Vampire 15
Jacksons falsches Spiel von David Burnett In der Kneipe am Hafen ging es hoch her. Das war beinahe jeden Ab...
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Vampire 15
Jacksons falsches Spiel von David Burnett In der Kneipe am Hafen ging es hoch her. Das war beinahe jeden Abend so. Dieses Mal aber war etwas anders, denn die Feiernden waren keine Menschen - sondern Vampire. Die Kneipe gehörte einem von ihnen. Mark Dunross, ein Vampir Mitte dreißig, hatte das Lokal gemietet, weil er feiern wollte, dass er in der Hierarchie der Vampire eine Stufe nach oben geklettert war. Zwölf Vampire waren anwesend und feierten mit Dunross seinen Aufstieg. Die Feier dauerte nur sechzehn Minuten, dann flog die Tür auf... Dunross, der hinter dem Tresen stand, wirbelte herum und erblickte die rothaarige Frau, die in der Tür stand. Das Nächste, das er sah, war die Handgranate, die die Fremde in die Menge warf. Die Granate landete genau zwischen einigen Vampiren auf der anderen Seite des Lokals und explodierte. Der Knall war ohrenbetäubend, die Wirkung der Explosion war verheerend. Einen der Vampire - Hank Harper - zerriss es völlig. Seine Arme und Beine und andere Teile seines Körpers flogen einzeln durch die Luft. Da war nicht mehr viel zu heilen. Die beiden anderen Vampire hatten sich noch durch einen waghalsigen Hechtsprung einigermaßen in Sicherheit bringen können. Doch die umherfliegenden Splitter rissen tiefe Wunden in ihr totes Fleisch. Ihre Schreie hallten gellend durch das Lokal. Dunross war automatisch hinter dem Tresen in Deckung gegangen. Jetzt kam er wieder dahinter hervor und riss erschrocken die Augen auf. Denn im gleichen Moment warf die Rothaarige eine weitere Granate. Und dieses Mal flog das Ei genau auf ihn zu!
* Dunross reagierte gedankenschnell. Mit einem gewaltigen Satz sprang er über den Tresen. Da ging die Granate auch schon hoch. Die Explosionswelle erfasste Dunross, riss ihn mit sich und schleuderte ihn schließlich mit Knochen zermalmender Gewalt gegen die gegenüberliegende Wand. Unzählige Splitter der Granate fraßen sich in seinen Leib. Er schrie schmerzgepeinigt auf und sackte schließlich zu Boden. Doch sofort drehte er sich herum. Er wollte sich auch auf die Beine stemmen, aber er schaffte es nicht. Ihm fehlte die Kraft. Dunross war körperlich nicht gerade ein starker Vampir. Intelligent war er, ja, und daher auch sein Aufstieg, den er hatte feiern wollen, aber seine Intelligenz half ihm hier nicht viel, so bitter diese Erkenntnis auch für ihn war. Außerdem machten ihm diese verfluchten Splitter der Granate, die in seinem Körper steckten, schwer zu schaffen. Er konzentrierte sich und leitete somit die Heilung ein. Doch er brauchte immer recht lang, um Wunden an seinem Körper zu heilen, und diesmal waren es verdammt viele Wunden. Während er sich auf die Heilung konzentrierte, beobachtete Dunross das weitere Geschehen. Natürlich waren seine Freunde in hellem Aufruhr. Sie schrien und brüllten und alle waren völlig fassungslos, denn mit diesem Angriff hatte niemand gerechnet. Steve Dimes, ein Vampir Typ Bodybuilder, stürmte als Erster auf die Angreiferin zu.
Doch er sollte nicht weit kommen. Denn plötzlich hielt die Rothaarige eine Armbrust in den Händen. Sie zielte kurz - und schoss. Der Pfeil zischte durch die Luft und traf Steve genau in der Brust. Der Vampir brach zusammen, sein Herz war getroffen, und er fing sofort an zu verrotten. Jetzt stürmten auch die anderen brüllend vor. Die Rothaarige hatte die Armbrust fallengelassen. Dafür war sie nun mit einer Machete bewaffnet und stellte sich mit einem wilden Kampfschrei den heranstürmenden Vampiren. Die Köpfe flogen schneller, als Dunross gucken konnte. Es war grauenvoll. Dunross hatte erst wenige seiner Wunden heilen können, aber er biss die Zähne zusammen und rappelte sich auf. Auch er musste versuchen, die Wahnsinnige zu stoppen. Er wollte nichts nur tatenlos zusehen! Mittlerweile lagen schon fast alle seiner Freunde mehr oder weniger tot am Boden. Einzig Rob Snyer und Lennie Lomax waren noch auf den Beinen. Snyder trat der Rothaarigen gerade die Machete aus der Faust. Die Waffe segelte durch die Luft und prallte gegen eine Wand. Snyder und auch Lomax sahen jetzt ihre Chance, doch die Rothaarige war auch ohne Waffe in der Faust verdammt gefährlich. Ihre Fäuste schossen vor und hagelten auf die beiden Vampire ein wie die Kugeln aus einer MP. Sie schlug sie im wahrsten Sinne des Wortes zusammen. Jetzt stürmte auch Dunross vor. Aber er war jetzt schon so gut wie tot, das war ihm klar. Jede seiner Bewegungen schmerzte und er hatte kaum noch Kraft. Die Verletzungen hatten ihn ausgelaugt. Er war eben nicht der Stärkste. Brüllend stürzte er sich auf die Rothaarige. Die wehrte ihn mit Leichtigkeit ab. Genau im richtigen Moment schnellten ihre Fäuste vor und stießen Dunross zurück, so heftig, dass er abhob und meterweit nach hinten segelte. Wieder krachte er gegen eine Wand und sank gleich darauf zu Boden. Knirschend brach sein Rückgrat. Dunross ächzte. Seelenruhig wanderte die Rothaarige nun zu der Stelle des Raumes, an der ihre Machete auf dem Boden lag. Sie nahm die Waffe wieder an sich und schlug allen am Boden liegenden noch lebenden Vampiren den Kopf ab. Snyder und Lomax, die sich nicht mehr rühren konnten, weil die Rothaarige ihnen alle Knochen gebrochen hatte, waren fast zum Schluss an der Reihe. Zischend zerschnitt die Klinge der Machete die Luft und hackte dann in Snyders Hals. Bei Lomax das Gleiche. Dann schritt sie auf Dunross zu. Der Vampir begann zu Zittern. Blutiger Schweiß legte sich auf seine Stirn und rann ihm in salzigen Bächen das Gesicht herab. Er keuchte. Wollte sich bewegen, sich irgendwie wehren oder zumindest wegrennen, doch das konnte er vergessen. Er war zu schwer verwundet. Er konnte nicht einmal seine Beine bewegen . . . Da sah er auch schon wie die Rothaarige ausholte. Er sah, wie die Klinge zischend auf seinen Hals zuraste. Dann wurde es dunkel. Für immer . . . *
Tage später Mit schnellen Schritten näherte sich Bruce Darkness dem Treffpunkt im Central Park, an dem er mit Nick Marvey verabredet war. Der schwache Mond spendete schummriges Licht. Leichter Wind kam auf und zog zischelnd durch Büsche und Sträucher. Laub raschelte, und die Tiere der Nacht stießen klagende Laute aus. Ansonsten war alles still. Totenstill. Schließlich erreichte der Vampir den Treffpunkt. Bevor er sich richtig umsehen konnte, flog etwas auf ihn zu. Mit einem dumpfen Laut landete ein eiförmiger Gegenstand vor seinen Füßen. Eine Handgranate!, schoss es Bruce durch den Kopf. Blitzartig wirbelte er herum und rannte los. Dann krachte es auch schon! Die Druckwelle erwischte Bruce und riss ihn mit sich. Der Knall der Detonation raubte ihm das Gehör. Granatsplitter erwischten ihn und bohrten sich in seine Haut. Die Schmerzen ließen ihn aufschreien, während er stürzte und noch einige Yards über den matschigen Boden geschleudert wurde. Sofort war Bruce klar, dass Marvey ihm eine Falle gestellt hatte. Nick war als Vampir etwas älter als Bruce und hatte in letzter Zeit einigen Bockmist angestellt. Er hatte Dinge getan, die der Herrscher von New York nicht dulden konnte. Deshalb hatte Boris Baron von Kradoc seinem Stellvertreter den Auftrag erteilt, Marvey zu ihm zu bringen. Prompt hatte Bruce sich Nick geschnappt. Als der jedoch beteuerte, von nun an vernünftig zu sein und nichts mehr anzustellen, hatte Bruce zunächst unter vier Augen mit seinem Boss geredet. Der hatte dann zugestimmt, Marvey laufen zu lassen. Bruce hatte Nick wirklich geglaubt, dass er zur Vernunft gekommen war, zumal er ganz offensichtlich völlig verängstigt gewesen war. Und jetzt das! Marvey hatte Bruce kontaktiert und ihn zu diesem Treffpunkt bestellt. Wie er sagte, ging es um Celestine Draven. Als Marvey erklärte, dass die rothaarige Vampirjägerin etwas vorhabe und er mehr darüber wisse, hatte der Stellvertreter des Barons natürlich keine Sekunde gezögert. Denn was Draven anging, da hatte Bruce im Moment keine Geduld. Erst vor wenigen Tagen hatte die Jägerin wieder zugeschlagen und ein Dutzend Vampire vernichtet. Sobald Boris Baron von Kradoc davon erfahren hatte, bestellte er seinen Stellvertreter zu einer Krisensitzung zu sich. Bruces wichtigste Aufgabe war es im Moment, die Vampirjägerin so schnell wie möglich auszuschalten, bevor sie noch mehr Unheil anrichtete. Der Fall Draven hatte absolute Priorität, und als Marvey Bruce verständigt hatte, war der sofort losgeeilt . . . . . . und war geradewegs in die Falle gelaufen! Doch er hatte jetzt keine Zeit, sich selbst Vorwürfe zu machen. Die Wunden waren fast schon wieder verheilt, während er sich wieder auf die Beine brachte. Hektisch sah er sich um. Und da! Weiter hinten entdeckte er hinter einigen Büschen die Umrisse einer Gestalt. Im gleichen Moment blitzte und krachte es. Marvey hat also noch mehr auf Lager!, dachte Bruce und ging auf Tauchstation. Eine MP hämmerte, das heiße Blei fegte zischend über Bruce hinweg. Dann wurde es wieder still. Bruce lauschte. Er hörte Schritte, die sich rasch entfernten. Der Mistkerl haut ab!, dachte er wütend.
Sofort jagte Bruce los. Mit unvorstellbarer Schnelligkeit stürmte er dem flüchtigen Marvey hinterher. Der Verfolgte preschte durch Büsche und Sträucher, Bruce hinterher. Die Distanz schmolz dahin. Doch plötzlich blieb Marvey abrupt stehen, wirbelte herum und ließ es aus seiner MP erneut krachen. Die Geschosse trafen Bruce an Brust und Bauch und schleuderten ihn nach hinten. Hart krachte der Vampir auf den Rücken. Scheiße, tut das weh, zuckte es ihm durch den Kopf. Bruce biss die Zähne zusammen, blickte an sich herab und sah, dass sein Oberkörper schwer durchlöchert war. Doch auch diese Wunden schlossen sich rasch. Allerdings hatte Marvey jetzt wieder einen größeren Vorsprung. Rasch schnellte Bruce wieder auf die Beine und jagte ihm weiter hinterher. Diese miese Ratte würde ihm nicht entkommen. Marvey rannte in Richtung der 81st Street. Nicht mehr lange, und er ließ den Park hinter sich. Bruce gab alles! Er war schneller als Marvey. Der jedoch erreichte gerade die Straße. Sein Verfolger verlor ihn kurz aus den Augen, hörte aber einigen Lärm von der Straße her. Geschrei, Schläge und schließlich das Rattern von Marveys MP. Gleich darauf sprang ein Motorrad an. Genau in dem Augenblick gelangte Bruce ebenfalls an die Straße. Einige Rocker hatten sich hier versammelt. Acht, neun an der Zahl. Die Typen hatten wohl bis eben auf ihren Harleys gehockt, doch die schweren Maschinen waren allesamt umgestürzt und die Rocker lagen ebenfalls am Boden. Einige rappelten sich jetzt auf, andere blieben stöhnend oder völlig regungslos am Boden liegen. Marvey hockte auf einer der Harleys und preschte nun mit quietschenden Reifen davon. »Bullshit!«, rief einer der unverletzten Kerle, die sich nun aufrappelten. »Der Schweinehund ist ja wohl völlig durchgeknallt!« Jetzt bemerkte er Bruce, der sich gerade eine der Maschinen griff und sie aufstellte. »Hey, was soll das?«, schrie der Rocker aufgebracht und stürmte auf Bruce zu. » Gehörst du etwa zu dem Wahn. . .« Da packte der Vampir ihn mit der Linken, hob ihn an, dass er mit der Füßen nicht einmal mehr den Boden berühren konnte und versetzte ihm mit der Rechten einen Schlag, der ihn meterweit durch die Luft segeln ließ. Nun kamen auch die anderen unverwundeten Rocker an, doch da saß Bruce bereits auf der Harley, schmiss die Maschine an und raste los. Wie der Leibhaftige fuhr er die Straße in der Richtung entlang, in der er Marvey hatte davonbrausen sehen. Er holte alles aus der Maschine heraus, und schon bald erblickte er Marvey als schwarzen Punkt in einiger Entfernung vor sich. Bruce gab noch mehr Gas. Er wollte den Mistkerl schnappen, koste es, was es wolle! Marvey brauste wie ein Irrer die Straße entlang. Doch es gelang Bruce, die Distanz zu ihm mehr und mehr zu verringern. Allerdings schaffte er es nicht, ihn einzuholen. An einer Kreuzung kam Bruce schließlich eine Idee. Scharf bog er rechts in eine Straße ein, gleich darauf wieder links. Es war eine Einbahnstraße, was Bruce aber nicht störte. Immer wenn ihm ein Fahrzeug entgegenkam, lenkte er die schwere Maschine auf den Fußweg, und die meisten nächtlichen Spaziergänger konnten sich in Sicherheit bringen. Bruce preschte weiter geradeaus. Er war sicher, dass Marvey jetzt leichtsinnig
werden und vom Gas gehen würde, weil er dachte, Bruce abgehängt zu haben. Und genau das hatte Bruce beabsichtigt. Der Vampir lenkte die Maschine ungebremst nach links auf den Fußweg in der nächsten Einmündung. Als er dann sah, dass ihm keine Autos entgegenkamen, lenkte er das Motorrad wieder auf die Fahrbahn und fuhr weiter. Als er die Straße erreichte, auf der er Marvey immer noch vermutete, sah er sein Opfer auch schon von links mit gedrosseltem Tempo heranfahren. Hab ich's doch gewusst!, dachte er grinsend. Der Kerl ist einfach zu blöd! Jetzt erblickte Marvey ihn und wollte wieder Vollgas geben, doch zu spät. Bruce hatte ihn bereits erreicht. Ohne Abzubremsen, ohne Auszuweichen hielt er auf Marveys Vorderrad zu. Der erkannte Bruces Absicht zu spät und reagierte falsch, indem er nur noch mehr Gas gab, anstatt den Lenker herumzureißen, und sich so der Gefahr zu entziehen. Nur noch wenige Zentimeter trennten die beiden Motorräder voneinander und Bruce konnte Marveys vor Angst verzerrtes Gesicht erkennen. In aller letzter Sekunde stieß Bruce sich kraftvoll aus dem Sitz, flog durch die Luft und landete mit den Füßen auf dem Asphalt. Dann prallten die beiden Maschinen mit einem ohrenbetäubenden Krachen zusammen. Marvey wurde von seiner Harley quer über die Straße geschleudert und donnerte schließlich mit voller Wucht gegen einen parkenden BMW. Bruce war nach seinem Absprung noch ein paar Meter weit getaumelt, hatte es aber geschafft, auf den Füßen zu bleiben. Nun rannte er auf sein Opfer zu. Marvey wühlte sich gerade stöhnend unter den Blechtrümmern hervor, als Bruce ihn auch schon packte und hochriss. Gleich darauf ließ er seine Rechte vorschnellen. Die Faust donnerte in Marveys Visage, und der ohnehin schon angeschlagene Vampir stieß einen dumpfen Laut aus, während er abhob und nach hinten über den BMW hinweg durch die Luft segelte. Er landete zwischen einigen vollgestopften schwarzen Müllsäcken auf dem Bordstein, die durch die Wucht des Aufpralls aufplatzten und ihren stinkenden Inhalt über den Asphalt ergossen. Noch ehe er wieder auf die Beine kommen konnte, war Bruce auch schon bei ihm und ließ ihn nun die Stahlkappe seines rechten Motorradstiefels spüren, die sich unter Marveys Kinn rammte und ihn erneut ein Stück nach hinten segeln ließ. »Da staunst du nicht schlecht, was?«, rief Bruce grimmig. »Du bist so ein Trottel, dass du dich immer wieder mit mir anlegst.« Keuchend blickte Marvey ihn an. Bruce konnte zusehen, wie der Kiefer, den er dem anderen eben mit seinem Tritt zertrümmert hatte, wieder zusammenwuchs. Er erkannte die Wut in Marveys Gesicht, den abgrundtiefen Hass, doch es interessierte ihn nicht. Dann kam Marvey hoch! Er schnellte auf die Beine, wollte zum Gegenangriff ausholen, doch in dem Moment zog ihm Bruce mit dem Fuß die Beine weg. Wild ruderte Marvey mit den Armen, während er fiel. Dann klatschte er erneut auf den Rücken. Er rollte sich nach rechts, kam so ein Stück von Bruce weg und verschaffte sich damit ein wenig Luft. Gleich darauf sprang er auf. »Hör mal zu, Kumpel«, sagte Marvey, als er Bruce nun in einiger Entfernung gegenüberstand. »Du solltest mich lieber in Ruhe lassen, sonst. . .« »Sonst was?«, herrschte Bruce ihn an. »Wirst du dann schon sehen!«
Bruce seufzte. Dieser Kerl brachte ihn noch um den Verstand. Er hatte eine Chance bekommen. Der Baron hatte Gnade vor Recht ergehen lassen und Nick wusste das ganz offensichtlich nicht zu schätzen. Sein Pech. Bruce würde ganz bestimmt nicht zum Baron gehen, und ihm gestehen, dass er sich so geirrt hatte, als er behauptete, Nick Marvey sei zu eingeschüchtert, um noch einmal aufzumucken. Und er würde diesen Unterklasse-Vampir auch nicht davonkommen lassen, um weiter so einen Mist zu bauen. Bye, Nick!, dachte Bruce. Es war nicht nett mit dir. Plötzlich sprang Marvey brüllend auf seinen Gegner zu und ließ gleichzeitig seine rechte Faust vorschnellen. Geistesgegenwärtig tauchte Bruce unter dem Schlag hinweg. Dann sprang er sofort wieder hoch, und im selben Moment bohrte sich sein Knie in Marveys Unterleib. Der jaulte auf und krümmte sich, doch als Bruce zu einem weiteren Schlag ausholen wollte, warf Marvey sich nach vorn und rammte ihm seine Stirn gegen die Nase. Bruce taumelte zurück und glaubte, sein Schädel würde explodieren. Vor seinen Augen blitzte es wie wild. Dann spürte er auch schon einen heftigen Schmerz in der Bauchregion, dann einen im Gesicht. Marvey schlug so hart und so schnell zu, dass Bruce sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte. Der wurde langsam richtig wütend. Bruce warf sich nach links und entging so einem weiteren Schlag. Er ließ sich zu Boden fallen, rollte sich katzengewandt ab. Sofort schnellte er wieder hoch und warf Marvey einen drohenden Blick zu. Doch der war jetzt bewaffnet, denn in seiner Rechten blitzte die Klinge eines Bowiemessers. Mit einem wilden Kampfschrei setzte Marvey zum Sprung an und warf sich mit einem Satz nach vorn. Gleichzeitig schnellte auch die Faust mit dem Messer vor. Bruce wich aus, doch diesmal war er zu langsam, und die Klinge des Messers bohrte sich in seine Schulter. Er schrie schmerzerfüllt auf, rollte sich seitlich weg und brachte sich wieder auf die Beine. Marvey hatte das Messer in der Wunde stecken lassen. Bruce musste es erst rausziehen, bevor er sich heilen konnte. Er hatte gerade den Griff umfasst, als Marvey plötzlich einen Revolver zog, einen 44er Smith & Wesson. Wo hat er denn das Spielzeug jetzt wieder her?, fragte sich Bruce. Er sah die Waffe, sah, wie es aus der Mündung blitzte. Zweimal schoss Marvey. Zweimal traf er Bruce voll in die Brust. Der Stellvertreter des Barons wurde nach hinten geschleudert, stolperte und ging in die Knie. Jetzt packte er das Messer, das noch in seiner Schulter steckte, und zog es sich ruckartig aus dem Leib. Die Wunde begann sich zu schließen, und auch die Schusswunden verheilten bereits als Bruce sah, dass Marvey erneut schoss. Doch diesmal verfehlte der sein Ziel, denn Bruce tauchte gerade noch rechtzeitig unter dem Geschoss hinweg. Zischend fegte die Kugel über seinen Kopf hinweg. Er spürte noch die Hitze des Bleis, und dann krachte es abermals. Wieder wurde Bruce getroffen, diesmal am linken Oberarm. Dann sprang er hoch und stürzte sich wie ein Berserker auf Marvey, wobei er all seine Kräfte bündelte. Er riss den Kerl mit sich zu Boden und hockte schließlich auf
ihm. Mehrmals hintereinander schlug er ihm die Rechte ins Gesicht. Hart. Mit ungeheurer Wucht. Es knirschte und knackte, als Marveys Nasenbein und die Wangenknochen brachen wie morsches Holz. Übertönt wurde das hässliche Geräusch nur von den gepeinigten Schreien des auf dem Rücken Liegenden. Marvey hatte nicht die geringste Chance, irgendetwas zu tun, sich irgendwie zu wehren. Endlich hielt Bruce inne. Er blieb auf seinen Opfer sitzen und wartete, während sich dessen Knochen wieder richteten. »Und?«, fragte Marvey, als er schließlich wieder sprechen konnte, wobei es ihm sogar noch gelang, ein hämisches Lachen herauszubekommen. »Was hast du jetzt vor? Willst du mich mit deinen Fäusten umbringen? Dass ich nicht lache! Ich bin ebenso unsterblich wie du verdammtes Arschloch!« Bruce kniff die Augen zusammen. »Sei dir da mal nicht zu sicher, Marvey! Denn wenn ich dir deinen elenden Schädel vom Hals reiße, ist es aus mit der Unsterblichkeit, vergiss das nicht!« Er packte ihn an der Gurgel. Doch plötzlich sackte Nick zusammen, jegliche Kraft schien seinen Körper zu verlassen. Dann fielen kurz seine Augen zu. Als er sie wieder öffnete, sah er Bruce entgeistert an. »Du?«, fragte er heiser. »Wo kommst du denn her? Was machst du mit mir?« Häh? Was soll denn das nun wieder? Bruce verengte die Augen zu Schlitzen. »Was ist das jetzt für eine Tour, Marvey? Willst du mich verarschen?« Doch Nick schüttelte heftig den Kopf. »Nein, dich doch nicht, Bruce! Ich hab dir doch versprochen, dass ich mich von nun an benehmen werde! Mensch, ich will doch nicht noch mal Ärger mit dem Baron!« »Sag mal, Marvey: Spinnst du? Du empfängst mich mit 'ner Handgranate, jagst mir ein Dutzend Kugeln aus deiner scheiß MP in den Leib und willst mir jetzt erzählen, dass du dich benehmen willst?« Völlig verschreckt blickte Marvey ihn an. »Was soll ich getan haben? Mann, willst du mich jetzt verarschen, Darkness? Ich bin doch eben erst aufgestanden. Wollte mir jetzt erst mal 'nen Happen zu Beißen besorgen.« Das muss passiert sein, als er von der Maschine geflogen ist, dachte Bruce fassungslos. Da muss irgendwas kaputtgegangen sein in seinem Schädel... Doch er kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Vor ihm blitzte und krachte es wie aus heiterem Himmel. Eine Nebelwolke war zu sehen, die sich langsam in eine menschliche Gestalt verwandelte, und als die Verwandlung vollendet war, stand ein Mann vor dem auf Marvey hockenden Bruce, den er nur zu gut kannte. Und auch Marvey kannte ihn, und als er nach hinten schielte und ihn erblickte, wurde er noch bleicher, als er ohnehin schon war. »O Shit!«, stieß er aus. Bei dem Mann, der eben aus dem Nichts erschienen war, handelte es sich um einen Vampir. Einen körperlich sehr alten, jedoch äußerst starken und mächtigen Vampir. Ryder Jackson! »Lass ihn los, Bruce Darkness!« Jacksons Stimme klirrte wie Eis. Obwohl er nicht laut sprach, zerrissen seine Worte die Stille der Nacht. Doch Bruce achtete weniger drauf, wie Jackson sprach, denn es verwirrte ihn
vielmehr das, was er sagte. Loslassen?, dachte Bruce verdutzt. Ich soll die Mistratte loslassen? Wovon träumt der Alte tagsüber? Natürlich ließ er Marvey nicht los, stattdessen schüttelte er den Kopf. »Nö«, sagte er lässig. »Warum sollte ich auch, Jackson?« »Nun, Bruce, dafür gibt es einen ganz einfachen Grund.« Der Alte lächelte leicht. Gleichzeitig fiel Bruce auf, dass seine Augen wie immer völlig ausdruckslos waren. »Ach? Und der wäre?« »Ganz einfach: Weil ich es sage!« Entgeistert sah Bruce den Alten an. »Ist ja schön, dass du das sagst. Wirklich wunderbar, ich back mir gleich vor lauter Freude 'nen Kuchen. Aber wie kommst du darauf, dass ich auf dich hören werde, Jackson? Das musst du mir schon genauer erklären.« Jackson sagte nach dieser Herausforderung kein Wort. Er stand nur da und musterte ihn. Und dann schnellte blitzartig sein rechter Arm vor. Aus der Hand schoß ein Feuerstrahl, genau auf Bruce zu. Er erfasste den jungen Vampir und schleuderte ihn zurück. Zwei, drei Meter flog er nach hinten und knallte schließlich hart auf den Rücken. Bruce fluchte, sprang auf und wollte auf den Alten zustürmen, doch etwas hielt ihn davon ab. Zunächst sah er, wie aus Jacksons Hand erneut etwas hervorgeschossen kam. Diesmal war es kein Flammenstrahl, sondern ein lodernder Feuerball. Auch der steuerte genau auf Bruce zu. Der Vampir wollte schon in Deckung gehen, doch etwa einen halben Meter vor ihm stoppte der Feuerball schließlich, schwebte bewegungslos in der Luft - bis er explodierte. Bruce wich zurück. Es krachte ohrenbetäubend und unglaubliche Hitze breitete sich aus. Als Bruce, geblendet vom Lichtblitz der Explosion, endlich wieder etwas erkennen konnte, schwebte ein kurzer Dolch vor ihm. Nur Millimeter trennten die Spitze der Klinge von Bruces ungeschützter Kehle. Bruce schluckte schwer. Seine Gedanken kreisten wild umher. Er sah Jackson fragend an, doch der verzog keine Miene. »Du solltest eines wissen, Bruce«, sagte der Alte schließlich. Seine Stimme war ruhig und beherrscht. »Ich halte wirklich viel von dir, aber wenn du dich jetzt näherst, schneidet dir meine kleine Waffe den Hals durch!« Bruce trat einen Schritt zurück, dann noch einen und noch einen, dann zur Seite, doch es war sinnlos. Jacksons Waffe folgte ihm sofort, blieb immer ganz dicht vor seiner Kehle. Fieberhaft überlegte Bruce, welchen Schaden Jacksons Waffe bei ihm anrichten konnte. Sicher würde ihm die kurze Klinge nicht komplett den Hals abtrennen können, aber zur Hälfte, und das genügte auch! »Was soll der Scheiß, Jackson?«, brüllte der junge Vampir nun. »Nimm sofort dieses verfluchte Ding weg!« Doch Jackson kümmerte sich nicht um seine Worte. Stattdessen wandte er sich Marvey zu, der noch immer rücklings am Boden lag und dessen Gesicht vor Angst verzerrt war. Todesangst! »So, und jetzt zu dir, Marvey!« Bruce hörte, wie Jackson diese Worte aussprach und fragte sich, was der Alte
vorhatte. Was für ein verdammtes Spiel spielt der Kerl?, überlegte er. Bruce hatte keine Ahnung, was das alles sollte. Jackson hatte ihm immer geholfen, und jetzt das hier! Er erinnerte sich daran, dass der Baron längst misstrauisch geworden war, was Jackson betraf. Man konnte Jackson nicht über den Weg trauen, er spielte sein eigenes Spiel. Bruce wurde aus seinen Gedanken gerissen, denn jetzt sah er, wie Nick Marvey versuchte, sich aufzurappeln. Es fiel dem Kerl schwer, das war nicht zu übersehen. Seine Gelenke schienen weich wie Pudding zu sein und Bruce glaubte auch zu sehen, wie ein leichtes Zittern seinen ganzen Körper durchlief. Dann endlich stand Marvey, doch es sollte ihm nichts mehr nützen, denn schon einen Augenaufschlag später war es mit ihm vorbei. Bruce beobachtete, wie Jackson, der Marvey nun genau gegenüberstand, die rechte Hand ausstreckte. Mit den Fingerspitzen berührte er Marveys Bauch. Nun ließ er die Hand höher gleiten, bis die Finger die Kehle des verängstigten Vampirs berührten. Marvey stand da wie zur Salzsäure erstarrt. Den Mund hatte er weit aufgerissen, die Augen ebenfalls. »Verdammt, was hast du vor, Jackson?«, rief Bruce dem Alten zu. Doch der Vampir dachte gar nicht daran, ihm eine Antwort zu geben. Stattdessen verwandelte sich seine Hand in eine lange, rotglühende Klinge. Bruce verengte die Augen zu Schlitzen. Shit, der will Marvey umlegen!, schoss es ihm durch den Kopf. Abermals versuchte er, dem Dolch vor seiner Kehle zu entkommen. Doch zwecklos. Wohin sich Bruce auch bewegte - die Waffe folgte ihm, blieb immer dicht vor seinem Hals. Bruce griff nach dem Dolch. Er war so schnell wie eine zustoßende Kobra - doch Jackson war noch schneller. Der Dolch drehte sich ein wenig und Bruce packte genau in die Klinge. Fluchend zuckte er zurück, und der Dolch ging wieder in seine Ausgangsposition. »Lass mich gehen, Jackson!«, flehte Marvey angsterfüllt. Doch gleich darauf bohrte sich Jacksons zur Klinge verformter Arm mit einem schmatzenden Geräusch in Marveys Kehle. Grinsend zog der Alte seine Klingenhand nach links, dann ganz nach rechts und durchtrennte so Marveys Hals. Sein Kopf fiel vom Rumpf und schlug mit einem dumpfen Laut auf dem Boden auf, rollte noch ein Stück zur Seite und kam schließlich auf dem Gesicht zum Liegen. Dann brach auch der Rest des Körpers zusammen . . . Bruce stand da und glotzte wie jemand, der gerade den Leibhaftigen gesehen hatte. Selbst als er registrierte, dass der Dolch endlich von seiner Kehle verschwand, sich einfach in Luft auflöste, war er noch immer nicht im Stande, sich zu bewegen. Allerdings hielt dieser Zustand nur wenige Sekunden an. Sobald er begriffen hatte, was da eben geschehen war, machte sich grenzenlose Wut in ihm breit. Er stürmte auf Jackson zu, blieb zwei Fuß vor ihm stehen und sah ihn hasserfüllt an. Blick tauchte in Blick. »Hast du den Verstand verloren?«, brüllte Bruce ungehalten. »Spinnst du oder was? Ist dir eigentlich klar, was du da eben getan hast? Du hast Marvey umgelegt!« Im Gegensatz zu Bruce blieb Ryder Jackson ruhig. Ganz ruhig. Er verzog keine Miene, nichts zuckte in seinem Gesicht. »Natürlich ist mir das bewusst, Bruce«, sagte er. Auch seine Stimme vibrierte in keiner Weise, sondern war ruhig und beherrscht. »Ich tue grundsätzlich nur Dinge,
über die ich mir im Klaren bin, aber so gut solltest du mich doch eigentlich kennen, um das zu wissen, junger Spund.« Bruce wäre dem Alten am liebsten an die Kehle gegangen, doch er beherrschte sich mühsam. »Dann bist du dir ja auch bewusst, dass nur der Baron in dieser Stadt das Recht hat, einen Vampir zu töten. Und dass es meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass sich alle daran halten.« »Recht?« Der Alte Vampir lachte kalt. »Was ist denn schon Recht, Bruce? Du solltest doch am besten wissen, dass in unseren Kreisen nur das Recht des Stärkeren von Belang ist!« Der Jüngere funkelte ihn wütend an. »Glaub bloß nicht, dass du dich so einfach aus der Affäre ziehen kannst! Ich werde nicht eine Sekunde zögern, wenn der Baron dafür deinen Tod will, Jackson!« Jetzt brach Jackson in schallendes Gelächter aus. Dann, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, kam er einen Schritt näher und sagte leise, wobei in seiner Stimme etwas Drohendes lag: »Bist du tatsächlich so dumm, zu glauben, dass du mich vernichten könntest, Bruce Darkness? Wenn ich es wollte, könnte ich dir den Kopf von den Schultern reißen, bevor du auch nur die Hand gegen mich erhoben hast!« Bruce schüttelte den Kopf. »Überschätze dich nicht, Jackson! Es wird mir ein Vergnügen sein, dich eines Tages eines Besseren zu belehren!« »Ach ja?« Jackson grinste höhnisch. »Du solltest erst einmal mit Celestine Draven fertig werden, bevor du weiterhin so große Töne spuckst, Bruce!« Einen Moment sagte er nichts. »Bisher hast du in dieser Hinsicht ja kläglich versagt, nicht wahr?«, fuhr er dann fort. »Daran solltest du vielleicht einmal denken!« Bruce verzog das Gesicht. Na gut, Draven war ihm entwischt. Zweimal sogar. Und? Er würde sie schon noch erwischen. Bruce wollte gerade etwas Entsprechendes sagen, da sprach Jackson weiter. »Ich weiß, du willst Draven haben, Bruce. Ich weiß auch, dass du glaubtest, Marvey könne dir helfen. Aber ich bin es, der dir helfen kann, Bruce. Ich kann dir sagen, wo sie sich aufhält!« Bruce sah den Altvampir eindringlich an. Zwar konnte er nichts aus seinem Gesicht lesen - aber dennoch . . . Wenn er ihn so ansah, hegte er keinen Zweifel daran, dass Jackson wirklich wusste, wo Draven steckte. »Ich sehe, dass du wieder vernünftig wirst, Bruce, und das erfreut mich.« Ein feines Lächeln legte sich auf Jacksons Lippen, während er weitersprach. »Es hat doch auch keinen Sinn, dass du dich hier gebärdest wie ein kleines Kind, Bruce. Davon hat niemand etwas!« Kleines Kind?, schoss es Bruce durch den Sinn. Dem Irren geb ich gleich gehörig was auf die Löffel! Aber dann riss er sich zusammen. Erst einmal musste er aus dem Alten herausquetschen, wo sich dieses verfluchte Weibstück aufhielt. Alles andere konnte warten. »Okay«, sagte er gedehnt, »wo hält sich Celestine Draven auf?« Jacksons Lächeln wurde breiter. In seinem Gesicht lag etwas Wissendes. »Wie ich sehe, bist du wieder ganz der Alte, Bruce. Du bist heiß auf Celestine Draven, willst sie vernichten, und das ist gut! Einen Moment befürchtete ich schon, du wüsstest nicht mehr, wer Freund und wer Feind ist. . .« »So, jetzt hör mal zu, Jackson«, sagte Bruce ungeduldig. »Ich hab wenig Zeit, echt. Also laber nicht so viel herum, sondern sag mir endlich, wo dieses Teufelsweib steckt!« Ungeduldig wippte Bruce von einem Fuß auf den anderen. Und dann sagte Jackson ihm, was er wissen wollte . . .
*
Eine Stunde später Noch immer kochend vor Wut, entstieg Bruce Darkness dem Hochgeschwindigkeitsaufzug in der 85. Etage des Empire State Buildings. Natürlich gefiel es ihm überhaupt nicht, seinem Herrn mitteilen zu müssen, dass Jackson Probleme machte. Dass der Alte Marvey gekillt hatte, würde dem Baron ganz sicher nicht schmecken. Zumal sie alle im Moment schon genug Probleme hatten. Aber immerhin hatte Bruce jetzt einen Anhaltspunkt, was Draven anging. Falls es tatsächlich stimmte, was Jackson ihm erzählt hatte. In diesem Moment bog Katrina Stein um die Ecke. Auf ihrem ebenmäßig geschnittenen Gesicht zeichnete sich ein geringschätzendes Lächeln ab. »Hallo, mein süßer Neanderta . . .« Bruce ließ sie gar nicht erst aussprechen. »Halt die Klappe, Katrina!«, stieß er gereizt hervor. »Ich bin nicht in der Stimmung für deine kleinen Sticheleien!« Die Vampirin schaute ihn eine Sekunde lang verdutzt an, dann wurde ihr Lächeln noch eine Spur breiter. »Oh, armer Bruce!«, sagte sie. »Hat dir jemand auf die Füße getreten?« Ihre Stimme troff über vor Sarkasmus. »Und jetzt geht der Kleine petzen, was?« Sie ignorierend stapfte er an ihr vorbei. Wenn sie auch nur noch ein Wort sagte, würde er ihr eine langen. Doch sie blieb still. Er klopfte an die Tür zum Büro seines Herrn und trat ein. Kradoc saß gerade hinter seinem wuchtigen, mit exquisiten Schnitzarbeiten versehenen Mahagonischreibtisch und führte ein Telefongespräch. Als Bruce eintrat, beendete der Baron das Telefonat und bot seinem Stellvertreter einen Platz an. Der hockte sich lässig hin und überspielte seine innere Anspannung. Dann begann Bruce, seinem Herrn zu berichten, dass Marvey ihn in eine hinterhältige Falle gelockt hatte. »Was hast du mit ihm gemacht?«, wollte der Kradoc wissen. Wie üblich trug der Baron Kleidung aus der Zeit, in der er noch lebte - einen hochgeschnittenen blutroten Gehrock mit hohem Stehkragen und spitzem Revers. Bruce machte eine abwinkende Handbewegung. »Nichts weiter, Herr. Denn da ist Jackson aufgetaucht.« »Jackson?« Kradoc schaute auf. »Ja, er hat mir einen sehr wertvollen Hinweis auf den Aufenthaltsort von Celestine Draven gegeben. Sie ist in London, Herr, und deshalb bin ich auch hier. Ich muss ihr hinterher, ich kann nicht immer nur warten, sondern will selbst aktiv zu werden, um uns dieses Teufelsweib ein für allemal vom Hals zu schaffen.« »Wo ist Marvey?«, hakte der Baron nach. Bruce blickte betreten zu Boden. Er druckste ein wenig herum, dann aber kam er zur Sache. »Marvey ist tot, Herr. Jackson hat ihn gekillt, bevor ich es tun konnte!« »Jackson hat sich also um ihn gekümmert. . .« Die Stimme des Barons war so ruhig und gelassen wie immer. Und doch glaubte Bruce einen Anflug von Ärger darin vernommen zu haben. Allerdings konnte es auch sein, dass er sich das nur eingebildet hatte. »Ich ahnte bereits, dass er uns irgendwann einmal Probleme machen würde«, fuhr Kradoc fort. »Es tut mir Leid, Herr«, sagte Bruce leise. »Aber ich verstehe auch nicht, was Jackson sich davon versprochen hatte. Ich war gerade dabei, Nick umzuhauen, da hat er sich eingemischt.«
»Schon gut.« Kradoc lieb ruhig, »Es war ein offener Angriff auf meine Autorität. Ich werde mir überlegen müssen, wie ich angemessen darauf reagieren werde.« »Da war noch etwas Seltsames«, warf Bruce nun ein. Fragend sah sein Boss ihn an und Bruce erzählte ihm von Marveys seltsamen Verhalten, kurz bevor Jackson auftauchte. »Ob er mir das vorgespielt hat? Ich meine, ich kann mir kaum vorstellen, dass er wirklich so einen Blackout hatte und nicht mehr wusste, was er getan hat.« Doch Kradoc schüttelte den Kopf. »Das passt doch gut zusammen, Bruce. Wahrscheinlich hat Marvey das alles gar nicht aus freien Stücken getan.« Bruce horchte auf. »Sondern?« »Jackson steckt dahinter. Er hat das alles genau geplant. Er hat Marvey manipuliert und ihn gesteuert wie eine Marionette. Marvey wird von all dem nichts mitbekommen haben. Als er dann schließlich aus seinem Zustand erwachte, konnte er sich an nichts mehr erinnern.« Bruce stieß einen pfeifenden Laut aus. »Das wäre ja ein Hammer. Aber warum das alles?« »Ryder Jackson wollte einfach, daß du Zeuge wirst, wie er Marvey vernichtet. Er will uns beweisen, wie mächtig er ist. Aber wie dem auch sei, Bruce. Für das, was er getan hat, wird er bezahlen!« »Herr, wenn Sie wollen, werde ich sofort. . .« Aber Kradoc winkte sofort ab. »Das hat noch Zeit, Bruce. Um ihn kannst du dich früh genug kümmern. Für uns steht jetzt noch immer Draven an erster Stelle. Was Jackson betrifft, so werde ich mir noch einige Gedanken über ihn machen. Du hingegen wirst noch heute Nacht nach London aufbrechen und Celestine Draven vernichten. In dieser Hinsicht muss ich Jackson Recht geben: Sie ist eine sehr, sehr große Gefahr für uns und muss aufgehalten werden!« Bruce nickte stumm. Es war ihm ganz recht, dass er sich zunächst um die Jägerin kümmern sollte. Schließlich war er noch nie in London gewesen. »Ich werde einen Jet für dich vorbereiten lassen und dich beim dortigen Vampirherrscher ankündigen«, erklärte der Baron nun. »Der Herrscher von London wird dir übrigens gefallen.« Bruce hob verwundert die Augenbrauen. Jetzt lächelte Kradoc. »Mit ihm wirst du deinen Spaß haben, denke ich.« Dann kam er wieder zur Sache. »Aber das Wichtigste ist Draven. Schalte sie aus und kehre dann nach New York zurück, um mir Bericht zu erstatten!« »Sehr wohl, Herr!« Bruce erhob sich und verließ gleich darauf das Büro seines Bosses. * London - Einen Tag später, 16:38 Uhr »Armer, kleiner Kerl...« In Gedanken versunken, strich Celestine Draven über den Schopf ihres kleinen Neffen Brian, der unruhig auf ihrem Schoß schlummerte. Der Kleine hatte in der letzten Zeit einiges mitmachen müssen. Viel zu viel für ein Kind. Erst das spurlose Verschwinden Celestines, seiner heißgeliebten Tante, und dann war auch seine Mutter gestorben. Nein, nicht gestorben! Du hast sie auf dem Gewissen! Du hast sie getötet - deine eigene Schwester! Deshalb waren sie jetzt auch unterwegs zu Kevin, Brians Dad. Er war erst gestern von einer Dienstreise zurückgekehrt und hatte deshalb erst jetzt vom Tod seiner Exfrau erfahren.
Draven hatte gestern mit ihm telefoniert und vereinbart, Brian heute zu ihm zu bringen. Die letzte Zeit hatte sie sich um Brian gekümmert. Aber Celestine war nicht wohl dabei, schließlich jagte sie Vampire, und sie wollte nicht, dass auch noch Brian in die Schusslinie geriet. Also brachte sie ihn jetzt zu seinem Vater, das war das Mindeste, das sie für den Kleinen tun konnte. Es stand ohnehin in den Sternen, ob er das Erlebte jemals richtig verkraften und verarbeiten konnte. Und schließlich war sie daran Schuld, dass er zum Halbweisen geworden war. Sie ganz allein! So viel hatte sie ihm angetan, und er wusste nicht einmal, dass es seine Tante war, die Schuld an den ganzen Tränen war, die in der letzten Zeit über seine Wangen gelaufen waren . . . Draven hatte sich einen falschen Pass besorgt und extra zum Flughafen in Philadelphia gefahren, schließlich wurde sie von der Polizei gesucht. Letzte Nacht waren sie in London gelandet. Hier hatte sie für sich und den Jungen ein billiges Hotel in der Nähe des Flughafens gesucht. Gedankenverloren blickte die junge Frau aus dem Fenster. Die pulsierende Innenstadt zog an ihr vorbei, ohne dass sie sie tatsächlich wahrnahm. Sie ließen Marble Arch hinter sich und erreichten einige Zeit später die Oxford Street. Auf der belebten Einkaufsstraße kam der Verkehr an einer roten Ampel zum Erliegen. Menschenmengen drängten in den vor ihnen haltenden typischen Londoner Doppeldeckerbus, quetschten sich vorne und hinten an ihrem Taxi vorbei. Plötzlich stockte Draven der Atem. Nein! Das konnte nicht wahr sein! Und doch . . . Sie glaubte, ein bekanntes Gesicht in den sich vorbeischiebenden Menschenmassen erspäht zu haben, doch bevor sie Gelegenheit hatte, sich zu vergewissern, war die Person in der Menge verschwunden. Dieser winzige Augenblick reichte aus, um ihr Herz heftiger schlagen zu lassen. Es war nicht irgendeine Person gewesen, sondern. . . »Darkness!« Sie spie den Namen aus, als wäre er etwas Widerwärtiges und Ekelerregendes. Eine pelzige Made, die aus einer appetitlichen Mahlzeit gekrochen kam, die man bereits zur Hälfte verspeist hatte .. . Und doch war es nicht möglich, dass es sich wirklich um Bruce Darkness gehandelt hatte. Dieser elende Blutsauger ist schließlich in New York, dachte sie. Und er kann nicht wissen, wo ich mich im Augenblick aufhalte . . . Außerdem ist die Sonne noch nicht untergegangen. Tatsächlich hatte sich Draven getäuscht, aber das konnte sie nicht wirklich wissen. Und ebenso wenig konnte sie wissen, dass sie schon bald, sehr bald, tatsächlich auf ihn treffen würde. Und zwar hier in London! »Was ist los, Tante Celest?« Brian war erwacht und rieb sich verschlafen die Augen. Draven schüttelte den Kopf und streichelte ihm beruhigend über die Schulter. » Nichts, Schatz, gar nichts. Mach dir keine Sorgen um mich . . .« Das Taxi setzte sich ruckartig wieder in Bewegung. Bald schon würden sie ihr Ziel erreicht haben. Aber was würde sie Kevin nur erzählen? Er würde sicher wissen wollen, was mit Jessica geschehen war, und sie konnte ihm unmöglich die Wahrheit erzählen! Am Telefon hatte sie ihn noch hinhalten können, doch sie glaubte nicht, dass er sich noch länger mit Ausreden abspeisen lassen würde.
Sie fuhren am Piccadilly Circus vorbei, auf dem schon zu dieser frühen Stunde hektisches Treiben herrschte. Irgendwann erreichten sie eine etwas ruhigere Gegend, und schließlich bogen sie vom Russel Square in eine kleinere Seitenstraße ein, fuhren am British Museum vorbei und erreichten dann endlich ihr Ziel. Bedford Place, las Draven auf einem Straßenschild. Leise seufzte sie. Nur noch wenige Minuten, dann würde sie Kevin, der hier wohnte, gegenüberstehen. Vor einem kleinen Haus stoppte das Taxi. »Das macht dann zwölf Pfund, Miss«, sagte der freundliche Driver, und Draven drückte ihm ein kleines Bündel Scheine in die Hand. »Stimmt so.« Der Mann lächelte überrascht. Es kam nicht oft vor, dass ihm ein Kunde ein so hohes Trinkgeld gab. Aber er konnte ja auch nicht ahnen, dass diese Frau ganz andere Sorgen plagten . . . Als sie den Wagen verließen, beobachtete Draven aus den Augenwinkeln, wie sich in dem kleinen Haus, das Kevin bewohnte, die Vorhänge bewegten. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür, und Kevin erschien auf der Schwelle. »Hallo, Sohnemann!« Brian wandte den Kopf, als er die Stimme seines Vaters hörte. Augenblicklich malte sich ein glückliches Strahlen auf seinem Gesicht ab. »Daddy!«, krähte er begeistert und stürmte auf seinen Vater zu. »Daddy!« Kevin, ein großer, sehr schlanker Mann mit kurzem, dunkelblondem Haar, breitete die Arme aus, hob seinen Sohn in die Luft und wirbelte ihn umher. »Mann, ich freu mich so, dass du da bist, Brian!« »Ich mich auch, Daddy!« Als sich die beiden ausgiebig begrüßt hatten, wandte Kevin sich Draven zu, die abwartend auf dem Gehsteig stand. Zögernd näherte er sich seiner Exschwägerin und reichte ihr die Hand. »Hallo, Celest«, sagte er. »Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.« Draven nickte betroffen. »Ja, das ist wahr, Kevin. Und ich wünschte, die Umstände wären besser.« »Lass uns später davon reden.« Er deutete mit dem Kopf zu Brian hinüber, der ausgelassen um seinen Vater herumwirbelte. »Wir haben noch viel zu klären - aber der Kleine muss nicht alles mitbekommen . . .« Flughafen London Gatwick 19:10 Uhr Das Wetter war kalt und ungemütlich. Feiner Nieselregen fiel auf das Land, als Bruce Darkness den Privatjet des Barons von Kradoc verließ. Er war bei Tage angekommen und hatte dann den Rest der Zeit bis zum Sonnenuntergang schlafend in der mit Spezialfenstern ausgestatteten Maschine verbracht. Das ist es also, das sagenumwobene England, dachte der Vampir und stellte den Kragen seines schwarzen Ledermantels hoch. Nicht gerade anheimelnd, wie man hier in der alten Welt empfangen wird! Doch er war auch nicht hergekommen, um einen Erholungsurlaub zu machen. Es gab nur einen Grund, aus dem er New York den Rücken gekehrt hatte - Celestine Draven! Er musste ein kleines Stück über die verlassene Rollbahn laufen und war innerhalb kürzester Zeit bis auf die Haut durchnässt. Wenigstens kann ich mir keine Grippe mehr holen, dachte er ironisch. Es hat doch seine Vorteile, tot zu sein! Bruce betrat das Gebäude des Flughafens. Sein Blick fiel auf eine große Begrüßungstafel, die in großen Lettern verkündete:
Willkommen in London Gatwick! Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt! Der Vampir grinste verhalten. Ob sein Aufenthalt wirklich angenehm werden würde, da war er sich nicht so sicher. Eigentlich war er sogar vom Gegenteil überzeugt. Dass er jedoch erfolgreich sein würde, daran hatte er nicht den leisesten Zweifel. Der langgezogene Ankunftsbereich des Flughafens war menschenleer. Zu dieser nachtschlafenden Zeit landeten nicht mehr viele Maschinen, und wenn, dann zumeist aus dem selben Grund wie Bruce. Rasch durchschritt er die Halle und verließ das Gebäude. Heftiger Wind schlug ihm entgegen, als er ins Freie trat. Suchend schaute er sich um. »Na toll!«, brummte er missmutig und trat auf die Fahrbahn. »Ich dachte, der Baron hätte dafür gesorgt, dass man mich abholt.« Er war zum ersten Mal in London, kannte sich also überhaupt nicht in der Stadt aus. Dies war für Vampire besonders gefährlich, da es durchaus geschehen konnte, dass sie nicht rechtzeitig vor dem Morgengrauen einen Unterschlupf fanden. Bruce hatte keine Lust, von der Sonne gegrillt zu werden, aber er hatte ja auch noch einige Stunden Zeit. In diesem Moment leuchteten in der Dunkelheit grelle Scheinwerfer auf. Geblendet riss Bruce die Hände vor die Augen. Er hörte das schrille Geräusch eines Motors, der auf hoher Drehzahl lief und sprang instinktiv zurück auf den Gehweg. »Was, zur Hölle . ..?«, rief er. Reifen quietschten schrill auf und der penetrante Gestank verbrannten Gummis erfüllte die Luft. Im nächsten Augenblick stand ein pechschwarzer Chrysler genau an der Stelle, an der Bruce noch vor einer Sekunde gestanden hatte. Die Beifahrertür sprang auf und eine bleiche Hand winkte Bruce heran. Der Stellvertreter des Barons fluchte wütend. »Hast du den Verstand verloren, du Blödmann?« Er stürmte zum Wagen hinüber und riss die Tür so heftig auf, das die Scharniere protestierend kreischten. Diesem hirnverbrannten Schwachkopf, der hinterm Steuer saß, würde er aber gewaltig die Hölle heiß machen! So hatte er sich sein Empfangskomitee nicht vorgestellt! Er warf sich auf den freien Sitz und wollte dem Fahrer gerade die Meinung geigen vielleicht unterstützt von ein paar leichten Schlägen auf den Hinterkopf -, als er abrupt verharrte ... Er starrte den Chauffeur verwirrt an. So was hatte er auch noch nicht gesehen. Der Fahrer des Chrysler grinste spöttisch - und das war vielleicht ein Grinsen, denn sein Gesicht war vollkommen deformiert! Die Lippen waren feucht und schwammig. Während der linke Mundwinkel in einem unmöglichen Winkel steil nach oben ragte, hing der rechte schlaff hinunter. Ein Speichelfaden hatte sich daraus gelöst und lief nun das schiefe Kinn hinunter. Die hellblauen, Augen, die auf Bruce irgendwie fischartig wirkten, lagen tief in den Höhlen und auf der flachen Stirn wuchsen vereinzelte, drahtige Haare. Als der Kerl zu sprechen begann, schien sein ganzes Gesicht in Bewegung zu geraten, und Bruce konnte seine Augen kaum von diesem faszinierenden Anblick lösen. »Was gibt's zu glotzen, Hübscher?« Seine Stimme klang hoch und krächzend. » Haste noch nie einen gesehen, der noch hübscher ist als du?« Bruce hatte seine Absicht, den Typen mal gehörig zusammenzustauchen, vollkommen vergessen. Der Anblick war einfach zu grotesk!
»Hat’s dir die Sprache verschlagen? Kannst ruhig zugeben, daste auf mich abfährst, Hübscher!« Die Missgeburt wollte ihn eindeutig verarschen, und langsam wurde Bruce richtig sauer! Er packte den Typen am Kragen und zog ihn zu sich heran, wobei dem Vampir ein fauliger Gestank in die Nase stieg, der ihn fast wieder hätte zurückweichen lassen. Angeekelt verzog er das Gesicht. »Hör mal, Stinker! Ich bin echt nicht in der Stimmung, mir von so einem Würstchen wie dir an den Karren pissen zu lassen!« Sein Gegenüber hob beschwichtigend die Arme. »Bleib cool, Mann! Ich hab mir doch nur 'nen kleinen Scherz erlaubt!« Bruce knurrte wütend, ließ aber wieder von dem Typen ab. »Jetzt sag nur noch, dass du mein Empfangskomitee bist...« Der Deformierte nickte eifrig, wobei der gewaltige Buckel auf seinem Rücken hin und her wackelte. »So isses! Iss doch nett vom Boss, das er mich geschickt hat, häh?« Wahnsinnig nett!, dachte Bruce. Er war völlig hin und weg von der Gastfreundschaft, den der vampirische Herrscher von London an den Tag legte! Wahrscheinlich konnte er froh sein, überhaupt abgeholt zu werden . . . »Na, dann woll'n wir mal, was Hübscher?«, sagte der Missgestaltete und drückte im selben Augenblick das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der Motor des Chryslers kreischte gequält auf, die Räder drehten auf dem feuchten Asphalt durch, und Bruce klammerte sich krampfhaft an der Rückenlehne seines Sitzes fest. Wenn ich das hier überleben sollte, kann sich jemand auf was gefasst machen! Herrscher von London hin oder her! Dann bekamen die Reifen des Wagens endlich Griff, und der Chrysler preschte mit einem schier wahnsinnigen Tempo los. . . »Was ist mit Jessica geschehen, Celest? Sag es mir endlich - bitte!« Nachdem sie den Nachmittag damit verbracht hatten, mit Brian zu spielen und sich um ihn zu kümmern, hatte Kevin den Kleinen nun zu Bett gebracht und saß jetzt mit seiner ExSchwägerin im Wohnzimmer. Celestine schluckte schwer. Es war ihr klar gewesen, dass Kevin nach Jessica fragen würde, und sie hatte sich wie eine Wahnsinnige den Kopf darüber zermartert, was sie zur Antwort geben sollte, doch noch immer wusste sie nicht, wie sie es erklären konnte. Nur eines war klar - sie konnte ihm unmöglich die Wahrheit über den Tod seiner Exfrau sagen! »Sie . . .«, setzte Celestine mit zittriger Stimme an. »Es war ein Überfall. Ein paar Gangmitglieder sind auf sie losgegangen, weil sie Geld wollten. Doch Jessica hatte nichts dabei, und da sind sie wohl ausgetickt. . . Sie haben sie kaltblütig getötet, Kevin!« »O Gott!« Kevin war bleich geworden. Offenbar war ihm erst jetzt wirklich klar geworden, dass Jessica nicht mehr am Leben war. Sicher, sie hatte es ihm längst gesagt, aber es dauerte eben, bis einem so etwas richtig klar wurde. Wahrscheinlich hatte er es auch nicht wahrhaben wollen, was auch eine ganz natürliche und normale Reaktion auf einen derartigen Schicksalsschlag ist. Draven fühlte sich schrecklich. Sie mochte Kevin, und ihn anzulügen fiel ihr schwer. Sie sah ihm an, dass er nicht nur selbst trauerte, dass er nicht nur um Jessica weinte sondern dass er auch Mitleid mit ihr, Celestine, hatte, weil sie ihre einzige Schwester verloren hatte.
Ja, er Mitleid mit ihr. Mit der Frau, die Jessica auf dem Gewissen hatte! »Wie können Menschen nur so etwas tun?«, rief er. »Ich verstehe es nicht! Sie hat einen kleinen Sohn und diese Schweine bringen sie einfach um!« Verstohlen wischte Kevin sich eine Träne aus den Augenwinkeln. »Hat man die Mistkerle wenigstens erwischt?«, fragte er dann mit gebrochener, heiserer Stimme. Draven schüttelte den Kopf. Gleichzeitig bewunderte sie Kevin für seine Stärke. »Nein«, antwortete sie nach einer Weile. »Es gab keine Zeugen, und solche Verbrechen geschehen in New York zuhauf. Die Cops haben zwar die Untersuchungen aufgenommen, doch ich habe Zweifel, dass dabei jemals etwas herauskommen wird . . .« »Das darf doch nicht wahr sein!« Zornig sprang Kevin auf und durchschritt unruhig den kleinen aber gemütlich eingerichteten Raum. »Warum tun die denn nichts? Es ist doch immer dasselbe. Auf die Bullen ist kein Verlass! Wehe, du fährst mal zu schnell mit dem Wagen oder parkst falsch, dann reißen sie dir direkt den Arsch auf. Aber wenn eine junge Frau einfach umgebracht wird, legen sie die Hände in den Schoß!« Celestine seufzte. Sie konnte verstehen, was in Kevin vorging, er konnte ja auch nicht ahnen, dass die einzig Schuldige an dieser ganzen Sache direkt vor ihm saß. »So darfst du das auch nicht sehen, Kevin. Sie tun, was sie können.« »Ja, das tun sie immer!«, erwiderte er. »Aber nie kommt etwas bei herum!« Es ist so schäbig!, dachte Draven und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Ich sitze hier bei dem Ex-Mann meiner toten Schwester - meiner Schwester, die ich auf dem Gewissen habe - und lüge ihm das Blaue vom Himmel herunter! Draven wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte. Sie sah Kevin an und wusste, das er Jessica noch immer liebte. Es war die Besessenheit für seinen Job gewesen, welche die beiden entzweit hatte. Sie sah, dass er noch immer Hoffnung gehabt hatte, seine Familie zurückzugewinnen. Doch nun war es zu spät, es war unwiderruflich vorbei. Und es war allein ihre Schuld! Tränen der Hilflosigkeit und der Scham stiegen ihr in die Augen. Kevin schaute sie betroffen an. »O Gott, Celest...« Er setzte sich neben sie auf die Couch und legte tröstend den Arm um ihre Schultern. »Ich habe überhaupt nicht an deine Gefühle gedacht. Dir geht es bestimmt auch ganz furchtbar, und ich denke nur an mich!« »Bitte, Kevin«, sie konnte sein Mitgefühl nicht länger ertragen. Sie hatte es nicht verdient und sie hasste sich dafür, es ihm nicht sagen zu können. »Ich muss jetzt wirklich gehen. Bitte gib Brian einen Gutenachtkuss von mir, okay? Morgen komme ich noch einmal vorbei, um Brians Sachen zu bringen.« Einen Moment stockte sie. » Wirst du es überhaupt alles schaffen? Ich meine, du bist doch so eingespannt in deinem Job. Wie willst du das jetzt alles hinbekommen? Als alleinerziehender Vater? « Er hob die Schultern. »Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Aber eines ist klar: Brian ist das Allerwichtigste für mich, gerade jetzt, und ich werde alles für ihn tun, was ich kann. Mein Job wird nur noch an zweiter Stelle stehen, aber natürlich werde ich mich auch nach einer Hilfe umsehen. Eine Tagesmutter vielleicht . . .« »Das wird das Beste sein.« Draven nickte. »Allein kannst du es einfach nicht schaffen. Aber ich - kann dir auch nicht viel helfen, leider.« Hastig warf sie sich ihre Jacke über und verließ dann fluchtartig das Haus . . . * Wütend knallte Bruce Darkness die Tür des schwarzen Chryslers zu und warf dem Fahrer des Wagens einen vernichtenden Blick zu.
Die Fahrt war grauenvoll gewesen. Der New Yorker Vampir hatte einige Male fest damit gerechnet, dass sie sich um einen Pfeiler wickeln würden. Er war ja weiß Gott nicht empfindlich, doch einen solch miserablen Fahrstil hatte er noch niemals erlebt. »Wenn hier alle so eine Macke haben, kann ich auch gleich ein Sonnenbad nehmen. Das geht schneller und ist erheblich einfacher!«, grummelte er zornig. »Was hasse gesagt?« Der hässliche Knabe schaute ihn mit einem dämlichen Gesichtsausdruck an. Als Bruce keine Anstalten machte, ihm zu antworten, zuckte er gleichgültig mit den Schultern. »Iss ja auch egal. . . Der Boss wartet bestimmt schon auf uns!« Er wandte Bruce den Rücken zu und bewegte sich, mit einem merkwürdig schiefen Gang, auf einen heruntergekommenen Hauseingang zu. Was für eine Bruchbude! Der Vampir war überrascht. Sein Chef, Boris Baron von Kradoc, unterhielt sein Hauptquartier im Empire State Building, und instinktiv war er davon ausgegangen, dass es der Herrscher hier ebenso halten würde und in einem Palast wohnte. Dass er in einem halb verfallenen Haus residierte, damit hatte er auf jeden Fall nicht gerechnet. Als er dann das Haus betrat, musste er sich korrigieren. Von Innen betrachtet war die Bude weitaus besser in Schuss, als es von Außen den Eindruck machte. Der Fußboden war mit dickem, rubinrotem Teppich ausgelegt, der die Geräusche der Schritte verschluckte. An den Wänden hingeh finster wirkende Gemälde, auf denen vorrangig Schlachtszenen abgebildet waren, und die Möbel schienen geradewegs aus einem kostspieligen Antiquitätenladen zu stammen. »Der Geschmack kommt mir irgendwie bekannt vor«, murmelte Bruce versonnen. Vor einer gewaltigen Flügeltür blieb sein Führer plötzlich stehen. »Wart mal 'nen Moment, Hübscher. Ich sach dem Boss Bescheid, dass wir da sind.« Bruce verdrehte genervt die Augen. Wenn er dieses penetrante Scheusal noch eine Minute länger ertragen musste, würde er durchdrehen. Der Kerl sah nicht nur sagenhaft dumm aus, er schien es auch tatsächlich zu sein! »Jetzt hältst du mal für einen Moment die Fresse und hörst mir zu, Mistkrücke! Solltest du es noch einmal wagen, mich Hübscher zu nennen, wird es mir eine wahre Freude sein, dir deine hässliche Visage eigenhändig in den Arsch zu schieben, verstanden?« Doch irgendwie schien der Typ seine Drohung nicht ganz ernst zu nehmen, denn er lachte dümmlich. »Du bis echt zum Schießen, Alter!«, wieherte er und klopfte sich begeistert auf die Schenkel. »Der Boss wird dich mögen, da bin ich sicher!« Er öffnete die Tür einen Spalt breit und schlüpfte ungeschickt hindurch. Es verging kaum eine Sekunde, da wurde die Tür schon wieder geöffnet, und der hässliche Vogel steckte seine krumme Nase hindurch. »Kannst reinkommen, Hübscher! Der Boss freut sich schon, dich kennen zulernen!« Und ich freu mich schon, dir beim nächsten Mal, wenn du dieses Wort benutzt, die Seele aus deinem verdammten Leib zu prügeln!, dachte Bruce. Der junge Vampir schritt durch die weite Flügeltür und machte große Augen. Es betrat eine Halle im Ausmaß eines Kirchenschiffs. Von Außen hätte niemand auch nur vermutet, dass dieses Haus einen Raum in dieser Größe beherbergen könnte. Der Vampirherrscher von London musste ein sehr mächtiger Mann sein, um diese Illusion aufrecht erhalten zu können, dachte Bruce beeindruckt. Er wusste nicht viel über die Vampirkonklave von London. Der Baron hatte ihm lediglich mitgeteilt, das es sich bei deren Chef um einen Typen namens Harald Hardrade - einem echten Wikinger - handelte, doch das sagte ihm nicht viel.
Auf jeden Fall hatte er einen kostspieligen Geschmack. Der Boden des Saales war mit Marmor ausgelegt, und am hinteren Kopf ragte ein gewaltiger thronartiger Sitz empor. Mehrere Grüppchen von Vampiren hielten sich hier auf, die Bruce neugierig musterten. Plötzlich trat ein riesiger Hüne von einem Vampir hervor und streckte Bruce seine gewaltige Pranke entgegen. »Guten Tag, Mr. Darkness«, sagte er. Seine Stimme war schallend und klang dröhnend in Bruces Ohren wieder. »Mein Name ist Harald Hardrade! Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Man hat mir schon viel von Ihnen berichtet!« »Ich hoffe doch sehr nur Gutes, Mr. Hardrade«, erwiderte Bruce. Der Riese lachte donnernd, und sein Lachen ließ scheinbar den ganzen Raum erbeben. »Roscoe sagte mir bereits, dass Sie sehr amüsant sind! Und ich muss zugeben - er hat nicht übertrieben!« Bruce wusste nicht, was er von dieser Begrüßung zu halten hatte. Der Herrscher von London war von einem ganz anderen Schlag als der Baron. Ganz davon abgesehen, dass er sich modern kleidete, also nicht wie der Baron äußerlich in seiner Zeit steckengeblieben zu sein, schien er auch ein recht offenherziger Kerl zu sein. Doch Bruce machte sich keine Illusionen. Hardrade würde wahrscheinlich ebenso hart reagieren wie der Baron, wenn ihm jemand krumm kam. Was er hier erlebte, war wohl die typische Gastfreundschaft eines Wikingers, die Besuch als willkommenen Grund betrachteten, ein großes Fass aufzumachen. »Aber jetzt sagen Sie mir doch erst einmal, was Sie überhaupt in meine schöne Stadt führt«, forderte Hardrade ihn auf. Bruce nickte und erzählte ihm von Celestine Draven und dass sie sich in London aufhielt. Nachdem er geendet hatte, nickte der Wikinger. »Also gut, dann erteile ich Ihnen die Erlaubnis, für die Dauer Ihrer Mission in London zu bleiben.« »Danke.« »Och, da gibts nichts zu danken, alter Junge! Schließlich ist es auch in meinem Interesse. Oder glaubst du etwa, ich hab gern eine verdammte Vampirjägerin in meiner Stadt?« »Sicher nicht.« Sind wir also schon beim Du, dachte Bruce amüsiert, wobei er sich natürlich hütete, den Wikinger ebenfalls zu duzen. »Hast du denn schon Vorkehrungen getroffen, wo du die Tage verbringen wirst?«, fragte Hardrade nun. »Sollte es nicht so sein, würde ich mich freuen, dir in meiner bescheidenen Behausung«, er breitete in einer weitschweifenden Geste die Arme aus, »einen Raum zur Verfügung stellen zu lassen.« Bruce verzog überrascht die Miene. Wikinger scheinen wirklich die perfekten Gastgeber zu sein!, dachte er anerkennend. Laut sagte er dann: »Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft, Mr. Hardrade!« Bruce waren bereits Bedenken gekommen, dass sein Gegenüber diesen Vorschlag nicht machen würde. Zwar hätte er bei Morgengrauen auch ins Flugzeug zurückkehren können, doch wenn er Celestine Draven bis dahin nicht ausfindig gemacht hatte, wollte er in der Stadt bleiben. Und er hätte keine große Lust gehabt, sich irgendwo ein Hotelzimmer zu suchen, das kostete nur Zeit, denn in dieser Stadt war es nicht gerade einfach, auf die Schnelle eine Unterkunft zu bekommen. Außerdem würde es gefährlich werden, wenn das Zimmermädchen morgens die Rolläden hochzog. Hardrade schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. So freundschaftlich, dass Bruce beinahe gegen den nächsten Marmorpfeiler geflogen wäre!
»Na, dann haben wir ja alles geklärt!«, sagte Hardrade. »Und jetzt«, er winkte einen schmächtigen Jungen zu sich, der ihn aus großen, unschuldigen Augen anblickte, » wollen wir unser Zusammentreffen ausgiebig begießen. Na, was hältst du davon, junger Freund?« Bruce war nicht sonderlich begeistert von der Vorstellung, sich die Nacht mit Hardrade und seiner Truppe um die Ohren zu schlagen. Eigentlich war es sein Plan gewesen, sich gleich auf die Suche nach der Draven zu machen, doch er spürte, dass es besser war, dem Herrscher von London nicht vor den Kopf zu stoßen. Außerdem kannte er sich in der Stadt nicht aus, wusste also nicht einmal, wo er mit seiner Suche beginnen sollte. Es bestand die Möglichkeit, dass Draven hier bereits auffällig geworden war, und dann würde es wesentlich leichter werden, sie ausfindig zu machen. Er beobachtete, wie der Junge Hardrade seinen bloßen Arm hinstreckte. Überrascht registrierte Bruce, das er bereits von zahlreichen vernarbten Bisswunden verunstaltet war. Genießerisch ließ der Hüne seine Fänge in den Unterarm des Jungen sinken, der nur kurz aufseufzte. Dann verdrehte er die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Nach einigen Sekunden ließ Hardrade von dem Jungen ab und streckte Bruce nun dessen Arm entgegen. »Koste, Darkness! Der Junge ist ein wahrer Leckerbissen!« Bruce zögerte einen Augenblick. Er hatte so etwas noch nicht erlebt. Der Junge schien so etwas wie Hardrades persönlicher Privatvorrat zu sein . . . Bruce nahm den Arm und saugte vorsichtig an der offenen Wunde. Der Kleine war wirklich ein Leckerbissen. Sein Blut war schwer und süß. Mit einem Seufzen des Bedauerns ließ Bruce den Arm schließlich sinken, als er merkte, dass der Junge fast leergesaugt war. Er fing den kleinen Körper geschickt auf, bevor er in seiner Bewusstlosigkeit zu Boden fallen konnte. »Ich muss sagen, Sie haben Geschmack, Hardrade! Ich habe selten etwas Besseres getrunken.« Doch jetzt bedachte ihn der Wikinger mit einem vernichtenden Blick. »Na, jetzt wollen wir doch mal höflichen bleiben, junger Freund!«, sagte er, und seine Stimme war noch tiefer als sonst. »Für dich bin ich immer noch Mister Hardrade! Ich weiß ja nicht, wie du mit deinem Herrn redest, aber ich erwarte Respekt!« Bruce zuckte zusammen, wollte eine Entschuldigung erwidern, aber dazu kam er nicht, denn jetzt winkte Hardrade ab und deutete wieder auf den Jungen. Stolz nickte der riesige Vampirherrscher. »Ja, er ist wirklich köstlich. Heißt übrigens Hendrik.« Der Wikinger klatschte in die Hände, und gleich darauf wurde Hendrik fortgetragen. Bruce wandte sich erneut an Hardrade. »Sie wissen ja nun, dass ich Ihnen keinen reinen Höflichkeitsbesuch abstatte, Hard. . . äh, Mr. Hardrade. Ich bin hergekommen, um dieser elenden Vampirkillerin endgültig den Garaus zu machen. Vielleicht haben Sie ja schon etwas von ihr gehört? Ihr Name ist übrigens Celestine Draven!« »Celestine Draven . ..« Nachdenklich runzelte Hardrade die breite Stirn. »Ich kann mich nicht erinnern, diesen Namen jemals gehört zu haben. Sollte jedoch einer meiner Untergebenen etwas über diese Frau erfahren, werde ich dich darüber in Kenntnis setzen.« Bruce streckte ihm die Hand entgegen. »Ich danke Ihnen, Mr. Hardrade. Doch nun würde ich gerne mit meiner Suche beginnen, wenn Sie nichts dagegen haben.« Der stämmige Riese schlug herzlich ein und zerquetsche Bruce dabei beinahe Hand. »Nichts dagegen einzuwenden, Darkness! Los, nun hau schon ab. Ich will dich schließlich nicht von der Erfüllung deiner Mission abhalten! Jung, aufstrebend und diszipliniert, so muss das sein, jawoll! Und immer das Wohl seines Herrn verfolgen!« Bruce wandte sich zum Gehen, als der Vampirlord von London noch einmal das
Wort an ihn richtete. »Nur zur Sicherheit, Darkness! Bitte achte darauf, nicht zu sehr aufzufallen! Ich sehe es nicht gern, wenn zu viele Sterbliche von unserer Existenz erfahren . . .« Bruce nickte zustimmend. Woher kenn ich diesen Spruch bloß?, dachte er grinsend. Laut aber sagte er: »Das kann ich gut verstehen, und es ist ja auch bei uns nicht anders. Ich werde mich selbstverständlich danach richten!« Dann verließ er das Gebäude. Er hatte noch viel zu erledigen . . . * Der Museums Pub war voll besetzt. Die Luft war geschwängert von Bierdunst und scharfem Zigarettenqualm. An der Theke drängten sich durstige Menschen, und die Bedienung hatte alle Hände voll zu tun. Literweise zapfte sie das starke, dunkelbraune Ale, das ebenso schnell in den trockenen Kehlen der Trinkenden verschwand, wie sie es in die hohen Gläser füllen konnte. Fröhliche Musik drang aus versteckten Lautsprechern und einige Männer und Frauen wippten im Takt. Von einem Tisch an den verglasten Fenstern erklang lautes Gelächter. Ein Glas fiel zu Boden, und die Bedienung sprang seufzend hinter der Theke hervor, um das Malheur zur beseitigen. Im hinteren Teil waren noch einige Tische unbesetzt geblieben. Dort, wo die Musik und das Gelächter nur dumpf zu hören waren, hockte eine einsame junge Frau. Vor ihr stand ein kaum angerührter Teller mit Fish and Chips und ein großes Glas Guinness, das langsam begann, schal zu werden. Lustlos stocherte die Frau mit der Gabel in dem köstlich duftenden Fisch. Sie hatte ihn mit Malzessig beträufelt, es schmeckte wunderbar, und doch konnte sie sich im Moment nicht dafür begeistern. Eigentlich fragte sie sich, welcher Teufel sie geritten hatte, den Pub überhaupt zu betreten. Ihr war nicht nach Spaß und Ausgelassenheit zu Mute und auch die Fröhlichkeit der anderen Gäste vermochte nicht, sie anzustecken. Im Gegenteil schien es sie sogar noch mehr zu deprimieren. Warum kann ich nicht so sein wie alle anderen?, fragte sie sich traurig. Samstags Abends ausgehen, Dates haben und mit anderen feiern . . . Aber so etwas gab es bei ihr nicht. Sie beschäftigte sich mit ganz anderen Dingen. Viel unerfreulicheren Dingen. Vampiren! Celestine Draven seufzte betreten. Sie durfte sich nicht schon wieder von ihren Schuldgefühlen herunterziehen lassen. Sie hatte diese Mission vor vielen Jahren angenommen und würde sie auch zu Ende führen! Und doch fühlte sie sich durch dieses Wissen nicht besser. Es war keine schöne Sache, für alles verantwortlich zu sein. Nein, das war es weiß Gott nicht. Würde sie jemals in der Lage sein, das Leben einfach nur zu genießen? Nicht, so lange es noch Vampire auf dieser Welt gab, das stand fest. Und da machte sie sich auch gar nichts mehr vor. Wie könnte sie auch vergessen, was diese Monster ihr angetan hatten und vielen anderen Menschen in jeder Nacht aufs Neue antaten? Das war ihr nicht möglich auch nicht für ein paar Stunden. Seufzend ließ sie die heutigen Ereignisse Revue passieren. Das Gespräch mit Kevin hatte sie völlig aufgewühlt. Sie kam einfach nicht klar damit, ihn so zu anzulügen. Es war nicht richtig! Sie kam sich so schäbig vor, so gemein ...
Aber was sollte sie tun? Sie konnte nichts anderes tun, denn es war ihr unmöglich, ihm die Wahrheit zu sagen. Er würde ihr auch gar nicht glauben - niemand würde das! Manchmal bereute Draven, dass sie sich mit diesem Dämon verbündet hatte. Er war in ihren Körper, kam hervor und übernahm die Kontrolle über sie, über ihr Denken und ihr Handeln, wenn er es wollte. So war es auch gewesen, als Jessica starb. Da war Draven Sklavin des Dämons gewesen. Sie hatte keinerlei Gewalt mehr über sich gehabt. . . Doch da war auch noch etwas anderes gewesen, denn ihre Schwester war auf sie losgegangen, ohne ersichtlichen Grund. Draven hatte ihr nur helfen wollen. Dann war es zum Kampf gekommen, der Dämon hatte über Draven die Macht gehabt, und Jessica war gestürzt und hatte die Besinnung verloren. In dem Moment tauchte dann Darkness auf. Draven hatte ihn mit einer Handgranate zur Hölle schicken wollen, doch bei der Explosion war nicht er, sondern ihre Schwester tödlich verletzt worden. Sie hatte einfach nicht mehr an sie gedacht, denn sie war ja nicht mehr sie selbst gewesen. Draven schloss für einen Moment die Augen. Machte es überhaupt Sinn, in Selbstmitleid zu versinken? Nein, das tat es nicht, denn all diese Dinge waren nun einmal geschehen, und nichts und niemand konnte sie mehr rückgängig machen. Das war unmöglich. Es gab nur noch eines, das sie für Jessica und ihre Eltern tun konnte - die gesamte Vampirbrut vom Antlitz der Erde zu verbannen! Und beginnen würde sie mit Bruce Darkness! Plötzlich stutzte Draven. Sie wusste nicht, was es war, aber von einem Moment auf den anderen hatte sich ein merkwürdiges Gefühl in ihr breit gemacht. Das Gefühl fremder Augen, die sie beobachteten. Sie sah sich suchend um, konnte jedoch niemanden entdecken, der sie zu mustern schien. Du siehst langsam Gespenster, Celestine Draven!, schalt sie sich. In diesem Moment tauchte plötzlich eine Gestalt vor ihr auf und setzte sich ungefragt auf den freien Stuhl, der ihr gegenüberstand. Draven sah auf und schrak zusammen. Sie kannte diese Person. Sehr gut sogar, denn es war . . . »Edith?« Dravens Stimme klang unsicher. War es denn überhaupt möglich? »Edith, bist du es wirklich?« Edith Carter schlug die Kapuze ihres wollenen Wintermantels aus dem runzeligen Gesicht und lächelte freundlich. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns noch einmal wiedertreffen würden«, sagte die alte Frau. »Es freut mich, dich zu sehen. Wie geht es dir, Kleines?« Draven konnte es nicht fassen. Edith Carter war die Frau, der sie die Symbiose mit dem Dämon und damit auch ihre übermenschlichen Kräfte zu verdanken hatte. Außerdem war sie die Mutter von Steward Carter, ihres Ausbilders, der ihr alles beigebracht hatte, was sie über Vampire wusste. Als sie sich kennen lernten, war Edith bereits weit über hundert Jahre alt gewesen. Draven war davon ausgegangen, dass sie in der Zwischenzeit gestorben sein musste. »Oh, Edith! Ich kann kaum glauben, dass du es wirklich bist! Ich dachte, du bist. . . «, sie stockte verlegen. »Du dachtest, ich wäre längst tot, nicht wahr? Ich kann es dir nicht verdenken. Doch der Herr scheint zu glauben, dass ich ihm auf Erden nützlicher bin als in seinem Reich. Und ich denke, du bist der Grund dafür, Draven!«
Die Jüngere der beiden Frauen schüttelte unglücklich den Kopf. »Nein, Edith. Ich fürchte, du kannst mir nicht mehr helfen. Du hast schon so viel für mich getan, weißt du?« »Was ist es, das dich bedrückt, Kleines?« Sie lächelte verhalten. »Du kannst deinen Schmerz nicht vor mir verbergen. Etwas ist geschehen - sag mir, was es ist.« Draven war gerührt von der Anteilnahme der alten Frau. Warum brachten ihr alle so viel Zuneigung entgegen - jetzt, wo sie sie am wenigsten verdiente? »Meine Schwester ist tot. ..« Ihre Stimme zitterte. Tränen stiegen ihr in die Augen. » Es ist meine Schuld, dass sie sterben musste! Ich wünschte . . .« Edith legte nahm ihre Hand. »Was wünscht du dir, Kleines? Du weißt doch, das du mit mir offen über alles sprechen kannst.« »Ich wünschte . . .« Draven zögerte einen Augenblick. »Ich wollte, ich hätte niemals dem Bund mit dem Dämon zugestimmt, auch wenn ich dich damit jetzt verletze . . .« Die Alte schaute überrascht auf. »Bist du nicht zufrieden mit dem, was er dir ermöglicht? Gab es Probleme?« »Als meine Schwester starb, stand ich unter SEINER Kontrolle. Ich habe sie getötet, verstehst du? Ich allein habe sie auf dem Gewissen. Aber andererseits wäre es nicht so weit gekommen, wenn ER nicht in mir gewesen wäre.« »Willst du, dass er verschwindet?« Jetzt war es Draven, die ihr Gegenüber erstaunt anschaute. »Ist das denn möglich? Kann ich ihn aus meinem Körper und meinen Gedanken verbannen?« Edith nickte lächelnd. »Natürlich, Schätzchen! Nichts auf der Welt ist unumkehrbar - nicht einmal der Tod . . .« Die Stimme der Alten ließ Draven einen Schauer den Rücken hinabrieseln. Sie war so dunkel, so rau - so geheimnisvoll, fast schon mysteriös . . . Der Tod?, dachte Draven bedrückt. Der Tod lässt sich doch nichts mehr aus seinen kalten Klauen entreißen, von dem er einmal Besitz genommen hat... Aber dann dachte sie an Vampire, und ihr wurde klar, was die Alte meinte. Doch Draven war aus einem anderen Grund völlig hin und her gerissen. Denn das, was Edith ihr gerade eröffnet hatte, war unglaublich für sie. Sie konnte den Dämon wieder loswerden, wenn sie es wollte! Das musste sie erst einmal verarbeiten, zudem stellte sie sich eine wichtige Frage: Wollte sie es überhaupt? Wollte sie den Dämon loswerden? Sie war sich, zu ihrer eigenen Überraschung, gar nicht mal so sicher . .. Denn ohne IHN würde sie wahrscheinlich niemals in der Lage sein, Darkness und all die anderen zu vernichten. Sie wäre wieder schwach und hilflos - menschlich eben. War es das wert? Hatte sie überhaupt das Recht, so egoistisch zu handeln? Andererseits, wer würde es ihr jemals danken, wenn sie ihre Mission tatsächlich erfüllte? Sollte sie ihren Kampf aufgeben und versuchen, ein normales Leben zu führen? Zum ersten Mal? Konnte sie das eigentlich? »Ich bin mir nicht sicher, was ich tun soll, Edith. Es gibt Momente, da verfluche ich den Dämon in mir. Dann wünschte ich, ich hätte niemals etwas von der Existenz der Vampire erfahren. Und dann denke ich wieder daran, dass ich eine Verantwortung übernommen haben.« Sie blickte die alte Frau fragend an. »Kann ich denn wirklich all die im Stich lassen, denen ich mit meinen Kräften helfen könnte?« Edith verzog keine Miene. Draven versuchte, in ihren Gesichtszügen zu lesen, doch da gab es nichts zu lesen. »Es ist dein Leben, Draven«, sagte die Alte nun monoton. »Du allein hast das Recht, darüber zu entscheiden, wie du es führen willst. Sage mir nur, wie du dich entschieden hast, und ich werde es akzeptieren.« Plötzlich sprang Draven auf. »Komm, Edith, lass uns woanders hingehen.«
Sie konnte in dieser Umgebung nicht nachdenken. Der Rauch machte sie schwindelig und sie brauchte einen klaren Kopf. Rasch zahlte sie ihre Zeche, und gleich darauf verließen die beiden Frauen den Pub. Gierig sog Draven die frische Nachtluft in ihre Lungen ein. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Was sollte sie tun? Es war so viel geschehen in der letzten Zeit. Zu viel, um es einfach wegzustecken. Und das überraschende Wiedersehen mit Edith hatte ihr den Rest gegeben. Denn sie hatte ihr etwas gesagt, das ihr immer noch unmöglich erschien. Es gab also eine Chance, den Dämon, der in ihrem Körper lebte, zu vertreiben . . . Die Kälte der Nacht bewirkte, dass Draven allmählich ruhiger wurde. Ihre Gedanken ordneten sich, und übrig blieb eine einzige quälende Frage: Wollte - durfte - sie ihren Kampf aufgeben? Hier und Heute? »Ich sehe, dass du zweifelst, Draven«, unterbrach Edith ihr Grübeln. »Was macht es dir so schwer?« Draven dachte einen Moment nach, ehe sie antwortete. »Es gibt da jemanden, den zu vernichten ich mir geschworen habe.« Ja, ich will Darkness vernichten und ihn nicht so einfach davonkommen lassen! »Jemand, der dir wichtiger ist, als dein eigenes Leben?« Wieder verfiel Draven in Grübeln. Dann traf sie eine Entscheidung. »Du hast Recht, Edith! Ich will mein Leben nicht länger zurückstellen!« »So sei es. Ich werde den Dämon vertreiben - noch heute Nacht!« Celestine Draven hörte die Worte, und zum ersten Mal seit langer Zeit glitt ein Lächeln der Erleichterung über ihre Lippen. Sie würde frei sein, völlig frei. Und das schon sehr, sehr bald. Endlich! Ziellos wanderte Bruce Darkness durch die Nacht. Der Vampir wusste weder, wo er sich befand, noch wohin er gehen sollte. Es war eine Schnapsidee gewesen, auf eigene Faust in dieser fremden Stadt loszuziehen. Draven konnte überall sein. Und selbst wenn sie an der nächsten Straßenecke stand, konnte es sein, dass sie sich gar nicht über den Weg liefen! Er gab es nur ungern zu, doch er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er als Nächstes vorgehen sollte. Dichter Nebel hatte sich gebildet. Er verschluckte seine Beine abwärts der Knie und ließ das Geräusch seiner Schritte dumpf und unwirklich erscheinen. Was hatte er sich nur dabei gedacht, Draven nach London zu verfolgen? Früher oder später wäre sie sicher nach New York zurückgekehrt - schließlich hatte sie sich offenbar geschworen, Bruce das Fell über die Ohren zu ziehen. Jetzt stand er hier auf völlig fremdem Terrain, und ohne die Unterstützung des Barons hatte er kaum eine Chance, Draven überhaupt zu finden! Reiß dich zusammen!, rief er sich zur Ordnung. Du hast einen klaren Auftrag und den wirst du gefälligst erledigen, und wenn du dabei Himmel und Hölle in Bewegung setzt! Er sah sich suchend um. Ein selbstbewusstes Grinsen legte sich auf sein Gesicht, als er entdeckte, wonach er Ausschau gehalten hatte. Das Motorrad parkte vor einem düsteren Hauseingang und schien dort geradezu auf Bruces Erscheinen gewartet zu haben. Es war kein Problem für ihn, das Schloss zu knacken, und als er schließlich auf dem Sitz Platz genommen hatte, fühlte er sich gleich besser. . . Celestine Draven folgte Edith durch die nächtlichen Straßen. Schon bald hatte sie die Orientierung verloren, denn die Alte führte sie durch ein Labyrinth von Gassen und düsteren Durchgängen.
Kein Mensch lief ihnen auf ihrer Wanderung über den Weg. Es schien, als sei das ganze Gebiet vollkommen verlassen. Nur ab und zu huschte eine fette Ratte von einem überquellenden Müllcontainer zum Nächsten. Dann erreichten sie eine etwas breitere Straße, auf deren gegenüberliegenden Seite sich eine hohe Backsteinmauer auftürmte. Wo führt sie mich hin? Draven stellte sich diese Frage nicht zum ersten Mal. Aber hatte sie erwartet, dass sie das Ritual, das zur Austreibung des Dämons nötig wäre, in Edith Wohnung durchführen würden? Die alte Frau überquerte die Straße und hielt auf ein schmiedeeisernes Tor zu. Die rostigen Angeln quietschten protestierend, als Edith es öffnete. Dann traten sie aus dem Licht der Straßenlaternen in die Dunkelheit. Draven brauchte einen Moment, um sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Als sie dann wieder klar sehen konnte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ein Friedhof! Gab es einen besseren Ort, um ungestört zu sein? Edith ging zielstrebig durch die engen Wege, die von verwitterten Grabsteinen gesäumt waren. Dies schien ein sehr alter Teil des Friedhofes zu sein, denn die Erde von vielen Gräbern war bereits um einen halben Meter abgesackt. Dann erreichten sie ein Gebäude, das auf einer kleinen Lichtung errichtet worden war. Die Wände bestanden aus Granit, der durch die unbeständige Witterung marode geworden war. Nur mühsam gelang es Draven, die in den Stein gehauene Inschrift neben dem Eingang zu entziffern. Sie stutzte. »Das ist eine Gruft?«, fragte sie leise, beinahe flüsternd, aus Ehrfurcht vor den Toten, deren Ruhe sie nicht stören wollte. »Sicher. Was hast du denn geglaubt, Kindchen?« Edith kicherte leise. »Fällt dir vielleicht ein besserer Ort ein?« Draven schüttelte den Kopf. Anfänglich war sie ein wenig überrascht gewesen, doch sie musste zugeben, dass sie hier wirklich völlig ungestört sein würden. Bei dem, was sie vorhatten, konnten sie auch ganz sicher keine ungebetenen Gäste brauchen! Die Gruft schien schon seit langer Zeit von keinem Menschen mehr betreten worden zu sein. Klebrige Spinnweben zogen sich vom Boden bis zur Decke. Angeekelt wich Draven zurück. Wenn sie auf dieser Welt etwas so sehr hasste, wie Vampire, dann waren es Spinnen! Es war wie verhext, doch sie hatte es nie geschafft, sich von der Furcht vor diesen kleinen achtbeinigen Biestern zu befreien. »Was hast du, Schätzchen?« Edith schaute sie überrascht an, als sie merkte, wie Draven zurückschreckte. »Schon okay . . .«, murmelte diese. Mann, ist das peinlich! Gerade ich habe Angst vor ein paar harmlosen Spinnen! Sie kämpfte ihren Ekel nieder und sah sich forschend in dem alten Gemäuer um. Zunächst konnte sie nicht viel erkennen. Hier drin war es noch um Einiges dunkler als auf dem freien Gelände. Dann gewöhnten sich ihre Augen langsam an die Dunkelheit. Innerhalb vieler Jahrzehnte angesammelter Staub bedeckte jeden freien Quadratzentimeter. Bei jeder ihrer Bewegungen wirbelten ganze Wolken durch die Luft, die Draven den Atem raubten. In die rohen Steinwände waren auf jeder Seite zwei kastenartige Bänke eingelassen. Darin befanden sich wahrscheinlich die schon vor vielen Jahren vermoderten Überreste der Verstorbenen. In den Ecken des kleinen quadratischen Raumes befand sich jeweils eine Pechfackel, die in schmale Metallringe gesteckt an der Wand befestigt waren.
Draven schrie vor Überraschung auf, als die längst ausgetrockneten Dochte plötzlich hell aufflammten und Feuer fingen. »Was . ..?« Sie suchte instinktiv Ediths Nähe. Beruhigend klopfte ihr die Alte auf die Schultern. »Ist doch gleich viel gemütlicher, findest du nicht?«, fragte sie, und auf ihre rauen Lippen schlich sich ein feines, hintergründiges Lächeln. »Wie hast du das gemacht?« Draven sah die Mutter ihres ehemaligen Lehrmeisters fragend an, denn die Alte gab ihr immer neue Rätsel auf. Draven vertraute ihr blind, und doch war sie ihr gleichzeitig etwas unheimlich. So war es auch damals gewesen . .. Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft an diesen einen Tag vor vielen Jahren. Es war der Tag gewesen, an dem sie einen Bund mit dem Dämon, der seitdem in Symbiose mit ihr existierte, geschlossen hatte. Doch das Einzige, an das sie sich völlig klar zurückbesinnen konnte, war dieses Gefühl unbestimmter Furcht gewesen. Sie schüttelte den Kopf, doch die Geister der Vergangenheit ließen sich nicht so leicht vertreiben. Das beklemmende Gefühl, das sie verspürte, blieb . . . Sei nicht albern!, ermahnte sie sich. Heute Nacht wird alles anders werden, und danach wirst du endlich anfangen können, wirklich zu leben! Sie bemerkte, dass Edith sie beobachtete. »Willst du es wirklich, Draven?«, erkundigte sich die Alte. »Ja.« Draven war sich so sicher wie niemals zuvor. Sie wollte mit allem abbrechen, was sie bisher als Zweck ihres Lebens erachtet hatte. Deshalb sagte sie mit fester Stimme: »Ja, ich will es.« »Dann komm her.« Edith kniete auf dem nackten Boden nieder. Alles schien sich zu wiederholen. Es war genau, wie es in jener Nacht gewesen war. Das Symbol, das Edith in den Stein geritzt hatte, war dasselbe wie zuvor. Wie damals, hielten sie sich an den Händen und Edith begann leise, ihre mysteriöse Litanei aufzusagen. Wie ein düsteres Raunen erfüllte es den Raum. Instinktiv wusste Draven, was zu tun war. Sie registrierte überrascht, dass sie sich plötzlich wieder an die Worte erinnerte, die die alte Frau ihr beigebracht hatte. Wie von selbst begannen ihre Lippen sich zu bewegen. Das zuckende Licht der Pechfackeln begann zu flackern wie Kerzen im Wind. Dann schien das Feuer an ihnen zu ersterben, ebenso plötzlich wie es eben aufgetaucht war. Stattdessen begann das Pentagramm in ihrer Mitte aufzuleuchten. Erst ganz schwach, dann immer stärker. Ein Pulsieren ging davon aus, das sich in den Gesichtern der beiden Frauen widerspiegelte und ihnen ein merkwürdiges, rätselhaftes Erscheinungsbild verlieh. Der Lauf der Zeit schien eine Veränderung durchzumachen. Es war, als dehnte sich jeder Moment unnatürlich in die Länge, und die Gedanken verwandelten sich in einen zähen Brei, den zu fassen es Draven unmöglich war. Sie fiel in eine Art Trance, hervorgerufen durch den monotonen Singsang und dem gleichmäßig fließenden Licht, das ihre Sinne benebelte. Ein roter Schleier hatte sich vor ihre blauen Augen gelegt, durch den sie ihre Umgebung nur schemenhaft wahrnehmen konnte. War es so, oder hatte sich tatsächlich Nebel in der engen Gruft gebildet? Der Gedanke schoss wie ein Blitz durch ihre Gedanken und verschwand ebenso plötzlich, wie er gekommen war. Ihr Kopf war leer. Gleichzeitig aber überschlugen sich ihre Gedanken. Die Welt schien sich im Kreis zu drehen wie ein Kettenkarussell, das sich führerlos immer weiter und weiter in den Himmel schraubte.
Plötzlich spürte sie, dass sie nicht mehr allein waren. Es war nichts, das sie hätte fassen können. Und doch hatte es eine machtvolle, alles überwältigende Präsenz. Draven stöhnte gequält auf. Irgendetwas stimmt nicht! Sie wollte aufspringen und davonlaufen, doch sie konnte sich nicht von der Stelle rühren. Es war, als hätte sie völlig die Kontrolle über ihren Körper verloren. Alles in ihre schrie auf, und doch gelang es ihr nicht, auch nur einen Finger zu bewegen. Was geschieht hier? Sie spürte, dass die Dinge nicht richtig liefen, nicht so, wie sie sollten. Es lief etwas falsch! Ganz gewaltig falsch! Sie konnte fühlen, wie sich diese Präsenz - dieses schreckliche Ding! - näherte. Es kroch auf sie zu, wie die Schlange auf das Kaninchen, wissend, dass ihm sein Opfer nicht entkommen würde! Glühende Finger streckten sich nach ihrem Bewusstsein aus und zwangen sie, sich immer weiter und weiter zurückzuziehen. Jede Faser ihres Körpers schien in Flammen zu stehen, und diese Flammen schienen ihre Nervenenden zu schmelzen wie die Mittagssonne das Eis. Der Schmerz war überwältigend. Die Welt vor ihren Augen verschwamm, wurde immer dunkler und dunkler, bis ihr Geist sich schließlich in völliger Schwärze verlor . . . * »Na, Süßer. Lust, mal mit hochzukommen?« Das Girl, das Bruce diese Frage stellte, war blond, schlank und ziemlich freizügig gekleidet. Genauso wie die ganzen anderen Girls, die an Häusereingängen auf vorbeilaufende Männer warteten. Natürlich nicht, weil sie ihre »Opfer« so anziehend fanden, sondern weil sie deren Geld wollte. Bruce befand sich in Soho, lief durch die schmalen Straßen, sah links und rechts von sich Bars und Stripclubs und wurde ständig von irgendwelchen Nutten angesprochen. Er beachtete diese »Damen« gar nicht und lief einfach weiter. Manchmal hatte dieses Ignorieren zur Folge, dass ihm die Prostituierten üble Beschimpfungen hinterher riefen, aber das kümmerte ihn nicht. Bruce war auf der Suche nach Celestine Draven. Zwar glaubte er nicht unbedingt, dass er sie in diesem heruntergekommenen Vergnügungsviertel finden würde, aber er wollte keine Möglichkeit auslassen. Er musste sie einfach finden, und wenn er dafür durch jede verdammte Straße dieser riesigen Stadt lief! Was hatte er auch schon für Anhaltspunkte? Keine... Das war übel, denn seine Chancen waren mehr als schlecht, sie per Zufall zu finden. Trotzdem suchte und fragte er sich durch. Schließlich war Draven nicht gerade eine unauffällige Person, sodass es schon im Bereich des Möglichen lag, dass sie irgendjemand irgendwo gesehen hatte. Doch bisher nichts . . . Der Vampir ging in eine kleine, schummrige Gasse. Hier waren einige Garagen, mehr nicht. Nirgendwo waren Nutten, Zuhälter oder Drogendealer zu sehen. Bruce atmete auf. Endlich mal ein bisschen Ruhe!, dachte er und grinste schief. In diesem Viertel hier wird man ja ununterbrochen angequatscht. . . Er versetzte einer herumliegenden Cola-Dose einen wuchtigen Kick, der sie über die ganze Straße segeln ließ, bis sie schließlich von der gegenüberliegenden Häuserwand abrupt abgebremst wurde. Übrig blieb nur ein verformter Klumpen Blech, der
scheppernd auf den Asphalt klatschte. Plötzlich erklangen hinter Bruce Motorengeräusche. Der Vampir wirbelte herum. Drei Motorräder jagten heran. Die Typen die auf den Maschinen hockten trugen keine Helme und sofort schwante Bruce, dass es Ärger geben würde. Jedenfalls machten die Kerle nicht gerade einen geselligen Eindruck auf ihn. Mit quietschenden Reifen stoppten sie ihre Maschinen direkt vor dem New Yorker Vampir und stiegen ab. »Ach ne, ist das etwa der Supervampir aus New York, von dem hier alle reden, weil Hardrade so angetan von dem Burschen ist?«, fragte der Typ ganz rechts. Ein bulliger Kerl von einem Vampir mit Bürstenhaarschnitt und gepierctem Gesicht. »Sieht ganz so aus«, meinte nun der Typ neben ihm. Bullig war er auch, allerdings einen Kopf kleiner als der andere. Sein dunkles Haar war glatt nach hinten gekämmt. Im Schein des Mondes glänzte es, denn der Bursche hatte wohl einen ganzen Eimer Pomade hineingeschmiert. Jetzt meldete sich auch der Dritte im Bunde zu Wort. Der war nicht so bullig wie die anderen, eigentlich war er sogar recht schlank. Sein Haar war blond und kurz geschnitten. In seinem Gesicht prangte eine hässliche Messernarbe, direkt unter dem rechten Auge und zog sich bis zur Oberlippe. »Der Stinker scheint sich echt wie ein Supermann vorzukommen«, bellte er. »Rennt nicht mal weg, wenn wir kommen.« Bruce grinste schief. »Warum sollte ich auch?« Der Narbige sah ihn aus zu Schlitzen verengten Augen an. Kam dann mit langsamen, mechanisch wirkenden Schritten näher auf Bruce zu, blieb schließlich stehen und spie vor Bruces Füßen aus. »Vielleicht, weil meine drei Kumpels und ich das Zeug dazu haben, dich unangespitzt in den Boden zu rammen!«, sagte er dann lachend, und seine Kumpane grölten ebenfalls. »Aber dazu hättet ihr doch gar keinen Grund«, erwiderte Bruce. Am liebsten hätte er dem Typ die Visage poliert. Aber er riss sich zusammen. Denn er war hier nicht in New York, sondern Gast in einer fremden Stadt und wollte es sich nicht mit Hardrade verspielen, der ihn extra gebeten hatte, nicht für Aufsehen zu sorgen. »Ich will doch gar keinen Ärger mit euch. Ich bin hier Gast und möchte meinen Gastgeber nicht verärgern.« »Der versteckt sich hinter König Harald!«, mischte sich jetzt Mister Bürstenhaarschnitt zu Wort. »Wirst gleich schon sehen, was . . .« Der Narbige brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Der Typ schien also der Anführer der drei Vampire zu sein. »Selbst wenn du keinen Ärger willst, Mr. Supervampir aus New York«, sagte der Narbige nun, »bekommen wirst du ihn trotzdem.« »Von Euch?«, fragte Bruce abfällig. Wieder lachte der Kerl mit der Messernarbe. »Denk mal scharf nach: Wenn du dich mit uns prügelst, wird König Harald denken, dass du hier für Unruhe sorgst. Und dann hast du bei ihm verschissen, Dreckskerl!« Und noch ehe Bruce etwas erwidern konnte, schoss die zur Faust geballte Rechte des Narbigen vor. Doch Bruce reagierte gedankenschnell und tauchte ab. Die Faust des Gegners schoss über seinem Kopf hinweg, der Schlag ging ins Leere. Bruce packte den Unterarm des Narbigen mit beiden Händen und schnellte hoch. Blitzartig drehte er sich um. Der Typ stand nun hinter ihm, sein Arm lag über Bruces Schulter, und als der New Yorker Vampir den Unterarm des Gegners mit aller Wucht nach unten riss, krachte es laut. Der Ellenbogen war gebrochen.
Bruce zerrte weiter an dem Arm und der Narbige hinter ihm hob ab, machte einen Salto über den New Yorker Vampir hinweg und landete eine Sekunde später mit dem Kopf vor Bruces Füßen rücklings auf dem Asphalt. Der Typ jaulte. Sofort stürmten seine Kumpels auf Bruce zu. Das sah er, als er nach hinten schielte. Doch Bruce drehte sich nicht einmal um. Als die Kerl ihn erreichten, rammte er wuchtig beide Arme nach hinten. Seine Ellbogen donnerten genau in die Gesichter der Angreifer. Er traf sie mit solcher Wucht, dass ihre Nasen brachen, jedenfalls war das Knacken der Knochen nicht zu überhören, und die Burschen mindestens drei Meter rückwärts flogen. Sie schrien wie am Spieß. Da war das Narbengesicht wieder auf den Beinen, wollte Bruce erneut die Faust ins Gesicht donnern - diesmal die linke. Doch Bruce fing den Schlag mit der flachen Hand ab und drückte dann zu, zermalmte sie zerbrechlichen Fingerknochen. Gleichzeitig jagte seine Linke vor und krachte in den Magen des Kerls. Der Narbige schrie. Bruce ließ seine Hand los. Aber nur, um ihn gleich darauf am Kragen zu packen und ihn schließlich von sich zu stoßen. Meterweit segelte der Typ durch die Luft. Bruce packte die Maschine des Kerls, stemmte sie über den Kopf und warf sie dem Narbigen hinterher. Er sah noch, wie das Motorrad den Kerl unter sich begrub. Brüllend stürmten die anderen beiden nun wieder auf ihn zu. Bruce kreiselte herum. Da aber sah er, dass hinter den Typen ein Wagen auftauchte, den er gut kannte. Ein Mann stieg aus und klatschte in die Hände. Die Typen verharrten in der Bewegung, drehten sich um und erblickten den Mann. »O Shit!«, stießen beide wie aus einem Munde aus. »Nichts wie weg hier!« Und dann nahmen sie auch schon die Beine in die Hand und jagten davon. Bruce drehte sich um und sah, dass auch der Narbige, der sich inzwischen von dem Motorrad befreit und auf die Beine gebracht hatte, ebenfalls Fersengeld gab. »Na, beeindruckt, Hübscher?«, erklang da die Stimme des Mannes, der die Typen nur durch einmal in die Hände klatschen verjagt hatte. Bruce winkte ab. »Mit denen wäre ich auch ohne deine Hilfe fertig geworden, Roscoe«, sagte er. » Und wenn du mich noch einmal so >Hübscher< nennst, mach ich mit dir das, was ich eigentlich mit diesen Idioten vorhatte!« Doch Roscoes unsagbar dämliches Grinsen wollte einfach nicht weichen. Bruce hätte es ihm am liebsten aus dem Gesicht geprügelt, aber er riss sich zusammen, auch wenn es ihm alles andere als leicht fiel. Und er tat es auch nur, weil er keinen Ärger mit Hardrade wollte. Schließlich war Bruce Gast in seiner Stadt. .. Mit einem ärgerlichen Schnauben stieß er den abgrundtief hässlichen Vampir von sich. »Ich hoffe, du hast einen wirklich guten Grund mich zu stören!« Der Kerl nickte eifrig, wobei sich ein langer Faden klebrigen Speichels von seinen Lippen löste. Mit einem feuchten Klatschen landete er mitten auf dem Ärmel von Bruces Ledermantel. Angeekelt schüttelte sich der junge Vampir aus New York. Wer war bloß auf die Schnapsidee gekommen, diesem Idioten das Geschenk der Unsterblichkeit zu machen? »Und?«, bohrte er ungeduldig. Er wollte endlich wissen, was es mit Roscoes Erscheinen auf sich hatte.
»Der Boss schickt mich!«, antwortete dieser daraufhin sabbernd. »Er weiß, wo die Tussi is, die du suchst.« Plötzlich sehr interessiert, horchte Bruce auf. Wusste Hardrade tatsächlich, wo sich Draven aufhielt? Er wagte es kaum zu hoffen. Aber wenn es doch stimmte - das würde all seine Probleme mit einem Streich lösen! »Wo ist sie?«, fragte Bruce aufgeregt. Roscoes Grinsen wurde noch breiter. »Das wüsstest du wohl gern, was Hüb . . . äh, Darkness?« Hat dieses Arschloch Selbstmordabsichten?, fragte sich Bruce. Wenn er sich unbedingt mit mir anlegen will, kann er das haben! Nur allzu gern, sogar! Bruce seufzte. »Jetzt sperr mal schön die Segelöhrchen auf, Spinner! Du scheinst nicht sehr an deinem Leben zu hängen, was? Denn ich schwöre dir, ich reiß dir eigenhändig deinen hässlichen Kopf ab«, er unterstrich seine Drohung mit einer entsprechenden Geste, »wenn du mir nicht augenblicklich sagst, wo Draven sich aufhält!« Zu seiner Überraschung schien Roscoe tatsächlich zu kapieren, dass Bruce es Ernst meinte. Der Blick seiner wässrigen Augen war schon fast unterwürfig, als er endlich zu Reden begann. »Ein paar Jungs ham gesehen, wie sie auf'n Friedhof gegangen sind. Der Boss hat gesacht, es würd dich vielleicht interessieren, und da hat er mich geschickt, um es dir zu sagen.« Ein zufriedenes Lächeln spielte um Bruces Lippen. Und ob ihm das gefiel! »Gut, du sagst mir jetzt, wo sich dieser Friedhof befindet, dann werde ich vielleicht noch einmal davon absehen, dich unangespitzt in den Boden zu rammen!« Und Roscoe redete tatsächlich. Kaum eine Minute später schnappte sich Bruce eine der Maschinen und jagte mit höllischem Tempo durch die Nacht. Er hatte ein Ziel. Den Friedhof in der Nähe des Hyde Parks. Mit einem kehligen Stöhnen erwachte Celestine Draven, die Vampirjägerin, aus ihrer Bewusstlosigkeit. Es war finster. Stockfinster. Zudem war alles ruhig. Nichts, aber auch gar nichts war zu hören. Draven hatte keine Ahnung, wo sie sich befand und was mit ihr geschehen war. Sie fühlte sich, als wäre sie eben aus einem sehr langen Schlaf erwacht. Panik keimte in ihr auf, doch es gelang ihr, sie hinunterzukämpfen. Langsam, ganz langsam kehrte die Erinnerung zurück. Und nach einiger Zeit konnte sie wieder sagen, was geschehen war, zumindest zum größten Teil. Sie hatte mit Ediths Hilfe den Dämon aus ihrem Körper austreiben wollen, das wusste sie. Hier in der Gruft, in der sie sich jetzt noch immer befand. Doch etwas war schief gelaufen. Schrecklich schief! Draven horchte in sich hinein. Hatte sich etwas verändert? Hoffnung keimte in ihr auf. War ER verschwunden? Doch dann spürte sie, wie sich tief in ihr etwas regte. Etwas, das sich von allem unterschied, was sie jemals zuvor gespürt hatte. Nein, ER war nicht fort. Sie konnte seine Anwesenheit noch immer fühlen. Und doch war etwas geschehen. Sie spürte es überdeutlich. ER hatte sich verändert. . . Sie stutzte. Ein erschreckender Gedanke war ihr gekommen. Aber nein, das konnte nicht sein!
Das durfte einfach nicht sein! Und doch wusste sie in diesem Moment instinktiv, dass ER nicht verschwunden, sondern noch viel stärker geworden war! Ganz deutlich konnte sie seine Anwesenheit fühlen. Und zwar so intensiv wie niemals zuvor. O Gott, was ist bloß geschehen?, dachte die junge Frau. Hat Edith etwa einen Fehler gemacht? Edith! Sorge keimte in ihr auf. War Carters Mutter etwas zugestoßen? War sie vielleicht verletzt worden? Tastend kroch sie über den kalten Boden. Edith musste ganz in ihrer Nähe sein, doch Draven konnte sie einfach nicht finden! Wo war sie? Erneut spürte sie die Panik in sich aufsteigen. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Finsternis, doch selbst als sie wieder schemenhafte Umrisse wahrnehmen konnte, gelang es ihr nicht, die alte Frau in der Gruft auszumachen. »Edith? Bist du hier?« Ihre Stimme hallte unnatürlich laut in der Stille wieder. » Edith, so antworte doch! Bist du verletzt? Brauchst du Hilfe?« Doch sie erhielt keine Antworten auf ihre Fragen. Edith war und blieb wie vom Erdboden verschluckt. Unbeholfen rappelte sich die junge Frau auf und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Sie durfte jetzt nicht durchdrehen! Alles würde sich aufklären, wenn sie nur die Ruhe bewahrte . . . Endlich hatte sie den Ausgang der Gruft erreicht. Gierig sog sie die eisige frische Luft, die ihr entgegenschlug, in sich ein. Sie würde Edith schon finden. Und dann würden sie gemeinsam herausfinden, was geschehen war. Langsam wurde die Vampirjägerin ruhiger. Da vernahm sie plötzlich ein Geräusch, ganz in ihrer Nähe. Sie hörte es ganz deutlich. Schritte ... Draven wirbelte herum. Aber in diesem Moment übernahm etwas die Kontrolle über sie. Mit unglaublicher Brutalität wurde ihr Geist in den hintersten Winkel ihres Unterbewusstseins zurückgedrängt. Eine ihr völlig fremde Wesenheit hatte plötzlich von ihrem Leib Besitz genommen, und Celestine Draven hatte nicht die leiseste Chance, ihr etwas entgegenzusetzen. Sie spürte, wie sie sich ihr Körper in Bewegung setzte, ohne dass sie ihren Beinen den Befehl dazu gegeben hatte. Sie konnte noch immer sehen, wenn auch verschwommen und unscharf. Doch es war, als wäre sie nur unbeteiligter Beobachter, so als säße sie vor einem Bildschirm, der ihr die Welt aus der Perspektive eines Fremden zeigte... Ihr Geist schrie gequält auf, als er erkannte, dass er gefangen war. Gefangen im eigenen Körper ... Bruce lauschte. Seine Sinne waren bis aufs Äußerste geschärft. Kein Laut, keine Bewegung konnte ihm entgehen. Er spürte den eisigen Wind auf seiner Haut, hörte das leise Rascheln der Blätter. Doch das alles nahm er nur am Rande war, denn seine Konzentration richtete sich ausschließlich darauf, eine ganz bestimmte Person in der Dunkelheit auszumachen.
Eine Vampirjägerin. Celestine Draven! Sie war hier irgendwo, das sagte ihm sein Instinkt. Vielleicht lauerte sie ihm gerade in diesem Moment auf? Falls ja - er würde gewappnet sein! Und er würde das Miststück zur Hölle schicken! Fast geräuschlos bewegte sich der Vampir über die von Gräbern gesäumten Pfade. Nichts bewegte sich. Das riesige Friedhofsgelände schien völlig ausgestorben zu sein. Kein lebendes Wesen störte die vollkommene Stille, die das gesamte Areal wie ein Leichentuch bedeckte. Plötzlich teilte sich der schmale Weg vor ihm, führte um eine kleine, grasbewachsene Lichtung herum. Sollte er sich nach rechts wenden? Oder vielleicht doch nach links? Hatte es überhaupt einen Sinn, sich darüber Gedanken zu machen? Er schaute sich suchend um. In einiger Entfernung konnte er die Umrisse eines kleinen, quadratischen Gebäudes auf der Lichtung erkennen. Bruce zuckte ratlos die Achseln. Warum eigentlich nicht?, dachte er. Ab durch die Mitte! Er verließ den Weg und trat auf die weiche, unter seinem Gewicht leicht absackende Rasenfläche. Hier war es weit heller als auf dem von Bäumen überschatteten Weg, denn der kränkliche, fahlgelbe Schein des Mondes konnte ungehindert den Boden erreichen. Langsam näherte sich Bruce dem merkwürdigen Gebäude. Dann erkannte er, worum es sich dabei handelte. Um eine Gruft. Und da! Da war ein Geräusch. Bruce kreiselte alarmiert herum. Doch es war nur ein Vogel gewesen, der sich nun heftig flatternd in die Luft erhob. »Shit!«, fluchte er unterdrückt. »Du siehst schon Gespenster!« Er wandte sich wieder dem Gebäude zu und stieß einen Laut der Überraschung aus. Im dem steinernen Eingang stand eine Person. Eine Frau, die er nur zu gut kannte. »Draven!«, zischte er triumphierend. Doch er musste sich jetzt konzentrieren. Sein Körper spannte sich wie eine Feder, bereit, jeden Moment loszuschlagen. Er sah ihr ungerührt ins Gesicht, von dem nicht die leiseste Regung abzulesen war. Kein Hass. Keine Wut. Überhaupt nichts. Bruce stutzte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Immer wenn er ihr begegnet war, hatte sie ihm unverhohlenen Hass entgegengebracht. Doch das war jetzt nicht so. Sie hatte sich verändert. Fragte sich nur, ob die Veränderung Bruce zum Vorteil gereichen würde - oder zum Nachteil. . . Dann begann sie zu sprechen, und ihre Stimme ließ Bruce einen eisigen Schauer über den Rücken rieseln. Es lag nichts Menschliches mehr darin. »Endlich treffen wir wieder aufeinander, Bruce Darkness! Ich habe schon lange auf diesen Moment gewartet!« Ihre Augen glühten auf, wie Bruce es schon einige Male zuvor gesehen hatte. Doch dieses Mal war es kein schwaches gelbliches Leuchten. Es war ein blutrotes Lodern, so, als wütete darin ein alles verzehrendes Feuer! Noch bevor sich Bruce darüber klar werden konnte, was das zu bedeuten hatte, lösten sich plötzlich zwei winzige Feuerkugeln aus ihren Pupillen.
Zischend rasten sie auf den jungen Vampir zu, und mit jedem Meter, den sie zurücklegten, gewannen sie an Größe. Bruce reagierte instinktiv. Mit einem hastigen Hechtsprung beförderte er sich aus der unmittelbaren Gefahrenzone. Er rollte ungelenk ab und prellte sich bei der Landung einen scharfkantigen Stein in die Seite. Dann stand er wieder auf den Beinen. Die Feuerbälle verfehlten ihr Ziel, schlugen krachend in einen einiger Meter entfernt stehenden abgestorben Baum. Mit einem Geräusch, das einem menschlichen Stöhnen sehr nahe kam, splitterte das morsche Holz. Der knorrige Stamm knickte in der Mitte durch. Gerade noch rechtzeitig sah Bruce die Gefahr kommen. Mit einem erneuten Sprung brachte er sich in Sicherheit, bevor die spitzen Äste ihn aufspießen konnten. Berstend prallte die blattlose Krone auf den Boden. Wie Speere bohrten sich die nackten Zweige in den weichen Erdboden, genau dort, wo sich noch einen Augenblick zuvor Bruce aufgehalten hatte. Langsam wurde es dem jungen Vampir zu bunt. Er war bisher noch nicht einmal in Dravens Nähe gekommen, und sie hatte ihn schon jetzt in die Defensive gedrängt! Mit einem wütenden Knurren stürmte der Vampir los. Wenige Meter bevor er Draven erreichte, stieß er sich vom Boden ab und raste mit den Füßen voran auf die Gegnerin zu. Der entlockte sein Manöver jedoch nur ein müdes Grinsen. Das rote Glühen in ihren Augen nahm für einen Moment noch an Intensität zu, dann wurde plötzlich ihr ganzer Körper von einer blau leuchtenden Aura eingehüllt. Nein, nicht das schon wie ... Brutal wurde Bruces Gedankengang unterbrochen, als sein Fuß mit dem blauen Schutzschild in Kontakt kam. Es war, als wäre er gegen eine Mauer geprallt. Ein brutaler Ruck durchlief seinen Körper, der ihm die Zähne zusammenschlagen ließ. Dann krachte er zu Boden. Ächzend schüttelte Bruce den Kopf, während die blaue Schutzaura um Celestine Draven noch einmal aufflackerte und schließlich erlosch. Bevor er auch nur irgendwie reagieren konnte, trat die Vampirjägerin in Aktion. Mit einer geschmeidigen Bewegung brachte sie sich über ihn und blickte ihm nun direkt in die Augen. »Na, Blutsauger? Glaubst du jetzt immer noch, dass du mich fertig machen kannst?« Bruce nutzte diese Sekunde der Überheblichkeit. Ohne zu zögern rammte er seiner Kontrahentin die Faust in die Magengrube. Draven wurde von ihm weggeschleudert wie ein Geschoss aus einem Revolver. Krachend schlug sie gegen einen der Stützpfeiler, die das Gewicht des Vordaches der Gruft trugen. Die Säule begann bedrohlich zu wanken, kippte nach hinten weg und riss einen Teil des Vorbaus mit sich. Celestine Draven hatte keine Chance. Noch ehe sie sich aufrappeln konnte, wurde sie von den herabfallenden Trümmern begraben. Klasse, dachte Bruce, und wenn sie sich darunter hervorwühlt, stehe ich bereit und hau sie um - wenn sie überhaupt wieder rauskommt. Sie würde ihm nicht noch einmal entwischen! Dann stutze er. Etwas regte sich in dem Schutthaufen. Das ist doch nicht...!
Eine schwere Granitplatte hob sich an und segelte dann in einem riesigen Bogen zur Seite weg. Mit einem dumpfen Laut schlug sie mehrere Meter entfernt auf dem feuchten Grasboden auf. »Hartnäckiges Miststück!«, murmelte er. »Du willst es mir auch nicht leichter machen, was?« Draven schaufelte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit aus dem Schotterberg, hatte sich fast schon daraus befreit. Bruce zögerte nicht länger. Mit einem Satz war er bei seiner Gegnerin und versetzte ihr einen mörderischen Kick. Mit einem erstickten Stöhnen fiel Draven nach hinten weg, nur gehalten durch ihren Fuß, der noch immer zwischen schweren Steinbrocken eingeklemmt war. Mit dem Hinterkopf prallte sie gegen eine scharfkantige Granitplatte und blieb benommen liegen. Bruce ließ ihr keine Zeit, wieder zu Atem zu kommen. Immer und immer wieder ließ er seine Fäuste wuchtig in Dravens Gesicht schnellen. Ihre Lippen platzten auf, und sie spuckte Blut. Jetzt bist du reif, Dämonenbraut!, dachte er. Ich mach dich alle! Ein für allemal! Er konnte sehen, wie Draven die Kräfte verließen. Sie war so gut wie am Ende. »Hey! Lassen Sie die Frau in Ruhe, Mister!« Überrascht hielt Bruce inne und wandte sich in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war. Ein älterer Mann, wahrscheinlich der Friedhofswächter, stand in einigen Metern Entfernung, offenbar unschlüssig, was er unternehmen sollte. Bruce beschloss, den Alten zu ignorieren, und wollte sich wieder seinem Opfer zuwenden. In diesem Moment spürte er einen heißen Schmerz. Ungläubig richtete er seinen Blick auf Draven, über deren Lippen ein abfälliges Lächeln spielte. In ihrer Hand hielt sie eine breite Drahtstange, etwa so lang und breit wie ein Arm, die sich bis tief in Bruces Bauch gebohrt hatte. Dunkles, fast schwarzes Blut quoll aus der klaffenden Wunde, als sie die provisorische Waffe wieder hervorzog. Er war nur für einen winzigen Augenblick nicht bei der Sache gewesen, und diese Unaufmerksamkeit rächte sich nun. Draven holte erneut aus. Bruce rollte zur Seite und spürte noch den Windzug, als die Stange nur Millimeter neben ihm vorbeizischte. Die Wunde in seinem Unterbauch schmerzte höllisch, doch er biss die Zähne zusammen. Sie würde rasch heilen. Draven setzte ihm nach, um ihm den Rest zu geben, doch mit einem gezielten Tritt kickte Bruce ihr die Waffe aus den Händen. Sofort ließ er einen Schwinger in ihren Magen folgen. Sie krümmte sich schmerzerfüllt, wich wieder zurück. Der Vampir machte einen Satz nach vorn und trat gleich darauf noch einmal zu. Die Spitze seines Stiefels bohrte sich unter Dravens Kinn. Der Kopf der Jägerin wurde in den Nacken geworfen, und sie verlor den Boden unter den Füßen, flog ein Stück nach hinten und landete schließlich mit dem Rücken im Matsch. Bruce warf sich auf sie. Doch gerade noch rechtzeitig zog sie die Beine an, um sie sofort wieder vorschnellen zu lassen. Ihre Füße trafen Bruce im Unterleib. Der Vampir wurde fünf Meter rückwärts durch die Luft geschleudert, bevor er schmerzhaft auf dem Rücken landete, sich ein paar Mal überschlug und dann reglos liegen blieb.
Doch nur einen Moment. »Scheiße!«, fluchte der Vampir. Er schüttelte den Kopf und rappelte sich auf. Er war gerade wieder auf den Beinen, da kam Draven auch schon angestürmt. Mit einem Kampfschrei stürzte sich die Vampirjägerin auf ihn. Sie sprang Bruce an, rammte ihm ihre Schulter vor die Brust, riss ihn mit sich und beide stürzten zu Boden. Bruce lag auf dem Rücken, Draven hockte über ihm. Das Nächste, was der Vampir sah, war ihre Faust, die mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sein Gesicht zuraste. Da zerriss plötzlich eine Explosion die Stille. Aus den Augenwinkeln erkannte Bruce, dass der Friedhofswärter plötzlich eine Schrotflinte in den Händen hielt. Er hatte einen Warnschuss abgegeben, um die Kämpfenden voneinander abzulenken. »Sofort aufhören!«, schrie er und seine Stimme überschlug sich vor Aufregung. Es war unübersehbar, wie nervös der Mann war. Er zitterte. »Aufhören, oder ich knall euch beide über den Haufen!« Seine Ansprache zeigte Wirkung, wenn auch wohl nicht die, die er sich erhofft hatte. Draven ließ von Bruce ab und bewegte sich nun auf den Friedhofsangestellten zu. Der Vampir hinter ihr rappelte sich auf. Der alte Mann riss die Augen auf, als die Rothaarige auf ihn zukam. Ängstlich wich er zurück. Als er das rote Glühen in Dravens Augen bemerkte, wurde ihm endlich klar, dass hier irgend etwas nicht stimmte. Nervös riss er die Flinte hoch und zielte auf die Rothaarige. »Bleiben Sie stehen, Mam! Ich warne Sie, ich schieße, wenn Sie näherkommen!« Doch Celestine Draven hatte nur ein spöttisches Lachen für den Alten übrig. Ein unnatürlich verzerrtes und unmenschlich klingendes Lachen! Sein Finger am Abzug der Flinte zitterte. Panik stieg in dem Alten auf. Er hatte es hier mit etwas zu tun, das nicht in die Welt gehörte, in der er lebte. Draven machte noch einen Schritt auf ihn zu - und da zog er den Stecher durch! Doch noch bevor sich die Schrotladung aus dem Lauf lösen konnte, lösten sich zwei sengende Feuerstrahlen aus den Augen der Vampirjägerin und schossen auf den alten Mann zu. Der wollte sich noch zur Seite werfen, doch er war viel zu langsam. Die Flammenstrahlen erreichten ihn, hüllten ihn ein und binnen einer Sekunde brannten seine Kleider, brannte sein Haar. Wie eine lebende Fackel begann er blindlings loszulaufen. Sein schmerzerfülltes Kreischen hallte durch die Nacht. Doch es dauerte nicht lange, bis er endgültig verstummte. Bruce hatte die Szenerie von hinten beobachtet. Die Flammenstrahlen aus ihren Augen waren ja nichts Neues, aber da war etwas anderes . . . Die Schrotladung hatte Draven voll getroffen. Ihr ganzer Oberkörper wies zahlreiche Wunden auf, wo die Kugeln sie getroffen hatten. Es schien ihr nichts auszumachen, und Verletzungen heilten sofort wieder, aber - ihr bläulich schimmernder Schutzschild hatte sich nicht aktiviert! Bruce zog seine Schrotpistole unter der Jacke hervor. Ja, wenn das so ist..., dachte er. Mit einigen schnellen Schritten war er direkt hinter der Vampirjägerin. Er hob die Pistole, zielte direkt auf ihren Kopf. Nur wenige Zentimeter trennte die Mündung des Doppellaufs von ihrem Schädel. Draven wirbelte herum.
Bruce feuerte beide Läufe gleichzeitig ab. Die Vampirjägerin erwischte ihren Gegner mit einem harten Rückhandschlag genau in dem Moment, in dem die Schrotladungen die Läufe verließen. Der Vampir hörte sein Genick brechen. Nur am Rande bekam er mit, dass er weit durch die Luft gewirbelt wurde, bevor er gegen einen Baum prallte, daran herabsackte und liegen blieb. Er konnte sich nicht rühren. Hastig konzentrierte er sich auf seine Heilung. Nach einer halben Minute war er so weit, dass er sich umsehen konnte. Wo steckt Draven?, fragte er sich. Da lag sie! Zwar hatte sie den Schrotladungen noch auszuweichen versucht, doch ganz hatte sie es nicht geschafft. Ein Stück ihres Schädels fehlte, das rechte Ohr war abgerissen. Doch selbst diese schrecklichen Wunden schienen wieder zu heilen. Bruce stemmte sich auf die Beine. Er war noch etwas wackelig auf den Knien, aber es würde schon gehen. Hoffentlich stirbt dieses Miststück wenigstens, wenn ich ihr den Kopf vom Rumpf trenne, dachte er, während er sein Hiebmesser zog. Er stolperte auf sein Opfer zu. Mit jedem Schritt ging es ihm besser. Da stöhnte Draven auf und stemmte sich mit den Armen hoch. Ihr Kopf war vollständig geheilt, sogar das Haar war nachgewachsen. Sie ließ den Kopf hängen, noch hatte sie Bruce nicht bemerkt. Bruce beschleunigte seine Schritte, so sehr er konnte. Noch drei Meter . . . Noch zwei . . . Als er nur noch einen Meter entfernt war, hob Draven den Kopf und starrte ihn mit ihren rot lodernden Augen an. Bruce warf sich vor, hackte mit dem Hiebmesser nach ihrem Hals. Er traf voll. Doch im letzten Moment war der blaue Schutzschild entflammt. Die Wucht des Schlages ließ Draven in den Armen einknicken, sie landete mit dem Gesicht im Dreck - doch ihr Hals hatte nicht einen Kratzer abbekommen. Verblüfft starrte Bruce sie an. Der magische Schutz funktionierte also doch!, dachte er wütend. Mit einem Schrei stürzte der Vampir sich auf Draven, ließ sein Hiebmesser immer wieder auf sie niedergehen. Doch jeder Schlag wurde nur mit dem blauen Blitzen ihres Schutzschildes beantwortet. Seine Attacken waren nutzlos. Die Vampirjägerin richtete sich auf, völlig unbeeindruckt von Bruces härtesten Hieben. Der Vampir wich zurück. Plötzlich nahm er in der Ferne tanzende Lichtpunkte wahr. Das mussten die Polizisten sein, die der Friedhofswächter gerufen hatte, bevor er starb. Auch Draven war das Nahen der Männer offenbar nicht entgangen. Schon hatten sie den Rand der Lichtung erreicht, doch die Vampirjägerin machte keinerlei Anstalten, die Beine in die Hand zu nehmen. Im Gegenteil! Sie stellte sich den Polizisten - echten Bobbys, wie Bruce am Rande bemerkte entgegen, die mit den Lichtern ihrer starken Taschenlampen in ihr Gesicht leuchteten, um sie zu blenden. Was hat das Miststück jetzt schon wieder vor?, fragte sich Darkness. Sie will doch nicht. . .?
Doch, sie wollte tatsächlich! Bruce beobachtete, wie abermals Feuerblitze aus Dravens Augen hervorschossen. Und dieses Mal zielten sie genau auf die herannahenden Polizisten! Einige der Bobbys brachten sich in Sicherheit und Bruce konnte hören, wie sie mittels ihrer Walkie-Talkies Verstärkung anforderten. Scheiße! Das war wohl nicht das, was Hardrade gemeint hatte, als er davon sprach, keine Aufmerksamkeit zu erregen, dachte Bruce. Es ist wohl an der Zeit, sich auszuklinken! Der Vampir wusste sehr wohl, dass es nur eine Ausrede war. Aber er sah im Moment keine Möglichkeit, an Draven heranzukommen und ihr den Rest zu geben. Er konnte sich genauso gut zurückziehen. Das, überlegte er, ist nicht die gebrochene Vampirjägerin, die völlig verzweifelt ist, weil sie ihre eigene Schwester umgebracht hat. Er warf noch einen Blick auf Draven. Sie stand auf der Lichtung vor der halb zerstörten Gruft. Der blaue Schutzschild lag wie eine zweite Haut über ihr, Feuer brach immer wieder aus ihren rot glühenden Augen hervor und raste auf die Bobbys zu, die verzweifelt versuchten, hinter einigen Bäumen Deckung zu finden. Sieht ja schon cool aus, dachte Bruce. Aber es ist wohl der falsche Zeitpunkt, um sie zu stören. Nächstes Mal! Er wandte sich von der unglaublichen Szenerie ab und lief hinaus in die Dunkelheit. Aus den Augenwinkeln bekam er noch mit, wie Draven einige der Polizisten mitsamt den Bäumen, hinter denen sie sich versteckten, in Flammen aufgehen ließ. Dann hatte er die Mauer zur Straße erreicht. Mit einem einzigen, gewaltigen Satz beförderte er sich darüber hinweg und tauchte in das Labyrinth kleiner, verwinkelter Gassen ein. Noch einmal verharrte er. Überlegte, ob er sich Draven nicht doch noch krallen sollte. Aber da hörte er das Krachen einer gewaltigen Explosion. »Nächstes Mal!«, murmelte er. * Celestine Draven war völlig am Ende mit ihren Nerven. Das, was vorhin auf dem Friedhof geschehen war, war passiert, ohne dass sie es steuern konnte. Sie war sich wie eine unbeteiligte Zuschauerin vorgekommen, obwohl sie selbst die Akteurin gewesen war. Sie hatte mit ansehen müssen, und sie konnte und wollte es noch immer nicht glauben. Wie hatte das alles geschehen können? Innerhalb weniger Stunden hatte sich ihre Welt auf den Kopf gestellt. Der Dämon war so anders als sonst - viel stärker und viel intensiver. Jetzt schlief er wieder in ihr. Das war früher auch so gewesen, und dennoch war es jetzt anders, denn sie merkte, dass er nicht so tief schlummerte wie sonst. Draven glaubte, jeden Moment wahnsinnig werden zu müssen. In der kurzen Zeit, seitdem sie die Kontrolle über ihr Handeln verloren hatten, waren Menschen gestorben, viele Menschen. Mindestens fünf Polizisten und der Friedhofswärter waren tot. Durch ihre Hand getötet! Endlich hatte sich der Dämon zurückgezogen, und sie, Draven, hatte erst dann richtig erkannt, was sie angerichtet hatte. War es wirklich so, dass der Dämon noch in ihr war? Oder war es nicht vielmehr anders herum? War sie, der Mensch, im Dämon? Spielte sie nur noch eine
untergeordnete Rolle? Ziellos lief Celestine Draven nun durch die nächtlichen Straßen von London. Sie wusste nicht, wohin, wusste nicht, was sie tun sollte. In diesem Augenblick wünschte sie, tot zu sein, denn sie konnte und wollte so nicht weiterleben. Sie hatte gehofft, wieder ganz Mensch zu sein, doch das hatte nicht geklappt. Jetzt war noch weniger Mensch in ihr als zuvor, und diese Tatsache verursachte bei der jungen Frau eine Gänsehaut. Plötzlich fanden ihre Überlegungen ein Ende. Es geschah wieder. Sie spürte, wie sie, der Mensch, wieder schwächer wurde, wie sie sich zurückzog. Und etwas anderes in ihr gewann wieder die Überhand. Langsam zwar, aber unaufhaltsam. Und dann hatte all das, über das sie sich eben noch den Kopf zerbrochen hatte, keinerlei Bedeutung mehr. Es war wie weggewischt. Nun rannte sie. Sie rannte, ohne dass sie eine Ahnung hatte, wohin sie ihr Weg führen würde. Als ein Taxi an der Straße entlangfuhr, hielt sie es an, ohne dass sie es eigentlich mitbekam. Sie stieg ein und sprach mit ihrer Stimme, die doch irgendwie nicht die ihre war. »Zum Flughafen«, sagte sie bestimmt. * Bruce Darkness war verwirrt. Doch der Vorfall auf dem Friedhof hatte ihm eines klar gemacht: Ryder Jackson hatte recht gehabt. Celestine Draven wurde wirklich immer stärker! Aber Bruce war niemand, der schnell den Kopf in den Sand steckte. Sollte sie doch stärker werden. Er, Bruce Darkness, würde sie schon noch erwischen. Er war ein Vampir, er hatte viel Zeit. Er grinste. Vielleicht würde sie ja an Altersschwäche zu Grunde gehen . . . Plötzlich bemerkte er, dass er nicht allein über den Fußweg stapfte, sondern dass eine Gestalt links neben ihm herhumpelte. »Na, Hübscher!«, sagte die Gestalt. Roscoe!, durchzuckte es Bruces Gehirn. Das er zuschlug war mehr ein Reflex als Absicht. Seine Faust raste auf den hässlichen Vampir zu. Doch als sie dort war, wo eben noch Roscoes Kopf gewesen war, fuhr sie nur durch Luft. »Nicht so stürmisch, Hüb ... Bruce«, erscholl dessen Stimme nun von rechts. »König Harald will dich sehen.« * »Und Sie sind wirklich sicher, dass sie London wieder verlassen hat?« Bruce Darkness sah Harald Hardrade fragend an. Der Herrscher von London hockte auf seinem Thron, und nun legte sich ein breites Grinsen auf seine wulstigen Lippen. »Aber Bruce, mein Freund«, sagte Hardrade in seiner gewohnten kumpelhaften Art. »Wenn ich es dir sage, dann ist es auch so. Warum sollte ich dich denn anlügen, näh? Du bist doch wie ein Sohn für mich!« Bruce verzog die Miene, zwang sich aber ebenfalls ein Lächeln ab. »Sicher«, sagte er, »so war das auch nicht gemeint, aber . . . ich meine . . .« »Ja?« »Warum sind Sie so sicher, dass Celestine Draven wirklich London verlassen hat?«
»Ach«, der Wikinger machte eine alles umfassende Handbewegung, »ich habe da so meine Quellen. In diesem Fall waren es die Flughafenkameras, praktische kleine Dinger. Macht mein lieber Freund Boris das nicht auch so?« »Doch natürlich. Sie haben Recht, Hardrade!«, erwiderte Bruce schnell. »Wie war das?« Das Grinsen aus Hardrades Gesicht verschwand. »Ähm, ich meinte natürlich: Mr. Hardrade!« »Schon besser. Bist ein wirklich netter Kerl, Bruce, aber deine Art ist mir manchmal ein wenig zu flapsig. Ich bin König Harald, der Herrscher von London. Da kann ich ja wohl erwarten, dass man mir Respekt erweist. Aber das wird schon noch.« »Klaro!« Der Wikinger seufzte. Dann erhellte sich sein Gesicht wieder. »Ich gebe morgen übrigens ein kleines Fest. Bist herzlich eingeladen mitzufeiern. Dann können wir nochmal so richtig schön was trinken, bevor du zurück nach New York fliegst.« Bruce nickte, schüttelte dann aber eilig den Kopf. »Danke für die Einladung, aber Sie werden sicher verstehen, dass ich so schnell wie möglich wieder zurückfliegen will. Deshalb werde ich kaum zu ihrer Fete kommen können.« »Aber natürlich verstehe ich das, Bruce! Pflichtbewusstsein ist etwas sehr Wichtiges! Trotzdem ist es schade. Ich hätte dich gern dabei gehabt. Aber wir sehen uns doch bestimmt bald mal wieder, oder? Jedenfalls bist du immer ein willkommener Gast in meiner schönen Stadt.« »Danke.« »Wirklich schade, dass du nicht bleiben kannst. . .« Ja, wirklich zu schade!, dachte Bruce. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er ohnehin keine Lust auf diese Feier gehabt hätte. Hardrade war kein unsympathischer Kerl, wirklich nicht - aber so richtig Gefallen finden konnte Bruce an ihm auch nicht, was vorwiegend an Hardrades Stimmungsschwankungen lag. Bei dem muss man echt aufpassen, was man sagt, sonst findet man seinen eigenen Kopf nachher noch irgendwo in der Themse wieder, überlegte Bruce. Und das nur, weil man ihn falsch angesehen hatte. * New York Während des langen Fluges zurück in die USA war Celestine Draven einige Male für wenige Minuten aus ihrer Starre erwacht. Dann hatte sie sich gefragt, was sie hier überhaupt tat, war nahe daran gewesen, in Panik zu geraten. Doch es war nie von langer Dauer gewesen, bis das Wesen, der Dämon, wieder von ihr Besitz ergriffen hatte. Noch immer hatte sie keine Idee, was ES plante. Was wollte ES in New York? Doch was immer es war, sie hatte keine Möglichkeit, sich dagegen aufzulehnen. Sie war eine Gefangene in ihrem eigenen Körper, und die kurzen Momente der Freiheit machten diesen Zustand fast noch unerträglicher für sie. Edith ... Immer, wenn der Mensch in ihr die Oberhand ergriff, grübelte sie auch über die Mutter ihres ehemaligen Mentors nach. Was war mit ihr geschehen? Was für ein Fehler war ihr unterlaufen? Sie hatte den Dämon aus ihrem Körper vertreiben wollen, doch nun wurde Draven von etwas ungleich Mächtigerem beherrscht. Es musste etwas schief gelaufen sein!
Das Flugzeug setzte sanft auf der Rollbahn auf. Sie stieg aus der Maschine und verließ den Flughafen. Vor dem Terminal winkte sie ein Taxi heran und ließ sich in Richtung Stadt fahren. Draven kannte die Gegend, durch die sie fuhren. Es war ein heruntergekommenes Viertel, noch schäbiger als das Viertel, in dem ihre Wohnung lag. Was wollte ES hier? Ich suche IHN! Draven erschrak. Was war das gewesen? Die Stimme war direkt in ihrem Kopf erklungen. Und sie kannte die Stimme, sehr, sehr gut sogar. Du bist überrascht, Celestine? Erkennst du mich denn nicht? Draven verstand die Welt nicht mehr. Wieso sollte sie ES kennen? Was meinte ES damit? Natürlich kennst du mich, Celestine! Ich bin es, Edith! Edith? Edith war in ihr? Aber nein - das konnte doch nicht sein! Es war unmöglich! Edith war eine gutherzige Frau - sie hätte sie niemals so hinters Licht geführt! Ach nein? Ich muss sagen, es war nicht besonders schwer, dich zu täuschen, Schätzchen! Schätzchen... Sie benutzte dasselbe Wort wie viele Male zuvor, doch es lag ein anderer Klang darin. Du hast so sehr nach jemandem gesucht, dem du vertrauen kannst, dass du mich vorbehaltlos aufgenommen hast, als ich schließlich vor deiner Tür stand. Du kleines, naives Dummerchen! Neeeiiiin! Draven wollte schreien, doch es gelang ihr nur innerlich. Sie konnte - wollte - es nicht glauben. Doch schon bald wurde ihr klar, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als es zu glauben, denn es war die Wahrheit, und diese Wahrheit war unfassbar. Der Dämon in ihr war nicht mehr allein. Da war noch ein Höllenwesen, und deshalb war das Böse in ihr so stark. Die beiden Dämonen hatten sich zusammengeschlossen, und nun war die böse Macht in Draven so groß, dass es mit Worten kaum zu beschreiben war. Und der zweite Dämon in ihre war... Edith! Edith war nicht Carters Mutter! Sie war böse, ein Dämon, der lediglich für einige Zeit Menschengestalt angenommen hatte. Jetzt hatte er wieder eine Gestalt, nämlich die von Draven, der es nur hin und wieder gelang, sie selbst zu sein. Und die wusste nicht, wie lange ihr das überhaupt noch gelingen würde. Edith hatte Draven von Anfang an belogen. Draven weinte und zog sich tiefer in ihr Schneckenhaus zurück. Sie wollte nichts mehr hören, gar nichts mehr! Konnte sie sich denn wirklich so geirrt haben? Doch nun brachen ihre Gedanken jäh ab. Wieder war sie nicht mehr sie selbst. Die böse Macht gewann erneut die Oberhand. Draven wischte sich die Tränen weg. Sie weinte nun nicht mehr, sondern lächelte. Es war ein kaltes, humorloses Lächeln - das Lächeln des Bösen. Sie wusste jetzt wieder, was sie hier wollte: In dieser völlig verfallenen Gegend würde sie jemanden finden, mit dessen Hilfe sie noch stärker werden konnte, und das war wichtig.
Wichtig für den Kampf gegen Bruce Darkness und alle anderen Vampire! Celestine Draven war frustriert. Sie stand so kurz davor, ihr Ziel zu erreichen, aber nun schien sich plötzlich alles gegen sie verschworen zu haben. Sie befand sich nun schon seit Stunden auf der Suche, doch es wollte sich einfach kein Erfolg einstellen. Der, den sie suchte, blieb verschwunden. Und nun? Aufgeben? Niemals! Doch für heute würde sie ihre Suche beenden. Trotz all ihrer Stärke war sie erschöpft, und sie brauchte einfach eine Ruhepause. Sie stieg die schiefen Stufen des billigen Motels hinauf, das sie schon vor einiger Zeit angemietet hatte. Schließlich brauchte sie eine Unterkunft, und in ihre alte Wohnung konnte sie nicht mehr zurück. Immerhin wurde sie wegen Polizistenmord gesucht. Vor dem Aufzug hing ein Schild mit der Aufschrift »Vorübergehend außer Betrieb«. Draven schnaubte. Vorübergehend bedeutete in einem Loch wie diesem für immer. Also benutzte sie die Treppe, und öffnete schließlich die Tür zu dem winzigen, billigen Zimmerchen, in dem es aussah wie in einem Saustall. Sie trat ein und verriegelte das Schloss sorgfältig. Dann drehte sie sich um . . . Und zuckte für einen kurzen Moment zusammen. Vor ihr stand derjenige, den sie suchte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie aufsuchen würde. Sie blickte den weiß gekleideten Mann an, und der Anflug eines Lächelns huschte über ihre Lippen. Seine Züge waren engelsgleich, doch in seinen pechschwarzen Augen lag ein boshaftes Glitzern . . . Die wahre Celestine Draven, deren Bewusstsein tief in ihr Innerstes zurückgedrängt worden war, schreckte entsetzt zusammen, als sie erkannte, um wen es sich bei dem weiß Gekleideten handelte. Sie war ihm schon einmal begegnet - und ihre Erinnerung daran war keineswegs erfreulich! Er hatte sich ihr als Babriel vorgestellt, damals in dieser schrecklichen Nacht, die ihr eine Ewigkeit zurückzuliegen schien. Damals hatte er ihr ein Angebot gemacht. Er hatte ihr vorgeschlagen, sich mit ihm zu verbünden, um endlich im Kampf gegen die Vampire siegreich zu sein. Aber sie hatte ihm nicht zuhören wollen. Gerade erst war ihre Schwester gestorben du hast sie ermordet, Celestine Draven!, brüllte eine Stimme in ihrem Inneren -, und sie hatte nichts davon hören wollen. Sie hatte gar nichts hören wollen. Dann hatte er ihr beweisen wollen, dass er tatsächlich eine Hilfe für sie sein konnte, und ein monströses Wesen war wie aus dem Nichts erschienen. Es war ganz offensichtlich, dass es zu Babriel gehörte und in diesem Moment war Draven klar geworden, dass sie diesem Mann nicht vertrauen konnte. Er war ein Diener des Bösen! Voller Abscheu hatte sie all ihre Kräfte mobilisiert und sich ihm entgegengestellt. Doch es war ihr nicht gelungen, etwas gegen Babriel auszurichten. Er war zu mächtig. Viel zu mächtig für Draven! Und nun standen sie sich abermals gegenüber - mit dem kleinen Unterschied, dass der Dämon, der die Kontrolle über Dravens Körper an sich gerissen hatte, Babriel keineswegs feindlich gesinnt war. Ihr kam ein schrecklicher Gedanke. War er es vielleicht sogar gewesen, nach dem der Dämon in ihr gesucht hatte?
Wollte ER das Angebot annehmen, das Babriel ihr gemacht hatte? Das durfte nicht geschehen. Eine Allianz dieser beiden mächtigen Wesen konnte die ganze Welt ins Wanken bringen! Doch was sollte sie tun? Sie hatte ja nicht einmal ihren eigenen Körper unter Kontrolle. Nein, sie war gefangen in dieser Hülle, und nun spürte sie deutlich, wie sich der Mensch in ihr wieder ganz zurückzog. Sie versuchte zu verhindern, dass der Dämon die volle Übermacht gewann, doch sie hatte keine Chance. Der Dämon war zu stark. Viel zu stark ... »Es ist mir eine wahre Freude, Sie wiederzusehen, Miss Draven!« Der Mann mit dem Engelsgesicht beugte sich vor und hauchte Celestine Draven elegant einen KUSS auf den Handrücken. »Bei unserer letzten Begegnung waren Sie ja noch ein wenig wie soll ich sagen . . .« Er lächelte verbindlich. »Zurückhaltend? Ja, ich glaube, das ist das richtige Wort.« Draven erwiderte sein Lächeln. »Ich bin untröstlich, sollte ich mich Ihnen gegenüber respektlos verhalten haben, Babriel. Bitte verzeihen Sie mir meinen Fehler. « »Oh, nicht doch, Miss Draven! Viele Menschen betrachten mich zunächst mit Skepsis, doch sie lernen schnell, dass es nur zu ihrem Besten ist, mit mir zu kooperieren.« Draven nickte eifrig. »Genau das habe auch ich erkannt, Babriel!« Sie setzte sich und bot auch ihrem Gast einen Sitzplatz an. »Ich verstehe gar nicht, warum ich zunächst so ängstlich auf Sie reagiert habe . . .« Zufrieden ließ Babriel sich auf einen schmutzigen Sessel sinken. »Das spielt doch jetzt keine Rolle mehr, Miss Draven. Ich verspreche Ihnen, es wird sich für Sie lohnen, wenn Sie und ich uns zusammentun. Gemeinsam werden wir die Welt von der Vampirseuche befreien! Diese Bestien haben keine Chance, wenn wir zusammenarbeiten, Miss Draven!« »Das habe ich eingesehen, Babriel. Sie hatten von Anfang an Recht!« »Schön, dass wir uns einig sind! Ich habe übrigens auch schon einen Plan, wie wir es schaffen können, diese Brut auszurotten!« Draven horchte interessiert auf. »Tatsächlich?« »Ja«, Babriel schlug die Beine übereinander und faltete die Hände. »Und mit der Macht, die ich Ihnen verleihen werde, dürfte es kein Problem für Sie werden.« Ein triumphierendes Lächeln huschte über Dravens Züge. Sie wusste schon ganz genau, mit wessen Vernichtung sie beginnen würde. Jetzt war Bruce Darkness geliefert. Mit Babriels Hilfe würde sie diesen elenden Blutsauger endgültig fertig machen! * Eigentlich hatte Bruce Darkness vorgehabt, sofort nach seiner Ankunft in New York seinen Boss aufzusuchen und ihm Bericht zu erstatten. Doch was sollte er ihm sagen? Ja, Herr, sie ist mir schon wieder entwischt. Als sie anfing, mit Feuerbällen auf alles zu werfen, was sich bewegt, und sich außerdem ein Schutzschild um sie gelegt hatte, den ich nicht durchdringen konnte, dachte ich, ich versuche es besser später nochmal. Bruce grinste. Es war die reine Wahrheit, aber irgendetwas sagte ihm, dass der Baron nicht sonderlich begeistert sein würde. Aber hier war New York, sein eigenes Revier. Hier war er der Jäger, und alle anderen waren nur Beute.
Vielleicht solltest du dich um Hilfe bemühen, wisperte eine leise Stimme in seinem Inneren. Bruce schüttelte den Kopf. Celestine Draven war ihm nun schon so oft entwischt. Inzwischen war es etwas Persönliches. Er würde sie auch allein zu Mus hauen können, daran zweifelte er keine Sekunde. Wenn er sich auf Hardrades Worte verlassen konnte - und Bruce war ziemlich sicher, dass er ihnen Glauben schenken durfte -, dann befand sich Celestine Draven inzwischen wieder in New York. Wo würde sie sich aufhalten? Noch hatte er keinen blassen Schimmer, wo sie sein könnte, aber das würde sich noch ergeben. Draven musste einfach aus dem Verkehr gezogen werden! In kürzester Zeit waren ihre Kräfte unglaublich gewachsen. Wenn nicht schnellstens etwas geschah, würde es bald wirklich schwer werden, sie zu besiegen. Bruce hatte völlig verdrängt, dass er sich gerade erst hatte zurückziehen müssen, weil er an die Vampirjägerin nicht herankam. Er fragte sich, was ihr plötzlich diese Stärke verliehen hatte. Er hatte sie schon einige Male im Einsatz gesetzt. Sie war sehr mächtig gewesen, keine Frage, doch zu dem, was er auf dem Friedhof in London erlebt hatte, war es kein Vergleich! Es stellte alles bisher Gesehene in Schatten . .. Und noch etwas hatte Bruce stutzig gemacht. So lange er die Draven kannte, war sie von einem unbändigen Hass auf alles Vampirische geprägt gewesen. Sie hatte diese Abscheu stets offen zur Schau gestellt, sie nicht unterdrücken können. Doch die Draven, die er in London gesehen hatte, war von einer merkwürdigen Ruhe erfüllt gewesen. Und sie hatte sich auf die Polizisten gestürzt, obwohl Bruce dadurch die Gelegenheit erhalten hatte, sich zurückzuziehen. Es schien beinahe so, als wäre sie eine völlig andere Person! Er schwang sich auf seine Harley, die er bei seiner Abreise am Flughafen abgestellt hatte und raste in Richtung City davon. Es tat ihm gut, den eisigen Fahrtwind im Gesicht zu spüren. Endlich wurde sein Kopf etwas klarer und er konnte seine Gedanken ordnen. Was immer auch mit Draven geschehen war, sie hatte es immer noch auf ihn abgesehen. Also würde sie früher oder später bei ihm auftauchen, um ihn kalt zu machen. Sie würde zu ihm kommen. Er grinste zufrieden. Damit lösten sich all seine Probleme in Luft auf ... * Celestine Draven war bereit. Die Kraft pulsierte durch ihre Venen wie flüssiges Feuer. Endlich hatte sie genug Macht, um die gesamte Vampirbrut zu vernichten! Nichts konnte sie mehr aufhalten! Sie war allmächtig! Dieses Gefühl der Stärke ließ sich in keiner Weise mit dem vergleichen, das ihr die Symbiose mit dem ersten Dämon gegeben hatte. Es war der pure Wahnsinn! Sie würde sie alle fertig machen, die Welt von allen Blutsaugern befreien! Und beginnen würde sie mit - Bruce Darkness! Sie würde ihn kalt machen, ehe er überhaupt registrierte, dass er ihr gegenüberstand.
Er würde keine Chance haben, er würde noch dumm aus der Wäsche gucken, wenn sie ihm der Kopf bereits von den Schultern getrennt hatte! Draven befand sich bereits auf dem Weg zu ihm. Dieses Mal musste sie ihn nicht erst lange suchen. Nein, sie wusste, wo er sich aufhielt! Niemand hatte es ihr gesagt und doch zweifelte sie nicht daran. Sie wusste es einfach. Wie magnetisch wurde sie von ihm angezogen. Er hatte keine Chance zu entkommen. Sie würde ihn immer wieder aufspüren, egal, in welchem verdammten Winkel dieser Welt er sich versteckte! Voller Vorfreude heulte sie auf, als sie die Nähe des Vampirs spürte. Sie roch seine Nähe förmlich. Nur noch wenige hundert Meter trennte sie voneinander ... Dieses Mal würde sie ihm haushoch überlegen sein. Er war schon so gut wie tot! Sie verlangsamte ihre Schritte, als sie eine schmale Seitenstraße erreichte. Er war hier! Vorsichtig blickte sie um die Ecke. Ein schweres Motorrad näherte sich mit rasender Geschwindigkeit. Sie zögerte keine Sekunde. Mit einem ausgreifenden Schritt stand sie mitten auf der Straße und stellte sich der lärmenden Maschine in den Weg ... * Bruce hatte gewusst, dass sie wieder aufeinander treffen würden. Sie waren wie Magneten, die sich auf Grund ihrer Unterschiede unweigerlich anzogen. Tag und Nacht. . . Hell und Dunkel.. . Gut und Böse ... Und er, Bruce, hatte sich nicht mit einem Dämon aus der Hölle verbündet! Aber er hatte nicht erwartet, sie auf diese Weise wiederzutreffen, noch dazu so schnell. Ich hab sie gefunden!, schoss es ihm durch den Sinn. Und nun raste er auf seiner Harley in halsbrecherischem Tempo frontal auf sie zu. Er grinste und gab Vollgas. Wenn Draven unbedingt über den Haufen gefahren werde wollte, so konnte sie das haben! Die Augen der Vampirjägerin loderten rot, Feuer brach daraus hervor. Bruce duckte sich unter einem Flammenstrahl ab. Er konnte spüren, sie seine Nackenhaare versengt wurden. Die nächste Feuerzunge zuckte aus ihren Augen hervor. Diesmal zielte sie auf die Harley. Bruce riss den Lenker herum. Die schwere Maschine geriet ins Schlingern, doch der Vampir konnte die Kontrolle über sie wiedererlangen. Es war eine reine Slalomfahrt. Immer wieder wich er den Flammenstrahlen aus, bis er nur noch zehn Meter von Draven entfernt war. Erneut blitzten ihre Augen auf. Diesmal würde er nicht ausweichen können, die Distanz war zu kurz. Er warf sich zur Seite, riss das Motorrad mit sich und stieß sich dann ab.
Über ihm rauschte die Feuerlanze vorbei. Das Motorrad, vom eigenen Schwung getragen, schlitterte weiter auf die Vampirjägerin zu, während Bruce über den Asphalt rollte. Er hörte ein widerliches Knirschen, als Knochen brachen. Seine Knochen! Mühsam gelang es ihm, sich aufzurappeln. Sein linker Arm schien ein Gelenk zu viel zu haben. Draven hatte sich scheinbar nicht gerührt. Doch da das Motorrad irgendwo hinter ihr lag, musste sie ausgewichen sein. Unbeteiligt musterte sie Bruce, der nun breitbeinig dastand -und sie angrinste. »Hallo, Celestine!«, rief er, um Zeit zu gewinnen, bis sein Arm geheilt war. »Nett dich zu sehen. Hab dich schon überall gesucht. Das letzte Mal schienst du abgelenkt zu sein.« Doch Draven lachte nur. Sie rührte sich nicht vom Fleck, deutete nicht einmal den Ansatz einer Bewegung an. Bruces Knochen waren wieder zusammengewachsen. Er ballte die Fäuste. Wenn sie nicht kommt, komme ich eben! Mit diesem Gedanken und einem gellenden Kampfschrei stürmte der Vampir vor! Er katapultierte sich in die Luft, erreichte Draven und ließ seinen Fuß im richtigen Augenblick vorpreschen. Dann landete er wieder auf den Füßen. Der Tritt traf Draven genau vor die Brust, schleuderte sie nach hinten. Sie taumelte und fiel auf den Rücken. Sofort war Bruce bei ihr und versetzte ihr einen Tritt. Hart bohrte sich die Spitze seines rechten Motorradstiefels in ihr Gesicht. Dravens Kopf flog zurück. Dann noch ein Tritt. Wieder ins Gesicht. Und noch einer. Draven schrie nicht. Kein Ton, nicht einmal ein Krächzen, entwich ihrer Kehle. Erneut trat Bruce zu. Und dann stand Draven ganz einfach auf - und lachte! Sie lachte ihn aus, so als hätten ihr die Tritte nicht einmal den Hauch eines Schmerzes zugefügt. Der Vampir verzog den Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. Sie standen sich jetzt wieder gegenüber, und Draven lachte noch immer schallend. Was soll ich denn noch alles anstellen, um die Tussi zur Hölle zu schicken?, überlegte Bruce. Seine Tritte schienen für sie nicht viel mehr als sanfte Streicheleinheiten gewesen zu sein! »Hast du tatsächlich angenommen, mich damit beeindrucken zu können?« Draven hatte endlich zu lachen aufgehört und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. » Mach es mir nicht so einfach, Darkness! Ich könnte annehmen, du lässt mich mit Absicht gewinnen!« Der Vampir knurrte zornig auf. Wutentbrannt packte er einen der am Straßenrand stehenden Müllcontainer. Mühelos hob er ihn hoch und schleuderte ihn mit voller Kraft auf Draven zu. Doch die machte sich nicht einmal die Mühe. Mit einer lässigen Handbewegung stoppte sie den auf sie zurasenden Container. Er blieb bewegungslos in der Luft hängen, als existierte keine Schwerkraft! Bruce fiel die Kinnlade herab. Das konnte doch nicht wahr sein! Doch Draven ließ ihm keine Zeit, um darüber nachzudenken, und ging zum Angriff über.
Brutal rammte sie Bruce ihre Faust in die Magengrube, und es fühlte sich an, als wäre er frontal in einen Vorschlaghammer gerannt. Ihm knickten die Knie ein, und er wäre zu Boden gesunken, hätte Draven nicht im selben Augenblick einen gewaltigen Aufwärtshaken gegen sein ungeschütztes Kinn krachen lassen. In weitem Bogen segelte der Vampir davon und prallte mit voller Wucht gegen eine Häuserwand. Ein wahrer Sternenregen tanzte vor seinen Augen, doch er schaffte es, sich aufzurichten. Im letzten Augenblick sah er Draven mit unfassbarer Geschwindigkeit auf sich zurasen. Sofort ließ er sich wieder fallen, rollte zur Seite weg und ließ seine Gegnerin ins Leere laufen. Diese hatte bei ihrem Tempo keine Chance mehr abzubremsen. Sie riss noch schützend die Arme hoch, drehte sich leicht zur Seite. Dann prallte sie gegen die Wand. Ein langer Riss zog sich durch den Beton an der Stelle, an der Draven gegen das Hindernis geprallt war. Benommen taumelte die Vampirjägerin zurück. Bruce sah seine Chance gekommen! Noch ehe seine Feindin ihre Umwelt wieder bewusst wahrnahm, war er bei ihr. Er riss sein Hiebmesser unter der Jacke hervor und schlug zu. Zischend zerschnitt die Klinge die Luft, als er das Hiebmesser von links nach rechts sausen ließ. Bruce spürte kaum Widerstand, als er in den Körper seiner Gegnerin hackte. Schmerzerfüllt keuchte die Vampirjägerin auf. Mit ungläubigem Blick tastete sie ihren Körper ab. Eine riesige, stark blutende Wunde zog sich von links nach rechts über ihren Bauch. Die sichelähnliche Waffe noch immer in den Händen haltend, schrie Bruce triumphierend auf. »Na, bist du immer noch der Meinung, dass ich es dir zu einfach mache?« Er holte erneut aus. Schlug zu. Wieder erwischte er seine Gegnerin voll, diesmal an der Schulter. Draven sah ihn aus großen Augen an. Na also, dachte Bruce. Der Baron wird zufrieden sein. Doch da ließ Draven ihren rechten Fuß hochschnellen und trat Bruce das Hiebmesser aus der Faust. Die Waffe segelte durch die Luft und schlug irgendwo schräg hinter ihm auf den Asphalt. Gleich darauf sprang Draven senkrecht hoch und ließ ihren Fuß erneut vorschnellen. Diesmal krachte ihr Fuß mit voller Wucht gegen Bruces Brust. Der Vampir taumelte einen Schritt zurück. Ein weiterer Tritt ließ ihn beinahe umfallen. Doch er zwang sich, auf den Beinen zu bleiben. Und wieder kam Dravens Fuß hoch, zielte auf seinen Kopf. Der Vampir reagierte instinktiv. Er fing den Tritt ab, packte ihr Bein oberhalb des Fußknöchels - und riss sie herum. Draven verlor den Boden unter den Füßen, denn Bruce hielt sie weiter nur am Fuß fest und drehte sich wie wild immer wieder um die eigene Achse. Immer schneller und schneller. Die Vampirjägerin hing waagerecht in der Luft und kreiste mit ihm umher. Sie brüllte wütend auf, doch sie konnte nichts machen. Endlich ließ Bruce sie los, und Draven krachte mit voller Wucht gegen eine Wand.
Auch in dieser Wand bildeten sich Risse, als der Körper der Vampirjägerin dumpf aufprallte. Pfeifend wurde ihr die Luft aus den Lungen gepresst. Doch das bemerkte Bruce nur nebenbei. Er war ihr sofort hinterher gesprintet und stürzte sich wieder auf die Gegnerin. Er rammte ihr beide Knie in den Magen und donnerte ihr wie besessen seine Faust ins Gesicht. Immer wieder und wieder. Draven kam nicht einmal zum Schreien. Das hatte ich doch schon mal, zuckte es ihm da durch den Sinn. Da hat es auch nicht viel gebracht! Der Vampir legte seine Hände um den Hals der Jägerin und drückte zu. Sein Griff war hart wie eine Stahlklammer. Bruce hatte keine Ahnung, ob er sie töten konnte, indem er ihr die Luft abdrehte. Aber wenn sie auch das nicht in die ewigen Jagdgründe beförderte - dann riss er ihr halt den Kopf ab! Wer braucht schon so ein dummes Messer, dachte er. Draven lief blau an. Ihre Augen quollen hervor und ihr Mund schnappte verzweifelt nach Luft. Vergeblich... Scheint zu klappen, freute sich Bruce. Doch da wurde er plötzlich brutal zurückgerissen. Draven sackte haltlos zusammen und blieb keuchend und röchelnd am Boden liegen. »Verdammt noch mal!«, schrie Bruce. »Wer immer du bist, es war ein Fehler, sich mit mir anzulegen!« Zornerfüllt drehte er den Kopf zurück und erstarrte. »Jackson!« Bruce spie den Namen aus wie ein widerliches Insekt, das es zu zertreten galt. Das gibt es doch gar nicht!, dachte er fassungslos. »Was willst du hier, Jackson?«, fragte er dann. Seine Stimme war bedrohlich ruhig und seine Augen zu Schlitzen verengt. »Dich aufhalten, Bruce Darkness!« »Mich aufhalten? Sag mal, spinnst du? Verdammt noch mal, misch dich nicht in meine Angelegenheiten, alter Mann!« Wütend wollte Bruce sich losreißen, um Draven endlich den Rest zu geben. Doch Jacksons Finger lagen um Bruces Oberarme, hielten den jungen Vampir so fest wie ein Schraubstock. So sehr Bruce auch zerrte und zog, es gelang ihm nicht, sich daraus zu lösen. Wenn Jackson auch sichtlich Mühe hatte, ihn zu halten. Mit wutverzerrtem Gesicht funkelte Bruce den älteren Vampir an. »Was zur Hölle ist los, Jackson!«, brüllte er. »Ich denke, wir haben das gleiche Ziel? Lass mich los, oder ich mach dich platt!« Jacksons Gesicht verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. »Ach, Bruce, mein Junge. Glaubst du wirklich, du könntest mir drohen?« Er lachte schallend. »Du wirst Celestine Draven nicht töten!« »Ach? Und warum nicht?« »Weil ich mich entschlossen habe, die Sache selbst in die Hand zu nehmen!« Überrascht glotzte Bruce ihn an. »Du hast - was? Sag mal, hast du noch alle Tassen im Schrank? Du spinnst wohl!« Er deutete auf die noch immer am Boden liegende Draven, die sich langsam erholte. »Sie ist schon so gut wie tot, und du hast dich entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen? Du warst es doch immer, der sich heraushalten und sich die Griffel nicht selbst schmutzig machen wollte!« Bruce konnte es nicht fassen! Was war bloß in diesen senilen alten Knacker
gefahren? Er schien völlig den Verstand verloren zu haben, wenn er allen Ernstes glaubte, damit durchzukommen. Erst Nick Marvey - und jetzt das! Nervös blickte er zur Draven hinüber, die sich nun aufrappelte. Sie wollte sich auf Bruce stürzen, doch abrupt blieb sie stehen, als Jackson ihr tief in die Augen blickte. »Geh fort, Celestine Draven!!«, sagte der alte Vampir. »Verschwinde sofort von diesem Ort!!« Und Bruce heulte wütend auf. Zwei-, dreimal kniff er die Augen zusammen, doch jedes Mal, wenn er sie wieder öffnete, sah er das, was er nicht glauben wollte. Er hoffte, zu träumen, doch er träumte nicht. Was er sah, war die Wirklichkeit. Celestine Draven ging fort! Sie lief tatsächlich davon, und zwar so schnell sie konnte. Bruce wollte ihr hinterher rennen, doch Jackson entließ ihn nicht aus seinem Griff. Der jüngere Vampir bäumte sich auf. Er trat aus und versuchte, sich aus Jacksons fest zupackenden Händen zu winden. Erfolglos. Und schließlich war von der Jägerin nichts mehr zu sehen. »Das kann doch alles nicht wahr sein!«, schrie Bruce, als Jackson ihn nun losließ » Sie ist entkommen! Draven ist abgehauen, und das ist ganz allein deine Schuld, du verkalkter alter Mann!« Zornig drehte er sich um. Jackson grinste ihn an. »Ich werde sie vernichten«, sagte er dann. »Und alle werden sehen, dass ich sie besser beschützen kann, als der Baron. Für dich wird es dann Zeit, sich zu entscheiden.« Bruce glaubte, jeden Moment vor Wut platzen zu müssen! Automatisch dachte er an den Baron. Er würde nicht gerade erbaut sein, wenn er erfuhr, was Ryder Jackson hier angerichtet hatte, und was für Ziele er hatte! Wie hatte er diesem Trottel nur für eine Sekunde über den Weg trauen können? Bruce verfluchte den Moment, in dem er Jackson zum ersten Mal begegnet war. » Ich würde dir ja liebend gern selbst den Arsch aufreißen, Jackson, wirklich!« Jackson lachte schief. »So? Dann tu es doch, Jungchen!« Bruce warf einen letzten Blick zu der Ecke, hinter der Celestine Draven verschwunden war. »Das werde ich auch!«, knurrte er. Er wandte sich Jackson zu, mit einem gehässigen Grinsen auf den Lippen, das jedoch schon im nächsten Moment zu Eis gefror. »Scheiße!« Das kam von Herzen. Die Stelle, an der bis vor einer Sekunde noch Ryder Jackson gestanden hatte, wer leer... * Der Expressaufzug des Empire State Buildings beförderte den Vampir in weniger als einer Minute in die 85. Etage, in der sich die Büros von Boris Baron von Kradoc befanden. Aufmerksam blickte sich Bruce Darkness um, bevor er den Lift verließ. Er hatte keine Lust, Katrina Stein über den Weg zu laufen und sich von ihr wieder in irgendwelche Diskussionen verwickeln zu lassen. Das Prinzesschen würde sich sicher über diese Gelegenheit freuen, ihr Gift zu verspritzen. Wie durch ein Wunder gelang es ihm tatsächlich, das Büro seines Herrn ungehindert
zu erreichen. Er wurde bereits erwartet. »Du kommst spät, Bruce«, empfing ihn der Baron. »Ich habe gleich nach deiner Ankunft mit deinem Besuch gerechnet. Was hat dich aufgehalten?« Bruce gab seinem Boss einen detaillierten Bericht der Ereignisse. Als er dazu kam, dass Jackson ihn davon abgehalten hatte, Celestine Draven umzubringen - und warum er es getan hatte -, zeigte der Baron scheinbar keine Regung. Aber Bruce konnte erkennen, dass die Hände, die sein Boss flach auf den Mahagonischreibtisch gelegt hatte, so fest auf das dicke Holz gepresst wurden, dass sich die Tischplatte durchbog. »Wie kann er es wagen . . .« Seine Stimme war so ruhig wie immer. »Dies ist meine Stadt, und es steht ihm nicht zu, meinen Stellvertreter aufzuhalten. Wie kann er es wagen, eine so gefährliche Vampirjägerin wie Celestine Draven zu schützen. Wer weiß, wer ihr nächstes Ziel ist!« Bruce schwieg. Was gab es dazu schon zu sagen. Der Baron sah ihn aus kalten Augen an. »Du wirst Celestine erneut aufspüren und sie vernichten!« »Ja, Herr!« »Hiermit erkläre ich den Vampir Ryder Jackson für vogelfrei! Er hat alle Rechte verwirkt, die er in der Gesellschaft der Unsterblichen hat. Wer mit ihm Zuflucht gewährt, wird bestraft. Wer ihn unterstützt, wird vernichtet.« Wow!, dachte Bruce. »Jawohl, Herr!«, sagte er dann. »Ich erwarte, dass du meinen Willen in der Stadt verbreitest. Und schick Katrina zu mir. Auch die Herrscher der anderen Städte sollen erfahren, was vorgefallen ist - und was ich von ihnen erwarte . . .« ENDE
Ryder Jackson ist vogelfrei. Doch das hindert Katrina Stein nicht daran, sich mit ihm zu verschwören. Als Bruce aufbricht, um den alten Vampir zu stellen, wird er bereits erwartet. Und auch Celestine Draven ist noch immer in New York. Jagd auf den Verräter Verpasse auf keinen Fall den neuen Action-Horror-Roman von D. C. Kenner.