Klappentext Buffy und Dawn fällt es schwer, sich mit dem Verlust ihrer Mutter abzufinden. Buffy übernimmt nur ungern di...
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Klappentext Buffy und Dawn fällt es schwer, sich mit dem Verlust ihrer Mutter abzufinden. Buffy übernimmt nur ungern die Rolle der Ersatzmutter und die beiden streiten sich noch mehr als sonst. Buffy ist derart abgelenkt durch ihre neuen Pflichten, dass ihr das merkwürdige Verhalten der Videospiel-Clique zunächst entgeht. Einer von Xanders Freunden dreht im Sunnydaler Kino durch und brabbelt irres Zeug. Verblüfft und neugierig nehmen Anya und Xander die Ermittlungen auf. Ein neues Videospiel hat anscheinend bei den Leuten, die es testen, unheimliche Veränderungen zur Folge... Endlich bemerkt auch Buffy die seltsamen Vorkommnisse in der Stadt und während sie versucht, diese aufzuklären, wird Anya in eine dämonische Parallelwelt entführt. Die Jägerin muss sich rasch etwas einfallen lassen, um die Freundin zurück nach Sunnydale zu holen, bevor das Spiel gelaufen ist...
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Mel Odom
Mörderisches Spiel Aus dem Amerikanischen von Antje Göring
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind auch im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Das Buch »Buffy – Im Bann der Dämonen. Mörderisches Spiel« entstand nach der gleichnamigen Fernsehserie (Orig.: Buffy, The Vampire Slayer) von Joss Whedon, ausgestrahlt bei ProSieben. © des ProSieben-Titel-Logos mit freundlicher Genehmigung der ProSieben Television GmbH Erstveröffentlichung bei Pocket Books, eine Unternehmensgruppe von Simon & Schuster, New York 2002. Titel der amerikanischen Originalausgabe: Buffy, The Vampire Slayer. Crossings. ™ und © 2003 by Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved. Buffy, the Vampire Slayer ist ein eingetragenes Warenzeichen der Twentieth Century Fox Film Corporation. © der deutschsprachigen Ausgabe: Egmont vgs Verlagsgesellschaft, Köln 2003 Alle Rechte vorbehalten. Lektorat: Anja Schwinn Produktion: Wolfgang Arntz Umschlaggestaltung: Sens, Köln Titelfoto: © Twentieth Century Fox Film Corporation 2002 Satz: Kalle Giese, Overath Druck: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-8025-2990-1 Besuchen Sie unsere Homepage im WWW: www.vgs.de 4
Für meine Kinder Matt L., Matt D., Montana, Shiloh und Chandler. Und für Elizabeth Shiflett: Nochmals Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit! Möge sich dem Lebenstraum erfüllen.
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Danksagung Mein Dank geht an die üblichen Verdächtigen: an Lisa Clancy, Micol Ostow und an Joss Whedon, ohne den...
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1 Auf dem wenige Wochen alten Grab lag ein Finger. Wären das Gras ein wenig höher und der Erdhügel ein wenig flacher gewesen, dann hätte Buffy Summers den abgeschnittenen Finger wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Aber da es sich um einen Ringfinger handelte, an dem ein glänzender, silberner Ehering steckte, fiel er ihr doch ins Auge. Buffy blieb nicht stehen, scannte jedoch wachsam das dunkle Friedhofsgelände. Längst nicht alle toten Menschen und andere Wesen, die auf dem Sunnydaler Friedhof begraben wurden, blieben auch für immer dort – falls sie nicht zuvor schon von den Stahltischen in der Leichenhalle verschwanden, bevor die Bestattungsunternehmer sie abholen konnten. »Ist das da ein Finger?«, fragte Willow Rosenberg. Buffy nickte. »Ja.« »Igitt!« Willow schüttelte sich. Buffy ging weiter. »Wollen wir den einfach liegen lassen?«, fragte Willow. »Hast du vielleicht eine Plastiktüte dabei? Ich werde ihn nämlich nicht mit bloßen Fingern aufheben und einstecken!« Willow kramte in ihrer Handtasche. Typisch Willow: auch auf Patrouille immer aufmerksam und zuvorkommend. »Ich habe Taschentücher dabei.« Buffy sah ihre Freundin an. »Will, ich hebe diesen Finger nicht auf! Der Friedhofsgärtner wird ihn morgen finden.« Willow steckte das Päckchen Taschentücher wieder weg. »Glaubst du, man wird der Familie den Finger zurückgeben?« »Ja. Die Friedhöfe von Sunnydale haben sehr gute und engagierte Angestellte.« Das stimmte größtenteils. Nach Buffys Ansicht waren gute Friedhofsgärtner und Totengräber in einer Stadt, die so dicht an einem Höllenschlund lag, eine Art karmagesteuerter Bonus. Weil die letzten Ruhestätten fast 7
jede Nacht von irgendwelchen Dämonen heimgesucht wurden, brauchte man zur Friedhofspflege engagierte Menschen, damit die Trauernden und Besucher nicht mitbekamen, dass regelmäßig Gräber verlassen oder geplündert wurden. »Aber ich habe ein gruseliges Gefühl dabei, den Finger einfach liegen zu lassen«, bemerkte Willow. »Vertrau mir!«, entgegnete Buffy. »Die Patrouille mit dem Finger eines Toten in der Tasche zu beenden ist noch viel gruseliger.« Willow dachte einen Augenblick darüber nach, dann nickte sie und wandte ihren Blick von dem amputierten Finger ab. »Wahrscheinlich hast du Recht. Ich meine, stell dir mal vor, ich wickle den Finger in ein Tempo und vergesse ihn dann in der Tasche.« »Deine Tasche würde anfangen zu stinken.« Willow runzelte die Stirn. »Aber vorher, meine ich. Stell dir mal vor, ich vergesse es, und dann braucht irgendjemand ein Taschentuch. Also greife ich in meine Tasche, weil ich eine gute Freundin oder ein aufmerksamer Mitmensch bin, und gebe demjenigen mein Taschentuch. Und dann rollt dieser Finger heraus!« Buffy sah ihre Freundin an. »Ich glaube, es würde dir auffallen, dass du den Finger eines Toten in deinem Taschentuch hast, bevor du es jemandem gibst.« »Ja. Wahrscheinlich hast du Recht. Das würde ich merken.« Willow zog ihren langen Wollmantel fester um sich. »Dann ist wohl der Craulathar-Dämon hier vorbeigekommen!« »Wenn es nicht noch eine andere Kreatur gibt, die in Sunnydale Leichenteile aufsammelt, um ein dämonisches Ritual durchzuführen«, ergänzte Buffy. Wie Giles herausgefunden hatte, handelte es sich bei ihrem derzeitigen Widersacher um einen Craulathar-Dämon, der einer Rasse Nekromanten angehörte, die aus Toten geheimnisvolle Zauberkräfte gewannen. Oder, wie in diesem Fall, aus 8
Körperteilen von Toten. Es war nun schon fast drei Wochen her, dass jemand begonnen hatte, die Gräber auf den Friedhöfen der Stadt zu plündern. Die Sunnydaler Polizisten gingen verstärkt auf Streife – zum Glück ohne Verluste unter den Beamten – und schienen damit einigen Erfolg zu haben. Die Grabschändungen waren weniger geworden und schließlich hatten sie ganz aufgehört. Vor sechs Tagen jedoch war zum ersten Mal in eine Leichenhalle eingebrochen worden. Giles hatte anhand der Spuren der Werkzeuge, mit denen Organe und Gliedmaße entfernt worden waren, den CraulatharDämon als Täter identifiziert. In ihrem gesamten Jägerinnendasein hatte Buffy noch nie etwas von einem Buch über dämonisches Operationsbesteck gehört. Wie sich herausstellte, war das Buch über die chirurgischen Werkzeuge der Craulathar-Dämonen nur ein Band in einer ganzen Buchreihe. Die Illustrationen waren ganz besonders abscheulich und Ekel erregend. Buffy blieb vor einem großen Grabstein mit einem Engel darauf stehen. Im Mondlicht wirkte der Alabaster fast silbern, nur in den Rissen des Steins lagen dunkle Schatten. »Willow?« »Was?« Willow sah Buffy mit großen, unschuldigen Augen an. Nach all dem, was wir schon erlebt haben, kann wirklich nur Willow so unschuldig gucken!, dachte Buffy. Bitte, lieber Gott, erhalte ihr diese Unschuld! Nimm sie ihr nicht weg! Vieles war ihr in letzter Zeit verloren gegangen und Buffy wusste, sie bekam es niemals zurück. Sie wollte nicht, dass ihre Freunde sich veränderten. Obwohl jeder Einzelne von ihnen schon so einiges durchgemacht hatte, waren sie immer noch der beständigste Faktor und ihr einziger Rückhalt im Leben. »Weißt du, es ist gar nicht die Dämonenjagd«, sagte Buffy. »Die ist nicht schwieriger als früher. Es geht um Dawn. Dass ich sie nun ganz allein aufziehen muss, nachdem Mom von uns gegangen ist.« 9
Dawn war Buffys kleine Schwester und die beiden hatten an sich schon eine komplizierte Beziehung. Ihre Mutter Joyce Summers war erst vor wenigen Wochen gestorben. Seitdem fühlte sich Buffy innerlich ganz taub und tot, und Angels Besuch hatte ihr lediglich noch einmal bewusst gemacht, was sie schon alles verloren hatte. »Oh«, machte Willow und sah Buffy traurig an. Mit zugeschnürtem Hals sagte Buffy: »Jetzt werd bloß nicht rührselig!« »Okay«, entgegnete Willow entschlossen. »Werd ich nicht. Und wenn doch, dann sehe ich einfach weg.« Demonstrativ drehte sie den Kopf zur Seite. »Ich sehe einfach weg und... und Achtung!« Alarmiert schob Buffy die Gedanken an Dawn und ihre Mutter beiseite und schaltete komplett auf Jägerinnen-Modus um. Aus dem Augenwinkel nahm sie die Angreifer wahr: drei magere, hungrige Gestalten, die von rechts über den Friedhof auf sie zustürzten. Rasch stellte sich Buffy schützend vor ihre Freundin. Willow konnte zwar auch kämpfen, das hatte sie im Laufe der Jahre gelernt, aber zu diesem Zweck hatte Buffy ihre Freundin eigentlich nicht mitgenommen. Willow sollte ihr lediglich Gesellschaft leisten und sie beim Nachdenken unterstützen. Die drei Vampire waren alle recht jung und ihrem großspurigen Verhalten nach vermutlich erst seit kurzem im Geschäft. Sie trugen Motorradlederhosen und Konzert-T-Shirts von Party Gravy. Ihre Schädel waren kahl rasiert, alle hatten einen kleinen Spitzbart am Kinn und trugen Sonnenbrillen mit gelber, durchgehender Scheibe. Dass sie Vampire waren, erkannte Buffy an der Art, wie sie sich bewegten, aber auch ihr Jägerinnengespür verriet es ihr. »Hey, ihr zwei!«, sagte der Vampir in der Mitte grinsend. Er hielt sich ganz offensichtlich für ultracool. »Ihr habt aber großes Glück!« 10
»Warum denn das?«, fragte Buffy und verbarg den Holzpflock, den sie in ihrer Hand hielt, hinter dem Oberschenkel. Der Vampir grinste wieder. »Ihr hättet ja auch die ganze Nacht spazieren gehen können, ohne uns zu treffen!« Triumphierend schlug er die Handflächen gegeneinander wie zwei Becken. »Ein paar Sekunden später und wir wären wie zwei Schiffe in dunkler Nacht aneinander vorbeigesegelt.« Die beiden anderen Vampire lachten und klatschten sich gegenseitig ab. »Genauso ist es, Feiton!«, rief einer von ihnen. »Hört mal«, sagte Buffy, »ich suche nach einem CraulatharDämon.« Die Vampire wechselten rasche Seitenblicke untereinander, dann sahen sie Buffy an. »Kenn keinen Craulathar-Dämon«, antwortete Feiton. »Der ist ziemlich unverwechselbar«, sagte Buffy hoffnungsvoll. »Ein großer Kerl. Ungefähr zwei Meter zwanzig, zwei fünfzig groß. An seiner Stirn hat er zwei geschwungene Hörner. Lilafarbene Haut. Und seine Taschen sind vermutlich voller Hände, Füße, Augäpfel und so weiter...« Der größere, dünne Vampir schüttelte den Kopf. »So einen haben wir nicht gesehen.« »Genug geschwätzt!«, knurrte Feiton. »Jetzt wieder zurück zu dir und mir.« Er sah Buffy an und zog eine Augenbraue hoch. »Was hältst du von Vampiren?« Er veränderte sein Äußeres und ließ sein dämonisches Gesicht zum Vorschein kommen. »Den meisten fehlt es an Ausdauer«, entgegnete Buffy. »Ach ja?« »Ach ja«, äffte Buffy ihn nach. »Und sie gehen ziemlich leicht aus dem Leim.« Rasch hob sie die Hand mit dem Holzpflock, trat einen Schritt vor und holte aus. Der Angriff kam völlig überraschend für Feiton. Ungläubig starrte er auf seine Brust, als Buffy ihm den Holzpflock ins 11
Herz trieb. Einen Augenblick später hatte er sich auch schon in eine Staubwolke verwandelt. Der größere, dünne Vampir fluchte und holte einen Baseballschläger hervor. Ohne Umschweife griff er die Jägerin an. Buffy wich nach hinten aus und ließ den schweren Baseballschläger an ihrem Körper vorbeizischen. Rasch schlug sie einen Salto rückwärts und landete mühelos wieder auf beiden Beinen, als der große Vampir erneut mit dem Baseballschläger ausholte. Buffy riss den linken Arm nach oben, schlug dem Vampir gegen die Handgelenke und wehrte so den Angriff von ihrem Körper ab. Dann trat sie vor und hielt ihren Pflock wie ein Messerkämpfer in der Hand. Das spitze Ende zeigte zu Boden. Weil der Vampir seinen Schläger mit beiden Händen hielt, konnte sie ihm den Pflock nicht in die Brust rammen, um sein Herz zu durchstoßen. Aber sie zog ihm mit einer raschen Bewegung die Pflockspitze durch sein dämonisches Gesicht und verpasste ihm eine mächtige Schramme, die vom linken Ohr über die Nase bis auf die rechte Wange verlief. Der Vampir heulte vor Schmerz, als ihm dunkles Blut über das ramponierte Gesicht lief. Wütend holte er zu einem weiteren Schlag aus. Buffy drehte sich um die eigene Achse, riss den Fuß hoch und legte ihr ganzes Gewicht in einen gezielten RoundhouseKick. Der Vampir taumelte rückwärts, prallte gegen einen Grabstein und zerschlug eine Keramikvase mit Plastikblumen. Die Blumen fielen dem angeschlagenen Vampir in den Schoß. Bevor er wieder aufstehen konnte, stieß ihm Buffy den Pflock durchs Herz und er wurde zu Staub. Der kleinere Vampir hielt sich nicht damit auf, den Verlust seiner Freunde zu beklagen. Er rannte schnell davon. Buffy lief dem Flüchtenden hinterher, drehte den Pflock in ihrer Hand, um ihn werfen zu können, und hob den Arm über 12
den Kopf. Dann ging sie in Wurfposition und ließ ihren Arm wie ein Pitcher der Nationalliga vorschnellen. Der Holzpflock wirbelte durch die Luft und schlug zielsicher in den Rücken des Vampirs ein, der sich in einer Staubwolke auflöste und verschwand. Um sich zu vergewissern, dass keine weiteren Vampire in der Nähe waren, schaute Buffy prüfend in alle Richtungen, bevor sie zu Willow zurückkehrte. Willow hatte nicht mal Zeit zum Eingreifen gehabt, so schnell war die ganze Aktion über die Bühne gegangen. Sie hielt ihren Pflock hoch. »Er war in meiner Tasche. Hat sich da irgendwie verheddert.« »Ist schon okay«, entgegnete Buffy. »Es waren ja nur drei von den Fieslingen.« Willow nickte und behielt den Holzpflock in der Hand. Die Waffe war zwar keine große Hilfe, falls sie den CraulatharDämon ausfindig machten, aber Willow hatte ja auch noch ihre Zauberformeln. »Lass uns noch mal darauf zurückkommen, was du über Dawn gesagt hast. Dass du jetzt die Mutterrolle übernehmen musst.« Buffy setzte sich wieder in Bewegung und schaltete auf Patrouille zurück. Das Traurige war eigentlich, dass sie sich auf Patrouille immer am besten fühlte. Irgendwie fand sie eine Art inneren Frieden, wenn sie Nacht für Nacht dem Tod ins Auge sah. »Es bereitet mir wirklich Kopfzerbrechen, ob ich mich richtig um sie kümmern kann«, erklärte Buffy. »Sieht so aus, als würdest du deine Sache ganz gut machen. Dawn ist okay. Ich meine, so okay, wie sie sein kann, nachdem sie ihre Mom verloren hat.« Nach so einem Ereignis kann man nicht okay sein, Will!, dachte Buffy. Sie hatte Angst, es könne Dawn nie wieder richtig gut gehen. Aber sie stand jeden Morgen auf und zwang sich, zur Schule zu gehen, und sie patrouillierte jede Nacht. 13
Ihre täglichen Pflichten ließen ihr zwar nicht viel Freiraum, aber es war einfacher, sich nicht von dem Kummer überwältigen zu lassen, den der Tod der Mutter ihr bereitete, wenn sie nicht so viel Zeit für sich hatte. »Sie soll sich sicher fühlen«, sagte Buffy. »Das ist meine Hauptsorge. Sie hat gerade erst ihre Mom verloren.« »Du auch«, bemerkte Willow leise. »Ich weiß.« Buffy entfuhr ein Stoßseufzer und sie verbannte den bohrenden Schmerz wieder in den Hintergrund ihres Bewusstseins. Es hätten ruhig ein paar Vampire mehr sein dürfen, ich bin ja nicht mal ins Schwitzen gekommen!, dachte sie. Wären es mehr Gegner gewesen, hätte sie noch ein bisschen länger nicht daran denken müssen, wie sehr sie ihre Mom vermisste und was sie nun mit Dawn tun sollte. »Aber ich bin ihre große Schwester. Ich sollte wissen, wie ich mit ihr umgehen und was ich ihr sagen muss.« »Weißt du es denn?« »Nein.« »Buffy«, sagte Willow, »als deine Mutter gestorben ist – und ich will wirklich nicht hart oder herzlos klingen –, hast du da etwa erwartet, dass jemand kommt, der dir sagt, was du nun tun oder fühlen sollst?« Buffy brachte kein Wort heraus und schüttelte nur den Kopf. Eigentlich nicht, dachte sie, aber es wäre doch nett gewesen... Sie wurde einfach nicht mit der Situation fertig. »Tust du für Dawn alles, was in deiner Macht steht?«, fragte Willow. »Ja.« Buffy dachte über die Frage nach. »Nein. Ich meine, ich weiß es nicht, Will.« »Meint Dawn denn, dass es dir an erzieherischen Fähigkeiten fehlt?« »Nein.« Buffy seufzte. »Aber nur, weil sie momentan machen kann, was sie will.« »Und was will sie machen?« 14
»Länger aufbleiben.« Buffy sah ihre Freundin an und hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. »Ich meine, ich bin schließlich wieder jeden Abend auf Patrouille.« Nach dem Tod von Buffys Mutter hatten Anya, Xander, Tara, Willow und Giles eine Weile die Patrouille übernommen, während Buffy den schmerzlichen Verlust zu verarbeiten und Dawn darüber hinwegzuhelfen versuchte. Willow zuckte mit den Schultern. »Dawn ist dir sehr, sehr ähnlich. Wahrscheinlich braucht sie auch ebenso wenig Schlaf wie du. Und der Rest von uns hat ja auch schon unter Beweis gestellt, dass man mit sehr viel weniger als den empfohlenen acht Stunden auskommen kann.« Buffy ging um eine Ecke und folgte der für Normalsterbliche nicht wahrnehmbaren Spur, die der Craulathar-Dämon hinterlassen hatte. Unaufhörlich scannte sie das Gelände und hielt nach sich bewegenden Schatten Ausschau. »Dawn ist früher immer um zehn ins Bett gegangen. Dann fing sie an, es um ein, zwei Stunden hinauszuzögern. Und mittlerweile bleibt sie bis zwei oder drei Uhr in der Nacht auf.« »Das ist nicht gut.« »Der Schulleiter hat mich angerufen«, sagte Buffy. »Mich! Das ist total merkwürdig, denn früher hat Mom immer meinetwegen die Anrufe gekriegt. Jetzt werde ich angerufen. Schuldirektoren lassen auch niemals locker!« »Und was hat er gesagt?« »Dawn ist schon öfter im Unterricht eingeschlafen. Und sie kommt zu spät zur Schule. Wenn ich die ganze Nacht auf Patrouille war, habe ich nicht die geringste Lust aufzustehen – und Dawn anzutreiben und zur Tür hinauszujagen, dazu habe ich schon gar keine. Es ist ein aussichtsloser Kampf.« »Hast du mit ihr darüber geredet?« »Ja.« Buffy ging im großen Bogen an einem Mausoleum vorbei, in dem weiß der Teufel was lauern konnte. »Ich habe schon mehrere Ansprachen zum Thema ›Zeitiges Zubettgehen‹ 15
vom Stapel gelassen. Worauf sie immer wütend und aggressiv reagiert.« »Kannst du vielleicht irgendetwas ändern, damit es morgens schneller geht?« »Zum Beispiel?« »Ich weiß nicht. Gibst du ihr was für die Pause mit? Vielleicht hilft es, wenn du das Lunchpaket schon abends vorbereitest.« Buffy wurde von Schuldgefühlen überwältigt. »Ich mache ihr gar kein Lunchpaket. Ich gebe ihr einfach Geld mit. Diese Regelung ist für uns beide die beste.« »Geld fürs Mittagessen! Damit ist ihr natürlich die Spannung genommen, was wohl wieder in der braunen Tüte ist.« Buffy dachte darüber nach. »Vielleicht könnte ich ihr das Essensgeld einpacken? Das wäre irgendwie mütterlicher, oder? Was meinst du?« »Ich meine, es ist nicht gut, wenn Dawn zu spät zur Schule kommt und im Unterricht einschläft«, antwortete Willow. »Und ich finde, du machst dir zu viel Stress. Den musst du irgendwie reduzieren.« Buffy nickte. »Ich weiß. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich das machen soll. Denn eigentlich bin ich doch Dawns Schwester und nicht ihre Mutter. Und sie hatte eigentlich eine Mutter – noch dazu eine wirklich gute! Was passiert ist, ist einfach total falsch und unfair.« »Ich weiß«, sagte Willow leise. Dann fiel ihr etwas ins Auge. Sie zeigte darauf. »Hey, ist das da ein Ohr?« Buffy sah sich den blutigen, verschrumpelten Fleischklumpen direkt vor ihnen auf dem Weg an. Keine Frage, Will hatte Recht. Das Ohr lieferte den Hinweis, dass sie dem Craulathar-Dämon allmählich immer näher kamen. »Wow!«, raunte Willow. »Entweder ist dieser Dämon wirklich schlampig oder er hat schon mehr Körperteile eingesammelt, als er braucht. Das sieht ja so aus, als würde er 16
den eigenen Kopf verlieren, wenn er nicht festgeschraubt wäre.« »Oder den Kopf von jemand anderem«, bemerkte Buffy und setzte sich wieder in Bewegung, um den Rest des Friedhofs abzusuchen.
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2 »Der Typ da in dem roten Shirt ist von der Security, oder? Das heißt, er wird bald getötet«, sagte Anya. Ungläubig wandte Xander Harris seine Aufmerksamkeit von der Filmleinwand und dem Eimer Popcorn mit Extra-Butter auf seinem Schoß ab und sah Anya an. Sie war die Liebe seines Lebens, aber sie hatte, bevor sie ein Mensch wurde, über tausend Jahre als Dämonin gelebt. In dieser Zeit hatte sie jedoch nie ein Kino von innen gesehen, geschweige denn einen Science-Fiction-Klassiker angesehen. »Anya!«, raunte Xander empört. »Das kannst du doch nicht einfach so herausposaunen.« Mit großen Augen – einer Mischung aus leichter Verlegenheit und ernstlicher Irritation – sah Anya in die Zuschauermenge. »Du willst mir doch jetzt nicht weismachen, all diese Leute hier wüssten nicht, dass die Typen mit den roten Shirts in jedem Film getötet werden? Du hast mir selbst gesagt, dass jeder das weiß. Außerdem ist das ein alter Film und das Kino ist voller Leute, die ihn bestimmt schon mal gesehen haben.« Anya war honigblond und hatte eine Wahnsinnsfigur, die in eine weiße Hose und einen roten Pullover mit Zopfmuster verpackt war. Mit ihren großen Augen zog sie Xander in ihren Bann, wie es noch nie einer Frau gelungen war. Natürlich, dachte er, liegt das zum Teil an ihrer dämonischen Vergangenheit. Aber die hatte sie hinter sich gelassen. Xander sah sich im Zuschauerraum um. Das Kino war dunkel und gemütlich und wirkte fast wie die Fortsetzung des sternengespickten Weltraums auf der großen Leinwand. Im Lamplighter wurden zwar keine brandneuen Filme gezeigt und es gab auch keinen Dolby-Surround-Sound, aber Xander war praktisch in diesem Kino groß geworden. Hier im Lamplighter 18
war er zu der Überzeugung gelangt, dass Vampire existierten – bevor er zur Highschool kam und die Entdeckung machte, wie real sie tatsächlich waren. »Sprich bitte leise, ja?«, bat er sanft. »Wir sind doch undercover hier.« Anya sah sich ebenfalls um. »Du hast mir nicht gesagt, dass wir undercover hier sind. Sind hier denn irgendwo Vampire?« Sofort griff sie nach ihrer Tasche, um den Holzpflock herauszuholen. »Anya«, sagte Xander geduldig, »Liebe meines Lebens, ich liebe dich trotz der Tatsache, dass du nicht gesellschaftsfähig bist.« Anya sah ihn verdrießlich an. »Keine Vampire?« Xander schüttelte den Kopf. »Keine Vampire.« Der Mann, der auf der anderen Seite von Anya saß, beugte sich vor. »Schschscht!«, machte er. Seine Ohren hatten eine merkwürdige Form: Sie liefen nach oben spitz zu. »Seine Ohren!«, raunte Anya und öffnete ihre Tasche. Xander hielt Anyas Hand fest, bevor sie den Holzpflock hervorholen konnte. Der Popcorneimer schoss zwischen seinen Knien hervor und das Popcorn regnete ringsum auf die Kinobesucher. »Die sind doch falsch!«, zischte Xander Anya rasch zu. Der Mann winkte verärgert ab. »Mann, ihr zwei seid ja total daneben. Ich bin zu der langen Star-Trek-Nacht gekommen«, klagte er, »und jetzt kann ich mir hier die Heckle and Jeckle Show angucken. Bekomme ich von euch das Geld für die Eintrittskarte zurück?« »Das ist doch bloß der erste Teil«, warf Xander ein. »Es wird doch erst im nächsten richtig gut. Weiß doch jeder!« »Hört mal«, sagte der Mann, »ihr geht mir wirklich auf die Nerven. Der Erfolg des ersten Films hat die Entstehung der nachfolgenden doch erst möglich gemacht! Und wenn ich so genervt bin, nimmt mir das jede Freude an der Vorstellung.« 19
Anya sah sich den Mann genauer an. »Vielleicht sitzen die Ohren ja zu fest«, meinte sie. »Hey, Vorsicht!«, warnte der Typ und griff behutsam an seine Ohren. »Ich habe viel Geld dafür bezahlt. Sie sind individuell gefertigt.« »Stirbt der Typ in dem roten Shirt?«, wandte Anya sich nun wieder Xander zu und zeigte auf die Leinwand. Xander gab sich geschlagen und versank frustriert in seinem Kinosessel. Ich wusste, ich wäre besser in die Matinee gegangen, als Anya noch bei Giles im Zauberladen war!, dachte er. Dann hätte er sich jedoch auf der Baustelle krankmelden müssen, und das war nicht wirklich eine gute Idee, da er auf das Geld, das er mit diesem Job verdiente, angewiesen war. »Natürlich stirbt er«, entgegnete der Mann mit den merkwürdigen Ohren. »Er hat ein rotes Shirt.« Anya sah Xander an. »Siehst du? Hab ich doch gesagt!« Im nächsten Augenblick flogen krachend die Kinotüren auf und ein junger Mann kam herein. Sein unhöfliches Erscheinen war schon schlimm genug, aber er besaß obendrein die Dreistigkeit, die Türen offen zu lassen, so dass Licht von draußen in den Saal fiel, das die angenehme Dunkelheit zerriss und Schatten auf die Leinwand warf. »Tür zu!«, rief jemand. »Mann, was ist das denn für ein Trottel?« »Warum kommt eigentlich nie ein Zerstörer, wenn man wirklich einen braucht?« Der Typ ignorierte die Kommentare. Als sich Xanders Augen an das Licht gewöhnt hatten, erkannte er den Störenfried. Es war Robby Healdton. Xander kannte Robby aus der Spielepassage in der Stadt. Wenn ein neues Video- oder Computerspiel auf den Markt kam, tauchte Robby regelmäßig mit den Taschen voller Spielmarken dort auf und fing an, sich mit der Neuerscheinung zu beschäftigen. 20
Viele Jungs kamen, um ihm zuzusehen, und es rankten sich zahlreiche Legenden um ihn. Mit seiner Reaktionsgeschwindigkeit als Jagdflieger im Weltraum hätte er eine Jägerin durchaus in den Schatten stellen können. Er war ein, zwei Jahre älter als Xander, hatte aber noch nicht mal die Highschool geschafft. »Das geht doch nicht!«, sagte der Mann mit den spitzen Ohren streng. »Das geht überhaupt nicht!« Xander starrte Robby an. Der Typ verhielt sich wirklich merkwürdig. Und wann immer in Sunnydale etwas Merkwürdiges vor sich ging, wurde Xander Harris hellhörig. »Tür zu!«, schrie wieder jemand. Robby klappte die Flügeltüren auf und zu wie ein trotziges Kind. »Fangt mich doch!«, rief er provozierend. »Security!«, forderte der Mann mit den spitzen Ohren. »Sir!«, antworteten zwei Männer, die ebensolche roten Shirts trugen wie die Securitymänner auf der Leinwand. Es waren stämmige Kerle, die allem Anschein nach das Sportstudio ihr Zuhause nannten. »Bringen Sie den Kerl hier raus!«, ordnete der Mann mit den spitzen Ohren an. »Räumen Sie die Brücke und melden Sie den Vorfall der Leitung!« »Jawoll, Sir!« Ohne zu zögern, bahnten sich die beiden Möchtegern-Securitymänner ihren Weg zum Mittelgang und gingen nach hinten zu Robby Healdton. Anya nahm Xanders Hand. »Vielleicht sollten wir ihnen helfen. Sie haben rote Shirts. Sie werden getötet.« Xander blieb sitzen. Er war verwirrt, müde und besorgt zugleich. Es hatte ein ganz normaler Abend werden sollen: erst die lange Filmnacht und dann vielleicht noch eine Pizza auf dem Heimweg. »Die werden das schon schaffen«, entgegnete Xander und tröstete sich mit den Popcornresten in seinem Eimer, die mittlerweile kalt und hart geworden waren. 21
Die beiden »Securitymänner« hakten Robby links und rechts unter und eskortierten ihn aus dem Kino. Er wehrte sich heftig, stemmte die Hacken in den Boden und fluchte. Xander beobachtete ihn ungläubig. Was war bloß in Robby gefahren? Warum machte er Krawall bei einer Science-FictionFilmnacht? Xander konnte sich nicht vorstellen, was Robby gegen solch eine Veranstaltung haben könnte. Das ergab doch alles keinen Sinn! Einen Augenblick lang überlegte Xander, ob er das Kino verlassen und nach Robby sehen sollte, verwarf die Idee aber wieder. Er hatte schon genug Probleme und Pflichten auf dem Buckel, da brauchte er sich nicht noch zusätzliche aufzuhalsen. Ohne Vorwarnung flogen erneut die Flügeltüren des Kinos auf. Ein »Securitymann« im roten Shirt segelte durch die Luft und überschlug sich mehrmals auf dem schmutzigen Teppich, bevor er liegen blieb. Er stand nicht wieder auf. Schreie der Angst und Entrüstung wurden im Kino laut. Ein paar Leute sprangen auf, blieben aber unschlüssig stehen, weil sie nicht wussten, was sie tun sollten. Dann erschien Robby wieder auf der Bildfläche und hielt den zweiten »Securitymann« mit einer Hand am Kragen gepackt. Während er ihn hereintrug, schleiften die Füße des Mannes über den Boden. Blut tropfte aus einer Wunde an seinem Kopf und er sah aus, als wäre er nur noch halb bei Bewusstsein. Instinktiv sprang Xander auf. Da steckt nichts Gutes dahinter!, dachte er und versuchte sich daran zu erinnern, wann er Robby zum letzten Mal gesehen hatte und ob ihm etwas Merkwürdiges an ihm aufgefallen war. »Au Mann!«, rief jemand. »Ruft die Bullen! Dieser Typ ist ja völlig durchgeknallt!« Xander glaubte nicht, dass mit der Hilfe der Sunnydaler Polizei zu rechnen war. Wenn die Gesetzeshüter von einem Typen hörten, der erwachsene Männer wie Luftschlangen durch die Gegend warf, ließen sie sich bestimmt erst mal viel 22
Zeit und tauchten möglicherweise erst auf, wenn die Gefahr vorüber war. »Was hast du eigentlich vor?«, fragte Anya. »Helfen!«, entgegnete Xander knapp und befreite sich aus ihrer Umklammerung. Er war zwar nicht unbedingt zum Helden geboren, aber die Jahre an Buffys Seite im Kampf gegen das Übelste, was der Höllenschlund im Angebot hatte, hatten ihn verändert. Er besaß nicht die Schnelligkeit und Kraft der Jägerin, aber ein, zwei Tricks in Sachen Überraschungseffekt und Taktik hatte er sich doch abschauen können. »Dann verpasst du aber den Film!«, protestierte Anya. »Hab ich doch schon gesehen«, entgegnete Xander. Dann rannte er auch schon den Mittelgang hoch. Ein weiterer Kinobesucher nahm Kurs auf Robby. Als er gerade nach ihm greifen wollte, verpasste ihm Robby einen Schlag mit dem Handrücken, was ihn den Gang hinuntersegeln ließ. Falls der Typ nicht schon tot war, hatte er zumindest eine Nacht im Krankenhaus vor sich. Wow!, dachte Xander, solche Tricks hat Robby normalerweise nicht drauf! Die Leute in Robbys Nähe verließen ihre Plätze und kamen auf Xander wie eine menschliche Flutwelle zugestürzt. Alle wollten so schnell wie möglich zu dem zweiten Ausgang auf der gegenüberliegenden Seite des Saals. »Ihr dummen Sterblichen!«, brüllte Robby. »Ihr könnt mir nicht entkommen!« Dann drehte er sich um und lief zur Tür hinaus. Ihr dummen Sterblichen? Xander stutzte. Ein kalter Schauer der Vorahnung überlief ihn. Okay, jetzt können wir den gemütlichen Abend definitiv streichen, dachte er. Normale Menschen rennen nicht durch die Gegend und brüllen Sachen wie »Ihr dummen Sterblichen!«. »Was ist hier eigentlich los?«, wollte Anya wissen, die 23
plötzlich an seiner Seite war. »Keine Ahnung.« Xander sah zu der Kinotür, durch die Robby verschwunden war. Andere Kinobesucher, teils kostümiert, teils in Freizeitkleidung, strömten durch die Tür nach draußen. »Robby hat uns ›dumme Sterbliche‹ genannt...« Anya seufzte wehmütig und nickte. »Ja, ich kann mich noch gut daran erinnern. Man weiß, dass man unsterblich ist – und diese Leute mit ihren vergänglichen Leben stellen sich einem immer wieder in den Weg und wollen einem am Zeug flicken. Schreckliche Zeiten waren das!« Xander sah Anya an. Ringsum schrien die Leute um Hilfe und nach der Polizei. »Ich finde, es ist nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt, um nostalgisch zu werden!« Er blickte zur Tür. »Warum brüllt Robby erst, keiner könne ihm entkommen, und dann läuft er zur Tür hinaus?« »Weil er noch mal wiederkommt!«, antwortete Anya. »Wahrscheinlich will er irgendwas holen.« Bevor Xander fragen konnte, was das wohl sein mochte, bestätigte sich ihre Vermutung. »Ich bin wieder da!«, brüllte Robby und schwenkte eine Rettungsaxt über seinem Kopf. Xander erinnerte sich daran, das Notfall-Werkzeug in einem Glaskasten im Eingang gesehen zu haben. Der Kopf des Geräts bestand zu einer Hälfte aus einer keilförmigen Klinge und zur anderen aus einer geschwungenen Picke. Ohne großes Zögern holte Robby mit der Rettungsaxt aus und ließ sie auf den nächstbesten Sitz niederfahren, wobei er auf den Kopf des kostümierten Zuschauers zielte, der dort saß. Zum Glück verfehlte er sein Ziel jedoch und die Axt schlug in den Sesselrücken ein. Xander nutzte die Gelegenheit. Er stürmte den Mittelgang hoch und dachte, dass er eigentlich besser daran täte, die eigene Haut zu retten, wie es der Rest der Kinobesucher machte. Aber das konnte er nicht. Dafür war er schon zu lange mit der 24
Jägerin unterwegs. Und Robby war ein Freund. Xander konnte es nicht fassen: Was hatte seinen Freund nur zu so einem gewalttätigen Anschlag bewogen? Xander hörte, wie das Holz des Kinosessels knarrte, als Robby versuchte, seine Waffe wieder herauszureißen. Er ergriff die Gelegenheit und rammte Robby die Schulter in die Rippen. Er war zwar nicht so groß wie ein ordentlicher Football-Linebacker, hoffte aber, Robby wenigstens aus dem Gleichgewicht bringen zu können. Robby verpasste Xander jedoch einen Rückhandschlag und fegte ihn wie eine lästige Fliege zur Seite. Feurige schwarze Kometen tanzten vor Xanders Augen und die Geräusche um ihn hörte er nur noch gedämpft, als wäre er unter Wasser. Er segelte den Gang hinunter und riss eine ganze Gruppe Kinobesucher mit sich, die schreiend auf ihn einschlugen, als hätte er sie angegriffen. Einen Augenblick lang sah Xander nur umherfliegende Arme und Beine. Reichlich angeschlagen zwang er sich, mit wackligen Beinen aufzustehen. Robby hatte es mittlerweile geschafft, die Axt aus dem Sitz zu reißen, und rannte nun hinter den flüchtenden Kinobesuchern her. »Ihr werdet sterben, Menschen! Ich werde euch alle töten!« Xander sah rasch zu Anya hinüber und stellte erleichtert fest, dass sie okay war. Wie ein Berserker schrie Robby. Seine Stimme wurde von der Anstrengung ganz heiser. Er holte wieder mit der Spitzhacke aus, verfehlte nur knapp einen als Alien kostümierten Kinobesucher auf der Flucht und drosch die Picke der Axt neben dem Ausgang in die Wand. Blitzschnell rannte Xander auf Robby los und rammte ihn erneut, diesmal von hinten. Dieses Mal gelang es ihm, Robby gegen die Wand zu schleudern. Dieser stieß einen Schmerzensschrei aus, drehte sich um und schnappte mit den Zähnen nach Xanders Gesicht. 25
Blitzschnell zog Xander wie eine Schildkröte den Kopf zurück. »Robby, Mann!«, rief er. »Ich bin’s doch! Mach mal halblang!« Robbys Zähne schlugen aufeinander. Er kam Xanders Kopf bereits bedrohlich nahe. Xander schlang die Arme um den Kerl, merkte aber sofort, dass seine Kräfte nicht ausreichten, um Robby festzuhalten. In diesem Augenblick schüttelte ihn Robby auch schon ab und verpasste ihm einen weiteren Schlag. Xander spürte, wie ihm die Lippen aufplatzten. Als er auf dem Boden zusammenbrach, rannten sieben oder acht Kinobesucher – erwachsene Männer, aber auch Jungs mit Highschool-Jacken – gegen Robby an. Für einen kurzen Moment wurde Robby von der Macht des Ansturms überwältigt. »Kommt nur!«, krähte Robby mit seiner irren Stimme. »Kommt nur, ihr dummen Sterblichen, und geht drauf!« Er lachte und riss an der Rettungsaxt, deren Picke in der Kinowand steckte. Mit einem Ruck brach der Stiel ab und der Werkzeugkopf blieb in der Wand stecken. Wütend und verärgert über die Männer, die weiter auf ihn einzuschlagen versuchten, schleuderte Robby den Holzstiel zu Boden und riss die Picke aus der Wand. Er straffte die Schultern und holte mit dem Werkzeugkopf aus, obwohl ein paar Männer versuchten, sich daran festzuklammern. »Achtung!«, schrie jemand. »Ich kann das Ding nicht mehr halten!« Die Männer stießen Warnschreie und Flüche aus und wichen vor Robby zurück. Mit einem bösartigen Grinsen im Gesicht setzte er ihnen nach und trieb sie bis an die Leinwand. Es gab keinen Ausweg. Xander hob den abgebrochenen Stiel der Rettungsaxt vom Boden auf und lief hinterher. Er näherte sich Robby von hinten und bezog Position wie Schlagmann Ken Griffley Junior in 26
seiner Box. Er zielte auf Robbys Hinterkopf und holte aus. Der hölzerne Werkzeugstiel traf mit voller Wucht. Als Robby sich umdrehte, war sein Gesicht zu einer scheußlichen Grimasse verzerrt. Okay, dachte Xander, das war wohl nichts! Jedes menschliche Wesen hätte dieser Schlag glatt umgehauen. Also traf seine Vermutung zu: Robby war kein Mensch, zumindest nicht in diesem Augenblick. Robbys Mund bewegte sich. Xander nahm an, er wolle vielleicht noch einmal aus purer Effekthascherei »Ihr dummen Sterblichen« rufen, aber daraus wurde nichts. Robby lächelte schief, dann kippte er aus den Latschen. Wie ein Baum schlug er der Länge nach hin. Verblüfft und heftig um Atem ringend, betrachtete Xander den am Boden liegenden Freund. Irgendetwas ist hier definitiv faul, dachte er zum zweiten Mal an diesem Abend.
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3 »Hätten wir sämtliche Leichenteile eingesammelt, die wir unterwegs gesehen haben«, flüsterte Willow, »dann könnten wir uns jetzt bestimmt schon einen kompletten neuen Menschen zusammenbauen.« Buffy betrachtete den Fuß mit dem übergestreiften Socken, der auf dem Rasen neben einem Mausoleum lag. Das große Grabmal war anscheinend das Ziel des Craulathar-Dämons gewesen. »Sag so was nicht!«, meinte Buffy. »Ich habe auch schon an Frankensteins Monster gedacht.« »Mich erinnert das an die durchsichtige Puppe«, entgegnete Willow. Buffy spähte um die Ecke des Mausoleums. Nichts als dunkle Schatten auf dem Boden, die vom Mondlicht in die Länge gezogen wurden, waren zu sehen. Die Schatten der gebeugten Bäume, denen der Wind durchs Geäst rauschte, schufen ein Kaleidoskop von zuckenden Ästen und flatternden Blättern. Im Laufe der Zeit hatte Buffy gelernt, Schatten zu misstrauen. Sie boten finsteren und blutrünstigen Gestalten Schutz. »Meinst du nicht eher den großen Unsichtbaren?«, fragte Buffy und umfasste den Pflock in ihrer Hand fester. »Nein«, erwiderte Willow. »Ich meine die durchsichtige Puppe. Kennst du doch bestimmt auch, diese Puppe aus transparentem Plastik, deren Organe und Knochen und was weiß ich noch alles man sehen kann. Xander hatte so eine. Damals jedenfalls, als seine Eltern noch hofften, er würde Medizin studieren. Vielleicht hat sein Dad die Puppe auch gekauft, um ihn zu ärgern. Das konnte man bei ihm nie so genau wissen. Jedenfalls kann man bei der Puppe das Gehirn 28
sehen, die Leber, die Lungen, die Augen...« Buffy starrte sie an. »Das ist ein sehr unpassender Zeitpunkt für solche Beschreibungen.« Willow hielt inne und ihr glühender Eifer wandelte sich in Verlegenheit. »Ups!« Buffy schob sich flach an die Wand gedrückt bis zum Eingang des Mausoleums vor. Es war mit einer Steintür verschlossen, die jedoch einen Spalt breit offen stand. Das gedämpfte Licht des Mondes reichte aus, um dort glänzendes Metall aufblitzen zu lassen, wo die schwarzen Angeln herausgerissen worden waren. »Hier ist irgendwas«, flüsterte Willow. »Was?«, fragte Buffy. »Magische Energie!« Willow betrachtete das Mausoleum und legte die Hand auf den gemeißelten Stein. »Ich kann die Energie spüren, die sich hier drin befindet.« Sie war eine aufstrebende Hexe mit beträchtlichen Fähigkeiten, und was sie im vergangenen Jahr so alles auf die Beine gestellt hatte, war im höchsten Maße erstaunlich. »Na ja, du vielleicht«, meinte Buffy. »Ich spüre hier nur ziemlich gruselige Schwingungen.« Sie griff an die herausgerissenen Türangeln. »Jemand hat sich gewaltsam Zugang verschafft. Vor kurzem erst.« Willow nickte. »Dann müssen wir wohl reingehen.« »Jawoll«, entgegnete Buffy. Sie legte eine Hand an die Tür, stemmte sich dagegen und fing an zu schieben. Die schwere Steintür rutschte zur Seite, aber der Lärm hallte über den ganzen Friedhof. Buffy befürchtete schon, sofort aus der Finsternis angesprungen zu werden, aber es geschah gar nichts. Trotzdem hielt sie angespannt die Luft an und spähte aufmerksam ins Dunkle. »Der Craulathar-Dämon muss wirklich sehr beschäftigt sein, wenn er nicht nachgucken kommt, was der Lärm zu bedeuten hat«, sagte Willow. »Die vielen Teile zusammenzusetzen ist 29
bestimmt nicht ganz einfach. Wahrscheinlich ist er ganz vertieft in seine Arbeit.« Buffy bedachte sie mit einem schrägen Seitenblick. »Am besten höre ich jetzt mal auf, von Körperteilen zu reden«, sagte Willow. »Gute Idee!«, entgegnete Buffy. »Hast du eine Taschenlampe dabei?« Durch ein Mausoleum zu schleichen war eigentlich nicht vorgesehen gewesen. Normalerweise kamen die Monster, die sie jagte, von ganz allein im offenen Gelände auf sie zu. »Nein«, antwortete Willow und wühlte in ihrer Tasche. »Keine Taschenlampe. Aber das hier!« Sie hielt eine dicke, spitz zulaufende Kerze hoch. »Als Hexe kann man nie wissen, wann man eine braucht.« Buffy nahm die Kerze und wartete. »Streichhölzer?«, drängte sie dann, als Willow sich nicht rührte. Willow durchsuchte rasch noch einmal ihre Tasche und blickte betroffen drein. »Die hab ich vergessen!« »Gute Idee, die Kerze, Will«, tröstete Buffy sie, damit die Freundin sich nicht zu schlecht fühlte. »Tara hätte daran gedacht«, sagte Willow. Tara Maclay war Willows beste Freundin und Hexenkollegin. Buffy gab ihr die Kerze zurück. »Fürs nächste Mal!« Sie spähte wieder in das dunkle Mausoleum. Da flackerte Licht hinter ihr auf. Verdutzt drehte sie sich nochmals um. Willow führte ihren brennenden Zeigefinger an den Kerzendocht. Der Docht entzündete sich und ein Flämmchen loderte auf, als Willows Finger auch schon wieder erlosch. Dank ihrer magischen Fähigkeiten blieb er ganz heil und unversehrt. »Hexenkram«, erklärte Willow. »Manchmal viel besser als Streichhölzer!« »Danke.« Buffy nahm die brennende Kerze. »Mit dem Licht bemerkt uns der Craulathar-Dämon aber schneller«, wandte Willow ein. 30
»Ja«, sagte Buffy nur und ging etwas tiefer in das große Bauwerk. »Aber ich kann wenigstens auch sehen, wenn er uns bemerkt hat.« Sie musste langsam gehen, damit die flackernde Kerzenflamme nicht erlosch. Das schwache Flämmchen warf zitternde Schatten an die Steinmauern des Mausoleums. Der Geruch von feuchter Erde drang Buffy in die Nase und sie musste niesen. Sie hielt die Kerze hoch und sah sich um. »Weißt du was?«, sagte sie. »Obwohl ich schon so oft in einer Gruft oder einem Mausoleum war, kann ich mich einer gewissen Nervosität nicht erwehren.« »Ich auch nicht«, entgegnete Willow. »Manche unheimlichen Sachen bleiben einfach... unheimlich. Auch wenn man weiß, dass sie unheimlich sind, und einem das die Unheimlichkeit ein Stück nehmen sollte.« Sie befanden sich in einem der ältesten Mausoleen von Sunnydale. Es war schon gebaut worden, bevor man die Stadt überhaupt zur Stadt erklärt hatte. Zu beiden Seiten führten tunnelartige Gänge hinunter in einzelne Grüfte und die Eingänge sahen aus wie Höhlenlöcher. Der Boden im Mausoleum war nicht aus Stein, sondern aus festgetretener Erde, auf der sich vereinzelt Flecken aus Gras und Moos gebildet hatten. »Ich glaube, hier kommen nicht mehr so viele Leute zu Besuch«, sagte Buffy. »Vielleicht ist die Familie weggezogen«, mutmaßte Willow. »Oder sie wurden alle getötet«, entgegnete Buffy. »Wir sind hier schließlich in Sunnydale.« Nur ein Stückchen weiter erfüllte ein tiefes Summen den Raum. Buffy blieb stehen und drückte sich vor dem nächsten Gruftzugang flach gegen die kalte Kalksteinwand. Sie spürte, dass das summende Geräusch von dem klammen Stein übertragen wurde. Als sie in die Richtung sah, aus der sie gekommen waren, konnte sie den Eingang des Mausoleums 31
kaum noch erkennen. »Will, wie weit sind wir deiner Meinung nach gegangen?«, fragte Buffy. »Vielleicht vierzig Meter.« »Das ist komisch. Von außen sah dieses Mausoleum gar nicht so groß aus. Höchstens zwanzig Meter lang.« Erkenntnis spiegelte sich in Willows Gesicht. »Das Mausoleum ist bestimmt keine vierzig Meter lang! Der Dämon muss es mit einem Bann zur räumlichen Veränderung belegt haben.« »Noch mal, bitte, langsam und verständlich!«, meinte Buffy. »Okay«, fing Willow an. »Ganz offensichtlich hat der Dämon das Innere des Mausoleums größer gemacht, als es tatsächlich ist.« »Kannst du so was auch?« »Ich nicht. Aber ich habe schon davon gelesen. Etwas Ähnliches ist auch letztes Jahr bei der Halloween-Party im Verbindungshaus passiert. Als Gachner, der Angstdämon, auftauchte. Das hier ist nur irgendwie realer. Magischer.« »Dann muss es dir ja gefallen!«, bemerkte Buffy trocken. »Es bedeutet, dass wir sehr vorsichtig sein müssen«, erklärte Willow. »Wenn man so einen Bann zur räumlichen Veränderung verwendet... also, dann stellt man die reale Welt auf den Kopf und bringt etwas aus ihr in die Dämonenwelt. Oder etwas aus der Dämonenwelt in die reale.« Sie hielt inne und strich mit den Fingern über die Kalksteinwand. Kleine violette Funken schossen von ihren Fingerspitzen. »Und das heißt?«, fragte Buffy. Willow sah sie an. »Dass wir hier wahrscheinlich nicht allein sind.« Ein kratzendes Geräusch, als würde ein Messer aus einer Lederhülle gezogen oder als glitten Schuppen an Steinen entlang, drang an Buffys Ohr. Sie sah auf und erblickte zwei echsenähnliche Kreaturen unter der Decke des Mausoleums. 32
Obwohl beide Wesen im Grunde humanoid waren, erinnerte ihr Äußeres an Reptilien. Glatte dunkelgrüne Schuppen überzogen ihre keilförmigen Köpfe, in denen lidlose, grüngelbe Augen in der Größe von Mini-Pizzas saßen. An Armen und Beinen saßen Hände mit Daumen und drei Fingern, die aus dicken Ballen wuchsen. Am Ende der langen, mageren Körper der Kreaturen markierte ein Stummelschwanz das Hinterteil. In ihren ausdruckslosen Gesichtern befanden sich lippenlose Mäuler und platte Nasen. Buffy sah die Gier in ihren Augen. Sie erkannte das primitive Verlangen, das mächtiger war als die Fähigkeiten, die sie als Jägerin erworben hatte. Einer der beiden gähnte unvermittelt, als langweile er sich. Peitschengleich schoss eine ockerfarbene, gespaltene Zunge hervor und zischte durch die Luft. Bevor sie wieder in dem runden Maul verschwand, löste sich die Kreatur von der Decke. Sie drehte sich um die eigene Achse und stürzte sich auf Buffy. Als das Biest seine Finger ausfuhr, blitzten gefährliche Krallen auf. »Das sind Sampres-Dämonen!«, rief Willow und wich vor der zweiten Kreatur zurück. Buffy sprang mit einem Roundhouse-Kick auf den Angreifenden zu. Als ihr Fuß ins Gesicht des Dämons traf, hatte sie das Gefühl, gegen eine Wand zu treten. Er strauchelte zwar ein wenig, aber Buffy geriet vollkommen aus dem Gleichgewicht. Sie stürzte rückwärts und verlor die Kerze, als sie auf dem festgetretenen Lehmboden aufschlug. Wie durch ein Wunder – vielleicht aber auch dank Willows Zauberspruch – brannte die Kerze weiter, als sie auf den Boden fiel. Während sie davonrollte und gegen die Wand prallte, klammerte sich die Flamme zitternd an den Docht. Immer noch erhellte ihr schwacher Lichtschein das Gewölbe. Buffy stemmte die Hände auf den Boden und sprang mit einem Salto auf die Beine – gerade noch rechtzeitig, um dem 33
erneuten Angriff des Sampres-Dämons zu begegnen. Da fiel ihr ein, was Giles und Willow bei ihrer Recherche herausgefunden hatten: Craulathar-Dämonen erschufen sich Diener, von denen sie sich während langer magischer Rituale versorgen und beschützen ließen. »Stirb, Mensch!«, krächzte der Sampres-Dämon. Eine Klaue schoss auf Buffys Gesicht zu und die rasiermesserscharfen Krallen ließen die Kerzenflamme Funken sprühen. Buffy duckte sich, stützte sich mit dem Knie auf dem Boden ab und schnellte wieder hoch, sobald die Hand des SampresDämons über sie hinweggefegt war. Sie legte ihr ganzes Gewicht in den Aufwärtshaken, den sie der Echsenkreatur ins Gesicht verpasste. Dem Sampres-Dämon flog der Kopf in den Nacken. Er taumelte einige Schritte rückwärts, streckte aber die andere Klaue nach Buffys Hals aus. Rasch hob Buffy die linke Hand, blockte den Schlag mit dem Unterarm ab und nutzte die Wucht, um sich um die eigene Achse zu drehen und dem kleineren Dämon einen Rückhandschlag gegen die Schläfe zu verpassen. Aus der Bahn geworfen, vollführte der SampresDämon einen Salto rückwärts und zielte mit einem Fuß auf Buffys Kopf. Mit diesem Angriff hatte sie nicht gerechnet und es gelang ihr nur mit knapper Not. den Kopf zu drehen und zu verhindern, dass der Dämon ihr das linke Auge ausriss. Mit einer Kralle erwischte er sie jedoch direkt unter dem Auge an der Wange. Angst stieg in ihr auf, als sie begriff, wie knapp der Schlag sein Ziel verfehlt hatte, aber sie zögerte nicht lange und jagte der Kreatur nach. Der Sampres-Dämon landete auf den Vorderpfoten. Wieder schnellte die ockerfarbene Zunge aus seinem Maul, als er den Kopf schräg legte und Buffy mit einem grüngelben Auge fixierte. Auf seine Vorderbeine gestützt, trat der Sampres mit beiden Hinterläufen nach Buffy aus. 34
Sie warf sich zu Boden, registrierte, wie Willow den Schlägen ihres Widersachers auswich, und tauchte unter dem Angriff des Dämons hinweg. Auf der Seite liegend, trat sie ihm die Vorderbeine unter dem Körper weg und er kippte um. Bevor die dürre Kreatur wieder auf die Beine kam, sprang Buffy auf ihren Rücken, schlang die Beine um ihren Leib und griff nach dem keilförmigen Kopf. Nur mühsam gelang es ihr, das runde Kinn des Dämons mit einer Hand festzuhalten und die andere auf den Hinterkopf des Gegners zu legen. Der Sampres-Dämon merkte, dass er in Schwierigkeiten war, und rastete aus. Er buckelte und drehte sich wie ein Stier beim Rodeo. Seine Klauen kratzten erst über den festen Lehmboden, dann über die Steinwände, als er versuchte, Buffy abzuschütteln. Die Jägerin klammerte sich jedoch an ihre Beute, festigte ihren Griff – und drehte. Knochen knackten und der Körper des Dämons wurde schlaff. Buffy rappelte sich auf und eilte sofort Willow zu Hilfe, denn der Sampres-Dämon war ihrer Freundin wahrscheinlich mit seinen Kampfkünsten – und mit der naturgegebenen Ausstattung, über die Dämonen verfügten – haushoch überlegen. Buffy blickte Richtung Ausgang. Im schwachen Licht der Kerze waren die beiden Gestalten kaum auszumachen. Buffy rannte auf sie zu und sah, wie Willow sich gerade wieder wegduckte. Ihr rotes Haar flog, als rasiermesserscharfe Krallen an der Stelle durch die Luft schossen, wo gerade noch ihr Kopf gewesen war. Der Schlag verfehlte zwar äußerst knapp sein Ziel, aber Buffy war überzeugt, dass Willow dabei mindestens ein, zwei Haarsträhnen hatte lassen müssen. Willow richtete sich wieder auf und ihr Gesicht war schwach im Kerzenlicht zu erkennen. Ihre Lippen bewegten sich und sie zeigte auf den Sampres-Dämon. Ein unsichtbarer Wind hob die Kreatur vom Boden, schleuderte sie durch die Luft und trieb sie durch den Gang. Buffy duckte sich und beobachtete, wie 35
der Dämon am gegenüberliegenden Ende gegen die Steinmauer krachte. Das Geräusch des Aufpralls hallte durch das Mausoleum. Ganz langsam, als hinge sein Körper in den Fugen zwischen den Mauersteinen fest, rutschte der Dämon die Wand hinunter und fiel zu einem leblosen Haufen zusammen. Buffy beugte sich vor und hob die Kerze auf. Die Flamme flackerte, aber sie brannte weiter. »Du bist verletzt«, stellte Willow fest, als sie zu Buffy herüberkam. Erst in diesem Augenblick bemerkte Buffy das Brennen unterhalb ihres linken Auges. Sie tastete die Wunde vorsichtig ab und als sie die Finger wieder wegnahm, klebte Blut daran. »Ist halb so schlimm.« Als Jägerin verfügte sie über übermenschliche Heilkräfte. Eine rasche Wundheilung war eine der wenigen Vergünstigungen, wenn man tagtäglich gegen Dämonen und Vampire in den Kampf zog. »Eigentlich«, sagte Willow und zog eine Grimasse, »sieht es ziemlich übel aus.« Sie holte ein Päckchen Taschentücher hervor und begann, Buffys Gesicht abzutupfen. »Aua!«, protestierte Buffy. »Tut mir Leid«, entschuldigte sich Willow. »Das ist wirklich eine schlimme Sache.« »Ich behalte keine Narben zurück, Will«, entgegnete Buffy. »Das hast du doch schon gesehen. Ich bin der Mensch mit dem besten Heilfleisch, das du je gesehen hast.« »Das weiß ich. Aber es wäre möglich, dass der Geruch des frischen Bluts vielleicht Dämonen und so ‘n Zeug anlockt.« »Oh! Keine schöne Vorstellung.« Buffy schob Willows Hände weg. »Mich bringen wir später in Ordnung. Jetzt sehen wir erst mal zu, dass wir diese Sache beenden.« Willow wollte Buffy noch ein letztes Mal über die Wange wischen, aber Buffy zog den Kopf weg und ging weiter. Der um die Ecke liegende Tunnel war über hundert Meter 36
lang und an seinem Ende war eine hell erleuchtete Höhle zu sehen. »Gut, dass es hier so übersichtlich ist«, bemerkte Buffy. »Die Brotkrumen habe ich nämlich vergessen.« Summende Töne erfüllten den Gang und wurden immer lauter, je näher sie der erleuchteten Höhle kamen. Die Erbauer des Mausoleums hatten mit Sicherheit keinen Tunnel zu einer Höhle geplant – schon gar nicht direkt unter dem Friedhof!, dachte Buffy und nahm die Existenz dieser Höhle als ein weiteres Zeichen dafür, sich möglicherweise nicht mehr in dem Sunnydale aufzuhalten, wie sie es kannten. Sie drückte sich gegen die Kalksteinwand und spähte in die Höhle. Im Grunde wirkte sie wie ein natürliches Gebilde, eine Tasche tief in der Erde – in irgendeiner Erde jedenfalls –, ausgehöhlt von Regen und Grundwasser. Stalaktiten hingen von der kuppelförmigen Decke und Stalagmiten ragten vom Höhlenboden in die Höhe. Aber jemand – oder etwas – hatte die Höhle ausgebaut. Auf der rechten Seite begannen Steinsrufen, die in die Wand gehauen waren und in immer engeren Spiralen in die Tiefe führten. Buffy betrat die spiralförmige Steintreppe und spähte nach unten. Am Fuß des dunklen Tunnels in etwa fünfzehn Metern Tiefe hockte der Craulathar-Dämon auf den Knien, schaukelte hin und her und hielt die Arme seitlich ausgestreckt. Dann heulte er und nur manche seiner Laute ergaben Worte. Der Rest war pure Wut und Schmerz. Buffy drehte sich mit fragendem Blick zu Willow um. »Ich weiß es nicht«, flüsterte Willow als Antwort. Buffy blickte wieder zu dem Dämon hinunter. Es wäre besser gewesen, wenn sie zumindest grob informiert darüber gewesen wären, mit wem oder was sie es zu tun hatten. Trotz der ernsten Lage musste Buffy an Dawn denken und fragte sich, was ihre kleine Schwester wohl gerade tat und ob sie am Morgen wieder 37
Streit bekommen würden, weil Dawn keine Lust hatte, zur Schule zu gehen. Diese Probleme waren fast schlimmer für sie als die mit dem Craulathar-Dämon. Der Craulathar war über zwei Meter groß. Buffy konnte aus ihrer Perspektive seine Statur nicht besonders gut erkennen, aber die Bücher über die Craulathar-Dämonen waren recht genau in ihrer Beschreibung gewesen. Die Kreatur hatte eine breite Brust mit einem langen Hals darauf, der ihr irgendwie ein rinderartiges Aussehen gab. Die Augen lagen in dem breiten Gesicht weit auseinander, wodurch sich zwar die Gesamtsicht des Dämons vergrößerte, er aber über so gut wie keine binokulare Sicht verfügte. Sein rötlichbraunes, kurzes Fell glänzte im Licht des Feuers vor ihm. Die geschwungenen, gut dreißig Zentimeter langen Hörner an seinem Kopf waren wie bei einem Ziegenbock nach hinten gebogen. Das breite, eckige Gesicht des Dämons – in dessen Mitte eine große, platte Fledermausnase saß – wirkte irgendwie langweilig und leer. Er trug einen Trainingsanzug von der UCLA und Sneakers. Neben dem Craulathar-Dämon stand ein Sack aus Leinentuch. Beim Singen – oder wie man sein Gejammer auch immer nennen wollte – griff er gelegentlich in den Sack, erfasste einen Körperteil und holte ihn heraus. Er murmelte ein paar Worte und warf das Körperteil dann ins Feuer. Die Flammen leckten daran, als wären sie lebendig, und fraßen dann gierig jede Spende auf. Der süßliche Geruch von brennendem Menschenfleisch – und Buffy beunruhigte es sehr, diesen Geruch wahrzunehmen – erfüllte die Höhle. Ohne Vorwarnung schrie der CraulatharDämon plötzlich in neuerlicher Rage auf und das Feuer vor ihm loderte lichterloh. Der grelle Schein des Feuers blendete Buffy und sie drehte rasch den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Als sie wahrnahm, wie vor ihren Augenlidern das grelle Licht 38
verblasste, öffnete sie die Augen wieder und blickte durch ein Gewirr aus tanzenden Punkten zu dem Dämon hinab, der gebeugt in einen Lichtkreis schritt, der nur halb so groß war wie er. Er verschwand, das Licht jedoch blieb. »Das ist gar nicht gut«, bemerkte Willow. »Was ist das denn?«, fragte Buffy. »Das Portal zu einer Brücke zwischen den Dimensionen.« Willow fuhr sich nachdenklich mit den Fingern durchs Haar. »Sie führt von einer Welt in eine andere.« »Dann hat er sich all diese Körperteile beschafft, um eine Brücke für seine Rückkehr nach Hause zu bauen?«, fragte Buffy. Das vereinfachte die ganze Sache natürlich erheblich. »Oder er will jemanden in diese Welt holen«, sagte Willow. »Das Portal ist nicht verschwunden, nachdem er es betreten hat.« Ich wusste, da ist ein Haken dran!, dachte Buffy und stöhnte innerlich. »Aber das ist kein großes Problem, oder? Ich meine, wir müssen nur diese Brücke zwischen den Dimensionen abbrechen und er sitzt auf der anderen Seite fest.« »Ja, schon«, sagte Willow unsicher. »Aber das klingt verdächtig einfach.« »Vielleicht ist es das ja auch.« Buffy stieg hastig die Stufen hinunter. Willow musste sich anstrengen, um mit ihr Schritt zu halten. Das Portal zur Brücke wirkte wie ein Spinnennetz. Es besaß Höhe und Breite, aber solange der Betrachter nicht direkt vor den Lichtkreis trat, war keine Tiefe zu erkennen. Violettes und blaues Licht pulsierte in dem Portal und erweckte den Eindruck, als sei die dahinter liegende Welt in schwarzes Licht getaucht. Buffy hob die Kerze, deren erkaltete Wachstropfen an ihrer Hand klebten, aber ihr Lichtschein reichte nicht weit. Einzig eine Brücke aus Knochen, die über einen rotorange leuchtenden Abgrund führte, war zu erkennen. Am anderen 39
Ende der Brücke schien ein Steingebäude zu stehen, aber Details konnte Buffy nicht ausmachen. Neugierig streckte sie die Hand nach der schimmernden Oberfläche des Portals vor der Brücke aus. »Nicht!«, warnte Willow. Aber Buffys Finger berührten bereits das Portal. Blitze zuckten durch die Höhle und Buffy wurde mit unglaublicher Wucht von den Beinen gerissen und gegen die Wand geschleudert. »Ich hab dich gewarnt«, sagte Willow und half ihr wieder auf die Beine. »Das Portal zur Brücke ist geschützt. Das ist doch immer so.« »Ist schon okay«, entgegnete Buffy und holte zitternd Luft. »Dann machen wir es eben anders. Kannst du mich durch die Barriere bringen, damit ich das Portal schließe?« Willow betrachtete das schimmernde Portal, hinter dem die Brücke lag. »Magische Barrieren zu durchbrechen ist eine heikle Angelegenheit. Ich müsste mehr darüber wissen, wie der Bann zusammengesetzt ist.« Buffy taten sämtliche Knochen weh. Auch die Wunde in ihrem Gesicht, wo der Sampres-Dämon sie mit seiner Kralle erwischt hatte, brannte ziemlich. »Dann brauchen wir einen Experten für böse Magie«, sagte sie. »Ich könnte das Portal verankern«, schlug Willow vor. »Damit es offen bleibt, bis wir zurückkehren. Das geht natürlich nur, wenn der Dämon nicht vor uns seine Reise beendet.« »Mach das!«, meinte Buffy. »Weißt du, wo Giles ist?« »Giles ist mit Tara bei dieser Othersyde-Aufzeichnung«, rief ihr Willow in Erinnerung. »Er hatte bestimmt keine Lust auf einen Besuch im Fernsehstudio, aber als er erfuhr, dass ich mit dir auf Patrouille gehe, hat er beschlossen, Tara Gesellschaft zu leisten.« »Ich glaube, wir würden auffallen, wenn wir uns während 40
einer Live-Aufzeichnung in ein Studio schleichen, um unsere Freunde zu suchen«, meinte Buffy. »Und falls Derek Traynor wirklich so große übersinnliche Fähigkeiten hat, wie die Othersyde-Produzenten uns glauben machen wollen, wäre es ziemlich blöd, wenn er herumposaunt, dass wir gerade eine Brücke zwischen den Dimensionen schließen wollen, um Sunnydale vor einem Dämon zu schützen.« »Stimmt«, sagte Willow. »Wen holen wir uns also?« »Spike«, antwortete Buffy. Sie suchte die Kerze, ließ sie sich von Willow anzünden und stieg wieder die Steintreppe hinauf. »Und wenn der Craulathar-Dämon seine Sache beendet hat, bevor wir zurückkehren?«, fragte Willow und folgte ihr. »Dann werden wir ihn eben wieder ausfindig machen«, antwortete Buffy lakonisch.
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4 Spike saß allein im Alibi am Ende der langen Theke. Er trank Whiskey und arbeitete zielstrebig darauf hin, betrunken zu werden. Während er auf den Boden des leeren Glases starrte, das vor ihm stand, versuchte er, sich zu einer positiven Einstellung zu bewegen. Ist doch eine hübsche Sache, betrunken zu sein, redete er sich im Geiste ein. Ein netter Rausch, ein bisschen Leben in die Party bringen. Vielleicht noch eine kleine Rauferei. Das ist ja wohl zu bewerkstelligen, oder? Die Antwort auf seine Frage blieb er sich schuldig. Rauchschwaden zogen durch die düstere Kneipe. Schweißgeruch vermischte sich mit den Gerüchen von Bier, Schnaps und anderen Getränken, die aus Zutaten gebraut waren, die nicht der menschlichen Welt entstammten – und dann war da noch der strenge Geruch der Dämonen. Das Alibi war eine heruntergekommene Sunnydaler Kneipe, die nur wenig mehr zu bieten hatte als das, was ihr Name versprach. Die Polizisten von Sunnydale mieden diesen Ort. Für Spike war die Kneipe jedoch auch ein Zuhause außerhalb seiner Gruft und die dringend von ihm benötigte Zuflucht vor trüben Gedanken. Sein Outfit, bestehend aus schwarzen Jeans, Motorradstiefeln, schwarzem Wollpullover und schwarzer Lederjacke, die ihm bis zu den Oberschenkeln reichte, passte zu seiner Stimmung. Willy, der Abendschicht-Barkeeper des Alibi, kam zu Spike herüber. Willy war dünn und blass und hatte strähniges braunes Haar. Er trug ein weißes Hemd, das ihm zu groß war. »Noch was zu trinken?«, fragte er. Spike sah den Mann an und roch das Blut, das durch seine Adern strömte. Er lechzte danach, obwohl er wusste, wie unerreichbar es für ihn war. »Wurde aber auch Zeit!«, knurrte er. »Ich habe einen Mordsdurst!« 42
Willy zuckte mit den Schultern und blickte unbeteiligt drein. »Viel zu tun heute Abend.« In Spike stieg die kalte Wut auf. Er hätte am liebsten sofort sein Vampirgesicht zum Vorschein kommen lassen und Willy den Hals aufgerissen. Einzig dieser verdammte Chip, den die Initiative ihm im vergangenen Jahr in den Kopf gepflanzt hatte, hielt ihn davon ab. Die Initiative, eine von der Regierung eingesetzte Geheimorganisation, hatte Jagd auf Dämonen gemacht und einige von ihnen mit elektronischen Chips versehen, um ihr Verhalten zu studieren und ihre Bewegungen festzuhalten. Einigen war, wie Spike, ein Versuchschip implantiert worden, der sie daran hinderte, Menschen zu töten, und den Wissenschaftlern erlaubte, sie in ihrem natürlichen Lebensraum zu überwachen. Es war ein verdammt schreckliches Jahr gewesen und. obwohl für Spike die Zeit, seit er vor vielen Jahren in England von Drusilla gebissen worden war, wie im Nu vergangen war, schien sich das letzte Jahr endlos hingezogen zu haben. Als er herausfand, dass ihn der Computerchip davon abhielt, Menschen anzugreifen, hatte er am liebsten sterben wollen. Da er nicht mehr töten konnte, gab es nichts mehr, was das untote Leben lebenswert machte. Merkwürdigerweise waren Buffy und ihre kleine Gehilfentruppe unfreiwillig zu Spikes Gefährten geworden. An ihrer Seite hatte er gelernt, dass er immer noch in der Lage war, andere Wesen zu töten – solange es sich nicht um Menschen handelte. Das war immerhin etwas. Mit der für Vampire typischen übernatürlichen Schnelligkeit griff Spike über die Theke und packte Willy am Hemdkragen. Schon bei dieser kleinen, ungefährlichen Aktion schoss ihm eine furchtbare Schmerzwelle durch den Kopf. Es fühlte sich an, als sei sein Gehirn in einer Höllengrube gefangen, was eigentlich eine willkommene Vorstellung war. Spike verdrängte die Schmerzen in dem Wissen, dass er dem Barkeeper sowieso keinen Schaden zufügen konnte. Allerdings 43
wusste das der Barkeeper nicht. »Trau dich bloß nicht«, drohte ihm Spike, »noch mal so mit mir zu reden!« Willy wurde noch blasser und versuchte, sich zu verdrücken. Spike riss ihm die Whiskeyflasche aus der Hand. »Und jetzt verzieh dich!« Willy haute ab. Ohne Hast füllte Spike sein Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Die Whiskeyflasche schraubte er gar nicht erst zu. Es stand ihm eine weitere lange Nacht seines Lebens ins Haus und er hatte nicht vor, sie nüchtern zu erleben. Er kippte sich den Drink in den Rachen und spürte, wie der Alkohol in seiner Speiseröhre brannte und in seinem Bauch tobte wie eine Napalm-Explosion. »Hey, das ist doch Spike, oder?« »Nein. Nur ein jämmerlicher Abklatsch des Dämons, der Spike einmal war.« Das Getuschel ließ Spike aufhorchen. Während er sich nachschenkte, sah er zu dem Spiegel hinauf, der hinter der Theke hing, und erkannte die Kerle, die hinter seinem Rücken über ihn redeten. Vier Walphurg-Dämonen saßen an einem der hinteren Tische. Sie waren alle groß und fett und hatten unverkennbare Schweinsgesichter. Schweinebacken umrahmten platte Schweinenasen und aus ihren Unterkiefern ragten ungleichmäßige gelbe Hauer. Schon für einen Löffel Gehirn wäre der Platz hinter ihren fast nicht vorhandenen Stirnpartien ziemlich knapp gewesen. Sie trugen schwarze Motorradklamotten und auf dem Rücken ihrer Lederjacken glänzte die silberne Aufschrift SPURS. Versteckt hinter ihren verspiegelten Sonnenbrillen beobachteten sie Spike. »Spike ist nicht mehr er selbst«, sagte einer der Bikerdämonen, »seit die Jägerin ihm regelmäßig den Hintern versohlt.« 44
Spike konnte die Wut, die in ihm aufwallte, nicht unter Kontrolle halten, und schon hatte er sein Glas in der Hand zerdrückt. Scharfkantige Splitter drangen tief in seinen Handteller ein. Er labte sich an den Schmerzen, nährte damit den Zorn, der in ihm wuchs, und leckte gierig das Blut ab. Er konnte zwar seinen Gesichtsausdruck nicht im Spiegel überprüfen, spürte jedoch sehr deutlich, wie sich seine Mundwinkel nach oben zogen. Er wischte sich die Glassplitter von der verletzten Hand. Da er ein Vampir war, heilten die Wunden rasch. Trotzdem brauchte er erst einmal ein bisschen Zeit, um die kleinen Splitter aus dem Fleisch zu ziehen. Keine angenehme Aufgabe, aber da sie mit Schmerzen verbunden war, immerhin nicht ganz uninteressant. Ein Mann löste sich aus der Menge, die das Alibi bevölkerte, und kam direkt auf Spike zu. Der Vampir bemerkte den Mann sofort im Spiegel. Ein extrem ungutes Gefühl machte sich in seinem Magen breit, und es gefiel ihm überhaupt nicht, wie dieses Gefühl seine Wut zu verdrängen begann. Der Mann war groß und schlank, ungefähr Anfang zwanzig. Seine Haut war so schwarz, dass sie im schwachen Kneipenlicht blau glänzte. Ein Fedora-Hut mit heruntergezogener Krempe verbarg weitgehend seine Gesichtszüge, aber trotz des kurzen Spitzbarts, den er trug, wirkte er sehr jung. Er hatte rot geäderte Augen und Straßenstaub klebte an seiner Jeans, dem Kambrikhemd und der langen Lederjacke. Die Absätze seiner Stiefel waren abgelaufen und er sah aus wie jemand, der seit Wochen nicht mehr in einem ordentlichen Bett geschlafen hatte. Über der Schulter hatte er einen Gitarrenkoffer hängen. »Kann ich was für dich tun?«, fragte Spike. »Ich suche nach einem Mann, der sich Spike nennt«, sagte der Fremde. In seinem Tonfall lag der weiche Akzent des Mississippi-Deltas. »Nie gehört«, entgegnete Spike. 45
Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Gitarrenmanns. »Das ist komisch, denn der Letzte, mit dem ich in der Kneipe weiter oben an der Straße geredet hab, hat mir gesagt, dass Spike ein weißhaariger Vampir von Format ist. Der hat auch gesagt, ich finde ihn wahrscheinlich hier in diesem Schuppen.« Der Mann klang freundlich, keine Spur bösartig. Seine Stimme war die eines Bluessängers, rau und trocken; sie rumpelte wie ein Automotor beim Start an einem kalten Morgen. »Leute, die in diese Kneipe kommen, wollen in der Regel nicht gefunden werden, verstehst du?« Der Mann schob sich mit dem Daumen den Hut aus der Stirn. »Das verstehe ich. Ich habe nur ein kleines Anliegen, das dem guten alten Spike nicht wehtun wird. Nichts, um das er sich Sorgen machen müsste.« Die Walphurg-Dämonen wieherten vor Lachen. »Tja, siehst du«, sagte Spike leise, »da liegst du eben falsch. Der Typ, nach dem du suchst, der macht sich um gar nichts Sorgen. Er hat keine Angst, denn er ist ein echter Vampir. Und wofür zum Teufel brauchst du einen Vampir?« Der Mann sah ihn gelassen an und sein Tonfall blieb heiter. »Ich suche nach der Auserwählten.« Spike drehte sich um und nahm den Kerl genauer unter die Lupe. Er roch förmlich nach Ärger – er, seine ausgebleichten Jeans und die abgetragene Lederjacke. Er war offenbar ein Mann, der an harte, lange Wege gewöhnt war und an Tage, an denen es nur magere Hoffnungen und zerbrechliche Träume gab. Aber es brannte auch ein inneres Feuer in ihm, das an Fanatismus grenzte. Der Kerl war, wie Spike mit seiner reichen Lebenserfahrung sofort erkannte, jemand, der andere in tödliche Gefahr bringen konnte, wenn sie sich auf ihn einließen. »Du suchst nach der Jägerin?« Spike lehnte sich breit grinsend mit dem Rücken gegen die Theke und stützte sich mit den Ellbogen an der Kante ab. 46
Diverse Dämonen in der Nähe fluchten und spuckten aus, als der Name der Jägerin fiel. »Ja«, antwortete der Mann. »Und weshalb willst du die Jägerin sehen?« »Das ist meine Sache«, entgegnete der Gitarrenmann. »Ich glaube nicht, dass es dich etwas angeht.« Spike verspürte das spontane Bedürfnis, dem Kerl das Gesicht einzuschlagen, aber er lächelte. »Ich auch nicht. Also geh mir besser aus den Augen, bevor du Schaden nimmst!« Der Mann kniff die Lippen zusammen. »Sag der Jägerin, dass ich sie suche. Es wird sie interessieren. Ich heiße Bobby Lee Tooker. Ich bin in der Stadt.« Spike ließ den Gitarrenmann links liegen, griff unter seine Jacke und holte seine Zigaretten aus der Hemdtasche. Er steckte sich eine an und zog den Rauch tief in die Lungen, bevor er ihn wieder ausstieß. Durch den Qualm sah er den Gitarrenmann mit zusammengekniffenen Augen an. »Verpiss dich, Bobby Lee Tooker!« Kurz glomm Ärger in Bobby Lees Augen auf. Dann tippte er an seine Hutkrempe und ging an den nächsten Tisch, um dort Fragen zu stellen. Aber niemand wollte mit ihm reden. »Spike hat echt seinen ganzen Mumm verloren«, sagte einer der Walphurg-Dämonen. »Ganz schön traurig, Mann.« Er sah die anderen Dämonen an, dann brach der ganze Tisch in schallendes Gelächter aus. Spike rutschte von seinem Barhocker und ging auf die Walphurg-Dämonen zu. Die meisten Menschen und Dämonen, die ihm im Weg saßen, schoben eilig ihre Stühle zur Seite, als er näher kam. Die Walphurg-Dämonen blickten ihm entgegen. Spike zog noch einmal an seiner Zigarette und blies den Rauch aus. »Reichlich loses Mundwerk, würde ich sagen!« Ringsum wurde es still an den Tischen. »Immerhin«, sagte der größte der Walphurg-Dämonen, 47
»kann er noch hören.« Die anderen Dämonen stimmten in sein raues Gelächter ein und klatschten sich gegenseitig ab. Der große Bikerdämon sah auf. »Du stehst ja immer noch da.« »Ja«, entgegnete Spike. »Ich wollte noch ein bisschen warten.« Der Dämon runzelte die Stirn. »Worauf?« »Dass ihr mir eure ganze Aufmerksamkeit widmet, bevor ich euch umbringe«, erwiderte Spike trocken und grinste. »Und ich glaube, dieser Augenblick ist gekommen.« Er hob das Bein und stemmte den Stiefelabsatz gegen die Tischkante. Die beiden Dämonen links und rechts von ihm traten in Aktion. Spike verwandelte sich und ließ sein dämonisches Gesicht zum Vorschein kommen, in dem seine menschlichen Züge fast vollständig verschwanden. Der nackte Hass und die Gier traten deutlich zum Vorschein. Der große Dämon wurde mit dem Tisch gegen die Wand geschoben und Spike stemmte weiter den Fuß gegen die Tischkante, um den Walphurg dort festzuklemmen. Er angelte sich einen der Stühle aus Stahl und Plastik, die von den zurückweichenden Gästen verlassen worden waren, und schleuderte ihn auf den Dämon zu seiner Linken. Es war ein Volltreffer. Haut platzte auf und Kochen brachen, aber auch der Stuhl überlebte den Zusammenstoß nicht. Der Bikerdämon rechts von ihm zog eine abgesägte doppelläufige Schrotflinte unter der Jacke hervor. Schreie und Flüche hallten durch das Alibi, als die Gäste sahen, wie der Walphurg-Dämon die Flinte auf Spike richtete. Während Spike weiterhin den größeren Bikerdämon mit dem Tisch an die Wand quetschte, schnappte er sich ein Stück Stahlrohr von dem zerbrochenen Stuhl und griff an. Mit der einen Hand hielt er den Lauf der Flinte seines Widersachers umklammert, während er ihm mit der anderen das Stahlrohr ins 48
Herz stieß. Einer der Läufe der Schrotflinte feuerte und ein donnergleiches Krachen erfüllte den Raum. Eine kleine Stichflamme stieg aus der Gewehrmündung auf. Spike ließ das Stahlrohr los, das er seinem Gegner ins Herz gerammt hatte, schleuderte den sterbenden Dämon zur Seite und riss ihm dabei die Flinte aus der Hand. Eine Ladung war noch im Lauf. Der noch verbleibende Bikerdämon holte aus und zertrümmerte mit einem Faustschlag den Tisch. »Beeindruckend!«, kommentierte Spike ironisch. Der stämmige Dämon griff unter seine Jacke und zog eine große verchromte Pistole hervor. »Du wirst sterben, elender Blutsauger!« »Wow«, meinte Spike. »Gute Sprüche hast du auch noch drauf! Sieh mal einer an!«
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5 Nach einem letzten Zug nahm Spike die Zigarettenkippe und schnippte sie dem Dämon ins Gesicht, als dieser gerade den Finger um den Abzug legte. Der Walphurg bekam das glühende Ende der Kippe ins Auge und brüllte vor Schmerz, während sein Schuss ins Leere ging. »Gute Nacht!«, sagte Spike und betätigte den Abzug der Schrotflinte. Die Ladung schlug dem Bikerdämon mit voller Wucht ins Gesicht und verwandelte es in eine blutige Fratze. Sein Kopf schlug nach hinten gegen die Wand und der Dämon sackte leblos zu Boden. Spike warf die leere Schrotflinte auf die Leiche, griff unter seine Jacke und holte seine Zigaretten heraus. Er klopfte eine aus der Schachtel und steckte sie sich an. Rasch filzte er die Klamotten des Dämons und fand vier Schlüssel. Grinsend drehte er sich zu den Zuschauern um. »Dann bin ich wohl jetzt der Besitzer einiger Motorräder«, meinte er. »Ich verkaufe sie im Paket oder an einzelne Interessenten. Wie wollen wir es machen?« Alle Anwesenden standen wie erstarrt da. »Kommt schon!«, knurrte Spike. »Ich verlange ja keine Wucherpreise.« Unvermittelt ging die Tür auf und alle Köpfe drehten sich zum Eingang. Buffy Summers stand im Türrahmen. »Spike«, sagte sie nur, »ich brauche Hilfe.« Spike fiel sofort ihr ramponiertes Äußeres und die Wunde unter dem linken Auge auf. In was auch immer sie an diesem Abend hineingeraten war, es war knapp ausgegangen. »Ich bin gerade ziemlich beschäftigt«, entgegnete er. Buffy warf einen Blick auf die Bikerleichen. »Du scheinst 50
doch schon fertig zu sein!« »Wir kommen gerade zu der Versteigerung der Hinterlassenschaften«, widersprach ihr Spike. »Der Verkauf der weltlichen Güter derjenigen, die in einem brutalen, aber ehrenhaften Kampf gestorben sind.« Buffy bedachte ihn mit einem viel sagenden Blick. »Es ist wichtig.« »Das hier auch. Die Wirtschaft fährt mit dem Handkarren zur Hölle. Ich trage meinen Teil dazu bei, den Markt anzukurbeln. Du weißt schon, kaufen und verkaufen.« »In Ordnung«, sagte Buffy und war schon wieder verschwunden. Hinter ihr knallte die Tür ins Schloss. In Ordnung? Spike brodelte innerlich. Nichts war in Ordnung! Buffy hatte nicht einmal erwähnt, wozu sie ihn brauchte. Und was immer ihr begegnet war, es war eindeutig gefährlich, sonst wäre sie nicht derart ramponiert im Alibi erschienen. »Zum Teufel!«, fluchte Spike. Er warf die Zigarette weg, nahm wieder sein menschliches Erscheinungsbild an und durchsuchte die Jacke des toten Bikers noch einmal nach Munition für die Schrotflinte. Er lud sie nach und packte den Rest in seine Tasche. Schon vor langer Zeit hatte er gelernt, dass Zähne und Kampfkunst im Gefecht längst nicht alles waren. Sicherheitshalber nahm er auch die Whiskeyflasche von der Theke mit. Er war schon auf dem Weg zur Tür, als der Fremde auf ihn zukam. »War das die Jägerin?«, fragte Bobby Lee. Spike hatte es eilig. Er wollte hinter Buffy her, bevor es zu spät war. Also zielte er mit der Flinte in das Gesicht des Mannes. »Mach dich vom Acker, Banjo-Boy!« Bobby Lee blieb stehen und hob die Hände. Aber in seinem Gesicht war von Angst keine Spur. »Ich muss mit der Jägerin sprechen!« »Auf keinen Fall!«, entgegnete Spike. »Was du auch für ein 51
Problem auf Lager haben solltest, Kumpel, die Jägerin kann es nicht gebrauchen. Kapiert?« »Du machst einen Fehler.« Seiner Anspannung und der unbefriedigenden Situation zum Trotz musste Spike lachen. »Verdammt! Glaub bloß nicht, das wäre mein erster!« Er schwenkte die Flinte. »Pass du besser auf, dass es nicht dein letzter ist.« Draußen auf der Straße quietschten Reifen. Spike drehte sich um und eilte zur Tür hinaus. An der Ecke unter einer kaputten Straßenlampe waren regelwidrig die Motorräder der Bikerdämonen abgestellt – allesamt Harleys, schwere Maschinen mit kräftigen Motoren. Das ließ hoffen. Der Kombi, den Joyce Summers ihrer Tochter hinterlassen hatte, verschwand an der nächsten Kreuzung um die Ecke. Willow saß am Steuer und darüber war Spike froh. So sehr die Fähigkeiten der Jägerin auch gepriesen wurden – Auto fahren konnte Buffy nicht. Spike hielt sich nicht damit auf, hinter ihnen herzuschreien. Sie würden ja doch nicht anhalten. Außerdem war es schon schlimm genug, dass er auf Buffys Ruf hin das Alibi verlassen hatte wie ein verdammter Schoßhund. Die Achtung, die er sich mit der Ermordung der Bikerdämonen erworben hatte, war in dem Augenblick zum Teufel gewesen, als Buffy hereingekommen war und nach ihm verlangt hatte. Spike sprang auf eine der Harleys und bretterte rücksichtslos auf die Straße. Dabei schnitt er eine weinrote Corvette und erschreckte den Fahrer eines SUVs voller Mädchen im Teenageralter. Hupen ertönten, als er an ihnen vorbeibrauste, aber er ignorierte sie und konzentrierte sich ganz auf Buffy. Willow sah in den Rückspiegel. Sie waren mit dem Auto unterwegs, weil die Verfolgung des Craulathar-Dämons sie in den letzten zwei Tagen durch ganz Sunnydale geführt hatte und sie bislang immer einen Schritt im Hintertreffen gewesen waren. 52
Scheinwerfer leuchteten im Rückspiegel auf. Buffy saß auf dem Beifahrersitz, drehte sich um und spähte nach hinten. »Vielleicht hätten wir warten sollen«, meinte Willow. »Nein!«, entgegnete Buffy schroff. »Also, ich meine, Spike gehört nicht wirklich zu uns«, fuhr Willow fort. »Er wird kommen.« »Vielleicht auch nicht«, widersprach Willow. »Du warst ja nicht mal lang genug im Alibi, um ihm die Lage erklären zu können.« »Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn brauche«, entgegnete Buffy. »Oh«, machte Willow. Sie nickte zustimmend, obwohl sie nicht ganz Buffys Meinung war. »Wenn du ihm das gesagt hast, dann hast du ihm vermutlich genug gesagt.« »Das finde ich auch«, erklärte Buffy. »Entweder macht er mit oder nicht.« »Weißt du, der Craulathar-Dämon plant da ein ganz großes Ding. Vielleicht hätten wir Spike eindringlicher bitten müssen mitzumachen.« »Er wird mitmachen.« Willow lenkte den Wagen über eine weitere Kreuzung. »Hast du ihm gesagt, dass wir zum Friedhof fahren?« »Nein.« »Wäre vielleicht gar nicht schlecht gewesen.« Buffy drehte sich zu ihr. »Wäre es gewesen, Will. Aber dafür war keine Zeit.« Willow zögerte einen Augenblick. Buffy hatte wie immer das Heft in der Hand und das war auch okay. Zu ihrer Beruhigung hätte Willow nur gern gewusst, dass sie einen bestimmten Plan verfolgten. »Wie wird er uns denn finden?« »Keine Ahnung.« »Aber wir fahren doch zurück zum Friedhof, oder?« 53
»Ja, Willow! Bitte mach mich jetzt nicht verrückt! Wenn Spike nicht zum Friedhof kommt, haben wir Pech gehabt. Dann müssen wir den Craulathar-Dämon eben ganz allein besiegen.« »Falls er nicht schon fertig mit dem ist, was er angefangen hat.« »Wenn ja«, sagte Buffy zuversichtlich, »dann denken wir uns etwas aus.« Sie schwieg eine Weile. »Es ist echt ein Dilemma«, stieß sie dann hervor. »Mit dem Dämon? Da hast du Recht. Ich meine, wir haben noch nie mit einem Craulathar-Dämon zu tun gehabt.« »Das meine ich doch gar nicht«, entgegnete Buffy. »Was denn?« »Dawn.« »Was ist mit Dawn?« »Soll ich sie mal anrufen, um herauszufinden, ob sie im Bett ist oder ob sie vergessen hat, was wir heute besprochen haben, und immer noch vor dem Fernseher sitzt.« »Du meinst, ob du sie kontrollieren sollst?«, fragte Willow. »Wenn du es so nennen willst!« »Kontrolle ist nicht so gut. Da könnte sie ziemlich sauer werden.« »Ich weiß. Ich dachte, ich gehe vielleicht kurz zu Hause vorbei, wenn wir mit dem Craulathar-Dämon fertig sind. Nur mal kurz durchs Fenster gucken.« »Das ist irgendwie blöd, findest du nicht?« »Ich bin auch nicht glücklich damit.« Buffy verschränkte die Arme vor der Brust. Sie wirkte verärgert. »Aber es würde auch nicht helfen, wenn ich reingehe, um sie anzuschreien.« Willow nickte. »Wohl kaum.« »Ich glaube, das Problem wird sich nicht ohne Konfrontation lösen lassen, Will.« »Aber es sollte doch auch anders gehen.« »Vielleicht kannst du als Hexe Dawn irgendwie mit deiner 54
Kristallkugel überprüfen.« Willow sah Buffy an. »Du weißt, das kann ich nicht. Ich meine, ich weiß die Formel überhaupt nicht. Und zweitens würde ich mich nicht sehr wohl dabei fühlen. Das ist Ausspionieren, verstehst du?« Buffy seufzte. »Ich weiß.« Sie schwieg eine Weile. »Will, Dawn und ich haben irgendwie den Tod meiner Mutter überstanden, aber ich weiß nicht, ob wir die Veränderung unserer Beziehung überstehen. Ich war nicht mal eine besonders gute Schwester, und nun soll ich ihr die Mutter ersetzen. Das ist einfach zu viel für mich.« »Du bist eine gute Schwester, Buffy.« Willow lächelte. »Du warst für mich immer wie eine Schwester und ich glaube, eine bessere hätte ich nicht haben können.« »Danke. Aber wie viele Schwestern gibt es wohl, die dich zu Schlachten mit Vampiren, Dämonen und anderen Ekeligkeiten mitschleifen?« »Nicht viele«, pflichtete ihr Willow bei. »Aber das ist ja nur ein Aspekt von vielen, die dich zu etwas Besonderem machen.« »Ich habe mich als Schwester nicht genug um Dawn gekümmert«, sagte Buffy. »Wir haben nichts getan, was Schwestern normalerweise tun – außer uns zu zanken. Das konnten wir ziemlich gut. Aber für mich war da immer noch dieses ganz andere Leben, das ich nicht mit ihr teilen konnte.« »Dieses Leben kannst du auch nur mit wenigen teilen«, meinte Willow. »Und was Dawn angeht, was für eine Wahl bleibt dir denn?« Buffy spähte wieder nach hinten. »Keine. Deshalb missfällt mir ja so sehr, was gerade mit uns passiert.« »Keine andere Wahl zu haben?« »Es gibt viele Dinge, bei denen ich keine andere Wahl habe«, entgegnete Buffy. »Dieser ganze Jägerinnenjob zum Beispiel. Aber was ich besonders hasse, ist, dass ich Dawn keine andere 55
Wahl lassen kann.« »Oh.« Willow verfiel in Schweigen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ein Motorrad scherte hinter ihnen aus der Fahrspur, schwenkte kurz auf die Gegenfahrbahn und reihte sich dann direkt hinter dem Kombi wieder in den Verkehr ein. Dumpf ertönten von überall Autohupen. »Was ist das denn?«, fragte Willow und wurde nervös. »Das ist Spike«, sagte Buffy. »Ich hab dir doch gesagt, er kommt.« Willow blickte in den Rückspiegel und entdeckte Spikes platinblonden Haarschopf. Leider bestärkte das ihren Optimismus in Bezug auf die bevorstehende Konfrontation mit dem Craulathar-Dämon nur wenig. Sie wurde immer noch von Erinnerungen daran verfolgt, wie Spike gewesen war, bevor ihm die Initiative diesen Keine-Gewalt-Gegen-Menschen-Chip eingepflanzt hatte. Kam er, um ihnen zu helfen oder um den Craulathar-Dämon anzufeuern? Xander stand mit den anderen Kinobesuchern, die Robby Healdtons Angriff überlebt hatten, vor dem Lamplighter. Blaulicht zuckte über die Straße und lockte Zuschauer aus nahe gelegenen Restaurants und dem Sportstudio an. Polizeiautos, ein Krankenwagen und zwei Feuerwehrfahrzeuge standen vor dem Kinoeingang. Obwohl Xander ähnliche Vorfälle schon dutzende Male erlebt hatte, kam ihm die Situation reichlich unwirklich vor. Anya stand neben ihm, schmiegte sich eng an ihn und hielt seine Hand fest umklammert. Die Kinotür flog auf und die Sanitäter rauschten heraus. Zwei der weiß gekleideten Rettungsleute zogen die klappernde Krankenbahre, einer schob von hinten. Der Boden im Foyer des Kinos war mit Popcorn und Limonadeflecken übersät und das Personal in schwarzen Hosen und roten Westen reinigte 56
bereits den Teppichboden, um alles wieder herzurichten. Es blieb noch genug Zeit, einen weiteren Film zu zeigen, und wie man hörte, sollte die Filmnacht fortgesetzt werden. Xander betrachtete Robby Healdton auf der Bahre. Er war gefesselt und zusätzlich mit einem Korbbrett bewegungsunfähig gemacht. Dennoch wand er sich in seinen Fesseln. Weißer Schaum hing in seinen Mundwinkeln. »Ihr könnt mich nicht festhalten!«, schrie er. »Ihr seid alle Idioten! Ich bin frei! Ich bin frei! Ich habe nur ein befristetes Visum, ihr Sterblichen!« Die Menge teilte sich, um die Krankenbahre durchzulassen, bevor die uniformierten Polizisten den Weg räumen mussten. Niemand wollte Robby zu nahe kommen. »Mann«, sagte ein Typ, der neben Xander stand, »der ist total durchgeknallt!« Xander wurde wütend. Gleichzeitig bekam er Schuldgefühle, als er daran dachte, wie er Robby den Schädel eingeschlagen hatte. Er machte sich von Anya los, die ihn zurückhalten wollte, und trat vor. »Xander!«, protestierte sie. »Hey!«, sagte Xander, um den Typen auf sich aufmerksam zu machen, Er sah ihn neugierig an. »Das da ist mein Freund«, erklärte Xander. »Er hat im Augenblick ein paar Probleme, aber es gibt keinen Grund, so etwas zu sagen. Du kennst ihn ja nicht mal.« »Boahahahahahaha«, grölte Robby von der Bahre, als er nur wenige Meter entfernt vorbeigeschoben wurde. »Beim Finsteren, so einen Spaß habe ich seit Jahrzehnten nicht gehabt! Die Sache ist ihren Preis wert, Dredfahl!« Xander beobachtete, wie Robby sich in seinen Fesseln aufbäumte, und nahm seinen Gesprächspartner wieder ins Visier. »Okay, vielleicht hat mein Freund mehr als nur ein paar 57
Probleme, aber er ist in Ordnung. Du solltest nicht so über ihn reden.« »Ja«, meinte der Typ nur, drehte sich um und ging weg. »Stimmt. Die ganze Stadt ist voll von Wahnsinnigen. Auf einen mehr oder weniger kommt es wirklich nicht an...« Xander wollte ihm schon hinterher, aber dann wurde ihm klar, dass dies die falsche Richtung war. Er war einfach nur wütend, sonst nichts. In jüngster Zeit waren zu viele schmerzliche und verwirrende Dinge geschehen, und einiges davon war noch nicht zu Ende. Er zwang sich, tief durchzuatmen, und spürte, wie Anya ihn an die Hand nahm. »Xander«, sagte sie. »Ich bin hier.« »Ich weiß«, sagte Xander. Dafür liebte er sie. Anya mochte so manches Mal das Falsche sagen, aber sie war immer präsent, wenn sie gebraucht wurde. »Ich weiß. Danke.« Xander drehte sich um und sah zu, wie die Sanitäter Robby in den Krankenwagen verfrachteten. Ein uniformierter Polizeibeamter mit den Ärmelstreifen eines Sergeants und einem Clipboard in der Hand sprach mit den Beamten am Krankenwagen. Einer von ihnen zeigte auf Xander, der sofort nervös wurde. Das kann nichts Gutes bedeuten, dachte er.
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6 Der Sergeant kam durch die Menschenmenge auf Xander zu und blieb vor ihm stehen. »Mister Harris?«, sagte er barsch. Dad? Xander drehte sich überrascht um. Wenn sein Vater in der Nähe war, hatte er das Schlimmste zu befürchten. Anya stieß ihn an. »Xander, er meint dich.« Xander sah den Polizisten an. »Oh. Mich. Sie meinen mich. Ich dachte, Sie... Sie haben jemand anderen gemeint.« »Wie ein Beamter berichtete, haben Sie auf Mister Healdton eingeschlagen«, sagte der Sergeant und schaute dabei auf sein Clipboard. »Um genau zu sein«, meinte Xander, »haben eine Menge Leute auf ihn eingedroschen.« »Sie haben ihn mit einem Werkzeugstiel geschlagen und er war zeitweise bewusstlos.« Xander zögerte und fragte sich, wie viel Ärger wohl auf ihn zukam. »Ja, das hat er!«, schaltete sich Anya ein. »Und es war ein ziemlich ordentlicher Treffer.« Xander wünschte, der Boden täte sich unter ihm auf und verschlänge ihn. »Ich dachte, es gäbe keine andere...« »Gut gemacht!«, lobte der Sergeant. »Wie ich aus den Aussagen weiterer Zeugen schließe, haben Sie damit einigen Leuten das Leben gerettet.« Er schüttelte Xander die Hand und marschierte davon. »Macht mich los!«, schrie Robby aus dem Krankenwagen. »Macht mich los, damit ich euch töten kann! Ich schlag euch das Gehirn raus! Ich schlag euch die Augäpfel raus! Eure Frauen sollen unfruchtbar werden und eure Kühe keine Milch mehr geben!« »Au Mann!«, rief Anya überrascht und nickte anerkennend. »Das ist wirklich eine uralte Verwünschung. Hört man heute 59
gar nicht mehr.« Xander lotste Anya durch die Menge und wich dem Blick der Leute aus, die ihn beobachteten. Ihm war sehr daran gelegen, den Wahnsinn des Abends zu begreifen. Natürlich traf ihn dies hier nicht unvorbereitet. Sunnydale war auf die eine oder andere Weise immer schon wahnsinnig gewesen. Die Erlebnisse an der Seite von Buffy und Giles hatten dem Ganzen nur die Krone aufgesetzt. »Hey, Xander!«, rief eine angespannte, nervöse Stimme. Als er aufsah, entdeckte Xander ein großes, sportliches, platinblondes Mädchen. Es trug eine grüne Lederhose, eine cremefarbene Bluse und eine Windjacke von der Sunnydaler Highschool. »Hey, Stephie.« Das Mädchen blieb vor Xander stehen und strich sich eine Haarsträhne aus dem tränenüberströmten Gesicht. »Ich hab das von Robby gehört. Ich bin so schnell hergekommen, wie ich konnte, so schnell wie möglich. Ich kann immer noch nicht glauben, wie Robby so etwas tun konnte!« »Aber er hat es getan«, sagte Anya. »Er war schrecklich. So brutal.« Stephie starrte Anya an. Xander machte sich sofort an die Schadensbegrenzung. »Stephie, das hier ist meine Freundin Anya. Anya, das ist Stephie McConnell. Robbys Freundin.« »Oh«, sagte Anya, »Ich bedaure deinen Verlust zutiefst.« Stephie wurde blass und sah Xander panisch an. »Mir hat niemand gesagt, dass Robby...« »Ist er nicht«, unterbrach Xander rasch. »Er lebt.« »Gott sei Dank.« Tränen liefen Stephie übers Gesicht und sie schlang die Arme fröstelnd um ihren Oberkörper. »Denn ich wüsste nicht, was ich tun sollte, wenn er tot ist.« »Du hast gedacht, ich hätte vorhin gemeint, er sei tot?«, fragte Anya. »Nein, ich glaube nur, nach seinem Auftritt heute 60
Abend wird er wohl eine ganze Weile im Gefängnis sitzen.« Erkenntnis zeichnete sich auf Stephies Gesicht ab. »Xander, du kennst Robby doch! Er würde niemandem wehtun. Das könnte er gar nicht, du weißt das. Er hat mit Gewalt nichts am Hut.« Xander dachte an all die Videospiele, die er schon mit Robby Healdton gespielt hatte. Viele davon waren fast ebenso grausig, Furcht erregend und blutrünstig gewesen wie eine nächtliche Patrouille mit Buffy. Wenn die Ermittler der Polizei in Robbys Leben herumstocherten, gelangten sie vermutlich nicht unbedingt zu der Überzeugung, dass er mit Gewalt nichts am Hut hatte. »Stephie«, sagte Xander ruhig. »Er hat es aber getan. Ich habe es selbst gesehen.« Ich habe ihn sogar selbst kaltgestellt, fügte er in Gedanken hinzu. Verblüffend rasch verflogen auch die letzten Reste des Heldenmuts, den der Sergeant in ihm geweckt hatte. Stephie fasste Xander am Arm. »Du verstehst das nicht«, sagte sie. »Das war nicht Robby. Nicht der Robby, wie wir ihn kennen.« Xander fiel ein, wie irre Robby geredet hatte, und erinnerte sich an sein merkwürdiges wieherndes Gelächter. Das hatte wirklich nicht nach Robby geklungen. »Er schien mehr als nur ein bisschen neben der Spur zu sein.« Stephie war verzweifelt. »Robby war nicht er selbst, Xander! Er wurde in irgendwas reingezogen.« Ihr Blick wanderte über Xanders Schulter. Xander drehte sich um und beobachtete, wie der Krankenwagen zwischen den Rettungsfahrzeugen und Streifenwagen hindurchfuhr. »Wovon redest du da?«, fragte er. »Es ist ein Geheimnis«, erklärte Stephie. »Was für ein Geheimnis?«, fragte Xander. »Das Videospiel-Projekt, an dem Robby mitgearbeitet hat.« Xander dachte über Robby nach und versuchte, sich an die 61
letzten Gespräche, die er mit ihm geführt hatte, zu erinnern. Sie hatten natürlich über Spiele geredet, über Comics und Filme und Star Trek. Möglicherweise hatte Robby irgendwann erwähnt, dass er Videospiele designen wollte. »Robby hat ein Videospiel entworfen?« »Schon viele«, erwiderte Stephie ungeduldig. »Aber er konnte einfach kein Entwicklungsteam für sich begeistern. Er hat seine Spieldesigns immer verschickt und gehofft und gehofft, verstehst du? Aber es ist einfach nichts passiert. Dann hat er diese Mitteilung bekommen.« »Was für eine Mitteilung?« »Er sollte bei den Tests einer neuen Beta-Software für ein Virtual-Reality-Spiel helfen.« »Totale Immersion in eine virtuelle Welt?« Xander schüttelte den Kopf. »Keine Firma hat die Hard- oder Software, die man dazu braucht.« »Diese anscheinend schon. Robby hat mir davon erzählt.« Xander sah sich um und bekam mit, wie der Krankenwagen das Ende des Blocks erreichte. »Stephie, wie bist du hergekommen?« »Mit dem Taxi.« Das Mädchen blickte schuldbewusst drein. »Ich hab mir ein paar Dollar aus Moms Sparstrumpf geklaut.« »Willst du ins Krankenhaus?« »Ja. Dann bringen mich meine Eltern zwar wahrscheinlich um, aber ich will nicht, dass Robby dort allein ist, wenn er zu sich kommt. Wie ich seine Eltern kenne, werden sie wohl nicht herkommen, und sein Mitbewohner sucht sich bestimmt morgen schon einen Ersatz für Robby. Sie hatten letzte Woche einen großen Streit wegen Alfred.« »Alfred?«, fragte Anya. »Aha. Ein Verdächtiger? Vielleicht hat er Robby etwas ins Glas geschüttet. Oder ins Essen. Wer ist Alfred?« Xander und Stephie sahen Anya an. »Alfred ist Robbys Katze«, sagte Xander. 62
»Haben sich Robby und die Katze immer gut verstanden?«, fragte Anya. »Seid ihr sicher, dass die Katze wirklich eine Katze ist?« »Alfred ist eine Katze«, sagte Xander und sah Stephie von der Seite an. Sicherlich hielt sie Anyas Fragen für höchst merkwürdig, aber Xander wusste, Anya meinte es total ernst. »Streich die Katze als Verdächtigen! Stephie, wir beide fahren dich jetzt ins Krankenhaus.« »Danke, Xander. Das ist sehr nett.« Xander fasste beide Mädchen an den Ellbogen und dirigierte sie zu dem Parkplatz, wo er sein Auto abgestellt hatte. »Und ich will mehr über dieses Videospiel-Projekt wissen.« Als Buffy die Autotür öffnete und ausstieg, brauste Spike auf der Harley herbei, ging auf die Bremse und kam, durch Gras und Erde pflügend, vor dem Friedhofstor zum Stehen. Buffy sah ihn an und bemerkte seinen Gesichtsausdruck. »Schön, dass du kommen konntest«, sagte sie kurz angebunden und ging an die Heckklappe des Kombis. »Das ist der Dank, den ich bekomme?«, knurrte Spike und stützte sich auf den Lenker. Willow hatte die Heckklappe bereits geöffnet. Als sie den Deckel des Ersatzreifens hob, um die dort versteckten Waffen herauszuholen, sagte sie: »Spike sieht verärgert aus.« »Ach ja?«, meinte Buffy. »So sieht er doch immer aus.« Aber vielleicht war der Vampir doch ein bisschen wütender als gewöhnlich. Spike stieg vom Motorrad und starrte Buffy böse an. Er holte eine Zigarette aus der Schachtel und steckte sie sich an. Der Wind trug den Rauch sofort davon. »Sagst du mir jetzt, was los ist, Jägerin?« »Ein Craulathar-Dämon«, entgegnete Buffy knapp und widmete sich der Waffensammlung auf der Ladefläche des Kombis. »Schon mal einen gesehen?« 63
»Mit ein, zwei Craulathar-Dämonen hab ich schon Tango getanzt«, antwortete Spike. »Große Kerle. Aus frühen Begegnungen zwischen ihnen und den Menschen entstand die Minotaurus-Legende.« »Ja.« Buffy wählte eine Streitaxt mit Doppelklinge und kurzem Griff, deren Gurt sie sich um die Taille schnürte. »Hast du schon mit denen zu tun gehabt?«, fragte Spike. »Nein.« »Du hast mich bloß kommen lassen, damit ich dir ein paar Tipps gebe?«, fuhr Spike auf. Willow nahm eine Armbrust und einen Köcher mit Pfeilen. Sie schob sich den Riemen des Köchers über die Schulter und legte einen Pfeil in die Armbrust ein. »Langsame Waffe«, kommentierte Buffy die Wahl, die ihre Freundin getroffen hatte. »Ich weiß«, sagte Willow. »Aber damit können wir auch ein bisschen Abstand halten. Und die Pfeile haben silberne Spitzen. In den Büchern stand, Craulathar-Dämonen sind anfällig für Silber.« Buffy nickte. Für viele der bösen Wesen, gegen die sie kämpfte, stellten Silber, Licht und andere Dinge, die in erster Linie reiner Natur waren, eine Gefahr dar. »Sicher«, sagte Spike höhnisch. »Craulathar-Dämonen sind anfällig für Silber, alles klar! Davon kriegen sie ein paar Tage lang einen wirklich üblen Ausschlag. In der Regel macht sie das so wütend, dass sie denjenigen verfolgen, der ihnen das angetan hat, und ihn töten.« Willow blickte unsicher drein. »Die Armbrust ist eine gute Idee, Will«, sagte Buffy in beschützendem Ton und bedachte Spike mit einem schrägen Seitenblick. »Nimm sie ruhig.« Sie schloss die Heckklappe des Kombis und ging auf den Friedhof zu. »Was hast du vor?«, fragte Spike. »Das interessiert dich ganz bestimmt nicht«, sagte Buffy. 64
»Ich bin doch hier, oder?« »In dem Mausoleum auf dem Friedhof ist ein CraulatharDämon«, erklärte Buffy. »Ich verfolge ihn schon seit Tagen.« »Hat er sich Leichenteile geholt?«, fragte Spike. »Ja. Die meisten aus dem Leichenschauhaus der Universität und ein paar aus anderen Leichenhallen.« Interesse leuchtete in Spikes Augen auf. Er zog an seiner Zigarette und ihre Spitze glühte einen Augenblick lang orangerot. »Wie viele Teile hat der Kerl denn eingesammelt?« »Keine Ahnung«, antwortete Buffy. »Aber offenbar genug, um das Mausoleum mit einem Bann zu belegen und ein Portal zu einer anderen Welt zu öffnen.« »Das hast du gesehen?« »Ja. Ich wusste gar nicht, dass Craulathar-Dämonen zu so etwas in der Lage sind, bevor ich es selbst gesehen habe.« »Er versucht, sein Weibchen zu holen«, erklärte Spike. »Sein Weibchen?«, fragte Willow. »Na klar«, sagte Spike. »Ihr wisst schon: Allein stehender weißer Dämon sucht...« »In den Büchern, die wir uns angesehen haben, war davon nicht die Rede«, sagte Willow zweifelnd. Spike ging zu dem Kombi hinüber und trat seine Zigarette auf der Straße aus. Er wollte die Heckklappe öffnen, aber die hatte Willow bereits wieder abgeschlossen. Spike sah Buffy an. »Wenn ich euch schon helfen soll, brauche ich irgendetwas mit ein bisschen Schmackes.« Buffy warf ihm die Wagenschlüssel zu. Der Vampir fing sie mühelos auf, öffnete die Heckklappe und wählte, nachdem er die Sammlung durchgesehen hatte, eine Keule aus dem 17. Jahrhundert. Der runde Kopf der Waffe war mit Nägeln besetzt, die Fleisch sowohl perforieren als auch zerfetzen konnten. Spike schwang sich die Keule über die Schulter und sah Buffy an. »Warum sollte der Craulathar-Dämon denn sein Weibchen 65
holen wollen?«, fragte Willow. »Nun ja«, machte Spike und zuckte mit den Schultern. »Aus den üblichen Gründen. Er möchte viele kleine CraulatharDämonen großziehen, die genauso aussehen wie er. Wo ist der Kerl?« Buffy ging voran. Obwohl Spike ein arroganter Typ war und zunächst nur widerwillig hatte mitmachen wollen, war sie froh, ihn dabeizuhaben. Nichts Lebendiges oder Totes kreuzte ihren Weg. Willow ging hinter Buffy und Spike bildete die Nachhut. Am Eingang des Mausoleums blieb Buffy zögernd stehen. »Worauf wartest du?«, fragte Spike. »Als wir letztes Mal reingegangen sind, haben zwei Dämonen Wache geschoben«, entgegnete Buffy. »Hast du sie getötet?« »Ja.« Spike schüttelte genervt den Kopf. »Dann sind sie jetzt weg.« »Es könnten ja noch mehr da sein«, bemerkte Willow. »Ich glaube, im Moment läuft gerade kein DämonenhelferRäumungsverkauf«, meinte Spike. »Wenn dieser Kerl zwei Wachen hatte und du sie getötet hast, steht er jetzt allein da.« »Wenn er sich nicht welche durch dieses Dimensionenbrückending holt«, sagte Buffy. Spike verdrehte die Augen. »Komm schon, Jägerin! Der Craulathar-Dämon hat schon einiges auf sich genommen, bis er überhaupt ein Weibchen gefunden hat. Der Zauber, mit dem das Portal geöffnet wird, ist magisch gesehen ziemlich teuer, und der Kerl wird sich bestimmt nicht mit ein paar Dämonenwachmännern als Trostpreis zufrieden geben.« Buffy sah Willow an. »Spike hat vermutlich Recht«, räumte diese ein. Buffy umfasste die Streitaxt fester und betrat das Mausoleum. Wieder umfing sie der Geruch von feuchter Erde. Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie in die undurchdring66
liche Finsternis. »Will, hast du die Kerze?«, fragte Buffy. Hätte mir besser noch eine Taschenlampe besorgt, dachte sie. »Du wusstest, wie dunkel es hier ist, und hast keine Lampe mitgebracht?«, fragte Spike. »Hey!«, fuhr Buffy auf. »Der Plan bestand darin, zurückzufahren und dich zu holen. Da unten, wo das Portal ist, ist es nicht dunkel.« »Fantastisch!« Spike griff in seine Jackentasche, holte ein Feuerzeug heraus und reichte es Buffy, die es aufklappte und ihre Kerze anzündete. Der Schein der gelbblauen Flamme verdrängte die Dunkelheit um zwei, drei Meter. Umgeben von einer schwachen, zitternden Blase aus Licht marschierte Buffy los. Sie kamen rasch voran, denn der Weg, der in die Höhle führte, war ihr noch in bester Erinnerung.
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7 »Beeindruckende Spezialeffekte«, bemerkte Spike leise, als sie tiefer in das Mausoleum vordrangen, in dem der CraulatharDämon sich verschanzt hatte. »Der Dämon kanalisiert sehr starke böse magische Kräfte«, sagte Willow. »Er hält die Verbindung zu dem Portal, weshalb ich es von dieser Seite aus nicht schließen kann.« »Da müsst ihr aber an einen ziemlich alten CraulatharDämon geraten sein«, meinte Spike. »Es handelt sich ganz offensichtlich nicht um eine spontane Hauruck-Aktion.« »Ich hab dich nicht hergebeten, damit du in Dämonenverehrung ausbrichst!«, knurrte Buffy. Nach kurzer Zeit standen sie bereits in der Höhle und Buffy ging die Steinstufen hinunter. Sie spähte in die runde Öffnung in der Mitte der spiralförmigen Treppe. Noch immer war das violettblaue Licht am Ende der Treppe zu sehen. Schwer hing der Gestank von verbranntem Fleisch in der Luft. Auf der anderen Seite des zweidimensionalen Lichtkreises, der als Portal fungierte, erstreckte sich die Knochenbrücke über den rot und orange glühenden Abgrund. In der Ferne war auch das Steingebäude zu erkennen. »Eine Zwischenstation«, sagte Spike. »Was?«, fragte Buffy. »Dieses Gebäude da«, fuhr Spike fort. »Eine Art interdimensionale Zwischenstation, wo zwei Dimensionen sich überlappen und eine gemeinsame Schnittstelle haben. Egal, von welcher Seite, man braucht auf jeden Fall Magie, um zu ihr zu gelangen.« »Und?«, fragte Buffy. Sie stieg weiter die Stufen hinunter und spürte die in der Luft liegende Elektrizität. Der Geruch von Ozon mischte sich unter den Gestank des verbrannten Fleischs. »Ganz egal, wen euer Craulathar-Dämon heraufbeschwört«, 68
sagte Spike, »derjenige hat wahrscheinlich auch jede Menge magische Energie.« »Spielt keine Rolle«, entgegnete Buffy. »Wenn wir ihm von hier aus die Verbindung kappen, kann der Craulathar-Dämon nicht mehr mit seiner kleinen Freundin in unsere Welt zurück.« »Und wie willst du das anstellen?«, fragte Spike. »Die Brücke zerstören«, erklärte Buffy. »Ich halte die Dinge gerne einfach. Und wie stelle ich das am besten an?« »Der Craulathar-Dämon hält mit seiner magischen Energie das Portal und die Brücke aufrecht«, erklärte Spike. »Wenn du den Dämon tötest, zerstörst du auch das Portal.« »Siehst du?«, meinte Buffy. »Ganz einfach!« »Nicht wirklich.« »Warum nicht?«, wollte Buffy wissen. »Wenn der Dämon rauskommt, töten wir ihn. Und dann ist Schluss mit dem Portal.« Spike bewegte seinen Finger auf die glitzernde Oberfläche des Portals vor der Brücke zu, bis er gegen ein Hindernis stieß. Er legte die Handflächen dagegen und drückte noch einmal, diesmal fester. Aber auch so kam er nicht gegen die unsichtbare Barriere an. »Euer Dämon hat sogar ein Schutzschild«, sagte Spike. Er ballte eine Hand zur Faust und schlug dagegen. Ein tiefes, hohles »Bong« hallte durch die Höhle. »Das mit dem Schutzschild habe ich auch schon gemerkt«, entgegnete Buffy. »Dich hat es wenigstens nicht durch die ganze Höhle geworfen.« Spike grinste. »Du hast wohl vergessen, mich vorzuwarnen.« Buffy verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich dachte, du wüsstest vielleicht besser darüber Bescheid als ich.« »Das tue ich auch.« Spike ließ seine Keule auf den Steinboden fallen und drückte mit beiden Händen gegen das Schutzschild. »Ich weiß, dass der Dämon seine Energie von dunklen Mächten bezieht. Dieses Schild schützt gegen das Gute. Des69
halb hat es dich wahrscheinlich so heftig zurückgeschleudert, du bist ja schließlich die Jägerin.« Er dachte nach. »Willow, ich glaube, du könntest mit deiner Magie das Portal für Buffy und mich öffnen. Bring uns zu der Zwischenstation. Da räumen wir dann schnell ein bisschen auf, damit ich wieder zu meinem Abendprogramm übergehen kann. Es ist nämlich nicht so, als hätte ich im Alibi rumgehangen und nur darauf gewartet, dass ihr beiden auftaucht.« Buffy biss auf ihre Unterlippe und verkniff sich eine bissige Bemerkung. »Wie soll ich das machen?«, fragte Willow. »Ich hab nicht gelernt, wie man in eine andere Dimension vorstößt.« Spike sah sich in der Höhle um und nahm seine Keule zur Hand. Er knöpfte sich das Hemd auf und zog sich den Keulenkopf mit den Nägeln über die Brust. Sofort tropfte Blut aus einem dicken Kratzer. »Igitt!«, rief Willow. Spike grinste sie an. »Stell dich nicht so an, Hexe!« »Ich... ich steh nur nicht so auf Blutiges, weißt du.« »Und das in deinem Gewerbe!«, spottete Spike. »Die Hexerei hat auch ihre dunklen Seiten, falls du das noch nicht wusstest. Es geht nicht nur darum, Dinge schweben zu lassen oder in Blümchen zu verwandeln!« Er tauchte die Fingerspitzen in sein Blut. Dann kniete er sich hin und malte rasch einige Symbole auf den Steinboden, wobei er immer wieder seine Finger mit Blut benetzte. Als er fertig war, knöpfte er sich das Hemd wieder zu. »Kennst du diese Symbole?«, fragte er Willow. Willow beugte sich über die blutigen Zeichen auf dem Boden. Sie kniff die Augen zusammen, woraufhin Buffy mit der Kerze näher kam. Willow sah zu Spike hinüber und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Ja«, sagte sie. »Ein paar davon schon. Sie sind sehr alt. Formeln für ein Portal.« 70
Spike betrachtete die Symbole und nickte. »Ja. Das sollen sie jedenfalls sein. Ich kenne mich mit Hexerei nicht besonders gut aus, aber ein paar Tricks hab ich drauf. Ich verfüge natürlich nicht über die nötige Zauberkraft, damit sie funktionieren. Aber man braucht das Blut von einem Untoten dazu. Die Frage ist nur, ob du die Formeln tatsächlich anwenden kannst.« »Ich glaube schon.« Willow kniete sich hin und nahm Buffy die Kerze ab, die mittlerweile ziemlich heruntergebrannt war. »Wir hätten besser noch eine mitgebracht.« »Wir müssen mit dem auskommen, was wir haben, Will«, sagte Buffy nur. Willow kniete sich vor die blutigen Symbole, die Spike auf den Steinboden gemalt hatte. Sie hielt die Kerze waagerecht und ließ flüssiges Wachs auf den Boden tropfen. Als der Fleck groß genug war, drückte sie den Kerzenstummel fest auf, bis das erkaltende Wachs ihn festhielt. Die gelbe Flamme tänzelte unruhig an der Dochtspitze. »Geister des Mondlichts, Wächter über Feuer und Gestein, öffnet mir den Weg und lasst mich herein!« Obwohl Willow nun schon ein paar Jahre der Zauberei nachging, fand Buffy es manchmal immer noch ein bisschen gruselig, ihr dabei zuzusehen. Vielleicht lag das aber auch an der jeweiligen Umgebung, denn so manche von Willows größeren Zauberkunststücken wurden nicht gemütlich zu Hause in der Küche oder im Wohnzimmer durchgeführt. Wenn man in einem Mausoleum mit Magie arbeitete und auf der anderen Seite eines magischen Schutzschildes ein Craulathar-Dämon wartete, dann kam das Gruseln doch wirklich von ganz allein! Willow streckte die Hände aus und bewegte sie nur Zentimeter über der flackernden Kerzenflamme hinweg. Einen 71
Augenblick lang befürchtete Buffy schon, die schwache Flamme könnte sogar dieser vorsichtigen Bewegung zum Opfer fallen. Aber stattdessen sprang die Flamme vom Docht und schlängelte sich in Gestalt zweier Feuerschlangen auf Willows Hände zu. »Aus dem Pfad der Finsternis, wird ein Pfad des Lichts gemacht! Alle Kräfte kommen ins Gleichgewicht, Alles muss mir dienen, ob Tag oder Nacht!« Die feurigen Schlangen sprangen aus Willows Händen auf den Steinboden. Die mit Vampirblut geschriebenen Symbole fingen sofort Feuer und die Flammen schossen an dieser Stelle fast einen Meter in die Höhe. »Okay«, bemerkte Buffy trocken. »Das hat bestimmt niemand mitgekriegt...« Sie blickte in das Dimensionenportal und sah, wie der Craulathar-Dämon auf einer schwebenden Insel am Ende der Knochenbrücke vor einem brennenden Scheiterhaufen kniete. Entweder hatte er die Flammen nicht bemerkt oder es war ihm egal. Der flackernde Schein der brennenden Symbole spiegelte sich in der violettblauen Oberfläche des Portals. Sie schimmerte und nahm eine kräftige grünliche Färbung an. »Buffy!«, zischte Willow. Buffy sah besorgt zu ihrer Freundin hinüber. »Es ist bereit«, sagte Willow. Anspannung lag in ihrem Gesicht. »Ihr solltet euch beeilen.« »Bin schon unterwegs«, entgegnete Buffy und schwang die Axt. »Halt es offen, so lange es geht. Ich bin gleich wieder da.« Sie ging an das Portal und streckte die freie Hand aus. Nun sah sie auch ihr Spiegelbild – es war leicht verschwommen und wackelte hin und her, als wäre es in einer Seifenblase 72
gefangen, die zu platzen drohte. Kein schöner Gedanke, fand Buffy. Sie wurde jedoch nicht zurückgestoßen wie zuvor. Ihre Hand drang mühelos in das Portal ein. In der Welt auf der anderen Seite war es noch kälter als im Mausoleum. Buffy sah Spike auffordernd an. »Kommst du?« »Wenn du gehst, gehe ich auch.« Buffy atmete noch einmal tief durch und betrat das Portal. Sie spürte, wie etwas Feuchtes, Schweres gegen ihren Körper drängte, aber es hinderte sie nicht. Im nächsten Augenblick betrat sie auch schon die Knochenbrücke. Ein Beben ging darüber hinweg. Als Buffy nach unten blickte, sah sie, dass in dem tiefen Abgrund glühend heiße Lava brodelte. Flüssiges Gestein und brodelndes Magma warfen dicke Blasen wie Kuchenteig. Nur ab und zu stieg ein heißer Luftstrom in die Höhe und linderte für kurze Zeit die Kälte, die Buffy in die Glieder kroch. Warum ist es hier so kalt, wenn unter mir die Lava brodelt?, wunderte sich Buffy. Gurgelnde, knurrende Schreie drangen an ihr Ohr. Sie spähte ans andere Ende der Knochenbrücke, wo der CraulatharDämon immer noch vor dem brennenden Scheiterhaufen kniete und Leichenteile in die Flammen warf. Buffy nahm wahr, wie der über den gierigen Flammen tänzelnde Rauch an Tiefe und Struktur gewann. Dort formte sich etwas – etwas, das ganz und gar nicht gut war. Die Brücke erzitterte erneut, aber diesmal war der Grund dafür hinter Buffy zu finden. Sie drehte sich um und sah, wie Spike durch das Portal trat. Was für eine magische Kraft es auch immer war, von der die Knochenbrücke zusammengehalten wurde, ihr schien Spikes Anwesenheit nicht zu passen. Die Brücke zitterte und bebte immer weiter und das Schaukeln wurde stärker. »Die mag mich nicht besonders, was?«, rief Spike. 73
»Geh zurück!«, befahl ihm Buffy und betrachtete wieder die brodelnde Lava in der Tiefe. »So schaffen wir es nicht!« Sie sah zu Willow auf der anderen Seite des Portals hinüber. Unvermittelt flackerte die Kerze vor Willow auf, die Flamme zuckte wie ein gefangenes Lebewesen, dann erlosch sie. Das Portal verschwand. Xander schritt im Warteraum des Krankenhauses auf und ab. Gott, wie er Warteräume hasste! Es gab dort einfach nichts zu tun. Rein gar nichts. Wie kommt es nur, fragte er sich, dass man mit seinen Kumpels an Orten rumhängen kann, an denen Schilder mit der Aufschrift »Unbefugter Zutritt verboten!« stehen, und absolut zufrieden damit ist, nichts zu tun zu haben – aber an einem Ort, der zum Warten bestimmt ist und auch noch Warteraum heißt, ist einem das Warten einfach unerträglich? Er hatte keine Antwort darauf. Ganz im Gegenteil: Sekündlich fielen ihm immer neue Fragen ein. Er war zwar mit Robby befreundet, aber was ihn eigentlich ins Krankenhaus gelockt hatte, war das merkwürdige Verhalten Robbys gewesen, wegen dem er in der Notaufnahme gelandet war. »Ihr dummen Sterblichen!« – in dieser Äußerung lag definitiv ein dämonischer Unterton. Im Warteraum rumzuhängen kam Xander ungefähr so vor, wie auf einer tickenden Zeitbombe zu sitzen. Er war definitiv am falschen Ort, wenn er einen Bogen um Sunnydales dunkle Seite machen wollte, aber ob es auch der falsche Zeitpunkt war, blieb abzuwarten. Außer Xander waren noch andere Leute im Warteraum. Alle standen ängstlich und besorgt in kleinen Gruppen zusammen. Manche sahen aus, als seien sie gerade erst aus dem Bett gefallen und ins Krankenhaus geeilt, andere wiederum, als seien sie seit Tagen nicht im Bett gewesen. Anya kehrte mit Stephie McConnell aus dem Korridor zurück. Sie hielt das Mädchen mit offensichtlicher Beklom74
menheit am Arm, die Stephie bestimmt bemerkt hätte, wäre sie nicht außer sich vor Sorge gewesen. »Irgendwas gehört?«, fragte Stephie. Xander schüttelte den Kopf. »Kein Wort.« »Warum brauchen die so lange?«, regte sich Stephie auf. Xander führte sie zu einem Stuhl in der Ecke, wo sie relativ ungestört sprechen konnten. »Vielleicht stellen sie ihn gründlich auf den Kopf. Aus irgendeinem Grund ist Robby im Kino völlig durchgedreht. Er war definitiv nicht er selbst und ich glaube, das hast du ihnen eindringlich klargemacht.« »Ich habe das Gefühl, ich müsste noch etwas tun«, sagte Stephie. »Zum Beispiel?«, fragte Xander. »Helfen. Irgendwie. Ich weiß auch nicht. Robby wird eine Menge Ärger bekommen.« Xander sagte nichts. Stephie sah ihn durchdringend an und drückte seine Hand. »Robby wird Ärger bekommen, nicht wahr?« Xander suchte nach einer vorsichtigen Antwort. »Ja«, sagte Anya. »Robby wird eine Menge Ärger bekommen.« Erneut wurde Stephie von ihren Gefühlen überwältigt. Sie ließ Xander los und schlug die Hände vors Gesicht. Anya sah Xander triumphierend an, aber der Ausdruck verflog rasch, als Stephie zu schluchzen begann. »Oh, hey«, sagte Anya und klopfte Stephie zögernd auf die Schulter. »Das wird schon wieder.« Sie sah Xander eindringlich an. Hilf mir!, signalisierte ihr Blick. Xander blieb der Mund offen stehen und er runzelte frustriert die Stirn. Wie konnte sie es wagen, um Hilfe zu bitten? Sie hatte Stephies Tränen doch selbst ausgelöst! Aber Anya sah Xander an, als wäre alles seine Schuld. »Statt dir Sorgen darüber zu machen, was passieren wird«, sagte er, »wäre es vielleicht besser, etwas ganz anderes zu tun. 75
Etwas Produktives.« »Was denn?« Stephie sah zu ihm auf. Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Robby war nicht mehr er selbst, seit er angefangen hat, an diesem blöden Videospiel mitzuarbeiten.« »Reden wir noch mal über dieses Projekt«, schlug Xander vor. »Du hast gesagt, Robby hat per E-Mail von dem Test für das Computerspiel erfahren.« Stephie nickte. »Aber er wusste nicht, von wem die E-Mail kam?« »Nein. Robby hat die Adresse überprüft, konnte den Absender aber nicht zurückverfolgen, obwohl er ziemlich gut in solchen Dingen ist.« »Das weiß ich«, stimmte ihr Xander zu. Robby war der beste Internet-Hacker, den er kannte. »Aber die Leute, die das Spiel testen, haben ihn hier in Sunnydale abgeholt, oder?« »Ja.« »Und er wusste nicht, wohin sie ihn bringen?« »Nein. Robby ist immer in einem Lieferwagen transportiert worden. Ich meine, da waren Sitze und alles. Nur eben keine Fenster.« »Hat er erzählt, wie lange die Fahrt gedauert hat?« »Nein.« »Hat er Vermutungen darüber angestellt, ob er irgendwo nach außerhalb gebracht wurde?« Stephie zuckte mit den Schultern, dann schüttelte sie den Kopf. Neue Tränen kullerten ihr über die Wangen. »Ich weiß es nicht. Wenn er es erwähnt hat, erinnere ich mich nicht mehr. Ist es denn wichtig?« »Wahrscheinlich nicht«, sagte Xander. Aber wie ihn die Erfahrung gelehrt hatte, waren oft die Kleinigkeiten wichtig. Ob das Spiel in Sunnydale getestet wurde oder nicht, war mit Sicherheit wichtig. Besonders, da Robbys Fall so viele Merkwürdigkeiten aufwies und Sunnydale nun mal am Höllenschlund lag. »Wo haben sie Robby hingebracht?« 76
»Sie haben ihn in einer Lagerhalle aus dem Transporter steigen lassen«, sagte Stephie. »Fand Robby das nicht merkwürdig?«, fragte Xander. »Die ganze Videospiel-Branche ist merkwürdig«, entgegnete Stephie. »Und es geht immer um sehr viel Geld. Das hat Robby jedenfalls gesagt, als ich ihm erklärte, dass mir dieses Testzentrum sehr komisch vorkommt. Der Typ, mit dem er sprach, sagte, sie müssten vorsichtig sein, denn wenn Informationen nach außen dringen, bevor sie das Spiel auf den Markt bringen, könnte es ihnen jemand klauen und dann würden sie all das Geld verlieren, das sie in die Entwicklung investiert haben. Stimmt das denn?« »Ja, das stimmt«, entgegnete Xander sofort. »Informationen über neue Spiele werden im Internet immer seltener. Die Spieleentwickler sind mittlerweile sehr vorsichtig geworden.« »Bei diesem Spiel wird eine wahnsinnige Geheimnistuerei betrieben«, erklärte Stephie. »Eine gewisse Vorsicht kann ich ja nachvollziehen, aber ich finde, sie sind wirklich über die Stränge geschlagen. Ich meine, man hatte den Eindruck, Robby wäre zum CIA gegangen oder so. Er hat sich verhalten wie Null Null Sieben.« »Das klingt aber verdächtig«, bemerkte Xander. Er musste sofort an die geheimen unterirdischen Forschungslabore der Initiative in Sunnydale denken. Und das war nur eine von vielen geheimen Operationen gewesen, die von der Jägerin und ihrer Crew aufgedeckt worden waren. »Ich kenne ein paar Leute, die für verschiedene Spielefirmen Beta-Tests durchgeführt haben. Keiner hat von so viel Geheimhaltung erzählt.« »Dieses Spiel soll ganz innovative Virtual-Reality-Effekte haben«, erklärte Stephie. »Vielleicht machen sie deshalb so ein Theater. Robby erzählte mir, er hatte wirklich das Gefühl, sich in einer anderen Welt zu befinden, als er das Spiel getestet hat.« »So eine Sensation müsste doch angekündigt werden, sollte 77
man meinen. Damit der Markt so richtig danach giert.« »Was für ein Spiel war das denn genau?«, fragte Anya. »Irgendeine Fantasy-Geschichte. Robby hat gesagt, es sei eine Art Rollenspiel mit lernfähiger Software.« »Es hat mit künstlicher Intelligenz zu tun?«, fragte Anya erstaunt. Xander sah sie überrascht an. Also waren die vielen Gespräche, die er schon mit ihr über Spiele, Science Fiction und Comics geführt hatte, doch nicht ganz vergeblich gewesen. Anya wusste, dass die Jungs mit den roten Shirts immer getötet wurden, und sie hatte einen wichtigen Fachbegriff abgespeichert. »Ja«, sagte Stephie. »Ich habe schon mal so ein Rollenspiel mit ihm gespielt. Meine Eltern sind total ausgenippt, als sie herausfanden, dass es sich um Diablo handelte. Sie fanden es zu dämonisch, ihr wisst schon... Robby sagte jedenfalls, dieses neue Spiel würden sie wohl auch so beurteilen.« »Es ging um Dämonen in dem Spiel?«, fragte Xander. Okay, allmählich wurde es spannend. Stephie wischte sich übers Gesicht und nickte. »Robby hatte die Rolle eines Dämons übernommen. Er fand es total cool.« »Was war das für ein Dämon?«, fragte Anya. »Gibt es denn verschiedene?«, gab Stephie zurück. Anya verdrehte die Augen. »Natürlich gibt es verschiedene! Es gibt ja auch verschiedene Menschen. Allerdings sind Dämonen in der Regel leichter auseinander zu halten. Menschen haben doch meist zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf. Dämonen hingegen...« »In manchen Spielen«, unterbrach Xander, denn Anya begann, sich in das Thema hineinzusteigern, und das konnten sie jetzt überhaupt nicht gebrauchen, »gibt es wirklich ganz unterschiedliche Dämonen. Hat Robby dir mal erzählt, was für ein Dämon er war?« »Falls ja, kann ich mich nicht daran erinnern.« 78
»Wenn du dich nicht erinnerst, was für ein Dämon Robby war, wie sollen wir dir dann helfen?«, schimpfte Anya. Stephie blickte bestürzt drein. »Ist schon okay«, beschwichtigte sie Xander. Während Stephie ihren Gedanken nachhing, flüsterte Anya Xander ins Ohr: »Könnte wichtig sein, dass Robby und seine Freunde Dämonen gespielt haben.« »Das hab ich wohl begriffen«, versicherte ihr Xander leicht gereizt. »Manche von den Dämonen in den Spielen, die du mir gezeigt hast, waren echten Dämonen nachempfunden.« »Ich weiß.« Sie hatten bereits über diese Ähnlichkeiten gesprochen. Viele Dämonenfiguren, die in Videospielen auftauchten, hatten echte Dämonen zum Vorbild. Die Spieldesigner wussten nur nicht, dass es die Wesen, die sie sich ihrer Meinung nach nur ausdachten, tatsächlich gab. Die meisten Menschen weigerten sich, an Dämonen zu glauben, wodurch die Dämonenrassen sich unerkannt in der realen Welt ausbreiten konnten. »Vielleicht erinnerst du dich noch daran, wie der Dämon aussah.« Möglicherweise kamen sie damit weiter. Jedes Spiel hatte in der Regel seine eigenen, unverwechselbaren Figuren und Dämonen. Wenn es ihnen gelang, das Feld einzuengen, fand er vielleicht heraus, welche Softwarefirma Robby für den Spieltest angeworben hatte. Es gab immer noch keinen Beweis für einen Zusammenhang zwischen Robbys merkwürdigem Verhalten und dem Computerspiel, aber es schadete gewiss nicht, der Sache nachzugehen, da alles in diese Richtung deutete. »Sie waren groß«, sagte Stephie mit Überzeugung. »Robby hat mal gesagt, er sei in dem Spiel wirklich groß gewesen. In der Rolle des Dämons, meine ich. Und er hatte Hörner.« »Wie viele?«, fragte Anya. »Wie viele Hörner?« Stephie sah aus, als könne sie nicht 79
glauben, was Anya da gefragt hatte. »Ja«, entgegnete Anya. »Keine Ahnung. Ich kann mich nicht erinnern, vielleicht hat er aber auch nie darüber gesprochen. Ist die Anzahl der Hörner denn wichtig?« »Sehr«, antwortete Anya. »An Flügel kann ich mich erinnern«, sagte Stephie. »In dem Spiel hat er Fliegen gelernt.« »Fliegen gelernt?«, wiederholte Xander. Der Hinweis auf die Flügel war wertvoll. Diese anatomische Eigenart engte das Feld der Dämonenrassen ein. »Das heißt, er konnte zuerst nicht fliegen?« Seiner Meinung nach hätte eine solche Fähigkeit gleich einprogrammiert sein müssen. Stephie schüttelte den Kopf. »Nein. Robby hat mir erklärt, eine der wirklich coolen Eigenschaften des Spiels sei es, dass er dabei so viele Sachen lernen muss. Oder wieder erlernen muss.« »Wieder erlernen?«, hakte Xander nach. »Ja. Er erklärte, es wäre gewesen, als hätte er früher einmal fliegen können und es dann lange nicht gemacht. Wie wenn man jahrelang nicht Fahrrad gefahren ist.« »Was hat Robby in dem Spiel denn so alles angestellt?« Stephie zuckte mit den Schultern. »Das Übliche. Andere Wesen getötet, andere Leute, andere Spieler.« »Womit?«, wollte Xander wissen. Waffen waren wichtig. Manche Spiele konnte man anhand der zur Verfügung stehenden Waffen identifizieren. »Mit mittelalterlichen Waffen. Schwerter, Äxte und Speere.« Stephie runzelte die Stirn. »Ach ja, und Robby hat gesagt, der Dämon, dessen Rolle er übernommen hatte, konnte Feuerbälle werfen.« »Feuerbälle?«, fragte Anya. »Du meinst Feuerbälle, die einfach so durch die Luft fliegen?« »Nein. Robby fand es ziemlich cool, dass er Felsbrocken in 80
Brand stecken konnte, um sie auf die Feinde zu schleudern.« »Was für Feinde?«, fragte Xander. Er wollte zwar dem Geheimnis, was mit Robby los war, auf den Grund gehen, aber ihn interessierte natürlich auch, wie das neue Spiel aufgebaut war. Stephie schüttelte müde den Kopf und schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Ich weiß es nicht, Xander. Robby hat mir nicht viel mehr gesagt als das, was ich euch jetzt erzählt habe. Und an den Rest erinnere ich mich nicht mehr.« Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Nase und tupfte neue Tränen weg. »Es tut mir Leid.« »Hey«, sagte Xander, dem klar wurde, dass er sich zu sehr in den Fall vertieft hatte und nicht einfühlsam genug vorgegangen war. »Ist schon okay. Mein Gedächtnis ist auch nicht das beste.« »Das stimmt«, pflichtete ihm Anya bei. »Ich könnte dir eine ganze Liste von Sachen aufzählen, die er gern vergisst.« Xander legte einen Arm um Stephie und spürte, wie sie zitterte. Sie tat ihm Leid. Gleichzeitig machte er sich Sorgen um Robby. Wenn sein Verhalten nicht auf irgendeine Weise mit Dämonen zu tun hatte – und darauf hätte Xander gewettet, Virtual Reality hin oder her –, dann war Robby drauf und dran, den allergrößten Ärger zu bekommen. »Miss McConnell?« Xander sah auf. Ein Mann mittleren Alters in grünem Kittel mit Golferbräune auf den Handrücken stand in der Tür. »Ja«, antwortete Stephie und wischte sich übers Gesicht. »Ich bin Doktor Haskell«, stellte sich der Mann vor. »Wir müssen uns über Robby unterhalten.« Xander starrte den Arzt an. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, hatte er keine guten Nachrichten.
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8 »Keiner von uns weiß, wann er aus diesem Leben scheidet«, sagte Derek Traynor zu den Zuschauern im Studio. Zu seinem grauen Anzug von der Stange trug er ein schwarzes T-Shirt. Er sah gut aus und zog die hundert Gäste bei der Aufzeichnung von Othersyde gelassen und mit der Leichtigkeit eines geborenen Showmans in seinen Bann. Im Licht der Scheinwerfer über seinem Kopf glänzten seine blonden Locken, die kleinen Ringe in seinen Ohrläppchen und die silberne Halskette. Er war Anfang zwanzig und wenn er lächelte, hatte er etwas Gaunerhaftes. Man konnte ihn sich sehr gut als Straßenräuber oder Piraten vorstellen. Die Haarfarbe, dachte Tara, ist vermutlich das einzig Unechte an ihm. Natürlich hatte sie Derek bislang immer nur im Fernsehen betrachten dürfen. Sie saß in der dritten Reihe. Auf den Studiosesseln mit ihrer sparsamen Polsterung war das Sitzen gerade so auszuhalten. Rupert Giles saß mit vor der Brust verschränkten Armen und sehr aufrechter, britischer Haltung neben Tara. Er trug eine dunkle Hose und ein Sportsakko mit Lederflicken an den Ellbogen. Abwesend nahm er seine Brille ab und putzte die Gläser mit einem Taschentuch. Tara war froh, Giles bei sich zu haben. Sie hatte sich sehr darauf gefreut, Derek Traynor zu sehen, und gehofft, Willow könne sie begleiten. Aber Buffy hatte Willow gebeten, mit ihr auf Patrouille zu gehen, bevor Tara sie mit den Studiotickets überrascht hatte. Willow hatte, liebenswürdig und aufmerksam wie immer, Giles als Ersatz vorgeschlagen. Tara war schon sehr erstaunt gewesen, als sie die Tickets auf einer InternetWebsite gewonnen hatte, aber noch mehr wunderte sie sich über Giles’ Entschluss, sie zu begleiten. Sie war eigentlich davon ausgegangen, dass die Sendung 82
Othersyde, eine Art Vergnügungstour ins Reich der Gänsehaut mit höchst populärwissenschaftlichem Ansatz, nicht Giles’ Fall war. Der Wächter hob sich deutlich vom restlichen Studiopublikum ab, das überwiegend aus College-Studenten, älteren Paaren und Männern und Frauen mittleren Alters bestand, die sich eindeutig für den obskuren Aspekt der Sendung interessierten. »Keiner von uns kann sich den Zeitpunkt des Todes aussuchen«, fuhr Derek fort. Das kleine, am Kragen versteckte Mikrophon nahm seine Stimme auf und trug sie durch das ganze Studio. »Daher gelingt es nicht allen von uns, das zu sagen, was sie sagen wollten, bevor sie diese Welt verlassen. Manchmal haben diejenigen, die von uns gegangen sind, noch einiges mitzuteilen, und den Hinterbliebenen geht es genauso. Und deshalb ist ein Medium wie ich so ungeheuer nützlich.« Einige Zuschauer nickten. Natürlich waren, wie Tara vermutet hatte, viele Fans im Studio. Willow interessierte sich nicht besonders für diese Sendung, sah sie aber gemeinsam mit ihr an, wenn sie nicht gerade Hausaufgaben machten, eine neue Zauberformel ausarbeiteten oder Buffy dabei halfen, den Verlust ihrer Mutter zu überwinden oder eine Dämonenbande zu erledigen, die gerade aus ihren Gräbern gestiegen war. Derek hob lächelnd beide Hände. »Und heute bin ich in Sunnydale, im schönen Kalifornien! Ich bin überzeugt, auch hier haben die Menschen einiges auf dem Herzen, das ausgesprochen werden sollte.« Die Zuschauer reagierten mit höflichem, aber nervösem Gelächter auf diese Äußerung. »Wenn ich bedenke, was ich alles gelesen und im Internet gefunden habe«, sagte Derek, »verdient Sunnydale durchaus ein eigenes Kapitel im Buch der Stadtlegenden.« Giles saß ruhig da und hörte zu. Tara konnte nicht beurteilen, ob der Wächter sich langweilte 83
oder den eigenen Gedanken nachhing. Sie wünschte, sie könnte sich einfach um ihren eigenen Kram kümmern, statt sich verantwortlich dafür zu fühlen, dass Giles nun in diesem Studio sitzen musste. Nervös beugte sie sich vor und flüsterte: »Tut mir Leid.« Giles sah sie an. »Was denn?« »Dass Willow Sie gebeten hat, mich zu begleiten«, sagte Tara. »Wenn Sie möchten, können Sie bestimmt in der Werbepause gehen.« Giles winkte ab. »Ehrlich gesagt finde ich es ganz lustig, mir ein paar Zaubertricks anzuschauen. Es dient der Entspannung, könnte man sagen.« »Bei Othersyde gibt es keine Tricks«, sagte Tara. »Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass nichts an der Show manipuliert ist.« Giles zog die Augenbrauen hoch und nickte, aber wenn man ihn kannte, sah man den Zweifel in seinen Augen. Äußerlich sah der Wächter zwar immer noch aus wie der farblose britische Bibliothekar von der Sunnydale High, aber seine Freunde wussten seine Befindlichkeiten mittlerweile recht gut auseinander zu halten. »Wussten Sie vorher, wer Derek Traynor ist?«, fragte Tara. »Nein«, entgegnete Giles. »Ich ziehe dem Glotzkasten ein altes, verstaubtes Buch vor.« Derek kam auf die Zuschauer zu. »Schon mein ganzes Leben lang bin ich ein Medium. Als ich klein war und meine Mom mich in unserer Wohnung in Brooklyn allein ließ, während sie arbeiten ging, kam meine Großmutter vorbei, um auf mich aufzupassen.« Er zuckte mit den Schultern. »Das klingt an und für sich erst mal nicht besonders merkwürdig. Die Sache ist nur die: Oma Burke starb drei Jahre bevor ich geboren wurde.« Jedem, der die Sendung verfolgte, war diese Geschichte natürlich bekannt, aber Tara entdeckte doch einige überraschte Gesichter im Publikum. Offenbar waren nicht nur Fans der 84
Sendung im Studio. Einer der Kameramänner machte einen Schwenk über das Publikum, um die Reaktionen einzufangen. Zu beiden Seiten der Bühne standen große Monitore, auf denen zu sehen war, was die Kameras aufnahmen. Eine Kamera blieb auf Derek gerichtet, während die andere für den Zuschauerraum zuständig war. »Soll das heißen, er wurde von dem Geist seiner Großmutter aufgezogen?«, fragte Giles. »Ja«, sagte Tara. Sie war selbst mit Magie groß geworden und hatte Verständnis für Dereks paranormale Kindheit. »Stellen Sie sich vor, wie überrascht meine Mutter war«, fuhr Derek mit einem breiten Grinsen fort, »als ich einige der Geschichten zum Besten gab, die mir meine Oma über die Kindheit meiner Mutter erzählte. Damit konnte ich so manche Strafpredigt im Keim ersticken!« Wieder erklang höfliches Gelächter im Studio. »Meine Mutter schimpfte immer: ›Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du das nicht tun sollst, junger Mann?‹ und ich antwortete: ›Nicht so oft, wie Oma Burke es dir früher gesagt hat, Ma.‹ Ich brauche wohl nicht zu erklären, wie sehr das meiner Mutter missfiel. Ich habe, was sie ›die Gabe‹ nannte. Ich bin Ire – Gäle, um genau zu sein. Oma Burke hat mir das sehr genau erklärt.« Wieder lachten die Zuschauer. »Oma Burke hatte selbst ein bisschen von dieser Gabe.« Derek zeigte mit Daumen und Zeigefinger ein paar Millimeter an. »Sie hat die Zukunft vorausgesagt und Warzen besprochen und solche Dinge. Aber sie sagte, sie hat noch nie jemanden gesehen, der eine so große Gabe besitzt wie ich.« Die zweite Kamera zoomte auf einen älteren Mann im Publikum, der ein zweifelndes Gesicht machte. »Wenn Traynor tatsächlich solche Fähigkeiten hat, wie er behauptet«, flüsterte Giles Tara zu, »dann ist dies wohl der schlechteste Ort, davon Gebrauch zu machen.« 85
»Ich weiß«, sagte Tara. »Deshalb wollte ich mir das ja so gern mal im Studio ansehen.« – Und weil Derek sich oft neben einen Zuschauer setzte. Tara hoffte, ihn kennen lernen zu können, um sich einen Eindruck davon zu machen, wie seine Gabe funktionierte, und ihr Wissen zu erweitern. »Weißt du, wie er es macht?«, fragte Giles. »Meinen Sie, ob er eine Art Ausbildung hat?«, entgegnete Tara. »Ja.« »Nein. Ich habe beide Bücher gelesen, die er über seine Erfahrungen geschrieben hat. Er vergleicht sich mit einer Stimmgabel. Wenn er sich darauf einstellt, Botschaften zu empfangen, fliegen sie ihm einfach zu. Manche der Verstorbenen haben ihn regelrecht verfolgt. Ihn so lange genervt, bis er denjenigen fand, mit dem er in Kontakt treten sollte, um die Botschaft zu überbringen.« »Faszinierend.« »So ist er auch zu der Sendung gekommen«, fuhr Tara fort. »Er arbeitete als Kellner in einem Restaurant in Manhattan. Dort hat er Susan Kane kennen gelernt, die Produzentin der Sendung, und ihr eine Botschaft von ihrem toten Vater überbracht.« »Und sie hat ihm geglaubt, dass die Botschaft tatsächlich von ihrem Vater stammte?«, fragte Giles. »Zuerst nicht. Aber ihr Vater ließ Derek nicht in Ruhe. Sechs Monate später reiste Derek Susan Kane nach Hollywood nach, gelangte an der Security, ihren Agenten und dem Personal vorbei, indem er seine Fähigkeit unter Beweis stellte, und überzeugte sie schließlich von der Echtheit der Botschaft.« »Wie hat er denn seine Fähigkeit unter Beweis gestellt?« »Der Vater sorgte dafür«, entgegnete Tara. »Er holte verstorbene Familienmitglieder der Angestellten zu Hilfe und brachte sie mit Derek in Kontakt. Als Derek dann vor den betreffenden Personen stand, konnte er ihnen viel über ihre 86
verstorbenen Angehörigen erzählen.« Giles bedachte Tara mit einem leicht zweifelnden Blick. »Diese Informationen hätte Derek ja auch recherchieren können.« Tara nickte. »Hätte er. Aber sie haben ihm alle geglaubt.« Giles betrachtete den jungen Moderator aufmerksam. »Derek Traynor hat viele Fans«, sagte Tara, »aber auch viele Kritiker. Leute, die das alles für Schwindel halten. Deshalb gibt es hier so viel Security und die Gäste werden vorher überprüft.« Giles wollte etwas sagen, schwieg aber. »Ich weiß«, sagte Tara. So blauäugig, wie Giles dachte, war sie nun auch wieder nicht. »Wenn die Gäste nur mit Anmeldung ins Studio kommen, kann man natürlich im Vorfeld einiges über sie in Erfahrung bringen.« »So etwas in der Art ging mir gerade durch den Kopf«, sagte Giles. Tara sah zu Derek hinüber. »Wenn Sie mich fragen: Ich halte ihn für echt.« »Ich verstehe.« Derek Traynor sprach gleich bleibend charmant und freundlich zu den Zuschauern. »Es war eigentlich nicht geplant, dass wir heute in Sunnydale sind«, erklärte er. »Fragen Sie Susan Kane, meine Produzentin!« Er wies auf den Kontrollraum des Studios. Auf der anderen Seite der getönten Scheibe hob zwischen Myriaden von Kontrollleuchten, die wie Glühwürmchen wirkten, eine Frau mit blonden Strähnchen im Haar die Hand und winkte. »Wir sollten eigentlich heute in Boulder, Colorado, sein«, sagte Derek. »Mann, die Leute in Boulder sind wahrscheinlich ganz schön sauer!« Er trat dicht vor die Kamera. »Aber keine Sorge, Boulder, ich komme bald zu euch!« Die Menge lachte und Tara musste ebenfalls grinsen. Derek 87
verstand sein Handwerk wirklich gut. Nun faltete er die Hände und sprach direkt in die Kamera. »So merkwürdig es klingen mag, vor ungefähr einer Woche wachte ich morgens auf und hatte das Gefühl, ich müsse hierher kommen.« Er zeigte auf die Bühne, auf der er stand. »Hierher nach Sunnydale. Mit meiner Sendung.« Er zuckte mit den Schultern. »Fragen Sie mich nicht, warum. Ich weiß es nicht. Noch nicht.« Er grinste verwegen. »Aber ich werde es herausfinden.« Die Menge applaudierte. »Er ist offenbar sehr überzeugt von sich«, bemerkte Giles. Derek presste die Handflächen zusammen, schloss die Augen und ging in sich. Als er die Augen wieder öffnete, wandte er sich nach rechts und blickte in die Zuschauerränge auf der Galerie. »Ich empfange etwas von da oben.« Die Leute, die auf der Galerie saßen, sahen erst Derek an, dann schauten sie neugierig nach links und rechts. »Er weiß nicht, wen er sucht?«, flüsterte Giles. »Nein«, antwortete Tara und war ein bisschen traurig, dass Derek nicht auf sie zugekommen war. Sie hatte gehofft, ihre Mutter würde das Medium kontaktieren. Es gab so viele Fragen über die Familie, die sie ihrer Mutter gern einmal gestellt hätte. »Derek hat zunächst nur eine grobe Ahnung. Er muss erst herausfinden, wer ihn kontaktiert hat und was derjenige will.« »Interessant«, sagte Giles. Derek ging weiter auf die Galerie zu. »Ich sehe Initialen. Ein M. und ein J. Der Vorname ist Malta, Martha oder so ähnlich. Kann mir vielleicht jemand weiterhelfen?« Eine ältere Frau mit einer dicken Brille und grauem Haar hob die Hand. »Meine Tante hieß Margo.« Derek überlegte einen Augenblick, dann nickte er. »Kann sein. Ihre Tante ist von uns gegangen?« »Ja, sie...« »Warten Sie!« Derek streckte die Hand aus. »Lassen Sie es 88
mich ohne Hilfe versuchen. Damit wir sicher sein können, ob wir beide von derselben Person reden.« Die Frau nickte. Tara verspürte ein leichtes Kribbeln in ihrem Innern und atmete tief durch. Zum Teil kam es von dem Adrenalin, das der Studiobesuch in ihr mobilisierte, aber zum Teil schien es auch an der Energie zu liegen, die Derek benutzte, um Verbindung zur anderen Seite zu bekommen. Giles sah sie an. »Ist was?« »Ich weiß nicht«, sagte Tara. »Ich habe etwas... gespürt.« Im Gesicht des Wächters spiegelte sich neuerliches Interesse und er blickte gespannt auf die Bühne. »Ihre Tante weist mich auf ihre Brust hin und ich habe das Gefühl, es gab ein gesundheitliches Problem. Krebs oder ein Herzinfarkt. Ist das richtig?« Die Frau presste die Fäuste gegen den Mund. Tränen traten ihr in die Augen. Tara bekam ebenfalls feuchte Augen. Sie konnte nur ahnen, wie der Frau zumute war. Auch vor dem Fernseher, wenn sie die Sendung in ihrem Zimmer oder im Gemeinschaftsraum des Colleges verfolgte, war ihr schon aufgefallen, wie hoch die Emotionen schlugen, aber mittendrin zu sein war noch viel intensiver. »Asthma«, keuchte die Frau. »Tante Margo ist an einem Asthma-Anfall gestorben.« »Sie standen Ihrer Tante sehr nahe«, sagte Derek. »Das signalisiert sie mir.« »Ja«, krächzte die Frau. Derek wirkte gerührt. »Sie will mir etwas über ein Haustier erzählen, das Sie hatten. Aber es war kein gewöhnliches Haustier.« Die Frau schüttelte den Kopf und lächelte unter Tränen. »Pepe?«, fragte Derek. »Handelt es sich um einen Hund?« Er korrigierte sich: »Nein, das stimmt nicht. Es war kein Hund. 89
Zumindest kein echter.« Überraschung zeichnete sich in seinem Gesicht ab. »Der Hund war... eine Socke? Stimmt das?« Die Frau nickte lächelnd. »Pepe war ein Sockenhund. Meine Tante zog mich auf, als meine Mutter starb. Ich wollte einen kleinen Hund, aber den konnten wir nicht in der Wohnung halten, in der wir damals wohnten. Also hat mir Tante Margo einen Sockenhund genäht, den ich Pepe nannte. Ich liebte dieses Hündchen, aber es war mir auch peinlich. Ich habe niemandem davon erzählt. Das hat meine Tante immer geärgert und sie hat mich damit aufgezogen.« »Nun«, sagte Derek. »Dann bekommt Tante Margo heute ihre Rache, denn Sie haben es gerade den Zuschauern im ganzen Land erzählt.« Die Menge lachte, aber es war ein gutmütiges Lachen. Die Frau wirkte verlegen und dankbar zugleich. »Sie sollen wissen, wie sehr Ihre Tante Sie liebt«, sagte Derek. »Sie denkt immer an Sie.« »Danke«, entgegnete die Frau. Derek presste wieder die Hände zusammen und konzentrierte sich. Eine fast unangenehm lange Pause verstrich; länger, als Tara es je bei einer Othersyde-Sendung erlebt hatte. Dann fuhr der Frau plötzlich ein Stromschlag durch den Körper und Derek Traynor wurde von einem unsichtbaren Hieb zu Boden gestoßen. Sechs Securitymänner in schwarzen T-Shirts kamen hinter den Kameras hervor und stürmten auf die Bühne. Sie bildeten einen Kreis um Derek und blickten misstrauisch in die Zuschauermenge. Die Menschen erhoben sich in Panik. Aufgeregte Stimmen ertönten im Saal. »Derek!« Susan Kane stand in der Tür des Kontrollraums. »Derek!« Die Securitymänner halfen Derek auf die Beine. Wie 90
weggeblasen war das Selbstvertrauen, das der Moderator gewöhnlich ausstrahlte. Er machte vielmehr einen schockierten, gequälten Eindruck. Verwirrt schob er die Securityleute von sich weg. »Ich bin okay«, sagte Derek. »Lasst mir nur eine Minute Zeit.« »Werbung!«, rief Susan Kane laut. »Nein!«, rief Derek laut. »Keine Werbung. Lasst die Kamera laufen. Das hier ist wichtig.« Er sah sich aufgeregt in der Menge um. »Passiert so etwas öfter?«, fragte Giles. »Nein«, sagte Tara und hatte das Gefühl, neben sich zu stehen. »Das habe ich noch nie gesehen.« Giles sah sie besorgt an. »Alles in Ordnung?« »Ich... Mir ist auf einmal so komisch«, antwortete Tara. Die Securitymänner machten widerwillig ein bisschen Platz um Derek Traynor, starrten aber weiterhin misstrauisch ins Publikum, als wäre jemand von den Zuschauern für das verantwortlich, was mit Derek geschehen war. »Jemand in diesem Studio«, sagte Derek, »kennt Donny Williford.« Er blickte prüfend in die Menge und drehte sich so rasch um, dass er fast das Gleichgewicht verlor. »Wer ist es?« Niemand sagte etwas. »Donny Williford«, wiederholte Derek. »Jemand im Studio kennt ihn. Seine Freundin ist hier.« Er kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder. »Amy! Amy, Sie sind hier. Donny sagt, Sie sind hier.« »NEIN!«, rief eine junge Frau. Sie trug eine rote Caprihose und ein leuchtend gelbes bauchfreies Oberteil, unter dem ihr Nabelpiercing zu sehen war. Ihr blondes Haar war kurz geschnitten. Derek wandte sich der Frau zu. »Sie sind Amy?« »Es kann nicht sein!«, rief Amy. Sie schlug die Hände vors Gesicht und zitterte hysterisch. »Donny ist nicht tot! Er ist zu 91
Hause! Er ist nicht tot! Sagen Sie mir, dass Sie nicht mit meinem Donny sprechen!« »Hey«, sagte Xander und versuchte, möglichst munter zu klingen, während er mit Stephie sprach. »Alles kommt wieder in Ordnung. Du hast doch gehört, was der Arzt gesagt hat.« Stephie saß auf einem der Stühle im Warteraum. Ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt und über Kreuz in den Schoß gelegt. Sie schwankte leicht, als fiele sie jeden Augenblick in Ohnmacht. »Eigentlich«, schaltete sich Anya besserwisserisch ein, »hat der Arzt nicht gesagt, dass alles wieder in Ordnung kommt. Er sagte, er weiß nicht, warum Robby ins Koma gefallen ist.« Xander warf Anya einen warnenden Blick zu. Taktgefühl, dachte er, wir müssen wirklich am Taktgefühl arbeiten... Stephie sah zu Xander auf. »Und wenn Robby nicht mehr aufwacht?« Xander klopfte ihr auf die Schulter. Natürlich brachte diese Geste sie nicht weiter, aber er wusste nicht, was er sonst tun sollte. »Das wird er aber. Robby ist ein Kämpfer.« »Was werden sie mit ihm machen?«, fragte Anya. »Die Polizei, meine ich. Wenn Robby nicht aufwacht, stecken sie ihn dann trotzdem ins Gefängnis, weil er auf die Leute im Kino losgegangen ist?« Anya sprach nur ehrlich aus, was ihr gerade durch den Kopf ging, das wusste Xander, aber das Timing war so unglaublich schlecht, dass er gar nicht glauben konnte, was er da gehört hatte. »Das würden sie Robby doch nicht antun, oder?«, fuhr Stephie auf. »Nein, nein«, antwortete Xander und versuchte, überzeugt zu klingen. »Wir werden Robby einen guten Anwalt besorgen. Dann kommt alles wieder in Ordnung.« »Aber wenn er nicht wieder aufwacht, kann er niemandem 92
erklären, warum er die Leute im Kino angegriffen hat«, sagte Stephie. »Es muss einen Grund dafür geben. Robby würde so etwas niemals tun.« »Es gibt ganz sicher einen Grund dafür«, entgegnete Xander. »Was denn für einen?«, hakte Anya nach. Nur mit allergrößter Anstrengung gelang es Xander, seinen Ärger hinunterzuschlucken. »Willst du uns nicht einen Kaffee holen, Anya?«, fragte er, so ruhig er konnte. »Sieht so aus, als würden wir noch eine ganze Weile hier bleiben.« Er suchte in seiner Hosentasche nach Geld. »Nein«, entgegnete Anya. »Ich bleibe hier bei Stephie. Vielleicht braucht sie jemanden zum Reden.« »Anya...« »Frauensache«, sagte Anya nur, als sei sie eine Expertin, was Frauengespräche anging. »Ich hätte gern einen Kaffee, Xander«, sagte Stephie. »Hinten beim Schwesternzimmer steht ein Automat. Ich war hier schon mal.« Xander zögerte. Die Vorstellung, Anya mit Stephie allein zu lassen, behagte ihm gar nicht. »Geh schon!«, wies ihn Anya an. »Ich möchte auch einen Kaffee.« »Na gut«, sagte Xander. Dem Warteraum nur für einige Minuten zu entfliehen kam ihm plötzlich doch sehr angenehm vor. In der Rolle des Trösters – wirklich nicht seine beste! – war er im Grunde nutzlos. Seine Gedanken kreisten um Robby. Im Laufe der Jahre an der Sunnydaler Highschool hatte Xander einige Bekannte verloren, und das Leben, das er führte, hielt garantiert noch weitere Verluste für ihn bereit. »Sicher, dass ihr hier allein klarkommt?« »Ja ja«, entgegnete Anya. Stephie nickte. Xander verließ den Warteraum durch die Flügeltür und betrat den Korridor. Das Schwesternzimmer war nicht weit entfernt: 93
nur ein Stück rechts den Gang hinunter, gleich hinter einer Kreuzung von vier Gängen. Eine junge Krankenschwester in brauner Kluft saß gerade am Telefon. Gegenüber des Schwesternzimmers war ein Schild an der Wand, das auf einen Kaffeeautomaten hinwies. Xander kramte in der Hosentasche nach Kleingeld und ging auf den Raum mit den Automaten zu. Er sah, wie ein Mann in einem stahlblauen Anzug auf das Schwesternzimmer zuging. Der Mann war lang und dünn, seine Wangen eingefallen und seine schwarze Haut leicht aschfarben. Mit seinem Aussehen hätte er überall Aufsehen erregt. Seine schlohweiße, wallende Mähne reichte ihm bis auf die Schultern, aber über der Stirn war der Haaransatz bereits deutlich in Hufeisenform zurückgewichen. Die Krankenschwester sah den Mann an und klemmte den Telefonhörer zwischen Kinn und Schulter fest. »Kann ich Ihnen helfen?« »Robert Healdton«, sagte der Mann mit spröder, trockener Stimme knapp. »Ist er Patient bei uns?«, fragte die Krankenschwester. »Ja.« Xander blieb neben der Tür stehen und drückte sich an die Wand. Der Typ sah nicht so aus, als würde Robby ihn kennen. Die Krankenschwester prüfte die Listen auf dem Computermonitor. »Tut mir Leid. Robert Healdton ist auf der Intensivstation. Dort haben nur Familienmitglieder Zutritt.« Der Mann hob die rechte Hand und zeichnete ein Muster in die Luft. Einen Augenblick lang schienen kleine Flammen aus seinen Fingerspitzen zu sprühen. »Wo kann ich Robert Healdton finden?« Die Schwester zeigte den Gang hinunter. »Auf der Intensivstation. In diese Richtung. Folgen Sie an der nächsten Ecke einfach dem orangefarbenen Pfeil auf dem Boden.« »Sehr gut.« Der Mann zeichnete wieder ein Symbol in die 94
Luft. »Vergessen Sie, dass ich hier war. Arbeiten Sie einfach weiter!« Die Krankenschwester sah gehorsam zur Seite und nahm ihr Telefongespräch wieder auf. Der Mann entfernte sich rasch vom Schwesternzimmer, überquerte den Gang und verschwand in der Flügeltür, die auf die Intensivstation führte. Komisch, dachte Xander, der hat doch tatsächlich gerade einen alten Jedi-Trick an der Krankenschwester ausprobiert! Das bedeutete nichts Gutes. Er zögerte nur kurz, dann nahm er die Verfolgung auf. Die Krankenschwester schien immer noch unter dem Einfluss dessen zu stehen, was der Mann in dem stahlblauen Anzug mit ihr angestellt hatte, denn sie bemerkte Xander nicht einmal. Ein flaues Gefühl machte sich in seiner Magengrube breit.
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9 Die Panik schlug ihre eisigen Krallen in Willows Haut und versuchte, sie ihr vom Fleisch zu reißen. Willow kniete auf dem Boden vor dem Dimensionenportal, durch das Buffy und Spike einen Augenblick zuvor verschwunden waren. Der brennende Scheiterhaufen rechts von ihr loderte auf und schleuderte glühende Funken in die Luft, die erloschen, bevor sie die im Dunkeln liegende Steindecke der Höhle erreichten. Es wurde kälter. Zuerst dachte Willow, sie bilde sich den Temperaturwechsel nur ein, aber der Schein des flackernden Feuers spiegelte sich in plötzlich erscheinenden vereisten Stellen an den Wänden. Es wurde tatsächlich kälter in der Höhle! Vielleicht rührte die Kälte von der magischen Energie her, die im Raum am Werk war, aber möglicherweise stammte sie auch von einem Schutzbann, der erst jetzt seine Wirkung entfaltete. Voller Angst konzentrierte sich Willow auf das Dimensionenportal. Sie spürte, wie ihr die Verbindung zu dem Portal entglitt. Als sie den Blick zu Boden richtete, sah sie mit Sorge, dass Raureif die geheimnisvollen Symbole zu überziehen begann, die Spike mit seinem Blut gemalt hatte. Irgendwer versuchte, ihre Verbindung zu dem Portal zu kappen. Als Willow dies begriffen hatte, legte sich bereits eine neue Raureifschicht über die vorhandene und verdeckte die Symbole noch ein wenig mehr. Vorsichtig stimmte Willow einen Sprechgesang an und wandte einen Teil ihrer Aufmerksamkeit von dem Portal ab, obwohl sie wusste, wie gefährlich das war. Wenn sie die Verbindung zum Portal verlor, verlor sie auch die zu Buffy und Spike. Der milchige Schleier über dem Portal riss auf. Einen Augenblick lang konnte Willow Buffy und Spike auf der Kno96
chenbrücke sehen, die zu der Insel führte, auf der sich der Craulathar-Dämon befand. Die Brücke schleuderte hin und her wie ein Hund, der sein nasses Fell ausschüttelt. »Buffy!«, rief Willow. Sie konnte nicht beurteilen, ob Buffy und Spike sie hörten, denn eine weitere Kältewelle drang in die Höhle ein, es wurde noch kälter und Nebel raubte ihr die Sicht. Ihren Atem sah Willow als lange, graue Dunstfahne vor sich. Sie blickte auf die geheimnisvollen Symbole. Beunruhigt nahm sie wahr, dass eine neue Raureifschicht den Boden überzog. Die Zeichen waren im Kerzenschein nur noch ganz schwach zu erkennen. »Nein!«, schrie Willow. Wenn die Symbole völlig zugedeckt waren, würde sie die Verbindung zu Buffy und Spike verlieren, dessen war sich Willow sicher. Ohne den Schutz, den sie den beiden mit ihrem Zauber gewährte, waren sie der Dämonendimension hilflos ausgeliefert. Willow streckte die Hand aus und machte eine Bewegung, als wolle sie an dem brennenden Scheiterhaufen ziehen. Menschenknochen brannten in dem Feuer und leuchteten orangerot wie glühende Kohlen. Stück für Stück zerfielen manche der Knochen und Willow beobachtete, wie dem Feuer allmählich der Brennstoff ausging. Die Zeit wurde knapp. Willow sprach mit zittriger Stimme und klapperte dabei mit den Zähnen, so sehr fror sie. »Geister des Feuers, hört mich an! Über Leben und Tod habt ihr die Macht, ob auf oder ab, liegt in eurer Hand. Seid meine Freunde in dieser Nacht!« Willow spürte, wie sie von Energie durchströmt wurde. Ihr Herz schlug schneller, wie immer, wenn sie ihre Hexenkunst 97
anwandte. Doch dieses Mal kam auch die Angst um ihre Freundin hinzu. Gehorsam sprang eine vielleicht dreißig Zentimeter lange Feuerschlange aus dem brennenden Scheiterhaufen. Das nur aus Feuer bestehende Wesen wehrte sich gegen Willows Kontrolle. Sie hätte mehr Gewalt über die kleine Elementarkraft gehabt, wäre sie einem Feuer des Guten entsprungen. Sie aus der Kerzenflamme heraufzubeschwören wäre jedoch zu riskant gewesen, denn die Kerze wäre ganz gewiss dabei erloschen. Die Feuerschlange zuckte, wand sich rebellisch und richtete sich auf wie eine Königskobra. »Nein«, sagte Willow gebieterisch. »Du gehörst mir! Ich habe dich erschaffen. Du wirst tun, was ich sage.« Sie konzentrierte sich auf die kleine Schlange. Obwohl die Kreatur unbelebt war und keinen eigenen Willen besaß, wehrte sie sich gegen Willow, da sie aus dem Scheiterhaufen stammte, der mit böser Absicht errichtet worden war. Zischend spuckte die Feuerschlange glühende Regentropfen in Willows Richtung. Zum Glück fielen sie ein paar Zentimeter vor ihr zu Boden. »Beweg dich!«, befahl Willow. Sie spürte die Hitze der Feuerschlange an Gesicht und Händen. Eine unvorstellbare Hitze. »Da hinten sind meine Freunde, die wir retten werden!« Widerwillig senkte die Feuerschlange ihren Kopf auf den Steinboden und kroch zu den mit Raureif bedeckten Symbolen. Der Raureif entzündete sich zischelnd und stieg in einem Wirbel blaugrauen Rauchs vom Boden auf. Aber die Hitze trocknete die Symbole auch aus. Entgeistert beobachtete Willow, wie das Blut eines der Symbole schwarz wurde und in winzige Krümelchen zerfiel. »Nein!«, rief Willow. Wenn sich die Symbole zersetzten, war auch ihre Verbindung zu Buffy und Spike gekappt. »Halt!« Aber die Feuerschlange setzte ihren Weg der Zerstörung fort und bewegte sich nun schneller, als wäre ihr bewusst, dass ihre 98
Tat Willow in Bedrängnis brachte. Fast schien sie stolz darauf zu sein. Eines der Symbole zersetzte sich zur Hälfte und die trockenen Blutkrümel stiegen als glühende Funken in dem Rauch auf, der zur Decke stieg. »Nein!«, rief Willow lauter und griff nach der Schlange, doch diese rollte sich sofort zusammen und griff an. Eine glühende Hitzewelle fuhr in Willows Finger und fügte ihr brennende Schmerzen zu. Als sie die Hand zurückzog, bildeten sich bereits kleine Brandblasen auf der Haut. Die Schlange wandte sich ab und fuhr mit ihrem Angriff auf den Raureif und die Symbole fort. Willow schrieb unsichtbare Zeichen in die Luft, obwohl sie eigentlich wusste, dass sie etwas Böses nicht zum Zaubern verwenden konnte. Auch wenn sie gute Absichten hatte, konnte das geringste Böse oder Eigennützige den Zauber verderben. Es hatte eigentlich gar keinen Zweck, die Flammen von dem Scheiterhaufen zu verwenden. Wieder machte sie Zeichen mit den Händen und verwendete eine einfachere Zauberformel, die sie mit Tara erarbeitet hatte. Ein Tornado von einem halben Meter Höhe entstand über der Feuerschlange. Das Auge des Tornados tanzte über den Steinboden und saugte den Rauch auf, der von dem verdampfenden Raureif und dem brennenden Blut aufstieg. Im nächsten Augenblick griff er die Feuerschlange auch schon an und zog sie in seinen Schlund. Sie wirbelte um die eigene Achse, als sei sie in einem Mixer gefangen. Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Willow über diesen Anblick lachen können! Den Schleudergang des Tornados hielt die Feuerschlange nicht lange aus. Die Flammen loderten einen Augenblick hell auf, dann erloschen sie und eine dicke schwarze Rauchwolke stieg aus dem Tornado auf. Als der Wind erstarb, sah Willow besorgt zu den Symbolen 99
auf dem Boden. Eins von ihnen war von der Feuerschlange fast ausradiert worden. Nur ein paar Kleckse schwarzes Blut waren noch zu sehen. Selbst wenn Willow Vampirblut zur Verfügung gehabt hätte, wäre sie wohl nicht in der Lage gewesen, das Symbol wiederherzustellen. Da begann der Raureif erneut, sich auf dem Boden auszubreiten, wurde dicker und dicker und überdeckte immer mehr von den Symbolen, die Spike gemalt hatte. »Nein!«, rief Willow grimmig, beugte sich vor und kratzte mit den Fingernägeln den herankriechenden Raureif weg. Die Blasen an ihren verbrannten Fingern platzten auf, aber sie ignorierte die Schmerzen. Da flackerte die Kerze und ihre Flamme wurde einen Augenblick lang kleiner. Von der Kälte waren Willows Finger ganz taub. Da dies ihre Schmerzen linderte, freute sie sich zunächst darüber, bemerkte jedoch dann, dass sich der Raureif allmählich auch auf ihren Fingern ausbreitete. Hypnotisiert und entgeistert beobachtete Willow hilflos, wie der Raureif über ihre Finger kroch und ihre Hände einzuhüllen begann. »Buffy?«, rief sie verzweifelt. Sie schaute zu dem Portal, konnte aber durch den dichten Nebel nichts erkennen. Die Kälte kroch ihr die Arme hinauf und eine dünne Raureifschicht begann sich über ihren ganzen Körper auszubreiten. Plötzlich schabte hinter ihr etwas über den Steinboden und sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, nicht mehr allem in der Höhle zu sein. »Donny ist nicht tot!« Tara beobachtete, wie Amy aus dem Zuschauerraum auf Derek Traynor zustürmen wollte. »Donny ist nicht tot!«, rief sie wieder. »Er ist bei einem Freund zu Besuch!« Derek rappelte sich schwankend auf; offenbar litt er sehr. 100
»Donny ist nicht dort, Amy.« Jeglicher Humor und die sonst übliche Gelassenheit waren aus seiner Stimme gewichen. Er klang nun reichlich verstört. Benommen starrte er die junge Frau an, die sich ihm näherte, aber Tara war überzeugt, er sah sie gar nicht wirklich. Zwei der Securitymänner traten Amy in den Weg. »Sorry«, sagte einer von ihnen und hielt die Hände hoch. »Sie dürfen nicht näher kommen.« »Er soll aufhören!«, verlangte Amy. Panisch wühlte sie in ihrer Handtasche. »Er soll aufhören, so etwas über Donny zu sagen! Das ist nicht witzig!« »Donny ist irgendwo anders«, sagte Derek. »Er sitzt in der Falle. Er will zu Ihnen zurück, Amy, aber er kann nicht. Irgendetwas – irgendjemand – hält ihn zurück.« »Lügner!«, schrie Amy und holte ein Handy aus ihrer Tasche. Mit zitternden Fingern tippte sie eine Nummer ein. »Derek!«, rief ihm Susan Kane, die Produzentin der Sendung, von der offenen Tür des Kontrollraums zu. »Derek! Alles in Ordnung mit dir?« »Mir geht es gut, Susan«, entgegnete Derek. »Aber so etwas... so etwas habe ich noch nie gesehen.« Willkommen am Höllenschlund!, dachte Tara. »Was ist es?«, fragte Susan Kane. »Was siehst du?« Amy drückte das Handy an ihr Ohr. Trotzig stemmte sie eine Hand in die Seite, aber die Geste verfehlte ihre Wirkung, da sie vor Weinen am ganzen Körper zitterte. Tara konnte praktisch hören, wie das Rufzeichen in der Leitung tönte; viele Male, doch niemand ging an den Apparat. Sie war überzeugt, auch die anderen Studiogäste hörten es. »Donny ist nicht allein«, sagte Derek heiser. »Ein Freund ist bei ihm. Sie sind... sie sind nicht sie selbst. Sie sind verändert. Irgendwie anders. Und sie werden angegriffen.« Fröhlich stand Robby Healdton in der Gestalt des Dämons da, 101
die ihm das Virtual-Reality-System verlieh, mit dem er verkabelt war. Hätte er es nicht besser gewusst, wäre er sich nicht im Klaren darüber gewesen, was technisch alles machbar war, hätte er vielleicht tatsächlich geglaubt, sich in einer anderen Welt zu befinden – und zwar mitten in einem Krieg befeindeter Dämonenrassen. Er sah hinunter in das zerklüftete Tal, in dem die Dorinogs – die Dämonenrasse, der er in diesem Spiel angehörte – gegen die verfeindeten Kalinths Krieg führten. Sie kämpften um die Herrschaft über die Welt, in der sie lebten, und die hieß Ollindark. Raues, zerstörtes Land, so weit das Auge reichte. Hier und da zerklüftete Felsblöcke, dazwischen gelber alkalischer Flugsand, der in den Augen schnitt wie Glassplitter, und viele brennbare Steinbrocken. Oh ja, und immer wieder ein Tümpel mit türkisfarbener Säure, die binnen Sekunden das Fleisch von den Knochen fraß, wenn man mit ihr in Kontakt kam. Robby hatte es schon mehrfach beobachtet. Auf Ollindark gab es keine Pflanzen, dort lebten nur Fleischfresser. Robby fühlte sich in dieser Umgebung recht wohl. Baller- und Kriegsspiele waren seine Spezialität, und das Spiel, das er gerade testete, war durch sein Rollenspielformat für mehrere Mitspieler der absolute Hammer. Eine dicke blaue Sonne stand an einem grünen Himmel, dessen Farbe immer kräftiger wurde, je näher die Sonne dem Horizont kam. Sonnenaufgänge und -untergänge sahen in dieser Welt aus wie eitrige Wunden am Horizont und die Nächte waren so schwarz wie das Herz eines von George Lucas erdachten Schurken. Rote und orangefarbene Gebirge erhoben sich schroff aus dem gelben Land, als hätte sie das sterbende Herz dieser Welt ausgestoßen. »Flugsand!«, rief Robby, um den Rest seiner Truppe vor der nahenden Gefahr zu warnen. Immer wieder fegten unvorhersehbare Windböen über das 102
Land hinweg und jagten Sandwolken vom kargen Boden auf. Der wirbelnde gelbe todbringende Luftangriff, wie man das Phänomen wohl am besten beschrieb, peitschte auf ihn zu. »Festmachen! Festmachen!«, befahl Robby. Er krümmte seine langen Greifzehen, bohrte die harten Krallen in den nackten Fels und hakte sich fest. Als Dorinogs hatten alle Mitspieler die Fähigkeit, sich auf diese Weise mit ihren Hinterläufen im Boden zu verankern. Die Flugsandwolke kam näher und wurde immer größer. Nun war sie schon etwa sechs Meter hoch – doppelt so groß wie Robby in seinem neuen Körper – und gut zwanzig Meter breit. Das unverkennbare Pfeifen des Sandes in der Luft dröhnte ihm in den Ohren und überdeckte alle anderen Geräusche. Robby streckte seine langen ledernen Flügel aus. Sie waren von einem dunkleren Violett als der Rest seines Körpers und fast fünf Meter lang. Trotz ihrer Größe konnte er sie sehr kompakt auf seinem Rücken zusammenfalten, wenn er sie nicht brauchte. Ihr Gewicht spürte er gar nicht. Auf den Boden gekauert, schlang er die ledrigen Flügel um sich, die so eine schützende Kuppel bildete, die sicherer war als jedes Kettenhemd. Dunkelheit umfing ihn und er wartete ab. Der Flugsand kam für seinen Geschmack ein wenig zu plötzlich. Das war für ihn einer der kleinen Schwachpunkte des Programms. Es steuerte zwar das Aufeinandertreffen der umherwandernden Monster, aber auf Seiten der feindlichen Kalinths gab es sehr viele Patrouillen und Kundschafter, um Robby und seine Mitspieler in Atem zu halten. Das erklärte Ziel des Spiels war es, bestimmte Knochen zu finden. Die »Knochen von Torqualmar« hatte Dredfahl sie genannt. Dredfahl war der Designer des Spiels, und mit einem anderen Namen hatte er sich nie vorgestellt. Robby wusste natürlich, dass Dredfahl ein Pseudonym war. Der Designer hieß vermutlich Mark oder Eric oder Jerry. Ein 103
ganz normaler Junge mit der Chance, die erste wirklich interaktive Online-Welt erschaffen zu können. Robby hoffte, die anderen Spieler blieben am Ball und nahmen sich die strenge Mahnung, die sie von Dredfahl erhalten hatten, zu Herzen. Robby und den übrigen Mitspielern fiel es natürlich schwer, es sich zu verkneifen, die Software dieses herausragenden Virtual-Reality-Spiels mal richtig durchzutesten. In manchen Videospielen waren die Effekte, wenn jemand starb, einfach zu cool, und Robby hatte seine Figur in anderen Spielen schon so manches Mal sterben lassen, nur um die Effekte zu erleben. Dredfahl hatte sie jedoch bei der Einweisung in das Spiel gewarnt, dass jeder, der sich mit Absicht töten ließ, nicht wieder ins Spiel zurückkehren durfte. Auch diejenigen, die dem laufenden Dämonenkrieg zum Opfer fielen, durften erst nach Beendigung der ersten Testrunde wieder mitmachen. Robby spürte die Sandkörner wie Nadelspitzen, als der Sturm über ihn hinwegfegte, aber keines der scharfen Körnchen drang durch seine Flügel. Allmählich ebbte der heulende Sturm ab. Da der Flugsand manchmal noch andere Übel nach sich zog, klappte Robby seine Flügel nur einen Spalt breit auseinander und spähte hinaus. Außerhalb seiner schützenden Festung regte sich nichts. Daraufhin rollte Robby seine Flügel zusammen und faltete sie auf dem Rücken zusammen. In den ersten Testsessions hatte er gelernt, mit seinem neuen Körper umzugehen. »Kommt schon, ihr Waschlappen!«, schrie Robby seinen Teamkollegen entgegen. Er gab sich alle Mühe, wie Nick Fury zu klingen, einer seiner Lieblingscomichelden. Wie er fand, fehlten ihm dazu nur noch ein Zigarrenstummel zum Draufrumkauen und eine Augenklappe. »Es ist ein guter Tag zum Töten!« Er stand auf und ergriff mit seiner riesigen dreifingrigen Hand einen der neben ihm liegenden Felsbrocken. Als er sich 104
nach hinten umsah, erhoben sich auch die anderen neun Männer seines Teams. Sie alle gehörten zur Rasse der drei Meter großen Dorinogs. Alle hatten dieselben Flügel wie Robby, dreifingrige Hände und Füße mit drei Zehen und messerscharfen Krallen. Der violette Farbton ihrer Haut variierte jeweils, aber nicht sehr viel. Ihre riesigen kahlen Köpfe waren rund und saßen auf breiten Schultern. Ihr Körper wurde von einem mächtigen Oberkörper dominiert, der von kurzen, stämmigen Beinen getragen wurde. Im Gesicht hatten sie zwei kleine Schlitze als Nasenlöcher und einen breiten Spalt voller spitzer Zähne als Mund. Das Kinn war genauso breit wie die Stirn. »Da kommen sie!«, rief einer der Mitspieler. Robby drehte sich um und hob die primitive Keule auf, die er aus einem Felsstück gefertigt hatte. Sie war zwei Meter lang und ihr Kopf etwa einen knappen halben Meter dick. Aber seine beste Waffe war die Fähigkeit, manche der Felsbrocken, die in der höllischen Landschaft herumlagen, in Feuerbälle verwandeln zu können. Er erkannte die brennbaren Steinbrocken an ihrem hohen Kristallgehalt, der sie in der Sonne glänzen ließ, zugleich aber leitete ihn auch sein Instinkt bei der Suche. Er konzentrierte sich auf den Stein in seiner Hand, drückte ihn fest zusammen und schon verwandelte er sich in brennende Schlacke. Die Kalinths preschten aus dem Tal den Berg hinauf. Sie waren nur halb so groß wie die Dorinogs und ihr Äußeres erinnerte entfernt an Büffel. Sie standen auf vier Beinen, die dick wie Baumstämme waren und an deren Ende massive, verhornte Fußballen saßen. An ihrem menschlichen Torso befanden sich sechs dünne Arme, die ihnen entfernt das Aussehen einer Heuschrecke verlieh. Mit ihren eins fünfzig langen Köpfen, die an beiden Enden spitz zuliefen, konnten sie zustechen wie mit 105
einem Speer, sie konnten diese aber auch als Schlagwaffe verwenden. Außerdem hatten sie einen harten Chitinpanzer. Eine weitere, nicht zu unterschätzende Besonderheit war ihr drittes Auge, mit dem sie gefährliche Strahlen schießen konnten, die dem Gegner zumindest Prellungen und Knochenbrüche bescherten und ihn manchmal auch töteten. »Angriff!«, brüllte Robby, als die Kalinths den Hang hinaufstürmten und näher rückten. »Jetzt!« Mühelos schleuderte er die brennende Schlacke, in die er den Felsbrocken verwandelt hatte, und beobachtete höchst befriedigt, wie der Feuerball einen der anführenden Kalinths an Kopf und Schultern traf. Von der Wucht des brennenden Gesteins getroffen, hatte der Kalinth nicht einmal mehr Gelegenheit, vor Schmerz zu schreien. Er stürzte und kugelte wieder den Hang hinunter. Auch wenn man die nicht aktiv am Spiel beteiligten Figuren mitzählte, hatten die Kalinths dreimal so viele Mitglieder wie Robbys Mannschaft. Die echten Mitspieler machten nur ein Viertel der Dorinog-Armee aus. Die Figuren, die nicht als aktive Mitspieler fungierten, verhielten sich wie echte Dämonen und hatten nicht viel mit den aktiven Spielern zu tun. Sie befolgten lediglich deren Befehle – wenn man sie ihnen genau erklärte und sie regelmäßig daran erinnerte. Robby wollte den Spieleentwicklern vorschlagen, diese passiven Figuren mit mehr Fähigkeiten auszustatten. Siegesgewiss kamen die Kalinths näher. Sie wussten nicht, dass Robby dies genau so vorausgeplant hatte. Als leidenschaftlicher Spieler, der einst mit Brettspielen begonnen hatte – um dann zu Rollenspielen mit Papier und Stift und später zu Computer- und Konsolenspielen überzuwechseln –, kannte sich Robby mit Strategie und Planung bestens aus. Er hatte Militäroperationen studiert – von Sun Tzus »Die Kunst des Krieges« bis hin zu zeitgenössischen Strategien mit kleineren Sondereinsatzkommandos. »Sie werden uns überrennen, Robby!«, rief einer der Mit106
spieler. »Halt die Stellung, Chris!«, bellte Robby. »Rühr dich nicht vom Fleck! Wir müssen sie als Gruppe zusammenhalten!« Er suchte sich einen neuen Felsbrocken, entzündete ihn und schleuderte ihn auf einen Kalinth, der den Hang mit einem Strahl aus seinem dritten Auge sondierte. Der grüne Energiestrahl erwischte einen der Spieler an der Brust und warf ihn zu Boden. Der Getroffene schrie vor Schmerzen, als er kopfüber den Berg hinunterstürzte. Mann, dachte Robby, das muss ein geiles Gefühl sein! Ihm kam das ganze Spiel so real vor. Unwillkürlich musste er lachen. Dieses Spiel war einfach eine... Ehrfurcht gebietende Erfahrung. Es gab kein anderes Wort dafür. Da traf der Feuerball, den er geschleudert hatte, den Kalinth an der Seite und er brach in einem Knäuel zappelnder Glieder zusammen. Einer der Dorinog-Spieler sprang vom Boden ab und versuchte wegzufliegen, um dem bevorstehenden Kalinth-Angriff zu entgehen. Blöde Idee!, dachte Robby, bevor ein grüner Energiestrahl den fliehenden Dorinog zerfetzte. Die Flügel des Dämons zerrissen wie Konfetti und gebrochene Knochen ragten aus dem dunkelvioletten Fleisch heraus. Robby sah den Dämon nicht fallen, denn in diesem Augenblick rollte die erste Welle der Kalinths über ihn hinweg. Er schwang die Keule mit beiden Händen und drosch auf die Beine des Kalinths ein, der ihn zu zertrampeln drohte. Die Kreatur schrie auf, griff aber mit den Vorderklauen nach Robby. Robby stieß sie zur Seite, schwang erneut die Keule und zertrümmerte seinem Widersacher den Schädel. Alle drei Augen des Kalinths wurden trüb. »Stirb, du dreckiger Dorinog!«, brüllte der nächste Kalinth und schleuderte einen Speer auf Robby. Robby sprang zur Seite und rammte einen anderen Kalinth, der die Stellung auf dem Berg durchbrach, die von den 107
Dorinogs nun nicht mehr gehalten werden konnte. Instinktiv hielt sich Robby an einem Vorderbein des Kalinths, gegen den er gerammt war, fest, lief drei Schritte mit und schwang sich auf seinen Rücken. Sofort drehte er seine Steinkeule um und stieß dem Kalinth das dünne Ende in den Rücken. Es lagen ihnen zwar keine Informationen darüber vor, wo sich bei den Feinden das Herz befand, aber der Stoß verfehlte seine Wirkung nicht. Der Kalinth geriet ins Stolpern, stürzte und verendete. Robby konzentrierte sich. In diesem Augenblick war er froh über seine kurzen Dorinog-Beine. Er stützte sich mit einer Hand ab und stellte sich auf dem Rücken des Kalinths auf. Einen Augenblick, bevor die Kreatur auf dem Boden aufschlug, sprang er ab. Als er sich kurz die Zerstörung und Verwüstung ansah, die er verursacht hatte, geriet Robby, der völlig mit Feindesblut beschmiert war, in Hochstimmung. Mann, das Spiel ist klasse!, dachte er. Wenn es auf den Markt kam, würde es Millionen einbringen. Robby war fest entschlossen, einen detaillierten Testbericht vorzulegen. Schon bald würde es Fortsetzungen von dem Spiel geben, auch ein Erweiterungskit, und vielleicht gelang es ihm, den Designer des Spiels so sehr zu beeindrucken, dass er ihm helfen durfte. Er hatte vor, ein Papier mit Vorschlägen und Tipps abzugeben, wie man die Realtime-Action noch effektiver gestalten konnte. Mühelos überwanden die Kalinths die Dorinog-Stellung. Genauso hatte Robby es geplant. Auch die Kalinths hatten Verluste zu beklagen. Sie würden sich durch nichts von der Verfolgung ihrer Gegner abhalten lassen. Zeit, die Falle zuschnappen zu lassen, dachte Robby. Er warf die Keule zur Seite, legte die Hände an den Mund und schrie: »Rückzug! Rückzug! Rauf auf den Berg!« Wie eine gut trainierte Spezialeinheit machten die Spieler kehrt und flohen. Trotz ihrer Stummelbeine konnten die 108
Dorinogs schneller laufen als die Kalinths, jedoch nur über eine kurze Distanz. Auf der Langstrecke waren ihnen die Kalinths überlegen. Robby schnappte sich seine Keule und einen Felsbrocken und floh mit den anderen Dorinogs den Berg hinauf. Der Boden zitterte und bebte unter seinen Füßen, als sich die Kalinths neu formierten und die Verfolgung aufnahmen. Robby blickte über seine Schulter und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Okay, so weit lief alles nach Plan. Die Kalinths waren ihnen dicht auf den Fersen, als sie den Bergrücken erreichten. Der wie Nebel über dem Tal liegende gelbe Staub schimmerte im blauen Sonnenlicht grünlich. Oben angekommen, warf sich Robby zu Boden. Auf der anderen Seite fiel der Berg jäh ab. Der Boden war mit einer dünnen Sandschicht bedeckt, auf der man kaum Fuß fassen konnte. Trotz seines übernatürlich entwickelten Gleichgewichtssinns und der den Dorinogs eigenen Beweglichkeit rutschte Robby aus und stürzte. Er schlitterte mindestens fünfzig Meter den Berg hinunter und entging dabei nur knapp den spitzen Steinpflöcken, die er zuvor mit seinen Mitspielern aufgestellt hatte. Er streckte die Hand aus, bekam einen der steinernen Spieße zu fassen und rappelte sich auf. Nun kamen die Kalinths über die Bergkuppe gedonnert. Sie waren zu schnell und zu schwer, um anhalten zu können. Einige Dorinog-Spieler verloren den Halt und stürzten den Berg hinunter, andere wiederum wurden von den Kalinths getötet oder verletzt, die nun den Abhang hinunterstolperten. Am Ende des steilen Abhangs ragten die spitzen Steinpflöcke aus dem Boden. Sie durchdrangen mühelos die Chitinpanzer der Kalinths. Leuchtend rotes Blut, das im Schein der blauen Sonne eine violette Färbung annahm, spritzte auf den gelben Sand. Nur wenigen Kalinths gelang es, auf dem Bergrücken abzubremsen, und manche wurden sogar von den eigenen Leuten gerammt und den Abhang hinuntergestürzt. 109
Robby ließ den Felsbrocken fallen, den er in der Hand behalten hatte, und hob die Finger an den Mund. Weder die plumpen Finger eines Dorinogs noch der primitive Mund waren eigentlich zum Pfeifen zu gebrauchen und er hatte Stunden geübt, bis es geklappt hatte. Er pfiff, und das schrille Geräusch hallte den Berg hinauf. Zahlreiche Dorinogs, alles aktive Mitspieler – vielleicht zehn, zwölf Dutzend, mehr, als Robby je gesehen hatte –, brachen am Bergrücken hinter den Kalinths aus der Deckung hervor. Sie befeuerten die Kalinths mit Feuerbällen und Steinspeeren und trieben sie über den Berg oder töteten sie gleich an Ort und Stelle. Es war das absolute und totale Blutbad! Robby Healdton genoss jede einzelne Minute. Was für ein krasses Spiel!, dachte er.
110
10 Wenn ich es mir recht überlege, dachte Xander, als er vor Robby Healdtons Zimmer auf der Intensivstation stand, ist das wirklich keine gute Idee. Mit laut klopfendem Herzen spähte er um die Ecke und sah, wie der ausgemergelte Mann in dem stahlblauen Anzug am Fußende von Robbys Bett stand. Bis auf die orangefarbenen, grünen und blauen Kontrollleuchten der diversen Monitore, an die Robby angeschlossen war, gab es kein Licht in dem Zimmer. Und außer den Pieptönen der Geräte war alles still. Die kleinen Lämpchen der Maschinen, die Robby überwachten, verfärbten das schlohweiße Haar des Fremden. »Manik«, raunte dieser heiser. »Wach auf!« Er liegt im Koma, Kumpel!, dachte Xander. Und warum nennt er ihn überhaupt Manik? Robby lag regungslos in seinem Bett. Sensoren waren mit runden Pflastern an seinem Kopf und seiner Brust befestigt. Seine Arme und Beine hatte man an das Bettgestell gefesselt. Xander fragte sich, warum die Sunnydaler Polizei keinen Beamten zu Robbys Bewachung abgestellt hatte. Von vergangenen Krankenhausbesuchen wusste er, dass diese Maßnahme manchmal bei alkoholisierten Autofahrern oder Leuten ergriffen wurde, die eine Überdosis Drogen genommen oder einen Selbstmordversuch hinter sich hatten. Plötzlich ertönte gedämpftes Geplärr aus einem Funkgerät und mischte sich unter das Piepen und Summen der Krankenhausgeräte. Neugierig streckte Xander den Kopf noch ein bisschen weiter vor und spähte in die linke Ecke des Zimmers. Ein Polizist saß dort auf einem Stuhl. Das Licht der Leselampe hinter ihm fiel auf eine Waffenzeitschrift, die vor ihm auf dem Teppich lag. Er lehnte an der Wand, seine Augen standen weit offen und starrten ins Nichts. 111
Xander konnte nicht beurteilen, ob der Polizist lebte oder tot war. Aber wer für seinen Zustand verantwortlich war, das wusste er genau. »Manik«, sagte der seltsame Mann nun etwas lauter. Er zeichnete ein Muster in die Luft, das ganz kurz aufleuchtete. »Wach auf, oder ich zieh dir das Fell über die Ohren, in dieser Welt und in der anderen auch!« Okay, dachte Xander grimmig, das ist die Stelle, an der alle cleveren Helden ausschwärmen und Hilfe suchen! Sogar Lassie wusste, wann sie Hilfe für Timmy holen musste. In diesem Moment schlug Robby unvermittelt die Augen auf und sah den Mann an, der vor seinem Bett stand. »Dredfahl?«, krächzte er. »Meister?« Der alte Mann brachte Robby mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Sei still, Manik! Mit deiner verlogenen Unterwürfigkeit wirst du mich nicht besänftigen können.« »Aber Meister...« »Nein«, sagte Dredfahl. »Du hattest deine Befehle. Du wusstest genau, was du zu tun hattest, nachdem wir den Körper von diesem Jungen bekommen haben.« Obwohl jede einzelne Faser seines Körpers ihn dazu drängte, wegzulaufen und Buffy oder Giles zu holen, blieb Xander wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Bis er mit Verstärkung zurück war, konnte Robby schon längst etwas Schlimmes zugestoßen sein. »Wenn dieser Junge für uns auf der anderen Seite nicht so wertvoll wäre«, fuhr Dredfahl fort, »würde ich dich jetzt umbringen. Aber einen neuen Körper zu beschaffen würde mehr Zeit in Anspruch nehmen, als mir zur Verfügung steht. Ich habe noch andere Dinge zu tun, wenn Torqualmar in diese Welt zurückkehren soll.« »Ja, Meister. Ich bitte um Vergebung. Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich nicht genügend vorbereitet auf das Leben in diesem Körper war. Es ist ganz anders als alles, was 112
ich bisher kennen gelernt habe.« »Das ist keine Entschuldigung.« Dredfahl stand stocksteif und aufrecht da. »Du wurdest für die Elite ausgewählt, Manik, und da du mir gegenüber ungehorsam warst, hast du dein Leben verwirkt.« »Ja, Meister.« »Dieser Körper, den du bewohnst, ist für mich sehr nützlich, aber er ist nicht so stark wie dein eigentlicher Körper.« »Dessen bin ich mir jetzt bewusst, Meister.« Robby blickte niedergeschlagen und beschämt drein. »Es waren so wenige Menschen, und doch haben sie mich überwältigt.« Dann spielte ein verschmitztes Lächeln um seinen Mund. »Aber Ihr hättet sie sehen sollen, Meister. Ihr hättet sehen sollen, wie sie vor mir weggelaufen sind! Hätte ich meine wahre Gestalt besessen, ich schwöre, es hätte ein tolles Blutbad gegeben. Aber so weiß ich nicht einmal, ob es mir gelungen ist, auch nur einen von ihnen zu töten.« »Du wirst noch deine Chance bekommen«, versprach Dredfahl. »Es werden noch mehr Menschen sterben müssen, bis wir alle Knochen von Torqualmar beisammen haben.« »Gut«, sagte Robby. »Sie haben uns von dieser Welt verjagt und unser Volk tausende Jahre in einer Steingrube hausen lassen, wo es nur die Kalinth zum Vernichten gibt.« »Das ist nun fast zu Ende.« Dredfahl zeigte auf das Bett. Die Fesseln lösten sich von Robbys Armen und Beinen. »Wenn Torqualmar erst wieder in dieser Welt ist, werden sich uns unendlich viele Wege eröffnen.« »Dann wird es ein Blutbad geben!« Robby erhob sich aus dem Bett und stand in einem dürftigen Krankenhaushemdchen da. Er riss sich die Sensoren von Kopf und Brust. »Und ich kann diesen mickrigen Körper verlassen und wieder in meinen eigenen zurückkehren.« »Hör auf mich!«, befahl Dredfahl. »Du wirst noch ein paar Tage in Menschengestalt herumlaufen müssen, während ich 113
Torqualmars Rückkehr vorbereite. Seine Knochen wurden teils in dieser Welt verstreut und teils in der anderen an die Kalinths verteilt. – Und zieh dir etwas Anständiges an!« Robby ging zu dem regungslosen Polizisten hinüber. »Das sollte mir passen.« Als er anfing, den Beamten auszuziehen, fiel ihm die Pistole an seinem Hüftgurt auf. Begeistert riss er sie heraus. »Eine Waffe, Meister! Jetzt haben die Menschen mehr Grund, mich zu fürchten.« »Beeil dich!«, drängte Dredfahl. »Die Menschen auf Ollindark werden mir bald einen weiteren Knochen von Torqualmar bringen. Ich muss da sein.« »Natürlich, Meister. Es betrübt mich, dass denen gelingt, was wir nicht geschafft haben.« Rasch zog er dem Polizisten die Uniform aus. Im Korridor drehte Xander sich um und prallte gegen etwas, das er zunächst für eine Mauer hielt. Allerdings trug die Mauer einen Trenchcoat. Er sah auf und erblickte eine unglaublich breite Brust mit einem unglaublich gruseligen Gesicht darüber. Um die Augen waren Ecken und Knochenkämme zu sehen, die sehr gut zu dem kalt grinsenden Mund voller spitzer Zähne passten. Xander wusste nicht, mit was für einem Dämon er es zu tun hatte, aber dass es einer war, daran bestand kein Zweifel. »Igitt!«, quietschte er und bedauerte es sofort, denn hier wäre doch nun wirklich etwas Heldenhafteres, Tapfereres angebracht gewesen. »Spitzel!«, beschuldigte ihn der Dämon mit tiefer, grollender Stimme. »Eigentlich...«, setzte Xander an und seine Gedanken rasten, aber er hatte keine Gelegenheit, noch etwas zu sagen, da der Dämon ihn plötzlich mit seiner großen Hand am Hals packte. Lassie hatte nie solche Probleme. Timmy stürzte im schlimmsten Fall in einen Brunnen. Das war viel einfacher, als erklären zu müssen, er sei von einem Dämon aufgefressen 114
worden. Der Dämon hob Xander in die Luft. Xander spannte seine Nackenmuskeln an, damit ihm der Widerling nicht den Hals brach, und umklammerte mit beiden Händen das Handgelenk des Dämons, um sich ein wenig daran hochzuziehen. Der Dämon hielt ihn wie eine kleine Katze im Nacken gepackt und stürmte in das Krankenzimmer. »Meister Dredfahl«, sagte er, »Sie wurden bespitzelt!« Der ausgemergelte Mann sah Xander an. »Wer bist du, Junge?« Der Dämon lockerte seinen Griff um Xanders Hals. »Ich hab mich verlaufen«, erklärte Xander schnell. »Ich war in einen Unfall verwickelt.« Immerhin sah er nach dem Kampf im Kino genauso aus. »Ich wollte in ein anderes Zimmer, nach meiner Freundin sehen.« Robby – oder Manik, je nachdem... – sah ihn neugierig an. Einen Augenblick lang befürchtete Xander schon, er hätte ihn wieder erkannt. Zum ersten Mal fielen ihm die lavendelfarbenen Augen des Dämons auf. Sie waren blass und kalt und ganz anders als Robbys Augen. Der Dämon, der in Robbys Körper geschlüpft war, trat vor und richtete die Pistole auf Xanders Kopf. »Soll ich ihn töten, Meister?« »Nein«, sagte Dredfahl. »Dann werden nur noch mehr Menschen auf uns aufmerksam. Lass ihn.« Xander wollte gerade einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen, aber da verpasste ihm Manik mit dem Pistolengriff einen Schlag an die Stirn. Schmerzen schossen durch Xanders Schädel. Dann wurde um ihn herum alles schwarz. »Ich sehe Dämonen«, keuchte Derek Traynor. Tara beobachtete, wie der kniende Othersyde-Moderator hin und her schwankte und mit blinden Augen in die hellen Scheinwerfer blickte. Tara verfolgte die Sendung schon seit 115
Monaten, aber derart fassungslos hatte sie Derek noch nie erlebt. Er war manchmal traurig über die Geschichten, die in der Sendung ans Licht kamen, aber noch nie war er so hysterisch gewesen wie in diesem Augenblick. Im Studio herrschte Chaos. Die meisten Zuschauer wollten fliehen und stürmten allein oder in kleinen Gruppen auf die Ausgänge zu. Die Securitymänner standen im Kreis um Derek. Susan Kane stürmte aus dem Kontrollraum des Studios zu Derek hinüber. Sie kniete sich hin, schlang die Arme um ihn und befahl dem nächstbesten Securitymann: »Holen Sie einen Arzt! Er steht unter Schock!« »Sofort, Madam.« Der Mann schaltete das Funkgerät auf seiner Schulter ein und sprach in das kleine Mikrofon. Tara spürte, wie sie von Energie überflutet wurde. Dank ihrer Hexenbegabung war sie empfänglich für die geheimnisvollen Kräfte, die im Studio am Werke waren. Bei den früheren Sendungen von Derek hatte sie noch nie so etwas erlebt. Giles stand neben ihr, wachsam wie immer. Dazu wurde er eben ausgebildet, dachte Tara. »Ich sehe Dämonen«, sagte Derek wieder. »Sie sind überall.« »Beruhige dich, Derek«, beschwichtigte ihn Susan Kane. Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn. »Er brennt ja vor Fieber! Holen Sie mir einen Kühlbeutel aus dem Erste-Hilfe-Koffer!« Einer der Securitymänner sprintete zum Kontrollraum. »Ich sehe Dämonen«, sagte Derek zum wiederholten Male, als hätte jemand die Replay-Taste gedrückt. Amy, die junge Frau, mit der Derek geredet hatte, drängte nach vorn und wurde von zwei Securitymännern festgehalten, die sich bemühten, sie zurückzudrängen, ohne ihr wehzutun. Tränen der Verzweiflung liefen ihr übers Gesicht. »Was ist mit Donny?«, fragte sie. »Was ist mit Donny?« »Donny stirbt«, sagte Derek. »Neiiiin!«, rief Amy und ihr qualvoller Schrei hallte durch das ganze Studio. 116
»Robby!« Die Wunden, die ihm seine Feinde beigebracht hatten, brannten, als Robby sich keuchend auf seine Steinkeule stützte und dem Kalinth, der den Steinpflöcken in der Falle zum Opfer gefallen war, das schmale Ende durchs Herz stieß, »Du bist ein Narr!« Der Kalinth umfasste die Keule mit beiden Händen. Blut tropfte ihm aus dem Maul. »Game over, Kumpel!«, sagte Robby. »Wir kamen, wir sahen und wir haben euch am Arsch gepackt.« Schmerz loderte in den Augen des sterbenden Kalinth auf. Robby hoffte, dass es im Spieleditor Optionen gab, mit denen man die langen Todesszenen abkürzen konnte. Sie waren nicht nach seinem Geschmack. Er bevorzugte Feinde, die einfach verschwanden, wenn sie besiegt waren. Diese Hängerei am seidenen Faden, das Gekeuche und die Schmerzen, als wären sie echte Lebewesen, das wollte er alles nicht unbedingt sehen. »Dredfahl benutzt dich!«, keuchte der Kalinth. Das fand Robby ebenfalls höchst merkwürdig. Zwar versteckten die Spieldesigner immer kleine Insider-Scherze im Spielprogramm, aber dass sie namentlich erwähnt wurden, war doch sehr ungewöhnlich. Vielleicht nahm man die Hinweise auf Dredfahl später noch heraus. »Ihr seid bloß... bloß Schachfiguren für Dredfahl«, keuchte der sterbende Kalinth. »Ihr werdet... ihr werdet großes... Unheil über eure Welt bringen.« Dann starb der Kalinth mit einem letzten gurgelnden, erstickten Keuchen. Ein Zittern lief durch seinen Körper, bevor er schlaff wurde. »Mann«, sagte Robby angeekelt, »das war aber ein bisschen zu krass, findest du nicht?« Der Dorinog neben ihm nickte. »Ja, ist mir auch unheimlich.« Robby sah seinen Partner an. Sie brauchten unbedingt irgendwelche individuellen Merkmale oder etwas in der Art, 117
damit sie sich gegenseitig besser auseinander halten konnten. »Chris, oder?« »Ja, ich bin’s.« »Was ist los?« »Es geht um Donny, Mann. Sieht so aus, als wäre das Spiel für ihn gelaufen.« Chris zeigte nach hinten zu den Steinpflöcken. Robby erblickte den Dorinog, dessen Rolle Donny übernommen hatte. Irgendwie war er in dem ganzen Gedränge ohne fremdes Dazutun in einen der Dornen gestürzt, vielleicht hatte ihn aber auch einer der Kalinths durch die Luft geschleudert. Das spitze Ende des Pflocks ragte aus Donnys Bauch hervor und hielt ihn etwa einen Meter fünfzig über dem Boden fest – ungefähr auf Taillenhöhe eines Dorinog. »Lebt er denn noch?«, fragte Robby. Chris nickte. »So gerade noch. Er hat nach dir gefragt.« Robby schüttelte den Kopf. »Ich hasse diese Todesszenen!« »Ich auch. Sie mögen ja realistisch sein, aber sie sind einfach zu krass für ein Ballerspiel.« Chris zuckte mit den Schultern. »Es sei denn, der Typ hätte irgendeine kryptische Botschaft für dich, die einen Spielhinweis enthält.« Bislang hatten die Teamkollegen, die Robby hatte sterben sehen, lediglich im Todeskampf rumgeschrien, bevor sie still wurden. Einmal, als sie ihr Lager aufgeschlagen und auf weitere Befehle von Dredfahl gewartet hatten, hatte Robby sich den Schauplatz einer Schlacht angesehen. Die Leichen von Kalinths und Dorinogs hatten immer noch dort gelegen, statt einfach zu verschwinden, und waren Stück für Stück von Aasfressern verputzt worden, bis nur noch die Knochen übrig waren. Dies war ein wahrhaft krasses Erlebnis gewesen – nur einen Schritt entfernt vom Kannibalismus. Robby ging zu Donny hinüber. Der Mitspieler verdrehte im Todeskampf die Augen. Nur mühsam gelang es ihm, Robby anzusehen. 118
»Hey, Donny«, sagte Robby. Das kurze Anweisungspapier für das Spiel war hinsichtlich der Tipps für Dialoge in solchen Situationen nicht besonders mitteilsam gewesen. »Robby, Kumpel«, flüsterte Donny heiser. »Das ist kein Spiel. Ich sterbe. Ich kann das weiße Licht sehen. Mann, mein Großvater spricht mit mir, und er ist schon seit zehn Jahren tot.« Er hustete und spuckte Blut. »Sorry, Mann«, sagte Robby aufrichtig. »Das Spiel ist für dich gelaufen. Vielleicht kannst du ja beim nächsten Test noch mal mitmachen.« Donny schüttelte den Kopf. Er hielt sich an dem Steinspieß fest, der in seinem Bauch steckte, als wolle er verhindern, tiefer zu rutschen. »Das ist kein Spiel! Hörst du mir überhaupt zu?« »Ich höre.« Robby gefiel die Angst in Donnys Worten nicht. Davon wurde ihm ganz anders. Er kannte Donny schon lange. Sie trafen sich immer mal wieder im Comicladen oder im Spieleladen, und manchmal auch bei einem Online-Spiel, wenn sie das Pseudonym des anderen kannten. Donny war kein Weichei. Mann, dachte Robby, auch das Todeserlebnis muss total irre sein! Er hätte es eigentlich gern selbst einmal ausprobiert. Dass das Spielprogramm definitiv in der Lage war, Schmerzen zu suggerieren, hatte er schon am eigenen Leibe erfahren. Aber wie fühlte sich wohl das Sterben an? »Tut es weh?«, fragte Robby wissbegierig. »Ja«, keuchte Donny. »Aber nicht mehr so wie vorhin.« Wieder verdrehte er die Augen. »Aber das hier ist real, Robby. Dredfahl – oder wie auch immer er wirklich heißen mag – hat uns belogen. Das hier ist kein Spiel!« Robby berührte die ehrliche Angst, die Donny zeigte, und legte seine Hand auf die des Mitspielers. »Hey, Mann, jetzt flipp nicht aus! In ein, zwei Minuten sitzt du wieder in dem Lager, wo Dredfahl und seine Leute uns verstecken, in deinem Virtual-Reality-Sessel. Dann ziehen sie dir den Stöpsel raus, 119
weil du verloren hast und nicht mehr mitspielen darfst.« »Nein!«, rief Donny verzweifelt. »Das ist kein Spiel! Das ist echt! Dredfahl...« Unvermittelt ging ein Zittern durch seinen Körper und dann wurde er schlaff. Seine Augen wurden glasig. »Ist er tot?«, fragte Chris. »Ja«, antwortete Robby. »Mann, da bin ich aber froh! Das fing schon an, mir auf die Nerven zu gehen.« »Wie Donny so rumgewinselt hat, meinst du?« »Nein, das ist alles einfach viel zu real, Robby. Andere Spiele haben zwar auch schon PR-Probleme gehabt, aber das war alles nichts im Vergleich zu dem, was diesem Spiel hier bevorsteht.« »Ich weiß.« »Aber es ist schon ein bisschen beängstigend.« »Wie meinst du das?« »Überleg doch mal!«, sagte Chris. »Du und ich, wir haben schon unser ganzes Leben lang mit Spielen zu tun.« Er zeigte auf das Schlachtfeld ringsum. »Und hier ist von Virtual Reality mit totaler Immersion die Rede. Kannst du mir sagen, wer sich die ganze Ausrüstung, die man braucht, leisten kann? Ganz zu schweigen davon, wie viel die Firma hinterher für das Spiel haben will.« »Ach was, Mann«, sagte Robby. »Das haben die Leute auch über PlayStation 2 gesagt. Viele sagten voraus, sie würde sich nicht verkaufen, aber dann gab es sogar Schwierigkeiten, die Nachfrage zu decken. Viele Leute dachten, die PS2 würde baden gehen. Aber das tat sie nicht. Und zwar, weil es ein einziges Gesetz gibt, wenn es um richtige Spieler geht: Spieler spielen. Wenn die Designer einen Weg finden, das Spiel zu produzieren, finden die Spieler auch einen Weg, es zu spielen.« »Ich weiß nicht«, flüsterte Chris. »Aber ich bin, glaube ich, ganz froh, wenn ich hier wieder raus bin.« »Wenn du das willst«, meinte Robby, »dann musst du nur in 120
die Luft springen und dich auf einen von diesen Steinpflöcken fallen lassen.« Chris zögerte. »Nee, Mann. Ich glaube, erst spiele ich noch ein bisschen weiter. Außerdem, wenn das hier kein Spiel ist, was ist es dann?« Er drehte sich um und ging weg. Seine Worte hallten Robby noch eine Weile in den Ohren: Wenn das hier kein Spiel ist, was ist es dann? Die Frage nagte an ihm und das bange Gefühl in ihm verstärkte sich, als er auf das helle Blut an seiner Hand blickte. Donnys Blut. Wenn dies kein Spiel war, fand Robby, war das, was diese Welt wirklich war, viel zu gruselig, um darüber nachzudenken. Er wischte sich das Blut mit einer Hand voll gelbem alkalischem Sand ab und wandte sich wieder seiner Truppe zu. »Durchsucht die Kalinths!«, befahl er. »Dredfahl sagte, diese Truppe hätte einen von Torqualmars Knochen. Sehen wir mal nach, welchen!« »Mit Willow stimmt etwas nicht«, sagte Buffy und klammerte sich an die buckelnde Knochenbrücke, die sich über den Abgrund zwischen ihrer Welt und der Dämonenwelt spannte, aus der der Craulathar sein Weibchen holen wollte. Buffy spähte zu dem Portal am anderen Ende der Brücke. Nebel verschleierte die Sicht auf die Höhle unter dem Mausoleum. »Wir haben selbst schon genug Probleme«, sagte Spike. »Wenn diese Brücke zusammenbricht, stürzen wir in den Abgrund.« Buffy hörte, was Spike sagte, und wusste, er hatte Recht, aber alles in ihr schrie danach, ihrer Freundin beizustehen. »Wir müssen Willow helfen!« »Dieses verdammte Portal funktioniert nicht«, fluchte Spike, der flach auf der Brücke lag und sich an den Seiten festhielt, während das Bauwerk mit ihm hin und her schaukelte. »Ich habe mich in Bezug auf Willow geirrt. Sie ist nicht stark genug, um das Portal allein offen zu halten. Wir haben nicht 121
mehr viel Zeit.« Knochen klapperten und knackten, während die Brücke sich weiter schüttelte. »Wir können Willow nur helfen«, fuhr Spike fort, »wenn wir uns selbst helfen.« »Wie denn?«, fragte Buffy. Aber sie war misstrauisch. Spike war es immer viel wichtiger, die eigene Haut zu retten als die der anderen. »Indem wir den Craulathar-Dämon erledigen«, entgegnete Spike. »Es ist sein Zauber, von dem Willow bedroht wird und der diese Brücke so gefährlich macht. Wenn wir den Dämon töten, kommen wir bestimmt zurück.« Buffy sah zu dem Portal, wo der Nebel sich für einen Augenblick lichtete. Willow kniete immer noch auf dem Boden und hielt die Arme hoch. Sie glitzerten im Schein des Feuers und Buffy bemerkte, dass sie mit etwas überzogen waren. Mit Eis etwa? Aber das war doch gar nicht möglich! »Buffy!«, rief Spike. Ein Schatten löste sich aus der Dunkelheit hinter Willow und kam direkt auf sie zu. »Jemand ist da hinten bei Willow!«, schrie Buffy und wollte sich wieder in Richtung Portal bewegen. Doch Spike fasste sie am Arm. »Du kannst Willow jetzt nicht helfen!« Buffy drehte sich um und holte aus, um Spike zu schlagen. »Lass mich!« Spike ließ ihren Arm los und wich zurück. »Na gut. Wirf dein Leben ruhig weg! Und wo du schon dabei bist, Willows Leben gleich mit. Denn genau das tust du, wenn du nicht auf mich hörst.« Buffy starrte Spike an. »Aber ich werde nicht einfach tatenlos dabei zusehen, wie du auch mein Leben wegwirfst!« Spike zeigte auf den Dämon auf der Insel, die über dem dunklen Abgrund schwebte. »Diesen 122
Dämon zu töten ist die einzige Chance, die wir haben. Begreifst du das endlich?« Buffy nickte langsam. Sie war verwirrt und versuchte, sich auf Spikes Worte zu konzentrieren. Seit dem Tod ihrer Mutter kam ihr alles verwirrend und kompliziert vor. Das Leben sollte doch ab und zu auch mal einfach sein, aber momentan erlebte sie das genaue Gegenteil. »Dann komm jetzt!«, knurrte Spike und ließ sein Vampirgesicht zum Vorschein kommen. Mit der Streitaxt in der Hand sammelte sich Buffy und drang weiter über die Brücke vor. Dabei hielt sie sich so geduckt wie möglich. Als die schwankende Brücke sich ruckartig aufbäumte und heftig hin und her schwang, verlor Buffy den Halt, schlitterte über die unregelmäßige Knochenfläche unter ihren Sohlen und drohte in den finsteren Abgrund zu stürzen. Es gelang ihr nicht, sich mit der freien Hand festzuhalten, aber sie konnte sich mit einem Bein in einem der Geländerstützen einhaken. Fraglich war nur, ob sie ihr Gewicht aushielt. Als der Sturz in die Tiefe ausblieb, schwang Buffy den Oberkörper hoch, bekam das Geländer zu fassen und kletterte mit Spikes Hilfe wieder auf die Brücke. Als sie sich dem Ende der Brücke näherten, das mit der schwebenden Insel verbunden war, hörte das Bauwerk auf zu schwanken. Buffy richtete sich auf und lief im Vertrauen auf ihre Fähigkeiten die letzten paar Schritte, um dann mit einem Satz auf die kleine Insel aus kahlem Felsgestein zu springen. Sie betrachtete das kleine Steingebäude, vor dem der Craulathar-Dämon auf dem Boden kniete. Die Architektur trug einerseits gotische Züge, war wuchtig und bedrohlich, aber der Stil wirkte zugleich auch unirdisch. Das Mauerwerk war mit Steinfiguren verziert: kleine Dämonen, die durch Flammen und die Eingeweide unidentifizierbarer Monster tobten. Verschiedene Symbole waren anscheinend mit Säure in den Stein geätzt worden, aber Buffy verstand ihre Bedeutung nicht. 123
Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass irgendetwas fehlte. »Wo ist der Dämon?«, knurrte Spike, als er neben ihr auf der Insel landete. Okay, dachte Buffy und ließ ihren Blick über die Insel schweifen: Jetzt weiß ich, was fehlt! Spike drückte sich flach gegen das Gebäude. Er packte seine Keule mit beiden Händen und spähte um die Ecke. »Er muss hier irgendwo sein«, sagte er. »Ich kann ihn immer noch riechen.« Ein Schatten bewegte sich über das Dach des Gebäudes. Als Buffy nach oben blickte, entdeckte sie den Craulathar. Bevor sie Spike jedoch warnen und sich auf den Angriff vorbereiten konnte, stürzte sich der Dämon auch schon auf sie und riss sie mit sich. Buffy überschlug sich mehrmals mit der gewaltigen Kreatur. Der Craulathar-Dämon war unglaublich stark. Instinktiv streckte Buffy die Hände aus und versuchte, irgendwo Halt zu finden, aber da schoss sie schon über den Rand der Insel aus kahlem Felsgestein hinweg. Mit einem letzten panischen Griff bekam sie die Kante zu fassen. Nun baumelte sie über dem bedrohlichen Abgrund. Wider besseres Wissen blickte Buffy in die Tiefe. Die Finsternis schien in sich selbst zusammenzufallen, als würde sie von einem unsichtbaren Staubsauger aufgesaugt. Was Buffy sah, erinnerte sie an ein Maul, ein hungriges Maul. Gierig und voller Vorfreude lauerte die Finsternis, und Buffy wusste, dass sie der bösartigen Kraft zum Opfer fiel, wenn sie von der Insel abrutschte. Sie holte Schwung und versuchte so, wieder nach oben zu gelangen. Aber da tauchte das hässliche Gesicht des Craulathar-Dämons auf, der auf sie hinabblickte. »Du bist zu spät, Jägerin«, drohte der Dämon. »Es ist Zeit, dass du stirbst.« Er hob einen seiner riesigen Füße und wollte 124
ihr mit dem Stiefelabsatz auf die Finger treten. In diesem Augenblick holte Buffy mit der Streitaxt aus und der Fuß des Dämons knallte auf felsiges Gestein statt auf ihre Finger. Aber Buffy konnte sich mit einer Hand nicht länger halten. Sie rutschte ab und machte sich auf den Absturz gefasst. Da spürte sie jedoch, wie die Axtklinge sich an der Kante der Insel verhakte. Buffy hielt sich an dem hölzernen Stiel fest und merkte, wie die Axtklinge auf der Steinkante kratzte. Der Craulathar-Dämon hob wieder den Fuß, geriet aber ins Stolpern, als Spike ihn von hinten angriff. Spike fasste den Kopf des Dämons mit beiden Händen, bohrte ihm die Finger in die Augen und riss den Schädel des Dämons nach hinten. Dieser taumelte rückwärts und versuchte, nach Spikes Armen zu greifen. »Beeil dich!«, rief Spike. »Ich kann ihn nicht lange halten. Er ist zu stark!« Buffy zog sich an der Axt nach oben, bekam mit der freien Hand die Kante der Insel zu fassen und stemmte sich hoch. Trotz der ganzen Action mit dem Dämon drehte sie sich kurz zu dem Portal um, hinter dem sie Willow verschwommen erkannte. Der Nebel teilte sich und sie sah, dass irgendjemand neben Willow stand. Wenigstens schien er ihr keinen Schaden zufügen zu wollen. Als Buffy wieder zur Brücke blickte, bekam sie mit, wie sich einige Knochen lösten und in die Tiefe fielen. »Buffy!«, schrie Spike. Buffy drehte sich um und sah Spike durch die Luft segeln. Zum Glück prallte er gegen das Gebäude in der Inselmitte. Einige Steine bekamen Sprünge von der Wucht des Aufpralls. Spike rutschte benommen zu Boden. Der Craulathar-Dämon legte seinen großen Kopf schräg und grinste Buffy an. »Und jetzt zu dir, meine Kleine«, frohlockte der Dämon und kam auf sie zu. Sofort holte Buffy mit der Streitaxt aus, aber der Dämon 125
blieb außer Reichweite und umkreiste sie. Buffy atmete noch einmal tief durch, rannte auf den Craulathar-Dämon zu und schwenkte die rasiermesserscharfe Axt in Kniehöhe. Mühelos sprang der Dämon über die durch die Luft sausende Klinge. Ein Grinsen zog über sein Gesicht. Natürlich hatte Buffy damit gerechnet, dass der Dämon ihrem ersten Schlag auswich. Sie blieb stehen, riss die Axt hoch und zog sie im hohen Bogen durch die Luft. Der Dämon bekam gerade noch den Arm hoch, um den Schlag abzuwehren. Der Stiel der Axt brach mit einem lauten Knacken und die Klinge segelte über den Rand der Insel hinweg. »Gib auf!«, forderte der Dämon. »Ich kann dir ein schnelles Ende bereiten.« »Nein!«, antwortete Buffy und wirbelte den langen Holzstiel zwischen den Fingern. Der Craulathar-Dämon ging mit seinen Krallen auf Buffys Gesicht los, die seine Pfote mit dem Axtstiel zur Seite schlug. Seine gefährlichen Krallen verfingen sich kurz in ihrem Haar, lösten sich aber wieder. Buffy drehte sich ab, schwang den Axtstiel und schlug zu. Das harte Holz zertrümmerte dem Dämon das Knie. Er heulte vor Schmerz und Wut laut auf und drehte sich hinkend zu Buffy um, die immer noch in Bewegung war. Sie nahm den Axtstiel in beide Hände und blockte damit die Klauen des Dämons ab. Fünf-, sechsmal trat sie ihrem Widersacher in die Seite und die Stöße fuhren ihr bis in die Oberschenkel. Mit schnellen Bewegungen tauchte sie unter dem Rückhandschlag des Craulathars weg, fasste das Ende des Axtstiels mit beiden Händen und zielte auf den Kopf des Dämons. Sie erwischte ihn an seinem breiten Kiefer und der Kopf schlug ihm in den Nacken. Nach zwei Stolperschritten nach hinten erholte er sich jedoch rasch. Mit wütendem Gebrüll griff der Dämon mit ausgestreckten Armen an. Buffy wich rasch zurück. Sie wusste, hinter ihr war irgendwo der Rand der Insel. Sie umfasste den Axtgriff noch 126
fester und warf sich nach links – weniger als einen Meter vom Abgrund entfernt. Der Craulathar-Dämon versuchte zu bremsen, stemmte die Hacken in den Boden und schlitterte über den Felsen. Wahrscheinlich hätte er es mit seinen breiten Füßen und seiner unglaublichen Beweglichkeit noch geschafft, rechtzeitig zu bremsen, aber Buffy gab ihm nicht die Gelegenheit dazu. Sie rammte ihrem Widersacher den Axtstiel zwischen die Fußknöchel, als er neben ihr war. Sie konnte nur hoffen, bei dieser Aktion nicht über die Kante katapultiert zu werden. Buffy gelang es, sich zu fangen, der Craulathar-Dämon geriet jedoch ins Stolpern und stürzte. Einen Augenblick lang dachte Buffy schon, sie sei außer Gefahr. Aber da traf sie ein Arm des wild um sich schlagenden Dämons im Kreuz und sie wurde über den Rand der Insel hinweggeschleudert. Als der Dämon an ihr vorbei kopfüber in den Abgrund stürzte, versuchte Buffy, die Kante der Insel zu fassen zu kriegen. Sie wusste, sie konnte sie mit ausgestreckten Armen gerade noch erreichen, aber sie war nicht sicher, ob sie sich lange würde halten können. Ihre Fingerkuppen schlugen gegen felsiges Gestein.
127
11 Bevor Buffys gesamtes Körpergewicht jedoch an ihrem Arm hing und sie den Halt ihrer Fingerspitzen an der Inselkante auf die Probe stellen konnte, umklammerte Spike ihr Handgelenk. »Hab dich!«, sagte er und ließ wieder sein menschliches Antlitz zum Vorschein kommen. Er lag flach auf dem Boden und Buffy sah, dass er mit einem Hechtsprung auf die Kante zugestürzt sein musste, um sie zu retten. Sie blickte in die Tiefe, beobachtete, wie der CraulatharDämon in der Finsternis verschwand, und lauschte auf sein immer leiser werdendes Angstgeheul. Vorsichtig zog Spike Buffy auf die Insel zurück. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, spürte sie, wie die Insel zu beben begann. Das seltsame, gotisch angehauchte Gebäude fing an zu glühen. Plötzlich leuchtete eine Mauer in gleißendem Weiß auf. Etwas bewegte sich dann. »Was ist das?«, fragte Buffy. »Der Frust über zerstörte Liebe«, antwortete Spike. »Die Freundin des Craulathar-Dämons nimmt es dir übel, dass du ihren Lover getötet hast. Sie ist im Begriff, den Zauberbann, der die Zwischenstation zusammenhält, zu lösen.« »Schon verstanden!« Buffy wich vor einem der Risse zurück, die nun die Insel zu spalten begannen. Sie schaute zu der Brücke und sah, wie sich immer mehr Knochen lösten und die Konstruktion auseinander zu fallen drohte. »Komm schnell!« Sie packte Spike am Arm und zog ihn zu der Brücke. Als es nur noch zwei Schritte bis zur Brücke waren, flog das Gebäude auf der Insel in die Luft. Buffy und Spike wurden von der Wucht der Explosion zu Boden geworfen. Die Brücke schaukelte nun noch wilder. Auf der anderen Seite begann sich das Portal, das zurück ins Mausoleum führte, zu schließen. 128
Buffy versuchte sich aufzurichten, aber auf der wackeligen Brücke war dies beinahe unmöglich. Weitere Knochen lösten sich und immer mehr klaffende Löcher traten zutage, während das Portal schrumpfte und immer kleiner wurde. Da ertönten im Donner der Explosion auf einmal Gitarrenklänge. Fast augenblicklich beruhigte sich die Brücke und das Portal wurde wieder ein bisschen größer. Sofort war Buffy auf den Beinen und rannte los. Spike folgte ihr dicht auf den Fersen. Das Portal war nun sehr deutlich zu sehen und Willow spähte von der anderen Seite durch die Öffnung zu ihnen hinüber. »Buffy!«, rief sie. Ein Typ mit einem Fedora-Hut, dessen Krempe er tief in die Stirn gezogen hatte, und einem langen Mantel stand neben ihr. Er spielte auf einer Akustikgitarre, die mit Intarsien aus Silber und Elfenbein verziert war. »Komm schon, Mädchen!«, rief der Typ. »Keine Zeit zum Trödeln!« Buffy lief los und spürte, wie die Knochen sich unter ihren Schritten von der Brücke lösten und das Bauwerk immer mehr auseinander fiel. Das Portal wankte, blinkte und verschwand, dann leuchtete es erneut auf, als Buffy die letzten Meter zurücklegte. Sie sprang ab, streckte die Arme aus und spürte die lähmende Kälte, als sie durch das Portal hechtete. Sie schlitterte über die Symbole hinweg, die Spike gemalt hatte, und fegte zu guter Letzt die Kerze zur Seite. Mit einem Blick über die Schulter prüfte sie, ob auch Spike es durch das Portal geschafft hatte. Als Spike hindurchsegelte, blinkte es, verschwand für eine Sekunde und leuchtete wieder auf, als er in die Höhle geflogen kam und gegen Buffy prallte. Brennende Knochen fielen klappernd neben ihm zu Boden. Auf der anderen Seite des Portals brach die Knochenbrücke nun vollständig auseinander. Die Knochen fielen in die Finsternis wie Zahnstocher. Im nächsten Augenblick erbebte die 129
ganze Höhle. Buffy sprang auf und sah, wie der Typ mit der Gitarre Willow auf die Beine half. »Wir müssen hier raus«, sagte er. »Was immer für einen Voodoo der Dämon hier benutzt hat, er ist allmählich aufgebraucht.« Spike zog einen brennenden Beinknochen aus dem Scheiterhaufen, den der Craulathar-Dämon errichtet hatte, und ging damit als Erster die spiralförmige Treppe hoch. Buffy hakte Willow links unter, der Typ mit der Gitarre rechts, und sie stürmten gemeinsam mit ihr so schnell die Stufen hinauf, wie sie es allein niemals geschafft hätte. Hinter Buffy erklang ein Rauschen und sie blickte erschrocken über die Schulter. Die Höhle begann sich zu drehen und zu wirbeln und fiel Stück für Stück zusammen. »Sie verschwindet!«, rief der Typ mit der Gitarre. »Und zwar zurück an den Ort, von dem dieser Dämon sie hergezaubert hat.« »Ja«, sagte Buffy, »das habe ich mir auch gedacht.« Sie lief weiter und folgte den ihr mittlerweile bekannten Biegungen und Windungen des Labyrinths, das der Craulathar-Dämon erschaffen hatte. Weniger als eine Minute später hatten sie das Mausoleum bereits verlassen und hörten, wie aus dem Rauschen ein grollender Donner wurde, der den Boden erbeben ließ. »Runter!«, schrie Spike und warf sich auf den Bauch. Buffy zog Willow hinter einen Grabstein. Der Donner endete mit einer plötzlichen Wolke aus Staub und Steinsplittern, die aus dem Mausoleum herausquoll und über die nahe gelegenen Grabsteine hinwegfegte. Spike ließ die Hände sinken, die er schützend über den Kopf gehoben hatte, und starrte das Mausoleum an. Das Bauwerk stand da, als wäre nichts geschehen. »Da hätte ich mir aber ein bisschen mehr erhofft«, murrte er. »Mir persönlich«, sagte Buffy und stand auf, »hat das schon 130
genügt.« »Mir auch«, pflichtete Willow ihr bei, erhob sich und strich sich das Haar aus den Augen. Buffy sah den Gitarrentypen an und fragte Willow: »Wer ist dein Freund überhaupt?« »Wir sind noch nicht dazu gekommen, uns miteinander bekannt zu machen«, erklärte Willow. Der Typ mit der Gitarre lüftete seinen Hut, der ihm trotz der ganzen Lauferei nicht vom Kopf gerutscht war. »Bobby Lee Tooker, Madam. Aber meine Freunde nennen mich Bobby Lee. Freut mich, Sie kennen zu lernen.« Buffy verschränkte die Arme vor der Brust. Nach all den Jahren als Jägerin schenkte sie niemandem mehr so leicht ihr Vertrauen – nicht einmal jemandem, der ihr vielleicht das Leben gerettet hatte. »Schön, Sie kennen zu lernen, Mister Tooker.« »Bobby Lee!«, sagte der Typ mit der Gitarre. »Meine Freunde nennen mich Bobby Lee.« »Noch bin ich nicht sicher, ob wir Freunde sind«, entgegnete Buffy. Nach kurzem Zögern nickte Bobby Lee. »Ja, Madam, ich schätze, das stimmt.« »Buffy!«, flüsterte Willow aufgebracht in Buffys Richtung. »Wenn er nicht gekommen wäre und getan hätte, was er getan hat, dann hätte ich dich verloren, so viel ist sicher.« Spike lehnte pietätlos an einem Grabstein und grinste. Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch aus. »Das ist die Jägerin, wie ich sie kenne und liebe!« Buffy funkelte ihn böse an. »Dein Misstrauen ist nicht unberechtigt«, sagte er. »Dieser Kerl hat vorhin im Alibi nach dir gesucht.« Buffy fröstelte, als sie Bobby Lee ansah. »Ist das wahr?« Bobby Lee nickte. »Ja, Madam.« Sein honigweicher, südlicher Akzent klang ganz entspannt, 131
aber davon ließ Buffy sich nicht beeindrucken. »Ich kenne Sie nicht«, sagte sie. »Warum haben Sie nach mir gesucht?« »Weil Sie die Jägerin sind«, entgegnete Bobby Lee. Seine Worte überraschten Buffy, obwohl die Jägerin, zumindest aber die Legende der Auserwählten, vielen Leuten ein Begriff war. Die Dämonenwelt war größer, als Buffy vor ihrer ersten Begegnung mit ihr vermutet hätte. »Woher wissen Sie das?« »Meine Familie«, erklärte Bobby Lee, »kämpft schon seit langer Zeit gegen die Dämonen.« »Davon laufen ja viele rum«, sagte Buffy. Bobby Lee grinste. Es wirkte charmant und sogar ein wenig entwaffnend. »Ja, Madam. So viel ist sicher.« »Wo kommen Sie her?«, fragte Buffy, denn seinem Akzent nach war Bobby Lee nicht aus Sunnydale und wahrscheinlich nicht einmal von der Westküste. »Aus Louisiana, Madam«, antwortete Bobby Lee. »Aus der Nähe von New Orleans, aber draußen aus den Sümpfen.« »Warum haben Sie mich gesucht?« »Ich brauche Hilfe, Madam.« »Sie haben Willow geholfen, das Portal für uns offen zu halten«, sagte Buffy. »So etwas kann ich nicht. Wenn Sie also Hilfe dieser Art brauchen, sind Sie an der falschen Adresse.« Bobby Lee zuckte gutmütig mit den Schultern. »Ach, das bisschen Hoodoo! Das hat mir meine Tante Camille beigebracht. Mit Musik kann man manche Zauberformeln verstärken. Bei dem Zauber, den Ihre Freundin da fabriziert hat, hat es eben geklappt.« »Was führt Sie dann hierher?«, fragte Spike barsch. »Ein Dämon«, erwiderte Bobby Lee. »Der, den ich gerade besiegt habe?«, fragte Buffy. »Nein, Madam.« »Okay, das reicht«, entgegnete Buffy genervt. »Schluss jetzt mit Madam! Da fühle ich mich ja steinalt. Sag einfach Buffy zu 132
mir!« »In Ordnung«, willigte Bobby Lee ein. »Wie bist du hergekommen?« »Ich habe dich im Alibi gesehen«, erklärte Bobby Lee. »Ich hatte mit ein paar Dämonen gesprochen, die mir beschrieben haben, wie du aussiehst. Als ich dich dann sah, wusste ich, wer du bist, und bin dir gefolgt.« »Warum?« »Dieser Dämon, wegen dem ich gekommen bin«, sagte Bobby Lee, »ist aus New Orleans. Sein Name ist Dredfahl und meine Familie hat schon seit Generationen mit ihm zu tun. Er ist ein mieser kleiner Dämon, der hier in Sunnydale das ganz große Fass aufmachen will.« Spike grinste Bobby Lee spöttisch an. »Weil deine Familie ihn aus New Orleans verjagt hat?« »Aus Pierre’s Mule«, sagte Bobby Lee. »Da komme ich her. Ein kleiner Ort am Bayou Teche. Und, nein, wir haben ihn nicht verjagt. Ich nehme an, wenn Dredfahl hier fertig ist, kehrt er wieder zurück. Es gibt viel böses Blut zwischen ihm und meiner Familie.« »Was will Dredfahl hier?«, fragte Buffy. »Einen Dämon ins Leben zurückholen, der schon ein paar tausend Jahre tot ist«, antwortete Bobby Lee. Dawn Summers sah zum Zauberladen hinüber, als sie um die Ecke kam. Die Magic Box war ihr ebenso sehr ein Zuhause wie das Haus, in dem sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester gelebt hatte. Buffy schien immer dort zu sein – wenn sie nicht gerade Dämonen und Vampire jagte. Leichtfüßig joggte Dawn über die Straße. Sie war groß und schlank – unhöfliche Leute hätten sie dünn genannt – und hatte langes dunkles Haar und bemerkenswerte Augen. Sie trug Jeans und einen marineblauen Sweater, darüber eine lange Lederjacke. 133
Sie wurde kurz von den Scheinwerfern eines Autos erfasst, erreichte aber im Laufschritt die andere Seite, bevor es überhaupt in ihre Nähe kam. »Hey, Mädel!«, rief jemand aus dem vorbeifahrenden Wagen. Dawn drehte sich um und sah, wie die Bremslichter des Autos einen Augenblick lang rot aufleuchteten. Es war ein junger Mann gewesen, der ihr nachgerufen hatte. Männer können so blöd sein!, dachte sie und hoffte, es sei wenigstens ein ganz normaler Junge aus Fleisch und Blut gewesen und nicht so eine fiese Nachtgestalt. Na ja, normal waren die Jungs in ihrem Alter ja eigentlich auch nicht! Das Auto blieb an der nächsten Ecke einen halben Block weiter stehen. Wahrscheinlich denkt er sich jetzt eine richtig clevere Anmache aus, dachte Dawn. Könnte eine lange Nacht für ihn werden! Sie nahm ihren Schlüssel zum Zauberladen aus der Tasche und schloss die Tür auf. Als sie hineingegangen war und die Tür zumachte, blickte sie nach draußen und sah, wie das Auto wegfuhr. »Gibt es ein Problem, Dawn?« Einen Augenblick lang stockte Dawn der Atem, dann erkannte sie Giles’ Stimme. Sie drehte sich um. »Nein, alles in bester Ordnung.« Der Wächter sah sie besorgt an. Ihm war Joyces Tod auch ziemlich an die Nieren gegangen, das wusste Dawn, und er fühlte sich nun verantwortlich für beide Summers-Schwestern. »Was willst du hier?«, fragte Giles. »Ich wollte mal sehen, was der ganze Rummel zu bedeuten hat.« Dawn sah an Giles vorbei zu dem Tisch, der mitten im Raum aufgestellt war. Dort saß, im weichen, gelben Licht der Lampe, Tara. Wie immer, wenn es ein Problem gab, stapelten sich Unmengen von Büchern auf dem Tisch. »Es gibt gar keinen Rummel«, entgegnete Giles. »Und ich 134
glaube nicht, dass es Buffy gefällt, wenn du dich hier rumtreibst. Du musst an die Schule denken. Hausaufgaben. Die nächsten Prüfungen.« »Schon alles erledigt«, entgegnete Dawn, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte trotzig drein. »Buffy war nicht viel älter als ich jetzt, als Sie angefangen haben, sie nachts auf die Jagd zu schicken.« »Das ist etwas anderes«, sagte Giles. »Buffy ist die Jägerin. Ihre physische Konstitution unterscheidet sich von der normaler Menschen.« »Stärker, schneller, Wunden heilen besser.« Dawn seufzte. »Ich weiß, ich weiß. Aber Xander und Willow waren doch ganz normale Menschen, oder?« »Ja«, entgegnete Giles, »das waren sie.« Er sah aus, als wolle er noch etwas hinzufügen. Dawn seufzte, denn sie wusste aus Erfahrung, dass der Wächter anfällig war für jugendliche Stoßseufzer. »Meine Hausaufgaben habe ich gemacht und ich bin besser in der Schule, als Buffy je war.« »Also gut, willst du dich zu uns setzen?« Giles ging zurück zu dem Tisch. »Habt ihr irgendwas Süßes?«, fragte Dawn und schälte sich aus ihrem Mantel. Tara, vor der ein dickes Buch aufgeschlagen lag, hielt ihr eine Packung hin. »Mentos?« »Au ja!« Dawn hängte ihre Jacke auf die Lehne des Stuhls gegenüber von Tara, setzte sich und nahm die Mentos-Rolle, die Tara ihr reichte. Sie schnippte sich eins in den Mund und betrachtete die Bücher. Sie staunte immer, wie viele Bücher Giles im Laufe der Zeit zusammengetragen hatte. »Was für einen Dämon suchen wir denn?« »Das wissen wir noch nicht«, erklärte Tara. »Wo ist Buffy?«, wollte Dawn als Nächstes wissen. Sie versuchte, die Angst zu überspielen, die sie verspürte, aber seit 135
dem Tod ihrer Mom war ihr die krasse Erkenntnis, dass sie wahrscheinlich eines Tages ihre Schwester wegen dieser ganzen Jägerinnen-Geschichte verlieren würde, allzeit präsent. Schließlich lebten Jägerinnen nicht ewig. »Sie ist mit Willow auf Patrouille«, antwortete Giles. »Willst du einen Tee?« »Nein, danke.« Dawn nahm das oberste Buch von einem hohen Stapel. »Wenn wir also nicht wissen, was für einen Dämon wir suchen, wonach suchen wir dann?« »Geschichten und Legenden über medial veranlagte Menschen«, sagte Giles. »Anscheinend ist Derek Traynor einen Schritt über die gewohnte Erforschung des Leben nach dem Tode hinausgegangen und hat einen Blick in eine Dämonenwelt werfen können. Wir versuchen herauszufinden, in welche.« »Habt ihr ihn denn nicht gefragt?« »Die Security hat die Zuschauer aus dem Studio verbannt.« »Das Problem ist«, sagte Tara und blickte auf den Notizblock an ihrer Seite, »dass es Dutzende und wahrscheinlich Hunderte von Hinweisen auf Seher gibt, die in dämonische Dimensionen geblickt haben.« »Dann suchen wir also die berühmte Nadel im Heuhaufen«, meinte Dawn. »Die zu finden wäre einfacher«, bemerkte Tara. Rasch berichtete sie, was sie im Fernsehstudio erlebt hatten. Zwischendurch bestellten sie und Dawn sich Pizza. »Diese Folge von Othersyde wird wohl nicht gesendet«, sagte Dawn, als Tara fertig mit ihrem Bericht war. »Was ist mit Derek Traynor?« »Der ist bestimmt in seinem Hotel.« »Vielleicht können wir ihn fragen, was er gesehen hat«, meinte Dawn naiv. »Ihr könntet Derek doch Bilder von Dämonen zeigen oder mit ihm zusammen so ‘ne Art Phantombild anfertigen, wie sie es immer in den Krimis machen.« 136
»Wenn man bedenkt, wie die Security Derek Traynor heute Abend abgeschottet hat, ist das wohl ein Ding der Unmöglichkeit«, sagte Giles. Dawn verkniff es sich, ihn darauf hinzuweisen, wie unmöglich es war, die gesuchte Dämonenwelt zu finden, ohne eine genauere Vorstellung zu haben, wonach sie eigentlich suchten. Giles machte seinen Job ja schließlich schon länger, als sie überhaupt auf der Welt war. »Weiß Buffy davon?« »Keine Ahnung«, antwortete Giles. »Wir haben noch nicht mit ihr gesprochen.« »Oh.« Dawns Sorge wuchs. Das Türschloss rappelte, als jemand von draußen den Schlüssel hineinsteckte, und alle drehten die Köpfe. Einen Augenblick später kam Anya in den Laden. Sie sah ziemlich wütend aus. »Au Mann!«, rief sie. »Wenn ich Xander Harris in die Finger kriege, kann er was erleben. Wisst ihr, was er gemacht hat?« Dawn wartete schweigend ab, denn Tara und Giles schwiegen ebenfalls – aus purem Selbstschutz. Anya war keine Dämonin mehr, aber sie konnte immer noch sehr wütend werden. Sie mochte zwar immer noch nicht alle Details der menschlichen Existenz und des gesellschaftlichen Umgangs begriffen haben, aber in Sachen Wutanfälle war sie wirklich unschlagbar. »Zuerst«, verkündete Anya, »hat mich Xander in diese Filmnacht geschleppt. Stundenlang ›Beam mich rauf, Scotty‹ anstatt mal etwas zu unternehmen, was mir gefällt. Aber okay, ich hab gute Miene zum bösen Spiel gemacht und versucht, das Beste daraus zu machen. Ich hab mich bemüht, trotzdem interessiert und freundlich zu sein.« »Zum bösen Spiel?«, fragte Dawn, die nicht verstand, was Anya meinte. »Das heißt doch so, oder?«, gab Anya zurück. Tara nickte stumm. 137
»Ist ja auch egal«, knurrte Anya. »Jedenfalls sind wir da in diesem Kino, da kommt einer von seinen Freunden und versucht, alle zu töten.« »Wer?«, fragte Dawn, denn sie war manchmal mit Xander unterwegs gewesen, wenn ihre Mom und Buffy zu viel zu tun gehabt hatten, und kannte vielleicht Xanders Freund. Xander hatte Dawn zu einigen seiner Treffs mitgenommen und ihr ein paar von seinen Freunden vorgestellt. »Ein Typ namens Robby«, sagte Anya. »Und jetzt macht Xander sich totale Sorgen um Robby... Er redet irres Zeug und fantasiert herum...« »Xander fantasiert herum?«, fragte Tara. »Nein, Robby!« Ungeduld spiegelte sich in Anyas Gesicht. »Hörst du mir denn nicht zu?« »Doch, das tue ich«, sagte Tara. »Ich versuche, dir zu folgen.« »Robby ist jedenfalls total ausgeflippt und hat gesagt, er will alle umbringen, und dann hat er die Leute verflucht und gesagt, ihre Frauen würden unfruchtbar und ihre Kühe würden keine Milch mehr geben.« »Na, das hört man aber wirklich nicht mehr alle Tage!«, bemerkte Giles. »Das habe ich auch gesagt.« Anya lächelte. »Die guten alten Verfluchungen sind total in Vergessenheit geraten. Dieser Typ klang wie ein Dämon. Ich meine, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er ein Mensch ist, hätte ich ihn wirklich für einen Dämon gehalten.« »Weshalb ist Robby denn so ausgeflippt?«, fragte Dawn, die sich an den ruhigen Jungen erinnerte, den Xander ihr einmal im Comicladen vorgestellt hatte. »Ich weiß es doch auch nicht«, sagte Anya verzweifelt. »Als Nächstes kam dann Robbys Freundin zu uns. Xander hat ihr angeboten, sie in das Krankenhaus zu fahren, in das die Polizei Robby gebracht hatte. Und während ich da mit ihr warte und 138
mein Bestes gebe, um die Frau zu trösten, der auf einmal klar geworden ist, dass sie einen gemeingefährlichen Irren zum Freund hat, haut Xander ab!« »Wohin?«, fragte Tara. »Keine Ahnung. Er war einfach weg. Ich stand da mit dem Mädchen und er war verschwunden.« Anya atmete geräuschvoll aus. »Er wollte uns etwas zu trinken holen und ist einfach abgetaucht.« »Das klingt aber gar nicht nach Xander«, meinte Giles. »Da muss etwas passiert sein.« Er sah Tara an. »Hat Derek Traynor nicht gesagt, er habe Kontakt zu Robby?« »Nein«, entgegnete Tara. »Er sprach von Donny.« Giles nickte und kratzte sich am Kinn. »Wenn es der Donny ist, den Xander mir vorgestellt hat«, erklärte Dawn, »dann sind Donny und Robby Freunde.« »Derek hat gesagt, Donny sei irgendwo mit einem Freund«, erklärte Tara. »Und Xanders Freund muss ja einen Grund gehabt haben, warum er so ausgeflippt ist.« »Vielleicht weiß Xander etwas darüber«, sagte Anya. »Wenn ich mit ihm fertig bin, könnt ihr ihn gern fragen.« Sie blickte in den hinteren Teil des Ladens. »Versteckt er sich irgendwo da hinten?« »Xander ist nicht hier«, sagte Giles. Anya wirkte völlig verzweifelt. »Er muss aber hier sein. Er war weder im Krankenhaus noch zu Hause. Wo soll er denn sonst sein?« »Das weiß ich auch nicht«, entgegnete Giles. »Vielleicht sollten wir mit seinem Freund im Krankenhaus sprechen.« »Das können wir leider nicht«, erklärte Anya. »Robby hat den Polizisten umgehauen, der ihn bewachen sollte, und ist vor kurzem aus dem Krankenhaus geflohen.« »Bevor Xander verschwunden ist?«, fragte Giles. Anya schüttelte den Kopf und tippte ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden. Sie starrte auf die Ladentür, als 139
erwartete sie, Xander jeden Augenblick durch die Tür kommen zu sehen. »Danach.« Langsam hörte Anyas Fuß auf zu klopfen und sie fing an zu begreifen, was allen anderen schon längst gedämmert war. »Hey«, fuhr sie alarmiert auf, »Xander ist doch wohl nichts zugestoßen?«
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12 Xanders Hinterkopf schlug gegen etwas Hartes aus Blech, und er kam wieder zu sich. Zu Hause war er nicht, das merkte er gleich, denn normalerweise schlief er nicht im Sitzen. Und falls es doch einmal passierte, dann nur, wenn das Nachtprogramm über den Fernsehbildschirm flimmerte. Schlagartig fiel ihm wieder ein, was in Robbys Krankenzimmer auf der Intensivstation geschehen war. Gleichzeitig spürte er, wie ihn Fesseln an Brust und Handgelenken in seiner Bewegungsfreiheit einengten. Wo auch immer ich sein mag, dachte er, ich stecke in Schwierigkeiten! Sich das zusammenzureimen war nun wirklich nicht schwer. Als Nächstes nahm Xander Fahrgeräusche und eine ruckelnde Bewegung wahr. Anscheinend befand er sich in irgendeinem Fahrzeug. Aber warum sollte ihn jemand aus dem Krankenhaus holen, wenn er schwer verletzt war? Und wenn er schwer verletzt war, wie hatte man ihn im bewusstlosen Zustand am Krankenhauspersonal vorbeischmuggeln können, ohne Aufsehen zu erregen? In diesem Moment fiel ihm wieder ein, wie der Mann in Blau die Krankenschwester mit einem Zauber manipuliert hatte. Gelegentlich waren Stimmen zu hören, tief und knurrig. Unter die kehligen, unverständlichen Gesprächsfetzen mischten sich andere Klänge. Fetzen von Musik und...Videospielen? »Hey«, hörte Xander nun eine Stimme sagen. »Hat Dredfahl angeordnet, was wir mit dem Menschen machen sollen?« Mit dem Menschen? Xander hielt die Luft an. Er bekam es mit der Angst zu tun. Wenn es unter den Anwesenden nur einen Menschen gab, dann ging es wohl um ihn! Er erinnerte sich dunkel, dass Robby – oder der Dämon in Robbys Körper – den Mann in dem blauen Anzug mit »Dredfahl« angesprochen hatte. 141
»Dazu hat er sich noch nicht geäußert«, knurrte eine andere Stimme. »Hast du je zuvor einen Menschen gesehen?« »Noch nie.« »Ich auch nicht«, sagte die andere Stimme. »Aber ich habe Geschichten über sie gehört. Ihr wisst schon, aus der Zeit, als unsere Leute noch auf dieser Welt hier lebten. Es war immer die Rede davon, wie übel sie riechen, aber wie schlimm es tatsächlich ist, hätte ich nie für möglich gehalten.« Was ihr riecht, dachte Xander hilflos, ist die reine, erbärmliche Angst! An Hals und Schläfen spürte er, wie sein Puls hämmerte. Hitze stieg ihm ins Gesicht. Mehr als alles andere auf der Welt wünschte er sich in diesem Augenblick, Buffy würde auftauchen, denn in aussichtslosen Lagen war sie immer für eine Rettungsaktion gut. »Vielleicht schmecken sie wenigstens«, sagte die erste Stimme. Xander glaubte, die Stimme des Dämons wieder zu erkennen, der von Robbys Körper Besitz ergriffen hatte. Das weckte Besorgnis in ihm und er fragte sich, wo sein Freund wohl abgeblieben sein mochte. »Was meinst du? Wollen wir ihn roh essen oder kochen wir ihn erst?« »Machen wir doch eine Pastetenfüllung aus ihm! Meine Großmutter sagte immer, Menschen schmecken am besten im Teigmantel gebacken mit einem Klecks eisgekühltem Blut dazu.« Ohne Vorwarnung packte jemand Xander an den Haaren und riss seinen Kopf hoch. »Uns kannst du nicht täuschen!«, drohte eine tiefe Stimme. »Du brauchst gar nicht so zu tun, als wärst du noch nicht wach!« »Aua!«, schrie Xander und sah zu dem Wesen auf, das ihn am Schopf gepackt hatte. Robby – oder zumindest die äußere Hülle von Robby – sah 142
grinsend auf Xander herab. An den lavendelfarbenen Augen war jedoch einwandfrei zu erkennen, dass Robby nicht zu Hause war. »Du kennst mich«, sagte der Dämon. Ein bösartiges Grinsen, wie es Xander noch nie bei Robby gesehen hatte, breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ich kenne dich nicht«, entgegnete Xander mit einem Hauch von Trotz in der Stimme, der aber nur dürftig die Angst überdeckte, die ihn ergriffen hatte und aus ihm herauszuplatzen drohte. »Aber du kennst den Menschen, dessen Körper ich trage«, stellte der Dämon fest. »Ja«, entgegnete Xander. »Und ich würde gern wissen, was ihr mit ihm gemacht habt.« Immer noch grinsend legte der Dämon den Kopf schräg. »Du warst sein Freund.« Xander bemühte sich erst gar nicht zu antworten. »Hast du auch mit Videospielen zu tun?« Irgendwie klang diese Frage spöttisch. Xander konnte hinter dem Dämon, der in Robbys Körper steckte, vier weitere Gestalten im Laderaum des großen Lieferwagens ausmachen. Im hinteren Teil befanden sich Geräte zur Teppichreinigung und die Ladefläche war mit einem Maschendraht von der Fahrerkabine abgetrennt. Die vier Typen wirkten auf den ersten Blick ziemlich menschlich; sie trugen Jeans oder Shorts und T-Shirts mit Aufdrucken von Bandnamen oder Superhelden. Zwei von ihnen hatten sogar Reklamekäppis von Videospielen auf dem Kopf. Drei hatten Walkmen dabei und der Vierte spielte in übermenschlicher Geschwindigkeit mit einem GameBoy Advance, dessen Displaybeleuchtung sein Gesicht erhellte. Xander war sicher, drei von ihnen schon einmal im Comicladen oder in der Spielepassage gesehen zu haben. Na ja, dachte er, wenigstens ihre Körper habe ich gesehen. 143
Aber nun hatten alle lavendelfarbene Augen, und das war, als er sie zum letzten Mal getroffen hatte, gewiss nicht der Fall gewesen. »Ich habe dich etwas gefragt«, sagte der Dämon in Robbys Körper. »Stehst du auf Videospiele?« »Ja«, antwortete Xander. »Bist du gut?« Der Dämon mit dem GameBoy sah auf und lachte. »Ja, ich bin gut«, entgegnete Xander. »Sicher bist du das«, meinte der Dämon. Xander hielt seinem lavendelfarbenen Blick stand und fragte mit fester Stimme: »Hast du auch einen Namen?« Namen waren gut. Manchmal gewann man an Überzeugungskraft, wenn man sein Gegenüber beim Namen nennen konnte. Abgesehen davon war es großartig, einen Namen zu haben, den sie in Giles’ Büchern nachschlagen konnten. – Wenn ich hier rauskomme..., fügte Xander in Gedanken hinzu. Nach einem kurzen Zögern sagte der Dämon: »Manik.« »Super! Schön, dich kennen zu lernen, Manik!« Xander erinnerte sich, den Namen schon im Krankenhaus gehört zu haben. Er drehte sich um und blickte nach vorn durch die Windschutzscheibe. Der Fahrer steuerte den Lieferwagen gerade in eine Lagerhalle. Hinter dem Gebäude erspähte Xander das dunkle Meer und die Lichter einiger Schiffe draußen im Hafenbecken. »Wohin bringt ihr mich?« Manik ignorierte seine Frage. Der Fahrer schaltete die Scheinwerfer aus und es wurde dunkel in der Lagerhalle. Metall quietschte, als sich das große Tor hinter ihnen schloss. Einen Augenblick später wurde die Halle in gedämpftes elektrisches Licht getaucht. Einer der Dämonen öffnete die Seitentür des Lieferwagens und kletterte heraus. Er knurrte etwas in einer Sprache, die Xander nicht verstand. Da die Dämonen offenbar ihre eigene Sprache hatten und 144
sich der seinen nicht unbedingt bedienen mussten, hegte Xander die Hoffnung, sie hätten nur über die Zubereitung von Menschen gesprochen, um ihn zu erschrecken, nachdem sie bemerkt hatten, dass er wieder zu sich kam. Es bestand natürlich auch die Möglichkeit, dass sie es gesagt hatten, um ihn zu erschrecken, und ihn später nichtsdestotrotz auffressen wollten... »Steh auf!«, befahl ihm Manik. Er ließ Xanders Haare los und hielt ihn an den Handgelenken fest, die mit grauem Klebeband gefesselt waren. »Wo gehen wir hin?«, fragte Xander. Visionen von riesigen Backöfen und Lebkuchenhäusern stiegen in ihm auf. Keine schöne Vorstellung. »Wirst du schon sehen«, knurrte Manik. »Und wenn du weiter dumme Fragen stellst, reiße ich dir den Kopf ab und quetsche dir die Eingeweide aus dem Leib.« Xander biss die Zähne zusammen und beschloss, jeden Impuls, Fragen zu stellen, zu unterdrücken. Er folgte Manik und hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten, denn seine Beine waren immer noch ein wenig taub. Der Hafen, überlegte Xander. Ich muss irgendwo im Hafen sein. Der in der Luft liegende Geruch von Fisch, Salz und Industrie bestätigte ihm diesen Eindruck. Die Leute im Sunnydaler Hafenviertel lebten vom Meer. Es war ein armes Viertel, das Fischer, Konservenfabriken und finstere Wesen, die aus dem Meer kamen, um die Leute an Land zu töten, beherbergte. Xander war schon einige Male mit Buffy am Hafen gewesen, auf Patrouille oder auch, um die Spur eines dämonischen Wesens zu verfolgen, das im Viertel ein wahres Blutbad angerichtet hatte. Er persönlich hatte für das Hafenviertel nicht viel übrig und von einem Leben als Pirat hatte er auch nur einige wenige Tage lang in einem weit zurückliegenden Sommer geträumt. Die Lagerhalle war ziemlich heruntergekommen und wurde 145
wahrscheinlich wie viele andere Gebäude in der Gegend längst nicht mehr benutzt. Zu der Zeit, als die Konservenindustrie geboomt hatte, waren Lagerflächen sehr gefragt gewesen. Aber nun gab es viele leer stehende Gebäude, die nur darauf warteten, abgerissen und durch neue ersetzt zu werden. Aber es fand sich niemand, der Interesse daran hatte, in diesem Viertel etwas Neues zu bauen. In der Lagerhalle lagen Fischernetze, Müllsäcke und einige schrottreife Ruderboote herum. Aus ein paar großen Fässern stieg Rauch auf. Gelegentlich wurde die Halle bestimmt von Obdachlosen benutzt oder auch von Jugendlichen, die ein bisschen Party machen wollten, vermutete Xander. Manik zerrte ihn eine wackelige Treppe hinauf, die in den galerieartigen zweiten Stock führte. Als er nach unten in die schwach erleuchtete Halle blickte, wurde ihm klar, dass Dredfahls Operation eine lange im Voraus geplante Sache sein musste. Die Halle war ursprünglich bestimmt nicht mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet gewesen. Als er aufmerksam lauschte, vernahm er im Hintergrund das Brummen von Generatoren. Am oberen Ende der Treppe zog Manik Xander in einen Büroraum und stieß ihn zu Boden. »Liegen bleiben!«, befahl er. Xander nickte nur. Ihm fiel die schneeweiße Wandverkleidung auf. Das grelle, makellose Weiß beruhigte ihn bis zu einem gewissen Grad. Wären in diesem Raum schon einmal Menschen getötet oder auch nur weich geklopft worden, um sie im Teigmantel zu backen, dann hätte das gewiss Spuren hinterlassen. Manik verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich neben der Tür an die Wand. Xander blieb auf dem Bauch liegen, denn mit gefesselten Händen war das Aufstehen gar nicht so einfach. Wenn er auch nur Anstalten machte, es zu versuchen, würde Manik ihm mit 146
Sicherheit in die Rippen treten oder die Finger brechen. Es war der Mühe nicht wert. Einige Minuten später betrat der Mann in Blau den Raum. Dredfahl, wie sich Xander erinnerte. Der blasse, alte Mann baute sich vor ihm auf und sah ihm in die Augen. Xander versuchte wegzusehen, aber es gelang ihm nicht. Dredfahls Blick hatte etwas Hypnotisierendes. Weil er noch sehr gut wusste, was der alte Mann im Krankenhaus angestellt hatte, versuchte Xander einfach, die Augen zu schließen. Aber auch das schaffte er nicht. »Du kennst ein paar von den jungen Männern, die hierher gebracht wurden«, sagte Dredfahl mit seinem starken Akzent. »Ja«, antwortete Xander, bevor er überhaupt beschlossen hatte, etwas zu sagen. »Du kennst den Jungen, in dessen Körper Manik eingezogen ist?« »Er ist ein Freund von mir«, antwortete Xander, ohne zu zögern. Dredfahl holte eine kleine schwarze Tasche hervor und entnahm ihr eine schwarze Kerze, Als er mit den Fingern schnippte, stieg eine gelbe Flamme von seinem Daumen auf, mit der er die Kerze anzündete. »Ich werde dich zu deinem Freund bringen«, versprach er, aber sein drohender Unterton verhieß nichts Gutes. »Du wirst den anderen bei der Suche helfen.« Er ließ Wachs auf den Boden tropfen, drückte die Kerze darauf und wartete, bis das Wachs abkühlte und hart wurde. »Wäre es nicht einfacher, ihn hierher zu bringen?«, fragte Xander. Dredfahl lächelte, aber der unwirschen Grimasse in seinem Gesicht fehlte jeder Humor. Als Nächstes streute er eine Prise Pulver über die Kerzenflamme, während Manik, der neben dem Schalter an der Tür stand, das Licht ausknipste. Kurz über der 147
Flamme fing das Pulver Feuer und explodierte mit einem lauten Puff! Ein saurer Gestank erfüllte den Raum. Rauch ringelte sich zur Decke und in diesem Augenblick bemerkte Xander die Symbole, die in grellen Neonfarben an der Decke, den Wänden und auf dem Boden leuchteten. Als Dredfahl erneut Pulver über die Kerzenflamme streute, gab es wieder eine Explosion, dieses Mal heftiger als die erste. Der Rauch stieg zur Decke und Xander sah, wie die Symbole an den Wänden anfingen, sich zu bewegen. Sie wirbelten und kreisten um ihn herum und wurden immer schneller, bis sie vor seinen Augen verschwammen. Er spürte, wie er seinen Körper verließ, und kämpfte dagegen an. Verzweifelt versuchte er, sich an seiner leiblichen Hülle festzuklammern. »Du kannst nicht hier bleiben«, sagte Dredfahl. »Auf der anderen Seite gibt es viel für dich zu tun. Und ich habe einen Körper mehr zur Verfügung.« »Nein!«, rief Xander, aber die Weigerung klang, als käme sie von jemand anderem. Er glitt aus seinem Körper heraus und dachte dabei, dass sich so eine Banane fühlen musste, wenn sie geschält wurde – eine Banane, die gar nicht aus ihrer Schale herauswollte. Es kam Xander total merkwürdig vor, aber er sah tatsächlich aus der Vogelperspektive seinen eigenen Körper dort unten auf dem Boden vor Dredfahl liegen. »Geh!«, befahl Dredfahl und seine Stimme wurde immer leiser. »Leiste mir gute Dienste! Vielleicht werde ich mich dir gegenüber großzügig zeigen, wenn Torqualmar zurückgekehrt ist und ich die Macht bekomme, die ich mir erhoffe. Vielleicht aber auch nicht.« Das spöttische Gelächter des Dämons verfolgte Xander bis in die Finsternis, von der er verschlungen wurde. »Er heißt Dredfahl«, sagte Bobby Lee Tooker. 148
»Hat er keinen Nachnamen?«, fragte Buffy. Sie saßen an dem großen Tisch im Zauberladen. Draußen auf der Straße war es ziemlich ruhig. Nach dem Showdown auf dem Friedhof waren sie in den Laden zurückgekehrt, um in Ruhe mit Bobby Lee über den Dämon reden zu können, den er in Sunnydale jagen wollte. Bobby Lee war mit Buffy und Willow im Auto gefahren, aber Spike hatte darauf bestanden, sein Motorrad zu nehmen. Zu Buffys Überraschung hatten Tara, Giles und Anya bereits im Laden gewartet und Xander wurde, wie sie erfuhr, vermisst. Noch mehr überraschte es sie jedoch, auch Dawn im Laden vorzufinden. Besonders nach dem Vortrag über die Wichtigkeit von Hausaufgaben und geregelter Nachtruhe, den sie ihr gehalten hatte. »Wenn Dredfahl je einen Nachnamen hatte«, erklärte Bobby Lee, »dann ist er schon vor langer Zeit in Vergessenheit geraten.« Als Giles sich wieder seiner Lektüre zuwandte, erhaschte Buffy einen Blick auf den Titel des vor ihm liegenden Buchs: Westafrikanische Dämonensagen. Mit geübter Hand blätterte der Wächter die Seiten um. »Ich kann mich nicht erinnern, je von ihm gelesen zu haben.« »Dredfahl hat seine Aktionen auch eher auf Menschen mit afrikanischer Abstammung ausgerichtet«, entgegnete Bobby Lee. »Meine Familie hat schon mehrmals gegen ihn gekämpft.« »Wenn ihr so oft gegen ihn gekämpft habt«, bemerkte Spike, »warum habt ihr ihn dann nicht einfach umgebracht und fertig?« »Es gibt Wesen, die sind nicht so leicht endgültig zu vernichten wie beispielsweise Vampire«, erwiderte Bobby Lee. »Meine Vorfahren haben Dredfahl schon viermal getötet. Das letzte Mal um 1940 herum in New Orleans. Mein Großvater erschlug ihn im Kampf und ließ dabei sein Leben. Zu dieser 149
Zeit trug meine Großmutter bereits meinen Vater unter dem Herzen. Mein Vater ist also seinem Vater nie begegnet und kannte ihn nur aus den Geschichten, die man ihm erzählt hat.« Giles legte sein Buch aufgeschlagen auf den Tisch. »Von wem hat dein Vater denn dann gelernt?« »Was man zum Kampf gegen Dämonen und anderes Nachtgesindel braucht, war meinem Dad größtenteils angeboren«, entgegnete Bobby Lee. »Er hatte sozusagen immer im Gefühl, was zu tun war. Und was mein Dad nicht von allein wusste, erfuhr er von anderen Leuten, mit denen er zu tun hatte.« Er nickte in Giles’ Richtung. »Dad hat sich damals wohl auch ein bisschen mit dem Rat der Wächter ausgetauscht. So habe ich von der Jägerin erfahren.« »Und warum soll Dredfahl jetzt hier in Sunnydale sein, wenn dein Großvater ihn doch getötet hat?«, wollte Spike wissen. »Weil Dredfahl von den Toten auferstanden ist«, erwiderte Bobby Lee. »Keine große Überraschung. Das hat er früher auch schon getan. Er findet immer ein Kaninchenloch, wenn es brenzlig für ihn wird.« »Und nun bist du gekommen, um Dredfahl noch mal zu töten?«, fragte Spike spöttisch. »Er hat vor fünf Monaten meinen Dad umgebracht«, entgegnete Bobby Lee mit gepresster Stimme und sah Spike durchdringend an. »Ich werde mehr tun, als Dredfahl einfach nur zu töten. Darauf kannst du wetten, Blutsauger!«
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13 Einen Augenblick lang befürchtete Buffy schon, Spike würde auf Bobby Lee losgehen. Der Junge mit der Gitarre saß eigentlich ganz lässig da, aber Buffy fiel auf, dass er die Ellbogen leicht auf dem Tisch abstützte und sich etwas nach vorn neigte. Er war kampfbereit und würde von seinem Stuhl aufgesprungen sein, bevor Spike überhaupt an ihn herankam. Vielleicht hätte Spike es versucht, säße nicht der Chip der Initiative in seinem Schädel. Aber er grinste nur. »Wie ich das sehe, kann ich dir umso eher beim Sterben zugucken, je schneller ich dich zu Dredfahl bringe, und dazu habe ich allergrößte Lust.« Ausgesprochen uncharmant!, dachte Buffy. »Was macht Dredfahl denn überhaupt hier?«, fragte sie. »Auf dem Friedhof hast du gesagt, er will einen Dämon von den Toten auferstehen lassen.« Bobby Lee nickte und sah Buffy an. »Damals in Westafrika, vor vielen, vielen Jahren, hat Dredfahl damit angefangen, die Knochen von Torqualmar zusammenzusuchen, der ein sehr mächtiger Dämon war.« »Von Torqualmar habe ich schon gehört«, bemerkte Giles. »Er ist ein ziemlich übler Dämon. Zu seiner Zeit hatte er das Kommando über ganze Armeen von Anhängern. Er hat versucht, Afrika zu erobern.« »Wir sind in einem der Bücher auf ihn gestoßen, in dem wir nachgesehen haben«, fügte Tara hinzu. Sie nahm sich das Buch und blätterte darin. »Ich habe gerade vorhin etwas über ihn gelesen. Daran erinnere ich mich so gut, weil da stand, dass auch Hexen seiner Lehre gefolgt sind.« »Das wusste ich nicht«, sagte Willow interessiert. »Bis heute wusste ich das auch nicht«, entgegnete Tara. »Wenn wir nächste Woche auf die Ausstellung mit westafrika151
nischer Kunst gehen, müssen wir darauf achten, ob es dort irgendwo einen Hinweis auf ihn gibt.« Anya beugte sich vor. »Xander!«, sagte sie mit Nachdruck. »Vielleicht erinnert ihr euch – er ist verschwunden! Ich will ihn zurückhaben.« »Wissen wir doch«, antwortete Willow beschwichtigend. »Es ist nur sehr merkwürdig, weißt du. Die Ausstellung genau zu der Zeit, wenn Dredfahl in die Stadt kommt, das ist schon irgendwie ein großer Zufall.« »Ein zu großer Zufall«, bemerkte Giles. »Es ist gar kein Zufall«, schaltete sich Bobby Lee ein. »Dredfahl ist extra wegen dieser Ausstellung nach Sunnydale gekommen. Und weil hier der Höllenschlund ist. Denkt zum Beispiel mal an diesen Craulathar-Dämon, gegen den ihr gekämpft habt.« Buffy nickte. »Und an diesen Portalzauber, den er gemacht hat«, ergänzte Bobby Lee. »Ja, und?«, fragte Willow. »Er hat gar nicht genug magische Energie, um so etwas auf die Beine zu stellen. Er kann es nicht allein geschafft haben«, erklärte Bobby Lee. »Der Craulathar-Dämon hatte aber Hilfe«, warf Buffy ein. »Du weißt schon: Lediger männlicher böser Dämon sucht ledige böse Dämonin für mutwillige Zerstörung und Verwüstung.« Bobby Lee schüttelte den Kopf. »Nicht einmal, wenn er Hilfe hatte. Der Craulathar-Dämon hat dieses Portal nur öffnen können, weil Dredfahl hier in der Gegend schon tüchtig rumgezaubert hat.« »Sympathiezauber?«, fragte Willow. »Ja«, antwortete Bobby Lee. »Was ist denn Sympathiezauber?«, wollte Dawn wissen. Willow strich sich das Haar aus der Stirn. »Wenn irgendwo ein wirklich großer Zauber wirkt, beeinflusst das manchmal die 152
ganze Umgebung und es entsteht ein magisches Umfeld. Und da ist dann die Wahrscheinlichkeit, einen ähnlichen Zauber zu bewerkstelligen – und zwar mit viel weniger magischer Energie –, viel größer als anderswo. Mit Schmerzen ist es ganz ähnlich. Wenn man Zahnschmerzen hat, bekommt man schnell das Gefühl, es täte einem der ganze Kiefer weh.« »Und das bedeutet letztlich, dass noch mehr Dämonen in unsere Welt kommen können, solange Dredfahl lebt und seinen Weltenspringer-Zauber versprüht«, sagte Buffy. »›In unsere Welt‹ ist gut!«, bemerkte Bobby Lee. »Wenn sie wirklich kommen, dann kommen sie genau in Sunnydale raus.« »Als wäre Sunnydale nicht schon längst das Eingangstor für alles, was irr, gefährlich und bösartig ist«, bemerkte Dawn. Alle sahen sie an. »Sorry«, sagte sie und schlug die Augen nieder. »Ist mir nur so rausgerutscht.« Buffy betrachtete ihre Schwester und bekam ein schlechtes Gewissen. War dies etwa die richtige Art der Erziehung – Gespräche über Dämonen und Welteroberung? Es musste etwas geschehen. Buffy spürte Wut in sich aufsteigen und dieses Gefühl verdrängte ihre Schuldgefühle ein wenig. Sie hatte Dawn schließlich verboten herzukommen. Es war nicht ihre Schuld, dass Dawn im Zauberladen war und ihre Unterhaltung mitbekam. Wenigstens war es nicht allein ihre Schuld. »Dredfahl arbeitet an einem Portal?«, fragte Giles. Bobby Lee nickte. »Warum?« »Was wissen Sie über Torqualmar?« »Wie du schon sagtest, war er ein Dämon von der westafrikanischen Küste«, entgegnete der Wächter. »Seine Vorfahren haben irgendetwas mit Schlangen zu tun.« »In manchen Kreisen«, erklärte Bobby Lee, »wird Torqualmar als Vater von Damballa-Wedo betrachtet, der 153
Großen Schlange.« »Das entspricht dem Voodoo-Glauben«, sagte Giles. »Aber die Gefolgsleute von Torqualmar breiteten sich in vielen Religionen aus.« »Torqualmar hatte allerdings mehr Feinde als Anhänger«, fügte Bobby Lee hinzu. »Schließlich haben sich irgendwann die Dämonen und Menschen gegen ihn zusammengeschlossen und ihn getötet.« »Wenn ich mich recht erinnere, wurde sein Körper verbrannt«, sagte Giles. »Nicht nur das«, bemerkte Tara und überflog die Seite, die sie aufgeschlagen hatte. »Hier steht, nach der Verbrennung von Torqualmars enthauptetem Körper schlugen die Bezwinger sein Skelett in Stücke und verteilten die Knochen in verschiedenen Welten.« Bobby Lee grinste. »Das klingt, als wären das viele Welten gewesen, nicht wahr? Aber das stimmt nicht.« Er streckte zwei Finger hoch. »Die Knochen wurden nur auf zwei Welten verteilt. Auf unsere und eine, die Ollindark heißt. Wisst ihr, Torqualmar hatte da so einen Deal laufen mit den DorinogDämonen. Ihre Welt Ollindark ist die reinste Hölle. Nur Wüsten – und jedes Wesen, das dort lebt, hat nichts anderes im Sinn, als alle anderen aufzufressen. Torqualmar hat ihnen nun vorgeschlagen, sie in unsere Welt zu bringen, wenn sie ihm dienen.« »Und das war ein guter Deal für sie?«, fragte Buffy. »Offensichtlich haben die Dorinogs das gedacht. Also, die sind keine Intelligenzbestien. Sie sind zwar gut im Töten, und das haben sie auf Torqualmars Befehl auch getan, aber was das Gehirn angeht, haben die Dorinogs echt nicht viel drauf.« »Warum hat er sie dann hierher gebracht?«, fragte Buffy. »Die Dorinogs haben auf Torqualmar gehört. Und sie haben seine Befehle befolgt. Wenn er etwas verbrannt haben wollte, haben sie es verbrannt. Wenn er jemanden tot sehen wollte, 154
haben sie ihn getötet.« »Handlanger«, bemerkte Spike. »Aber Torqualmar konnte die Dorinogs nicht mit ihren richtigen Körpern in unsere Welt bringen, weil ihre Sonne blau, unsere hingegen gelb ist. Und das war wirklich gut, denn der durchschnittliche Dorinog ist ungefähr drei Meter groß und sieht aus wie ein Sumoringer mit Flügeln.« »Und sie können wirklich nicht hierher kommen?«, hakte Willow nach. Bobby Lee schüttelte den Kopf. »Hat mit den gelben Sonnenstrahlen zu tun – die schmelzen Dorinogs zu Protoplasmapfützen zusammen. Aber Torqualmar fand einen anderen Weg, die Dorinogs herzubringen. Mit Hilfe seiner magischen Fähigkeiten gab er den Dorinogs hier auf der Erde neue Körper.« »Durch Bewusstseinsübertragung«, mutmaßte Giles. Seine Augen glänzten vor Begeisterung. »Wie in den Legenden von Torqualmar zu lesen ist, hatte er die Macht, Menschen wahnsinnig zu machen, sodass sie sich schließlich selbst vergaßen und sich in ihm verloren.« »Es geht also um Besessene«, sagte Buffy, die nicht annähernd so begeistert davon war wie der Wächter. Der Gedanke an Dämonen, die von Menschenkörpern Besitz ergriffen, war ihr zutiefst zuwider. Nicht aus fremdenfeindlichen Gründen, sondern weil sie davon klaustrophobische Gefühle bekam. Sie erinnerte sich daran, wie sie vor nicht allzu langer Zeit in Faiths Körper gefangen gewesen war, während Faith in ihrem Körper herumlief. Der eigene Körper, fand sie, sollte ausschließlich Eigentum des Menschen sein, der in ihm geboren war. »Ja, aber Torqualmars Zauber war zu schwach«, entgegnete Bobby Lee. »Die Menschen, die er benutzte, mussten bereit dazu sein, ihren Körper mit einem Dämon zu tauschen. Etwas in dieser Größenordnung konnte er den Leuten nicht 155
aufzwingen, außer vielleicht mal ab und zu einem oder zweien. Um eine ganze Armee aufzubauen, brauchte er viele Leute, die gewillt waren, mitzumachen.« »Kein Mensch würde freiwillig mit einem Dämon aus irgendeiner höllischen Welt seinen Körper tauschen«, bemerkte Willow. »Nein«, pflichtete ihr Bobby Lee bei. »Das ist richtig.« »Also hat Torqualmar getan, was jeder Dämon tun würde«, sagte Spike. »Er hat die Leute, die an ihn glaubten, belogen.« »Ja«, bestätigte Bobby Lee und nickte. »Torqualmar erzählte seinen Anhängern, sie würden von Geistern besucht. Zudem verfügten die Menschen, von deren Körper die Dorinogs Besitz ergriffen hatten, plötzlich über Heilkräfte und eine gewisse hellseherische Fähigkeit. Als die anderen, die noch nicht besessen waren, das sahen, überlegten sie sich, dass es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, für eine Weile besessen zu sein.« »Das Ganze war offenbar wie ein Voodoo-Ritual angelegt«, sagte Giles. »Dabei tanzen und trinken die Teilnehmer unter der Leitung einer Voodoo-Priesterin, beten zu Damballah und den alten Gottheiten und bitten darum, dass ein loa – also ein Geist, wenn man so will – von ihrem Körper Besitz ergreift. Aber dieser Zustand der Besessenheit dauert in der Regel nicht länger als ein paar Minuten.« »Manche Leute sagen, Torqualmars Praktiken seien die Ursprünge der Voodoo-Rituale, die noch heute verwendet werden«, erklärte Bobby Lee. »Ich glaube jedoch, sie kommen woanders her. Vielleicht hat Torqualmar nur darauf zurückgegriffen, was es damals schon gab, und es dann zu seinem eigenen Zweck umgestaltet. Eine Lüge mit wahrem Kern sozusagen.« »Und jetzt versucht Dredfahl also, Torqualmar zurückzuholen«, sagte Buffy. »Aber warum?« »Wenn er alle Knochen von Torqualmar zusammenhat«, 156
antwortete Bobby Lee, »soll Torqualmar angeblich wieder von den Toten auferstehen können.« »Einer deiner Vorfahren war doch an der Tötung von Torqualmar beteiligt, oder?«, fragte Spike. »Ja«, entgegnete Bobby Lee. Spike beugte sich langsam vor und grinste. »Bleibt eigentlich niemand tot, den deine Familie umbringt?«, fragte er spöttisch. Bobby Lee starrte ihn böse an. »Wir haben sehr viele Vampire getötet«, sagte er. »New Orleans war früher voll davon.« Er machte eine Pause und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Buffy entging jedoch nicht die Unbarmherzigkeit, die sich hinter seinen ebenmäßigen Gesichtszügen verbarg. »Aber das hat sich geändert, nicht wahr?« »Keine Ahnung«, sagte Spike. »Vielleicht werde ich das überprüfen, wenn wir diese Sache hier hinter uns haben.« »Wenn du den Mumm hast, dich daran zu beteiligen«, sagte Bobby Lee mit leiser, scharfer Stimme, »und wenn du das Glück hast, es zu überleben, dann komm ruhig mal runter zu uns. Ich lasse eine Kerze für dich brennen. Dann werden wir sehen, ob du genauso gut Tango tanzt, wie du redest.« »Wie langweilig, alles leere Versprechungen«, nörgelte Spike. »Also, wir wissen zwar jetzt, dass Dredfahl Torqualmar zurückholen will, aber den Grund dafür kennen wir nicht. Ist er scharf drauf, ihm wieder zu dienen? Ist Dredfahl etwa dafür von den Toten auferstanden?« »Dredfahl hat vor, Torqualmar zu töten«, entgegnete Bobby Lee. »Er will sich seine Macht aneignen.« »Ach, komm schon!«, polterte Spike. »Er will ihn zurückholen, um ihn noch mal zu töten? Verdammt, was macht das denn für einen Sinn?« Ein Lächeln breitete sich auf Bobby Lees Gesicht aus. »Dredfahl ist wahrscheinlich auch nicht sehr glücklich damit. Doch wenn es ihm gelingt, Torqualmar zu töten, bekommt er mehr Macht. Wenn er es jedoch nicht schafft, bekommt er sei157
nen alten Boss zurück und wird vielleicht sogar getötet.« »Was auch passiert«, sagte Buffy, »wir stecken in Schwierigkeiten. Und Rumsitzen hilft uns auch nicht weiter. Wir müssen Dredfahl finden. Wenn wir ihn früh genug stoppen, müssen wir uns über Torqualmar keine Gedanken mehr machen.« »Sehe ich auch so«, pflichtete Giles ihr bei. »Wir brauchen einen Plan. Als Erstes gilt es herauszufinden, ob es in der Westafrika-Ausstellung, die Willow erwähnte, irgendwelche Knochen gibt.« Buffy nickte. Planen war gut. Den Feind zu kennen war in der Regel auch gut. Aber für sie war Handeln mindestens ebenso wichtig wie Planen. »Du denkst, wir werden dort wirklich fündig?«, fragte Giles Bobby Lee. »Ja, bestimmt.« »Ich kann nach den Knochen sehen«, bot Buffy an. »Ich komme mit«, sagte Bobby Lee. Buffy sah ihn skeptisch an. »Ich weiß, wie Dredfahl aussieht.« Buffy überlegte, dann nickte sie. »Was ist mit diesem Typen aus dem Fernsehen?« »Derek Traynor von Othersyde!«, sagte Tara. »Genau«, meinte Buffy. »Den meine ich.« »Was soll mit ihm sein?«, fragte Giles. »Bilde ich mir das nur ein oder ist dieses ganze Gerede mit dem ›Ich sehe Dämonen‹ wirklich zu merkwürdig und zu nah dran an all den anderen Ereignissen? Ich meine, eigentlich ist der Typ doch dafür zuständig, Geister zu sehen.« »Stimmt«, pflichtete Tara ihr bei »Derek sagte, Donny Williford sei irgendwo anders und er sei irgendwie verändert. Das klingt wirklich sehr nach dieser Körpertauschgeschichte.« »Bewusstseinsübertragung«, korrigierte Giles automatisch. »Hast du gerade Donny Williford gesagt?«, fragte Anya. »Ja«, antwortete Tara. »Gerade und vorhin auch schon, als 158
ich die ganze Geschichte erzählt habe.« »Ich hab nicht zugehört«, gestand Anya. »Mir liegt eher daran, über Xanders Verschwinden zu sprechen und darüber, was wir unternehmen wollen. Ich war wütend auf euch alle, weil ihr euch auf diese Dredfahl-Geschichte gestürzt habt, statt sofort nach Xander zu suchen.« »Anya«, entgegnete Buffy ruhig, »das kommt wieder in Ordnung. Wir werden Xander finden.« Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle Anya einen Streit vom Zaun brechen und den Zweifeln nachgeben, die an ihr nagten. Aber dann sagte sie nur: »Versprochen?« Ihr schmerzerfüllter, unschuldiger Ausdruck in den Augen machte es unmöglich, ihr nicht helfen zu wollen. »Ja«, sagte Buffy. »Ich verspreche es dir.« »Okay.« Anya tupfte sich die Tränen von den Wangen. »Warum hast du nach Donny Williford gefragt?«, wollte Tara wissen. »Weil er ein Freund von Xander ist«, erklärte Anya. »Xander hat sich manchmal im Comicladen oder in der Spielepassage mit ihm unterhalten.« »Donny ist ein Spieler?«, fragte Willow. Anya nickte. »Ein ganz großer. Er schreibt für mehrere Websites Artikel über Comics und Spiele.« »Hat er eine Freundin?«, fragte Tara. Anya blickte verwirrt drein. »Ja.« »Wie heißt sie?« »Wozu willst du das denn jetzt wissen?« Buffy war der Verzweiflung nahe, bemühte sich aber, taktvoll zu bleiben. »Beantworte einfach die Frage, Anya«, sagte sie ruhig. »Amy«, antwortete Anya. »Sie heißt Amy.« Buffy sah Tara an. »Giles und ich haben Amy im Studio bei der Aufzeichnung gesehen«, erklärte Tara. 159
»Also gibt es eine Verbindung zu Derek Traynor«, stellte Buffy fest. »Offenbar ist Derek durch seine mediale Veranlagung irgendwie in den Zauber verwickelt worden, den Dredfahl betreibt, um Torqualmar von den Toten auferstehen zu lassen«, sagte Giles. »Tara und ich können versuchen, Kontakt zu Derek Traynor aufzunehmen«, schlug Willow vor. »Wenn er in die Dämonenwelt sehen kann, hilft uns das vielleicht weiter.« »Ihr solltet nach Xander suchen«, bemerkte Anya. Willow blickte schuldbewusst drein. »Sie werden nach Xander suchen, Anya«, erklärte Buffy mit strenger Stimme. »Und zwar in der Dämonenwelt, wenn es ihnen gelingt, mit Derek zu reden.« »In Ordnung«, sagte Anya. »Aber ich komme mit euch in das Museum.« »Eigentlich«, meldete sich Giles zu Wort, »wäre es viel nützlicher, wenn du mit mir die Bücher durchsiehst. Wir brauchen viel mehr Informationen über Torqualmar und über die Art der Magie, die Dredfahl benutzt.« »Das kann ich nicht«, sagte Anya. »Nicht, so lange Xander weg ist. Einer von uns beiden würde mit Sicherheit total durchdrehen, wenn ich hier bliebe.« Giles zögerte nicht. »Dann solltest du unbedingt mit ins Museum gehen!« Buffy warf dem Wächter einen erstaunten Blick zu. Giles, der hinter Anya stand, hob leicht die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Und was ist mit mir?«, fragte Dawn. Buffy wandte sich ihrer Schwester zu. »Was soll mit dir sein?« »Was mache ich in der Zeit?« »Du«, sagte Buffy mit Nachdruck, »bleibst hier! Wir haben bereits darüber gesprochen.« 160
»Die Hausaufgaben habe ich aber schon gemacht«, protestierte Dawn. »Dann solltest du jetzt zusehen, dass du deine Portion Schlaf bekommst«, entgegnete Buffy. »Ich könnte helfen«, erwiderte Dawn. »Ich könnte zum Beispiel vor dem Museum Wache schieben. Oder Giles beim Recherchieren helfen.« »Nein!«, sagte Buffy entschieden. »Kommt überhaupt nicht in Frage. Nichts davon. Du hast dich um die Schule und ums Schlafen zu kümmern.« »Aber, Buffy...« Buffy verschränkte die Arme vor der Brust. »Kein Aber! Das gibt’s nicht. Du wirst mich nicht umstimmen können.« Doch Dawn gab nicht auf. »Ich kann nicht schlafen, solange Xander verschwunden ist.« »Das schaffst du schon, wenn du dir Mühe gibst!«, war Buffys Antwort. Dawn stieß einen tiefen, schweren Seufzer aus. Netter Versuch, dachte Buffy, aber heute bin ich auch völlig immun gegen Seufzer. Natürlich passte es ihr nicht, die Rolle der Bösen spielen zu müssen, aber Dawn in eine mit Sicherheit gefährliche Aktion hineinzuziehen war für sie absolut inakzeptabel. »Geh nach Hause und warte! Ich bin morgen früh wieder da und erzähle dir, wie weit wir mit Xander gekommen sind.« »Wir müssen reden«, sagte Dawn. »Unter vier Augen.« Sie stand auf und ging in einen der Räume hinten im Laden. Buffy blieb nichts anderes übrig, als ihrer Schwester zu folgen. Harte, schwielige Pfoten schlurften über Gestein. Xander Harris schlug die Augen auf und kniff sie sofort wieder zusammen, als das grelle grüne Licht ihn blendete. Einen Augenblick lang glaubte er, eine Art Napalmbombe sei 161
in seinem Kopf losgegangen. Da war wieder das schlurfende Geräusch, ein wenig zurückhaltender nun, und Xander merkte, wie seine Sinne aktiv wurden. Er verspürte ein Prickeln im Nacken. Okay, das sind eindeutig meine Alarmsirenen!, dachte er. Er blickte hinaus auf den gelben Sand und die Felsen. Die Wüste erstreckte sich meilenweit und stieg Richtung Horizont leicht an. Dahinter erhoben sich zerklüftete Berge, über denen der grüne Himmel leuchtete. Die hoch stehende Sonne brannte erbarmungslos und Xander kam sich vor wie ein Grillhähnchen. Definitiv nicht mehr in Kansas, Toto!, dachte er. Das Schlurfen schwieliger Pfoten über Gestein kam näher und nun war auch das scharrende Kratzen von Krallen auf Fels und glühendem Sand zu hören. Das Herz explodierte Xander fast in der Brust. Er stützte sich blitzartig auf und rollte zur Seite weg. Eine Echse in der Größe eines Pferdes sprang auf die sandige Stelle, an der Xander gerade noch gelegen hatte. Die Kreatur ähnelte mit ihrem schlanken Körper, den langen Beinen und dem langen Schwanz einem Gecko, die lange Schnauze mit den gezackten Zähnen erinnerte Xander jedoch an einen Alligator. Die Echse war allerdings nicht grün, sondern in mindestens sechs unterschiedlichen Gelb-, Amber- und Rottönen gemustert, mit denen sie sich gut der Landschaft aus Sand und Felsen anpassen konnte. Über den schlanken Muskeln lagen schillernde Schuppen, die im Sonnenlicht glitzerten. Das Wesen zischte wütend und drehte den langen Kopf zur Seite, um Xander mit einem rollenden Auge ins Visier zu nehmen. »Oh Mann!«, japste Xander und wich zurück. Sein Rücken fühlte sich ganz anders an als sonst. In diesem Augenblick sah er, dass sich an seinen Seiten Flügel befanden. Langsam wurde 162
ihm klar, dass er offenbar kein Mensch mehr war, sondern einer der Dämonen, die nach Stephies Beschreibung in dem Videospiel vorkamen, das Robby getestet hatte. Allerdings war Xander bewusst, dass es sich hierbei nicht um ein Spiel handelte. Die Echse kam ihm hinterher. Jedes Mal, wenn sie ihre breit gefächerten Krallen in die Sandkruste schlug, flogen Staubwolken hinter ihr auf. Wäre die Situation nicht so gefährlich gewesen, hätte der Anblick Xander vielleicht zum Lachen gebracht, so aber machte er auf dem Absatz kehrt und floh. Was immer er nun für ein Wesen sein mochte, er hoffte, es war schneller als diese Echsenkreatur. Das war scheinbar nicht der Fall, denn im nächsten Moment rammte die Echse Xander und stieß ihn zu Boden. Instinktiv rollte er im Fallen seine Flügel zusammen. Er richtete sich gerade wieder auf, als die Echse mit weit geöffnetem Maul auf ihn zugeschossen kam, um ihm den Kopf abzureißen. Xander fuhr eine Faust aus und erwischte die Echse seitlich am Schädel. Benommen stürzte sie, überschlug sich, rappelte sich aber wieder auf. Als die Kreatur stand, merkte Xander, dass sie nicht vier, sondern sechs Beine hatte. Ihr Schwanz kringelte und bog sich auf hypnotische Weise. »Hau ab!«, schrie Xander. »Verzieh dich! Du solltest besser nicht gegen mich kämpfen! Dann werde ich nämlich sehr wütend!« Er ließ die Muskeln in seinen Armen und Schultern spielen, wodurch sein riesiger Körper noch größer und massiger wirkte. »Und es wird dir nicht gefallen, wenn ich wütend werde!« Er hob die Stimme. »Ich würde dich nämlich zerquetschen wie eine Fliege!« Offenbar war die Echse von Xanders durchaus ernst gemeinter Warnung nicht im Geringsten beeindruckt, was ihre nächste Aktion deutlich zeigte: Sie spannte die Muskeln und sprang auf Xander zu. Zu seiner Verteidigung packte Xander den langen Hals des Angreifers mit beiden Händen, fiel jedoch 163
auf den Rücken, denn die Kraft der Echse war zu groß. Die gebogenen schwarzen Krallen an ihren breiten, weit gefächerten Pfoten gruben sich in Xanders Haut. Nun warf sich Xander auf die Echse, um sie zu würgen. Dabei presste er sich eng an ihren Leib, damit sie ihn nicht mehr kratzen konnte. Die Echse zischte und spuckte. Übel riechender Atem schlug Xander ins Gesicht und ihm wurde kotzschlecht. Aber er nahm all seine Kraft zusammen und drückte ihren Hals immer fester zusammen. Der Hals der Kreatur knackte wie ein trockener Zweig. Krampfartige Zuckungen erschütterten ihren Körper. Die sechs Beine schlugen vergeblich nach Xander aus und hinterließen nur blutige Kratzer, richteten aber keinen echten Schaden an. Einen Augenblick später verdrehte sie die ins Leere starrenden Augen und ihr Körper erschlaffte. »Mann!«, sagte Xander. Zögernd ließ er den Hals der Echse los und setzte sich rittlings auf sie. Er hatte schon zu lange gegen Dämonen und Vampire gekämpft und glaubte nicht mehr so leicht, dass jemand auch wirklich tot war, wenn er auf den ersten Blick so aussah. Aber die Echse war tatsächlich tot. Langsamer, spöttischer Applaus ertönte in der sandigen Wüste. Xander blickte über die Schulter nach hinten und sah einen kahlen, ohrlosen Gargoyle mit eingerollten Flügeln, der nicht weit entfernt von ihm auf einer Felsnase saß. »Zerquetschen wie eine Fliege!«, rief das Wasserspeierwesen höhnisch, ließ die Hände sinken und grinste. Xander hoffte nur, dass es sich bei der grimmigen Miene in dem Gesicht des Wesens um ein Grinsen handelte... »Ganz schön lahm, Mann!«, rief der Wasserspeier und schüttelte den Kopf. »Ich dachte schon, du schreist auch noch: ›Gleich gibt’s Dresche!‹« »Jeder, der Comics liest, weiß, dass das ernst zu nehmende 164
Drohungen sind«, entgegnete Xander automatisch. Der Gargoyle verschränkte die Arme vor der Brust. »Du bist neu hier!« »Ja.« »Gerade erst ins Spiel gekommen?« »Ja«, sagte Xander und dachte daran, wie er von Dredfahl aus seinem Körper gerissen worden war. »Wow!«, machte der Gargoyle. »Ich wusste nicht, dass sie noch welche reinlassen. So spät im Spiel, meine ich.« »Auf besondere Einladung«, entgegnete Xander. Am liebsten hätte er laut herausgeschrien, dass die ganze Sache kein Spiel, sondern bitterer Ernst war. Aber er fragte sich, ob er jemanden finden würde, der ihm das glaubte. Die meisten Spieler, die er kannte, würden wohl eher an eine virtuelle Realität glauben. »Cool. Wer hat dich denn eingeladen?« »Dredfahl.« Der Gargoyle lächelte wieder. »Mann, er erzählt jedem, das sei sein Name. Ich heiße übrigens Dylan.« »Nett, dich kennen zu lernen, Dylan. Ist Robby Healdton vielleicht irgendwo in der Nähe?«, fragte Xander und dachte angstvoll: Bitte lass Robby nicht tot sein! Dylan zeigte auf das Gebirge. »Da hinten. Da kommt irgendwann ein Tal, das du von hier aus nicht sehen kannst.« »Danke.« Xander machte auf dem Absatz kehrt und ging auf die Berge zu. »Hey!« Xander drehte sich wieder um und befürchtete schon einen erneuten Angriff von irgendeinem Biest. Er spähte aufmerksam in den grünen Himmel um die blaue Sonne, sah aber nichts. Ganz still stand er da und wartete darauf, dass der Boden unter seinen Füßen zu zittern begann, weil ein Monster hinter ihm her war. »Was ist?« »Kann ich das da haben?« Dylan zeigte auf die tote Echse. »Wozu?« 165
»Zum Essen!« »Zum Essen?« Xander besah sich die Echsenleiche. Also, das ging ja nun wirklich weit über alle Grenzen der Ekeligkeit hinaus! »Ja, Mann. So laden wir in dem Spiel wieder neue Energie.« Dylan hopste von der Felsnase und segelte zu der Echse hinüber. »Obwohl ich die Idee ziemlich cool finde, wird mir immer noch schlecht davon. Aber wenn man nicht isst, wird man schwach und die Heilkräfte lassen nach.« Angeekelt beobachtete Xander, wie Dylan sich vorbeugte und die Echse aufschlitzte. Blut quoll aus dem leblosen Körper und die glibberigen Innereien wurden sichtbar. Dylan neigte den Kopf und fing an zu essen. Von den saugenden, schlurfenden Geräuschen, die er dabei machte, wurde Xander hundeelend. Dylan machte eine Pause und drehte sich zu Xander um. Blut tropfte ihm vom Kinn auf die Brust. »Bist du sicher, dass du nichts davon möchtest?« »Ja«, sagte Xander nur. »Wie du willst.« Dylan zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder der Nahrungsaufnahme. Ohne ein weiteres Wort machte sich Xander auf den Weg. Also, das ist echt zu viel für meinen armen Magen!, dachte er. Wenn es Zeit fürs Abendessen ist, will ich auf keinen Fall mehr hier sein!
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14 »Ich kann euch doch dabei helfen, schließlich bin ich kein kleines Kind mehr!« Buffy sah Dawn an und wünschte, sie fände die richtigen Worte, um es ihr begreiflich zu machen. In Sachen Kommunikation war ihre Mutter immer so viel besser gewesen – wenigstens, nachdem Buffy begonnen hatte, ihr zuzuhören. Ihre Mutter war mit dem Jägerinnending zurechtgekommen und hatte sogar mit dem Krebs viel besser umgehen können als Buffy. Und sie wäre vermutlich viel besser mit meinem Tod fertig geworden als ich mit ihrem, dachte Buffy. Aber ihr war bewusst, dass dies ein etwas egoistischer Gedanke war, denn wenn sie tot wäre, müsste sie nun nicht diesen Schmerz und diese Verwirrung ertragen – oder verantwortlich für einen anderen Menschen sein. Dawn stand im Hinterzimmer des Zauberladens. Ihr Gesichtsausdruck war schmollend und verdrießlich, wie es für Teenager typisch ist. Einen Augenblick lang ließ Buffy sich davon beeindrucken. Dieselbe Miene hatten ihre Freunde früher zur Schau gestellt, aber damals war das cool gewesen, denn sie waren alle Teenager gewesen und hatten auf derselben Seite gestanden. Aber nun stand Buffy, wie ihr bewusst wurde, auf der anderen Seite. Es war eine schreckliche Erkenntnis. Buffy verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust und kam sich blöd dabei vor, mit ihrer Schwester in dem halbdunklen Raum zu streiten. »Nein«, sagte sie sehr deutlich und betont und war überrascht von ihrer eigenen Bestimmtheit. »Du kannst nicht helfen.« »Ich bin gut in so was, Buffy. Ich habe doch auch schon bei anderen Sachen geholfen.« »Das hätte ich nicht erlauben dürfen«, entgegnete Buffy. Bei 167
früheren Gelegenheiten war es ihr leichter gefallen, Dawn mitmachen zu lassen. Früher war ihr der Verlust eines Menschenlebens nicht so... so endgültig erschienen. »Warum?«, fragte Dawn. »Weil ich nicht will, dass dir etwas zustößt.« »Mir stößt nichts zu.« »Das kannst du doch nicht wissen.« »Dir könnte ja auch was zustoßen«, erwiderte Dawn. »Ich bin die Jägerin«, entgegnete Buffy. »Wenn ich verletzt werde, heilt es schnell. Eine der Vergünstigungen, die ich habe.« »Aber du könntest getötet werden. Du bist nicht unsterblich, oder hast du das vielleicht vergessen?« »Habe ich nicht«, antwortete Buffy ruhig. Früher war ihr bei den vielen Streitereien mit ihrer Mutter oder anderen Autoritäten nie bewusst gewesen, wie schwer es war, cool zu bleiben. Ruhe zu bewahren, wenn man verbal angegriffen wurde und einem die Auflehnung gegen jede Autorität entgegenschlug, war so viel schwerer, als es auf den ersten Blick aussah. »Du kannst mir nicht befehlen, was ich zu tun und zu lassen habe«, meinte Dawn. »Doch, das kann ich. Ich mache es einfach.« »Das ist nicht fair, Buffy! Du bist unfair!« »Um Fairness geht es hier gar nicht«, sagte Buffy. »Du bist meine Schwester, Dawn. Du bist alles, was von meiner Familie übrig geblieben ist.« – Außer einem Vater, der sich nicht mal die Zeit nimmt, uns anzurufen und zu hören, wie es uns geht, dachte sie. »Ich werde dich nicht verlieren. Das wird einfach nicht passieren, dafür werde ich sorgen.« »Dann soll ich also wie ein kleines Mädchen artig zu Hause bleiben?« »Das wäre mir wirklich eine große Hilfe«, bestätigte Buffy. »Und wenn ich das nicht tue?« 168
»Wenn du es nicht tust«, entgegnete Buffy, »dann verpflichte ich Giles oder Tara als Babysitter. Ich kann nicht hier bleiben. Ich muss jagen.« Dawn schüttelte den Kopf. »Natürlich ist es für Giles oder Tara dann nicht so leicht, mir zu helfen, und mir machst du es schwer – wenn nicht gar unmöglich –, meiner Pflicht nachzugehen.« Und das konnte tödlich sein, aber Buffy beschloss, diese Karte nicht zu spielen, denn das kam ihr ziemlich übertrieben und grausam vor. Wenn in dieser Nacht etwas geschah, wollte sie auf keinen Fall, dass Dawn sich für ihren Tod verantwortlich fühlte. »Das stinkt mir ziemlich, Buffy.« Buffy versuchte, eine Antwort zu finden, aber ihr fiel nichts ein. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Schritte näherten sich. »Buffy«, sagte Giles, »ich will nicht stören.« »Natürlich wollen Sie das«, entgegnete Buffy. »Aber ist schon in Ordnung.« Sie sah Dawn unverwandt an. »Wir waren sowieso gerade fertig.« Dawn funkelte sie böse an. »Wie machen wir es also, Dawn?«, fragte Buffy. »Bleibst du wie ein großes Mädchen allein? Oder brauchst du einen Babysitter?« »Brauche ich nicht!« Aufgebracht stolzierte Dawn an Buffy vorbei und hätte bestimmt die Tür zugeknallt, wenn Giles nicht darin gestanden hätte. »Heute stirbst du besser nicht!«, rief Dawn noch. »Wir sind nämlich noch nicht fertig mit der Diskussion.« »Sicher«, entgegnete Buffy. Giles kratzte sich am Kinn und versuchte so zu tun, als hätte er den Wortwechsel der Schwestern nicht gehört. »Kinder!«, sagte Buffy mit aufgesetzter Munterkeit. Sie versuchte zwar, sich nicht von ihren verletzten Gefühlen einneh169
men zu lassen, aber es gelang ihr nur schlecht. »Was gibt’s?« »Vielleicht darf ich einen kleinen Rat geben?«, meinte Giles. »Wenn ich nein sage«, entgegnete Buffy, »erzählen Sie mir später sowieso irgendwann, was Sie zu sagen haben. Also kann ich es mir genauso gut gleich anhören.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab, aber da bemerkte sie, dass sie exakt dieselbe Haltung und Miene zur Schau trug wie Dawn zuvor. »Sorry.« Sie ließ die Arme sinken. »Du bist nicht Dawns Mutter, Buffy. Und sie ist nicht deine Tochter. Ihr seid Schwestern.« »Richtig.« »Ich denke, das solltest du vielleicht im Auge behalten, wenn du mit ihr redest.« Buffy wartete ab. Giles sah sie an, blickte zur Seite und sah sie wieder an. »Das war es?«, fuhr Buffy auf. »Das ist der Weisheit letzter Schluss?« Giles schob die Hände in die Hosentaschen. »Ich befürchte ja.« »Also, ich finde«, wechselte Buffy ohne Überleitung das Thema, »es läuft alles ziemlich gut. Ich hoffe nur, Dredfahl und seine Dämonen sind heute Nacht im Museum, denn ich verspüre das dringende Bedürfnis, etwas zu tun, das ich wirklich kann.« Xander fand Robby und seine Leute in ihrem Lager unten im Tal. Die meisten der Wasserspeier-Kreaturen – Dorinogs, wie Robby ihm gesagt hatte – labten sich an den Überresten der büffelartigen Wesen, die Kalinths genannt wurden. Es sah aus wie das große Fressen. Abgenagte Kalinth-Knochen flogen durch die Luft und wurden hastig von kleineren Aasfressern davongetragen. »Bist du sicher, dass du nichts essen willst, X-Man?«, fragte Robby Xander. 170
»Ja«, antwortete Xander. »Wirklich, ich bekomme keinen Bissen runter.« Nicht ohne zu kotzen, dachte er. Und dann wird es vermutlich wirklich ekelhaft, denn wenn ich kotze, werden sich diese Typen wahrscheinlich auch noch darum prügeln. Xanders Magen zog sich zusammen. Er konnte nicht einschätzen, ob der Reflex von dem Dämon herrührte, in dem er steckte, oder von seinem eigenen Ekel. Vielleicht liegt es an uns beiden, dachte er. »Wie bist du denn so spät noch ins Spiel gekommen?«, fragte Robby. Xander dachte nach. Er hatte aufmerksam die begeisterten Gespräche der anderen Spieler verfolgt, die ebenfalls in Dämonenkörpern steckten. Alle waren gewissermaßen im Himmel der Videospiele und töteten und eroberten, was das Zeug hielt. »Kommt dir an diesem Spiel nichts merkwürdig vor, Robby?« Robby stocherte mit einer Kralle zwischen seinen Dämonenzähnen herum und entfernte ein Stück Knorpel. »Mann, das Spiel ist der helle Wahnsinn, Kumpel! Ich meine, sieh dich doch mal um! Wir haben schon oft über virtuelle Realität in Spielen gesprochen, aber hast du für möglich gehalten, dass es je so sein könnte? Das ist ja wie eine ganz neue Welt!« Er zeigte mit einem Knochen auf eine große Gruppe Dorinogs, die ein Stück weiter ihr Mahl abhielten. »Das Einzige, was ich ändern würde, sind diese Typen.« Xander hatte die Spaltung der Gruppe bereits bemerkt. Der größere Teil der Dorinogs waren finstere, total unsoziale Gestalten. Ihn beschlich der Verdacht, dass es sich bei ihnen um echte Dämonen handelte, die noch nicht mit einem Menschen aus Sunnydale den Körper getauscht hatten. »Was sind das für welche?«, fragte er. »Inaktive Mitspieler«, sagte Robby. »Und die sind echt Scheiße. Ich meine, sie sind blöd und können kaum mal einen 171
Befehl befolgen. Diese Typen fänden nicht mal einen Ausweg aus einer nassen Papiertüte.« Xander seufzte. Es waren also wirklich Dämonen. Und sie hatten mitten unter ihnen ihr Lager aufgeschlagen. Na, prima! »Sehen das die anderen Spieler auch so?« Robby tropfte Blut vom Kinn, als er Xander ansah. So, wie ich ihn kenne, dachte Xander, würde er mich jetzt herausfordernd angrinsen, wenn er sein normales Gesicht hätte. »Wovon redest du eigentlich?«, fragte Robby. »Ich meine«, entgegnete Xander, »das hier ist gar kein Spiel.« »Arbeitest du für irgendeine gegnerische Seite?«, fragte Robby. »Ist das der Trick an der Sache? Wurdest du geschickt, um unseren Kampfgeist zu untergraben? In den Spielunterlagen stand allerdings nichts von Spionen.« »Ich bin kein Spion«, erklärte Xander. »Es ist nur so: Nicht alles an dieser Sache ist so, wie du denkst. Dredfahl ist nicht der, der er vorgibt zu sein. Dredfahl ist ein Dämon. Der Grund, warum ich hier bin? Ich habe seine Pläne durchschaut und er hat mich hierher verbannt, damit ich niemandem davon erzählen kann.« »Dredfahl ist nicht sein echter Name«, sagte Robby. »Das weiß ich auch. Wer hat schon so einen Namen!« Xander holte tief Luft und spürte, wie sich die Flügel auf seinem Rücken bewegten. Ein merkwürdiges Gefühl, denn er war daran nicht gewöhnt. »Dieses Spiel ist real, Robby. Die Dämonen und sogar der Körper, in dem du steckst, sind real. Einfach alles!« Robby stand auf und streckte sich. Die verschorften Wunden auf seinem Körper zeigten, wie oft er bereits dem Tode nahe gewesen war. Manche der Krusten brachen auf, als er sich bewegte, und frische Blutstropfen liefen über seine Arme, Beine, die Brust und den Rücken. »Mann, ich hasse diese Bluterei.« Robby bückte sich, nahm 172
eine Hand voll Sand und verrieb sie auf den Wunden. »Man kann das Blut hier überall riechen.« »Ich rieche nichts«, bemerkte Xander. »Glaub mir, Kumpel. Wenn du dich erst einmal an das Virtual-Reality-Interface gewöhnt hast, riechst du das Blut auch. Und wenn der Geruch von Blut erst mal in der Luft liegt, macht alles, was in dieser Welt lebt, Jagd auf dich. Wenn eins von diesen Raubtieren glaubt, es ist groß genug, um dich zu töten und zu fressen, dann wird es das auch versuchen. Und wenn es dich für schwach hält, wartet es einfach ab, bis du umkippst.« Robby grinste Xander an. »Andererseits kannst du natürlich das, was auf dich Jagd macht, fressen, wenn es vor dir aus den Latschen kippt.« Xander schüttelte den Kopf. »Denk doch mal nach, Robby! Wer würde so ein Spiel entwickeln? Als wir über VirtualReality-Spiele gesprochen haben, haben wir von Jagen und Fischen gesprochen, aber so eine Welt haben wir uns nie vorgestellt. Das ist doch total krass hier, Mann!« »Das Environment«, verteidigte Robby das Spiel, »ist benutzerfreundlich, was Systemspezifikationen angeht. Es blockiert dir nicht den ganzen Arbeitsspeicher.« »Komm schon«, sagte Xander energisch und trat vor. »Was für ein System könnte all das schaffen, was du hier siehst?« »Keins. Jedenfalls keins, das ich kenne.« »Und wie viel würde wohl ein System kosten, das zu so etwas in der Lage ist?« »Eine Designfirma mit einem großen Budget für Forschung und Entwicklung könnte es auf die Beine stellen«, entgegnete Robby störrisch. »Da spricht der Spieler in dir, Kumpel. Der mit Nintendo und Sega aufgewachsen ist und mit PlayStation, PlayStation2 und Dreamcast weitergemacht hat. Aber du bist doch auch ein Programmierer, Robby. Sag mir, was für Systemanforderungen nötig wären, um vielleicht – vielleicht! – so etwas wie das hier 173
auf die Beine zu stellen!« Robby schwieg eine Weile. »Dazu braucht man CRAYRechner, mindestens dritte, vielleicht vierte Generation«, sagte er dann. Leise fuhr er fort: »Xander, ich weiß, das ist total merkwürdig, okay? Ich meine, sobald ich hier aufwachte, war mir klar, dass es hier merkwürdig zugeht. Das ist mir schon bei den Vorübungen, die wir gemacht haben, aufgefallen.« »Ich habe keine Übungen gemacht«, sagte Xander. »Dredfahl hat mich einfach hier reingeworfen.« »Das ist aber komisch!« »Ich habe ihn entlarvt«, erklärte Xander. »Ich habe ihn im Krankenhaus gesehen, als er hinter dem Dämon herkam, der zurzeit in deinem Körper wohnt!« »Was?«, fuhr Robby ungläubig auf. »Es ist wahr, Mann. Dieser Dredfahl ist ein Dämon. Er besitzt die Fähigkeit, Leute aus ihrem Körper zu holen. Und diese Welt, in der wir jetzt sind, die ist real!« Robby ging auf und ab und schüttelte den Kopf. Die Angewohnheit, unruhig hin und her zu marschieren, war das Einzige, was Xander an diesem Goliath wieder erkannte. »Warum hat Dredfahl dich hier eingesetzt?«, fragte Robby. »Vielleicht brauchte er noch einen Menschenkörper für einen Dämon«, sagte Xander. »Das ist doch total irre!« »Und ein Computersystem, das zu so einer virtuellen Realität fähig ist, etwa nicht?« Robby breitete die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umarmen. »Ein Spiel wie das hier, Xander? Mann, davon haben viele von uns doch immer geträumt! Jetzt ist die Technologie fast so weit.« Er deutete es mit Daumen und Zeigefinger an. »Wir sind so dicht dran! Und wenn jemand zu mir kommt und mir die Chance gibt, Hardware und Programm testen zu können, dann sage ich doch ja!« »Und du glaubst auch daran«, sagte Xander. »Ich weiß. 174
Daran ist ja auch nichts auszusetzen. Aber leider ist das hier keine Hardware, und diese Welt ist kein Computerspiel.« Robby schritt wieder auf und ab. »Ich weiß, du hängst mit ein paar seltsamen Leuten rum, X-Man. Der alte Typ, der früher als Bibliothekar in der Highschool gearbeitet hat zum Beispiel. Und dieses Mädchen – Buffy, die war immer schon von Merkwürdigkeiten umgeben.« »In Sunnydale leben Dämonen«, sagte Xander. »Und Vampire auch. Und wenn sie nicht dauerhaft in Sunnydale wohnen, kommen sie zu Besuch. Der Typ, der das hier auf die Beine gestellt hat, der kommt wahrscheinlich von außerhalb.« »Du spinnst ja! Das ist doch alles nur ein Spiel!« Mit diesen Worten stolzierte Robby davon. Xander stand da und wusste nicht, was er noch sagen sollte. Wie konnte er Robby davon überzeugen, dass das, was er erlebte, kein wahr gewordener Traum war, sondern eine grauenhafte, andere Welt? Buffy wanderte durch die dunkle Museumshalle, in der sich die westafrikanischen Kunstwerke befanden. Die Ausstellung war groß genug, um einen eigenen Raum zu beanspruchen. Die meisten Exponate waren noch in Holzkisten mit Styroporchips verpackt, aber einige Deckel waren bereits offen und man konnte Vasen, Tonwaren und sogar ein paar Kanus sehen. Mitten im Raum stand das Miniaturmodell eines Dorfes: mit Stroh und Lehm gedeckte Hütten am Meeresufer. Kleine Glühbirnen brannten in den künstlichen Lagerfeuern, wo Dorfbewohner-Figuren kochten und tanzten. Ihr Lebensraum war ein schmaler Streifen sandiges, felsiges Land zwischen dem Meer und einem undurchdringlichen Dschungel. Eingepfercht in rauen Gefilden, hin- und hergerissen zwischen zwei Seiten, dachte Buffy angesichts dieser Konstruktion und fand, es war ihrer eigenen Situation sehr ähnlich. Da war nicht viel Raum für Fehler! In ihrem Kopf schwirrten alles 175
andere als glückliche Gedanken. Ins Museum zu kommen war nicht schwer gewesen. Bobby Lee hatte die Schlösser geknackt und Spike das gesamte Sicherheitssystem lahm gelegt. Im Museum hatten sie sich in zwei Gruppen aufgeteilt. Während Buffy und Bobby Lee sofort damit begonnen hatten, die Kisten mit den westafrikanischen Ausstellungsstücken durchzusehen, nahmen sich Spike und Anya das restliche Gebäude vor. »Schon was gefunden, cher?«, fragte Bobby Lee. »Cher?« Buffy sah ihn an. »Soll ich dich jetzt Sonny nennen?« Bobby Lee lächelte. Er saß locker und entspannt im Schneidersitz auf dem Boden. Seine Finger tanzten lautlos auf den Saiten der Gitarre, die sich auf seinem Schoß befand, und klampften eine unhörbare Melodie. »Cher ist da, wo ich herkomme, nur eine freundschaftliche Form der Anrede, Buffy«, erklärte er. »Hat nichts zu bedeuten. Tut mir Leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe.« »Nein, nein«, meinte Buffy. »Ist schon okay. Ich bin wahrscheinlich nur ein bisschen nervös.« »Wegen deiner Schwester?« Buffy drehte sich zu ihm um. »Du hast wirklich Nerven, weißt du das? Du tauchst hier auf, packst die ganzen Dämonenprobleme auf den Tisch und jetzt willst du mich auch noch zu meinem Privatleben befragen?« »Anscheinend bin ich fest entschlossen, mich bei dir unbeliebt zu machen. Ich lasse das besser mal. Tut mir Leid!« Buffy seufzte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie eigentlich konzentriert bei der Sache hätte sein sollen. »Ist nicht deine Schuld. Liegt an mir. Heute kann man sich wohl nur unbeliebt bei mir machen.« »Ach, vergiss es. Jetzt bist du hier und wirst das tun, wozu du geboren und ausgebildet wurdest.« Buffy sah auf ihre Uhr. Sie waren nun schon über eine 176
Stunde im Museum. Rumstehen und Warten war schrecklich. Auf den Friedhöfen von Sunnydale musste sie nie so lange auf Action warten. Und in der Regel hatte sie, wenn sie sich dort aufhielt, Begleitung dabei, mit der sie ihre Probleme besprechen konnte. »Du bist in Gedanken bei deiner Schwester«, sagte Bobby Lee. Buffy reagierte nicht. Wenn sie mit irgendjemandem über die Spannungen zwischen ihr und Dawn reden würde, dann mit Willow oder vielleicht noch mit Spike. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, hinter dem Haus – das nun ihr und Dawn allein gehörte – aufzutauchen und mit ihr zu reden. Er war der Einzige, für den sich Buffy nicht verantwortlich fühlte, und das war für sie eine wohl tuende Abwechslung. »Das ist ganz in Ordnung«, sagte Bobby Lee schließlich. »Wir müssen nicht darüber reden, wenn du nicht willst.« Seine Finger strichen über die Gitarrensaiten und Buffy hörte, wie ganz leise eine Melodie erklang. Sie war eindringlich und gefühlvoll, traurig und hoffnungsvoll zugleich. Buffy starrte noch eine ganze Weile in den dunklen Raum. »Tut mir Leid, das mit deinem Vater. Und das mit deinem Großvater auch«, sagte sie dann. »Danke. Es ist nicht leicht, jemanden zu verlieren.« »Ich weiß«, sagte Buffy. »Ich... ich habe meine Mom vor nicht allzu langer Zeit verloren.« »Dann hast du es im Moment aber wirklich total schwer«, entgegnete Bobby Lee. Buffy schwieg und biss die Zähne zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen. Gott, sie hatte schon genug geweint, oder? Da konnte doch nicht mehr viel übrig sein! Aber es genügte schon, wenn sie nur an ihre Mutter dachte, und schon stiegen ihr die Tränen in die Augen. »Dein Dad lässt nicht viel von sich hören?«, fragte Bobby Lee vorsichtig. »Nicht sehr viel«, sagte Buffy und wünschte, Bobby Lee 177
würde das Thema wechseln. »Dann seid ihr zwei also ganz allein.« »Ich habe meine Freunde und Dawn hat ihre.« »Ja, aber wie viele von diesen Freunden könnten deiner Meinung nach die Verantwortung für deine Schwester übernehmen?« »Wenn mir etwas zustößt, würden sie sich um Dawn kümmern.« »Aber das würdest du nicht wollen, nicht wahr?« »Nein«, entgegnete Buffy gereizt. »Denn wenn sie das tun müssten, würde das bedeuten, dass ich tot wäre.« »Es geht um mehr, cher. Es würde auch bedeuten, dass du nicht für deine Schwester da sein könntest, wenn sie dich braucht. Und vielleicht befürchtest du auch, Dawn könnte etwas zustoßen, wenn dir etwas zustößt. Wenn sie in deiner Nähe ist und bei deinen Aktionen mitmacht.« »Da liegst du falsch«, zwang sich Buffy zu sagen. »Kann schon sein«, räumte Bobby Lee ein, fügte jedoch hinzu: »Aber das würde mich sehr überraschen.« Lautlos glitten seine Finger über die Gitarrensaiten. »Und warum bist du dir da so sicher?« »Als mein Dad getötet wurde«, erklärte Bobby Lee, »ging es mir mit meinen Schwestern genauso.« »Du hast Schwestern?« Bobby Lee nickte. »Zwei. Chenille und Taffy. Chenille ist jetzt siebzehn, aber Taffy ist erst neun. Und als mein Dad starb, habe ich versucht, ihnen den Vater zu ersetzen. Ich wollte ihnen vorschreiben, was sie tun sollen, wie sie sich verhalten sollen, wen sie treffen dürfen und wen nicht und wie viel sie lernen müssen. Und damit habe ich genau das Falsche getan.« »Es hat ihnen nicht gepasst!« Bobby Lee schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn, sagte jedoch mit einem selbstironischen Funkeln in den Augen: »Überhaupt nicht. Und da hat meine Mutter mir erklärt, dass 178
ich mich zu sehr in ihren Kram einmische. Ich hätte, genau wie meine Schwestern, meinen Vater verloren und sie selbst einen guten Mann, sagte sie. In der Tat wollten meine Schwestern gar keinen Vaterersatz von mir haben. Ich konnte natürlich helfen, indem ich etwas mehr auf meine Schwestern aufpasste als vorher, aber das, was sie wirklich brauchten, war ein liebender Bruder. Wenn ich also weiter versucht hätte, ihnen ein Vater zu sein, hätten sie es mir wahrscheinlich sehr verübelt. Dann hätten sie nämlich ihren Vater und gleichzeitig auch ihren Bruder verloren.« »Und wie steht es jetzt zwischen euch?« Bobby Lee lächelte. »Meine Schwestern, die haben jetzt den besten Bruder, den Schwestern sich überhaupt wünschen können!« »Deine Mutter scheint eine sehr kluge Frau zu sein.« »Oh, das ist sie!«, pflichtete ihr Bobby Lee bei. »Und sie wäre die Erste, die dir das bestätigen würde. Mein Vater hat immer auf sie gehört.« »Und was ist mit der Dämonenjagd? Wissen deine Schwestern davon?« »Ja.« »Und das macht dir keine Sorgen?« »Doch«, gab Bobby Lee zu. »Aber man muss bedenken, dass es sich um eine Familienangelegenheit handelt. Meine Familie reicht diese Verantwortung nun schon sehr lange von Generation zu Generation weiter. Jeder in der Familie kennt die Gefahren. Aber wir stecken da alle zusammen drin. Genau wie du und deine Freunde.« »Ich habe es versucht«, sagte Buffy, »aber ich kann sie nicht davon fern halten.« »Weil ihr Freunde seid. Und deine Schwester? Nun, Dawn sollte dir von allen am nächsten stehen. Besonders, da ihr beiden jetzt allein seid. Du hast eines noch nicht begriffen: Während deine Gedanken ständig darum kreisen, wie du dich besser 179
um sie kümmern kannst, denkt sie die ganze Zeit, dass sie sich um dich kümmern sollte. Wenn du versuchst, sie in den Teil deiner Welt zu verbannen, der dir sicher erscheint, dann bleibt ihr nichts von dir, woran sie sich festhalten könnte. Du bist, was du bist, cher. Und du kannst dich nun mal nicht aufspalten.« Buffy schwieg und dachte über Bobby Lees Worte nach. Unvermittelt überlief sie jedoch ein kalter Schauer und sie wusste, sie waren nicht mehr allein im Museum.
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15 »Ich halte das für keine gute Idee, Willow.« Willow sah ihre Freundin an und bemühte sich, nicht verärgert zu klingen, denn Tara reagierte immer sehr empfindlich darauf. »Haben wir denn nicht versucht, Derek Traynor in seinem Hotelzimmer anzurufen?« Widerstrebend nickte Tara. Sie saß in ihrem Zimmer auf dem Boden und sah gar nicht glücklich aus. »Und haben wir nicht versucht, uns in das Hotel zu schleichen, in dem er wohnt?«, fragte Willow und legte den Schutzkreis aus Kreide fertig aus, den sie für ihr Vorhaben brauchten. »Doch.« »Siehst du! Ich bin der Meinung, wir sollten nicht noch mal dort auftauchen, nachdem die Hotelsecurity gedroht hat, die Polizei zu rufen«, sagte Willow. Sie steckte das Kreidedöschen wieder in ihre Tasche mit dem Hexenzubehör. »Aber das hier?«, meinte Tara. »So eine Seance behagt mir eigentlich gar nicht.« »Uns bleibt doch gar keine andere Wahl«, entgegnete Willow. Sie stand auf und trat in die Mitte des Schutzkreises. Im Zimmer war es dunkel und still, aber vom Korridor drangen Musik und Fernsehgeräusche herein. »Magie ist kein Mittel, das man jedes Mal anwenden sollte, wenn man in Schwierigkeiten gerät«, sagte Tara. »Magie ist eigentlich etwas, das man spürt und erlebt und mit anderen teilt.« Sie runzelte die Stirn. »Mir scheint, du benutzt die Zauberei... vielleicht ein wenig zu oft.« »Tara«, erwiderte Willow, »wie kannst du so etwas sagen? Ich habe meine Fähigkeiten noch nie aus Gier oder Faulheit eingesetzt, wie es andere Hexen tun. Ich verwende sie nur, um meinen Freunden zu helfen.« 181
»Du setzt sie aber immer öfter ein, um deinen Freunden zu helfen«, bemerkte Tara. »Nun«, entgegnete Willow verteidigend, »meine Freunde brauchten in letzter Zeit eben immer öfter Hilfe. Das ist sozusagen ausgleichende Gerechtigkeit.« Tara zeigte auf die Ratte in dem Hamsterkäfig, der auf der Kommode stand. »Amy Madison hat sich ein bisschen zu viel in die Zauberei hineingesteigert. Und du siehst ja, was aus ihr geworden ist!« Die Ratte streckte ihnen neugierig die Nase entgegen, als hätte sie gespürt, dass von ihr die Rede war. Vor wenigen Jahren noch war Amy Madison eine Schülerin an der Highschool gewesen und nun zählte sie zu den zahlreichen Verschollenen von Sunnydale. »Ich mache doch keinen Morphzauber«, erklärte Willow. »Nur eine altmodische Seance, um den Geist von Donny Williford heraufzubeschwören.« »Vielleicht ist er ja gar nicht tot«, wandte Tara ein. »Du zweifelst an Derek Traynor?« Willow ließ sich in der Mitte des Kreises nieder. »Nein, das habe ich nicht gesagt. Vielleicht haben wir Derek ja bloß missverstanden.« »Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, stellte Willow fest. Sie holte ein Feuerzeug aus der Tasche und sah die fünf Kerzen an, die sie in dem Kreis aufgestellt hatte. »Kommst du rein oder bleibst du draußen? Wenn ich erst mal angefangen habe, kannst du die Linie erst wieder übertreten, wenn ich fertig bin. Und außerhalb des Schutzkreises darfst du dich nicht im Raum aufhalten.« Tara machte ein unglückliches Gesicht, als sie zu Willow in den Kreis kam. Sorgsam achtete sie darauf, nicht auf die Linie zu treten. Sie setzte sich gegenüber von Willow auf den Boden. »Ich kann das auch allein machen«, bot Willow an, die bereits das schlechte Gewissen plagte, weil sie Tara in diese 182
Sache mit hineinzog. »Nein«, entgegnete Tara. »Ich will nicht, dass du allein bist, falls irgendwas schief geht. Und gemeinsam sind wir stärker.« Bei Taras Worten wurde Willow ganz warm ums Herz und sie beugte sich vor, um ihre Freundin rasch zu umarmen. »Wir werden immer gemeinsam stark sein.« »Sei einfach vorsichtig«, bat Tara. »Bin ich«, sagte Willow und begann, die Kerzen anzuzünden. Als drei von ihnen brannten, nahm Tara ihr das Feuerzeug aus der Hand und zündete die übrigen zwei Kerzen an. Sie gab Willow das Feuerzeug zurück und Willow warf es in ihre Tasche. Die rauchenden Flammen tanzten auf den Kerzen und der Geruch von Magie lag in der Luft. Willows Hexensinne kabbelten voller Erwartung. Magie ist irgendwie wirklich eine coole Sache, dachte sie, nahm Taras Hände und drückte sie ganz fest. »Bist du bereit?«, fragte sie. »Ja«, entgegnete Tara und nickte zögernd. Willow atmete aus, entspannte und konzentrierte sich. Da sie mit den Mitteln der realen Welt nicht an Derek Traynor herankamen, war die Magie für sie der einzige Weg, ihn zu erreichen. Wie sie annahm, konnte es nicht schwer sein, eine Verbindung zu Derek herzustellen, da er selbst übersinnlich veranlagt war. Es ging nur darum, lange genug mit ihm in Kontakt zu bleiben, um ihn davon überzeugen zu können, dass sie real waren und es mit einem realen Problem zu tun hatten. Dann würde er ihnen bereitwillig zuhören. Wenigstens war dies Willows Überzeugung. Sie hoffte nur, niemand von ihnen wurde bei diesem Vorhaben getötet. »Pechschwarze Schatten der Nacht, wie stille Wasser mit tiefem Grund! Beugt euch meinem Willen rasch 183
und zeigt mir nun zu dieser Stund’ den Einen, der mir helfen kann und der mich führt zum großen Fund.« Willow wurde von magischer Energie durchströmt, die sich rasch in ihr ausbreitete. Sie spürte, wie Tara ihre Hände fest umklammerte. Im nächsten Augenblick wurde der Schutzkreis von weißgrauem Nebel umhüllt. Als die Schwaden so dick wurden, dass der Rest des Zimmers nicht mehr zu sehen war, schob sich ein Gesicht aus dem Nebel. Es gehörte einem Jungen, den Willow nicht kannte. Er hatte ein schmales, verhärmtes Gesicht und langes Haar, das ihm über die Augen hing. Er war von auffallender Blässe. Suchend blickte er in alle Richtungen, dann nahm er Willow und Tara wahr. Mit wildem, wütendem Gebrüll stürzte er mit ausgestreckten Armen aus dem Nebel auf Willow zu. Trotz der rebellischen und verletzten Gefühle, die in ihr rumorten, plagte Dawn dennoch ihr schlechtes Gewissen, als sie die Spielepassage betrat, die nur ein paar Blocks vom Zauberladen entfernt war. Sie hatte um keinen Preis im Laden bleiben wollen und die erstbeste Gelegenheit genutzt, um abzuhauen. Sie suchte in der belebten Passage nach Zerstreuung, denn sie brauchte etwas, das sie davon abbrachte, an Buffy zu denken und an den Dämon, auf den sie nun Jagd machte. Oder der sie vielleicht gerade tötete. Dawn blieb fast das Herz stehen und sie verdrängte diesen Gedanken rasch wieder. Nun, wenigstens versuchte sie es. Das Problem war nur, dass sie wusste, womit Buffy gerade beschäftigt war und welche Gefahren auf sie lauerten. Und sie wusste, dass Buffy ihr jederzeit entrissen werden konnte – genau wie ihre Mom zuvor. Dieses Wissen war fast nicht auszuhalten. Und es war mit 184
Sicherheit viel zu beunruhigend, um einfach zu Hause zu sitzen und sich auf die Hausaufgaben zu konzentrieren oder mit den Freundinnen zu telefonieren. Dawn ging durch die Passage, in der eine Fülle von Spielen angeboten wurde. Bunt gekleidete Mutanten kämpften gegen Armeen von Bösewichtern und manchmal auch gegeneinander. Spezialagenten jagten Dämonen und Ghuls und Aliens, während andere Gesetzeshüter Jagd auf ganz irdische Kriminelle machten – irdische Kriminelle, die jedoch mit apokalyptischen Waffen ausgerüstet waren. Aber es gab auch Spiele mit Stockcar-Rennen oder achtzehnrädrigen Trucks und unzählige Kriegsspiele mit Kampfjets und Panzern. Xander nahm Dawn abends manchmal mit in die Passage, wenn Buffy noch allem auf Patrouille unterwegs war. Das passierte leider nicht besonders oft, denn Xander verbrachte die meiste Zeit mit Anya. Aber Dawn machte es immer viel Spaß, sich im Duell mit Xander durch die diversen Szenarios zu kämpfen. An diesem Abend war sie jedoch nicht gekommen, um sich zu amüsieren. Nach Anyas und Taras Berichten über Robby Healdton und Donny Williford – die Dawn beide durch Xander kennen gelernt hatte – war für sie klar gewesen, dass es nur einen Ort geben konnte, an dem man Dämonen fand, die auf der Suche nach Spielern für diese Bewusstseinstauschgeschichte waren. Eigentlich gab es mehrere Orte, an denen man nach Dämonen suchen konnte. In Sunnydale gab es viele Passagen und Comicläden, aber die meisten davon – wie zum Beispiel Matt’s Comics, wo Dawn Robby Healdton mehr als einmal gesehen hatte – hatten längst geschlossen. Immerhin war es schon Viertel vor zwei in der Nacht, aber die Spielepassage, die den Namen Shooter’s Other Worlds trug, schloss ihre Türen erst um zwei Uhr morgens. Dawn ging an den Automatenreihen vorbei und wurde von 185
einer gewissen Hoffnungslosigkeit ergriffen. Es war eine schreckliche Vorstellung, dass Donny Williford in einer anderen Dimension gestorben sein könnte, aber vermutlich war er nicht der Einzige. Und wenn Spieler in der Dämonenwelt ums Leben kamen, dann bedeutete dies zwangsläufig, dass neue Spieler benötigt wurden. Das war der Plan, den sich Dawn im Zauberladen zurechtgelegt hatte. Aber Buffy hätte ihr sowieso nicht zugehört und wenn doch, dann hätte sie den Sachverhalt von jemand anderem überprüfen lassen. Obwohl die Aktion nicht unbedingt erfolgreich enden musste, fühlte sich Dawn mit dem Besuch der Spielepassage wenigstens ein bisschen nützlich. Sie wollte sich einfach nicht wegschubsen oder wie ein kleines Kind behandeln lassen. Wenn die Dämonen allerdings aussahen wie alle anderen Besucher der Passage, wie sollte sie die Kerle dann überhaupt finden? Sie ging immer weiter und sprach hier und da kurz mit ein paar Leuten. Richtig befreundet war sie mit niemandem in der Passage. Es waren alles eher Bekannte von Xander. Dawns Freundinnen hätten die Spielepassage niemals betreten, denn als Schülerin von der Highschool hielt man sich dort einfach nicht auf; das machte keinen guten Eindruck. Dawn selbst hatte Xander immer nur aus Langeweile in die Passage begleitet und weil sie sich verzweifelt danach sehnte, das Haus zu verlassen, wenn Buffy weg war. Jedes Mal hatte sie gehofft, von niemandem gesehen zu werden, und Xander, der Verständnis dafür hatte, war ziemlich cool damit umgegangen. Er half ihr sogar beim Verstecken und versorgte sie mit Snacks und lebensmittelähnlichen Dingen. Xander! Dawn stockte der Atem, wenn sie an ihn dachte. Bitte, bitte, lass Xander nichts zustoßen! Wie kommt Buffy nur auf die Idee, ich könnte zu Hause rumsitzen, solange Xander verschwunden ist! 186
Dawn umrundete den Air-Hockey-Tisch, an dem in der Regel recht wenig los war. Manchmal spielten einige der älteren Semester Air-Hockey, aber von den meisten wurde diese Ecke zum Quatschen benutzt. Zwei Jungs waren nun dort und versuchten ganz offensichtlich, drei Mädchen zu beeindrucken, die definitiv nicht an ihnen interessiert waren. Dawn ging die kurze Treppe in die zweite Etage der Passage hoch und blieb vor »Jurassic Park« stehen. Um dieses Spiel zu spielen, setzte man sich in einen Jeep, der wie das Fahrzeug aus dem ersten Film aussah. Gerade waren zwei Jungs dabei, fluchend auf die angreifenden Dinosaurier zu schießen. Von der zweiten Etage aus konnte man sehr gut das Erdgeschoss und den Eingangsbereich überblicken. Dawn beobachtete das bunte Treiben. Bestimmt hatte sie die richtige Entscheidung getroffen. Außer der Spielepassage hatte nur noch das Realms geöffnet, ein Laden, der auf Sammelkartenspiele und Dungeon-Crawl-Rollenspiele mit Papier und Bleistift spezialisiert war. Dawn nahm an, Dredfahl sei eher an Jungs interessiert, die auf Computer- und Videospiele standen. Es war bereits acht Minuten vor zwei – die Zeit wurde knapp. Dawn knurrte der Magen, während sie den Eingang und die Besucher der Passage beobachtete. Ihre Pizza hatte sie im Zauberladen stehen lassen, ohne sie auch nur anzurühren, fiel ihr ein, und auch zu Hause hatte sie nichts gegessen. Sie hatte einfach nicht daran gedacht, Wenn Buffy nicht zu Hause war, bestand für Dawn das Leben aus Fernsehsendungen, dem Bemühen, nicht an ihre Mutter zu denken, den Hausaufgaben und einem gelegentlichen, nur mäßig interessanten Telefonat mit einer ihrer Freundinnen. Das Leben zu Hause war seit dem Tod ihrer Mutter ziemlich jämmerlich. Wahrscheinlich empfand Buffy das genauso und war deshalb nie zu Hause! »Hey, Dawn!« 187
Dawn drehte sich um und sah Eric Rogers auf sich zukommen, einen der Spielsüchtigen von der Junior High. Er war dünn und unbeholfen, hatte rotblondes Haar mit Skater-Frisur und eine Nickelbrille mit kleinen runden Gläsern. In seinem Mighty-Mouse-T-Shirt sah er irgendwie süß aus. »Hey, Eric!«, sagte Dawn. »Bist du von zu Hause ausgebüxt?«, fragte Eric und blieb vor ihr stehen. »Ja«, entgegnete Dawn nur. Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Sie spähte an Eric vorbei. War etwa gerade jemand in die Passage gekommen? Sie war nicht sicher. »Cool«, meinte Eric. »Machst du das öfter?« »Ab und zu mal«, antwortete Dawn. »So fertig, wie du manchmal in der Schule aussiehst«, sagte Eric, »hab ich mir so was schon gedacht.« Na prima, dachte Dawn, dann hat der Abdeckstift für die dunklen Augenringe wohl versagt! »Aber hier im Shooter’s habe ich dich noch nicht so oft gesehen«, fuhr Eric fort. »Ich komme auch nie hierher«, gab Dawn zu. »Oh?« Eric wirkte interessiert. »Gehst du lieber auf Partys?« Das könnte erheblich zur Verbesserung meines Rufs beitragen, dachte Dawn und bejahte die Frage. Eric nickte. »Cool, cool.« Er zögerte. »Vielleicht können wir uns mal treffen, was meinst du?« Abwesend spielte er an dem Handy, das an seinem Gürtel hing. »Vielleicht«, entgegnete Dawn. »Wann denn?«, drängte Eric. Dawn zögerte. Sie wollte Eric nicht beleidigen, ihm aber auch nur ungern etwas versprechen, was sie sowieso nie tun würde. »Achtung«, plärrte eine weibliche Stimme plötzlich aus dem Lautsprecher. »Das Shooter’s schließt in fünf Minuten. Bitte beenden Sie Ihr Spiel!« 188
Überall in der Passage stöhnten und fluchten die Spieler. »Wir machen bald was aus«, versprach Dawn und hoffte, es würde nie dazu kommen. Eric zuckte mit den Schultern. »Okay. Soll ich dich nach Hause bringen?« Dawn wollte gerade antworten, aber da entdeckte sie vier Typen, die die Passage betraten. Dass es Spieler waren, erkannte sie sofort an ihrer Aufmachung: Zwei trugen T-Shirts mit Comicmotiven und die beiden anderen lange schwarze Trenchcoats im Goth-Style. Die vier bewegten sich grußlos durch die Menge und wurden sofort von zahlreichen Spielern umringt. Einige von ihnen wurden gleich abgewiesen, aber ein paar durften sich der Gruppe anschließen. Sie gingen durch die ganze Passage. Einige von den Jungs, die aufgenommen worden waren, klatschten sich gegenseitig ab und redeten begeistert miteinander. Aufregung und Nervosität stiegen blitzartig in Dawn auf und Adrenalin schoss durch ihre Adern. Das waren sie! Das mussten sie einfach sein! »Kennst du diese Typen da?«, fragte sie Eric. »Das sind Idioten«, entgegnete Eric abschätzig. »Ich habe schon gegen sie gespielt, es sind alles Spitzenspieler. Aber hier hab ich sie in letzter Zeit nicht oft gesehen und allmählich verschwinden ihre Namen aus den Bestenlisten ihrer Lieblingsspiele. Hab ich mir schon gedacht, dass sie noch mal wiederkommen.« »Wo waren sie denn?«, fragte Dawn. »In anderen Läden?« »Nee«, entgegnete Eric. »Da habe ich ihre Namen auch nicht gesehen. Sie waren eine Weile einfach spurlos vom Erdboden verschwunden. Jemand hat mir gesagt, sie hätten irgendein neues Spiel getestet, das bald rauskommen soll, aber vielleicht haben sie dieses Gerücht auch nur selbst in die Welt gesetzt.« Aufregung stieg in Dawn auf, als sie beobachtete, wie die Spieler zwei weitere Jungs in ihre Gruppe aufnahmen. Sie 189
rekrutierten tatsächlich neue Leute! »Wir schließen jetzt«, verkündete die weibliche Stimme aus dem Lautsprecher. »Vielen Dank für Ihren Besuch! Wir würden uns freuen, Sie morgen wieder begrüßen zu dürfen.« Augenblicklich wurde das Licht in der Passage gedimmt. Ein Potpourri von Game-Over-Melodien dröhnte aus der Lautsprecheranlage, eine hauseigene Mischung aus den Verlierer-Jingles der beliebtesten Spiele. Dawn registrierte, wie einer der Jungs aus der Vierergruppe sich nach ihr umdrehte. Er blieb dabei nicht stehen, blickte sie jedoch unverwandt an. Und da fielen Dawn seine lavendelfarbenen Augen auf. Selbst in dem gedämpften Licht war das leuchtende Lila deutlich zu erkennen. Zwei von den anderen Jungs sahen auch zu ihr herüber und sie bemerkte auch bei ihnen diese seltsame Augenfarbe. »Lila Augen«, flüsterte sie. Wie Bobby Lee ihnen erklärt hatte, waren die Dämonen, die mit einem Menschen den Körper getauscht hatten, an diesem Merkmal zu erkennen. »Ja«, schnaubte Eric. »Lila Augen. Die haben sie alle. Als hätte die Designfirma, für die sie die Tests machen, auch gleich noch Kontaktlinsen verteilt.« Dawn bekam es mit der Angst zu tun. Warum waren die Typen nur auf sie aufmerksam geworden? Vielleicht war der Dämon irgendwie an die Erinnerungen des von ihm besessenen Jungen gelangt, der sie früher mal mit Xander gesehen hatte. Blitzartig drehte sie sich um und umarmte Eric. Sie sahen nun wie eines der zahlreichen Paare aus, die sich gerade im Shooter’s einen Gute-Nacht-Kuss gaben. Damit entzog Dawn ihr Gesicht den bohrenden Blicken. Und brachte Eric Rogers fast um den Verstand. »Hey!«, japste er. Seine Arme lagen zwar auf Dawns Schultern, aber zu mehr war er nicht fähig. Dawn hielt Eric fest umklammert, bis die Spieler die Passage 190
verlassen hatten. »Hey«, sagte sie dann beiläufig, »wir sehen uns morgen in der Schule!« »Sicher«, stammelte Eric, dann versagte ihm die Stimme. »Vielleicht... vielleicht sehen wir uns ja auch hier mal wieder.« Dawn hatte ein schlechtes Gewissen, als sie ging. Rasch ließ sie Erics Handy in ihre Jackentasche gleiten. Morgen würde sie es ihm zurückgeben und irgendetwas davon erzählen, dass es sich von seinem Gürtel gelöst und in ihre Jackentasche gerutscht sein musste. Sie lief fast, als sie am Ausgang ankam. Rasch ging sie nach draußen und sah der Spielergruppe hinterher. Sie hielt sich in der schützenden Dunkelheit unter dem Neonschild der Passage und beobachtete, wie die Gruppe in einen schwarzen Lieferwagen stieg, der an der Straßenecke parkte. Keiner der Spieler drehte sich noch einmal um. Aufmerksam und nervös, weil sie sicher war, eine wichtige Entdeckung gemacht zu haben, scannte Dawn die Straße. Damit werde ich Buffy beweisen, was für eine Hilfe ich sein kann!, dachte sie. Natürlich war es unmöglich, den Lieferwagen zu Fuß zu verfolgen, und wenn sie nicht wusste, wohin er fuhr, waren ihre Informationen nutzlos. Hätte der Lieferwagen irgendeine Aufschrift oder einen Hinweis auf sein Ziel getragen, dann hätte Dawn die Sache auf sich beruhen lassen. Aber so nah dran zu sein und dann aufgeben zu müssen? Diese Vorstellung war ihr unerträglich. Der Motor des Lieferwagens heulte auf und die Scheinwerfer gingen an. Neben den roten Rücklichtern leuchteten auch die weißen auf. Der Wagen fuhr rückwärts. Dawn wusste, was sie zu tun hatte. Mit laut klopfendem Herzen brach sie aus der Deckung und sprintete auf den Lieferwagen zu. Im selben Augenblick bedauerte sie ihren Entschluss auch schon wieder. Nicht in die Spiegel gucken! Nicht in die Spiegel gucken!, ermahnte sie sich. Der Lieferwagen bremste und die Gangschaltung krachte. 191
Dann fuhr das Fahrzeug vorwärts und gewann rasch an Geschwindigkeit. Im Laufen stopfte Dawn das Handy in ihre Jackentasche. Sie konzentrierte sich auf die Leiter, die außen an dem Lieferwagen angebracht war. Der Atem brannte ihr in der Kehle und einen Augenblick lang befürchtete sie schon, sie sei nicht schnell genug, aber dann erreichten ihre Finger doch noch die Leiter. Mit vorgebeugtem Oberkörper machte sie immer längere Schritte und ließ sich ein Stück von dem Lieferwagen mitziehen, statt gleich auf die Leiter zu springen. Hätte sie das getan, wäre sie bestimmt sofort entdeckt worden. Und wenn sie bei dieser Geschwindigkeit stürzte, fügte sie sich sicherlich ernsten Schaden zu. Nach einem letzten langen Schritt, bei dem sie trotz aller Vorsicht fast gestürzt wäre, zog sich Dawn an der Leiter hoch. Sie war ziemlich sicher, dass sie in der Dunkelheit nicht zu erkennen war, wenn sie sich nur eng an den schwarzen Lieferwagen drückte. Der Wind peitschte ihr das Haar ins Gesicht und sie kniff die Augen zusammen. Nach einigen Minuten merkte sie, dass sie sich nicht mehr lange würde festhalten können. Vorsichtig kletterte sie die Leiter hoch und legte sich flach auf das Dach des Lieferwagens. Hoffentlich hat mich keiner von denen da drin gehört!, dachte sie. Auf dem Bauch liegend, verfolgte Dawn die Fahrt durch Sunnydale. Der Fahrtrichtung nach konnte es nur ein Ziel geben: das Hafenviertel. Aber das Hafenviertel war zu groß, als dass diese Angabe ihr Talent als Jagdgehilfin unter Beweis gestellt hätte. Verbissen drückte sie sich an das Dach des Lieferwagens und wartete ab. Der Wagen fuhr durch das Hafengelände und näherte sich dem schwarzen Pazifik, der in einiger Entfernung zu erkennen war. Die sechsundzwanzig Eindringlinge, die zuerst in das 192
Merriwell, Haggard and Burroughs Museum einbrachen, waren Dämonen und von Dämonen besessene Menschen mit lavendelfarbenen Augen. Buffy hatte sich hinter einer Höhlenwand-Attrappe versteckt und beobachtete, wie die Gruppe rasch ausschwärmte. Die Dämonen und die von Dämonen heimgesuchten Menschen machten sich sofort mit Brecheisen und langen Messern daran, die Kisten aufzubrechen. Nägel rissen knarrend aus dem Holz. Unersetzliche, kostbare Teller, Vasen und Tonwaren zerschellten klirrend auf dem Boden. Bobby Lee legte seine Gitarre ab, schälte sich aus seinem Mantel und nahm zwei escrima-Kampfstöcke aus seinem Gitarrenkoffer. An der Art, wie er sie wirbeln ließ, erkannte Buffy, dass er damit umzugehen wusste. Dämonenjagd mit Zauberei und Musik ist schon eine nette Sache, dachte Buffy. Aber irgendwo unterwegs musst du deine Kampfkünste ordentlich aufgerüstet haben, Bobby Lee Tooker! Die Zerstörung der Westafrika-Ausstellung setzte sich fort. Wäre die Alarmanlage nicht ausgeschaltet gewesen, hätte das Getöse mit Sicherheit die Warnsirenen ausgelöst. »Macht schnell!«, knurrte ein Fraxian-Dämon. Er war groß und unglaublich breit um die Brust. Auf dem Kopf hatte er eine rote Löwenmähne. Sein Gesicht wirkte wegen der platten Schnauze, die daraus hervorragte, seltsam deformiert. »Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Dredfahl will diese Knochen haben! Und zwar schnell!« Wie viele Knochen?, fragte sich Buffy. Bobby Lee hatte es nicht gewusst. Er hatte auch nicht sagen können, woran man die Knochen von Torqualmar eigentlich erkannte. Sie beugte sich zu ihm vor. »Wir dürfen sie nicht alle töten. Wir müssen noch rauskriegen, wo wir Xander finden.« – Falls Dredfahl Xander tatsächlich aus dem Krankenhaus entführt hatte. Auch darüber hatten sie immer noch keine Gewissheit und dieser Informationsmangel setzte Buffy arg zu. Wenn 193
Xander irgendwie in die Entführung von Robby Healdton hineingeraten war, gab es keine Garantie dafür, dass er überhaupt noch am Leben war. Keine negativen Gedanken!, ermahnte sie sich sofort. Nur positives Denken ist erlaubt! Eine Taschenlampe leuchtete im Korridor auf. Buffy stand auf und blieb ganz still hinter der Wandattrappe stehen, die mit nachgemachten prähistorischen Höhlenmalereien geschmückt war. Der Lichtstrahl der Taschenlampe glitt über die Dämonen hinweg, die sich alle Mühe gaben, die Ausstellung zu zerstören. Dann fragte ein Mann mit lauter Stimme: »Was tut ihr da eigentlich, Nossif?« Der Fraxian-Dämon drehte sich um, zuckte vor dem grellen Licht zurück und hielt sich schützend einen Arm vor die Augen. »Leuchte mit dem Ding woanders hin, Webber!«, knurrte er. Ein stämmiger Mann mit blauer Security-Uniform und Krawatte kam in den Raum. Die Plakette, die an sein Hemd geheftet war, glänzte im Schein der Taschenlampe. Das erklärt, wie die Dämonen reingekommen sind, dachte Buffy. »Hast du nicht zugehört, als wir das heute besprochen haben?«, schimpfte Webber. »Du hast gesagt, die letzte Schiffsladung kommt heute an«, entgegnete Nossif. »Das Zeug, das wir holen sollen, muss in dieser Lieferung sein.« Webber kam wütend durch den Raum und leuchtete mit der Taschenlampe umher, während die Fraxian-Dämonencrew und die lilaäugigen Dämonen, die wie Menschen aussahen, aufhörten zu arbeiten. »Ich habe euch gesagt, die Kisten, die heute ankommen, erkennt ihr an den gelben Aufklebern«, wetterte Webber. »Mann, für das Chaos, das ihr hier veranstaltet, komme ich glatt in den Bau!« 194
Mit einer raschen Bewegung packte Nossif den Wachmann am Hals und hob ihn hoch. Es sah ganz leicht aus, wie er Webber auf den Ausstellungstisch in das zerstörte Miniaturdorf warf. Webber stöhnte vor Schmerz und schlug fluchend um sich, aber es gab kein Entkommen. Nossif schob dem Wachmann seine Schnauze ins Gesicht. Obwohl Webber die Taschenlampe heruntergefallen war und über den Boden rollte, konnte man die langen Hauer im Mund des Fraxian-Dämons deutlich erkennen. »Du wurdest sehr gut für die Informationen über diese Lieferungen bezahlt«, knurrte Nossif. »Und dafür, uns heute reinzulassen.« Der Dämon grinste. »Aber jetzt brauchen wir dich nicht mehr, Webber.« Er öffnete sein Maul und ließ keinen Zweifel an seinem weiteren Vorgehen. Webber gehörte zwar nicht zu den Guten, aber Buffy konnte nicht einfach tatenlos zusehen, wie der Mann getötet wurde. Sie sah zu Bobby Lee hinüber. »Hast du das mit den gelben Aufklebern gehört?« »Ja.« Bobby Lee kniff argwöhnisch die Augen zusammen. »Was willst du...« Dann schien er zu begreifen. »Nein, das tust du nicht! Nicht für diesen Typen. Er ist es nicht wert...« »Solche Urteile fälle ich nicht«, entgegnete Buffy nur. Und dann brach sie auch schon aus der Deckung und lief auf den Fraxian-Dämon und den Wachmann zu. »Hey!«, rief sie mit lauter Stimme. Mit einer gierigen Fratze, die nichts Menschliches mehr hatte, sah Nossif auf. Sein Raubtierblick konzentrierte sich auf Buffy und er streckte einen Arm aus. »Haltet sie!« Zwei lilaäugige Dämonen in Menschengestalt wollten Buffy ergreifen, aber sie wehrte die beiden ab, bevor sie Hand an sie legen konnten. Sie stürzten hinter Buffy zu Boden, niedergestreckt von den kurzen Geraden, die sie ihnen im Vorbeilaufen verpasst hatte. Als Nächstes ging Buffy auf 195
Nossif los.
196
16 Nossif versuchte, Buffys Angriff auszuweichen, aber das Bestialische in ihm wollte die einmal eroberte Beute – den Wachmann – nicht loslassen. Im hohen Bogen sprang Buffy auf Nossif zu und trat noch in der Luft mit dem linken Fuß nach dem Dämon aus. Sie erwischte ihn an der rechten Schläfe und sein Kopf flog auf die linke Seite. Wäre Nossif ein Mensch gewesen, hätte ihm die Wucht des Tritts das Genick gebrochen. Aber der Dämon stolperte nur ein paar Schritte rückwärts und ließ Webber fallen. Gebremst durch den massiven Körper des Dämons drohte Buffy auf den Rücken zu fallen, machte aber rasch einen Salto rückwärts und landete sicher auf beiden Beinen. Sofort hob sie die Fäuste vors Gesicht. »Da hast du dir den Falschen ausgesucht, Jägerin!«, brüllte der Fraxian-Dämon. »Ich habe mir schon gedacht, dass du dich hier einmischen wirst, und ich bin auf dich vorbereitet!« Er wandte sich an die anderen Dämonen. »Ergreift sie!« Die Dämonen zögerten einen Augenblick, dann aber stürzten sie sich auf Buffy. Webber überlegte nicht lange und nutzte die Ablenkung, um aus dem Raum zu fliehen. Buffy glaubte nicht, dass er am nächsten Morgen für Ermittlungen zur Verfügung stehen würde. Zunächst wich sie vor der angreifenden Dämonengruppe zurück. Hätte sie versucht, ihre Position zu behaupten, hätte sie vielleicht einige von ihnen außer Gefecht setzen können, wäre aber letztlich doch von der heranstürmenden Horde überrannt worden. Aus der Drehung heraus verpasste sie dem ersten Dämon einen Faustschlag und nutzte ihren Schwung, um einen weiteren Dämon zu rammen und in die beiden Dämonen in Menschengestalt zu stoßen, die hinter ihm kamen, woraufhin 197
sie alle zu Boden gingen. Ein weiterer Fraxian-Dämon näherte sich ihr. Er trug einen Speer mit Federn, den er, wie Buffy vermutete, bestimmt aus der Ausstellung gestohlen hatte. Der Dämon stieß mit dem Speer in Buffys Richtung, aber sie wich ihm seitlich aus und schwang ihren rechten Arm. Mit der Innenseite des Unterarms blockte sie den Speer ab und stieß den Angreifer fort. Bevor der Dämon sich aufrappeln konnte, packte Buffy den Speer mit der linken Hand und trat dem Dämon kraftvoll ins Gesicht. Mit der ungeahnten Stärke, über die sie als Jägerin verfügte, gelang es ihr, den Gegner umzuhauen. Sie drehte sich um und lief mit dem Speer in der Hand los, und die Meute, die nach ihrem Blut lechzte, heftete sich an ihre Fersen. Sie erhaschte einen Blick auf Bobby Lee, der gegen ein halbes Dutzend Angreifer um sein Leben kämpfte. Er stieß, schlug und hämmerte derart schnell auf seine Widersacher ein, dass die escrima-Stöcke zu einer tödlichen, hölzernen Wand vor seinem Körper wurden. Er behauptete damit zwar seine Stellung, aber vorwärts brachte ihn das Ganze nicht. Buffy lief direkt auf die Höhlenwand-Attrappe zu. Sie machte größere Schritte und nahm den Speer in beide Hände. Obwohl sie sehr schnell war, lag sie nur wenige Schritte vor der Verfolgermeute. Mit Schwung lief sie die Steinmauer hinauf und hörte, wie die Haltedrähte, mit denen sie befestigt war, quietschend gegen die ungewohnt starke Belastung protestierten. Als sie den dritten Schritt machte und sich in die Wand stemmte, um so lange oben zu bleiben wie möglich, spürte sie, wie die Schwerkraft sie einholte. Sie stieß sich von der Wand ab und segelte mit einem dreifachen Rückwärtssalto über die Köpfe der Dämonen und der lilaäugigen Besessenen hinweg. Als sie auf beiden Beinen landete, hielt sie den Speer immer noch in den Händen. Nun machten Dämonen und Besessene wieder kehrt und kamen auf sie zugerannt. 198
Buffy atmete aus und ging locker und entspannt zum Angriff über. Sie rammte einem Dämon die Speerspitze in den Hals, der sich daraufhin verzweifelt an die verletzte Kehle griff. Buffy drehte den Speer rasch um und schlug einem Besessenen das Griffende gegen die Schläfe. Ohnmächtig sackte er in sich zusammen. Buffy kreiste um den Bewusstlosen, den sie als Deckung verwendete, hob den Speer und wehrte damit den Messerhieb eines Dämons ab. Bevor der Dämon die Hand mit dem Messer zurückziehen und noch einmal ausholen konnte, stieß ihm die Jägerin das Griffende des Speers in den Mund und brach ihm die Zähne ab. Sie ging in die Hocke, um einem weiteren Angreifer die Beine unter dem Körper wegzuschlagen, der kopfüber zu Boden stürzte. Als Buffy vom Faustschlag eines Dämons ins Gesicht getroffen wurde, geriet sie ins Taumeln, ignorierte die Schmerzen jedoch und zwang sich, konzentriert zu bleiben und weiterzukämpfen. Sie drehte den Speer wieder um, stach einem Dämon die Spitze ins Auge und tötete ihn. Die Verfolger, die sich offenbar ihres Sieges nicht mehr so sicher waren, wurden langsamer. »Buffy!« Buffy sah über die Schulter und erblickte Spike, der mit Anya im Schlepptau in den Raum kam. Während er auf sie zulief, schaltete er komplett auf Vampir-Modus um und sein Gesicht verwandelte sich in eine schreckliche Fratze. Er kämpfte mit blinder Wut und prügelte wie ein Wahnsinniger auf die Dämonen ein. »Ein Vampir!«, rief einer der Dämonen überrascht. »Nossif, du hast nichts davon gesagt, dass hier Vampire sind!« Spike konnte sich nicht beherrschen – vielleicht wollte er das auch gar nicht, vermutete Buffy – und schlug einem der lavendeläugigen Menschen die Faust ins Gesicht. Sobald er den Treffer gelandet hatte, ließen ihn die Schmerzen, die der 199
Chip in seinem Kopf verursachte, in die Knie gehen. »Tötet den Vampir!«, rief einer der Dämonen. Er riss ein Stück Holz von einer Transportkiste ab und stürzte sich auf Spike, der noch immer benommen auf dem Boden hockte. Bevor der Fraxian-Dämon ihn jedoch erreichte, eilte Bobby Lee Spike dem Vampir zu Hilfe. Die escrima-Stöcke wirbelten, schlugen das Holz des Angreifers zur Seite, fingen die improvisierte Waffe ein und entrissen sie dem Dämon. »Das werdet ihr nicht tun!«, sagte Bobby Lee. Spike erhob sich, sah ihn an und raunte widerwillig: »Danke.« »Keine Ursache«, entgegnete Bobby Lee. »Du hättest dasselbe für mich getan.« »Darauf würde ich nicht wetten«, murmelte Spike. »Die Kisten!«, rief Buffy. Anya nahm die Keule von einem der bewusstlosen Menschen zur Hand. »Welche Kisten? Hier stehen ja überall welche!« »Die Kisten mit den gelben Aufklebern!« Buffy ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und suchte nach Nossif. Die Dämonen und die besessenen Menschen hielten zwar einen gewissen Abstand zu ihr, hatten sie jedoch umzingelt. Da entdeckte Buffy den Fraxian-Dämon auch schon, wie er in einer Kiste auf der anderen Seite des Raumes wühlte. Nossif hielt einen Raketenwerfer in der Hand. Grinsend drehte er sich um und rannte auf den Ausgang zu. Buffy hielt den Speer mit beiden Händen quer vor dem Körper und rannte los. Sie rammte damit die Meute der Angreifer und zwang sie zurückzuweichen. Aber die Gegner bekamen den Speer zu fassen, hielten ihn fest und bremsten sie. Mit einer raschen Drehung stemmte Buffy sich gegen den Speer und katapultierte sich über ihre Angreifer hinweg. Sie ließ den Speer los und segelte weitere drei Meter durch die Luft, vorbei an der ganzen Meute. Mit angewinkelten Knien federte sie ihre Landung ab. Aus dem Augenwinkel sah sie, 200
wie die Dämonen umdrehten und auf sie losstürzten. Aber Buffy hatte zwei, drei Schritte Vorsprung und durchquerte mit olympischer Geschwindigkeit die Halle. Sie hielt sich am Türrahmen fest und schwang sich um die Ecke in den nächsten Ausstellungsraum. Es war ihr gelungen, ihren Abstand zu dem Fraxian-Dämon zu verkürzen, und so erspähte sie den Fliehenden im Korridor, wie er auf den Ausgang des Museums zuraste. Der Fraxian-Dämon verschwendete keine Zeit damit, die Glastür ordnungsgemäß zu öffnen. Er neigte einfach den Kopf und sprang durch die Scheibe, die in tausende Scherben zersplitterte. Buffy holte wieder zwei Schritte zu ihm auf. Da kam ein Kabrio über den Rasen und den Gehsteig hinweg zum Museumsausgang gebraust. Buffy warf einen prüfenden Blick auf den Wagen, während sie weiter Boden gutmachte. Ein Dämon saß am Steuer und ein weiterer Fraxian-Dämon erhob sich plötzlich von dem Rücksitz des Kabrios und hob ein Rohr auf die Schulter. Buffy dachte zuerst, es handele sich um irgendeine Art von Behälter, aber da schossen plötzlich Flammen aus dem Rohr. Ein Raketenwerfer! Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte Buffy die Waffe identifiziert. Hätte sie nicht in diesem Augenblick kehrtgemacht, hätte sie den Korridor nicht mehr erreicht, bevor die Rakete in den Eingang des Museums einschlug. Buffy spürte bereits die Druckwelle der Explosion, als sie sich mit einem Hechtsprung in die Gruppe der Dämonen und Besessenen stürzte, die ihr in den Korridor gefolgt war. Durch die Explosion wurde Buffy mitten in den Pulk hineingeschossen wie ein Pfeil, mit ihren Widersachern zusammen vom Boden gerissen und ans andere Ende des Raumes geschleudert. Eine Hitzewelle fegte über Buffy hinweg, als sie in einem Knäuel aus Armen und Beinen landete. Benommen kämpfte sie sich nach oben durch und stellte dabei zwei besessene Menschen und einen Dämon ruhig. 201
»Buffy!« Spikes Stimme klang höchst besorgt. Buffy tat alles weh und sie war besorgt und wütend, weil auch einige der besessenen Menschen getötet worden waren. Ihr war nicht klar, was das für die ursprünglichen Besitzer der Körper bedeutete. Langsam erhob sie sich. »Ich bin hier.« Rauch füllte den Korridor und Flammen leckten an dem klaffenden Loch, das einmal der Eingang des Museums gewesen war. Spike kam zu Buffy herüber, packte sie an den Armen und besah sie von Kopf bis Fuß. Er hatte immer noch sein Vampirgesicht und irgendwie war dadurch seine Sorge nicht so deutlich zu sehen. »Bist du in Ordnung?«, fragte er. »Ja«, antwortete Buffy und dann bekam sie von dem Rauch einen Hustenanfall, der ihre geprellten Rippen peinigte. Der ganze Körper tat ihr weh und sie wusste, dass sie in dieser Nacht ganz besonders froh über ihre erstaunlichen JägerinnenHeilkräfte sein konnte. »Aber wir haben den Fraxian-Dämon verloren.« Spikes Gesicht nahm wieder menschliche Züge an. »Ist schon okay. Wir haben ein paar von seinen kleinen Dämonenfreunden hier und auch einige besessene Menschen. Lass mich ein paar Minuten mit einem von ihnen allein und dann wissen wir, wo Dredfahls Versteck ist.« Plötzlich ertönten von draußen Sirenen. »Sicher«, meinte Buffy. »Aber wir müssen hier raus, bevor die Polizei da ist, wenn wir nicht stundenlang irgendwelche Fragen beantworten wollen!« Trotz des Schutzkreises, den sie gezogen und mit ihrer Zauberkraft gestärkt hatte, stieß Willow einen kleinen Angstschrei aus, als der Geist mit einem irren Ausdruck im Gesicht auf sie zusegelte. Dann knallte er jedoch gegen das unsichtbare magische 202
Schutzschild, das die beiden Hexen vor den übernatürlichen Mächten schützte, die sie von den Geisterstraßen gerufen hatten. Wütend trommelte der Geist mit beiden Händen gegen die Barriere. Es regnete Funken in allen Regenbogenfarben und ein Wirbelwind tobte durchs Zimmer. Er fegte Papier auf und ließ es durch die Luft segeln und riss an den Vorhängen. An den Kerzen im Schutzkreis jedoch vergriff er sich nicht, und das war für Willow der Beweis, dass der Zauber, den sie mit Tara geschaffen hatte, der Kraft des Geistes standhielt. Tara zog dennoch den Kopf ein. Die Geister kehrten nicht immer gesund und zurechnungsfähig von der anderen Seite zurück und die meisten von ihnen waren zudem wütend über das, was ihnen im Reich der Sterblichen widerfahren war. »Stopp!«, befahl Willow. Tara hatte sich nie so recht mit dem magischen Potenzial anfreunden können, über das ihre Freundin verfügte, und Willow war sich dessen bewusst. Zu Anfang hatte Tara die Zauberei besser im Griff gehabt – und möglicherweise war das auch immer noch so –, aber mit der naturgegebenen Energie, über die Willow verfügte, hatte sie es nie aufnehmen können. Der Geist trommelte weiter gegen den unsichtbaren Schutzschild. »Donny!«, rief Willow. »Donny, hör auf!« »Nein!«, heulte der Geist. Willow erkannte die Angst in seinem Gesicht, die viel größer war als seine Wut und sein Schmerz. Er tat ihr Leid. »Donny, – hör mir zu! Wir können dir helfen.« »Wie denn?«, fragte der Geist. Er schlug ein letztes Mal gegen den Schutzschild und trat zurück. Als Toter brauchte er zwar keine Atemluft, aber seine Brust hob und senkte sich heftig vor Erregung. »Ich muss mit Amy reden. Ich will es ihr erklären.« »Du kannst ihr nicht helfen«, erwiderte Willow. »Und sie 203
kann dich nicht sehen. Ohne meine Zauberformel könntest du dich in dieser Welt nicht einmal manifestieren.« »Wovon redest du überhaupt?« Donny baute sich wieder vor Willow auf. »Wo warst du, bevor du hierher gekommen bist?«, fragte Willow. Der Geist stutzte und blieb wie angewurzelt stehen. »Ich weiß es nicht. Wo ich noch nie zuvor gewesen bin. Es war alles ganz weiß, voller Stimmen, die ich nicht verstehen konnte. Zuerst dachte ich, ich träume.« Hoffnung malte sich auf seinem Gesicht. »Vielleicht träume ich ja immer noch. Vielleicht war mein Tod in diesem Spiel auch nur ein Traum.« Willow schüttelte den Kopf. Es fiel ihr schwer, Donny zu sagen, was sie ihm sagen musste. »Es war kein Traum und auch kein Spiel.« »Man hat dich getäuscht«, fügte Tara sanft hinzu. »Da ist dieser Typ, er ist eigentlich ein Dämon. Er heißt Dredfahl.« »Dredfahl war der Codename für den System-Operator«, sagte der Geist. »Für den Gamemaster des Virtual-RealitySpiels, das wir getestet haben.« »Er ist ein Dämon«, erklärte Willow. »Und er hat die Fähigkeit, Leute in diese Dämonenwelt zu schicken.« »Wozu?« »Ihr habt doch nach Knochen gesucht, oder?« »Nach den Knochen von Torqualmar«, bestätigte Donny. »Richtig. Sie sind tatsächlich von einem Dämon, den Dredfahl von den Toten wieder auferstehen lassen will. Ich brauche deine Hilfe!« Donny stieß ein raues, trockenes Lachen aus, das durchs Zimmer hallte und ungefähr so angenehm war wie Schimmel auf einem Kuchen. »Wobei könnte ich dir schon helfen?« »Derek Traynor hat gestern Abend Kontakt zu dir bekommen«, sagte Willow. »So?« Donny wischte sich die silbrig schimmernden Tränen 204
aus dem Gesicht. Allmählich bekam er sich wieder in den Griff. »Wir haben gehofft, du könntest nun Kontakt mit Derek aufnehmen. Wir müssen mit ihm reden«, erklärte Tara. »Warum?« »Weil wir Dredfahl stoppen wollen, bevor er noch mehr Leute umbringen wird«, entgegnete Willow. »Wir haben selbst schon versucht, Derek zu erreichen«, fügte Tara hinzu. »Aber wir kommen auf dem normalen Weg nicht durch. Nach dem Zwischenfall am Set wird er im Hotel komplett von seinem Personal abgeschottet. Ich weiß nicht mal, ob er die Sendung morgen überhaupt macht.« »Ihr sagt, Dredfahl ist tatsächlich hinter Torqualmars Knochen her?«, fragte Donny. »Wie in dem Spiel?« Willow nickte. »Dann haben wir nicht viel Zeit, denn wir haben mit Robby schon fast alle Knochen gefunden. Es fehlen nur noch zwei und die können die anderen mittlerweile ja auch schon entdeckt haben.« Willow dachte an Buffy und das Museum und fragte sich, ob unter den Ausstellungsstücken wohl einer von Torqualmars Knochen war. Aber egal, dachte sie dann, wir müssen das hier durchziehen. »Kennst du Xander Harris?«, fragte sie und es lief ihr kalt über den Rücken. Sie wussten ja immer noch nicht, was Xander zugestoßen war. »Ja, ich kenne Xander.« »Ist er... ist er da drüben?«, fragte Willow. »Ist ihm etwas passiert?« »Soviel ich weiß, war Xander nicht in dem Spiel«, antwortete Donny. »Robby und Chris und Travis waren da, auch ein paar andere Typen, die Xander wahrscheinlich kennt, aber ihn selbst habe ich nicht gesehen.« Willow seufzte erleichtert, aber ihre Sorge wuchs, als sie 205
genauer darüber nachdachte. Wäre Xander tatsächlich gegen einen Dämon ausgetauscht worden, dann hätte sie wenigstens gewusst, dass er am Leben war. »Ihr habt gesagt, ich könnte euch helfen, Derek Traynor zu erreichen«, nahm Donny den Faden wieder auf. »Das kannst du«, bestätigte Willow. »Da bin ich ganz sicher.« »Wie denn?« »Du bist ein Geist und er ist ein Medium«, erklärte Tara. »Ihr solltet wie magnetisch voneinander angezogen werden. Du musst nur in seine Reichweite kommen.« Donny schnaubte. »Wie soll ich ihn denn finden?« »Ich kann dir dabei helfen«, sagte Willow. »Aber dazu brauche ich zuerst deine Hilfe.« »Wie meinst du das?« »Nimm mich mit!« Willow spürte Taras Blick. »Nein!«, wandte Tara ein. »Wir haben keine andere Wahl«, sagte Willow. »Ich kann dich ja nicht mal anfassen«, protestierte Donny. »Wie soll ich dich dann mitnehmen?« »Nicht wirklich mich«, entgegnete Willow. »Sondern mein astrales Ich.« »Dein astrales Ich?«, staunte Donny. »Wie Dr. Strange? So was kannst du?« »Ja«, entgegnete Willow stolz. »So was kann ich.« Ein zaghaftes Lächeln breitete sich auf Donnys Gesicht aus. »Ist ja cool!« »Irgendwie schon«, sagte Willow und errötete verlegen. »Aber es ist auch gefährlich«, bemerkte Tara. »Du könntest da draußen verloren gehen.« Willow ergriff Taras Hände und hielt sie ganz fest. »Nein«, sagte sie leise. »Ich gehe nicht verloren. Ich kann gar nicht verloren gehen, wenn du von hier aus auf mich Acht gibst und auf mich wartest.« 206
»Willow...« Tara stockte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie schüttelte den Kopf und sagte mit belegter Stimme: »Du tust so, als wäre das eine Kleinigkeit.« »Ich tue so, als wäre das eine Notwendigkeit.« »Die Magie kann böse Folgen haben und du benutzt sie wie... einen Fernseher oder so.« »Tara«, sagte Willow sanft. »Ich muss das einfach tun. Dredfahl muss gestoppt werden.« Sie zögerte, weil sie die Tränen in Taras Augen bemerkte. »Ich weiß, du hast Angst. Ich habe auch Angst. Aber eines habe ich in all den Jahren von Buffy gelernt: Man kann seine Ängste überwinden. Wenn man ihnen nachgibt und nicht das tut, was man tun muss, dann lebt man nicht wirklich sein Leben.« »Buffy ist die Jägerin«, wandte Tara ein. »Ich bin eine Hexe«, entgegnete Willow. »Und du wirst nicht zulassen, dass mir etwas Schlimmes passiert. Nicht wahr?« »Willow...« »Tu es für mich«, sagte Willow. »Sei einfach da für mich. Hilf mir, den Weg zurückzufinden, falls ich verloren gehe.« Tara nickte stumm. Sie brachte kein Wort heraus. Willow umarmte sie fest und überwand die eigenen Ängste. Mit ausgestreckter Hand drehte sie sich zu Donny um, der automatisch dieselbe Bewegung machte, und sie reichten sich durch die unsichtbare Barriere hindurch die Hände. Die regenbogenfarbene Oberfläche der Barriere kräuselte sich und immer größer werdende Kreise zogen von der Mitte nach außen. »Bereit?«, fragte Willow. Sie spürte, wie ihre Verbindung zu Donny Williford immer stärker wurde. »Ja«, antwortete der Geist. Willow verließ ihren Körper, durchquerte die Barriere und stellte sich neben den Geist. Sie hatte diese außerkörperliche Erfahrung noch nicht oft gemacht. Es war ein überwältigendes Gefühl. Sie fühlte sich so leicht wie eine Feder. Während sie 207
Donny an der Hand hielt, drehte sie sich zu Tara um. Diese saß mit besorgtem Gesicht neben Willows Körper. »Ich bin bald zurück. Mach dir keine Sorgen!« Willow wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen. Schnell drehte sie sich um und ging mit Donny fort. Mit dem ersten Schritt, den sie machten, hatten sie das Zimmer bereits verlassen und halb Sunnydale überquert.
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17 »Wir haben den Typen, den wir aus dem Museum geholt haben, befragt«, erklärte Buffy Giles. Sie saßen umringt von den anderen im Zauberladen an dem großen Tisch. »Aber wir haben nichts aus ihm herausbekommen.« Der Wächter wirkte besorgt und erschöpft. »Er wollte nicht reden?« »Oh, geredet hat er schon.« Spike drehte einen Stuhl um und setzte sich verkehrt herum darauf. Die Arme verschränkte er auf der Rückenlehne. »Er hatte nur nicht das zu sagen, was wir gern gehört hätten.« »Der Typ wusste nichts über Xander«, sagte Anya mit kummervoller Miene. »Das ist alles seine Schuld.« Buffy sah Anya an. Hatte sie richtig gehört oder war sie einfach schon zu müde? »Es ist alles Xanders Schuld«, wiederholte Anya mit Nachdruck und ihre Stimme zitterte ein wenig. »Wäre er bei mir geblieben und mit mir essen gegangen wie versprochen, dann wäre er jetzt nicht verschwunden.« Okay, dachte Buffy, solch logischen Argumenten will ich lieber nicht widersprechen. Niemand gab Anya Antwort. »War der Befragte einer von den Besessenen?«, wechselte Giles schnell das Thema. »Ja«, antwortete Spike. »Mit lavendelfarbenen Augen und allem Drum und Dran.« »Aber er hat geredet?« »Sicher hat er geredet«, sagte Spike, »Schließlich war ich derjenige, der die Fragen gestellt hat.« »Dann verstehe ich nicht, warum ihr keine Informationen bekommen konntet«, sagte Giles. »Man muss bedenken, dass der Spieler, in dessen Körper der Dämon steckt, sich auf Ollindark befindet, oder wie auch 209
immer diese Welt heißt«, sagte Buffy. »Der Dämon, der kann nicht mal unsere Sprache und niemand hat ihm erklärt, wo er ist, und er hatte keine Ahnung, wie er zurück in das Versteck kommen sollte. Er gehörte nicht zu den Fahrern, von denen die Spieler abtransportiert wurden. Er sprach nur immer von Dredfahls Festung. Das ist keine große Hilfe, denn die werden wir auf der Landkarte wohl nicht finden. Da, wo er herkommt, gibt es keine Straßen.« »Dredfahls Festung?« »Seiner Beschreibung nach«, sagte Spike, »muss es eine Lagerhalle oder so etwas sein.« »Ich weiß nicht, wie du das rausgehört haben willst«, bemerkte Anya. »Bei all dem Geschrei und Gebrüll, das ihr veranstaltet habt!« »Er sagte, der Ort sei bei dem ›großen Wasser‹«, erklärte Spike. »Bei dem großen Wasser?«, wiederholte Giles. »Wahrscheinlich meinte er das Meer«, sagte Buffy. »Sagten Sie nicht, in der Dämonenwelt, wo er herkommt, gibt es keine Seen oder Flüsse?« Giles rückte seine Brille zurecht. »Ja, so etwas habe ich wahrscheinlich gesagt. Also, das ist ja alles höchst unglückselig.« »Sie sagten, diese Donuts...« »Dorinogs«, korrigierte Giles. Buffy ignorierte die Unterbrechung – sie alle wussten, von wem die Rede war. »... seien ziemlich lahm in der Denkabteilung, aber ich habe nicht geahnt, wie schlimm es tatsächlich ist.« »Deshalb wurden ja einige von Torqualmars Knochen in die Dämonenwelt geschafft«, erklärte Giles. »Die Kalinths und die Dorinogs sind wie Raubtiere. Wer ihre Welt betritt, wird sofort als Feind angesehen und auf der Stelle getötet. Deshalb musste Dredfahl so weit gehen, wie er gegangen ist, um an diese 210
Knochen zu kommen.« Er blickte auf den gelben Notizblock, der vor ihm lag. »Aber ich glaube jedenfalls, ich habe eine Lösung gefunden, wie wir Dredfahl ein für alle Mal loswerden.« »Ich höre«, sagte Buffy. »Dredfahls magische Energie ist irgendwie mit dieser Welt verknüpft«, erklärte Giles. »Daher hatten Bobby Lees Vorfahren solche Probleme mit ihm und er kam immer wieder zurück, wenn sie dachten, sie wären ihn losgeworden. Aber Dredfahls Vorgehensweise selbst hat mich darauf gebracht, wie man ihn vernichten kann, und die Texte, die ich in eurer Abwesenheit studiert habe, stützen meine Theorie.« »Und die wäre?«, fragte Buffy. »Wenn wir Dredfahl finden und es uns gelingt, ihn in die Dämonenwelt auf der anderen Seite des Portals zurückzutreiben, dann sollten wir ihn besiegen können. In dieser Welt dort sind die magischen Kräfte, die ihn an unsere Welt binden, am schwächsten.« »Wenn man ihn in der anderen Welt besiegt«, sagte Bobby Lee, »dann kann er nicht hierher zurückkehren. Wenn man ihn dort tötet, dann ist er auch tot.« »Das ist der Plan«, pflichtete ihm Giles bei. »Darauf ist noch nie jemand gekommen«, bemerkte Bobby Lee. »Es gab wahrscheinlich noch nicht so viele Möglichkeiten, Dredfahl in der Nähe eines Durchgangs zu der anderen Welt zu stellen.« »Großartig«, sagte Buffy. »Wenn wir jetzt wüssten, wo Dredfahl sich rumtreibt, und ihn uns schnappen, solange das Portal offen ist, dann ist ja alles in Butter.« Alle sahen sie an. »Okay«, räumte sie ein, »vielleicht bin ich gerade ein bisschen entmutigt und gestresst. Wenn man mit einem Raketenwerfer auf mich schießt, flippe ich aus. Ein bisschen jedenfalls. 211
Aber das Problem ist doch, wir haben den Kerl noch nicht gefunden.« »Und Xander auch nicht«, fügte Anya hinzu. »Habt ihr von Willow gehört?«, fragte Buffy. »Vielleicht ist sie mittlerweile mit Derek Traynor weitergekommen.« »Nein«, antwortete Giles. »Willow und Tara haben sich noch nicht gemeldet.« »Vielleicht sollten wir sie anrufen und nachhören.« Buffy stand auf und ging zur Theke. Sie wählte die Nummer und lauschte auf das Tuten in der Leitung. Niemand antwortete. »Geht keiner dran!« »Vielleicht sind die beiden nicht zu Hause«, mutmaßte Giles. »Möglicherweise folgen sie einer heißen Spur.« »Ganz allein? Bei all den Merkwürdigkeiten, die gerade in Sunnydale vor sich gehen?« Buffy schüttelte den Kopf. »Nein. Da stimmt irgendetwas nicht.« Sie hoffte nur, Willow und Tara ging es gut. Plötzlich fiel ihr etwas auf. In der ganzen Diskussion vermisste sie eine Stimme. »Hat jemand Dawn gesehen?« »Vorhin war sie noch hier«, sagte Giles. Beunruhigt erhob sich Buffy und durchsuchte rasch den Laden. Angesteckt von ihrer Sorge, halfen ihr die anderen. Nach ein paar hektischen Sekunden stand die Diagnose fest. »Jetzt nicht mehr«, stellte Buffy fest und sah Giles an. »Es tut mir Leid, Buffy«, sagte Giles. »Ich war mit den Büchern und der Recherche beschäftigt. Sie muss sich in einem unbeobachteten Moment davongeschlichen haben.« »Vielleicht ist sie schon nach Hause gegangen«, meinte Bobby Lee. »Auf keinen Fall. Nicht nach dem Streit, den wir heute hatten. Sie war wütend. Sie hatte bestimmt das Gefühl, mir etwas beweisen zu müssen.« Buffy ging zur Tür und blickte auf die fast menschenleere Straße. Egal, wo sich ihre Schwester gerade aufhielt, sie hatte einen gefährlichen Kurs eingeschlagen. Und 212
Buffy wusste, das war allein ihre Schuld. Offenbar war Derek Traynor gerade im Badezimmer seiner Hotelsuite, als Willow mit Donny Williford eintraf. In dem riesengroßen Bett des prunkvollen Schlafzimmers lag er jedenfalls nicht. Für Willow war bereits die Vorstellung, sich an einen Mann heranzuschleichen, der im Bett lag und den sie nicht einmal kannte, mehr als gruselig gewesen. Nun sah sie jedoch Dampf aus der Badezimmertür kommen und hörte das Wasser in der Dusche rauschen. Das geht zu weit, dachte sie, das kann man nicht einmal im Angesicht einer weltbedrohlichen Katastrophe von mir verlangen. Zaudernd blieb sie vor der Badezimmertür stehen. Der Geist zog an ihrer Hand. »Was ist?«, fragte er. »Vielleicht steht er unter der Dusche«, raunte ihm Willow zu. Das Rauschen des Wassers war im ganzen Raum zu hören. Aus der Stereoanlage dröhnte Aerosmith. Blumenvasen mit Karten standen auf der Kommode und überall auf dem Boden. Kleidungsstücke, die das Medium offenbar auf dem Weg ins Badezimmer abgelegt hatte, hingen an Stühlen oder lagen ebenfalls auf dem Boden. »Ja und?«, fragte Donny. »Mir passt es nicht, da hineinzuplatzen, wenn er gerade duscht.« »Wir sind hier, um Sunnydale zu retten!«, fuhr Donny auf. »Möglicherweise sogar die ganze Welt.« »Vielleicht kann die Rettung der Welt noch eine Minute warten«, entgegnete Willow nervös. »Oder zwei. Ich meine, er wird wohl nicht ewig duschen, oder?« Donny sah sie wütend und frustriert an. »Gestern bin ich getötet worden. Dann hast du mich aufgespürt und mich von wo auch immer weggeholt, weil ich dir helfen soll, zu Derek Traynor zu gelangen, und jetzt willst du dich von einer Dusche 213
abhalten lassen?« Willow atmete tief durch. »Nein, nein, das will ich nicht. Geh du doch schnell rein und sag ihm, dass ich mit ihm sprechen muss.« Kopfschüttelnd glitt Donny durch die Badezimmertür. Fast augenblicklich kehrte er zurück. »Keine Gefahr«, sagte er, »er hat sich ein Handtuch umgewickelt.« »Dann ist er fast fertig«, sagte Willow. »Dauert bestimmt nicht mehr lang.« »Hast du gesehen, was für Haare der hat?«, fragte Donny. »Der macht ein Mordstheater um seine Frisur. Bestimmt geht er nicht mit nassen Haaren ins Bett. Das wird da drin wohl noch eine Weile dauern.« Er packte Willow am Handgelenk. »So lange können wir nicht warten.« Donny zog Willow so schnell durch die Tür, dass sie gar nicht die Zeit fand, sich zu wehren. Sie schirmte die Augen mit der Hand ab, denn das helle Licht im Bad blendete sie. Vorsichtig schob sie die Finger auseinander und linste zwischen ihnen hindurch. Derek Traynor stand vor dem großen Frisiertisch und blickte in den beschlagenen Spiegel. Bis auf das Handtuch, das er sich um die Hüften geschlungen hatte, war er nackt. Er wirkte matt und abgespannt und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Wie man an dem Kondenswasser sehen konnte, das in kleinen Rinnsalen an den Kacheln und dem Spiegel herunterlief, hatte er eine ganze Weile unter der Dusche gestanden. »Ich sehe zwei Geister«, murmelte Derek emotionslos. »Ähm«, sagte Willow und wehrte Donny ab, der sie von hinten schubste, »eigentlich bin ich kein Geist.« »Dann erklär mir doch bitte, wie du gerade einfach so durch meine Badezimmertür gekommen bist.« »Er ist ein Geist«, sagte Willow und zeigte auf Donny. Dann zeigte sie auf sich selbst. »Und ich bin eine Hexe. Ich befinde mich gerade gewissermaßen im Zustand astraler Projektion.« 214
»Du bist eine Voyeurin, die sich mit toten Kerlen rumtreibt?«, fragte Derek und blickte Willow unverwandt im Spiegel an. »Nein«, antwortete Willow total verlegen. »Ich bin keine Voyeurin und ich hänge auch nicht mit toten Kerlen rum.« Dann dachte sie an Angel und Spike. »Okay, wenigstens bin ich keine Voyeurin.« »Das ist wirklich interessant. Aber ich wäre dir sehr verbunden, wenn du jetzt wieder verschwinden könntest.« Willow bemerkte, wie der Wasserdampf einfach durch sie und Donny hindurchschwebte. Ein faszinierender Effekt. »Wir verschwinden überhaupt nicht«, erklärte Donny. »Wir sind aus einem wichtigen Grund hier.« »Natürlich seid ihr das«, sagte Derek. »Ihr Geister scheint ja zu glauben, ich hätte den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als rumzusitzen und von euch Diktate aufzunehmen. Hey, Derek, sag meiner Frau, ich wusste, dass sie eine Affäre hatte. – Hey, Derek, sag meinem Enkel, ich habe gesehen, was er mit der Katze gemacht hat. Da bekommt er einen Riesenschreck. – Hey, Derek, sag meiner Frau, dass ich eine Versicherungspolice in meinem Arbeitszimmer versteckt habe, von der sie nichts weiß...« Derek runzelte die Stirn. »Letzteres war eine Lüge. Dafür bin ich fast in den Knast gewandert. Ich konnte ja nicht wissen, dass die Frau ihren Mann getötet hat, und die Polizei hatte es nicht beweisen können. Aber der Mann fühlt sich jetzt immerhin ein bisschen besser, weil seine Frau wie eine Irre nach einer Versicherungspolice sucht, die gar nicht existiert.« »Nein, nein«, stoppte Willow seinen Redefluss und holte tief Luft. »Wir sind wirklich aus einem wichtigen Grund hier.« »Und warum?«, wollte Derek wissen. »Weil«, sagte Donny und trat vor, »die Dämonen, die mich getötet haben...« »Wer bist du?« 215
»Donny Williford.« Derek schüttelte den Kopf. »Nein, nein, wie ich hörte, ist Donny Williford mopsgesund. Seine Eltern haben mich angerufen und die Eltern von Donnys durchgedrehter Freundin ebenfalls. Mein Anwalt hat gesagt, er hat jetzt jede Menge Arbeit, und meine Produzentin mag mich seither nicht mehr so sehr.« »Ich bin Donny Williford«, sagte Donny mit Nachdruck. »Der andere Typ ist ein Dämon, der von meinem Körper Besitz ergriffen hat.« Derek sah Willow fassungslos an. Willow nickte. »Er sagt die Wahrheit!« »Ein Dämon hat von deinem Körper Besitz ergriffen?«, fragte Derek. »Ach so, na, da laufe ich doch gleich los und erzähle das dem Richter, denn das wird mir sehr bei der Verhandlung helfen. Vielleicht bekomme ich dann ja gleich eine Zwangsjacke und lande in der Gummizelle. Zumindest aber kriege ich noch mehr Anklagen an den Hals.« Er seufzte. »Ihr beiden müsst jetzt verschwinden. Ich hatte einen wirklich schrecklichen Tag!« Er griff zu einer nicht mehr ganz vollen Champagner-Flasche aus dem Eiskühler auf der Kommode. »Wir brauchen Ihre Hilfe«, sagte Willow mit Nachdruck. »Ich kann euch nicht helfen.« »Sie hatten Kontakt zur Dämonenwelt«, erklärte Willow. »Nur so konnten Sie sehen, dass Donny getötet wurde.« Derek schenkte sich ein Glas ein und schüttete es hinunter. »Ich habe nicht wirklich in diese Welt gesehen. Die Verbindung war sehr schlecht. Dämonen kann ich sowieso sehen, das ist nichts Neues für mich. Damit ist nur nicht besonders viel Geld zu machen. Und in der Regel werden sie auch nicht gern erkannt.« Er schwenkte das leere Glas. »Sie sind überall in dieser Stadt. Fast so schlimm wie in Los Angeles. Hätte ich das gewusst, wäre ich gar nicht hergekommen. Aber irgendetwas hat mich nach Sunnydale gezogen.« 216
»Sie werden uns helfen«, bekräftigte Donny und trat einen Schritt vor. »Nein«, widersprach ihm Derek matt, »das werde ich nicht. Ich werde mich jetzt betrinken und dann ins Bett gehen. Die Kopfschmerzen morgen werden dafür sorgen, dass die Geister mich verschonen. Wenigstens für ein paar Stunden.« »Ich bin gestern gestorben«, sagte Donny. »Und der Dämon, auf dessen Konto das geht, wird dafür seinen Arsch hinhalten. Das ist das Mindeste!« »Es tut mir Leid«, entgegnete Derek. »Du hast vielleicht nichts davon, aber deine Eltern, deine Freundin, ihre Eltern und der Dämon, der in deinem Körper rumläuft, werden mit dieser Sache wahrscheinlich tüchtig Geld eintreiben. Das sagt jedenfalls Saul, mein Anwalt.« »Hören Sie mir zu!« Donny wollte nach Derek greifen, aber seine Hand glitt einfach durch den Mann hindurch. Derek zuckte nicht mal mit der Wimper. »Ich werde die ganze Zeit von Geistern bedroht. Manche drohen, mich zu verfolgen, andere, dass sie mich übel zurichten. Aber nur ganz selten stoße ich mal auf einen echten Poltergeist – einen Geist, der fähig ist, auch physisch in unserer Welt zu agieren. Das ist recht selten. Wenn ich einen finde, lasse ich ihn austreiben. Ich kenne da so eine Juju-Frau in Brooklyn, von der ich mir helfen lasse. Mann, die Geister belästigen mich nicht mehr, wenn sie mit ihnen fertig ist, das kann ich euch sagen!« »Der Dämon, hinter dem wir her sind, ergreift nicht nur von Menschenkörpern Besitz«, erklärte Willow. »Er strebt die Weltherrschaft an. Er will einen wirklich üblen Dämon namens Torqualmar zurückholen, um seinen Körper zu übernehmen und so noch mehr Macht zu bekommen, damit er weitere Dämonen in unsere Welt holen kann. Und noch Schlimmeres.« »Schlimmeres?« »Ich weiß auch nichts Genaues«, sagte Willow. »So weit sind wir mit den Recherchen noch nicht gekommen. Aber bei 217
solchen Dämonen gibt es immer noch etwas Schlimmeres.« »Natürlich gibt es das.« Derek schenkte sich noch ein Glas Champagner ein. »Ich höre euch gerne zu, bis der Champagner Wirkung zeigt. Und dann werdet ihr wie ein übler Albtraum einfach verschwinden.« Er winkte ihnen zu. »Sie werden uns helfen«, drohte Willow, »oder... oder...« Sie überlegte fieberhaft. »Oder ich verwandele Sie in eine Ratte!« Derek lachte, als habe er noch nie einen besseren Witz gehört. Er verschüttete sogar seinen Champagner. »Du willst mich in eine Ratte verwandeln?« Willow gab sich Mühe, möglichst selbstbewusst und bedrohlich zu wirken. »Ganz genau!« »Hast du das schon mal gemacht?« »Ich hab... ich hab schon mal gesehen, wie es jemand gemacht hat.« Schließlich hatte sie mit Amy, der Ratte, den lebendigen Beweis in ihrem Zimmer. »Wenn ich plötzlich Tasthaare und eine unstillbare Lust auf Käse bekomme«, spottete Derek, »dann werde ich vielleicht anfangen, mich zu fürchten.« Wütend zeigte Willow auf das Stück Seife am Waschbecken. Zum Beweis ihrer Fähigkeiten wollte sie es in einen Schmetterling verwandeln. Stattdessen explodierte die Seife mit einem lauten Knall. Kleine Seifenstückchen flogen gegen die nassen Kacheln und rutschten langsam die Wände hinunter. Derek blickte überrascht auf die Seifenreste. »Und... und...«, beeilte sich Willow hinzuzufügen, »...wenn Sie mir nicht helfen, kriegen Sie die schlimmste Akne, die Sie je gesehen haben. Dann wollen wir mal sehen, wie es mit Ihrer Fernsehkarriere weitergeht!« Derek stellte sein Glas ab. »Okay, ich bin ganz Ohr.« Tara saß in dem verdunkelten Zimmer und wachte mit Argusaugen über Willows verlassenen Körper. Die fünf bren218
nenden Kerzen gaben nur wenig Licht und spendeten keine Wärme. Tara fröstelte. Sie sah auf ihre Uhr. Willow war erst seit fünf Minuten weg, aber es kam Tara wie eine halbe Ewigkeit vor. Wieder schaute sie zu Willow hinüber, die da im Schneidersitz mit geschlossenen Augen saß, als würde sie jeden Augenblick wach werden. Es war deutlich zu erkennen, wie in ihrer Halsschlagader das Blut pulsierte. Wenn sie nur schon wieder da wäre!, dachte Tara angstvoll. Es passte ihr überhaupt nicht, wie sehr sich Willow manchmal in die Magie hineinsteigerte. Tara für ihren Teil hatte sich immer zur Zauberei hingezogen gefühlt, weil sie sich selbst und ihren Platz in der Welt besser verstehen wollte. Auch ihre Mutter war eine Hexe gewesen. Sie hatte Tara im Glauben an die Zauberei erzogen. Später hatte sich dann gezeigt, dass auch sie das Zeug zur Hexe hatte. Aber nicht so sehr wie Willow, dachte sie. Da verspürte sie ein heißes, elektrisches Summen in ihrem Inneren. Sie setzte sich auf und sah sofort zu Willows Körper hinüber. Das ist Willow, ermahnte sie sich, nicht nur ihr Körper. Mit geschlossenen Augen sagte Willow: »Tara!« Sie war immer noch sehr weit weg und benutzte ihren Körper nur zum Zweck der Kommunikation. »Ich bin hier, Willow«, antwortete Tara. »Ist bei dir alles in Ordnung?« »Mir geht es gut.« Willow klang so weit weg. Die räumliche Distanz zwischen ihnen war für Tara nur schwer zu ertragen. »Hast du Derek gefunden?« »Habe ich. Ruf bitte Giles an und hör nach, ob Buffy da ist. Wir müssen unsere Vorgehensweise in Bezug auf Torqualmar koordinieren.« Tara blickte zu dem Telefon, das zwischen den Betten stand. 219
»Das Telefon ist außerhalb des Schutzkreises.« »Das macht nichts«, sagte Willow. »Geh ruhig hin und ruf Giles an.« »Also gut.« Zögernd erhob sich Tara und trat aus dem Schutzkreis. Die Kerzenflammen tänzelten einen Augenblick lang, aber sonst passierte nichts. Tara nahm das Telefon und tippte die Nummer des Zauberladens ein. »Vielleicht solltest du jetzt in deinen Körper zurückkehren.« »Ich kann nicht«, antwortete Willow. »Ich will versuchen, Kontakt zur Dämonenwelt zu bekommen. Wir müssen rauskriegen, was da los ist.« Tara fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Es gab Tage, an denen es ihr unerträglich war, wie viel magische Energie Willow hatte, denn durch diese Energie schien ihr Leben ständig in Gefahr zu sein. »Du weißt aber, dass dir da etwas zustoßen kann.« »Es wird alles gut gehen.« Das weißt du doch gar nicht!, dachte Tara. Das kann man nie wissen. Und wenn du es glaubst, wirst du da drüben vielleicht getötet wie Donny Williford. Sie kämpfte gegen ihre Verzweiflung an, denn sie wusste, sie würde Willow nicht überzeugen können. Willow war viel zu tief in ihrer Zauberei und dem Glauben verhaftet, dass sie alles schaffen konnte. »Hallo«, sagte Giles nach dem vierten Klingeln. »Giles«, sagte Tara, die sehr wohl wusste, wie kläglich ihre Stimme klang. »Hier ist Tara.« »Ist alles in Ordnung?« »Ich hoffe es«, entgegnete Tara. Aber in Wahrheit wusste sie überhaupt nicht – konnte sie gar nicht wissen –, ob alles in Ordnung war, so lange diese Dämonenjagd noch kein Ende gefunden hatte. Buffy saß in Dawns Zimmer auf dem Bett. Auf dem gemachten Bett in Dawns Zimmer. Sie versuchte sich zu erinnern, wann 220
sie selbst zuletzt ihr Bett gemacht hatte. In manchen Nächten schaffte sie es ja nicht einmal, unter die Decke zu kriechen. Sie kam von der Patrouille nach Hause, kickte die Schuhe von den Füßen und war schon eingeschlafen. Nach einer schnellen Dusche und einem Kleiderwechsel morgens war sie dann in der Regel wieder abmarschbereit. Dawn war längst nicht so schlampig. Sie war eher der ordentliche Typ, der alles immer hin und her räumte. »Hey.« Buffy sah auf und erblickte Spike, der in der Tür stand. Als sie aus dem Zauberladen gekommen war, hatte er ihr angeboten, sie auf dem Motorrad mitzunehmen. Sie hatte eingewilligt, weil sie einfach weg wollte, egal, wohin. »Alles klar bei dir?«, fragte Spike. »Oh ja«, entgegnete Buffy. »Einfach fantastisch. Ein Dämon versucht. Sunnydale zu erobern und aus der Stadt eine Transitstation für noch mehr Dämonen zu machen. Xander ist verschwunden, vielleicht sogar tot. Und meine Schwester hat beschlossen, heute nicht nach Hause zu kommen, und steckt weiß der Teufel wo, weil ich keine gute Schwester bin und ein noch schlechterer Ersatz für eine Erziehungsberechtigte.« »Wir werden Dawn finden«, sagte Spike. »Und wenn wir sie haben, dann werden wir... dann wirst du ihr ein paar passende Worte sagen. Die ganze verdammte Nacht auf der Straße, ich weiß nicht, was das soll! Sie kann doch nicht einfach draußen rumrennen, wie es ihr passt!« »Es ist meine Schuld.« »Nein, das ist es nicht. Teilweise ist es auch Dawns Schuld. Und zu einem großen Teil kann keiner was dafür.« »Wenn ich öfter zu Hause wäre«, meinte Buffy, »wenn alles normaler wäre...« »Wenn Frösche Flügel hätten, würden sie beim Springen nicht mit dem Hintern auf den Boden knallen«, unterbrach Spike sie. »Sieh mal, du vergisst immer, dass du deine Sache 221
so gut machst, wie du kannst. Ich zum Beispiel, ich würde einfach abhauen und die Probleme links liegen lassen. Oder sie umbringen.« »Probleme umbringen«, bemerkte Buffy. »Na, das ist aber mal eine originelle Lösung!« »Damals«, meinte Spike, »hat man das eben so gemacht.« Buffy nickte. »Das geht in meinem Fall aber nicht und abhauen kann ich ebenso wenig.« Das Telefon klingelte. Buffy schnappte sich den Hörer. »Dawn?« »Sorry«, sagte Giles. »Ich bin es. Also hast du noch nichts von Dawn gehört?« »Nein.« »Vielleicht ist sie irgendwo bei einer Freundin«, meinte Giles. »Nein. Die wenigen, die ich kenne, habe ich schon angerufen.« Buffy holte tief Luft, um etwas ruhiger zu werden. »Warum rufen Sie an? Was gibt’s?« »Tara hat mich gerade angerufen. Willow hat das Medium kontaktiert. Sie versucht, Derek Traynors Verbindung zur Dämonenwelt zu benutzen, um Dredfahl aufzuspüren. Vielleicht gelingt es ihr ja.« »Das hoffe ich. In der Zwischenzeit sehe ich mir mal das Hafenviertel an und überprüfe den heißen Tipp mit dem ›großen Wasser‹.« »Hältst du das für schlau?« »Ich kann nicht einfach so rumsitzen. Ich werde mich in fünfzehn Minuten telefonisch bei Ihnen melden. Ich muss irgendetwas unternehmen.« Buffy legte auf. Die Welt retten oder sich mit ihrer Schwester versöhnen? Beides musste in Angriff genommen werden. Dann kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Was, wenn sie eines Tages zwischen diesen beiden Möglichkeiten wählen und sich für eine von beiden entscheiden musste? Sie hätte sich am 222
liebsten ganz klein gemacht und irgendwo verkrochen. Aber sie war ja die Jägerin. Sie durfte sich niemals gehen lassen. Also stand sie auf und zog los. Dawn zuckte zusammen, als der Lieferwagen das Tempo verlangsamte und auf eine Lagerhalle im Hafen zufuhr. Auf einem verblichenen Schild stand Herman’s Marine Salvage. Wie man an den zerbrochenen Fensterscheiben und den rostigen Blechen an den Wänden und auf dem Dach sehen konnte, war das Gebäude wohl nicht mehr in Gebrauch. Die Reifen des Lieferwagens knirschten im losen Schotter, als der Fahrer auf das offene Tor zusteuerte. Schatten bewegten sich in der Halle und Taschenlampen wurden eingeschaltet. Das Herz schlug Dawn bis zum Hals. Panisch sah sie sich um, denn sie konnte unmöglich länger auf dem Dach des Lieferwagens bleiben. Dort würden die Dämonen sie schnell entdecken. Als der Wagen auf die Halle zurollte, drehte sie sich auf die linke Seite und ließ sich herunterfallen. Sie landete auf beiden Beinen, wäre aber um ein Haar in den Schotter gestürzt. Das Mondlicht und ein paar Sicherheitsleuchten malten Dutzende Schatten ringsum. Und alle Schatten setzten sich in Bewegung, als sie auf die Ecke der Halle zurannte. Ich bin unsichtbar!, sagte sich Dawn. Keiner hat mich gesehen! Keiner hat mich gesehen! Bitte, bitte, mach, dass mich keiner sieht! Sie drückte sich flach an die Hallenwand und lauschte angestrengt. Alles blieb still. Niemand schien sie bemerkt zu haben. Trotzdem atmete Dawn in schnellen Zügen und die Luft, in der der salzige Geruch des Meeres und der dicke Gestank von Diesel hing, brannte in ihren Lungen. Sie holte das Handy aus der Jackentasche. Unterwegs hatte sie, während sie im Nachtwind fast erfroren war, die Nummer des Zauberladens eingetippt. Sie drückte auf die Wahlwiederholung und rang immer noch um Atem. 223
Sie hatte das Versteck der Dämonen gefunden! Nun musste sie nur noch lang genug leben, um es jemandem erzählen zu können. Geduckt lief sie im Schutz der Schatten auf die Rückseite der Lagerhalle. Giles ging ans Telefon. »Hallo?« »Hier ist Dawn«, sagte Dawn. »Ich habe die Dämonen gefunden. Sagen Sie Buffy das. Ihr Versteck ist in einer Halle im Hafen. Auf dem Schild steht Herman’s Marine Salvage.« »Dawn, du musst sofort von da verschwinden!« Das weiß ich, dachte Dawn. »Haben Sie mir zugehört?« »Herman’s Marine Salvage«, wiederholte Giles. »Super!« »Du musst sofort abhauen, Dawn!« »Bin schon weg«, entgegnete Dawn. »Die restlichen Heldentaten überlasse ich eurer Truppe. Geben Sie es nur an Buffy weiter.« »Sie macht sich Sorgen um dich«, sagte Giles. »Sie ist nach Hause gegangen, um nach dir zu suchen.« »Statt sich um die Dämonen zu kümmern?« Dawn traute ihren Ohren nicht. »Das kann sie doch nicht machen! Sie ist schließlich die Jägerin!« »Ich glaube, heute war sie auch sehr beschäftigt damit, deine Schwester zu sein. Ich werde sie anrufen, um ihr zu sagen, dass du in Sicherheit bist.« Bevor Dawn antworten konnte, wurde sie von hinten gepackt und gegen die Blechwand der Lagerhalle gestoßen. Als ihr jemand das Handy fortschlug und es mit einem Knall zu Boden fiel, schrie Dawn auf. Xander presste sie fest gegen die Wand. Ein kaltes Lächeln lag auf seinen Lippen. Dawn wollte etwas sagen, aber Xanders Griff um ihren Hals war zu fest. Sie konnte es gar nicht fassen, dass er ihr dermaßen wehtat. Xander war in Begleitung von drei Jungen. Alle von ihnen 224
hatten lavendelfarbene Augen. Einen Augenblick lang keimte in Dawn die unwahrscheinliche Hoffnung auf, Xander täte nur so, als sei er einer von den Bösen. Wie bei einem Undercover-Einsatz zum Beispiel. Aber dann blickte sie in seine lavendelfarbenen Augen. »Seht ihr? Wie ich euch gesagt habe«, knurrte Xander. »Ich wusste doch, dass da jemand vom Lieferwagen gesprungen ist.«
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18 Als Spike mit dem Motorrad auf dem Kap anhielt, von dem man einen guten Ausblick auf das Hafengelände hatte, stieg Buffy ab und holte das Infrarot-Fernglas aus der Tasche, das sie von Riley Finn bekommen hatte. Als Mitglied der Initiative hatte Riley immer Zugang zu viel coolerem technischem Gerät gehabt als Buffy und in dieser Nacht konnte sie das Fernglas sehr gut gebrauchen. Im Laufschritt eilte sie bis an den Rand der Hügelkuppe. Giles hatte sie sofort angerufen, nachdem Dawn ihn erreicht hatte. Er wisse nicht, was los sei, hatte er gesagt. Dawn habe geschrien und dann sei die Verbindung unterbrochen worden. Ein kalter Schauer überlief Buffy, als sie Position neben einem der großen Bäume bezog, die das Kap säumten. Da sie den malerischen Aspekt von Sunnydale unterstrichen, hatte man sie im Gegensatz zu vielen anderen nicht gerodet. »Alles in Ordnung?«, fragte Spike. »Nein, nichts ist in Ordnung«, entgegnete Buffy. »Meine Schwester ist irgendwo da unten mit einem ziemlich üblen Dämon.« Spike klopfte ihr beschwichtigend auf die Schulter. Buffy sah den Vampir an. Spike zog seine Hand zurück, wusste aber nicht so recht, wohin damit. »Jetzt sind wir ja hier. Alles wird wieder in Ordnung kommen.« Falls Dawn nicht schon tot ist... Buffy wollte diese Möglichkeit nicht laut aussprechen. Wenn sie es sagte, wurde es vielleicht real. Sie hob das Fernglas an die Augen und betrachtete die Lagerhallen. Fast zwei Dutzend heruntergekommene Gebäude, von denen nur noch wenige benutzt wurden – und die auch nicht mehr für ihre ursprüngliche Bestimmung –, standen dort unten am 226
Wasser. Die Halle des Bergungsunternehmens, das Dawn genannt hatte, befand sich genau in der Mitte. Buffy benutzte das Fernglas zunächst ohne die InfrarotFunktion und erspähte ein paar Männer, die allem Anschein nach vor der Lagerhalle Wache schoben. Alle waren mit Pistolen und Schwertern bewaffnet. Anscheinend hatte Nossif in seiner Funktion als Waffenhändler guten Umsatz gemacht. Buffy stellte überrascht fest, dass einer der Wachmänner wie Xander aussah. Sie schaltete die Infrarot-Funktion des Fernrohrs an und das Bild, das sie sah, löste sich in eine chromatische Darstellung in allen Regenbogenfarben auf. Die Männer vor der Lagerhalle sahen humanoid aus; in der Infrarotansicht erschienen ihre Körper wegen der Wärme, die sie ausstrahlten, als rote und gelbe Flecken. Die Lagerhallen und die gesamte Umgebung erschien in kälteren Farben und in Schwarz. Das InfrarotFernglas verhalf Buffy auch zu einer Art Röntgenblick. Sie konnte durch die Wände der Lagerhalle sehen und die Leute im Inneren beobachten. Zwanzig bis fünfundzwanzig Leute liefen darin umher. Buffy hatte Mühe, sie durchzuzählen, weil sie ständig in Bewegung waren und die Sicht durch das Fernglas nicht immer scharf war. Einige Leute befanden sich in der oberen Etage, und in einem der dort befindlichen Räume leuchtete ein merkwürdiger türkisfarbener Fleck. In einem anderen Raum wand sich eine Gestalt auf dem Boden, als kämpfe sie gegen Fesseln an. Dawn! Obwohl Buffy keine Details erkennen konnte, war sie sicher, dass es sich um ihre Schwester handelte. Sie schnappte nach Luft, zwang sich aber zur Ruhe. Nach einer Weile ließ sie das Fernglas sinken. »Ist Dawn da unten?«, fragte Spike. 227
»Ja«, antwortete Buffy, »ich glaube schon.« »Wo denn?« Spike spähte zu der Lagerhalle hinüber. »Im zweiten Stock. Allein in einem Raum.« Allein! Das Wort ließ Buffy nicht los. »Und sie ist...?« Spike ließ seine Frage unvollendet. »Sie lebt«, sagte Buffy. »Das ist alles, was ich sehen kann.« In diesem Augenblick hörten sie ein Fahrzeug näher kommen. Buffy sah auf: Das Gilesmobil kam mit ausgeschalteten Scheinwerfern die enge Straße herunter. Sie schöpfte neue Hoffnung. »Die Kavallerie ist da!« Giles, Bobby Lee und Anya kletterten aus dem ramponierten Citroën. Alle drei waren bewaffnet und machten grimmige Gesichter. Dawns Anruf hatte sie alle erschreckt. »Dawn?«, fragte Giles nur. »Sie ist in dem Gebäude da unten«, entgegnete Buffy und sah Anya an. »Xander ist auch da.« »Was macht er?«, fragte Anya und kam zu Buffy herüber, um einen Blick auf das Hafengelände zu werfen. »Er schiebt Wache«, antwortete Buffy. »Dann ist Xander wohl gerade in der Dämonenwelt«, bemerkte Giles. Buffy nickte. »Vielleicht kann Willow ihn finden. Falls sie es geschafft hat, mit dem Medium rüberzukommen.« »Das werden wir gleich erfahren.« Anya holte ihr Handy aus der Tasche. »Ruf Tara an!«, sagte Buffy. »Willow soll sich mit ihrer Reise in die Dämonenwelt beeilen! Vielleicht gibt es ja auch bei denen schon etwas Neues.« Anya nickte und tippte die Nummer ein. »Vielleicht wäre es ratsam, unseren Vormarsch in die Lagerhalle etwas genauer zu planen«, schlug Giles vor. »Ich habe keine Zeit, ein Holzpferd zu bauen«, bemerkte Buffy. »Wir gehen einfach rein. Wir vermöbeln die Dämonen 228
und...« Sie warf Spike einen bedeutungsvollen Blick zu. »... dabei denken wir daran, dass diese lilaäugigen Kerle, die wie Menschen aussehen, auch tatsächlich Menschen sind und wir sie nicht übermäßig verletzen wollen. Wir retten Dawn und Xander. Und wir vernichten Dredfahl ein für alle Mal, bevor er Torqualmar zurückholen kann.« Sie hielt inne. »Das klingt für mich nach einem Plan. Gibt’s damit irgendwelche Probleme?« »Abgesehen von dem Problem, dass wir vielleicht alle dabei umkommen, nicht«, entgegnete Anya. »Dann los jetzt!« Buffy ging den anderen voran den Hügel hinunter und hielt sich dabei im Schutz der Bäume. Einen Augenblick später war Spike an ihrer Seite. Er bewegte sich genauso leise wie sie. »Anya hat mit Tara gesprochen. Willow ist schon unterwegs.« »Hoffentlich schafft sie es«, sagte Buffy. Spike blickte zurück zu den anderen, die ihnen mit einigem Abstand folgten. »Konzentrieren wir uns auf unseren Part und holen wir Xander und Dawn da raus.« Nach kurzer Zeit erreichte Buffy die Rückseite der Lagerhalle neben Herman ‘s Marine Salvage. Sie blickte über ihre Schulter, als Spike an ihre Seite trat. Giles, Anya und Bobby Lee kamen vorsichtig den Berg hinunter. Einen Augenblick später waren sie alle hinter der Lagerhalle vereint. »Wir bilden zwei Gruppen«, sagte Buffy. »Bobby Lee und Spike, ihr geht zur Vorderseite des Gebäudes. Denkt euch irgendein Ablenkungsmanöver aus und zieht möglichst viel Aufmerksamkeit auf euch. Dann müsst ihr sehen, wie ihr weiterkommt. Giles, Anya und ich versuchen, von hinten einzudringen und Dredfahl zu überraschen.« Alle nickten. Buffy ging bis an die Ecke der Halle vor und spähte geduckt in die Gasse, die sie von der Halle des Bergungsunternehmens trennte, in der sich Dredfahl versteckte. 229
Die drei Wachmänner, die um die Halle patrouillierten, waren nicht sehr aufmerksam und unterhielten sich die meiste Zeit an der vorderen Ecke, von wo sie auch die Gasse im Blick hatten. Die Entfernung zwischen den beiden Hallen war nicht unbeträchtlich. Buffy wartete, bis die Wachen völlig in ihr Gespräch vertieft waren, und flitzte dann durch die Gasse zwischen den Hallen. Giles folgte ihr und drückte sich sofort flach in die hohen Gräser an der Hallenwand. Nur ein kurzes Stück weiter klatschte bereits gurgelnd die dunkle Brandung an die felsige Küste. Weiter draußen im Hafenbecken tuckerten Dieselmotoren und der Wind trug Stimmen über das Wasser. »Hintertür«, raunte Buffy Giles zu und zeigte auf eine kurze, wackelige Stiege, die zu der eigentlichen, drei Meter hohen Treppe führte. Giles stieg sie hoch, während Anya noch auf der anderen Seite der Gasse wartete. »Nicht verschlossen«, raunte Giles zurück. Gut, dachte Buffy, das Schicksal ist auf unserer Seite! Dennoch machte sie sich große Sorgen um Dawn. Wäre sie verständnisvoller mit ihrer Schwester umgegangen, wäre sie aufmerksamer gewesen, dann befände sich Dawn nun vielleicht nicht in dieser schlimmen Lage. In diesem Augenblick brach Anya aus der Deckung hervor und lief mit Riesenschritten los. Aber dabei geriet sie leider ins Stolpern und schlug der Länge nach hin. Als sie vor Schmerz laut stöhnte, wurden die drei Wachmänner aufmerksam. »Hey!«, rief einer von ihnen. Ein Lichtstrahl durchschnitt die Dunkelheit, wanderte durch die Gasse und erfasste Anya, »Mist!«, quiekste sie. Buffy beobachtete, wie zwei der Wachmänner die Pistolen zückten und das Feuer eröffneten.
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Willow ging auf Derek Traynor zu, streckte die Hände nach seinem Kopf aus und spreizte die Finger. Sie waren nun in seinem Schlafzimmer. Die Situation wäre einfacher für Willow gewesen, wenn Derek sich außer dem Handtuch noch eine Kleinigkeit mehr übergeworfen hätte. Aber ihm machte das anscheinend gar nichts aus, denn er wurde, wie er erklärte, ständig von Geistern besucht, die ihn manchmal sogar bis unter die Dusche verfolgten. Dass Donny Williford mit nervöser Miene neben ihr stand, half Willow auch nicht viel weiter. »Was machst du da?«, fragte Derek und sah zu Willow auf. Willow erstarrte in ihrer Bewegung. Da sie nicht körperlich anwesend war, konnte sie Derek nicht wirklich berühren. »Ich versuche, mich auf die Frequenz einzustellen, die Sie benutzen, um in die Dämonenwelt zu schauen.« »Mit Hilfe von vulkanischer Bewusstseinsverschmelzung?« Derek lachte. Willow sah ihn böse an. Sie war sehr nervös. »Ich habe das noch nie gemacht.« »Das geht doch viel einfacher.« Derek streckte seine Hände aus und drehte die Handflächen nach oben. »Leg deine Hände auf meine.« Willow befolgte seine Anweisung, aber nervös, wie sie war, rutschten ihre Hände glatt durch Dereks hindurch. »Hoppla!« »Versuch es noch mal!«, forderte Derek sie auf und wartete geduldig ab. Willow legte ihre Hände vorsichtig über die von Derek. Obwohl sie ihn nicht berühren konnte, spürte sie seine Körperwärme, was ihr sehr merkwürdig vorkam. »Spürst du die Schwingungen?«, fragte Derek. »Wenn du in der Lage bist, meine Aura zu sehen, müsstest du erkennen können, was da fehl am Platz ist. Es ist ein Gefühl, als wachse da etwas, wie ein Tumor oder so.« Willow konzentrierte sich auf die Wärme von Dereks 231
Handflächen, aber abgesehen von dieser Wärme spürte sie nichts. Gar nichts. »Komm schon!«, sagte Derek. »Öffne dich den Schwingungen. Du musst doch spüren, dass da etwas nicht im Lot ist. Wenn du eine Hexe bist, dann kannst du das.« Er meinte es ernst, aber Willow fühlte sich verspottet. »Hey«, bemerkte Donny, »wenn du mich fragst, ist dieser Typ ein Aufschneider. Er spielt nur mit dir.« »Nein«, sagte Derek. »Ich will diese Verbindung wieder loswerden. Sie frisst meine Energie auf. Ich kann meine Sendung nicht machen, wenn ich ständig in die Dämonenzentrale gerate. Du musst noch ein bisschen tiefer gehen. Wenn du mit Geistern reden kannst und dich auf Astralprojektion verstehst, dann kannst du...« Im nächsten Augenblick wurde Willow unvermittelt von der Dämonenwelt verschluckt. Ihre Sinne schwanden und ihr war so kalt, als wäre sie in ein eisiges Meer gefallen – allerdings nur so lange, bis sie von der sengenden Hitze der Wüste erfasst wurde. »Ein Ablenkungsmanöver, hat sie gesagt«, knurrte Spike und blickte zu der Lagerhalle und den sechs Wachmännern hinüber, die davor postiert waren. »Meinst du, sie hat sich genauere Vorstellungen davon gemacht, was das für ein Ablenkungsmanöver sein soll?« »Wohl kaum«, entgegnete Bobby Lee Tooker. »Hast du eine Idee?« »Steine auf die gegenüberliegende Lagerhalle schmeißen?« Spike entdeckte eine Tür in der Halle neben ihrem Zielobjekt. Er schlich hin und drückte vorsichtig die Klinke herunter. Die Tür war nicht verschlossen. Von drinnen roch es nach Benzin. »Na, das könnte interessant sein!« Spike schlüpfte vorsichtig und geräuschlos durch die Tür und erblickte ein gut zehn Meter langes Sportfischerboot auf einem 232
zweirädrigen Anhänger. Zufrieden lächelnd durchquerte er die Halle. »Weißt du, was ich sehe?«, fragte er Bobby Lee, der ihm gefolgt war. »Ein Boot?«, gab Bobby Lee zurück. »Nein«, entgegnete Spike. »Ein Ablenkungsmanöver. Weißt du, was ein Wikingerbegräbnis ist?« Bobby Lee grinste. »Du willst dieses Boot verbrennen?« »Jawoll! Ich werde dir gleich den Brandstifter in mir vorstellen.« Spike kletterte in das Fischerboot und sah sich rasch um. Es gab drei Zwanzig-Liter-Benzinkanister an Bord. Er schraubte die Deckel ab und begann, das Benzin auf dem ganzen Boot zu verteilen, und spritzte es damit vom Bug bis zum Heck voll. »Sieh dir mal das Tor an der Vorderseite an!« Bobby Lee kümmerte sich darum. »Ist verschlossen.« »Dann mach es auf.« Spike sprang von dem Boot und ging nach vorn, um den Anhänger anzuheben. Er ließ sich leicht bewegen. »Hab ich«, meldete Bobby Lee. »Gut«, sagte Spike. »Dann roll es hoch!« »Das werden die Wachen aber hören.« »Und wenn schon! Wir sind das leuchtende Beispiel eines Ablenkungsmanövers. Werden wir jedenfalls gleich sein.« Bobby Lee zog an der Kette, die neben dem Tor von einer Spule herunterhing. Quietschend und rasselnd ging das große Tor auf. Bevor Spike das Boot auf den Weg bringen konnte, krachten Schüsse durch die Stille der Nacht, woraufhin er das Boot im Eiltempo durch das Hallentor schob. Er war zwar ein bisschen spät dran mit seinem Ablenkungsmanöver, aber er war absolut entschlossen, die Aktion zum Erfolg zu führen. Als er um die Ecke kam und Kurs auf Herman ‘s Marine Salvage nahm, holte er sein Feuerzeug aus der Tasche. Er stieß ein wildes Kampfgeheul aus und warf das Feuerzeug auf das 233
mit Benzin getränkte Fischerboot. Augenblicklich fing das Boot mit einem dumpfen Knall Feuer und das Boot wurde von Flammen eingehüllt, die mindestens sechs Meter in die Höhe schossen. Mit einem wahnsinnigen Gebrüll schob Spike das Boot direkt vor das große Hallentor. Na, das ist mal ein Ablenkungsmanöver!, sagte er zu sich, zufrieden mit seinem Werk. Jetzt musste er das brennende Boot nur noch in das Zielgebäude schaffen, bevor die Benzintanks in die Luft flogen. Willow öffnete die Augen und blickte hinaus in die Wüste, die vor ihr lag. Da Derek Traynor ihr den Ort sehr genau beschrieben hatte, wusste sie, dass ihr der Übergang in die Dämonenwelt gelungen war. Die blaue Sonne brannte erbarmungslos auf sie nieder. Das Problem war nur: Sie hatte keine Ahnung, wo sie nun nach Torqualmars Knochen suchen sollte. Oder ob sie noch rechtzeitig gekommen war. Sie stand ganz still da und ließ ihren Blick in die Ferne schweifen. Allmählich erkannte sie die Gruppe von Dämonen immer deutlicher, die sich auf dem Berg versammelt hatte, der in Richtung... ja, in welcher Richtung lag er überhaupt? Willow wurde klar, dass sie nicht einmal die vier Himmelsrichtungen bestimmen konnte. Ist ja auch egal, sagte sie zu sich, geh einfach los! Und das tat sie auch, zunächst mit schnellen Schritten, dann fing sie an zu laufen, so schnell sie konnte. Da Buffy und die anderen bereits mit ihrem Angriff auf das Versteck des Dämons begonnen hatten, war die Zeit knapp. Sie konnte nur hoffen, Xander und die anderen Spieler zu erreichen, bevor sie Dredfahl den letzten Knochen aushändigen konnten. Und sie hoffte, zu Hause in Sunnydale stieß in der Zwischenzeit niemandem etwas zu. 234
Funken flogen auf, als die Kugeln um Anya herum in den Schotter einschlugen. Erschreckt und verängstigt kauerte sie sich nieder und hielt schützend die Hände über den Kopf. Buffy löste sich von der Hallenwand und sprintete auf Anya zu. Dabei befürchtete sie, jeden Augenblick von einer Kugel getroffen zu werden. Natürlich hatte sie als Jägerin bessere Heilkräfte, aber tot war tot, nicht wahr? Sie packte Anya am Arm und zog sie auf die Beine. »Komm mit!« Schon rannte sie wieder los und zerrte Anya hinter sich her, die sich eine Hand über den Kopf hielt, als könne sie sich so vor den Kugeln schützen. In der engen Gasse mit dem Meer im Hintergrund klangen die Schüsse noch viel lauter als gewöhnlich. Aber plötzlich schwiegen die Pistolen. Nachdem sie wieder in Sicherheit waren, spähte Buffy um die Ecke der Lagerhalle und beobachtete, wie die drei Dämonen verwundert auf ihre Waffen blickten. Sie schüttelten sie und begutachteten sie von allen Seiten, um herauszufinden, wo das Problem lag. Okay, dachte Buffy, entweder haben sie vergessen, wie man nachlädt, oder es hat ihnen niemand gezeigt. Wahrscheinlich haben sie zu viele Fernsehfilme geguckt, in denen den Schießwütigen niemals die Munition ausgeht. Sie drehte sich zu Giles und Anya um. »Gehen wir!«, sagte sie und nahm den tomfa-Kampfstock zur Hand, den Giles ihr aus dem Arsenal des Zauberladens mitgebracht hatte. Der Holzstock war fünfzig Zentimeter lang und hatte an einem Ende einen Griff, der im Neunzig-Grad-Winkel abstand. Der tomfa stammte aus der Kobujutsu-Kampfschule in Okinawa. Buffy hatte sich diese Waffe ausgesucht, weil ihr damit unterschiedliche, nicht tödliche Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Sie flitzte die wackelige Treppe hoch, die heftig unter ihren 235
Füßen bebte, und riss die Tür auf. Die Wachmänner in der Gasse stießen Warnrufe aus. Ein weiterer Wachmann mit lavendelfarbenen Augen stand in der Nähe der Tür. Als Buffy hereinkam, drehte er sich um und riss die Pistole hoch. Da Anya und Giles noch zu weit weg waren, um in Gefahr zu sein, ging Buffy blitzartig in Deckung. Die Pistole feuerte und die Kugel zischte über Buffys Kopf hinweg. Sofort schlug Buffy dem Widersacher mit ihrem Kampfstock gegen das Handgelenk. In letzter Sekunde bremste sie ihren Schlag so weit ab, dass sie ihm nicht die Knochen brach. Die Pistole flog dem Gegner aus der Hand und mit einem gezielten Tritt an die Stirn setzte Buffy ihn außer Gefecht. Als er vor ihr zu Boden ging, erblickte Buffy ein Dutzend weitere Typen mit lavendelfarbenen Augen, die ihre Waffen zückten. Dann flog das große Tor auf und ein brennendes Fischerboot kam in die Halle gebrettert. Spike! Buffy erblickte den Vampir, der das Boot mit Volldampf hereinschob. Dann blieb er im Tor stehen und gab dem Boot einen letzten Stoß auf den Lieferwagen zu, der in der Mitte der Lagerhalle stand. Die lilaäugigen Dämonen flohen in alle Richtungen. »Buffy!«, rief Spike. »Geh in Deckung! Es fliegt gleich in die Luft!« Buffy wich durch die Hintertür zurück und versperrte dabei Giles und Anya den Weg. »Was ist los?«, fragte Giles. Buffy zog die Tür hinter sich zu. »Ablenkungsmanöver«, sagte sie nur. Die Explosion im Innern der Lagerhalle erschütterte das gesamte Gebäude. Nach dem markerschütternden Knall war Buffy einen Moment lang taub. Die morsche Treppe schaukelte wie ein Schiff im Sturm. 236
»Okay«, sagte Buffy, »ich glaube, jetzt sind sie abgelenkt.« Erneut öffnete sie die Tür. In der Lagerhalle sah es aus wie in der Hölle. Ringsum leckten Flammen an den Wänden. Auch der Lieferwagen brannte lichterloh. Mit einem raschen Blick in die Runde stellte Buffy fest, dass es keine Leichen gab. Bei der Explosion war anscheinend niemand getötet worden. Und die meisten der lavendeläugigen Besessenen hatte diese Aktion in der Tat ziemlich abgelenkt. Spike und Bobby Lee stürmten in die Halle, um diejenigen, die sich zu rasch von ihrem Schrecken zu erholen drohten, noch ein bisschen mehr abzulenken. Spike ließ sein Vampirgesicht zum Vorschein kommen und drosch auf die Meute ein. Er wurde zwar von dem Chip in seinem Kopf davon abgehalten, sie ernstlich zu verletzen, aber immerhin konnte er ihnen das Fortkommen erschweren. Zufrieden, dass sie die Lage so gut im Griff hatten, entdeckte Buffy die Treppe, die in den zweiten Stock führte. Hitzewellen fegten über sie hinweg, als sie darauf zulief. Irgend wo da oben war Dawn. Die Druckwelle der Explosion hatte sich weitgehend nach oben ausgebreitet und sämtliche Dachluken zerstört. Flammen züngelten überall an den hölzernen Dachsparren. Es war nur eine Frage der Zeit, erkannte Buffy, bis das Gebäude zu einer tödlichen Falle wurde. Zwei lilaäugige Besessene stolperten Buffy in den Weg, bezogen Position vor der Treppe und hoben ihre Waffen. Buffy warf sich auf den Bauch und rutschte wie beim Baseball über den glatten, versiegelten Betonboden auf ihre Widersacher zu. Es gelang ihr, einem von ihnen die Beine unter dem Körper wegzureißen. »Stirb!«, sagte jedoch der andere Besessene und hielt ihr die Pistole vor die Nase. Buffy schwang den tomfa an seinem Griff und schlug ihn 237
gegen den Pistolenlauf. Die Kugel prallte nur Zentimeter neben ihrem Kopf vom Boden ab und riss ein Stück Beton heraus. Rasch machte Buffy eine Rolle rückwärts und sprang wieder auf die Beine. Sie wirbelte um die eigene Achse, drehte den tomfa um und hielt ihn an seinem langen Ende, um mit dem Griff nach dem Fußknöchel des Angreifers zu angeln. Sie riss seinen Fuß so hoch, dass er rücklings auf dem Boden landete. Der zweite Wachmann fuchtelte mit seiner Pistole herum und richtete sie auf Buffy. Die Jägerin schlug die Waffe mit der freien Hand zur Seite, stieß ihrem Gegner den Kampfstock in den Magen und nahm ihm den Wind aus den Segeln. Sicherheitshalber verpasste sie ihm noch einen Schlag an die Schläfe, der gerade noch schwach genug war, um ihn nicht zu töten. Der besessene Spieler verdrehte die Augen und fiel wie ein nasser Sack in sich zusammen. Mit einem Roundhouse-Kick aus der Drehung heraus erledigte Buffy den Ersten, dem sie die Beine unter dem Körper weggezogen hatte, und er schlitterte bewusstlos ein paar Meter über den Boden. Er hat bestimmt ein paar Prellungen, dachte Buffy, vielleicht auch ein, zwei Knochen gebrochen, aber er ist nicht tot. Das musste genügen. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, wie Anya und Giles gegen zwei mit Schwertern bewaffnete Besessene kämpften. Als sie sich vergewissert hatte, dass ihre Freunde allein zurechtkamen, sprintete Buffy die Treppe hoch. Beim Sondieren des Geländes mit dem Infrarot-Fernglas hatte sie im Geiste eine Skizze von der Lage der Räume angefertigt, mit deren Hilfe sie sich nun zu orientieren versuchte.
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19 Oben angekommen ging Buffy nach rechts – an dem Raum vorbei, in dem sie den türkisfarbenen Fleck gesehen hatte, und auf den Raum zu, in dem die gefesselte Gestalt gewesen war. Sie befand sich auf einer Art Galerie, an die vier Räume anschlossen waren, die offenbar als Büros oder kleine Lagerräume gedient hatten. Buffy drückte die Klinke herunter, aber die Tür war verschlossen. »Dawn!«, rief sie. »Buffy!«, schrie Dawn von innen. »Geh von der Tür weg!« »Bin ich.« Mit einem gezielten Tritt trat Buffy die Tür ein. Holz splitterte und zwei besessene Spieler kamen aus dem Raum gerannt, in dem Buffy den türkisfarbenen Fleck gesehen hatte. Buffy packte die zersplitterte Tür, riss sie aus den Angeln und wirbelte um die eigene Achse, um sie den beiden Besessenen entgegenzuschleudern. »Buffy!« Als Buffy in den Raum blickte, sah sie Dawn auf dem Boden liegen. Sie eilte zu ihr und begann, das Hanfseil zu lösen, mit dem sie gefesselt war. »Wenn wir hier fertig sind«, sagte sie, »müssen wir reden.« »Ich kriege Ärger, nicht wahr?«, fragte Dawn ängstlich. Buffy sah ihre Schwester an. Sie war verwirrt, verletzt, erleichtert und wütend zugleich. So muss sich Mom wohl meistens gefühlt haben, ging es ihr durch den Kopf. Spontan umarmte sie Dawn. »Ein bisschen Ärger vielleicht«, sagte sie. »Ich bin bloß froh, dass dir nichts fehlt.« Als Dawn die Umarmung erwiderte, begriff Buffy plötzlich, wie einzigartig die Beziehung zu ihrer Schwester war. Ihre Freunde bedeuteten ihr sehr viel, aber sie waren nicht so 239
abhängig von ihr wie Dawn. Ihr wurde klar, dass sie ihr nicht einfach nur eine ganz banale Freundin oder Schwester sein konnte – sie musste etwas Besseres sein. Irgendwie. Und das werde ich auch, dachte sie, ich werde einen Weg finden! »Buffy«, sagte Dawn. »Moment noch«, entgegnete Buffy. »Ich genieße gerade den Augenblick.« »Dämon!«, warnte Dawn. Da entdeckte Buffy den Schatten an der Wand, der augenscheinlich von jemandem geworfen wurde, der in der Tür stand. Hinter ihm loderten die Flammen aus der Lagerhalle bis unter die Decke. Buffy schlang die Arme um Dawn und kaum hatte sie sich mit ihr zu Boden geworfen, zischten bereits die Kugeln durch die Rigips-Wände. Sofort ließ Buffy Dawn wieder los, nahm ihren Kampfstock zur Hand, den sie zuvor abgelegt hatte, und warf ihn ab, während sie noch auf dem Boden kniete. Der tomfa sauste durch die Luft und erwischte den Besessenen, der immer noch wild um sich schoss, zwischen den Augen. Mit einem dumpfen Krachen schlug ihm der Kopf in den Nacken und er sackte bewusstlos in sich zusammen. »Raus hier!«, rief Buffy und hob den tomfa auf, als sie über den Bewusstlosen hinwegstieg. Unten kämpften Bobby Lee und Spike weiter gegen die sich lichtenden Reihen der besessenen Spieler. Sie mochten zwar ihrem Meister loyal ergeben sein, aber was ihnen eindeutig fehlte, war die Unbesiegbarkeit eines echten Dämons. »Ich lasse dich nicht allein«, widersprach Dawn. Buffy sah die Entschlossenheit in den Augen ihrer Schwester. Das frustrierte sie ebenso, wie es sie stolz machte. Außerdem empfand sie Liebe. Sehr viel Liebe. »Okay«, sagte sie. »Du kannst mir den Rücken freihalten. Achte darauf, dass mir niemand hinterherschleicht, während ich nach Dredfahl suche.« 240
»Dredfahl ist hier?« Buffy nickte. »Da hinten in dem Raum.« Sie rannte los und die Hitze der sich ausbreitenden Flammen schlug ihr ins Gesicht. Das Gebäude brannte lichterloh und wenn sie sich nicht beeilten, würde es über ihnen zusammenbrechen. Sie beugte sich über das Geländer. »Spike, Bobby Lee, Giles, Anya!« Die vier sahen zu ihr auf. »Wir können die Bewusstlosen nicht hier lassen. Jeder, der nicht vor dem Feuer weglaufen kann, braucht Hilfe. Bringt sie nach draußen!« »Heldentaten!«, knurrte Spike. »Wenn man erst mal damit anfängt – Leute retten und so –, dann nimmt das kein Ende mehr.« Dennoch hob er den nächstbesten bewusstlosen Spieler auf und warf ihn sich über die Schulter. Vor der Tür angekommen hielt sich Buffy nicht damit auf zu überprüfen, ob sie verschlossen war. Mit einem kräftigen Tritt stieß sie das Ding einfach aus dem Rahmen. Die beiden Wachmänner, die dahinter in dem Raum standen, wurden unter der Tür begraben. Hinter den drei übrigen Wachmännern stand ein Dämon vor einem türkisfarbenen, ellipsenförmigen Portal. Neben ihm war ein Haufen Knochen aufgetürmt. Das Portal wurde von amberfarbenen Schnüren gehalten, die in den Wänden, im Boden und in der Decke verankert waren. In dem Portal pulsierte Energie und auf der anderen Seite kämpften nur verschwommen zu erkennende Dämonenkreaturen, die aussahen wie Wasserspeier und Büffel, in einer Wüste gegeneinander. »Bleib zurück!«, befahl Buffy Dawn, als sie in den Raum lief. Sie griff nach dem nächstbesten der besessenen Spieler, drehte sich um, hob ihn hoch und schleuderte ihn in die anderen beiden. Alle drei gingen zu Boden. Damit weder sie noch die beiden unter der Tür Begrabenen sich zu schnell erholten, 241
schlug Buffy sie auf dem Weg zu dem Dämon alle k. o. Der Dämon drehte sich zu Buffy um. Er war dünn und schmächtig und sah im Vergleich zu einem ewig jungen und gesunden Vampir eher aus wie eine vertrocknete Leiche. Seine schwarze Haut war fleckig und fahl und spannte sich so fest um seinen Kopf, dass er aussah wie ein Totenschädel. Bis auf einen Kranz aus weißen Haaren, die ihm bis auf die Schultern seines stahlblauen Anzugs reichten, war er kahl. »Also, Jägerin«, krächzte der alte Dämon mit trockener Stimme. »Endlich begegnen wir uns.« »Ja«, entgegnete Buffy. »Aber ich kann dir nur einen kurzen Besuch abstatten. Wegen dir habe ich mir schon fast die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, aber jetzt ist Schluss. Ich muss bald in die Schule.« »Und Bobby Lee Tooker?«, fragte Dredfahl. Das Portal hinter ihm pulsierte. »Er bekommt die Reste«, entgegnete Buffy. »Es wird allerdings kein Festmahl, denn ich bin mittlerweile ziemlich sauer. Du hast einen meiner Freunde in irgendeine Dämonendimension geschickt und meine kleine Schwester gekidnappt. Das war ein großer Fehler! Ein sehr großer!« Buffy machte zwar lockere Sprüche, aber sie blieb wachsam. Als Jägerin durfte man die richtig großen Fehler nicht mehr als einmal machen. »Du kommst zu spät, Jägerin!«, krächzte Dredfahl und holte mit der Hand aus. Ein kleines Messer mit Knochengriff flog auf Buffy zu, aber sie erkannte die Gefahr schnell genug. Rasch schwang sie den tomfa, um das Messer abzuwehren. Als der Kampfstock jedoch gegen die Klinge prallte, verwandelte sich das Messer in eine drei Meter lange Schlange mit zwei Köpfen, an jedem Körperende einen. Überrascht wich Buffy zurück. Bestimmt war es eine Giftschlange. Es gelang ihr, einen der Schlangenköpfe mit der freien Hand zu ergreifen, aber der andere wickelte sich zwei242
mal um sie. Derart gefesselt ließ Buffy den tomfa fallen. Der freie Schlangenkopf griff sie an, aber sie konnte ihm rechtzeitig ausweichen. Sofort zog sich der Schlangenkopf zurück, um sich für einen neuen Angriff bereitzumachen, während der zweite, den Buffy noch festhielt, sich gegen sie zur Wehr setzte. »Falls du noch lebst, wenn ich zurückkomme, Jägerin«, sagte Dredfahl, »werde ich dich mit Vergnügen selbst töten. Ich habe noch nie eine Jägerin getötet und kenne auch nur wenige, denen das gelungen ist.« Er zeigte auf den Knochenhaufen an seiner Seite. Sofort erhoben sich die Knochen und ordneten sich zu einem Skelett an. Buffy fühlte sich an ein altes Spielzeug aus Kindertagen erinnert. Drückte man auf den Knopf unter dem Podest, auf dem eine kleine Figur stand, lockerten sich die Fäden, mit denen die Glieder verbunden waren, und die Figur fiel zusammen. Ließ man den Knopf los, richtete sie sich wieder auf. Die Knochen setzten sich nach und nach zu einem vollständigen Skelett zusammen – sogar der hohläugige Schädel fehlte nicht. Torqualmar!, dachte Buffy. Der Zauber war also noch nicht vollendet. Torqualmar war noch nicht zum Leben wiedererweckt worden und Dredfahl hatte ihn demzufolge noch nicht getötet. Buffy wich dem Schlangenkopf immer wieder aus und sah hilflos und frustriert zu, wie Dredfahl und der wandelnde Knochenhaufen das Portal betraten. Sternenstaub glitzerte um das Portal, als sie darin verschwanden. Der Schlangenkopf griff wieder an. Diesmal konzentrierte sich Buffy auf ihn und sie bekam den mit Schuppen besetzten Hals der Bestie mit den Zähnen zu fassen. Sie biss ganz fest zu und spürte, wie sie Fleisch und Knochen durchtrennte. Igittigitt! Ekelhaft! Buffy spuckte aus, aber diesen ekeligen 243
Geschmack würde sie wohl nie vergessen können. Der Körper der Schlange war unversehrt, aber Buffy hatte ihr das Genick gebrochen, sodass sie den Kopf nicht mehr bewegen konnte. Ruckartig bewegte Buffy die Hand, mit der sie den anderen Schlangenkopf hielt, und brach auch ihm das Genick. Rasch befreite sie sich von dem toten, schlaffen Knäuel, rannte auf das Portal zu und versuchte hindurchzuspringen. Die undurchdringliche Oberfläche wehrte sie jedoch energisch ab. Buffy wurde fortgeschleudert, knallte gegen die Wand und wäre fast bewusstlos geworden. Mühsam rappelte sie sich wieder auf. Falls es Dredfahl gelang, Torqualmar in der anderen Dimension wieder zu beleben und ihn dann zu töten, um sich seiner Energie zu bemächtigen, dann gestaltete es sich noch schwieriger, ihn ein für alle Mal zu töten. »Robby«, sagte Xander. »Das ist ein Fehler. Ich sage dir, das ist ein Fehler.« »Wir werden siegen, Xander«, entgegnete Robby. »Wenn es um Spiele geht, kenne ich nur ein Ziel: Ich will gewinnen. Und das weißt du.« Er nahm einen Felsbrocken, verwandelte ihn in einen Feuerball und schleuderte das feurige Geschoss einem angreifenden Kalinth ins Gesicht. Xander blieb nicht viel Zeit zum Diskutieren. Er kämpfte gegen die Kalinth-Dämonen um sein Leben. Natürlich kämpften auch die Kalinth-Dämonen gegen die Dorinog-Dämonen und die Spieler um ihr Leben. Aber sie waren dabei zu verlieren. Ihr Untergang war in dem Moment besiegelt gewesen, als Travis, der Späher, sie in dem Canyon entdeckt hatte, kurz nachdem Xander in dieser Welt eingetroffen war. Robby hatte seine Leute mit Geschick und Sorgfalt positioniert – und auch mit einer gewissen Herzlosigkeit. Zuerst hat244
ten die Spieler die Kalinth mit Feuerbällen von den Klippen aus bombardiert und den Canyon komplett umstellt, damit ihre Beute nicht fliehen konnte. Dann hatte Robby den Aufräumtrupp angeführt, um die Kalinths an Ort und Stelle zu vernichten. Die ganze Zeit über hatte Xander Robby verfolgt – der sich immer mitten im dicksten Kampfgetümmel aufhielt –, um ihn letztlich doch noch zu Verstand zu bringen. »Das kannst du nicht machen«, protestierte er und schob die Hände eines sterbenden Kalinth von sich weg. »Die Sache ist schon gelaufen«, sagte Robby und stieß einem anderen Kalinth seinen Steinspeer in die Brust. »Wir haben gewonnen.« In amberfarbenen Schwaden stieg ringsum der Staub auf. Blut tropfte in den Sand. »Robby!«, schrie einer der Dorinog-Spieler aufgeregt. »Ich habe den Knochen gefunden!« Er stand am Ende des Canyons in der Nähe eines Säuretümpels. Überall lagen tote Kalinths. Xander baute sich vor Robby auf. »Du hörst mir nicht zu, Robby.« »Sieh mal, Xander«, entgegnete Robby und verzog sein Gargoyle-Gesicht. »Ich weiß nicht, wo bei dir die Funktionsstörung sitzt, aber ich bin sicher, da ist irgendwas nicht in Ordnung. Vielleicht ist das VR-Interface kaputt, das Dredfahl dir gegeben hat.« »Dredfahl ist ein Dämon«, sagte Xander verzweifelt. Das versuchte er Robby nun schon eine ganze Weile begreiflich zu machen, aber er drang einfach nicht zu ihm durch. »Diese anderen Dämonen, die nicht aktiv mitspielen, in denen steckt. nicht das Bewusstsein eines Menschen. Deshalb sind sie auch so unfähig. Und deshalb hat uns Dredfahl hergeschickt. Wir sind schlauer als die Dämonen, die ihm hier zur Verfügung stehen, und ihr Jungs habt zudem keine Angst zu sterben, weil ihr denkt, dass es sich nur um ein Spiel handelt.« Xander hatte 245
sich die ganze Geschichte Stück für Stück zusammengereimt. »Es ist ein Spiel«, antwortete Robby. »Und zwar das tollste, das ich je gespielt habe. Und ich werde es gewinnen, sobald wir diesen letzten Knochen haben.« Er kniff die Augen zusammen. »Und jetzt geh mir aus dem Weg, sonst muss ich einfach über dich drübertrampeln.« Xander ging in Kampfstellung. »Ich lege es zwar nicht darauf an, aber ich werde dafür sorgen, dass du es begreifst. Und wenn ich es in dich reinprügeln muss.« Robby ging ebenfalls in Kampfstellung, aber bevor einer von ihnen den ersten Schritt machen konnte, schlich sich ein Dutzend inaktive Dorinog-Figuren an den Spieler heran, der den Knochen gefunden hatte. »Hey«, sagte Robby, »was zum Teufel habt ihr denn vor?« »Dredfahl muss den Knochen bekommen«, antwortete einer der Dorinog-Dämonen. »Das ist nicht eure Aufgabe«, entgegnete Robby. »Verschwindet von hier!« Ohne Vorwarnung überwältigten die Dorinog-Dämonen den Spieler, der den Knochen gefunden hatte, und entrissen ihm die Trophäe. Ein anderer Spieler wollte eingreifen, aber einer der Dorinogs jagte ihm einen Steinspeer in die Brust und durchbohrte sein Herz. »Halt!«, rief eine Stimme. Xander kannte diese Stimme und als er erstaunt aufsah, entdeckte er Willow oben am Rand des Canyons. Allerdings hatte sie keinen Dämonenkörper. Sie sah einfach aus wie Willow. »Xander!«, rief sie. »Hier!«, gab Xander zurück und winkte, denn für Willow sah ein Dorinog vermutlich aus wie der andere. »Was machst du denn hier?« »Ich komme, um dir zu sagen, dass ihr Dredfahl keinen Knochen mehr aushändigen dürft«, sagte Willow. »Er braucht die 246
Knochen, um einen Dämon namens Torqualmar wieder zu beleben.« Xander hörte, wie die anderen Spieler anfingen zu murren. »Mann, das ist wohl ein Fehler im Design«, sagte einer von ihnen. »Sie sollte anders aussehen, nicht wie ein normaler Mensch.« »Machst du Witze? Wir kommen allmählich zum Ende des Spiels. Vielleicht taucht am Ende eben ein Mensch auf.« Robby starrte Xander an. »Du bist kein bisschen durchgeknallt, nicht wahr?«, meinte er. »Das hier ist wirklich eine Dämonenwelt.« »Ja«, entgegnete Xander nur. »Und sie haben den Knochen«, sagte Robby. »Wir müssen ihn uns zurückholen. Und zwar möglichst schnell.« Xander griff nach einem Felsbrocken und machte sich bereit, ihn in einen Feuerball zu verwandeln. »Ein paar von uns sind also wirklich gestorben«, sagte Robby mit heiserer Stimme. »Ja«, antwortete Xander, der gar nicht genau wissen wollte, wie viele seiner Freunde und Bekannten aus der Spiel- und Comicszene für immer von ihnen gegangen waren. Die Dorinog-Dämonen hakten sich rasch einer beim anderen unter und begannen, wie Xander es bereits einmal beobachtet hatte, mit ihrem Sprechgesang, um Dredfahl von Sunnydale herbeizurufen. »Wir müssen sie stoppen«, sagte Xander und rannte auf die Dorinogs zu. Die anderen Spieler bekamen es mit der Angst zu tun und standen zum Teil unter Schock, weil ihnen nun bewusst wurde, was wirklich gespielt wurde. Nur zögernd taten sie sich zusammen. »Los jetzt!«, rief Xander. »Wenn wir diesen Typen den Knochen überlassen und sie händigen ihn Dredfahl aus, dann lässt er uns ganz bestimmt nicht einfach so nach Hause gehen!« 247
Bevor die Spieler etwas tun konnten, rief einer der DorinogDämonen: »Tötet die Menschen!« Mit blutrünstigem, wildem Gebrüll griffen die Dorinogs an und durchbrachen die Stellung der Spieler. Xander schleuderte seinen Feuerball auf einen der Dämonen, aber er wusste, seine Truppe hatte keine Chance. Es waren zu viele echte Dorinogs übrig und zu wenig Spieler. Unvermittelt kam ein heftiger Sturm auf. Im nächsten Augenblick flohen die Dorinogs und verschafften den Spielern auf diese Weise eine Atempause. Ein Schatten glitt über den Boden. Als Xander aufsah, erblickte er Willow, die mit anmutig ausgestreckten Armen vom Rand des Canyons heruntergeschwebt kam. Sie hielt ihren Zeigefinger auf die Dorinog-Dämonen gerichtet, um sie mit ihrer Zauberkraft zu vertreiben. »Der Knochen!«, schrie Xander und wies in die Richtung der Dorinogs, die das kostbare Stück erbeutet hatten. Nachdem Willow ein ganzes Stück vor Xander, Robby und den anderen Spielern gelandet war, zeigte sie wieder auf die kleine Gruppe Dorinogs, die davonstoben, als sei eine Bombe losgegangen. Der Knochen jedoch – das letzte noch fehlende Teil für Torqualmars Skelett – schwebte in der Luft. Willow gestikulierte erneut und der Knochen schwebte zu ihr herüber. Sie fing ihn mit einer Hand auf und drehte sich zu den Spielern um. »Xander, sieh nur! Ich hab ihn!« Bevor Xander antworten konnte, öffnete sich hinter Willow ein schimmerndes, türkisfarbenes Portal. Xander wollte noch eine Warnung rufen, aber auf einmal ging alles viel zu schnell. Dredfahl trat aus dem Portal, ergriff Willows Hand, verpasste ihr einen Schlag ins Gesicht und stieß sie zu Boden. Benommen blieb Willow liegen und konnte nur hilflos zusehen, wie die Dorinogs wieder auf die Spieler losmarschierten. Ein klapperndes Skelett kam hinter Dredfahl durch die Öff248
nung, dann klappte das Portal wie ein Auge zu. Nur eine dünne dunkle Linie schwebte noch in der Luft. Rasch drehte sich Dredfahl um und setzte den Knochen, den er Willow entrissen hatte, in das Skelett ein. Ein magisches Schimmern umgab nun das Skelett und Xander beobachtete verblüfft, wie sich auf den Knochen neues Fleisch bildete und der Dämonenkörper sich Stück für Stück vervollkommnete. Das Monster war etwas über zwei Meter groß, kleiner als die Dorinogs und die Kalinths also, jedoch sehr muskulös und ganz symmetrisch gebaut. Es hatte zwei lange geschwungene Hörner und einen quadratischen schwarzen Bart. Seine oben spitz zulaufenden Ohren gaben ihm ein raubtierhaftes Aussehen. Die Haut war ein Gewebe aus kleinen Schuppen, die wie poliertes Kupfer glänzten. Zwar war der Dämon vom Erscheinungsbild her überwiegend menschlich, hatte jedoch die geschmeidigen, pfeilschnellen Bewegungen einer Echse, die völlig unmenschlich wirkten. Er hob verteidigend die Hände und wich rasch zurück. Aber Dredfahl reagierte sofort, malte unsichtbare Zeichen in die Luft und ein Schwert erschien in seiner Hand. Er brüllte derbe, unmenschliche Worte, als er dem Dämon den Kopf abhackte, der gerade seine gelben Katzenaugen öffnete. Ohne das Schwert abzusetzen, schlug sich Dredfahl nun selbst den Kopf ab. Er packte ihn an den Haaren und pflanzte ihn auf den Körper des anderen Dämons. Der Körper des wieder zum Leben erweckten Dämons wuchs immer besser zusammen und dabei wurde Dredfahls Kopf in das Wesen mit eingearbeitet, während sein alter Körper im heißen Sand zusammenfiel. Diese Regeneration zählte, wie Xander gestehen musste, zu den erstaunlichsten Dingen, die er je gesehen hatte. Und er wusste nicht, was er nun tun sollte. Dann beschloss er, auf Willow zuzulaufen, um ihr zu helfen. »Jetzt werdet ihr alle«, verkündete Dredfahl nun mit einer viel kräftigeren Stimme, »wahre Macht erleben.« 249
Der Kopf des alten Mannes auf dem gesunden Dämonenkörper war ein grotesker Anblick, aber auch dieser begann sich zu verändern. Dredfahls weißes Haar wurde schwarz, zusätzlich wuchsen neue Haare auf seinem Kopf und auf seinem Gesicht bildeten sich glänzende Schuppen, die seine eingefallenen Wangen auffüllten. »Wenn ich mit euch fertig bin, werde ich eure Welt erobern!«, drohte Dredfahl. »Und dann werde ich meine treuen Diener in eure Welt holen.« Er griff nach Willow. Xander rannte, so schnell er konnte. Er wusste zwar, er würde Willow niemals rechtzeitig erreichen, aber er musste es wenigstens versuchen. Plötzlich waren bluesartige Klänge zu hören. Das Portal öffnete sich erneut und Xander sah mit ungläubigem Staunen, wie Buffy in die Dämonenwelt hineingestürmt kam. Während Bobby Lee Tooker mit Hilfe seiner magischen Kräfte das Portal öffnete, hatte Buffy den letzten Teil der Transformation beobachtet, der sich Dredfahl unterzogen hatte, und mit angesehen, wie der kopflose Körper seinen Kopf auf den fast wiederhergestellten Körper Torqualmars gesetzt hatte. Es gab nun plötzlich einen neuen, verbesserten Dredfahl. Buffy hatte auch gesehen, wie er Willow ergreifen wollte, die betäubt zu seinen Füßen lag. Sobald sie durch das Portal war, drehte Buffy den tomfa um und angelte mit dem Griff nach Dredfahls massivem Handgelenk. Mit aller Kraft zog sie daran. Daraufhin ließ Dredfahl von Willow ab und drehte sich zu Buffy um. »Jägerin!«, sagte er nur, und seine Stimme klang kräftiger als zuvor. Zum ersten Mal bemerkte Buffy, wie riesig der Dämon eigentlich war. Sie bekam es mit der Angst zu tun, aber da sie der Gefahr schon so oft ins Auge hatte sehen müssen, schob sie das Gefühl einfach beiseite. 250
»Wir waren noch nicht fertig«, bemerkte sie. »Ziemlich unhöflich von dir, eine Schlange nach mir zu werfen und einfach abzuhauen!« Dredfahl grinste. Immer noch wuchs neue Haut auf seinem transplantierten Kopf. »Du solltest es besser wissen und gar nicht erst versuchen, mich zu töten. Ich wurde schon einmal getötet, und zwar von Bobby Lee Tookers Großvater. Dann bin ich zurückgekehrt und habe den Sohn des Großvaters getötet. Und nun werde ich auch dich töten, Jägerin.« »Nein«, entgegnete Buffy bestimmt, »das wirst du nicht. Und diesmal wirst du auch nicht wieder zurückkehren.« Sie nahm Anlauf und verpasste Dredfahl einen Roundhouse-Kick in die Seite. Der Dämon grunzte vor Schmerz, schien aber in keinster Weise in seinen Fähigkeiten beeinträchtigt. Als er Buffy einen Fausthieb verpassen wollte, geriet er allerdings ein wenig aus dem Gleichgewicht. Wahrscheinlich hat er sich noch nicht an den neuen Körper gewöhnt, dachte Buffy. Wenn man ihm ein bisschen Zeit lässt, wird er bestimmt richtig gefährlich! Ich sollte mich also beeilen. Sie wehrte den Faustschlag ab und trat Dredfahl blitzschnell in das sich regenerierende Gesicht. Blut spritzte ihm aus der Nase. Buffy machte sich auf alles gefasst, denn nachdem sie gesehen hatte, wie sich Dredfahls Messer in eine zweiköpfige Schlange verwandelte, wusste sie nicht, was noch kommen würde. In diesem Moment verspürte sie eine leichte Erschütterung und dann sah sie, wie eine flimmernde Fläche aus dem Wüstensand aufstieg. »Schnapp ihn dir, Buffy!«, feuerte Willow sie an. Einer der Gargoyles half Willow auf die Beine. Dass es sich dabei um Xanders dämonisches Ich handelte, konnte Buffy in diesem Augenblick nur erahnen. »Seine Magie ist noch nicht konzentriert genug«, erklärte 251
Willow. »Im Augenblick ist er noch schwach, aber das wird sich schnell ändern.« Buffy rannte los und wirbelte ihren Kampfstock in der rechten Hand. Dredfahl heulte auf und streckte seine Hände nach ihr aus. Aber Buffy schlug ihm rasch mit dem hölzernen tomfa auf die Finger, die wie Salzstangen brachen. Sie prügelte auf ihn ein und beobachtete, nachdem sie ihn mehrmals im Gesicht getroffen hatte, wie an seinem Hals, wo gerade erst Kopf und Körper zusammengewachsen waren, ringsum die Haut aufplatzte. Mit seiner riesigen, massiven Faust verpasste er Buffy jedoch einen Schlag ins Gesicht, der sie zu Boden gehen ließ. Benommen und mit zitternden Knien zwang sie sich, wieder aufzustehen. »Du kannst mich nicht besiegen, Jägerin!«, drohte ihr Dredfahl. »Ich bin zu stark und zu mächtig. Ich gehöre zu dem ewigen Bösen, das schon von Anbeginn der Zeit im Unterbewusstsein des Menschen verankert ist.« Angst stieg in Buffy auf. Sie dachte an ihre Mutter, die sie ohne Vorwarnung mit Dawn allein gelassen hatte. Sie dachte an ihre Beziehung zu Dawn und daran, wie angespannt die Situation war. Sie dachte daran, wie unfair es war, dass sie die Schule, die Jagd und die Erziehungspflichten unter einen Hut bringen musste, und sie wusste wirklich nicht, ob sie diese Aufgaben alle bewältigen konnte. Dredfahl spürte ihre Unsicherheit und nutzte die Gelegenheit. Mit beiden Händen griff er nach Buffy, umklammerte sie und versuchte, ihr das Rückgrat zu brechen. Buffy verspürte unglaubliche Schmerzen. Sie bemühte sich, aus Dredfahls Umklammerung freizukommen, aber es gelang ihr nicht. »Gib auf, Jägerin!«, sagte Dredfahl. »Ich habe dich besiegt.« »Nein!« Buffy wehrte sich mit aller Kraft gegen den Dämon. 252
Sie bekam keine Luft mehr und ihr verschwamm bereits alles vor Augen. Da fiel ihr der tomfa ein, den sie immer noch umklammerte, fasste ihn am Griff und holte aus. Mit einer schnellen, reflexartigen Bewegung trieb sie dem Dämon das stumpfe Ende des Kampfstocks ins linke Auge. Das Auge platzte und es spritzte Blut heraus. Stöhnend vor Schmerz ließ Dredfahl Buffy los und wich stolpernd zurück. Buffy fiel keuchend in den Sand. Wenn sie umkam, was geschah dann mit Dawn? Wer würde sich um Dawn kümmern? Jägerinnen starben nun mal, das war eine Tatsache. Sobald eine Jägerin berufen worden war, begann der Todesmarsch. Wie konnte man bei so einem Schicksal von ihr erwarten, dass sie sich um Dawn kümmerte? Es war nicht fair. Langsam kam sie wieder zu Atem und rappelte sich mühsam auf. Sie dachte an die Zeit mit ihrer Mutter. Manchmal hatten sie sich gut verstanden, manchmal auch gestritten. Wäre es anders gewesen, wenn sie gewusst hätte, wie früh ihre Mutter sterben würde? Wenn sie es beide gewusst hätten? Buffy war klar, dass ihr Leben dann anders verlaufen wäre. Sie wären nicht ehrlich zueinander gewesen. Sie wären auf Zehenspitzen durchs Leben geschlichen, wären alles ganz vorsichtig angegangen und hätten sich nach Leibeskräften darum bemüht, den Tod auszutricksen. Aber der Tod ließ sich nicht austricksen, das wusste Buffy. Und sobald ein Mensch geboren wurde, war auch sein Tod besiegelt. Man hatte nur die Wahl, ob man ein Dasein im Schatten des Todes fristen oder ein freies Leben führen wollte. »Dafür werde ich dich umbringen, Jägerin«, drohte Dredfahl. Er wischte sich das Blut vom Gesicht. Das zerstörte Auge begann bereits, sich wieder aufzubauen. »Du wirst sterben.« »Eines Tages schon«, pflichtete ihm Buffy gelassen bei und warf den Kampfstock zur Seite. »Aber ich werde nicht im 253
Schatten des Todes leben. Du kannst mich nicht besiegen. Ich werde ein freies Leben führen, Dredfahl. Und wann immer meine Zeit kommen mag, vorher werde ich das Leben bis ins Letzte auskosten. Keine Sorgen. Keine Reue. Ich werde das tun, was ich kann und was ich tun muss und woran ich bis zu meinem letzten Atemzug glaube. Und das kannst du mir nicht nehmen!« Mit wütendem Gebrüll stürzte sich Dredfahl auf sie und wirbelte mit jedem Schritt Sand auf. Buffy rannte auf ihren Widersacher zu, denn nun lautete die Devise »Alles oder nichts«. Sie beobachtete Dredfahls Hände und analysierte seine Bewegungen. Es kam auf das perfekte Timing an. Ihr Angriff musste überraschend kommen. Dredfahl näherte sich und streckte seine Hände nach ihr aus. Er wollte sie offenbar zu Boden ringen und sie mit seinem riesigen Körper und seiner Kraft unten halten, um sie dann in aller Ruhe zu töten. Buffy sprang ihm jedoch durch die ausgestreckten Arme und machte einen Vorwärtssalto. Der Dämon griff ins Leere. Buffy bekam sein Schwert zu fassen und umklammerte fest den Griff. Sie hörte Bobby Lee Tookers Melodie, sah, wie die Schwertklinge im blauen Sonnenlicht aufblitzte, und schlug einen weiteren Salto, als Dredfahl hinter ihr herkam. Seine Hände fegten knapp hinter ihr durch die Luft und Buffy wirbelte herum, schwang das Schwert und legte in diesem kleinen Augenblick, in dem Dredfahl verwundbar war, ihre ganze Kraft in den Angriff. Wenn sie jetzt versagte, dann war sie selbst höchst verwundbar. Das Schwert blitzte auf, als es durch die Luft sauste und in Dredfahls Hals schlug. Die Klinge blieb kurz an den Nackenwirbeln hängen, bevor die Knochen zersplitterten. Der Kopf des Dämons löste sich, flog durch die Luft und plumpste in den trockenen, heißen Sand. Nach diesem Schlag verlor Buffy das Gleichgewicht und 254
stürzte. Hinter ihr erklangen Schritte. Als sie sich umdrehte, kam der kopflose Dämonenkörper auf sie zu. Aber nach einigen Schritten ging ihm offenbar der Saft aus und er brach nur wenige Zentimeter vor Buffy zusammen. Buffy zitterten zwar die Knie, aber vor den Dämonen, die Willow, Xander und die Spieler umringten, musste sie die Tapfere spielen. Sie griff nach Dredfahls blutigem Kopf und hielt ihn hoch. »Ich habe seinen Kopf!«, rief sie. »Gewonnen!« Einen Augenblick lang befürchtete sie fast, die DorinogDämonen würden sich auf sie stürzen, aber dann entfernten sie sich allmählich; erst einer, dann zwei, dann immer mehr. Obwohl Buffy der ganze Körper wehtat, seufzte sie erleichtert und schleuderte Dredfahls Kopf in den einige Meter entfernten Teich. Erst als der Kopf zu qualmen begann, fiel ihr wieder ein, was Giles ihr über die Säuretümpel erzählt hatte. Müde stand Buffy am Rand des Tümpels. Sie konnte fast nicht glauben, dass die Gefahr vorüber war. Da trat Bobby Lee Tooker durch das Portal und kam auf sie zu. Die Dorinog-Dämonen, die noch in der Nähe waren, fingen an zu knurren und machten wieder kehrt. Buffy griff nach dem Schwert, aber Willow machte eine rasche Handbewegung in Richtung der Dämonen, womit sie ihnen eine unsichtbare Mauer entgegenschleuderte. Die Dämonen kippten um wie die Kegel. »Die Spieler werden in unsere Welt zurückgeholt«, erklärte Willow. »Da glauben diese Kerle natürlich, sie könnten nach Belieben jeden töten und fressen.« Immer noch knurrend zogen sich die Dorinog-Dämonen vom Schlachtfeld zurück. »Was ist mit Xander?«, fragte Buffy. »Er ist wieder in unserer Welt. Ihm fehlt nichts.« »Das ist gut.« Buffy sah zu Bobby Lee auf. »Glaubst du, jetzt ist es wirklich vorbei?« 255
Bobby Lee nickte. »Ja.« Schweigend betrachtete er den Kopf in dem Tümpel. »Wir sollten besser gehen«, sagte Buffy. »Gleich, nur eine Minute noch.« Buffy sah Bobby Lee an. Sie wusste, was er dachte. »Dass Dredfahl tot ist, ändert eigentlich gar nichts, oder?« Langsam schüttelte Bobby Lee den Kopf. »Mein Vater ist immer noch tot.« »Ich weiß. Als meine Mutter starb, habe ich mir gewünscht, ich könnte jemanden – oder etwas – dafür verantwortlich machen. Damals dachte ich, die Sache würde dadurch verständlicher und es wäre hilfreich, eine Zielscheibe zu haben. Aber letztendlich bleiben sie doch tot, nicht wahr?« »Ja«, sagte Bobby Lee mit belegter Stimme. »Wir können einfach nur das tun, was sie uns beigebracht haben. Du weißt schon, unser Leben leben und für die Menschen sorgen, für die zu sorgen unsere Aufgabe ist.« Sie hielt inne. »Genau das haben sie gemacht.« »Ich weiß.« Es überraschte Bobby Lee, als Buffy ihn an die Hand nahm, aber er erwiderte den Händedruck. Sie blieben nebeneinander stehen und beobachteten in einvernehmlichem Schweigen, wie sich der Schädel des Dämons auflöste und verschwand. Es dauerte nicht lange.
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Epilog »Also«, sagte Dawn. »Also«, wiederholte Buffy und nahm die Leinenserviette vom Tisch. »Heute hast du mich zum ersten Mal zum Mittagessen von der Schule geholt«, sagte Dawn. Buffy lächelte ihre Schwester an. »Gewöhn dich bloß nicht daran! Ich will dich nicht vom Lernen ablenken und wir haben auch gar nicht das nötige Kleingeld, um es öfter zu machen. Aber ich dachte, heute würde es uns gut tun.« Sie saßen an einem der runden Tische im Garten eines kleinen italienischen Restaurants, das »Zum Weinberg« hieß und gleich um die Ecke von Joyce Summers ehemaliger Kunstgalerie lag. Helle Laternen hingen an den Wänden und warfen buntes Licht über die Weinstöcke. Ein mit unterirdischen Pumpen betriebener kleiner Bach plätscherte durch den Garten. Die Schlacht mit Dredfahl lag bereits zwei Tage zurück und Buffys Verletzungen waren fast vollständig verheilt. »Ich dachte, ich nehme mal ein bisschen Abstand vom Mutter-Spielen«, meinte Buffy. »Aber wenn wir nach Hause kommen, kriegst du Ärger, weil du den Abwasch nicht gemacht hast.« »Abwasch ist erledigt«, entgegnete Dawn. »Und die Wäsche?«, fragte Buffy. »Gewaschen, trocken und im Schrank. Außer deiner. Die türmt sich noch im Korb und gammelt vor sich hin.« »Ich war in den letzten paar Tagen ziemlich beschäftigt mit meinem Jägerinnenkram«, sagte Buffy. »Wenn du mich mit einem Dessert bestichst«, meinte Dawn, »und mich zu spät zur Schule zurückbringst, wird deine Wäsche vielleicht von Feenhand erledigt.« »Das wäre aber nicht sehr verantwortungsvoll von einer 257
Erziehungsberechtigten, oder?«, fragte Buffy. Dawns Gesicht verfinsterte sich ein wenig. »Du bist nicht Mom.« Trauer überkam Buffy. »Ich weiß, das bin ich nicht. Deshalb wollte ich ja hier essen, wo wir mit Mom öfters waren. Das erinnert mich irgendwie daran, dass sie von uns gegangen ist. Und dass ich nicht Mom bin.« »Mom war Mom«, bemerkte Dawn. »Ja, ich weiß. Hör mal, was mein Verhalten angeht... Ich wollte nur, dass du hast, was ich hatte, verstehst du? Jemanden, der immer da ist für dich und dir immer sagt, was das Richtige ist.« »Du hast auch nicht immer das Richtige getan, obwohl Mom es dir gesagt hat«, rief ihr Dawn in Erinnerung. »Ich weiß, aber wenigstens wurde es mir gesagt. Ich hatte immerhin die Möglichkeit.« Buffy nahm das Brot aus dem Korb in der Tischmitte und brach sich ein Stück ab. »Wenn ich dich ansehe, fühle ich mich schlecht, weil du keine Mutter hast.« »Du hast ja auch keine«, entgegnete Dawn. »Ich weiß. Aber ich bin erwachsen. Fast. Und vielleicht liegt genau da das Problem. Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll, habe aber das Gefühl, ich müsste irgendetwas machen. Was, davon habe ich keine Ahnung.« »Das klingt ja, als wäre ich ein Versuchsobjekt.« »Ich wünschte einfach, alles wäre anders«, sagte Buffy. »Und dass wir beide eine Mutter hätten.« Sie zögerte. »Aber wir haben keine mehr und wir müssen einfach versuchen, mit den Veränderungen in unserem Leben klarzukommen.« »Ich weiß.« »Ich habe mit Bobby Lee gesprochen.« Dawn horchte interessiert auf. Bobby Lee war am Vortag wieder nach Hause gefahren und Spike hatte verkündet, er wolle mit ihm nach New Orleans 258
gehen. Buffy wusste nicht, ob er inzwischen wirklich weg war oder immer noch in Sunnydale herumhing. Xander und Anya hatten sich wieder gefunden und die vergangenen Tage in permanenter, inniger Umarmung verbracht. Giles hielt während Anyas Abwesenheit die Stellung im Zauberladen, aber Willow und Tara hatten ihm ausgeholfen. Das Leben ging allmählich für alle wieder seinen geregelten Gang – für alle außer den elf Spielern, zu denen auch Donny Williford gehörte und die zwei Tage zuvor unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen waren. Als Bobby Lee das Portal zur Dämonenwelt geschlossen hatte, wurden alle Dämonen vernichtet und verließen die Körper der Spieler, die in der Dämonenwelt gestorben waren. Xander und alle anderen Spieler, die überlebt hatten, waren in ihre Körper zurückgekehrt. Mysteriöse Todesfälle waren in Sunnydale natürlich nichts Neues und früher oder später dachte sich irgendjemand eine zutiefst logische Erklärung aus, wie und warum es dazu gekommen war. Bis dahin wurden die Toten nirgends erwähnt. »Bobby Lee hat mir von seiner Familie erzählt«, sagte Buffy. »Und darüber, wie nahe sie sich alle stehen.« »Klingt gut«, bemerkte Dawn. »Das hat mir zu denken gegeben«, fuhr Buffy fort. »Wahrscheinlich hätten wir weniger Probleme miteinander, wenn ich nicht die Jägerin wäre. Aber die bin ich nun mal. Und das ist einfach ein wichtiger Bestandteil meines Lebens.« Sie fummelte an ihrem Stück Brot herum und hoffte, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. »Ich wollte dich immer von diesem Teil meines Lebens fern halten, weil er so gefährlich ist.« »Und ich will dir helfen«, sagte Dawn, »weil es so gefährlich ist, die Jägerin zu sein. Ich habe dir bewiesen, dass ich es kann.« »Dawn«, sagte Buffy, »das wusste ich doch schon. Ich dachte nur, ich sei es Mom sozusagen schuldig, dich nicht in 259
diese Sache hineinzuziehen.« »Aber ich bin doch mittendrin! Ob ich nun im Zauberladen in Giles’ Büchern blättere oder zu Hause sitze und mich frage, ob du wohl nach Hause kommst. Ich bin mittendrin und es ist leichter für mich, mir gemeinsam mit Giles und den anderen Sorgen zu machen, als zu Hause zu sitzen und mir ganz allein Sorgen zu machen.« »Das weiß ich«, sagte Buffy. »Deshalb habe ich auch beschlossen, deine Hilfe anzunehmen.« Dawn lächelte ungläubig. »In beschränktem Umfang natürlich, was die Dämonensuche angeht«, fuhr Buffy fort, »und auch nur, wenn deine Noten in Ordnung sind und du immer deine Hausaufgaben machst.« Sie atmete noch einmal tief durch und fühlte sich besser. »Okay, ich glaube, ich bin fertig.« Dawn schwieg einen Augenblick. »Danke«, sagte sie dann. Buffy nickte. »Keine Ursache.« Sie hoffte nur, sie würde diesen Entschluss nie bereuen. »Es gibt etwas, was ich habe und du nicht, Buffy«, sagte Dawn plötzlich. »Was denn?« »Eine große Schwester«, antwortete Dawn. »Nicht, dass das immer eine gute Sache wäre! Die Haushaltspflichten sind zum Beispiel nervig und diese Sache mit dem Teilen. Aber die meiste Zeit ist es schön.« Gerührt beugte sich Buffy vor und umarmte Dawn. »Danke«, sagte sie nur. Dawn erwiderte die Umarmung. Als sie sich voneinander lösten, sahen sie sich um. »Das hat doch wohl niemand mitgekriegt, oder?«, fragte Dawn. »Nein, nein«, entgegnete Buffy. »Es hat niemand mitgekriegt.« Aber eigentlich war ihr das ganz egal. »Hör mal, wir teilen uns jetzt ein Dessert und dann denken wir uns eine 260
Geschichte aus, warum ich dich zu spät in der Schule abliefere.«
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