Unitall
1
- Jenseits aller Zeit
von Conrad Shepherd & Alfred Bekker gescannt + K gelesen by
Brachmirzl
Vorwort Ma...
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Unitall
1
- Jenseits aller Zeit
von Conrad Shepherd & Alfred Bekker gescannt + K gelesen by
Brachmirzl
Vorwort Manchmal kommt es knüppeldick: Für das erste REN DHARK-Buch aus dem neugegründeten Unitall Verlag konnte ich mir keinen geeigneteren Autoren vorstellen als Altmeister Conrad Shepherd. Er kam mit einer faszinierenden Idee zu mir, die wir dann gemeinsam zu dem Expose ausarbeiteten, auf dem dieser Roman beruht. Conrad machte sich ans Werk, ich freute mich auf einen spannenden Debutroman für den neuen Verlag. Bis zu dem Tag, an dem Conrad mich anrief: Bei einem Unfall hatte er sich verletzt und konnte unmöglich bis zum vereinbarten Termin fertigwerden. Ein Schock, aber keine Katastrophe, vor allem, da Conrads Verletzung nicht wirklich schwer war (und er mittlerweile wieder vollständig genesen ist). Den Abgabetermin für seinen Roman allerdings konnte er keinesfalls halten. Doch wie ich nicht nur intern, sondern auch in der Öffentlichkeit immer wieder gern und wahrheitsgemäß versichere: Ich habe ein erstklassiges Autorenteam. Und so brauchte es nur einen Telefonanruf, um den ziemlich geknickten Conrad - dem das pünktliche Erscheinen unserer Bücher ebenso am Herzen liegt wie mir selbst - wieder aufzurichten: Alfred Bekker erklärte sich spontan bereit, mitten in der Arbeit einzuspringen und den Drucktermin zu retten. Ich finde, er hat seine Arbeit großartig gemacht, denn wenn man nicht wüßte, welche Kapitel er geschrieben hat, würde man den Unterschied zwischen den beiden Autoren kaum erkennen. Trotz einschließlich meiner Wenigkeit dreier »Köche« kann ich Ihnen einen Roman wie aus einem Guß
präsentieren, der eine neue REN DHARK-Ära eröffnet: die Unitall-Ära! Dieser neue Verlag aus der Schweiz wird dafür sorgen, daß REN DHARK noch internationaler und noch erfolgreicher wird als bisher schon. Mit dem Schritt über die Grenzen Deutschlands hinaus ist sichergestellt, daß das Projekt REN DHARK auch in Zukunft nicht nur prosperiert, sondern auch die verlegerische Heimat hat, die eine derart großangelegte Geschichte der Zukunft braucht. Freuen wir uns auf noch viele spannende REN DHARK-Abenteuer aus dem Hause Unitall, das so unvergänglich sein möge wie das berühmte Schwermetall der Mysterious, das dem Verlag seinen Namen gab! Nun aber genug der Vorrede und mitten hinein ins Abenteuer, das uns entführt in Reiche Jenseits aller Zeit... � Giesenkirchen, im Dezember 2005 Hajo F. Breuer
1. Die elektronische Warnanlage der Station war ein selbsttätiger Mechanismus; ihre Fühler und Sinnesorgane erstreckten sich überallhin. Als TransCon die Anlage 2058 auf Nemed III installierte, hatte man dem zentralen Suprasensor sämtliche Normwerte und die Bezüge zwischen den einzelnen Meßpunkten übergeben. Jede Veränderung dieser Werte rief zunächst nur optische und akustische Signale hervor. Reagierte niemand darauf, gab die Anlage Alarm und machte das, wozu sie programmiert war: Sie schloß Schotts, riegelte Türen ab und tat alles, um Menschen, Maschinen und zuletzt sich selbst zu retten. Wie in diesem Fall... »Einbruchsalarm!« In sämtlichen Abteilungen der weitläufigen Anlage flammten die Schirme auf, die nur diesen einen Schriftzug zeigten. Gleichzeitig ertönten warnende Summtöne. Zehn Sekunden verstrichen, ehe die autarken Notfallsysteme auf eine höhere Stufe schalteten. Warnend ertönte das Schnarren der Alarmhörner, als die schweren Schotts damit begannen, sich automatisch zu schließen. Mächtige, mit Kunststoff beschichtete Metallplatten schoben sich aus dem Boden oder seitwärts aus den Wänden. Binnen 25 Sekunden war die Versuchsanlage eine Festung, in die niemand hineinkam und die niemand verlassen konnte, falls er das Pech hatte, sich zu diesem Zeitpunkt ausgerechnet in einem der sensiblen Bereiche aufzuhalten. Gleichzeitig damit versuchte die Elektronik der kombinierten Überwachungsund Verteidigungsanlage herauszufinden, an welchem Punkt der mehrfach gestaffelten Überwachungszäune jemand versuchte einzudringen. Der gesamte Informationsfluß dauerte nur Mikrosekunden; die Zugriffszeiten des Suprasensors waren mehr als gering. Unhörbar korrespondierten die vielfältigen Schaltstellen der Elektronik mit- und untereinander. Als der Eindringpunkt nicht gefunden wurde, schaltete die Rückkopplung Schirmfelder um die gesamte Anlage ein, die sich wie eine undurchdringliche, unsichtbare Mauer als dreifach gestaffelte Schale um das Versuchslabor von TransCon erhoben und sich über die teuren Installationen wölbten. Jetzt war das Labor hermetisch gegen jede Bedrohung von außen abgeriegelt. Man machte sich daran, die Ursache des Alarms herauszufinden. Schwerbewaffnete Teams des Werksschutzes schwärmten mit schnellen Gleitern aus und kontrollierten penibel die Schutzzäune und Sicherheitseinrichtungen der äußeren Stationsperimeter. Aber nichts war zerstört. Nirgends eine Stelle, die Hinweis darauf gab, daß versucht worden wäre, sich gewaltsam Zugang zu verschaffen. Dennoch war genau das geschehen. Jemand - oder etwas -hatte sich in die Anlage geschlichen. Etwas funktionierte nicht mehr so, wie es eigentlich sollte. Der Suprasensor war nur eine Maschine und kein vernunftbegabtes Wesen, er folgte nur seinen Parametern. Sofort, noch während die Hilfsprogramme liefen, suchte die Maschine bei sich selbst und in all ihren Unterprogrammen, ihren Sinnesorganen, nach dem Fehler im System.
Die Anlage war dafür ausgelegt, Unbefugten den Zutritt zur hochgeheimen Versuchsanlage von TransCon zu verwehren. Daß eine Infiltration auch über einen anderen Weg erfolgen konnte als den von ihren Programmierern konzipierten, vermochte sie nicht in Betracht zu ziehen. Ein fataler Fehler, wie sich noch herausstellen sollte. * »Was...!« Dave Akila, der sich zu diesem Zeitpunkt im wohl sensibelsten Bereich der Anlage befand, blieb das Wort im Halse stecken, als der Alarm losjaulte. »Einbruchsalarm!« Wie ein Schreckgespenst ging der Ruf durch den weitläufigen Labortrakt, in dem sich auch die Transmitterhalle befand, während die aufflammenden Schirme immer nur ein einziges Wort zeigten: EINBRUCHS ALARM! Von seinem Platz aus konnte Akila die Vorgänge auf der und die Transmitterplattform beobachten. Er stand an der großen Konsole, die sämtliche Steuerelemente des späteren Transportbetriebs in sich vereinen würde, und überblickte das Geschehen. Der große Ring des Experimentaltransmitters, durch den einmal genormte Container ohne Zeitverzug von einer Ecke der Galaxis zur nächsten geschickt werden würden, war so groß wie ein Tunneleingang. Nur daß er nicht ins Dunkel einer unterirdischen Verbindung führte, sondern nur ein Ring war, durch den man das jenseitige Ende der Halle sehen konnte - wenn er nicht aktiv war. Im Augenblick war er in Betrieb; die Entstofflichungs- und Rematerialisierungsfelder waren aktiviert und erhellten die Halle zusätzlich mit ihrem irisierenden Schein. Vor wenigen Sekunden war der Versuchscontainer auf seinen in der Rampe eingelassenen Schienen mechanisch durch die Entmaterialisierungsgrenze geschoben worden und verschwunden. Akila war sicher, daß er im gleichen Sekundenbruchteil an seinem Bestimmungsort angelangt war. Allerdings würde die automatische Rückmeldung von der Gegenstation etwas dauern. Erst danach würde der Container wieder in der Halle erscheinen. Manchmal beschädigt, manchmal von Erde bedeckt, von Eis, aber im großen und ganzen im gleichen Zustand, wie er die Reise angetreten hatte. Noch nie hatte es signifikante Veränderungen gegeben. Die Entstofflichung und anschließende Rema-terialisierung war ein Vorgang, wie er in den letzten Wochen mehr oder minder problemlos abgelaufen war, fast konnte schon von Routine gesprochen werden. Um so mehr erschrak er nun vor dem unerwarteten Alarm. Während sich rings in den Hallenwänden die Schotts schlössen, schienen die Techniker und Wissenschaftler, die sich außer Dave Akila in der Versuchsanordnung aufhielten, ziemlich ratlos, wie sie sich verhalten sollten.
»Ruhig bleiben, es wird sich sicher gleich aufklären!« rief ihnen Akila zu; � als verantwortlicher Leiter dieser Schicht war es seine Aufgabe, dafür zu � sorgen, daß keine Panik ausbrach. »Es ist sicher nur eine Fluktuation im � Energietransfer, die unseren übervorsichtigen Suprasensor zu dieser � Reaktion veranlaßt hat, oder ein paar dieser unvorsichtigen Hopper haben � sich an einem der äußeren Zäune zu schaffen gemacht.« � »Hopper« waren känguruhähnliche Waldbewohner von Ne-med III, eine � Beuteltierart von der Intelligenz irdischer Hunde. Sie hatten eine Affinität � zu den Metallzäunen und machten sich hin und wieder daran zu schaffen. � Doch dann fiel sein Blick auf das Transmittertor, und die Nackenhaare � stellten sich ihm auf. Der Eingang des Tunnels in eine andere Dimension � war wie von Schneegestöber erfüllt, in dem er etwas zu erkennen glaubte. � Er straffte sich, kniff die Augen zusammen und starrte in das helle Wabern, � das im Innern des Rings herrschte. � Zu Beginn der Testreihen hatten sie Witze gerissen, Geschichten darüber � erzählt und die Möglichkeit erörtert, wie sie sich verhalten sollten, falls � plötzlich aus dem Transmitter etwas anderes hervorkommen würde als der � abgeschickte Normcontainer. Aber das waren nur Hirngespinste gewesen, � bar jeglicher Realität. Niemals hatte jemand daran gedacht, daß sich � tatsächlich so etwas ereignen würde. � Aber jetzt geschah dort etwas. Entgegen allen Erwartungen. � Und es war nicht die Rückkehr des Containers. � Irgend etwas schien sich da drinnen zu bewegen, undeutliche Gestalten, � kaum wahrnehmbar und doch deutlich dunkler als das diffuse Zwielicht im � Inneren des Entstofflichungsringes. � Akila erschauderte unter dem bedrückenden Gefühl einer unerklärlichen � Hilflosigkeit. � Eine seltsame Lethargie befiel ihn, während etwas aus dem Transmitterring � »herausfloß«. Anders konnte er die Bewegung nicht beschreiben. Er sah � seine Mitarbeiter im grellen Licht der Hallenbeleuchtung seltsam � verschwommen, sah, wie sie aufschrien und die Hände an � den Kopf schlugen, als litten sie unter wahnsinnigen Schmerzen. � »Was ist los, Enrico?« rief Akila mit seltsam schwerer Zunge dem Techniker � zu, der ihm am nächsten stand. � Doch der antwortete nicht. � Akila machte einen Schritt auf ihn zu. »Was fehlt dir? Kann ich dir helfen?« � Der Techniker schrie hoch und schrill, seine Augen waren aufgerissen, � erfüllt von der Agonie eines unsäglichen Schmer-zes.Weiter hinten sackten � die anderen Männer und Frauen des Teams zu Boden, ebenfalls mit allen � Anzeichen einer völligen Desorientierung. � Und noch während sich Dave Akila wunderte, was da um ihn herum vor sich � ging, überfiel auch ihn die Panik. � Ein greller, unerträglicher Schmerz bohrte sich in sein Gehirn, kehrte sein � Innerstes nach außen. Ihm war, als sprängen ihm jeden Moment vor � Schmerz und Entsetzen die Augen aus den Höhlen. Schwindel erfaßte ihn,
unmittelbar darauf überkam ihn heftige Übelkeit. Nur mit Mühe unterdrückte � er den Brechreiz. �
Er streckte die Hände aus, um nach der Konsole zu greifen, die ihm Halt � zu geben versprach. Aber es war, als greife er durch sie hindurch. � Er machte einen Schritt auf sie zu, verlor das Gleichgewicht und fiel � vornüber zu Boden. � Eine Zeitlang überlegte er, ob er einfach liegenbleiben und sich der tiefen � Erschöpfung hingeben sollte. Der Drang aufzugeben war überwältigend. � Aber noch waren seine Lebensgeister nicht endgültig erloschen. � Er mühte sich auf die Knie und starrte in das
diffuse Zwielicht, das in der Halle herrschte. � Die Luft schien zu vibrieren, es war, als würden riesige unhörbare Bässe � sie zum Schwingen anregen. Die Beleuchtung hatte einen gespenstisch � bläulichen Schimmer angenommen. � Sein Herz raste, während ein fürchterliches Schrillen seine Ohren peinigte. � Sein Blick fiel auf den Transmitterring. Dort schien sich ein Wirbel zu bilden, � schien sich etwas manifestieren zu wollen, das nicht auf diese Welt gehörte. � »Großer Gott!« murmelte er. »Was ist das?!« � Er mußte dem Einhalt gebieten, auf die eine oder andere Weise. � Entsetzt und verstört merkte er, wie er anfing, die Orientierung zu verlieren � und immer tiefer in diesen Alptraum zu versinken. Irgendwie hatte er das � Gefühl, er müßte hier eines rätselhaften Todes sterben. � Sein von Schmerzen umflorter Blick ging zur Konsole. Die Anzeigen � leuchteten in grellem Grün - bösartig, hatte er das Empfinden. � »Die Energie«, murmelte er wieder mit schwerer Zunge, während etwas � versuchte, in seinen Verstand zu dringen und sein Innerstes nach außen � zu kehren. � »Ich - muß - die - Energie... abschalten!« � Er zog sich an der Kante der Konsole hoch, streckte die Hand aus, um sie � auf die breite rote Taste des Not-Aus-Schalters fallen zu lassen, als auf der � Transmitterplattform wie eine überdimensionale Kerzenflamme ein � orangerotes Licht aufflackerte, das für Sekundenbruchteile von den � Hallenwänden reflektiert wurde, ehe es in ein ruhiges Weiß überging und � verlosch. � Akila stierte mit blutunterlaufenen Augen auf den Transmit-terring, wo sich � das Entstofflichungsfeld normalisierte, um im gleichen Sekundenbruchteil � ganz zu verschwinden, als seine Hand auf die Notabschaltung schlug. � Und gleichzeitig verschwanden auch die diffusen Gestalten. � Es war vorbei! War es das wirklich? Zunächst konnte er es nicht glauben. � Aber es war so. Er konnte durch den Transmitterring hindurch wieder die � rückwärtige Hallenwand sehen. � Das unerträgliche Schwindelgefühl und die Schmerzen ließen nach und � vergingen fast ebenso rasch, wie sie gekommen waren. Dave Akila fühlte � sich wie zu Tode erschöpft. � Er stützte sich schwer auf die Konsole, schloß die Augen und ließ die � ungeheure Erleichterung in sich eindringen, noch am Leben zu sein. � Mehrere Minuten lang brachte niemand in der Nähe auch nur ein Wort � heraus. Schließlich blickte Enrico Pinero, der noch benommen auf dem � Boden saß, zu Akila auf. �
»Was in aller Welt war das?« � Akila schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß. � »Aber ich glaube, es ist vorbei.« � Selten hatte sich jemand so sehr geirrt wie Dave Akila, aber man mußte � ihm zugute halten, daß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, � was wirklich geschehen war. � Die Alarmanlage gab Entwarnung, und man ging daran, die Station wieder � funktionstüchtig zu machen. � Es dauerte nicht sehr lange, bis man das gesamte Ausmaß der Schäden � festgestellt hatte, � die durch den unerklärlichen Vorfall in der Transmitterversuchsanlage � entstanden waren. Allgemein herrschte die Ansicht vor, daß die Gefahr
vorbei sei Vorerst. � Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, daß mit dem Unbekannten gleichzeitig � das Grauen in die Station eingezogen war. � Ruhelos lief der Mann vor den Bildschirmen auf und ab, blieb von Zeit zu � Zeit stehen und warf nervöse Blicke auf die Reihe der Monitore, die das � umgebende Areal abbildeten. � Die Transmitterversuchsanlage von TransCon befand sich einige Kilometer � außerhalb von Neu-Karlsbad auf einem Plateau, das von ausgedehnten � Wäldern bewachsen war. Ein idyllisches Fleckchen des Planeten, für
dessen landschaftliche Schönheit der Professor in seiner momentanen � Gemütsverfassung jedoch kein Auge hatte. Ihn quälten andere Sorgen. � Sorgen, die ursächlich mit der Sicherheit des ihm anvertrauten Projektes � zusammenhingen. Als er eine Bewegung auf einem der Schirme sah, blieb � Humphreys abrupt stehen. � Er schaute genauer hin. Was sich dort vom Waldrand löste und auf die � Anlage zustrebte, waren die Gleiterpatrouillen mit Ramon Sanchez an der � Spitze. Sein weißlackiertes Gefährt mit der roten Eins auf beiden Flanken � war unverkennbar. Die Männer des Werksschutzes hatten unmittelbar nach � dem Alarm die äußeren Sperrkreise kontrolliert und versucht, die Stelle zu � lokalisieren, die für den Einbruchsalarm verantwortlich war. Vergeblich, wie � sich inzwischen herausgestellt hatte. Denn die Gefahr war offensichtlich � nicht von außen, sondern aus dem Herzen der Anlage selbst gekommen. � Dennoch hatte man die Männer ihre Arbeit beenden lassen. � Erneut nahm der Direktor seine ruhelose Wanderung auf. Ein Summton � durchbrach die Stille. »Ja?« � Die Tür zu seinem Büro öffnete sich, eine Assistentin trat in den Raum. � In der linken Hand trug die Frau ein Tablett. � »Professor Humphreys, Ihr Kaffee.« � »Danke«, sagte Humphreys, nickte mechanisch und unterbrach für einen � Moment seine unruhige Wanderung. »Stellen Sie ihn dort hin«, sagte er
und deutete auf seinen Arbeitstisch. Abwesend sah er zu, wie die Assistentin � das Tablett mit dem Kaffee absetzte und sich � fragend umdrehte. »Soll ich?« �
Er schüttelte den Kopf. »Danke, Erinn. Ich bediene mich selbst.« Die Frau � verließ den Raum. � Humphreys blieb noch einige Augenblicke wie unschlüssig mitten im Raum � stehen, dann ging er zum Tisch und goß das kochendheiße Gebräu in den � unzerbrechlichen Kunststoffbecher mit der Werbeaufschrift eines stellaren � Transportunternehmens namens China Shipping, einem Konkurrenten von � TransCon. � Die erste Tasse trank er wie abwesend im Stehen und in kleinen, vorsichtigen � Schlucken. Dann füllte er nach und setzte sich schwer in den Sessel. � Er lehnte sich zurück, starrte auf � die Schirme, überlegte, dachte nach und versuchte die Unsicherheit zu � unterdrücken, von der er ebenso wie die übrigen fünfhundert Menschen in � der Transmitterversuchsanlage befallen war. Obwohl inzwischen die meisten � Mitarbeiter davon ausgingen, daß die Gefahr gebannt sei, hatte Humphreys � so eine Ahnung, als wären die Vorkommnisse nur der Auftakt zu einer Reihe � weiterer merkwürdiger Geschehnisse. Geschehnisse, die sich einer � nüchternen, rationalen Betrachtung entzogen und ihnen hier auf Nemed III � wohl noch heftig zu schaffen machen würden. � Der Professor merkte, wie ein Muskel über seinem linken Auge zu zucken � anfing, als er daran dachte, daß sich die Vorfälle in gleicher oder ähnlicher � Weise wiederholen konnten. � Zerfahren massierte er die schmerzende Stelle. � Zwei Minuten lang schafften es die Stille in seinem Arbeitsraum und der
heiße Kaffee, ihm die Illusion zu vermitteln, er wäre der Lösung seines � Problems nähergekommen. � Dann summte das Vipho mit aufdringlicher Penetranz. � Er zog eine Grimasse, stellte die Tasse zurück und aktivierte das Gerät mit � einem verbalen Befehl. Der Assistent von Ron Vakil wurde auf dem Schirm � sichtbar. »Sir, Doktor Vakil hat die Auswertungen abgeschlossen. Er ist auf � dem Weg zu Ihnen.« � Na endlich!« Christopher Humphreys hob den Kopf. »Danke.Ich erwarte ihn«, sagte er knapp. Der Schirm wurde dunkel. � Als der Summer erklang, betätigte der Direktor den Türöffner, und Vakil � trat ein. � »Schwere Zeiten, Direktor«, sagte er zu Humphreys; das war seine Art der � Begrüßung. � "»Wie es scheint, bringen Sie natürlich auch nichts anderes als schlechte � Nachrichten, oder?« � Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. � »Sie können Gedanken lesen?« fragte Vakil auf eine gewisse maliziöse Art, � die in Humphreys Unwillen auslöste. � Ron Vakil, ein breitschultriger massiger Mann mit stark gelichtetem Haar
und buschigen eisgrauen Brauen, ließ sich in einen Sessel fallen; es hatte � den Anschein, daß ihn etwas sehr bedrückte. Wahrscheinlich sein Gewicht, � aber vielleicht hatte er auch Sorgen die Sicherheit der Versuchsanlage � betreffend. �
»Nicht besonders gut«, beantwortete Humphreys die Frage seines Gastes � und blickte verkniffen, »aber Ihre schon. Sie haben tatsächlich schlechte � Nachrichten, nicht wahr?« � »Das ist nun wirklich nicht schwer zu erraten«, brummte Vakil und starrte � begehrlich auf den Kaffee. � »Bedienen Sie sich«, sagte Humphreys, dem die Blicke seines Stellvertreters � und Technischen Leiters nicht entgangen waren. � »Da sage ich nicht nein«, erwiderte der Massige und setzte seine Worte � umgehend in die Tat um. Mit der vollen Tasse in der Hand lehnte er sich in � den Sessel zurück und begann geräuschvoll zu schlürfen. � Humphreys hörte sich das exakt zehn Sekunden an. � Dann war seine Geduld aufgebraucht. »Reden Sie schon«, forderte er, � und eine gewisse Schärfe in seiner Stimme war nicht zu überhören. � »Wie viele Verluste haben wir zu beklagen?« � »Sie können wirklich Gedanken lesen«, knurrte Vakil, und seine Miene � verfinsterte sich von einer Sekunde zur anderen, während er die Kaffeetasse � abstellte. � »Was nicht schwer ist bei der Ausgangslage.« Humphreys' Lippen bildeten � einen dünnen Strich. »Also!?« � »In der Transmitterhalle hielten sich zum Zeitpunkt des Vorfalles« - Ron � Vakil stieß das Wort wie einen Fluch aus - »zehn Personen auf. � Zwei Männer sind tot, vier befinden sich in einem bedenklichen Zustand, � die übrigen haben die Geschehnisse mehr oder weniger gut überstanden, � klagen lediglich über brummende Schädel.« � Humphreys beugte sich vor und fixierte sein Gegenüber aus schmalen Augen.
»Sie haben die Überlebenden über die Geschehnisse befragt?« � Vakil bejahte. � »Was haben sie berichtet?« � Doktor Vakil schaute den Professor nachdenklich an. � »Dave Akila, der Teamleiter der Schicht, war am klarsten ansprechbar. � Er sagte, es wäre gewesen, als hätte eine unbekannte Kraft alle ihre Sinne � angegriffen. Er habe mehrere Minuten lang das Gefühl gehabt, als würde � ihm der Schädel auseinanderfliegen; seine Kollegen hätten unter gleichen � oder ähnlichen Symptomen gelitten.« � »Sagte er, was es gewesen sein könnte?« � »Nein. Er sprach von etwas Unsichtbarem, Unnatürlichem.« � »Hm.« Humphreys betrachtete seine Fingerspitzen. »Sie haben die Toten � gesehen?« � »Habe ich.« � »Woran sind die Ihrer Meinung nach gestorben?« � »Der bläulichen Verfärbung der Gesichter nach zu urteilen, würde ich auf � Tod durch Herzversagen schließen.« � »Herzversagen?« wunderte sich Humphreys. � Vakil zuckte mit den massigen Schultern. � »Ohne unserem Doktor vorgreifen zu wollen, würde ich spontan sagen, � die Männer in der Halle erlitten alle einen Schock mentaler Art, den sie � aufgrund ihrer geistigen Konstitution unterschiedlich verkrafteten.« �
»Ich bitte Sie«, sagte Humphreys. »Zwei Männer sterben nur deshalb, � weil sie etwas erschreckt hat? Warum nicht auch die anderen?« � »Warum nicht?« Für Vakil schien die Sache klar zu sein. � »Wie der Körper ist auch die Psyche unterschiedlich stark gegen � mentale Einflüsse oder Angriffe gewappnet. Ihre Konstitution war halt � entsprechend anders.« � Wenn Sie es sagen«, brummelte Humphreys. »Aber wenn Sie nichts � Konkreteres vorbringen können, weiß ich wirklich nicht was ich davon � halten soll.« � Er schwieg einen Moment, "was ist eigentlich im Transmitterraum � vorgefallen?« � Dazu komme ich jetzt«, erwiderte Vakil. »Nachdem in der Versuchsanlage � wieder Normalität eingekehrt war, haben wir alle Möglichkeiten für eine � Fehlfunktion geprüft und die Transmitterprotokolle wieder und wieder � durchforstet. Bis jetzt haben wir nichts Nennenswertes gefunden - außer � vielleicht der Tatsache, daß der Testcontainer nicht mehr aufgetaucht ist.« � Er zögerte einen Moment, und seine Brauen berührten sich über der � Nasenwurzel. »Wohin er verschwunden ist, haben wir nicht herausfinden � können. Die automatischen Aufzeichnungsgeräte zeigten, solange sie � arbeiteten, die Gegenstation unverändert leer; niemand hielt sich dort auf, � der in den Prozeß hätte eingreifen können. � Und doch blieb der Container verschwunden.« � Humphreys hatte dies zwar schon erwartet, aber gehofft, die Nachprüfung � würde wirklich etwas ergeben. Es hätte die Sache vereinfacht, soweit man � in dieser Sache von Vereinfachung sprechen konnte. Zumindest wäre die � Gewißheit, jemand Greifbares hätte versucht, der Anlage Schaden � zuzufügen, für das psychologische Klima innerhalb der Belegschaft � vorteilhafter gewesen. Leider wurde dies nun durch Ron Vakils Worte � hinfällig. � »Sie haben alle Möglichkeiten ausgeschöpft?« vergewisserte er sich � dennoch. � Vakil bejahte. Tiefe Kerben hatten sich um seinen Mund gegraben, und er � machte den Eindruck, als wüßte er im Augenblick nicht weiter. � Humphreys nickte mehrmals. »Also wieder nichts Konkretes?« � »Nein«, sagte Vakil wortkarg. � Eine Falte erschien auf Humphreys' Stirn. »Dennoch muß es eine Ursache � geben.« � Vakil zögerte. »Haben Sie sich eigentlich die Aufzeichnungen � der Uberwachungskameras innerhalb der Halle schon angesehen?« � Der Direktor nickte wieder. »Und was haben Sie darauf erkannt?« � Humphreys sah ihn aus schmalen Augen an. � »Vermutlich das gleiche wie Sie auch. Merkwürdig verschwommene � Gebilde, die Körper sein könnten, aber nicht müssen. � Doch Anschläge verübt von geisterhaften Wesen? Na, ich weiß nicht, da � sträubt sich alles in mir. Wir leben schließlich nicht mehr im Zeitalter von � Geistern und Schamanen, sondern im aufgeklärten 21. Jahrhundert.« �
»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, versetzte Humphreys. � »Offensichtlich haben wir es hier mit einer Verkettung unglücklicher Zufälle � zu tun«,
meinte Vakil. »Vermutlich hat es Überlagerungen der Entstofflichungsfelder � gegeben, � die in den Transmitterraum zurückgeschlagen sind und all die Vorfälle � ausgelöst haben. Hyperraumemissionen sollen mitunter diesen Effekt � erzeugen, habe ich gehört.« � »Gibt es Erkenntnisse, die diese Möglichkeit erhärten?« � »Eigentlich nicht. Aber kennen Sie eine bessere Erklärung?« � »Ich bin hier nicht der Technische Leiter, mein Lieber«, ließ ihn Humphreys � kühl wissen. � »Es ist Ihre Aufgabe herauszufinden, was in meiner Anlage nicht stimmt. � Haben Sie verstanden?« � »Natürlich, Sir.« � Die beiden Männer starrten sich schweigend an. Endlich ergriff Christopher � Humphreys wieder das Wort, und er schlug einen versöhnlicheren Ton an: � »In Ordnung, Ron. � Ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann.« Er schwieg kurz. � »Haben Sie eigentlich schon einmal die Möglichkeit ins Auge gefaßt, � daß wir es hier mit einer hausinternen Angelegenheit zu tun haben, oder � schließen Sie das aus?« � Vakil hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Was Sie da andeuten, � läuft darauf hinaus, daß Sabotage verübt worden ist - von unseren eigenen � Leuten. Ist Ihnen klar, was das bedeuten würde?« � Humphreys erwiderte halblaut: »Natürlich ist mir das klar, Ron. Aber immer � noch besser, � als an einen übernatürlichen Spuk zu glauben. Außerdem - wir haben auch � Techniker aus Neu-Karlsbad unter unseren Angestellten.« � Aber doch nicht in den wirklich sensiblen Bereichen«, stellte » � Vakil klar. � Ich wollte es ja auch nur erwähnt haben«, bemerkte der Direktor kühl. � Ich weiß nicht...« Vakil schüttelte bedächtig den Kopf. »Das ist ein winziger � Ansatz, aber immerhin eine Möglichkeit. Ich werde meine Untersuchungen � darauf konzentrieren.« Er schwieg einen Moment. Dann sagte er halblaut: � »Irgendwie habe ich das Gefühl, daß wir etwas Wesentliches übersehen � haben. Aber was?« � Humphreys sagte: »Ja, das denke ich auch. Wir haben etwas übersehen, � aber auch ich habe keine Ahnung, was es sein könnte.« � »Dann werde ich mal gehen«, meinte Vakil und stand auf. � »In Ordnung, Ron«, sagte Humphreys. »Melden Sie sich, sobald Sie etwas � Konkretes wissen.« � »Verstanden, Professor«, erwiderte Vakil. Er zögerte einen Moment, dann � sagte er: »Wir sollten die Versuche ruhen lassen, solange wir nicht die � Ursache dieses Fehlers herausgefunden haben. Und noch etwas: �
TransCon sollte informiert werden. Die wollen sicher den Grund der � Verzögerungen im Ablauf der Versuche wissen. Aber das muß ich � Ihnen ja nicht sagen, Humphreys. Ich kann das machen, wenn Sie � einverstanden sind.« � Eine winzige Falte erschien über Humphreys Nasenwurzel. � »Nein«, erwiderte er halblaut. »Darum kümmere ich mich selbst.« � Mit einem »Man sieht sich!« verabschiedete sich der Technische Leiter. � Professor Humphreys blickte ihm nach; die Falte über seiner Nase hatte � sich vertieft. � Er stand von seinem Sessel auf und fluchte halblaut. Er benutzte dabei � Ausdrücke, die seinen ehrenwerten Fakultätskollegen an der Universität � von Birmingham die Schamesröte in die Gesichter getrieben hätten - vor � allem den weiblichen Professoren und Doktoren. � Diese Möglichkeit, die er Vakil gegenüber angedeutet hatte, erschien ihm � immer plausibler. Es konnte durchaus sein, daß sich in der Anlage ein � Maulwurf aufhielt, ein Saboteur, der keine Skrupel kannte, das
großangelegte Experiment von TransCon zum Scheitern zu bringen. � Christopher Humphreys fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. � Er hatte plötzlich heftige Kopfschmerzen. � Haben wir wirklich einen Saboteur in unseren Reihen? fragte er sich. � Oder mehrere? � Und wenn ja, um wen handelt es sich? Humphreys begann vor dem
großen Fenster, durch das er weite Teile der Versuchsanlage überblicken � konnte, auf und ab zu laufen, um dann stehenzubleiben und hinauszublicken. � Mein Werk, dachte er. � Da er noch nie in seinem Leben an Minderwertigkeitskomplexen gelitten � hatte, fühlte er einen berechtigten Stolz in sich. � Wie das schon klang: Mein Werk! � In diesen Sekunden fühlte er sich eins mit anderen großen Männern � vergangener Epochen: Cäsar, wie er den Rubicon überschritt. � Napoleon bei seiner Krönung zum Kaiser. � Sam Dhark, als er sich mit der GALAXIS aufmachte, das Universum zu � erobern. � Daß es vor ihm schon viele andere Männer gegeben hatte, die das gleiche � getan hatten wie er, ließ Humphreys ungeniert unter den Tisch der Geschichte � fallen... � Er schüttelte den Kopf. Was geschah nur mit ihm? Waren das wirklich � seine Gedanken? � Oder befand sich irgendwo in seinem Arbeitszimmer ein Souffleur und � redete ihm das alles ein? � Seine Blicke irrten durch den Raum, während er sich gleichzeitig einen � Narren schalt, dem die Ereignisse in der Transmit-terhalle wohl doch etwas � zu nahe gegangen waren. � Oder konnte es sein, daß er einfach nur überarbeitet war? � Unsinn. Mit seinen 44 Jahren war er auf der Höhe seiner geistigen und � körperlichen Fähigkeiten. �
Humphreys goß sich den restlichen Kaffee in die Tasse und stürzte ihn in � einem Zug hinunter. Aber das Koffein hatte besseres zu tun, als seine � Nerven zu beruhigen. � Ohne daß er es wollte, kreisten seine Gedanken immer wieder um ein � einziges Wort: Sabotage. � TransCon War nicht der einzige Konzern, der an der Entwicklung von � Großtransmittern arbeitete und forschte. � Es gab da einige Konkurrenten, die... Humphreys spürte, wie Kälte nach � ihm griff. � Eiseskälte. Todeskälte. � Sein Puls beschleunigte sich abrupt, begann zu rasen. Aus den enwinkeln � glaubte er, etwas Schattenhaftes durch sein Ar-beitszimmer huschen zu � sehen. Eine Art schwarzen Nebelfet-Noch ehe er den Kopf drehen konnte, � um sich auf das Phänomen zu konzentrieren, verschwand es, als hätte es � einen Spalt in der Wirklichkeit auf getan und wäre hindurchgeschlüpft. � »Himmel«, knurrte er. »Ich denke, ich bin doch etwas überarbeitet. � Jetzt sehe sogar ich schon Gespenster.« Er lachte spöttisch; das Lachen � enthielt jedoch eine gehörige Spur von Unsicherheit, was ihm gar nicht � auffiel. � Er legte eine Hand in den Nacken und massierte seine Muskeln. � Was ging hier nur vor sich? Es gab eigentlich nur zwei Möglichkeiten: � Entweder war das, was sich in der Transmitter-halle zugetragen hatte, � Unsinn oder Sinnestäuschung und die Todesfälle nicht Folge dieser � Vorkommnisse, sondern medizinisch erklärbar - oder die Ereignisse hingen � wirklich damit zusammen, daß sich ein Saboteur oder auch mehrere in der � Anlage herumtrieben, die TransCons Vorhaben zum Scheitern bringen � wollten, den ersten Großtransmitter seiner Serienreife zuzuführen. � So oder so, er jedenfalls sah sich in der schwierigen Lage, die Zentrale von � TransCon davon zu unterrichten, was sich auf Nemed III und in � Neu-Karlsbad zugetragen hatte. Und irgendwie hatte sich in ihm die � Gewißheit festgesetzt, daß es sich nur um einen Sabotageakt handeln � konnte. Entschlossen setzte er sich in seinen Sessel, aktivierte das Vipho � und drückte die Nummer der Funkzentrale. � »Stellen Sie bitte eine To-Richtfunkverbindung mit der Firmenzentrale her«, � forderte er die junge Technikerin auf. � »New York, Sir?« � »Gibt es noch eine irgendwo anders?« erkundigte sich Humphreys mit � unüberhörbarem Sarkasmus. � Das Gesicht der Frau lief rot an. Irgendwie stand ihr das nicht schlecht. � »Nein, Sir. � Sofort, Sir.« � Das Bild blendete vom Vipho auf einen vier Quadratmeter großen � Holoschirm um, der sich auf der gegenüberliegenden Seite von Humphreys' � Arbeitstisch aufbaute. �
Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann saß Carlos Jesus Crowell in � Lebensgröße farbig und dreidimensional vor Christopher Humphreys. � »Ich grüße Sie, Generaldirektor Crowell.« � Crowell nickte kurz. »Sie wollten mich sprechen, Professor?« sagte der
Mann an der Spitze von TransCon im mehr als 1400 Lichtjahre entfernten � New York. »Was gibt es Neues? � Haben Sie Fortschritte zu vermelden, oder gibt es Probleme?« � Humphreys' Lächeln war sehr zurückhaltend, als er antwortete: � »Leider sind die Neuigkeiten, die ich Ihnen zu berichten habe, nicht � besonders gut. Tatsächlich sind sie auf eine gewisse Weise sogar
schlecht.« � Crowell schaute ihn an; auf der Erde mußte es jetzt Vormittag sein, � dachte Humphreys, der das Licht richtig zu deuten wußte, das hinter
Crowell durch das hohe Fenster fiel. � »Schwierigkeiten?« � »Kann man so sagen.« � »Welche Art von Schwierigkeiten? Los!« sagte Crowell drängend . � »Reden Sie!« � Humphreys brauchte knapp fünfzehn Minuten, um seinen obersten � Arbeitgeber über die Vorkommnisse auf Nemed III zu unterrichten. � »Keine sehr angenehme Lage«, stellte Crowell fest, nachdem der
Professor geendet hatte. »Sie ist sogar verdammt unangenehm.« � »So weit würde ich nicht gehen«, antwortete Humphreys. � »So?« bellte Crowell zurück. »Sie sind also der Meinung, Sie werden � mit diesem Problem ganz alleine fertig?« � »Ich denke schon, Sir«, meinte Humphreys etwas steif und fühlte � sekundenlang die Enttäuschung darüber, daß nicht er an Crowells Stelle � war. Aber kam Zeit, kam Rat... � oder der angestrebte Posten an der Spitze des Aufsichtsrats. � Als Crowell sich ostentativ räusperte, beeilte sich der Professor fortzufahren: � »Wir haben hier durchaus Männer, die in der Lage sind, Spuk von Tatsachen � zu unterscheiden und den Drahtzieher hinter diesem Sabotageakt � aufzuspüren.« � »Ist es denn einer?« »Was sonst?« gab Humphreys zurück. »Ich bin davon � noch nicht überzeugt...« *Daß es sich um einen Anschlag auf das Eigentum � von Trans-Con handelt?« unterbrach ihn der Professor. Crowell sagte scharf � und eine Spur abfällig, was Humphreys einen Stich versetzte: »Nein, daß Sie � in der Lage sind, mit dieser Situation fertigzuwerden, ohne Hilfe eines oder � mehrerer Experten.« � Das habe ich befürchtet, dachte der Hyperphysiker mit unbewegter Miene. Genau das habe ich befürchtet, einen oder mehrere Schnüffler, die mir die Arbeit hier erschweren... »Sie brauchen jemanden, der sowohl in der Lage ist, wissenschaftliche Phantasie zu entwickeln, als auch genügend Entschlußkraft hat, um sich nicht vor etwas zu fürchten, dessen Natur noch vollständig im Dunkeln liegt - selbst wenn es sich als der Leibhaftige persönlich herausstellen sollte.«
»Männer, wie Sie sie beschreiben, sind höchst selten«, sagte Humphreys trocken. »Sind Sie sicher, Sie treiben ein derartiges Exemplar auf?« Crowell blickte seinen Projektleiter auf Nemed III an, als hätte ihm dieser einen unsittlichen Antrag gemacht. Dann sagte er in schleppendem Tonfall: »Reden Sie keinen Unsinn, Professor Humphreys. Ich lasse Sie benachrichtigen, wenn wir jemanden gefunden haben, der sich um Ihre Probleme kümmert. Inzwischen überlegen Sie, wie Sie mit den Versuchen fortfahren können. Die Zeit drängt. Ich möchte auf keinen Fall, daß uns jemand zuvorkommt. Sie verstehen?« »Natürlich.« Humphreys grinste humorlos. »Natürlich, Sir. Wann dürfen wir in etwa mit der von Ihnen avisierten Unterstützung rechnen?« »Sobald wir jemanden aufgetrieben haben«, sagte Crowell. Er nickte Humphreys zu und schaltete ab.
2. Sie hatten nichts bemerkt! Er hatte es ja gewußt. Alles war so abgelaufen, wie er es vorhergesehen hatte. Sie würden sich eine Weile mit den Vorgängen beschäftigen und dann wieder zur Tagesordnung übergehen, würden sich in Sicherheit wähnen. Sollten sie! Er hatte es nicht eilig. Jetzt nicht mehr. Wie berechenbar diese Spezies Mensch doch im Grunde war. Er konnte sich fast nicht erklären, was sie so gefährlich machte, daß sie in der ganzen Galaxis gefürchtet waren. Wahrscheinlich alles purer Zufall! Glück vielleicht, obwohl Jobern den Begriff Glück so nicht kannte, aber er hatte ihn bei seinen Recherchen als etwas entdeckt, das mit der Grundhaltung ihrer Existenz zusammenzuhängen schien. Sollte es. Mit seinem Erscheinen würde sie das Glück verlassen. Für immer! Jobern war ein To Glossa und seit langem auf der Reise zwischen den Sternen - wie alle To Glossa. Nach menschlichen Maßstäben stand ihm unermeßlich viel Zeit zur Verfügung, den Weltraum zu durchstreifen. To Glossa waren im weitesten Sinne Sternenreisende, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatten, das Werden und Vergehen von Zivilisationen zu studieren - und zu beeinflussen! Sie waren Wissenschaftler ohne Wertvorstellungen von Gut und Böse. Wie alle To Glossa war auch Jobern ständig auf der Suche nach Leben, nach einer Form von Leben, das ein gewisses Maß an Intelligenz besaß. Und nach Sauerstoff weiten, die als Stützpunkte dienen konnten während der Zeitspanne, die er benötigte, sich der eventuell vorhandenen Zivilisation zu widmen. Wobei »widmen« meist darauf hinauslief, die betreffende Zivilisation nach den Vorstellungen der To Glossa umzukrempeln - beziehungsweise zu eliminieren, falls sich unerwartete Widerstände zeigten oder die Prognose ergab, daß sie irgendwann einmal zu einer Gefahr für die Clans zu werden drohte. Dabei traten die To Glossa niemals selbst in Erscheinung, sondern bedienten sich anderer Völker, die sie mit Hilfe geistiger und irtschaftlicher Manipulationen zu ihren willfährigen Werkzeugen und Handlangern machten. Seine lange Reise hatte Jobern in einer unvorstellbar weiten Parabel über den leeren, Sternenlosen Abgrund der benachbarten Galaxis zu der geführt, in der er sich nun aufhielt. Als ihm seine Instrumente eine Verletzung des Hyperraumes übermittelt und das Vorhandensein einer Transmitterbrücke in diesem Teil der Galaxis angezeigt hatten, dem er eigentlich bei seinem Streifzug durch das Universum keine Beachtung schenken wollte, verleitete ihn die Neugier zu einer Kursänderung. Eine künstlich herbeigeführte Verletzung des Hyperraums konnte nur von einer entsprechend intelligenten Rasse durchgeführt werden.
Er hatte lange gebraucht, um diesen fernen Ort zu erreichen. Aber Zeit � war etwas, das einem To Glossa unbegrenzt zur Verfügung stand. � Und er hatte Menschen gefunden! Jenes Volk, das den To Glossa im � Aussehen so verblüffend glich und das einige Mitglieder des B'naird-Clans � getötet hatte. � Noch während sich diese Erkenntnis in ihm festsetzte, begann gleichzeitig � ein Prozeß in seinem Innern anzulaufen, der sein zukünftiges Handeln � bestimmte, ob er wollte oder nicht. � Immer wenn ein To Glossa eines gewaltsamen Todes starb, löste das die � Entsendung eines letzten Kontaktsignales aus, das durch die Galaxis lief, � bis es auf irgendein Mitglied des Kollektivs traf, das es dann an die anderen � weitergab. � Und: Wer immer einen To Glossa tötete, zog sich die Rache des ganzen � Volkes zu; der Tod mußte geahndet werden. Joberns ganzes Sinnen und � Trachten lief ab diesem Moment der Erkenntnis einen geradlinigen Weg: � Er würde sich auf die Erfüllung dieser Rache konzentrieren. � Versteckt in der Zeitblase, die ihn und sein Schiff verbarg, hatte er alle � Zeit des Universums, seinen Plan zu entwickeln und in die Tat umzusetzen. � Daß er das tun mußte, war eine unveränderliche Konstante der To Glossa-
Philosophie und ihrer Jurisdiktion. � Um sich herum fühlte er das Pulsieren der Maschinen seines Schiffes, � Neuronen sangen, und Energiefelder fluktuierten. Etwas weiter draußen � vernahm er das geistige Gebrabbel der Menschen auf diesem einsamen � Planeten. � Zufrieden schaltete er seine Sinne zurück auf eine etwas geringere � Reichweite. In seinem Verstand wurde das Durcheinander von Bildern, � das diese Menschen umgab, abgelöst von der klaren Vorstellung, daß � sein Plan aufgehen würde. � Wie immer... � * Keuchend fuhr Thornton Duman aus dem Bett hoch, Gesicht und Hals feucht vom Schweiß. Seine Hände suchten fahrig nach dem Wecker, um ihn abzustellen, nur um festzustellen, daß dieser überhaupt noch nicht geklingelt hatte. Er zog eine Grimasse, während er sich mit verklebten Augen im Zimmer umsah und sich zu beruhigen suchte. Ein dumpfer Schmerz pochte hinter seiner rechten Schläfe; er wußte, er würde mit Hilfe eines starken Kaffees verschwinden. Aber auch die Alpträume? Sie hatten vor etwa einem Monat begonnen und kamen ziemlich häufig. Träume, die sich mit weit zurückliegenden Ereignissen beschäftigten, von denen er geglaubt hatte, sie würden nie mehr wieder in sein Bewußtsein treten. Falsch gedacht; die Vergangenheit schien ihn wieder einzuholen... Merkwürdig, daß er sich gerade jetzt wieder mit ihr auseinandersetzen mußte, wenn auch nur in seinen Träumen. Die Vergangenheit...
Gill! Miriam! Wieder erschien alles vor seinem inneren Auge, ohne daß er etwas dagegen unternehmen konnte. Bis zu jenen schicksalhaften letzten Maitagen des Jahres 2051 hatte er als Leiter der Sicherheitsabteilung bei Junction Mining gearbeitet, einem Minenkonsortium, das sich vor allem auf die Erzgewinnung auf den Kolonialplaneten spezialisiert hatte. W'ie gesagt, er hatte - bis die Giants im Sol-System erschie-und damit begannen, die Menschheit zu versklaven. Von da an war nichts mehr wie vorher; es waren drei lange Jahre gewesen. Jahre, an die er keine Erinnerung besaß. Nachdem Terra endlich wieder das Joch der Invasoren von sich abgeschüttelt hatte, war er in einem Rebellenlager in Djakarta »erwacht«. Wie er dahin gekommen war und was er vor allem während dieser drei Jahre getan hatte, ließ sich nicht mehr feststellen. Seine Verletzungen waren so schlimm gewesen, daß die Mediziner vor Ort sich außerstande sahen, ihm zu helfen. Man hatte ihn deshalb in ein künstliches Koma versetzt, hatte das, was von ihm noch existent war, in eine Kryokammer versenkt und ihn nach Washington, DC., verfrachtet, wo sich die medizinischen Koryphäen des militärischen Klinikkomplexes MEDDAC seiner Verletzungen angenommen hatten. Dank der medizinischen Technologie des 21. Jahrhunderts waren die Ärzte in der Lage gewesen, seine physischen Wunden zu heilen; Neurologen und Psychiater hatten die Verletzungen seines Geistes geheilt. Schließlich hatte man ihn als vollkommen wiederhergestellt ins Leben entlassen. Er war nach World City zurückgekehrt und hatte sich auf die Suche nach seiner Frau und seiner Tochter gemacht. Eine vergebliche Suche. Von Gill und der zum Zeitpunkt der Invasion drei Jahre alten Miriam hatte er keine Spur mehr gefunden. Das Viertel, in dem er mit ihnen zwischen seinen Einsätzen gewohnt hatte, war komplett zerstört, dem Erdboden gleichgemacht gewesen. Niemand hatte ihm sagen können, ob sie noch am Leben oder tot waren. Wie so viele andere zu diesem Zeitpunkt. Nach zwei langen Jahren der intensiven Suche hatte er es schließlich aufgegeben und sich mit der Gewißheit ihres Todes abgefunden... Thorn merkte, daß sein linker Arm eingeschlafen war, und suchte sich eine andere Lage. Vielleicht sollte er versuchen, noch eine Runde zu schlafen? Er zog wieder eine Grimasse - dadurch, daß er wachgeworden war, schien der ganze Tag schon verdorben zu sein. Also lautete die Antwort: aufbleiben. Mit geschlossenen Augen holte er tief Luft, dehnte seinen Brustkorb und hob die Arme. Dann strampelte er die Decke weg, öffnete die Augen und stand auf. Neben ihm war das Bett leer.
Er fuhr mit der flachen Hand über das Laken. Kalt. Kim war also schon längst aufgestanden, ohne ihn zu wecken. Eigentlich das übliche; immer wenn sie ins Institut ging, ließ sie ihn meist weiterschlafen. Er würde sie erst gegen Mittag, spätestens am Nachmittag wieder zu Gesicht bekommen. Thornton Duman zog sich an und ging einige Runden joggen; eine Etage in der Wohnkugel diente ausschließlich dem sportlichen Vergnügen ihrer Bewohner mit den raffiniertesten Einrichtungen zur körperlichen Ertüchtigung. So war beispielsweise der äußere Perimeter der kreisrunden Etage eine Laufbahn, die bereits zu dieser Stunde regen Zuspruch fand. Ein frischer Luftzug wehte durch die Laufanlage; leichte Musik, durchsetzt von Vogelgezwitscher und fernen Rufen von Baumbewohnern schufen die Illusion, sich in der freien Natur zu befinden. Thorn weitete mit tiefen Atemzügen seine Lunge und merkte, wie sein Kopf immer freier wurde. Während er seinen Atemrhythmus in Einklang mit der Geschwindigkeit brachte, beschäftigten sich seine Gedanken mit anderen Dingen. Vierundzwanzig Monate waren seit dem Rachefeldzug des To Glossa Gowan und den Ereignissen in den Katakomben von Chichen Itza vergangen. Von den beiden To Glossa-Schiffen im Hauptkrater der Hyberion-Ebene waren nur Fragmente geblieben; die von Gowan ausgelöste Chaosschaltung hatte nichts Verwertbares hinterlassen. Was nicht nur er bedauerte, sondern auch bestimmte Kreise der Erdregierung, waren doch damit auch die phantastischen Möglichkeiten der Transmitterverbindungen zwischen den Sternenschiffen der To Glossa und vielen unbekannten Orten der Galaxis nicht mehr gegeben. Noch bedauerlicher: Eine To-Richtfunkverbindung nach Xing unmittelbarnach diesen Ereignissen hatte bestätigt, was Kim Nev und Thornton Duman bereits befürchtet hatten: Die Transmitterhalle in der »Stadt der Türme« hatte ebenfalls ihren Betrieb eingestellt. »Jemand«, so hatte sich Marc Capezutto via To-Verbindung tief betrübt ausdrückt, »hat das Licht diesmal offenbar endgültig ausgeknipst.« Alle diese Vorkommnisse lagen nun schon zwei Jahre in der Vergangenheit... Nachdem ihr Kontrakt als Hydrologin bei Junction Mining ausgelaufen war, hatte Kimberley Nev ihr Versprechen wahrgemacht, das sie ihrem Sohn gegeben hatte, ehe dieser zum Mond geflogen war, um sich in die Obhut der Begabtenschule von Tycho City zu begeben: Sie hatte gekündigt und sich als freie Dozentin in Alamo Gordo etabliert, um Chris jederzeit ohne viel Aufwand sehen zu können. Er selbst, Thorn, stand Junction Mining zwar als zbV-Sicherheitsexperte zur Verfügung, falls seine Dienste benötigt werden würden, ansonsten hatte er sich als technologischer Ermittler ebenfalls in der neuen Hauptstadt Terras niedergelassen. Geheiratet hatten sie nicht, lebten aber zusammen in einem großen Apartment, das eigentlich aus zwei Einheiten bestand, und besaßen zudem eine Hütte in den Sacramento-Bergen, in der sie den größten Teil ihrer wenigen Freizeit verbrachten.
All diese Überlegungen flogen in Sekundenschnelle durch Dumans Verstand, während er leichtfüßig über den Laufpfad rannte. Nach jeder Runde warf er sich auf den künstlichen Rasen neben der Bahn und machte jeweils einen Satz Liegestützen. Nach seiner Rückkehr ging er erst einmal unter die Dusche. Danach waren auch die letzten Nachwehen der unruhigen Nacht gewichen, und sein Verstand wandte sich wieder den alltäglichen Dingen zu. Während er sich abfrottierte, betrachtete er sich im wandhohen Spiegel. Er war groß, hager, muskulös. Nach wie vor war kein Gramm Fett an seinem Körper zu sehen. Lediglich das dichte dunkelblonde Haar war mittlerweile an den Schläfen von einer Menge grauer Fäden durchzogen. Sein Gesicht mit den weit auseinanderstehenden dunklen Augen wirkte, als wolle er jeden Moment lächeln. Doch dieser Eindruck täuschte. Vor allem seine Gegner und Feinde. Wenig später saß er in der Küche und nippte an seinem Kaffee, während er uninteressiert die morgendlichen Werbesendungen auf dem Holoschirm an sich vorbeirauschen ließ, der sinnigerweise in die Tür des Kühlschranks integriert war. Als das Niveau immer weiter abfiel, stand Thom mit einem Brummen auf und ließ die Küche Küche sein. Den Kaffee nahm er mit. Er durchquerte die gemeinsame Wohnung und öffnete die Verbindungstür zu seinem Reich. Sein Reich! Wie sich das anhörte. Aber genaugenommen war es das. Als sie übereinkamen, sich gemeinsam auf der Erde niederzulassen und eine Bleibe zu suchen, stand von vornherein fest, daß man zwei nebeneinanderliegende Apartments nehmen würde, mit separaten Eingängen, aber auch mit einer Verbindungstür. Die Überlegung dabei war nicht etwa, sich bei Bedarf aus dem Weg gehen zu können, sondern schlicht und einfach, daß Thorn als technologischer Ermittler einer umfangreichen Büroeinrichtung bedurfte, um rasch und ohne großen Zeitverlust mit den Brennpunkten der Ereignisse kommunizieren zu können. Welche Frau hatte schon gerne das Äquivalent einer kleineren Raumschiffszentrale in ihrem Wohnzimmer? Oder fremde Besucher, die sich Thorns Dienste versichern wollten? Duman wußte es nicht - was er allerdings wußte, war, daß Kim auf keinen Fall zu dieser Art Frauen zählte. Er pflanzte sich hinter seinen Arbeitstisch und aktivierte den rund um die Uhr aktiven Sammler, der auf sämtliche relevanten Nachrichtenkanäle aufgeschaltet war und nur dazu diente, ganz bestimmte Meldungen aus dem riesigen Datenstrom herauszufischen. Die Nachrichten liefen über den Holoschirm; zuerst kam eine Zusamrnenfassung der einzelnen Themenbereiche, aus denen man sich die Beiträge auswählen konnte, die von Interesse schienen. Alle Kanäle boten diesen Nachrichtenservice.
Man wurde von Terra-Press, den anderen Unabhängigen und den staatlichen � Sendern geradezu mit Neuigkeiten überschwemmt. � Thorn überflog die Schlagzeilen und löschte eine nach der anderen wieder � durch einen entsprechenden Befehl. � Keine dabei, die von Interesse für ihn war. � Keine zumindest, die versprach, eine lukrative Einnahmequelle zu werden. � Wenn das so weiterging, würde er wohl bald am Hungertuch nagen oder
sich von Kim ernähren lassen müssen. � An diesem Punkt seiner Überlegungen angekommen, mußte er mit leisem � Spott über sich selbst lachen. � Hungertuch hörte sich verdammt dramatisch an; tatsächlich belief sich � sein Konto auf eine stattliche Summe, mit der er und Kim immer noch eine � ganze Weile in den Bergen verbringen und die unbeschreiblichen � Sonnenuntergänge genießen konnten. � Thorn schlürfte seinen Kaffee. Bis jetzt boten die Nachrichten der letzten � zwölf Stunden nichts Aufregendes. Keine Naturkatastrophen, kein Angriff � auf die Erde, niemand hatte ein Hochhaus in die Luft gesprengt, keine � Hungersnöte. � »... die Industriegebäude der ehemaligen Wallis-Niederlassung in Kapstadt � sind heute nacht Ziel eines terroristischen Angriffs geworden...« � Hinter dem Nachrichtensprecher sah man zerstörte und noch immer � brennende Gebäude. � »... soll sich um einen Anschlag von Islamisten handeln, die seit einiger
Zeit wieder von sich reden machen, obwohl Regierungskreise davon � sprechen, daß es sich lediglich um kriminelle Banden handelt, die unter
dem Deckmantel der Religion ihr Unwesen treiben...« � In diesem Augenblick begann auf dem Schirm links oben ein Symbol zu � blinken. � Jemand rief ihn über die Viphophase an. � »Halt!« befahl Thorn. »Wer ist es?« � Das Symbol verschwand, dafür erschien eine Schriftzeile. � »Hmm«, brummte Thorn; der Computer erkannte das Brummen als das, � was es war, nämlich eine neutrale Lautäußerung, die keine Reaktion � erforderlich machte. � Thorn las die Zeile. Ein Lewis Forsten von TransCon wünschte ihn zu � sprechen. � Thorn kratzte sich an der Nase. � Einen Forsten kannte er nicht, wohl aber TransCon. Ein Multikonzern im � Transportwesen, der mit der China Shipping Ltd. im ständigen Wettstreit � um die Vorherrschaft auf diesem Sektor lag. � He! TransCon wollte etwas von ihm! � Das bedeutete Korn für die Mühle. � »Lege den Anruf auf den Schirm!« Thorn formulierte die Worte deutlich. � Der gerade aktuelle Nachrichtensprecher rutschte als kleines tonloses Bild � im Bild in die linke untere Ecke des Holoschirms, während sich Lewis � Forsten bis zu den Schultern als lebensgroßes Abbild zeigte; er war ein � jugendliche Frische ausstrahlender Angestellter. �
Sein Lächeln war berufsmäßig. � »Mister Thornton Duman?« � »So steht's an der Tür meines Büros«, nickte Duman. »Was kann ich für
Sie tun?« � »Für mich nichts«, antwortete der alerte Laufbursche von TransCon. � »Aber für meinen Chef, Mister Carlos J. Crowell. Er bittet um Ihren Besuch.« � »Sie meinen...?« � »New York. Ganz recht, Mister Duman«, unterbrach ihn Forsten. � »Wann?« � »Dreizehn Uhr - heute.« � »Werde ich mit einem Jett abgeholt?« fragte Thorn kühn. � Forstens Mundwinkel dehnten sich zu einem Lächeln, das allerdings vor � seinen Augen � Halt machte. »Sie nehmen den Transmitter. Ihr Durchgang ist schon � bezahlt.« � Duman zuckte mit den Schultern. »Wenn Mister Crowell darauf besteht.« � Das tut er.« Forsten grinste wie eine Katze, die wußte, daß ihr die Maus
nicht mehr entkommen würde. »Seien Sie pünktlich«, riet er. »Mister
Crowell haßt nichts so sehr wie Unpünktlichkeit.« � Wenn Mister Crowell wüßte, was ich so alles hasse«, begann Thorn, aber � Lewis Forsten hatte schon abgeschaltet. � Perplex starrte Duman auf den Holoschirm, auf dem der Nachrichtensprecher � wieder aus seiner Ecke auftauchte, zur vollen Größe anwuchs und den Mund � zu einem strahlendweißen Zahnpastalächeln öffnete. »Und nun zu einer � wichtigen Meldung des nordamerikanischen Forstamtes...« � »Aus!« sagte Thorn scharf. Der Suprasensor reagierte augenblicklich. � Die Nachrichten von Terra-Press verschwanden vom Schirm. � Ruhe kehrte in Dumans Büro ein. � Aber nicht für lange; Kim kam früher als üblich von der Universität zurück. � Ihre Begrüßung war ungewohnt zu dieser Zeit: sie küßte ihn mit einer � Nachhaltigkeit, als wären sie mehrere Tage getrennt gewesen. � Nach einer Weile packte er sie sanft an den Schultern, hielt sie ein wenig von � sich weg und blickte sie fragend an. � »Man hat es vorgezogen, meine Position mit einer permanenten Kraft � auszufüllen«, erklärte sie. »Da ich nicht vorhatte, diese Kraft zu sein, werde � ich vorläufig nicht gebraucht.« � Sie schien nicht mal unglücklich darüber zu sein. Zumindest konnte er
keinerlei Unmut, Trauer oder Ärger in ihrer Stimme erkennen. Sie fuhr fort, � nachdem er noch immer schwieg: »Wir könnten eigentlich wieder mal auf � unsere Hütte fahren, was meinst du? Jetzt, wo ich Zeit habe.« � Sie setzte sich ihm gegenüber in den Besuchersessel und schlug die Beine � übereinander. � »Das können wir vermutlich nicht.« � »Nein? War was?« � »Wie man's nimmt.« �
»Und wie nimmt man es?« »Ich muß mal eben nach New York.« Kimberley »Kim« Nevs Augenbrauen schwangen Bögen. »Aha«, sagte sie. »Und zu welchem Zweck?« Thornton Duman lehnte sich zurück und betrachtete Kim mit sichtlichem Wohlgefallen. Sie war kleiner als er und hatte ein schmales, frisches Gesicht mit kaum sichtbaren Sommersprossen. Ihr kurzes Haar wirkte immer etwas unfrisiert sie konnte damit anstellen, was sie wollte, es erweckte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, als würde sich je ein teurer Coiffeur daran versucht haben. Und sie hatte Verstand. Nach Dumans Vorstellung fehlte einer Frau ohne Verstand mehr als nur Schönheit. Nicht, daß es Kim an beidem mangelte. Davon konnte keine Rede sein. Neben ihrer unzweifelhaften Intelligenz, aus der unter anderem zwei Doktortitel resultierten, nämlich in Hydrologie und Xenobiologie, war Kimberley Nev attraktiv, langbeinig, hellhäutig wie alle Rothaarigen und besaß weich schimmernde Augen in einem leichten Grünton. Außerdem hatte sie einen inzwischen siebzehnjährigen Sohn aus ihrer ersten Ehe mit einem Kerl namens Zacharias Houska, der sich aus dem Staub gemacht hatte, als Christopher - benannt nach Christopher da Nev, einem von Kimberleys Vorfahren, der mit Vasco da Gama den Seeweg nach Indien hatte erkunden helfen, wie sie ihm einmal erklärt hatte - im Alter von zwei Jahren die ersten telekinetischen Fähigkeiten gezeigt hatte. Inzwischen war der junge Mann zu einem parapsychischen Multitalent gereift, das seine Ausbildung auf der Begabtenschule von Tycho City absolvierte. »Ich warte noch immer«, erinnerte sie ihn. »Wie?« Thorns Gedanken kehrten von ihrem kurzen Ausflug in die Vergangenheit zur Gegenwart zurück. »Ach so. Ein Lewis Forsten von TransCon hat angerufen. Er sagte, sein Chef, Carlos J. Crowell, wolle mich sehen.« »Hmm«, machte Kimberley nachdenklich. »TransCon, den Namen hab' ich doch schon mal gehört - in welchem Zusammenhang war das bloß noch mal?« Sie runzelte die hübsche Stirn, als dächte sie angestrengt nach. »Ein Multikonzern, der sich auf galaxisweite Versorgung von Kolonien mit Handelsgütern spezialisiert hat«, half ihr Thornton auf die Sprünge. »Und wie kommt er gerade auf dich?« »Vermutlich aufgrund meines ausgezeichneten Rufes«, behauptete Thorn kühn. Kim blieb gelassen und fragte skeptisch: »Worum geht es bei diesem Auftrag?« »Noch weiß ich es nicht.« Thorn zuckte mit den Schultern. »Vielleicht sind ein paar Container mit irgendwelchen teuren Gerätschaften abhanden gekommen, die ich nun suchen soll.« »Hmm«, machte Kim noch einmal. »Wann fliegst du?«
»Gar nicht«, erwiderte Thorn. »Ich soll heute um 13 Uhr in New York sein. � Ich gehe.« � Sie spitzte ihren hübschen Mund und pfiff überrascht. »Es scheint zu � brennen, wenn man dir eine Transmitterverbindung bezahlt.« � »Mal sehen, was ich zum Löschen beitragen kann«, sagte er und grinste � leicht. � »Dann solltest du dich auf den Weg machen«, riet sie. � »Ich werde inzwischen hier sitzen wie seinerzeit Penelope und auf � meinen Odysseus Thorn warten.« � Thorn sah zum Chrono. Himmel! Sie hatte recht. Nicht mit dem Odysseus, � sondern mit ihrem Ratschlag, sich zu sputen. Wenn er die Zeitdifferenz � zwischen Alamo Gordo und New York berücksichtigte, mußte er wirklich � die Beine in die Hand nehmen. �
3. Für den Weg zum Transmitterbahnhof verließ er erst gar nicht das Gebäude, sondern ließ sich von der Abwärtsphase des A-Gravlifts ins zweite Untergeschoß tragen. Dort nahm er eines der Bänder, das ihn zur nächsten Station der unterirdischen Magnetschwebebahn brachte. Zehn Minuten später stieg Thorn in der hellerleuchteten Zielstation aus; geschäftig surrende Rolltreppen trugen ihn nach oben. Er orientierte sich kurz, dann ging er zielstrebig zu dem für New York zuständigen Abfertigungsschalter. »Thornton Duman«, ließ er die Angestellte des Transmitter-service wissen und reichte ihr seine Datenkarte. »Für mich wurde eine Passage nach New York hinterlegt.« Die Frau warf einen Blick auf den betreffenden Schirm und nickte. »Tor vier«, sagte sie und wandte sich dem nächsten Passagier zu. Big Apple schien zur Zeit gefragt zu sein, ziemlich viele Leute suchten die Metropole am Hudson River auf. Der Durchgang erfolgte ohne meßbaren Zeitverzug; lediglich ein leichtes Ziehen im Nacken machte sich bemerkbar, als Thorn New Yorker Boden betrat. Er blieb einen Moment auf der leicht erhöhten Ebene stehen und sondierte mit einem raschen Blick das Geschehen in der Halle, die Teil der riesigen Central Station war. Automatisch glitt sein Blick über die ihn umgebende Menge; es gab eigentlich keinen Grund dafür, aber in den Jahren, in denen er als Sicherheitsagent für Junction Mining gearbeitet hatte, war es ihm zur Gewohnheit geworden, in Menschenansammlungen nach möglichen Bedrohungen Ausschau zu halten. Doch hier war man nur darauf aus, Reisende zu begrüßen oder sich von ihnen zu verabschieden. Mit schnellen Schritten verließ er die Central Station und trat ins Freie. Die Mittagssonne schien hell über New York und sorgte für angenehme zweiundzwanzig Grad Lufttemperatur an diesem Septembertag. Die leuchtenden Strahlen spiegelten sich funkelnd in den Fassaden der Wolkenkratzer aus Stahl, Glas und Leichtmetall; als sich die Sonne für einen Moment hinter flüch-tigen Kumuluswolken verbarg, wurde es in den Tiefen der Straßenschluchten dunkler, dennoch griff Thornton in die Brusttasche und setzte die Sonnenbrille auf. Es war Mittagszeit. Er drängte sich durch die Menge, die die Gehsteige bevölkerte, steuerte auf einen Taxistand zu und setzte sich auf die Rückbank des ersten Gleiters in der Reihe. »Wohin, Sir?« fragte der Fahrer, der sich umdrehte und ihn ansah. Thornton blickte in uralte Augen, die ihn aus einem noch jungen Gesicht fragend anstarrten; der Fahrer hätte bei der Restaurierung seines Gesichtes auch auf ein Paar neue Augen bestehen sollen. Thorn gab ihm die Adresse der Firmenzentrale von TransCon. Der Fahrer fuhr los. Das Taxi brachte Thornton in zwanzig Minuten über den staufreien innerstädtischen Highway bis zum TransCon-Gebäude.
Es war eine riesige Nadel, ein gewaltiger Turm aus Thermoglas und vergütetem Leichtstahl in der Nähe der historischen Freiheitsstatue. Während der Giant-Invasion waren viele Städte auf Terra entweder ganz vernichtet oder in großem Umfang zerstört worden. New York gehörte zu denen, die relativ glimpflich davongekommen waren. Was von der Wolkenkratzermetropole am Hudson River der Katastrophe entgangen war, war unmittelbar nach dem abrupten Ende der Kampfhandlungen größtenteils wieder aufgebaut oder restauriert worden. Die Freiheitsstatue gehörte zu den Objekten, die man als erstes wiedererrichtet hatte. Thorn stieg aus, machte ein paar Schritte und blieb dann vor dem Riesenbauwerk stehen. Seine Blicke verweilten einen Moment auf der kühnen Architektur, einem Monument wirtschaftlicher Macht und Größe. Dann zuckte er mit den Schultern, murmelte »Jedem das Seine« und setzte sich in Bewegung. Mit raumgreifenden Schritten ging er auf die Eingangshalle des Riesenbauwerks zu. Wie es schien, hatte TransCon das ganze Gebäude für sich; in der Lobby gab es keinerlei Hinweise auf andere Firmen, die sich in den Etagen eingemietet hätten. Nicht mal Junction Mining in Alamo Gordo leistete sich den Luxus, einen Büroturm nur für die eigenen Belange in Anspruch zu nehmen. Aber in New York legte man offenbar andere Maßstäbe an.Zielstrebig ging Thorn Duman auf den Empfang zu. »Mein Name ist Thornton Duman«, teilte er der in schlichter Eleganz gekleideten Dame mit; seine Stimme hallte von der edlen Innenverkleidung wider. »Alamo Gordo. Ich habe eine Verabredung mit Ihrem obersten Boß.« Die Empfangsdame schien bereits instruiert zu sein. Sie drückte ein paar Knöpfe auf ihrem Empfangspult, lächelte geschäftsmäßig und erwiderte: »Mister Crowell erwartet Sie bereits. Wenn Sie sich bitte meiner Kollegin dort drüben neben dem Lift anvertrauen wollen, sie wird Sie hinaufbringen.« Thorn nickte. »Danke.« Während der Fahrt überlegte er, was ihn erwarten würde, kam aber zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Der Lift hielt im zweiundvierzigsten Stockwerk, der Vorstandsetage von TransCon. Zusammen mit seiner Führerin durchquerte Thorn eine Flucht von Büround Präsentationsräumen. Schließlich blieb sie vor einer Doppeltür stehen. Sie legte eine überaus gepflegte Hand auf die Fläche eines Abtastgerätes, und eine Türhälfte schwang nach innen. Sie deutete hinein. »Mister Duman, Mister Crowell erwartet Sie.« Während sich die Tür hinter ihm lautlos schloß, ging Thorn tiefer in den Raum hinein, registrierte die schlichte Eleganz und erkannte erst auf den zweiten Blick ihre wirkliche Luxuriösität. Das war kein Büro im üblichen Sinn, sondern eher ein Salon, in dem man zusammensaß und über die Geschicke des Unternehmens diskutierte oder weitreichende Entscheidungen traf. Hinter dem Schreibtisch vor der Fensterwand, durch die man einen phantastischen Ausblick auf den Hudson River hatte, saß ein Mann. Jetzt hob er eine Hand und winkte Thorn. »Würden Sie bitte näher kommen, Mister Duman?
Ich unterhalte mich nur ungern über eine größere Distanz.« � Natürlich, Sir«, erwiderte Thornton und trat näher. � Crowell stand auf und reichte ihm die Hand über den Tisch hinweg; sein � Händedruck war kräftig. � Der Generaldirektor von TransCon war ein Mann von schätzungsweise � siebzig Jahren. � Er sah sehr gepflegt aus und war teuer gekleidet, was bei einem Mann � seiner Position nicht verwunderlich war. Er machte auf den ersten flüchtigen � Blick den Eindruck eines umgänglichen Menschen, aber der harte Zug um � seinen Mund und die Falten, die sich von den Nasenflügeln zu den � Mundwinkeln zogen, paßten nicht ganz in das Bild: � Wenn es sein mußte, ging der erfolgsverwöhnte Vorstandsvorsitzende über � Leichen, wie Thorn aus den Unterlagen in seinem Archiv wußte; er hatte � sich natürlich auf diesen Besuch vorbereitet. � Carlos J. Crowell war ein Industrieller, der keine Skrupel kannte, wenn es � darum ging, irgendwo ein lukratives Geschäft zu machen, mochte es nun � gesetzlich oder knapp jenseits der Grenzen der Legalität sein. � Aber das taten neben ihm eine ganze Reihe anderer Wirtschaftsmagnaten � auch. Sein multistellarer Konzern TransCon kontrollierte � einen erheblichen Teil des Güterverkehrs zu all den Orten in der Galaxis, � an denen sich Menschen aufhielten. Mehr als sechzigtausend Personen � arbeiteten direkt oder indirekt für TransCon. Der Konzern zahlte hohe � Gehälter und belohnte besonders erfolgreiche Mitarbeiter mit noch höheren � Prämien. � »Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Crowell. Die blauen, intelligenten � Augen musterten Thorn scharf, in Sekundenbruchteilen schien er sich � seine Meinung über seinen Gast gebildet zu haben. Leider ließ er nichts � davon nach außen dringen. � Er fuhr fort: »Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind.« � »Noch wissen Sie ja nicht, ob ich Ihre Erwartungen erfüllen kann«, � erwiderte Thornton ohne jede Ironie und setzte sich. »Gestatten Sie eine � Frage?« � »Nur zu.« � »Wer hat mich Ihnen empfohlen?« � »Ein langjähriger Geschäftspartner von TransCon - der Direktor von � Junction Mining.« � Thorn nickte; das hatte er vermutet. � »Dann hat er sicher nicht versäumt, Ihnen meine Konditionen mitzuteilen?« � »Da hat er sich merkwürdigerweise bedeckt gehalten«, sagte Crowell, � und eine Art von Lächeln kräuselte seine Lippen. � Guter Ogan Chann, dachte Thorn. Netter Zug von ihm, das ließ Spielraum
für seine pekuniären Forderungen. � »Wie teuer sind Ihre Dienste denn so?« erkundigte sich Crowell, und die � Art, wie er es sagte, ließ den Schluß zu, daß ihn Honorarforderungen nur
am Rande tangierten, wenn nur das Ergebnis seinen Vorstellungen � entsprach. �
»Das richtet sich nach Umfang und Schwierigkeitsgrad dessen, was ich für � Sie tun soll. � Aber lassen wir dieses Thema für einen Moment außen vor«, meinte Thorn, � lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Schildern Sie mir
bitte zuerst Ihr Problem, � Sir.« � »Sind Sie mit dem vertraut, was TransCon macht?« fragte Crowell. � »Sie sind eines der führenden Transportunternehmen in der Galaxis«, � sagte Thorn und rief sich seine diesbezügliche Recherche ins Gedächtnis. � »Ihre Umsätze überstiegen im letzten Jahr 300 Milliarden Dollar.« � Crowell nickte. »Das hört sich nach mächtig viel Geld an, aber ich darf � Ihnen versichern, daß 300 Milliarden Dollar Umsatz auf diesem umkämpften � Markt harten, sehr harten Wettbewerb bedeuten.« � »Den Sie meist zu Ihren Gunsten entscheiden«, versetzte Thorn trocken. � Jetzt lächelte Crowell. »Zugegeben. Wir sind meist ein bißchen besser
als unsere Konkurrenten, schneller und innovativer...« � Und rücksichtsloser, dachte Thorn. � »Wir können es uns nicht leisten«, ließ Crowell weiter wissen, »unsere � Vorteile aus der Hand zu geben. Und das soll auch so bleiben. TransCon � ist ein galaxisweites Fernverkehrsunterneh-men und hat sich darauf � spezialisiert, die weitverstreuten menschlichen Niederlassungen in der � Milchstraße mit Gütern des alltäglichen Bedarfs, aber auch mit � hochspezialisierten Industriekomponenten zu beliefern. Ein mitunter � mühseliges Geschäft Zeitaufwendig, wie gesagt, und mit vielen Risiken � behaftet. � Von den Gefahren durch Überfälle auf unsere Schiffe durch � arodierende Raumbanditen will ich gar nicht erst anfangen.« � Thorn verzog keinen Muskel seines Gesichtes und schwieg auf die � etwas aufgesetzt wirkenden Klagen des Generaldirektors der fortfuhr: � »Wir sind dabei, den Frachtverkehr zwischen den besiedelten Welten � des terranischen Einflußbereiches, den vielen Kolonien und Außenposten � schneller und billiger zu machen.« � »Wie wollen Sie das anstellen?« fragte Thorn, der sich vorstellen konnte, � unter welchem enormen Leistungsdruck die konkurrierenden Unternehmen � stehen mußten. � »Indem wir uns vor zwei Jahren zu einer gewaltigen Investition � entschlossen«, versetzte der Generaldirektor mit einer Miene, als hätte � er einen Krieg gewonnen. � Vermutlich hatte er das auch, einen Wirtschaftskrieg nämlich. � »Sie wollen also ebenfalls ins Transmittergeschäft einsteigen«, unterbrach � ihn Thornton Duman. � Crowell nickte anerkennend. »Sie haben sich informiert, wie es scheint.« � Thorn verzog keinen Muskel seines Gesichtes und schwieg, und so fuhr � Crowell fort: »Allerdings wollen wir nicht, wir sind schon«, klärte er sein � Gegenüber auf. �
»Viele Strecken werden dadurch schneller zu beliefern sein, ohne daß wir teure und anfällige Raumschiffe dafür hernehmen müßten. Der Einsatz von Frachttransmittern, die die Handelsgüter quasi in Nullzeit zu den jeweiligen Endpunkten schicken, wird unsere Effektivität enorm steigern.« »Haben Sie da nicht ein kleines Detail übersehen?« fragte Thorn skeptisch. Crowell runzelte die Stirn. »Kleines Detail? Welches Detail?« »Es dürfte Ihnen doch nicht entgangen sein, daß es bereits Großtransmitter gibt.« »Natürlich nicht!« schnappte der Generaldirektor indigniert. Die Linien in seinem Gesicht vertieften sich; er preßte die Lippen ärgerlich zusammen und sagte: »Aber Ihnen scheint nicht bekannt zu sein, daß sich diese Anlagen fast ausschließlich in der Hand der Erdregierung, der Terranischen Flotte oder von Wallis Industries befinden; sie für unsere Zwecke zu nutzen, scheitert an den für uns unerschwinglichen Kosten.« »Und das soll nicht länger so bleiben«, meinte Thorn. »Richtig?« »Ganz recht, Mister Duman, Sie haben es auf den Punkt gebracht«, bestätigte Crowell. »In der Tat sind wir seit einiger Zeit dabei, einen eigenen Großtransmitter zur Serienreife zu entwickeln, seit es uns gelungen ist, einen der führenden Wissenschaftler in der Hyperraumtechnik dafür zu gewinnen. Nun ja«, schränkte er ein, »eigentlich ist der Mann an uns herangetreten. Er hat eine entsprechende Erfindung gemacht, die Transmittervorgänge über sehr große Entfernungen bei sehr geringem Energieeinsatz ermöglicht.« Thornton zog überrascht die Brauen hoch, schwieg aber und lauschte weiter Crowells Ausführungen. »Vorausgesetzt, dieses Verfahren funktioniert - wovon wir eigentlich ausgehen, da wir bereits in einen großangelegten Feldversuch eingetreten sind -, dann würde dies eine immense Zeitersparnis in der Versorgung vieler Kolonien bedeuten. Ja, die Kolonisation neuer Planeten würde damit sogar einen ungeahnten Aufschwung nehmen und für eine weitere Ausdehnung des menschlichen Einflußbereiches sorgen...« »Sie sagten etwas von einem Feldversuch«, bremste Thornton bedenkenlos den Enthusiasmus des Generaldirektors. »Wo befindet sich Ihre Anlage?« Crowell räusperte sich. »Schon mal vom Sternhaufen Yanez gehört, Mister Duman?« Thorn dachte kurz nach und nickte. »Etwa 1400 Lichtjahre von der Erde entfernt, am Rande des Leerraums zwischen dem Orionarm, in dem bekanntlich unser System liegt, und dem noch weiter draußen befindlichen Perseusarm. Was gibt es dort?« »Nemed III, eine Kolonie europäischer Auswanderer. Und auf Nemed III unsere Anlage.« »Warum so weit draußen?« »Die Errichtung einer Transmitterstrecke im Experimentierstadiurn ist in der Nähe von dichtbesiedelten Gebieten oder stark fequentierten Fracht- und Passagierlinien nicht ganz ohne Risiken.«
Ist es vielmehr nicht so, daß Sie Ihre Versuche vor den anderen Mitbewerbern � geheimhalten wollen?« � Crowell grinste plötzlich, eine Regung, die Thornton nicht erwartet hätte. � »Ich gestehe«, bekannte der Generaldirektor von TransCon, »daß dies
einer der Beweggründe war. Anfänglich. Jetzt allerdings nicht mehr; � inzwischen ist durchgesickert, was wir zu tun beabsichtigen.« � So ein Pech aber auch, dachte Thornton mit unbewegter Miene. � Laut sagte er: »Nun, sehr interessant Ihre Zusammenfassung dessen, � womit sich TransCon zur Zeit beschäftigt. Aber Sie haben bislang noch mit � keinem Wort erwähnt, was Sie von mir erwarten.« � Crowell beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und faltete � die Hände. � Hinter seiner Stirn arbeitete es, als er über die Fingerspitzen hinweg � Thornton Duman musterte. � »Hören Sie«, versetzte Thorn ruhig. »Wenn ich für Sie arbeiten soll, halte � ich es für unumgänglich, daß ich umfassend aufgeklärt werde. Was also � ist auf Nemed III geschehen?« � Auf Carlos J. Crowells Gesicht ließ sich ein gewisses Zögern ablesen. � Während sich Thorn noch darüber wunderte, kam er schließlich doch zur � Sache: »Wir sehen uns plötzlich Schwierigkeiten gegenüber«, sagte er
und schürzte ärgerlich die Lippen. � »Anfänglich waren es nur Kleinigkeiten, Verzögerungen, unerklärlich hohe � Energie � Verluste. Ich weiß, was Sie sagen wollen«, wehrte er Thomtons Versuch � eines Einwandes ab. »Rückschläge werden bei einem Projekt dieser Größe � immer wieder auftreten. � Das haben wir einkalkuliert, glauben Sie mir. Pannen technischer Art wird � es immer geben, damit haben wir uns abzufinden. Aber nicht mit dem, was � vor einigen Wochen auf Nemed III geschehen ist.« Er schwieg erneut, � starrte auf die Tischplatte, dann sagte er grimmig: »Es hat Unfälle gegeben.« � Thorn nickte leicht; er hatte so etwas vermutet. Ein plötzlicher Gedanke � schoß ihm durch den Kopf. Sich leicht vorbeugend, fragte er: »Wie viele � Menschen sind schon gestorben?« � Crowell atmete etwas schneller, als er antwortete: »Zwei Männer sind tot.« � »Was genau ist geschehen?« � Crowell schloß kurz die Augen, dann schilderte er in kurzen, prägnanten � Sätzen, was sich in der Transmitteranlage auf Nemed III zugetragen hatte. � Thornton rieb sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. � »Haben Sie sich schon mal überlegt, ob die Unfälle einer eventuell in Neu-
Karlsbad agierenden Gruppierung zuzuschreiben sind? Vielleicht existiert � in der Kolonie eine Umweltschutzorganisation, die nicht damit einverstanden � ist, was TransCon da in ihrer unmittelbaren Nähe betreibt?« � »In diese Richtung wurde als erstes ermittelt«, erwiderte Crowell. »Aber es � waren keine diesbezüglichen Aktivitäten zu registrieren.« � »Eine Bürgerinitiative vielleicht?« hob Thornton noch einmal an, aber Crowell � winkte ab. �
»Noch unvorstellbarer«, sagte er und lieferte die Erklärung gleich hinterher. � TransCon habe schließlich mit seinen umfangreichen Investitionen und einer � schnellen Anbindung an die Erde durch konzerneigene Raumschiffe dafür � gesorgt, daß die Kolonie aus ihrem trögen Dornröschenschlaf erwacht und � zu einem prosperierenden Gemeinwesen aufgestiegen sei. Die Einwohner � von Neu-Karlsbad seien ausgesprochen freundlich und der Arbeit TransCons � gegenüber sehr aufgeschlossen. Außerdem würde niemand die Hand � beißen, die ihn füttere. � Thorn schüttelte den Kopf. »Mit Verlaub«, sagte er sarkastisch, »dieses � Sprichwort ist nur ein Phrase. Die Hände sind Legion, die aufgrund dieser � dümmlichen Redewendung schon verloren gingen.« � »Nein, ich glaube nicht an die von Ihnen aufgezeigten Möglichkeiten«, � betonte Crowell. � »Seit der Errichtung des Großlabors vor zwei Jahren hat es nie irgendwelche � Animositäten oder Zusammenstöße zwischen meinen Wissenschaftlern � und den Kolonisten gegeben.« � Thorn zuckte innerlich mit den Schultern. Crowells Vertrauen in die � Bevölkerung von Neu-Karlsbad war etwas, das er so nicht teilen konnte, � auch wenn es vermutlich gerechtfertigt war. Er war insgeheim davon � überzeugt, daß hinter den Vorfällen ein konkurrierendes Unternehmen � steckte. Doch diese Meinung behielt er für sich. � Sie erwähnten vorhin, daß die beiden Männer unter merkwürdigen � Begleitumständen gestorben seien«, sagte er zu Cro-well. »Was hat es
damit auf sich?« � Crowell zögerte wieder, ehe er sich entschloß, von den Vorgängen um
das aktivierte Transmittertor zu berichten. � Thorns Stirn furchte sich, er hob unmerklich den Kopf und musterte den � Mann vor ihm, dem Milliarden werte unterstanden. »Ich soll also für Sie � nach den Ursachen dieser merkwürdigen Vorkommnisse forschen?« fragte � er. »Hmm. Auch auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederhole: � Warum gerade ich?« � Carlos J. Crowell lächelte; das Lächeln war etwa so echt wie der
Treueschwur einer Braut vor dem Altar. »Sie scheinen uns der geeignete � Mann dafür zu sein. Sie haben Erfahrungen im Umgang mit ungewöhnlichen, � unbegreiflichen Dingen, mit der Fremdheit an sich. � Ogan Chann hat mir davon berichtet, wie Sie die Situation auf Xing und � später in den Ruinen von Chichen Itza bewältigt haben. � Aus diesen Gründen erscheinen Sie TransCon und mir prädestiniert � dafür, auch unser Problem zu lösen.« � Duman grinste schwach. Er wollte etwas sagen, aber Crowell hinderte ihn � mit einer Handbewegung daran und fragte mit gespieltem Gleichmut: � »Möchten Sie diese Aufgabe übernehmen?« � Thorn wappnete sich; in diesem Moment begannen die Verhandlungen. � Er war nicht gewillt, sein Licht unter den Scheffel zu stellen und sich unter � Wert zu verkaufen. O nein, auf keinen Fall. Schließlich mußte er von � diesen Einkünften seinen zugegeben etwas aufwendigen Lebensunterhalt � bestreiten. �
Schließlich nickte er und erwiderte ruhig: »Ja, Generaldirektor Crowell. Aber so wie ich die Sache sehe, geht es hier nicht mehr nur um eine etwas ungewöhnliche Werks Spionage. Immerhin hat es Tote gegeben. Ob es gezielte Morde waren, lasse ich vorerst dahingestellt, denn sonst müßte ich sofort meine Forderungen wegen des Risikozuschlages um einhundert Prozent erhöhen. Sie wissen doch, mit den Schwierigkeiten steigt der Preis aber das muß ich Ihnen ja nicht erzählen.« Crowell blickte ihn mit einem zwiespältigen Ausdruck im Gesicht an. »Was verlangen Sie?« »Was bieten Sie an?« fragte Thorn zurück und setzte sein Pokergesicht auf. Crowell senkte den Blick auf die Tischplatte, als hätte er dort die Summe niedergeschrieben, die auszugeben er bereit war. Dann hob er den Kopf. »Zehntausend Dollar Honorar - nach Erledigung des Auftrages.« Thorn grinste matt und stand auf. »Hören Sie, Crowell... suchen Sie sich doch unter Ihren eigenen Leuten jemanden, der bereit ist, für das Gehalt eines besseren Raumschiffmaates sein Leben zu riskieren. Ich habe mich wohl verhört!« Er drehte sich um und ging etwa zehn Schritte auf die Tür zu, bis ihn Carlos J. Crowells Stimme erreichte. »Wollen Sie weiter zuhören, oder ziehen Sie es vor, eingeschnappt zu bleiben? Sie lassen einen ja nicht mal ausreden... es sind natürlich zehntausend Dollar pro Tag.« Duman wandte sich dem Generaldirektor zu. »Versuchen Sie das nicht noch einmal, Mister Crowell«, sagte er scharf. »Es könnte leicht sein, daß Sie sich ins eigene Fleisch schneiden. Ich bin nämlich nicht gewillt, Ihre Spielchen mitzuspielen.« Das Schweigen dauerte lange. Kein Laut von außen drang in den Raum; so hoch über dem Erdboden war der ständige Verkehr zwischen den Wolkenkratzern zu einem kaum hörbaren Brummen verkümmert. Nur vom Hudson River her ließ sich einmal das tiefe, vibrierende Tuten eines Passagierriesen hören, der auf seinen Doppelrümpfen in den Hafen einlief. Die beiden Männer starrten sich an, und Thornton wußte genau, daß Crowell der Überzeugung war, gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt zu haben mit der Erwähnung des »täglichen« Honorars. Endlich sagte Crowell in geschäftsmäßigem Ton: »Nun setzen Sie sich schon hin, Duman. Zwingen Sie nicht einen alten Mann zu einem jüngeren aufzusehen, wenn es um finanzielle Verhandlungen geht.« In Ordnung«, sagte Thornton und nahm wieder Platz. »Ich bin sicher, daß Sie eine Weile gesucht haben, ehe Sie auf mich stießen. Das bedeutet, daß Sie niemanden sonst fanden, der diese brisante Aufgabe zu übernehmen bereit war. Das bedeutet daher auch, daß ich mich in keiner schlechten Ausgangslage befinde Fangen wir also noch einmal von vorne an.« Er sah Crowell erwartungsvoll an. Der Generaldirektor räusperte sich. »Gut, Duman.
Wir brauchen Sie, wie Sie richtig erkannt haben. Und wir zahlen, was Sie � verlangen. Zehntausend pro Tag.« � »In diesem Fall das Doppelte, Sir«, sagte Thorn ruhig, dem gerade ein � phantastischer Gedanke durch den Kopf ging, »plus einer einmaligen Prämie � nach erfolgreicher Erledigung des Auftrags in Höhe von fünfzehn Prozent � der Gesamtsumme. Sollten meine Ermittlungen nicht zum gewünschten � Erfolg führen, entfällt diese Summe, nicht aber das Honorar.« � Crowells Gesicht war eine Studie der Überraschung. Aber er gewann rasch � seine Fassung zurück und atmete nur etwas schneller als sonst, als er
fragte: »Das Doppelte...?« � »Wir sind zu zweit«, klärte ihn Thorn in aller Seelenruhe auf. »Ich habe eine � Partnerin, � die mir in derart schwierigen Fällen unbedingt zur Seite stehen muß. � Sie ist promovierte Xenobiolo-gin und wird die Verhältnisse um Ihre � Versuchsstation herum auf mögliche Anomalitäten und physiologische � Gefahren überprüfen.« � Der Generaldirektor hüstelte. Seine Miene drückte milde Frustration aus. � »Also gut, � Duman. Verglichen mit den Milliarden, die unser Projekt wert ist, sind Ihre � Honorarvorstellungen von untergeordneter Bedeutung. � Außerdem vermute ich wohl zurecht, daß Sie kaum gleich Jahre auf � Nemed III bleiben werden.« � »Mit größter Sicherheit nicht, Mister Crowell«, versicherte Duman, � angenehm überrascht vom problemlosen Einlenken des Generaldirektors. � Er hatte mit etwas mehr Widerstand gerechnet. � »Gut.« Crowell nickte. »Vorauszahlung in welcher Höhe?« � »In keiner«, erwiderte Thorn. »Sie leisten alle zehn Tage die vereinbarten � Tagessätze auf � das Konto, das ich Ihrer Vorzimmerdame nenne, sobald ich Sie verlasse.« � »Sonst noch etwas?« fragte Crowell. � »Ja. Informationen über Ihre Angestellten auf Nemed III, Photos, � Lebensläufe, gravierende Ereignisse in deren Leben, Vorstrafen, � Liebhabereien, Krankheiten... was eben so anfällt, wenn man jemanden � durchleuchten will.« � Crowell nickte. »Ich dachte mir schon, daß Sie danach fragen würden. � Hier haben Sie alles Wichtige über die Angestellten, die über unser � Personalbüro für Nemed III verpflichtet wurden.« Er schob einen münzgroßen � Datenträger über den Tisch in Richtung Thorns, der ihn in seine Brusttasche � steckte. � »Danke. Noch eine Frage, Sir.« � »Fragen Sie ruhig. Meine Antworten kosten Sie keinen Cent«, erwiderte � Crowell trocken. »Was möchten Sie wissen?« � »Wer ist Ihr Chefwissenschaftler auf Nemed?« � Der Name des Mannes war Christopher Humphreys. Laut Crowell galt er als � eines der vielversprechendsten Talente der neuzeitlichen Hyperraumphysik. �
»Etwas anderes: Werde ich nicht in Konflikt mit Ihren Leuten kommen, � wenn ich beginne, Nachforschungen zu betreiben? Notgedrungen werde � ich mich unbeliebt machen, will ich � in Erfahrung bringen, was dort geschehen ist. Mancher wird sich auf den � Schlips getreten fühlen - ich«, jetzt grinste Thorn, »bin dafür bekannt, alte � Zöpfe rigoros abzuschneiden und unorthodoxe Wege einzuschlagen. � Auf den Punkt gebracht: Welche Vollmachten habe ich?« � »Sehr weitreichende«, versicherte Crowell. »Sie handeln im Namen � des Direktoriums und haben freie Hand in allen Entscheidungen. � Keine Tür wird Ihnen verschlossen bleiben, dafür garantiere ich.« � »In Ordnung.« Thorn Duman nickte. »Wie weit gehen meine Befugnisse?« � »So weit, wie Sie es für nötig erachten - was TransCon betrifft. � Offiziell gelten Sie als unser neuer Sicherheitsschef dort oben.Mit den � örtlichen Behörden müssen Sie sich allerdings selbst arrangieren. � Ich kann aus der Entfernung von 1400 Licht-jahren kaum meinen Einfluß � geltend machen.« Ich denke, daß ich damit klarkomme«, meinte Thorn. � Brauchen Sie einen Vertrag?« erkundigte sich Crowell noch. � Thornton Duman schüttelte den Kopf, was ein kurzes Zucken Crowells � Brauen zur Folge hatte. »Wenn Sie mir versihern, und zwar ausdrücklich, � daß die heute getroffene mündliche Abmachung Rechtskraft besitzt, � verzichte ich auf einen geschriebenen Vertrag.« � »Sie haben mein Wort.« � »Danke, Mister Crowell.« � Der Direktor lehnte sich zurück und sah Thorn erstaunt an. »Wissen Sie«, � machte er
seiner Verwunderung Luft, »ich hätte nicht erwartet, daß Sie auf einen � Vertrag verzichten würden.« � »Das stimmt so nicht ganz«, meinte Thorn und lächelte unbestimmt. � Er griff in seine Brusttasche und brachte ein miniaturisiertes holographisches � Aufzeichnungsgerät zum Vorschein. »Ich habe nur auf einen schriftlichen � Vertrag verzichtet, die Betonung liegt auf schriftlich, Sir. Ich habe mich � selbstverständlich abgesichert. Ihre mündliche Verpflichtung über den � Abschluß des Vertrages zwischen TransCon und mir ist in Bild und Ton � auf diesem Speichermedium.« � Schweigen. Etwa eine Minute lang. Dann lachte Crowell hart. � »Diese Art der Verhandlungsführung«, bekannte er, »ist mir seit Jahren � nicht mehr untergekommen - es ist unglaublich. Sie sind ein cleverer
Bursche. Wenn Sie an Ihre Arbeit auf die gleiche Weise herangehen, � habe ich keine Zweifel, daß Sie Erfolg haben werden. Ich muß wohl nicht � betonen, daß Sie über alles, was Sie herausfinden, strengstes Stillschweigen � zu bewahren haben?« � »Selbstverständlich, Mister Crowell. Eine der Prämissen meines Handelns
ist unbedingte Loyalität gegenüber dem jeweiligen Auftraggeber.« � »Wie schön. Dann bin ich ja beruhigt.« Crowell schüttelte wieder den Kopf; er � schien Thorns Schachzug noch nicht ganz verkraftet zu haben. Doch dann � sagte er: »Wir sollten unsere Vereinbarung mit etwas Trinkbarem besiegeln. � Was halten Sie von Whisky?« �
»Einverstanden«, nickte Thorn. »Sofern es sich um Single Malt handelt.« � »Miß Neiro!« sagte Crowell einfach in den Raum hinein. � »Ja, Sir?« Die Stimme antwortete scheinbar aus dem Nichts. � »Eine Flasche des fünzigj ährigen Tobermory und zwei Gläser. � Und bringen Sie auch die vorbereiteten Legitimationen mit.« � »Sofort, Sir.« � »Ist Ihnen die Sorte genehm?« wandte sich Crowell an Thorn. � »Ja. Hervorragend. Woher wissen Sie?« � »Ogan hat mir verraten«, gestand der Generaldirektor, »daß Sie vor � allem Whiskys von den schottischen Inseln bevorzugen.« � Die Vorzimmerdame namens Miß Neiro brachte den Whisky und legte � eine schmale Mappe neben die linke Hand ihres Chefs. � Crowell schob sie unbesehen in Thorns Richtung. � »Da drin«, erklärte er, »sind Ihre Legitimationen für den Magistrat von � Neu-Karlsbad; für alle Fälle. Professor Humphreys werde ich Ihre Ankunft � per Hyperfunkspruch ankündigen. Es sollten Ihnen dort also sämtliche � Türen und Tore offenstehen, wenn Sie ankommen - wenn nicht, lassen � Sie es mich wissen. Aber jetzt trinken wir auf den Erfolg der Mission, � Mister Duman.« � Sie tranken sich zu. � Dann stellte Crowell das Glas ab und fragte: »Wann können Sie starten?« � »Jederzeit. Meine Partnerin und ich sitzen sozusagen ständig auf � gepackten Taschen.« � Crowell lächelte matt. »Wer's glaubt«, murmelte er. »Aber die Vorstellung � hat was für sich...« � »Welches Schiff?« fragte Thorn. »Ich gehe mal davon aus, daß Sie auch � unseren Flug bereits arrangiert haben, nicht wahr?« � »Um keine Zeit zu verlieren, ja. Das Schiff, die SPHEX, startet morgen � nacht von Cent Field. Ich habe eine Kabine in der ersten Klasse reservieren � lassen, weil ich davon ausgegangen bin, dass Sie allein reisen. � Falls Sie eine zweite Kabine für Doktor Nev benötigen sollten, kann ich � das gerne arrangieren, � Daher ich glaube, es ist nicht nötig, oder?« � Woher weiß er das nun schon wieder? dachte Thorn, winkte ab und � sagte: »Wir teilen alles in unserem Leben, also auch die Kabine eines � Linienraumers.« � »Wie schön für Sie«, kommentierte Crowell und lächelte verhalten. � Thorn stand auf. »Ich habe den Eindruck, alles ist gesagt, Mister Crowell?« � »In der Tat, Mister Duman. Guten Flug, und geben Sie auf sich acht.« � »Danke, Sir. Wird schon schiefgehen.« � Die Männer wechselten einen Händedruck, und Thorn registrierte � verwundert die Härte, mit der Crowell seine Hand ergriff und schüttelte. � Er machte sich auf den Weg zur Tür, kam durch die Vorzimmer und wurde � von der jungen Assistentin abgefangen, die ihn hochgeführt hatte und jetzt � nach unten in die Lobby brachte. � Thorn nahm ein Taxi zur Central Station mit dem Transmitterbahnhof. �
Während der Fahrt durch den Nachmittagsverkehr lehnte er sich in die Polster und schloß die Augen. Er dachte über alles nach, was er in den beiden letzten Stunden erfahren hatte. Er ließ die Kette vergleichbarer Abenteuer an sich vorüberziehen und sortierte die vielen Einzelaktionen aus, die er im Dienst von Junction Mining noch vor der Giant-Invasion aber auch danach - unternommen hatte. Was würde ihn und Kim auf Nemed III erwarten? Er beschäftigte sich noch immer mit dem Einsatz auf Nemed III, als er sich auf dem Transportband befand, das ihn durch die Central Station zur Transmitterhalle beförderte. »Man müßte in die Zukunft sehen können«, murmelte er. Aber das war etwas, was noch nicht machbar war.
4. »Duman, Duman«, sagte Kim kopfschüttelnd. »Wann begreifst du, daß du � nicht einfach über meinen Kopf hinweg Entscheidungen treffen kannst? � Vor allem Entscheidungen von solcher Tragweite!« � »Vermutlich nie«, gestand er mit leiser Zerknirschung, aber einem � verhaltenen Grinsen auf den Lippen. � Es war fünf Uhr abends im »Büro« von Thornton Duman. Kim Nev und er � saßen zusammen. Er hatte ihr erschöpfend Auskunft darüber gegeben, � was sich in New York zugetragen hatte. Ihren Part hatte er sich bis zuletzt � aufgehoben. � »Du hast«, sagte er, quasi als Begründung und Rechtfertigung, »im
Moment keinen Job, wärst während meiner Abwesenheit vermutlich hier
in den Bars herumgehangen und hättest fremde Männer das Fürchten � gelehrt. Ich konnte das nicht riskieren. Du verstehst?« � Sie schüttelte den Kopf. »Der große starke Odysseus hat Angst um
seine Penelope, ist es zu fassen!« � »Na ja«, meinte er, »beim Warten auf den Geliebten immer nur Teppiche � zu knüpfen liegt nicht jeder Frau.« � Jetzt lachte sie prustend. � »Was soll ich nur mit dir anfangen?« klagte sie in unechter Verzweiflung, � nachdem sie sich wieder gefangen hatte. � »Ich wüßte da schon etwas«, ließ er verlauten. � Sie lehnte sich an ihn. »Kindskopf!« sagte sie mit Nachdruck, ließ sich � aber dennoch von ihm küssen. � Bevor er die Sache vertiefen konnte, löste sie sich aus seinen Armen. � »Du sollst nicht immer ablenken«, meinte sie strafend. � »Bisher hat es immer geklappt«, murmelte er und strich ihr über die � Wange. � Sie knuffte ihn und wiederholte: »Kindskopf.« � »Aber ein liebenswerter. Gib es zu!« � Sie sah ihn an. Überraschend mild. »Du hast Glück, daß ich kaum was � abschlagen kann - und ich zur Zeit nichts anderes zu tun habe.« � Sag ich doch.« Er grinste siegessicher. »Außerdem«, ließ er sie wissen, � »hatte deine Einbeziehung in meine Mission einen höchst pragmatischen � Grund.« � »Ach ja? Verrätst du mir, welchen?« � Er machte mit der Hand eine umfassende Bewegung. »Schau dich doch � nur mal um! � Hier siehst du ihn, den Grund. Ein Apartment - eigentlich sind es ja zwei -, � das teure Mieten und nicht unerhebliche laufende Kosten verschlingt; � ein Büro, das mit ungefähr der modernsten und teuersten Technik � ausgestattet ist die man sich als Privatmann vorstellen kann. � Das alles kostet ein wahnsinniges Geld, obwohl wir nicht unbedingt arm
sind. Dennoch ist es von nicht unerheblichem Vorteil, hin und wieder einen � lukrativen Auftrag an Land zu ziehen. Wie etwa den von TransCon. � Mit deiner Einbeziehung in den Job ist es mir gelungen, mit einem
Federstrich sozusagen das Doppelte an Honorar herauszuholen. Na, bin ich � nicht gut?« �
»Phantastisch trifft es eher«, nickte sie, damit ihr Einverständnis erklärend. � »Das einzige, was mich daran stört, ist deine an den Haaren herbeigezogene � Begründung, denn wir sind ja nicht pleite. Es hätte genügt, wenn du einfach � gesagt hättest, daß du mich dabeihaben möchtest - einfach weil du mich � liebst und nicht ohne mich sein kannst.« � »Du hast recht«, antwortete er zerknirscht. � »Natürlich habe ich recht.« Und sie fügte hinzu: »Frauen haben immer
recht!« � Dieser unumstößlichen Wahrheit hatte Thorn nichts mehr entgegenzusetzen. � »Wann starten wir?« fragte sie. � »Morgen Nachmittag von Cent Field aus«, sagte Duman und atmete � innerlich auf. � »Mit der SPHEX.« � »Eigenartig«, meinte Kim versonnen. � »Was?« � »Ein mächtiges Raumschiff nach einer winzigen Sandwespe zu nennen, � die ihr einziges Ei auf einer Raupe ablegt, die sie vorher durch einen Stich � gelähmt hat. Aus dem Ei wird eine mörderische Larve, die sich ziemlich � schmerzhaft in die todgeweihte Raupe frißt.« � »Aha!« meinte er trocken; sein Lächeln war kennzeichnend »Danke für
die lehrreiche Schulstunde, wußte ich bislang nicht Wieder etwas � schlauer geworden.« � »Halte dich nur an mich«, versetzte sie gönnerhaft, »dann kann dir
überhaupt nichts passieren.« � »Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen für unsere Mission«, murmelte � er. � Kim stand auf. »Gut. Dann werde ich mich mal um unser Gepäck kümmern.« � * Nach fast exakt vierundzwanzig Stunden raste das Passagierschiff von TransCon aus dem irdischen System hinaus und machte sich auf den langen Weg zur Grenze des Orionarmes. Es würde unterwegs mehrere Male halten, um Passagiere aus- und andere einsteigen zu lassen. Nemed III war die sechste von acht Kolonien, die die SPHEX anflog, alle im Randbereich des Spiralarmes gelegen; Außenwelten sozusagen. Böse Zungen sprachen allerdings auch gern von »Hinterwäldlerplaneten« . Da sich die im Randverkehr eingesetzten Schiffe fast wie ein Ei dem anderen glichen, was Interieur und Bequemlichkeit betraf, und Kim sowie Thornton Passagierraumer dieser Baugruppe schon des öfteren benutzt hatten, ließen sie sich außer zu den Mahlzeiten und dem obligatorischen Nachmittagstee nur selten außerhalb ihrer Kabine sehen. Vor dem Einschlafen saßen Kim und Thorn noch zusammen, um die Unterlagen zu studieren, die Thorn von TransCon mitbekommen hatte, die Berichte zu lesen, die Pläne der Transmitterstation und topographische Karten von Nemed III anzusehen.
Nach zwei Stunden schob Kim die Transmitterprotokolle zur Seite und � wandte sich an Thornton. � »Was denkst du?« � »Worüber?« Er sah sie erstaunt an. � Na, über den Job. Was vermutest du, was dich, was uns erwartet?« � Es dauerte etwas, ehe Thornton den Mund aufmachte. »Mir sind zwar in � den letzten Stunden eine ganze Anzahl Vermutungen gekommen, Kim«, � sagte er bedächtig, »aber je länger ich diese Berichte lese, um so mehr � sträubt sich alles in mir, an Geister zu glauben, die innerhalb von � Entstofflichungsfeldern leben und Wissenschaftler beziehungsweise � Techniker meucheln. Eigentlich bin ich mehr und mehr davon überzeugt, � daß die Vorkommnisse auf Nemed III einen sehr realen Hintergrund � haben.« Er ließ sie wissen, was er Crowell gegenüber verschwiegen hatte, � nämlich, daß die Transmitterversuche durchaus von einem mißgünstigen � Kokurrenzunternehmen sabotiert werden konnten. � »Vermutlich hast du recht«, meinte sie nach kurzem Nachdenken. � »Nicht nur vermutlich«, gab er zu verstehen. »Du wirst sehen.« � Sie schwieg einen Moment. »Wie lange denkst du, daß wir brauchen � werden, um den Job zu erledigen?« � »Schwer zu sagen«, erwiderte er nach einer Weile unschlüssig. »Bisher � konnte ich solche Einsätze meist in relativ kurzer Zeit abwickeln. Diesmal... � ich weiß nicht. TransCons Problem kann schnell gelöst sein, vielleicht aber � auch erst in dreißig Tagen oder womöglich noch später.« Oder wir können � sterben, dachte er. Aber das behielt er für sich. � Sie sahen sich an und wußten, daß es auf alle diese Fragen jetzt und hier � keine Antworten gab. Sie mußten warten, bis sie Nemed III erreicht hatten. � Die SPHEX ging in den Hyperraum und sprang wieder heraus. � Dann kam die Verzögerung, als der Raumer die erste Kolonie ansteuerte. � Und dieses Spiel würde sich noch einige Male wiederholen. Je länger die � Reise dauerte, um so mehr veränderten sich die Bilder, die auf den � Schirmen zu sehen waren. � In Flugrichtung wurden die Sterne weniger und weniger. � Nirgendwo im Weltraum existierte eine exakte Gerade; man konnte von � keinem Punkt zum anderen gelangen, ohne nicht vom Einfluß permanent � wirkender Gravitationswellen naher und ferner Sterne, Planetensysteme, � Neutronensterne, Roter Riesen, Weißer Zwerge oder galaktischer Nebel � vom geraden Kurs abgelenkt zu werden. � Die SPHEX näherte sich in einer weitgeschwungenen Parabel dem � Außenrand des Orionarmes. Ein Teil des Weltraums wurde dunkler und � dunkler; nur wenige Lichtpunkte zeichneten sich in dieser Schwärze ab. � Einer dieser Lichtpunkte war der Sternenhaufen Yanez, in dem das Nemed-
System lag. Die Konstellationen dieser kleinen Sternenballung näherten � sich überraschend schnell und wurden innerhalb kurzer Zeit zu einzelnen � Sonnensystemen.Ihr Ziel war das Zentralfeuer eines Sonnensystems mit � sieben Planeten. Es lag am weitgehend noch unerforschten Rand des
Arms, rund 1400 Lichtjahre von der Erde entfernt. �
Dahinter kam eine lange, lange Strecke Sternenlosen Raumes, ein � bodenloser Abgrund zwischen dem Orionarm und dem noch weiter
draußen gelegenen Perseusarm. � »Nur noch Stunden«, sagte Thornton, »dann haben wir unser Ziel erreicht.« � »Es wäre an der Zeit«, gestand Kim. »Mir geht die Enge auf diesem
Schiff schon langsam auf die Nerven.« � »Etwas Geduld noch, meine Schöne«, tröstete sie Duman. »Bald betreten � wir wieder festen Boden.« � Schließlich begann die sechste Etappe der Reise. � Nemeds Stern tauchte jetzt auf, ein Gestirn ähnlich der irdischen Sonne. � Von Minute zu Minute verstärkte sich der Glanz der Sonne des Systems � mit seinen sieben Planeten. � Dann flog der Passagierraumer ins System ein. � »Nemed drei!« sagte Thornton und deutete auf den Planeten, der auf � der großen Panoramabildfläche der Beobachtungslounge immer größer
zu werden schien, eine schimmernde Dreiviertelscheibe, die von der Sonne � angestrahlt wurde. � Der Planet schwebte unter ihnen. � AUS seinen langen Jahren des ständigen Herumreisens, vorwiegend im � Auftrag von Junction Mining, hatte Thorn viele Planeten aus der Perspektive � der Annäherung gesehen. � Vielen hatte man schon aus dem Weltall angemerkt, daß sie eigentlich � für Menschen nicht geeignet waren; sie trugen wenig Her kaum Vegetation � oder waren so intensiv besiedelt, � daß sich die fremde Zivilisation wie ein Ausschlag über die Oberfläche � verbreitete und alles unter sich erstickte. Manche waren reine Industriehöllen, � deren Atmosphäre kaum atembar war, so viele Schadstoffe bliesen sie in � die Luft. � Nicht so Nemed III. Es war eine erdgroße Welt aus Blau, Grün, Gelb und � Weiß, mit gemäßigten klimatischen Bedingungen. Ein Viertel der
planetarischen Oberfläche wurde von zwei größeren, am Äquator gelegenen � Binnenmeeren bedeckt. Der Rest der Landmasse teilte sich auf in karstige � Trockenflächen auf der Süd- und zerklüftete Gebirgszüge sowie weite, � überwiegend bewaldete Hochebenen auf der Nordseite. � Aus den Unterlagen wußten Kim und Thorn, daß das System im Jahre � 2039 von der KARLSBAD unter Kapitän Carel Nemed entdeckt worden war. � 7000 Kolonisten hatte die mit »Time«-Sprungtriebwerken ausgestattete � KARLSBAD einst an Bord gehabt, vor allem Aussiedler aus den � europäischen Ländern. Der dritte Planet war als neue Heimat auserkoren � worden, weil seine Bedingungen dem gemäßigten Klima Westeuropas � weitgehend entsprachen, und sie hatten die einzige große Stadt der
Einfachheit halber Neu-Karlsbad genannt. Von den Ereignissen zwischen � 2051 und 2053 bekamen die Kolonisten nichts mit; nicht ein einziges Mal � zeigten sich Schiffe der Giants in ihrem System; der unerforschte Rand � der Milchstraße schien auch für sie nicht von Interesse gewesen zu sein. �
Von der Versklavung der Erde hörten sie erst nach deren Ende, als Terra damit begann, sich seiner Kolonien zu erinnern. Es waren harte Jahre des Aufbaus gewesen. Die Kolonie gedieh, wenn auch keine übermäßigen Wachstumsraten verzeichnet werden konnten; inzwischen war die Population der NeuKarlsbader durch Geburten und Neuzugänge von Auswanderern auf über 30 000 Menschen angewachsen. Die Kolonie blühte aber erst richtig auf, als im Jahr 2058 TransCon seinen Feldversuch neuartiger Transmittertechnolo. gien auf Nemed III startete und dazu eine Art Silicon Valley au-. ßerhalb Neu-Karlsbads errichtete. Thorn sah riesige Wolkengebirge über den Himmel wandern darunter endlose Wälder, breite Flüsse und Meere, die im Land eingebettet lagen. Man konnte ahnen, daß dort unten überall die Sonne schien, die Lufttemperatur im menschlichen Wohlfühlbereich lag und die Atmosphäre durchsetzt war von Gerüchen einer üppig wuchernden und blühenden Vegetation. Das Schiff ging in die Umlaufbahn; Neu-Karlsbad lag hinter der Planetenkrümmung, auf halbem Weg zur anderen Seite. Aus dieser Höhe sah man nur wenig Besiedlung; im Augenblick lag unter ihnen eines der wenigen Wüstengebiete. »Man könnte meinen, Nemed drei sei ein Paradies«, versetzte Kim, noch ganz unter dem Eindruck des friedlichen Bildes. »Vorsicht«, warnte er. »Du weißt doch, kein...« »Kein Paradies ohne Schlange«, unterbrach sie ihn spöttisch. »Ich weiß, mein Lieber. Ich weiß aber auch, daß du schon von Berufs wegen überall immer die Negativseiten siehst.« »Nicht überall«, wehrte er sich, »und schon gar nicht immer, aber...« Er verstummte. Mit Kim war sichtbar eine Veränderung vorgegangen. Sie war blaß geworden, ihre Lippen waren zusammengepreßt, und sie starrte auf das Bild der Wüste, die auf dem Panoramaschirm unter dem Schiff dahinglitt. Deutlich sah er eine Ader auf ihrer Stirn pochen. »Was ist mit dir?« fragte er und faßte ihre Schulter an; er spürte die Härte der Muskeln unter der Haut, sie schien unter einer ungeheuren Anspannung zu stehen. »Was ist?« fragte er noch einmal besorgt. »Geht's dir nicht gut?« Der Planet wanderte unter der SPHEX weiter und überflog jetzt ein breites Flußsystem, dessen mäandernde Ströme sich in Richtung Meer wälzten. »Mir fehlt nichts«, sagte Kim abwehrend und hob die Schultern, als würde sie frösteln. »Mir war nur eben ein wenig schwindelig- Vermutlich eine Fluktuation in der künstlichen Schwerkraft.« Natürlich, das wird es gewesen sein«, meinte er beruhigend, obwohl er wußte, daß dies unmöglich geschehen sein konnte, ohne daß nicht gleich Alarm ausgelöst worden wäre.
Sie blickte ihn an. Mit einem kleinen, etwas unsicheren Laben sagte sie: »Ich werde mich beim Kapitän beschweren.« »Tu das«, nickte er und atmete innerlich auf. Sie schien sich wieder gefangen zu haben, dennoch beschloß er, eine Weile ein wachsames Auge auf sie zu haben. ** Jobern hielt sich in seinem Sternenschiff auf, das verborgen in der Zeitblase unentdeckt auf der anderen Seite von Nemed III in einem Wüstengebiet lag. Die Zeitphasenfelder der To Glossa beruhten auf dem Prinzip der Dimensionsverschiebung, die jeden derartig geschützten Körper oder Gegenstand um den Bruchteil eines Augenblicks in die Zukunft versetzte. Nichts war in der Lage, diese Tarnung zu durchdringen, selbst die besten Taster waren nicht dazu imstande. Er hatte sich auf seiner Konturliege im saalähnlichen Kontrollraum ausgestreckt und lauschte dem fernen Geraune der Gedankenströme der einzelnen Clanmitglieder, die sich im Universum verstreut aufhielten. Manche trafen kaum lesbar ein. Andere waren deutlicher, und wieder andere kamen von unendlich weit entfernten Orten. Jobern »wußte« stets, aus welcher Richtung und Entfernung die Stimmen zu ihm gelangten. Und er wußte auch, wann sie abgeschickt worden waren. Die Impulse der To Glossa-Kommunikation hatten nicht die Wesenszüge einer ausgeprägten Telepathie, sondern waren eine besondere Art der Projektion, erzeugt und verstärkt durch genetische Implantationen am Anfang ihrer Entwicklung. Eine Kommunikation, die mit sämtlichen Sinnen arbeitete und die nur die To Glossa besaßen. Um ihn herum glühten, summten und klickten eine Vielzahl von Anzeigen, die ihm etwas über die Funktionen seines Schiffes sagten, dieses autarken Mechanismus, der gleichzeitig mit anderen To Glossa-Schiffen in Verbindung stand und Knoten, punkt eines riesigen, mit nicht nachvollziehbarer Geschwindig. keit funktionierenden Informations- und Kommunikationsnetzes innerhalb der To Glossa-Clans war. Großflächige Rundumsichtschirme boten ihm Ausblicke auf die Umgebung. Zufrieden gab er sich dem Zustand der kontemplativen Ruhe hin. Er hatte seine Hilfstruppen, die er von einem weiter entfernten Planeten requirierte, sofort an jenen Ort gesandt, an dem die Transmitterbrücke der Menschen ihren Anfang nahm; um sie verborgen zu halten, hatte er sie mit einer mobilen Spielart des Zeitphasenfeldes ausgerüstet, das sie befähigte, nahezu unsichtbar zu agieren. Sie konnten von ihrer Umgebung nur als Schemen, als Phantome registriert werden - wenn überhaupt. Eines seiner Instrumente registrierte die Ankunft eines Schiffes aus dem Raum und zeigte den Annäherungsvektor; er würde in der letzten Abstiegssequenz über die Wüste führen, in der er sich aufhielt. Er verfolgte die Nachricht nur mit mäßigem Interesse; ausgehend von der großen Ansiedlung der Menschen bewegten sich immer wieder einmal Schiffe durch das System.
Mitunter kamen auch welche aus dem äußeren All, um Versorgungsgüter
zu liefern, wie er festgestellt hatte. Und so schenkte er dem sich nähernden � Schiff keine gesteigerte Aufmerksamkeit. � Doch dann spürte er eine Veränderung im Strom seiner Sinne. � Er wurde wachsam. � Mit dem Schiff näherte sich etwas, was er hier nicht erwartet hätte: ein... � anderer Geist? � Jobern spürte mit einemmal eine unerwartete Präsenz. � Er war nicht fähig, Angst zu empfinden; er kannte auch keine andere ihr � entsprechende Regung - und er mußte sie auch nicht kennen. Es gab � nach dem Verständnis der To Glossa nichts, was sie zu fürchten hätten. � Doch verwirrt war er. � Die Signale, die er von jenem weiblichen Wesen dieser Spezies Mensch � empfing, das sich an Bord des sich nähernden Schiffes befand, waren � außergewöhnlich. Er konnte Erwartung spüren, auch Furcht, aber vor � allem sondierende Neugierde auf das, was sie auf diesem Planeten � erwartete. � Er streckte seine Sinne aus, um mehr zu erfahren - und zog sie im
gleichen Augenblick zurück. � Was war das? � Konnte sie etwa auch seine Präsenz erkennen? Ihn aufspüren? � Ein rasches Prickeln durchlief sein Nervensystem - und noch ehe er seine � komplizierten Gedankenvorgänge abschotten konnte, hatte ihn der Geist � des weiblichen Menschen... � nein, nicht entdeckt, doch irgendwie »gestreift«, ohne seiner gewahr zu � werden. � Und noch während das Raumgefährt der Menschen in großer Höhe über
sein Sternenschiff hinwegglitt und sich hinter den Horizont entfernte, erlitt � er den zweiten Schock. � Er registrierte Erinnerungsspuren im Geist des weiblichen Wesens, die � ursächlich mit dem gewaltsamen Tod zweier To Glossa des B'naird-
Stammes zusammenhingen! � Wenn er je Zweifel daran gehabt hatte, die Existenz der Menschen in � diesem Teil der Galaxis zu beenden - jetzt hatte er sie nicht mehr. � Die SPHEX sank tiefer und ging dann in den Endanflug auf ihr Ziel über: � Neu-Karlsbad. � »Wir sind in zehn Minuten auf dem Raumhafen«, machte der Decksoffizier � Kim und Thornton auf die bevorstehende Landung aufmerksam. � »In Ordnung. Danke«, sagte Duman. »Was herrscht für ein Zeitindex auf � dem Planeten?« � Eine berechtigte Frage. � Raumreisen beinhalteten stets das Problem, daß die Zeit an Bord, � üblicherweise Terranorm, nicht immer mit jener der angesteuerten Welten � übereinstimmte. War es beispielsweise an Bord gerade früher Morgen, � konnte es vorkommen, daß die Passagiere ihren Zielplaneten mitten in � der Nacht betraten. Im Fall der SPHEX war dieses Problem nicht relevant. �
Wie der Offizier erklärte, stimmten beide Zeitzonen mit nur geringen � Unterschieden von einigen Minuten überein, was das Umstellen der
inneren Uhr für die beiden Reisenden zu keinem Problem machte. � Jetzt tauchte unter dem Raumschiff eine Ebene auf; mehrere kreisförmige � Einschlüsse in ihr wiesen auf ihren Zweck hin: Sie war der Raumhafen von � Neu-Karlsbad. � Am Rande der Anlage zur Stadt hin, befand sich der Kontrollturm. � Zwischen der SPHEX und der Bodenstation entspann sich der übliche � Dialog. � Ein einziges Schiff stand in der Mitte des kleinen Raumhafens der Kolonie, � eine Reihe von Raumfähren lag scheinbar wahllos verstreut auf den anderen � Landefeldern, die alle Nummern trugen, wie jetzt zu erkennen war, als sich � der TransCon-Raumer tiefer senkte und schließlich auf einem freien Platz � zur Ruhe kam. � Als sie ausstiegen, blieb Kim Nev einen Moment stehen und atmete tief ein. � Angenehme Temperaturen waren zu spüren; es mußte Sommer sein auf � Nemed III. Eine warme Brise wehte Gerüche von blühender Vegetation � über den Raumhafen. � »Ein freundlicher Ort«, meinte Kim, und die Sonne zauberte kupferne � Reflexe auf ihr Haar. � »Ein freundlicher Ort«, bestätigte Thornton. »Hoffentlich bleibt er es auch.« � »Pessimist!« sagte sie und griff nach seinem Arm. Der Anfall vor kurzer
Zeit schien vergessen. Sie machte den bekannt fröhlichen Eindruck, der ihn � so an ihr faszinierte. � Innerlich atmete er auf; was er nicht gebrauchen konnte, wäre eine Kim � gewesen, die sich auf dieser Welt alles andere als wohl gefühlt hätte. � Neben ihnen hielt ein Gleiter; eine wuchtige, schneeweiße Maschine. � Auf ihren Seiten der Schriftzug von TransCon. � »Wir werden abgeholt«, stellte Kim fest. »Was für ein Service.« � »Willkommen auf Nemed III«, sagte der Fahrer, ein junger Mann, »Herr
und Frau Duman.« � Während Kim zu grinsen begann, sagte Thorn würdevoll: Ich bin Thornton � Duman, dies ist Doktor Kimberley Nev, mei-ne Mitarbeiterin.« � »Verzeihung.« Der Fahrer zeigte sich zerknirscht. »Vermutlich ein
Übermittlungsfehler. Ich bin Anno Steen und soll Sie zum Gästehaus von � TransCon bringen.« � »Dann sollten Sie das doch auch tun«, verkündete Thorn. Sie warfen ihr � Gepäck auf die Heckladefläche und stiegen ein. � Der Gleiter wendete auf der Stelle und beschleunigte. � Hinter ihnen näherten sich von allen Seiten Verladeeinheiten der SPHEX; � das Schiff brachte außer ihnen beiden eine Menge Nachschub für Neu-
Karlsbad sowie für die TransCon-Versuchsstation. � »Wir fahren nicht zur Station?« fragte Thorn, als der Gleiter Kurs auf die � nahe Stadt nahm. � »Nein«, bedauerte der junge Mann und fügte als Erklärung hinzu: »Die � wenigsten Mitarbeiter sind auf der Versuchsanlage untergebracht. �
Wir wohnen fast alle in der Stadt.« � »Wir?« � »Die Angestellten von TransCon. Ich bin normalerweise � Systemenergietechniker und nur für den Augenblick dazu abkommandiert, � Sie zu Ihrer Unterkunft zu bringen«, beantwortete Anno Steen Thorns Frage. � »Und wer wohnt in der Station?« � »Die Chefs natürlich«, erklärte Steen und wich einer wild hupenden � Transportplattform aus, die auf ihrem A-Gravkissen stur geradeaus fuhr. � »Helfen Sie mir auf die Sprünge - Professor Humphreys... und wer noch?« � »Tut mir leid«, sperrte sich Anno Steen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich � befugt bin, darüber erschöpfend Auskunft zu geben. Humphreys hat mir � genaue Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg gegeben, und er kann sehr � ungehalten werden, wenn man sich nicht an seine Anordnungen hält.« � Thorn räusperte sich kurz. � »Hören Sie zu, junger Mann«, sagte er nüchtern, »die Laune Professor � Humphreys' tangiert mich nicht mal peripher. Ich bin hier im Auftrag Ihres � Brötchengebers, Mister Carlos J. Crowell, des Generaldirektors der � TransCon-Gesellschaft, um Licht in. die Angelegenheit � zu bringen. Ich handele in seinem und im Namen des gesamten Vorstandes. � Meine Vollmachten sind derart gestaltet, als würde sich Mister Crowell � höchstpersönlich auf Nemed III einfinden und Ihnen die Leviten lesen. � Wollen Sie es sich wirklich jetzt schon mit mir verderben?« � »Selbstverständlich nicht, Sir«, beeilte sich Steen mit der Antwort und � zählte rasch die Namen derer auf, die wie Humphreys in der Versuchsanlage � wohnten. Es waren nur ein paar. Im Geiste notierte sich Thorn diese � Namen, um sie bei seinen Nachforschungen richtig einordnen zu können. � »Na geht doch.« Thorn zeigte sich zufrieden. »Sollten sich irgendwelche � Nachteile für Sie daraus ergeben, lassen Sie es mich umgehend wissen.« � »Das werde ich«, versprach Steen sichtlich erleichtert. Ehe Thorn sich � gestattete, daraus einige Schlußfolgerungen über das Arbeitsklima � innerhalb der Station im allgemeinen und unter Professor Humphreys' � Leitung im besonderen zu ziehen, stieß Kim einen Ruf aus. � Sie deutete nach draußen. � »Ist das etwa die... ?« begann sie. � »Ganz recht, Doktor Nev. Es ist die KARLSBAD«, bestätigte Anno Steen. � Er lenkte den Gleiter etwas näher heran und verringerte die Geschwindigkeit, � um seinen Gästen einen besseren Blick auf das Raumschiff zu geben. � Die KARLSBAD war das Schiff, mit dem die Kolonisten vor jetzt fast 21 � Jahren auf Nemed III gelandet waren. Obwohl das Schiff den Eindruck � machte, als ob es jederzeit wieder ins All starten könnte, war es vermutlich � nicht mehr als ein Museumsstück, ein Denkmal, eine Erinnerung an die � Vergangenheit. � Das Raumschiff war nahezu baugleich mit der legendären GALAXIS Sam � Dharks, die zwölf Jahre nach der KARLSBAD auf ihre Reise gegangen war. �
Wie die GALAXIS wies der riesige Kolonistenraumer eine Länge von 795 � Metern bei einem maximalen Durchmesser von 180 Metern auf. Der Gigant � wurde von mehr als 100 gewaltigen Teleskopfederbeinen getragen, � außerdem besaß er noch zwölf Ausleger, die die senkrecht stehende Zelle � zusätzlich abstützten und aus 190 Metern Höhe in einem 30-Grad-Winkel � nach unten führten. � Thornton Duman hatte sich ziemlich eingehend mit der Geschichte der
frühen Kolonisation des Weltraumes beschäftigt und sogar einmal erwogen, � mit Gill auf einer der fernen Welten leben. Daraus war nichts geworden, � geblieben war nur das Wissen über die technische Ausstattung der � gigantischen Auswandererschiffe mit ihrem Plasma- und dem - zum � damaligen Zeitpunkt - revolutionären »Time«-Antrieb. � Auch die KARLSBAD verfügte über die ringförmig um das Heck
angeordneten 35 Silos, die für den »Time«-Sprungeffekt nötig waren. � »Warum hat man das Schiff in einem derartig guten Zustand belassen?« � erkundigte sich Thorn erstaunt. »Es macht den Eindruck, als wäre es
bereit, jederzeit abzuheben und in den Raum zu starten.« � »Es sieht nicht nur so aus«, erwiderte Steen und beschleunigte wieder, � »es könnte tatsächlich wieder starten, theoretisch zumindest. � Das Schiff wurde überholt und wird seitdem ständig gewartet. Allerdings
dient es der Bevölkerung von Neu-Karls-bad als Technikmuseum.« � »Ein aufwendiges Hobby, das sich die Kolonie da mit der sicher nicht � billigen Instandhaltung leistet. Es wäre besser, sie würden es verschrotten. � Die Technik ist hoffnungslos überaltert, niemand fliegt heute mehr mit � einem derartigen Antrieb.« � »Das habe ich auch Sona gegenüber schon öfter erwähnt«, sagte Steen -
wer oder was Sona war, ließ er offen -, »aber sie meinte nur, daß die � KARLSBAD als Denkmal unverzichtbar sei.« � »Verständlich«, ließ sich Kim hören, die bislang geschwiegen hatte. � »Nicht alles, was alt ist, ist auch schlecht. In ferner Zukunft werden die � Nachfahren der heutigen Kolonisten ihren Kindern davon erzählen, daß � mit diesem Raumschiff einmal al-les angefangen hat, daß ihre Ahnen � einst von einer weit entfernten Welt namens Erde gekommen sind. � Ein höchst anschaulicher Geschichtsunterricht, finde ich.« � Nach zehn Minuten hatte der Gleiter die Stadt erreicht; Paß-Zoll- oder � sonstige Meldeformalitäten existierten keine. Oder sie waren während � des Anfluges per Datenübermittlung von der SPHEX abgewickelt worden. � Jedenfalls hielt sie niemand auf. � Anno Steen lieferte sie im feudalen Gästehaus ab, einer weitläufigen, � vierstöckigen Herberge der gehobenen Klasse. � »Ehe ich es vergesse, TransCon hat Ihnen diesen Gleiter zu Ihrer freien � Verfügung für die Dauer Ihres Aufenthaltes hier auf Nemed III überlassen.« � »Wie aufmerksam von meinem alten Freund Carlos Jesus«, meinte Thorn � übertrieben lässig. »Und Sie laufen zurück?« �
»Machen Sie sich um mich keine Gedanken, Mister Duman. Ich habe � ein eigenes Dienstfahrzeug dort unten stehen.« Er deutete mit dem
Daumen auf den Boden. � »Ich bringe Ihren Gleiter nur noch in die Tiefgarage. Den Schlüssel � hinterlege ich am Empfang.« � »Tun Sie das, junger Mann«, versetzte Thorn gönnerhaft. � Mit einem forschen »Man sieht sich« setzte Steen das schwere Gefährt � in Bewegung und verschwand auf der nach unten führenden Rampe. � »So erledigen sich einige Dinge ganz von selbst«, sagte Thorn zu Kim. � »Kommst du?« � TransCon hatte ihnen ein sehr geräumiges und luxuriös eingerichtetes � Apartment mit separatem Wohn- und Schlafbereich zur Verfügung � gestellt. � Thorn wagte zu bezweifeln, daß die normale Bevölkerung der Stadt � ähnlich feudal lebte; hier war eindeutig die fast unbegrenzte Finanzkraft � des Multikonzerns spürbar. � Hier stiegen nur Spitzenkräfte ab: die leitenden Angestellten, die � Wissenschaftler, Doktoren und Professoren. An diesem Punkt seiner
Überlegungen angekommen, grinste Thornton Duman ganz plötzlich; � paßte Kimberley mit ihren beiden akademischen Titeln perfekt in das � Gästeschema, so war er bei Licht besehen die exotische Komponente. � Ein Außenseiter, »nur« ein Ermittler, um den Ausdruck »Schnüffler« zu � vermeiden, der eigentlich in eine weit weniger komfortable Absteige � gehörte. � Kim ging durch das Apartment und stieß die Fenster auf. Die Luft war � würzig und warm, ähnelte jener Brise, die man an ei-nem waldigen � Strand wahrnehmen konnte. � Sie legte die Hände hinter den Kopf, dehnte und streckte sich und atmete � tief ein und aus. � Thornton atmete etwas schwerer als sonst; im Gegenlicht der Sonne � bot sie einen verführerischen Anblick. � Er gestattete sich ein paar Sekunden des Genießens, dann rief er sich � zur Ordnung, nahm das kleine Prüfgerät heraus und suchte systematisch � Wände, Decken und Einrichtung ab. � »Was tust du da?« wunderte sich Kim. � »Ich versuche herauszufinden, ob jemand Interesse an uns hat, es uns
aber nicht wissen lassen will«, klärte er sie auf. »Es scheint nicht der Fall � zu sein.« Er steckte das ausgeschaltete Spürgerät wieder weg. � »Das heißt«, sagte sie mit tiefer, vibrierender Stimme und gespielter � Leidenschaft, »wir können uns ganz ungehemmt geben?« � »Das könnten wir«, erwiderte er trocken. »Aber wir warten besser noch � etwas damit. Wir werden erst ein paar lokale Impressionen einfangen, � ehe wir uns beim Dinner unter die Gäste dieser illustren Herberge mischen. � Aber jetzt brauche ich dringend eine Dusche.« � »Schuft!« sagte sie mit gespielter Enttäuschung und warf mit einem � Kleidungsstück nach ihm. � Mit einem Grinsen verzog sich Thorn ins Badezimmer. �
5. Später verließen Kim und Thorn ihr Domizil, in dem sie eine noch unbestimmte Zeit zubringen würden, und traten auf die Straße. Die Sonne Nemed stand schon etwas tiefer am Himmel, über den ein paar weiße Wolken segelten. Sie blickte hoch und seufzte. »Wunderbar anzusehen, nicht wahr, Thorn?« Er lächelte und antwortete: »Schön, keine Frage. Komm, wir sehen uns ein bißchen um.« Neu-Karlsbad lag eingebettet in die Natur des Planeten, ohne diese zu sehr anzutasten; vermutlich war die überwiegende Mehrzahl der ersten Kolonisten recht umweltbewußt gewesen und sehr behutsam mit der Natur umgegangen. Der größte Teil der Infrastruktur der Stadt lag unterirdisch. Kim Nev war vom Anblick der Stadt überwältigt, wie sie Thorn gestand was wahrscheinlich an der postmodernen Architektur lag. Die großen Häuser trugen Türmchen und Erker, die Eingänge Vordächer. Überall Blumen und blühende Sträucher in den verspielt wirkenden Vorgärten. Es hatte den Anschein, als hätte Kapitän Nemed versucht, seine Heimatstadt Karlsbad hier neu aufzubauen, 1400 Lichtjahre vom alten Europa entfernt. Das war ihm zwar nicht einmal annähernd gelungen, aber was die Kolonisten vollbracht hatten, war, eine schöne Stadt mit vielen Grünflächen zu errichten. Es gab überall Brunnen und schmale Wasserläufe, die sich entlang der Straßen zogen und die Luft mit Feuchtigkeit sättigten. Die beiden schlenderten Hand in Hand durch die Straßen und machten sich gegenseitig auf neue, überraschende und schöne Anblicke aufmerksam. Außer ihnen waren einige hundert Spaziergänger unterwegs, die sich angeregt unterhielten und diskutierend auf den Trottoirs flanierten. Wüßte ich es nicht besser«, sagte Thorn, »würde ich meinen, wir befänden uns im 19. Jahrhundert auf der Erde.« Sie sah ihn fragend an und hakte nach: »Im 19. Jahrhundert?« »Im alten Europa«, präzisierte er. »Genauer in Osteuropa. Karlsbad war einmal ein sehr mondäner Luftkurort für die Reichen und Schönen und bekannt für seine hervorragenden Biere.« »Apropos Bier«, meinte sie und deutete auf eine der an der Straße befindlichen Cafeteria. »Wollen wir etwas trinken?« Thorn signalisierte sein Einverständnis. Vor dem Lokal standen auf dem verbreiterten Gehweg eine Reihe kleiner Tische und fragil aussehender Stühle unter einer gestreiften Markise. Sie steuerten darauf zu. Es war später Nachmittag, und viele Neu-Karlsbader genossen die Kühle im Schatten unter der Markise. Gespräche waren zu hören, Gläserklirren, Schritte, Gelächter. Musik drang aus verborgenen Lautsprechern. »Siehst du, was ich sehe?« machte Kim Thorn auf etwas aufmerksam und wies mit einer Kopfbewegung auf das, was sie meinte.
»Ich sehe es«, erwiderte er. »Es hat den Anschein, unser Chauffeur
versüßt sich seinen Feierabend.« � Anno Steen saß mit einer jungen Frau an einem Tisch, an dem noch � zwei Plätze frei waren. � »Betreiben wir doch gleich mal ein wenig Ursachenforschung«, schlug � Thorn vor. � »Setzen wir uns zu ihnen?« � »Wenn wir nicht stören«, gab sie zu bedenken. � »Warum fragen wir nicht einfach?« � »Also gut.« � Sie gingen auf die beiden zu. � Steen erkannte die beiden Neuzugänge auf Nemed III sofort; seine � Reaktion war etwas zwiespältig. Er wußte von Thorns Rolle als Ermittler
und welche Macht er verkörperte und konnte sich nicht entscheiden, ob � er über das Wiedersehen erfreut oder beunruhigt sein sollte. � Thorn nahm ihm die Entscheidung ab. »Hallo«, sagte er und lächelte � freundlich, »das Universum ist klein. So schnell sieht man sich also wieder. � Fühlen Sie sich nicht gestört, wenn wir uns hier hinsetzen?« fragte er. � »Wie Sie wissen, sind wir fremd hier und Sie der einzige Mensch, den wir � bisher kennen. Es sei denn, Sie stellen uns Ihrer charmanten Begleitung � vor, dann wären es schon zwei.« Er lachte, als hätte er einen Scherz
gemacht. � »Aber gern«, sagte Steen und stand auf. »Nehmen Sie bitte Platz. � Das ist Sona Mansar. � Sona, Mister Duman und Doktor Nev, frisch von Terra eingeflogen.« � Das Mädchen an Steens Seite war hübsch, mit einem leicht slawischen � Einschlag, jung, schlank, schwarzhaarig und blauäugig. � »Was trinkt man denn so auf Nemed III?« erkundigte sich Kim bei � Steens Begleiterin, die ein offenes Lächeln zeigte. � »Es gibt hier ein paar ausgezeichnete Cocktails.« � »Kein Bier?« � Sona Mansar lachte hell. � »Nein. Kein Bier. Warum fragen Sie?« � »Ich dachte...« begann Kim und suchte nach der richtigen Erklärung, � wobei sie Thorn einen hilfesuchenden Blick zuwarf, der aber nur grinste � und sie herzlos ihrem Schicksal überließ. »Ach was«, sagte sie dann � kurz entschlossen, »vergessen Sie's. � Was können Sie uns also empfehlen?« � Sona nannte ein paar exotische Namen von Drinks. � Spontan bestellte Kimberley für sich und Thorn das gleiche, was die � beiden auf dem Tisch hatten. � Sie tranken sich zu, und Steen sagte zu Thorn. »Auf erfolgreiche Tage � auf Nemed III.« � »Wenn Sie meinen«, erwiderte Duman trocken. »Cheers!« � Zu Beginn entwickelte sich die Unterhaltung etwas zäh, bis Steen seine � Reserviertheit überwunden hatte, die er anfänglich Thornton Duman als � hochkarätigem Chefermittler gegenüber empfand. �
Doch schließlich lockerten ein paar Scherze und die umgängliche Art Thorns � und Kims die Atmosphäre auf. Die Damen hatten sogar nichts Eiligeres zu � tun, als sich beim Vornamen anzureden. � Sagen Sie, Sona«, erkundigte sich Kimberley, »sind Sie auch bei TransCon � beschäftigt?« � Nein«, erwiderte die junge Frau. »Ich arbeite im Umweltamt des Magistrats. � Ich bin eine Eingeborene.« � »Wie? Stammen Sie nicht von der Erde?« � »Wenn man es genau nimmt, nein. Ich wurde nach der Landung der � KARLSBAD hier geboren, vor 21 Jahren.« � »Seid ihr eigentlich nie auf andere Zivilisationen gestoßen?« erkundigte � sich Kim bei Sona. � Die junge Frau verneinte. � Die Sternenballung galt als unbevölkert, wie sie erklärte. � Nachdem sich die Kolonie etabliert und eingerichtet hatte, hatte die � KARLSBAD die meisten der 74 Sonnen und ihre Planeten katalogisiert � und aus der Umlaufbahn nach Lebenszeichen geforscht. � Es gab über drei Dutzend Welten, auf denen sich Leben hätte entwickeln � können, was aber nicht geschehen war. Nemed III war weit und breit die � einzige Welt in diesem Sternhaufen mit einer raumfahrttüchtigen Zivilisation, � auch wenn diese von außen gekommen war. � Thorn überließ die Damen ihrer Konversation und wandte sich an Steen. � »Geben Sie mir doch ein paar Hinweise, wie sich das Leben in diesem � wissenschaftlichen Außenposten so abspielt«, erkundigte er sich. � »Wie ist Humphreys? Umgänglich? � Ich glaubte aus einer Bemerkung von Ihnen, die Sie während der Fahrt � zum Hotel machten, herausgehört zu haben, daß er ein etwas strenges � Regiment führt. Ist das so?« � Steen zögerte und sah sich unwillkürlich um, als fürchte er, sein Chef � könne hinter ihm stehen und mithören. Er sagte: »Umgänglich? � Gewiß nicht. Obwohl er nicht unfreundlich den Mitarbeitern gegenüber ist.« � »Aber?« hakte Thorn nach, der aus Steens Antwort heraushörte, daß � dieser nicht wirklich die Wahrheit gesagt hatte. � Steen druckste ein bißchen herum; schließlich antwortete er: »Nun, � seit einiger Zeit wirkt er noch unnachgiebiger als sonst, Er gibt � Anweisungen, die sich widersprechen und aus denen man nicht schlau � wird. Vor allem akzeptiert er keine Kritik mehr. � Nicht einmal von seinem Stellvertreter Doktor Vakil. Er hat sich verändert. � Viele von uns fragen sich, was dahintersteckt beziehungsweise was die � Ursache dieser Veränderung ist.« � »Haben Sie eine Vorstellung, wann etwa diese Veränderung aufgetreten � ist?« � »Wenn Sie mich so fragen...« Anno Steen runzelte angestrengt die Brauen. � »Ich glaube, das war unmittelbar nachdem wir diesen Einbruchsalarm in der � Versuchsanlage hatten...« �
Er ließ offen, ob er darüber hinausgehende Zusammenhänge sah. � Thorn registrierte diesen wichtigen Hinweis, ging aber zunächst nicht � darauf ein, sondern versuchte Kim ein Zeichen zu geben. Es dauerte, � bis sie endlich begriff, was er wollte. � Sie stand auf. »Ich gehe mich mal frisch machen«, sagte sie, und das � ungeschriebene Gesetz funktionierte auch diesmal. � »Ich komme mit«, meinte Sona, und gemeinsam verschwanden sie im � Inneren des Restaurants. � Thron grinste innerlich. Er würde nie verstehen, warum Frauen, sobald � sie mit Geschlechtsgenossinnen zusammen an einem Tisch saßen, stets � gemeinsam die entsprechenden Räumlichkeiten aufsuchten, um sich frisch � zu machen. � Er faßte Steen ins Auge. � »Wir sind jetzt für eine bestimmte Zeit allein«, sagte er. »Sie können mir
also sagen, was Sie im Beisein Ihrer Begleiterin nicht aussprechen wollten.« � Steen malträtierte seine Unterlippe mit den Zähne. Er rang mit sich, das
war deutlich zu erkennen. Schließlich sagte er: »Sie müssen wissen, � Mister Duman, daß im TransCon-Labor, seit die Strecke erstmals
getestet worden ist, einige merkwürdige Dinge vorgehen.« � »Seit den Todesfällen, richtig?« � »Ja, merkwürdige Dinge.« � »In welcher Hinsicht?« � »In vielerlei Hinsicht.« � »Können Sie nicht etwas konkreter werden?« sagte Thorn mit scharfer � Stimme, die seine Ungeduld transportierte. � »Das Experiment steht kurz vor der Vollendung«, beeilte sich Steen mit � der Antwort, »aber anstatt Fortschritte zu erzielen, wie man annehmen � sollte, drehen wir uns plötzlich im Kreis.« � »Grund?« � Der junge Mann zuckte mit den Schultern. � »Woher soll ich das wissen? Ich bin nur ein Systemenergietechniker«, gab � er sich bescheiden, »und habe keinen Einblick in das Gesamtkonzept. � Kritik an den sicher richtigen Entscheidungen der Leitung zu üben steht � mir nicht zu. � Ich weiß nur, daß die Fusionsmeiler, die die Versuchsanordnung mit Energie � versorgen, auf Hochtouren laufen, obwohl es nicht weitergeht. � Und ehe Sie mich fragen: � Nein, ich weiß nicht, wohin die Energie geschickt wird oder abfließt. � Wie gesagt... � Professor Humphreys scheint irgendwie an einen toten Punkt gelangt zu sein. � Wo bleibt nur Sona?« � Thornton schaute auf. � »Dort kommen unsere beiden Damen. Sind Sie mit Sona befreundet?« � Steen lächelte irgendwie verloren und nickte. �
»Ich denke, ich bin es, bin mir aber nicht sicher, ob sie das auch so sieht.« � »Ein Dilemma, fürwahr«, nickte Thorn. »Ich hoffe, Sie können es in Ihrem � Sinne lösen.« � Als die Frauen wieder Platz genommen hatten, meinte Thorn an Kim � gewandt: � »Ich bin dafür, wir beginnen den morgigen Tag leidlich ausgeschlafen. � Ich denke, wir gehen, oder?« � »Auch ich bin müde«, bekannte Kimberley, und an Steen und Sona � gerichtet: »Sie entschuldigen uns?« � »Natürlich«, sagtte Sona Mansar. »Hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft � gemacht zu haben, ehrlich. Wir sollten das bei passender Gelegenheit � wiederholen. � Dann zeige ich Ihnen auch, wo in Neu-Karlsbad wirklich was los ist.« � »Ich kann's kaum erwarten«, gestand Kim mit einem verschwörerischen � Lächeln, so daß Thorn sich fragte, was die beiden während ihrer
Abwesenheit ausgeheckt hatten. � Sie tranken aus, verabschiedeten sich von den beiden und gingen in der � Dämmerung zu ihrem Hotel zurück. � Die Lobby war kaum bevölkert, die Bar hingegen überfüllt, Kim warf � einen neugierigen Blick in den indirekt beleuchteten Raum, als sie � vorübergingen. � »Möchtest du noch etwas trinken?« fragte Thorn, der ihre Blicke � bemerkt hatte. � Kim schüttelte den Kopf und gähnte demonstrativ, wenn auch hinter � vorgehaltener Hand. � »Ich glaube, ich habe etwas zuviel getrunken«, murmelte sie. � »Die Cocktails waren aber auch zu gut.« � »Das Dinner schenken wir uns dann wohl auch, oder?« Thorn grinste � niederträchtig. � Sie nickte heftig. »Ich habe absolut keinen Hunger.« � »Verständlich«, murmelte Thorn, nahm ihren Arm und steuerte auf den � Lift zu. � »Warst du erfolgreich?« erkundigte sich Kim, als sie aus dem Bad kam
und sich mit einem Seufzer aufs Bett warf. � »Ich habe zwar einiges in Erfahrung bringen können«, gestand Thornton, � »aber nichts Konkretes. Jedenfalls werde ich morgen diesem Professor � Humphreys gehörig auf die Nerven gehen. Mal sehen, ob ich ihn aus der � Reserve locken kann.« � »Tu das, mein Lieber«, murmelte Kim, schon halb im Schlaf. »Ich denke, � ich werde morgen mit Sona eine lange Spazierfahrt in die nähere Umgebung � machen.« � Sie schliefen. � Über der Kolonie spannte sich der zweigeteilte Himmel; eine Hälfte � pechschwarz, die andere voller funkelnder Sterne. Die Bäume wiegten � sich sacht im Nachtwind. �
Und weder Kim noch Thornton wußten, in welcher Gefahr sie schwebten. Einer Gefahr, die auf der anderen Seite des Planeten ihren Ausgang nahm. * Kimberley träumte. � Einen merkwürdigen, bizarren Traum. � In ihm lief sie über eine endlose Ebene aus Geröll und Staub und Schutt. � Es schien weder Tag noch Nacht zu sein. Sie bekam kaum Luft; ihre � Lunge brannte bei jedem Atemzug, als herrsche eine infernalische Hitze. � Unter ihren bloßen Füßen fühlte sie scharfkantiges Gemengsei wie von � grobkörniger Asche. � Jeder Schritt, den sie machte, verlangte ihr ungeheure An-strengung ab, � und dennoch schien sie nicht voranzukommen. � Am Himmel stand eine fahlschwarze Sonne; die Scheibe war durchzogen � von hellen Linien, die sich, wenn sie sich darauf konzentrierte, bewegten. � Obwohl sie offenbar allein war, schien es ihr, als liefen andere schemenhafte � Geschöpfe neben ihr her, mehr zu ahnen als zu sehen, ein merkwürdiges � Rascheln und Zischen, ein Schnattern und Flüstern. Aber immer, wenn � sie voller Angst zur Seite blickte, schwappten � die Schemen zurück und ließen sie allein, nur um gleich darauf wieder
neben ihr zu sein. � Und die fernen Geräusche, die sie hörte, waren das Gegeifer und � Geschnatter von Wesen, die geradewegs der Hölle entstiegen zu sein � schienen. Manchmal wurden sie klarer, sichtbarer. � Sie sah hornige, aufgerissene Schnäbel und gekrümmte Klauen mit � messerscharfen Nägeln, ehe wieder alles hinter einem dunklen Vorhang � verschwand - nur ihre Präsenz blieb allgegenwärtig. � Sie wollte schreien, rufen. Aber kein Laut drang aus ihrer gepeinigten Kehle. � Sie wollte gegen die dunkle Bedrohung kämpfen, versuchte es mit aller
Kraft, wehrte sich gegen die Umschlingung des Bösen und errang einen � Sieg. � Die Schemen wichen zurück, weiter diesmal. � Sie lief weiter, verdoppelte ihre Anstrengungen. � Vor ihr stand der Horizont in Flammen. Aufsteigende Rauchsäulen, � deren Inneres dunkelrot in einem bösen Feuer glühten, wurden von � einem Sturm gebeugt, der nicht zu spüren war. � Ein seltsam verzerrtes, bizarres Gebilde erhob sich weit vor ihr. � Es mußte riesig sein. � Sie lief darauf zu, obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte. � Sie hatte Angst. Todesangst - und erwachte. � Unter einem schweißfeuchten Laken auf der Seite liegend, konnte sie � den hämmernden Puls in ihren Schläfen spüren, während sich der
Alptraum aus ihrem Geist zurückzog. � Mit einem tiefen Seufzer rollte sie sich auf den Rücken und blinzelte sich den � Schlaf aus den Augen. �
Willkommen unter den Lebenden... Hatte da gerade jemand gesprochen? � Sie lauschte mit angehaltenem Atem. � Ihre Haut begann sich schon wieder zu körnen vor Furcht 4 aber dann � schalt sie sich eine dumme, verängstigte Pute. Da war nichts. � Im Zimmer war es ruhig. � Alles, was sie hörte, war das tiefe Atmen von Thorn neben ihr im anderen � Bett. � Sie seufzte und legte die Arme hinter den Kopf. � Sie hatte schon lange keine Alpträume gehabt, nicht mehr seit jenen � ereignisreichen Tagen auf Xing, als der G'Loorn die Siedlung unter seinen � Willen zu zwingen und zu versklaven suchte. Seitdem hatte sie keinen � weiteren Traum dieser Art erlebt, bis heute. � Ob das etwas zu bedeuten hatte? � Der Traum ging ihr nicht aus dem Kopf. � Sie fühlte sich, als sei sie nicht vollständig, als hätte man eines ihrer
Glieder abgetrennt, einen Arm, ein Bein vielleicht. Nein, schlimmer: � Als hätte man sie eines ihrer Sinne beraubt. Aber was sie wirklich störte, � war das Empfinden, jemand stünde hinter oder neben ihr, am Rande ihrer � Wahrnehmungen, und beobachtete sie aus einer Dimension, zu der sie � keinen Zutritt hatte. � Sie kannte dieses Gefühl irgendwie: ein kaum wahrnehmbares Stechen, � eher lästig als ein wirklicher Schmerz. � Es war der gleiche Schmerz, den sie gespürt hatte, als Chris als Baby � anfing, sich mit seinem noch unfertigen Verstand Zugang zu ihren � Gedanken zu verschaffen. � Wie kam sie jetzt bloß auf Chris? � Natürlich, sie vermißte ihn, wie er sie vermutlich ebenfalls vermißte. � Oft hatte sie versucht, geistig in Kontakt mit ihm zu treten, aber es war ihr nur � in den seltensten Fällen gelungen. � Er schien sich abzukapseln. Oder war sie einfach nur die Schwächere von � ihnen beiden? � Vermutlich. Nein, sogar ganz sicher! Aber... � Wenn es darauf ankommt, Mom, bist du nicht so schwach, wie du glaubst... � Das hatte er ihr einmal gesagt. Sie hatte es damals nicht Verden, sie � verstand es auch heute noch nicht. Thorn bewegte sich neben ihr im
Schlaf; sie lauschte eine Weile seinen Atemzügen, fühlte sich geborgen in � seiner Nähe - und schlief wieder ein. Diesmal träumte sie von anderen, � schöneren Dingen. � Als sie am Morgen erwachte, entschloß sie sich, Thorn nichts von ihrem � nächtlichen Alptraum zu erzählen. � Irgendwie geisterte in ihren Vorstellungen die Gewißheit, daß sie die � wirkliche Mutantin in der Familie war, daß Chris diese Begabung nur von � ihr geerbt hatte, und sie fürchtete sich vor der Reaktion Thorns, wenn er
es erfuhr. �
Der schwere, geländegängige Gleiter mit der Aufschrift TRANSCON und � einer vierstelligen Nummer auf den Seiten, bewegte sich unter Thorns � Kommando schnell über die breite Ausfallstraße, die von Neu-Karlsbad � zum Komplex der Transmitterversuchsstation führte. � Es war noch früh am Morgen; das Chrono im Armaturenbrett zeigte einen � Index an, der acht Uhr morgens in der Zeitzone entsprach, in der sich � Neu-Karlsbad befand. � Thorn passierte den Raumhafen; der in den Himmel ragende Turm der � KARLSBAD dominierte die planierte und verfestigte Fläche. � Von der SPHEX war nichts mehr zu sehen; � sie war, ihrem enggefaßten Fahrplan folgend, noch vor Einbruch der
Dunkelheit gestern abend wieder gestartet. � Eine halbe Stunde später tauchte der erste Sperrzaun um das TransCon-
Areal auf. � Thorn verringerte die Fahrt des Gleiters und bremste dicht vor dem Tor, � das ihn an der Weiterfahrt hinderte. Auf der linken Seite stand das � obligatorische Wächterhäuschen, in dem ein uniformierter vor einem � Bildschirm saß, während seine zwei Kollegen sich im Freien aufhielten. � Thorn rückte die dunkle Brille zurecht und lehnte sich war-tend zurück. � Es versprach ein freundlicher Tag zu werden, am Himmel zeigte sich � keine Wolke; weniger freundlich und drohend umwölkt waren die Gesichter � der beiden Posten, die sich dem Gleiter näherten und die Hände an den � Kolben ihrer Waffen hatten. � Während der eine sich in zwei Schritten Entfernung so po-stierte, daß er � freies Schußfeld hatte, beugte sich der andere zum Fenster und musterte � den Insassen mißtrauisch. � »Woher haben Sie das Fahrzeug?« schnappte er. � Unnachahmlich lässig erwiderte Thorn: »Ich habe es gestohlen. � Es stand in einer Tiefgarage und langweilte sich.« � »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« fauchte der Wächter drohend � und trat einen halben Schritt zurück. � Thorn musterte die massige, nicht unerheblich übergewichtige Gestalt � eine Idee zu lang, dann schüttelte er den Kopf und meinte süffisant: »Sie � bestimmt nicht.« � Der Mann zog die Waffe und forderte lautstark: »Aussteigen, Mister! Ich...« � »Laß das, Jorge!« ertönte die scharfe Stimme des dritten Postens aus
dem geöffneten Fenster der Hütte. »Ich habe die Nummer gecheckt. � Es ist Mister Duman, der neue Sicherheitschef von TransCon. � Die Nachricht kam eben über den Schirm. Sie können passieren, Sir.« � Die vielfach gesicherte Energiesperre löste sich auf. � »Tut mir leid, Sir«, versuchte Jorge zu retten, was noch zu retten war. � »Wir befolgen auch nur unsere Anweisungen.« Er tippte salutierend an � seinen Helmrand. � Thorn verzichtete auf eine Antwort. Im Grunde hatte der Mann recht. � Er tat nur, wozu er ausgebildet war: die Einrichtung von TransCon � vor unbefugtem Betreten zu schützen. �
Duman brachte das Aggregat wieder auf Touren und steuerte auf den zweiten Sicherheitskreis zu. Ein dreifaches System von elektrisch geladenen Drahtzäunen aus hochfestem Stahl mit dazwischenliegenden ausgeklügelten Strahlensperren umgab fast kreisförmig die Versuchsanlage. Thorn erwartete, noch weiter aufgehalten zu werden, aber die Kunde seines Eintreffens und die Bedeutung seiner Person für die Angestellten schien inzwischen mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit ihren Weg genommen zu haben. Man winkte ihn überall durch. Na geht doch«, sagte er vergnügt, wohl wissend, daß das, auf ihn zukam, alles andere als vergnüglich werden würde. Die Anlage vov TransCon bestand aus mehreren langgestreckten flachen Hallen, die willkürlich angeordnet waren - zumindest war kein System zu erkennen - und einem mehrstöckigen Gebäude, das eine ToRichtfunkantenne auf dem Dach trug. Durnan parkte vor dem Eingang des Verwaltungsgebäudes, denn um ein solches konnte es sich nur handeln. Dafür sprach auch die Reihe von geparkten Gleitern und Radfahrzeugen. Seine Ankunft hatte sich scheinbar wie ein Lauffeuer verbreitet. Eine leicht aufgeregt wirkende Assistentin aus dem Vorzimmer des Direktors erwartete ihn bereits im Eingangsbereich und brachte ihn ohne Aufenthalt zum Büro ihres Chefs. Professor Christopher Humphreys stand immerhin auf, als Thornton Duman eintrat. Humphreys entsprach mit seinen 44 Jahren und der sportlichen Gestalt überhaupt nicht dem Bild eines grübelnden, durchgeistigt wirkenden Wissenschaftlers, sondern mehr dem eines muskelgestählten Tennisprofis. Er war braungebrannt, durchtrainiert, und er bewegte sich wie jemand, der ständig unter Spannung stand. Das schwarze Haar über dem schmalen, kantigen Gesicht zeigte erste graue Ansätze. Thorn hatte sich die Vita des Mannes während des Herflugs zu Gemüte geführt. Humphreys war eines jener Multitalente, wie sie immer nur alle paar Jahrzehnte auftraten. Er hatte Hyperphysik studiert, im zweiten Fach Quantenmechanik, in der er ebenfalls eine Professur besaß. Nebenher belegte er Kurse über Soziologie und promovierte an der Akademie für Führungskräfte. Alles Fächer, die ihn geradezu prädestinierten, als Vorstands Vorsitzender an der Spitze großer Konzerne zu brillieren. Trotz seiner Ausbildung war er nicht so sehr der geniale Wissenschaftler, sondern eher ein Macher, der ein Team zu Höchstleistungen zu führen vermochte. Es war bekannt, daß er sehr hohe Ansprüche an seine Mitarbeiter und an sich stellte. Er hätte in der Forschung zu ungeahnten Höhen aufsteigen können. Aber er wurde an der Universität von Birmingham nach eigenem Bekunden nicht ausreichend gefordert, weshalb er in die Wirtschaft wechselte - zu1 weitaus besseren Konditionen verstand sich.
TransCon war sicher nur das Sprungbrett für seine zukünftige Karriere. � »Thornton Duman«, stellte Thorn sich vor und ergriff die Hand des � Professors, als dieser sie ihm entgegenstreckte. � »Sie sind also der Ermittler, der mir angekündigt wurde?« � »Richtig«, gab Duman zu, »der nämliche.« � Der Händedruck des Wissenschaftlers war zupackend, man spürte die � eiserne Kraft des Mannes dahinter. Obwohl er lächelte, blickten seine � Augen kalt. Humphreys verstärkte seinen Druck noch, als er merkte, � daß sein Gast nicht darauf reagierte. � Thorn begann leicht zu grinsen und sagte: »Wir können das ruhig noch � eine Weile fortsetzen, Professor, wenn Sie Wert darauflegen!« � Humphreys zog überrascht seine Hand zurück. »Verzeihen Sie, eine alte � Angewohnheit von mir. Dadurch stelle ich fest, mit wem ich es zu tun � habe.« � »Und? Mit wem glauben Sie es zu tun zu haben?« � »Mit einem Mann, den so leicht nichts aus der Bahn wirft.« � »Wie Sie, Sir«, erwiderte Thorn. »Ihnen geht dieser Ruf ebenfalls
voraus.« � »So, geht er das?« meinte der Professor und zeigte ein Lächeln, das
seinen Mund nicht verließ. Die Augen blickten abwartend. � Er deutete auf den Sessel vor seinem Tisch. � »Aber nehmen Sie doch bitte Platz. Möchten Sie etwas trinken?« � Thornton setzte sich. »Man könnte Ihr Angebot annehmen«, meinte � er leichthin. � »Eine Tasse Kaffee, ja?« � Der Professor drückte auf einen Knopf. Kurz darauf ging die Tür auf, � und eine gutaussehende junge Dame in einem knappen weißen Laborkittel � kam herein. � Sie lächelte wie ein Sonnenaufgang über der Wüste und blieb neben � dem Professor stehen. � »Doktor Zhevel, meine Sekretärin - Mister Thornton Duman von TransCon � New York. Bringen Sie uns bitte zwei Tassen Kaffee, Doktor?« � »Selbstverständlich. Dauert nicht lange.« � Sie verließ das Arbeitszimmer, und Humphreys erkundigt sich, was er
für Duman tun könne, während seine Augen ihn ausdruckslos musterten. � Thorn runzelte die Stirn. »Wurden Sie nicht darüber infor-miert, was ich � hier zu tun habe? Aber ich wiederhole es gerne für Sie noch einmal. � Ich bin hier, um die unerklärlichen Vorfälle während des � Transmitterexperimentes vor dreißig Tagen zu untersuchen.« � »Pah, das«, sagte Humphreys, begleitet von einer wegwerfenden � Geste. »Das hat sich fast aufgeklärt.« »Wieso das?« Thorn runzelte � überrascht die Stirn. »Und so schnell?« � »Wir sind mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, daß die Ereignisse � durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle verursacht wurden, und gehen
davon aus, daß es Überlagerungen der Entstofflichungsfelder gegeben hat, � Verzerrungen fünfdimensionaler Art, die zurück in den Transmitterraum � geflossen sind, ohne von den Magnetgittern zurückgehalten worden zu sein. �
Während meiner theoretischen Arbeit mit der Quantenmechanik des fünfdimensionalen Raums habe ich festgestellt, daß Hyperraumemissionen diese Überschlageffekte tatsächlich hervorrufen können.« »Welche suizidale Auswirkungen auf die Psyche der Menschen bewirken?« »Möglich, sogar wahrscheinlich«, antwortete Humphreys auf Thorns Frage, und seine Augen musterten sein Gegenüber ausdruckslos. Thorn machte ein ungläubiges Gesicht. Das paßte einfach nicht zusammen. Er war kaum angekommen, und schon wurde ihm die Lösung präsentiert? Er war alles andere als überzeugt; es sah danach aus, als wartete eine verdammt harte Nuß auf ihn. Miß Zhevel kam herein und brachte den Kaffee. Sie hatte sich kaum entfernt, da wandte sich Thorn wieder an den hochkarätigen Wissenschaftler. »Ich kann das nicht glauben, Professor Humphreys. Nach Ihren eigenen Worten sind es Theorien. Gibt es Erkenntnisse, die diese Möglichkeit erhärten? Haben Sie Fakten?« Humphreys blickte Duman über den Rand der Tasse hinweg an. Er trank ein paar Schlucke, ehe er sagte: »Noch keine hieh-und stichfesten. Nein, aber wir sind uns sicher, daß wir uns damit auf dem richtigen Weg befinden. Ihr Besuch hier hätte sich damit eigentlich erledigt, oder?« Im Klartext heißt das: Du kannst verschwinden, Schnüffler! dachte Thorn. Kühl und distanziert sagte er: »Ob und wann sich mein Aufenthalt hier erledigt hat, müssen Sie schon mir überlassen, Professor. Ich habe einen Auftrag erhalten, den ich so oder so ausführen werde. Es sei denn, die Zentrale in New York ruft mich zurück. Doch so lange müssen Sie mich schon ertragen. Wenn Sie mir keine schlüssige Erklärung zu liefern imstande sind, finde ich den wahren Grund heraus, zum Besten TransCons. Ich werde mich also sehr intensiv hier umsehen müssen und bitte Sie, Ihren Leuten Anweisung zu geben, mich in meiner Arbeit nicht zu behindern. Vor allem die Anlage interessiert mich, in der die Unglücke geschehen sind. Ich werde nicht umhinkommen, mich dort eine ganze Weile aufzuhalten.« Humphreys schien gar nicht begeistert. »Da bringen Sie mich in eine Zwickmühle. Der Transmitterraum ist eine höchst sensible und hochgeheime Anlage. Mein Lebenswerk, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will. Ich kann kein einziges technisches Detail preisgeben.« »Ich verstehe Sie sehr gut, Professor. Sie befürchten, ich könnte einiges erfahren oder sehen, das nicht für meine Augen und Ohren bestimmt ist, und dieses Wissen möglicherweise in meinen Vorteil ummünzen. Richtig?« Humphreys' Miene sagte genau das aus. »Seien Sie versichert, daß ich nicht an Ihren technischen Geheimnissen interessiert bin«, betonte Duman. »Ganz abgesehen davon, daß ich nicht das geringste von der Materie verstehe. Würden Sie also bitte jemand bestimmen, der mich herumführt? Ich möchte den Ort des Geschehens genauer unter die Lupe nehmen. Ich verspreche auch, daß ich nichts anfassen werde und keine Instrumente zertrümmere.«
Humphreys hob abwehrend die Hand. »Das hat doch sicher noch Zeit, � nicht wahr?« � »Nichts verschieben, was sofort getan werden kann«, sagte Thorn fröhlich, � »war ein Wahlspruch meiner Großmutter.« � Humphreys stieß einen undefinierbaren Laut aus. »Nichts gegen Ihre � Frau Großmutter, sicher eine großartige Dame, aber... einen Moment.« � Das Vipho vor ihm summte auf. � Humphreys drückte die Antworttaste. Seine Stirn umwölkte sich. »Ja, � Doktor Homash?« � Von der Antwort bekam Thorn nichts mit; hier arbeitete ein Richtlautsprecher, � der in einem eng gebündelten Strahl direkt neben Humphreys' Ohr die � Lautschwingungen freiließ. � Es schienen keine erfreulichen Dinge zu sein, die der Professor erfuhr. � Er hörte etwa eine halbe Minute zu. Dann sagte er, sich nur mühsam � beherrschend: � »Nein! Auf keinen Fall!« � Eine kleine Pause entstand. � »Selbstverständlich gibt es andere Möglichkeiten, aber ob die zu dem
von Ihnen gewünschten Erfolg führen, ist mehr als zweifelhaft.« � Pause. � »Gut, wenn Sie darauf bestehen... ich komme sofort zu Ihnen hinüber.« � Humphreys drückte die Aus-Taste, als wäre sie ein Feind, und wandte � sich wieder seinem Besucher zu. � »Es tut mir leid, Duman, aber ich kann mich nicht länger um Sie kümmern. � Meine Anwesenheit ist dringend anderweitig erforderlich. � Am liebsten wäre es mir, Sie würden morgen wiederkommen.« � »Wie wäre es mit heute abend nach Dienstschluß?« schlug Thorn vor. � »Dann sind wir auch ungestörter, nicht wahr?« � Humphreys lachte auf. »Sie haben vielleicht Vorstellungen von unserer
Arbeit. � Durch die Vorfälle im Transmitterraum und die zeitweilige Abschaltung � einer Reihe von Komponenten sind wir derart in Verzug geraten, daß wir
seit einer Woche rund um die Uhr arbeiten. Aber gut. Akzeptiert. � Sehen wir uns also heute abend. Sie treffen mich auf alle Fälle an, aber
auch ein paar meiner Mitarbeiter, falls Sie Fragen an sie haben sollten. � Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Es brennt mal wieder
Meine Sekretärin wird Sie hinausbringen.« Er stürmte mit flatternden � Kittelschößen davon. �
6. »Du bist schon zurück?« Kim sah verwundert auf, als Thorn ins Apartment � kam und sich mit nachdenklicher Miene in den Sessel pflanzte. � »Professor Humphreys sah sich leider nicht in der Lage, zu meinen Fragen � erschöpfend Auskunft zu geben - kurz gesagt: Er hatte keine Zeit für mich«, � erklärte er und starrte auf seine Stiefelspitzen. »Irgend etwas Wichtiges, � Unaufschiebbares. Ich mußte mich leider
damit abfinden. Ohne sein Einvernehmen möchte ich nicht die Anlage � inspizieren und seinen Mitarbeitern mit meinen Fragen auf die Nerven � gehen.« Dann blickte er auf und fuhr fort: »Aber für heute abend habe ich � eine Einladung.« � »Zu einem Dinner?« fragte sie. � »Unsinn«, antwortete er. »Daß du auch immer nur an das eine denkst.« � »Es ist das zweite, mein Lieber«, machte sie ihn sanft darauf aufmerksam � und lächelte auf Kleinmädchenart. � »Ich sagte doch«, brummte er und räusperte sich, als kratze ihm etwas im � Hals, »du denkst nur an das eine - oder andere.« � »Lassen wir das«, meinte sie mit rosig überhauchtem Gesicht. »Wozu hat � dieser Professor dich also eingeladen?« � »Zu einem Rundgang durch die Anlage natürlich.« � »Nimmst du an? Abends? Wer weiß, wie lange das dauert!« � »Was denkst du denn. Selbstredend. Du scheinst nicht das richtige � Verhältnis zum Geld zu haben, Liebling. Für das Honorar, das uns Crowell � zahlt, arbeite ich sogar vierundzwanzig Stunden durch, wenn es sein muß. � Aber was fangen wir nun bis dahin an?« � »Was wir anfangen, weiß ich nicht«, gab sie zu verstehen. »Ich habe mich � jedenfalls mit Sona in Verbindung gesetzt, während du draußen in der
Anlage warst, und mit ihr vereinbart, daß wir einen Besuch in der
KARLSBAD machen. Komm doch einfach mit. Wird sicher ein vergnüglicher � Ausflug.« � »Mein letzter Ausflug liegt schon eine ganze Weile zurück«, sagte er und � wiegte unschlüssig den Kopf, während er die Beine ausstreckte und die � Fersen auf einen Hocker legte. »Ich war damals zehn oder zwölf, so � genau weiß ich das nicht mehr. � Wir kampierten an einem See, und irgendein Witzbold hatte mir einen � Frosch in den Schlafsack gesteckt. Ich habe die ganze Nacht auf einem � Baum verbracht. � Seitdem hasse ich alles, was glitschig ist und meterweite Sätze machen � kann.« � Sie lachte hell auf. »Odysseus auf dem Baum, in die Flucht geschlagen � von einem Frosch. � Ich fasse es nicht!« � »Er war immerhin so groß...« Thorn zeigte mit beiden Händen die � Ausmaße des Untieres. � Sie lachte wieder. Als sie sich beruhigt hatte, fragte sie: »Und? � Wirst du dich uns anschließen?« � »Warum eigentlich nicht? Wird bestimmt nett.« � *
Sona Mansar zeigte sich erfreut, als sie Kim mit einem offenen Gleiter � abholen kam und Thorn neben ihr stehen sah. � »Kommt er mit?« fragte sie. � »Natürlich«, nickte Kimberley und hüpfte neben sie in den Vordersitz. � Thorn zog eine Grimasse und klemmte sich auf die Rückbank. � »Frauen und Ausflug«, brummelte er und merkte mit einemmal, daß ihm
kein passender Vergleich dazu einfiel - was auch schon lange nicht � mehr vorgekommen war. � Na wenn schon, dachte er. Er setzte die Sonnenbrille auf, breitete die � Arme aus, legte sie auf die Rücklehne der Sitzbank und schloß die Augen; � er öffnete sie erst wieder, als Sona den Gleiter auf dem abgesperrten � Platz vor der KARLSBAD parkte und fröhlich »Alles aussteigen!« rief. � * »Und, hat es Ihnen gefallen?« erkundigte sich Sona Mansar. »Es war
ein wirklich schöner Ausflug«, gestand Kim. »Nicht war, Thornton Duman?« � Thorn nickte und sagte sarkastisch: »Und so lehrreich.« � Sie saßen zu dritt auf der Terrasse einer Cafeteria in der Nähe des Hotels � unter blühenden Bäumen und genossen die Stunde. Nach dem Besuch � der KARLSBAD und dem Besichtigen von Decks, Zentrale und � Maschinenräumen hatte Sona vorgeschlagen, noch etwas trinken zu � gehen, was vorbehaltlos von Kim und Thorn akzeptiert worden war. � Thorn streckte mit einem wohligen Seufzen die Beine aus und lag halb � zurückgelehnt in dem fragil aussehenden Bistrostuhl. � Die Sonne Nemed stand im frühen Nachmittag, und die Hitze des Tages
fing an, etwas nachzulassen. � Es duftete betäubend nach Blüten. � »Es ist wirklich schön hier«, sagte Kim schwärmerisch und nippte an ihrem � Kaffee. � »Das reinste Paradies.« � »Du wiederholst dich«, bemerkte Thorn mit träger Stimme. Seine Augen � waren hinter
den dunklen, spiegelnden Gläsern der Sonnenbrille nicht zu sehen; er � beschäftigte sich in Gedanken bereits mit Professor Humphreys. � »Du weißt doch, was Paradiese so an sich haben.« � »Bitte nicht schon wieder den Vergleich mit der Schlange«, sagte sie � anklagend und hob im gespielten Entsetzen die Hände. � Sona lachte hell, um dann zu verstummen und mit einem »0-oh« in eine � bestimmte Richtung zu starren. � »Was ist?« Alarmiert setzte sich Thorn aufrecht hin. »Etwa die Schlange?« � »Nein, aber die Polizei.« � »Es herrscht unter Experten ein erbitterter Streit darüber, was von den
beiden Übeln das größere sei«, bemerkte Thorn und grinste. � »Wohin habe ich meine Augen zu richten?« � »Dorthin!« bedeutete ihm die junge Bürgerin von Neu-Karlsbad. � Thorn sah das Fahrzeug. Es war ein schwarzweißer Gleiter mit Blaulicht � auf dem Dach. �
Und damit es auch jeder mitbekam, stand auf Fronthaube und Seiten in � riesigen Buchstaben POLIZEI. Das Gefährt bog von der Hauptstraße ab, � kurvte ein, näherte sich und parkte fast unmittelbar am Rand der Terrasse. � Der Fahrer stieg langsam aus. � Er war ein knochiger, eckiger älterer Mann, in hellgrauer Uniform und mit � einem breitkrempigen Hut von gleicher Farbe auf dem Kopf. Um die � Hüften trug er einen breiten, abgewetzten Ledergurt. Im Holster steckte � ein Impulsstrahler mit integrierter Laserziel Vorrichtung. Er trug ein offiziell � aussehendes Emblem an der linken Brusttasche der mit roten Biesen � abgesetzten Uniform. Seine Haut war gerötet, und die Augen wurden von � einer riesigen Sonnenbrille verdeckt. � »Meiner Seel'«, murmelte Thorn. »Clint Eastwood persönlich! Er hätte mit � einem Pferd herbeigaloppieren sollen anstelle eines profanen Gleiters.« � »Still!« zischte Sona und verbiß sich das Lachen. � Der Polizist kam auf sie zu. Er strahlte handgeflochtene Rechtschaffenheit � aus und war ein einziger Anachronismus. � »Hallo, Chief Semino!« sagte Sona mit einem freundlichen Gesicht. »Auch � unterwegs an diesem schönen Tag?« � Semino nickte kurz: »Hallo, Miß Mansar«, schaute aber Thorn und Kimberley � dabei an. � »Sie sind neu auf Nemed III?« fragte er ohne Einleitung. � »Gestern angekommen«, erwiderte Thorn. »Wollen Sie unsere Papiere � sehen?« � »Nein. Ihre Daten wurden schon von TransCon an mein Büro übermittelt«, � antwortete der Chief mit träger Stimme und wippte kurz auf den Fersen. � Thorn sah, daß er doch tatsächlich hochhackige Stiefel trug; er bemühte � sich, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen. � Hätte Semino gesagt: »Ich erwarte dich bei Sonnenuntergang auf der � Hauptstraße, mein � Sohn. Nur wir beide und unsere Fünfundvierziger«, er wäre nicht � verwundert gewesen. � Dennoch, Semino schien ein tüchtiger und gewissenhafter Polizist zu � sein, der seine Aufgaben ernst nahm und sie zur Zufriedenheit des
Magistrats ausführte. � »Dann kennen Sie sicher auch meinen Status auf Nemed III«, bemerkte � er und sah am Zucken von Seminos Mundwinkeln, daß er einen wunden � Punkt getroffen hatte. »Die TransCon-Gesellschaft hat mich als � Sonderermittler mit Vollmachten ausgestattet, die sehr weitreichend sind.« � Der Adamsapfel an Seminos hagerem Hals hüpfte, als er schluckte. � »Davon habe ich mich überzeugt, Sir.« Kim lächelte entwaffnend. »Gibt es � sonst noch etwas, Mister Semino?« � »Nein, Madam. Ich wollte nur mal sehen, mit wem ich es zu tun habe.« � »Ich glaube nicht, daß Sie sich wünschen sollten, es je mit uns zu tun zu � haben«, versetzte Thornton freundlich. »Aber noch einmal zum Verständnis: �
Wir unterstehen nicht der Legislative von Neu-Karlsbad, wie Sie wissen.« Als TransCon sich entschloß, Nemed III zum Zentrum der Versuchsanlage zu machen, hatte die Gesellschaft dies nur unter der Voraussetzung getan, daß das dazu nötige Areal in ihren Besitz überging und als exterritoriale Enklave anzusehen sei, die der Legislative Terras unterstellt blieb. Alle Beschäftigten galten als Bürger der Erde und genossen diplomatischen Schutz. »Ich weiß«, erwiderte Semino. Er sagte es in einem Ton, als bedauerte er diesen Umstand zutiefst. »Es sei denn...« Er verstummte und ließ Thorn im unklaren darüber, was er damit meinte. Er tippte mit einem Finger an seine Hutkrempe und sagte: »Schönen Tag noch, Madam«, zu Kimberley. Für Thorn hatte er nur ein Nicken. Er wandte sich zum Gehen, überlegte es sich noch einmal und drehte sich zu ihm um. »Wissen Sie, mein Sohn« - er sagte wirklich »mein Sohn!« -»man sollte niemals Nie sagen.« Er schwang sich auf sein Pferd, das hieß, er pflanzte sich hinter das Steuer seines Gleiter und entfernte sich mit wummernden Aggregaten. »Das war unser Polizeichef, wie er leibt und lebt«, gab Sona zu verstehen. »Ein aufrechter Streiter für das Recht«, bestätigte Kim, und die beiden Frauen lachten. Thorn beteiligte sich nicht daran. Irgendwie war ihm die Stimmung abhanden gekommen. Er blickte auf sein Chrono. »Ich glaube, es ist Zeit, mich wieder auf den Weg zu machen.« Er stand auf, küßte Kim auf die Nasenspitze und sagte: »Viel Vergnügen noch, ihr beiden!« * Kurz vor Beginn der Dämmerung fand sich Thornton Duman erneut bei � Humphreys ein. � Der Professor begrüßte ihn zunächst wie ein lästiges Insekt, gab sich � dann aber umgänglich. Er schien unter extremen Stimmungsschwankungen � zu leiden, hatte Thorn den Eindruck. � Die Vorzimmer waren leer; die Angestellten der auch hier unvermeidbaren � Verwaltung hatten sich in den Feierabend begeben. � Thorn sah auch die junge, hübsche Doktorin Zhevel nirgends, was er ein � wenig bedauerte, aber wirklich auch nur ein wenig. � »Ziehen Sie den über!« bat Humphreys und warf ihm einen Labormantel � zu. � Als sein Gast in den Mantel schlüpfte, blieb Humphreys Blick an dem � Impulsblaster hängen, den Duman unter der linken Achsel trug. � »Eine Waffe hier drin zu tragen ist nicht zulässig«, sagte er scharf, und die � Falten um seinen Mund vertieften sich. »Anweisung von TransCon.« � »Dieses Verbot gilt nicht für mich«, erwiderte Thornton knapp. � »Ich habe die entsprechenden Ausnahmegenehmigungen von Crowell � persönlich.« � »Na dann...« murmelte Humphreys. »Kommen Sie. Ich werde Sie jetzt im � Projekt herumführen.« �
Die Führung gestaltete sich als ein zeitaufwendiges Ereignis. Thorn hatte � Humphreys im Verdacht, absichtlich verschlungene Wege zu gehen. � Was er damit bezweckte, war ihm schleierhaft. Immerhin gewann er so
einen umfassenden Überblick über die Kernanlage des Projektes. � Draußen war es Nacht geworden. Nemed III hatte im Augenblick eine � Position im System, in der er sich der dunklen Seite des Universums � zuwandte; kein Stern stand am Himmel, der eine absolute Schwärze � ausstrahlte. � Als sie einen schmalen Korridor entlanggingen, fragte Thornton: � »Worauf sind eigentlich die Rückschläge im Projekt zurückzuführen, � Professor?« � »Da legen Sie den Finger in die Wunde... ich weiß selbst nicht, was � geschehen ist. � Ich rechne nächtelang, um einen Fehler zu finden.« � »Haben sich eigentlich seit damals neue Fragwürdigkeiten � ereignet« � »Nein!« erwiderte Humphreys schnell, ein bißchen zu schnell, wie � Thornton fand. � »Wirklich nicht?« hakte er nach. � »Nun, etwas ist seitdem schon merkwürdig und der Grund dafür, warum
hier alle - oder sehr viele zumindest - nervös sind. � Aber das werden Sie gleich selbst sehen.« � Der Korridor war zu Ende. Ein paar Sicherheitstüren öffneten sich, und � Humphreys sowie Duman standen in einer ziemlich großen, strahlend � hell ausgeleuchteten Halle. � Etwa zwanzig männliche und weibliche Techniker, unter denen eine Reihe � Wissenschaftler waren, wie Humphreys erklärte, standen oder saßen an � kompliziert aussehenden Geräten und Kontrollen, von deren Funktionen � Thorn keine Ahnung hatte. Obwohl die Leute scheinbar ruhig und gelassen � zu arbeiten schienen, lag über der Szene eine unterdrückte Spannung. � »Was ist das hier?« � »Hier drin befinden sich die Kontrollen für die energetische Versorgung � der Versuchsanlage«, beantwortete Humphreys die Frage Dumans. � »Der Transmitterraum selbst liegt dort hinten. � Er hat seine eigene Steueranlage.« � Sie gingen durch die Reihen, blieben stehen, wechselten hin und wieder
ein paar Worte, und Thorn ließ sich, manchmal sehr zum Mißvergnügen � des Professors, detailliert schildern, was sie taten. Thornton stellte mitunter � bewußt naive Fragen, um sein mangelndes Wissen zu dokumentieren � und Humphreys' Mißtrauen zu besänftigen, der noch immer zu glauben � schien, er, Thorn, wolle Details seiner Arbeit in Erfahrung bringen. � »Sie wollten mir doch etwas ganz Bestimmtes zeigen«, erinnerte Thorn � schließlich den Professor. � Humphreys starrte ihn verwundert an. »Ich...? Ach ja, natürlich. Sekunde!« � Er sah sich suchend im Raum um, dann winkte er einen der Wissenschaftler � zu sich. �
»Kaines, würden Sie bitte unserem Besucher den Transmitterraum zeigen? � Mir ist gerade ein Gedanke gekommen, den ich nicht aus den Augen � verlieren darf. � Zeigen Sie Mister Duman was er sehen will, achten Sie aber darauf, daß � er nichts anfaßt. � Er scheint nicht gerade ein Technikgenie zu sein. Verstanden?« � »Jedes Wort, Sir!« � Kaines, ein höchstens 35 Jahre alter Mann, wirkte noch verblüffter als
Duman, dem der plötzliche Sinneswandel des Professors Rätsel aufgab. � »Gut. Ich bin in meinem Labor, falls etwas sein sollte.« Er sah Duman an. � »Sie entschuldigen mich.« � »Aber gern«, sagte Thorn. � Der Professor machte sich mit wehendem Mantel auf den Weg zu seinem � Arbeitsraum. � Kaines starrte ihm verwundert nach. »Er wird immer merkwürdiger«, � murmelte er. Dann zuckte er mit den Schultern und wandte sich an Thorn. � »Kommen Sie, machen wir einen Rundgang durchs Allerheiligste. Aber � bleiben Sie in meiner Nähe. Wir fahren die Anlage mit gefährlicher � Hochspannung. Manche Aggregate sind auch mit Hyperenergie � kontaminiert, was uns einige merkwürdige Ereignisse bescherte.« � »Ist sie denn nicht abgeschaltet?« wunderte sich Thorn. »Ich war der � Meinung, sie würde deaktiviert bleiben, bis die Ursachen des Vorfalles
geklärt seien?« � »Das ist eines der Dinge, die uns seitdem zu schaffen machen«, erklärte � Kaines. � »Wir waren jedenfalls der Meinung, das Transmittertor wäre wie angeordnet � abgeschaltet.« � »Lassen Sie mich raten«, sagte Thorn und trat hinter Kaines in die � langgestreckte und ebenfalls hellerleuchtete Halle, in der der Ring des � Experimentaltransmitters wie das
Artefakt einer fremden Zivilisation die Anlage dominierte. »Es schaltete � sich selbsttätig wieder ein?« Thorns Stimme hallte von den Wänden wider; � niemand sonst hielt sich im Moment hier drinnen auf. � Kaines schüttelte den Kopf. »Wenn es nur das wäre, hätten wir vermutlich � etwas dagegen unternehmen können.« � »Was ist geschehen?« drängte Thorn, als der Wissenschaftler wieder � verstummte. � Von der gesprächigen Sorte schien er nicht gerade zu sein, zumindest � redete er nur, wenn er gefragt wurde | was mitunter auch seine Vorteile � hatte. Jetzt allerdings ermüdete es Duman, ihm jede Information einzeln � aus der Nase zu ziehen. � »Sie haben draußen die Kontrollen für die Energiezufuhr gesehen. � Sie zeigen alle klar, daß von unserer Seite aus keine Energie zum Tor � weitergeleitet wird. Dennoch läuft der Fusions-meiler auf Hochtouren. � Wir haben keine Ahnung, weshalb und wohin er seine Energie abgibt...« � Das deckte sich mit den Informationen, die Thorn von Steen erhalten � hatte. �
»Wir können es uns nur so vorstellen, daß sich durch irgendeine
Überlagerung während des Durchganges durch den Hyperraum eine von � uns noch nicht entdeckte Verbindung aufbaute, die beide Komponenten, � Tor und Meiler, über ein fünfdimen-sionales Interlink zusammenschaltete.« � »Haha«, machte Thorn und schaute ungläubig. »Das wäre ja mal was
ganz Ausgefallenes!« � »Ich weiß«, gestand Kaines zögernd. »Es hört sich hirnrissig an. � Aber im Augenblick ist dies wie erwähnt die Spur, der wir nachgehen.« � Sie waren mittlerweile näher auf das Tor zugeschritten. � »Halt!« sagte Kaines mit scharfer Stimme und hielt Thorn mit einem
harten Griff zurück, »nicht weitergehen!« � Erst jetzt sah Thorn die rotgelbe Linie, die man in etwa zehn Metern
Entfernung von der gähnenden Öffnung um das Tor gezogen hatte. � »Diese Grenze überschreitet man besser nicht«, erklärte Kaines. � »Innerhalb des abgesperrten Bereichs geschehen manchmal die � seltsamsten Dinge.« � Thorn trat vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Soweit ging seine � Loyalität zu seinem Auftraggeber nun doch nicht, daß er sich sehenden � Auges ins fünfdimensionale Nirwana begab. Eigentlich war nichts � außergewöhnliches an dem Tor zu sehen; man konnte durch die � Ringöffnung hindurchsehen, wenngleich der Hauch eines Schleiers � vorhanden war, ein leichter Nebel, genauer: eine sich bewegende � heiße Luftschicht. � Darauf angesprochen, zuckte Kaines mit den Schultern. »Restenergie � möglicherweise«, meinte er, »oder eine Art von hauchdünner Membran. � Oder etwas ganz anderes. � Auf den Nenner gebracht: Wir wissen es nicht! Aber wir arbeiten mit � Hochdruck daran.« � Thorn lächelte dünn. »Kann man herumgehen?« fragte er. � »Solange Sie die Markierung beachten, ja. Aber es sieht von hinten � genauso aus wie von vorn... Sir?« � Thornton Duman war plötzlich einen Schritt zur Seite getreten, als wiche � er jemandem aus. � Tatsächlich hätte er schwören können, etwas gesehen zu haben, das
nicht hier hergehörte. Etwas war aus dem Ring aufgetaucht. Schnell, � sehr schnell und nur zu sehen, wenn man wie er den entsprechenden � Punkt zufällig im Blick gehabt hatte. Eine Gestalt, menschengroß, mehr
ein Schatten als sonst etwas. � Plötzlich fühlte er sich wie in einer unsichtbaren Falle gefangen, zugleich � mit einem stechenden Schmerz, der seine Hirnschale zu sprengen schien. � Sein Magen zog sich zu einem kalten Knoten zusammen. Er spürte, wie � sein Mund trocken wurde. � Dann ließ der Schmerz nach, genauso schnell, wie er aufgetreten war. � Thorn blinzelte überrascht. � Das Tor hatte sich nicht verändert, wirkte wie immer. �
Nein, da war nichts, nur Kaines' hartnäckige Stimme. »Mister Duman! Was ist mit Ihnen?« Thorn machte eine abwehrende Handbewegung. »Nichts, Mister Kaines, gar nichts«, versicherte er und wußte plötzlich mit fast schmerzender Klarheit, was hier ablief: Der Schemen war ein Trugsbild wie alles andere auch. Ein Potem-kinsches Dorf, eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, hinter der kein Geringerer als Humphreys steckte, der auf diese Weise davon ablenken wollte, daß er systematisch das Projekt Ferntransmitter der TransCon-Gesellschaft sabotierte. »Ich habe genug gesehen«, sagte er zu Kaines. »Wo finde ich Professor Humphreys?« Der Wissenschaftler erklärte es ihm. »Soll ich Sie zu ihm bringen?« »Nicht nötig«, wehrte Thorn ab. »Ich bin der Pfadfinder aller Pfadfinder«, erklärte er aufgeräumt. »Ihre Beschreibung war erschöpfend.« * Das Gebäude hatte sich inzwischen noch mehr geleert. Unheilvolle Stille � hing in dem Korridor. Die Beschreibung Kaines' hatte ihm verraten, wie er
zu Humphreys gelangte. � Weiter unten im Korridor führten zwei Schwingtüren in ein Labor. � Thorns Stiefel klapperten auf dem glänzenden Fußboden, als er darauf � zuging; das Geräusch hallte wie ein Echo von den Wänden wider, als
würde ihm jemand folgen. � Die Schwingtüren klappten hinter ihm zu, als er hineinging. Es war ein � großes Labor und mit einer Vielzahl von Apparaturen und Geräten � ausgestattet. � Jemand saß an einem großen Tisch und wandte ihm den Rücken zu, � völlig ruhig und mit gesenktem Kopf - er blickte in ein Lasermikroskop. � Humphreys. � Es bestand kein Zweifel. Heckte er gerade wieder eine neue Teufelei aus? � Thorn ging auf ihn zu und griff nach dem Impulsblaster im Schulterhalfter. � Er würde Humphreys erschießen. Aus dem Hinterhalt. Schnell und ohne � viel Federlesens. Ein leichter Job. � Binnen Sekunden geplant, vorbereitet - er hatte die Waffe in der Hand -
und ausgeführt. � Nun, noch nicht ganz. Er mußte noch abdrücken. Aber irgendwie kam
ihm das plötzlich merkwürdig vor. Die Waffe würde zu viel Lärm machen, � deshalb Aufsehen erregen und Wächter auf den Plan rufen. � Er räusperte sich. � Humphreys drehte sich um. Seine Augen verengten sich, als er ihn � anblickte. � »Was haben Sie vor, Duman?« erreichte ihn die überrascht klingende � Stimme des Professors, der jetzt wie ein von der Schlange hypnotisiertes � Kaninchen auf den Impulsstrahler in seiner Hand starrte. � »Sie umbringen, Professor, was sonst?« erklärte Thorn heiter. � Es erschien ihm die normalste Sache der Welt. �
Er mußte ihn töten, dann würden alle diese scheinbar unerklärlichen � Vorkommnisse mit einem Schlag aufhören. »Erst wollte ich es aus dem � Hinterhalt tun, aber da hätten Sie's ja nicht mitbekommen. Ich finde � nämlich, Sie sollten dem Tod beim Sterben ins Auge sehen.« � »Und aus welchem Grund wollen Sie mich töten?« Noch war der Professor � geneigt, das ganze für einen makabren Scherz Dumans zu halten. � Doch dann sah er den Ausdruck in dessen Augen und erbleichte sichtlich. � Was ihm da entgegenblickte, war der reine Irrsinn. � »Ich weiß, was hier abläuft, Humphreys«, sagte Thorn sanft und kicherte. � »So, das wissen Sie?« Humphreys' Blicke irrten durch das Labor, suchten � nach einem Ausweg, aber die Strecke bis zur Tür war zu lang. � Er würde es niemals schaffen, ohne erschossen zu werden. � »Und was wissen Sie, wenn man fragen darf?« � »Sie, Professor, sind der Initiator all dieser Ungereimtheiten, die hier
ablaufen. � Hinter dem ganzen steckt nichts Unnatürliches oder gar eine Infiltration � von fremden Wesen, wie Sie allen weiszumachen versuchen. � Sie wollen das Projekt nur sabotieren, das ist alles. Deshalb werde ich � Sie töten.« � »Einen unbewaffneten Mann zu töten, wenn man eine Waffe auf ihn � gerichtet hält, ist keine große Heldentat, Duman«, stieß der Professor
hervor. »Warum legen Sie den Strahler nicht beiseite und lassen uns
die Sache von Mann zu Mann austragen?« � »Sie meinen einen Zweikampf, in dem es nur einen Sieger gibt?« � »Ja. Dem Sieger gehört alles, auch das Leben des Besiegten.« � »Also nur mit den Fäusten?« � »Richtig.« Humphreys hatte sich wieder gefangen, seine Augen blickten � wachsam, und sein Körper spannte sich wie eine Stahlfeder. Sollte sein � Gegner wirklich auf diesen Vorschlag eingehen, hatte er reelle Chancen, � als Sieger aus dem Kampf hervorzugehen. � Er würde ihn natürlich nicht töten, sondern nur kampfunfähig machen. � Außerdem hatte er vor, soviel Lärm beim Kampf zu machen, daß binnen � kürzester Zeit die Wachen hereinstürmen würden, um dem Spuk ein � Ende zu bereiten. � »Gute Idee«, sagte Thorn und steckte die Waffe in das Halfter zurück. � Er war noch dabei, als Humphreys schon auf ihn zuschnellte und einen � wuchtigen Schlag gegen sein Kinn führte. � Seine Absicht war klar: nicht lange fackeln, sondern den Gegner mit � dem ersten Schlag kampfunfähig machen. � Thorn nahm blitzschnell den Kopf zur Seite, und Humphreys' Faust ging � ins Leere. � Er trat gekonnt zurück, ging ein wenig in die Knie und sprang mit einem � mächtigen Tritt vor, der auf Thorns Schritt zielte. Duman drehte sich zur
Seite weg, und der Fuß des Professors rutschte an der Außenseite seines � Oberschenkels entlang, ohne Wirkung zu erzielen. �
Humphreys ließ dieser Aktion einen Faustschlag folgen, der direkt auf Thorns Gesicht gerichtet war. Seine Faust glitt an der Seite von Thorns Kopf ab, als dieser sich duckte und wegdrehte. Gleichzeitig mit dieser Drehbewegung schnellte sein Fuß auf Humphreys zu und traf ihn an der Brust. Der Professor taumelte zurück und wäre zu Boden gegangen, hätte ihn nicht sein Arbeitstisch davor bewahrt. Er stieß sich ab und griff mit einem Hechtsprung an. Seine kräftigen Hände fanden Thorns Hals, und schon drückten zwei Daumen seine Luftröhre zu. Thorn schnappte nach Luft, spannte die Halsmuskeln an, hakte seine Daumen von unten her in die von Humphreys und riß dessen Hände auseinander. Der Griff löste sich. Thorn landete einen Faustschlag auf Humphreys' Brust, der den Professor zurückwarf. Aber sofort tauchte er wieder vor ihm auf und ließ ein Trommelfeuer von Schlägen folgen. Thorns Respekt vor dessen unbarmherziger Zähigkeit wuchs. Gleichzeitig wunderte er sich, weshalb seine Reflexe heute nicht die besten waren; normalerweise hätte er einen solchen Kampf schon längst zu seinen Gunsten entschieden. Humphreys schlug eine Finte und tauchte unter Thorns zupackenden Händen weg. Thorn stöhnte auf, als er einen Schlag gegen den Solarplexus erhielt, der ihm explosionsartig die Luft aus der Lunge trieb. Es wurde Zeit, daß er diesen Kampf beendete. Er wartete, bis Humphreys erneut mit ausgestreckten Armen seine Kehle zu packen versuchte, wich blitzschnell zur Seite und schlug eine brettharte Handkante gegen dessen linken Unterarm. Ein abscheuliches Knacken ertönte, und Humphreys stieß einen grellen Schmerzensschrei aus. Mit der rechten Hand den gebrochenen Arm stützend, wich er vor Thorn zurück, der merkwürdigerweise keine Anstalten machte, den Kampf fortzusetzen. Humphreys zögerte keine Sekunde und suchte sein Heil in der Flucht. Er rannte durch eine Seitentür und verschwand in den Fluchten der dahinterliegenden Räume. Thorn verspürte keine Lust auf eine Verfolgung, zumal sich Humphreys auf eigenem Terrain bewegte, das er sicher wie seine Westentasche inund auswendig kannte, während es für ihn unbekanntes Land war. Terra incognita sozusagen - oder hieß es Nemed incognita? Egal, es war auf alle Fälle eine ihm völlig fremde Umgebung, in der er sich nicht zurechtfinden würde. Eigentlich war morgen auch noch ein Tag. Ja, genau. Er würde den Professor morgen umbringen. Jetzt war er nur noch müde und brauchte Ruhe.
Er verließ das Labor und ging den Korridor hinunter ins Foyer. � Innerhalb von zehn Sekunden war er beim Haupteingang und ging mit � ruhigen, gemessenen Schritten zu seinem Gleiter. � Während er durch die Nacht nach Neu-Karlsbad zurückfuhr, verspürte er � nichts als den Wunsch, sich so rasch wie möglich schlafen zu legen. � Er brachte die Fahrt zum Hotel irgendwie hinter sich und wurde erst wieder
einigermaßen klar, als er den Gleiter mit stotterndem Aggregat am � Straßenrand abwürgte. Einige Sekunden blieb er sitzen und überdachte � seine weiteren Schritte. � Was wollte er noch mal tun? Ach ja, ins Bett wollte er sich legen. � Aber dazu mußte er zunächst einmal aussteigen. � Es gelang ihm ohne größere Probleme, wenngleich es ihm so vorkam, � als gehöre ihm der Körper, dem er Befehle erteilte, sich zu bewegen, � nicht. � Mann, hatte er etwa getrunken? Eigentlich konnte er sich das nicht � vorstellen, zumindest gab es keine diesbezügliche Erinnerung. � Krampfhaft den Impulsgeber für den Gleiter in der Hand haltend, ging er � etwas steifbeinig auf die Lobby des Hotels zu. � Hinter ihm schabte Stoff an Stoff, etwas Hartes bohrte sich in «einen � Rücken, und eine Stimme sagte: »Ruhig, Freundchen! Halten Sie Ihre � Hände so, daß ich sie sehen kann - über Ihrem Kopf!« Thorn hob � folgsam die Hände in Schulterhöhe. � Dann spürte er die Anwesenheit eines zweiten Mannes. � »Umdrehen!« sagte die gleiche Stimme. � Thorn befolgte den Befehl, drehte sich um. � Es waren zwei Männer, einer in seiner Größe, der andere war kleiner. � Sie trugen eine Art Uniform. Und der Große hielt einen schweren Strahler
auf ihn gerichtet, wie er im Licht des Hoteleingangs erkennen konnte. � Der Kleine schien unbewaffnet zu sein, machte aber den Eindruck, als
könne er jeden Augenblick eine Waffe hervorzaubern. � »Legen Sie die Hände in den Nacken!« Die Mündung unterstrich diese � Forderung unmißverständlich. � »Polizei?« � »Haisa, Stadtpolizei«, sagte der mit der Waffe. »Merkt man das so � deutlich?« � »Ich habe einen Blick dafür«, brummte Thorn. Er konnte kaum die Augen � aufhalten. � Himmel! Was war nur mit ihm los? � Der kleinere Polizist trat von der Seite an ihn heran und hielt ihm nachlässig � eine Plakette ins Gesichtsfeld. Seinen Namen sagte er nicht. � Er ging jetzt um Thorn herum, während dieser Haisa ihn in Schach hielt. � Hände klopften ihn ab, fanden seine Waffe und nahmen sie ihm ab. � Dann trat der Polizist von ihm zurück und gesellte sich wieder zu seinem � Partner. � »Darf man erfahren, was die Polizei von Neu-Karlsbad von mir will?« � erkundigte sich Thorn. � Irgendwie kam ihm die Situation surreal vor. �
»Wir nichts.« Haisa und der andere ließen ihn nicht aus den Augen. � »Wer dann? Ich möchte zu gern...« Er verstummte. � Etwas geschah mit ihm. � Er ließ die Arme fallen, senkte die Schultern und den Kopf und knickte � langsam, wie in Zeitlupe, in die Knie. � Er war bereits bewußtlos, als er auf dem Boden aufschlug. �
7. Chris Nev wachte auf. Von einer Sekunde zur anderen war er hellwach und öffnete die Augen. Sonnenschein strömte durch das halbgeöffnete Fenster; exotische Vogelstimmen erfüllten die Luft, eine sanfte Brise trocknete die Feuchtigkeit auf seiner Haut, eine melodische Frauenstimme wünschte ihm einen wunderschönen Morgen... und Christopher Nev knurrte: »Schluß der Vorstellung. Programm Ende!« Kommentarlos beendete der Suprasensor seines Apartments die morgendliche Weckprozedur. Das halbgeöffnete Fenster war nichts als ein großflächiger Bildschirm, und der Ausblick in die freie Natur entpuppte sich als ein Hologramm. In Wirklichkeit herrschte »draußen« das lebensfeindliche Vakuum der schrundigen, zerklüfteten Mondoberfläche. Tycho City lag in Nähe des lunaren Nordpols, rund fünfhundert Kilometer von den ausgedehnten Werftanlagen der Wallis Industries entfernt. An der Mondoberfläche wiesen lediglich ein kleiner Raumhafen und eine Kreisfläche von einem Kilometer Durchmesser mit einer 120 Meter hohen Panzerplastkuppel auf ihre Lage hin. Chris Nev dehnte sich. Alles war wie immer. Oder doch nicht ganz? Sein linker Unterarm schmerzte in Gedanken immer noch seit der Konfrontation mit einem Mitglied der Schule, das von allen nur »Brain« genannt wurde. Obwohl das Ganze nun schon zwei Jahre her und die Prügelei mit dem älteren Tuturo längst Geschichte war, blieb die Erinnerung an die Schlägerei ständig präsent. Sie beide hatten noch immer eine Rechnung zu begleichen. Überschattet wurde das alles jedoch von einem Gefühl, das für ihn ganz neu war. Ein Gefühl, das alle Probleme und Sorgen nichtig und klein werden ließ. Liu hieß das Gefühl, und Liu war der Name eines Mädchens, einer siebzehnjährigen Chinesin aus der angesehenen Hang-Dynastie. Dem Clan ihrer Familie gehörte seit Jahrzehnten die renommierte und auf fast jedem Raumhafen anzutreffende China Shipping Ltd., die größte zivile Transportfirma im ganzen bekannten Universum. Liu hatte immense telekinetische Kräfte. Ihre Wirkung auf ihn hatte jedoch nichts mit derlei Energien zu tun. Chris war schlicht und ergreifend zum erstenmal in seinem Leben verliebt. Einen Wermutstropfen hatte die Angelegenheit jedoch: Sein größter Feind John Tuturo hatte es sich auf die Fahne geschrieben, der erste zu sein, dem Liu Hang einen Kuß gab, und zwar ohne Tricks und völlig freiwillig. Chris bezweifelte allerdings die Echtheit der Gefühle Brains für das Mädchen. Viel wahrscheinlicher war, daß Tuturo ihm wieder mal eins auswischen wollte, weil das Interesse Chris' an der kleinen Chinesin zu offensichtlich war. Plötzlich erschien der Avatar dieser seltsam unnahbaren Schulmitarbeiterin im Flexmonitor über seiner Tür und las ihm, wie immer näselnd, den Stundenplan des bevorstehenden Tages vor.
»Ich begrüße Sie an diesem herrlichen Tag, Mister Nev...« Warum konnte er ihr diese aufgesetzte Heiterkeit bloß nicht abkaufen? »In der ersten Stunde erwartet Sie Mister Chamberlain« - Chamberlain unterrichtete Telekinetik - »bitte erscheinen Sie pünktlich!« Liu! Er würde Liu heute wiedersehen! Wenn das kein Grund zum Aufstehen war! Voller Schwung warf er die leichte Decke von sich und setzte die Füße auf den weichen Bodenbelag seines Zimmers, erfüllt von seinen Gefühlen, die in die richtigen Bahnen zu lenken er noch alle Mühe hatte. Zumal er und Brain nicht die einzigen waren, die in Liu verknallt waren. Auch sein bester Freund Miroslaw Tschessil saß noch in diesem überfrachteten Boot. Allerdings hatte er bei Miro keine Bedenken. Ganz im Gegenteil, trotz Miros Gefühlen für Liu wußte Chris, daß er in ihm einen Helfer gegen John hatte. Der Außenweltler lehnte Brain genauso ab, wie Chris es tat. Außerdem, und da war sich Chris ziemlich sicher, würde der Bessere gewinnen, und bei Miro konnte man sicher sein, daß er sich fair verhalten würde. * Als Chris den Unterrichtsraum betrat, schwebten ihm bereits mehrere Übungskörper entgegen, die von weniger talentierten Mitschülern mühsam in der Luft gehalten wurden. Mister Chamberlain hielt es wohl für angebrachter, daß diese Schüler weiterübten, während der Rest der Klasse staunend einem Spektakel beiwohnte. Der mehrflächige Polyeder, der Ethel Smiths telekinetischen Fähigkeiten nicht so recht gehorchen wollte, purzelte unkontrolliert durch die Luft und gefährlich nahe an Miros Hinterkopf vorbei. Dieser nahm jedoch überhaupt keine Notiz davon, sondern spähte wie gebannt in die hintere Raumecke, in der Liu Hang dem Rest der Klasse sowie Mister Chamberlain eine Kostprobe ihrer Fähigkeiten zum besten gab. Die Ansammlung der Körper, die sie steuerte, bestand aus nicht weniger als fünfzig verschiedenen geometrischen Gebilden, die in der Form eines mathematischen Unendlichkeitszeichens aneinandergereiht waren. Erschwerend kam hinzu, daß diese Konstellation sich auf einer von Mister Chamberlain vorgegebenen Bahn bewegen mußte, die an ein tibetisches Mandala erinnerte. Gleichzeitig vollführte der gesamte Körper alle zehn Mikrosekunden eine Drehung um seine eigene Längsachse. Keiner der Anwesenden bemerkte die Anstrengung, die die Vorführung Liu abverlangte. Nur ein winziges Zucken der linken Augenbraue in ihrem ebenmäßigen Gesicht zeugte davon. Nach dem erfolgreichen Beenden ihrer Aufgabe ging ein Raunen durch die Menge, und alle Schüler applaudierten lautstark. Keiner der Anwesenden war im Besitz solch großer telekinetischer Kräfte, und niemand konnte sie so gezielt und dosiert einsetzen wie Liu Hang.
»Liebe Schüler«, versuchte sich Mister Chamberlain Gehör zu verschaffen. � Keine Reaktion, alle redeten durcheinander. � Mister Chamberlain gehörte zum Team von Eric Hazard, dem Lehrer für � Dimensionsmathematik, hatte aber längst nicht das Charisma, das Hazard � auszeichnete, der von seinen Schülern verehrt wurde. � Ein neuer Versuch: »Liebe Schüler!« diesmal etwas lauter, aber gestelzt � und vornehm wie immer, »ich erwarte nicht, daß eure telekinetischen � Kräfte sich zu solcher Vollkommenheit entwickeln, wie Miß Hang sie uns
eben bravourös vorgeführt hat. Dennoch muß ich an euch und eure Ehre � appellieren, alles zu geben, damit ihr die schon bald auf euch zukommende � Prüfung meistert! Miß Hang wird euch ein leuchtendes Beispiel sein.« � Liu, die zurückhaltend und von schüchterner Höflichkeit war, errötete leicht. � Chris erschien sie dadurch noch begehrenswerter, zeigte es doch, daß sie � trotz ihrer überragenden Kräfte im Wesen bescheiden geblieben war - was � man nicht von allen Schülern hier behaupten konnte. � John Tuturo war das Paradebeispiel dafür. Er stand in der vordersten � Reihe der Zuschauer. Sein schlaksiger Körper mit den viel zu langen � Beinen erinnerte Chris an eine Spinne, aber keine von der harmlosen � Sorte. Er hatte immer etwas Hinterhältiges und Unberechenbares an � sich; seine telepathischen Kräfte hatten sich während der Zeit, die Chris
nun schon auf der Schule für Hochbegabte verbracht hatte, immens � verstärkt. � Es gab nur wenige in Tycho City, die ihn zu übertreffen verstanden. � Unter diesen wenigen befand sich ausgerechnet auch er, Christopher
Nev. Miroslaw Tschessil gehörte ebenfalls dazu -und Liu Hang. � »Nun, Mister Tuturo, Sie sind als nächster an der Reihe. � Lassen Sie uns also teilhaben an Ihren Fortschritten in der Kunst der � Telekinetik.« � Chamberlain sagte dies mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, � zumindest war er der Meinung, sein Lächeln hätte diese Wirkung. Chris
hatte aber längst herausgefunden, daß sich Chamberlain, so ausgezeichnet � er als Telekinetiker war, im Grunde bei der geballten Macht an Geisteskräften, � denen er sich ständig ausgesetzt sah, recht unwohl fühlte. � Aber er hütete sich, dies jemals jemandem gegenüber zu erwähnen. � »Also gut, Leute, dann paßt mal genau auf« tönte Brain protzig und warf � den Kopf zurück, daß die schwarzen Haare nur so flogen. � »Ihr werdet jetzt Zeuge eines unglaublichen Schauspiels.« � Das sieht dem Aufschneider ähnlich, dachte Chris. Benimmt sich wie auf � dem Jahrmarkt. Aber was soll's, wieder ein Punkt für mich und gegen ihn � im Spiel um das tollste Geschöpf auf Luna! � Brain hob wie beschwörend die Arme. Plötzlich setzten sich die Stühle, � auf denen sonst die Schüler saßen, in Bewegung. Sie schienen sich auf � einer imaginären Linie in der Mitte des Raumes zu versammeln. � Nachdem sie dort Aufstellung genommen hatten, setzten sie sich in � Bewegung, als würde jemand oder etwas an einer Kette ziehen. �
Jeder Stuhl stellte ein Glied dieser Kette dar. Die Bewegung, der die � Brainsche Formation folgte, bestand aus einer Kreisbahn, die sich immer � enger zusammenzog, verbunden mit einer vertikalen Bewegung nach oben, � in die Mitte des von einer Glaskuppel überwölbten Raumes. � Dort kam sie zum Stehen, und nach kurzer Zeit wickelte sich die Spirale � wieder auf, um lautlos ihre Ursprungsform einzunehmen. � Verglichen mit dem Kunststück, das Liu vorgeführt hatte, war diese � Vorführung etwas armselig, wenn nicht gar lächerlich. � Naja... dachte Chris. � Er verhielt eine Mikrosekunde zu lange bei diesem Gedanken - und � ärgerte sich, als er es bemerkte. Obwohl er sich noch im gleichen � Sekundenbruchteil abschottete, mußte etwas von seiner abfälligen � Meinung über Tuturos telekinetische »Meisterleistung« durchgedrungen � sein. � Mit einemmal spürte er ganz plötzlich eine Präsenz, als ob sich jemand � unter einer Tarnkappe in seine Gedanken einschleichen wollte. � Irgendwie hatte er die Vorstellung, als versuche jemand einen Schlüssel in � ein Schloß zu stecken, um es zu öffnen. Nur schien es, als ob dieser
Jemand noch nicht den passenden Schlüssel zu seinem Gehirn gefunden � hatte. Allerdings war das Klappern mit dem Bund unüberhörbar. � Brain Tuturo! � Wieder einmal versuchte er seine Fähigkeiten als starker Telepath gegen � einen Mitschüler einzusetzen, obwohl das gegen die Regeln dieser Institution � verstieß. � Bleib mir vom Leib! dachte Chris und errichtete eine Barriere gegen Tuturos � Versuche, in seinen Geist einzudringen, stärker als beabsichtigt. Tuturos � Erschrecken vor der Stärke, die diesen Vorgang begleitete, war so tief, daß � er es nicht mehr kontrollieren konnte. � Er verdrehte unwillkürlich die Augen, und seine schlaksige Gestalt mit den � viel zu langen Beinen verkrampfte sich. Mit einem unterdrückten Keuchen � schüttelte er den Kopf, um sich aus der Umklammerung zu befreien. � Chris tat ihm den Gefallen und zog sich zurück. � Nach wenigen Sekundenbruchteilen hatte Tuturo sich wieder in der Gewalt. � Seine Augen in dem schmalen Gesicht blitzten wütend, als er Chris mit einem � Blick streifte und in Gedanken schnappte: Das wird dir noch mal leid tun, � Freundchen! � Ich werde mich revanchieren. � Nur zu, antwortete Chris auf die gleiche Weise. Denke aber daran, mit wem � du dich anlegst. � Uhh, ich fürchte mich ja so! spottete Brain, nun schon wieder obenauf. � Das solltest du auch, bedeutete ihm Chris. � Tuturo wollte den Kampf. Er sollte ihn bekommen. � Den Zeitpunkt bestimmte allerdings nicht mehr er, sondern Chris. � Und kein Lehrer oder sonst ein Telepath würde etwas davon merken, denn � Chris hatte gelernt, mit Hilfe seiner paranormalen Kräfte einen vom übrigen � Universum zeitversetzten Raum aufzusuchen, in dem er und alle, die er mit � dorthin beförderte, völlig allein waren. �
Während in der »normalen« Welt die Zeit faktisch stillstand, würde ihm Zeit genug zur Verfügung stehen, das Problem Tuturo aus der Welt zu schaffen. Keinem Außenstehenden würde das Gefecht der beiden Kontrahenten auffallen. Chris öffnete für Tuturo die Pforte in diese Zeitblase und ließ ihn einen Blick hineinwerfen. Was hältst du davon? Wollen wir? Tuturos Geist wich zurück, überrascht von dem, was er sah. »Ein anderes Mal«, murmelte er mit seiner normalen Stimme, was ihm einen verständnislosen Blick von Ethel Smith einbrachte, die sich neben ihm aufhielt. Mit einer brüsken Bewegung stieß der zwanzigjährige Telepath das erbost schimpfende Mädchen zur Seite und verdrückte sich in die andere Ecke des Klassenraumes. * Thorn träumte. Bilder, von denen er gehofft hatte, sie längst aus seinem � Gedächtnis verbannt zu haben. Er befand sich in einer endlosen grünen � Wildnis. � Es war weder Tag noch Nacht. Der Schlamm unter seinen Füßen zerrte � an seinen Stiefeln. � Jeder einzelne Schritt verlangte ihm eine ungeheure Anstrengung ab. � Jeder Atemzug in dieser stickigen Schwüle fiel ihm schwer. Seine vom � Schweiß verklebten Augen suchten den Feind in diesem undurchdringlichen � Dickicht des Dschungels bei Djakarta aufzuspüren. � Eine Wurzel brachte ihn zu Fall; er sank zu Boden und begann zu kriechen. � Insekten bissen sich an ihm fest. � Vor und hinter sich hörte er die Schreie der Kameraden, die mit ihm durch � den Dschungel krochen und versuchten, dem Hinterhalt durch die von � den Giants kontrollierten Robonen zu entkommen. � Ein wüster Sturm von Leuchtspurgeschossen fetzte durch das Dickicht;
es regnete Blätter und Äste - und Unmengen von Baumfröschen. � Er hörte das Geräusch tieffliegender Schweber, schwach, aber zunehmend � lauter werdend. Dann wurde der Lärm ohrenbetäubend. Waffenfeuer setzte � ein. Rund um ihm brach das Chaos aus, blühten die Explosionen von � Raketen auf. � Durch den Lärm hörte Thorn die Schreie der sterbenden Kameraden. � Er stand wieder auf, lief weiter. Seine Beine zitterten. � Er fühlte sich bleiern, hilflos. � Der Lärm der Schweber wurde überlaut - und verstummte ganz plötzlich. � Sie waren fort. Metallische Geräusche wurden hörbar, als würde jemand � mit einem Hammer auf Stahl schlagen. Immer wieder - und keuchend � fuhr Thorn schweißgebadet von seiner Pritsche hoch. � Es dauerte Sekunden, ehe er merkte, wo er sich tatsächlich befand: in � der Zelle des Polizeigefängnisses von Neu-Karlsbad. Und einer von den � anderen Gefangenen schlug vermutlich mit einem Becher gegen die � Gitter. � Langsam, ganz langsam fiel ihm Detail um Detail wieder ein. �
Seine Erinnerungen brachen ans Tageslicht und ließen die gestrigen � Ereignisse wie einen Kinofilm auf der geistigen � Leinwand seines inneren Auges ablaufen. Plötzlich wußte er wieder, was er � am letzten Abend vorgehabt hatte: Humphreys töten... � Aber er hatte es nicht getan, das wußte er mit unumstößlicher Gewißheit. � An das Danach hatte er keine Erinnerung. � Jemand hatte die Polizei alarmiert, vermutlich Humphreys selbst, sonst � wäre er nicht in dieser Zelle gelandet. � Er mußte hier raus, mußte auf sich aufmerksam machen.
Sein laut geäußertes Verlangen aktivierte das Überwachungsvipho. � Eine metallene Stimme von außerhalb der Zelle bestätigte ihm, daß die � Nachricht angekommen war. � »Zelleninsasse der Kategorie A, Name Thornton Duman, erbitte � Bestätigung«, ertönte es aus einem Lautsprecher. � Thorn schnaubte. »Bestätigung? Ich pfeife auf eure Bestätigung! � Bringt mich schnellstens zum Polizeichef, in eurem eigenen Interesse«, � und nach einer kurzen Pause, etwas weniger renitent: »Ich habe keine � Ahnung, wie lang ich mich noch unter Kontrolle habe...« � »Warten Sie...« � Für Thorn verging die Zeit quälend langsam, in Wirklichkeit dauerte es
jedoch nur wenige Minuten, bis sich mit einem satten Seufzen die � schwere Zellentür seitlich in die Wand schob. Im nun freien Durchgang � erschienen zwei Polizisten, die ihre großformatigen Plasmawaffen auf � ihn richteten. � »Der Polizeidirektor erwartet Sie, verhalten Sie sich in Ihrem Interesse � friedlich«, wurde ihm beschieden. � Thorn zog eine Grimasse; er hatte nicht vor, sich zur Wehr zu setzen. � »Das kennen Sie sicherlich!« Mit einem fadendünnen Grinsen löste einer
der Polizisten die Handschellen von seinem Waffen-gürtel. � »Strecken Sie die Hände aus!« befahl er. � Thorn tat ihm den Gefallen; hier befand er sich in ihrem Revier, er mußte � ihre Spielregeln befolgen. Als der Beamte auch noch Fußfesseln � hervorzauberte, stieß Thorn ein unwilliges Brummen aus. »Muß das sein?« � »Reine Vorsichtsmaßnahme«, meinte der andere lakonisch. »Ist nur zu � Ihrem Besten.« � »Natürlich, das wird es sein«, höhnte Thorn und sah zu, wie die Fesseln � um seine Knöchel schnappten. Zwischen den beiden Ringen befand sich � eine etwa zwanzig Zentimeter lange Verbindungskette. Sie würde ihm nur � erlauben, kleine, trippelnde Schritte zu tun. � Ein Laufen, so wie es Charlie Chaplin in seinen frühen Stummfilmen � praktiziert hatte - nur daß man ihm das Stöckchen vorenthielt. � Das wär's, dachte er. Einen kräftigen Stock, mit dem er die beiden � Polizisten ordentlich verprügeln konnte... � Verdammt! Begann es etwa schon wieder? �
Thorn schüttelte den Kopf, um die grauen Spinnweben zu verscheuchen, � die sich in seinen Gehirnwindungen eingenistet hatten. Etwas mühsam
folgte er den beiden Männern in ihren grauen Uniformen, die vor ihm � hergingen, vorbei an den meist leeren Zellen dieser Ebene. Neu-Karlsbad � schien nur brave Bürger zu haben. Thorn war sich sicher, daß er für
die Wärter seit langem der einzige Insasse war, dem man einen � Mordversuch zur Last legte. � Schöne heile Welt Nemed III, dachte er mit einem fatalistischen Gefühl. � Es ging hinein in den Turbolift und in die oberste Etage des zehnstöckigen � Gebäudes der Sicherheitsbehörden von Nemed, in der der Polizeichef in � seinem Büro schon auf ihn wartete. Damit es keine Zweifel an seiner
Identität gab, sagte zwischen all den Viphos und anderen Utensilien ein � goldgefaßtes Schild auf seinem Schreibtisch unüberhörbar deutlich: � POLIZEIDIREKTOR DARA SEMINO. � Semino war in der Betrachtung einiger Gegenstände versunken, die vor � ihm auf der zerschrammten Tischplatte lagen; Thorn konnte seine Waffe � erkennen, seine Legitimationen. � Jetzt hob Semino den Kopf und richtete seine scharfen grauen Augen auf � ihn, sein Blick war unfreundlich, aber nicht boshaft. � »So schnell sieht man sich also wieder«, meinte er mit einer trägen � Stimme, die er aus irgendeinem Viphostreifen abgekupfert zu haben � schien. � Thorn war versucht zu lachen, unterdrückte diesen Wunsch aber rechtzeitig; � er würde seine momentane Situation nicht verbessern, dessen war er sicher. � »Können Sie sich noch an meine Worte erinnern, Mister Duman?« fuhr
der Polizeidirektor fort. � »Ich weiß nicht...« erwiderte Thorn. »Sie haben einige gesagt - welche � meinen Sie?« � Semino schüttelte den Kopf; sein Hut hing an einem Haken an der Wand, � und Thorn sah, daß der Mann volle graue Haare hatte, die ein wenig wirr � von seinem Schädel abstanden. Mehr denn je machte er den Eindruck
eines schon etwas in die Jahre gekommenen Actionhelden. � »Sie sind ein harter Knochen, nicht wahr? Sie wissen genau, welche ich � meine.« � »Ach, Sie meinen diese überholte Redensart... ja, daran erinnere ich mich � noch.« � Er hob die Hände und schüttelte ostentativ ein Bein, so daß die Fußfessel � laut klirrte. � »Wollen Sie nicht endlich diese Farce beenden und mich von diesen � Dingern befreien? � Ganz abgesehen davon, daß Sie überhaupt nicht berechtigt sind, mit � einem Beauftragten von Trans-Con und Bürger der Erde so zu verfahren. � Sie verletzen bestehende Abkommen.« � Semino betrachtete seinen Gefangenen mürrisch und schnippte wortlos
in Richtung des Wächters mit den Fingern. �
Die Fesseln fielen. Thorn rieb sich die Handgelenke. »Kann ich jetzt gehen?« »Setzen Sie sich!« bellte der verkappte Westernheld schroff und deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Die Prozedur dauert ein wenig länger, als Sie glauben mögen.« Thorn setzte sich, legte die Hände auf die abgewetzten Armlehnen und stellte fest, daß der Stuhl äußerst unbequem war. Aber das hatten Stühle in allen Polizeirevieren so an sich. Hoffentlich mußte er nicht zu lange darin sitzen. Die beiden Beamten hatten hinter ihm Aufstellung genommen, so daß er sie nicht sehen konnte. Er war sich sicher, daß Semino sie mit dem gleichen Fingerschnippen auf ihn hetzen konnte, mit dem er ihn von den Fesseln hatte befreien lassen. Es war lange still. Die Geräusche der ihrem Tagwerk nachgehenden Stadt drangen nur unvollkommen bis in den Büroraum. Ohne Vorwarnung bellte Semino plötzlich los: »Typen Ihres Kalibers kenne ich zur Genüge, Männer, die in funktionierenden Systemen herumschnüffeln und sie auf der Suche nach Beweisen und Schuldigen wie ein Virus verpesten und durchlöchern. Sie bringen nichts als Aufruhr in unser friedliches Gemeinwesen.« Er schwieg so übergangslos, wie er begonnen hatte, um dann schließlich doch noch hinzuzufügen: »Wir lösen unsere Probleme selbst, schnell und effizient...« »Ihre ja, möglicherweise. Nicht aber die von TransCon. Sie scheinen das nicht zu begreifen.« In Thorn stieg die Galle hoch, nur die Wichtigkeit seines Auftrages hielt ihn im Zaum und ließ ihn gute Miene zum schlechten Spiel machen. »Hören Sie«, fuhr er fort, und sein Mund fühlte sich an wie Sandpapier, »es mag Ihnen zwar wie eine Ausrede vorkommen, aber hier ist etwas Mysteriöses im Gang. Was genau, kann ich nicht erklären, noch nicht.« Mürrisch preßte Semino die Lippen zusammen, bekamen seine Befürchtungen durch die Ermittlungen dieses Schnüfflers von TransCons Gnade doch plötzlich Nahrung. Thorn fuhr fort: »Sie täten gut daran, mir zuzuhören und mir zu glauben. Ich bin selbst Ermittler, also ein Kollege, wenn Sie so wollen. Ich habe sogar Dienst in einer Polizeieinheit getan...« Das stimmte zwar nicht ganz, denn die Arbeit als Spezialermittler des GIIC, des Global Information and Intelligence Centers, war alles andere als Polizeiarbeit gewesen. Aber das brauchte Semino nicht zu wissen, auch nicht, daß er das GIIC wieder verlassen hatte, jenen ursprünglich staatlichen Geheimdienst der Weltregierung, welcher sich nach der Wahl des PanDemo-Präsidenten Tori Jurismaaki zum zivilen Geheimdienst gewandelt hatte, aber von der GSO an Bedeutung, Umfang und Brisanz der Einsätze längst überflügelt worden war.
»Auf Terra mögen Sie vielleicht ein Schnüffler sein«, unterbrach ihn � Semino und lachte finster, ein Lachen, in das seine beiden Polizisten � einfielen, bis sie ein düsterer Blick ihres Vorgesetzten zum Verstummen � brachte. � »Hier sind Sie nach Lage der Dinge nur jemand, der im Begriff stand, � ein Kapitalverbrechen zu verüben.« � »Ich versichere Ihnen, ich hatte nicht die Absicht, Professor Humphreys � zu töten. � Gestern war ich für einen bestimmten Zeitraum nicht Herr meiner selbst. � Etwas oder jemand hatte nieinen Willen ausgeschaltet und die Kontrolle � über mich erlangt. � Noch habe ich keine Ahnung, wie es geschehen konnte.« Er machte eine � kurze Pause und betrachtete den Polizeichef aufmerksam. »Aber egal was � es ist, ich werde denjenigen, der das zu verantworten hat, gewaltig in den � Hintern treten.« � Semino hob die Hand und verschaffte sich mit barscher Stimme Gehör. � »Sie versuchen mich schwindlig zu reden. Es wird Ihnen nicht gelingen. � Ich will offen mit Ihnen sein: Ich werde Sie so lange in Gewahrsam halten, � bis der Fall aufgeklärt ist, und das wird unter Umständen länger dauern, � als Ihnen lieb ist. � Dies hier ist nicht die Erde, auch nicht New York oder Alamo Gordo. � Hier ist Neu-Karlsbad, und hier vertrete ich verdammt noch mal Recht � und Gesetz. � Immerhin hätten Sie gestern fast einen Mord begangen...« � »Selbst wenn - es geschah auf TransCon-Gelände«, machte ihn Thornton � mit scharfer Stimme aufmerksam. »Exterritoriales Terrain.« � »Nicht mehr für Sie«, stellte Semino mit unheilvoller Stimme klar. � »Wie jetzt...?« � »Sie haben eine Kleinigkeit übersehen.« � Thorn runzelte die Stirn. »Und das wäre?« � »Sie haben übersehen, daß alles, was außerhalb des Areals geschieht, � von unseren Sicherheitskräften kontrolliert wird. Was sagen Sie jetzt?« � Polizeidirektor Semino lehnte sich zurück. Er schien sehr zufrieden mit � sich zu sein, während Thorn ein finsteres Gesicht machte. Semino hatte
ihn schon als Übeltäter eingestuft, daran bestand kein Zweifel. � »Sie sehen also, Mister Duman, die Aufklärung des tätlichen Angriffs � auf Professor Humphreys kann sich hinziehen. Vielleicht bleiben Sie doch � noch etwas länger unser Gast. Wir warten zumindest die Anklage ab und...« � Die Tür war aufgegangen, und Professor Humphreys stand mit Kimberley � Nev im Schlepptau im Türrahmen. Er lächelte den ungehaltenen Semino, � der mitten im Satz aufgehört hatte, freundlich an. »Hallo, Chief Semino«, � sagte er, »das sehe ich anders.«
Semino schluckte seinen Ärger über die Unterbrechung hinunter und � rang sich ein kurz aufblitzendes Lächeln ab. »Hallo, Professor Humphreys. � Was meinen Sie damit?« �
»Ich verzichte auf eine Anklage gegen Mister Duman«, erklärte der � Wissenschaftler, und die Freundlichkeit erlosch auf seinem Gesicht, als
er Thornton ansah. Die Spuren des nächtlichen Kampfes im Labor waren � unübersehbar: Humphreys trug den linken Arm in einer Aktivschiene. � Mikroskopisch kleine Nanosonden sorgten für den Aufbau des gebrochenen � Knochens, das Ausheilen des Bruchs würde nur vierundzwanzig Stunden � dauern. Davon waren zwölf schon um. � Hinter Humphreys' Rücken lugte Kim hervor. Sie lächelte Thorn aufmunternd � zu, doch ihr Blick sagte: Dich kann man aber auch keinen Augenblick � alleinlassen. � Er zog eine Grimasse und konzentrierte sich wieder auf Semino, der eben � sagte: � »Machen Sie Witze, Professor?« Er meinte es ernst, wollte so rasch nicht � aufgeben. � »Nicht unbedingt.« � »Und was ist mit Ihrem Arm?« � »Ein bedauerlicher Unfall.« � »Das sehe ich anders!« entgegnete der Chief. � Er bemühte sich deutlich um Höflichkeit dem hochrangigen Wissenschaftler � gegenüber. Immerhin schwemmte die Anwesenheit TransCons auf � Nemed III jede Menge Steuern in die Stadtsäckel, was dazu beitrug, daß � auch sein Gehalt gesichert war. � Einige Augenblicke sprach keiner. � Semino schien zu spüren, daß er verloren hatte. Ohne Straftat keine � Anklage, dieses fundamentale Prinzip galt auch auf den entferntesten � Außenposten. � Aber er gab dennoch nicht so schnell auf. � »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie da tun«, grunzte er.
»Das tue ich.« Der erste Anflug von Ärger über die Sturheit des � Polizeidirektors klang aus Humphreys' Worten, der als Erklärung � hinterherschickte: »Mister Duman war gestern nicht im Vollbesitz � seiner geistigen Kräfte. Noch einmal: Es gibt von meiner Seite aus
keine Anklage.« � Thorn stand mit einem Seufzer der Erleichterung auf. »Also dann«, � sagte er ungeduldig, »besteht kein Grund mehr, mich hier länger
festzuhalten. Danke für die kurze Gastfreundschaft.« � »Nicht so eilig.« Semino zog aus einer Schublade ein Papier hervor. � »Dies«, sagte er zu Humphreys, »ist ein Formular, das uns von weiteren � Untersuchungen entbindet. � Sie müssen unterzeichnen, daß Sie damit einverstanden sind.« � »Ich habe nichts dagegen«, sagte Humphreys knapp. »Geben Sie � schon her!« � Er unterzeichnete mit raschen Strichen. Dann sagte er zu Thorn: � »Kommen Sie.« � Vor dem Gebäude, das die Stadtverwaltung und die Polizei beherbergte, � stand ein großer mehrsitziger Gleiter. �
»Sie bringen mich nicht zum Hotel?« wunderte sich Thorn, als Humphreys � einen anderen Weg einschlug. � »Wie Sie sehen, tue ich das nicht. Wir haben zu arbeiten. Ich bin da auf � etwas gestoßen, das Sie sich unbedingt ansehen müssen. Wenn Sie sich � allerdings nicht dazu in der Lage fühlen, kehre ich gerne um. Was ist?« � Er verringerte die Geschwindigkeit. � »Fahren Sie schon weiter«, brummte Thornton. »Ich kann zwar nicht � behaupten, daß ich sehr komfortabel geschlafen habe, aber es hat � gereicht. Das einzige, was ich brauche, ist ein Liter Kaffee .« � »Unsere Kantine hat einen guten Ruf. Sie bekommen ihn, sobald wir � da sind.« � Humphreys Worte klangen keineswegs freundlich. Das war auch zu � verstehen nach dem Kampf gestern abend; er hatte die gestrigen � Ereignisse längst noch nicht weggesteckt. � Um so erstaunlicher sein Eintreten für ihn bei Semino. � »Klären Sie mich auf«, wandte Thorn sich an den Professor. »Ich � bekomme da etwas nicht zusammen. Erst hetzen Sie mir die Polizei � auf den Hals, dann stellen Sie weiß Gott was an, um die Anklage � zurückzuziehen. Was hat Ihre Meinung geändert, Professor?« � »Bitte, Thorn«, sagte Kim und legte ihm die Hand auf die Schulter; sie � spürte seine Aufgebrachtheit, aber auch noch etwas - anderes? -ja, � so konnte man es umschreiben. � Etwas Fremdartiges wehte in Thorn nach. Etwas, das sie nicht in Worte � fassen konnte, wohl aber spürte, daß es vorhanden gewesen war. � Eine Art Restpräsenz von... ja, aber von was? Während sie noch � grübelte, fühlte sie sich mit einemmal wie aufgekratzt. � Eine Welle von Zuversicht und Wohlbehagen durchströmte sie. � Wahrscheinlich war das ihre Reaktion darauf, daß die Sache zwischen � Humphreys und Thorn zu einem guten Ende gekommen war. Ja, das
mußte es sein! Sie lehnte sich entspannt zurück und fing an, die Fahrt zu � genießen. � »Wie wär's mit einer Antwort?« beharrte der Sonderermittler, als
Humphreys noch immer nichts sagte. � Erst als er die Stadt hinter sich ließ und den Weg zum Trans-Con-Areal � einschlug, bequemte sich der Professor zu einer Erklärung: � »Ich gebe es ja zu, meine erste Reaktion war Wut auf Sie, weil Sie mir
den Arm gebrochen hatten. Und weil Sie sich nicht mehr auf dem Gelände � aufhielten, alarmierte ich Chief Semino. Es blieb mir nichts anderes übrig.« � »Das sagt nichts darüber aus, weshalb Sie Ihre Meinung geändert haben«, � brummte Thorn. »Bin ich jetzt nicht mehr der Böse?« � »Nein, sind Sie nicht.« � »Wie erfreulich. Was hat Ihre Einstellung geändert?«
»Ich habe mir die Überwachungsbilder aus dem Transmitterraum
angesehen, um auszuschließen, daß Sie eventuell dort etwas manipuliert � haben; sie zeigen nur Sie und Kaines... zunächst. �
Etwas irritierte mich, weil es etwas gab, das bereits beim ersten Zwischenfall ebenfalls zu einiger Irritation und falschen Schlußfolgerungen geführt hatte. Fakt ist, Kaines und Sie waren nicht allein im Versuchsraum, obwohl es den Anschein hatte. Zunächst war nicht klar erkennbar, was mich störte. Irgendeine Unregelmäßigkeit in der Bildmitte - die Kameras sind so ausgerichtet, daß sie beständig den Transmitterring zeigen - die auch ein Übertragungsfehler hätte sein können. Nur daß sich dieser >Übertragungsfehler< gezielt bewegte. Ich ließ die Aufnahmen von einem unserer Techniker in ihre Einzelheiten zerlegen, und wir entdeckten einen Schemen, der aus dem inaktiven Transmitter kam. Denselben Schemen, der auch Ihnen aufgefallen war, Mister Duman. Die Aufnahmen zeigten deutlich, daß Sie wie unter Zwang stehend die Halle verließen. Da unser Laborkomplex lückenlos mit Kameras überwacht wird, waren Ihre Aktionen in meinem Arbeitslabor natürlich ebenfalls nachprüfbar. Ich konnte erkennen, daß Sie zwar Ihren Strahler zogen, ihn aber dann wieder wegsteckten, um mit Ihren Fäusten wie in Trance gegen mich zu kämpfen... na ja, den Rest kennen Sie.« Er schwieg einen Augenblick, konzentrierte sich auf die Straße, die in Serpentinen zur Ebene aufstieg, auf der das TransCon-Areal lag. Dann fuhr er fort: »Mir war klar, daß Sie mich hätten erschießen können oder das, was in Ihnen steckte, denn für mich gibt es inzwischen keinen Zweifel mehr, daß Sie unter dem Einfluß einer unbekannten Macht standen, die Ihnen den Mord an mir befahl. Doch obwohl Sie sich in einer Art Trance befanden, war Ihr Wille stark genug, sich wenigstens halbwegs gegen den Mordauftrag zu wehren. Ich hatte den Eindruck, als hätten Sie sich gestern abend sehr zurückgehalten und es vermieden, mich ernsthaft zu verletzen.« »Wenn Sie es sagen, Professor.« Thorn war sehr nachdenklich geworden. Tatsächlich wäre es ihm bei seinen Fähigkeiten ein Leichtes gewesen, selbst einen so sportgestählten Mann wie Humphreys innerhalb weniger Augenblicke mit bloßen Händen zu töten. »Ich werde Ihnen die Aufnahme zeigen, sobald wir im Büro sind; sie sprechen eine eindeutige Sprache. Offenbar sind unsere unheimlichen Besucher in der Lage, Menschen zu beeinflussen.« * »Sie haben recht, Professor«, sagte Thornton Duman. Sie hatten sich die
von den Überwachungskameras gelieferten Aufnahmen noch einmal � gemeinsam angesehen. � »Ich verstehe Ihre Sorge. Wer oder was infiltriert hier das � Transmitterexperiment? � Und zu welchem Zweck?« � »Letzteres dürfte wohl auf der Hand liegen.« Humphreys lachte bitter auf. � »Alles, was bislang geschehen ist, hat sich nicht gerade zu unserem
Vorteil entwickelt. � Man will das Experiment offenbar zum Scheitern bringen. Was tun wir?« � Die Männer starrten sich an. � »Sagen Sie es mir«, meinte Thorn. »Sie sind der Wissenschaftler. �
Ich bin nur für das Grobe zuständig.« Er lachte entschuldigend, als � Humphreys bedeutungsschwer nickte und seinen Arm betrachtete. � »Geben Sie mir einen Ansatzpunkt, und ich hebele Ihnen das Universum
aus den Angeln.« � »Große Worte«, erklang Kims spöttische Stimme von der Tür her.
»Übernimm dich nur nicht, mein Lieber.« Sie hatte im Transmitterraum � verschiedene Messungen angestellt, um das Vorhandensein eventueller � Spuren einer fremden Spezies auf mikrozellularer Ebene aufzuspüren. � Sie kam näher und schloß sich den beiden ratlos blickenden Männern � an. � »Hattest wenigstens du Erfolg?« Thorn richtete seinen Blick auf sie. � »Negativ«, beschied sie ihn. »Nichts von dem, was ich erwartet habe. � Ich habe auch noch einmal die Aufzeichnungsprotokolle der automatischen
Überwachung geprüft. � Im Moment jedenfalls befindet sich kein Schemen mehr in der Anlage.« � »Wenigstens ein Trost, wenn auch nur ein geringer«, gestand Humphreys. � »Apropos Protokolle«, sagte Thorn, dem plötzlich ein Gedanke gekommen � war. � »Professor, überprüfen Sie doch mal die Aufzeichnungsprotokolle des � gestrigen Abends, die von der Energiekontrolle angefertigt wurden!« � »Versprechen Sie sich etwas davon?« � »Warum tun Sie es nicht einfach und warten, ob etwas dabei herauskommt?« � »Wer ist jetzt hier der Wissenschaftler?« brummelte Humphreys, kam
aber Thorns Verlangen nach. � »Ich brat' mir einen Hopper!« rief er überrascht aus, als er das Ergebnis
auf dem Schirm hatte. � Was ihn zu diesem Ausruf verleitete, waren zwei zeitlich kurz � aufeinanderfolgende Energie spitzen: eine zwei Minuten vor Thorns � »Begegnung« mit dem Schemen, eine weitere exakt zwei Minuten später. � Thornton kam ein Verdacht. »Könnte es sein«, sinnierte er laut, »daß der � Transmitter von außen gesteuert wird?« � Humphreys mußte nicht nachdenken. »Eigentlich nicht.« � Thorn gab sich nicht geschlagen. »Was halten Sie davon, Professor: � Sind die Schemen vielleicht deshalb Schemen, weil sie irgendwie in der
Zeit verschoben sind?« � »Das wäre allerdings eine erstklassige Tarnung und würde einiges
erklären«, sagte Kimberley mit Nachdruck. � »Die allerdings aufgegeben werden müßte«, relativierte Humphreys � nüchtern Kims Euphorie, »wenn derjenige, der sich ihrer bedient, mit der � Gegenwart in Kontakt treten will.« � »Ganz hat das der Fremde aber nicht gemacht«, gab Thorn zu verstehen, � »denn er war nur schemenhaft zu erkennen.« � »Gehen wir davon aus, daß er, sie oder es sich gewissermaßen in einem � Halbraum bewegt, weil man kein klares Bild erhält. Wie konnte es ihm
dann gelingen, Sie zu manipulieren, Duman?« �
»Mit Para-Kraft«, schaltete sich Kim kühn ein. � »Also doch wieder nur Voodoo-Zauber«, meinte der Professor leicht � abfällig. � »Höre ich da etwa Skepsis aus Ihren Worten, Professor?« � »Ich glaube nicht an derartige Dinge«, beantwortete Humphreys Thorns � Einwurf. � Zuerst war Thorn versucht, dem Professor von seinen eigenen Erfahrungen � mit den Para-Kräften des G'Loorn auf Xing zu berichten, aber dann � entschied er sich dagegen. � Einen Skeptiker konnte man nicht so en passant davon überzeugen, daß � es zwischen Himmel und Erde Dinge gab, die mit dem menschlichen � Verstand nicht faßbar waren, aber dennoch existierten. � Statt dessen bat er: »Tun Sie mir einen Gefallen, Professor, Bauen � Sie zusätzlich zu den elektronischen Steuerungen des Transmitters
eine Handschaltung ein, die sämtliche Energiezufuhr zum Gerät � unterbindet.« � Humphreys musterte Duman. � »Wieder so eine Idee von Ihnen?« � »Wenn Sie so wollen. Tun Sie es?« � »Meinetwegen«, brummte Humphreys. »Wenn es Ihrem Seelenfrieden � dient.« � Er rief einen Techniker und erteilte ihm entsprechende Befehle. �
8. »Ich verstehe nicht, wie ich so manipuliert werden konnte«, sagte Thorn. � Humphreys kaute lustlos auf seinem Bissen herum und schob dann den � Teller erst einmal zur Seite. � »Das Kantinenessen war hier auch schon mal entschieden besser!« � meinte er, ignorierte damit Thorns Bemerkung und atmete tief durch. � Niemandem wollten die Automatengerichte aus der Kantine im Moment � so richtig schmecken. � »Wir sollten noch mal alles gedanklich durchgehen«, sagte Kim. � Sie strich sich eine Strähne aus den Augen. Ihre Züge wirkten angespannt. � Thorn wollte etwas sagen, aber das plötzlich schrillende Alarmsignal � hinderte ihn daran. � »Was ist los?« fragte Kim und blickte sich etwas orientierungslos um, so � wie zahllose andere Kantinenbesucher auch. � Ein paar bewaffnete Sicherheitskräfte stürmten in den Raum. Sie trugen � Paralysatoren und Blaster. � »Bitte verlassen Sie so schnell wie möglich das Gebäude!« ertönte es
über einen Lautsprecher. »Es handelt sich um einen Notfall!« � Was konnte da geschehen sein? � Kim, Thorn und Humphreys strömten mit den anderen Kantinengästen � durch den Ausgang in den Korridor. Darüber hinaus war noch ein zweiter � Ausgang zum Speiseraum geöffnet worden, der ansonsten verschlossen � war. Die Wachleute gestikulierten und versuchten � alle Anwesenden zu größtmöglicher Eile anzutreiben. � »Etwas schneller! Na los! Worauf warten Sie noch! Dies ist keine � Übung!« � Als sie sich im Korridor befanden, blieb Thorn plötzlich stehen. � Er wurde von hinten angerempelt. Jemand fluchte. � »So ein gottverdammter Mist! Können Sie nicht aufpassen?« � Allgemeine Hysterie hatte sich inzwischen unter den Anwesenden � breitgemacht. � Bewaffnete Wachleute kamen im Laufschritt daher und versuchten, � gegen den Strom der Kantinengäste voranzukommen. � Kommandos und Anweisungen wurden gebrüllt. Dazu gab es die � Lautsprecheransagen, über die versucht wurde, die Situation zu � koordinieren. � »Ich möchte unbedingt wissen, was da los ist!« erklärte Thorn voller � Ungeduld. � »Sehen wir doch nach«, schlug Humphreys schulterzuckend vor. � »Worauf warten wir dann noch?« fragte Kim. � * Es herrschte allgemeines Chaos im gesamten Gebäudekomplex. Thorn, Humphreys und Kim folgten einfach den Sicherheitskräften. Ein Wachmann, der wohl die Aufgabe hatte, die Menschen aus dem Gebäude zu lotsen, schrie sie an, um ihnen klarzumachen, wohin sie zu laufen hätten - achtete aber nicht weiter darauf, ob die drei seine Anweisungen auch ausführten.
Eine Gruppe ziemlich orientierungsloser Männer und Frauen umringte � ihn nämlich und belagerte ihn mit Fragen, von denen der arme Mann � natürlich im Moment keine einzige beantworten konnte. � Sie folgten der Einheit von Sicherheitskräften durch die Korridore und � gelangten schließlich in die Zentrale des Forschungstransmitters. � Die Wachmänner gingen sofort in Stellung, hielten sich dann aber zurück. � Die Aufmerksamkeit aller war in diesem Augenblick auf die Mitte des
Raumes konzentriert. Einer der Techniker lag dort am Boden. � In Brusthöhe war seine Kombination vollkommen verkohlt. � Ein Blasterschuß! dachte Thorn. � Bei dem Toten handelte es sich um den Mann, der die Handschaltung � eingebaut hatte. � In einer Entfernung von nicht einmal drei Metern stand ein weiterer Mann � vollkommen starr da. Seiner Kombination nach zu urteilen gehörte auch � er zu den Technikern. � Der Blaster, den der Mann in der Hand hielt, war auf ihn selbst gerichtet. � Das Gesicht wirkte angespannt, der Blick starr. Der Techniker nahm die � Waffe jetzt noch etwas höher, so daß sie gegen seine eigene Schläfe � zeigte. � Zweifellos wollte er sich umbringen, ehe die Sicherheitskräfte irgend etwas � unternahmen. � Augenblicke lang geschah nichts. � Der Einsatz von Blastem verbot sich in dieser unübersichtlichen Situation � von selbst, zumal dadurch nicht nur Menschenleben in Gefahr gebracht � werden konnten, sondern auch unklar war, ob der Techniker nicht versuchen � würde, die Waffe abzudrücken, die er zitternd in seiner Rechten hielt. � Daß dieser Mann im Moment völlig unberechenbar war, war allen Beteiligten � klar. � Die Wachleute zögerten aber auch, ihre Paralysatoren abzufeuern. � Schließlich konnten sie nicht garantieren, daß ihr Gegenüber trotz eines � Paralysetreffers nicht vielleicht doch noch abdrückte. � »Seien Sie vernünftig«, sagte einer der Wachleute und machte dabei einen � Schritt nach vorn. � Ein Ruck ging dabei durch den Körper des Technikers. Das Gesicht verzog � sich zu einer Grimasse. � »Nein!« flüsterte Kim. � Die junge Frau hatte plötzlich wieder diesen besonderen, sehr
merkwürdigen Eindruck. � Sie hätte unmöglich beschreiben können, was es war. Eine Empfindung. � Vielleicht auch eher eine Wahrnehmung. Auf jeden Fall erkannte sie � diesen Eindruck sofort wieder. � Was ist das? durchfuhr es sie. � Sie hatte plötzlich das Gefühl, von einer ungeheuer starken Energie � durchflutet zu werden. Eine Empfindung, die jede Faser ihres Körpers
erfaßte. �
»Lassen Sie die Waffe fallen!« rief einer der Wachleute noch einmal. � »Bitte! � Sie können doch nicht im Ernst davon ausgehen, daß Sie sich hier den � Weg freischießen können!« � Der Wachmann mühte sich redlich ab, aber der Techniker, der zweifellos
kurz zuvor seinen Kollegen umgebracht hatte, schien diese Worte � überhaupt nicht zu hören. Er machte statt dessen ganz den Eindruck, � für Augenblicke in seine eigene Welt abgetaucht zu sein. � Woher kommt sie - diese Kraft? fragte sich Kim. � Plötzlich fiel die Waffe des Technikers zu Boden. Daraufhin ließ er sich � widerstandslos festnehmen. � Zwei Beamte knieten neben dem Toten. Aber trotz fortgeschrittenster � Medotechnik war nichts mehr zu machen. � Ein medizinisches Team war sicherheitshalber schon zuvor gerufen worden. � Dessen Mitglieder eilten herbei und untersuchten den am Boden liegenden � Techniker, aber es war recht schnell klar, daß sie nichts tun konnten. � »Ich verstehe das nicht!« sagte der Festgenommene. »Ich wollte � meinen Kollegen töten! � Es ist unfaßbar!« � »Warum haben Sie das getan?« fragte einer der Sicherheitsoffiziere. � »Es muß doch einen Grund geben!« � Schulterzucken. � »Ich kann es Ihnen nicht einmal genau sagen. Ich fand einfach, daß er
den Tod verdient hätte, weil er die Schaltung in den Transmitter einbaute... � Tod! Tod...« � Seine Augen weiteten sich, wie unter dem Einfluß von Drogen. Er schien � unter Schock zu stehen. � Der Festgenommene schüttelte den Kopf. »Ich wollte es wirklich tun -
jetzt weiß ich allerdings nicht mehr, wie ich diese Gedanken in mir die � Oberhand gewinnen lassen � konnte. Ich wollte das doch nicht!« weinte er. »Ich habe noch nie jemanden � getötet...« � »Warum haben Sie es dann getan, verdammt noch mal?« fluchte einer
der Wachleute, die ihn jetzt in ihre Mitte nahmen. Handschellen klickten. � All das ließ der junge Mann völlig teilnahmslos mit sich geschehen. � Er schien es kaum wahrzunehmen. � Weinend wurde der Mann abgeführt. � Humphreys trat an eines der Schaltpulte und überprüfte die Einstellungen. � »Die Schaltung war bereits aktiviert!« sagte er anschließend zu Kim und � Thorn. � Er wandte sich an die anderen Techniker. »Ich möchte, daß umgehend � Messungen durchgeführt werden! Wir müssen restlos aufklären, was hier � geschehen ist! � Sonst kann sich so etwas jederzeit wiederholen!« �
Wenig später wurde auch der Tote abtransportiert. In der Zentrale des
Forschungstransmitters wurde jetzt eine geradezu hektische Aktivität � entfaltet. � Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Humphreys blickte starr auf � die Anzeige und erklärte: »Nacheinander haben zwei Impulse diese Anlage � erreicht. � Das sagen zumindest die Auswertungen der Überwachungsprotokolle.« � »Diese Impulse kamen von außen?« vergewisserte sich Kim. � »Ja«, nickte Thorn. � »Ich werde ein paar meiner Leute auf den Fall ansetzen«, kündigte � Professor Humphreys an. »Da muß doch mehr dahinterstecken.. . fest � steht jedenfalls, daß der Transmitter nicht aktiviert wurde.« � »Wenn Sie mich fragen, passen hier einige Dinge nicht zusammen«, � meinte Thorn. � * Christopher Humphreys kehrte ins Forschungsinstitut zurück und rief ein paar seiner Assistenten zu einer kurzen Besprechung. Er erklärte ihnen, was geschehen war und worauf es seiner Meinung nach ankam. »Haben Sie irgendeinen Verdacht, was hinter den von Ihnen beschriebenen Phänomenen stecken könnte?« erkundigte sich Dr. John Schmitt, einer der Assistenten aus Humphreys' Team, der sich hier seine ersten wissenschaftlichen Sporen verdiente. »Überprüfen Sie noch einmal alle Meßergebnisse, gehen Sie jedes Datenprotokoll durch...« Humphreys hob seinen Arm, der immer noch in der Aktivschiene steckte. »Ich selbst werde Sie natürlich so schnell wie möglich tatkräftig unterstützen, aber zuerst muß ich dieses Ding hier wieder loswerden. Dafür haben Sie sicherlich Verständnis.« * Eine Stunde später befand sich Humphreys in der nahegelegenen � Paracelsusklinik, um sich die Aktivschiene abnehmen zu lassen. � Dienst hatte ein junger Assistenzarzt namens Dr. Richard Lato. � »Wie geht es Ihnen, Professor Humphreys?« fragte er. � »Wenn das Ding hier erst mal weg ist, sicher gleich doppelt so gut!« � »Wir werden gleich sehen, wie weit Ihr Arm ist.« � Vorsichtig nahm Dr. Lato die Aktivschiene ab. Unter normalen Umständen � war diese in der Lage, einen gebrochenen Knochen innerhalb von 24 � Stunden wieder vollständig zu heilen. � »Bewegen Sie bitte die Finger!« wies Dr. Lato seinen Patienten an. � Humphreys gehorchte. � »Alles perfekt!« meinte er. � Dr. Lato nickte. »Sieht für mich auch so aus, aber ich will doch lieber
auf Nummer sicher gehen.« � Er nahm ein medizinisches Diagnosegerät mit integriertem Suprasensor
und einem Abtaster, der den Arm durchleuchtete. Dr. Lato hielt das � Anzeigefeld des Handsuprasensors so, daß Humphreys alles sehen � konnte. �
»Sehen Sie? Die dunkle Stelle dort - das war Ihr Bruch. Die Schattierung � ist allerdings nur eine Markierung, die ich zuvor gesetzt habe, sonst � könnte es sein, daß ich den Abtaster gar nicht auf die richtige Stelle setze. � Es bedürfte jetzt schon mikroskopischer Untersuchungen, um noch � nachzuweisen, daß Sie jemals einen gebrochenen Arm hatten.« � Dr. Lato schaltete das Gerät ab. � »Sie sind fertig, Professor.« � »Und der Arm ist jetzt auch wieder voll belastbar?« � »Natürlich.« � »Ich könnte jetzt zum Beispiel gleich loslegen und... sagen wir, Badminton � spielen?« � »Probieren Sie es aus! Ihr Arm ist jetzt genauso belastbar, wie er es vor � der Verletzung war.« � »Wenn Sie sich geirrt haben, werden Sie es sicher mitbekommen, denn � dann bin ich schneller wieder hier, als Ihnen lieb ist und verklage Sie auf � Schadenersatz wegen falscher Beratung!« � Lato lächelte. »Dagegen sind wir versichert«, erklärte er. � Humphreys verließ die Klinik und trat ins Freie. � Nemeds Stern leuchtete durch die dünne, blaßblau schimmernde � Wolkendecke.Humphreys griff zu dem Vipho, das er am Gürtel trug. � Er stellte eine Verbindung zu Thorn her. � »Hören Sie zu, bisher ist vielleicht nicht alles so ganz glücklich zwischen � uns gelaufen. � Ich denke, wir sollten einiges miteinander besprechen.« � »Nichts dagegen«, sagte Duman. � »Haben Sie Lust, heute abend mit mir Badminton zu spielen? � Ich hätte dabei die Möglichkeit zu testen, ob mein Arm wirklich so
hundertprozentig wiederhergestellt ist, wie die Ärzte es behaupten.« � »Okay.« � »Dann bis heute abend um sechs, im Sportzentrum hier im Komplex, � Halle 3.« � »Ich werde dort sein«, versprach Thorn. »Sieht man Sie gleich noch im
Forschungszentrum?« � »Später, ich habe noch etwas zu erledigen. Aber falls sich irgend etwas
tut, wird Dr. Schmitt mich sofort verständigen.« � * Thornton Duman erreichte pünktlich Halle 3, mußte aber eine geschlagene � Viertelstunde auf Humphreys warten. � »Tut mir leid«, sagte Humphreys. »Ich bin aufgehalten worden.« � »Sehen wir zu, daß wir auf das Feld kommen«, meinte Thorn. � Sie zogen sich um und standen sich anschließend mit den Schlägern � gegenüber. � Humphreys traute seinem Arm noch immer nicht so richtig. � Aber dieses Mißtrauen war vollkommen unbegründet. � Der Arm funktionierte hervorragend. �
Thorn war überrascht über die Schnelligkeit seines Gegners. Immer wieder setzte Humphreys zu Schlägen an, die er kaum zu parieren wußte. Schweißperlen standen Thorn auf der Stirn, und er mußte all sein Können und seine Kraft aufbieten, um mit Humphreys mithalten zu können. Schon nach wenigen Minuten war Thorns Hemd durchgeschwitzt. Du bist der Jüngere und solltest ihm eigentlich körperlich überlegen sein! überlegte Thorn. � »Hey, was haben die in der Klinik mit Ihrem Arm gemacht?« rief � er keuchend. � »Wenn Sie gesagt hätten, daß Sie sich auch noch ein halbes Kilo � künstlicher Muskelmasse haben implantieren lassen...« � »... dann hätten Sie das Spiel nicht angenommen?« � Er schlug so hart und schnell zu, daß Thorn sich zu Boden werfen � mußte, um parieren zu können. � Den nächsten Schlag konnte er dann natürlich nicht mehr kontern, da � er einfach nicht schnell genug auf die Beine kam. � »Sie sind gut, Humphreys!« � »Ich weiß! Trotzdem danke!« � Das Spiel ging ebenso rasend schnell und eindrucksvoll weiter, wie � Humphreys es begonnen hatte. � Der Wissenschaftler schien nicht die geringste Neigung zu verspüren, � das Tempo herauszunehmen. � Warum sollte er auch? dachte Thorn. Er ist ja auch in einer beneidenswert � guten Verfassung! � Plötzlich glaubte Thorn, in der hinteren rechten Ecke der Halle einen � Schemen zu sehen. � Einen Schatten, der sich bewegte. � Du darfst dir diese Angeberei von Humphreys nicht länger gefallen � lassen! ging es ihm plötzlich durch den Kopf. � Dieser Gedanke war mit einemmal da. � Glasklar. Und sehr stark. � Im ersten Augenblick war Thorn überrascht davon, dann nahm er es
einfach hin.Wie zu Stein erstarrt stand er da. � Humphreys schlug an ihm vorbei. Thorn machte nicht einmal den � Versuch, den Schlag zu parieren. Er ging quer über das Feld, direkt auf � Humphreys zu. � Den Schläger knallte er auf den Boden. � »He, was ist los? Ist Ihnen nicht gut?« fragte der sportliche Professor, � auf dessen Stirn sich jetzt eine tiefe Furche gebildet hatte. � Er begriff nicht schnell genug, was Thorn vorhatte. � Mit der Rechten packte Thorn den Wissenschaftler beim Kragen, zog ihn � zu sich heran. � So nicht! Einen Angeber wie dich kann man wohl nur stoppen, indem man ihm das Genick bricht! Mit einem entschlossenen und mit beiden Händen ausgeführten Griff fixierte er den Hals seines Gegenübers wie in einem Schraubstock.
Humphreys stöhnte auf, versuchte sich verzweifelt zu befreien. Aber Thorn war zu stark. Gleich macht es knack, und du hast es hinter dir, Humphreys! dachte Thorn mit kalter Entschlossenheit. * »Haben Sie Thorn Duman gesehen?« fragte Kim, als sie im � Forschungsinstitut vorbeischaute. Nur noch wenige Forscher arbeiteten � um diese Uhrzeit im Institut. � Die meisten waren nach Hause gegangen und würden erst am nächsten � Morgen wieder auftauchen. Lediglich eine kleine Notmannschaft sorgte � dafür, daß die anstehenden Arbeiten rund um die Uhr weitergeführt � werden konnten. � Dr. John Schmitt sah Kim irritiert an. »Tut mir leid, ich habe hier
niemanden gesehen.« � »Und Humphreys?« � »Ah, richtig... ich glaube, er wollte heute abend seinen Arm testen und � sich mit Mr. Duman zum Badminton treffen.« � Kim atmete tief durch. Die Enttäuschung war nicht zu übersehen. »Dann � habe ich die beiden wohl verpaßt.« � »Scheint so«, bestätigte Schmitt. Er lächelte. »Ich habe Sie hier schon � des öfteren mit Humphreys gesehen, aber wir hatten, glaube ich, noch � nichts miteinander zu tun, oder?« � »Nein, das ist richtig«, gab Kim zu. � »Ich heiße Schmitt. Aber Sie können mich auch John nennen.« � »Kim.« � »Sie brennen sicher darauf, ein paar neue Ergebnisse zu erfahren.« � »Wenn Sie welche haben - nur heraus damit, John!« � »Die beiden von außen kommenden Impulse, die wir anmessen � konnten, kommen von der anderen Seite unseres Planeten.« � »Können Sie das genauer lokalisieren?« � »Sicher! Warten Sie!« � Sie folgte Schmitt zu einer Bildschirmwand. Der Assistent machte sich � an einem Schaltpult zu schaffen. Eine scheinbar dreidimensionale � Darstellung des Planeten Nemed III erschien auf dem Schirm. � Ein bestimmtes Gebiet war rot markiert. � »Sehen Sie diese Wüstenregion in Äquatorhöhe? Ein Gebiet, das
von mehreren Gebirgszügen dermaßen eingekeilt wird, daß einfach � kein Niederschlag die Region erreicht. Man nennt dieses Gebiet � Totenreich. So steht es auch in den Karten. � Soweit ich weiß, ist es wenig erforscht!« Schmitt zuckte die Achseln. � »Wozu auch? � Bis vorhin konnte ich mir ehrlich gesagt auch keinen Grund vorstellen, � dort hinzufliegen.« � »Ich werde Humphreys sagen, was Sie herausgefunden haben!« � versprach Kim. � »Tun Sie das!« �
Plötzlich ertönte ein schrilles Signal. John Schmitt entfaltete eine geradezu � hektische Aktivität. Er nahm verschiedene Schaltungen vor und aktivierte � ein paar Teilfenster des gewaltigen Wandbildschirms. � Eine Interkomverbindung zu einem anderen Laborraum wurde geschaltet. � Das Gesicht einer jungen Frau mit gelockten blonden Haaren erschien � auf einem Nebenbildschirm. � Kim kannte sie flüchtig vom Sehen, wußte aber ihren Namen nicht. � »Wir haben einen weiteren Impuls gemessen«, stellte die junge Frau fest. � Schmitt betrachtete zunächst die Anzeigen auf seinem Schaltpult und � nickte schließlich. � »Sie haben recht«, sagte er. � Kim schluckte. � Falls etwas mit diesem Impuls angekommen sein sollte, dann ist es
noch da, überlegte sie. � Ein eigenartiges und doch auf unbehagliche Weise vertrautes Gefühl � überkam sie. � Wortlos drehte sie sich um und machte sich auf den Weg zur Turnhalle. � Sie gelangte zum Antigravlift und ließ sich ein paar Stockwerke tiefer
wieder absetzen. � Sie eilte den Korridor entlang und bemerkte gar nicht, daß ein Wachmann � sie ansprach. � Sie beachtete ihn nicht weiter. Der Wachmann gab Alarm und meldete � sich über Interkom. � Sie bewegte sich wie automatisch. � Mich kann jetzt nichts stoppen, dachte sie. Ein Gefühl der Stärke � durchflutete sie. � »Ich brauche hier ein Sicherheitsteam!« rief der Wachmann in sein � Gerät. � Kim drehte sich nicht um und stand Augenblicke später in der Turnhalle, � wo Thorn und Humphreys ihr Match austragen wollten. � »Thorn!« schrie Kim, als sie die Halle erreichte. »Du brichst ihm ja das � Genick!« � Im ersten Moment glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. � Thorn war erneut im Begriff, Humphreys zu töten. Sein Gesicht war zu � einer Maske verzerrt. � Plötzlich fühlte Kim eine geradezu unheimliche Kraft in sich anwachsen. � Aus welcher Ecke die kam, wußte Kim nicht. Das einzige, was sie mit � Sicherheit sagen konnte war, daß sie existierte und jede Pore ihres
Körpers wie ein Energieschauer durchflutete. Ein Zittern durchlief sie. � Gänsehaut überzog ihren Körper. � Dieses Gefühl der Kraft war einmalig. � Aber plötzlich spürte sie, daß die Kraft keineswegs von ihr selbst � ausging. �
Es ist Thorn, wurde es ihr klar. Ihrer beider Blicke trafen sich kurz und � sie spürte, wie die schier unermeßliche Kraft, die sich in Thorn gesammelt � hatte, jetzt in ihr Bewußtsein floß. � Sie fühlte es ganz deutlich. Der Energiestrom war so heftig, daß es schon � teilweise mit Schmerz verbunden war. � Zuerst hatte Kim sich gefragt, was sie tun sollte angesichts dieser � unheimlichen Macht. � Aber dann wurde ihr instinktiv klar, daß sie gar nichts zu tun brauchte. Sie � brauchte sich einfach nur jener unheimlichen Kraft gegenüber zu öffnen, � die jetzt in sie hineinfloß. � Ich kann ohnehin nichts dagegen tun! wurde ihr klar. � In diesem Augenblick blickte Thorn zu ihr herüber. � Sein eiserner und innerhalb der nächsten Sekunden sicherlich tödlicher
Griff um Humphreys' Hals lockerte sich. Er ließ den Wissenschaftler � schließlich los. � Dieser wich taumelnd zurück und hielt sich den Hals, rang nach Luft. � Der Kraftstrom, der Kim erreichte, wurde immer stärker. � Kannst du dich daran erinnern, dich jemals so stark gefühlt zu haben? In der linken Ecke der Halle bemerkte Kim plötzlich einen Schemen. � Zunächst war er nur ein vager Umriß, dessen Konturen sich immer
klarer gegen die Umgebung abhoben. � Wie aus weiter Ferne hörte sie hinter sich Schritte. � Es waren die Wachleute, die ihr gefolgt waren. Auch sie sahen offenbar das � Wesen, das da vor ihnen materialisierte. � »Achtung! Eindringling im Komplex!« hörte sie einen der Wachmänner
über Funk melden. � Das Wesen in der linken hinteren Ecke hatte nun endgültig Substanz � gewonnen. � Seine Gestalt war ungefähr 1,80 Meter groß und in braunes Leder
gekleidet. � Sein vollkommen haarloser Kopf wirkte wie ein mumifizierter Totenschädel, � die Stirn war hoch und kantig, die Augen feuerrot. Ein pulsierendes Leuchten � erfüllte sie. � Die lederartige, blauschwarz gestreifte Haut schmiegte sich so eng an die � Knochen, dass darunter wohl kaum Weichteile sein konnten. � Aus dem Maul ragten raubtierhafte Zähne hervor. � per Fremde hatte drei Arme. Zwei links und einen rechts. Die beiden linken � Arme entsprachen in ihrer Ausprägung in etwa dem Arm eines Menschen. � Die Hände waren sehr feingliedrig, per obere hatte sechs Finger, der untere � sieben. � Letzterer hielt einen lanzenartigen Gegenstand. � Der rechte Arm des Fremden unterschied sich deutlich davon. Er war � wesentlich kräftiger. � Der Umfang des Bizeps' entsprach dem Oberschenkel eines Bodybuilders. � Der Arm endete in einer knochigen Verwachsung, die wie eine verkrüppelte � Hand oder das Ende einer Knochenkeule wirkte. Ein sichelartiger Fortsatz � wuchs daraus hervor. Offenbar ein rudimentärer letzter Finger, der in � einem etwa dreißig Zentimeter langen Dorn endete. �
Der Fremde machte einen Schritt nach vorn. � Kim hatte den Eindruck, als würde er schwanken. � Er ist schwach, erkannte sie. Es muß seine Para-Kraft gewesen sein, die � Thorn beeinflußte. � Auf eigenartige Weise fühlte sich Kim mit diesem Wesen verbunden, und � sie erkannte auch schlagartig, woran das lag. � Es ist seine Lebenskraft, die in mir ist! In gewisser Weise war sie zu einem Teil dieses Wesens geworden. � Sie spürte die Fremdartigkeit bis in die tiefsten Tiefen ihres Bewußtseins � hinein. � Das Wesen hat seine Kraft an Thorn abgegeben, um ihn dazu zu bringen, � Humphreys zu ermorden! erkannte Kim. Darum ist es geschwächt... � Und diese Kraft war jetzt in ihr. � Thorn hatte bei seinem ersten Mordversuch gezeigt, daß er dieser � Beeinflussung erstaunlich gut zu widerstehen vermochte. � Vielleicht hat er deswegen jetzt eine höhere Dosis bekommen. Aber die ist wirkungslos geblieben, weil ich diese Kraft jetzt aufgenommen habe. Die Zeit schien sich für Kim zu dehnen. Je mehr Kraft in sie einströmte, � desto weniger schien sie den Bezug dazu behalten zu können. � Der Fremde machte einen weiteren Schritt nach vorn. � Dabei faßte er den lanzenartigen Gegenstand mit seinen beiden linken � Händen und richtete dessen Spitze auf Kim. � Im nächsten Moment trafen ihn die Schüsse aus den Impulsblastern der � Wachleute. � Er taumelte zurück, während sich das Blasterfeuer in seinen Oberkörper
fraß. � Aus der Lanze zuckte ein Strahlschuß, der verrissen wurde und an der
Decke eine rußige Spur hinterließ. � Der Fremde fiel schwer zu Boden. Seine linken Hände krallten sich um
die Strahlenlanze. � Er rührte sich nicht. Die Wachleute näherten sich vorsichtig und hielten � weiterhin ihre Blaster schußbereit auf den Fremden gerichtet. � Noch ehe sie den zweifellos toten Eindringling erreichten, verblaßte dieser. � Er wurde transparent. Die Formen verwischten, dann war nur noch ein � Schemen zu sehen. � Als ob jemand aus einem Bild ein Stück herausgeschnitten hätte! überlegte � Kim. Im nächsten Augenblick war der Fremde verschwunden. � * Kim und Thorn standen noch Augenblicke nach dem Verschwinden des � Fremden völlig unter dem Eindruck des Erlebten und hatten Mühe, wieder
ins Hier und Jetzt zurückzufinden. Zu gewaltig waren die Para-Kräfte, � denen sie beide ausgesetzt gewesen waren. � Kim atmete tief durch und schloß für ein paar Sekunden die Augen. � Ist das meine verborgene Begabung, die jetzt zutagegetreten ist? fragte � sie sich. Para-Kräfte absorbieren? �
Auf jeden Fall fühlte sie sich so frisch und ausgeruht wie schon lange nicht � mehr. � Die Männer des Sicherheitsdienstes überprüften inzwischen die Stelle, an � der der Fremde verschwunden war. � Es waren allerdings keinerlei Spuren mehr feststellbar. � »Schade, ich dachte, er hätte wenigstens ein paar kleine DNS-Reste � hinterlassen!« � sagte einer von ihnen, während er auf die Anzeigen seines � Handsuprasensors blickte. � »Einige Hautschuppen hätten uns ja schon genügt!« � »Wie konnte der einfach hier auftauchen?« � »Es muß sich um eine besondere Form von Transmitter handeln, die er � benutzte«, meinte ein anderer. »Und zwar ein Transmitter, der keine � Zielstation braucht!« � »Das ist doch unmöglich!« � »Bist du der Fachmann?« � »Nein, das nicht...« � »Na, also!« � »Für mich sah das eher so aus, als könnte dieser Totenschädel das
einfach so. � Wie soll ich sagen? Aus sich heraus...« � »Ist doch alles Spekulation...« � Humphreys hatte sich wieder gefaßt und griff nach seinem Vipho. � Er stellte eine Verbindung zu John Schmitt her. � »Es hat hier einen Eindringling in den Komplex gegeben«, erklärte er
knapp. � »Ist irgendein Transmitterimpuls nachweisbar?« � »Nein«, erklärte Schmitt. »Kein Impuls.« � »Seltsam«, murmelte Humphreys. � Thorn trat auf Humphreys zu. »Es tut mir leid, daß...« � »Schon gut. Ich nehme auch diesmal nicht an, daß es Ihre freie � Entscheidung war, mich umzubringen!« � »Ich hatte einmal mehr das Gefühl, es tun zu müssen. � Da gab es für mich gar nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch ein � Wie.« � »Dieses Wesen muß über ganz erstaunliche Fähigkeiten verfügen«, � meinte Humphreys. »Ihnen mache ich keinen Vorwurf.« � »Es ist ja gerade noch mal gutgegangen.« � Humphreys lächelte matt und befühlte seinen Hals. � »Das war ganz schön knapp!« meinte er. � Thorn deutete auf Kim. � »Ihr verdanken Sie Ihr Leben, Humphreys. Sie hat die Kraft aufgenommen, � die mich erfüllte und dazu trieb, sinnlos zu töten!« � Thorn ging auf sie zu. � Er faßte sie bei den Schultern, strich seiner Lebensgefährtin zärtlich über
das Haar und sagte: »Du siehst gut aus.« �
»Vielleicht nicht gerade der passende Augenblick, um Komplimente zu � machen und seine romantische Ader zu entdecken, Thornton Duman.« � Er strich über ihre Wange. »Es ist mir einfach aufgefallen. Schau mal bei � Gelegenheit in den Spiegel. Du siehst aus wie nach einer Frischzellenkur, � kombiniert mit einem mindestens einjährigen Aufenthalt auf einer
Wellness-Farm!« � Kim schluckte. � Er nahm sie in die Arme. � Was er gesagt hatte, entsprach exakt ihrer eigenen Empfindung. � »Es muß die Kraft dieses Fremden sein«, sagte sie. »Sie scheint eine � Art Lebenselixier zu sein, denn ich fühle mich tatsächlich sehr viel stärker
und vitaler...« � »Wenn du mir diese Kraft nicht abgenommen hättest, dann hätte ich � Humphreys getötet.« � »Ja«, bestätigte Kim tonlos. Sie löste sich von Thorn und wandte sich � an Humphreys. »Ich war vorhin im Forschungszentrum. � Einer Ihrer Mitarbeiter - Dr. Schmitt - hat mir gesagt, daß er jetzt den � Ausgangspunkt des Impulses gefunden habe. � Das hatte ich Ihnen eigentlich sagen wollen...« � * Eine halbe Stunde später fand in einem der Konferenzräume, die zum � Forschungszentrum gehörten, eine Zusammenkunft statt. Humphreys � hatte sie einberufen. Kim und Thorn waren natürlich dabei, darüber hinaus
Dr. Schmitt und ein paar weitere Wissenschaftler aus Humphreys' Team. � Außerdem noch Juri Denninger, der Chef des Sicherheitsdienstes, sowie � einer seiner Stellvertreter. Es handelte sich um Maik Sever. � Seine Vorstellung fiel sehr knapp aus. Mehr als Name und Rang gab er
nicht über sich preis. � »Wir haben bislang noch immer kaum mehr als Hypothesen, was die � Erklärung der jüngsten Vorfälle in Neu-Karlsbad angeht«, eröffnete � Humphreys. »Aber die Ereignisse, die sich vor etwa einer Stunde in der � Turnhalle zugetragen haben, lassen uns vielleicht doch bereits ein paar � Schlußfolgerungen ziehen. � Zunächst einmal kann Dr. Schmitt bestätigen, daß in der Transmitteranlage � genau in dem Moment ein Impuls gemessen wurde, in dem der Fremde � erschien!« � »Das ist vollkommen korrekt«, bestätigte Schmitt. »In der Turnhalle gibt
es eine Überwachungsanlage, um Sachbeschädigungen zu verhindern, � und so konnten wir den Zeitpunkt der Materialisation dieses Wesens bis
auf die Millisekunde genau bestimmen. � Sie erfolgte einen Sekundenbruchteil nach dem Impuls in der � Transmitteranlage.« � »Was sagen Sie als Xenobiologin zu diesem Problem?« fragte Humphreys. � »Halten Sie es für möglich, daß der Fremde Kräfte besitzt, die ihn einen � direkten Einfluß auf die Anlage ausüben lassen können?« � Kim nickte. �
»Verlangen Sie jetzt von mir keine Erklärung dafür - aber ganz offensichtlich � geschah genau das - und zwar nicht zum erstenmal, wie wir alle wissen.« � »Ausgangspunkt aller Impulse, die wir bis jetzt anmessen konnten, war
die Totenreichwüste auf der anderen Seite von Nemed III«, erklärte � Schmitt. � »Dann sollten wir uns dort schleunigst mal umsehen«, verlangte Denninger. � »Jedenfalls bin ich nicht dafür abzuwarten, bis diese Fremden eine � regelrechte Invasion starten.« � »Halten wir uns ihre Kräfte vor Augen«, sagte Kim. »Sie können offenbar � sowohl mechanisch-elektronische als auch organische Systeme so � nachhaltig beeinflussen, daß sie zu ihren Werkzeugen werden. Thorn hat � das zu spüren bekommen, als der Fremde ihn zweimal fast dazu trieb, � einen Mord zu begehen.« � »Es war nicht so, daß ich mich nicht dagegen gewehrt hätte«, erwiderte � Thorn. � »Ich weiß. Und ich nehme an, daß dieses Wesen deswegen beim zweiten � Mal noch sehr viel mehr Para-Kraft aufwandte und in dein Bewußtsein � einströmen ließ.« � »Muß ich mir das wie eine Art Hypnose vorstellen?« fragte Denninger. � »Nein.« Kim schüttelte den Kopf. Ihr Blick ging ins Nichts. � Inzwischen hatte sie sich selbst im Spiegel gesehen und wußte, daß � Thorns Kompliment nicht einfach nur so dahergesagt war. � Sie sah tatsächlich verjüngt aus. � Die Haut war straffer, die Muskulatur geschmeidiger, und das Gefühl � unbändiger Vitalität, das sie in der Turnhalle gespürt hatte, war seitdem
nicht mehr gewichen, auch wenn von der Para-Kraft selbst nichts mehr in � ihr war. Zumindest in dem Punkt war sie sich sicher. � Kim schwieg einige Augenblicke lang. � Schließlich sagte sie: »Es war, als ob dieses Wesen einen Teil seiner � Lebensenergie in Thorn hineingepflanzt hätte. Darum wirkte es auch so � schwach....« � »Es reagierte relativ langsam, als es mit unseren Einsatzkräften � konfrontiert wurde«, gab Denninger zu. »Ich habe mir die Videosequenz
der Überwachungskamera daraufhin sogar mehrfach angesehen.« � Kim nickte. »Ja, genau so war es...« � »Und anschließend hast du diese Energie in dich aufgenommen«, � stellte Thorn fest. � »Richtig.« � »Wo ist sie geblieben?« hakte Denninger nach. »Bei allem Respekt, � aber wer sagt uns, daß Sie nicht gleich aufspringen und sich diese � Lebensenergie in Ihnen entfaltet... Beispielsweise, indem Sie sich wie � eine mordgierige Furie auf jemanden von uns stürzen und nachher selbst � nicht wissen, warum Sie plötzlich von dem Drang überwältigt wurden, das
zu tun!« � Im ersten Augenblick wollte Kim protestieren. Aber ihre Erwiderung blieb � ihr im Hals stecken, wo sich plötzlich etwas gebildet hatte, das sich wie � ein dicker Kloß anfühlte. �
Sie schluckte. � Er hat recht, dachte sie. Du würdest an seiner Stelle genauso denken. � Schließlich kann er ja nicht in dein Inneres hineinblicken. � Er fühlt nicht, was du fühlst und er hat nicht dasselbe erlebt. � Sie biß sich auf die Lippen. � Thorn griff zu ihren Gunsten ein, und sie war ihm dankbar dafür, denn � das verschaffte ihr ein paar wertvolle Sekunden, um nachzudenken. � »Kim hat viel durchgemacht«, sagte er. »Mehr als wir alle uns wahrscheinlich � vorstellen können. Also sollten Sie etwas behutsamer mit ihr umgehen, � Sir!« � Denninger zuckte mit den Achseln. � »Es geht hier vielleicht um die Existenz der ganzen Kolonie! penn so wie � ich das sehe, haben jetzt in relativ rascher Folge mehrere Invasionsversuche � einer Spezies stattgefunden, deren Fähigkeiten anscheinend alles � übersteigen, was wir uns vorzustellen vermögen. � Der Angreifer braucht noch nicht einmal mit eigenen Verbänden � aufzumarschieren, denn offensichtlich besitzt dieses Volk - nennen wir
es der Einfachheit halber mal Spezies X - die Fähigkeit, jeden von uns
zum Spielball seines Willens zu machen. � Schon ein einzelner Vertreter von Spezies X kann unter Umständen � unser gesamtes Sicherheitssystem lahmlegen und unsere Wachleute � komplett ausschalten!« � »Ihre Analyse teile ich«, sagte Professor Humphreys. »Wobei wir immer
noch nicht wissen, was tatsächlich das Ziel des Fremden war, und ob er
allein handelte oder Teil einer größer angelegten Aktion ist, die unsere � Kolonie treffen soll.« � »Unsere Kolonie hatte mit niemandem Streit, wir haben bei der Auswahl � von Nemed III als Siedlungsraum darauf geachtet, hier keine intelligente � Spezies zu übersehen, der wir möglicherweise ungewollt das Revier
streitig machen, und auch ansonsten sind alle nur erdenklichen � Vorsichtsmaßnahmen beachtet worden.« � »Vergessen wir nicht, daß der Eindringling bewaffnet war«, gab der Chef � des TransCon-Sicherheitsdienstes zu bedenken. � »Das wären wir auch, wenn wir ein fremdes System erforschen würden«, � mischte sich jetzt Schmitt ein. � »Ich nenne es jedenfalls nicht unbedingt den Versuch einer freundlichen � Kontaktaufnahme, wenn dieses Wesen versucht, uns dazu zu bringen, � daß wir uns gegenseitig umbringen!« knurrte Denninger. � Er wandte sich an Kim. »Sie haben mir meine Frage nach dem
Verbleib dieser paranormalen Energie, die Sie in sich aufgenommen � haben, noch nicht beantwortet.« � »Um ehrlich zu sein, kann ich Ihnen diese Frage auch nicht beantworten«, � sagte Kim. � »Nicht wirklich jedenfalls. Ich habe diese Kräfte auf irgendeine Weise � absorbiert.« �
Sie zuckte mit den Achseln. »Anders kann ich es nicht beschreiben.« »Wie auch immer«, zog Humphreys jetzt wieder die Regie des Gesprächs an sich, »wir werden nicht umhinkommen, zur Totenreichwüste zu fliegen, um dem Ursprung der Impulse nachzugehen.« »Wobei wir nicht vergessen sollten, daß der Fremde offenbar keinen Transmitterimpuls brauchte, um zu verschwinden!« gab Thorn zu bedenken. »Über diesen Punkt habe ich mir Gedanken gemacht«, sagte Schmitt. »Wäre es nicht denkbar, daß der Fremde mit seiner speziellen Kraft die Möglichkeit hat, auch abgeschaltete Transmitter auf irgendeine Weise anzuregen, so daß ein Durchgang ermöglicht wird, nachdem er schon vor Ort ist?« »Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, die Ihren Ausführungen nicht widerspricht«, eröffnete Humphreys. »Angenommen, die Fremden hätten die Möglichkeit, die Zeit zu manipulieren, könnte der Rückholimpuls in die Vergangenheit verlegt worden sein, so daß wir ihn in der Gegenwart nicht mehr anmessen können!« »Wir konnten bis jetzt jedem bezeugten Auftreten der Fremden leichte, aber nichtsdestoweniger anmeßbare Erschütterungen im Raum-Zeitgefüge zuordnen«, sagte Schmitt. Er nahm seinen Handsuprasensor und stellte eine Verbindung zu dem Zentralrechner des Forschungszentrums her. »Ich habe die Daten natürlich nicht erneut überprüft, aber...« Er blickte auf. »Die Aufzeichnungsprotokolle weisen auf eine exakte Übereinstimmung hin! Das dürfte zwar noch kein Beweis für eine Zeitmanipulation sein, aber immerhin ein Indiz!« Kim wirkte sehr nachdenklich. Hatte sie nicht schon während der Begegnung mit dem Fremden das Gefühl gehabt, daß etwas mit der Zeit geschah? Nur ein Gefühl, dachte sie. Was ist das schon? Etwas Subjektives, das letztlich von niemand anderem wirklich nachvollzogen werden kann. Aber anscheinend gab es nun Hinweise darauf, daß sie sich nicht getäuscht hatte. »Wir kennen ein einziges Volk, das seine Raumschiffe hinter Bitfeldern zu tarnen pflegt«, erklärte sie. »Die To Glossa! Allerdings war der Besucher in der Turnhalle eindeutig kein To Glossa, soviel steht fest.« »Zumindest nach dem äußeren Anschein«, schränkte Professor Humphreys ein. Kim lächelte dünn. »Ich sehe keinen Grund, weshalb die To Glossa ihr Aussehen so sehr verändern sollten! Gehen wir besser davon aus, daß es sich um eine andere, vielleicht ähnlich begabte Spezies handelt.« »Trotzdem könnte es irgendeinen Zusammenhang zwischen den To Glossa und dieser Invasion geben«, glaubte Thorn. »Das werden Sie hoffentlich herausfinden, wenn Sie zur Totenreichwüste fliegen«, knurrte Denninger. Er deutete auf den Mann in der Kombination des Sicherheitsdienstes, der die ganze Zeit über schweigend neben ihm gesessen und der Diskussion zugehört hatte. »Dies ist Maik Sever, Chef unserer Abteilung für Spezialeinsätze.
Er wird Sie mit ein paar Männern auf Ihrem Flug begleiten. Schließlich � könnte es ja sein, daß die Invasoren aggressiv reagieren, wenn ihr � Wüstennest entdeckt wird! � Sagen Sie ein paar Worte...« � Sever schien von dieser Aufforderung alles andere als begeistert zu sein. � »Was soll ich sagen?« murmelte er. »Wir sind nicht die Schwarze Garde aber wir sind auch gut und tun unser Bestes, um Ihr Team zu schützen, � Professor Humphreys.« � »Falls die To Glossa wirklich etwas mit dem Auftauchen des Fremden zu � tun haben, könnte sich in der Totenreich wüste eines ihrer perfekt getarnten � Schiffe befinden«, meinte Kim und wandte sich dan Juri Denninger. »Sie � sollten die Hilfe der Terranischen Flotte anfordern.« � Denninger nickte. � »Das werde ich tun«, versprach er. �
9. Am nächsten Vormittag bestieg ein Team unter der Führung von Thornton � Duman einen schnellen Jett des TransCon-Sicherheitsdienstes. � Außer dem privaten Sonderermittler und Kimberley Nev nahmen noch eine � vierköpfige Wissenschaftlergruppe um Professor Christopher Humphreys � sowie eine Truppe von zwölf Angehörigen des Sicherheitsdienstes unter
dem Kommando von Maik Sever an der Mission teil. � Thorn Duman selbst übernahm die Funktion des Piloten. � Er startete und ließ den Schneiischweber vom Boden des Landefeldes � abheben. � Nur wenige Augenblicke später hatte man einen Blick aus der � Vogelperspektive auf Neu-Karlsbad. � »Der Kurs ist einprogrammiert«, meinte Thorn an Kim gewandt. � »Mußte ich von Hand machen. In die Gegend, die wir im Blick haben, � wollte anscheinend noch niemand, der mit dieser Maschine unterwegs
war.« � »Es soll auch nicht sehr gemütlich dort sein«, erwiderte Kim. � Ein Funkspruch traf ein, Kim nahm ihn entgegen. � Auf einem kleinen Bildschirm erschien ein zerknittert wirkendes, kantiges � Gesicht mit hoher Stirn und kurzgeschorenen Haaren. � Das Emblem des TransCon-Sicherheitsdienstes war in Brusthöhe � angebracht und nicht zu übersehen. � »Hier ist Denninger«, meldete sich der Mann auf seine gewohnt � burschikose Art. � »Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich gerade eine Meldung erhalten � habe, wonach ein Ringraumer der neusten Bauart auf dem Weg hierher
ist. Wir erhalten also Unterstützung durch die Terranische Flotte.« � »Wann ist das Schiff vor Ort?« fragte Thorn. � »Wir gehen davon aus, daß es gegen Mittag in Neu-Karlsbad landen � wird.« � Denninger grinste und bleckte dabei seine makellos weißen Zähne wie � ein Raubtier. � »Ein paar Stunden werden wir uns also noch allein gegen die Invasoren � verteidigen müssen!« setzte er noch hinzu. � Die Verbindung wurde unterbrochen. � Thorn schaltete den Jett auf maximale Beschleunigung und lehnte � sich zurück. � * Der Jett erreichte am frühen Mittag Ortszeit jene Wüste, die man als das Totenreich bezeichnete. Über Tausende von Quadratkilometern erstreckte sich dieses trockenheiße und von hohen Gebirgszügen nahezu vollständig eingerahmte Gebiet. Teile dieses Areals waren der klassischen Sandwüste ähnlich, andere Bereiche waren Stein wüsten. Thorn ließ sich die Anzeigen der Ortungsanlage auf Hum-phreys Konsole schalten, während er selbst den Jett im Tiefflug über das Totenreich gleiten ließ.
»Irgend etwas besonderes auf Ihren Anzeigen?« fragte Thorn, der es
offenbar nicht mehr abwarten konnte. � Aber Humphreys mußte ihn enttäuschen und schüttelte entschieden den � Kopf. »Da ist nichts!« sagte er. »Selbst im Infrarotbereich finden sich hier � keinerlei Werte, die in irgendeiner Form von der Norm abweichen.« � »Wann haben wir die genaue Ausgangsposition der Impulse erreicht?« � wollte John Schmitt wissen. � »Wir sind sofort da«, erklärte Thorn. � Er bremste den Jett spürbar ab. � Thorn starrte durch das Seitenfenster hinaus in die Wüste. � Ein Meer aus Sanddünen war dort zu sehen. Es gab nur sehr wenige � Lebensformen, die es geschafft hatten, dieses Gebiet für sich zu erobern zumeist käferartige Wesen, die sich den Tag über in den Sand eingruben. � Genaueres wußte man darüber nicht. Man war vielmehr auf die wenigen
Daten angewiesen, die bei Überflügen gesammelt worden waren. � Kim schrie plötzlich ohne jeden erkennbaren Anlaß laut auf. � Sie wand sich wie unter furchtbaren Schmerzen. Ihr Gesicht war zur � Grimasse verzerrt. � »Was ist los, Kim?« rief Thorn. � Langsam beruhigte sie sich. Sie hob den Kopf. Ihr Blick war glasig. Sie � berührte mit Daumen und Zeigefinger leicht die linke Schläfe. � »Ich habe so wahnsinnige Kopfschmerzen«, sagte sie. »Es ist kaum � auszuhalten!« � Sie sprach stockend. � »Achtung, da erscheint etwas auf dem Ortungsschirm!« rief Humphreys. � Thorn sah es ebenfalls auf seinen Anzeigen. � Ein kugelförmiges Objekt erschien im Infrarotbild. Wenig später konnte � man es auch durch die Sichtfenster vorne und an den Seiten des Jetts
sehen. � »Ein Raumschiff!« entfuhr es Thorn. »Also doch...« � Einige Augenblicke lang flimmerte es noch, dann stabilisierte sich seine � Erscheinung. � Es handelte sich um einen etwa 120 Meter durchmessenden Kugelraumer, � der mit seinen unzähligen Stacheln an eine um den Faktor hundert � vergrößerte Version des ersten künstlichen Erdsatelliten namens Sputnik � erinnerte. � Strahlenblitze zuckten plötzlich aus diesen Stacheln. � Einer davon traf den Schweber, ein anderer ging daneben. � Thorn mußte all sein Können aufbieten, um den Jett stabil zu halten. � Alle möglichen Kontrollanzeigen leuchteten nun auf, die irgendwelche � Fehlermeldungen beinhalteten. � Gleichzeitig spürte Thorn, wie etwas sehr Fremdes sein Bewußtsein � berührte. � Dieses Etwas drang in seinen Geist ein und versuchte ihn zu beeinflussen. � Diese Kraft war sehr stark. Er war unfähig etwas zu tun, weder Schaltungen � durchzuführen noch den Kurs zu korrigieren. �
Die Flugbahn des Schwebers senkte sich bedenklich. � »Was ist los mit Ihnen?« hörte er wie aus weiter Ferne Humphreys' � Stimme. � Angst! Das ist die vorherrschende Emotion des Fremden! erkannte � Thorn auf einmal. � Es war für ihn jetzt ganz deutlich zu spüren. � Dann war es genauso plötzlich vorbei. � Die fremde Macht, die auf paranormaler Ebene nach ihm gegriffen hatte, � glitt ab. � Wie ein stumpfes Schwert am Panzer einer Rüstung! dachte Thorn. � Er sorgte dafür, daß sich die Flugbahn des Schwebers wieder stabilisierte. � Die Kraft, die ihn bis vor einem Augenblick noch erfüllt hatte, verließ ihn � in einem steten, unsichtbaren paranormalen Strom. � »Kim«, flüsterte er. � Sie war es, die diese Energien in sich aufnahm. � Thorn flog mit dem Jett einen Bogen. � Das erneute Feuer, das von dem stacheligen Kugelraumschiff abgegeben � wurde, verfehlte den Schweber. Ein paar kleinere Schäden an der
Außenhülle wurden durch den Bordsuprasensor angezeigt - aber es war � nichts dabei, was für die Manövrierfähigkeit wichtig gewesen wäre. Thorn flog � einen engen Bogen und feuerte dann das Bordgeschütz ab. � Es handelte sich um einen schwenkbaren Hochleistungsblaster, dessen � Zielerfassung vom Bordsuprasensor koordiniert wurde, sobald ein � bestimmtes Ziel eingeben worden war. � Aber das Blasterfeuer prallte an der Außenhülle des kugelförmigen � Raumschiffs wirkungslos ab. � Thorn schaltete das Geschütz auf maximale Leistung, zog noch einmal � an dem Kugelraumer vorbei, um anschließend erneut eine Kurve zu � fliegen. � Von beiden Seiten wurde jetzt erneut gefeuert. � Aber auch mit höchster Intensität vermochte das Blasterfeuer das � gegnerische Schiff nicht wirklich zu beschädigen, geschweige denn � zur Einstellung des Feuers zu bewegen. � Immer stärker wurde nun seinerseits der Schweber unter Feuer
genommen. � Thorn ging auf Ausweichkurs. � Da erschien am Himmel von Nemed III ein Ringraumer. � »Das muß die Unterstützung durch die TF sein!« stieß Schmitt hervor. � Der Ringraumer sank rasch tiefer und nahm das noch immer am Boden � befindliche Stachelschiff unter massives Feuer. Pinkfarbene Nadelstrahlen � zischten durch die Atmosphäre von Nemed III und trafen den Kugelraumer � gleich an mehreren Stellen. � Es wurde Dauerfeuer gegeben. �
An Bord des Kugelschiffs ereigneten sich Explosionen. Ein Stück der � Außenhülle platzte ab. Flammen züngelten aus der entstandenen
Öffnung hervor. Einen Schutzschirm hatte das fremde Raumschiff nicht, � wie Thorn anhand der Ortungsanzeigen erkennen konnte. � Kim stöhnte auf und begann wenig später wieder laut zu schreien. � Thorn spürte, wie eine unfaßbare paranormale Kraft sich um den Schweber � herum aufzubauen begann. Er spürte einen Druck hinter seinen Schläfen � und hatte das Gefühl, ihm würde der Kopf zerplatzen. � Der Schweber muß auf den Boden! ging es ihm durch den Sinn. � Ein einziger Gedanke, an den er sich jetzt geradezu klammerte. � Er murmelte ihn vor sich hin wie ein Mantra, um sich durch die ständige � Wiederholung auf das zu konzentrieren, was er tat. � Kims Schreie versuchte er ebenso zu ignorieren wie den Einfluß dieser � meßbar starken Kraft, die immer noch zunahm. � Ein wenig hart, aber ohne weitere Schäden landete der Schweber
schließlich auf der Oberfläche. Er pflügte den Sand in Fontänen zu beiden � Seiten davon und kam endlich zum Stehen - kaum zweihundert Meter von � dem brennenden Kugelraumer entfernt. � Ein Funksignal erreichte den Schweber. � Wie in Trance drückte Thorn einen Knopf und schaltete damit die � Funkphase frei. � Auf einem Minibildschirm erschien das Gesicht eines Mannes, der die � Kombination der Terranischen Raumflotte trug. � »Hier spricht Charlie Jana, Kommandant der BUDVA IL Wie geht es
Ihnen?« � Thorn versuchte zu antworten. Erneut schrie Kim auf. Thorn erhob sich � von seinem Platz und ignorierte die freigeschaltete Funkphase und den � Kommandanten des Ringraumers. Er faßte Kim bei den Schultern, um sie � zu beruhigen. � »Chris!« rief sie. Immer wieder stieß sie den Namen ihres Sohnes hervor. � »Chris!« � * Zur gleichen Zeit in der Begabtenschule von Tycho City, Luna... »Die Übung ist im Grunde ganz einfach«, sagte Professor Guthrie, mit 105 Erdenjahren der älteste Dozent an der Begabtenschule. Guthrie war allerdings noch topfit. Lediglich Knie und Hüften machten ihm etwas Probleme, weswegen er die künstliche Erdschwerkraft in seinem Privatquartier und seinen Arbeitsräumen stets abgeschaltet hatte. Die viel geringere Schwerkraft des Mondes belastete seine Gelenke weniger, und den Einbau künstlicher wollte er solange wie möglich hinausschieben. Er fürchtete Operationen. Professor Jay E. Guthrie war schon seit einer halben Ewigkeit auf dem Gebiet der Erforschung von Para-Kräften tätig. An der Schule von Tycho City gab er vor allem Kurse in Para-Konzentration. Bei den Schülern waren diese Kurse durchaus als kräftezehrend gefürchtet.
Manche der Übungen, die er von den Schülern durchführen ließ, brachten � sie an den Rand völliger Erschöpfung - und zwar sowohl in Bezug auf � ihre Para-Kräfte als auch im Hinblick auf ihre Physis. � Guthrie deutete auf den gläsernen Kubus mit einer Kantenlänge von � zwei Metern. � »Innerhalb dieses Kubus herrscht ein Antigravfeld, wie Sie sehen können. � Wenn Sie doch bitte etwas näherkommen würden...« � Das ließen sich die Schüler der Begabtenklasse nicht zweimal sagen. � Chris Nev stand plötzlich neben Liu. So nahe, daß er ihr Parfüm riechen � konnte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihrem Vordermann über
die Schultern blicken zu können. � Sie könnte sich eigentlich langsam entscheiden, wen von uns sie nun � eigentlich will! � dachte Chris. Tuturo, Miro - oder mich. Langsam habe ich das Gefühl, � daß sie uns alle zum Narren hält... � Chris Nevs Gedanken drifteten immer mehr ab. � Plötzlich drang Mr. Guthries herrische Stimme in sein Bewußtsein. � »Können Sie das bitte wiederholen, Chris?«
»Äh... ich?« � »Kommen Sie her!« � »Ich weiß nicht...« � »Aber ich weiß es, Chris! Kommen Sie!« � Liu schenkte ihm ein bedauerndes Lächeln. Nicht gerade das, was ich � von ihr haben will, dachte er ziemlich ernüchtert. � Es bildete sich eine Gasse für ihn. � Er trat vor. Mr. Guthrie winkte ihn noch näher heran. »Kommen Sie, � kommen Sie, kommen Sie!« wiederholte er dreimal kurz und stakkatohaft � hintereinander. � Eine der Eigenarten, die sich Guthrie während seines mehr als � hundertjährigen Lebens angewöhnt hatte. Er schien zu glauben, in seinem � Alter einfach ein Anrecht auf ein paar Marotten zu haben, und lebte sie � daher mit großer Selbstverständlichkeit aus, was unter den Schülern � immer wieder zu mehr oder minder heftigen Ausbrüchen von Heiterkeit � führte. � Manchmal hatte Chris allerdings den Eindruck, daß Guthrie das alles
nur inszenierte, um das Interesse seiner Schüler zu erwecken und sie bei � Laune zu halten. � Chris wurde von seinem Lehrer bei der Schulter genommen und vor den � Glaskubus gestellt. »Und jetzt konzentrieren Sie sich, Chris. Es ist � gleichgültig, ob Sie ein Telekinet oder ein Telepath oder sonstwas sind. � Diese frei in dem Antigravfeld schwebenden Metallteilchen reagieren � auf minimal dosierte elektrische Spannung, die wiederum in � dem Maß abgegeben wird, wie unser Meßgerät Para-Energie anmessen � kann. � Mit anderen Worten: Durch pure Konzentration auf Ihre Kräfte können Sie � die Teilchen ordnen. Zeigen Sie uns, was Sie können, Chris! � Ein Muster vielleicht oder - falls Sie es hinkriegen - ein Gesicht? �
Ich bin überzeugt davon, daß Sie es irgendwann hinbekommen, � mit diesem Ding hier dreidimensionale Cartoons zu zeichnen!« � »Okay«, sagte Chris. � Er konzentrierte sich. � Es herrschte Totenstille im Raum. � Zunächst geschah gar nichts. � Dann begannen sich die Metallteilchen, die schwerelos im Kubus umher � schwebten, in Bewegung zu setzen. Strukturen bildeten sich heraus. � Es dauerte mehrere Minuten, bis endlich erkennbar war, was Chris
damit zu zeichnen versuchte. � Einen Ring. � An einer Seite war dieser Ring noch nicht richtig geschlossen, während in � der unteren Ecke des Kubus eine Ansammlung von Metallteilchen � abgesunken war und sich einfach nicht dorthin bringen ließ, wo Chris sie � hinhaben wollte. � Er konzentrierte sich noch mehr. � Aber nur einige wenige dieser Teilchen setzten sich in Bewegung und � schwebten empor. � Die Lücke im Ring erreichten sie aber nicht. � Vorher kamen sie vom Kurs ab, trudelten durch die Gegend und entglitten � schließlich Chris' Kontrolle. � Dann sprengte auf einmal der Ring auseinander. � Es war eine Explosion. � Diese Explosion fand zeitgleich in Chris' Kopf statt. Eine Kraft griff nach � ihm. � Chris blickte in das von Entsetzen geprägte Gesicht von Mr. Guthrie. � Der Kinnladen des über Hundertjährigen war nach unten gesackt. � Er starrte voller Erschrecken auf das, war vor seinen Augen geschah. � Innerhalb von wenigen Augenblicken bildete sich um jeden der Schüler
eine goldene Blase. � Dann waren sie allesamt verschwunden. � Guthrie stieß einen unartikulierten Laut aus. Er schüttelte den Kopf. � Dann fiel sein Blick auf die Anzeigen des Meßgerätes, mit dessen Hilfe � Para-Kräfte angemessen werden konnten. � Es zeigte Maximalwerte an, die erst langsam abebbten und schließlich � wieder sanken. � Guthrie löste sich aus seiner Erstarrung und schlug Alarm. � * Unmittelbar vor dem mit Mühe und Not gelandeten Jett materialisierten plötzlich goldene Blasen, die transparent wurden und schließlich verschwanden. Unter jeder dieser Blasen kam einer der Schüler aus Tycho City zum Vorschein. Die gesamte Begabtenklasse war ohne meßbaren Zeitverlust über eintausendvierhundert Lichtjahre nach Nemed III transferiert worden! Chris und die anderen blickten ziemlich desorientiert umher.
»Hey, was ist hier los?« fragte Miro. � »Seht mal, das Stachelschiff da vorne!« � Sever und seine Truppe von Wachmännern sprangen aus dem
Außenschott des Jett und gingen mit ihren Blastem in Stellung. � Nur etwa die Hälfte von ihnen war mit Multikarabinern ausgerüstet. � Schließlich hatten die Wachleute von TransCon normalerweise Aufgaben, � bei denen es mehr auf die Anwendung eines Paralysators als auf das � Abfeuern von Explosivgeschossen ankam. � Aber zumindest verfügte jeder der Männer auch über einen Blaster. � Als nächster stieg Thorn aus dem Jett. � Er hatte längst entschieden, daß es unsinnig war, mit dem Jett erneut in � die Luft zu steigen. Die Gefahr, daß die fremden Invasoren die Maschine � dann zum Absturz brachten und so mit einem Schlag alle ausschalteten, � die an Bord waren, war viel zu groß. � Daß die Fremden die Macht dazu hatten, stand außer Frage. � Hoch über ihnen schwebte derweil die BUDVA II, das Schiff von Kapitän � Charlie Jana. � Eine Rauchfahne stieg von dem in Brand geschossenen Raumschiff � der Fremden zum Himmel auf. � Thorn lief auf die Gruppe von Jugendlichen zu, die gerade auf bisher
nicht erklärliche Weise materialisiert waren. Natürlich erkannte er sofort � den Sohn seiner Lebensgefährtin. � »Chris!« rief er. � »Thorn!« entfuhr es Chris verwirrt. � Miro stand neben ihm. Er versetzte Chris einen Rippenstoß. � »Wenn du weißt, was hier gespielt wird, wäre es jetzt vielleicht ein � geeigneter Zeitpunkt, um etwas dazu zu sagen, Chris!« � »Ich habe keine Ahnung«, murmelte Chris. � »Chris, wir sind hier auf Nemed III. Dir die Situation zu erklären dauert � zu lange, aber du solltest wissen, daß deine Mutter soeben ins Koma � gefallen ist!« � »Was?« fragte Chris. � »In dem Augenblick, als ihr materialisiert seid. Sie hat vorher deinen � Namen gerufen.« � »Wovon redet der?« fragte Liu. � Aber zum erstenmal seit langer Zeit beachtete Chris die zierliche � Chinesin überhaupt nicht. � »Achtung! Wir werden angegriffen!« rief Maik Sever. � Die Blicke aller richteten jetzt auf das brennende Schiff der Fremden. � Ein Schott hatte sich dort geöffnet. � Der Reihe nach stürzten Gestalten ins Freie, die genau so aussahen � wie der Besucher in der Turnhalle des TransCon-Komplexes. � Nach und nach gelangten etwa fünfzig von ihnen ins Freie. � Sie trugen ihre lanzenartigen Strahlwaffen und schössen damit. Einer der � Wachleute wurde von den Strahlen erfaßt und sank in den Sand der
Wüste, wo er regungslos liegenblieb. �
Nur im ersten Moment waren die Angreifer zu erkennen gewesen. � Aber dann verblaßten sie zu unscheinbaren Schemen. � Schatten, die über den Wüstensand huschten. � Thorn spürte die gewaltige Para-Kraft, die sich aufbaute. � Und den Sicherheitskräften ging es genauso. � Keiner von ihnen feuerte noch eine Waffe ab. Thorn war schwindelig. � Er hatte ein unangenehmes Druckgefühl hinter den Schläfen und wußte, � daß dies nichts weiter als eine Reaktion seines Körpers auf die immensen � Kräfte war, die von den Fremden aufgebaut wurden. � Kräfte, die früher oder später dazu führen werden, daß unsere eigenen Wachleute auf uns schießen! durchfuhr es Thorn. Die wollen uns ferigmachen! Er griff nach dem Handblaster an seinem Gürtel. � Die Empfindungen, die ihn jetzt durchströmten, waren jenem Gefühl � sehr ähnlich, das ihn beherrscht hatte, kurz bevor er Humphreys zu töten � versuchte. � Allerdings konnte Kim jetzt die Energien der Fremden nicht absorbieren. � Thorn hob den Blaster. � Gerade noch hatte er Chris und den anderen Jugendlichen erklären wollen, � was sie zu tun hatten! Daß die wahre Gefahr nicht von den Lanzenwaffen � der Fremden ausging, sondern von den Para-Kräften, die in den � Unheimlichen schlummerten. � Aber nun war er unfähig, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen. � Statt dessen hatte er plötzlich wieder den Drang zu töten. � Diesmal nicht auf eine Person bezogen, sondern wahllos. � Widersteh dieser Kraft! sagte er sich. Er wiederholte es laut. � Die Fremden aus dem Schiff näherten sich. � Gleichzeitig sank die BUDVA II tiefer. Etwa zwanzig Meter über der � Oberfläche wurde eine Außenschleuse geöffnet. Mit Antigravpack � ausgestattete humanoide Kampfroboter wurden abgesetzt. � Sie schwebten zu Boden und eröffneten bereits in der Luft das Feuer. � Aber ihre Blaster richteten nichts aus. � Die Fremden begaben sich noch nicht einmal in Deckung, denn die � Waffen der Roboter waren vollkommen wirkungslos. � Offenbar waren sie nur dann verwundbar, wenn sie voll materialisiert � waren - so wie jener Vertreter dieser Spezies, der in der Turnhalle erschienen � war. � Thorn spürte plötzlich, wie die Kraft, die sich in der Zwischenzeit aufgebaut � hatte, auf ähnliche Weise abfloß, wie es zuvor schon geschehen war, als
Kim die Para-Energien absorbiert hatte. � Es müssen die Schüler sein! dachte er. Chris und die anderen Begabten neutralisieren die Para-Kräfte der Invasoren. Die Fremden wurden nun einer nach dem anderen vollends sichtbar.
Jetzt waren sie angreifbar, und keinen der Wachleute aus Maik Severs Team hinderte noch etwas daran, den Blaster zu gebrauchen. Gleichzeitig schwärmten die zwei Dutzend Kampfroboter aus, die die BUDVA II abgesetzt hatte. Der Ringraumer flog danach wieder ab. Die Roboter feuerten aus allen Rohren. Wurde einer der Fremden getroffen, so wurde er wieder zum Schemen, bevor er vollends verschwand. Er verwehrte wie eine Staubfahne im Wind. Schon trieben die Roboter die Invasoren zurück. Immer wieder wurden jetzt Angreifer getroffen und vernichtet. Die Fremden schienen verwirrt zu sein. Sie feuerten aus ihren lanzenartigen Strahlenwaffen. Einige der Roboter explodierten. Ein weiterer Wachmann wurde getroffen, und Thorn versuchte, die in einem Zustand starker geistiger Konzentration begriffenen Schüler dazu zu bewegen, sich in Deckung zu begeben. Zusammen waren sie offenbar in der Lage, weitaus mehr ParaEnergie zu absorbieren, als Kim es hatte verkraften können. Die Möglichkeiten der Fremden, ihre Gegner zu manipulieren, waren damit ausgeschaltet. Zwischendurch spürte Thorn noch einmal den Versuch, ihn mit Para-Kräften fertigzumachen, aber der Angriff scheiterte. Sie sind schwächer geworden! dachte er. Ein triumphierender, durchdringender Gedanke, hell wie ein Lichtstrahl... Das ist wahr! antwortete ihm eine Gedankenstimme, und Thorn war sofort klar, daß sie aus der Gruppe der Jugendlichen gekommen war, von denen die meisten in einem tranceähnlichen Zustand waren. Nur die am stärksten Begabten unter ihnen waren noch in der Lage, neben der Absorption der immensen Para-Kräfte, die die Gegner auch jetzt noch aufzuwenden vermochten, einen Gedanken zu fassen. Ich bin es, sagte die Gedankenstimme, die scheinbar aus Thorns Hinterkopf kam - in Wahrheit aber einem der Schüler gehörte, der ihn jetzt angrinste. Ich heiße Tuturo! fuhr die Stimme fort. »Kannst du auch die Gedanken dieser Wesen wahrnehmen?« rief Thorn, um den Schlachtenlärm zu übertönen. Das letzte Drittel ging in dem Detonationsgeräusch unter, das mit der Explosion eines Kampfroboters einherging. Aber Thorn verstand die Mitteilung seines Gegenübers trotzdem, da es sich offensichtlich um eine telepathische Botschaft handelt. Ihre Gedanken sind sehr fremdartig und ziemlich durcheinander, meldete Tuturo. Aber das ist vielleicht auch einfach eine Frage des Standpunktes. Es herrscht Verwirrung bei ihnen darüber, daß sie ihre Para-Kräfte nicht so voll zur Anwendung bringen können, wie sie es wollen, und sie haben auch ungefähr schon eine Ahnung davon, wie wir sie daran hindern, in ihrer posttemporalen Ebene zu bleiben. »Wie bitte?« fragte Thorn, der zwischendurch mit seinem Blaster auf die Fremden schoß.
Ein paar Strahlschüsse zischten daraufhin dicht über ihn hinweg, weil einer der Invasoren auf ihn aufmerksam geworden war. Nur Sekundenbruchteile später traf diesen der Blasterschuß eines terranischen Kampfroboters. Der Fremde mit dem toten-schädelähnlichen Kopf sank zu Boden, wurde wieder zu einem Schemen und verschwand. Posttemporale Ebene, wiederholte Tuturo. Ist ein Begriff, der mir gerade eingefallen ist. Er soll andeuten, daß die Fremden eine Picosekunde in der Zukunft existieren. Auf die realen Handlungen hat das keinen Einfluß, ob man etwas eine Picosekunde eher tut oder nicht, aber für die Mathematik des Universums schon. Sie sind dann außerhalb unseres temporalen Konti-nuums, fast wie bei einem Intervallum. Darum kann man sie auch nicht angreifen. Wir sorgen nun mit unseren Kräften dafür, daß sie in der Zeit zurückfallen, auch wenn ich zugegeben muß, daß das ein sehr ungeschickter Ausdruck dafür ist. Zurückfallen in die reguläre Zeitebene, so könnte man es tatsächlich nennen! »Vielleicht solltest du weniger angeben, John!« meinte Chris. � Offenbar hatte Kims Sohn die Gedanken seines Klassenkameraden � mitbekommen. � Vielleicht hatte Chris diese Gedanken sogar verstehen sollen. � »Ist wirklich passend«, war auch Miros Meinung. � Sie lagen alle an einem Dünenkamm in Deckung, nachdem Thorn sie � davon mehr oder weniger überzeugt hatte. � Die Aussichten, sich endlich in den Jett zurückziehen zu können, waren in � den letzten Minuten nicht gerade besser geworden, da das Strahlenfeuer
der Invasoren wieder zugenommen hatte. � Selbst der Jett bekam nun einen schweren Treffer am Heck � ab. � »Alles in Ordnung?« erkundigte sich Thorn über Vipho bei Humphreys. � »Ja, hier ist niemand verletzt«, meinte dieser. � »Und Kim?« � »Ihr Zustand ist unverändert.« � »Vielleicht sollten jetzt alle den Jett verlassen. Wer weiß, ob ihr noch so � eine Blastersalve abbekommt!« � »Hier haben wir wenigstens ein bißchen Deckung!« erwiderte Humphreys. � Er hatte recht. Bis zum nächsten Dünenkamm waren es zwar nur wenige � Meter, aber die hätten die Insassen durch freies Gelände ohne Deckung � laufen müssen. � Das hätte den sicheren Tod bedeutet. � Thorn tauchte etwas aus seiner Deckung hervor, als das Strahlenfeuer der � Gegner kurz abebbte. � Sever und seine Wachleute gaben ihm dabei nach Kräften Feuerschutz. � Die Zahl der Invasoren war zwar durch das Gefecht einerseits stark
reduziert worden, aber es war auffallend, daß es jetzt wieder viele dieser
mit ihren totenschädelähnlichen Köpfen wie leibhaftige Dämonen wirkenden � Angreifer gab, die zu Schemen wurden. �
Sie kehrten zurück in jenes Kontinuum, das John Tuturo die posttemporale � Ebene genannt hatte. � Die Kraft selbst der begabtesten Schüler konnte sie nicht länger in der � Normalzeit halten. � Ihr Einfluß wurde schwächer, und die Ursache dafür konnte in Thorns
Augen nur sein, daß sie sich gedanklich ablenken ließen. � Sie sind vielleicht nicht so stark, wie manche von ihnen glauben! überlegte � Thorn. � Sie denken da doch nicht zufällig an mich? fragte Tuturo in seinen � Gedanken. � »Konzentriert euch darauf, die Para-Kräfte zu absorbieren«, forderte � Thorn lautstark. � »Sonst haben wir trotz der Kampfroboter auf Dauer keine Chance.« � Ich sage Ihnen, wer von den Fremden ein Anführer ist! sendete Tuturo. � Ich brauche etwas Kraft dazu. Vielleicht werden die Angreifer dadurch � kurzfristig etwas stärker. � Aber es könnte sich lohnen. Töten Sie den Anführer, das wird ihren � Widerstand sicher brechen! � Sage mir jetzt nicht, daß dies keine Gedanken für einen Schüler sind! � »Wie schön, wenn man sich selbst antworten kann!« erwiderte � Thorn sarkastisch. � »Ich werde das Bild des Anführers in Ihrem Kopf plazieren, sobald ich � seine Gedanken erkannt habe!« versprach Tuturo laut, wobei seine Worte � durch einen Gedankenstrom unterstützt wurden. »Am besten projiziere ich � ihn in alle Gehirne, so daß er unter Feuer genommen werden kann. � Erschießen Sie ihn - wenn Sie können!« � Abschließend sandte Tuturo einen Gedankenstrom, der scheinbar nur für
Liu bestimmt war. � Aber Tuturo ließ es zu, daß auch Chris und Miro alles mitbekamen. � Genau das war seine Absicht. � Siehst du, so regelt man so etwas, Liu! In diesem Augenblick schrie einer der Wachleute auf. � Der Strahlschuß aus einer Lanzenwaffe hatte ihn von hinten erwischt. � Es war mehreren Angreifern gelungen, sich in einem Bogen � davonzuschleichen, hinter Sanddünen zu verbergen und nun einen Angriff � von hinten zu starten. � Insgesamt waren es drei. � Zwei waren nur Schemen, einer voll materialisiert, da er anders offenbar
nicht schießen konnte. � Maik Sever und Thorn wirbelten im selben Moment herum und feuerten � auf den Schützen. Sie erwischten ihn gerade noch rechtzeitig, bevor er
wieder zu einem unverwundbaren Schemen werden konnte. � Die Blasterstrahlen erfaßten ihn. Er sank zu Boden und löste sich auf. � Die beiden anderen waren nun gewarnt. Die Umrisse ihrer Lanzenwaffen � waren vage zu erkennen. � Liu stieß einen Schrei aus. �
Sie kniff die Augen zusammen. Offenbar konzentrierte sie sich besonders
auf die beiden rückwärtigen Angreifer, versuchte all die Para-Energie zu � absorbieren, die sie umgab. � Andere Schüler folgten ihrem Beispiel. � Die beiden Fremden waren für Augenblicke klar erkennbar und offensichtlich � voll materialisiert. � Aus mehreren Waffen wurde im gleichen Moment auf sie gefeuert, so daß � sie vernichtet wurden. � »So regelt man das, ihr Angeber!« rief Liu und meinte damit wohl vor allem � Tuturo. � Doch der war in diesem Augenblick auf etwas ganz anderes konzentriert. � Er hatte einen Anführer gefunden. Vielleicht jemanden, der bei den Fremden � die Entsprechung eines Offiziers war. Er projizierte das Bild dieses Fremden � in die Köpfe aller Anwesenden. � Die Intensität war so stark, daß Thorn sie beinahe als schmerzhaft empfand. � Der Anführer zeigte sich im Augenblick nur als Schemen, aber Thorn und � die anderen bekamen ein zweifaches Bild. Einerseits den Schemen, dessen � Position nun jeder von ihnen kannte, da in dem telepathischen Bild auch � der Hintergrund enthalten war. � Und andererseits etwas, das wohl das Selbstbild des Fremden war. � Es war fremdartig und verzerrt. � Offenbar nahmen die Augen dieser Fremden ihre Umgebung ganz anders � wahr, als dies bei Menschen der Fall war. � Aber ein Kennzeichen blieb auch für Menschen sofort deutlich sichtbar. � Der rechte Arm war deutlich kleiner, und es fehlten die keulenartige � knöcherne Verdickung und der lange Dorn. Offenbar war dieser »Anführer« � aus irgendeinem Grund verkrüppelt. � Ein Geburtsfehler kam dafür ebenso als Ursache in Frage wie eine � Verwundung im Kampf. � Miro und Chris hatten dieses telepathische Bild auch empfangen. � Sie sahen sich kurz an. � Und waren sich einig. � Sie sprangen auf und stürmten voran. � Chris streckte die Hand aus. Paralysator und Blaster wurden aus der � Magnethalterung eines toten TransCon-Wachmannes gerissen. Chris' � telekinetische Fähigkeiten waren stärker als die Magnete, die die Waffen � am Gürtel des Toten hielten. � Sie wirbelten durch die Luft. � Ohne anzuhalten oder sich umzudrehen, fing Chris sie beide nacheinander � auf. � Den Blaster warf er Miro zu. � »Feuer einstellen«, rief Maik Sever seinen Leuten zu. Die beiden jungen � Männer rannten auf die inzwischen im Rückzug befindlichen Invasoren zu. � Einer von ihnen materialisierte vollends und feuerte. Aber sein Schuß � verfehlte Chris knapp. �
Miro hob den Blaster und drückte ab. Die vereinte Para-Energie der beiden � Schüler verhinderte, daß der Angreifer wieder zum Schemen werden und � sich dadurch retten konnte. Miros Blasterschuß tötete ihn. � Sie stürmten weiter. � Kaum einem der Fremden gelang es jetzt noch, ein unangreifbarer Schemen � zu bleiben. � Die Kraft von Chris' Klassenkameraden zwang sie mehr und mehr dazu, � zumindest zeitweilig vollständig zu materialisieren. Die meisten von ihnen � schossen dann wild und ziemlich wahllos um sich, weil sie wohl wußten, � daß das ihre einzige Chance war, sich zu verteidigen. � »Das ist er!« sagte Miro und deutete auf den Anführer. � Ganz kurz materialisierte er, offenbar durch die vereinigten Para-Kräfte � der Schüler dazu gezwungen. Sein verkrüppelter Keulenarm war deutlich � zu sehen. � Er drohte vollkommen zu verschwinden. � Aber nun konzentrierten Miro und Chris ihre Kräfte auf ihn. � Sie sogen sämtliche Para-Energie aus ihm heraus, so daß er immer mehr
an Substanz gewann und schließlich vollends materialisiert dastand. Die � beiden rechten Hände umfaßten die lanzenartige Waffe, die Spitze senkte � sich, aber der anschließende Schuß wurde völlig verrissen und ging ins � Nichts. � Zuvor hatte Chris nämlich den Paralysator abgedrückt. � Wie der betäubende Schockstrahl auf den Metabolismus des Fremden � wirken mochte, darüber konnte der Terraner natürlich nur spekulieren. Er � hatte die Waffe auf höchste Intensitätsstufe geschaltet. � Selbst ein robuster Tel, der über zwei unabhängig voneinander � funktionierende Kreislaufsysteme verfügte, wäre von dieser Dosis mit � Sicherheit für viele Stunden betäubt worden. � Das Wesen mit dem blauschwarz gestreiften Totenschädelgesicht schwankte � nur. Immerhin war es jetzt vollkommen materialisiert. � Doch Chris und Miro erkannten sofort, daß es im Begriff war, sich in eine � andere Zeitebene davonzumachen. � Das Wesen nahm all seine Kräfte zusammen - physische und parapsychische � Energien wurden gleichermaßen aktiviert. � Chris feuerte noch einmal mit derselben Intensität, diesmal etwas länger. � Der Fremde stürzte zu Boden und verlor die Lanzenwaffe. Er kroch davon. � Miro rannte auf den blauschwarz gestreiften Humanoiden zu und warf sich � auf ihn, um ihn festzuhalten. � Chris näherte sich ihm. � Der Fremde drohte schon, Miro buchstäblich unter den Händen � wegzumaterialisieren, aber da war Chris schon herbeigeeilt. Er setzte den � Paralysator auf und verabreichte dem »Anführer« der Invasoren einen � weiteren Lähmschuß, der ihn dann endgültig außer Gefecht setzte. � Im nächsten Moment verdunkelte sich Nemeds Stern. � Ein gewaltiger Schatten schwebte unmittelbar über ihnen. � Im selben Augenblick explodierte das brennende Schiff der Invasoren. � *
Eine Holokugel schwebte mitten in der Zentrale der BUDVA IL � Kapitän Charlie Jana hielt es nicht in seinem Kommandantensitz. � Er war aufgesprungen und beobachtete voller Unruhe, was sich dort unten � auf der Oberfläche tat. Teilweise waren recht heftige und verbissene � Kämpfe ausgebrochen, aber nach und nach war es den Robotern gelungen, � die unbekannten Invasoren zurückzudrängen, deren Schiffstarnung Jana � an die To Glossa erinnert hatte. � »Das Energieniveau im Wrack des Kugelraumers steigt und steigt und � steigt!« meldete in diesem Moment der diensthabende Ortungsoffizier
Glen Serado. »Den Berechnungen des Hyperkalkulators nach fliegt � uns das Ding gleich um die Ohren!« � »Uns nicht«, korrigierte Jana. � »Es tut mir leid, aber die Terraner, die unten bisher um ihr Leben gekämpft � haben, werden von der Druckwelle einfach hinweggefegt. Der Bordrechner
gibt ihre Überlebenschance mit unter zwei Prozent an.« � Charlie Jana wandte sich an den Steuermann und Navigator: »Landen Sie � zwischen dem explodierenden Raumschiff und unseren Leuten!« � Das konnte eventuell die Rettung bedeuten. Der Ovoid-Ringraumer würde � in diesem Fall die Wucht der Explosion abfangen. � »Sir, die seitliche Front der BUDVA reicht nicht aus, um...« � »Die Steuerfunktionen auf meine Konsole!« befahl Jana, dem klar war, � daß es jetzt auf entschlossenes Handeln ankam. »Ich übernehme!« � Auf jede Sekunde kam es nun an. � Charlie Jana führte ein Manöver aus, das den Andruckneutralisatoren alles � abverlangte. � »KFS aktivieren!« lautete der nächste Befehl. � »KFS aktiviert!« kam die Bestätigung des Ersten Offiziers. � Dieser dicht gestaffelte Schutzschirm konnte es bei der Abwehrleistung � durchaus mit einem Intervallum aufnehmen. � Seit zwei Jahren hatte Wallis Industries eine terranische Version dieser � ursprünglich von den Galoanern stammenden Defensivausstattung auf � dem Markt. Seitdem wurde sie in die Schiffe der Terranischen Flotte � eingebaut und sollte bis spätestens 2062 zur Standardausrüstung gehören. � Charlie Jana war natürlich klar, daß selbst diese stärkste Defensivwaffe � auf das äußerste strapaziert würde, wenn sich die BUDVA II zwischen die � Invasoren und die Terraner rund um den Jett stellte. � Aber ein Intervallum hätte zwar sein Schiff beschützt, nicht aber die � Menschen am Boden. � Kapitän Jana ließ die BUDVA II im Sturzflug niedersinken. Er sorgte dafür, � daß das Schiff sich hochkant und mit aktiviertem Kompaktfeldschirm
zwischen das gerade explodierende Schiff und die Menschen stellte. � Im letzten Moment stand der KFS der BUDVA wie eine Schutzwand da, an � der die glühenden, wie Geschosse durch die Luft geschleuderten � Metalltrümmer abprallten. � Durch ein Intervallfeld wären sie einfach hindurchgeflogen. � *
Chris und Miro hatten sich neben dem betäubten »Anführer« der Invasoren � in den Sand geworfen. � Dicht neben ihnen setzte ein hochkant gestellter Ovoid-Ring-raumer auf und � grub sich mindestens einen Meter tief in den weichen Sand hinein. � Keine Druckwelle fegte die beiden davon, keine Hitzewelle versengte sie und � ließ sie bei lebendigem Leib verschmoren, womit Chris eigentlich gerechnet � hatte. � Miro rappelte sich auf. � Chris schaffte das erst einen Augenblick später. � Thorn rannte ihnen entgegen. Maik Sever und Liu sowie einige Schüler und � TransCon-Wachleute befanden sich in seinem Schlepptau. � »Alles in Ordnung?« rief Thorn � »Ja«, bestätigte Chris. � Liu holte Thorn ein. John Tuturo hatte sich inzwischen auch auf den Weg � gemacht. � »Ihr habt einen Offizier oder so etwas gefangen!« stellte Liu bewundernd � fest. »Alle Achtung!« � Chris fragte sich, wem von ihnen beiden diese Bewunderung nun eigentlich � galt. � Aber er scheuchte diesen Gedanken schnell wieder davon. � Der Augenblick war einfach zu schön. � »Ich hoffe nur, daß er sich unter Hypnose setzen läßt, damit wir mehr
darüber herausbekommen, was eigentlich die Ziele der Angreifer sind!« � sagte Chris. � Tuturo klatschte demonstrativ. »Bravo!« rief er. »Aber das hätte � wahrscheinlich jeder von uns geschafft!« � »Angeber!« schalt ihn Liu. � Vielleicht merkt Liu ja langsam, wer von uns wirklich etwas auf dem Kasten � und nicht nur eine große Klappe hat! überlegte Chris. � Er hätte sich liebend gerne noch länger mit Liu unterhalten. � Aber in diesem Augenblick gab es Wichtigeres. � »Hör mal, Chris«, sagte sie, aber er unterbrach sie. � »Wir reden ein anderes Mal«, sagte er bestimmt und schob sie zur Seite. � Er trat auf Thorn zu. »Was ist mit meiner Mutter?« � * Die BUDVAII wurde wenig später in eine normale Landeposition gebracht. Das Schiff der Fremden war explodiert. Es bestand keine Gefahr mehr, und so wurde selbstverständlich auch der KFS abgeschaltet. Alle Überlebenden aus dem Jett gelangten über die Außenschleuse ins Innere des Ringraumers. Kim Nev mußte von zwei Robotern geholt werden. Sie war noch immer nicht aus dem Koma erwacht, was besonders Chris und Thorn natürlich sehr besorgte.
Kim wurde in der medizinischen Abteilung der BUDVA II behandelt, � aber an ihrem Zustand änderte sich zunächst nichts zum Positiven. � Im Gegenteil! Ihr Herzschlag setzte zwischenzeitlich aus, und sie � mußte reanimiert werden. � Ihr Zustand war auch danach noch instabil. � »Vielleicht kann man ihr in Neu-Karlsbad helfen«, hoffte Thorn. � Er wandte sich an Chris. »Für euch Begabte gibt es außerdem eine � wichtige Aufgabe, sobald wir Neu-Karlsbad erreichen.« � »Welche?« fragte Chris. � »Das Verhör dieses Fremden.« � »Er ist ein Gardem«, stellte Tuturo fest, der in der Nähe stand und sich � irgendwie übergangen fühlte. Er zuckte mit den Achseln, als er Thorns � erstaunten Blick sah. � »Das habe ich aus dem Gedankensalat der Angreifer herausgefiltert«, � sagte er. � »So nennen sie sich zumindest selbst. Abgesehen von meinen telepathischen � Fähigkeiten bin ich auch gut in Hypnose! Also eigentlich wie prädestiniert � dafür, dem Kerl seine Geheimnisse zu entreißen!« � »Erstens wissen wir noch gar nicht genau, ob es wirklich ein Kerl ist, � und zweitens bin ich dann ja wohl überflüssig«, meinte Chris. � »Keineswegs«, erwiderte Thorn. »Ihr müßt verhindern, daß dieses
Exemplar von Spezies X...« � »Gardem!« korrigierte Tuturo. � »... daß dieser Gardem seine Zeitkraft - oder wie immer man das auch � bezeichnen will - aktiviert und uns am Ende doch noch entwischt! � Im Moment sind ein paar eurer Mitschüler damit beschäftigt, aber wir � brauchen euch alle!« � Chris atmete tief durch. »In Ordnung«, sagte er, während der Boden � unter ihren Füßen leicht vibrierte. Die Maschinen rumorten und ließen � die BUDVA II von der Oberfläche des Planeten abheben. � Ihr Weg führte nach Westen, über einen der gewaltigen Gebirgszüge � hinweg, die jene Wüste mit dem Namen Totenreich vom Rest des Planeten � Nemed III trennten. � Für uns alle ist die Rückkehr aus dem Totenreich schon so gut wie gelungen! � dachte Thorn. Kim hat sie noch vor sich... � Er begab sich zur Krankenstation und setzte sich zu ihr ans Bett. � * Wenig später landete die BUDVAII auf dem Raumhafen von Neu-Karlsbad. � Kim wurde von einem Krankentransporter abgeholt und in die dortige Klinik � gebracht. Chris und Thorn begleiteten sie. � Hochkarätige medizinische Spezialisten standen dort zur Verfügung, darunter � der Neurologe Dr. Dr. Jhaskan Ernst. �
Es gelang Dr. Ernst und seinem Team schließlich, die Patientin zu stabilisieren, aber es war durchaus noch nicht alles gewonnen, wie der Neurologe ihrem Lebensgefährten und ihrem Sohn ziemlich unverblümt zu verstehen gab. Dr. Ernst erläuterte den beiden anhand von hochauflösenden Drei-DTomographien die Diagnose. »Sie sehen den markierten Bereich im Hirn der Patientin?« fragte Dr. Ernst. »Ja«, flüsterte Thorn. »Dieses Areal ist vollkommen ausgebrannt. Anders kann man es nicht nennen. Es gibt keinerlei neuronale Aktivität mehr.« »Ist das reversibel?« mischte sich Chris ein. Dr. Jhaskan Ernst schüttelte energisch und unmißverständlich den Kopf. »Nein, es nicht wieder rückgängig zu machen. Zumindest nicht für unsere Medizin. Aber die gute Nachricht ist, daß das betroffene Gebiet in einem Bereich des Hirns liegt, der ohnehin nicht benutzt wird oder dessen Aufgaben von anderen Bereichen übernommen werden können. Das bedeutet im Klartext: Ihre Lebensgefährtin wird höchstwahrscheinlich keinerlei bleibende Schäden davontragen.« »Das ist ja wunderbar!« entfuhr es Chris, dem ebenso ein Stein vom Herzen fiel wie Thorn. Ganz so wollte der Arzt die Euphorie dann aber doch nicht überborden lassen. Er hob mahnend die Hände und setzte noch hinzu: »Wie ich vorhin schon sagte: Vorausgesetzt, sie überlebt! Es kann jederzeit wieder eine kritische Situation eintreten, in der wir sie wider Erwarten doch noch verlieren.« * Der gefangene Gardem befand sich in einer Arrestzelle an Bord der
BUDVAII und wurde dort verhört. � Chris wäre am liebsten bei seiner Mutter geblieben und hätte ihren � Genesungsprozeß mitverfolgt - immer in Sorge darüber, daß sie vielleicht � doch noch ihre letzte Reise antrat. � Aber Thorn hatte ihm noch einmal klargemacht, wie wichtig auch Chris' � Anwesenheit bei dem Verhör des Gardem war. � »Ja, ich weiß«, sagte der junge Mann. »Trotzdem wäre ich jetzt lieber bei � ihr.« � »Mir geht es genauso«, sagte Thorn. »Aber überleg mal: Du und Miro, ihr � habt so viel eingesetzt, um den Gardem zu fangen - es wäre nicht richtig, � diese einmalige Chance verstreichen zu lassen. Und das kann im � Handumdrehen geschehen, wenn wir nicht eure Unterstützung haben.« � »Ja, ich weiß«, bestätigte Chris noch einmal. � * Der Blick seiner roten Gardem-Augen schien die Menschen der Reihe nach und ziemlich lange zu mustern.
Das Wesen erhob sich von seiner Pritsche und trat auf sie zu. � »Keine Sorge, ich habe ihn unter meiner hypnotischen Kontrolle!« erklärte � John Tuturo. � Kapitän Jana war ebenso anwesend wie Thorn und Denninger, der Chef � des TransCon-Sicherheitsdienstes. � Außerdem war ein Arzt im Raum. Er hieß Dr. Golran und hatte eine � Zusatzausbildung in Exobiologie und Exomedizin erfolgreich absolviert. � Der Translator war eingeschaltet. � Der Gardem hatte, seit man ihn geweckt hatte, immer wieder einen � Schwall von Lauten ausgesprochen, die den Wissenschaftlern am Institut � in Neu-Karlsbad zufolge seine Sprache darstellten. � Tuturo forderte den Gardem auf, von sich zu berichten. � »Mein Name ist Gal-Res«, kam es aus dem Translator, während das
Wesen einen Schwall von dumpfen, kehligen Lauten ausstieß, von � denen manche nur wie ein sonores Brummen klangen. Seine ins Angloter � übertragene Redeweise wirkte manchmal noch etwas stockend, weil das � Translatorsystem noch nicht genügend Sprachdaten aus dem Idiom des � Gardem gesammelt hatte. � »Berichte alles!« forderte Tuturo. � »Ja...« Eine Pause folgte. Er wandte den klobigen Schädel. Die feuerroten � Augen wirkten glasig. Der Gardem schien sich in einem tranceähnlichen � Zustand zu befinden. � »Berichte alles und laß nichts dabei aus. Auch Dinge nicht, von denen man � dir vielleicht gesagt hat, sie seien Geheimnisse. ..«, forderte Tuturo noch � einmal. � Der Gardem senkte leicht den Kopf. � »Ich bin ein Krieger«, sagte der Fremde. »Ein Anführer von Kriegern.« � »Warum ziehst du gegen die Menschen von Nemed III in den Krieg? � Was haben wir dir und deinen Leuten getan?« � »Loyalität.« � »Was hat das mit Loyalität zu tun?« � »Alles.« � »Erkläre mir das.« � »Ich bin ein Anführer von Kriegern der Na'Lesnie.« � »Was ist das?« � Er versuchte es zu erklären, aber es kam nichts dabei heraus, das � übersetzbar gewesen wäre. Nur unverständliches Chaos. Offenbar
hatten diese Verständnisschwierigkeiten einfach damit zu tun, daß es
hier und jetzt zu einer Begegnung zweier Spezies gekommen war, deren � Denkweisen sehr unterschiedlich waren. � Schließlich kam heraus, daß »Na'Lesnie« vermutlich irgendeine Gruppe � innerhalb seines Volkes bezeichnete, die aus Verwandten bestand. � Aber ganz sicher war sich niemand im Raum. � »Kann ich auch Fragen stellen?« erkundigte sich Thorn. � »Natürlich!« meinte Tuturo mit einer übertrieben wirkenden Geste der � Großzügigkeit. »Versuchen Sie Ihr Glück!« � »Wo lebt eure Spezies?« fragte Thorn. �
»In einer anderen Dimension und einer anderen Zeit, die sich von der euren unterscheidet!« war die Antwort. »Ich glaube nicht, daß es Sinn hat, euch diese Dinge näher zu erklären, denn ihr würdet sie ja doch nicht verstehen!« An mangelndem Selbstbewußtsein leidet der Kerl jedenfalls nicht! überlegte Thorn. � »Wir leben in unserer eigenen Zeit«, berichtete der Gardem weiter. »Wir � nennen sie die Zeit des Friedens. In eurer Zeit herrscht Krieg.« � »Hattet ihr mal Kontakt zu einem Volk, das sich To Glossa nennt?« fragte � Thorn. � »Die To Glossa scheinen über eine ähnliche Technologie zu verfügen, � Raumschiffe hinter Zeittarnfeldern zu verbergen, wie auch ihr das tut!« � »Die To Glossa garantieren den Frieden in unserer Zeitebene«, sagte � der Gardem. »Sie schützen uns. Im Gegenzug leisten wir Kriegsdienst für
sie. Es ist immer eine besondere Ehre, von den göttlichen Garanten unseres � Friedens eine Mission zu bekommen.« � »Ihr hattet eine Mission?« � »Einen Auftrag der göttlichen To Glossa - ja! Wir hatten den Auftrag, die � Entwicklung der Großtransmitter auf diesem Planeten zu verhindern!« � »Warum?« fragte Thorn. � »Es war der Auftrag der Götter. Weshalb sollen wir ihn in Frage stellen?« � Der Gardem bedeckte mit den zwei Händen seiner beiden linken Arme � das Gesicht. »Ich bin so traurig«, fuhr er fort. »Und ich habe versagt, � obwohl die Götter uns doch alle Möglichkeiten gaben.« Eine Reihe � sirenenartiger Laute entrang sich der Brust des Gardem. � Dabei schien es sich um die Gardem-Entsprechung eines herzerweichenden � Schluchzens zu handeln. � Thorn wartete ab, bis es vorbei war und erwog bereits, Tuturo um Hilfe � zu bitten. � Aber das war am Ende gar nicht nötig. � Der Gardem fuhr mit seiner Erzählung fort. »Die To Glossa-Götter müssen � jetzt ihre Probleme selbst lösen. Ich bin nicht mehr ihr Soldat.« � Plötzlich stöhnte Tuturo auf. � Der Gardem fixierte den Begabtenschüler mit seinen roten Augen und � wirkte sehr starr und konzentriert dabei. Die drei Arme verschränkten sich � auf eine ungeheuer kompliziert wirkende Art und Weise. � Dann stieß er einen Schrei aus, der wie ein Kampfruf klang. � Eine volle Minute hielt dieser Schrei an. � Dann sank der Gardem nieder, rutschte bis auf den Boden und blieb mit � starr aufgerissenen Augen liegen. � Tuturo taumelte gegen die Wand. � »Was ist los?« fragte Miro. � Er wollte Tuturo stützen, aber dieser stieß ihn brüsk von sich. � »Ich brauche keine Hilfe!« keuchte er. Er rang nach Luft, dann wandte er
sich an Thorn. �
»Der Gardem hat versucht, sich gegen meine Hypnokräfte zu wehren«, � erklärte Tuturo. � »Ich mußte den Druck immer weiter erhöhen, um ihm standzuhalten«, fuhr
er fort. � Inzwischen löste sich der Leichnam des Gardem innerhalb weniger � Augenblicke vollkommen auf. � * Tage vergingen. � Kimberley Nev war noch immer nicht aus ihrem Koma erwacht und Dr. Ernst � hatte den Vorschlag gemacht, daß die begabten Schüler der Reihe nach � versuchten, mit ihren Kräften die Lebensgeister der Frau zurückzuholen. � Chris war natürlich der erste, der hier hinzugezogen wurde. � Aber er hatte keinen Erfolg. So sehr er auch seine geistigen Fühler nach � dem Bewußtsein seiner Mutter ausstreckte, es kam kein wirklicher Kontakt � zustande. � »Vielleicht liegt es daran, daß du ihr persönlich einfach zu nahe stehst und � du dich deswegen nicht richtig konzentrieren kannst«, meinte Liu tröstend. � »Vielleicht geht es auch gar nicht mehr«, glaubte Chris. Er hatte versucht, � mit Hilfe seiner Para-Kräfte nach ihrem Bewußtsein zu tasten. Aber das, � was er da vorgefunden hatte, war ihm auf seltsame Weise fremd gewesen. � Zweifellos hatte sich etwas an ihr verändert - nur konnte er noch nicht � sagen, was es genau war. � Fürchtest du dich vielleicht unbewußt davor, was dich erwartet, wenn sie � erwacht? überlegte er. Daß sie nicht mehr dieselbe ist? � Er sah Liu offen an. »Vielleicht könntest du es mal versuchen«, meine er. � »Ich?« � Schulterzucken. »Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, daß ein Versuch � deinerseits etwas vielversprechender sein könnte....« � Er zuckte die Achseln. »Nenn es Intuition oder wie immer du willst. � Versuche es doch einfach. Das wäre mir jedenfalls wesentlich lieber, � als wenn ich John Tuturo fragen müßte.« � »Wie du meinst«, erwiderte sie. � Liu trat an das Bett der noch immer im tiefsten Komaschlaf dahindämmernden � Kimberley Nev. � Sie atmete tief durch, legte eine Hand auf Kims Stirn, um sich besser auf sie � konzentrieren zu können. Dann schloß sie die Augen. � Vorsichtig tastete sie mit ihren Para-Kräften nach Kims Bewußtsein. � Wo bist du? In welche Tiefen bist du hinabgestiegen? Liu war erschrocken über die mentale Leere, die sie vorfand. � Für einen kurzen Moment kam der Gedanke in ihr auf, daß da vielleicht � wirklich nichts mehr war - so wie Chris befürchtet hatte. Ein funktionierender � menschlicher Körper, der auf biologischer Ebene noch seinen Dienst tat, � bei dem aber das fehlte, was die alten Mythologien und Religionen Seele � genannt hatten. �
Doch Liu verbot sich diesen Gedanken, weil sie genau wußte, daß sie sich dann schwerer auf ihre mentale Suche zu konzentrieren vermochte. \ Dann endlich gelang es, Kontakt aufzunehmen. Sie berührte auf geistiger Ebene etwas, von dem sie instinktiv wußte, daß es das Bewußtsein eines anderen Menschen war. Sie ist wie jemand, der tief getaucht ist und den Orientierungssinn verloren hat, dachte Liu. Jetzt weiß sie nicht mehr, wo oben und unten ist. Sie strampelt sich sinnlos ab und würde auf diese Weise doch nie an die Oberfläche gelangen, sondern immer wieder nur den Grund berühren... Liu übernahm die Rolle eines paramentalen Lotsen. � Sie führte Kimberleys Bewußtseins wieder ans Licht zurück. � Folge mir. � Ich kann nicht. � Du mußt. Dort oben warten so viele auf dich, denen du etwas bedeutest. � Chris und Thorn. � Zum Beispiel. � Es fehlt etwas. � Was denn? � Ich weiß es nicht. � Folge mir trotzdem. Jetzt! � Gut. � * Für Kimberley Nev war das Erwachen außerordentlich schmerzhaft. � Sie hatte das Gefühl, ihr würde ein Nagel direkt in den Kopf geschlagen. � Eine Welle des Schmerzes durchflutete ihren gesamten Körper. Für � Augenblicke war sie vollkommen handlungsunfähig. � Sie hatte kurz das Gesicht einer jungen Frau mit asiatischen Gesichtszügen � vor sich gesehen. Aber dann war dieses Bild verschwunden, und es hatte � da nichts weiter als gleißendes, helles und vor allem schmerzhaftes Licht � gegeben. Licht so hell wie tausend Sonnen. Sie konnte die Augen schließen, � ohne daß es verschwand. � Nur langsam ebbte es ab und reduzierte sich auf eine normale Helligkeit. � Der Schmerz ließ nach. Kimberley Nev atmete tief durch. Sie drehte leicht � den Kopf und hörte, wie jemand sagte: »Sie ist wach!« � Der diffuse Eindruck hektischer Aktivität stellte sich ein. Sie hörte Schritte, � Stimmen, medizinische Werte, die heruntergebetet und bestätigt wurden. � Der Grundtenor all dieser Stimmen war jedoch positiv und zuversichtlich. � »Ihr Zustand stabilisiert sich«, sagte eine männliche Stimme. � Das Gesicht der jungen Frau mit den asiatischen Gesichtszügen geriet jetzt � in Kims Sichtfeld. � »Wer...?« � »Ich bin Liu Hang aus der Klasse der Begabtenschule in Ty-cho City, in die � auch Ihr Sohn geht.« � »Chris...« � »Ist alles in Ordnung?« � »Du hast mich an die Oberfläche geholt.« �
»Ja. Aber jetzt haben Sie es geschafft!« � »Ich habe etwas verloren«, sagte sie. � »Was soll das heißen - verloren?« hakte Liu nach. � »Es ist nicht mehr da! Mein Gott...« � Kim schloß die Augen. � Tränen rannen über ihr Gesicht. Sie fühlte eine innerliche Leere, die sie in � dieser Form nie zuvor gekannt hatte. � * Wenig später waren Chris und Thorn bei ihr. Zunächst hatte Chris die � Bemerkung der jungen Chinesin nicht verstanden, die im Vorübergehen � zu ihm gesagt hatte, daß seiner Mutter etwas fehlte, das zuvor Teil ihrer � Persönlichkeit gewesen sei. � Jetzt begriff Chris es sofort. � Aber Kimberley war inzwischen auch besser beieinander und konnte � formulieren, was mit ihr geschehen war.
»Ich bin so froh, dich lebend wiederzusehen«, sagte Thorn. »Die Ärzte � meinen, du hättest genausogut für immer in einer Art Komastadium
verharren können.« � Thorn sah Kims rotgeweinte Augen. � »Sie ist weg«, sagte sie. »Die Gabe, die Fähigkeit - wie immer man es
auch bezeichnen mag. Mein Para-Sinn ist tot.« � »Vielleicht läßt er sich reanimieren wie dein Kreislauf!« � »Nein, das glaube ich nicht.« � Sie sagte das mit einer Endgültigkeit, die Thorn erschreckte. � Sie scheint genau zu wissen, wovon sie spricht! überlegte er. � »Ich werde es akzeptieren müssen, nicht mehr besonders begabt, � sondern nur noch ein ganz gewöhnlicher Mensch zu sein«, sagte sie. � »Mit allen Stärken und Schwächen - aber
so wie ich das sehe vor allen Dingen mit jeder Menge Schwächen.« � Thorn strich ihr über das Haar. Eine zärtliche, sehr liebevolle Geste, die � ihrem entsetzten Gesicht ein Lächeln entlockte. Es wirkte zwar etwas � verhalten, aber immerhin war es ein Anfang in die richtige Richtung, � so fand Thorn. � »Ich bin froh, daß du wieder bei uns bist«, sagte Thorn. �
10. Die Rache währet ewig, dachte der To Glossa namens Jobern. Seine � humanoide Gestalt setzte sich in einen der Schalensitze in der Zentrale � seines Raumschiffs. Ihr wißt nicht, daß ich hier bin und euch beobachte. � Aber bald werdet ihr begreifen, daß ich existiere. � Ihr werdet selbst erkennen, wie es ist, eine Niederlage zu erleiden. � Jobern nahm ein paar kleine Justierungen an dem Zeitschirm vor, hinter dem sich sein Schiff verbarg, so daß es für die primitive Technik jener kurzlebigen Wesen unsichtbar war, die er beobachtete. Menschen. Terraner. Der Zeit unterworfen wie ein Wattkrebs den Gezeiten. Für einen Augenblick leistete sich Jobern den Luxus, diese Wesen für bedauernswert zu halten. Aber er schob diesen Gedanken gerade noch rechtzeitig genug beiseite, um sein gerechtes Verlangen nach Rache nicht in Frage stellen zu müssen. Sie hatten den Tod verdient. Eine Botschaft erreichte sein Schiff. Es war ein Notruf jener Krieger, die er ausgesandt hatte, um auf der Welt zu landen, die die Terraner Nemed III nannten. Ein Planet, der ihrer Heimatwelt fast wie eine Zwillingsschwester glich - bis auf ein paar unbedeutende Kleinigkeiten natürlich. Jedenfalls stand außer Frage, daß die Terraner sich seit einiger Zeit auf Nemed III festzusetzen versuchten und die Welt vielleicht sogar als Ausgangspunkt für weitere Eroberungen nutzen wollten. Dieses neuartige Transmittersystem, das in ihrer Siedlung Neu-Karlsbad installiert worden war, war die Lebensader dieser Kolonie. Der schnelle und reibungslose Transport von Waren aller Art war der Grund für den raschen und scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Kurzlebigen. Der Notruf, der auf Joberns Zeitschiff einging, war verstümmelt. Der To Glossa versuchte durch ein paar technische Tricks das Signal so zu verstärken, daß ihn zumindest der wesentliche Informationsgehalt erreichte. Das gibt es doch nicht! durchfuhr es ihn. Die Einheit von Gardem-Kämpfern, die in seinem Auftrag die Oberfläche des Planeten betreten und teilweise in der Zeit so zurückgefallen waren, daß sie in der Existenzebene der Menschen materialisierten, hatten auf ganzer Linie versagt. Sie waren größtenteils vernichtet worden. Diese Niederlage stand wohl im Zusammenhang mit dem Auftauchen eines Ovoid-Ringraumers der Terranischen Flotte. Jobern erfuhr aus dem abgehörten Funkverkehr, daß sich an Bord ein Gefangener aufgehalten hatte, der Selbstmord beging. Wenigstens hatte er Ehre! dachte Jobern. Aber dann kam ihm der Gedanke, daß der Gardem-Gefangene vielleicht nur deswegen seiner Existenz ein Ende gesetzt hatte, weil er sich davor fürchtete, seinem göttlichen To Glossa-Herrn als Versager und Feigling entgegenzutreten. Wie auch immer, ich werde meinen Plan der Vernichtung vollenden! dachte er.
Die Menschen von Neu-Karlsbad werden dafür bezahlen, daß Gowan � einst von Terränern getötet wurde. � Die Geltungszeit der Rache ist unbegrenzt. � Von Ewigkeit zu Ewigkeit und über alle Generationen. Das war das Besondere an der ethischen Tradition der To Glossa. Es gab keine Gnade, selbst nach Jahrtausenden nicht. Eine Rache mußte auch nach unermeßlich langer Zeit noch an den Nachfahren derjenigen, die sich schuldig gemacht hatten, vollzogen werden. So lautete das Gesetz der To Glossa. Vor zwei Jahren war Joberns Clanbruder Gowan auf der Erde erschienen und hatte diesen Planeten als den Ort identifiziert, wo elfhundert Jahre zuvor Haron, ein weiterer Clanbruder, den Tod gefunden hatte. Gowan hatte seine Rache an der Bevölkerung der Erde durch Verminung der Magmaschächte zwischen Nord- und Südamerika zu vollenden versucht. Gowan fand dabei den Tod durch die Hand eines Menschen. Grund genug, sich an den Kolonisten Terras mit gleicher Münze zu rächen. Die Geschichte eurer Kolonie ist in diesem Augenblick bereits zu Ende! dachte er. Er gab dem Bordsystem den Befehl, ein Beiboot startklar zu machen und die große Bombe, die sich an Bord seines Zeitschiffs befand, in den Bereitschaftsstatus zu versetzen. Die Tage jener Welt, die von den Terränern Nemed III genannt wurde, waren gezählt. Neu-Karlsbad würde in ihrem kollektiven Gedächtnis schon bald nichts weiter sein als die Erinnerung an eine blutige Niederlage. Ein Gefühl vorweggenommener Zufriedenheit überkam Jobern, der plötzlich das Bedürfnis hatte, seinen Clanbrüdern davon zu berichten. Für die Kontaktaufnahme untereinander besaßen To Glossa ein spezielles Organ. Gleichgültig, wie weit sie auch im Universum verstreut sein mochten, über diese spezielle Verbindung konnten sie jederzeit und über jede Entfernung miteinander kommunizieren. Ihr solltet zufrieden mit mir sein! sandte Jobern. Ich habe dem Clan Ehre gemacht und der Rache zum Sieg verholfen. Genau das wird man in Kürze sagen können. Mag es aus Sicht der primitiven Menschen auch noch in der Zukunft liegen - in Wahrheit ist es längst geschehen. * Chris und die anderen Begabtenschüler aus Tycho City wurden in einen � Konferenzraum an Bord der BUDVAII gerufen. � Wie es der Zufall wollte, saß Liu genau zwischen Miro und Chris. � Vielleicht ist es auch gar kein Zufall, denn es beschreibt genau die � gegenwärtige Situation zwischen uns! überlegte der junge Mann, der sehr
viel unbeschwerter war, seit seine Mutter aus dem Koma erwacht war. � An dem Verlust ihrer Para-Fähigkeit hatte sie vielleicht noch eine Weile zu � knabbern. �
Aber das sah Chris als nicht so dramatisch an. Etwas, das sich überwinden � ließ, so glaubte er. � Liu hatte ihm gegenüber zu bedenken gegeben, daß der Verlust einer � besonderen Fähigkeit vielleicht ein noch viel gravierenderes Erlebnis für
einen Menschen war als die Entdeckung einer solchen Gabe, die dann � zumindest zeitweilig auch als Fluch empfunden werden konnte. � Ihre Worte klangen ihm noch im Ohr. »Stell dir vor, du hast dich gerade � erst daran gewöhnt, etwas Besonderes zu sein, und dann bist du es
plötzlich nicht mehr. � Du verlierst einen kompletten Sinn - wie jemand, der sein Augenlicht oder
sein Gehör einbüßt!« � »Sie hat ihr Leben«, hatte Chris erwidert. »Das ist manchmal mehr, als man � erhoffen kann.« � Für Chris war es einfach nur wichtig, daß er sich nach der Angst um das � Leben seiner Mutter emotional nun wieder anderen, näherliegenden Dingen � zuwenden konnte. � Zum Beispiel seinem Plan, Liu für sich zu begeistern. Nur hatte er das
Gefühl, daß er in dieser Hinsicht irgendwie ziemlich auf der Stelle trat. � Dabei hatte sich der Kontakt zu der zierlichen Chinesin in den vergangenen � Tagen durchaus vertieft. Die dramatischen Ereignisse, denen sie ausgesetzt � gewesen waren, hatte dies natürlich noch begünstigt. So etwas schweißte � Menschen immer besonders zusammen. � Aber was Chris irritierte, war der Umstand, daß dies nicht für ihn allein zu � gelten schien. � Lius Verhältnis zu Miro schien genauso eng und herzlich zu sein wie zu ihm. � Durch nichts gab Liu zu erkennen, ob sie sich inzwischen für einen von ihnen � entschieden hatte. � An den Erfolg von Tuturos Störmanövern glaubte Chris in diesem � Zusammenhang im übrigen nicht. John war einfach zu plump in seinem � Auftreten, zu großspurig und angeberisch. In dieser Hinsicht nahm sich � Chris vor, ihn einfach machen zu lassen. � Die Chance, daß Tuturo sich dadurch selbst ein Bein stellte, war denkbar
gut. � Kapitän Charlie Jana betrat als letzter den Raum. � »Ich habe diese Zusammenkunft einberufen, weil ich ursprünglich die � Zusage gemacht hatte, Sie alle mit zurück ins Sol-System zu nehmen. � Das muß ich allerdings leider revidieren. Die BUDVA II hat einen neuen � Marschbefehl erhalten, über den ich Ihnen naturgemäß nichts sagen kann, � da es sich um eine militärische Verschlußsache handelt. � Nur so viel: Wir fliegen in eine völlig andere Richtung, und es ist einfach � nicht möglich, daß Sie an Bord bleiben.« � »Was soll das denn jetzt heißen?« fragte Tuturo ziemlich ungehalten. � Kapitän Jana blieb ruhig und entgegnete: »Sie werden einfach auf das � nächste TransCon-Schiff warten müssen, um nach Hause zu gelangen. � Das bringt Sie nun wirklich in keine unangemessene Härte, denke ich.« �
»Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Kapitän Jana«, erklärte Liu. � »Ich glaube nicht, daß wir ohne Sie da draußen in der Wüste, von der ich � inzwischen erfahren habe, daß man sie das Totenreich nennt, überlebt � hätten.« � »Umgekehrt haben Sie alle wohl allein durch Ihre Anwesenheit erheblich � dazu beigetragen, den Versuch einer feindlichen Invasion auf Nemed III � zu vereiteln«, gab Charlie Jana zu bedenken. Der Kapitän der BUDVA II � stemmte die Hände in die Hüften. � »Wie auch immer, ich muß Sie leider bitten, Ihre Quartiere auf der BUDVA � umgehend zu räumen. Entsprechende Unterbringungsmöglichkeiten � wurden für Sie im TransCon-Komplex von Neu-Karlsbad geschaffen.« � Er zwinkerte den jungen Leuten zu. � »Ich glaube nicht, daß Sie da einen schlechten Tausch gemacht haben.« � »Immerhin sagt er die Wahrheit, was seine militärische Mission angeht!« � sagte jetzt John Tuturo laut und vernehmlich, um damit anzudeuten, daß � er die Gedanken des Kommandanten gelesen hatte. � »Nun mal halblang, John - witzig bist du auch nicht!« wandte sich Liu an � ihn, in deren Gesicht die Zornesröte gestiegen war. � Tuturo versuchte, lässig zu wirken. � Er lehnte sich in seinem Schalensitz zurück und schlug die Beine � übereinander. � »Ist doch wahr!« meinte er. »Ich habe ja jetzt auch keineswegs � ausgeplaudert, wohin die BUDVA als nächstes fliegt, oder? � Also weiß ich gar nicht, was du hast, Schätzchenl« � »Nenn mich nicht Schätzchen - und ein paar Manieren würden dir
eigentlich gut stehen, John!« � Tuturo erhob sich, ging an Kapitän Jana vorbei und meinte noch im � Vorübergehen: � »Passen Sie auf die häßlichen Ionenstürme auf, die es in Ihrem Zielgebiet � gibt! � Zumindest, wenn Sie sich richtig an das Flottendossier erinnern, Kapitän!« � Tuturo kicherte und verließ den Raum. � »Er meint das nicht so«, versuchte Liu die Unverschämtheit ihres � Klassenkameraden abzumildern. � Charlie Jana lächelte - halb nachsichtig und halb den Ärger � herunterschluckend. � »Ich fürchte, er meint es durchaus ernst«, erwiderte der Kommandant. � »Er ist im Grunde kein übler Kerl.« � Nein? horchte Chris auf. Sollte ich völlig falsch eingeschätzt haben, was � Liu von ihm hält? Sollte sie am Ende gar auf die Mätzchen stehen, die � der Kerl veranstaltet, um auf sich aufmerksam zu machen? � Chris atmete tief durch. Kein übler Kerl? Doch, genau das ist er, und es gibt � für dich eigentlich keinen vernünftigen Grund, dich vor ihn zu stellen, Liu! � *
Jobern schleuste das Beiboot aus seinem Zeitschiff aus. Die Bombe war an Bord. Aus Sicherheitsgründen waren die einzelnen Komponenten jedoch getrennt worden - und die entscheidenden Zünder befanden sich nach wie vor auf dem Mutterschiff, waren aber jederzeit über eine Transmitterverbindung herbeizuholen. Ebenso wie das Mutterschiff war auch das Beiboot durch ein eigenes Zeitfeld getarnt und konnte von den Terranern nicht geortet werden. Die Zeit der Rache ist nahe! dachte er, und Freude breitete sich in ihm aus. Zeit war relativ. Eine Ewigkeit, eine Sekunde, das Vibrieren eines Atoms in einer Nanosekunde - das alles war für ein Wesen wie Jobern weit weniger wichtig als für die Bewohner jener Existenzebene, auf die er sich nun herabzulassen gedachte. Ich bin der Jäger, den sie nicht sehen, der Schlag aus dem Verborgenen... � Ihre einfachen Sinne werden es ihnen kaum ermöglichen, zu begreifen, � was wirklich mit ihnen geschieht. Möglicherweise haben ihre kleinen � Gehirne angefangen zu spekulieren, nachdem sie die Gardem-Krieger � besiegten. Schließlich ist das nur möglich gewesen, indem sie zumindest � ein wenig von dem verstanden haben, was eine Zeitverschiebung � eigentlich bedeutet... � Aber das erhöht nur das Vergnügen der vollendeten Rache. � So sollen sie zumindest ein wenig von dem begreifen, was über sie � hereinbricht. � Jobern näherte sich der Welt. Er ließ das Beiboot zunächst in eine stabile Umlaufbahn einschwenken. Lohnt es sich noch, dieser Welt kurz vor ihrer Vernichtung einen eigenen To Glossa-Namen zu geben? fragte sich Jobern, während er ein paar Routineüberprüfungen durchführte und nach einem geeigneten Zielgebiet für seinen planetaren Sprengsatz suchte. Die Nichtverleihung eines Namens ist ein Zeichen der Verachtung! erkannte Jobern schließlich. Aber die Verleihung eines Namens - gerade so kurz vor dem Ende - könnte nicht nur diese Welt unauslöschbar im Gedächtnis festhalten, sondern auch den Augenblick der Rache in der kollektiven Erinnerung des Clans verewigen! Was sollte er also tun? Er entschied sich schließlich dazu, dieser Welt doch noch einen Namen zu geben. Ta Mana werde ich sie nennen! so entschied er sich. Das bedeutete »Der Augenblick, da der Nicht-Wahrnehmende stirbt«. Jobern fand, daß das poetisch klang. Rache wollte zelebriert und nicht einfach nur kalt exekutiert werden. Schließlich war er ein To Glossa und gehörte damit einer Spezies an, die von anderen Bewohnern ihrer Zeitebene für göttlich gehalten wurde. *
Zunächst vergewisserte sich Jobern der Tatsache, daß die terranischen � Bewohner von Ta Mana tatsächlich nicht in der Lage waren, ihn zu orten. � Abgehörter Funkverkehr sowie das Verhalten der Sicherheitskräfte � konnten als sichere Indizien dafür gelten, daß dies nach wie vor der Fall � war. Die Raumkontrolle der Terraner hatte nicht die geringste Ahnung, � daß soeben ein Besucher in die Sphäre ihrer Welt eingedrungen war. � Gut so, dachte Jobern. Sehr gut... � Ein wenig - aber wirklich nur ein wenig! - Sorgen machte ihm der Ovoid-
Ringraumer, der nach wie vor auf dem Landefeld des Raumhafens von � Neu-Karlsbad stationiert war. � Das Schiff hatte, wie Jobern inzwischen wußte, maßgeblichen Anteil an � der Niederlage seiner Gardem-Soldaten. Er war sicher gut beraten, es
nicht zu unterschätzen. � Jobern beobachtete, wie dieses Schiff plötzlich startete. � Es erhob sich vom Hauptlandefeld des Raumhafens in die Höhe, � schwebte fast majestätisch der Stratosphäre von Ta Mana entgegen und � kam dabei dem Zeitschiff sogar zufällig sehr nahe. � Doch für die Ortungsinstrumente des Ovoid-Ringraumers existierte das � Beiboot des To Glossa nicht. � Die terranische Einheit schwebte an Joberns gegenwärtiger Position � vorbei und kreuzte danach sogar noch den Kurs seines Mutterschiffs. � Einen Augenblick lang spielte Jobern mit dem Gedanken, den Ovoid-
Ringraumer anzugreifen und zu vernichten. Zwar waren dieses
Raumschiff und seine Besatzung lediglich für den Tod von subalternen � Gardem-Kämpfern verantwortlich und nicht etwa für die Tötung von � Mitgliedern aus Joberns To Glossa-Clan, aber es gab durchaus gängige � Auslegungen des geltenden Rachekodex, die auch für die Vernichtung � derartiger Hilfstruppen Vergeltung forderten. Allerdings nicht mit derselben � Konsequenz, wie dies bei der Rache für Clanmitglieder der Fall war. � Dennoch, Jobern hatte große Lust, diesen Ringraumer in eine glühende � Kunstsonne zu verwandeln, damit die Terraner für das bezahlten, was
sie ehrenhaften, wenn auch vergleichsweise einfältigen Kämpfern angetan � hatten. � Von der Schmach der Niederlage, die damit für Jobern selbst verbunden war, � einmal ganz abgesehen! � Er war bereits im Begriff, die nötigen Schaltungen vorzunehmen. � Mit seinem Mutterschiff verband ihn ein ständiger Austausch von Daten. � Er konnte es darüber hinaus fernsteuern, � so daß es kein Problem gewesen wäre, es nötigenfalls in ein Gefecht � eingreifen zu lassen. � Im letzten Moment schreckte Jobern jedoch davor zurück. � Der Grund dafür war weder Mitleid mit der Besatzung noch die Furcht, � möglicherweise am Ende eine Niederlage erleiden zu müssen.
Vielmehr führte ihn eine nüchterne Überlegung zu seiner Handlungsweise. �
Wenn er jetzt den Ringraumer vernichtete, mußte er zwangsläufig die Aufmerksamkeit der Terraner auf sich lenken, und das wiederum gefährdete seinen eigentlichen Plan. Auf das es mir nicht so ergehe wie dem unglücklichen Gowan! nahm sich Jobern vor. Um das von vornherein auszuschließen, mußte er das Ringschiff ziehen lassen. Schade, dachte er. Eine Möglichkeit der Rache ungenutzt verstreichen zu lassen, war sicher nicht gerade der Traum des aufrechten Vergelters, wie ihn die Überlieferungen seines Volkes beschrieben. Aber andererseits mußte ein To Glossa auch in dem Drang nach Vergeltung Prioritäten setzen. Und genau das hatte Jobern klar und deutlich getan. * Jobern wartete noch ab, bis das terranische Kampfschiff transitiert war. � Dann endlich machte er sich an die Verwirklichung seines Planes. � Er stieß mit dem Beiboot in die Atmosphäre von Ta Mana vor. � Der To Glossa hatte inzwischen längst eine Vollabtastung der gesamten � Planetenoberfläche vorgenommen. Für seinen Plan hatte er eine � abgelegene Region ausgesucht.
Sie lag etwa fünfhundert Kilometer südlich des planetaren Äquators. � Das Gebiet bestand zum Großteil aus Vulkangestein. Hochaufragende � Krater, die vor Millionen Jahren einmal Feuer und Magma gespien hatten, � waren jetzt zu schneebedeckten Gipfeln geworden. � Es gab auch tiefe Gräben, von denen manche so tief waren, daß sie sogar � unter Normalnull des Planeten gingen. � In früheren Epochen war in dieser Gegend zweifellos geologisch einiges � losgewesen. � Und diese Vergangenheit gedachte Jobern mit technischer Hilfe zu � reaktivieren. � Er steuerte eine der tiefen, grabenartigen Schluchten an. Dort bohrte er einen � noch tieferen Schacht in die planetare Oberfläche. Immer weiter ging es hinab � in das künstlich geschaffene Loch. � Nach und nach setzte Jobern schließlich mittels Drohnen die Einzelteile der � Bombe zusammen. Sie wurde so tief wie möglich im Inneren des Planeten � plaziert. � Immer wieder benutzte Jobern dabei die Transmitterverbindung zwischen � dem Mutterschiff und seinem Beiboot. Er wechselte einfach hin und her,
was für ihn mit weniger Aufwand verbunden war, als es die Übertragung � von gewaltigen Datenmengen von einem Schiff zum anderen bedeutet � hätte, die ansonsten notwendig geworden wäre. � Der To Glossa hatte alle Zeit der Welt, war sein Kontinuum doch dem � Universum der Terraner immer um eine Nuance voraus. � Geduldig und mit absoluter Präzision arbeitete Jobern an den Vorbereitungen � für etwas, das für ihn ein Kunstwerk der Vernichtung darstellte. �
Die im Schacht deponierte Bombe würde den gesamten Planeten buchstäblich auseinanderreißen. Nichts als ein paar steinige, durch das All vagabundierende Trümmerstücke würden von dieser jetzt noch so blühend wirkenden Welt bleiben. Der große Moment war nahe, Joberns Vorfreude schier unermeßlich. * Thornton Duman besuchte noch einmal den unter der Leitung von Professor Humphreys stehenden Forschungskomplex. Kimberley Nev war bei ihm. Thorn glaubte, daß sie den Verlust ihrer Para-Kräfte inzwischen einigermaßen verwunden hatte. Aber er hatte auch mit verschiedenen Ärzten intensiv darüber diskutiert und dabei erfahren, daß auf Kim möglicherweise eine Art Phantomschmerz zukam. Demnach sei prinzipiell kein Unterschied zwischen dem Verlust eines Para-Sinns und dem eines Auges oder Beins zu sehen. Auch wenn sie erst vor kurzem auf ihre besondere Fähigkeit aufmerksam geworden war, so hatte diese doch zu ihrem innersten Wesen gehört. Aber im Moment schien Kims psychischer Zustand überraschend stabil zu sein. Um so besser, dachte Thorn. Als die beiden das Forschungszentrum erreichten, herrschte dort helle Aufregung. Humphreys war vollkommen aus dem Häuschen und begrüßte Thorn und Kim nur knapp - was allerdings nicht bedeutete, daß sie nicht willkommen gewesen wären. Die jüngsten Ereignisse hatten unter anderem dazu geführt, daß insbesondere Thorn und der Professor sich einander weiter angenähert hatten. Der gegenseitige Respekt war enorm gewachsen, und jeder wußte inzwischen auch die Rolle des anderen bei der Abwehr der GardemInvasoren zu schätzen. Ihre anfänglich vorhandenen Spannungen waren so gut wie verschwunden und allenfalls noch in der einen oder anderen spitzen Bemerkung zu spüren. Es blieb John Schmitt vorbehalten, Thorn und Kim von dem zu berichten, was im Augenblick die Gemüter innerhalb des Forschungszentrums derart erhitzte. »Wir haben das überaus schwache Signal eines Transmitters anmessen können«, erklärte Schmitt und machte dabei ein sehr ernstes Gesicht. »Das Signal war dermaßen schwach und verzerrt, daß die üblichen Meßinstrumente gar nicht in der Lage gewesen wären, es zu registrieren. Aber bei den hochmodernen Prototypen, die wir hier im Forschungszentrum benutzen, liegt der Fall natürlich anders.« Professor Humphreys diskutierte unterdessen mit einigen seiner Kollegen ein paar widersprüchliche Meßergebnisse. Die Gruppe redete sich die Köpfe über die Frage heiß, wie diese Ereignisse denn nun tatsächlich zu interpretieren seien.
»Humphreys ist ganz in seinem Element!« stellte Thorn grinsend fest. � »Wir wissen nicht, woher dieser Transmitter kommt«, berichtete Schmitt � weiter. � »Aber wir glauben inzwischen zu wissen, daß sein Ziel tief unter der � planetaren Kruste liegt...« � »Was?« fragte Thorn mißtrauisch. »Das klingt tatsächlich eigenartig.« � »Scheint, als wäre dein Job noch nicht ganz erledigt«, meinte Kim Nev. � Der Sonderermittler atmete tief durch. � »Könnten das die Gardem sein?« fragte er. »Es wäre ja schließlich möglich, � daß sie diesen Planeten nicht nur mit einem getarnten Schiff heimgesucht � haben!« � Dr. John Schmitt hob seine ziemlich buschigen Augenbrauen und fragte: � »Was, wenn es die göttlichen Herren der Gardem sind?« � »Die To Glossa?« � »Können wir es ausschließen, Mr. Duman?« � Nein, dachte Thorn. Ausschließen kann man diese Möglichkeit gewiß nicht. � * Thorn ließ es sich nicht nehmen, die Ortungsergebnisse im einzelnen zu � überprüfen. � Das Gesamtbild, das sich dadurch ergab, verstärkte einen Verdacht in ihm. � »Von Anfang an hat mich das alles an Gowans Versuch erinnert, die Erde � zu sprengen«, meinte er. � »Glauben Sie, daß hier ein To Glossa etwas ähnliches beabsichtigt?« � fragte Professor Humphreys, der sich inzwischen Zeit für Thom genommen � hatte. � Thorn Duman zuckte die Achseln. � »Wie heißt es so schön? Es gibt Indizien, aber keinen Beweis. � Wir könnten jetzt per To-Richtfunk die Vergleichsdaten von Terra � anfordern, dann wüßten wir, ob es zwischen den angemessenen Signaturen
irgendwelche auffälligen Übereinstimmungen gibt.« � »Warum tun wir das dann nicht?« fragte Kim. � »Weil es uns erstens nur aufhalten und zweitens nicht weiterhelfen würde. � Ich fürchte, wir müssen sehr schnell handeln, wenn wir die Katastrophe � noch verhindern wollen.« � »Wenn ich das ernst nehme, was Sie sagen, müßte ich sofort den � Sicherheitschef informieren«, sagte Humphreys. � Thorn schüttelte den Kopf. »Nein, tun Sie das nicht!« forderte er. � »Warum nicht?« � »Ganz einfach. Angenommen, da ist wirklich ein To Glossa irgendwo in � der Nähe. � Er wartet mit seinem Zeitschiff vielleicht am Rand des Systems oder sogar
in der Umlaufbahn von Nemed III - wer weiß. Von dort aus wechselt er
ständig zu dem Transmitter, den er in der Tiefe dieses Planeten installiert � hat, sonst würden wir ja diese Signaturen nicht anmessen. � Er beobachtet uns... Verstehen Sie, worauf ich hinaus will, Professor?« � »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht so recht folgen. �
Wir könnten eine Evakuierung einleiten und so vielleicht wenigstens einen � Teil der Bevölkerung von Neu-Karlsbad retten.« � »Der Professor hat recht!« fand Kim. � Aber Thorn war in dieser Hinsicht entschieden anderer Meinung und � schüttelte daher energisch den Kopf. � »Nein«, sagte er. »Wenn unser Feind weiß, daß wir seine Aktivitäten in � irgendeiner Form bemerkt haben, wird er daraus Konsequenzen ziehen und � seinen Plan ändern. � Vielleicht gipfelt das ganze dann darin, daß er sofort auf den Auslöser � irgendeiner Bombe drückt, wer weiß? Das dürfen wir auf keinen Fall � riskieren.« � »Und was schlagen Sie dann bitteschön vor? Denninger und die � Sicherheitskräfte außen vor zu lassen, halte ich nicht für sinnvoll.« � »Im Moment ist es das Beste. Sie können sich ja mit denen herumschlagen, � Professor, ich habe dazu keine Lust.« � »Und wie sieht dann Ihre Lösung aus, Mister Duman?« � Einige Augenblicke herrschte Schweigen. � Schließlich sagte Thorn: »Chris und die anderen Begabten könnten � vielleicht ein To Glossa-Schiff orten«, meinte er. »Es wäre zumindest � einen Versuch wert.« � »Ich werde Denninger trotzdem informieren«, beharrte Humphreys. � Thorn zuckte die Achseln. »Tun Sie das, aber halten Sie ihm eindringlich � vor Augen, was geschehen würde, wenn von unserer Seite für den To � Glossa nur die geringste verdächtige Aktivität sichtbar würde!« � * »Eigentlich gar nicht so schlecht, daß wir noch ein paar Tage auf Nemed III � festsitzen«, meinte Chris. � Er schlenderte zusammen mit Liu zu einem Getränkeautomaten. � »Die Quartiere hier sind auch okay.« � »Ich wäre trotzdem lieber auf dem Mond«, meinte Liu. � Es war einer der raren Augenblicke, in denen es Chris geschafft hatte, � mit Liu alleinzusein. � Er fragte sich, ob er diesen Moment vielleicht nutzen sollte, um ihr etwas � mehr von seinen Gefühlen zu offenbaren. Andererseits mußte es ihr doch � eigentlich klar sein, wie sehr er hinter ihr her war. � Wenn sie das bis jetzt nicht bemerkt hatte, dann war es wahrscheinlich � ohnehin sinnlos. � Chris zog einen Becher mit einem ihm bis dahin unbekannten Synthodrink, � von dem Liu zuvor erwähnt hatte, daß er nach ihrem Geschmack sei. � »Oh, das hast du dir gemerkt?« meinte sie erstaunt. � »Ja.« � In seinem Kopf rasten nur so die Gedanken. Was sollte er tun? � Was sollte er sagen? �
Am besten nichts Falsches - aber die Vermeidung von Fettnäpfchen � ergab irgendwie noch kein richtiges Gespräch. � »He, ihr da hinten!« � Es dauerte einen Moment, bis Chris merkte, daß Liu und er gemeint � waren. � Vielleicht wollte er auch gar nicht, daß man sie beide meinte. � Jedenfalls wurden sie noch einmal angesprochen, und diesmal war der
Rufer einfach nicht mehr zu ignorieren. � Es war Thorn Duman. � Nein, nicht jetzt! Das muß wirklich nicht sein! durchfuhr es Chris. � Thorn näherte sich. »Ruft eure Klassenkameraden zusammen! � Wir brauchen dringend eure Hilfe!« � Chris seufzte. � »Worum geht es?« � »Um ein Schiff der To Glossa, von dem aus vermutlich gerade versucht � wird, diesen Planeten zur Explosion zu bringen!« � * Chris, Liu, Miro und die anderen Mitglieder der Begabten-klasse von � Tycho City wurden von Thorn ins Forschungszentrum begleitet. � Dort hatte sich inzwischen noch nichts Neues getan. Denninger war, � wie von Humphreys angekündigt, eingeweiht worden. � »Was sollen wir tun?« fragte Chris. � »Geht zu den Ortungsanzeigen«, sagte Kim. »Und dann sucht � systematisch den Raum um Nemed III ab. Dieses Zeitschiff muß � irgendwo in der Nähe sein.« � »Am besten, Sie teilen die einzelnen Raumsektoren in Quadranten ein, � und jeder bekommt ein paar davon«, war Humphreys' Vorschlag. � Es wurde keine Zeit verloren. Jeder der Schüler bekam einen Zugang � zu den Ortungsdaten. Vor sich sah er eine schematische Darstellung � des betreffenden Raumkubus mit Bilddarstellungen sämtlicher relevanter � Objekte in dem betreffenden Gebiet. � Die Suche begann. Es herrschte absolute Stille. � Nicht einmal eine Stecknadel hätte man in diesem Augenblick im
Kontrollraum der Ortung fallen hören können. � Es war ausgerechnet Tuturo, der als erster das Schiff entdeckt zu haben � glaubte. � Zur Kontrolle begannen nun auch die anderen Begabten ihre Kräfte auf � den betreffenden Sektor zu konzentrieren. � Das Ergebnis war eindeutig. � Die Position des getarnten Zeitschiffs, das sich mit herkömmlichen � Methoden nicht anmessen ließ, konnte nun zweifelsfrei festgestellt werden. � * In der anschließenden Besprechung, an der auch Sicherheitschef Denninger teilnahm, waren die Gesichter trotzdem ziemlich lang. »Die Erkenntnis, daß sich ein To Glossa-Schiff in der Nähe von Nemed III aufhält, ist ja schön und gut«, meinte Denninger.
»Allerdings können wir damit herzlich wenig anfangen, denn für sämtliche � Abwehrwaffen ist dieses Schiff hinter seinem Zeitschirm unerreichbar! Wir � sind also letztlich nicht weiter als vorher - verdammt zum Nichtstun. � Und das gefällt mir absolut nicht.« � »Vielleicht wäre es doch das Beste, einfach eine Evakuierung einzuleiten.« � »Ich bin überzeugt davon, daß unser Feind uns dazu die Chance nicht � lassen würde«, � meinte Thorn. »So, wie wir die To Glossa bisher kennengelernt haben, � würden sie niemals auf eine mögliche Rache verzichten.« � »Rache? Wofür denn?« � »Für Gowan«, meinte Thorn. »Die Parallelen sind doch zu offensichtlich.« � »Was bitteschön haben wir mit Gowans Angriff auf die Erde zu tun?« fragte � Denninger. � »Ich weiß, wie unerbittlich die Rachegesetze der To Glossa sind - aber es ist � doch trotzdem widersinnig.« � »Wir werden die Chance zu irgendeiner Form von Verhandlung wohl � gar nicht bekommen«, meinte Thorn. »Der To Glossa wird uns einfach � kaltlächelnd mit diesem Planeten explodieren lassen und stolz seinen � Clanbrüdern davon berichten«, war Thorn überzeugt. � John Schmitt machte ein ausgesprochen skeptisches Gesicht. � Tiefe Furchen hatten sich in seine Stim gegraben. � »Wir wollen zum Kern der Sache zurückkommen«, meinte er. � »Und der liegt nach meinem Dafürhalten darin, ein Mittel gegen den � Angreifer zu finden.« � »Wenn Sie irgendeinen Vorschlag haben, dann ist jetzt der Zeitpunkt, � ihn zu äußern«, erwiderte Thorn nicht ohne Sarkasmus. »Selbst wenn � er Ihnen vielleicht auf den ersten Blick als zu gewagt erscheinen mag -
aber im Moment sind wir in einer Situation, die uns bereits nach dem
letzten Strohhalm greifen läßt!« � John Schmitt zuckte die Achseln. Ringe hatten sich unter seinen � Augen gebildet. � Der Schlafmangel der letzten Zeit machte sich bei dem Wissenschaftler � langsam bemerkbar - wie auch bei so manchem anderen der Anwesenden. � »Ehrlich gesagt, ich sehe derzeit keine Option mehr«, erklärte Schmitt � schließlich in einem ziemlich resignativen Tonfall. »Dieser Zeitschirm ist für � uns einfach ein unüberwindliches Hindernis! Ein Panzer der Dimensionen, � den wir nicht durchbrechen können!« � »Wir haben die Gardem doch auch besiegt«, erklärte Kim. »Vielleicht ist es � das Vielversprechendste, einen anderen Weg zu wählen, als mit irgendeiner � Waffe auf das To Glossa-Schiff zu schießen.« � »Du denkst an die Para-Kräfte?« fragte Thorn. � »Ist das so abwegig?« � »Im Fall der Gardem waren wir damit erfolgreich. Aber in diesem Fall sehe � ich nicht die Möglichkeit, unseren Feind auf diese Weise tatsächlich � beeinflussen zu können. �
Zwischen den To Glossa und ihren treu ergebenen Kriegern, die sie als
Götter betrachten, gibt es ein paar erhebliche Unterschiede, wie ich � meine.« � »Und die wären?« � »Ihre Macht und ihr technisches Wissen dürften sehr viel größer sein.« � Thorn schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das wirklich ein Weg wäre, � zudem schon beim letzten Mal dadurch beinahe jemand zu Tode gekommen � wäre...« � Er legte dabei seine Hand auf die von Kim. � Diese lächelte matt. »Ja, es war tatsächlich sehr nahe dran«, gab sie zu. � »Aber das heißt nicht, daß ich es nicht wieder tun würde. � Ich hatte strenggenommen auch gar keine andere Wahl.« � Professor Humphreys hatte die ganze Zeit über auffällig geschwiegen. � Jetzt war es Thorn Duman, der ihn demonstrativ ansprach. � »Was ist eigentlich Ihre Meinung zum Thema, Professor?« fragte er. � Humphreys reagierte nicht sofort. Er schien tief in seinen Gedanken � versunken zu sein. � Dann ging ein Ruck durch seinen Körper, und nun war er offenbar wieder
im geistigen Hier und Jetzt. In seinen Augen blitzte es. � »Was?« fragte er etwas orientierungslos. � »Ihre Meinung, Professor!« forderte Denninger. � »Ich habe gerade über etwas nachgedacht, und je länger ich mich mit � dem Gedanken beschäftige, desto plausibler wird alles...« � »Bitte der Reihe nach!« schalt ihn Denninger. »Sonst versteht man nicht � eine Silbe!« � »Die Sache ist doch ganz einfach, und ich frage mich, warum wir nicht � früher daran gedacht haben!« � »Wovon sprechen Sie?« fragte Thorn etwas ungehalten. � »Vom >Time<-Effekt!« stieß der Professor hervor. »Wir haben doch noch � den >Time<-Effekt-Antrieb in der alten KARLSBAD, der auch nach wie vor � funktionsfähig ist...« � »Ja, und?« � »Man könnte Torpedos daraus bauen und dabei den >Time<-Effekt als
Waffe nutzen. Eine Waffe, die auch den Zeitschild eines To Glossa-Schiffs � durchdringen könnte. � Theoretisch zumindest!« � »Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren und die Theorie schleunigst in � die Praxis umsetzen«, fand Kim. � * Jobern befand sich im Mutterschiff. � Er war gerade damit beschäftigt, ein paar der letzten Komponenten in � die Bombe einzusetzen. Die Zünder. Sie waren so sensibel, daß er es
nicht einmal gewagt hatte, sie an Bord des Beibootes zu deponieren. � Diese Komponenten mußten ständig mit besonderen Kraftfeldern � eingedämmt werden. �
Jobern wollte sie jetzt mit Hilfe der Transmitterverbindung zum Beiboot transferieren. Anschließend mußte er sie noch in die Bombe einsetzen, ohne daß diese vorzeitig explodierte und ihn selbst mit in den Tod riß. Gezündet werden durfte dieser Sprengsatz natürlich erst dann, wenn er in der Zeit ausreichend zurückgefallen und in das Zeitkontinuum der Terraner eingetaucht war. Der To Glossa wollte gerade den Transmitter aktivieren, um diese letzten entscheidenden Komponenten abzuschicken und anschließend selbst wieder hinüberzuwechseln, da schlug plötzlich seine Ortung Alarm. Was kann das sein? überlegte er. War am Ende gar einer seiner Clanbrüder in der Nähe um Zeuge seiner Rache zu werden? Welche Ehre! Doch der To Glossa konnte sich nur kurz dieser belebenden Phantasie hingeben. Die Realität war weitaus nüchterner. Von der Oberfläche Ta Manas waren mehrere primitive Raumtorpedos abgefeuert worden, die sich zusehends der gegenwärtigen Position seines Mutterschiffs näherten. Das muß Zufall sein! überlegte er. Schließlich war es den Terraner unmöglich, ihn zu orten. Jobern kam der Verdacht, daß hier irgend etwas nicht stimmte. Daß die Raketen der Terraner nun zufällig ausgerechnet die Position seines Zeitschiffs ansteuerten, erschien ihm einfach zu unwahrscheinlich. Die Statistik sprach so eindeutig dagegen, daß man eigentlich nur einen einzigen logischen Schluß ziehen konnte. Sie wissen, wo ich bin! Bei allen ruhmreichen Vergeltern unseres Clans, � sie wissen es - woher auch immer! Andererseits -wie konnten ihm derart � primitive Waffen gefährlich werden? � Der Zeitschirm schützte ihn. � Die Ruhe bewahren und abwarten! sagte sich Jobern. � Der erste Torpedo erreichte den Zeitschirm und explodierte. Kurz danach folgten ein zweiter und dritter. Panik erfaßte Jobern, als er erkannte, daß diese Waffen keineswegs so harmlos waren, wie es zuerst den Anschein gehabt hatte. Der Effekt, den sie sich zunutze machten, war wirkungsvoll genug, den Zeitschirm förmlich auseinanderzureißen. Nein! schrie es in den Gedanken des To Glossa, während er gemeinsam mit seinem Raumschiff in der Zeit zurückfiel, im Kontinuum der Terraner materialisierte und für diese nun sichtbar wurde. Eine Erschütterung ging durch das Schiff. Es brach durch die gewaltigen Energien, die durch das Zerbersten des Zeitschirms frei wurden, in der Mitte durch. Ganze Sektionen wurden abgesprengt und irrlichterten als glühende Trümmerstücke wie Sternschnuppen durch das All. Die Transmitterverbindung zu dem Beiboot, das noch immer im Schacht auf Ta Mana steckte, war natürlich sofort unterbrochen. Auch war er nicht mehr in der Lage, dieses Beiboot, dessen Zeitschirm ja noch funktionierte, mittels der Fernbedienung herzuholen.
Es wäre ohnehin zu spät gewesen, um ihn noch zu retten. � Das war dem To Glossa auch durchaus bewußt. � Sein Plan war gescheitert. � Es gab keinen Weg mehr, die noch fehlenden Zündkomponenten in die � tief unter der Oberfläche des Planeten befindliche Bombe zu installieren. � Ja, schlimmer noch! Durch die Wirkung der so ganz und gar nicht � primitiven Raketen der Terraner war auch seine permanente Kommunikation � mit den Clanbrüdern unterbrochen. � Es war nicht die Erkenntnis, daß er kaum noch eine Möglichkeit besaß, � dem Tod zu entgehen, die ihn vor Entsetzen lähmte, sondern das
Bewußtsein, daß niemand von seinem Tod erfahren würde. � Keiner seine Clanbrüder würde wissen, was aus ihm geworden war, und � so war es auch sehr unwahrscheinlich, daß er je gerächt werden würde. � Die Systeme in der Zentrale des Zeitschiffs fielen nach und nach aus. � Der To Glossa bereitete sich auf den Tod vor. � Aber schlimmer war die Schande. � Und noch schlimmer das Vergessen. � Wo seid ihr, meine Clanbrüder? schrien seine Gedanken. Aber es gab � niemanden, denen er sie mitteilen konnte. Er war allein, abgeschnitten von � der Geborgenheit des Clans und dem Schutz des Racheversprechens. � Nach und nach wurden die auseinandergesprengten Einzelteile des To � Glossa-Schiffs abermals von den temporalen Turbulenzen zerfetzt, die die � Zerstörung des Zeitschirms ausgelöst hatte. � Nichts blieb, außer verglühenden Trümmern und ein paar Gedanken an Haß � und Rache, die sich in der Kälte des Kosmos verloren wie Tränen im Ozean. � Jobern existierte nicht mehr. �
Epilog Das TransCon-Schiff ATALAIA brachte Chris und seine Klassenkameraden � einige Tage später zurück ins Sol-System. � Während einer Schlafperiode fand Liu Chris in einem der Aufenthaltsräume. � Der junge Mann saß gedankenverloren da und ließ einen Tischtennisball � kreuz und quer über den blankgewienerten Boden rollen und dabei jeweils � eine Schleife um die Tisch- und Stuhlbeine fahren. � Diese Übung forderte seine gesamte Konzentration und betäubte seine � Gedanken. � »Chris?« � Er antwortete nicht. � Zu vertieft war er in das, was er tat. � Seine telekinetischen Kräfte zu kontrollieren war die wichtigste � Herausforderung, die in der Zukunft vor ihm lag. Das hatte ihm der alte � Guthrie einmal unter vier Augen gesagt und gleichzeitig mehr Disziplin
und Übungseifer angemahnt. Er hatte recht, fand Chris. � Dann bemerkte er sie plötzlich und stutzte. � Der Tischtennisball schoß jetzt völlig unkontrolliert durch die Gegend und � kam irgendwo durch die an Bord der ATALAIA herrschende künstliche � Schwerkraft zum Stillstand. � »Liu!« stieß er hervor. � Eigentlich freute er sich immer, sie zu sehen - abgesehen vielleicht von � Momenten wie diesem. � Sie setzte sich zu ihm. � »Willst du einen von diesen Synthodrinks, die du so magst, Liu?« � »Die gibt es in dem Automaten an Bord nicht.« � »Schade.« � »Ja, finde ich auch.« � Sie wollte etwas anderes, das spürte er. Ein besonderer Ernst lag in ihrem � Blick. � Sie weiß nur noch nicht, wie sie es mir sagen soll! erkannte er. � »Warum ist deine Mutter eigentlich nicht an Bord?« fragte sie. � »Sie und Thorn haben noch eine Weile auf Nemed III zu tun. � Die ganze Angelegenheit muß restlos aufgeklärt werden, und da gibt es
wohl noch ein paar Fragen, die bis jetzt nicht hundertprozentig beantwortet � werden konnten.« � Chris zuckte mit den Achseln. »Darüber sollen die sich ihre Köpfe � zerbrechen.« � Sie schluckte. � »Warum bist du hier?« � »Ich konnte nicht schlafen. Es gab so vieles, über das ich nachdenken � mußte.« � »Wir haben viel erlebt.« � »Ja.« �
»Ich habe auch über einiges nachgedacht, Chris.« � »So?« � »Mit Miro und John habe ich bereits gesprochen. Jetzt bist du noch an � der Reihe.« � »Worum geht es?« � »Ich glaube, das weißt du.« � Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. � »Sag jetzt nicht, daß du auf Tuturo, diesen Angeber, stehst!« brach es � schließlich aus
Chris hervor. � »Nein. Ich habe ihm klargemacht, daß ich nichts von ihm will.« � Chris grinste. »Das hätte er eigentlich auch so erkennen können - wenn � er wirklich so ein starker Telepath wäre.« � »Ich glaube, genau das ist ja das Problem mit ihm. Er nimmt die � Gedanken und Gefühle seiner Mitmenschen nicht wirklich ernst.« � »Schon möglich.« � »Chris, ich weiß, daß Miro und du es darauf anlegt, daß ich mich irgendwie � zwischen euch entscheiden soll. Aber das kann ich nicht. Und ich will es � eigentlich auch nicht. � Ich mag euch beide. Das ist nun mal die Wahrheit, ich kann es auch � nicht ändern.« � Chris sah sie verwundert an. � »Das ist nicht dein Ernst!« stieß er hervor. � »Doch, das ist es.« � »Also nur Freundschaft - nicht mehr?« »Wieso?« Sie lachte. � »Wer sagt denn eigentlich, daß Beziehungen immer nur paarweise sein � müssen?« � Ende