst. In Bezug auf das Osmanische Reich bedeutete dies z. B., dass die deutsche Seite den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten („Syrer“, d. h. Aramäer) publizistisch deckte, indem sie Berichte hierüber
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Natürlich richtete sich Presseunterdrückung auch gegen andere Gruppen, etwa die Sozialdemokraten, besonders aggresssiv unter dem „Sozialistengesetz“ (1878-90), oder die Katholiken, besonders im „Kirchen“bzw. „Kulturkampf“ (1871-78, bedingt bis 1887). Die ethnischen Minderheiten wurden jedoch zusätzlich eben als Minderheiten unterdrückt, mit dem offenen Ziel der Germanisierung. Kaveh ist der Name einer Gestalt aus der iranischen Mythologie, die den Kampf gegen fremde Unterdrücker symbolisiert. Gemünzt war dies hier vornehmlich auf Russland, aber auch auf Großbritannien.
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effektiv unterdrückte (vgl. z. B. Mühsam 1918; Fischer 1973: 199, 266; Ohandjanian 1989) und gleichzeitig das hohe Lied der deutsch-türkischen Freundschaft sang.
2.3 Russische bzw. sowjetische Exilpresse im Berlin der Zwischenkriegszeit Als Folge des Krieges verlor das Deutsche Reich vor allem durch Gebietsabtretungen einen Großteil seiner autochthonen ethnischen Minderheiten, vor allem Polen, Franzosen und Dänen (dänisch gesinnte Zeitungen erschienen vielfach auf Deutsch). Im propagandistischen Kampf um die vom Völkerbund angesetzten Volksabstimmungen (vgl. am Beispiel Oberschlesiens Grosch 2002) wurde noch einmal die Minderheitenpresse eingesetzt, danach verlor diese weitgehend an Bedeutung. Aufgrund der wirtschaftlichen Krise im Ruhrbergbau, die sich 1923 im Ruhrkampf zur Katastrophe zuspitzte, verließ auch ein erheblicher Teil zumal der weniger assimilierten Polen das Revier; wegen der dort ebenfalls unsicheren Lage zogen die meisten nicht ins wiederentstandene Polen, sondern auch als Folge groß angelegter Werbeaktionen der Ruhrbesetzer nach Belgien oder Nordfrankreich; hier erschienen in der Folge z. B. „Wiarus Polski“ und „Narodowiec“ weiter, bis in den Zweiten Weltkrieg bzw. darüber hinaus. Zuwanderer gab es in der Zwischenkriegszeit vor allem – als Folge des Oktoberumsturzes und des anschließenden Bürgerkriegs (1917-21) – aus dem ehemaligen Zarenreich. Berlin war eines der wichtigsten Zentren russischsprachiger Exilanten bzw. Emigranten. Hier entstand in den 1920er Jahren eine ausgesprochen reichhaltige russische Presselandschaft (Ossorguine-Bakounine 1990; Schlögel 1995) und sogar eine Journalistenvereinigung (Rosenberg 1928). Wichtigstes Blatt war die liberale Tageszeitung „Rul’“ [Das Steuer] (1920-31) (Hatlie 1995), während das der SPD nahestehende Tagblatt „Dni“ [Die Tage] (1922-25) (Moulis 1995) und das verdeckt von den Bol’ševiki finanzierte Tagblatt „Nakanune“ [Am Vorabend] (1922-24) (Burchard 2001: 59-62) sich jeweils nur kurz halten konnten, „Nakanune“ bis zur Streichung der Gelder durch Moskau. Linke Gruppierungen betrieben Zeitschriften in großer Zahl, selbst die Anarchisten (Dahlmann 1995). 1931 geriet auch „Rul’“ in wirtschaftliche Schwierigkeiten und wurde durch die ephemeren Wochenzeitungen „Naš vek“ [Unser Zeitalter] (1931-33) bzw. „Russkaja nedelja“ [Die russische Woche] (1933) ersetzt (Burchard 1995). 1933 trat eine rechtsextreme Wochenzeitung an deren Stelle, „Novoe slovo“ [Das neue Wort] (Hufen 1995). Viele der russischsprachigen Einwanderer waren Juden. Einige gründeten spezifisch jüdische Einrichtungen oder kooperierten mit solchen; dabei entstanden auch Zeitschriften, außer in Deutsch und Russisch auch in Jiddisch (Marten-Finnis/Valencia 1999: 115-137). Auch kleinere Exilgruppen, etwa Kaukasier, betrieben eigene antisowjetische, z. T. auch antirussische, Periodika in Berlin, so etwa den „Kavkaz“ [Der Kaukasus] (1934-39).
2.4 Medien für ethnische Minderheiten im Dienst von Krieg und Völkermord Im Deutschen Reich wurde ab 1938 massiv die Segregation der Juden betrieben, die gezwungen wurden, aus den deutschen Institutionen auszuscheiden und eigene jüdische aufzubauen, auch im Pressebereich (Freeden 1983). Auf die Spitze getrieben wurde dies im
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„Jüdischen Nachrichtenblatt“ Berlin (1938-43), dem nach dem „Anschluss“ Österreichs auch ein „Jüdisches Nachrichtenblatt“ Wien (1938-45) und nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei auch ein „Jüdisches Nachrichtenblatt/Židovské listy“ Prag (1938-45) folgten. Diese Blätter waren verpflichtet, die Verordnungen, mit denen das NS-Regime die systematische Entrechtung, Deportation und Ermordung der im „Reich“ lebenden Juden vorbereitete und betrieb, abzudrucken (Burger 1996, 2001; Hyndráková 1994; Maier 2001, 2008). Spezifisch „jüdische“ Blätter wurden später auch in weiteren besetzten Ländern eingerichtet. Ebenfalls für die verbrecherischen Kriegsziele des NS-Regimes eingespannt wurden Blätter zur „Betreuung“ der millionenfach und z. T. unter Zwang ins „Reich“ geholten „Fremdarbeiter“ (siehe Schiller 1997) sowie für die oft ebenfalls unter Druck handelnden Überläufer, die bereit waren, auf deutscher Seite zu kämpfen, darunter nicht nur Russen (v. z. Mühlen 1971). Auch das „Novoe slovo“ durfte so im Kampf der Orientierungen innerhalb von NSDAP und SS seine Auflage erheblich steigern, es entstanden aber auch weitere Blätter speziell für die aus sowjetischen Überläufern gebildeten Verbände, etwa „Volja naroda“ [Volkswille] für die „Russische Befreiungsarmee“ des Generals Andrej A. Vlasov.
3.
Politische Aspekte der Entwicklung von Medien ethnischer Minderheiten in Deutschland seit 1945
3.1 Medien im Kalten Krieg: für Exilanten aus dem Ostblock Nach dem von ihm entfesselten Zweiten Weltkrieg verlor Deutschland weitere ausgedehnte Gebiete und damit auch den Rest an autochthoner polnischer Minderheit. Parallel wurden Millionen Deutsche aus Ostmittel-, Südost- und Osteuropa in das verbleibende Gebiet vertrieben bzw. zwangsausgesiedelt; sie bauten in den Westzonen bzw. der Bundesrepublik eine umfangreiche Presse (vgl. Stiftung Ostdeutscher Kulturrat 1982) auf, was in der sowjetisch besetzten Zone bzw. der DDR verboten war. Die vielen Millionen 1945 in Deutschland gestrandeten Ausländer wurden ganz überwiegend repatriiert, im Fall der Sowjetbürger häufig auch gegen ihren Willen und z. T. unter Gewaltanwendung seitens der Alliierten. Erst als 1946/47 der „Kalte Krieg“ begann, hörten diese Rückführungen auf. In der Folge entstand in der Bundesrepublik – vorwiegend nicht in (West-)Berlin, sondern in München – ein Zentrum für antikommunistische Propaganda. Zahlreiche Blätter für Exilanten aus der UdSSR (Russen, Ukrainer, Kaukasier), anderen Ostblockstaaten und sogar China (Uiguren) wurden finanziell von US-amerikanischen Stellen unterstützt, gleichzeitig diente dieser Personenkreis auch dazu, die Sendungen der beiden Sender „Radio Free Europe“ und „Radio Liberty“ zu gestalten, deren Redaktionen von München aus in den Ostblock sendeten. Insgesamt war Deutschland bis zur Ankunft der „Gastarbeiter“ ethnisch so homogen wie wohl noch nie („Ausländer am 1. Oktober 1951 nach der Staatsangehörigkeit“ 1952; „Ausländer am 6. 6. 1961“ 1965).
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3.2 Gastarbeitermedien: Betreuung und antikommunistische Propaganda In denselben Zusammenhang des „Kalten Krieges“ gehört auch die Entstehung der Gastarbeiterprogramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Ostblock – besonders rege waren Radio Prag und Radio Budapest, aber auch die übrigen Staaten strahlten solche Hörfunkprogramme aus, auch die DDR – sendete in den Sprachen der Gastarbeiter der Bundesrepublik. Diese Angebote richteten sich an die Herkunftsländer, aber eben auch an die Gastarbeiter, zumal diese oft ihre Heimatsender kaum oder gar nicht empfangen konnten. Durch den Erfolg der Ostblocksendungen nervös geworden, übte die deutsche Industrie massiven Druck auf die deutschen Sender aus, den „feindlichen“ Programmen – die neben der Berieselung mit Heimatklängen vor allem darin bestanden, die Gastarbeiter gegen ihre Arbeit einzunehmen und womöglich zur Heimreise zu veranlassen – etwas entgegenzusetzen. Dies spitzte sich in der Krise um den Mauerbau (13. August 1961) zu, als es aufgrund von Desinformationen von Radio Prag zu Panikreaktionen und überstürzter Flucht von Italienern kam. Mit der Drohung konfrontiert, die Bundessender (Deutsche Welle und Deutschlandfunk waren seit 29.11.1960 Anstalten des öffentlichen Rechts) könnten im Weigerungsfall diese Aufgaben übernehmen, lenkten die Länderanstalten nach zuvor hartnäckigem Widerstand nun ein und begannen eigene kurze Programmfenster (vgl. die mustergültigen, auf die freigegebenen Akten gestützten Darstellungen in Sala 2005, 2008). Diese wurden dann – in der Regel gegen den fortgesetzten Widerstand der betreffenden Anstalten, für die diese Sendungen, die übrigens zu den am billigsten produzierten überhaupt gehörten, nur ein Ärgernis darstellten – später hier und da erweitert, schließlich auch auf das Fernsehen ausgedehnt. Zugleich hatten sich die Programme massiven Drucks seitens der mit Ausnahme Italiens vor 1974/75 durchweg autoritär-diktatorischen Entsendestaaten zu erwehren, die sich jegliche Kritik verbaten (vgl. Bogner 1972 und wieder Sala 2005, 2008). Die Presse für die Gastarbeiter hatte kaum Leser und war daher stark von Subventionen deutscher bzw. US-amerikanischer Stellen abhängig, die in der Regel verschleiert gezahlt wurden. So wurden Blätter in mehreren Sprachen verdeckt über die antikommunistische Tarnorganisation „Volksbund für Frieden und Freiheit“ (vgl. Friedel 2001) finanziert. Noch vergleichsweise erfolgreich war der „Corriere d’Italia“ [Kurier Italiens], schon 1951 in Frankfurt von italienischen Geistlichen gegründet und später ebenfalls von deutschen Stellen heimlich gefördert. Auch die Sozialbehörden (Bundesanstalt für Arbeit etc.) und die Gewerkschaften (Parallelausgaben der „Metall-Nachrichten“ in mehreren Sprachen) gaben eigene Blätter zur „Betreuung“ der Gastarbeiter heraus (Details wieder bei Sala 2008).
3.3 Die Rolle der türkischen Zeitungen Die einzige „Gastarbeiter“-Gruppe, die sich – bedingt, aber dauerhaft – eine bedeutende, von Subventionierung durch deutsche oder US-amerikanische Stellen unabhängige Presse aufbauen konnte, waren die Türken; bedingt deshalb, weil diese Zeitungen hybride Formen waren: Die in der Türkei produzierten Blätter wurden in Deutschland nur umgebaut, quasi als Regionalausgaben. Sie waren somit Kombinationen aus Auslands- und Minderheitenmedien. So ist es bei den drei Marktführern in Deutschland, die derzeit (2009) eigene Deutschland- bzw. Europa-Redaktionen unterhalten, nämlich „Hürriyet“ [Die Freiheit],
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„Zaman“ [Die Zeit] und „Sabah“ [Der Morgen], bis heute geblieben, auch wenn der Zusammenbau durch die technische Entwicklung sehr erleichtert wurde (vgl. Müller 2005, 2009). Die redaktionellen Entscheidungen für alle diese Blätter werden jedenfalls in den Zentralredaktionen in der Türkei getroffen. Das aber bedeutet eine starke Abhängigkeit von der türkischen Regierung bzw. dem türkischen Militär, das – auch nach dem formalen Ende des 1980 durch einen Militärputsch installierten Regimes 1983 – eine mit einem demokratischen Rechtsstaat schwer zu vereinbarende Machtstellung genießt. Die Presse für die Türken ist also von deutschen Steuergeldern unabhängig, steht dafür aber unter dem Einfluss der türkischen Regierung und Generalität. Dieser Hebel kann natürlich auch dergestalt genutzt werden, dass allzu aggressive Hetze unterbleiben soll – so soll 2007 nach schweren Ausschreitungen von Türken gegen kurdische Einrichtungen in mehreren deutschen Städten das türkische Militär der „Hürriyet“ Befehl gegeben haben, ihre Hetzkampagne gegen die Kurden zu mäßigen (vgl. Topçu 2007). Doch ist die Befriedigung, die solche Interventionen hier und da auslösen (so auch über frühere Einflussnahmen deutscher Stellen gegen Entgleisungen der „Hürriyet“), sicher diskussionswürdig. Übrigens scheint es gut möglich, dass die türkischen Zeitungen in Deutschland heute – ihre Auflagen sind stark gefallen, die beiden Marktführer liegen bei nur je gut 30.000 verkauften Exemplaren täglich, bei „Hürriyet“ zudem fast komplett im aufwändigen Einzelvertrieb abgesetzt (bei „Zaman“ im Abonnement) – defizitär arbeiten und von ihren Konzernen aus Prestige- bzw. politischen Gründen subventioniert werden.
3.4 Stärkerer Zugang zu Auslandsmedien durch Kabel- und Satellitenrundfunk Mit dem Beginn des Kabelfernsehens in Deutschland ab 1984 wurde auch ein türkischer Sender in die Netze eingespeist, ausgestrahlt vom Staatsfernsehen TRT, das mit seiner extrem nationalistischen Ausrichtung schnell unangenehm auffiel, indem es z. B. mit aggressiver Verherrlichung des Militarismus den türkischen Einmarsch im Nordirak untermalte (vgl. Greiff 1995). Durch die größeren Möglichkeiten des Satellitenfernsehens konnten bald die meisten Migrantengruppen mehrere Heimatsender empfangen, jedoch mit großen Unterschieden (vgl. Weber-Menges 2005). Besonders ausgebaut war das Angebot an Free-TV-Kanälen wieder bei den Türken, die zwischen zahlreichen Sendern wählen konnten und können, wobei die bedeutenden Programme durchweg (ggf. mit kleineren Deutschland-„Fenstern“) aus der Türkei übernommen werden (vgl. zu den meistgesehenen türkischen Fernsehprogrammen ARD/ZDF 2007). Im Bereich des Hörfunks, der vor allem außer Haus genutzt wird, wurden die Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender z. T. ausgebaut („Funkhaus Europa“ des WDR), zugleich aber auch durch Rückzug mehrerer Sender relativiert. Zuletzt strich der RBB Ende 2008 das vom SFB 1994 begründete „Radio Multikulti“. Private Sender, die auch z. B. unterwegs/im Auto (nicht nur über Internet oder rauschende Kurzwelle) zu empfangen sind, gibt es nur wenige, u. a. weil keine Frequenzen bereitgestellt werden. Phänomenal erfolgreich ist der in der Hauptsache Musik spielende türkische Sender „Radyo Metropol“ [Radio Metropole] in Berlin (vgl. Becker 2003a).
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3.5 Verbote gegen kurdische Medien Ein erheblicher Teil der kurdischen Bevölkerung sympathisiert mit der „Partiya Karkerên Kurdistan“ PKK [Arbeiterpartei Kurdistans] des Abdullah „Apo“ Öcalan sowie ihren Nachfolgeorganisationen. Nach massiven Interventionen seitens der Türkei wurde die PKK-nahe – türkischsprachige – Tageszeitung „Özgür Politika“ [Die Freie Politik] 2005 von Innenminister Otto Schily verboten.5 Das Verbot wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 6 VR 5.05/6 A 4.05) als rechtswidrig eingestuft, die Zeitung erscheint (als „Yeni Özgür Politika“ [Die Neue Freie Politik]) wieder, aber der finanzielle Schaden des rechtswidrigen Verbots ist enorm, was erhebliche Bedenken an diesem Vorgehen des Innenministeriums weckt. Dasselbe gilt auch für die Verbote, mit denen die kurdischen Fernsehsender bekämpft werden, die von anderen EU-Staaten aus agieren, etwa „Med-TV“ oder zuletzt (2008) „Roj TV“.
3.6 Die russischen Zeitungen Auch nach dem Abschluss von Vertreibung/Zwangsaussiedlung der Deutschen bis ca. 1950 waren noch zahlreiche Deutsche im Ostblock verblieben, vor allem in der Sowjetunion, Polen und Rumänien.6 In Wellenbewegungen wurde diesen die Ausreise gestattet. Noch 1986, nach dem Amtsantritt des neuen KPdSU-Generalsekretärs Michail S. Gorbaþev, erreichte die Auswanderung aus der UdSSR, wo offiziell knapp zwei Millionen Angehörige der deutschen „Nationalität“ lebten, einen Tiefpunkt, um dann aber kurz vor und nach dem Auseinanderbrechen der UdSSR (1991) dramatisch anzuschwellen. Das mittlerweile fast völlige Versiegen dieser Zuwanderung hat mit Einreiseerschwernissen (Deutschtest) zu tun. Es lässt sich festhalten, dass in dieser Zeit mehr Deutsche die UdSSR verlassen haben, als in der Volkszählung 1979 überhaupt dort registriert wurden.7 Nachdem die USA auf israelischen Druck die Einwanderung für postsowjetische Juden stark erschwert hatten, wanderten mehr als 100.000 Juden, die nicht nach Israel wollten, als „Kontingentflüchtlinge“ nach Deutschland ein. Zu beiden Gruppen kamen noch Verwandte, die selbst keine Deutschen oder Juden waren. Eine große Mehrheit dieser Einwanderer – von den Deutschen deutlich mehr als die Hälfte, von den Juden mehr als 90 Prozent – sprach als Muttersprache Russisch.8 5
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Ein anderes administratives Verbot traf 2005 die Europa-Ausgabe des islamistischen türkischen Blattes „Vakıt“ [Die Zeit, wie „Zaman“, nur mit einem anderen arabischen Lehnwort], die üble Volksverhetzung betrieben hatte, u. a. gegen Juden, aber auch gegen deutsche Politiker. Auch hier stammen die meisten Artikel aus der Türkei-Ausgabe. Jeweils mehrere hunderttausend Deutsche – ohne hier auf die vor allem in Bezug auf die ehemals deutschen Gebiete in Polen komplizierte Frage, wer von den „Autochthonen“ als „deutsch“ anzusehen ist, einzugehen – haben seit Ende der 1980er Jahre auch Polen und Rumänien (von wo fast die ganze deutsche Bevölkerung ausgereist ist) verlassen, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann. Das hat, wie im parallelen Fall der Juden, mit Diskriminierung zu tun, die es geraten scheinen ließ, sich nach Möglichkeit als Russe etc. anzugeben, zumal eine Pflege der eigenen Kultur kaum möglich war und daher die russische Sprache bald sehr weitgehend dominierte. Gosudarstvennyj komitet SSSR po statistike/Informacionno-izdatel’skij centr 1991 enthält die Daten zu Nationalitäten und Muttersprachen gemäß der letzten sowjetischen Volkszählung 1989. Die ohnehin niedrigen Werte für Deutsch und Jiddisch sind wegen der affektiven Komponente von „Muttersprache“ [russ. rodnoj jazyk] noch als stark überhöht anzusehen.
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So entstand in Deutschland wieder eine blühende russische Presselandschaft, vielleicht noch über das in den 1920er Jahren gekannte Maß hinaus (vgl. Andreesen 1998; Darieva 2004), mit dem Unterschied, dass es nicht gelang, eine Tageszeitung zu etablieren: Der entsprechende Versuch des WAZ-Konzerns (2007), eine jüdisch und intellektuell orientierte Wochenzeitung, die Regionalausgabe „Rejnskaja gazeta“ [Die Rheinische Zeitung] des Mutterblatts „Russkaja Germanija“ [Das russische Deutschland] zu einer boulevardesk an alle Russischsprachigen gerichtete Tageszeitung zunächst für NRW zu machen, scheiterte nach weniger als einem Jahr. Jedoch gibt es eine ausgedehnte und gut etablierte Wochenpresse – vielfach entweder an deutsche Aussiedler oder an Juden gerichtet, seltener an beide Gruppen – mit einer Gesamtauflage von immerhin einigen hunderttausend.
3.7 Sorbische, friesische, deutsch-jüdische Medien Nach den Weltkriegen waren die Sorben (Wenden) als größte autochthone Minderheit in Deutschland verblieben. Vom NS-Regime war ihre Presse (obersorbische Schriftsprache im heutigen Sachsen um Bautzen, niedersorbische in Brandenburg um Cottbus) verboten worden (so 1937 die Tageszeitung „Serbske Nowiny“ [Sorbische Nachrichten]); in der DDR wurde sie vollständig gleichgeschaltet: Sie musste alle Maßnahmen des SED-Regimes, damit auch den Entschluss, die sorbische Sprache im Schulwesen so herabzustufen, dass ihr Aussterben begünstigt wurde, während die sorbische Kultur folklorisiert und „fake-lorisiert“ wurde, „in die Bevölkerung tragen“ (vgl. Rauch 1959; Oschlies 1991). Heute sind die sorbischen Medien, die vom Staat finanziell unterstützt werden, randständig; die einzige Tageszeitung (zu DDR-Zeiten „Nowa Doba“ [Die neue Zeit], seit 1990 wieder „Serbske Nowiny“ [Bautzen]) verkauft täglich gerade einmal 1.500 Exemplare (Schütz 2009: 492). Eine ähnlich unbedeutende – vom Staat jetzt nicht behinderte oder gar bekämpfte, sondern mehr oder minder großzügig geförderte! – Rolle spielen auch die verbliebenen dänischen und friesischen sowie die deutsch-jüdischen Medien in Deutschland (vgl. auch Koch 1996). Die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung“ z. B. wird ganz überwiegend von Nichtjuden gelesen, „die wissen wollen, wie die Juden ticken“.9
3.8 Deutsch-türkische Blogs In jüngster Zeit hat sich die „Transnationalisierung“ als dominantes Paradigma in Bezug auf die Medien für Migranten – von „Ethnomedien“ oder „Medien ethnischer Minderheiten“ kann kaum gesprochen werden, wenn man den Ansatz ernst nimmt – in den Vordergrund geschoben, wie sie auch allgemein vielfach als Königsweg z. B. der Geschichtsschreibung erscheint. Der Autor teilt die von Roberto Sala u. a. in Anlehnung an Gedanken von Hans-Ulrich Wehler geäußerten Bedenken (Sala 2008: 19-20) voll und ganz. Tatsächlich ist z. B. die Bedeutung des Internets gerade im Bereich von journalistischen (Informations-)Medien in Bezug auf Migranten noch schwer einzuschätzen. Die große Mehrzahl der Aktivitäten, die hier stattfindet, ist nicht journalistisch; viele journalis9
Mitteilung der Redaktion auf einer Konferenz der Herbert-Quandt-Stiftung (12. Trialog der Kulturen, „Migration und Medien“) in Frankfurt, 5. November 2008.
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tische Angebote aber bieten wenig Neues, sie sind einfach nur Online-Ausgaben von Offline-Medien oder entsprechen jedenfalls dem klassischen Kommunikationsmodus „One to many“ und bieten wenig Interaktivität, wenig (zusätzlichen) „access“ (Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009). In jüngster Zeit haben einige türkische Blogger – oft in deutscher Sprache – einen beachtlichen Nutzerkreis mit Themen rund um Migrationspolitik und -recht aufbauen können; sie füllen hier offensichtlich eine Lücke im Medienangebot (z. B. Küçük/Kunstreich/Strippel 2008). Diese Blogs haben jedoch nur z. T. den Charakter transnationaler DiasporaVernetzung, gerade dann, wenn sie annähernd journalistisch orientiert sind.
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Einordnung und Bewertung: Information und Kontrolle
4.1 Emanzipatorische Mythen Die bisherige Befassung mit den Medien ethnischer Minderheiten ist zu sehr medienorientiert, medienzentriert, auf die Medien allein fixiert. Durch Ausblendung vor allem der politischen Begleitumstände werden die Ereignisse geschönt. Es reicht nicht, darauf hinzuweisen, dass diese oder jene Zeitschrift gedruckt, dieses oder jenes Programm gesendet wurde. Gerade bei Medien ethnischer Minderheiten muss sich immer die Frage anschließen: Trägt sich das? Und wenn die Antwort „nein“ lautet, muss sogleich die nächste Frage anschließen: Wer bezahlt das und mit welchen Absichten? Wer neuere Selbstdarstellungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liest, der erfährt heute – 1969 war das anders (Rotter 1969), während in vielen rundfunkgeschichtlichen Werken der 1970er und 1980er Jahre die „Gastarbeiterprogramme“ ganz weggelassen wurden – nichts über die Geburt der Gastarbeitersendungen als zutiefst ungewollte Kinder, aus der Not heraus und unter Zwang der Politik; Jörg Becker weist grundsätzlich zurecht darauf hin (Becker 2003b). Auch gehen diese Darstellungen natürlich nirgends darauf ein, dass die Programme vom Wohlwollen deutscher Aufsichtsgremien abhängig sind, die z. B. nach Kassenlage auch sehr kurzfristig den Ausstieg beschließen können, wie es zuletzt in Berlin erfolgte. Abhängigkeit und Fremdbestimmtheit dieser „Medien ethnischer Minderheiten“ ohne jegliche eigene finanzielle oder sonstige materielle Basis sind eklatant, werden aber ausgeblendet. Das gilt auch für die so genannten „Bürgermedien“ (Beispiel Offener Kanal Hamburg). Jedoch setzt auch Becker seine eigenen emanzipatorischen Mythen an die Stelle derjenigen der Sender. So bringt er es fertig, ausgerechnet deutsch-türkische Propagandagründungen des Ersten Weltkriegs („Die Neue Türkei“, 1917) lobend-positiv quasi an den Anfang türkischer Selbstbestimmung bzw. deutsch-türkischer Partnerschaftlichkeit zu stellen, und das vor dem Hintergrund des deutschen „Griffs nach der Weltmacht“ und des osmanischen Völkermords an den Armeniern, wovon man bei ihm freilich kein Wort erfährt, als handele es sich bei solchen Gründungen um Privatengagement (Becker 2003a: 48-49). Dass hier nicht zivilgesellschaftliche Kräfte walteten, sondern die Machtmittel zweier brutaler Militärstaaten, scheint Becker nicht wahrhaben zu wollen, wohl weil es nicht in sein Narrativ passt. Es gibt wohl wenige Bereiche, auf die Hobsbawms (auf die Nationalstaaten bezogenes) Wort von der „invention of tradition“ (Hobsbawm 1990) so zutrifft wie gerade allochthone ethnische Minderheiten, denen regelmäßig eine völlig inexistente Kontinuität bis
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in ferne Vergangenheit angedichtet werden soll; der US-amerikanische Historiker Arthur M. Schlesinger hat für derlei Absurditäten das Wort von der „feel-good history“ geprägt (vgl. Schlesinger 1998). Ebenso kritisch wird man auch manche andere Darstellung sehen müssen, die etwa die heutigen Erfolge von Türken und anderen Migranten im Show-Business, der natürlich auch über Medien transportiert wird, als positiv vermerkt. Tatsächlich zeigen Erfolge in Unterhaltungsformaten, zumal oft außerordentlich „bildungsfernen“, nicht, dass die Richtung stimmt (von „Medien über Migranten, Medien für Migranten und Medien mit Migranten hin zu Medien der Migranten“ [Jörg Becker in bp 2002: 18]) – vielleicht eher im Gegenteil. Im vorliegenden Text wurde bewusst nicht 1945 angesetzt und auch die DDR nicht ganz ausgeblendet. Eine politische Geschichte muss hinter die Kulissen blicken, und hierfür bedarf es vielfach der Akten, die für die früheren Episoden eben stärker vorliegen. Das Aktenstudium, das etwa Roberto Sala für die „Gastarbeiter“-Medien geleistet hat, täte heute etwa auch in Bezug auf die „Hürriyet“ Not, nur darf man zweifeln, ob die Akten dort je freigegeben werden.
4.2 Fremdbestimmung vs. Versagen am Markt Als starke Tendenz aus den skizzierten Episoden lässt sich eine Dichotomie ableiten, die so gar nicht den optimistisch gestimmten Befunden entspricht. Auch die Phasenbewertung von Sonja Weber-Menges („Entwicklung der Ethnomedien in Deutschland […] als Trend von deutschen Ethno-Angeboten für Migranten über Medien aus den Herkunftsländern der Migranten hin zu multikulturellen Angeboten und Medien von Migranten in Deutschland für Migranten in Deutschland“ [Weber-Menges 2005: 244]) kann ich so nicht teilen. Die von mir wahrgenommene Tendenz ist die, dass die weitaus meisten Angebote klar und erkennbar fremdbestimmt sind; sie werden von deutschen – z. T. auch ausländischen – amtlichen Stellen nach deren Interessen gesteuert, die nicht mit den Interessen der Angehörigen der ethnischen Minderheiten identisch sind. Selbstverständlich gibt es dabei fundamentale Unterschiede zwischen der Fremdbestimmung etwa durch das NS-Regime und dem durch die Gremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Trotzdem ist die Fremdbestimmung zunächst einmal ein gemeinsames Merkmal vieler dieser Medien. Dagegen ist für Medien, die als emanzipatorisch, „Medien der Migranten“ (Becker) bzw. „Medien von Migranten in Deutschland für Migranten in Deutschland“, gelobt werden, gerade dieses Lob fast untrügliches Zeichen für ihr baldiges Scheitern. Oft trifft sie das Lob schon nicht mehr unter den Lebenden an: Es entstanden in dieser Zeit hochgelobte türkische und deutsch-türkische Pressemedien wie „Persembe“, „Hayat“ oder „etap“, die es jedoch trotz guter Konzeptionen nur kurze Zeit geschafft haben zu überleben. Zu den vielfältigen Gründen hierfür seien nur einige Stichworte genannt: mangelndes Leserinteresse, u. a. wegen wenig Gemeinsamkeiten bei Deutschen und Minderheiten […]. (Weber-Menges 2007: 27)
Die Diagnose heißt hier Versagen am Markt, und die Implikationen reichen über die Medien ethnischer Minderheiten hinaus.10 Jenseits von totalitären Medienmodellen reicht es 10
Sie gelten nämlich auch für zahlreiche, wenn auch sicher nicht alle, „Vorschläge“ von Medienexperten für eine „bessere“ Berichterstattung über (ethnische und andere) Minderheiten in den „Mehrheits“-Medien.
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nicht, Medien nach Idealvorstellungen (wie immer man die dahinter stehenden Ideale bewerten mag; wechselseitige Verständigung und Information von ethnischen Gruppen ist z. B. sicher eine hehres Ziel) zu konzipieren. Man muss hier – horribile dictu – auch mit dem Publikum rechnen, dass sich eben auch weigern kann, die politisch korrekt konstruierte Ware abzunehmen. Dem Autor jedenfalls fällt es schwer, einem vom Publikum am offenen Markt – nicht nur einmal, sondern in verschiedenen Variationen beharrlich – abgelehnten Produkt nachzusagen, es habe eine „gute Konzeption“ gehabt.
4.3 Informationsöffentlichkeit – journalistische Leitmedien vs. Unterhaltung Bei der Darstellung muss schließlich unterschieden werden zwischen Journalismus/Information einerseits und Unterhaltung andererseits. Diese Trennung gilt heute, im Zeitalter von Infotainment, vielfach als überholt, indem a) der Journalismus und überhaupt das Nichtfiktionale (eine Kategorie, die sich ebenfalls angeblich auflöst) unterhaltsam sein soll, während b) – grundsätzlich zurecht – auch erkannt ist, dass z. B. Fiktionales zum Transport von Informationen und Werten beiträgt, vielleicht sogar besonders effektiv. Trotzdem ist die Trennung idealtypisch weiter aktuell und sinnvoll. Wer normativ nach dem positiven Wert von Öffentlichkeit für die Gesellschaft fragt, sei es à la Habermas (1962) oder à la Pöttker (1997), der wird die geforderten Merkmale vorwiegend in den Informationsangeboten suchen und finden, nicht aber in fiktionalen und anderen Unterhaltungsformaten.11 In der dargebotenen Reihung von Episoden wurden daher ganz bewusst Phänomene wie der türkische Kinomarkt oder der Video-Boom, mit dem sich vor allem Dietrich Klitzke auseinandergesetzt hat (Klitzke 1982), ganz ausgeblendet. Der Autor geht hier von einer weiter zentralen Rolle journalistischer Leitmedien aus, namentlich auch der Presse (vgl. jetzt auch Wilke 2009 und mehrere andere Beiträge in Müller/Ligensa/Gendolla 2009).
5.
Fazit: Es gibt kaum Medien ethnischer Minderheiten in Deutschland
In Deutschland gibt es kaum Medien ethnischer Minderheiten; historisch können vielfach die Medien der autochthonen Minderheiten als solche gelten, die aber heute – das sei ohne Gehässigkeit gesagt – weitgehend musealisiert und folklorisiert scheinen. Von den Migrantengruppen haben es – sieht man von den polnischen Zuwanderern im Ruhrgebiet um 1900 ab – nur die russischsprachigen, und sogar zweimal, geschafft, eigene echte journalistische Massenmedien aufzubauen, ab 1920 und ab 1990. Die türkischen Ansätze dazu sind deutlich geringer (hybride Zeitungsformate, vereinzelte Hörfunkansätze und Zeitschriften, neuerdings Blogger). Die meisten Zuwanderer sind mit einem persönlichen Mix aus Medien des Herkunftslands und des Aufnahmelands zufrieden, zumindest so zufrieden, dass das Defizitempfinden keine ausreichenden Marktzutrittschancen für neue Angebote begründet. Die technische Entwicklung arbeitet hier nach Meinung des Autors gegen die Medien ethnischer Minderheiten. Der Einwanderer aus Europa musste in den 11
Ich bestreite damit keineswegs die durchaus politische Relevanz von Formaten wie – sagen wir – Zülü Alada÷s „Wut“ oder dem türkischen Irak-Spielfilm „Kurtlar vadisi“ [Das Tal der Wölfe] (vgl. auch schon Klitzke 1984).
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USA um 1900 wegen der großen Entfernung, die mit Schiff und Eisenbahn und/oder Pferdewagen überbrückt werden musste, als Brücke zur Heimat mit einer eigenen, in den USA gemachten Zeitung vorlieb nehmen, die gleichzeitig Integrationshilfe leistete. Heute ist dies angesichts von Satellitenfernsehen, kostengünstigem Telefonverkehr weltweit sowie dem Internet nicht mehr nötig, die Heimatinformationen können direkt bezogen werden. Der Autor ist daher nicht nur in Bezug auf die Vergangenheit eher skeptisch, was die Entwicklung hin zu „Medien ethnischer Minderheiten“ angeht, sondern auch in Bezug auf die Zukunft; dass der Trend nachhaltig zu „Medien von und für Minderheiten“ geht, kann ich nicht erkennen.
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Flucht vor König und Castro Presse und Integration politischer Emigranten in den USA Harald Bader & Anne Weibert
Friedrich Wilhelm IV. und Fidel Castro? Auf den ersten Blick mag ein diachroner Vergleich der deutschen Emigration nach der gescheiterten Märzrevolution mit der kubanischen Emigration nach der sozialistischen Revolution abwegig erscheinen. Zu groß der zeitliche Abstand, die ideologische Differenz, zu unterschiedlich die Herkunftskulturen, zu gering im Fall der Kubaner die räumliche Entfernung. Auf den zweiten Blick ist eine Untersuchung sehr unterschiedlicher Ausgangsbedingungen reizvoll, wenn sie nach gemeinsamen Merkmalen im Verhältnis von früheren zu späteren Deutschen bzw. Kubanern zu Hispanics in den USA sucht – und danach fragt, wie die ethnischen Gruppen untereinander und mit der Mehrheitsbevölkerung auskamen. Die Exilkubaner sind bis heute medial präsent. Ihr Feind, der von vielen messianisch verehrte oder doch zumindest zu den vorbildlichen Diktatoren gezählte Fidel Castro, lebt noch, auch wenn er die Macht abgegeben hat. Was nach seinem Tod aus dem Karibikkommunismus wird, ist nicht absehbar. Sollte es zu einem Transformationsprozess analog zum sowjetischen Machtbereich kommen, wird sich zeigen, welche Bedeutung mögliche Remigranten haben werden. Die Kubaner in den USA haben diese besonders in Florida beeinflusst, aber ihr Streben richtete sich auf Havanna, nicht auf Washington, vom außenpolitischen Lobbyismus abgesehen. Die deutsche Emigration der Reaktionszeit hat über ihre „community“ hinaus auch innenpolitisch die USA geprägt. In der deutschen Erinnerungskultur steht sie im Schatten der Emigranten der NS-Zeit, die das deutsche Geschichtsbild überlagert hat und angesichts ihrer Monstrosität auch künftig bestimmen wird. In Amerika ist das Erbe des 19. Jahrhunderts lebendiger. Zwar ist von den Deutschen dort, befördert durch den Assimilationsdruck zweier Weltkriege (vgl. u. a. Wiedemann-Citera 1993; Wüstenbecker 2007), wenig geblieben außer Namen, Rezepten und Folklore. Das gilt aber nur in der Rückschau, nicht für die Zeitgenossen, und es gilt nicht für den Einfluss der Deutschamerikaner auf die Vereinigten Staaten. Für uns, selbst Zeugen einer Migrationsdebatte, ist der zeitgenössische Blick maßgeblich, wenn wir den Konsequenzen für die heutige Integration von Immigranten nachspüren. Dass sich das Programm der deutschen Revolution von 1848/49 nicht durchsetzen ließ, gilt neben mittelalterlicher Reichsidee, der konfessionellen Spaltung, dem preußischösterreichischen Dualismus und der napoleonischen Fremdherrschaft als wichtiger Schritt weg von der Entwicklung zu einem freiheitlichen, demokratischen und außenpolitisch ins Konzert der Mächte passenden Nationalstaat – unter der Prämisse, dass der Nationalstaat eine notwendige Entwicklungsstufe zur Weltgesellschaft darstellt. Angesichts der internationalen Verwicklungen der Mitte des 19. Jahrhunderts greift diese Deutung zu kurz. Kontrafaktische Geschichtsschreibung belebt Erkenntnis, aber ob ein geglückter „Völkerfrühling“ die Völker Europas hätte befrieden können, ist zumindest diskutabel, die territorialen De-
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batten der Paulskirche gaben dazu wenig Hoffnung (vgl. Wollstein 1977). Immerhin hatte die Restauration eine Friedensordnung geschaffen, die angesichts der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht ausschließlich negativ gesehen werden darf. Dieser Hinweis ist für unsere Ausführungen wichtig, denn den „furor teutonicus“ haben auch die Achtundvierziger mit sich genommen, was die länger im Land lebenden Deutschen nicht zu Unrecht abschreckte. Die Skepsis, auf welche Seite man sich schlagen sollte, wenn überhaupt, muss auch für Kuba gelten. Denn das korrupte Regime Batistas gegen kollektive Zwangsbeglückung des real existierenden Sozialismus abzuwägen, führt nur zu dem Schluss, dass hier wie in ganz Lateinamerika die USA nicht ihr Gesellschaftsmodell, sondern eine ausbeuterische und bevormundende Farce exportiert haben. Die Monroe-Doktrin mag die Unabhängigkeit Lateinamerikas gerettet haben, Freiheit und Wohlstand schuf sie jedoch nicht. Anhand des Diskurses der wichtigsten deutschamerikanischen Zeitung sollen im Folgenden die Integration politischer Flüchtlinge innerhalb ihrer ethnischen Gruppe und der Gesamtgesellschaft dargestellt und mit der Situation der Kubaner verglichen werden. Da Sammlung der und Zugang zur kubanischen Exilpresse unbefriedigend sind, liegt der Schwerpunkt dieses Beitrages einerseits im medialen Diskurs 1850, andererseits in der Möglichkeit historischen Lernens, das einen wichtigen Aspekt der Migrationsforschung darstellt.
1.
Deutsche Emigration nach Amerika
Ausgehend von Unteritalien und Paris geriet 1848 halb Europa in Wallung, bis hin ins spätere Rumänien, mit Zonen der Stille wie Schweden oder geglückter Anpassung der Herrschenden wie Großbritannien, das die Chartisten zu befrieden vermochte. Die Friedensordnung des Wiener Kongresses entsprach schon nicht mehr den Bedürfnissen der sich industrialisierenden Gesellschaften. Insbesondere der Deutsche Bund als Fürstenverein stand in der Kritik des stimmungsbeherrschenden Liberalismus, der Einheit und Freiheit für die Deutschen forderte (und die ethnischen Minderheiten der Dänen, Polen, Tschechen, Südslawen und Italiener in den Debatten der Paulskirche gegen deren erklärten Willen eingemeindete). Die soziale Frage angesichts des grassierenden Pauperismus beantwortete er nicht, so erlebte der „wissenschaftliche“ Kommunismus seine Geburt. Die Protagonisten der deutschen Revolution wollten keine Jakobiner werden, so dienten sie dem einst so hoffnungsvoll begrüßten preußischen König Friedrich Wilhelm IV. nicht die Guillotine, sondern die erbliche Kaiserkrone an, nachdem die großdeutsche Vision gescheitert war. Der Monarch lehnte dankend ab, seine Unionspläne durchkreuzte Schwarzenberg, der Österreich als Vielvölkerstaat zu retten vermochte. Der wiederhergestellte Deutsche Bund verwarf die meisten Rechtsakte der Nationalversammlung, auf Deutschland senkte sich die Friedhofsruhe der Reaktion. Preußen blieb Verfassungsstaat, dessen Wirklichkeit den Möglichkeiten der Urkunde hinterherhinkte. Publizistisch bedeutsam war, dass die unpraktikable Vorzensur abgeschafft blieb, aber nicht zugunsten der Freiheit, sondern modernerer Überwachungsmethoden, die bedrohlicher sein konnten als die Schere (auch in England hatte sich der Zeitungsstempel als wirksamer als die Vorzensur erwiesen). Erst mit Bismarck und der Reichseinigung bahnte sich die Versöhnung der 1849 Enttäuschten an, die teilweise, z. B. Lothar Bucher und Julius Fröbel, in den Staatsdienst traten. Die deutschen Amnestien Mitte der 1860er kamen zu spät, um eine nennenswerte Zahl der politischen
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Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen. Sie war von den „Realpolitikern“ – gleich welcher politischen Couleur – auch kaum gewünscht. Die Auswanderung ist damals bereits kritisch beäugt worden, doch galt sie in der Regel als ökonomischer, nicht intellektueller Verlust. Mit der deutschen Reichseinigung kam es bei vielen noch lebenden Achtundvierzigern zur nachträglichen Versöhnung mit Deutschland. Die Blütezeit deutscher Kultur in Nordamerika endete etwa zeitgleich in den 1880ern, der Erste Weltkrieg schwächte die deutsche „community“ derart, dass ihr langsames Verschwinden ansetzte. Den Revolutionären, nach denen die Reaktion fahndete, standen nicht viele Aufnahmeländer zur Verfügung. Die vom Ruf nach Freiheit (und Einheit) erschütterten Staaten Europas hatten kein Interesse, Unruhestifter zu beherbergen, und bedienten sich gern der USA, um sich politischer Gefangener (und häufig auch gewöhnlicher Krimineller) zu entledigen (vgl. Klemke 1994). Russland als „Gendarm Europas“, das eben noch bekriegt hatte werden sollen, schied von vornherein aus. Die Schweiz, im Vormärz ein Ziel der Emigration, stand unter habsburgischem Druck. Frankreich hatte wieder einmal im Anschluss an eine vielversprechende Revolution einen Napoleon gerufen. Im Südosten die Agonie des Osmanischen Reiches. England, das an den Händeln des Kontinents wenig Interesse hatte, war für viele nur Durchgangsstation. Also Amerika. Die Vereinigten Staaten hatten den exotischen Status verloren, die Welt war längst globalisiert. Korrespondenten versorgten die Alte Welt regelmäßig mit Neuigkeiten und Analysen (eine Sammlung dieser Berichte bietet Wagner 1985). Die Amerikanische Revolution, erfolgreicher als die französische, war intensiv rezipiert worden. Funktionsweise und Basis der US-Gesellschaft waren dank Tocquevilles Werk „Über die Demokratie in Amerika“ vor europäischen Augen ausgebreitet worden. Es wurde bereits 1836 ins Deutsche übersetzt, die Rezeption außerhalb linksliberaler und demokratischer Kreise blieb jedoch überschaubar, und insbesondere die deutschen Staatstheoretiker haben Schlüsse gezogen, die den Vorbildcharakter der USA zurückwiesen (vgl. Eschenburg 1959). Allerdings war die Jahrhundertmitte auch auf dem anderen Atlantikufer unruhig. Der Krieg mit Mexiko vergrößerte Staatsgebiet und Sklavereiproblem. Aus dem Wunsch nach Abschottung gegen nicht abreißende Immigration entstanden die Ideologie des Nativismus und später die Know-Nothings, die sich besonders gegen katholische Einwanderer richteten. In der Temperenzbewegung, die im 20. Jahrhundert zur Prohibition führte, standen sich säkulare und konfessionelle Gesinnungen unvereinbar gegenüber. Die misslungenen Kompromisse in der Sklavenfrage hatten Nord- und Südstaaten bereits entzweit, der Bürgerkrieg warf seine langen Schatten voraus, auch in den innenpolitischen Spalten der „New-Yorker Staats-Zeitung“. Dass die Achtundvierziger 1860 Abraham Lincoln unterstützten, seinen Republikanern zum Wahlsieg verhalfen, sich im Sezessionskrieg auf der Seite der Humanität bewährten, dass mit Carl Schurz ein im Deutschen Bund steckbrieflich Gesuchter USInnenminister werden konnte, gehört zu den Glanzlichtern der Geschichte Deutscher – und belegt, dass Migration nicht nur assimilatorisch stattfinden, sondern auch die Aufnahmegesellschaft umwälzen kann. Man schätzt die Zahl der eigentlichen „Forty-Eighters“, d. h. jener, die aus politischen Gründen verfolgt worden waren, auf bis zu 4.000 (Johnson 1950: 45). Gerade durch die Entfernung von der Alten Welt konnten und mussten sie sich dem Neuen zuwenden (die ins europäische Ausland Flüchtenden haben sich überwiegend weiter mit deutschen Zuständen befasst). Und das in besonderer Dialektik: Im Unterschied zur sonstigen deutschen USImmigration verweigerten sich die Achtundvierziger am längsten der Assimilation; die
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Hoffnung auf eine Rückkehr blieb ebenso wach wie die Erinnerung an die Unfreiwilligkeit ihres Heimatverlustes. Andererseits haben von den deutschen Einwanderern nur die Achtundvierziger politische Bedeutung in den USA gewonnen, nicht zuletzt aufgrund ihres hohen Bildungsstandes. Die Deutschen, die die Achtundvierziger antrafen, lebten zum großen Teil in ihren ethnischen Gemeinschaften, in New York wie in Pennsylvania, Ohio oder im Mittleren Westen, nach dem mexikanischen Krieg lockte der Goldrausch Kaliforniens. Zwischen den früher in die USA gekommenen Deutschen und den Achtundvierzigern bestanden große Differenzen. Die Deutschamerikaner, die aus wirtschaftlichen oder religiösen Gründen Europa verlassen hatten (wie ostelbische Altlutheraner, die der königlichen Kirchenunion widerstanden hatten), konnten mit der Religionsfeindschaft der Neuen wenig anfangen. In der Folge kam es zur Entfremdung, ja Feindschaft zwischen „Grauen“ (den alten Einwanderern) und „Grünen“ (den Achtundvierzigern). Und das unter dem Druck des Nativismus, einer xenophoben, isolationistischen Ideologie, die sich seit den 1840er Jahren ausgebreitet hatte. Die Angelsachsen gaben den aktiven Achtundvierzigern, die rund 1.000 revolutionäre Gesellschaften gründeten und teilweise gar die Annexion Europas forderten (wie später die Exilkubaner die Besetzung ihrer Heimatinsel), die Spitznamen „förschdekillers“ (Fürstenmörder) und „cranks“ (Spinner). Den politischen Flüchtlingen, die oft der Ansicht waren, das in Europa gescheiterte (linkshegelianisch interpretierte) „Reich der Freiheit“ in den Vereinigten Staaten zu finden, fielen schnell die Unzulänglichkeiten auf. Anfänglich waren sie harsch in der Kritik und nicht willens, sich in das mühsam aufgebaute politische System einzugliedern. Julius Fröbel, selbst Achtundvierziger, erinnerte sich in seiner Autobiographie daran: In einer Straße von New York begegnete mir ein ehemaliger Kollege aus der Paulskirche – ein Sachse, wenn ich nicht irre, von welchem mir unbekannt geblieben war, daß auch er sein „Prinzip“ nach Amerika gerettet. „Oh! Sie sind auch hier? Seit wann?“ – rief ich ihm zu. – „Seit voriger Woche. Aber hören Sie, das ist ja eine schändliche Wirtschaft in dem Lande! – Das soll eine Republik sein? – Na, das muß anders werden!“ (Fröbel 1971: 85)
Die Achtundvierziger, die gegen die Sklaverei waren, ohne einen Sinn für die verfassungsrechtlichen Konsequenzen ihrer Abschaffung zu haben, haben nach Gründung der Republikaner das Geschichtsbild mitgeprägt. Diesem muss nicht in allem gefolgt werden – ein deutschamerikanisches „Biedermeier“ hat es nicht gegeben (vgl. Thompson/Braun 1950). So rückständig, wie von den Emigranten gezeichnet, waren die vorher eingewanderten Deutschen nicht gewesen. Vielmehr hatten sich die länger in den USA lebenden Deutschen den demokratischen Verfahren angepasst, revolutionäre Leidenschaften waren ihnen fremd, und sie hatten verstanden, dass zur Freiheit im Staat auch Freiheit vom Staat gehört. Und nicht alle aus wirtschaftlichen oder religiösen Gründen Eingewanderten waren darum rückständig oder ungebildet. Bereits im Unabhängigkeitskrieg gab es eine rege deutsche Beteiligung, auch publizistisch (vgl. Lerg 1999). Die scharfe Ablehnung der Sklaverei wurde von vielen einheimischen Deutschen, auch von der „New-Yorker Staats-Zeitung“, nicht geteilt: Der Erhalt der Union erschien wichtiger als die Gleichberechtigung der „Neger“. Hier traf Verantwortungs- auf Gesinnungsethik. Die „New-Yorker Staats-Zeitung“ wies denn auch früh auf ein bis heute nicht gelöstes Problem hin. Die formale Freiheit für die Schwarzen genüge nicht, „weil die Bildung ihres Geistes mit der Ablösung ihrer Sklavenfesseln nicht Hand in Hand ging […] Es müssen großartige und weise Emancipationspläne
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[…] ausgeführt werden“ (Nr. 12 v. 23.3.1850, S. 2). Das ist in den USA bis heute nicht geschehen, aller „affirmative action“ zum Trotz. Für die Achtundvierziger ergibt sich eine verblüffende Bilanz: Sie hatten größeres Heimweh und größeres Interesse an Deutschland als ihre aus wirtschaftlichen Gründen ausgewanderten Vorgänger – und stiegen dennoch auf der Karriereleiter höher als diese. Politisch nahm ihr Einfluss auch wegen der Immigration kaiserlich geprägter Deutscher ab 1870 ab. Assimiliert haben sich letztlich, von den wenigen Rückkehrern abgesehen, alle drei Gruppen. Allerdings verliehen die Achtundvierziger den USA einen Modernisierungsschub: politisch durch den Abolitionismus, theoretisch durch die Bejahung des „melting pot“ gegen angelsächsische Dominanz. Was Deutschland hätte beleben können, kam Amerika zugute. Der „brain drain“ war empfindlich, wurde aber von den alten Mächten gern in Kauf genommen oder durch das Angebot, Gefängnisstrafen in Emigration umzuwandeln, sogar als Ventil benutzt – dies bereits eine Parallele zu Kuba (wie zur deutsch-deutschen Geschichte).
2.
Artikel der „New-Yorker Staats-Zeitung“
Es kann hier kein Überblick über das journalistische Schaffen der Achtundvierziger gegeben werden, zu umfangreich waren ihre Produktion wie der wachsende Markt der deutschsprachigen US-Presse (weswegen auch Dobert [1958: 20] auf Bücher und sonstige Schriften auswich). Der Forschungsfrage, wie alte und neuere Einwanderer aus Deutschland miteinander umgingen, wird darum anhand der „New-Yorker Staats-Zeitung“ nachgegangen, die in der Metropole mit bedeutendem deutschen Bevölkerungsanteil erschien, zumal sie häufigster Ankunftspunkt war. Hier trafen herkömmliche Einwanderer und politische Flüchtlinge aufeinander, hier fanden über die Stadtgrenze hinaus die Debatten der Deutschamerikaner statt. Dieser Beitrag stützt sich auf den Jahrgang 1850, als die europäischen Hoffnungen zerstoben und die Flüchtlinge eingetroffen waren. Wie zu zeigen sein wird, genügt dieser Ausschnitt: Anhand der Berichterstattung nimmt die Schärfe der Konflikte bereits in diesem Jahr ab, treten innerdeutsche Trennlinien zugunsten innenpolitisch amerikanischer zurück. Die „New-Yorker Staats-Zeitung“ war 1834 gegründet worden. Seit 1845 gehörte sie Jakob Uhl, aus Würzburg stammend. Er hatte 1833 am Frankfurter Wachensturm teilgenommen und ging nach einer Haftstrafe nach New York. Uhl gehörte also zu den „Dreißigern“, Deutschen, die in den unruhigen Jahren nach der französischen Julirevolution emigrieren mussten, weil sie sich der politischen Stagnation widersetzten. Darauf dürfte seine grundsätzliche Sympathie für die Achtundvierziger zurückzuführen sein. Die deutsche Gemeinde New Yorks betrug Anfang der 1850er Jahre 60.000 Personen, ab 1854 konnte die Zeitung täglich erscheinen. Es gibt sie, wenn auch von geringer Auflage und Bedeutung, bis heute. Auf die europäischen Entwicklungen der Reaktionszeit blickte die „New-Yorker Staats-Zeitung“ (folgend dem amerikanischen Vorbild abgekürzt „Staats“) mit Verachtung. Über die Wiederherstellung des Deutschen Bundes unter Vertagung des preußischösterreichischen Dualismus hieß es am 5. Januar 1850:
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Aber diese Mächte sind trotz ihrer anscheinenden Stärke und Kraft mit solcher innerlichen Unfruchtbarkeit und Schwäche geschlagen, daß sie nichts zu schaffen, nichts zu gestalten, ja nicht einmal das früher Dagewesene nothdürftig wieder zusammenzufügen und zusammen zu kleistern vermögen. (Nr. 1, S. 1)
Es war auch der Neuen Welt klar, dass die Auflösung des Interessenkonflikts von Hohenzollern und Habsburg nur aufgeschoben worden war. Die „Staats“ war weitblickend genug, um sich von den Achtundvierzigern eine Belebung des geistigen und sozialen Lebens in Nordamerika zu erhoffen (Staats, Nr. 1 v. 5.1.1850, S. 2). Das hieß im Umkehrschluss, der bereits ansässigen deutschen Bevölkerung Bedarf zu attestieren (Staats, Nr. 4 v. 26.1.1850, S. 3). Diesen gab es tatsächlich, weshalb sich Vereine darum bemühten, z. B. durch Üben öffentlicher Rede die Beteiligung der Deutschamerikaner am gesellschaftlichen Leben zu erhöhen (so eine Korrespondenz aus Cleveland, Nr. 2 v. 12.1.1850, S. 2). Zunächst aber stand die Solidarität mit den Flüchtlingen im Vordergrund. An dieser Unterstützung scheint es gemangelt zu haben: In der Schweiz, Frankreich, England und Amerika vor der Rache triumphierender Henkersknechte sich aufhaltend, leben Viele von ihnen in der größten Noth und unter den fürchterlichsten Entbehrungen. […] Darum ihr Freunde der Freiheit, darum aber insbesondere ihr Deutschen in Amerika, schaart Euch zusammen, und bringt diesen Verbannten Eure Sympathie für die Freiheit Eures alten Vaterlandes dar! (Staats, Nr. 4 v. 26.1.1850, S. 4)
Und in dem veröffentlichten Aufruf „Deutsche Patrioten!“ heißt es: Es ist mit brennenden Farben das Unglück der heimathlosen, flüchtigen Kämpfer geschildert und wir halten es unnütz, durch schöngesetzte Worte und kernige Schlagsätze ein Mitgefühl der deutschen Patrioten hier zu erregen, wo das Leiden selbst mit tiefer, herzzerreißender Wahrheit redet […] Die Deutschen in New-York, die mehr oder weniger viel getan haben und deren Unterstützung durch die Menge der hier landenden Bekannte und Verwandte stets außerdem beansprucht wird, werden nicht ermüden, für ihre nothleidenden Brüder, für die Opfer der Befreiung des alten Vaterlandes, zu sorgen. Wir hoffen bestimmt, daß auch die Deutschen in allen Theilen der Union nicht ermüden, daß sie das Unglück ihrer Brüder nicht vergessen und daß sie namentlich erwägen werden, wie diese hier in New-York am meisten leiden und sofort Unterstützung verlangen müssen. Wir tragen ihnen dabei eine republikanische Schuld ab und Ihr, deutsche Brüder im Westen, Ihr Braven dort in St. Louis, haltet Eure Schätze nicht zurück und sendet wenigstens einen Theil von diesen dahin, wo es am meisten Noth thut, an die Hülfs-Committee in New York. (Nr. 8 v. 23.2.1850, S. 3)
Die Hilfsvereine warben unermüdlich um Mittel, die nicht reichlich geflossen zu sein scheinen. Hier musste der rhetorische Kunstgriff verwendet werden, verdeckt auf die Untätigkeit zu verweisen, indem mehrfach geschrieben wird, man könne nicht an die mangelnde Brüderlichkeit glauben (z. B. Staats, Nr. 21 v. 25.5.1850, S. 4). Unter dem Schock der Niederlage trauerten die Flüchtlinge Deutschland nach, doch wollten sie die Absicht, die Freiheit der Heimat vorzuziehen, nicht bereuen. So schrieb Georg Stein aus Schweinfurt ein sechsstrophiges Gedicht, das als typisch gelten darf (Nr. 6 v. 9.2.1850, S. 1): Lebt wohl, ihr holden, süßen Freiheitsträume/Leb’ wohl, mein armes deutsches Vaterland Uns trennen jetzt des Weltmeers weite Räume/Wir weilen auf der neuen Heimath Strand Im Land der Freiheit gastlich aufgenommen/Fühlt sicher nun der deutsche Flüchtling sich Denn er ist dem Despotenschwert entkommen/Und klagt, o armes Vaterland, um dich.
Das Versagen Europas bewegte auch die alteingesessenen Amerikaner über ethnische und religiöse Grenzen hinweg (so gab die „Staats“ eine Rede „zum Besten der deutschen Flüchtlinge“, gehalten in einer Synagoge, wieder, die auf das Einigende der Freiheit ver-
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wies, Nr. 30 v. 27.7.1850, S. 2). Besonders das Schicksal Ungarns, von russischen Truppen wieder Wien unterworfen, fand breite Anteilnahme, sodass sogar von einer „KossuthManie“ (Curti et al. 1958: 429f.) gesprochen werden kann. Dennoch wurden bald Konflikte deutlich, die die Hilfsbereitschaft verringert haben. Dass es von klerikaler Seite zu heftiger Polemik gegen die Revolutionäre kam, stieß auf heftigsten Protest (z. B. Staats, Nr. 10 v. 9.3.1850, S. 3). Auch die kirchlichen Versuche, die Sonntagsruhe durchzusetzen, brachten alte und neue Deutschamerikaner gegeneinander auf. So riet die „Staats“ deutschen Anhängern von „jesuitischen Schwarzkünstler-Argumente[n]“, „recht michelmüthig nach Deutschland zurückzukehren, dort sich nach Gebühr knechten und hudeln zu lassen“ (Staats, Nr. 5 v. 2.2.1850, S. 3). Die ideologische Auseinandersetzung zwischen Volks- und Herrensouveränität fand transatlantisch statt, die europäische Reaktion hatte großes Interesse daran, ein negatives Bild der Vereinigten Staaten zu zeichnen, um die wiederhergestellte Ordnung zu festigen und die Auswanderer zu irritieren, wieder eine Parallele zu Kuba. Diese positive Pressepolitik wurde auch in New York bemerkt, wo man sich um Richtigstellung bemühte: In neuester Zeit werden viele Unwahrheiten, Verdrehungen und Uebertreibungen in überseeische deutsche Blätter als Correspondenzen aus unserer Stadt New-York mitgetheilt. Wir müssen scharf umschauen und deshalb nachwirkende Schritte thun, – denn es liegt im Interesse der Deutschen, daß nicht über sie und über ihr Adoptiv-Vaterland eine Unwahrheit in Deutschland veröffentlicht wird. (Staats, Nr. 11 v. 16.3.1850, S. 3)
Es fanden sich nämlich in der deutschen Presse, die die „Staats“ umfangreich zitierte, die Vorstellungen, die bis heute zum Arsenal des Antiamerikanismus gehören: mangelnde Bildung, rohe Sitten, Elend der Arbeiter, Geldgier (Staats, Nr. 11 v. 16.3.1850, S. 1). Umgekehrt stießen die Neuankömmlinge häufig auf Ablehnung der eingesessenen Bevölkerung, weshalb sich die „Staats“ zu einem flammenden Appell veranlasst sah: Aber das Eine allermindestens wollen wir mit dem schärfsten Nachdrucke, mit dem tiefsten Ernste fordern, daß unsere flüchtigen, deutschen Mitbrüder, welche zu uns kamen, um bei uns, ihren republikanischen Landsleuten Schutz und Hülfe zu suchen – nicht beschimpft, daß sie nicht ungeahnt und unbestraft als gemeine Verbrecher öffentlich gebrandmarkt werden sollen. (Nr. 14 v. 6.4.1850, S. 3)
Publizistischer Gegner in der Stadt war der klerikale „New Yorker Sion“, der unablässig die Achtundvierziger als gemeine Mörder und Gottesfeinde bezeichnete. Die „Staats“ parierte in ähnlichem Ton und wünschte dem Redakteur, er möge sich mit seiner Druckerpresse „umbringen und nicht mehr die Vorsehung schänden“ (Staats, Nr. 12 v. 23.3.1850, S. 3). Wüste Beschimpfungen waren ein Merkmal der US-Presse, bevor sie sich im Massenzeitalter mäßigte. Schon Tocqueville hatte die „niederreißenden Neigungen“ und „Heftigkeit“ der US-Presse konstatiert, in ihr aber einen stabilisierenden Faktor erkannt (Tocqueville 1959: 209). Unionsweit gab es zwischen Ostküstenpresse und dem Mittleren Westen Auseinandersetzungen, insbesondere mit dem „Anzeiger des Westens“ Heinrich Börnsteins in St. Louis. Hier wurde auch mit Gedichten, einem beliebten Genre der Jahrhundertmitte, gekämpft (Staats, Nr. 40 v. 5.10.1850, S. 3). Der hochbegabte Börnstein, dem die „Staats“ zu bieder war, zählte zu den Radikalen und wurde darum zuweilen als „evil genius“ (Rowan 1986: 49) bezeichnet. Zur Integration gehört unweigerlich die ethnische Selbstvergewisserung. Hier zeigten sich in der „New-Yorker Staats-Zeitung“ beachtliche kritische Erörterungen. In einem
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essayartigen Artikel (Nr. 14 v. 6.4.1850, S. 3) werden ungünstige Eigenschaften der Deutschen genannt, „Bummelei“ und „Grübelei“, dass das deutsche Volk „zum Liede, aber nicht zum Schwert, oft zum Wort, aber nicht zur That“ neige. Dazu heißt es: Es ist Manches wahr an diesem Vorwurfe und wir Deutschen sollten, wenn wir ehrlich zu der großen Wiedergeburt unsres alten Vaterlandes wirken und uns strebend und fördernd in unser neues Vaterland einleben wollen, vor Allem unsre National-Schattenseiten, die dem Volke angezwungen wurden, zu durchschauen und zu vernichten suchen, wir sollten dies aber eben hier, wo uns die ganze Freiheit dazu geboten, wo es von uns gefordert wird, daß wir uns zu wahren Republikanern emancipieren, mit einem unermüdlichen Eifer verfolgen und erringen.
Hier bereits kündigt sich ein modernes Integrationsverständnis an: Anteilnahme an der alten Heimat, aber Bereitschaft, sich ins Neue zu begeben und es ins Bessere zu verwandeln, sich also nicht anzubiedern, sondern am Guten festzuhalten. Das kann zu einem gewissen Überlegenheitsgefühl führen, so wie es vor einem Maifest hieß, es solle zu keiner „steifen Yankeelust“ oder einem „wilden Hottentottenfeste“ werden (Staats, Nr. 16 v. 20.4.1850, S. 3). Diese Abgrenzung war aber zur Binnenintegration nötig, weil es im selben Artikel heißt, wenigstens bei dieser Feier sollen „die deutschen Stämme“ jenseits von „Parthei- und Sekten-Ansichten“ das „Bild einer großen Zukunft“ geben. Dies scheint in New York recht schnell gelungen zu sein. Zum Jahresausklang konnte rückblickend gesagt werden: „Es ist keine Frage, die europäische Revolution hat auf die Union einen tiefen Einfluß ausgeübt, die Geister mächtig bewegt, das anglo- wie das deutsch-amerikanische Element mit Allgewalt vorwärtsgetrieben“ (Staats, Nr. 46 v. 16.11.1850, S. 3). Die Lektüre der „Staats“ erweckt den Eindruck, dass die Integration der Achtundvierziger angemessen thematisiert wurde, allerdings gilt sie früher als erfolgreich, als es die weitere Geschichte belegen würde. New York war eben auch damals nicht Amerika. Dass es das revolutionäre Erbe Europas sein würde, das den Sezessionskrieg mit herbeiführte, konnte das Blatt noch nicht wissen. Dieser Bürgerkrieg war die Lehre, die die Achtundvierziger gezogen hatten: „Eine humane Revolution ist notwendig eine halbe Revolution. Hier liegt wahrscheinlich der tiefste Irrtum der Achtundvierziger“ (Valentin 1977: 583). So wurde auf dem Boden der Neuen Welt der Kampf um die Humanität, die eine allgemeine sein muss, ausgefochten, mit härtester Konsequenz.
3.
Kubanische Emigration in die USA
Auf dem Boden der Neuen Welt hatten auch die Kubaner einen Kampf zu kämpfen – es war ein Kampf ohne Waffen, nur mit Worten, und er dreht sich vor allem um die politische Ausrichtung und Zukunft ihres Landes. Hohe Regierungsmitglieder, politische Führungspersönlichkeiten und Offiziere des Militärs waren die ersten, die in die USA emigrierten, nachdem kubanische Revolutionäre unter Führung von Fidel und Raúl Castro, Camilo Cienfuegos und dem Argentinier Ernesto Che Guevara den kubanischen Diktator Fulgencio Batista 1959 gestürzt hatten. Ihre machtvollen Positionen in Batistas Regime „Batistiato“ ließen diese Menschen um Besitztümer, Einfluss und Leben fürchten. Doch noch weit mehr Menschen, die nicht mit Batistas Regime affiliiert waren, kehrten Kuba in Richtung USA den Rücken. Die Zahlen differieren – Soruco (1996: 6) schreibt von 165.000, García (1996: 13) von rund 248.000 Kubanern, die
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allein in der ersten Phase der Auswanderung1 zwischen Anfang 1959 und Oktober 1962 in die USA emigrierten. Portes und Bach (1985: 86) beziffern die Zahl der Kubaner, die in diesem Zeitraum in die USA emigrierten, auf 215.000 und fassen die kubanische Auswanderungsbewegung insgesamt zusammen (ebd.: 84): The 1960 census reported 79.156 Cuban-born persons living in the United States; if the refugees who arrived during 1959 are subtracted from these, the prerevolutionary Cuban population in the country can be estimated at no more than 30.000. Between 1959 and 1980, more than 800.000 Cubans, or about one-tenth of the island population, left. Of these, at least 85 percent went to live in the U.S. mainland and Puerto Rico.
Unter den Auswanderern waren viele, die der Revolution von Beginn an negativ gegenüber gestanden hatten, aber auch andere, die Castro zunächst zwar unterstützt hatten, später aber enttäuscht waren vom Verlauf, den die Revolution nahm. Anstelle der erwarteten Wiedereinsetzung der liberalen kubanischen Verfassung von 1940, die von Batista außer Kraft gesetzt war, erlebten die Kubaner die Errichtung eines marxistischen Staates. Wo die Umstrukturierung von Besitztümern, Produktion und Handel durch die neue Regierung noch gemischte Meinungen unter den Menschen hervorrief, waren es die verbreitete Gewalt, soziale Indoktrination und ein generelles Klima des Misstrauens und der Schikane, die die Kubaner schließlich zahlreich zur Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika bewogen, in dem Gefühl, „la revolución“ sei verraten. Im Vergleich demografischer Merkmale wie Einkommen, Bildung und Herkunft dieser kubanischen Auswanderer einerseits und erwachsener Kubaner in Kuba andererseits stellten Fagen, Brody und O’Leary (1968) fest: Es waren zunächst vor allem weiße, gebildete und wohlhabende Städter, die der Insel den Rücken kehrten – die Golden Exiles (vgl. a. Portes 1969). Die meisten dieser Kubaner wanderten in die USA in der Annahme, ihr Aufenthalt dort sei vorläufig und sie würden bald in ihre Heimat zurückkehren. Schließlich waren Migrationsbewegungen schon immer ein Teil der kubanischen Geschichte2 und die USA schon lange ein Landesnachbar, der sich in kubanische und lateinamerikanische Entwicklungen einmischte – es konnte, so die Annahme vieler, auch diesmal doch nur eine Frage der Zeit sein, bis die USA intervenierten, Castros Regierung durch eine demokratischere ersetzt und der Grund des Exils damit aus der Welt geschafft sei (vgl. García 1996: 14). In der Zwischenzeit arrangierten sich die Exilanten mit dem Leben in ihrem neuen Umfeld so gut es ging, fanden Unterkunft und Job, schickten ihre Kinder zur Schule und versuchten, sowohl ihre eigene ökonomische Situation zu verbessern als auch dazu beizutragen, die Situation in ihrem Heimatland zum Positiven zu verändern. Sich selbst sahen sie dabei als politische Exilanten, nicht als Einwanderer, ein Selbstverständnis, das auch die Achtundvierziger hatten. Es war politische Energie, die diese erste Gruppe der Exilanten motivierte, trotz der Vorläufigkeit, die in ihrem Aufenthaltsstatus 1
2
In der Forschung wird die Migrationsbewegung aus Kuba in die USA in drei Hauptphasen eingeteilt: Die erste begann, kurz nachdem Castro auf der Insel die Macht übernommen hatte, und endete im Oktober 1962, als kommerzielle Flüge zwischen den USA und Kuba eingestellt wurden. In der zweiten Einwanderungsphase folgten zwischen 1963 und 1979 vor allem Frauen, Kinder und Verwandte der ersten Einwanderer. In der dritten Phase schließlich folgten die „Mariel-Flüchtlinge“ – so genannt, weil sie von der Insel vom Hafen von Mariel aus flüchteten, die meisten von ihnen Arbeiter auf der Suche nach politischem und wirtschaftlichem Asyl. Eine kubanische „community“ von etwa 30.000 lebte 1959 in Miami – viele von ihnen bereits seit einer oder zwei Generationen; die kubanischen „communities“ in Key West und Tampa spielten schon in den Unabhängigkeitskriegen im 19. Jahrhundert eine Rolle (vgl. García 1996: 16).
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immanent ist, insbesondere im Süden Floridas schnell und erfolgreich eine „community“ mit funktionierenden wirtschaftlichen Strukturen zu schaffen. Nachfolgende kubanische Einwanderer – auch aus weniger wohlhabenden und gebildeten Schichten – konnten auf dieses, von den Golden Exiles geknüpfte Beziehungsnetz aufbauen (vgl. Soruco 1996: 7; García 1996: 109). Es diente wirtschaftlich der Existenzsicherung, hatte darüber hinaus aber auch eine handfeste, patriotisch-nostalgische Funktion: In kulturellen Organisationen, aber auch kubanischen Nachbarschaften, den so genannten „municipios“3, bemühten die Exilanten sich früh um die Frage der Bewahrung ihrer „cubanidad“, der kubanischen Identität. Das erste „municipio“ der Exilanten in den USA bildete bereits 1962 die Anlaufstelle für erste Orientierung und Information, praktische Alltagshilfe, etwa im Umgang mit Behörden, aber vor allem auch Gelegenheit, in kubanischer Gesellschaft zu sein, Feste zu feiern, Musik zu hören (vgl. García 1996: 90ff.).
4.
Kubanische Emigranten und die Presse
Schnell entwickelte sich unter diesen Gegebenheiten eine lebendige Vielfalt spanischsprachiger Medien, die den Informations- und Unterhaltungsbedarf der Exilanten bediente. Bedeutsam war dabei das Radio, das auch für die Heimat so attraktiv war, dass Havanna Störsender installieren musste (vgl. García 1996: 107). Da sich die Kubaner der ersten Einwanderungsphase vor allem im Süden Floridas niederließen und erst über das Refugee Resettlement Program Mitte der 1960er Jahre auf politischer Ebene die Strukturen für die Verteilung der (weiteren) kubanischen Neuankömmlinge auf alle Teile des Landes geschaffen wurden, soll an dieser Stelle der Blick auf die Rolle spanischsprachiger Medien in Florida zu dieser Zeit gerichtet sein. Hier war vor 1959 der von Nicaraguanern gegründete „Diario las Américas“ die einzige Zeitung, die spanischsprachige Nachrichten lieferte – Anfang der 1970er Jahre bevölkerten bereits hunderte spanischsprachige Tageszeitungen und Magazine die Presselandschaft. Einige hatten für eine einzige Ausgabe Bestand, andere erschienen über Jahrzehnte regelmäßig (vgl. García 1996: 100; Held 1997: 21); die meisten waren nur am Zeitungskiosk, in kubanischen Bars oder Restaurants und Supermärkten erhältlich – einige kostenlos, da die Publikation von Exilantenorganisationen (teils politisch motiviert) oder Werbekunden finanziert war. Direkter und umfassender inhaltlicher Überund Einblick ist anders als bei deutschamerikanischen Titeln heute nur noch schwer möglich – die Vielfalt der kleinen Blätter ist in keiner Bibliographie zusammengefasst, und auch solche Titel, die für längere Zeit Bestand hatten, wurden von ihren Verlegern häufig nicht archiviert (vgl. Held 1997: 21) – eine Situation, die im Übrigen schon Park in seiner Auseinandersetzung mit der Immigrantenpresse bemängelte (vgl. Park 1922: XIX). García (1996: 101) fasst das inhaltliche Spektrum der exilkubanischen Publikationen zusammen: The emigré periodicals were as diverse as the emigrés themselves. Civic, cultural, religious, and political organizations published their own newspapers and boletines (newsletters), as did some labor unions, fraternities and municipios. Emigrés also published entertainment and sports magazines, literary and historical jour-
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Gegründet nach prärevolutionärem kubanischem Vorbild: Vor der Revolution war die Insel in 126 „municipios“ in sechs Provinzen aufgeteilt; jeder Kubaner war, bestimmt durch seinen Wohnort, einem dieser „municipios“ zugeordnet (vgl. García 1996: 90ff.).
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nals, and a number of “women’s publications” giving advice on child-rearing, housekeeping, fashion and health.
Man mag die schiere Menge der Publikationen als Indiz dafür werten, was in der mit fortschreitender Zeit gesellschaftlich zunehmend heterogenen „community“ kubanischer Exilanten das zusammenhaltende Element darstellte: die politische Energie – insbesondere gerichtet auf die gesellschaftlichen Entwicklungen in Kuba. Nachrichten über Kuba – über Warenknappheit auf der Insel, Castros Politik, kubanisch-sowjetische Beziehungen und die Misere politischer Häftlinge – dominierten die Exil-Zeitungen und -Zeitschriften. „Periodiquitos“ (Kleine Zeitungen) wurden die bissigsten unter ihnen genannt – es ging ihren Herausgebern eher um politische Ein- oder gar Aufmischung als um sachlich informierende Berichterstattung, wie García mit der Selbstbeschreibung eines Herausgebers illustriert (García 1996: 103): Only a minority of our compatriots understand our work and our struggle to keep these newspapers circulating. They don’t understand that our publications are generated by our patriotism and our indomitable faith in the struggle to defeat Castro and his scumbags.
Auf der sachlich-informierenden Seite positionierte sich derweil unter anderem der „Diario las Américas“, der in den 1960ern vermehrt kubanische Journalisten einstellte, bewusst den Nachrichtenanteil mit Kubabezug im Blatt erhöhte und es auf diese Weise schaffte, seine Auflage in Miami, San Juan, New York und anderen Städten mit kubanischen „communities“ zu steigern (vgl. Soruco 1996: 40). García fasst die Bemühungen der Zeitung zusammen, sich in Bezug auf Kuba möglichst neutral zu positionieren und der exilkubanischen Leserschaft dabei dennoch Raum für Diskussion um die politischen Entwicklungen zu bieten (García 1996: 104f.): While the publishers were clearly anti-Castro, the Diario straddled Little Havana’s political fence, careful not to side with any particular faction in the exile community, and it provided a forum for the discussion of opposing political views.
Später in den 1970ern versuchte sich daran auch der „Miami Herald“ mit „El Herald“, der ersten spanischsprachigen Beilage in einer größeren amerikanischen Zeitung (vgl. García 1996: 105) – die zunächst allerdings nicht besonders erfolgreich war, da viele der Exilanten sich im „Miami Herald“ häufig zu negativ4 dargestellt sahen (vgl. Soruco 1996: 43ff.). Nicht nur war die politische Energie stark genug, der kubanischen „community“ in den USA Stabilität – und über eine vielfältige und lebendige, spanischsprachige Presse auch Ausdruck – zu verleihen. Zugleich war dies auch das Element, über das in der USGesellschaft insgesamt das bestehende Bild von Hispanics in Bewegung geriet. Wo das 4
Eine Auseinandersetzung, die Ende der 1980er Jahre in einer von der Cuban American National Foundation finanzierten, ganzseitigen Anzeige gipfelte: „The Miami Herald is aggressive in its ignorance of our people. It refuses to understand that Cuban Americans see the struggle between totalitarianism and democracy as a personal, ever-present struggle. We live the struggle daily because our friends and families enslaved in communist Cuba live it daily.” (zitiert nach Stepick/Stepick 2002: 80; eine ähnliche Anzeige hätte auch 130 Jahre zuvor erscheinen können). Erst als der Knight-Ridder-Verlag Ende 1987 aus „El Herald“ eine eigene Zeitung machte, die zwar auf Wunsch mit dem „Miami Herald“ gemeinsam erhältlich war, aber auch separat bezogen werden konnte, löste sich das Problem und das spanischsprachige Blatt expandierte (vgl. García 1996: 105; Emery/Emery/Roberts 1996: 436).
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Label „Hispanic“ vor 1960 in der Presse noch allgemein als Beschreibung einer homogenen Gesellschaftsgruppe gebräuchlich war, wuchs in den 1960er Jahren das Bewusstsein dafür, dass der Begriff soziokulturell deutlich verschiedene Bevölkerungsgruppen einbezog (vgl. Dávila 2001: 29 und 145). Salwen und Soruco (1996: 163) fassen die Rolle der kubanischen Exilanten bei diesem Wandel zusammen: The first waves of Cuban immigrants were largely white. Many were affluent and, because they were on the losing end of the revolution, fiercely anti-Communist. Many of them identified with the conservative part of America’s political spectrum – challenging the stereotype that all minorities (let alone Hispanics) were associated with liberal politics.
Fest gefasste Stereotypen gerieten durcheinander; das Civil Rights Movement der 1960er Jahre tat ein Übriges, differenziertere Aufmerksamkeit auf die Interessen der Hispanics zu lenken, die begannen, nach dem Vorbild der schwarzen Bürgerrechtsbewegung um mehr Beachtung durch die Presse zu kämpfen (vgl. Salwen/Soruco 1997: 162). Wie stark der Zusammenhalt war, den die Golden Exiles bis 1962 und in direkter Folge auch ihre in der zweiten Auswanderungsphase emigrierten Frauen, Kinder und weitere Verwandte zu schaffen imstande waren, illustriert humorvoll Garcías (1996: 94) Beschreibung der Ankunft der „Mariel-Flüchtlinge“ 1980: Jene, so erzählt sie, hätten bei ihrer Ankunft oft gescherzt, sie seien in einer Zeitschleife gelandet und zurückgekehrt ins Kuba der 1950er Jahre. Veränderung brachte die Beendigung der so genannten „freedom flights“ zwischen Kuba und den USA in den 1970er Jahren: Damit bekam der Aufenthaltsstatus der Exilanten dauerhaften Charakter – eine Entwicklung, die wiederum direkt in politische Energie umgewandelt wurde (vgl. Stepick/Stepick 2002: 75ff.): Die Zahl der Einbürgerungen stieg danach deutlich an, außerdem auch das politische und bürgerschaftliche Engagement der Cuban Americans. So sind aus Golden Exiles im Verlauf der Jahre Cuban Americans geworden – wobei das Kubanische und das Amerikanische stets neu in Balance gebracht werden. Stepick und Stepick (2002: 76) sehen ein Ungleichgewicht: Cuban identity and solidarity are eroding under the stress of non-Cuban, Latino demographic diversity and the maturation of second-generation Miami Cubans, who care less about Castro and more about ‘making it’ in America.
5.
Achtundvierzig, Kuba und wir
Anhand eines Vergleichs der deutschen und kubanischen politischen Flüchtlinge, hier medial betrachtet, kann dieses Ungleichgewicht der Exilkubaner als langfristiges Ergebnis ihrer Flucht gesehen werden: Nach Phasen der Identitätsbildung und -wahrung kündigt sich im Laufe der Zeit eine vollständige Ankunft in der Aufnahmegesellschaft an. Diese Integration verläuft durchaus paradox, denn für die Kubaner gilt, was auch von den Achtundvierzigern gesagt worden ist: „They saw their arrival in the United States as a venture to recapture history“ (Trommler 1989: 280). Weil das erhoffte Ereignis, Freiheit für Deutschland bzw. Kuba, ausgeblieben ist, wählten die Emigranten einen doppelten Weg, der nur scheinbar widersprüchlich ist: Wirtschaftliche Teilhabe bei Pflege des Erbes, was Abgrenzung zur Mehrheit wie zu den älteren Anverwandten bedeutete. Zugute kam ihnen dabei der weltpo-
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litische Rückenwind aus Washington: Bekenntnis zur Freiheit während der europäischen Reaktion wie während des Kalten Krieges. Darum handelt es sich bei der „New-Yorker Staats-Zeitung“ wie bei den exilkubanischen Titeln um im besten Sinne US-amerikanische Zeitungen, nicht angelsächsisch in der Sprache, aber im Inhalt. Womit wir bei den Schlussfolgerungen für die Gegenwart angelangt sind, denn eine historisch arbeitende Journalistik fragt nach Möglichkeiten und Grenzen historischen Lernens. Der (nichtdeutschen) Nachkriegseinwanderung in die Bundesrepublik fehlt es an drei wichtigen Merkmalen, über die Deutsche und Kubaner verfügt haben: 1. eine Infrastruktur in ihrer Herkunftssprache, vital genug, um ein eigenständiges kulturelles Leben in der Fremde führen zu können, 2. eine Aufnahmegesellschaft, die sich selbst als dynamisch versteht und damit offen für Veränderungen ist, die von Immigranten ausgehen, und 3. Sinn. Wie hier dargelegt, hatten Achtundvierziger wie Exilkubaner das Gefühl kollektiver Bedeutung. Die war zunächst auf die verlassene Heimat ausgerichtet, half aber, in den Vereinigten Staaten anzukommen. Deutschland kann seinen Einwanderern individuell unter die Arme greifen und tut das auch in einem Ausmaß, von dem 19. und 20. Jahrhundert nur träumen konnten. Aber solange Integration ausschließlich der individuellen Strebsamkeit bedarf, die Gruppenzugehörigkeit sekundär bleibt, weil diesen Gruppen ein gemeinsames Projekt fehlt (Deutsche und Kubaner sahen die Feinde in der Heimat, die Verbündeten in den USA), bleiben ethnische „communities“ Angehörige einer Diaspora. Wirtschaftliche und rechtliche Integration kann gelingen. Darüber hinaus haben die Nachfahren der „Gastarbeiter“ durchaus Anlass zu fragen, was dieses Land mit ihnen anzufangen weiß, eine Frage, auf die schon Vertriebene, Aussiedler und Ostdeutsche keine Antwort der Mehrheitsgesellschaft bekommen haben. Integration verlangt auch einen Wandel der Aufnahmegesellschaft, aber wenn die Bevölkerung dazu nicht bereit ist, kann sie nicht gezwungen werden. So ist es kein Zufall, dass die Einwanderergruppen, die aus politischen Gründen nach Deutschland gekommen sind, z. B. vietnamesische „boat people“ und Iraner, vergleichsweise gut integriert sind. Politisches Interesse, das in der Heimat politische Verfolgung nach sich zog, geht mit Bildung und Selbstverantwortung einher. Die Aufnahmegesellschaft kann Bildungschancen bieten, aus humanitären wie ökonomischen Gründen. Die Bereitschaft aber, für den eigenen sozialen Aufstieg zuständig zu sein, muss von den Neuankömmlingen selbst kommen. Ein eher passives Selbstverständnis, wie es insbesondere Einwanderer aus ehemals kommunistischen Staaten (auch ehemalige Bewohner der DDR) häufig haben, ist in einer Leistungsgesellschaft dysfunktional. Ethnomedien können, indem sie für Binnenintegration sorgen, einerseits die Bindung an die neue Heimat erschweren, andererseits aber die kollektive Identität der Minderheit stärken. Dabei kommt es auf die vermittelten Inhalte an. Sie müssen die Verfassungsordnung des Aufnahmestaates anerkennen, gleichgültig, ob er als neue Heimat oder nur als Zwischenstation bis zur Rückkehr begriffen wird. Dass es innerhalb von Minderheitsgruppen, wie zwischen alten und neuen Deutschamerikanern oder Hispanics und CastroFlüchtlingen, zu Konflikten kommt, ist nicht von Nachteil. Sie müssen nur argumentativ und öffentlich stattfinden, in den Spalten von Zeitungen und in Parlamenten, nicht gewalttätig. Die offene Gesellschaft lebt von der Auseinandersetzung. Das Ideal konfliktfreier Kommunikation wäre repressiv, und gerade diese Repression zwang Achtundvierziger wie Kubaner zur Emigration. Historisch wie aktuell bedauerlich bleibt dabei, wie ignorant große Teile der Mehrheitsbevölkerung mit den kollektiven Nöten der Neuankömmlinge umge-
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gangen sind und weiter umgehen. Darum ist die Klage von Immigranten, die Aufnahmegesellschaft sei ihren Erfahrungen gegenüber desinteressiert, durchaus berechtigt. In diesem Fall ist Zusammenhalt innerhalb der eigenen ethnischen „community“ einer Isolation unbedingt vorzuziehen, auch wenn sich die Hoffnung auf Rückkehr in eine befreite Heimat nicht erfüllen mag und die neue fremd bleibt.
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Der Bergarbeiterstreik 1869/70 in Waldenburg (Schlesien) im Spiegel der Dortmunder Presse Johannes Hoffmann
Zuwanderung ins Ruhrgebiet und die Reaktion der heimischen Zeitungen Zuwanderung, aus dem näheren und ferneren Umland, schließlich aber auch aus den weit entfernten Ostprovinzen Preußens und in kleinerem Umfang auch aus dem Ausland, hat das Ruhrgebiet vor allem in der Zeit zwischen der Reichsgründung 1871 und 1914 geprägt. Die Rolle der Presse bei der Integration der teils deutsch-, teils polnischsprachigen Zuwanderer ist schon verschiedentlich untersucht worden (vgl. etwa Kleßmann 1974; zuletzt auch Pöttker/Bader 2008, 2009; Pöttker 2009). Die drei letztgenannten Beiträge befassen sich jedoch vor allem mit dem Höhepunkt der Zuwanderung um die Jahrhundertwende. Der folgende Beitrag verweist auf die Vorgeschichte der späteren großen Wanderungen, die erste Zuwanderungswelle aus dem niederschlesischen Bergbaurevier Waldenburg (heute polnisch Waábrzych), die noch vor dem Krieg von 1870/71 erfolgte. Die Spiegelung der die Wanderung auslösenden Vorgänge und der Zuwanderung selbst in der Dortmunder Presse stellt eine interessante Vorgeschichte der späteren Verhältnisse dar, auch wenn es natürlich nicht möglich ist, direkte Parallelen zu ziehen, zumal die Waldenburger deutschsprachig waren und nur bedingt als „Fremde“ empfunden wurden. Der Nutzen der Arbeitsmigranten für das Ruhrgebiet, aber auch die Solidarität mit den Streikenden, die über die Bergarbeiter des Ruhrgebiets hinaus auch bürgerliche Kreise erfasste, die Hauptträger der ausgewerteten Dortmunder liberalen Zeitungen, stehen so im Folgenden im Mittelpunkt.
Der „Gewerkverein deutscher Bergarbeiter“ und der Streik von 1869/70 Unter der Leitung des bekannten liberalen Volkswirts und Politikers Max Hirsch fand in der im westlichen Niederschlesien gelegenen Bergbaustadt Waldenburg die konstituierende Generalversammlung des „Gewerkvereins deutscher Bergarbeiter“ für das dortige Bergbaugebiet statt. Obwohl dessen Statuten eher einem humanitären Unterstützungsverein als einer Gewerkschaft im herkömmlichen Sinne glichen, wurde er dennoch von den dortigen Bergwerksbesitzern als eine Gefahr für die Ordnung in den Zechen angesehen. Die erließen daher am 1. Oktober 1869 eine drohende „Bekanntmachung und Warnung“. Daraufhin richtete der Gewerkverein eine aus heutiger Sicht äußerst devote, ja unterwürfige Eingabe an die Arbeitgeber, denen er noch einmal die Wünsche der Bergarbeiter vortrug: Verkürzung der übermäßigen Arbeitszeit, Abstellung der häufig unwürdigen Behandlung durch die Vorgesetzten und Festsetzung von Normallöhnen. In dem grundlegenden zweibändigen Werk zur Geschichte der Bergarbeiter bis 1913 von dem aus Dortmund-Hörde stammenden SPD-Bergarbeiterführer Otto Hue, dessen
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Name in zahlreichen Straßen-, Plätze-, Gartenanlagen-Namen breit in der Ruhrgebiets-Erinnerungskultur verankert ist, befindet sich der Wortlaut der Eingabe des Gewerkvereins innerhalb eines Abschnitts ebendort mit dem Titel „Der Waldenburger Bergarbeiterstreik und der Hirsch-Dunckersche Gewerkverein der Bergarbeiter“ (vgl. Hue 1913: 294). Wörtlich heißt es in der Eingabe: Hiergegen versprechen wir, auch ferner als treue und rechtschaffene Arbeiter den Herren Arbeitgebern mit allen unseren Kräften zu dienen und uns dadurch als würdige Mitglieder des Gewerkvereins zu zeigen. Wir geben uns sogar unter eine strenge Kontrolle unseres Vorstandes, der gegen einen lässigen, faulen Arbeiter – nach gehaltener Besprechung mit dem Herrn Arbeitgeber – auch Maßregelungen eintreten lassen kann. Für das Gesagte stehen wir mit gutem Gewissen alle für einen und einer für alle und bitten nochmals, unsere gerechte Sache als solche anzuerkennen, uns mit der bereitwilligen Erfüllung unserer Bitte erfreuen zu wollen und somit alle Mißhelligkeit mit einem Male verschwinden zu lassen. Es ist ein höchst schmerzliches Gefühl, wenn wir jetzt in den gespannten Verhältnissen an unser Tagwerk gehen müssen und von manchen Augen als Rebellen und Aufwiegler angesehen werden.
Maßregelungen von Arbeitern sowie Kündigungen von Werkswohnungen waren die Antwort der Zechenbesitzer hierauf. Auf diese Weise begann am 1. Dezember 1869 der erste große deutsche Bergarbeiterstreik, an dem sich schon vom ersten Tage an 6.409 von insgesamt 7.413 Bergleuten beteiligten. Etwa 5.000 Bergleute streikten durchschnittlich während der Dauer des Streiks. Unschwer lässt sich ermessen, wie viele Familienmitglieder an den Folgen des Ausstandes ebenfalls zu leiden hatten. Von etwa 25-30.000 Menschen ist die Rede gewesen. Der Direktor des Dortmunder Stadtarchivs während der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, Horst-Oskar Swientek, schreibt, wie die Streiksituation immer stärker eskalierte (Swientek 1954: 121): Die Zechenbesitzer verfügten alsbald die Versagung von Leistungen der Knappschaftskasse, setzten die Vornahme polizeilicher Haussuchungen durch und forderten die Arbeiter zur Rückkehr in die Gruben binnen drei Tagen auf. Mit dem Landrat trafen Vertreter des Oberbergamtes und zwei Ministerialkommissare aus Berlin in Waldenburg ein, die den Bergleuten nahelegten, aus dem Gewerkverein auszuscheiden und gegenüber den Arbeitgebern darüber einen Revers [Dokument 1] zu unterschreiben, andernfalls sich der Strafe sofortiger Entlassung aus der Werksarbeit unterworfen anzusehen. Das preußische Abgeordnetenhaus befaßte sich mit dem Streik, ja, die Leitung des Waldenburger Gewerkvereins entsandte sogar eine ArbeiterDeputation zum König nach Berlin, die bei diesem allerdings nicht vorgelassen, jedoch vom Kronprinzen empfangen wurde.
Im Folgenden steht der weitere Streikverlauf im Waldenburger Revier nicht mehr im Mittelpunkt der Darstellung. Es wird vielmehr ein Perspektivwechsel vollzogen unter der Fragestellung, welches Echo, welche Solidaritätsbekundungen auf den Streik in Waldenburg insbesondere in der Dortmunder Presse, aber auch im Ruhrgebiet allgemein festzustellen sind. Aus diesem Grunde werden im Anhang des Beitrags insgesamt 13 Berichte der Dortmunder liberalen Zeitungen vom 1. Januar 1870 bis zum 17. März 1870 ohne Kürzungen dokumentiert. (Benutzt wurden die „Westfälische Zeitung“, 23. Jahrgang 1870, und der „Dortmunder Anzeiger“, 43. Jahrgang 1870, im Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund.1) Die nächste Erwähnung Waldenburgs erfolgt dann erst wieder lange danach am 1. Dezember 1870 in einem unter Nummer 13 abgedruckten kurzen Zeitungsartikel, wo von 1
Herrn Pfarrer Reinhard Otzisk (Gelsenkirchen) danke ich für Mithilfe bei der Beschaffung der Zeitungstexte.
Der Bergarbeiterstreik 1869/70 in Waldenburg (Schlesien)
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einem jugendlichen Waldenburger Bergmann berichtet wird, der auf einer Zeche in Dortmund-Brackel tödlich verunglückt sei. Dortmund war in jenen Jahren eine Hochburg der Fortschrittspartei, der auch Max Hirsch, der Begründer des „Gewerkvereins deutscher Bergarbeiter“, angehörte. Im preußischen Abgeordnetenhaus saß seit 1862, ebenso seit 1867 im Reichstag des Norddeutschen Bundes, der von den Fortschrittlichen im Dortmunder Wahlkreis gewählte Dr. iur. Hermann Becker, ein bekannter Mann der Freiheitsbewegung von 1848, der im Jahre 1871 Bürgermeister von Dortmund wurde. Beide, Dr. Max Hirsch und Dr. Hermann Becker, fordern am 29. Dezember 1869 zusammen mit so angesehenen Männern wie z. B. Prof. Dr. Virchow, dem zu Ehren in Dortmund eine Straße in Hörde benannt ist, weiterhin mit dem Begründer des gewerblichen Genossenschaftswesens Schulze-Delitzsch, dem bekannten Arzt und Politiker Löwe-Calbe sowie zahlreichen weiteren bekannten Persönlichkeiten die Leser des „Dortmunder Anzeigers“ vom 1. Januar 1870 zu einer Spendenaktion für die streikenden Waldenburger Bergleute auf. Sie begründen ihren Aufruf ausführlich. Das Ansinnen der Waldenburger Bergwerksbesitzer an die dortigen Arbeiter würde „auf ein Menschenalter“ die durch die Verfassung gewährleistete Vereinsfreiheit und das errungene Koalitionsrecht vernichten (Dokument 1). Der preußische Staat verlegte den streikenden Bergleuten den Weg zu einer Abwanderung in das – von Waldenburg aus gesehen – entfernungsmäßig ungleich nähere Karwiner Kohlenrevier in Österreichisch-Schlesien, woher Beschäftigungsangebote erfolgt waren, indem er ihnen die nötigen Ausreisepässe verweigerte. Deshalb wählten die Waldenburger Bergleute den ungleich weiteren Weg ins Ruhr-Kohlenrevier. Der „Dortmunder Anzeiger“ berichtete hierüber am 4. Januar 1870: „Vorgestern kamen hier drei Bergleute an, welche gewissermaßen als Agenten anzusehen sind, da sie die baldige Ankunft einer großen Anzahl Bergleute anmeldeten, um deren Unterkunft sie sich bemühen sollten“ (Dokument 2). Dieselbe Zeitung bringt am 1. Januar 1870 die Nachricht, dass sich bereits ca. 30 Waldenburger Bergarbeiter im Ruhrgebiet befinden sollen, doch: „Leider scheint aber eine Zeche die Ansichten der Waldenburger Arbeitgeber zu theilen, indem sie da als Strikende abgewiesen worden sein sollen.“ Aus Dokument 3 wird jedoch ersichtlich, dass man nicht glaube, „daß die Ansicht der Waldenburger BergwerksUnternehmer hier zu Lande Anklang finde.“ Erstaunlicherweise gründet man auf einer Sitzung des Dortmunder Gewerkvereins in Verbindung mit dem Hörder Arbeiterbildungsverein ein zwölf Personen umfassendes Hilfs-Komitee, das sich „der von Waldenburg hier eintreffenden Bergleute mit Rath und That“ annehmen soll (Dokument 3). Aus den täglich in den Zeitungen veröffentlichten Spendenlisten wird ersichtlich, dass nicht nur die Dortmunder Knappenvereine für ihre Berufsgenossen sammelten, sondern auch solidarische Spender aus Nicht-Bergbau-Städten – so Paderborn, Düsseldorf, Berlin und Hagen (Dokumente 4, 5 und 7) – aufgeführt werden. Wie stark die Menschen in Westfalen mit den Streikenden in Waldenburg mitfühlten, zeigt ein am 4. Januar 1870 in der „Westfälischen Zeitung“ veröffentlichtes Gedicht (Dokument 4b), eingesandt von einem Leser aus dem westfälischen Salzkotten, wo es heißt: „Thut Eure Hand und Herzen auf/Und handelt nach des Meisters Wort“, gemeint ist wohl der Bibelspruch: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan.“ „Rechtlos vor den Herren“ seien sie, heißt es weiter.
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Bis zum 7. Januar 1870 waren schon 210 Waldenburger Bergleute „hier“ eingetroffen (Dokument 6), die „theils in den nächsten, theils in weiter entlegenen Zechen sofort Arbeit gefunden haben.“ Am 18. Januar 1870 erschien in der Dortmunder Presse, die die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Waldenburger Streik sehr ausführlich behandelte, ein Artikel (Dokument 8), in dem berichtet wurde, dass „in den nächsten Tagen […] hier wieder eine größere Anzahl Waldenburger Bergleute ankommen“ würde, „da nach den bisherigen Anmeldungen noch über 100 Beschäftigung erhalten können, so daß also im hiesigen Revier noch über 400 Arbeit gefunden hätten“. In demselben Artikel wurde das Kommen eines gewissen Herrn Polko aus Waldenburg angekündigt, der einer der schlesischen Führer des Gewerkvereins der Bergarbeiter war. Anlässlich einer Volksversammlung in Dortmund führte er aus, „man habe den Arbeitern vorgelogen, dass sie in dem ,uncultivirten‘ Westfalen noch geringeren Lohn und eine viel schlechtere Behandlung zu erwarten hätten als in Waldenburg. (Heiterkeit unter den Zuhörern.) Er, Redner, wünschte, daß in allen deutschen Gauen solche ,uncultivirte‘ Zustände herrschten“ (Dortmunder Anzeiger, 43. Jg., Nr. 12 vom 27. Januar 1870). „Der Bergleute hat sich jetzt ein wahres Auswanderungsfieber bemächtigt“ (Dokument 9), heißt es in einem Artikel des „Dortmunder Anzeigers“ vom 20. Januar 1870, in dem weiterhin auch das schikanöse Vorgehen eines Gendarms anlässlich einer Versammlung geschildert wird. Nach acht für die Bergarbeiter in Waldenburg entbehrungsreichen Wochen brach der Streik am 24. Januar 1870 ergebnislos zusammen. Dr. Becker und mehr als zwei Dutzend seiner renommierten Parteifreunde, darunter wiederum Virchow, dankten am 10. Februar 1870 im „Dortmunder Anzeiger“ den Spendern dafür, dass bereits etwa „25.000 Thaler an Unterstützungen nach Waldenburg geflossen“ seien. Zugleich baten sie jedoch, die Sammlungen noch nicht zu beenden; denn, wenn auch die Arbeitseinstellung im Großen und Ganzen beendet sei, sei „der völlige Friede nicht sobald hergestellt“ (Dokument 11). Scharf verurteilt Becker mit seinen Kollegen das Vorgehen der Waldenburger Bergwerksbesitzer gegen die Streikführer, die doch jetzt nicht „mit Weib und Kind zu Grund gehen“ können, da man ihnen „die Wiederzulassung zur Arbeit verweigert“. Nur „nach anderen Arbeitsstellen unseres Vaterlandes“ überzusiedeln bleibe ihnen übrig. So seien bisher schon über 1.500 Bergleute ausgewandert und hätten „namentlich in Westfalen“ in den Bergwerken Arbeit gefunden (Dokument 11). Dennoch sei der Kampf kein vergeblicher gewesen; denn: „Belehrt durch die schweren Folgen, die der waldenburger Strike für beide Theile gehabt hat, werden sich Arbeitgeber wie Arbeiter vor Schritten hüten, die geeignet sind, derartige Zustände zu provoziren und mehr und mehr zu der Einsicht gelangen, daß die beiderseitigen, berechtigten Interessen gleichmäßig gefährdet sind, sobald man sie in feindlichen Gegensatz miteinander bringt“ (Dokument 11). Die Dortmunder Zeitungen beschäftigen sich noch eine Zeitlang mit den Auswirkungen und insbesondere den Verantwortlichkeiten des Streiks in Waldenburg. Namentlich wird nun nach den Schuldigen für diesen Streik gesucht. So verteidigt sich z. B. Dr. Max Hirsch gegenüber dem Abgeordneten Harkort, dessen Denkmal in Dortmund-Hombruch auf dem dortigen Marktplatz steht, er (Hirsch) habe den Arbeitern in Waldenburg nicht die Niederlegung „anempfohlen“ (Dortmunder Anzeiger vom 5. Februar 1870). Nur noch selten ist in der Folgezeit etwas von den Waldenburgern in der Dortmunder Presse zu vernehmen (vgl. Dokumente 12 und 13).
Der Bergarbeiterstreik 1869/70 in Waldenburg (Schlesien)
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Wichtig für unsere Fragestellung ist die Nachricht der „Westfälischen Zeitung“ vom 24. Februar 1870, wo es heißt, dass bis Mitte Februar 1870 490 Waldenburger in Dortmund Arbeit gefunden hätten. Im Ergebnis haben somit die Dortmunder nicht nur die Waldenburger unterstützt, sondern sich selbst den besten Dienst erwiesen: Schon lange suchte die hiesige Industrie tüchtige (Berg-)Arbeiter, die sich z. B. in der westfälischen oder Paderborner ländlichen Nachbarschaft nicht mehr anwerben ließen. Nun aber kamen gelernte Bergleute, die das Aufblühen der Wirtschaft positiv beeinflusst haben (vgl. Hellgrewe 1951: 54f.). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Waldenburger Bergleute gleichsam Vorboten der großen Ost-West-Arbeitsmigration von 1870/71 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs waren. Brepohl meint sogar feststellen zu können: „Dieses an sich nicht bedeutende Ereignis leitet den Kurswechsel in der Bevölkerungsgeschichte des Ruhrgebiets ein“ (Brepohl 1948: 96). Die Erinnerung an die Ereignisse der Jahre 1869/70 ist übrigens für die Stadt Dortmund nach dem Zweiten Weltkrieg ausschlaggebend gewesen, die Patenschaft über die Vertriebenen aus der Stadt und dem Landkreis Waldenburg zu übernehmen (im Jahre 1952). Diese Patenschaft besteht bis heute und führt bei den bis in die Gegenwart zweijährig stattfindenden Treffen in der Westfalenhalle mehrere Tausend Waldenburger nach Dortmund. Einige zusätzliche Informationen zum Waldenburger Streik finden sich in der insgesamt 13 Fortsetzungsartikel umfassenden Zeitungsserie „Die Waldenburger Bergherren und ihre Bergleute“ von Carl Toepel im „Waldenburger Heimatboten“ (25./26. Jahrgang), vom 1. November 1973 bis 15. Mai 1974 (besonders Nr. 533 vom 1. März 1974; vgl. auch Engelhardt 1977). Nur fünf Zeilen widmet Zygfryd Piatek der Abwanderung (vgl. Piatek 2007: 343). Klaus Tenfelde (1981: 236-240) ordnet die Abwanderung Waldenburger Bergleute in das Kapitel „Ostdeutsche und fremdsprachige Zuwanderer“ ein und berichtet, dass es bereits seit 1847, gezielt dann von Seiten Franz Haniels ab 1853, Bestrebungen gab, schlesische, speziell Waldenburger Bergleute anzuwerben (ebd.: 237; vgl. auch Adelmann 1960: 55f.). In den folgenden Jahrzehnten nach 1870 haben insbesondere in den 1890er Jahren Waldenburger Bergarbeiter im westfälischen Kamen und Bergkamen Arbeit in der Zeche gefunden. Ulrich Engelhardt nimmt mit keinem Wort Bezug auf die Abwanderung der streikenden Waldenburger Bergarbeiter nach Dortmund bzw. ins Ruhrgebiet. Seine grundsätzliche theoriegeleitete These lautet (Engelhardt 1977: 70): In dem von Otto Neuloh abgesteckten Bezugsrahmen von sozialer Innovation und sozialem Konflikt als dominanten Bestimmungsfaktoren sozialen Wandels lassen sich die Waldenburger Vorgänge daher als Bestandteil jener „Wirkungskette“ verstehen, in der soziale Konflikte (hier: Streiks) längerfristig soziale Innovationen (hier: Anerkennung der „Repräsentation organisierter Interessen“ durch Staat und Gesellschaft) einleiten oder beschleunigen und so letztlich sozialen Wandel mitbewirken.
Die Waldenburger Vorgänge seien ein gut fassbares Beispiel für relativ frühe und ausgeprägte industriegesellschaftliche Intergruppenkonflikte. Dies gelte „in bezug auf die ,Mechanismen‘, die das Verhalten der unmittelbar streiktragenden Gruppe entscheidend mitbestimmten“ (Engelhardt 1977: 71). Um diese „Mechanismen“ zu verifizieren, bezieht sich Engelhardt ausführlich auf den theoriegeleiteten Ansatz von Festinger (Festinger 1965).
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Literatur Adelmann, Gerhard (Hrsg.) (1960): Quellensammlung zur sozialen Betriebsverfassung. Bd. 1. Bonn. Brepohl, Wilhelm (1948): Der Aufbau des Ruhrvolkes im Zuge der Ost-West-Wanderung. Recklinghausen. Engelhardt, Ulrich (1977): Zur Verhaltensanalyse eines sozialen Konflikts, dargestellt am Waldenburger Streik von 1869. In: Neuloh, Otto (Hrsg.): Soziale Innovation und sozialer Konflikt. Göttingen, S. 69-94. Festinger, Lionel (1965): A theory of cognitive dissonance. 3rd ed. Stanford (CA). Hellgrewe, Henny (1951): Dortmund als Industrie- und Arbeiterstadt. Dortmund. Hue, Otto (1913): Die Bergarbeiter. Bd. 2. Stuttgart. Kleßmann, Christoph (1974): Der „Wiarus Polski“ – Zentralorgan und Organisationszentrum der Polen im Ruhrgebiet 1891-1923. In: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, 69. Jg., S. 383-397. Piatek, Zygfryd (2007): Streiks und Arbeitseinstellungen im Waldenburger Bergbaurevier in der II. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Westermann, Angelika/Westermann, Ekkehard (Hrsg.): Streik im Revier. Unruhe, Protest und Ausstand vom 8. bis 20. Jahrhundert. St. Katharinen, S. 335-361. Pöttker, Horst (2009): Successful integration? Media and Polish migration in the German empire at the turn of the 20th century. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Media – Migration – Integration: European and North American perspectives. Bielefeld, S. 9-25. Pöttker, Horst/Bader, Harald (2008): Vorbild für Integration? Migration und Medien im westfälischen Industrierevier an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. In: Buberl, Brigitte (Hrsg.): Kunst, Nation und nationale Repräsentation. Dortmund, S. 111-136. Pöttker, Horst/Bader, Harald (2009): Gescheiterte Integration? Polnische Migration und Presse im Ruhrgebiet vor 1914. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Forschungsbefunde. Bielefeld, S. 15-46. Swientek, Horst-Oskar (1954): Dortmund und Waldenburg/Schlesien. In: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, 51. Jg., S. 119-126. Tenfelde, Klaus (1981): Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19. Jahrhundert. 2., durchges. Aufl. Bonn.
Der Bergarbeiterstreik 1869/70 in Waldenburg (Schlesien)
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Dokumentation 1.
Die liberalen Zeitungen fordern die Bürger von Dortmund zu einer Spendenaktion für die streikenden Waldenburger Bergleute auf
Dortmunder Anzeiger, 43. Jg., Nr. 1 (gleichzeitig erschienen in: Westfälische Zeitung) 1. Januar 1870 Aufruf! Die Unterzeichneten fühlen sich verpflichtet, hierdurch ihre Mitbürger zu reichlichen Beisteuern für die Feiernden waldenburger Bergarbeiter aufzufordern. Bekannt ist die Thatsache, daß dort seit dem 1. December dieses Jahres an 7 000 Bergleute die Arbeit niedergelegt haben. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, hier die Ursachen der Arbeitseinstellung, der größten, die wohl bisher auf deutschem Boden vorgekommen, zu erörtern und damit gewissermaßen unaufgefordert einen Schiedsspruch über die streitigen Fragen des Lohnes, der Arbeitszeit und der Behandlung der Arbeiter zu fällen. Nur das dürfen wir als notorisch hinstellen, daß zuerst von Seiten der Grubenbesitzer mit Maßregelungen gegen die Arbeiter vorgegangen ist nur aus dem Grunde, weil dieselben einen Gewerkverein gebildet, und das selbst, nachdem die Bergleute einige ihnen als anstößig bezeichnete Paragraphen des Statutes des Gewerkvereins in entgegenkommendster Weise verändert, weder die Maßregelungen rückgängig gemacht, noch die anderen Beschwerdepunkte der Arbeiter abgestellt wurden. Der Grund, aus welchem wir uns verpflichtet fühlen, selbst für die Waldenburger einzutreten und die Theilnahme aller wahrhaft liberalen Männer für dieselben in Anspruch zu nehmen, ist vielmehr lediglich der: daß nunmehr von Seiten der Grubenbesitzer ganz allgemein ein Ansinnen an die Arbeiter gestellt wird, welches die durch die Verfassung gewährleistete Vereinsfreiheit und das durch die Gewerbeordnung des Nordd. Bundes errungene Coalitionsrecht für die Waldenburger Bergleute wohl auf ein Menschenalter hinaus vernichten würde. Ehe die Grubenbesitzer nämlich auf eine Erörterung der Beschwerden der Arbeiter eingehen, ja selbst ehe sie den einzelnen feiernden Mann wieder zur Arbeit zulassen wollen, fordern sie die Unterzeichnung des folgenden Reverses von ihm: „Durch meines Namens Unterschrift verpflichte ich mich, sofort aus dem Gewerkverein der deutschen Bergarbeiter auszuscheiden, auch keinem Verein, welcher obige Ziele verfolgt, wie das nämliche Statut des Gewerkvereins kennzeichnet, für die Folge beizutreten oder Beiträge zu obiger Vereinskasse zu entrichten; ich unterwerfe mich, wenn ich dieses Versprechen nicht halten sollte, der Strafe sofortiger Entlassung aus der Werksarbeit.“
Ein Ansinnen, welches die nach Waldenburg entsendeten Ministerialräthe bekanntlich ausdrücklich in ihrer Bekanntmachung vom 12. Dec. als „völlig gerechtfertigtes“ hingestellt haben. Wir meinen nun, daß es wahrlich nicht wohlgetan, derartige Verheißungen, wie die Coalitionsfreiheit in die Gesetze zu schreiben, sie hinterher aber durch die Maßnahmen der Behörden und die Wucht der thatsächlichen Verhältnisse zu todten Buch-
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staben zu machen. Das hieße eine sociale Heuchelei etabliren, die schlimmer und aufreizender wäre als die Fortdauer des alten, unverhüllten polizeilichen Absolutismus. Und doch müßte dies die Folge sein, wenn die Bergleute jetzt solche Reverse unterschreiben würden. Vereinsfreiheit und Coalitionsrecht wären damit für den Waldenburger Bezirk aufgehoben und eine Art factischer Belagerungszustand für eine Reihe von Jahren dort proclamirt. Indem daher die Waldenburger Bergleute durch das Verweigern ihrer Unterschrift jetzt thatsächlich für Rechte und Freiheiten eintreten, welche die liberalen Parteien stets als nothwendige und heilsame gefordert haben, – indem sie sich weder durch Einschüchterungen noch durch Entbehrungen bestimmen lassen, ihre politische Freiheit preiszugeben, erweisen sie sich als Männer, welche der Unterstützung der großen liberalen Partei nicht entbehren dürfen. Für uns Alle aber gilt es, hier zu zeigen, daß auf dem deutschen Boden kein Raum für einen Klassenkampf, daß vielmehr der Arbeiter auch des Schutzes und der Theilnahme Aller gewärtig sein kann, sobald es sich wie hier nicht mehr um einen Streit um Arbeitsbedingungen im einzelnen Falle handelt, sondern seine politische und sociale Gleichberechtigung angetastet wird. Wir bitten deshalb um rasche und reichliche Gaben, welche wir in Gemeinschaft mit dem Centralrath der deutschen Gewerkvereine verwenden werden. Jeder Thaler, der uns zufließt, wird nicht nur Noth und Drangsal lindern, sondern auch eine wirksame Waffe sein, den Sinn des Theiles der sortigen Bevölkerung umzustimmen, welcher jene ungerechte Forderung gegen die Arbeiter erhoben hat. Beeilen wir uns, jenem Bezirke den socialen Frieden wiederzugeben und damit derselben dauernd für unser ganzes Vaterland zu verbürgen, als die sicherste Grundlage seiner freiheitlichen, seiner nationalen Entwicklung! – Jeder der Unterzeichneten, sowie die Expedition der „Westfälischen Zeitung“ ist zur Annahme von Beiträgen gern bereit. Berlin, den 29. Dec. 1869 Dr. Becker = Dortmund. Stadtverordneter Berlin. Stadtverordneter S. Bernhardt. Stadtverordneter Buvelle. Ed. Dobert, Gutsbesitzer. Franz Duncker. Dr. Eberty. Dr. Max Hirsch. Stadtverordneter Dr. Göschen. Stadtverordneter Grunzke. Dr. Hoppe. Stadtverordneter Hübner. Dr. Johann Jacoby. G. Kerst, Geh. Oberregierungsrath a. D. Dr. Langerhans v. d. Leeden, Hauptmann a. D. Stadtverordneter W. Leddihn. Loewe = Calbe. Stadtverordneter Ludwig Loewe. Stadtverordneter Mattern. Stadtverordneter L. May. Stadtverordneter Obst. Ludolf Parisius = Gardelegen. Stadtverordneter Romstädt. Stadtverordneter Rüthnick. Stadtrat H. Runge. Schulze = Delitzsch. Redacteur H. Steinitz. Stadtverordneter Dr. Stort. Fabrikant A. G. Willmanns. Prof. Dr. Virchow.
Der Bergarbeiterstreik 1869/70 in Waldenburg (Schlesien)
2.
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Die nach Dortmund kommenden Bergleute aus Waldenburg sollen unterstützt werden
Dortmunder Anzeiger, 43. Jg., Nr. 2 4. Januar 1870 Westfälisch-Rheinisches. Dortmund, 3. Jan. Die Vorstände der Gewerkvereine hiesigen Orts waren gestern Nachmittag zu einer Berathung über die Waldenburger Angelegenheit versammelt. Zufolge des Aufrufs der liberalen Partei von Berlin aus wurde der Beschluß gefaßt, ein Comitee zu wählen, welches die Sache über die Grenzen der Gewerkvereine hinaus als eine allgemeine zu behandeln habe. Alsbald wurden einzelne Personen in Vorschlag gebracht und wird, wenn dieselben sich zur Uebernahme bereit erklärt haben, alsbald die Constituirung und die weitere rasche Betreibung der Angelegenheit erfolgen. Im Laufe der Debatte kam auch die Frage zur Sprache, ob die hier ankommenden Waldenburger Bergleute nicht ebenfalls von den gesammelten Beiträgen zu unterstützen seien, bis sie Arbeit erhalten, da sie meist vom Nothdürftigsten entblößt hier anlangten. Die Frage wurde bejaht. Vielfach, wie bereits in der vor. Nr. d. Anz. berichtet, haben die Waldenburger hier und in der Nähe Arbeit gefunden und können einzelne Zechen noch Arbeiter gebrauchen, natürlich wenn sie für den Augenblick nicht sehr wählerisch in der Art der Beschäftigung sind. Vorgestern kamen hier drei Bergleute an, welche gewissermaßen als Agenten anzusehen sind, da sie die baldige Ankunft einer großen Anzahl Bergleute anmeldeten, um deren Unterkunft sie sich bemühen sollten. Die Leute finden hier an den Vorstandsmitgliedern der Gewerksvereine das freundlichste Entgegenkommen und von Seiten der Grubenbeamten einzelner Zechen soweit als möglich die nöthigste Hilfeleistung. Mannigfache Sammlungen haben schon stattgefunden, unter Anderem wurden vorgestern in dem Luig’schen Weinlokale die Summe von 16 Thlr. aufgebracht, welche dem Herrn Dr. Becker nach Berlin übermittelt wurden.
3.
Ein Hilfs-Komitee wird gebildet
Westfälische Zeitung, 23. Jg., Nr. 2 4. Januar 1870 Locales. Dortmund, 3. Jan. So unglaublich es klingt, so wird es uns doch mehrfach gemeldet, es sei der Vorschlag an verschiedene Grubenbesitzer gelangt, eine Coalition gegen die Annahme der aus Schlesien kommenden Bergleute, die zu Hause wegen Arbeitseinstellung brodlos geworden, zu bilden. Eine Besprechung dieser Angelegenheit soll unter gewissen einflußreichen Personen schon morgen (4. Januar) stattfinden. Wir glauben nicht, daß die Ansicht der Waldenburger Bergwerks-Unternehmer hier zu Lande Anklang finde, daß
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nämlich die Bergleute des Rechtes zur Wahrung ihrer Interessen Vereine zu bilden, durch den Lohnvertrag beraubt werden müßten. (Der vorstehenden Mittheilung sind wir in der Lage die Nachricht anzuschließen, daß in der gestrigen Sitzung des hiesigen Gewerkvereins in Verbindung mit dem Hörder Arbeiter-Bildungs-Verein ein Comitee von 12 Personen gewählt worden ist, welches zunächst die Aufgabe haben soll, der von Waldenburg hier eintreffenden Bergleute mit Rath und That sich anzunehmen. D. Red.)
4.
Die ersten Spenden …
Westfälische Zeitung, 23. Jg., Nr. 2 Dortmund, 4. Januar 1870 Für die Waldenburger Bergarbeiter ging bei uns ein: 1. Von Herrn Dr. R. Thlr. 5. -.-. 2. Durch eine Sammlung in der Neujahrsnacht „ 3.10.-. 3. Von Chr. B. „ 1. -.-. Summa, Thlr. 9.10.-. Weitere Gaben werden gern entgegengenommen und rasch befördert. Dortmund, den 3. Januar 1870 Die Expedition der „Westf. Ztg.“
5.
… werden bekanntgegeben
Westfälische Zeitung, 23. Jg., Nr. 4 Dortmund, 6. Januar 1870 a) Spenden: Für die Waldenburger Bergarbeiter gingen ferner bei uns ein: 4. Von J. J. Thlr. 1. -.-. 5. Von B. „ 1. -.-. Bestand „ 9.10.-. Summa, Thlr. 11.10.-. Weitere Gaben werden gern entgegengenommen und rasch befördert. Dortmund, den 4. Januar 1870 Die Expedition der „Westf. Ztg.“ -----------------------------------------------------------------
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b) Gedicht:
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Eingesandt.
Glück auf! (Für die Waldenburger Bergleute.) Auf! Alle, die Humanität In Wort und That gern üben, In deren Brust geschrieben steht: „Du sollst den Nächsten Lieben!“ Glück auf! und zeigt es in der That; Die Kunde eil’ von Ort zu Ort, Eh’ sich die Noth den Hütten naht, So thuet schnell nach Meisters Wort. Für die, so in der Berge Schacht, Für Arbeit geh’n für Weib und Kind, Mit kräft’ger Faust, bei Tag und Nacht Und rechtlos vor den Herren sind. Thut Eure Hand und Herzen auf Und handelt nach des Meisters Wort, Damit der Bergmannsruf: Glück auf! Auch Segen bringt am rechten Ort. Salzkotten. B. Blumenkohl.
6.
Die ersten 210 Bergleute aus Waldenburg
Westfälische Zeitung, 23. Jg., Nr. 5 Dortmund, 7. Januar 1870 Locales. Dortmund, 6. Jan. Bis heute sind 210 Waldenburger Bergleute hier eingetroffen, die, wie wir vernahmen, theils in den nächsten, theils in weiter entlegenen Zechen sofort Arbeit gefunden haben.
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258 7.
Weitere Spenden laufen ein
Westfälische Zeitung, 23. Jg., Nr. 6 Dortmund, 8. Januar 1870 Für die Waldenburger Bergarbeiter sind mir zugegangen: 1. Von M. D. in Dortmund 5 Thlr. 5 Sgr. 2. „ A. P. in Dortmund 16 „ - „ 3. „ Kr. in Paderborn 5„ - „ 4. „ Gebr. Sch. in Düsseldorf 10 „ - „ 5. „ einem Dortmunder in Berlin - „ 5„ 6. „ W. F. in Hagen 25 „ - „ 7. „ Steiger B., PostStempel Aplerbeck 2„ - „ Von diesen Beträgen habe ich 61 Thlr. 10 Sgr. an Herrn Dr. Hirsch und die übrigen 2 Thlr. an Herrn Buchhändler Duncker abgeliefert. Nachdem Letzterer die Geschäfte eines Schatzmeisters für die Waldenburger übernommen, bitte ich zur Beschleunigung des Geschäftsganges, die Gaben an ihn (Franz Duncker, Berlin, Potzdamerstr. 20) zu schicken. Indessen bleibe auch ich bereit, die unter meiner Adresse einlaufenden Unterstützungen so rasch, wie möglich, dem Herrn Duncker zuzustellen. Berlin, den 5. Januar 1870 Dr. H. Becker
8.
Schon 400 Bergleute aus Waldenburg
Dortmunder Anzeiger, 43. Jg., Nr. 8 18. Januar 1870 Westfälisch-Rheinisches. Dortmund, 16. Jan. In den nächsten Tagen werden hier wieder eine größere Anzahl Waldenburger Bergleute ankommen, da nach den bisherigen Anmeldungen noch über 100 Beschäftigung erhalten können, so daß also im hiesigen Revier noch über 400 Arbeit gefunden hätten. Von Seiten des Comitee’s sind bei der ersten Abgabe gegen 70 Thlr. eingebracht. In der diesen Abend stattgehabten General-Versammlung des „Kleinen Raths“ kam die Sache bei einem Maulkorbvortrage ebenfalls zur Sprache und die dadurch veranlaßte Sammlung ergab beinahe 12 Thlr. Ueberhaupt steigern sich die Sympathien, je mehr von Seiten der Arbeitgeber, und die in ihrem Sinne agitieren, eine Entstellung versucht und ein massenhaftes Nachgeben der Arbeiter als thatsächlich hingestellt wird, was aber, wenn auch viele Fälle stattfinden mögen, im großen Ganzen wieder in Abrede ge-
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stellt wird. Wir hören, daß im Laufe dieser Woche zu diesem Behufe in einer Volksversammlung hier ein Herr Polko aus Waldenburg Aufschluß über diese Angelegenheit geben wird.
9.
Auswanderungsfieber in Waldenburg
Dortmunder Anzeiger, 43. Jg., Nr. 9 20. Januar 1870 Tagesereignisse, Waldenburg, im Jan. In welcher Weise das Versammlungsrecht in der hiesigen Gegend gehandhabt wird, ist kaum glaublich. In einer Versammlung wurde von früheren Wahlen gesprochen, worauf der Gensdarm sofort den Redner unterbrach und erklärte, er sei beauftragt, von Politik nicht reden zu lassen. Ein Redner erlaubte sich das Wort „Sclaverei“, sogleich verbesserte ihn der Gensdarm: „In unserem Staate gibt es keine Sclaverei“. – In einer Versammlung zu Gottesberg, die nach Eröffnung sofort aufgelöst wurde, erklärte der Bürgermeister einem Bergbauer, der nicht ortsangehörig ist, er würde überhaupt aus diesem Grunde nicht sprechen dürfen. Der Bergleute hat sich jetzt ein wahres Auswanderungsfieber bemächtigt. Die Schulzen haben bis jetzt (man höre!) die Pässe verweigert. Die meisten Auswanderer wenden sich nach Westfalen, wo noch Viele Beschäftigung finden können, da Arbeiter dort sehr gesucht sind. Nach östreich. Schlesien sollten heute 150 Mann abgehen, dieselben werden von dem neuen Arbeitgeber frei nach ihrem Bestimmungsorte befördert; die Abreise wurde aber durch ungesetzliche Verweigerung der Atteste zu Auslandspässen von Seiten der Behörden verhindert. (V. Z.)
10. Schwierigkeiten bei der Einstellung Dortmunder Anzeiger, 43. Jg., Nr. 13 29. Januar 1870 Westfälisch-Rheinisches. Dortmund, 28. Jan. Es geht uns die Mittheilung zu, daß auf der „Zeche Vereinigter Bonifacius“ bei Gelsenkirchen keine Waldenburger Bergleute angelegt werden, obwohl dieselbe Zeche wiederholt Hauer und Schlepper in den Zeitungen sucht. Eine von den wenigen unrühmlichen Ausnahmen!
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11. Über 1.500 Bergleute verließen Waldenburg Dortmunder Anzeiger, 43. Jg., Nr. 18 10. Februar 1870 Dank und Bitte. Theils in Folge unserer Aufforderung vom 29. Dezember v. Js., vorzugsweise aber durch die unermüdete Opferwilligkeit der Arbeiter in ganz Deutschland, sind an Beiträgen für die waldenburger Bergknappen bereits circa 25,000 Thaler an Unterstützungen nach Waldenburg geflossen. Indem wir allen Gebern herzlichen Dank sagen, bitten wir, die an vielen Orten erst eingeleiteten oder noch im Gang befindliche Sammlungen noch nicht zu schließen. Denn ist auch die Arbeitseinstellung im Großen und Ganzen in Waldenburg beendet, so bewirken doch die Maßnahmen der dortigen Arbeiter, daß der völlige Friede nicht sobald hergestellt wird. Die Forderung der Entsagung der Arbeiter auf das freie Vereinsrecht durch Unterschrift des Reverses wird von ihnen aufrecht erhalten und damit auch die Veranlassung zum Eintreten der Unterzeichneten in dieser ganzen Angelegenheit. Ja, nicht zufrieden damit, von den Arbeitern die Unterschrift des Reverses erlangt zu haben, verweigern die Grubenbesitzer noch jetzt den bei der Bewegung vorzugsweise betheiligten Arbeitern die Wiederzulassung zur Arbeit. Sollen diese Männer, welche in uneigennütziger Hingebung nur die Beschlüsse ihrer Kameraden ausgeführt, deren Interessen und Rechte verfochten haben, jetzt mit Weib und Kind zu Grunde gehen? In der That bleibt zu ihrer Rettung nichts weiter übrig, als daß sie sobald, als irgend thunlich, nach anderen Arbeitsstellen unseres Vaterlandes übersiedelt werden, wo humane und umsichtige Arbeitgeber ihre Bereitwilligkeit bewiesen haben, die Gemaßregelten zu beschäftigen. Nun haben aber bisher schon über 1 500 Bergleute die Auswanderung dem Aufgeben ihres verfassungsmäßigen Rechtes vorgezogen und zum größten Theile in anderen Bergwerken, namentlich in Westfalen, Arbeit ohne solche entwürdigende Bedingungen gefunden. Nicht wenige von ihnen haben Familien in Waldenburg zurückgelassen, denen sie nach so langer Arbeitspause nicht im Augenblick genügende Existenzmittel zugehen lassen können. Wenn zu alledem, was hiernach noch erforderlich ist, um die beklagenswerthe Angelegenheit vollständig zur Abwicklung zu bringen und erträgliche Zustände in Zukunft für die Bergarbeiter in Waldenburg anzubahnen, diese selbst und ihre Genossen das Meiste werden beitragen müssen, wie sie dies ja weitaus auch bisher gethan haben: so erfordert doch die augenblickliche Lage eine Beihilfe, welche man Männern nicht versagen wird, die wie die Waldenburger Bergknappen, ihr Alles in einem schweren Kampfe um das Recht und die Zukunft der arbeitenden Klasse eingesetzt haben, ohne sich jemals durch Leiden und Noth jeder Art von ihrer streng gesetzlichen Haltung abbringen zu lassen! Wir wenden uns deshalb nochmals an Alle, die ein Herz für die Sache haben und ersuchen sie, ihr Scherflein zur Heilung der Wunden des Waldenburger Kumpels beizutragen. Wir thun dies mit dem Bewußtsein, daß der Kampf kein vergeblicher war. Schon jetzt haben die in Waldenburg gemachten Erfahrungen bewirkt, daß in den ande-
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ren großen Bergbaudistrikten unseres Vaterlandes die Zumuthungen einflußreicher Männer an die dortigen Grubenbesitzer ebenso gegen ihre Arbeiter zu verfahren, wie in Waldenburg, und die von dort ausgewanderten Arbeiter nicht zu beschäftigen, zurückgewiesen sind. Noch mehr hoffen wir für die Zukunft. Belehrt durch die schweren Folgen, die der waldenburger Strike für beide Theile gehabt hat, werden sich Arbeitgeber wie Arbeiter vor Schritten hüten, die geeignet sind, derartige Zustände zu provoziren und mehr und mehr zu der Einsicht gelangen, daß die beiderseitigen, berechtigten Interessen gleichmäßig gefährdet sind, sobald man sie in feindlichen Gegensatz miteinander bringt. Bei den Arbeitgebern insbesondere wird endlich überall die Ueberzeugung durchdringen, daß die Stellung, deren sie bei Leitung großer Etablissements zum Gedeihen des Ganzen nicht entbehren können, am sichersten und dauerndsten dadurch befestigt wird, daß sie die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte in ihren Arbeitern ehren, und, wie sie selbst sich dieser Rechte zur Wahrung ihrer Interessen bedienen, auch die freie Ausübung derselben ihren Arbeitern zu gleichem Behufe niemals verkümmern. Denn fügt man zu dem ohnehin oft harten Zusammenstoß dieser Interessen in materiellen Fragen noch die gehässige Herabdrückung einer zahlreichen Volksklasse in ihrem Rechtsstande, so geschieht es nur zu leicht, daß eine bis dahin rein wirtschaftliche Differenz die unberechenbaren Dimensionen eines Klassenkampfes annimmt, wie wir Alle in unserem Vaterlande, ja der gesamten europäischen Civilisation erspart wissen möchten. Berlin, den 7. Februar 1870 Dr. Becker = Dortmund. Stadtverordn. Berlin. Stadtverordn. G. Bernhardt. Stadtverordn. Buwelle. E. Dobert, Gutsbesitzer. Franz Duncker. Dr. Eberty. Dr. Max Hirsch. Stadtverordn. Dr. Göschen. Stadtverordn. Grunzke. Dr. Hoppe. Stadtverordn. Hübner. G. Kerst. Geh. Ober-Regierungsrath a. D. Dr. Langerhans. Stadtverordn. W. Leddihn. Löwe-Calbe. Stadtverordn. Ludwig Löwe. Stadtverordn. Mattern. Stadtverordn. May. Stadtverordn. Obst. Ludolf Parisius-Gardelegen. Stadtverordn. Romstädt. Stadtverordn. Rüthnick. Stadtrath H. Runge. Schulze-Delitzsch. Redakteur Heinr. Steinitz. Stadtverordn. Dr. Tappert. Fabrikant A. G. Willmanns. Prof. Dr. Virchow.
12. Waldenburger werden nicht abgewiesen! Dortmunder Anzeiger, 43. Jg., Nr. 33 17. März 1870 Westfälisch-Rheinisches. Dortmund, 16. März Von dem Repräsentanten der Steinkohlenzeche „ver. Bonifacius“ bei Gelsenkirchen, Herrn M. Simons, geht uns heute nachstehende Berichtigung zu: „Von befreundeter Seite wird mir vor einigen Tagen erst die Nr. 25 der Rheinischen Zeitung vom 29. Januar d. J. zugesandt. Es befindet sich in besagter Nummer eine Ihrem Blatte entnommene Notiz, d. d. 28. Januar, der zufolge auf der durch mich
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vertretenen Zeche „Vereinigte Bonifacius“ bei Gelsenkirchen keine Waldenburger Bergleute angelegt worden sein sollen, obwohl wir wiederholt Hauer und Schlepper gesucht hätten. Zweck dieser Zeilen ist nun, Ihnen zu erklären, daß die Ihnen zugegangene Mittheilung auf Unwahrheit beruht. Auf Bonifacius arbeiten heute 20 Waldenburger Bergleute und zu keiner Zeit ist von uns auch nur ein einziger Waldenburger, der sich um Beschäftigung an die Gruben-Verwaltung gewandt hat, abgewiesen worden.“
13. Der erste Waldenburger verunglückte tödlich Dortmunder Anzeiger, 43. Jg., Nr. 142 1. Dezember 1870 Brakel, 25. Nov. Vorgestern stürzte auf der benachbarten Zeche „Schleswig und Holstein“ der noch im sehr jugendlichen Alter stehende Arbeiter Brauckmann in den Bremsschacht und blieb sofort todt. – Am folgenden Tage erhielt auf eben derselben Zeche ein Waldenburger Arbeiter beim Herausspringen aus dem Förderkorbe so erhebliche Quetschungen, daß der Tod des Unglücklichen nach einigen qualvollen Stunden eintrat. Beide Unglücksfälle sind der eigenen Unvorsichtigkeit der Betreffenden zuzuschreiben.
Migrantinnen im deutschen Journalismus – ein weißer Fleck Forschungsüberblick und Perspektiven Bärbel Röben
Pöttkers Rezept und das seiner Forscherkollegen […] ist eingängig: Nicht nur über Integration schreiben, sondern durch das Schreiben integrieren. Wir brauchen mehr Journalisten mit Migrationshintergrund! (Westfälische Rundschau vom 11.2.2008)
Sicherlich haben Journalistikprofessor Horst Pöttker bzw. der Autor des Zeitungsartikels die Journalistinnen mit Migrationshintergrund mitgemeint. Aber reicht das? Eine differenziertere Betrachtung von Männern und Frauen mit Migrationshintergrund im deutschen Journalismus lohnt sich meines Erachtens sowohl aus gesellschaftspolitischen Gründen als auch aus wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse.
1.
Politische Perspektive: gleiche Teilhabe
In Deutschland gibt es mittlerweile ein Zuwanderungs- und ein Gleichbehandlungsgesetz.1 Aber die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Migrantinnen und Migranten ist trotzdem nur unzureichend umgesetzt, geht man davon aus, dass der Erhalt kultureller Identität laut UNO als Menschenrecht gilt. Die Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, allen Menschen allgemeine Repräsentationsrechte zuzugestehen (vgl. Rommelspacher 2001: 175), d. h. die verschiedenen Bevölkerungsgruppen eines Staates müssen in den wichtigsten Institutionen, also auch den Medien, entsprechend ihres demografischen Anteils vertreten sein (vgl. die Beispiele UNESCO in Grünefeld 1989: 16; IG-Medien-Migranten-Seminar in Göttsche 1995: 62; USA in Geißler/Pöttker 2005: 392 und Pöttker 2007). Im Nationalen Integrationsplan (NIP), der im Juli 2007 verabschiedet wurde, verpflichten sich die „öffentlich-rechtlichen und die privaten Fernsehanbieter sowie die Filmwirtschaft […], bei ihrer Besetzungspolitik für Filme und Serien“ darauf hinzuwirken, „einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung unter Einbeziehung von Migrantinnen und Migranten zu berücksichtigen“ (NIP 2007: 5) und auch für das nicht-fiktionale Programm eine gezielte Personalpolitik und -entwicklung zur Förderung von Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund zu betreiben (vgl. NIP 2007: 4).
1
Erst nach langen politischen Kontroversen wurden die beiden Gesetze verabschiedet: das Zuwanderungsgesetz 2005 und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz 2006.
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Trotz dieser Postulate2 und einiger Initiativen im vergangenen Jahrzehnt3 werden Zugewanderte in den deutschen Mainstream-Medien weiterhin marginalisiert. Migrantinnen und Migranten sind in den Redaktionen im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Wohnbevölkerung immer noch unterrepräsentiert. In der Bundesrepublik leben inzwischen 15,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund – das sind 18,4 Prozent der Bevölkerung.4 Einzelstudien zu Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund, die zumeist nur das Kriterium Staatsangehörigkeit zugrunde legen, gehen von drei Prozent des Medienpersonals aus (vgl. z. B. Wiebus 2000: 15; MMB 2005), wovon nur etwa ein Viertel Frauen sind (vgl. das Beispiel Frankfurt am Main in Röben 2008). Empirisch gesicherte repräsentative Daten5 zum Anteil von Zugewanderten am Medienpersonal gibt es bisher nicht. Diese Daten sind aber notwendig, um festzustellen, ob sich die Teilhabechancen verbessert haben, und um medienpolitisch handeln zu können.6
2.
Wissenschaftliche Erklärung: Ethnisierung über Geschlechterverhältnisse
Die deutsche Gesellschaft setzt sich aus Menschen unterschiedlicher Identitäten zusammen, wie Frauen mit Migrationshintergrund ohne Kopftuch, Männern aus der Mittelschicht mit Bart oder Jugendlichen aus „bildungsfernen Schichten“ mit Kappe. Die als naturgegeben erscheinenden Unterschiede sind gesellschaftlich determinierte Zuschreibungen und in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und Hierarchisierungsfunktion abhängig von den Interessen der „Deutungsmächtigen“, die sich wiederum auf unterschiedlich verteilte ökonomische, politische und kulturelle Ressourcen stützen. Im Widerspruch zu diesen real existierenden Ungleichheiten steht der Anspruch auf gleiche Teilhabechancen aller in demokratischen Gesellschaften. Für die Medien, die diesem Postulat folgend Öffentlichkeit für alle sozialen Gruppen herstellen sollen und zentraler Ort der diskursiven Selbstverständigung der Gesellschaft sind, bedeutet das, auf allen Ebenen die facettenreichen Identitäten als gleichwertig 2
3 4
5
6
Im ersten Fortschrittsbericht zum Nationalen Integrationsplan vom Oktober 2008 sieht die Arbeitsgruppe Medien einen Bedarf zu „weiteren Anstrengungen“ (NIP 2008: 76). Lediglich das ZDF ermittelte in einer repräsentativen Stichprobe konkrete Zahlen. Danach betrug der „Anteil ausländischer Mitarbeiter des ZDF rund 2,3%. Mitarbeiter mit Migrationshintergrund erreichten einen Wert von rund 18%.“ (NIP 2008: 84) Beispiele dafür sind die Förderung von Migrantinnen durch ein Grimme-Volontariat 1996 bis 1998 und die WDR-Integrationsoffensive ab 2004 (vgl. Röben 2004). Stand 2006. Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen der Definition des Statistischen Bundesamts zufolge die „seit 1950 nach Deutschland zugewanderten Personen und deren Nachkommen. Für ihre Bestimmung werden Angaben zum Zuzug nach Deutschland, zur Staatsangehörigkeit und zur Einbürgerung verwendet. Im Jahr 2005 war das Mikrozensus-Frageprogramm umfangreicher, so dass weitere 320.000 Menschen als Deutsche mit Migrationshintergrund identifiziert werden konnten, die sich 2006 nicht von Deutschen ohne Migrationshintergrund unterscheiden lassen. Inwieweit sich diese Personengruppe im Zeitablauf ebenfalls verändert hat, wird sich erst wieder aus den Daten des Mikrozensus 2009 ergeben; dann wird das umfangreichere Frageprogramm wiederholt.“ (vgl. http://www.presseportal.de/pm/32102/1151818/ statistisches_bundesamt) In der umfangreichsten repräsentativen Journalistenbefragung in Deutschland, die 2005 zum zweiten Mal durchgeführt wurde (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006), ist auch nur von „deutschen Journalisten“ die Rede. Projektmanagerin Maja Malik erklärte am 11. Juli 2005 auf Anfrage: „Migranten hätten wir repräsentativ nicht haben können. Der Rechercheaufwand wäre zu hoch.“ Ein Versuch, Ende 2008 erstmals repräsentative Daten zum Migrantenanteil in deutschen Zeitungsredaktionen zu erheben, endete mit einer „informierten Schätzung“ (Geißler/Enders/Reuter 2009: 91). Das zeigen z. B. die Erfahrungen der Gleichstellungspolitik für Minderheiten in den USA (vgl. Geißler/ Pöttker 2006: 26) und für Frauen in Deutschland (vgl. Klaus 2005: 152f.).
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zu repräsentieren. Denn nur durch diese Anerkennung von Verschiedenheiten könne Gleichwertigkeit hergestellt werden – darin sind sich auch Geschlechter- und Migrationsforschung einig. Die Wandlung Deutschlands zur ausdifferenzierten multiethnischen Gesellschaft sei ohne die Kategorien Ethnie und Geschlecht sozialwissenschaftlich kaum zu analysieren, konstatieren die Genderforscherinnen Iris Bednarz-Braun und Ulrike Heß-Meining. Am Deutschen Jugendinstitut München hatten die beiden von 2000 bis 2003 in einem Projekt „die Entstehung, Strukturierung und Ausgestaltung von Geschlechterverhältnissen unter den Bedingungen von Migration aus einer integrierten Perspektive von Migrationsforschung einerseits und Frauen- und Geschlechterforschung andererseits“ untersucht. Sie stellten fest, dass „zentrale Lebensbereiche wie Geschlechterverhältnisse neu strukturiert“ würden (vgl. Bednarz-Braun/Heß-Meining 2004: 13). In den wenigen Studien zum Einfluss von Migration auf Geschlechterrollen gebe es Hinweise zu einer „egalitären Wandlung“ durch die Berufstätigkeit der Frauen. Da die „soziale Hervorbringung von Geschlechterund Ethnieverhältnissen“ simultan verlaufe, sollten sie auch zusammen analysiert werden (ebd.: 245-248). Die gesellschaftlich konstruierten Zuschreibungen Ethnie und Geschlecht stehen je nach sozialem und politisch-historischem Machtgefüge in einem spezifischen Verhältnis zueinander. Sie können unterschiedlich gewichtet und ausgeprägt sein und diskriminierend wirken – als Rassismus und Sexismus (vgl. Röben 1998: 431-433). Das verdeutlicht die niederländische Sozialwissenschaftlerin Anja Meulenbelt am Beispiel der Sklaverei in den USA: Schwarze Frauen waren ebenso wie schwarze Männer Eigentum der weißen Männer und in einem gewissen Maße auch der weißen Frauen […] Schwarze Männer mußten machtlos zusehen, wie schwarze Frauen von weißen Männern mißbraucht wurden. (Meulenbelt 1993: 207f.)
Aufgrund der gemeinsamen Unterdrückungserfahrung bestünden zwischen schwarzen Frauen und schwarzen Männern im Prinzip gleichberechtigtere Beziehungen als zwischen weißen Frauen und Männern, so Meulenbelt (vgl. Meulenbelt 1993: 208). Wie das Beziehungsgeflecht zwischen Ethnie und Geschlecht in der modernen Einwanderungsgesellschaft diskriminierend wirken kann, erklärt die Sozialpädagogin Christine Huth-Hildebrandt, die dem bisher ausgeblendeten Frauenbild in der Migrationsforschung in einer umfangreichen Literaturarbeit (von wissenschaftlichen bis zu Medientexten) nachspürte. „Die Konstruktion des Geschlechterverhältnisses“ sei „für die Beschreibung des Anders-Seins der Migrantinnen und Migranten in diesem Ethnisierungsprozess konstitutiv“ (Huth-Hildebrandt 2002: 15). Sie belegt das u. a. am Beispiel eines „Spiegel“-Artikels von 1990. Unter dem Titel „Knüppel im Kreuz – Kind im Bauch“ berichtete das Magazin stereotyp über patriarchale Gewalt in türkischen Familien (vgl. ebd.: 167) und konstruierte so ein „befremdliches“ Bild von der „anderen Kultur“. Ethnisierung bedeutet also die Inszenierung von Fremdheit, die „genutzt wurde und noch immer genutzt wird, um das hierarchische Verhältnis von Mehrheitsgesellschaft zu den Minderheiten erklären und festschreiben zu können“ (ebd.: 20). Im bundesrepublikanischen Integrationsdiskurs, der in den 1980er Jahren einsetzte, seien Migrantinnen als Folie genutzt worden, „um Fremdheit zu setzen“, indem sie als „kulturell rückständig“ dargestellt wurden (vgl. ebd.: 197).
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Diesen Mechanismus findet die Soziologin Stanislawa Paulus durch ihre Untersuchung von muslimischen Frauen in Fernsehdokumentationen öffentlich-rechtlicher Sender aus den Jahren 2000 bis 2006 bestätigt. Das „Motiv der Kopftuch tragenden Muslima“ fungiere „als Sinnbild eines Modernitätsdefizits und einer damit verbundenen unüberbrückbaren Differenz zur Mehrheitsgesellschaft“. Mit diesem Bild würden Themen der religiösen und kulturellen Differenz, patriarchale Geschlechterverhältnisse, Unterdrückung und Gewalt implizit wie explizit aufgerufen und miteinander verschränkt. Dem Thema des Geschlechterverhältnisses komme hierbei „die zentrale Funktion eines Gradmessers für Integriertheit und Modernität von Muslimen zu“ (Paulus 2007; vgl. auch Paulus 2008). Die Selbstverständigung unserer Gesellschaft über Integration verläuft zunehmend über die Medien. Deshalb ist es wichtig, die hierarchisierenden Konstruktionsmechanismen bei der medialen Inszenierung von „Fremdheit“, d. h. die Ethnisierung über Geschlechterverhältnisse, zu analysieren.
3.
Das Forschungsdreieck: Medien – Geschlecht – Migration
Das Untersuchungsfeld Medien – Geschlecht – Migration wurde in Deutschland erst um die Jahrtausendwende, zumeist im Zusammenhang mit Integration, intensiver thematisiert. Bei der Erforschung des Kommunikationsprozesses dominierten Inhaltsanalysen der Medienbilder – sowohl von Männern und Frauen als auch von Zugewanderten und Einheimischen – sowie Studien zu ihrem Rezeptionsverhalten. Die Produktionsebene fand in Untersuchungen über Medien und Geschlecht, aber auch in Studien zu Migranten und Medien, am wenigsten Beachtung. Noch geringer ist die Zahl der Forschungsarbeiten zur Medienproduktion, die gleichzeitig Ethnie und Geschlecht thematisieren – also Journalistinnen mit Migrationshintergrund. Belegt wird das in einer Bibliographie zum Forschungsstand in dem Band „Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland“, den der Siegener Soziologe Rainer Geißler 2005 zusammen mit Horst Pöttker vorlegte. Von 1048 aufgeführten Titeln thematisieren 99 die „Produktionsbeteiligung von Minderheitenangehörigen“ – nur sieben von diesen 99 beziehen sich gleichzeitig auf „Frauen/Mädchen“. In drei dieser Publikationen geht es um ein europäisches Modellprojekt zur interkulturellen Öffnung von Rundfunkanstalten, das in Deutschland 20 Migrantinnen ermöglichte, ein Volontariat in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (kurz: „Grimme-Volontariat“) zu absolvieren.7 Warum gibt es so wenige Studien zu Migrantinnen im deutschen Journalismus? Ein Blick in die drei das Forschungsdreieck berührenden Wissenschaftsbereiche Geschlechter-, Migrations- und Kommunikatorforschung gibt Anhaltspunkte für die Hintergründe und eröffnet neue Forschungsperspektiven.
7
Folgende Titel sind aufgeführt: Gries 1998, Jungk 1999, Linke 1997, Mesghena 1996, Niemann 2000, Welzel 1981, Zwick 1996. Ich möchte ergänzend noch auf weitere wissenschaftliche Arbeiten hinweisen: die Magisterarbeit von Giti Hatef zu dem Ausbildungsprojekt „Mehr Farbe in die Medien“ (vgl. Hatef 1998), die Diplomarbeit von Mercedes Pascual Iglesias zu „Migranten-Journalisten in Deutschland“ (vgl. Pascual Iglesias 2005) und die Magisterarbeit „Diversity in der Redaktion“, in der Katharina Fritsche Geschlecht und Ethnie thematisiert (vgl. Fritsche 2009). Außerdem sind inzwischen die Ergebnisse meiner Befragung zu Migrantinnen in Frankfurter Medien veröffentlicht (vgl. Röben 2008).
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Medien und Geschlecht In Deutschland konnte sich die kommunikationswissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung nach den ersten systematischen Untersuchungen des medienvermittelten Frauenbildes 1975 (vgl. Küchenhoff 1975) und über Frauen als Journalistinnen 1984 (vgl. Neverla/Kanzleiter 1984) erst in den 1990er Jahren als eigenständiges Forschungsfeld etablieren. Die journalistikwissenschaftliche Geschlechterforschung erlebte einen neuen Aufschwung mit der Entwicklung vom Gleichheits- zum Differenz- und Dekonstruktionsansatz. Der in Großbritannien entwickelte Ansatz der Feminist Cultural Studies (zwischen Differenz- und Dekonstruktionsansatz) ermöglichte mit der Betonung und Erweiterung des Kulturbegriffs die Analyse von Geschlechteridentität als kulturellem Konstrukt im gesellschaftlichen Kontext (vgl. Lünenborg 2002: 525f.). Den Stand der feministischen Medienforschung bringt die Kommunikationswissenschaftlerin Susanne Keil auf den Punkt: In ihren Forschungen haben sich die Vertreter/-innen der feminist cultural studies bisher eher auf die Rezeption von Medieninhalten und die Möglichkeiten von Frauen konzentriert, den dominanten Bedeutungszuweisungen bei der Entschlüsselung von Medienbotschaften eine widerständige Sinnproduktion entgegenzusetzen. Es gab zahlreiche Untersuchungen dazu, wie Frauen mit traditionellen Rollenbildern in soap operas umgehen. Der Frage, wie Frauen auf die Verschlüsselung von Medienbotschaften Einfluss nehmen können und wie ihre kulturellen Praxen und Bedeutungszuweisungen bereits für die während der Produktion von Medieninhalten stattfindenden Aushandlungsprozesse gestärkt werden können, wurde bisher wenig Beachtung geschenkt. (Keil 2002: 91)
Den zur Zeit umfassendsten Überblick über den Forschungsstand gibt Elisabeth Klaus in ihrem Standardwerk „Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung“ (vgl. Klaus 2005)8, das 1998 erstmals erschien und nun in zweiter, aktualisierter Auflage vorliegt. In der Einleitung beschreibt Klaus, wie Gleichheits-, Differenz- und Dekonstruktivismusansatz „in ihren parallelen Forschungsbemühungen produktiv sind“ (ebd.: 16) und perspektivenerweiternd etwa für die Erklärung der „Platzierung“ von Journalistinnen in den Redaktionen herangezogen werden können: So ermöglicht der Gleichheitsansatz, der normativ von der Gleichberechtigung beider Geschlechter ausgeht, Diskriminierungen zu erfassen – wie traditionelle männliche Arbeits- und Lebensmodelle Berufsrolle und -anforderungen prägen und damit Frauen benachteiligen. Mit dem Differenzansatz lässt sich ermitteln, wie der männliche Kommunikationsstil dominiert und der weibliche bestenfalls als wünschenswerte Zusatzqualifikation betrachtet wird. Der dekonstruktivistische Ansatz schließlich deckt auf, wie in Medienbetrieben der Geschlechterdualismus in Handlungen und Äußerungen ständig reproduziert wird („doing gender“), was wiederum zu unvereinbaren Verhaltensanforderungen an Journalistinnen und zur Minderbewertung ihrer Leistungen führt (vgl. Klaus 2005: 16). Eine der wenigen gendersensiblen Kommunikatorstudien in den 90er Jahren hat Margreth Lünenborg mit „Journalistinnen in Europa“ vorgelegt (vgl. Lünenborg 1997). 2000 erschienen eine Untersuchung von Susanne Keil über Frauen in Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland (vgl. Keil 2000) und eine Journalistinnenbefragung zu kollektivem Frauenhandeln (vgl. Schulz 2000). Johanna Schwenk veröf8
vgl. auch die von Elisabeth Klaus ständig aktualisierte Literaturübersicht zu kommunikationswissenschaftlicher Geschlechterforschung unter http://www.uni-salzburg.at/pls/portal/docs/1/545470.PDF
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fentlichte 2006 aktuelle Befunde zur Berufssituation von Frauen im deutschen Journalismus: Die typische weibliche Journalistin ist ledig und kinderlos, verfügt noch häufiger als ihr männlicher Kollege über ein abgeschlossenes Studium und ist mit 38 Jahren etwas jünger als ihr Kollege. Sie arbeitet freiberuflich im Journalismus und ist seit 12 Jahren im Beruf. Mit großer Wahrscheinlichkeit arbeitet sie im Ressort Lokales/Regionales, Politik, Soziales/Familie und/oder Ratgeber. Sie verdient zwischen 3001 und 3500 Euro brutto. (Schwenk 2006: 273)
Neuste Zahlen zum Frauenanteil im deutschen Journalismus lieferte das Forscherteam um den Hamburger Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg in seiner zweiten repräsentativen Befragung 2005. Danach sind 37,3 Prozent des Medienpersonals weiblich (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 350).
Medien und Migration „Der Bereich Medien und Einwanderungsgesellschaft entwickelt sich langsam zu einem eigenständigen Forschungsfeld“, konstatierte der Erfurter Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez 2004 (Hafez 2004: 69). Ein Jahr später legten Horst Pöttker und Rainer Geißler einen ersten Forschungsüberblick zum Thema vor (Geißler/Pöttker 2005, 2006). Am Anfang der Forschung zu Medien und Migration stand eine Inhaltsanalyse von Jesus Manuel Delgado mit dem Titel „Die ‚Gastarbeiter‘ in der Presse“ (vgl. Delgado 1972). Erst nach einer Studie zum Bild von Migranten in den Medien, die Klaus Merten u. a. 1986 im Auftrag der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung erstellten, habe ein kontinuierlicher Forschungsfluss eingesetzt, heißt es in einem Forschungsüberblick zum Thema „Medien und Rassismus“ für die Jahre 1995 bis 2000, den das European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) in Auftrag gegeben hatte (vgl. ter Wal 2002: 125f.). Inhaltsanalysen dominierten in den EU-Mitgliedsstaaten. In Deutschland seien aber auch viele Rezeptionsstudien entstanden, etwa zur Wirkung von Anti-Rassismus-Kampagnen (vgl. ter Wal 2002: 32-36). Das EUMC empfiehlt mehr Kommunikatorforschung: Research should not just denounce negative media contents, but should focus more on factors in production (including access and participation of ethnic minorities, journalists’ training and professional codes/ organisation) (ter Wal 2002: 78).
Im Zusammenhang mit der wachsenden „Fremdenfeindlichkeit“ Anfang der 1990er Jahre wurde viel über die vermittelten Medienbilder und ihre Wirkung bei den Rezipienten geforscht. Damals ging es vor allem um die Verantwortung von Journalisten und Journalistinnen für eine nicht-diskriminierende Berichterstattung, die durch Richtlinien hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung und Auswahl realisiert werden sollte (vgl. die DISS-Studien, z. B. Jäger et al. 1998). Horst Pöttker kritisiert auf Medieninhalte bezogene Diskriminierungsverbote und plädiert für die Lösung medienethischer Fragen auf struktureller Ebene durch „Diversifikation des Redaktionspersonals“, um den „moralisch notwendigen Minderheitenschutz ohne problematische Einschränkung der professionell notwendigen Äußerungsfreiheit“ anzustreben (Pöttker 2002: 276; vgl. auch Pöttker 2009).
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Fragen der Integration, „Parallelgesellschaften“ oder Migranten als Publikum dominieren jüngste Forschungen, wobei die Beziehung zwischen Identitätsbildung, Medieninhalten und Mediennutzung eine besondere Rolle spielt (vgl. Bonfadelli/Moser 2007). Auch der Zürcher Publizistikwissenschaftler Heinz Bonfadelli beklagt wie viele andere die Negativdarstellung von ethnischen Minderheiten und meint: „Nicht zuletzt hat das auch damit zu tun, dass in den Mehrheitsmedien nur vereinzelt Journalisten mit Migrationshintergrund arbeiten.“ (Bonfadelli/Moser 2007: 12) Trotzdem wird die Person des Kommunikators als „‚Sinn-Übersetzer‘ zwischen den Kulturen“ (Hafez 2001: 692) und damit verbunden ein für eine Einwanderungsgesellschaft adäquates interkulturelles Personalprofil bisher kaum thematisiert: „Völlig unerforscht ist auch die ‚ethnic diversity‘ […] in der Medienproduktion.“ (Geißler/Pöttker 2006: 17) Am besten erforscht sei die Darstellung der Migranten in den deutschen Mehrheitsmedien, insbesondere der Presse, resümieren Rainer Geißler und Horst Pöttker. Mediennutzungsstudien konzentrierten sich auf die türkische Minderheit (vgl. Geißler/Pöttker 2005: 391f.), wobei es sich vor allem um Auftragsforschung handelte. Einen Überblick aus Sicht der hier besonders engagierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geben WDRIntegrationsbeauftragter Gualtiero Zambonini und Medienforscher Erk Simon. Die erste Studie von ARD und ZDF stamme aus dem Jahre 1982. Nach der ersten bundesweit repräsentativen Erhebung zur Mediennutzung von Zugewanderten aus sechs Herkunftsländern im Jahre 2007 solle das Rezeptionsverhalten der Migranten und Migrantinnen nun kontinuierlich erforscht und mit vertiefenden Analysen ergänzt werden (vgl. Zambonini/Simon 2008: 20). Größere empirische Forschungsprojekte wurden Anfang des neuen Jahrtausends in Jena und Siegen auf den Weg gebracht, wobei auch hier Inhalte und Wirkungen der Medienprodukte im Zentrum stehen. An der Universität Jena wurde im multidisziplinären DFGProjekt „Discrimination and Tolerance in Intergroup Relations“ ab Oktober 2002 auch die „Nachrichtenauswahl und -wirkung der Berichterstattung über Migranten“ erforscht. Nach der Analyse der Hauptnachrichten von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 im Jahre 2003 hatte das Team um den Kommunikationwissenschaftler Georg Ruhrmann festgestellt, dass sich die Berichterstattung über Migranten seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 veränderte: Der Bezugsrahmen „Kriminalität“ wird abgelöst durch einen „Terror“-Frame, unterstützt durch eine verstärkte Visualisierung der Beiträge (vgl. Ruhrmann/Sommer/Uhlemann 2006). Bis Ende 2008 beschäftigten sich die Forscherinnen und Forscher unter dem Titel „Migranten in den Medien – Auftreten und Wirkungen semantisch und stilistisch verzerrter Darstellung“ mit Sprechermeldungen und Zeitungsartikeln zu unterschiedlichen Migrantengruppen.9 Im Siegener Sonderforschungsbereich „Medienumbrüche“ wurden von 2002 bis 2009 in einem soziologisch-kommunikationswissenschaftlichen Teilprojekt die „mediale Integration von ethnischen Minderheiten und der Medienumbruch in Deutschland, den USA und Kanada“ untersucht. Unter Leitung von Rainer Geißler und Horst Pöttker wurde in einer ersten Projektphase bis 2005 vor allem der Forschungsstand zum Thema aufgearbeitet.10 Da 9 10
Um die Produktionsebene gehe es nur „implizit“, wenn durch Sprachanalysen unbewusste Haltungen der Verfasser von Texten deutlich werden, so Projektmitarbeiterin Denise Sommer (Telefonat am 24.4.2008). Inzwischen ist außerdem eine Dokumentation des europäischen Forschungsstandes zu Migranten und Medien von 2003 bis 2009 erschienen, die allerdings nur Studien zur Mediendarstellung, Nutzung und Rezepti-
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die Gruppe feststellte, dass es in der Bundesrepublik bisher kaum Untersuchungen über Journalisten in den Medien der Mehrheitsgesellschaft gibt, beschäftigte sie sich damit in der zweiten Phase bis 2009 in einem der empirischen Projekte. In einer bundesweiten Befragung von Journalisten und Journalistinnen mit Migrationshintergrund, die in Printmedien und in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten arbeiten, sollten nach Auskunft von Geißler Herkunft, Arbeitsbereich, Position und andere Berufsfelddaten erhoben werden. Die Studie zu Migranten in deutschen Zeitungsredaktionen liegt inzwischen vor. Ergebnis: Nur 1,2 Prozent der Printjournalisten haben einen Migrationshintergrund. Lediglich bei der Auswertung der Altersgruppen wurde nach Geschlecht unterschieden. Danach machen Frauen mehr als die Hälfte des migrantischen Redaktionspersonals aus und „sind damit besser repräsentiert als unter den Deutschen, dies gilt auch insbesondere für die jüngeren Jahrgänge“ (Geißler/Enders/Reuter 2009: 113). Im Vordergrund der letzten Projektphase stand der Vergleich mit den nordamerikanischen Einwanderungsländern.11 Empirische Studien zu Migranten und Migrantinnen im Berufsfeld Journalismus (vgl. überblicksartig Müller 2005: 223-237) gibt es vermehrt seit Beginn dieses Jahrtausends. 2003 wurde in Hannover unter Leitung der Medienwissenschaftlerin Beate Schneider eine Befragung „türkischer Journalisten in Deutschland“ durchgeführt (vgl. Schneider/Arnold 2004). Für den Berliner Integrationsbeauftragten erstellte das Essener Institut für Medienund Kompetenzforschung im August 2005 eine Expertise zu Berufseinstieg und Beschäftigung von Migranten in den Medien. Bundesweit wurden Vertreter von 38 Medienunternehmen und 24 Journalistenaus- und -weiterbildungsinstituten befragt. Sowohl in den Ausbildungseinrichtungen als auch in den Redaktionen seien Zugewanderte „deutlich unterrepräsentiert“. Die Ursachen seien „nicht bekannt“, heißt es in der Zusammenfassung (vgl. MMB 2005). Obwohl Migranten heute sichtbarer seien als noch vor zehn Jahren, bleiben sie „aber als JournalistInnen unterrepräsentiert“, stellt auch Miltiadis Oulios fest. Er hat 2006/2007 zehn ausgewählte Chefredakteure deutscher Massenmedien und 13 migrantische Journalisten interviewt. Seine stichprobenartigen Befragungen bestätigten, dass die Zahl der Medienschaffenden mit ausländischer Staatsbürgerschaft klein ist – zum Beispiel 3,2 Prozent bei RTL, 2,3 Prozent beim ZDF12, 2,5 Prozent bei der Verlagsgruppe Gruner + Jahr (vgl. Oulios 2007; ausführlicher Oulios 2009). Welche Migranten ihren Weg in die deutschen Medien finden, untersuchte Mercedes Pascual Iglesias 2005 in einer explorativen Studie „Migranten-Journalisten in Deutschland“. Diejenigen, die es geschafft haben, profiliert sie folgendermaßen: Sie beherrschen (nahezu) fehlerfrei die deutsche Sprache, weil sie in Deutschland aufgewachsen sind und trotz aller Widrigkeiten des deutschen Schulsystems das Abitur erreicht haben. Vorzugsweise haben sie ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert. Ihre Eltern sind eher Angestellte als Arbeiter, die sie in ihrem Bildungsvorhaben unterstützten. Sie selbst betrachten sich als Teil der Mehrheitsgesellschaft und wenden sich mit ihren journalistischen Produkten in erster Linie an sie. Ihr journalistisches Selbstverständnis für die Themenwahl und Umsetzung haben sie in Deutschland ausgebildet, so dass es sich von dem deutschstämmiger Kollegen kaum unterscheidet. Neben den üblichen Qualifikationen wie Hochschulabschluss, Hospitatio-
11 12
on von Migranten erfasst (vgl. http://www.civismedia.eu/tv/civis/downloads/Dokumentation_Migranten_ und_Medien.pdf). vgl. Geißler/Pöttker 2005, 2006 und 2009 sowie die Internetseite des Projekts mit aktualisierter Bibliographie unter http://www.integration-und-medien.de/projekt/ Mit 2,7 Prozent wird der Migrantenanteil beim ZDF von Oulios (2009: 123) angegeben.
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nen, Volontariat sind sie in der Lage, ihre Bikulturalität und Bilingualität für die interkulturelle Berichterstattung über Migration und das Land, aus dem die Eltern stammen, zu nutzen. (Pascual Iglesias 2005: 164)
Die Debatte über die Teilhabe von Migranten an der Medienproduktion ist in Deutschland zumeist in den Integrationsdiskurs eingebunden, während die internationale Diskussion um Medien und Diaspora den Blick öffnet „für mehrdeutige Kommunikationsstrukturen, welche sich festen Kategorien wie ‚Kultur‘ und ‚Nation‘ entziehen. Bürger- und Communitymedien spielen dabei eine bisher unterschätzte Rolle“, so die Erfurter Kommunikationswissenschaftlerin Christine Horz, die über „Offene Kanäle und die TV-Produktionen von MigrantInnen“ promoviert.13
Medien und Migrantinnen Der Zusammenhang zwischen beiden Forschungsgebieten wird in der Bundesrepublik kaum thematisiert. In der „medialen Dominanzkultur“ Deutschlands (vgl. Röben 1998: 431 in Anlehnung an Rommelspacher14) fanden marginalisierte Frauen, die einer zugewanderten Minderheit angehören, bis Ende der 1990er Jahre kein ausgeprägtes Interesse bei Kommunikationswissenschaftlern. Es gab einige Fallstudien zur Darstellung dieser (wegen ihrer Herkunft und wegen ihres Geschlechts) doppelt diskriminierten Frauen, z. B. über islamische Frauen (vgl. Pinn/Wehner 1995) oder in dem Sammelband „Verwaschen und verschwommen“ (Röben/Wilß 1996). Nur punktuell tauchte die „Südfrau“ oder „Migrantin“ auf, z. B. im „Typenspektrum“ bei Brigitte Armbruster (vgl. Armbruster 1990) oder in einer Untersuchung von Nachrichtenselektionskriterien, in der Andrea Prenner dem Ethnozentrismus den Androzentrismus gegenüberüberstellt (vgl. Prenner 1995). In seiner Porträtsammlung „Medien mögen’s weiß“ von Journalisten mit Minoritätenhintergrund stellt Ralf Koch sechs Männer und vier Frauen vor (vgl. Koch 1996). Ende der 1990er Jahre konzentrierte die medienwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung sich zumeist auf weiße Mittelstandsfrauen (vgl. Europäische Gemeinschaften 1999: 25, 27) und die Kategorie Ethnie fand kaum Berücksichtigung. In einer EUForschungssynopse zu Frauen in den Medien wird empfohlen, „die Strukturen des Medienzugangs von Frauen aus ethnischen Minderheiten, zugewanderten Frauen und solchen aus sonstigen Minderheiten“ zu untersuchen (Europäische Gemeinschaften 1999: 42). Auch Elisabeth Klaus plädiert für eine Perspektivenerweiterung: Im Rahmen der […] Aufgabenstellung, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu beobachten und Fragen nach den Partizipationsmöglichkeiten der Gesellschaftsmitglieder und ihren Grenzen zu stellen, kann die Analyse des Geschlechts auf andere Unterscheidungen ausgedehnt und weiterentwickelt werden. Auch schichtspezifische, ethnische und religiöse Unterschiede verweisen zugleich auf die stratifikatorischen Differenzierungen und kulturellen Bedeutungssysteme (Klaus 2005: 377).
13 14
vgl. den Vortrag „Diasporische Öffentlichkeit“ auf der DGPuK-Jahrestagung „Medienkultur im Wandel“ am 30.4.2009 in Bremen sowie Horz 2007; zu Bürgermedien vgl. auch Röben 2008 Rommelspacher bezeichnet Dominanzkultur „als ein Geflecht verschiedener Machtdimensionen […], die in Wechselwirkung zueinander stehen“ (Rommelspacher 1998: 23). Unter „Kultur“ versteht sie „das Ensemble gesellschaftlicher Praxen und gemeinsam geteilter Bedeutungen“ (ebd.: 22).
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Seit 2000 mehren sich die Studien über Migranten in den Medien, wobei Migrantinnen weniger häufig thematisiert werden. In dem Tagungsband „Migranten und Medien“ aus dem Jahre 2000 z. B. beschäftigt sich lediglich einer von 20 Beiträgen mit Fallbeispielen zur Darstellung von Migrantinnen im deutschen Film und Fernsehen (vgl. Bulut 2000). In dem 2006 erschienenen Sammelband „Massenmedien, Migration und Integration“ thematisiert einer von zwölf Texten die „fremde Frau“ in deutschen Medien (Farrokhzad 2006). Wie hier geht es zumeist um die Konstruktion der Medienbilder von muslimischen Frauen (vgl. z. B. auch Pinn 2002; Röder 2007; Paulus 2008). Kommunikatorstudien gibt es nur wenige (Pascual Iglesias 2005; Oulios 2007) – und noch weniger solche, in denen Migrantinnen explizit thematisiert werden (Röben 2008; Fritsche 2009). Um den Anteil von „Migrantinnen in den Medien“ zu ermitteln, habe ich Ende 2005 in einer explorativen Studie zehn Personalverantwortliche unterschiedlichster Medienunternehmen im multikulturellen Frankfurt am Main befragt. Während in den alternativen Bürgermedien etwa ein Drittel der Programmmacher einen Migrationshintergrund hat, beschäftigen drei der Mainstream-Medien keine Zugewanderten und in den anderen stellen sie drei, bei der „Bild“-Zeitung sogar 16 Prozent des Redaktionspersonals. Auf eine Migrantin kommen hierbei drei Migranten. Die leitenden Funktionen in der Redaktionshierarchie bekleiden überwiegend deutsche Männer, gefolgt von deutschen Frauen. Bei den Volontariaten sind Migranten und Migrantinnen dagegen gleich schwach vertreten. Die geringe Anzahl von Migrantinnen in den Medien und ihr niedriger Status innerhalb der Hierarchien vermindern ihre Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten auf Themenauswahl und -präsentation, auf Programm- und Personalmanagement. Ihr Berufszugang wird durch die gängigen Qualifikationsprofile erschwert: Journalistische Erfahrungen sind wichtigste Voraussetzung, gefolgt von Hochschulabschluss, fachlicher und sprachlicher Kompetenz („gutes Deutsch“), Volontariat sowie Kontakt- und Teamfähigkeit („muss zu uns passen“). Voraussetzung zur Erfüllung dieses von (vorwiegend männlichen) Deutschen geprägten Kompetenzkanons sind gute Kontakte in die Mehrheitsgesellschaft. Ein weiteres Nadelöhr beim Berufszugang ist das deutsche Bildungssystem, das herkunftsbedingte Ungleichheitslagen eher verfestigt. Tendenzschutzkriterien wie Religionszugehörigkeit können auch eine Hürde sein. Migrationsspezifische Kenntnisse wie Mehrsprachigkeit, interkulturelle Kompetenz oder der Bezug zu einem bestimmten Rezipientenpotenzial sind nicht gefragt. Nur die „Frankfurter Rundschau“ suchte bewusst nach einer Redakteurin, die Zugang zur türkischen Community hat (vgl. Röben 2008). In Anlehnung an den Fragebogen meiner Frankfurter Studie hat Katharina Fritsche im Februar 2009 Personalverantwortliche von zehn Berliner Hörfunksendern zur Beschäftigung von Zugewanderten in ihren Redaktionen interviewt. Danach haben 10,1 Prozent des journalistischen Personals einen Migrationshintergrund. „Zwar sind Frauen innerhalb der Gruppe der JournalistInnen mit Migrationshintergrund in der Überzahl, aber für sie und auch die Migranten gilt, dass sie vorrangig freiberuflich arbeiten und in den seltensten Fällen Führungsaufgaben haben“ (Fritsche 2009: 111). Innerhalb der Zugewandertengruppe befinden sie sich „in ungünstigeren Arbeitsverhältnissen und Hierarchieebenen als Männer“. Fritsche resümiert: „Am schlechtesten gestellt sind die Migrantinnen, sowohl im Vergleich mit den Migranten als auch im Vergleich mit den Journalistinnen ohne Migrationshintergrund.“ (ebd.) Im Oktober 2008 startete an der Universität Siegen unter der Leitung der Journalistikprofessorin Margreth Lünenborg ein erstes empirisches Forschungsprojekt „Migrantinnen
Migrantinnen im deutschen Journalismus – ein weißer Fleck
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in den Medien“, das Gender und Ethnie in den Blick nimmt. Nach einer Literaturstudie zum nationalen und internationalen Forschungsstand (vgl. Lünenborg/Bach 2009) analysierte das Wissenschaftlerinnenteam – inzwischen an der FU Berlin – die Bilder von Migrantinnen in ausgewählten Tageszeitungen und führte Fokusgruppengespräche für eine qualitative Rezeptionsstudie. Das Projekt wurde bis November 2009 vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration Nordrhein-Westfalen gefördert. Eine Kommunikatorstudie war nach Auskunft von Margreth Lünenborg nicht geplant.15
4.
Die Forschungsperspektiven: Daten, Zusammenhänge und Veränderungspotenziale
Die geringe Zahl der Studien zu Migrantinnen in den Medien ist sicherlich zu einem großen Teil methodischen Problemen geschuldet. Es gibt dennoch viele Gründe, das Forschungsdefizit aufzuarbeiten. Da ist zunächst das sozialwissenschaftliche Erklärungspotenzial, das die Verschränkung von Ethnie und Geschlecht für Ungleichheitslagen in Einwanderungsgesellschaften birgt. Außerdem gibt es aus politischen, demografischen und ökonomischen Gründen medienpolitischen Handlungsbedarf. Zentral ist m. E. die Frage nach medialen Teilhabechancen für diejenigen, die in Gesellschaft und Wissenschaft marginalisiert sind, d. h. nicht über die notwendige Deutungsmacht und die kulturellen Ressourcen verfügen. Daraus ergeben sich drei Forschungsempfehlungen.
Empirisch repräsentative Datenerhebung Wie wichtig empirisch gesicherte Daten für den Nachweis von Diskriminierung und die Forderung nach gleichen Teilhabechancen sind, beschreibt Elisabeth Klaus: „Solange es keine harten ‚Beweise‘ für die Behauptung einer umfassenden Diskriminierung von Frauen in den Medienbetrieben gab, konnte diese als subjektiver Eindruck und persönliches Empfinden einzelner ‚Emanzen‘ abgetan werden“ (Klaus 2005: 153). Deshalb gilt es zunächst, intersubjektiv nachvollziehbar den Anteil von Migranten-Journalistinnen und -Journalisten in den Mainstream-Medien zu ermitteln. Dieses Unterfangen stieß auf Schwierigkeiten bei der Definition, wer als „Migrant/in“ gilt, und bei der Erhebung der Zahlen. Bis 2005, als das Statistische Bundesamt „Migrationshintergrund“ definierte und erstmals den Anteil der zugewanderten Bevölkerung erhob, konnten die amtlichen Statistiken nur nach Staatsangehörigkeit differenzieren, so dass Eingebürgerte und Aussiedler unter „Deutsche“ gefasst wurden. Medienverantwortliche schienen zudem kein großes Interesse an entsprechenden Zahlen zu haben. Sie argumentierten mit fehlenden Statistiken, großem Zeit- und Arbeitsaufwand für die Erhebung, datenschutzrechtlichen Bestimmungen und Angst vor Stigmatisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
15
nähere Informationen zum Projekt im Internet unter http://www.polsoz.fu-berlin.de/kommwiss/institut/ journalistik/forschung/migrantinnen.html
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Zunehmend wird aber erkannt, welche Rolle Migrantinnen und Migranten für die politische und ökonomische Zukunftsfähigkeit der Medien spielen.16 Diese neue Transparenz der Zahlen lässt auf verbesserte Kooperationsbereitschaft bei repräsentativen Erhebungen hoffen. Dabei geht es nicht nur um die Anzahl von Journalistinnen mit Migrationshintergrund, sondern vor allem auch um ihre Einflussmöglichkeiten, die sich z. B. ablesen lassen an der Positionierung in der Redaktionshierarchie oder Sitzen in Aufsichts- und Kontrollgremien. Studien dieser Art liefern eine Bestandsaufnahme – Daten zur Repräsentationskritik. Um diese Zahlen interpretieren zu können, müssen außerdem qualitative Daten zum Berufsfeld erhoben werden. Auch wenn es inzwischen eine amtliche Definition von „Migrationshintergrund“ gibt, sind Zugewanderte doch eine sehr heterogene Gruppe,17 bei der Benachteiligungen nicht unbedingt auf ihre ethnische Herkunft zurückzuführen sind. Werden diskriminierende „Platzzuweisungen“ erst im Zusammenhang mit Schichtzugehörigkeit, Geschlecht oder anderen Differenzsetzungen wirksam? Kann dem mit DiversityMainstreaming-Konzepten begegnet werden? Welche Qualifikationsprofile gibt es, wer definiert sie wie? Werden interkulturelle Kompetenzen unterbewertet? Bei Befragungen von Journalistinnen wurde deutlich, dass Diskriminierung tendenziell eher bei anderen bzw. im Allgemeinen wahrgenommen wurde als bei sich selbst. Niemand wolle zur ausgegrenzten Gruppe gehören (vgl. Koch 2007: 28f.). Andere Befunde erhielt Miltiadis Oulios bei einer Befragung von Migrantinnen und Migranten: „Eine muslimische Journalistin berichtete, dass sie trotz Praktikums-Zusage am Telefon den Platz nicht erhielt, weil sie Kopftuch trägt.“ Lediglich ein Drittel der migrantischen Journalistinnen und Journalisten hätte gar keine Erfahrungen mit Diskriminierung in deutschen Redaktionen gemacht. Welche Rolle spielen bei diesen unterschiedlichen Ergebnissen der Interviewende (selbst Migrant?), die Befragten (erfolgreich, angepasst oder marginalisiert?) sowie die Wahrnehmung von gesellschaftlich determinierten Fremdbildern und Selbstbildern (politisches Bewusstsein, Positionierung in Medien und Gesellschaft) bei Journalistinnen und Journalisten mit und ohne Migrationshintergrund?
Erforschung der Zusammenhänge medialer Kommunikation „Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass es deutschen Kollegen schwer fällt, in der Berichterstattung und Beurteilung von Themen eine ihnen selbst nicht zugängliche Perspektive zuzulassen“, so die Journalistin Canan Topcu (Topcu 2007). Auch viele Forscherinnen und Forscher weisen auf eine Wechselbeziehung zwischen Medienbildern und ihren Urhebern hin. So konstatiert die Sozialwissenschaftlerin Schahrzad Farrokhzad nach ihrer Inhaltsanalyse zur Konstruktion der „fremden Frau“ in deutschen Medien: „Um eine Perspektiverweiterung zu erreichen, wäre es wünschenswert, mehr Migrant(inn)en auf allen Ebenen der Medienbranche einzustellen.“ (Farrokhzad 2006: 82)
16 17
Im WDR z. B., der 2004 eine Integrationsoffensive startete, hatten drei Jahre später 11,4 Prozent der Volontäre und Trainees einen Migrationshintergrund (vgl. Zambonini/Simon 2008: 123). vgl. die Sinus-Studie vom Oktober 2007 unter http://www.sinus-sociovision.de/Download/Report_ Migranten-Milieus_16102007_Auszug.pdf
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Dahinter steckt die Vorstellung, dass Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund mit anderen Lebenserfahrungen, anderen Perspektiven, anderen Kommunikationsstilen unter bestimmten Bedingungen die Medieninhalte vielfältiger gestalten und dadurch auch ein größeres Publikum bzw. neue Leserschichten ansprechen können. Sie seien „role models“ für das migrantische Publikum und motivierten als Vorbilder auch für die Wahl des Journalistenberufs. Überprüft werden können diese Annahmen nur durch Kontext bezogene Analyse. Margreth Lünenborg und Elisabeth Klaus entwickelten ein Kommunikationsmodell, das Produktion, Medieninhalt und Rezeption als interdependent begreift. Auf der Folie dieses „Kreislaufs kultureller Bedeutungsproduktion“ (Lünenborg 2005: 71; vgl. Klaus/Lünenborg 2004) ist es möglich, sowohl die selbst- als auch die fremdbestimmte Identitätsbildung der Individuen zu analysieren – also auch die „Aushandlung von dominanten kulturellen Sichtweisen“ im Produktionsprozess (vgl. Lünenborg 2005: 72). Ein Zusammenhang zwischen diesen Sichtweisen im journalistischen Personal und in den Medienprodukten fand in empirischen Studien zu Frauen im Journalismus bisher noch keine eindeutige Bestätigung. Geht man von der selbst- und zugleich fremdbestimmten Identitätsbildung aus, ist verständlich, warum mehr Journalistinnen nicht automatisch die Berichterstattung verändern (vgl. Keil 2000: 6, 55; Neverla 2002: 331) und dass es in Verbindung mit veränderten Rahmenbedingungen (größere Handlungsspielräume, berufliche Sicherheit, Frauennetzwerke, Gleichstellungsmaßnahmen) vermutlich auch Veränderungen im Programm gäbe, wie Susanne Keil nach ihrer Studie über Rundfunkfrauen in Führungspositionen resümiert (vgl. Keil 2000: 198, 205ff.; Neverla 2002: 335; Lünenborg 2002: 541f. und Schulz 2000 zu kollektivem Frauenhandeln). Auch in Studien zu Migranten im Journalismus konnte ein Zusammenhang zwischen Produktion und Inhalt „wissenschaftlich bisher nicht eindeutig geklärt werden“, konstatiert Rainer Geißler (vgl. Geißler/Pöttker 2005: 76). Anhaltspunkte lieferte Stefan Wellgraf 2008, der die Entstehungszusammenhänge medialer Migrationsbilder differenziert nach den Produktionsbedingungen in Fernsehen, Radio und Printmedien untersuchte und feststellt: Die Forderung nach mehr Journalisten mit Migrationshintergrund greift […] zu kurz, entscheidend ist weniger die bloße Beteiligung von Migranten in deutschen Medien, sondern die Möglichkeit Deutungen innerhalb des medialen Feldes durchzusetzen und über die medialen Spielregeln mitzubestimmen. (Wellgraf 2008: 131)
Dass eine stärkere personelle Repräsentation allein nicht ausreicht, konstatiert der Soziologe Augie Fleras auch für Einflussmöglichkeiten von ethnischen Minderheiten in den Medien Kanadas: „Without a corresponding change in the prevailing news paradigm increased minority hires look good on numbers but mean little in practice if the reins of power remain in ‚palemale‘ hands“ (Fleras 2006: 209). Damit sich die journalistische Praxis ändere, müssten sich auch Entscheidungsstrukturen ändern (vgl. ebd.: 213f.). Journalistinnen und Journalisten müssten erkennen, dass ihre Position in der Gesellschaft ihre Berichterstattung grundlegend beeinflusse (vgl. ebd.: 212). Um mögliche Zusammenhänge zwischen journalistischem Personal und Medienprodukten wissenschaftlich zu ermitteln, bietet es sich z. B. an, zu analysieren, inwieweit mediale Texte von ihren Produzenten und Produzentinnen geprägt werden: Gibt es Unterschiede in der Themenfokussierung, der Quellenauswahl und in der Gestaltung? Welche
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Texte spiegeln mehr Alltag, Normalität? Werden androzentristische und/oder ethnozentristische Nachrichtenselektionskriterien wirksam? Welchen Einfluss hat die Positionierung der Journalistinnen und Journalisten in der Gesellschaft, im Medienbetrieb, haben die Arbeitsbedingungen in der Redaktion auf die medialen Weltkonstruktionen? Die kommunikativen Aushandlungsprozesse können durch teilnehmende Beobachtung in den Redaktionen sowie Leitfadeninterviews mit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern sowie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern analysiert werden. Den größten Erkenntnisgewinn versprechen vergleichende Studien, etwa zwischen den Geschlechtern und ethnischen Gruppen.
Analyse der Veränderungspotenziale im „Palemalestream“ Nach bisherigen Erkenntnissen ist eine adäquatere Repräsentation von Migrantinnen zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung dafür, dass ihre Sichtweisen, Lebenserfahrungen und Kommunikationsstile stärker in die Medientexte eingehen und so zur Rezeption zur Verfügung stehen. Daran schließt die weitergehende Forschungsfrage nach den Bedingungen an, unter denen Migrantinnen mehr Gewicht im redaktionellen Aushandlungsprozess erhalten, damit der Mainstream kein „Palemalestream“ bleibt. Diese Frage verweist auf die Einbindung medialer Kommunikation und ihrer Akteurinnen und Akteure in gesellschaftliche Machtverhältnisse und die Hierarchisierung von Verschiedenheiten.18 Drei Schritte sind zur Veränderung dieser Ungleichheitslagen notwendig: 1. 2.
3.
Bestandsaufnahme: datengestützter Nachweis von Benachteiligungen Analyse von Differenz(setzung)en: Zusammenhang zwischen Redaktionspersonal (z. B. Zusammensetzung, Hierarchisierung) und Medientexten (z. B. Inhalte, Perspektiven, Kommunikationsstile) Untersuchung der Konstruktion dieser Differenzsetzungen/Deutungszuweisungen entlang der Grenzziehungen Ethnie, Geschlecht, Schicht etc.: z. B. Zugangsvoraussetzungen/Qualifikationsanforderungen, Arbeitsabläufe, Nachrichtenselektionsfaktoren, journalistisches Selbstverständnis
Wenn analysiert ist, wie und wo Teilhabechancen eingeschränkt und Diskriminierungen zu verorten sind, können die Veränderungspotenziale und ihre Durchsetzungsmöglichkeiten für verbesserte Teilhabechancen von Migrantinnen im deutschen Journalismus näher erforscht werden (vgl. Röben 2008: 156f.). Wenn Medien Öffentlichkeit herstellen sollen für alle sozialen Gruppen, dann müssen sie auch offen sein für alle sozialen Gruppen! Dann müssen sie – in den Worten Horst Pöttkers – nicht nur über Integration schreiben, sondern durch das Schreiben integrieren. Und die Schreibenden integrieren! 18
„Menschen mit Migrationshintergrund haben es auf dem deutschen Arbeitsmarkt deutlich schwerer, eine angemessene Beschäftigung zu finden, als Personen ohne Migrationshintergrund“, konstatiert eine OECDStudie „Jobs for Immigrants – Labour Market Integration in Australia, Denmark, Germany and Sweden“ vom Juli 2007. Das sei nur zum Teil auf das geringere Bildungsniveau zurückzuführen. Hauptgründe seien vielmehr weniger Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern und Diskriminierung (vgl. http://www.oecd.org/ document/1/0,3343,de_34968570_34968855_38938241_1_1_1_1,00.html).
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IV. Journalistik und Journalismusforschung
Journalistenausbildung an Hochschulen – eine Erfolgsgeschichte? Eine Textcollage aus vier Jahrzehnten und ein Resümee Walter Hömberg
Seit der Aufklärung hat sich die Überzeugung durchgesetzt, daß sich professionelle Aufgaben am besten erfüllen lassen, wenn Berufe sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen können. Aus diesem Grunde bildeten sich und bilden sich noch immer neue akademische Disziplinen heraus. Die Pädagogik beispielsweise hilft den Erziehern, die Agrarwissenschaft den Bauern und die Ernährungswissenschaft den Köchen. Solche Fächer bilden ihre Identität, indem ihre Erkenntnisbemühungen sich an der beruflichen Aufgabe orientieren (Pöttker 1998: 232).
Was Horst Pöttker hier allgemein konstatiert, trifft auch auf die Kommunikationswissenschaft und ihre Vorläuferdisziplinen zu. So wurden die ersten Institute für Zeitungskunde bzw. Zeitungswissenschaft an den Universitäten Leipzig (seit 1916) und München (seit 1924) sowohl von den Verlegern als auch von den Journalisten unterstützt. Beide Berufsgruppen erwarteten von der Wissenschaft Impulse für die Medienpraxis. Das Thema Ausbildung für Journalisten und in einem weiteren Sinne für Kommunikationsberufe hat einerseits in der berufspolitischen, andererseits in der kommunikationswissenschaftlichen Diskussion seit vier Jahrzehnten eine dominierende Rolle gespielt. Die Positionsbestimmungen und Zielvorgaben, die Ausbildungskonzepte und Alternativvorschläge, die Curriculumentwürfe, Studien- und Prüfungsordnungen, die Absolventenstudien und Evaluationsberichte füllen inzwischen ganze Regale. Der folgende Beitrag versucht eine Bestandsaufnahme. Diese ist bewusst nicht als Rückblick aus der Vogelschau angelegt, sondern will die jeweilige Situation und die Diskussionslage zu verschiedenen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Zeiträumen in Form von Rückblenden dokumentieren. Der Verfasser greift dabei auf eigene Publikationen zurück, die stark gekürzt, aber sonst unverändert wiedergegeben werden.1
Rückblende I: 1978 „Studieninhalte – Curricula – Studienordnungen!“ lautete das Thema der 18. Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) am 19. und 20. November 1976 in Salzburg. Dabei ging es um Ansätze und Ergebnisse kommunikationswissenschaftlicher Berufsforschung sowie um Fragen der Professionalisierung und der Fachdidaktik, wobei die Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote für Journalisten im Zentrum standen. Die Referate und Arbeitspapiere der Tagung, gründlich überarbeitet und ergänzt um weitere Beiträge, sind publiziert in dem Sammelband „Journalistenausbildung. Modelle, Erfahrungen, Analysen“, mit dem 1978 die neu gegründete Schriften1
Die zur Zeit des Drucks gültige Rechtschreibung wurde nicht verändert. Auf Literatur- und Quellenhinweise sowie auf Anmerkungen wird weitgehend verzichtet – hier sei verwiesen auf die Erstveröffentlichungen, die jeweils genannt sind.
284
Walter Hömberg
reihe der DGPuK eröffnet wurde (vgl. Hömberg 1978a). Der folgende Text ist dem Einführungskapitel entnommen (Hömberg 1978b).
Journalistenausbildung zwischen Postulat und Realisierung I. „Wir sehen ein wesentliches Element der Förderung des Berufs- und Standesbewußtseins in einer umfassenden beruflichen Vorbildung der Berufsgenossen. Die Hauptversammlung beauftragt den Vorstand, die Frage zu untersuchen, ob die bisher dem der Publizistik sich widmenden Nachwuchs gebotene Gelegenheit zur beruflichen Ausbildung ausreiche, und die weitere Frage, inwieweit die höheren Bildungsanstalten diesem immer dringlicher werdenden Bedürfnis Rechnung tragen können.“ Dieser Resolutionstext stand nicht, wie seinem Inhalt nach vielleicht zu vermuten, auf einem journalistischen Verbandstag zu Beginn unseres Jahrzehnts zur Abstimmung – er ist sechzig Jahre älter: Es handelt sich um einen Beschluss der ersten Hauptversammlung des Landesverbandes der Bayerischen Presse vom 1. Oktober 1911. Wenn man diese frühen berufspolitischen Auseinandersetzungen mit den Debatten der letzten Jahre vergleicht, drängen sich Parallelen geradezu auf. Auch damals wurden die Forderungen nach einer formalisierten, wissenschaftlich angeleiteten Journalistenausbildung gestützt durch den Verweis auf den wachsenden Personalbedarf der (Presse-)Medien und auf steigende fachliche Anforderungen sowie durch Vergleiche zu anderen gesellschaftlich wichtigen (Kommunikations-)Berufen wie Prediger und Lehrer, für die eine geregelte Ausbildung bereits selbstverständlich war. Unter den Gegenargumenten dominiert die Befürchtung, dass eine „Fachbildung, womöglich gar eine Fachprüfung und ein Fachexamen als böse Vögel aus dem Ei schlüpfen könnten“ – eine Metapher, hinter der sich die Leidensgeschichte der Presse im 19. Jahrhundert, eine Geschichte von Zensur, Konzessionszwang, Konfiskation und Strafverfolgung, verbarg. Und es findet sich immer wieder der Rekurs auf den „freien Beruf“, der jeder „Begabung“ offenstehen müsse, wobei diese Begriffe wie siamesische Zwillinge zusammenzugehören scheinen. Die Abstimmungsergebnisse auf den damaligen Verbandstagen waren zumeist – auch darin Beispielen aus der Gegenwart nicht unähnlich – Dokumente einer klar diagnostizierbaren Schizophrenie. Etwa, wenn beim Delegiertentag des Reichsverbandes der deutschen Presse am 17. Juni 1912 zwar beschlossen wird, „der Frage der journalistischen Berufsbildung eine erhöhte Aufmerksamkeit“ zuzuwenden, und der Vorstand den Auftrag erhält, „die geeigneten Schritte in die Wege zu leiten“, wenn die weit überwiegende Mehrheit sich einig ist, „die wilden Institute zur Vorbereitung von Journalisten zu beseitigen“, wenn jedoch die Konsequenz daraus, die in der gleichen Abstimmungsvorlage geforderte Einrichtung von entsprechenden Hochschulveranstaltungen nicht die erforderliche Mehrheit findet. Kaum nötig zu erwähnen, daß der Schlußabsatz wieder Zustimmung erhält: „Der Delegiertentag geht von dem Grundsatz aus, daß der journalistische Beruf ein freier Beruf bleibt und nach wie vor der Begabung aus jedem Berufskreise offenstehen muß.“
Journalistenausbildung an Hochschulen – eine Erfolgsgeschichte?
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Martin Mohr, Chefredakteur der „Münchener Neuesten Nachrichten“ und späterer Begründer des Deutschen Instituts für Zeitungskunde in Berlin, wendet sich in seinem Referat über „Die Vorbildung der Journalisten“ bei der Delegiertenversammlung im darauffolgenden Jahre vehement gegen die Begabungs-Chimäre.2 Für die Notwendigkeit einer systematischen, theoretisch fundierten Ausbildung führt er die zunehmende Spezialisierung innerhalb der Zeitungsredaktion an, die nach einem entsprechenden Ausbildungskorrelat verlange. Zudem erwartet er von einer geregelten Ausbildung ein gesteigertes Berufsprestige in der öffentlichen Einschätzung. Überraschend ist weniger, daß Mohr für eine universitäre Bildung plädiert, sondern eher, daß er sich für eine hochschulinstitutionell erst (wieder) zu schaffende Zeitungskunde als Mutterdisziplin einer universitären Journalistenvorbildung engagiert, die wissenschaftlich-theoretische und journalistisch-praktische Lehrveranstaltungen integrieren soll. Nicht überraschend war dann freilich die Tatsache, daß die entsprechenden Passagen seiner Abstimmungsvorlage nur in stark abgeschwächter Form von den Delegierten gebilligt wurden.
II. Nachdem in den zwanziger Jahren einige Ansätze zur wissenschaftlichen Journalistenausbildung in die Praxis umgesetzt worden waren, verhinderten die Erfahrungen der NS-Zeit, in der Institutionen wie die Reichspresseschule und normierte Ausbildungsgänge einen wichtigen Stellenwert innerhalb der Kommunikationskontrolle von Seiten des Regimes einnahmen, daß das Thema Journalistenausbildung nach dem Kriege sobald wieder auf den Tisch kam. Die schlechten allgemeinen Arbeitsbedingungen, die Kontingentierung der Presseerzeugnisse durch die Lizenzpolitik der Besatzungsmächte, die Entnazifizierungsmaßnahmen und die vorübergehenden Berufsverbote für politisch belastete Redakteure, schließlich das Eindringen berufsfremder Außenseiter in frei werdende oder neu geschaffene Stellen – all dies waren Probleme, die den Berufsstand sehr aktuell und unmittelbar beschäftigten. Es ist hier nicht der Ort, um die Ausbildungsdebatte in ihrem historischen Fortgang im einzelnen nachzuzeichnen. Nur zwei Markierungen: Bereits im ersten Jahrgang der neu gegründeten Fachzeitschrift „Publizistik“ beschäftigt sich Walter Hagemann (1956) unter dem Titel „Fallen Journalisten vom Himmel?“ mit der Frage der journalistischen Aus- und Fortbildung. Der Münsteraner Publizistikwissenschaftler gibt einen Überblick über die internationalen Bemühungen und kritisiert den Rückstand der Bundesrepublik auf diesem Gebiet, wobei er besonders auf die Mängel der herkömmlichen innerbetrieblichen Volontärsausbildung hinweist: „Jeder Eingeweihte weiß, daß Volontäre in zahlreichen Redaktionen als billige Arbeitskräfte angesetzt werden, ohne jede Aussicht, ihre handwerklichen Erfahrungen und ihren geistigen Horizont zu erweitern.“
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Vgl. Reichsverband der deutschen Presse (Hrsg.): Die Vorbildung der Journalisten. Zwei Vorträge, gehalten auf der Delegiertenversammlung des Reichsverbandes der deutschen Presse in Düsseldorf, 1. bis 3. Juni 1913. Berlin o. J. [wohl 1913]. Die Broschüre enthält neben der Rede Mohrs eine polemische Antwort des Delegierten Kastan und den später verabschiedeten Entschließungstext.
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Anders als Hagemann, der sich schon früh in dieser Frage engagierte, kultivierten die meisten seiner Fachkollegen die von den Berufsverbänden vertretene „Begabungs“These und kaprizierten sich auf das Leitbild der „publizistischen Persönlichkeit“, ein Bild, das sich an der berufsgeschichtlich längst „überholten“ Figur des IndividualPublizisten orientierte und beinahe ausschließlich durch individual-psychologische und ethisch-charakterologische Kategorien bestimmt wurde. Erst Ende der sechziger Jahre kam Bewegung in die gebetsmühlenhaft immer wieder erneut vorgebrachten Überzeugungsideologeme. Die zunehmende Ausdifferenzierung der Berufsrollen, die fachliche Spezialisierung, die „Entdeckung“ der empirischen Berufsforschung (die zunächst primär in der Rezeption und Adaption der anglo-amerikanischen Forschungstradition bestand), die Sensibilisierung im Hinblick auf methodische und theoretische Reflexion, die kommunikationspolitische und -ökonomische Diskussion (die sich an Problemen der fortschreitenden Pressekonzentration, dem Auf- und Ausbau von marktbeherrschenden Multi-Media-Konzernen entzündete und eine radikale Kritik am etablierten Mediensystem und an traditionellen journalistischen Berufsstandards entfachte), das gestärkte bildungspolitische Problembewußtsein, die Diskussion um Lernziele, um Lehr- und Lernformen – diese so unterschiedlichen, jedoch relativ synchron ablaufenden Prozesse haben auch die Ausbildungsdebatte im Bereich der Kommunikationsberufe auf eine neue Stufe gehoben. Die Intensität dieser Diskussion läßt sich an der dicht gedrängten Chronologie der einschlägigen Tagungen, Verbandsbeschlüsse und Denkschriften ablesen. Die vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) 1968 veranstaltete Expertentagung, die Einigung über die Ausbildungsrichtlinien für Redaktionsvolontäre an Tageszeitungen von 1969, das Hearing des Deutschen Presserats von 1970, das Memorandum der „Gemischten Kommission für Fragen der publizistischen Aus- und Fortbildung“ von 1971 (das zwei Jahre später in ergänzter und redigierter Fassung erneut vorgelegt wurde), die entsprechenden Beschlüsse des DJV und der Deutschen Journalisten-Union (DJU) von 1973: all dies waren wichtige Stationen der fach- und berufsinternen Karriere des Themas Journalistenausbildung. Am Ende dieser Bemühungen stand ein Konsens der Beteiligten, zumindest in einigen Grundfragen – freilich auch mancher Formelkompromiß, der seine Tragfähigkeit erst noch beweisen muß.
III. Heute, nachdem fünf Jahre seit den angeführten Verbandsbeschlüssen und dem „Neuen Memorandum für einen Rahmenplan zur Journalistenausbildung“ verstrichen sind, fällt beim Versuch einer vorläufigen Bilanz zunächst ins Auge, wie viele der angestrebten (oder jedenfalls proklamierten) Ziele nicht oder nur teilweise erreicht wurden. x
Die geforderte Koordination und Kooperation der unterschiedlichen Ausbildungswege und die Zusammenarbeit der damit befaßten Institutionen sind nur ansatzweise verwirklicht. Die im Memorandum von 1973 konstatierte „Zersplitterung“ besteht nach wie vor.
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Das innerbetriebliche Volontariat, für die überwiegende Mehrheit der Berufsanfänger auch heute noch Haupteintrittstor in den Journalistenberuf, hat sich in seiner Qualität prinzipiell nicht verändert. Die geforderten Abmachungen über einen „verbindlichen, zeitlich und fachlich fixierten Ausbildungsplan ... , in dem praktische und theoretische Ausbildung gleichgewichtig berücksichtigt werden“, sind nicht zustande gekommen. Nur einige wenige Verlage haben individuelle Konsequenzen gezogen. Das Angebot an überbetrieblichen Volontärkursen zur Ergänzung der Ausbildung „vor Ort“ ist weiterhin zu gering; gemessen an der Zahl der jährlich eingestellten Volontäre reichen die Kapazitäten der entsprechenden Lehrgänge nicht aus. Ein gemeinsamer Tarifvertragsentwurf der Berufsverbände, der die obligatorische Teilnahme an berufsbegleitenden Ausbildungskursen für Volontäre vorsieht, wurde von den Verlegern nicht akzeptiert. Die Zahl der Universitätsinstitute für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ist gleich klein geblieben, die Diskrepanz zwischen dem Studentenandrang und den Personal-, Raum- und Ausstattungskapazitäten hat sich indes um vieles vergrößert. An den deutschsprachigen Hochschulen gibt es weiterhin nur ein Dutzend Institute, die sich in Forschung und Lehre mit der aktuellen und öffentlichen Kommunikation befassen – weniger als, zum Beispiel, mit der Archäologie.
Diesem Negativ-Katalog stehen allerdings in zwei Bereichen Erfolge gegenüber, die das Gesamtbild merklich aufhellen: einmal in der Reform traditioneller Studiengänge – Prototypen sind hier die Publizistik-Institute der Freien Universität Berlin und der Universität Münster – und zum anderen bei der Einrichtung spezieller berufsbezogener Studiengänge.
IV. Während die Gegner einer Ausbildungsreform für die Kommunikationsberufe im allgemeinen aus einer individualistischen Sicht heraus eine Art Begabungsdarwinismus vertreten und dabei gern die Berufskarriere einzelner „Vorbilder“ aus der publizistischen Prominenz als Exempel anführen, steht bei ihren Befürwortern die gesellschaftliche Perspektive im Vordergrund: die Reflexion über die soziale und kommunikative Rolle, wobei die vorherrschenden professionellen Normen und Standards nicht unbesehen als Maßstab und Zielwert übernommen, sondern selbst kritisch befragt werden. Dieser Anspruch impliziert einerseits eine eingehende Gesellschafts-, Berufsfeld- und Tätigkeitsanalyse, andererseits eine intensive Beschäftigung mit den Forderungen der Curriculumtheorie, die eine theoretisch-systematisch begründete, empirisch überprüfte (bzw. überprüfbare) Zuordnung von allgemeinen und fachspezifischen Qualifikationen und Lernzielen, von Vermittlungsmethoden und Lerninhalten verlangt. Der vorliegende Band dokumentiert, wie weit die theoretisch-konzeptionelle Diskussion und die konkret-praktische Umsetzung in den Modellstudiengängen fortgeschritten ist. Bei einem Vergleich der entsprechenden Realisierungsversuche zeigt sich bei allen unterschiedlichen Akzentuierungen im einzelnen ein breiter Grundkonsens in
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bezug auf das Ausbildungsziel, dessen kleinsten gemeinsamen Nenner man so beschreiben kann: „Nicht mehr der ,Allround-Journalist‘ mit ,Alter-Hasen-Mentalität‘ soll ausgebildet werden, sondern der ,kritische Fachjournalist‘ mit möglichst breitem wissenschaftlichen Verständnis für politische, ökonomische und gesellschaftliche Zusammenhänge. Ein Journalist, der zur Reflexion der eigenen Berufsrolle fähig ist und durch eine multimediale Ausbildung ein hohes Maß an beruflicher Mobilität und Flexibilität mitbringt.“ Auch bezogen auf die Anlage der Studiengänge sind wichtige Gemeinsamkeiten festzuhalten: Zunächst sind die Reformmodelle per definitionem stärker an der beruflichen Praxis orientiert als die traditionellen zeitungs-, publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Studiengänge; konkrete Erfahrungen mit journalistischer Arbeit – entweder in simulierter oder in realer Praxis – sollen mit den Anforderungen, Möglichkeiten und Zwängen verschiedener publizistischer Arbeitsorganisationen vertraut machen. Angestrebt bzw. bereits verbindlich gemacht ist dabei eine praktische Ausbildung in mindestens zwei Medienbereichen, um die berufliche Flexibilität zu fördern. Eine weitere Übereinstimmung liegt in einer dezidiert sozialwissenschaftlichen Ausrichtung. Vor allem im Grundstudium wird auf die Kenntnis der Möglichkeiten und Grenzen sozialwissenschaftlicher Methoden und Techniken, die ja auch für die tägliche journalistische Arbeit zunehmend an Bedeutung gewinnen, großer Wert gelegt. Während die kommunikationswissenschaftliche Komponente des Studiums den zukünftigen Journalisten über das Kommunikationssystem, über die Strukturen und Funktionen der verschiedenen Medien, über ihre Wirkung und ihre Nutzung etc. aufklärt, während die kommunikationspraktischen Elemente die Vermittlungsfähigkeiten trainieren, soll die – durch Studienpläne, Prüfungsordnungen und Lehrangebot der einzelnen Hochschulen in je unterschiedlicher Weise kanalisierte – Wahl von Spezialdisziplinen fachliche Kenntnisse für das spätere Tätigkeitsfeld (Ressortwissen) bereitstellen. So sehr die Ausbildungsziele übereinstimmen, so verschieden sind die Wege, die dabei gegangen werden. Während die Publizistik-Institute in Berlin und Münster ihre bestehenden Studiengänge entsprechend umgestaltet haben (vor allem durch die Einrichtung von Praxislaboren und Projektkursen, aber auch durch die Einfügung neuer inhaltlicher Elemente), sind in München und Dortmund neue Studiengänge für Journalistik entstanden; im ersten Falle durch die Kooperation zweier schon bestehender Einrichtungen – die Deutsche Journalistenschule und das Institut für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) der Universität München –, im zweiten durch die Gründung eines neuen Instituts. Das Stuttgart-Hohenheimer Modell ist ebenso wie der schon seit langem geplante, voraussichtlich von Herbst 1978 an endlich realisierte neue Mainzer Studiengang ein Aufbaustudium für zukünftige Fachjournalisten, die schon ein Hochschulexamen absolviert haben. [...]
V. Eine Erkenntnis hat sich inzwischen über alle pädagogischen Gräben hinweg durchgesetzt: Ausbildung ist nicht eine chronologisch genau eingrenzbare Periode innerhalb der persönlich-individuellen oder gesellschaftlich-generationsbezogenen Biographie,
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deren erfolgreiches Absolvieren jenes Depotwissen beschert, von dem man dann ohne Not ein ganzes langes (Berufs-)Leben zehren kann. Die Ausbildungszeit wird vielmehr einmütig als eine Phase verstanden, die zwar mit den Wissensbeständen der Gegenwart (und der Vergangenheit) vertraut macht, die Überblicke und Durchblicke verschafft, deren Hauptziel jedoch im Vermitteln methodischer Fertigkeiten und im Trainieren reflektiver Fähigkeiten liegt, um von – notwendig immer nur exemplarischen – Kenntnissen aus neue Wissensfelder erschließen, neue Fragen beantworten, auf neue Problemstellungen reagieren bzw. sie antizipieren zu können. Das Konzept vom lifelong learning hat sich inzwischen so weit durchgesetzt, daß der Aus- die Fortbildung terminologisch fast immer auf dem Fuße folgt – auch im Zusammenhang mit dem Berufsfeld Journalismus. [...] Bei solchen Planungen muß man allerdings berücksichtigen, daß Fortbildung langfristig nicht durch Appelle an den einzelnen Journalisten, sondern nur durch arbeitsrechtliche Absicherungen zu institutionalisieren ist. Besonders bei den Lokalredakteuren kann man eine beträchtliche Fortbildungsmotivation voraussetzen – bei jenen also, die heute die größten Probleme mit der Freistellung haben. Gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen müssen hier die kontinuierliche Teilnahme an entsprechenden Veranstaltungen ermöglichen.
VI. Auf der Landkarte der journalistischen Berufsforschung sind in den letzten Jahren viele weiße Flecke ausgefüllt worden. Sowohl über die „objektive“ Dimension – sozialstatistische und berufstypologische Merkmale – als auch über die „subjektive“ Dimension – allgemein berufsbezogene sowie medien- und ressortspezifische Einstellungen – des Journalistenberufs liegt inzwischen eine so große Zahl von Untersuchungen vor, daß man die Identität von Massenkommunikations- mit Rezeptions- und Wirkungsforschung nicht länger behaupten kann. Redaktionelle Arbeitsabläufe, Selektionsprozesse in den Medienorganisationen, journalistische Berufsrollen und Berufsnormen haben das Forschungsinteresse bisher am meisten stimuliert. Gegenstand der Untersuchung sind dabei vorwiegend jene Gruppen geworden, die bei Tages- und Wochenzeitungen, bei Publikumszeitschriften und Nachrichtenagenturen, bei Hörfunk und Fernsehen arbeiten und damit im Zentrum des Medienjournalismus angesiedelt sind. Bei einem Großteil der einschlägigen Studien handelt es sich um Befragungen, die von politischen Institutionen in Auftrag gegeben waren und primär praktisch-politische Fragestellungen verfolgten. Jene Kommunikationsberufe, die an der Peripherie des „klassischen“ Journalismus liegen, etwa in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations, Werbung, Medienpädagogik, Kommunikationsmanagement etc., sind bisher erst in Ansätzen systematisch analysiert. Neben einer Ausweitung des Untersuchungsfeldes sind vor allem Vergleichsstudien zu anderen Berufsgruppen wünschenswert. Dabei scheint es besonders wichtig, die Resultate der allgemeinen Arbeitsmarkt- und Berufsforschung einzubeziehen [...]. Neben der Deskription des Vorhandenen sollte sich die Kommunikationsforschung jedoch verstärkt auch mit den Voraussetzungen und Chancen neuer Be-
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rufsfelder, etwa im Bildungs- und Freizeitbereich oder im Zusammenhang mit den „neuen Medien“, befassen. Der Problemkreis der Vor-, Aus- und Fortbildung ist einmal im Rahmen repräsentativer Umfragen zur Arbeitsweise und zum Selbstverständnis von Journalisten bestimmter Medien und/oder Ressorts behandelt worden, andererseits in Spezialuntersuchungen, die sich auf bestimmte Institutionen beziehen. Was die betriebliche Ausbildung betrifft, so hat sich das traditionelle Volontariat – vor allem bei Zeitungen mit niedriger Auflage – als völlig ungenügend erwiesen; selbst die in den Richtlinien von 1969 formulierten Minimalbedingungen werden nur selten eingehalten. Diese Ergebnisse der Bestandsaufnahme von Günter Kieslich (1975) bestätigte eine Nürnberger Langzeitstudie zum Sozialisationsverlauf während des Volontariats (Gruber 1975). Daß die Journalistenverbände trotz dieser Defizite bisher gegenüber dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger noch keine Neufassung der Ausbildungsrichtlinien durchsetzen konnten, legt eine Lösung auf der Ebene des Berufsrechts nahe. Mit der Reflexion über die gesellschaftliche Rolle der Hochschulen wurde auch verstärkt der Zusammenhang zwischen universitärer Vor- bzw. Ausbildung und späterer Berufslaufbahn thematisiert. Dieser Frage sind die Absolventenstudien nachgegangen, die an einigen Instituten für Publizistik und Zeitungswissenschaft entstanden sind. Dabei zeigten sich tendenziell übereinstimmende Ergebnisse: In den Medien des tagesaktuellen Journalismus arbeitet nur etwa jeder dritte Absolvent dieser Fächer. Zur Gegenwart hin gewinnen neue Berufsfelder immer größere Bedeutung: Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations und Werbung, Tätigkeiten in Verwaltung und Management, in Forschung und Lehre. Neben der Unterschiedlichkeit der Berufseinmündungen ist auffällig, daß die Zeitungs- und Publizistikwissenschaft in bestimmten Berufsbereichen andere – vor allem geistes- und sozialwissenschaftliche – Disziplinen als Rekrutierungsfeld substituieren kann. Und wie bei der Soziologie und Politologie ist auch hier zu beobachten, daß neue Studienfächer sich neue Berufspositionen schaffen (etwa die Position des „Medienreferenten“). Diese Ergebnisse machen deutlich, daß die „klassischen“ Studienangebote der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft durch die berufsbezogenen JournalistikStudiengänge keineswegs ihre Existenzberechtigung verlieren. Als Reaktion auf die neu geschaffenen Diplom-Studiengänge, die auf das relativ schmale Feld des aktuellen Medienjournalismus hin ausbilden, sollten sich die einschlägigen Institute in ihren „traditionellen“ Studienangeboten stärker mit den „neuen“ Kommunikationsberufen befassen – im übrigen aber gerade durch die Offenheit gegenüber der Breite des gesamten Berufsfeldes „Kommunikation“ individuelle Schwerpunktsetzungen ermöglichen. Als andere Konsequenz der genannten Untersuchungen wäre denkbar, mittel- oder langfristig mehrere parallellaufende Studiengänge mit jeweils präzisem Berufsfeldbezug anzubieten. Beim gegenwärtigen Kenntnisstand über die entsprechenden Tätigkeitsfelder und beim Fehlen konkreter Bedarfsprognosen wäre dies jedoch mit beträchtlichen Risiken behaftet. Ein erheblicher Teil der Forschung hat sich in den letzten Jahren mit dem in der Berufssoziologie entwickelten Konzept der Professionalisierung auseinandergesetzt. Dabei erwies sich, daß die entsprechenden Kriterienkataloge für journalistische Berufe ein Prokrustesbett sind. Zwar wird weithin eingeräumt, daß sich der Journalismus in einer fortgeschrittenen Phase der Professionalisierung befindet, die Wünschbarkeit ei-
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ner vollständigen strukturellen Assimilation an professionalisierte Tätigkeiten ist jedoch umstritten. In jüngster Zeit zeigen sich auch praktische Gegenpositionen in den sogenannten Alternativzeitungen, die – als Forum von Betroffenen – die arbeitsteilige Medienproduktion einschließlich der Differenzierung der Berufsrollen ablehnen. Aber gerade wegen der unterschiedlichen Bewertung verschiedener Professionskomponenten fällt auf, daß in einem Punkt ein sehr weitgehender Konsens besteht: in der positiven Einschätzung des Professionskriteriums einer geregelten und wissenschaftlich angeleiteten Ausbildung. Neben verstärkten Bemühungen um eine Theorie journalistischen Handelns und einer Ausweitung der empirischen Untersuchungsfelder ist die Entwicklung neuer didaktischer Formen zur Integration von „Theorie“ und „Praxis“ vordringliches Desiderat für die nächsten Jahre. Vor allem müssen adäquate Lehrmaterialien bereitgestellt werden. Während z. B. in den USA das Angebot an Lehr- und Arbeitsbüchern zum praktischen Journalismus inzwischen fast unübersehbar geworden ist (vgl. Zima 1976), gibt es im deutschen Sprachraum so gut wie keine geeigneten Arbeits- und Lernunterlagen. Die Nachfrage nach den wenigen bereits vorliegenden Publikationen zeigt, wie groß der Bedarf ist. Die Institute, die sich der Ausbildung von Journalisten widmen, können hier beweisen, daß es ihnen mit der Zusammenarbeit ernst ist.
Rückblende II: 1987 Knapp elf Jahre nach der Salzburger Tagung hat die Deutsche Gesellschaft für Publizistikund Kommunikationswissenschaft die Ausbildungsfrage erneut aufgegriffen: „Zwischenbilanz der Journalistenausbildung“ lautete das Thema der 32. Arbeitstagung, die vom 8. bis 10. Mai 1987 an der Katholischen Universität Eichstätt stattfand. Ein Berichtsband mit gleichem Titel, herausgegeben von Jürgen Wilke, erschien einige Monate später. Nachfolgend einige Auszüge aus dem Beitrag des Verfassers (Hömberg 1987).
Vielfalt oder Wildwuchs? Entwicklungstendenzen der Journalistenausbildung Der Stehplatz des Journalistenausbilders befindet sich, da hat sich wenig geändert, nach wie vor zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite die akademische Welt, in der immer wieder einmal alte Ressentiments neu bekräftigt werden; so jüngst an der Universität Hamburg, wo die Wirtschaftswissenschaftler die Journalistik nicht als Prüfungsfach anerkennen wollen. Auf der anderen Seite neue Varianten redaktioneller Alte-HasenMentalität; etwa wenn Theo Sommer in der gleichen Stadt auf den sogenannten Medientagen verkündet: „Wenn zu mir junge Leute kommen und fragen, was soll ich eigentlich studieren, wenn ich Journalist werden will, dann sage ich immer: Um Gottes willen nicht Journalismus, sondern irgendwas Vernünftiges.“ Und wenn Armin Halle eine Attacke gegen das „verbraste Deutsch der habilitierten Journalisten-Ausbilder an den Universitäten“ reitet, so mag er damit bestenfalls ein flüchtiges Lächeln in den Mienen der Nichthabilitierten hervorrufen. Trotzdem, es gibt auch glückliche Momente im Leben eines Journalistenausbilders. Etwa, wenn er bei der Frühstückslektüre der „Süddeutschen Zeitung“ unter den
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Autoren gleich mehrere verflossene Studenten entdeckt. Oder wenn er im Impressum des „Spiegels“ ausgerechnet auf die Namen zweier ehemaliger Teilnehmer seiner Übung zum Lokaljournalismus stößt. Oder wenn ihm die Moderatorin der Jugendsendung im Fernsehen aus vielen Lehrveranstaltungen bestens bekannt ist. [...] Im folgenden [einige Hinweise zur Entwicklung der Journalistikstudiengänge], gegliedert nach sechs Stichwörtern. Sie lauten: Stagnation, Expansion, Diversifizierung, Berufsfeldorientierung, Pragmatismus und schließlich Qualitätsgefälle.
Stagnation Die Verbesserung der Journalistenausbildung hat die journalistischen Verbandstage seit Beginn des Jahrhunderts immer wieder beschäftigt. Fanden auch Arbeitsbedingungen, Gehalts- und Honorarverhältnisse, innere und äußere Abhängigkeiten in den Medienbetrieben die meiste Beachtung, so wurden die Rekrutierung und die Qualifikation des redaktionellen Personals doch zunehmend als ebenfalls eminent berufspolitische Fragen begriffen. In der Wieder- und Neuaufbauphase nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schienen zunächst andere Probleme dringender. Zudem standen nach den Erfahrungen der Nazi-Zeit alle Normierungsversuche in diesem Bereich unter Mißbrauchsverdacht als Instrumente der Kommunikationskontrolle. Nach vereinzelten Vorstößen in den fünfziger Jahren – hier ist vor allem das Ausbildungskonzept des Verbandes der Journalisten in Niedersachsen von 1953 zu erwähnen – kam es erst in den sechziger Jahren zu nennenswerten Richtlinienentwürfen von allerdings sehr bescheidener programmatischer Reichweite. Das traditionelle Volontariat, die betriebliche Ausbildung also, wurde nicht in Frage gestellt. Die Tarifpartner einigten sich schließlich 1969 nach mehreren vergeblichen Anläufen auf einen „Vertrag über Ausbildungsrichtlinien für Redaktionsvolontäre an Tageszeitungen“. Die Angaben über Ausbildungsziele und Ausbildungsinhalte bleiben hier rudimentär. Sie beschränken sich auf eine Rotationsregelung bezüglich der zu durchlaufenden Ressorts. Die praktische „Unterweisung in allen redaktionellen Arbeiten einschließlich der Satz- und Umbruchtechnik“ soll lediglich ergänzt werden durch Unterrichtung über die rechtlichen Rahmenbedingungen. Zum Thema überbetriebliche Ausbildung heißt es lapidar: Dem Volontär „ist die Teilnahme an journalistischen Ausbildungskursen zu ermöglichen“. Da sie nur Empfehlungscharakter hatten, wurden selbst diese Minimalregelungen nur von einem Teil der Verlage eingehalten. Infolge dieser ernüchternden Erfahrungen setzten die Journalistenverbände in den siebziger Jahren verstärkt auf die Hochschulvor- bzw. -ausbildung, indem sie ein Studium zusätzlich zum Volontariat oder gar eine wissenschaftliche Ausbildung anstelle des herkömmlichen Volontariats forderten. Immer mehr gewann die Überzeugung an Boden, daß die Journalistenausbildung nicht allein ein berufsinternes oder gar nur ein betriebsinternes, sondern ein gesellschaftliches Problem darstellt. Versuche, eine gesetzliche Regelung – per Berufsbildungsgesetz – oder wenigstens eine Regelung per Tarifvertrag zu erreichen, scheiterten freilich allesamt.
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Die Vertragssituation ist heute schlechter als vor einem Jahrzehnt. Der detaillierte Entwurf eines Ausbildungstarifvertrags, 1980 von den Journalistengewerkschaften vorgelegt, wurde vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger nicht akzeptiert. Dieser setzte zwei Jahre später unverbindliche „Grundsätze für das Redaktionsvolontariat“ in Kraft. Diese Regelung bringt keinen Fortschritt gegenüber den Richtlinien von 1969, die übrigens nie gekündigt wurden. Fazit: Was in der Journalistenausbildung geschieht oder nicht geschieht, bleibt letztlich den einzelnen Medienbetrieben überlassen, nicht nur bei den Printmedien, auch bei den Funkmedien. Überbetriebliche Ausbildungsphasen sind zwar für Bäcker, Brauer und Buchbinder, nicht aber für Journalisten obligatorisch. Der Journalismus verbleibt auf der Stufe eines reinen Anlernberufs, orientiert an einem Nachahmungsmodell, wie es Rousseau vor mehr als zwei Jahrhunderten für die Frühpädagogik entwickelt hat. Wie heißt es in den „Grundsätzen“ des BDZV? „Der Volontär soll vornehmlich dadurch in die Redaktionsarbeit eingeführt werden, daß er in steigendem Maße daran teilnimmt.“ Der neueste Medienbericht der Bundesregierung betont, „daß der Beruf des Journalisten ein ‚offener Begabungsberuf‘ bleiben muß“. Die gleichen Formulierungen finden sich bereits in einer Resolution des Reichsverbandes der deutschen Presse vom 17. Juni 1912. Wenn man die Dokumente zur Regelung der Journalistenausbildung studiert, wird man unwillkürlich an die prähistorischen Funde in den Kalkschieferbrüchen vor den Toren Eichstätts erinnert. Zwar können die Ausbildungs-Fossilien noch nicht wie jene auf ein Alter von 140 Millionen Jahren zurückblicken, aber um Petrefakte handelt es sich allemal.
Expansion Im Kontrast zur Stagnation auf der Ebene berufspolitischer Regelung steht die Expansion der Ausbildungsangebote. Als sich die Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft vor gut zehn Jahren in Salzburg zu einer ersten Ausbildungstagung traf, gab es erst drei Journalistik-Studiengänge, die alle noch in den Kinderschuhen steckten. Neben diesen Modellversuchen in München, Dortmund und Hohenheim konnten damals mit Berlin und Münster noch zwei renommierte PublizistikStudiengänge vorgestellt werden, die eine stärker berufsbezogene Orientierung anstrebten. Nach vielen mageren Jahren haben inzwischen für die akademische Journalistenausbildung in der Bundesrepublik Deutschland bessere Zeiten begonnen. Die zunächst befristeten Modellversuche sind fest etabliert, neue Studiengänge sind hinzugekommen: ein grundständiger Journalistik-Studiengang in Eichstätt, Aufbau- bzw. Ergänzungsstudiengänge in Mainz, Marburg und Hannover. Am stärksten ist die Zahl der Nebenfach- und Teilstudiengänge angewachsen; sie wurden an den Universitäten Hamburg, Bamberg, Gießen und an der Sporthochschule Köln eingerichtet. Hinzu kommen Studienvarianten, die neben anderen Berufsfeldern erklärtermaßen auch den Journalismus ansteuern. Außerhalb der Universitäten und Hochschulen haben sich die Ausbildungsofferten ebenfalls vermehrt. Mit Gruner + Jahr und Springer haben zwei große Medienkonzerne
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hauseigene Journalistenschulen gegründet. Studienbegleitende Journalistenausbildung betreibt neben der Kölner Schule und dem Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses in München jetzt auch die Konrad-Adenauer-Stiftung. Die anderen Parteistiftungen organisieren Kurzkurse zu bestimmten Themenfeldern und/oder für bestimmte journalistische Teilgruppen. Hinzu kommen Einzelinitiativen von Arbeitsämtern und privaten Institutionen. Expansion auch bei den Fort- und Weiterbildungsangeboten; hier haben sich vor allem die Freie Universität Berlin mit ihrem Modellversuch Journalistenweiterbildung und die Rundfunkanstalten mit ihrer Zentralstelle Fortbildung Programm neu engagiert. Expansion schließlich, was das Angebot an Lehr- und Arbeitsbüchern zum praktischen Journalismus betrifft: Während vor einem Jahrzehnt so gut wie keine Literatur hierzu vorlag, gibt es heute zwei einschlägige Buchreihen und diverse Einzeltitel; ein eigener Fachverlag hat sich auf dieses Gebiet spezialisiert. Im Vorwort zu einem der Standardwerke hebt der Chefreporter einer süddeutschen Tageszeitung als „besondere Qualität“ hervor, daß dieses Buch „in keinen Theorieverdacht geraten“ könne. Wenn er damit meint, daß an der Konzeption und an der Realisierung keine Wissenschaftler beteiligt waren, so irrt er freilich: Der Band ist wie mancher andere das Produkt einer guten Zusammenarbeit zwischen den sogenannten Theoretikern und den sogenannten Praktikern.
Diversifizierung Mit der Expansion war eine Diversifizierung verbunden. Die akademischen Ausbildungsangebote [...] lassen sich nach der organisatorischen Anlage und nach dem Berufsbezug sortieren. Was die Studienorganisation betrifft, so kann man grob zwischen einem einphasigen Integrationsmodell und einem Zwei-Phasen-Modell unterscheiden. Das Integrationsmodell versucht, die verschiedenen Studienelemente und die Praxisausbildung synchron oder in kurzfristiger diachroner Folge zu verbinden. Es ist mit einer Torte zu vergleichen, in der verschiedene Schichten neben- und aufeinander liegen: kommunikationswissenschaftliches und zum Teil allgemein sozialwissenschaftliches Grundstudium, Praxisphasen in Redaktionen oder vergleichbaren Ausbildungsbetrieben, fachwissenschaftliche Inhalte, reale oder simulierte Praxiserfahrung und Praxisreflexion in Lehrredaktionen. Die Aufbau- und Ergänzungsstudiengänge dagegen folgen dem Zwei-PhasenModell, wie es im Prinzip auch der Unterscheidung in Vorbildung und Ausbildung zugrunde liegt. Anders als im herkömmlichen Volontariat werden hier allerdings nicht vorwiegend instrumentelle Fertigkeiten vermittelt, sondern es stehen auch kommunikationswissenschaftliche Grundkenntnisse und eine antizipatorische Reflexion der Berufsrolle auf dem Lehrplan. Was den Berufsbezug betrifft, so kann man zwischen Kern- und Randstudiengängen unterscheiden. Die Kernstudiengänge peilen zentral das Berufsfeld Journalismus an, wie weit oder wie eng es im einzelnen auch immer definiert sein mag. Für die Randstudiengänge ist der Journalismus nur ein Berufsfeld unter mehreren. [...]
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Berufsfeldorientierung „Lehre und Studium sollen den Studenten auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten und ihm die dafür erforderlichen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden … vermitteln … .“ Dieses Postulat aus dem 1976 verabschiedeten Hochschulrahmengesetz, das dann später leicht variiert in den Hochschulgesetzen der Länder wieder auftaucht, hat auch die akademische Journalistenausbildung befördert, zumal in demselben Dokument „eine dem jeweiligen Studiengang entsprechende Verbindung von Wissenschaft und Praxis“ verlangt wird. Solche Forderungen sind einerseits ein Reflex auf Strukturwandlungen im Hochschul- und allgemein im Bildungswesen, andererseits haben sie diese beschleunigt. Die ersten Journalistik-Studiengänge zielten erklärtermaßen auf Tätigkeiten in den aktuellen Massenmedien. Die Studien- und Prüfungsordnungen in München und Dortmund nennen übereinstimmend das klassische Quartett Zeitung, Zeitschrift, Hörfunk und Fernsehen. Die fachlichen Schwerpunkte werden delegiert an die Spezial- bzw. Zusatzfächer, die im Hauptstudium aus einem unterschiedlich weit gefaßten Katalog von philosophischen, historischen, philologischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen gewählt werden können. Zum überwiegend sozialwissenschaftlich orientierten Grundstudium kommen häufig ähnliche Prioritäten im zweiten Studienabschnitt. So haben in Dortmund von 283 Studenten der ersten acht Jahrgänge 103 Politik als Zweitfach gewählt – bei weitem die größte Gruppe. Es überrascht folglich nicht, daß viele Absolventen der Pionierstudiengänge in den Bereichen Lokales und Regionales, Politik und Nachrichten arbeiten. Während die Schwerpunkte hier primär auf das Berufsfeld politischer Journalismus zielen, weisen die neuen Studiengänge teilweise andere fachliche Profile auf. Die institutionelle Anbindung und die inhaltliche Ausfüllung der Curricula bei den Nebenfach-Studiengängen in Hamburg, Bamberg und Gießen deuten darauf hin, daß der Numerus clausus in den Lehrberufen einer der Väter dieser Ausbildungsangebote war. Auf der Suche nach neuen Tätigkeitsfeldern für ihre Absolventen haben hier einige etablierte geisteswissenschaftliche Disziplinen Dependancen errichtet – mit dem Ergebnis freilich, daß sie die Eigendynamik dieser Gründungen teilweise unterschätzt haben. Bei allen Unterschieden im einzelnen schimmert in diesen Studiengängen eine gemeinsame geisteswissenschaftliche Grundierung durch, das Berufsfeld Kulturjournalismus (im weiteren Sinne) liegt nahe. Da hier manche Möglichkeiten der Fächerzuund -abwahl existieren, die Raum für eine individuelle Ausfüllung der Lehrpläne lassen, kann man allerdings den Studiengängen solche Berufsfelder nur sehr global zuordnen. Das ist anders in der entsprechenden Abteilung der Sporthochschule in Köln, wo man offen zugibt, Sportjournalisten ausbilden zu wollen. Die Schwerpunktsetzungen muten manchmal zufällig, gelegentlich sogar bizarr an. Sie sind meist Resultat des Versuchs, das fachliche Angebot der eigenen Hochschule und die antizipierte Nachfrage des Berufsfeldes zur Deckung zu bringen. So nennt Hohenheim den Lokal- und den Wissenschaftsjournalismus als Präferenzen. Im Ergänzungsstudiengang Hannover sind die drei Schwerpunktbereiche so weit gefaßt, daß sie kaum in der Lage sein dürften, die Erwartungen der Aspiranten zu strukturieren. „Kultur und Unterhaltung“, „Naturwissenschaften, Medizin, Technik“, „Wirtschaft, Recht und Soziales“ – dieser Katalog schließt keinen fachwissenschaftlichen Zugangsweg
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aus; die Arbeit mit einer multidisziplinär zusammengesetzten Studentengruppe, die mit heterogenen theoretischen und methodischen Vorkenntnissen ausgerüstet ist, wirft sicherlich besondere Probleme auf. Positiv ist zu bemerken, daß in diesen beiden Aufbaustudiengängen mit Natur-, Ingenieur- und Agrarwissenschaftlern Fachkulturen an den Journalismus herangeführt werden, die in diesem traditionell geistes- und sozialwissenschaftlich dominierten Berufsfeld bisher eine exotische Ausnahme darstellten. Auch die Freie Universität Berlin beginnt sich jetzt in dieser Richtung zu engagieren. Wie andere berufsbezogene Studienangebote, so muß auch die Journalistenausbildung zwischen zwei Klippen hindurchmanövrieren. Auf der einen Seite ein zu eng definierter Berufsbezug, der, vom alten Manpower-Ansatz ausgehend, eine direkte Verbindung von Ausbildungs- und Beschäftigungssystem suggeriert. Die Niederlagen der quantitativen Bildungsplanung in den sechziger und siebziger Jahren, die Unsicherheitsmargen der vorhandenen Prognoseinstrumente, schließlich die Substitutionsspielräume in den Medienbetrieben lassen eine unmittelbare Zuordnung von Tätigkeiten, Qualifikationen, Arbeitsplätzen und Personen obsolet erscheinen. Wenn das berufliche Tätigkeitsfeld indes zu weit gefaßt wird, wie in manchen kommunikationswissenschaftlichen Omnibus-Offerten, kann ein Studiengang keine eigene Identität gewinnen. Die meisten Neugründungen der letzten Jahre haben dieses Dilemma zu umschiffen versucht, indem sie stärker die Fachkomponente betont, die Berufsfelder, in denen diese umgesetzt werden kann, jedoch über die klassischen Massenmedien hinaus offengehalten haben – die Karriere des Begriffs „Fachjournalist“ verweist darauf.
Pragmatismus Auf das programmatische Jahrzehnt zwischen 1965 und 1975, das von Memoranden, Resolutionen und Richtlinienpapieren geprägt war, folgte ein Jahrzehnt des Pragmatismus. Die Modellschiffe haben die Konstruktionshallen und Trockendocks verlassen, und siehe: Sie schwimmen. Wenn man die Gründungsdokumente der jüngsten Journalistik-Studiengänge durchsieht, ist man überrascht, mit welch geringem Begründungsaufwand sie sich begnügen. So sehr man dies mit Blick auf die Anforderungen einer elaborierten Curriculumtheorie bedauern mag – man kann darin auch eine Nachreife der früheren programmatischen Anstrengungen erblicken, die vor allem mit Namen wie Günter Kieslich, Wolfgang R. Langenbucher, Manfred Rühl und Kurt Koszyk verbunden sind. Sie und ihre Mitarbeiter in den Pionier-Studiengängen haben viele Früchte, die wir heute ernten können, gesät. „Die Koordinierung der Journalistenausbildung bleibt mangelhaft“, so war vor zwölf Jahren ein Beitrag in der „Publizistik“ überschrieben (Fabris/Pausch/Schatz 1974/1975). Inzwischen hat sich die Vielfalt weiter erhöht. Obwohl die Koordinierungsbemühungen nicht zuletzt wegen des Scheiterns tarifvertraglicher und gesetzlicher Regelungen kaum fortgesetzt worden sind, hat sich so etwas wie ein latentes Kerncurriculum durchgesetzt. Einen stillen Konsens sehe ich in drei Punkten:
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Alle neuen Studiengänge streben eine Integration von theoretischer und praktischer Ausbildung an. Das theorieorientierte Studium wird ergänzt durch Praktika in Medienunternehmen und Praxisphasen in Laboren und Lehrredaktionen. Die wissenschaftliche Journalistenausbildung will Fach- und Vermittlungskompetenzen zugleich schulen. Die Studiengänge setzen hier unterschiedliche Akzente. Gemeinsam ist ihnen, daß sie das Fachstudium ergänzen durch ein kommunikationswissenschaftliches, zum Teil auch durch ein breiter angelegtes sozialwissenschaftliches Studium. Gesellschaftlich gesehen ist die wissenschaftliche Journalistenausbildung eine Antwort auf die wachsenden Anforderungen an die Kommunikationsberufe einer wissenschaftlich-technisch geprägten Welt. Eine erweiterte und verbesserte Qualifikation erhöht zudem die Autonomie- und Mobilitätschancen für den einzelnen. Deshalb vermeiden die neuen Studiengänge eine Fixierung auf enggefaßte Berufsrollen. Ohne Ausnahme bieten sie eine mehrmediale Ausbildung an.
In diesem Zusammenhang müssen auch einige Problemzonen angesprochen, einige kritische Fragen gestellt werden. Da ist erstens die Evaluation: Wird die Begleitforschung, deren Ergebnisse ja für die Revision der Curricula wichtig wäre, genauso ernst genommen wie bei den Pionierstudiengängen, die als Modellversuche hierzu verpflichtet waren? Ich habe nicht den Eindruck. Einige der Studiengänge müßten auch selbstkritischer als bisher den relativ hohen Abbruchquoten nachgehen. Da ist zweitens die Rekrutierung der Ausbilder. Fachlich und didaktisch versierte Medienmitarbeiter stehen inzwischen in beträchtlicher Zahl als Lehrbeauftragte zur Verfügung. Aber zu wenige arbeiten kontinuierlich in den neuen Studiengängen. Ein unflexibles Dienstrecht innerhalb der beamtenmäßig betriebenen Wissenschaft verhindert hierzulande einen Rollentausch auf Zeit oder auf Dauer. Schließlich drittens: Die sogenannte simulierte Praxis macht es möglich, die ausgetretenen Wege zu verlassen und neue Vermittlungsformen auszuprobieren. Werden solche Freiräume kreativ genutzt? Werden Alternativen entwickelt? Oder werden die gängigen Berufstandards einfach unreflektiert übernommen? Die 1976 in Salzburg begonnene Diskussion über eine adäquate Fachdidaktik, über die Zusammenhänge von Lernzielen und Lernformen wurde nicht mit der nötigen Intensität fortgesetzt. Vielleicht – hoffentlich! – wird sich dies ändern, wenn in Zukunft kleinere Studentenzahlen zu einer echten Wettbewerbssituation führen.
Qualitätsgefälle Die Zahl der Ausbildungsmöglichkeiten ist im letzten Jahrzehnt so markant gestiegen, daß der Deutsche Journalisten-Verband bereits vehement gegen diesen „Wildwuchs“ polemisiert. Warum diese Skepsis? Man kann das doch auch ganz anders sehen. So meldete der Leiter der jüngsten Journalistenschule ein halbes Jahr, bevor sie ihre Arbeit überhaupt aufgenommen hatte, bereits ihre Erfolge: „Die Flut der Bewerbungen hält unvermindert an. Wir rechnen damit, daß sich insgesamt bis zu 6000 junge Leute pro Jahr um einen
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Ausbildungsplatz in unserer Journalistenschule bewerben werden. Die Glücklichen, die den Einstieg schaffen, werden nach zweijähriger Ausbildung junge Top-Journalisten sein … .“ Im gleichen Beitrag erfährt der Leser, daß im Selbstverständnis des Journalisten Bescheidenheit und Selbstbewußtsein gleichermaßen wichtig sind. An Selbstbewußtsein mangelt es jenen nicht, die in der Journalistenausbildung eine Fortsetzung der Verlagswerbung mit anderen Mitteln sehen. Bescheidenheit steht indes den Schülern an, wenn sie darauf kommen, daß der Ausbildungsplan nur eine Modifikation des bisherigen Volontariats vorsieht, ergänzt um Kompaktkurse und eine innerbetriebliche Rotationsregelung. Wie andere Arbeitsmärkte, so ist auch der Journalismus nicht homogen, sondern gespalten in Segmente mit unterschiedlichen Beschäftigungs- und Belohnungschancen. Diese Erkenntnis der Berufsforschung drängt sich gerade angesichts der neuesten Entwicklungen wieder auf. Die Spaltung zeigt sich besonders eklatant bei den privaten Funkmedien. Das Berufsbild beginnt sich hier völlig zu ändern: Statt der Vermittlung von Informationen oder sonstigen Eigenproduktionen des Senders steht die Distribution von Fremdproduktionen der Musikindustrie im Vordergrund. Dieser präsentationsorientierte Jockeyjournalismus wird ergänzt durch eine Plauderpublizistik, die sich vielfach in blanker Selbstdarstellung erschöpft. Die Kulturarchäologen des übernächsten Jahrtausends mögen im „Modern Talking“-Palaver und in der Entertainisierung dermaleinst einen adäquaten Ausdruck des Wandels zur postindustriellen Freizeitgesellschaft erblicken. Bezüglich der Arbeitsverhältnisse mit ihrer Aufhebung der Trennung zwischen Programm, Technik und Werbung, bezüglich Berufssituation, Honorierung und sozialer Sicherheit läßt sich schon jetzt sagen, daß das Gros der dort Beschäftigten dem qualitativ schlechteren Teil der Arbeitsmarktsegmentation angehören wird. Als Folge dieser Entwicklung dürfte sich, so befürchte ich, auch der Ausbildungsmarkt noch weiter spalten. Erste Symptome sind bereits sichtbar. So bietet der Fachvermittlungsdienst des Arbeitsamts Düsseldorf in Kooperation mit einer privaten Fachschule für Betriebswirtschaft und Datenverarbeitung neuerdings einen Ausbildungskurs zum Lokalrundfunk-Journalisten an. Und in Kulmbach will eine „Akademie für Neue Medien“ im Herbst 1987 mit der Ausbildung beginnen. Wichtigstes Lernziel ist der Erwerb grundlegender Fähigkeiten im Umgang mit Geräten sowie den technischen und redaktionellen Einrichtungen eines Low-Power-Senders. Ein Blick in die Geschichte ist hier aufschlußreich. Während im 19. Jahrhundert die aktuellen Druckmedien ihre Leute hauptsächlich aus dem Reservoir der Akademiker rekrutierten, konnte der Bedarf der sich um die Jahrhundertwende etablierenden Massenpresse nur gestillt werden, indem die Ansprüche an die Vorbildung des Medienpersonals drastisch gesenkt wurden. Otto Groth hat eindringlich beschrieben, wie sich daraufhin „überall mehr geschäftstüchtige als pädagogisch befähigte Konjunkturritter“, die „in wenigen Wochen oder Monaten aus ihren Schülern und Hörern fertige Pressemenschen zu machen versprachen“, das Fehlen öffentlicher Bildungseinrichtungen für künftige Journalisten zunutze machten, und er hat diese „Schnellpressen“ an den Pranger gestellt (Groth 1962: 490). Heute beobachten wir bei den Berufsanfängern im Journalismus, gemessen an der formalen Bildung, einen Anstieg der Qualifikation. Neben der allgemeinen Akademi-
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sierung haben auch die speziellen Angebote der hochschulgebundenen Journalistenausbildung hierzu beigetragen. Gleichzeitig sind mit der Aufhebung der Arbeitsteilung in einigen Tätigkeitsfeldern bereits Deprofessionalisierungstendenzen zu spüren. Und wahrscheinlich werden noch mehr Low-Power-Ausbilder, für welches Medium auch immer, auf den Markt drängen und Trimmkurse für den kurzfristig auftretenden Bedarf offerieren. [...]
Rückblende III: 2002 „Journalistenausbildung für eine veränderte Medienwelt: Diagnosen, Institutionen, Projekte“ war das Thema einer weiteren Tagung an der Katholischen Universität Eichstätt am 18. und 19. Februar 2000, diesmal veranstaltet von der DGPuK-Fachgruppe Journalistik und Journalismusforschung. Neben einer Bestandsaufnahme der aktuellen Situation standen die Vorstellung neuer Studiengänge und der Erfahrungsaustausch über Praxisprojekte in unterschiedlichen Medien auf dem Programm. Die Ergebnisse wurden zwei Jahre später in einem Sammelband veröffentlicht, den Klaus-Dieter Altmeppen und der Autor ediert haben. Hier einige Passagen aus dem Eröffnungsvortrag (Hömberg 2002a).
Expansion und Differenzierung Im Rückblick auf die vergangenen drei Jahrzehnte lassen sich innerhalb der akademischen Journalistenausbildung drei Phasen unterscheiden: Die siebziger Jahre waren das Jahrzehnt der Programme und Postulate, die achtziger Jahre das Jahrzehnt der Institutionalisierung und Etablierung, die neunziger Jahre schließlich das Jahrzehnt der Expansion und Differenzierung. Im Folgenden dazu einige knappe Erläuterungen.
Programme und Postulate Es begann mit einem siebenseitigen Arbeitspapier, das Günter Kieslich am 23. Januar 1970 zur Sitzung des Deutschen Presserates in Karlsruhe vorlegte und das die Überschrift trug „Probleme der journalistischen Aus- und Fortbildung“. Dieses Papier führte nach vielen Diskussionen und Modifikationen schließlich zum berühmten „Memorandum zur Journalistenausbildung“ des Deutschen Presserates vom Januar 1971, an dem aus unserem Fach auch Kurt Koszyk und Wolfgang R. Langenbucher als Impulsgeber und Autoren beteiligt waren. Das Memorandum, das zwei Jahre später in überarbeiteter und ergänzter Form erneut vorgelegt wurde (abgedruckt in Aufermann/Elitz 1975), gab den Anstoß zu einer Fülle weiterer programmatischer Papiere von Verbandsvertretern aus dem Medienbereich. Damit war eine Debatte eröffnet, an der sich Journalisten, Verleger und Rundfunkanstalten beteiligten. An einigen Universitäten begannen die ersten CurriculumWerkstätten mit der Arbeit, und auch sie produzierten viel – im wörtlichen Sinne – „graue Literatur“. Haupt- und Neben-, Grob- und Feinlernziele wurden formuliert, Lehrpläne entworfen, didaktische Umsetzungsstrategien entwickelt. […]
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Bereits Kieslich hatte immer wieder die enge Verzahnung von Ausbildung und Berufsforschung betont. Seine Vorschläge sahen unter anderem folgende Studien vor (vgl. Langenbucher 1972: 65): x x x x x
eine systematische Analyse der mit Journalistenausbildung befassten Einrichtungen in der Bundesrepublik hinsichtlich institutioneller und curricularer Aspekte; eine Analyse der wichtigsten einschlägigen Ausbildungssysteme in anderen Ländern; soziologische Studien zum Berufsbild des Journalisten und zur Entstehung neuer Kommunikationsberufe; Studien zu Bedarfsschätzung und Bedarfsprognosen sowie schließlich Pilotstudien über Curriculum-Probleme.
Die siebziger Jahre brachten dann in der Tat eine Fülle empirischer Erhebungen zur journalistischen Berufssituation. Die meisten von ihnen waren von der damaligen Bundesregierung in Auftrag gegeben worden angesichts der Strukturwandlungen auf dem Medienmarkt (Zeitungssterben, Presse- und Medienkonzentration, Expansion der Telekommunikation etc.). Der zweite Medienbericht an den Deutschen Bundestag konnte 1978 mit Recht resümieren: „Durch die im Forschungsprogramm der Bundesregierung angeregten und unterstützten Kommunikatorstudien ist dieser Bereich inzwischen empirisch so weit erfasst worden, dass frühere Forschungslücken hinsichtlich der Soziographie und Arbeitsmarktlage in journalistischen Berufen weitgehend geschlossen werden konnten.“ Die Forschung bezog sich auch auf die Studiengänge selbst. Die ersten Absolventenstudien wurden vorgelegt, empirische Begleitstudien begonnen. Die Bund-LänderKommission, die die Modellstudiengänge förderte, verlangte Evaluationsuntersuchungen – nur erfolgreiche Modellstudiengänge hatten eine Chance, auf Dauer eingerichtet zu werden.
Institutionalisierung und Etablierung Mit Beginn der achtziger Jahre gingen die Prototypen in Dauerproduktion, aus den Modellversuchen wurden ständige Studiengänge. Weitere Universitäten engagierten sich in diesem Bereich. Als die DGPuK im Mai 1987 in Eichstätt zu ihrer zweiten Ausbildungstagung zusammenkam, gab es bereits neun dezidiert berufsbezogene Studienangebote: x x x
drei Hauptfachstudiengänge (München, Dortmund, Eichstätt), drei Nebenfachstudiengänge (Hamburg, Bamberg, Gießen) sowie drei Aufbaustudiengänge (Mainz, Hohenheim, Hannover). [...]
Von den neuen Studienangeboten gingen manche Impulse aus: Auch in den klassischen Publizistik-Instituten wurde nun verstärkt über den Berufsbezug nachgedacht, und die Binnenstruktur der Studiengänge dort blieb davon nicht unbeeinflusst.
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Beim Rundfunkkongress der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien im Jahre 1989 bat mich der Veranstalter, einen Vortrag zum Thema „Journalistenausbildung im Hörsaal“ zu halten (vgl. Hömberg 1990). Hörsaal – Vorlesung – Theorie: Diese Assoziationskette drängt sich geradezu auf. Den Journalistik-Studiengängen dagegen geht es gerade darum, „Theorie“ und „Praxis“ permanent und intensiv zu verbinden. Die Ausbildung findet nicht nur im Hörsaal, sondern auch in der Lehrredaktion, im Fotolabor, im Hörfunk- und Fernsehstudio statt.
Expansion und Differenzierung Für die neunziger Jahre ist insbesondere die Zunahme an Studiengängen und Ausbildungsstätten bemerkenswert. Joachim Westerbarkey konnte 1981 in seinem „Studienführer Publizistik/Journalistik/Kommunikation“ 26 Einrichtungen mit kommunikationswissenschaftlichem Schwerpunkt ermitteln und 83 sonstige Institutionen, die in diesem Bereich aktiv sind. Als 1996 Renate Hackel-de Latour und der Verfasser nach ähnlichen Erhebungskriterien das Feld sondierten, war die Zahl der Schwerpunkt-Institute bereits angewachsen auf 41, die insgesamt etwa 60 Studiengänge mit unterschiedlichem Ausbildungsprofil anboten. Auch die Zahl der sonstigen Institutionen, die sich innerhalb der Aus-, Fort- und Weiterbildung engagieren, war mit 109 gegenüber 83 markant angestiegen. […] Die Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt war weiterhin durch eine inhaltliche und formale Differenzierung der Studienofferten gekennzeichnet. Sie zeigt sich auf vier Ebenen: x
x x
x
Erstens auf der Ebene der fachlichen Spezialisierung: Während die schon länger bestehenden Studiengänge vorwiegend Omnibus-Studiengänge waren, werden zunehmend Fachjournalisten ausgebildet: zum Beispiel Sport- oder Technikjournalisten. Zweitens auf der Ebene der Berufsrollen: Hier ist insbesondere die Auftragskommunikation – Public Relations bzw. Öffentlichkeitsarbeit – auf dem Vormarsch. Drittens auf der Ebene neuer Berufsbilder, vor allem durch neue Schneidungen mit Wirtschaftsberufen (wie Medienmanager), mit Technikberufen (wie Telematikspezialist, Info-Broker, Webmaster) und/oder Berufen mit ästhetischer Grundausrichtung (wie Media-Designer). Viertens schließlich auf der institutionellen Ebene: Hier ist vor allem das neue Engagement der Fachhochschulen bemerkenswert.
Evaluationsuntersuchungen werden die Leistungsfähigkeit der neuen Studienangebote überprüfen müssen. Bieten die Fachhochschulen nur eine „Ausbildung light“ – oder können sie ein eigenes Profil entwickeln (vgl. Liebmann 2000)? Bringen die neuen Bachelor-/Masterstudiengänge, die derzeit anlaufen, nur Rationalisierungs- und Entlastungseffekte für die überlaufenen Universitäten – oder setzen sie auch inhaltlich neue Impulse? […]
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Am Schluss steht die Frage: Was tun? Für unterschiedliche Institutionen, die sich in diesem Bereich engagieren, wird die Antwort jeweils verschieden ausfallen. Für die Universitäten scheint mir die Antwort ganz einfach: Wir müssen uns als akademische Journalistenausbilder auf unser Kerngeschäft besinnen – das ist der Informationsjournalismus. Hier stehen wir auf halbwegs sicherem Grund, gezimmert aus professionellen Regeln und berufsethischen Prämissen. Das Ziel muss natürlich Qualität heißen – ein Begriff, zu dem in der Fachdiskussion der letzten Jahre ja manches Weiterführende gesagt und geschrieben wurde [...]. Über die Kriterien journalistischer Qualität herrscht inzwischen weitgehend Konsens. Übereinstimmung gibt es auch darüber, dass es zur Qualitätssicherung eines Netzwerks journalistischer Infrastrukturen bedarf. Die Ausbildung ist dabei ein Basiselement: Qualität durch Qualifikation! Wie alle Bildungsbereiche muss sich auch die Journalistenausbildung auf aktuelle Entwicklungen einstellen. Aber der alte Manpower-Ansatz, der eine direkte Verbindung von Ausbildungs- und Beschäftigungssystem suggerierte, hat sich als obsolet erwiesen. Gerade in Zeiten des Wandels ist es wichtiger, Schlüsselqualifikationen zu trainieren: Kritikfähigkeit, Problemlösungsvermögen, Kreativität und Kooperationsfähigkeit. Die Ausbildung sollte vor allem die Basisqualifikationen ins Visier nehmen. Die Bedeutung einfacher Prinzipien ist mir klar geworden, als ich vor Jahren einen erfahrenen Kollegen aus den USA fragte, was für die Journalistenausbildung am wichtigsten ist. Er nannte drei Punkte: 1. 2. 3.
„Read, read, read!“ „Write, write, write!“ „Fast, fast, fast!“
Nach mehr als fünfzig Semestern Tätigkeit in diesem Bereich möchte ich die ersten zwei Punkte unterstreichen und den dritten in Frage stellen.
Read, read, read! Während die Mediennutzungsdauer insgesamt stark zugenommen hat, bleibt die für Lektüre aufgewendete Zeit auf geringem Niveau stabil. Dabei ist dieser Kommunikationsmodus für den Erwerb von Sach- und Fachkompetenzen zentral. Studieren heißt vor allem Lesen. Gemeint ist nicht die Zapping-Lektüre von Bildschirmseiten oder Fotokopierfragmenten, sondern das ganzheitliche Lesen von längeren Texten, speziell von Büchern. Das analytische Lesen einzuüben und mit Nachdruck einzufordern, bleibt nach wie vor eine Kernaufgabe universitärer (Aus-)Bildung. Die Begründung ist einfach: „Bücher und andere klassische Printmedien sind die Arche Noah in der Sintflut des Sinns“ (Bolz 1997: 28).
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Write, write, write! Schreiben – damit ist in der Journalistenausbildung die Umsetzung gemeint: nicht nur das Texten im klassischen Verständnis, sondern auch das Aufnehmen, Schneiden, Mischen und Senden von Tönen, das Illustrieren per Foto, Film, Video etc. Die Reihenfolge ist dabei nicht beliebig. Am besten die Mediengeschichte noch einmal: x x x x x x
Im Anfang war das Wort, dann der Printjournalismus, dann der Bild-, später der Fotojournalismus, dann der Hörfunkjournalismus, dann der Fernsehjournalismus, dann, erst dann, der Online- bzw. Internetjournalismus.
Die mehrmediale Ausbildung für Kommunikationsberufe war eine Errungenschaft der neuen Studienangebote für Journalisten. Das klassische Medienquartett Zeitung, Zeitschrift, Hörfunk und Fernsehen ist durch den Online- bzw. Internetsektor inzwischen zum Quintett erweitert worden. Wenn sich einige neue Ausbildungsinstitutionen zukünftig nur auf ein Medium konzentrieren wollen (Fernsehen bzw. Online-Journalismus), so ist das ein Rückschritt. Write, write, write: Das heißt vor allem üben, üben, üben, sei es intern in sogenannter simulierter Praxis, in Lehrredaktionen und Lehrstudios, sei es extern in Hospitanzen und Redaktionspraktika. Nur so lassen sich Vermittlungskompetenzen erwerben – durch Versuch und Irrtum. Den Zusammenhang von Lesen und Schreiben hat im Übrigen besonders eindrücklich Hilde Spiel (1989: 155) betont: „Wie lernt man schreiben? Indem man liest.“
Fast, fast, fast? Der Journalismus steht unter dem Zeitdiktat des jeweiligen Mediums – und längst ist die Gleichzeitigkeit erreicht. Täglich die gleichen Bilder: Der Fernsehreporter neben dem Fly-away, der Satellitenschüssel. Für den Journalismus bedeutet das Schrumpfen von Raum und Zeit, dass die Distanz zum Berichtsobjekt immer mehr schwindet. Dadurch schwindet die Möglichkeit zur gründlichen Recherche, zum Gegencheck, zur Einordnung – das System Journalismus wird für Fehler immer anfälliger. „Be first, but first be right“ – Beschleunigungsdruck und Konkurrenzzwang haben diese alte journalistische Zunftregel teilweise außer Kraft gesetzt. Seit Ende des 16. Jahrhunderts sind graphische Darstellungen überliefert, die vorn den Postreuter mit Pferd und Kutsche zeigen – er bringt die Nachrichten in größter Eile. Im Hintergrund humpelt der Hinkende Bote heran – er korrigiert dann die Falschmeldungen des Postreuters. Vielleicht muss auch der Journalismus die Langsamkeit als korrigierendes Element wieder entdecken. Die Ausbildung sollte es in jedem Fall.
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Gute Ausbildung kann nur in der richtigen Mischung von Nähe und Distanz gelingen. Die (Er-)Kenntnis der journalistischen Praxis, ihrer Konventionen und Routinen, ist ein zentrales Lernziel – es sollte allerdings eher um (auch berufsethische) Reflexion als um Imitation gehen. Ausbildung als Probehandeln, nicht dem täglichen Verwertungsdruck unterworfen, mit der Chance zur Innovation. Vor kurzem hat sich Stephan Ruß-Mohl auf die Suche nach Leitbildern für guten Journalismus gemacht (2002). Er plädiert für den Entdecker Kolumbus und Hippokrates, den Arzt. Als Symbolfigur für Journalistenausbilder taugt meines Erachtens nur einer: Sisyphos. Sisyphos nicht als Symbol für Fatalismus, sondern ganz im Sinne von Camus. Wir dürfen uns Sisyphos also als glücklichen Menschen vorstellen.
Rückblende IV: 2005 Der „Studienführer Journalismus, Medien, Kommunikation“, 1996 von Renate Hackel-de Latour und vom Verfasser zuerst herausgegeben, dokumentiert von Auflage zu Auflage die Zunahme der wissenschaftlichen Studiengänge und der sonstigen Aus- und Fortbildungsangebote für Kommunikationsberufe. Die zweite Auflage ist 2000, die dritte 2005 erschienen. Im Folgenden einige Auszüge aus dem Einführungsaufsatz zur bisher letzten Ausgabe (Hömberg 2005).
Wegweiser durch die Ausbildungslandschaft „... es gibt sogar amtlich protegierte Hochschulen, die junge Leute mit elterlicher Genehmigung dazu erziehen, über die Vorgänge in der Welt von berufswegen zu schreiben. Ist das ein Fortschritt?“, fragte Georg Bernhard, Chefredakteur der angesehenen „Vossischen Zeitung“ in Berlin (1925). Und er gab sogleich eine eindeutige Antwort: „Ich leugne ihn. Der Journalismus soll nicht nur ein freier, er soll auch ein ungeordneter Beruf bleiben. Ein Beruf, in dem jeder seinen Weg geht, in dem es keine Rangklassen, keine Tressen und keine Titularien geben darf. Sonst geht der Spiritus zum Teufel und das Phlegma bleibt. Denn gerade darin liegt das Beste des journalistischen Berufes, daß nur aus Berufung in ihm Hervorragendes geleistet werden kann.“ Nach dieser Vorstellung gehören insbesondere Begabung und Charakter zum Rüstzeug der Kommunikationsberufe. Auch heute noch kann man solche idealistisch grundierten (Selbst-)Deutungen, in denen „Beruf“ von „Berufung“ abgeleitet wird, lesen und hören. Aber diese Position wird immer seltener vertreten. „Kann man Journalist lernen?“ Die Antwort lautet schlicht: Ja! „Das Ende aller journalistischen Urkraft ist das Examen.“ Auch dieses Diktum Bernhards kann heute wenig schrecken: Schon vor gut einem Jahrzehnt hatten fast zwei Drittel aller Journalisten und Journalistinnen in der Bundesrepublik Deutschland erfolgreich ein Studium absolviert (etwa 60 Prozent mit dem Magister oder Diplom, 5 Prozent mit der Promotion). Für die meisten Medienbetriebe ist der Studienabschluss inzwischen sogar die Bedingung für ein Volontariat. Der Trend zur Akademisierung ist im Journalismus und in anderen Kommunikationsberufen also unverkennbar. Aber nach wie vor gilt: Viele Wege führen in diese Be-
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rufe. Im Allgemeinen werden verschiedene Vor- und Ausbildungsformen kombiniert, etwa Fachstudium und Volontariat oder Fachstudium und Journalistenschule. Neben dem klassischen dualen Modell – „theoretische“ Vorbildung in der Hochschule, „praktische“ Ausbildung in Medienbetrieben – haben seit den achtziger Jahren immer mehr junge Journalisten integrierte Studienmodelle gewählt; mit Erfolg, wie diverse Absolventenbefragungen zeigen. In den letzten drei Jahrzehnten haben die Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote für Medien- und Kommunikationsberufe markant zugenommen. Immer mehr Universitäten, Fachhochschulen, Akademien, Journalistenschulen und sonstige Institutionen engagieren sich auf diesem Gebiet. Das Angebot ist fast unüberschaubar geworden. […] Die erste Auflage dieses Studienführers, die 1996 erschienen ist, enthielt ausführliche Darstellungen von 41 Instituten, die wissenschaftliche Studiengänge offerieren, sowie Kurzporträts von 109 weiteren Aus- und Fortbildungsangeboten. In der zweiten Auflage, die vier Jahre später herauskam, war die Anzahl bereits deutlich gestiegen, und zwar auf 58 wissenschaftliche Einrichtungen und 134 weitere Aus- und Fortbildungsangebote. Für die vorliegende dritte Auflage haben wir alle Angaben überprüft und aktualisiert. Außerdem wurden viele neu angebotene Ausbildungsgänge aufgenommen. Der erste Teil des Studienführers enthält jetzt ausführliche Darstellungen von 70 Instituten mit wissenschaftlichen Studiengängen. […] Mit 143 gegenüber 83 ist auch die Zahl der sonstigen Institutionen, die sich im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung engagieren, markant angestiegen. Das „Neue Memorandum für einen Rahmenplan zur Journalistenausbildung“, 1973 im Auftrag des Deutschen Presserats von einer Expertenkommission vorgelegt, benannte sieben Standorte für zukünftige Zentren. Alle bieten inzwischen entsprechende Studiengänge an. Die Bundesländer setzen dabei allerdings unterschiedliche Akzente. Am stärksten engagieren sich Bayern und Nordrhein-Westfalen, während sich die Länder im Norden eher zurückhalten. Die meisten neuen Studiengänge wurden in den letzten Jahren in den östlichen Bundesländern gegründet. Auch in Österreich und der Schweiz sind weitere Studienangebote hinzugekommen [siehe Abbildung 1]. Außer der Expansion ist eine zunehmende Differenzierung zu beobachten. Sie zeigt sich einmal in der formalen Unterscheidung von Hauptfach- und Nebenfach-, Aufbau- und Ergänzungs-, Magister- und Diplomstudiengängen. Neben den Universitäten und speziellen Hochschulen haben in den letzten Jahren immer mehr Fachhochschulen Angebote für Medien- und Kommunikationsberufe in ihr Programm aufgenommen. Und immer mehr Hochschulen kooperieren mit privaten Einrichtungen: Die einen liefern dann das Studienangebot, die anderen die journalistische Praxis.
Der Bologna-Prozess Einen großen Umbruch bedeutet der so genannte Bologna-Prozess: 29 europäische Staaten haben 1999 in der Hauptstadt der norditalienischen Region Emilia-Romagna vereinbart, bis zum Jahre 2010 einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen.
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Abbildung 1: Wissenschaftliche Studiengänge für Kommunikationsberufe (Quelle: Hömberg/Hackel-de Latour 2005: 26)
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Hauptziel ist die Einführung eines zweigliedrigen Studiums mit den Abschlüssen Bachelor und Master. Die Bachelorstudiengänge sollen dabei Grundkenntnisse und Basiswissen für die Berufskompetenzen vermitteln, auf die dann Masterstudiengänge mit spezieller Ausrichtung aufbauen können. Dieses international ausgerichtete gestufte Studiensystem [...] setzen auch immer mehr kommunikations- und medienwissenschaftliche Studiengänge um. So existieren jetzt teilweise mehrere Abschlüsse nebeneinander (Bachelor of Arts, Baccalaureus Artium und Bakkalaureat, Master of Arts, Magister Artium und Diplomjournalist). Die Differenzierung zeigt sich zum anderen in Bezug auf die Berufsorientierung. Während die Institute für Zeitungs- und Publizistikwissenschaft früher vorwiegend Omnibusstudiengänge für das weite Feld der Kommunikationsberufe anboten, setzen die neuen Studienordnungen immer häufiger Schwerpunkte. Das Angebot ist teilweise unterschieden nach Berufsfeldern wie Journalismus, Public Relations und angewandte Kommunikationsforschung. Manche Institute haben sich noch weiter spezialisiert. Sie wollen Medienberater oder Kommunikationsmanager ausbilden oder zielen auf einzelne journalistische Ressorts, etwa den Sport-, den Technik- oder den Wissenschaftsjournalismus. Andere beschränken sich auf einzelne Medien wie Film oder Buch. Wichtig ist hier allerdings, dass das Spezialisierungsfeld nicht zu klein ist. So wurde der Ergänzungsstudiengang Literaturkritik an der Universität München schon nach kurzer Zeit wieder eingestellt – der Arbeitsmarkt hat hier offenbar die Erwartungen der Curriculumkonstrukteure nicht einlösen können. [...]
Quantität und Qualität Gerade angesichts der Zunahme an Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Kommunikationsberufe wird es immer schwerer, ihre Qualität zu beurteilen. Ein Studienführer wie dieser kann nur Selbstdarstellungen präsentieren, die verständlicherweise nicht immer (selbst-)kritisch angelegt sind. Aber es gibt durchaus die Möglichkeit, sich ein Bild über die Leistungsfähigkeit zu machen. Zum einen ist zu prüfen, ob die Anbieter aufgrund ihrer Infrastrukturen überhaupt halten können, was die Studienordnungen versprechen. Wird die Verbindung von „Theorie“ und „Praxis“ auch wirklich im Studienalltag hergestellt? Sind die nötigen Infrastrukturen – Lehrredaktionen, Labore, Studios etc. – überhaupt vorhanden? Oder beschränkt sich das Angebot auf sporadische Seminare durch Berufspraktiker, die lediglich „Trockenübungen“ veranstalten? Und wie steht es um das quantitative Verhältnis von Lehrpersonen zu Studierenden, die sogenannte Betreuungsrelation? Zum anderen ist zu fragen, ob sich die beteiligten Institutionen einer wissenschaftlichen Qualitätskontrolle stellen. Werden Evaluationsstudien durchgeführt? Gibt es Erhebungen zu Motivation, Erwartungen, Berufszielen der Studierenden? Liegen Untersuchungen vor, die die Berufseinmündungen und Berufswege der Absolventen systematisch erfassen? Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass manche Studiengänge noch zu neu sind, um hier schon Erfahrungen und Erkenntnisse präsentieren zu können.
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Und schließlich: Beteiligen sich die verantwortlichen Lehrpersonen an der Fachdiskussion zur Ausbildungsreform, an der Diskussion von Lernzielen und Lerninhalten, von Lehr- und Lernformen? Die neuen Studienangebote der siebziger Jahre waren als Modellversuche angelegt. Die Teilnahme am curricularen Diskurs, an der berufspolitischen Diskussion, am fachlichen Austausch gehörte damals zu den Bedingungen der Möglichkeit der Etablierung. Heute ist vielerorts leider nur ein galoppierender Pragmatismus zu beobachten.
Blick in die Zukunft Ausweislich der Beschäftigungsstatistik hat sich der Mediensektor in den vergangenen Jahrzehnten dynamisch entwickelt. Die Zahl der Journalisten, ob festangestellt oder freiberuflich tätig, ist insgesamt deutlich gestiegen. Allerdings handelt es sich keineswegs um eine lineare Zunahme: Die „Medienkrise“ der letzten Jahre hat in einigen Bereichen zu einem Abbau von Arbeitsplätzen geführt. Expansiv entwickelt sich der Bereich der Public Relations, für den – mit Verzögerung – ebenfalls eine rege Diskussion um Berufsbild, Berufsforschung und Berufsausbildung eingesetzt hat. Die Entwicklungstrends für die Kommunikationsberufe sind unterschiedlich, zum Teil sogar gegenläufig. Einerseits lösen sich herkömmliche Formen der Arbeitsteilung auf – etwa beim privaten Rundfunk, wo in manchen Tätigkeitsfeldern sogar die Trennungslinien zwischen Programm, Technik und Werbung verschwimmen. Andererseits sind neue Berufsschneidungen und neue Spezialisierungsvarianten zu beobachten. An den Schnittstellen entwickeln sich teilweise sehr spezielle Tätigkeitsfelder, wie etwa das neu entstandene Berufsbild des Infografikers oder des Dokumentationsredakteurs zeigt. Seit etwa zehn Jahren dreht sich die Diskussion vor allem um die Zauberworte Multimedia, Online und Internet. Berufsbezeichnungen wie „MultimediaKonzeptionist“, „Multimedia-Produzent“, „Multimedia-Screen-Designer“, „Softwarelektor“ und „Onlineredakteur“ sind am Horizont erschienen. Auch wenn hier nicht alle Blütenträume gereift sind, haben schon einige Ausbildungsinstitutionen solche Berufsbilder angepeilt (etwa mit dem Abschluss als Master Multimediale Kommunikation). Gewiss muss sich auch der Bildungssektor auf die jeweils aktuellen Entwicklungen einstellen. Aber der alte Manpower-Ansatz, der eine direkte Verbindung von Ausbildungs- und Beschäftigungssystem suggeriert, hat sich schon häufig als falsch erwiesen. Das Verhältnis von Ausbildung und Berufspraxis sollte sowohl von Nähe als auch von Distanz geprägt sein. Auf die richtige Mischung kommt es an – und die findet man am ehesten in einer akademischen Vor-, Aus- und Weiterbildung, die Sachkompetenz, Fachkompetenz, Vermittlungskompetenz, Organisationskompetenz und soziale Kompetenzen gleichermaßen im Visier hat. [...]
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Resümee: ein Blick zurück nach vorn Im Rückblick kann man die Entwicklung der hochschulgebundenen Journalistenausbildung durchaus als Erfolgsgeschichte sehen. Die Wertschätzung dieses Qualifizierungs- und Rekrutierungsweges in den berufspolitischen Debatten, die Zunahme an einschlägigen Studiengängen und Instituten, die Differenzierung der Angebote, die Beschäftigungschancen und Berufswege der Absolventen – all dies sind Indikatoren, die für eine positive Bilanz sprechen. Obwohl der Zugang zum Journalismus und zu anderen Kommunikationsberufen formell weiter „frei“ ist, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten der Trend zur Akademisierung immer weiter durchgesetzt. Fast 70 Prozent der Journalisten und Journalistinnen in Deutschland haben inzwischen erfolgreich ein Studium absolviert, in welchen Fächern auch immer (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 67ff.). Dabei gibt es kein Monopol bestimmter Disziplinen, aber immerhin hat schon jeder Sechste Journalistik bzw. Publizistik-, Kommunikations- und Medienwissenschaft als Hauptfach studiert. Nach wie vor gilt: Viele Wege führen in die Medien – aber inzwischen ist ein Studienabschluss meist sogar die Bedingung für ein Volontariat. Die Reformmodelle der Journalistik – insbesondere die Diplomstudiengänge in Dortmund, München, Eichstätt und Leipzig – sind entstanden nach intensiven Diskussionsprozessen zwischen den Berufsorganisationen der Medienakteure und innovativen Hochschullehrern, die in der Verbindung von „Theorie“ und „Praxis“ einen geeigneten Weg zur Verbesserung der Ausbildungsqualität sahen. Die Herausforderung dabei war und ist, die Eigenlogik beider Bereiche im Blick zu behalten und innerhalb dieses Spannungsfeldes einen Brückenschlag zu versuchen (vgl. auch Hömberg 2006; Blöbaum 2008). Die einschlägigen Absolventenstudien zeigen, dass die angestrebten Ziele weitgehend erreicht wurden (vgl. u. a. Wilke/Wurth 2004; Neuberger 2005). Auch das ist ein Befund, der für andere Studienrichtungen keineswegs wie selbstverständlich zutrifft. Unter den Nachrichtenwerten schlägt der Negativismus den Erfolg. Schon deshalb darf auch der Journalistikwissenschaftler die negativen Seiten nicht ausblenden. In den letzten Jahren sind auch bedenkliche Entwicklungen zu beobachten – etwa ein Rückgang der lange geforderten „überbetrieblichen Ausbildung“: Manche Redaktionen unterlaufen schlicht die tarifvertraglichen Regelungen. Und immer mehr Medienunternehmen haben eigene „Journalistenschulen“ gegründet: Gruner + Jahr, Springer, Burda und der Verlag der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Damit ist ein Trend zur Reprivatisierung der Ausbildung nicht zu übersehen. An den Hochschulen markiert der so genannte „Bologna-Prozess“ einen Umbruch: In dieser altehrwürdigen Universitätsstadt am Fuße der Apennin wurde vor einem Jahrzehnt eine Universitätsreform beschlossen, der sich inzwischen 46 Staaten angeschlossen haben. Erklärtes Ziel war es, einen gesamteuropäischen Hochschulraum zu schaffen, der international wettbewerbsfähig ist. Internationalität und Interdisziplinarität – das waren zentrale Schlagworte dieser Reform von oben, die dann in den einzelnen Ländern exekutiert werden sollte bzw. musste. Die Folge war und ist die „Modularisierung“ des Studiums, die faktisch auf eine rigorose Verschulung hinausläuft.3 3
Besonders gegen diese Entwicklung und die Gefahr eines Scheuklappen-Studiums haben sich die bundesweiten Proteste der Studierenden im Juni 2009 gerichtet.
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Manches von dem, was als jeweils neueste Kreation der Hochschulreform daherkommt, ist ein alter Hut: Die Reformstudiengänge der Journalistik jedenfalls hatten längst den geforderten stärkeren Berufsbezug realisiert. Auch die Evaluation des Studiums durch Begleituntersuchungen und Absolventenbefragungen war hier gängige Praxis (vgl. Nowak 2007; Prummer 2009). Die Hüte sind gleich geblieben, aber die Köpfe haben sich geändert. Vor vier Jahrzehnten bestimmten politisch und gesellschaftlich grundierte Zielvorstellungen die curricularen Debatten: soziale Mobilität, Transparenz, Partizipation, Reflexionsfähigkeit, Erhöhung professioneller Kompetenz und Autonomie durch wissenschaftliche Ausbildung. Heute lauten die Stichwörter Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz und Humankapital (vgl. Hömberg 2002b). Nicht nur die Hochschulen, sondern auch die Medien befinden sich derzeit in einer Umbruchsituation: Die Expansion der Online-Kommunikation hat Auswirkungen auf alle Medien. Crossmediales Arbeiten setzt sich immer mehr durch (vgl. Meier 2007). Dies erfordert Konsequenzen für die journalistischen Arbeitsprozesse, die Redaktionsorganisation und – last, but not least – für die Ausbildung.4 Die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise, die längst auch die Medien erreicht hat, kommen hinzu. Die Bewährungsprobe für die zweigliedrigen Studiengänge mit den Abschlüssen Bachelor und Master steht noch aus. Es ist zu erwarten, dass der größte Teil des journalistischen Nachwuchses bereits nach dem Bachelor-Abschluss in die Medien strebt. Das wäre gegenüber dem ja schon weitgehend erreichten Ziel einer vertieften wissenschaftlichen Vor- und Ausbildung für diesen Beruf, die auch historische Kenntnisse, theoretische Fundierung und ethische Reflexion umfasst, ein Rückschritt. So bleibt am Schluss die Frage: Wird die Journalistenausbildung wieder einmal dem Vorbild der „Echternacher Springprozession“ folgen (vgl. Weischenberg 1990 und 2008)? Im Mittelpunkt dieses jeweils am Pfingstdienstag stattfindenden Pilgertreffens in der luxemburgischen Kantonshauptstadt steht ein rhythmischer Tanz mit folgendem Grundmuster: drei Schritte vorwärts und zwei Schritte zurück.
Literatur Altmeppen, Klaus-Dieter/Hömberg, Walter (Hrsg.) (2002): Journalistenausbildung für eine veränderte Medienwelt. Diagnosen, Institutionen, Projekte. Wiesbaden. Aufermann, Jörg/Elitz, Ernst (Hrsg.) (1975): Ausbildungswege zum Journalismus. Bestandsaufnahmen, Kritik und Alternativen der Journalistenausbildung. Opladen. Bernhard, Georg (1925): Kann man Journalist lernen? In: Prager Tageblatt, Nr. 284 v. 6.12.1925. Blöbaum, Bernd (2008): Die hybride Disziplin. Das Spannungsfeld der Theorie-Praxis-Integration in der Journalistik. In: Pörksen, Bernhard/Loosen, Wiebke/Scholl, Armin (Hrsg.): Paradoxien des Journalismus. Theorie – Empirie – Praxis. Festschrift für Siegfried Weischenberg. Wiesbaden, S. 649-661. Bolz, Norbert (1997): Wieviel Medien verträgt der Mensch? In: Reden zum Festakt 125 Jahre Ingolstädter Zeitung am 26. Mai 1997. Ingolstadt, S. 13-28. Fabris, Hans Heinz/Pausch, Rolf/Schatz, Kurt (1974/1975): Die Koordinierung der Journalistenausbildung bleibt mangelhaft. Eine vergleichende Bestandsaufnahme der Modelle zur wissenschaftlichen Journalistenausbildung und Thesen zur Reformulierung eines Dilemmas. In: Publizistik, 19./20. Jg., S. 475-480. Groth, Otto (1962): Die unerkannte Kulturmacht. Grundlegung der Zeitungswissenschaft (Periodik). Bd. 4. Berlin.
4
Siehe dazu die soeben abgeschlossene Dissertation von Michael Harnischmacher (2009), der die Situation in Deutschland und den USA vergleichend analysiert.
Journalistenausbildung an Hochschulen – eine Erfolgsgeschichte?
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Gruber, Thomas (1975): Die Übernahme der journalistischen Berufsrolle. Eine sozialwissenschaftliche Analyse. Nürnberg. Hagemann, Walter (1956): Fallen Journalisten vom Himmel? Zur UNESCO-Konferenz über die Berufsausbildung der Journalisten. In: Publizistik, 1. Jg., S. 147-157. Harnischmacher, Michael (2009): Hochschulgebundene Journalistenausbildung im Spannungsfeld zwischen Medienwandel und Hochschulreform. Ein Vergleich zwischen Deutschland und den USA. Dissertation Eichstätt. Hömberg, Walter (Hrsg.) (1978a): Journalistenausbildung. Modelle, Erfahrungen, Analysen. München. Hömberg, Walter (1978b): Journalistenausbildung zwischen Postulat und Realisierung. In: ders. (Hrsg.): Journalistenausbildung. Modelle, Erfahrungen, Analysen. München, S. 9-25. Hömberg, Walter (1987): Vielfalt oder Wildwuchs? Entwicklungstendenzen der Journalistenausbildung im zurückliegenden Jahrzehnt. In: Wilke, Jürgen (Hrsg.): Zwischenbilanz der Journalistenausbildung. München, S. 89-104. Hömberg, Walter (1990): Erst die Theorie, und dann? Journalistenausbildung – nicht nur im Hörsaal. In: Bayerische Landeszentrale für neue Medien (Hrsg.): BLM-Rundfunkkongreß 1989. Rundfunk in den 90-er Jahren – zwischen Kultur, Kommerz und Internationalisierung. Fachtagung am 10./11. Oktober im Rahmen der Medientage München ´89. Dokumentation. München, S. 229-232. Hömberg, Walter (2002a): Expansion und Differenzierung. Journalismus und Journalistenausbildung in den vergangenen drei Jahrzehnten. In: Altmeppen, Klaus-Dieter/Hömberg, Walter (Hrsg.): Journalistenausbildung für eine veränderte Medienwelt. Diagnosen, Institutionen, Projekte. Wiesbaden, S. 17-30. Hömberg, Walter (2002b): Qualität kommt von Qual. Evaluationen sind aufwändig, aber sinnvoll. In: Aviso, 13. Jg., Nr. 29/2002, S. 4-5. Hömberg, Walter (2005): Zur Einführung: Wegweiser durch die Ausbildungslandschaft. In: Hömberg, Walter/ Hackel-de Latour, Renate (Hrsg.): Studienführer Journalismus, Medien, Kommunikation. 3., völlig überarbeitete Aufl. Konstanz, S. 16-22. Hömberg, Walter (2006): Journalistenausbildung, Journalismusforschung, Journalistik. In: Holtz-Bacha, Christina/ Kutsch, Arnulf/Langenbucher, Wolfgang R./Schönbach, Klaus (Hrsg.): Fünfzig Jahre Publizistik. Wiesbaden, S. 202-220. Hömberg, Walter/Hackel-de Latour, Renate (Hrsg.) (1996): Studienführer Journalismus, Medien, Kommunikation. Konstanz. Hömberg, Walter/Hackel-de Latour, Renate (Hrsg.) (2000): Studienführer Journalismus, Medien, Kommunikation. 2., völlig überarbeitete Aufl. Konstanz. Hömberg, Walter/Hackel-de Latour, Renate (Hrsg.) (2005): Studienführer Journalismus, Medien, Kommunikation. 3., völlig überarbeitete Aufl. Konstanz. Kieslich, Günter (1975): Der journalistische Nachwuchs in der Bundesrepublik Deutschland. Daten zur Volontärsausbildung in der Tagespresse. Bearbeitung: Eckart Klaus Roloff. Köln. Langenbucher, Wolfgang R. (1972): Erinnerungen an Günter Kieslich: Mitglied der „Gemischten Kommission für Fragen der journalistischen Aus- und Fortbildung“ des Deutschen Presserates 1970-1971. In: Publizistik, 17. Jg., S. 64-67. Liebmann, Tanja (2000): Ausbildung von Journalisten an Fachhochschulen. Diplomarbeit Eichstätt. Meier, Klaus (2007): „Cross Media“: Konsequenzen für den Journalismus. In: Communicatio Socialis, 40. Jg., S. 350-364. Neuberger, Christoph (2005): Die Absolventenbefragung als Methode der Lehrevaluation in der Kommunikationswissenschaft. Eine Synopse von Studien aus den Jahren 1995 bis 2004. In: Publizistik, 50. Jg., S. 74-103. Nowak, Eva (2007): Qualitätsmodell für die Journalistenausbildung. Kompetenzen, Ausbildungswege, Fachdidaktik. Dissertation Dortmund. Pöttker, Horst (1998): Öffentlichkeit durch Wissenschaft. Zum Programm der Journalistik. In: Publizistik, 43. Jg., S. 229-249. Prummer, Karin (2009): Woher kommen die Journalisten der Zukunft? Stärken, Schwächen, Potentiale – eine Evaluation der überbetrieblichen Journalistenausbildung in Bayern. Diplomarbeit Eichstätt. Ruß-Mohl, Stephan (2002): Entdeckerdrang, Beobachtungskunst und hippokratischer Eid. Journalistenschulen – Meilensteine und Wegweisungen für die Journalistenausbildung im 21. Jahrhundert? In: Altmeppen, KlausDieter/Hömberg, Walter (Hrsg.): Journalistenausbildung für eine veränderte Medienwelt. Diagnosen, Institutionen, Projekte. Wiesbaden, S. 123-133. Spiel, Hilde (1989): Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911-1946. 3. Aufl. München. Weischenberg, Siegfried (1990): Das „Prinzip Echternach“. Zur Einführung in das Thema „Journalismus und Kompetenz“. In: ders. (Hrsg.): Journalismus & Kompetenz. Qualifizierung und Rekrutierung für Medienberufe. Opladen, S. 11-41.
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Die Anfänge in Dortmund – eine Erfolgsgeschichte mit viel Glück Ulrich Pätzold
1.
Das zeitliche Umfeld
Die Entstehung und der Aufbau des Dortmunder Instituts für Journalistik sind nur über „graue“ Dokumente zu erschließen, genauer über vergilbte Blätter Papier, die in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in reichlicher Zahl im Umfeld des damaligen Modells „Hochschulgebundene Journalistenausbildung in Dortmund“ entstanden sind. Glücklicherweise gibt es noch einige Zeitzeugen, so dass manche Ungereimtheiten der Papiere zumindest mit plausiblen Wahrscheinlichkeitsaussagen geglättet werden können. Googelt man heute im Internet das „Institut für Journalistik der TU Dortmund“ an, erscheint die beachtliche Zahl von ungefähr 150.000 Hinweisen. Über die Anfänge in den 70er Jahren ist aber fast nichts zu finden. Die Journalistik, organisiert als Institut, gibt es in Dortmund seit dem 1. April 1980, dem Datum, als die ehemalige Pädagogische Hochschule mit der Universität Dortmund zusammengeführt worden ist. Bis dahin entwickelte sich die Journalistik ab 1976 als ein Modellstudiengang, getragen von der Bund-Länder-Kommission, ein durchaus ambitioniertes Pilotprojekt, das neben anderen den Reformwillen der Bildungspolitiker bezeugen sollte und eng verbunden war mit den Vorstellungen, Studienreformen in neuen integrierten Gesamthochschulen umzusetzen.1 Das Dortmunder Projekt orientierte sich an den Zielen, eine größere Durchlässigkeit einzelner Studienfächer zu erreichen und praktisch-berufsbezogene Ausbildungselemente in die Hochschulausbildung zu integrieren. Die Bezeichnung „Journalistik“ für das Modellprojekt ist schleichend in die Akten gelangt und offiziell von keinem Gremium oder Ministerium verliehen worden. Das Wort war zunächst eher negativ konnotiert. Eine „Fakultät für Journalistik“ gab es damals ausschließlich in der DDR an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nach sowjetischem Vorbild 1954 aufgebaut, sollte sie sich mit dieser Namensgebung bewusst von der durch die Nazis diskreditierten „Publizistik“ absetzen. Brigitte Klump hatte der Leipziger Journalistik in einem autobiografischen Roman ein Denkmal gesetzt. „Das rote Kloster“ erschien 1978 und wurde ein Bestseller. Das Kulturministerium der DDR hatte dem Verlag Hoffmann und Campe eine Million DM angeboten, damit der Roman nicht veröffentlicht würde. Wie es zur „Journalistik“ im Westen von Deutschland gekommen ist und wie diese Bezeichnung zum ersten Mal in Dortmund eine wissenschaftliche Einrichtung geprägt hat, soll im Folgenden rekonstruiert werden. Die Medien waren mit und nach den Umbrüchen in den 60er Jahren mächtig ins Visier der Kritik geraten, die weit über die Außerparlamentarische Opposition und über die ihr zugeordneten linken Organisationen hinausreichten.2 Die Kritik bezog sich nicht nur auf 1 2
Eine gründliche Analyse mit übersichtlichen Quellenverweisen findet sich bei Teichler (2005). In diesem Sinne können lange Bibliographien zitiert werden, die in den damaligen Publizistik-Instituten durchaus gängig waren. Verbunden mit konstruktiven Ansätzen gibt es ein heute noch lesenswertes Buch,
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offensichtliche Fehlleistungen in der nachrichtlichen Berichterstattung oder auf einseitige Kommentierungen der oft aus tief reichenden Gärungen hervorgetretenen Ereignisse.3 Sie bezog auch zunehmend die allgemeinen Überlegungen ein, welche Funktionen die Medien erfüllen müssen, sollen sie „Medium und Faktor“ eines permanenten Demokratisierungsprozesses der Gesellschaft sein.4 Sie reichte auch quer durch die Redaktionen von Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehprogrammen und erzeugte erstmalig im deutschen Nachkriegsjournalismus eine Haltung, in der Journalisten öffentlich ihr eigenes Tun reflektierten.5 Und sie legte schließlich den Finger in die Wunde des Berufsbilds Journalismus, das die Berufsorganisationen über sich selbst entworfen hatten (vgl. Deutscher JournalistenVerband 1967)6, um durch die Strapazierung einer Natur gegebenen Begabung den Mythos eines akademisch unzugänglichen Berufs zu propagieren. In einer nur wenige Jahre dauernden Wende wurde die Journalistenausbildung zwischen 1969 und 1972 als ein fundamentales Problem der bundesdeutschen Gesellschaft ausfindig gemacht. Sie müsse entschieden reformiert werden. Die Journalistenausbildung – da waren sich innerhalb kürzester Zeit auf einmal Politiker, Verleger- und Journalistenorganisationen, Rundfunkintendanten und wenige Publizistik- und Kommunikationswissenschaftler einig – müsse ein zentrales Reformwerk der damals hoch gehandelten Bildungspolitik werden.
2.
Die verspätete Wissenschaft
Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaften waren für die plötzlich salonfähig gewordenen Ausbildungsprobleme im Journalismus schlecht aufgestellt. Wohl gab es an wenigen Instituten zukunftsweisende Veränderungen, um praxisbezogene Kompetenzen in die Studienmodelle einzubeziehen. So waren an der FU Berlin 1970 die ersten „Labore“ für Zeitungs-, Radio- und Fernsehproduktionen eingerichtet worden. In München wurden Verbindungen zwischen der Universität und der Deutschen Journalistenschule aufgebaut. In Stuttgart und in Mainz dachte man über praxisnahe Kontakt- und Aufbaustudiengänge für Journalisten nach. Aber durch Forschung gut begründete Konzepte gab es aus der Wissenschaft nicht. Stattdessen folgten die Umbaupläne der Institute den jeweiligen Möglichkeiten in der Kleinstaaterei der bundesdeutschen Bildungslandschaft. Die entscheidende Schwäche der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften war ihre Fehlanzeige in der Journalismusforschung. Über den journalistischen Beruf gab es kaum empirische Studien, und über die journalistischen Berufsfelder wusste man nicht mehr, als die Berufsorganisationen mit ihren Zahlen bekannt gaben.
3 4
5 6
das von Wolfgang R. Langenbucher herausgegeben wurde: „Journalismus & Journalismus. Plädoyers für Recherche und Zivilcourage“ (vgl. Langenbucher 1980). Ein Leitfaden der Kritik war damals Hans Magnus Enzensbergers Aufsatz „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ (vgl. Enzensberger 1970). Das Bundesverfassungsgericht hatte seine diversen Entscheide im Rahmen der Medienpolitik mit dem begründenden Hinweis versehen, dass ihre öffentliche Aufgabe daran zu messen sei, wie Medien als „Medium und Faktor“ einer demokratischen Gesellschaft dienlich sein können (vgl. z. B. das 1. Rundfunkurteil von 1961). So z. B. der damalige Chefredakteur von Radio Bremen, Harry Pross (vgl. Pross 1967). Dieses Berufsbild wurde gründlich revidiert auf dem Verbandstag in Kassel 1996.
Die Anfänge in Dortmund
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Die erste und einzige Forschungsarbeit, die damals in dem lautstarken Umfeld der Diskussionen über die Journalistenausbildung durchgeführt wurde, stammte vom viel zu früh gestorbenen Günter Kieslich, 1968 an die Universität Salzburg berufen (vgl. Kieslich 1971). Seine Studie über die beschämenden Verhältnisse in den Zeitungsvolontariaten war ein wichtiges Signal für den Deutschen Presserat, 1972 sein „Memorandum zur Journalistenausbildung“ zu veröffentlichen (vgl. Deutscher Presserat 1972). Ein erster methodischer Ansatz, die Probleme des Journalismus nicht ausschließlich in einer individualistischen Betrachtung der einzelnen journalistischen Persönlichkeiten zu sehen, sondern die funktionalen Zusammenhänge in Redaktionen zum Gegenstand der Journalismusanalyse zu machen, stammte von Ilse Dygutsch-Lorenz. Sie hatte in einer Fallstudie über eine Rundfunkanstalt die Organisation der Redaktionsarbeit in den Mittelpunkt gestellt (vgl. Dygutsch-Lorenz 1971). Wissenschaftliche Innovationen kamen eher von der Peripherie der Publizistikwissenschaft als aus ihren Zentren. An dieser Peripherie wurde damals noch Manfred Rühl gehalten. Er interessierte sich für die Sozialisation von Journalisten und gewann seine methodischen Zugänge aus der Systemtheorie, die zu jener Zeit in der Kommunikationswissenschaft völlig unbekannt war. So ging er den Fragen nach, wie man überhaupt an die heiß begehrten Volontariate kommen konnte und welche Qualifikationen ein Redakteur haben musste, um Volontäre ausbilden zu können (vgl. Rühl 1972). Rühl rügte – an die Wissenschaften gewandt –, dass man sich viel zu lange mit der These vom Journalismus als Begabungsberuf aufgehalten habe. Eine tragfähige Reform der Journalistenausbildung an Hochschulen werde dann sinnvoll, wenn die Kommunikationswissenschaften beginnen, die sich ausdifferenzierenden Gesellschaftssysteme in den Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu stellen, um aus solchen Erkenntnissen ein funktionalspezifisches Ausbildungssystem zu entwickeln. Dieses leiste dann einen produktiven Beitrag, die Komplexität der Gesellschaft durch angemessene Medienberichterstattung transparent zu halten. Nicht die einzelne Persönlichkeit, sondern der journalistische Beruf stehe im Zentrum der Ausbildung. Aus ihm seien die Qualifikationsanforderungen abzuleiten. Rühl forderte deshalb, parallel zur Reform der Ausbildung eine übergreifende Erhebung, Analyse, Nomination und Definition des Berufsfelds „Journalismus und Kommunikation“ zu starten (ebd.: 45). Kieslichs Studie über die Volontäre und Rühls Topografie des Berufsfelds „Jornalismus und Kommunikation“ wurden die argumentativen Stützen aus dem Kontext der Wissenschaften im „Neuen Memorandum für einen Rahmenplan zur Journalistenausbildung“, das der Deutsche Presserat am 23. November 1973 in Düsseldorf verabschiedet hatte (vgl. Deutscher Presserat 1973). Bemerkenswert ist der Hinweis, dass der Presserat fast wörtlich eine Vorlage übernommen hatte, deren Autoren die Professoren Günter Kieslich (der Ende 1971 gestorben war), Kurt Koszyk und Wolfgang R. Langenbucher waren. Das Memorandum ging von einem wachsenden personellen Bedarf für ein „immer differenzierter werdendes Kommunikationswesen“ aus. Dafür müsse eine „Vielfalt der Ausbildungs- und Fortbildungseinrichtungen“ geschaffen werden „unter Bevorzugung wissenschaftlicher Ausbildungsgänge, die gleichwohl praxisorientiert sein müssen.“ Mittelfristig, so das Memorandum, werden „integrierte Gesamthochschulen“ am besten die praxisorientierte Ausbildung gewährleisten. In ihnen sollten dann auch die „Einrichtungen für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft“ einbezogen werden, ergänzt um noch zu entwickelnde Praxiselemente in den Curricula und um Praktika. In diesem Zusammenhang und ausschließ-
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lich bezogen auf die neuen Praxiselemente in dem neuen Curriculum taucht im Memorandum zum ersten Mal in einem offiziellen Dokument die Bezeichnung „Journalistik“ auf. Auch das Memorandum weist auf den engen Zusammenhang von Ausbildung und Forschung hin. Die Verzahnung mit Theorie könne nur gelingen, wenn dieser ein hinreichendes empirisches Wissen in der „Berufsforschung im Bereich der Kommunikationsberufe“ zur Verfügung stehe.
3.
Die Aktionsfelder werden geordnet
Eine akademisierte Ausbildung als Regel? Etwa wie bei Ärzten oder Juristen? Das konnte angesichts der Mediengeschichte in einer solchen Geschwindigkeit nicht gut gehen. Es waren gerade zwei Jahre vergangen, nachdem der Zeitungsverlegerverband mit den Journalistenorganisationen „Ausbildungs-Richtlinien für Redaktions-Volontäre an Tageszeitungen“ abgeschlossen hatte.7 Allerdings war in diesem Dokument zum ersten Mal überhaupt von den Tarifparteien ein Bezug zur Hochschule aufgenommen worden. Im § 5 (4) wird die Möglichkeit erwähnt, dass ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit Bezügen zu journalistischen Tätigkeiten zu einer Verkürzung des zweijährigen Volontariats auf zwölf Monate führen kann. Zeitlich nicht linear nachgeordnet, sondern parallel zu den zahlreichen Manifestationen für Bildungsumwälzungen in den Berufsfeldern Journalismus und Kommunikation liefen die Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen. Die personelle Konstellation in der Landesregierung war für das Reformvorhaben der Journalistenausbildung einmalig günstig. Ministerpräsident des Landes war Heinz Kühn, ein ehemaliger Journalist ebenso wie Johannes Rau, sein Minister für Wissenschaft und Forschung. Sicher war diese Landesregierung für die Geburt der Dortmunder Journalistik ein Glücksfall. Heinz Kühn war von 1946 bis 1950 Redakteur der „Rheinischen Zeitung“ gewesen. Er wusste also, wovon er sprach, wenn er vom „Elend des Journalistenberufs“ redete.8 Johannes Rau war als Politiker ein ebenso bekennender Journalist. Später formulierte er als Bundespräsident zehn Leitsätze für einen guten Journalismus (vgl. Rau 2004). Der erste Leitsatz lautet: „Gute Journalisten brauchen eine gute Ausbildung.“ Davon war er auch schon Anfang der 70er Jahre überzeugt, als er seine Möglichkeiten als Wissenschaftsminister nutzte, um in Nordrhein-Westfalen für die Journalistenausbildung neue Grundlagen zu schaffen. 1971, so die offizielle Version, hat er die „aus der journalistischen Praxis an ihn herangetragenen Initiativen aufgegriffen und – unbeschadet der Eigenverantwortung der Verlage, Institutionen und Verbände des Pressewesens – Schritte zur Förderung einer Reform der Journalistenausbildung eingeleitet.“ (Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 1974: 8) Johannes Rau, der über ein außergewöhnliches Gedächtnis verfügte, hatte dem Verfasser dieses Beitrags in einem persönlichen Gespräch am 14. März 1983 den Start etwas anders dargestellt. 1971 habe er von Kurt Koszyk über die Arbeit am Memorandum des 7 8
Die Ausbildungsrichtlinien hatten den Charakter von Empfehlungen, die in der Vertragsform am 1. September 1969 zwischen dem BDZV, dem DJV und der dju vereinbart worden waren. Zu empfehlen ist in diesem Kontext Heinz Kühns Buch „Auf den Barrikaden des mutigen Wortes“ (vgl. Kühn 1986).
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Deutschen Presserates erfahren. Rau habe Koszyk seine Bedenken mitgeteilt, dass die Medienorganisationen von sich aus in der Lage seien, die gewünschten Ausbildungsreformen wirklich voran zu bringen. Das Land Nordrhein-Westfalen wolle mit seinen geplanten Gesamthochschulen eine nachhaltige Rolle für die Reform spielen. Er habe Kurt Koszyk gefragt: „Ich brauche einen guten und erfolgreichen Koordinator aus den Hochschulen. Wer kann das machen?“ Darauf habe Kurt Koszyk einsilbig geantwortet: „Ich!“ Das Ministerium hatte einen Beirat, der die Konzepte für Studienreformen in NRW erarbeitete. Aus diesem Beirat wurde 1971 ein Ausschuss gebildet, der sich speziell mit der Journalistenausbildung zu befassen hatte. Vorsitzender dieses Ausschusses wurde Kurt Koszyk. Er sollte mit Sachverständigen aus den Hochschulen und mit Vertretern aus den Medien ein Reformmodell entwickeln, das der Bund-Länder-Kommission für die Bildungsplanung in der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1973 als Modellversuch zur Genehmigung vorgelegt werden sollte. Das Land wollte also ein Reformmodell, das als Vorbild für die gesamte Republik die Journalistenausbildung neu gestalten sollte. Auch die Einbeziehung und Mitfinanzierung des Bundes geht auf Johannes Rau zurück. Er hatte sich in der Kultusminister-Konferenz mit Erfolg dafür eingesetzt, dass in Modellanordnungen Erfahrungen für die Neuordnung der Journalistenausbildung gesammelt werden, damit Grundsätze für die bundesweiten Reformen in den entsprechenden Hochschulen gewonnen werden. Die Bund-Länder-Kommission hatte diese Idee der Modellversuche aufgegriffen und erwartete nun ein Konzept, das am Berufsfeld „öffentliche Kommunikation orientiert eine wissenschaftliche Ausbildung mit einer praktischen Ausbildung verbindet.“ (Bund-Länder-Kommission am 31. Juli 1972) Kurt Koszyk erwies sich in dieser frühen Planungsphase wie auch in den späteren kooperativen Arbeitsorganisationen als ein geschickter Diplomat. Seine Fähigkeit bestand darin, Kompromisse auszuhandeln, die zu Ergebnissen führten, mit denen er sich vollständig identifizieren konnte. Seine Aufzeichnungen zu einigen der Sitzungen lassen erkennen, dass er bereits im Vorhinein Kompromissformulierungen aufgeschrieben hatte, auf die die zu erwartenden Auseinandersetzungen hinauslaufen sollten. Eine entscheidende Strategie war es, von den zu breit angelegten Vorstellungen herunter zu kommen, mit einem Reformmodell alle Felder der „öffentlichen Kommunikation“ zu erreichen. Während seine Kollegen aus der Wissenschaft gerade für diese Breite aller denkbaren Kommunikationsberufe plädierten, ließ Kurt Koszyk – ganz in seinem Sinne – die Praktiker fordern, aus pragmatischen Gründen zunächst die aktuellen Probleme im Journalismus anzugehen und den Schwerpunkt auf die Journalistenausbildung zu legen. Der Vorsitzende fasste dann zusammen: „Unter Zurücksetzung ihrer Bedenken haben sich die Mitglieder des Beirats im Ausschuss dann zu der Kompromissformel bereit gefunden, nach der zunächst ein Studiengang für die Journalistenausbildung konzipiert werden sollte, der später – nach Vorliegen einschlägiger Grundlagenuntersuchungen – in Richtung auf eine allgemeine Ausbildung für Kommunikationsberufe erweitert werden könnte.“ (Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 1972: 214) Kurt Koszyk war sich stets sicher, dass sich ein solcher Studiengang in der Verbindung von wissenschaftlichen und praktischen Ausbildungselementen im Spannungsfeld unterschiedlicher, manchmal auch zuwiderlaufender Interessen entfalten würde. Er forderte deshalb Professoren, die in diesem Spannungsfeld agieren können, und misstraute einer ausschließlich durch Hochschulgremien gelenkten Entwicklung. Mit dieser Linie war er für die Aufbauzeit des Dortmunder Modells insgesamt erfolgreich, scheiterte aber zunächst
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1974, den Studiengang an der Universität Dortmund einzurichten. Die dortigen Hochschulgremien fühlten sich durch die kooperative Struktur des Modells teilentmündigt und fanden mit dieser Haltung viele Verbündete auch in den Instituten der Publizistik und Kommunikationswissenschaften außerhalb von Dortmund, die solche Bedenken gegen die Mitgestaltung einer wissenschaftlichen Disziplin durch Vertreter der Praxis teilten. In zwei weiteren Essentials war der Beiratsausschuss kompromisslos einig. Das Modell sei akademisch nur dann innovativ und sinnvoll aufzubauen, wenn mit ihm die journalistische Berufsforschung verbunden werde. Eine zweite Vorgabe wird dem Minister mit Rückgriff auf das Memorandum des Deutschen Presserats gleichsam als conditio sine qua non vorgetragen: Für das Modell werden neun hauptberufliche und zehn nebenberufliche, aber akademisch vorgebildete Lehrkräfte gefordert. Die im Vergleich zu den anderen Publizistikinstituten starke Personalausstattung in Dortmund hat in diesen frühen Festlegungen ihren Grund. Die Kultusministerkonferenz hat sich am 14. und 15. November 1973 ausführlich mit der Journalistenausbildung beschäftigt. Das Land NRW erhielt grünes Licht für sein Modell. Zugleich wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Empfehlungen erarbeiten sollte, wie die Einheitlichkeit der Hochschulausbildung für Journalisten zu gewährleisten sei. Die Erfahrungen aus den Modellen in Dortmund und München sollten in diese Empfehlungen eingehen. Die Arbeitsgruppe hat nie getagt. Dieses Versäumnis mag einer der Gründe sein, warum unter der Marke Journalistik dann in den 80er Jahren die unterschiedlichsten Studiengänge, vor allem an Fachhochschulen, wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.9 In der zweiten Jahreshälfte 1973 gab es zahlreiche Gespräche zwischen dem Ministerium in Düsseldorf und Kurt Koszyk. Im Gepäck des damals noch Bochumer Professors befand sich eine 400 Seiten starke Dokumentation über die Situation und über Reformmodelle. Bereits fertig gestellt hatte er die Studien- und Prüfungsordnung für einen neu einzurichtenden „Studiengang Journalistenausbildung“ im „Gesamthochschulbereich Dortmund“. Um den so schnell wie möglich, nämlich im Wintersemester 1974/75 auf die Beine stellen zu können, drängte Kurt Koszyk das Ministerium, eine „Planungsgruppe“ mit seiner Person an der Spitze einzusetzen und eine „Projektgruppe“ mit vier Mitarbeitern in den Personalhaushalt des Landes einzusetzen, aus dem dann ab 1978 weitere fünf Professorenstellen zu finanzieren seien. Das Ministerium war zu überzeugen und stimmte zu. Nicht zuletzt die nun lebhaften Diskussionen in den Verbandszeitschriften haben dem Ministerium die Gewissheit gegeben, in eine Erfolge versprechende Reform zu investieren (vgl. dazu seitens des DJV die „Journalist“-Ausgaben Nr. 3, 5, 6, 7, 8, 10 und 11/1973 sowie seitens der dju die Hefte Nr. 7, 9, 10 und 12/1973 der „Feder“). Auch Synopsen, wie ein Studium idealerweise aufgebaut werden könne, wurden dort veröffentlicht (vgl. „Der Journalist“, Heft 7/1973, und „Die Feder“, Heft 9/1973). In diesen Veröffentlichungen wurde für die neuen Studienkonstrukte die Bezeichnung „Journalistik“ eingeführt, ohne diese Bezeichnung mit den Hochschulen oder den Ministerien abgesprochen zu haben. So entwarf Konstanze Rohde im „Journalist“ einen Studienverlaufsplan, dem sie die Vorbemerkung zufügte: „Das Journalistik-Studium sollte die Simulation journalistischer Arbeit ermöglichen, etwa in Form der Herausgabe einer Wochen-/Monatszeitung, einer Produktion hochschulinterner Hörfunk- und/oder Fernsehprogramme.“ (Rohde 1973) Je9
Dieses Thema ist ausführlich auf der DGPuK-Jahrestagung vom 30.4. bis zum 2.5.2003 in Hannover diskutiert worden (vgl. Neubert/Scherer 2004).
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denfalls ist sicher: Die Bezeichnung Journalistik kommt nicht aus dem Hochschulraum oder aus der Wissenschaft. Sie wird von Praktikern und von den Zeitschriften der Journalisten jenen neuen Modellen für Hochschulen zugeordnet, die eine enge, möglichst institutionelle Verbindung mit einer praktischen Ausbildung anstreben. In Abgrenzung zur Publizistik sollten Praxisnähe und die mit ihr verbundenen beruflichen Probleme im Journalismus im Zentrum der Ausbildung und Forschung der neuen Einrichtungen stehen. Die Perspektive, die journalistische Ausbildung mit einer Journalismusforschung zu verbinden, wurde in der Wissenschaft durchaus als Chance zur Schwerpunktbildung in der nach wie vor gegenüber der Ausbildung profillos verharrenden Kommunikationswissenschaft begriffen. Wie im Journalismus die Abneigung Geschichte hatte, Gegenstand von Wissenschaft zu werden, gab es in der Wissenschaft eine Abneigung, dass ihr von den Journalisten gesagt werden sollte, welche Probleme des beruflichen Alltags Forschungen bestimmen müssten. Eine Dialogkultur zwischen Wissenschaft und Praxis war kaum entwickelt. Immerhin gab es jetzt auch Veröffentlichungen aus dem Umfeld der Wissenschaft über neue journalistische Studienmodelle in den Hochschulen. Wolfgang R. Langenbucher hatte den Anfang mit der Begründung seines Reformmodells in München gemacht, in dem das universitäre Institut für Zeitungswissenschaft mit der Deutschen Journalistenschule kooperierte (vgl. Langenbucher 1973). Auf Zusammenhänge zwischen der Akademisierung der Journalistenausbildung und der Erweiterung von Autonomierechten in den Redaktionen wies der Verfasser dieses Beitrages hin (vgl. Pätzold 1973). Das Thema beschäftigte ihn auch in der damals geschriebenen Dissertation (vgl. Pätzold 1975). Breit angelegt in Analysen und Reformvorschlägen und vor allem um eine Dialogkultur zwischen Praxis und Wissenschaft bemüht war schließlich das Buch von Jörg Aufermann und Ernst Elitz über die Journalistenausbildung (vgl. Aufermann/Elitz 1975). Sie begründeten nicht nur das wissenschaftliche Fundament für eine eigenständige akademische Disziplin, sondern belegten auch, wie fruchtbar für die Wissenschaft eine enge Zusammenarbeit mit Journalisten und Medienverantwortlichen werden würde. Im Rückblick kann wohl behauptet werden, dass zu keiner anderen Zeit als in den Jahren 1973 bis 1975 der Konsens so ausgeprägt war, neue Hochschuleinrichtungen für die Journalistenausbildung und Journalismusforschung aufzubauen, in denen Wissenschaft und Praxis in engen Handlungskontexten zusammengeführt werden sollten. Dieser Konsens war so gefestigt, dass Journalisten- wie Verlegerverbände davon ausgingen, diese neuen Hochschulmodelle würden die Regel der künftigen journalistischen Bildungsarbeit.10
4.
Die Startphase für Dortmund
Schon im Februar 1974 veröffentlichte die nordrhein-westfälische Landesregierung ihren Modellplan für Dortmund (Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 1974: 33-38). Die Landesregierung wollte parallel mit drei Projekten starten: Aufbau einer Modelleinrichtung für die hochschulgebundene Journalistenausbildung, Förderung und Erweiterung der journalistischen Fortbildung und Vergabe eines Forschungsprojekts für die bundesweite Erhebung über die Berufsfelder „Journalismus und 10
Unter diesem Gesichtspunkt aufschlussreich ist die Festschrift für Karl Bringmann (vgl. Koszyk/Schulze 1982).
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Kommunikation.“ (ebd.: 33) Unter dem Gesichtspunkt eines umfassenden Reformansatzes machte diese Dreiteilung Sinn. Allerdings blieb in der Folgezeit ausschließlich das Ausbildungsmodell übrig. Für den Start der Journalistik ist es ein gravierender Nachteil gewesen, dass sie nicht mit einem zur Ausbildung komplementären Forschungsauftrag ausgestattet worden ist. Es sollten noch zwei Jahrzehnte vergehen, bis die bereits 1974 als so notwenig akzeptierten Forschungsprojekte über die journalistischen Tätigkeitsfelder und die Probleme der journalistischen Berufe unter der Leitung von Siegfried Weischenberg durchgeführt werden konnten (vgl. Weischenberg/Löffelholz/Scholl 1994). Selbst mit dem Ausbildungsmodell konnten die Reformziele zunächst nicht erreicht werden. Die Landesregierung hatte, wie im Übrigen auch die Berufsverbände, voll und ganz auf die Bildung der Gesamthochschulen gesetzt. Dort sei es am ehesten möglich, die Theorie-Praxis-Integration nicht nur als wissenschaftliches Programm zu deklarieren, sondern auch durch entsprechende Mitgestaltung durch die Praxis in neuen Lernformen zu realisieren. Außerdem versprach man sich von der Gesamthochschule eine höhere Fächerdurchlässigkeit, auf die Journalistenausbildung besonders dringend angewiesen ist. Die Gesamthochschule, so die Landesregierung, „erlaubt interdisziplinäres, praxis- wie theoriebezogenes Zusammenarbeiten von Wissenschaftlern, Praktikern und Studierenden im Bereich der gesellschaftlichen Kommunikation, die auf diese Weise selbst neue Akzente erhalten könnte.“ (Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes NordrheinWestfalen 1974: 35) Mit dieser idealen Annahme war umschrieben, was schließlich auch in Abgrenzung zu etablierten Disziplinen eine neue Bezeichnung verdiente: die Journalistik. Die für Dortmund entscheidenden Modellmerkmale wurden nun auch quantitativ festgelegt. Das – wie es noch immer offiziell und umständlich bezeichnet wurde – „Studium im Bereich der Journalistenausbildung umfasst in der Regel sechs Fachsemester und zwei Praktikumssemester. […] Das Praktikum entspricht dem Volontariat.“ (Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 1974: 37) Somit wurde das Volontariat zu einem integrierten Bestandteil des Studiums, ein Alleinstellungsmerkmal, das die Dortmunder Journalistik bis heute prägt. Für dieses Fachstudium und Volontariat zusammenführende Curriculum wurde nun auch von der Düsseldorfer Ministerialverwaltung die Bezeichnung Journalistik bevorzugt. Die Bezeichnung bezog sich aber nur auf das Curriculum, nicht auf die Einrichtung, die es zu ihrem Inhalt machte. Zur Ausgestaltung und Umsetzung des Curriculums Journalistik setzte der Wissenschaftsminister eine Planungskommission ein. Auch hier folgte er einem Vorschlag von Kurt Koszyk, den der Minister auch zum Vorsitzenden dieser Planungskommission und zum Projektleiter ernannt hatte. Die Zusammensetzung der Kommission war minutiös vorgeschrieben. Außer Kurt Koszyk gehörten ihr 18 weitere Mitglieder an: zwei Vertreter stellten die Journalistenverbände, zwei die Verleger, je ein Vertreter kamen aus dem Deutschen Institut für publizistische Bildungsarbeit, aus der Kölner Schule und aus der Werbewirtschaft (!), zwei Vertreter entsandten die Rundfunkanstalten. Aus den Hochschulen kamen fünf Professoren, zwei Wissenschaftliche Mitarbeiter und zwei Studierende. Dem Projektleiter wurde für den Aufbau und für die wissenschaftliche Begleitung des Studienverlaufs eine Projektgruppe mit drei hauptamtlichen Mitarbeitern und einer Sekretärin zur Seite gestellt, die mit dem Beginn des Jahres 1975 ihre Arbeit aufnehmen sollten. Planungskommission und Projektgruppe sollten so arbeiten, dass zum Wintersemester 1975/76 die Aufnahme des Studienbetriebs im „Gesamthochschulbereich Dortmund“ gewährleistet ist. Die Erprobungs- und Modellphase erstreckte sich auf vier Jahre.
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In Dortmund sollte nach übereinstimmender Meinung von Kurt Koszyk und dem Ministerium die Universität die Trägerhochschule für den Studiengang werden. Unverbindliche Zusagen des Rektorats hatte es wohl im zeitlichen Vorfeld gegeben. Die Pädagogische Hochschule und die Fachhochschule sollten vor allem durch die Gestaltung von Zweitfächern in das Modell eingebunden werden. Damals war man in Düsseldorf noch überzeugt, dass sich die Dortmunder Hochschullandschaft in der Entwicklung zu einer Gesamthochschule befinde (vgl. Presse- und Informationsamt der Landesregierung NRW 1993). Für den Standort Dortmund sprachen neben seinen Hochschulen die räumliche Nähe des stadteigenen Instituts für Zeitungsforschung, die beiden großen Dortmunder Tageszeitungen, das Westfalen-Studio des WDR, die Nachbarschaft des Deutschen Instituts für Publizistische Bildungsarbeit Haus Busch in Hagen sowie der Ruhr-Universität in Bochum. Ihnen allen war eine aktive Rolle im Rahmen des Journalistik-Curriculums zugedacht. Aber es gab auf Seiten der Planer eine fatale Fehleinschätzung über die Bereitschaft der noch jungen Universität Dortmund, Metamorphosen für eine Gesamthochschule eingehen zu wollen. So kann es nicht wundern, dass die Universität mit Skepsis auf das an sich attraktive Angebot reagierte, den neuen Studiengang in ihren Mauern aufzunehmen. In den akademischen Gremien wurde vermutet, dass gerade mit dem Modell der Journalistenausbildung eine Präzedenz der Studienreform akkreditiert werden sollte, die es der Universität schwerer machen würde, sich gegen die Entwicklung zu einer Gesamthochschule zu wehren. Im Herbst 1974 hat der Akademische Rat die Aufnahme des Modellstudiengangs abgelehnt. Die Begründung für die Ablehnung lässt nur indirekt die Auseinandersetzung um eine Gesamthochschule erkennen. Vordergründig argumentierte der Senat mit einer nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung seiner Autonomie durch die Abtretung wesentlicher Gestaltungsrechte an die Planungskommission. Denn sie war für das Modell das eigentliche Entscheidungsgremium, für die Aufstellung einer Studien- und Prüfungsordnung und schließlich für die Auswahl des Lehrpersonals einschließlich der schon bald zu besetzenden sechs Professorenstellen. Die Abweisung durch die Universität Dortmund war für das Ministerium und für Kurt Koszyk ein schwerer, vor allem unerwarteter Schlag. Die Auswirkungen führten im Ergebnis zu einer einjährigen Vertagung des Starts des Studienbeginns. In kurzer Zeit musste eine neue Konstruktion gefunden werden, selbst der Standort Dortmund stand in Frage. Verlässliche Verbindungen der NRW-Netzwerke kamen ins Spiel. Die persönliche Bekanntschaft von Johannes Rau mit Rudolf Schridde, dem Rektor der Pädagogischen Hochschule Ruhr in Dortmund, war ebenso hilfreich wie auch Verbindungen von Mitgliedern der Planungskommission mit dem Kanzler der PH Ruhr, Martin Wiebel, und seinem Stellvertreter Dietrich Groh. Zu den Weichenstellungen von Kurt Koszyk gehörte es, dass er mit der Planungskommission arbeitete, als ob es bereits eine Verankerung des Studiengangs in einer Hochschule gegeben hätte – was formal die Voraussetzung zur Ausübung ihrer Funktionen gewesen wäre. So kam es, dass die erste offizielle und konstituierende Sitzung des eingespielten Mitgliederkreises erst Ende Oktober 1975 stattfinden konnte – nun als Planungskommission an der PH Ruhr (vgl. Projektgruppe Journalistik 1976). Die PH Ruhr hatte schnell erkannt, dass ihre Position gegenüber der Universität durch die Eingliederung der Journalistenausbildung gestärkt würde. Das war umso wichtiger, als in den Planungen der PH neben den Perspektiven für eine Gesamthochschule auch die Möglichkeit einer Zusammenlegung mit der Universität ins Auge gefasst werden musste.
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Außerdem erschien eine ergänzende Mentalität reizvoll, wie sie die Journalisten in die traditionelle Lehrerausbildung tragen würden. Jedenfalls gelang es Rudolf Schridde und seiner Verwaltung in nur wenigen Monaten, für den Modellstudiengang eine Eingliederung in den Fachbereich Geschichte, Deutsch und Englisch zu erreichen. Alle akademischen Rechte wurden gewährt, die Kosten des Modells wurden zentral verwaltet. So konnte Kurt Koszyk als ernannter Projektleiter aus den Modellmitteln mit Beginn 1976 seine Projektgruppe aufbauen. Das Team mit Kurt Koszyk, Claus Eurich, Frauke Höbermann, Siegfried Weischenberg, später dann Wolfgang Donsbach und Gerd Würzberg begann mit der Arbeit am Lehrprogramm. Um den akademischen Rechten zu entsprechen und ein ordentliches Berufungsverfahren einzuhalten, konnte Kurt Koszyk erst im Februar 1977 als „Professor für Journalistik“ an der PH Ruhr vereidigt werden. Er war in der Bundesrepublik Deutschland der erste Journalistikprofessor. Die PH Ruhr ist somit ein weiterer Glücksfall für das Modell gewesen, ohne den es vielleicht nicht einmal aus der Planungsphase heraus gekommen wäre. Darüber hinaus hatte die neue Mannschaft allen Grund, zufrieden darüber zu sein, in der Pädagogischen Hochschule ihre Startheimat gefunden zu haben. 1976 tritt die „Dortmunder Journalistik“, wie sie von Anfang an allerorten benannt wurde, an das Licht der Öffentlichkeit. Ihre weitere Geschichte ist einigermaßen gut dokumentiert (vgl. Universität Dortmund 1981). Gemessen an der starken Positionierung, die sie heute sowohl in den Hochschulen als auch vor allem in weiten Teilen der Medien erreicht hat, gerät leicht aus den Augen, wie holprig die Versuchszeit verlief und wie gefährdet die Modellziele über viele Jahre waren. Viele der hehren Absichten aus der frühen Planungszeit, die vor allem auch von den Journalistenorganisationen mitgetragen waren, erwiesen sich im rauen Redaktionsalltag der Medien oft als hohl. Oft wurde der Studiengang als Bittsteller behandelt, den Studierenden schlug ob ihres akademischen Hintergrunds Misstrauen oder Verachtung entgegen. Statt konstruktiv am neuen Modell mitzuarbeiten, blieben die Redaktionen auf Distanz, versetzten Dortmund in einen argwöhnisch beobachteten Bewährungsstand. Das Modell war ein Balanceakt zwischen dem akademischen Selbstverständnis einer selbstbestimmten Wissenschaft und den oft arrogant vorgetragenen Vorbehalten aus den Redaktionen gegenüber den Studierenden, die dennoch mit starker Motivation in den Beruf drängten und sich schließlich gegen die vielen Vorurteile erfolgreich durchsetzten. Diese Spannungen prägten, wenn auch verbal in abgeschwächter Form, auch die Arbeit der wichtigen Planungskommission. Auch hier musste der Studiengang einen Balanceakt bewältigen. In der Planungskommission prallten die Interessen aufeinander, beispielweise die der Verleger und mit denen der Journalisten, die gemeinsam als „Praxis“ den Wissenschaftlern gegenüber saßen, die gemeinhin als die Seite der „Theorie“ personifiziert wurden. Das Modell war auch ein Balanceakt mit den Studierenden, die sich nicht die Radikalität ihres Denkens durch Opportunität in ihrem Verhalten verbauen lassen wollten. Es war ein Balanceakt gegenüber den Redaktionen, die wieder zunehmend auf die alte Form des Volontariats bauten und oft nur eigene Erfahrungen als einzigen Maßstab für alle anderen Zwänge im Journalismus gelten ließen. Und es war nicht zuletzt auch ein Balanceakt gegenüber der Wissenschaft, weil in der Journalistik geliehenes Wissen noch lange ungleich stärker blieb als eigenes Wissen, das in die interdisziplinären Diskurse selbstbewusst eingebracht werden konnte. Wie ausgeprägt die Notwendigkeit zu Kompromissen war, wie umgekehrt solche Kompromisse in zerreißende Spannungen innerhalb des Studiengangs zurückschlagen
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konnten, kann man in den „Spaenen“ nachlesen, der ersten Zeitschrift der Journalistikstudenten. In ihr wurden Studienbedingungen und Lehrveranstaltungen kritisiert, Vorstellungen aus den Reihen der Planungskommission an den Pranger gestellt, die Selbstherrlichkeit mancher Redaktionskollegen im Volontariat vorgeführt. Aber kein anderes Medium hat so engagiert und couragiert für die Verbindung von Theorie und Praxis, für die Verbindung von Hochschule und Redaktion gekämpft wie die Zeitschrift der Studierenden während der vierjährigen Modellphase. Sie waren es, die neben manchem Glück dem Modell schlussendlichen Erfolg gesichert haben. Den Studierenden war nicht verborgen geblieben, dass im Zuge der personellen Vollbesetzung des Studiengangs mit sechs Professoren die Gewichte der Journalistik erkennbar nach innen in die Hochschule und ihre Gremien verlagert wurden. Sie vermuteten auf der anderen Seite bei einigen Praxisvertretern ein nachlassendes Interesse am Dortmunder Modell und kritisierten an ihren Hochschullehrern eine Abwehrhaltung, sich nicht in ihre „inneren Angelegenheiten“ hineinreden zu lassen. So schrieben sie gegen die „Koalition der Demontage“ des Modells an, die sie in der Planungskommission zu beobachten glaubten. „Diese Koalition der Demontage beschwört eine unheilvolle Entwicklung herauf. Sie schafft zwei voneinander unabhängig entscheidende Ebenen, die Hochschule und die Ausbildungsbetriebe. Über tatsächliche Macht aber verfügen nur die letzteren. Die Chancen der Hochschule, konkret in die Berufspraxis hinein zu wirken, verringern sich durch die Schwächung zwischengeschalteter Gremien.“ (vgl. „Spaene“, April 1979, S. 17) Hintergrund dieser Analyse war die Androhung der Verleger, für die Dortmunder weniger Volontariatsplätze zur Verfügung zu stellen. Anlass für diese Drohung waren Beschwerden aus den Redaktionen, dass die Bewerbungen für das Volontariat nicht ausreichend seien und vor allem Bewertungen aus den ersten vier Studiensemestern vermissen lassen. Man sei in den Redaktionen nicht bereit, Dortmunder Studierende außerhalb des Wettbewerbs um Volontariatsplätze zu privilegieren. Die Verteilung der Volontariatsplätze war von Anfang an die Achillesferse in der Realität des Studiengangs. Das Modell konnte nicht in der kuscheligen Geborgenheit der Hochschule gedeihen. Es stand mitten im steifen Wind von Interessen, Macht und oft genug auch Willkür. Das führte vor allem in den Anfangsjahren zu Zerreißproben, die oft von anderen kommunikationswissenschaftlichen Instituten mit Häme beobachtet wurden.11 Man kann die Leistungen von Kurt Koszyk in diesen Aufbaujahren des Studienmodells kaum gebührend genug anerkennen. Es war schwierig, in einem Gremium wie der Planungskommission Kompromisslinien zu finden, in der Karl Bringmann für die Verleger und Fritz Michael für die Journalisten mit allen Emotionalitäten heftigste Gefechte austrugen, in der der WDR nicht mit dem „Hellweger Anzeiger“ in einen Topf geworfen werden wollte und in der diverse Professoren aus unterschiedlichen Fächern nicht immer viel Verständnis für die Praxisprobleme der Journalistik hatten. Kurt Koszyk musste als Verkörperung ständiger Kompromisse die Planungskommission als Ganzes nach innen und nach außen vertreten und musste als Leiter des Modells der Journalistik ein erkennbares, auch wissenschaftliches Profil geben. Sechzehn Mal hat die Planungskommission während der Modellzeit getagt, die Zahl ihrer Ausschuss- und Gruppensitzungen dürfte die Hundert überschritten haben. 11
Winfried B. Lerg in einem Brief an den Verfasser dieses Beitrags vom 31.3.1980: „Wessen Brot ich esse, dessen Lied muss ich singen. So kann keine ordentliche Wissenschaft entstehen.“
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Kurt Koszyks Credo für eine hochschulgebundene, also im Kern wissenschaftliche Ausbildung ist eng verbunden mit den labilen Arbeitsverhältnissen in einer in weiten Teilen wenig gefestigten Profession. In der Hochschulausbildung sah er eine wesentliche Unterstützung, die Professionalität des Journalismus für eine demokratische Gesellschaft zu stärken. Gleichsam prophetisch in die heutige Zeit schauend, schrieb der gelernte Historiker 1974: „Verzichten wir auf eine formalisierte Berufsausbildung, so besteht die Gefahr der Proletarisierung, die das Schicksal des Handwerkers beim Übergang zum ungelernten Industriearbeiter war.“ (Koszyk 1974) Die unausweichlichen Spannungen zwischen Theorie (Hochschule) und Praxis (Medien/Redaktionen) ist konstitutiv für die Journalistik, gewissermaßen ihr Markenzeichen. Die Kunst, mit diesen Spannungen umzugehen, besteht darin, sie kontrollierbar zu halten. Nur so haben die Studierenden eine Chance, sich als professionelle Journalisten in der Gesellschaft zu bewähren. Für welchen Preis erhält die Hochschule die Gewissheit, für ihre Studierenden die notwendigen Volontariate in den Medienredaktionen zu erhalten? Diese Frage war der eigentliche Test des Modells. In ihr liegt das kardinale Problem der Journalistik als Wissenschaft und als Ausbildungseinrichtung. Es greift zu kurz, diese Spannungen ausschließlich auf die unterschiedlichen Interessen zu beziehen, die sich aus der Arbeit in der Wissenschaft und aus der Arbeit in Medien mehr oder weniger rational erklären lassen. Spannungen gegenüber wissenschaftlich notwendigen Erkenntnisprozessen entstehen auch im Hinblick auf die gesellschaftlich-inhaltlichen Barrieren, die sich für Journalisten ergeben, die ihre Arbeit zu reflektieren gelernt haben. Sie würden scheitern, wenn sie nicht auch gelernt haben, sich den kulturellen Milieus in den Redaktionen mit ihren Bildern vom Publikum anzupassen.12 Gerade aber diese berufsspezifischen Anpassungen kann die Hochschule nicht lehren, auch nicht in Lehrredaktionen. Sie bleibt auf die komplementären Volontariate angewiesen.
5.
Fast gescheitert – Glück gehabt
1980, am Ende der Modellzeit, war die PH Ruhr in die Universität Dortmund integriert, und die Journalistik war ein ordentliches Institut der Universität geworden. Vier Millionen DM waren je zur Hälfte vom Bund und vom Land NRW für die Entwicklung und Erprobung des neuen „Studiengangs Journalistenausbildung“ investiert worden. Der damalige Bundesminister für Bildung und Wissenschaft attestierte zum Ende der Modellphase: „Das Dortmunder Modell der Journalistenausbildung hat ein wichtiges Vorbild geschaffen.“ (Pressemitteilung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft vom 29.4.1980) Die Abschlussfeier des Modells war feierlich inszeniert. Die Mitglieder der Planungskommission, etliche Honoratioren, auch der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Hans Schwier saßen in der Emil-Figge-Straße in einem festlich drapierten Raum, dessen kahle Stirnwand aus Beton mit einem riesigen farbigen Bild geschmückt war. Kaffee gab es zur Feier des Tages – aus Pappbechern. Artige Reden wurden gehalten. Praxisnahe Ausbildung an der Hochschule? Geht doch! Ein Modell für andere? Sicher! Alles in allem eine 12
Erst im Jahr 2002 gab es eine Vortragsreihe von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Dortmunder Instituts für Journalistik, in der dieses Problem – auf individuell sehr unterschiedliche Weise – als Selbstreflexion des Instituts öffentlich diskutiert worden ist (vgl. Eurich 2002).
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gelungene Aufbauarbeit? Glück auf! Willkommen in der Universität? Ohne Einschränkung, ja! Dann schritt Kurt Koszyk ans Rednerpult, etwas steif, mit freundlichen Begrüßungsworten an die Ehrengäste, aber mit sichtbar zerknittertem Gesicht. Seine Botschaft: Der Studiengang Journalistik sei als Modell bedroht, wenn nicht gar gescheitert. Seine Begründung bestand aus aktuellen Nachrichten. Die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk hatten ihre Volontariatsplätze für die Dortmunder gekündigt. Der WDR hatte eine drastische Reduzierung seiner zwölf Plätze auf gerade noch vier Plätze angekündigt. Auch die 24 dreimonatigen Kurzzeitplätze sollten auf sechs zusammengestrichen werden. Der Auftritt von Koszyk saß. Die ehrenwerte Versammlung endete in beklemmender Stille. Siegfried Weischenberg titelte über das Ende der Modellphase „seiner“ Dortmunder Journalistik: „Erfolgreich erprobt und dennoch fast gescheitert.“ (Weischenberg 1981) Ganz so, wie man an jenem schwarzen Freitag befürchten musste, ist die Modellphase dann doch nicht zu Ende gegangen. Alle Studierenden des Jahrgangs erhielten einen Volontariatsplatz, und der WDR hat weiter in verlässlichen Umfängen Plätze zur Verfügung gestellt. Die Deutsche Welle ist längst schon wieder im Dortmunder Boot. Neue Ausbildungsredaktionen wurden für die Zusammenarbeit gewonnen. Der „Volontariatsmarkt“ blieb für das Dortmunder Institut immer angespannt. Doch die Kooperation mit den Ausbildungsbetrieben ist in die Breite gewachsen. Insofern ist die Abhängigkeit von „erpresserischen Diktaten“, wie man damals sagte, kleiner geworden. Der Gau von 1980 hatte auch eine andere heilende Wirkung. Die Studierenden mussten sich von der Vorstellung lösen, das Dortmunder Institut sei eine beispiellose Verteilerinstitution für heiß begehrte Volontariatsplätze. Ab jenem Jahr war klar: Auch die Studierenden tragen in hohem Maße Mitverantwortung für das Modell Journalistik. Sie profitieren von ihren privilegierten Studienplätzen, wenn sie sich persönlich dem Wettbewerb stellen, der mit einem Zugang zu den Volontariaten verbunden ist. Das Dortmunder Modell wurde letztlich erfolgreich, weil die Studierenden diesen Wettbewerb angenommen haben und in der Regel auch gewinnen. Wenn heute der gute Ruf des Dortmunder Instituts den Studierenden zugute kommt, so gilt sicher die Bilanz, dass vor allem die Dortmunder Absolventen mit ihren journalistischen Berufskarrieren zu diesem guten Ruf sehr viel beigetragen haben. Die heute erfolgreiche Journalistik in Dortmund hat am Anfang ihrer Geschichte viel Glück gehabt. Aber sie hat auch Einiges geleistet, um mit den Strukturproblemen umzugehen, die ihr in die Wiege gelegt worden sind. Das Institut profitiert von vielen erworbenen Standards und hat beachtliche experimentelle Potenziale entwickelt, mit denen es eine Mahnung eingelöst hat, die Siegfried Weischenberg am Ende der Modellphase aufgeschrieben hatte: „Ein wissenschaftlicher Studiengang darf nicht nur Bestehendes reproduzieren, er muss auch progressiv in dem Sinne sein können, dass er hinterfragt, Experimente macht und Alternativen ausprobiert. Das gilt übrigens auch für das sehr theoretisch betriebene, immer mehr technik-bestimmte journalistische Handwerk. Die Journalisten werden angesichts eines offenbar tiefgreifenden veränderten Mediensystems die Kompetenz (und den Spielraum) der Hochschule für Analysen, Prognosen und Problemlösungen vielleicht noch einmal sehr nötig haben.“ (ebd.: 21) Aufeinander angewiesen zu sein: Gewinnt diese Einsicht in den Redaktionen und in der Wissenschaft, dann wird die Journalistik zunehmend ein Teil der Kultur des Journalismus werden.
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Strukturkrisen der Öffentlichkeit und das Fach Journalistik in Deutschland und Europa Gerd G. Kopper
1.
Perspektiven einer neuen Fragestellung
Mehr als drei Jahrzehnte nach der Einführung des Faches Journalistik als historisch erstmalige Plattform einer Grundausbildung von Journalisten – im Zeichen der Pressefreiheit – an Hochschulen in Deutschland (vgl. am Beispiel München Meyen/Höfler 2008) gilt es ein analytisches Resümee unter besonderen Vorzeichen zu ziehen – nämlich der gewandelten politischen und gesellschaftlichen Situation in Deutschland, in Europa und im Berufsfeld des Journalismus. Dabei geht der Blick zugleich auf zentrale Ausgangsvoraussetzungen der Einführung, Entwicklung und auf das Leistungsprofil der neuen Fachdisziplin. Im Mittelpunkt stehen dabei geänderte Voraussetzungen und Strukturen des Journalismus innerhalb eines von der Europäischen Union geprägten supranationalen Gemeinwesens „Europa“, in dem Deutschland gewichtiges Mitglied ist (Bestandsaufnahmen zur hochschulgebundenen Journalistenausbildung aus vorlaufenden Phasen liegen vor durch Aufermann/Elitz 1975; Hömberg 1978; Wilke 1987; zur jüngeren Phase vgl. Altmeppen/Hömberg 2002). Ein solches Vorhaben ist – an dieser Stelle – nur im Rahmen einer stark konturierten Skizze und unter dem Vorbehalt steter Veränderungen gerade auch des Bezugsfeldes der internationalen Wissenschaftsentwicklung möglich.1 Aus Raumgründen müssen wir in dieser Darstellung auf wesentliche Hintergrunddarstellungen und eine Fülle an Details verzichten. Unsere Perspektive folgt einem bisher nicht verwendeten Ansatz: Wir skizzieren die Ausgangsvoraussetzungen zur Einführung des Faches Journalistik in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Koszyk 1974), analysieren wichtige Elemente der Realisierungsphase des Faches und ziehen dabei einen Vergleich mit den besonderen Voraussetzungen und Anforderungen, die sich mit der Situation des Journalismus im Rahmen der neuen Europäischen Union stellen (vgl. hierzu früher mit weiteren Verweisen Kopper 1993, 1994, 1996, 2001a, b, d, e, 2002a, 2003a, 2007; Kopper/Koszyk 1993; Kopper/May 1993). Dabei gehen wir – und dies ist prägendes Kennzeichen dieser Analyse – hinter die in einem solchen Zusammenhang üblicherweise auftauchende Fragestellung zur „Europäischen Öffentlichkeit“ (Eder 2000; Gerhards 2000a, 2000b; Kopper 1996; Kuhne 2001; Medrano 2003; Meyer 2004; Neidhardt/Koopmans/Pfetsch 2000; Raupp 2004; Trenz 2006; zu Öffentlichkeit generell vgl. Pöttker 2002, 2004) einen entscheidenden Schritt zurück. Wir blicken auf die materiell empirischen Ausgangsbedingungen in der öffentlichen Kommunikationssphäre sowohl a) in der Phase der Planung und Einführung des Faches Journalistik als auch vergleichend b) in der anhaltenden öffentlichen Kommunikationssituation Europas (vgl. zu methodischen Grundlagen Dröge/Kopper 1991; Kopper 2002c).
1
Redaktionsschluss dieses Artikels war das Monatsende Juni 2008.
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In beiden Fällen erkennen wir eine empirisch im Detail beschreibbare „Strukturkrise der Öffentlichkeit“ (Kopper 1996; aus historisch-generationsspezifischer Perspektive zu dem entscheidenden Abschnitt in Deutschland vgl. Hodenberg 2006). Wir erkennen ferner, dass wichtige Elemente dieser Krise der Öffentlichkeit in der damaligen Bundesrepublik Deutschland und im europäischen Kontext gleiche strukturelle Muster aufweisen. Das Fach Journalistik stellte in der Phase Ende der 1960er Jahre, also des besonderen Bemühens um Auswege aus der (westdeutschen) Krise der Öffentlichkeit, einen spezifischen Reformansatz dar – verbunden mit einer Reihe zugeordneter, auf das Mediensystem bezogener Reformbemühungen. Auch innerhalb einer ersten Phase, während der man auf die Besonderheiten der Strukturkrise der Öffentlichkeit auf europäischer Ebene stieß, bemühte man sich politisch um Abhilfe durch einen europäischen Versuch neuartiger Journalistenausbildung. Hierin liegen die auffallende Parallele und unsere Untersuchungslinie. Die Versuche in diese Richtung innerhalb der Europäischen Union schlugen am Ende fehl. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden sie auf europäischer Ebene nicht mehr strategisch unterstützt (vgl. Kurpas/Brüggemann/Meyer 2006). Seither und vor allem seit den letzten Jahren ist man auf eine Strategie umgewechselt, in welcher der Journalismus nur noch eine nachrangige Rolle spielt (vgl. Wallström 2006; Dokumente: EC 2002, 2006).2 Dies hat Auswirkungen auf die hochschulgebundene Journalistenausbildung, mit denen wir uns befassen werden.
2.
Strukturkrisen der Öffentlichkeit
Unter den angeführten „Strukturkrisen der Öffentlichkeit“3 muss man tief greifende, von Brüchen in entscheidenden Grundlagen der öffentlichen Kommunikation ausgehende politisch-gesellschaftliche Konfliktlagen verstehen, die durch die folgenden wesentlichen Merkmale bestimmt sind: x
Entscheidende institutionalisierte Vermittlungswege öffentlicher Kommunikation verlieren ihre Legitimation, ihre technische und/oder wirtschaftliche Basis oder sind nicht mehr in der Lage, ihre gegebene Zielsetzung zu erfüllen. Gleichzeitig sind in etablierten Konsens- und Entscheidungsprozeduren der Politik weiterführende Lösungen nicht zu finden, stattdessen müssen grundlegend neue Optionen der Weiterentwicklung der öffentlichen Kommunikationssphäre – nicht zuletzt auch auf der Grund-
2
Betont sei hier die Komponente Strategie. Im Weißbuch zur neuen europäischen Kommunikationspolitik (EC 2006) heißt es: „All citizens should have access in their own language to information about matters of public concern. This means that information should be made widely available through a wide range of channels, including the mass media and new technologies such as the Internet. It also means that people from all walks of life in all EU countries should be helped to develop the skills they need to access and use that information. This is particularly important in the case of minorities, disabled citizens and other groups that might systematically be excluded from participation in the public sphere.“ (Hervorhebung G.G.K.) Im täglichen operativen Verfahren der europäischen Kommunikationspolitik spielt der Journalismus selbstverständlich weiterhin seine angestammte Rolle – allerdings in einem zunehmend strategisch veränderten Kontext, der auf journalistische Leistungsbeiträge zu verzichten in der Lage ist. Nicht mit dem Begriff „Öffentlichkeitskrise“ zu verwechseln, der sich im Umfeld von Theorien und Analysen zur Risikokommunikation von Unternehmen eingespielt hat und überwiegend im Rahmen der Betriebswissenschaft erforscht wird.
3
Strukturkrisen der Öffentlichkeit
x
x
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lage zwischen zentralen Macht- und Einflussgruppen außerhalb der politischen Institutionen ausgehandelter Kompromisse – ermittelt und durchgesetzt werden. Dabei sind die ausschlaggebenden Veränderungen, zumeist auf technischer, wirtschaftlicher oder einschneidender kultureller Basis, in ihrer Zielrichtung unbestimmbar – mit der Folge eines hohen Grades an Entscheidungsunsicherheit auf allen Ebenen und in allen Lagern. Die gesamte Konfliktlage ist von bedeutsamen Tendenzen der öffentlichen Auseinandersetzungen bestimmt, die eine weitergehende bis unabsehbare Eskalation der Konfliktformen und -mittel erkennen lassen, so dass eine weitere Form wachsenden bis unerträglichen Drucks in allen betroffenen Entscheidungssegmenten entsteht.
Derartige als Strukturkrisen der Öffentlichkeit zu bezeichnende fundamentale Konfliktlagen in einer Gesellschaft lassen sich im Laufe der industriellen Modernisierungsgeschichte innerhalb des westlich geprägten Entwicklungsmodells der Staaten immer wieder feststellen – unter jeweils eigenen historischen Vorzeichen. Hier muss es ausreichen, auf derartige Konfliktlagen nach dem Zweiten Weltkrieg hinzuweisen. Diese Krisen verlaufen je nach Gesellschaftssystem und herrschender Kultur unterschiedlich. Dennoch zeigen sich typische Grundelemente. Eine markante Strukturkrise der Öffentlichkeit entwickelte sich in der Bundesrepublik Deutschland in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre (zu den Abläufen vgl. Kopper 1992). Diese Krise war der Auslöser für die Konzeption und historisch erstmalige Einführung einer hochschulgebundenen und auf Pressefreiheit gründenden Journalistenausbildung unter der Fachbezeichnung „Journalistik“.4 Zu den Langfristzielen der mit einer „Journalistik“ verbundenen Reformvorstellungen zählte eine Neubestimmung von Status und gesellschaftlicher Rolle des Journalismus. Diese Vorstellungen zielten auf eine Ebene unterhalb elitären Journalistengepränges (vgl. Aufermann/Elitz 1975). Auswirkungen des Reformprojekts erhoffte man sich auf der Ebene des aktuellen Gebrauchsjournalismus – nicht zuletzt also in den gewöhnlichen Alltagsnischen der aktuellen Berichterstattung bis hinein in das lokale Ereignisfeld.5 Ferner erwartete man entschiedene Veränderungen durch eine fundamentale und neue Selbstwertbestimmung des Journalismus. Der antizipierte Journalismus sollte über seine andersartig ausgebildeten Berufsangehörigen eine kontinuierliche und verlässliche Kraft eigenständiger Sicherung pluralistischer Meinungsbildung und Berichterstattung werden. Meinungs- und Informationsvielfalt sollten nach damals gängiger Auffassung durch Anbietervielfalt gesichert werden. Die Reformdiskussion verwies auf ein weiteres wichtiges Sicherungselement, nämlich die Neuausrichtung und neuartige Fundierung des Journalistenberufs. Die hochschulgebundene Form grundständiger Journalistenausbildung sollte hierzu den entscheidenden Beitrag liefern (vgl. den Beschluss der Bund-LänderKommission für Bildungsplanung zur Genehmigung des Modellversuchs München vom 2. Juli 1974).
4
5
Die auf die Grundsätze der kommunistischen Staatspartei SED verpflichtete „Journalistik“ in der Deutschen Demokratischen Republik mit ihrer zentralen Einrichtung an der Universität Leipzig war statt auf das liberale Pressefreiheitsmodell auf das von der Sowjetunion übernommene leninistische Modell der Agitation und Propaganda durch Massenmedien festgelegt. In der neuen Kommunikationspolitik der EU (vgl. EC 2006) findet sich der gleiche herausgehobene Schwerpunkt auf angezielte lokale und regionale Informations- und Kommunikationseffekte.
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Eingebunden war dieses Konzept in den übrigen, breiter angelegten Reformansatz, mit dem auf die Strukturkrise insgesamt reagiert wurde. Entworfen wurde ein umfassendes Geflecht verzweigter Maßnahmen und Projekte im gesamten Bereich der Medien- und Kommunikationssphäre auf der Ebene des Bundes und der Länder. Darunter stach als ein unmittelbar dem Ausbildungsprojekt zugeordnetes Reformprojekt u. a. die Reform der Presserechts-Rahmengesetzgebung des Bundes hervor – mit der vorrangig geplanten Sicherung und Stärkung der inneren Pressefreiheit (vgl. Branahl 1979; Doehring 1974; Fischer 1975; Hoffmann-Riem 1979; Stüber 1978).6 In der Regel wird nur die „Spitze des Eisberges“ der europäischen Krise der Öffentlichkeit gestreift, wenn von der inzwischen geläufig gewordenen Problematik „Europäischer Öffentlichkeit“ die Rede ist. Unter „Europäischer Öffentlichkeit” wird vorzugsweise eine primär theoretische Problematik verstanden. – Ein direkter Bezug zu alltäglicher politischer oder publizistischer Praxis wird im Zuge des theoretischen Interesses eher vernachlässigt (Schlesinger/Deirdre 2000). In der Tat läuft die alltägliche praktische europäische Politik unverdrossen weiter, selbst wenn konstitutive Krisen eintreten – wie etwa beim verfehlten Referendum zur Europäischen Verfassung durch die Niederlande und Frankreich 2005 oder bei der abschlägigen Volksabstimmung in Irland zum Vertrag von Lissabon im Juni 2008. Entsprechend wird auch der massive Einfluss der Europäischen Gesetzgebung auf die nationale Gesetzgebung der Mitgliedsländer keineswegs unterbrochen.7 Die materiell ausweisbare Strukturkrise der Öffentlichkeit auf europäischer Ebene ist hingegen nicht zu übersehen, sie wirkt sich praktisch innerhalb der Institutionen aus – und man versucht, diese Krise institutionell zu bewältigen (allgemein vgl. Downey/Koenig 2006; Eder/Trenz 2003; Garcia/le Torrec 2003; Dokumente: EC 2002, 2006). Diese Krise hat einen langen Vorlauf. Sie beginnt spätestens in der Umbruchphase Europas zwischen 1988 bis 1992. Auslöser waren die Aufhebung des Ost-West-Konflikts sowie die Verträge von Maastricht (1992). Damit entstanden massive kommunikative Vermittlungsanforderungen aus den Institutionen der nun so deklarierten Europäischen Union an eine europäische Öffentlichkeit. In der Folge erlangte auch auf europäischer Ebene „Kommunikationspolitik“ zum ersten Mal sektorales Eigengewicht (vgl. zum Hintergrund AIM 2007c; Baisnée 2003; Bastin 2003; Fliegenschmidt 2005; Gerhards 2000b; Kambeck 2004; Kuhne 2001; Steeg 2004). Fundamentale Krisen der Öffentlichkeit finden in den gesellschaftlichen und politischen Systemen jeweils unter aktiver Beteiligung der wichtigsten Macht- und Einfluss6
7
Nach dem Verschwinden aller Aussichten auf Reform durch gesetzliche Maßnahmen (in der Regierungserklärung der Regierung Schmidt/Genscher von 1974 wurde letztmalig eine mögliche Reform der Presserechts-Rahmengesetzgebung erwähnt) verlagerten sich die Reformkonflikte auf die Tarifparteien, darunter nicht zuletzt eine Auseinandersetzung um bindende Gestaltungsrichtlinien für die Journalistenausbildung in den Zeitungsbetrieben (Ausbildungsrichtlinien für Volontäre). Flächendeckend verbindliche Richtlinien zur innerbetrieblichen Ausbildung von Journalisten wurden in der Bundesrepublik Deutschland erst nach massiven Streiks der Journalistengewerkschaften im Rahmen des Tarifrechts 1990 vereinbart. Bis dahin existierten nur Ausbildungsordnungen in einzelnen Betrieben. Der besondere Teil der Praxiseinbindung der ursprünglichen Modellversuche (z. B. das einjährige Volontärpraktikum nach dem Dortmunder Modell) wurde im Rahmen der tarifrechtlichen Ausbildungsrichtlinien berücksichtigt. Eine Untersuchung aus dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) weist aus, dass sich für die Bundesrepublik Deutschland der EU-Anteil an der nationalen Gesetzgebung auf über 80 Prozent im Bereich der Agrarund Umweltgesetze bezieht; andere Bereiche unterliegen stärkerer nationaler Alleinregelung, so z. B. das Arbeitsrecht (EU-Anteil 15,6%). (vgl. WZB Mitteilungen, H. 117/2007, online unter http://www.wzb.eu/ publikation/pdf/wm117/wm_117_gesamt.pdf)
Strukturkrisen der Öffentlichkeit
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gruppen und der ihnen gegenüberstehenden Konfliktgruppen statt (zur Binnenperspektive in Deutschland vgl. Kopper 2002a). Vergleichbares spielt sich auch auf der europäischen Ebene ab. Da diese Krisen historisch und kulturell von Land zu Land unterschiedlich ausfallen, fehlt es an hinlänglichem Augenmerk für durchgehende Muster. Aus diesem Grund fällt es schwer, das Krisenmuster auf europäischer Ebene zu entdecken. Deutlich geworden ist inzwischen, dass der Bearbeitungsstand zu den Aspekten der „Europäischen Öffentlichkeit“ der tatsächlichen Problemlage nicht gerecht wird. Öffentlichkeitskrisen in einzelnen Ländern werden jeweils in charakteristischer Weise bewältigt. Es entsteht dabei ein eigenes Mosaik innerhalb Europas auf der Grundlage der jeweils betroffenen Kultur (z. B. Deutschland: vgl. Kopper 2002a). So lassen sich historische Beispiele anführen: Eine massive Öffentlichkeitskrise in Schweden führte u. a. zu einem herausgehobenen und ausgeklügelten System institutionalisierter Presseförderung, das mit leichten Abwandlungen auch noch heute gilt (vgl. Gustafsson 2006). In Italien entstanden auf diese Weise ungeahnte Markt- und Machtchancen, die sich gegenwärtig unter dem Namen Berlusconi bündeln (vgl. Weber 1997; Mancini 2004). In Frankreich entwickelten sich eigenartige Interventionsstränge des Staates, verbunden mit oligopolistischen Industrie- und Finanzkonglomeraten, die wiederum mit überaus wirksam aktiven Querverbindungen zu politischen Machtgruppen und einem bestimmenden Einfluss auf das gesamte Mediensystem (vgl. Machill 1997). In der alten Bundesrepublik Deutschland entstand auf diese Weise ein neues sektoral geprägtes Politikverständnis, nämlich der Medienund Kommunikationspolitik (vgl. Kopper 2002b). Diese bildete die Grundlage für die Debatten zu Reformkonzepten und -projekten einschließlich derer, die am Ende die „Journalistik“ hervorbrachte. Im Umfeld der Jahre 1989/1990 kam es auf europäischer Ebene, angestoßen durch die Europäische Kommission und mit deren über Jahre dauernder Hilfestellung, zu einem vergleichbaren Versuch der Krisenbewältigung – auch hier über eine Initiative zur Neuausrichtung, diesmal der existierenden hochschulgebundenen Journalistenausbildung. Es sollten neue Kompetenzgrundlagen im Journalismus, hin zu einer neu zu entwickelnden europäischen Journalistik in den europäischen Mitgliedsländern, geschaffen werden.
3.
Das Fach Journalistik vor dem Hintergrund der Strukturkrise der Öffentlichkeit
Als Ausdruck der besonderen nationalen Kultur Deutschlands kann gelten, dass man im Rahmen der Krisenbewältigung u. a. ein eigenständiges neues Wissenschafts- und Lehrgebiet einführte. Zugleich aber ist für diese Kultur und ihre Art der Krisenbewältigung bezeichnend, dass mit der Realisierung des neuen Wissenschaftsbetriebs zugleich der dekretierte Langfrist-Reformanspruch und die damit einhergehenden Innovationsoptionen ausgeblendet wurden. Bezeichnend ist ferner, dass gegen einen solchen, nahe liegenden Prozessablauf nicht die geringsten institutionellen Vorkehrungen im Rahmen der politischen Vorarbeiten getroffen wurden. Materialerhebungen, Untersuchungen, Befunde und Analysen aus dem Umfeld des 1990/91 eingerichteten Schwerpunkts „Journalismus in Europa“ an der Universität Dortmund beweisen: Die wichtigsten Umstände und strukturellen Grundlagen der europäischen Strukturkrise entsprechen – unter neuen Vorzeichen – den Mustern aus der (alten) Bundesrepublik Deutschland. Viele Diskussions- und Konfliktelemente in der damaligen Krisen-
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phase gleichen jenen, die heute in einer neuartigen Form der Kommunikationspolitik (EUTerminologie: Communication Policy) in und für Europa aufgefangen werden sollen. Vor allem die Ausgangslage zu Zeiten, als über Reformnotwendigkeiten und -aspekte der Journalistenausbildung und ihre für notwendig gehaltene Verankerung an Universitäten diskutiert wurde, findet sich als vergleichbares Muster auf europäischer Ebene in der Phase ab 1990 und danach noch über fast ein halbes Jahrzehnt. Wiederzuerkennen ist ebenfalls die Art des Vorlaufs und der Begleitung durch wissenschaftliche Analysen in beiden Fällen – ausgelöst durch erkennbare massive Strukturbrüche und -defizite im Medien- und Kommunikationssystem. In der deutschen Situation finden sich so die ersten Ausprägungen einer wissenschaftlich untermauerten Medien- und Kommunikationspolitik, einschließlich zugehöriger Spezialisierungen im Medienrecht und in der Medienökonomie (vgl. Heinrich/ Lobigs 2006). In der europäischen Situation übernehmen die beginnenden wissenschaftlichen Arbeiten zur „Europäischen Öffentlichkeit“ – in einem transdisziplinären Kontext, der von den Sozial- über die Wirtschafts- bis zu den Rechtswissenschaften reicht – eine vergleichbare Funktion. Wir werden nachfolgend die wichtigsten Muster der zu Grunde liegenden Strukturkrise der Öffentlichkeit in der einen wie auch der anderen Sphäre knapp kennzeichnen:
a)
Die Ausgangslage in der Bundesrepublik Deutschland 1965 bis 1975
aa) In wichtigen Gruppen der Gesellschaft stellte sich eine wachsende Furcht vor einem Verlust pluraler und unabhängiger Kontrolle der tragenden Exekutiven ein. Hintergrund war das Anwachsen klarer Oligopolstrukturen und die Gefahr von Monopolbildung in wichtigen Sektoren der Medienindustrie. Damit wuchs die Befürchtung vor unausgewogener Meinungsmacht zugunsten weniger Interessenpositionen. Die damit einhergehenden Auseinandersetzungen muss man vor dem Hintergrund einer ohnehin stark eingeschränkten Bandbreite der Meinungsauseinandersetzung in der Bundesrepublik der 1960er und 1970er Jahre (vgl. Kopper 2003c) sehen. ab) Die Kraft der Selbstorganisation in den journalistischen Berufsorganisationen war zu Beginn der Auseinandersetzungen (lt. Hintergrund aa) beschränkt, in Teilen zersplittert und politisch eher ohnmächtig. Erst von dem Moment an, als wichtige Teile der politischen Auseinandersetzung (lt. aa) durch eine Verbindung führender Gruppen in den journalistischen Berufsorganisationen mit meinungsbildenden Kreisen der gesellschaftlichen und politischen Debatte öffentlich wirksam werden, ändert sich diese Ausgangslage erheblich. In der Folge entsteht eine erstarkende Orientierung der Journalistengruppierungen hin zu einer Gewerkschaft und fort von ständisch orientierter Verbandsarbeit. Hieraus erwuchsen nachfolgend wesentliche Anstöße zu einer systematisierten und berufsbezogenen Ausbildung mit erheblicher Auswirkung auf die Institutionalisierung von zukunftsfähigen Konzepten und Modellüberlegungen. ac) Die Ausganglage (lt. aa) war auch verbunden mit einem erheblichen Mangel an beruflich breiter Orientierung in den Arbeitsgrundlagen und nicht selten dem Fehlen hinreichender Kompetenz im journalistischen Berufsfeld, das in dieser Phase unter erheblichem Änderungsdruck stand (vgl. z. B. aus spanischer Sicht Soria 1989). Dieser wurde ausgelöst durch bruchartige Veränderungen in der Produktionstechnologie der aktuellen Redaktionsarbeit (Abschaffung von Bleisatz, Einführung automatisierter Setzver-
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fahren, Übergang zur elektronischen Inhaltserfassung, Rationalisierung von Produktionszwischenstufen; nachgeordnet vergleichbare technologische Umbruchsituationen bei Hörfunk und Fernsehen). Innerhalb der Industrie war die Situation durch fundamentale Änderungen der Wettbewerbslage bestimmt – und zwar in sämtlichen Mediensektoren – und es zeichneten sich Systemumbrüche in der gesamten Industrie ab (Internationalisierung, Entgrenzung der traditionellen Übermittlungskanäle, Übergang zur Informations- und Kommunikationsindustrie). Hieraus entstand eine neuartige Nachfrage nach redaktionell journalistischer Kompetenz, nicht zuletzt in den am stärksten durch neue Wettbewerbshorizonte unter Druck geratenen Sektoren (z. B. bei lokalen und regionalen Tageszeitungen). ad) Die Folgen der deutlich werdenden gesellschaftlich-politischen Bruchsituationen veränderten die Grundlagen, die Handlungsmuster und Vermittlungsanforderungen nicht zuletzt im politischen Sektor. So kam es zu einer wachsenden und ungewohnten Komplexität von Regierungshandeln – und zwar im Sinne neuartiger Planungs- und Steuerungsverfahren unter Einschluss der Dimensionen unerprobter Wege öffentlicher Kommunikation. In der diskursiven Außenwirkung ergab sich damit eine erhebliche Ausweitung der wichtigen Spektren agendafähiger Problembestände. Dies ging einher mit direkten und indirekten Anforderungen an eine Reform journalistischer Berufshorizonte und -grundlagen. ae) Die in der Gesamtbetrachtung dieser Phase erkennbaren Defizite in den Öffentlichkeitsstrukturen und in der laufenden öffentlichen Diskussion führten zu gezielten aktiven Initiativen und Ansätzen alternativer Publizistik und neuen Formen der – dann so bezeichneten – Gegenöffentlichkeit. Sie stellte eine massive Herausforderung des traditionellen Journalismus (vgl. Pöttker 2005) dar – und auf die Postulate und Theoreme der „Gegenöffentlichkeit“ wurde innerhalb der journalistischen Berufsgruppen aktiv reagiert. af) Das Repertoire der in dieser Gesamtphase entstandenen Konzepte und Initiativen mündete nach Jahren in wegweisende Reformansätze in der Bundesrepublik Deutschland ein, deren wesentliches Charakteristikum gerade das Fehlen eines fundamentalen und übergreifenden Ansatzes ist. Auch die Summe der tatsächlich eingeführten und durchgesetzten Einzelmaßnahmen ergab keine Annäherung an einen solchen Gesamtansatz. Ergriffen wurden kleinere, überschaubare Initiativen, die jeweils den Vorteil boten, gewichtige öffentliche Kritik im Zuge der Auseinandersetzungen (lt. aa und ae) zumindest in Teilen zu befriedigen, zugleich aber große herrschende Interessen in der Gesamtwirtschaft, speziell aber auch in der Medienindustrie, gar nicht oder nur am Rande zu tangieren. Dieses Verfahren in seiner Gesamtheit stellte demnach einen übergreifenden politischen Kompromiss dar. Entsprechend kann man bei genauerem Blick die Qualität des Kompromisshaften in jedem der einzelnen ReformKleinprojekte erkennen. Dies gilt auch für das in diesem Zusammenhang und aus diesen Hintergründen ins Leben gerufene Fach Journalistik. Zu erkennen sind kleinformatige Besonderheiten des Ursprungs bei allen in Angriff genommenen Projekten am Ausgang der Reformdiskussion zu Medienund Journalismusfragen ab Mitte der 1960er und bis Mitte der 1970er Jahre: so bei der Neufassung der Filmförderung, bei der Einführung von kontinuierlich vorzulegenden „Medienberichten der Bundesregierung“ an das Parlament, bei der Unterstützung des Pressera-
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tes und seiner Institutionalisierung, bei der Einführung der Künstlersozialversicherung, bei der Einführung der spezifischen Pressefusionskontrolle im Rahmen des geltenden Wettbewerbsrechts, bei der Einführung einer amtlichen Pressestatistik – und nicht zuletzt bei der Durchführung von Modellversuchen für die hochschulgebundene Journalistenausbildung (in München und in Dortmund). Entscheidend für unsere Herleitung ist nun, dass wir Grundlagen, Umstände, Prozesse und politische Auseinandersetzungen erkennen können, die den gerade aufgezeigten Gegebenheiten direkt oder in ihrem strukturellen Muster auf europäischer Ebene entsprechen. In der notwendigen Darstellung können wir uns kurz fassen, weil die Übereinstimmungen schon in einer eher stichwortartigen Auflistung deutlich werden:
b)
Strukturkrise der Öffentlichkeit in Europa und ihre vergleichbaren Muster
ba) Bezogen auf das wachsende politische Gewicht der Europäischen Union als politische Exekutivinstanz eines jeden Mitgliedslandes wächst auch hier die Furcht vor einem Verlust unabhängiger und pluraler Kontrolle dieses supranationalen Machtfaktors. Entsprechend steigt die Erwartung an einen hinreichenden öffentlichen Kontrollbeitrag durch die Massenmedien, deren primärer Auftrag bezogen auf eine europäische Berichterstattung deswegen wachsend in einer solchen laufenden Kontrolle gesehen wird. Auch im EU-Zusammenhang sind diese Befürchtungen untermischt mit der Erkenntnis wachsender Oligopolstrukturen und der Gefahr von Monopolbildungen in wichtigen Sektoren der Medienindustrie in Europa. Die Befürchtung vor unausgewogener Meinungsmacht zugunsten weniger Interessenpositionen bezieht sich innerhalb der EU nicht zuletzt auf das manifeste Gewicht der in den Brüsseler Instanzen vertretenen Lobbygruppen mächtiger Industriezweige und Interessenverbände. bb) Journalistische Berufsorganisationen auf der Ebene der Europäischen Union sind – vergleichbar der Situation in Deutschland (lt. ab) – zersplittert und auf dieser Ebene politisch ohnmächtig. Zwar gibt es einen europäischen Zusammenschluss, dieser bildet jedoch kein reales Gegengewicht zu der Präsenz und Einflussstärke der europäischen Medienindustrie. Statt den Weg über eine Stärkung als europäische Verbandsmacht gesamteuropäischen gewerkschaftlichen Zuschnitts zu gehen und hierfür die Organisationsvoraussetzungen und gewichtige Kompetenzen zu schaffen, steuert die europäische Komponente der Journalistenvertretungen eher nur Legitimierungsstrategien diverser Art – gegenüber und zusammen mit nationalen Einrichtungen. Vor diesem Hintergrund bilden auch Anstöße zu einer systematisierten und berufsbezogenen Ausbildung der europäischen Berufskompetenz von Journalisten eher eine Entlastungsfunktion. bc) Wiederum findet sich eine Ausgangslage, in der es erhebliche und empirisch nachweisbare Mängel an hinlänglicher beruflicher Orientierung und Kompetenz der Berufsgruppe der Journalisten gibt – bezogen auf die Arbeit im supranationalen Kontext Europas. Gleichzeitig ist auch diese Situation verbunden mit erheblichem Änderungsdruck, und dieser wiederum steht in Verbindung mit Änderungen sowohl in den strukturellen Grundlagen wie in den Produktionstechnologien des Berufs. In der Medienindustrie erleben wir erneut eine Phase fundamentaler Änderungen in den Wettbewerbsgrundlagen und der Veränderung weit ausgreifender Wettbewerbshorizonte.
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bd) Die Vermittlungsanforderungen im journalistischen Berufsfeld angesichts der Herausforderungen der „Europäischen Öffentlichkeit” sind gegenwärtig enorm, und die öffentliche Kommunikation steht vor ungeahnten Anforderungen angesichts einer europäischen Ansprechebene, die mehr als 300 Millionen Einwohner und mehr als zwei Dutzend Sprachgemeinschaften umfasst. Entsprechend hoch sind die Ansprüche bezogen auf existierende Berufshorizonte und -grundlagen in dieser Sphäre. be) Wiederum sind gezielte und aktive Initiativen und Ansätze alternativer Publizistik zu erkennen. Es existieren neue Formen einer „Gegenöffentlichkeit“, die allerdings in der Regel nicht unter einem solchen Begriff stattfindet. Diesmal funktioniert dieser Sektor unter anderen technischen und produktiven Vorzeichen, nicht zuletzt angesichts der immer noch wachsenden Bedeutung von Angeboten und Dienstleistungen im Internet. bf) Auf der Ebene der Europäischen Union fehlt es deutlich erkennbar an einem fundamentalen Gesamtansatz zur Überwindung der Brüche und Defizite, die sich in der Strukturkrise der Öffentlichkeit auf europäischer Ebene erkennen lassen. Auch in dieser Situation wird über Reformkonzepte nachgedacht, und es werden eher kleinere, überschaubare Initiativen ergriffen. Die dahinter stehenden politischen Kompromisse und deren besondere Qualität sind inzwischen geradezu ein Markenzeichen der europäischen Politik. Zugleich helfen solche kleinformatigen Kompromissstrategien dabei, mit zentralen und mächtigen Einflussinteressen in Europa nicht in dauerhaften Konflikt zu geraten. Aus diesem Grund wird die europäische Medienindustrie, sofern sie sich politisch durchgreifend in Szene zu setzen weiß, kaum je tangiert und äußerst vorsichtig behandelt. Alle Versuche zu größer angelegten Regelungsvorhaben auf europäischer Ebene sind primär von dem Versuch einer Durchsetzung strikter liberaler Rahmenregelungen für die europäischen Märkte bestimmt. bg) Vergleichbar mit der beschriebenen Situation in der Bundesrepublik Deutschland sehen wir im Rahmen der europäischen Politik eine Situation, in der das Nichtrealisierte und untergegangene Projekte ein beredtes Zeugnis für die besondere Qualität dieses Politikfeldes darstellen: keine Einführung einer europäischen Aufsichtseinrichtung für die Konzentration in der Medienindustrie, keine Regelungen zu Cross-MediaOwnerships mit medienspezifischen Anti-Konzentrationsmaßnahmen, keine Rahmenregelungen für Mediensubventionen in allen Medienbranchen usw. Auf der anderen Seite ist die Vielzahl der Randmaßnahmen zur Förderung und Stützung einzelner Sektoren bekannt. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Verlagerung einer übergreifenden inhaltlichen und gründlichen europäischen Fachdiskussion struktureller Fragen der Mediensysteme und Medienindustrien in den entscheidungsohnmächtigen Europarat (Council of Europe) und seine unsichtbaren Fachgremien (vgl. als Beispiel MCM 2000).
4.
Perspektiv- und Paradigmenwechsel an Wendepunkten
In der Ausgangsdiskussion hin zur Entwicklung eines Modellvorhabens „Journalistik“ in der Bundesrepublik Deutschland im angesprochenen Zeitabschnitt war der entscheidende Perspektivwechsel bestimmt durch hervorstechende Brüche in der Produktionswirklichkeit der Medien. Die damals heraufziehende Produktionswirklichkeit spiegelte sich im Wandel auch theoretischer Auffassungen zum Journalismus.
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Diese neuen Perspektiven umfassten mindestens drei Sichtachsen, nämlich x x x
entlang systemischer Grundlagenanalysen redaktioneller Arbeitsprozesse, bezogen auf inhaltlich-gestalterische Dimensionen des Journalismus (Realitätserfassung) und im Blick auf den Wandel der Rahmenbedingungen und der strukturellen Grundlagen der Medienindustrie und ihrer Entwicklung.
Diese Änderung der Sichtachsen prägte auch den Übergang in ein neues fachliches Verständnis der betroffenen Wissenschaftsbereiche (Publizistik, Kommunikationswissenschaft, Zeitungswissenschaft, Soziologie). Besonders ausgeprägt waren die hieraus sich ergebenden grundlegenden Änderungen in der Weiterentwicklung theoretischer Auffassungen und empirischer Forschungsansätze innerhalb der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Diese Änderungen sind inzwischen hinreichend dargelegt worden (vgl. mit weiteren Nachweisen Bohrmann 1997; Meyen 2007). Weniger deutlich ist dabei allerdings herausgearbeitet worden, dass es sich hierbei um eine Art des Überganges handelte, der ähnlich in anderen Sektoren der Wissenschaftsgeschichte stattfand: Auf fundamentale Herausforderungen der produktiven Grundlagen in Wirtschaft und/oder Berufswelt reagieren im Zuge der neuzeitlich industriell geprägten Modernisierung Fachsektoren durch gezielte Konzentration auf Anwendungswissen, auf die Akkumulation von beruflichem Know-how und durch Einrichtung beruflicher Qualifizierung in einer kennzeichnenden Doppelstrategie: durch Kreierung von in eigenen Fächern geprägtem wissenschaftlichem Nachwuchs und durch die gleichzeitige Ausbildung von Anwendungsexperten (vgl. Nachweise in: vom Bruch 1992). Die Berufsgruppen der Ärzte, der Anwälte, der Ingenieure liefern Beispiele für diese Entwicklung – nicht zuletzt im Hinblick auf den letztlich stets aus einer Fachwissenschaft heraus (mit)gesteuerten, sich institutionalisierenden Zusammenhang fortschreitender Qualifizierung und ihrer Gültigkeitsregeln. Man kann also in einem stark abgekürzten Vergleich – und unter Nutzung des Beispielfachs Medizin8 – von einer in derartigen Modernisierungsfächern kennzeichnenden „klinischen Wende“ sprechen. Gemeint ist damit die institutionelle Integration von Forschung, Lehre, Aus- und Weiterbildung auf einer gemeinsam fortgeschriebenen Diskursgrundlage wissenschaftlicher Arbeit in Theorie und steter Anwendung. Mit dem forcierten Entstehen eines neuen Anwendungszweiges, wie in diesem Fall einer „Journalistik“ als wissenschaftliches Berufsfach des Journalismus, im Universitätssystem der Bundesrepublik Deutschland wurde – zumindest in den vorlaufenden Konzepten und Reformerwägungen – durchaus eine vergleichbare „klinische Wende“ erwartet. Jedenfalls ist dies der einschlägigen Debatte und Literatur der Epoche zu entnehmen. Heute ist festzuhalten: Der Einfluss der Journalistik auf das Berufsfeld der Journalisten ist marginal – dies gilt sowohl für die numerischen Größen der Ausbildungsanteile innerhalb der Berufsgruppe als auch für eine mittelbare Steuerungsleistung bezogen auf institutionelle Anforde-
8
Das Beispielsfach Medizin ist als Paradigma immer wieder benutzt worden, um Ansprüche an eine sowohl wissenschaftliche wie fachlich-berufliche Ausbildung, Lehre und Forschung sowie Anwendung auch im Bereich des Journalismus vorstellbar zu machen. Sehr früh finden sich Beispiele dieser Art in den USA, immer wieder auch in der deutschen Diskussion (vgl. Meyen/Höfler 2008: 60).
Strukturkrisen der Öffentlichkeit
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rungen und Regelungen zu den Grundlagen beruflicher Qualifizierung. Von einer „klinischen Wende“ kann keine Rede sein.9 In dem hier angesprochenen europäischen Vergleichsfall existierten bereits Ausbildungsfächer für Journalisten an zahlreichen europäischen Hochschulen (vgl. Kopper 2003a; Müller 1999; Stephenson/Mory 1990). Die neuartige Krisenbewältigungsstrategie ging von dieser institutionellen Grundlage aus. Im Abschnitt 1990 bis 1995 fanden zahlreiche Projekte und Programmbündel gezielter journalistischer Ausbildung auf Hochschulniveau mit Unterstützung der Europäischen Kommission und auch des Europäischen Parlaments statt (vgl. hierzu detailliert Müller 1999). Der Fokus dieser Bestrebungen ging dabei in zweierlei Richtung: x x
Aufbau auf Pressefreiheit gründender journalistischer Berufsgrundlagen in den neuen politischen und Gesellschaftssystemen Ost- und Mitteleuropas, verbunden zugleich mit einer Neuausrichtung journalistischer Kompetenz auf den europäischen Informations- und Kommunikationskontext als ein neues Berufsfeld.
In beiden Richtungen lag eine realistische Option für die Neugründung eines eigenen europäischen Fachkontextes der Journalistik, nämlich in einer alle Mitgliedsländer umfassenden Bündelung aus passenden und integrationsfähigen Elementen einzelner nationaler Ausbildungsprogramme (vgl. für einen Überblick Stephenson/Mory 1990 sowie für weitere Hinweise Gordon Pérez 1991; Kopper 1994, 2001a-e, 2003b, 2007).10 Nach mehreren Versuchsjahren zeigte sich, dass die Option einer solchen supranational ausgerichteten und europäisch organisierten Neuorientierung der hochschulgebundenen Journalistenausbildung keine hinreichende Umsetzung und Institutionalisierung fand.11 9
10
11
Dabei mag es Auswirkungen dritter Art innerhalb des Mediensystems und vorgelagerter wissenschaftspolitischer Bereiche geben, die maßgeblich zu diesem Ergebnis beigetragen haben, denen in dieser Analyse aber nicht nachgegangen werden kann. Anhaltspunkte dafür liefert eine Enquête und Stellungnahme des Wissenschaftsrates („Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienwissenschaften in Deutschland“, online unter http://www.wissenschaftsrat.de/texte/7901-07.pdf), in der sich bemerkenswert untergründige Abschiedsformulierungen nicht nur von dem Ausgangsformat der Journalistik, sondern vom Fach insgesamt finden. In diesen Empfehlungen heißt es u. a.: „Mit der Journalistik existiert noch eine Spezialform der Kommunikationswissenschaft, die an den Hochschulen zum Teil eigenständig institutionalisiert ist oder war. In der sich seit Mitte der 1970er Jahre entwickelnden Journalistik(-wissenschaft) steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Berufs- und Arbeitsfeld des Journalismus im Zentrum der Forschungen.“ (S. 20; Hervorhebungen G.G.K.). Der Wissenschaftsrat sieht zukünftig in der Journalistik nur noch eine Schwerpunktbildung innerhalb der Kommunikationswissenschaft (S. 93) und verlangt entsprechende Änderungen auch der maßgeblichen Kategorien etwa beim Statistischen Bundesamt. Diese Initiativen gingen zunächst von einem Projektzusammenhang für Austauschmöglichkeiten von Journalistenschulen in München, Madrid, London, Dublin, Utrecht und Århus aus und wurden ab 1990 von einem umfassenden Verbund im Rahmen der in Brüssel neu gegründeten European Journalism Training Association (EJTA) getragen. In diesem Zusammenhang wurde im März 1991 als gezielte Fördereinrichtung für diesen Prozess das Erich-Brost-Institut für Journalismus in Europa als gemeinnützige GmbH aus privaten Stiftermitteln des Namensträgers auf Initiative des Autors gegründet und für die Dortmunder Journalistik im Rahmen der europäischen Reforminitiative eingesetzt. Der EJTA wurden zusätzlich zu den nicht unerheblichen Eigenmitteln aus Mitgliedsbeiträgen über mehrere Jahre Mittel der zuständigen Generaldirektion der Europäischen Kommission für Ausbildungs- und Forschungsprojekte zur Verfügung gestellt. Zu den Gründen und Umständen des Scheiterns einer „europäischen Journalistik“ kann an dieser Stelle aufgrund der Komplexität der Materie nichts Ausführlicheres dargelegt werden. Dazu bedarf es eigenständiger Untersuchungen. Eine systematisch-historische Aufarbeitung fehlt bisher. Die Ausgangsstrategie jedenfalls konnte von dem Zeitpunkt an nicht mehr greifen, an dem die ursprünglich als Kern- und Zentralelement
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Dennoch machten einzelne Projektansätze deutlich, dass dergleichen hätte möglich sein können (vgl. die Überblicke in Kopper 2001b, 2003a). Die Tatsache, dass die gegenwärtig gültige Strategie der EU zur Bewältigung der Strukturkrise der Öffentlichkeit – unter Verzicht auf das damalige Primat journalistischer Kompetenzbildung – entwickelt und ausgestaltet wird, lässt erkennen, wie wenig institutionelle Nachhaltigkeit das Initiativenbündel der vereinten „europäischen Journalistik“ im Zeitfenster 1990 bis 1995 erreichen konnte. Gegen diese Feststellung sprechen keineswegs die mit untergeordneter Regelmäßigkeit für Interessengruppen der Journalisten und der Medienindustrie durchgeführten Programmelemente und Fördermöglichkeiten der EU, die an eingespielte Programmbestände aus dem Beginn der 1990er Jahre anknüpfen. Damit sind eher politisch hinhaltende Effekte auf europäischer Ebene verbunden.12 Eine nähere Prüfung zeigt, dass eine hinreichende Institutionalisierung – vor allem als auch theoretisch fundiertes eigenständiges Wissenschaftsgebiet und damit verbundener integrativer Forschungs- und Entwicklungsleistung und in der Folge Anwendungsexpertise – zu selten, zu geringfügig und zu vereinzelt erfolgte. Eine notwendig „kritische Masse“ in diesem Sinne mit gewichtigem Anwendungsprofil – im Sinne gar einer angesprochenen „klinischen Wende“ – auf der Ebene der Krise der Öffentlichkeit ergab sich durch das Fach weder in Deutschland noch, wie sich inzwischen zeigte, in Europa. Dies leitet mittelbar zu der Frage über, ob eine solche Wende in der Berufswirklichkeit aus der Sicht wichtiger Einfluss- und Machtgruppen überhaupt erwünscht war. Man hat sich der Frage zu stellen, ob ein im Laufe der Zeit randständiges Abschneiden der hochschulgebundenen Journalistik – sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene – am Ende nicht impliziten Erwartungen innerhalb der die Strukturkrisen steuernden Machtgruppen entgegenkam. An diesem Punkt müssen die Antworten umfassender und detaillierter erfolgen, als es im Format dieses Artikels möglich ist. In den Materialbestand solcher Antworten gehört jedoch ein Hinweis auf die Tatsache, dass in Deutschland sämtliche größeren Gruppen der Medienindustrie im Laufe der 1990er Jahre eigene Ausbildungsstätten für Journalisten aufgebaut haben. Nicht zu übersehen ist auch die Tatsache, dass bereits im angesprochenen Zeitfenster 1990 bis 1995 eine Kommerzialisierung des Aus- und Weiterbildungsmarktes im gesamten Berufsfeld des Journalismus und verwandter Berufsgruppen (z. B. Public Relations) innerhalb Europas eingesetzt hat. Die gegenwärtige Medienwirtschaft in Europa bevorzugt ein hohes und weiter steigendes Maß an Disponibilität journalistischer Leistungsangebote. Dies ist in allen Mitgliedsländern der EU nachweisbar. Dieser Zielsetzung entspricht eine nachfrageorientierte Umstrukturierung des gesamten Ausbildungsbereiches in diesem Berufsfeld. Ferner gehören dazu eine Reihe von Nebeneffekten: Verringerung von Mitbestimmungskomponenten, Flexibilisierung des Faktors Arbeit in den Produktionsabläufen, Ausnutzung von Preiswett-
12
einer Institutionalisierung vorgesehene und von sämtlichen Ausbildungseinrichtungen in Europa ins Auge gefasste und geförderte Gründung des „European Journalism Centre“ (EJC) in Maastricht unter der Ägide der EJTA sich kurze Zeit nach der tatsächlichen Einrichtung zu einer eigenständigen Wettbewerbseinrichtung im internationalen Aus- und Weiterbildungsmarkt Europas wandelte und später über Rahmenvereinbarungen singulärer Projektpartner der Europäischen Kommission wurde – insgesamt ein starkes Stück profitabler Verwertung idealistischer Reformmotivation in Europa. Wenn dies auch ein Moment von Gewicht war, so bildet dieser Vorgang keineswegs den einzigen Grund und Auslöser. In diese Kategorie gehören: Besuchsprogramme für Journalisten in Brüssel und/oder Straßburg, mehrtägige Weiterbildungsangebote zum „europäischen Journalismus“, Schnupperkurse für Nachwuchsjournalisten usw.
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bewerb für journalistische Leistungsangebote, Rationalisierung durch Technikeinsatz usw. – all dies ist seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gängige Vorgehensweise in der Medienindustrie in Europa. Eine Kommunikationswissenschaft gängigen Zuschnitts entwickelt vor diesem technisch-ökonomisch determinierten Hintergrund keinerlei praktisches Eigengewicht zugunsten journalistischer Selbstorganisationsbefähigung. Die Abschaffung des Ursprungskonstrukts einer reformerisch auf dieses Berufsfeld bezogenen Journalistik stellt somit einen merkbaren Beitrag zur strukturellen Disponibilität im gesamten Berufsfeld dar. Dieses ist gegenwärtig europaweit im Nachwuchsbereich durch eine Re-Proletarisierung und „Prekarisierung“ (Bourdieu) des journalistischen Berufsfeldes gekennzeichnet.
5.
Wandel des Universitätsfachs Journalistik
Im historisch kritischen Überblick lässt sich erkennen, dass die fachliche Entwicklung der Journalistik im Laufe des hier zu untersuchenden Zeitabschnitts immer stärker durch hochschulimmanente Bedingungen und Impulse – und das heißt abgewandt von der Produktionsbasis des Journalismus – geprägt wurde. Die zur gleichen Zeit stattfindenden Änderungen der realen Produktionsbasis des Journalismus wurden zwar zur Kenntnis genommen, jedoch nicht im Sinne einer Herausforderung für Forschung und Entwicklung (Research & Development – oder abgekürt R&D) im Kontext industrieller Gesamtentwicklung aufgenommen. Das Fach wurde im Zuge seiner Gründung als geisteswissenschaftliches Schreibtischfach konstituiert, nicht jedoch als neuer Typ eines – unter Einschluss der inhaltlich konzeptionellen Grundlagen des Journalismus – quasi proto-ingenieurwissenschaftlichen Innovationsfaches. Stellenbeschreibungen für das Personal und Ressourcenbedarf des Faches entsprachen – und entsprechen – dem Ausschluss jedes proto-ingenieurwissenschaftlichen Ansatzes oder entsprechender Entwicklungsmöglichkeiten. Wir hatten dargelegt, dass der Ursprung des Faches selbst primär durch einen Paradigmenwechsel bestimmt war, der sich aus massiven Änderungen der materiellen Produktionsbasis des Journalismus ergab. Erst hieraus entwickelten sich die dargelegten Änderungen auch fachlicher Sichtweisen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf die angesprochenen fundamental neuen Sicht- und Wirkungsachsen, wie sie sich in der Phase von ca. 1965 bis ca. 1975 durchzusetzen begannen und in der frühen Literatur zu dieser Debatte niederschlugen: als neuartige Grundlagenforschung zur redaktionellen Arbeit; als Fragestellungen zur journalistischen Gestaltung und Realitätserfassung; und als Auseinandersetzungen zu strukturellen Rahmenbedingungen und industriellen Grundlagen. Eingeschlossen war dabei die theoretische Dimension. Entscheidend für diese beschriebene Ausgangsphase war dabei ein auf die Praxis des Berufsfeldes ausgerichteter direkter Austausch von beruflicher Reflexion und wissenschaftlicher Theoriearbeit. – Dieser bildete die Grundlage zur Art der Lehre und Forschung. Mit dem Schritt in die eingeengte Institutionalisierung als Schreibtisch-Hochschulfach mit geringster apparativer Ausstattung in den jeweiligen Formen und tatsächlichen Eingliederungen13 – dies nämlich als Quasi-Kompensation für die im Vergleich zu „ähnlichen“ Fä13
Am „Modellfall“ der Journalistik in Dortmund ist dies gründlich nachzuvollziehen: Im Anschluss an eine Erstausstattung mit Redaktionscomputern und Software in Analogie zur Ausstattung der ersten elektroni-
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chern vergleichsweise günstige Relation von Hochschul-Lehrpersonal zu vorhandenen Studierendenzahlen14 – setzte ein folgenreicher Entkopplungsprozess von „Theorie“ und „Praxis“ ein. Beiden Begriffen wurde in diesem Prozess eine besonders enge Konnotation unterlegt, welche die Zukunftsbefähigung als zentrales Wissenschaftsfach für das Berufsfeld des Journalismus massiv unterminieren musste. Wenn hier von derartigen hochschulbezogenen Rahmenbedingungen die Rede ist, so müssen darunter weitergehend alle fälligen und zufälligen Umstände und Auswirkungen jeweiliger Berufungs-, Mitarbeiter- und Nachwuchspolitik, von Fächer- und Fakultätszuteilungen sowie -abgrenzungen und nicht zuletzt der laufenden Ressourcenverteilung verstanden werden.15 Unterhalb und innerhalb solcher Realbedingungen wurde die Entwurfsoption des Beginns und der gesamte Entwicklungshorizont dieses neuen Faches in der Bundesrepublik Deutschland von einem möglichen Entwicklungspfad hin zu jedweder vorstellbaren „klinischen Wende“ (im oben dargestellten Sinn) entschieden abgedrängt. Auf diesem Weg lassen sich bedeutsame Phasen herausarbeiten, was allerdings im Rahmen der vorliegenden Analyse ausgespart bleiben muss. Das für die hier vorzulegende Untersuchung wichtigste Teilelement im Rahmen solcher hochschulimmanenter Beweggründe liegt in der unauffälligen, aber entscheidenden Verschiebung des im Fach im Entwicklungsverlauf durchgesetzten Praxisbegriffs und des damit ausschlaggebenden Bezuges zur Praxis durch das Fach. Hier setzte sich schließlich die institutionelle Anwendbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnis in der Medienindustrie durch – und zwar unter einer von den Ausgangskonstellationen der Facheinführung stark abweichenden Form. Während in der Ausgangskonstellation und unter den gegebenen gesamten Reformprämissen eine dialogisch-diskursive Integration von aktiver Reflexion im Praxisfeld des Journalismus und auf die Produktionspraxis ausgerichteter wissenschaftlicher Arbeit (Forschung und Entwicklung [R&D] und darauf gründende Ausbildung) – also
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schen Redaktion der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ) während der Phase als Modellstudiengang, gewissen Basisausstattungen für Audio- und Videoproduktion (1976 bis 1981) sowie die ständige Mitbenutzung eines Medienzentrums der Universität sind in dieser hochschulgebundenen Ausbildungseinheit sämtliche entscheidenden technischen Produktionssprünge im Journalismus – außer während eines einmaligen Einsatzes von Mitteln aus Bleibeverhandlungen – nur noch durch Drittmittel im Rahmen von Forschungsaufträgen, durch Sponsorenbeiträge sowie durch Spendenmittel – außerhalb des laufenden Haushalts – finanziert worden. Dies gilt insbesondere für die Einführung eines kontinuierlichen Hörfunk-, TV- und Online-Medienbetriebes auch über die Einführungsjahre hinaus, ebenso aber auch für die Etablierung einer ständigen Campus-Zeitung mit Print-Lehrredaktion und zuletzt auch für die Einführung und Durchsetzung des Schwerpunktes internationaler Journalismus mit dem Schwerpunkt Europa mit entsprechend neuen Lehrangeboten. Im Zeitraum 1990 bis 2004 kann man den Gesamtbeitrag solcher extra-universitärer Mittel zum laufenden Ausbildungsbetrieb mit insgesamt mehr als 20 Millionen Euro ansetzen. Dagegen entsprechen die überwiegend als Personalmittel zu veranschlagenden Mitanteile für den spezifisch praxisorientierten Ausbildungsbetrieb aus dem ordentlichen Universitätshaushalt im Gesamtdurchschnitt nur ca. einem Drittel dieser Summe. Mehrfach musste der Dortmunder Studiengang Journalistik im Laufe seiner Existenz gegenüber den staatlichen Zulassungsstellen sowie vor Gerichten nachweisen, dass die innerhalb des Faches erforderliche praxisbezogene Ausbildung und die vertragliche Einbindung in die einjährigen Ausbildungsphasen in Medienbetrieben höhere Zulassungszahlen als rund fünf Dutzend Studierende pro Jahrgang nicht erlaubte. Die Ressourcenverteilung von Haushaltsmitteln zugunsten von „15 oder 30 Journalistenschüler[n]“ und zu Lasten von „rund 2000 Magisterstudenten“ am Münchener Universitätsinstitut leitete dort die inzwischen erfolgte Abschaffung des ursprünglichen Integrationsmodells der grundständigen hochschulgebundenen Journalistenausbildung entsprechend dem Ausgangsmodell (Diplomjournalist durch Kombination von Ausbildung in der Deutschen Journalistenschule München und Universitätsstudium der Kommunikationswissenschaft) ein (Meyen/Höfler 2008: 31).
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in einem eigenständigen Schnittmengenfeld eigener institutioneller Entwicklungskompetenz – die Ausgangsüberlegungen bestimmte, geriet unter den hochschulimmanenten Bedingungen dieses planvolle Ausgangskonstrukt aus dem Blickfeld. Unter diesen Bedingungen wurde aus der konzeptionell innovativ angelegten Schnittmenge „Praxis“ ein nachfrageorientiertes Terrain industrieller und institutioneller Auftragsforschung und damit unter der Perspektive des Austauschs eine Einbahnstraße. Damit änderten sich zwangsläufig die grundlegenden Entscheidungszuordnungen. Es zeigte sich, dass die Rahmenbedingungen und operativen Verfahren im Hochschulalltag die Ursprungsvorstellungen von einem Schnittmengenmodell für den Austausch von Praxis und Theorie, vermittelt über neue Produktionsbegriffe im Berufsfeld des Journalismus, auf Dauer ausschlossen.16 Ein wichtiges Folgeergebnis der Institutionalisierungs-Debakel17 ist die Tatsache, dass im weiteren Verlauf und in einer Reihe von Fällen durch Journalistik-Hochschullehrer eigenständige Einrichtungen, darunter kommerzielle Firmen, gegründet wurden, nicht zuletzt in einem Reflex auf die ausgebliebenen Schnittmengen-Relationen und integrativen Theorie-Praxis-Bezüge zum Berufsfeld. Fortan existierten eigenständige „Explorer-Stationen“ mit Verbindung zum Fach, jedoch explizit außerhalb des institutionellen Gefüges. Die Zielsetzungen entwickelten sich dabei sehr unterschiedlich. Sie reichten von Serviceund Agentureinrichtungen über Auftragsforschungs- und Weiterbildungs- bis hin zu wissenschaftlichen Fördereinrichtungen. Das breite Spektrum, das sich hier abzeichnete, kann man auch als Indikator für das im Rahmen des Institutionalisierungsverlaufs entstandene Praxis-Vakuum des Hochschulfaches begreifen.18 Man kann diesen Vorgang auch so beschreiben, dass die Journalistik, ohne die inhaltlich-wissenschaftlich kritische Masse eigenständiger Entwicklung in ihrem gesamten fachlichen Verbund wirklich zu durchlaufen, dennoch Aktivitäten entfaltete, die denen des Entwicklungsverlaufs in der Medizin oder in den Ingenieurfächern zumindest in Ansätzen in der Weise gleichkamen – als Einzelprojekte in unterschiedlicher Anbindung an die Medienindustrie in Form laufender „Spin-offs“ aus universitärer Lehre und Forschung. Es ist dies eine Art Virtualisierung der ausgebliebenen „klinischen Wende“. Der inhaltliche und programmatische Abstand zu den Ausgangskonstellationen des Faches ist im Blick auf derlei Aktivitäten unübersehbar.
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In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass von allen begleitenden Reformprojekten zu der modellhaften Einführung des Faches „Journalistik“ tatsächlich nur die folgenden realisiert wurden: a) Medienberichte der Bundesregierung (Beschluss des Deutschen Bundestages vom 12. März 1976, Drucksache 7/4770); b) 1976 in Kraft getretene spezifische Pressefusionskontrolle im Wettbewerbsrecht (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des GWB, Bundestags-Drucksache 7/2954); c) amtliche Pressestatistik (Gesetz über eine Pressestatistik vom 1. April 1975 lt. BGBl I, S. 777 [mit Kabinettsbeschluss der Bundesregierung am 24. Januar 1996 wieder abgeschafft]); d) Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten im Weg einer Neuzuordnung im Strafprozessrecht (§ 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO, vgl. Gesetz vom 25. Juli 1975 über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk, in Kraft seit dem 1. August 1975). Besonders eindrucksvoll sind diese in einer neueren fachhistorisch angelegten Studie am Beispielfall der hochschulgebundenen Journalistenausbildung nach dem „Münchener Modell“ nachzuvollziehen (vgl. Meyen/Höfler 2008). Rückblickend kritische Äußerungen zu einem Praxisverlust der Journalistik mehren sich inzwischen, nicht zuletzt mit der Feststellung eines Effektes des „akademischen Professionalisierungsprozesses“ innerhalb der Kommunikationswissenschaft (Meyen/Höfler 2008: 32). Auch Fachvertreter der ersten Generation der Journalistik äußern sich in diesem Sinn (vgl. Dieter Roß in Meyen/Löblich 2007: 165f.).
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Im Gesamtzusammenhang einer kleinteiligen Reformpolitik in der Sphäre öffentlicher Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte auch die reale Einführung eines eigenständigen Faches hochschulgebundener Journalistenausbildung in einer – im Rückblick deutlichen – kleinteiligen Variante.19 Man kann eine solche kritische Betrachtung durchaus noch zuspitzen: Zum Zeitpunkt der realen Einführung des Faches war ein durchgreifend reformorientierter Wille in diesem wichtigen Bereich an ausschlaggebenden politischen Stellen bereits nicht mehr vorhanden. Mit der Debatte der entsprechenden Modelle und Planüberlegungen war der zugespitzten öffentlichen Diskussion zu den Strukturdefiziten in der politischen Kommunikationssphäre der Bundesrepublik Deutschland in entscheidenden Einflussgruppen bereits die wichtigste Spitze genommen. Ein anderes Format für das Fach Journalistik hätte weiterer politischer Handlungsgrundlagen und umfassender Rahmenbedingungen (nicht zuletzt im Rahmen einer realistischen Hochschulreformpolitik auf Bundes- und Landesebene) sowie einer Anzahl wirkungsvoller, integrativ verzahnter Entwicklungsvorgaben bedurft.20 Für einen solchen Entwurf fehlte bereits am Ausgang der 1970er Jahre eine hinreichend gestalterische politische Kraft – man hat sich nur daran zu erinnern, dass 1973 der erste so genannte „Ölschock“ stattfand, mit einer rigorosen Umorientierung wichtiger politischer Gesamtperspektiven und -grundlagen. Im Zuge nicht selten anzutreffender retrospektiver Umdeutung von Ursache und Wirkung im Rahmen historischer Prozesse wird in der Regel übersehen, dass im Reformentwurf des Faches Journalistik natürlich zentrale Elemente der damaligen grundlegenden und allgemeinen Reformdebatte der Bundesrepublik Deutschland Eingang gefunden hatten. Diese Gesichtspunkte hatten für die allererste Phase der Realisierung sogar erhebliche Bedeutung. Sie seien deswegen in Erinnerung gerufen, weil erst in Kenntnis dieser Reformparameter deutlich wird, welches Maß an Veränderung – oder besser gesagt: Abweichung – in der Folge die weitere fachliche Entwicklung der Journalistik tatsächlich prägte. Dabei ist uns klar, dass eine Betrachtung in diesem Blickwinkel nahezu keine Verbindung mehr mit einer bevorzugten Binnensicht aufweist, in der das Fach seine Erfolge selbstverständlich auf ganz anders definierte Perlenschnüre aufzieht. Die drei wesentlichen, aus der generellen Reformdebatte stammenden fachlichen Gründungsparameter waren: x
Ein offen universalistisches „Entgrenzungs“-Konzept; darunter wurde insbesondere ein Jedermannsrecht der beruflichen Sozialisation zum Journalismus verstanden. Diese Auffassung ging über das Recht eines verfassungsgarantierten freien Zugangs zum Journalistenberuf deutlich hinaus. Im Mittelpunkt stand vielmehr gerade auch das
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Nachvollziehbar ist eine solche Charakterisierung im Detail anhand des inzwischen aufbereiteten Materials zum „Münchener Modell“ (vgl. Meyen/Höfler 2008). Im Vergleich dazu stellt das „Dortmunder Modell“ eine nahezu privilegierte Paradiesvogel-Situation dar, wobei für die hier unternommene Analyse nicht dieser „betriebsinterne“ Vergleichsmaßstab bestimmend ist, sondern der des Strukturentwicklungsfeldes insgesamt. Der inzwischen vorgelegten fachhistorischen Aufarbeitung (z. B. Meyen/Höfler 2008) ist gelegentlich vorzuhalten, dass der analytische Bezugsrahmen sich ausschließlich auf den Beschränkungs- und Begrenzungsmodus der geschilderten universitäts- und wissenschaftspolitischen Bürokratiesphären einlässt und dieses kleinstregulierte Universum faktisch absolutiert. Dahinter agieren jedoch stets wirkungsmächtige dynamische Faktoren der übergeordneten Universitäts-, Wissenschafts- und Bildungspolitik als Teilsphären der Gesellschaftspolitik mit ausgeprägten Macht- und Einflussinteressen. Fällige analytische Schlussfolgerungen greifen damit notwendig zu kurz, indem sie wissenschaftliche Entwicklungsmomente in einem vorwiegend innerbetrieblichen Abbildungsmaßstab aufzeigen.
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Recht auf profunde berufliche Qualifizierung in diesem Berufsfeld für Jedermann. Ausgangspunkt war hier einerseits die Übertragung der Diskussionshorizonte aus der parallel verlaufenden Bildungsreform mit dem Postulat einer universellen Zugangsberechtigung zu allen Bildungseinrichtungen und Berufen. Zugleich ging es jedoch um eine Neupositionierung der beruflichen Funktion des Journalismus. Bezogen auf das Berufsbild des Journalisten war mit diesem auf Gleichberechtigung ausgerichteten Jedermannskonzept nicht nur die Geschlechtergleichstellung beim Berufszugang und im Verlauf beruflicher Karrieren gemeint – ebenfalls ein erst in dieser Phase virulent formulierter Debattengegenstand –, sondern eine betonte Nivellierung der Schranken zwischen Bürgerinformation (Zugang und Nutzung) und Berufssphäre des Journalismus. Es ist unschwer zu erkennen, dass hier die Diskussionslage und theoretische Diskussion zu Gegenöffentlichkeit, Bürgermedien und alternativer Publizistik eine ausschlaggebende Rolle spielten und solche Ausgangsüberlegungen bestimmten. Einbezogen war in dieses Konzept eine Öffnung des Berufshorizontes und Kompetenzprofils für Journalisten: Es ging nicht nur um die Abkehr von tradierten Talentvorbehalten und den damit einhergehenden Abgrenzungsstrategien, sondern mehr noch um eine – über die journalistische Berufsrolle konzipierte – Sicherung von Pluralismus in der öffentlichen publizistischen Debatte. Kenner werden merken, dass damit wesentliche Elemente des „New Journalism“ oder des „Citizen Journalism“ einbezogen waren (vgl. Glasser 1999) – Begriffe und Konzepte also, die weitaus später auf dem Umweg über die USA (Knight/Gerlis/George 2008) in die Fach- und Berufsdebatte in Europa zurückkehrten und auf diesem Umweg scheinbar bemerkenswert originell wirkten, wiewohl die Ausgangspunkte historisch weitaus länger zurückliegen (zum Debattenspektrum rückblickend und gegenwärtig vgl. Gross 2007; Rothenbuhler 2007). Auf einen weiteren wichtigen Reformaspekt in der Grundkonzeption der Journalistik als Fach hatten wir bereits in den bisherigen Darlegungen hingewiesen. An dieser Stelle muss er der Systematik und Betonung wegen noch einmal charakterisiert werden: Das Verhältnis von fachlicher Wissenschaft und beruflicher Praxis war deutlich nicht institutionell eindimensional konzipiert. Die wirksamen Grundvorstellungen sind bereits mit dem weiter oben ausgeführten Schnittmengenmodell umrissen worden. Auch dies ist Ausdruck einer Gleichberechtigungsvorstellung, wonach die ausschlaggebende Plattform eines gleichgewichtigen laufenden Dialogs die praktisch materielle Produktionsbasis des Journalismus zu sein hätte. Damit verbunden war konsequent die Vorstellung, dass die eigenständige Entwicklung des Fachs in seiner besonderen Innovationsbefähigung zu liegen hätte, die nicht nur eine inhaltlich diskursive Komponente umfasste, sondern – auf der Grundlage des Produktionskonzepts – auch technische, ökonomische, organisatorische Forschungs- und Entwicklungsbefähigung. Zu dieser Vorstellung gehörte damit auch folgerichtig der Denkansatz, wonach die Innovationsbefähigung des Faches eine fachliche Eigenständigkeit auf Dauer auch in der Weise abzusichern hätte, dass – in der Art eines rollierenden Reformverlaufs – jeweils aus dem Fach nachwachsende Ausbildergenerationen in den Betrieben für die unmittelbar dynamische Verbindung ins Berufsfeld – und zwar innerhalb des genannten breiten Spektrums – sorgen sollten.
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Spezialisierung und Differenzierung der Journalistenausbildung
Als Ausbildungs-Fachgebiet hat die hochschulgebundene Journalistenausbildung inzwischen eine weltweite Hochkonjunktur angetreten (Hamzah/McDaniel 2003; Foot 2008). Ausläufer dieser Konjunktur zeigten sich sehr früh auch in Europa. Seit Ende der 1980er Jahre existieren gezielte Bemühungen sowohl innerhalb der Medienindustrie als auch auf Hochschulebene und im weiteren Fort- und Weiterbildungsmarkt, die neuen supranationalen Entwicklungen im europäischen Kontext auch als Herausforderung des Journalismus und der aktuellen Medienberichterstattung zu begreifen. Hieraus hätte sich der Beginn einer selbständigen Reformära einer europäischen Journalistik gänzlich neuen Zuschnitts ergeben können. Für eine solche Zielsetzung gab es ein ausgewiesenes Interesse auf Seiten der Europäischen Kommission, aber auch innerhalb wichtiger Sektoren der Medienindustrie und demzufolge Möglichkeiten für innovative Plattformen zur Programmentwicklung und für neue Forschungsansätze.21 Doch erwiesen sich die strukturellen Ungleichgewichte in den politischen Systemen Europas, ebenso aber auch die Abweichungen in Kernauffassungen des Verhältnisses von Journalismus, systematischer Ausbildung von Journalisten und der Rolle der Hochschulen auf der Grundlage jeweiliger nationaler Kulturen und Industrietraditionen, am Ende aber auch die extrem voneinander abweichenden Zielorientierungen beteiligter Entwickler, Ausbilder, Forscher und Organisatoren, als so übermächtig, dass die Ergebnisse kleinsten gemeinsamen Nenners für eine systematische innovative Neuentwicklung des Faches als „europäisches Netzwerkfach“ versanden mussten. Worin hätte die neuartige Journalistik auf europäischer Ebene bestehen können oder sollen? Dies lässt sich an vielen Beispielen, darunter auch erfolgreichen, beschreiben (vgl. Kopper 1993, 2001e). Wichtiger im Rahmen dieser Analyse sind die systematischen Grundlagen. Mit der Zielausrichtung, geeignet auf die erkennbaren Herausforderungen durch eine Informations- und Berichterstattungsebene im neuen europäischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontext zu reagieren, ging es in der Innovationsphase ab ca. 1990 um fünf entscheidende Neuorientierungen der jeweiligen national geprägten Formen hochschulgebundener Journalistenausbildung auf einer gemeinsamen Grundlage: x
eine Modularisierung, wechselseitige Anpassung und Flexibilisierung von Lehrangeboten unter dem Gesichtspunkt einer europäisch international geprägten Teilnehmerschaft, einschließlich der Anpassung und wechselseitigen Anerkennung von Prüfungsleistungen und Prüfungen;22
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Besonders ausgeprägt war dies in Spanien, in Frankreich, in den Niederlanden und auch in den Nordischen Ländern zu erkennen. Im Vergleich zu dem Interesse etwa eines Unternehmens wie Prisa („El Paìs“) hinkten vergleichbare Unternehmen in Deutschland in dieser Phase deutlich hinterher, wobei hier zu unterscheiden ist zwischen Einsichten auf individueller Unternehmerebene und der Entwicklungsrealität in den Konzernen selbst. Ein praktisches Beispiel aus dieser Phase ist das neuartige Management-Entwicklungsprogramm, das aufgrund einer Zusammenarbeit des Schwedischen Zeitungsverlegerverbandes und der Universität Göteborg entwickelt wurde (vgl. Gustafsson 1993) und innerhalb Europas modellbildend wirkte. Hieraus hat sich inzwischen ein eigenständiges „Executive-Programme“ auf MBA-Ebene entwickelt, und es ist daraus der Anstoß zum Media Transformation Center mit einem Schwerpunkt im Medienmanagement an der Jönköping Universität hervorgegangen. Die Vorarbeiten hierzu sind im Abschnitt 1990ff. in diesem Bereich durchaus weit gediehen. Für Studierende der Dortmunder Journalistik bestand beispielsweise die Möglichkeit, wesentliche Teile auch ihrer Pflicht-
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die Entwicklung standardisierter Bausteine journalistischer Unterweisung in zentralen Schnittmengenfeldern des Austausches von beruflicher Reflexion und wissenschaftlicher Theorie (Beispiel: Was sind Kriterien für eine „gute“ Reportage bezogen auf welche Art von Themenstellungen?); die Ausarbeitung von supranationalen Standards im Berufsfeld (Informationsrechte und -pflichten, rechtliche Rahmenregelungen, Ethikstandards, Organisationsstandards der Berufsgruppe usw.); die Bearbeitung von Qualitätsparametern für die Ausbildung, einschließlich der Entwicklung von Lehrbüchern, der Einrichtung von Clearingstellen für die Integration von berufsbezogener Forschung und Entwicklung unter Gesichtspunkten der Ausbildung; die Weiterbildung von Lehrpersonal in allen wichtigen Bereichen, einschließlich technischen und ökonomischen Know-hows – dies auch in Zusammenarbeit mit der Medienindustrie.
Auf dieser Grundlage23 hätten unter den nach 1995 entstehenden Bedingungen des OnlineAustausches wesentliche Elemente in ein vernetztes europäisches System von E-Learning integriert werden können. Der differenzierte Umbau in eine derartige „europäische Journalistik“ hätte erstmalig den Beginn eines systematischen Ansatzes für die angesprochene „klinische Wende“ des Faches geboten. Doch waren diese Chancen einer wegweisenden Neuentwicklung nur innerhalb des für Innovationen offenen Zeitfensters ab ca. 1990 von etwa einem halben Jahrzehnt gegeben. Ausschlaggebend für das danach erfolgende Fiasko auch einer „europäischen Journalistik“ war an entscheidenden Entwicklungspunkten das völlige Ausbleiben einer tragfähigen Integration von Lehre, Ausbildung und Forschung auf supranationaler Ebene während dieser Pionierjahre einer Europäischen Union. Das gegebene Zeitfenster existierte, bedingt durch die Art der Strukturkrise, nur sehr begrenzt. Für die Journalistik-Einrichtungen in Europa ist damit eine irreversible Entwicklung eingetreten. Jenseits der schon genannten Gründe ergab sich dieses Debakel Mitte der 1990er Jahre auch dadurch, dass die technologischen und ökonomischen Umbrüche und Neuerungen in der Medien-, Informations- und Kommunikationsindustrie einen so hohen Anpassungs- und Umstellungsaufwand in laufenden Programmen – sowohl in der Industrie als auch in den Ausbildungseinrichtungen – verursachten, dass jeder letzte Versuch eines Schlussspurts vergeblich gewesen wäre. Bezeichnend für die entstandene Lage und den nachfolgenden Umgang mit der Strukturkrise europäischer Öffentlichkeit ist die zwischen 2002 und 2006 entwickelte, vollkommen vom Bisherigen abweichende Strategie der Kommunikationspolitik der EUKommission (vgl. Gröber/Riedel 2005; Brüggemann 2005). Sie setzt nicht mehr primär auf Leistungen der existierenden Mediensysteme und damit auf den zentralen Leistungsträger
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leistungen im europäischen Ausland zu absolvieren. Aus dieser Phase stammte bereits die Anregung zur Einführung eines B.A., um ausländischen Studierenden einen adäquaten Abschluss in Dortmund zu ermöglichen. Dieser Plan eilte der tatsächlichen Entwicklung der europäischen Hochschulpolitik (s. BolognaBeschlüsse vom Sommer 1999) um mehr als ein Jahrzehnt voraus (vgl. Details in Kopper/Koszyk 1993). Im Blick auf transnationale Qualitätsinitiativen in der journalistischen Ausbildung findet man vergleichbare Ansätze in neueren Unesco-Projekten (vgl. Unesco 2007) wieder. Hier hat es im Hintergrund Überschneidungen von Programminitiativen, aber auch von Personal aus der Entwicklungsphase der „europäischen Journalistik“ mit solchen Unesco-Initiativen gegeben.
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Journalismus, sondern auf eigene und delegierte Vermittlungsanforderungen, auf neue Informations- und Kommunikationstechnologien und auf lokale und regionale Direktvermittlung (vgl. EC 2002, 2006). Diese neue Strategie wird praktisch so ausgerichtet, dass über das Internet – verbunden mit Lokalisierungsinitiativen in den Mitgliedsländern sowie dem Aufbau gesellschaftlich relevanter „social communities“ – ein direkter und nachhaltiger Bürgerkontakt gelingt. Das „information selling“ soll die journalistische Mitteilung, Einschätzung und Vermittlung vor Ort weitgehend ersetzen. Der Journalismus übernimmt damit im europäischen Kontext eine subsidiäre Funktion und sorgt über Qualitätsmedien innerhalb Europas (vgl. Medrano 2003; Brüggemann/Kleinen-von Königslöw/Weßler 2007) im Übrigen für die Verbreitung unerlässlicher Multiplikatoren- und Hintergrundinformation. Inmitten des aufgetürmten Berges an ohnehin kritischen Strukturproblemen in Europa gibt es mithin ein weiteres Dilemma. Es wird zukünftig darin bestehen, dass die Erstinformation des Bürgers über europäische Politik unmittelbar durch die politisch institutionellen Kanäle und damit in erster Linie als „Public Relations“ erfolgen könnte. Damit wird die ohnehin schwache Kontrollfunktion der Massenmedien bezogen auf europäische Politik auf lange Sicht erwartungsgemäß noch wirkungsloser. Die Konsequenzen hieraus für die journalistische Ausbildung im europäischen Kontext sind bisher noch nicht einmal ansatzweise ins Gespräch gekommen. Der massive Bedeutungsverlust der ursprünglich als Reformprojekt im umfänglichen Sinne gestarteten Journalistik auf nationaler Ebene, wie er am deutschen Beispiel leicht nachzuvollziehen ist, hat sich auf europäischer Ebene am Ende der Phase 1990 bis 1995 supranational wiederholt. Der Strategiewechsel der Kommunikationspolitik der Europäischen Union dezimiert zusätzlich die Wirksamkeit des nunmehr noch verbliebenen journalistischen Kompetenzfelds (vgl. zu besonderen Kompetenzanforderungen Kopper 2001a). Deutlich geworden ist, dass die geschilderten Entwicklungen in erster Linie auf institutionelle Geburtsfehler der Journalistik in ihrer Gründungsphase und in der hochschulimmanenten Realisierung im Hochschulbetrieb zurückzuführen sind – soweit es um das Fach in Deutschland geht. Ebenso klar ist zu erkennen, dass es sich bei dem europäischen Debakel des Faches um eine komplexe Bündelung einer Vielzahl institutioneller Faktoren und Abläufe handelt. Der Anteil jedenfalls individuell zurechenbaren Missgeschicks ist erkennbar gering. Aber natürlich gibt es ihn auch.
7.
Ausblick und Fazit
Die strukturellen Tiefendimensionen speziell einer europäischen Krise der Öffentlichkeit, von der wir hier ausgingen, werden selten deutlich aufgezeigt. Dazu bedürfte es einer weit umfassenderen empirisch erarbeiteten Übersicht über die Alltagspraxis europäischer Politik in all ihren verzweigten Dimensionen. Eine solche Erkenntnisgrundlage ist selbst innerhalb des institutionellen Systems der Europäischen Union aufgrund der Qualität der gerade von Insidern so beschriebenen „hyper-komplexen“ Abläufe nicht erwartbar (Gretschmann 2007). Die tatsächlichen, auch indirekt wirksamen Verflechtungszusammenhänge von Entscheidungen und Einflüssen in unterschiedlichsten Binnen- und Außensphären sind direkt nicht abrufbar. Damit existieren in weiten Bereichen keine hinreichenden Arbeitsgrundlagen für den üblichen aktuellen Journalismus, wenn er eine adäquate Vermittlungs- und
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Kontrollleistung im Blick auf die europäische Politik liefern will (vgl. hierzu mit vielen weiteren Verweisen AIM 2007a-d; Baisnée 2003; Bastin 2002, 2003; Fliegenschmidt 2005; Kuhne 2001; Ley 2001; Meyer 2004; Schäfer 2004; Schmidt 2006; Tillack 2006; Weisbein 2001). Diese Krise der europäischen Öffentlichkeit wirkt sich bereits manifest auf die Legitimationsvoraussetzungen der europäischen Exekutiven aus. Sie hat sich inzwischen weit über die vormalige Option für einen gewichtigen Bewältigungsbeitrag durch eine neue europäisch ausgerichtete Form hochschulgebundener Journalistenausbildung hinaus verdichtet und akzentuiert. Die neuen Herausforderungen an das Fach Journalistik werden zukünftig davon bestimmt werden, wieweit es ihm gelingt, auf transnationaler Ebene – nicht zuletzt in Europa – seine Wurzeln als aktive Innovationsoption im Berufsfeld des Journalismus wiederzuentdecken. Dies kann nicht gelingen ohne konsequente Um- und Einstellung auch im hochschulimmanenten Betrieb auf die Dynamik des technisch-ökonomischen Wandels in diesem Berufsfeld. Journalistik könnte zentrales Fach aller erforderlichen Research & Development-Aktivitäten im aktuellen journalistisch bestimmten Berufsfeld Information und Kommunikation sein. Dies gilt auch europaweit. Dafür müssten allerdings sowohl hochschulpolitische als auch hinreichende institutionelle Voraussetzungen geschaffen werden – womit wir zumindest in Deutschland wieder bei längst vergangenen Anfängen, aber sicher auch bei immer noch gleichen Schwierigkeiten und Barrieren und deren Überwindung anzusetzen hätten. Einrichtungen in den USA und in Asien haben gezeigt, dass Zukunftsbefähigung im Berufsfeld Journalismus neue fachwissenschaftliche Grundlagen benötigt (Hanada/Yoshimi 2004). Alle bisherigen Erfahrungen in der Durchsetzung und Realisierung der Journalistik in Deutschland – aber auch in Europa – weisen darauf hin, dass eine solche nahe liegende Neuausrichtung und ein abermaliger Relaunch des Faches im Sinne eines innovativen R&D-Motors im Berufsfeld Journalismus ohne eine massive Zündwirkung von außen, sei es aus der Politik oder der Medienindustrie selbst – oder aus beiden Bereichen, nicht zustande kommen können.
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Voraussetzungen für unabhängigen Journalismus im internationalen Vergleich Andrea Czepek
Journalistische Freiheit ist relativ. In Europa, jedenfalls in fast allen Mitgliedsländern der Europäischen Union, ist Pressefreiheit grundrechtlich garantiert, es gelten Zensurverbot und ein vielfältiger Schutz der journalistischen Arbeit. Im Vergleich zu Russland, China oder vielen afrikanischen Ländern sind die Mediensysteme in der EU intakt und die Bedingungen für Journalisten traumhaft. Doch die Tatsache, dass die Situation anderswo in der Welt viel schlimmer ist, sollte den Blick darauf nicht verstellen, dass Pressefreiheit und journalistische Freiheit1 auch in Europa in verschiedener Hinsicht eingeschränkt sein können und dass immer wieder daran gearbeitet werden muss, um sie im Interesse einer demokratischen Öffentlichkeit zu erhalten und zu schützen. Dass der Bundesnachrichtendienst in Deutschland die E-Mails einer in Afghanistan tätigen deutschen Journalistin überwacht hat; dass auch in Deutschland unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung Redaktionen auf der Suche nach Hinweisen auf Informanten durchsucht worden sind – diese und ähnliche Vorfälle haben in letzter Zeit in Erinnerung gerufen, dass journalistische Unabhängigkeit und Freiheit auch in demokratischen Staaten immer wieder erstritten und geschützt werden müssen. Während direkte politische Eingriffe in die journalistische Berichterstattung, Zensur und unmittelbare Behinderung der journalistischen Arbeit in den meisten europäischen Ländern eher selten sind, tragen einige strukturelle Entwicklungen dazu bei, dass die Unabhängigkeit journalistischer Arbeit dennoch gefährdet ist. Aus den Beobachtungen und Diskussionen eines international besetzten Forscherteams2 heraus wurde gar die provokative Frage formuliert: Ist der Journalismus in Europa noch zu retten? Anzeichen dafür, dass das, was als „Journalismus“ im demokratisch-gesellschaftlichen Sinne (unabhängige, verantwortungsvolle, sachliche und solide recherchierte Information zur Meinungsbildung) definiert werden kann, mehr und mehr aus den Medien verschwindet, lassen sich überall in Europa beobachten. Mehrere länderübergreifende strukturelle Veränderungen beschleunigen diesen Prozess: Wirtschaftliche Rahmenbedingungen wie die 1
2
Merrill unterscheidet „Pressefreiheit“ als Freiheit von Medienorganisationen, z. B. Verlagen, und „journalistische Freiheit“ als individuelle Freiheit einzelner Journalisten (auch ggf. gegenüber der Organisation, für die sie arbeiten) (Merrill 1989: 34). Die klassische angelsächsische Definition sieht Pressefreiheit in erster Linie als Freiheit der Medienunternehmen von staatlicher Einflussnahme, durch die sich auf einem „freien Marktplatz der Ideen“ eine vielfältige Berichterstattung entwickeln soll, und beschäftigt sich kritisch hauptsächlich mit der Frage der verantwortungsvollen Nutzung dieser Freiheit (vgl. McQuail 2003). Die Autorin schließt sich dagegen einem erweiterten Begriff von Pressefreiheit an, der Pressefreiheit als Recht der Bürger ansieht, sich umfassend informieren zu können, Zugang zur Öffentlichkeit zu haben und ihre Interessen und Meinungen repräsentiert zu sehen (vgl. Nuspliger 1980: 7). Andrea Czepek, Eva Nowak und Melanie Hellwig koordinieren an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven das Forschungsprojekt „Press Freedom and Pluralism in Europe“ (PLUS) mit 14 Partnern aus zwölf Ländern. Einige der Beispiele in diesem Beitrag stammen aus den bisherigen Ergebnissen und Diskussionen im Rahmen des Projekts (vgl. Czepek/Hellwig/Nowak 2009).
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Andrea Czepek
Ökonomisierung der Mediensysteme und die zunehmende Ausrichtung der Medienorganisationen an Marktmechanismen beeinträchtigen die Arbeitsbedingungen der Journalisten und die inhaltliche Tiefe und Vielfalt ihrer Berichterstattung. Eine auf möglichst umfassende Deregulierung ausgerichtete Medienpolitik der Europäischen Kommission begünstigt diese Tendenz. Technische Entwicklungen wie die Digitalisierung und die Medienkonvergenz verändern sowohl die journalistische Arbeit als auch die Mediennutzung grundlegend und werden sie weiter verändern. Diese strukturellen Voraussetzungen wirken sich auf verschiedenen Ebenen auf die journalistische Freiheit aus. Bezeichnenderweise führt gerade die Liberalisierung und Deregulierung der Medienmärkte zu großen Abhängigkeiten des Journalismus, zwar nicht durch politische Einflussnahme, jedoch teilweise aufgrund prekärer wirtschaftlicher Bedingungen.
1.
Mediensysteme: Zu wenig externe Vielfalt macht Journalismus abhängig – zu große Vielfalt auch
Auf der Ebene der Mediensysteme ist europaweit eine zunehmende wirtschaftliche Konzentration zu beobachten. Besonders in kleinen Medienmärkten dominieren wenige große Medienkonzerne. In Österreich wird der Medienmarkt beispielsweise von zwei Unternehmen beherrscht: Im Printsektor gehören etwa 60 Prozent der Tages- und Wochenzeitungen und alle Nachrichtenmagazine der Mediaprint AG, an der der deutsche Westdeutsche Allgemeine Zeitungsverlag (WAZ) beteiligt ist. Im österreichischen Rundfunk dominiert der öffentlich-rechtliche Rundfunk ORF. Er sollte zwar durch die Umwandlung in ein Stiftungsmodell und die Öffnung für privaten Rundfunk 2001 unabhängiger werden und hat seine Monopolstellung verloren. Dennoch ist der Einfluss der politischen Parteien auf den ORF noch sehr stark und die Marktdominanz des ORF groß. Dies bedeutet auch, dass Journalisten auf wenige Arbeitgeber angewiesen sind. Generell haben kleine Märkte, so auch beispielsweise Finnland oder die baltischen Staaten, das Problem, dass die Bereitstellung von Rundfunk mit einem hohen Anteil an Fixkosten verbunden ist, für die die kleinen Märkte keine ausreichenden Einnahmen erbringen können – weder auf dem Werbemarkt noch beispielsweise durch das Gebührenaufkommen bei geringer Bevölkerungszahl. In Österreich soll das Problem dadurch gelöst werden, dass der ORF sich anteilig aus Gebühren und Werbung finanziert, dennoch wird immer wieder diskutiert, das Programmangebot des ORF zu reduzieren und damit die Möglichkeiten für ein vielfältiges, anspruchsvolles Programm weiter einzuschränken. Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Konzentration auf der einen Seite und publizistischer Vielfalt sowie Unabhängigkeit auf der anderen Seite ist jedoch kompliziert. Sind Mediensysteme zu fragmentiert und die Medienorganisationen sehr klein, kann die große äußere Vielfalt sogar zu starker Abhängigkeit einzelner Medienunternehmen führen. In Rumänien beispielsweise entwickelte sich, wie anderswo in Mittel- und Osteuropa auch, nach dem Ende des kommunistischen Regimes eine vielfältige Presselandschaft mit zahlreichen kleinen Zeitungen, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Geringe Auflagenzahlen und ein praktisch nicht existenter Anzeigenmarkt führten jedoch dazu, dass sich die kleinen Zeitungen nur schwer finanzieren konnten. Wirtschaftlich erfolgreich waren die Zeitungen, die durch staatliche Anzeigen subventioniert wurden. Die Regierung unterstützte damit regierungsfreundliche Zeitungen – die Abhängigkeit von einzelnen, interessengeleiteten
Voraussetzungen für unabhängigen Journalismus
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Geldgebern war für diese kleinen Zeitungen sehr groß. In Vorbereitung auf den EU-Beitritt wurde die staatliche Unterstützung der Medien eingeschränkt. Dies setzte in Rumänien einen Konsolidierungsprozess in Gang, der dazu führte, dass 2005 nur noch wenige Medienunternehmen den Printmarkt beherrschten – die aber wirtschaftlich unabhängiger von einzelnen Geldgebern waren und tatsächlich staatsferner und freier berichten können. Gerade in kleinen Medienmärkten scheint es also ein Mindestmaß an Konsolidierung geben zu müssen, das eine gewisse Unabhängigkeit einzelner Zeitungen gewährleistet. Ein anderer Aspekt sind die Investitionen ausländischer Medienunternehmen vor allem in Mittel- und Osteuropa. Auch diese werden oft zunächst kritischer betrachtet als länderübergreifende Konzentration und Dominanz einiger weniger Medienkonzerne. Im Hinblick auf die Unabhängigkeit von staatlicher Einflussnahme werden sie aber von Medienwissenschaftlern in den betroffenen Ländern auch positiv gesehen: In Bulgarien beispielsweise, wo die WAZ seit 1997 Mehrheitsanteile an den beiden führenden Zeitungsgruppen 168 ýasa („168 Stunden“) und Media Holding besitzt und Rupert Murdochs Balkan News Corporation 1999 den ersten landesweiten privaten Fernsehsender gründete, sind von ausländischen Investoren finanzierte Medien unabhängiger von der Regierung, da die ausländischen Geldgeber – im Unterschied zu den oft mit der Politik vor Ort eng verwobenen nationalen Medienunternehmern – keine nationalen politischen Interessen verfolgen.
2.
Medienorganisationen: Kosteneffizienz als dominantes Paradigma beschränkt journalistische Autonomie
Auf Ebene der Medienorganisationen beeinflussen das Primat der Wirtschaftlichkeit und die Gewinnorientierung der Unternehmen die Unabhängigkeit des Journalismus. Investigative Recherche und kritische Berichterstattung sind aufwändig, kommerziell nicht effizient und werden vom Publikum nicht ausreichend honoriert. Auflagenzahlen, Einschaltquoten und Clickrates gelten als Maßstab; Leser und Zuschauer werden als Kunden, nicht als Bürger wahrgenommen. Deshalb ist in Mainstream-Medien nur noch Platz für schnell produzierte, leicht verkäufliche Massenware. Standpunkte und Perspektiven von Minderheiten oder benachteiligten Gruppen finden in den publikumsstarken Medien ebenso wenig Platz wie tiefgehende, analytische Hintergrundberichte oder investigative, relevante Enthüllungen. Es gibt auch Gegenbewegungen, die aber durch ihre Nischenhaftigkeit gerade die Ausnahmen darstellen, die die Regel bestätigen. Die Trennung zwischen Werbung und redaktionellen Beiträgen verschwimmt, vor allem im Internet, wo finanzielle Abhängigkeiten und Interessenlagen noch intransparenter sind als in anderen Medien. Auch der Einfluss von Öffentlichkeitsarbeit wächst. Angesichts knapper Ressourcen nimmt die Versuchung zu, PR-Material ungeprüft zu vervielfältigen und redaktionelle Teile durch „copy und paste“ von Pressemitteilungen zu füllen. Diese Entwicklungen sind europaweit zu beobachten. Mit den wirtschaftlichen Bedingungen geht eine Ent-Professionalisierung des Journalismus einher. Immer weniger Redakteure müssen immer mehr Aufgaben übernehmen, hinzu kommen verstärkt organisatorische, technische und gestalterische Tätigkeiten, die die eigentlichen journalistischen Aufgaben in den Hintergrund treten lassen. Zunächst wurde diese Entwicklung durch die Digitalisierung vorangetrieben (bei Zeitungen beispielsweise hat das Ganzseitenlayout ermöglicht, dass Redakteure diese Aufgaben mit übernehmen
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Andrea Czepek
konnten), inzwischen beschleunigt die Medienkonvergenz diesen Trend (Videojournalisten recherchieren, drehen und produzieren Nachrichtenfilme, Hörfunkbeiträge und Internetnachrichten aus einer Hand; in Newsrooms werden bei Zeitungen alle Tätigkeiten zusammengeführt) – das alles bei geringer Bezahlung, hohem Konkurrenzdruck und geringer Autonomie gegenüber den Arbeit- und Auftraggebern. Ganze Redaktionen werden outgesourct, d. h. in selbstständige Agenturen umgewandelt, die auf eigenes Risiko und ohne Beschäftigungssicherheit Inhalte für die Zeitung liefern. „Freie“ Journalisten arbeiten zunehmend in prekären Verhältnissen, sind abhängig von auf Effizienz ausgerichteten Medienunternehmen und müssen sich oft durch Öffentlichkeitsarbeit für Unternehmen und Organisationen über Wasser halten – auch dadurch wird journalistische Unabhängigkeit stark beeinträchtigt. Besonders deutlich wird die mangelnde journalistische Unabhängigkeit dort, wo Medien sich selbst beobachten und wo Interessen des eigenen Unternehmens der kritischen Berichterstattung im Wege stehen könnten. Selbstzensur ist im Bereich der Medienberichterstattung gang und gäbe, eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Branche ist selten – überall in Europa. Ein zugegebenermaßen anekdotisches, aber bezeichnendes Beispiel ist die Reaktion eines Redakteurs einer Regionalzeitung, der über unser Forschungsprojekt „Pressefreiheit und Pluralismus in Europa“ berichten wollte. Als er erfuhr, dass ein besonderes Augenmerk unseres Projekts auf der wirtschaftlichen und publizistischen Konzentration von Medienunternehmen liegt und wir deren Auswirkungen auf die inhaltliche Vielfalt (europaweit) untersuchen wollten, erschrak er. Da müsse er vorsichtig sein, sagte er, schließlich sei das in seinem Unternehmen (einem in der betreffenden Region dominierenden Zeitungsverlag) ein heißes Eisen – und das, obwohl sein Unternehmen in unserer Untersuchung nicht vorkommt und Deutschland im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht abschneidet.
3.
Individuelle Ebene: Widersprüchliches Selbstverständnis trägt zur mangelnden Abgrenzung der Journalisten bei
Im internationalen Vergleich werden auch kulturelle Unterschiede im Hinblick auf das Selbstverständnis von Journalisten deutlich. Die US-amerikanische Tradition der „investigativen Journalisten“, die sich als Watchdogs und Kontrolleure der Regierung verstehen3, ist in Europa nicht überall adaptiert worden. In Deutschland überlagern sich verschiedene, sich teilweise widersprechende Rollenzuschreibungen. Der Anspruch, zur Aufklärung beizutragen, steht manchmal im Konflikt mit der verbreiteten Selbstwahrnehmung von Journalisten als Teil (und nicht Widersacher) einer mehr oder weniger mächtigen Elite. Journalisten genießen Privilegien und haben Zugang zu den Zentren der Macht; entsprechend schwierig ist es für sie, sich davon nicht vereinnahmen zu lassen. In anderen Ländern sind politische Allianzen von Journalisten noch stärker ausgeprägt, in Spanien, Frankreich und Griechenland beispielsweise ist es üblich, dass sich Journalisten politischen Lagern zuord-
3
Bemerkenswerterweise scheint sich auch in den USA dieses Trennungsgebot aufzulösen; so werden etwa in den Sendungen des erfolgreichen Nachrichtensenders Fox News in markanter Weise Kommentar und Information vermischt.
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nen und vehement deren Standpunkte vertreten.4 Als Rechtfertigung dient die äußere Vielfalt; Leser kaufen die Zeitungen, deren politischer Meinung sie sich anschließen, und solange für alle etwas dabei ist, scheint die Vielfalt gesichert. Oft genug jedoch bleibt die sachliche Information auf der Strecke. Ingrid Schulze-Schneider hat beobachtet, dass in spanischen Zeitungen in erster Linie Meinungen vertreten werden, die kaum mit Informationen unterfüttert werden. Für den Leser ist es damit unmöglich, sich eine eigene Meinung zu bilden (vgl. Schulze-Schneider in Czepek/Hellwig/Nowak 2009). Der Forderung nach Pressefreiheit steht immer wieder der Vorwurf von Politikern und Betroffenen gegenüber, die Medien gingen unverantwortlich mit ihren Freiheiten um, und tatsächlich ist ethisch bedenkliches Verhalten bei Journalisten an der Tagesordnung, oft jedoch angetrieben von der Marktorientierung ihrer Unternehmen. Um staatlichen Eingriffen in die Medienfreiheit vorzubeugen, haben sich Verlage und Rundfunkanstalten vielerorts zu einer Selbstkontrolle bereit erklärt. Wie diese organisiert ist und wie effektiv sie ist, unterscheidet sich zwischen einzelnen europäischen Ländern sehr stark. In Österreich gibt es zum Beispiel einen Presserat, der jedoch seit 2002 inaktiv ist und wegen einer Auseinandersetzung zwischen Journalisten und Verlegern nicht mehr getagt hat. Der im Frühjahr 2008 angekündigte neue Presserat ist bis Anfang 2009 noch nicht zustande gekommen, u. a. weil die Beteiligung „relevanter“ Verlage und die Finanzierung noch nicht geklärt sind. In der Schweiz dagegen gibt es aktuell einen neuen Vorstoß zur Selbstregulierung im Rundfunkbereich: Die Regulierungsbehörde OFCOM knüpft seit 2007 Lizenzen für den privaten Rundfunk an die Bedingung, in den Medienorganisationen ein differenziertes Qualitätsmanagement umzusetzen und einzuhalten.
4.
Freiheit ohne Journalismus?
Der eingangs gestellten Frage, ob der Journalismus in Europa noch zu retten ist, könnte noch eine Frage vorangeschickt werden: Brauchen wir überhaupt unabhängigen Journalismus? Es ist schließlich die Aufgabe der Polizei und von Gerichten, Verbrechen aufzuklären (und nicht die von Boulevardjournalisten, Nachbarn, Zeugen und Angehörige von Opfern zu drangsalieren). Es ist die Aufgabe demokratisch gewählter Institutionen, Politik zu gestalten; Journalisten haben eine solche demokratische Legitimation nicht. Ihr Einfluss auf Wahlergebnisse ist außerdem begrenzt, wie die Bundestagswahlen in Deutschland im Jahr 2005 oder die Parlamentswahlen in Polen im Jahr 2007 gezeigt haben, bei denen die populären Nachrichtenmedien zuvor jeweils andere als die tatsächlich eingetretenen Ergebnisse propagiert und vorhergesagt hatten. Dennoch erfüllt unabhängiger Journalismus unverzichtbare Aufgaben in der demokratischen Gesellschaft: Journalisten bringen ans Licht der Öffentlichkeit, was PR-Abteilungen lieber verbergen würden; sie helfen, sich im Dickicht der Informationsflut zurechtzufinden. Verantwortungsvoller, professioneller Journalismus ist für die Demokratie unverzichtbar.
4
Hallin und Mancini ordnen entsprechend die Mediensysteme der Mittelmeerstaaten Spanien, Griechenland, Italien und teilweise Frankreich dem „Polarized Pluralist Model“ zu, in dem Meinungsjournalismus vorherrscht, der parteiisch ist und der eher kommentiert, als den Anspruch zu haben, sachliche, ausgewogene Informationen zu liefern (vgl. Hallin/Mancini 2004: 89ff.).
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Andrea Czepek
Wie aber kann er erhalten, gesichert und weiterentwickelt werden, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dem entgegenstehen? Ein Ansatzpunkt ist die Journalistenausbildung. Sie müsste erhalten, ausgebaut und weiterentwickelt werden, um angehende Journalisten dazu zu befähigen, ihre Aufgaben kompetent wahrzunehmen. Dazu müssen sie sich mit professionellen Standards ihres Berufs auseinandersetzen, ihre Arbeit evaluieren können und die notwendigen Fähigkeiten entwickeln, um fundiert zu recherchieren und um Informationen angemessen auswählen sowie sachlich richtig und verständlich vermitteln zu können. Journalisten müssen in der Lage sein, angesichts der unübersichtlichen Informationsflut das notwendige Orientierungswissen zu liefern, und dazu ist beispielsweise eine hochschulgebundene Journalistenausbildung eine gute Voraussetzung. Allerdings nutzt die beste Ausbildung nichts, wenn Journalisten im Beruf nicht autonom genug sind, um überhaupt eigene Entscheidungen treffen und professionell handeln zu können. Dazu ist es notwendig, unabhängigen, gar investigativen Journalismus auch im wirtschaftlichen Sinne als Alleinstellungsmerkmal des professionellen Journalismus zu begreifen. Für die Wiedergabe von PR-Material werden keine Journalisten gebraucht; Pressemitteilungen kann man sich auch auf den Websites der Unternehmen oder bei automatisch generierten Portalen herunterladen. Die Kritikfunktion wird zunehmend von Bloggern wahrgenommen, die sich zwar noch nicht an eine große Öffentlichkeit wenden, sehr kleine und teilweise spezialisierte Publika haben und nur selten hohe Glaubwürdigkeit genießen – aber all das galt in der Anfangszeit für Zeitungen auch und kann sich ja noch ändern. Orientierung bieten nicht-journalistische Internetangebote wie die Buchkritiken bei OnlineBuchhändlern, Hotelbewertungen von Urlaubern bei Reiseanbietern oder die Eintragungen von Hobby-Experten auf Internetforen zu allen Fachfragen. Zeitungen (ob gedruckt oder online), Zeitschriften, Informationssendungen in Rundfunkmedien und journalistische Internetangebote könnten sich mit investigativem, unabhängigem Journalismus davon absetzen, der glaubwürdig ist und relevante Themen für eine breite Öffentlichkeit setzt – wenn sie dies als ihre Nische wahrnehmen. Damit die Bürger solchen „Qualitätsjournalismus“ dann auch erkennen, fordert beispielsweise der Journalist Peter Ehrlich ein „Qualitätssiegel“, das Informationsmedien bekommen könnten, die sich freiwillig ethischen Regeln unterwerfen und sich daran halten (Ehrlich 2007). Medien, die an einem seriösen Ruf interessiert sind, würden sich bemühen, dieses Siegel zu erhalten, und könnten damit werben – es wäre also ein wirtschaftlicher Anreiz auf Organisationsebene geschaffen, sich um gute Bedingungen für unabhängigen Journalismus zu bemühen. Weitergehend wäre die Idee, den „public service“-Gedanken, der die Vielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beispielsweise in Deutschland, Finnland, Großbritannien und Österreich sichern soll, auf das Internet auszuweiten. Bei der Einführung des öffentlichrechtlichen Rundfunks in diesen Ländern waren die Frequenzen und Kanäle knapp; um Monopole zu verhindern, sollte durch die öffentliche (und gleichzeitig möglichst staatsferne) Regulierung innere Vielfalt des Programms gewährleistet werden. Deshalb mag es zunächst widersinnig erscheinen, diesen Gedanken auf das Internet anzuwenden – dort ist das Gegenteil der Fall, die Kanäle sind quasi unbegrenzt und stehen im Prinzip jedem mit geringen Mitteln auch als Kommunikator offen. Außerdem entzieht sich das Internet durch seine dezentrale, globale Struktur weitgehend wie auch immer gearteten Regulierungsversuchen. Allerdings besteht das Problem, dass journalistische Angebote im Internet nur schwer zu finanzieren sind. Die Bereitschaft, für Informationsangebote zu bezahlen, ist für
Voraussetzungen für unabhängigen Journalismus
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Internetnutzer gering, da Informationen auch kostenfrei zur Verfügung stehen, und eine Querfinanzierung durch Werbung entwickelt sich nur schleppend. Öffentlich-rechtliche Internetangebote – ob von den traditionellen Rundfunkanstalten oder anderen Anbietern bereitgestellt – könnten, gebührenfinanziert und mit einem „Versorgungsauftrag“, den Rahmen für unabhängigen Journalismus im Internet schaffen. Dem Vorwurf der privaten Anbieter, eine Gebührenfinanzierung sei wettbewerbsverzerrend, wäre entgegenzuhalten, dass die kommerziellen Anbieter vielerorts offenbar zu wenig finanzielle Anreize haben, um selbst hochwertige journalistische Angebote zu machen, öffentlich-rechtliche Internetangebote würden hier also nur eine Lücke füllen. In kleinen Märkten wie Finnland oder den baltischen Staaten, die auch kleine Sprachräume sind, ist jedoch offen, ob das Gebührenaufkommen für ein solches Modell ausreichen könnte. In Finnland wird die Presse traditionell aus öffentlichen Mitteln gefördert; insbesondere werden dort auch „Zweitzeitungen“ gefördert und Zeitungen, die andere politische Richtungen als die vorherrschenden Zeitungen vertreten, um in dem kleinen Markt eine äußere Vielfalt zu sichern. Das stellt zwar einen staatlichen Eingriff in den Medienmarkt dar, bedeutet aber für den Journalismus größere Unabhängigkeit, weil verschiedene Arbeitgeber zur Auswahl stehen, die sich weniger dem Druck von Marktmechanismen beugen müssen. Es wäre zu prüfen, ob eine möglichst neutrale Förderung auch für journalistische Internetangebote in Frage kommen könnte. Es geht also um eine positive Unterstützung von unabhängigem Journalismus, ohne andere Angebote einzuschränken. Das öffentlich-rechtliche Modell oder die Medienförderung setzen dazu auf Mediensystemebene an und versuchen, die Organisationen, die Journalismus bereitstellen sollen, zu stützen. Eine andere Möglichkeit ist die Förderung von individuellen Journalisten. Die belgische Stiftung „Pascal Decroos Fund“ (http://www.fondspascaldecroos.org) beispielsweise ist eine Bürgerinitiative, die aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden Mittel für Journalisten zur Verfügung stellt, um ihnen aufwändige Recherchen zu ermöglichen. In Deutschland vergibt der Verein „Netzwerk Recherche“ (http://www.netzwerkrecherche.de) ähnliche Stipendien. Zugrunde liegt diesen Initiativen der Gedanke, dass die Bürger sich nicht damit abfinden müssen, wenn Medienunternehmen aus wirtschaftlichen Gründen keine ausreichenden Mittel für Recherchen zur Verfügung stellen. Bürger, denen investigativer Journalismus wichtig genug ist, finanzieren ihn selbst – ohne gleich einen Verlag gründen zu müssen. Um sowohl Journalisten als auch Bürger überhaupt auf den Mangel aufmerksam zu machen, veröffentlicht die nach dem amerikanischen Vorbild „Project Censored“ 1997 gegründete „Initiative Nachrichtenaufklärung“ (http://www.nachrichtenaufklaerung.de) jährlich die zehn am meisten in den Medien vernachlässigten Themen (vgl. auch Pöttker/ Schulzki-Haddouti 2007). Zwar vergibt die Initiative selbst keine Mittel, aber die Aufklärung ist schon ein Anfang. Unabhängiger Journalismus in Europa kann gerettet werden – wir müssen ihn nur genug vermissen.
Literatur Czepek, Andrea/Hellwig, Melanie/Nowak, Eva (Hrsg.) (2009): Press Freedom and Pluralism in Europe. Concepts and Conditions. Bristol, Chicago. Ehrlich, Peter (2007): Rettet den Journalismus. In: Financial Times Deutschland vom 20.12.2007.
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Andrea Czepek
Hallin, Daniel C./Mancini, Paolo (2004): Comparing Media Systems. Three Models of Media and Politics. New York. McQuail, Denis (2003): Media Accountability and Freedom of Publication. New York. Merrill, John C. (1989): The Dialectic in Journalism. Toward a Responsible Use of Press Freedom. Baton Rouge (LA). Nuspliger, Kurt (1980): Pressefreiheit und Pressevielfalt. Diessenhofen (CH). Pöttker, Horst/Schulzki-Haddouti, Christiane (Hrsg. unter Mitarbeit von Tobias Eberwein) (2007): Vergessen? Verschwiegen? Verdrängt? 10 Jahre „Initiative Nachrichtenaufklärung“. Wiesbaden.
Empirische Sozialforschung im Journalismus Bernd Klammer
Empirische Sozialforschung im Journalismus ist eines der vielen Forschungsfelder, mit denen sich Horst Pöttker während seines Berufslebens beschäftigt hat, und es ist das Forschungsfeld, das mich mit ihm verbindet. Sein historisch vorgeprägter Zugang zu dem Themenkomplex und mein eher von der Statistik und den Methoden herrührendes Interesse an einer systematischen Aufarbeitung verbanden sich hierbei. Nach meinen Erfahrungen wird der praktische Nutzen dieses Teils einer akademischen Journalistenausbildung für die spätere berufliche Tätigkeit von den Studierenden häufig nicht gesehen. Zudem hängt der empirischen Methodenausbildung der vermeintliche Makel an, etwas mit Statistik und damit mit Mathematik zu tun zu haben – ein Fach, so eine bislang unwidersprochene Vermutung, zu dem journalistisch ambitionierte Studierende häufig kein sehr inniges Verhältnis pflegen. Ich möchte daher begründen, warum es aus meiner Sicht wichtig ist, dass Journalisten verstehen, was es heißt, empirisch zu arbeiten, und sie insbesondere die Methoden empirischer Sozialforschung kennen lernen sollten. Ich greife dabei zum Teil auf die Argumente von Horst Pöttker zurück, mit dem ich mich in den Antworten auf diese Frage vollkommen einig weiß. 1.
Der Anspruch, die Lücke zu schließen
Die Idee war im wörtlichen wie im übertragenen Sinne nahe liegend, doch wie vieles, was nahe liegend und offensichtlich ist, wird es leicht übersehen: Als mich Horst Pöttker 1997 zu seinem ersten wissenschaftlichen Mitarbeiter am Lehrstuhl „Gesellschaftliche und historische Grundlagen des Journalismus“ am Institut für Journalistik der Universität Dortmund machte, geschah dies vor dem Hintergrund, seine Idee eines Methodenlehrbuchs speziell für die Journalistik zu verwirklichen. In seiner Person verbanden sich langjährige journalistische Erfahrungen, u. a. als Redakteur der Zeitschrift „medium“, mit den Vorstellungen eines Sozialwissenschaftlers, wie eine auf den Beruf vorbereitende Methodenausbildung für Journalistikstudierende aussehen sollte. Bereits sein Vorgänger auf dem Lehrstuhl, Kurt Koszyk, hatte sich des Themas angenommen und gefragt, wie empirische Daten in den Medien verwendet werden (vgl. Grobe 1976). Als Soziologe mit starkem historischem Interesse wusste Horst Pöttker um die journalistischen Wurzeln verschiedener empirischer Methoden wie der Beobachtung und der Befragung. Und er kannte auch die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“, in der beispielgebend durch Einsatz sehr vieler innovativer Methoden und unterschiedlicher Instrumente versucht wurde, sich dem sozialen Phänomen der Arbeitslosigkeit in seiner ganzen Vielfalt zu nähern. Die Autoren der Studie schreiben dazu in ihrer Einleitung: Was wissen wir über Arbeitslosigkeit? Es gibt statistische Nachweisungen über den Umfang der Arbeitslosigkeit und das Ausmaß der Unterstützung, gelegentlich verbunden mit eingehender Gliederung nach Alter,
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Bernd Klammer
Geschlecht, Berufsaufbau und Lokalverhältnissen; und es gibt soziale Reportagen: Zeitungen sowohl wie namhafte Schriftsteller haben mit größter Wirkung das Leben der Arbeitslosen geschildert, haben es in Beispielen und Bildern der noch nicht betroffenen Öffentlichkeit nahegebracht. Zwischen den nackten Ziffern der offiziellen Statistik und den allen Zufällen ausgesetzten Eindrücken der sozialen Reportage klafft eine Lücke, die auszufüllen der Sinn unseres Versuches ist. Was uns vorschwebt, war eine Methode der Darstellung, die die Verwendung exakten Zahlenmaterials mit dem Sicheinleben in die Situation verband. (Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1975: 24)
Die hier beschriebene Nähe und Verwandtschaft zwischen Journalismus und empirischer Sozialforschung war und ist das Naheliegende, das Horst Pöttker mit der Idee eines eigenen Methodenlehrbuchs für die Journalistenausbildung verfolgt hat (Klammer 2005). Warum ist es überhaupt bedeutsam, dass sich Journalisten intensiver mit empirischen Forschungsmethoden beschäftigen? Zum ersten wird heute nahezu jeder Lebensbereich von wissenschaftlichen Erkenntnissen durchdrungen, und es ist journalistischer Alltag in durchweg allen Ressorts, über die Ergebnisse empirischer Sozialforschung zu berichten. Die Möglichkeiten und Grenzen von Forschungsmethoden zu kennen, ist dabei wesentliche Voraussetzung für eine sachgerechte und verständliche Berichterstattung. Gerade vor dem Hintergrund einer ständig zunehmenden Zahl von Studienergebnissen, die auf Redaktionsschreibtischen landen, ist deren kompetente Bewertung durch Journalisten ein wichtiger Beitrag, um sich als Bürger in der Welt orientieren zu können. Zum zweiten gehen Sozialforscher und Journalisten sehr ähnlich vor, um ihre Informationen zu gewinnen, indem sie z. B. beobachten und befragen. Es liegt auf der Hand, dass empirischer Forschungsprozess und journalistische Recherche damit nicht selten auch vor ähnlichen Methodenfragen stehen. Um möglichst genaue und unverfälschte Antworten zu erhalten, ist die Kenntnis entsprechender Fragetechniken und -formen und damit implizierter Antworten ein wichtiges Handwerkszeug des Sozialforschers wie des Journalisten. Zum dritten schließlich – dieses Argument zählt insbesondere für die akademische Journalistenausbildung – verstehe ich genauso wie Horst Pöttker die Journalistik als eine sozialwissenschaftliche Disziplin, deren Aufgabe darin besteht, dem Berufsfeld Journalismus Impulse zu geben. Um Fragestellungen des Faches wissenschaftlich fundiert untersuchen zu können, müssen neben den hauptamtlichen Forschern auch Diplomanden und Doktoranden die Instrumente und Methoden empirischer Sozialforschung kennen und sachgerecht einsetzen können. Versuche, Sozialforschung und Journalismus zusammen zu bringen, gab es auch schon früher, und der Anstoß dazu muss nicht immer von der Wissenschaft ausgehen. Bereits in den 1970er Jahren hatte der amerikanische Journalist Philip Meyer für einen „precision journalism“ plädiert (Meyer 1973, 1991). Vertreter dieses in der deutschen Übersetzung als „Präzisionsjournalismus“ bezeichneten Journalismustyps fordern, dass Journalisten wie Sozialwissenschaftler vorgehen und ihre Recherchetechniken an den Methoden empirischer Sozialforschung ausrichten sollten. In der Praxis, so die Vorstellungen Meyers, könnten Journalisten bei ihren Recherchen nach wissenschaftlichen Standards Daten erheben und auswerten und damit die zeitliche Lücke schließen, die zwischen dem Auftreten und Erkennen eines sozialen Phänomens und seiner wissenschaftlichen Analyse liegt. Journalisten würden somit zu einer Art „Feuerwehr-Forscher“ (Zeh 1987) werden, die gesellschaftliche Prozesse sehr viel aktueller beschreiben und bewerten könnten, als dies im Wissenschaftsbetrieb möglich wäre. So wünschenswert es im Einzelfall auch sein mag, soziale Erscheinungsformen rasch und wissenschaftlich fundiert beurteilen zu können, so lässt sich doch feststellen, dass der
Empirische Sozialforschung im Journalismus
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„precision journalism“ als Journalismuskonzept sich nicht hat etablieren können. Welche Gründe gibt es dafür? Hierzu seien zunächst die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Journalismus und empirischer Sozialforschung in den Blick genommen.
2.
Journalismus und Sozialforschung – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Die augenfälligste Gemeinsamkeit von empirischer Sozialforschung und Journalismus ist der Gegenstandsbereich, mit dem sich beide befassen und dem sie sich mit den ihnen eigenen Methoden und Instrumenten zu nähern versuchen: soziale Wirklichkeit. Konsequenterweise betitelt Horst Pöttker seine Vorlesungen daher auch als „Methoden der Sozialrecherche für Journalisten“. Als gemeinsame Triebfeder für die Tätigkeit von Journalisten und Sozialforschern lässt sich Neugier ausmachen, das Interesse, Neues zu entdecken, aber nicht als Selbstzweck, sondern – idealtypisch betrachtet – stets mit Blick auf die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz. Gesellschaft und Öffentlichkeit als Adressaten der Ergebnisse ihrer Arbeit stellen somit eine weitere Gemeinsamkeit von Sozialforschung und Journalismus dar, wenngleich die zunehmende Spezialisierung und Ausdifferenzierung von Wissenschaft und Journalismus es inzwischen zutreffender erscheinen lässt, von Teilöffentlichkeiten und Zielpublika zu sprechen. Ausgangspunkt beider Professionen ist es, soziale Wirklichkeit zu beobachten und zu beschreiben. Allerdings nähern sie sich ihrem Gegenstandsbereich mit unterschiedlichen Zielsetzungen, die sich aus ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Aufgaben ableiten: Erkenntnisfortschritt als Ziel von Wissenschaft, Herstellen von Öffentlichkeit als Aufgabe des Journalismus. Die hohe gesellschaftliche Bedeutung beider Aufgaben für das Funktionieren der Demokratie kommt im Übrigen darin zum Ausdruck, dass sowohl die Freiheit der Meinungen, der Presse und der Berichterstattung als auch die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre im Grundrechtekatalog der Verfassung garantiert sind – beachtenswerterweise beide im Artikel 5 GG. Sozialforscher sind an neuer Erkenntnis interessiert, sie wollen gesellschaftliche Erscheinungen und Prozesse beschreiben und vor allem erklären. Ihr Augenmerk richtet sich in der Regel auf das Verbindende sozialer Phänomene, um möglichst generelle Aussagen über solche Phänomene, ihre Ursachen und Folgen machen zu können. Ihr Anspruch ist es, Theorien zu entwickeln, mit denen künftige Entwicklungen vorausgesehen werden können, damit insbesondere gesellschaftlichen Fehlentwicklungen frühzeitig entgegengewirkt werden kann. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse stellen somit eine wichtige Quelle für den politischen Entscheidungsprozess dar. Um zu verallgemeinerbaren Befunden zu kommen, bedienen sie sich eines wissenschaftlich begründeten Vorgehens, das sich in der Regel an etablierten und anerkannten empirischen Verfahren orientiert. Dazu gehört es, die interessierende Fragestellung zu konkretisieren und hypothesengeleitet an ihre Beantwortung zu gehen. Ein wichtiges Kriterium für Wissenschaftlichkeit ist insbesondere die Transparenz des Vorgehens und der eingesetzten Methoden, die Voraussetzung für eine intersubjektive Nachprüfbarkeit und damit für eine kritische Beurteilung des Erkenntnisweges ist. Im Sinne einer wissenschaftlichen Güteprüfung lässt sich nicht die Erkenntnis selbst beurteilen, sondern nur der Weg der Erkenntnisgewinnung. Dies umschreibt sehr grob das Verständnis des Kritischen Rationalismus als einer vermittelnden Erkenntnisposition zwischen Positivismus und Konstruktivismus.
Bernd Klammer
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Die gesellschaftliche Aufgabe des Journalismus hingegen besteht in der Herstellung von Öffentlichkeit für Themen. Im Mittelpunkt der Tätigkeit von Journalisten steht die Darstellung und Vermittlung von Erscheinungen sozialer Wirklichkeit, über die in der Regel ereignisbezogen berichtet wird. Vom Journalismus wird nicht erwartet, Lösungen für soziale Probleme zu erarbeiten, sondern in erster Linie soziale Probleme und Fehlentwicklungen wahrzunehmen, zu erkennen und sie mit geeigneten Mitteln öffentlich zu machen. Dies schließt nicht aus, dass Journalisten in ihren Meinungen und Kommentaren Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen versuchen, aber eben mit Hilfe der entsprechenden Darstellungsformen. Das Herstellen von Öffentlichkeit für Themen verlangt von Journalisten auf der einen Seite das notwendige Handwerkszeug, um aus der Vielzahl sich anbietender Berichterstattungsgegenstände die für ihr Publikum relevanten auszuwählen. Gerade hier sind Journalisten heute angesichts einer unüberschaubaren Zahl an professionellen Informationsquellen in Form von Öffentlichkeitsarbeits- und Public Relations-Abteilungen mehr denn je gefordert. Auf der anderen Seite gilt es für Journalisten Themen aufzuspüren, die eine Öffentlichkeit eher scheuen, sei es, weil sich vermeintlich niemand für sie interessiert, sei es, weil die Beteiligten kein Interesse an einer Veröffentlichung haben. Skandale erblicken zumeist nur dann das Licht der Öffentlichkeit, wenn Journalisten ihnen nachspüren. Hierbei wäre es allerdings kontraproduktiv, wenn Journalisten ähnlich wie Sozialforscher ihr investigatives Vorgehen immer transparent machen müssten. Carl Bernstein und Bob Woodward hätten Watergate nicht enthüllen können, wenn sie ihr Vorgehen und ihre Informationsquellen jeweils offengelegt hätten. Die journalistische Güte oder Qualität wird daher auch weniger am Weg der Informationsgewinnung, also der Recherche, bemessen als vielmehr am journalistischen Endprodukt. Wie ein Skandal aufgedeckt wurde, ist letztlich für die Öffentlichkeit nicht so bedeutsam wie die Offenlegung des Skandals selbst.
Vergleichsaspekte Gesellschaftliche Aufgabe Steuerungs- und Regelungsmechanismen orientiert an... Qualitätsmerkmale
Tätigkeit Vorgehen
Sozialforschung/ Wissenschaft Erkenntnisse gewinnen
Journalismus Öffentlichkeit herstellen
Methoden, Theorien
Werte, Normen, Rollen
Transparenz, Gültigkeit, Zuverlässigkeit, Intersubjektivität Beschreibung und Erklärung hypothesengeleitet, empirische Methode
Aktualität, Relevanz, Vermittlung Darstellung und Vermittlung ereignis-/anlassbezogen, Recherche
Tabelle 1: Vergleich von Sozialforschung und Journalismus anhand ausgewählter Aspekte
Empirische Sozialforschung im Journalismus
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Der hier im Hinblick auf einige wenige, insbesondere systemische Aspekte angestellte Vergleich von Sozialforschung und Journalismus zeigt, dass das Konzept eines „precision journalism“ zu einer Vermischung ähnlicher, im Detail aber doch in Rahmenbedingungen und Zielsetzungen sich deutlich unterscheidender Professionen führen muss. Es verwundert daher nicht, dass von Seiten der Wissenschaft der Vorstoß von Meyer mit seinem „precision journalism“ strikt abgelehnt wurde (vgl. z. B. Haas/Pürer 1996: 362). Nicht die vom „precision journalism“-Konzept intendierte Vermischung von Sozialforschung und Journalismus ist es, mit der Horst Pöttker die Trennung beider Professionen aufheben möchte. Vielmehr geht es ihm um den Austausch und den gegenseitigen Nutzen. Letzteren sieht er gerade für Fragen der Methodik gegeben. Sein Interesse richtet sich denn auch auf die Frage: Was kann Journalismus von empirischer Sozialforschung und insbesondere von empirischer Methodenlehre lernen?
3.
Gegenseitiger Nutzen
Der Nutzen für die Recherche ergibt sich aus der methodologischen Reflexion in den empirischen Wissenschaften. Aus der Erkenntnis, dass jeder Forschungsprozess unvermeidlich subjektive Implikationen enthält, die den Blick auf den Untersuchungsgegenstand verzerren, versucht sozialwissenschaftliche Methodologie, diese Einflüsse zu entdecken und auszuschalten. Insbesondere auf dem Feld der Forschungsmethoden und der Instrumentenentwicklung wird die Frage ausführlich diskutiert, wie der Einfluss subjektiver Faktoren bei der Informationsgewinnung reduziert werden kann. Betrachtet man die Literatur zu Methoden der empirischen Sozialforschung in den vergangenen Jahren, so lässt sich erkennen, dass die Zahl ausschließlich methodischer oder methodologischer Veröffentlichungen deutlich zugenommen hat. Zugleich ist es zu einer fachspezifischen Ausdifferenzierung für die verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen gekommen, und es liegt inzwischen eine Vielzahl von Spezialliteratur zu einzelnen Forschungsmethoden vor. Neue Informationsquellen wie das World Wide Web werden bei methodologischen Diskussionen schnell einbezogen. Diese Diskussionen sind für den Journalismus fruchtbar, denn auch Journalisten können sich ihrem Recherchegegenstand nicht unvoreingenommen nähern, sondern sind durch ihre Vorerfahrungen in ihren Meinungen und Vorstellungen geprägt. Diesen Umstand stets vor Augen führend sollte es journalistischer Anspruch sein, die eigene Voreingenommenheit zu kontrollieren und möglichst zu überwinden. Für ein Rechercheinterview hieße dies zum Beispiel, sich zu vergewissern, welche Fragestrategie zu entwickeln ist und welche konkreten Fragen zu stellen sind, um genaue und zutreffende Antworten zu erhalten. Dabei zu wissen, welche Frageform welches Antwortverhalten hervorruft, hilft nicht nur, ein Interview effektiv vorzubereiten, sondern erlaubt es auch, die Interpretationsspielräume der Antworten zu taxieren. Wenn von gegenseitigem Nutzen gesprochen wird, stellt sich natürlich auch die Frage: Was kann umgekehrt Sozialforschung vom Journalismus lernen? Historisch betrachtet besitzen einzelne sozialwissenschaftliche Methoden journalistische Wurzeln, mitunter waren es ehemalige Journalisten, die mit ihrem Wechsel in die Wissenschaft Recherchemethoden in der Forschung etablierten (vgl. Haas 1999; Kern 1982; Lindner 1990). Innovative oder kreative Recherchemethoden können natürlich immer Impulse für neue Forschungsan-
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Bernd Klammer
sätze und -instrumente geben. So berichtet Diekmann (2001: 535f.) beispielsweise über die so genannte Pizza-Statistik der „Washington Post“, mit der die Zeitung die Pizzalieferungen ins Weiße Haus nachhielt. Der sprunghafte Anstieg der Lieferungen von einem Tag auf den anderen ließ erkennen, dass die Mitarbeiter der Administration an ihren Arbeitsplätzen blieben oder bleiben mussten, was wiederum als Indiz für einen unmittelbar bevorstehenden Konflikt gewertet wurde, der dann auch tatsächlich eintrat. In einem anderen Beispiel legten sich Finanzwissenschaftler der Universität Bamberg eine andere Identität zu und testeten inkognito die Anlageberatung von verschiedenen Geldhäusern (Salzmann 2008) – ein Vorgehen, wie man es aus dem so genannten Enthüllungsjournalismus zum Beispiel eines Günter Wallraff kennt. Es sei in diesem Zusammenhang auch an die ethischen Aspekte erinnert, die sich hinsichtlich des Vorgehens sowohl bei der Recherche als auch im empirischen Forschungsprozess ergeben und bei denen Sozialforschung wie Journalismus durch einen gegenseitigen Austausch der jeweiligen Diskussionsstände profitieren könnten. Von der Sozialforschung und der Wissenschaft allgemein zu nutzen ist sicherlich auch die Kenntnis, wie Journalismus Themen vermittelt, um für sie Öffentlichkeit herzustellen. Natürlich folgen wissenschaftliche Veröffentlichungen ganz anderen Regeln als journalistische Texte und richten sich zumeist an eine Fachöffentlichkeit. Dennoch erhöht zum Beispiel eine verständliche Sprache die Lesbarkeit wissenschaftlicher Texte, ohne dass die Qualität der Forschungsergebnisse dadurch beeinträchtigt würde – im Gegenteil. Es ist daher sicherlich nicht verwunderlich, dass Schreibtrainings heute wie selbstverständlich zum Weiterbildungsangebot für Wissenschaftler zählen und nicht selten von Journalisten angeboten werden. Auch bei der Reflexion über die Themenauswahl könnten Sozialforschung und Wissenschaft allgemein vom Journalismus profitieren. Hier wie dort gibt es weiße oder blinde Flecken, gesellschaftlich relevante Themen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht aufgegriffen oder einfach übersehen werden. Die „Initiative Nachrichtenaufklärung“, die mit ihrer jährlichen Wahl der Top Ten vernachlässigter Themen eine Öffentlichkeit für diese Themen herstellen will, stellt für den Journalismus einen Baustein einer internen Qualitätssicherung dar. Horst Pöttkers Engagement für die Initiative zeigt im Übrigen, wie sehr ihm diese Form von Qualitätssicherung am Herzen liegt. Eine ähnliche Einrichtung könnte auch für die Sozialforschung interessant sein. Denn weder die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Lehre und Forschung noch das bundesdeutsche System der Forschungsförderung verhindern automatisch, dass gesellschaftlich relevante Forschungsfelder mitunter unbesetzt bleiben.
4.
Journalismus und Meinungsforschung als angewandte Sozialforschung
Neben den methodischen Parallelen verbindet Sozialforschung und Journalismus die Berichterstattung über Ergebnisse empirischer Studien. Die der Öffentlichkeit wohl bekannteste Form angewandter empirischer Sozialforschung sind Meinungsumfragen, insbesondere im Zusammenhang mit Wahlen. Kaum ein mehr oder weniger kontroverses Thema, zu dem es nicht eine Umfrage gibt, um die Meinung des Bürgers in Erfahrung zu bringen. Technische Entwicklungen durch computerunterstützte Erhebungsverfahren sowie verbesserte Auswertungsmöglichkeiten haben dazu geführt, dass der Zeitabstand zwischen Befragung und Ergebnispräsentation immer kürzer geworden ist. Bei den so genannten Rededu-
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ellen der Kanzlerkandidaten vor der Bundestagswahl 2002 und 2005 wurden erste Ergebnisse, wie die telefonisch befragten Bürger die Kompetenz der Kandidaten in verschiedenen Politikbereichen einschätzten, bereits gut eine Stunde nach Ende des Fernsehauftritts präsentiert. Nicht nur aufgrund ihrer inzwischen unüberschaubaren Zahl, sondern insbesondere wegen ihres Instrumentalisierungscharakters durch Lobbygruppen stellen Meinungsumfragen eine große Herausforderung für den Journalismus dar. Bei den Befragungsinstituten handelt es sich durchweg um Unternehmen, die kommerzielle Interessen verfolgen. In Anlehnung an eine Redewendung lässt sich vermuten: „Wer die Musik bestellt, muss sie bezahlen, aber er bestimmt auch, was gespielt wird.“ Damit soll kein Generalverdacht gegen eine Branche ausgesprochen, wohl aber der Anspruch formuliert werden, dass die von der Markt- und Sozialforschungsbranche festgelegten Qualitätsstandards tatsächlich eingehalten werden (Sommer/Unholzer/Wiegand 1999: 38-39). Von den Auftraggebern ihrerseits muss verlangt werden können, dass auch sie sich an diesen Standards orientieren, wenn sie die Umfrageergebnisse über die Medien veröffentlicht sehen wollen. Dazu gehört es u. a., Auftraggeber, durchführendes Untersuchungsinstitut, genaue Fragestellung und Anzahl der befragten Personen anzugeben. Dies erleichtert den Redaktionen die Arbeit, die häufig in einem Dilemma stecken, wenn sie auf der einen Seite die Umfrageergebnisse nicht nur unkritisch veröffentlichen wollen, sondern unter dem Aspekt der Sorgfaltspflicht es als ihre Aufgabe ansehen, die Gültigkeit der Ergebnisse zu prüfen, sie auf der anderen Seite aber Sachzwängen im Hinblick auf Recherche- und Veröffentlichungsumfang unterliegen. Um dem Dilemma zu entgehen, sind es nicht selten Sender und Verlage selbst, die Umfragen beauftragen – auch um sich damit exklusive Berichterstattungsgegenstände zu schaffen. Schlussfolgernd sollte es zur journalistischen Kompetenz gehören, dass Journalisten die wesentlichen Qualitätskriterien für empirische Untersuchungen kennen und in der Abwägung eine vermeintlich „gute Geschichte“ nicht veröffentlichen, wenn sie begründete Zweifel an der Qualität der Studie haben. Neben der gesellschaftlichen Relevanz der Ergebnisse wird somit auch die Qualität des empirischen Vorgehens zu einem Selektionskriterium für Journalisten, über welche Ergebnisse berichtet werden sollte und über welche nicht. Diese Forderung an das journalistische Handwerkszeug muss insbesondere vor dem Hintergrund gestellt werden, dass Ergebnisse empirischer Studien in allen Redaktionen auftauchen und der Umgang mit ihnen somit nicht allein in den Werkzeugkasten von Wissenschaftsredaktionen gehört. In dieser Hinsicht kompetente Journalisten erfüllen mit der Fähigkeit, empirische Studien qualitativ grob beurteilen zu können, zugleich auch eine Orientierungsfunktion für ihre Rezipienten.
5.
Ausblick
Die Anforderungen an den Journalismus und damit an jeden einzelnen Journalisten steigen. Einerseits nimmt die Zahl der durch Pressestellen und Öffentlichkeitsarbeiter professionell vorbereiteten Berichterstattungsgegenstände kontinuierlich zu, andererseits wird es mit zunehmendem Spezialisierungsgrad der Themen für Journalisten immer schwieriger, die Interessen einzelner Gruppen zu erkennen und deren Argumente zu bewerten. Interessengruppen nutzen dabei gerne (eigene) Studienergebnisse in der Absicht, Aufmerksamkeit für
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Bernd Klammer
ihre Themen zu erreichen und ihre Argumente quasi wissenschaftlich zu belegen. Denn Studienergebnisse vermitteln per se den Eindruck, sich an Fakten zu orientieren, und lassen nur schwer einen möglichen Instrumentalisierungscharakter erkennen. Der zeitliche und soziale Kontext, in dem journalistisch gearbeitet wird, verhindert oder erschwert zusätzlich eine gründliche Überprüfung und differenzierte Bewertung solcher Studienergebnisse. Da die journalistischen Kontexte nicht unmittelbar verändert werden können, besteht ein Weg aus der Misere darin, dass Journalisten im Hinblick auf ihre Kompetenz, Ergebnisse empirischer Sozialforschung kritisch hinterfragen zu können, noch besser ausgebildet werden. Im Rahmen einer akademischen Journalistenausbildung bietet es sich an, die angehenden Journalisten in eigenen kleinen Forschungsprojekten die Rolle des Sozialforschers einnehmen zu lassen. So können sie seine Sichtweise kennen lernen, gleichzeitig aber auch Erfahrungen sammeln, welche methodischen Fallstricke es gibt. Damit wäre Sozialforschung und Journalismus meines Erachtens mehr gedient, als Journalisten à la „Präzisionsjournalismus“ zu Sozialforschern machen zu wollen.
Literatur Diekmann, Andreas (2001): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 7., durchg. Aufl. Reinbek bei Hamburg. Grobe, Bernd E. (1976): Grundfragen der Verwendung empirischer Daten in Massenmedien. In: Brendel, Detlef/Grobe, Bernd E.: Journalistisches Grundwissen. Darstellung der Formen und Mittel journalistischer Arbeit und Einführung in die Anwendung empirischer Daten in den Massenmedien. München, S. 81-264. Haas, Hannes (1999): Empirischer Journalismus. Verfahren zur Erkundung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Köln etc. Haas, Hannes/Pürer, Heinz (1996): Berufsauffassungen im Journalismus. In: Pürer, Heinz (Hrsg.): Praktischer Journalismus in Zeitung, Radio und Fernsehen. Mit einer Berufs- und Medienkunde für Journalisten in Österreich, Deutschland und der Schweiz. 2., überarb. u. erw. Aufl. Konstanz, S. 355-365. Jahoda, Marie/Lazarsfeld, Paul F./Zeisel, Hans (1975): Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziologischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit. Frankfurt am Main. Kern, Horst (1982): Empirische Sozialforschung. Ursprünge, Ansätze, Entwicklungslinien. München. Klammer, Bernd (2005): Empirische Sozialforschung. Eine Einführung für Kommunikationswissenschaftler und Journalisten. Konstanz. Lindner, Rolf (1990): Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage. Frankfurt am Main. Meyer, Philip (1973): Precision journalism. A reporter’s introduction to social science methods. Bloomington (IN) etc. Meyer, Philip (1991): The new precision journalism. Bloomington (IN) etc. Salzmann, Bernd (2008): Beraten und verkauft. Banken gehen leichtfertig mit dem Geld ihrer Kunden um. In: Frankfurter Rundschau vom 2./3. August 2008, S. 18-19. Sommer, Rudolf/Unholzer, Gerhard/Wiegand, Erich (1999): Standards zur Qualitätssicherung in der Markt- und Sozialforschung. Online unter: http://www.adm-ev.de/pdf/QUALI.PDF Zeh, Jürgen (1987): Journalismus als Präzisions-Journalismus. In: Wilke, Jürgen (Hrsg.): Zwischenbilanz der Journalistenausbildung. München, S. 145-166.
Recherchefreiheit und Grundgesetz Die Rechtfertigung von Recherchehandlungen durch das öffentliche Informationsinteresse Udo Branahl
Die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Pressefreiheit schützt die Tätigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zu ihrer Verbreitung.1 Demzufolge ist auch die Recherchefreiheit durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet. Dasselbe gilt für den Schutz des Rundfunks durch die Rundfunkfreiheit. Wie die Berichterstattungsfreiheit findet sie ihre Schranken gemäß Art. 5 Abs. 2 GG in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Als „allgemeine Gesetze“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sind Rechtsvorschriften (Gesetze und Verordnungen) anzusehen, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung bzw. einen bestimmten Kommunikationsinhalt oder gegen eine Betätigung der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 gewährleisteten Kommunikationsfreiheiten als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsgutes dienen, dem Schutz eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Meinungsbetätigung den Vorrang hat.2
Einholen von Auskünften Zum Kern der Recherchefreiheit gehört das Recht, potenzielle Informanten um Auskunft zu bitten. Nur Behörden sind jedoch verpflichtet, die gewünschten Auskünfte auch zu erteilen. Personen des Privatrechts gewährt das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das auf dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 GG) und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) beruht, die Freiheit, selbst zu entscheiden, welche Informationen sie preisgeben wollen, und das Recht, im Übrigen in Ruhe gelassen zu werden. Sie können deshalb verlangen, dass ein Journalist, dem sie eindeutig erklärt haben, dass sie nicht bereit sind, ihm in einer bestimmten Angelegenheit (weitere) Auskünfte zu erteilen, seine Befragung einstellt und sie nicht weiter bedrängt. Dieses Recht ist im Kern auch strafrechtlich abgesichert. Wegen Nachstellung kann ein Journalist gemäß § 238 Abs. 1 StGB bestraft werden, wenn er die Lebensgestaltung eines Menschen dadurch schwerwiegend beeinträchtigt, dass er beharrlich telefonisch oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht oder seine Nähe aufsucht. Behörden müssen demgegenüber hinnehmen, (weiter) befragt zu werden. Sie können die Beantwortung weiterer Anfragen in einer bestimmten Angelegenheit jedoch ablehnen,
1 2
seit BVerfGE Bd. 10, S. 118 (121) ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE Bd. 7, S. 198 (209/210) (Lüth-Urteil) ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. auch BVerfGE Bd. 28, S. 282 (292); BVerfGE Bd. 50, S. 234 (241); BVerfGE Bd. 91, S. 125 (135); BVerfGE Bd. 97, S. 125 (146); BGHZ Bd. 76, S. 55 (67); BAG in NJW, 37. Jg., S. 826 (828)
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soweit sie die gewünschte Auskunft bereits vollständig erteilt haben oder nicht erteilen müssen.
Auskunftsanspruch Welche Auskünfte von einer Behörde zu erteilen sind, ist in den Presse-, Rundfunk- und Mediengesetzen der Länder geregelt. Anzuwenden sind die Gesetze des Landes, in dem die Behörde ihren Sitz hat. Im Allgemeinen sehen diese Gesetze vor, dass die Behörde keine Auskunft erteilt, soweit durch sie x x x
die Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte, Geheimhaltungsvorschriften, überwiegende öffentliche oder schutzwürdige private Interessen verletzt würden oder ihr Umfang das zumutbare Maß überschreitet.
Bei der Anwendung dieser Ausnahmevorschriften ist ein angemessener Ausgleich herzustellen zwischen den durch sie geschützten Interessen und der Aufgabe der Massenmedien, durch eine umfassende und zutreffende Berichterstattung über die Arbeit der Behörden zu einer sachgerechten öffentlichen Meinungs- und Willensbildung beizutragen. Ein Beispiel: So verurteilte das Verwaltungsgericht Düsseldorf3 eine Stadt, einer Zeitschrift Auskunft darüber zu erteilen, wie viel die Verkehrsuntersuchung eines Planungsbüros zum Bau einer neuen U-Bahn-Linie gekostet hat. Das Urteil wurde vom OVG NRW4 bestätigt. Die Stadt hatte die Auffassung vertreten, der Auskunft ständen Geheimhaltungsvorschriften im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 des Landespressegesetzes von Nordrhein-Westfalen (LPG NRW) entgegen: Gemäß § 203 Abs. 2 StGB mache sie sich strafbar, wenn sie den Preis des Gutachtens bekannt gäbe und damit ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis des Planungsbüros preisgäbe. Die Verwaltungsgerichte wiesen demgegenüber darauf hin, dass § 203 Abs. 2 StGB nur die unbefugte Offenbarung betrifft. § 4 Abs. 1 LPG NRW gebe der Stadt aber die erforderliche Befugnis, soweit § 4 Abs. 2 LPG NRW die Auskunftspflicht nicht begrenze. Bei verfassungskonformer Interpretation sei § 203 Abs. 2 StGB nicht als Geheimhaltungsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG NRW zu bewerten.5 Die Grenzen der Auskunftspflicht ergäben sich vielmehr allein aus § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG NRW. Nach dieser Vorschrift ist entscheidend, ob durch die Auskunft berechtigte Interessen des Planungsbüros verletzt werden. Das ist nicht der Fall, wenn das Interesse der Firma an der Geheimhaltung des Gutachtenpreises geringer zu gewichten ist als das öffentliche Informationsinteresse. Diese Frage haben VG und OVG bejaht. Einerseits greife die Auskunft in die geschützten Unternehmensinteressen nicht sehr tief ein; seine Kalkulationsgrundlagen z. B. gebe sie nicht preis. Auf der anderen Seite diene sie der ernsthaften und sachbezogenen Erörterung der U-Bahn-Erweiterung und damit einer Angelegenheit, die in der lokalen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werde. Das reiche für ein Überwiegen der Pressefreiheit aus. Bei dieser Sachlage sei es nicht Aufgabe der Gerichte zu entscheiden, wie zweckmäßig oder notwendig die Kenntnis der Gutachtenkosten für diese Diskussion sei.
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Urteil des VG Düsseldorf v. 14.12.2001, Az.: 1 K 6481/99, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Nordrhein-Westfalen (http://www.justiz.nrw.de) Beschluss des OVG NRW v. 19.2.2004, Az.: 5 A 640/02, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Nordrhein-Westfalen so für das gleichlautende LandespresseG von Schleswig-Holstein auch schon OLG Schleswig in NJW, 38. Jg., S. 1090 (1091)
Recherchefreiheit und Grundgesetz
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Akteneinsicht Um Akteneinsicht zu erhalten, können sich Journalisten auf die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder6, die Umweltinformationsgesetze des Bundes und der Länder oder das Verbraucherinformationsgesetz des Bundes berufen. Einen Anspruch auf Akteneinsicht gewähren allerdings nur die Informationsfreiheits- und die Umweltinformationsgesetze. Das Verbraucherinformationsgesetz stellt die Art und Weise der Informationsgewährung in das Ermessen der Behörde (§ 5 Abs. 1 VIG). Diese Gesetze enthalten zahlreiche Ausnahmebestimmungen zum Schutz staatlicher Belange7, personenbezogener Daten8, des geistigen Eigentums und von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen9. In konsequenter Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Informationszugang zu staatlichen Datensammlungen10 sind diese Ausnahmebestimmungen, wenn es um Medienanfragen geht, im Lichte des Grundrechts der Kommunikationsfreiheit zu interpretieren. Daraus folgt, dass im Einzelfall eine Abwägung zwischen den durch die Ausnahmevorschrift geschützten Interessen einerseits und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit andererseits vorzunehmen ist. Das gilt auch dort, wo eine entsprechende explizite gesetzliche Vorschrift fehlt, wie etwa bei der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.11
Einsicht in öffentliche Register Soweit keine berechtigten Interessen entgegenstehen, umfasst die Recherchefreiheit auch die Einsicht in öffentliche Register.12 Die Schutzbedürftigkeit der Betroffenen unterscheidet sich bei den einzelnen Registern: x x
x
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Handels-, Vereins- und Genossenschaftsregister sind allgemein zugänglich. Die in ihnen enthaltenen Daten sind nicht geschützt. Zu Schuldnerverzeichnissen hingegen haben Medienvertreter keinen Zugang. In ihnen sind Personen aufgelistet, die nicht in der Lage sind, ihre Schulden zu begleichen. Ein berechtigtes Interesse, auf diese Daten zuzugreifen, hat ein (potenzieller) Geschäftspartner der Betroffenen, nicht aber die allgemeine Öffentlichkeit. Dasselbe gilt für das Vorstrafenregister. Dieses steht Strafrichtern für Zwecke der Strafzumessung zur Verfügung, nicht aber der Öffentlichkeit. Informationsfreiheitsgesetze haben bislang allerdings nur die Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein. In Sachsen-Anhalt ist ein Informationszugangsgesetz in der parlamentarischen Beratung. Dazu gehört z. B. der Schutz von Sicherheitsinteressen, von Außenbeziehungen, fiskalischen Interessen und schwebenden Verfahren (vgl. z. B. §§ 3 und 4 IFG Bund, § 8 UIG Bund, §§ 6 und 7 IFG NRW oder Art. 7 BayUIG). vgl. z. B. § 5 IFG Bund, § 9 Abs. 1 Nr. 1 UIG Bund, § 9 IFG NRW oder Art. 8 Abs. 1 Nr. 1 BayUIG vgl. z. B. § 6 IFG Bund, § 9 Abs. 1 Nr. 2 und 3 UIG Bund, § 8 IFG NRW oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BayUIG vgl. BVerfG, 1 BvR 1307/91 v. 28.8.2000 (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20000828_1bvr 130791.html) vgl. § 6 IFG Bund BVerfG, 1 BvR 1307/91 v. 28.8.2000, Absatz-Nr. 13-14
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Einsicht ins Grundbuch und in die Grundbuchakten hingegen können auch Medienvertreter verlangen, wenn sie darlegen, dass sie die geforderte Information benötigen, um „Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, ernsthaft und sachbezogen [zu] erörtern.“13 Ist dies der Fall, liegt ein berechtigtes Interesse an der Information im Sinne der Grundbuchordnung vor. Für eine weitere Abwägung mit gegenläufigen Interessen von Eingetragenen ist dann kein Raum mehr.14 Die Behörde hat nur noch zu prüfen, ob die Einsichtnahme geeignet und erforderlich ist, um dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen.15 Zielt ein Beitrag demgegenüber darauf, lediglich private Angelegenheiten auszubreiten, die nur die Neugier befriedigen, geht der Schutz der Betroffenen vor.16 In diesem Fall hat das Grundbuchamt die Medienanfrage abzulehnen.17 Für die Anfrage bei dem Betroffenen und eine Abwägung der beteiligten Interessen zwischen dem Betroffenen und dem Medienvertreter durch den Grundbuchrichter ist hingegen kein Raum.18 Unbefriedigend ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Zugang der Medien zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StUG dürfen Medien Einsicht in die Unterlagen verlangen, soweit es um Informationen über die zeitgeschichtliche Rolle, Funktions- oder Amtsausübung von Personen der Zeitgeschichte, Inhabern politischer Funktionen oder Amtsträgern geht und keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der Betroffenen beeinträchtigt werden (§ 32 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 StUG). Zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen dürfen Medienvertreter nach Auffassung des BVerwG nur solche Unterlagen einsehen, die ausschließlich Informationen enthalten, die aus allgemein zugänglichen Quellen stammen.19 Diese Entscheidung trägt dem öffentlichen Informationsinteresse nicht ausreichend Rechnung.
Gewinnung von Informanten Da Informationsansprüche nur gegen den Staat und diejenigen bestehen, derer er sich zur Durchführung seiner Aufgaben bedient, und Behördenchefs und ihre Pressesprecher nicht immer Gewähr für eine umfassende Information bieten, sind Medien darauf angewiesen, auch andere Quellen zu benutzen, um insbesondere ihrer Kritik- und Kontrollfunktion gerecht werden zu können. Zu diesen Quellen gehören nicht zuletzt Mitarbeiter von Unternehmen und Behörden, die über Insiderwissen verfügen. Diese Informanten sind in der Regel jedoch nicht befugt, solche Informationen weiterzugeben. Sie verletzen dadurch vielmehr ihre dienst- bzw. arbeitsrechtlichen Pflichten. 13 14 15 16 17 18 19
BVerfG, 1 BvR 1307/91 v. 28.8.2000, Absatz-Nr. 32 BVerfG, 1 BvR 1307/91 v. 28.8.2000, Absatz-Nr. 32 BVerfG, 1 BvR 1307/91 v. 28.8.2000, Absatz-Nr. 31 BVerfGE Bd. 101, S. 361 (391) = NJW, 53. Jg., S. 1021 BVerfG, 1 BvR 1307/91 v. 28.8.2000, Absatz-Nr. 32 BVerfG, 1 BvR 1307/91 v. 28.8.2000, Absatz-Nr. 33-37 BVerwG in NJW, 57. Jg., S. 2462 (2468)
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Um diese Informationsquellen zu schützen, geben Journalisten ihre Informanten im Allgemeinen nicht preis. Aufgrund des publizistischen Zeugnisverweigerungsrechts können sie sich auch gegenüber staatlichen Behörden und Gerichten weigern, ihre Informanten zu nennen.20 In bestimmten Fällen machen sich Informanten, die Insiderwissen an Journalisten weitergeben, allerdings strafbar. Das gilt vor allem für die unbefugte Preisgabe von Privatgeheimnissen, Dienstgeheimnissen und Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Zu den Berufsgruppen, deren Träger und Mitarbeiter sich strafbar machen, wenn sie Daten ihrer Klienten („Privatgeheimnisse“) weitergeben, gehören z. B. die Heilberufe, Rechtsberater, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Psychologen, Ehe-, Familien-, Erziehungsberater, Sozialarbeiter, Kranken-, Unfall- und Lebensversicherungen, Post- und Telekommunikationsunternehmen, öffentlich bestellte Sachverständige und Amtsträger.21 Träger von Dienstgeheimnissen sind etwa Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, Minister, Richter und Notare, aber auch Mitarbeiter von Unternehmen, die im Auftrag einer Behörde Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, sowie Personen, die durch eine amtliche Stelle zur Wahrung eines Geheimnisses verpflichtet worden sind.22 Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen können sich strafbar machen, wenn sie während der Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verraten.23
Dadurch, dass Journalisten ihre Informanten nach solchen Geheimnissen fragen oder entsprechende Geheimnisse veröffentlichen, können sie sich wegen Anstiftung (§ 26 StGB) oder Beihilfe (§ 27 StGB) zum Geheimnisverrat strafbar machen. Dies ist höchst problematisch, soweit es um Informationen geht, an deren Verbreitung ein hohes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht, weil sie für die politische Meinungs- und Willensbildung von großer Bedeutung sind – z. B. Informationen über Missstände. Deshalb ist es dringend geboten, die Strafbarkeit von Journalisten in solchen Fällen auszuschließen. Dies sollte am besten durch eine gesetzliche Regelung geschehen. Dasselbe Ziel kann aber auch im Wege verfassungskonformer Auslegung erreicht werden – etwa dadurch, dass der Anwendungsbereich des Rechtfertigungsgrundes „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ (§ 193 StGB) auf diese Fälle ausgedehnt wird.24 Die Zahlung von Informationshonoraren an Amtsträger (z. B. Beamte, Richter, Soldaten) ist strafbar. Das gilt sowohl, wenn der Amtsträger die Auskunft nicht geben durfte (Bestechung, § 334 StGB), als auch dann, wenn er sie geben durfte oder gar geben musste (Vorteilsgewährung, § 333 StGB). Ein Journalist, der jemandem für den Fall, dass er ihm die gewünschte Auskunft nicht gibt, androht, ihm ein „empfindliches Übel“ zuzufügen, erfüllt den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB), wenn die Drohung „als verwerflich anzusehen ist“. Nicht verwerflich ist aber der Hinweis auf ein rechtmäßiges Verhalten, also z. B. darauf, dass die geplante Veröffentlichung auch ohne eine Stellungnahme des Befragten erscheinen kann und erscheinen wird. 20 21 22 23 24
zu Umfang und Grenzen des Zeugnisverweigerungsrechts vgl. Branahl 2006: 39ff. zu den Einzelheiten vgl. §§ 203, 206, 353b und 355 StGB Der Verrat von Dienstgeheimnissen ist in den §§ 353b, 355 StGB mit Strafe bedroht, wenn durch ihn „wichtige öffentliche Interessen“ gefährdet werden. zu den Voraussetzungen vgl. § 17 Abs. 1 UWG Ähnliche Erwägungen hat das BVerfG bereits für das Abhören des Polizeifunks angestellt (vgl. BVerfG, 1 BvR 411/00 v. 14.12.2004, Absatz-Nr. 34, 35 [http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20041214_1bvr 041100.html]).
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Die Recherchefreiheit umfasst ferner das Recht, Informationen durch eigene unmittelbare Wahrnehmung („Augenschein“) zu gewinnen. Dem daraus resultierenden Anspruch, Wahrnehmungen „vor Ort“ machen zu dürfen, kann zum einen das Hausrecht des Eigentümers oder Besitzers des Geländes entgegenstehen, das der Journalist zu Recherchezwecken betreten will. Außerdem kann seine Bewegungsfreiheit auf öffentlichem Gelände durch Polizeimaßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit beschränkt werden.
Polizeiliche Absperrungen Die Einhaltung von Absperrungen und Platzverweisen darf die Polizei auch gegenüber recherchierenden Journalisten durchsetzen, soweit solche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit geeignet und erforderlich sind und soweit sie deren Recherchefreiheit nicht übermäßig beschränken. Zur Verhinderung übermäßiger Beschränkungen ist auch hier eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse einerseits und den durch die öffentliche Sicherheit andererseits geschützten Interessen vorzunehmen. Sperrt die Polizei einen Unfallort oder eine Unglücksstelle weiträumig ab, kann sich aus dieser Abwägung für einen Medienvertreter das Recht ergeben, auch innerhalb der Absperrung recherchieren, fotografieren oder mit Beteiligten sprechen zu dürfen. Andererseits haben die Medienvertreter sich so zu verhalten, dass sie x x x x
den Einsatz von Polizei und Rettungskräften nicht behindern, keine Spuren verwischen, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen wahren und sich selbst nicht in eine Gefahr begeben, aus der die Rettungskräfte sie dann wieder befreien müssen.
Militärische Anlagen Wer verbotswidrig eine militärische Einrichtung, Anlage oder Örtlichkeit betritt, die aus Sicherheitsgründen zur Erfüllung dienstlicher Aufgaben der Bundeswehr gesperrt ist, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 1.000 € geahndet werden kann (§§ 114, 17 OWiG).
Hausrecht Begrenzt wird die Recherchefreiheit weiterhin durch das Hausrecht, d. h. das Recht des Grundstückseigentümers, darüber zu entscheiden, wer sein Grundstück betreten und sich auf ihm aufhalten darf. Dieses Recht ist zum einen zivilrechtlich durch den Anspruch auf
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Unterlassung von Eigentumseingriffen und Besitzstörungen gesichert. Zum anderen ist die Verletzung des Hausrechts gemäß § 123 Abs. 1 StGB als Hausfriedensbruch strafbar. Hausfriedensbruch begeht, wer in eine Wohnung, Geschäftsräume oder „befriedetes Besitztum“25 eines anderen widerrechtlich „eindringt“, d. h. es ohne Einwilligung des Besitzers betritt. Strafbar macht sich auch, wer sich trotz Aufforderung des Hausrechtsinhabers nicht entfernt, obwohl er kein Recht zum Bleiben hat. Aus der Recherchefreiheit lässt sich nach bislang wohl allgemeiner Auffassung kein Recht zum Betreten fremder Grundstücke oder zum Verweilen auf ihnen herleiten.26 Diese Auffassung wird auf eine Aussage des Bundesverfassungsgerichts in der Wallraff-Entscheidung27 gestützt. Dort heißt es wörtlich: „Weder das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung noch die Pressefreiheit schützen die rechtswidrige Beschaffung von Informationen. […] Demgegenüber fällt die Verbreitung rechtswidrig erlangter Informationen in den Schutzbereich des Art. 5 I GG.“ Problematisch ist nun, dass aus dieser Passage die These abgeleitet wird, die Beschaffung von Informationen sei ausnahmslos nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze zulässig, einer Abwägung mit dem öffentlichen Informationsinteresse bedürfe es daher nicht.28 Logisch steckt in dieser Ableitung eine petitio principii. Denn die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass die rechtswidrige Beschaffung von Informationen grundrechtlich nicht geschützt ist, befreit nicht von der Prüfung, ob sie rechtswidrig ist. Ob und in welcher Weise bei dieser Prüfung das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit zu berücksichtigen ist, ist damit noch nicht entschieden. Diese Frage ist bislang vom Bundesverfassungsgericht auch nicht entschieden worden. So hat es in seiner Polizeifunk-Entscheidung die Frage, ob und in welchem Umfang Journalisten die Möglichkeit haben müssen, Polizeifunksendungen entgegen § 89 TKG aufzunehmen, ausdrücklich offen gelassen.29 Die Behauptung, journalistische Recherchehandlungen, die gegen einfachgesetzliche Bestimmungen verstoßen, könnten durch das Grundrecht der Presse- und der Rundfunkfreiheit nicht gerechtfertigt sein, ist auch inhaltlich nicht überzeugend. Unstreitig schließen diese Grundrechte die Informationsbeschaffung ein. Eine Beschränkung der Recherchefreiheit stellt demzufolge einen Grundrechtseingriff dar. Eine sachliche Begründung dafür, dass für diesen Grundrechtseingriff andere Regeln gelten sollen als für den Eingriff in die Verbreitung von Informationen, ist nicht ersichtlich und angesichts der Bedeutung der Recherche für eine sachgerechte Berichterstattung auch kaum zu finden. Folgerichtig ist auch für das Betreten fremder Grundstücke zu Recherchezwecken zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen es durch die in Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Recherchefreiheit gerechtfertigt ist. Dazu lassen sich die Grundsätze heranziehen, die für die Abwägung zwischen der Berichterstattungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelt worden sind: 25 26 27 28 29
Als „befriedetes Besitztum“ gelten neben Hofräumen und (Vor-)Gärten alle Grundstücksbereiche, die durch Zäune, Hecken, Mauern o. ä. gegen willkürliches Betreten geschützt sind (vgl. Kindhäuser 2005, Rdz. 8 zu § 123 StGB). vgl. z. B. Löffler/Ricker 1994: 377; Soehring 2000: 197f.; so auch noch Branahl 2006: 51 BVerfG v. 25.1.1984 – Az.: 1 BvR 272/81, abgedruckt in NJW, 37. Jg., S. 1741 so z. B. OLG Düsseldorf, Urteil v. 25.10.2005 – Az.: III-5 Ss 63/05 – 33/05 I, abgedruckt in NStZ, 26. Jg., S. 243, 244 vgl. den Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats v. 11.3.2004 – Az.: 1 BvR 517/99 u. 1 BvR 313/99 (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040311_1bvr051799.html)
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Legitimationsbasis für den Eingriff in das Hausrecht bildet auch hier der Beitrag der Medien zu einer sachgerechten öffentlichen Meinungs- und Willensbildung. Das dadurch begründete öffentliche Informationsinteresse ist abzuwägen gegen die Schutzinteressen des Hausrechtsinhabers. Daraus ergeben sich beispielsweise folgende Regeln: 1.
2.
3.
4.
Ein Eingriff in die Freiheit des Hausrechtsinhabers, selbst bestimmen zu dürfen, wem er Zutritt gewährt, kommt nur in Betracht, soweit der recherchierende Medienvertreter den Zutritt benötigt, um Informationen zu gewinnen, die der ernsthaften und sachgerechten Erörterung einer Angelegenheit dienen, die für die öffentliche Meinungs- und Willensbildung von Bedeutung sind. Die bloße Befriedigung von Neugier und Sensationslust hingegen rechtfertigt einen solchen Eingriff nicht. In Räumen, die für den allgemeinen Publikumsverkehr geöffnet sind, dürfen Medienvertreter während der allgemeinen Öffnungszeiten recherchieren, soweit der allgemeine Geschäftsbetrieb dadurch nicht beeinträchtigt wird. Zutritt zu sonstigen Betriebs- und Geschäftsräumen dürfen Medienvertreter sich nur verschaffen, soweit es um die Gewinnung von Informationen geht, an deren Verbreitung ein überragendes öffentliches Informationsinteresse besteht. Das Eindringen in Wohnungen und andere privat genutzte Räume ist durch die Recherchefreiheit nicht gerechtfertigt.
In manchen Fällen steht Journalisten ein Zutrittsrecht unabhängig von der Streitfrage zu, ob und unter welchen Voraussetzungen die Recherchefreiheit das Betreten fremder Grundstücke rechtfertigt. So bestimmt § 6 Abs. 2 des Versammlungsgesetzes, dass die Veranstalter einer öffentlichen Versammlung Pressevertreter, die sich durch ihren Presseausweis ordnungsgemäß ausweisen, nicht von der Versammlung ausschließen dürfen. Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes sind Kundgebungen, Demonstrationen und Veranstaltungen, deren Teilnehmer zusammenkommen, um bestimmte Fragen zu erörtern. Öffentlich ist die Versammlung, wenn sie allgemein zugänglich, also nicht auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt ist. So ist z. B. ein Parteitag eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, die aber nicht öffentlich ist, weil zu ihr nur Mitglieder bzw. Delegierte der veranstaltenden Partei Zugang haben. Sie wird auch nicht dadurch zu einer öffentlichen Versammlung, dass der Veranstalter bestimmten Medienvertretern Zutritt gewährt.
Für Veranstaltungen aller Art gilt ferner: Ein Hausverbot, mit dem ein Veranstalter eine kritische Berichterstattung ahndet, ist als sittenwidrige Diskriminierung gem. § 826 BGB unwirksam. Deshalb kann ein Kritiker, z. B. ein Sportreporter oder Musik- bzw. Theaterkritiker, verlangen, Zutritt zu Veranstaltungsräumen zu erhalten, die ansonsten öffentlich oder für Journalisten zugänglich sind.30 So dürfte auch eine Partei, die Medienvertreter zu ihrem Parteitag generell zulässt, einen Journalisten nicht allein wegen seiner kritischen Haltung zu der Partei ausschließen.
30
vgl. OLG Köln, Beschluss v. 7.3.2000, Az.: 16 W 8/2000, abgedruckt in AfP, 32. Jg., S. 218f.; ebenso bereits LG Münster, Urteil v. 24.6.1977, Az.: 10 O 154/77, abgedruckt in NJW, 31. Jg., S. 1329
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Für Fernsehsender, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben, kann sich ein Zutrittsrecht zu öffentlichen Veranstaltungen, an denen ein allgemeines Informationsinteresse besteht, schließlich aus ihrem Recht auf Kurzberichterstattung ergeben.31 Sonderregeln gelten ferner für Einrichtungen der öffentlichen Hand. Soweit gesetzlich vorgeschrieben ist, dass Verhandlungen staatlicher Organe, z. B. von Parlamenten oder Gerichten, öffentlich sind, ist auch Journalisten Zutritt zu den Verhandlungsräumen zu gewähren. Im Übrigen darf der Behördenleiter Journalisten das Recherchieren in Räumen, die für den Publikumsverkehr geöffnet sind, nur verbieten, soweit dies erforderlich ist, damit die Behörde ihre Aufgaben ordnungsgemäß durchführen kann.
Bild- und Tonaufzeichnungen Die Medienfreiheit gibt den Medien und ihren Mitarbeitern nicht nur das Recht, eine Information zu verbreiten, sondern auch zu entscheiden, wie sie publizistisch aufbereitet werden soll. Folgerichtig umfasst die Recherchefreiheit grundsätzlich auch die Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen. Auch diese Freiheit ist allerdings zum Schutz anderer Rechtsgüter beschränkbar. Dass sie im geltenden Recht besonders vielen und intensiven Beschränkungen unterliegt, ist nicht zuletzt auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen. Mit dem Hinweis darauf, dass die Beschränkung der Art der Aufmachung in die Medienfreiheit weniger stark eingreift als die Unterdrückung der Information selbst, hat das Gericht dem Gesetzgeber bei der Abwägung der Medienfreiheit mit gegenläufigen Interessen einen weiten Handlungsspielraum eingeräumt. So ist es nach Ansicht des Gerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Mitarbeiter eines Rundfunksenders zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil er in einem Sendebeitrag, der dem Verdacht nachging, dass die Polizei bei Abschleppmaßnahmen bestimmte Unternehmen bevorzugt, einschlägige Aufnahmen des unbefugt abgehörten Polizeifunks als O-Ton wiedergegeben hatte.32
Abhören und Aufzeichnen von Gesprächen Strafbar macht sich, wer das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen unbefugt mit einem Abhörgerät abhört oder es auf einen Tonträger aufnimmt oder eine solche Aufnahme einem anderen zugänglich macht (§ 201 Abs. 1 StGB). Unbefugt handelt nicht, wer die Aufnahme mit Einwilligung des Sprechenden macht. Mit Erlaubnis des Gesprächspartners darf ein telefonisch geführtes Recherchegespräch folglich aufgezeichnet werden. Da die Erlaubnis auch konkludent erteilt werden kann, reicht es aus, den Gesprächspartner zu Beginn des Gesprächs darüber zu informieren, dass es aufgezeichnet werden soll.
31 32
Die Grundlage dieses Rechts bildet § 5 des Rundfunkstaatsvertrages, dessen Inhalt die Bundesländer in ihre Rundfunkgesetze übernommen haben (zu Einzelheiten vgl. Branahl 2006: 36ff.). BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss v. 14.12.2004 – Az.: 1 BvR 411/00 (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20041214_1bvr041100.html)
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Da der Einsatz von Abhörgeräten einen schweren Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen darstellt, lässt sich eine Befugnis dazu aus der Recherchefreiheit nicht herleiten. Das gilt auch dann, wenn es um die Gewinnung von Informationen geht, an deren Verbreitung ein hohes öffentliches Informationsinteresse besteht. Während die Anfertigung solcher Aufnahmen deshalb strafbar ist, ist ihre öffentliche Verbreitung gerechtfertigt, wenn sie „zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird“ (§ 201 Abs. 2 StGB).
Die Aufzeichnung öffentlicher Reden ist durch § 201 StGB nicht verboten. Sie kann dennoch strafbar sein, weil sie das Urheberrecht des Redners verletzt (§ 106 UrhG). Zulässig ist allerdings die Aufzeichnung von Reden bei öffentlichen Verhandlungen vor staatlichen, kommunalen oder kirchlichen Organen (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 UrhG). Dasselbe gilt für Reden bei (anderen) öffentlichen Versammlungen, die sich mit „Tagesfragen“ beschäftigen, wenn die Aufzeichnung der Veröffentlichung in Medien dient, die „im wesentlichen den Tagesinteressen Rechnung tragen“ (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 UrhG). Wer sich in der Öffentlichkeit, also an allgemein zugänglichen Orten, so laut unterhält, dass Unbeteiligte das Gespräch ohne besonderes Bemühen mithören können, genießt den Schutz des § 201 StGB nicht. Die Aufzeichnung solcher Gespräche ist deshalb nicht strafbar.33 Die Veröffentlichung einer solchen Aufzeichnung oder ihres Inhalts ist allerdings nur dann rechtlich unbedenklich, wenn sie durch ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse gerechtfertigt ist. Anderenfalls stellt sie einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Gesprächspartner dar, gegen den diese sich zivilrechtlich zur Wehr setzen können.34
Strafbar ist ferner das Abhören von Funksendungen mit einer Empfangsanlage, für die die Nachricht nicht bestimmt ist, und die Weitergabe der entsprechenden Information (§§ 89, 148 Abs. 1 TKG). Das gilt insbesondere für den Empfang des internen Funkverkehrs von Polizei und Rettungsdiensten.
Zweck dieser Vorschrift ist es, die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen zu schützen. Dieser Schutz ist im Einzelfall gegen den Schutz der Recherchefreiheit abzuwägen. Verstöße sind deshalb gerechtfertigt, wenn sie zur Aufklärung von Missständen erforderlich sind, deren Kenntnis für die Öffentlichkeit von hinreichender Bedeutung ist.35
Fotografierverbote Wer vorsätzlich oder fahrlässig Abbildungen, Zeichnungen oder Skizzen von einem militärischen Schutzbereich anfertigt, ohne die dafür erforderliche Genehmigung zu besitzen, 33 34 35
so zu Recht auch Lenckner in Schönke/Schröder 2006, Rz. 9 zu § 201 StGB zur Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und öffentlichem Informationsinteresse vgl. Branahl 2006: 124ff. angedeutet, wenn auch nicht entschieden, in der Entscheidung der 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG v. 14.12.2004 – Az.: 1 BvR 411/00 (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20041214_1bvr041100.html)
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begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 5.000 € geahndet werden kann (§§ 5 Abs. 2, 27 Abs. 1 und 2 SchutzbereichG). Außerdem kann neben den Abbildungen auch die Kamera eingezogen werden (§ 27 Abs. 3 SchutzbereichG). Strafbar macht sich, wer durch die Anfertigung oder Weitergabe von Abbildungen militärischer Gegenstände, Anlagen oder Vorgänge die Sicherheit der Bundesrepublik oder die Schlagkraft der Truppe wissentlich oder leichtfertig gefährdet (§ 109g StGB). Während die ordnungswidrige Abbildung durch das öffentliche Informationsinteresse an der Aufklärung von Missständen gerechtfertigt sein kann, wird eine solche Rechtfertigung für sicherheitsgefährdende Abbildungen allenfalls in extremen Ausnahmefällen in Betracht kommen.36 Pornografische Fotos zu Veröffentlichungszwecken herzustellen, die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Missbrauch von Kindern oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben, ist strafbar (§§ 184a, 184b StGB). Dasselbe gilt für die unbefugte Aufnahme einer Person, die sich in einer Wohnung oder einem „gegen Einblick besonders geschützten“ Raum befindet, soweit dadurch ihr „höchstpersönlicher Lebensbereich“ verletzt wird (§ 201a StGB). Den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzen Aufnahmen aus der Intimsphäre. Zu ihnen gehören z. B. Abbildungen von sexuellen Handlungen, aus Toiletten und Umkleideräumen und bei gynäkologischen Untersuchungen.
Gerechtfertigt sind Aufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich und deren Weitergabe, soweit die Betroffenen mit der Aufnahme bzw. der Weitergabe einverstanden gewesen sind. Eine Rechtfertigung durch ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse ist demgegenüber allenfalls in extremen Ausnahmefällen vorstellbar. Die Aufnahme von Personenfotos außerhalb des höchstpersönlichen Lebensbereichs ist nicht strafbar; das Recht am eigenen Bild (§§ 22, 23, 33 KUG) schützt die Abgebildeten erst gegen die Verbreitung der Abbildung. Sie kann jedoch als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zivilrechtliche Abwehransprüche auslösen, wenn die Abgebildeten mit der Aufnahme nicht einverstanden sind. Ob die Anfertigung solcher Personenfotos durch (Presse-)Fotografen im Einzelfall das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten verletzt, hängt von der Abwägung zwischen dem Schutzinteresse des Abgebildeten und dem Informationsinteresse des Publikums ab. Generell ergibt sich das Schutzinteresse des Abgebildeten daraus, dass seine Person durch die Aufnahme für andere verfügbar wird: Sein Erscheinungsbild in einer bestimmten Situation wird fixiert und lässt sich jederzeit unabhängig von den Umständen seines Entstehens vor einem unüberschaubaren Personenkreis reproduzieren. Überdies kann sich mit dem Wechsel des Kontextes, in dem eine Aufnahme wiedergegeben wird, auch der Sinngehalt der Bildaussage ändern.37 Gesteigert ist das Schutzinteresse bei Aufnahmen, die den Abgebildeten in seiner Privatsphäre, im Urlaub, bei alltäglichen Verrichtungen, beim vertrauten Umgang mit seinen
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Heranziehen lassen sich in diesem Zusammenhang die Gesichtspunkte, die für die Offenbarung von Staatsgeheimnissen gelten (vgl. dazu Branahl 2006: 219f.). vgl. dazu BVerfG, Urteil v. 15.12.1999 – Az.: 1 BvR 653/96 (http://www.bverfg.de/entscheidungen/ rs19991215_1bvr065396.html)
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Mitmenschen, in hilfloser Lage oder bei einem Verhalten zeigen, dessen Veröffentlichung im Allgemeinen als peinlich empfunden wird. Schließlich sind auch die Umstände von Bedeutung, unter denen die Aufnahme angefertigt worden ist. Die Ausnutzung der Arglosigkeit des Abgebildeten bei heimlichen Aufnahmen aus weiter Entfernung oder getarnter Position („Paparazzi-Fotos“) vergrößern den Eingriff. Dasselbe gilt für die Fälle einer Nötigung, vorausgegangenen Auflauerns, Beschattens oder Belagerns. Soweit sich das Informationsinteresse des Publikums in der Befriedigung seiner Neugierde erschöpft, reicht es im Allgemeinen nicht aus, um den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten zu rechtfertigen.38 Geht es hingegen um eine ernsthafte Auseinandersetzung in einer Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung, hat eine Aufnahme, die kein gesteigertes Schutzinteresse des Abgebildeten verletzt, als rechtmäßig zu gelten. Denn ein Verbot der Anfertigung von Bildnissen, an denen gegebenenfalls ein öffentliches Informationsinteresse besteht, würde die Funktionsfähigkeit der Medien erheblich beeinträchtigen.39 Aufnahmen, die ein gesteigertes Schutzinteresse des Abgebildeten verletzen, sind demgegenüber nur gerechtfertigt, wenn schon bei der Aufnahme deutlich zu erkennen ist, dass an ihrer Veröffentlichung ein ebenfalls gesteigertes öffentliches Informationsinteresse besteht. Insoweit muss die erforderliche Güter- und Interessenabwägung, die ansonsten erst vor der Veröffentlichung der Abbildung anzustellen ist, in diesen Fällen schon bei ihrer Anfertigung vorgenommen werden.40 Dabei kann auf die umfangreiche Rechtsprechung zum KUG zurückgegriffen werden.41 Das Fotografieren von Werken, insbesondere der bildenden Künste, und vergleichbaren Leistungen, z. B. der Darbietung ausführender Künstler, stellt einen Eingriff in das Urheberrecht bzw. verwandte Schutzrechte dar (Vervielfältigung, § 16 UrhG), soweit es nicht durch eine Schrankenregelung des Urheberrechtsgesetzes gerechtfertigt ist. Für die journalistische Recherche relevant sind die folgenden Regelungen: Soweit es zur aktuellen Berichterstattung geboten ist, dürfen Medien bei der Berichterstattung über „Tagesereignisse“ Werke ablichten und wiedergeben, die bei dem Ereignis wahrnehmbar geworden sind (§ 50 UrhG). So dürfen in einem Bericht über die Eröffnung einer Kunstausstellung einzelne der dort ausgestellten Werke wiedergegeben werden.
Zulässig ist die Aufnahme von Werken, wenn sie als „unwesentliches Beiwerk“ neben dem eigentlichen Gegenstand der Abbildung anzusehen sind (§ 57 UrhG). Deshalb kann sich der Schöpfer eines Kunstwerkes z. B. nicht erfolgreich dagegen zur Wehr setzen, dass auf Fotos, die das Zusammentreffen von Politikern bei einer Konferenz zeigen, im Hintergrund eines seiner Werke zu erkennen ist.
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Das gilt nach dem „Caroline-Urteil“ des EGMR v. 24.6.2004 (abgedruckt in NJW, 57. Jg., S. 2647ff.) jetzt auch für die Abbildung von Prominenten bei harmlosen privaten Tätigkeiten in der Öffentlichkeit. vgl. das Urteil des Kammergerichts v. 2.3.2007 – Az.: 9 U 212/06, abgedruckt in AfP, 38. Jg., S. 139 (142), unter Bezugnahme auf das OLG Frankfurt, Urteil v. 25.8.1994 – Az.: 6 U 296/93, abgedruckt in NJW, 48. Jg., S. 878 (880). vgl. dazu auch Wanckel 2006: 31, Rz. 58 vgl. Branahl 2006: 156ff.
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Werke, die sich bleibend an öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen befinden, dürfen von dort aus abgelichtet werden (§ 59 UrhG). Diese „Panoramafreiheit“ gilt beispielsweise für künstlerisch gestaltete Hausfassaden, Brunnen und Denkmäler, nicht aber für Skulpturen, die – etwa im Rahmen einer Ausstellung – nur vorübergehend öffentlich aufgestellt werden. Auch Environments und andere Kunstwerke, die von vornherein nur für einen begrenzten Zeitraum eingerichtet und anschließend wieder abgebaut werden, fallen nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 59 UrhG.42
Gerichtsverhandlungen Die Anfertigung von Ton- und Filmaufnahmen zu Veröffentlichungszwecken ist bei Gerichtsverhandlungen auch dann nicht erlaubt, wenn diese öffentlich sind (§ 169 S. 2 GVG). Ein Anspruch auf die Zulassung solcher Aufnahmen kann nicht auf die Recherchefreiheit gestützt werden.43 Die Anfertigung von Fotos während der Verhandlung verbietet das Gesetz nicht. Auch Ton- und Filmaufnahmen außerhalb der Verhandlung, also vor Beginn oder nach Ende der Sitzung oder in Sitzungspausen, sind durch das Verbot nicht betroffen. Solche Aufnahmen kann das Gericht nur verbieten oder beschränken, soweit dies „zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung“ erforderlich ist (§ 176 GVG). Dabei hat es darauf zu achten, dass die Recherchefreiheit der Medien nicht übermäßig beschränkt wird. Ein Beispiel: In einem Verfahren gegen 18 Unteroffiziere der Bundeswehr, die beschuldigt wurden, Rekruten misshandelt zu haben, verfügte der Strafkammervorsitzende, dass Ton-, Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal und in dem Bereich vor dem Sitzungssaal nur bis 15 Minuten vor Beginn der Sitzung und dann erst wieder zehn Minuten nach deren Ende gestattet seien. Damit wollte er den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit geben, den Sitzungssaal zu betreten und wieder zu verlassen, ohne sich fotografieren oder filmen zu lassen. Er begründete dies mit dem Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten, der Sicherung einer sachgerechten, von dem Druck einer Medienberichterstattung unbeeinflussten Entscheidungsfindung der Schöffen sowie den beengten Platzverhältnissen im Sitzungssaal. Auf Antrag eines betroffenen Fernsehsenders wies das BVerfG44 den Vorsitzenden im Wege der einstweiligen Anordnung an, einem Fernsehteam die Möglichkeit zu geben, an den Verhandlungstagen vor Beginn und am Ende der Verhandlungen „Filmaufnahmen der im Sitzungssaal anwesenden Verfahrensbeteiligten einschließlich der Angeklagten zu fertigen, und hierbei die Anwesenheit der Mitglieder des Spruchkörpers im Sitzungssaal in dem für die Anfertigung von Abbildungen ihrer Person erforderlichen Zeitraum zu gewährleisten. Dabei ist zu sichern, dass die Gesichter der Angeklagten vor der Veröffentlichung oder Weitergabe der Aufnahmen an Fernsehveranstalter oder Massenmedien durch ein technisches Verfahren so anonymisiert werden, dass nur eine Verwendung in anonymisierter Form möglich bleibt, es sei denn, die betroffenen Personen sind mit der Veröffentlichung ihres Bildnisses einverstanden.“ Richter, Schöffen und Rechtsanwälte hätten die aus der Anfertigung und Verbreitung von Fernsehaufnahmen resultierenden Beeinträchtigungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts hinzunehmen, soweit nicht im Einzelfall die Sorge begründet sei, dass ihre Sicherheit durch die Berichterstattung gefährdet werde.45
42 43 44 45
Deshalb kann auch die Verbreitung von Abbildungen des verhüllten Berliner Reichstages nicht auf § 59 UrhG gestützt werden (vgl. dazu das Urteil des BGH v. 24.1.2002 – Az.: I ZR 102/99, abgedruckt in AfP, 33. Jg., S. 219ff.). zur Verfassungskonformität dieser Regelung vgl. das Urteil des BVerfG, 1 BvR 2623/95 v. 24.1.2001 (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20010124_1bvr262395.html) Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats v. 15.3.2007 – Az.: BvR 620/07 (http://www.bverfg.de/ entscheidungen/rk20070315_1bvr062007.html) BVerfG, 1 BvR 620/07 v. 15.3.2007, Absatz-Nr. 13, 15
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Eine Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung durch die Berichterstattung sei nicht mit hinreichender Eintrittswahrscheinlichkeit zu erwarten46 und es liege fern, „dass aus der Zulassung eines einzelnen Fernsehteams von höchstens drei Personen selbst bei beengten Raumverhältnissen eine Störung der äußeren Ordnung des Sitzungsablaufs [erwachse], die sich durch geeignete konkretisierende Anordnungen etwa zur Art und Weise der Aufstellung mitgeführten technischen Geräts nicht auffangen [ließe].“47
Eine Sonderregelung gilt für das BVerfG. Der Beginn seiner Verhandlungen (bis das Gericht die Anwesenheit der Beteiligten festgestellt hat) und die öffentliche Verkündung seiner Entscheidungen dürfen aufgenommen werden, soweit das Gericht sie nicht zur Wahrung schutzwürdiger Interessen von Beteiligten oder Dritter oder zur Sicherung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens beschränkt oder ausgeschlossen hat (§ 17a BVerfGG).
Aufnahmen in Parlamenten und Rathäusern Aus dem Umstand, dass ein Medienvertreter Zutritt zur öffentlichen Sitzung eines Parlamentes oder eines Gemeinderates erhält, ergibt sich nicht zwingend das Recht, Fotos, Tonoder Filmaufnahmen zu machen. Zum einen kann die Geschäftsordnung oder die Hausordnung vorschreiben, dass dazu eine besondere Genehmigung erforderlich ist. So schreibt etwa die Hausordnung des Deutschen Bundestages vor, dass Geräte zur Aufzeichnung von Bild und Ton nur mit Genehmigung des Bundestagspräsidenten benutzt werden dürfen (§ 5 Nr. 2). Ähnliche Bestimmungen finden sich in den Hausordnungen von Landtagen.48 Der Verstoß gegen eine dieser Hausordnungen ist als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 5.000 € bedroht (§ 112 OwiG). Genehmigungsvorbehalte für Bild- und Tonaufnahmen finden sich auch in Geschäftsordnungen kommunaler Organe.49 Zum anderen kann der Sitzungspräsident als Inhaber des Hausrechts im Einzelfall aus sachlichem Grund die Anfertigung von Aufnahmen untersagen. Soweit die Genehmigungspflicht oder die Untersagung die Informationsbeschaffung durch Medien betrifft, greift sie in die Presse- bzw. Rundfunkfreiheit ein. Das wird durch die Rechtsprechung des BVerfG zur Zulässigkeit von Ton- und Bildaufnahmen im Gerichtssaal außerhalb der Sitzung50 bestätigt. Denn hier wie dort geht es darum, dass „eine im staatlichen Verantwortungsbereich liegende Informationsquelle aufgrund rechtlicher Vorgaben zur öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, der Staat den Zugang aber in nicht hinreichender Weise eröffnet.“51 46 47 48 49 50 51
BVerfG, 1 BvR 620/07 v. 15.3.2007, Absatz-Nr. 13, 15 BVerfG, 1 BvR 620/07 v. 15.3.2007, Absatz-Nr. 14 Die Regelungen sind unterschiedlich ausgestaltet – vgl. z. B. die Hausordnungen der Landtage von Bayern (§ 5 Abs. 3), Hessen (§ 4 Abs. 10), Mecklenburg-Vorpommern (§ 15 Abs. 2), Rheinland-Pfalz (§ 7 Abs. 4) und Sachsen-Anhalt (§ 14 Abs. 2). so z. B. in § 28 der Geschäftsordnung für den Rat der Stadt Dortmund, seine Ausschüsse, Kommissionen und die Bezirksvertretungen v. 22.5.2003 i. d. F. v. 28.9.2006; ebenso § 28 der Geschäftsordnung der Stadt Wesel für den Rat und seine Ausschüsse vom 1.10.1998 vgl. BVerfG, 1 BvR 620/07 v. 19.12.2007 (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20071219_1bvr 062007.html) vgl. BVerfG, 1 BvR 620/07 v. 19.12.2007, Absatz-Nr. 28
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Sowohl bei der Erteilung der erforderlichen Genehmigung wie auch bei der Untersagung von Aufnahmen ist deshalb zwischen der Recherchefreiheit und gegenläufigen Rechtsgütern abzuwägen. Streitig ist, welche Bedeutung dem Persönlichkeitsschutz der Mandatsträger bei dieser Abwägung zukommt. Einerseits hat das BVerwG noch in seiner Entscheidung vom 3.8.1990 (BayVBl 1991: 89) die Untersagung von Tonaufzeichnungen in einer Ratssitzung damit legitimiert, dass sie dazu diene, sicher zu stellen, dass die Willensbildung des Rates ungezwungen, freimütig und in aller Offenheit verlaufe. Denn weniger redegewandte Ratsmitglieder könnten ihre Spontaneität verlieren, ihre Meinung nicht mehr „geradeheraus“ vertreten oder schweigen, wo sie sonst gesprochen hätten, wenn sie damit rechnen müssten, dass jede Nuance ihres Wortbeitrags, einschließlich der rhetorischen Fehlleistungen, der sprachlichen Unzulänglichkeiten und der Gemütsbewegungen des Redners, konserviert und der Öffentlichkeit präsentiert würden. Andererseits hat das BVerfG mehrfach betont, dass Personen, die infolge ihres öffentlichen Amtes im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, bei der Ausführung ihres Amtes nicht in gleichem Ausmaß einen Anspruch auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte haben wie Privatpersonen.52 So dürfe von einem Schöffen grundsätzlich erwartet werden, dass er sich den mit seiner Funktion verbundenen Aufgaben auch gewachsen zeigt, „selbst wenn Medien darüber Bilder verbreiten“53. Allerdings ging es bei der Entscheidung auch nur um Aufnahmen außerhalb der eigentlichen Verhandlung, innerhalb deren die Schöffen in Aktion treten sollten. Dass die sachgerechte Durchführung eines Verfahrens Beschränkungen von Ton- und Filmaufnahmen rechtfertigen kann, wird auch vom BVerfG nicht in Frage gestellt.54
Fazit Informationen zu sammeln, gehört zu den zentralen Aufgaben des Journalisten. Um die Funktionsfähigkeit der Medien zu sichern, bedarf diese Tätigkeit des besonderen Schutzes. Dieser Schutz ist durch Art. 5 GG zwar grundsätzlich gewährleistet. Er wird jedoch durch die Wahrung gegenläufiger Rechte und Interessen begrenzt. Kollidiert die Informationsbeschaffung mit rechtlich geschützten Interessen anderer oder der Allgemeinheit, hängt ihre Zulässigkeit davon ab, wie hoch das Interesse des Publikums zu bewerten ist, die aus der Recherche resultierende Information zu bekommen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Recherche noch unsicher ist, welche Informationen durch sie zu gewinnen sind. Sachgerecht ist es deshalb, den Grad der Unsicherheit in die rechtliche Beurteilung einfließen zu lassen: Liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Eingriff in fremde Rechte bei der Recherche zur Gewinnung von Informationen führen wird, deren Kenntnis im öffentlichen Interesse liegt, ist die Recherchemaßnahme unzulässig. Je größer andererseits die Wahrscheinlichkeit ist, relevante Informationen zu gewinnen, und je höher das öffentliche Informationsinteres52 53 54
vgl. z. B. BVerfG, 1 BvR 620/07 v. 19.12.2007, Absatz-Nr. 42 BVerfG, 1 BvR 620/07 v. 19.12.2007, Absatz-Nr. 57 vgl. dazu vor allem BVerfG, 1 BvR 2623/95 v. 24.1.2001, Absatz-Nr. 81ff. (http://www.bverfg.de/ entscheidungen/rs20010124_1bvr262395.html)
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se an der Kenntnis dieser Informationen ist, desto eher ist auch ein Eingriff in fremde Rechte durch die Recherche gerechtfertigt.
Abkürzungen AfP BAG BayVBl BGH BVerfG BVerwG EGMR GVG LG LPG NRW NJW NStZ OLG OVG OWiG StGB StUG TKG UrhG UWG VG VIG
Archiv für Presserecht Bundesarbeitsgericht Bayerisches Verwaltungsblatt Bundesgerichtshof Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Gerichtsverfassungsgesetz Landgericht Landespressegesetz von Nordrhein-Westfalen Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Strafrecht Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Strafgesetzbuch Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Telekommunikationsgesetz Urheberrechtsgesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verwaltungsgericht Verbraucherinformationsgesetz
Literatur BGHZ – Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen. Branahl, Udo (2006): Medienrecht. 5. Aufl. Wiesbaden. BVerfGE – Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Kindhäuser, Urs (2005): Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar. 2. Aufl. Baden-Baden. Löffler, Martin/Ricker, Reinhart (1994): Handbuch des Presserechts. 3. Aufl. Bearbeitet von Reinhart Ricker. München. Schönke, Adolf/Schröder, Horst (2006): Strafgesetzbuch. Kommentar. 27. Aufl. Bearbeitet von Theodor Lenckner, Albin Eser, Walter Stree, Jörg Eisele, Günter Heine, Walter Perron, Detlev Sternberg-Lieben, Ulrike Schittenhelm. München. Soehring, Jörg (2000): Presserecht. 3. Aufl. Stuttgart. Wanckel, Endress (2006): Foto- und Bildrecht. 2. Aufl. München.
V. Journalismus und Geschichte
Der real existierende Hochkulturjournalismus Über Personen, Werke und einen Kanon Wolfgang R. Langenbucher & Irmgard Wetzstein
Sträflich vernachlässigt […] ist die Geschichte des Journalismus als Beruf oder – weiter gefasst – als besonderer Kommunikationsweise. (Pöttker 2005: 2)
1.
Vorüberlegungen
Es hat sich etwas bewegt. Während man in den Standardwerken der Journalismusforschung noch um 2000 vergeblich nach Namen und Produkten suchte, garnieren Siegfried Weischenberg und seine Ko-Autoren ihren neuen „Report über die Journalisten in Deutschland“ mit zahlreichen Zitaten von Personen aus dem Journalismus. Begründet wird das freilich – wie zur Entschuldigung, weil ja eine Sünde wider die systemtheoretisch reine Lehre – mit darstellungstechnischen Argumenten: Das neue Buch sollte zwischen einer nüchternen Datenanalyse und einem „populären Sprachduktus“ angesiedelt sein; man wollte die Leser dort abholen, „wo ihr Bild vom Journalismus geprägt wird“. Und wo ist das? An der „Oberfläche des Berufs“, deren Beschreibung verräterischerweise zur glatten Denunziation gerät: „meinungsstarke Berufsvertreter“, „Alphatiere“ (durchgehend besonders beliebt als stilistischer Schnittlauch, der über die ganze Darstellung gestreut wird – vgl. dazu Weichert/Zabel 2007; Langenbucher 2007), „Großjournalisten“, „(vermeintliche) Medienstars“, „Prominente/Promis/Medienpromis“, „Häuptlinge“, die „Fernsehschönen“, „Großkritiker“, „Superakteure“, „Edelfedern“ usw. (Weischenberg/Malik/Scholl 2006: 7-9, 55, 56, 66). Gegen diese paar Dutzend so vorgeführter, bekannter Namen steht die anonyme Masse der fast 50.000 Personen, die die Autoren als journalistische Berufsgruppe in den deutschen Medienbetrieben herausgefunden haben wollen; 1.536 gingen in die Stichprobe ein. Und es bewegt sich weiter! In der opulenten Festschrift, die seine jüngeren Kollegen Siegfried Weischenberg zum 60. Geburtstag präsentiert haben, findet sich am Ende ein Gespräch der drei Herausgeber mit ihm; eine der Zwischenüberschriften lautet: „Die Renaissance des journalistischen Akteurs“! Diese Passagen geraten amüsanterweise zum fragend-antwortenden intellektuellen Eiertanz, weil der Geehrte sich – trotz eines eindrucksvollen Namedroppings – partout nicht dazu bekennen will, dass dieses Interesse mehr sein könnte als eine „feuilletonistische Akteurs-Empirie“; immerhin: So etwas wie „Autorenjournalismus“ lässt sich nicht ganz ignorieren (vgl. Pörksen/Loosen/Scholl 2008: 735-741).
2.
Hochkulturjournalismus: Alphabet einer Generation
Zwischen „Alphatieren“ und „Autorenjournalismus“ bleibt – das wird das Thema dieses Beitrages sein – ein „Empiriedefizit“: das des normalen, seit dem 18. Jahrhundert real exis-
Wolfgang R. Langenbucher & Irmgard Wetzstein
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tierenden Qualitätsjournalismus, um den es ja wohl in aller akademischen Journalistenausbildung geht. Eine erste Annäherung versuchen wir in einer Fortschreibung der Epochenstudie von Christina von Hodenberg. Sie operiert wohlbegründet mit einem Generationenmodell und benennt die für die Entstehung der westdeutschen (Medien-)Öffentlichkeit essentielle Altersgruppe als die „45er“, geboren etwa 1921 bis 1932; diese Geburtsjahrgänge erreichten also, wenn sie nicht früher starben, zwischen 1991 und 2007 sukzessive ihr 70., 75., 80., ja 85. Lebensjahr. Immer wieder waren diese Geburtstagsdaten – neben den Nachrufen – typischerweise genutzte Anlässe für Würdigungen des Lebens, der Karriere und des Werkes von Journalisten, die in der Selbstreflexion der Branche ganz offensichtlich einer besonderen Wertschätzung würdig waren. Diese journalistischen Anlässe und Formen sind unsere Quellen; die Namen entnehmen wir zum einen bei Hodenberg und zum anderen einer – vorläufig unsystematischen – Sammlung, die im Wiener Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft als „Archiv Journalismus – Personen“ geführt wird, und erstellen aus diesem Material eine erste, unvollständige Dokumentation, Skizzen zu einem Qualitätsprofil, das die Branche sich selbst geschrieben hat und laufend weiter schreibt. Es geht um die Demonstration, den Nachweis einer Journalismusgeschichte von Personen und Werken, die für die gängige Journalismusforschung nicht existieren. Dies zu komplettieren wäre nur eine Fleißaufgabe (und hier eine unzumutbare Umfangsstrapaze für die Herausgeber dieses Buches!) (vgl. von Hodenberg 2006: 245, 248ff.). Nicht alle der hier registrierten Namen werden in dieser Dokumentation berücksichtigt; bei manchen ist ihr Stellenwert ohnehin (noch) bekannt genug.
A Ahlers, Conrad (1922-1980) Augstein, Rudolf (1923-2002) Rudolf Augstein war einflussreicher als jeder andere Journalist. (Theo Sommer: Keiner Obrigkeit zu Diensten. In: Die Zeit v. 14.11.2002) […] der Journalist des Jahrhunderts, Gründer des „Spiegel“ und Machthaber der öffentlichen Meinung […] (Frank Schirrmacher: Ein Mann, dessen Werk Deutschland war. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 8.11.2002) Dass diese Republik eine andere wäre ohne den intellektuellen Spiegel-Gründer, ist eine Binse. Er hat mehr als jeder andere Journalist die Bürgergesellschaft geprägt. (Michael Jürgs: Gnadenlos auf Distanz. In: Süddeutsche Zeitung v. 8.11.2002)
B Becker, Hans Detlev (*1921) […] ist vier Jahrzehnte lang Journalist gewesen. Er war es mit Leib und Seele, Haut und Haar; sonst gab es nichts für ihn; dafür lebte er. Den Journalismus begriff er stets als ein Gewerbe, das keine Halbwahrheiten zulässt […] Er pochte auf Genauigkeit der Recherche, auf Klarheit der Darstellung, auf Unbeirrbarkeit des journalistischen Anstands. (Theo Sommer: Ein Leben für den Journalismus. In: Die Zeit v. 15.5.1987)
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Bender, Peter (*1923) Er war einer der besten Journalisten der Bundesrepublik […] hat das Bild der Westdeutschen von ihren östlichen Nachbarn mitgeprägt. (Franziska Augstein: Offensive Entspannung. In: Süddeutsche Zeitung v. 17.10.2008)
Bittorf, Wilhelm (1929-2002) Bölling, Klaus (*1928) Er ist ein meinungsfreudiger Zeitzeuge und ein engagierter Analytiker. (ban.: Klaus Bölling 80. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29.8.2008)
Boenisch, Peter (1927-2005) Brawand, Leo (*1924) Brügge, Peter (= Hess, Ernst) (*1928) Er ist Gesellschaftsreporter in einem Sinn, den seitdem kein Standesgenosse mehr einlöst. Er macht das Genre zur fast grenzenlosen Neugier-Kunst, in der die Bundesrepublik sich selbst besichtigt und staunt. (Claudia Tieschky: Die Freiheit des Mondmanns. In: Süddeutsche Zeitung v. 18.3.2008)
Burkhardt, Werner (1928-2008) […] Deutschlands führende[r] Kritiker für Jazz und Pop […] fabelhafter, populärer Musik- und Theaterkritiker. Bei seinem intellektuellen Talent, seiner Belesenheit und Kombinationsgabe hätte er ohne weiteres irgendwo C4-Professor für Anglistik oder Jazz werden können. (Joachim Kaiser: Passion, Ironie, Herzlichkeit. In: Süddeutsche Zeitung v. 29.8.2008)
C Casdorff, Claus-Hinrich (1925-2004) Er verstand sich als „Mahner“, der als Anwalt des Publikums den Politikern und Mächtigen auf die Finger sah. Er gehörte zu den Gründervätern eines Journalismus, der mit einer unseligen deutschen Tradition aufräumen wollte. (Claus Richter: Nähe durch Distanz. In: Süddeutsche Zeitung v. 9.2.2004)
Chimelli, Rudolf (*1908) Als einer von nicht sehr vielen deutschen Journalisten beobachtet, analysiert und erklärt er schon seit vielen Jahren die Regeneration des Islam, bemüht sich ums Differenzieren und Aufklären, schreibt gegen Schnellschüsse und Pauschalurteile an. (Gernot Sittner: Korrespondent aus Leidenschaft. In: Süddeutsche Zeitung v. 24.4.2008)
D Dibelius, Ulrich (1924-2008)
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[…] aus Entdeckerfreude, Lust am Unbekannten und neugieriger Offenheit wurde Dibelius für die Sache der Neuen Musik der ideale Anwalt, der die weit verbreitete Scheu vor zeitgenössischen Komponisten und ihren Kompositionen durch Erläutern, Vermitteln und Präsentieren abbaute. (Harald Eggebrecht: Anwalt der Neuen Musik. In: Süddeutsche Zeitung v. 30.4./1.5.2008)
Du Mont, Jürgen (1921-1979)
E Engelmann, Bernt (1921-1994) Zeitlebens schrieb er gegen die Verquickung von rechter Politik und großem Kapital, spürte den alten Naziseilschaften nach und deckte Skandale auf, als Journalist beim Spiegel und bei „Panorama“ und vor allem in seinen zahlreichen Büchern, von denen nicht wenige zu Bestsellern wurden. (o.V.: Das andere Deutschland. In: Die Zeit v. 22.4.1994)
Ertel, Dieter (*1927)
F Fest, Joachim (1926-2006) […] der jahrzehntelang als Redakteur, als produktiver Buchautor, als unschlagbarer Essayist unser öffentliches Leben mitbestimmende Fest […] (Joachim Kaiser: Meisterhaft objektivierender Blick. In: Süddeutsche Zeitung v. 13.9.2006)
Freudenreich, Johann (1924-2007) Freudenreich war der König der Polizeireporter […] Seine Spezialität waren leicht zynisch abgefasste Polizeimeldungen […] Man sollte daran denken, diese Geschichten gesammelt herauszugeben. (Stephan Lebert: König der Polizeireporter. In: Die Zeit v. 1.2.2007)
Frisé, Maria (*1925) Daß Zeitung Literatur sein kann, bewies Woche für Woche die Tiefdruckbeilage „Bilder und Zeiten“, für die Maria Frisé 22 Jahre verantwortlich war […] Was Maria Frisé alles ins Blatt brachte, von der Modekritik bis zur Sozialreportage, müssen ihre Nachfolger mühselig neu erfinden. (Pba: Maria Frisé 80. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31.12.2005)
Fromme, Friedrich Karl (1930-2007) Er war eine einzigartige, eine herausragende Persönlichkeit des deutschen Journalismus […] Er war literarisch hochgebildet und -begabt […] sprachmächtig, ein Wortschöpfer und Künstler der Zwischentöne. […] Die rechts- und justizpolitische Berichterstattung als journalistische Disziplin hat […] Fromme recht eigentlich erfunden. Da gab es keine Vorgänger. (Nm.: Eine journalistische Instanz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.1.2007)
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G Gaus, Günter (1929-2004) Gresmann, Hans (1928-2006) Hans Gresmann war ein eleganter Schreiber, der verstand, mit leichter Hand Pointen zuzuspitzen. Seine Glossen waren witzig und geistvoll, er fand das schöne Wort von König Silberzunge, um Kurt Georg Kiesinger, den Kanzler der ersten Großen Koalition, zu charakterisieren. (V.K.: Hans Gresmann. In: Die Zeit v. 19.10.2006)
Gütt, Dieter (1925-1990) Nie hatte er sich mundtot machen lassen […] (Roland Trimm: Der biographische Weg ins Verstummen. In: Süddeutsche Zeitung v. 21.12.1991) Gleichgültig hat er kaum jemanden gelassen, schon gar nicht die Selbstzufriedenen in jedweder Machtposition, denen sein Zorn oder seine Verachtung galt. Wenn Dieter Gütt sich äußerte, dann handelte er nach seiner Devise, bequeme Leute sollten besser Gärtner werden. Ob er sprach oder schrieb, als stets engagierter Journalist bevorzugte er „deutliche, feste, artikulierte, schonungslose“ Kommentare. Sie kamen wie Pfeile, und wen sie trafen, von unbelehrbaren Berufsvertriebenen bis zu satten Fußballfunktionären, bei dem hinterließen sie mehr als Schrammen. […] Seine Präsenz und geschliffene Suada verschafften ihm auch da Respekt, wo er sich als militanter Moralist auf Abwege verirrte. […] Leidenschaft, mitunter auch ein cholerisches Temperament führten ihm die Feder. (o.V.: Ein Unbequemer. In: Die Zeit v. 2.2.1990) […] bekannt geworden ist Dieter Gütt als Kommentator und in dieser Rolle eine Zeitlang auch populär wie wenig andere gewesen. […] Er war das, was man umstritten nennt. […] Leute wie er machen erst das Ganze eines Gemeinwesens aus. Man kann sie nicht entbehren. (Joachim Fest: Anstoß und Moralität. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.1.1990)
H Hammerschmidt, Helmut (1920-1998) Harpprecht, Klaus (*1927) Er kann nach Bedarf täglich kommentieren und seinen Standpunkt stets mit Vehemenz vertreten. Das mag das Erbe des schwäbischen Pfarrhauses sein, aus dem er stammt. Er steigt gern auf die Kanzel – manchmal zornig, mitunter pathetisch, doch häufig als eine autoritative Stimme der Kritik deutlich zu vernehmen. […] Er ist ein leidenschaftlicher Arbeiter. Noch immer scheint ihm die ungläubige Überlebensfreude jener jungen Schriftsteller und Journalisten zu beflügeln, die in den fünfziger Jahren als 20-Jährige die Redaktionen der Zeitungen, Rundfunkanstalten und der Verlage bevölkerten, um in der neuen Republik eine wetterfeste Demokratie durchzusetzen. „Nie wieder!“ war der Kampfruf dieser Generation. (Nina Grunenberg: Der Einmischer. In: Die Zeit v. 12.4.2007)
Hartstein, Erich (*1924) Heigert, Hans (1925-2007)
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Er wurde von der politischen Klasse in Bonn und München als eine die Politik kompetent begleitende, kritische Stimme ernst genommen, als ein Journalist, dessen Rat man auch suchte und zu schätzen wusste. (Gernot Sittner: Autorität durch Qualität. In: Süddeutsche Zeitung v. 22.11.2007)
Herbort, Heinz-Josef (1932-2006) Herborts Selbstverständnis als Musikkritiker beruhte auf profunder Kenntnis des Notentextes. An flüchtige Höreindrücke alleine mochte er seine Beurteilungen nicht knüpfen, er wollte es immer ganz genau wissen […] Die Neue Musik hat ihm unendlich viele Komponistenentdeckungen, Trendanalysen und gedankenhelle Würdigungen zu verdanken. (Claus Spahn: Das Neue hören. In: Die Zeit v. 9.11.2006)
Holzer, Werner (*1926)
J Jacobi, Claus (*1927) Jauch, Gerd (1924-2007) Die Pioniere des Bildschirms sterben allmählich dahin. […] Jauch hatte die Gabe, das Rotwelsch der Juristen in verständliches Deutsch zu bringen, die spröde Materie anschaulich zu machen und sie – das war für ihn und andere Neuland – in Bilder umzusetzen. (Rolf Lamprecht: Resident des Rechts. In: Süddeutsche Zeitung v. 13.3.2007)
K Kaiser, Joachim (*1928) Kempski, Hans-Ulrich (1922-2008) Zu Kempskis Zeiten ist die Seite 3, die Reportage-Seite der SZ, für die Leser ein Fenster zur Welt geworden. (Christian Ude. In: Süddeutsche Zeitung v. 24.1.2008)
Koch, Thilo (1920-2006) Er war einer der großen Fernsehpioniere, ein Vorbild für Journalistengenerationen, die von ihm neben der Beherrschung des Handwerks eine gehörige Distanz zu sich selbst, feine Ironie und die nimmermüde Lust an der Beobachtung lernen konnten. (Jobst Plog. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 15.9.2006) […] eine Legende, der Großmeister des Journalismus in den frühen Jahren der Bundesrepublik, ein Mann der Feder, des Funks, des Fernsehens […] ein unerreichtes Vorbild. (Th.S. [= Theo Sommer]: Thilo Koch. In: Die Zeit v. 21.9.2006)
L Leonhard, Rudolf Walter (1921-2003)
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Seine großen literarischen Kenntnisse und sein Sprachgefühl haben seine publizistische Arbeit ausgezeichnet. (Todesanzeige von der „Zeit“-Redaktion. In: Die Zeit v. 30.3.2003)
Lebeck, Robert (*1929) Robert Lebeck hat das visuelle Gedächtnis der Bundesrepublik geprägt. (Jochen Brenner: Seiltanz mit der Kamera. In: medium magazin, H. 6/2007)
Lessing, Erich (*1923) Littmann, Wolf (*1926)
M Maetzke, Ernst-Otto (1924-2005) Ernst-Otto Maetzkes Überspringen von Ressortgrenzen hing […] mit seinem Verständnis von Journalismus zusammen: er sah seine Tätigkeit als praktische Aufklärung an, fern von Pathos und Überschwang, mit einem desillusionierenden Realismus […] Er schrieb mit einer Eleganz, die der glasklaren Diktion und der Konzentration auf das Wichtige entstammte; wer seine Texte las, konnte sich ihrer argumentativen Stringenz und sprachlichen Treffsicherheit auch dann nicht entziehen, wenn er anderer Meinung war. (Nm.: Ernst-Otto Maetzke gestorben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.3.2005)
Merseburger, Peter (*1928) Das deutsche Fernsehen ist mit Leuten wie ihm groß geworden. Was das Fernsehen vermag, wenn es gut ist, zeigen die Beiträge solcher Moderatoren, Kommentatoren und Reporter wie Merseburger. (Franziska Augstein: Ein Journalist, der zuhören konnte. In: Süddeutsche Zeitung v. 9.8.2008)
Mauz, Gerhard (1925-2003) Meyer, Werner (1932-2008) Moses, Stefan (*1928) In die Geschichtsbücher eingegangen – und das im Wortsinne – ist der Magnum-Fotograf mit seinen Porträts berühmter Bundesbürger. (Marco Limberg/Michael Wuliger: Traditionalist der Kamera. In: Jüdische Allgemeine Zeitung v. 28.8.2008) Schaut man auf alle Moses-Menschen, so entdeckt man die Kostbarkeit eines Kompendiums untergegangener Berufe und Charaktere, Klassen, Physiognomien. […] Heutige Digitalisten würden ihn „Ikone“ nennen, ihn, ein Monument klassischer, analoger Schwarz-Weiß-Fotografie. […] Man kann Moses’ Bilder, seine Bildessays wieder und wieder ansehen – ihr Gehalt ist unausschöpfbar. (Claus Heinrich Meyer: Die Neugier des Menschenfischers. In: Süddeutsche Zeitung v. 29.8.2008)
N Nenning, Günther (1922-2006)
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Freund und Feind erklären einhellig, Nenning habe wie kein anderer Intellektueller die geistige und seelische Nachkriegsentwicklung des Landes beeinflusst. (Michael Frank: Der weise Narr aus Wien. In: Süddeutsche Zeitung v. 17.5.2006)
Nielsen-Stokkeby, Bernd (1920-2008) Nolte, Jost (*1927) Kundig rezensierte er zeitgeschichtliche Werke, schrieb aufsehenerregende Gerichtsberichte, verfasste streitbare Essays über moderne Kunst […] Der Bogen seiner Ausdrucksformen reichte von der Rezension über die Reportage bis hin zum Drama und zum Roman, sein Themenfächer vom Schinderhannes über Wilhelm II. bis zu Politikern im Ruhestand. (Theo Sommer: Jost Nolte. In: Die Zeit v. 23.8.2007)
O Obermann, Emil (1921-1994) Er war ein Mann großer Kompetenz, von heftiger Leidenschaft für das demokratische Gemeinwesen, dennoch niemals ohne Augenmaß und ohne jenen knorrigen Humor, den es in dieser freundlichen Weise eigentlich nur bei den Schwaben gibt. (Hans Heigert: Er prägte das Fernsehen. In: Süddeutsche Zeitung v. 25.2.1994)
P Paczensky, Gert von (*1925) Prause, Gerhard (1926-2004) Als „Tratschke“ gab er der gesamten historisch interessierten Nation jede Woche Rätsel auf: Wer war’s? […] Er liebte es, Legenden zu killen, Fälschungen zu entlarven, historische Illusionen aufzudecken, Fehldeutungen zu enthüllen, anscheinend Unumstößliches mit spitzer Feder umzustoßen: Da verstand sich der Schriftsteller Prause vor allem als Richtigsteller. […] Gerhard Prause war ein glänzender Redakteur; voller Einfälle für sich und andere; voller Ideen, wie sich aktuelle Themen historisch erhellen ließen. (Theo Sommer: Tratschke der Große. In: Die Zeit v. 9.12.2004)
Prinz, Günter (*1929)
R Reifenberg, Jan (*1923) Alles, was er schrieb, war persönlich und galt der Vielfalt des Individuellen, aber dabei gelangen ihm Durchblicke auf die Sache, die andere nicht fanden. (Günther Gillessen: Ein untrügliches Gefühl für Qualität. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.7.1992)
Rühle, Günther (*1924)
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Er liebte Sachlichkeit und Nüchternheit, er verabscheute das Feierliche und das Weihevolle. […] Günther Rühle hat eine starke Wirkung ausgeübt. (Marcel Reich-Ranicki: Der streitbare Chronist. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 2.7.1986) Der Drang zu aktuellen, oft umstrittenen Themen, zum kontroversen, oft polemischen Kommentieren, der Drang schließlich zu einer Kritik der Künste, die sich als eindringliche Künstlerpsychologie versteht: Das verrät die Handschrift des Feuilletonisten Günther Rühle. (Wilfried Wiegand: Alterslos und begeisterungsfähig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 3.6.1994)
Ruge, Gerd (*1928) Der Mann, der mit dem blauen Hemd und dem blauen Mikrofon um die Welt gezogen ist und aus den Menschen so viel mehr herausgeholt hat als viele seiner Kollegen. […] In Ruges Filmen war das Fernsehen schon farbig, als es noch schwarz-weiß sendete. Es war seine Art zu berichten, seine Art zu sprechen und seine Gefühle nicht auszusparen. (Hans Hoff: Film mal die Katze. In: Süddeutsche Zeitung v. 9./10.8.2008)
S Sack, Manfred (*1928) Journalistischer Avantgardist ist er immer gewesen, ob in der Musikkritik […], ob in der Architekturkritik. Gerade sie bedeutet für ihn mehr als Probe nur des Witzes und der Urteilskraft. Für ihn ist sie eine Form des bürgerlichen Engagements und der intellektuellen Solidarität. (Benedikt Erenz: Die Grazie der Freiheit. In: Die Zeit v. 24.4.2008)
Saekel, Wilhelm (1923-2005) Schreiber, Hermann (*1929) Schöndube, Claus (1927-2007) Er war ein Pionier […], der Doyen der Europa-Journalisten. (Nm.: Claus Schöndube gestorben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 9.7.2007)
Schütze, Christian (*1927) Christian Schütze war nicht nur einer der ersten, sondern lange Zeit der Umweltjournalist dieser Zeitung und der Republik. (Wolfgang Roth: Im Zweifel für die Natur. In: Süddeutsche Zeitung v. 15./16.12.2007)
Schumann, Karl (1925-2007) Sitte, Fritz (1925-2007) Sommer, Theo (*1930) Stehle, Hansjakob (*1927) Er ist einer der seltenen Journalisten, die Neugierde mit Verstand und Sichaufregen mit guten Gründen verbinden. […] Das blieb so, als er von 1957 an als erster deutscher Korrespondent nach dem Zweiten Weltkrieg aus Warschau berichtete, unruhig darauf hinwirkend, dass sich nach dem furchtbaren Geschehen zwi-
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schen Deutschen und Polen einiges ändern müsse. (hjf.: Hansjakob Stehle 80. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.7.2007)
Steinmayr, Jochen (1926-2006) Unter seiner Führung nahm das ZEITmagazin die Form an, derentwegen es zum Vorbild wurde für sämtliche Publikationen, die danach in anderen Verlagen gegründet wurden […] ein Meisterstück des bundesdeutschen Journalismus. (Wolfram Siebeck: Auch im Regen Optimist. In: Die Zeit v. 16.11.2006)
Stern, Carola (1925-2006) Es gibt wohl keine deutsche Publizistin von vergleichbarer Breitenwirkung im Spannungsfeld von Literatur und Politik. (Walter Hinck: Zwei Leben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 4.11.2005)
V Vormweg, Heinrich (1928-2004)
W Walden, Matthias (1927 [als Otto Baron von Saß] -1984) Wördemann, Franz (1923-1992)
Z Zilk, Helmut (1927-2008) Er war einer der Letzten jener Generation von Machern, die Journalisten, Politiker und Spaßvögel in einem waren, diese Rollen ständig und leichtfüßig wechselten, viel miteinander stritten und gemeinsam alt wurden. (Herbert Lackner: Adieu, Poltergeist. In: Profil v. 27.10.2008)
Die nachfolgende Alterskohorte, also die Geburtsjahre 1933 folgende, die man vielleicht „Nachkriegs“-Generation nennen könnte, taucht in diesen Quellen noch selten auf, aber der 70. Geburtstag (und manchmal schon ein Nachruf) ist immer wieder Anlass, den besonderen Rang einzelner Personen zu würdigen: Busche, Jürgen (*1944); Dieckmann, Friedrich (*1937); Grabe, Hans-Dieter (*1937); Haubrich, Walter (*1935); Leinemann, Jürgen (*1937); Meinhof, Ulrike (1934-1976); Riehl-Heyse, Herbert (1940-2003); Sartorius, Peter (*1937); Scharlau, Winfried (1934-2004); Scherer, Marie-Luise (*1938); Terzani, Tiziano (1938-2004); Voska, Helmut (1942-2007); Willms, Johannes (*1948); Winters, Peter Jochen (*1934); Worm, Alfred (1945-2007) und Zimmer, Dieter E. (*1934). In seinem Geburtstagsartikel zum 75. von Theo Sommer, über mehr als 40 Jahre eine der prägenden Figuren der Wochenzeitung „Die Zeit“ (vgl. Raddatz 1980), schrieb Klaus Harpprecht, diesem Blatt auch seit langem verbunden, zuletzt 2008 als Autor einer fulminanten Marion-Dönhoff-Biografie: „Die Zeit ist das beste Druckerzeugnis, das den Deut-
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schen jemals gelang.“ (Süddeutsche Zeitung v. 9.6.2005) Die hier nur zitatweise angedeutete Galerie derer, die in der Branche selbst als erinnerns- und tradierenswerte Personen mit ihren Werken registriert werden, würde sich bei einer gründlicheren Auswertung der herangezogenen Dokumente leicht auf mehrere hundert Biografien hochrechnen. Und für diesen Sachverhalt sei Klaus Harpprechts Feststellung so paraphrasiert: In dieser Epoche gelang den Deutschen (sowie den Österreichern und – trotz ganz anderer historischer Kontexte – im Grunde auch den Schweizern) in einer aus historisch-politischen Gründen vorher so nicht möglichen Kontinuität und Qualität eine große Tradition des „Hochkulturjournalismus“ (George Steiner). Eine wissenschaftliche Programmatik, die – dies ignorierend – bloß seit Jahrzehnten den reichlich arroganten Anspruch auf „Entmythologisierung des Berufs“ (Siegfried Weischenberg, zit. n. Pörksen/Loosen/Scholl 2008: 731) vor sich herträgt, bedarf wohl selbst der Entmythologisierung. Danach könnte dann – und zwar höchst empirisch – beginnen, was Bernhard Pörksen als die eigentliche Aufgabe der Journalistik postuliert: „Das große Gespräch über die Qualität des Journalismus“ (Pörksen 2006: 336). Eines der Resultate aus diesem „Gespräch“ kann und muss – ebenso wie in der Literatur-, Kunst- oder Musikwissenschaft – die Kreation eines Kanon sein: des „Kanon Journalismus deutscher Sprache“.
3.
Die Top 100 – Ein Kanon des Journalismus deutscher Sprache aus drei Jahrhunderten
3.1 Warum ein journalistischer Kanon? „Kanon – klingt das nicht altmodisch?“, fragt Marcel Reich-Ranicki gleich zu Beginn seiner Ausführungen zum Kanon der deutschen Literatur. Im Hinblick auf literarische, musikalische und andere Versuche der Kanonisierung scheint dies nicht abwegig. Diese seien in unzähligen Ausführungen bereits vorhanden, jedoch nie gänzlich befriedigend (vgl. ReichRanicki 2002: 9). Für die kommunikations- und journalistikwissenschaftliche Kanonbildung gilt zumindest die erstgenannte Feststellung keineswegs: Die Erstellung und Weiterentwicklung eines Kanons des Journalismus bleibt in diesen Disziplinen bis heute ein Desiderat, wenngleich das Thema am Wiener Institut seit längerem auf der Tagesordnung steht. Zu nennen sind „Das Gewissen ihrer Zeit“ (Jakobs/Langenbucher 2004), eine Sammlung von 50 journalistischen Biografien inklusive Auswahlbibliografien zur weiteren Vertiefung in das jeweilige Werk, entstanden in Kooperation mit der „Süddeutschen Zeitung“, sowie die in den Jahren 2002/03 von Ö1 ausgestrahlte Radioserie „Chronisten – Reporter – Aufklärer“ (Projektbetreuung: Petra Herczeg), ebenfalls initiiert vom Wiener Institut. Während diese beiden Projekte vor allem die Biografien der ausgewählten Journalisten und Journalistinnen in den Vordergrund stellen, galt davor in drei Anthologien das Interesse der Sammlung journalistischer Werke (1995: „Vertriebene Wahrheit“ – Dokumente des Exiljournalismus; 2005: „Unerhörte Lektionen“ – journalistische Texte aus dem ersten Jahrzehnt der Befreiung Österreichs und die Auseinandersetzung mit der Rolle und Schuld Österreichs am Nationalsozialismus; beide hrsg. von Hausjell/Langenbucher). Diesen beiden Büchern vorausgegangen war ein Band mit dem ausdrücklichen historischen Anspruch auf Kanonisierung: „Sensationen des Alltags – Meisterwerke des österreichischen Journalismus“ (Langenbucher 1992), welcher zeitlich an Egon Erwin Kischs Anthologie zum „Klassi-
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schen Journalismus“ (Kisch 1923) anschließt. Die Idee der „Sensationen des Alltags“ war es hierbei nicht, einen Querschnitt des österreichischen Journalismus zu präsentieren, sondern […] einen journalistischen Kanon zu komponieren, der ganz dezidiert Stimmen hervorhebt und Akzente betont. Diese Sammlung repräsentiert in keiner Weise den Durchschnitt des Journalismus der Jahre 1890 bis 1930, sie ist das Ergebnis einer entschiedenen Suche nach Qualität, nach professioneller Exzellenz. (Langenbucher 1992: 19)
Diese Wiener Projekte journalistischer Kanonisierung spiegeln recht deutlich die Diversität der Herangehensweisen ob der Eingrenzung auf eine gewisse Zeitspanne oder der Konzentration auf Werk oder Biografie wider – eine Diversität, die wohl nicht zuletzt daraus resultiert, dass die Kanonisierung journalistischer Leistungen ein wenig erforschtes Gebiet darstellt und man daher gut beraten ist, sich ihm mit einer Vielzahl an Perspektiven anzunähern. Eines ist all diesen Versuchen journalistischer Kanonbildung, welche im Gegensatz etwa zur literarischen oder musikalischen Kanonbildung noch keine Tradition hat und deshalb wohl kaum als „altmodisch“ bezeichnet werden kann, allerdings gemeinsam: der Anspruch, Journalismus als Kultur, als Kulturleistung, als […] genuine, will heißen selbstschöpferische Leistungen von unzweifelhaft identifizierbaren Individuen, die im Laufe längerer Karrieren beachtliche „Werke“ zustande bringen, wo sich Leben und Werk schließlich zu einer Biographie fügen und auch so etwas wie ein journalistischer Kanon sichtbar wird, dem dieses Werk angehört […] (Langenbucher 1994, zit. n. Duchkowitsch et al. 1998: 9),
vorauszusetzen – auch ein Plädoyer für Journalismusforschung als JournalistInnenforschung, in der die Akteure, die Persönlichkeiten journalistischer Werke in den Vordergrund gestellt werden, wodurch Rückschlüsse auf das „Gewissen ihrer Zeit“ möglich werden. Ein Plädoyer auch dafür, „[…] dass Journalismus terminologisch nicht zur Literatur geadelt werden muss […]“ (Jakobs/Langenbucher 2004: 17), wie auch die oben genannten Anthologien und Sammlungen eindrucksvoll beweisen: Ein Journalist vermag ungleich der wörtlichen Übersetzung nicht bloß ein Tagesschriftsteller zu sein. Ein Journalist aber kann, er soll ein Jahrhundertschriftsteller sein. Die echte Aktualität ist keineswegs auf 24 Stunden beschränkt. Sie ist zeit- und nicht tagesgemäß (Joseph Roth, zit. n. Jakobs/Langenbucher 2004: 16),
wie Joseph Roth (1894-1939) selbstbewusst festgestellt hat.
3.2 Forschungsseminar „Kanon Journalismus“ Diese und viele andere Argumente für die Arbeit an einem Kanon journalistischer Leistungen veranlassten uns schließlich im Sommersemester 2007 dazu, gemeinsam mit Diplomund Doktoratsstudierenden des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien ein Seminar eben zu Fragen der Kanonbildung für den Journalismus anzubieten. In einem eher kleinen Kreis durchwegs interessierter und engagierter Studierender war es möglich – quasi auf einer Insel der ansonsten als Masseninstitut bekannten Wiener Publizistik- und Kommunikationswissenschaft – Texte und Werke Großer Journa-
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listen, wie etwa Ludwig Börne (1786-1837), Heinrich Heine (1797-1865), Joseph Roth und Kurt Tucholsky (1890-1935), gemeinsam zu lesen und ausführlich zu diskutieren. Stets kamen hierbei die Rolle und das Selbstverständnis des jeweiligen Journalisten sowie seine Arbeitsweise und sein Schreibstil zur Sprache, immer eingebettet in die historischen und journalistischen Gegebenheiten der jeweiligen Zeit. Zentral war bei diesem regen Gedankenaustausch die Frage nach der möglichen Argumentation zur Aufnahme der thematisierten Persönlichkeit in einen Journalistenkanon, also die Entwicklung begründbarer Auswahlkriterien. Dabei wurde freilich nie außer Acht gelassen, dass solchen Wertungsvorgängen kollektive wie individuelle Faktoren vorausgehen, die gegenseitig aufeinander einwirken, wie etwa die jeweilige literarische (vielleicht auch journalistische) sowie institutionelle Sozialisation oder einfach persönliche Vorlieben (vgl. Winko 2002: 16). Daher bestand schnell ein Konsens über die Auffassung von journalistischer Kanonbildung als einem ständig dem wissenschaftlichen Diskurs unterliegenden, dynamischen Prozess. Gerade in Bezug auf journalistische Stilfragen bzw. Schreibweisen gab es im Plenum oftmals unterschiedliche Ansichten, wenngleich Einigkeit darüber bestand, dass alle diskutierten Autoren – ob ihres nachhaltigen Schaffens und Einflusses auf das Berufsfeld Journalismus, ihres kritischen Hinterfragens und der bildhaften Reflexion des jeweiligen Zeitgeistes, ihrer ästhetischen/poetischen/literarischen, oft detaillierten, scharf beobachtenden und unverkennbaren Art zu berichten – ihren Platz in einem Kanon Journalismus finden sollten. Die Idee, Studierende in theoretische und empirische Überlegungen zu einem „Kanon Journalismus“ einzubeziehen, erwies sich in jedem Fall bereits von Beginn des Seminars an als besonders fruchtbar; die thematisch vielfältigen und großteils qualitativ hochwertigen Abschlussarbeiten der Studierenden bestätigten uns letztendlich in dieser Einschätzung. Ausgiebig analysiert wurden stets im Hinblick auf mögliche Auswahlkriterien im Zusammenhang mit einem Journalistenkanon unter anderem die oben erwähnten Anthologien und Sammlungen. Reflektiert wurden in diesem Kontext zudem auch unterschiedliche journalistische Bereiche und Aspekte, wie etwa Auslands-, Buch- und Fotojournalismus, journalistische Kulturkritik, das Dokumentarfilmgenre und Journalistenpreise als kanonische Verwaltungsinstanzen sowie die Edition zur „Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalismus“ (Langenbucher 2001-2007). Aber auch existierende Kanones außerhalb des deutschsprachigen Raumes, wie etwa Mitchell Stephens’ „The Top 100 Works of Journalism in the United States in the 20th Century“ (o.V. 1999) und Harold Blooms „The Western Canon“ (Bloom 1994), fanden in den Seminararbeiten Beachtung.
3.3 Top 100 – Klassiker des deutschsprachigen Journalismus Neben Reflexionen bereits existierender Kanones stand im Rahmen des Seminars allerdings ein ehrgeiziges Projekt: der Versuch der Herstellung eines Kanons der Top 100, also der bedeutendsten Journalisten und Journalistinnen des deutschsprachigen Raumes. Ihm widmeten sich die Kolleginnen Sabine Hottowy, Birgit Skulski und Marlene Wirth, denen großer Dank für ihren maßgeblichen Beitrag des Projektes gebührt, mit großem Engagement. Im Gegensatz zu Stephens’ werkorientiertem Projekt „The Top 100 Works of Journalism in the United States in the 20th Century“ sollten bei unserem Kanon die journalistischen Persönlichkeiten im Vordergrund stehen; Persönlichkeiten, die das Berufsfeld des Journalismus sowie die gesellschaftlichen Entwicklungen ihrer jeweiligen Zeit engagiert
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reflektiert, analysiert und somit dauerhaft bereichert haben und nicht zuletzt auch eine Vorbildfunktion für heutige Journalisten und Journalistinnen innehaben. Außerdem beschränkten wir uns nicht auf das 20. Jahrhundert, sondern hoben auf die Geschichte des Journalismus überhaupt ab. Einbezogen wurden in unsere Top-100-Liste nur nicht mehr lebende deutschsprachige Journalisten aus den Bereichen Print, Hörfunk, TV und Film. Gerade die Einbeziehung von Hörfunk und TV gestaltete sich – wenig überraschend – als ein eher schwieriges Unterfangen. Was im Vorwort des Buches „Unerhörte Lektionen“ bereits festgestellt wurde, galt auch für die Erstellung unserer Top-100-Liste: Während Bücher in den Bibliotheken über Schlagworte, Autor oder Titel gut zu finden sind, kann der Zeitungsjournalismus von gestern in den Bibliotheken zwar nachgeblättert, nicht aber systematisch gesucht werden, da die einzelnen Beiträge bibliographisch nicht erfasst und beschlagwortet sind. Noch schwieriger ist das Nach-Hören und Wieder-Sehen alter Leistungen des Radio- und TV-Journalismus. Die Politik hat es bis heute verabsäumt, eine Institution zu schaffen, die alle audiovisuellen Leistungen (so auch die des Journalismus) aufzubewahren und der Bevölkerung zugänglich zu machen hat. (Hausjell/Langenbucher 2005: 11)
Vor allem im Zusammenhang mit der Erfassung pressejournalistischer Leistungen erwiesen sich die oben erwähnten Anthologien und Sammlungen jedoch als besonders hilfreich, da sie eben großteils den gedruckten Journalismus dokumentieren und abdecken – ein starkes Indiz für ein diesbezügliches Kohortenphänomen im journalistischen Bereich, welches sich in unserer Top-100-Liste fortsetzt. Denn bei Radio und TV galten die zuvor zitierten Schwierigkeiten mangels der Möglichkeit einer strukturierten Suche und Aufbereitung erst recht. Wenn TV- und Hörfunkjournalisten zahlenmäßig weniger Eingang in unsere Liste finden konnten, so ist dies aber auch dem vergleichsweise jungen Alter dieser beiden Medien geschuldet. Ein erster Schritt der Kanonisierung von Journalisten aus dem audiovisuellen Bereich konnte jedoch durchaus gewagt werden. Auch Fotojournalisten und Karikaturisten sollten in unserem Kanon berücksichtigt werden, denn in der Kommunikationswissenschaft im Allgemeinen und in der visuellen Kommunikationsforschung im Speziellen gilt die Tatsache, dass im Journalismus neben dem Text auch das Bild als Informationsträger von zentraler Bedeutung ist, mittlerweile als unumstritten. Wir gingen davon aus, dass der Fotojournalismus denselben Normen unterliegt wie Wortjournalismus, Unterschiede ergeben sich nur bezüglich der Techniken und (Re-)Präsentationsformen (vgl. Grittmann 2008: 17). Der Begriff des Bildjournalismus bezieht sich zudem keineswegs ausschließlich auf Fotografie, sondern umfasst beispielsweise auch Infografiken, Reportagecomics oder (politische) Karikaturen (vgl. Knieper 2004: 83ff.); genügend Gründe also, um auch die Leistungen und das Wirken von Fotojournalisten sowie Karikaturisten in unsere Top 100 einzubeziehen. Nicht einbezogen haben wir den Online-Journalismus; dort muss noch viel Zeit vergehen, bis journalistische Lebenswerke erkennbar sind. An dieser Stelle kann zur Veranschaulichung bereits ein Ergebnis unserer Liste vorweggenommen werden: Unter den Top 100 befinden sich insgesamt acht Karikaturisten, sechs Fotojournalisten sowie elf Journalisten aus den Bereichen TV, Hörfunk und Film; 25 Persönlichkeiten also, die ihre journalistischen Leistungen nicht bzw. nicht ausschließlich durch das geschriebene Wort zum Ausdruck brachten.
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Zur Vorbereitung und Durchführung des Projektes: Durch das Studium der weiter oben beschriebenen Werke „Sensationen des Alltags“, „Vertriebene Wahrheit“ und „Das Gewissen ihrer Zeit“ sowie angeregte Diskussionen während der Plenumstermine unseres Seminars entstand zu Beginn des Sommersemesters 2007 eine vorläufige Liste möglicher Top100-Kandidaten des deutschsprachigen Journalismus. Da es sich hierbei um eine erste „seminarinterne“ Ideensammlung handelte, wurde diese vorerst per E-Mail an kommunikationswissenschaftliche Institute in Deutschland, Österreich und der Schweiz geschickt und zur Diskussion gestellt. Walter von La Roche, Markus Behmer, Gunter Reus und viele andere Kolleginnen und Kollegen nahmen dankenswerterweise mit großer Bereitschaft daran teil, uns ihre Einschätzungen mitzuteilen, uns Feedback zu geben sowie auch weitere Namen hinzuzufügen, sodass eine Aufzählung von weit mehr als 100 Journalisten die Folge war. Mit Hilfe einiger Kolleginnen und Kollegen des Wiener Institutes, darunter Fritz Hausjell und Petra Herczeg, gelang es schließlich, unsere Top 100 erstmals aus wissenschaftlicher Sichtweise zu fixieren. Das weitere Vorhaben bestand nun darin, die Liste der 100 Namen der bedeutendsten deutschsprachigen Journalisten in eine Reihung zu bringen. Es lag daher nahe, die Spitze des gegenwärtigen deutschsprachigen Journalismus, Chefredakteure vorwiegend von Qualitätsmedien, mit unserem Anliegen, ein Ranking erarbeiten zu wollen, zu kontaktieren. Angelehnt an die Delphi-Methode wurde die bereits erarbeitete Top-100-Liste in einer zweiten Befragungsrunde – diesmal waren wie erwähnt namhafte Chefredakteure unterschiedlicher Qualitätsmedien in Deutschland, Österreich und der Schweiz unsere Adressaten – zur Diskussion gestellt. Um möglichst viele unserer Adressaten effizient erreichen, den Beitrag der angeschriebenen Chefredakteure für ein Top-100-Ranking möglichst zeitsparend für diese gestalten zu können und möglichst auswertbare Ergebnisse zu erhalten, erarbeiteten die Kolleginnen Hottowy, Skulski und Wirth einen standardisierten Fragebogen, der online zur Verfügung gestellt wurde. Zu allen 100 Journalistinnen und Journalisten wurden Bekanntheitsgrad, Grad der persönlichen Beeinflussung und der Beeinflussung des journalistischen Berufsfeldes im Allgemeinen sowie der gesellschaftlichen Entwicklung erfragt. Der Rücklauf enthielt hinreichend Informationen, um versuchsweise ein erstes Ranking zu entwerfen. Es wird allerdings eine künftige Aufgabe sein, eine Evaluation zu erarbeiten, die dem Anspruch auf Repräsentativität gerecht wird.
3.4 Erkenntnisse und Ergebnisse des Top-100-Rankings1 Auffällig, jedoch weniger überraschend ist das Ergebnis, dass großteils solchen Top-100Journalisten, welche als bekannt eingestuft wurden, von den befragten Chefredakteuren ein höherer Einfluss zugesprochen wurde als solchen, deren Bekanntheitsgrad unter den Chefredakteuren gering ist. Ebenfalls muss hier der Umstand Erwähnung finden, dass es sich bei nur zehn Prozent aller in der Top-100-Liste erwähnten Journalisten und Journalistinnen um Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts handelt. Beim Ranking belegt Carola Stern (1925-2006) als bestgereihte Frau Platz 22. Marion Dönhoff (1909-2002) folgt auf Platz 26.
1
Die vollständige Liste der gereihten Top 100 befindet sich im Anhang dieses Beitrags.
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Zu den bedeutsamsten zehn Journalisten des deutschsprachigen Raumes wurden folgende Persönlichkeiten gekürt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Heinrich Heine (1797-1865) Kurt Tucholsky (1890-1935) Egon Erwin Kisch (1885-1948) Joseph Roth (1894-1939) Theodor Herzl (1860-1904) Herbert Riehl-Heyse (1940-2003) Karl Kraus (1874-1936) Ludwig Börne (1786-1837) Alfred Polgar (1873-1955) Theodor Fontane (1819-1898)
Völlig unbekannt waren den Befragten nur fünf der von uns gerankten Personen, wodurch die Frage nach der Einschätzung ihrer journalistischen Leistungen offen bleiben muss: 96. David Fassmann (1683-1744) 97. Johann Pezzl (1756-1823) 98. Leopold Sonnemann (1831-1909) 99. Mirko Szewczuk (1919-1957) 100.Gabriele Tergit (1894-1982) Ein eindeutiger Grund für die Unbekanntheit dieser fünf Journalistenpersönlichkeiten ist nicht auszumachen. Auch bezüglich Mirko Szewczuk muss ein möglicher diesbezüglicher Erklärungsversuch aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Karikaturistengenre scheitern, denn ein anderer Karikaturist, George Grosz (1893-1959), findet sich immerhin auf Platz 21 wieder und führt die Liste somit vor allen anderen Karikaturisten, Foto- und Hörfunkjournalisten an. Des Weiteren kann aufgrund der Reihung festgestellt werden, dass ein vermuteter Zusammenhang zwischen der Wirkungszeit der Top-100-Journalisten und deren Bekanntheitsbzw. Einflussgrad nicht gegeben ist, wie auch an den ersten zehn Namen erkennbar ist. Die vermutete Annahme, dass sich Journalisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eher als bekannt bzw. einflussreich einstufen lassen, kann demnach verworfen werden. Einzig Herbert Riehl-Heyse befindet sich mit dem sechsten Platz im Ranking unter den ersten zehn. Demgegenüber sind mit Heinrich Heine und Ludwig Börne zwei Journalisten früher Schaffensperioden auf dem ersten sowie achten Platz zu finden. Eine Sonderstellung in unseren Top 100 nehmen Karl Kraus und Günther Nenning (1921-2006) ein. Während Ersterem insgesamt ein eher geringer Bekanntheitsgrad, zugleich aber ein hoher Einflussgrad auf das Berufsfeld Journalismus sowie die gesellschaftliche Entwicklung zugesprochen werden, verhält es sich bei Letzterem genau umgekehrt. Ein ähnliches Ergebnis wie im Falle Karl Kraus’ konnte auch bei Carl von Ossietzky (18891938) und Max Winter (1895-1937) festgestellt werden. Ein wichtiger Aspekt für die Erstellung unserer Top-100-Liste war von Beginn an die Einbeziehung journalistischer Leistungen aus möglichst unterschiedlichen Genres, nicht zuletzt, um eine möglichst große Vielfalt des Journalistenberufes abzubilden: In unseren
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Top 100 befinden sich Kriegsberichterstatter ebenso wie Enthüllungsjournalisten und Reiseberichterstatter sowie auch Autoren, die wohl gleichrangig ob ihrer literarischen wie journalistischen Leistungen bekannt sind. Letztgenannter Punkt hatte sicherlich starke Auswirkungen auf die Reihung durch die befragten Chefredakteure, wie beispielsweise anhand von Theodor Fontane auf dem zehnten Platz unterstellt werden kann. Dieser hat die Befragten weder persönlich noch das Berufsfeld des Journalismus beeinflusst, allerdings wird ihm ein starker Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung beschieden: So wurde durchwegs für eine Aufnahme Fontanes in einen Journalistenkanon plädiert. Heinrich Heine, der unser Ranking anführt, hat wiederum in allen Punkten – Bekanntheitsgrad, persönlicher Einfluss auf die Befragten, Einfluss auf das Berufsfeld Journalismus sowie Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung – reüssieren können. Erwähnenswert ist, dass der Fotojournalist Erich Lessing (*1923) als einzige lebende Persönlichkeit in unsere Liste aufgenommen wurde, da sein Werk im Vergleich zu dem anderer bereits verstorbener Fotografen bereits zu seinen Lebzeiten als mindestens ebenso bedeutsam eingeschätzt wurde. Im Ranking ist Lessing an 30. Stelle zu finden. Von Alfred Worm (1945-2007) sah sich keiner der Befragten persönlich beeinflusst, jedoch wurde ihm Einfluss auf das Berufsfeld Journalismus zugeschrieben. Dennoch erhielt er nur wenige Stimmen für die Aufnahme in einen Kanon. Die Durchführung sowie die Ergebnisse unseres Top-100-Projekts weisen keine statistischen Signifikanzen auf, sondern lassen vielmehr auf den hohen Grad an Komplexität in der Wahrnehmung des journalistischen Berufsfeldes sowie des journalistischen Selbstverständnisses und den dynamisch-prozesshaften Charakter der Kanonbildung und -pflege für den Journalismus schließen. Trotz der unbestreitbaren Rolle persönlicher Vorlieben und subjektiver Einschätzungen bei der Kanonbildung finden sich in unseren Top 100 insgesamt zwölf Persönlichkeiten wieder, die auch in Egon Erwin Kischs Anthologie „Klassischer Journalismus“ mit Werkbeispielen vertreten sind – ein Beweis ihrer dauerhaften Bedeutung weit über ihren Tod hinaus und über die Jahrzehnte, ja sogar ein bis zwei Jahrhunderte, hinweg. Dazu zählen folgende Positionen im Top-100-Ranking (vgl. die Liste im Anhang): 1, 5, 8, 10, 46, 48, 54, 59, 59, 83, 84, 92. Die Reihung durch die befragten Chefredakteure würfelt die Namen zeitlich durcheinander, deshalb sei noch ein anderer wesentlicher Aspekt überlegt: der der zeitlichen Einordnung der gelisteten Journalistinnen und Journalisten in unterschiedliche Phasen bzw. Perioden des Journalismus.
Journalismus bis 1848 Hier sind diejenigen Journalisten unserer Top 100 eingeordnet, deren Schaffen großteils vor der Revolution 1848, in deren Rahmen schließlich die Forderung nach gesellschaftlichen und politischen Veränderungen hin zu Demokratie und somit nach Pressefreiheit (und weg von Zensur) laut wurde, datiert ist. Folgende 16 Positionen im Top-100-Ranking, bestehend ausschließlich aus männlichen Journalisten, fallen in diese erste Phase: 1, 8, 23, 31, 39, 46, 54, 59, 67, 74, 85, 92, 92, 92, 96, 97. Ganz aus dem zeitlichen Rahmen fällt hier David Fassmann (1683-1744), welcher der Periode des „korrespondierenden Journalismus“ zuzuordnen ist, worunter „das Einholen,
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Sammeln und Veröffentlichen weitgehend per Korrespondenzen weitergegebenen Nachrichten beziehungsweise Gerüchten“ verstanden wird. „Die ,Journalisten‘ in diesem Sinne waren Postmeister oder Drucker, die die auf unterschiedlichen Wegen zu ihnen gedrungenen Nachrichten häufig ohne weitere redaktionelle Bearbeitung zusammenstellten und abdruckten.“ (Requate 1995: 118) Alle weiteren hier inkludierten Persönlichkeiten gehören zeitlich bereits in die Periode des „schriftstellerischen Journalismus“ (ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Vormärz mit der Märzrevolution 1848/49). In dieser Phase „spricht viel dafür, dass die Ereignisse der Französischen Revolution einiges dazu beitrugen, dass der Anspruch an die Qualität und Schnelligkeit der Berichterstattung deutlich anstieg“ (Requate 1995: 122), da diese Ereignisse ständige Berichterstattung und einen korrekten Umgang mit Informationen verlangten (vgl. ebd.).
Journalismus des 19. Jahrhunderts Hier sind alle Top-100-Journalisten gelistet, deren Schaffen die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts (ab 1848/49) bis Anfang des 20. Jahrhunderts umfasst. Als zeitlicher Orientierungspunkt wurde hier Kischs Anthologie zum „Klassischen Journalismus“ herangezogen. Insgesamt neun wiederum ausschließlich männliche Vertreter des Journalismus fallen in diese beginnende Periode des „redaktionellen Journalismus“, die bis in die heutige Zeit andauert (vgl. Requate 1995: 118). Durch die Märzrevolution 1848/49 sind erste Spuren der Demokratisierung erkennbar. Der Journalismus erlebt Professionalisierungstendenzen im Sinne einer langsamen Entwicklung zu einem Hauptberuf (vgl. Requate 1995: 125ff.). Folgende Positionen im Top-100-Ranking sind in diese Phase einzuordnen: 5, 10, 45, 48, 59, 81, 83, 84, 98.
Journalismus der Moderne Hier werden diejenigen Journalisten zusammengefasst, deren Schaffen ab Ende des 19. Jahrhunderts bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts einzuordnen ist. Als Orientierungspunkt dient hier die Anthologie „Sensationen des Alltags“, die an Kischs Anthologie zum „Klassischen Journalismus“ anschließt. In diese Phase fallen mit 57 Journalistinnen und Journalisten mehr als die Hälfte unserer Top 100, was angesichts der Länge der Zeitspanne dieser Phase wenig verwunderlich ist. Folgende Positionen im Top-100-Ranking sind dem Journalismus der Moderne zuzuordnen: 2, 3, 4, 7, 9, 12, 13, 16, 19, 20, 21, 24, 25, 27, 29, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 39, 39, 42, 42, 44, 48, 50, 50, 53, 56, 57, 58, 59, 59, 63, 64, 65, 66, 67, 67, 67, 71, 72, 73, 74, 74, 77, 78, 78, 82, 88, 89, 89, 92, 99, 100. Zählt man die unter der nächsten Kategorie „Journalismus bis zur Gegenwart“ gelisteten Persönlichkeiten dazu, sind es gar 75 Journalisten, welche dieser Phase zuzuordnen sind.
Der real existierende Hochkulturjournalismus
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Journalismus bis zur Gegenwart An dieser Stelle sind die Top-100-Positionen derjenigen Journalisten aufgelistet, deren Schaffensperiode bis in das 21. Jahrhundert reicht(e). Insgesamt handelt es sich um 18 Persönlichkeiten unseres Kanons: 6, 11, 14, 15, 17, 18, 22, 26, 28, 30, 38, 46, 52, 55, 80, 86, 87, 89. Der Kanon „Top 100 des deutschsprachigen Journalismus“ umfasst somit insgesamt Persönlichkeiten mit Schaffensperioden in drei Jahrhunderten – ab Beginn des 18. Jahrhunderts (im Falle Fassmanns sogar Ende des 17. Jahrhunderts) bis hinein in die heutige Zeit, dem Beginn des 21. Jahrhunderts.2
4.
Nachbemerkung Übrigens – Journalistik ist für mich genauso eine literarische Gattung wie Roman oder Poesie. Qualitative Unterschiede gibt es zwischen Werken und Autoren, nicht zwischen Gattungen. (Laub 1986)
„Kanon hat Konjunktur“ – mit diesem Postulat stellte ein Verlag 2007 seine Neuerscheinung „Die Bildung des Kanons“ vor (Ehrlich 2007). Dafür spricht vieles: die von Marcel Reich-Ranicki herausgegebene monumentale fünfteilige Sammlung „Der Kanon“: Essays, Gedichte, Dramen, Erzählungen, Romane; die jüngste Serie der „Zeit“ über „100 Klassiker der modernen Musik“; die 2006 begonnene und bis 2010 abgeschlossene dreibändige, über 2000 Seiten umfassende Dokumentation über unseren Top 1 („Heine und die Nachwelt“ [Goltschnigg/Steinecke 2006-2010]); ein Band wie „Das Buch Österreich“ mit Texten, „die man kennen muss“ (Rauscher 2005), oder auch – initiiert von Heinz Ludwig Arnold – die Einrichtung eines literaturwissenschaftlichen Promotionskollegs in Göttingen zu „Wertung und Kanon“. In Reich-Ranickis Sammlung fehlt der Journalismus als eigene „Gattung“. Dieses Versäumnis wird man weniger diesem wahrhaft erfahrenen Kritiker und Herausgeber anlasten dürfen als der Traditionsvergessenheit derjenigen Wissenschaftler und Berufskollegen, die für diesen Teil der Kultur zuständig und verantwortlich sind. Auf uns, auf sie trifft ganz besonders zu, was Reich-Ranicki als Gründe für die Konstruktion eines Kanons plädieren lässt: das in Deutschland häufig gebrochene Verhältnis zur Tradition: „Man fängt gern von neuem an. Das ist verständlich und noch keineswegs verwerflich. Bedenklich wird es erst da, wo man von neuem anfängt, weil man das Alte nicht hinreichend kennt oder gar nicht kennen will; und wo man nur so tut, als würde man von neuem anfangen.“ So lässt sich mit ihm unsere Aufgabe für einen „Kanon Journalismus“ präzisieren: Der Rückgriff auf das Vergangene erfolgt stets um der Gegenwart willen – und nur von ihr kann er seine Rechtfertigung beziehen. Nicht die Asche suchen wir, sondern die Glut, das Feuer. Nicht das Alte wollen wir erhalten, sondern im Alten das Gute und Lebendige ausfindig machen und bewahren. (Reich-Ranicki o.J.)
2
Als Teil des Projekts wurden auch Kurzbiografien und Literaturverweise sowie Auswahlbibliografien zu jeder Top-100-Persönlichkeit ausgearbeitet, die aus Umfangsgründen online verfügbar sind (vgl. http://homepage.univie.ac.at/wolfgang.langenbucher).
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Wolfgang R. Langenbucher & Irmgard Wetzstein
Literatur Bloom, Harold (1994): The Western Canon. The books and school of the ages. New York. Duchkowitsch, Wolfgang/Hausjell, Fritz/Hömberg, Walter/Kutsch, Arnulf/Neverla, Irene (Hrsg.) (1998): Journalismus als Kultur. Analysen und Essays. Wiesbaden. Ehrlich, Lothar (Hrsg.) (2007): Die Bildung des Kanons. Textuelle Faktoren – kulturelle Funktionen – ethische Praxis. Köln, Weimar, Wien. Grittmann, Elke (2008): Das politische Bild. Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie und Empirie. Köln. Goltschnigg, Dietmar/Steinecke, Hartmut (Hrsg.) (2006-2010): Heine und die Nachwelt. Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen Ländern. Texte und Kontexte, Analysen und Kommentare. 3 Bde. Berlin. Hausjell, Fritz/Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg. unter Mitarbeit von Andreas Ulrich) (1995): Vertriebene Wahrheit. Journalismus aus dem Exil. Wien. Hausjell, Fritz/Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg. unter Mitarbeit von Ursula Kiermayr und Christian Schwarzenegger) (2005): Unerhörte Lektionen. Journalistische Spurensuche in Österreich 1945-1955. Wien. Hodenberg, Christina von (2006): Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973. Göttingen. Jakobs, Hans-Jürgen/Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.) (2004): Das Gewissen ihrer Zeit. Fünfzig Vorbilder des Journalismus. Wien. Kisch, Egon Erwin (Hrsg.) (1923): Klassischer Journalismus. Die Meisterwerke der Zeitung. Gesammelt und herausgegeben von Egon Erwin Kisch. Berlin. Knieper, Thomas (2004): Professioneller Bildjournalismus und Medienkompetenz. In: Fasel, Christoph (Hrsg.): Qualität und Erfolg im Journalismus. Konstanz, S. 83-94. Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg. unter Mitarbeit von Hannes Haas, Fritz Hausjell und Gian-Luca Wallisch) (1992): Sensationen des Alltags. Meisterwerke des österreichischen Journalismus. Wien. Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.) (2001-2007): Buchreihe zur Theodor-Herzl-Vorlesung. Wien. Langenbucher, Wolfgang R. (2007): Rezension von Stephan Weichert/Christian Zabel (Hrsg.): Die AlphaJournalisten. Deutschlands Wortführer im Porträt. In: Medien & Zeit, 22. Jg., Nr. 4, S. 46-47. Laub, Gabriel (1986): Die Freiheit des Schreibenden. Warum wird man eigentlich Schriftsteller? In: Das Parlament v. 6.9.1986. o.V. (1999): The Top 100 Works of Journalism in the United States in the 20th Century. Online unter: http://www.nyu.edu/classes/stephens/Top%20100%20page.htm Pörksen, Bernhard (2006): Die Beobachtung des Beobachters. Eine Erkenntnistheorie der Journalistik. Konstanz. Pörksen, Bernhard/Loosen, Wiebke/Scholl, Armin (2008): Paradoxien der Journalistik. Ein Gespräch mit Siegfried Weischenberg. In: dies. (Hrsg.): Paradoxien des Journalismus. Theorie – Empirie – Praxis. Festschrift für Siegfried Weischenberg. Wiesbaden, S. 721-741. Pöttker, Horst (2005): 400 Jahre Zeitung – 400 Jahre Journalismus? In: Journalistik Journal, 8. Jg., Nr. 1, S. 2. Raddatz, Fritz J. (Hrsg.) (1980): Die Zeit-Bibliothek der 100 Bücher. Frankfurt am Main. Rauscher, Hans (Hrsg.) (2005): Das Buch Österreichs. Texte, die man kennen muss. Dokumente, Zitate, Literatur zur österreichischen Identität. Die wichtigsten Texte über unser Land. Wien. Reich-Ranicki, Marcel (o.J.): Brauchen wir einen Kanon? Online unter: http://www.derkanon.de/index2/ranicki_ kanon Reich-Ranicki, Marcel (2002): Der Kanon: 20 Romane und ihre Autoren. Frankfurt am Main, Leipzig. Requate, Jörg (1995): Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich. Göttingen. Weichert, Stephan/Zabel, Christian (Hrsg.) (2007): Die Alpha-Journalisten. Deutschlands Wortführer im Porträt. Köln. Weischenberg, Siegfried/Malik, Maja/Scholl, Armin (2006): Die Souffleure der Mediengesellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland. Konstanz. Winko, Simone (2002): Literaturkanon als „invisible hand“-Phänomen. In: Korte, Hermann (Hrsg.): Literarische Kanonbildung. München, S. 9-24.
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Anhang: Das Ranking des Projekts „Top 100 – Klassiker des deutschsprachigen Journalismus“ Reihung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39
Journalist Heine, Heinrich Tucholsky, Kurt Kisch, Egon Erwin Roth, Joseph Herzl, Theodor Riehl-Heyse, Herbert Kraus, Karl Börne, Ludwig Polgar, Alfred Fontane, Theodor Augstein, Rudolf Karl Haffner, Sebastian Ossietzky, Carl von Worm, Alfred Gaus, Günter Torberg, Friedrich Nenning, Günther Bondy, Francois Winter, Max Harden, Maximilian Grosz, George Stern, Carola Moritz, Karl Philipp Süskind, Wilhelm Emanuel Nannen, Henri Dönhoff, Marion Meienberg, Niklaus Kuby, Erich Kerr, Alfred Lessing, Erich Claudius, Matthias Salten, Felix Sieburg, Friedrich Spiel, Hilde Corti, Axel Boveri, Margret Jacobsohn, Siegfried Müller-Meiningen jr., Ernst Allemann, Fritz René Nicolai, Friedrich
Lebensdaten 1797-1865 1890-1935 1885-1948 1894-1939 1860-1904 1940-2003 1874-1936 1786-1837 1873-1955 1819-1898 1923-2002 1907-1999 1889-1938 1945-2007 1929-2004 1908-1979 1921-2006 1915-2003 1895-1937 1861-1927 1893-1959 1925-2006 1756-1793 1901-1970 1913-1996 1909-2002 1940-1993 1910-2005 1867-1948 *1923 1740-1815 1869-1945 1893-1964 1911-1990 1933-1993 1900-1975 1881-1926 1908-2006 1910-1996 1733-1811
Herkunft D D A A A D A D A D D D D A D A A CH, D A D D D D D D D CH D D A D A D A A D D D CH D
Wolfgang R. Langenbucher & Irmgard Wetzstein
408
42 44 45 46 48 50 52 53 54 55 56 57 58 59
63 64 65 66 67
71 72 73 74
77 78 80 81 82 83 84
Salomon, Erich Eggebrecht, Axel Wolff, Theodor Sethe, Paul Benedikt, Moriz Grimm, Friedrich Melchior Hürlimann, Ernst Altenberg, Peter Pollak, Oscar Gross, Johannes Kuh, Anton Weber, Harry Haas, Ernst Görres, Johann Joseph Morath, Inge Jungk, Robert Schalek, Alice Therese Emma Fechner, Eberhard Austerlitz, Friedrich Dünser, Margret Forster, Georg Spitzer, Daniel Luft, Friedrich Schwarzschild, Leopold Braunthal, Julius Brück, Max von Feldmann, Else Leichter, Käthe Paul, Bruno Wirth, Johann Georg August Brodmann, Roman Gatterer, Claus Schlesinger, Paul Felix („Sling“) Eisenstaedt, Alfred Siebenpfeiffer, Philipp Jakob Witter, Ben Bischof, Werner Gulbransson, Olaf Weigel, Hans Koch, Thilo Pötzl, Eduard Schmeller, Alfred Kürnberger, Ferdinand Hanslick, Eduard
1886-1944 1899-1991 1868-1943 1901-1967 1849-1920 1723-1807 1921-2001 1859-1919 1893-1963 1932-1999 1890-1941 1921-2007 1921-1986 1776-1848 1923-2002 1913-1994 1874-1956 1926-1992 1862-1931 1926-1980 1754-1794 1835-1893 1911-1990 1891-1950 1891-1972 1904-1988 1884-1942 1895-1942 1874-1968 1798-1848 1920-1990 1924-1984 1878-1928 1898-1995 1789-1845 1920-1993 1916-1954 1873-1958 1908-1991 1920-2006 1851-1914 1920-1990 1821-1879 1825-1904
D D D D A D D A A D A A A D A A A D A D D A D D A D A A D D CH A D D D D CH D A D A A A A
Der real existierende Hochkulturjournalismus
85 86 87 88 89
92
96 97 98 99 100
Wekhrlin, Wilhelm Ludwig Bittorf, Wilhelm Troeller, Gordian Braun, Alfred Auburtin, Victor Jacob, Berthold Zehentmayr, Dieter Gentz, Friedrich von Hicks, Wolfgang Möser, Justus Schubart, Christian F. D. Fassmann, David Pezzl, Johann Sonnemann, Leopold Szewczuk, Mirko Tergit, Gabriele
409 1739-1792 1929-2002 1917-2003 1888-1978 1870-1928 1898-1944 1941-2005 1764-1832 1909-1983 1720-1794 1739-1791 1683-1744 1756-1823 1831-1909 1919-1957 1894-1982
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Die Geburt der Glosse aus dem Zeitungszitat Der Wiener Publizist Karl Kraus und seine Zeitschrift „Die Fackel“ Joachim Pötschke
Der folgende Beitrag hat zum Gegenstand die Entstehung der satirischen Glossen, die der am 28. April 1874 in Jiþín (Ostböhmen) als Sohn eines jüdischen Fabrikanten geborene und am 12. Juni 1936 in Wien verstorbene österreichische Publizist und Schriftsteller Karl Kraus in der im April 1899 von ihm begründeten und seit dem Jahre 1912 von ihm allein geschriebenen Wiener Zeitschrift „Die Fackel“ veröffentlichte. Der Verfasser untersucht, inwieweit Entstehung und Gestaltung der Glossen von Kraus’ Weltbild bestimmt sind und in welchem Umfang sich in ihnen die künstlerische Position widerspiegelt, die Kraus in seiner Zeit einnahm. Die Bezeichnung „Glossen“ findet sich zum ersten Mal in der „Fackel“ Nr. 251/52 vom 28. April 1908, und zwar als Überschrift einer Rubrik, in der Karl Kraus Leserzuschriften, Zeitungsmeldungen oder -berichte, Gedichte u. a. m. vollständig oder auszugsweise zitiert und sie teils mit erläuternden, teils mit kritischen (zustimmenden oder ablehnenden) Bemerkungen versieht. Die einzelnen Glossen tragen noch keine Überschrift; sie sind lediglich durch Sternchen voneinander getrennt. Kraus verwendet den Begriff „Glosse“ zu dieser Zeit offensichtlich noch im ursprünglichen Sinn von „Erläuterung“ oder „Randbemerkung“. In den folgenden vier Jahren gestaltet Kraus seine Glossen zu einer literarischpublizistischen Gattung eigener Art. Erklärungen, Notizen, Selbstanzeigen und Aphorismen werden nicht mehr in die Rubrik „Glossen“ aufgenommen, Leserzuschriften nicht mehr verarbeitet, Bemerkungen erklärenden oder zustimmenden Charakters an anderer Stelle veröffentlicht. Was bleibt, ist eine satirische literarisch-publizistische Kurzform. Den Stoff bilden fast ausschließlich Zitate aus der Tagespresse. Den Charakter der Satire verleihen ihnen entweder der Autortext oder die Überschrift, die besondere Anordnung der zitierten Textstellen, die Spationierung einzelner Wörter oder Sätze. Die Herausbildung dieser Art von satirischer Glosse ist um die Jahre 1911/12 so gut wie abgeschlossen. Ein Beispiel: Stilblüten sammeln sollte nur, wer ein Liebhaber ist. Sie auszujäten zeugt von einem schlechten Geschmack, von einem, der da wünscht, daß in der Zeitung nur korrekte Phrasen wachsen. Stilblüten sind die glücklichen Ausnahmen, denen wir in der Wüste der Erkenntnis begegnen. Und ist es nicht von einer erschütternden Symbolik, wenn einer Zeitung der Satz gelingt: „Sterbend wurde sie ins Spital gebracht, wo sie einem toten Kinde das Leben gab.“ Geschieht das nicht unser aller gemeinsamen Liebsten, der Kultur? Sterbend wurde sie in die Redaktion gebracht und gebar die Phrase. Ach, wer doch dem toten Kind das Leben gäbe! Er würde die Mutter retten.
Als Vorläufer dieser Art von Glossen können vor allem die „Antworten des Herausgebers“ gelten, deren erste bereits im zweiten Heft der „Fackel“, Mitte April 1899, erscheinen und deren letzte in der Nummer 230/31 vom Juli 1907 zu finden sind. In den beiden ersten Jahren handelt es sich vorwiegend um echte Antworten auf Leserzuschriften und nur gele-
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Joachim Pötschke
gentlich um Invektiven gegen Literaten, Journalisten, Beamte und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Im 3. Jahrgang ähneln die „Antworten“ bereits den später erscheinenden Glossen. Sie sind – bis auf wenige Ausnahmen – nicht mehr an bestimmte Personen gerichtet, sondern stellen Kraus’ Antwort – eine vorwiegend satirische Antwort – auf bestimmte Ereignisse oder deren Wiedergabe durch die österreichische Presse dar. Die Fiktion einer Antwort auf Leserzuschriften wird nur noch formal aufrecht erhalten, indem Kraus das jeweilige Stichwort (journ.: Spitzmarke) am Anfang der „Antwort“ beibehält. Die Spitzmarke hat jedoch schon den Charakter einer Überschrift und drückt bisweilen bereits eine Wertung aus. Die meisten der fingierten „Antworten“ zeigen den gleichen Aufbau wie viele der späteren Glossen: Angabe des Themas bzw. der Quelle, Zitat, satirische Glossierung des Zitats und Schluss (als zusammenfassende Wertung oder als Pointe). Häufig beschränkt sich Kraus schon zu dieser Zeit auf ein Zitat und die Spationierung der fragwürdigen Textstellen. Dasselbe Verfahren wendet er später auch dort an, wo es ihm nicht nur um Sprachkritik geht. In diesen Fällen erfolgt die satirische Glossierung in der Hauptsache durch die Überschrift. Zwei Beispiele: Herrn Angelo Eisner v. Eisenhof. Ich begreife Ihren Schmerz, daß Sie auch nach der Mitwirkung am AllandBall den Franz Josefs-Orden, den Sie „u. a.“ noch nicht besitzen, entbehren müssen. Aber da läßt sich nichts machen, aber auch nichts überhasten. Ich bin überzeugt, Sie bekommen ihn. Versuchen Sie es vielleicht, am nächsten Geburtstag des Kaisers die Volkshymne in der Kirche des Curorts, in dem Sie gerade weilen, mit mehr Wärme zu singen. (Die Fackel, Nr. 34, Anfang März 1900) Reisender. Unter dem Titel: „Kein Unfall auf der Südbahn“ schreibt die ‚Mittagszeitung‘: „In der Station Knittelfeld hat sich gestern ein Eisenbahnunfall zugetragen, indem ein Güterzug, ohne daß übrigens irgend ein besonderer Schaden zu verzeichnen gewesen wäre, entgleiste. Infolge eines Irrtums trug diese Meldung in unserem Blatte die Überschrift: ‚Unfall auf der Südbahn‘; es sei hiermit richtiggestellt, daß Knittelfeld keine Station der Südbahn, sondern der Staatsbahn ist.“ Das ist der Dank, den die Südbahn für ihre Pauschalien erntet: Zuerst die falsche Meldung und dann noch die viel kränkendere Berichtigung. Es wäre wirklich besser gewesen, das Odium dieses einen Unfalls auf der Südbahn zu lassen, als zu verraten, daß die irrtümliche Meldung der selbstverständlichen Annahme, daß sich alle Eisenbahnunfälle auf der Südbahn ereignen, ihre Entstehung verdankt. (Die Fackel, Nr. 223/24 vom 12. April 1907)
Als eine zweite Vorform der Glossen sind die „Lapidarsätze der ‚Neuen Freien Presse‘“ zu nennen, die bereits im fünften Heft der „Fackel“, Mitte Mai 1899, und in den darauffolgenden Heften enthalten sind. Hier handelt es sich in erster Linie um Sprachkritik, wie sie später auch in vielen Glossen geübt werden sollte. Wieder ein Beispiel: Lapidarsätze der „Neuen Freien Presse“. Leitartikel vom 20. Mai: „Ein gütiges Geschick hat den Erzherzog Albrecht davor bewahrt, 1859 in Italien und 1866 in Böhmen an dem Kriege theilzunehmen.“ – Feuilleton von Hugo Wittmann in der Pfingstbeilage: „Am 18. Mai 1799 starb in Paris Caron de Beaumarchais – zwei Tage später, am 20. Mai 1799 wurde in Tours Honoré de Balzac geboren… Frankreich konnte also dieser Tage ein stolzes Doppeljubiläum feiern.“ (Die Fackel, Nr. 5, Mitte Mai 1899)
Als weiterer Vorläufer der Glossen des Jahres 1908 kann schließlich (nicht „letztendlich“ oder gar „schlussendlich“, wie heutzutage immer wieder zu lesen und zu hören ist) die Gegenüberstellung ganzer Texte gelten, die ebenfalls schon in den ersten Heften der Fackel auftritt und später – mit glossierender Überschrift – zu einem wirksamen Mittel der Aufdeckung gesellschaftlicher oder subjektiver Widersprüche wird. (Auf ein Beispiel muss aus Platzgründen verzichtet werden.)
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Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man zu dem Schluss kommen, Karl Kraus sei zwischen 1899 und 1908 lediglich auf der Suche nach einer geeigneten Form der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt gewesen. Ein Trugschluss, dem einige seiner Biografen tatsächlich erlegen sind. Dass es sich beim Übergang von den „Antworten des Herausgebers“ zu den „Glossen“ um mehr handelte als um den Verzicht auf eine jahrelang geübte und den Übergang zu einer neuen Form der Gestaltung, darauf lassen Äußerungen schließen, die Kraus gerade in dem fraglichen Zeitraum, den Jahren 1907/08, macht. So schreibt er im Mai 1907, zwei Monate vor dem letztmaligen Erscheinen der „Antworten“, unter der Spitzmarke „Leser“: In Wien glaubt man offenbar noch immer, daß ich der Inhaber eines „Aufdeckungsbureaus“ bin. Und doch wirkt seit Jahren nichts so verstimmend auf meine Magennerven wie das Wort „Übelstände“ […] Mir zuzumuten, daß ich in jeder Nummer der „Fackel“ von schlechtbezahlten Überstunden und von verweigerten Mittagspausen sprechen soll, ist schwachsinnig. Ich bin nämlich Schriftsteller und nicht Aufdecker. Und tausend „Beschwerden“, von denen fünfhundert gerecht sein mögen, muß ich im Laufe eines Jahres unerledigt lassen […] weil meine Feder kein Automat ist und manchmal sogar auf die stilistischen Reize eines kleinen Übelstandes eher reagiert, als auf die ethischen Forderungen eines größeren. […] Wenn ich einmal die „Fackel“ beschließe, eröffne ich mein „Museum der Dummheit“, das ich mir dank einem täglichen Briefeinlauf seit acht Jahren angelegt habe. Dann erst beginnt mein Kampf gegen die wahre öffentliche Meinung, deren schwächliches Zerrbild das Zeitungswesen darstellt. (Hervorhebungen J.P.)
Wenig später, in dem ersten Heft, das ohne die „Antworten“ erscheint, klagt Kraus: In dieser Stadt […] bin ich zum Diener der Aktualität bestellt, zum abhängigsten Journalistendasein verurteilt. Ich […] könnte doch das wahre Ideal der publizistischen Freiheit, das mir vorschwebt, nur erreichen, wenn ich die Feder niederlege. Wenn ich diese Zeitschrift eingehen lasse, deren zwangloseste Folge des Erscheinens mich zur Beschäftigung mit einer verhaßten Tatsachenwelt zwingt. Mein Fall wäre es, die Gemeinheit des Lebens und die Dummheit des Menschen in großen Bildern abzuziehen, und eben jener Geist, den ich bekämpfe, gönnt mir nur die kleinen Rahmen. (Hervorhebung J.P.)
Der Irrtum mancher Biografen wird noch deutlicher, wenn man die eben zitierten Äußerungen mit dem programmatischen Geleitwort vergleicht, das der junge Karl Kraus acht Jahre zuvor zum Erscheinen der „Fackel“ geschrieben hatte. Dabei zeigt sich, dass Kraus’ Weltbild in diesen acht Jahren eine tiefgreifende Wandlung erfahren hat, die sowohl für den Inhalt als auch für die Form seiner Glossen bestimmend werden musste. In dem Geleitwort wird nicht die „Flucht aus der Aktualität“ gepriesen und der Kampf gegen Übelstände als „Beschäftigung mit einer verhaßten Tatsachenwelt“ abgelehnt, sondern es wird zum Kampf aufgerufen „gegen cliquenmäßige Verkommenheit auf allen Gebieten“. Dort wird die Mitarbeit der Leser noch nicht als „nicht erwünscht“ abgewiesen; es wird vielmehr die Hoffnung ausgesprochen, dass der „Kampfruf, der Mißvergnügte und Bedrängte aus allen Lagern sammeln“ wolle, „nicht wirkungslos verhalle“, sondern „Oppositionsgeister […] befeuern“ und sie zu einer „beherzten Fronde […] ermuntern“ möge. Damals mochte Kraus noch hoffen, seinem Lande helfen zu können, indem er als Publizist, als politischer Tagesschriftsteller, an einer Entwicklung Kritik übte, die nach seiner Überzeugung das Ende Österreich-Ungarns beschleunigen musste. Und tatsächlich stand dieses Ende bevor: Die Zuspitzung der nationalen und der gesellschaftlichen Gegensätze in der Habsburger Monarchie, die wirtschaftliche Zerrüttung des Landes, die Krise des Parlamentarismus und der Regierungsgewalt hatten einen solchen Grad erreicht, dass der Zusammenbruch des Habsburger Reiches nur mehr eine Frage der Zeit war.
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Unter diesem Aspekt freilich muss die Gründung der „Fackel“ als der zumindest zweifelhafte – und nahezu verzweifelte – Versuch eines Einzelnen erscheinen, eine bürgerliche Öffentlichkeit, die „zwischen Unentwegtheit und Apathie ihr phrasenreiches oder völlig gedankenloses Auskommen“ fand, zur Besinnung zu rufen. Das Zweifelhafte dieses Versuchs hat Kraus offenbar selbst empfunden. Dafür spricht der zwischen Hoffnung und Ungewissheit schwankende Ton des Geleitwortes; dafür spricht auch die Zurückhaltung, die Kraus bezüglich des Programms der „Fackel“ übte: „Was hier geplant wird, ist nichts anderes als eine Trockenlegung des weiten Phrasensumpfes, den andere immerzu national abgrenzen möchten.“ Trotz alledem wagte Kraus den Versuch. Sein Appell an die Missvergnügten und Bedrängten aus allen Lagern war allerdings nicht wörtlich zu nehmen. Er strebte keineswegs die Sammlung einer politischen Oppositionsbewegung an, noch weniger die Gründung einer neuen Partei. Er wollte vielmehr außerhalb des „politischen Betriebes“ bleiben, sich durch keine „Weisungen“ von seinem „Beobachtungsposten“ locken lassen. So beschränkte er sich von vornherein auf die publizistisch-literarische Kritik an der späten österreichischen Gesellschaft und ihrer Kultur. In den ersten Jahren der „Fackel“, der „sozial-ethischen Periode“, wie sie Friedrich Jenaczek, gestützt auf eine Äußerung von Karl Kraus aus dem Jahre 1908, in seinen „Zeittafeln zur ‚Fackel‘“ genannt hat, führte Kraus einen unermüdlichen Kleinkrieg gegen die Korruptheit der Wiener Presse und des Theaters, kämpfte er nicht nur gegen Bürokratie, Universitätsmisere und veraltete Gesetze, zeichnete nicht nur das „Gehirnweichbild“ des „Wiener Literatentums“, entlarvte nicht nur politische Schmarotzer und Nullen, sondern ergriff auch vehement Partei für die „ausgemergelten Industriesclaven“, die streikenden Brünner Weber und Spinner und die Kohlengräber des Ostrau-Karwiner Reviers und geißelte den „frechen Trotz der Ausbeuter“: Ja, hat man bisher die Schädlichkeit der Sippe, gegen die die Kohlenarbeiter jetzt kämpfen, nicht gekannt? Oder hat man geglaubt, die Rothschild, Gutmann, Wittgenstein würden plötzlich aus der Art schlagen und Menschenwohl über Capitalprofit stellen? Wenn Herr Rothschild ein wohlthätiges Institut mit ein paar tausend Gulden unterstützt, wenn Frau Gutmann als Patronesse in den Ballsaal einzieht, in dem zu wohlthätigem Zweck getanzt wird, dann ist es an der Zeit, davon zu sprechen, daß die verbrecherische Ausbeutung von hunderttausend Menschen diesen Leuten die Mittel bietet, mit deren tausendstem Theil sie hundert Menschen zu Hilfe kommen […] (Die Fackel, Nr. 31, Anfang Februar 1900)
Schon die bisher zitierten Selbstzeugnisse können die Auffassung stützen, dass Karl Kraus in den fraglichen Jahren eine Wandlung durchgemacht hat. Noch deutlicher lassen vier Essays die weltanschaulichen und künstlerischen Probleme erkennen, denen sich der Schriftsteller zwischen 1900 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellte: die „Apokalypse“ (1908), „Heine und die Folgen“ (1910), „Nestroy und die Nachwelt“ (1912) und „Untergang der Welt durch schwarze Magie“ (1912).
1.
Die „Apokalypse“ – das Problem der Öffentlichkeit
„Apokalypse. (Offener Brief an das Publikum)“ lautet der volle Titel der Anrede, die Kraus im Oktober 1908 an seine Leserschaft richtete. Mit der Überschrift deutet Kraus nicht nur auf die beiden Teile der Arbeit, die eigentliche „Offenbarung“ und die Anrede der Leser, – er will vielmehr beide in unmittelbare Beziehung gesetzt wissen: „Apokalypse“ meint Ver-
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kündigung des Weltuntergangs für das Publikum des Jahres 1908. Dafür spricht Kraus’ eigener Text, der das Thema Weltuntergang vielfach variiert: Den Weltuntergang […] datiere ich von der Eröffnung der Luftschiffahrt […] Es ist meine Religion, zu glauben, daß Manometer auf 99 steht […] Durch Deutschland zieht ein apokalyptischer Reiter, der für viere ausgibt… Wir halten bei der apokalyptischen 666 […]
Dafür spricht auch, dass Kraus Verse und einzelne Textstellen der biblischen JohannesApokalypse auf aktuelle Erscheinungen bezieht: auf eine Luftschiffkatastrophe, auf die Presse, den deutschen Kaiser, die Kriegsgefahr. Der Begriff „Weltuntergang“ will freilich nicht wörtlich genommen werden. „Der wahre Weltuntergang“, so schreibt Kraus, „ist die Vernichtung des Geistes, der andere hängt von dem gleichgültigen Versuch ab, ob nach Vernichtung des Geistes noch eine Welt bestehen kann.“ Vernichtung des Geistes ist für Kraus wiederum gleichbedeutend mit Vernichtung der Kultur, insbesondere der Kunst. „Welt“ stellt sich ihm folglich dar als Welt der Kultur, als Welt der Kunst. Alles andere – Wissenschaft und Technik, Ökonomie und Politik – gehört zu einer anderen, zur „äußeren Welt“, deren Fortdauer Kraus zufolge „bloß ein Experiment“ ist. Die Ursache des Untergangs erblickt er darin, dass „die Menschheit“ den Anforderungen des Zeitalters geistig nicht mehr gewachsen ist: […] am Ende liegt eine tote Menschheit neben ihren Werken, die zu erfinden sie soviel Geist gekostet hat, daß ihr keiner mehr übrig blieb, sie zu nützen. Wir waren kompliziert genug, die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen.
Die Menschheit, hypnotisiert vom zivilisatorischen Fortschritt und vergiftet durch die Presse, verzichtet unaufhörlich „auf alle seelische Erneuerung“; ihr Leben ist „auf Äußerlichkeiten gestellt“, sie ist der Natur entfremdet und hat deshalb auch keine echte Beziehung mehr zur Kunst. Angesichts aller dieser Umstände, so meint Kraus, hat der Künstler „von einem Morgen nichts zu erwarten“ und am allerwenigsten von einem zeitgenössischen Publikum, durch dessen Gehirne „zweimal im Tag der Mist der Welt gekehrt wird“, einem Publikum, das durch die Presse daran gewöhnt worden ist, „stoffliche Sensationen“ zu suchen und das geschriebene Wort lediglich als die „gesellschaftspflichtige Hülle der Meinung“ zu begreifen, nicht aber als die „naturnotwendige Verkörperung des Gedankens“. Mit einem solchen Publikum will Kraus nichts mehr zu tun haben. Deshalb die Anrede an die Leser: „Wir gehen jetzt ins zehnte Jahre zusammen, wir wollen nicht nebeneinander älter werden, ohne uns über die wichtigsten Mißverständnisse geeinigt zu haben.“ Es sind vor allem zwei Missverständnisse, die Kraus zu klären wünscht: einmal der Glaube, das bürgerliche Publikum sei eine „verehrungswürdige Standesperson“ und der einzelne Leser habe das Recht, dem Schriftsteller sein Missfallen an dessen „Richtung“ kundzutun oder gar zu verlangen, dass dieser der Lebensauffassung und den Stimmungen des Lesers diene; zum anderen die Meinung, der Schriftsteller Karl Kraus sei ein „Enthüller stofflicher Sensationen“. Gegenüber dem ersten Missverständnis vertritt Kraus den Standpunkt des autonomen Künstlers; gegenüber dem zweiten macht er seine künstlerische Entwicklung geltend, die ihn von den Tagen, da er „in äußeren Kämpfen lebte“, weit entfernt habe. Weit entfernt glaubt Kraus sich auch von den Politikern, die „das Leben im Stoffe“, und von den Ästhe-
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ten, die „das Leben in der Form […] suchen“. Das wahre Leben verkörpert sich ihm im Naturerleben – worin das Erlebnis des Eros eingeschlossen ist –, im Erleben der Sprache, im künstlerischen und im Kunsterleben. Natur, Sprache, Kunst – das sind die Begriffe, die in den Werken der folgenden Jahre immer wiederkehren und die zugleich einen der Grundbegriffe des Weltbildes von Kraus antizipieren, den Begriff des „Ursprungs“. Die Bedeutung dieses Begriffs und seines Gegenbegriffs „Untergang“ für das Leben und Denken und für das Werk Karl Kraus’ hat als erster Hans Mayer (1957) in seinem Essay „Karl Kraus und die Nachwelt“ umfassend dargestellt. „Ursprung und Untergang“, so schreibt er, „sind Grundbegriffe in dieser sonderbaren Metaphysik; sie entsprechen einander. Im Begriff der ‚Nachwelt‘ sind sie dialektisch vereinigt, denn Kraus empfindet sich als Nachwelt gegenüber dem Ursprung, und er sieht die Nachwelt, die nach ihm kommen wird, im Zeichen des Untergangs […] Karl Kraus empfand sich als Menschen und Dichter, der dem Ursprung nahegeblieben war und von diesem Platz aus das Recht herleitete, eine ursprunglos gewordene Mitwelt zu verurteilen.“ Karl Kraus beschließt den Essay mit den Worten: „Ich sollte meine Angstrufe in Deutschland ausstoßen, denn in Österreich bezieht man sie am Ende auf die Kappen und nicht auf die Köpfe. Aber ein satanischer Trieb verlockt mich, die Entwicklung der Dinge hier abzuwarten und auszuharren, bis der große Tag des Zornes kommt und die tausend Jahre vollendet sind. Bis der Drache losgelassen ist und mir eine Stimme aus den Wolken ruft: ‚Flieg’n m’r, Euer Gnaden?‘“
2.
„Heine und die Folgen“ – das Problem der Sprache
Karl Kraus hatte jahrelang beobachtet, dass der Wiener bürgerliche Journalismus sich in zunehmendem Umfang pseudokünstlerischer Mittel bediente, um seine Informationen wirksamer verbreiten zu können, dass er seine Korruptheit mit einer Glasur aus Feuilletons, Schmucknotizen und Stimmungsberichten überzog und dass die „impressionistischen Laufburschen“ der Wiener Presse bei jeder nur denkbaren Gelegenheit ihre „poetischen Schnörkel“ anbrachten, um „die Hülle der schlechten Absicht gefällig zu machen“. Dieser Missbrauch sprachkünstlerischer Mittel durch die merkantile Meinungspresse führt Kraus nun nicht zu tieferen Einsichten in das Wesen und die gesellschaftlichen Grundlagen dieser Presse, sondern zu der Frage: Wer hat die Möglichkeit, die deutsche Sprache zu feuilletonistischen Zwecken zu handhaben, entdeckt? Er gibt die Antwort: „Das hat Heinrich Heine besorgt“ und misst auch das Künstlertum Heines ausschließlich an dessen seichten Nachahmern und an seiner eigenen metaphysischen Auffassung vom SprachKunstwerk. Er betrachtet Heines Poesie und Prosa vom Standpunkt eines Dichters, dem die Sprache zu einem fast überirdischen Wesen geworden ist: Die sprachliche Schöpfung ist ein „Wunder“, die Wiedergeburt des alten Wortes ist ein „Geheimnis“, der Sprache teilhaftig zu werden, ist eine „Gnade“. Kraus empfand sich als Künstler, der nicht mit, sondern aus der Sprache schuf. „Aus der Sprache schaffen“ umschreibt bei ihm einen nach seiner Meinung nur dem Sprachkünstler, dem Dichter bekannten und erlebbaren Vorgang: die Findung des Gedankens mit Hilfe der Sprache. In „Heine und die Folgen“ ist die Entstehung des sprachlichen Kunstwerks bereits weitgehend idealistisch verzerrt und mystifiziert dargestellt. An ihrem Beginn steht nicht das gedankliche Abbild der Wirklichkeit im Bewusstsein des Künstlers, ein Abbild, das bereits an sprachliche Formen, an Sprachdenken
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gebunden ist, an ihrem Beginn steht vielmehr die Sprache, stehen ungezählte Sprachelemente, in denen alle Gedanken bereits im Keim enthalten sind. Indem der Künstler diese Elemente vereinigt, erzeugt er den Gedanken: „[…] nur in der Wonne sprachlicher Zeugung wird aus dem Chaos eine Welt“. Von der Wirklichkeit und ihrer Widerspiegelung im Denken des Künstlers wird in dieser Metaphysik nur als vom „stofflichen Erleben“ gesprochen. Dieses „Erleben“ spielt bei Kraus jedoch eine untergeordnete Rolle. Die Wirklichkeit ist ihm nur als Anlass der Gestaltung brauchbar, der künstlerische Gehalt wird mit der Sprache gleichgesetzt. Das führt schließlich zur theoretischen Trennung von Inhalt und Form, so nachdrücklich Kraus auch sonst die Einheit beider Komponenten im künstlerischen Schaffensprozess betonen, so überzeugend er sie auch in seiner Prosa und in seinen Gedichten zumeist verwirklichen mochte. Die Ursachen der Überbewertung des Sprachlichen sind letztlich gesellschaftlicher Natur. Karl Kraus hat des Öfteren auf sie hingewiesen. Schon in der „Apokalypse“ hatte er bekannt, wie tief er unter der Kunstfeindlichkeit seiner Epoche litt, wie sehr er fürchtete, dass sich Menschen „für den Erlag zweier Nickelmünzen an seiner Freiheit vergreifen“ könnten, und wie lächerlich ihm die Vergünstigung erschien, die es dem Einzelnen ermöglichte, „um den Preis eines Schinkenbrots ein Werk des Geistes zu beziehen“. Damit war er der Erkenntnis vom Warencharakter der Kunst im Kapitalismus sehr nahe gekommen. Die Verdinglichung der Kunst in der Warengesellschaft machte ihm wie allen echten Künstlern seiner Zeit die Gestaltung der ihn umgebenden Wirklichkeit immer problematischer. Da diese Wirklichkeit ihm feindlich gegenüberstand und er sie nicht voll durchschaute, suchte er ihr zu entgehen und gleichzeitig zu begegnen, indem er sich einseitig den Werten der Sprache zuwandte. Das musste jedoch auch zu einer einseitigen Bewertung der Sprache im Denken des Künstlers führen. Zweifellos haben verschiedene Faktoren dabei eine vermittelnde Rolle gespielt. Wesentlich dürften für Kraus vor allem die Erfahrungen gewesen sein, die er als Lyriker und als Vorleser eigener und fremder Dichtung mit der Sprache machte. Ihm, dem das Gedicht die „engste und strengste Sprachprobe“ war und der die „Sprache als Mitteilung“ immer wieder von der „Sprache als Gestaltung“ unterschied, musste es scheinen, als führe die Sprache – und durch sie der Gedanke – ein beinahe selbständiges Leben außerhalb des Bewusstseins des gestaltenden Künstlers. Indem Karl Kraus der Sprache einen absoluten Wert zuerkannte, löste er sie aus allen zeitlichen und gesellschaftlichen Bindungen. Er begab sich damit auch der Möglichkeit, die Eigenart der Sprache Heinrich Heines zu begreifen, die nicht zuletzt gerade aus solchen Bindungen erwuchs. So wurde Kraus auch nicht bewusst, dass seine am Beispiel Heines getroffene Unterscheidung zwischen „Dichtern der Menschheit“ und „Dichtern der Gesellschaft“ auf eine Trennung der Kunst von ihren gesellschaftlichen Grundlagen, das heißt auf eine „reine“ Kunst, hinauslief und dass er damit in eigentümlicher Weise der reaktionären Heine-Kritik und der Heine-Feindschaft des deutschen Spießbürgertums Vorschub leistete. Ebenso wenig gelangte er zu der Erkenntnis, dass sein Fehlurteil über die Stellung des Dichters in der Gesellschaft gerade aus gestörten „Beziehungen zur Außenwelt“ erwuchs: aus der Isolierung, in der er sich als Künstler in der spätbürgerlichen Gesellschaft befand. Er versuchte, sich über die Widersprüche seiner Zeit und seiner künstlerischen Position in dieser Zeit zu erheben, indem er das Fehlen von Beziehungen zur Gesellschaft als das Wesen des Künstlertums ausgab. Weit davon entfernt, Heine gerecht zu werden, zeigt dieses
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Urteil nur, wie sehr er in die Widersprüche der Gesellschaft verstrickt blieb, die er gestaltend zu überwinden trachtete. Die Erkenntnis von der Kunstfeindlichkeit seiner Epoche und das Unvermögen, die spätbürgerliche Wirklichkeit außer in ihren Symptomen auch in ihren Ursachen und historischen Gesetzmäßigkeiten zu erfassen, waren es, die Karl Kraus in seiner Zeitkritik die widrige Gegenwart stets an einer weniger widerspruchsvollen Vergangenheit messen ließen. Diese Haltung wurde zweifellos durch die Perspektivlosigkeit des Habsburger Staates begünstigt, die Kraus auch dazu verleitete, die negativen Erscheinungen seiner Umwelt zu verabsolutieren: So wurde ihm die faule Politik der imperialistischen Bourgeoisie und der opportunistischen Führer der Sozialdemokratie zur Politik schlechthin, die bürgerliche Sensationspresse zur Verkörperung der Presse überhaupt, der seichte Feuilletonismus der Wiener Presse zum Merkmal des Journalismus an sich, die parlamentarische Scheindemokratie zum Prototyp jeglicher Demokratie. Und das Ende der bürgerlichen Kunst wurde für ihn gleichbedeutend mit dem Ende aller Kunst, ja, mit dem Ende der geistigen Welt.
3.
„Nestroy und die Nachwelt“ – das Problem der Satire
In der Gedenkrede „Nestroy und die Nachwelt“, kurz vor dem 50. Todestag Johann Nestroys einem großen Auditorium vorgetragen, legt Karl Kraus seine Ansichten über die Satire und die Aufgaben des satirischen Künstlers dar, versucht er, den Unterschied zwischen der Satire einer Spätzeit des Bürgertums und der Satire der bürgerlichen Emanzipationszeit sichtbar zu machen. Zwar ist ihm auch an einer echten Würdigung Nestroys gelegen, dem eine reaktionäre Literaturgeschichtsschreibung nur „die Episodenrolle eines Wiener Zotenreißers“, eines „gutgelaunten Spießbürgers“, eines bloßen Spaßmachers oder Hanswursts zugestand; zwar geht es ihm auch darum, Nestroy vor den Vertretern eines schmalzigen bürgerlichen Liberalismus in Schutz zu nehmen, die den großen Satiriker als einen der ihren reklamierten; aber im Grunde genommen bewegt ihn doch immer wieder die Problematik des eigenen Schaffens. Er erkennt, dass seine bürgerliche Umwelt jegliche Beziehung verloren hat zu dem Geist, aus dem die Kunstwerke der Vergangenheit erwachsen sind, und zu der Sprache, in der dieser Geist Gestalt wurde. Er sieht nur eine Welt, die „zwischen Geschäft und Erfolg“ lebt, deren Technik die Beziehungen zur Vergangenheit zerstört hat, deren Wissenschaft „die hermetische Abschließung von allem Jenseitigen“ garantiert und deren Pseudokunst dazu dient, „die Sorgen und die Zeit zu vertreiben“. Doch das alles, so meint Kraus, ist noch nicht das Schlimmste. Schlimmer ist, dass diese Welt sich für vollkommen hält, für fortgeschrittener als die Zeit, in der Nestroy wirkte. Sie „hält […] sich für schöner als den Vormärz“. Solche Überhebung hält Kraus für eine „beispiellose Gemeinheit gegen den Vormärz“, denn die Realität des Jahres 1912 erscheint ihm als „eine sinnlose Übertreibung aller Details“, als eine Massierung aller Widersinnigkeiten, die Nestroy vor und nach der bürgerlichen Revolution des Jahres 1848 schon satirisch gegeißelt hatte. Kraus erfasst instinktiv, dass sich die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft seither unerhört zugespitzt haben. Er erlebt alle diese Widersprüche auf einem Höhepunkt, der es ihm kaum mehr möglich erscheinen lässt, sie satirisch zu bewältigen, da sie nur allzu oft auch ihre tragische Seite haben. Der satirische Künstler, der „am Ende einer Entwicklung steht, die sich der Kunst versagt, der ihr Produkt und ihr hoffnungsloses
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Gegenteil“ ist, kann angeblich nur noch „die Flucht des Geistes vor der Menschheit“ organisieren, die Flucht in die Sprache. Es ist in dieser meisterhaften Rede nahezu alles eingeschlossen, was das Denken und Tun des Künstlers Karl Kraus ausmachte: Da ist die „zersplitterte Zeit“, die Epoche des Imperialismus, und die Erkenntnis der Kunstfeindlichkeit dieser Epoche; da ist das Bewusstsein von einer Endzeit, die nur noch satirisch bewältigt werden kann, der Glaube, dass die Satire nur noch „Sprachsatire“ sein könne, und die Konsequenz daraus: der Übergang zur sprachlich konzentrierten Form der satirischen Glosse; da ist der bürgerliche Journalismus als Totengräber des Geistes und der Sprache; da ist der Rückzug vor dem spätbürgerlichen Publikum in den künstlerischen Individualismus und die künstlerische „Selbstzucht“ der Form. Die Hypothese ‚So wäre es Nestroy im Jahre 1912 ergangen‘ erweist sich freilich als Kunstgriff, dazu bestimmt, dem Satiriker Karl Kraus die Eigengeltung zu bestätigen. Der Rechtfertigung der eigenen künstlerischen Haltung dient es schließlich auch, wenn Kraus sich bemüht, dem großen Vorbild Nestroy einen überhistorischen Standort zuzuweisen, die Position eines „Dichters der Menschheit“, der im „sozialen Punkt“ nie Farbe bekannt habe, sondern „immer nur Persönlichkeit“. Und auch hier muss wieder ein Kunstgriff helfen, die der Wirklichkeit widersprechende These glaubhaft zu machen – ein Spiel mit Worten: „Während draußen die Schuster für die idealsten Güter kämpften, hat er die Schneider Couplets singen lassen.“ Was bleibt dem Satiriker, der am Ende einer Entwicklung zu stehen glaubt, die sich der Kunst versagt? Was bleibt dem Dichter, der sich als „hoffnungsloses Gegenteil“ dieser Entwicklung betrachtet? Es scheint – darauf deutet der Schluss der Nestroy-Rede hin –, als habe Kraus seine Stellung doch nicht für so hoffnungslos gehalten, wie er sie darstellt. Er ist sich zwar bewusst, dass das Weiterleben in Nestroys „sprachsatirischer Nachkommenschaft“ schwer sein wird, aber er will den Kampf nicht aufgeben: „Je härter der Stoff, desto größer der Angriff. Je verzweifelter der Kampf, desto stärker die Kunst.“ Eine Kunst, die nach höchster „Vergeistigung“ auch des „dicksten Stoffes“, auch des „gröbsten Materials“ strebt – die Kunst der Satire. Sie ist, so meint Kraus, „die wahre Symbolik, die aus den Zeichen einer gefundenen Häßlichkeit auf eine verlorene Schönheit schließt und kleine Sinnbilder für den Begriff der Welt setzt“. Sie überlebt „die tote Zeit“.
4.
„Untergang der Welt durch schwarze Magie“ – das Problem der Presse
Mit diesem Aufsatz leitet der Herausgeber der „Fackel“ das letzte Heft des Jahres 1912 ein. Der Aufsatz ist eine Generalabrechnung mit der zeitgenössischen Presse. Teilabrechnungen waren vorausgegangen. Schon Ende des Jahres 1901 hatte Kraus dem Publikum zugerufen: „Nimm das gedruckte Wort nicht ehrfürchtig für bare Münze! Denn deine Heiligen haben zuvor für das gedruckte Wort bare Münze genommen.“ In „Apokalypse“ hatte er die Presse als die „große Hure“ bezeichnet, die der Menschheit „das Mark vergiftet“, hatte er die Absicht verkündet, seine Leser zum „Verständnis für die Angelegenheiten der deutschen Sprache“ zu erziehen und sie dadurch zu „entjournalisieren“. In „Heine und die Folgen“ galt der Kampf dem platten Feuilletonismus des bürgerlichen Zeitungswesens, und in der NestroyRede wurde die Presse als das „Zwischending“ erkannt, das sich eingebürgert hat, um die Menschheit der echten Kunst zu entfremden, die Fantasie des Volkes mit Hilfe von Phrasen abzustumpfen, die geistige Produktivkraft zu lähmen.
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In „Untergang der Welt durch schwarze Magie“ – der Titel nimmt das Thema der „Apokalypse“ wieder auf – fasst Kraus seine Erkenntnisse zusammen. Es sind nicht so sehr die Lügen der Presse, vor denen er warnen möchte. Der journalistische Typus, der log, wenn er in den Krieg zog, erscheint ihm viel weniger gefährlich als der neue, der „zum Schmuck des Tatsachenlebens Einbrüche in kulturelles Gebiet begeht und duldet“. Nicht „die Korruption, die zwischen Text und Annonce Schiebungen macht“, bringt Kraus in Harnisch, sondern „die Schweinerei, die in allen Rubriken dichtet“. Dem Polemiker Karl Kraus bleiben zwar die Gesetzmäßigkeiten fremd, die um die Jahrhundertwende zur Entstehung der Sensations- und Boulevardpresse geführt hatten und sowohl die Differenzierung des bürgerlichen Pressewesens als auch die Literarisierung des Inhalts der Presseorgane bewirkten, aber er erkennt schon damals die große Gefahr, die der Gesellschaft von einer Presse droht, deren verfeinerte Methoden dazu bestimmt sind, ideologische Verführung auch unter veränderten historischen Bedingungen zu gewährleisten. Man hat Kraus oft vorgeworfen, er habe die Presse überschätzt. Derart allgemein ausgesprochen, ist dieser Vorwurf nicht gerechtfertigt, weil man damit nicht nur den Mut herabsetzt, mit dem ein Einzelner sich immer wieder einer hasserfüllten Meute von Revolverjournalisten entgegenwarf, sondern auch die Erfolge negiert, die Kraus’ unnachsichtiger Kampf zeitigte, mochte er nun in der Zeit um den Ersten Weltkrieg dem „Journalnero“ und „Schlachtenbankier“ Moriz Benedikt gelten, dem Herausgeber des einflussreichsten, weil korruptesten Organs der Wiener Presse, oder in der Nachkriegszeit vor allem gegen den Pressegangster Emmerich Bekessy gerichtet sein, der von Kraus als Erpresser entlarvt und schließlich zur Flucht aus Österreich gezwungen wurde, obwohl eine ganze Clique von Literaten, Börsenschiebern und Staatsbeamten, einschließlich des damaligen Polizeipräsidenten Schober, ihn zu decken versuchte. Man kann deshalb allenfalls sagen, dass Kraus die spätbürgerliche Presse einseitig beurteilt hat, insofern er sie nur als geistiges Phänomen oder als kulturelle Institution betrachtete, nicht aber als eine eminent wirksame politische Institution. Kraus ist also nicht zuzustimmen, wenn er – mit Bezug auf die Macht der Presse – sagt: „Sozialkritisch überschätzt mein Blick diese Verhältnisse“. Wohl aber ist ihm beizupflichten, wenn er fortfährt: „kultursatirisch kann er sie nicht hoch genug überschätzen“. Denn der verderbliche Geist, der aus der imperialistischen Presse spricht, hat schließlich bewirkt, dass ganze Völker sich willig auf die Schlachtbank zweier verheerender Weltkriege führen ließen. Kraus sah diese Tragik schon vor dem Ersten Weltkrieg voraus, und sie ließ bei ihm ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit entstehen. Der Aufsatz „Untergang der Welt durch schwarze Magie“ schließt mit den Worten: Es ist die letzte Stufe auf dem Weg, der zur Warte der Aussichtslosigkeit führt. Wenn man nur durchkommen könnte. Wenn nur der Zwang nicht wäre, im Nebel das verkehrte Leben zu erkennen und die Sprache zu finden gegen den Druck, der sie nimmt!
Wie in der Nestroy-Rede, so sind freilich auch hier die letzten Worte nicht als Äußerung völliger Verzweiflung aufzufassen. Wie sie gemeint sind, hat Kraus im gleichen Jahr in einer Glosse angedeutet, in der er schrieb: Ich muß es mit tiefem Bedauern eingestehen: Was mich gegen mich einnimmt, ist die Fähigkeit, in der papiernen Schande nicht zu ersticken, die über die Schöpfung gebreitet ist: so daß es mir gelingt, sie bloßzule-
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gen. In diesem Inferno des Tages alle eure Sünden, jede einzeln, abzubüßen, weil die Kraft größer ist als die Qual. Aber diese Qualität ist ein Wortspiel, und so werde ich erlöst.
In der Nestroy-Rede hieß es: „Je verzweifelter der Kampf, desto stärker die Kunst“. Hier wird gesagt: Je tiefer die Qual, desto höher die Qualität. Im Kunstwerk, das in qualvollem Kampf geboren wird, hofft der Dichter Erlösung zu finden. Als ein solches Kunstwerk betrachtete Kraus auch die Glosse, die eigentliche Frucht seines Reifeprozesses als Satiriker. Er hielt sie für die nahezu einzige Form, in der eine künstlerische Gestaltung der widersprüchlichen Wirklichkeit seiner Zeit noch möglich sein sollte – eine Form der Satire, die auf jegliche Erfindung verzichtete, ihren Stoff ausschließlich aus der Presse bezog und ihren künstlerischen Wert allein dem konzentrierten sprachlichen Ausdruck verdanken wollte. Karl Kraus war davon überzeugt, dass die Satire einer Endzeit sich nicht mehr erfundener Personen, Handlungen oder Dialoge zu bedienen brauchte, sondern dass es genügte, diese Zeit im Zitat sich selbst abbilden zu lassen, damit ihre Komik offenbar würde. Er war sich sicher, dass man an der Art, wie die Presse die Realität darstellte, das Wesen und die Geisteshaltung der ganzen Epoche erkennen könne. In diesem Sinne verkündete er auch später immer wieder: „Der Bericht ist die Realität.“ Tatsächlich eigneten sich die Pressezitate als Gegenstand satirischen Darstellens insofern, als sich in ihnen allzu oft ein deutlicher Gegensatz zwischen angemaßter Bedeutung und realer Unbedeutung der Ereignisse ausdrückte, sich ein Kontrast zwischen objektiver und vorgetäuschter Wirklichkeit, zwischen Wort und Tat, Wahrheit und Lüge, Sein und Schein offenbarte. Kraus war überzeugt, den allgemeinen Verfall auch an der unscheinbarsten Lokalnotiz, am Tonfall eines Journalisten oder an einem falschen Reim nachweisen zu können. Das von „lokalen Anlässen bezogene Detail“ war ihm immer wieder ein „Symbol“ dafür, dass die Menschheit sich immer mehr von ihrer ursprünglichen Bestimmung entfernte und in den Untergang taumelte. Der Anlass, der die Glossen entstehen ließ, mochte geringfügig und mehr oder weniger zufällig sein – die satirische Perspektive, so meinte Kraus, war immer weit genug: Sie erstreckte sich vom „Ursprung“ bis zum Ende der Welt. Nicht als Gesellschaftskritik im engeren Sinne, als Kritik an einer bestimmten Gesellschaftsordnung, wollte Karl Kraus sein Werk aufgefasst wissen, nicht als eine „Kritik reparabler Zustände“, sondern als Kritik an der Menschheit schlechthin. Deshalb verlangte er vom Leser auch immer wieder, dass dieser den „Anstoß“ nicht prüfe, den „Anlaß“ vergesse, vom „Stoff“ abstrahiere. Er wollte den „eingeweihten Leser“, der bereit war, über ein tieferes Verständnis der Sprache zu einem ‚reinen‘ Menschentum zu gelangen. Ein solches Menschentum sah Kraus überall dort bewährt, wo Menschen ‚ursprüngliche‘ Werte – der Natur, der Sprache und der Kunst – bewahrten oder schufen, wo menschliches Handeln mit der durch Schöpfung und Natur vorgegebenen Bestimmung des Menschen übereinstimmte, wo menschliches Denken darauf gerichtet war, eben diese Bestimmung – als den eigentlichen Lebenszweck – so vollkommen wie möglich zu erfüllen. Im Namen eines solchen zeitlosen humanistischen Ideals bekämpfte Kraus auch den Krieg als das schlimmste Vergehen gegen die Menschlichkeit, als Verbrechen, das eine „von den Ursprüngen für immerdar entfernte Welt“ an sich selbst verübte. In den mehr als elfhundert Glossen, die er auf den „zweitausend Seiten der ‚Kriegsfackel‘“ veröffentlichte, entlarvte er die Phrasen der Kriegspolitiker und die Lügen der Presse, die der Verdummung und Verhetzung der Bevölkerung dienten. Er brandmarkte die Hurrapatrioten und „Durch
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und Durchhalter“, die den Krieg zu verlängern suchten. Er klagte die Urheber und Nutznießer des Krieges an, die Schieber und „Blutspekulanten“, die ihr „Blutgeschäft“ hinter vaterländischen Phrasen zu verbergen trachteten. Er zeigte die Zersetzung der Habsburger Monarchie und die Fäulnis der herrschenden Oberschicht, insbesondere ihrer Ideologie, Moral und Kultur. Mit dem unerbittlichen und unversöhnlichen Kampf, den Kraus während des Ersten Weltkriegs führte, erreichte er einen Höhepunkt seines Schaffens. Rückblickend schrieb er unter dem Titel „Im dreißigsten Kriegsjahr“ – eine Anspielung auf den „Dreißigjährigen Krieg“ der „Fackel“ – Anfang Februar 1929: Juvenal hielt bei dem difficile est, satiram non scribere. Da war noch Spielraum zwischen Stoff und Gestalt. Er konnte eine Satire schreiben, ja es wurde ihm schwer, keine zu schreiben. Ich war strafweise in eine Zeit versetzt, die es in sich hatte so lächerlich zu sein, daß sie keine Ahnung mehr hatte von ihrer Lächerlichkeit und das Lachen nicht mehr hörte. Zuerst ließ es sich mir so an, als ob ihr mit der Abbildung dieses Zustands gedient wäre; als ob zur Darstellung ihrer Wirklichkeit die Reproduktion ausreichte und diese die Satire gäbe. Sie zu schreiben, war schwerer geworden, da die Wirklichkeit mit ihr bis an den Rand kongruent schien und nur von dem, der sie zu sehen und zu hören verstand, zitiert zu werden brauchte. Das war aber nur scheinbar leichter, denn mit der Möglichkeit, die Zeit abzuschreiben, stand der Satiriker doch vor der Schwierigkeit, die Satire zu schreiben. So wurde ich zum Schöpfer des Zitats (Hervorhebung J.P.), im Wesentlichen nicht mehr als das, wenngleich ich den Anteil der Sprachgestaltung auch an der Abschrift der Zeit nicht verkleinert sehen möchte. Die Sprachkunst besteht da in der Weglassung der Anführungszeichen, in dem Plagiat an der tauglichen Tatsache, in dem Griff, der ihren Ausschnitt zum Kunstwerk verwandelt.
Kraus bezieht sich hier auf jene „Methode kommentarlosen Zitierens“, die er nach dem Urteil Bertolt Brechts mit besonderer Kunst beherrschte: „einer Kunst, die aus der Not der Satire eine Tugend zu machen verstand“, wie Kurt Krolop (1987: 31) in seinen Studien „Sprachsatire als Zeitsatire bei Karl Kraus“ angemerkt hat. Die satirischen Glossen allein wegen der Montagetechnik und verschiedener sprachkünstlerischer Verfahren als Kunstwerke zu qualifizieren und die Glosse gar einem lyrischen Gedicht gleichzusetzen, wie Karl Kraus das tat, geht freilich nicht an. Stets bleibt der dokumentarische Charakter der Zitate erhalten, und wenn der Autortext auch künstlerische Elemente – Ironie, Parodie, Sprachporträt – enthält, ist er doch in seinen Grundzügen zumeist von berichtender, analytischer, reflektierender oder direkt bewertender Art und steht damit der literarischen Publizistik näher als der künstlerischen Literatur. Eine echte künstlerische Funktion erlangt das Zeitungszitat in Kraus’ dramatischem Schaffen, vornehmlich in dem dramatischen Riesengebilde „Die letzten Tage der Menschheit“, dem erschütternden Antikriegswerk, das Kraus selbst als ein einziges großes Zitat bezeichnet hat. Hier kann von einer wirklichen „Einschöpfung“ des Zitats in den Autortext gesprochen werden, hier bilden Zeitungszitat, Alltagsgespräch, Regieanmerkungen, fiktiver Monolog und Dialog, Vers und Prosa eine vollkommene Einheit, in der Komisches und Tragisches einander durchdringen. Indem Kraus das dokumentarische Zeitungszitat dramatisiert, es in echte Figurenrede verwandelt, das Feuilleton oder den Bericht in Szene setzt, lässt er die Schreiber und Sprecher sich selbst parodieren, entlarvt er die Gesellschaft, in der diese Figuren unbehelligt wirken konnten, und erweckt Mitgefühl für deren unschuldige Opfer. Karl Kraus’ Wirken in der Nachkriegsperiode war durch zunehmende Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet, durch „Depression im Gefühle des Vergeblichen“. Für den „Umsturz aller Hoffnungen“ machte er die österreichische und deutsche Sozialdemokratie verantwortlich. Immer wieder verhöhnte er die Taktiken der opportunistischen Führer der Sozialde-
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mokratischen Partei. Schließlich rief er die jungen Sozialdemokraten dazu auf, wenigstens in ihrer eigenen Partei revolutionär zu sein, wenn sie schon Disziplin üben müssten. Er begrub jedoch weitere Hoffnungen, als die rechten sozialdemokratischen Führer im Juli 1930 bei einer Gedenkfeier für die Opfer des Polizeiterrors vom 15. Juli 1927 eben den Mann unterwürfig begrüßten, der den vorsätzlichen Mord an neunzig Menschen, demonstrierenden Arbeitern und zufälligen Passanten, befohlen hatte: den ehemaligen Polizeipräsidenten von Wien und späteren Bundeskanzler Schober. Wie schon mehrmals in seinem Leben zog sich der Künstler in die „Geistigkeit der Inselwelt“ zurück, in den Kreis derjenigen Leser und Hörer, bei denen er seinem Werk immerhin noch einen sittlichen Erfolg erhoffte. Als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen, schwieg Karl Kraus. Erst im Oktober 1933 veröffentlichte er in der „Fackel“ ein zehnzeiliges Gedicht, in dem er seine Ohnmacht gestand, den Schrecken der Nazidiktatur mit Worten zu begegnen. Karl Kraus ahnte, dass der grauenvollen Hitlerdiktatur mit Satire oder Polemik nicht beizukommen war. Er hatte zwar zwischen Mai und September 1933 „Die Dritte Walpurgisnacht“ geschrieben, eine gnadenlose Abrechnung mit dem deutschen Nationalsozialismus und seinen Führern, entschloss sich aber erst zur Veröffentlichung wesentlicher Teile, als sein langes Schweigen auch von Freunden und Verehrern missdeutet wurde. Zu den Wenigen, die Kraus’ Motive erkannten und achteten, gehörte Bertolt Brecht, der in einem Gedicht zum 60. Geburtstag von Karl Kraus schrieb: Als der Beredte sich entschuldigte daß seine Stimme versage trat das Schweigen vor den Richtertisch nahm das Tuch vom Antlitz und gab sich zu erkennen als Zeuge.
Fast vier Jahrzehnte lang hatte Karl Kraus mit der Gewalt seines Wortes, der Unerbittlichkeit seiner Satire, der Treffsicherheit seines Witzes gegen die Mächte einer untergehenden Gesellschaft gekämpft, als er am 12. Juni 1936 einem Schlaganfall erlag. Den Anschluss Österreichs an Nazideutschland musste er nicht mehr erleben; die Deportation nach Theresienstadt oder Auschwitz blieb ihm erspart.
*** Als „Zugabe“ sind die folgenden aktuellen Glossen ebenfalls Horst Pöttker zugedacht, dem Kollegen und Freund, der sich nach der deutschen Wiedervereinigung nicht dem Tross der blinden „Abwickler“ und „Evaluierer“ zugesellte, sondern sich als Bewahrer alles Wertvollen und als Anreger und Vollbringer gemeinsamer wissenschaftlicher Leistungen erwies. Einfach Nach dem ZDF hat auch der Bayerische Rundfunk das Schlagersternchen Michelle interviewt. Nach fünf Jahren ist die zu der Erkenntnis gelangt, sie sei „einfach erwachsener und reifer geworden“ und wolle nun „einfach mal etwas anderes machen“. Deshalb nennt sie sich jetzt „Tanja Thomas“. „Einfach“ scheint ihr Lieblingswort zu sein, aber was sie einfach ‚mal‘ anders machen möchte, wird nicht so recht klar. Einfach wird es für sie nicht werden, nachdem sie schon mit einem Hundesalon pleite gegangen ist. Vielleicht versucht sie es einfach ‚mal‘ mit etwas Gesangsunterricht.
Joachim Pötschke
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Buchmesse Ein privater Fernsehsender verspricht aus Anlass der Leipziger Buchmesse, „Stars des Literaturbetriebs“ vorstellen zu wollen. Weit haben wir’s gebracht: Wer ist da schon zu erwarten? Verlust Pünktlich zum Frühlingsanfang kündigt ein Fernsehmagazin „frühlingsspezifische Highlights“ an. Goethes „Osterspaziergang“ aus dem „Faust I“ war nicht dabei. Werbung Auf der Titelseite eines Lokalblattes wird mit der Überschrift geworben „Königin der Milch. Jede junge Frau kann mitmachen.“ Es ging aber nicht um Ammen. Leute heute Ein Fernsehmagazin informiert uns, dass Verona Feldbusch-Poth „auf dem Fingernagel“ Brillanten im Wert von 18.000 Euro trägt. Fingernagel-„Stylisten“ sind große Mode. Das erkläre man einmal einer berufstätigen Mutter mit drei Kindern! Krebsvorsorge Überschrift in einer Fernsehzeitung: „Krebs – Wie Top-Ärzte sich schützen“ Normale Ärzte rauchen und grillen offenbar zuviel. Naturnah Im Fernsehen wird eine Naturdokumentation angekündigt. Thema: „Strassen der Superlative“ (u. a. in Boston/USA). Wen wundert’s bei soviel Natur, dass heutzutage jedes noch so kleine Dorf an eine Hauptstraße oder die Autobahn „angebunden“ werden will? Hautnah „Die Gläubigen konnten den Papst hautnah erleben“, berichtete ein Reporter vom Papstbesuch in Bayern. Sollte Benedikt XVI. da nicht doch wenigstens auf Tuchfühlung gegangen sein? Pietät „Letztes Interview mit Rudi Carrell“, titelt eine Fernsehzeitung. Was mag der todkranke Showmaster empfinden, wenn er das zu Gesicht bekommt? Diese Journaille kennt keine Gnade! Selbstwertgefühl In einem bayrischen Lokalblatt war zu lesen: „Der Junge hatte sich mit einem Virus identifiziert.“ Na, so klein sollte man sich aber nun doch nicht machen! (Das erinnert mich an einen Krankenhausaufenthalt, bei dem mein Bettnachbar, ein biederer Handwerksmeister, mich aufklärte: „Ich habe eine Allegorie.“) Gesundheitsmagazin Über ein Gespräch zum „Problembereich Hygiene“ äußert sich der Chefredakteur einer Gesundheitszeitschrift so: „Sie hatten anfangs unterschiedliche Auffassungen. Da mussten erst Gemeinsamkeiten erarbeitet werden. Über Geschmack lässt sich – und da sind Journalisten, Graphiker, Verlagsmenschen, Vertriebsexperten und Fotografen nicht anders konstruiert – bekanntlich nicht streiten. Was ist nötig, was ist unnötig?“ Wenn die Herrschaften schon Gemeinsamkeiten „erarbeiten“ mussten, dann sollten diese wenigstens in der Erkenntnis bestanden haben, dass vor allem sprachliche Hygiene nötig ist. Erst dann könnte man sich bereit finden, mit ihnen über Geschmack zu streiten, mögen sie nun als Journalisten, als Verlagsmenschen oder als sonst wer „konstruiert“ sein.
Die Geburt der Glosse aus dem Zeitungszitat
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Sprachliches Leichenbegängnis Auf der Wissenschaftsseite einer überregionalen Tageszeitung war unter der Überschrift „Krötenschutz“ zu lesen: „Auf einen Ansturm von Erdkröten eingestellt sind die Mitglieder der Neubrandenburger Fachgruppe Feldherpetologie der Gesellschaft für Natur und Umwelt. Sie errichteten an der F 197 einen 300 m langen Folienzaun, um die zum Leichgewässer ziehenden Kröten am lebensgefährlichen Überqueren der Fahrbahn zu hindern. Erdkröten ziehen zum Ableichen stets zu dem Gewässer, in dem sie selbst das Licht der Welt erblickten. Bevor die Feldherpotologen mit ihren Hilfsaktionen begannen, war jedes Jahr etwa die Hälfte der Kröten überfahren worden.“ Die Mitarbeiter der Fachgruppe Feldkriechtierkunde waren dem Ansturm der Kriechtiere offenbar gewachsen. Nicht so der Verfasser der Notiz. Zwar gelingt es ihm, das aus unerfindlichen Gründen bevorzugte fremdsprachige Fachwort wenigstens in einem von zwei Fällen richtig zu schreiben, aber die deutschen Fachwörter wollen ihm nicht richtig in die Feder. Bei so vielen Krötenleichen ist das freilich kein Wunder, und ob es sich um Geburt oder Tod handelt, ist manchem Journalisten ohnehin nicht so wichtig. Da hätte wohl auch eine Fahrt zum Laichplatz an der F 197 nichts Besseres bewirkt, eher ein Blick ins Wörterbuch. Sprachschutz sollte endlich dem Naturschutz gleichgestellt werden! Traurige Berühmtheit „Das berühmteste Gesicht der Welt“ zeigt ein Fernsehmagazin. Etwa die Mona Lisa? Oder Goethe? Oder Hitler? Mitnichten. Auf dem Foto ist Daniel Radcliffe zu sehen, den unter diesem Namen kaum jemand kennt. Wohl aber kennen ihn die meisten jungen Leute als Harry Potter, den Zauberknaben. Wenn er demnächst 18 wird, kann er über mindestens 28 Millionen Dollar verfügen, heißt es. Eine andere Identität kann er sich dafür aber nicht mehr kaufen.
Offenbar hat es kaum noch Sinn, den Sprachgebrauch von Journalisten durch Hinweise zur Sprachpflege bessern zu wollen. Eher mag es vielleicht gelingen, denkende Zeitungsleser zu befähigen, die journalistischen Machwerke „lesend zu durchschauen“, wie Karl Kraus einmal gesagt hat, und daraus einen geistigen Gewinn zu ziehen, der für die aufgewandte Mühe entschädigen könnte. Mag sein, es gelingt eines Tages sogar, die Schulpädagogen davon zu überzeugen, dass Sprachpflege ungleich lebendiger und Sprachdenken weitaus wirksamer mit Hilfe kritisch angeeigneter Pressetexte gefördert werden können als durch bloßes Einpauken grammatischer Regeln oder durch abstrakte Synonymübungen. Bei aller Skepsis bleibt also noch ein wenig Hoffnung. Karl Kraus hat sie in die Worte gefasst: „Viel hab ich ja im österreichischen Leben nicht erreicht. Aber ich halt’ es halt mit dem Valentin – nicht mit dem, der den Hobel hinlegte, sondern dem, der eine Brille ohne Gläser trug und, darob befragt, die Antwort gab: ‚Besser is schon wie garnix‘.“
Literatur Krolop, Kurt (1987): Sprachsatire als Zeitsatire bei Karl Kraus. Neun Studien. Berlin. Mayer, Hans (1957): Karl Kraus und die Nachwelt. In: Sinn und Form, 9. Jg., S. 934-949.
Professionalisierung durch akademische Ausbildung Zu Karl Büchers Konzeption für eine universitäre Journalistenausbildung Arnulf Kutsch
Vor einhundert Jahren, am 29. Juli 1909, veröffentlichte der Nationalökonom Karl Bücher mit seinem Beitrag „Vorbildung für den Journalistenberuf an deutschen Universitäten“ die erste Konzeption für eine universitäre Ausbildung von Journalisten in Deutschland (vgl. Bücher 1909a). Die Zielsetzung und Struktur dieser Konzeption bildeten ideelle, curriculare und organisatorische Vorgaben für das Institut für Zeitungskunde, das Bücher am 1. November 1916 an der Universität Leipzig gründete und als Emeritus zehn Jahre leitete, bis es ihm gelungen war, die neue akademische Spezialität für eine theoretische und praktische Ausbildung von Journalisten mit dauerhaften Strukturen als Promotionsfach und ausgestattet mit einer ordentlichen fachspezifischen Professur und einem Etat zu sichern. Die Konzeption inspirierte darüber hinaus die Diskussion über die akademische Journalistenausbildung und deren Verwirklichung im In- und Ausland nachhaltig. Büchers Vorschlag bildet zugleich ein bedeutsames berufsgeschichtliches Dokument: Es ist einerseits im weiteren Zusammenhang der Bestrebungen insbesondere von Angestelltenberufen im Dienstleistungssektor des späten deutschen Kaiserreichs zu verstehen, sich u. a. durch die Akademisierung ihrer Ausbildung zu professionalisieren, und andererseits mit den zunächst sehr zaghaften Reformschritten, die in den Universitäten unternommen wurden, um diesen Bemühungen durch neue berufsorientierte Studienangebote entgegenzukommen.1 Die Einrichtung des Fachs Zeitungskunde am Beginn des 20. Jahrhunderts an Universitäten in Deutschland und in der Schweiz ist wesentlich aus den Bestrebungen zu verstehen, den Beruf des Journalisten zu professionalisieren. Bücher war ein vehementer und namhafter Verfechter einer solchen Universitätsreform. Die akademische Ausbildung von Journalisten, über die in der publizistischen Zunft und ihren Vereinigungen, in Deutschland wie im Ausland, heftig und kontrovers debattiert wurde, betrachtete er als eine Herausforderung für die curriculare Modernisierung der deutschen Universität und zugleich als ein wichtiges Instrument, mit dem das damals schlechte gesellschaftliche Ansehen dieses Berufs sowie der institutionelle Status des Journalismus „gehoben“ werden konnten. Auf diese Aufgabe konzentrierte er sich in der letzten Phase seiner akademischen Tätigkeit. Es gilt mithin, zunächst Büchers Standpunkte, sein wissenschaftliches Interesse an der Presse, sein Verständnis von Zeitung und Journalismus, ferner seine akademischen Reformideen sowie deren sozialgeschichtliche Bezüge zu rekonstruieren und in diesem Zusammenhang nach der Entstehung seines Ausbildungskonzeptes zu fragen. Da dieses offensichtlich Anregungen aufgriff und adaptierte, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den
1
vgl. generell zur Professionalisierung u. a. Burrage/Torstendahl (1990), Cooks/Jarausch (1990), McClelland (1991), Siegrist (2001); zur Professionalisierung im Journalismus in Deutschland u. a. Retallack (1993), Requate (1995), Kutsch (2008); zur Modernisierung der Universität u. a. Jarausch (1991)
Arnulf Kutsch
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Vereinigten Staaten von Amerika und in der Schweiz entwickelt worden waren, wird im nächsten Schritt knapp Büchers Inspiratoren nachgegangen, um dann seine Konzeption vorzustellen und zu zeigen, wie und warum er diese Anregungen in sein Modell eingegliedert oder adaptiert hat. Schließlich soll die Entstehung und Bedeutung dieses wichtigen Dokumentes fach-, diffusions- und professionalisierungsgeschichtlich eingeordnet werden.
1.
Büchers Standpunkte
Das wissenschaftliche Interesse von Karl Bücher an der Zeitung war durch seine Tätigkeit als freier Mitarbeiter und Redakteur der „Frankfurter Zeitung“ (1874-1880) entstanden. Die Erfahrungen, die er während dieser Jahre machte, als das liberale Blatt in der Zeit des Kulturkampfes und des Sozialistengesetzes häufig im Visier von Bismarck lag, prägten sein Bild von der Funktion der Zeitung und des Journalismus. Nach seiner Habilitation (1880) und der Berufung an die Universität Dorpat (1882) begann er, sich systematisch mit der Geschichte, Statistik und dem volkswirtschaftlichen Stellenwert der Zeitung zu beschäftigen. Als Nationalökonom, dessen zentrales Thema die Wechselbeziehung zwischen Wirtschaft und Kultur bildete, richtete sich sein Interesse darauf, die Entstehung, die wirtschaftlichen Grundlagen und die Organisation der modernen Zeitung aus historischer, nationalökonomischer und soziologischer Sicht zu untersuchen, um ihre Funktion im Prozess der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausdifferenzierung und Modernisierung und dadurch letztlich ihre Kulturbedeutung zu erkennen. Zugleich unterzog er die fortschreitende Kommerzialisierung der Presse insbesondere in Form der Generalanzeiger einer scharfen Kritik. Darüber hinaus bildeten Zeitungen eine wichtige Quelle für seine nationalökonomischen Studien und Zeitdiagnosen (vgl. Rühl 1999: 169ff.; Backhaus 2000; Kutsch 2000; Hardt 2001: 85ff.). Die aus diesen wissenschaftlichen Erkenntniszusammenhängen entstandenen Vorlesungen über Pressegeschichte, -organisation und -technik, die Bücher seit seiner Berufung an die Universität Basel (1884) in unregelmäßiger Folge hielt, gelten in der Fachhistoriographie als der früheste Ansatz für eine fachwissenschaftliche Ausbildung künftiger Journalisten in Europa. Bücher verknüpfte mit dieser an Hörer aller Fakultäten gerichteten zeitungskundlichen Lehre dagegen eine andere Hauptfunktion. Für die von ihm auszubildende bürgerliche Funktionselite, deren Tätigkeit in öffentlicher Verwaltung, Politik und Wirtschaft – zumal in der demokratischen Schweiz – immer stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit geriet, sich in ihr darzustellen und ihr gegenüber zu legitimieren hatte, war es nach seiner Auffassung erforderlich, die Funktionen und Strukturen von Zeitung und Journalismus und die durch sie hergestellten gesellschaftlichen Vermittlungsleistungen zu verstehen, um sie kompetent nutzen zu können. Derartige Kenntnisse bildeten für ihn folglich eine wichtige Voraussetzung für das verantwortungsvolle, an Angelegenheiten des Gemeinwohls orientierte Handeln in der Öffentlichkeit moderner Gesellschaften und mithin ein neues Element im Bildungskanon der Universität (vgl. Bücher 1919: 391).2
2
Gleichwohl wurden diese Vorlesungen von Studierenden besucht, die später Journalisten wurden, darunter namhafte wie Adolf Braun (1862-1929), der langjährige Chefredakteur der sozialdemokratischen „Fränkischen Tagespost“ (Nürnberg) und SPD-Reichstagsabgeordnete.
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Diese Vorlesungen, die Bücher auch nach seinem Wechsel an die Universität Leipzig 1892 fortführte, verweisen auf zwei ideengeschichtliche Traditionen, mit denen vornehmlich an Universitäten im deutschsprachigen, teilweise auch im skandinavischen Raum und in den Niederlanden (dagegen kaum ausgeprägt an angelsächsischen Universitäten) die akademische Journalistenausbildung in der Konstellation des Faches Zeitungskunde verknüpft wurde (vgl. Høyer/Lauk 2003; Pietilä 2008): Das war einerseits die bis in die Frühaufklärung zurückreichende akademische Beschäftigung mit der Presse und dem Journalismus und der durch sie hergestellten Öffentlichkeit; sie erfuhr durch die „Entfesselung der Massenkommunikation“ (vgl. Wilke 2000) seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen enormen Schub, der wiederum zur Identifikation dieser Gegenstände als gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Problemfelder führte, die eine exklusive wissenschaftliche Erkenntnis erforderten und rechtfertigten. Andererseits war es die mit den pressehistorischen oder -systematischen Vorlesungen zumeist verbundene akademische Bildungsfunktion, die Vermittlung von Pressekompetenz, insbesondere von fachlichem Strukturwissen, von Reflektions- und Kritikfähigkeit (vgl. vom Bruch 1980; Averbeck/Kutsch 2002). In dieser Tradition sind zwei weitere akademische Einrichtungen zu sehen, die ebenfalls als Ausbildungsstätten für den Journalismus überinterpretiert wurden, offenbar weil sie, zehn Jahre nach dem Beginn von Büchers Baseler Vorlesungen, zu einer Zeit entstanden, als in verschiedenen europäischen Ländern in der publizistischen Zunft eine Akademisierung der journalistischen Ausbildung gefordert wurde. Das war einmal die an den Katholischen Fakultäten in Lille 1894 eingerichtete Section des Sciences Sociales et Politiques, die eine administrative Elite ausbilden wollte. Von den 26 Kursen über nationalökonomische, historische, politische und rechtliche Gegenstände des zweijährigen Studienprogramms in Lille thematisierten in den Anfangsjahren drei die Pressegeschichte, das Presserecht sowie die Aufgaben und Praxis des Journalismus. Dieser von Eugène Tavernier, dem Herausgeber von „L’Univers“ (Paris), nebenberuflich geleitete Kurs war ebenfalls historisch angelegt (vgl. Oberholtzer 1896; Delporte 1999: 177). Praktische Übungen gab es in dem Programm nicht und es verfolgte keine explizite fachwissenschaftliche Ausbildung von Journalisten. Das traf zunächst auch für die zweite Einrichtung zu, die pressehistorischen und -kundlichen Vorlesungen, die der Extra-Ordinarius für Neuzeitgeschichte Adolf Koch, früher Redakteur des „Heidelberger Tageblattes“, seit Sommersemester 1895 an der Universität Heidelberg gleichfalls für Hörer aller Fakultäten abhielt (Obst 1987: 46ff.).3 Sieht man einmal von den zeitungskundlichen Vorlesungen ab, ging Karl Büchers Renommee als Zeitungskundler und Pressehistoriker am Beginn des 20. Jahrhunderts auf eine Studie über die Entstehungsgeschichte der Zeitung zurück, seine bis dahin einzige Veröffentlichung auf diesem Gebiet. Sie war aus einem Vortrag hervorgegangen, den Bücher kurz nach seiner Berufung an die Universität Leipzig 1892 im dortigen Professoren-Verein gehalten hatte, und ein Jahr später in seiner Aufsatzsammlung „Die Entstehung der Volkswirtschaft“ erschienen, dem wahrscheinlich bekanntesten, auch über die Grenzen der Wissenschaft hinaus verbreiteten Werk von Bücher. Dort war sie prominent eingerahmt durch Büchers Theorien der wirtschaftlichen Entwicklungsstufen und der gesellschaftlichen Dif-
3
Als Hauptmotiv dieser Vorlesungen nannte Koch (1912: 469), er habe das „beschämend gering[e] Wissen“ der Studierenden über „Wesen, Geschichte und Bedeutung der öffentlichen Meinung, der Parteien, des Parlamentarismus und namentlich der Presse“ verbessern wollen.
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ferenzierung durch Arbeitsteilung, die sein internationales Ansehen als Nationalökonom begründeten (vgl. Bücher 1893).4 Dass ein Ordinarius, zumal von der Autorität Büchers, die Zeitung überhaupt als einen wissenschaftlich ernst zu nehmenden Gegenstand betrachtete, sorgte wegen der ausgeprägten Vorbehalte, die damals im akademischen Arkanum gegenüber der Presse und dem Journalismus bestanden, für erhebliches Aufsehen und wurde in der journalistischen Berufsfachpresse gebührend registriert. Nicht weniger spektakulär war der Publikationszusammenhang, in dem Bücher eine systematische Fortführung dieser pressehistorischen Studie veröffentlichte: Dieser zweite zeitungskundliche Beitrag von ihm erschien, freilich erst 13 Jahre später, in dem vierbändigen Monumentalwerk „Die Kultur der Gegenwart“: Es war überhaupt das erste Mal, dass in Deutschland die Zeitung in einer solchen Geschichte und Systematik als eine kulturelle Hervorbringung gewürdigt wurde (vgl. Bücher 1906; dagegen beispielsweise Hellwald 1896-1898). In der für seine wissenschaftliche Arbeit charakteristischen Methodik untersuchte Bücher die vorfindbaren strukturellen Ausprägungen der Zeitung und des Journalismus aus einer historischen, wirtschaftlichen und soziologischen Perspektive und konfrontierte die Befunde mit seinem normativen Idealbild, in dem sich – eher implizit als explizit – die prinzipienfeste, am Gemeinwohl orientierte Meinungszeitung und der überzeugungstreue unabhängige Redakteur kristallisierten. In Büchers hierarchischem Öffentlichkeitsmodell erfüllten Zeitungen die Funktion eines „Leitorgans der sozialen Willensströme“ und der Journalismus erbrachte eine vermittelnde, moderierende Leistung. In Anlehnung an den Soziologen Albert Schäffle5 (1896: 199f.) beschrieb er diese metaphorisch als die eines „formgebenden Anpassungsorgan[s]“, das „das Metall, welches eigentlich schöpferische Geistesarbeit in Politik, Wissenschaft, Kunst, Technik zutage fördert, in kleine Münze [umprägt], es also zirkulationsfähig [macht]. [Journalisten] zerstreuen die geistigen Anstöße, die von den politischen und kulturellen Zentren ausgehen, in die Massen und sammeln die von diesen ausgehenden Reaktionen, um sie zu den Mittelpunkten der geistigen Bewegung zurückzuführen.“ Aus wirtschaftlicher Perspektive bezeichnete er die Zeitung als ein kapitalistisches, am Gewinninteresse des Verlegers orientiertes Unternehmen und den (städtisch-)redaktionellen Journalismus als einen arbeitsteiligen, in unterschiedliche Berufsrollen differenzierten und nach Berufsfeldern (Ressorts) spezialisierten Vollzeitberuf. Durch die Kommerzialisierung und die mit ihr einhergehende Manipulierbarkeit der Presse einerseits und den abhängigen Angestelltenstatus des Redakteurs auf der anderen Seite seien das berufliche Selbstverständnis des Journalisten und die Normen seiner Tätigkeit unter starken Druck geraten: Der redaktionelle Journalismus sei „zum Gewerbe geworden, das von vielen nicht aus innerem Drange, sondern um äußerer Rücksichten willen erwählt“ werde. Der Redakteur gehe „nach Brot, und dieses Brot reicht zunächst der Zeitungsverleger“, dessen politische oder unternehmerische „Interessen in Widerstreit [...] mit der überzeugungstreuen Haltung der Redaktion“ geraten könnten. Dadurch erhöhe sich die berufsethische Gefahr, „dass Journalisten auftreten, die wie Landsknechte jedem dienen, der sie bezahlt“ (Bücher 1906: 493f.). Diese 4 5
Das Buch erlebte bis 1926 insgesamt 17 Auflagen; verschiedene seiner Studien wurden bis in die 1960er Jahre wieder abgedruckt. Schäffle war ein Förderer und Freund von Bücher; von 1901 bis 1903 gaben beide gemeinsam die renommierte „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ heraus, die Bücher nach Schäffles Tod von 1904 bis 1923 alleine redigierte. 1906 edierte Bücher posthum Schäffles „Abriss der Soziologie“ (vgl. auch Knappenberger-Jans 2001: 298ff.; Meyen/Löblich 2006: 109ff.).
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Alltagsrealität sollte jedoch die prinzipielle Kulturbedeutung des „echten“ Journalisten nicht aus dem Blick verlieren, die sich für ihn zeittypisch in der langfristigen Massenwirksamkeit des durch die Presse verbreiteten Wissens und der Werte und damit letztlich als Faktor eines übergreifenden kulturellen Wandels fermentierte (vgl. ebd.: 514).6 Die Notwendigkeit einer berufsorientierten akademischen Ausbildung für den Journalismus erwähnte Bücher in diesem Beitrag nicht. Allerdings hatte er das Problem, wenn auch aus einer anderen Sicht, bereits sechs Jahre zuvor in seiner Rede über „Alte und neue Aufgaben der deutschen Universitäten“ gestreift, die er Ende Oktober 1903 als neuer Rektor der Universität Leipzig gehalten hatte und die beispielhaft seine langjährige Beschäftigung mit Ausbildungsfragen wie auch sein vielfältiges Engagement als namhafter akademischer Reformer und Wissenschaftsorganisator der Wilhelminischen Ära zum Ausdruck brachte.7 Von der Universität, insbesondere von der Philosophischen Fakultät, forderte er, die Studienangebote stärker an einer fachwissenschaftlichen Ausbildung für solche Berufe zu orientieren, die sich im Prozess der gesellschaftlichen Differenzierung im öffentlichen wie privaten Dienstleistungssektor herausgebildet hatten und deren Berufsangehörige sich vornehmlich aus jener Schicht rekrutierten, die sich selbst in diesem Prozess formierte: die Angestellten, die so genannten Privatbeamten bzw. der neue Mittelstand. Exemplarisch für diese von ihm als „nationales Bedürfnis“ gewertete Ausbildungsaufgabe nannte Bücher den Journalismus, da dieser „eine der wichtigsten Funktionen unseres sozialen Lebens“ bilde (Bücher 1912a: 19). Dieser in die Universität gerichteten Sicht auf die Herausforderungen, die sich durch den gesellschaftlichen Wandel für eine Modernisierung der akademischen Lehre ergaben, stellte Bücher den Druck gegenüber, der aus der Gesellschaft durch den neuen Mittelstand bzw. seine Berufsvereinigungen selbst auf die Universität ausgeübt wurde. Bücher schrieb: „Wenn nun aus diesen Kreisen heute unsere Universitäten einen namhaften Teil ihres Zuzugs empfangen, so wissen wir wohl, dass es nicht bloß die Rücksicht auf eine bessere Berufsbildung ist, die sie leitet; sie wollen aufsteigen in die Geistesaristokratie der Nation; sie wollen eine ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechenden soziale und politische Stellung und Wertschätzung.“ (ebd.: 21f.) Man würde den reformerischen Standpunkt von Bücher freilich missverstehen, wenn man ihn auf ein Plädoyer für berufsbezogene Studiengänge an den Universitäten verkürzte, für ein „Brotstudium“, wie es damals hieß. Vielmehr ging es ihm darum, die eingeforderte Ausbildung mit den traditionellen Idealen und Werten der Universitätsbildung zu verbinden,8 die (nicht nur) nach Büchers Überzeugung die „individuellen Anlagen und Neigungen“ förderte und zugleich ein wesentliches Mittel zur ethischen und altruistischen Persönlichkeitsentwicklung der Studenten, der künftigen gesellschaftlichen Funktionselite, darstellte. Obschon sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die öffentliche Kritik am Journalismus und an zeitgenössischen Ausprägungen des journalistischen Selbstverständnisses 6 7
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Der Beitrag wurde unter Verlegern und Journalisten kontrovers diskutiert und von einer Berufsfachzeitschrift auszugsweise abgedruckt (vgl. Bücher 1907). Als Vertreter der jüngeren historischen Schule der Nationalökonomie war Bücher ein prominentes Mitglied des Vereins für Socialpolitik und zahlreicher weiterer wissenschaftlicher Vereinigungen im In- und Ausland, darunter der Sächsischen und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; er gehörte u. a. zu den Gründern der Handelshochschule in Leipzig (1898) und unterzeichnete den von Max Weber verfassten Aufruf zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (1910). zu den Unterschieden vgl. Vierhaus (1972) und Koselleck (1990)
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verschärfte9 und vielfach eine geregelte akademische Ausbildung für den Beruf gefordert wurde, ging Bücher in seinen Veröffentlichungen nicht weiter auf diese Frage ein. Dass er sich jedoch mit ihr beschäftigte, belegen Gespräche mit Martin Mohr, dem Chefredakteur der „Allgemeinen Zeitung“ (München), der sich ebenfalls mit der so genannten Ausbildungsfrage auseinandersetzte (s. u.) und Bücher wegen dieser Angelegenheit 1906 in Leipzig besuchte (vgl. Heuser 1994: 47f.). 1909 erhielt die Lösung des Problems in Leipzig dann von außen einen entscheidenden Impuls: Anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Universität Leipzig stiftete Edgar Herfurth, der Verleger der „Leipziger Neuesten Nachrichten“, 15.000 Mark, um damit das Studium „derjenigen Studierenden zu fördern, die dem Journalistenberufe angehören oder sich für den Journalistenberuf ausbilden wollen.“10 Herfurth war einer der reichsten Männer in Leipzig. Bevor der Sohn eines sächsischen Textilfabrikanten 1892 die „Leipziger Nachrichten“ kaufte und die bis dahin unbedeutende Zeitung unter neuem Namen zum „führenden Blatt der Stadt“ entwickelte, war er – nach einer Ausbildung in Verlagen in Berlin und Heidelberg – in die Vereinigten Staaten gereist, um die dortigen Verhältnisse von Presse und Journalismus aus unmittelbarer Nähe kennen zu lernen (vgl. Meyen 1996: 113ff.). Der damals 43-jährige Verleger hatte gewiss unterschiedliche Motive, die ihn zu dieser Stiftung veranlassten, die er später noch aufstockte. In unserem Zusammenhang soll nur auf das Interesse der Zeitungsverleger an der Professionalisierung des Journalismus zum akademischen bzw. Expertenberuf verwiesen werden. Der 1894 gegründete Verein Deutscher Zeitungs-Verleger (VDZV) hatte sich die „Hebung des allgemeinen Ansehens der deutschen Presse“ sowie besonders „soziale und humanitäre Bestrebungen“ zur „Sicherung der Angehörigen des Zeitungsverlags“ zum Ziel gesetzt (Stöber 1992: 23ff.). Der „Zeitungs-Verlag“, die Zeitschrift des Vereins, berichtete fortlaufend über die in- und ausländischen Ansätze und Fortschritte im Feld der Journalistenausbildung, von der man sich in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern eine Leistungssteigerung des Berufs, eine „Hebung“ seines ramponierten gesellschaftlichen Ansehens und damit auch des Images der Zeitung als gesellschaftlicher Institution versprach. Im Jahr vor Herfurths Stiftung hatte der VDZV das auch außerhalb der Pressepraxis heftig diskutierte Problem auf die Tagesordnung seiner Hauptversammlung in Magdeburg gesetzt, wofür Theodor Curti, der Direktor der „Frankfurter Zeitung“, einen ausführlichen Bericht über den internationalen Stand geliefert hatte (vgl. Curti 1908). Im gleichen Jahr war in den Vereinigten Staaten die erste School of Journalism an der University of Missouri (Columbia) eröffnet worden. Aus der Ferne gesehen, schien es offensichtlich, dass Deutschland hinter dieser Modernisierung in den USA herhinkte. Möglicherweise hatte außerdem die sensationelle Stiftung von zwei Millionen Dollar, die Joseph Pulitzer am 16. August 1903 für die Errichtung einer School of Journalism und eines Journalisten-Preises angekündigt hatte, Herfurth angeregt, anlässlich des außergewöhnlichen Universitätsjubiläums in seiner Stadt dem Beispiel des Verlegers der „New York World“ zu folgen. Jedenfalls hatte die
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Der Wandel im Journalismus und die Herausbildung von unterschiedlichen beruflichen Selbstverständnissen in verschiedenen Gesellschaften bildeten einen zentralen Untersuchungsgegenstand der so genannten Zeitungs-Enquête, die Max Weber seit etwa 1908 als ein Forschungsprojekt der zu begründenden Deutschen Gesellschaft für Soziologie konzipierte; für die Leitung dieser Enquête hatte Weber ursprünglich Bücher vorgesehen, der das Angebot jedoch wegen Arbeitsüberlastung ablehnte (vgl. Kutsch 1988). Stiftungsurkunde vom 23.7.1909 (Universitätsarchiv Leipzig [UAL], RA 1539: Akten des UniversitätsRentamtes zu Leipzig betr. die Edgar-Herfurth-Stiftung)
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Donation von Pulitzer wegen ihrer damals unvorstellbar hohen Summe und ihres Stiftungszwecks in der deutschen Presse ein enormes Aufsehen erregt. Im Juli 1909 wurde Bücher vom Vorstand der inzwischen gegründeten EdgarHerfurth-Stiftung beauftragt, einen Vorschlag zu entwickeln, wie der Zweck der Stiftung verwirklicht werden könnte (vgl. Bücher 1915a). Mit seiner noch im selben Monat veröffentlichten Konzeption für ein berufsspezifisches Studienprogramm und dessen propädeutisch sinnvolle Integration in die deutschen Universitätsstrukturen verfolgte Bücher zwei Ziele: Einerseits wollte er die in seiner Rektoratsrede sechs Jahre zuvor aufgezeigte Perspektive für eine curriculare Modernisierung der Universität an dem ihm gesellschaftlich wichtigen, „neu entstehenden Bedürfnis der höheren Berufsbildung“ veranschaulichen; andererseits verstand er das Modell als einen Beitrag „zur Hebung“ des Journalismus, mithin als ein Mittel zur Professionalisierung des Berufs (vgl. Bücher 1909a). Wie stets in seinen systematischen Studien bemühte sich Bücher, den internationalen Stand der Entwicklung zu berücksichtigen und auf dieser Grundlage, gewissermaßen als Synthese, seinen eigenen Vorschlag darzustellen und zu begründen. In seiner Durchmusterung der akademischen Ausbildungsstätten und -programme, die sich für den Journalismus an verschiedenen Hochschultypen in Europa und in den USA herausgebildet hatten, hob er die Universität Zürich, die University of Chicago sowie die Stiftung von Pulitzer dadurch hervor, dass er sie verhältnismäßig ausführlich besprach. Darüber hinaus zitierte er die entsprechenden Quellenbelege, was für seine Veröffentlichungen ungewöhnlich war und darauf verwies, dass es sich um wichtige Inspiratoren seiner Konzeption handelte.11
2.
Büchers Inspiratoren
In den Vereinigten Staaten reichten die ersten institutionellen Ansätze einer akademischen Journalistenausbildung bis in die ersten Jahre nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges zurück (O’Dell 1935: 19ff.; Asher 1994; Banning 1998). In den beiden folgenden Jahrzehnten entwickelten sich an Hochschulen zunächst vornehmlich im Mittleren Westen weitere Ansätze in Form von ein- oder mehrsemestrigen „journalism courses“, die seit Ende der 1870er Jahre zumeist im Rahmen von Englisch-Lehrprogrammen an einigen Colleges mehr oder weniger regelmäßig angeboten wurden und stilistische Übungen beispielsweise im Artikel- und Nachrichtenschreiben beinhalteten, mitunter auch die Geschichte der amerikanischen Presse. Damit war offenbar noch kaum die Absicht einer systematischen Berufsausbildung verbunden. Fachgeschichtlich waren diese „courses“, deren Zahl in den 1890er Jahren anstieg,12 gleichwohl insofern bedeutsam, als einige von ihnen um fachliche Gegenstände erweitert wurden und somit den Nukleus bildeten, aus dem später eigenständige Departments oder Schools of Journalism hervorgingen (vgl. Banning 2000/2001). Prägnanter in die Richtung einer Verbesserung der Allgemeinbildung und berufsorientierten Ausbildung von angehenden Journalisten wiesen solche Studienprogramme, die in den 1890er Jahren ebenfalls in einigen Universitäts-Colleges angeboten wurden, die spe11 12
Die folgenden Ausführungen zu der Konzeption und die Zitate aus ihr beziehen sich auf die von Bücher erweiterte und 1912 abgeschlossene Fassung (vgl. Bücher 1912b). u. a. State University of Iowa (1892), Indiana University (1893), University of Michigan (1895), University of Nebraska, University of Georgia (beide 1898)
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ziell für Berufe in der Wirtschaft und im Dienstleistungssektor ausbildeten und somit in etwa den deutschen Handelshochschulen entsprachen. Ein hoher Studienanteil dieser Programme entfiel auf den Erwerb von allgemeiner und Sprachbildung (Mutter- und Fremdsprachen), zu den berufsspezifischen Studienelementen gehörten i. d. R. Vorlesungen über die amerikanische Pressegeschichte, mitunter auch zum Presserecht, sowie stilistische Übungen für verschiedene journalistische Gattungen. Eine ausgeprägte Form fand dieser Typ zuerst in dem Journalism-Programm, das der Nationalökonom und ehemalige Journalist Joseph French Johnson an der Wharton School of Business der University of Pennsylvania entwickelte und, ausgestattet mit einer Fachprofessur, bis 1901 leitete.13 Da dieses einjährige Programm fünf fachspezifische Kurse umfasste, ist es gelegentlich auch als erstes vollständiges Journalism-Curriculum an einem amerikanischen Universitäts-College gewertet worden (vgl. beispielsweise Sutton 1945: 11). Trotz dieser ersten Ansätze war die Journalistenausbildung am Beginn des 20. Jahrhunderts kaum an amerikanischen Universitäten verankert. Auch wenn der Beruf des Journalisten in den USA seit den 1880er Jahren Merkmale aufwies, die auf seine Professionalisierung deuteten (vgl. Schiller 1979: 52ff.), wird man die „journalism courses“ der akademischen Pionierphase wohl nicht in diesem Zusammenhang zu verstehen haben. Ihre Entstehung und Bindung an Colleges weist eher darauf hin, dass man sie als Instrumente begriff, um die Verberuflichung des Journalismus zu forcieren, wohingegen komplexere fachspezifische Studienprogramme wie das der Wharton School of Business offenbar darauf zielten, diesen Beruf zu professionalisieren. Dabei wurde aus den überlieferten Studienprogrammen in Umrissen deutlich, dass eine Kombination aus Fachkompetenz (theoretisches Wissen über Geschichte, Organisation und Recht der Presse), Sachkompetenz (theoretisches Wissen aus den so genannten „liberal arts“) und Vermittlungskompetenz (handwerkliche Fertigkeiten, Mutter- und Fremdsprache, Rhetorik) als die Kernelemente einer funktionsadäquaten Hochschulausbildung für den Journalismus erachtet wurden;14 die Gewichtung dieser Elemente variierte offenbar sehr stark und lässt sich heute kaum noch rekonstruieren. Die Entwicklung gewann an Dynamik unter dem Einfluss einer kritischen öffentlichen Debatte, die seit dem Beginn der Progressive Era über die negativen Auswirkungen der Besitzverhältnisse in der amerikanischen Presse und deren rapide Kommerzialisierung auf den gesellschaftlichen Status der Zeitung, andererseits auf das Verantwortungsbewusstsein, die Sensationssucht und die Normen des Journalismus (besonders der Sensationsreportage) entbrannte. In den Mittelpunkt der diesbezüglichen Reformbestrebungen rückte die Auffassung, dass eine geregelte Hochschulausbildung des Journalisten und die Stärkung seines beruflichen Selbstverständnisses als Vermittler und Anwalt von öffentlichen Interessen die geeigneten Instrumente bildeten, um die kritisierten Zustände zu verändern. Die akademische Ausbildung als bedeutsame Dimension der Professionalisierung des Berufs, für die sich nun auch die Berufsvereinigungen engagierten (vgl. Cronin 1993), sollte weniger da13
14
Das Programm wurde eingestellt, als Johnson 1901 als Dekan an die School of Commerce, Accounts and Finance der New York University wechselte. Dort ermöglichte er 1912 die Einrichtung eines Departments of Journalism, das von James Melvin Lee geleitet wurde und wichtige Prinzipien aufgriff, die Johnson an der University of Pennsylvania entwickelt hatte. Solche institutionellen Brüche bzw. Kontinuitäten verweisen auf die Rolle von einzelnen Persönlichkeiten im Formierungsprozess von akademischen Lehrgebieten oder Fächern (vgl. auch Lepenies 1981: XIII). Die Begriffe sind an Weischenberg (1990: 58) angelehnt.
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rauf zielen, den Journalismus als Beruf etwa durch die Verbesserung von Karrierechancen aufzuwerten, sondern in erster Linie darauf, den Status der Presse als öffentliche Institution zu verbessern; vor allem mit dieser Ansicht wurde der Prozess auch von Presseverlegern gefördert (vgl. Birkhead 1982: 262f.; Asher 1994: 308).15 Die bereits erwähnte Stiftung einer School of Journalism durch Joseph Pulitzer, die an der Columbia University (New York) errichtet wurde,16 gewann im politisch-moralischen Klima dieser hier verkürzt pointierten Debatte dadurch eine folgenreiche Bedeutung, dass sie der Akademisierung der Journalistenausbildung in den USA entscheidend zum Durchbruch verhalf. Birkhead (1982: 243ff.) nennt drei Faktoren, durch die Pulitzer und seine Stiftung diese Bedeutung erlangten: die erforderlichen finanziellen Mittel,17 hohe öffentliche Aufmerksamkeit und eine „sinnstiftende Philosophie“. Der letzte Punkt bezieht sich auf eine Art Memorandum, mit dem Pulitzer 1904 im prominenten „North American Review“ den Zweck und das Ziel seiner Stiftung rechtfertigte und seine Vision von einer auf umfassender akademischer Bildung basierenden Journalistenausbildung darstellte, deren Ideal eine am Gemeinwohl orientierte Tätigkeit bildete. Das von ihm vorgeschlagene Studium sollte eine Vielzahl von wissenschaftlichen Fachgebieten umschließen und vor allem bezwecken, in Vorlesungen und Seminaren die Fähigkeit des Studierenden herauszubilden, Informationen und Meinungen, Geschehnisse und Zusammenhänge, über die er als künftiger Journalist zu schreiben haben würde, wissenschaftlich fundiert zu reflektieren, ihn mit einem „systematic equipment“ für den Beruf auszustatten. Über sein Ziel schrieb Pulitzer (1904: 657): „I wish to begin a movement that will raise journalism to the rank of a learned profession, growing in the respect of the community as other professions far less important to the public interests have grown“. Die akademische Ausbildung sollte auf der Basis der wissenschaftlichen Kategorien „Wahrheit“ und „Objektivität“ ein ethisch begründetes professionelles Selbstverständnis herausbilden. Praktische Ausbildungselemente waren in Pulitzers Memorandum durchaus enthalten. Sie blieben aber gegenüber der theoretischen und insbesondere der ethischen Ausbildung, die Pulitzer (ebd.: 667) als „the heart of the whole matter“ bezeichnete, eher zweitrangig: Handwerkliche Fertigkeiten sollten nicht per se eingeübt werden, sondern um zu lernen und zu verstehen, wie die ethischen Prinzipien umzusetzen waren. Über die Funktion des Examens äußerte sich der Verleger nicht. Doch seine Anspielungen auf die Professionen Arzt und Anwalt legten nahe, dass er es sich langfristig als eine akademische Approbation vorstellte, ohne die der Zugang zu den journalistischen Kerntätigkeitsfeldern nicht mehr möglich sein würde. Den durch Pulitzers Stiftung ausgelösten Wandel fasst Birkhead (1982: 265, 268) so zusammen: „Journalism education turned from practical English writing to the professional education model of medicine and law“, wobei das „operational example for training jour15 16
17
In der amerikanischen Kommunikationshistoriographie bestehen unterschiedliche Auffassungen über die Ursachen und Ziele der Professionalisierung des Journalismus in den USA (vgl. beispielsweise Schiller 1981; Kaul 1986; Schudson 1990; Hardt/Brennen 1995). Eine Dokumentation der Vorgänge liefert O’Dell (1935: 55ff.; vgl. auch Seitz 1924: 445ff.); die School of Journalism wurde erst 1912 eröffnet (vgl. Fischer/Trump 1980; Baker 1954). Pulitzer hatte der Columbia University bereits 1892 eine Stiftung für die Einrichtung eines Ausbildungsprogramms für Journalisten angeboten, die jedoch auf kein Interesse der Universität gestoßen war (vgl. Pulitzer 1904: 642; Swanberg 1967: 305). zu Stiftungen, die nach dem Vorbild von Pulitzer von weiteren Presseverlegern in den USA getätigt wurden, vgl. Asher (1994: 306)
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nalists [...] the news organization, the production of a newspaper“ bildete. Ein Modell für die propädeutische Umsetzung und organisatorische Eingliederung dieses „operational example“ in die Hochschulstrukturen hatte der Soziologe und frühere Literary Editor der „Chautauqua Press“ George E. Vincent (1905) in einem Aufsatz über seinen dreijährigen „special course of the study in journalism“ geliefert, den er von 1902 bis 1905 am College of Commerce and Administration der University of Chicago veranstaltet hatte.18 Es soll hier keineswegs die Erstmaligkeit dieses Modells insinuiert werden. Für unseren Zusammenhang erscheinen vielmehr zwei Aspekte bedeutsam: dass Vincent damit einerseits die praktische Journalistenausbildung als eine neue, etwa der Struktur des Medizinstudiums vergleichbare Aufgabe der modernen Universität vorstellte und ausführlich beschrieb, dass und wie sie in deren Rahmen gelöst werden konnte; und dass er andererseits seinen Aufsatz in der Zeitschrift der damals weltweit führenden Chicago School of Sociology veröffentlichte und dadurch wohl auch zum Abbau der in staatlichen wie privaten Universitäten in den USA nach wie vor bestehenden Vorbehalte gegen diese Innovation beitragen wollte. Der erste Teil des Kursus umfasste Vorlesungen über die amerikanische Pressegeschichte und -struktur sowie vielfältige, nach journalistischen Gattungen differenzierte praktische Seminarübungen, die durch eine vergleichende Lektüre von aktuellen Zeitungsausgaben als Anschauungs- und Lehrmaterial ergänzt wurden. Beim zweiten Teil handelte es sich um einen Versuch, in dessen Verlauf die Studierenden in enger Zusammenarbeit mit örtlichen Zeitungen, Nachrichtenagenturen und Druckereien unter realitätsnahen redaktionellen Bedingungen eine vierseitige Zeitungsausgabe herstellten. Dazu wurden Räumlichkeiten der Universität in verschiedene Ressorts und einen Umbruchraum umgestaltet, den etwa 40 Teilnehmern bestimmte Funktionen (u. a. „managing“, „city“ und „telegraph editor“, „editorial writer“, „reporter“) zugewiesen und das Blatt nach einem straffen Tagesplan hergestellt und gedruckt. Der Fortschritt des Versuchs lag darin, dass er das komplexe, arbeitsteilige kollektiv-redaktionelle Planungs-, Herstellungs- und Entscheidungshandeln als eine Basisstruktur für die praktisch-akademische Journalistenausbildung herausstellte, wie sie auch heute den Lehrredaktionen der universitären Journalistik-Studiengänge zu Grunde liegt. Darüber hinaus fasste Vincent in acht Punkten die inhaltlichen, propädeutischen und organisatorischen Voraussetzungen zusammen, die nach seiner Ansicht für den Erfolg dieser Innovation an einer großstädtischen Universität erforderlich waren.19 Durch die Verbindung von theoretischer Lehre mit der praktischen Einübung von individuellen Fertigkeiten und der Simulation von kollektiv-redaktionellem Handeln (Lehrredaktion) hatte der Versuch eine Ausbildungsstruktur aufgezeigt, wie sie bald darauf charakteristisch für die (so genannten „trade“-) Schools of Journalism mit einem hohen Praxisanteil in den Studienprogrammen werden sollte; ihr Prototyp, der Journalismus nicht mehr auf einen monomedialen Beruf reduzierte, sondern auch Kurse für Zeitschriftenjournalismus umfasste, entstand 1908 an der University of Missouri (Columbia) (vgl. Williams 1929; 18
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Vincent hatte sich bereits in jungen Jahren einen wissenschaftlichen Namen gemacht, als er 1894 gemeinsam mit Albion W. Small, dem Gründer des Departments of Sociology der University of Chicago, ein Einführungsbuch in die Soziologie verfasste, in dem sie ein Kommunikationsmodell entwickelten, das sich auf die biologistische Gesellschaftslehre von Albert Schäffle stützte. Small wiederum hatte u. a. in Leipzig studiert (vgl. Hardt 2001: 148ff.). Das von Vincent entwickelte Studienprogramm wurde an der University of Chicago wieder eingestellt, als Vincent 1911 als Präsident an die University of Minnesota wechselte (zur außergewöhnlichen Persönlichkeit und Karriere von Vincent, er wurde 1917 Präsident der Rockefeller Foundation, vgl. Lichtenberger 1941).
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Fischer 1969). Mit 38 Neugründungen erlebte das Fach Journalism an amerikanischen Universitäten bis 1915 einen wahren Boom, darunter allein 19 mit starken akademischen Strukturen ausgestattete Schools of Journalism (eigenständiger Fachstudiengang und -professuren, fachspezifisches Prüfungsrecht, Bachelor-Examen). 1917 gründeten zehn von ihnen die American Association of Schools and Departments of Journalism. Ein wichtiges, letztlich aber nicht erreichtes Ziel der Gesellschaft war es fortan, den Zugang zum Journalismus an eine akademische Graduierung zu binden, die durch eine der angeschlossenen Institutionen verliehen wurde. Ein auch nur annähernd vergleichbarer Take-off fand in Europa bekanntlich weder vor noch nach dem Ersten Weltkrieg statt. Sieht man einmal von den bereits erwähnten Vorlesungen in Lille und Heidelberg ab, entstanden um die Jahrhundertwende lediglich in Deutschland und Frankreich je eine, in der Schweiz zwei nennenswerte Einrichtungen, die sich die Ausbildung von Journalisten zum Ziel setzten.20 Die steigenden redaktionellen und technischen Anforderungen, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts im Journalismus stellten, veranlassten einzelne deutsche und französische Journalisten seit Beginn der 1890er Jahre, eine geregelte Ausbildung für den Beruf zu fordern und dazu so genannte Journalistenhochschulen einzurichten. Als Alternative zur Universität stellte man sich darunter eine Art von „freier“, d. h. außerhalb der staatlichen Zuständigkeit organisierter, Berufsakademie vor. Wichtige Impulse gingen ferner von der 1894 in Antwerpen gegründeten Union Internationale des Associations de Presse (UIAP) aus, der sich bis zum Ersten Weltkrieg rund 100 zumeist regionale oder großstädtische Pressevereinigungen aus 17 europäischen und überseeischen Ländern anschlossen, die wiederum etwa 18.000 Journalisten vertraten (vgl. Björk 2005). Durch ihre Internationalen Pressekongresse, Beschlüsse und Enquêten lancierte die Vereinigung prononcierte Professionalisierungsinteressen. In der UIAP gaben etablierte Vertreter des modernen, gemäßigt liberalen großstädtisch-redaktionellen Journalismus den Ton an. Ihr Hauptinteresse richtete sich darauf, das negative gesellschaftliche Image des Journalisten, das man wesentlich auf den problematischen Rechtsstatus seines Berufs und die marktverursachte Ungleichheit in ihm zurückführte, zu verbessern und dadurch auch den Status der Presse als gesellschaftliche Institution zu heben (vgl. Kutsch 2008: 300f.). Auf ihrem 2. Internationalen Pressekongress 1895 in Bordeaux ermunterte die UIAP ihre Mitglieder, darauf hinzuwirken, dass nach dem Vorbild der – wohl aus mangelnder Kenntnis – überhöht als „Journalistenschulen“ bezeichneten Collegekurse in den USA auch in Europa derartige „Schulen“ zur Ausbildung von Journalisten eingerichtet werden. Auf ihrem 5. Kongress 1898 in Lissabon bekräftigte sie diesen Beschluss, empfahl den Journalistenvereinigungen jedoch zugleich, selbst diese Ausbildung zu organisieren. In den meisten kontinentaleuropäischen Ländern existierten jedoch noch keine Berufsvereinigungen der hauptberuflichen Journalisten auf nationaler Basis (vgl. beispielsweise Martin 1986, 1987; Brückmann 1997; Mazza 2005), die solche Empfehlungen hätten durchsetzen oder selbst verwirklichen können, ganz abgesehen davon, dass die Zunft überall in Europa durch erhebliche Auffassungsunterschiede in der Ausbildungsfrage tief gespalten war (vgl. beispielsweise Hemels 1972; Eppel 1984; van den Dungen 2001; Wijfjes 2004). Es waren einzelne Journalisten, Protagonisten der Professionalisierung, die Ende 20
zur Entwicklung in England, wo 1877 und 1887 kurzzeitig zwei kleine private Journalistenschulen existierten, vgl. Lee (1977) sowie ferner Hampton (1999, 2005)
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1899 in Paris und Berlin je eine private Journalistenhochschule gründeten, wobei das von Johnson in der Wharton School entwickelte Studienprogramm zumindest in Paris Pate gestanden hatte: Dort war es die 39-jährige Schriftstellerin und Soziologin Dick May alias Jeanne Weill, Mitarbeiterin der namhaften „Revue Blanche“, die die École supérieure de journalisme als Abteilung der von May vier Jahre zuvor mit aufgebauten École libre des hautes études sociales einrichtete; in Berlin war der vermögende 30-jährige Publizist Richard Wrede, Herausgeber der eher unbedeutenden Monatsschrift „Die Kritik“, zugleich Gründer, Eigentümer und Leiter der Journalistenhochschule (vgl. Delporte 1977: 176f.; Heuser 1994: 42f.; Prochasson 1998).21 So sehr sich die beiden (im Übrigen bislang kaum erforschten) Einrichtungen durch ihren Status unterschieden, wiesen doch ihre Ausbildungsprogramme durch die Kombination von fachspezifisch-theoretischen Studienelementen (u. a. Pressegeschichte und -recht) mit handwerklich-stilistischen Übungen für unterschiedliche journalistische Gattungen auffallende Gemeinsamkeiten auf. Die anfängliche Attraktivität der beiden Schulen sank in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts; die Berliner Journalistenhochschule verzeichnete je Semester nie mehr als 20 Einschreibungen, ehe sie 1914 geschlossen wurde. Beiden Einrichtungen fehlten nicht nur die erforderlichen Mittel, um tatsächlich ein ausdifferenziertes, für die berufliche Tätigkeit relevantes Lehrprogramm anzubieten und fortzuentwickeln, sondern vor allem die breite Akzeptanz in der Praxis. Dennoch erlangte die Pariser École eine Vorbildfunktion für die Planung von staatlichen Journalistenhochschulen in Osteuropa, aber auch in Frankreich, die später in Warschau (1917), Moskau (1921), Budapest (1921), Lille (1924) und Prag (1928) verwirklicht wurden und dabei teilweise in ihren curricularen Konzeptionen Elemente der nun schon florierenden Schools of Journalism amerikanischer Universitäten aufnahmen (vgl. u. a. Wohryzek 1929; Verschrave 1932; Jarkowski 1934). In der Schweiz ging die Initiative dagegen vom Verein der schweizerischen Presse (VSP) aus. Er war 1883 auf nationaler Ebene gegründet worden, beschäftigte sich jedoch erst 1898 ausführlich mit der Ausbildungsfrage. Trotz heftiger interner Meinungsunterschiede über die Notwendigkeit und die Funktion einer akademischen Ausbildung regte er im Jahr darauf bei den kantonalen Erziehungs- und Unterrichtsdirektoren an, in je einer deutsch- und französisch-schweizerischen Universität einen Presselehrstuhl einzurichten (vgl. Bühler 1901). Erst nach einer abermaligen VSP-Anfrage zeigten sich 1902 als einzige die Universitäten in Zürich und Bern bzw. die zuständigen kantonalen Regierungen bereit, sich der Sache anzunehmen. Eigene Lehrstühle für Journalistik wurden jedoch abgelehnt; stattdessen sollte ein nebenamtlicher Lehrauftrag geschaffen werden. Das moderate Entgegenkommen sollte auch im Zusammenhang mit dem 7. Internationalen Pressekongress 1900 in Paris gesehen werden, auf dem die UIAP nicht zuletzt auf Anregung von Schweizer Vertretern empfohlen hatte, die Journalistenausbildung nach dem amerikanischem Vorbild an den Universitäten anzusiedeln (vgl. Taunay 1902: 49f.). Über den internationalen Stand auf diesem Gebiet sollte der folgende 8. Kongress 1902 in Bern auf der Grundlage einer vom VSP-Vorsitzenden Michael Bühler („Der Bund“, Bern) vorzunehmenden Enquête ausführlich beraten; ferner wurde für diesen Kongress durch Oscar Wettstein („Züricher 21
May und Wrede hatten an UIAP-Kongressen teilgenommen, wie übrigens auch Koch, der 1897 seine zeitund pressehistorische Vorlesung an der Universität Heidelberg um journalistische Übungen ergänzte und dafür ein „Journalistisches Seminar“ einrichtete und 1899 am Aufbau der Pariser École supérieure de journalisme mitwirkte (vgl. Obst 1987: 46ff.).
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Post“) eine Berufsenquête über den Schweizer Journalismus vorbereitet, mit der u. a. der Stellenwert des Ausbildungsproblems untermauert werden sollte. Bühler und Wettstein, beides angesehene Chefredakteure ihrer Zeitungen, avancierten dann auch zu treibenden Akteuren: Sie antichambrierten bei den beiden Universitäten und spannten verschiedene Professoren ein. Uns soll hier nur die Universität Zürich interessieren.22 Für die Begründung und die curricularen Leitlinien der neuen, als Journalistik bezeichneten Spezialität war in Zürich die Staatswissenschaftliche Fakultät zuständig. Deren Prämissen lauteten: „Das Bildungsbedürfnis der Journalisten ist kein diesem Beruf eigentümliches, es deckt sich mit allgemeiner Bildung (Sprachen, Litteratur, Stilistik, Geschichte, Philosophie) und Bildung in den Fächern, die an staats- und rechtswissenschaftlichen Fakultäten gelehrt werden. [...] Die rein praktischen Kenntnisse und Fertigkeiten aber, über die er verfügen muss, lernt jeder am besten in der Praxis; auch die journalistischen Anstandslehren kann man nicht vom Katheder aus lehren.“ Folglich ging die Fakultät davon aus, dass „die Vorlesungen, die an unserer Hochschule [...] gelehrt werden, [...] alle Wissenschaften [umfassen], deren Studium dem Journalisten von Nutzen sein kann“ (Bericht 1901: 54f.). Lediglich ein „fachtechnisches“ Lehrangebot müsse eingerichtet und durch einen Lehrauftrag bestritten werden. Auf der Grundlage dieser Prämissen arbeitete die Fakultät eine als „Wegleitung“ bezeichnete Empfehlung für ein sechssemestriges Studium aus, das zwei Schwerpunkte vorsah: einerseits „fachtechnische“ Vorlesungen (Pressegeschichte, -technik und -recht) sowie journalistische, stilistische und sprachliche Übungen, die für alle Journalistikstudierenden obligatorisch sein sollten; andererseits eine Palette weiterer Vorlesungen aus den Staats-, Rechts-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften, die wiederum in eine „politische und volkswirtschaftliche“ und eine „feuilletonistische“ Richtung gruppiert waren und je nach Neigung und Talent gewählt werden sollten. Diese Ressortstruktur23 orientierte sich offensichtlich an den Hauptteilen Politik, Wirtschaft/Handel sowie Feuilleton der damaligen (Qualitäts-)Zeitung und unterstellte, dass die beiden Richtungen gewissermaßen den Kern des Journalismus ausmachten, und ferner, dass dafür Kenntnisse aus zahlreichen wissenschaftlichen Fächern „nützlich“ sein könnten (vgl. Wegleitung 1902). Wenn man so will, sollten mit diesem Angebot zwei Spezialisierungen für den politischen bzw. Wirtschaftsjournalismus und das Feuilleton ermöglicht werden; Letzteres wurde auch als „Unterhaltung“ aufgefasst. Aus der Züricher „Wegleitung“ wurden Kernelemente einer Hochschulausbildung des Journalisten erkennbar, die sich etwa zur gleichen Zeit an amerikanischen Universitäten herausbildeten, wobei das Schwergewicht jedoch eindeutig auf dem Erwerb von Sachkompetenz durch Bildungswissen lag. Diese dem bildungsbürgerlichen Ideal verpflichtete Perspektive kam auch dadurch zum Ausdruck, dass man keinen „besonderen Prüfungsausweis für Journalisten“, sondern die damals übliche Promotion in einem Hauptfach empfahl (Bericht 1901: 55). Diese Auffassungen entsprachen durchaus der Werthaltung von Oscar Wettstein, der 1902 den Lehrauftrag in Zürich übernahm (vgl. Göppner 2005). Seine Berufsenquête hatte, trotz ihres euphemistischen Tenors, erhebliche Imageprobleme des Journalismus in der 22 23
zu den ähnlichen Verhältnissen der Universität Bern vgl. ausführlich Meier (2005) Diese Struktur wie auch die Konzeption einer akademischen Journalistenausbildung, die bezweckte, Fach-, Sach-, Vermittlungs- und Sprachkompetenz zu vermitteln, war nicht neu. Sie findet sich m. E. erstmals 1893 in einem von Fedor Mamroth, dem Feuilletonredakteur der „Frankfurter Zeitung“, entwickelten Studienmodell (vgl. Mamroth 1893).
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Schweiz zu Tage gefördert, die Wettstein hauptsächlich durch die Auswirkungen der gewinnorientierten Generalanzeiger auf den Wandel des Berufsverständnisses und die Praktiken von Journalisten verursacht und u. a. im Bestreben dieses Zeitungstyps dokumentiert sah, sich hauptsächlich an solchen Publikumserwartungen zu orientieren, die Wettstein ziemlich pauschal als „Sensationslust“ abwertete (vgl. Wettstein 1902). Diesen Problemen meinte er durch eine „den hohen intellektuellen und ethischen Bedürfnissen der Zeit“ entsprechende „gediegene Bildung“ der Journalisten begegnen zu können, ohne die „die Presse auf das Niveau einer gewöhnlichen Geschäftsunternehmung“ sinke (Wettstein 1912: 19f.). Ähnlich wie Pulitzer beabsichtigte er letztlich, durch das Journalistik-Studium unter den Studierenden ein neues, ethisch begründetes Berufsverständnis herauszubilden, als deren Basiselemente er einen „strengen Wahrheitssinn, [eine] scharfe kritische Einstellung [und ein] starkes Verantwortungsgefühl für das, was der Volksgemeinschaft dient“, postulierte (Wettstein 1927: 236).24 Wettstein veranstaltete je Semester i. d. R. eine zweistündige pressegeschichtliche Vorlesung und ein einstündiges „zeitungstechnisches“ Kolleg mit stilistisch-journalistischen Übungen, durch die der Studierende lernen sollte, wie er im späteren Beruf die theoretischen Kenntnisse „verwenden muß und wie er sie nicht verwenden darf“ (Wettstein 1907a: 1072; vgl. auch Wettstein 1907b). Das schmale Studienangebot verstand er jedoch nicht als obligatorische Voraussetzung für den Berufszugang, sondern als eine Möglichkeit zur individuellen Selbstselektion: Es sollte den Studierenden befähigen zu erkennen, ob er talentiert und bereit war, die fachlichen Anforderungen zu erfüllen, vor allem aber die von Wettstein hoch gesteckten ethischen Ideale des journalistischen Berufs. Das war der Kompromiss gegenüber den zahlreichen Anhängern des so genannten Begabungsdogmas im VSP, die davon überzeugt waren, man müsse über natürliche, nicht erlernbare Talente verfügen, um den Beruf ausüben zu können, und die folglich auf einem prinzipiell offenen Zugang zum Journalismus beharrten.
3.
Büchers Konzeption
In deutschen Universitäten fand die Anregung des 7. Internationalen Pressekongresses keinerlei Resonanz, wenn sie denn überhaupt bis in das akademische Arkanum vorgedrungen war, denn mit dem Reichsverband der deutschen Presse (RdP) entstand erst 1910 eine reichsweite Vereinigung der hauptberuflichen Journalisten, die eine solche Anregung einigermaßen wirkungsvoll hätte lancieren können. In der publizistischen Zunft und ihrer Berufsfachpresse bildete die so genannte Ausbildungsfrage seit der Jahrhundertwende freilich einen zentralen Topos. In der diesbezüglichen Debatte offenbarten sich aber schwer zu überbrückende Meinungsunterschiede über die Art, Gegenstände und Form einer derartigen 24
Tatsächlich notierte Wettstein (1926: 6), er habe durch „seine Lehrtätigkeit [...] Pulitzer bei der Gründung der School of Journalism an der Columbia-Universität New York sehr erfolgreich angeregt.“ Es ist nicht auszuschließen, dass Pulitzer während seiner häufigen Aufenthalte in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wettstein in Zürich besucht hatte (zu Pulitzers Reisen in Europa vgl. Swanberg 1967). Im Übrigen hatte Pulitzer 1903 auch die österreichische Journalistenvereinigung ‚Concordia‘ um ein Gutachten darüber ersucht, wie die von ihm geplante School of Journalism am besten zu organisieren sei. Noch ehe die ‚Concordia‘ ihre umständlichen Beratungen über die Anfrage abgeschlossen hatte, entschied sich Pulitzer für die Columbia University (vgl. Eppel 1984: 138).
Professionalisierung durch akademische Ausbildung
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Ausbildung (vgl. Klein 1998). Auch in Deutschland blockierte zumeist das Begabungsdogma, darüber hinaus die Ablehnung einer praktischen Journalistenausbildung an der Universität, mitunter auch die Furcht um den Arbeitsplatz im Wettbewerb mit einer neuen, fachwissenschaftlich ausgebildeten Berufsgeneration, den Weg zu einem Konsens. Gleichwohl wurden in das Lehrangebot von modernen Hochschultypen, insbesondere von verschiedenen Handelshochschulen, teilweise auch von Technischen Universitäten, zumeist einstündige pressekundliche Vorlesungen aufgenommen.25 In der Mehrzahl gingen sie auf die Initiative von etablierten Zeitungsredakteuren zurück, die ihre nebenberufliche Lehre eher als ein Mittel für die Fort- als für die Ausbildung von Berufsangehörigen verstanden, vor allem aber ein Ziel verfolgten, das Karl Bücher bereits 20 Jahre zuvor umgetrieben hatte: Der Hauptklientel dieser Hochschulen, die sich aus dem „neuen Mittelstand“, insbesondere den angestellten Kaufleuten rekrutierte, sollte Pressekompetenz vermittelt werden. Die zuständigen Länderregierungen zeigten sich in der Frage der akademischen Ausbildung von Journalisten indessen unentschieden, wenn nicht sogar grundsätzlich ablehnend. Vorherrschend dürften dort Ansichten wie die des badischen Justizministers Alexander von Dusch gewesen sein, der 1906 die Einrichtung eines „Presse-Lehrstuhls“ an einer Universität des Landes mit der Begründung ablehnte, man „müsse es den angehenden Journalisten überlassen, sich zunächst einen erheblichen Grad allgemeiner Bildung zu verschaffen und dann die theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten für ihren Beruf zu erwerben, wozu die Hochschule indessen nicht der richtige Ort sei“ (o.V. 1906). Karl Bücher dagegen behauptete drei Jahre später apodiktisch, dass „im Ernst niemand bei uns daran zweifelt, dass der Beruf des Journalisten in erster Linie ein volles akademisches Studium erfordert.“ Die Konzeption, die er dafür entwickelte, umfasste einen theoretischen und einen praktischen Teil (vgl. Tabelle 1). Wie seine Züricher Kollegen hing Bücher dem bildungsbürgerlichen Ideal an, dass eine akademische Journalistenausbildung zu einem gewichtigen Teil eine Wissensqualifikation zu sein habe. Der theoretische Studienteil sollte sich folglich aus sach- und fachwissenschaftlichen Vorlesungen zusammensetzen. In fast wörtlicher Anlehnung an die Prämissen der Züricher Staatswissenschaftlichen Fakultät aus dem Jahr 1901 ging Bücher davon aus, dass die akademischen Fächer, in denen das erforderliche Sachwissen vermittelt werde, das ein Journalist benötige, an den Universitäten vertreten seien und dass es deshalb nur auf eine „plan- und zweckmäßige Verbindung dieser Fächer“ ankomme. Darüber hinaus übernahm er die in der Züricher „Wegleitung“ für die Gliederung der sachwissenschaftlichen Vorlesungen vorgezeichnete Ressortstruktur, die er freilich in die drei Richtungen für „Politische Journalistik“, „Handelsjournalistik“ und „Feuilleton“ differenzierte. Damit folgte er zugleich der normativen Orientierung am Typ der nach journalistischen Arbeitsfeldern und -rollen ausdifferenzierten Zeitung, die mit mittelhohen oder hohen Auflagen in den (Groß-) Städten erschien. Diese Differenzierung entsprach Büchers eigener Berufserfahrung als ehemaliger Redakteur der „Frankfurter Zeitung“, betraf jedoch nur einen Teil der redaktionellen Wirklichkeit im damaligen Journalismus. Denn bei der weitaus größten Zahl der Zeitungen im späten deutschen Kaiserreich (wie übrigens auch in der Schweiz) handelte es sich um klein- und kleinstauflagige Blätter, die von einer Minimalredaktion, häufig aber 25
Handelshochschulen: 1898 Leipzig, 1904 Köln, 1906 Berlin, 1909 Königsberg, 1910 Mannheim; Technische Hochschulen: 1904 Danzig, 1907 Darmstadt, 1909 München; in der Schweiz: 1902 Handelsakademien St. Gallen und Basel, 1906 Académie de Commerce Lausanne
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Sachwissenschaftliche Vorlesungen (fakultativ) Polit. Journalistik
Handelsjournalistik
Feuilleton
x x x x
x Nationalökonomie x Finanzwissenschaft x Statistik, Verwaltungslehre x Handels- und Börsenrecht
x x x x
x x
Staatswissenschaft Nationalökonomie Finanzwissenschaft Statistik, Verwaltungslehre Geschichte Politische Geographie
Philosophie Kunstgeschichte Literaturgeschichte Philologien
Fachwissenschaftliche Vorlesungen x x
Praktischer Teil
Pressegeschichte, -organisation, -statistik und -technik Presse-, Urheber- und Verlagsrecht
„Laboratorium“, Übungen und Unterweisungen x x x x
Berichterstattung; Redigieren von Nachrichten- und Korrespondenzmaterial Leitartikel, Tagesübersicht Quellenkunde und -analyse Vergleichende Zeitungslektüre
Lehrredaktion x
Herstellung einer Zeitungsausgabe
Druckerei-Praktikum x x
Herstellungstechnik der Zeitung Grundsätze der Kostenberechnung
Tabelle 1: Karl Büchers Studienplan-Konzeption für die akademische Journalistenausbildung (1909) auch von einem so genannten Alleinredakteur unter verlegerischem Druck und Rücksichtnahmen auf Erwartungen der örtlich bestimmenden politischen oder wirtschaftlichen Interessen hergestellt wurden. Die Anforderungen an die Wissenskompetenz und täglichen Arbeitsprozesse in diesem journalistischen Milieu unterschieden sich kardinal von der inhaltlich stark spezialisierten redaktionellen Tätigkeit des städtischen Journalismus, an der sich Büchers Konzeption offensichtlich orientierte. Für die Vermittlung von Fachwissen, dem zweiten „theoretischen“ Studienelement, sah Bücher obligatorische Vorlesungen über die „Geschichte, Statistik und Technik des Zeitungswesens“ vor sowie „Kollegien über Preß-, Urheber- und Verlagsrecht“; auch diese Gebiete fanden sich in der Züricher „Wegleitung“. Schließlich folgte er auch in der Examensfrage dem Züricher Modell: Ein spezielles Examen lehnte er ab, sondern empfahl die seinerzeit zumal in der Philosophischen Fakultät übliche Promotion, weil sie den Studierenden einen je nach ihren individuellen Neigungen zu gestaltenden Raum der Schwerpunktbildung böte und „darum auch dem wohlverstandenen Interesse der Presse am besten [entspräche], der mit Zwangsvorlesungen und Schablonenmenschen nicht gedient sein kann“ (Bücher 1912b: 87).
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Die Möglichkeit und Notwendigkeit, an der Universität auch eine praktische Journalistenausbildung zu betreiben, schätzte Bücher dagegen ganz anders ein als die Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich. Seine Konzeption sah einen ausgefächerten praktischen Studienteil vor, der sich in drei Ausbildungselemente gliederte. Dabei ging er einerseits davon aus, dass der von ihm als „arbeitsteilig“, „mechanistisch“ und „reproduktiv“ charakterisierte redaktionelle Journalismus seine „erkennbaren Regeln hat und dass diese Regeln durch Übung und Unterweisung erlernt werden können“ (ebd.: 88). Andererseits war er davon überzeugt, dass es dem Anspruch einer akademischen Ausbildung nicht entspräche, wenn dem Studierenden „selbst überlassen [bliebe], seine Befähigung für die eigentümlichen Anforderungen des Dienstes der Presse zu erkennen“ (ebd.). Über das erste praktische Studienelement schrieb Bücher: Dafür „empfehlen sich schulmäßige Einrichtungen, wie sie in unseren akademischen Seminaren sich ausgebildet haben: also eigene Laboratorien für Zeitungswesen oder besondere Lehrkurse, am zweckmäßigsten im Anschluß an ein bestehendes staatswissenschaftliches Seminar. In diesen wäre durch eine planmäßige Folge von Übungen die Kunst der Berichterstattung, des Redigierens fremder Berichte und der knappen und wirksamen Bearbeitung von Tagesfragen, der Wissenschaft oder der praktischen Politik – um diese drei Dinge handelt es sich bei aller journalistischen Tätigkeit – in den Teilnehmern auszubilden. Sie würden heute in einen Vortrag, morgen in eine parlamentarische Versammlung, ein andermal auf eine Ausstellung, zu einer Gerichtsverhandlung, einer Theatervorstellung entsandt werden und alle über denselben Vortrag in vorgeschriebenem Umfang berichten. An diesen Berichten könnte unter Anleitung des Leiters der Übungen die Kunst des Berichterstattens und des Redigierens gezeigt werden. Auch könnten für letzteren Zweck die Lieferungen der Korrespondenz- und Depeschenbureaus herangezogen werden. Schließlich werden Tagesübersichten, Leitartikel, wissenschaftliche Aufsätze über bestimmte aktuelle Themata geschrieben, nach Inhalt, Fassung, Stil und Tendenz besprochen, die journalistische Quellenkunde für den politischen und kommerziellen Teil ausgebildet, indem einzelne Zeitungsnummern in allen ihren Teilen durchgenommen werden und die Art der Benutzung der Tagespresse für ein Blatt bestimmten Charakters gezeigt wird. Überall muß die Kunst, sich rasch und umsichtig zu orientieren, knapp und nachdrucksvoll und in gutem sprachlichen Ausdruck das Wesentliche einer Sache wiederzugeben, sich dem literarischen Bedürfnis eines gebildeten Leserkreises anzupassen, ausgebildet werden.“ (ebd.: 88f.) Die detaillierte Beschreibung war – teilweise bis in die Diktion – angelehnt an den Aufsatz, den George E. Vincent über seinen „special course of the study in journalism“ an der University of Chicago veröffentlicht hatte. Tatsächlich dürfte dieser Bericht und sein genereller Befund, „that it is possible to give under university auspices a practical introduction to the technique of newspaper work“ (Vincent 1905: 309ff.), für Bücher deshalb von besonderer Bedeutung gewesen sein, weil er sich lange Zeit im Unklaren darüber war, wie eine praktische Ausbildung angelegt und in die curriculare Struktur eingegliedert sein müsste, damit sie innerhalb der Universität akzeptiert und zugleich von der Pressepraxis als relevant betrachtet wurde. Hinzu kam, dass sich Vincent auf ähnliche akademische Lehrformen und eine Propädeutik gestützt hatte, wie sie Bücher selbst in seinen staatswissenschaftlichen Seminaren und Übungen an der Universität Leipzig anwendete: die theoretische und methodologische Unterweisung der Studierenden, der kooperative Arbeits- und Lernprozess, die diskursive Erörterung der Konzeption von gemeinsam zu bearbeitenden Fragen und Themen zwischen ihm und den Übungsteilnehmern, darüber hinaus die selb-
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ständige Zusammenarbeit der Studierenden untereinander und die Verknüpfung der Übungsarbeiten mit praktischen Recherchen (vgl. Bücher 1909b; Kutsch 2002). Für Bücher müssen die Ausführungen von Vincent jedenfalls so überzeugend gewesen sein, dass er auch die meisten der acht Empfehlungen übernahm, die der Soziologe als Voraussetzungen für die erfolgreiche Einrichtung eines journalistischen Ausbildungsprogramms an einer amerikanischen Universität aufgeführt hatte. Dazu gehörten insbesondere die beiden weiteren praktischen Studienelemente in Büchers Konzeption, die Herstellung einer Zeitung in einer Lehrredaktion unter realitätsnahen Bedingungen sowie ein kurzes externes Druckerei-Praktikum zur Einführung in die Herstellungstechnik einer Zeitung und die Grundsätze ihrer Kostenkalkulation. Diese Elemente erläuterte Bücher nicht weiter. Man kann mithin annehmen, dass er das Schwergewicht der praktischen Ausbildung in der Universität darin sah, individuelle Fertigkeiten einzuüben, und nicht darin, ein arbeitsteiliges kollektiv-redaktionelles Planungs-, Herstellungs- und Entscheidungshandeln zu simulieren, zumal da dieses in der damaligen Organisation einer deutschen Zeitungsredaktion einen viel geringeren Stellenwert besaß als in der amerikanischen Tagespresse, die sich Vincent zum Vorbild genommen hatte (vgl. auch Nerone/Barnhurst 2003). Bei der starken Anlehnung an Vincent dürften bei Bücher außerdem hochschulpolitische Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Dass Vincents Modell nicht am College irgendeiner amerikanischen Universität, sondern an der renommierten University of Chicago entwickelt worden war, mag er als ein wichtiges Argument eingeschätzt haben, mit welchem den hartnäckigen Vorbehalten begegnet werden konnte, die gleichermaßen in den Universitäten wie in der Pressepraxis gegenüber einer wie auch immer gearteten praktischen Journalistenausbildung bestanden. Dass es möglich war, eine solche Ausbildung in ein universitäres Curriculum pädagogisch und propädeutisch sinnvoll einzugliedern, hatte zudem Joseph Pulitzer 1904 in seinem Memorandum als selbstverständlich vorausgesetzt. Offenbar war Bücher auch deshalb ausführlicher auf dieses Memorandum eingegangen, weil sich das Engagement des amerikanischen Verlegers für eine moderne Universitätsausbildung ebenfalls als ein überzeugendes Exempel ins Feld führen ließ, mit dem sich die in dieser Hinsicht eher rückständigen Dispositionen in Deutschland schwächen ließen. Wie Vincent hielt es auch Bücher für unverzichtbar, dass „hervorragend tüchtige Redakteure [...] als Hilfskräfte“ herangezogen würden, um eine sinnvolle praktische Ausbildung zu verwirklichen (Bücher 1912b: 89). Die weiter gehende Empfehlung von Vincent, eine etatisierte Stelle für die Leitung des gesamten Studienprogramms einzurichten und sie mit einem Dozenten zu besetzen, der über sowohl journalistische als auch akademische Berufserfahrungen verfügte, griff Bücher nicht auf. Er empfahl vielmehr, die fachwissenschaftlichen und praktischen Studienteile in die Staatswissenschaft einzugliedern und einem Ordinarius dieser Disziplin, wie ihn – argumentum e silentio – Bücher mit seiner früheren journalistischen Berufserfahrung selbst repräsentierte, zu unterstellen. Die Einrichtung einer Professur für Journalistik, auf die Vincents Empfehlung letztlich hinauslief, hielt er für wenig Erfolg versprechend, weil er sich einerseits aus erkenntnistheoretischen Gründen eine Journalistik als akademisches Fach nicht vorstellen konnte und andererseits offenbar kalkulierte, dass eine solche Professur am Widerstand in den Universitätsgremien scheitern würde. Bücher wollte keine „fertigen Journalisten“ ausbilden; das Studium sollte vielmehr eine „Vorbildung für den Journalistenberuf […] ermöglichen, die seiner hohen Bedeutung für die moderne Gesellschaft einigermaßen entspricht“ (ebd.: 90). Worin er diese gesellschaft-
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liche Funktionsadäquanz sah, erläuterte er nicht; sie muss deshalb aus seinen weiteren Veröffentlichungen rekonstruiert werden. Büchers Perspektive bildete ein Idealbild vom Journalisten, das er aus seinem Öffentlichkeitsmodell ableitete und das sich in der Leistung fermentierte, die der Journalist für die öffentliche Meinung zu erbringen hatte. Bücher (1915b: 259) sah im Journalisten den „Leiter der öffentlichen Meinung“, der die zu veröffentlichenden Geschehnisse und Probleme, Sachverhalte und Meinungen nach deren gesellschaftlicher Bedeutung und Aktualität auswählte und strukturierte, bewertete und präsentierte. Diese Funktion erforderte nach seiner Vorstellung eine umfassende, tiefgründige Bildung sowie ein darin begründetes Reflektions- und Urteilsvermögen, ferner selbstverständlich praktische Fertigkeiten und Kenntnisse auf dem Gebiet der „Technik“ des Journalismus, also seiner Methoden und Strukturen, vor allem jedoch ein Verantwortungsbewusstsein und ein altruistisches Berufsverständnis. Journalisten sollten sich als „Anwälte der öffentlichen Meinung“ verstehen (ebd.: 260), die sich für das Zustandekommen und den Zustand der öffentlichen Meinung verantwortlich fühlen, indem sie insbesondere verhinderten, dass diese durch egoistisches journalistisches Karrierestreben und verlegerische Gewinnmaximierung verformt, durch politische oder wirtschaftliche Machtinteressen oder gar durch Stimmungsmache oder Korruption instrumentalisiert wird. Nicht das damals unter deutschen Journalisten vorherrschende berufliche Selbstverständnis einer überzeugungstreuen, aber unabhängigen Parteilichkeit (vgl. Requate 1995) zeichnete Bücher als zukünftiges Berufsideal, sondern die Utopie eines „unbestechlichen Richteramtes“, das auf den ethischen Basiselementen „Wahrheit“ und „Ehrlichkeit“ ruhte (Bücher 1915c: 63). In dieser Hinsicht stimmte er mit Pulitzer und Wettstein überein. Dieses Ideal und seine Basiswerte zu lehren und zu erwerben, bildete für Bücher den wesentlichen Zweck der akademischen Journalistenausbildung; das erforderte nach seiner Ansicht, dass die Vermittlung und der Erwerb von Wissen und Fertigkeiten in einen Lehrund Lernprozess eingebettet sind, den er als eine dem Bildungsideal der Universität inhärente, ethisch-pädagogische „Erziehung“ bezeichnete. Bücher hatte seine Rektoratsrede 1903 so geschlossen: „Wir müssen die Studierenden mit dem Geiste der Wahrheit, der selbstlosen Hingabe des Berufes, der einem höheren Herrn dient als dem Mammon, kurz mit jenem Idealismus [erfüllen], der auf deutschen Universitäten so lange schon seine Heimstatt hat“ (Bücher 1912a: 22). Es verwundert mithin nicht, dass Bücher aus dem Memorandum von Pulitzer besonders die ethische Zwecksetzung hervorhob, zumal da sie mit seiner eigenen Auffassung korrespondierte. Bücher schrieb, in Pulitzers Memorandum „soll der gesamte Unterricht ,von einem hohen moralischen Geiste durchdrungen sein; besondere Aufmerksamkeit soll auf die Charakterbildung der Schüler, auf die Entwicklung des Sinnes für Wahrheit und Sorgfalt verwendet werden; kurz gesagt[,] die journalistische Hochschule soll nicht nur Unterweisung[,] sondern auch Erziehung bieten.‘“ (Bücher 1912b: 80) Ähnlich wie Wettstein begriff Bücher die derart begründete akademische Journalistenausbildung nicht als die ausschließliche Voraussetzung für den Berufszugang, sondern als eine Selektionsinstanz, die dem Beruf ein „seinen Aufgaben gewachsenes Personal, aus dem die ungeeigneten Elemente schon während der Studienzeit ausgeschieden sind“, zuführe und dadurch „ohne Zweifel auch zur Hebung des Standes beitragen“ werde (ebd.: 90).
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Einordnung
Die Konzeption von Karl Bücher bildete den umfassendsten und am weitesten ausdifferenzierten Vorschlag für eine universitäre Journalistenausbildung, die bis zum Ersten Weltkrieg in Deutschland entwickelt worden war (vgl. auch Koch/Meißner/Wettstein 1909). In ihren beiden Studienteilen verband diese Konzeption traditionelle Bildungswerte und -ziele der deutschen Universität mit pädagogisch und propädeutisch modernen Studienelementen, die für eine praxisorientierte Ausbildung zu Beginn des 20. Jahrhunderts an amerikanischen Universitäten institutionalisiert worden waren. Büchers Studienplan enthielt Kernelemente, die bis heute als zentral für die akademische Journalistenausbildung angesehen werden (vgl. Saxer 1974/1975; Weischenberg 1990). Fachgeschichtlich betrachtet, markierte die Konzeption den Durchbruch von Vorformen einer hochschulgebundenen Journalistenausbildung hin zum Bestreben, jene tatsächlich an Universitäten zu verwirklichen. Schon bevor Bücher im November 1916 an der Universität Leipzig ein Institut für Zeitungskunde gründete und damit begann, seine Konzeption selbst umzusetzen, hatte diese die Diskussion in Deutschland beeinflusst. Über Martin Mohr, inzwischen Chefredakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten“ und im Vorstand des Reichsverbandes der deutschen Presse (RdP) mit Ausbildungsfragen beauftragt, gelangten wesentliche Anregungen von Bücher in den Beschluss der RdP-Delegiertenversammlung vom 2. Juni 1913, den Universitäten zu empfehlen, ein Fach Zeitungskunde einzurichten, das nicht nur theoretische, sondern auch praktische Ausbildungsaufgaben leisten sollte (vgl. o.V. 1913: 35). Zentrale Ideen und Elemente aus Büchers Konzeption fanden sich ferner in dem Vorschlag, den Mohr 1919 veröffentlichte und auf dessen Grundlage später das Deutsche Institut für Zeitungskunde in Berlin gegründet wurde (vgl. Mohr 1919). Außerdem inspirierte Bücher mit seiner Konzeption die Ausbildungsdebatte im europäischen Ausland – wie beispielsweise die Denkschrift für eine Journalistenausbildung in Schweden, die Ragnar Lundborg, Chefredakteur von „Karlskrona-Tidningen“, 1912 für den schwedischen König anfertigte (vgl. Lundborg 1912). Darüber hinaus dokumentiert die Konzeption eine bedeutende Facette der wissenschaftlichen Beziehungen, die im späten deutschen Kaiserreich zwischen der Universität Leipzig und der Soziologie der University of Chicago bestanden. Lundborg, der sehr gut Deutsch sprach, hatte Bücher während einer Europareise im Sommer 1912 konsultiert und dem Leipziger Nationalökonomen noch im gleichen Jahr seine Denkschrift gesandt. Auch Mohr hatte Bücher in Leipzig mehrmals besucht – wie übrigens auch Oscar Wettstein in Zürich. Diffusionsgeschichtlich betrachtet, bestand vor dem Ersten Weltkrieg ein persönliches und briefliches Netzwerk zwischen den Verfechtern einer hochschulgebundenen Journalistenausbildung, in dem Bücher wohl wegen seiner Interessen, seines Engagements und seiner wissenschaftlichen Autorität einen Knotenpunkt bildete: Nicht nur durch seine Veröffentlichungen, sondern auch durch persönliche Beratung regte er die Entwicklung in Europa an und wurde zugleich, wie wir gesehen haben, durch sie selbst inspiriert. Wettstein stand seit 1906 mit Bücher in brieflichem Austausch. Er hatte den Kontakt nach Leipzig aufgenommen, nachdem er Büchers kulturgeschichtliche Studie über „Das Zeitungswesen“ gelesen hatte und ihn die darin enthaltene „objektive Beurteilung“ des Journalismus als Beruf begeisterte. Später gelangte er zu der Überzeugung, Bücher sei der „einzige Hochschulprofessor in Deutschland, der volles Verständniß
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für die hohe Aufgabe der akademischen Ausbildung der Journalisten hat“.26 Bücher andererseits schätzte Wettstein wegen dessen journalistischer Kompetenz und seiner Ideale, aber auch deshalb, weil dieser sich als Chefredakteur der „Züricher Post“ mit einer presserechtlichen Studie habilitiert hatte, um den Züricher Lehrauftrag zu übernehmen (vgl. Wettstein 1904). Und Bücher hätte Wettstein gern als seinen Nachfolger als Leiter des Instituts für Zeitungskunde in Leipzig gesehen. Neben Wettstein war für Bücher vor allem sein enger Freund Theodor Curti ein wichtiger Gewährsmann für die Züricher Journalistik. Gemeinsam mit ihm hatte Bücher in den 1870er Jahren seine journalistische Laufbahn bei der „Frankfurter Zeitung“ begonnen. Als deren Direktor förderte Curti nicht nur die Bemühungen um eine akademische Journalistenausbildung in seinem Heimatland, der Schweiz, sondern auch die entsprechenden ideellen Avancen des Vereins Deutscher Zeitungs-Verleger in Deutschland, dessen Vorstand Curti seit 1902 angehörte. Sein positives Urteil über die Züricher Journalistik (vgl. Curti 1908) dürfte für Bücher, der diese Einrichtung, ihre Konzeption und insbesondere die praktischen Übungen nur aus einer Veröffentlichung kannte, bedeutet haben, dass ein einflussreicher Vertreter der Verlegerschaft sie für die redaktionelle Praxis grundsätzlich als relevant erachtete (vgl. auch Curti 1911). Eine bedeutende Rolle in diesem kommunikativen Netzwerk spielten die ausländischen Schüler von Bücher. Sie informierten ihn über Fortschritte und Veröffentlichungen in ihren Heimatländern oder versuchten, dort seine Ideen umzusetzen – wie etwa Stanislaw Jarkowski, der zu den Initiatoren der Journalistenhochschule gehörte, die 1917 in Warschau gegründet wurde (vgl. Klimsa 1987: 480; vgl. auch Zlateva 2002). Bücher war auf den für seine eigene Konzeption wichtigen Aufsatz von George E. Vincent und auf den in ihm wiederum zitierten Beitrag von Joseph Pulitzer nicht durch eine systematische Literaturrecherche gestoßen. Vielmehr hatte er die Quelle in Form eines Sonderdrucks durch seinen Doktoranden und Freund Charles Richmond Henderson erhalten, der seit 1892 als Professor für Soziologie an der University of Chicago lehrte und während eines Forschungsaufenthaltes in Deutschland im Oktober 1901 bei Bücher promoviert hatte. Henderson hatte Vincent, den Bücher nicht kannte, als einen Wissenschaftler vorgestellt, „who has a long experience as editor and a rich acquaintance with newspaper men“27 – ähnliche Kompetenzen also, die Bücher für sich selbst beanspruchte. Bereits die hier nur ausschnittsweise angeführten Zusammenhänge legen nahe, dass unter den Pionieren der akademischen Journalistenausbildung bzw. des korrespondierenden neuen Fachgebiets mehr als nur minimale Kontakte bestanden. Insofern bestätigt die Entstehung dieser akademischen Spezialität offensichtlich nicht die These von Terry N. Clark (1974: 109ff.) über das Frühstadium einer wissenschaftlichen Institutionalisierung. Gleichwohl war Bücher, genau besehen, nicht sonderlich gut über die Entwicklung in Europa und in den USA informiert: Die Pariser École supérieure de journalisme erwähnte er nicht, dagegen das Journalism-Programm der Wharton School of Business der University of Pennsylvania, obwohl es bereits acht Jahre zuvor eingestellt worden war und Bücher aus ihm auch keinen systematisch relevanten Aspekt aufgriff; andererseits ging er nicht auf die Schools of Journalism ein, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Konzeptes be26 27
Schreiben Wettstein an Bücher vom 16.5.1906 und 2.3.1915 (Universitätsbibliothek Leipzig [UBL], NL 181 [= Nachlass Karl Bücher]) Schreiben Henderson an Bücher vom 5.4.1906 (UBL, NL 181)
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reits an amerikanischen Universitäten bestanden (vgl. dagegen beispielsweise Stoffers 1913). Somit lässt der Entstehungskontext der Konzeption von Bücher vermuten, dass für ihn, wie es die Diffusionsthese beinhaltet, außer einer allgemeinen Sachinformation gerade persönliche Informationen und Bewertungen durch Experten (wie beispielsweise Curti oder Henderson) für die (selektive) Wahrnehmung und die Bereitschaft, innovative Ausbildungskonzeptionen zu übernehmen oder zu adaptieren, von großer Bedeutung waren. Professionalisierungsgeschichtlich verweist Büchers Konzeption und ihr Entstehungszusammenhang auf die Internationalität des gesamten Prozesses der Akademisierung des Journalismus um die Wende zum 20. Jahrhundert, auf die grenzüberschreitende wechselseitige Wahrnehmung und teilweise Kooperation, auf Imitation und Adaption sowie auf bemerkenswerte interkulturelle Gemeinsamkeiten, aber auch auf signifikante Unterschiede (beispielsweise bei den durch das Studium zu vermittelnden Kompetenzen und ihrer Gewichtung). Generell lässt sich festhalten: Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Schweiz und in Deutschland wurde der berufsspezifischen akademischen Ausbildung des Journalisten ein hoher Stellenwert bei den etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzenden Bestrebungen eingeräumt, den Beruf zu professionalisieren. Diese Entwicklung lässt sich nach einiger zeitlicher Verzögerung auch in weiteren europäischen Ländern beobachten, nicht aber in England. Dabei wurde zumindest in Deutschland, in der Schweiz und in den USA die wichtige Rolle erkennbar, die der Universität in diesem Prozess zukommen sollte. Die deutschen Universitäten sperrten sich jedoch bis zum Ersten Weltkrieg gegen die Eingliederung einer theoretischen, vor allem jedoch einer praktischen Journalistenausbildung. Andererseits existierte bis zum Ende des ersten Jahrzehnts im 20. Jahrhundert in Deutschland keine machtvolle Vereinigung der hauptberuflichen Journalisten, die einen Konsens über die Notwendigkeit und die Form einer akademischen Ausbildung in dem in dieser Frage tief gespaltenen Beruf hätte herbeiführen und diesbezügliche Interessen gegenüber den Universitäten artikulieren und durchsetzen können. In der Protophase der Bestrebungen bis zum Ersten Weltkrieg hat daher offenbar die Union Internationale des Associations de Presse (UIAP) u. a. durch den Informationsaustausch auf ihren Internationalen Pressekongressen, durch deren Beschlüsse und einzelne ihrer Enquêten eine wichtige inspirierende Rolle für die Akademisierung des Journalismus gespielt. In Europa waren es zunächst individuelle Protagonisten, Journalisten wie u. a. Dick May in Frankreich, Oscar Wettstein, Michael Bühler in der Schweiz oder Richard Wrede in Deutschland, die UIAPAnregungen aufgriffen bzw. die Entwicklung forcierten; die Initiative ging jedoch auch von Universitätsprofessoren aus, die zumeist früher selbst journalistisch tätig gewesen waren,28 wobei Bücher in Deutschland zweifellos eine Sonderstellung einnahm. Die Verhältnisse in Zürich, Bern und später in Leipzig deuten darauf hin, dass sich der Staat dann nicht gegen eine Journalistenaus- oder -fortbildung im tertiären Bildungssystem sperrte, wenn diese aus den Universitäten selbst befürwortet wurde; unter den oben angeführten Einschränkungen kann das ferner für moderne Hochschultypen, insbesondere für die Handelshochschulen, angenommen werden. In dieser Protophase wurde nicht zuletzt die Bedeutung der Verleger für die Professionalisierung des Journalismus zum Expertenberuf deutlich. Im Fall der folgenreichen Stif28
zu vergleichbaren, allerdings früher als in Europa einsetzenden Initiativen an amerikanischen UniversitätsColleges vgl. O’Dell (1935)
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tungen von Pulitzer und Herfurth ist das augenscheinlich; sie bildeten jedoch die Ausnahme. Die Regel war eine zumindest in Teilen der Verlegerschaft zu beobachtende Bereitschaft, eine berufsspezifische Universitätsausbildung von Journalisten ideell zu fördern, wobei für Deutschland erst noch zu erforschen ist, worin die Motive dafür lagen, welche Interessen damit verknüpft wurden und wie diese im Zusammenhang mit weiteren Ansprüchen und Zielen der Professionalisierung des journalistischen Berufs zu bewerten sind. Ein entscheidendes Motiv für das Engagement von Bücher lag in seiner Sicht auf die Kommerzialisierung der Tagespresse in Deutschland. Wie viele seiner Zeitgenossen erkannte er in dieser Entwicklung die sich verschärfende Gefahr einer Auflösung des Journalistenberufs, d. h. die Aushöhlung des beruflichen Selbstverständnisses und der Normen der journalistischen Tätigkeit. Aufgrund einer Analyse von Stellenangeboten und -gesuchen in der Berufsfachpresse gelangte Bücher (1917: 223) zu dem Befund, „daß die Arbeitsvereinigung zwischen Redaktionsführung und Geschäftsbetrieb in einer einheitlichen Zeitungslaufbahn recht häufig vorkommt, und man fragt sich unwillkürlich, welche von beiden Seiten des Berufes die herrschende sein werde“. Für ihn war evident, dass diese konfuse Berufskonstellation nur noch forcierte, dass die Presse „zum Einfallstor privilegierter Privatinteressen in die Öffentlichkeit“ (Habermas 1971: 222) wurde und die Kulturbedeutung der Zeitung zu zerstören drohte. Einen wichtigen Ansatzpunkt, um dem entgegenzuwirken, sah Bücher in einer akademischen Ausbildung des Journalisten, die im Kern darauf zielte, ein neues, in den ethischen Basiswerten „Wahrheit“ und „Ehrlichkeit“ gründendes professionelles Selbstverständnis und Verantwortungsbewusstsein hervorzubringen. In dieser Hinsicht ähnelte seine Zielstellung derjenigen von Pulitzer und Wettstein. Der solchermaßen an Kardinalkriterien der Wissenschaft orientierte Wertewandel sollte einen gewichtigen Teil der Autonomie des journalistischen Handelns gewährleisten, die den Journalismus sowohl gegenüber den ökonomischen Zwängen im Pressesektor wie gegenüber den Einflüssen der Informanten und nicht zuletzt gegenüber den Erwartungen des Publikums abschirmte, wenn nicht gar immunisierte, und somit letztlich die „Hebung“ des gesellschaftlichen Ansehens und Status des Berufs bewirken. Dieses Autonomiebewusstsein sollte einer künftigen Funktionselite im Journalismus vermittelt werden, von deren professionellem Vorbild sich Bücher offenbar eine langfristige Katharsis durch den Beruf selbst versprach. Ebenso wie Wettstein lehnte es Bücher wohl nicht zuletzt deshalb ab, das Studium der Zeitungskunde als ausschließliche Voraussetzung für den Berufszugang zu postulieren. Aus dieser Perspektive betrachtet, sollte die universitäre Ausbildung von Journalisten von vornherein lediglich eine gebremste Professionalisierungsfunktion erfüllen.
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Journalismus und „Volksstimmung“ im Ersten Weltkrieg Kurt Koszyk
Unterdrücktes und Verdrängtes pflegt zu anderer Zeit und an anderer Stelle unkontrolliert wiederzukehren und dann Schaden zu stiften. (Pöttker 1997: 7)
In Zeiten der Pressekrise, angeblich verursacht durch Internet und „Blogs“, fällt es schwer zu verstehen, was „Öffentlichkeit“ im 20. Jahrhundert bedeutete. Immer wieder haben Kommunikationswissenschaftler vergebens versucht, den Begriff theoretisch zu definieren (vgl. Pöttker 2001). Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde „Öffentlichkeit“ von institutionalisierten Medien verwaltet. Die Presse hatte nach damaligem Verständnis die Funktion, stellvertretend für den Bürger dessen Interessen, Meinungen und Stimmungen zur Sprache zu verhelfen, d. h. „öffentlich“ zu machen. Bei Kriegsausbruch 1914 wurde der im 19. Jahrhundert erkämpften „Pressefreiheit“ ein Ende bereitet. Militärische und zivile Behörden sollten dafür sorgen, „Volksstimmung“ so zu gestalten, dass sie militärische Planung und Aktion nicht gefährdete. Kontrollierte Medien sollten Stimmung und nationale Emotionen garantieren. Vorurteile und Aversionen gegen die Kriegsgegner waren bereits vor dem Krieg systematisch gepflegt worden (vgl. Koszyk 1968: 122; Knightley 1989; Wilke 2007). Je länger der Krieg dauerte, umso schwieriger wurde es, den dadurch geschaffenen Zustand der „Volksstimmung“ zu erhalten. Sechs Wochen lang nach Kriegsausbruch im August 1914 teilten die meisten deutschen Zeitungen die offiziell verfügte und geförderte Begeisterung. Zweifel am baldigen Ende des Konflikts kamen schon im Oktober auf. Versorgungskrise und hohe Verluste im Grabenkampf an den erstarrten Fronten bewirkten im Winter 1915/16 einen rapiden Stimmungsumschwung. Seit dem Frühjahr 1917 gab es kaum noch Zweifel, dass der Reichsführung unter dem Kanzler Bethmann Hollweg, der vom Kaiser am 13. Juli 1917 entlassen wurde, die Zügel der öffentlichen Meinung entglitten waren. Der wachsende Aufwand an Propaganda durch das offiziöse Wolffsche TelegraphenBureau (W.T.B.) und die Berliner Pressekonferenzen erwies sich als Fehlinvestition. Nach zwei Jahren Kriegszustand werteten die militärischen Zensurbehörden den Montagsleitartikel Theodor Wolffs vom 31. Juli 1916 mit seiner Forderung nach Kontrolle der auswärtigen Politik als Absage an den 1914 verkündeten „Burgfrieden“ (vgl. Sösemann 1993: 120f.; zur zeitgenössischen Kritik an Wolff vgl. Eigenbrodt 1917; Herold 1920). Am Telefon hatte Wolff dem Herausgeber der „Zukunft“, Maximilian Harden, erklärt, ihm sei schon jeweils Freitag „eklig vor dem Schreiben“ und direkt unwohl (vgl. Sösemann 1984: 404). Wegen seiner hervorragenden Kontakte zu zivilen Stellen war dem Chefredakteur des im Verlag Mosse erscheinenden „Berliner Tageblatts“ früher als anderen deutschen Journalisten klar, wie es um die schwindenden Erfolgsaussichten stand. Er war seit 1894 zwölf Jahre lang Korrespondent in Paris gewesen und hatte dort die Dreyfus-Affäre erlebt (vgl. Koszyk 2000: 170, 174f. u. 178). Wenn wir uns mit der Kriegsberichterstattung im Ersten Weltkrieg befassen, behandeln wir nicht nur ein historisches Thema, vielmehr eine endlose Geschichte menschlichen
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Irrsinns und der Inhumanität. Die militärischen Verlierer von 1918 verstiegen sich, um ihr eigenes Scheitern zu beschönigen, zu der Legende vom „Dolchstoß“, der aus der Heimat gegen die angeblich unbesiegbare Front geführt worden war. Ob wir über die Wahrheit eines Krieges mehr erfahren, weil Kriegsberichterstatter involviert sind, bleibt zu bezweifeln. General Schwarzkopf verhöhnte 1991 die Journalisten in Kuwait, die er „in die Wüste schicken ließ“ (vgl. Koszyk 2002). Karl Kraus lässt in den „Letzten Tagen der Menschheit“ den Nörgler sagen: „Alles, was geschieht, geschieht nur für die, die es beschreiben, nicht für die, die es erleben.“ In der „Fackel“ ist am 2. August 1916 der Brief eines Frontsoldaten abgedruckt. Der Mann stellt fest: „Es ist fast unglaublich, was da alles beschrieben wird von Leuten, die die Verhältnisse [an der Front; K.K.], die sie schildern, meist nur vorübergehend gesehen, vielleicht auch nur ‚gehört‘ haben“. Elias Canetti hat in „Das Geheimherz der Uhr“ dem Satiriker Kraus nachgesagt, „dass niemand die Natur des modernen technischen Krieges so vollkommen und in all seinen Facetten erkannt hat wie er“ (Canetti 1987: 26). Karl Bücher, der Gründer des Leipziger Instituts für Zeitungskunde, hat 1915 in der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ die Presse getadelt, weil sie, statt die Wahrheit zu berichten, sich propagandistischer Praktiken bediente. Zensur und Bereitschaft der Journalisten, nationalistischen Ideen zu folgen, seien der Hauptgrund für den Niedergang der Medien gewesen (vgl. Bücher 1915). Kurz nach dem Ersten Weltkrieg hat der Brite Harold Picton ein Büchlein über „The Better Germany in War Time“ veröffentlicht. Picton prangert den Chauvinismus der britischen Presse an und erwähnt einige Ausnahmen deutscher Zeitungen, wie die „Frankfurter Zeitung“. Er hebt hervor, dass in Deutschland noch 1918 britische Blätter verkauft wurden, während in England der Vertrieb deutscher schon 1916 verboten worden sei (vgl. Picton 1919). Das wohl umfassendste Buch über Kriegsberichterstattung ist „The First Casualty. From the Crimea to Vietnam“ von dem in Australien geborenen Journalisten Phillip Knightley. Er war bis 1985 Spezialkorrespondent der „Sunday Times“. Der Titel seines 1975 erstmals erschienenen Werkes basiert auf einem Zitat des US-Senators Hiram Johnson, der 1917 sagte: „The first casualty, when war comes, is truth!“ Wer in Deutschland den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, wird sich lebhaft der PK-Berichte erinnern. Goebbels ließ den Begriff „Propaganda“, auch im Namen seines Ministeriums, noch ohne den negativen Beigeschmack in der Öffentlichkeit verwenden, den er gerade durch seine Praktiken seither angenommen hat. Vor der Einführung des Telegrafen im amerikanischen Bürgerkrieg 1861-65 waren die „War Correspondents“ auf Sonderzüge und Spezialschiffe angewiesen, um gegen Konkurrenten Aktualität und Kontinuität ihrer Berichte zu garantieren. Der Reporter der „New York Tribune“, George W. Smalley, organisierte eine Art „Pool“ zwischen seinem Blatt und der „London Daily News“, um wechselseitig die Telegramme ihrer Berichter auszutauschen. Den Erfindungsreichtum der Journalisten erleichterte vor 1914 das weitgehende Fehlen von Zensur. Wer das Risiko nicht scheute, konnte sich selbst auf Schlachtfeldern frei bewegen. So soll Moncure D. Conway für die „New York World“, das Blatt Pulitzers, das Treffen von Gravelotte 1870 vom Dach eines Sanitätszuges beobachtet haben, allerdings gab er dann seinen Job auf, weil seine Nerven versagten. Viele Journalisten mochten 1914 glauben, es werde so weitergehen, wie bei den jährlichen Manövern, über die Karl Kraus einmal spottete: „Majestät, der Ganghofer ist da, das Manöver kann beginnen.“ Die Technisierung des Krieges veränderte den Stil der Berichter-
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stattung. Die Kosten der Telegramme verknappten die Texte auf Fakten. Man erfand die fünf „W“, die seither in jedem Lehrbuch des Journalismus auftauchen. Die Wissenschaft nahm sich der propagandistisch-psychologischen Funktion an, die 1895 von Gustave Le Bon in seiner „Psychologie der Masse“1 beschrieben wurde. Die Erfahrungen des Krieges lehrten, dass es nicht die Massen waren, die herrschten, sondern die sie manipulierenden Herrschenden. Kriegsbegeisterung war nicht ursprünglich ein Anliegen der Völker, sondern sie wurde durch Vorurteile und Hasskampagnen erst geweckt. Kriegsberichterstattung war eine Art Gegen-Propaganda gegen Gefühle und Erfahrungen im Volk, dessen Stimmung umso labiler wurde, je ungewisser sich die Kriegsaussichten entwickelten. Natürlich wollte man siegen und dafür Opfer bringen, aber was, wenn die Opfer den Sieg nicht garantierten? Der Kriegsberichterstatter gehörte zum Stab der Manipulierer; denn er wusste meistens mehr über die tatsächliche Kriegslage, als den Bürgern auch in demokratisch regierten Staaten wie Großbritannien, den USA und Frankreich zugestanden wurde. Die militärischen Kommandostellen auf beiden Seiten der Front suchten sich über die Stimmung auf der Gegenseite durch Briefzensur und Verhöre von Gefangenen zu informieren. Frank Thiess hat in seinem Erinnerungsbuch „Verbrannte Erde“ (1963) berichtet, wie Kurt Tucholsky sich als Armierungssoldat, Schreibstuben- und Offiziersbursche durchwurschtelte: „Es habe keinen Zweck, gegen die Macht des Militärs den kindlichen Willen des Ungehorsams zu stellen. Der einzelne sei im Krieg eine Null.“ (Hepp 1993: 99) Tucholsky wusste, wovon er schrieb, wenn er am 4. August 1931 in der „Weltbühne“ (S. 192) sein „Soldaten sind Mörder“ veröffentlichte. Der bis heute gerichtsnotorische Satz des studierten Juristen lautet wörtlich: „Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“ Tucholsky empfahl jenen, die sich über sein Diktum erregten, die Exhortation von Papst Benedikt XV. (1854-1922) nachzulesen. Der Papst hatte am 28. Juli 1915 die Regierungen „im heiligen Namen Gottes“ beschworen (vgl. a. „Die Fackel“ vom 5.10.1915, S. 1f.), „dieser grauenhaften Schlächterei ein Ende zu setzen, die nun schon ein Jahr Europa entehrt“. Die Stimme des Vatikans wurde 1915 ebenso wenig beachtet wie Friedensappelle seither. Gemetzel und Elend erreichten im Ersten Weltkrieg ein den Zeitgenossen unbekanntes Ausmaß. Bei dem Bemühen der Verantwortlichen, die Völker für weitere Opfer zu gewinnen, fanden sie willige Helfer, die für ihren propagandistischen Einsatz vom direkten Einsatz an der Front verschont blieben (vgl. Thimme 1932: 31). Knightley hebt hervor, die Bereitschaft zur Kooperation mit den Zensurstellen habe Verlegern und Journalisten zu Sozialprestige und Teilhabe an der Macht verholfen, langfristig aber das Vertrauen in die Presse untergraben. In diesem System kam Kriegsberichterstattern eine privilegierte Stellung zu. Sie waren vom Wehrdienst freigestellt und erfreuten sich wie die Offiziere höherer Ränge bester Verpflegung. Sie identifizierten sich mit den Kommandeuren, von deren Wohlwollen ihre Position abhing. Über das Leben an der Front und in den Schützengräben verbreiteten sie beschönigende Berichte. Die Opfer und die Art des „Heldentodes“ in den Trichterfeldern der Front wurden verschwiegen. Der deutschen Presse ist vorgeworfen worden, sie habe ihren Lesern vor 1914 ein falsches Bild von den Nachbarn vermittelt und Illusionen über die deutschen 1
Hitler hat im sechsten Kapitel von „Mein Kampf“ (z. B. 1940: 193ff.) ohne Zitat darauf Bezug genommen (vgl. Hamann 1989: 307, 333 u. 409).
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Möglichkeiten geweckt. Die Großmannssucht Kaiser Wilhelms II. – seine Sprüche wurden sogar in Reclambändchen verbreitet – fand eine unheilvolle Resonanz in einem Teil der konservativen und der nationalliberalen Presse. In England brüstete sich Lord Northcliffe, der die „Times“ finanzierte, damit, das Land in den Krieg treiben zu wollen. Den überzeugenden Vorwand lieferten die Deutschen mit dem Bruch der belgischen Neutralität. Berichte über deutsche Greueltaten, wie sie auch von der französischen Presse kolportiert wurden, taten ein Übriges, um ein Klima des Hasses und der Kampfbereitschaft zu erzeugen. Kriegerische Schlagzeilen beherrschten die Titelseiten und Extrablätter in allen am Krieg beteiligten Ländern. Seit dem Juni 1915 gab es ein halbes Dutzend Vertreter der Londoner Presse, von Reuters und der Algamated Press für die Provinzblätter bei britischen Fronteinheiten (vgl. Knightley 1989: 95ff.). Aus den Akten des bayerischen Kriegsministeriums im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Stv.Gen.Kdo I Ak Bd 1737) geht hervor, dass Hellmuth von Moltke, Chef des Generalstabes des Feldheeres, im August 1914 einige Kriegsberichterstatter akkreditierte. Ihre Berichte durften nach Genehmigung durch den Generalstab nur unverändert veröffentlicht werden. 1914 gab es deutsche Kriegsberichterstatter-Quartiere an der Ost- und Westfront, später ein weiteres im Südosten mit fünf Journalisten. Die Standorte gehen aus den Akten nicht hervor. Die bis zu zwei Dutzend Kriegsberichterstatter wurden von Zensuroffizieren überwacht, aber so unzureichend, dass sie im Mai 1915 kritisiert wurden. Der Chef der Presseabteilung des stellv. Generalstabs in Berlin, Erhard Deutelmoser (vgl. Koszyk 1985), gab jedoch nach, als sich die Presse über die Nachzensur beschwerte, und wies die Zensoren an, die Verfügungen genauer zu beachten.
Modellfall Sommeschlacht und Verdun Ein wichtiges Instrument der deutschen Pressepolitik waren die seit August 1914 mehrmals wöchentlich stattfindenden Berliner Pressekonferenzen (vgl. Koszyk 1968: 186ff.). Den Vorsitz hatten als Vertreter des Generalstabs Major Georg Schweitzer sowie Georg Bernhard, damals Ullstein-Verlagsdirektor und Leitartikler der „Vossischen Zeitung“. In Anwesenheit von Vertretern verschiedener Ministerien konnten die zugelassenen Journalisten Fragen stellen. Sie erhielten detaillierte oder allgemeine, oft vertrauliche Informationen mit der Auflage, sie in bestimmter Form zu publizieren oder für sich zu behalten. Protokolle der Verhandlungen gingen an die regionalen Zensoren. Nicht vor dem 6. Juli 1916 – zwölf Tage nach Beginn des britischen Trommelfeuers – wurden die Journalisten auf der Berliner Pressekonferenz vertraulich darüber informiert, dass eine alliierte Offensive im Westen zu „erwarten“ sei. Wie Theodor Wolff schon am 5. Juli 1916 in seinem Tagebuch vermerkte, hatte der französische General Verraux bereits am 20. Juni im Pariser „Oeuvre“ erklärt, dass der Ausgang des Krieges vom Ergebnis dieser Offensive abhänge. Außerdem kündigte die alliierte Presse eine britische Offensive wie eine Theatervorstellung an, nachdem der Artilleriebeschuss der deutschen Stellungen am 24. Juni 1916 begonnen hatte. Die einzige Überraschung für die Deutschen war nach Theodor Wolff, dass bei dem Angriff französische Einheiten auftauchten, obwohl behauptet worden war, sie seien bei Verdun vernichtet worden (vgl. Poll 1937: 211ff.). Die deutschen Militärs warnten denn auch am 6. Juli davor, mit einem raschen Ende der Schlacht zu rech-
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nen. Der alliierte Materialeinsatz – sieben Tage Beschuss aus 3.000 Geschützen – ließ Schlimmes erwarten. Trotzdem wurde die Sommeschlacht auf der Berliner Pressekonferenz eher selten erwähnt (vgl. Koszyk 1994). Die Aufgabe der Kriegsberichterstatter war es nicht zuletzt, die offiziellen Heeresberichte mit Feuilletons über das Leben an der Front zu ergänzen, um vor allem die Gefühle der Frauen in der Heimat zu berücksichtigen. Max Osborn meinte am 28. August 1916 in der „Neuen Freien Presse“ (Wien), die deutschen Soldaten seien nicht vom Hass beherrscht, sondern vom Enthusiasmus für den Sieg und der Hoffnung auf baldige Heimkehr. Die Zensoren hatten sogar die Privatpost der Berichterstatter zu kontrollieren. Am 26. Juli 1916 warnte Osborn in dem Wiener Blatt die Leser in der Heimat davor, kleinmütige Briefe an Soldaten an der Front zu schreiben. Bei einer eventuellen Gefangennahme könnten so die Gegner ermutigt werden. Eine ähnliche Warnung fand sich am 24. November 1916 in der „Halleschen Zeitung“. Im Oktober 1915 hatte die Nachrichtenabteilung die Kriegsberichterstatter angewiesen, in ihren Artikeln Namen von Offizieren oder Heereseinheiten nicht zu erwähnen. Sonst bestehe die Gefahr, dass feindliche Flugzeuge oder Artillerie deutsche militärische Stäbe ausfindig machten und angriffen. Die Alliierten hatten eine bemerkenswerte Luftüberlegenheit erreicht, und zwar von Beginn der Sommeschlacht an. Den 300 gegnerischen Flugzeugen standen nur 100 deutsche gegenüber. Der Chef der Nachrichtenabteilung des kaiserlichen Hauptquartiers, Major Walter Nicolai, autorisierte im Oktober 1915 die Chefs der Pressequartiere, von Bunsen, Vogel und Hofstetter, darüber zu entscheiden, wie die nicht permanent akkreditierten Berichterstatter zu zensieren seien. Im September 1915 versuchten Nicolai und Generalmajor von Hoen, Chef des österreichischen Pressequartiers, eine Einigung über die militärische Berichterstattung zu erzielen (Bayer, HStA Stellv.Gen.Kdo. I Ak Bd 1737). Im Wesentlichen ging es um einen Austausch der beidseitigen Berichte für die deutsche sowie die österreichische und die ungarische Presse. Die Zensur in Österreich-Ungarn bearbeiteten das Kriegspressequartier in Teschen bzw. das Kriegskontrollamt in Wien sowie die Kontrollkommission in Budapest. Die deutsche Zensur gliederte sich in drei Abteilungen: Heeresnachrichten wurden vom jeweiligen stellvertretenden Generalkommando zensiert, Marinenachrichten vom Reichsmarineamt und politische Nachrichten vom Zensor des Auswärtigen Amtes in Berlin. Die Oberzensurstelle des Kriegspresseamtes hatte alle drei Behörden anzuleiten. Um die Bürokratie vollkommen zu machen, mussten herumreisende Sonderberichterstatter ihre Berichte bei der stellvertretenden Nachrichtenabteilung unter Major Neumann einreichen. Erhard Deutelmoser, der Chef des Kriegspresseamtes, bekannte bei Kriegsende, die bürokratische Organisation habe sich als nicht effektiv erwiesen. Trotz Zensurbruch und detaillierten Instruktionen erreichte die Militärzensur die völlige Uniformierung der deutschen und der österreichischen Presse nicht. Offensichtlich ließen die komplexen Dienstwege und die Inkompetenz der Militärzensoren den Journalisten manchen Spielraum. Hinzu kam, dass sich zwischen Zensoren und Journalisten eine Art Abhängigkeit entwickelte. Es gab gegenseitiges Verständnis, wenn es um gemeinsame nationale Überzeugungen ging. Über eine ähnliche Lage in Großbritannien berichtet Lyn Macdonald in ihrem Buch „Somme“ (1983: 80): „Es war nur natürlich, dass sie [die Journalisten; K.K.] sich des Vertrauens der Armee würdig zu erweisen suchten.“
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Ihre Berichte „atmeten Sieg und Hoffnung für die Menschen in der Heimat“, wie es von den „militärischen Wachhunden“ erwartet wurde. Um der Wahrheit, wenn auch nicht der ganzen Wahrheit, näher zu kommen, hätten deutsche Leser mehrere Zeitungen, auch aus dem neutralen Ausland, was möglich war, lesen müssen. Im Juli 1916 wurde die deutsche Presse wiederholt daran erinnert, die feindlichen Heeresberichte ohne typographische Hervorhebungen und nicht früher als die entsprechenden deutschen und österreichischen zu veröffentlichen. Der Leser sollte sich so „eine eigene Meinung über die Glaubwürdigkeit der feindlichen Heeresberichte“ bilden. Am 18. Juli 1916 beschuldigte das offiziöse W.T.B. die Alliierten, nicht den Mut zu besitzen, deutsche Heeresberichte unverändert zu bringen. In Frankreich wurden sie überhaupt nicht veröffentlicht. Wenigstens ein paar deutsche Journalisten gaben den Lesern Informationen statt Schönfärberei. Die daraus resultierenden Konflikte sind dem „Auszug aus der deutschen Tagespresse“ (Bayer, HStA Stellv.Gen.Kdo. I Ak Bd 1737) zu entnehmen, der vom Kriegspresseamt „nur für den Dienstgebrauch“ herausgegeben wurde. Der Hauptzweck des „Auszugs“ scheint gewesen zu sein, die Effizienz der Zensur nachzuweisen und die Bereitschaft der Journalisten zur Kooperation. Insofern stellt der „Auszug“ nur ein exemplarisches, aber kein repräsentatives Dokument dar. Gelegentlich wurden kritische Artikel gebracht, denen stets positive Schlussfolgerungen angefügt waren. Wie den bayerischen Akten zu entnehmen ist, waren dem Pressequartier West acht Journalisten zugeordnet, die für 13 deutsche und drei österreichisch-ungarische Zeitungen korrespondierten. Weitere 18 Namen oder Initialen verweisen auf Sonderberichte in den zitierten Blättern (vgl. Koszyk 1994: 214). Als die alliierte Offensive am 1. Juli 1916 begonnen hatte, befanden sich die Deutschen in einer sehr schwierigen Arbeits- und Versorgungslage. Theodor Wolff erwähnt in seinem Tagebuch, was er im „Berliner Tageblatt“ nicht zu veröffentlichen wagte: „[…] der Jammer im Volk ist unsagbar, obgleich er so wenig an die Oberfläche kommt.“ Um durch Verluste entstandene Lücken auszufüllen, wurden Männer bis zum 47. Lebensjahr einberufen. Auf dem Hof des Bezirkskommandos warteten tausende Männer „angstvoll auf ihr Schicksal, während tausende von Frauen auf der Straße vor dem Gitter ebenso angstvoll harrten.“ (Sösemann 1984: 399ff.) Hervorstechendes Merkmal der Berichte über die Sommeschlacht war das vollkommene Verschweigen eigener Verluste, während alliierte Verluste ausführlich erwähnt wurden. General Wilhelm von Blume (1835-1919), Autor eines Buches über „Strategie“, das erstmals 1882 erschienen war, berechnete die britischen Verluste nach der ersten Schlachtwoche auf 100.000 Mann („Post” [Berlin] vom 8.7.1916; vgl. Keegan 1991: 214ff.). Das bedeutete ein Viertel der alliierten Truppen, die von der „Kölnischen Zeitung“ am 17. Juli auf etwa 400.000 Mann berechnet wurden. Am 26. Juli meinte die konservative „Neue Preussische Zeitung“: „All den Mitteilungen und Gerüchten über ein Mattwerden Englands möchten wir so lange keinen Glauben schenken, als sie nicht durch objektive Anzeichen bestätigt werden. Und daran fehlt es einstweilen. Im Gegenteil, immer wieder zeigt sich, dass England seine Ansprüche noch in keinem Punkte herabgestimmt hat.“ Eine Woche vorher hatten das „Leipziger Tageblatt“ (vgl. Meyen 1996: 76ff.) und die „Saale Zeitung“ (Halle) die britischen Verluste mit 260.000 Mann angegeben.
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Am 28. Juli erwartete Richard Gädke im sozialdemokratischen „Vorwärts“ (Berlin), dass die Alliierten die „gewaltigen Verluste“ nicht längere Zeit ertragen könnten, „ebenso nicht die ungeheuerliche Geschossverschwendung“. Gädke berechnete die feindlichen Verluste am 21. Oktober 1916 auf drei Millionen Mann, davon die Hälfte „dauernd“. Am 24. November berichtete dagegen der konservative „Berliner Lokal-Anzeiger“ von 600.000 britischen Verlusten. Australische, kanadische und südafrikanische Einheiten seien „fast aufgerieben“. Die Briten beschleunigten deshalb die Rekrutierung von Freiwilligen in den USA, was die sozialdemokratische „Rheinische Zeitung“ (Köln) am 30. November behauptete. Gleichzeitig erklärte das Blatt, die Somme-Offensive sei „in Blut und Schlamm steckengeblieben“. Ende 1916 bezifferte Generalleutnant Armand Baron von Ardenne, den Wolff als Mitarbeiter des „Berliner Tageblatts“ engagierte, die alliierten Verluste realistisch auf 800.000 Mann, wie die „Magdeburgische Zeitung“ am 27. Dezember berichtete. Über die deutschen Verluste meldeten die deutschen Blätter nichts. Nachdenkliche Leser mögen sie geahnt haben, wenn z. B. das „Bremer Tageblatt“ am 21. Dezember schrieb: „5.000 Söhne, Väter und Gatten wiegt die Blutschuld der Verantwortlichen unserer Feinde für einen einzigen Tag, den sie den Krieg ohne Notwendigkeit fortwähren lassen.“ Für die Journalisten war es schwierig, das ganze Ausmaß der Tragödie zu beschreiben. Sie erschöpften ihr sprachliches Repertoire in Augenzeugenberichten von dem, was jeden Anschein von Heroismus verloren hatte, vielmehr als mechanisiertes Schlachten empfunden wurde. Deutsche Journalisten beschrieben dennoch die feindlichen Soldaten als „minderwertig“, so Georg Queri, Verfasser des 1912 erschienenen „Kraftbayrisch“, am 23. Juli 1916 im „Berliner Tageblatt“. Auch die liberale „Frankfurter Zeitung“ verschwieg die deutschen Verluste, erging sich am 30. Juli aber darin, dass die Alliierten 90 Quadratkilometer unter schwersten Verlusten erobert hätten. Innerhalb eines Monats variierten die Angaben über die Zahl der eingesetzten alliierten Divisionen in der deutschen Presse. Am 22. Juli wurden 17 Angriffsdivisionen genannt. Am 7. August meldete Queri in der „Berliner Volks-Zeitung“ 32 britische Divisionen. Die „Neue Preussische Zeitung“ zählte zehn Tage später 34, von denen zwölf hätten wieder aufgefüllt werden müssen, um erneut an die Front geschickt zu werden. Am 25. August zitierte der „Berliner Lokal-Anzeiger“ einen neutralen holländischen Korrespondenten. Der berief sich auf einen britischen Offizier, der dem Kriegsminister Lloyd George „frivole Beschönigung“ vorwarf, weil er von relativ geringen Verlusten gesprochen hatte. Die Hochlandregimenter seien praktisch aufgerieben, verweigerten den Angriff, bevor sie durch Südafrikaner und Australier verstärkt worden seien. Der „Berliner Lokal-Anzeiger“ nannte die Kämpfe am 7. September „millionenfachen Mord an der Somme“. Was mögen sich die konservativen Leser gedacht haben? Am 2. September befassten sich die „Leipziger Neuesten Nachrichten“ mit dem weitverbreiteten deutschen Vorurteil über die Briten. Die Engländer, denen man „Krämergeist“ nachsagte, wurden als „Kaufleute“ bezeichnet, die nun wegen der großen Verluste erführen, „dass der Krieg nicht ein Geschäft wie jedes andere ist, vielmehr eine verzweifelt ernste Sache, bei der nicht Geld entscheidet, sondern Tüchtigkeit, Kraft und Opferwilligkeit eines ganzen Volkes“. Die deutsche Presse polemisierte im September 1916 gegen den Einsatz von Kolonialeinheiten durch die Alliierten. Die „Neue Preussische Zeitung“ nannte ihn am 11. September eine „Verleugnung bisheriger Grundsätze des Rassenbewusstseins“. Die „Germania“
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(Berlin) zitierte einen Tag später den schwedischen Professor Sjösted (Stockholm), der durch den Einsatz von „Negertruppen“ das „Ansehen der weissen Rasse“ schwer geschädigt sah. Nach der liberalen „Kölnischen Zeitung“ vom 21. September hatte ein französischer Offizier angeblich erklärt: „Alles stirbt, aber Kinder werden nicht geboren. Die Lücken an unserer Front können wir nicht mehr decken. Farbiger Einsatz feige, grosse Enttäuschung. Volk angeekelt vom Krieg und hat genug. Niemand glaubt noch an den Sieg“. Feindliche Angriffe wurden in deutschen Blättern heruntergespielt oder als lokal und nicht entscheidend beschrieben. Die deutschen Soldaten wurden als meisterhaft im Widerstand und Durchhalten gefeiert. Die „Neue Preussische Zeitung“ betrachtete es als Erfolg der deutschen Strategie, dass die alliierten Heeresberichte nicht länger von „Durchbruchoffensive“, sondern von „Druckstrategie“ sprächen. Im August 1916 wurde die alliierte Offensive als „Entlastungsangriff“ für Verdun bezeichnet, so im „Reichsboten“ (Berlin) am 18. August 1916. Erich von Salzmann, ein Leutnant a. D. und später beim Scherl-Verlag, rühmte am 11. August 1916 in der „Vossischen Zeitung“ die „wunderbare Maschine unserer Heeresleitung“ wegen ihrer „Wucht, Eleganz und Schnelligkeit“, Qualitäten, von denen die erschöpften deutschen Soldaten in den Schützengräben wohl nichts merkten. Die konservativen „Berliner Neuesten Nachrichten“ stimmten allerdings der Ansicht Bethmann Hollwegs zu, Verdun sei ein deutscher strategischer Irrtum gewesen. Verdun habe sich nicht als „Saugpumpe“ erwiesen, wo die alliierten Kräfte verbluteten, meinte das Blatt am 3. September. Rückzüge wurden in deutschen Zeitungen bloß als Ergebnis einer flexiblen Taktik interpretiert und nicht als Niederlage. Im Zweiten Weltkrieg wurden daraus „planmässige Frontverkürzungen“. „Durchhalten“ war für die rechtskonservative „Rheinisch-westfälische Zeitung“ (Essen) am 19. September 1916 nicht nur notwendig, um Deutschland als europäische Großmacht zu behaupten, sondern wegen seiner Kolonien und seiner Weltposition, die Bismarck errungen habe. Der „Auszug aus der deutschen Tagespresse“ zitierte seit September 1916 einige kritische Artikel. Den Franzosen seien an der Somme einige Fortschritte gelungen. Am 7. September räumte der „Berliner Lokal-Anzeiger“ ein, die vorderste deutsche Linie sei „eingeebnet“ worden und „wegen des unerträglichen französischen Flankierungsfeuers nicht zu halten gewesen“. Die deutschen Einheiten liefen Gefahr, eingeschlossen zu werden. Auch wenn sie schließlich umzingelt in Gefangenschaft geraten seien, hätten sie sich „mit unsterblichem Ruhm bedeckt“. Am gleichen Tag warnte Queri im „Berliner Tageblatt“ seine Leser: „An der Somme sieht’s noch nicht nach Entspannung aus, nach welcher der eine Graben wie der andere das gleiche Bedürfnis hat“. Eine Woche später erklärte die offiziöse „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ den Rückzug aus dem umkämpften Bouchavesnes als einen „Vorteil“. Und am 17. September musste die „Neue Preussische Zeitung“ zugeben, der englischen Übermacht sei es gelungen, „bedeutenderes Gelände zu gewinnen“. Sie fügte hinzu, der britische Oberkommandierende Haig habe 77 Tage gebraucht, um das zu erreichen, was er innerhalb von vier Tagen erreichen wollte. Die zeitweilige Offenheit der Zensur mag mit der Ernennung von Hindenburg an Stelle von Falkenhayn als Generalstabschef am 29. August 1916 zu tun haben. Im September wurde den Kriegsberichterstattern erstmals erlaubt, die deutschen Hoffnungen zu reduzieren. In der „Vossischen Zeitung“ beschrieb Erich von Salzmann, einer der unkritischsten Korrespondenten, die Situation gar als „ernst“. Dennoch meinte er voraussagen zu können,
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der Feind werde zuletzt verlieren. Das „Leipziger Tageblatt“ erwartete am 28. September harte Geduldsproben für die Soldaten. Man müsse vertrauen. Die „Frankfurter Zeitung“ und die „Neue Preussische“ priesen am gleichen Tag Hindenburgs taktischen Erfolg beim Rückzug aus einer ungünstigen Stellung. Aber am 30. August 1916 zweifelte die sozialdemokratische „Chemnitzer Volksstimme“ nicht daran, dass „die Minderzahl der deutschen Verteidiger gegen ein unerhörtes, beispielloses, wahnwitziges Trommelfeuer tagelang in offenen Gräben“ ausgehalten hatte. Am folgenden Tag informierten die „Berliner Neuesten Nachrichten“ über die Räumung des von drei Seiten eingeschlossenen Combles. Was jetzt als Frontverkürzung und -verstärkung interpretiert wurde, beschrieb Queri am 3. Oktober fast lyrisch: „Wir lernten auf das amerikanische Trommelfeuer um und verstanden es, die Massen der Stahlflut zu entziehen.“ Erich von Salzmann hob in der „Vossischen Zeitung“ am gleichen Tag hervor, es sei trotz der Frontlänge und der alliierten Überlegenheit von acht zu eins gelungen, die beiden stärksten Volksheere aufzuhalten. Am 4. Oktober erwähnte Salzmann erstmals die englischen Tanks, die auch als „Landkreuzer“ oder „Panzerautomobile“ bezeichnet wurden. Er wertete sie als eine alte Erfindung „von geringer Kriegsbrauchbarkeit“ (vgl. Poll 1937: 294ff.). Zehn Tage später bezeichnete Major a. D. Ernst Morath im „Berliner Tageblatt“ St. Quentin und Cambrai als eigentliche Angriffsziele. Nachdenkliche Leser mögen überrascht gewesen sein, da die beiden Orte sonst erst 1917 in der Berichterstattung auftauchten. Am 22. Oktober 1916 zitierte der „Reichsbote“ „Ententevertröstungen auf Frühjahrsoffensive“ als bestes Zeichen für den „diesjährigen Misserfolg“. Am gleichen Tag war der „Ermattungsgedanke der Feinde“ für die sozialdemokratische Magdeburger „Volksstimme“ nur Propaganda. So werde über die ungeheuren Verluste hinweggetäuscht. Die deutschen Hoffnungen wurden durch Morath im „Berliner Tageblatt“ am 25. Oktober gedämpft. Er sah in den französischen Erfolgen beim Fort Douaumont Anzeichen für die „Einheitlichkeit des Willens zwischen französischen Offizieren und Mannschaften“, die in der deutschen Presse lange in Frage gestellt worden war. Die sozialdemokratische Breslauer „Volkswacht“ argumentierte am 28. Oktober ähnlich und wies darauf hin, dass die Deutschen bei Douaumont „einen grossen Teil der Stellungen, die in achtmonatigem Ringen unter schweren Opfern erkämpft wurden“, aufgeben mussten. Der „Germania“ erschien dagegen der französische Erfolg bloß als „Episode“. Die „Königsberger Hartungsche Zeitung“ meinte am 19. Oktober, die Gründe für die neue französische Verdun-Offensive seien: Werbung für die Kriegsanleihe, Ablenkung von der Rumänien-Niederlage, Beeindruckung Russlands und Englands, um Briands Position in der politischen Führung zu stärken. Seit Ende Oktober wurde Stimmung für eine ruhige Phase an der Somme-Front gemacht. Der SPD-„Vorwärts“ ließ Hindenburg und Ludendorff erklären, sie wollten Frieden – eine Vorbereitung auf das Friedensangebot der Mittelmächte vom 12. Dezember 1916. Am 4. November 1916 meldete die Chemnitzer „Volksstimme“ das Ende der deutschen Verdun-Offensive. Da in der Presse Anfang Juli 1916 die Somme-Offensive als Entlastung für Verdun bezeichnet worden war, kam dies dem Eingeständnis der deutschen Niederlage gleich. Um zu verhindern, dass sich im deutschen Volk dieser Eindruck ausbreitete, meldeten deutsche Zeitungen, dass in den alliierten Heeresberichten nicht mehr von Erfolgen an der Somme gesprochen wurde. Aber Major Morath schloss im „Berliner Tageblatt“ am 8. November 1916 aus den andauernden britischen und französischen Angriffen, dass die Alliier-
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ten „an der Idee des Durchbruchs unentwegt festhalten“. Diese unzeitgemäße Interpretation stellte sich einige Monate später als richtig heraus. Nach der „Rheinischen Volks-Zeitung“ (Wiesbaden) vom 10. November hatte der französische Ministerpräsident Briand erwartet, die Sommeschlacht würde einen dritten Kriegswinter verhindern. Die Enttäuschung traf jedoch die Deutschen mehr als die Alliierten. Frankreich verlor, wie Generalleutnant a. D. Ernst Kabisch dem französischen Generalstabswerk entnahm (vgl. Kabisch 1932: 180ff.), in der Verdunschlacht vom 21. Februar bis 20. Dezember 1916 377.230 Gefallene und Verwundete, während die deutschen Verluste in der gleichen Zeit 336.830 Mann betrugen. An der Somme beliefen sich die französischen Verluste auf 203.000 Mann, die Deutschen wurden mit 437.500 Mann angegeben. Insgesamt verloren Briten und Franzosen bei Verdun und an der Somme über eine Million Mann, die Deutschen 774.330 Gefallene, Verwundete und Vermisste. Viele Kriegsberichterstatter mögen den erschreckenden Umfang der Menschenopfer geahnt haben. Aber einer der wenigen, der das seinen Lesern in der Heimat vermittelte, war Ernst Morath vom „Berliner Tageblatt“.2 Der schon 57-Jährige schrieb am 18. November 1916, was die Zensoren erstaunlicherweise durchgehen ließen: Die deutsche Kriegsberichterstattung bespreche die Lage nicht kritisch genug und erwähne etwaige Fehler der Heeresleitung nicht. Die deutschen Journalisten hätten offenbar größtes Vertrauen in die Wahrheit der eigenen Heeresberichte und seien nicht in der Lage, Ursache und Wirkung von Frontereignissen klar zu erkennen. Wenn andere Berichterstatter ähnlich dachten wie Morath, der sich in Berlin aufhielt, dann wagten sie jedenfalls nicht, das öffentlich zu machen. Sie bezeichneten dagegen das Ergebnis des Jahres 1916 als „ausgeglichen“, wie z. B. das „Hamburger Fremdenblatt“ am 27. November. Es rechnete die deutschen Erfolge in Rumänien und Russland gegen die Niederlage von Verdun und Somme auf, ohne den Unterschied in der Schwere der Verluste zu bewerten. In der von Gustav Stresemann herausgegebenen Zeitschrift „Deutsche Stimmen“ wurde im Dezember 1916 sehr ähnlich argumentiert. Alle Zeitungen vom rechten Flügel bis zu den Nationalliberalen versuchten Ende 1916, Glauben zu machen, dass die deutschen Linien vom „Typ friderizianischer unangreifbarer Stellung“ seien, so die „Vossische Zeitung“ vom 28. Dezember. Der „Berliner Lokal-Anzeiger“ behauptete zwei Tage zuvor, die Somme-Linie sei „heute stärker und fester ausgebaut als je“. Wilhelm Schmidtbonn schrieb in den „Deutschen Kriegsnachrichten“ vom 27. November: „Der einzige grosse Wille eines nicht niederzuringenden Volkes wird auch jetzt herrlich sichtbar werden.“ Nachdem die Alliierten das deutsche Friedensangebot am 30. Dezember 1916 abgelehnt hatten, taten die deutschen Zeitungen meistens so, als wenn sie nichts anderes erwartet hätten. Aber das Ergebnis der Sommeschlacht hatte die Bedingungen des Krieges für Deutschland tiefgehend verändert. Die Öffentlichkeit nahm das wegen der Presseberichterstattung vorerst nicht wahr. Offensichtlich war die Zensur erfolgreich gewesen in dem Versuch, jede Andeutung von Zweifeln über den deutschen Endsieg zu verhindern. Auf diesem Fundament gedieh nach Kriegsende die „Dolchstoßlegende“.
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Morath (1859-1918) wurde 1897 Offizier, diente 1901-1903 in China und 1905/06 in Dt. Südwestafrika, 1914 Oberleutnant a. D. (vgl. Nachtrag zur Ehren-Rangliste des ehem. Dt. Heeres, Berlin 1926 [Neudr. Osnabrück 1987], S. 1296, Militärbibl. Dresden [bis 1993 Düsseldorf]). Wohl erkrankt, wurde Morath im März 1917 als Milit. Mitarbeiter durch Gen.-Major Armand von Ardenne (1848-1919) ersetzt (vgl. Sösemann 1984: 493).
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An der aktuellen Bewusstseinsbildung war nicht allein die Presse beteiligt. Als „geheime Verführer“ kamen 1914 und 1939 nicht zuletzt die Lehrer in Betracht, die der Jugend militärisches Denken anerzogen und für den Wehrdienst warben. Erich Maria Remarque (1929: 15) hat diesen Typ des Pädagogen in dem Klassenlehrer Kantorek porträtiert: „Kantorek hielt uns in den Turnstunden so lange Vorträge, bis unsere Klasse unter seiner Führung geschlossen zum Bezirkskommando zog und sich [freiwillig; K.K.] meldete.“ (vgl. auch Pat Barkers „Regeneration Trilogy“ [dt. 1997ff.]; zu Barker vgl. Schader 2000; zur Dolchstoßlegende vgl. Pyra 2007) Remarques Buch ist erst 1929 erschienen. Früher, unter dem Eindruck seiner Fronterlebnisse, gestaltete der Maler und Zeichner Otto Dix seinen Radierzyklus „Der Krieg“ und die Schützengrabenbilder. Das 1920 entstandene Gemälde „Die Kriegskrüppel“ gilt als verschollen. Dix gehörte zu den von den Nationalsozialisten meistgehassten Künstlern (vgl. Beck 1985: 44f.; Schuster 1987). Wie die Faschisten Kriegserlebnisse verarbeiteten, zeigte die „Wochenschau“ schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Am Diktator Mussolini marschierten im flotten Tempo der Faschistenhymne „Giovinezza“ Amputierte vorbei. Eine Neuauflage verdanken wir dem US-Kriegsherrn G. W. Bush, wie ein dpa-Foto am 27. Juli 2007 in der „Süddeutschen Zeitung“ zeigte: Bush beim Joggen mit zwei in Afghanistan Amputierten.
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„Friedrich Schiller – Der Triumph eines Genies“1 oder: die Umdeutung eines Dichters der universalen Freiheit zum Propheten der nationalsozialistischen Revolution Rolf Seubert
Es wird in zunehmendem Maß Greuelpropaganda gegen uns gemacht. Wir wehren uns mit allen Kräften […] Probeaufnahmen zum Bismarck- und Schillerfilm gesehen: gut. (Joseph Goebbels, Tagebucheintrag vom 16. Mai 1940) Abends kleines Plauderstündchen mit Magda. Neuen „Schiller”-Film geprüft. Von Maisch mit Caspar. Ein ganz großer Wurf. Eine Meisterleistung erster Klasse. Ich bin ganz hingerissen. Der Triumph eines Genies. (Joseph Goebbels, Tagebucheintrag vom 10. November 1940)
Die Annäherung der nationalsozialistischen Kulturorganisatoren an den Dichterfürsten Friedrich Schiller schien anfänglich unproblematisch. Sein „Wilhelm Tell“ war nach 1933 auf deutschen Bühnen das am häufigsten aufgeführte Theaterstück. Schillers Pathos vom bescheidenen Mann aus dem Volk, der zum Kämpfer gegen Willkür und Unterdrückung durch ein überkommenes Herrschaftssystem heranreift, schien sich nachgerade anzubieten, um den Aufstieg Hitlers mit dem „Tell“ zu feiern. Der „Tell“ mit seiner Blut- und Bodenhaftung im Stil der Zeit konnte leicht zur Beschwörung der neuen Volksgemeinschaft, sein Freiheitspathos in ein Motiv für die Befreiung von (jüdischer) Fremdherrschaft umgedeutet werden. Die Theater erwiesen sich als geschmeidig genug, den „Tell“ wie eine Vorahnung Schillers von einem kommenden „Tausendjährigen Reich“ zu inszenieren. Stellen, an denen die nationalsozialistisch Gewendeten Beifall klatschen konnten, finden sich reichlich. Besonders eignete sich der Rütli-Schwur: Stauffacher: […] Es gibt das Herz, das Blut sich zu erkennen. (Reicht rechts und links die Hand hin) Auf der Mauer: Ja, wir sind eines Herzens, eines Blutes! Alle (sich die Hände reichend): Wir sind ein Volk, und einig wollen wir handeln.
Und weiter: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr“. Und Schiller lieferte die Legitimation des „Führers“ als „oberstem Rechtsschöpfer“ gleich mit: „Denn herrenlos ist auch der Freiste nicht. Ein Oberhaupt muß sein, ein höchster Richter, wo man das Recht mag schöpfen in dem Streit.“ Die Stellen ließen sich beliebig vermehren.
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„Friedrich Schiller – Der Triumph eines Genies“ R: Herbert Maisch; s/w; Deutschland 1940; B: Walter Wassermann/C. H. Diller; K: Fritz Otto Wagner; BA: Franz Schroedter; M: Herbert Windt; P: Tobis; L: 2951 Meter; UA: Stuttgart/Straßburg, 13.11.1940; D: Heinrich George, Lil Dagover, Horst Caspar, Friedrich Kayssler; weitere D: Artur Anwander, Paul Dahlke, Albert Florath, Walter Frank, Fritz Genschow, Hildegard Grethe, Gunther Hadank, Lore Hansen, Paul Henckels, Herbert Hübner, Eugen Klöpfer, Lothar Körner, Hans Leibelt, Edmund Lorenz, Wolfgang Luschky, Bernhard Minetti, Fritz Nieklisch, Hans Nielsen, Hans Quest, Dagny Servaes, Hannelore Schroth, Ernst Schroeder, Heinz Wenzel; Prädikat: jugendwert, staatspolitisch und künstlerisch wertvoll.
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Hitler scheint seine Zuneigung zum „Tell“ während seiner Landsberger Haft entdeckt zu haben, denn ein Kapitel in „Mein Kampf“ überschrieb er mit dem Zitat: „Der Starke ist am mächtigsten allein“ (Hitler 1941: 568ff.).2 Solchen Sprüchen wusste man zu huldigen. In seinem Programm der Geburtstagsfeier zum 20. April 1933 brachte das Landestheater Braunschweig beide einander nah: Eröffnet wurde mit dem Horst-Wessel-Lied, dann „Wilhelm Tell“, Rütli-Szene, Ausklang mit dem Deutschlandlied (vgl. Ruppelt 2004: 1). Allerdings erfuhr in der weiteren Entwicklung des Nationalsozialismus eine immer größer werdende Anzahl von Deutschen dessen Terrorherrschaft. Es blieb ausgerechnet einem Schweizer Hitler-Attentäter vorbehalten, den zumindest äußeren Anstoß für eine Wende zur NS-Schiller-Rezeption einzuleiten: Am 9. November 1938 versuchte der religiös motivierte Maurice Bavaud Hitler auf dem Marsch zur Feldherrnhalle zu erschießen, was allerdings misslang. Er wurde verhaftet und am 14. Mai 1941 hingerichtet. Ähnlich erging es dem zweiten Attentäter, dem schwäbischen Kommunisten Georg Elser, der genau ein Jahr später mit einer klug vorbereiteten Explosion im Münchner Bürgerbräukeller Hitler töten wollte. Der entging allerdings knapp dem Attentat. Von nun an wurde der „Tell“ ganz anders gelesen. Die Realität eines ebenso berechtigten wie möglichen Tyrannenmords als Befreiungsakt und die eindeutige Parteinahme Schillers für den Attentäter Tell führten zu einer Neubewertung. Aber so ganz auf den Dichterfürsten verzichten wollten weder das Publikum noch der Schillerverehrer Goebbels. Der glaubte, der „rebellische Geist Schillers“ sei für die nationalsozialistische Sache noch nicht verloren. Goebbels, der Gläubige in Sachen Filmpropaganda, sah in einem neuen SchillerOpus eine Chance. Schillers Lebenslauf als Heranwachsender schien geeigneter als der vieler anderer Dichter, um ihn zum „Propheten“ eines noch Größeren zu instrumentalisieren. Schillers schwere Jugend in der Kadettenanstalt des Herzogs von Württemberg, in der „Hohen Schule“, sollte als Kampf um geistige Anerkennung und Führerschaft gegen alle widrigen Verhältnisse seiner Zeit inszeniert werden. So sollte nach dem Willen des Propagandaministers das Genie auf einem neuen Weg, über den des Films, zur Unsterblichkeit gelangen. Und so regte er die Filmschaffenden der Tobis-Filmkunst zu einem neuen Projekt im Rahmen der breit angelegten historischen Filmreihe großer deutscher Gestalten der Politik, der Wissenschaft, der Kunst und Kultur an, um auch ihn zum Träger und Künder einer kommenden deutschen Großartigkeit umzuformen.
1.
Die Uraufführung
Am 13. November 1940 wurde der so genannte Großfilm „Friedrich Schiller – Der Triumph eines Genies” mit großem Pomp an zwei Orten gleichzeitig uraufgeführt, und zwar in Stuttgart, dem Ort der Filmhandlung, und in Straßburg im Rahmen der 1. Oberrheinischen Kulturtage. Wenige Monate nach der Eroberung Frankreichs erhoffte sich die Reichsführung von diesem Streifen die Einigung „aller deutschen Herzen”, zu denen sie nach dem 2
Hitler schließt dieses Kapitel, in dem er heftig gegen „völkische Zersplitterung“ polemisiert, mit seinem Verständnis von Geschichte als dem Werk großer Führer „mit stahlhartem Willen“: „Man vergesse niemals, daß alles wirklich Große auf dieser Welt nicht erkämpft wurde von Koalitionen, sondern daß es stets der Erfolg eines einzelnen Siegers war.“ (Hitler 1941: 578)
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gelungenen Frankreichfeldzug nun auch die „ins Reich heimgeholten“ Elsässer zählte. Mit Hilfe dieses Films sollte das kulturelle Band zwischen beiden Seiten des Rheins gefestigt werden. Allerdings verhielten sich die Straßburger wider Erwarten äußerst zurückhaltend, wie der SD, der Sicherheitsdienst der SS, bereits am 25. November 1940 nach Berlin übermittelte: Die Tatsache, dass der Schiller-Film in Straßburg uraufgeführt wurde, sei zwar im Elsass stark beachtet worden (vgl. Boberach 1984: 1802). Das Interesse am scheinbar unverfänglichen Erbe des unumstrittenen Dichterfürsten Schiller war im Reich jedoch erheblich größer. Im SD-Bericht vom 27. Januar 1941 hieß es, der Films hinterlasse „in allen Bevölkerungsschichten stärkste Eindrücke”. Allerdings gab es offensichtlich auch Missverständnisse. So werde „verschiedentlich leise Zeitkritik an der ‚reglementierten Jugenderziehung‘” hineingedeutet, die aber mehrheitlich als „Auswüchse eines überlebten Fürstenstaates” und somit gerade noch als systemkonforme Kritik interpretiert werden konnte (vgl. ebd.: 1944). Insgesamt erfüllte der Film die hohen Erwartungen des Propagandaministers. Der hatte nach persönlicher Freigabe vor der Uraufführung am 10. November 1940 in seinem Tagebuch festgehalten, der Schiller-Film sei ein „ganz großer Wurf. Eine Meisterleistung erster Klasse”. Er sei „ganz hingerissen” (Goebbels 1987: 413). Für die entsprechende öffentliche Aufmerksamkeit sorgten die Prädikate „staatspolitisch wertvoll, kulturell wertvoll, jugendwert”, mit denen Goebbels das Werk nach der Uraufführung auszeichnete – ein Umstand, der, um es vorweg zu sagen, nach 1945 zum Aufführungsverbot durch die alliierte Filmzensur führte. Seine Berliner Erstaufführung erlebte der Film mit einem Monat Verspätung am 17. Dezember 1940. Aus diesem Anlass schrieb der „Völkische Beobachter“ am Tag danach, wie dieser Film zu sehen sei: Auf die verfilmte Geschichte folgt die verfilmte Literaturgeschichte. Je schwieriger das Thema ist, desto mutiger wird es angepackt. Der Triumph eines Genies, im Bismarckfilm als realpolitische Leistung treulich der Geschichte nachgezeichnet, wird im Schillerfilm zu einem Fortissimo idealistischen Trotzes und glühender Begeisterung. (Völkischer Beobachter, Norddt. Ausgabe, v. 18.12.1940, S. 5)
Der Kommentar deutet an, in welchem Kontext dieser jüngste „Kulturfilm” zu sehen sei. Mit ihm wurde die Brücke geschlagen zum so genannten Preußenfilm. Dieses Genre war seit den 20er Jahren als Teil des antirepublikanischen Bestrebens des konservativen Bürgertums entstanden. Gegenstand dieser Filme war der Aufstieg Preußens zu einer europäischen Macht. Seine großen Gestalten, allen voran Friedrich der Große, standen im erzählerischen Mittelpunkt. Die Filme ließen die Besucher für die Kinoaugenblicke das Elend der Nachkriegszeit, die Niederlage des Ersten Weltkriegs und die ungeliebte Republik vergessen. Sie pflegten die Ressentiments gegen die Siegermächte wie auch gegen jene sozialistischen Kräfte im Innern, die den angeblichen Dolchstoß gegen das eigene Heer geführt hatten. Einer reaktionären Tradition war die Ufa seit ihrer Gründung 1917 verpflichtet. Als Teil des Medienimperiums von Alfred Hugenberg, eines erbitterten Gegners der Weimarer Republik, befriedigten diese Filme die rückwärtsorientierten Sehnsüchte bürgerlicher Massen, indem sie „Preußens Gloria” in falschem Glanz aufpolierten. Nationale Größe, so die Botschaft, entsteht durch selbstlosen Dienst für das Ganze, durch militärische Disziplin und männliche Selbstzucht sowie durch eine Führung, die diese Werte selbst vorlebt.
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Im Kriegsjahr 1939 erweitert sich das bisher enge historische Themenspektrum auf die großen nationalen Gestalten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur. Sie alle werden als Vorläufer des „Führers” stilisiert. Sie heißen „Robert Koch – Der Bekämpfer des Todes” (1939), „Michelangelo – Das Leben eines Titanen” (1940), „Diesel” (1942), „Rembrandt” (1942), „Andreas Schlüter” (1942), „Paracelsus” (1943). Diesen Lichtgestalten werden solche der Finsternis gegenüber gestellt, wie in „Die Rothschilds” (1940) oder „Jud Süß” (1940) – oder das „perfide Albion” in „Ohm Krüger” (1941). Durch deren entgrenzte Bösartigkeit strahlt die Innerlichkeit des deutschen Provinzialismus umso heller. Und dort, wo – wie im Schiller-Film – die aufgespreizte deutsche Provinz Württemberg selbst zum Gegenstand wird, muss ein eigener Filmbösewicht her, durch den erst die nationalsozialistische Volksgemeinschaft als Fortschritt der Geschichte verstanden werden kann. Ihr Protagonist ist Schiller. Er ist die antreibende Kraft in diese Richtung, ihr Prophet. Karsten Witte bringt die hinter dem gesamten Programm stehenden Intentionen auf den Punkt: „In der Dramaturgie herrscht ein ‚magisches Paralleldenken‘ von Gegenwart und Geschichte.” (Witte 1993: 146) All diese Filme sind revisionistische Geschichtsdeutungen mit pädagogischer Zielsetzung, nämlich den Deutschen durch den Blick zurück in eine scheinbar heroische Geschichte das angeschlagene nationale Selbstbewusstsein zu heilen. Daraus erwächst die Sehnsucht nach vormodernen Leitbildern, die scheinbar überschaubare Gesellschaftszustände darstellen: Schiller ist für den Führerstaat ein notwendiger Rückbezug in ein betont antimodernes Gesellschaftsbild bei gleichzeitiger Flucht nach vorn in eine vom Kulturbetrieb zugleich verdrängte Modernität der Rüstungsindustrie. Er verkörpert Idealismus als deutschen Nationalcharakter, nämlich die selbstlose, unbestechliche Hingabe an eine Idee, an Ideale, die zu einem Programm gesellschaftlicher Weiterentwicklung ausgeformt werden. Im Film opfert Schiller folgerichtig seine militärische und medizinische Karriere, um als Prophet eines kommenden „völkischen“ Nationalismus über den Geniekult einen neuen Führermythos zu begründen. Rückwärtsgewandtheit zur Legitimation des gegenwärtigen „Führers“: „Reactionary Modernism”, so charakterisiert Jeffrey Herf den paradoxen geistigen Zustand des Dritten Reichs (vgl. Herf 1984).
2.
Die Karlsschule als historischer Hintergrund
Die Filmhandlung versetzt den Betrachter in das Herzogtum Württemberg der zweiten Hälfte der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts. Es wird von Herzog Karl Eugen (1728-1793) nach dem Vorbild des Sonnenkönigs in absolutistischer Manier regiert. Der Herzog ist in die Geschichte eingegangen als ein despotischer Herrscher, dessen Leidenschaft zum Schlösserbau nach französischem Vorbild, zu rauschender Hofhaltung und militärischem Gepräge zu politischen Konflikten mit den Landständen führte. Im Land herrscht aufgrund der hohen Steuerlast ein repressives Klima. 1770 gründet der Herzog eine „Militärische Pflanzschule”, die 1775 zur Militärakademie erweitert und in Stuttgart angesiedelt wird. Sie soll dem Land eine Verwaltungselite liefern, die sich ihm verpflichtet fühlt. Wenige Jahre später wird sie zur heutigen Universität Stuttgart erhoben. Der junge Friedrich Schiller besucht die Karlsschule von 1773 bis 1780. Zunächst studiert er Rechtswissenschaft, ab 1775 Medizin. Trotz der bedrückenden Atmosphäre und geistigen Enge dieser militärischen Zuchtanstalt wird er von seinen Lehrern zum Studium der philosophischen Klassiker angeregt. Auch kommt er in Kontakt mit der kritischen zeit-
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genössischen Lyrik. Es ist vor allem der schwäbische Dichter und Freigeist C. F. D. Schubart (1739-1791), der auf ihn großen Eindruck macht. Der ist außer Landes geflohen und kritisiert wortgewaltig die württembergischen Zustände. Schubart wird 1777 ins Land gelockt, verhaftet und ohne Prozess für zehn Jahre in Festungshaft auf den Hohenasperg nördlich von Stuttgart verbracht. Diese Ungerechtigkeit führt zu heftigen Unruhen auch in der Karlsschule. Das Schicksal Schubarts ist Auslöser für Schillers erstes Drama „Die Räuber”, das unter dem Eindruck der Geschehnisse in den Jahren 1780/81 entsteht. Es wird anonym gedruckt und am 11. Januar 1783 im Nationaltheater von Mannheim, also im „Ausland”, uraufgeführt. Die Premiere wird zum politischen Skandal, der Schillers Flucht aus Stuttgart auslöst, wodurch ihn ein ähnliches Schicksal wie Schubart ereilt. Warum gerade diese Phase des Lebens zum Gegenstand der Filmhandlung gemacht wurde, beantwortet die zeitgenössische Besprechung des Drehbuchautors Josef Paul Cremers nach der Fertigstellung: Beim Überdenken dieses ehrfurchtgebietenden Filmstoffes, welcher dieser Lebensabschnitte von allen nun derjenige sei, in dem die wesentlichen Kräfte dieses genialen Geistes in unverkennbarer Weise lebendig werden, konnte es dem Autor nicht schwerfallen, die Zeit des jungen Schiller auszuwählen. Jene Zeit an der Stuttgarter Militär-Akademie, durch die in wenigen Jahren aus dem heißgläubigsten, idealistischen Jüngling durch die Hammerschläge des Schicksals, noch besser gesagt, durch einen selbstgewollten Kampf auf Leben und Tod, ein hartes Kämpferherz geschmiedet wurde. Dieses Herz schlug in unbändiger Leidenschaft für das Ideal einer kommenden Zeit. Die Vision, die Friedrich Schiller mit ahnungsvoller Gewissheit erfüllte, war die, dass es etwas Größeres gebe als die politisch verrotteten Zustände seiner Zeit, Größeres und Erhabeneres als die selbstgefällige Willkür von kleinen Dutzendstaaten und ihrer mehr als sterblichen Beherrscher. Und dieses größere Ideale, an das er glaubte, für das er kämpfte, hieß: Ein Deutschland, ein Volk, ein Vaterland! (Cremers o.J.)
3.
Zum Inhalt des Films
Die erste Szene zeigt die brutale Einbringung von Gefangenen in das Zuchthaus Festung Hohenasperg. In einem Gasthaus agitiert der Dichter Schubart die Anwesenden: „Der Herzog züchtet junge Menschen, eine Akademie nennt er’s, aber in Wahrheit ist es eine Zuchtanstalt.” Und: „Da drüben ist die Hölle.” Ein Spitzel redet ihm ein, in Württemberg warte man auf solche Reden und verspricht ihm Zuhörer. Die anschließende Szene in der Karlsschule belegt, welch ein bösartiger Kommiss-Ton herrscht. Derweil feiert man in Stuttgart den Geburtstag der Reichsgräfin von Hohenheim, der Geliebten des Herzogs. Die Eleven marschieren auf; sie kommen auf dem Weg zum Schloss unter dem Fenster entlang, aus dem die von Schiller verehrte Laura Ausschau nach ihm hält. Mutig springt er aus dem Glied, um ihr – einem unehelichen Kind des Herzogs mit einer früheren Geliebten – ein Liebesgedicht zuzuwerfen. Diese Eigenmächtigkeit löst einen Wutanfall bei seinem Kommandanten aus, begleitet von schweren Strafandrohungen. Mutter und Tochter eilen zur Reichsgräfin, sie solle sich für den kühnen Dichter verwenden. Glanzvoller Auftritt des Herzogs: Er rauscht durch sein Schloss, kauft im Nebenbei teuren Geburtstagschmuck, den er mit dem Verkauf von 1.200 Soldaten zu bezahlen gedenkt. Derweil reist Schubart nach Blaubeuren. Er wird dort unter dem Ruf: „Verrat! Es lebe die Freiheit!” verhaftet und zum Hohenasperg gebracht.
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Diese Nachricht verdüstert die Stimmung des guten Geists des Herzogs, der Reichsgräfin. Als sie sich dann auch noch beim Herzog offen für Schiller einsetzt, kommt es zu einer schweren Verstimmung zwischen den beiden. Übellaunig begibt sich der Herzog in den Thronsaal „zu meinen Söhnen”. Hier will er wie jedes Jahr die Auszeichnung für die besten Abschlussarbeiten der Akademie-Absolventen vornehmen. Die Karlsschule ist sein Steckenpferd und ganz von seinem autoritären Geist geprägt. In seiner „Pflanzschule“ möchte er eine Elite züchten, die aller Welt beweisen soll, dass sich „der Geist dressieren lässt”. Der Herzog ist geradezu besessen von dieser Idee, die allerdings, und das ist das Grundmotiv des Films, an einem aufmüpfigen Schüler, nämlich Friedrich Schiller, zerplatzen wird. Mit dieser Grundeinstellung und noch innerlich erregt von der Auseinandersetzung mit der Reichsgräfin nimmt er die Auszeichnungen vor. Schließlich kommt Schiller an die Reihe. Er ist diesmal der einzige Preisträger für Medizin. Während der Preisverleihung entwickelt sich eine erste folgenschwere Auseinandersetzung: Herzog:
Seine Doktorschrift ist etwas ungewöhnlich, ganz interessant, aber sehr kühn. Er ist überhaupt reichlich keck, Freundchen. Er hält in seiner Schrift nicht viel vom Wissen anderer Leute. Warum tut er so philosophisch? Die Medizin ist seine Wissenschaft, nicht Philosophie! Schiller: Eine jede Wissenschaft, Hochfürstliche Durchlaucht, fängt an, über ihre Grenzen nachzudenken. Herzog: So, er entdeckt Grenzen bei der Medizin. Schiller: Mit Verlaub, Hochfürstliche Durchlaucht, beträchtliche. Herzog: Sieh mal an, das wusste ich gar nicht. Aber ist ihm nicht aufgefallen, dass die Medizin beträchtliche Inhalte hat, die er allem Anschein nach noch nicht kennt? Schiller: Ich halte es durchaus für möglich, dass man Vieles noch nicht kennt. Der Mensch ist unvollkommen. Herzog: Ach, der Mensch ist unvollkommen? So, hat ja sonderbare Gedanken! (lauernd) Bringt er die auch zu Papier? Schiller: Ja. Herzog: Was schreibt er denn? Philosophie, was? Schiller: Nein. Herzog: Ach, Medizinisch-Wissenschaftliches, wie es ihm von mir befohlen ist? Schiller: Nein, Hochfürstliche Durchlaucht. Herzog: Nicht! Was denn? Schiller: Was mir mein Herz befiehlt! Herzog: Kennt er keinen besseren Herrn, der ihm befiehlt, als sein Herz? Schiller (mit Emphase): Keinen größeren! Herzog (zum Kommandanten der Karlsschule): Hat er das gehört? Es wird gut und heilsam für ihn, wenn er noch ein weiteres Jahr auf der Akademie verbleibt … Schiller: Durchlaucht! Herzog: … wo man sein Feuer dämpfen wird!
Auch gegenüber dem Vater Schillers bleibt der Herzog ebenso unerbittlich in seinem Entschluss. Sein Sohn sei „ein undankbares rebellisches Geschöpf”, das es zu brechen gelte. Die Reichsgräfin dagegen hat längst erkannt: „Dieser Mensch ist aus einem andern Stoff gemacht.” Sie wird künftig heimlich Partei ergreifen für Schiller. Schiller wehrt sich auf seine Weise gegen den herzoglichen Willkürakt. Mit großer Energie beginnt er die Arbeit an seinem Theaterstück: „Die Räuber”. Seine Kameraden schützen ihn vor den Attacken des Sergeanten, des Stubenkommandanten – ein bösartiger Schleifer, der Schillers Überlegenheit unbedingt brechen will. Bei einem Besuch in der Akademie lässt sich der Herzog während einer Vorlesung zu einer provokativen Debatte hinreißen, bei der es zu einer weiteren schweren Auseinandersetzung mit Schiller kommt,
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in der der Herzog herauszufinden versucht, was Schiller denkt und vor allem was er schreibt. Sie ist eine Schlüsselszene des Films: Professor Abel (weitschweifig in Gestus und Vortrag): Das Thema unseres heutigen Vortrags gilt der Lehre vom Genie. Die besondere Streitfrage lautet, werden große Geister geboren oder erzogen. Herzog: Ausgezeichnet! Bitte! Professor Abel: Wer unter allen Menschen verspottet mehr die Fesseln jeder Lebensart als das Genie. Die Welt verhöhnt das Genie! (Schiller kommt verspätet in die Vorlesung) Herzog: Ach, sieh da! Wieder gesund? Schiller (macht dem Herzog Meldung): Aus dem Lazarett entlassen! Herzog: Er hat es wohl doch bei seiner Medizin nicht ausgehalten. Setz er sich! Professor Abel (wiederholend): Die Welt verhöhnt das Genie, weil es sich vielleicht nicht nach ihren Regeln bückt oder weil es vielleicht den Staub auf seinen Kleidern nicht entdeckt! Herzog (mild den Lehrer Schillers mahnend): Abel! Kommen wir zur Streitfrage: Na, meine Söhne, wie ist denn das nun eigentlich: Werden große Geister geboren oder erzogen? Die Eleven im Chor: Erzogen, Euer Hochfürstliche Durchlaucht! Schiller (springt auf; mit Pathos): Geboren – Euer Hochfürstliche Durchlaucht, nicht erzogen. Herzog: Ach, sieh da, ein Opponent! Bon, diskutieren wir: Große Geister werden erzogen, nicht geboren! Schiller (in scharfem Ton): Große Geister werden nie erzogen, nur geboren! Herzog: Wenn große Geister nur geboren zu werden brauchten, da gäb’s ja lauter Genies; selbst unter den primitivsten Völkern dieser Erde! Schiller: Das Genie, wie wir die großen Geister nennen, wird nicht allein von seiner Mutter, sondern von seinem ganzen Volk geboren! Herzog: Vortrefflich. Aber der Staat weist ihm erst auf seinen hohen Schulen den Weg zur Vollkommenheit! Schiller: Nein, das Genie vermag auch ohne so unvollkommene Einrichtungen, wie es Schulen sind, durch eigene Kraft den Weg zur Vollkommenheit zu finden. Herzog (lauernd): Ach, hält er sich etwa für vollkommen, für ein Genie? Schiller: Als Genie bezeichnet die Allgemeinheit den außergewöhnlichen Menschen. Es ist also ein Maßstab, den nicht er, sondern die Umwelt für ihn geschaffen hat! Herzog: Aha, wenn aber das Genie, wie er sagt, so vollkommen ist, dann muss es sich doch auch selbst erkennen. Schiller: Das Genie weiß nur, dass es so sein muss, wie es ist; so handeln muss, wie es handelt. Es bleibt ihm keine Wahl. Herzog: Muss er denn so sein, wie er ist? Schiller: Ja. Herzog: Handelt Er auch danach? Schiller: Immer! Herzog (lauernd): Aha. Ja, ehm, vollbringt er denn irgendetwas in der Art eines Genies? Schiller: Das weiß ich nicht. Ich möchte. Herzog: Er möchte! (lacht) Ja! (schreit) Ich denke, das Genie muss! Schiller (schreit zurück): Ich will! Herzog: Was? Schiller (leise): Ich will! Herzog: Narr! Wer wollte das nicht! (wendet sich ab und geht hinaus) Schiller (murmelnd): Narr! Wer wollte das nicht! Ordonnanz-Offizier (schreit): Gebet acht! Abgang des Herzogs; hinter seinem Rücken gratuliert ihm sein Lehrer für seinen mutigen Auftritt. Die Eleven stürzen auf Schiller (durcheinander redend): Fritz, wunderbar, du hast gesiegt, großer Hauptmann! Heute hast du mich zum ersten Mal stolz gemacht.
Man trifft sich nächtens in einem geheimen Gewölbe unterhalb der Akademie. Hier liest Schiller den begeisterten Kameraden aus dem Manuskript der „Räuber” vor, und zwar die Szene aus dem 5. Akt. Hier setzt sich der jüngere Bruder des Räubers Moor, Franz von Moor, mit einem Pastor auseinander, der ihm schreckliche Verbrechen an Vater und Bruder
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vorhält. Franz, der moderne, skrupellose Machtmensch, dem jedes Mittel recht war, um endlich Regent zu werden, wird in diesem Auftritt von einem Pastor gnadenlos der Spiegel seines amoralischen, gottlosen Lebens vorgehalten.3 Die heimliche Lesung wird entdeckt; der Herzog eilt herbei und hört von Ferne Schiller deklamieren. Er lässt Alarm blasen; die Eleven stürzen ins Freie. Zuvor wird das Manuskript vom Sohn des Sergeanten in Sicherheit gebracht. Auf dem Hof hält der Herzog eine Brandrede: Es hat mich heute Nacht nicht schlafen lassen. Es soll in meinem Land Rebellen geben. In meinem Lande gibt es keine Rebellen, verstanden? Sollte es aber einen geben, so werde ich ihn so lange in Ketten legen lassen, bis ihm der letzte Atemzug des Widerstandes und des Ungehorsams ausgetrieben ist.
Schiller erhält eine letzte Chance, sich anzupassen. Der Herzog schickt ihn auf den Hohenasperg zu Schubart in die Zelle. Er findet einen gebrochenen Mann vor, der nichts mehr vom Leben erwartet. Schiller bricht hier mit dem Herzog: „Verflucht sei der, der das zuwege brachte.” Zurück in Stuttgart, muss er dem Herzog Bericht erstatten. Er gerät dabei in eine verfängliche Situation in den Privatgemächern. Der angetrunkene Herzog fordert Schillers schauspielerisches Talent heraus. Er soll ihn imitieren. Schiller macht das so perfekt, dass er sogar mit der Reichsgräfin einen Flirt wagt. Bevor es zu einem Eifersuchtsdrama kommt – „Ein Popanz bin ich, ein Hanswurst!” –, schickt sie Schiller schnell weg, aber nicht, ohne ihn erneut ihrer Unterstützung zu versichern. Schiller weiß nun um seine Gefährdung. Er sieht nur noch einen Ausweg. Er muss sich anpassen, um die Akademie abschließen zu können. Sein Theaterstück ist nun fertig gestellt und Laura darf es zum Verleger bringen. Schiller verlässt die Akademie und tritt gezwun3
Im Film wird eine Bühneneinlage gegeben, die mit dem Originaldialog willkürlich umgeht: Moser: Nun, glaubet Ihr wohl, Gott werde es zugeben, dass ein einziger Mensch in seiner Welt wie ein Wüterich hause, und das Oberste zu unterst kehre? Sehet, Moor, Ihr habt das Leben von Tausenden an der Spitze Eures Fingers, und von diesen Tausenden habt Ihr neunhundertundneunundneunzig elend gemacht. Glaubt Ihr wohl, diese neunhundertundneunundneunzig seien nur zum Verderben? Franz: Nichts mehr, kein Wort mehr! Moser: Meint Ihr, dem Arm des Vergelters zu entlaufen? Franz: Pfaffengewäsche, Pfaffengewäsche! Moser: Und führet Ihr gen Himmel, so ist er da! und bettet Ihr Euch zur Nacht, so ist er wieder da! und sprächet Ihr zu der Nacht: verhülle mich! und zu der Finsternis: birg mich!, so muss die Finsternis leuchten um Euch, und um den Verdammten die Mitternacht tagen. Franz: Dass dich der Donner stumm mache, Lügengeist, du! Moser: Jetzt zum ersten Mal werden die Schwerter einer Ewigkeit durch Eure Seele schneiden, und jetzt zum ersten Mal zu spät. – Der Gedanke Gott weckt einen fürchterlichen Nachbarn auf, sein Name heißt Richter. Der Originaltext lautet an entscheidender Stelle: Moser: Itzt zum ersten Mal werden die Schwerter einer Ewigkeit durch Eure Seele schneiden, und itzt zum ersten Mal zu spät. – Der Gedanke Gott weckt einen fürchterlichen Nachbar auf, sein Name heißt Richter. Sehet, Moor, Ihr habt das Leben von Tausenden an der Spitze Eures Fingers, und von diesen Tausenden habt Ihr neunhundertundneunundneunzig elend gemacht. Euch fehlt zu einem Nero nur das Römische Reich und nur Peru zu einem Pizzaro. Nun, glaubt Ihr wohl, Gott werde es zugeben, dass ein einziger Mensch in seiner Welt wie ein Wüterich hause, und das Oberste zu unterst kehre? Glaubt Ihr wohl, diese neunhundertundneunundneunzig seinen nur zum Verderben, nur zu Puppen Eures satanischen Spiels da? Oh glaubt das nicht! Er wird jede Minute, die Ihr ihn getötet, jede Freude, die ihr ihnen vergiftet, jede Vollkommenheit, die Ihr ihnen versperret habt, von Euch fordern dereinst, und wenn Ihr darauf antwortet, Moor, so sollt Ihr gewonnen haben.
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genermaßen als Regimentsmedikus in den herzoglichen Dienst. Als er erfährt, dass sein Theaterstück in Mannheim, also außerhalb Württembergs, aufgeführt werden soll, eilt er dorthin, um sich feiern zu lassen. Die Zuschauer sind begeistert: „Heute ist dem deutschen Volk sein Nationaldichter geschenkt worden.” Als der Herzog von den Vorgängen in Mannheim erfährt, will er Schiller in Ketten legen lassen. Er hat bereits den Haftbefehl ausgestellt, als Schiller mannhaft zu einer letzten Auseinandersetzung zu ihm eilt. Er beschwört den Herzog, Stuttgart zu einem zweiten Weimar auszubauen. Der frisch gekürte Nationaldichter bittet ihn: „Lassen Sie mein Werk sprechen.” Drauf der Herzog: „Sein Werk? Sein Werk ist Stümperei.” Schiller: „Deutschland bewundert es.” Der Herzog: „Deutschland, was schert mich Deutschland! Ich bin Württemberg und er ist mein Untertan. Ich finde sein Werk schlecht, ohne jeden Geist, ohne Witz, ohne jede Moral.” Mit dieser Bemerkung setzt sich der Herzog gegenüber der noch imaginären Nation endgültig ins Unrecht. So kann Schiller diesem tyrannischen Kleingeist entgegenhalten: „Gerechtigkeit der Welt und Freiheit meinem Geist, das will ich.” Der Herzog dagegen verteidigt seinen Despotismus: „Ich kenne diese Freiheit. Er kennt nichts als Willkür und Rebellion. Ich aber will Zucht und Ordnung halten, solange ich auf dieser Erde lebe. Ich bin sein Fürst und ich gebiete über sein Leben, seine Freiheit, seinen Geist.” Schiller muss sich entscheiden zwischen seiner Dienstpflicht gegenüber diesem Herzog und der geistigen Herausforderung des künftigen Nationaldichters. Der letzte Teil des Films spielt am Hof. Während ein glanzvolles Fest gefeiert wird, durch das der Herzog die Reichsgräfin von der Verhaftung ihres Schützlings ablenken möchte, bereitet dieser widerwillig seine Flucht vor. Er nimmt bewegenden Abschied von der Mutter und von der selbstlos liebenden Laura. Ein gegenüber Schiller ausgesprochen kritischer Offizierskamerad öffnet an der Grenze dem mit falschem Pass Ausreisenden den Schlagbaum. Die Kutsche fährt durch herrliche schwäbische Landschaft der Freiheit entgegen. Schiller ist auf dem Weg zu nationalem Ruhm, während der Wutanfall des Herzogs über die gelungene Flucht den despotischen Kleingeist demaskiert.
4.
Abschließende Interpretation Man trifft hier Bösewichter an, die Erstaunen abzwingen, ehrwürdige Missetäter, Ungeheuer mit Majestät; Geister, die das abscheulichste Laster reizet, um der Größe willen, die ihm anhänget, um der Kraft willen, die es erfordert, um der Gefahren willen, die es begleiten. Man stößt auf Menschen, die den Teufel umarmen würden, weil er der Mann ohne seinesgleichen ist; die auf dem Weg zur höchsten Vollkommenheit die unvollkommensten werden, die unglückseligsten auf dem Weg zum höchsten Glück, wie sie es wähnen. Mit einem Wort, man wird sich auch für meine Jagos interessieren, man wird meinen Mordbrenner bewundern, ja fast sogar lieben. („Unterdrückte Vorrede” Schillers von 1781 zu seinem ersten Drama „Die Räuber”)
Der Film sucht formal eine Balance zu halten zwischen Bühnenschauspiel, rauschendem Revuefilm und vorantreibender Spielhandlung. Er steht beispielhaft für den „schönen Schein des Dritten Reiches” – einer der vielen Kostüm- und Ausstattungsfilme, mit denen das Propagandaministerium dem deutschen Unterhaltungsfilm Weltgeltung verschaffen wollte und nach innen gerichtete weltanschauliche Aufrüstung verordnete. Er steht in merkwürdigem Kontrast zur verordneten Uniformität der marschierenden Kolonnen z. B. des Reichsparteitagsfilms.
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Der Schiller-Film wirkt realitätsfern und ist zugleich von bedrückender Realität. Den opulenten, dynamisch ablaufenden Szenen folgen andere, die ausgesprochen statisch, fast kammerspielartig wirken, trotz des exzessiven Spiels des Herzogs (Heinrich George). Es ist vor allem das ausdrucksstarke Spiel des Protagonisten, des erstmals für diesen Film verpflichteten Bühnenschauspielers Horst Caspar, das diesen Eindruck hinterlässt. Daran ändert auch die Kameraführung nichts, die mit rasanten Reißschwenks Dynamik in solchen Situationen erzeugen will. Der Film ist mit einer Reihe bekannter Filmschauspieler besetzt, auch in den Nebenrollen. Die Filmdialoge sind geschliffen, manchmal auch humorig. Die Musik ist durchaus angemessen dramatisch und passt zu den Szenen. Was an diesem Film nationalsozialistische Propaganda ist, kann nicht leicht beantwortet werden. Vordergründig wird aus dem spannungsreichen Leben Schillers seine späte Jugendphase, seine Studienzeit bis zum Eintritt in die Armee als Regimentsmedikus ausgewählt. Das geschieht durchaus absichtsvoll. Die Parallele zur NSDAP liegt auf der Hand: Dem „Sturm und Drang” Schillers entspricht die „Kampfzeit” der NS-Bewegung. Der Genius Schillers bringt ein erstes Buch hervor unter Bedingungen, die an die Festungshaft Hitlers erinnern, unter denen er „Mein Kampf” schrieb. Da wie hier handelt es sich um ein Werk, das als herausragende Kritik an den Zeitumständen gewertet werden soll. Das Pathos von Freiheit und Gerechtigkeit, mit dem Schiller seine „Räuber” im Kampf gegen die feudale Obrigkeit wie gegen die eigene Familie ausstattet, wird im Film nur äußerlich deklamiert. Es geht um die Verherrlichung von zwei genialen „Führern”, die sich beide zunächst als verkannte Genies unter widrigsten gesellschaftlichen Umständen mannhaft bewähren. So wie der eine zum geistigen Führer heranreift, so reift der andere zum politischen Führer der Deutschen heran. Beide sind sie umgeben von bedingungslos unterstützenden Kameraden, gewissermaßen Stoßtrupps einer Freiheitsbewegung. Bei Schiller sind es die Regimentskameraden, bei Hitler seine frühen Parteigänger. Allerdings gibt es im Film zwei herausragende Führergestalten, eine gute, die Schiller repräsentiert, und eine böse, nämlich den despotischen Herzog. Letzterer legitimiert offen und hemmungslos den von ihm geschaffenen Unterdrückungsapparat. Ihm als absolutistischem Monarch allein ist es gestattet, jedermann seinen Willen aufzuzwingen. Solange man ihm folgt, ist er ein „guter Vater”. Die „Rebellen” jagt er gnadenlos, lässt sie sogar im Ausland verfolgen. Seine Herrschaft scheint gefestigt. Erst als er mit Schiller aneinandergerät, offenbart sich die Brüchigkeit seiner Autokratie. Sein Niedergang geht mit dem strahlenden Aufstieg Schillers parallel. Endgültig erfolgt sein Absturz, als er Schillers Werk als künftiges geistiges Band der Nation auf dem Weg zu ihrer Einigung in Frage stellt, als er Deutschland die Zukunft abspricht. Aus dem Herzog wird nun ein reaktionärer und ignoranter Provinzdespot, dessen politische Uhr, da sind ihm die Zuschauer voraus, längst abgelaufen ist. Er ist, wie ihm die Reichsgräfin offen entgegenhält, nicht „aus dem gleichen Stoff” gemacht wie Schiller; er ist eben „kein Genie”. Er ist der Gegenpol, der Schillers Stern zum Leuchten bringt. Andererseits stellen das männliche Gehabe des Herzogs, sein wüster Lebensstil, seine Lust zu feiern, gepaart mit Frauenaffären, durchaus auch eine Verlockung heimlicher Männerfantasien dar, von der sich nicht nur Schiller, sondern auch der gegenwärtige „Führer“ als lustfeindliche Eiferer abheben. Dem affärenerprobten Goebbels dagegen dürften diese und ähnliche Szenen des lüsternen Herzogs – hinreißend gespielt von Heinrich George – besonders gefallen haben. Allerdings wird eine positive Identifikation dadurch verhindert, dass der Herzog zur Finanzierung seines aufwändigen Hofstaats eigene Landsleute als Soldaten („es wachsen ja genug nach”) an England verkaufen will. Dies
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zeigt ihn als Herrscher ohne nationales Verantwortungsbewusstsein. Insofern ähnelt er der Schiller’schen Figur des macht- und geldgierigen Franz von Moor. Und so lebt der Film thematisch von den Anklängen an die aktuellen Zustände in Deutschland und versucht zugleich, sie zu überspielen und von ihnen abzulenken. Besonders deutlich wird dies in der Anfangsszene mit dem Einbringen von Opponenten in das Zuchthaus Hohenasperg wie in ein Konzentrationslager. Aber auch die Flucht Schillers aus Württemberg findet ihre bedrückende Parallele im erzwungenen Exodus von Hunderttausenden aus Nazi-Deutschland. Eine weitere Filmfigur denunziert das herzogliche Regime. Es ist die des Hofmarschalls von Silberkalb. Er wird in seinem Erscheinungsbild ein Antityp, wird als dekadenter, „undeutscher” Weichling, als intrigant und hinterhältig dargestellt. Dass sich dieser pomadisierte Wüstling ausgerechnet an Laura heranwagt, provoziert beim Zuschauer Abscheu. Allerdings lässt er die männliche Schönheit und Haltung Schillers umso heller strahlen. Lauras instinktive Verachtung Silberkalbs adelt zugleich ihren selbstlosen Verzicht auf Erfüllung ihrer Liebe. Es ist die gleiche instinktive Verachtung, die Dorothea Wurm verspürt gegenüber dem jüdischen Finanzienrat Süß Oppenheimer. Silberkalb ist ein wiederkehrendes Filmstereotyp, das auch in anderen Filmen eine wichtige Nebenrolle darstellt. Mal steht sie für die schleimige Dekadenz des Französischen, wie in „Der alte und der junge König” (1935), mal für das Bild des intriganten Geheimrats Holstein in „Die Entlassung” (1942), mal für den widerwärtigen Handelsjuden in „Robert und Bertram” (1938) oder in „…reitet für Deutschland (1941)”. Die Frauen werden im Film überaus positiv dargestellt. Sie sind charmant, durchaus geistreich und attraktiv. Nur der jugendlichen Laura fällt die ebenso undankbare wie unvermeidliche Rolle zu, Schiller einerseits zu feurigen Liebesgedichten zu ermuntern, andererseits dann aber auf ihn zu verzichten, um seiner künftigen Bedeutsamkeit für das deutsche Volk nicht im Wege zu stehen. Dennoch ist sie zugleich auch tapfere Kameradin, die sich gegen den herzoglichen Machtapparat stellt und das Manuskript der „Räuber” in Sicherheit bringt. Im Gegensatz zum Herzog erkennen die Frauen um Schiller instinktiv seine Größe und sein Genie und stellen sich selbstlos in den Dienst seiner Rettung. In erotischer Hinsicht bleibt Schiller innerhalb der Grenzen des verordneten Puritanismus. Er ordnet, ähnlich dem völlig unerotischen „Führer“, seine Liebe dem zu schaffenden Werk unter. Von großer Bedeutung ist der Geniekult. Während für den Durchschnittsmenschen das Erziehungsprinzip gilt, durch das er an die Wert- und Normenvorstellungen der Gesellschaft angepasst wird, ist dies für das Genie außer Kraft gesetzt. Ihm allein kommt das Recht zu, sich außerhalb der gültigen Normen zu stellen. Er allein schöpft alles aus sich selbst. Das Genie gleicht der im Film strapazierten Metapher vom Bäumchen, das im Gegensatz zum Spalierobst in freier Umgebung ungezwungen heranwachsen darf. Das Genie ist der einzige Mensch, der handeln darf, wie es ihm sein Wille vorschreibt, der einem inneren Drang folgen muss. Es findet „durch eigene Kraft den Weg zur Vollkommenheit” – und hierfür bedarf es keiner Schulung. Deutlich wird hier auf die Wiener Jahre Hitlers angespielt, auf seine Zeit im Männerwohnheim, auf das angebliche Unrecht des abgelehnten Möchtegern-Künstlers, der sich dann zum „politischen Genie” emporschwang. Der Film kultiviert die naive Theorie vom „geborenen Genie”. In dieser Debatte macht der Herzog gegenüber Schiller eine durchaus passable Figur. Er glaubt, hier durchaus aufgeklärt, an die Macht der Erziehung, während Schiller, durchaus unzeitgemäß, sich als eine Art früher Sozialdarwinist präsentiert.
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Bedeutsam sind die untergründig politisch-weltanschaulichen Anklänge. Offen wird mitgeteilt, welcher Idee dieser als Kulturfilm bezeichnete Streifen folgt: Die Geschichte Deutschlands beherrscht die Gegenwart, die deutsche Gegenwart findet ihre Bestätigung in einer im wahrsten Sinne des Wortes hingedrehten Geschichte. „Der Triumph eines Genies” als Thema findet sich in vielen historischen Filmbeispielen. Es ist vor allem die Figur des etwa zeitgleich mit Schiller agierenden Friedrich II. von Preußen, der als leuchtendes Beispiel „deutscher Tugend” inszeniert wird. Um ihn herum gruppieren sich eine Reihe weiterer politischer und künstlerischer Genies, die den „Faustischen Drang” des „nordischen Menschen” verkörpern. Ob Friedrich Wilhelm von Preußen oder Bismarck oder General von Yorck oder der preußische Offizier in den Befreiungskriegen oder der soldatische Draufgänger im Ersten Weltkrieg: Sie alle leiden unbewusst unter dem tragischen Irrtum, zur falschen Zeit, nämlich außerhalb des Nationalsozialismus, geboren zu sein. Sie alle haben es mit den Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten ihrer Zeit zu tun und sind daher nolens volens Künder einer kommenden Volksgemeinschaft, in der eine harmonische Einheit von politischer Führung und Kulturschaffenden hervorgebracht werden wird, in der die Talente aus „der Tiefe des Volkes” sich entfalten können und die sich nicht mehr im konfliktreichen Widerspruch zu einem erstarrten Gesellschaftssystem aufreiben müssen. Ziel aller historischen Filmthemen ist es also nicht, hervorragende Figuren der Geschichte in ihrem spannungsreichen Schaffen, im realen Entwicklungsprozess ihrer Zeit zu zeigen. Historische Stoffe dienen lediglich der Instrumentalisierung zu aktuellen Zwecken: Der „größte Feldherr aller Zeiten” spiegelt sich in Friedrich II. So wie er auf das Genie des „Führers” verweist, so verweisen ebenso alle wissenschaftlichen, künstlerischen und geistigen Genies auf Hitler. Allerdings gilt diese Feststellung nur mit Einschränkung: Das Genie ist immer männlich, denn der Nationalsozialismus ist in seiner Realität wie auch in seinem ideologischillusionären Konzept eine auf das Soldatisch-Männliche fixierte Gesellschaft. Frauen agieren lediglich auf eingeschränktem Feld, dort, wo sie ihre vermeintliche Stärke besitzen: in der Welt zumeist mütterlicher Gefühle oder des scheinbar sicheren Instinkts. Die deutsche Frau hat keine (welsche) Erotik nötig, und wenn sie doch mal nötig sein sollte, so nur, um einen tölpelhaften Tyrannen zu umgarnen, damit der von ihr als Genie erkannte Schiller von dessen unkontrollierbaren Wutausbrüchen nicht zerstört wird. Alle Frauen, nicht nur im Schiller-Film, unterstützen die Geburt des Genies und kommen damit ihrer natürlichen Bestimmung nach. Dem zum deutschen Helden gedeuteten Schiller steht der Herzog von Württemberg, Karl Eugen, gegenüber. Er ist ein despotischer Spießer, verschlagen und lüstern. Er hat ein gewalttätiges Regime aufgebaut, das von brutalem Kommiss über Spitzelsysteme, menschenunwürdige Kerker bis zur Zensur und geistigen Unterdrückung mit jenen Attributen spielt, die das NS-Regime selbst sattsam kennzeichnen. Das ist auf den ersten Blick verblüffend. Wenn im Film gegen die Tyrannei gewettert wird: Ist das nun zynische Anerkennung der Gegenwart oder Rückzug in die vielgerühmte „innere Emigration” der Filmschaffenden oder gar mehr oder weniger subtile Opposition? Die gegenwärtige Tyrannei des SSStaats wird im Grunde offen dargestellt, auch wenn sie historisch geschminkt ist. Das Freiheitspathos erscheint so offensichtlich verlogen, dass es verwundert, wie es in das nationalsozialistische Denken eingebaut werden konnte. Am Beispiel der Darstellung des Militärs wird klar, wie aus Sicht von 1940 das tyrannische System des 18. Jahrhunderts zu verstehen war, nämlich als überholte, im Grunde
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undeutsche Herrschaft. Württemberg ist keine „Volksgemeinschaft”. Aber nur das „Verzopfte” wird angeprangert, nicht das Militärische an sich. Dies kommt in der Szene zum Ausdruck, in der die Eleven unter den Kommandos des Sergeanten sich gegenseitig den Zopf drehen müssen. Dieses Ritual ist lächerlich. Die Offiziere, so die Botschaft, lehnen dies als antiquiert ab. Stattdessen zeigen sie bis in den Generalsrang für Schillers Renitenz Verständnis, sogar Sympathie – allerdings nur solange, wie sich dessen Kritik auf das Kulturell-Ästhetische beschränkt und das Militär selbst nicht in Frage stellt. Dies wird außerhalb der Karlsschule durchweg positiv dargestellt. Weitgehend als Szenenausschmückung gestaltet, kommt es mit klingendem Spiel in langen, routinierten Einstellungen dem Publikumsgeschmack entgegen: Es sind die immer gleichen Versatzstücke jedes Historienfilms, wobei nur die Uniformen oder die Märsche variieren. Das marschierende Heer ist unverzichtbares, positiv besetztes Massensymbol jedes historischen Films. Die Rahmenhandlung des Films wird bestimmt von der Gegenüberstellung des Tyrannen und des auf individueller Freiheit und Unabhängigkeit seines Geistes bestehenden Genies. Dieses bahnt sich aufgrund seiner überlegenen Talente durch die Widerstände einer reaktionären Gesellschaft seinen Weg. Schiller wird zum Revolutionär gegen ein System, das vom Zuschauer längst als eines durchschaut wurde, das sich so überlebt hat wie das Weimarer. Das relativiert das vom Dichter Schubart vorgetragene Pathos der Freiheit als hohl und alles andere als subversiv. Es richtet sich nämlich auf einen vom Zuschauer längst identifizierten künftigen Heilsbringer einer deutschen Volksgemeinschaft, für die Schiller den Propheten spielen darf. Das junge, frische Deutschland drängt in ihm stürmend gegen die verkrustete alte Ordnung: Politik als Generationenkonflikt mit einem ewig als jung zu denkenden Führer – ein alter, verkommener Machtmensch gegen den die Ideale höheren Deutschtums verkörpernden Schiller. In dem wenige Wochen vorher uraufgeführten Spielfilm „Jud Süß” war das Thema Württemberg schon einmal abgehandelt worden – ob zufällig oder in fein abgestimmter Propagandaabsicht, sei dahingestellt. Wieder spielt die Handlung am Hof des Herzogs, verkörpert erneut durch Heinrich George, der diesmal den genauso wüsten Vater Karl Eugens, nämlich Karl Alexander von Württemberg, spielt. Die Hauptfigur Jud Süß ist das absolut genialische Böse, das den Herzog beherrscht. Für ihn plündert er das Land aus, organisiert er alles, was der Machtlüsterne braucht: Mädchen, rauschende Feste, Waffen für seine Kriege und Geld, Geld und nochmals Geld, das er aus den guten Württembergern presst. Genug fällt für den Unhold selbst ab. Das Märchen vom „reichen Juden”, der das Land wie die Menschen aussaugt, der skrupellos geil auf ehrbare Christinnen ist, dies ist der Kontext, auf den sich der Schiller-Film mit bezieht. Schillers Liebe zu Laura ist so hehr und rein wie die der von Jud Süß unter teuflischen Umständen vergewaltigten Ehefrau zu ihrem Gatten. Das Diabolische, Geile, Bösartige ist immer an das untergehende, jüdischzersetzende System gebunden. Der Schiller-Film ist auch ein Erziehungsfilm, der auf die Frage zugespitzt wird, ob Genies geboren oder erzogen werden. Diese durchaus moderne Thematik wird in Form eines Rededuells zwischen Schiller und dem Herzog ausgetragen. Der Film ist aber auch eine Persiflage auf die NS-Erziehungsideologie der Reichsjugendführung, die mit Schule und Bildung so recht nichts mehr anzufangen wusste. So wie der Professor in der entscheidenden Szene sich selbst lächerlich macht, wie er sich im Abgang vor der aufstrebenden, trotzigen Jugend Schillers verbeugt, so wird erneut die Parallelität zur Gegenwart deutlich: Die Art und Weise, wie Schiller im Kreise seiner Getreuen gezeigt wird, ähnelt dem „SA-
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Mann Brandt”, dem Kommandanten in „U-Boote westwärts”, dem Yorck in „Kolberg”, den Ritterkreuzträgern in der HJ-Monatsschau „Junges Europa”: Sie alle sind selbstlose Heroen, die ihrer Mannschaft ein leuchtendes Beispiel von Männlichkeit geben, getreu der Devise „Jugend wird von Jugend geführt”. Erziehung, Schule, Bildung, Studium – das alles wird sekundär. Das Wesentliche des deutschen Mannes ist entweder natürliches Führertum im Kampf um Anerkennung oder Akzeptanz von Führertum als Gefolgschaft. Dies soll auch an Schiller deutlich werden. Dass er ein begnadeter Dichter, ein hart sich an seiner Zeit abarbeitender „Kantianer” war, ist im Zusammenhang mit diesem Film unwichtig. Nicht der humane Dichterphilosoph wird in den Vordergrund gestellt, sondern „Friedrich Schiller, der Deutsche”, wie es in den Informationsunterlagen der Tobis-Filmgesellschaft heißt. Als solcher ist er ein Rastloser, Getriebener. Folglich endet der Film mit einer Flucht, die einem paradigmatischen Aufbruch in die Zukunft gleichkommt, in die Gemeinschaft des sich kündenden tausendjährigen Reichs, dessen Volksgemeinschaft gleich Schiller von manischer Umtriebigkeit besessen wird. Das Werk des wirklichen Schiller war für die NS-Propaganda nicht nur uninteressant, sondern inzwischen gefährlich. Wenige Tage nach der Hinrichtung des Attentäters Bavaud übermittelte Reichsleiter Bormann nach einem Gespräch mit Hitler dem Chef der Reichskanzlei Lammers am 3. Juni 1941 eine streng vertrauliche Anweisung: „Der Führer wünscht, dass Schillers Schauspiel ‚Wilhelm Tell‘ nicht mehr aufgeführt wird und in der Schule nicht mehr behandelt wird. Ich bitte Sie, hiervon vertraulich Herrn Reichsminister Rust und Herrn Reichsminister Dr. Goebbels zu verständigen.“ (zit. n. Ruppelt 2004: 2) Die Angst vor dem subversiven Moment eines Dramas, in dem die abstrakt-anonyme Zwangsreferenz vor dem Geßler-Hut den Hellsichtigen dem Hitler-Gruß gleichkam sowie die Ahnung der NS-Führung, die Opposition im eigenen Land wie auch in den bereits unterworfenen Völkern Europas könne aus urdeutscher Dichtung die Legitimation in ihrem Kampf gegen die Tyrannei Hitler-Deutschlands finden, war mehr als berechtigt. Der Verfasser des Rütlischwurs und die nationalsozialistische Propagandaversion von „Schiller, dem Deutschen”, dem „Künder von des Reiches Herrlichkeit”, ließen sich nicht mehr in Übereinstimmung bringen. Was ist aus heutiger Sicht das Problematische am Schiller-Film? Es ist, grob gesprochen, die personalisierte Gegenüberstellung der scheinbaren Alternativ-Botschaften von übersteigertem Autoritarismus/Despotismus auf der einen und Geniekult auf der anderen Seite, die als Erklärung für die Verhaltenssteuerung der historischen Akteure nahe gelegt wird. Sie fangen den Zuschauer ein und lassen ihm weder ausreichenden Spielraum für eine weitere Beschäftigung mit der Person Schillers und seinem Werk, noch werden sie der historischen Epoche gerecht. Dass historische Parallelen zum NS-Staat und seiner Ideologie gezogen werden, ist noch unwahrscheinlicher, auch wenn das Datum der Filmentstehung dies nahe legt. Das Lernen über historische Zusammenhänge geschieht auch über das Medium des Films. Schiller als Person dürfte vielleicht noch bekannt sein; mit seinem Werk ist sicher damals wie heute nur noch eine Minderheit vertraut. So trifft die Einschätzung in den „Geheimen Lageberichten des SD” vom 27. Januar 1941 bestimmt auch heute noch zu. Damals sagten die Zuschauer nach dem Filmbesuch, dass dieser Film ihnen „die Gestalt Schillers, die vielen Volksgenossen sehr entrückt und nur noch sehr verschwommen von der Schulzeit her bekannt sei, wieder nahegebracht habe.“ Es sei ihm gelungen, „eine der tragenden Gestalten der deutschen Vergangenheit der Gegenwart innerlich nahezubringen” (Boberach 1984: 1944).
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Nachbemerkung
Man könnte als wesentliches Element der Propaganda im nationalsozialistischen Historienfilm die Blendung des Publikums durch „Über-Blendung“ bezeichnen. Ihr Ziel ist die Neuformation der Geschichte, indem sie zum Ruhm und zur ideologischen Unterfütterung neu erzählt wird. Das historische Bewusstsein des Zuschauers soll durch die Faszination, die von der im Film wieder lebendig gewordenen Erzählung ausgeht, überlagert werden. Er soll Schiller im „Führer“ und den „Führer“ in Schiller neu sehen lernen. Die Überwältigungsmaschinerie zielt auf das Unbewusste des normalen Zuschauers, auf seine Sehnsucht nach Stärke und Erhöhung. Der nationalsozialistische Schiller ist der schwache Mann, der sich zum kulturellen Supermann aufbaut, der Prothesen-Genius eines vergangenen politischen Systems, das die tönernen Füße vergessen machen soll, auf denen die aktuelle Herrschaft steht.
Literatur Boberach, Heinz (Hrsg.) (1984): Meldungen aus dem Reich 1938-1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, Bd. 6. Herrsching. Cremers, Paul Josef (o.J.): Zum Schiller-Film. Mikro-Fiche-Archiv des Deutschen Filmmuseums Frankfurt am Main. Goebbels, Joseph (1987): Die Tagebücher von Joseph Goebbels. T. 1: Aufzeichnungen 1924-1941, Bd. 4. 1.1.1940-8.7.1941. Hrsg. v. Elke Fröhlich. München. Herf, Jeffrey (1984): Reactionary modernism. Technology, culture, and politics in Weimar and the Third Reich. Cambridge etc. Hitler, Adolf (1941): Mein Kampf. München. Ruppelt, Georg (2004): Hitler gegen Tell. Vor 200 Jahren wurde Schillers Wilhelm Tell uraufgeführt, vor 63 Jahren ließ Hitler ihn verbieten. Hannover. Online unter: http://mediaculture-online.de/fileadmin/bibliothek/ ruppelt_tellverbot/ruppelt_tellverbot.html Schiller, Friedrich (1900): Schillers sämtliche Werke in zwölf Bänden, Bd. 2 und Bd. 6. Leipzig. Witte, Karsten (1993): Film im Nationalsozialismus. Blendung oder Überblendung. In: Jacobsen, Wolfgang (Hrsg.): Geschichte des deutschen Films. Stuttgart, Weimar, S. 119-170.
Das Jahr 1945 als personeller und institutioneller Wendepunkt von der Zeitungs- zur Publizistikwissenschaft1 Hans Bohrmann
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Genese der Fragestellung
Als ich Ende der 1950er Jahre begann, Publizistik im Hauptfach zu studieren, hatte ich den Eindruck, dass das Fach die Zeit des Nationalsozialismus einigermaßen unbeschadet überstanden hatte. Auf den ersten Blick stellte sich die Lage so dar: Der Direktor des Berliner Instituts war seit der Gründung der FU 1948 Emil Dovifat (1890-1969)2, ein bereits 1928 an die Friedrich-Wilhelms-Universität berufener Hochschullehrer, der nach einer Entlassung durch die Wissenschaftsverwaltung in Ostberlin im amerikanischen Sektor wieder ein neues Amt erhalten hatte. In München war mit Karl d’Ester (1881-1960) ein bereits seit 1924 an dieser Universität tätiger Professor die einzige Lehrkraft. Walter Hagemann (1900-1964) in Münster nahm ich als erst 1946 an die Universität gekommenen Professor wahr. Er schien mir also unbelastet. Dass er nach Schließung des ehemaligen Berliner Zentrumsorgans „Germania“, deren Chefredakteur Hagemann war, in engstem Kontakt mit Prof. Dr. Walther Heide (1894-1945?, 1957 für tot erklärt) und der Zeitungswissenschaft gestanden hatte, war damals völlig unbekannt. In Leipzig wurde mit Prof. Dr. Gerhard Menz (18851954) am Institut für Publizistik und Zeitungswissenschaft nach 1945 ein Hochschullehrer tätig, der bereits seit den 20er Jahren (damals zunächst an der Handelshochschule) eine Stiftungsprofessur Buchhandelsbetriebslehre des Börsenvereins innehatte. Die Handelshochschule wurde nach 1945 in die Universität Leipzig eingegliedert. Menz, der bereits in Kriegszeiten auch am dortigen Institut für Zeitungswissenschaft gelehrt hatte, stellte sich den sowjetischen Besatzungsbehörden zur Verfügung. Nach seinem Tode erst begann die „sozialistische Umgestaltung“, die mit Prof. Dr. Hermann Budzislawski (1901-1978) einen Journalisten und Westemigranten anfangs an die Arbeiter- und Bauernfakultät, seit 1954 an die Spitze der neu gegründeten „Fakultät für Journalistik“ brachte. Dass meine ursprüngliche Bewertung einem zweiten wissenschaftsgeschichtlichen Blick nicht würde standhalten können, stand zu vermuten. Die Fakten, die einem Erstsemester zur Verfügung standen, waren klar erkennbar, aber doch unterschiedlich deutbar. Über das Verhalten von Hochschullehrern während des „Dritten Reichs“ sagten sie nichts Konkretes aus. Wenn unter Studenten überhaupt darüber gesprochen wurde, geschah das nur hinter der vorgehaltenen Hand. Wissen war auf diesem Weg nicht zu gewinnen, zumal die anderen auch kaum etwas sicher wussten und der Ost-West-Konflikt die Wahrnehmung 1
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Für freundliche Auskünfte danke ich: Udo Branahl (Dortmund), Wolfgang Duchkowitsch (Wien), Gerhard Eckert (Kükelühn), Gerd G. Kopper (Berlin), Michael Meyen (München), Dieter Roß (Hamburg), Klaus Schreiber (Stuttgart), Wilbert Ubbens (Bremen), der Landes- und Universitätsbibliothek Halle/S., dem Universitätsarchiv Hamburg und dem Bundesarchiv Berlin. Bei Mitgliedern des Lehrkörpers der Institute für Zeitungswissenschaft und anderer einschlägiger Fachinstitute werden die Lebensdaten in Klammern in der Regel nur bei der ersten Nennung aufgeführt.
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zusätzlich verzerrte. Menz war im Westen eine Unperson und sein Name schon Ende der 50er Jahre nur Spezialisten bekannt. Dovifat wurde von Osten als Faschist tituliert und war gerade aufgrund dieser Diffamierung im Westen unangreifbar. Nennenswerte wissenschaftsgeschichtliche Forschung für das 20. Jahrhundert gab es nicht. Das war übrigens in anderen Fächern kaum anders. Allerdings waren die Nebenfächer der Publizistik regelmäßig so genannte „große Fächer“, die mehrere Professorenstellen besaßen. Deren Hochschullehrerschaft war zumindest an der FU „gemischt“ besetzt, d. h. auch Vertreter der jüngeren Generation und Emigranten gehörten zum Lehrkörper. Als Nebenfächer hatte ich, wie viele Mitstudenten der Publizistik, Soziologie und Geschichte gewählt. In der Soziologie gab es eine Reihe von Professoren, die erst nach 1945 Hochschullehrer geworden waren. Hans-Joachim Lieber hatte bei Eduard Spranger im Frühjahr 1945 promoviert. Renate Mayntz und Dieter Claessens hatten an der FU studiert, promoviert und habilitiert. Friedrich Bülow, zugleich auch Volkswirtschaftler, kam von der Leipziger Universität und hatte das „Dritte Reich“ mit Raumforschung überlebt, einer fachlichen Variante, von der ich später gelernt habe, dass sie als Sozialtechnik in der Gnade der Nazis stand. In doppelter Funktion war Otto Stammer tätig, als Direktor am Institut für Soziologie und zugleich als Leiter eines Forschungsinstituts für Politische Wissenschaft. Stammer war im „Dritten Reich“ verfemt, denn er hatte sich schon in der Weimarer Zeit für die SPD und die Gewerkschaften engagiert. Stammer überlebte in „innerer Emigration“ als Angestellter, so gut es eben ging. In der Soziologie lernte ich später auch emigrierte Hochschullehrer von US-amerikanischen Hochschulen kennen, die gastweise nach Berlin kamen. Sie hatten oft Berliner oder deutsche Wurzeln. In den historischen Fächern gab es in verschiedenen Instituten der FU, verteilt auf mehrere Fächer und Fakultäten, eine große Anzahl von Professoren. Ich will nur drei nennen, die für mich besonders eindrucksvoll waren, weil sie mit dem „Dritten Reich“ nichts zu schaffen hatten: Hans Herzfeld hatte von den Nazis Lehrverbot. Einer seiner bedeutendsten Schüler, Gerhard A. Ritter, hatte an der FU promoviert und sich habilitiert. Adolf Leschnitzer musste emigrieren. Er kam alle zwei Semester von der State University of New York an die FU. Daneben gab es auch Historiker an der FU, die im „Dritten Reich“ ohne Unterbrechung an Universitäten gelehrt und geforscht hatten. Bald lernte ich auch andere Hochschullehrer kennen, die in der nationalsozialistischen Zeit in diese „innere Emigration“ gegangen waren: Der Philosoph Wilhelm Weischedel hatte bei Heidegger 1933 promoviert und 1937 habilitiert, aber in der NS-Zeit bewusst eine bürgerliche Tätigkeit ausgeübt, die ganz hochschulfern war. Er überprüfte die Wirtschaftlichkeit kommunaler Krankenhäuser – eine Tätigkeit, die ihm ein Freund eröffnet hatte. Erst 1945 begann er, in Tübingen Philosophie zu lehren, bevor er an die FU kam. Auch lernte ich einen Pianisten der heutigen Berliner Universität der Künste kennen: Raimund Schlesier hatte nach 1933 das Jurastudium an den Nagel gehängt. Er wollte in Hitlers Staat weder Richter oder gar Staatsanwalt noch Rechtsanwalt werden. Deshalb machte er sein künstlerisches Hobby als Pianist zum Beruf. Wie tief gespalten die Familien solcher Außenseiter waren, mag verdeutlichen, dass Schlesiers Bruder bis zum bitteren Ende ein führender Mitarbeiter Robert Leys (Deutsche Arbeitsfront) war. Beider Vater war Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium. Durch solche Erfahrungen sensibel geworden, begann ich mich in den 60er Jahren mit Hochschulgeschichte zu befassen. Dazu brauchte ich keine Studentenrevolte. Von der drei-
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fachen Frage her, wie sich die Universität als Institution im „Dritten Reich“ verhalten hat, wie sich die Hochschullehrer in den zwölf braunen Jahren verhalten haben und wie die Parteinahme der Studentenschaften aussah, habe ich meine Dissertation angelegt. Für meine Forschung zu den deutschen Studentenzeitschriften war die NS-Zeit die Sattelzeit, das Bismarckreich mehr als ein Vorspiel und das geteilte Deutschland ein damals noch zeitlich unabsehbares Provisorium. Mein Doktorvater Fritz Eberhard (1894-1986) war Dovifats Nachfolger. Eberhard, der erste Hochschullehrer im Fach Publizistik, der in der politischen Emigration gewesen war, hatte freilich ein ganz anderes Fach studiert: Volkswirtschaft. Nicht in den Fokus meiner Untersuchung gehört Dr. Otto Groth (1875-1965). Groth hat besonders mit seinen mehrbändigen Werken „Die Zeitung“ und „Die unerkannte Kulturmacht“ das umfangreichste Werk des Faches Zeitungswissenschaft hinterlassen. Groths Spätwerk ist immer noch kaum rezipiert. Als Privatgelehrter – zunächst neben journalistischer Arbeit für die „Frankfurter Zeitung“, dann als rassisch Verfolgter im „Dritten Reich“ verfemt und nach dem Zweiten Weltkrieg bereits im Pensionsalter stehend, nicht mehr durch die Zeitungswissenschaft einbezogen – hat er nur an der Fortbildungsarbeit für Journalisten in München teilgenommen. Eine Mitwirkung von Groth an der Hochschule wäre allerdings nicht ausgeschlossen gewesen, wie man am Beispiel Prof. Dr. Alfred Webers (1868-1956) in Heidelberg ablesen kann, der nach 1945 reaktiviert wurde. Weber war 1933 als Ordinarius zwangsweise emeritiert worden und hatte Lehrverbot erhalten. Er wurde reaktiviert, in seine alten Rechte wieder eingesetzt und lehrte erneut Soziologie. In sein Institut wurde die Soziologie der Öffentlichkeit integriert und mit dem ebenfalls reaktivierten Prof. Dr. Hans von Eckardt (1890-1957) ausgestattet. So knüpfte Weber an die Weimarer Zeit an, verzichtete aber auf einen getrennten Studiengang mit Lehrkräften aus dem Verlagsmanagement und Journalistenverbänden. Eine Berufung von Otto Groth zum Honorarprofessor in München, so er sie angestrebt hätte, wäre sicher erreichbar gewesen. Seine wissenschaftliche Kapazität und seine politischen Erfahrungen hätten dem Fach im Jahrzehnt nach Kriegsende neue Impulse bringen können, die die Wiederbelebung Weimarer Traditionen allein nicht erreicht hat. Seit den 60er Jahren ist die Hochschulgeschichte der Zeitungswissenschaft, die noch vor 1900 begann und bis 1945 reichte, gut erforscht worden. Einige Bausteine habe ich – oft zusammen mit Arnulf Kutsch – beisteuern können. Kutsch hat dann in Münster und später in Leipzig mit seinen Schülern ein gut Teil historischer Arbeit beigetragen. Auch andere haben mitgetan, ich nenne nur Winfried B. Lerg und Otto B. Roegele, die beide auch viele wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten zur Fachgeschichte angeregt haben. Die Emigranten des Faches, die nach 1945 nicht mehr zurückkamen, hat Arnulf Kutsch gründlich untersucht. Stefanie Averbeck hat den Fokus auf die sozialwissenschaftliche Perspektive in der Zeitungswissenschaft der 20er Jahre gelegt. Deren Konzepte und die handelnden Personen sind durch das „Dritte Reich“ erfolgreich verdrängt worden. Es waren wie bei den literarischen Emigranten Namen, die keiner mehr kannte. Dovifat, d’Ester, Hagemann, Menz und auch Budzislawski vertraten geisteswissenschaftliche Ansätze und damit nur einen Ausschnitt der Weimarer Szene. Erst als in den 60er Jahren sozialwissenschaftliche Fragestellungen sich, aus den USA zurückkommend, erneut aufdrängten, wurde nach den deutschen historischen Wurzeln gefragt und mit Erstaunen wahrgenommen, dass zwei Generationen vorher ganz ähnliche Themen mit ähnlichen Methoden im Fach bearbeitet worden sind. Eine verschüttete Tradition war zu entdecken.
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Zeitungswissenschaft bei und nach Kriegsende 1945
Heute wird es Zeit, und es gibt auch durch vielfältige Forschungen die Möglichkeit dazu, einen Überblick zu gewinnen und meine subjektiven Eindrücke aus Studententagen zu überprüfen. Deutlich ist, dass das Fach Zeitungswissenschaft finanziell, personell und institutionell vom „Dritten Reich“ profitiert hat. Während sich der Ausbau der traditionellen Institute in Grenzen hielt, wurden neue Einrichtungen gegründet. Da es an geeignetem Personal fehlte, wurden zusätzlich als Kristallisationskern für weitere Institutionen an verschiedenen Hochschulen erst einmal neue Lehrstühle eingerichtet, die zwischenzeitlich entweder durch Honorarprofessoren oder Hochschuldozenten besetzt wurden (Aachen, Juristische Fakultät Berlin, zweite Professur in Prag u. a.). Die von interessierter Seite in Umlauf gesetzte Legende, das „Dritte Reich“ hätte zwar die Zeitungswissenschaft erhalten, aber eine Weiterentwicklung zur Publizistik, d. h. einer Wissenschaft, die alle Medien zum Gegenstand haben sollte, verhindert, da von dieser Disziplin eine Aufdeckung der propagandistischen Machenschaften befürchtet worden sei, hat nichts für sich. Wie sollte man sonst die rundfunk- und fernsehwissenschaftlichen Einrichtungen in Berlin und Leipzig im engen Verbund mit den zeitungswissenschaftlichen Instituten verstehen? Hätte einer der Beteiligten eine kritische Einschätzung der nationalsozialistischen Mediennutzung gehabt, wäre diese leicht in der amtlichen Lehrplanvorlesung des ersten Semesters unterzubringen gewesen. In ihr ging es um die „Führungsmittel“, also deren Vergleich und wissenschaftliche Einschätzung. Stimmt es also, dass die Zeitungswissenschaft, die zumeist unter der Fachbezeichnung Publizistik nach dem Kriege weitergeführt wurde, mit ihren Hochschullehrern das „Dritte Reich“ personell und inhaltlich ziemlich unbeschadet überstanden hat? Diese Frage wird hier gestellt und ansatzweise auch beantwortet. Die Zeitungswissenschaft war während der Jahre des Zweiten Weltkriegs eine als kriegswichtig geförderte Disziplin. Es wurden nur zwei minder wichtige kleinere Einrichtungen (Königsberg, Halle/S.) stillgelegt. Alle anderen wurden offen gehalten, auch wenn es personell schwierig war. So wurde mit Doppelwahrnehmungen gearbeitet. Menz unterrichtete nicht nur auf seiner Planstelle an der Handelshochschule Leipzig, sondern in verschiedenen Rollen auch an der Universität Leipzig und an der Berliner Universität parallel. In Prag und Wien wurden sogar noch neue Fachinstitute aufgebaut. Nürnberg wurde revitalisiert und einige Semester vom zum Militär vor Ort eingezogenen Institutsleiter Dr. HansLudwig Zankl (1911-1977) nebenbei weitergeführt. Auch in Münster wurde Dr. phil. Dr. habil. Hubert Max (1909-1945) neben seinem Militärdienst beim Stellv. Generalkommando an der Universität tätig. Dr. phil. Dr. habil. Wilmont Haacke (1911-2008) als Institutsleiter in Freiburg/Br. war uk. gestellt. Dozent Dr. Kurt Walz (1908-?) an der „Auslandswissenschaftlichen Fakultät“ in Berlin konnte aus gesundheitlichen Gründen keinen Militärdienst tun. Sein Dekan Prof. Dr. Franz Alfred Six (1900-1975) war als Höherer SS-Führer teilweise an der Front, teilweise (nachdem er ins Auswärtige Amt gewechselt war) ebenfalls uk. gestellt. Dass die Zeitungswissenschaft als „kriegswichtig“ eingeschätzt wurde, erhellt sich auch aus der Tatsache, dass die Zeitschrift „Zeitungswissenschaft“ bis Ende 1944 erschien, das „Handbuch der Zeitungswissenschaft“ auch nach der Ausbombung der Druckerei (Hiersemann, Leipzig) bis zur Ausbombung der Redaktion im Berliner Hansaviertel fortgesetzt wurde. Der vom „Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verband“ (DZV), d. h. Wal-
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ther Heide, herausgegebene Studienführer „Wie studiere ich Zeitungswissenschaft“ ist 1944 neu aufgelegt worden. Emil Dovifats Lehrbuch in zwei Göschenbänden „Zeitungslehre“ erhielt im gleichen Jahr eine völlig umgearbeitete weitere Auflage. Die zeitungswissenschaftlichen Institute wurden auch in den intensivierten Trimesterbetrieb, vornehmlich für nicht mehr kriegsdienstfähige Soldaten, einbezogen. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen, die an den wieder eröffneten Hochschulen nach 1945 durchaus bekannt waren, muss demnach untersucht werden, wie sich das Fach konstituiert hat, Institute abgewickelt oder erhalten wurden und wie sich die Hochschulen in ihrem Berufungsverhalten für die publizistischen Institute (in München weiter Zeitungswissenschaft) orientiert haben. Zeitungswissenschaftler sind im Sinne dieser Untersuchung Hochschullehrer, die an so bezeichneten oder ihnen affiliierten Instituten als Professoren oder Dozenten tätig waren oder sich an ihnen habilitiert hatten, d. h. als Hochschullehrernachwuchs zur Verfügung standen. Ausgeklammert sind Hochschullehrer und Nachwuchswissenschaftler, die während des Krieges verstorben oder gefallen sind. Bei einer kleinen Gruppe von Lehrenden konnte deren Verbleib nach Kriegsende nicht geklärt werden. Sie sind definitiv aus akademischer Tätigkeit ausgeschieden, aber ob sie verstarben oder in einem anderen Beruf tätig wurden, bleibt offen. Sie werden unter den Instituten jeweils mit erwähnt. Zu beachten gilt auch, dass das Reichshabilitationsgesetz von 1935 mit der deutschen Tradition gebrochen hat, dass die Fakultäten den Kandidaten durch die gelungene Habilitation die Lehrbefähigung und zugleich die Lehrerlaubnis zuerkannten. Die Erlaubnis mussten die Fakultäten eigens beantragen. Diese zu erteilen, behielt sich das Berliner Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ausdrücklich vor. Die Teilung der Habilitation war für die Hochschulen, aber auch für das Ministerium ein Mittel der politischen Sanktion. Die neue Habilitationsordnung sah auch vor, dass nach der schriftlichen Arbeit und der Aussprache vor der Fakultät eine mehrere Einheiten umfassende praktische Lehrtätigkeit an einer weiteren Hochschule zu absolvieren sei. So wählte Dr. Ernst Herbert Lehmann (1908-?), der aus der Kunstgeschichte in Leipzig kam und in Berlin Funktionen im Fach Zeitungswissenschaft ausübte, sicher bewusst Heidelberg als Hochschule, an der er, der erste in seinem Fach, nach der neuen Ordnung seine Habilitationsschrift einreichte. Lehmann erhielt später zwar Lehraufträge in Münster und an der Berliner FriedrichWilhelms-Universität, aber keine Dozentur. Er arbeitete auf einer Beamtenstelle im Propagandaministerium. Nach dem Krieg schied er aus der Universität ganz aus, machte eine Ausbildung zum Tiefenpsychologen und übte diesen Beruf in Stuttgart aus. Der von Dovifat in Berlin habilitierte Dr. Gerhard Eckert (*1912) ist ebenfalls nicht zum Dozenten ernannt worden. Andererseits hat das Berliner Ministerium Dr. phil. Dr. phil. habil. Hubert Max trotz seiner in Berlin 1937/38 gescheiterten Habilitation unmittelbar nach dem erfolgreichen zweiten Anlauf mit der gleichen Schrift in Münster unter Vorsitz des eigens verpflichteten Karl d’Ester 1940 sofort zum Dozenten ernannt. Max wurde von der Universität umgehend auch als Direktor eingesetzt. Max hatte die Förderung von Walther Heide, auf den sich Eckert schlecht berufen konnte, weil sein Habilitationsthema den Rundfunk thematisierte. Eine Bearbeitung von anderen über die Zeitung hinausgehenden Medien hatte Heide als Präsident des „Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbandes“ aber Mitte der 30er Jahre den Fachinstituten für Zeitungswissenschaft untersagt. Dass Lehmann, der in Heides Umfeld das „Handbuch der Zeitungswissenschaft“ redigierte, nicht ernannt wurde,
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lässt sich aber schwer erklären. In Akten des Reichsministeriums für Wissenschaft sind allerdings denkbar schlechte Beurteilungen Lehmanns durch den Reichsdozentenbund überliefert. Während der Dozentenbund in Berlin im Fall Lehmann gegen Heide agierte, schrieb die NS-Gliederung an der Universität Wien für Heides Kandidaten Kurth und gegen den mit positiven Gutachten von Köln versehenen Alfred Peters.
3.
Institute in Königsberg sowie in Prag und Wien
Zu berücksichtigen ist ferner, dass eine Reihe von Hochschulorten der Zeitungswissenschaft nach 1945 ersatzlos wegfiel. In den nach 1945 abgetrennten Ostgebieten war das Fach von den Nationalsozialisten an der so genannten „Grenzlanduniversität“ Königsberg neu eingerichtet worden. Der Gründungsdozent, Prof. Dr. Franz Alfred Six, war bei Kriegsbeginn schon Gründungsdekan der „Auslandswissenschaftlichen Fakultät“ der Berliner Universität und hatte seinen Königsberger Nachfolger, den von ihm dort habilitierten Assistenten, Dozent Dr. Kurt Walz, in gleicher Funktion an der „Auslandswissenschaftlichen Fakultät“ für das Spezialgebiet Auslandspresse geholt. In Königsberg hatte sich im Jahr des Kriegsbeginns Dr. Karl Kurth (1910-1981) habilitiert, der umgehend an das 1939 gegründete, aber erst 1942 eröffnete Wiener Institut berufen wurde. In der von den Nazis 1939 besetzten Tschechoslowakei wurde 1940 in Prag ein Institut gegründet. Der aus Bayern stammende Prof. Dr. Josef März (1892-1955) wurde als Ordinarius Direktor, der zweite Lehrstuhl (unter „besonderer Berücksichtigung aktueller politischer Fragen und ihrer Vorgeschichte“) mit dem Honorarprofessor Dr. Karl Viererbl besetzt (1903-1945). Viererbl war als Chefredakteur der „Zeit“ (Reichenberg) ein Aktivist der nationalsozialistischen Journalistik und Politik im Sudetenland. Seine politische Publizistik veröffentlichte Viererbl unter dem Pseudonym Kurt Vorbach. In Prag habilitierte sich 1942 bei März Dr. Wilmont Haacke, der bald danach Institutsleiter in Freiburg/Br. wurde. In Österreich wurde in Wien der ebenfalls aus Deutschland stammende Prof. Dr. Karl Kurth als Gründungsdirektor des Instituts für Zeitungswissenschaft eingesetzt. Anmerkungsweise sei mitgeteilt, dass Kurth gegen Kriegsende die von ihm ersehnte militärische Einberufung erhielt. Er setzte dann seine Hilfskraft, Marianne Pig (verheiratete LunzerLindhausen, *1919), als Vertretung ein. Marianne Lunzer blieb am Wiener Institut, an dem sie sich in den 50er Jahren habilitiert hat, und wurde später dort auch als Institutsleiterin tätig. Die Hochschullehrer dieser Institute kamen nach dem Krieg für Universitäten in den vier Besatzungszonen nicht mehr in Betracht. Six stand in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse (u. a. als Leiter einer Einsatzgruppe, Vorkommando Moskau) vor Gericht und wurde als Kriegsverbrecher zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Er musste – wie viele der seinerzeit Verurteilten – die Strafe nur teilweise verbüßen. Six war nach seiner Entlassung in der Wirtschaftswerbung tätig. Walz arbeitete an der Schule für Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz, Kurth als Leiter des Lektorats West beim Bundesminister der Verteidigung in Bonn. Josef März war als Fachschriftsteller in Bayern tätig und legte auch Buchveröffentlichungen vor. Karl Viererbl verstarb 1945. Als Fußnote sei vermerkt, dass Dr. Karl Hauptmann, der während der NS-Zeit bei Karl d’Ester in München über die politische Arbeit des Chefredakteurs
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Viererbl bei der sudetendeutschen „Zeit“ vor dem Anschluss (1938) politisch einschlägig promoviert hatte, sich in den 60er Jahren an Fritz Eberhard wandte, um an der FU Berlin habilitiert zu werden. Das Vorhaben war in jeder Hinsicht aussichtslos. In Wien waren in der Kriegszeit zwei weitere Wissenschaftler tätig, die mit der Thematik der Zeitungswissenschaft verwandte Gebiete bearbeiteten, ohne Verbindung zur Zeitungswissenschaft zu haben. Das war einerseits der aus der Kölner Schule (Leopold von Wiese) stammende Soziologe Dozent Dr. Alfred Peters (1888-1974), der in einer bemerkenswerten Schrift von Wieses Beziehungslehre auf die Zeitung angewandt hatte. Sein Buch „Die Zeitung und ihr Publikum“ erschien 1930 im Selbstverlag in der Schriftenreihe des Instituts für Zeitungsforschung (Dortmund), wurde aber fachlich nicht rezipiert. Die Ursachen für die mangelnde Aufmerksamkeit lagen bei der Zeitungswissenschaft, die bereits in der Weimarer Republik sozialwissenschaftlichen Ansätzen an den meisten Orten uninteressiert bis feindlich gegenüberstand. Peters wurde nach dem Anschluss Österreichs 1938 Dozent für Soziologie in Wien. Bei der Besetzung des Wiener Instituts für Zeitungswissenschaft ist Peters wegen seiner „zu stark soziologischen Orientierung“ nicht berücksichtigt worden. Ebenfalls ohne Kontakt zum Fach Zeitungswissenschaft leitete Dr. Franz Ronneberger (1913-1999), der sich 1944 an der Wiener Hochschule für Welthandel habilitierte, das 1943 gegründete Forschungsinstitut der „Union nationaler Journalistenverbände“. Träger war der internationale faschistische Journalistenverband, der von Deutschland bezahlt und dominiert wurde und dessen Präsident Dr. Max Freiherr du Prel war. Peters arbeitete nach dem Kriege kurzzeitig an einer von den britischen Besatzungsbehörden in Aachen aufgebauten Ausbildungseinrichtung für Journalisten. Eine Universitätstätigkeit hat er nicht wieder erreicht. Ronneberger wurde in der Kriegszeit von den Nationalsozialisten zum Nachwuchs der Soziologie gerechnet und arbeitete nach einer britischen Internierung ein Jahrzehnt im Archiv der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (Essen). Die britischen Besatzungsbehörden hatten Erich Brost, einen der beiden Lizenzträger der WAZ, gebeten, ein Auge auf die Entwicklung des jungen Mannes zu werfen. Die Besatzungsmacht wollte Ronneberger offenbar eine zweite Chance geben. Gedacht war wohl an Umerziehung. Ronneberger hat sich dann in Münster erneut habilitiert (Jura) und ist über die PH Bielefeld nach Nürnberg berufen worden. In Nürnberg hat Ronneberger eine umfangreiche und zu Recht geschätzte Forschungsund Publikationstätigkeit entfaltet, die psychologisch und vor allem soziologisch und systemtheoretisch orientiert war. 1964 wurde er von der FU Berlin für die Nachfolge Fritz Eberhards in Aussicht genommen. Nach einem akademischen Vortrag, an dem auch Mitglieder der Berufungskommission teilnahmen, wurde die Personalie nicht weiter verfolgt. Hans Kauffmann, Kunsthistoriker an der FU, kannte Ronnebergers politische Vorgeschichte und legte in der Kommission Protest ein, dem stattgegeben wurde. Ich habe seinerzeit die bibliographischen Recherchen zu den Publikationen von Franz Ronneberger in den Jahren bis 1945 vorgenommen. Ich habe selten so bedauert, dass nicht nur er, sondern alle, die als Wissenschaftler im „Dritten Reich“ tätig waren, ihre Lebensgeschichte tabuisiert und nicht offen gelegt haben. Gewiss, das wäre schwierig gewesen, aber auch die einzige Chance, im Dialog die Probleme zu diskutieren und – nach Jahrzehnten – vielleicht ein Stück weit auszuräumen.
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Institute in der sowjetischen Zone und im Ostsektor Berlins
In der sowjetisch besetzten Zone wurde eine Zentralisierung des Faches in Leipzig verwirklicht. An der Philosophischen Fakultät der Universität sollte das Fach konzentriert werden, die Handelshochschule wurde als Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät wieder eröffnet. Unter Leitung von Gerhard Menz entstand ein Hochschulinstitut für Publizistik und Zeitungswissenschaft an der Philosophischen Fakultät. Der ehemalige Institutsleiter, Prof. Dr. Hans Amandus Münster (1901-1963), war gegen Kriegsende nach Oberbayern, in die spätere amerikanische Zone, gegangen. Seine intensiven Versuche, als Hochschullehrer wieder verwendet zu werden, waren auch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes (Art. 131) erfolglos. Dabei waren seine Beziehungen zum SD damals sicher nur wenigen Eingeweihten bekannt. Dass F. A. Six Exponent des SD war, ist von seiner Funktion im Reichssicherheitshauptamt her bekannt gewesen. Hans A. Münster hat nach dem Kriege noch eine Vielzahl vor allem praktischer Publikationen zur Werbung vorgelegt. Auch Ronnebergers Geheimdiensttätigkeit kann, spätestens nachdem er als Berichterstatter für den Reichsaußenminister 1944 abgeschaltet wurde, vermutet werden. Die Leipziger Nachkriegsberufung von Menz erstaunt. Er hielt sich im „Dritten Reich“ hochschulpolitisch zu Hans A. Münster, d. h. zur Opposition gegen Heide, die besonders von jungen nationalsozialistischen Kadern betrieben wurde. 1933 bereits hatte Menz nicht abseits gestanden, sondern als Chefredakteur des „Börsenblatts für den deutschen Buchhandel“ die „Gleichschaltung“ an vorderster Front auch mit Aufsätzen aus seiner Feder in Buchhandel und Bibliotheken vorangetrieben. Auch Menz’ durchgängige Publizistik zu Ostasien, besonders China, wo er in Tsingtau während des Ersten Weltkriegs eine deutsche Zeitung herausgab, weisen ihn als nationalistisch aus und machen seinen späteren Übergang zum Nationalsozialismus einleuchtend. Das in der Kriegszeit an der Universität Leipzig parallel zu Berlin geschaffene Institut für Rundfunkkunde und Fernsehrundfunk, Leitung Dr. Kurt Wagenführ (1903-1987), wurde nicht wieder aufgenommen. Wie die meisten Berliner Journalisten verließ Wagenführ Berlin zu Kriegsende. Er ging nicht nach Oberbayern (Alpenfestung), sondern folgte anderen Berliner Journalisten nach Hamburg. Versuche, dort auch wieder als Dozent zu arbeiten, blieben erfolglos. In Halle/S. blieb das Institut im Krieg unbeschädigt. Die Leitung war gleich 1933 von Prof. Dr. Max Fleischmann (Jurist, Altrektor) (1872-1943, Selbstmord) auf seinen Assistenten Dr. Theodor Lüddecke (1900-?) übergegangen. Fleischmann war als Jude persona non grata, trotz seines internationalen Rufes als Thomasiusforscher. Das Institut in Halle wurde im Krieg stillgelegt. Das bot sich wohl an, weil Lüddecke einberufen wurde und das Institut keinen eigenen Studiengang bediente. Ob Lüddecke das Kriegsende erlebt hat, bleibt unbestimmt. Ich habe keine Spur von ihm nach 1945 gefunden. Die Sammlungen des Instituts wurden nach dem Krieg nach Leipzig verlegt. Die Facheinrichtungen im sowjetischen Sektor Berlins an der Friedrich-WilhelmsUniversität (Institut für Zeitungswissenschaft an der Universität, Institut für Rundfunkkunde und Fernsehrundfunk, Seminar für Publizistik in der evangelisch-theologischen Fakultät, Lehrstuhl für Presserecht und Recht des Kulturstandes in der Juristischen Fakultät) wurden geschlossen. Reste der Sammlungen gelangten nach Leipzig, Teile davon finden sich aber auch im Institut für Publizistik der FU Berlin. Die ao. Professur an der Philosophischen
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Fakultät von Dovifat, die die Verbindung des alten An-Instituts (zuletzt: Institut für Zeitungswissenschaft) zur Universität darstellte, wurde gestrichen, Dovifat entlassen. Die Dozentur für Rundfunkkunde entfiel ebenso. Wagenführ beteiligte sich an der Gründung des Hamburger Hans-Bredow-Instituts. An der evangelisch-theologischen Fakultät wurde der Lehrstuhl für Publizistik und Zeitungswesen, der von Honorarprofessor Dr. August Hinderer (1877-1945), dem Vorsitzenden des Evangelischen Preßverbandes, wahrgenommen wurde, gestrichen. Die Honorarprofessur entfiel durch dessen Tod im Sommer 1945. Der ebenfalls nicht planmäßig besetzte Lehrstuhl an der juristischen Fakultät, der von Dr. Hans Schmidt-Leonhardt (1886-1945, Selbstmord) als Honorarprofessor wahrgenommen wurde, entfiel auch. Schmidt-Leonhardt war eine Art Kronjurist des Propagandaministeriums – zuletzt als Ministerialdirektor. Er kam aus dem Reichsinnenministerium, in dem er seit 1926 arbeitete, und war wesentlich am Zustandekommen des Schriftleitergesetzes beteiligt. Nicht zufällig hat er mit dem Mitarbeiter des Propagandaministeriums, Dr. Peter Gast, den Kommentar dazu verfasst.
5.
Institute in der französischen Zone
In der französischen Zone wurde das Freiburger Institut für Zeitungswissenschaft aufgehoben, der Lehrstuhl, der nicht planmäßig durch den Dozenten Dr. phil. habil. Wilmont Haacke besetzt war, gestrichen. Das ebenfalls in Freiburg/Br. 1940 (mit Drittmitteln der während des Krieges stillgelegten Reichsrundfunkkammer) aufgebaute Institut für Rundfunkkunde (Leitung Prof. Dr. Karlfriedrich Roedemeyer, 1894-1947) wurde ebenfalls aufgelöst, der Lehrstuhl gestrichen. Roedemeyer, der bereits erkrankt war, starb, noch bevor sich die Fragen der Entnazifizierung und möglicher Pensionszahlungen stellten. Haacke ging zunächst als Pressesprecher der von den Franzosen wieder gegründeten Universität nach Mainz und dann zu Hagemann nach Münster, dessen erster Assistent er wurde. Beide kannten sich aus journalistischer Arbeit in Berlin. Haacke schrieb seine Prager Habilitationsschrift „Feuilletonkunde“ (2 Bde.) um, tilgte die unübersehbar antisemitischen Stellen und veröffentlichte die Arbeit unter dem neuen Titel „Handbuch des Feuilletons“ (3 Bde.) neu. In den 50er Jahren ging er als Dozent für Publizistik an die neu gegründete Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven, die später als sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Göttingen eingegliedert wurde. Dort war er Ordinarius für Publizistik und Direktor des Universitätsinstituts und stieg bald in die Mitherausgeberschaft der Fachzeitschrift „Publizistik“ ein. Haacke hat es in der Nachkriegszeit als wissenschaftlich inakzeptabel angesehen, dass seine „Feuilletonkunde“ in Veröffentlichungen genannt oder gar zitiert wurde. Er machte Kollegen deswegen brieflich Vorhaltungen.
6.
Institute in der britischen Zone und im Britischen Sektor Berlins
In der britischen Zone lagen die vereinigten – ursprünglich zwei – Kölner Institute. Die Universität war eine kommunale Gründung. Das Universitätsinstitut für Zeitungswesen
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stand zunächst unter der Leitung des nach dem Ersten Weltkrieg aus Straßburg gekommenen Historikers Prof. Dr. Martin Spahn (1875-1945). Das andere Institut war separat auch in kommunaler Trägerschaft nach Ende der „Pressa“ 1928 entstanden. Es verdankt sich wohl dem schon länger datierenden Streit zwischen dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer und Spahn. Als Spahn emeritiert wurde, kam es zur Zusammenlegung beider Institute unter Leitung von Martin Schwaebe (1911-1985). Er war Chefredakteur des NSGauorgans „Westdeutscher Beobachter“ und Lehrbeauftragter der Universität. Dass einem nicht promovierten Lehrbeauftragten die Institutsleitung übertragen wurde, weist darauf hin, dass in Köln akademische Maßstäbe seinerzeit weniger galten als Parteitreue. Andere Hochschulen verhielten sich deutlich anders. Sammlungsbestände des Kölner Instituts, die den Krieg überstanden hatten, wurden dem Historischen Institut der Universität überwiesen. Der von Spahn habilitierte Dr. phil. Dr. habil. Heinrich Tötter (1910-1994) ging nicht nach Köln zurück. Er war im Krieg Chefredakteur der deutschen Besatzungszeitung „Brüsseler Zeitung“ beim Militärbefehlshaber in Belgien, nach 1945 Chefredakteur der „Allgemeinen Zeitung“ (Mainz). Er nahm auch Lehraufträge an der Universität Mainz wahr. Bei der Gründung des Fachinstituts dortselbst (1964) spielte er keine Rolle. Spahn blieb dem vereinten Institut im Krieg als Lehrbeauftragter erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er aus Alters- und Krankheitsgründen in die Entwicklung nicht mehr eingreifen, zumal sein politischer Kurs, der ihn vom Zentrum bis in die NSDAP geführt hatte, deutlich belastend war. Er trat nach dem Krieg öffentlich nicht mehr in Erscheinung. Das erloschene Institut wurde auch später nicht reaktiviert. Die Verknüpfung zwischen dem kommunalen Internationalen Zeitungsmuseum der Stadt Aachen und dem Lehrstuhl für Zeitungswissenschaft an der TH Aachen wurde nach dem Krieg aufgelöst. Der Lehrstuhl, der von dem Leiter des Museums, Dr. Will Hermanns (1885-1958), als n. b. ao. Professor wahrgenommen wurde, entfiel. Das Münsteraner Institut, dessen Lehrstuhl von Dr. phil. Dr. phil. habil. Hubert Max wahrgenommen wurde, blieb nach Max’ Tod im Sommer 1945 erhalten und wurde schon im Folgejahr, erneut aber nicht planmäßig, besetzt. Der nicht habilitierte Dr. Walter Hagemann wurde ao. Professor. Die Zeitgeschichte, wohl als den historischen Hilfswissenschaften verwandt angesehen und damit der Zeitungswissenschaft zugerechnet, wurde ihm zusätzlich zugewiesen. Hagemann schloss sich der von Dovifat vorgeschlagenen Umbenennung des Faches in Publizistik an. Das Hamburger Seminar (i. e. Institut) für Zeitungswissenschaft ist hervorgegangen aus einem Lehrgang (seit 1933) Zeitungswissenschaft, der zu einer Abteilung (seit 1935) am Soziologischen Lehrstuhl/Soziologischen Seminar ausgebaut wurde. Schließlich wurde es als eigenes Seminar (Institut) für Zeitungswissenschaft 1943 verselbständigt. Mentor dieser Entwicklung war der Soziologe Prof. Dr. Andreas Walther (1879-1960). Dozent für Zeitungswissenschaft war Dr. phil. Dr. habil. Franz Hermann Kluge (1892-1983). Kluge war Diplom-Volkswirt. Auf journalistischer Seite wurde er durch einen Lehrauftrag an Max Baumann (1903-?), Chefredakteur der NS-Gauzeitung „Hamburger Tageblatt“, unterstützt. Kluge arbeitete nach dem Krieg als Direktor einer Wirtschaftsfachschule und seine Publikationen erlebten Neuauflagen. Baumann hat nach 1945 den von ihm betriebenen Wiedereinstieg in den Hamburger Journalismus nicht geschafft, im Gegensatz zu ähnlich belasteten Kollegen bei anderen Hamburger Blättern („Spiegel“, „Zeit“, „Welt“, „Stern“). Das Institut wurde nach dem Kriege nicht wieder eröffnet.
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Dr. phil. Dr. habil. Alfred Frankenfeld (1896-1975), der als Journalist und Chefredakteur, zuletzt im Hause Springer, gelegentlich an der Universität Hamburg als Lehrbeauftragter gelehrt hat, kam nicht aus der Zeitungswissenschaft, wenn er auch Pressegeschichte lehrte. Frankenfeld war Göttinger Historiker (habilitiert zu Beginn 1945). Er vertrat auch als Person keine publizistik- oder kommunikationswissenschaftlichen Interessen. Prof. Dr. Alfred Herrmann (1879-1961), der Mitglied der Nationalversammlung und Reichstagsabgeordneter der DDP in der Weimarer Republik war, hatte sich in Hamburg für Geschichte habilitiert. Er befasste sich in Veröffentlichungen und Lehrveranstaltungen einschlägig mit Zeitungsthemen. Herrmann erhielt keine Hochschullehrerstelle und wurde hauptberuflich journalistisch tätig („Hamburger Fremdenblatt“). Er verließ 1933 Hamburg und übernahm u. a. Organisations- und Redaktionsaufgaben im „Reichsverband der deutschen Presse“ und dessen Organ „Deutsche Presse“ in Berlin. Nach 1945 blieb er in Berlin und übernahm ein Ordinariat für Geschichte an der Allgemeinwissenschaftlichen Fakultät der TH Berlin. Mit zeitungs- oder kommunikationswissenschaftlichen Fragestellungen hat er sich dort nicht mehr auseinandergesetzt. An der Universität Kiel hatte sich um den Sozialpolitiker Prof. Dr. Ludwig Heyde (1888-1961), der auch soziologische Fragestellungen vertrat, der Ansatz eines Zeitungswissenschaftlichen Instituts gebildet. Nach 1945 wurden diese Versuche nicht fortgesetzt. Heyde blieb zunächst in Kiel und nahm 1948 einen Ruf auf einen Lehrstuhl seines Faches nach Köln an. Mit Zeitungswissenschaft hat er sich nicht mehr beschäftigt. Das 1926 gegründete Institut für Zeitungsforschung in Dortmund war keine Hochschuleinrichtung. Es entstand an der späteren Stadt- und Landesbibliothek Dortmund mit Unterstützung des Niederrheinisch-Westfälischen Zeitungsverleger-Vereins (NWZV) als kommunale Forschungseinrichtung. Leiter war der Bibliotheksdirektor Dr. Erich Schulz (1874-1941). Schulz’ Nachfolger Dr. Paul Wahl (1892-1960) amtierte, weil zur Wehrmacht eingezogen, nur diskontinuierlich. Wirksamkeit im Bereich Zeitungsforschung ist nicht nachweisbar. Nach 1945 wurde Wahl zunächst entlassen, dann nach 1949 als Bibliotheksrat unter anderer Leitung im Hause wieder beschäftigt. Im Institut für Zeitungsforschung wurde Dr. Albert Wand (1893-1955) zunächst als Abteilungsleiter der Dortmunder Stadt- und Landesbibliothek, ab 1952 als Direktor einer selbständigen Kultureinrichtung bestellt. Wand war bereits in den 20er Jahren Freier Mitarbeiter von Erich Schulz, durfte aber aus politischen Gründen nach 1933 nicht mehr herangezogen werden. Er hielt sich mit der Verzeichnung von historischen Bibliotheken und Archiven in Privathand über Wasser. Die in der Britischen Besatzungszeit vorbereitete Gründung eines neuen rundfunkwissenschaftlichen An-Instituts in Hamburg ging im Kern vom NWDR aus. Dovifat, der führend im NWDR-Rundfunkrat tätig war, und Kurt Wagenführ, der in der Pressestelle der Rundfunkanstalt arbeitete, bereiteten ein Hans-Bredow-Institut vor. Sie kannten sich aus alten Berliner Zeiten. Dabei dürften Wagenführs Berliner und Leipziger Erfahrungen mit dem Hochschulinstitut für Rundfunkkunde und Fernsehrundfunk vor 1945 Vorbild gewesen sein. Beteiligt war auch Dr. phil. Dr. habil. Gerhard Eckert, der aber nicht zum Zuge kam. Eckert hatte sich am Berliner Institut für Zeitungswissenschaft rundfunkkundlich einschlägig habilitiert und Dovifat assistiert. Auch hat Eckert anderswo keine Hochschullehrerstelle erhalten, wenn man von der zeitweiligen Mitwirkung an der Münchener Filmhochschule absieht. Er hat im Wesentlichen als Fachjournalist und erfolgreicher Reiseschriftsteller gearbeitet.
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Die Universität Hamburg war der Gründung eines Hans-Bredow-Instituts gegenüber offen, wenn auch nur zu streng akademischen Bedingungen. Wagenführ kam als unhabilitiert deshalb nicht in Frage. Es wurden geeignete Ordinarien der Philosophischen Fakultät ausgeguckt, die nebenamtlich als Leiter fungieren sollten. An der Vorgeschichte der Gründung war der Pädagoge und Psychologe Prof. Dr. Hans Wenke (1903-1971) beteiligt, der eine engere Beziehung zur Zeitungswissenschaft aus seiner Zeit als Hochschullehrer in Erlangen vor 1945 besaß. Wenke war aber bei der Gründung selbst nicht mehr beteiligt, da er bereits einen Ruf nach Tübingen angenommen hatte. Vielmehr übernahm ein Historiker (Mittlere und Neuere Geschichte), Prof. Dr. Egmont Zechlin (1896-1992), diese Funktion. Zechlin hatte seine fachliche Karriere in der Weimarer Zeit begonnen (1929 in Marburg) und im „Dritten Reich“ ausgebaut (1934 Hamburg, 1940 Berlin). Die Berliner Berufung kann als Auszeichnung gesehen werden. Am Hans-Bredow-Institut blieb er über seine Emeritierung hinaus tätig. Danach wurde Wenke, der nach Hamburg rückberufen worden war, Direktor des Hans-Bredow-Instituts. Die Leitung galt im Prinzip der Garantie der akademischen Reputation, während die fachliche Arbeit immer dem Mittelbau, am Bredow-Institut den Referenten, oblag. Die im britischen Sektor von Berlin gelegene Technische Hochschule (Charlottenburg) hat ihren Lehrstuhl Zeitungswissenschaft nach 1945 gestrichen. Das dürfte ihr leicht gefallen sein, weil der Hochschullehrer Prof. Dr. Walther Heide seit seiner Ernennung 1933 nur gelegentlich Einzelvorträge gehalten hatte und ansonsten für politische Aufgaben zwischen Propagandaministerium und Auswärtigem Amt (deren Auslandspressepolitik er umsetzte) reklamiert war. Es ist unwahrscheinlich, dass Heide, wenn ihn nicht die russische Besatzungsmacht im Sommer 1945 verhaftet hätte, von der TH akzeptiert worden wäre. Er besaß nicht die formale Qualifikation (Habilitation) und er hatte sich durch seine pressepolitische Tätigkeit für die NS-Regierung hinreichend disqualifiziert. Hinzu kam, dass er seit 1933 als Präsident des von ihm selbst gegründeten „Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbands“ tätig war und in dieser Funktion einerseits staatliche Gelder des Propagandaministeriums an die Fachinstitute verteilte und andererseits als Vertrauensmann des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung tätig wurde. In dieser Doppelfunktion steuerte er auch die Personalpolitik des Faches. Die Fakultäten reichsweit hörten auf ihn bei der Besetzung von Hochschullehrerstellen. Diese politische Leitungsfunktion musste ihn nach dem Krieg diskreditieren. Dass Heide, zusammen mit dem in dieser Funktion kaum hervortretenden Karl d’Ester, als Gründer, Herausgeber und leitender Redakteur der einzigen wissenschaftlichen Fachzeitschrift, „Zeitungswissenschaft“, tätig wurde, hätte, auch wenn man den Inhalt des Blattes berücksichtigt, kaum entlastend gewirkt. Dass Karl Kurth in den 70er Jahren Arnulf Kutsch und mir in Bonn mündlich von einem Plan berichtete, den er kurz nach Kriegsende als Mitarbeiter des „Göttinger Arbeitskreises“ (Vertriebenenpolitik) verfolgte, nämlich Heide als Leiter einer von der evangelischen Kirche zu begründenden Journalistenausbildung zu gewinnen, zeugt von Realitätsverlust einerseits und andererseits davon, wie vertrauensselig Gremien der evangelischen Kirche nach dem Kriege eingeschätzt wurden.
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Institute in der amerikanischen Zone
In der amerikanischen Zone lag mit München ein traditionell wichtiger Hochschulstandort (gegr. 1924) der Zeitungswissenschaft. Karl d’Ester, als ao. Professor, sah sich in der Weimarer Zeit als einziger legitimer akademischer Hochschullehrer, da er sich in Münster 1919 habilitiert hatte, während seine Kollegen, wenn auch promoviert, aus der Praxis berufen wurden. D’Ester war in den NS-Jahren vielfach angefeindet worden. Dennoch gelang es wohl auf Heides Einwirken, ihn 1934 zum pers. Ord. zu machen. Manche seiner Schüler machten Karriere in der NSDAP. Sie nahmen d’Ester seine laue politische Haltung übel. Ihm fehlte alles Soldatische, und dass er nur im NSD-Lehrerbund Mitglied wurde, blieb ein Angriffspunkt, zumal er sich dort nicht engagierte. Im Nachlass Hubert Max (Münster) sind die Briefwechsel aus der späten Kriegszeit mit Dr. Gerhard Baumann (1912-1996) (München), Hans A. Münster und Gerhard Menz u. a. überliefert, die gleichermaßen die Feindschaft zum Präsidenten des „Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbands“ (Walther Heide), einem Duzfreund d’Esters, und zu diesem selbst dokumentieren. Auch Dovifat kommt darin nicht gut weg. Baumann und Max hätten gerne d’Ester beerbt. Das Vorhaben vertagte die Fronde wohl notgedrungen auf den Tag nach einer als siegreich vorgestellten Beendigung des Krieges. Das war offenbar auf eine von der NSDAP ausgegebene Linie zurückzuführen. Die Partei versuchte, Ruhe an der Personalfront zu verordnen, um möglichst auch die Abseitsstehenden in den Krieg einzubinden. Dass Münster, der keine Scheu hatte, den von den Nazis von seinem Leipziger Lehrstuhl vertriebenen, offiziell aus Gesundheitsrücksichten pensionierten Prof. Dr. Erich Everth (1878-1934) zu beerben, zeigte früh seinen Karrieredrang. Von den jüngeren Exponenten der Partei wurde er aber nur teilweise ernst genommen. Sie suchten vor allem seinen Einfluss, etwa im Propagandaministerium und im Dozentenbund, für sich zu nutzen. Erstaunlich ist, dass der generationsmäßig deutlich ältere Menz die Fronde förderte. Das Verhalten kontrastiert zu seiner Leipziger Tätigkeit nach 1945, wo er sich für die antifaschistisch-demokratische Phase des Wiederaufbaus der Hochschulen in der sowjetischen Besatzungszone zur Verfügung stellte. Nachdem die Alliierten Truppen München eingenommen und die Universität wieder geöffnet hatten, nahm Karl d’Ester erneut seine Position ein. Das war nicht unangefochten, denn sein Verhalten im „Dritten Reich“ war in vieler Hinsicht uneindeutig. Offenbar aufgrund von Hinweisen suspendierte die Besatzungsbehörde ihn für etwa ein Jahr. Dann wurde d’Ester erneut in sein Amt eingesetzt. Am Institut für Zeitungswissenschaft gab es in den 30er Jahren eine Reihe von Habilitations-Kandidaten. Heinrich Arimond wird genannt, Josef H. Krumbach, auch Hans Roselius und Gerhard Baumann. Alle hatten bei d’Ester promoviert. Roselius verstarb, bevor er seine Ambitionen umsetzen konnte. Für Arimond und Krumbach sind offenbar keine Verfahren eröffnet worden, vielleicht haben sie auch selbst Abstand genommen, weil es wohl an der Protektion durch die Nazipartei fehlte. Gerhard Baumanns Habilitationsverfahren mit einer Schrift „Der Kampf um die Pressefreiheit 1813-1819“ verlief von Beginn an problematisch. Seine Arbeit wurde schlecht beurteilt, aber angenommen. Im mündlichen Verfahren erhielt er auch nach dem zweiten Versuch keine Mehrheit. Das Scheitern des Verfahrens dürfte auf die Passivität d’Esters und das Beharren des langjährigen Rektors der Universität München, Prof. Dr. Walther Wüst, auf Einhaltung akademischer Standards zurückzuführen sein. Wüst hat diese Taktik mehrfach gegenüber von der NSDAP stark gestützten Kandidaten angewandt. Baumann ist gleichwohl im „Dritten Reich“ Dr. habil.
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genannt worden. Nach dem Kriege ist er am rechten Rand der Politik („Gesellschaft für freie Publizistik“, Leoni am Starnberger See) aufgetreten und wieder als Dr. habil. geführt worden. Eine Universitätsposition hat er nicht erlangt. Eine Habilitationsabsicht wird dem seit den Weimarer Jahren als Lehrbeauftragter am Münchener Institut tätigen Dr. Adolf Dresler (1868-1956) nachgesagt. Als Amtsleiter im Braunen Haus hat Dresler auch NS-Propagandaschriften unter dem Pseudonym Anton Meister veröffentlicht. In höherem Lebensalter hatte Dresler als Externer auch bei d’Ester promoviert. Nach dem Kriege ist er als Fachschriftsteller tätig geworden. Sein Spezialgebiet, Leben und Publizistik von Mussolini, spielte aber da keine Rolle mehr. Ebenfalls in der Zeitungswissenschaft lehrte in der nationalsozialistischen Zeit der in den 30er Jahren als Universitätsbibliotheksdirektor nach München berufene Prof. Dr. Joachim Kirchner (1890-1978). Kirchner hatte sich 1928 in Frankfurt für Zeitschriftenkunde habilitiert. Er ergänzte das Münchener Lehrprogramm. Nach Kriegsende wurde Kirchner aufgrund politischer Belastung aus dem Amt entfernt und nirgends wieder eingesetzt. Anmerkungsweise sei auch auf Dr. Hans Jessen (1897-1979) hingewiesen, der als Bibliotheksrat an der Preußischen Staatsbibliothek Berlin und eifriger Autor in der Zeitschrift „Zeitungswissenschaft“ in den 30er und 40er Jahren in Erscheinung trat. Nach dem Kriege war er durch Veröffentlichungen mit dem „Göttinger Arbeitskreis“ als Autor in Verbindung, dem als Mitarbeiter auch Kurth angehörte. Jessen war später bei dem umfangreichen zeitschriftenbibliographischen Vorhaben, einem Gesamtverzeichnis deutscher Zeitschriften, Mitarbeiter von Joachim Kirchner. Bibliothekarisch kam Jessen nach dem Krieg zunächst mit den nach Marburg verlagerten Beständen seiner Bibliothek (genannt Westdeutsche Bibliothek) in die amerikanische Zone. Von dort ging er als Direktor an die Bremer Staatsbibliothek. Von Bremen aus versuchte er, sich erneut zeitungswissenschaftlich zu profilieren durch das Vorhaben eines „Gesamtkatalogs der deutschen Presse“. Das Projekt blieb aber unvollendet. Jessen versuchte zu Beginn der 50er Jahre, offenbar mit Unterstützung der Münchener Fakultät, aber letztlich erfolglos, die Nachfolge von Karl d’Ester anzutreten. Auch der Kandidat des Bayerischen Kulturministeriums, Walter Hagemann, fiel durch. Man einigte sich 1954 auf einen lokalen Kandidaten: Dr. Hanns Braun. Braun war Journalist und galt seit 1944 in der Presse als unerwünscht. Ob bei der Ablehnung Jessens und Hagemanns deren politische Vergangenheit eine Rolle gespielt hat, ist nicht bekannt geworden. In Heidelberg wurde 1926 in Kooperation der Universität mit dem regionalen Zeitungsverleger- und Journalistenverband ein neuartiges Institut für Zeitungswesen gegründet. Spiritus Rektor war Prof. Dr. Alfred Weber, Bruder Max Webers. Er vertrat ein breites Spektrum geisteswissenschaftlicher Fächer in seiner Person. Dazu gehörten im Kern Volkswirtschaftslehre und Soziologie. Seine Perspektive war universalgeschichtlich angelegt. Politisch war er Mitgründer der DDP. Bei der Gründung des Instituts für Zeitungswesen arbeitete er mit dem Wirtschaftsund Politikwissenschaftler Prof. Dr. Hans von Eckardt eng zusammen, der dann die Leitung des Instituts als ao. Professor übernahm. Das Neuartige des Konzepts wird durch die Absicht dokumentiert, dass neben den Wissenschaftlern Praktiker als fachwissenschaftlich Lehrende vorgesehen waren, Verleger und Journalisten, die im Institut mit Weber und von Eckardt zusammen wirken sollten. Heidelberg wurde, wie Averbeck gezeigt hat, bald der Mittelpunkt soziologischer Zeitungsforschung und Lehre.
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Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) wurde zwar nicht in Heidelberg, aber in Leipzig gegründet. Die NS-Studentenzeitschrift „Bewegung“ erschien in München. Aber die Universität Heidelberg war ein wichtiger Vorort für den NSDStB. Hier studierte der Mediziner und spätere Reichsführer der Studentenschaft Dr. Gustav Adolf Scheel, der viele Heidelberger in die „Deutsche Studentenführung“ (gegr. 1935) nachzog. Am Institut für Zeitungswesen studierte, promovierte und habilitierte Franz Alfred Six. Sein Adlatus Kurt Walz war ebenfalls von Studium und Promotion her Heidelberger. Die nationalsozialistischen Kräfte in Hochschulleitung und Studentenschaft wirkten in Heidelberg gleich nach der Machtübernahme dahin, dass Alfred Weber die Venia legendi entzogen und er zwangsweise emeritiert wurde. Von Eckardt wurde ebenso entlassen. Es kam ein Journalist aus Schlesien („Breslauer Zeitung“), Dr. Hans Hermann Adler (18911956), der bislang nicht wissenschaftlich hervorgetreten war. Er wurde Institutsleiter und erhielt, sich langsam hochdienend, später auch den außerordentlichen Lehrstuhl. Adler wurde nach dem Krieg entlassen und ist wissenschaftlich nicht weiter aufgefallen. Zeitungswissenschaft wurde dem Namen nach nicht wieder eingerichtet, sondern Soziologie gelehrt, die durch von Eckardt Presse und Öffentlichkeit thematisierte. Nachdem Weber 1956 und von Eckardt ein Jahr später starben, berief die Universität mit Wilhelm E. Mühlmann einen Soziologen mit ethnologischen Interessen. Eine ironische Fußnote ist, dass Mühlmann im „Dritten Reich“ zu der „realistischen Soziologie“ zählte, die nach 1933 durchaus erfolgreich an Universitäten reüssierte (u. a. Andreas Walther in Hamburg; Ludwig Heyde in Kiel). Eine sehr frühe Gründung war das Institut für Zeitungskunde an der Handelshochschule im fränkischen Nürnberg (gegr. 1919). Das Fach hatte dort ein diskontinuierliches Schicksal, war aber auch für die Ausbildung in Wirtschaftsberufen nicht zentral, sondern eher randständig. Wie in Heidelberg wurde in Nürnberg 1933 die unliebsame Institutsleitung mit Dr. Leo Benario (1875-1947) verjagt. Im Unterschied zu Heidelberg konnte eine Rehabilitierung nicht gelingen, da Benario emigriert war und aus Altersgründen für Nürnberg nicht zu reaktivieren war. Nach Provisorien gelang in Nürnberg eine einigermaßen kontinuierliche Nachfolge von Benario erst 1938. Berufen wurde der aus Kiel stammende Dr. Hans-Ludwig Zankl. Er war Journalist und besaß Erfahrungen in städtischen Presseämtern (Trier, Nürnberg). Zankl erfreute sich der Förderung Walther Heides, der eine zeitungsstatistische Arbeitsstelle nach Nürnberg legte. Zum Kriegsdienst kommandiert, hat Zankl, teilweise als Soldat in Nürnberg, das Institut nebenbei weiter betreuen können. Nach dem Krieg ging Zankl wieder in die Praxis der Presseämter (langjährig in Köln). Er erlangte keine akademische Position mehr, wenn er auch im Zusammenhang mit der Nachfolge Emil Dovifats genannt worden ist. Nach dem Krieg wurde in Nürnberg Dr. Ernst Meier (1893-1965) als apl. Professor ernannt, der schon einmal in der Weimarer Zeit das Institut in Nürnberg geleitet hatte. Meier war dann als Ökonom, der er vom Fach war, an die Universität Erlangen gegangen. Sie hatte Meier 1933 aus politischen Gründen entlassen. Auch das Institut für Publizistik an der Freien Universität Berlin (Dahlem), das mit dieser Universität 1948 gegründet worden war, lag im amerikanischen Sektor. Es berief sich auf die Tradition des Deutschen Instituts für Zeitungskunde/Zeitungswissenschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität, das nach 1945 im sowjetischen Sektor Berlins lag (und
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im Abschnitt „Institute in der sowjetischen Zone und im Ostsektor Berlins“ behandelt wurde). In Dahlem wurde Emil Dovifat als Ordinarius für Publizistik eine neue Wirkungsstätte in der alten deutschen Hauptstadt eröffnet.
8.
Ergebnisse
Die Untersuchung lässt sich auf mehreren Ebenen zusammenfassen.
Verbleib der Hochschullehrer und Dozenten der nationalsozialistischen Zeit Die Auswertung der verliehenen und individuell erreichten Ämter (Lehrbeauftragter, nicht immer promoviert, üblicherweise ohne Prüfungsberechtigung; Dozent, meist Dr. habil.; apl., ao. und o. Prof. und Institutsleiter resp. Direktor) zeigt, dass der überwiegenden Mehrzahl der Zeitungswissenschaftler (einschl. der Rundfunkkunde), die das Kriegsende im dienstfähigen Alter erreichten, in den vier Besatzungszonen und den vier Berliner Sektoren kein neues Hochschulamt verliehen wurde. Das gilt nicht nur für die Institute, die in den Ostgebieten (Königsberg) und in den wiederhergestellten Staaten Ost-Mitteleuropas, Tschechoslowakei (Prag) und Österreich (Wien), lagen, sondern auch für die an allen anderen Instituten in den NS-Jahren ernannten und berufenen Personen. Es gibt zwei Ausnahmen: Wilmont Haacke, der 1942 in Prag den Dr. phil. habil. erwarb und anschließend die Lehrerlaubnis als Dozent und die Leitung des Freiburger Instituts erhielt. Er wurde nach kurzer journalistischer Tätigkeit und einer erneuten Assistentur (Münster) Hochschullehrer in Wilhelmshaven und durch Verlegung dieser Hochschule an die Universität Göttingen auch Ordinarius. Aus dem Umfeld der Zeitungswissenschaft kam Franz Ronneberger, der staatlich organisierte Verbandsarbeit in Wien betrieb und 1944 an der Hochschule für Welthandel habilitierte. Er schied für ein Jahrzehnt aus der Hochschultätigkeit aus und ging über eine neue Habilitation in einem klassischen Fach (Jura) über die PH Bielefeld (pädagogische Soziologie) auf ein Ordinariat für Publizistik und Politik in Erlangen-Nürnberg. Alle anderen Dozenten haben einen anderen Beruf angestrebt, resp. ausgeübt (u. a. Dr. Gerhard Baumann, Dr. habil. Gerhard Eckert, Dr. habil. Franz Hermann Kluge, Prof. Dr. Karl Kurth, Dr. habil. Ernst Herbert Lehmann, Dr. habil. Heinrich Tötter, Dr. Kurt Wagenführ, Dr. habil. Kurt Walz, Dr. Hans-Ludwig Zankl). Auch ehemalige Professoren haben notgedrungen aufgegeben, obwohl sie sich mit Kollegen anderer Fächer zur Erreichung einer erneuten Hochschulposition in einer „pressure group“ zusammengeschlossen hatten (Prof. Dr. Josef März, Prof. Dr. Hans Amandus Münster). Prof. Dr. Franz Alfred Six hatte nach rechtskräftiger Verurteilung durch alliierte Gerichte keine Chance, wieder als Hochschullehrer tätig zu werden. Ob Dr. Theodor Lüddecke den Krieg überlebt hat, war bislang nicht zu klären. Karl Viererbl starb noch 1945. Honorarprof. Dr. Hans Schmidt-Leonhardt verübte vor Kriegsende Selbstmord.
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Wieder andere, die als Seiteneinsteiger Chancen bei der Zeitungswissenschaft im „Dritten Reich“ gesehen hatten, sind wieder ganz zu ihrer Herkunftswissenschaft zurückgegangen (Prof. Dr. Ludwig Heyde, Sozialpolitik; ao. Prof. Dr. Will Hermans, Archivdienst). Dozent Dr. habil. Hubert Max starb an einer Kriegsverletzung 1945, Prof. Dr. Walther Heide starb in der Haft bei der russischen Besatzungsmacht, Honorarprof. Dr. August Hinderer starb ebenfalls 1945, Prof. Dr. Friedrichkarl Roedemeyer starb 1947, Prof. Dr. Martin Spahn starb auch im Verlauf des Jahres 1945. Welcher Tätigkeit die Institutsleiter Martin Schwaebe und Prof. Dr. Hans Hermann Adler weiter nachgingen, ist unbekannt. Prof. Dr. Joachim Kirchner arbeitete als Privatgelehrter weiter und legte noch zahlreiche, vor allem auch bibliographische Publikationen vor. Die weitere Tätigkeit von Prof. Dr. Alfred Peters, der im weiteren Sinne zum Umfeld des Faches Zeitungswissenschaft gehörte, ist unbekannt, allerdings stand er bereits kurz vor Erreichen der Altergrenze.
Wiedereinsetzung von den Nationalsozialisten entlassener und benachteiligter Hochschullehrer und Wissenschaftler Als von den Nationalsozialisten entlassen konnten Prof. Dr. Hans von Eckardt, Prof. Dr. Ernst Meier, Dr. Albert Wand und Prof. Dr. Alfred Weber reaktiviert werden. Dass der Nationalsozialismus mit zwölf Jahren eine mittlere Zeit andauerte, machte solche persönliche Wiedergutmachung überhaupt erst möglich. Unbestreitbar bleibt aber, dass, gemessen an der Lebenszeit eines Wissenschaftlers, zwölf Jahre auch eine sehr lange Zeit darstellen. Diese Jahre haben von jedem einzelnen Betroffenen ihren Tribut gefordert. Hier muss Dr. Otto Groth genannt werden, der Anfang der 30er Jahre eine realistische Chance gehabt hätte, ein Hochschulamt zu erreichen. 1928 wurde er von der Berliner Fakultät an die erste Stelle einer Berufungsliste gesetzt. Der Preußische Minister hat dann aber anders berufen. Dr. Leo Benario, Prof. Dr. Erich Everth, Prof. Dr. Max Fleischmann, Privatdozent Dr. Hans Traub (1901-1943) sind in der nationalsozialistischen Verfemung verstorben.
Wiederaufbau des Lehrkörpers unter Rückgriff auf Weimar Weil vier von sechs Institutsleitern (Berlin West, Heidelberg, München, Nürnberg) Ende der 40er Jahre bereits in den Weimarer Jahren amtiert hatten, war es eine der wichtigsten Aufgaben im Fach, wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden. Das war dringlich, denn alle Direktoren waren deutlich vor dem Ersten Weltkrieg geboren worden, etliche bereits im 19. Jahrhundert. In den 50er Jahren kam es aber nur zur Einleitung von zwei Habilitationsverfahren. In beiden Fällen handelte es sich um Kandidaten, die in der NS-Zeit promoviert worden waren. Beide verliefen negativ (in Berlin: Dr. Friedrich Medebach, 1912-1995; in München: Dr. Wilhelm Klutentreter, 1908-1986). Offenbar stellten die Fakultäten andere Ansprüche, als durch die fachliche Sozialisation seit den späten 30er Jahren eingelöst werden konnte. Vermutet werden darf auch, dass politisch ein deutlicher Strich gezogen werden sollte.
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Im Ergebnis deutet sich bereits das Dilemma bei den Neubesetzungen in den 60er Jahren an. Es fehlte eine ganze Generation, wie Winfried B. Lerg am Beispiel Hubert Max festgestellt hat. Es fehlten die, die in den 30er Jahren emigriert waren. Es fehlten die, die im Zweiten Weltkrieg geblieben waren. Die Fachvertreter, die auf den Nationalsozialismus gesetzt hatten, und das waren in dem politisch wichtigen Fach Zeitungswissenschaft fast alle, hatten sich selbst ausgeschlossen. Dazu kam, dass aus Nachbarfächern anders als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach 1945 kein Zutritt von Nachwuchskräften aus anderen Fächern zur Publizistik zu verzeichnen war. Die Soziologie und auch die Politikwissenschaft, soweit sie sich für Massenkommunikation interessierten, versuchten den Gegenstandsbereich ins eigene Fach zu integrieren. So ermunterte in Köln René König seinen Schüler Erwin K. Scheuch, Massenkommunikation zur Soziologie zu rechnen, und Ernst Fraenkel an der FU Berlin versuchte, Harry Pross für eine Wissenschaftliche Ratsstelle am Otto-Suhr-Institut in der Politikwissenschaft zu gewinnen.
Bedingungen für den Wiederaufbau der Disziplin Erst jetzt zeigte sich, wie unfruchtbar sich die von Heide eingeleitete Beschränkung der Zeitungswissenschaft auswirkte. Das Beharren auf der ausschließlich geisteswissenschaftlichen Prägung und die Isolierung von Fachentwicklungen im Ausland ließen die Publizistik verarmen. Konkret erfahren habe ich die verfahrene Situation als Student selbst. Lehrveranstaltungen in der Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaft waren immer wieder ertragreicher als die in der Publizistik. Die größeren Institute in Berlin, Heidelberg und München haben nicht mehr an die Bedeutung der Einrichtungen in der Weimarer Zeit anknüpfen können. Dem Münsteraner Institut ging es relativ gesehen besser. Hagemann setzte durch seine Auseinandersetzung mit der NS-Presselenkung und durch zahlreiche Dissertationen über die Medien im Nationalsozialismus deutliche Zeichen. Dennoch war es ein Ein-Mann-Institut und hatte deshalb eine begrenzte Bedeutung. Die Wiederverwendung von Hochschullehrern, die während der NS-Zeit in leitenden Positionen an der Hochschule verblieben waren, konnte in den Besatzungsjahren (bis 1949) nicht ohne die Zustimmung der Besatzungsverwaltungen erfolgen. Tiefergehende, auch inhaltliche Einflussnahmen, wie sie bei der von der amerikanischen Besatzungsmacht stark geförderten Politikwissenschaft oder der erneuerten Soziologie festgestellt werden können, gab es für die Publizistik nicht. So konnte sich der Sonderweg der Zeitungswissenschaft in den Westzonen, auch ohne Kontakt zu vergleichbaren Wissenschaften in den USA (Communications, Speech Communication, Mass Communication) erhalten. Die sowjetische Besatzungsmacht und nach 1949 die DDR, die zunächst mit Menz an die alten Traditionen angeknüpft hatten (Phase der antifaschistisch-demokratischen Neuordnung), hatten zwar von Anfang an eine Konzentration des Faches in Leipzig durchgesetzt. Daneben boten sie das Fach aber in der Leipziger Arbeiter- und Bauernfakultät zur Ausbildung von journalistischen Kadern an. Eine Reorganisation der in Journalistik umbenannten Disziplin nach sowjetischem Vorbild (Fakultät für Journalistik) erfolgte erst nach einem knappen Jahrzehnt. Ob die Besatzungsmacht oder die Volksbildungspolitik der DDR dafür ursächlich waren, bedarf weiterer Untersuchung.
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Es haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg zusätzlich andere Randbedingungen irreversibel verändert. Die Berufsverbände der Journalisten und Verleger gingen deutlich auf Distanz zu einer akademischen Fachausbildung. Die Journalisten wandten sich unüberhörbar gegen jedes Berechtigungswesen. Der Journalismus wurde als zugangsfrei postuliert. Da trafen sich die Interessen mit denen der Verlegerverbände. Darin kam die Abneigung gegen eine Zulassung zum Journalistenberuf im „Dritten Reich“ zum Tragen, bei der die Zeitungswissenschaft neben der Reichspresseschule (die während der Kriegszeit ausgesetzt war) eine Rolle spielte. Allerdings haben Journalisten- und Verlegerverbände bei der Fortund Weiterbildung von Journalisten, die von Briten und Amerikanern initiiert wurden, zusammengewirkt (Deutsche Journalistenschule, München; NWDR-Rundfunkschule, Hamburg u. a.). Die Verlegerverbände haben nach 1945 ihre Mäzenatenrolle, wie sie sie bei Instituten der Zeitungswissenschaft (Berlin, Heidelberg, Halle/S., Dortmund, auch Leipzig: Handelshochschule) ausgeübt haben, nicht wieder aufgenommen. Auch der Staat hat sich nach 1945 in den Westzonen und dann in der Bundesrepublik aus der direkten Förderung der wissenschaftlichen Institutionen, an den Hochschulen und deren Etats vorbei, zurückgezogen. Diese Förderung war finanzielle Basis beim „Deutschen Institut für Zeitungskunde“ (Berlin), seit dessen Gründung 1925, und wurde im „Dritten Reich“ mit Hilfe des „Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbands“ (Heide) als Verteilerstation auf alle Institute, wenn auch in unterschiedlicher Höhe, ausgedehnt. Der Drittmittelmarkt war mit der wiederentstandenen „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ in den 50er Jahren schmal. Die Zeitungsverlage haben für den redaktionellen Bereich einen geringen Forschungsbedarf erkannt. Wenn es für Verlagsfragen unabweisbar war, Experten hinzuzuziehen, wurde die Vergabe an Juristen oder Ökonomen vorgezogen. Staatliche Förderprogramme bspw. des Innenministeriums galten in den ersten Nachkriegsjahrzehnten eher den Gefahren audiovisueller Medien. Auf diesem Felde waren die Publizistikinstitute (mit Ausnahme von Münster) nicht gut aufgestellt und blieben infolgedessen unberücksichtigt. Die fehlende direkte staatliche Förderung der Publizistik war ein Beitrag zur Normalisierung des Faches und kann als Zugewinn an Wissenschaftsfreiheit verstanden werden. Der Weg von der Zeitungswissenschaft im Nationalsozialismus zur Publizistik und Journalistik nach dem Kriege war gebrochener, als es in den 50er Jahren erkennbar war und als ich es seinerzeit gesehen habe. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Für mich ist am wichtigsten, dass das Thema Zeitungswissenschaft und „Drittes Reich“ so gut wie keine Rolle in der akademischen Diskussion gespielt hat. Es war ganz offensichtlich tabuisiert. Weil das Wissen über das Verhalten der Hochschullehrer und damit den Weg der Disziplin nach 1933 gering war, gingen viele Urteile fehl. Auch meine vorwissenschaftlichen Einsichten waren wenn nicht ganz falsch, so doch viel zu undifferenziert. Wenn es zu kritischen Wortmeldungen kam, waren es Außenstehende, Journalisten, Fachwissenschaftler anderer Disziplinen, die Fragen stellten und Antworten verlangten. Die Wortmeldungen aus dem Fach mieden das Thema oder versuchten, zu verkleinern und zu beschwichtigen. Von Karl d’Ester sind Verteidigungsschriften bekannt, mit denen er um seinen Lehrstuhl kämpfte. Darin findet sich keine Selbstkritik. Das gilt auch für Emil Dovifats Darstellung der Fachgeschichte in Berlin. Hans Amandus Münster hat ein „Wissenschaftliches Testament“ hinterlassen, in dem er sein Eintreten für die empirischsoziologische Erforschung als Innovation reklamiert. Selbstkritik habe ich da nicht gefunden. Franz Ronneberger hat eine zweibändige Autobiographie hinterlassen, die erklärt und
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einsichtig macht. Auch hier fehlt jedes Wort der Entschuldigung für politisches und davon abhängig wissenschaftliches Verhalten. Das gleiche gilt für Wilmont Haacke und Joachim Kirchner. Hagemann hat seine Rolle im NS-Propagandaapparat nie aufgedeckt und sich eher als homo novus stilisiert. Es brauchte mehr als zwei Generationen und den Tod der allermeisten der beteiligten Personen, um Tiefenschärfe in das Urteil des Übergangs von der Zeitungswissenschaft zur Publizistik zu bringen. Nur wenn man die persönlichen und akademischen Konstellationen kennt, macht die inhaltliche Auseinandersetzung mit deren wissenschaftlicher Produktion wirklich Sinn. Dann lassen sich die gegenseitigen Polemiken der 30er und 40er Jahre zuordnen und Texte für den Tag von solchen trennen, die Bestand haben. Da die Personenund Institutionengeschichte der Zeitungswissenschaft vor und nach 1945 weitgehend ungeklärt war, unterblieb auch die Auseinandersetzung oder machte sich an zufälligen Sujets fest. Otto Groth hat in seiner Geschichte der deutschen Zeitungswissenschaft zur Konstruktion historischer Perspektiven Anregungen gegeben. Leider hat er das 20. Jahrhundert dabei eher durch Nichtachtung gestraft. Die inhaltliche Auseinandersetzung könnte zeigen, dass neben der normalen Zeitungswissenschaft im engen Verständnis von Walther Heide abweichende Auffassungen in der NS-Zeit durchaus weiter bestanden haben. Dovifat arbeitete einer zu entwickelnden Publizistik vor. Deutliches Zeichen war sein erfolgreicher Versuch, mit Wagenführ die Rundfunkkunde an die Berliner Hochschule zu bringen, und die Habilitation von Gerhard Eckert mit einem explizit rundfunkkundlichen Thema innerhalb der Zeitungswissenschaft. Roedemeyer erhielt 1940 ein Ordinariat für Rundfunkkunde in Freiburg. H. A. Münster förderte auch die Rundfunkkunde durch Wagenführ. Selbst wenn man diese Ansätze als eher medienkundliche Erweiterungen bezeichnen wollte, so kamen soziologische Aspekte aber in Wien durch Peters, in Hamburg unter dem Einfluss von Andreas Walter und in Kiel durch Ludwig Heyde im Fach zum Tragen. Der Hamburger Max Baumann wandte sich explizit in einer Schrift gegen die Verkürzungen der Zeitungswissenschaft durch den Heide-Adlatus Karl Kurth. Es macht den Eindruck, dass Heides Einfluss in den Kriegsjahren abnahm. Das müsste noch weiter untersucht werden.
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Wanderungen zwischen Theorie und Praxis Notizen zum kurvigen Weg von Horst Pöttker Rainer Geißler
1.
Lehrjahre: multidisziplinäres Studium in Hamburg, Zürich, Kiel und Basel – Dritte-Welt-Journalist in Freiburg
Es war im Jahr 1968, als ich Horst Pöttker in Soziologie-Seminaren an der Universität Kiel kennen lernte – und das war kein bloßer Zufall: Der 68er-Zeitgeist hatte uns beide zu Studenten der Soziologie gemacht – Horst Pöttker gehört sozusagen zu den „68er-Soziologen“. Seitdem habe ich seinen beruflichen Weg, mal mehr aus der Ferne, zeitweise aber auch aus großer Nähe, verfolgen können – über mehr als zwei Drittel der Jahre hinweg, die das aktuelle Jubiläum ausmachen. In diesen gut vier Jahrzehnten hat sich unsere ursprünglich sehr förmliche studentische Bekanntschaft – sie lief über das umständlich gestelzte „Sie“ der Vor-68er-Zeit – zunächst in angenehme wissenschaftliche Kollegialität und schließlich in persönliche Freundschaft verwandelt. Der berufliche Weg des Jubilars zu dem, was er heute ist, verlief keineswegs gradlinig nach dem Muster: zunächst Studium, dann Gesellenstück Promotion, dann Meisterstück Habilitation und schließlich Professur – und das Ganze in einem Fach. Im Gegenteil: Sein Weg zum heutigen Professor für Journalistik war ein sehr kurviger, verschlungener und vielspuriger Weg mit Theoriespuren aus verschiedenen Disziplinen – der Geschichte, Philologie, Soziologie und Kommunikationswissenschaft – in Kombination mit der Praxisspur als Journalist. Diese Vielspurigkeit war bereits in seiner Studienzeit angelegt. Horst Pöttker ist Hamburger und studierte zunächst an der Universität Hamburg das Fach Mathematik – so wie es seine Eltern getan hatten –, dazu Geschichte und deutsche Philologie. Bei seinem Wechsel an die Universität Zürich blieb er der Philologie treu, ersetzte aber Mathematik und Geschichte durch Soziologie. Man sieht: Der 68er-Wind hatte bis in die gemächliche Schweiz hineingeweht. Horst Pöttker kehrte dann zurück in den Norden nach Kiel, wo wir uns 1968 in den Seminaren von Paul Trappe zur Soziologie der Entwicklungsländer und zum soziologischen Klassiker Theodor Geiger erstmals begegnet sind. Ein Jahr später gehörte er zu einer Gruppe von vier Kieler Soziologiestudenten, die ihrem Lehrmeister Paul Trappe an die Universität Basel hinterherzogen. Allen vieren ist diese alte, inzwischen verschwundene akademische Tradition gut bekommen: Aus allen vieren sind Professoren geworden. Der Studienverlauf von Horst Pöttker macht einen wichtigen Grundzug seiner Persönlichkeit deutlich: Er ist ein ausgesprochen mobiler Mensch – geografisch und (beides hängt miteinander zusammen) geistig. Er studierte damals in Basel, wohnte und arbeitete aber in Freiburg. In Freiburg engagierte er sich vor allem für die „Dritte Welt“ – zunächst als freiberuflicher Journalist, später vier Jahre lang als angestellter Redakteur der Zeitschrift „Blätter des iz3w“. Dieses 68er-
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Engagement für die Befreiungsbewegungen in den Kolonialgesellschaften mündete in einen typischen „Pöttker-Konflikt“: Der an kritischer Öffentlichkeit interessierte Journalist wollte auch die Schattenseiten der Befreiungsbewegungen – zum Beispiel ihre Kriege gegeneinander – zum Gegenstand des öffentlichen Diskurses machen, aber die „Politiker“ im iz3w (informationszentrum dritte welt) waren dagegen an kritischen Debatten dieser Art nicht interessiert. Sie meinten, solche Diskussionen seien überflüssig und würden der guten Sache nur schaden. Diese Kollision zwischen journalistischem Ethos und politischer Pragmatik war einer der Gründe, warum Horst Pöttker seine Tätigkeit als Redakteur beim iz3w 1980 aufgab. Das Studium an der Universität Basel und die Arbeit an der Dissertation hatten in den 70er Jahren eher den Charakter einer Nebentätigkeit. 1978 schloss er sein Studium direkt mit der Promotion im Fach Soziologie ab. Die Dissertation trägt den Titel „Zum demokratischen Niveau des Inhalts überregionaler westdeutscher Tageszeitungen“ – und sie hat drei Untertitel: „Wissenschaftstheorie und Methodologie – Normative Demokratietheorie – Quantitative Inhaltsanalyse“. Ich halte sie für eine der methodologisch reflektiertesten sowie theoretisch und methodisch innovativsten Inhaltsanalysen, die ich je gelesen habe. Sie zeichnet sich durch zwei Qualitätsmerkmale aus, auf die ich etwas näher eingehe, weil sie auch für die weitere wissenschaftliche Arbeit von Horst Pöttker bis in die heutige Zeit hinein charakteristisch sind. Denn bei der Arbeit an seiner Dissertation wurde das methodologische Fundament gelegt, auf dem er heute noch als Wissenschaftler steht. Erstes Charakteristikum: Horst Pöttker betreibt Wissenschaft in gesellschaftskritischer und aufklärerischer Absicht. Die Widmung, die er seiner Dissertation voranstellt, macht dieses Bemühen deutlich. Dort heißt es: „Zur Erinnerung an meinen Großonkel Ernst Schneller, der am 11. Okt. 1944 im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet wurde. Ich hoffe, diese Untersuchung trägt ein wenig dazu bei, dass Faschismus oder ähnliche Ideologien sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht durchsetzen werden.“ Er selbst nennt seinen Ansatz „normativ-kritisch“. Dieser ist eine persönliche methodologische Konsequenz, die Horst Pöttker aus unseren Basler Debatten über den Positivismusstreit der 60er Jahre gezogen hatte. Spürbar ist aber auch der Einfluss Theodor Geigers, mit dem er sich sehr gründlich auseinandergesetzt hatte und den er heute „als eine Art wissenschaftlichen Großvater“ betrachtet – so seine Formulierung. Horst Pöttker zieht noch eine weitere Konsequenz aus dem Positivismusstreit und aus der Soziologie Geigers – und damit komme ich zu dem zweiten Qualitätsmerkmal: Er arbeitet nicht nur normativ-kritisch, sondern auch theoretisch-empirisch. Dadurch setzt er sich sehr dezidiert von der „Ideologenfraktion“ der 68er ab, die sich der großen, totalen Gesellschaftstheorie verschrieben hatte. Sein gesellschaftspolitisches Engagement wird durch nüchterne theoretische Reflexion und empirische Überprüfung wissenschaftlich gezügelt. Sein methodologisches Credo ist der Kritische Rationalismus. Auch hier hat der kritische Empirist Geiger mit Pate gestanden. Ergebnis seiner langjährigen Recherchen und Überlegungen ist ein Buch von 1023 Seiten, und jede dieser Seiten ist anregend und lesenswert. Aber es gibt vermutlich nur wenige (darunter seine Mutter), die sie alle gelesen haben. Die Schwäche des Buches ist sein Stehvermögen – es fällt einfach nicht um. „Bücher müssen umfallen“ – dieser Pöttker’sche Aphorismus ist offensichtlich die kluge Moral aus der Geschichte seiner Dissertation, die man durchaus beherzigen kann.
Wanderungen zwischen Theorie und Praxis
2.
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Wanderjahre: vom Soziologen über den „medium“-Alleinredakteur zum Journalistikwissenschaftler im Dreieck Siegen – Frankfurt – Leipzig (1982-1996)
Nach seinem Ausscheiden als Redakteur des iz3w widmet sich Horst Pöttker wieder stärker dem Wissenschafts- und Hochschulbetrieb. Er übernimmt Lehraufträge an der Universität Freiburg und an der Bundeswehr-Universität Hamburg, und ich war dann sehr froh, als ich ihn 1982 als Wissenschaftlichen Mitarbeiter für meinen Siegener Soziologie-Lehrstuhl gewinnen konnte. In den drei Siegener Jahren haben wir u. a. die Übersetzungen, zum Teil auch die Publikationen wichtiger Arbeiten von Theodor Geiger organisiert, die dieser als NS-Verfolgter in seinem dänischen Exil in dänischer Sprache verfasst hatte und die daher in Deutschland so gut wie nicht bekannt waren. Dazu gehörten die erste grundlegende Darstellung der Soziologie in skandinavischer Sprache, die voluminöse „Sociologi. Grundrids og Problemer“ (1939), sowie das spannende Buch „Kritik af Reklamen“ (1943). Wenn man heute Analysen zur Werbung liest, denkt man manchmal mit Wehmut an diese vor 65 Jahren in Århus geschriebene Kritik der Reklame zurück. Da der Weg in die Hochschullaufbahn seinerzeit ähnlich nebulös war, wie er heute ist, hat Horst Pöttker die Frist seiner Mitarbeiterstelle nicht voll ausgeschöpft – was ich bedauert, aber durchaus verstanden habe. 1985 nahm er ein verlockendes Angebot zurück in die journalistische Praxis an: Er wurde Alleinredakteur von „medium“, der Medienfachzeitschrift der Evangelischen Kirche, und prägte der Zeitschrift schnell seinen Stempel auf: Er schuf das Konzept der Themenhefte und widmete diese gesellschaftspolitisch relevanten Problemen. So befassten sich zum Beispiel zwei Hefte mit den Massenmedien im Nationalsozialismus. Häufig waren die Themen gegen den Mainstream gerichtet – wie 1986 das Heft über Massenmedien in der DDR, das einige Beiratsmitglieder damals als „abseitig“ einstuften und nicht ahnten, dass daraus noch im nächsten Jahrhundert zitiert würde. Oder das Heft über die berühmt-berüchtigte Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger. Die öffentliche Deutung der Rede als antisemitisch, die Jenninger sein Amt kostete, wurde von Horst Pöttker zu Recht als katastrophales Missverständnis entlarvt. Den Kontakt zur Wissenschaft ließ er in diesen zehn Redakteursjahren nie abreißen. Er führte weiterhin Lehraufträge in Siegen, zeitweise auch in Freiburg, durch und machte sich durch zahlreiche Publikationen in der Scientific Community der Kommunikationswissenschaftler bekannt. 1992 übernahm er für drei Jahre eine Gastprofessur für Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig mit dem Schwerpunkt Ethik des journalistischen Handelns. Dort wirkte er später auch am Neuaufbau der Studiengänge für Journalistik mit. Und 1995 übernahm er auch noch die Vertretung der Professur für Journalistik an der Universität Dortmund. Zum Glück ermöglichten es ihm die schnellen ICEs, dass er beim Herumrasen im Dreieck zwischen Dortmund, Leipzig und Frankfurt, wo er weiterhin die Hauptverantwortung für „medium“ hatte, wenigstens am Wochenende noch einen Kurzbesuch bei seiner Familie in Bad Homburg abstatten konnte. 1996 erwarb er an der Universität Siegen die Venia Legendi für das Fach Soziologie mit dem Schwerpunkt Soziologie der Kommunikation und der öffentlichen Meinung – eine außergewöhnliche Leistung, der ich u. a. aus folgendem Grund hohen Respekt zolle: Es lassen sich drei Typen von Habilitanden unterscheiden: die bezahlten Vollzeithabilitanden mit einem Stipendium – sie haben es am leichtesten; etwas schwerer haben es die bezahlten Teilzeithabilitanden auf einer Qualifikationsstelle; mit großem Abstand am schwersten
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haben es die unbezahlten Freizeithabilitanden. Diese sind von ihrem Beruf gefordert, haben nur wenig direkten Kontakt zum universitären Forschungsbetrieb und müssen ihre Abende, ihre Wochenenden, ihren Urlaub und zahllose Nächte für ihre wissenschaftliche Arbeit nutzen. Dieses Schicksal war Horst Pöttker beschieden, und er hat es – am Schluss, wie geschildert, als im Dreieck rasender Gastprofessor und Lehrstuhlvertreter – mit Bravour gemeistert. „Es war eine ziemlich einsame Arbeit, für die Alltagserfahrungen wichtiger waren als wissenschaftlicher Austausch“ – so seine Einschätzung im Rückblick. Die Habilitationsschrift wurde im angesehenen Verlag Mohr Siebeck publiziert und trägt den Titel „Entfremdung und Illusion. Soziales Handeln in der Moderne“. Bereits die Wortwahl deutet auf den aufklärerischen Impetus der Analyse hin – wieder ein Erbe Theodor Geigers und der 68er-Zeit. Sie geht den anspruchsvollen Fragen nach, warum sich die modernen Menschen unnötigerweise von den komplexen Institutionen und Bürokratien fremdbestimmen lassen, welche Rolle die Bewusstseinsindustrien in diesem Entfremdungsprozess spielen und welche Möglichkeiten zum Abbau von Fremdbestimmung zur Verfügung stehen. Die Antwort lautet vereinfacht und komprimiert: Zivilcourage. So heißt es im letzten Satz der Arbeit: „Das letzte Argument dieses Buches soll deshalb die Aufforderung an jede Leserin und jeden Leser sein, sich nicht nur gegenüber der staatlichen Obrigkeit, sondern auch im Umgang mit Verwaltungsapparaten von Kaufhäusern, Universitäten, Rundfunkanstalten, Reiseunternehmen, Krankenhäusern usw. um Zivilcourage zu bemühen.“ Das theoretische Fundament der Analyse bilden die Handlungstheorie Max Webers und die Normtheorien von Theodor Geiger und Heinrich Popitz, die Horst Pöttker einfallsreich weiterentwickelt und zur Makroanalyse der modernen Gesellschaft einsetzt. Zu seinem Umgang mit den Klassikern benutzt er die anschauliche Metapher Mertons: Wissenschaft wird dann vorangetrieben, wenn man sich auf die Schultern von Riesen stellt. Insbesondere Max Weber und Theodor Geiger sind seine Riesen, auf deren Schultern er damals stand und bis heute noch teilweise steht. Aber er weist gleichzeitig auch darauf hin, dass wissenschaftlicher Fortschritt auch noch von etwas anderem lebt: Es ist erforderlich, „nicht nur auf den Schultern der Riesen zu stehen, sondern ihnen auch noch auf der Nase zu tanzen“. Zum Tanz auf der Nase sucht sich Horst Pöttker andere aus wie zum Beispiel Adorno, Habermas, Luhmann, Interaktionisten, Konstruktivisten oder Kulturpessimisten. 1996 ist nicht nur das Jahr seiner Habilitation, es bringt ihm auch den endgültigen professionellen Durchbruch als Kommunikationswissenschaftler. Er hat die freie Auswahl, ob er eine Professur in Lüneburg, Leipzig oder in Dortmund annehmen soll, und entscheidet sich für Dortmund.
3.
Meisterjahre: Theorie, Praxis und Geschichte des Journalismus – die Zeit in Dortmund (seit 1996)
Seine Entscheidung für die Nachfolge von Kurt Koszyk in Dortmund war eine glückliche Wahl. Die Widmung seiner Professur „Theorie und Praxis des Journalismus“ hat es ihm möglich gemacht, seine transdisziplinären wissenschaftlichen Kenntnisse und seine langjährigen Berufserfahrungen als Journalist symbiotisch miteinander zu verbinden. Wissenschaft und Praxis stehen bei ihm in hautengem Kontakt: Journalistik ist eine Wissenschaft,
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die nach seinen Worten den Beruf des Journalisten so begleitet wie die Medizin den Beruf des Arztes oder die Pädagogik den Beruf des Lehrers. Dabei sind ihm dogmatische Fixierungen auf bestimmte Ansätze oder Methoden zuwider. Sein Verständnis von Wissenschaft ist pluralistisch-integrativ; zu antagonistischen Frontstellungen wie qualitative vs. quantitative Methoden, literatur- oder kulturwissenschaftliche Medienwissenschaft vs. sozialwissenschaftliche Kommunikationswissenschaft oder modische Globalisierungstheorie vs. den so genannten angeblich obsoleten „methodischen Nationalismus“ geht er auf Distanz, er hält sie für unfruchtbar. Dennoch setzt er in Forschung und Lehre bestimmte Akzente: Er versteht sich nicht als Medienwissenschaftler, sondern als Journalismuswissenschaftler. Nicht die Medien, sondern das Handeln der Journalisten, insbesondere ihre ethischen Prinzipien und ihre Qualitätsstandards für das Herstellen von Öffentlichkeit, stehen im Zentrum seiner Arbeit. Dazu kommt das fortbestehende Interesse an der historischen Dimension sowie an den sozialen Verflechtungen des Journalismus. Drei Hauptstränge seiner beeindruckend breiten Palette von Themen spiegeln diese Interessen wider: Den ersten Hauptstrang bilden die historischen und dogmengeschichtlichen Studien zur Geschichte des Journalismus und der Kommunikationswissenschaft. So stellt er zum Beispiel in seinem Buch „Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaft über Journalismus und Medien“ (2001) Texte von Karl Marx, Émile Durkheim, Ferdinand Tönnies, Albert Schäffle, Karl Bücher, Robert E. Park und Theodor Geiger zusammen und arbeitet dabei heraus, welche zeitübergreifenden Anregungen zur professionellen journalistischen Arbeit und zur Analyse von Öffentlichkeit darin zu entdecken sind. Demselben Thema sind zahlreiche Aufsätze über die Literaten Daniel Defoe, Heinrich Heine und Alexander Puschkin sowie den Sozialwissenschaftler Paul F. Lazarsfeld gewidmet. Es ist kein historistischer oder gar musealer Blick zurück, sondern ein gegenwartsbezogener: Geschichte wird als „Experimentierfeld“ für journalistisches Handeln angesehen. Heutige Journalisten sollen an historischen Beispielen lernen, welche Möglichkeiten und Hindernisse auftauchen können bei dem Versuch, ihren gesellschaftlichen Auftrag zum Herstellen von Öffentlichkeit professionell umzusetzen. Breiten Raum widmet Horst Pöttker – so wie er es bereits als „medium“-Redakteur begonnen hatte – der nationalsozialistischen Vergangenheit – dem Journalismus unter dem NS-Regime, den Verhaltensweisen der Bevölkerung gegenüber dem Nationalsozialismus, der NS-Vergangenheit in der deutschen Öffentlichkeit nach 1945 und nicht zuletzt dem Verhalten der Kommunikationswissenschaftler in der NS-Zeit und ihrem späteren Umgang mit diesem Verhalten. Die gesammelten Aufsätze zu diesen Themen wurden als Buch „Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus“ (2005) veröffentlicht. Viel Staub aufgewirbelt hat seine Analyse mit dem griffig-provokanten Titel „Mitgemacht, weitergemacht, zugemacht. Zum NS-Erbe der Kommunikationswissenschaft in Deutschland“. Sollte es jemanden unter den deutschen Kommunikationswissenschaftlern gegeben haben, der den Namen Pöttker 2001 noch nicht kannte – seitdem kennt ihn ein jeder und eine jede. Im „Aviso“, dem offiziellen Publikationsorgan der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, prangerte Horst Pöttker die unzureichende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit an: „Das Fach blickt seiner Vergangenheit nicht offen ins Auge, nach wie vor gibt es eine Tendenz zum Schweigen und Schönen.“ Diesen Vorwurf belegt er mit den Biografien prominenter Persönlichkeiten wie
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zum Beispiel Emil Dovifat und Elisabeth Noelle-Neumann. Die ersten sehr aufgeregten Reaktionen – oder besser Gegenreaktionen – machten auf ironische Weise deutlich, wie recht er damit hatte. Inzwischen ist die „Pöttker-Debatte“ – wie sie bald genannt wurde – in eine sachliche Auseinandersetzung um die Bewältigung der NS-Vergangenheit der Kommunikationswissenschaft eingemündet, die auch nach Österreich und in die Schweiz ausgestrahlt und Forschungen stimuliert hat. Der zweite Hauptstrang sind die zahlreichen direkt an der journalistischen Praxis orientierten Arbeiten zur Berufsethik und den Qualitätsmaßstäben des Journalismus. Hier fließen zwei sozial- und kommunikationswissenschaftliche Grundeinsichten zusammen: Eine funktionierende Öffentlichkeit ist von grundlegender Bedeutung für die Lebensfähigkeit einer modernen Gesellschaft, und die Journalisten haben die wichtige Aufgabe, Öffentlichkeit unter Beachtung von professionellem Ethos und professioneller Qualität herzustellen. Horst Pöttker variiert diese Probleme in vielen Facetten. Einige Stichworte dazu lauten: Aufklärung, Verantwortung, Zivilcourage, Kommunikationsfreiheit, Diskriminierungsverbote, professionelle Trennungsgrundsätze, Folgentransparenz, Diskurs-Ethik, Medienselbstkontrolle (dazu hat er zusammen mit anderen das „Handbuch Medienselbstkontrolle“ herausgegeben), Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag, Öffentlichkeit durch Wissenschaft, Öffentlichkeit als Sisyphusarbeit, Ausdifferenzierung von Öffentlichkeit, neuerdings auch Wandel der Öffentlichkeit durch das Internet. Aus seinen analytischen Einsichten zieht er mehrere praktische Konsequenzen: So bemüht er sich um einen höheren Stellenwert der Berufsethik in der Journalistenausbildung, um die Berufsmoral der Journalisten zu verbessern und dadurch auch den Zustand der Öffentlichkeit. Er ist Mitbegründer und Vorsitzender des „Vereins zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle“ und arbeitet auch sehr aktiv – seit 2002 als Geschäftsführer – in der „Initiative Nachrichtenaufklärung“ mit, die Peter Ludes nach amerikanischem Vorbild ins Leben gerufen hat. Sie ermittelt jährlich die Top 10 der „key invisibles“, der zehn am meisten vernachlässigten Themen in den deutschen Massenmedien. Die Erfolge und Probleme dieser Initiative sind in dem mit Christiane Schulzki-Haddouti herausgegebenen Buch „Vergessen? Verschwiegen? Verdrängt? 10 Jahre ‚Initiative Nachrichtenaufklärung‘“ (2007) dokumentiert. Sozialwissenschaftlich akzentuierte Studien bilden den dritten Hauptstrang. Im Zentrum stand dabei in den letzten sieben Jahren unser gemeinsames transdisziplinäres kommunikationswissenschaftlich-soziologisches Projekt „Mediale Integration von ethnischen Minderheiten in Deutschland, den USA und Kanada“ im Rahmen des Siegener DFG-Sonderforschungsbereichs/Forschungskollegs „Medienumbrüche“. In den fünf dazu erschienenen Büchern, die Horst Pöttker und ich herausgegeben und zusammen mit unserem Team verfasst haben, wird die Rolle der Massenmedien bei der Integration von Migranten in den drei Ländern vergleichend untersucht und danach gefragt, ob das moderne Einwanderungsland Deutschland von den beiden klassischen Einwanderungsländern in Nordamerika etwas lernen kann. Als wir das Konzept zu diesem Projekt im Jahr 2001 entwickelten, war diese Problematik in Deutschland völlig unterbelichtet und kein Gegenstand des wissenschaftlichen oder öffentlichen Diskurses. Diese Situation hat sich allerdings in den letzten Jahren mit dem späten Bekenntnis der politischen Eliten zum „Einwanderungsland Deutschland“ grundlegend geändert. Die in unserem Team „erfundenen“ Begriffe „mediale Integration“ und „Ethnomedien“ sowie das Konzept des „dualen Mediensystems“, in dem Mainstreammedien und Ethnomedien miteinander konkurrieren, haben Karriere gemacht und 2007 Eingang in den ersten „Nationalen Integrationsplan“ gefunden. Harald Bader, Cornelia
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Mohr, Dr. Daniel Müller und Anne Weibert aus Dortmund sowie Kristina Enders, Verena Reuter und Dr. Sonja Weber-Menges aus Siegen waren die Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Projektteam. Horst Pöttker hat die Projektarbeit insbesondere durch sein Wissen über die Theorien gesellschaftlicher Integration bei soziologischen Klassikern, seine empirischen Analysen zu den problematischen Diskriminierungsverboten und durch seine Kenntnisse über die US-amerikanischen Verhältnisse bereichert sowie durch seine exemplarischen historischen Studien zur medialen (Nicht-)Integration der Ruhrpolen um die Wende zum 20. Jahrhundert. Es macht ausgesprochenen Spaß, Horst Pöttker zu lesen – nicht nur wegen der interessanten Themen und seiner Gelehrsamkeit (ich benutze diesen Ausdruck mit Bedacht), sondern auch wegen seiner klaren und griffigen Sprache. Er beherrscht die Kunst, abstrakte und komplizierte Sachverhalte anschaulich, einfach, auf Wesentliches reduziert und häufig auch amüsant darzustellen. Die journalistischen Berufserfahrungen und vermutlich auch die sprachlich prägnanten Geiger-Texte haben offensichtlich ihre Spuren hinterlassen. Beeindruckend sind Horst Pöttkers Aktivitäten im politisch erwünschten Prozess der Internationalisierung der deutschen Universitätslandschaft. Er hat in den letzten Jahren ein Kooperationsnetz in alle vier Himmelsrichtungen geknüpft: x
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In den Westen zur Universität Iowa: An der dortigen School of Journalism and Mass Communication war er 2001/2002 als Gastprofessor tätig. Mit Kenneth Starck untersucht er Fragen der Presseselbststeuerung, der Pressekodizes und der ethnischen Diversität im Journalismus. In den Norden zur Universität Oslo: Zusammen mit Svennik Høyer hat er das Buch „Diffusion of the News Paradigm 1850-2000“ (2005) herausgegeben. In den Osten zu den russischen Universitäten Rostov und Stavropol: In Rostov war er in den letzten Jahren regelmäßig als Gastprofessor für das Freie Russisch-Deutsche Institut der Publizistik tätig, das dem dortigen Institut für Journalistik angegliedert ist. In Kooperation mit russischen Kollegen – zunächst unter der Leitung des früh verstorbenen Evgenij A. Kornilov, dann von Alla G. Bespalova – ist ein „Deutsch-russisches Wörterbuch der Journalistik“ in Arbeit. In den Süden zur Universität Wien: Auch dort hat er am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Gastprofessuren wahrgenommen. Gemeinsam mit Wolfgang R. Langenbucher und Petra Herczeg befasste er sich in mehreren Lehrveranstaltungen unter anderem mit der Bedeutung des Judentums für die Entwicklung des modernen Journalismus. Und schließlich in den Südosten: In Slowenien gehört er zu den Stammreferenten auf Tagungen in Piran, zudem ist er Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der slowenischen kommunikationswissenschaftlichen Zeitschrift „Javnost/The Public“.
Horst Pöttker ist nicht nur ein begeisterter Wissenschaftler, sondern auch ein engagierter Hochschullehrer. Ich habe ihn in Siegen über viele Jahre als Mitarbeiter und als Lehrbeauftragten in der Lehre beobachten können und gesehen, dass es ihm gelingt, die Studierenden anzusprechen und sein eigenes Interesse an den Problemen „rüberzubringen“. Als Lehrbeauftragter hatte er in Siegen stets eine treue Klientel, so etwas wie eine studentische „Pöttker-Gemeinde“. Unter den angehenden Journalisten in Dortmund ist bekannt, dass er sich
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viel Zeit für eine geduldige, ausführliche Beratung beim Studium, bei Haus- und Diplomarbeiten nimmt. Bei der Journalistenausbildung kommt es ihm zusätzlich zugute, dass er das spätere Berufsfeld seines studentischen Publikums aus langjährigen eigenen Erfahrungen bestens kennt. Praxisnähe durch praktische Übungen ist ihm ein großes Anliegen. Die Methoden der gründlichen Recherche, die sich an den Standards Richtigkeit und Vollständigkeit orientiert, werden zum Beispiel in Lehrveranstaltungen zur „Initiative Nachrichtenaufklärung“ gelernt, in denen es darum geht, reale Probleme und ihre (Nicht-)Berücksichtigung in den Medien genau zu untersuchen. Direkt nach dem Antritt seiner Professur in Dortmund hat er das „Journalistik Journal“ ins Leben gerufen, um ein Forum für den fachlichen Austausch zwischen Journalistikwissenschaft und praktischem Journalismus zu schaffen – aber auch, um angehenden Journalisten eine Möglichkeit zu bieten, ihre publizistischen Talente bereits im Studium zu erproben. Seit 2006 wird das „Journalistik Journal“ durch das OnlineMagazin „Medien Monitor“ ergänzt. Es trägt der zunehmenden Digitalisierung der Öffentlichkeit Rechnung und gibt den Studierenden die Chance, erste Erfahrungen in den Bereichen Online- und Medienjournalismus zu sammeln. Herausgeber beider Medien ist Horst Pöttker selbst, und zu den Aufgaben seiner Mitarbeiter gehört die Verantwortung für die Redaktion. Seit einigen Jahren liegt sie in der Hand von Tobias Eberwein. Das „Journalistik Journal“ ist im Übrigen mehrfunktional angelegt. Es ist gleichzeitig Ausbildungsangebot und journalistische Fachzeitschrift mit Themenheften. Das Heft über „Massenmedien und Migration“ stieß beim nordrhein-westfälischen Integrationsminister Armin Laschet auf sehr positive Resonanz. Seit dem Beginn seiner Dortmunder Zeit – lange vor dem Einsetzen des heutigen Drittmittelfetischismus – hat Horst Pöttker sich intensiv um Forschungsförderung bemüht. Besonders hervorgehoben werden muss – neben der DFG – die „Stiftung Pressehaus NRZ“ der „Neuen Rhein/Neuen Ruhr Zeitung“ in Essen. Mit der Stiftung – zunächst noch mit dem inzwischen verstorbenen Altverleger der NRZ, Dietrich Oppenberg, dann mit Heinrich Meyer – verbindet den Jubilar seit 1996 eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Neben der „Stilistik für Journalisten“ (2000), mit der die Kooperation begann, hat die Stiftung zahlreiche weitere Journalistik-Projekte gefördert, vor allem über lange Jahre das Rezensionswesen im Bereich der Kommunikationswissenschaft: Über fast ein Jahrzehnt fungierte Horst Pöttker als verantwortlicher Redakteur des Buchbesprechungsteils der „Publizistik“; seit 2009 gibt er – gemeinsam mit Kollegen des Bochumer Instituts für Medienwissenschaft und des Essener Instituts für Kommunikationswissenschaft – unter dem Dach der Universitätsallianz Metropole Ruhr (UAMR) die Online-Rezensionszeitschrift „r:k:m – Rezensionen:Kommunikation:Medien“ heraus. In den letzten Jahren hat sich Horst Pöttker auch zunehmend in der Dortmunder Hochschulpolitik engagiert. Als Prodekan für Haushalt und Organisation und seit 2008 als Dekan der Fakultät Kulturwissenschaften hat er sich mit den kniffligen Budgetproblemen bei der Umstellung auf den Globalhaushalt zu befassen und mit der Einrichtung neuer Studiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses. Zu seinem Herzensanliegen wurde allerdings ein anderes, ein spezifisches Dortmunder Problem. Die Dortmunder Hochschule schärft seit einigen Jahren ihr Profil als Technische Universität, und es galt und gilt zu verhindern, dass diese Profilierung allzu sehr auf Kosten der Geistes- und Sozialwissenschaften erfolgt. Einem historisch interessierten und arbeitenden Wissenschaftler musste es in der Seele weh tun, wenn das Institut für Geschichte und die damit verbundene Forschungsstelle Ostmitteleuro-
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pa (FOME) abgeschafft werden sollten. Seinen jahrelangen zähen Kampf für den Erhalt der Geschichte, der ihm im Gerangel der gegensätzlichen Interessen nicht nur Freunde bescherte und den er schon so gut wie verloren glaubte, bestand er schließlich doch noch mit Teilerfolgen: Die begonnene Abwicklung des Fachs Geschichte wurde zum großen Teil rückgängig gemacht, und auch die umfangreiche Bibliothek der Forschungsstelle konnte für Dortmund gerettet werden, wo sie in die Universitätsbibliothek integriert wird. Weitere Aktivitäten der FOME übernimmt ein von Horst Pöttker mit begründeter „Verein zur Förderung der Ostmitteleuropa-Forschung“ unter Vorsitz des langjährigen FOME-Leiters Johannes Hoffmann. Der intensive Einsatz in der Selbstverwaltung signalisiert seine ausgeprägte Verbundenheit mit der Universität Dortmund. Da diese Festschrift ein akademischer Brauch ist und kein Familienereignis, habe ich den Jubilar auf seinem Weg im Berufsleben vorgestellt, aber ich möchte wenigstens noch einige wenige Worte zum Menschen Horst Pöttker sagen. Ich habe ihn zu Beginn bewusst als „Hamburger“ bezeichnet und nicht als „Hanseaten“. „Hanseat“ hätte falsche Assoziationen geweckt. Sein Habitus und sein Lebensstil sind unprätentiös, eher bescheiden. Ein Hanseat würde nicht auf die Idee verfallen, im Jahr 2010 einen geerbten Audi 80, Baujahr 1984, zu fahren. Hierarchien und vornehme Distinktion – um in der Sprache von Pierre Bourdieu zu bleiben – sind nicht seine soziale Welt. In seiner kontaktfreudigen Art praktiziert er einen offenen, lockeren, fairen Umgang unter Peers. Bei ihm geht es aber auch nicht kumpelhaft zu wie bei manchen 68ern, sondern es ist ein Miteinander im gegenseitigen Respekt. Für die Anliegen seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat er stets ein sehr geduldiges und offenes Ohr. Vertrauen und Loyalität sind in seinem Team keine Fremdworte. Ich kenne ihn als einen freundlichen und verbindlichen Gesprächspartner, der sich allerdings auch nicht scheut, Unbequemes klar und deutlich beim Namen zu nennen und sich hartnäckig ein- und durchzusetzen bei Dingen, die er als richtig und wichtig erkannt hat. Zivilcourage verlangt er nicht nur von anderen, sondern auch von sich selbst. Wenn diese Festschrift dem Jubilar in einer akademischen Feier überreicht wird, ist dieser weiterhin voll im Dienst. Als „Alter 68er“ ist er inzwischen dem „Club der Neuen 68er“ beigetreten, die von der Option Gebrauch machen, ihre Lebensarbeitszeit freiwillig um drei Jahre zu verlängern. An intellektuellem und physischem Schwung dazu fehlt es ihm nicht – ad multos annos!
Schriftenverzeichnis (Personalbibliographie) Horst Pöttker Daniel Müller
Das folgende Schriftenverzeichnis ist nicht auf Vollständigkeit angelegt, von der notwendigen Unabgeschlossenheit – denn Horst Pöttker publiziert ja fleißig weiter – ganz abgesehen. Die Kriterien, nach denen Titel aufgenommen wurden, sind dabei formaler wie inhaltlicher Natur. Grundsätzlich berücksichtigt wurden – verfasste wie herausgegebene – Bücher und namentlich oder mindestens mit Kürzel – hpö – (allein oder als Ko-Autor) gezeichnete Aufsätze in wissenschaftlichen oder Fachzeitschriften; auch Interviews, sofern Horst Pöttker als Interviewer in der Autorenzeile genannt wird. Dagegen wurden nicht aufgenommen Selbstauskünfte z. B. in Interviews, aber auch Beiträge mit multiplen Urhebern: etwa Dokumentationen von Podiumsdiskussionen (z. B. in den Bänden zu den Tagungen in Siegen 2004 und Dortmund 2007), Brief-/E-Mail-Wechseln (etwa in Sachen „Pöttker-Debatte“ 2001) oder auch Rückläufen auf Rundfragen (etwa in Aviso Nr. 5 vom Mai 1992). Ein weiteres Kriterium war die Verbreitung bzw. Erreichbarkeit von Beiträgen. So wurden Manuskriptdrucke ohne ISBN-/ISSN-Nummer oder anderweitige Lieferbarkeit auch bei vereinzelten Nachweisen in Bibliothekskatalogen nicht aufgenommen, so etwa die von Horst Pöttker mit Rainer Geißler herausgegebene deutsche Ausgabe von Theodor Geigers Klassiker „Kritik af reklamen“ von 1943 (Kritik der Reklame, Siegen 1986). Dasselbe gilt auch z. B. für Imagebroschüren, gedruckte Anträge auf Forschungsförderung oder Konferenzdrucksachen (natürlich nicht für Tagungsbände), aber auch z. B. für die von Horst Pöttker verfassten Ausgaben des „Lokalredaktionsdienstes“ (April 1997, Mai 1998). Damit sind wir im Bereich der Redaktion von Periodika. Horst Pöttker ist lange Jahre, oft als Allein- oder verantwortlicher Redakteur, für Zeitschriften tätig gewesen. So ist sein Name verbunden mit den „Blättern des iz3w“, mit „medium“, schließlich mit dem „Journalistik Journal“ und mit dem Rezensionsteil der „Publizistik“. Hier wie auch anderswo hat der Jubilar zahlreiche kleinere mehr okkasionelle Beiträge und Miszellen veröffentlicht, z. B. in „medium“ 1986-96 und im „Journalistik Journal“ von 1998 bis heute fast in jedem Heft ein Editorial geliefert, manchmal auch z. B. Kommentare oder Tagungsberichte. Dass ihm außerdem Buchbesprechungen besonders am Herzen liegen, ist weithin bekannt. Bei diesen kleineren Formen, aber auch bei im engeren Sinne journalistischen Texten, wurde versucht, alles zu erfassen, das – und sei es auch in der kompakten Form eines Lexikon- oder Handbucheintrags – nachvollziehbar zum Verständnis von Horst Pöttkers Positionen zu „Journalismus und Öffentlichkeit“ beiträgt. Thematische Sammelbesprechungen bzw. Bereichsrezensionen – aber auch programmatische Editorials – sind so aufgenommen, auch Berichte von der Berlinale; Editorials ohne eigenen Titel dagegen ebenso wenig wie Einzelrezensionen oder journalistische Arbeiten mit z. B. lokalhistorischen Bezügen. Hervorhebungen durch Kursiv- oder Versaliendruck in manchen Originalüberschriften wurden, der Einheitlichkeit des Druckbildes halber, stillschweigend aufgehoben, dabei z. T. – wo der Sinn es nahelegte – durch Anführungszeichen ersetzt. Die Angaben zu besproche-
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nen Werken in Rezensionen wurden vereinheitlichend gekürzt. Nachdrucke sind nicht gesondert aufgeführt, sondern in eckigen Klammern nach den Erstausgaben genannt. Für mitgeteilte Korrekturen und Nachträge ist der Bearbeiter dankbar.
1.
Bücher 1980
Zum demokratischen Niveau des Inhalts überregionaler westdeutscher Tageszeitungen. Wissenschaftstheorie und Methodologie – Normative Demokratietheorie – Quantitative Inhaltsanalyse. Hannover. 1997 Entfremdung und Illusion. Soziales Handeln in der Moderne. Tübingen. (herausgegeben mit Arnulf Kutsch) Kommunikationswissenschaft – autobiographisch. Zur Entwicklung einer Wissenschaft in Deutschland (= Publizistik Sonderheft 1). Opladen. 1999 (herausgegeben mit Walter Hömberg und Arnulf Kutsch) Koszyk, Kurt: Publizistik und politisches Engagement. Lebensbilder publizistischer Persönlichkeiten. Münster. 2000 (mit Josef Kurz, Daniel Müller und Joachim Pötschke) Stilistik für Journalisten. Wiesbaden [unveränd. Nachdruck 2002]. 2001 (herausgegeben) Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Unter Mitwirkung von Volker Uphoff. Konstanz. 2004 (herausgegeben mit Thomas Meyer) Kritische Empirie. Lebenschancen in den Sozialwissenschaften. Festschrift für Rainer Geißler. Wiesbaden. 2005 Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln. (edited with Svennik Høyer) Diffusion of the news paradigm 1850-2000. Göteborg. (herausgegeben mit Achim Baum, Wolfgang R. Langenbucher und Christian Schicha) Handbuch Medienselbstkontrolle. Wiesbaden. (herausgegeben mit Rainer Geißler) Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss – Forschungsstand – Bibliographie. Bielefeld. 2006 (herausgegeben mit Rainer Geißler) Integration durch Massenmedien/Mass media-integration. Medien und Migration im internationalen Vergleich/Media and migration: a comparative perspective. Bielefeld. 2007 (herausgegeben mit Christiane Schulzki-Haddouti) Vergessen? Verschwiegen? Verdrängt? 10 Jahre „Initiative Nachrichtenaufklärung“. Unter Mitarbeit von Tobias Eberwein. Wiesbaden.
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2009 (edited with Rainer Geißler) Media – migration – integration: European and North American perspectives. Bielefeld. (herausgegeben mit Rainer Geißler) Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Bd. 2. Forschungsbefunde. Bielefeld. (herausgegeben mit Wolfgang Duchkowitsch, Fritz Hausjell und Bernd Semrad) Journalistische Persönlichkeit. Fall und Aufstieg eines Phänomens. Köln.
2.
Beiträge in Büchern und Zeitschriften 1971
Beiträge der anarchistischen Literatur zu einer Theorie der sozialen Basisprozesse. In: SSIP-Mitteilungen, H. 28/29, S. 2-21. 1972 (als hpö) China und die deutsche Presse. In: blätter des iz3w, H. 13/14, S. 2-14. (als hpö) Das südrhodesische Regime im Spiegel der westdeutschen Presse. In: blätter des iz3w, H. 19, S. 12-16. (als hpö) Kritische Gedanken anläßlich von „Tribunal 1982“ (ZDF-Fernsehserie zur Dritten Welt). In: blätter des iz3w, H. 20, S. 28-38. 1974 (als hpö) Rechtsprechung in der BRD am Beispiel des Siemens-Prozesses. In: blätter des iz3w, H. 32/33, S. 12-27. (als hpö) Von Freischärlern zu Freigelassenen. In: blätter des iz3w, H. 39, S. 44-47. 1975 Zum demokratischen Niveau des Inhalts überregionaler westdeutscher Tageszeitungen. Ein Leitfaden. In: SSIPBulletin, H. 42, S. 152-164. (als hpö) Die Lage in Angola und ihre Darstellung in der deutschen Presse. In: blätter des iz3w, H. 50, S. 35-41. 1977 (als hpö) Märchenhaft und gruselig. Die Dritte Welt in der Regenbogenpresse am Beispiel „Die Bunte“. In: blätter des iz3w, H. 61, S. 29-36 [Nachdruck auch in: spontan, H. 12/1977, S. 37-44]. 1980 (als hpö) Iran. Bani-Sadr gegen die Rechtsklerikalen. In: blätter des iz3w, H. 84, S. 9-12. (als hpö) Iran-Irak. Stellvertreterkrieg oder die Kehrseite des Nationalismus? Der jüngste Konflikt in der Dritten Welt und die Aufgaben der Solidaritätsbewegung. In: blätter des iz3w, H. 89, S. 50-58. 1981 Kriege in der Dritten Welt. Zur Auseinandersetzung zwischen Iran und Irak. In: Frankfurter Hefte, 36. Jg., H. 12, S. 31-38. Lokalpresse und demokratische Kultur. Zum Beispiel die Berichterstattung der „Badischen Zeitung“ über Hausbesetzungen in Freiburg. In: medium, 11. Jg., H. 6, S. 5-10 [Nachdruck auch in: die feder, H. 10/1981, S. 3437]. Rüstung und Pressefreiheit. Das Ossietzky-Urteil, 50 Jahre danach. In: medium, 11. Jg., H. 11, S. 11-12. (als hpö) Für eine demokratische Bildungsarbeit. Zu den Unterrichtsmaterialien der GEB. In: blätter des iz3w, H. 92, S. 39-42. (als hpö) Iran. Der Krieg bedroht die Versorgung. In: blätter des iz3w, H. 92, S. 12-19.
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520 1982
(als hpö) Blinde Flecken in unserem politischen Weltbild. Zur Kritik der westdeutschen Solidaritätsbewegung. In: blätter des iz3w, H. 101, S. 24-33. (als hpö) Internationalismusarbeit. Wo steht die Solidaritätsbewegung heute? Ein Treffen in Frankfurt. In: blätter des iz3w, H. 100, S. 52-53. 1983 Bokanga, B. E.: Communication policies in Zaire. Mwaura, P.: Communication policies in Kenya. Ugboajah, F. O.: Communication policies in Nigeria [Sammelbesprechung]. In: Publizistik, 28. Jg., S. 302-303. (mit Roland Nestler, Uwe Paßmann und Thomas Rhenisch) Was vom Privatfunk zu erwarten ist. Zur Lokalberichterstattung eines potentiellen Anbieters: z. B. die „Badische Zeitung“. In: medium, 13. Jg., H. 4, S. 1117. 1984 Eigensinn oder Wahrheit? Bemerkungen zur Alternativbewegung und ihrem Lernen aus Geschichte anläßlich einer Tagung in Loccum. In: Frankfurter Hefte, 39. Jg., H. 3, S. 31-44. Was erwartet der Leser von der Zeitung? In: Dirks, Walter (Hrsg.): Überlegungen zum Selbstverständnis journalistischer Arbeit. München, Zürich, S. 32-45 [Nachdruck in Auszügen als „Daß sie Versprengtes zusammenfügen. Was die Leser von Zeitungen erwarten dürfen“ auch in: multimedia, H. 6/1987, S. 3]. 1985 Das Fernsehen und die Krise der Parteien. Inhaltsanalysen als Beiträge zur politischen Soziologie. In: Publizistik, 30. Jg., S. 330-345. 1986 Geschichte erfahren in Solidarität mit der Dritten Welt. Einige skeptische Thesen. In: Geschichtsdidaktik, 11. Jg., H. 1, S. 33-35. In eigener Sache. medium als Vierteljahreszeitschrift. In: medium, 16. Jg., H. 1, S. 3. Kultur im Rundfunk – früher, jetzt, in Zukunft. Einführung. In: medium, 16. Jg., H. 4, S. 17-18. Lokaler Rundfunk in der Bundesrepublik. Einführung. In: medium, 16. Jg., H. 3, S. 33-34. Massenmedien in der DDR. Einführung. In: medium, 16. Jg., H. 2, S. 17-18. Neue Informations- und Kommunikationstechniken. Zur Studie der EKD. Einführung. In: medium, 16. Jg., H. 1, S. 25-26. „…normale Lebensweise und normale Ernährung“. Tschernobyl in den Schlagzeilen der deutschsprachigen Tagespresse. In: medium, 16. Jg., H. 3, S. 26-32. Zur Vierteljahreszeitschrift medium ab 1986. In: Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.): Fachzeitschriften zur Publizistik und Kommunikation. Bestandsaufnahme und exemplarische Porträts. Remagen-Rolandseck, S. 114-115. Zynismus – der ständige Begleiter. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Nr. 35 v. 31.8.1986, S. 16. 1987 Das Publikum und seine Rezeptionsweisen. Einführung. In: medium, 17. Jg., H. 3, S. 21-22. Gutgläubigkeit. Zum Objektivitäts-Image des Mediums Fernsehen. In: medium, 17. Jg., H. 3, S. 55-60. Identitätssuche. Das Venezuela-Panorama im „Forum“ der Berliner Filmfestspiele 1987. In: medien praktisch, H. 2, S. 55-57. Ist die Medienpädagogik am Ende? Einführung. In: medium, 17. Jg., H. 1, S. 25-26. Journalismus – Alltag, Beruf, Ausbildung. Einführung. In: medium, 17. Jg., H. 4, S. 15-16. Massenmedien in der Dritten Welt. Einführung. In: medium, 17. Jg., H. 2, S. 19-20. „The Journey“. Ein Filmereignis gegen Rüstung, Armut und Desinformation. In: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 34. Jg., S. 840-844. Vielfalt als Vorwand. Zur Öffnung des Rundfunks für private Programmanbieter. In: Die Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte, 34. Jg., S. 15-25.
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Vielleicht ein Dilemma. Stichworte zur Journalistenausbildung an Hochschulen. In: medium, 17. Jg., H. 4, S. 5152. (als hpö) Zu diesem Heft. Stichworte zur Journalistenausbildung an Hochschulen. In: medium, 17. Jg., H. 4, S. 3. (mit Rainer Geißler) Anmerkungen zu Theodor Geigers „Kritik der Reklame“. In: Soziale Welt, 38. Jg., S. 493497. (mit Rainer Geißler) Theodor Geigers Geschichte der Werbung. In: Publizistik, 32. Jg., S. 320-337. (mit Viktor van Gemmeren und Andrea Schuler) Fernsehnachrichten und Bundestagswahl 1980. Zur weiteren Klärung der Steuerungsthese. In: Communications, 13. Jg., H. 3, S. 31-45. 1988 Augenkitzel im roten Kornfeld. Kino in China: Ein Goldener Bär in Berlin, US-Kommerz und Besseres. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Nr. 10 v. 6.3.1988, S. 22. Die Gesellschaften der Bundesrepublik Deutschland und der DDR im Spiegel der Statistik [Sammelbesprechung]. In: Das Parlament, Nr. 35 v. 26.8.1988, S. 23. Gewalt und Alltag. Filme aus der Ersten und Dritten Welt im Vergleich. In: medien praktisch, H. 3, S. 12-15. „Ihr Bild, mein Führer“. Das Medium Fernsehen als Propagandamittel. In: medium, 18. Jg., H. 3, S. 61-65. In eigener Sache. Zwei Jahre „medium“ als Vierteljahreszeitschrift. In: medium, 18. Jg., H. 1, S. 3-4. Legitimitätsdefizite und Fernsehen in der Bundesrepublik Deutschland. Das Medium als Instanz der politischen Sozialisation. In: Publizistik, 33. Jg., S. 505-519. Neue Medien – Chancen und Gefahren für das Publikum. In: Fuckerieder, Josef/Böhmer, Gerd/Müller, Gitty/ Stößel, Ulrich (Hrsg.): Neue Technologien – Neue Gesellschaft? Gewerkschaftliche Überlegungen und Antworten. Freiburg im Breisgau, S. 213-228. Programme – Formen, Entwicklungen, Kritik. Einführung. In: medium, 18. Jg., H. 1, S. 25-26. Propaganda im Nationalsozialismus – Vorbereitung, Methoden, Nachklänge. Einführung. In: medium, 18. Jg., H. 3, S. 17-18. Publizistik unter Hitler: Lenkung, Anpassung, Widerstand, Opfer. Einführung. In: medium, 18. Jg., H. 2, S. 27-28. Sinnlose Vorleistungen. Freeden, H.: Die jüdische Presse im Dritten Reich. Geigges, M.: Die Deutsche BodenseeZeitung. Versuch einer katholischen Tageszeitung, im Dritten Reich zu überleben. Gillessen, G.: Auf verlorenem Posten. Die Frankfurter Zeitung im Dritten Reich. [Sammelbesprechung]. In: medium, 18. Jg., H. 2, S. 66-68. Werbung und Public Relations. Einführung. In: medium, 18. Jg., H. 4, S. 19-20. (mit Rolf Seubert) Glückseliger Dämmerzustand. Herbert Reinecker über „Junge Adler“ und seine Vergangenheit im Nationalsozialismus im Gespräch. In: medium, 18. Jg., H. 3, S. 37-42 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 71-82]. 1989 Belanglose Rituale. Was die Politikmüdigkeit mit dem Fernsehen zu tun haben könnte. In: Das Parlament, Nr. 5 v. 27.1.1989, S. 13. Europäische Kommunikations-Kultur. Einführung. In: medium, 19. Jg., H. 1, S. 17-18. Fieldtrips am Anfang. Bericht vom WACC-Weltkongreß in Manila. In: medium, 19. Jg., H. 4, S. 18-20. Gedenktage – Medien – Geschichtsbewußtsein. Einführung. In: medium, 19. Jg., H. 3, S. 19-20. Klassiker neu gelesen. Theodor Geiger: Die Masse und ihre Aktion/Die soziale Schichtung des deutschen Volkes/Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft [Besprechungsessay]. In: Soziologische Revue, 12. Jg., H. 3, S. 286-290. „Mit den Mitteln des Dokumentarischen“. Ulrich Gregor über „Forum“-Filme zur Nazi-Vergangenheit im Gespräch. In: medium, 19. Jg., H. 3, S. 60-64. Mut zur Nüchternheit. Was Philipp Jenninger am 10. November 1988 wirklich gesagt hat – und warum er gehen mußte. In: medium, 19. Jg., H. 3, S. 27-32 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 11-28]. Skandale und journalistische Ethik. Sechs Thesen zur Diskussion. In: medium, 19. Jg., H. 2, S. 17-20. Technologische Innovation – Kommunikation – Politische Kultur. In: Calließ, Jörg (Hrsg.): Technik – Wandel – Steuerung. Planen und Gestalten heute. Rehburg-Loccum, S. 194-211. Von Asien lernen. Zur Dritte-Welt-Reihe im „Forum“ 1989. In: medium, 19. Jg., H. 2, S. 65-67.
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Wozu brauchen wir Medien? Erwartungen an die Informationsvermittlung in der Gegenwartsgesellschaft. In: Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Medien zwischen Markt und Moral. Beiträge zur Medienethik [Bd. 1]. Stuttgart, Frankfurt am Main, S. 87-99. Zwischen internationalem Kommerz und verhaltener Sozialkritik. Filme aus der DDR auf der Berlinale 1989. In: Mitteldeutscher Kurier, Nr. 5/1989, S. 5. 1990 Das Kaninchen bin ich. DDR-Verbotsfilme im „Forum“. In: medium, 20. Jg., H. 1, S. 12-13. Fernsehen und Wahlen. Einführung. In: medium, 20. Jg., H. 3, S. 31-32. „Leni“ verzeihen? Am Ende der Nachkriegszeit eine Retrospektive auf ihren Anfang. In: medium, 20. Jg., H. 2, S. 12-17 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 32-46]. Öffentlichkeit in Ost- und Mitteleuropa. Einführung. In: medium, 20. Jg., H. 2, S. 23-24. Permanente Imagepflege. Was suchen die Politiker im Fernsehen – und was bewirken sie damit? In: medium, 20. Jg., H. 3, S. 39-44. Schilda am Main. Wie die Frankfurter ein Fernsehfestival scheitern lassen – und was daraus zu lernen ist. In: medium, 20. Jg., H. 4, S. 6-9. Umwelt- und Wissenschaftsjournalismus. Einführung. In: medium, 20. Jg., H. 1, S. 21-22. Verfall der Standards. Notizen zur westdeutschen Publizistik im Jahr der Wiedervereinigung. In: medium, 20. Jg., H. 4, S. 54-56. (mit Peter Hackmann) Medienereignis deutsche Einheit. Sechs Thesen zur Einführung. In: medium, 20. Jg., H. 4, S. 27-28. (mit Viktor van Gemmeren) Gesteuerte Kontrolle. Zur Zunahme der Umweltberichte in den Nachrichten von ARD und ZDF. In: medium, 20. Jg., H. 1, S. 39-41. (mit Viktor van Gemmeren) Linkslastigkeit. Zu einer offen gebliebenen These über das öffentlich-rechtliche Fernsehen. In: medium, 20. Jg., H. 3, S. 46-50. 1991 Berufsziel Medienmanager. Siegener Studiengang für Planung, Entwicklung, Beratung. In: Aviso, Nr. 4, S. 13. Die Kehrseite des TV-Voyeurismus [Kommentar]. In: medium, 21. Jg., H. 3, S. 5. Dualer Rundfunk und Politikverdrossenheit. Zur fortschreitenden Ausdifferenzierung von Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften. In: Müller-Doohm, Stefan/Neumann-Braun, Klaus (Hrsg.): Öffentlichkeit – Kultur – Massenkommunikation. Beiträge zur Medien- und Kommunikationssoziologie. Oldenburg, S. 91-107. Erinnerung an einen Querdenker. Symposien zum 100. Geburtstag Theodor Geigers. In: Aviso, Nr. 3, S. 9-10. Informelle Politiksteuerung. Zur Interaktion zwischen Politikern, Journalisten und Publikum. In: Rundfunk und Fernsehen, 39. Jg., S. 71-82. Kalter Krieg, heißer Krieg. Notizen über Feindbilder während der Berlinale. In: medium, 21. Jg., H. 1, S. 15-16. Medienbilder vom Süden. Anläßlich des Irak-Kriegs fünf Thesen zur Einführung. In: medium, 21. Jg., H. 1, S. 2122. Neue Unübersichtlichkeit. Der TV-Spielfilm in der Programmpresse und wie es weitergeht. In: medium, 21. Jg., H. 4 (Sonderheft „medium spezial“), S. 48-51. Publizistik von unten. Zwischen Authentizität und Professionalität. In: medium, 21. Jg., H. 2, S. 31-32. Verriegelte Zeit. Dokumentarfilme zur DDR-Geschichte im Berlinale-Forum. In: medium, 21. Jg., H. 3, S. 12-15. (als hpö) Zu diesem Heft. Diskurs-Politik. In: medium, 21. Jg., H. 2, S. 3. 1992 Grundton des Überredens. Warum mir die öffentlich-rechtlichen Programme nicht mehr gefallen. In: medium, 22. Jg., H. 1, S. 67-70. Jüdische Lebenswelten. Über die Renaissance eines Themas und eine Filmreihe des Berlinale-„Forums“. In: medium, 22. Jg., H. 4, S. 27-30 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 47-57]. Kommunikationsgeschichte als Geschichte der Kommunikationswissenschaft. Über eine folgenreiche Erinnerungslücke. Ein Beitrag zur Rundfrage „Neue Positionen zur Kommunikationsgeschichte“. In: medien & zeit, 7. Jg., H. 3, S. 14-17. Neugründung. Leipziger Hochschultage für Medien und Kommunikation 1991. In: medium, 22. Jg., H. 1, S. 4-6.
Schriftenverzeichnis (Personalbibliographie) Horst Pöttker
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Öffentlichkeitsarbeit und Publizistik. Trennungsgrundsatz trotz Konvergenz? In: medium, 22. Jg., H. 3, S. 27-28. Recherche. Was das Nachforschen so schwierig macht. In: medium, 22. Jg., H. 2, S. 31-32. Ressentiments gegen die Moderne. Hans Steinhoffs Propagandafilm „Ohm Krüger“ von 1942. In: Karpf, Ernst (Red.): Filmmythos Volk. Zur Produktion kollektiver Identität im Film. Frankfurt am Main, S. 88-102 [zugehörige Filmdaten S. 87]. Utopieverlust. Wenig Dritte-Welt-Filme auf der Berlinale ’92. In: medium, 22. Jg., H. 2, S. 15-16. Zwischenbilanz des dualen Rundfunks. Diagnosen und Therapien. In: medium, 22. Jg., H. 1, S. 25-26. (als hpö) Zu diesem Heft. 20 (zwanzig!) Jahre „medium“. In: medium, 22. Jg., H. 1, S. 3-4. (als hpö) Zu diesem Heft. Dokumentarfilm. In: medium, 22. Jg., H. 2, S. 4. (als hpö) Zu diesem Heft. Ereignishaftigkeit. In: medium, 22. Jg., H. 3, S. 3. (als hpö) Zu diesem Heft. Grenzüberschreitend. In: medium, 22. Jg., H. 4, S. 3. (mit Christine Kostrzewa) Absichtslos. Aus dem Wörterbuch des völkischen Medienschaffens. In: medium, 22. Jg., Sonderheft „medium spezial“, S. 32-34. 1993 Ferdinand Tönnies und die Schweigespirale. Zur Mutation einer Theorie über die öffentliche Meinung. In: Bentele, Günter/Rühl, Manfred (Hrsg.): Theorien öffentlicher Kommunikation. Problemfelder, Positionen, Perspektiven. München, S. 202-213. Kritische Empirie. Zur Aktualität Theodor Geigers für die Medienforschung. In: Fazis, Urs/Nett, Jachen C. (Hrsg.): Gesellschaftstheorie und Normentheorie. Symposium zum Gedenken an Theodor Geiger 9.11.189116.6.1952. Basel, S. 285-296. Leben vor dem Tod. Eine Tagung zur Leipziger Journalistik. In: medium, 23. Jg., H. 2, S. 50-51. Massenkommunikation bei Klassikern des soziologischen Denkens. In: Meulemann, Heiner/Elting-Camus, Agnes (Hrsg.): 26. Deutscher Soziologentag. Lebensverhältnisse und soziale Konflikte im neuen Europa. Sektionen, Arbeits- und Ad hoc-Gruppen. Opladen, S. 185-188. Politik als „special interest“. Sind Informationskanäle ein Problem? In: medium, 23. Jg., Sonderheft „medium spezial“, S. 44-46. (als hpö) Zu diesem Heft. Im Osten Neues. In: medium, 23. Jg., H. 2, S. 3. (als hpö) Zu diesem Heft. Journalismus in den 90er Jahren. In: medium, 23. Jg., H. 3, S. 3. (als hpö) Zu diesem Heft. Medien und Fremdenhaß. In: medium, 23. Jg., H. 4, S. 3. (als hpö) Zu diesem Heft. Nach zwei Jahren. In: medium, 23. Jg., H. 1, S. 3. (mit Rolf Seubert) „Die Schwelle der Gewaltbereitschaft ist niedriger geworden“. Ignatz Bubis über die zunehmende Gewalt und die Rolle des Fernsehens im Gespräch. In: medium, 23. Jg., H. 4, S. 27-31. 1994 „Die niederen Leidenschaften und das Gemeinschaftsleben der Nation“. Zur fortschreitenden Ausdifferenzierung von Öffentlichkeit durch dualen Rundfunk. In: Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Öffentlichkeit und Kommunikationskultur. Beiträge zur Medienethik. Bd. 2. Hamburg, Stuttgart, S. 95-112 [Nachdruck des Bandes in anderem Verlag, aber mit identischer Paginierung, Münster 2005]. Politik im Rundfunk – ein Faktor deutsch-deutscher Integration? In: Jarren, Otfried (Hrsg.): Politische Kommunikation in Hörfunk und Fernsehen. Elektronische Medien in der Bundesrepublik Deutschland (= Gegenwartskunde, Sonderheft 8). Opladen, S. 185-195. Subtile Kontinuität. Unterhaltungsfilme nach Drehbüchern von Herbert Reinecker 1943 bis 1992. In: Bosshart, Louis/Hoffmann-Riem, Wolfgang (Hrsg.): Medienlust und Mediennutz. Unterhaltung als öffentliche Kommunikation. München, S. 458-470 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 58-70]. Technikkritik als Gemeinschaftsideologie. Kritik zu Edeltraud Bülow: Der Wandel der Kommunikationsgemeinschaft durch die neuen Kommunikationstechniken. In: Ethik und Sozialwissenschaften, H. 4, S. 544-546. (als hpö) Zu diesem Heft. Erinnerung durch Film? In: medium, 24. Jg., H. 3, S. 3. (als hpö) Zu diesem Heft. Pressepolitik. In: medium, 24. Jg., H. 2, S. 3. (als hpö) Zu diesem Heft. Sechsmal im Jahr. In: medium, 24. Jg., H. 4, S. 3. (als hpö) Zu diesem Heft. Theodor Geiger. In: medium, 24. Jg., H. 1, S. 3.
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Aufklärung contra Zivilcourage. Warum gutgemeinter Journalismus die Gleichgültigkeit fördern kann. In: transparent, H. 1, S. 39-41. Erkenntnisinteressen – Öffentlichkeit – Modernität. Wissenssoziologische Konzepte bei Theodor Geiger und Jürgen Habermas. In: Bachmann, Siegfried (Hrsg.): Theodor Geiger. Soziologe in einer Zeit „zwischen Pathos und Nüchternheit“. Beiträge zu Leben und Werk. Berlin, S. 117-143. Fortschreibung alter Identitäten. Fremd- und Selbstbilder in der Presse des vereinten Deutschlands. In: Haller, Michael/Puder, Klaus/Schlevoigt, Jochen (Hrsg.): Presse Ost – Presse West. Journalismus im vereinten Deutschland. Berlin, S. 235-244. „Olympia bei den Känguruhs“: Auslandsberichterstattung als Beitrag zur Identitätsfindung in Ost- und Westdeutschland. In: Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft, 14. Jg., S. 103117. 1996 E-Musik und ihr Publikum. Frühe quantitative Untersuchungen von Paul F. Lazarsfeld und Theodor Geiger. In: Bontinck, Irmgard (Hrsg.): Wege zu einer Wiener Schule der Musiksoziologie. Konvergenz der Disziplinen und empiristische Tradition. Wien, Mülheim an der Ruhr, S. 103-117. Grenzen und Chancen der Forums-Publizistik im sich weiter differenzierenden Medienmarkt. In: Mast, Claudia (Hrsg.): Markt – Macht – Medien. Publizistik im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und ökonomischen Zielen. Konstanz, S. 249-259. Politikverdrossenheit und Medien. Daten und Reflexionen zu einem virulenten Problem. In: Jarren, Otfried/Schatz, Heribert/Weßler, Hartmut (Hrsg.): Medien und politischer Prozeß. Politische Öffentlichkeit und massenmediale Politikvermittlung im Wandel. Opladen, S. 59-71. Politische Sozialisation durch Massenmedien: Aufklärung, Manipulation und ungewollte Einflüsse. In: Claußen, Bernhard/Geißler, Rainer (Hrsg.): Die Politisierung des Menschen. Instanzen der politischen Sozialisation. Ein Handbuch. Opladen, S. 149-157. „Praxisnähe“ – was heißt das für die Journalistenausbildung an Hochschulen? In: Hömberg, Walter/Pürer, Heinz (Hrsg.): Medien-Transformation. Zehn Jahre dualer Rundfunk in Deutschland. Konstanz, S. 322-334. Prinzip Folgentransparenz. Über die Orientierungsaufgabe von Journalisten. In: Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Wahrheit als Medienqualität. Beiträge zur Medienethik. Bd. 3. Frankfurt am Main, S. 103-118 [Nachdruck des Bandes in anderem Verlag, aber mit identischer Paginierung, Münster 2005]. Werbefreiheit contra Überredungskommunikation. Thesen zu einer Überlebenschance des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In: medium, 26. Jg., H. 2, S. 9-10. (als hpö) Zu diesem Heft. Konzeptionsdebatte. In: medium, 26. Jg., H. 2, S. 3-4. 1997 Aktualität und Vergangenheit. Zur Qualität von Geschichtsjournalismus. In: Bentele, Günter/Haller, Michael (Hrsg.): Aktuelle Entstehung von Öffentlichkeit. Akteure – Strukturen – Veränderungen. Konstanz, S. 335346. Alemann, U. v./Loss, K./Vowe, G. (Hrsg.): Politik. Eine Einführung. Stöber, R.: Geschichte. Eine Einführung [Sammelbesprechung]. In: Publizistik, 42. Jg., S. 112-114. Begegnungen mit Alain Resnais’ Film „Nuit et brouillard“. In: Rosenstein, Doris/Kreutz, Anja (Hrsg.): Begegnungen. Facetten eines Jahrhunderts. Helmut Kreuzer zum 70. Geburtstag. Siegen, S. 121-124 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 83-86]. Handlungsfolgen durchschaubar machen. Journalistische Orientierung als Überblick über Möglichkeiten. In: medienethik forum, H. 1, S. 50-54. Kreation von Öffentlichkeit. Literatur im dritten Jahrtausend. In: Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft, 16. Jg., S. 269-275. Über das notwendig schlechte Image der Journalisten. In: Machill, Marcel (Hrsg.): Journalistische Kultur. Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich. Opladen, Wiesbaden, S. 81-94. Zwischen Kriegsberichterstattung und Friedensberichterstattung. Über Ethik und Journalismus. Anmerkungen und Anregungen. In: Calließ, Jörg (Hrsg.): „Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit“ oder Die Medien zwischen Kriegsberichterstattung und Friedensberichterstattung. Rehburg-Loccum, S. 303-314.
Schriftenverzeichnis (Personalbibliographie) Horst Pöttker
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(mit Arnulf Kutsch) Kommunikationswissenschaft – autobiographisch. Einleitung. In: Kutsch, Arnulf/Pöttker, Horst (Hrsg.): Kommunikationswissenschaft – autobiographisch. Zur Entwicklung einer Wissenschaft in Deutschland (= Publizistik Sonderheft 1). Opladen, S. 7-20. 1998 Empfehlung: Qualitätskontrolle. Erfahrungen eines etwas altmodischen Journalistik-Wissenschaftlers mit moderner Presse-Archivierung. In: Bohrmann, Hans/Ubbens, Wilbert (Hrsg.): Zeitungen verzeichnen und nutzen. Aktuelle Ansätze und Unternehmungen zur bibliographischen und archivalischen Beschreibung und Nutzung deutschsprachiger Zeitungen. Berlin, S. 15-20. Hitler zum Anfassen. Personalisierung von Politik am Beispiel des Rundfunkjournalismus im NS-Regime. In: Imhof, Kurt/Schulz, Peter (Hrsg.): Die Veröffentlichung des Privaten – Die Privatisierung des Öffentlichen. Opladen, Wiesbaden, S. 210-224 [Nachdruck als „Hitler zum Anfassen. Personalisierung von Politik im NSRegime und heute“ auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 102-118]. Journalismus unter Goebbels. Über die Kraft der Radioreportage. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 28. Jg., H. 111, S. 57-76. Öffentlichkeit durch Wissenschaft. Zum Programm der Journalistik. In: Publizistik, 43. Jg., S. 229-249. Strategische Kommunikation. Zur deutschen Reaktion auf Daniel J. Goldhagens „Hitler’s Willing Executioners“. In: Quandt, Siegfried/Gast, Wolfgang (Hrsg.): Deutschland im Dialog der Kulturen. Medien – Images – Verständigung. Konstanz, S. 235-247 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 87-101]. Tihkjuem. In: Journalistik Journal, 1. Jg., H. 2, S. 4. Über den Kirchturm hinaus. Günther Scherf über Qualitäten des Lokaljournalismus im Gespräch. In: Journalistik Journal, 1. Jg., H. 2, S. 13-15. Von Nutzen und Grenze der Medienfreiheit. Daniel Defoe und die Anfänge eines Ethos der Öffentlichkeitsberufe. In: Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Freiheit und Medien. Beiträge zur Medienethik. Bd. 4. Frankfurt am Main, S. 207-226 [Nachdruck des Bandes in anderem Verlag, aber mit identischer Paginierung, Münster 2005]. Warum eine Initiative Nachrichtenaufklärung? Eine Antwort aus dem Blickwinkel des journalistischen Berufsethos. In: Journalistik Journal, 1. Jg., H. 1, S. 44. 1999 Berufsethik für Journalisten? Professionelle Trennungsgrundsätze auf dem Prüfstand. In: Holderegger, Adrian (Hrsg.): Kommunikations- und Medienethik. Interdisziplinäre Perspektiven. Freiburg (Schweiz), Freiburg im Breisgau, Wien, S. 299-327 [Nachdruck in Auszügen auch in: Greis, Andreas/Hunold, Gerfried W./Koziol, Klaus (Hrsg.): Medienethik. Ein Arbeitsbuch. Tübingen, Basel 2003, S. 121-123]. In Form Gebrachtes ist erinnerbar. Vom ersten Institutstag der Journalistik. In: UniReport Forschungsberichte Universität Dortmund, Nr. 29, S. 6-8. Initiative Nachrichtenaufklärung: Zwölf Thesen über das öffentliche (Ver-)Schweigen. In: Ludes, Peter/Schanze, Helmut (Hrsg.): Medienwissenschaften und Medienwertung. Opladen, Wiesbaden, S. 161-169. Medienfreiheit oder Journalistenfreiheit? In: Journalistik Journal, 2. Jg., H. 2, S. 3. Medienkritik. Wieviel Blut verträgt der Fern-Seher? In: Journalistik Journal, 2. Jg., H. 2, S. 28-29. Nachrichtenaufklärung. In: Journalistik Journal, 2. Jg., H. 1, S. 3. Öffentlichkeit als Folgentransparenz. Über ein Regulierungsproblem der modernen Gesellschaft und das Lösungspotential des Journalismus. In: Imhof, Kurt/Jarren, Otfried/Blum, Roger (Hrsg.): Steuerungs- und Regelungsprobleme in der Informationsgesellschaft. Opladen, Wiesbaden, S. 232-246. Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Zum Verhältnis von Berufsethos und universaler Moral im Journalismus. In: Funiok, Rüdiger/Schmälzle, Udo F./Werth, Christoph H. (Hrsg.): Medienethik – die Frage der Verantwortung. Bonn, S. 215-232. Von der Verdaulichkeit der Vergangenheit. Geschichte in der Journalistenausbildung. In: Schäfer, Ulrich P./Schiller, Thomas/Schütte, Georg (Hrsg.): Journalismus in Theorie und Praxis: Beiträge zur universitären Journalistenausbildung. Festschrift für Kurt Koszyk. Konstanz, S. 17-28. Zwischen Politik und publizistischer Professionalität. Zum journalistischen Umgang mit der NS-Vergangenheit seit 1945. In: Wilke, Jürgen (Hrsg.): Massenmedien und Zeitgeschichte. Konstanz, S. 648-663 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 119-136].
Daniel Müller
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(Pettker, Chorst): Meždu politikoj i publicistiþeskim professionalizmom. (Ob obrašþenie žurnalistiki k teme nacistskogo prošlogo posle 1945 goda) [Zwischen Politik und publizistischer Professionalität. (Über das Verhalten der Journalistik gegenüber dem Thema der nazistischen Vergangenheit nach 1945)]. In: Filologiþeskij vestnik Rostovskogo gosudarstvennogo universiteta, No. 3, S. 62-68. (mit Walter Hömberg und Arnulf Kutsch) Publizistische Persönlichkeiten und politisches Engagement. Einleitung. In: Koszyk, Kurt: Publizistik und politisches Engagement. Lebensbilder publizistischer Persönlichkeiten. Münster, S. 9-14. 2000 Ethische und politische Aspekte des journalistischen Sprachgebrauchs. In: Kurz, Josef/Müller, Daniel/Pötschke, Joachim/Pöttker, Horst: Stilistik für Journalisten. Wiesbaden, S. 431-453. Heines Tagesberichte für die „Allgemeine Zeitung“. Ein Beitrag zu Geschichte und Bestimmung der Reportage. In: Jarren, Otfried/Kopper, Gerd G./Toepser-Ziegert, Gabriele (Hrsg.): Zeitung – Medium mit Vergangenheit und Zukunft. Eine Bestandsaufnahme. Festschrift aus Anlaß des 60. Geburtstages von Hans Bohrmann. München, S. 27-46. Journalismus, Journalistik, Soziologie [Besprechungsessay]. In: Soziologische Revue, 23. Jg., S. 444-456. Kompensation von Komplexität. Journalismustheorie als Begründung journalistischer Qualitätsmaßstäbe. In: Löffelholz, Martin (Hrsg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. Wiesbaden, S. 375-390. Sloterdijk, Assheuer, Brumlik. Was die Diskursethik in den deutschen Debatten zählt. In: Schicha, Christian/ Brosda, Carsten (Hrsg.): Medienethik für die Kommunikationsgesellschaft. Münster, S. 124-132 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 137-147]. Unvermeidliches Dilemma des Journalismus. In: Journalistik Journal, 3. Jg., H. 2, S. 2. Vorwort. In: Kurz, Josef/Müller, Daniel/Pötschke, Joachim/Pöttker, Horst: Stilistik für Journalisten. Wiesbaden, S. 7-9. Was ist den Medien die Recherche wert? In: Journalistik Journal, 3. Jg., H. 1, S. 2. Zur Bedeutung des Sprachgebrauchs im Journalistenberuf. In: Kurz, Josef/Müller, Daniel/Pötschke, Joachim/Pöttker, Horst: Stilistik für Journalisten. Wiesbaden, S. 11-30 [Abschnitt S. 26-30 gemeinsam mit Joachim Pötschke]. 2001 Albert Schäffle. Öffentlichkeit und öffentliche Meinung. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 111-113. Beschleunigung und Verlangsamung als Faktoren historischer Wahrnehmung. Die Publizistik der März-Revolution aus den Perspektiven von 1968 und 1998. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 31. Jg., H. 123, S. 32-46. Emile Durkheim. Arbeitsteilung, organische Solidarität und Öffentlichkeit. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 135-137. Ferdinand Tönnies. Aggregatzustände der öffentlichen Meinung. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 351-353. Karl Bücher. Die Herstellung von Öffentlichkeit als Gewerbe. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 161163. Karl Bücher. Die Presse als Propaganda-Instrument. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 217-219. Karl Marx. Die freie Presse als Vermittlerin. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 57-59. Karl Marx. Pressefreiheit und Zensur. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 35-37. Karl Marx/Friedrich Engels. Kritik als Aufgabe der Presse. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 87-89. Max Weber. Die Presse als Forschungsfeld. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 313-315.
Schriftenverzeichnis (Personalbibliographie) Horst Pöttker
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Max Weber. Journalismus als politischer Beruf. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 327-329. Mitgemacht, weitergemacht, zugemacht. Zum NS-Erbe der Kommunikationswissenschaft in Deutschland. In: Aviso, Nr. 28 = 1/2001, S. 4-7 [Nachdruck auch in: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 148-155]. Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Einleitung. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 9-31. Robert Ezra Park. Die Macht der Öffentlichkeit. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 297-299. Robert Ezra Park. Journalismus und soziale Integration. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 277-279. Robert Ezra Park. Masse oder Publikum? In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 253-255. Soziale Verantwortung im Journalismus. Der Deutsche Presserat als Beispiel für Institutionen außerrechtlicher Medienkontrolle in der Bundesrepublik Deutschland. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 3. Jg., H. 2, S. 6-11. Theodor Geiger. Journalismus als Wahrheitsberuf und kritische Instanz. In: Pöttker, Horst (Hrsg.): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Klassiker der Sozialwissenschaften über Journalismus und Medien. Konstanz, S. 413-415. Zwei kleine Wörter. In: Journalistik Journal, 4. Jg., H. 1, S. 2. (mit Rainer Geißler, Daniel Müller und Sonja Weber-Menges) Mediale Integration von ethnischen Minderheiten und Medienumbruch in Deutschland, den USA und Kanada. In: Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft, 20. Jg., S. 191-201. 2002 Becker, R. Z.: Versuch über die Aufklärung des Landmannes. Zerrenner, H. G.: Volksaufklärung. [Thon, J. A. C.:] Das räsonnirende Dorfkonvent. Greiling, J. C.: Theorie der Popularität [Sammelbesprechung]. In: Publizistik, 47. Jg., S. 245-247. Blinde Flecken. In: Journalistik Journal, 5. Jg., H. 2, S. 2. Die Irrfahrt der Aufklärung in Deutschland. In: Gansel, Carsten/Enslin, Anna-Pia (Hrsg.): Facetten der Informationsgesellschaft. Festschrift für Wolfgang Gast zum 60. Geburtstag. Berlin, S. 93-107. Die Welt von innen. In: Journalistik Journal, 5. Jg., H. 1, S. 2. Erich Everth (1927): Zeitungskunde und Universität. Antrittsvorlesung gehalten am 20. November 1926. Jena: Gustav Fischer. 29 Seiten. In: Holtz-Bacha, Christina/Kutsch, Arnulf (Hrsg.): Schlüsselwerke für die Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden, S. 135-138. Ferdinand Tönnies (1922): Kritik der Öffentlichen Meinung. Berlin: Julius Springer. XII, 583 Seiten. – Neuauflage: Aalen: Scienta Verlag 1981. XII, 583 Seiten. In: Holtz-Bacha, Christina/Kutsch, Arnulf (Hrsg.): Schlüsselwerke für die Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden, S. 426-428. Gerhard Maletzke (1963): Psychologie der Massenkommunikation. Theorie und Systematik. Hamburg: Hans-Bredow-Institut. 311 Seiten. – Neudr. 1972/78. 329 Seiten. In: Holtz-Bacha, Christina/Kutsch, Arnulf (Hrsg.): Schlüsselwerke für die Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden, S. 155-157. Integration durch Journalismus contra gesellschaftliche Pluralität? Emile Durkheim revisited. In: Imhof, Kurt/Jarren, Otfried/Blum, Roger (Hrsg.): Integration und Medien. Wiesbaden, S. 323-335. Konformität – Opportunismus – Opposition. Zur Typologie von Verhaltensweisen im NS-Regime und danach. In: medien & zeit, 17. Jg., H. 2-3, S. 4-11 [Nachdruck auch in: Duchkowitsch, Wolfgang/Hausjell, Fritz/Semrad, Bernd (Hrsg.): Die Spirale des Schweigens. Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft. Münster 2004, S. 41-53, sowie in Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 206-224]. Momente einer Debatte. Wie die deutsche Kommunikationswissenschaft sich heute vor ihrer Vergangenheit schützt. In: medien & zeit, 17. Jg., H. 2-3, S. 4-11 [Nachdruck auch in: Duchkowitsch, Wolfgang/Hausjell, Fritz/Semrad, Bernd (Hrsg.): Die Spirale des Schweigens. Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft. Münster 2004, S. 13-22, sowie in Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 192-205]. Normal und akzeptiert. Wissenschaftliche Journalistenausbildung in den USA. In: Journalistik Journal, 5. Jg., H. 1, S. 38-39.
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Öffentlichkeit – Aufklärung – Integration. Drei Schlüsselbegriffe gesellschaftlicher Kommunikation in historischer Perspektive. In: Eurich, Claus (Hrsg.): Gesellschaftstheorie und Mediensystem. Interdisziplinäre Zugänge zur Beziehung von Medien, Journalismus und Gesellschaft. Münster etc., S. 12-30. Peter Glotz, Wolfgang R. Langenbucher (1969): Der mißachtete Leser. Zur Kritik der deutschen Presse. Köln: Kiepenheuer & Witsch. 204 Seiten. – Neuauflage mit einem Vorwort der Autoren: München: Reinhard Fischer 1993. 217 Seiten. In: Holtz-Bacha, Christina/Kutsch, Arnulf (Hrsg.): Schlüsselwerke für die Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden, S. 155-157. Rainer Geißler (1973): Massenmedien, Basiskommunikation und Demokratie. Ansätze zu einer normativ-empirischen Theorie. Tübingen: J. C. B. Mohr. VII, 238 Seiten. In: Holtz-Bacha, Christina/Kutsch, Arnulf (Hrsg.): Schlüsselwerke für die Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden, S. 152-155. Theodor Geigers journalistisches Ethos. In: Jäggi, Victoria/Möder, Ueli/Windisch, Katja (Hrsg.): Entwicklung, Recht, Sozialer Wandel. Festschrift für Paul Trappe zum 70. Geburtstag. Bern etc., S. 515-523. Unterhaltsame Politikvermittlung. Was von der deutschen Volksaufklärung des 18. Jahrhunderts zu lernen ist. In: Schicha, Christian/Brosda, Carsten (Hrsg.): Politikvermittlung in Unterhaltungsformaten. Medieninszenierungen zwischen Popularität und Populismus. Münster, Hamburg, London, S. 61-72. Wann dürfen Journalisten Türken Türken nennen? Zu Aufgaben und Systematik der Berufsethik am Beispiel des Diskriminierungsverbots. In: Publizistik, 47. Jg., S. 265-279. 2003 Distanziertes Verhältnis? Journalismus und Krieg. In: Journalistik Journal, 6. Jg., H. 2, S. 2. Kommunikationsstörungen? Zur Systematik der sozialen Beziehung zwischen Politikern und Journalisten. In: Sarcinelli, Ulrich/Tenscher, Jens (Hrsg.): Machtdarstellung und Darstellungsmacht. Beiträge zu Theorie und Praxis moderner Politikvermittlung. Baden-Baden, S. 149-167. Konzept der Lehrveranstaltung „Berufsethik für Journalisten“. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 5. Jg., H. 1, S. 36-37. Nachrichten und ihre kommunikative Qualität. Die „Umgekehrte Pyramide“ – Ursprung und Durchsetzung eines journalistischen Standards. In: Publizistik, 48. Jg., S. 414-426. News and its communicative quality: the inverted pyramid – when and why did it appear? In: Journalism Studies, Vol. 4, No. 4, pp. 501-511. Schweine, Hunde. Politiker beschimpfen Journalisten – ein Grund zur Sorge um die Kommunikationsfreiheit? In: Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.): Die Kommunikationsfreiheit der Gesellschaft. Die demokratischen Funktionen eines Grundrechts (= Publizistik Sonderheft 4). Wiesbaden, S. 189-207. Zahnloser Tiger? Plädoyer für wirksame Selbstkontrolle des Journalismus im Dienste der Kommunikationsfreiheit. In: Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.): Die Kommunikationsfreiheit der Gesellschaft. Die demokratischen Funktionen eines Grundrechts (= Publizistik Sonderheft 4). Wiesbaden, S. 379-384. Zwischen den Welten. In: Journalistik Journal, 6. Jg., H. 1, S. 2. (with Kenneth Starck) Criss-crossing perspectives: contrasting models of press self-regulation in Germany and the United States. In: Journalism Studies, Vol. 4, No. 1, pp. 47-64. 2004 Arbeit – Lebenschance oder Entfremdungsgrund? Bemerkungen zu Karl Marx’ Theorie der gesellschaftlichen Transformation nach dem Scheitern des sozialistischen Experiments. In: Pöttker, Horst/Meyer, Thomas (Hrsg.): Kritische Empirie. Lebenschancen in den Sozialwissenschaften. Festschrift für Rainer Geißler. Wiesbaden, S. 249-266. Auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Selbstkontrolle. In: Journalistik Journal, 7. Jg., H. 2, S. 2. Der Jugend-Begriff und seine Folgen für Erfolgskonzepte von Jugendmedien. In: D’Inka, Werner/Bespalowa, Alla (Hrsg.): Jugend und Journalistik zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Probleme und Wechselwirkungen/Molodež’ i žurnalistika naþala 21 veka: problemy vzaimodejstvija. Sammlung wissenschaftlicher Beiträge/Sbornik nauþnych trudov. Rostov-na-Donu, S. 65-80 [Parallelabdruck in russ. Sprache (Pettker, Chorst): Ponjatie „molodež’“ i ego svjaz’ s koncepciej uspešnoj dejatel’nosti molodežnych SMI, S. 73-80]. Distanzierte Beobachtung: Professionelle Qualität oder Ideologie? Berufsethische und historische Thesen zum Kriegsjournalismus. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie, 6. Jg., H. 1, S. 6-10. Diversity: Medien und ethnische Minderheiten in den Vereinigten Staaten und Europa. In: Grünzweig, Walter (ed.): The United States in global contexts. American Studies after 9/11 and Iraq. Münster, p. 116. Informierter Personenkreis oder vorherrschende Auffassung? Lexikon: Die Begriffe „Öffentlichkeit“ und „Öffentliche Meinung“. In: Journalistik Journal, 7. Jg., H. 1, S. 29.
Schriftenverzeichnis (Personalbibliographie) Horst Pöttker
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Journalistik als Kulturwissenschaft? Episoden einer Annäherung. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 34. Jg., H. 133, S. 66-90. Maßstab: Balance von Eigensinn und Fremdverstehen. In: Imhof, Kurt/Blum, Roger/Bonfadelli, Heinz/Jarren, Otfried (Hrsg.): Mediengesellschaft. Strukturen, Merkmale, Entwicklungsdynamiken. Wiesbaden, S. 347362. Objectivity as (self-)censorship: against the dogmatisation of professional ethics in journalism. In: Javnost/The Public, Vol. 11, No. 2, pp. 83-94. Öffentlichkeit und soziale Selbstregulierung. Wie Modernität am Journalismus abzulesen ist. In: Baringhorst, Sigrid/Broer, Ingo (Hrsg.): Grenzgänge(r). Beiträge zur Politik, Kultur und Religion. Festschrift für Gerhard Hufnagel zum 65. Geburtstag. Siegen, S. 313-324. Verdrängt – heimlich fortgesetzt – instrumentalisiert. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der deutschen Öffentlichkeit seit 1945. In: Conrady, Peter (Hrsg.): Faschismus in Texten und Medien. Gestern – heute – morgen? Oberhausen, S. 155-177. Wieviel Objektivität können wir uns leisten? In: Journalistik Journal, 7. Jg., H. 1, S. 2. (mit Thomas Meyer) Rainer Geißler und das soziologische Konzept der Lebenschancen. Einleitung. In: Pöttker, Horst/Meyer, Thomas (Hrsg.): Kritische Empirie. Lebenschancen in den Sozialwissenschaften. Festschrift für Rainer Geißler. Wiesbaden, S. 9-13. 2005 400 Jahre Zeitung – 400 Jahre Journalismus? In: Journalistik Journal, 8. Jg., H. 1, S. 2. Bei einer Rede sollte man zuhören. Über einen Tabubruch und seine medialen Reflexe: Die Rede Philipp Jenningers zum 9. November 1938. In: Döring, Jörg/Knobloch, Clemens/Seubert, Rolf (Hrsg.): Antisemitismus in der Medienkommunikation. Frankfurt am Main, S. 15-25. Comments on the German tradition of news journalism. In: Høyer, Svennik/Pöttker, Horst (eds.): Diffusion of the news paradigm 1850-2000. Göteborg, pp. 139-145. „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ Der epd-Chefredakteur klärt die NS-Vergangenheit der evangelischen Publizistik auf. In: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln, S. 225-247. Der Deutsche Presserat und seine Kritiker. Playdoyer [sic] für eine transparente Selbstkontrolle des Journalismus. In: Baum, Achim/Langenbucher, Wolfgang R./Pöttker, Horst/Schicha, Christian (Hrsg.): Handbuch Medienselbstkontrolle. Wiesbaden, S. 125-131. Diskriminierungsverbote und Beschwerdepraxis des Deutschen Presserats – eine quantitative und qualitative Analyse. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss – Forschungsstand – Bibliographie. Bielefeld, S. 185-221. Ende des Millenniums – Ende des Journalismus? Wider die Dogmatisierung der professionellen Trennungsgrundsätze. In: Behmer, Markus/Blöbaum, Bernd/Scholl, Armin/Stöber, Rudolf (Hrsg.): Journalismus im Wandel. Analysedimensionen, Konzepte, Fallstudien. Wiesbaden, S. 123-141. Epilog. Warum dürfen die normalen Deutschen nicht „Hitlerjunge Quex“ anschauen oder „Mein Kampf“ lesen? In: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln, S. 248-250. Epilogue. Perspectives on the development of the news paradigm. The quest for autonomy. In: Høyer, Svennik/ Pöttker, Horst (eds.): Diffusion of the news paradigm 1850-2000. Göteborg, pp. 263-272. Gegen die Ideologie vom „Begabungsberuf“. Zehn Thesen zur Perspektive der Journalistik. In: Journalistik Journal, 8. Jg., H. 2, S. 10-11. Journalistenausbildung an Universitäten der USA. Prinzip Öffentlichkeit gewährleistet Akzeptanz. In: Journalistik Journal, 8. Jg., H. 2, S. 33. Journalistik als Motor des Berufs. In: Journalistik Journal, 8. Jg., H. 2, S. 2. Nachrichtenpyramide setzte sich um 1880 durch. Als die Zeitungsverleger das Publikum entdeckten. In: Journalistik Journal, 8. Jg., H. 1, S. 20-21. Nicht so hastig. Zeitliche Aktualität hat nichts mit Innovation zu tun. In: Aviso, Nr. 38, S. 9-10. Öffentlichkeit/Öffentliche Meinung. In: Weischenberg, Siegfried/Kleinsteuber, Hans J./Pörksen, Bernhard (Hrsg.): Handbuch Journalismus und Medien. Konstanz, S. 329-333. Publizistische Selbstkontrolle im Wandel. Über zivilgesellschaftliche Notwendigkeit und mediengesellschaftliche Irrwege. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik, 7. Jg., S. 40-48. Soziale Integration. Ein Schlüsselbegriff für die Forschung über Medien und ethnische Minderheiten. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss – Forschungsstand – Bibliographie. Bielefeld, S. 25-43.
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The news pyramid and its origin from the American journalism in the 19th century. A professional approach and an empirical inquiry. In: Høyer, Svennik/Pöttker, Horst (eds.): Diffusion of the news paradigm 1850-2000. Göteborg, pp. 51-64. Vorwort. In: Pöttker, Horst: Abgewehrte Vergangenheit. Beiträge zur deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus. Köln 2005, S. 7-10. Warum noch Geschichte? Ehrendoktor Hans Hafenbrack: der Festvortrag. In: epd medien, Nr. 58/2005 v. 27.7.2005, S. 6-12 [Nachdruck auch in: epd Dokumentation, Nr. 32/2005 v. 2.8.2005, S. 19-26]. What is journalism for? Professional ethics between philosophy and practice [Review essay]. In: Communications, Vol. 30, pp. 109-116. (mit Achim Baum, Wolfgang R. Langenbucher und Christian Schicha) Vorwort. In: dieselben (Hrsg.): Handbuch Medienselbstkontrolle. Wiesbaden, S. 13-15. (mit Rainer Geißler) Bilanz. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss – Forschungsstand – Bibliographie. Bielefeld, S. 391396. (mit Rainer Geißler) Einleitung. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss – Forschungsstand – Bibliographie. Bielefeld, S. 712. (with Svennik Høyer) Preface. In: Høyer, Svennik/Pöttker, Horst (eds.): Diffusion of the news paradigm 18502000. Göteborg, pp. 7-8. 2006 Blick über alte Grenzen. In: Aviso, Nr. 43, S. 3. Entkommen und erinnert. Edgar Sarton-Saretzki und Leo Bretholz. In: Buchmann, Ulrike/Huisinga, Richard/Kipp, Martin (Hrsg.): Lesebuch für Querdenker. Rolf Seubert zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main, S. 241-248. Erziehung zur Offenheit. Wie sich die journalistische Recherche von ihren Fesseln befreien lässt. In: D’Inka, Werner/Bespalowa, Alla (Hrsg.): Modernisierung der Journalistenausbildung/Modernizacija žurnalistskogo obrazovanija. Sammlung wissenschaftlicher Beiträge/Sbornik nauþnych trudov. Rostov-na-Donu, S. 163-171 [Parallelabdruck in russ. Sprache (Pettker, Chorst): Vospitanie iskrennosti. Kakim obrazom osvobodit’ žurnalistskoe rassledovanie ot ego okov, S. 172-181]. Journalismus als Politik. Eine explorative Analyse von NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit. In: Publizistik, 51. Jg., S. 168-182. Käuflichkeit als Problem der publizistischen Selbstkontrolle. Auftaktvortrag auf der Tagung des Vereins zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle e.V. in Düsseldorf. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik, 8. Jg., S. 107-111. Kritischer Rationalismus. In: Bentele, Günter/Brosius, Hans-Bernd/Jarren, Otfried (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden, S. 142-144. Öffentlichkeit. In: Bentele, Günter/Brosius, Hans-Bernd/Jarren, Otfried (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden, S. 205-206. Öffentlichkeit und Autokratie. Aleksandr Puškin und die Anfänge des modernen Journalismus in Russland. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 36. Jg., H. 142, S. 8-42. Publikationspflicht. In: Bentele, Günter/Brosius, Hans-Bernd/Jarren, Otfried (Hrsg.): Lexikon Kommunikationsund Medienwissenschaft. Wiesbaden, S. 232. Quadratur des Kreises. In: Journalistik Journal, 9. Jg., H. 2, S. 2. Special-Interest-Journalismus und seine Grenzen. In: Journalistik Journal, 9. Jg., H. 1, S. 2. Trennungsgrundsätze. In: Bentele, Günter/Brosius, Hans-Bernd/Jarren, Otfried (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden, S. 288-289. (mit Rainer Geißler) Mediale Integration von Migranten. Ein Problemaufriss. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Integration durch Massenmedien/Mass media-integration. Medien und Migration im internationalen Vergleich/Media and migration: a comparative perspective. Bielefeld, S. 13-44. (mit Rainer Geißler) Vorwort. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Integration durch Massenmedien/Mass media-integration. Medien und Migration im internationalen Vergleich/Media and migration: a comparative perspective. Bielefeld, S. 7-9. (mit Tobias Eberwein) Die Entwicklung des publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Buchmarkts in der Bundesrepublik Deutschland. In: Holtz-Bacha, Christina/Kutsch, Arnulf/Langenbucher, Wolfgang R./ Schönbach, Klaus (Hrsg.): 50 Jahre Publizistik (= Publizistik Sonderheft 5). Wiesbaden, S. 47-72.
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2007 Ansatzpunkte im Programm der Kulturmetropole Ruhr für die Kulturwissenschaften und deren mögliche Vorhaben. In: Schilling, Konrad A. (Hrsg.): Kulturmetropole Ruhr. Perspektivplan II. Essen, S. 308-314. Brauchen wir noch (Kommunikations-)Geschichte? Plädoyer für ein altes Fach mit neuem Zuschnitt. In: medien & zeit, 22. Jg., H. 1, S. 4-17 [Nachdruck auch in: Arnold, Klaus/Behmer, Markus/Semrad, Bernd (Hrsg.): Kommunikationsgeschichte. Positionen und Werkzeuge. Ein diskursives Hand- und Lehrbuch. Berlin 2008, S. 19-43]. Ist die publizistische Selbstkontrolle anti-islamisch? Der Karikaturen-Streit aus der Sicht journalistischer Berufsethik. In: Jäger, Siegfried/Halm, Dirk (Hrsg.): Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis. Münster, S. 229-241. Moderner Journalismus in Russland? Vorbericht über eine Puschkin-Enquête. In: Bohrmann, Hans/Klaus, Elisabeth/Machill, Marcel (Hrsg.): Media industry, journalism culture and communication policies in Europe. Köln, S. 304-310. Öffentlichkeit kann wichtiger sein als religiöses Empfinden. Zehn Thesen zum Karikaturen-Streit aus beruflicher Sicht. In: Debatin, Bernhard (Hrsg.): Der Karikaturenstreit und die Pressefreiheit/The cartoon debate and the freedom of the press. Berlin, S. 73-84. Protagonist der Pressefreiheit. In: Message, H. 2, S. 104-105. Recherche – chronisches Defizit des Journalismus. Die INA bemüht sich um Ausgleich. In: Pöttker, Horst/Schulzki-Haddouti, Christiane (Hrsg.): Vergessen? Verschwiegen? Verdrängt? 10 Jahre „Initiative Nachrichtenaufklärung“. Unter Mitarbeit von Tobias Eberwein. Wiesbaden, S. 15-23. Späte Einsicht. In: Journalistik Journal, 10. Jg., H. 2, S. 2. Überzeugend für Journalisten? Der Pressekodex soll vor Diskriminierung schützen. In: Journalistik Journal, 10. Jg., H. 2, S. 20-21. Von Traditionalisten und Technikfreaks. In: Journalistik Journal, 10. Jg., H. 1, S. 2. Whistleblower und Journalisten – zur Spruchpraxis des Deutschen Presserats. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik, 9. Jg., S. 127-132. 2008 Bis zum Bug oder weiter? In: Journalistik Journal, 11. Jg., H. 2, S. 2. Blackbox freier Journalismus. In: Journalistik Journal, 11. Jg., H. 1, S. 2. Braucht Europa einen Presserat? Optionen einer supranationalen Selbstkontrolle. In: Journalistik Journal, 11. Jg., H. 2, S. 22-23. Diktatur. In: Hachmeister, Lutz (Hrsg.): Grundlagen der Medienpolitik. Ein Handbuch. München, S. 86-93. Grundsätze für den Journalisten in sich verändernden Medienwelten. Vom Ludwigslied bis heute: Variationen nach einem Thema von Ulrich Pätzold. In: Hausmann, Lothar/Kretzschmar, Sonja/Opitz, Stefanie/Röper, Horst (Hrsg.): „Wir müssen mehr experimentieren.“ Journalistenausbildung zwischen Wissenschaft und Praxis. Ein Lesebuch für Ulrich Pätzold. Dortmund, S. 158-176. Modellfall Heinrich Heine. Über das Verhältnis von Journalismus und Schriftstellertum in Deutschland. In: Hahn, Oliver/Schröder, Roland (Hrsg.): Journalistische Kulturen. Internationale und interdisziplinäre Theoriebausteine. Köln, S. 56-75. Öffentlichkeit als Seismograph? Über Bedingungen der Enthüllungsfunktion von Medien am Beispiel der Dreyfus-Affäre. In: Bonfadelli, Heinz/Imhof, Kurt/Blum, Roger/Jarren, Otfried (Hrsg.): Seismographische Funktion von Öffentlichkeit im Wandel. Wiesbaden, S. 57-79. Öffentlichkeit als Sisyphusarbeit. Über unlösbare Widersprüche des Journalismus. In: Pörksen, Bernhard/Loosen, Wiebke/Scholl, Armin (Hrsg.): Paradoxien des Journalismus. Theorie – Empirie – Praxis. Festschrift für Siegfried Weischenberg. Wiesbaden, S. 63-78. Öffentlichkeit im Wandel. Wie das Internet die gesellschaftliche Kommunikation verändert. In: Navigationen, 8. Jg., H. 2, S. 15-26. „Wir machen keine Wahlpropaganda.“ Wie die Parteien mit ihren Fernsehspots Politikverdrossenheit erzeugen. In: Dörner, Andreas/Schicha, Christian (Hrsg.): Politik im Spot-Format. Zur Semantik, Pragmatik und Ästhetik politischer Werbung in Deutschland. Wiesbaden, S. 61-70. (mit Anne Fölting) „Dimensionen der Vielfalt“. Multikulturalismus in US-Medien. In: epd medien, Nr. 6/2008 v. 23.1.2008, S. 13-18. (mit Harald Bader) Vorbild für Integration? Migration und Medien im westfälischen Industrierevier an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. In: Buberl, Brigitte (Hrsg.): Kunst, Nation und nationale Repräsentation. Dortmund, S. 111-136.
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Die Aufgabe Öffentlichkeit. In: Journalistik Journal, 12. Jg., H. 2, S. 2. Eine andere Schweigespirale. Öffentliche Vernachlässigung bringt sich selbst hervor. In: Journalistik Journal, 12. Jg., H. 2, S. 10-11. Ökonomisierung des Journalismus? In: Journalistik Journal, 12. Jg., H. 1, S. 2. Otto Groth und die journalistische Persönlichkeit. In: Duchkowitsch, Wolfgang/Hausjell, Fritz/Pöttker, Horst/Semrad, Bernd (Hrsg.): Journalistische Persönlichkeit. Fall und Aufstieg eines Phänomens. Köln, S. 53-66. Successful integration? Media and Polish migration in the German empire at the turn of the 20th century. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (eds.): Media – migration – integration: European and North American perspectives. Bielefeld, pp. 9-25. Wann werden Diskriminierungsverbote von Journalist(inn)en akzeptiert? Eine Untersuchung zum Widerspruch von Migrantenschutz und Öffentlichkeitsaufgabe. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Bd. 2. Forschungsbefunde. Bielefeld, S. 161187. (mit Bernd Semrad) Einleitung. In: Duchkowitsch, Wolfgang/Hausjell, Fritz/Pöttker, Horst/Semrad, Bernd (Hrsg.): Journalistische Persönlichkeit. Fall und Aufstieg eines Phänomens. Köln, S. 9-21. (mit Harald Bader): Gescheiterte Integration? Polnische Migration und Presse im Ruhrgebiet vor 1914. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Bd. 2. Forschungsbefunde. Bielefeld, S. 15-46. (mit Rainer Geißler) Einleitung. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Bd. 2. Forschungsbefunde. Bielefeld, S. 7-12. (mit Tobias Eberwein) Journalistische Recherche im Social Web: neue Potenziale, neue Probleme? In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik, 11. Jg., S. 23-32. (with Rainer Geißler) Preface. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (eds.): Media – migration – integration: European and North American perspectives. Bielefeld, pp. 7-8.
Autorinnen und Autoren
Harald Bader, Dipl.-Journ. (*1977); seit 2007 tätig beim Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse in Dortmund. 1997-2005 Studium der Journalistik und Geschichte an der Universität Dortmund, Volontariat bei der „Schwäbischen Zeitung“, 2007-2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Mediale Integration ethnischer Minderheiten“ des Forschungskollegs „Medienumbrüche“. Publikationen (Auswahl): Studien zur pommerschen Pressegeschichte. Ein Streifzug durch vier Jahrhunderte Journalismus. Saarbrücken 2007; Zu Stettiner Tageszeitungen zwischen Revolution und Reaktion (1847-1850). In: Baltische Studien N.F., Bd. 93/2007, S. 193-208; Vorbild für Integration? Migration und Medien im westfälischen Industrierevier an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. In: Buberl, Brigitte (Hrsg.): Kunst, Nation und nationale Repräsentation. Bönen 2008, S. 111-136 (mit Horst Pöttker); Zur Krise der Kommunikationswwwissenschaft. In: Navigationen, 8. Jg., H. 2/2008, S. 127-135; Deutsche Presse und „Hürriyet“. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Forschungsbefunde. Bielefeld 2009, S. 317-331. Hans Bohrmann, Prof. Dr. phil. (*1940); seit 1992 Honorarprofessor für Journalistik an der (Technischen) Universität Dortmund. 1959-1967 Studium der Publizistik, Geschichte und Soziologie an der Freien Universität Berlin, 1967-1972 wissenschaftlicher Assistent und Assistenzprofessor am Institut für Publizistik der FU Berlin, 1972/731977 Akademischer Rat/Oberrat am Institut für Publizistik der Universität Münster, 1977-2003 Direktor des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund, 1994-2004 Mit-Geschäftsführer des Erich-Brost-Instituts für Journalismus in Europa an der Universität Dortmund, seit 1978 Geschäftsführer des Mikrofilmarchivs der deutschsprachigen Presse, Dortmund. Publikationen (Auswahl): Massenkommunikationsmittel. Soziologische Materialien. Heidelberg 1968 (mit Jörg Aufermann); Gesellschaftliche Kommunikation und Information. Ein Arbeitsbuch. Frankfurt am Main 1973 (mit Rolf Sülzer und Jörg Aufermann); Strukturwandel der deutschen Studentenpresse. München 1975; Zeitschriftenforschung. Berlin 1975 (mit Peter Schneider); Berlin zu Kaisers Zeiten. Eine historische Fotodokumentation. Dortmund 1983 (mit Arnulf Kutsch); Handbuch der Pressearchive. München 1984 (mit Marianne Englert); Kommunikationsforschung. Deutschsprachige Untersuchungen zur Massenkommunikation 1945 bis 1980. Konstanz 1984 (mit Wilbert Ubbens); Pressezeichner in der Weimarer Republik. Dortmund 1985 (Ausstellungskatalog); Journalistik und Zeitungsforschung. Dortmund 1994 (Antrittsvorlesung); Zeitungswörterbuch. Berlin 1994 (mit Wilbert Ubbens); Zeitungen verzeichnen und nutzen. Berlin 1998 (mit Wilbert Ubbens); Dortmunder Biographie, 3 Bde. Dortmund, Essen 1998/2001. Heinz Bonfadelli, Prof. Dr. phil. habil. (*1949); seit 2000 Ordinarius für Publizistikwissenschaft an der Universität Zürich. Studium von Sozialpsychologie, Soziologie und Publizistikwissenschaft an der Universität Zürich, 1980 Promotion mit einer Arbeit zur Sozialisationsperspektive in der Massenkommunikationsforschung, 1981/1982 Forschungsaufenthalt am Department of Communication der Stanford University, nachher wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Publizistikwissenschaft der Universität Zürich, 1992 Habilitation in Publizistikwissenschaft mit einer Studie zur Wissenskluft-Forschung. Publikationen (Auswahl zum Thema Migration): Media Use by Ethnic Minority Youth in Switzerland. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Media – Migration – Integration. European and North American Perspectives. Bielefeld 2009, S. 45-69; An der Identität arbeiten. Medienumgang von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 4. Jg., H. 1/2009, S. 57-74 (mit Christa Hanetseder und Thomas Hermann); Jugend, Medien und Migration. Empirische Ergebnisse und Perspektiven. Wiesbaden 2008 (mit Priska Bucher, Christa Hanetseder, Thomas Hermann, Mustafa Ideli und Heinz Moser); Medien und Migration. Europa als multikultureller Raum? Wiesbaden 2007 (Hrsg., mit Heinz Moser); Use of old and new media by ethnic minority youth in Europe with a special emphasis on Switzerland. In: Communications, 32. Jg., H. 2/2007, S. 141-170 (mit Priska Bucher und Andrea Piga). Udo Branahl, Prof. Dr. iur. (*1946); seit 1979 Professor für Medienrecht am Institut für Journalistik der (Technischen) Universität Dortmund. 1967-1971 Studium der Rechtswissenschaft und der Soziologie in Berlin (FU) und Hamburg, 1973 Großes juristisches Staatsexamen, 1972-1979 wiss. Ass. an der Universität Hamburg.
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Autorinnen und Autoren
Publikationen (Auswahl): Medienrecht. Wiesbaden 1992 (5. Aufl. 2006); Justizberichterstattung. Wiesbaden 2005; Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Opladen 1997; Pressefreiheit und redaktionelle Mitbestimmung. Frankfurt am Main, New York 1979; Redaktionsstatute in der Bewährung. Eine empirische Untersuchung über Redaktionsstatute in deutschen Zeitungen – Zugleich ein rechts- und sozialwissenschaftlicher Beitrag zur Pressereform. Baden-Baden 1975 (mit Wolfgang Hoffmann-Riem); Steuerung des Mediensystems durch Recht? In: Eurich, Claus (Hrsg.): Gesellschaftstheorie und Mediensystem. Münster etc. 2002, S. 73-84; Der Beitrag des Medienrechts zur Qualitätssicherung im Journalismus. In: Schäfer, Ulrich P./Schiller, Thomas/Schütte, Georg (Hrsg.): Journalismus in Theorie und Praxis. Konstanz 1999, S. 173-195; Der Schutz des Privaten im öffentlichen Diskurs. In: Imhof, Kurt/Schulz, Peter (Hrsg.): Die Veröffentlichung des Privaten – die Privatisierung des Öffentlichen. Opladen, Wiesbaden 1998, S. 180-191; Medienethik – rechtlich. In: Korff, W. et al. (Hrsg.): Lexikon der Bioethik. Gütersloh 1998, S. 623-628; Berichterstattung und Wirtschaftswerbung. Änderungen im journalistischen Selbstverständnis. In: Machill, Marcel (Hrsg.): Journalistische Kultur. Opladen, Wiesbaden 1997, S. 71-80. Andrea Czepek, Prof. Dr. phil. (*1966); seit 2003 Professorin für Journalismus an der Fachhochschule in Wilhelmshaven und Leiterin des Studiengangs „Medienwirtschaft und Journalismus“. Studium der Journalistik an der Universität Dortmund (Diplom 1992, Dissertation 2001) und Graduiertenstudium „International Studies“ an der University of Wyoming (Master of Arts 1999), Assistentin an der University of Wyoming (1994-1996) und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Journalistik der Universität Dortmund (1996-2001), dort auch erste Redakteurin des „Journalistik Journals“. Volontariat beim „Kölner Stadt-Anzeiger“, journalistische Tätigkeit u. a. als freie Journalistin in den USA (1992-1994) und als Redakteurin der Branchenzeitschrift „Buchreport“ (20012003). Aktuelle Forschung als Mitglied im COST A 30 Netzwerk „East of West“ und als Koordinatorin des internationalen, neben anderen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes „Press Freedom and Pluralism in Europe“ (PLUS). Publikationen (Auswahl): Press Freedom and Pluralism in Europe. Concepts and Conditions. Bristol, Chicago 2009 (Hrsg., mit Melanie Hellwig und Eva Nowak); Journalismus als Motor der Demokratie. In: Rössler, Patrick/Krotz, Friedrich (Hrsg.): Mythen der Mediengesellschaft. Konstanz 2005; Pressefreiheit und Pluralismus in Sambia. Münster 2005. Leen d’Haenens, PhD, Prof. (*1966); Professor at the Centre for Media Culture and Communication Technology (CMC), Catholic University of Leuven, Belgium. 1986 MA in Romance Languages and 1988 MA in Press and Communication Sciences, University of Ghent, 1990 MA in Information Studies, University of Toronto, 1994 PhD in Political and Social Sciences, University of Ghent, 1994-1996 Post-doctoral fellow in Communication Science, University of Ghent, 1996-2001 Assistant Professor at the Radboud University of Nijmegen, 2001-2004 Associate Professor at the Radboud University, 2004-2009 Associate Professor at the CMC, since October 2009 Professor at the CMC. Leen d’Haenens is co-editor of the “International Communication Gazette” and “Communications: The European Journal of Communication Research” and member of the Editorial Board of „Tijdschrift voor Communicatiewetenschap”. Recent publications in English: Belgium: Two communities with diverging views on how to manage media diversity. In: The International Communication Gazette, Vol. 71, No. 1-2/2009, pp. 51-66 (with Frédéric Antoine and Frieda Saeys); Reinventing public service broadcasting in Europe: Prospects, promises and problems. In: Media, Culture & Society, Vol. 30, No. 3/2008, pp. 337-355 (with Jo Bardoel); News reporting on Pim Fortuyn: Framing in two Dutch newspapers. In: Media, Culture & Society, Vol. 30, No. 5/2008, pp. 735-748 (with Jan Bosman); Digital citizenship among ethnic minority youths in the Netherlands and Flanders. In: New Media & Society, Vol. 9, No. 2/2007, pp. 278-299 (with Frieda Saeys and Joyce Koeman); Islam in the Dutch press with a special emphasis on the “Algemeen Dagblad”. In: Media, Culture & Society, Vol. 29, No. 1/2007, pp. 135-149 (with Susan Bink); Framing of asylum seekers in Dutch regional newspapers. In: Media, Culture & Society, Vol. 23, No. 6/2001, pp. 847-860 (with Mariëlle de Lange). Tobias Eberwein, Dipl.-Journ. (*1978); seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Journalistik der Universität Dortmund/TU Dortmund, seit 2009 zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus. 1999-2006 Studium der Journalistik, Anglistik, Amerikanistik und Politikwissenschaften in Dortmund, Volontariat bei der „Westfalenpost“, 2005-2008 Rezensionsredakteur bei der „Publizistik“, seit 2006 verantwortlicher Redakteur des „Journalistik Journals“ und Leiter der Projektredaktion „Medien Monitor“, Gründungsredakteur der Online-Rezensionszeitschrift „r:k:m – Rezensionen:Kommunikation:Medien“. Publikationen (Auswahl): Journalistische Recherche im Social Web: Neue Potenziale, neue Probleme? In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik, 11. Jg., H. 1/2009, S. 23-32 (mit Horst Pöttker); Buchbesprechungen in der Wissenschaftspraxis. Warum die Kommunikationsforschung eine eigene Rezensionszeitschrift braucht. Saarbrücken 2007; Die Entwicklung des publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Buchmarkts
Autorinnen und Autoren
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in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Versuch anhand des Rezensionsteils der „Publizistik“. In: Holtz-Bacha, Christina/Kutsch, Arnulf/Langenbucher, Wolfgang R./Schönbach, Klaus (Hrsg.): Fünfzig Jahre Publizistik. Wiesbaden 2006, S. 47-72 (mit Horst Pöttker). Hatim (Hatem) El Sghiar (*1979); PhD student at the Centre for Media Culture and Communication Technology (CMC) at the Catholic University of Leuven, Belgium. Studies in history at the University of Ghent, professional and voluntary work in several minority and refugee organisations, among others in the area of media and minorities, research at the Middle East and North Africa Research Group (MENARG), Faculty of Political Sciences, University of Ghent, on the theme of Islam in Flanders. Publications: Noden en behoeften m.b.t. de islamitische identiteit en de beeldvorming rond islam en moslims: naar een expertisecentrum islam? Eindrapport [Needs and necessities in relation to the Islamic identity and the portrayal about Islam and Muslims: towards an expertise centre Islam? Final Report]. Ghent 2007 (with Meryem Kanmaz); Media en etnisch-culturele minderheden in de Lage Landen: trends in 15 jaar onderzoek [Media and ethniccultural minorities in the Low Countries: trends in 15 years of research]. In: Diverse mediawerelden. Hedendaagse reflecties gebaseerd op het onderzoek van Frieda Saeys. Ghent 2009 (forthcoming, with Leen d’Haenens and Sofie Golaszewski); Debating diversity and conceptual purity. Reflections on identification as a meaningful concept for diasporic minority research (forthcoming). Claus Eurich, Prof. Dr. phil. habil. (*1950); seit 1984 Professor für Journalistik (Schwerpunkt: Kommunikationswissenschaft) an der Universität Dortmund/TU Dortmund. Studium der Publizistik, Politik und Ethnologie in Mainz und Münster, Promotion 1976, Habilitation 1979, seit 1976 am Aufbau der Journalistik in Dortmund beteiligt. Publikationen ab 1991 (Auswahl): Tödliche Signale. Die kriegerische Geschichte der Informationstechnik. Frankfurt am Main 1991; Hören und Sehen. Die Kirche des Wortes im Zeitalter der Bilder. Frankfurt am Main 1991 (Hrsg., mit Imme de Haen); Mythos Multimedia. Über die Macht der neuen Technik. München 1998; Die Kraft der Friedfertigkeit. Gewaltlos leben. München 2000; Spiritualität und Ethik. Stuttgart 2003; Die heilende Kraft des Scheiterns. Petersberg 2006; Wege der Achtsamkeit. Über die Ethik der gewaltfreien Kommunikation. Petersberg 2008. Rainer Geißler, Prof. Dr. phil. (*1939); seit 1981 Professor für Soziologie an der Universität Siegen (seit 2007 emeritiert). 1961-1968 Studium der Romanistik, Geschichte, Philosophie, später auch Soziologie an den Universitäten Kiel, Freiburg/Br. und Pau (Frankreich), 1968-1975 Wissenschaftlicher Assistent am Soziologischen Seminar der Universität Basel und Berater/Mitarbeiter der PROGNOS AG Basel, 1975-1981 Professor für Soziologie an der Bundeswehruniversität Hamburg, 1996-1997 Gastprofessor an der University of British Columbia in Vancouver, seit 2006 Mitglied des Rates für Migration. Publikationen (Auswahl): Massenmedien, Basiskommunikation und Demokratie. Ansätze zu einer normativempirischen Theorie. Tübingen 1973; Junge Deutsche und Hitler. Eine empirische Studie zur historischpolitischen Sozialisation. Stuttgart 1981; Sozialer Wandel in Deutschland. 2., aktual. Aufl. München 2004; Die Sozialstruktur Deutschlands. Zur gesellschaftlichen Entwicklung mit einer Bilanz zur Vereinigung. 5. Aufl. Wiesbaden 2008 (zuerst 1992); Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. 2 Bde. Bielefeld 2005 und 2009 (Hrsg., mit Horst Pöttker). Hans Hafenbrack, Dr. phil. h.c. (*1936); 1956-1960 Theologiestudium in Tübingen und Bonn, ab 1961 Hilfsreferent beim Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart, 1967-1978 Pfarrer an der Schlosskirche in Bad Mergentheim, 1977 Kurzvolontariat bei der Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd) in Frankfurt am Main, 1978-1981 epd-Nachrichtenredakteur, 1981-1998 Chefredakteur der epd-Zentralredaktion und Vorsitzender der epd-Konferenz, 1998 Ruhestand. Publikationen: Geschichte des Evangelischen Pressedienstes. Evangelische Pressearbeit von 1848 bis 1981. Bielefeld 2004; zahlreiche Beiträge für die Publikationen des Evangelischen Pressedienstes und die evangelische Zeitschriftenpresse. Jürgen Heinrich, Prof. Dr. sc. pol. (*1941); seit 1980 Professor der Journalistik mit dem Schwerpunkt Ökonomie an der Universität Dortmund/TU Dortmund, seit 2006 emeritiert. 1962-1967 Studium der Volkswirtschaftslehre und der Betriebswirtschaftslehre in Kiel und Tübingen, 1967-1970 Mitarbeiter am Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel, 1970 Promotion bei Erich Schneider, 1971-1978 Assistenzprofessor am Institut für theoretische Volkswirtschaftslehre der Universität Kiel, 1978-1980 Dozent an der Verwaltungsfachhochschule Kiel-Altenholz. Publikationen (Auswahl): Preis- und Investitionskonkurrenz im homogenen Dyopol mit Kapazitätsbeschränkung. In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, H. 4/1977, S. 311-330; Wirtschaftssysteme. Würzburg, Wien
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Autorinnen und Autoren
1984 (mit Ulrich Baßeler); Das Potential der Werbeeinnahmen für lokale Hörfunkstationen in NordrheinWestfalen. In: LFR-Schriftenreihe, Bd. 3. Essen 1989; Qualitätswettbewerb und/oder Kostenwettbewerb im Mediensektor? In: Rundfunk und Fernsehen, 44. Jg., H. 2/1996, S. 165-184; Medienökonomie. Bd. 1: Mediensystem, Zeitung, Zeitschrift, Anzeigenblatt. 2. Aufl. Wiesbaden 2001; Medienökonomie. Bd. 2: Hörfunk und Fernsehen. 2. Aufl. Wiesbaden 2002; Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft. 18. Aufl. Stuttgart 2006 (mit Ulrich Baßeler und Burkhard Utecht); Wirtschaftsjournalistik. Wiesbaden 2006 (mit Christoph Moss); Media Economics in Europe. Berlin 2006 (Hrsg., mit Gerd G. Kopper). Petra Herczeg, Mag. Dr. phil. (*1966); Kommunikationswissenschaftlerin, Universität Wien. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Germanistik an der Universität Wien, seit 1992 Freie Autorin beim Österreichischen Rundfunk (Schwerpunkte: Volksgruppen- und Kulturprogramme). Publikationen (Auswahl): Migrants and Ethnic Minorities in Austria: Assimilation, Integration and the Media. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Media – Migration – Integration. European and North American Perspectives. Bielefeld 2009, S. 71-96; Integration im öffentlichen Diskurs: Gesellschaftliche Ausverhandlungsprozesse in der massenmedialen Öffentlichkeit. Analysiert anhand des Fallbeispiels „Arigona Zogaj“ in den österreichischen Medien. Projektbericht. Universität Wien 2009 (mit Oliver Gruber und Cornelia Wallner); Braucht der Journalismus einen Kanon? Über das sinnstiftende Potenzial journalistischer Leistungen. In: Duchkowitsch, Wolfgang et al. (Hrsg.): Journalistische Persönlichkeit. Fall und Aufstieg eines Phänomens. Köln 2009, S. 162-180; Was dieselbe Sprache redet... Sprache und Identität im kommunikativen Spannungsfeld zwischen Ich- und WirWahrnehmungen. In: Medien & Zeit, 22. Jg., H. 4/2007, S. 34-45; Sprache als Erbe. Aufwachsen in mehreren Sprachen. Klagenfurt 2006; Joseph Roth: „Ich zeichne das Gesicht der Zeit“. Der Schriftsteller als Journalist. In: Duden. Das Lexikon für Österreich in 20 Bänden. Mannheim 2006. Johannes Hoffmann, Akad. Oberrat (*1937); seit 2004 Leiter des Archivs der Forschungsstelle Ostmitteleuropa (FOME), Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Ostmitteleuropa-Forschung an der Universität Dortmund. Studium (Geschichte, Latein, Geographie, Philosophie und Pädagogik) in Freiburg/Br., Berlin (FU) und Münster, 1965-1972 Lehrer am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Dortmund (Oberstudienrat), 1973 bis zur Pensionierung 2002 wissenschaftlicher Leiter der FOME an der PH (seit 1980 an der Universität) Dortmund. Publikationen (Auswahl): Stereotypen, Vorurteile, Völkerbilder in Ost und West – in Wissenschaft und Unterricht (3 Bde.). Wiesbaden 1986-2008; „Nachbarn sind der Rede wert“. Bilder der Deutschen von Polen und der Polen von Deutschen in der Neuzeit. Dortmund 1997 (Hrsg.); Polen, der nahe – ferne Nachbar. Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Gesamteuropäischen Studienwerks e.V. Vlotho. Eine Würdigung für Theo Mechtenberg. Dortmund 2002 (Hrsg., mit Helmut Skowronek); Lexikon der Familiennamen polnischer Herkunft im Ruhrgebiet. Kraków 2006 (Hrsg., mit Kazimierz Rymut). Walter Hömberg, Prof. Dr. phil. (*1944); seit 1988 Inhaber des Lehrstuhls für Journalistik I der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Studium geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer an den Universitäten Kiel, Berlin (FU), Tübingen und Salzburg, 1970 Staatsexamen in Germanistik und Politikwissenschaft, 1973 Promotion in Publizistik und Kommunikationstheorie, Lehr- und Forschungstätigkeiten an den Universitäten Salzburg, München, Zürich und an der Hochschule für Philosophie München, 1986-1988 Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Bamberg, 1992-1995 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, seit 1996 Sprecher des Münchner Arbeitskreises öffentlicher Rundfunk. Walter Hömberg hat Gastprofessuren an den Universitäten Fribourg und Wien wahrgenommen, ist Herausgeber mehrerer Buchreihen und Jury-Mitglied diverser Journalistenpreise. Publikationen (Auswahl): Zeitgeist und Ideenschmuggel. Die Kommunikationsstrategie des Jungen Deutschland. Stuttgart 1975; Lesen auf dem Lande. Salzburg 1977 (mit Karlheinz Rossbacher); Das verspätete Ressort. Die Situation des Wissenschaftsjournalismus. Konstanz 1989; Arthur Schütz: Der Grubenhund. Experimente mit der Wahrheit. München 1996 (Hrsg.); Deutschland – einig Medienland? Münster etc. 2002 (Hrsg.); Kommunikationstheorien. 4. Aufl. Wien 2007 (Hrsg., mit Roland Burkart). Bernd Klammer, Dr. phil. (*1966); seit 2000 Mitarbeiter der Planungsabteilung der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster. 1988-1996 Studium der Publizistik, Geschichte und Politikwissenschaft in Münster, 19972000 und 2002-2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Journalistik an der Universität Dortmund, zwischenzeitlich Lehrbeauftragter am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster. Publikationen (Auswahl): Empirische Sozialforschung. Eine Einführung für Kommunikationswissenschaftler und Journalisten. Konstanz 2005; Pressevertrieb in Ostdeutschland. Die wirtschaftlichen und politischen Interessen beim Aufbau eines Pressegroßhandelssystems nach der Oktoberwende 1989. München 1998.
Autorinnen und Autoren
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Gerd G. Kopper, Prof. Dr. phil. (*1941); von 1978 bis 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Strukturfragen der Massenmedien (Medienpolitik, Medienökonomie, Medienrecht) im Studiengang Journalistik der Universität Dortmund. Studium in Berlin, Bonn, Paris, Tokio und Bloomington (IN) (u. a. Soziologie, Rechtswissenschaft, Industriebetriebslehre, Japanische Sprache usw.), 1967 Promotion bei Fritz Eberhard (Publizistikwissenschaft) an der Freien Universität Berlin, Dozent in der Journalistenausbildung, Redakteur, hauptberuflicher Consultant der OECD in Paris, Planungsbeauftragter eines Medienkonzerns, Korrespondent, Gastforscher und Unternehmensberater; 1991 wurde auf seine Initiative die gemeinnützige wissenschaftliche Fördereinrichtung „Erich-Brost-Institut für Journalismus in Europa” gegründet, deren leitender Geschäftsführer er bis Herbst 2006 war; Kopper war am Aufbau des Verbandes Europäischer Journalistenschulen (EJTA) beteiligt (EJTA-Präsident 1992-1993) sowie Mitglied und Leiter zahlreicher europäischer Forschungsnetzwerke in den Sozialwissenschaften; Fachautor vor allem im Bereich der internationalen Medienpolitik und Medienökonomie, Mitgründer und Redaktionsmitglied von „Journalism Studies“, Fellow der Japan Society for the Promotion of Science, Visiting Scholar der Waseda Universität in Tokio. Publikationen: vgl. Stricker, Jürgen/Roy, Sonja (2007): Univ. Prof. Dr. Gerd G. Kopper, Verzeichnis wissenschaftlicher Schriften. In: Bohrmann, Hans/Klaus, Elisabeth/Machill, Marcel (Hrsg.): Media Industry, Journalism Culture and Communication Policies in Europe. Köln, S. 341-364. Kurt Koszyk, Prof. Dr. phil. (*1929); 1949 Abitur am humanistischen Stadtgymnasium Dortmund, 1949-1953 Studium der Publizistik, der Deutschen und Englischen Literaturwissenschaften an den Universitäten Münster, Oxford und München, 1950-1957 neben dem Studium journalistische Ausbildung und redaktionelle Tätigkeiten in Dortmund und München, 1953 Promotion an der Universität München, 1957-1977 Leiter des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund, 1964-1985 Lehraufträge an der FU Berlin und den Universitäten Bochum und München, 1968 Habilitation an der FU Berlin, 1969-1974 Professor für Publizistik und Kommunikation an der Universität Bochum, 1975-1976 Vorsitzender der Planungskommission Journalistik in NRW, seit 1977 Professor für Journalistik in Dortmund, 1977/1978 Visiting Research Fellow am St. Antony’s College in Oxford, 19912005 Vorsitzender des Kuratoriums des Erich-Brost-Instituts für Journalismus in Europa, 1992 Emeritierung. Publikationen (Auswahl): Zwischen Kaiserreich und Diktatur. Heidelberg 1958; Geschichte der deutschen Presse, Teil I-IV. Berlin 1966-1986; Vorläufer der Massenpresse. München 1972; Deutsche Pressepolitik im Ersten Weltkrieg. Düsseldorf 1968; Gustav Stresemann. Köln 1989; Publizistik und politisches Engagement. Münster 1999. Arnulf Kutsch, Prof. Dr. phil. habil. (*1949); seit 1993 Inhaber des Lehrstuhls für Historische und Systematische Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig. 1970-1977 Studium der Publizistik, Geschichte, Soziologie und Germanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, dort 1980 Promotion und 1993 Habilitation, 1980-1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 1990/1991 Gastprofessur an der Ruhr-Universität Bochum und 2003/2004 an der Universität Wien. Mitherausgeber von „Publizistik. Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung“, „Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte“ und „Großbothener Vorträge zur Kommunikationswissenschaft“. Publikationen (zuletzt): Fünfzig Jahre Publizistik. Wiesbaden 2006 (Hrsg., mit Christina Holtz-Bacha, Wolfgang R. Langenbucher und Klaus Schönbach); Buch, Markt, Theorie. Kommunikations- und medienwissenschaftliche Perspektiven. Erlangen 2007 (Hrsg., mit Thomas Keiderling und Rüdiger Steinmetz); Leseinteresse und Lektüre. Die Anfänge der empirischen Lese(r)forschung in Deutschland und den USA am Beginn des 20. Jahrhunderts. Bremen 2008. Wolfgang R. Langenbucher, Prof. Dr. phil. habil. (*1938); von 1984 bis zu seiner Emeritierung im September 2006 Ordinarius für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Studium der Volkswirtschaftslehre, Philosophie, Germanistik und Zeitungswissenschaft in Stuttgart und München, 1963 Promotion zur „Geschichte und Theorie der Unterhaltungsliteratur“, danach Assistent von Otto B. Roegele am Institut für Zeitungswissenschaft der Universität München, ab 1972 Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Publizistik“, 1973 Habilitationsschrift „Kommunikation als Beruf“, 1975-1983 Professor am (inzwischen umbenannten) Institut für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) der Universität München, seit den 70er Jahren immer wieder Engagement über die Grenzen des kommunikationswissenschaftlichen Faches hinaus: Mitverfasser des Memorandums des Deutschen Presserates zur Journalistenausbildung, Mitglied der Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK) und des Projektteams Lokaljournalisten (Konzeption eines Weiterbildungsmodells), Leiter der Wissenschaftlichen Kommission Lesen, Berater beim Feldversuch Bildschirmtext Düsseldorf/Neuss, Beauftragter des Landes Berlin für ein Projektdesign Kabelkommunikation Berlin. Publikationen: vgl. Hömberg, Walter (2007): Bibliographie Wolfgang R. Langenbucher 1964-2006. Ein Schriftenverzeichnis zur Emeritierung. In: Medien & Zeit, 22. Jg., H. 3/2007, S. 33-54, und ergänzend Hömberg, Walter
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Autorinnen und Autoren
(2008): Auswahlbibliographie Wolfgang R. Langenbucher 2003-2008. Ein Schriftenverzeichnis zum 70. Geburtstag. In: Publizistik, 53. Jg., S. 258-262. Peter Ludes, Prof. Dr. Dr. (USA) (*1950); Professor für Mass Communication, Jacobs University Bremen. Studium der Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaft in Trier und Brandeis, 1987 Habilitation in Wissenssoziologie; Gastdozenturen in Amsterdam und an der Harvard University, 1995-2000 2. Sprecher des Sonderforschungsbereichs Bildschirmmedien Siegen, 2001-2004 Sprecher des Teams „Convergence – Fragmentation. Media Technology and the Information Society“ der ESF, seit 2003 Sprecher eines internationalen Netzwerks: www.keyvisuals.org Publikationen (Auswahl): Multimedia und Multi-Moderne. Schlüsselbilder. Opladen 2001; Einführung in die Medienwissenschaft. Berlin 2003; Visual Hegemonies. Münster 2005 (Hrsg.); Convergence and Fragmentation. Media Technology and the Information Society. Bristol 2008 (Hrsg.). Daniel Müller, Dr. phil. (*1969); seit 2009 Leiter des gemeinsamen Graduiertenprogramms der kultur- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten (12-16) der Technischen Universität Dortmund. 1989-1995 Studium der Journalistik und Geschichte an der Universität Dortmund (Dipl.-Journ.), 1990-1999 Studium der Geschichte und Orientalistik an der Ruhr-Universität Bochum (M.A.), 1996-1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Journalistik der Universität Dortmund, 1998-2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum (Lehrstuhl für Geschichte Osteuropas), 2001-2005 Redakteur des Rezensionsteils der „Publizistik“, 2002-2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Journalistik der Universität (seit 2007 TU) Dortmund für das DFG-Projekt „Mediale Integration ethnischer Minderheiten“ im Forschungskolleg 615 „Medienumbrüche“ an der Universität Siegen (2007-2009 Sprecher der Nachwuchsforschergruppe des Kollegs), 2005 Promotion an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Publikationen (Auswahl): Manfred Georg und die „Jüdische Revue“. Eine Exilzeitschrift in der Tschechoslowakei 1936-1938. Konstanz 2000; Stilistik für Journalisten. Wiesbaden 2000 (mit Josef Kurz, Joachim Pötschke und Horst Pöttker); Sowjetische Nationalitätenpolitik in Transkaukasien 1920-1953. Berlin 2008; Leitmedien. Konzepte – Relevanz – Geschichte (2 Bde.). Bielefeld 2009 (Hrsg., mit Annemone Ligensa und Peter Gendolla). Christoph Neuberger, Prof. Dr. phil. habil. (*1964); seit 2002 Professor für Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 1985-1990 Studium der Journalistik, Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie in Eichstätt und Tübingen; 1990-2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent am Diplomstudiengang Journalistik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt; 1995 Promotion; 2001 Habilitation; 2001/2002 Vertretung einer Professur für Journalistik an der Universität Leipzig. Publikationen (Auswahl): Journalismus als Problembearbeitung. Objektivität und Relevanz in der öffentlichen Kommunikation. Konstanz 1996; Online – Die Zukunft der Zeitung? Das Engagement deutscher Tageszeitungen im Internet. 2., aktual. Aufl. Opladen, Wiesbaden 2003 (Hrsg., mit Jan Tonnemacher); Alte Medien – neue Medien. Theorieperspektiven, Medienprofile, Einsatzfelder. Festschrift für Jan Tonnemacher. Wiesbaden 2005 (Hrsg., mit Klaus Arnold); Journalismus im Internet: Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden 2009 (Hrsg., mit Christian Nuernbergk und Melanie Rischke). Ulrich Pätzold, Prof. Dr. phil. (*1943); von 1978 bis zur Emeritierung 2008 ordentlicher Professor am Institut für Journalistik der Universität Dortmund/TU Dortmund (Schwerpunkt in Lehre und Forschung: Journalistische Vermittlung). 1963-1969 Studium der Fächer Publizistik, Philosophie und Theaterwissenschaft, 1972 Promotion bei Harry Pross an der FU Berlin über das Thema Journalistenausbildung, redaktionelle Tätigkeit im RIAS Berlin und in der Züricher „Weltwoche“, über 40 Jahre lang journalistische Veröffentlichungen für Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen, seit 1978 in verschiedenen Funktionen an der Profilbildung der Dortmunder Journalistik beteiligt, u. a. mit dem Aufbau der Lehrredaktionen für Radio und Fernsehen, 1984 Gründung des Dortmunder FORMATT-Instituts gemeinsam mit Horst Röper, 1989-2003 Direktor des Deutschen Instituts für publizistische Bildungsarbeit, Journalisten-Zentrum Haus Busch in Hagen, 2004-2007 gemeinsam mit Jürgen Hoppe Aufbau der unabhängigen Nachrichtenagentur „AKNews“ im irakisch-kurdischen Erbil. Ulrich Pätzold lebt jetzt in Berlin, wo er aktiv im Netzwerk „Neue Deutsche Medienmacher“ mitarbeitet, in dem Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergründen ihre organisatorische Plattform gefunden haben. Publikationen: vgl. die Zusammenstellung im Biografischen Archiv Dortmunder Universitätsprofessorinnen und -professoren, online unter https://eldorado.tu-dortmund.de/ Hans Poerschke, Prof. Dr. sc. pol. (*1937); 1955-1959 Studium der Journalistik in Leipzig, 1959-1970 wissenschaftlicher Mitarbeiter, 1970-1983 Dozent für Theorie des Journalismus, 1983-1990 Professor für Theorie des Journalismus an der Karl-Marx-Universität Leipzig.
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Publikationen (Auswahl): Theoretische Grundfragen des sozialistischen Journalismus. Leipzig 1980 (Kapitel 1-4 und Gesamtleitung); Der erste Grundriß unserer Wissenschaft. Theoretische Arbeit im Vorfeld der Gründung der Fakultät für Journalistik. In: Theorie und Praxis des sozialistischen Journalismus, 12. Jg., H. 4/1984, S. 213-219; Der Journalismus als Zweig der geistigen Produktion. In: Theorie und Praxis des sozialistischen Journalismus, 14. Jg., H. 4/1986, S. 232-239; Der Gegenstand des sozialistischen Journalismus. Leipzig 1987; Zu einigen Prämissen demokratischer Medienpolitik. In: Informationsgesellschaft – Medien – Demokratie. Kritik – Positionen – Visionen. Marburg 1996, S. 305-310; Anfänge marxistischer Journalistik – zwischen wissenschaftlichem Anspruch und Parteikonzept. In: Universität im Aufbruch – Leipzig 1945-1956. Leipzig 2002, S. 134-139; Karl Bücher und wir. In: Kultursoziologie, 17. Jg., H. 1/2008, S. 77-90. Joachim Pötschke, Prof. Dr. phil. habil. (*1924); 1946-1948 Studium der Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, 1948-1949 freier Mitarbeiter und Redakteur der „Leipziger Volkszeitung“, 1949-1951 Studium der Germanistik, der Kulturwissenschaften und der Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig, 1951-1962 Assistent und Oberassistent am Institut für Publizistik und Zeitungswissenschaft, 1962 Promotion zum Dr. phil. bei dem Literaturwissenschaftler Hans Mayer und Berufung zum Dozenten für das Fachgebiet „Stilistik der deutschen Sprache“, 1962-1982 Leiter des Wissenschaftsbereichs „Stilistik“, Promotion B (Habilitation) 1977 mit „Untersuchungen zur deutschen Gegenwartssprache unter journalistischem Aspekt“, 1978 Berufung zum Professor auf den Lehrstuhl „Stilistik und Sprache im Journalismus“, 1989 Emeritierung. Publikationen (Auswahl): Karl Kraus. Polemiken, Glossen, Verse und Szenen. Leipzig 1971 (Hrsg. und Nachwort); Stilistik für Journalisten (Lehrbuch, Teil 1). Leipzig 1981; Sprachkommunikation und Stilistik. In: Publizistik, Sonderheft 1. Wiesbaden 1997; Stilistik für Journalisten. Wiesbaden 2000 (mit Daniel Müller, Josef Kurz und Horst Pöttker). Bärbel Röben, Dr. phil. (*1958); freie Journalistin und Medienwissenschaftlerin. 1977-1984 Studium der Publizistik, Soziologie und Romanistik an der Universität Münster; seit 1985 journalistisch tätig: u. a. 1986-1987 Volontariat beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main, 1989-1992 Nachrichtenredakteurin beim HR, 1993-1996 freiberufliche Tätigkeit als Fachredakteurin bei der Medienzeitschrift „medium“ und der entwicklungspolitischen Zeitschrift „gate“; seit 1997 auch wissenschaftlich tätig: u. a. als Lehrbeauftragte in Dortmund und Hannover, 2000-2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Journalistik in Dortmund. Publikationen (Auswahl): Der Ideologiegehalt von Medienrealität, dargestellt am Beispiel der Chile- und Afghanistan-Berichterstattung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (F.A.Z.) und im „Neuen Deutschland“ (N.D.). Münster 1985; Verwaschen und verschwommen. Fremde Frauenwelten in den Medien. Frankfurt am Main 1996 (Hrsg., mit Cornelia Wilß); Der Umgang mit Differenzen als Schlüsselqualifikation. Vorstellung von Projekten zur Einführung einer interkulturellen Perspektive in die JournalistInnenausbildung. In: Neubert, Kurt/Scherer, Helmut (Hrsg.): Die Zukunft der Kommunikationsberufe. Ausbildung, Berufsfelder, Arbeitsweisen. Konstanz 2004, S. 265-275; Migrantinnen in den Medien. Diversität in der journalistischen Produktion – am Beispiel Frankfurt/Main. In: Wischermann, Ulla/Thomas, Tanja (Hrsg.): Medien – Diversität – Ungleichheit. Zur medialen Konstruktion sozialer Differenz. Wiesbaden 2008, S. 141-159. Christian Schicha, Prof. Dr. phil. habil. (*1964); seit 2008 Professor für Medienmanagement an der Mediadesign Hochschule Düsseldorf. 1984-1991 Studium der Kommunikationswissenschaft, Germanistik und Philosophie an der Universität Essen, 1991-1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Essen, 1994-1995 sowie 19962002 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Dortmund, 2002-2003 Forschungsstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 2002-2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Marburg. Publikationen (Auswahl): Diskurs-Inszenierungen. Zur Struktur politischer Vermittlungsprozesse am Beispiel der Debatte zur Ökologischen Steuerreform. Wiesbaden 2001 (mit Thomas Meyer und Carsten Brosda); Die Theatralität der politischen Kommunikation. Medieninszenierungen am Beispiel des Bundestagswahlkampfes 2002. Münster 2003; Medienethik zwischen Theorie und Praxis – Normen für die Kommunikationsgesellschaft. Münster 2000 (Hrsg., mit Carsten Brosda); Handbuch Medienselbstkontrolle. Wiesbaden 2005 (Hrsg., mit Achim Baum, Wolfgang R. Langenbucher und Horst Pöttker); Legitimes Theater? Inszenierte Politikvermittlung für die Medienöffentlichkeit am Beispiel der „Zuwanderungsdebatte“ im Bundesrat. Münster 2007; Politik im Spot-Format. Zur Semantik, Pragmatik und Ästhetik politischer Werbung in Deutschland. Wiesbaden 2008 (Hrsg., mit Andreas Dörner); Handbuch Medienethik. Wiesbaden 2009 (Hrsg., mit Carsten Brosda). Rolf Seubert, Dr. phil. (*1941); seit 1979 AOR für Erziehungswissenschaft/Berufspädagogik an der Universität Siegen. Lehre als Werkzeugmacher, 2. Bildungsweg: Studium des Maschinenbaus, der Erziehungswissenschaft,
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Autorinnen und Autoren
Politik, Neueren Geschichte und Soziologie, 1975-1979 Berufsschullehrer in den Fächern Maschinenbau und Sozialkunde, danach Wechsel an die Universität Siegen. Publikationen (Auswahl): Berufserziehung und Nationalsozialismus. Weinheim 1977; „Junge Adler“. Retrospektive auf einen nationalsozialistischen Jugendfilm. In: medium, 18. Jg., H. 3/1988, S. 31-37; „Betr.: Nichtarier im Lehrlings- und Prüfungswesen“. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Bd. 84, H. 7/1988, S. 609622; Berufsschule und Berufsbildungspolitik im Nationalsozialismus. Zum Stand der Forschung. In: Berg, Christa/ Ellger-Rüttgardt, Sieglind (Hrsg.): „Du bist nichts, Dein Volk ist alles“. Forschungen zum Verhältnis von Pädagogik und Nationalsozialismus. Weinheim 1991, S. 105-131; „Lebendiger Träger des Dritten Reiches“. Zur aktuellen Schwierigkeit des Umgangs mit der Epoche des Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Wirtschaftspädagogik. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Bd. 89, H. 2/1993, S. 149-168; „Freigegeben für Kinder ab 6 Jahren“. Wie das nationalsozialistische Filmerbe vermarktet wird. In: medium, 24. Jg., H. 3/1994, S. 33-36; „Beruf Neonazi“. Ein Dokumentarfilmer inszeniert die „Auschwitz-Lüge“. In: medium, 24. Jg., H. 3/1994, S. 42-46; „A Country That Feels no Guilt or Shame“. Das Ende des ‚Dritten Reiches‘ im US-Magazin ‚LIFE‘. In: Diagonal, H. 2/1996, S. 85-103; ‚Junge Adler‘. Technikbegeisterung und Wehrhaftmachung der Jugend im NS-Spielfilm. In: Chiari, Bernhard/Rogg, Matthias/Schmidt, Wolfgang (Hrsg.): Krieg und Militär im deutschen Film. München 2003, S. 371-400. Slavko Splichal, PhD, Prof. (*1947); Professor of Communication and Public Opinion at the Faculty of Social Sciences, head of CSCR, associate member of the Slovenian Academy of Sciences and Arts, director of the European Institute for Communication and Culture and Editor of its journal “Javnost – The Public”. 1984-1992 member of the International Council, 1992-1996 deputy secretary general of the International Association for Mass Communication Research, 1991-1993 Dean of the Faculty of Social Sciences. He has been member of editorial boards of the “International Journal of Public Opinion Research”, the “Journal of Communication”, “Journalism Studies”, “Gazette”, “New Media & Society”, “Reseaux – The French Journal of Communication”, and several national journals in Europe. Recent publications in English: Manufacturing the (in)visible. Power to communicate, power to silence. In: Communication and Critical/Cultural Studies, Vol. 3, No. 2/2006, pp. 95-115; In search of a strong European public sphere. In: Media, Culture & Society, Vol. 28, No. 5/2006, pp. 695-714; Why be critical? In: Communication, Culture and Critique, Vol. 1, No. 1/2008, pp. 20-30; Does history matter? Grasping the idea of public service media at its roots. In: Lowe, G. Ferrel/Bardoel, Jo (eds.): From public service broadcasting to public service media. Göteborg 2007, pp. 237-256; Publicity and the public sphere in the internet era. In: Lee, Philip (ed.): Communicating peace. Entertaining angels unawares. Penang 2008, pp. 81-96; Principles of publicity and press freedom. Lanham (MD) 2002. Kenneth Starck, PhD, Prof. (*1934); professor emeritus at the University of Iowa. 1956 BA in English from Wartburg College, 1960 MA in journalism from the University of Missouri, 1968 PhD in mass communication from Southern Illinois University, 1977-2004 professor at the University of Iowa School of Journalism and Mass Communication, 1986-1987 Fulbright professor in the Department of Journalism, Graduate School, Chinese Academy of Social Sciences, Beijing, 1994-1995 Fulbright professor at the Faculty of Journalism and Mass Communication at the University of Bucharest, Romania, 2004-2009 dean of the Zayed University College of Communication and Media Sciences, Abu Dhabi, further teaching and lectures in Japan, Iceland, Canada, Ukraine, Great Britain, Hong Kong, Korea, Finland, Norway, Sweden, Denmark and Germany. He worked as a reporter for the Decatur (Ill.) „Review“, the Memphis (Tenn.) „Commercial Appeal“ and as a free-lance correspondent in Scandinavia and China. From 1997-2004 he was news ombudsman for the Cedar Rapids (Iowa) Gazette Company. Publications (selection): Backtalk. Press councils in America. San Francisco 1972 (with William L. Rivers); Public relations and community. A reconstructed theory. New York etc. 1988 (with Dean Kruckeberg); Perspectives in American Studies. A reader by American scholars in China. Shanghai 1988 (ed., with W. Patrick Strauss); The dragon’s pupils. A China odyssey. Ames (IA) 1991; What’s right/wrong with journalism ethics research. In: Journalism Studies, Vol. 2, No. 1/2001, pp. 133-152; Criss-crossing perspectives. Contrasting models of press self-regulation in Germany and the United States. In: Journalism Studies, Vol. 4, No. 1/2003, pp. 47-64 (with Horst Pöttker). Anne Weibert, Dipl.-Journ. (*1978); seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien der Universität Siegen. 1997-2005 Studium der Journalistik und Amerikanistik an der Universität Dortmund, 2007-2008 Redakteurin bei einer regionalen Tageszeitung, 2002-2008 Mitarbeit als studentische und wissenschaftliche Hilfskraft im Forschungsprojekt „Mediale Integration ethnischer Minderheiten“ im DFG-Sonderforschungsbereich „Medienumbrüche“. Anne Weiberts Diplomarbeit wurde im Mai 2007 mit dem Förderpreis des Augsburger Wissenschaftspreises für Interkulturelle Studien ausgezeichnet.
Autorinnen und Autoren
541
Publikationen (Auswahl): Identität im Social Web. Von der Bedeutung der Ethnizität für den gesellschaftlichen Eingliederungsprozess im digitalen Medienumbruch. In: Geißler, Rainer/Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Forschungsbefunde. Bielefeld 2009, S. 333-350 (mit Kristina Enders); „Dimensionen der Vielfalt“. Multikulturalismus in US-Medien. In: epd-Medien, Nr. 6/2008, S. 13-18 (mit Horst Pöttker); Der lokale Rahmen bietet viele Chancen. Minderheitenberichterstattung in Dortmund und Denver. In: Journalistik Journal, 10. Jg., H. 2/2007, S. 32-33. Irmgard Wetzstein, Mag., M.A. (*1981); seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin (Assistentin in Ausbildung) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, seit 2006 Doktoratsstudium der Philosophie (Dissertationsgebiet Publizistik- und Kommunikationswissenschaft). 1999-2006 Studium der Soziologie, Theaterwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien, 2004 Abschluss des Bakkalaureatsstudiums Publizistik, 2006 Abschluss des Magisterstudiums Publizistik, 2002-2006 freie Mitarbeiterin im organisatorischen und redaktionellen Bereich des österreichischen Nachrichtenmagazins „Profil“, 2005-2006 Organisation des postgradualen Universitätslehrgangs für Öffentlichkeitsarbeit (nunmehr „Public Communication“) am Wiener Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, 2006-2007 Mitarbeiterin im Bereich PR und Kommunikation beim Versicherungsverband Österreich, 2009 Abschluss eines postgradualen Lehrgangs zu Mediation und Konfliktregelung mit Master of Arts (M.A.). Vorträge bei kommunikationswissenschaftlichen Tagungen und Publikationen mit Fokus auf die Themen journalistische Qualität im Wort- und Bildjournalismus sowie politische Konfliktberichterstattung (vgl. http://www.univie.ac.at/Publizistik/Wetzstein.htm).
Personenregister
A Adenauer, Konrad ............................................. 492 Adler, Hans Hermann ................................ 497, 499 Adorno, Theodor W. ............... 60-61, 90, 120, 510 Ahlers, Conrad ................................................... 388 Albig, William ..................................................... 69 Allemann, Fritz René ........................................ 407 Altenberg, Peter ................................................. 408 Ardenne, Armand von ...................... 461, 464 Fn 2 Arimond, Heinrich ............................................ 495 Arnold, Heinz Ludwig ....................................... 405 Asmussen, Hans ................................................ 138 Auburtin, Victor ................................................ 409 Aufermann, Jörg ................................................ 319 Augstein, Rudolf ....................................... 388, 407 Austerlitz, Friedrich .......................................... 408 Averbeck, Stefanie .................................... 485, 496
B Bader, Harald ............................................... 16, 512 Barth, Karl ......................................................... 138 Barthes, Roland ................................................... 89 Batista, Fulgencio .............................. 232, 238-239 Baumann, Gerhard ..................................... 495, 498 Baumann, Max .......................................... 492, 502 Bavaud, Maurice ....................................... 468, 480 Becker, Hans Detlev .......................................... 388 Becker, Hermann ....................................... 249-250 Becker, Jörg ....................................................... 223 Bednarz-Braun, Iris ........................................... 265 Behmer, Markus ................................................ 401 Bekessy, Emmerich ........................................... 420 Benario, Leo .............................................. 497, 499 Bender, Peter ..................................................... 389 Benedikt XV. ..................................................... 457 Benedikt XVI. ................................................... 424 Benedikt, Moriz ......................................... 408, 420 Benn, Gottfried .................................................. 132 Bentham, Jeremy ........................................... 57, 62 Berlusconi, Silvio .............................................. 331 Bernhard, Georg ........................................ 304, 458 Bernstein, Carl ................................................... 364 Bespalova, Alla G. ............................................ 513 Bethmann Hollweg, Theobald von ........... 455, 462 Bischof, Werner ................................................. 408 Bismarck, Otto von ................. 232, 428, 462, 467, 469, 478, 485 Bittorf, Wilhelm ........................................ 389, 409
Bloch, Ernst ....................................................... 130 Bloom, Harold ................................................... 399 Blume, Wilhelm von ......................................... 460 Blumer, Herbert ............................................. 60-61 Boenisch, Peter .................................................. 389 Bohrmann, Hans .................................................. 18 Bölling, Klaus .................................................... 389 Bondy, François ................................................. 407 Bonfadelli, Heinz ........................... 15-16, 185, 269 Bormann, Martin ............................................... 480 Börne, Ludwig ................................... 399, 402, 407 Börnstein, Heinrich ........................................... 237 Bourdieu, Pierre ............................. 60-62, 339, 515 Boveri, Margret ................................................. 407 Branahl, Udo ...................................... 17, 483 Fn 1 Braun, Adolf ............................................. 428 Fn 2 Braun, Alfred ..................................................... 409 Braun, Hanns ..................................................... 496 Braunthal, Julius ................................................ 408 Brawand, Leo .................................................... 389 Brecht, Bertolt ................................... 101, 422-423 Brepohl, Wilhelm .............................................. 251 Briand, Aristide ......................................... 463-464 Brie, Michael ................................ 43-44, 48-54, 56 Bringmann, Karl ............................. 319 Fn 10, 323 Brodmann, Roman ............................................ 408 Brost, Erich ........................................................ 489 Brück, Max von ................................................. 408 Brügge, Peter ..................................................... 389 Bryce, James ............................................ 57-58, 60 Bucher, Lothar ................................................... 232 Budzislawski, Hermann ............................ 483, 485 Bücher, Karl .................. 18, 77, 427-453, 456, 511 Bühler, Michael ................................. 438-439, 448 Bülow, Friedrich ................................................ 484 Burkhardt, Werner ............................................. 389 Busche, Jürgen ................................................... 396 Bush, George W. ............................................... 465
C Camus, Albert .................................................... 304 Canetti, Elias ..................................................... 456 Carrell, Rudi ...................................................... 424 Casdorff, Claus-Hinrich .................................... 389 Caspar, Horst .................................... 467 Fn 1, 476 Castells, Manuel .......................... 14, 119, 124-126 Castro, Fidel ................. 16, 231, 238-239, 241-243 Castro, Raúl ....................................................... 238 Chimelli, Rudolf ................................................ 389
Personenregister
544 Cienfuegos, Camilo ........................................... 238 Claessens, Dieter ............................................... 484 Clark, Terry N. .................................................. 447 Claudius, Matthias ............................................. 407 Converse, Philip ............................................ 59, 62 Conway, Moncure D. ........................................ 456 Corti, Axel ......................................................... 407 Cremer, Josef Paul ............................................. 471 Crosbie, Vin ....................................................... 117 Curti, Theodor ................................... 432, 447-448 Czepek, Andrea .................................. 17, 353 Fn 2
D Defoe, Daniel ................................................. 9, 511 Dell, Cheryl ....................................................... 115 d’Ester, Karl 483, 485, 487-488, 494-496, 501-502 Deutelmoser, Erhard .................................. 458-459 Dewey, John ............................................ 65-66, 68 d’Haenens, Leen .................................................. 15 Dibelius, Ulrich ......................................... 389-390 Dieckmann, Friedrich ........................................ 396 Diesel, Rudolf .................................................... 470 Dix, Otto ............................................................ 465 Döblin, Alfred ................................................... 132 Dönhoff, Marion ................................ 396, 401, 407 Donsbach, Wolfgang ......................................... 322 Dovifat, Emil ..................... 483-485, 487, 491-493, 495, 497-498, 501-502, 512 Dresler, Adolf .................................................... 496 Du Mont, Jürgen ................................................ 390 du Prel, Maximilian Freiherr ............................. 489 Dünser, Margret ................................................. 408 Dumenco, Simon ............................................... 116 Durkheim, Émile ............................... 125, 169, 511 Dusch, Alexander von ....................................... 441 Dvorkin, Jeffrey ......................................... 114, 116 Dygutsch-Lorenz, Ilse ....................................... 315
E Eberhard, Fritz ........................................... 485, 489 Eberwein, Tobias ......................................... 14, 514 Eckardt, Hans von ..................... 485, 496-497, 499 Eckert, Gerhard ........ 483 Fn 1, 487, 493, 498, 502 Eco, Umberto ....................................................... 93 Eggebrecht, Axel ............................................... 408 Ehlers, Hermann ................................................ 138 Ehrlich, Peter ..................................................... 358 Eisenstaedt, Alfred ............................................ 408 El Sghiar, Hatim ................................. 15, 200 Fn 4 Elitz, Ernst ......................................................... 319 Elser, Georg ....................................................... 468 Enders, Kristina ................................................. 513 Engelhardt, Ulrich ............................................. 251 Engelmann, Bernt .............................................. 390
Enzensberger, Hans Magnus ...... 77, 101, 314 Fn 3 Ertel, Dieter ....................................................... 390 Esser, Klaus ......................................................... 77 Eurich, Claus ............................................... 13, 322 Everth, Erich ...................................... 495, 499, 502
F Falkenhayn, Erich von ....................................... 462 Fassmann, David ....................... 402-403, 405, 409 Fechner, Eberhard ............................................. 408 Feldbusch-Poth, Verona .................................... 424 Feldmann, Else .................................................. 408 Fest, Joachim ..................................................... 390 Fischer, Alfred ................................................... 137 Fishkin, James ..................................................... 63 Fleischmann, Max ..................................... 490, 499 Fleras, Augie ..................................................... 275 Fontane, Theodor ............................... 402-403, 407 Forster, Georg .................................................... 408 Foucault, Michel ................................................ 173 Fraenkel, Ernst ................................................... 500 Francke, August Hermann ........................ 130-131 Frankenfeld, Alfred ........................................... 493 Freudenreich, Johann ........................................ 390 Friedman, Milton ................................................. 75 Friedrich I. ......................................................... 131 Friedrich II. „der Große“ ........................... 469, 478 Friedrich Wilhelm (I.) ....................................... 478 Friedrich Wilhelm IV. ............................... 231-232 Frisé, Maria ....................................................... 390 Fritsche, Katharina ........................... 266 Fn 7, 272 Fröbel, Julius ............................................. 232, 234 Fromme, Friedrich Karl ..................................... 390
G Gädke, Richard .................................................. 461 Gallup, George H. ..................... 57-59, 63, 69 Fn 5 Gast, Peter .......................................................... 491 Gatterer, Claus ................................................... 408 Gaus, Günter .............................................. 391, 407 Geiger, Theodor ......................... 507-511, 513, 517 Geißler, Rainer .................... 12, 19, 120, 170, 172, 174, 213, 266, 268-270, 275, 517 Genscher, Hans-Dietrich .......................... 330 Fn 6 Gentz, Friedrich von .......................................... 409 George, Heinrich ...................... 467 Fn 1, 476, 479 George, Lloyd .................................................... 461 Gerhards, Jürgen ............................................ 27, 81 Gerstenmaier, Eugen ................................. 134-135 Goebbels, Joseph ....... 133, 456, 467-469, 476, 480 Goethe, Johann Wolfgang von .................. 424-425 Gogh, Theo van ................................................. 194 Gorbaþev (Gorbatschow), Michail S. ......... 43, 221 Görres, Johann Joseph ....................................... 408
Personenregister
Grabe, Hans-Dieter ............................................ 396 Gresmann, Hans ................................................ 391 Grimm, Friedrich Melchior ............................... 408 Groh, Dietrich .................................................... 321 Gross, Johannes ................................................. 408 Grosz, George ............................................ 402, 407 Groth, Otto ................................ 298, 485, 499, 502 Gütt, Dieter ........................................................ 391 Guevara, Ernesto „Che“ .................................... 238 Gulbransson, Olaf .............................................. 408 Gutenberg, Johannes ......................................... 117
H Haacke, Wilmont .............. 486, 488, 491, 498, 502 Haas, Ernst ......................................................... 408 Habermas, Jürgen .............. 9, 28, 30-32, 34-35, 55, 60, 68, 73, 120-122, 126, 172, 225, 449, 510 Hafenbrack, Hans ................................................ 14 Hafez, Kai .......................................................... 268 Haffner, Sebastian ............................................. 407 Hagemann, Walter .................... 285-286, 483, 485, 491-492, 496, 500, 502 Haig, Douglas .................................................... 462 Halle, Armin ...................................................... 291 Hammerschmidt, Helmut .................................. 391 Haniel, Franz ..................................................... 251 Hanslick, Eduard ............................................... 408 Harden, Maximilian .................................. 407, 455 Harkort, Friedrich .............................................. 250 Harpprecht, Klaus .............................. 391, 396-397 Hartstein, Erich .................................................. 391 Haubrich, Walter ............................................... 396 Hauptmann, Karl ............................................... 488 Hausjell, Fritz .................................................... 401 Hayek, Friedrich August ..................................... 77 Heide, Walther .......................... 483, 487-488, 490, 494-495, 497, 499-502 Heidegger, Martin ............................................. 484 Heigert, Hans ..................................................... 391 Heine, Heinrich ........ 399, 402-403, 405, 407, 414, 416-417, 419, 511 Heinrich, Jürgen .................................................. 13 Heinser, Lukas ................................................... 157 Henderson, Charles Richmond .................. 447-448 Herbort, Heinz-Josef ......................................... 392 Herczeg, Petra ............................. 15, 397, 401, 513 Herder, Johann Gottfried ................................... 130 Herfurth, Edgar .......................................... 432, 449 Hermanns, Will ................................................. 492 Herrmann, Alfred .............................................. 493 Herzfeld, Hans ................................................... 484 Herzl, Theodor ........................................... 402, 407 Hess, Ernst, s. Brügge, Peter Hesse, Hermann ................................................. 132 Heß-Meining, Ulrike ......................................... 265 Heyde, Ludwig .................................. 493, 499, 502
545 Hicks, Wolfgang ................................................ 409 Hindenburg, Paul von ................................ 462-463 Hinderer, August ............... 131-134, 137, 491, 499 Hippokrates ....................................................... 304 Hirsch, Max ....................................... 247, 249-250 Hitler, Adolf ............. 423, 425, 457 Fn 1, 467-468, 476-478, 480 Höbermann, Frauke ........................................... 322 Hobsbawm, Eric J. ............................................ 223 Hodenberg, Christina von ................................. 388 Hoen, Maximilian von ....................................... 459 Hoffmann, Johannes .................................... 16, 515 Holsbeeck, Joe Van ........................................... 201 Holtzbrinck, Georg von ..................................... 135 Holzer, Werner .................................................. 392 Hömberg, Walter ................................................. 16 Horkheimer, Max ................................................ 90 Horz, Christine .................................................. 271 Høyer, Svennik .................................................. 513 Hue, Otto ........................................................... 247 Hürlimann, Ernst ............................................... 408 Hugenberg, Alfred ............................................. 469 Hutchins, Robert M. .......................................... 112 Huth-Hildebrandt, Christine .............................. 265 Hyman, Herbert ................................................... 59
J Jacob, Berthold .................................................. 409 Jacobi, Claus ...................................................... 392 Jacobsohn, Siegfried .......................................... 407 Jarkowski, Stanislaw ......................................... 447 Jarren, Otfried .................................................... 177 Jauch, Gerd ........................................................ 392 Jenaczek, Friedrich ............................................ 414 Jenninger, Philipp .............................................. 509 Jessen, Hans ....................................................... 496 Johnson, Hiram .................................................. 456 Johnson, Joseph French ............................. 434, 438 Jünger, Ernst ...................................................... 132 Jungk, Robert ..................................................... 408
K Kabisch, Ernst ................................................... 464 Kaiser, Joachim ................................................. 392 Kant, Immanuel ....................................... 26, 30, 82 Karl Alexander von Württemberg ..................... 479 Karl Eugen von Württemberg ........... 470, 478-479 Kauffmann, Hans ............................................... 489 Kautsky, Karl ....................................................... 47 Keil, Susanne ............................................. 267, 275 Kempski, Hans-Ulrich ....................................... 392 Kennedy, John F. ............................................... 123 Kerr, Alfred ....................................................... 407 Kiesinger, Kurt Georg ....................................... 391
Personenregister
546 Kieslich, Günter ................. 290, 296, 299-300, 315 Kirchner, Joachim ............................. 496, 499, 502 Kisch, Egon Erwin ............ 130, 397, 402-404, 407 Klammer, Bernd .................................................. 17 Klaus, Elisabeth ........................ 267, 271, 273, 275 Kluge, Franz Hermann .............................. 492, 498 Klump, Brigitte .................................................. 313 Klutentreter, Wilhelm ................................ 499, 502 Knightley, Phillip ...................................... 456-457 Knüwer, Thomas ............................................... 160 Koch, Adolf .................................... 429, 438 Fn 21 Koch, Karl ......................................................... 134 Koch, Ralf .......................................................... 271 Koch, Robert ..................................................... 470 Koch, Thilo ................................................ 392, 408 Kolumbus, Christoph ........................................ 304 König, René ....................................................... 500 Kopper, Gerd G. ................................. 17, 483 Fn 1 Kornilov, Evgenij A. ......................................... 513 Kossuth, Lajos ................................................... 237 Koszyk, Kurt ................ 16, 18, 296, 299, 315-318, 320-325, 361, 510 Kraus, Karl .................. 18, 402, 407, 411-425, 456 Krumbach, Josef H. ........................................... 495 Kuby, Erich ....................................................... 407 Kühn, Heinz ....................................................... 316 Kürnberger, Ferdinand ...................................... 408 Kuh, Anton ........................................................ 408 Kurth, Karl ........................ 488, 494, 496, 498, 502 Kutsch, Arnulf ..................................... 18, 485, 494
L La Roche, Walter von ........................................ 401 Lammers, Hans Heinrich ................................... 480 Langenbucher, Wolfgang R. .............. 17, 296, 299, 314 Fn 2, 315, 319 Laschet, Armin .................................................. 514 Lazarsfeld, Paul F. ............................... 58, 182, 511 Le Bon, Gustave ................................................ 457 Lebeck, Robert .................................................. 393 Lee, James Melvin .................................. 434 Fn 13 Lehmann, Ernst Herbert .................... 487-488, 498 Leichter, Käthe .................................................. 408 Leinemann, Jürgen ............................................ 396 Lenin, Wladimir I. ................................... 45, 47, 54 Leonhard, Rudolf Walter ................................... 392 Lerg, Winfried B. ................... 323 Fn 11, 485, 500 Leschnitzer, Adolf ............................................. 484 Lessing, Erich .................................... 393, 403, 407 Ley, Robert ........................................................ 484 Lieber, Hans-Joachim ........................................ 484 Lilje, Hanns ....................................................... 135 Lippold, Günter ............................ 43, 45-46, 53-54 Littmann, Wolf .................................................. 393 Lobigs, Frank ................................................. 73, 80 Locke, John ................................................... 60, 83
Löwe (Löwe-Calbe), Wilhelm .......................... 249 Ludendorff, Erich .............................................. 463 Ludes, Peter ......................................... 14, 120, 512 Lüddecke, Theodor .................................... 490, 498 Lünenborg, Margreth ................ 267, 272-273, 275 Lüpsen, Focko ................................... 133-134, 138 Luft, Friedrich ................................................... 408 Luhmann, Niklas ................................... 10, 98, 510 Lundborg, Ragnar .............................................. 446 Lunzer-Lindhausen, Marianne .......................... 488 Luther, Martin ................................................... 130 Luutz, Wolfgang .......................... 44, 49-50, 53, 55
M Macdonald, Lyn ................................................. 459 Maetzke, Ernst-Otto .......................................... 393 Maisch, Herbert ................................................. 467 Maletzke, Gerhard ..................................... 175, 177 Mamroth, Fedor ...................................... 439 Fn 23 Mannheim, Karl ......................................... 121, 123 Mao Zedong ...................................................... 124 Marx, Karl ......................................... 45, 50-51, 75 März, Josef ................................................ 488, 498 Mauz, Gerhard ................................................... 393 Max, Hubert ........ 486-487, 492, 495, 499-500, 502 May, Dick .................................................. 438, 448 Mayntz, Renate .................................................. 484 Medebach, Friedrich .......................................... 499 Meienberg, Niklaus ........................................... 407 Meier, Ernst ............................................... 497, 499 Meinhof, Ulrike ................................................. 396 Meister, Anton, s. Dresler, Adolf Menz, Gerhard ................... 483-486, 490, 495, 500 Merseburger, Peter ............................................ 393 Merten, Klaus .............................................. 27, 268 Merton, Robert K. ..................................... 182, 510 Meulenbelt, Anja ............................................... 265 Meyer, Heinrich ................................................. 514 Meyer, Philip ............................................. 362, 365 Meyer, Rainer („Don Alphonso“) ..................... 155 Meyer, Werner ................................................... 393 Michael, Fritz .................................................... 323 Michelangelo ..................................................... 470 Mohr, Cornelia .................................................. 513 Mohr, Martin ..................................... 285, 432, 446 Moltke, Hellmuth von ....................................... 458 Monroe, James ................................................... 232 Morath, Ernst ............................................. 463-464 Morath, Inge ...................................................... 408 Moritz, Karl Philipp .......................................... 407 Möser, Justus ..................................................... 409 Moses, Stefan .................................................... 393 Mühlmann, Wilhelm E. ..................................... 497 Müller, Daniel ....................................... 15, 19, 513 Müller-Meiningen jr., Ernst .............................. 407 Münch, Richard ................................. 169, 171, 178
Personenregister
Münster, Hans Amandus ... 490, 495, 498, 501-502 Mussolini, Benito ...................................... 465, 496
N Nannen, Henri ................................................... 407 Nenning, Günther ...................... 393-394, 402, 407 Nestroy, Johann ................................. 414, 418-421 Neuberger, Christoph .......................................... 13 Neumann, Hanspeter ......................................... 138 Nicolai, Friedrich ............................................... 407 Nicolai, Walter .................................................. 459 Nielsen-Stokkeby, Bernd .................................. 394 Niemöller, Martin .............................................. 134 Nietzsche, Friedrich .......................................... 130 Niggemeier, Stefan ............................ 154-156, 159 Noelle-Neumann, Elisabeth ............ 81, 83-84, 512 Nolte, Jost .......................................................... 394 Northcliffe, Alfred Lord .................................... 458
O Obermann, Emil ................................................ 394 Öcalan, Abdullah „Apo“ ................................... 221 Okrent, Daniel ........................................... 115-116 Opoku, Samuel .................................. 169-170, 175 Oppenberg, Dietrich .......................................... 514 Osborn, Max ...................................................... 459 Ossietzky, Carl von ................................... 402, 407
P Paczensky, Gert von .......................................... 394 Paracelsus .......................................................... 470 Park, Robert E. .......................................... 240, 511 Parsons, Talcott ................................................. 169 Pascual Iglesias, Mercedes ............... 266 Fn 7, 270 Pätzold, Ulrich ..................................................... 16 Paul, Bruno ........................................................ 408 Perot, Ross ........................................................... 58 Peters, Alfred ............................. 488-489, 499, 502 Pezzl, Johann ............................................. 402, 409 Picton, Harold .................................................... 456 Pig, Marianne, s. Lunzer-Lindhausen, Marianne Poerschke, Hans ........................... 13, 45-47, 50-54 Polgar, Alfred ............................................ 402, 407 Pollak, Oscar ..................................................... 408 Popitz, Heinrich ................................................. 510 Pöttker, Horst ....................................... 9-13, 15-17, 19, 23, 74, 81-82, 97-105, 120, 136, 150, 160, 169-170, 182, 213, 263, 266, 268-269, 276, 283, 361-363, 365-366, 423, 507-515, 517532 Pötzl, Eduard ..................................................... 408 Prause, Gerhard ................................................. 394
547 Prinz, Günter ..................................................... 394 Pritchard, Stephen ............................. 109, 114, 117 Pross, Harry ...................................... 314 Fn 5, 500 Pulitzer, Joseph ......................... 432-433, 435, 440, 444-445, 447, 449, 456 Puschkin, Alexander S. ..................................... 511
Q Queri, Georg .............................................. 461-463
R Radcliffe, Daniel ............................................... 425 Rau, Johannes .................................... 316-317, 321 Reich-Ranicki, Marcel .............................. 397, 405 Reifenberg, Jan .................................................. 394 Remarque, Erich Maria ..................................... 465 Rembrandt ......................................................... 470 Reus, Gunter ...................................................... 401 Reuter, Verena ................................................... 513 Riehl-Heyse, Herbert ......................... 396, 402, 407 Ritter, Gerhard (1888-1967) .............................. 138 Ritter, Gerhard A. (geb. 1929) .......................... 484 Röben, Bärbel ...................................................... 16 Roedemeyer, Friedrichkarl ................ 491, 499, 502 Roegele, Otto B. ................................................ 485 Rohde, Konstanze .............................................. 318 Romenesko, Jim ................................................ 116 Ronneberger, Franz ........... 182, 489-490, 498, 501 Roselius, Hans ................................................... 495 Roth, Joseph .............................. 398-399, 402, 407 Rousseau, Jean-Jacques ............................... 30, 293 Rühl, Manfred ........................................... 296, 315 Rühle, Günther .......................................... 394-395 Ruge, Gerd ......................................................... 395 Rust, Bernhard ................................................... 480
S Sack, Manfred ................................................... 395 Saekel, Wilhelm ................................................ 395 Salomon, Erich .................................................. 408 Salten, Felix ....................................................... 403 Salzmann, Erich von ................................. 462-463 Sartorius, Peter .................................................. 396 Saxer, Ulrich ...................................................... 182 Schäffle, Albert ...................... 430, 436 Fn 18, 511 Schalek, Alice Therese Emma .......................... 408 Scharf, Kurt ....................................................... 135 Scharlau, Winfried ............................................. 396 Scheel, Gustav Adolf ......................................... 497 Scherer, Marie-Luise ......................................... 396 Scheuch, Erwin K. ............................................. 500 Schicha, Christian ................................................ 12
Personenregister
548 Schiller, Friedrich ................................ 18, 463-481 Schily, Otto ........................................................ 221 Schlesier, Raimund ............................................ 484 Schlesinger, Arthur M. ...................................... 224 Schlesinger, Paul Felix („Sling“) ...................... 408 Schlüter, Andreas .............................................. 470 Schmeller, Alfred .............................................. 408 Schmidt, Helmut ....................................... 330 Fn 6 Schmidtbonn, Wilhelm ...................................... 464 Schmidt-Leonhardt, Hans ......................... 491, 498 Schmitt, Carl ........................................................ 58 Schober, Johann ......................................... 420, 423 Schöndube, Claus .............................................. 395 Schreiber, Hermann ........................................... 395 Schridde, Rudolf ........................................ 321-322 Schubart, Christian F. D. .......... 409, 471, 474, 479 Schütze, Christian .............................................. 395 Schulz, Erich ............................................. 493, 502 Schulze-Delitzsch, Hermann ............................. 249 Schumann, Karl ................................................. 395 Schumpeter, Joseph Alois ................................... 75 Schurz, Carl ....................................................... 233 Schwaebe, Martin ...................................... 492, 499 Schwarz, Walter ................................................ 138 Schwarzenberg, Felix Prinz zu .......................... 232 Schwarzkopf jr., H. Norman ............................. 456 Schwarzschild, Leopold .................................... 408 Schwier, Hans .................................................... 324 Sethe, Paul ......................................................... 408 Seubert, Rolf ........................................................ 18 Siebenpfeiffer, Philipp Jakob ............................ 408 Sieburg, Friedrich .............................................. 407 Siegel, Günther .................................................. 138 Sisyphos/Sisyphus ..................................... 304, 512 Sitte, Fritz .......................................................... 395 Six, Franz Alfred ............... 486, 488, 490, 497-498 Small, Albion W. .................................... 436 Fn 18 Smalley, George W. .......................................... 456 Sommer, Theo ................................... 291, 395-396 Sonnemann, Leopold ................................. 402, 409 Spahn, Martin ............................................ 492, 499 Spiel, Hilde ................................................ 303, 407 Spitzer, Daniel ................................................... 408 Splichal, Slavko ................................................... 13 Spranger, Eduard ............................................... 484 Stalin, Jossif W. ..................................... 45, 47, 124 Stammer, Otto ................................................... 484 Starck, Kenneth ........................................... 14, 513 Stehle, Hansjakob ...................................... 395-396 Stein, Georg ....................................................... 236 Steinmayr, Jochen ............................................. 396 Stephens, Mitchell ............................................. 399 Stern, Carola .............................................. 401, 407 Stresemann, Gustav ........................................... 464 Süskind, Wilhelm Emanuel ............................... 407 Sußebach, Henning ............................................ 178 Swientek, Horst-Oskar ...................................... 248 Szewczuk, Mirko ....................................... 402, 409
T Tarde, Gabriel .......................................... 57, 64-65 Tavernier, Eugène ............................................. 429 Tergit, Gabriele ......................................... 402, 409 Terzani, Tiziano ................................................. 396 Thiess, Frank ..................................................... 457 Thomas, Tanja ................................................... 423 Tocqueville, Alexis de ............................... 233, 237 Tönnies, Ferdinand ................................ 57, 65, 511 Topçu, Canan ..................................................... 274 Torberg, Friedrich ............................................. 407 Tötter, Heinrich ......................................... 492, 498 Trappe, Paul ....................................................... 507 Traub, Hans ....................................................... 499 Troeller, Gordian ............................................... 409 Tucholsky, Kurt ........................ 399, 402, 407, 457 Twain, Mark ...................................................... 115
U Uhl, Jakob .......................................................... 235
V Verraux, Martial Justin ...................................... 458 Viererbl, Karl ..................................... 488-489, 498 Vincent, George E. .................... 436, 443-444, 447 Virchow, Rudolf ........................................ 249-250 Vlasov, Andrej A. .............................................. 218 Vorbach, Kurt, s. Viererbl, Karl Vormweg, Heinrich ........................................... 396 Voska, Helmut ................................................... 396
W Wagenführ, Kurt ......... 490-491, 493-494, 498, 502 Wahl, Paul ......................................................... 493 Walden, Matthias ............................................... 396 Wallraff, Günter ........................................ 366, 375 Walther, Andreas ....................................... 492, 497 Walz, Kurt ................................. 486, 488, 497-498 Wand, Albert ..................................... 493, 499, 502 Weber, Alfred ............................ 485, 496-497, 499 Weber, Harry ..................................................... 408 Weber, Max ............ 10-11, 97, 100, 169, 431 Fn 7, 432 Fn 9, 496, 510 Weber-Menges, Sonja ............... 213-214, 224, 513 Weeber, Rudolf ......................................... 134-135 Wehler, Hans-Ulrich ......................................... 222 Weibert, Anne ............................................. 16, 513 Weigel, Hans ..................................................... 408 Weill, Jeanne, s. May, Dick Weimann, Robert ........................................... 43, 45 Weischedel, Wilhelm ........................................ 484
Personenregister
Weischenberg, Siegfried ......... 146, 160, 268, 320, 322, 325, 387 Wekhrlin, Wilhelm Ludwig .............................. 409 Wenke, Hans ..................................................... 494 Wessel, Horst ..................................................... 468 Westerbarkey, Joachim ................................. 9, 301 Wettstein, Oscar ......................... 438-440, 445-449 Wetzstein, Irmgard .............................................. 17 Wichern, Johann Hinrich .......................... 130-131 Wiebel, Martin ................................................... 321 Wiese, Leopold von ........................................... 489 Wilhelm II. ................................................ 394, 458 Willms, Johannes ............................................... 396 Winter, Max ............................................... 402, 407 Winters, Peter Jochen ........................................ 396 Wirth, Johann Georg August ............................. 408 Witter, Ben ........................................................ 408 Wolff, Theodor .................. 408, 455, 458, 460-461 Woodward, Bob ................................................. 364 Wördemann, Franz ............................................ 396
549 Worm, Alfred .................................... 396, 403, 407 Wrede, Richard .......................................... 438, 448 Würzberg, Gerd ................................................. 322 Wüst, Walther .................................................... 495
Y Ypsilanti, Andrea ................................................. 83
Z Zambonini, Gualtiero ........................................ 269 Zankl, Hans-Ludwig .......................... 486, 497-498 Zechlin, Egmont ................................................ 494 Zehentmayr, Dieter ............................................ 409 Zilk, Helmut ...................................................... 396 Zimmer, Dieter E. .............................................. 396 Zogaj, Arigona ........................................... 176-177
Sachregister
1 11. September .............. 115, 194, 269 (s. a. Terror)
A Abonnement ................................ 82, 135, 215, 220 Agitation ............................. 48, 258, 329 Fn 4, 471 Akkulturation ..................................... 181, 184-185 Aktualität ...... 11, 80, 148, 364, 398, 413, 445, 456 allochthone Minderheiten .......................... 212, 223 Alltag ....................... 9, 14, 52-53, 92-93, 103, 153, 172-173, 186, 189-190, 240, 276, 307, 319, 322, 329, 341, 346, 362, 397-398, 401, 404, 422, 431, 510 Anschlusskommunikation .............. 31, 34, 79, 143, 157, 189 Antisemitismus .......................................... 491, 509 Anzeige ..................................... 145, 241 Fn 4, 354 Arbeiterbewegung ......................................... 45, 50 Arbeitsteilung .......... 24, 52, 77, 81, 291, 299, 308, 430, 436, 443-444 Artefakt .......................................................... 59-61 Assimilation ...... 170, 184-185, 189, 194, 211, 217, 231, 233, 235, 291 Ästhetik ........................... 38, 90, 93, 301, 399, 479 Asyl ...... 176, 181, 183, 239 Fn 1 (s. a. Flüchtling) Aufmerksamkeit .................. 32, 36, 53, 76, 79, 92, 120-121, 126-127, 143, 162, 176-177, 182, 187, 242, 284, 359, 367, 435, 445, 469, 489 Ausländer ................. 181, 183, 187, 211, 215, 218, 264 Fn 2, 268, 270, 345 Fn 22, 355, 447 (s. a. Gastarbeiter) Auslandsmedien .................................. 15, 213, 220 Aussiedler, s. Emigration Authentizität ...... 13, 37, 63, 88-90, 92, 94, 96, 160 autochthone Minderheiten ........ 212, 214, 217-218, 222, 225 Autonomie ......... 25, 32, 34, 49, 67, 101, 176, 297, 310, 319, 321, 355-356, 358, 415, 449 Autopoiesis ................................................ 148, 152
B Barriere ................................... 10, 54, 82, 324, 347 Befragung ...... 15, 77, 124, 149-150, 153, 185-186, 188-189, 212, 264 Fn 5, 266 Fn 7, 267-268, 270, 272, 274, 287, 289, 305, 310, 361-362, 366-367, 369, 373, 401-403
Begabung ........... 237, 284-287, 293, 304, 314-315, 390, 440-441 (s. a. Talent) Berufsbild .................. 298, 300-301, 308, 314, 343 Besatzung ... 285, 483, 488-489, 492-495, 498-500 Beteiligung, s. Partizipation Bewusstsein . 30, 43, 45, 47-49, 52, 84, 89, 96, 100 Fn 1, 170, 174, 212, 242, 274, 416-417, 419, 434, 445, 449, 461, 465, 470, 477, 481, 510 Bibel .......................................................... 130, 249 Bildschirmmedien ....... 93, 100, 120-121, 302, 392 Biografie .................... 95, 124, 211, 234, 288, 313, 396-398, 405 Fn 2, 413, 501, 511 „blinder Fleck“ ......................... 101, 147, 152, 366 Blog, s. Weblog „Bologna-Prozess“ ...................... 16, 305, 309, 514 Boulevardjournalismus ..... 103, 177, 222, 357, 420 Bundesverfassungsgericht ........ 74, 77-78, 369-384 Bürgerjournalismus/-medien .................... 103, 112, 115-116, 223, 271-272, 343
C Christentum ......... 129-140, 216, 479 (s. a. Kirche) „citizen journalism“, s. Bürgerjournalismus/-medien „community“ ......... 12, 15, 68, 115, 125, 190, 197, 205, 231, 233, 239 Fn 2, 240-241, 244, 271272, 435, 509 Computerspiel ............................................. 99, 102 Curriculum ..................... 16-17, 283, 287, 295-297, 299-300, 307-308, 310, 315-316, 320-321, 427, 433-434, 438-439, 443-444 (s. a. Lehrplan, Studienordnung)
D Darstellungsform ..... 9, 18-19, 91, 93-94, 147, 150, 155, 160-161, 237, 364, 389-399, 402, 469 Darwinismus .............................................. 287, 477 Deliberation ......... 13, 23, 31, 35, 59, 63-64, 66, 69 Demokratie . 12-13, 23-38, 46, 48, 50, 54, 69 Fn 4, 73-74, 80, 120, 126, 216 Fn 3, 220, 231, 233234, 239, 241 Fn 4, 264, 314, 324, 329 Fn 4, 353, 357, 363, 372, 391, 394, 403-404, 418, 422-423, 428, 457, 461, 463, 495, 500, 508 Deprofessionalisierung ........................ 14, 299, 355 Dialektik ............... 49, 51, 53, 55, 87, 89, 233, 416 Diaspora .................... 198, 203, 205, 223, 243, 271 Didaktik .................................... 283, 291, 297, 299
Sachregister
552 „digital divide“ .......................................... 104, 122 Digitalisierung ..................... 78, 124, 354-355, 514 Diskriminierung ............. 78, 87, 94, 181, 190, 198, 199 Fn 2, 221 Fn 7, 265, 267-269, 271, 273274, 276, 376, 512-513 Diskurs ............. 9, 12, 14-15, 26, 30-32, 34-38, 44, 55-56, 64, 73, 76, 87, 89, 95, 104, 115, 126127, 129, 140, 150, 157, 169-171, 173-179, 198-199, 203, 205, 232, 264-265, 271, 308, 322, 333, 336, 340, 343, 399, 443, 508, 512 Diversität ...................... 15, 66, 194, 198-199, 242, 266 Fn 7, 269, 274, 398, 513 Dramatisierung ............................. 24 Fn 3, 38, 422 Dramaturgie ........................................... 23, 75, 470 „Drittes Reich“, s. Nationalsozialismus
E Eigentum ............................... 51, 54, 265, 371, 375 Einschaltquote ....................................... 80, 95, 355 Einwanderung, s. Immigration Elite ..................... 31, 57, 60-62, 67, 176-177, 356, 428-429, 431, 449, 470, 472, 512 Emanzipation .................... 26, 45, 47-48, 120, 132, 223-224, 418 „emic view“ ............................................... 198, 212 Emigration ......... 217, 221-222, 231-244, 273, 478, 483-485 (s. a. Migration) Entfremdung ........... 92, 97-99, 102, 178, 234, 415, 419, 510 Erotik ......................................................... 477-478 Erster Weltkrieg .......... 18, 215-216, 222-223, 231, 233, 251, 414, 420, 422, 437, 446, 448, 455465, 469, 478, 490, 492, 499 Erziehung ......... 133, 283, 304, 373, 419, 438, 445, 469, 477, 479-480, 487, 489, 494 Essay .... 18, 109, 238, 390, 393-394, 405, 414, 416 Ethik ................ 10, 12, 14-15, 69, 84, 95, 107-162, 234, 268, 286, 302, 304, 310, 345, 357-358, 366, 413-414, 430-431, 435, 440, 445, 449, 509, 511-512 (s. a. Moral) ethnische Minderheiten ................ 12, 15, 172, 174, 177, 181, 185, 190, 193-199, 201, 205-206, 211-226, 231-232, 234, 236-237, 243-244, 266, 268-269, 271, 275-276, 512-513 Ethnomedien, s. Medien ethnischer Minderheiten „etic view“ ................................................. 198, 212 Europa ................................... 13, 15, 17, 26, 65-67, 69-70, 109, 116, 127, 174-175, 178, 181, 183, 187, 204, 218-220, 221 Fn 5, 225, 231-238, 243, 261, 266-268, 269 Fn 10, 305, 309, 327347, 353-359, 377, 395, 428-429, 433, 437438, 440 Fn 24, 446-448, 457, 462, 469, 480, 498, 515 Exil .... 217-218, 231-232, 234, 239-243, 397, 509 Exklusion .................................. 124, 171, 174, 181
F Fachhochschule ........ 301, 305, 318, 321, 353 Fn 2 Fachkompetenz ......................... 297, 302, 308, 434 Fakt(en) .............. 10, 62-64, 69-70, 75-76, 88, 114, 125, 201-202, 368, 457, 483 Faschismus ............... 465, 484, 489, 495, 500, 508 Fernsehen .................. 13, 15, 24-25, 34, 38, 76, 83, 87, 91-95, 100-101, 111, 119-120, 122-126, 136-137, 144, 149, 152, 154-161, 169, 176, 182, 184, 186-190, 194-197, 199-203, 219221, 226, 263, 266, 271-272, 275, 289, 292, 295, 301, 303, 314, 318, 333, 340 Fn 13, 355, 367, 377, 381-382, 387, 392-395, 400, 424425, 486, 490, 493 (s. a. Rundfunk) Feuilleton .......... 124, 387, 395, 412, 416, 418-419, 422, 439, 441-442, 459, 491 Fiktion ............. 10, 13, 23, 30, 92, 94-95, 100 Fn 1, 119, 146, 159, 194, 198, 225, 412 Film ........... 11, 18, 91, 93-94, 123, 126, 132, 134, 136-137, 158, 161, 225 Fn 11, 263, 272, 303, 307, 333, 356, 381-383, 395, 399-400, 467481, 493 Finanzierung ...................... 77, 134, 153, 217, 219, 240-241, 317-319, 340 Fn 13, 354-355, 357359, 458, 476 (s. a. Subvention) Flüchtling .......................... 181, 187, 221, 232-237, 239 Fn 1, 242-243 (s. a. Asyl) Folgenreflexivität ............. 13, 74, 97-100, 102-103 Folgentransparenz ................................. 13, 82, 512 Forum .................... 27, 29, 64, 112, 122, 144, 157, 241, 291, 514 Foto ........... 91, 110, 115, 132, 301, 303, 374, 378382, 393, 399-400, 402-403, 424-425, 465 Fragmentierung 28-29, 33, 37, 77-78, 121, 182, 354 Framing .............................................. 182-183, 205 Frau(en) ........ 16, 94, 201, 203-204, 239 Fn 1, 242, 263-276, 401, 414, 424, 459-460, 476-479 Frei(berufl)er ............ 120, 149, 152, 356, 428, 493 Fremdsprache .................... 213-214, 251, 425, 434 Fusion ....................... 65, 135, 137, 334, 341 Fn 16
G Gastarbeiter .............. 171, 181, 183, 211, 218-219, 223-224, 243, 268 Gegenöffentlichkeit .............. 44, 50, 333, 335, 343 Geld ....................... 76, 80, 83, 119, 121, 134, 150, 216-217, 220, 237, 355, 366, 374, 377, 379, 382, 461, 477, 479, 494 Gemeinwohl .................... 73-74, 80, 428, 430, 435 Gender ......... 110, 265, 267, 273 (s. a. Geschlecht) Genie .................................................... 18, 467-481 Genre, s. Darstellungsform Gerücht ...................................................... 404, 460 Geschlecht .. 264-276, 343, 362, 401 (s. a. Gender)
Sachregister
Gewalt .................. 94, 218, 238-239, 243, 265-266, 379, 413, 423, 471, 478-479 Gewerbe .................................... 102, 253, 388, 430 Gewerkschaft ............. 219, 247-250, 253-256, 293, 330 Fn 6, 332, 334, 484 Glaubwürdigkeit ........... 79, 89, 100 Fn 1, 110-114, 117, 148, 358, 460 Gleichberechtigung ............ 45, 51, 55-56, 99, 102, 144, 174, 234, 254, 263, 265, 267, 275, 343 Globalisierung ........... 59, 64, 66-70, 181, 233, 511 Glosse .................................. 18, 160, 391, 411-425 Governance ............................................ 57-70, 109 Grundgesetz .......................... 74, 94, 366, 369-384, 490 (s. a. Verfassung) Gutachten ........................ 135, 370, 440 Fn 24, 488
H Habilitation ........ 9, 13, 43, 97, 103, 291, 428, 447, 484, 487-489, 491-499, 502, 507, 509-510 Handelshochschule .................. 431 Fn 7, 434, 441, 448, 483, 486, 490, 497, 501 Handlungstheorie ............................. 10, 24, 98, 510 Hierarchie ..................... 64, 68, 121, 124, 264-266, 272, 274, 276, 430, 515 Hochschulpolitik .... 345 Fn 22, 347, 444, 490, 514 Holocaust, s. Nationalsozialismus Hörfunk, s. Radio
I Identifikation ............ 35, 90, 93, 95, 169, 174-176, 185, 193, 198-200, 204-205, 215, 242, 317, 429, 457, 476 Identität ............. 15, 55, 88, 93, 147, 171, 175-177, 182, 185, 194, 198, 211-212, 215, 240, 242243, 263-264, 267, 269, 275, 283, 289, 296, 366, 425 Ideologie ....... 45, 54, 89, 95, 97-98, 102, 121, 200, 231, 233-234, 237, 286, 420, 422, 478-481, 508 Illusion 13, 61-62, 97-104, 393-394, 457, 478, 510 Immigration ... 15-16, 172, 174-175, 177-178, 193196, 198, 201, 204, 211, 215, 217, 221, 225, 231, 233-235, 239-240, 242-244, 247, 251, 263, 265, 268-270, 273, 512 (s. a. Migration) Informant ............ 200-203, 353, 369, 372-373, 449 Infotainment ................................ 23, 121-122, 225 Inhaltsanalyse ........ 14-15, 145, 148, 150, 153-154, 161, 176, 181-185, 188, 266, 268, 274, 508 Inklusion .................................... 152, 171-172, 174 Innovation ........ 17, 33, 84, 94, 147, 162, 172, 251, 304, 309, 315, 318, 331, 339, 341, 343-345, 347, 361, 365, 436, 448, 501, 508 Inszenierung .............. 23-25, 28, 38, 176, 265-266, 324, 467-468, 478
553 Integration ............ 11-12, 15-16, 33, 55, 84, 88, 90, 123-124, 126, 135, 151, 169-179, 181-190, 194-195, 197, 213-214, 226, 231-244, 247, 263-266, 269-274, 276, 291, 294, 297, 320, 336-338, 340-342, 345, 433, 511-514 Interaktion ................ 13, 27-28, 31, 34, 60, 97-104, 119, 147, 153, 177, 200, 510 Interaktivität ............. 59, 64, 97, 99, 101-104, 116, 119, 121, 126, 159, 197, 205, 223 interkulturelle Kommunikation .. 15, 170, 172, 174, 186, 189-190, 266, 269, 271-272, 274, 448 Internationalisierung ...................... 64-65, 333, 513 Internet .......... 13-15, 23 Fn 2, 32, 64, 79, 103-104, 109, 116-117, 122-123, 139-140, 143-145, 150-162, 186, 188-189, 194, 196-197, 200202, 205, 220, 222-223, 226, 270 Fn 11, 273 Fn 15, 303, 308, 310, 313, 328 Fn 2, 335, 340 Fn 13, 345-346, 355-356, 358-359, 365, 400401, 455, 512, 514 (s. a. Web 2.0) interpersonale Kommunikation ................... 52, 101 Interview ........... 15, 61-63, 69, 119, 123, 153, 160, 196-197, 200, 204, 270, 272, 274, 276, 365, 423-424, 517 Ironie ........................... 33, 389, 392, 422, 497, 512 Islam ........ 181, 199 Fn 2, 201-205, 216, 221 Fn 5, 271, 389
J Journalistenausbildung ............. 12, 14, 16-18, 112, 120, 133, 190, 270, 283-310, 313-325, 327347, 358, 361-368, 388, 427-449, 489, 494, 500-501, 512, 514 (s. a. Studiengang) Journalistenschule ............ 143, 288, 294, 297-298, 305, 309, 314, 319, 337 Fn 10, 340 Fn 15, 437, 501 Judentum ............ 214-215, 217-218, 221-222, 393, 411, 467, 477, 479, 490, 513
K „Kalter Krieg“ ................................... 218-219, 243 Kampagne ....... 24 Fn 3, 27, 45, 139, 220, 268, 457 Kanon .......................... 17, 172, 272, 387-405, 428 Kapitalismus ............................ 50-51, 69, 417, 430 Karikatur .................................................... 400, 402 Karriere ............. 235, 286-287, 296, 325, 343, 388, 398, 435, 436 Fn 19, 445, 470, 494-495, 512 Kino ............................................. 91, 123, 225, 469 Kirche ................. 14, 100, 103, 129-140, 216 Fn 3, 232, 234, 237, 378, 412, 494, 509 Kollektiv .............. 26, 30-31, 37, 46, 48-49, 51, 53, 81, 88, 91, 121, 123, 170-171, 174, 232, 243, 267, 399, 436, 444 Kommerzialisierung ................... 14, 119-120, 122, 338, 428, 430, 434, 449
554 Kommunikationspolitik, s. Medienpolitik Kommunikator ................... 100-101, 159, 266-269, 272-273, 300, 358 Kommunismus ................... 47, 50-51, 54, 218-219, 231-232, 243, 329 Fn 4, 354, 468 Konstruktivismus ................................ 98, 363, 510 Konsum ............... 76, 78, 80, 83, 93, 102, 121, 173 Kontroll- und Kritikfunktion ............ 13, 26, 31-32, 38, 150, 153, 346-347, 356, 358, 372 Konvergenz ....................................... 125, 354, 356 Konzentration .............. 82, 286, 300, 335, 354-356 Korrespondent ......................... 131, 233, 395, 443, 455-456, 461-462 Korruption ........................ 232, 414, 416, 420, 445 Kosten .................. 76, 78, 80, 82-84, 104, 119-121, 124, 126, 136, 139-140, 183, 216, 226, 240, 322, 354-355, 359, 370, 442, 444, 457, 514 Kriegsberichterstattung ..... 403, 455-459, 462, 464 Kritische Theorie ........................................... 60, 73 Kritischer Rationalismus ........................... 363, 508 Kulturindustrie ........................................... 101, 120 Kulturkampf ..................................... 216 Fn 3, 428 Kunst .... 43, 45, 144, 152, 380-381, 394, 397, 415419, 421-422, 430, 442, 468, 470, 487, 489
L Landesmedienanstalt ................................... 78, 149 Lebenswelt ................. 28, 52, 88, 92, 94, 103, 119, 122, 169, 172, 184 Lehrbuch .......... 44, 51, 74, 345, 361-362, 457, 487 Lehrplan ....................... 294, 486 (s. a. Curriculum) Lehrredaktion .......... 294, 297, 301, 303, 307, 324, 340 Fn 13, 436, 442, 444 (s. a. Journalistenausbildung) Leitartikel .......................... 412, 442-443, 455, 458 Leitmedien ......................... 135-136, 140, 154, 225 Leninismus ......................................... 47, 329 Fn 4 Leserbrief ............................................. 34, 112, 177 Literatur ............. 11, 130, 294, 299, 307, 336, 339, 365, 390, 396-398, 405, 418, 422, 424, 442, 469, 511 (s. a. Schriftsteller) Lizenz ................................. 78, 134, 285, 357, 489 Lobby ........................................ 126, 231, 334, 367 Lokaljournalismus ............. 82, 186, 190, 268, 289, 292, 295, 298, 329, 333, 421, 424, 461-462, 464, 517 Loyalität ............................................. 149, 153, 515
M Macht .................. 13, 29, 32, 58, 62, 64, 67-69, 89, 93-94, 98, 101, 109, 112, 114-115, 125-126, 133, 177, 198, 200, 211, 213, 215, 220, 223, 231, 239 Fn 1, 265, 271, 275-276, 323, 329-
Sachregister
331, 334, 338, 342 Fn 20, 356, 388, 391, 420, 423, 445, 457, 469, 474, 477, 479, 497 Magazin, s. Zeitschrift Mainstream-Medien ................ 125, 190, 213, 264, 272-273, 355 (s. a. Mehrheitsmedien) Marketing ............................................. 24 Fn 3, 75 Markt ............... 10, 16, 50, 73-80, 82-84, 120-121, 126, 129, 135, 137, 144, 146, 149, 211, 216, 219-220, 224-225, 235, 276 Fn 18, 286, 289, 298-300, 307, 325, 331, 338, 344, 354-355, 357, 359, 367, 437, 501 Marxismus ................................................... 43, 239 Marxismus-Leninismus ........................... 43, 45-49 Mediatisierung ............................ 23 Fn 2, 119, 184 Medien ethnischer Minderheiten ............... 15, 182, 185, 190, 211-226, 243, 512 Mediendemokratie ................................... 12, 23-38 Mediengesellschaft ............................. 24 Fn 4, 169 Medienghetto .............. 181, 185-186, 188-189, 197 Medienjournalismus ..... 14, 143-162, 289-290, 514 Medienpolitik ............... 18, 25, 44, 46-47, 79, 101, 132-133, 146, 159, 214-216, 237, 264, 273, 286, 314 Fn 4, 328 Fn 2, 329 Fn 5, 330-332, 345-346, 354, 458, 494 Mediensystem ................... 32-33, 38, 96, 183, 189, 286, 325, 328, 331, 335, 337 Fn 9, 345, 353354, 357 Fn 4, 359, 512 Medienumbruch .......... 14, 120, 126, 143-145, 162, 269, 310, 333 Mehrheitsmedien ........................ 16, 181, 184, 213, 269 (s. a. Mainstream-Medien) Meinungsbildung ............ 12, 25, 29, 31, 34, 36-37, 73-74, 78, 80, 121, 182, 329, 332, 353, 370, 373, 376 (s. a. Willensbildung) Meinungsforschung .................. 60-61, 69, 366-367 Meinungsfreiheit ............................. 36, 78-79, 268 Meinungsumfrage ......... 13, 24 Fn 3, 30, 57-64, 67, 69-70, 114-115, 150, 290, 366-367 Meinungsvielfalt ......................... 30, 35, 75, 78, 80, 153 (s. a. Vielfalt) Meldung .................... 119, 121, 133-134, 155, 269, 390, 411-412 (s. a. Nachricht) Methodologie ............. 17, 58-60, 62, 365, 443, 508 Migration ................. 12, 15-16, 169-179, 181-190, 193-206, 211-226, 231-244, 247-251, 263276, 512, 514 Militär ................ 18, 120, 134, 220, 223, 238, 374, 378-379, 455-460, 464 Fn 2, 465, 469-471, 478-479, 486, 488, 492 Moderation ........................................ 146, 292, 393 Modernisierung ................. 10, 216, 235, 329, 336, 427-428, 431-433 Monopol . 49, 77, 79, 134, 309, 332, 334, 354, 358 Moral .......... 73, 76, 80, 82-84, 126, 268, 391, 422, 435, 445, 474-475, 508, 512 (s. a. Ethik) Multimedia ............. 87 Fn 1, 89, 92, 121, 123-124, 126-127, 137, 288, 308
Sachregister
Musik ................ 123, 146, 158-159, 161, 220, 240, 298, 367, 376, 389-390, 392, 395, 397-398, 405, 476 Mythos ..................................... 13, 87-96, 314, 470
N Nachricht(en) ........ 14, 24, 38, 77-78, 95, 115, 119, 122-124, 131-135, 138, 156, 160, 186, 197, 199-203, 240-241, 249, 251, 256, 269, 275, 289, 295, 303, 314, 325, 354, 356-357, 378, 404, 433, 436, 442, 459, 472, 513 (s. a. Meldung) Nachrichtenagentur .. 133, 135, 138, 156, 289, 436 Nachrichtenfaktor(en) ........... 24, 32, 37, 119, 149, 152, 183, 271, 276, 309 Nationaler Integrationsplan ...... 263, 264 Fn 2, 512 Nationalismus ........... 123, 220, 456, 470, 490, 511 Nationalsozialismus ............. 18, 89, 124, 132-134, 136-138, 217-218, 222, 224, 231, 285, 292, 313, 390, 397, 423, 465, 467-481, 483-509, 511-512 Nationalstaat ............. 13, 59, 64-67, 171, 174, 212, 214, 223, 231 Netzwerk ................ 14, 31, 120-121, 124-127, 149, 275, 302, 321, 344, 359, 446-447 Neutralität ................ 113, 132, 150, 153, 213, 216, 241, 359, 458, 460-461 Newsroom .................................. 109, 113-114, 356 Normativität ................................. 12-13, 26, 29-30, 32-38, 46, 59, 62, 64, 69, 73, 98, 145, 170173, 183, 199, 211-212, 225, 267, 430, 441, 508 NS-Zeit, s. Nationalsozialismus
O Objektivität ....................... 61-62, 75, 98, 100, 115, 160-161, 171, 178, 212, 289, 390, 421, 435, 446, 460 Öffentliche Meinung ......... 9, 13, 25, 29-31, 36-37, 44, 57-70, 73, 75, 77, 81-84, 124, 370, 376, 388, 413, 429 Fn 3, 445, 455, 509 Öffentlichkeitsarbeit .............. 14, 25, 43, 102, 129, 132-133, 136-140, 289-290, 301, 355-356, 364, 367 öffentlich-rechtlicher Rundfunk ............. 33, 38, 41, 123, 135, 149, 187-188, 219-220, 223-224, 263, 266-267, 269-270, 354, 358-359 Ökonomie, s. Wirtschaft Oligopol ............................................. 331-332, 334 Ombudsmann ....................................... 14, 109-117 Online-Medien, s. Internet Orientierungsfunktion .......... 31, 36, 173, 181-182, 240, 358, 367 Ost-West-Konflikt ..................................... 330, 483
555 P Pädagogische Hochschule ................ 313, 321-322, 324, 489, 498 Parasoziale Interaktion .............................. 110, 119 Partizipation .................... 13, 24, 26, 29, 34, 36-37, 57, 63-64, 66-68, 74, 99, 101-104, 109, 121, 135, 150, 171-172, 177-178, 193-194, 197, 200, 234, 236, 266, 268, 271, 275, 310, 328 Fn 2, 330, 357 Personalisierung ..................... 24, 33, 38, 120, 480 Persönlichkeitsrecht ... 369, 374-375, 378-381, 383 Persuasion ........................ 35-36 (s. a. Propaganda) Phrase ........................ 116, 411, 414, 419, 421-422 Pluralismus .................. 29, 51, 185, 329, 343, 356, 511 (s. a. Vielfalt) Polemik ...................... 61, 145, 237, 285 Fn 2, 297, 395, 420, 423, 461, 468 Fn 2, 502 Politikvermittlung ............................... 23-24, 36-38 Polizei ................ 215-216, 248, 254, 357, 374-375, 377-378, 390, 420, 423 Porträt ......... 19, 130, 160, 271, 305, 393, 422, 465 Positivismus ............................................... 363, 508 „Pöttker-Debatte“ ...................................... 512, 517 Praktikum ................. 274, 320, 330 Fn 6, 442, 444 „Präzisionsjournalismus“ .......... 362-363, 365, 368 Preis ................. 34, 76-78, 177, 324, 338, 370, 417 Presse ............. 14, 16-18, 25-27, 38, 45, 65, 74, 79, 82, 111-113, 116, 120, 129-140, 143-162, 183, 189, 195, 201, 214-220, 222, 224-225, 231-244, 247-262, 268-269, 284-286, 293, 298-300, 305, 315-318, 327, 329-331, 333334, 337, 341 Fn 16, 353-359, 363, 367, 369370, 372, 375-376, 379, 382, 400, 403, 411412, 414-416, 418-421, 425, 427-444, 446449, 455-466, 488, 490-491, 493-497, 500501, 513-514 (s. a. Printmedien, Zeitschrift, Zeitung) Pressefreiheit .............. 17-18, 26, 74, 78, 129, 135, 327, 329-330, 337, 353-354, 356-357, 363, 369-384, 403, 413, 455, 495, 512 Pressekodex .............................. 112, 115, 147, 513 Pressekonferenz ........................... 27, 455, 458-459 Pressepolitik, s. Medienpolitik Presserat ................... 112, 147, 286, 299, 305, 315, 317-318, 326, 357 Printmedien ............. 14, 24, 33, 135-137, 139-140, 144, 157-158, 160-162, 176, 270, 275, 293, 302-303, 340 Fn 13, 354-355, 400 (s. Presse, Zeitschrift, Zeitung) Produktion ............ 24-25, 49-50, 52, 74-75, 77-81, 94, 124, 126, 130, 132, 146, 171, 188, 235, 239, 266-267, 269, 271, 275, 291, 298, 300, 314, 318, 332-335, 338-341, 343, 502 Professionalisierung ................... 18, 133, 139, 283, 290-291, 404, 427-449 Prominenz .................... 24, 57, 149, 194, 203, 287, 380 Fn 38, 387, 429, 431 Fn 7, 435, 511
Sachregister
556 Promotion .. 304, 405, 427, 439, 442, 497, 507-508 Propaganda ........... 18, 90, 102, 119, 123, 132-134, 137, 139, 216-219, 223, 329 Fn 4, 455-457, 463, 467-469, 475-476, 479-481, 486-487, 491, 494-496, 502 (s. a. Persuasion) Protest ........................... 28, 44, 237, 309 Fn 3, 489 Public Relations ........ 102, 113, 119, 136, 138-139, 143, 146, 149, 289-290, 301, 307-308, 338, 346, 355, 357-358, 364 „public journalism“, s. Bürgerjournalismus/-medien „public service“ ................................... 68, 173, 358 Publikum ................. 11, 24 Fn 3, 25, 27-29, 31-37, 79-80, 95, 102, 139, 149-150, 153, 172, 225, 269, 275, 289, 324, 355, 358, 363-364, 376377, 379-380, 383, 389, 414-415, 419, 440, 449, 468, 479, 481, 489, 514 Publizität .............................................. 9, 25-26, 46
Q Qualität ......... 10-12, 14, 30, 34, 36, 38, 47, 51, 77, 88, 101, 111, 113, 121-122, 140, 145, 147, 150, 153-154, 160-162, 172, 190, 199 Fn 3, 287, 292, 294, 297, 302, 307, 309, 333, 335, 345-346, 357-358, 364, 366-367, 388, 397398, 401, 404, 421, 439, 462, 508, 511-512 Quelle ....... 16, 18-19, 54, 113, 115, 120, 122, 146, 149, 172, 183, 193, 196, 199, 201, 205, 275, 283 Fn 1, 313 Fn 1, 363-365, 372-373, 382, 388, 396, 412, 428, 433, 442-443, 447 Quote, s. Einschaltquote
R Radio ........... 15, 100, 111, 114, 116, 119, 122-123, 136-137, 144, 157-158, 185-188, 195, 218220, 225, 240, 272, 275, 289, 295, 301, 303, 314, 318, 333, 340 Fn 13, 356, 397, 400, 402 (s. a. Rundfunk) Rassismus ................................. 204, 265, 268, 485 Realität, s. Wirklichkeit Recherche ....... 15, 17, 36, 113, 120-121, 126, 143, 146, 149, 154, 156-157, 161, 197, 264 Fn 5, 303, 314 Fn 2, 353, 355-356, 358-359, 362367, 369-384, 388, 444, 447, 489, 508, 514 Reflexivität ......... 13, 35, 74, 97-100, 102-103, 147 Regulierung .............. 26, 31, 35, 49, 63-64, 66, 68, 81-82, 170, 342 Fn 20, 354, 357-358 Religion ........ 65, 88-90, 92, 94, 96, 100, 132, 152, 170-171, 190, 193, 196, 198-199, 201-203, 205, 211-212, 234, 236, 240, 266, 271-272, 415, 468 (s. a. Christentum, Islam, Judentum) Reportage .. 169, 345, 362, 390, 392, 394, 400, 434 Repräsentation ................... 15, 34, 57, 63, 91, 104, 125-126, 135, 177, 190, 194, 199-200, 205, 251, 263, 274-276
Ressort ...................... 190, 268, 288-290, 292, 307, 362, 393, 430, 436, 439, 441 Rezension ........... 146, 159-160, 394, 514, 517-518 Rhetorik ....................................... 30, 236, 383, 434 Ritual ............................ 19, 24, 172, 199 Fn 2, 479 Rundfunk .................... 18, 33, 74, 77-79, 103, 132, 134-135, 149, 176, 181-190, 219-220, 223224, 266-267, 269-270, 275, 294, 298-299, 301, 308, 314-315, 320, 341 Fn 16, 354, 357359, 369-370, 375, 377, 382, 391, 423, 486487, 490-491, 493, 498, 501-502, 510 (s. a. Fernsehen, Radio)
S Sachkompetenz ......................... 302, 308, 434, 439 Satellit .......... 79, 122, 188, 200-203, 220, 226, 303 Satire ................................... 411-412, 418-423, 456 Schriftsteller ................ 18, 43, 130, 362, 391, 394, 398, 404, 411, 413-415, 438, 488, 493, 496 (s. a. Literatur) Selbstbeobachtung ....................... 10, 146-148, 183 Selbstkontrolle .................. 12, 14-15, 82, 107, 109, 147, 173, 357, 512 Selbstverständnis ............. 148, 150, 153, 172, 239, 243, 270, 276, 290, 298, 322, 356, 392, 399, 403, 430-431, 432 Fn 9, 434-435, 445, 449 Selektion ................. 14, 25, 32-33, 38, 92, 99, 124, 148-149, 152, 183-184, 271, 276, 289, 367, 440, 445 Sensationalismus ........ 24 Fn 3, 376, 397-398, 401, 404, 415, 418, 420, 434, 440 Serie .................... 93, 197, 204, 251, 263, 397, 405 Show ............................. 23, 93, 123, 193, 224, 424 Skandal ................... 24 Fn 3, 79, 83, 364, 390, 471 Social Web, s. Web 2.0 Solidarität 48, 53, 82, 169, 236, 242, 247-249, 395 Sozialforschung ................................... 17, 361-368 Sozialisation .............. 45, 103, 120, 172, 182, 290, 315, 342, 399, 499 Sozialismus .......... 13, 43-45, 47-56, 216, 231-232, 428, 469, 483 Sozialstruktur ............................... 99, 101-102, 174 Spezialisierung ............. 11, 52, 120-121, 145, 151, 155, 160-161, 183, 285-286, 294, 301, 307308, 332, 344, 358, 363, 367, 430, 439, 442 Sport ............ 24 Fn 3, 80, 110, 119, 152, 197, 240, 293, 295, 301, 307, 376 Statistik ......... 58-59, 187, 193, 198, 214, 221 Fn 8, 264 Fn 4, 273, 289, 308, 334, 337 Fn 9, 341 Fn 16, 361-362, 366, 403, 428, 442, 497 Stereotyp ..................... 95, 127, 181-182, 184, 195, 201, 242, 265, 477 Strukturwandel .............................. 9, 122, 295, 300 Studiengang ........................ 16, 139, 143, 283-310, 313-325, 340 Fn 13 u. 14, 431, 436-437, 485, 490, 509, 514 (s. a. Journalistenausbildung)
Sachregister
Studienordnung ......................................... 283, 307 (s. a. Curriculum, Lehrplan) Subjektivität ................ 33, 54, 75, 92, 97-100, 170, 212, 273, 289, 365, 403, 412, 486 Subvention ................. 136, 139, 219-220, 335, 354 Suchmaschine .................................... 122, 140, 154 Symbol ......... 28, 37-38, 91-93, 123, 173, 176-177, 183, 216 Fn 4, 304, 411, 419, 421, 479 Symbolische Politik ....................................... 24, 38 Systemtheorie ................ 10-11, 145-147, 152, 182, 315, 387, 489
T Tabu ................................................... 147, 489, 501 Talent ................. 343, 389, 439-440, 474, 478-479, 514 (s. a. Begabung) Tarifvertrag ................ 287, 289, 292-293, 296, 309 Teilhabe ........ 33, 51, 121, 144, 173, 242, 263-264, 271, 273, 276, 457 Teilöffentlichkeiten 9, 27-28, 33, 37, 120, 126, 363 Terror ................... 69, 94, 181, 200, 269, 353, 423, 468 (s. a. 11. September) Theater ....................... 32, 376, 389, 414, 443, 458, 467-468, 471-472, 474-475 Transaktion .................................................... 83-84 Transnationalisierung .................................. 66, 222 Transparenz ............... 13-14, 26, 73, 75-76, 81-82, 117, 274, 310, 315, 355, 363-364, 512 Transzendenz ........................................... 88, 90-91 Trennungsgrundsatz ................. 355, 356 Fn 3, 512 TV, s. Fernsehen
U Überwachung .................... 122, 215, 232, 353, 458 Umfrage, s. Meinungsumfrage Unabhängigkeit .......... 11, 129, 131, 133-135, 144, 148-149, 153, 161, 232, 234, 239 Fn 2, 353359, 479 Unbewusstes ...... 90-91, 93, 96, 269 Fn 9, 478, 481 Ungleichheit ...... 242, 264, 272-273, 276, 344, 437 Universität .......... 12, 18, 44, 63, 89, 110-112, 182, 185, 206, 269, 272, 283, 285, 287-288, 290291, 293-294, 296, 299-302, 305, 307, 309, 313-315, 318-319, 321-322, 324-325, 329 Fn 4, 331-332, 336, 339-342, 344 Fn 21, 361, 366, 398, 414, 427-429, 431-441, 443-449, 470, 483-498, 507-510, 513-515 Unterdrückung .................. 120, 216 Fn 3 u. 4, 217, 265-266, 377, 455, 467, 475-476, 478 Unterhaltung ........................ 10, 14, 23, 33, 79, 95, 122-123, 146, 159, 182, 196, 202, 224-225, 240, 295, 439, 475 Unternehmen .......... 78, 83, 99, 102-104, 120, 127, 131, 134, 146, 149, 270, 272, 297, 309, 328
557 Fn 3, 344 Fn 21, 353-359, 367, 370, 372-373, 377, 430, 510 (s. a. Verlag) Utopie ............................... 58, 80, 88, 94, 121, 445
V Verantwortung ...................... 17, 45-46, 67, 69, 75, 109-113, 138, 156, 173, 188, 234, 243, 268, 316, 325, 353, 357, 382, 428, 434, 440, 445, 449, 477, 509, 512, 514 Verfassung ............... 26, 29, 73-74, 77-78, 92, 232, 234, 239, 243, 249, 253, 260, 314 Fn 4, 330, 342, 363, 369-371, 373, 375, 377, 381 Fn 43 (s. a. Grundgesetz) Verlag ................. 44 Fn 2, 130-132, 134-136, 143, 146, 240, 241 Fn 4, 270, 283, 287, 290, 292294, 298-299, 309, 313-314, 316, 319-320, 322-323, 344 Fn 21, 353-354, 356-357, 359, 367, 391, 396, 405, 424, 430-432, 435, 442, 444-445, 447-449, 455, 457-458, 462, 474, 485, 489, 493, 496, 501, 510, 514 (s. a. Unternehmen) Vermarktung .......................................... 78-79, 143 Vermittlungskompetenz ....................... 24, 32, 175, 288, 297, 303, 308, 346-347, 428, 434, 439 Fn 23 Vernachlässigung ........................... 14, 24, 49, 119, 122 Fn 2, 124, 152, 183, 330, 359, 366, 387, 512 Vertrauen ............... 14, 49, 83, 129, 137, 457, 459, 463-464, 494, 514-515 Vertrieb ............................ 43, 78-79, 220, 424, 456 Video ............... 111 Fn 1, 122, 124, 176, 225, 303, 340 Fn 13, 356 Vielfalt ................. 30, 33, 35, 53-54, 75, 77-78, 80, 88, 94, 99, 143, 153, 173-174, 183, 185, 190, 240, 291, 296, 315, 329, 354, 356-359, 361, 394, 402 (s. a. Pluralismus) „vierte Gewalt“ ................................................ 9, 25 Visualisierung ...................... 24, 124-125, 182, 269 Volontariat ........................ 264 Fn 3, 266, 271-272, 274 Fn 16, 285-287, 290, 292-294, 298, 304305, 309, 315-316, 320, 322-325, 330 Fn 6 Vorurteil ............. 95, 181, 184, 322, 455, 457, 461
W Wahrheit .................... 27, 30, 75, 88, 91, 112, 135, 236-237, 262, 382, 388, 397, 401, 421, 435, 440, 445, 449, 456, 460, 464, 471 Web 2.0 ........ 13, 103, 143, 205-206 (s. a. Weblog) Weblog .................. 14-15, 116, 122, 126, 143-162, 222-223, 225, 358, 455 Weiterbildung .......................... 190, 270, 283, 294, 301, 305, 307-308, 336, 338, 341, 344-345, 366, 501
Sachregister
558 Weltanschauung ......... 18, 120, 123, 414, 475, 478 Werbung .................................. 13, 24 Fn 3, 75, 79, 90, 93-94, 102, 115-116, 119, 122, 136, 138139, 146, 159, 216, 289-290, 297-298, 308, 323, 354-355, 359, 424, 463, 488, 490, 509 Wettbewerb ........................ 55, 73-75, 77, 80, 297, 309-310, 323, 325, 333-334, 338 Fn 11, 341 Fn 16, 359, 441 Willensbildung .............. 23-24, 29-30, 34, 37, 370, 373, 376, 383 (s. a. Meinungsbildung) Wirklichkeit .................... 23-25, 36, 48, 52, 54, 62, 75, 77, 80, 90-91, 99-100, 115, 126, 140, 171-172, 177, 182-184, 187, 189, 198, 232, 323, 335-336, 338-339, 344 Fn 21, 363-364, 416-419, 421-422, 431, 436, 441, 444, 468, 476, 478, 494 Wirtschaft .............................. 10-11, 13, 48, 50-51, 54-55, 73-84, 99, 103-104, 120-122, 124, 127, 131-132, 136, 144, 146, 149, 152, 155, 158-159, 161, 170, 178, 181-183, 188, 215, 217, 233-235, 239-240, 242-243, 251, 261, 263-264, 273-274, 286, 288, 291, 295, 298, 301, 310, 320, 328-329, 332-333, 336, 338339, 343-345, 347, 353-356, 358-359, 373, 413, 415, 428-431, 434, 439, 442, 445, 449, 484-485, 488, 490-492, 496-497 World Wide Web, s. Internet
Z Zeitschrift ............. 43, 96 Fn 2, 117, 126, 132-133, 135-137, 139-140, 143-144, 217, 223, 225, 240-241, 265, 285, 289, 295, 303, 314, 318319, 323, 354, 358, 361, 370, 396, 411-425, 430-432, 436, 456, 464, 485-486, 491, 494, 496-497, 507, 509, 513-514, 517 (s. a. Presse, Printmedien) Zeitung .................. 16, 18, 47, 65, 76, 82, 109-111, 113-117, 123, 126, 130-131, 133-139, 143162, 176-177, 195-197, 202, 211, 215-217, 219-222, 225-226, 232-244, 247-264, 269270, 272-273, 283, 285-286, 288-295, 300, 303-304, 307, 309, 314-316, 318-319, 321, 330 Fn 6, 333, 336, 340 Fn 13, 344 Fn 21, 354-359, 362, 366, 388-397, 400, 411-425, 427-430, 432, 434, 436, 439-444, 446-447, 449, 455-456, 458-466, 483, 485-502, 508, 514 (s. a. Presse, Printmedien) Zensur ................ 18, 131, 133, 216, 232, 284, 353, 356, 403, 455-460, 462, 464, 469, 478 Zivilcourage ........ 99, 120, 314 Fn 2, 510, 512, 515 Zuwanderung, s. Immigration Zweiter Weltkrieg .............. 69 Fn 5, 112, 133, 181, 217-218, 222, 231, 251, 292, 329, 395, 420, 456, 462, 465, 485-486, 492, 500-501