Jerry Pournelle
Jenseits des Gewissens
Science Fiction-Roman
BASTEI-LÜBBE
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction...
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Jerry Pournelle
Jenseits des Gewissens
Science Fiction-Roman
BASTEI-LÜBBE
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction Action Band 21 136 © Copyright 1976/78 by Jerry Pournelle All rights reserved Deutsche Lizenzausgabe 1981 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach
Originaltitel: West of Honor Ins Deutsche übertragen von Jens Rösner Titelillustration: Sarah Brown Umschlaggestaltung: Quadro-Grafik, Bensberg Druck und Verarbeitung: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh Printed in Western Germany ISBN 3-404-21136-7
Man schreibt das Jahr 2064. Der paradiesischen Kolonialwelt Arrarat droht ein Bürgerkrieg. Nur ein Mann kann das Chaos noch aufhalten – John Christian Falkenberg, der letzte Söldner. Aber die Methoden, zu denen er greift, sind für viele Bewohner Arrarats schlimmer als ein Bürgerkrieg…
Zeittafel
1969 Neil Armstrong setzt als erster Mensch den Fuß auf den Mond. 1990 Nach einer Reihe von bilateralen Verträgen zwischen den USA und der UdSSR entsteht das CoDominium. Militärische Forschung jeder Art wird verboten. 1996 Die ehemalige französische Fremdenlegion bildet das Herzstück der bewaffneten Streitkräfte des CoDominiums. 2004 Der Alderston-Antrieb wird im Cal Tech entwickelt. 2008 Die ersten mit dem Alderston-Antrieb bestückten Schiffe verlassen das Sonnensystem. 2020 Die ersten interstellaren Kolonien werden gegründet. Die CoDominium Space Navy wird ins Leben gerufen. Abenteurer verlassen die Erde um andere Planeten zu besiedeln. Der große Exodus beginnt. 2031 Die CoDominium Navy übernimmt alle übrigen CD Streitkräfte. 2040 Unter der Leitung der CoDominium Aussiedlungsbehörde (BuRelock) beginnen die Massenverschiffungen gepreßter Kolonisten. 2043 In Rom wird John Christian Falkenberg geboren.
Prolog 2064 n. Chr.
Die strahlende Zukunft, von der sie sang, war schon in Strömen von Blut ertränkt worden, aber Kathryn Malcolm wußte das nicht, genauso wenig wie sie wußte, daß die Sonne orangerot und zu hell oder daß die Erdanziehung zu niedrig war. Sie hatte ihre sechzehn Lebensjahre auf Arrarat zugebracht, und obwohl ihr Großvater oft von der Erde erzählt hatte, war die Geburtsstadt der Menschheit nicht ihr Zuhause. Die Erde war ein Ort überfüllt von Maschinen, Asphaltstraßen, Autos und riesigen Städten, ein Ort, wo Menschen dichtgedrängt und weit weg von der Natur lebten. Wenn sie sich schon über die Erde Gedanken machte, dann sah sie sie nur als einen häßlichen Ort, kaum dazu geeignet Menschen zu beherbergen. Meistens fragte sie sich, wie es auf der Erde wohl riechen mußte. All diese eingepferchten Menschen – es mußte anders als auf Arrarat sein. Sie holte tief Luft und füllte ihre Lungen mit dem angenehmen Duft frisch gepflügten Mutterbodens. Der Boden hier war gut. Er fühlte sich angenehm unter ihren Füßen an. Dunkel und krumig, gerade feucht genug, um der Saat Halt zu geben und sie mit Nahrung zu versorgen, aber nicht naß und klumpig; gutes Land, für die späte Aussaat wie geschaffen. Sie schritt gleichmäßig hinter dem Pflug her und benutzte eine lange Peitsche, um die Ochsen zu lenken. Sie ließ die Peitsche nahe bei dem vorderen Gespannpaar zucken, aber niemals so nahe, daß sie es berührt hätte. Dafür bestand keine Veranlassung. Horace und Star wußten genau, was sie wollte.
Die Peitsche leitete sie und bestätigte ihnen, daß sie aufpaßte, aber sie kannten den gewundenen Weg genauso gut wie Kathryn. Der Pflug türmte die Schollen nach innen auf, so daß die Mitte des Ackers höher als die Außenränder zu liegen kamen. Das war gut für die Entwässerung und erleichterte es, zwei Ernten pro Jahr einzufahren. Die Sommerernte war schon in der Steinscheune gesammelt. Weizen und Mais, genetisch Arrarat angepaßt, in einem anderen Teil befanden sich die auf Arrarat vorkommenden Brotbaummelonen, reich an Zucker und dabei zu fermentieren. Es war ein gutes Jahr gewesen, es gab für die Familie mehr als genug zu essen. Es würde etwas zum Verkauf in der Stadt übrig bleiben. Kathryns Mutter hatte versprochen einen Ballen buntbedruckten Stoff für ein Kleid zu kaufen, das sie für Emil tragen konnte. Aber im Augenblick trug sie einen Overall und hohe Stiefel und war heilfroh, daß Emil sie nicht so sah. Er sollte schon wissen, daß sie eine genauso grade Furche pflügen konnte wie ein Mann und auch reiten konnte wie ihr Bruder – aber das zu wissen und sie dabei zu beobachten, waren zwei ganz verschiedene Paar Schuhe, und sie war froh, daß er sie im Augenblick nicht sehen konnte. Sie ließ die Peitsche vorschnellen, um die Ochsen etwas nach außen zu dirigieren, dann legte sie die Stirn unmerklich in Falten. Das zweite Paar im Joch hatte noch nie einen Wagen gezogen, und Kathryn dachte sich, daß sie ihre Ausbildung nicht mehr auf die lange Bank schieben konnte. Emil würde nicht mit Kathryns Großvater unter dem gleichen Dach wohnen wollen. Ein Mann wollte eigenes Land besitzen, obwohl der Malcolm-Besitz mehr als tausend Hektar umfaßte. Das Land hier in der Gegend war schon verteilt. Falls sie und Emil eigenes Land besitzen wollten, dann mußten sie nach Westen ziehen, zum anderen Ozean, wo die Satellitenfotos
Land auswiesen. Wir könnten weggehen, dachte sie, soweit weg, daß die Sträflinge uns nie finden würden, und die Stadt würde ein Ort sein, den man einmal im Leben aufsucht. Das wäre aufregend, obwohl sie dieses Tal nur ungern verlassen würde. Das Feld, das sie pflügte, lag inmitten von sanften Hügeln. Ein Flüßchen schlängelte sich an seinem Rand entlang. Die meisten Nutzpflanzen und Bäume, die sie sehen konnte, waren als Saatgut von der Erde gekommen, und sie hatten keine natürlichen Feinde. Die meisten Pflanzenschädlinge ließen Erdgewächse in Frieden, besonders dann, wenn die Äcker von grüner Minze und Ringelblumen umsäumt waren, die einen Duft ausströmten, den selbst Schädlinge auf der Erde verabscheuten. Sie überlegte sich, was sie wohl brauchen würden, wenn sie nach Westen zögen, um einen neuen Hof zu gründen. Saatgut würden sie haben und eine Stute und einen Hengst, zwei Paar Ochsen, Hühner und Schweine, ihr Großvater war nach hiesigen Maßstäben ein reicher Mann. Die Hufschmiedewerkzeuge ihres Vaters würden vorhanden sein, Emil konnte lernen, wie man damit umgeht. Sie würden einen Fernseher brauchen. Die waren selten. Ein Fernsehgerät, Solarzellen und einen Generator für die Windmühle, solche Fertiggüter mußten in der Stadt gekauft werden und dazu brauchte man Geld. Die zweite Ernte im Herbst mußte sein und eine weitere große im nächsten Frühjahr mußte folgen – sie würden all ihr verdientes Geld zusammenhalten müssen. Sie verwarf den Gedanken daran, aber ihre Hand tastete nach dem großen Messer in der Scheide, die sie am Gürtel trug. Wir werden es schon schaffen, dachte sie. Wir werden das Geld auftreiben. Kinder sollten nicht ohne eine Ausbildung aufwachsen. Das Fernsehen war nicht zur Unterhaltung da. Die
von Satelliten übertragenen Sendungen verbreiteten Wetterberichte und lehrten Anbautechniken, Umweltpflege, Ingenieurwesen, Metallbearbeitung – all die Fertigkeiten, die man zum Leben auf Arrarat brauchte. Sie lehrten ebenfalls Lesen und Rechnen. Die meisten von Kathryns Nachbarn verachteten das Fernsehen und duldeten keinen Apparat in ihren Häusern. Ihre Kinder aber mußten bei anderen Leuten, die die Sendungen verfolgten, lernen. Und doch, dachte Kathryn, es besteht Grund zur Besorgnis. Erst ist es das Fernsehen, dann die Leichtindustrie. Bald kommt mehr. Bergwerke werden erschlossen. Größere Fabriken werden gebaut, und um sie herum wachsen Städte empor. Sie stellte sich ein mit Städten und Beton bedecktes Arrarat vor, Tiere von Traktoren und Automobilen verdrängt, die kleinen Dörfer zu Städten gewachsen, die Menschen hockten aufeinander, ganz so wie in Harmony und Garrison; die Flüsse begradigt und die Seen mit Abwässern verunreinigt. Der Gedanke ließ sie schaudern. Nicht so lange ich oder meine Enkel leben. Vielleicht sind wir findiger als es die auf der Erde waren. Heute sind wir klüger. Wir wissen, wie man mit dem Land in Eintracht lebt. Ihr Großvater war einer der freiwilligen Siedler gewesen, ein Ingenieur mit ausreichend Geld, um Werkzeuge und Gerätschaften nach Arrarat mitzubringen und er bemühte sich, anderen zu zeigen, wie man mit der Technik umgeht. Um Elektrizität zu erzeugen, hatte er eine Windmühle. Sie produzierte die Energie für den Fernseher und das Radio. Er stand mit Denisburg, 40 Kilometer von hier entfernt, in Funkverbindung, und obwohl die Nachbarn versicherten, daß sie jede Art von Technik verachteten, waren sie sich aber doch nicht zu schade, um Arnos Malcolm darum zu bitten ihre Botschaften zu übermitteln.
Die Farm der Malcolms verfügte über fließendes Wasser und ein leistungsfähiges System, Abfall in Dünger zu verwandeln. Für Arnos war Technik etwas, das man benutzen konnte, so lange sie einen nicht benutzte, und er versuchte, das seinen Nachbarn beizubringen. Die Sprechanlage summte und unterbrach ihre Gedanken. Kathryn hielt das Ochsengespann an. Der Lautsprecher stand mitten im gepflügten Feld, wo er an einen tragbaren Sonnenlichtreflektor angeschlossen war, der die Batterien aufgeladen hielt. Im Tal gab es nur wenige Radiolautsprecher. Sie kosteten eine ganze Menge und konnten nur in Harmony erworben werden. Selbst Großvater Arnos konnte die Mikroschaltkreise für den Sender nicht herstellen, obwohl er oft vor sich hin brummelte, er müßte nur die richtigen Werkzeuge kaufen und damit etwas herstellen, was genauso gut sei. »Schließlich«, pflegte er gern zu sagen, »brauchen wir nicht das teuerste, sondern nur etwas, das funktioniert.« Bevor sie beim Lautsprecher angelangte, hörte sie Gewehrschüsse. Sie klangen weit entfernt und kamen aus der Richtung ihres Hauses. Sie schaute auf die Anhöhe, die ihr den Blick auf die Ranch verwehrte, eine rote Spur schoß in den Himmel. Sie explodierte zu einer hellen Rauchwolke. Arnos hatte eine Notrakete abgefeuert. »Gott bitte nicht!« kreischte Kathryn. Sie rannte auf die Sprechanlage zu, ließ sie aber in der Hast zu Boden fallen. Sie sammelte sie auf und schrie hinein: »Ja!« »Gehe schnurstracks ins Dorf, Kind«, sagte die Stimme ihres Großvaters zu ihr. Er hörte sich sehr alt und müde an. »Kehre nicht nach Hause zurück. Beeil dich.« »Großvater – « »Tu was ich dir sage. Die Nachbarn werden schon kommen. Du kannst nicht helfen.« »Aber – «
»Kathryn.« Er sprach eindringlich, aber es lagen Jahrhunderte in seiner Stimme. »Sie sind hier, viele.« »Wer?« wollte sie wissen. »Sträflinge. Sie behaupten Sheriffs zu sein, mit dem Auftrag Steuern einzutreiben. Ich werde nicht zahlen. Mein Haus ist stark befestigt, und die Nachbarn werden zu Hilfe kommen. Die Sträflinge werden nicht eindringen, und falls sie mich töten, ist das keine große Angelegenheit – « »Und Mutter!« schrie Kathryn. »Sie werden sie nicht lebend in die Hände bekommen«, gab Arnos Malcolm zurück. »Wir haben das schon besprochen. Du weißt genau, was ich tun werde. Bitte, bitte. Mach mein ganzes Leben nicht sinnlos, indem sie dich auch noch erwischen. Geh ins Dorf und der Herr möge dich schützen. Ich muß jetzt kämpfen.« Weitere Schüsse dröhnten in der Ferne. Die Sprechanlage schwieg. Dann hörte man Gewehrfeuer und das heisere Bellen eines Maschinengewehrs. Arnos verfügte über gute Verteidigungseinrichtungen in seinem Steinhaus. Kathryn hörte Granaten, scharfe Explosionen, aber alles nicht laut, und sie betete, daß die abschließende Explosion, die bedeutete, daß Arnos das Dynamit unter seinem Haus gezündet hatte, nicht an ihr Ohr dringen würde. Kathryn lief los, um die Ochsen auszuspannen. Denen würde schon nichts passieren. Der Klang der Schüsse würde sie davon abhalten, vor morgen heimzutrotten, und hier draußen in der Ebene gab es keine Tiere, die groß genug waren, um für gesunde Ochsen eine Gefahr darzustellen. Nur die Menschen. Sie ließ das Gespann neben dem Pflug zurück, ihre Augen glänzten erstaunt, denn die Sonne stand hoch am Himmel, und der Acker war auch noch nicht zuende gepflügt, sie aber rannte zu den schattenspendenden Bäumen am Bach. Ein Pferd und ein Hund warteten dort geduldig. Der Hund sprang verspielt
hoch, landete dann wieder auf dem Boden und krümmte sich zusammen, als er ihren Gemütszustand spürte. Kathryn warf dem Pferd den Sattel auf und werkelte an den Ledergurten. Ihre Hände waren so fahrig, daß selbst altgewohnte Bewegungsabläufe schwierig waren. In ihrer Hast stellte sie sich ungeschickt an. Sie zurrte die Sprechanlage und das Solar am Sattel fest. Im Sattelschuh steckte ein Gewehr, sie zog es raus und betastete es sehnsüchtig. Dann zögerte sie. Die Gewehre feuerten noch. Sie hörte das Maschinengewehr ihres Großvaters und weitere Granateinschläge, was bedeutete, daß Arnos noch am Leben war. Sie sollte ihnen zu Hilfe kommen. Sie sollte hingehen. Emil würde dort sein. Er sollte das Feld direkt neben ihrer Grenze pflügen. Er würde bestimmt dort sein. Sie wendete das Pferd in Richtung Ranch. Ein Reiter kann nichts ausrichten, überkam es sie. Aber obwohl ihr das klar war, wußte sie, daß sie zu ihrem Haus mußte, bevor es zu spät war. Emil und ihr Großvater würden eine gute Chance haben. Das Haus war gut befestigt, aus gutem Stein gebaut und tief an den Boden geschmiegt. Das untere Drittel war im Erdreich verborgen und das Dach war mit Grassoden gedeckt, die über wasserdichtem Plastik lagen. Es würde Angreifern widerstehen. Das hatte es schon viele Male getan, aber diesmal feuerten sehr viele Gewehre und sie konnte sich an einen so massiven Überfall in der Vergangenheit nicht erinnern. Weder hier noch irgendwo anders. Wieder summte das Sprechgerät. »Ja«, schrie sie laut. »Was geht da bei euch vor?« »Reite Mädchen, reite. Widersetze dich nicht meinem letzten Befehl. Du bist alles, was ich habe – «
Die Stimme erstarb, bevor Arnos mehr herausbekam. Kathryn hielt das schweigende Sprechgerät in den Händen und starrte es an. Alles was ich habe, hatte Arnos gesagt. Ihre Mutter und ihr Bruder waren demnach tot. Sie stieß haßerfüllte Worte aus und ritt in Richtung der Gewehre. Als sie den Bach überquerte, vernahm sie Granatwerferfeuer, dann lautere Explosionen.
Zweihundert Reiter kamen sternförmig auf die Malcolm Ranch zu. Sie ritten was das Zeug hielt. Die Pferde waren schweißgebadet. Sie kamen familienweise, einige mit Frauen, alle mit ihren ältesten Söhnen. Braune Hunde liefen ihnen voran. Ihre Zungen hingen aus den gebleckten Mäulern. Die Hunde zeigten den Zorn, den ihre Herren auf sie übertrugen. Als die Familien zu Pferd einander ansichtig wurden, winkten sie kurz und spornten ihre Gäule zu noch höherer Gangart an. Die Reiter näherten sich der letzten Anhöhe vor der Malcolm-Ranch und fielen in Trab. Von jenseits des Hügels war nichts zu hören. Laute Befehle schickten die Hunde voraus. Als sich die dahinspringenden braunen Gestalten ohne anzuhalten über die Kuppe bewegten, gaben die Reiter ihren Pferden die Fersen und ritten in Galopp weiter. »Er hat das Dynamit nicht gezündet«, sagte George Woodrow. »Ich hab Explosionen gehört, aber nichts ähnelte der Pulverkammer.« Seine Nachbarn antworteten nicht. Sie ritten den Hügel hinab auf das Gebäude zu. In der Luft lag ein Explosionsgeruch der sich mit dem hellen Kupfergeruch frischem Blutes vermischte. Die Hunde sprangen zwischen toten Männern umher, die rings um das Steinhaus verstreut lagen. Die große Vordertür stand offen, und davor lagen noch mehr Tote. Ein Mädchen in einem
blutverschmierten Overall und schmutzverkrusteten Stiefeln saß im Dreck vor der offenen Tür. Sie hielt den Kopf eines Jungen in ihren Armen. Sie schaukelte leicht, sich der Bewegung nicht bewußt, und ihre Augen waren trocken und klar. »Mein Gott!« stieß George Woodrow hervor. Er stieg ab und kniete neben ihr. Seine Hand bewegte sich auf den Jungen zu, aber er brachte es nicht über sich, ihn zu berühren. »Kathryn – « »Sie sind alle tot«, sagte Kathryn. »Großvater, Mutter, mein Bruder und Emil. Sie sind alle tot.« Sie sprach ganz ruhig und erzählte George Woodrow vom Tod seines Sohnes, so als ob sie ihm mitteilen würde, daß am nächsten Samstag in der Kirche eine Tanzerei stattfinden würde. George betrachtete seinen toten Sohn und das Mädchen, das seine Enkel zur Welt bringen sollte. Dann richtete er sich auf und lehnte sich mit dem Gesicht an seinen Sattel. Er verharrte lange in dieser Stellung. Allmählich wurde ihm bewußt, daß die anderen redeten. » – haben alle außer Arnos draußen erwischt«, sagte Harry Seeton. Er sprach im Flüsterton und hoffte, daß Kathryn und George Woodrow ihn nicht hören würden. »Ich glaube Arnos hat Jeanine erschossen nachdem sie sie zu fassen gekriegt haben. Wie zum Teufel hat sich nur jemand an den alten Arnos ranschleichen können?« »Hab da hinten ‘nen Hund mit einem Pfeil drin gefunden«, sagte Wan Loo. »Ein Armbrustbolzen. Vielleicht deswegen.« »Ich verstehe das nicht«, beharrte Seeton. »Verfolgt sie!« Kathryn stand neben ihrem toten Verlobten. »Reitet los!« »Wir werden reiten«, sagte Wan Loo. »Wenn es an der Zeit ist.« »Reitet jetzt«, forderte Kathryn.
»Nein.« Harry Seeton schüttelte traurig den Kopf. »Glaubst du vielleicht, daß dies hier heute der einzige Überfall gewesen ist? Noch ein ganzes Dutzend weitere haben stattgefunden. Die meisten haben sich nicht einmal gewehrt. Es sind noch Hunderte von Angreifern vorhanden, und inzwischen werden sie sich zusammengeschlossen haben. Wir können erst losreiten, wenn wir mehr Leute sind.« »Was ist dann?« fragte George Woodrow. Seine Stimme klang bitter. »Wenn wir genug sind, werden sie wieder in den Bergen sein.« Er schaute ohnmächtig zu der hohen Bergkette am Horizont. »Gott! Warum?« »Lästere nicht dem Herrn.« Die Stimme war schneidend. Roger Dornan trug dunkle Kleidung, sein Gesicht war lang und hager. Er sieht wie ein Leichenbestatter aus, dachte Kathryn. »Die Wege des Herrn dürfen nicht in Zweifel gezogen werden«, intonierte Dornan. »Solche Reden wollen wir nicht hören. Bruder Dornan«, erwiderte Kathryn. »Wir wollen Rache! Ich war der Meinung, wir hätten hier Männer! George wirst du mit mir reiten und den Mörder deines Sohnes zur Strecke bringen?« »Legt eure Hoffnung in die Hände des Herrn«, sagte Dornan. »Legt diese Last auf seine Schultern.« »Ich kann dir nicht gestatten, loszureiten«, bemerkte Wan Loo. »Du und George würdet getötet werden und wozu das? Dadurch, daß ihr euch vor ihre Gewehrläufe werft, erlangt ihr keine Rache.« Er machte eine Bewegung und zwei seiner Söhne gingen, um Kathryns Pferd festzuhalten. Ein weiterer bemächtigte sich Georges Pferd und führte es weg. »Wir brauchen alle unsere Farmer«, fuhr Wan Loo fort. »Was würde aus Georges anderen Kindern und aus seiner Frau und dem Ungeborenen? Ihr könnt nicht gehen.«
»Wir haben einen Lebenden gefunden«, rief einer der Reiter. Zwei Männer hoben eine leblose Gestalt hoch. Sie trugen ihn dorthin, wo die anderen rings um Kathryn und George Woodrow versammelt standen, dann ließen sie ihn in den Staub fallen. Wan Loo kniete nieder und fühlte nach dem Puls. Dann faßte er den Plünderer bei den Haaren und hob den Kopf. Er schlug ihm ins Gesicht. Seine Finger hinterließen leuchtendrote Spuren auf der viel zu weißen Haut. Klatsch! Klatsch! Innenseite, Außenseite, ganz methodisch, und der Kopf des Plünderers schwankte bei jedem Schlag hin und her. »Der ist wohl ziemlich hinüber«, sagte Harry Seeton. »Ein Grund mehr ihn aufzuwecken«, bemerkte Wan Loo. Er ignorierte die größer werdenden Blutspuren auf der Lederjacke des Mannes und legte ihn mit dem Gesicht nach unten in den Staub. Er griff nach einem Arm und verdrehte ihn mit aller Gewalt. Der Plünderer stöhnte. Der Bursche war nicht älter als 20. Er trug einen kurzen zerfransten Bart, der noch recht spärlich war. Er hatte dunkle Hosen, ein Lederwams und weiche Lederstiefel an, die denen Kathryns nicht unähnlich waren. Er hatte Spuren an den Fingern, Verfärbungen, wo Ringe gesessen hatten, und sein linkes Ohrläppchen war eingerissen. »Die haben ihre eigenen Toten und Verwundeten ausgeplündert«, grunzte Woodrow. »Was haben sie alles mitgehen lassen?« »Den Windmühlengenerator«, meldete Harry Seeton. »Und das gesamte Vieh und Teile der elektronischen Anlage. Das Telefon ist auch weg. Warum hat Arnos das Haus nicht in die Luft gejagt?« »Sprenggranaten sind durch die Wand gegangen«, sagte einer der Reiter. »Haben Arnos überrascht und blitzschnell erledigt.« »Aua, stopp«, schrie der junge Gesetzlose auf. »Das tut weh.«
»Er wacht auf«, wandte sich Wan Loo an die Umstehenden. »Aber er wird nicht lange durchhalten.« »Schade«, sagte George Woodrow. Er bückte sich und schlug dem Jungen ins Gesicht. »Wach auf, verdammter Kerl! Ich will, daß du die Schlinge um den Hals spürst! Harry, hol’ einen Strick!« »Das dürft ihr nicht«, mischte sich Bruder Dornan ein. »Des Herrn ist die Rache.« »Wir helfen dem Herrn nur ein wenig«, zischte Woodrow. »Hol’ ein Seil!« »Yeah!« bestätigte Seeton. »Was sagst du Kathryn?« »Hol’s. Gib’s mir. Ich will es ihm selbst umlegen.« Sie schaute auf den Gesetzlosen herab. »Warum?« wollte sie wissen. »Warum?« Ein Augenblick lang trafen sich ihre Blicke. »Warum nicht?«
Drei Männer hoben auf der Anhöhe über dem Tal Gräber aus. Kathryn schritt ohne ein Wort den Hügel hinauf, und zunächst sahen die Männer sie nicht. Als sie ihrer gewahr wurden, hielten sie mit der Arbeit ein, aber sie gaben keinen Laut von sich. Nach einer Weile gruben sie weiter. Ihre Schaufeln fraßen sich in den fruchtbaren Boden. »Ihr grabt zu viele Gräber«, sagte Kathryn. »Schüttet eins wieder zu.« »Aber – « »Mein Großvater wird nicht hier beerdigt werden«, erklärte Kathryn. Die Männer hörten zu graben auf. Sie sahen das Mädchen in ihrem blutbefleckten Overall an, dann schauten sie zum Horizont in die Richtung, wo der Rest der Abteilung verschwunden war. Da hinten hing Staub in der Luft. Die
Reiter kehrten heim. Sie würden die Plünderer nicht rechtzeitig erwischt haben, bevor sie in den Bergen untergetaucht waren. Einer der Totengräber traf stumm eine Entscheidung. Im nächsten Frühjahr würde er mit seiner Familie neues Land suchen gehen. Das wäre besser als dies hier. Aber er fragte sich, ob die Sträflinge nicht folgen würden, egal wo er auch hinging. Wenn Leute den Boden bestellen, kommen andere um zu töten und zu stehlen. »Wo?« fragte er schließlich. »Begrabt Arnos unter der Türschwelle«, befahl Kathryn. »Das ist furchtbar, einen unter seiner eigenen Tür zu begraben. Er wird nicht zur Ruhe kommen – « »Ich will auch nicht, daß er zur Ruhe kommt«, erwiderte Kathryn. »Ich will, daß er umgeht! Ich will, daß er umgeht und uns daran erinnert, was die Erde uns angetan hat!«
I
»Aufgepaßt! Alle Mann fertig zum Wiedereintritt. Aufgepaßt.« »Sicherheitsgurte, Leutnant«, sagte Sergeant Cernan. »Richtig.« Ich zurrte die Schultergurte runter und ließ sie einschnappen, dann schaute ich auf Arrarat. Der Planet sah düster aus, nicht so wie die Erde. Gar nicht wie die Erde. Es gab wenige Wolken und viel Wüste. Um den Äquator herum befanden sich dichte Regenwälder. Der einzige bewirtschaftete Landstrich bestand aus einem schmalen Streifen am nördlichen Rand des fast ganz von Landmassen eingeschlossenen Meeres. Südlich des Meeres befand sich ein weiterer Kontinent. Er sah trocken und staubig aus. Wüste, wo der Mensch keine Spuren hinterlassen hatte – falls überhaupt jemand dort einen Fuß hingesetzt hatte. Im Norden und Westen des bebauten Streifens lagen Hügel und Wälder, Wüstenhochplateaus, hohe Berge, zerklüftete Canyons. Durch die Wälder und quer durch die Hügellandschaft verliefen Striche, es handelte sich um schmale Straßen, nicht viel mehr als Sandwege. Als der Truppentransporter niedriger ging, konnte ich Dörfer und Ortschaften erkennen, und jede von ihnen hatte Stadtmauern, Palisaden und einen Graben. Sie sahen wie kleine Festungen aus. Das Raumschiff kreiste, bis es genug Fahrt verloren hatte, um einen Landeanflug zu machen. Dann nahm es Kurs nach Osten, und wir konnten auf die Stadt sehen. Aus meinem Informationsmaterial ging hervor, daß es die einzige Stadt auf Arrarat war. Sie lag auf einer Anhöhe über dem Meer und schien in sich selbst
zusammengekauert zu sein. Sie sah aus wie eine befestigte mittelalterliche Stadt, bestand aber aus modernem Stahlbeton. Die Dächer waren mit wasserabweisendem Plastik gedeckt, und es gab noch andere Werkstoffe, die mittelalterliche Handwerker nicht verwendet hätten. Als das Raumschiff in ungefähr zweitausend Meter Höhe über die Stadt hinwegglitt, konnte man erkennen, daß es sich eigentlich um zwei Städte handelte, die aufeinander zugewachsen und nur durch eine Mauer getrennt waren. Keine der beiden war besonders groß. Der ältere Stadtteil, Harmony, bot wenige Anzeichen einer durchgehenden Planung: Enge Gäßchen liefen kreuz und quer, und die öffentlichen Plätze waren wie zufällig verstreut. Der nördliche Teil, Garrison, war kleiner, besaß aber rechtwinkelig zueinander verlaufende Straßenzüge, und gegenüber dem rechteckigen Fort am nördlichen Rand lag ein großer Versammlungsplatz. Sämtliche Gebäude waren flach, und nur wenige verfügten über mehr als zwei Stockwerke. Die Dächer hatten rote Pfannen, und die Wände waren weiß gekalkt. Harmony erinnerte mich an Ortschaften, wie ich sie in Mexiko gesehen hatte. Die strahlende Sonne wurde von der Bucht unterhalb der Anhöhe reflektiert. Garrison sah mit seinen rechten Winkeln ungastlicher aus, trotz aller Sauberkeit, aber alles war nur nach Nützlichkeitserwägungen angelegt. Am nördlichen Ortsrand stand die vierkantige Festung. Mein neues Zuhause. Ich war ein sehr junger CoDominium Mariner Leutnant, erst drei Monate aus der Akademie und noch nicht trocken hinter den Ohren. Es war Brauch an der Akademie, die besten dreißig eines Jahrgangs sofort zu Offizieren zu machen. Die übrigen wurden als Fähnriche und Kadetten weiter ausgebildet. Auf den Stern auf meinen Schulterstücken war ich zwar stolz, hatte aber auch ein bißchen Angst. Ich war vorher noch nie bei
dieser Truppe gewesen und hatte nie Freunde in der Arbeiterschicht gehabt. Deswegen wußte ich auch über diesen Menschenschlag, der in die Mariner-Mannschaftsränge anmusterte, nichts. Ich kannte natürlich die ganzen Schauergeschichten. Männer ließen sich anwerben, um von ihren Frauen loszukommen oder weil irgendein Richter ihnen die Möglichkeit ließ, zur Truppe zu gehen, ehe er sie verurteilte. Andere rekrutierten sich aus den Passagieren der Auswanderungsschiffe. Die meisten stammten aus der Bürgerschicht und meine Familie ist eh und je Steuerzahler gewesen. Daß mein Vater Steuerzahler gewesen war, konnte mir nur recht sein. Ich bin im amerikanischen Südwesten aufgewachsen, wo sich seit der Einführung des CoDominiums nicht viel verändert hat. Wir glauben noch, daß wir freie Leute sind. Als mein Vater starb, versuchten meine Mutter und ich die Ranch genauso weiterzuführen, wie er es getan hatte. Genauso, als würde sie uns immer noch gehören. Auf dem Papier stimmte das auch, aber wir verfügten nicht über seine Kontakte zu den Behörden. Die ganzen Vorschriften und Gewerkschaftsauflagen verstanden wir nicht so recht, und wir wußten auch nicht, wen wir schmieren mußten, falls wir mal ein Gesetz übertraten. Als wir dann echte Schwierigkeiten bekamen, versuchte ich die Regierungsleute daran zu hindern, unseren Besitz einzukassieren, und das war keine besonders gute Idee. Der Richter war ein alter Freund der Familie und bot an, mir einen Platz auf der Akademie zu verschaffen. Amerikanische Gerichte können über CoDominium Offiziere nicht befinden. Ich hatte nicht gerade die große Auswahl, und der CDFlottendienst machte auf mich einen guten Eindruck. Einmal würden sich meine Schwierigkeiten in Luft auflösen und ich
würde auch die Erde verlassen können. Meine Mutter heiratete wieder, also war in dieser Richtung alles okay. Die Regierung besaß die Ranch, und wir würden sie nie wiederbekommen. Ich war jung genug, um mir das Soldatspielen romantisch vorzustellen, und Richter Hamilton setzte mir ziemlich drastisch auseinander, daß ich irgend etwas unternehmen müßte. »Schau mal, Hal«, sagte er zu mir. »Dein Vater hätte früher verschwinden sollen. Für Leute wie uns ist hier kein Platz. Die wollen Leute, die sich nach Sicherheit sehnen, die die Regeln befolgen – Leute die den Wohlfahrtsstaat schätzen, nicht so verbohrte Typen wie du oder dein Vater. Selbst wenn ich dich diesmal noch herauspauken kann, wirst du bald wieder in Schwierigkeiten stecken. Du mußt dich fortmachen, und als CD Offizier stehst du besser da, als als Kolonist.« Er hatte recht. Ich fragte mich nur, warum er hierblieb. Ich nehme an, aus dem gleichen Grund wie mein Vater. Er wurde älter, hatte sich an seine Umgebung gewöhnt und war nicht bereit, irgendwo anders von vorn anzufangen. Ich hatte nichts gesagt, aber er mußte erraten haben, was in meinem Kopf vorging. »Ich kann hier noch einiges Gutes bewirken. Ich bin Richter auf Lebenszeit – das können sie mir nicht entziehen ohne verdammt triftige Gründe – und deswegen kann ich immer noch Jungens wie dir helfen. Für dich gibt es hier keine Zukunft, Hal. Deine Zukunft liegt da draußen. Neue Welten, jedes Jahr werden neue entdeckt. Reiß erst einmal ein paar Jahre bei der Flotte ab, schau dich draußen um und entscheide dich dann für einen Ort, an dem du möchtest, daß deine Kinder aufwachsen. Irgendwo in Freiheit.« Da mir nichts besseres einfiel, ließ ich es zu, daß er mich bei der Akademie anmeldete. Dort war es ganz angenehm gewesen.
Die Flotte ist eine Bruderschaft für sich. Die meiste Zeit meines Lebens war ich ein Einzelgänger gewesen und zwar nicht, weil mir daran besonders gelegen war – Gott im Himmel, wie gerne hätte ich Freunde gehabt! –, sondern ganz einfach, weil ich mich nirgendwo einfügen konnte. Auf der Akademie war das anders. Es ist nicht leicht, das genau zu beschreiben. Eins ist mal sicher, es gab da keine Flaschen, die den ganzen Tag rumjammerten und erwarteten, daß sich alle Welt um sie kümmert. Das soll nicht heißen, daß wir uns nicht gegenseitig halfen. Wenn ein Klassenkamerad in Mathe schlecht war, half man ihm, und wenn ein anderer mit Elektronik Schwierigkeiten hatte, wie das bei mir der Fall war, setzte sich ein Kumpel nächtelang mit dir hin, um zu pauken. Wenn er es dann immer noch nicht schaffte, war er natürlich erledigt. Aber es war noch mehr als nur das. Ich kann das Zusammengehörigkeitsgefühl der Flotte nicht genau beschreiben, aber es besteht tatsächlich und es war genau das, wonach ich mein Leben lang gesucht hatte. Ich war zweieinhalb Jahre da, und wir schufteten alle von morgens bis abends. Von Waffenpflege über die Grundzüge des Ingenieurwesens bis zum Straßenbau versuchten wir uns alles anzueignen. Ich wurde Siebtbester in meinem Jahrgang und sofort zum Offizier befördert. Nach einem Monat Urlaub, um mich von meiner Mutter und meiner Freundin zu verabschieden – das heißt, eigentlich hatte ich gar keine Freundin, ich tat nur so als hätte ich eine, befand ich mich auf einem Olympic Passagierschiff, das zu einem anderen Planetensystem flog. Und jetzt bin ich hier, dachte ich. Ich schaute auf den Planeten runter und versuchte markante Punkte zu erkennen, die auf den Karten in unseren Unterlagen verzeichnet waren. So ganz nebenbei belauschte ich auch die Unterhaltungen im
Mannschaftsraum. Die Ausbilder an der Akademie hatten uns gesagt, daß Offiziere eine Menge dadurch lernen könnten, daß sie den Dienstgraden zuhörten, und bislang hatte ich noch nicht viel Gelegenheit gehabt, ihren Gesprächen zu lauschen. Seit drei Wochen war ich jetzt schon auf diesem Passagierschiff und nun befand ich mich auf einem altertümlichen Truppentransporter irgendwo draußen, wo sich Fuchs und Hund gute Nacht sagen, unter dem Befehl eines Kommandanten, der uns die ganze Zeit so hart herannahm, daß sich für Gespräche oder sonstige Dinge kaum Zeit ergeben hatte. In dem Abteil waren nur wenige Fenster und die waren von Offizieren und hohen Mannschaftsdienstgraden mit Beschlag belegt. Hinter mir beschrieb Sergeant Cernan was er sah. Um ihn herum drängte sich eine Gruppe junger Mariner. Die alten Landser versuchten auf ihren Plätzen etwas zu schlafen. »Außerhalb der Stadtmauern spielt sich nicht viel ab«, sagte Cernan. »Die Bäume sehen aus wie Krüppeleichen. Und ich glaub die anderen da sind Olivenbäume. Außerdem gibt es noch ein paar Palmen. Die müssen von der Erde stammen. Ich hab noch nie irgendwo Palmen gesehen, die nicht von der Erde kamen.« »He, Sergeant, können Sie das Fort erkennen?« fragte Corporal Roff. »Ja. Sieht aus wie jeder andere CD-Stützpunkt. Ihr werdet euch wie zu Hause fühlen.« »Klar doch«, sagte Roff. »Klar. Herr im Himmel, warum gerade wir?« »Das ist dein Geburtstagsgeschenk«, ulkte Cernan. »Freu dich schon mal drauf, daß du eines Tages wieder abhauen kannst. Denk nur an die armen Schweine hinten im Laderaum.«
Das Schiff kreiste über den Hafen, glitt dann auf seinen kurzen Stummelflügeln hinab und ließ sich auf der Dünung nieder. Die Wellen waren zwei Meter und mehr hoch, das Schiff schlingerte ganz erbärmlich. Einem der jungen Rekruten wurde schlecht. Sein Nachbar reichte ihm eine Plastiktüte. »He, Dietz!« rief Roff. »Wie wär’s mit einem bißchen Aufschnitt? Oder Salzfleisch gefällig?« Er grinste. »Vielleicht eine Portion – « »Sergeant Cernan.« »Sir!« Der Captain sagte weiter nichts. Er saß weiter vorn, ungefähr ein Dutzend Reihen vor mir, und ich hatte nicht gedacht, daß er zuhören würde, aber andererseits überraschte es mich nicht. In den letzten drei Wochen hatte ich gelernt, daß es nicht viel gab, was Captain John Christian Falkenberg nicht herausfand. Hinter mir murmelte Cernan durch die Zähne: »Roff, noch ein Wort von dir – « Dietz’ Kumpel kramte eine neue Tüte hervor. Die seekranken Rekruten wurden von niemandem mehr gehänselt. Kurz darauf gelangte die Fähre in den eigentlichen Hafen, wo es keine Wellen mehr gab, und allen wurde wohler. Ein langer Schlepper kam längsseits und brachte das Raumschiff an den Pier. Von ein paar kleinen Fischerbooten mal abgesehen, gab es im Hafen sonst keinen Verkehr. Ein Marineoffizier betrat das Abteil und schaute sich um, bis er Falkenberg ausmachte. »Sir, der Gouverneur wünscht, daß sie ihre Männer mit Waffen antreten lassen, um bei der Aufstellung der Gefangenen zu helfen.« Falkenberg wendete sich an den Marineoffizier und hob eine Augenbraue. Dann nickte er. »Hauptfeldwebel!«
»Sir!« Ogilvie ließ sich aus dem rückwärtigen Abteil vernehmen. »Händigen Sie der Truppe Waffen aus. Gewehre und Munitionsgurte. Und Bajonette, Hauptfeldwebel. Auf jeden Fall Bajonette.« »Sir.« Eine hektische Geschäftigkeit setzte ein, als Hauptfeldwebel Ogilvie und seine Sergeants die Waffenschränke aufschlossen und sich daranmachten, Gewehre auszugeben. »Was ist mit unserer übrigen Ausrüstung?« fragte Falkenberg. »Das müssen Sie mit der Garnison absprechen«, antwortete der Schiffsoffizier. »In Ordnung. Ist das alles?« »Ja, das ist alles Major.« Ich grinste, als der Marineoffizier das Abteil verließ. Für die Marine gibt es nur einen Captain an Bord und das ist der Kommandant des Schiffes. Marinercaptains erhalten für die Dauer der Reise den völlig bedeutungslosen Dienstgrad Major. Falkenberg ging zur vorderen Luke. »Leutnant Slater. Einen Augenblick bitte.« »Sir.« Ich ging nach vorne und gesellte mich zu ihm. Bevor ich aufgestanden war, war mir die niedrige Anziehungskraft gar nicht aufgefallen, aber jetzt machte sie sich bemerkbar. Sie betrug nur 85 Prozent der Gravitation auf der Erde, und auf der ganzen Reise hierher hatte Falkenberg darauf bestanden, daß der Schiffskommandant das Innere des alten Truppentransporters auf 100 Prozent hielt, jedenfalls so lange dies möglich war. Der Marine hatte das gar nicht gepaßt. Sie hatte es aber dann doch getan, und Falkenberg hatte uns unter diesen Bedingungen ausgebildet. Jetzt hatten wir alle den
Eindruck, als könnten wir ohne Schwierigkeiten davonschweben. Über Falkenberg wußte ich nicht viel. Die Dienstrolle wies aus, daß er über Marineerfahrung verfügte und später zu den Flottenmarinern übergewechselt war. Jetzt war er bei einer Infanterieeinheit. Nach zwei Versetzungen sollte man meinen, daß er aufs Abstellgleis geraten war, aber da war ja noch sein Dienstgrad. Er hatte auch das Militärverdienstkreuz, aber aus den Unterlagen ging nicht hervor, wofür er es erhalten hatte. Was ich wußte, war, daß er mit 15 Jahren auf die Akademie gekommen war und sie als Fähnrich verlassen hatte. Das erste Mal hatte ich ihn auf der Betio Transfer Station gesehen. Das ist ein Felsenmassiv ohne Atmosphäre, das die Flotte als Reparaturplatz und Versorgungsdepot nutzt. Für einige wichtige Planetensysteme liegt es recht günstig, aber sonst spielt sich dort nichts ab. Ich gelangte dort nach meiner Beförderung zum Crucis Sector Hauptquartier, die Abkommandierung zu den Marinern in der Tasche. Darauf war ich stolz. Von den drei Marinewaffengattungen galt die Flotte als technische Elite. Garnisonstruppen dienen hauptsächlich dazu, Aufstände zu unterdrücken. Die Marinerinfanterie macht dann die Drecksarbeit. Die Landser behaupten, daß sie die wirkliche Elite seien, und es ist unbestritten, daß sie im Ernstfall mehr als nur ihre Aufgabe erfüllen. Mir war nicht bekannt, ob es auf Arrarat zu Kampfhandlungen gekommen war. Ich wußte noch nicht einmal, warum wir hierher geschickt worden waren. Mir war nur geläufig, daß Falkenberg berechtigt war, die Befehle für alle nicht abkommandierten Offiziere abzuändern, und so war ich von meinem erstklassigen Druckposten abgelöst worden und mußte mich bei ihm auf Betio melden. Falls er wußte, worum es ging, so sagte er es seinen jüngeren Offizieren jedenfalls nicht.
Falkenberg war nicht viel älter als ich. Ich war erst vor ein paar Wochen 21 geworden und er höchstens fünf Jahre älter, ein Captain mit dem Kriegsverdienstkreuz. Irgend etwas mußte mit ihm los sein, vielleicht verfügte er über Einfluß, aber falls dem so war, warum gehörte er zu einer Landsereinheit und nicht zum Generalstab? Ich konnte ihn nicht gut danach fragen. Er war nicht besonders redselig. Unfreundlich war er eigentlich nicht, aber er machte einen kalten und auf Abstand bedachten Eindruck und ermutigte niemanden, sich ihm zu nähern. Falkenberg war groß, aber nicht so groß wie ich. Meiner Identifikationsmarke zufolge war ich einmeterdreiundneunzig. Falkenberg war vielleicht fünf Zentimeter kleiner. Seine Augen wechselten die Farbe, mal grau mal grün, je nach den Sichtverhältnissen. Außerdem kamen sie einem sehr hell vor, wenn er einen anschaute. Seine Haare waren kurz und sandfarben, und er trug keinen Schnäuzer. Die meisten Offiziere, wenn sie erst mal zum Major befördert waren, legten sich einen zu, er aber nicht. Seine Uniformen saßen wie angegossen. Ich hatte mir immer eingebildet, daß ich sehr korrekt aussah, aber immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich Falkenbergs Erscheinung studierte. Desgleichen seine Gestik, wobei ich mich fragte, ob ich mir davon etwas abgucken sollte. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn leiden konnte oder ihn tatsächlich imitieren sollte, aber dann sagte ich mir selbst, daß jemand, der Captain war, bevor er dreißig ist, es wenigstens Wert war, genau studiert zu werden. Beim Militär gibt es haufenweise vierzigjährige Leutnants. Er sah nicht besonders groß und stark aus, ich wußte es aber besser. Ich bin kein Hänfling, aber im Nahkampf warf er mich ohne Schwierigkeiten durch die Gegend, und alles unter vollen Schwerkraftbedingungen.
Er grinste, als ich zu ihm an das vordere Schott trat. »Schon mal dran gedacht Leutnant, daß jede Soldatengeneration seit dem ersten Weltkrieg geglaubt hat, sie sei die letzte, die noch Bajonette aufpflanzen würde?« Er deutete in die Richtung, wo Ogilvie immer noch Gewehre ausgab. »Nein Sir, ist mir nicht zu Bewußtsein gekommen.« »Das geht den meisten so«, bemerkte Falkenberg. »Mein alter Herr war CoDominium Universitätsprofessor, vertrat stets die Überzeugung, daß ich etwas über Militärgeschichte lernen sollte. Denken Sie mal, eine Waffe die ursprünglich dazu gedacht war, eine Muskete in eine Pike zu verwandeln, und nun gibt es sie immer noch, obwohl wir mit Raumschiffen in den Krieg ziehen.« »Ja Sir, – « »Eine nützliche Einrichtung, Leutnant, Sie werden das eines Tages schon noch herausfinden.« Das Lächeln verschwand, und Falkenberg sprach leise weiter. »Ich habe Sie natürlich nicht hergerufen, um mit Ihnen über Militärgeschichte zu diskutieren. Ich will nur, daß die Männer uns zusammen sehen. Sie wissen, daß sie unter Waffen an Land gehen.« »Ja Sir – « »Sagen Sie mir, Harlan Slater, wie nennt man Sie?« »Hal, Sir.« Wir waren nun schon 21 Tage an Bord und dies war das erste Mal gewesen, daß Falkenberg gefragt hatte. Das verriet eine Menge über ihn. »Sie sind der dienstälteste Leutnant hier«, stellte Falkenberg fest. »Jawohl, Sir.«
Das hatte an sich nicht viel zu bedeuten, die anderen Leutnants waren alle Jahrgangskameraden, und ich war ihnen nur übergeordnet, weil ich ein besseres Examen gemacht hatte. »Sie werden die anderen Offiziere sammeln und an der Rampe bleiben, während wir die Gefangenen in Reih und Glied antreten lassen. Dann schließen Sie mit der Nachhut auf, wenn wir die Truppen auf den Hügel zum Fort führen. Ich bezweifle, daß es Fahrgelegenheiten geben wird, also werden wir marschieren müssen.« »Jawohl, Sir.« »Sie haben nicht verstanden. Falls Sie etwas nicht verstehen, dann fragen Sie in Zukunft. Haben Sie sich mal unsere Landser angesehen, Mr. Slater?« »Ehrlich gesagt, Captain, ich besitze nicht genug Erfahrung, um mir irgend ein Urteil anzumaßen«, sagte ich. »Wir haben viele neue Rekruten…« »Stimmt, aber um die mach ich mir keine Gedanken, das gleiche nicht um die Regulären aus Betio. Was aber den Rest betrifft, so haben wir uns die Hälfte aller Knastbrüder aus den Militärgefängnissen in diesem Sektor eingehandelt. Ich bezweifle zwar, daß sie innerhalb der ersten Stunde an Land desertieren werden, aber ich werde verflucht noch mal auf Nummer Sicher gehen. Ihre Sachen bleiben im Raumschiff, und wir werden sie in Reih und Glied marschieren lassen. Bei Sonnenuntergang gebe ich das Kommando an Colonel Harrington, dann kann er sich darüber den Kopf zerbrechen. Bis dahin aber ist es meine Angelegenheit, und ich werde dafür sorgen, daß auch der letzte Mann das Fort betritt.« »Verstanden, Sir.« Und das war der Grund, weswegen er in seinem Alter schon Captain war und dazu noch ein sehr selbstständiges Kommando hatte. Ganz schön fähig, so wollte ich auch sein, jedenfalls dachte ich das damals. Was ich wirklich im
einzelnen wollte, wußte ich nicht so genau. Die CD-Armee war nicht meine eigene Idee gewesen, aber wo ich nun mal drin war, wollte ich es so gut wie möglich über die Bühne bringen. Was einige der Dinge, die das CoDominium tat, anging, hatte ich so meine Zweifel – Ich war heilfroh, daß ich nicht einer dieser Einheiten zugeteilt worden war, die auf der Erde Aufstände niederschlugen – andererseits wußte ich auch nicht, was an Stelle des CD und des Großsenats treten sollte. Schließlich sorgten wir für Frieden, und das war immerhin auch etwas wert. »Sie lassen die Gangway hinab«, sagte Falkenberg. »Hauptfeldwebel.« »Sir!« »Die Kompanien treten in Viererreihen an, bitte.« »Sir.« Ogilvie fing an Befehle zu brüllen. Die Truppen marschierten die Gangway hinab und betraten unten die steinerne Pier. Ich postierte mich auf der Gangway um zuzuschauen. Draußen war es heiß und nach kurzer Zeit begann ich zu schwitzen. Die Sonne strahlte rötlich und war sehr hell. Nach dem Geruch im Truppentransporter, wo Männer auf zu engem Raum mit zu wenig Waschwasser zusammengepfercht waren, war die Luft hier draußen geradezu eine Erlösung. Arrarat hatte einen ganz speziellen Duft, etwas süßlich wie Blumen, mit dem Geruch nasser Vegetation gemischt. Dies alles wurde von dem kräftigeren Eindruck des Salzwassers und des Hafens überlagert. Am Ufer befanden sich nur wenige Gebäude. Die Stadtmauer ragte über den Hafen auf der Anhöhe gegen Himmel. Hier unten befanden sich Piers und Lagerhäuser, aber die Straßen waren breit, und es gab große Zwischenräume zwischen den Häusern. Das war also meine erste fremde Welt. Es sah gar nicht fremdartig aus. Ich suchte nach ausgefallenen Einzelheiten,
wie Tieren oder Pflanzen, aber von meinem Standort aus war nichts zu erkennen. Ich sagte mir, daß das wohl noch kommen würde. Eines der naheliegenden Gebäude hatte größere Abmessungen und keine Fenster auf unsere Seite aufzuweisen. In der Mitte befand sich ein riesiges Tor, das von je einem Wachhäuschen flankiert war. Es sah ganz wie ein Gefängnis aus, und mir war klar, daß es genau das sein mußte, aber das schien keinen Sinn zu ergeben. Der gesamte Planet war ein Gefängnis.
Auf dem Pier stand eine Milizabteilung. Sie trugen unscheinbare Anzüge, die einen Kontrast zu der blauen und scharlachroten Ausgehuniform der CoDominium-Mariner darstellten. Unsere Leute begannen sich auszuschiffen. Falkenberg unterhielt sich kurz mit den Einheimischen, dann schrie Feldwebel Ogilvie seine Befehle, und die Mariner formierten sich zu einer Doppelreihe, die sich von der Mole bis zum hinteren Ausstieg erstreckte. Ogilvie stieß weitere Befehle aus, woraufhin die Landser die Bajonette aufpflanzten. Sie sahen prächtig aus. Man würde nie auf den Gedanken kommen, daß die meisten frische Rekruten waren. Selbst in der Enge des Raumschiffes war es Falkenberg gelungen, sie in eine smarte Truppe zu verwandeln. Das war schwer bezahlt worden. Unter den Rekruten hatte es 28 Selbstmorde gegeben und hundert weitere waren als untauglich befunden und wieder zu den Sträflingen geschickt worden. Auf der Akademie hatte man uns gesagt, daß die einzige Methode aus einem Mann einen guten Mariner zu machen, darin bestand, ihn so ranzunehmen, bis er ein gewisses Maß an Stolz in dem Umstand erblickte, die Ausbildung überlebt zu haben. Bei
allen Heiligen, Falkenberg schien an diesen Grundsatz zu glauben. Unten auf der Mondbasis hatte sich das ganz gut angehört. An einem Morgen hatten wir vier Selbstmorde und einer davon war ein Altgedienter gewesen. Ich war gerade Offizier vom Dienst, als man die Leiche gefunden hatte. Sie war von dem Seil, an dem er sich erhängt hatte, abgeschnitten worden, und das Seil fehlte. Ich versuchte es zu finden und ließ sogar alle antreten, aber keiner machte den Mund auf. Später trat Feldwebel Ogilvie außerdienstlich an mich heran. »Sie werden das Seil nie finden, Leutnant«, sagte er. »Inzwischen ist es in ein Dutzend Teile zerschnitten worden. Der Mann hatte das Militärkreuz. Das Seil? Es ist ein Glücksbringer, Sir. Die behalten die Stücke.« Das überzeugte mich davon, daß ich über Landser noch eine ganze Menge zu lernen hatte. Die vordere Luke öffnete sich und ließ die Sträflinge heraus. Offiziell waren alle Verurteilte oder Familienangehörige, die freiwillig mitgekommen waren. Aber als wir durch das Raumschiff gegangen waren, um Rekruten anzuwerben, hatte sich herausgestellt, daß viele von ihnen überhaupt nicht verurteilt worden waren. Sie waren der Auswanderungsbehörde bei sporadischen Aktionen ins Netz gegangen und als unfreiwillige Siedler auf der Liste gelandet. Die Gefangenen waren ungewaschen und abgerissen. Die meisten trugen BuRelockkleidung. Einige hatten armselige Bündel bei sich, die alles enthielten, was sie noch besaßen. Sie quirlten im hellen Sonnenschein verwirrt durcheinander, bis ein Unteroffizier der Raumschiffbesatzung sie anschrie. Danach latschten sie die Gangway zum Pier hinab. Sie neigten dazu, beieinander zu bleiben und sich außer Reichweite der Bajonette zu beiden Seiten von ihnen zu halten. Letztendlich
würden sie durch die eckigen Pforten des Gefängnisses getrieben werden. Ich fragte mich, was drinnen mit ihnen geschehen würde. Es waren mehr Männer als Frauen, aber Mädchen und Frauen gab es genug. Es befanden sich auch viel mehr Kinder darunter, als mir lieb war. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ich war nicht in die CoDominium Streitkräfte eingetreten, um diese Art von Dienst zu tun. »Man muß ganz schön bezahlen, was?« sagte eine Stimme hinter mir. Es war Deane Knowles. Er war auf der Akademie mein Klassenkamerad gewesen. Er war ziemlich klein geraten, nicht viel mehr als Mindestgröße, um Offizier werden zu können, und verfügte über so feingeschnittene Gesichtszüge, daß er fast hübsch zu nennen war. Ich hatte Grund genug zu wissen, daß die Frauen ihn mochten und Deane sie. Er hätte Klassenzweiter werden sollen, aber weil er sich immer davongeschlichen hatte, um seine Freundinnen zu besuchen, hatte er sich so viele Strafpunkte eingehandelt, daß er 25 Plätze in der Tabelle zurückgestuft wurde, und das war der Grund, weswegen ich ranghöher war als er und es auch bliebe, bis einer von uns befördert würde. Ich war mir ziemlich sicher, daß er eher Captain werden würde, als ich. »Schön bezahlen für was?« fragte ich. »Für saubere Luft und geringere Bevölkerungsdichte und all die anderen Annehmlichkeiten, die sie haben. Manchmal frage ich mich, ob es das wert ist.« »Haben wir denn eine Wahl?« fragte ich. »Keine. Nullkommanichts. Man kann nichts dran ändern. Die Überzähligen müssen raus, und man läßt sie sich einfach irgendwo anders eine neue Bleibe suchen. Auf lange Sicht ist es nicht nur für alle das Beste, es ist die einzige Möglichkeit, aber wenn man sich so die Ergebnisse anschaut, kommen einem Zweifel. Paß auf, hier kommt Louis.«
Louis Bonneyman, ein weiterer Klassenkamerad, trat zu uns. Louis hatte tatsächlich beim Examen den vierundzwanzigsten Platz belegt. Er war Francokanadier, hatte aber die meiste Zeit seines Lebens in den Vereinigten Staaten gelebt. Louis war ein fanatischer CD-Anhänger und hörte es gar nicht gern, wenn irgendeiner von uns CD-Maßnahmen in Zweifel zog. »Die Flotte ist unpolitisch«, hatte man uns auf der Akademie eingehämmert, und später hatten uns die Instrukteure klargemacht, was das wirklich bedeutete: »Die Flotte ist unser Vaterland.« Alles was der Großsenat tat, konnten wir ruhig in Zweifel ziehen – jedenfalls so lange, wie wir unseren Kameraden beistanden und den Befehlen nachkamen. Wir standen herum und sahen zu, wie die Siedler in das Gefängnisgebäude getrieben wurden. Es dauerte fast eine Stunde, bis alle Zweitausend darin verschwunden waren. Schließlich wurden die Tore geschlossen. Ogilvie erteilte weitere Befehle, die Mariner nahmen die Bajonette ab, stellten sich in Achterreihen auf und marschierten die Straße hinab. »Nun, liebe Musketiere«, sagte ich, »auf geht’s. Wir sollen den Hügel hinauf, und es gibt anscheinend keine Transportmöglichkeiten.« »Was ist mit meinem Gepäck?« fragte Deane. Ich zuckte die Schultern. »Anscheinend ist das schon arrangiert worden. In jedem Fall ist das John Christian Falkenbergs Problem. Uns steht es nicht zu.« »Wir sollen nach Deserteuren Ausschau halten«, sagte Louis Bonnyman. »Wir halten uns besser mal ran. Ist deine Pistole geladen?« »Oh, hör auf Louis«, knurrte Deane. »Achte mal drauf«, sagte Louis. »Schau mal, wie Falkenberg seine Truppen formiert hat. Denk dran, daß ihr Gepäck immer noch im Raumschiff ist. Du
kannst Falkenberg vielleicht nicht leiden, Deane, aber du wirst zugeben, daß er es gründlich macht.« »Wie es sich trifft, hat Louis recht«, bemerkte ich. »Falkenberg hatte Deserteure erwähnt. Er meinte aber, es würde keine geben.« »Da siehst du’s«, meinte Louis. »Der geht kein Risiko ein.« »Außer mit uns«, sagte Deane Knowles. »Wie meinst du das?« Louis Lächeln verschwand, und er runzelte die Stirn, während er Knowles ansah. »Ach, gar nichts«, lenkte Deane ab. »Falkenberg hätte sowieso nicht viel daran ändern können. Aber ich schätze, keiner von euch weiß, was der hiesige Garnisonskommandeur angefordert hat?« »Nein, natürlich nicht«, sagte Louis. »Wie hast du das denn herausgefunden?« fragte ich. »Ganz einfach. Wenn du was Dienstliches erfahren willst, geh und frag die Unteroffiziere.« »Und?« wollte Louis wissen. Deane grinste. »Los, wir hinken zu weit hinterher. Schaut ganz so aus, als müßten wir wirklich den ganzen Berg raufmarschieren oder etwa nicht? Selbst für Offiziere keine Fahrgelegenheit. Es ist eine Schande.« »Geh zum Teufel, Deane!« stieß ich hervor. Knowles zuckte nur die Achseln. »Na, jedenfalls, der Gouverneur hat ein ganzes Regiment und einen Zerstörer angefordert. Statt eines Regiments und eines Kriegsschiffes hat er nun uns. Könnte ganz interessant sein zu wissen, ob er wirklich ein Regiment braucht, eh? Kommt ihr, Jungs?«
II
Mein Kopf ist wie ein Faß und sterben werd’ ich auch hier sitz ich im Kahn denn im Sauf erwähn hab ich dem Korporal eins verpaßt…
»Sehr malerisch«, sagte Louis. »Sie singen gut, oder etwa nicht?« »Halt die Klappe und marschier«, schnauzte ihn Deane an. »Es ist verdammt heiß.« Ich empfand es gar nicht als so unangenehm. Es war heiß, gar keine Frage, und Ausgehuniformen waren nicht dafür vorgesehen, auf heißen Planeten Märsche angenehmer zu machen. Trotzdem, es hätte schlimmer seien können. Man hätte uns befehlen können, in Rüstung auszurücken. Mit den Truppen gab es keine Probleme. Sie marschierten und sangen wie Altgediente, selbst wenn die Hälfte von ihnen nur Rekruten waren und der Rest frisch aus dem Militärgefängnis kam. Falls irgendeiner von ihnen auf die Idee gekommen war, wegzulaufen, ließ er es sich allerdings nicht anmerken.
Ein fremder Mantel als Kissen und Ausblick auf den Hof dreißig Tage auf Kur mit Brot und Gänsewein wegen Suff und Widerstand wegen Suff und Widerstand.
»Seltsam«, bemerkte Louis.
»Die Hälfte von ihnen hat noch nie im Knast gesessen.« »Schätze, die werden bald einen von innen sehen«, sagte Deane. »Der Herr möge uns helfen, schaut euch das mal an!« Er deutete auf eine Reihe von billigen Absteigen entlang der Küstenstraße. Es bestand kaum ein Zweifel darüber, was dort verkauft werden sollte. Die Mädchen waren der Hitze entsprechend angezogen, und sie saßen auf den Fensterbänken, wobei sie den vorüberziehenden Landsern zuwinkten. »Ich hab gedacht, Arrarat ist nur mit gottesfürchtigen Leuten besiedelt«, bemerkte Louis Bonneyman. »Nun, wir werden mit Deserteuren keine Schwierigkeiten haben – jedenfalls nicht in der ersten Nacht.« Die Hafengegend lag etwas nördlich des breiten Flusses der in einem Delta östlich der Stadt mündete. Die Straße führte vom Hafen aus ins Landesinnere, und wir hatten die Stadt auf der hohen Anhöhe zu unserer Rechten. Der Weg bis zur Abzweigung zum Stadttor schien sich endlos hinzuziehen. Es gab dort Reparatureinrichtungen für Raumfähren, einige Docks für Flußschiffe und Vorratsspeicher, aber mir kam es so vor, als würde sich dort nicht viel tun, und ich fragte mich warum. Soweit ich mich erinnern konnte, gab es auf Arrarat keine Schienenverbindungen oder viele Überlandstraßen und ich konnte mich auch nicht erinnern, irgendwelche Flugplätze gesehen zu haben. Nach einem weiteren Kilometer Marsch ins Landesinnere wandten wir uns scharf nach rechts und folgten einer anderen Straße die Anhöhe hinauf. Zu beiden Seiten der Straße sahen wir dicht gedrängte Ansammlungen verfallener Häuser und Gassen, dann folgte eine planierte Fläche vor der hohen Stadtmauer. Milizsoldaten in tristen Uniformen hielten ein Wachhaus am Stadttor besetzt. Weitere Milizsoldaten
patrouillierten auf der Mauer. Innerhalb der Mauer lag Harmony. Eine weitere Ansammlung von Häusern und Geschäften, die sich nicht viel von den außerhalb liegenden unterschied, aber in einem etwas besseren Zustand zu sein schien. Zu beiden Seiten der Hauptstraße befand sich ein dreißig Meter breiter Streifen, der freigehalten war, aber jenseits davon herrschte Chaos. Marktstände, Häuser, Schneiderläden, Elektrowerkstätten, eine Schmiede mit Blasebalg und Esse, eine Ankerwickelei und ein weiterer Laden, der Solarzellen verkaufte, dann eine Töpferei, in der eine Frau an einer Töpferscheibe Tassen aus Ton formte, ein Silberschmied, ein Scheren-Schleifer – die Vielfalt war überwältigend und desgleichen war der Kontrast zwischen den modernen Dingen und denen der Art, die man in einem Grenzland vielleicht zu sehen erwartet. Überall gab es Anachronismen, aber ich war daran gewöhnt. Der Dienst beim Militär war mit solchen Kontrasten durchsetzt. Zum Teil lag es an den Entwicklungsstadien draußen in den Kolonien – viele von ihnen verfügten nicht über eine industrielle Grundstruktur, und andere wiederum wollten erst gar nicht damit anfangen. Wenn man es nicht mitbrachte, würde man es auch nicht haben. Es gab aber auch noch einen anderen Grund. Die CoDominium-Abwehr erteilte Lizenzen für jede Art von wissenschaftlicher Forschung und bemühte sich, alles, was möglicherweise von militärischem Wert sein konnte, zu unterdrücken. Die US-Sowjet-Allianz hatte das Sagen und dachte nicht im Traume daran, irgendwelche Neuentdeckungen das erreichte Gleichgewicht stören zu lassen. Sie konnten natürlich nicht alles aufhalten, aber das war auch gar nicht nötig, so lange wie der Großsenat alle R + D-Budgets kontrollierte und gleichzeitig die Patentgesetzgebung in seinem Sinne auslegte.
Wir wußten natürlich alle genau, daß es so nicht bleiben würde, aber darüber wollten wir nicht nachdenken. Unten auf der Erde haßten sich die US- und Sowjet-Regierungen. Die einzige Sache, die sie noch mehr fürchteten, war die Vorstellung, daß jemand anderes – zum Beispiel die Chinesen oder die Japaner oder die vereinigten Emirate – vielleicht stark genug werden könnten, um ihnen zu sagen, wo es lang geht. Die Flotte bewacht einen unsicheren Frieden, der auf einer unsicheren Allianz beruht. Die Bewohner von Harmony gehörten allen Rassen und Hautfarben an, und ich hörte Dutzende von Sprachen, in denen sich von Laden zu Laden unterhalten wurde. Jeder Mann arbeitete entweder außerhalb seines Hauses oder hatte einen Marktstand. Als wir vorbeimarschierten, hielten die Leute in ihrer Arbeit inne und winkten uns zu. Ein alter Mann trat aus seinem Schneiderladen und nahm seinen breitkrempigen Hut ab. »Der Herr schütze Euch, Soldaten!« schrie er. »Wir lieben Euch!« »Na also, dafür sind wir doch in die Armee eingetreten«, sagte Deane, »und nicht etwa, um einen Haufen Verlierer durch das halbe Milchstraßensystem zu treiben.« »Zwanzig Sektoren ist nicht halb durch die ganze Milchstraße«, machte ich ihm klar. Er schnitt Grimassen in meine Richtung. »Ich frag mich, warum die alle so froh sind, uns zu sehen?« bemerkte Louis. »Und sie schauen alle hungrig aus. Wie wird man nur in einem landwirtschaftlichen Paradies so dünn?« »Unglaublich«, sagte Deane. »Louis, du mußt wirklich endlich lernen, wichtigen Einzelheiten mehr Beachtung zu schenken. Wie zum Beispiel den Garnisonsplan von hier zu studieren.«
»Wann hätte ich das etwa tun sollen?« wollte Bonneyman wissen. »Falkenberg hat uns zwölf Stunden am Tag in der Mache gehabt – « »Dann nimmste eben die anderen zwölf«, schlug Deane vor. »Und was, oh, du mein Gelehrter, hast du dem Garnisonsplan entnommen?« fragte ich. »Daß der Garnisonskommandeur über siebzig ist und daß er einen 63 Jahre alten Major in seinem Stab hat, zusätzlich zu einem 62 Jahre alten Captain. Ebenfalls, daß der jüngste Marineoffizier auf Arrarat über sechzig ist und daß die einzigen jungen Offiziere in der Miliz dienen.« »Bah. Ein Pensionierungskommando«, sagte Bonneyman. »Warum haben sie dann ein Regiment angefordert?« »Sei nicht dumm, Louis«, sagte Deane. »Ganz einfach deswegen, weil sie mit etwas konfrontiert worden sind, was sie mit ihrer Miliz und den überalterten Offizieren nicht selbst erledigen können.« »Das bedeutet, daß das unsere Aufgabe sein wird«, bemerkte ich. Aber natürlich verfügten wir nicht über ein Regiment, sondern nur über weniger als 1000 Mariner, drei junge Offiziere, einem Captain mit dem Militärkreuz und – na und mit sonst nichts, außer, wenn die örtliche Miliz zu irgend etwas imstande war. »Die Helden sind angekommen.« »Ja. Ist doch schön, oder?« sagte Deane. »Ich schätze, die Frauen werden sich erkenntlicher zeigen.« »Ist das alles, was in deinem Kopf vorgeht?« wollte Louis wissen. »Was gibt es denn sonst noch? Etwa in der Sonne marschieren?« Ein jüngerer Stadtbewohner in dunklem Predigergewand stand von seinem Tisch in einem Straßencafé auf. Er hob mit
einer segnenden Geste die Hand. Eine Gruppe Kinder brach in Freudenrufe aus. »Es ist schön, geliebt zu werden«, meinte Deane. Trotz der Art und Weise, wie er es gesagt hatte, meinte Deane es aufrichtig. Es war schön beliebt zu sein. Mein letzter Besuch auf der Erde kam mir wieder ins Bewußtsein. Dort gab es viele Orte, wo ein CD-Offizier sich nicht ohne eine Landsereskorte hintrauen konnte. Aber hier draußen wollten uns die Leute. Wie Paladine, dachte ich mir und lachte vor mich hin, weil ich mir vorstellen konnte, was Deane und Louis dazu bemerkt haben würden, wenn ich es laut gesagt hätte, aber andererseits fragte ich mich, ob sie nicht genauso dachten wie ich. »Über viele Transportmöglichkeiten scheinen die nicht zu verfügen«, beschwerte sich Louis. »Es sei denn, du zählst diese dazu.« Deane deutete auf einen Wassertrog, an dem fünf Pferde festgebunden waren. Es gab da noch zwei Kamele und ein Tier, das wie eine plumpe Kombination zwischen Kamel, Elch und Maultier aussah. Es hatte große unförmige Füße und ein lächerliches Geweih. Hierbei mußte es sich um ein fremdartiges Geschöpf handeln, das erste Geschöpf, von dem ich sicher war, daß es auf diesem Planeten heimisch war. Ich fragte mich, wie es genannt wurde und wie man es gezähmt hatte. Es gab fast überhaupt keine motorgetriebenen Transportmöglichkeiten. Ein paar kleine Lastwagen und ein alter Geländewagen ohne Verdeck, ansonsten konnte man nur Tiere sehen. Da gab es Planwagen und Männer auf Pferden und zwei Frauen in Overalls, die auf Maultieren saßen. Bonneyman schüttelte den Kopf. »Sieht ganz so aus, als hätten sie eine Suppe angerührt, die aus dem alten wilden Westen, dem mittelalterlichen Paris und einigen Szenen aus tausend und einer Nacht besteht.« Wir lachten alle, aber Louis hatte gar nicht so unrecht.
Arrarat war entdeckt worden, kurz nachdem die ersten kommerziellen Forschungsschiffe von der Erde gestartet waren. Es handelte sich dabei um einen bewohnbaren Planeten, und obwohl es davon in der Nähe der Erde eine ganze Reihe gab, sind sie wiederum nicht ganz so selbstverständlich. Es wurde ein Forschungsteam losgeschickt, um herauszufinden, welche Reichtümer sich ernten ließen. Aber davon konnte keine Rede sein. Pflanzen von der Erde gediehen, und Menschen konnten den Planet bewohnen, aber in Landwirtschaft würde niemand investieren wollen. Nahrungsmittel durch den interstellaren Raum zu transportieren, stellt eine einfache Möglichkeit dar bankrott zu gehen, es sei denn, in der Nähe befinden sich Märkte mit wertvollen Mineralien und ohne Landwirtschaft. Dieser Planet hatte überhaupt keinen Markt in seiner Nähe. Auf Grund der Entdeckung hatte die American-ExpressCompany auch automatisch die Besiedelungsrechte erlangt. AmEx verkaufte den Planeten an ein Kirchensyndikat. Der Kirchenweltverband taufte ihn Arrarat und pries ihn als »einen Ort der Zuflucht für die Ungewollten der Erde« an. Sie fingen an, für die Entwicklung Geld zu sammeln, und da dies vor der Zeit war, in der das Auswanderungsamt anfing, Zwangskolonien anzulegen, stießen sie auch auf reichliche Gegenliebe. Stiftungen und Regierungsmittel halfen mächtig, und dann verfiel die Kirchengruppe auf die Idee, eine Lotterie zu veranstalten. Als Preise wurden für die Gewinner und ihre Familien freie Reisen nach Arrarat ausgesetzt und es gab viele Menschen, die Willens waren, die Erde gegen einen Ort einzutauschen, wo es Land umsonst gab, ausreichend Nahrung, die Aussicht auf harte Arbeit, keinerlei Einmischung von Seiten der Regierung und keine Luftverschmutzung. Der
Weltkirchenrat verkaufte mehrere zehn Millionen Lotterielose. Bald verfügten sie über genug Geld, um Schiffe zu chartern und Leute loszuschicken. Für Siesler war reichlich Platz vorhanden, obwohl der bewohnbare Teil von Arrarat relativ klein ist. Der Planet hat eine höhere Durchschnittstemperatur als die Erde, und die Gegenden in der Nähe des Äquators sind viel zu heiß, als daß Menschen dort leben könnten. An den Polen hingegen ist es viel zu kalt. Die südliche Hemisphäre ist fast ganz mit Wasser bedeckt. Dafür gibt es in der nördlichen gemäßigten Zone reichlich Land. Das Deltagebiet, wo Harmony gegründet wurde, wurde zum besten Teil erklärt. Es hatte ein Klima wie die Mittelmeerregionen auf der Erde. Auf den Regen konnte man sich nicht verlassen, aber die Kolonie blühte auf. Die Kirchen verfügten über sehr wenig Geld, aber der Planet brauchte keine Schwerindustrie. Statt Traktoren wurden Tiere angelandet, und zwar ganz im Sinne der Theorie, daß Pferde und Kühe für weitere Pferde und Kühe sorgen konnten, Traktoren hingegen nur Ölraffinerien und Dunstglocken nach sich zogen. Man wollte keine Industrie haben; Arrarat sollte ein Ort werden, an dem ein jeder seinen eigenen Weinberg bestellen und im Schatten des eigenen Feigenbaumes ausruhen konnte. Einige Mitglieder der Kirchenvorstände bekämpften aktiv die moderne Technologie, und keiner von ihnen hatte viel dafür übrig, außerdem bestand dafür sowieso keine Notwendigkeit. Es war ohne Schwierigkeiten möglich, daß der Planet mehr als die halbe bis dreiviertel Million Leute, die die Kirchen als Siedler losgeschickt hatten, mit Nahrung versorgen konnte. Dann schlug das Schicksal zu. Ein Forschungsschiff entdeckte Thorium und andere wertvolle Metalle im Asteroidengürtel des Arraratsystems. Das war natürlich nicht für jedermann ein Unglück. American-Express war ganz
zufrieden. Desgleichen Kennicott Metals, an die sie die Schürfrechte verkauft hatten; aber für die Kirchenleute stellte es schon ein Unglück dar. Die Minenarbeiter kamen, und sie brachten den Ärger mit sich. Der einzige naheliegende Ort, an dem die Minenarbeiter zur Zerstreuung hingehen konnten, war Arrarat, und die Art von Vergnügungsetablissements, die Minenarbeiter gerne hatten, waren nicht von der Art, wie die Kirchenoberen sie sich vorstellten. Die ›Säulenheiligen‹ und die ›Tunichtgute‹ schrien sich gegenseitig an und gingen den Großsenat um Hilfe an, während sich zwischenzeitlich die Puffmütter, Spieler und Schwarzbrenner häuslich einrichteten. Aber das war noch nicht einmal das schlimmste. Die Kirchenpetition an den CoDominium-Großsenat landete in den Mühlen der CD-Bürokratie, und ein Beamter im Bureau of Corrections stellte fest, daß eine Menge leerer Raumschiffe von der Erde nach Arrarat flogen. Sie kamen zwar voll veredeltem Thorium zurück, flogen aber leer wie ein Kirchenschiff in die entgegengesetzte Richtung… und BuCorrect hatte viele Gefangene mit denen es nicht wußte, wohin. Sie zu unterhalten kostete Geld. Warum sollte man nicht, so BuCorrect, die Gefangenen nach Arrarat schiffen und sie dort freilassen? Die Erde wäre sie dann los. Das war human. Und was noch besser war, die Kirchen konnten sich kaum dagegen wehren, daß Gefangene freigelassen wurden… Der BuCorrect-Beamte wurde befördert, und Arrarat erhielt mehr als eine halbe Million Krimineller und Verurteilter, von denen die meisten niemals außerhalb einer Stadt gelebt hatten. Von Landwirtschaft hatten sie keine Ahnung, und so landeten sie schließlich im Harmony, wo sie versuchten, so gut wie möglich zu leben. Das Resultat war voraussehbar. Harmony hatte bald die höchste Kriminalitätsrate in der Geschichte der Menschheit.
Für Kennicott Metals war die Situation unhaltbar. Ohne Urlaub auf dem Planeten waren die Minenarbeiter nicht bereit zu arbeiten, aber andererseits trauten sie sich nicht mehr nach Harmony hinein. Ihre Gewerkschaft verlangte, daß irgendjemand etwas unternehmen solle, und Kennicott wandte sich an den Großsenat. Ein Regiment von CoDominiumMariners sollte nach Arrarat geschickt werden. Sie konnten da nicht lange bleiben, aber das war auch nicht nötig. Sie errichteten Stadtwälle um Harmony herum, und um Nägel mit Köpfen zu machen, bauten sie direkt nebenan auch noch die Stadt Garrison. Dann schafften die Mariners alle Sträflinge aus der Stadt. Das sollte aber keine Dauerlösung sein. Gegen die Vorbehalte des Weltkirchenrats wurde ein CoDominiumGouverneur eingesetzt. Das Colonial Bureau machte sich daran, eine staatliche Mannschaft von Richtern, Polizisten, Technikern und Industrieentwicklungsspezialisten loszuschicken, damit Arrarat mit dem anhaltenden Strom von Leuten die BuCorrect hergeschafft hatte, fertig werden konnte. Bevor die Spezialisten eintrafen, fand Kennicott ein noch wertvolleres Thoriumvorkommen in einem System, das der Erde näher lag, so daß die Arraratminen zur stillen Reserve gemacht wurden, und deswegen gab es für den CoDominium Großsenat keinen Grund mehr, sich weiter für Arrarat zu interessieren. Die Marinergarnison zog ab und ließ nur eine Abteilung zurück, die der Siedlermiliz beibringen sollte, wie man die Wälle von Harmony – Garrison verteidigte.
»Weswegen bist du so nachdenklich?« fragte Deane. »Ich erinnere mich nur an das Informationsmaterial, das sie uns gegeben haben. Du bist nicht der einzige, der Sachen nachliest«, sagte ich.
»Und was folgerst du daraus?« »Nicht gerade viel. Ich frag mich bloß, wie es den Leuten hier gefällt, in einem Gefängnis zu leben. So muß es sich einfach verhalten. Draußen die Sträflinge und die Bürger hier drinnen. Phantastisch.« »Vielleicht haben sie auch ein Stadtgefängnis«, sagte Louis. »Das wäre dann ein Gefängnis im Gefängnis.« »Lustig«, bestätigte Deane. Schweigend gingen wir weiter und hörten auf das Stampfen der Stiefel vor uns, bis wir an eine weitere Mauer gelangten. An diesem Tor befanden sich ebenfalls Wachen. Wir passierten in die kleine Stadt Garrison. »Und warum, noch eins, haben sie für Offiziere keine Transportmöglichkeiten?« sagte Lous Bonneyman. »Hier gibt es doch Lastwagen.« Es waren nicht viele, aber immerhin mehr als in Harmony. Die meisten von ihnen waren ausgemusterte Militärtruppentransporter. Darüber hinaus gab es noch einige Planwagen. »Marschier oder stirb, Lous. Marschier oder stirb.« Deane grinste. Louis murmelte etwas vor sich hin. »Marschier oder stirb« war die Losung der alten französischen Fremdenlegion, und die Mariner standen in der gleichen Tradition wie die Legion und hatten außerdem viele ihrer Bräuche übernommen. Bonneyman gefiel die Vorstellung, daß er möglicherweise nicht den Dienstanforderungen genügte, überhaupt nicht. Durch die Reihen der marschierenden Männer wurden Befehle weitergegeben. »Seht endlich wie Mariner aus, verflucht noch eins!« schrie Ogilvie. »Falkenberg macht sich bemerkbar«, sagte Deane. »Ist auch verflucht Zeit«, setzte Louis hinzu. »Das Fort liegt genau vor uns.«
»Ein Lied!« befahl Ogilvie.
Wir haben unser Blut auf 25 Welten vergossen und Straßen woanders gebaut alles was dabei herausgekommen ist reicht für ‘ne Nacht mit einer billigen Braut der Senat spricht Recht, der Admiral ruft die Befehle wie immer von oben Kampfanzug an und marsch an Bord wir schicken Euch aus um zu sterben.
Noch ein Überbleibsel von der Fremdenlegion dachte ich. In jeder Mannschaftsunterkunft einer Kampfeinheit befindet sich eine Messingtafel. Darauf steht: »Du bist Landser, um zu sterben, und die Flotte wird dich dort hinschicken, wo Du sterben kannst.« Auch das, ein Erbstück von der Legion Etrangere. Als ich die Inschrift zum ersten Mal sah, fand ich sie romantisch und eindrucksvoll, aber inzwischen fragte ich mich, ob es nicht wirklich so gemeint war. Die Landser marschierten in der langsamen Schrittfolge der Mariner-Kampfeinheiten. Das war nicht besonders schnell, aber wir konnten dieses Tempo beibehalten, wenn schnellmarschierende Truppen längst vor Erschöpfung zusammengebrochen waren. Was wir erobern, rückt der Senat wieder raus öfter als nötig, jedenfalls heute aber sterben dann viele, teilen ein paar nur die Beute hier kriegt uns keiner wieder her wir nehmen uns eure Mädchen und Frauen und brechen Ihr dabei den Hals die Marianer lassen die Fahnen sehen und folgen ihr bis in die Hölle wir kennen den Teufel, sein Handwerk und Tun oh ja, das kennen wir gut. Wenn Du dann mit der Armee fertig bist kannst Du’s den Herrn in der Hölle besorgen!
»Das ist eine Möglichkeit, die auf uns alle zukommen könnte«, bemerkte Deane. »Je eher desto besser. Was wollen sie eigentlich mit uns hier?« »Schätze, das werden wir früh genug erfahren«, sagte ich.
Dann, Brüderchen trink und Tornister bleib liegen, wir legen uns zehn Jahre lang hin, dann heißt es »Kampfanzug an und raus aus dem Bett«, Ich bau jetzt ‘ne Straße durchs Feuer Die Flotte ist Heimat, das Gewehr liegt im Bett Kein Mann hat je einen Sohn so gezeugt Sie zahlen uns Schnaps und verpassen uns Knast Keiner kann uns gut riechen Sie erschießen uns schnell, auch wenn wir siegen aber Freunde begraben wir immer wir sind nur ein Dreck, aber niemand kann uns bezwingen.
III
Die Offiziersquartiere erstreckten sich auf der Ostseite des Exerzierplatzes. Das Fort war nichts besonderes. Es war nicht dafür gebaut, modernen Waffen standhalten zu können, und es sah ein kleines bißchen nach Beau Geste aus, was nur allzu verständlich war, denn schließlich war es von Offizieren aus vorgefundenem Material gebaut worden. Diese Leute verfügten nicht über mehr Ingenieurserfahrung als ich. Es ist kinderleicht, ein rechteckiges mit Wällen versehenes Fort anzulegen und wenn das ausreichend ist, warum soll man die Sache nun noch weiter komplizieren? Die Offiziersunterkünfte machten einen verlassenen Eindruck. Das Fort war gebaut worden, um ein ganzes Kampfregiment mit großem Troß zu beherbergen, und hier waren nun weniger als ein Dutzend Marineroffiziere auf dem gesamten Planeten. Die meisten von ihnen lebten mit ihren Familien zusammen, und die Milizoffiziere wohnten in aller Regel in ihren Häusern in der Stadt. Das verschaffte uns übrigen eine Menge Platz, wo man sich frei bewegen konnte. Falkenberg übernahm eine Suite, die für einen Regimentsadjutanten vorgesehen war, und ich bezog selbst die Quartiere eines Majors. Nachdem eine Arbeitsabteilung unsere persönlichen Sachen vom Hafen heraufgeschafft hatte, machte ich mich an’s Auspacken, aber als ich damit fertig war, sah der Raum immer noch leer aus. Was ein Leutnant an Gepäck mitnehmen darf, ist nicht die Welt, und die Räume waren viel zu groß. Ich verstaute mein Zeug und fragte mich, was ich nun tun sollte. Auf diese Art und Weise meinen ersten Tag auf einer
fremden Welt zuzubringen, war deprimierend. Natürlich, ich war schon auf dem Mond und dem Mars gewesen, aber das war etwas ganz anderes. Das waren keine Welten. Da kann man nicht rausgehen, man kann gleich an Bord eines Raumschiffs bleiben. Ich fragte mich, ob wir wohl Ausgang haben würden – ich dachte immer noch wie ein Kadett und nicht wie ein Offizier im Felde – und was ich mit der Freizeit hätte anstellen können. Uns waren diesbezüglich keine Befehle erteilt worden, und so entschloß ich mich besser abzuwarten. An meiner Tür wurde kurz geklopft, und dann öffnete sie sich. Ein alter Landser trat ein. Er hätte mein Vater sein können. Seine Uniform saß perfekt, war aber an verschiedenen Stellen abgeschabt. »Soldat Hartz meldet sich zur Stelle, Sir.« Er sprach mit starkem Akzent, der aber nicht richtig einzuordnen war; es handelte sich um viele verschiedene Akzente, die miteinander vermischt waren. »Hauptfeldwebel schickt mich als Herrn Leutnants Stiefelputzer.« Was zum Teufel fang ich mit dem an? fragte ich mich. Einfach unentschlossen rumzustehen ging nicht. Ich konnte mich nicht erinnern, ob er zu unserer Einheit oder zur Garnisonsgruppe gehörte. Falkenberg würde sich nie in dieser Lage befunden haben. Er hätte Bescheid gewußt. Der Landser stand in ›Habacht Stellung‹ im Türrahmen. »Stehen Sie bequem, Hartz«, sagte ich. »Was müßte ich über diesen Ort wissen?« »Weiß nicht, Sir.« Das hieß, daß er ebenfalls neu hier war oder Offizieren gegenüber nichts verlauten ließ, ich jedenfalls würde es nicht so ohne weiteres herausfinden. »Wollen Sie einen Schluck trinken?« »Danke, Sir, sehr gerne.«
Ich fand eine Flasche und stellte sie vor mich. »Lassen Sie immer zwei für mich drin. Ansonsten können Sie sich bedienen«, sagte ich zu ihm. Er ging auf die Toilette, um Gläser zu holen. Mir war nicht bekannt, daß dort welche zu finden waren, aber andererseits kannte ich mich in Stabsoffiziersunterkünften auch nicht besonders gut aus. Hartz hingegen schien in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten zu haben. Er schenkte sich selbst ein. »Trinken Herr Leutnant auch?« »Klar doch.« Ich nahm mein Glas in Empfang. »Prost.« »Prosit.« Er schüttete den Whisky in einem Schluck runter. »Ich bemerke, daß Herr Leutnant schon ausgepackt haben. Ich werde aufräumen, bitte wegtreten zu dürfen, Sir!« Er ging durch den Raum, stellte mein zweites Paar Stiefel fünf Zentimeter weiter nach links, hängte meinen Kampfanzug von einer Spindseite auf die andere, dann nahm er meine Ausgehuniform zur Hand und musterte sie eingehend. Ich benötigte keinen Putzer, konnte ihn aber auch nicht einfach abschieben. Man erwartete von mir, daß ich ihn besser kennenlernte, denn schließlich würde er auch im Felde um mich sein. Falls es dazu kommen sollte, sagte ich mir, ist eh egal. »Ich geh in die Offiziersmesse«, bemerkte ich »halten Sie sich nur an die Flasche, aber lassen Sie mir zwei Schluck für heute Abend übrig.« »Sir.« Ich kam mir wie ein Idiot vor, wie ich so vor meinem eigenen Burschen aus der Unterkunft floh, aber mir fiel nichts gescheiteres ein. Er würde offensichtlich keine Ruhe geben, bis er jedes einzelne Teil meiner Ausrüstung Stück für Stück unter die Lupe genommen hatte. Wahrscheinlich wollte er mich mit seiner Gründlichkeit beeindrucken. Offiziersburschen beziehen Extrasold, und für einen trinkfreudigen Mann war es ein prima
Posten. Ich würde ihm trauen können, dessen war ich mir ziemlich sicher. So weit ich mich erinnern konnte, war ich nie mit Ogilvie aneinandergeraten. Man muß schon ein außergewöhnlich dämlicher Offizier sein, um sich mit dem Spieß anzulegen. Den Offiziersclub zu finden, war nicht schwer. Wie alle übrigen Räumlichkeiten war auch er für die Bedürfnisse eines ganzen Regiments bemessen. Da erlebte ich eine Überraschung. Ich traf auf einen Marinergefreiten den ich als einen der unseren erkannte. Ich wollte gerade die Bar betreten, in der ich einige Milizoffiziere bemerkte, als der Gefreite mich aufhielt. »Entschuldigen Sie, Sir, zum Marinerclub geht’s da entlang.« Er deutete den Gang hinunter. »Ich würde doch wohl lieber mit den Milizleuten trinken, Gefreiter.« »Jawohl, Sir. Der Hauptfeldwebel hat mir aufgetragen, allen Offizieren Bescheid zu sagen, Sir.« »Verstehe.« Ich verstand natürlich überhaupt nichts, aber ich würde mich nicht mit einem Gefreiten in eine Diskussion einlassen, und es bestand keine Veranlassung, sich stur zu stellen. Ich folgte den Gang zum Marinerclub. Deane Knowles war schon da. Außer einem Kellner war sonst niemand anwesend, und dieser gehörte auch zu unserer Einheit. In der Milizbar waren die Kellner Zivilisten. »Sei herzlich in dieser lustigen Runde willkommen«, meinte Deane. »Einen Whisky? Es gibt noch einen Pfirsichschnaps, der ganz brauchbar schmeckt. Herr im Himmel, setz dich endlich und unterhalte mich ein bißchen!« »Ich gehe davon aus, daß Corporal Hansner dich abgefangen hat«, sagte ich. »Und das sehr effektiv. Mir ist zwar bekannt, daß die Flotte das Kastendenken extrem fördert, aber das hier scheint mir
etwas zu weit zu führen. Was soll ich sagen, hier befinden sich ungefähr zwölf Marineroffiziere, wir beiden Erlauchten mitgezählt, und schon gründen wir einen eigenen Club.« Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht will die Miliz nichts mit uns zu schaffen haben?« »Blödsinn. Selbst wenn sie uns die Pest an den Hals wünschen würden, wollten sie immer noch den Klatsch von der Erde hören wollen. In der Zwischenzeit finden wir nichts über die hiesige Situation heraus. Was trinkst du?« »Ich werde es mit deinem Schnaps versuchen«, sagte ich an den Kellner gewandt. »Und wer löst Sie ab, wenn Sie dienstfrei haben?« »Weiß nicht, Sir. Der Hauptfeldwebel hat mich hergeschickt.« »Versteht sich.« Ich wartete bis der Landser fortging. »Und der Hauptfeldwebel kümmert sich um uns, soviel steht fest. Ich habe einen echt überwältigenden Burschen aufs Auge gedrückt bekommen.« Deane fing an zu lachen. »Einen der Altgedienten? Ja, ich habs mir gedacht. Mir gehts genauso. Monitor Armand Kubiak zu Ehren Diensten, Sir.« »Ich habe nur einen Schützen abbekommen«, bemerkte ich. »Nun, wenigstens hat Ogilvie ein Gespür dafür, was sich gehört«, meinte Deane. »Prost.« »Prost. Schmeckt übrigens ganz gut.« Ich stellte mein Glas ab und wollte gerade etwas sagen, aber Deane hörte nicht zu. Er starrte in Richtung Tür, und einen Augenblick später folgte ich seinem Blick. »Weißt du was, ich glaube, daß das das hübscheste Mädchen ist, das mir je untergekommen ist.« »Nimmt ganz bestimmt am Rennen teil«, sagte Deane. »Sie kommt an unseren Tisch.« »Augenscheinlich.« Wir erhoben uns.
Es lohnte sich bestimmt, sie genauer in Augenschein zu nehmen. Sehr groß war sie nicht. Ihr Scheitel war ungefähr auf meiner Kinnhöhe. Die kleinen Absätze ihrer Sandalen machten sie etwas größer als Deane. Sie trug ein blaues Leinenkleid, das zu ihren Augen paßte, und es sah ganz so aus, als ob sie ständig an der frischen Luft war. Das Kleid war streng und verlieh der Trägerin ein abweisendes Aussehen. Nur vereinzelt hatten wir auf unserem Marsch Frauen bemerkt, die Röcke trugen, und dabei hatte es sich um lange, wenig farbenfrohe Baumwolldinger gehandelt. Ihr Haar war in Löckchen aufgedreht, die um ihre Schultern spielten. An der rechten Hand trug sie einen großen, goldenen Siegelring. Sie schritt einher, als gehörte der Club ihr. Offensichtlich war sie es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen. »Ich hoffe, Sie kommen wegen uns«, sagte Deane. »In der Tat.« Ihr Lächeln war sehr nett anzusehen. Ein teures Lächeln, entschied ich. »Nun Sie haben einen guten Geschmack«, fuhr Deane fort. Ich weiß einfach nicht, wie er immer wieder damit durchkommt. Ich nehme an, es muß sich um Telepathie handeln. Was er zu Mädchen sagt, ist nie besonders geistreich. Ich muß das schließlich wissen, denn auf der Akademie habe ich seine Technik genau studiert. Ich hatte geglaubt, sie mir genauso aneignen zu können, wie man Taktik lernt, aber es klappte nicht. Was Deane von sich gibt, scheint egal zu sein, und wie er es sagt, scheint ebenfalls unerheblich zu sein. Er quatscht einfach drauflos, ohne wirklich etwas von Bedeutung zu äußern, wird sogar beleidigend und schwupps, sieht man ihn mit dem Mädchen verschwinden. Es kann sogar vorkommen, daß sie deswegen ihren Begleiter sitzen lassen muß. Zum Henker mit mir, wenn ich das hier wieder geschehen lassen sollte, aber das hatte ich mir schon des öfteren
vorgenommen und war dabei nur auf meinem Allerwertesten gelandet. Mir fiel ums Verrecken nichts ein, was ich zu ihr sagen konnte. »Ich heiße Deane Knowles, und dies hier ist Leutnant Slater«, stellte Deane vor. Du miese Sau, dachte ich. Ich rang mir ein Lächeln ab, als sie mir die Hand reichte. »Und ich bin Irina Swale.« »Dann sind Sie sicher die Tochter des Gouverneurs«, bemerkte Deane. »Das ist richtig. Darf ich Platz nehmen?« »Ich bitte darum.« Deane rückte ihr schon einen Stuhl zurecht, bevor ich dazu kam. Ich fühlte mich fehl am Platze. Als wir schließlich alle saßen, erschien Schütze Donnelley. »Einen Jericho, bitte«, sagte Irina. Donnelley schaute sie ungerührt an. »Er ist einer von unserem Haufen«, sagte ich wie zur Erklärung. »Was Sie da bestellen, sagt ihm nichts.« »Das ist eine Weinsorte«, meinte sie. »Ich bin sicher, daß einige Flaschen vorhanden sind. Normalerweise in gekühltem Zustand.« »Ja, Madam«, kam es von Donnelley. Er ging zur Bar zurück und inspizierte die Flaschen. »Wir fragten uns gerade, was wir wohl anstellen könnten und Sie haben uns bedankenswerter Weise vor dem tödlichen Endstadium der Langeweile bewahrt«, sagte Deane. Sie reagierte mit einem Lächeln, aber dahinter wurde ein Schatten sichtbar. Sie schien nicht beleidigt zu sein, aber einen frohen Eindruck machte sie auch nicht. Ich fragte mich, was sie eigentlich von uns wollte. Donnelley brachte eine Flasche und ein Weinglas. »Ist es das, Madam?« »Ja, schönen Dank.« Er stellte das Glas auf den Tisch und schenkte ein.
»Würden Sie mich für einen Augenblick entschuldigen, Leutnant Knowles?« »Sicher, Donnelley. Aber bleiben Sie nicht so lange fort, sonst stürmen wir die Bar.« »Jawohl, Sir.« Donnelley ging in den Flur. »Prost«, meinte Deane. »Erzählen Sie uns etwas über das Nachtleben auf Arrarat.« »Da gibt es nicht viel Angenehmes zu erzählen«, antwortete Irina. »Ziemlich langweilig, was? Nun, das hatten wir schon befürchtet.« »Nicht so sehr langweilig sondern viel eher schrecklich«, gab Irina zur Antwort. »Es tut mir leid. Es ist nur… Ich habe Schuldgefühle, weil ich nur über meine eigenen Probleme nachdenke. Dabei sind das Kleinigkeiten. Sagen Sie mir, wann erscheinen die anderen?« Deane und ich wechselten einen Blick. Ich wollte gerade den Mund aufmachen, aber Deane kam mir zuvor. »Wissen Sie, man erzählt uns nicht gerade viel.« »Dann ist es also wahr – Sie sind schon alles, was zu erwarten steht«, sagte sie. »Also das habe ich nicht gesagt«, protestierte Deane. »Ich sagte nur, daß wir nicht unterrichtet sind – « »Sie brauchen nicht zu lügen«, sagte sie. »Ich bin wohl kaum ein Spion. Sie sind alles, was hergeschickt worden ist, oder etwa nicht? Kein Kriegsschiff und kein Regiment. Nur ein paar hundert Männer und einige junge Offiziere.« »Ich hatte eigentlich angenommen, sie wüßten darüber besser Bescheid als wir«, kam es aus meinem Mund. »Ich gebe nur nicht die Hoffnung so schnell auf, wie mein Vater.«
»Ich verstehe das Ganze einfach nicht«, gab ich zu. »Der Gouverneur hat um ein Regiment gebeten, aber niemand hat uns gesagt, was dieses Regiment eigentlich tun soll!« »Den Bockmist aufräumen, den wir auf dem Planeten angerichtet haben«, erklärte Irina schnippisch. »Und ich hatte gedacht, Sie würden wirklich etwas unternehmen. Das CoDominium hat Arrarat in die reinste Hölle verwandelt, und ich hatte angenommen, sie hätten genug… was? Stolz? Scham? wenigstens ein Mindestmaß an Anständigkeit, die Angelegenheit wieder ins Lot zu bringen, bevor wir hier ganz vor die Hunde gegangen sind. Wie ich feststellte, habe ich mich getäuscht.« »Ich nehme an, außerhalb der Stadtmauer sieht es böse aus?« erkundigte sich Deane. »Böse? Es ist grausig!« bestätigte Irina. »Sie können sich nicht einmal vorstellen, was sich da draußen abspielt. Gangsterbanden erklären sich zu Regierungen, und mein Vater erkennt sie als solche an! Wir schließen Verträge mit ihnen ab. Die Siedler sind aufgerieben worden. Mord ist noch das wenigste. Ein ganzer Planet fällt in Barbarei, und wir versuchen noch nicht einmal, etwas dagegen zu unternehmen.« »Sicher kann ihre Miliz einiges ausrichten«, versuchte Deane. »Nichts Entscheidendes.« Sie schüttelte langsam den Kopf und schaute in ihr Glas. »Erstens verläßt die Miliz die Stadt nicht, und man kann ihr deswegen noch nicht einmal Vorwürfe machen, nehme ich an. Sie sind keine Soldaten, sondern in der Hauptsache Krämer. Von Zeit zu Zeit trauen sie sich bis zur großen Flußbiegung oder bis zu den ersten Farmen, aber damit ist nichts gewonnen. Wir haben versucht, die Sache auf eine solidere Basis zu stellen, das hat aber nicht geklappt. Es ist uns nicht gelungen, die Siedler vor den Räubern zu beschützen. Und nun erkennen wir solche Banden als legale Regierungen an!«
Donnelley tauchte wieder auf und ging zur Theke. Deane winkte ihm. »Mir ist aufgefallen, daß die Leute auf die Straße gekommen sind, um uns zuzujubeln«, sagte ich. Irina lächelte bitter. »Das ist richtig. Die glauben, Sie würden die Handelswege ins Landesinnere wieder öffnen und ihre Verwandten da draußen retten. Ich wünschte, Sie könnten das wirklich.« Ehe wir noch irgend was erwidern konnten, trat Captain Falkenberg ein. »Guten Tag«, grüßte er. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?« »Natürlich, Sir«, sagte Deane. »Das ist Captain Falkenberg Irina Swale, Captain, die Tochter des Gouverneurs.« »Sehr gut, angenehm. Brandy, bitte, Donnelley. Wollen Sie uns dabei Gesellschaft leisten? Hervorragend. Noch eine Runde bitte. Übrigens, mein Name ist John. In der Messe reden wir uns alle mit dem Vornamen an, Deane – das gilt natürlich nicht für den Oberst.« »Jawohl, Sir, entschuldigen Sie, John. Miß Swale war gerade dabei, uns über die Zustände außerhalb der Stadtmauern zu informieren. Es sieht ziemlich schlecht aus.« »Das kommt mir auch so vor. Ich habe den Nachmittag mit dem Oberst verbracht. Vielleicht können wir etwas für Sie tun, Miß Swale?« »Irina. In der Messe reden wir uns mit dem Vornamen an.« Sie lachte. Es war ein sehr angenehmes Lachen. »Ich würde es begrüßen, wenn Sie etwas für die Menschen da draußen tun könnten, aber Sie verfügen nun mal nur über tausend Mann.« »Eine Mariner-Kampftruppe von tausend Mann«, sagte Falkenberg. »Das ist nicht ganz dasselbe.« Und wir hatten noch nicht einmal tausend Marinergrenadiere, dachte ich. Viele Rekruten darunter. Ich fragte mich, was Falkenberg beabsichtigte. Versuchte er etwa, bei der Tochter
des Gouverneurs Eindruck zu schinden? Ich hoffte, daß dem nicht so war, denn seine Worte hatten mich stolz gemacht. »Ich nehme an, Sie stehen auf der Seite der Farmerleute da draußen«, suchte Falkenberg die Lage zu analysieren. »Das muß ich doch wohl, oder?« erwiderte Irina. »Selbst wenn Sie sich nicht an mich wenden würden, nachdem Hugo – das ist mein Vater – klar zum Ausdruck gebracht hat, daß er Ihnen nicht helfen kann. Ich habe auch versucht, etwas für die Kinder zu tun. Glauben Sie denn wirklich – « Ihre Stimme erstarb. Falkenberg zuckte die Schultern. »Zweifellos werden wir es versuchen. Wir können in einigen Krisengebieten Truppen stationieren. Wie Sie schon sagten, was tausend Männer ausrichten können, ist nun mal begrenzt, selbst wenn es sich dabei um tausend Mariner handelt.« »Und wenn Sie wieder abhauen?« fragte Irina, mit Bitterkeit in der Stimme. »Sie werden doch wieder abrücken oder etwa nicht? Sie sind doch nur hier, um uns zu evakuieren.« »Der Großsenat unterhält sich in der Regel nicht mit jungen Captains über politische Fragen«, antwortete Falkenberg. »Nein, ich denke nicht. Aber ich weiß, daß Sie Befehle des Colonial Office mitgebracht haben, Hugo hat sie in seinem Büro gelesen – und seither spricht er mit niemanden mehr. Den ganzen Tag sitzt er schon da. Es ist nicht gerade schwer zu raten, was drin steht.« Irina trank ein Schlückchen Wein und starrte verstimmt auf die eichene Tischplatte. »Natürlich muß man das große Ganze sehen. Was ist schon ein kleiner Planet mit weniger als einer Million Bewohnern? Arrarat bedroht nicht den Frieden, oder? Es sind Menschen, und sie verdienen eine bessere Behandlung – Entschuldigung. Ich bin nicht immer so.«
»Wir müssen uns etwas einfallen lassen, um Sie auf andere Gedanken zu bringen«, sagte Deane. »Erzählen Sie etwas vom lustigen Gesellschaftsleben auf Arrarat.« Sie bedachte ihn mit einem flüchtigen Lächeln. »Ganz wild. Ein einziger Reigen von Hofbällen und schlüpfrigen Feten. Genau was man auf einem Kirchenplaneten erwartet.« »Langweilshausen«, machte sich Deane lustig. »Aber jetzt wo wir hier sind – « »Ich denke, wir können etwas auf die Beine stellen«, meinte Irina nur. »Ich bin zufälligerweise die Gesellschaftssekretärin meines Vaters. Ist es etwa nicht üblich neu angekommene Truppen zu einer offiziellen Party einzuladen, John? Wir werden sie in der Gouverneursresidenz ausrichten.« »Das ist üblich«, räumte Falkenberg ein. »Aber in der Regel heißt man ein komplettes Regiment willkommen und nicht so einen zusammengewürfelten Haufen, wie wir es sind. Andererseits ist diese Ersatzeinheit der einzige militärische Verband hier.« »Nun, wir verfügen über eine Miliz«, entgegnete Irina. »Verzeihung. Ich meinte die einzige Kampftruppe. Ich bin sicher, jeder würde sich geschmeichelt fühlen, wenn wir zu einer offiziellen Veranstaltung eingeladen würden. Können Sie das in die Wege leiten, sagen wir innerhalb der nächsten vier oder fünf Tage?« »Selbstverständlich«, sagte sie. Sie betrachtete ihn neugierig. Wir desgleichen. Ich hätte mir nicht im Traum einfallen lassen, daß Falkenberg an so etwas interessiert sein könnte. »Ich muß mich aber umgehend darum kümmern.« »Falls es zu kurzfristig sein sollte«, sagte Falkenberg, »dann –« »Nein, das geht schon in Ordnung.«
Falkenberg schaute auf seine Uhr und trank sein Glas leer. »Noch eine Runde, Gentlemen, ich fürchte, danach muß ich Sie mitnehmen. Stabsbesprechung. Irina, brauchen Sie eine Eskorte?« »Nein, natürlich nicht.« Das Gespräch plätscherte noch für ein paar Minuten dahin, dann stand Falkenberg auf. »Tut mir leid, daß wir Sie allein zurück lassen müssen, aber auf uns wartet Arbeit.« »Ja, das kann ich gut verstehen.« »Und ich würde es begrüßen, wenn Sie der Einladung sobald wie möglich offiziellen Charakter verleihen könnten«, bat Falkenberg. »Ansonsten könnte es schon gut möglich sein, daß unsere Pflichten damit nicht in Einklang zu bringen wären, aber eine Einladung durch den Gouverneur könnten wir wohl schwerlich ausschlagen.« »Ja, ich fange gleich damit an«, versprach sie. »Gut, meine Herren? Wir haben noch einiges vor. Truppenverleitung und ähnliches, langweilig aber notwendig.«
IV
Im Konferenzraum befand sich ein Tisch, an dem ein Dutzend Offiziere bequem Platz fand, und am entgegen gesetzten Ende stand noch einmal die gleiche Anzahl an Stühlen in Reserve. An zwei Wänden befanden sich Monitorschirme, die übrigen waren mit Paneelen aus wertvollen Edelhölzern, die auf Arrarat vorkommen mußten, verschalt. An ihnen konnte man noch die Spuren erkennen, wo einstmals Fahnen und Bilder gehangen hatten. Jetzt waren die Wände kahl, und der Raum machte einen leeren Eindruck. Die einzige Dekoration bestand in der CoDominium Fahne. Eine Kombination von amerikanischem Adler und sowjetischem Hammer und Sichel. Sie stand in einer Ecke neben einem leeren Trophäenschrank. Louis Bonneyman war schon anwesend. Als wir eintraten, stand er auf. »Es werden nicht viele Personen anwesend sein, Sie können ruhig alle am Tischende zusammenrücken«, bemerkte Falkenberg. »Fungierst du als Regimentsadjutant oder als Bataillonskommandeur?« fragte Deane mich. Er deutete in Richtung der für Stabsoffiziere vorgesehenen Plätze. »Auf jeden Fall als Bataillonskommandeur«, sagte ich. »Feldtruppe hat immer Vorrang vor Stabsoffizieren. Louis du kannst den Nachrichtenoffizier mimen.« »In ein paar Minuten kann das nicht mehr ganz so lustig sein«, bemerkte Falkenberg. »Nehmen Sie Platz meine Herren.« Er drückte einen Knopf auf dem Schaltpult vor sich. »Überlegen Sie sich genau, was Sie sagen.«
Ich fragte mich, was zum Teufel er wohl damit meinte. Es war mir nicht entgangen, daß er genau gewußt hatte, wo er uns finden konnte. Donnelley mußte es ihm gesteckt haben. Die Frage war nur, warum? »Ach-tung!« Wir standen auf, als Oberst Harrington den Raum betrat. Deane hatte mir anvertraut, daß Harrington über siebzig sei, aber ich hatte es einfach nicht glauben können. Es bestand aber kein Zweifel daran. Er war klein, und er hatte einen gequälten Gesichtsausdruck. Die paar verbliebenen Haare waren schlohweiß. Hauptfeldwebel Ogilvie begleitete ihn. Er sah riesig aus, wie er so neben dem Oberst stand. Er war fast so groß wie Falkenberg, aber viel breiter, ein Mordskerl sozusagen. Neben Harrington wirkte er wie ein Riese. Der dritte im Bunde war ein Major, der nicht viel jünger als der Oberst sein konnte. »Nehmen Sie Platz meine Herren«, forderte Harrington auf. »Willkommen auf Arrarat. Ich bin natürlich Harrington, dies hier ist Major Lorca, mein Stabschef. Uns ist bereits bekannt, wer Sie sind.« Während Harrington sich setzte, sagte er etwas, das wie eine Begrüßung klang. Er nahm vorsichtig Platz, etwa so, wie man es nur unter hohen Schwerkraftverhältnissen tun würde. Arrarat hingegen verfügt über keine nennenswerte Erdanziehung. Alt, dachte ich bei mir. Alt und jenseits der Pensionsgrenze. Selbst mit Regenerationstherapie und Aufbaupräparaten. »Sie stellen für mich ein ziemliches Problem dar«, begann der Oberst. »Wir haben um ein Regiment Militärpolizei gebeten. Garnisonsmarine. Ich habe nicht damit gerechnet, ein komplettes Regiment bewilligt zu bekommen, aber daß Kampfeinheiten dabei herumkommen würden, wäre mir nicht im Traum eingefallen. Was soll ich nur mit Ihnen machen?«
Niemand sprach. »Kampfverbände kann ich nicht mit der Miliz unter einen Hut bringen«, sagte der Oberst. »Für beide Einheiten wäre das ein Unglück. Ich will Ihre Leute überhaupt nicht in der Stadt! Das hat mir gerade noch gefehlt, Landser in Harmony, die zu ›System-P‹ greifen!« Deane schaute mich fragend an, und ich grinste zurück. Es war ganz angenehm, etwas zu wissen, das ihm nicht bekannt war. Das ›System-P‹ ist ein Landserbrauch. Die Leute verteilen sich in kleinen Gruppen und gehen schubweise in bestimmte Stadtteile, wo sie sich dann bis zum Stehkragen vollaufen lassen. Dann erklären sie dem Wirt, daß sie nicht zahlen könnten. Wenn der dann Schwierigkeiten macht, nehmen sie die Bude auseinander. Einige Einheiten helfen dabei, während andere die Wachen aufhalten. »Es tut mir leid, aber ich will, daß Ihre Männer die Stadt so schnell wie möglich verlassen«, forderte Harrington. »Ich kann Ihnen auch keine Offiziere stellen. Man kann Mariner nicht unter Milizoffizieren dienen lassen, und von den paar Flottenleuten, die ich habe kann ich keinen erübrigen. Das ist Ihre Chance meine Herren, denn Sie vier werden die einzigen Offiziere des 501. Provisional Bataillons sein. Natürlich ist Captain Falkenberg der kommandierende Offizier. Als ältester Leutnant werden Sie sein Stellvertreter sein, Mister Slater. Und Sie werden darüber hinaus auch wohl eine Kompanie übernehmen müssen. Sie beide, meine Herren, werden ebenfalls eine Kompanie befehligen. Major Lorca wird Ihnen auf dem Versorgungssektor unter die Arme greifen können, aber ansonsten sind Sie auf sich selbst gestellt.« Harrington legte eine Pause ein, um das Gesagte einwirken zu lassen. Deane grinste mich an, und ich erwiderte es. Mit einem Quentchen Glück würden wir auf diesem miesen Stern
ganz gut fahren. Kompaniecheferfahrung konnte unsere Leutnantszeit um Jahre abkürzen. »Das nächste Problem ist, was wir nun mit Ihnen anstellen, wenn Sie sich häuslich eingerichtet haben?« stellte Harrington fest. »Major Lorca würden Sie bitte einige Erläuterungen geben?« Lorca stand auf und schritt zur Monitorwand. Mit Hilfe des Schaltpultes warf er einen Stadtplan auf die Projektionsfläche. »Wie Sie unschwer erkennen, ist die Stadt stark befestigt«, erklärte er. »Mit unserer Miliz können wir sie gut halten. Andererseits ist es der einzige Ort auf Arrarat, den wir je haben verteidigen müssen. Zwangsläufig sind einige Banden entstanden, die im Landesinneren so ziemlich alles tun können, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Kürzlich hat eine Gruppe, die sich Flußpiraten nennt, einen längeren Abschnitt des Flusses mit Beschlag belegt. Daraufhin sind die Transportgebühren derart heraufgesetzt worden, daß die Stadt praktisch von jeglicher Versorgung abgeschnitten ist. Der Wasserweg ist die einzige gangbare Route, um landwirtschaftliche Güter vom Land in die Stadt zu transportieren.« Lorca warf eine andere Karte an die Wand, die den Flußverlauf nordwestlich von Harmony zeigte. Er zog sich durch ein hügeliges Gebiet, und weiter stromaufwärts konnte man Anbaugebiete erkennen. Jenseits davon wurde noch eine Bergkette sichtbar. »Hinzu kommt«, sagte Lorca, »daß alle anderen Rohstoffe, die wir für die Industriekomplexe auf diesem Planeten benötigen, aus diesen Minen hier stammen.« Ein Lichtstab deutete auf die entfernten Berge. »Das bringt uns in eine delikate politische Lage.« Der Oberst knurrte wie ein Hund. »Delikat! Verflucht, es ist einfach unmöglich! Erzählen Sie ihnen den Rest, Lorca.« »Jawohl, Oberst. Die politischen Verantwortlichkeiten auf dem Planeten sind nie genau geklärt worden. Nur wenige
Rechtsverhältnisse sind klar umrissen. Die Stadt Garrison steht zum Beispiel unter direkter Militärhoheit, und Oberst Harrington ist innerhalb der Mauern sowohl militärischer als auch ziviler Befehlshaber. Harmony steht unter CoDominium Verwaltung mit Gouverneur Swale an der Spitze. Soweit ist alles klar, aber Gouverneur Swale hat darüber hinaus das Amt des planetarischen Kommissars inne, was Oberst Harrington theoretisch zu seinen Untergebenen macht. In der Praxis klappte das ganz gut, weil der Gouverneur sich auf zivile und Oberst Harrington sich auf militärische Aufgaben beschränkt. Wir haben Garrison und Harmony mehr oder weniger zusammengelegt.« »Das ist auch schon so ziemlich alles, worin wir übereinstimmen«, ließ sich Harrington vernehmen. »Aber eine Sache ist klar – unseren Befehlen zufolge müssen wir Garrison in jedem Fall halten. Und in der Praxis heißt das, daß wir Harmony mitverteidigen müssen, deswegen haben wir die Milizverbände zusammengelegt. Um beide Städte gegen einen Frontalangriff zu verteidigen, reichen unsere Kräfte aus. Uns bleibt aber das Versorgungsproblem.« »Wie ich schon sagte, eine delikate Situation«, bemerkte Lorca. »Wir können die Stadt nicht ohne Versorgung von außen halten und wir können die Stadt nicht versorgen, wenn die Nachschublinien über dem Fluß nicht offen sind. Früher waren sich Gouverneur Swale und Oberst Harrington einig, daß dies nur gewährleistet werden könne, wenn der Machtbereich des CoDominiums entlang des Ufers ausgedehnt wird.« Der Lichtstab geriet in Bewegung und deutete auf die von den Flußpiraten gehaltenen Punkte. »Sie leisten Widerstand«, sagte Lorca. »Nicht nur die Sträflinge, sondern auch die alteingesessenen Siedler. Unsere Convoys sind angegriffen worden. Unsere Milizsoldaten wurden von Heckenschützen abgeknallt. Auf die Häuser von
Milizoffizieren sind Bombenanschläge verübt worden – der Feind verfügt nicht über viel Rückendeckung in der Stadt selbst, aber um Terroranschläge zu begehen, braucht man nicht viele Leute. Der Gouverneur wollte sich nicht unter Kriegsrecht stellen, und der Miliz ist es nicht gelungen, die Flußufer unter Kontrolle zu halten. Auf Befehl des Gouverneurs sind alle dem CoDominium unterstellten Einheiten nach Harmony zurückbeordert worden.« »Wir haben diese Leute im Stich gelassen«, sagte Harrington. »Sie haben bekommen, was sie verdient haben. Wie Sie sich denken können, hat es da draußen einen kleinen Bürgerkrieg gegeben. Aber als der vorbei war, hatten die Flußpiraten alles unter Kontrolle. Swale hatte sie als rechtmäßige Regierung anerkannt. Hat wohl gedacht, er könne mit ihnen verhandeln. Großer Irrtum. Machen Sie weiter Lorca, die Schlußpointe.« »Jawohl Sir, wie der Oberst schon sagte, die Flußpiraten wurden anerkannt, man trat in Verhandlungen ein. Sie führten aber nicht zum Erfolg. Die Piraten stellten unannehmbare Forderungen als Gegenleistung für die Wiedereröffnung des Flußverkehrs. Als dem Gouverneur klar wurde, daß die Städte ohne sichere Versorgungslinie nicht gehalten werden können, wies er Oberst Harrington an, die Zufahrtswege mit militärischen Mitteln wieder zu erobern. Dieser Versuch ist nicht von Erfolg gekrönt gewesen.« »Sie haben uns den Arsch versohlt«, meinte Harrington mit fest zusammengepreßten Lippen. »Ich habe jede Menge Erklärungen dafür. Miliz ist für so etwas nicht geeignet. Aber das ist der Schnee von gestern. Fest steht, daß sie uns geschlagen haben, und wir sahen uns gezwungen, im Hauptquartier um Verstärkung nachzusuchen. Ich bat um einen Zerstörer und ein Militärpolizeiregiment. Das Kriegsschiff und die Mariner hätten die verfluchten Ufer eingenommen und
dann hätte die MP sie für uns halten können. Stattdessen habe ich jetzt Ihre Leute hier.« »Was die Sachlage schlagartig geändert zu haben scheint«, bemerkte Major Lorca. »Um 16.30 Uhr heute Nachmittag erhielt Gouverneur Swale die Nachricht, daß die Flußpiraten die Verhandlungen fortsetzen wollen. Anscheinend verfügen sie über Verbindungsleute in der Stadt – « »In der Stadt – zum Henker«, schrie Harrington. »Im Gouverneurspalast, wenn Sie mich fragen. Ein paar von seinen Bürohengsten haben sich was dazu verdient.« »Jawohl Sir«, sagte Lorca. »Jedenfalls haben sie spitz bekommen, daß Verstärkung eingetroffen ist, und nun wollen sie eine Vereinbarung abschließen.« »Schweine«, rief Oberst Harrington mit Überzeugung. »Verfluchte Schlächter. Sie machen sich kein Bild davon, was die Hundesöhne da draußen angestellt haben, und auf der Konferenz werden sie sicher etwas aushandeln, was die Piraten am Drücker läßt. Schätze, das muß er auch. Es besteht gar kein Zweifel, daß wir mit dem 501. als Speerspitze das Gebiet zurück erobern können, aber mit Kampftruppen läßt sich das nicht halten! Verflucht, Kampfeinheiten sind für Militärregierungen nutzlos. Dazu sind sie einfach nicht ausgebildet.« Falkenberg räusperte sich. Harrington starrte ihn kurz an. »Was ist?« »Eine Frage, Sir.« »Bitte.« »Was würde passieren, wenn Verhandlungen zu nichts führen und das 501. gezwungen ist, das Gebiet gewaltsam zu säubern? Wird das ein erstrebenswertes Resultat sein?« Harrington nickte, und der starre Blick verschwand. »Mir gefällt Ihre Art zu denken. Aber im Vertrauen, nichts würde sich ändern. Die Gangster würden kämpfen, wenn sie
dann feststellen, daß es keinen Zweck hat, türmen sie und nehmen ihre Waffen mit. Lösen sich im Dickicht auf und verschwinden. Damit sind wir wieder da angelangt, wo wir schon vor ein paar Jahren einmal waren. Wir hätten einen anderen Guerillakrieg am Hals, ohne Aussicht, ihn beenden zu können. Ich hatte mir so etwas in der Art vorgestellt, aber das war, als ich noch damit rechnete, Militärpolizei zu bekommen. Ich denke schon, daß wir mit einem MP-Regiment regieren könnten.« »Jawohl Sir«, sagte Falkenberg. »Aber selbst für den Fall, daß wir dann mit den Flußpiraten kämpfen müssen, wäre es doch bestimmt in unserem Interesse, eine möglichst starke Ausgangsposition zu haben.« »Woran denken Sie, Falkenberg?« fragte Harrington. Er schien verwirrt, aber in seiner Stimme klang echtes Interesse. »Wenn Sie gestatten, Sir.« Falkenberg erhob sich und ging zur Monitorwand. »Wir sind mit den Flußpiraten praktisch im Kriegszustand, sehe ich das richtig?« »Nicht offiziell«, schob Major Lorca ein. »Aber so sieht es ungefähr aus.« »Ich habe festgestellt, daß es ungefähr 240 Kilometer stromaufwärts ein verlassenes CD Fort gibt«, fuhr Falkenberg fort. Er benutzte die Schirmkontrolle, um den betreffenden Flußabschnitt zu zeigen. »Sie sagen, daß Sie keine Landser in der Stadt haben wollen. Mir scheint das alte Fort ist eine gute Basis für das 501. Außerdem wäre unsere Anwesenheit dort für die Flußschiffahrt eine Hilfe.« »Gut, machen Sie weiter«, sagte Harrington. »Also wir haben das 501. noch nicht in Schuß, aber das weiß niemand. Ich habe meine Offiziere und Mannschaften sorgfältig von der Miliz abgesondert. Hauptfeldwebel, hat irgendeiner von unseren Leuten mit der Garnisonsbesatzung gesprochen?«
»Nein, Sir. Ihre Anweisungen waren ziemlich deutlich, Sir.« »Und ich weiß, daß meine Offiziere ebenfalls keinen Kontakt hatten.« Er schaute uns an und wir nickten. »Deswegen halte ich es für höchst unwahrscheinlich, daß wir auf ernsthaften Widerstand treffen, falls wir sofort zu unserem Stützpunkt marschieren«, sagte Falkenberg. »Es müßte möglich sein, unterwegs etwas Nützliches zu tun. Wenn wir schnell genug vorgehen, schnappen wir vielleicht ein paar Piraten. Was auch passiert, auf jeden Fall wird Ihre Verhandlungsposition dadurch gestärkt.« »Sofort?« fragte Harrington. »Was verstehen Sie unter sofort?« »Heute Abend, Sir. Warum auch nicht? Die Männer haben sich noch nicht häuslich eingerichtet. Sie können marschieren. Unsere Ausrüstung ist ebenfalls marschbereit. Falls Major Lorca uns mit einigen Lastwagen für die schwere Ausrüstung dienen kann, sehe ich keine Schwierigkeiten.« »Herr im Himmel«, stöhnte Harrington. Er sah nachdenklich aus. »Das heißt ein verdammtes Risiko eingehen – « Er blieb nachdenklich. »Aber nicht ein so großes Risiko als wenn sie hierblieben. Wie Sie richtig bemerkten, im Augenblick weiß noch kein Schwanz, was wir auf Lager haben. Wenn die Leute erst einmal zu reden anfangen, weiß es bald die ganze Gegend, daß Sie einen zusammengewürfelten Haufen von Rekruten, Wachsoldaten und grünen Jungens mitgebracht haben. Wenn Sie losziehen wäre das nicht so auffällig.« »Sie werden ziemlich auf sich selbst gestellt sein, bis wir den Flußverkehr wieder ins Lot gebracht haben«, meinte Major Lorca. »Jawohl, Sir«, gab Falkenberg zurück. »Aber wir sind näher an der Versorgungsquelle als Sie hier. Ich habe drei Helikopter und zwei Skyhooks. Mit denen können wir Militärgerät transportieren.«
»Beim Zeus, das gefällt mir«, meinte Harrington. »Gerade haben die Schweine uns geschlagen. Ich hätte nichts dagegen, es ihnen heimzuzahlen.« Er schaute uns an und schüttelte dann den Kopf. »Was haltet ihr Jungs davon? Ich kann nur Sie vier ziehen lassen. Dabei bleibt’s. Schaffen Sie das auch?« Wir nickten alle. Ich hatte so meine Zweifel, war aber übermütig genug zu glauben, ich könnte alles bewerkstelligen. »Das wird ein Spaziergang, Sir«, tat ich mich hervor. »Ich kann mir keine Sträflingshorde vorstellen, die gegen ein Marinergrenadierbataillon antritt.« »Chorpsgeist und so«, bemerkte Harrington. »Ich habe nie bei einer Grenadiereinheit gedient. Sie sind noch nicht lange genug dabei, um sich auszukennen, und siehe da, schon reden Sie wie einer von ihnen. Na gut. Captain Falkenberg, Sie sind autorisiert, Ihr Bataillon nach Fort Beersheba zu führen. Erzählen Sie ihnen, was Sie ihnen mitgeben können, Lorca.« Der Oberst klang zehn Jahre jünger. Die Niederlage hatte ihn empfindlich getroffen. Und nun brannte er darauf, den Flußpiraten zu zeigen, wozu reguläre Truppen imstande waren. Major Lorca klärte uns über die logistische Lage auf. Es waren so wenige Lastwagen vorhanden, daß nur das absolut Notwendigste mitgeführt werden konnte. Wir würden die Haubitzen in Schlepp nehmen können, und dann gab es noch zwei Panzer, die wir haben konnten. Für die meisten von uns hieß es ›marschier oder stirb‹. Uns kam es nicht so vor, als ob es viel zu sterben gäbe. Lorca kam zum Schluß. »Noch Fragen?« sagte er. Er schaute Falkenberg an. »Ich stelle meine im Augenblick zurück, Sir.« Falkenberg sprach schon ganz wie ein Bataillonskommandeur. »Sir, warum gibt es so wenig motorisierte Fahrgelegenheiten?« wollte Louis Bonneyman wissen.
»Kein Benzin«, klärte Lorca ihn auf. »Keine Raffinerien. Wir verfügen über einen geringen Vorrat an Rohöl und zwei sehr primitive Destillationsanlagen. Aber weitaus zu wenig, um viele Autos unterhalten zu können. Die ersten Siedler waren so zufrieden. Sie wollten gar keine Wagen.« Lorca erinnerte mich an einen meiner Ausbildungsoffiziere an der Akademie. »Mit was für Waffen müssen wir uns auseinander setzen?« wollte Deane Knowles wissen. Lorca zuckte die Achseln. »Sie sind besser ausgerüstet, als man annehmen sollte. Präzisionsgeräte, ein paar Raketen und Granatwerfer. Kein schweres Gerät, und außerdem neigen sie dazu, verbindungsmäßig und überhaupt auf elektronischem Gebiet ihre Schwierigkeiten zu haben. Sie haben Zeug von der Miliz erbeutet« – Oberst Harrington zuckte dabei zusammen – »Und selbstredend landet am Ende alles, was wir den Farmern verkaufen, bei Verbrechern. Falls wir uns weigern, den Farmern etwas zu verkaufen, sprechen wir damit das Todesurteil über sie aus. Falls wir doch verkaufen, bewaffnen wir indirekt mehr Sträflinge. Es ist ein Teufelskreis.« Ich schaute mir die Lage auf der Karte an. Es sah nicht besonders schwer aus. Tausend Mann benötigen etwas mehr als eine Tonne Trockennahrung am Tag. Unterwegs gab es reichlich Wasser und wahrscheinlich war es möglich auch zu requirieren. Wir konnten es schaffen. Selbst mit der unangemessenen Transportunterstützung durch Lorca. Es sah wirklich wie ein Spaziergang aus. Ich zerbrach mir hier über Zahlen und Daten den Kopf, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war, doch dann ging mir plötzlich auf, daß es sich hier nicht um seine Sandkastenübung an der Akademie handelte. Es wurde ernst. In wenigen Stunden würden wir in feindliches Territorium einmarschieren. Ich schaute verstohlen zu meinen Kameraden. Deane bediente seinen Taschencomputer und runzelte dabei die Stirn. Louis
Bonneyman grinste wie ein Schelm. Unsere Blicke trafen sich, und er kniepte mir zu. Ich erwiderte es, und gleich ging es mir besser. Egal was geschah, ich konnte mich auf sie verlassen. Lorca hechelte noch einige Einzelheiten, Verpflegung und Nachschub aus der Garnison betreffend, durch. Wir machten uns alle Notizen, und selbstverständlich wurde das Treffen aufgezeichnet. »Das wär’s denn so ungefähr«, sagte er zum Schluß. – Harrington stand auf und wir taten das gleiche. »Ich nehme an, Sie wollen das 501. noch organisieren bevor Sie weitere Fragen an mich stellen wollen«, meinte Harrington. »Ich überlasse Sie dann wohl besser Ihren Aufgaben. Sie können dieses Treffen ruhig als Antrittsbesuch beim Oberkommandierenden betrachten, dennoch stehe ich jedem von Ihnen zur Verfügung, falls Sie mir noch etwas zu sagen haben. Das wärs.« »Ach – tung!« schrie Ogilvie. Er blieb im Zimmer, nachdem Oberst Harrington und Major Lorca gegangen waren. »Na gut, gehen wir an die Arbeit«, sagte Falkenberg. »Hauptfeldwebel!« »Sir!« »Bitte gehen Sie die Pläne durch, die wir aufgestellt haben.« »Sir!« Ogilvie hantierte am Schaltpult, und schon erschien eine Skizze auf dem Monitorschirm. Wie der Oberst gerade gesagt hatte, ich war Zweitkommandierender und darüber hinaus Chef der A-Kompanie. Meine Kompanie war eine Schützeneinheit. Ich bemerkte, daß ich mehr Altgediente dabei hatte, als mir zustanden. Deane hatte die Artilleriekompanie zugeteilt bekommen, das war zu erwarten gewesen, denn er hatte auf der Akademie in Waffenkunde immer die besten Noten gehabt, zudem las er, wo er ging und stand Bücher über artillerietaktische Probleme. Louis Bonneyman bekam auch eine Schützenkompanie, allerdings mit vielen Rekruten durchsetzt. Falkenberg selbst
hatte sich einen großen Kommandeurszug unter seinem persönlichen Befehl vorbehalten. »Es gibt Gründe für diese Abteilung«, erklärte Falkenberg. »Ich werde später darauf zurückkommen. Haben Sie im Augenblick irgendwelche Einwände?« »Ich kenne mich nicht gut genug aus, um etwas einzuwenden, Sir«, sagte ich. Dabei betrachtete ich weiter eingehend die Karte. »Jeder von Ihnen wird sich sehr auf seine Unteroffiziere verlassen müssen«, fuhr Falkenberg fort. »Glücklicherweise haben wir gute Leute darunter. Der beste, Centurion Liebermann, kommt zur A-Kompanie. Bonneymann bekommt Sergeant Cernan. Wenn er sich bewährt, besorgen wir ihm die Centurionsstreifen. Knowles hat schon mit BombardierCenturion Pniff zusammengearbeitet. Hauptfeldwebel Ogilvie bleibt natürlich beim Kommandeurszug. Zuzüglich zu Ihren Kommandoaufgaben wird jeder von Ihnen auch einen Stabsposten übernehmen. Bonneyman macht Nachrichtendienst.« Falkenberg lächelte andeutungsweise. »Ich habe ja schon erwähnt, daß das gar nicht so unwahrscheinlich sein könnte.« Louis lächelte zurück. Er saß bereits auf dem Stuhl des Regimentsnachrichtenoffiziers. Ich fragte mich, warum Falkenberg gerade Louis diesen Job gegeben hatte. Von uns vieren hatte sich Louis am wenigsten mit seinen Unterlagen befaßt, und er schien einfach nicht für die Aufgabe geschaffen. »Nachschub und Logistik bleiben natürlich Knowles’ Verantwortlichkeit«, sagte Falkenberg. »Ich selbst übernehme die Ausbildung. Und jetzt habe ich noch einen Vorschlag für Sie. Der Oberst hat uns befohlen, Fort Beersheba so schnell wie möglich einzunehmen. Wenn wir einfach, ohne zu kämpfen oder sonst etwas Positives zu erreichen, hinmarschieren, wird der Gouverneur Frieden schließen. Wir
werden dann da draußen mitten in einer gottverlassenen Gegend stationiert sein und nicht viel mehr als Patrouillengänge zu erledigen haben. Sieht jemand da Schwierigkeiten?« »Verflucht langweilig«, sagte Louis Bonneyman. »Und das wird nicht nur uns so gehen. Was meinen Sie dazu, Hauptfeldwebel?« Ogilvie schüttelte den Kopf. »Gefällt mir gar nicht, Sir. Für die Rekruten mag es ja noch angehen, aber für die Altgedienten würde ich es nicht empfehlen. Es wird viel vom Bazillus geben, Sir.« Der Bazillus. In der Fremdenlegion sagte man ›la cafard‹, was die gleiche Bedeutung hat. Als Einzelursache war er für die meisten Todesfälle in der Legion verantwortlich gewesen, und bei den Marinergrenadieren verhielt es sich ebenso. Männer, die nichts zu tun hatten, bewaffnete Männer, Kriegsknechte die sich zu Tode langweilen. Sie fallen dem Bazillus derartig anheim, bis sie Selbstmord begehen, jemand anderen ermorden, desertieren oder eine Meuterei aushecken. Die Lehrbuchantwort auf ›la cafard‹ ist ein Gewehr und reichlich Gelegenheit, es zu benutzen. Kampf. Grenadiereinheiten verlieren auf Posten mehr Leute durch ›cafard‹ als Kampftruppen im Felde. So hatte es mir mein Lehrer an der Akademie jedenfalls erzählt. »In diesem Fall wird es besonders schlimm sein«, sagte Falkenberg. »Kein Regimentsstolz. Nichts erreicht, mit dem man angeben kann. Keine Feindberührung. Das will ich vermeiden.« »Aber wie, Sir?« fragte Bonneyman. Falkenberg schien ihn nicht zu beachten. Er legte die Karte so ein, daß der Abschnitt zwischen der Stadt und Fort Beersheba die Gesamtheit des Bildschirms ausfüllte. »Wir marschieren den Jordan hinauf«, erklärte er. »Schätze, es war
unvermeidlich, daß der Kirchenrat den wichtigsten Fluß auf diesem Planeten ›Jordan‹ genannt hat, oder? Wir marschieren nach Nord-Westen, und was passiert dann, Mr. Slater?« Ich dachte nach. »Ich nehme an, daß sie weglaufen werden. Kann mir nicht vorstellen, daß sie kämpfen wollen. Wir sind viel besser ausgerüstet als die.« »Besser ausgerüstet und die besseren Leute«, fügte Falkenberg hinzu. »Und wir haben einen einschüchternden Ruf. Die wissen schon, daß wir angekommen sind, und prompt fangen sie wieder an zu verhandeln. Sie haben im Palast ihre Verbindungsleute. Sie haben doch mitbekommen, wie ich mich um einen Empfang in fünf Tagen bemüht habe.« Wir lachten alle. Falkenberg nickte. »Das bedeutet, wenn wir heute Nacht losmarschieren, dann erzielen wir ein echtes Überraschungsmoment. Wir können einige von ihnen schnappen und entwaffnen, wenn sie nicht darauf gefaßt sind. Was mir aber am meisten zupaß käme, wäre, sie alle auf einen Schlag zu erledigen.« Ich studierte die Karte und dachte mir, daß ich wußte, worauf er hinaus wollte. »Sie werden sich genau in Richtung Fort Beersheba zurückziehen«, sagte ich, »dann wird es da eng.« »Genau«, meinte Falkenberg. »Wenn wir das Fort halten, sind wir in der Lage, jeden zu entwaffnen, der dort vorbeikommt. Darüber hinaus gehört das Fort uns und wir haben schließlich den Befehl, es so schnell wie möglich zu besetzen. Ich möchte Sie aber noch einmal daran erinnern, daß wir uns praktisch mit den Flußpiraten im Kriegszustand befinden.« »Schon, aber wie kommen wir dahin?« fragte ich. »Und wenn wir den Engpaß halten, werden die anderen kämpfen. Sie können sich nicht zurückziehen.« »Nicht ohne ihre Waffen abzugeben«, sagte Falkenberg. »Ich nehme nicht an, daß es dem Oberst unangenehm wäre, wenn
wir die Gegend richtig befrieden würden. Und ich glaube auch nicht, daß es der Miliz große Schwierigkeiten bereiten würde, die Stellung zu halten, wenn wir erst mal die Piraten besiegt und die Überlebenden entwaffnet haben.« »Aber wie Hal schon gesagt hat, wie kommen wir hin?« wollte Louis wissen. Falkenberg antwortete: »Ich habe die Skyhooks erwähnt. Der Hauptfeldwebel hat genug Sprit aufgetrieben, um sie eine Weile in der Luft zu halten.« »Aber in den Unterlagen stand etwas vom Verlust militärischer Ausrüstungsgegenstände, Sir«, führte Deane an. »Darunter befinden sich auch Sky-Hawk-Raketen. Hubschrauber haben gegen die Dinger keine Chance.« »Nicht wenn irgend jemand mit einer Sky-Hawk weiß, daß wir kommen«, pflichtete ihm Falkenberg bei. »Aber warum sollten sie mit uns rechnen? Die Ausrüstung liegt noch am Pier. Es wird kein Mißtrauen erregen, wenn heute nacht ein Arbeitskommando hinuntergeht. Wir setzen die Hubschrauber zusammen, dabei wird niemand etwas finden. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sie damit rechnen, daß wir Beersheba heute Nacht einnehmen, zumal sie davon ausgehen können, daß wir am großen Empfang in fünf Tagen teilnehmen werden.« »Jawohl, Sir«, stimmte Deane ihm zu. »Aber wir können nicht genug Gerät in die Hubschrauber laden! Die Männer, die Beersheba nehmen sollen, sind verloren. Niemand kann so schnell marschieren, um sie zu entsetzen.« Falkenberg war in einen Plauderton übergegangen. Er schaute an die Decke. »Ich habe doch die Skyhooks erwähnt, oder? Wir haben zwei davon. Ladefähigkeit unter diesen Gravitationsverhältnissen sechs Tonnen pro Stück. Das sind 45 Mann mit kompletter Ausrüstung. Meine Herren, bei Tagesanbruch können wir 90 Mariner vor Beersheba in
Stellung haben, und der Rest des 501. marschiert ihnen entgegen. Sind Sie bereit?«
V
Unten bei den Docks war es kalt. Ein kühler Wind hatte kurz nach Sonnenuntergang eingesetzt, und trotz der Hitze des vergangenen Tages zitterte ich vor Kälte. Vielleicht war es auch nicht nur die Kälte, dachte ich mir. Der Nachthimmel war klar, übersät mit Millionen von Sternen. Ich konnte die meisten Konstellationen erkennen, und das war seltsam. Es machte nur bewußt, daß ein Mensch, wenn er im Zeitalter der Dinosaurier auf der Erde losgegangen wäre, noch immer nicht hier angekommen wäre. Was aber die Ausmaße des Universums anging, so handelte es sich doch nur um eine unbedeutende Entfernung. Ich kam mir klein vor, und das gefiel mir ganz und gar nicht. Soldaten traten in Arbeitskleidung an. Unsere Kampfanzüge und Rüstungen waren noch in den Tornistern, die wir in die Skyhooks verluden. Wir arbeiteten unter Flutlicht, und jeder, der uns dabei beobachtete, konnte uns nur als Arbeitskommando ansehen. Falkenberg war sich sicher, daß mindestens ein Nachtglas von der Klippe aus auf uns gerichtet war. Die Skyhookplattform bestand aus leichtem Aluminium, einfach nur eine flache Platte acht Quadratmeter mit einem ein Meter hohen Geländer drumherum. Wir verstauten darauf die Tornister. Darüber hinaus aber auch noch andere Sachen: leichte Maschinengewehre, rückstoßfreie Feldgeschütze, Granatwerfer und Munitionskisten. Einige Kisten waren falsch beschriftet, so daß Zuschauer den Eindruck gewinnen mußten, es handele sich dabei um Büromaterial und Kleidungsstücke.
Vom Fort erschien ein Lastwagen und fuhr in die Lagerhalle. Er schien leer zu sein, war aber mit Gewehren für 90 Mann beladen. Die Gewehre verschwanden in Beuteln und kamen auf die Skyhooks. Arrarat hat nur einen Mond, der kleiner als der der Erde ist und nicht so weit entfernt ist. Es handelt sich um eine blutrote Sichel, die im westlichen Bergland zu versinken schien und nicht viel Licht verbreitete. In einer Stunde würde er verschwunden sein. Ich schlenderte hinüber zu Deane, der die Arbeiten an den Navigationscomputern überwachte. »Bist du sicher, daß ihr die Dinger richtig zusammengesetzt habt?« fragte ich ihn. »Kein Problem.« »Das will ich auch schwer hoffen. Es wird nicht einfach sein, die Landemarkierung ausfindig zu machen.« »Keine Sorge, wird schon klappen.« Er hörte mir nicht richtig zu. Er hatte zwei Nachrichtenspezialisten auf die Navigationscomputer angesetzt und starrte unverwandt auf die Meßgeräte. »So ist’s recht«, sagte er. »Füttert jetzt das Testprogramm ein.« Als ich ging, um Falkenberg zu suchen, merkte Deane nicht einmal, daß ich verschwunden war. Captain Falkenberg war im Lagergebäude. »Wir haben die Sachen so weit verstaut, Sir«, eröffnete ich ihm. »Gut. Kommen Sie auf eine Tasse Kaffee mit?« Einer der Messeunteroffiziere hatte in einer Ecke des hochwandigen Gebäudes Kaffee gekocht. Außerdem befand sich dort ein Kartentisch, und Hauptfeldwebel Ogilvie hatte in der gleichen Ecke den Leitstand aufgeschlagen. Falkenberg schenkte zwei Tassen voll und reichte mir eine rüber. »Nervös?« fragte er mich. »Etwas.«
»Sie können immer noch aussteigen. Ohne Gesichtsverlust. Ich sage den anderen einfach, wir hätten technische Probleme. Wir können immer noch morgen früh losmarschieren.« »Es wird schon gehen, Sir.« Über den Tassenrand hinweg schaute er mich an. »Das wird es wohl. Mir gefällt es gar nicht, Sie dort hinzuschicken, aber ich weiß nicht, was ich sonst machen soll.« »Jawohl, Sir«, gab ich zurück. »Sie laufen keine Gefahr, Sie haben gute Soldaten unter sich.« »Jawohl, Sir.« Natürlich kannte ich keinen von ihnen persönlich. Da waren Namen und Dienstakten, und genau besehen noch nicht einmal das, es war nur eine statistische Auflistung der Dienstakten, ein Band, das der Personalcomputer ausgespuckt hatte. 30 waren aus dem Bau entlassen worden, als sie sich freiwillig zum Einsatz auf Arrarat gemeldet hatten. 20 weitere waren Rekruten, der Rest Marinergrenadiere mit langer Dienstzeit Falkenberg bediente Schalter, um eine Karte, die die Gegend rings um Beersheba darstellte, zu projizieren. »Schätze, Sie haben das da auswendig gelernt«, sagte er. »So ziemlich, Sir.« Er beugte sich über die Karte, betrachtete das Fort und danach die nördlich gelegenen Hügelketten. »Sie haben etwas Spielraum, falls Sie sich vertun sollten, glaube ich. Ich muß Ihnen die letztendliche Entscheidung darüber überlassen, ob Sie die Hubschrauber bei dem eigentlichen Angriff einsetzen wollen. Einen dürfen Sie riskieren. Nicht alle beide. Einen brauche ich für später, selbst wenn dadurch der Angriff fehlschlägt. Ist das verstanden?« »Jawohl, Sir.« In meiner Magengrube fühlte ich einen festen Stein. Ich hoffte inständig, daß man es mir nicht anmerkte.
»Es wird Zeit«, rief Falkenberg dann. »Sie können jede Minute gut gebrauchen. Wir könnten noch einen Tag warten und alles besser vorbereiten, aber der Überraschungseffekt ist unser bester Trumpf.« Ich nickte. Wir hatten das schon alles durchgekaut. Redete er nur, weil er selbst nervös war, oder nur um mich vom Grübeln abzuhalten? »Sie können sich dabei eine Belobigung verdienen.« »Falls es Ihnen nichts ausmacht, wäre mir persönlich lieber, Sie kreuzten rechtzeitig auf.« Ich grinste, als ich das sagte, um anzudeuten, daß ich es nicht so meinte, aber mir war es schon ernst. Warum zum Teufel führte er den Angriff nicht selbst? Es war schließlich sein verfluchter Plan. Sein Auftritt, aber er war nicht dabei. Über die Gründe wollte ich nicht nachdenken. Ich war darauf angewiesen, daß er mich rausholte und konnte es mir nicht leisten, das Wort ›Feigling‹ auch nur zu denken. »Es wird Zeit einzusteigen«, sagte Falkenberg. Ich nickte und trank aus. Es schmeckte mir. Ich fragte mich, ob dies wohl die letzte Tasse Kaffee in meinem Leben gewesen war. Eines stand jedenfalls fest, einige von uns würden nicht zurückkommen. Falkenberg klopfte mir auf die Schulter. »Wir werden denen einen schönen Schrecken einjagen, Hal. Auf geht’s.« »In Ordnung.« Ich hätte ihn doch gern dabeigehabt.
Ich machte Centurion Lieberman ausfindig. Wir hatten einige Stunden zusammen mit Falkenberg beratschlagt, und ich war mir sicher, daß ich mich auf ihn verlassen konnte. Lieberman war ungefähr so groß wie Falkenberg, etwas schlanker, sah dabei aber zäh aus. Er war so um die 45, sein Hals war ganz vernarbt. Die Narben verliefen bis unter seinen Waffenrock. Er
hatte sein gerütteltes Maß an Regenerationsbehandlung hinter sich. Seine Ordensbänder auf der Felduniform bildeten zwei saubere Reihen untereinander. Aus seinen Akten wußte ich, daß er berechtigt war, noch eine weitere Reihe zu tragen, aber darum kümmerte er sich nicht. »Lassen Sie einsteigen«, sagte ich zu ihm. »Sir.« Er hatte eine ruhige Stimme, die aber durch das gesamte Lagergebäude zu verstehen war. »Erster und zweiter Zug A-Kompanie, Position auf Skyhook einnehmen.« Die Männer setzten sich auf die Ausrüstungsgegenstände. Auf der Plattform herrschte großes Gedränge. Ich stieg mit einem Zug ein, während Lieberman sich auf der anderen Plattform befand. Ich hätte lieber in einem der Hubschrauber gesessen, hätte ihn selbst geflogen oder neben dem Piloten Platz genommen, glaubte aber, hier mehr gebraucht zu werden. Louis Bonneyman kutschierte meinen Hubschrauber und Sergeant Doty den anderen. »Achtung, bei den Luftsäcken«, rief Centurion Pniff, »bereit Nr. 1 aufzublasen.« Er schritt rings um die Plattform und beäugte kritisch die Leinen, die von ihr bis zu der formlosen Masse, die daneben lag, führten. »Sieht gut aus. Aufblasen Nr. 1.« Man hörte ein lautes Zischen, und ein großer, geisterhafter Sack gewann an Gestalt. Er hob sich, bis er über meiner Plattform stand. Die Plastikhülle glitzerte unter dem Kunstlicht, das aus der Lagerhalle drang. Der Sack dehnte sich weiter und weiter, bis er riesig über uns schwebte und immer noch wuchs, während das komprimierte Helium aus den Tanks strömte. Pniff war erst zufrieden, als der Ballon schon größer als die Lagerhalle war. »Gut«, sagte er, »belegen! Bereit machen Nr. 2 aufzublasen.«
»Jesses«, staunte einer der Rekruten. »Steigen wir etwa mit dem Ballon auf? Verdammt, wir haben doch gar keine Fallschirme! Wir können nicht mit dem Ballon fliegen!« Ein paar andere fingen an zu schnattern. »Sergeant Ardwain«, knurrte ich. »Sir!« Ich sagte sonst nichts weiter. Ardwain fluchte und robbte zu den Rekruten rüber. »Keine Fallschirme bedeutet, daß wir nicht zu springen brauchen«, erklärte er. »Und nun haltet die Schnauze.« Skyhook 2 wuchs inzwischen ins Riesenhafte. Er sah noch größer als unserer aus, das lag einfach daran, daß ich ihn ganz sehen konnte, was ich von unserem erkennen konnte, war bloß dieses aufgeblähte Ding, das den Himmel über uns ausfüllte. Die Hubschrauber hoben ab. Der eine stieg direkt über uns. Der andere flog auf Nr. 2 zu. Neben der Riesenhülle sah der Hubschrauber wie ein Zwerg aus. Die Hubschrauber ließen sich auf den Ballons nieder. Oben drauf krochen die Besatzungen über die wogende Masse um festzustellen, ob die Halterungen auch in Ordnung waren. Ihre Berichte konnte ich in meinem Kopfhörer mithören. Zu guter Letzt hatten sie es geschafft. »An Bord alles klar?« fragte mich Falkenberg. Seine Stimme klang im Kopfhörer völlig gefühllos. Ich konnte ihn am Eingang der Lagerhalle stehen sehen und winkte ihm zu. »Alles in Ordnung, Sir«, antwortete ich. »Gut, schicken Sie Nr. 1 los, Bombardier.« »Sir!« bestätigte Pniff, »Achtung, Bodenmannschaft. Nr. 1 ab!« Die Soldaten draußen grinsten uns zu, als sie die Verankerung durchtrennten. Natürlich passierte gar nichts. Der Gedanke der den Skyhooks zu Grunde liegt, besteht darin, ein
völliges Gleichgewicht zur Last herzustellen. Die Antriebskraft wird ausschließlich durch die Hubschrauber bereitgestellt. Die Hubschraubermotoren schrillten auf und wir hoben ab. Eine Windbö erfaßte uns, und wir schwankten beim Aufstieg ganz erbärmlich. Einige Landser fluchten und handelten sich dafür von ihren Unteroffizieren giftige Blicke ein. Dann befanden wir uns über dem Hafen, stiegen bis zur Stadtanhöhe auf und dann darüber hinweg. Wir flogen in nördlicher Richtung auf das Fort zu, hielten uns dabei hoch über der Stadt, bis wir die Nordseite von Garrison erreicht hatten und sanken dann wieder auf Höhe der Festungsmauern. Jeder, der das vom Hafen aus sah, würde davon überzeugt sein, daß wir bloß eine Menge Nachschub auf die Anhöhe transportierten. Sie mochten sich vielleicht fragen, warum wir auch Leute beförderten, aber wir konnten ziemlich sicher sein, daß man uns nichts anderes unterstellte. Wir sanken tief auf die Felder nördlich der Stadt und bewegten uns weiter. Dann stiegen wir wieder, höher und höher, bis wir auf 3300 Metern waren. Die Jungs schauten mich nervös an. Sie sahen, wie die Lichter der Stadt unter uns verschwanden. »Also los«, munterte ich auf. Es war seltsam, wie leise alles war. Die Hubschrauber waren extrem laufruhig, und das bißchen Krach, das sie verursachten, wurde durch den Gasballon über uns abgefangen. Die Railing hielt den Wind fast ganz ab. »Ich will, daß jeder seinen Kampfhelm aufsetzt.« Eine Phase der Verwirrung kam auf, als nämlich jeder nach seinem Gepäck zu suchen begann und die Leute Helme austauschten. Wir waren davor gewarnt worden, auf der Plattform die Gewichtsverteilung zu ändern und so wollte niemand abrupte Bewegungen machen. Ich schaltete meinen Befehlssender auf die niedrigste Stufe, so daß er von nicht weiter als einen Kilometer im Umkreis
abgehört werden konnte. Wir befanden uns in mehr als 3 Kilometer Höhe, weswegen ich mir auch keine großen Sorgen machte, abgehört zu werden. »Inzwischen ist euch sicher aufgegangen, daß wir sofort zum Fort zurückkehren«, sagte ich. Die Rekruten lachten. Die Altgedienten waren gelangweilt. »Wir haben einen Kampfauftrag«, fuhr ich fort. »Wir fliegen 250 Kilometer westlich von der Stadt. Wenn wir dort ankommen, nehmen wir ein ehemaliges CD-Fort, graben uns ein und warten, bis das übrige Bataillon hinmarschiert ist und uns rausholt.« Einige Landser wurden dabei aufmerksam. Ich hörte wie einer zu seinem Kumpel sagte: »Schöne Scheiße, 250 Kilometer marschieren zu müssen.« »Ihr werdet aber auch marschieren«, sagte ich. »Laut Plan, landen wir ungefähr 8 Kilometer vom Fort entfernt, marschieren von da landeinwärts und überraschen sie dann. Ich bezweifle, daß uns irgend jemand erwartet.« »Bei allen Heiligen, John schlägt wieder mal zu«, murmelte jemand. Ich konnte nicht ausmachen, wer es gewesen war. »Sir?« fragte ein Corporal. Ich erkannte ihn wieder: Roff, der hatte damals die seekranken Rekruten übergesetzt. »Ja, Corporal Roff?« »Eine Frage, Sir.« »Bitte.« »Wie lange werden wir durchhalten müssen, Sir?« »Bis Captain Falkenberg uns herausholt«, gab ich zurück. »Aye, aye, Sir.« Es gab keine weiteren Fragen. Das kam mir seltsam vor. Die mußten doch mehr wissen wollen. Einige von euch wird es heute abend noch erwischen, dachte ich mir. Warum erkundigt ihr euch nicht genauer?
Sie interessierten sich aber mehr für den Ballon. Nun, als festzustehen schien, daß er nicht abstürzen würde, wollte ein jeder einen Blick über die Brüstung riskieren. Ich wies die Unteroffiziere an, die Männer nach und nach hinabschauen zu lassen, damit jeder mal drankam. Ich tat es ihnen gleich, aber mir gefiel die Angelegenheit ganz und gar nicht. Unterhalb der Brüstung war es nicht so schlimm, aber hinab zu sehen war schrecklich. An sich war nicht viel zu erkennen, außer einigen Lichtern, tief unter uns und weiter hinten – ungefähr einen Kilometer entfernt schwebte der zweite Ballon, zeitweise Sterne verdeckend. »Nehmen Herr Leutnant etwas Kaffee?« fragte mich jemand. »Ich habe den Flachmann gleich mitgebracht.« Ich schaute hoch und erkannte Hartz mit meiner Thermosflasche und einem Becher aus Messebeständen bewaffnet. Ich hatte ihn beim Anbordgehen mit seiner Funkausrüstung gesehen, dann aber aus den Augen verloren. »Danke, sehr gerne«, sagte ich. Es war zur Hälfte Brandy. Ich wäre fast erstickt. Hartz verzog das Gesicht kein bißchen. Wir zogen eine große Schleife, damit wir nicht die Befestigungsanlagen am Flußufer überfliegen mußten. Dieses Manöver führte uns zunächst nördlich den Fluß hinauf, dann drehten wir nach Südwesten zu unserer Landezone ab. Ich schaute wieder in den Abgrund und hoffte stark, daß Deane die Navigationscomputer richtig eingestellt hatte, denn da unten, so viel stand fest, gab es reinweg gar nichts, woran man sich halten konnte. Ab und zu ließ sich ein orangegelber Lichtschein ausmachen, ein Bauerngehöft, möglicherweise auch ein Lager der Gesetzlosen, aber ansonsten sah ein Hügel wie der andere aus. Das hier muß der größte Blödsinn der Militärgeschichte sein, versicherte ich mir selbst, glaubte aber doch nicht so recht daran. Die Marinergrenadiere hatten eine langwährende
Tradition neuformiert um mit frisch abkommandierten Offizieren ins Gefecht zu gehen. Aber trotzdem bezweifelte ich, ob je ein Expeditionscorps so wenig Aussichten auf Erfolg gehabt hatte: Ein junger Kommandierender, Soldaten, die nie vorher zusammen Dienst gemacht hatten plus einem Captain, der zwar das Unternehmen geplant hatte, aber selbst nicht bereit war mitzukommen. Ich sagte mir selbst, daß ich mich darüber bei unserer Sitzung hätte verwehren müssen. Nun war es ein bißchen zu spät dazu. Ich schaute auf meine Uhr. Noch eine Stunde reine Flugzeit. »Sergeant Ardwain.« »Sir?« »Sorgen Sie dafür, daß die Leute aus dem Drillich rauskommen und ihre Kampfanzüge anziehen. Waffenüberprüfung gleich anschließend.« Zum Töten umziehen, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Das war ein alter Witz und eigentlich nie besonders lustig gewesen. Ich fragte mich, wer ihn wohl erfunden hatte. Ein Soldat vor den Mauern Trojas höchstwahrscheinlich. Hartz hatte meine Lederrüstung schon bereit. Er half mir, mich aus meiner Felduniform zu quälen, nur um danach die Synthiledertunika und die Hosen anzulegen. Die Plattform geriet ins Schwanken, weil überall Männer versuchten, im Sitzen ihre Hosen anzuziehen. Sich auszuziehen war nicht ganz einfach, denn schließlich saßen wir auf dem verteilten Gepäck und der übrigen Ausrüstung. Es wurde viel geflucht, als einzelne Soldaten herumkrochen, nur um an ihre eigenen Sachen und Gewehre zu gelangen. »Nimm deinen Scheißfuß aus meinem Gesicht!« »Schnauze halten, Träger.« Zu guter Letzt hatten alle ihre Montur an. Schweigend saßen die Soldaten herum. Selbst die Veteranen waren verstummt. Es
ist irgend etwas an Gefechtsrüstungen, das das Kommende wirklicher erscheinen läßt. In ihren klobigen Ledersachen sahen sie gefährlich aus, aber das waren sie auch. Allein die Rüstung verschaffte uns gegenüber allen, auf die wir hier treffen würden, einen großen Vorteil. Sie gibt einem auch ein Gefühl der Sicherheit, was aber gefährlich sein kann. Nemourlan hält die meisten Splitter und selbst Pistolenkugeln ab, hochbrisante Gewehrmunition hingegen nicht. »Wie steht’s bei euch da unten?« fragte Louis über meinen Kopfhörer, was mich einen Augenblick verwirrte. »Wir sind gefechtsklar«, beschied ich ihn. »Bist du immer noch davon überzeugt, daß du genau weißt, wo wir hinfliegen?« »Nee, aber der Computer hat den großen Durchblick. Habe vor fünf Minuten eine Radarüberprüfung gemacht. Die Flußgabelung auf der Karte ist da. Wir sind goldrichtig.« »Wie ist unsere ETA?« wollte ich wissen. »Ungefähr 20 Minuten. Der Wind ist gleichmäßig und nicht zu stark. Das reinste Kinderspiel.« »Spritvorrat?« fragte ich weiter. »Wir sitzen hier bis zu den Hüften in Ersatzkanistern. Nicht gerade viel, aber völlig ausreichend. Hör auf dir Sorgen zu machen.« »Yeah.« »Weißt du was«, kam es von Louis, »ich habe noch nie einen Hubschrauber mit so einem Ding darunter geflogen.« »Das sagst du jetzt erst?« »Ist gar nichts dabei«, gab er zurück, »beim Steuern reagiert er etwas komisch, aber ich hab’ mich daran gewöhnt.« »Das will ich dir auch geraten haben.« »Überlaß das Fliegen getrost uns. Over.«
Die nächsten zwanzig Minuten kamen mir wie eine ganze Woche vor. Eine Methode, um die Zeit lang werden zu lassen, ist in 3300 Metern Höhe auf einer offenen Plattform zu hocken, dabei den Nachthimmel anzustarren, während man darauf wartet, seinen ersten Kampfauftrag zu kommandieren, das steht einmal fest. Ich versuchte angestrengt, mir etwas Lustiges auszudenken, aber es wollte mir einfach nichts Gescheites einfallen und so gelangte ich zu der Überzeugung, es sei wohl angebrachter, den Mund zu halten. Je mehr ich redete, desto größer wurde die Chance, daß man meiner Stimme die seelische Belastung anmerken würde. »Ihre Aufgabe besteht darin, einen zuversichtlichen Eindruck zu machen«, hatte Falkenberg mir auseinandergesetzt. Ich hoffte, daß mir das gelang.
»Okay, ihr könnt euch ruhig mal umsehen«, sagte Louis. »Rojj.« Ich nahm von Hartz mein Nachtglas in Empfang. Dieses hier war besser als die Standardversion. Es handelte sich um ein 10 Zentimeter Leicalichtverstärkendes Glas, das ich mir anläßlich des Lehrgangendes an der Akademie selbst gekauft hatte. Das machten viele Offiziere, denn Leica gibt Absolventen einen Preisnachlaß. Ich steckte es an meinen Helm und spähte auf die Hügelkette. Die Landezone lag am höchsten Punkt des Kammes, der zum Fluß führte. Ich drehte das Glas auf höchste Kraft und untersuchte die Gegend sorgfältig. Alles sah verlassen aus. Der Boden war mit einer Art Steppengras bedeckt und es hatte ganz den Anschein, als ob noch nie jemand auf dem Gipfel gewesen war. »Macht einen guten Eindruck«, sagte ich zu Louis. »Kannst du was erkennen?« »Nicht auf dem IR, nichts auf dem Infrarot TV«, gab er zur Antwort.
»Nichts, mal abgesehen von ein paar kleinen Tieren und vereinzelten Vögeln, die auf den Bäumen hocken. Das gefällt mir. Wo sich Tiere und Vögel befinden, sind wahrscheinlich keine Menschen in der Nähe.« »Yeah – « »Okay, das wären die Passivsensoren. Meinst du, ich sollte mal das K-Band einschalten?« Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. Falls da unten tatsächlich jemand war und vielleicht einen Radarempfänger zur Hand hatte, dann würde sich der Hubschrauber mit dem ersten Ton verraten. Vielleicht war das sogar ganz gut. »Ja.« »Rojj«, rief Louis. Einen Augenblick war er stumm. »Hal, ich empfange nichts. Falls da jemand ist, dann hat er sich gut eingegraben und erwartet uns.« »Wir wollen runter«, sagte ich. Und damit hatte ich mich festgelegt, dachte ich.
VI
»Raus mit euch!« schrie Ardwain. »Die Pflöcke in die Erde! Erster Zug aussteigen – ausschwärmen! Schwingt die Keulen!« Die Männer krabbelten von der Plattform. Einige trugen Pflöcke, große Aluminiumkorkenzieher, die in den Boden gerammt wurden. Wieder andere befestigten die Plattform an den Pflöcken. Der erste Zug, zwei Manipel, das Gewehr im Anschlag, schwärmte fächerartig aus. Es war einigermaßen windstill, aber der große Gasballon hatte eine riesige Oberfläche und das machte mir Sorgen. Ich ging los, um mir das genauer anzuschauen. Der Zug auf die Pflöcke schien nicht übermäßig groß zu sein. Die Hügel vor uns waren dunkel und still. Wir hatten auf einigen niedrigen zähästigen Büschen aufgesetzt. Die zerdrückten Blätter fühlten sich schmierig an. Ich lauschte und stellte dann meinen Empfänger auf volle Stärke. Immer noch nichts, nicht mal Vogelgezwitscher. Nichts, nur meine eigenen Leute, die sich vorwärts bewegten. Ich schaltete auf allgemeinen Empfang. »Keiner rührt sich«, befahl ich. Der Lärm hörte auf. Man konnte nur das schwache ›Whump‹ der Hubschrauberflügel und das entfernte Geräusch des zweiten Ballons irgendwo da draußen vernehmen, ansonsten herrschte Stille. »Macht weiter«, sagte ich. Ardwain kam auf mich zu. »Hier ist niemand, Sir. Gegend sieht sicher aus.« »Danke schön.« Ich stellte meine Sprechanlage auf die Hubschrauberfrequenz. »Ihr könnt losmachen und Nr. 2 einweisen.«
»Aye, aye, Sir«, kam es von Louis. Wir machten uns daran, die Ausrüstung von der Plattform zu laden, wenige Augenblicke später tauchte Hubschrauber Nr. 2 auf. Den Hubschrauber selbst konnten wir nicht erkennen, sondern nur den riesigen Gasballon mit der darunter schwebenden Plattform. Der Skyhook setzte auf dem Steppengras auf, und die Männer stiegen mit Pflöcken in den Händen aus. Centurion Lieberman schaute sich die Angelegenheit an, bis er davon überzeugt war, daß die Plattform sicher verankert war, dann eilte er an meine Seite. »Alles in Ordnung?« fragte ich ihn. »Jawohl, Sir.« Seiner Antwort konnte man entnehmen, daß er lieber »selbstverständlich« gesagt hätte. »Lassen Sie antreten«, fuhr ich fort. »Wir marschieren los.« »Aye, aye, Sir. Ich glaube aber, daß Ardwain gut hierbleiben könnte, Sir.« »Nichts da. Ich brauche hier einen erfahrenen Mann für den Fall, daß etwas schiefläuft. Sollten wir das schwere Gerät nicht anfordern, oder mir selbst etwas zustoßen, wenden Sie sich wegen weiterer Befehle an Falkenberg.« »Aye, aye, Sir.« Es gefiel ihm immer noch nicht. Er wollte uns begleiten. Was das betraf, so hätte ich ihn ebenfalls gern dabei gehabt, aber ich mußte eine Sicherungsgruppe bei den Hubschraubern und Skyhooks zurücklassen; falls Wind aufkommen sollte und die Befestigungen nicht länger hielten, mußten die Dinger so schnell wie möglich aufsteigen und wir würden dann ohne Gepäck und Verpflegung dastehen. Es gab alle möglichen Notsituationen und mir lag daran, hier einen verläßlichen Mann zu haben, dem zuzutrauen war, daß er damit fertig wurde. »Wir sind soweit, Sir«, meldete Ardwain.
»Gut, auf geht’s.« Ich wechselte den Funkkanal. »Wir ziehen los, Louis.« »Ich paß schon auf«, sagte Bonneymann. »Danke! Aus.« Ich begab mich an die Spitze der Abteilung, Ardwain war schon vorausgegangen. »Dann wollen wir mal«, bemerkte ich. »Sir, eine Frage«, kam es von Ardwain. »Yeah?« »Die Leute würden gerne ihr Gepäck dabeihaben, Sir. Denen gefällt es gar nicht, die Sachen hierzulassen.« »Nichts da, Sergeant, wir müssen in weniger als drei Stunden 8 Kilometer zurücklegen.« »Jawohl Sir, können wir wenigstens unsere Umhänge mitnehmen wird ziemlich kalt hier draußen…« »Sergeant Ardwain, wir lassen Centurion Lieberman mit vier Manipeln zurück. Was glauben Sie wohl, was da noch mit der Ausrüstung passieren sollte? Lassen Sie marschieren.« »Sir, also los, ihr Bastarde, bewegt euch.« Als sie sich zur Bergkuppe in Marsch setzten, konnte ich Gemurmel hören. Verrückt, dachte ich, die wollen doch tatsächlich unter diesen Bedingungen Gepäck mitschleppen. Das Unterholz war dicht und wir kamen so gut wie gar nicht voran. Dann entdeckten die Kundschafter einen trockenen Bachlauf, in dem wir hinabstiegen. Er war mit Geröllbrocken angefüllt, groß wie Küchentische und so hüpften wir von einem zum nächsten, wobei der Weg die ganze Zeit leicht talwärts führte. Es war stockdunkel, was die Felsen zu unförmigen Schatten werden ließ, die ich kaum ausmachen konnte. So würde es nie klappen. Ich war jetzt schon in Angst und Schrecken. Dem Herrn sei für das Training unter vollen Schwerkraftbedingungen gedankt, dachte ich. Wir würden es
schaffen, aber wir brauchten unbedingt Licht. Ich stellte mein Funkgerät auf die niedrigste Tonstufe. »Unteroffiziere auf niedrigste Infrarotbeleuchtung gehen«, gab ich durch. »Auf keinen Fall mehr.« Ich schob mir den IR-Schirm vor die Augen und schaltete gleichzeitig meinen eigenen IR-Strahler am Helm ein. Die Felsen vor mir wurden zu blaßgrünen Formen und ich konnte gerade genug erkennen, um von einem zum anderen zu hüpfen. Weiter vorn konnte ich bewegliche hellgrüne Farbtupfer ausmachen: Meine Kundschafter und die Unteroffiziere mit ihren Lampen. Ich glaubte nicht, daß irgendjemand diesen Hügel mit IRGeräten absuchen würde. Das war unwahrscheinlich und wir waren weit vom Fort entfernt, wo solche Anlagen vorhanden sein könnten, falls die Flußpiraten überhaupt über so etwas verfügten. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, daß schon ein extrem empfindliches Gerät dazu gehörte, um uns auf mehr als einen Kilometer auszumachen. Acht Kilometer lagen vor uns und es standen drei Stunden zur Verfügung. Sollte nicht allzu schwer sein. Die Leute waren fit und ohne Gepäck, – die verdammten Idioten wollten ihr Zeug schleppen! – nur Gewehre und Munition. Und natürlich die schwere Infanterie. Die würde am längsten brauchen. Die Mörsermannschaften hatten 22 Kilo pro Nase zu schleppen und die Kanoniere mit ihren rückstoßfreien Feldgeschützen sogar 24 Kilo. In Nullkommanichts schwitzten wir wie die Pferde. Ich öffnete alle vorhandenen Lüftungskanäle an Panzer und Ledertunika und fragte mich, ob ich den Männern das gleiche raten sollte. Dann kam ich zu dem Schluß, daß das Unsinn sei. Die meisten von ihnen hatten das schon dutzende von Malen durchgemacht. Schließlich konnte ich ihnen nicht befehlen, was sie sowieso wußten.
Dennoch dachte ich ständig daran, daß dies hier mein erstes Kommando war. Wenn etwas schief geht, bist du es schuld, Hal Slater. Du bist sogar aus freien Stücken um Verwendung nachgekommen. Ständig gingen mir die tausend Dinge, die schiefgehen konnten durch den Kopf. Hier an Ort und Stelle sah der Plan bei weitem nicht so gut aus, wie auf dem Lageplan in der Garnison. Da waren wir nun, ganze 76 Mann stark, und unternahmen den Versuch, ein Fort einzunehmen, dessen Besatzung uns voraussichtlich zahlenmäßig überlegen war. Falkenberg schätzte die Besatzung auf ungefähr 125 Mann. Ich hatte mich bei ihm erkundigt, wie er ausgerechnet auf diese Zahl gekommen war. »Sanitäre Einrichtungen, Mister Slater, Toiletten. Man zähle die Anzahl von Latrinen, schließe daraus die Menge von Hintern pro Loch, und schon haben Sie eine brauchbare Schätzung über die Besatzungsstärke.« Er hatte dabei nicht einmal gegrinst. Das war vielleicht eine seltsame Schätzungsmethode und dabei kam Falkenberg noch nicht einmal selbst mit. Wir würden es, was die Genauigkeit seiner Vermutung anbelangte, wohl oder übel auf die harte Tour herausfinden. Ich vergegenwärtigte mir fortlaufend, was alles für uns sprach. Die Satellitenfotos hatten ausgewiesen, daß keine Menschenseele die Bergkuppen bewohnte. Wir hatten keine Latrinen ausmachen können, dabei grinste ich im Dunkeln. Ich war über den Kamm gekommen und hatte dabei keinerlei Anzeichen bemerkt, daß je Leute hier gewesen waren. Warum auch? Hier gab es kein Wasser, außer der Quelle innerhalb des Forts selbst. Hier oben gab es rein gar nichts, nicht mal vernünftiges Feuerholz, nur dieses vermaledeite Unterholz das einem in die Knöchel stach.
Ich kam um eine Windung des Flußbettes herum, wo mich ein Monitor erwartete. Sein Manipel stand hinter ihm in Reih und Glied. Darunter befanden sich drei Rekruten: ein Unteroffizier, ein altgedienter Gemeiner und drei Rekruten. Üblicherweise befanden sich höchstens zwei Rekruten in einem Manipel, und ich fragte mich, warum Lieberman diese hier so zusammengestellt hatte. Der Monitor deutete Richtung Bergkamm. Hier wo wir jetzt standen, mußten wir das Flußbett verlassen. Weit vor mir konnte ich den schwachen grünen Lampenschein meiner Vorhut ausmachen. Sie zogen mir davon, und ich hatte Schwierigkeiten, mit ihnen Schritt zu halten. Ich verließ das Flußbett, und nach wenigen Metern war Hartz der einzige Mann in meiner Nähe. Er kämpfte sich mit zwanzig Kilo Funkapparatur auf dem Rücken und einem Gewehr in der Rechten voran, aber falls es ihm Schwierigkeiten bereitete, Anschluß zu halten, so sagte er es jedenfalls nicht. Ich war heilfroh, daß ich nicht den ganzen Zinnober schleppen mußte. Der Anstieg flachte nach hundert Metern ab. Deckung hatten sie nur bis in Hüfthöhe. Auf meinem IR-Schirm verlöschte das grüne Licht, als die Vorausabteilung ihre Beleuchtung ausschaltete. Ich befahl den übrigen, ebenfalls auszumachen. Dann kauerte ich mich hinter einen Busch und versuchte mich mit Hilfe des Projektors auf der Karte zu orientieren. Mein Helm projizierte die Karte auf den Felsboden, ein kaum wahrnehmbarer Lichtfleck, der nicht auszumachen war, es sei denn von ganz nah und direkt von oben. Überrascht stellte ich fest, daß wir mehr als die Hälfte geschafft hatten.
Mit Fort Beersheba war früher schon nicht viel Staat zu machen gewesen. Es bestand aus einem flachgedrückten
Rechteck mit niedrigen Mauern und Wachtürmen an allen vier Ecken. Es sah wie eine Miniaturausgabe des größeren Forts in Garrison aus. Dann hatte es jemand verbessert und einen Graben, eine Brustwehr und eine Ziehharmonika aus vor sich hinrostendem Stacheldraht vor der eigentlichen Mauer angelegt. Ich konnte nicht über die Mauern hinwegsehen, wußte aber, daß sich innen vier ebenerdige Gebäude sowie drei große Bunker befanden. Die Gebäude bestanden aus Luftziegeln, die Bunker aus Bohlen und Erdreich. Brennbar waren sie nicht. Die Balken stammten aus Holz, das einen hohen Metallgehalt hatte. Die Bunker würden ein Problem werden, das mußte aber vorläufig warten. Zunächst einmal mußten wir sehen, wie wir überhaupt in das Fort hineinkamen. Vor mir befand sich ein Tor in der Mauer. Es bestand aus dem gleichen Holz wie die Bunker. Hier schien unsere größte Chance zu liegen, denn vor dem Tor war eine Rampe, die den Graben überspannte. Allerdings lag einer der Bunker im Innern, dem Tor genau gegenüber. Von dort aus konnte man durch die Öffnung feuern, wenn das Tor erst mal verschwunden war. Ich hatte 75 Mann, die jetzt dreihundert Meter vom Fort entfernt flach im Unterholz lagen. Das Fort machte einen verlassenen Eindruck. Mein IR-Gerät meldete niemanden in den Wachtürmen oder auf den Wällen. Überhaupt nichts. Ich schaute auf die Uhr. In weniger als einer Stunde würde die Dämmerung einsetzen. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, was als nächstes zu tun sei, aber es war an der Zeit mich zu entscheiden. »Machen sie kein großes Spiel draus«, hatte Falkenberg mir geraten, »bringen Sie die Männer zum Fort und lassen Sie sie von der Leine. Die erobern es dann schon für Sie.« Klar, dachte ich. Klar. Aber du bist nicht hier, du verfluchter Feigling, sondern ich, und es ist mein Kopf, den ich mir
zerbrechen muß, und bei allen Heiligen, ich weiß nicht, was ich machen soll. Mir gefiel dieser Graben und die Stacheldrahtziehharmonika überhaupt nicht. Es würde eine Weile dauern, bis wir hindurch sein würden. Robbten wir bis an den Graben, würde man uns entdecken. So schlampig konnten sie unmöglich sein. Falls keine Posten aufgestellt waren, gab es bestimmt ein Überwachungssystem. Vielleicht Wärmesensoren, oder eine Radaranlage, irgend so etwas. Sie mußten einfach Wachposten aufgestellt haben, es sei denn, sie hatten guten Grund anzunehmen, daß niemand unbemerkt an sie heranschleichen konnte. Zum Teufel damit. Wir mußten endlich etwas unternehmen, sagte ich mir. Ich nickte in Richtung Hartz und der reichte mir ein Mikrofon. Mein Sendegerät war auf eine Richtantenne mit kurzer Wellenlänge eingependelt, und unterwegs hatten wir in großen Abständen Relais bis hin zur Landestelle zurückgelassen. Ich konnte mit den Helikoptern sprechen, ohne die elektronischen Wachhunde im Fort aufzuscheuchen. »Nachtfalke, hier Schwarzadler«, sagte ich. »Sprechen Sie Schwarzadler.« »Wir können das Objekt sehen, Louis. Es rührt sich nichts. Ich würde glatt behaupten, es sei verlassen, wenn ich es nicht besser wüßte.« »Soll ich mal nachschauen?« Das war immerhin eine Möglichkeit. Der Hubschrauber könnte hoch überhalb des Forts kreisen und es mit IR und Nacht-TV absuchen. Dann wüßten wir, was gespielt würde. Andererseits bestand die Gefahr, daß er entdeckt wurde, dann hätten wir unsere beste Karte aus der Hand gegeben.
»Machen Sie kein großes Spiel draus«, hatte Falkenberg gesagt. »Der Überraschungsmoment ist Ihr bester Trumpf. Vergessen Sie das nicht!« Aber er war nicht hier! Es schien keine hundertprozentig richtige Entscheidung zu geben. »Nein«, beschied ich Louis. »Abgelehnt. Nimm Leute an Bord und steig auf, half dich aber außer Sichtweite. Bleib Gewehr bei Fuß. Falls ich dich brauche, dann komm wie die Feuerwehr.« »Aye, aye Sir.« »Schwarzadler Ende.« Ich reichte Hartz das Mikro zurück. Okay sagte ich mir, es ist soweit. Ich winkte Sergeant Ardwain. Der richtete sich halb auf und gab ein Zeichen. Die Männer gingen langsam vor. Hinter uns hatten die Granatwerfereinheiten und Scharfschützen ihre Waffen in Stellung gebracht, kauerten neben dem Gerät und warteten auf Befehle. Corporal Roff hielt sich links von mir. Er befand sich genau dem Tor gegenüber. Mit einer Armbewegung orderte er seine Männer nach vorn, und wir krochen in Richtung Tor. Wir waren bis auf hundert Meter herangekommen, als neben dem Tor auf der Mauer ein Licht anging. Irgendjemand da oben schwenkte einen Suchscheinwerfer über das Gelände. Ein weiterer erschien, dann noch einer, alles handbetriebene Sucher, stark zwar, aber mit ziemlich schmalem Lichtkegel. Corporal Roff stand auf und winkte ihnen zu. »Hallo du da oben!« schrie er. »Was machst du da?« Er hörte sich betrunken an. Ich wollte ihm gerade befehlen wieder auf Tauchstation zu gehen, aber es war schon zu spät. »Geht’s euch Jungens da drinnen gut?« brüllte Roff. »Habt ihr was zu saufen?« Alle anderen Männer befanden sich in gebückter Haltung, kamen aus ihren liegenden Positionen hoch und stürmten vor.
»Wer zum Teufel bist du?« wollte jemand auf dem Wall wissen. »Wer zum Henker bist du denn?« gab Roff zurück. »Gib mir ‘nen Schnaps!« Die Scheinwerfer pendelten sich auf ihn ein. Ich schaltete mein Funkgerät ein. »Nachtfalke hier Schwarzadler. Mach, daß du herkommst!« »Worauf du einen lassen kannst.« Ich schaltete auf allgemeinen Empfang. »Roff, leg dich flach! Feuer frei, Angriff!« Ich schrie so laut in meinen Helmsender, daß die Hälfte meiner Abteilung sicher für den Rest ihrer Tage taub bleiben würde. Roff hechtete seitlich in den Dreck. An allen Ecken und Enden des Schlachtfeldes sah man orangene Lanzen zucken. Die Soldaten eröffneten das Feuer, und die Lichter fielen vom Wall. Zwei gingen aus, eins lag im Dreck genau vor dem Tor, blieb aber weiter in Betrieb. Landser standen vom Boden auf und stürmten laut schreiend auf das Fort zu. Sie hörten sich wie Wahnsinnige an. Ein leichtes Maschinengewehr hinter mir feuerte, dann noch eins. Eine Trompete erschallte. Das hatte ich gar nicht befohlen. Mir war auch noch nicht einmal bekannt, daß wir einen Trompeter hatten. Der Klang schien die Männer vorwärts zu treiben. Sie liefen bereits auf den Stacheldraht zu, als die Granatwerfer die ersten Salven abgaben. Sekundenbruchteile später konnte ich innerhalb des Forts Feuerkaskaden hochflammen sehen, die ersten Granaten hatten eingeschlagen. Im gleichen Moment legten die rückstoßfreien Gewehre los, und ich konnte die Sprengladung weniger als zwei Meter links von mir vorbeizischen hören. Sie traf auf das Tor auf, ein Blitz folgte, dann schlug die nächste ein, dann noch eine. Der Trompeter blies immer von neuem zum Angriff, während die Granatwerfer weiter Geschosse, die so eingestellt waren, daß
sie einen Meter über dem Boden explodierten, in das Fort feuerten. Eine neue Gewehrsalve. Das hielt das Tor nicht länger aus. Es gab nach. Im Inneren konnte man Rauchschwaden erkennen. Eine der Granatwerferbedienungen mußte Nebelgeschosse zwischen die Torflügel und den Bunker gefeuert haben. Durch die Öffnung quirlte eine Flut von Leuchtspurmunition, aber die Männer gingen ihr leicht aus dem Weg. Sie stürmten auf den beiden Türflanken weiter. Andere wiederum stürzten sich direkt auf den Drahtverhau. Die erste Welle warf sich flach auf die Ziehharmonika. Die nächsten stiegen über sie hinweg und sprangen in den Graben. Weitere Wellen folgten, und die Leute im Graben hievten ihre Kameraden auf den schmalen Grat zwischen Graben und Festungsmauer. Sie blieben genau lange genug stehen, um Handgranaten über den Wall zu werfen. Dann packten je zwei einen dritten, wuchteten ihn gerade so weit hoch, daß er den oberen Rand der Mauer zu fassen bekam. Sie blieben stehen und stützten ihn, bis er sich an der Mauer anklammern konnte und auf der Krone, zu stehen kam. Weitere Männer folgten. Dann beugten sie sich hinab und zogen ihre unten gebliebenen Kumpel nach. Ich konnte einfach nicht fassen, wie schnall das alles ging. Die Leute im Stacheldraht kämpften sich bis zum Wall frei, wo sie auch herüber gehoben wurden. Das waren Rekruten, stellte ich fest. War einleuchtend. Die Monitore hatten die Rekruten mit einer einfachen Aufgabe zuerst losgeschickt: Hinlegen und laß die anderen über dich steigen. Der Helikopter rauschte heran und schickte einen Hagel Zwanzigmillimetergeschosse aus der Bordkanone ins Fort. Die Leuchtspuren hoben sich hell vom Nachthimmel ab. Und ich stand immer noch hier, gaffend und völlig von den Socken wie schnell alles ging. Ich schüttelte mich und
schaltete mein Sprechgerät ein: »IFF-Antenne ein! Befehl an alle, IFF-Antenne einschalten.« Ich wechselte den Kanal. »Nachtfalke, hier Schwarzadler. Louis, sei um Gottes Willen vorsichtig! Von uns sind schon einige drin!« »Ich kann die Strahler sehen«, sagte Louis. »Reg’ dich ab, Hal. Wir haben sie beim Angriff beobachtet.« Der Hubschrauber zog eine Schleife um das gesamte Fort und feuerte dabei weiter hinein. Dann stürzte er sich hinab. »Granatwerferbedienungen aufhören damit«, hörte man Sergeant Ardwains Stimme. »Wir sind jetzt im Fort, und der Hubschrauber will landen.« Verflucht, schimpfte ich mit mir selbst, schon wieder etwas vergessen. Ich hatte schon einen prächtigen Befehlshaber abgegeben. Ich kann mir nicht einmal die einfachsten Sachen merken. Der Helikopter sackte tiefer, noch bevor er unterhalb der Mauer verschwand, spuckte er schon Soldaten aus. Ich rannte auf das Tor zu, hielt mich dabei aber auf einer Seite, um der Leuchtspurmunition, die mir immer noch entgegenschlug, zu entgehen. Corporal Roff war vor mir da. »Hier vorsichtig sein, Sir.« Er duckte sich um den Torpfosten herum und war verschwunden. Ich folgte ihm durch den Rauch und hielt mich nach rechts, wo andere Landser schon über die Mauer geklettert waren. Die Szenerie im Innenhof war chaotisch. Überall lagen Körper ohne Rüstungen herum, wahrscheinlich vom Granatwerferfeuer niedergemäht. Landser liefen in alle Richtungen, schießend kreuz und quer. Ich war davon überzeugt, daß niemand von der Fortbesatzung Helme trug. »Jeder ohne Helm ist ein Feind«, rief ich in mein Funkgerät. Blöd. Das wußten sie doch. »Macht sie fertig Jungs!« Das war schon wieder eine dumme Bemerkung, war aber wenigstens
ein triftigerer Grund, ihnen die Ohren voll zu brüllen, als ihnen etwas zu sagen, was sie sowieso schon wußten. An einem der Bunker ging eine geballte Haftladung hoch. Ein Zug stürmte zum Eingang und schleuderte Handgranaten hinab. Das war alles, was ich von meinem Standpunkt aus sehen konnte aber innerhalb der gesamten Eingrenzung wurde geschossen. Was nun? fragte ich mich. Während ich noch überlegte, erstarb das Feuergebell, man vernahm nur noch vereinzelte Schüsse und die nutzlosen Maschinengewehrgarben aus dem Bunker die das Tor beschossen. »Herr Leutnant?« Es war Ardwains Stimme. »Ja, Sergeant.« »Da sind ein paar Leute im Hauptbunker, Sir. Man kann sie drinnen sprechen hören. Klingt nach Frauenstimmen. Aber im Augenblick wollen wir das Ding ja sowieso nicht sprengen.« »Was ist mit dem übrigen Fort?« »Gesäubert, Sir. Die Bunker und Unterkünfte ebenfalls. Wir haben ungefähr zwanzig Gefangene gemacht.« Das war schnell gegangen. Wie ein maschinelles Wunder. »Sergeant sorgen Sie dafür, daß niemand die nordwestliche Seite des Forts unter Feuer nehmen kann. Ich will die Skyhooks dorthin bringen.« »Aye, aye, Sir.« Ich pegelte meine Sprechanlage auf die Hubschrauberfrequenz ein. »Wir haben die Stellung genommen, außer einem Bunker, und der stellt keine Schwierigkeit dar. Lassen Sie Nummer 2 kommen und nordwestlich des Forts etwa dreihundert Meter außerhalb des Walls landen. Ich will, daß Sie selbst oben bleiben und Nummer 2 Deckung geben. Alles was Nummer 2 angreifen könnte, erledigen Sie. Halten Sie die Augen weiter auf. Ich
kann mir einfach nicht vorstellen, daß niemand raufkommt, um festzustellen, was hier passiert ist.« »Aye, aye, Sir«, bestätigt Louis. »Hört sich ganz so an, als ob ihr da unten saubere Arbeit geleistet habt.« »Wir haben die Festung eingenommen«, erwiderte ich. Ich schaltete ab und suchte nach Sergeant Ardwain. Es gab allerhand zu erledigen, aber zweifellos war er damit beschäftigt, eben das zu tun. Ich war mir in meinem ganzen Leben noch nie so unnütz vorgekommen. Hier und in dieser Nacht war ganz bestimmt eine Menge sauberer Arbeit geleistet worden, aber gänzlich ohne mein Zutun.
VII
Das war mein erster Kampfeinsatz gewesen. Auf die Rolle die ich dabei gespielt hatte, war ich nicht sonderlich stolz. Nachdem der Sturmangriff begonnen hatte, hatte ich keinen einzigen Befehl mehr gegeben, und ich war so ziemlich als letzter Mann ins Fort gelangt. Prächtiger Anführer. Aber zum Grübeln war jetzt nicht der richtige Augenblick. Die Dämmerung lag wie ein heller Pinselstrich im Osten. Zunächst einmal mußte man sich um die Schlachterrechung kümmern. Vier Tote, zwei davon Rekruten. Elf Verletzte. Nach einer kurzen Beratung mit unserem Feldarzt schickte ich drei davon zum Hubschrauber. Die anderen waren kampffähig oder behaupteten es wenigstens. Danach beorderte ich die beiden Helikopter nach Harmony zurück, während wir den Rest unserer Ausrüstung ins Fort schafften. Wir waren auf uns selbst gestellt. Sanitätssergeant Crisp hatte noch ein Dutzend Patienten am Hals, alles Verteidiger, die beim Angriff verwundet worden waren. Hinzu kamen dreißig Gefangene, siebenunddreißig Verwundete und mehr als fünfzig Tote. Einer der Verwundeten war der ehemalige Kommandant des Forts. »Hat direkt vor seiner Unterkunft eines mit dem Gewehrkolben übergezogen bekommen«, meinte Ardwain an mich gewandt. »Er kann aber wieder reden.« »Ich will ihn sprechen.« »Sir.« Ardwain verschwand im Lazarettbunker und erschien mit einem Mann um die fünfzig, dessen Glatze von einem dunklem Haarkranz gesäumt war. Er hatte fahle wässrige
Augen. Er sah weder wie ein Soldat noch wie ein Gesetzloser aus. »Er sagt, sein Name sei Flawn, Sir«, klärte mich Ardwain auf. »Mariner«, begann Flawn. »CoDominium Mariner. Wußte gar nicht, daß welche auf unserem Planeten sind. Seit wann zum Teufel kümmert sich der Großsenat wieder um diese Gegend?« »Halt’s Maul«, schrie Ardwain. »Ich habe da ein Problem Flawn«, sagte ich. Wir befanden uns auf einem freiem Platz mitten im Fort. »In dem Bunker da drüben sind noch einige Ihrer Leute. Es würde keinerlei Schwierigkeiten bereiten, das Ding in die Luft zu jagen, aber meine Männer glauben, drinnen Frauenstimmen gehört zu haben.« »Ganz recht«, antwortete Flawn. »Unsere Ehefrauen.« »Können Sie sie überreden herauszukommen, oder müssen wir erst Feuer legen?« »Scheiße!« brummte er. »Was geschieht mit uns?« »Ist mir völlig egal«, beschied ich ihn. »Meine Befehle lauten, Ihre Leute zu entwaffnen. Ohne Waffen steht es Ihnen frei zu gehen, wohin es Ihnen beliebt. Nach Nordwesten, wenn Sie wollen.« »Ohne Waffen? Wissen Sie eigentlich, was mit uns da draußen ohne Waffen passiert?« »Nein, und ehrlich gesagt schert es mich einen Dreck.« »Das ist mir klar«, gab Flawn zurück, »euch Schweine hat noch nie etwas gekümmert – « »Überlegen Sie sich, wie Sie mit dem Leutnant reden«, kam es von Ardwain. Er knallte sein Gewehr dem Mann in die Seite. Flawn keuchte vor Schmerz. »Das reicht Sergeant«, sagte ich. »Flawn, Ihre Gesetzlosen – «
»Gesetzlose, Quatsch!« schimpfte Flawn. »Entschuldigung, Sir, Sie befinden sich im Irrtum.« Er schaute mißtrauisch mit verächtlich gekräuselten Lippen in Richtung Ardwain. »Man hat mich hier als Sträfling hergebracht, nur weil ich gegen das CoDominium war. Man hat mich ohne alles hier ausgesetzt. Ohne alles, Leutnant. Also haben wir versucht etwas aufzubauen. Die politischen Verhältnisse sind hier nicht so wie auf der Erde. Oder vielleicht sind sie es doch, mit dem Unterschied, daß sie hier klarer zu Tage liegen. Ich habe hier etwas auf die Beine gestellt, und dann kommen Sie daher, nehmen mir alles wieder weg, schicken mich ohne Waffen los, nur mit dem Hemd auf dem Leib, und erwarten noch, daß ich Ihnen Respekt zolle.« Er schaute auf die CoDominium Fahne, die hoch über dem Fort flatterte. »Sie werden entschuldigen, daß ich nicht mehr Enthusiasmus an den Tag lege.« »Meine Befehle lauten, Sie zu entwaffnen«, sagte ich. »Wollen Sie nun Ihre Freunde überreden, aus dem Bunker zu kommen, oder müssen wir ihn erst sprengen?« »Sie werden uns laufen lassen?« »Ja.« »Geben Sie mir darauf Ihr Ehrenwort als Offizier?« Ich nickte. »Sicher.« »Darüber hinaus gehende Garantien kann ich wohl nicht fordern?« Flawn schaute Sergeant Ardwain mit säuerlicher Miene an. »Ich wünschte mir, ich hätte den Mut dazu. In Ordnung, lassen Sie mich mit ihnen reden.«
Gegen Mittag waren wir in Fort Beersheba allein. Flawn war mit seinen Leuten verschwunden. Sie hatten darauf bestanden, ihre Verwundeten mitzunehmen, obwohl Doc Crisp ihnen eröffnet hatte, daß die meisten von ihnen auf dem Transport sterben würden. Die Frauen hatten eine bunte Mischung
dargestellt, angefangen von Teenagern bis hin zu Frauen in mittleren Jahren. Zu meiner Erleichterung und zur Enttäuschung der Landser waren sie sämtlich Flawn gefolgt. Centurion Lieberman organisierte unsere Verteidigungsstellung. Er postierte unsere Leute in den Bunkern, ließ Bettungen für die Granatwerfer anlegen, besorgte Baumaterial, um das zerstörte Tor zu reparieren, befahl weiteren Leuten auf den Wällen aufzuziehen, ließ die Messezelte aufstellen, brachte den erbeuteten Schnaps in einen abschließbaren Raum und stellte auch noch Wachen davor auf. Ich kam mir wieder überflüssig vor. Keine Stunde später sahen wir, wie Abteilungen die Straße heraufkamen. Ich schickte Sergeant Ardwain mit einem Zug los, um eine Straßensperre zu errichten. Wir konnten ihm vom Fort aus Deckung geben. Mit den Granatwerfern war die gesamte Straße zu bestreichen. Der Fluß schlängelte sich in ungefähr 300 Meter Entfernung und etwa 100 Meter unterhalb unserer Stellung vorbei. Das Fort verfügte nach allen Seiten über ein gutes Schutzfeld von vielleicht einem Kilometer. Es war leicht einzusehen, warum gerade diese Anhöhe für die Festung ausgewählt worden war. Immer wenn Flüchtlingsgruppen vorbeikamen, entwaffnete sie Ardwain. Anfangs befolgten sie seine Aufforderung und marschierten weiter, aber so nach und nach gingen sie dazu über, sich wieder zurückzuziehen, statt ihre Waffen abzuliefern. Von denen machte aber auch keiner Schwierigkeiten und ich gestattete Ardwain nicht, zurückweichende Gruppen zu verfolgen. Ich hatte viel zu wenig Leute, um auch noch jemand bei solch nutzlosen Unterfangen auf’s Spiel zu setzen.
»Saubere Arbeit«, meinte Falkenberg, als ich ihm nachmittags Meldung erstattete. »Wir haben bislang 40 Kilometer gemacht, und es verbleiben noch zwei Stunden Tageslicht. Es ist nicht ganz leicht abzuschätzen, wie schnell wir heute noch marschieren können.« »Jawohl, Sir, die erste Abteilung, die wir entwaffnet haben, verfügte über drei Skyhawk Raketen. Hier im Fort lagerten fünf, aber man hat sie nicht schnell genug in Stellung bringen können. Die paar Kerle, die es trotzdem versucht haben, sind vom Granatwerferfeuer ausgeschaltet worden. Trotzdem sieht es hier in der Gegend für Hubschrauber gar nicht gut aus, jedenfalls nicht, wo sie jetzt gewarnt sind.« »Ja«, bemerkte Falkenberg. »Das habe ich schon kommen sehen. Wir werden die Helikopter für eine Weile aus dem Verkehr ziehen. Sie haben sich gut gehalten, Slater, aber ich warne Sie, jetzt nicht unaufmerksam zu werden. Im Augenblick treffen wir nicht auf nennenswerten Widerstand, aber das wird sich bald ändern, und dann steht zu befürchten, daß sie versuchen werden, in Ihre Stellung einzubrechen. Es sieht nicht so aus, als ob sie ihre Waffen so einfach abgeben würden.« »Nein, Sir.« Und wer wollte es ihnen verdenken, dachte ich. Eric Flawn hatte mich in Unruhe versetzt. Er hatte weiß Gott nicht den Eindruck eines Verbrechers gemacht. Mir war nicht klar, was ich in Fort Beersheba eigentlich erwartet hatte. Verschleppte Mädchen, Vergewaltigung und allgemeine Lasterhaftigkeit, nehme ich an. Ich hatte nie zuvor eine Piratenregierung bei der Arbeit gesehen. Ganz sicher hatte ich nicht mit dem gerechnet, was wir vor Ort vorgefunden hatten, nämlich eine Reihe von älteren Herren, die Truppen befehligten, den meinen nicht unähnlich, außer daß sie eben nicht besonders gut ausgerüstet waren.
»Wenn ich recht verstanden habe, ist es Ihnen gelungen, reichlich Wein zu erbeuten«, sagte Falkenberg. »Jawohl, Sir.« »Das kommt wie gerufen. Aber trotzdem nicht mehr als einen halben Liter pro Mann ausgeben.« »Sir? Ich hatte an sich nicht beabsichtigt, überhaupt etwas zu verteilen, bevor Sie hier sind.« »Es gehört den Leuten, Slater«, sagte Falkenberg. »Sie kommen zwar damit durch, aber es wäre nicht die beste Lösung. Sie haben die Befehlsgewalt. Tun Sie, was Sie für richtig halten, aber wenn Sie einen guten Rat haben wollen, geben Sie einen halben Liter pro Mann aus.« »Jawohl, Sir.« Bei den Marinergrenadieren gibt es keine Alkoholvorschriften, noch nicht einmal während des Dienstes. Wer sich durch Trinken in einen dienstunfähigen Zustand bringt, hat schwere Strafen zu erwarten. Leute sind sogar dafür erschossen worden. »Also einen halben Liter zum Abendessen.« »Ich glaube, das ist ein kluger Schachzug«, sagte Falkenberg. »Na, hört sich ganz so an, als hätten Sie alles im Griff. In ein paar Tagen sind wir da. Ende.« Es gab tausend Kleinigkeiten zu erledigen. Um zwölf Uhr mittags war ich ganz überrascht, daß zum Essenfassen eine Trompete erklang. Ich ging hinaus, um festzustellen, wer das gewesen war. Ein Corporal, den ich nicht wiedererkannte, hielt eine auf Hochglanz polierte Trompete in Händen. »Ich werd’ noch ein paar Tage brauchen, bis ich alle Namen im Kopf habe, Corporal«, sagte ich. »Wie heißen Sie?« »Corporal Brady, Sir.« »Sie haben das gut gespielt.« »Besten Dank, Sir.« Ich sah ihn mir genauer an. Er kam mir bekannt vor, da war ich mir sicher. Ich dachte, ihn auf Tri-V gesehen zu haben. Da
hatte er seine eigene Band und Gesangsgruppe gehabt. Nachtclubauftritte und mindestens eine Tri-V Sondersendung. Ich fragte mich, was er als Gefreiter in einem Grenadierregiment machte, aber sich danach zu erkundigen war unmöglich. Ich versuchte, mich an seinen echten Namen zu erinnern, aber es gelang mir nicht. Brady war es jedenfalls nicht gewesen, dessen war ich mir sicher. »Sie spielen alle Signale hier?« »Jawohl, Sir. Der Centurion hat das angeordnet.« »Gut. Weitermachen, Brady.« Während des ganzen Nachmittags riefen die Trompetensignale die Leute zu den verschiedensten Verrichtungen. Eine Stunde vor dem Abendessen war Fahnenappell. Die CoDominium-Flagge wurde vom Kommando niedergeholt, währenddessen standen alle Männer, die nicht auf Posten befohlen waren, in Reih und Glied, und Brady blies »Heiß nieder Flagge« dazu. Während sie die Flagge zusammenlegten, erinnerte ich mich an eine Akademiestunde über Menschenführung. Der Ausbildungsoffizier war ein verknöcherter Marinermajor mit einem echten und einem künstlichen Arm gewesen. Wir sollten immer raten, welcher echt war und welcher nicht, aber das gelang uns nie. Die Vorlesung, an die ich mich nun erinnerte, hatte Zeremonien zum Thema gehabt. »Denken Sie immer daran«, hatte er gesagt, »der Unterschied zwischen einer Armee und einem wilden Haufen besteht in Tradition und Disziplin. Man kann keine Disziplin über eine Truppe aufrechterhalten, die nicht davon überzeugt ist, daß sie gerecht behandelt wird. Selbst ein Mann, der ungerechterweise bestraft wird, muß davon überzeugt sein, daß das Vergehen dessen er angeklagt ist, strafwürdig ist. Einen wilden Haufen können Sie nicht disziplinieren, deswegen müssen Ihre Leute daran erinnert werden, daß sie Soldaten sind. Militärische
Zeremonien sind dazu eines der wichtigsten Mittel. Es ist richtig, daß man uns dauernd Geldverschwendung deswegen vorwirft. Jedes Jahr will uns der Großsenat die Paradeuniformen, Rangabzeichen, Orden und all jene sogenannten nichtfunktionellen Ausrüstungsstücke, die wir benutzen, streichen. Die da oben haben Glück gehabt, daß es ihnen nie gelungen ist. An dem Tag, an dem sie es durchsetzen, stehen sie mit einer Armee da, die sie nicht verteidigen kann. Soldaten werden sich über Exerzierdienst, Stiefelputzen und so weiter beschweren, aber sie können als Armee nicht ohne dies alles sein. Männer kämpfen aus Stolz und nicht für Geld. Und keine Armee, die sie nicht mit Stolz erfüllt, wird lange überleben.« Kann schon sein, dachte ich. Aber wenn es tausend Sachen zu tun gab, hätte ich die Flaggenzeremonie an unserem ersten Tag in Fort Beersheba ruhig schlabbern können. Ich war aber gar nicht gefragt worden. Als ich herausfand, daß sie vonstatten gehen sollte, hatte Lieberman schon alles vorbereitet gehabt und die notwendigen Befehle erteilt. Zur Essenszeit hatten wir alle Vorkehrungen für die Nacht getroffen. Ardwain hatte ungefähr 100 Waffen eingesammelt, in der Hauptsache veralteter Gewehre – es waren sogar Vorderlader darunter, die auf Arrarat hergestellt worden waren. Bis jetzt waren etwa 300 Leute durch die Straßensperren gelassen worden. Bei Sonnenuntergang schlossen wir die Sperre. Suchscheinwerfer strichen über die Straße und wir verfügten über eine Kette von Barrikaden aus Bohlen. Ardwain und seine Männer hatten sich so eingegraben, daß sie die gesamte Straßenzone abdecken konnten, und wir wiederum konnten vom Fort aus Deckung geben. Es sah ziemlich gut aus.
Der Zapfenstreich erklang, und Fort Beersheba richtete sich für die Nacht ein. Ich machte meinen Kontrollgang und inspizierte alles und jedes. Das Körperwärmeerfassungssystem, auf das sich die alte Besatzung verlassen hatte, war zu Klumpen gehauen worden, als wir den Bunker gesprengt hatten, aber wir hatten unsere eigenen Überwachungsgeräte dabei. Ich traute passiven Sicherheitseinrichtungen nicht über den Weg, aber ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Lieberman hatte Wachen an allen Toren postiert. Sie waren mit lichtverstärkenden Ferngläsern ausgerüstet. Weitere Leute beobachteten die IR-Schirme. »Wir sind sicher wie in Abrahams Schoß«, sagte Lieberman. »Falls Herr Leutnant sich schlafen legen möchten, werde ich dafür sorgen, daß die Wachwechsel ordnungsgemäß vor sich gehen.« Er begleitete mich zu meiner Unterkunft. Hartz hatte schon alles hergerichtet. Frischer Putz befand sich auf den Einschüssen in den Wänden. Meine Ausrüstung war so ausgerichtet, daß ich schnell herankam. Hartz hatte seinen Feldmantel unter dem Fenster im Vorzimmer ausgebreitet. Es gab sogar Kaffee, der über einer Alkohollampe in einer Kanne warmgehalten wurde. »Sie können uns alles überlassen«, erklärte Lieberman. Hartz grinste. »Klar doch. Leutnants kommen grün von der Akademie und wir machen dann Generale aus ihnen.« »Da könntet ihr allerhand zu tun kriegen«, bemerkte ich. Ich lud Lieberman in mein Wohnzimmer ein. Dort gab es einen Tisch, auf dem ein maßstabgetreues Modell des Forts stand. Flawn hatte es angefertigt, aber es hatte ihm nichts mehr genutzt. »Nehmen Sie Platz Centurion. Kaffee?«
»Nur eine kleine Tasse, Sir. Ich ginge besser wieder an meine Arbeit.« »Wecken Sie mich bei Wachwechsel, Centurion.« »Wenn Herr Leutnant es befehlen.« »Ich wollte – was zum Teufel Lieberman! Warum wollen Sie nicht, daß ich meine Wache gehe?« »Nicht nötig, Sir, darf ich einen Vorschlag machen?« »Sicher.« »Überlassen Sie das nur uns, Sir. Wir wissen was wir tun.« Ich nickte und starrte in die Tasse. Ich hatte nicht den Eindruck, als ob ich noch hier die Befehlsgewalt ausübte. Auf der Akademie bringen sie dir alles bei – Truppenführung, Nachrichtenwesen, wie man haargenau eine Regimentsparade abnimmt, wie man mit dem Laser Artilleriefeuer lenkt, das richtige Aufsetzen von Flicken auf Uniformen, wie man Schußfelder für Granatwerfer elektronisch berechnet, die Schnapsrationen für die Männer, wie man ein Paar Stiefel richtig putzt, die Instandhaltung von rückstoßfreien Gewehren, daß man an alle übergeordneten Offiziere nach Ankunft an einem neuen Standort die Visitenkarten verschickt, Zusammenbau und Wartung von Hubschraubern, wie man auf Welten mit vergifteter oder überhaupt keiner Atmosphäre überlebt, Verhalten an Bord und tausende von weiteren Details. Man muß das alles auswendig lernen und die Einzelheiten wirbeln durcheinander, bis du das Wichtige vom Unwichtigen nicht mehr trennen kannst. Das sind einfach nur Sachen, die man für’s Examen wissen muß. »Sie wissen was Sie tun müssen, Centurion, ich hingegen bin mir dessen bei mir selbst nicht so sicher.« »Sir, eines ist mir an jungen Offizieren aufgefallen«, fuhr Lieberman fort. »Sie nehmen die Sache zu ernst.«
»Zu befehlen ist eine ernste Sache.« Verflucht dachte ich, so ein Schwulst. Besonders wenn es so ein Jüngelchen zu einem alten Krieger sagt. Er faßte es aber nicht so auf. »Jawohl, Sir. Verdammt ernst genug, als daß auch noch Kleinigkeiten davon abhalten sollten. Herr Leutnant, wenn es nur um Dinge wie Wachenaufstellen und Organisation von Verteidigung ginge, brauchten wir überhaupt keine Offiziere. Das kriegen wir auch so hin. Was wir brauchen, ist jemand, der uns sagt, was wir in drei Teufelsnamen tun sollen. Wenn das geschehen ist, wissen wir, wie es gemacht wird.« Ich gab keine Antwort. Er beäugte mich eingehend, wahrscheinlich versuchte er herauszufinden, ob ich wütend war. Er machte keinen sonderlich besorgten Eindruck. »Nehmen Sie mich zum Beispiel«, fuhr er fort. »Ich habe keine Ahnung warum wir hierher gekommen sind, und es ist mir auch völlig schnuppe. Jeder hat seine eigenen Gründe, warum er sich hierher gemeldet hat. Ich weiß nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Ich bin da auf etwas gestoßen, was ich gut kann und es liegt mir. Ihr Offiziere sagt mir, wo ich zu kämpfen habe, und schon habe ich eine verdammte Sorge weniger am Hals.« Draußen hörte man die Trompete. »Stille überall.« Das hörten wir heute schon zum zweitenmal. Das erstemal, als wir unsere Toten begraben hatten. »Muß die Posten kontrollieren«, kam es von Lieberman. »Mit Ihrer Erlaubnis, Sir.« »Machen Sie weiter, Centurion.« Ein paar Minuten später kam Hartz herein und wollte mir die Stiefel ausziehen. Er wollte nichts davon wissen, daß ich samt Schuhen ins Bett gehen wollte.
»Wir halten sie schon lange genug auf, bis Sie Ihre Stiefel wieder anhaben, Sir. Niemand erwischt einen Marineroffizier im Hemd.« Er würde beim Schlafen die Stiefel anlassen, damit ich ohne schlafen konnte. Das ergab zwar nicht viel Sinn, aber diesen Punkt betreffend, konnte ich keine Diskussion gegen ihn gewinnen. Ich haute mich in die Falle und starrte an die Decke. Mein erster Tag als Befehlshabender Offizier. Ich dachte immer noch daran als ich einschlief.
Die Angriffe begannen am nächsten Tag. Anfangs waren es nur kleine Trupps, die versuchten die Straßensperren zu überwinden, aber sie hatten nicht die Spur einer Chance. Wir konnten sie vom Fort aus nach Belieben eindecken. In der Nacht versuchten sie das Fort selbst zu nehmen. Draußen befanden sich ungefähr ein Dutzend Granatwerfer. Besonders zielgenau waren sie nicht. Unser Radarsystem funktionierte blendend. Sie kriegten genau zwei Salven raus, dann hatten wir die Stellung ausgemacht, und unsere gesamte Batterie schlug konzentriert beim Gegner ein. Wir konnten sie nicht gänzlich zum Schweigen bringen, aber den Bedienungsmannschaften konnten wir Saures geben, und nach einiger Zeit ließ ihre Feuergeschwindigkeit nach. Die ganze Nacht hindurch veranstalteten sie Sturmgewehrangriffe, aber nicht sehr massiert. »Die testen euch nur«, sagte Falkenberg am Morgen, als ich ihm Bericht erstattete. »Wir machen von hier aus mit aller Macht Druck. Bald wird es einen ernstgemeinten Angriff geben.« »Ja, Sir, wie steht’s bei Ihnen?« »Wir marschieren«, antwortete Falkenberg. »Natürlich gibt es mehr Gegenwehr, als der Oberst vermutet hat. Wo Sie ihr
Mauseloch zugestopft haben, bleibt ihnen keine Rückzugsmöglichkeit. Kämpfen oder draufgehen – das ist die Wahl, die wir ihnen gelassen haben. Einen ernsthaften Durchbruchsversuch können Sie in zwei Tagen erwarten. Dann werden wir nahe genug heran sein, um ihnen ernsthaften Kummer zu bereiten.« Er hatte Recht. Am vierten Tag standen wir unter ständigem Beschuß durch mehr als tausend Feinde. Es war schon eine komische Situation. Keiner machte sich ernsthafte Sorgen. Wir hielten die Stellung. Unsere Munitionsvorräte gingen zur Neige, aber Liebermans Maßnahme dagegen bestand darin, den Rekruten zu verbieten ihre Waffen zu gebrauchen. Sie wurden dazu abgestellt, die Granatwerfer und rückstoßfreien Geschütze zu bedienen und bekamen darüber hinaus einen erfahrenen Unteroffizier zugeteilt, der genau aufpaßte, daß die Ziele es auch wert waren unter Feuer genommen zu werden. Die Scharfschützen warteten auf ihre Gelegenheit, und jeder Treffer saß im Ziel. So lange noch Munition vorhanden war, schwebten wir nicht in ernster Gefahr. Das Fort verfügte über ein freies Schußfeld, wir waren keinem schwerem Artilleriebeschuß ausgesetzt. Das wirksamste, über das der Feind verfügte, waren Granatwerfer und, unser Abwehrradarcomputersystem wurde gut damit fertig. »Keine Disziplin«, sagte Lieberman. »Sie haben einfach keine Disziplin. Kommen in Wellen, laufen in Wellen nach vorn, stehen den Angriff aber nie durch. Bin verflucht froh, daß bei denen keine Marinerdeserteure sind. Sie wären durchgebrochen, wenn sie nur gut geführt würden.« »Mir machen unsere Munitionsbestände Sorgen«, gab ich zu. »Ach was Herr Leutnant, Captain Falkenberg kommt durch. Er hat bisher noch nie jemanden im Stich gelassen.« »Sie haben früher schon unter ihm gedient?«
»Jawohl, Sir, bei der Sache auf Domingo. Den heiligen Johnny haben wir ihn da genannt. Er wird schon kommen.« Alle verhielten sich so. Das machte die Situation unwirklich. Wir standen unter Beschuß. Man konnte den Kopf nicht über die Mauer oder durch das Tor stecken. Granaten schlugen in Abständen ein, manchmal erwischten sie Männer außerhalb der Unterstände und verwundeten sie trotz der Rüstung. Wir hatten vier Tote und neun Mann im Lazarettbunker. Uns ging die Munition aus, das Zahlenverhältnis stand schlechter als zehn zu eins gegen uns. Aber niemand war beunruhigt. »Es ist Ihre Aufhabe, zuversichtlich dreinzuschauen«, hatte Falkenberg gesagt. Na klar doch. Am fünften Tag wurde die Lage für Sergeant Ardwain und seine Jungs an der Straßensperre ernst. Ihnen ging nicht nur die Munition, sondern auch das Wasser aus. »Geben Sie die Stellung auf«, sagte ich ihm. »Schaffen Sie Ihre Leute hier rauf. Wir können Ihnen vom Fort aus Feuerschutz geben.« »Sir, ich habe sechs Verwundete, die nicht laufen können.« »Wie viele insgesamt?« »Neun Sir – zwei können gehen, einer ist tot.« Neun von zwölf. »Halten Sie durch Sergeant. Wir kommen zu Ihnen.« »Aye, aye, Sir.« Ich fragte mich, wen ich erübrigen konnte. Es bestand kaum ein Zweifel, wer der nutzloseste Mann im Fort war. Ich schickte nach Lieberman. »Centurion. Ich will zwölf Freiwillige die mit mir kommen und Ardwains Zug ersetzen. Wir gehen mit voller Ausrüstung, extra Munition und Verpflegungsrationen.« »Herr Leutnant – « »Verflucht, sagen Sie mir nicht, daß Sie mich nicht gehen lassen wollen. Sie kommen ausgezeichnet zurecht. Sie haben
selbst gesagt, daß Sie Offiziere brauchen, die Ihnen sagen was Sie tun sollen, aber nicht wie Sie es anpacken müssen. Ihr Befehl lautet, diese Stellung so lange zu halten, bis Falkenberg kommt. Und noch eins – Sie werden keinen Ersatz den Hügel hinunter schicken oder selbst anführen. Ich werde nicht zulassen, daß diese Stellung hier noch mehr geschwächt wird. Ist das klar?« »Sir.« »Prächtig. Und nun besorgen Sie ein Dutzend Freiwillige.« Ich hatte mich entschieden, kurz vor Monduntergang die Anhöhe hinabzugehen. Wir hatten unsere Sachen gepackt und warteten am Tor. Einer meiner Freiwilligen war Corporal Brady. Er stand dort am Tor und plauderte mit der Wache. »Es ist ruhig heute abend«, bemerkte Brady. »Sie sind aber immer noch da«, erwiderte der Posten. »Das wirst du schon früh genug herausfinden. Ich wette meine Weinration, daß ihr es nicht bis unten schafft.« »Gemacht. Und denk daran, du hast nach unten gesagt. Ich erwarte, daß du mir den Wein aufbewahrst.« »Yeah. Eh, Brady, das hier ist ein seltsamer Ort.« »Wie meinst du das?« »Ein Planet voll Betbrüder und nirgends ein Marinerfeldgeistlicher zu sehen.« »Brauchst du einen Kaplan?« Der Posten zuckte die Achseln. Er trug einen riesigen schwarzen Vollbart, den er befingerte, als ob er ihn nach Läusen absuchte. »Wär doch prima!« »Die sind schon ganz in Ordnung, aber wir brauchen keinen Geistlichen. Was wir hier bitter nötig haben, ist einer, der schwarze Messen lesen kann. Aber so einen haben wir nicht im Bataillon.« »Wozu brauchst du denn so einen?«
Brady lachte. »Ist doch klar. Gott ist gütig! Der wird dich schon gut behandeln. Auf den anderen Burschen muß man aufpassen.« Er lachte noch einmal. »Hab mir mal drei Tage bei Brot und ohne Wein eingebrockt, weil ich das zu Hauptkaplan McCrory daheim im Standorthauptquartier gesagt habe. Dem hat das gar nicht gepaßt.« »Es wird Zeit«, unterbrach ich. Ich nahm meinen schweren Tornister. »Gehen wir oder wird gespurtet, Sir?« wollte Hartz wissen. »Langsam gehen, bis denen klar wird, daß wir kommen. Und macht so leise wie möglich.« »Sir.« »Los geht’s, Brady. Ohne Lärm.« »Sir.« Der Posten öffnete das Tor einen Spalt breit. Brady schlüpfte durch, dann noch ein Landser und noch einer. Nichts passierte, dann war ich schließlich an der Reihe. Hartz kam ganz zum Schluß. Der Pfad verlief steil abschüssig die Klippe entlang. Er war ungefähr zwei Meter breit, eigentlich nur ein abschüssiger Sims, wenn man es recht betrachtete. Wir hatten die Hälfte des Weges hinter uns, als es eine Maschinengewehrsalve setzte. Ein Landser fiel um. »Rennt um euer Leben!« schrie ich. Zwei Mann schnappten sich den Liegenden und hievten ihn hoch. Wir stürmten im Zickzack die Klippe herunter und nahmen jede nur erdenkliche Abkürzung. Ein Ziel, auf das zu schießen sich gelohnt hätte, konnten wir nicht ausmachen, aber dafür ließ der anschwellende Kugelhagel Granitsplitter von der Klippe hochfliegen. Von den Wällen hoch über unseren Köpfen entlud sich ein Stahlgewitter. Es sah ganz so aus, als würde uns die ganze Kompanie Feuerschutz geben. Ich hoffte stark, daß dem nicht so war. Einer unserer Scharfschützen machte ein Ziel aus und
für ein paar Augenblicke standen wir nicht unter Beschuß. Dann legten sie wieder los. Etwas pfiff mir um die Ohren. Dann spürte ich einen schweren Schlag in der Magengrube und ging zu Boden. Ich lag da und schnappte nach Luft. Hartz bemächtigte sich meines Armes und rief noch einen Landser. »Jersey! Den Leutnant hat’s erwischt. Komm hilf mir.« »Es ist nichts«, sagte ich. Ich betastete meine Bauchgegend. Es war kein Blut zu sehen. »Die Rüstung hat’s abgehalten. Mir hat’s nur den Atem verschlagen.« Ich keuchte immer noch und bekam einfach keine Luft. Sie schafften mich bis in Ardwains Kommandounterstand. »Wie hätten wir es dem Centurion wohl beibringen sollen, wenn wir Sie nicht hergebracht hätten?« fragte Hartz. Der Leitstand bestand aus einem Graben, der mit Eisenholzbohlen abgedeckt war. Am anderen Ende lagen drei Verwundete. Brady schaffte unseren verletzten Mann zu den übrigen. Ihm waren beide Beine durchschossen worden. Brady legte ihm Verbände an. Hartz hingegen hatte seine eigene festumrissene Vorstellung über erste Hilfe. Er hatte einen Flachmann mit Brandy bei sich. Das galt als Allheilmittel. Nachdem er mir zwei anständige Schlucke verabreicht hatte, ging er ans andere Ende des Bunkers und ließ die Buddel unter den Verwundeten kreisen. »Nur drei, Ardwain?« fragte ich. Ich bekam immer noch keine Luft. »Ich dachte, Sie haben sechs Verwundete?« »Sechs die nicht laufen können, Sir. Aber drei davon sind noch kampffähig.«
VIII
»Die Anhöhe schaffen wir nicht bis oben, jedenfalls nicht mit den Verwundeten huckepack«, bemerkte ich. »Nein, Sir.« Ardwain ließ Läufer mit Munition zu seinen Landsern schaffen. »Wir sind hier gut eingegraben, Sir. Mit der Verstärkung die Sie mitgebracht haben, können wir durchhalten.« »Das müssen wir auch, verflucht noch eins«, erwiderte ich. »Es sieht gar nicht so schlecht aus. Die meisten unserer Verwundungen sind von Granatwerfern und Rückstoßfreien verursacht worden. Die setzen sie nicht mehr ein. Wahrscheinlich ist die Munition ausgegangen.« »Dann wollen wir mal hoffen, daß es so bleibt.« Ich hatte noch ein weiteres Problem. Unser Trumpf bei der Verteidigung der Straßensperre war das Granatwerferfeuer vom Fort. Da oben gingen ihnen aber die Granaten aus. Noch ein Tag und wir waren auf uns selbst gestellt. Es hatte keinen Sinn sich darüber jetzt Gedanken zu machen, entschied ich. Wir müssen eben das Bestmögliche draus machen. Der nächste Tag war der sechste, seit wir das Fort genommen hatten. Die Vorräte wurden knapp. Unten an der Sperre hatten wir nichts zu essen, außer Trockenfleisch, das die Männer »Monkey« nannten. Es schmeckte nicht schlecht, hatte aber die merkwürdige Eigenschaft, sich beim Kauen auszudehnen, so daß man nach einiger Zeit den Eindruck bekam, als hätte man den Mund voll Gummibänder. Es wurde behauptet, daß Marinergrenadiere tausend Kilometer marschieren könnten, solange sie nur Kaffee, Wein und Monkey hatten.
Um zwölf Uhr erwischten wir Falkenberg über das Radio. Er befand sich immer noch vierzig Kilometer von uns entfernt und hatte die schwersten Gefechte noch vor sich. Sie waren gezwungen, sich in den Dörfern von Haus zu Haus zu kämpfen. »Können Sie die Stellung halten?« fragte er mich. »Den Rest des Tages und die Nacht hindurch ohne Schwierigkeiten. Morgen mittag haben wir keine Granatwerfermunition mehr, vielleicht geht sie aber auch noch eher zu Ende. Wenn das eintritt, dann wird unsere Außenstelle an der Straßensperre ohne Unterstützung sein.« Ich hatte ihm nicht gesagt, wo ich mich befand. »Können Sie bis morgen nachmittag durchhalten?« fragte er. »Das Fort wird nicht fallen. Was die Straßensperre angeht, bin ich mir nicht sicher.« »Ich werde sehen, was wir tun können«, sagte Falkenberg. »Viel Glück.« »Der christliche Johnny wird uns rausholen«, meinte Brady. »Sie kennen ihn?« »Er holt uns raus.« Ich wollte, ich wäre genauso sicher gewesen. Im Verlauf der Nacht versuchten sie, sich an uns heranzumachen. Ich weiß nicht, wie viele genau das Flußufer entlangrobbten, aber es war eine ganze Menge. Einige umgingen uns. Andere griffen unsere Bunker an. Ein Nahkampf begann, wobei hauptsächlich Messer, Bajonette und Handgranaten zum Einsatz kamen, bis es uns gelang, unsere Fuchsröhren frei zu kämpfen. Ich war in der Lage, die Leute hineinzuschicken. Dann ließ ich Lieberman unsere eigene Stellung zehn Minuten lang mit Granatwerferfeuer bestreichen. Als das aufhörte, kamen wir heraus, um die Gegend zu säubern.
Als der Morgen anbrach, hatten wir drei weitere Tote zu beklagen, und jeder in der Stellung war verletzt. Ich hatte einen Granatsplitter in den linken Oberarm abbekommen, genau an der Stelle, wo die Rüstung aufhörte. Es tat weh, aber es gab keinen Grund, sich darüber Sorgen zu machen. In unserem Operationsgebiet lagen zwanzig Tote, und dort, wo weitere Feinde sich davongeschleppt hatten, verliefen Blutspuren. Eine Stunde nach einsetzender Dämmerung griffen sie uns wieder überfallartig an. Im Fort hatten sie nur noch wenige Granaten. Wir beorderten jede einzelne sorgfältig ins Ziel. Allerdings konnten sie uns nicht allzuviel Aufmerksamkeit widmen, denn gleichzeitig lief ein großangelegter Angriff gegen das Fort selbst. Wenn im Gewehrgeknatter rings um Fort Beersheba einmal Stille eintrat, konnten wir im Osten schwache Geräusche vernehmen. Falkenbergs Heersäule fetzte sich den Weg durch ein weiteres Dorf. Ardwain erwischte es Punkt zwölf. Eine Gewehrkugel im Hals. Es sah bös aus. Brady schleppte ihn in den Hauptunterstand und legte ihm eine Aderpresse an. Ardwains Atem rasselte in seiner Kehle, und das Blut quoll ihm nur so aus dem Mund. Damit blieben nur noch Roff und Brady als Unteroffiziere übrig, und Roff konnte nicht laufen, er hatte Splitter im linken Bein. Um 12.30 Uhr hatten wir noch vier kampffähige Männer und bekamen vom Fort keine Feuerunterstützung mehr. Wir hatten den Kontakt zu den Soldaten am Flußufer verloren und vernahmen Bewegungen aus dieser Richtung. »Sie kommen an uns vorbei, verdammt!« schrie ich. »Alles umsonst! Hartz, hol’ mir Lieberman an die Strippe.« »Sir.« Hartz arbeitete mit einer Hand. Sein rechter Arm hing in Fetzen herab. Er bestand darauf, in meiner Nähe zu bleiben, aber ich zählte ihn nicht zu meinen kampffähigen Leuten.
»Sergeant Roszak«, kam es aus dem Empfänger. »Wo ist Lieberman?« »Tot, Sir. Ich bin der dienstälteste Unteroffizier hier.« »Was haben Sie noch an Granatwerfermunition?« »Vierzehn Schuß, Sir.« »Lassen Sie drei davon gleich jenseits von uns am Flußufer runter, und dann halten Sie sich bereit, weiter zu schießen.« »Aye, aye, Sir. Einen Augenblick.« Es herrschte Stille. Dann sagte er: »Sind schon unterwegs.« »Wie sieht es da oben bei euch aus?« »Wir kämpfen an den Wällen, Sir. Den Nordabschnitt haben wir verloren, aber die Bunker halten die Ecke im Visier.« »Scheiße. Sie werden die Granatwerfermunition brauchen, um das Fort zu verteidigen. Aber es besteht kein Anlaß mehr, das Fort zu halten, wenn die Straßensperre erst mal gefallen ist. Halten Sie sich bereit, den letzten Schuß auf Befehl abzufeuern.« »Aye, aye, Sir. Wir können uns halten.« »Klar könnt ihr das.« Ich spähte durch die Schießscharte des Bunkers. Da kamen Leute die Straße rauf. Dutzendweise. Ich hatte noch ein volles Magazin im Gewehr und machte mich daran, sie einzeln mit langsamer Feuergeschwindigkeit aufs Korn zu nehmen. Hartz handhabte sein Gewehr mit der Linken und gab alle zwei Sekunden einen Schuß ab, langsames, genau gezieltes Feuer. Links von mir wurde auch geschossen. Corporal Brady war im Bunker nebenan, aber sein Empfänger funktionierte nicht. Angreifer näherten sich seiner Stellung. Ich konnte sonst niemanden von meiner Abteilung hören. Plötzlich ertönte Bradys Trompete. Das schrille Blech schnitt durch den Kampflärm. Er spielte »Zu den Waffen«, um danach in den Marinergrenadiermarsch überzugehen. »Wir haben unser Blut auf 25 Welten vergossen – «
Im Bunker bewegte sich etwas. Rekrut Dietz, zweimal in den Magen getroffen, schleppte sich zu Sergeant Ardwain hinüber und fand dessen Pistole. Er krabbelte bis zur Schießscharte und begann zu feuern. Bei jedem Schuß hustete er Blut. Ein weiterer Soldat stolperte aus dem Gebüsch. Als er so auf die Straße zuhielt, schwankte er wie ein Betrunkener. Er trug einen Beutel mit Handgranaten um den Hals und warf sie mit mechanischen Bewegungen. Er stolperte weiter und warf dabei. Er hatte nur noch einen Arm. Er wurde ein dutzendmal getroffen, er fiel hin, aber sein Arm bewegte sich, um die letzte Granate zu werfen, bevor er starb. Immer mehr Angreifer bewegten sich in Richtung von Bradys Bunker. Während Brady schoß, schwankte der Trompetenton etwas, aber dann kam er wieder so klar wie eh und je heraus. »Roszak! Ich habe einen Feuerbefehl für Sie«, sagte ich. »Sir.« »Lassen Sie mich die Situation hier unten beschreiben.« Ich gab ihm die Position meines Unterstandes, die von Bradys Bunker und die des einzigen anderen, von dem ich vermutete, daß in ihm noch Leute von uns sein könnten. »Sonst ist alles ringsherum in der Hand des Feindes, und sie drängen am Ufer an uns vorbei. Ich möchte, daß Sie zwei Granaten 40 Meter jenseits meines Unterstandes genau nördlich der Straße, aber nicht zu weit nördlich, niedergehen lassen. Corporal Brady befindet sich dort, und es wäre eine Schande, sein Konzert zu stören.« »Wir können ihn hier oben hören, Sir. Eins warten.« Stille. »Schon unterwegs.« Die Granaten kamen Sekunden später. Brady spielte immer noch. Ich erinnerte mich jetzt an seinen richtigen Namen. Vor zehn Jahren auf der Erde. Bevor er eines Tages in der Versenkung verschwand, war er eine wirkliche Berühmtheit
gewesen. Roszak hatte sein Mikrophon offengelassen, und im Hintergrund konnte ich die Männer begeistert schreien hören. Roszaks Stimme ertönte. »Befehl vom Bataillonshauptquartier, Sir. Sie sollen in Ihrem Bunker bleiben. Niemand soll sich in Gefahr begeben. Dringender Befehl, Sir.« Ich fragte mich, warum Falkenberg mir zum Teufel noch eins Befehle erteilte, aber mit Hilfe meines Kommandosenders gab ich ihn weiter. Ich bezweifelte, ob irgend jemand etwas verstand, aber das machte nichts. Niemand konnte von hier weg. Plötzlich explodierte die Straße. Die gesamte Strecke 50 Meter von mir und soweit wie ich sehen konnte, verschwand in einer Serie von Explosionen. Der Beschuß hielt an, zerpflügte die Straße; dann zerstob das Flußufer zu prasselnden Erdklumpen. Die Straße voraus war in Stücke gerissen; danach wurden die Einzelteile von einer weiteren Salve hochgehoben. Auf dem Bunkerboden ging ich auf Tauchstation und hielt mir die Ohren zu, während rings umher Granaten einschlugen. Zu guter Letzt wurde das Feuer eingestellt. In meinem Kopfhörer konnte ich Geräusche hören, aber meine Ohren dröhnten noch und deswegen konnte ich nichts verstehen. Es war nicht Roszaks Stimme. Schließlich drang sie durch. »Brauchen Sie mehr Feuerunterstützung, Mr. Slater?« »Nein, Herr im Himmel, was für ein Beschuß – « »Das werde ich den Kanonieren ausrichten«, sagte Falkenberg. »Halten Sie durch, Hal. Wir werden noch eine Stunde brauchen, aber von jetzt an haben Sie Feuerunterstützung.« Draußen jubelte Bradys Trompete einen neuen Marsch.
IX
Man schickte mich nach Garrison zurück, um meinen Arm in Ordnung zu bringen. Auf Arrarat grassiert eine Pilzinfektion, die selbst harmlose Verletzungen gefährlich werden läßt. Ich brachte eine Woche im Krankenhaus zu, wo sie mir Stücke aus dem Arm schnitten, dann noch eine Woche in der Regenerationstherapie. Ich wollte zu meiner Einheit zurück, aber davon wollte der Chirurg nichts wissen. Er wollte mich dabehalten, um den Gewebenachwuchs zu kontrollieren. Sergeant Ardwain war auch hier. Es würde länger dauern, ihn wieder zusammenzuflicken, aber er würde wieder in Ordnung kommen. Da Lieberman tot war, käme Ardwain für die Centurionstreifen in Betracht. Hier in Garrison bleiben zu müssen, trieb mich fast zum Wahnsinn, während meine Kompanie, abzüglich ihres einzigen Offiziers und der beiden dienstältesten Unteroffiziere, sich da draußen in Fort Beersheba befand. An dem Tag, an dem sie mich aus dem Krankenrevier entließen, war ich bereit zu meutern, aber es gab keine Fahrgelegenheit, und Major Lorca sagte klipp und klar, daß ich in Garrison zu bleiben habe, bis der Chirurg mich entließ. Ich trollte mich im Zustand blinder Wut in meine Unterkunft. Die Bude war in hervorragendem Zustand. Soldat Hartz war da und grinste mich an. Sein rechter Arm befand sich in einem riesenhaften Gipsverband, der mit einer anscheinend meilenlangen Mullbinde vor seiner Brust festgemacht war. »Wie haben Sie es angestellt, vor mir rauszukommen?« fragte ich ihn.
»Keine Infektion, Sir. Ich hab’ Brandy über die Wunden gegossen.« Er schüttelte sich. »Reine Verschwendung, aber für uns paar Übriggebliebenen war mehr als genug da.« Es kam noch eine Überraschung. Irina Swale trat aus meinem Schlafzimmer. »Miß Swale ist so freundlich gewesen, mir bei der Arbeit hier unter die Arme zu greifen, Sir«, erklärte Hartz. Er machte einen peinlich berührten Eindruck. »Sie hat darauf bestanden, Sir! Falls Herr Leutnant mich nun entschuldigen wollen, ich habe noch Wäsche zu fassen, Sir.« Ich grinste ihm zu, und er verschwand. Was nun? fragte ich mich. »Danke.« »Das war das Mindeste, was ich für Arrarats größten Helden tun konnte«, meinte Irina. »Held? So ein Unsinn – « »Ich nehme stark an, daß es Unsinn ist, wenn mein Vater Ihnen die Militärverdienstmedaille verleiht und daß Oberst Harrington noch etwas anderes beantragt hat, ich habe vergessen, um was es sich dabei handelt, aber darüber kann hier nicht entschieden werden – das Sektorenhauptquartier muß es genehmigen.« »Das ist mir neu«, sagte ich. »Und ich glaube immer noch nicht – « »Das brauchen Sie auch gar nicht. Wollen Sie mich nicht auffordern, Platz zu nehmen? Möchten Sie etwas zu trinken? Wir haben alles da. Soldat Hartz ist schrecklich tüchtig.« »Das sind Sie aber auch. Ich bin nicht ganz auf der Höhe, was? Bitte nehmen Sie Platz. Ich besorge Ihnen ein Glas, aber ich weiß nicht, wo alles steht.« »Und Sie können eh nicht mit den Flaschen umgehen. Ich mach’ das schon.« Sie ging ins andere Zimmer und erschien mit zwei Gläsern, Brandy für mich und diesem Jericho Wein, den sie mochte. Hartz in Bestform, dachte ich. Ich werde bis
ans Ende meiner Tage diesen gottverdammten Brandy trinken müssen. »Es war ziemlich schlimm, oder?« fragte sie. Sie saß auf der Couch, die während meiner Abwesenheit neu hinzugekommen war. »Es reicht.« Von meinen ursprünglich neunzig Mann hatten nur zwölf die Sache unverletzt überstanden. Achtundzwanzig waren tot und ein weiteres Dutzend kamen hinzu, die so schnell nicht wieder verwendungsfähig sein würden. »Aber wir haben sie aufgehalten.« Ich schüttelte den Kopf. »Das ist keine Angabe, Irina, eigentlich ist es erstaunlich, daß wir sie aufgehalten haben.« »Ich grübele die ganze Zeit schon über etwas Bestimmtes nach«, sagte sie. »Ich habe Louis Bonneyman schon danach gefragt, aber er wollte mir keine Auskunft geben. Warum mußten gerade Sie das Fort verteidigen? Das war entschieden der schwierigste Teil des Feldzuges, oder etwa nicht? Warum hat Falkenberg es nicht selbst gemacht?« »War wohl anderweitig beschäftigt, schätze ich. Man hat mich noch nicht lange genug aus dem Tablettennebel herausgelassen, als daß ich im Krankenrevier etwas darüber hätte herausfinden können. Was ist da draußen eigentlich passiert?« »Es lief ganz phantastisch«, erwiderte sie. »Die Harmonymiliz kontrolliert den gesamten Flußlauf. Die Frachtkähne verkehren wieder, und hier in der Stadt sind die Getreidepreise gefallen.« »Sie klingen aber nicht besonders fröhlich.« »Merkt man das?« Sie saß für einen Augenblick still da. Sie schien ihre Gesichtszüge unter Kontrolle bekommen zu wollen. Ihre Unterlippe zitterte. »Mein Vater sagt, Sie hätten Ihren Auftrag hier erfüllt. Er läßt es nicht zu, daß Oberst Harrington euch losschickt, um den übrigen Farmern
beizustehen. Und die Flußpiraten sind nicht einmal die schlimmste Sträflingsregierung gewesen! In gewisser Weise waren sie gar nicht mal so schlecht. Ich dachte… ich hatte gehofft, Sie könnten nach Süden in die Ackerbauregion vorstoßen, wo die Dinge wirklich schlecht stehen, aber Hugo hat einen Vertrag über gesicherte Weizenlieferungen ausgehandelt und sagt, daß ihr hier nichts mehr zu suchen hättet.« »Sie sind ganz schön darauf aus, uns abgemurkst zu sehen, soviel steht mal fest.« Sie schaute mir wütend ins Gesicht. Dann bemerkte sie mein Grinsen. »Übrigens«, fuhr sie fort, »man erwartet Sie heute Abend zum Essen im Palast. Ich habe das mit dem Chirurgen bereits geklärt. Und diesmal erwarte ich, daß Sie auch wirklich kommen! Alle diese Vorbereitungen für meine große Party und alles ist nur ein Trick von ihrem Captain Falkenberg! Sie werden doch kommen, oder? Bitte?«
Wir aßen allein. Gouverneur Swale befand sich draußen in den neueroberten Gebieten und versuchte, eine Regierung auf die Beine zu stellen, die sich auch halten würde. Irinas Mutter hatte ihn schon vor Jahren verlassen, und ihr einziger Bruder diente als Marineoffizier irgendwo im Pleiadensektor. Nach dem Mahl tat ich, was sie wahrscheinlich von mir erwartete. Ich küßte sie, hielt sie dann an mich gedrückt und hoffte, daß wir bald zu intimeren Sachen übergehen würden. Sie schob mich aber von sich. »Bitte, Hal.« »Tut mir leid.« »Das braucht es nicht, ich mag Sie, Hal. Es ist nur daß – « »Deane Knowles«, sagte ich.
Sie bedachte mich mit einem verwirrten Blick. »Nein, natürlich nicht. Aber… ich mag ihren Freund Louis. Können wir nicht Freunde sein, Hal? Müssen wir denn – « »Natürlich können wir Freunde sein.« Während der nächsten drei Wochen sah ich sie häufig. Freunde. Ich ertappte mich dabei, daß ich an sie dachte, wenn wir nicht zusammen waren, und das gefiel mir ganz und gar nicht. Das Ganze ist verrückt, sagte ich mir selbst. Junge Offiziere haben sich gefälligst nicht mit Gouverneurstöchtern einzulassen. Da kann nichts bei rauskommen, und ich wollte von Anfang an nicht, daß dabei etwas rauskam. Junge, dein Leben ist so schon kompliziert genug. Das redete ich mir bis zu dem Tag ein, an dem der Arzt mir eröffnete, daß ich wieder zu meiner Einheit gehen könne. Ich war froh darüber.
Es war immer noch meine Kompanie. Mit den meisten von den Leuten hatte ich noch nie Dienst gemacht und ich war mit dem harten Kern nur wenige Tage lang im Fort zusammen gewesen, aber A-Kompanie gehörte mir. Jeder Mann in der Einheit dachte genauso. Ich fragte mich, was ich nur richtig gemacht hatte. Ich hatte nicht den Eindruck, daß ich irgendwelche guten Entscheidungen getroffen hatte oder überhaupt irgendwelche, wenn man es recht betrachtete. »Glück«, erklärte mir Deane. »Die glauben, daß du Glück hast.« Das war die Erklärung. Marinergrenadiere sind wahrscheinlich die abergläubischen Soldaten der Menschheitsgeschichte. Und wir hatten eine Menge Glück gehabt, das war mal sicher. Ich verbrachte die nächsten sechs Wochen damit, die Leute in Form zu bringen. Dann war Ardwain wieder da, samt
Centurionstreifen. Er war nur für leichten Dienst eingeteilt, was ihn aber nicht daran hinderte, die Truppe so ranzunehmen, daß sie reif zum Umfallen war. Wir verfügten über neue Rekruten, es handelte sich bei ihnen um kürzlich eingetroffene Sträflinge, die zu einem früheren Zeitpunkt zu den Flußpiraten gehört hatten. Das spielte keine Rolle. Die Marinermaschinerie übernimmt das und wenn sie einen nicht zerbricht, kommt man als Marinergrenadier wieder heraus. Für das Desertionsproblem hatte Falkenberg eine einfache Lösung parat. Er setzte für jeden, der einen Deserteur einbrachte, eine Belohnung aus. Fragen wurden keine gestellt, und für denjenigen, der den Kopf eines Deserteurs anbrachte, gab es eine noch höhere Belohnung. Das war keine besonders originelle Idee, zeitigte aber den gewünschten Erfolg. Oder hatte den gewünschten Erfolg gezeitigt. Als weitere Wochen ins Land zogen und es nichts weiter zu tun gab, als den Fluß entlang zu patrouillieren, zu exerzieren und zu üben, beim Zapfenstreich und Inspektionen anzutreten, begannen die Männer Fluchtpläne zu schmieden. Sie drehten durch. Man besoff sich, und ein Kamerad wurde erschossen. Es wurde geklaut. Wir konnten sie schließlich nicht immer und ewig schleifen und wenn wir ihnen Freizeit ließen, befiehl sie der Virus. Am Tage als die Hauptabteilung Fort Beershebe erreicht hatte, war das 501. kampfesmüde gewesen. Ein Viertel der Leute stand auf der Verlustliste. Es war ein erschöpftes Bataillon, aber ansonsten bei guter Moral. Jetzt, ein paar Monate später, waren die Lücken aufgefüllt, die Männer erstklassig ausgebildet, gut durchorganisiert, gut genährt – und unglücklich. Ich erwischte einen Landser dabei, wie er gerade IHDPG an die Unteroffiziersmesse malte. Er ließ den Pinsel fallen und nahm vor mir Haltung an.
»Was soll das heißen, Hora?« Er stand stramm wie ein Ladestock. »Sir, es bedeutet, ›Ichhabe-das-Paradies-gefunden‹.« »Und was wird geschehen, wenn der Spieß den Soldaten Hora dabei erwischt, wie er gerade die Messewand bemalt?« »Bau, Herr Leutnant!« »Wenn Sie Schwein haben. Wahrscheinlich werden Sie eine Grube ausheben müssen und dürfen dann eine Weile lang drin leben. Hora, ich gehe in den Club und nehme einen zur Brust. Wenn ich zurückkomme, will ich keine Farbe mehr an der Wand sehen.« Deane lachte laut, als ich ihm das Ganze erzählte. »Soweit sind sie also schon. Ich-hasse-dieses-pestige-Gefängnis.« Und es war ihm auch bitter ernst. »Laß mal noch sechs Wochen ins Land gehen, dann kannst du mich selbst Wände bemalen sehen!« gab ich zurück. »Allerdings werde ich mir den Gouverneurspalast dazu aussuchen.« »Du wirst hübsch warten müssen, bis du an der Reihe bist«, sagte Deane. »Verflucht, Deane was können wir unternehmen? Die Unteroffiziere lassen so die Sau raus, daß ich damit anfangen muß, es zu unterbinden, anderseits, wenn wir die Disziplin schleifen lassen, geht hier erst recht alles aus dem Leim.« »Yeah. Hast du mit Falkenberg darüber gesprochen?« »Klar hab ich das«, versicherte ich. »Aber was soll er daran ändern? Was wir brauchen, ist ein kleiner Kampfauftrag, Deane. Ich hätte nie geglaubt, daß ich so etwas sagen würde. Ich dachte immer das sei alles Blödsinn, was sie uns auf der Akademie eingetrichtert haben, dieses Zeug über ›le cafard‹ und daß man dadurch mehr Leute verliert, als gegen jeden Gegner im Gefecht, aber jetzt glaub ich’s.«
»Mach’ ein anderes Gesicht«, empfahl Deane. »Louis ist heute Offizier vom Dienst, und er hat mir die Kunde gebracht, daß wir eine Abwechslung im täglichen Allerlei zu gegenwärtigen haben. Morgen kommt Gouverneur Hugo Swale höchstpersönlich, um den tapferen Männern der 501. seine Aufwartung zu machen. Ich zweifle nicht daran, daß er deinen Orden mitbringt.« »Äußerst angenehm«, erwiderte ich. »Mir wäre es lieber, er brächte einen angenehmen Krieg mit.« »Laß ihm Zeit«, sagte Deane. »So wie die verfluchten Krämerseelen in Harmony die Farmer ausquetschen, stehen die eh kurz vor dem Aufstand.« »Das ist genau was uns noch gefehlt hat. Ein Feldzug, um die Farmer niederzuwerfen«, entfuhr es mir. »Die armen Schweine. Die kriegen es aber auch von allen Seiten, oder etwa nicht? Verbrecher, die sich Steuereinnehmer nennen und nun kommst du mit den Kaufleuten aus Harmony – « »Yeah«, erwiderte Deane. »Herzlich willkommen beim Ehrendienst in den Reihen des CoDominiums.«
Feldwebel Ogilvies Bariton erschallte auf dem Exerzierplatz von Fort Beersheba. »Bataillon Achtung! ‘A’-Kompanie Ehrenwache, erste und zweite Abteilung Marsch!« Das war schon eine Überraschung. Gouverneur Swale hatte mir gerade die Militärmedaille verliehen, was nicht gerade eine weltbewegende Auszeichnung ist, dennoch überkam mich ein gewisser Stolz. Nun marschierte unsere Ehrenwache quer über das harte Luftziegelpflaster geradewegs auf die Tribüne zu. »Achtung still gestanden«, befahl Ogilvie. »Für außergewöhnliche Tapferkeit vor dem Feind wird ›A‹Kompanie 501. Versorgungs-Bataillon im Tagesbericht lobend erwähnt. Befehl von Konteradmiral Sergei Lermotow,
Flottenkapitän, Crucis Sektor Hauptquartier. ‘A’-Kompanie defilieren!« Stoff- und Metallstückchen und dafür sterben nun Männer, dachte ich. Das alte Kommißspiel. Das war alles blödsinnig, und doch hielten wir die Köpfe stolz empor, als wir an der Tribüne vorbeimarschierten.
Falkenberg hatte fünf Mann ausfindig gemacht, die Dudelsack spielen konnten, oder es jedenfalls vorgaben, und sie hatten sich die Instrumente selbst gebaut. Nun marschierten sie immer im Kreis um den Tisch der Offiziersmesse von Fort Beersheba. Stewards brachten Whisky und Brandy. Gouverneur Swale saß höflich da und war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, während die Pfeifer an ihm vorbeidonnerten. Zu guter Letzt hielten sie ein. »Ich denke wir sollten uns zu den Damen gesellen«, meinte Swale. Er sah erleichtert aus, als Falkenberg sich erhob. Wir gingen hinüber. Irina hatte ein weiteres Mädchen mitgebracht, Besuch aus einem der Anbaugebiete. Sie war ungefähr neunzehn, schätzte ich, hatte rotbraunes Haar und blaue Augen. Sie wäre schön gewesen, hätte sie nicht diesen ständig gehetzten Gesichtsausdruck gehabt. Irina hatte sie als Kathryn Malcolm vorgestellt. Gouverneur Swale war es offensichtlich peinlich, sie dabeizuhaben. Er war ein seltsamer kleiner Mann. Zwischen ihm und Irina bestand überhaupt keine Ähnlichkeit, nichts, was einen hätte auf den Gedanken bringen können, hier handele es sich um Vater und Tochter. Er war klein und fett, fast völlig kahl, und seine hohe Stirn war tief gefurcht. Seine Bewegungen und Sprechweise waren von hastiger Nervosität geprägt. Er verabscheute Kathryn so offensichtlich, daß es mich überzeugte, daß ihn nur die Dudelsäcke dazu hatten
bewegen können, sich wieder in ihre Gesellschaft zu begeben. Ich fragte mich, warum nur? Während des Essens würde es keine Möglichkeit geben, mit einem von ihnen zu reden. Wir saßen rings um den Kamin gruppiert. Falkenberg nickte kurz und alle Stewards außer Monitor Lazar, Falkenbergs eigenem Burschen, verließen den Raum. Lazar holte gefüllte Gläser herbei und zog sich dann in die Küche zurück. »Na denn, auf ’A’-Kompanie und ihren Kommandeur«, sagte Falkenberg. Ich hockte peinlich berührt da, während alle anderen aufstanden und ihre Gläser hoben. »In der Tat, saubere Arbeit«, bemerkte Hugo Swale. »Dank dieses jungen Mannes ist das Jordantal vollständig befriedet worden. Es wird lange Zeit dauern, bevor hier wieder aufgerüstet wird. Meine Herren, ich möchte Ihnen dafür danken, daß Sie die Sache so gründlich erledigt haben.« Ich hatte beim Essen ein bißchen viel getrunken, anschließend hatte es Brandy gegeben und dann noch diese Dudelsackspieler mit ihren wilden Kriegsgesängen. Mir schwirrte der Kopf. »Vielleicht zu gründlich«, murmelte ich, als die anderen sich wieder setzten. Auf Ehr und Gewissen, ich weiß wirklich nicht, ob ich wollte, daß sie mich verstanden, oder nicht. Deane und Louis sahen mich scharf an. »Was meinen Sie damit, Hal?« fragte Irina. »Ach nichts.« »Spucken Sie es aus«, kam es von Falkenberg. Sein Ton ließ es zum Befehl werden. »Ich habe ein Dutzend guter Leute im Bau sitzen und drei weitere reißen noch schlimmere Strafen ab, die halbe Kompanie versieht Strafdienst, und der Rest dreht langsam aber sicher durch«, führte ich aus. »Wenn wir noch etwas zu tun übrig gelassen hätten, wären wir wenigstens beschäftigt.« Ich versuchte es wie einen Scherz klingen zu lassen.
Gouverneur Swale nahm das übel auf. »Es gehört neben kämpfen genauso zu den Obliegenheiten eines Soldaten, Aufruhr zu vermeiden«, sagte er. Du großspuriger Esel, dachte ich. Aber er hatte natürlich recht. »Es gibt reichlich zu tun«, kam es von Kathryn Malcolm. »Wenn Ihre Leute so versessen darauf sind zu kämpfen, dann leihen Sie sie uns für eine Weile.« Aus ihrem Mund klang das überhaupt nicht wie ein Scherz. Gouverneur Swale gefiel das ganz und gar nicht. »Das reicht, Kathryn. Sie wissen genau, daß wir das nicht tun können.« »Und warum nicht?« wollte sie wissen. »Sie sind doch eigentlich als Gouverneur des ganzen Planeten bestellt, aber Ihnen ist nur an den Kaufleuten in Harmony gelegen, – diesen scheinheiligen Betbrüdern! Wie Sie wissen, ist das Korn, das Sie kaufen, gestohlen. Von uns gestohlen. Von Gangstern, die vorgeben unsere Regierung zu sein und wenn wir ihnen nicht überlassen, was sie fordern, nehmen sie sich’s trotzdem und schlachten jeden ab, der sich ihnen in den Weg stellt. Dann kaufen Sie von denen!« »Dagegen kann ich nichts unternehmen«, protestierte Swale. »Um den ganzen Planeten zu regieren, habe ich nicht genug Soldaten. Der Großsenat hat mich ausdrücklich angewiesen, mit örtlichen Machthabern zu kooperieren – « »Etwa so wie mit den Flußpiraten«, sagte Kathryn. Ihre Stimme klang bitter. »Die haben nur versucht, durch Flußzölle etwas Geld zu machen. Mit ihren verdammten Händlern wollten sie nicht verhandeln, also haben Sie die Mariner auf sie gehetzt. Wie viele Menschen im Jordantal werden Ihnen das nun danken? Glauben Sie etwa, Sie seien ihr Befreier?« »Kathryn, du bist ungerecht«, widersprach Irina. »Es gibt genügend Leute, die sehr froh sind, die Flußpiraten los zu sein. So etwas solltest du nicht sagen.«
»Alles, was ich damit meine, ist, daß die Flußpiraten gar nicht so abgrundtief schlecht waren. Jedenfalls nicht im Vergleich zu dem, womit wir hier auskommen müssen. Aber Seine Exzellenz berührt das nicht, denn schließlich können seine Händler zu niedrigen Preisen kaufen. Es kümmert ihn nicht, daß wir zu Sklaven geworden sind.« Swale preßte die Lippen zusammen, sagte aber nichts. »Regionalregierung«, sagte Kathryn. »Was Sie getan haben, ist eine Bande anzuerkennen. Aber es gibt noch eine zweite, und alle beide pressen uns Steuern ab! Mit einer ist es schon schlimm genug, aber die kann uns noch nicht mal vor der anderen schützen. Wenn Sie uns schon nicht unser Land wiedergeben können, könnten Sie sich dann nicht wenigstens herablassen, die Konkurrenzbande zu erledigen, damit wir nur einen Haufen Gauner haben, der uns bestiehlt?« Swale hielt seine Stimme unter Kontrolle. Als er sprach, klang es ausgesucht höflich. »Wir können nichts unternehmen, Miß Malcolm. Ich wünschte, es verhielte sich anders. Ich schlage vor, daß sie sich da draußen selbst helfen.« »Das ist auch nicht fair«, bemerkte Irina. »Das weißt du selbst. Die Siedler haben nicht darum gebeten, die ganzen Sträflinge auf den Hals geschickt zu bekommen. Ich denke, Kathryns Idee ist gar nicht mal schlecht. Leih ihr die 501. Wenn die Berge erst einmal gesäubert und die Gangster entwaffnet sind, dann können die Farmer sich selbst beschützen. Oder etwa nicht, Kathryn?« »Ich glaube schon. Diesmal wären wir vorgewarnt.« »Siehst du? Und Hal hat doch gesagt, daß seine Leute unbedingt kämpfen wollen. Warum läßt du sie nicht?« »Irina, von Miß Malcolm muß ich mir das sagen lassen, sie ist Gast hier, aber von dir brauche ich das nicht zu tolerieren, kommt gar nicht in Frage. Captain, ich bin davon ausgegangen, daß ich in dieser Festung ein geladener Gast bin.«
Falkenberg nickte. »Ich glaube, wir wechseln besser das Thema«, sagte er. Ein peinliches Schweigen machte sich breit. Dann stand Kathryn auf und ging wütend zur Tür. »Sie brauchen sich nicht bemühen, mir mein Zimmer zu zeigen«, erklärte sie. »Ich kann selbst für mich sorgen. Das habe ich schließlich oft genug tun müssen. Mich überrascht es nicht im mindesten, daß Captain Falkenberg nicht scharf darauf ist, seine Landser in die Berge zu fuhren. Wie ich feststellte, hat er einen frisch bestallten Leutnant geschickt, um den gefährlichen Teil von Gouverneur Swales Drecksarbeit zu erledigen. Mir kommt es gar nicht seltsam vor, daß ihm nicht mehr nach Kämpfen zumute ist.« Sie ging und knallte die Tür hinter sich zu. Falkenberg tat so, als hätte er nichts gehört. Ich glaube nicht, daß er sich hätte anders verhalten können. Lange dauerte das gesellige Zusammensein danach nicht mehr. Ich ging allein in mein Zimmer. Deane und Louis boten an, mir Gesellschaft zu leisten, aber ich wollte sie nicht um mich haben. Ich erklärte ihnen, daß ich genug gefeiert hätte. Hartz hatte die Brandyflasche auf dem Tisch stehen lassen und ich goß mir ein Glas voll, obwohl mir eigentlich nicht danach war. Der Tisch bestand aus Eisenholz von Arrarat, und der Himmel mochte wissen, wie es den Männern gelungen war, daraus Planken zu schneiden. Meine Kompanie hatte ihn angefertigt, dazu noch einen Schreibtisch und obendrein noch einige andere Möbel. Deane hatte alles während meines Lazarettaufenthaltes hier hingestellt. Ich strich mit der Hand über die polierte Tischplatte. Das hätte sie nie sagen dürfen, dachte ich. Es war wahrscheinlich mein Fehler. Ich konnte mich erinnern, daß Irina in Garrison so ziemlich dasselbe gesagt und ich keine Einwände dagegen erhoben hatte. Meine gottverdammte Schuld. Falkenberg erklärte nie seine Beweggründe, und ich
hatte nie herausgefunden, warum er an dem Abend nicht dabei war, als wir das Fort angriffen, aber mir war klar wie nur was, daß es nicht aus Feigheit gewesen war. Louis und Deane hatten mir diesen Zahn gezogen. Niemand, der mit ihm an dem Gewaltmarsch teilgenommen hatte, wäre auf diesen Gedanken verfallen. Doch warum zum Henker hatte ich das Irina nicht gesagt? fragte ich mich weiter. Kleiner Angeber, will bei dem Mädel Eindruck schinden. Viel zu sehr damit beschäftigt, auf sich stolz zu sein. Es klopfte an der Tür. »Herein«, sagte ich. Es war Hauptfeldwebel Ogilvie. Im Korridor standen noch ein paar andere. »Ja, Hauptfeldwebel?« »Wenn wir ein paar Worte mit Herrn Leutnant reden dürften. Wir haben da ein Problem, Sir.« »Treten Sie näher.« Ogilvie kam herein. Als seine riesigen Schultern die Sicht auf die geöffnete Tür frei gaben, konnte ich Monitor Lazar und Kathryn Malcolm hinter ihm ausmachen. Sie traten alle ein, und Kathryn sagte nervös mit ineinander verkrampften Händen: »Es ist alles meine Schuld.« Ogilvie ignorierte sie. »Sir, es ist meine Pflicht, Ihnen zu melden, daß Monitor Lazar bestimmte Befehle aus den Bataillonsunterlagen ohne Erlaubnis entfernt hat.« »Warum erzählen Sie das mir?« wollte ich wissen. »Er ist Captain Falkenbergs Bursche.« »Sir, wenn Sie die Papiere einsehen wollen. Er hat sie dieser Zivilistin gezeigt. Wenn Sie meinen, wir sollten es dem Captain melden, dann müssen wir das wohl tun.« Ogilvies Stimme klang sorgfältig beherrscht. Er reichte mir einen gebündelten Packen Papiere. Es handelte sich um Befehle von Oberst Harrington an Falkenberg, in dessen Funktion als Kommandeur des 501.
datiert auf den Tag an dem wir auf Arrarat angekommen waren. Ich hatte sie nie persönlich gesehen. Dazu bestand auch kein Anlaß, es sei denn Falkenberg wäre gefallen und ich hätte als sein Stellvertreter den Befehl übernommen. Lazar stand bolzengerade in Hab-Acht Stellung. Er schaute mich nicht an, sondern schien vielmehr von einem Punkt an der Wand über mir fasziniert zu sein. »Sie behaupten, daß Miß Malcolm dies hier gelesen hat, Hauptfeldwebel?« »Jawohl, Sir.« »Dann entsteht sicher kein weiterer Schaden, wenn ich es auch lese, nehme ich an.« Ich öffnete die Befehlskladde. Auf den ersten Seiten standen allgemeine Anweisungen vermerkt, die Falkenberg befahlen, das 501. zu organisieren. Weiterhin Bemerkungen über die Verbindungsabläufe zu Major Lorca und dem Nachschublager in Garrison. Davon hatte ich Kopien gesehen. »Warum zum Teufel kommen Sie darauf, daß Miß Malcolm an diesem Zeug interessiert sein könnte, Lazar?« fragte ich. »Daran nicht Sir«, bemerkte Ogilvie. »Nächste Seite.« Ich blätterte die Kladde noch einmal durch. Da stand es. Captain John Christian Falkenberg, kommandierender Offizier, 501. Provisional Bataillon Marinergrenadiere: 1. diese Befehle sind die schriftliche Bestätigung mündlicher Befehle aus Stabsbesprechung mit oben genanntem Offizier. 2. das 501. BN, wird angewiesen, Fort Beersheba zum frühstmöglichen Zeitpunkt, der mit der Sicherheit der Einheit zu vereinbaren ist und wenn es dem Kommandanten des BN’s tunlich erscheint, zu besetzen. 3. Sofortiger Angriff auf Fort Beersheba aus der Luft wird genehmigt, vorausgesetzt, daß das Angriffsrisiko die effektive Stärke des 501. BN nicht um mehr als zehn Prozent übersteigt.
Jeglicher Angriff, der dem Hauptangriff des 501. BN voraus geht, muß von einem anderen Offizier als dem kommandierenden Offizier des 501. befehligt werden. Captains Falkenbergs Wunsch, am Angriff teilzunehmen und nach Einnahme von Fort Beersheba wieder zum BN zurückzukehren, wird ausdrücklich abgelehnt.
Feststellung: Es entspricht der reiflichen Überlegung des Unterzeichnenden, daß die dem 501. zugeteilten Offiziere nicht in der Lage sind, das BN zu führen und Hauptaufgabe, die Befriedung des Jordantals, ohne die Anleitung durch einen erfahrenen Offizier durchzuführen. Es ist die feste Überzeugung des Unterzeichnenden, daß das zweitrangige Kampfziel, nämlich die frühzeitige Einnahme von Fort Beersheba nicht dem Hauptauftrag, die Besetzung des Jordantals zu gefährden, rechtfertigt. Captain Falkenberg ist deswegen angewiesen, seine Person keinerlei Kampfrisiken auszusetzen, bis die Durchführung des Hauptauftrages gewährleistet ist. Auf Befehl des planetaren Befehlskommandeurs Nikolas Harrington, Oberst, CoDominium Mariner
»Lazar ich nehme an, daß Sie unserer Unterhaltung heute Abend zugehört haben«, sagte ich. »Es führte kein Weg drumherum, Sir. Die Dame sprach sehr laut.« Lazars Gesichtsausdruck blieb der Gleiche. Ich drehte und wendete die Kladde ein ums andere mal in den Händen, »Hauptfeldwebel.« »Sir.« »Ich bin mit dieser Befehlskladde fertig. Würden Sie bitte dafür sorgen, daß sie in den Bataillonssafe zurückkommt?
Außerdem habe ich vergessen, ihre Entnahme zu vermerken. Was das angeht, stelle ich Ihnen frei, nach Ihrem eigenem Ermessen zu verfahren.« »Sir.« »Ich danke Ihnen. Sie und Lazar können wegtreten. Ich sehe keine Veranlassung, warum der Captain gestört werden sollte, nur weil ich einen Blick in die Befehlskladde werfen wollte.« »Jawohl Sir. Auf geht’s Monitor.« Ogilvie wollte gerade noch etwas sagen, hielt dann aber an sich. Sie gingen und schlossen die Tür. »Das war nett von Ihnen«, bemerkte Kathryn. »War so ziemlich das Einzige was mir übrig blieb«, erklärte ich. »Wollen Sie was zu trinken?« »Nein, danke. Ich komme mir wie ein Idiot vor.« »Da sind Sie nicht die Einzige. Als Ogilvie klopfte, habe ich gerade die gleiche Überlegung angestellt, und so ziemlich aus dem gleichen Grund. Wollen Sie nicht Platz nehmen? Ich denke, wir sollten die Tür offenlassen.« »Reden Sie keinen Unsinn.« Sie zog sich einen Stuhl an den Tisch. Sie trug einen langen Faltenrock, ähnlich einem langen Kilt, dazu eine glänzende Bluse aus biesigem Stoff und darüber eine Kostümjacke aus Wolle, die vorne offen stand. Ihr Haar war lang und braun, mit einem Stich ins Rötliche, aber ich vermutete, daß es sich um eine Perücke handelte. Verflucht hübsches Mädchen, überkam es mich. Aber da war dieser gejagte Ausdruck in ihren Augen. Ihre Hände wiesen Narben auf, winzige Narben, die von Regenerationstherapie durch ungeschickte Chirurgen zeugten. »Ich glaube, Irina hat erwähnt, daß Sie Farmerin sind. Sie sehen gar nicht so aus.« Sie lächelte nicht. »Ich habe eine Farm… Oder hatte mal eine. Sie ist von der Regierung eingezogen worden – von einer unserer Regierungen.« Es klang verbittert. »Die Mission Hill
Protective Association. Eine Sträflingshorde. Wir haben früher gegen sie gekämpft. Mein Großvater, meine Mutter, mein Bruder und mein Verlobter sind im Kampf gegen sie getötet worden. Jetzt unternehmen wir gar nichts mehr.« »Wieviele Gangster sind es insgesamt?« Sie zuckte die Achseln. »Ich nehme an, die Association verfügt über ungefähr 4000 Mann. So in der Größenordnung. Dann ist da noch die True Brotherhood. Das sind nur ein paar hundert, vielleicht auch Tausend Mann. Genau weiß das niemand. Wir sind eigentlich nicht wirklich organisiert.« »Sieht ja ganz so aus, als ob die keine Schwierigkeit darstellen.« »Das sollten sie auch nicht, falls wir uns ihrer annehmen können, aber die Association sorgt dafür, daß die Farmer keine Waffen in die Hände bekommen und lassen nicht zu, daß wir auf die Brotherhood Jagd machen. Sie haben Angst, daß wir die Association gleich mit rausschmeißen. Die Brotherhood ist keine richtige Organisation, sie sind eher Wilde als zivilisierte Menschen, aber wir können nichts gegen die unternehmen, die Association läßt uns nicht.« »Wie viele seit ihr?« »Es gibt zwanzigtausend Farmer im Tal«, gab sie zur Antwort. »Und nun sagen Sie bloß nicht, wir sollten in der Lage sein, sie bei der Übermacht zum Teufel zu jagen. Ich weiß, wir sollten dazu fähig sein. Aber wir haben es versucht und es hat nicht geklappt. Immer wenn sie eine unserer Siedlungen überfallen haben, sind wir losgezogen, um sie zur Strecke zu bringen, aber sie verziehen sich in die Berge, und es würde Wochen dauern, sie aufzustöbern. Da haben sie extra gewartet, bis wir die Felder bestellen, kamen runter und brachten jeden um, der sich widersetzte, samt Familie.« »Ist das Ihrem Großvater passiert?«
»Ja. Er ist einer der Anführer im Dorf gewesen. Die wollten gar nicht mal seinen Hof ausräubern, sie wollten ihn nur einfach umbringen. Danach habe ich versucht, den Widerstand zu organisieren, und dann – «. Sie schaute auf ihre Hände herab. »Sie haben mich erwischt. Ich glaube, jetzt kann ich doch einen Schluck vertragen.« »Es ist aber nur Brandy da, fürchte ich. Oder lieber einen Kaffee?« »Brandy tut’s auch.« Ich holte ein weiteres Glas und schenkte ein. Als sie es hochhob, zitterten ihre Hände ein bißchen. »Fragen Sie denn gar nicht? Alle wollen es wissen, trauen sich aber nicht zu fragen.« Ein Schauer durchlief sie. »Sie wollen nicht, daß es mir peinlich ist. Peinlich!« »Hören Sie! Sie wollen gar nicht darüber sprechen.« »Ich will nicht, aber ich muß. Können Sie das verstehen?« »Ja.« »Hal, es gibt nur ganz wenig von dem, was Sie sich ausmalen können, das sie nicht mit mir angestellt haben. Der einzige Grund weswegen ich es durchgestanden habe, war, weil sie wollten, daß ich es überlebe. Anschließend steckten sie mich in einen Käfig und stellten mich auf dem Marktplatz zur Schau. Als abschreckendes Beispiel.« »Ich würde eigentlich annehmen, daß das den entgegengesetzten Effekt haben würde.« Ich versuchte ganz ruhig zu sprechen, aber innerlich kochte ich vor Wut. »Nein. Ich wünschte es wäre so gewesen. Dann hätte es sich wenigstens gelohnt. Vielleicht – ich weiß nicht. In der zweiten Nacht töteten zwei Männer, die unsere Nachbarn waren, einen der Wächter und holten mich raus. Die Protective Association hat am nächsten Tag zur Vergeltung dreißig Menschen erschossen.« Sie starrte wieder auf ihre Hände. »Meine Freunde schafften mich in Sicherheit. Mir wurde gesagt, daß
der Doktor nicht gut ausgebildet war. Er hat Narben hinterlassen. Wenn Sie mich in dem Zustand gesehen hätten, in dem ich zu ihm kam, würden Sie das nicht mehr behaupten.« Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich traute mir einfach nicht zu, etwas zu sagen. Ich wollte sie in die Arme schließen und festhalten, nichts sagen, einfach nur festhalten und sie beschützen. Ich wollte die Leute, die das getan hatten in die Finger bekommen, und ebenso all jene, die es hätten verhindern können und nichts unternommen hatten. Mein Gott, wozu sind Soldaten eigentlich da, wenn nicht, um solchen Sachen ein für alle mal ein Ende zu bereiten? Aber alles was mir zu tun blieb, war ihr nachzuschenken. Ich zwang mich ruhig zu sprechen: »Was werden Sie nun unternehmen?« »Ich weiß nicht. Als Pater Reedy mich schließlich aus seinem Haus gelassen hat, ging ich nach Harmony. Ich dachte, dort würde ich Hilfe finden. Aber… Hal, warum tut Gouverneur Swale nichts? Irgend etwas?« »Die Frage muß anders herum gestellt werden, warum sollte er?« sagte ich. »Himmel, Kathryn wie soll ich mich ausdrücken? Aus seiner Sicht ist die Lage ruhig. Er kann melden, daß alles ruhig ist. BuCentral befördert keine Unruhestifter. Hugo Swale macht auf mich nicht den Eindruck eines Mannes, der sich auf Arrarat zur Ruhe setzen will.« Ich kippte meinen Brandy runter. »Vielleicht bin ich nicht gerecht gegen ihn. Aber irgendwie möchte ich es auch gar nicht sein.« »Aber Sie würden uns doch helfen, oder nicht?« »Allmächtiger, ja. Wenigstens sind Sie jetzt in Sicherheit.« Auf ihren Lippen spielte ein trauriges Lächeln. »Ja, nur ein paar Narben. Komm her, bitte.« Sie stand auf. Ich ging auf sie zu. »Leg deine Hände auf meine Schulter«, sagte sie. Ich streckte die Arme aus. Sie stand starr vor mir. Als ich sie berührte, fühlte ich, wie sie zitterte.
»Das passiert jedes mal«, sagte sie. »Selbst jetzt und dabei mag ich dich… Hal, ich würde alles dafür geben, wenn ich mich einfach entspannen und von dir in den Arm nehmen lassen könnte. Aber ich bring’s nicht fertig. Alles, was ich tun kann, ist hier zu sitzen und mit dir zu reden.« »Dann lasse ich dich besser los.« »Nein, bitte, versteh’ doch. Ich mag dich. Ich will mich mit dir unterhalten. Ich will dir zeigen, daß es Männer gibt, denen ich vertraue. Nur… erwarte nicht zu viel… nicht in der nächsten Zeit. Ich rede mir ständig ein, daß ich darüber hinwegkommen werde. Ich will nicht allein sein, aber ich habe Angst, mit jemanden zusammen zu sein. Vielleicht werde ich darüber hinwegkommen.«
X
Wir verbrachten weitere Wochen mit Paraden und Exerzierdienst. Falkenberg hatte einen neuen Plan. Er kaufte zweihundert Maultiere und übertrug meiner Kompanie die Aufgabe, mit ihnen leben zu lernen. Der Grundgedanke bestand darin, unsere Marschleistung mit Hilfe der Mulis zu verbessern. Die Leute sollten lernen, sich an den Packsätteln festzuhalten, damit sie pro Tag mehr Kilometer zurücklegen konnten. Es klappte hervorragend, vertiefte aber die Frustration, weil es nichts gab, wohin man marschieren konnte. Gouverneur Swale war nach Garrison zurückgekehrt, aber Irina und Kathryn blieben weiterhin Gäste des Bataillons. Die Männer freuten sich, sie in der Festung zu haben und die Disziplinprobleme nahmen ab. Sie adoptierten Kathryn geradezu. Sie interessierte sich für alles was sie taten, und die Truppe betrachtete sie als Maskottchen. Sie war jung und verwundbar, schaute nicht auf sie herab, und die Leute waren regelrecht in sie verliebt. Bei mir war es weit mehr als das. Ich war so oft mit ihr zusammen, daß Falkenberg es für notwendig erachtete, mich daran zu erinnern, daß die Militärbehörde es Leutnants nicht gestattet, zu heiraten. Das ist natürlich nicht ganz richtig, lief in der Praxis aber darauf hinaus. Heimreisezuschüsse gab es nicht, und man muß schon an Petrus oder eine noch höhere Instanz appellieren, um an eine Familienunterkunft zu kommen. Die Faustregel besagt: »Captains dürfen, Majore sollten, Obristen müssen heiraten«, und diese Bestimmung ließ nicht viele Ausnahmen zu. »Es besteht keine große Gefahr«, sagte ich zu ihm.
»So?« Er hob eine Augenbraue. Die Geste konnte einen wütend machen. Ich sprudelte ihre Geschichte hervor. Er nickte nur. »Das meiste davon war mir bekannt, Mister Slater.« »Wie bei allen Heiligen, können Sie dabei so ruhig bleiben?« wollte ich wissen. »Ich weiß, Sie können sie seit diesem Ausfall nicht leiden – « »Miß Malcolm war sehr darauf bedacht, sich zu entschuldigen und Ihnen für die Aufklärung des Mißverständnisses Lob zu zollen«, sagte Falkenberg. »Und das nächste Mal, wenn Sie die Befehlskladde aus dem Safe nehmen, erwarte ich von Ihnen, daß Sie den entsprechenden Eintrag machen. Nun erzählen Sie mir mal, warum drei von Ihren Leuten ohne Decken unter ihren Betten schlafen.« Eigentlich wollte er natürlich gar keine Erklärung, wahrscheinlich wußte er sowieso schon Bescheid. Es gab nicht viel, was er über das Bataillon nicht wußte. Es war ein eleganter Themawechsel, aber davon wollte ich nichts wissen. Ich sagte ihm inoffiziell, wie die Strafen ausgefallen wären, wenn ich meinerseits dienstlich zur Kenntnis genommen hätte, wessen die Männer sich schuldig gemacht hatten. »Centurion Ardwain hat es vorgezogen, keine Meldung zu machen«, sagte ich. »Captain ich kann immer noch nicht verstehen, wie sie es hinkriegen, so gelassen zu bleiben, wo Sie genau wissen, daß keine zweihundert Kilometer von hier – « »Mr. Slater, ich bleibe deswegen so gelassen, weil ich im Augenblick nicht viel unternehmen kann. Was wollen Sie denn? Etwa daß wir das 501. in einer Meuterei anführen? Falls es Sie tröstet, ich glaube nicht, daß die Situation so bleibt. Ich bin der Überzeugung, daß Gouverneur Swale in einem Wolkenkuckucksheim lebt. Man kann nicht auf Dauer mit
Banden von Gesetzlosen einträchtig auskommen, und ich denke, daß sich die Situation bald ändern wird. Bis das geschieht, gibt es auch nicht das Geringste, was wir unternehmen könnten. Und ich ziehe es vor, nicht an meine Hilflosigkeit erinnert zu werden.« »Aber Sir – « »Nichts aber, Mr. Slater. Halten Sie den Mund und versehen Sie Ihren Dienst.«
Falkenberg hatte richtig gerechnet. Obwohl wir es nicht wußten, hatte die Protective Association ungefähr zum Zeitpunkt unserer Unterredung beschlossen, die Weizenpreise zu erhöhen. Zwei Wochen später trieben sie sie noch einmal hoch und stoppten die Lieferungen, um dem Gouverneur klar zu machen, daß sie es ernst meinten. Es dauerte nicht lange, bis der Gouverneur Fort Beersheba einen neuen Besuch abstattete. Deane Knowles traf mich in der Offiziersmesse an. »Seine Exzellenz sind eingetroffen«, sagte er. »Diesmal aber mit Sack und Pack. Er hat Oberst Harrington und eine ganze Milizkompanie dabei.« »Was zum Teufel sollen die hier?« fragte ich. »Frag mich mal was leichteres.« »Ich dachte du weißt immer alles – na ja. Wir werden es schon früh genug erfahren. Hör mal, Offiziersbesprechung wird ausgerufen.« Der Gouverneur, Oberst Harrington und Falkenberg saßen alle samt und sonders im Stabskonferenzzimmer. Ein Milizoberst war ebenfalls anwesend. Er sah nicht sonderlich soldatisch aus. Seine Uniform hing lose an ihm herab, und außerdem ging er in der Mitte ziemlich auseinander. Der Gouverneur stellte ihn als Oberst Trevor vor.
»Ich werde gleich zur Sache kommen«, sagte Swale. »Aufgrund bestimmter Vorkommnisse im Süden bin ich nicht länger zuversichtlich, daß die Nahrungsmittelversorgung für die Städte Harmony und Garrison weiterhin als gesichert betrachtet werden kann. Die örtlichen Machthaber da unten haben nicht in gutem Treu und Glauben verhandelt. Es ist an der Zeit, daß etwas Druck auf sie ausgeübt wird.« »Mit anderen Worten«, ließ Oberst Harrington einfließen, »er will die Mariner zum Köpfeeinschlagen runterschicken, damit die Händler von Harmony nicht so tief in die Tasche greifen müssen.« »Oberst, diese Bemerkung war unerwünscht«, sagte Gouverneur Swale. »Das war sie sicher.« In Harringtons Worten lag kein Anflug von Humor. »Wenn wir meine Jungs hinschicken, damit sie sich totschießen lassen, dann können wir ihnen auch sagen, warum sie hingehen. Das ist schwerlich ein neuartiger Kampfauftrag für Marinergrenadiere.« »Ihr Befehl lautet, die Städte zu verteidigen«, bemerkte Swale. »Ohne ausreichende Versorgung ist das nicht möglich. Ich denke, das rechtfertigt den Einsatz Ihrer Truppe in diesem Feldzug.« »Klar tut es das«, gab Harrington zurück. »Was passiert, wenn das CD uns beide hier abzieht? Beunruhigt Sie das nicht ein bißchen, Oberst Trevor?« »Das CoDominium wird Arrarat nicht aufgeben.« Trevors Stimme klang sehr selbstsicher. »Darauf scheinen Sie eine Menge zu setzen«, erwiderte Oberst Harrington. »Hoffentlich sind Sie beide bald fertig«, fuhr Swale dazwischen. »Captain, wie schnell ist Ihr Bataillon marschbereit?«
Falkenberg schaute zu Oberst Harrington. »Müssen wir auch das Jordangebiet weiterhin halten, Sir?« »Hier werden Sie nicht viele Leute brauchen«, meinte Harrington. »Die Miliz kann sich jetzt darum kümmern.« »Was genau sollen wir in der südlichen Anbauregion erreichen?« wollte Falkenberg wissen. »Das habe ich Ihnen doch eben gesagt«, kam es von Swale. »Hingehen und auf die Protective Association Druck ausüben, damit die Brüder zur Vernunft kommen.« »Wie soll ich das anstellen?« »Gott im Himmel, Falkenberg, es handelt sich um eine Strafexpedition. Tun Sie ihnen so lange weh, bis sie zur Aufgabe bereit sind.« »Höfe und Ortschaften niederbrennen, Vieh erschießen, Straßenverbindungen zerstören. So etwas in der Art?« »Nun… Mir wäre es lieber Sie würden nicht so vorgehen.« »Dann Gouverneur, was genau soll ich tun?« erkundigte sich Falkenberg. »Ich möchte Sie darin erinnern, daß die Protective Association selbst eine Besatzungsmacht ist. Denen ist es ziemlich gleichgültig, was wir mit den Farmern anstellen. Sie bestellen das Land nicht, sie beuten lediglich jene aus, die es tun.« »Dann beschränken Sie Ihre Strafaktion auf die Protective Association«, Swales Stimme verlor sich. »Ich weiß noch nicht einmal, woran ich sie erkennen soll, Sir. Ich nehme an, daß jeder, den ich tatsächlich auf den Feldern arbeiten sehe, wahrscheinlich nicht zu den kriminellen Elementen zu rechnen ist, aber ich kann wohl kaum jeden erschießen, der zufällig bei meinem Durchmarsch faul herumsteht.« »Sie brauchen nicht sarkastisch zu werden, Captain.«
»Ich versuche die Schwierigkeiten, die Ihren Befehlen anhaften, aufzuzeigen. Falls ich impertinent gewesen sein sollte, entschuldige ich mich dafür.« Sicher tust du das, dachte ich. Deane und Louis grinsten zuerst sich und dann mir zu. Dann gelang es uns unsere Gesichter wieder ernst werden zu lassen. Ich fragte mich, was Falkenberg da versuchte. Ich fand es bald heraus. »Was zum Teufel schlagen Sie denn vor?« fragte Swale fordernd. »Gouverneur, es gibt eine Möglichkeit, wie ich Ihnen eine vernünftige und ausreichende Getreideversorgung sichern kann. Das bedarf Ihrer Mitarbeit. Insbesondere müssen Sie Ihre Anerkennung der Protective Association rückgängig machen.« »Und wen soll ich anerkennen? Einen unorganisierten Haufen von Bauern, die nicht in der Lage wären, das Gebiet überhaupt zu verteidigen? Captain, ich habe Mitleid mit diesen Leuten, selbst wenn alle Anwesenden mich hier für ein gefühlloses Ungeheuer halten. Aber mein Mitleid zählt nicht. Ich muß die Bevölkerung von Harmony mit Nahrung versorgen, und um das zu gewährleisten, würde ich nötigenfalls sogar mit dem Teufel einen Pakt schließen.« »Das hast du ja auch beinahe getan«, murmelte ich. »Wie war das, Leutnant Slater?« »Ach nichts, Gouverneur. Entschuldigen Sie bitte.« »Ich glaube zu verstehen was Sie gesagt haben Captain. Wir wollen mal annehmen, ich täte, was sie vorschlagen und ich würde meine Anerkennung der Protective Association widerrufen. Was tue ich dann? Wir bauen hier keinen demokratischen Staat auf. Meine persönliche Vorliebe mag schon bei dem liegen, was man gemeinhin so schön als ›freiheitliche demokratische Institutionen‹ bezeichnet, aber ich bin nun mal ein Beamter des CoDominiums und nicht der Vereinigten Staaten. Das sind Sie nebenbei gesagt ebenfalls. Falls dieser Planet von Sowjets besiedelt worden wäre, würde
dieses Gespräch nicht einmal stattgefunden haben. Die Getreideversorgung wäre geregelt, da gibt es kein Vertun.« »Ich glaube kaum, daß die Situationen vergleichbar sind«, bemerkte Oberst Harrington. »Ich auch nicht«, fügte Trevor hinzu. Das überraschte mich. »Ich frage nochmals, wie gehen wir vor?« sagte der Gouverneur. »Weiten Sie die Schutzfunktion des CoDominiums auf dieses Gebiet aus«, schlug Harrington vor. »Das braucht kein Dauerzustand zu sein. Ich hege überhaupt keine Zweifel, daß Oberst Trevors Leute Freunde unter den Farmern haben. Wir sind vielleicht nicht dafür da einen demokratischen Staat aufzubauen, aber es gibt haufenweise Leute, die es gern versuchen würden.« »Sie fordern einen totalen Krieg gegen die Protective Association«, fragte Swale. »Oberst Harrington haben Sie eine Vorstellung was das kosten wird? Der Senat zahlt nur sehr ungern die Rechnung für die Unterhaltskosten dieser Mariner hier auf Arrarat. Man hat uns nicht einmal einen Deci-Kredit zukommen lassen, um Kampfeinsätze zu finanzieren. Wie soll ich diesen Krieg denn bezahlen?« »Sie werden einfach die Getreideverkäufe besteuern müssen, das ist alles«, erklärte Harrington. »Das kann ich nicht tun.« »Sie werden es tun müssen. Captain Falkenberg hat recht. Wir können die Protective Association vertreiben – mit der entsprechenden Unterstützung der Einheimischen –, aber Weizen können wir nicht für sie anbauen, das steht mal fest. Ich schätze, wir könnten die Bevölkerung des ganzen verfluchten Tales ausrotten und es neu besiedeln – « »Jetzt sind Sie impertinent.«
»Verzeihung«, sagte Harrington. »Gouverneur, was wollen Sie nun eigentlich? Diese Bauern da unten bestellen die Felder nicht, wenn ein hergelaufener Haufen von Gaunern den Gewinn einstreicht. Eher verlassen sie die Gegend oder lassen die Äcker unbebaut. Wie steht es dann um Ihre Kornversorgung?« »Die Situation ist komplizierter, als Sie es sich träumen lassen, Herr Oberst. Glauben Sie mir. Ihr Geschäft sind Krieg und Gewalt. Meins die Politik. Und ich kann Ihnen versprechen, daß die Dinge nicht immer so sind, wie sie auf den ersten Blick aussehen. Die Schutzvereinigung kann Harmony zu vernünftigen Preisen mit Getreide beliefern. Das ist es, was wir brauchen, und das werden Sie mir gefälligst auch verschaffen. Jetzt erzählen Sie mir, daß meine einzige Alternativen ein Krieg, den ich nicht bezahlen kann, oder Hungersnot in der Stadt sind. Beides ist unannehmbar. Ich befehle Ihnen, ein Expeditionscorps nach Allansport zu entsenden. Es hat die begrenzte Aufgabe, unsere Entschlossenheit zu demonstrieren und gleichzeitig Druck auf die Protective Association auszuüben, um sie zur Vernunft zu bringen, das ist der ganze Zweck der Übung.« Harrington musterte einen Augenblick lang seine Fingernägel. »Sir, ich kann die Verantwortung nicht übernehmen.« »Zum Teufel mit Ihnen. Captain Falkenberg, Sie werden – « »Ich kann die Verantwortung ebenfalls nicht übernehmen Gouverneur.« »Dann werde ich, so wahr mir der Herr helfe, Oberst Trevor damit betrauen. Trevor, wenn Sie etwa sagen, Sie könnten die Verantwortung auch nicht übernehmen, dann kenne ich ein Dutzend Milizoffiziere, die sich darum reißen würden, verflucht noch eins.«
»Jawohl, Sir, wer wird die Mariner befehligen, Sir? Die werden von mir keine Befehle entgegennehmen, jedenfalls nicht direkt.« »Die Leutnants machen das – .« Er hielt inne, denn Deane, Louis und ich schüttelten einer nach dem anderen den Kopf. »Das ist Erpressung! Ich lasse jeden einzelnen von Ihnen unter Arrest stellen!« Oberst Harrington lachte. »Also wissen Sie, das möchte ich bezweifeln. An mich kommen Sie vielleicht heran, aber an untergebene Offiziere nur weil sie einen Posten ablehnen, den ihr Oberst ausgeschlagen hat? Versuchen Sie, das einmal Admiral Lermontov zu verkaufen, der lacht sich tot.« Swale setzte sich. Er kämpfte einen Augenblick mit sich, bis er seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte. »Warum machen Sie das?« Oberst Harrington schüttelte bedächtig den Kopf. »Gouverneur, alles, was Sie über das Militär gesagt haben, trifft zu. Wir werden benutzt. Man benutzt uns, um Schädel einzuschlagen, nur damit der Neffe irgend eines Senators einen Mega-Profit abstauben kann. Man bescheißt Leute, und dann ruft man uns, damit die Opfer bei der Stange bleiben. Die meiste Zeit über müssen wir gute Miene zum bösen Spiel machen. Das heißt nicht, daß uns das gefällt. Ab und zu, hier und da, bekommt die Flotte eine Chance, etwas in Ordnung zu bringen, was ihr Zivilisten versaut habt. So etwas lassen wir uns nicht entgehen.« Harringtons Stimme war ruhig geblieben, aber jetzt sprach er etwas lauter: »Gouverneur, warum zum Teufel glauben Sie wohl, werden Männer Soldaten? Etwa damit sie auf einem angenehmen Posten befördert werden?« »Ich habe Ihnen doch erklärt, wie gerne ich den Farmern helfen möchte, aber ich kann es nicht. Können Sie das nicht verstehen? Wir können einen langen Feldzug nicht bezahlen. Wir können nicht. Nicht wollen, sondern nicht können.«
»Ja, Sir«, sagte Oberst Harrington. »Schätze, ich gehe besser wieder nach Garrison zurück. Der Stab wird einen ziemlich strengen Rationalisierungsplan erarbeiten müssen.« »Sie glauben wohl, Sie hätten gewonnen, was«, gab der Gouverneur zurück. »Noch nicht Oberst, noch nicht. Oberst Trevor, ich habe Sie gebeten, ein Milizbataillon auf Flußkähne zu verschiffen. Wie lange dauert es, bis es hier ist?« »Wird morgen eintreffen, Sir.« »Wenn es da ist, möchte ich, daß Sie für zusätzliche Vorräte und Treibstoff sorgen. Wir ziehen mit dem Bataillon nach Allansport, wo ich persönlich die Sache in die Hand nehmen werde. Ich zweifele nicht daran, daß die Protective Association Vernunft annimmt. Was Sie angeht, Gentlemen, so können Sie meinetwegen in diesem Fort hocken und verfaulen. Guten Tag meine Herren.«
Ich erzählte Kathryn von der Konferenz, als ich sie beim Abendessen traf. Sie hörte bestürzt zu. »Ich verstehe das alles nicht, Hal«, sprudelte es schließlich aus ihr hervor. »Die ganze Aufregung wegen der Kosten. Wir würden den Feldzug bezahlen und zwar mit Freuden.« »Glaubst du, daß der Gouverneur das weiß?« fragte ich. »Natürlich weiß er das. Ich habe es ihm selbst gesagt und ihm Angebote einiger Farmer unterbreitet. Erinnerst du dich nicht, daß ich ihn gebeten habe, uns das 501. zu leihen?« »Sicher, aber das hast du nicht ernst gemeint.« »Damals nicht, aber im Nachhinein fanden wir die Idee so gut, daß wir ernsthaft versucht haben, euch zu mieten. Er war nicht daran interessiert.« »Woran war er nicht interessiert?« wollte Louis Bonneyman wissen. »Ist dies eine Privatunterhaltung, oder darf ich mich beteiligen?«
»Aber bitte«, sagte Kathryn. »Wir sind gerade mit dem Essen fertig – « »Ich habe auch schon gegessen«, sagte Louis. »Aber ich spendiere euch was zu trinken. Hättest du gedacht, daß der alte Harrington so viel Mut hat, Hal?« »Nein, ich war auch überrascht. Also was passiert als nächstes?« »Keinen Schimmer«, gab Louis zur Antwort. »Aber ich geb’ dir ‘nen Tip. Ich war dem Hauptfeldwebel gerade dabei behilflich, Befehle auszuarbeiten. Demzufolge wird die ganze Einheit morgen in Alarmbereitschaft versetzt. Tritt morgen früh beim Weckappell in Kraft.« »Versteht sich. Ich frage mich nur, in was für Schwierigkeiten sich Seine Exzellenz selbst bringen wird.« Louis grinste. »Mit ein bißchen Glück bricht er sich den Hals. Und Oberst Harrington wird Gouverneur. Dann könnten wir hier mal richtig aufräumen.« »Das können Sie Irinas Vater nicht wünschen«, protestierte Kathryn. »Ich dachte immer, Sie mögen sie Louis.« »Sie ja. Aber ich kann es ohne ihren Alten gut aushalten. Ich dachte eigentlich, Sie würden dieses Gefühl teilen.« »Er war freundlich genug, mich in seinem Haus wohnen zu lassen«, sagte Kathryn. »Ich verstehe ihn ganz und gar nicht. Er macht einen ehrlichen Eindruck. Nur wenn – « »Wenn er den Gouverneur herauskehrt«, sagte ich. »Ich frage mich, ob wir nicht alles versiebt haben, Kathryn. Wenn wir den Gouverneur beim Wort genommen hätten, wären wir wenigstens hingekommen und hätten irgend etwas unternehmen können. Ich hätte vielleicht sogar das Schwein geschnappt, das – du weißt schon.« »Ich bin froh, daß du es nicht tun kannst, Hal. Es wäre schrecklich gewesen. Alles was du diesen Gangstern antust, zahlen sie meinen Freunden heim, wenn ihr erst einmal wieder
abgezogen seid. Ich hätte dir nicht dabei geholfen, und ich bezweifle, ob jemand anderes es tun würde, weil jeder, der das macht, damit das Todesurteil für sich und seine Freunde und Familie ausspräche.« »Klingt nach einer wilden Bande«, bemerkte Louis. »Gründliche Arbeit. Wenn man Terror als Mittel einsetzt, muß man es auch ganz durchziehen. Unglücklicherweise funktioniert die Methode.« Kathryn nickte. »Ja, ich habe versucht, das Gouverneur Swale zu erklären. Wenn er ein Expeditionscorps losschickt, werden viele meiner Freunde helfen wollen. Die werden dann umgebracht, während diese Galgenvögel immer noch am Drücker sind, wenn alles vorbei ist. Es wäre besser, wenn keiner von euch hinginge.« »Aber den Krämerseelen in Harmony schmecken die Preise nicht«, erwiderte Louis. »Die wollen billigeres Getreide, und Swale muß sich darüber so seine Gedanken machen. Eine Beschwerde vom Stadtrat in Harmony würde sich in seiner Beurteilung nicht besonders gut ausnehmen. Jemand im BuColonial könnte das krummnehmen.« »Politik«, sagte Kathryn. »Warum können – « »Benehmen Sie sich wie eine Erwachsene«, sagte Louis. »Natürlich spielt Politik im CoDominium seine Rolle, klar doch, aber wir erhalten immer noch den Frieden aufrecht. Und so schlecht sieht es ja gar nicht aus. Swale ist von Großsenator Bronsons Leuten eingesetzt worden.« »Ein unappetitlicher Verein«, bemerkte ich. »Vielleicht«, räumte Louis ein. »Na, jedenfalls bedeutet das natürlich, daß Bronsons Feinde nach einem Grund suchen werden, um Swale unmöglich zu machen. Er muß vorsichtig sein. Die Kaufleute von Harmony haben immer noch Freunde bei American Express – und bei AmEx hassen sie Bronson mit Inbrunst.«
»Dann hat unser Gouverneur aber Schwierigkeiten, würde ich meinen«, sagte ich. »So wie die Truppe aussieht, die er mitgebracht hat, wird er der Association keinen großen Schrecken einjagen. Die Miliz verfügt über hübsche Uniformen, aber es sind alles Jüngelchen aus der Stadt. Ganz brauchbar, um Mauern zu verteidigen und auf dem Jordan herumzuschippern, wo wir hier in der Gegend allen die Waffen abgenommen haben, aber sie können niemanden mit richtiger Kampferfahrung einschüchtern.«
XI
Wir versetzten das gesamte Bataillon in Alarmzustand, aber eine Woche lang passierte nichts. Oberst Harrington blieb in Fort Beersheba und teilte die Offiziermesse mit uns. Genau wie Falkenberg liebte er Dudelsackmusik. Zu meinem Schrecken traf das auch auf Kathryn zu. Ich nehme an, jede Frau hat eine gravierende Schwäche. »Was zum Teufel treibt er nur?« wollte Oberst Harrington wissen. »Ich hätte schwören können, daß er sich längst in Schwierigkeiten gebracht hätte. Vielleicht haben wir die Mission Hill Protective Association überschätzt. Beim Leibhaftigen, wie sind die nur auf diesen Namen gekommen? So viel mir bekannt ist, gibt es gar keine Bergklöster auf diesem Planeten.« »Sie haben den Namen importiert, Herr Oberst«, klärte ihn Louis auf. »In Südkalifornien gibt es eine Bande mit diesem Namen. Halten sich schon über zwei oder drei Generationen. Eine ganze Anzahl von ihnen befand sich auf dem gleichen Gefängnisschiff, und als sie ankamen, sind sie beieinander geblieben.« »Wie zum Teufel, haben Sie das heraus gefunden?« wollte Harrington wissen. »Captain Falkenberg besteht darauf, daß seine Untergebenen gründlich sind«, erwiderte Louis. »Es ging einfach nur darum, genug Sträflinge durchzusieben, bis ich auf einen stieß, der etwas wußte, und dann brauchte ich nur noch nach der Bestätigung zu suchen.« »Also Glückwunsch, Louis«, sagte Harrington. »John, Sie haben sich Ihre Sammlung von grünen Jungs gut ausgesucht.«
»Danke, Herr Oberst.« »Der echte Test findet aber erst demnächst statt. Was zum Teufel passiert da hinten bloß? Stewart noch eine Runde Whisky. Wenn wir schon nichts zu kämpfen haben, dann können wir wenigstens trinken.« »Vielleicht einigt sich Gouverneur Swale mit ihnen«, sagte ich. Der Oberst betrachtete mich mit einem säuerlichen Blick. »Bezweifele es, Hal. Er steckt zwischen Fels und Amboß. Die Kaufleute lassen sich die Preise, die diese Hampelmänner verlangen, nicht gefallen, und sie glauben, sie hätten ihn am Schwanz zu packen gekriegt. Wissen Sie, die haben keine Angst vor uns. Die haben eine recht präzise Vorstellung von dem, was sich in Harmony abspielt. Sie wissen verdammt genau, daß die Flotte keine weitere Unterstützung nach Arrarat schicken wird, was zum Teufel können tausend Mann schon erreichen? Selbst wenn es tausend Marinergrenadiere sind?« »Ich hoffe sie denken genauso«, sagte Deane. »Falls sie sich zum Kampf stellen, sind sie erledigt – « »Das werden sie aber nicht«, warf John Falkenberg ein. »Das sind keine Dummköpfe. Sie werden den Kampf nicht annehmen, sondern wie von der Tarantel gestochen weglaufen, wenn wir ihnen zu nahe kommen. Die brauchen bloß in den Bergen sitzen zu bleiben und uns aus dem Weg zu gehen. Wir müssen irgendwann mal abziehen, sie aber nicht.« Harrington nickte, »Yeah. Auf lange Sicht betrachtet müssen es diese armen Schweine von Bauern selbst ausbaden. Vielleicht schaffen sie es ja. Wenigstens können wir versuchen, die Dinge für sie ins Lot zu bringen. John, glauben Sie, daß die Pfeifer inzwischen ausgetrunken haben?« »Da bin ich absolut sicher, Herr Oberst. Lazar! Der Pipe Major soll aufspielen lassen!«
Acht Tage nachdem der Gouverneur Fort Beersheba hinter sich gelassen hatte, war uns immer noch nichts zu Ohren gekommen, am Abend fand die übliche Trinkerei mit den Dudelsackspielern in der Messe statt. Ich entschuldigte mich frühzeitig und ging mit Kathryn in meine Unterkunft. Ich konnte sie immer noch nicht berühren, ohne daß sie anfing zu zittern, aber wir gaben uns Mühe. Ich hatte beschlossen, daß ich in sie verliebt war und konnte getrost darauf warten, bis sich die körperlichen Aspekte entwickelten. Weit voraus zu planen traute ich mich nicht. Wir hatten keine wirkliche Zukunft, das war mir klar, aber im Augenblick war einfach nur das Zusammensein völlig ausreichend. Es war keine Situation, an der wir Gefallen fanden, aber getrennt zu sein, war uns zuwider. Der Telefon summte. »Slater«, sagte ich in die Muschel. »Hauptfeldwebel Ogilvie, Sir. Sie werden augenblicklich im Stabszimmer gewünscht.« »Halleluja. Bin gleich zur Stelle Hauptfeldwebel.« Während ich noch aufhängte, intonierte Bradys Trompete »Marschbereit antreten!« Ich wandte mich Kathryn zu. Wir hatten beide ein idiotisches Grinsen aufgesetzt. »Es ist so weit, Liebling.« »Ja. Jetzt wo es passiert ist, habe ich Angst.« »Das geht mir genauso. Wie Falkenberg so schön sagt, wir haben alle Angst, aber die Aufgabe eines Offiziers besteht darin, sich nichts anmerken zu lassen. Komm zurück, wenn es geht.« »Eine Sekunde noch.« Sie kam und legte ihre Hände auf meine Schulter. Ihre Arme schlangen sich um mich, und sie zog mich an sich. »Siehst du? Ich zittere kaum.« Sie küßte mich flüchtig, es folgte ein langer sehnsüchtiger Kuß. »Das ist mir ja ein prächtiger Augenblick für eine wundersame psychiatrische Heilung«, sagte ich.
»Halt den Mund und verschwinde.« »Aye, aye, Madam.« Ich ging schnell raus. Hartz stand im Flur. »Ich werde Ihre Ausrüstung parat haben, Sir«, sagte er. »Und nun kämpfen wir.« »Das hoffe ich.« Während ich quer über den Exerzierplatz ging, fragte ich mich, weswegen es mir so wohl war. Wir waren drauf und dran eine Menge Leute zu töten und zu verstümmeln und boten ihnen dabei Gelegenheit, das Gleiche mit uns zu tun. Es gab eine Million guter Gründe dafür, daß wir Angst haben und das Kommende fürchten sollten, aber das taten wir nicht. Liegt es daran, daß das, wovon wir glaubten, daß wir es tun sollten so völlig anders ist, als das was wir wirklich empfinden? Ich konnte mir nicht selbst in die Tasche lügen, daß es diesmal anders war als sonst, daß unsere Sache eine gute war. Wir lieben den Frieden, sagen wir, aber er beflügelt uns nicht. Selbst Pazifisten reden mehr von den Schrecken des Krieges als von den hohen Freuden des Friedens. Und es ist nicht an mir, die Probleme des Universums zu lösen, sagte ich mir. Aber du wirst den Mann töten, der dein Mädchen vergewaltigt hat. Die anderen waren bereits im Besprechungszimmer, Oberst Harrington saß am Kopfende. »Das Erwartete ist eingetreten«, sagte Harrington. Ich wußte genau, daß er seit dem Abendessen vier doppelte Whisky getrunken hatte, aber seiner Stimme konnte man keine Spur davon anmerken. Ich hatte auf dem Weg hierher zwei Nüchternmacherpillen geschluckt. An sich hätte ich sie nicht gebraucht. Ich war sicher, daß sie sich nicht aufgelöst hatten, aber ich fühlte mich gut. »Der Gouverneur hat es fertig gebracht, sich in Allansport belagern zu lassen«, sagte Harrington. »Die Hälfte seiner Truppe steht draußen. Er will, daß wir ihn rausholen. Ich habe
ihm gesagt, daß wir sofort losmarschieren – unter gewissen Bedingungen.« »Dann hat er also eingewilligt, die Anerkennung der Association zu widerrufen?« erkundigte sich Deane. »Eingewilligt ja. Er hat es aber noch nicht getan. Ich denke mir, er hat Angst, daß sie in dem Augenblick, wo er es tut, wirklich unangenehm werden. Wie dem auch sei, ich habe sein Ehrenwort und ich werde ihn darauf festnageln. Captain Falkenberg, das 501. ist hiermit angewiesen, die Mission Hill Protective Association mit allen Mitteln, die ihnen tunlich erscheinen, aus dem Allan River Valley zu vertreiben. Sie dürfen mit örtlichen Partisaneneinheiten zusammenarbeiten und in vernünftigem Rahmen Abmachungen mit ihnen treffen. Das gesamte Tal ist dem Schutz des CoDominiums zu unterstellen.« »Aye, aye, Sir.« Falkenbergs unbeteiligte Ruhe fiel einen Augenblick lang in sich zusammen und er gestattete seiner Stimme eine triumphierende Note anzunehmen. »Nun, Captain, wenn Sie so freundlich sein würden Ihren Schlachtplan vorzutragen«, begann Harrington. »Sir.« Falkenberg benutzte die Projektionskonsole, um eine Karte auf den Schirm zu werfen. Ich hatte die Gegend schon auswendig gelernt, betrachtete die Karte aber noch einmal genau. Ungefähr zehn Kilometer stromaufwärts von Beersheba mündete ein Nebenfluß des Allanriver in den Jordan. Der Allan fließt ungefähr 50 Kilometer durch Waldgebiete nach Südwesten, macht dann eine Kehrtwendung und ergießt sich auf breiter Front in ein Tal, das sich fast genau von Norden nach Süden erstreckt. Die Ostseite des Allantals ist schmal, da sich nicht mehr als zwanzig Kilometer vom Fluß entfernt eine hohe Bergkette erhebt und sich östlich davon eine hochgelegene Wüste befindet. Dort lebt keine Menschenseele, und es würde auch
niemand dort leben wollen. Auf der Westseite hingegen befindet sich ein Teil des fruchtbarsten Landes auf Arrarat. Das Tal hat eine unregelmäßige Form, es verengt sich an einigen Stellen auf nicht mehr als 25 Kilometer Breite. Es erinnerte mich an San Joaquin Valley, eine große fruchtbare Schüssel, auf beiden Seiten von unwirtlichen Bergen umgeben. Allansport liegt 125 Kilometer stromaufwärts von der Stelle, wo der Allan in den Jordan mündet. Falkenberg ließ die große Talkarte stehen und projizierte einen Ausschnitt auf einen zweiten Schirm. Er fummelte an der Konsole, um rote und grüne Linien die Freund und Feind darstellen sollten, auf die Karte zu bringen. »Wie Sie sehen können, hat Gouverneur Swale und seine Milizkompanie in Allansport eine Verteidigungsstellung bezogen«, sagte Falkenberg. »Die beiden anderen Kompanien stehen flußaufwärts südlich von ihm. Wie beim Henker er es geschafft hat, sich in eine so unsinnige Position zu bringen, kann ich nicht sagen.« »Natürliche Veranlagung«, murmelte Oberst Harrington. »Zweifellos«, pflichtete Falkenberg bei. »Wir haben zwei Aufgaben. Die Unwesentlichere aber Dringendere besteht darin, Gouverneur Swale zu helfen. Die Hauptaufgabe ist die Befriedung des ganzen Gebietes. Es scheint mir allerdings unwahrscheinlich, daß wir das ohne die allgemeine Unterstützung der örtlichen Bevölkerung durchführen können. Einverstanden?« Wir schwiegen einen Augenblick. »Mr. Bonneyman, ich glaube Sie sind der Jüngste«, sagte Oberst Harrington. »Einverstanden, Sir«, meinte Louis. Deane und ich sagten sofort: »Einverstanden.« »Ausgezeichnet. Ich möchte sie daran erinnern, daß diese Zusammenkunft aufgezeichnet wird«, bemerkte Falkenberg.
Natürlich, dachte ich. Alle Stabsbesprechungen werden aufgezeichnet. Es sah Falkenberg und Harrington gar nicht ähnlich, die Verantwortung dadurch aufzuteilen, indem sie unsere Meinungen im Protokoll verzeichneten, aber ich war mir sicher, daß sie ihre Gründe dafür hatten. »Die beste Methode, eine allgemeine Erhebung in Gang zu setzen, ist, der Protective Association eine sofortige und ernsthafte Niederlage beizubringen. Eine Niederlage, nicht einfach auseinanderjagen, sondern sie zum Kampf stellen und dabei eine große Anzahl von ihnen auszuschalten. Ich bin davon überzeugt, daß dies von ausreichender Wichtigkeit ist, um ein nicht unerhebliches Risiko einzugehen. Besteht darüber ebenfalls Einigkeit?« Aha! dachte ich. Mit Louis angefangen formulierten wir alle unser Einverständnis. »Dann kann ich zum Schlachtplan übergehen«, sagte Falkenberg. »Er ist eine komplexe Angelegenheit, aber ich glaube, sie ist den Versuch wert. Sie werden bemerken, daß ein Paß in die Hügel westlich von Allansport führt. Unsere Informanten behaupten, daß dies der Weg ist, den die Associationtruppen nehmen werden, wenn sie zum Rückzug gezwungen sind. Darüber hinaus steht eine stattliche Milizeinheit südlich von Allansport. Wenn die Miliz mit Partisanen verstärkt würde und falls wir den Paß nehmen können ehe die feindlichen Belagerer sich über die Gefahr in der sie schweben klar werden, haben wir sie in der Falle. Die Hauptabteilung des Bataillons wird flußaufwärts von Norden her anrücken und den Feind angreifen. Wir werden nicht alle zu fassen kriegen, sollten aber in der Lage sein, ziemlich viele auszuschalten. Mit einem solchen Sieg im Rücken, soll es uns nicht zu schwer fallen, die übrigen Farmer zu den Waffen zu rufen und auf unsere Seite zu bringen.«
Während er redete, verdeutlichte er den Schlachtplan mit Hilfe von Lämpchen auf der Karte. Er hatte recht, er war komplex. »Fragen«, wollte Falkenberg wissen. »Sir«, sagte ich. »Ich glaube nicht, daß die beiden Milizkompanien den Paß erobern können. Ich würde mich bestimmt nicht drauf verlassen.« »Das können Sie auch nicht«, erwiderte Harrington. »Aber in der Defensive sind sie recht standhaft. Wenn man ihnen eine starke Stellung zu verteidigen gibt, dann ziehen sich die Jungs gut aus der Affäre.« »Ja«, sagte Falkenberg. »Ich habe vor, die Miliz draußen vor der Stadt mit zwei Abteilungen Marinern zu verstärken. Wir haben immer noch unsere Skyhooks, und ich sehe keinen Grund, weswegen wir sie nicht noch einmal einsetzen sollen.« »Geht das schon wieder los«, murmelte ich. »Trotzdem, Sir, es hängt alles davon ab, wie stark der Paß verteidigt ist, und das wissen wir nicht, oder etwa doch?« »Nur daß er verteidigt wird«, antwortete Falkenberg. »Der Sturm auf den Paß muß als Probeangriff angelegt werden, jederzeit zum Rückzug bereit, falls der Gegner zu stark ist.« »Ich verstehe.« Ich dachte eine Weile darüber nach. Ich hatte so etwas natürlich vorher noch nie mitgemacht. Ich hatte zwar die Militärmedaille, konnte mir aber, was meine Kampferfahrung anging, nichts vormachen. »Ich glaube ich schaffe das«, sagte ich. Falkenberg bedachte mich mit seinem halben Lächeln, das er charakteristischer Weise immer dann aufsetzte, wenn er seine Überraschungen vom Stapel ließ. »Ich fürchte, Sie werden diesmal nicht das ungeteilte Vergnügen haben, Mr. Slater. Ich habe vor, die Skyhooks selbst zu befehligen. Sie werden die Hauptabteilung führen.« Zu seinem Plan gehörte noch mehr, darunter ein Teil der mir ganz und gar nicht behagte. Er würde Kathryn auf den
Skyhooks mitnehmen. Dagegen konnte ich schlecht Einwände erheben. Sie hatte sich bereits freiwillig gemeldet. Falkenberg hatte sie in meinem Zimmer angerufen, als ich schon auf dem Weg zur Konferenz war. »Ich habe keine Wahl«, sagte Falkenberg. »Wir müssen jemanden dabei haben, auf den man sich verlassen kann und der der örtlichen Bevölkerung bekannt ist. Der ganze Plan hängt davon ab, daß wir genug Unterstützung durch die Einheimischen bekommen, um das Tal südlich von Allansport abzuriegeln. Sonst ist die Sache sinnlos.« Dem mußte ich zustimmen. Dabei war es unerheblich, ob es mir paßte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was sie sagen würde, wenn ich versuchte, sie daran zu hindern. Falkenberg kam zum Schluß. »Noch irgendwelche Fragen? Nein? Dann bitte ich sie noch einmal um ihre Meinungen.« »Es scheint mir ein guter Plan zu sein«, meinte Louis. Klar fand er ihn gut. Er würde mit Falkenberg bei den Skyhooks sein. »Keine Schwierigkeiten mit dem schweren Gepäck«, sagte Deane. »Mir gefällt’s – « »Mr. Slater?« »Meine Operationsaufgabe scheint klar abgesteckt. Kein Problem.« »Klar abgesteckt«, warf Oberst Harrington ein, »aber nicht kinderleicht. Sie haben die schwierigste Aufgabe vor sich. Sie müssen den nördlichen Fluchtweg abschneiden, den Feind in ein Gefecht verwickeln, den Gouverneur befreien, dann die Stoßrichtung ändern und den Feind mit einem Hammerschlag an den Amboß, den Captain Falkenberg im Paß errichten wird, zerschmettern. Der Zeitablauf spielt dabei die entscheidende Rolle.« »Ich setze großes Vertrauen in Leutnant Slater«, sagte Falkenberg.
»Mir geht es genauso, sonst hätte ich dem Plan meine Zustimmung verweigert«, kam es von Harrington. »Aber verlieren Sie nicht aus den Augen, was wir hier tun. Um unser Hauptanliegen, den Feind aus dem gesamten Tal zu vertreiben zu erreichen, belassen wir Gouverneur Swale in einer reichlich delikaten Situation. Falls etwas schief geht, wird Sector unsere Köpfe rollen lassen – und zwar mit Recht, wie ich betonen möchte.« Er erhob sich, und wir übrigen standen auf. »Aber es gefällt mir. Zweifelsohne rechnet die Association damit, daß wir uns sofort auf die Rettungsaktion für den Gouverneur stürzen werden und darauf sind die Leute vorbereitet. Ich hasse es, das Erwartete zu tun.« »Das geht mit ebenso«, bemerkte Falkenberg. Harrington nickte knapp. »Meine Herren, Sie haben Ihre Befehle erhalten.«
Die Flußdampfer sahen aus, als wären sie dem amerikanischen Bürgerkrieg entsprungen, wie sie so den dunklen Fluß entlang stampften. Als wir das Fort verließen, hatte ein Unwetter getobt, aber inzwischen war der Himmel wieder klar und dunkel, und die Sterne glitzerten über uns. Meine Schiffe waren eigentlich nicht viel mehr als dampfgetriebene Barkassen mit ausreichend Aufbauten, um Fracht zu verstauen. Natürlich waren sie aus Holz; auf Arrarat gab es keine Schwerindustrie, die in der Lage gewesen wäre, Stahlrümpfe zu bauen, dazu bestand auch keine Veranlassung. Ich verfügte über drei Schiffe, jedes etwa 50 Meter lang und 20 Meter breit, große rechteckige Plattformen, mit Kabinen bestückt, deren Dächer als erhöhte Decks dienten, dazu kam eine Brücke mittschiffs, von wo aus alles überwacht werden konnte.
Jede Ecke und jeder Winkel war mit Landsern, Mulis, Kanonen, Nachschubplanwagen, Munition, Zeltbahnen und Verpflegung vollgepropft. Das 501. zog ins Allanstal, um sich dort häuslich einzurichten. Die Boote verfeuerten Holz, das wir unterwegs mit Kettensägen machen mußten. Zusätzlich verfügte ich über ein landgängiges leichtarmiertes Hovercraft. Im Vergleich zu den 11 Kilometern in der Stunde, die die Boote zustandebrachten, lief das Hovercraft 55 Kilometer in der Stunde. Oben auf der dritten Fähre hockte Helikopter 3, der 200 Kilometer schnell sein konnte. Diese Unterschiede hätten einem ein Lächeln abringen können, wären sie nicht so frustrierend gewesen. »Eine Gott verfluchte DC-45 müßte man haben«, sagte Deane. »Nur eine. Das war’s. Ein Starlifter und wir wären in einer Stunde am Ziel.« »Wir müssen das Beste aus dem machen, was uns zur Verfügung steht«, erklärte ich. »Nebenbei bemerkt, denkt doch mal, wie romantisch das Ganze ist. Schade, daß wir statt dieses Sonarsuchers keinen Lotgasten in den Rüsten haben, der die Tiefen aussingt.« Das Hovercraft fuhr Aufklärung, wir wollten schließlich sicher gehen, daß uns keine unangenehmen Überraschungen in die Quere kamen. Als wir uns Allansport näherten, ließ ich den Hubschrauber aufsteigen, er sollte eine Landungszonenerkundung in größter Höhe durchführen. Gute 20 Kilometer stromabwärts von Allansport gingen wir an Land. Zum einen waren die Böschungen stromaufwärts steiler, und außerdem wollten wir die Association durch eine Landung in nächster Nähe nicht verschrecken. Gouverneur Swale schrie natürlich stündlich nach mir. Er wollte uns umgehend in Allansport haben. Als ich ihm erzählte, wo wir an Land gingen, bekam er fast einen hysterischen Anfall. »Was zum Teufel tun Sie da?« wollte er wissen. »Sie brauchen sich nur
zeigen, die bleiben nicht und kämpfen! Das Ganze ist ein politisches Manöver. Man muß ihnen nur ordentlich Dampf machen, dann lenken sie schon ein.« Ich führte nicht aus, daß wir nicht die Absicht hatten, uns mit der Association zu arrangieren. »Sir, Oberst Harrington hat den Schlachtplan abgesegnet.« »Das interessiert mich nicht, selbst wenn Gottvater ihn abgesegnet hätte!« schrie Swale. »Was machen Sie bloß da unten? Ich weiß, daß Falkenberg mit einem Kontingent, das er mit Hubschraubern hergebracht hat, südlich von hier steht, aber er weigert sich mir zu sagen, was er dort macht! Und jetzt hat er auch noch die Miliz abgezogen! Ich sitze hier in der Falle und Sie haben nichts Besseres zu tun, als Spielchen aufzuführen! Ich verlange zu erfahren, was Sie vorhaben!« »Gouverneur, das weiß ich selbst nicht«, sagte ich. »Ich kenne nur meine Befehle. In ein paar Stunden haben wir Sie da raus. Ende.« Ich schaltete das Gerät ab und wandte mich an Deane. »Nun«, sagte ich, »wir wissen also, daß Louis und Falkenberg südlich von uns etwas unternehmen. Ich wünschte ich wüßte, wie die Lage dort ist.« »Falls es etwas gibt, was wir erfahren müßten, würden sie uns Bescheid geben«, meinte Deane. »In Sorge wegen Kathryn?« »Etwas.« »Häng dich nie so sehr an eine, daß du dir Sorgen machst. Das spart einen Haufen Angstschweiß.« »Yeah, sicher. Rudergänger, das da sieht wie unsere Landestelle aus, halten Sie genau Ausschau.« »Aye, aye, Sir.« »Hatz besorg’ mir den Hubschrauberpiloten.« »Sir.« Hartz fummelte einen Augenblick lang am Radio herum und reichte mir dann das Mikro.
»Sergeant Stragoff, Sir.« »Stragoff, ich will, daß Sie eine komplette Runde um unser Landegebiet ziehen. Dort sollen zwei unbewaffnete Männer auf uns warten. Sie werden eine blaue Rakete abfeuern. Falls Sie eine andere Farbe zeigen, bestreichen Sie die ganze Gegend und hauen wieder ab. Falls es ein Blaufeuer ist, geben Sie mir Nachricht, aber ich bestehe trotzdem auf eine vollständige Erkundungsrunde.« »Aye, aye, Sir.« »Und wen genau treffen wir?« fragte Deane. »Ihre Namen kenne ich nicht«, gab ich zurück. »Falkenberg sagte, er würde versuchen ein Begrüßungskomitee aus hiesigen Widerständlern zusammenzustellen. Falls wir mit ihnen zufrieden sind, helfen wir ihnen dabei, ein paar von den Nachbarn zu bewaffnen. Deswegen haben wir die überzähligen Gewehre mitgenommen.« Das Radio knisterte wieder. »Zwei Mann mit einem Blaufeuer. Ansonsten ist auf Radar und IR nichts zu sehen.« »Gut. Okay, nun machen Sie Ihre größere Runde. Ich will nicht plötzlich feststellen müssen, daß es eine Artilleriebatterie in unserer Landezone gibt.« »Sir.« »Hauptfeldwebel«, sagte ich. »Sir.« »Sie können das Hovercraft zum Besetzen der Landezone losschicken. Behandeln Sie das Begrüßungskomitee höflich, aber behalten Sie sie im Auge. Wenn die Gegend gesichert ist, werden wir an Land gehen.« »Sir.« Ich schaute zu den Sternen empor. Es war noch Vollmond. Noch ungefähr fünf Stunden bis zum Hellwerden. Mit einem Quentchen Glück waren wir bei Tagesanbruch aufmarschiert
und gefechtsbereit. »Okay, Deane, du übernimmst den Befehl«, sagte ich. »Hartz, Sie bleiben bei ihm.« »Wenn Herr Leutnant es befehlen.« »Verflucht noch eins, ich hab’s befohlen. Belege. In Ordnung, kommen Sie mit.« Wir begaben uns zu den Decks. Der Wasserspiegel lag weniger als einen Meter unter uns. Es war kein Fluß, in dem man baden konnte; auf Arrarat kommen Wasserschlangen vor, deren Gift alles erledigt, was Proteine in sich hat. Diese fungieren als Katalysatoren und lassen Körperzellen verklumpen. Ich empfand kein rechtes Bedürfnis, mich in ein hartes Stück Gummi zu verwandeln. An Bord hatten wir ein einziges Kanu. Ich hatte Landser ausfindig gemacht, die damit umgehen konnten. Wir verfügten über ein Dutzend Männer, die die Handhabung des verrückten Gefährts verstanden, was mich nicht weiter verwunderte. Man sagt, daß man in einem Marinergrenadierregiment jede Art von Fertigkeit finden konnte, was zu stimmen schien. In meiner eigenen Kompanie hatte ich zwei Maurermeister, einen Kunstmaler, ein paar Elektroniktechniker (wahrscheinlich Ingenieure, aber das gaben sie nicht zu), wenigstens einen Strafverteidiger, den die Anwaltskammer ausgeschlossen hatte, einen versoffenen Psychiater und einen Burschen, von dem die Männer behaupteten, er sei ein Priester, dem die Weihen aberkannt worden waren. Corporal Anuraro zeigte mir, wie man in das Kanu klettert, ohne es voll schlagen zu lassen. Daheim in Arizona haben wir solche Dinger nicht. Während sie mich ans Ufer paddelten, dachte ich daran, wie dämlich die Situation war. Ich wurde in einem Kanu vorangepaddelt, einem Gerät, das vor mindestens zehntausend Jahren erfunden worden war. Ich hatte einen Licht verstärkenden Feldstecher umhängen, der auf Prinzipien beruhte, die man erst nach meiner Geburt entdeckt hatte.
Hinter mir schwamm ein Dampfschiff, das gut und gerne zur Zeit von Little Big Horn den Missouri hätte hinauf fahren können und ich war auf diesem Planeten in einem Raumschiff gelandet. Die Strömung war schnell, und ich war froh, erfahrene Leute an den Paddeln zu wissen. Das Wasser floß ruhig vorbei. Manchmal wurde es von einem unsichtbaren Lebewesen gekräuselt. Drüben am Ufer war das Hovercraft bereits gelandet, und jemand signalisierte uns mit einer Lampe. Als ich ans Ufer kam, war ich froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. »Wo sind unsere Besucher, Roszak?« frage ich. »Hier drüben, Sir.« »Sie waren zu zweit, beides Rancher oder Bauern. Der eine von ihnen war Asiat. Sie schienen um die 50 zu sein. Wie vereinbart waren sie unbewaffnet.« »Ich bin Leutnant Slater«, stellte ich mich vor. Der Orientale antwortete: »Ich heiße Wan Loo. Das hier ist Harry Seeton.« »Ich habe von Ihnen gehört. Kathryn erzählte, daß sie ihr einmal geholfen haben.« »Ja, bei der Flucht aus einem Käfig«, sagte Wan Loo. »Sie sollten noch etwas beweisen«, fuhr ich fort. Wan Loo lächelte. »Sie haben am linken Arm eine Narbe, die wie ein Türkensäbel aussieht. Als sie ein Kind waren, hatten Sie ein Lieblingspferd das Candybar hieß.« »Sie haben Kathryn getroffen«, sagte ich. »Wo ist sie?« »Südlich von Allansport. Sie versucht eine Ranchertruppe aufzustellen, um Captain Falkenberg zu verstärken. Wir sind hierher geschickt worden, um Ihnen zu helfen.« »Sie haben ziemlich viel erreicht«, fügte Harry Seeton an. »Eine Menge Rancher werden kämpfen, falls Sie ihnen Waffen stellen können. Aber da ist noch etwas.«
»Ja?« »Bitte glauben Sie nicht, wir wären etwa nicht dankbar«, sagte Wan Loo. »Aber Sie müssen das verstehen. Wir haben seit Jahren gekämpft und nun können wir nicht mehr. In diesem Tal hier herrscht ein gespannter Burgfrieden. Es ist ein Frieden der Unterwerfung, er behagt uns nicht. Wir werden ihn nicht fortwerfen, nur um Ihnen zu helfen. Falls ihr nicht gekommen seid, um zu bleiben, dann nehmen Sie bitte Ihre Soldaten, befreien Ihren Gouverneur und hauen wieder ab, ohne uns da reinzuziehen.« »Das ist deutlich«, sagte ich. »Wir müssen deutlich sein«, kam es von Harry Seeton. »Wan Loo spricht nicht für uns beide. Wir sind sowieso vogelfrei. Wir bleiben bei euch, egal was passiert. Aber wir können unsere Freunde nicht auffordern, falls ihr es nicht ehrlich damit meint hier zu bleiben und sie zu beschützen.« »Es ist eine alte Geschichte«, sagte Wan Loo. »Man kann den Farmern keinen Vorwurf machen. Sie sind ihnen lieber als die Association, aber wenn Sie nur kurz hierblieben, die Association aber ständig da ist, was wollen Sie machen? Meine Vorfahren hatten auf der Erde das gleiche Problem. Sie hatten sich für den Westen entschieden, und als dann die Amerikaner, denen nicht viel an dem Krieg lag, ihre Truppen abzogen, mußte mein Urgroßvater das Land aufgeben, das seiner Familie tausend Jahre gehört hatte und mit ihnen gehen. Er hatte keine Wahl. Glauben Sie etwa, er hätte sich auf die Seite der Amerikaner geschlagen, wenn er gewußt hätte, was passieren würde?« »Das CoDominium hat seine Schutzverpflichtung auf das Tal ausgedehnt«, sagte ich. »Regierungen haben kein Ehrgefühl«, bemerkte Wan Loo. »Viele Völker auch nicht, aber es ist wenigstens für einen einzelnen Mann möglich, Ehrgefühl zu haben. Eine Regierung
kann das nicht. Schwören Sie, daß Sie selbst unsere Freunde nicht im Stich lassen werden, wenn wir sie für euch zu den Waffen rufen?« »Ja.« »Dann haben wir Ihr Wort. Kathryn sagt, Sie seien ein Mann von Ehre. Falls Sie uns mit Transportgeräten und Funkgeräten aushelfen, glaube ich, daß wir morgen mittag 500 Mann zu Ihrer Unterstützung haben.« »Der Herr sei Ihnen gnädig, falls wir verlieren«, sagte Seeton. »Der Herr stehe Ihnen bei.« »Wir werden nicht verlieren.« »Eine Schlacht ist kein Krieg«, erwiderte Wan Loo. »Und Kriege werden nicht mit Waffen gewonnen, sondern mit dem Willen zum Sieg. Wir gehen jetzt los.«
XII
Es ist eine grundlegende militärische Erkenntnis, daß kein Schlachtplan nach der Feindberührung je seine Gültigkeit behält, aber gegen Mittag sah es ganz so aus, als würde unsere Operation die Ausnahme von der Regel sein. Falkenbergs Kampfeinheit – zwei Züge der B-Kompanie, die durch die Skyhooks abgesetzt worden waren, als wir uns noch an Bord unseres Dampfers befanden – gingen kurz vor Tagesanbruch gegen den Paß vor und eroberten ihn nach drei Stunden hartem Kampf. Er zog zwei Milizkompanien nach und ließ sie sich eingraben und den Paß verteidigen. Zwischenzeitlich waren die Farmer im Süden bewaffnet worden und mit dem Befehl angetreten, jede Rückzugsbewegung nach Süden abzublocken. Aus dem Abschnitt erhielt ich nur vereinzelte Berichte, aber alles schien unter Kontrolle zu sein. Kathryn hatte fast 500 Leute gesammelt, was ausreichen sollte, um die südliche Verteidigungslinie zu halten. Dann war ich an der Reihe. Zwei Stunden nach Tagesanbruch verfügte ich über eine Vorhutlinie, die sich auf einer Talbreite von 8 Kilometern erstreckte. Meine linke Flanke war am Fluß verankert. Dort würde es keine Probleme geben. Aber die rechte Flanke war etwas anderes. »Sie macht mir zu schaffen«, erzählte ich Falkenberg, als ich ihm über Funk Bericht erstattete. »Meine rechte Flanke hängt in der Luft. Die einzige Deckung dort besteht aus Wan Loos Ranchern, und das sind nicht mehr als 300 Mann, wenn überhaupt.« Wan Loo war nicht so erfolgreich wie Kathryn gewesen. Natürlich hatte er weniger Zeit zur Verfügung gehabt.
»Und was erwarten Sie, wird Sie in der Flanke fassen?« erkundigte sich Falkenberg. »Keine Ahnung. Mir gefällt einfach nicht, daß wir uns auf andere Leute verlassen müssen. Und darauf, daß der Gegner tut, was wir von ihm erwarten.« »Das paßt mir auch nicht, aber haben Sie einen anderen Vorschlag zu machen?« »Nein, Sir.« »Dann führen Sie Ihre Befehle aus, Mr. Slater. Auf Allansport vorrücken.« »Aye, aye, Sir.« Die Schlachtlinie war nicht so ohne weiteres zu kontrollieren. Ich hatte über das gesamte Tal verteilte Einheiten, mit der Hauptmacht auf dem linken Flügel, der den Fluß herauf marschierte. Das Terrain war offen und bestand aus rollenden Hügelketten mit Knicks und Eukalyptusbäumen, die als Windbrecher gepflanzt worden waren. Die Felder waren erst kürzlich abgeerntet worden, man hatte Schweine auf die Felderstoppeln losgelassen. Die Äcker waren matschig, aber aufgefächert wie wir waren, wühlten wir sie nicht sonderlich auf. Die Gehöfte lagen in großen Abständen verstreut. Dies waren riesige Besitzungen gewesen, die kleinsten hatten einen Quadratkilometer Nutzfläche, und einige waren bedeutend größer. Große Teile des Landes lagen brach. Die Häuser bestanden aus Stein und Erde, teilweise unterirdisch angelegt, wie kleine Festungen. Einigen davon fehlten Mauerstücke. Granateinschläge. Harry Seeton saß bei mir im geländegängigen Caravan. Immer wenn wir an einem Farmgebäude vorbeikamen, versuchte er den Besitzer, dessen Kinder und Verwandte dazu zu überreden sich uns anzuschließen. Wenn sie einwilligten,
schickte er sie zu der wachsenden Zahl von Freiwilligen auf dem rechten Flügel. »Etwas verstehe ich nicht«, sagte ich zu Seeton. »Natürlich sind die Familien groß, und alle packen mit an, aber wie haben sie das ganze Land unter den Pflug nehmen können? Die Farm eben hatte mindesten 500 Hektar.« »Hier kann man sich nicht auf den Regen verlassen«, sagte Seeton. »Die Hälfte der Zeit versinken wir im Morast, und sonst herrscht hier Dürre. Als Dünger steht uns nur Mist zur Verfügung. Wir müssen viel Land brach liegen lassen oder darauf Hülsenfrüchte anpflanzen, die wir unterpflügen müssen.« »Das hört sich trotzdem noch nach einer Menge Arbeit für eine einzelne Familie an.« »Nun, wir hatten Tagelöhner. In der Hauptsache Sträflinge. Undankbare Schweine, haben sich bei der ersten passenden Gelegenheit der Association angeschlossen. Sagen Sie mal, Leutnant.« »Ja, was?« »Haben Ihre Leute Angst zu verhungern? So etwas ist mir noch nicht untergekommen, wie die alles abpflücken, was ihnen in die Quere kommt.« Er deutete auf einen Landser der B-Kompanie genau vor uns. Er war schon von Natur aus nicht besonders groß geraten und hatte seine Taschen mit drei Hühnern, Maiskolben und einer Flasche vollgestopft. Sein Tornister war ausgebeult, was gewiß nicht von der Standardausrüstung herrühren konnte. Er hatte obendrauf sogar Feuerholz festgezurrt, so daß wir von hinten seinen Helm nicht sehen konnten. Seeton sagte: »Sie sind wie eine Heuschreckenplage.« »Das kann ich kaum verhindern«, erwiderte ich. »Ich kann nicht überall zugleich sein und Marinergrenadiere betrachten alles, was nicht eingepfercht und bewacht wird als Freiwild.
Sie werden einige Tage lang in Saus und Braus leben – immer noch besser als Monkey und fettiger Reis.« Ich fügte nicht hinzu, daß er, falls er die Lage schon schlimm fand wo sich die Soldaten erst auf dem Weg ins Gefecht befanden, er erst richtig aus dem Häuschen sein würde, wenn die Truppe erstmal ein paar Wochen im Feld stand. Vorne fielen Schüsse. »Es geht los«, sagte ich. »Wie viele von diesen Farmen sind noch von Ihren Leuten bewohnt?« »Nicht viele, so nah bei Allansport. In der Stadt sind fast nur Associationsanhänger. Oder Gottverfluchte Kollaborateure, was aufs selbe rausläuft. Ich nehme an, das ist der Grund, weswegen sie die Stadt noch nicht in Fetzen geschossen haben. Sie sind der Bedeckung Ihres Gouverneurs zahlenmäßig überlegen.« »Yeah.« Das machte mir zu schaffen. Warum waren die Streitkräfte der Association nicht einfach hineingegangen und hatten Gouverneur Swale in ihre Gewalt gebracht? Wie Seeton richtig sagte, Swale hatte nur zwei Milizkompanien bei sich, trotzdem war in der Belagerung eine Pattsituation eingetreten. Ganz so, als wollten sie ihn gar nicht gefangennehmen. Natürlich waren sie in Schwierigkeiten, egal was sie anstellten. Falls sie den Gouverneur töteten, dann übernahm Harrington den Befehl. Ich mußte davon ausgehen, daß die Protective Association in Harmony Freunde hatte, vielleicht sogar im Gouverneurspalast selbst. Sicher gab es einen Haufen durchlässiger Stellen. Sie mußten wissen, daß Harrington aus härterem Holz geschnitzt war als Swale. Der Widerstand nahm zu, als wir uns Allansport näherten. Die Streitkräfte der Association waren bedeutend besser bewaffnet als wir von ihnen erwartet hatten. Sie verfügten über Granatwerfer und leichte Feldartillerie, und für beides hatten sie ausreichend Munition.
Die Helikopter waren zweimal nahe dran, abgeschossen zu werden. Ich hatte sie als Schlachtflieger nach vorn geschickt, um die vorrückende Infanterie zu unterstützen. Wir fanden heraus, daß die Association zielsuchende Raketen hatte und der einzige Grund weswegen sie die Hubschrauber nicht erwischten, lag am Übereifer ihrer Richtschützen. Sie schossen bereits, als die Helikopter noch Zeit hatten auszuweichen. Ich beorderte die Hubschrauber zum Hauptquartier zurück. Ich konnte sie für Aufklärungsflüge einsetzen, aber ich würde sie nicht im Einsatz riskieren. Wir brachten ihre Batterien eine nach der anderen zum Schweigen. Sie hatten reichlich Kanonen, aber ihre Feuerleitstelle war ein Ausfall; ihr Gegenfeuer geradezu kümmerlich. Wir tauschten ein, zwei Salven, unser Radar verfolgte ihre Stellungen zurück, das war es dann auch schon gewesen. »Wo zum Teufel haben sie das ganze Zeug her?« fragte ich Seeton. »Sie hatten immer schon viel Gerät. Als sie das erstemal aus den Bergen kamen, waren sie schon ziemlich gut bewaffnet. In letzter Zeit ist es schlimmer geworden. Einer der Gründe, weswegen wir aufgesteckt haben.« »Die Ausrüstung kann nur von außerhalb des Planeten kommen«, sagte ich. »Aber wie?« »Ich weiß es nicht. Fragen Sie den Gouverneur.« »Das habe ich auch vor. Das Zeug muß durch den Raumhafen gelangt sein. Irgend jemand verdient sich eine goldene Nase, indem er an die Protective Association Waffen verkauft.« Wir schoben uns an die Außenbezirke von Allansport vor. Die Stadt lag, auf kleinen Hügeln ausgedehnt, direkt am Fluß. Sie verfügte über einen Schutzwall, der genau wie die Häuser aus Ziegeln und Klinkern bestand. Deanes Artillerie riß große
Breschen in die Mauern und die Truppe rückte in die dahinterliegende Straße vor. Die Kampftätigkeit war stark. Was die Gefühle der Stadtbewohner betraf, hatte Seeton rechtbehalten. Sie kämpften in jedem Haus, und die Mariner mußten unter massiertem Artilleriefeuerschutz vorsichtig vorgehen. Beim Vorrücken planierten wir die Stadt. Gouverneur Swale und zwei Kompanien Harmonymiliz waren auf der Anhöhe die den Fluß überragte so ziemlich im Zentrum der halbkreisförmigen Stadt eingegraben. Sie hielten das Ufer fast bis zu der Stahlbrücke, die den Allan überspannte. Ich hatte gehofft, den Gouverneur bei Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, aber die Straßenkämpfe waren zu schwer. Bei Sonnenuntergang rief ich durch, um zu melden, daß ich ihn erst am nächsten Tag erreichen würde. »Aber wir sind wenigstens in Artilleriereichweite Ihrer Stellung«, sagte ich ihm. »Wir können Ihnen Feuerunterstützung geben, falls es zu einem ernstzunehmenden Versuch kommen sollte, Ihre Stellung zu stürmen.« »Ja, ihr habt gute Arbeit geleistet«, ließ er mich wissen. Das war eine Überraschung. Ich hatte damit gerechnet, daß er mir die Leviten lesen würde, weil ich nicht früher gekommen war. Man lernt nie aus, sagte ich mir. »Ich bringe die rechte Flanke in einer Umfassungsbewegung herum«, klärte ich Swale auf. »Morgenfrüh haben wir sie alle in Allansport eingepfercht, dann können wir uns in aller Ruhe mit ihnen befassen.« »Ausgezeichnet«, bemerkte Swale. »Meine Milizoffiziere sagen mir, daß die Associationskräfte im südlichen Teil der Stadt nicht sehr stark sind. Es könnte Ihnen möglich sein, dort während der Nacht viele Straßen einzunehmen.« Als es dunkel wurde hielten wir an. Ich schickte Ardwain mit dem Befehl los, die A-Kompanie am Stadtrand entlang zu führen, um Teile im Saiden zu erobern. Dann aß ich zusammen
mit der Truppe. Wie Seeton bemerkt hatte, waren die Leute ziemlich gut mit Lebensmitteln eingedeckt. Heute Abend gab es kein Monkey mit Reis! Wir aßen gebratene Hühner und frischen Mais. Nach Einbruch der Dunkelheit ging ich an meinen Kartentisch. Ich hatte den Caravan neben einem Bauernhaus aus Stein, zwei Kilometer vor den Ausläufern von Allansport, anhalten lassen. Der Stabszug stellte das Kommandantenfunkgerät auf und es gab tausende von Einzelheiten, um die man sich kümmern mußte: Nachschub, Feldlazarett, Pläne zur Evakuierung von Verletzten mittels Hubschrauber, Munitionsbestände mußten hin- und hergekarrt werden, damit auch ja jede Einheit von der richtigen Sorte genug hatte. Die Computer konnten viel davon erledigen, aber es waren Entscheidungen zu treffen und die konnte mir niemand abnehmen. Schließlich hatte ich Zeit unsere Position in den Kartentischcomputer einzufüttern und neue Pläne zu machen. Wenn man dem Computer die richtigen Eingaben zuführte, würde er die Einheiten auf der Karte wiedergeben, Schlachten durchkämpfen, die wahrscheinlichen Ausgänge darstellen, Einheiten unter Beschuß verschieben und die Verluste abziehen… Das erinnerte mich an die Schlachten am Nachmittag. Es war ständig gekämpft worden, aber ich hatte fast nichts davon gesehen. Es gab nur Striche auf dem Kartentisch und später dann blutende Überlebende, die ins Feldlazarett geschafft wurden. Tri-VK Krieg, nichts war wirklich. Der Beobachtungssatellit war kurz vor dem Dunkelwerden über das Allantal gezogen und die neuen Bilder wurden von Garrison aus übermittelt. Besonders klar waren sie nicht. Die Wolken hatten tief gehangen, genug um die Rasterauflösung zu verhindern und große Lücken in mein Informationsmaterial über die Truppenstärke der Association bestehen zu lassen.
»Helikopter 1 setzt zur Landung an, Sir«, meldete Sergeant Jaski. Er war der Nachrichtenexperte des Stabszuges, ein ältlicher verhutzelter Bursche, der die Elektronikabteilung so lange lächelnd und liebevoll führte, bis etwas schief lief. Dann konnte er genauso scharf werden wie der schlimmste Unteroffizier in der Flotte. Nr. 1 war Falkenbergs Hubschrauber. Ich war nicht überrascht, als der Captain ein paar Minuten später eintrat. Er hatte verlauten lassen, daß er zur Hauptabteilung stoßen würde, falls am Paß alles ruhig war. Ich stand vom Kartentisch auf, um ihm den Kommandantenstuhl zu überlassen. Mir hatte er ohnehin nicht besonders gut zu Gesicht gestanden; jedenfalls war ich froh, jemand anderen das Kommando übernehmen zu lassen. »Gehe gerade die Satellitenfotos durch«, sagte ich an ihn gewandt. »Ein Grund weswegen ich vorbeigekommen bin. Die Sache läuft gut. Immer wenn das passiert, frage ich mich, was ich übersehen habe.« Er bediente den Kartentisch dergestalt, daß ihm die augenblickliche Situation unserer Verbände angezeigt wurde. »Hat Ardwain Probleme mit der Umklammerung?« fragte er. »Nein, Sir.« Er grunzte und spielte mit den Tasten auf dem Schaltpult. Dann starrte er auf die Satellitenfotos. »Warum haben die Truppen der Association es unterlassen, die Uferzone im Rücken des Gouverneurs zu besetzen, Mr. Slater?« »Ich weiß nicht.« »Und warum hat Seine Exzellenz keinen Rückzug auf dem Wasserwege unternommen? Er wäre bestimmt rausgekommen, er und ein paar Mann.« »Wollte vielleicht die Miliz nicht im Stich lassen, Sir?« »Möglich.«
Ich sah nach der Zeit. Zwei Stunden war es schon dunkel. Die Truppe lag sicher entlang der Randstellung eingegraben, von Ardwains mobiler Einheit, die auf den südlichen Stadtrand vorrückte, mal abgesehen. Falkenberg blätterte die Tagesberichte durch und schaute stirnrunzelnd auf. »Warum kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß an dieser ganzen Situation etwas faul ist?« »Inwiefern, Sir?« »Es ist zu leicht gewesen. Uns ist gesagt worden, daß die Association ein harter Verein sei, aber bislang bestand der einzige Widerstand in ein paar Infanterieschirmen, die zurückgingen, bevor Sie echte Feindberührung aufnehmen konnten. Die ersten richtigen Kampfhandlungen fanden statt, als Sie das Stadtgebiet erreicht hatten.« »Da sind noch die Artillerieduelle, Sir!« »Ja. Alles nach kurzem Schußwechsel gewonnen. Sieht das nicht komisch aus?« »Nein, Sir.« Ich hatte allen Grund zu wissen, daß Deanes Burschen fantastische Treffer zu Wege brachten. Nach der Unterstützung, die sie mir an der Straßensperre unter Beersheba gegeben hatten, war ich bereit zu glauben, daß sie wirklich alles möglich machen konnten. »Ich hatte noch nicht darüber nachgedacht, Sir, aber jetzt wo Sie fragen – ja, es war leicht. Ein paar Schußwechsel und ihre Kanonen waren still.« Falkenberg nickte die ganze Zeit mit dem Kopf. »Ausradiert oder bloß aus dem Gefecht genommen? Wenn ich mir diese Karte so betrachte, würde ich meinen, daß Sie für die zweite Alternative nicht gerüstet sind.« »Ich – « »Sie haben sich gut gehalten, Leutnant. Es ist nur mein unangenehmer mißtrauischer Verstand. Ich liebe keine Überraschungen. Weiter, warum hat der Gouverneur nicht
darum gebeten auf dem Wasserweg evakuiert zu werden? Warum sitzt er da in Allansport?« »Sir – « Er ließ mich nicht ausreden. »Ich nehme an, Sie haben den Gouverneur, Ihre Positionen und Pläne wissen lassen?« »Selbstverständlich, Sir.« »Und wir haben den Paß, ohne große Anstrengung genommen. So gut wie keine Verluste. Aber die Association weiß sicher, daß wir ihn halten. Warum haben ihre Truppen aus der Stadt nichts unternommen? Wegrennen, die Anhöhe stürmen, den Gouverneur als Geisel nehmen – irgend etwas!« Er richtete sich auf, die Entscheidung war getroffen. »Hauptfeldwebel!« »Sir!« »Ich will Centurion Ardwain eine Nachricht zukommen lassen. Ich möchte nicht, daß sie irgendwie abgefangen wird.« »Sir.« »Man soll die Umfassungsbewegung zum Stillstand bringen. Soll ein paar Patrouillen nach vorne schicken, die sollen sich dort eingraben, wo sie beobachten können, aber unsere Einheiten aus Allansport raushalten. Er kann da draußen hin und her marschieren und dazu eine Menge Krach machen. Ich will sie glauben machen, daß wir mit der Umklammerung fortfahren, aber in Wirklichkeit soll Ardwain seine Männer nach Nordwesten führen und sich eingraben, aber auf keinen Fall näher als zwei Kilometer vor der Stadt. Das sollen sie so leise und unsichtbar wie möglich tun.« »Jawohl, Sir.« Ogilvie trat weg. »Wir gehen auf Nummer sicher, Mr. Slater«, sagte Falkenberg. »Auf Nummer sicher. Ihre Umfassungsaktion brauchen wir nicht.« »Jawohl, Sir.« »Durcheinander, Mister?«
»Ja, Sir.« »Wir halten uns nur alle Möglichkeiten offen, Leutnant. Ich mag meine Kräfte nicht binden, bis ich mir über mein Ziel im Klaren bin.« »Aber das Ziel besteht darin, die Kräfte der Association in die Falle zu bekommen und sie zu neutralisieren«, sagte ich. »Die Umfassungsaktion hätte das bewirkt. Wir brauchten uns dann nicht darauf zu verlassen, daß die Rancher im Süden sie auch an der Flucht hindern.« »Das war mir klar, Leutnant. Und jetzt, wenn Sie mich entschuldigen wollen, es gibt für uns beide allerhand zu erledigen.« »Ja, Sir.« Ich verließ den Caravan, um mich nach einem anderen Arbeitsplatz umzusehen. Ich richtete mich in einem Zimmer der Farm häuslich ein und machte mich wieder über den Papierkram her. Ungefähr eine Stunde später trat Deane Knowles ein. »Ich bringe hier eine Befehlsänderung«, sagte er. »Wie steht’s?« »Hervorragend. Magst du dich setzen? Kaffee steht hier drüben.« »Ich nehm’ ‘ne Tasse, danke.« Er schenkte sich ein und nahm mir gegenüber Platz. Im Zimmer stand ein einzelner Holztisch, er war aus einem einzigen Baumstamm roh herausgehauen. Auf der Erde wäre dieser Tisch ein Vermögen wert gewesen. Ich bezweifelte, ob es in den ganzen Vereinigten Staaten einen Baum von der Größe gab, von ein paar geschützten Mammutbäumen einmal abgesehen. »Bist du nicht der Meinung, ich sollte erfahren was hier vorgeht?« fragte Deane. Seine Stimme hatte einen freundlichen Klang, aber ein Anflug von Sarkasmus schwang mit. »Frag’ Falkenberg aus, wenn du brauchbare Antworten haben willst«, erklärte ich. »Mir erzählt er auch nichts. Ich weiß nur,
daß er A-Kompanie in den Klee geschickt hat und als ich fragte, ob ich zu meiner Kompanie stoßen könne, sagte er, daß ich hier gebraucht würde.« »Erzähl’ was passiert ist«, fuhr Deane fort. Ich beschrieb ihm, was sich ereignet hatte. Deane pustete in die heiße Tasse und nahm dann einen Schluck. »Du erzählst mir also, daß Falkenberg denkt, wir hätten unsere Hälse in eine Falle gesteckt.« »Ja, was meinst du dazu?« »Die Bemerkung über die Artillerie ist gescheit. Ich hab’ selbst schon gedacht, daß sich alles zu gut anließ. Wollen mal seine Theorie übernehmen und sehen, wo uns das hinführt.« »Verstehst du, es gibt nur eine Person, die diese theoretische Falle aufgestellt haben könnte«, sagte ich. »Ja.« »Was für ein Motiv könnte er haben?« wollte ich wissen. Deane zuckte die Achseln. »Na egal, mal sehen wohin das führt. Wir wollen mal für einen Augenblick annehmen, daß Gouverneur Hugo Swale sich auf eine Verschwörung mit einer Bande von Kriminellen eingelassen hat, um dem 501. alles, angefangen von einer Niederlage bis hin zur völligen Katastrophe zuzufügen – « »Siehst du nicht, wie unsinnig sich das anhört«, sagte ich. »Zu unsinnig, um es weiter zu diskutieren.« »Nimm’s mal an«, beharrte Deane. »Das bedeutet, daß die Protective Association genau über unsere Stellungen und Pläne im Bilde ist. Was könnte sie mit diesen Informationen anfangen?« »Deswegen ist es doch so hirnverbrannt«, erwiderte ich. »Laß sie doch wissen, wo wir sind. Wenn sie rauskommen und kämpfen, beziehen sie immer noch eine Packung. Die können doch unmöglich erwarten, Berufssoldaten aufzureiben! Bei
Ranchern, Frauen und Kindern mögen sie ja ganz groß sein, aber dies ist ein Marinergrenadierbataillon.« »Ein provisorisches Bataillon.« »Das läuft aufs Gleiche raus.« »Wirklich? Schau’ den Tatsachen in die Augen, Hal. Wir haben einen einzigen Feldzug hinter uns und der war dazu noch kurz. Ansonsten sind wir noch das was wir bei unserer Ankunft waren – eine zufällige Truppenversammlung, die Hälfte Rekruten, ein weiteres Viertel aus Wachzellen zusammengekratzt und von drei grünen Leutnants plus dem jüngsten Captain in der Flotte befehligt. Unser Oberst ist ein überalteter Militärpolizist und wir haben nicht einmal ein Viertel der Ausrüstung, die ein reguläres Grenadierregiment mitführt.« »Wir werden mit allem fertig, was eine Verbrecherbande ins Feld schicken kann – « »Eine gut ausgebildete Verbrecherbande«, sagte Deane. »Behalte deinen Regimentsstolz, Hal. Ich will das 501. nicht abwerten. Des Pudels Kern besteht aber darin, daß wir vielleicht wissen, daß wir eine verdammt gute Einheit sind, aber es besteht nicht viel Grund zu der Annahme, daß irgend jemand sonst daran glauben sollte.« »Die werden bald Grund dazu haben, ihre Meinung zu ändern.« »Vielleicht.« Deane studierte weiter die Karte. »Vielleicht.«
XIII
Es war eine ruhige Nacht. Ungefähr um Mitternacht machte ich meine Runde, nicht um die Wachen zu kontrollieren – bei so was konnten wir uns auf die Unteroffiziere verlassen – sondern hauptsächlich, um zu sehen, wie es draußen ausschaute. Die Truppe war bester Stimmung und freute sich auf die Schlacht, die der nächste Tag bringen würde. Sogar die Rekruten hatten ein Grinsen aufgesetzt. Wir hatten es mit einem undisziplinierten Haufen zu tun und wir verfügten über die Artillerieüberlegenheit. Sie hatten ihre Zelte manipelweise aufgeschlagen und in jedem Zelt war der winzige Feldkocher aufgebaut. Es gab reichlich Kaffee und Hühnerklein – zudem hatten sie in einem der Gehöfte Wein aufgestöbert. Unserem Lager haftete eher die Atmosphäre eines Pfadfinderausfluges, als die einer Armee an, die morgen in den Kampf zog. Unter dem Ganzen regte sich die Spannung, die Männern zueigen ist, wenn sie bald dem Tod ins Auge schauen müssen, aber sie war gut verborgen. Du bist fest davon überzeugt, daß es der andere Kerl sein wird, dem das Glück winkt. Niemals dir. Im Innersten weißt du es besser, aber darüber spricht man nicht.
Eine Stunde vor Tagesanbruch explodierte jedes Haus am südlichen Stadtrand von Allansport wie eine Feuerblume. Fast genau im gleichen Augenblick ging eine genau berechnete Salve kurz vor den Mauern nieder. Der Beschuß hielt an, ein scharfer Donner, mit roten Blitzen, die durch den dichten
Nebel, der vom Fluß her aufstieg, kaum sichtbar wurden. Ich rannte zum Befehlscaravan. Falkenberg war natürlich schon dort. Ich bezweifele, ob er überhaupt ins Bett gegangen war. Sergeant Jaski hatte zu einem der vorgeschobenen Posten eine Verbindung hergestellt. »Corporal Levine, Sir. Ich liege ungefähr fünfhundert Meter vor der Mauer eingegraben. Sieht ganz nach Minen aus, die in den Häusern hochgegangen sind, Captain. Dann haben sie eine Masse Kram dorthin fallen lassen, wo wir gewesen wären, falls wir gestern Abend vorgerückt wären.« »Wie sieht es bei Ihnen aus, Levine?« wollte Falkenberg wissen. »Tief eingegraben, Sir. Haben aber trotzdem zwei Mann meiner Abteilung getötet. Es herrscht dicke Luft hier, Sir. Große Brocken. Nicht nur Granatwerfer.« Selbst von so weit weg, wie wir uns befanden, war das ganz deutlich am Klang zu hören. Leichte Geschütze verursachen nicht diesen grollenden Ton. »Einen Moment mal Captain«, sagte Levine. Es herrschte lange Zeit Stille. »Kann meinen Kopf nicht lange rausstrecken. Sie bestreichen die Gegend immer noch. In der Stadt kann ich Bewegungen ausmachen. Sieht so aus, als würden Sturmtruppen aus dem Tor brechen. Jetzt hebt sich das Feuer. Yeah, das sind Sturmtruppen. Ziemlich viele.« »Hauptfeldwebel, bereiten Sie das Bataillon zum sofortigen Vormarsch vor«, befahl Falkenberg. »Jaski, wann findet der nächste Tagesüberflug des Überwachungssatelliten in dieser Gegend statt?« »Siebzig Minuten nach Tagesanbruch, Sir.« »Levine, sind Sie noch da?« »Ja, Captain. Es kommen immer mehr Soldaten aus der Stadt. Verdammt noch eins, da sind ja zwei Panzer. Mittlere Größe,
Typ Suslow, würde ich sagen. Ich wußte gar nicht, daß die Schweine Panzer haben! Wo kommen die bloß her?« »Gute Frage. Levine halten Sie den Kopf unten und bleiben Sie außer Sicht. Ich will, daß Sie am Leben bleiben.« »Gegen solche Befehle habe ich nichts einzuwenden, Captain.« »Sie brechen nach Süden durch«, sagte Falkenberg. »Jaski geben Sie mir Leutnant Bonneyman.« »Sir.« »Wo Sie gerade dabei sind, schauen Sie mal ob Sie Centurion Cernan auf dem Paß erreichen können.« »Aye, aye, Sir.« Jaski bediente eine Zeitlang das Funkgerät. »Mr. Bonneyman antwortet nicht, Sir. Hier ist Cernan.« »Danke.« Falkenberg legte eine Pause ein. »Mr. Slater bleiben Sie einen Augenblick hier. Sie brauchen Ihre Befehle. Centurion Cernan erstatten Sie Bericht.« »Gibt nicht viel zu berichten, Captain. Über uns finden Bewegungen statt.« »Über Ihnen? Der Feind kommt den Paß runter?« »Könnte sein, Captain, bin mir aber nicht sicher. Ich habe oben Posten aufgestellt, aber die haben bisher noch nichts gemeldet.« »Graben Sie sich ein, Cernan«, sagte Falkenberg. »Ich werde versuchen, Ihnen Verstärkung zu schicken. Sie müssen den Paß halten, gleichgültig von welcher Seite der Angriff kommt.« »Aye, aye, Sir.« Falkenberg nickte. Der Kartentisch füllte sich mit Symbolen und Lichtern, als die Meldungen bei Jaskis Leuten eintrafen und dann auf die Sichtfläche projiziert wurden. »Ich wünschte, wir hätten ein paar Satellitenaufnahmen«, meinte Falkenberg.
»Es gibt nur einen logischen Schachzug, den die Association zu diesem Zeitpunkt machen kann.« Er sprach mit sich selbst. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ging er davon aus, daß ich ihm folgen konnte, aber dem war nicht so. »Egal was passiert, wir verfügen über die einzige nennenswerte Streitmacht auf dem gesamten Planeten«, erklärte Falkenberg. »Wir können ihre Vernichtung nicht riskieren.« »Aber wir müssen Bonneyman und die Rancher entsetzen«, protestierte ich. Kathryn erwähnte ich nicht. Falkenberg könnte annehmen, daß es sich dabei um ein rein persönliches Problem handele. Vielleicht war es auch so. »Diese Panzer rollen nach Süden, genau auf ihre Linien zu.« »Ich weiß. Jaski, versuchen Sie weiterhin Bonneyman zu bekommen.« »Sir!« Draußen schmetterten die Trompeten »Marschbereit antreten!« Bradys tönte lauter als die Übrigen. »Und wir müssen den Gouverneur retten«, sagte Falkenberg. »Das müssen wir in der Tat.« Er faßte einen Entschluß. »Jaski, geben Sie mir Mr. Wan Loo.« Während Jaski das Funkgerät bediente, sagte Falkenberg: »Ich möchte, daß Sie mit ihm sprechen, Mr. Slater. Sie hat er schon getroffen, mich aber noch nicht. Sein erster Gedanke wird sein, seinen Freunden im Süden zu Hilfe zu eilen. Das darf er nicht. Seine Streitkräfte, die paar Mann, werden als Verstärkung für Centurion Cernan am Paß nützlicher sein.« »Mr. Wan Loo, Sir«, kam es von Jaski. Falkenberg übergab mir das Mikro. »Ich habe nicht die Zeit für lange Erklärungen«, begann ich. »Sie nehmen alles, was Sie haben, und rücken zum Paß vor. Eine gemischte Miliz- und Marinereinheit hilft Ihnen, und es
besteht die Möglichkeit, daß Associationstruppen von oberhalb des Passes vorrücken. Centurion Cernan hat das Kommando da oben, und er wird Unterstützung brauchen.« »Aber was geht denn eigentlich vor?« wollte Wan Loo wissen. »Die Associationstruppe in Allansport ist ausgebrochen und marschiert Richtung Süden«, sagte ich. »Aber unsere Freunde im Süden – « Falkenberg nahm mir das Mikro ab. »Hier spricht Captain John Christian Falkenberg. Wir werden Ihren Freunden zu Hilfe kommen. Wir können aber gar nichts ausrichten, falls die Truppen, die den Paß hinunter kommen, nicht gebunden werden. Sie können Ihren Freunden am besten helfen, indem Sie dafür sorgen, daß keine frischen Associationsverbände in dieses Tal eindringen.« Es entstand eine lange Pause. »Sie werden uns nicht im Stich lassen, Captain?« »Nein, wir werden Sie nicht im Stich lassen«, gab Falkenberg zurück. »Dann habe ich das Wort von zwei ehrenhaften Männern. Wir werden Ihren Freunden helfen, Captain. Gott sei mit Ihnen.« »Ich danke Ihnen. Ende.« Er reichte Jaski das Mirko zurück. »Was mich angeht, da hätte ich lieber ein paar Pakgeschütze – oder noch besser eigene Panzer. Wie gehts dem alten Untier?« »Er läuft noch, Sir.« Das alte Untier war der einzige Panzer über den das 501. verfügte, ein Überbleibsel aus jenen Tagen, als reguläre CD-Einheiten auf Arrarat stationiert waren. Durch ständige Wartung hatte man ihn am Laufen gehalten. »Woher zum Teufel kriegen die Asssociation Leute Sprit für Panzer?« fragte Falkenberg. »Verdammt noch mal. Hauptfeldwebel, ich will, daß Centurion Ardwain zwei Züge von A-Kompanie und das alte Untier nimmt. Ihre Aufgabe
besteht darin, sich mit Gouverneur Swale zu vereinigen. Sie haben durch das nördliche Stadtgebiet am Flußufer entlang anzugreifen, und sie sollen nicht eben vorsichtig vorgehen.« »Captain, das ist meine Kompanie«, sagte ich. »Sollte ich nicht mitgehen?« »Nein. Ich habe eine ganze Reihe von Operationen durchzuführen, dabei werde ich Hilfe brauchen. Trauen Sie Ardwain nicht?« »Natürlich traue ich ihm, Sir – « »Dann lassen Sie ihn seinen Auftrag ausführen. Hauptfeldwebel, Ardwains Aufgabe besteht darin, so zu tun, als hätte er mindestens eine Kompanie. Er soll seine Männer verteilen und hin- und herbewegen. Je länger es dauert, bis der Feind darauf kommt, wie klein sein Verband ist, desto besser, und er darf kein Risiko eingehen. Falls man ihm massiert entgegentritt, kann er stiften gehen.« »Sir«, sagte Ogilvie. Er wandte sich an einen wartenden Läufer. »Ardwain hat Funk, Sir«, sagte ich. »Klar hat er das«, antwortete Falkenberg im Plauderton. »Wissen Sie viel über die Zerhackercodetherorie die wir verwenden, Mr. Slater?« »Nun, nein Sir – « »Soviel werden Sie wissen: theoretisch kann jede Mitteilung abgehört und mittels eines guten Computers entschlüsselt werden.« »Ja, Sir. Nur der einzige in Frage kommende Computer ist unserer in Garrison.« »Und der des Gouverneurs in Harmony«, sagte Falkenberg. »Das sind die beiden, die uns bekannt sind.« »Sie wollen sagen, daß Gouverneur – « »Nein«, unterbrach er mich, »ich habe gar nichts gesagt. Ich ziehe es einfach vor, dafür Sorge zu tragen, daß meine Befehle
nicht abgefangen werden. Jaski, wo zum Teufel steckt Bonneyman?« »Versuche ihn immer noch zu finden.« »Irgendeine Nachricht von Miß Malcolm oder den anderen Ranchern im südlichen Gebiet?« »Nein, Sir.« Auf dem Kartentisch tauchten weitere Daten auf. Levine meldete noch immer. Es waren nur zwei Panzer, aber von Allansport war ein beträchtlicher Infanterieverband ausgerückt und marschierte am Ufer entlang Richtung Süden. Falls Levine Recht hatte, dann waren in Allansport mehr Truppen gewesen als wir uns hatten träumen lassen. »Ich habe Leutnant Bonneyman, Sir.« »Dem Herrn sei Dank.« Falkenberg schnappte sich das Mikro. »Bonneyman, aus Allansport sind fast tausend Mann ausgebrochen und bewegen sich nach Süden. Sie haben mindestens zwei Panzer und einen ansehnlichen Artillerietroß dabei. Sind Sie gut eingegraben?« »Ja, Sir. Wir halten sie auf.« »Den Teufel werden Sie tun. Nicht mit Gewehren gegen so was.« »Wir müssen sie aufhalten, Sir«, erwiderte Louis. »Miß Malcolm ist mit einer Eskorte während der Nacht ungefähr 20 Kilometer nach Süden gezogen, mit der Absicht Verstärkung aufzutreiben. Sie hat kein Glück damit gehabt, aber dafür Berichte erhalten, denen zufolge es südlich von uns Feindaktivitäten gibt. Mindestens zwei Associationsgruppen, möglicherweise auch mehr, bewegen sich in nördliche Richtung. Wir müssen sie aufhalten, sonst brechen sie durch und vereinigen sich mit den Truppen aus Allansport.« »Einen Augenblick«, sagte Falkenberg. »Hauptfeldwebel, ich will Hubschrauberaufklärung in der Gegend südlich von
Leutnant Bonneyman und seinen Ranchern. Schicken Sie Stragoff. Er soll sich in großer Höhe halten, aber es ist von größter Bedeutung, daß ich herausbekomme, was da von Norden aus Denisburg auf uns zukommt. In Ordnung, Mr. Bonneyman. Im Augenblick haben Sie keine Ahnung was auf Sie zukommt.« »Nein, Sir, aber ich befinde mich in einer ganz guten Position. Haben Schützengräben, und wir verstärken die südliche Randstellung.« »In Ordnung. Dort sind sie wahrscheinlich sicherer als irgendwo anders. Falls Sie in Schwierigkeiten kommen, Ihre Rückzugslinie verläuft nach Osten, auf den Fluß zu. Ich führe das 501. um die Stadt herum. Wir umgehen sie im weitem Bogen, damit wir außer Artilleriereichweite bleiben. Dann werden wir zum Fluß runterstoßen und uns die ganze Zeit am Ufer halten, bis wir Ihre Stellung erreicht haben. Falls nötig können unsere Pioniere uns eine Pontonbrücke schlagen. Wir werden uns dann über den Fluß absetzen.« »Werden wir türmen müssen, Captain?« Louis Stimme hörte sich bestürzt an. »Wie ich schon Mr. Slater auseinandergesetzt habe, besteht unsere Hauptaufgabe darin, das 501. als Kampfeinheit zu erhalten. Halten Sie sich bereit sich auf Befehl nach Osten zurückzuziehen, Mr. Bonneyman. Bis dahin müssen Sie die Stellung halten, und es wird höchstwahrscheinlich heiß hergehen.« »Machen wir, Captain.« »Ausgezeichnet. Und was ist nun mit Miß Malcolm?« »Ich weiß nicht, wo sie ist, Sir. Ich kann einen Suchtrupp – « »Nein. Sie haben keine Leute für so was übrig. Falls Sie ihr eine Botschaft zukommen lassen können, sagen Sie ihr, sie soll wieder zu Ihnen stoßen, falls das möglich ist. Wenn nicht, ist
sie auf sich selbst gestellt. Haben Sie Ihre Befehle verstanden, Mister?« »Ja, Sir.« »Ausgezeichnet. Ende.« »Kathryn kann also geopfert werden«, sagte ich. »Jeder kann geopfert werden, Mr. Slater. Hauptfeldwebel, lassen Sie Stragoff Miß Malcolms Frequenz abhören. Falls er sie ausmachen kann, soll er versuchen, sie aus dem südlichen Sektor zu evakuieren, aber dabei darf er seinen Aufklärungsauftrag nicht vernachlässigen.« »Sir.« »Sie sind ein hartherziger Hurensohn«, sagte ich. Seine Stimme war ruhig, als er sagte: »Mister, ich werde dafür bezahlt, Verantwortung zu übernehmen, und augenblicklich verdiene ich mir meine Brötchen. Ich werde diese Bemerkung überhören, dies eine Mal.« Falls ich noch etwas sagte, würde ich mich im Arrest wiederfinden, während meine Truppe kämpfte. »Schon verstanden. Wie lauten meine Befehle?« »Zunächst werden Sie die Vorausabteilung des 501. fuhren. Ich will, daß das Bataillon in Kolonne um die Stadt herummarschiert und sich aus dem Artilleriebereich heraushält. Wenn Sie einen Punkt genau südwestlich von Allansport erreicht haben, bringen Sie die Vorausabteilung zum Stehen und sammeln das Bataillon wenn ich es Ihnen schicke. Ich werde hier bleiben, bis das durchgeführt ist. Ich muß dem Gouverneur noch Meldung machen und ich will die Tagesaufnahmen vom Satelliten noch abwarten.« Ich schaute auf meine Uhr. Unglaublich, immer noch eine Viertelstunde bis Sonnenaufgang. In den letzten 45 Minuten war viel geschehen. Als ich den Caravan verließ, veranstaltete Falkenberg am Kartentisch Spielchen. Neue unblutige Schlachten, mit glimmernden Lämpchen und zappelnden
Linien, die blitzschnell über die Karte flitzten, da wurden stundenlange blutige Kämpfe, Tod und Schmerz nachgestellt. Und was zum Teufel, erreichst du damit?, dachte ich. Die Computerergebnisse sind nur so gut wie die Eingabedaten und deine Nachrichtenlage über den Feind ist einfach lausig. Wieviele Associationsoldaten marschieren den Paß herunter auf Centurion Cernan zu? Keine Daten. Wieviele mehr befinden sich in den Kolonnen, die in den Bergen zusammenlaufen und sich auf Louis, Kathryn und ihre Rancher zu bewegen? Rat’ mal. Was sind ihre Ziele? Raten und wieder raten. Und Kathryn ist das draußen und statt sie zu retten, halten wir das Bataillon zusammen. Ich wollte meutern und mit allen Männern, die ich dazu kriegen konnte mir zu folgen zu Kathryn gehen, aber das würde ich nicht tun. Ich unterdrückte die Tränen. Wir hatten einen Auftrag, und Falkenberg hatte wahrscheinlich recht. Er kam den Ranchern zu Hilfe und das war das, was Kathryn wollen würde. Sie hatte diesen Leuten ihr Ehrenwort verpfändet, und es lag an uns es einzulösen. Vielleicht wird Stragoff sie finden, dachte ich, vielleicht. Ich ging in mein Zimmer und ließ mir von Hartz über meine Uniform Ausrüstungsgegenstände hängen. Es war an der Zeit abzurücken, und ich war froh etwas zu tun.
XIV
Das Tal war mit dickem weißem Dunst angefüllt. Der Nebel wallte aus dem Fluß hoch und floß durch den Talkessel. In den zwei Stunden seit Tagesanbruch hatte das 501. neun Kilometer bewältigt. Das Bataillon war auf den zerwühlten Furchen, die einst Straßen gewesen waren und nun zu zähem Modder geworden waren in einer langen Kolonne von Männern, Mulis und Planwagen auseinandergezogen. Die Männer zerrten an Seilen, um die Kanonen und Munitionswagen in Bewegung zu halten und als wir Ochsen und Maultiere auf den Äckern fanden, spannten wir auch diese ein. Das Unwetter, das uns vor zwei Tagen in Beersheba durchnäßt hatte, war auch durch das Allantal gekommen und die Felder waren zu klebrigen Marschen geworden. In der Ferne konnten wir Kanonendonner hören: Ardwains Kolonne, die Garnison von Allansport, die versuchte, Louis’ Stellung zu durchbrechen – oder jemand anderes, Welten von uns entfernt. In dem Nebel konnten wir das nicht feststellen. Der Lärm hatte keine Richtung und hier draußen gab es keine Schlacht, nur Matsch. Hier im Tal gab es keine Feinde. Aber Freunde gab es ebenfalls nicht. Hier gab es nur Flüchtlinge, armselige Familien, die ihr Hab und Gut auf Maulesel und Ochsen getürmt hatten oder selbst trugen. Sie wußten nicht wohin sie sich wenden sollten und ich konnte sie nirgendwo hinschicken. Manchmal kamen wir an Farmen vorbei und dort konnten wir Frauen und Kinder sehen, die uns aus halb geöffneten Türen oder verrammelten Fenstern anstarrten. In ihren Augen lag kein Ausdruck. Das Dröhnen der Geschütze jenseits des
Horizonts und die Flüche der Männer, die damit kämpften, unsere Ausrüstung durch den Schlamm zu bewegen, weitere Flüche, als die Männer Ochsen antrieben, die wir gefunden hatten, und sie an die Wagen spannten; die schrillen Schreie von Farmern, die gegen den Verlust ihres Viehs protestierten; alles tropfnaß im weißem, quirlenden Nebel; all das in einem langen Alptraum wütender Gefühle und von Sinnlosigkeit vereinigt. Wo waren die Leute geblieben, die wir befreien wollten? Wir erreichten den Punkt auf der Karte, den Falkenberg bestimmt hatte, und die Soldaten ruhten sich auf dem Boden aus, während der Rest der Kolonne zu uns aufschloß. Die Geschütze waren gerade heran, als Falkenberg mit seinem Kommandantencaravan eintraf. Die geländegängige Maschine konnte ohne Schwierigkeiten die matschigen Felder bewältigen, während wir uns auf ihnen abquälen mußten. Er schickte nach Deane Knowles und ließ uns beide in den Caravan kommen. Dann befahl er alle Unteroffiziere und einfachen Soldaten raus. Wir drei waren mit dem Kartentisch allein. »Mit dem, was ich erklären möchte, habe ich bis zur letzten Minute hinter dem Berg gehalten«, sagte er. »Es sieht so aus, als ob dies hier nur für Ihre Ohren bestimmt ist. Es passiert manchmal, daß ich jemanden um mich haben will, um sicher zu gehen, daß ich meinen Verstand nicht verloren habe.« »Ja, Sir«, sagte ich. Deane und ich schauten einander an. »Ein paar Hintergrundinformationen«, sagte Falkenberg. »An der Situation im Allantal ist seit Jahren etwas komisch. Zunächst sind die Sträflingsgruppen viel zu gut bewaffnet gewesen. Gouverneur Swale war viel zu schnell bereit, sie als legitime örtliche Regierung anzuerkennen. Ich glaube, Sie beide haben das früher schon erwähnt.« Deane und ich schauten einander wieder an.
»Die Satellitenfotos von heute morgen«, sagte Falkenberg. »Es ist viel zu viel Nebel vorhanden, als daß man viele Details erkennen könnte, aber es gibt einige einsehbare Flecken. Dieser Bildabschnitt wurde südlich von Mr. Bonneyman aufgenommen. Ich warte auf ihre Kommentare.« Er reichte uns die Fotos. Die meisten wiesen Nebelbänke auf, unter denen der Boden vollständig unsichtbar war. Andere zeigten Flecken, wo der Nebel dünn oder gar nicht vorhanden war. »Nichts zu sehen«, sagte Deane. »Genau«, erwiderte Falkenberg. »Und trotzdem haben wir Berichte, die von Truppenbewegungen in diesem Gebiet sprechen. Es hat den Anschein, als ob der Gegner weiß, wann der Satellit über uns hinweggeht und er hat deswegen die freien Stellen gemieden.« »Das sollten sie auch«, bemerkte Deane. »Es sollte nicht so schwer sein, die Überflugzeiten des Spions auszurechnen.« »Richtig, nun schauen Sie sich mal die Vergrößerungen der sichtigen Gebiete an.« Wir schauten wieder hin. »Die Straßen sind zerwühlt«, sagte ich. »Matsch und Schlamm. Da sind eine Menge Leute und Planwagen drüber gefahren.« »Und zwar kürzlich will ich meinen.« Falkenberg nickte befriedigt. Falls das ein Test gewesen war, dann hatten wir ihn bestanden. »Und nun noch etwas anderes. Ich habe Sergeant Jaskis Leute alle Sendungen von Allansport überwachen lassen. Es könnte unwichtig oder bedeutsam sein, daß kurz nach jeder Verbindung zwischen dem Hauptquartier und dem 501. mit Feldabteilungen Sendungen vom Gouverneurspalast in Harmony gelaufen sind – und innerhalb einer halben Stunde eine Antwort erfolgte. Keine sofortige Antwort, meine Herren, sondern erst nach einer halben Stunde. Kurz danach finden Gespräche auf Frequenzen statt, die die Associationverbände benutzen.«
Dazu ließ sich nichts sagen. Die einzig mögliche Erklärung ergab keinen Sinn. »Nun wollen wir mal sehen, was der Feind vorhat«, sagte Falkenberg. »Sie belagern den Gouverneur in Allansport. Unsere ursprünglichen Befehle bestanden darin eine Truppe zu entsenden und ihn zu befreien. Wir wissen nicht, was sie getan hätten aber statt dessen haben wir einen komplexen Plan ersonnen, um sie in eine Falle zu locken. Wir leiten die ersten Maßnahmen ein und was passiert? Der Feind lädt uns ein, weiterzumachen. Sie unternehmen nichts. Später erfahren wir dann, daß eine erkleckliche Streitmacht, möglicherweise sogar ihre Hauptmacht, nach Norden marschiert. Ihr offensichtliches Ziel ist Mr. Bonneymans gemischte Gruppe von Marinern und Ranchern. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Ausschaltung dieser Rancher für die Association von Bedeutung ist. Sie wären nicht nur potentielle Gegner, sondern ich glaube, daß es in der Zukunft unmöglich sein würde, zahlenmäßig bedeutsame Rancheraufgebote dazu zu überreden, sich gegen sie aufzulehnen. Die Association würde die einzige mögliche Regierung im Allantal sein.« »Ja, Sir, aber warum?« fragte Deane. »Was könnte… Warum würde Gouverneur Swale mit ihnen kooperieren?« »Das müssen wir im Augenblick auf sich beruhen lassen, Mr. Knowles. Eins nach dem anderen. Jetzt zur augenblicklichen Situation. Centurion Ardwain hat die Sonderaufgabe, eine große Streitmacht, die vorsichtig im Norden von Allansport vorgeht zu simulieren, großartig erledigt. Gouverneur Swale scheint überzeugt zu sein, daß wir mindestens die Hälfte unserer Truppen dort gebunden haben. Ich habe ihn darüber hinaus davon unterrichtet, daß wir jetzt die Hauptmacht des 501. aus seiner jetzigen Position direkt nach Osten zum Flußufer führen, wo wir dann unsere Truppe erneut teilen. Die eine Hälfte schicken wir nach Süden um Bonneyman zu helfen
und die andere in die Stadt. Der Gouverneur hielt das für einen hervorragenden Plan. Haben Sie dazu eine Meinung, Mr. Slater?« »Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe«, sagte ich. »Besonders wenn er in dem Glauben ist, daß Sie unsere Streitmacht sowieso schon geteilt haben. Falls Sie das tun, fordern Sie eine vollständige Niederlage heraus.« »Genau«, gab Falkenberg mir recht. »Natürlich verfügt Gouverneur Swale über keinerlei militärische Kenntnisse.« »Das braucht er auch gar nicht, um zu wissen, daß dieser Plan ein Reinfall ist«, erklärte ich. »Verdammter Verräter.« »Keine Anschuldigungen«, sagte Falkenberg. »Wir haben keinerlei Beweise. Aber wie dem auch sein mag, ich gehe davon aus, daß die Association entschlüsselte Kopien aller meiner Gespräche erhält. Ich brauch’ nicht zu wissen, wie sie daran kommen. Immer wenn Sie Funksignale absetzen, könnten diese abgehört werden.« »Ja, Sir.« Deane machte einen nachdenklichen Eindruck. »Das beschneidet unsere Kommunikation etwas.« »Ja. Ich hoffe, daß das nichts ausmachen wird. Nächstes Problem. Meiner Annahme zufolge erwartet der Feind von mir, daß ich Truppen nach Osten zum Fluß schicke. Diese Erwartung müssen wir erfüllen. Ich brauche Mr. Knowles um die Artillerie zu führen. Also blieben Sie übrig, Mr. Slater. Ich möchte, daß Sie einen Zug nehmen und damit zwei Kompanien vortäuschen. Sie werden einen Strom von Berichten zurückschicken, ganz so als ob Sie die Hauptabteilung des Bataillons wären und mir im Hauptquartier, das sich sicher hinter den Linien befindet, Meldung erstatten.« Falkenberg zeigte einen Anflug von Grinsen. »Soweit ich informiert bin, teilt Irinas Vater ihre Meinung über mich. Er wird es keineswegs schwierig finden, davon auszugehen, daß ich die Kampfzone meide.«
»Aber was ist, wenn ich eine echte Meldung zu machen habe?« fragte ich. »Ist Ihnen der O’Grady Drill bekannt?« gab Falkenberg zurück. »Ja, Sir.« O’Grady Drill ist eine Form von Folter, die sich Ausbildungsunteroffiziere ausgedacht haben. Man soll dabei nur Befehle ausfuhren die mit: »O’Grady sagt« anfangen, danach bellt der Sergeant eine Flut von Befehlen. »Das Spielchen werden wir spielen«, sagte Falkenberg. »Also, Ihr Auftrag besteht darin, zum Fluß vorzustoßen, dort eine kurze Demonstration von Stärke zu veranstalten, so als ob Sie im Begriff stünden, den südlichen Stadtrand von Allansport anzugreifen und sich dann direkt nach Süden zu wenden, weg von der Stadt, bis Sie sich mit Mr. Bonneyman vereinigen. Sie werden seinen Abwehrkampf unterstützen, bis Sie ersetzt werden.« »Aber – Captain, Sie gehen doch davon aus, daß der Feind Ihre Befehle kennt.« Er nickte. »Natürlich werden sie einen Hinterhalt vorbereiten. Bei dem Nebel bietet sich das von selbst an. Da sie davon ausgehen, daß Sie einen viel größeren Verband dabei haben, werden sie wahrscheinlich alle Streitkräfte die heute morgen Allansport verlassen haben dafür einsetzen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie dumm genug sind, es mit weniger Leuten zu versuchen.« »Und wir sollen hineinlaufen«, erkundigte ich mich. »Ja. Halten Sie die Augen offen, aber laufen Sie rein. Sie sind der Köder, Mr. Slater. Ziehen Sie los und zappeln Sie.« Mir fiel ein alter Comic-Strip ein. Ich zitierte eine Zeile daraus: »Ist nicht so wichtig ob du ‘nen Fisch fängst oder nicht; wenn du erst einmal der Köder gewesen bist, taugst du für was anderes eh nicht mehr.«
»Vielleicht«, sagte Falkenberg. »Vielleicht. Aber ich möchte Sie daran erinnern, daß Sie Mr. Bonneyman den Rücken von einer Hauptkolonne von Associationtruppen freihalten werden.« »Das werden wir, so lange wir am Leben bleiben.« »Ja. Deswegen erwarte ich von Ihnen, daß Sie so lange wie möglich am Leben bleiben.« »Gegen solche Befehle kann ich schlecht Einwände erheben, Captain.« Als wir den Fluß erreichten, war der Nebel noch dichter geworden. Die Abteilung war auf fast einen Kilometer auseinandergezogen, wobei jeder Manipel vom anderen durch eine tropfnasse weiße Decke, die auf dem Tal lag, getrennt war. Die Leute hatte ihren Spaß, Monitors machten Meldungen, als wären sie Zugführer, Gefreite spielten Centurion. Sie hielten ein Schwarm von Geschnatter auf dem Funkgerät aufrecht, während zwei Mann in Falkenbergs Hauptquartier Befehle absetzten, um die wir uns nicht scherten. Bis hierher war es leicht gewesen, denn wir waren noch in nichts hineingeraten. »Dort ist die Stadtmauer.« Roszak deutete nach links. Ich konnte den dunklen Umriß kaum ausmachen. »Wir schauen uns das mal kurz an. In Ordnung, Herr Leutnant?« »Ja, aber seien Sie vorsichtig.« »Bin ich immer, Sir. Brady schaff deine Abteilung her. Wir wollen mal sehen, was sich da drüben abspielt.« Der Nebel verschluckte sie. Es schien Stunden zu dauern, aber es waren nur Minuten gewesen, bis Brandy zurückkehrte. »Nichts, Sir. Nichts und niemand, wenigstens nicht in der Nähe der Mauer. Vielleicht sind weiter drin welche. Ich hab’ da so ein Gefühl.« Roszaks Stimme ertönte auf meinem Kommandosender. »Bin 50 Meter reingegangen. Genau wie Brandy gemeldet hat.«
»Hat er auch ihr Gefühl gehabt«, fragte ich. »Ja, Sir.« Ich schaltete das Funkgerät wieder ein. »Danke, Roszak. Kehren Sie zurück.« »Aye, aye Sir.« Im Norden hörte man schwache Schußgeräusche. Ardwains Gruppe machte ihre Aufgabe, eine Kompanie vorzutäuschen, gut. Sie rückten immer noch Haus für Haus in die Stadt vor. Ich fragte mich, ob er auf Widerstand traf, oder ob er das Feuerwerk selbst veranstaltet. Er sollte vorsichtig vorgehen, seine Leute schossen vielleicht auf alles, was sich bewegte. Sie machten eine Menge Krach. »Geben Sie mir Falkenberg«, sagte ich Hartz. »Ja, Mr. Slater?« »Captain Monitor O’Grady meldet, daß der Südteil der Stadt aufgegeben worden ist. Ich kann die Kampfabteilung von AKompanie am nördlichen Ende hören, weiß aber nicht, auf was für Widerstand sie getroffen sind.« »Sehr leichten, Mister. Sie lassen eine Kompanie zurück, um A-Kompanie zu unterstützen, nur für alle Fälle und ziehen weiter nach Süden. Genau nach Plan, Mr. Slater. Keine Änderungen. Verstanden.« »Ja, Sir.« »Haben Sie Schwierigkeiten mit den Kanonen?« »Etwas, Sir. Straßen sind matschig. Schwere Arbeit, aber wir kommen voran.« »Ausgezeichnet. Machen Sie so weiter. Ende.« Und das wär’s dann gewesen, sagte ich mir. Ich vergatterte einen Monitor, sich gerade außerhalb der Stadt einzubuddeln und weiterhin Meldungen abzusetzen. »Sie sind gerade Centurion von B-Kompanie geworden«, meinte ich. Er grinste. »Ja, Sir. Lassen Sie mir auch ein paar übrig.«
»Werde ich, Jokura. Viel Glück.« Ich winkte dem Rest meiner Einheit, mir auf die Straße zu folgen. Wir waren zu einer langen Kolonne auseinandergezogen. Der Nebel wurde etwas dünner. Nun konnte ich zwanzig Meter weit sehen, bevor die Welt von einem quirligen weißen Schleier verhüllt wurde. Wie läuft man am gefahrlosesten in einen Hinterhalt? fragte ich mich. Der sicherste Weg besteht darin, es nicht zu tun. Wenn man diese Möglichkeit mal streicht, dann steht einem nicht mehr viel zur Auswahl. Ich benutzte den Helmprojektor, um einen Blick auf die Straßenkarte zu werfen. Der erste Test fand an einem Hügel kurz vor der Stadt statt: Anhöhe 509, Steinhaufen genannt, ein Labyrinth aus großen kreuz und quer liegenden Felsen und schartigen Vorsprüngen. Er beherrschte die Straße zum Südtor von Allansport. Wer auch immer ihn hielt, hatte den Verkehr in und aus der Stadt unter Kontrolle. Falls die Association uns nur daran hindern wollte, nach Süden zu marschieren, dann würde sie dort ihre ausgebaute Stellung anlegen. Falls sie darauf aus waren das gesamte Bataillon in einen Hinterhalt zu locken, dann würden sie den Steinhaufen in Ruhe lassen und die Falle weiter hinten aufstellen. Wie dem auch sein mochte, sie würden nie von mir erwarten, daß ich einfach vorbeizog und keinen Blick riskierte. Vier Kilometer hinter dem Steinhaufen befand sich eine niedrige Hügelkette. Die Straße verlief durch ein Tal unterhalb davon. Es war eine ideale Stelle für einen Hinterhalt. Dort werden sie sein, entschied ich. Aber sie mußten wissen, daß wir damit rechneten, sie irgendwo vorzufinden. Ein Köder sollte zappeln, aber es sollte nicht zu offensichtlich sein, daß es sich um einen Köder handelte. Wie würde ich mich verhalten, wenn ich tatsächlich den größten Teil eines Bataillons dabei hätte? Eine starke Sicherungsgruppe vorausschicken. Eine
Vorausgruppe die ungefähr so stark war wie meine gesamte Einheit. Weniger würde keinen Sinn ergeben. »Roszak, fangen Sie an, die Leute aufschließen zu lassen. Verteilen Sie die Planwagen und ein halbes Dutzend Männer mit Funkgeräten auf der gesamten Marschstrecke und schaffen Sie die anderen hierher. Wir formieren uns als eine Vorausabteilung und ziehen Richtung Süden.« »Aye aye, Sir.« Als ich die Truppe gesammelt hatte, führte ich sie auf den Steinhaufen. Natürlich niemand da. Ich hatte die Lage richtig eingeschätzt. Sie warteten weiter vorne auf uns.
Roszak knuffte mich in die Seite und wandte den Kopf etwas nach rechts. Ich nickte bedächtig. »Zeigen Sie nicht drauf Sergeant. Ich habe da oben auch eine Bewegung gesehen.« Wir hatten die Hügel erreicht. »Jesus, worauf warten die?« murmelte Roszak. »Auf den Rest des Bataillons. Uns wollen die nicht, sondern das ganze 501.« »Ja, Sir.« Wir gingen weiter vor. Der Nebel hob sich, die Sichtweite betrug schon über 50 Meter. Es würde nicht mehr lange dauern, bevor klar wurde, daß mir überhaupt keine weiteren Truppen folgten, trotz lauter Flüche und dem Quietschen der Wagenräder dort hinten. Es ist erstaunlich, wieviel Krach ein paar Planwagen machen können, wenn Soldaten sich dabei mächtig Mühe geben. Zum Teufel damit, dachte ich. Wir müssen eine gute Stellung ausfindig machen und versuchen sie zu halten. Es wird überhaupt nichts nützen, weiter stur in die Falle zu laufen. Vor uns lag ein felsiges Stück. Es war nicht die perfekte Deckung, aber die beste, die ich in der letzten halben Stunde hatte
ausmachen können. Ich stupste Roszak an: »Wenn wir dort sind, fangen Sie an, die Männer in die Felsen zu schicken. Da ist der Nebel dichter.« »Was ist, wenn der Feind schon drin ist?« wollte Roszak wissen. »Dann kämpfen wir uns hinein, aber ich bezweifle, daß sie dort sein werden. Ich nehme an, sie sind uns ausgewichen als wir vorstießen. Die befinden sich immer noch in dem Glauben, daß sich da hinten, einen ganzen Kilometer zurück, die Kolonne befindet.« »Klingt zuversichtlich«, sagte ich mir. »Wir werden da drinnen eine defensive Wachstellung beziehen und warten bis der Krieg zu Ende ist.« »Klar.« Roszak ging nach rechts und sprach mit dem nächststehenden Mann. Die Befehle wanderten von Mund zu Mund nach hinten. Noch drei Minuten, noch drei Minuten, sagte ich mir, dann haben wir wenigstens etwas Deckung. Die Stelle, die ich ausgesucht hatte, war ein Sattel, ein niedriger Paß zwischen den Hügeln zu beiden Seiten von uns. Nicht gerade gut, aber besser als die Straße. Ich fühlte, wie aus den Felsen Gewehre auf mich gerichtet waren, aber außer grotesken Umrissen, nebeltriefenden Felsen, sah ich nichts. Wir kletterten höher und bewegten uns stetig auf die von mir gewählte Stelle zu. Vielleicht ist da oben überhaupt niemand, der Ausschau hält. Sie sind vielleicht auf der anderen Seite des Tals. Du hast nur einen einzigen Mann gesehen. Vielleicht war es noch nicht einmal ein Mann. Etwas, das sich bewegt hat. Ein wildes Tier. Ein Hund. Ein verwehter Nebelfetzen. Was immer es auch gewesen sein mag, ich konnte die Spannung nicht länger ertragen. Brauchst du auch nicht. Noch eine Minute. Der Felsblock da oben, da der eine Große. Wenn
du bis dort hinkommst, hast du es hinter dir. Nicht laufen. Schön langsam gehen. »In Ordnung, ihr könnt aus dem Glied treten und eine Pause einlegen!« schrie ich. »Hartz sagen Sie der Kolonne, sie soll halt machen. Zehn Minuten. Kompanien sollen aufschließen und die Nachzügler zusammenbringen. Sie werden sich nach der Pause hier sammeln.« »Sir.« »Sie lassen besser Außenposten aufziehen, Sergeant.« »Sir«, rief Roszak. »Corporal Brady, wie wär’s mit ein bißchen Kaffee? Sie können den Ofen im Windschatten des Felsens dort aufstellen.« »Geht in Ordnung Herr Leutnant.« Die Männer verschwanden im Nebel. Man konnte Füße scharren hören, während sie Verstecke fanden. Ich ging in Deckung und kauerte zusammen mit Corporal Brady am Felsen. »Sie hätten nicht im Ernst Kaffee machen brauchen«, bemerkte ich. »Warum nicht, Herr Leutnant. Wir müssen noch eine Zeitlang warten, oder nicht?« »Ich hoffe es Corporal, ich hoffe es. Aber der Nebel löst sich schnell auf.«
Zehn Minuten später hörten wir die Schüsse. In dem dichten Nebel war es schwer, die Richtung, aus der die Geräusche kamen, zu bestimmen, aber ich dachte, daß sie genau vor uns und weit aus dem Süden kamen. Man konnte unmöglich die präzise Entfernung schätzen. »O’Grady, Nachricht von Captain Falkenberg«, sagte Hartz. »Leutnant Bonneymans Gruppe ist einem schweren Angriff von Süden her ausgesetzt.«
»Melden Sie verstanden.« Aus dem Süden. Das bedeutete, daß die Kolonnen, die von Norden aus Denisburg gekommen waren, auf Louis’ Rancher gestoßen waren. So viel hatte Falkenberg richtig erraten. Am Ende klappte dieser ganze verrückte Plan vielleicht doch. »Irgend etwas neues über Ardwain?« »Keine Nachrichten, Sir.« Ich stellte meinen Kommandosender mit dem Daumen auf allgemeinen Empfang. »An alle Einheiten des 501. im Süden finden schwere Kämpfe statt. Sofort sammeln. Wir werden uns nach Süden wenden und Feuerunterstützung geben. Laßt die Kanonen sofort losrollen.« Ein Chor von Funkantworten ertönte. Nur ein Dutzend Leute, aber es klang nach Hunderten. Ich wäre davon überzeugt gewesen, daß es sich um einen Bataillonskampfverband handelte. Ich beglückwünschte mich gerade selbst, als ein Sonnenstrahlbündel durch den Nebel brach und vor meinen Füßen aufkam.
XV
Als die Sonne durchgebrochen war, hob sich der Nebel schnell. In Sekundenschnelle dehnte sich die Sichtweite von 50 auf 100, dann auf 200 Meter aus. In wenigen Minuten konnte man die Straßen nach Norden hin einen Kilometer weit einsehen. Alles leer. Ein einzelner Planwagen kämpfte sich auf ihr entlang und ganz dort hinten in der Ferne tauchte ein Mann mit einem Sender auf, mutterseelenallein. »O’Grady sagt, leg dich lang!« schrie ich. »Hartz geben Sie Falkenberg durch, daß die Täuschung aufgeflogen ist.« Und es passierte immer noch nichts. Ich nahm meinen Feldstecher und beobachtete die Felsen über und hinter uns. »Jesus«, murmelte ich. »Roszak, wir sind in die gesamte Allansport Mannschaft gelaufen. Verflucht, so um die tausend Mann! Eingraben und die Köpfe runter!« Unten auf der Straße explodierte eine Mörsergranate. Dann noch eine, dann folgte eine ganze Salve. Die schießen gar nicht schlecht, dachte ich. Natürlich wurde nichts getroffen, weil es nichts zu treffen gab, außer dem einzelnen Planwagen, aber sie hatten richtig justiert. Wenn wir dort gewesen wären, hätten wir es hinter uns gehabt. Gewehrkugeln summten über uns hinweg. Zu guter Letzt fingen die Associationsoldaten zu schießen an. Ich versuchte mir die Gefühle des feindlichen Kommandanten vorzustellen und ertappte mich dabei, wie ich laut loslachte. Er hatte die ganze Zeit geduldig darauf gewartet, daß wir in seine Falle tappten, alles was ihm ins Netz ging, war etwas weniger als ein Zug. Er würde verrückt spielen.
Er würde meine 60 Mann, die zwei Mörser und die vier leichten Maschinengewehre mit Öl und Essig auffressen. Aber dazu würde er ein Weilchen benötigen. Ich hatte mir einen guten Platz ausgesucht, um ihn zu erwarten. Jetzt wo sich der Nebel verzogen hatte, wurde mir bewußt, daß die Stellung besser war, als ich nach der Karte geschätzt hatte. Wir verfügten über ein ganz ordentliches Schußfeld und die Felsen waren groß und fest gefügt. Sie würden kommen müssen, um uns zu kriegen. Alles was uns zu tun blieb, war die Köpfe unten zu halten. Für Täuschungsmanöver bestand keine Veranlassung mehr. »O’Grady sagt, bleibt locker und laßt sie rankommen.« Es erscholl ein Chor von Antworten. Dann ertönte Bradys Trompete, es fing mit »In Marschausrüstung antreten« an, ging durch das halbe Signalbuch und mündete in den Marinergrenadiermarsch. Das ist ein Hit, sagte ich zu mir. Verdammt richtig. Dann hörte ich das Pfeifen herannahenden Artilleriebeschusses und ich hechtete in die winzige Deckung zwischen meinen Felsen, während Streusalve um Streusalve auf unsere Stellung niederging. Schützen schwärmten auf die Straße hinter mir. Meine Funker und die beiden Kutscher wurden innerhalb weniger Sekunden niedergemäht. Die Associationtruppen kamen den sanften Aufstieg mindestens in Kompaniestärke auf uns zu. Damit hatte der Associationskommandeur seinen ersten Fehler gemacht. Seine Artillerie war durchaus dazu geeignet, uns in Deckung zu halten, aber die Felsen gewährten uns genug Schutz, wir hatten nicht viele Tote zu beklagen. Man benötigt erfahrene Unteroffiziere und viel Disziplin, um Soldaten dazu zu bekommen, Ausfälle durch die eigene Artillerie zu akzeptieren. Es macht sich bezahlt, aber unsere Angreifer wußten oder glaubten es nicht.
Sie waren noch zu weit entfernt, als der Artilleriebeschuß aufhörte. Meine Jungs waren in Nullkommanichts aus ihren Verstecken heraus. Sie übergossen die vorrückenden Truppen mit einem Feuersturm – erst die Gewehre und leichten Maschinenwaffen, dann beide Granatwerfer. Nur ganz wenige Feinde trugen Kampfrüstungen, unser Feuer war verheerend. »Wackere Kerls«, grunzte Hartz. »Kommen immer noch.« Das taten sie aber nicht mehr lange. Zu viele von ihnen wurden niedergemacht. Sie wogten bis auf 50 Meter an uns heran, schwankten und fielen zurück, einige schleiften ihre Verwundeten mit, andere wiederum rannten um’s liebe Leben. Als der Angriff zurückgeschlagen war, ließen wir uns in die Felsen zurückfallen, um die nächste deckende Artilleriesalve abzuwarten. »Eins zu Null für die Marinergrenadiere«, rief ich aus. Brady antwortete mir mit der Schlußfanfare des Marsches. »Und keiner kann es mit uns aufnehmen.« »Das werden sie nicht noch einmal versuchen«, bemerkte Roszak mit einem befriedigten Grinsen. »Die Jungs halten sich prima, Mr. Slater.« »Stimmt auffallend.« Auf unserem Kampfschauplatz war es ruhig, aber von Süden her kamen Geräusche, die von schweren Kämpfen zeugten: Artillerie-, Gewehr- und Maschinengewehrfeuer, Mörser- und Granateinschläge. Es hörte sich an, als ob es auf uns zukommen würde. Louis und seine Rancherabteilung standen gegen eine große Übermacht. Ich fragte mich, ob Kathryn bei ihm war. »Als nächstes werden sie es mit Einsickern versuchen«, wagte Roszak eine Prognose. »Wie kommst du darauf?« wollte Hartz wissen.
»Keine Disziplin. Nach dem, was das letzte Mal passiert ist, kriegen die nie wieder einen anständigen Sturmangriff auf die Beine.« »Nein, die werden es noch einmal in voller Stärke versuchen, vielleicht auch zweimal«, hielt Hartz dagegen. »Nie. Was gilt die Wette? Die Weinration von morgen?« »Gemacht«, sagte Hartz. Einen Augenblick lang war es still, dann reichte er mir das tragbare Funkgerät. »Captain Falkenberg.« »Danke. Ja, Captain?« »O’Grady sagt, die O’Grady Schleiferei ist vorbei. Verstanden?« »Ja, Sir.« »Wie steht es bei Ihnen?« »Wir befinden uns auf dem Sattel von Anhöhe 239, sieben Kilometer südlich von Allansport«, gab ich an. »Im Augenblick halten wir uns ganz gut, sind aber umzingelt. Der Hauptteil des Feindes steht zwischen uns und Allansport. Sie haben uns den Weg in den Hinterhalt freigelassen. Sie haben einen Frontalangriff versucht, das hat aber nicht hingehauen. Roszak und Hartz streiten sich darüber, was sie als nächstes versuchen werden.« »Wie lange können Sie durchhalten?« »Kommt darauf an welche Verluste Sie einzustecken bereit sind, um uns hier rauszuholen.« »Sie werden nicht lange ausharren müssen«, sagte Falkenberg. »Es ist eine Menge passiert. Ardwain ist zum Gouverneur durchgestoßen und hat ihn rausgebracht, ist dabei aber auf einen Verband aus Allansport getroffen. Es kommen noch mehr vom Ostufer über die Brücke.« »Hört sich so an, als ob sie alles zusammenziehen was sie haben.«
»Genau das tun sie und wir schlagen sie an allen Fronten. Die Kolonne die von Denisburg nach Norden marschiert ist, ist auf Bonneymans Abteilung getroffen. Sie trafen Anstalten da durchzubrechen. Wir umgingen sie in westlicher Richtung und haben sie in der Flanke angegriffen. Mit uns hatten sie nicht gerechnet. Euer Manöver hat sie völlig genarrt. Die haben geglaubt, das komplette 501. sei bei Ihnen bis es zu spät war. Jetzt wissen sie es besser, aber wir haben sie geworfen. Natürlich sind sie bedeutend zahlreicher als wir, und wir konnten sie nicht aufhalten. Sie sind zwischen Bonneyman und dem Fluß durchgestoßen und ihr liegt genau in ihrer Marschrichtung.« »Das ist äußerst angenehm.« »Ich glaube, Sie täten besser daran, ihnen aus dem Weg zu gehen«, sagte Falkenberg. »Ich bezweifle, ob ihr sie stoppen könnt.« »Wenn sie sich mit den Kräften aus Allansport vereinigen, entkommen sie über die Brücke. Ich kann sie nicht aufhalten, aber falls Sie etwas an Artillerieunterstützung heranschaffen könnten, kann ich Artilleriebeobachter spielen. Vielleicht verzögern wir damit ihren Marsch.« »Das wollte ich gerade vorschlagen«, sagte Falkenberg. »Ich habe Ardwain und die Gouverneureskorte in Richtung dieser Anhöhe losgeschickt – der Steinhaufen. Das sieht wie eine beherrschende Stellung aus.« »Das ist sie, Sir. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen. Falls wir die unter Kontrolle hätten, könnten wir die ganze Bande daran hindern, nach Allansport zu gelangen. Vielleicht schnappen wir sie sogar allesamt.« »Es ist auf alle Fälle den Versuch wert«, entschied Falkenberg. »Vorausgesetzt, Sie können die Stellung halten. Es wird fast eine Stunde dauern, bis ich Ihnen Artillerieunterstützung beschaffen kann.«
»Wir halten, Sir.« »Viel Glück.« Roszak verlor seine Weinration. Sie versuchten noch einen Sturmangriff. Zwei Gruppen der Associationskräfte kamen auf 20 Meter auf uns heran, bis wir sie zurückwarfen. Als das vorbei war, hatte ich noch dreißig einsatzfähige Männer von den ursprünglich 60 übrig. Allerdings war das ihr letzter Versuch gewesen. Kurz danach formierten sie sich um. Jene, die südlich von uns gewesen waren, hatten bereits die Hügel umgangen, um sich der Hauptabteilung anzuschießen und nun bewegte sich die ganze Gruppe Richtung Norden. Sie marschierten auf Allansport. Der Kampflärm im Süden rückte während der ganzen Zeit näher. Falkenberg ließ Deane parallel zu den Associationsverbänden marschieren, ein Wettrennen, um nahe genug heranzukommen, damit sie uns Unterstützung geben konnten, aber sie würden es nicht rechtzeitig schaffen. Ich schickte unsere Verwundeten die Anhöhe hinauf und von der Straße weg und gab ihnen den Befehl sich einzugraben und in volle Deckung zu gehen. Wir übrigen folgten dem zurückweichenden Verband. Nun befanden wir uns genau zwischen der Abteilung vor und der Denisburg Kolonne hinter uns. Als Deane auf Schußweite herankam, bewegten sich die ersten Associationseinheiten den Steinhaufen hinauf. Er stand immer noch 6 Kilometer südöstlich von uns, große Schußentfernung, lange Flugzeit, aber wir waren in einer guten Position, um sein Feuer zu leiten. Ich beorderte die erste Salve auf die vorrückenden Associationtruppen. Die Granaten gingen über ihr Ziel hinaus; bevor ich sie tiefer auf die Anhöhe lenken konnte, zogen sich die Associationsverbände zurück.
»Die werden eine andere Gruppe auf der Rückseite der Hügel hochschicken«, sagte Roszak. »Die halten wir nie im Leben auf.« »Nein. Verflucht knappe Sache. Ein paar Minuten früher und wir hätten sie allesamt im Sack gehabt. Die Kolonne, die Falkenberg jagte, stand nicht mehr als zwei Kilometer südlich von uns und bewegte sich schnell.« »Halt mal«, unterbrach Deane. »Da meldet sich ein Corporal Dangier. Behauptet, er sei in der Lage, mir Ziele anweisen zu können.« »Das ist einer der Verwundeten, die wir zurückgelassen haben«, erklärte ich. »Er kann schon die Straße von seiner Position einsehen, aber er wird nicht lange am Leben bleiben, wenn die erstmal wissen, daß wir über einen Artilleriebeobachter verfügen, der sie im Auge behält.« »Schieß’ ich nun die Salve?« erkundigte sich Deane. »Ja. Vergiß Corporal Dangier, der in Harmony ein Mädchen und auf der Erde eine Ehefrau hat.« »Ich werde eine Kanone zu eurer Verfügung halten«, sagte Deane. »Die anderen stelle ich auf Dangiers Anweisungen ab.« Ein paar Minuten später hörten wir, wie die Artillerie auf der Straße hinter uns einschlug. Es ging zehn Minuten lang ohne Unterbrechung weiter; dann meldete sich Deane wieder. »Kann Dangier nicht mehr aufspüren.« »Nein. Wir hier können nichts unternehmen. Sie halten sich versteckt. Ich werde das Feuer auf Punkte leiten, von denen ich glaube, daß sie sich lohnen, aber es ist blindes Schießen.« Damit vertrieb ich mir ein Weilchen die Zeit. Es war frustrierend. Wenn der Verband erstmal auf dem Gipfel des Steinhaufens anlangte, war der Weg nach Allansport gesichert. Ich fluchte immer noch als Hartz aufgeregt brüllte. »Centurion Ardwain über Funk, Sir.« »Ardwain, so stecken Sie?«
»Weniger als einen Kilometer westlich von Ihnen, Herr Leutnant. Wir sind um den Stadtrand herummarschiert. Ohne Unterstützung kommt man nicht hinein. Die Miliz will es jedenfalls nicht versuchen.« »Wieviele Mariner haben Sie?« wollte ich wissen. »Ungefähr 80 einsatzfähige und das alte Untier.« »Herr im Himmel, Ardwain kommen Sie schnell. Wir stoßen auf dem Marsch zu Ihnen. Wir werden schnurstracks oben auf den Steinhaufen gehen und dort hockenbleiben, bis Falkenberg heran ist. Mit Deanes Artillerieunterstützung können wir die Anhöhe halten.« »Aye, aye, Sir, wir kommen.« »Auf geht’s!« schrie ich. »Wer ist getroffen und kann nicht mehr laufen?« Keiner antwortete. »Sergeant Roszak hat vor einer Stunde eins ins Bein verpaßt bekommen, Herr Leutnant«, sagte Hartz. »Ich kann noch marschieren«, kam es von Roszak. »Einen Scheiß können Sie, sie werden hier bleiben und Artilleriebeobachtung für uns machen. Alle Verwundeten, die noch auf eigenen Füßen stehen können, bleiben bei ihm. Der Rest macht sich auf die Socken. Wir wollen in Stellung sein, wenn Ardwain eintrifft.« »Aber – « »Maul halten und gehorchen, Roszak.« Ich winkte und wir begaben uns von unserer niedrigen Hügelkuppe hinab. Die gesamte Truppe keuchte, als wir am Fuß des Steinhaufens anlangten. Dort oben saßen bereits Associationleute. Wieviele genau wußte ich nicht. Wir mußten da rauf, bevor sie noch mehr Verstärkung bekamen. Der Weg nach oben genau vor meiner Nase war frei, weil er genau im Blickfeld von Roszak und seinen Artilleriebeobachtern lag. Wir konnten ihn benutzen, sie aber nicht.
Ich bedeutete meinen Männern mit einer Handbewegung weiter vorzugehen. Selbst ein Dutzend von uns auf dem Steinhaufen war vielleicht ausreichend, falls Ardwain schnell genug herankam. Wir kletterten los. Zwei Mann gingen zu Boden, dann noch einer und meine Leute fingen an, sich nach Deckung umzusehen. Das konnte ich ihnen nicht verdenken, aber gestatten konnte ich es ihnen auch nicht. Diese Anhöhe hinaufkommen war zu meinem einzigen Lebensinhalt geworden. Ich mußte sie wieder in Bewegung kriegen. »Brady!« schrie ich. »Corporal blasen Sie zum Angriff!« Die Trompete erscholl. Ein Monitor rollte eine Fahne aus und schwenkte sie über seinem Kopf. Ich schrie: »Mir nach!« und rannte den Hügel hinauf. Dann explodierte eine Granate zwei Meter entfernt. Ich hatte die Zeit, hellrote Flecken aus meinen Hosenbeinen sprudeln zu sehen und mich zu fragen, ob es sich dabei um mein eigenes Blut handelte, dann fiel ich um. Der Kampflärm erstarb. »Herr Leutnant! Mr. Slater!« Ich befand mich auf dem Grund eines Brunnenschachtes. Es war dunkel hier unten und es tat weh nach oben ins Licht zu schauen. Ich wollte wieder in den Brunnen zurücksinken, aber jemand da oben schrie mich an. »Mr. Slater!« »Er kommt zu sich, Centurion.« »Das muß er auch, Crisp! Mr. Slater!« Rings um mich standen Leute. Ich konnte sie nicht deutlich wahrnehmen, aber die Stimme erkannte ich. »Ja, Centurion.« »Mr. Slater«, sagte Ardwain, »der Gouverneur sagt, wir sollten die Anhöhe nicht nehmen! Was machen wir, Sir?« Es ergab keinen Sinn. Wo bin ich, fragte ich mich. Ich war gerade noch genug bei Verstand, nicht danach zu fragen. Jeder fragt das, dachte ich. Warum fragt das jeder? Aber ich weiß es nicht.
Ich wurde in eine sitzende Position hochgezogen. Meinen Augen gelang es für einen Augenblick etwas zu erkennen. Ich war von Leuten und Felsen umgeben. Große Felsen. Da wußte ich, wo ich war. Ich war schon mal an diesen Felsen vorbeigekommen. Sie befanden sich am Fuße der Anhöhe. Felsen unterhalb des Steinhaufens. »Was ist das? Nehmt den Hügel nicht?« sagte ich. »Ja, Sir – « »Herr Leutnant, ich habe Ihren Männern befohlen, sich zurückzuziehen. Es sind nicht genug, um die Anhöhe zu nehmen und es wäre sinnlos sie zu opfern.« Das war nicht der Gouverneur, aber ich hatte die Stimme früher schon gehört. Trevor, Oberst Trevor von der Miliz. Er war mit Swale zusammen bei der Stabsbesprechung anwesend gewesen. Einzelheiten der Stabsbesprechung fielen mir wieder ein, und ich war bemüht, mich weiter zu erinnern. Dann ging mir auf, daß das dämlich war. Die Stabsbesprechung war nicht wichtig, aber ich konnte nicht denken. Was war wichtig? Da gab es etwas, was ich tun mußte. Auf den Hügel raufkommen, ich mußte auf den Hügel raufkommen. »Helfen Sie mir auf die Beine, Centurion.« »Sir – « »Tun Sie’s!« brüllte ich. »Ich gehe da rauf. Wir müssen den Steinhaufen nehmen.« »Ihr habt gehört, was euer Kompaniechef sagt!« schrie Ardwain. »Ausschwärmen!« »Slater, Sie wissen nicht, was Sie da sagen!« brüllte Trevor. Ich ignorierte ihn. »Ich muß was sehen«, sagte ich. Ich versuchte aufzustehen, aber meine Beine funktionierten nicht. Als ich versuchte, sie zu bewegen, passierte gar nichts. »Hebt mich hoch, damit ich was sehen kann«, befahl ich. »Sir – « »Crisp, geben Sie keine Widerworte. Tun Sie, was ich sage.«
»Sie sind verrückt, Slater!« schrie Trevor. »Sie haben Wahnzustände. Sergeant Crisp, setzen Sie ihn ab. Sie werden ihn umbringen.« Der Sani hievte mich bis an den Rand eines Geröllstückes. Ardwain führte Männer die Anhöhe hinauf. Nicht nur Mariner, stellte ich fest. Die Miliz war ebenfalls gefolgt. Wahnsinnig, flüsterte irgend etwas hinten in meinem Kopf. Alles Wahnsinn. Ist eine Krankheit und sie haben sie auch gefangen. Ich schob den Gedanken von mir. Sie fielen, aber während sie fielen, bewegten sie sich immer noch vorwärts. Ich wußte nicht, ob sie es bis oben schaffen würden. »Sie wollten es ja sehen!« schrie Trevor. »Jetzt haben Sie es gesehen! Man kann sie nicht da rauf schicken, ist Selbstmord, aber Sie hören mir nicht einmal zu! Sie müssen die Männer zurückrufen, Mr. Slater. Veranlassen Sie den Rückzug.« Ich schaute auf die Männer. Einige lagen genau vor mir. Sie waren keine 20 Meter weit gekommen. Ein Leib war in der Mitte zerrissen worden. Etwas Glitzerndes lag in der Nähe. Ich erkannte, was es war und wandte mich an Trevor. »Rückzug, Oberst? Sehen Sie das da? Unser Trompeter ist getötet worden, als er das Angriffssignal blies, ich wüßte nicht wie ich den Rückzug befehlen sollte.«
XVI
Ich befand mich wieder tief im Brunnenschacht, es war dunkel und ich hatte Angst. Sie langten zu mir hinab, versuchten mich hoch zu ziehen und ich wollte kommen. Ich wußte, daß ich lange Zeit dort gewesen war und ich wollte raus, weil Kathryn nach mir rief. Ich tastete nach ihrer Hand, konnte sie aber nicht finden. Ich erinnere mich, daß ich schrie, weiß aber nicht, was ich sagte. So ging der Alptraum eine lange Zeit weiter. Dann war es Tag. Das Licht war orangerot, sehr hell und die Wände waren mit orangefarbenem Licht getränkt. Ich versuchte den Kopf zu bewegen. »Doc!« rief jemand. Seine Stimme war sehr laut. »Hal?« »Ich kann dich nicht sehen«, sagte ich. »Wo bist du Kathryn? Wo bist du?« »Ich bin hier, Hal. Ich werde immer hier sein.« Und dann war es wieder dunkel, aber es war nicht mehr so einsam in der Dunkelheit. Danach wachte ich noch mehrmals auf. Viel sprechen konnte ich nicht, und wenn ich es tat, ergaben die Worte nicht viel Sinn, schätze ich, aber schließlich war die Lage klar. Ich befand mich im Krankenhaus von Garrison und zwar schon seit Wochen. Wie lange genau wußte ich nicht. Niemand erzählte mir etwas und alle sprachen mit gedämpfter Stimme, so daß ich fest davon überzeugt war, im Sterben zu liegen, aber ich starb nicht. »Was zum Teufel fehlt mir?« wollte ich wissen.
»Nun mal ganz ruhig bleiben, junger Mann.« Er trug einen weißen Kittel, hatte dicke Brillengläser und einen braungraumelierten Bart. »Wer zum Henker sind Sie?« »Das ist Dr. Cechi«, klärte mich Kathryn auf. »Na und warum zum Teufel sagt ihr mir nicht, was mit mir los ist?« »Er will dich nicht beunruhigen.« »Mich beunruhigen? Glaubst du vielleicht im Dunkeln zu tappen verschafft dir Seelenfrieden? Sagen Sie schon.« »In Ordnung«,fing Cechi an. »Keine Dauerschäden. Haben Sie das verstanden. Keine Dauerschäden, aber wir werden eine Weile brauchen, um Sie wieder zusammenzuflicken. Ein paarmal hätten wir Sie beinah verloren, müssen Sie wissen. Vielfache Darmperforation, zwei gebrochene Wirbel, Trümmerbruch des linken Oberschenkelknochens, dazu Löcher, Prellungen und Abschürfungen. Von dem Umstand, daß Sie, als man Sie herbrachte, fast völlig ausgeblutet waren, einmal abgesehen. Es ist nichts dabei, was wir nicht wieder in Ordnung bringen können, aber Sie werden eine Zeitlang hier bleiben müssen, Captain.« Er hielt meinen Arm und ich fühlte dort einen Druck, HypoSpray. »Schlafen Sie einfach ein, den Rest erzählen wir Ihnen morgen.« »Aber – « Was immer ich auch sagen wollte, es gelangte nie über meine Lippen. Ich sank zurück, aber diesmal nicht in den Brunnenschacht. Es war einfach Schlaf und ich konnte den Unterschied erkennen.
Als ich das nächste Mal aufwachte, war Falkenberg da. Er grinste mir zu.
Ich grinste zurück. »Hallo, Captain.« »Major, Sie sind der Captain.« »Ach? Wie kommt denn – « »Nur vorläufige Beförderungen, aber Harrington glaubt, daß sie durchgehen.« »Wir müssen gewonnen haben.« »Oh yeah!« Er setzte sich so hin, daß ich ihn sehen konnte. In diesem Licht sahen seine Augen hellblau aus. »Leutnant Ardwain hat den Steinhaufen genommen, behauptet aber, es sei alles Ihr Verdienst gewesen.« »Leutnant Ardwain. Es hat aber einen Haufen Beförderungen gegeben«, sagte ich. »Einige. Als organisierte Militärmacht existiert die Association nicht mehr. Die Freunde Ihres Mädchens sind am Drücker. Wan Loo ist vorläufiger Präsident oder Überwacher oder wie auch immer sie ihn nennen. Gouverneur Swale ist davon nicht sonderlich angetan, aber offiziell muß er es sein. Im gefiel es auch nicht, Harringtons Bericht genehmigen zu müssen, aber es blieb ihm keine Wahl.« »Aber er ist doch ein erbärmlicher Verräter. Warum ist er immer noch Gouverneur?« »Benehmen Sie sich wie ein Erwachsener, Captain.« In Falkenbergs Stimme war jetzt kein Anflug von Humor mehr vorhanden. »Wir haben keine Beweise. Ich kenne die Geschichte, falls Sie sie gerne hören möchten. Es wäre sogar besser. In der Flotte sind Sie populär, aber im Großsenat werden gewisse Elemente Sie aus tiefster Seele hassen.« »Erzählen Sie.« »Swale ist schon immer Mitglied der Bronsonfraktion gewesen«, begann Falkenberg. »Die Familie Bronson hat bei Dover Mineral Development Inc. allerhand zu sagen. Sieht ganz so aus, als wäre hier mehr los, als American Express und Kennicott sich träumen lassen. Dover hat das herausgefunden
und versucht, die Schürfrechte zu erwerben. Die ›Säulenheiligen‹ wollten nicht verkaufen – besonders die Farmer wie Wan Loo und Seeton nicht. Sie wollten hier von industrieller Entwicklung nichts wissen und Swale war es klar wie nur was, daß sie keinerlei Schürfrechte an Dover verkaufen würden. Swales Politik bestand darin, Gruppen wie den Association im Tausch gegen Unterschriften unter Abbauverträge zu helfen. Wenn nur genügend solcher Vereine als legitim anerkannt würden, dann gäbe es mit den Verträgen keine Schwierigkeiten und den Rest können Sie sich wahrscheinlich selbst zusammenreimen.« »Vielleicht liegt es an meinem Kopf«, erklärte ich ihm, »aber ich kann es nicht. Warum zum Teufel hat er uns dann in das Tal gelassen, warum ist er selbst überhaupt hingegangen?« »Nur weil die ein paar Schürfrechte abgetreten haben, macht sie das nicht gleich zu seinen Leibsklaven. Sie versuchten gerade, die Getreidepreise in die Höhe zu treiben. Falls sich die Geschäftsleute in Harmony laut genug beschwerten, würde Swale aufhören, Gouverneur zu sein, und was nützte er dann schon Dover? Er mußte sie etwas unter Druck setzen – gerade genug um sie zum Verkaufen zu bringen und nicht zu viel, damit sie nicht vertrieben wurden.« »Aber wir haben sie vertrieben«, sagte ich. »Aber wir haben sie vertrieben. Diesmal. Glauben Sie aber nicht, es wäre vorbei.« »Es muß einfach vorbei sein«, bemerkte ich. »Das könnte er nicht ein zweitesmal abziehen.« »Wahrscheinlich nicht. Bronson hat keine Verwendung für Versager. Ich schätze, Gouverneur Swale wird sich in Kürze auf den Weg zu einem Bergbauasteroiden befinden, um den Posten eines ersten Sekretärs anzutreten. Jemand anderes wird Gouverneur und falls er kein Bronsonschützling ist, dann der von jemand anders. Ich soll Sie aber nicht in depressive
Stimmung versetzen. Sie haben eine Entscheidung zu treffen. Ich bin einem regulären Grenadierregiment, dem 42. als Adjutant zugeteilt worden. Es ist auf Kennicott stationiert. Schwere Aufgabe. Viel Kampftätigkeit, gute Möglichkeiten, reguläre Einheiten. Ich habe im Stab noch Stellen frei. Wollen Sie mitkommen? Man hat mir zu verstehen gegeben, daß sie transportfähig sein werden, wenn das nächste Schiff hier eintrifft.« »Ich werde darüber nachdenken.« »Tun Sie das. Sie haben eine vielversprechende Karriere vor sich. Jetzt sind Sie der jüngste Captain in der Flotte. Das Militärverdienstkreuz konnte ich nicht herausschlagen, aber Sie bekommen einen anderen Orden.« »Ich werde darüber nachdenken. Ich werde das mit Kathryn besprechen müssen – « Er zuckte mit den Achseln. »Sicher, Captain.« Er grinste und ging. Captain. Captains dürfen heiraten, Majore sollten heiraten, Obristen müssen heiraten – Aber das war Soldatengeschwätz und ich war mir nicht sicher, ob ich ein richtiger Soldat war. Seltsam, dachte ich. Alle Welt behauptete es. Ich habe mich wacker geschlagen, ich hatte eine große Zukunft vor mir und es schien alles ein Anfall von Wahnsinn zu sein. Wegen mir spielte Corporal Brady seine Trompete nicht mehr. Dangier, verletzt, aber am Leben, bis er sich freiwillig als Artilleriebeobachter gemeldet hatte. Und all die anderen: Levine, Lieberman und Rekrut, nein Soldat Dietz, die übrigen tot und in meiner Erinnerung verschmolzen, bis ich nicht mehr selber sagen konnte, wo und wofür sie gestorben waren, nur daß ich sie getötet hatte. Aber wir hatten gewonnen. Es war ein glorreicher Sieg gewesen. Falkenberg genügte das. Er hatte seine Aufgabe
erledigt und zwar gut erledigt. War das für mich genug? Würde es das in der Zukunft sein?
Als ich wieder auf den Beinen stand und in der Lage war, mich zu bewegen, konnte ich nicht umhin, Gouverneur Swale zu begegnen. Irina pflegte Louis Bonneyman. Louis war schlechter dran als ich. Manchmal können sie dir ein Bein wachsen lassen, aber das dauert seine Zeit und ist mit Schmerzen verbunden. Irina besuchte ihn jeden Tag, und als ich das Krankenhaus verließ, bestand sie darauf, daß ich in den Palast käme. Es war unvermeidlich dort dem Gouverneur zu begegnen. »Ich hoffe, Sie sind stolz auf sich«, sagte Swale. »Alle anderen sind es.« »Hugo, das ist unfair«, protestierte Irina. »Unfair?« gab Swale zur Antwort. »Wieso ist es nicht fair?« »Ich habe den Job ausgeführt für den ich bezahlt werde, Sir«, sagte ich. »Ja. Das haben Sie – und damit haben Sie es mir unmöglich gemacht den meinen zu tun. Setzen Sie sich Captain Slater. Ihr Major Falkenberg hat Ihnen eine Menge Geschichten über mich erzählt. Lassen Sie es sich jetzt von meiner Warte erklären.« »Dazu besteht keine Veranlassung Gouverneur«, sagte ich. »Nein, das stimmt. Haben Sie Angst zu erfahren was Sie eigentlich angestellt haben?« »Nein. Ich habe nur geholfen, eine Bande von Sträflingen, die vorgaben eine Regierung zu sein, zu vertreiben. Darauf bin ich einigermaßen stolz.« »Sind Sie das? Sind Sie in letzter Zeit mal im Allantal gewesen, Captain? Natürlich nicht. Und ich bezweifle, daß Kathryn Malcolm Ihnen erzählt hat, was sich dort abspielt –
Wie Wan Loo, Harry Seeton und ein religiöser Fanatiker namens Bruder Dornan Diakonenmissionen ins Leben gerufen haben, um die Moral und Loyalität von jedermann im Tal zu überprüfen; wie jeder, den sie als zu leicht befinden von seinem Grund und Boden vertrieben wird, um Platz für ihre eigenen Leute zu schaffen. Nein, ich nehme nicht an, daß sie Ihnen etwas davon erzählt hat.« »Ich glaube Ihnen kein Wort.« »Nicht? Fragen Sie Miß Malcolm. Oder würden Sie Irina glauben? Sie weiß, daß es wahr ist.« Ich schaute Irina an. Die Leere in ihren Augen genügte. Sie brauchte nichts zu sagen. »Ich war Gouverneur des gesamten Planeten, Slater. Nicht nur in Harmony, nicht nur im Jordan und Allantal, sondern auf dem ganzen Planeten. Aber man hat mir Verantwortung ohne Autorität aufgehalst und keine Macht gegeben, um regieren zu können. Was soll ich denn mit den Sträflingen anfangen, Slater? Man schickt sie zu tausenden hierher, aber man gibt mir nichts, womit ich sie ernähren kann. Sie haben sie gesehen. Wovon sollen sie denn leben?« »Sie können arbeiten – « »Wo denn? Als Landarbeiter auf Gehöften von 500 Hektar? Das beste Land auf dem Planeten als riesige Farmen verteilt, wobei die Hälfte des Bodens nicht unter dem Pflug ist, weil es keine Düngemittel, keine Berieselungsanlagen und noch nicht einmal vernünftige Entwässerungssysteme gibt. In unseren nicht vorhandenen Fabriken können sie auch nicht arbeiten, daß ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Sehen Sie denn nicht ein, daß Arrarat industriell erschlossen werden muß? Es spielt keine Rolle, was die Farmer im Allantal oder die übrigen Säulenheiligen wollen. Entweder Industrialisierung oder Hungersnot, und so wahr mir der Herr helfe, so lange ich etwas
dagegen unternehmen kann, wird es keine Hungersnöte geben.« »Deswegen waren Sie also bereit das 501st zu verkaufen. Bereit der Association zu helfen uns zu besiegen. Ein ehrenwerter Weg, ehrenwerte Ziele in die Tat umzusetzen.« »Genauso ehrenwert wir Ihre Ziele. Ihre Aufgabe besteht im Töten und Zerstören. Kriegführen ist ehrenhaft, Täuschung nicht. Ich ziehe meine Methode vor, Captain.« »Das glaube ich Ihnen gerne.« Auf sich selbst gemünzt und nicht an meine Adresse gewandt nickte Swale entschieden mit dem Kopf. »Selbstgefällig. Stolz und selbstgefällig. Sagen Sie mir, Captain, inwiefern sind Sie besser als die Protective Association? Die Leute haben gekämpft. Nicht für die Bataillonsehre, sondern für ihren Landbesitz, ihre Familien und Freunde. Sie haben verloren. Sie hatten die besseren Leute, die besseren Offiziere und die bessere Ausbildung. Ihre Ausrüstung war um vieles besser. Falls Sie verloren hätten, wären sie mit bestimmten Auflagen nach Garrison zurückgelassen worden. Die Associationsoldaten sind standrechtlich erschossen worden. Samt und sonders. Seien Sie ruhig stolz darauf, Slater. Aber mich machen Sie krank. Ich werde Sie jetzt verlassen. Mir liegt nicht daran, mit Gästen meiner Tochter zu streiten.« »Das ist auch wahr, oder?« fragte ich Irina. »Man hat alle Associationleute erschossen?« »Nicht alle«, erwiderte Irina. »Diejenigen, die sich Captain Falkenberg ergeben haben leben noch. Er hat sogar ein paar von ihnen rekrutiert.« Das sah ihm ähnlich. Das Bataillon würde nach diesen Kämpfen Männer brauchen. »Was ist mit den übrigen passiert?«
»Sie befinden sich in Beersheba in Gewahrsam. Erst als Ihre Mariner aus dem Tal abgezogen waren, hat das eigentliche Abschlachten angefangen.« »Klar. Leute die nicht antreten, um für ihr Heim zu kämpfen, als wir ihre Hilfe benötigten, werden zu echten Patrioten wenn alles vorbei ist. Ich gehe in mein Quartier zurück, Irina. Danke schön, das ich hier sein durfte.« »Aber Kathryn kommt noch, sie wird gleich hier – « »Im Augenblick will ich niemanden sehen. Entschuldigen Sie mich.« Ich verabschiedete mich schnell und wanderte durch die Straßen von Harmony. Leute nickten mir zu und lächelten als ich vorbei ging. Die Mariner waren immer noch beliebt. Natürlich. Wir hatten die Handelswege dem Jordan hoch wieder geöffnet und das Allantal gesäubert. Getreide war billig, wir hatten die Sträflinge in Schach gehalten. Warum sollten die Leute uns nicht lieben? Als ich das Fort betrat wurde zum Appell geblasen. Die Trompeten und Trommeln drangen durch die Nacht, kriegerisch und ineinander verwoben, die Töne hatten einen süßen Klang. Wachen salutierten als ich vorbei ging. Hier verlief das Leben in geordneten Bahnen und es bestand keine Veranlassung zur Beunruhigung. Wo ich sie finden konnte, hatte Hartz eine volle Brandyflasche stehen lassen. Seiner Theorie zufolge, lag der Grund, weswegen ich nicht schnell zusammenheilte, in dem Umstand, daß ich nicht genug trank. Die Ärzte teilten seine Ansicht nicht. Sie schnippelten an mir herum und damit mir bessere Teile nachwuchsen, setzten sie auch die Regenerationsstimulatoren ein. Es war eine schmerzhafte Prozedur und sie glaubten nicht, daß Alkohol dabei sehr hilfreich sei.
Zum Teufel mit ihnen, dachte ich und goß mir einen doppelten ein. Ich hatte ihn noch nicht ganz ausgetrunken, als Kathryn eintrat. »Irina sagte – Hal du solltest besser nicht trinken.« »Ich bezweifle, daß Irina das gesagt hat.« »Weißt du – was ist los mit dir, Hal?« »Warum hast du es mir nicht gesagt?« fragte ich. »Das wollte ich noch tun. Später. Aber es war nie der rechte Augenblick dafür.« »Stimmt das alles? Deine Freunde vertreiben die Familien von denjenigen, die mit der Association zusammengearbeitet haben in die Berge? Und sie haben alle Gefangenen erschossen?« »Es ist – ja. Es ist wahr.« »Warum hast du sie nicht daran gehindert?« »Hätte ich das wirklich tun sollen?« Sie betrachtete die Narben auf ihren Händen. »Hätte ich wirklich?« Es klopfte an der Tür. »Herein«, sagte ich. Es war Falkenberg. »Ich dachte Sie seien alleine«, sagte er. »Kommen Sie rein, ich bin ganz durcheinander.« »Das kann ich mir denken. Haben Sie noch etwas von dem Brandy?« »Klar. Was meinen Sie damit?« »Ich gehe davon aus, daß Sie gerade erfahren haben, was da draußen im Allantal passiert ist.« »Blödsinn! Hat Irina mit jedem in Garrison geredet? Ich brauche keinen Volksauflauf um mich aufzuheitern.« »Brauchen Sie nicht, eh?« Er traf keine Anstaltungen zu gehen. »Nun spucken Sie’s schon aus, Mister.« »Captains nennt man nicht ›Mister‹.« Er grinste. »Nein. Tut mir leid. Was ist das Problem, Hal? Etwa rausgefunden, das sich die Dinge nicht so einfach verhalten, wie Sie es gerne hätten?«
»John, wofür haben wir hier draußen gekämpft? Wofür sind wir eigentlich nütze?« Er streckte seinen langen Arm nach der Brandyflasche aus und goß uns beiden ein. »Wir haben eine Bande von Kriminellen rausgeworfen. Zweifeln Sie etwa daran, daß sie das waren? Bestehen Sie etwa darauf, daß die denen wir geholfen haben, Heilige sind?« »Aber die Frauen. Und Kinder. Was wird aus ihnen? Und der Gouverneur hat recht – irgendetwas muß geschehen, um den Sträflingen zu helfen. Die armen Schweine werden hierher geschickt und wir können sie schließlich nicht einfach ersäufen.« »Im Westen gibt es Land«, sagte Kathryn. »Das können sie haben. Mein Großvater hat auch mit nichts angefangen. Warum können das die Neuankömmlinge nicht auch?« »Der Gouverneur hat in vielem recht«, sagte Falkenberg. »Eines Tages muß es auf Arrarat Industrie geben. Aber nur damit die Bronsonfamilie dabei reich wird? Auf Kosten eines Haufen Farmer, die ihr Land mit einer Menge harter Arbeit und Blut bezahlt haben? Falls Sie sich wegen der Situation auf Arrarat Gedanken machen, was wollen Sie erst tun, wenn die Flotte Ihnen befiehlt etwas wirklich Schlimmes zu machen, Hal?« »Ich weiß nicht. Das ist es, was mir Sorgen macht.« »Sie haben gefragt, wofür wir eigentlich nütze sind«, sagte Falkenberg. »Wir erkaufen Zeit. Unten auf der Erde sind sie drauf und dran einen Krieg vom Zaun zu brechen, der nicht vorbei sein wird, bis Milliarden von Menschen tot sind. Die Flotte ist die einzige Institution, die das verhindert. Die einzige, Hal. Sie können über das CoDominium denken was Sie wollen. Verachten Sie Senator Bronson und seine Freunde – ja und die meisten seiner Feinde ebenfalls, verflucht noch eins. Aber denken Sie immer daran, daß die Flotte den Frieden
erhält und solange wir das tun, lebt die Erde weiter. Falls der Preis darin besteht, daß wir uns hier an den Grenzen die Hände dreckig machen, dann ist es der Preis den wir bezahlen müssen. Und während wir bezahlen, machen wir nur ab und zu mal etwas richtig. Ich glaube das haben wir hier getan. Wan Loo und seine Leute sind nicht böse, trotz all der Grausamkeiten, die sie begangen haben als die Schlacht vorbei war. Ich vertraue lieber denen die Zukunft an, als Leuten, die das da tun…« Er ergriff Kathryns Hand und drehte sie in der seinen um. »Sie können die Dinge nicht vollkommen machen, Hal. Aber wir können einigen der schlimmsten Sachen, die Menschen einander antun, ein Ende bereiten, das ist mal verdammt sicher. Falls das nicht ausreicht, haben wir immer noch unsere Ehre, selbst wenn unsere Herren keine mehr haben. Die Flotte ist unsere Heimat und es ist ein ehrenhaftes Vaterland.« Dann lachte er und leerte sein Glas. »Reden ist eine trockene Angelegenheit. Der Pipe Major hat drei neue Stücke einstudiert. Kommen Sie und hören Sie zu. Sie haben einen Abend in der Messe verdient, die Getränke gehen auf Bataillonskosten. Sie haben hier Freunde und Sie haben nicht viel von Ihnen gesehen.« Er stand auf, das angedeutete Lächeln immer noch auf den Lippen. »Guten Abend, Hal. Kathryn.« »Du gehst mit ihm, oder nicht?« sagte Kathryn, als er die Tür hinter sich zugemacht hatte. »Weißt du, für Dudelsäcke habe ich nicht besonders viel übrig – « »Werd’ nicht keß mit mir. Er hat dir in seinem neuen Regiment eine Stelle angeboten und du wirst sie annehmen.« »Ich weiß nicht. Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht.«
»Ich weiß. Vorher war mir das nicht so klar, aber jetzt weiß ich es. Ich habe dich beobachtet während er sprach. Du wirst gehen.« »Ich schätze, das werde ich. Wirst du mit mir kommen?« »Wenn du mich willst, ja. Ich kann nicht wieder auf die Ranch zurück. Ich werde sie verkaufen müssen. Ich könnte dort jetzt nicht mehr leben. Ich bin nicht mehr dasselbe Mädchen, das ich war als alles anfing.« »Ich werde immer Zweifel haben«, sagte ich. »Ich werde – « Ich konnte den Gedanken nicht zu ende bringen. Aber das brauchte ich auch nicht. Sie kam auf mich zu und zitterte dabei kein bißchen, jedenfalls nicht so, wie sie es früher getan hatte. Ich hielt sie lange Zeit in den Armen. »Wir sollten jetzt besser gehen«, sagte sie schließlich. »Man wird dich erwarten.« »Aber – « »Wir haben viel Zeit, Hal, sehr viel Zeit.« Als wir das Zimmer verließen, klang der Zapfenstreich durch das gesamte Fort.