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Erhard Juritsch
Internationalisierungsentscheidungen von kleinen und mittleren Unternehmen Bedingungen und Möglichkeiten internationaler Unternehmensentwicklung
SpringerWienNewYork
Dr. Erhard Juritsch Kärntner Wirtschaft sförderungs Fonds
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes,der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 Springer-Verlag/Wien Printed in Germany SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Satz: Druckfertige Vorlage des Autors Druck: Strauss GmbH, 69509 Mörlenbach, Deutschland Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF SPIN: 80012280 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-7091-0241-1 SpringerWienNewYork
Dank
An alle meine 25 Interviewpartner (ich habe ihnen versprochen, ihre Anonymität zu wahren); weiters an: Irmgard Dober, Peter Heintel, Maria Mack, Claudia Mazanek, Clemens Schedler, Hans Schönegger, Reinhard Schwarz, Carmen Seiner und Franziska Winkler.
V
Vorwort
VII
Vorwort
Der Autor untersucht die bei der Internationalisierung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wirksamen Entscheidungsmechanismen. Die weitaus überwiegende Zahl österreichischer Unternehmen sind KMU. Die hohe Bedeutung der Exporttätigkeit und der Internationalisierung dieser Unternehmen für den Wirtschaftsstandort Österreich ist ebenso anerkannt wie empirisch nachgewiesen. Damit trägt der Autor einem aktuellen betriebswirtschaftlichen Forschungsbedarf Rechnung und hat die Umsetzbarkeit seiner Erkenntnisse im Fokus. Die erklärte Interdisziplinarität erweitert den Kontext der Untersuchung und ergibt gemeinsam mit der beruflichen Erfahrung des Autors Treffsicherheit in der Auswahl der Untersuchungsobjekte und der Interpretation der Ergebnisse. Der Gang der Untersuchung umfasst auch Primärerhebungen in Form von Interviews mit Entscheidungsträgern, was die Erkenntnistiefe und Nachvollziehbarkeit erhöht. Durch die Darstellungsform als Essay bleibt das Werk jedoch gut lesbar. Diese Stilfigur wird gut begründet. Sie macht zusammenfassende Gesamtbilder möglich, vermeidet in einer unüberschaubaren Literatur ausufernde theoretische Analysen (in interdisziplinärer Forschung potenziert sich das Angebot), und macht es »Praktikern« leichter, Ergebnisse nachzuvollziehen. Innerhalb des gewählten wissenschaftlichen Rahmens identifiziert und beschreibt der Autor die Treiber der Internationalisierung von KMU. Dabei ermöglicht es der interdisziplinäre Ansatz auch auf die besonderen Fragestellungen bei der Internationalisierung von Familienunternehmen und dort beispielsweise auf die nichtwirtschaftlichen Aspekte der Alleineigentümerschaft einzugehen. Auf Basis der Untersuchung können Schlüsselfaktoren für Erfolg und Misserfolg der Internationalisierungsstrategien von KMU dargestellt werden. Die Ergebnisse haben sowohl wissenschaftlichen Erkenntniswert als auch relevanten Informationsgehalt für Entscheidungsträger in KMU und Personen, die in Beziehungen zu KMU stehen, sei es durch Finanzierung, Förderung, Beratung oder auch als (Mit-) Eigentümer. Die aus den Ergebnissen abgeleiteten abgeleiteten Checklisten unterstützen die praktische Anwendung der Erkenntnisse und tragen den aktuellen Anforderungen nach kurzfristiger und treffsicherer Umsetzbarkeit Rechnung. Das vorliegende Buch wurde als Dissertation im Rahmen unseres DoktorandInnenkollegs Interventionsforschung erarbeitet und verfasst. Dies erscheint deshalb erwähnenswert, weil sich dieses Kolleg einerseits einem bestimmten Personenkreis verpflichtet fühlt (vor allem ›berufstätigen PraktikerInnen‹), andererseits bestimmte Zielsetzungen ausweist; hier vor allem Inter- und Transdisziplinarität in der Forschung, die damit anders als gewohnt vorgehen muss. Gibt es VIII
Vorwort
im Allgemeinen in der disziplinorientierten Forschung ausgearbeitete Modelle, die Richtung und Zuordnung weisen, zumindest ein vorweg vorliegendes Hypothesengerüst, das abgearbeitet werden muss, ebenso bewährte Methoden, die angewendet werden können, steht in der inter- und transdisziplinären Forschung das Genannte zwar zur Verfügung, kann auch dort und da verwendet und eingesetzt werden, die Ausgangslage unterscheidet sich aber prinzipiell: Herangehensweisen und die verwendeten Methoden dienen in erster Linie zunächst dazu, sich in besonderer Weise sein Forschungsfeld aufzuschließen, möglichst offen hineinzugehen, den ›Forschungspartnern‹ in der Praxis Gelegenheit zu geben, ihre Sichtweisen, Themen, Probleme ihren Erfahrungen entsprechend darzustellen. Wissenschaft ›entsteht‹ somit erst im Laufe der Forschung und die jeweiligen Forschungsfelder spielen eine mitkonstituierende Rolle. Dieses SichEinlassen, diese Zurücknahme eigenen Vorwissens und eigener Vorannahmen im Prozess lassen zwar oft Überraschendes und Unerwartetes erfahren, nehmen aber gewohnte Stützen. Eine gewisse akzeptierte ›Ergebnisoffenheit‹ verlangt einen ›langen Atem‹ und eine bei sich selbst tolerierte Unsicherheit. Andererseits lässt sie Vieles zu und schließt nicht von vornherein aus. Das Problem ist nur, wie man die vielen unterschiedlichen Aspekte zusammenführt, was an Komplexität zugelassen, was reduziert werden muss, was letztlich als wesentliche Kernaussage übrig bleibt. Sie bestimmt auch die Form und Verfasstheit des Buches. Transdisziplinarität, das Einbeziehen alltäglicher Praxiserfahrung und ihrer Reflexion hält sich weder an wissenschaftliche Vorgaben, noch an Diszipline. Gerade bei dem hier gewählten Thema, den Investitionen von KMU und den diesbezüglichen Entscheidungen unter hohem Risiko – meist ohne ausreichendes Risiko-, Venturekapital – eröffnen sich Motiv- und Spannungsbreiten, die in den verschiedensten Wissenschaften Orte der Berücksichtigung finden; dort aber fein säuberlich aufgeteilt und zugewiesen. WissenschaftlerInnen können forschen und relativ risikofrei denken, wenn sie die vorgegebenen Standards so halbwegs berücksichtigen. Unternehmen müssen ›Geld in die Hand nehmen‹ und handeln. In praktischen Entscheidungsprozessen muss all das einen inneren Zusammenhang bekommen, was in den Wissenschaften auf Objektebene analytisch getrennt wird. Die vorliegende Arbeit eröffnet uns in mehrfacher Weise einen Einblick in Motivvielfalt und Entscheidungskriterien, die KMU in Investitionsangelegenheiten leiten. Dabei wird sichtbar, welch unterschiedliche Geschäftsmodelle erfolgreich sein können, welche Bedeutung die Berücksichtigung von Unternehmenskulturen, ja Kultur überhaupt hat, was Familie und ihre Tradition ausmachen, was an ›unternehmerischen‹ Personen liegt, wofür man die Loyalität der Mitarbeiter braucht, welche Rolle der Widerspruch zwischen Konkurrenz (Eigentum) IX
Vorwort
und Kooperation spielt, welche Kooperationen leicht, welche problematisch sind, welche Vorteile es hat, über Fördermöglichkeiten Bescheid zu wissen, schließlich, mit welchem betriebswirtschaftlichen Know-how Entscheidungen ›unterfüttert‹ sind. Ein auffallendes Ergebnis (wohl enttäuschend für die Wissenschaft) ist jedenfalls die Unkenntnis von Internationalisierungstheorien bei Investitionen vor Ort. Hier wird übrigens einer der vielen Unterschiede zwischen KMU und Konzernen festgestellt. Letztere haben ihre Abteilungen und Stabstellen, ein Heer externer Berater zur Verfügung, die ihnen ihre Entscheidungen vorbereiten, ihnen eine gewisse Sicherheit abgekoppelt von möglichen Imponderabilien geben. Diese haben KMU im allgemeinen nicht; hier hängt alles an der jeweiligen Führung, die – in diesem Bereich oft auch beraterresistent – selbständig und allein neben dem Tagesgeschäft zu entscheiden gezwungen ist. Freilich, so scheint es jedenfalls, hängt die vom Verfasser als ›Ignoranz‹ bezeichnete Theorieabstinenz wohl nicht nur damit zusammen. Ist doch auch feststellbar, dass es in Bezug auf diese Betriebsstruktur nur wenig Forschung gibt. Hier schließt die Dissertation zweifellos eine Lücke, zumindest macht sie für weitere Forschung darauf aufmerksam, was alles an Themen weiterzuführen wäre, welche Möglichkeit hier Interdiszipinarität bieten könnte. So sollte sich freilich auf der anderen Seite auch die Wissenschaft überlegen, warum sie hier kaum ›ankommt‹. Es der sogenannten Praxisblindheit (bzw. der bekannten Praxisüberlegenheit gegenüber abstrakten Theorien) oder der Reserviertheit gegenüber Auftragsforschung zuzuschieben (klar ist allerdings auch, dass Konzerne hier mehr Möglichkeiten haben), wäre wohl keine adäquate Begründung dieser Sachlage. Wie also kann hier Wissenschaft und ihr Wissen wirksam werden, wie die wirtschaftliche Praxis von KMU sich von ihrer Seite her ihr gegenüber aufschließen, lautet die zu beantwortende Frage. Diese kann auch deshalb an Bedeutung gewinnen, weil es für den Verfasser außer Zweifel ist, dass KMU internationalisieren müssen und hier insbesondere in Nischenbereichen höchst erfolgreich sein können. Das Buch zeigt einen möglichen Weg auf, der auf der Basis der Interventionsforschung beschritten wird, die sich der Aufgabe verpflichtet fühlt, explizites und implizites Wissen aus der Praxis und aus gesellschaftlichen Feldern mit wissenschaftlichem Wissen, Methoden und Hintergrundtheorien in Verbindung zu bringen. Insgesamt lohnt es sich, dem Weg der Untersuchung zu folgen, auch wenn die Checklisten dazu verleiten könnten, diese vorzeitig anzuwenden. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Schwarz, Em.O.Univ.-Prof. Dr. Peter Heintel April 2010 X
Inhaltsverzeichnis
Vorwort von Peter Heintel und Reinhard Schwarz Inhaltsverzeichnis Einleitung
Der gangbare Weg – Praxis ohne Theorie
Grundlegungen Forschungsinteresse Der Essay als Darstellungsform Zur Unübersichtlichkeit der Information Theorien der Internationalisierung von Unternehmen Annäherung an einen Investitionsbegriff Investitionen in der realen Wirtschaft – eine eingrenzende Vorentscheidung Interventionsforschung, die andere Wissenschaft
Die Triebkräfte der Internationalisierung
Akteure und Rahmenbedingungen Investitionsmotive der Internationalisierung Familienunternehmen und Internationalisierung Wachstum und Wirtschaftspolitik Achtung Rendite! Risikokapital und Internationalisierung Visionsentwicklungsprozess und Visionsinhalt Zeit für Strategie
VII XI 1
13 14 24 42 50 60 76 83 92
113 114 123 132 138 144 151 155 163 XI
Inhaltsverzeichnis
Durch Entscheidungen zur Bestimmung des Selbst
Chakren, ein Modell für die Verortung von Entscheidungen Existenzielle Entscheidungen Investitionsentscheidungen sind Zukunftsentscheidungen Managemententscheidungen Win-win-Entscheidungen Entscheidungen sind Kommunikation Sinn und Sinngebung? Spiritualität (oder von Gott und der Welt)
Die »Story« wird zum Modell
Selbststeuerungsgrenzen Modelle und Wirklichkeit(en) im Management Modelle und die sich verändernde Rolle des Managements – festhalten oder loslassen? Modelle und Praxis Praxismodelle … oder die Unternehmer zu Wort kommen lassen Es bleibt viel zu entscheiden (Widerspruchsfelder) Unternehmenskultur und Mentalitäten
Das Augenmerk beim grenzenlosen Tun
175 176 182 189 196 201 212 220 231
245 246 253 269 281 299 313 320
327 328 341
Die andere Vertikalität Kooperationen und Eigentum (Konkurrenz) Warum sich kmu für einen Internationalisierungsprozess einrichten sollen Förderungen für kmu Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister
353 369 387
Zusammenfassung
391
Anhang
Glossar Literaturverzeichnis
XII
413 427
Einleitung
1 E. Juritsch, Internationalisierungsentscheidungen von kleinen und mittleren Unternehmen © Springer-Verlag/Wien 2011
Einleitung
Die globalisierte Ökonomie ist zum Alltagsthema geworden. Über Segnungen und Flüche in Bezug auf das universelle Modell des weltumspannenden ökonomisch-technologischen Kapitalismus werden beinahe täglich Bücher veröffentlicht. Der weltweit verflochtene und die Weltwirtschaft dominierende Finanzsektor ist zwar im Herbst 2008 in die Krise geraten und hat damit an Emotionalität zugelegt, nichtsdestotrotz sind die Güter produzierenden Unternehmen die wichtigsten Akteure der kapitalistischen Ökonomie und sie sind der Kern dieses Erfolgsmodells. Ein großer Teil von ihnen (in der eu über 98 %) sind kmu 1. Und diese kmu können nicht auf einen Regulator für ein Weltethos in Bezug auf das Finanzsystem warten, sie müssen täglich Antworten für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln finden – zu überleben ist in der Shareholder-Value-Logik kein kompetitives Modell. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, Erfolgsgeschichten von und für kmu in der internationalisierten Wirtschaft durch praktische Erfahrungen und durch Modellangebote bereitzustellen, damit Unternehmen Antworten im System (und nicht Systemantworten!) in Bezug auf Entscheidungen finden können. Ich habe mich auf die Realwirtschaft beschränkt und ich habe Kapitaltheorien weitestgehend ausgeklammert, ohne die Bedeutung des Kapitals zu vernachlässigen. Weil es eine Arbeit ist, die von Interviews und deren Auswertung ihren Ausgang genommen hat, habe ich vollständig auf mathematische Darstellungen und, so weit es mir möglich erschien, auf Grafiken verzichtet. Das Ausmaß der Behandlung mit den einzelnen Themen ist, angepasst an die heutige knappe und schnelllebige Zeit, konvenient. Die Portionen sind so dimensioniert, dass sie dadurch meine Adressaten, die Entscheidungsträger in kmu, trotz ihrer knappen Zeitbudgets erreichen können. Als Beispiel nenne ich den Überblick über die Internationalisierungstheorien, welcher (nur!) 16 Seiten umfasst. Meine Dissertation als Interventionsforschungsprojekt
Wer hat noch nie daran gedacht, seine eigenen Berufserfahrungen aufzuschreiben, um sie – so zumindest meine heimliche Hoffnung – Interessierten zugänglich zu machen? Vor rund drei Jahren nahm mein Wunsch im Rahmen eines Coaching-Seminars konkrete Formen an. Ich formulierte damals: »Ich schreibe ein Buch aus meinen bisherigen praktischen Erfahrungen unter dem Aspekt der Ausbildung.« Mit Ausbildung verbunden war das Erkenntnisinteresse in Bezug auf das ausgewählte Thema, die Internationalisierung von kmu. Vorerst jedoch noch ein Blick zurück: 1 siehe Glossar (eu-Definition von kmu)
2
Einleitung
Ende der 1990er-Jahre ist es mir und meinem Partner in der Geschäftsführung gelungen, den ersten regionalen, öffentlich finanzierten Venture-Fonds mit 13,2 Millionen Euro finanziell auszustatten. Drei Finanzierungspartner waren maßgeblich daran beteiligt: Der kwf (Kärntner Wirtschaftsförderungs Fonds), die babeg (Kärntner Betriebsansiedlungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH) und die fgg (Finanzierungsgarantiegesellschaft, heute aws Austria Wirtschaftsservicegesellschaft mbH). Beteiligungsverträge konnten ausschließlich mit kmu, die in Kärnten ihre Betriebsstätte hatten, abgeschlossen werden. Das Beteiligungsportfolio war bunt gemischt und bestand aus Produktionsbetrieben, Gründungsunternehmen mit Technologieschwerpunkt (Start-ups), Übernahme von Unternehmen durch das Management (mbo) und auch zu restrukturierende kmu. Mit dem Fonds konnten mehr als 600 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Natürlich waren auch Förderungen und Bankenfinanzierungen sowie andere Eigenkapitalgeber mit im Boot. Aus dieser Erfahrung heraus ergaben sich viele interessante Aspekte, aus denen ich ein paar herausgreifen möchte. Da ist zum einen die widersprüchliche Rolle von öffentlichem Geld als Risikokapital, welches sowohl wirtschaftspolitische Aufgaben zu erfüllen hatte (Innovationen und Arbeitsplätze) als auch eine Rendite erwirtschaften sollte. Dazu kamen Interventionen von Interessensvertretern und Politikern für bestimmte Projekte. Und nicht zuletzt gab es Kritik von öffentlichen Revisionseinrichtungen zu Insolvenzen oder Liquidationen von Unternehmen, an denen wir uns beteiligt hatten, gerade so, als ob das Management von öffentlich bereitgestelltem Risikokapital mehr über die Zukunft der Geschäftsmodelle seiner Beteiligungsunternehmen wissen sollte als private Risikokapitalgeber. Natürlich war ich vom Charme des Eigenkapitals beeindruckt, nämlich davon, dass ein eigenkapitalfinanziertes Unternehmen nicht in Konkurs gehen kann. Es ist und bleibt eine Entscheidung der Eigentümer, weiterzumachen oder aufzuhören.2 Mit diesen Erfahrungen und Fragestellungen konfrontiert, war nur ein kleiner Schritt erforderlich, nämlich jener, mich umzusehen, welche wissenschaftlichen Angebote es für internationalisierungsinteressierte kmu gibt. Welche Theorien und welche Modelle spielen also eine Rolle in der unternehmerischen Praxis. Folgendes Ereignis fiel zeitlich mit der Schließung des Fonds, also mit der Bindung aller Mittel in 17 Beteiligungen, zusammen. Ein Prospekt für ein interdisziplinäres Dissertantenkolleg an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt fiel 2 E. Juritsch, Erfahrungen bei Venture-Finanzierungen aus der Sicht eines Fondsmanagers, in: A. Gutschelhofer, E. Juritsch, W. Nadvornik (Hrsg.), Managementpartner Bank. Der neue Dialog zwischen Banken und kmu, Frankfurt/Main 2004, S. 60
3
Einleitung
mir in die Hände. In diesem Prospekt stand unter anderem – (ich zitiere): 3 Es wird »ein Angebot zur Gestaltung der wissenschaftlichen Ausbildung im dritten Studienabschnitt mit folgenden Schwerpunkten« gemacht: »• Reflexion und Gestaltung von intervenierenden Forschungsprozessen • Vermittlung beziehungsweise Vertiefung von methodischen Grundlagen für intervenierende Forschung • Vernetzung von Wissen und Erfahrungen aus der Praxis mit wissenschaftlicher Forschung • Wirksamwerden von Wissenschaft in der Gesellschaft • Erweiterung von sozialer Kompetenz und Prozessgestaltung« »Das […] Kolleg ist offen für Graduierte aller Studienrichtungen. Insbesondere richtet es sich an Studierende, die über ihre eigene Fachdisziplin hinaus an inter- und transdisziplinärer Forschung interessiert sind. […] Zugleich richtet sich das DoktorandInnenkolleg an berufstätige PraktikerInnen. […] Interventionsforschung • ist Forschung, die Wissen vor Ort und in Kooperation mit außerwissenschaftlichen AkteurInnen erzeugt, • expliziert Wissen sowohl aus der Praxis als auch aus gesellschaftlichen Feldern und verbindet dieses Wissen mit wissenschaftlichen Methoden und Know-how, • fungiert als Brücke zwischen akademischer Wissenschaft und gesellschaftlichen Feldern und organisiert wissenschaftliche Reflexion dieser Interaktion, [und] • ermöglicht reflexives Nachdenken über scheinbar selbstverständliche Annahmen.« Als eine der Voraussetzungen wird die »gegenseitige Anerkennung der Autonomie von außerwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Beteiligten« gefordert und die Praxisreflexion legt Wert auf »Widerspruch und Balance zwischen individueller Qualifizierungsarbeit (Dissertation) und Teamarbeit im Forschungsprozess sowie Haltung und Ethik«. Meine Intention, wissenschaftlich über meine Berufspraxis zu reflektieren und meine Erfahrungen zu Papier zu bringen, hat mit dem Angebot zur Teilnahme an einem interdisziplinären Dissertantenkolleg gut zusammengepasst. Die wissenschaftstheoretischen Grundsätze der Interventionsforschung und die Methode des narrativen,4 also offenen, Interviews haben dazu beigetragen, über die Wissenschaftsdisziplinen hinausgehend zu forschen. Damit war es notwendig, von vornherein ergebnisoffen in das Projekt hineinzugehen und auch Umwege in Kauf zu nehmen. Ist Kapitalmangel eine Wachstums- und Internationalisierungsbremse?
Für technologieorientierte Gründer, für mbo5, für die Internationalisierung oder für große Investitionsprojekte von kleinen und insbesondere auch mittleren 3 http://www.uni-klu.ac.at/iff/ikn/downloads/iffiIntervention06_1.pdf (8. 9. 2008) 4, 5 Siehe Glossar
4
Einleitung
Unternehmen (kmu)6 wird der Kapitalmangel als die Wachstumsbremse genannt. Das gilt insbesondere in Regionen, wo, »was das private Kapital betrifft, es […] natürlich sehr überschaubar«7 ist, wie es ein Bürgermeister auf den Punkt gebracht hat. Und auch dieses Kapital steckt meistens in Unternehmen, ist also nicht disponierbar. Und damit erfolgt ganz schnell der Ruf, die Wirtschaftspolitik müsse diese Lücke schließen und öffentliches Risikokapital bereitstellen. Damit jedoch mit öffentlich finanziertem Risikokapital nicht der Wettbewerb der Unternehmen in der Region verschärft oder einseitig beeinflusst wird – was einem privaten Risikokapitalgeber natürlich völlig gleichgültig ist –, ist es von Bedeutung, nur solche Geschäftsmodelle zu finanzieren, die in ihrer Produktund Dienstleistungspalette einzigartig in Bezug auf ihre Technologie und spätere Kommerzialisierung durch ihre Exportfähigkeit sind. Damit sind in Bezug auf allfälliges finanzielles Engagement durch eine öffentliche Risikokapitalgesellschaft bereits Differenzierungen durchzuführen, die Renditeerwartung ist also nicht der einzige Parameter. Widersprüche zwischen Renditeerwartungen und regionalpolitischen Zielen sind also absehbar. Ich baue mein Vorhaben auf der These auf, dass die Entwicklung der Unternehmen einer Region sehr bedeutend für einen von übergeordneten Gebietskörperschaften relativ unabhängigen regionalen Wohlstand ist. Dieser Wohlstand generiert sich in erster Linie aus dem Export von Wertschöpfung. Wenn eine Region keine exportfähigen Produkte anbieten kann, beginnt einerseits das Nullsummenspiel eines vielleicht sogar ruinösen regionalen Wettbewerbs und andererseits die Abhängigkeit von öffentlichen Zuwendungen (Finanzausgleich, Förderungen, Gemeindeumlagen usw.). Eine kleiner Teil dieser öffentlichen Zuwendungen könnte jedoch für die Internationalisierung von kmu einer Region eingesetzt werden. Doch die selbst gewählte Einschränkung eines öffentlichen Risikokapitalgebers auf die Unterstützung exportfähiger Unternehmen, zur Erhöhung des Wohlstandes einer Region, führt wie oben angeführt zu Argumentationsnotständen. Denn jene Unternehmen, die geeignet erscheinen sich zu internationalisieren, unterscheiden sich auf den ersten Blick kaum von jenen, die »zu Hause bleiben« wollen. Es gibt also, so die Ausgangshypothese, auch in den hochentwickelten Industrieländern viele Regionen, wo kein für kmu verfügbares Risikokapital vorhanden ist. Daher ist zuerst ein gängiger Ausspruch zu relativieren, nämlich jener, dass »das Geld auf der Straße liegt«. Diese Feststellung gilt nicht für meine Adressaten, die internationalisierungsfähigen und -willigen kmu. Denn die räumliche 6 Siehe Glossar 7 Interview bg ii, S. 263
5
Einleitung
Nähe jener Menschen (Business Angels8) und Organisationen (Venture-CapitalGesellschaften), welche sich mit Risikokapital an Unternehmen beteiligen, zu den Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, ist sehr wichtig – wieder ein Gegensatz zu den üblichen Grundsätzen der Kapitalmobilität. Das gilt natürlich noch viel mehr für Gründungsunternehmen beziehungsweise Start-up-Unternehmen. Heute noch wird dieses Geschäft, wenn es zustande kommt, eher nach den traditionellen Gepflogenheiten und daher mit überwiegend direkter Kommunikation gemacht. Der persönliche Erfahrungsaustausch zwischen Kapitalgebern und operativem Management dient dazu, gemeinsam das Geschäftsrisiko und die Chancen einzuschätzen, viel wichtiger ist jedoch der Aufbau von gegenseitigem Vertrauen. Denn diese Form von Geschäft, auf der einen Seite Kapitalengagement und auf der anderen Seite technologisches und MarktKnow-how sind einerseits auf mehrere Personen und Organisationen verteilt, diese arbeiten jedoch gemeinsam als Projektteam intensiv an der Entwicklung ihres Unternehmens und sie müssen, die unterschiedlichen Interessen im Auge behaltend, das gemeinsam festgelegte Ziel erreichen. Das hat zur Folge, dass (Investitions-)Entscheidungen nicht durch abstrakte Risikomodelle, sondern durch gemeinsame von Emotionen begleitete Einschätzungen, oft intuitiv, getroffen werden. Diese persönliche Risikobeurteilung lässt sich nicht dadurch beeinflussen, dass man beispielsweise weiß, wie viele Gründer, statistisch betrachtet, das dritte Geschäftsjahr wirtschaftlich nicht überleben und welche Häufung von Fehlern die Insolvenzstatistiken anführt. Aus den individuellen Einschätzungen sind gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Denn wenn irgendein Wirtschaftspartner, der Unternehmer 9, die Bank, die Fördergeber beziehungsweise ein wichtiger Kunde, Lieferant oder auch nur ein (oder mehrere) Mitarbeiter die Möglichkeit des (Total-)Verlustes seines Anteils am Geschäftsmodell intuitiv wahrnimmt und sich nicht vom Gegenteil überzeugen lassen kann, wird das Projekt meiner Ansicht nach sehr schnell unfinanzierbar, weshalb ich gerne den Begriff »Schicksalsgemeinschaft« für solch eine mehrere Jahre dauernde Kooperation verwende. 8 Siehe Glossar 9 Worüber oft diskutiert wird, wird hier als meine Entscheidung angeführt: Im Text wird aus Gründen der Einfachheit und dadurch besseren Lesbarkeit bei geschlechtsspezifischen Begriffen überwiegend die männliche Form verwendet. Als jemand, der nach den Grundsätzen von Gender Mainstreaming zu leben sich bemüht, versuche ich die Unternehmerin beziehungsweise den Unternehmer zu erreichen, ohne orthografisch unkorrekte und den Lesefluss beeinträchtigende Formen wie UnternehmerIn usw. zu verwenden. »Die überwiegend verwendete männliche Form versteht sich als explizit geschlechtsneutral. Frauen sind an den entsprechenden Stellen mit eingeschlossen« (siehe auch www.kwf.at, 27. 1. 2009).
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Einleitung
Es geht auch ohne Venture Capital, aber wie?
Das Modell mit dem öffentlichen Wagnis- beziehungsweise Risikokapital wäre also zweifellos sinnvoll, aber geht es auch ohne? In Ermangelung von Venture Capital und Business Angels habe ich mein Projekt so ausgerichtet, dass ich in erster Linie erfolgreiche Unternehmen befragt habe, die sich weitgehend ohne Venture Capital internationalisiert und als kmu den Internationalisierungsprozess gestartet haben. Es wurde die Kapitalknappheit zwar immer wieder erwähnt, doch nicht nur einseitig, also nur als Mangel, sondern auch als Chance. Der Mangel an Kapital war also vorhandenes, selten offen ausgesprochenes Kriterium bei Entscheidungen.10 In diesem Bewusstsein haben sich, so eine weitere Hypothese, bei meinen Interviewpartnern jene Fähigkeiten entwickelt, die ich als unternehmerische Fähigkeiten oder als »Unternehmer sein« bezeichne, nämlich der Erfahrungsschatz, der sich aus zeitgleich stattfindenden kurz- bis langfristig angelegten Anstrengungen, mit Risiko umzugehen, angesammelt hat. Auf diese Unterschiedsetzung – mit eigenem Erworbenen Neues zu erreichen und dabei dieses einzusetzen: zu riskieren – habe ich bei der Auswahl meiner Interviewpartner Wert gelegt. Die akkumulierten Erfahrungen aus vielen Erlebnissen haben diese Persönlichkeiten geprägt. Die meisten meiner Interviewpartner haben in ihrer Unternehmenslaufbahn Höhen und Tiefen erlebt. Und obwohl zwar seltener über das Scheitern gesprochen wird, werden einseitige Erfahrungen als nicht ideal angesehen: »Aus Misserfolgen kann man ja viel mehr lernen als aus Erfolgen, Erfolge machen die Leute ja auch ein wenig deppert, weil sie glauben, es geht eh ewig so weiter und Misserfolge gibt es nicht, aber die gibt es auch.«11 Im Umgang mit Risken wird bei unternehmerischen Entscheidungen von der Durchschaubarkeit der Zukunft ausgegangen – der näheren Zukunft bei Aufträgen und der weiteren bei Investitionsentscheidungen. Das ist von Aktualität, weil wir eine Zukunft erwarten, die auf eine weitere Zunahme des Wettbewerbs auf der Produktebene, eine Erhöhung des Innovationsdrucks und Zunahme der Unsicherheit im Bereich der (Mindest-)Renditen für die Definition von wirtschaftlichem Erfolg hinausläuft, lauter Risken, innerhalb derer durch Entscheidungen die großen und die kleinen Chancen wahrgenommen und realisiert werden wollen. Nützen dafür Internationalisierungstheorien und Modelle? Bei Internationalisierungsentscheidungen schlagen Theoriemodelle ein relativ einheitliches Vorgehen vor. Die ersten Vorvermutungen ergaben jedoch, dass in der Praxis jedes Unternehmen sein eigenes Modell hat. Ich hatte nie die 10 Der Titel der Dissertation lautet: »Internationalisierungsentscheidungen von kleinen und mittleren Unternehmen«.
7
Einleitung
Absicht, explizit danach zu fragen, warum das so ist und das Theorieangebot und die empirischen Untersuchungen den Unternehmern unbekannt sind. Weil kein Interviewpartner auf eigenes Wissen in Bezug auf Theorien verwies, war jedoch meine Neugierde geweckt, aber durch bloßes Abfragen hätte ich die Chance vertan, zu weiterführenden Erkenntnissen zu gelangen. Denn: »Wer sich fragend auf den Weg begibt, auf Menschen zugeht und ihnen Fragen stellt, muss zugleich um die Konsequenzen des Fragen-Stellens wissen.«12 Und erst damit werden Nachdenk-, Entscheidungs- und dadurch Veränderungsprozesse in Gang gesetzt. Denn durch offene Fragen, so meine Vorstellungen, können sich viel mehr Lerneffekte ergeben und darauf aufbauend können sich weitere Fragen für Entscheidungen herauskristallisieren. Damit ist sowohl für mich als Interviewer als auch für die Interviewten ein Nutzen aus der Interviewsituation heraus gegeben. Und mit der Methode des offenen (narrativen) Interviews möchte ich zusätzlich signalisieren, dass über das Unternehmen und das Projekt hinaus Interesse am Menschen und seiner unmittelbaren persönlichen Umgebung besteht. Denn darin, so eine weitere Vermutung, offenbaren sich die wesentlichen Einflüsse auf Entscheidungen, weshalb verschiedenste Modelle erkundet wurden. Da im Spannungsfeld der Antriebskräfte der Internationalisierung und dem Entscheidungsträger das jeweils individuelle Modell entsteht, empfehle ich einen Visionsentwicklungsprozess sowie sich genügend Zeit für Strategie zu nehmen. Die Modellerstellung einerseits grundsätzlich zu reflektieren und sie andererseits immer wieder mit der Praxis zu vergleichen, wird dadurch ermöglicht, dass ich die verschiedenen Auszüge aus den Interviews in Bezug auf Modelle gegenüberstelle. Dabei kann sich herausstellen, dass weiterhin viele Widersprüche »aufstehen«, dass also zu entscheiden ist. Wie zum Beispiel: die Bewahrer gegen die Veränderer, wo die einen ohne die anderen gar nicht existieren können; die Sorgen, dass sich Normen nicht (mehr) aufrechterhalten lassen. Verschiedene das Unternehmen umgebende Mentalitäten werden angesprochen und die Unternehmenskultur, von der es, so ein Interviewpartner, nur eine geben kann; der Umgang mit einem noch viel strengeren Hierarchieverständnis13 als in unserer westeuropäischen Kultur etc. Die vielen Zitate aus den Interviews werden darauf hinweisen, dass Kultur ein Thema ist, welches in das Unternehmensmodell hereinzunehmen ist, der Begriff aber vieles umfasst und dadurch nicht immer klar ist, was gerade gemeint ist. 11 Interview x, S. 114 12 L. Krainer, Einführung in die Interventionsforschung, Vorlesungsskriptum, Klagenfurt 2007, S. 16 13 Vgl. G. Schwarz, Die »Heilige Ordnung« der Männer. Hierarchie, Gruppendynamik und die neue Rolle der Frauen, Wiesbaden 2005
8
Einleitung
Entscheidungsmodelle
Durch die Zusammenschau von Praxisgeschichten und Theorien bietet es sich an, darauf einzugehen, wie Entscheidungen des Individuums getroffen werden. Die Voraussetzung dafür ist, ein Mensch-Entscheidungsmodell zu finden, welches, weil wir uns damit leichter tun, Verortungen von zutiefst menschlichen Entscheidungen ermöglicht. Und weil Lehrbücher viel zu oft ausschließlich auf die Ebene der Managemententscheidungen abzielen, habe ich mich dafür entschieden, ein Entscheidungsmodell aus asiatischen Philosophien zu importieren, ohne auf asiatische Heilslehren einzugehen. Das Modell der Chakren, welches den ganzen Menschen in den Mittelpunkt stellt, wird hier angewendet. Das Modell der Chakren beginnt bei der Existenz und »endet« bei der Spiritualität – es gibt also die Struktur vor. Die Existenzthematik wird beispielsweise dann benötigt, wenn die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht, weil die Betriebswirtschaft gerade dann und zu Unrecht ausgeblendet wird. Oder wenn die soziale Absicherung eines Familienmitglieds gesichert werden soll, dann steht die Rendite im Hintergrund. (Investitions-)Entscheidungen, die über das eigene Leben hinaus wirken und daher vom Entscheider nicht mehr beeinflusst werden können, werden in diesem Modell mit spirituellen Aspekten verknüpft. Man gerät damit sehr nahe an die verschiedenen Religionen, wo eine, nämlich das Christentum, sehr interessant in Bezug auf moderne Antworten auf Komplexität, Selbstverantwortung bis hin zum Qualitätsmanagement ist. Dies alles ist als Angebot zu werten. Und damit gewinnen jene Wissenschaften, welche diese »Zwischenbereiche« abdecken, die sich auch interdisziplinäre Wissenschaften nennen, an Bedeutung. Sie sind es also, die es erlauben, breiter, hintergründiger und insgesamt ausführlicher die Gedanken eines anderen Menschen auf sein eigenes Modell hin zu überprüfen, damit aber auch zu disziplinorientiertem Modellfortschritt beitragen. Deshalb ist es keinesfalls abwegig, sondern meiner Ansicht nach unbedingt notwendig, sich mit Widersprüchen (siehe Rendite/ Soziales, Leben/Tod usw.) auseinanderzusetzen. Denn, so eine Feststellung, es ist ja gerade dieses Denken in Widersprüchen, das zu Entscheidungen befähigt. Und damit soll klargelegt werden, dass es neben den wirtschaftsrelevanten Aspekten weitere Aspekte gibt, die bei Einscheidungen einzubeziehen sind. Ich habe ein Interviewportfolio von mehr als 20 Unternehmern in drei österreichischen Bundesländern zusammengestellt. Daraus entstanden fast 300 Interviewseiten14, die es mir ermöglicht haben, Hypothesen zu bilden, die (Investitions-) Motive zusammenzustellen und mein Inhaltsverzeichnis zu gestalten. Ich folgte dabei einer Hypothese von Peter Heintel, dass sich Organisationen um ein Problem herum konstituieren (sollen), um zu besseren Lösungen zu gelangen. Dies gilt also gleichermaßen für die »Mini«-Organisation eines Dissertations9
Einleitung
vorhabens wie für ein Unternehmen. Ich habe also versucht, aus den einzelnen Geschichten Zusammenhänge zu den Modellen anzubieten. Als Schritt zur Aufklärung und nicht als vorgegebene Lösung. Dafür hat sich die essayistische Darstellungsform angeboten. Durch die Form kommt es zu Anregungen in lesbaren, abgegrenzten, jedoch nicht zu Ende fühbaren Themen, die die Neugierde und das Interesse wecken sollen, welche die eigene Geschichte reflektieren und die grundsätzlich unbestimmte Zukunft näher rücken lassen. Die essayistische Struktur ermöglicht Zugänge von mehreren Seiten, soll mit Querverweisen die Neugierde weiter beflügeln und durch das Glossar interdisziplinäres Verständnis unterstützen. Was mir dabei besonders wichtig ist: Ich habe nicht versucht, widersprüchliche Aussagen in Einklang zu bringen, sondern habe mich dafür entschieden, sie einfach so stehen lassen, damit der interessierte Leser oder der Entscheidungsträger die für ihn bessere Variante aussuchen und sich für sie entscheiden kann. Zwischen den Widersprüchen liegt ein ganzes Kontingent von wählbaren Varianten. Ich will dies am Beispiel Kooperationen und Konkurrenz erklären. Derzeit wird ziemlich einseitig das Konkurrenzmodell, also der Wettbewerb, betont. Dennoch wird beides benötigt, um Erfolg zu haben: Kooperation und Konkurrenz. Denn gerade bei riskanten Forschungsprojekten kooperieren auch Konzerne, die auf anderen Geschäftsfeldern in scharfem Wettbewerb stehen, natürlich vor allem, um ihre Risken aufzuteilen. Das bedeutet aber sowohl bezogen auf die einzelnen Menschen als auch bezogen auf die Unternehmung, dass man beides will, Kooperation und Konkurrenz. Ein ähnliches Begriffspaar bilden Gemeinschaft und Eigentum, wo es auch Sinn macht, sich nicht immer für eines zu entscheiden. Dafür müssen wir die Fähigkeit entwickeln, Widersprüche für ein spezielles Problem auf Zeit gut zu entscheiden. Es gilt damit auch die Beherrschung von Widerspruchsmanagement nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern auch für das Unternehmen. Diese Einsicht findet man auch in den Managementhandbüchern, wenn es beispielsweise heißt, man soll nicht nur die Konkurrenten beobachten, sondern auch die Komplementäranbieter 15. Oder wenn es heißt, dass für komplexe Probleme Vertrauen erforderlich sei, um sich ihrer annehmen zu können. Dennoch ist es für den Erkenntnisfortschritt sehr wichtig, sich auch mit den Theorien (hier der Internationalisierung) auseinanderzusetzen, um für die (weitgehend ignorante) Praxis das 14 Die Interviews stehen nur meinen Betreuern Peter Heintel und Reinhard Schwarz zur Verfügung. Ich habe allen Interviewpartnern versprochen, ihre Anonymität zu wahren, und ersuche die Leser um Verständnis. Die Interviews sind nicht ohne Verlust von Kontexten vollständig anonymisierbar. So würde beispielsweise die Veränderung der Branche zu Missverständnissen führen. 15 Vgl. A. Hax, D. Wilde, The Delta Project, New York 2001, S. 11
10
Einleitung
Theorierepertoire aufzuzeigen.Und so sieht also mein Modell aus, um einen Zusammenhang von (Internationalisierungs-)Geschichten und »Reflexionen über Prozesse und Vorgehensweisen«16 darzustellen. Die einzelnen Kapitel sind also von links nach rechts entstanden, das jeweils nächste ergab sich aus den zwei vorhergehenden. Am Anfang und Ende des Prozesses steht also die unternehmerische Praxis; das soll auch die zyklische Beeinflussung des Ganzen erklären:
Praxis Interviews, Auswertungen Grundlegungen Die Darstellungsform
Ein Entscheidungsmodell für den Menschen (Chakren)
Modelle und ErfahrungsAngebote Modelle und Wirklichkeiten Modelle und Praxis Praxismodelle Es bleibt viel zu entscheiden Praxis Umsetzung
Unübersichtlichkeit der Information Theorien der Internationalisierung von Unternehmen Investitionsbegriff, eine Annäherung Investitionen in der Realwirtschaft – eine Vorentscheidung
Treiber: Rendite, Kapital, Akteure, Rahmenbedingungen, Familie, Wachstum, Wirtschaftspolitik, Visionsprozess, Strategie
Hinweise: Die andere Vertikalität Warum sich KMU auf die Internationalisierung vorbereiten sollen Förderungen für KMU Konkurrenz und Kooperation Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister
Ein Interventionsmodell zur praktischen Erforschung von Internationalisierungsentscheidungen von KMU (eigene Darstellung)17
16 P. Heintel, L. Krainer, I. Paul-Horn (Hrsg.), Zur Grundaxiomatik der Interventionsforschung. Präambeln für eine andere Wissenschaft, Klagenfurt 2005, S. 89 17 Der Kreislauf soll einerseits darstellen, wie der Prozess der Themenzusammenstellung aus den Interviews heraus entstanden ist, und darauf hinweisen, welche Einflüsse die Bearbeitung »später« im Prozess angesiedelter Themen insbesondere auf die Praxis, aber auch auf »vorher« bearbeitete Themen haben können.
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Einleitung
Das Modell ermöglichte es mir, einerseits auf die organisationalen und kommunikativen Voraussetzungen von Interdisziplinarität und Transdisziplinarität 18 einzugehen, andererseits Unternehmen ein praktikables Angebot für die zweckgerichtete Organisation bereitzustellen. Denn ein Unternehmen kann sich innerhalb der Eigenlogik der Wirtschaft nicht auf längere Nachdenkpausen einlassen, ohne den Betrieb wirtschaftlich zu führen. Es muss innerhalb des kapitalistisch technologischen Universalmodells seine eigene Strategie erfolgreich umsetzen, also sein Produkt im Rahmen seiner Organisation zielgerichtet produzieren und platzieren. Mit dem methodischen Vorgehen entstanden die wichtigsten Hinweise auf die Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Praxis. Obwohl ich über weite Strecken dem Grundsatz gefolgt bin, dass »das Narrative […] traditionell durch Struktur, nicht durch die Vermittlung direkter Ratschläge [heilt]19, habe ich auch Empfehlungen abgegeben – wenn mir der ursprüngliche Sinn durchging, bis hin zu Appellen, wenn sie mir wichtig erschienen. Denn bei manchen Ratschlägen, die ich aus den Interviews erhalten habe, schien es mir bedeutsam, sie den anderen Interviewpartnern und einer interessierten Leserschaft zur Verfügung zu stellen. Folgerungen
Die wichtigsten Überlegungen fasse ich dann in den praktischen Anregungen zusammen: Die Organisation der Wertschöpfungskette erfordert neue, vom Eigentum differenziertere Betrachtungen. Kooperationskompetenz ist neben dem Konkurrenzmodell eine wichtige Kompetenz zur Internationalisierung geworden. Aber auch die »zu Hause gebliebenen« kmu, also jene, die ihre Geschäft im lokalen oder regionalen Umfeld machen beziehungsweise sich als Zulieferer der ansässigen Industrie verstehen, sollen sich auf die Auswirkungen der Internationalisierung einrichten. Des Weiteren betrachte ich die wichtige, aber widersprüchliche Bedeutung der Wirtschaftsförderungen. Und ich beschäftige mich sowohl mit den wirtschaftspolitischen Hintergründen der Wirtschaftsförderung als auch mit möglichen Innovationen dieser. Und wegen der Vielfalt der Interessen wird eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister angeboten, um Gemeinsamkeiten und Widersprüche für Verhandlungen sichtbar zu machen. Doch am Ende bleibt noch viel offen. Klagenfurt, im Jänner 2010 Erhard Juritsch 18 Siehe Glossar 19 R. Sennett, Der flexible Mensch, Berlin 2006
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Der gangbare Weg – Praxis ohne Theorie
13 E. Juritsch, Internationalisierungsentscheidungen von kleinen und mittleren Unternehmen © Springer-Verlag/Wien 2011
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Grundlegungen zur Bearbeitung des Themas – Internationalisierungsentscheidungen von KMU »Es gibt derzeit ein dominantes Wirtschaftssystem (den weitgehend finanzmarktbestimmten Kapitalismus), das eine eigene Existenzlogik entwickelt hat; zu ihr gehören Annahmen, Axiome, Modelle, Gesetzlichkeiten. […] Sie (lassen) in ihrem globalen Ausgriff kein Einzelunternehmen ›ungeschoren‹. […]. Wer gegen diese Gesetze verstößt […], ist ›weg vom Markt‹, unterlegen im Konkurrenzkampf und Verdrängungswettbewerb. Ob das dem Einzelunternehmen (Teil) passt oder nicht, es muss sich den Gesetzen (dem Ganzen) unterwerfen, selbst wenn es Einsicht in Unvernünftigkeit und Sinnlosigkeit gibt.«1 Hineinführung
Zum Eingangszitat passen auch noch die Begriffe Neoliberalismus, dritte industrielle Revolution, die Vorherrschaft von Technologie und Finanzkapital. Diese Bezeichnungen umschreiben das beginnende 21. Jahrhundert in Bezug auf die globalisierte Ökonomie. Und auch mein Thema assoziieren viele Menschen mit diesen Begriffen. Doch zu Dominanz und Vorherrschaft gesellt sich durch meine Schwerpunktlegung auf kmu (kleine und mittlere Unternehmen) ein Mangel, und zwar in erster Linie Mangel an Kapital. Welchen Ersatz gibt es für Kapital? Sind das zweitbeste Lösungen oder verbinden sich mit den Substituten auch Stärken? Meiner Ansicht nach sind es beides. Eine der Möglichkeiten, Kapital zu substituieren, ist sich zu internationalisieren. Auf die Probleme und die Chancen dieser Möglichkeit werde ich hinweisen. Dafür gibt es keine Eindeutigkeiten und daraus folgend keine eindeutigen Rezepte, wie damit umzugehen ist. Denn die Praxis im unternehmerischen Alltag ist nicht mehr ein Thema einer wertfreien betriebswirtschaftlichen Logik, sondern ein Thema, das dazwischen angesiedelt ist – zwischen dem einen Extrem, es allen recht machen zu wollen, und der theoretischen Widerspruchsfreiheit. Die Praxis, die hier gemeint ist, lässt sich gut mit den Gedanken von Peter Heintel erklären: »Zwischen Praxis und Theorie lässt sich vielleicht eine dritte Zwischenebene, die des Verhaltens, des Charakters, der praktischen Klugheit, einschieben. Hier könnte philosophische Praxis sowohl individuell wie kollektiv organisiert einen Ort haben. Vielleicht ließe sich dann sogar von philosophischen ›Tugenden‹ reden, ließe sich Weisheit genauer bestimmen.«2 1 P. Heintel, Widerspruchsfelder, Systemlogiken und Grenzdialektiken als Ursprung notwendiger Konflikte, in: G. Falk, P. Heintel, E. E. Krainz (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Wiesbaden 2005, S. 31 2 P. Heintel, Philosophische Praxis, http://www.unikum.ac.at/~hstockha/neu/Think_ praxis.pdf (10. 2. 2008)
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Die Themenspezifizierung weist auf Schwerpunkte hin und schließt damit andere aus. Es werden kmu beforscht im Gegensatz zu großen Unternehmen; es wird die Realwirtschaft im Gegensatz zur Finanzwirtschaft ausgewählt; es werden Unternehmen befragt, die sich internationalisieren, im Gegensatz zu jenen, die »zu Hause bleiben«. Ganz allgemein formuliert, kann ohne solche Voraussetzungsentscheidungen kein Forschungsprojekt umgesetzt werden. Die nächste persönliche Interpretation umfasst die Rahmenbedingungen der globalisierten Ökonomie. Für ein einzelnes kmu sind diese Rahmenbedingungen nicht veränderbar. Energie in die Veränderungen von Rahmenbedingungen zu investieren, ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe und nicht die zentrale Aufgabe eines kmu. Denn wenn es um ein einzelnes Unternehmen geht, ist sowohl scheitern als auch reüssieren unter diesen Rahmenbedingungen möglich. Sinn macht jedoch eine kritische Herangehensweise an das wirtschaftlichtechnologische Universalmodell, was meiner persönlichen Haltung entspricht. Mit Hinweisen auf und Zitaten aus Erfolgs- oder Misserfolgsgeschichten und korrespondierenden Themen werde ich versuchen, Anregungen und Bedingungen für die Möglichkeiten einer erfolgreichen Internationalisierung aufzubereiten. Zwischen den Segnungen und den Bedrohungen der Globalisierung müssen Unternehmer und Unternehmerinnen ihre Entscheidungen treffen. Aber auch ich habe entschieden, was von dieser widersprüchlichen Wirtschaftsumgebung beschrieben wird. Diese Vorgehensweise betrachte ich als Angebot an die Individualität der kmu. Begründet durch meine Herkunftsdisziplin, die Volkswirtschaft, treffe ich für dieses Angebot weitere Festlegungen: Das Unternehmen ist eine mehr oder weniger funktionierende Organisationsform zur Abdeckung (knapper) menschlicher Bedürfnisse nach Produkten und Dienstleistungen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Die Wachstums- und die Innovationsfähigkeit sowie die Erschließung neuer Märkte und der Ausbau von Marktanteilen sind Kernelemente unternehmerischen Handelns. Das Forschungsinteresse ist auch im uneinheitlichen Theorieangebot begründet, denn die vielen wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen haben kaum einen Erkenntnisfortschritt gebracht. Das ist aber nur die eine Seite. Die Entscheider von Internationalisierungsprojekten haben kein Interesse an Internationalisierungstheorien und Standortanalysen – das ist die andere Seite. Im Unterschied zu anderen wirtschaftswissenschaftlichen Themen, wie beispielsweise Rechnungswesen und Controlling oder Wirtschaftsrecht und Finanzierung, kann man hier von zwei Welten sprechen, die einander nicht berühren. Hier hat sich die Wissenschaft von der Wirtschaft abgekoppelt, aber auch die Praxis interessiert sich nicht für Theorien, Modelle und Analysen, wir haben es also mit einer doppelten Unwissenheit zu tun. Weil aber an diesem Zustand 15
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niemand Schuld hat und es auch keine gegenseitigen Schuldzuweisungen gibt, liegt es auf der Hand, einfach beide Welten näher aneinanderrücken zu lassen und dafür ein konkretes Angebot bereitzustellen – und die verschiedenen wissenschaftlichen Erkenntnisse um die Probleme herum zu organisieren. Das ist eine wesentliche Absicht dieser Arbeit. Es gibt also nicht die ideale Umsetzung einer Internationalisierung. Es stellen sich in diesem Zusammenhang Fragen wie: Warum war der Unternehmer nicht erfolgreich, wo er doch scheinbar alles richtig gemacht hat? Kann eine zweckgerichtete Organisation scheitern? Anhand von anfänglichen Überlegungen zur Internationalisierung wird die Praxis den Theorien und Modellen gegenübergestellt, und daraus wird versucht, Zugänge zu Entscheidungen zu finden. Modellhafte Angebote sollen es den Entscheidungsträgern ermöglichen, ihre Entscheidungen zu verorten. Die Felder Antriebe und in Organisationen eingebettete Entscheidungen umrunden die Entscheidungsthematik. Die Breite des Themas und der Anspruch, verschiedenste Überlegungen für Entscheidungen bei Internationalisierungsvorhaben anzubieten, macht es erforderlich, Begründungen dafür zu finden, warum etwas bearbeitet wird und etwas anderes nicht. So sind auch Redundanzen gewollt, sie sollen Verständnis und Nutzenstiftung bei den Adressaten – den Unternehmern – durch die verschiedenen Zugänge zu einzelnen Bereichen der Internationalisierung erleichtern. Mit der Unübersichtlichkeit der Informationen zu Internationalisierungsentscheidungen sollen die Entscheidungsträger neben ihrer täglichen Arbeit zurechtkommen. Aus diesen Überlegungen heraus ist die Darstellungsform 3 entstanden. Mit Essays wird versucht, Bereiche in leichter Form beschreibbar zu machen, ohne den Überblick über das Ganze beziehungsweise das Relevante zu verlieren. Zu Entscheidungen ist anzumerken, dass diese in mehrfacher Weise präsent sind. Einerseits sind Entscheidungen wesentliches Element des Forschungsgegenstandes – der kmu. Sie sind Voraussetzung für die Internationalisierung. Andererseits sind meine eigenen Entscheidungen in die Arbeit eingebettet, indem sie Grenzen ziehen, ohne Themen ganz abzuschließen. Wie werden sie also in Bezug auf das Thema in dieser Arbeit getroffen? In der Auseinandersetzung mit der Internationalisierung von Unternehmen sowie deren Chancen und Risken ist der Investitionsbegriff zu beschreiben. Mit dem Begriffsduo Chancen und Risken wird auch die Frage nach der Rendite und dem Haftungskapital beziehungsweise der Risikokapitalposition gestellt. Ich stelle mir bei der in den entsprechenden Essays gewählten Herangehensweise die Frage, ob es Sinn macht, für die Rendite und das Risikokapital im Zusammenhang mit der 3 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Der Essay als Darstellungsform«.
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Internationalisierung von kmu auch nach anderen als ökonomischen Antworten zu suchen. Daraus hat sich wiederum ergeben, dass emotionale Motive zu beachten sind. Man findet in den Emotionen Begründungen für das Tun, gleichzeitig können sie rationale Dimensionen zudecken.4 Zu Investitionen »werden häufig private und emotionelle Gründe genannt (zum Beispiel Verwandtschaftsbeziehungen oder der Wunsch, in einem möglichst angenehmen Umfeld zu leben und zu arbeiten). Mitunter haben sie allerdings auch wenig mit dem Land selbst zu tun als vielmehr mit intrinsischen Motiven (zum Beispiel einem Unternehmergeist, der generell nach Expansion strebt).« 5 Der Titel der Forschungsarbeit kann in einer Dreiecksbeziehung erklärt werden. Die Inhalte werden einerseits durch die Interviews festgelegt, sind aber andererseits meine ganz persönliche Auswahl, insbesondere auch daraus, dass die Theorieangebote in der Praxis keine Rolle spielen. Die daraus abgeleiteten »Zweierbeziehungen« sind: 1. Internationalisierung – Entscheidungen 2. kmu – Entscheidungen 3. kmu – Internationalisierung Entlang dieser Beziehungen wurden Einstiegsfragen für die Interviews formuliert. Den Ausgang bildet das eigene Anliegen und wie es dazu gekommen ist. Diese Einstiegsfrage(n) stellen eine Verbindung zum ausgewählten Interviewpartner, seinem Unternehmen beziehungsweise seinem Projekt her, sie werden jedoch sehr offen gestellt, es wird also nicht suggestiv in eine Richtung gefragt, um eine bestimmte Antwort zu erhalten. Ich habe mich in den letzten drei Jahren mit folgenden Fragestellungen beschäftigt: • Wie internationalisieren sich kleine und mittlere Unternehmen? • Wie entscheiden Menschen – oft als Alleinentscheider oder innerhalb der Familie? • Wie unterscheiden sich Internationalisierungsprojekte von kmu von Internationalisierungsentscheidungen in Konzernen? • Was macht ein Unternehmen als Zulieferer, als Exporteur, als weltweit tätiger Nischenanbieter im Anlagenbau, worauf kommt es an? • Welche Veränderungen sind im Unternehmen durch die Internationalisierung passiert? • Welche Ereignisse sind für den Erfolg beziehungsweise Misserfolg relevant? 4 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Investitionsmotive der Internationalisierung«. 5 P. Heintel, L. Krainer, R. Lerchster, M. Ukowitz, Investitionen in Kärnten. Ein Ergebnisbericht, 2007, S. 13
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Internationalisierung von kmu, so würde man annehmen, durchlaufen logische Prozessschritte, wie man sie auch bei Unternehmenskäufen kennt. Diese typischen Schritte einer »m&a-Transaktion, wobei die einzelnen Schritte durchaus parallel oder auch einmal in vertauschter Reihenfolge ablaufen« 6, werden zusammengefasst folgendermaßen angeführt: »Abklärung der strategischen Ziele und Motive, Planung des Ablaufs, Detaillierte Analyse des zu erwerbenden Unternehmens durch eine Due Dilligence, Bewertung des Kaufobjekts, Rechtliche Gestaltung der Transaktion, […] Sichtung und Bewertung von Schutzrechten, Definition und Umsetzung des Integrationsprozesses (Post Merger Integration), Neuausrichtung der Organisationsstrukturen […].« 7 Man möchte meinen, dass auch Internationalisierungsprojekte nach solchen oder ähnlichen geplanten und strukturierten Abläufen vorbereitet, entschieden und umgesetzt werden. Das hat sich durch die Interviews nicht bestätigt. Das führt zur (Vor-)Hypothese, dass Abläufe zur Internationalisierung bei kmu sehr unterschiedlich gestaltet werden, und dass sie eher durch im Unternehmensalltag unmittelbar wahrgenommene (Kapital-)Knappheit ausgelöst werden, wie dies ein Unternehmer im Zusammenhang mit seinen Internationalisierungsbestrebungen treffend formulierte: »Wenn man knapp ist an Mitteln, dann setzt man diese Mittel so bewusst und so gezielt ein und ist nicht verführt.« 8 Auch Geschäftsgelegenheiten sind eine Ursache für Internationalisierungsprojekte, wie sich aus der Befragung von zehn Unternehmen, die erstmals in Kärnten ein größeres Investment umgesetzt haben, ableiten lässt. 9 Diese Vermutung wurde bereits im Auftrag zu Befragung formuliert, weil es »Im Interesse des Auftraggebers lag […], einerseits zu erfahren, welche ökonomischen Aspekte für die Durchführung von Investitionsprojekten ausschlaggebend sind, und andererseits zu erforschen, welche nicht-ökonomischen Faktoren eine Rolle spielen und welche Bedeutung den Rahmenbedingungen zukommt, unter welchen Investitionsvorhaben durchgeführt werden.« 10 Aufgrund der Ergebnisse in diesem Bericht war es naheliegend, weitere Unternehmer zu befragen. Dabei wollte ich herausfinden, wie kmu aus Kärnten, Oberösterreich und der Steiermark vorgehen, wenn sie ins Ausland gehen: Wie treffen kmu Entscheidungen zur Internationalisierung? Das einzelne Interview wurde vom Ablauf her genau geplant. Aus meinem Forschungsinteresse heraus suchte ich nach Unternehmen, die sich internationalisiert haben. Vollgepackt mit Theorieangeboten machte ich mich also auf den 6, 7 U. Balz, O. Arlinghaus (Hrsg.), Das Praxisbuch Mergers & Acquisitions, München 2003, www.barracudalounge.com/fh-muenster/Texte/2003/2003_03_m_a_buch.html 8 Interview xi, S. 127 9 Vgl. Heintel et al., Investitionen in Kärnten 10 Ebd., S. 3
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Weg zu meinen Interviewpartnern, ausgehend von eigenen Recherchen, Empfehlungen meines Begutachters aus Oberösterreich, Kollegen und Interessensvertretungen wie beispielsweise der steirischen Industriellenvereinigung. Die potenziellen Interviewpartner wurden schriftlich angefragt und mit ihnen wurde – so sie Interesse bekundeten – ein Termin vereinbart. Dies mit der Absicht, mit einem Portfolio von 20 – 25 in diesen drei Bundesländern durchgeführten Interviews die in dieser Arbeit aufgestellten Thesen und Bearbeitungen zu stützen. Als Gegenleistung bot ich das transkribierte Interview, einen einzelnen Essay oder auch mehrere und bei Interesse die ganze Arbeit an. Als weitere Aktivitäten kann ich mir vorstellen, neue Bildungsangebote für Unternehmer, für Interessensvertretungen und für die Wirtschaftsförderung auszuarbeiten. Damit will ich versuchen, die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überwinden. Doch vorerst ist zu beschreiben, in welchem weltwirtschaftlichen Umfeld Unternehmen agieren beziehungsweise auf welches sie reagieren müssen, wollen sie erfolgreich sein. Bedingungen
Die wirtschaftlichen Bedingungen für Produktion und Dienstleistungen in Europa sind gekennzeichnet von der Unvereinbarkeit eines hohen Einkommens- und Wohlstandsniveaus mit dem Kostendruck in der Produktion. Eine Folge davon sind Auslagerungen der Produktion nach Asien. Was wird also in Europa passieren? Ich zitiere hier die Rezension eines Buches von Jan Ross 11 in einem Ö1-Feature. Ross stellt zur Zukunft der westlichen Welt die Frage: »Was bleibt von uns?« »Anzeichen für diesen Niedergang gibt es genug, vor allem im Bereich der Wirtschaft. Wer hätte es zum Beispiel vor einem Jahr für möglich gehalten, dass Staatsfonds aus Asien und den arabischen Ländern sich in großem Maße an europäischen und us-amerikanischen Banken beteiligen. Heute sind die durch Spekulationen geschwächten Institute froh, dass die Fonds aus ehemals belächelten Staaten sie vor dem Untergang retten. Bis Mitte der 1990erJahre wurde China in Westeuropa ausschließlich als riesiger Absatzmarkt gesehen. Die Situation hat sich in nur einem Jahrzehnt komplett gedreht. China ist zur Fabrik für die ganze Welt geworden. Im Jahre 2000 wurden 30 % aller neuen Spielwaren in China produziert. Fünf Jahre später waren es bereits 75 %. 1996 hatte das Reich der Mitte elektronische Geräte, also Computer, Mobiltelefone, cd-Player und Ähnliches im Wert von 20 Milliarden us-$ auf den Weltmarkt gebracht. 2004 hatte sich dieser Wert auf 180 Milliarden verneunfacht. Wenn China die neue Fabrik der Welt ist, dann macht sich Indien auf, ihr Büro und 11 Vgl. J. Ross, Was bleibt von uns?, Berlin 2008
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Labor zu werden. Indiens Wachstumskern ist die Dienstleistungs- und Wissensökonomie. Der amerikanische Chiphersteller Intel beschäftigt fast 3.000 Leute in Indien. Die us-Zulassungsbehörde für Medikamente erkennt 75 Pharmafabriken im Lande an. So viele wie nirgendwo sonst außerhalb der Vereinigten Staaten. Angestellte, die in der Zentrale von General Motors in Detroit die Null wählen, glauben normalerweise, dass die Telefonvermittlung im Erdgeschoß in der Lobby sitzt. Tatsächlich ist sie knapp 13.000 km entfernt. ›Guten Tag, hier General Motors, ich heiße Andy, wie kann ich Ihnen helfen?‹, sagt er, wenn er in Bombay den Hörer abnimmt. Im globalen Maßstab waren die Bewohner des Westens schon immer eine Minderheit. Aber lange Zeit stellten sie die Avantgarde dar. Nun aber bestehe die Gefahr, so Jan Ross, dass wir nicht mehr die Minderheit an der Spitze des Fortschritts sind, sondern eine privilegierte Klasse von gestern, die krampfhaft versucht, die alten Vorrechte zu verteidigen. Die jahrhundertelang selbstverständliche Vorstellung, dass alle Entwicklung den Weg über den Westen nehmen muss, ist zum Anachronismus geworden. Immer öfter werden wir, was wir überhaupt nicht gewohnt sind und was sich schlimmer anfühlen kann, als attackiert zu werden, Zuschauer.« 12 Jan Ross sieht trotz dieser pessimistischen Einschätzung in Bezug auf den Produktionsbereich Europa als lebenswerteste Region und als Bildungsregion, ähnlich den Griechen im Mittelmeerraum in den Zeiten des Römischen Reiches. Er beleuchtet im Unterschied zu vielen Autoren beide Seiten der Globalisierung. Denn diese wird glühend befürwortet und ebenso intensiv abgelehnt. Diese widersprüchlichen Meinungen führen zu wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Auseinandersetzungen, welche sich in Büchern, Zeitungsartikeln, Filmen usw. niederschlagen. Meistens wird in den Arbeiten eine einseitig befürwortende oder einseitig ablehnende Position bezogen. Obwohl es spannender und besser ist, die Segnungen und die Bedrohungen – also ihre Widersprüche – nebeneinander stehen zu lassen. Die Globalisierung ist auch Inhalt von Reden von Politikern und Predigten von Klerikern. Künstler und Wissenschafter aller Disziplinen beschäftigen sich mit ihr. Die kritischen Stimmen sind öffentlichkeitswirksam und die daraus entstehenden Bücher haben hohe Verkaufszahlen – es gilt dies genauso für jene Publikationen, welche ihre Vorteile preisen. Während also das Thema in beide Richtungen täglich präsent ist, schreitet der Globalisierungsprozess fort, ohne dass aus den kritischen Tönen wesentliche Ergebnisse für die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Realität zu bemerken sind.13 12 Download vom 13. 6. 2008 (15. 6. 2008) 13 Anmerkung: Nicht einmal die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 führt zu einem grundlegenden Umdenken – oder ist es zu früh diese Anmerkung so zu machen?
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Als Beispiele für globalisierungskritische Bücher seien hier nur zwei angeführt. Sie wurden ausgewählt, weil sie Verkaufserfolge erzielten und damit natürlich auch Teil des Erfolgsmodells sind und zu seiner Verbesserung beitragen. Das eine beschäftigt sich mit den Marken für Konsumprodukte (Brands), das andere mit dem Untergang des Mittelstandes. Erstgenanntes Buch heißt »No Logo« 14 und ist eine Abrechnung mit der Markenpolitik der Konzerne für Konsumgüter. Diese Markenpolitik leistet den entscheidenden Beitrag zum globalen Geschäftsmodell zwischen billiger Produktion in Fernost und dem Verkauf zu hohen Preisen in den westlichen Industrieländern. Die Produktionskosten betragen einen Bruchteil (oft weniger als 10 %) des Verkaufspreises, sodass die Differenz für Markenpolitik, Markenschutz, Werbung, Lobbying und hauptsächlich für den an die Eigentümer (Investoren) auszuschüttenden Gewinn verwendet werden kann. Andererseits ist Markenpolitik in der überwiegend kmu-strukturierten Zulieferindustrie, im Anlagenbau und in vielen weiteren Bereichen von kmu eine Voraussetzung, um sich zu internationalisieren: »Eine Marke muss erschaffen werden. Also noch einmal, ohne eine Marke zu sein, ohne Marken zu haben, wird man sich heute sehr, sehr schwer tun« 15, so der Vorstandsvorsitzende und Miteigentümer eines Industrieunternehmens, das sich auf Bearbeitungsmaterialien und Werkzeuge für die Flugzeug- und Automobilindustrie spezialisiert hat und als ehemaliges kmu in einer Nische zur weltweiten Nummer eins wurde. Mein Interviewpartner sagte mir im Interview sinngemäß, dass mit einer Marke in der Industrie Qualitätsmaßstäbe, Zuverlässigkeit, Schulungskompetenz, wirtschaftliche Stabilität, Vertrauen assoziiert werden. Was ich mit den beiden Beispielen zur Marke sagen möchte ist, dass eine Marke nicht für sich gut oder schlecht sein kann. Einen ganz anderen, jedoch ebenfalls kritischen Zugang zur Globalisierung finden wir im Buch: »Globale Maßlosigkeit. Der (un-)aufhaltbare Zusammenbruch des weltweiten Mittelstandes«,16 welches den Untergang des Segments der kmu beziehungsweise des Mittelstandes beschreibt, der nach Meinung des Autors vor unseren Augen abläuft, ohne dass wir es bemerken. Er spricht von einer Umschichtung und Umverteilung des weltweiten Realvermögens zu wenigen Zehntausend Personen. Diese Beobachtung ist korrekt, doch zugleich entstehen immer neue kmu. Und sie tragen weltweit am meisten zur Schaffung neuer 14 Vgl. N. Klein, No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht. Ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern, Gütersloh 2001 15 Interview xi, S. 130 16 Vgl. H. Sabet, Globale Maßlosigkeit. Der (un-)aufhaltbare Zusammenbruch des weltweiten Mittelstandes, 2005
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Arbeitsplätze bei. Es kann somit nicht nur den Untergang des Mittelstandes geben, es entsteht wieder Mittelstand. Globalisierte Wirtschaft ist also nicht nur eine Bedrohung, sondern ermöglicht auch Gründungen von neuen kmu. Diese beiden Beispiele, die aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln die Globalisierung kritisieren, finden ihre Leser gerade wegen der enormen Bedeutung der behandelten Themen. Um kein falsches Verständnis aufkommen zu lassen, die Kritik des globalen ökonomisch-technologischen Modells ist in vielfacher Weise sinnvoll. Die kritischen Beiträge werden, so hoffe ich, auch zu Änderungen der Rahmenbedingungen führen. Denn die Vorherrschaft der (Finanz-) Wirtschaft stellt eine Gefahr für den Ausgleich der Interessen der verschiedenen Gesellschaftsschichten eines Staates, aber auch der Europäischen Union und auch der Welt dar. Doch auch diese kritischen Beiträge sind selbst mehr oder weniger erfolgreiche Geschäftsmodelle und damit Teil des globalisierten ökonomisch technischen Modells. Daraus ergeben sich zwei unmittelbare Auswirkungen: Die hohe Anzahl der verkauften Exemplare führte dazu, dass die Autorin mit ihrem Buch zu einer erfolgreichen Unternehmerin und damit Teil des Universalmodells wurde, es hatte aber auch Auswirkungen auf die Sensibilität in Bezug auf unzumutbare Produktionsbedingungen. Dazu eine Anmerkung, die hier nicht direkt dazupasst, mir aber wichtig ist: Die in diesem Buch aufgezeigten Gegenstrategien zur Markenhörigkeit der Konsumenten wurden in die neuen Markenstrategien der großen Konzerne eingearbeitet und diese wurden damit kritikresistenter. Eine der bekanntesten Auswirkungen davon war, dass es weltweit bekannten Marken verunmöglicht wurde, im eigenen Unternehmen Kinder zu beschäftigen. Doch wer von diesen Unternehmen braucht noch eine eigene Fabrik? Was ich damit sagen will, ist, dass die meisten globalisierungskritischen Beiträge eher zur erfolgreichen Anpassung der Geschäftsmodelle führen, und zwar durch die Unternehmen selbst, als zu Änderungen der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Was unterscheidet das vorliegende Vorhaben von den oben zitierten Beispielen? Ich möchte einen Beitrag liefern, der den Adressaten und indirekt den (regionalen) Politikern Vorschläge macht, wie sie innerhalb des Systems beziehungsweise der Rahmenbedingungen agieren können. Dafür habe ich den Schwerpunkt Internationalisierung ausgewählt. Innovation und Internationalisierung sind für Unternehmen, die ihr Geschäft in der Realwirtschaft betreiben, beinahe die einzigen Wachstumsmöglichkeiten. Beide Strategien können bei ausreichenden Finanz- und Humanressourcen auch in Kombination betrieben werden. Die Allokation der Ressourcen auf die eine oder andere Strategie beziehungsweise auf die Kombination gehört zu den wichtigsten Entscheidungen in einem Unternehmen. Und Wachstum hat seit der ersten industriellen Revolu22
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tion für Unternehmen eine hohe Bedeutung.17 Gibt es also Information über die Bedingungen und Möglichkeiten internationaler Unternehmensentwicklung? Und wie sind die Sichtweisen jener, die Internationalisierungsprojekte durchgeführt haben? Das Unternehmenssegment der kmu ist ein bedeutender Teil des globalen Wettbewerbs. Kostendruck (Auslagerungen/Offshoring) und Finanzierungsdruck durch Ratingvorschriften (Basel ii) bestimmen die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen der kmu. Doch wie der Volksmund richtig sagt, ist »zu Tode gefürchtet auch gestorben«. Den kleinen und mittleren Unternehmen nützen die kapitalismuskritischen Beiträge kurzfristig wenig. Das gilt auch für die wiederholten Erläuterungen zum Kostendruck und die Schwierigkeiten bei der Finanzierung – sie wissen es zur Genüge. Sie müssen jedoch unter diesen Bedingungen weiter existieren, wirtschaftlich überleben und sich weiterentwickeln. Die enormen Finanzvermögen, welche elektronisch um die Welt geschickt werden, um eine Rendite zu erwirtschaften, sind für kmu nicht zugänglich. Auf der anderen Seite sehen die kmu trotz aller Bedrohungen, dass neue kmu nach den bewährten (Erfolgs-)Mustern, also wie bisher durch Geschwindigkeit und Flexibilität, für die Durchsetzung neuer Produkt- und Dienstleistungsangebote auf alten und neuen Märkten reüssieren. Mit dieser Ausgangssituation könnte man sich von den Überlegungen verabschieden, einen Beitrag zur Entwicklung von kmu zu verfassen, und die Darwin’schen Grundsätze auch in der Wirtschaft gelten lassen: »Survival of the fittest«,18 »Die Schnellen fressen die Langsamen«, »Friss oder stirb!« 19 Doch trotz dieser »natürlich« anmutenden Erklärungen bleibt die Forschungsfrage für mich interessant: Wie internationalisieren sich kleine und mittlere Unternehmen?
17 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Wachstum und Wirtschaftspolitik«. 18 Dieser Spruch stammt von H. Spencer und wurde von Ch. Darwin übernommen, vgl. www.uni-klu.ac.at/archeo/alltag/36philo.htm – 378k (16. 2. 2008). 19 Titel des Symposiums in der Abbazia di Rosazzo, 2000, zum Thema Mergers & Acquisitions
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Forschungsinteresse Eine logische wissenschaftliche Herangehensweise ist, sich das Forschungsfeld der Internationalisierungstheorien anzuschauen. Dazu und zum Themenfeld Standortanalysen wurden in den letzten 40 Jahren 20 viele Arbeiten publiziert. Die Ausrichtungen der Arbeiten fußten auf ökonomischen, behavioristischen, eklektischen und empirischen Modellen.21 Diese verschiedenen theoretischen Zugänge sind für dieses Vorhaben insofern nützlich, als (Teil-)Aspekte der Theorien von den Entscheidungsträgern in die Praxis übernommen werden können beziehungsweise durch den Einbau von Theorien in Projektpläne die Financiers den Entscheidungsträgern mehr Kompetenz zutrauen und sich dadurch Projekte leichter finanzieren und umsetzen ließen. Zusätzlich gibt es Studien, die auf der einen Seite »culture-free«-Phänomene untersuchen, welche also jeden Zusammenhang von Kultur und Management verneinen. Diesen stehen solche gegenüber, die Führung als kulturabhängig ausweisen (»culture-bond«). Unternehmen müssen auch beachten, ob sich die individuelle Strategie des kmu beziehungsweise das eigene Geschäftsmodell international durchsetzen lässt und inwieweit man auf diese Kulturunterschiede eingehen muss. Es gibt auch hier beides, einerseits dominieren natürlich die Grundzüge des ökonomisch technischen Modells, andererseits wird Kultur erst »dann bewusst, wenn man mit anderen Verhaltensweisen konfrontiert wird, diese beobachtet und somit Unterschiede bewusst werden. Erst durch den Kontakt mit dem ›Fremden‹ werden die eigenen Selbstverständlichkeiten sichtbar.« 22 Es gibt aber auch weitere wichtige Unterschiede, zum Beispiel, wie die eigene Branche 23 aufgestellt ist und inwieweit die Branche internationalisiert ist. Und die Grenzen des theoretischen Nutzens für die praktische Umsetzung einer Internationalisierung sind schnell erreicht. Die Theorielandschaft ist zersplittert und häufig wird beinahe ohnmächtig darauf hingewiesen, dass es noch keine allumfassende und allgemein akzeptierte Internationalisierungstheorie gibt.24 Und wenn man die Theorien mit den Geschichten der Internationalisierung aus den Interviews vergleicht, gibt es theoretische Ansatzpunkte, die dazu passen. Ich möchte das mit zwei 20 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay zum Thema »Theorien der Internationalisierung«. 21 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Theorien der Internationalisierung«. 22 G. P. Krejci, U. Clement, Beratung virtueller Teams im interkulturellen Kontext – ein Bericht aus der Praxis, in: Gruppendynamik und Organisationsberatung 1/2008, J. Fengler (Hrsg.) Wiesbaden, S. 38 23 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«. 24 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Theorien der Internationalisierung von Unternehmen«.
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Interpretationen gegensätzlicher Formulierungen ausführen: Erstens sinngemäß: »Wenn die Chance kommt, dann sagt man vielleicht zwar, das übersteigt unsere Möglichkeiten, aber dann muss man es tun. Bei gewissen Dingen kommt eine zweite Chance sicherlich nur mit enormen Zusatzanstrengungen.« 25 Diesem Investitionsverhalten liegt eine ökonomische Modellvorstellung zugrunde, welche die Entscheidung auf einen einzigen Zeitpunkt abstellt. In der praktischen Umsetzung gibt es jedoch auch Fälle, die das Gegenteil behaupten und auch passen, deshalb hörte ich zweitens vom selben Interviewpartner: »Chancen kommen öfter.« 26 Dieser Aussage liegt die Einschätzung realer Optionen zugrunde.27 Ähnlich widersprüchliche Erfahrungen machte ich bei Projekten, die ich beruflich begleitet habe. So führten beispielsweise Unternehmer, die ein Projekt auf die grüne Wiese stellten, die Nachteile dieser Projekte ins Treffen (Verzögerungen, Kostenüberschreitungen) und hätten lieber etwas Bestehendes übernommen; genau das Gegenteil war bei Unternehmern, die ihre Investition mit der Übernahme bestehender Unternehmen(steile) verbanden, der Fall: Sie kritisierten die Qualität der übernommenen Wirtschaftsgüter. Daraus ist abzuleiten, dass es keine beste Variante gibt, denn manche waren auch mit der von ihnen realisierten Variante sehr zufrieden.28 Es ist auch wenig überraschend, dass emotionale Aspekte eine Entscheidungsgrundlage bilden.29 »Wenn Ehefrauen heimatverbunden sind …« 30 Immer wieder fällt auf, dass bei der Entscheidung, Investitionen zu tätigen, emotionale Aspekte in Bezug auf die Identifizierung mit der Region eine wesentliche Rolle spielen, wobei auffallend häufig dabei die persönliche Verbundenheit von Ehepartnern und -partnerinnen mit der Region von Bedeutung ist; das ist insofern wichtig, als emotionale Verbundenheit mit einem Standort, mit den dort lebenden Menschen in wirtschaftpolitische Entwicklungsmaßnahmen mit eingebaut wird.31 Gemeint ist damit, dass Betriebsansiedlungsagenturen von Regionen nicht breit gestreute Standortmarketingmaßnahmen setzen sollen, sondern dass sie personenbezogene, auch private Verbindungen nutzen sollen, um die Menschen über ihre emotionalen Motive zu Entscheidungen für einen Lebensund Wirtschaftsstandort zu bewegen. Diese Form des Standortmarketings und 25 Interview xi, S. 13 26 Interview ix, S. 129 27 Ausführlicher zur Realoptionstheorie siehe meinen Essay »Risikokapital Internationalisierung«. 28, 29 Vgl. Heintel et al., Investitionen in Kärnten 30 Ebd., S. 28 31 Vgl. Interview bg i, S. 242f und meine Ausführungen im Essay »Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister«.
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der Akquisition von neuen Unternehmern wäre nicht nur sparsamer, sondern auch wirkungsvoller und mit weniger Risiko behaftet, sowohl was die Streuverluste der Marketing- und Akquisitionskosten betrifft, als auch in Bezug auf den nachhaltigen Erfolg von neuen Investitionsprojekten. Die emotionale Verbundenheit führt meiner Ansicht nach zu höheren Anstrengungen aller Beteiligten, um ein Projekt zum Erfolg zu führen. Und mit diesen Voraussetzungen musste ich einen Schritt zurückgehen und vorwissenschaftliche Entscheidungen treffen. Das Forschungsinteresse bleibt nur geweckt, wenn 1. die Praxis ausreichenden Nutzen davon zieht, 2. man an der Problemorientierung festhalten, 3. Teilbereiche darstellen und 4. disziplinübergreifend bearbeiten kann. Das führt dazu, dass auch Begriffe, die den Ökonomen und Betriebswirten völlig geläufig sind, in einem Glossar erklärt werden. Ich habe mich aber für Erklärungen im Kontext entschieden und hoffe, damit auch Aufklärung über die Ökonomie zu leisten. Damit kann Wissenschaft und Forschung im Zusammenhang mit einem genau definierten Projekt wirksam werden. Um aber näher an die Betroffenen heranzukommen und das eigene Interesse zufriedenzustellen sowie die eigene Neugier weiter zu wecken, sind für die Erstellung eines praxisbezogenen Angebotes Forschungsfragen zu formulieren. Denn die Neugierde »ist […] einer der zentralen Antriebsmotoren für Forschung und Entwicklung und, richtig verstanden, zugleich eine wichtige Forschungshaltung. Das Interesse am Forschungsfeld, an Menschen und deren Interessen, Motiven, Handlungen und Einstellungen, ist eine wichtige Voraussetzung für gelingende Forschung.« 32 Forschungsfragen
Die meisten Forschungsfragen ergaben sich aus den praktischen Problemstellungen von Projekten, die ich begleitet habe. Fragen ergeben sich weiters aus dem Zusammentreffen eines Theorieangebotes und der Unkenntnis der Unternehmer das Theorieangebot betreffend. Es hat sich dabei herausgestellt, dass sich das Thema wegen der Heterogenität der Problemstellungen mit einer rein wirtschaftswissenschaftlichen Bearbeitung in seiner Vielfalt und Komplexität für mich nicht ausreichend behandeln ließe. Ich könnte die spezifischen Geschichten der Internationalisierung zwar in Modellen unterbringen, wie es viele empirische Untersuchungen machen, doch das Hineinpressen würde viele Facetten, 32 L. Krainer, Einführung in die Interventionsforschung, Klagenfurt 2007 (Vorlesungsskriptum in Arbeit) S. 17
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die für den Erfolg und für die Probleme verantwortlich sind, wegrationalisieren. Ich möchte den Zusammenhang bewusst vorsichtig formulieren, weil ich ihn nur vermute und nicht empirisch untersucht habe. Erstens ist es eine der üblichen Vorgehensweisen, Forschungsergebnisse in Modellen unterzubringen. Darin und im Abstraktionsgrad der Modelle kann die Ursache für die Ignoranz der Entscheider in Bezug auf die Internationalisierungstheorien begründet sein. Meine Konsequenz aus diesen Vermutungen ist, dass die Kernelemente der Internationalisierung eines kmu ein über die einzelnen Disziplinen hinausgehendes Wissenschaftsverständnis verlangen. Daran schließt auch die Methode der offenen Fragen in Bezug auf das Thema an. Und mit der offenen Fragestellung sind auch die überraschenden Antworten möglich. Für diese Antworten ist es besser, wenn ihre Bedeutung aus mehreren Wissenschaftsdisziplinen heraus betrachtet wird. In diesem Forschungsansatz haben gesellschaftsrelevante Themen neben den Fragen zu betriebswirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Investitionsbedingungen ihren Platz. Was ist damit beispielsweise gemeint? Es kann mit der Frage »Sie sind nicht von hier – wie geht es Ihnen mit den Einheimischen?« die Abgeschlossenheit von Regionen und den dort agierenden Unternehmen angesprochen werden. Mit diesem Vorgehen ergeben sich nicht von vornherein klare Festlegungen, die dann untersucht werden. Diese Forschung hat die Ergebnisoffenheit in ihren Grundsätzen verankert. Modelle und Theorien werden damit in Bezug auf ihre Bedeutung und ihre Grenzen in Frage gestellt. Sie sind dennoch für den Erkenntnisgewinn eine unerlässliche Unterstützung und ein wichtiges Angebot an die Praxis.33 In weiterer Folge ergeben sich mit diesen offenen, also nicht von vornherein festgelegten Voraussetzungen beinahe von selbst prozessorientierte und (selbst) reflexive Darstellungen, die auf die einzelnen Kontexte zurückzuführen sind. Und gerade diese verschiedenen Kontexte, wie beispielsweise »Es kommt bei der Internationalisierung auf das jeweilige Geschäftsmodell an und wie die Familie darüber denkt«, brauchen einen breiten, interdiziplinären Forschungsrahmen. Die folgende kleine Fragenauswahl soll dies verdeutlichen. Die Fragen wurden zum Unterschied zur Einstiegsfrage nicht vorher zusammengestellt, sondern haben sich (sinngemäß) aus verschiedenen Interviews ergeben: Was verbinden Sie mit dem Begriff Investition? Was meinen Sie, wenn Sie sagen, in Ihre Unternehmenskarriere zu investieren? Was ist für Sie Internationalisierung? Wie tickt die Auslandsabteilung? Welche Bedeutung hat für Sie 33 Siehe dazu mehrere meiner Essays, die im Kapitel »Modelle und modellhafte Erfahrungsangebote« zusammengefasst sind.
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beherrschbares Risiko … Rendite … Kapital? Wie ist es mit den Finanzierungen von Internationalisierungsvorhaben? Was trieb Sie in die Internationalisierung? Was bedeutet es für Sie, Unternehmer zu sein? Was treibt Ihrer Meinung nach das Unternehmen an? Wie hat sich Ihr Unternehmen in den letzten Jahren entwickelt? Verläuft Ihr Unternehmeralltag emotional? Was braucht man noch für den Erfolg? Noch einmal zurück – was war Ihre Motivation? Interessieren Sie sich für die Rahmenbedingungen? Welche Bedeutung kommt der Wirtschaftspolitik zu? Das ist eine ländliche Gegend – wie fühlen Sie sich hier? Sind Sie hier gut aufgehoben? Wie sehen Sie die Region in zehn Jahren? Was bedeutet für Sie »eine Vision haben«? Haben Sie Zeit für Strategieentwicklung? Welche Rolle spielt die Familie? Familie und Unternehmen – wie passt das für Sie zusammen? Welche Rolle spielt das Vertrauen? Wie ist die Eigentümerstruktur? Was bedeutet für Sie Langfristigkeit? Haben Sie ein Bild von Ihrem Unternehmen in zehn Jahren? Gibt es ein Modell, nach dem gearbeitet wird? Aufgrund welcher Erfahrungen? Kann man sagen, dass immer nach ein und demselben Modell vorgegangen wird? Das heißt: Das Modell bleibt gleich? Passt dazu mehr Design? Mehr Qualität? Mehr Internationalität? Gibt es einen Lerneffekt? Wie lösen Sie den Widerspruch von Immobilität und Mobilität in Ihrer Branche? Haben Sie auch mit großen Unternehmen zu tun? Wo liegen die Unterschiede zwischen den Großen und den kmu? Wie ist die Angebotskette in Ihrer Branche organisiert? Die Dienstleister, der Handel, wie funktioniert das System? Wie werden in Ihrem Unternehmen Entscheidungen getroffen? Ich habe gelesen, dass »Organisationen […] soziale Systeme [sind], die sich mit einem bestimmten Typ von Kommunikation, nämlich Entscheidungen, reproduzieren und daher alles, was für ihren Bestand wichtig ist, zum Gegenstand von Entscheidungen machen müssen.« 34 Trifft diese kompliziert klingende Formulierung für Ihr Unternehmen zu? Wie kommunizieren Sie in Ihrem Unternehmen? Stellen Sie sich hin und wieder die Frage nach dem Sinn? Der laufende Betrieb kann allein also das Projekt nicht mittragen? Kooperieren Sie deshalb bei Projekten mit anderen Unternehmen? Mussten Sie sich lang auf die Internationalisierung vorbereiten? Und wie? Spielen Förderungen eine Rolle?
34 iff-Abteilung für Weiterbildung und systemische Interventionsforschung, Wissen und Entscheiden, Informieren und Dokumentieren, Steuern, Führen und Kooperieren (Abschlussbericht), Klagenfurt 2005, S. 27
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Die Fragen weisen auf die verschiedenen Forschungsdisziplinen hin, sie sprechen auch die verschiedenen Ebenen des Menschen und der Organisation an und wie alles begann … Kontexte
In welcher Form findet der Anstoß zur Enscheidung für eine Internationalisierung eines kmu statt? Verändern sich durch die Veränderungen auf den Märkten und in den Organisationen die Prozesse? Ist die (Neu-)Organisation von Prozessen erkennbar und erforderlich? 35 Selbst wenn man ein Ereignis als offiziellen Beginn deklariert – ein sogenanntes »Kick-off Meeting« – kann es zu Beginn keine Gewissheit geben, wie alles aussehen wird. Das gilt natürlich auch für Investitionsprojekte. Diese sind meistens nur als beschriebene und mit Zahlen hinterlegte Erfahrungsverdichtung vorhanden. Mit dieser Einschränkung bin auch ich teilweise konfrontiert. Denn mein Forschungsdesign ergründet den Ablauf eines Investitionsprojektes meistens aus der nachträglichen Sicht des Entscheidungsträgers. Wie gelingt es, dass man auch danach sagen kann, wie alles begonnen hat? Diese Frage interessiert die ein Projekt unterstützende Öffentlichkeit, also die Politik, die Förderorganisationen, die Verbände und die Kammern, aber insbesondere jene Unternehmen, die solche Entscheidungen noch vor sich haben. Vielleicht ist der Beginn in einem Bündel von Motiven zu finden? Und diese sind, wie bereits erwähnt, nicht immer ausschließlich wirtschaftlich angelegt. Ist also der Anstoß ein Zufall, eine strategische Überlegung, ist er aus eigenem Antrieb entstanden oder wurde er von außen beeinflusst, und wenn ja, von wem oder wodurch? Das führt zu eklatanten weiteren Unterschieden – wie ich in Erfahrung bringen konnte. Es sind die Unterschiede zwischen einem Konzern und einem kmu in der Internationalisierung. Die Lehrbücher zur Internationalisierung skizzieren ein scheinbar relativ eindeutiges Vorgehen bei Internationalisierungsprojekten. Zuerst wird empfohlen, das politische System, das Rechtssystem und die Währungssituation zu beurteilen. Dann wird vorgeschlagen, die Kosten- und Marktmöglichkeiten an den verschiedenen in Frage kommenden Standorten zu recherchieren und zu vergleichen. Diese beiden Fragenkomplexe sind mit dem eigenen Geschäft 36 abzustimmen und somit ist die Erstellung einer Landkarte für die Internationalisierung möglich. Passt das auch für ein kmu? Ich meine, es kann einen Nutzen 35 Zu den Veränderungen im Umfeld und im Unternehmen siehe meine Ausführungen im Essay »Warum sich Unternehmen auf Internationalisierungsprozesse einrichten sollen«. 36 Vgl. in Anlehnung an M. Porter: Wettbewerb in der Branche, Kunden- beziehungsweise Lieferantenstruktur, Eintrittswahrscheinlichkeit neuer Spieler, Imitation oder Substitution der Produkte beziehungsweise Technologien
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aus dieser Information ziehen, dieser idealtypische Ablauf (hier verkürzt, um sie meinen Forschungsfragen plakativ gegenüberzustellen) entspricht jedoch meines Erachtens dem Vorgehen eines börsennotierten großen Unternehmens. Dieses unterliegt durch seine Finanzstärke dem Wachstums- und damit Internationalisierungsdruck, der aus den Renditevorstellungen seiner Eigentümer abgeleitet wird. Wie ist der Weg der Internationalisierung? Orientiert man sich an den Internationalisierungstheorien, dann gibt es einen einzigen rationalen Weg, der sinngemäß Folgendes sagt: Wenn die Beschaffung über den Markt teurer ist als die eigene Herstellung, wird die Aktivität in das Unternehmen »hereingenommen«, also internalisiert, und zwar an jenem Ort, wo es die besten Bedingungen dafür gibt. Es gibt aber auch einen verhaltensorientierten Weg, der eine Lernkurve darstellt, die von erfolgreichen Exportaktivitäten bis hin zur eigenen Produktion in fremden Regionen die Stufen der Internationalisierung erklären kann. Und es gibt Internationalisierungsmodelle für Unternehmen, die in ihrer Nische von Beginn an den Weltmarkt im Auge haben müssen, weil beispielsweise die enormen Entwicklungskosten gar nichts anderes zulassen. Und es gibt Brückenkopfüberlegungen von einem Land zum nächsten, Taktiken, wie sich ein Unternehmen einerseits dorthin begeben könnte, wo noch kein Mitbewerb ist, oder andererseits gerade dorthin, wo dieser sehr stark ist. Somit sind Internationalisierungen – das begründet wiederum mein interdisziplinäres Vorgehen – auch in wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtungen uneindeutig.37 Und sie beinhalten nicht die Voraussetzungen. Diese liegen bei kmu in der Familie. Denn Fragen nach der Unternehmenskultur finden meistens ihre Entsprechung in der Familienkultur. Diese Fragen habe ich nicht gestellt. Doch die ungefragten Antworten sind in Bezug auf die Familie meistens emotionaler Natur. Das führt zur Hypothese, dass insbesondere bei Familienbetrieben die Unternehmenskultur in Bezug auf Internationalisierung von der Familie bestimmt wird. Damit ist eine Kultur der Internationalisierung Voraussetzung für diese. Die Mitarbeiter und das regionale Umfeld wollen auch mit dem Thema befasst werden. Eine erstmalige Investition an einem neuen Betriebsstandort braucht im Vorfeld vertrauensbildende Maßnahmen. Ein multinational aufgestelltes Unternehmen braucht sich hingegen um diese Dimension im Rahmen eines Projektes an einem neuen Standort nicht zu kümmern, weil Internationalisierungskultur durch die Internationalität bereits vorhanden ist, sie gehört also zum Tagesgeschäft großer Unternehmen. Mit Tagesgeschäft ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass in 37 Siehe dazu ausführlich meine Ausführungen in den Essays »Zur Unübersichtlichkeit der Information« und »Theorien der Internationalisierung«
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sehr großen Unternehmen das Geschäft mit dem Kauf, und auch der Verkauf, von Unternehmen und Unternehmensteilen zu einer der wichtigsten Einkunftsquellen geworden ist – hier ist die Nähe zum Finanzsektor bemerkbar. Um nicht in die Nähe des Finanzsektors zu gelangen,38 habe ich meine Interviewpartner mit der von mir aufgestellten Vermutung ausgewählt, dass sie ihre Unternehmen über einen langen Zeitraum hin behalten und der »Handel« mit Unternehmen nicht zum Unternehmensgegenstand gehört. Beim Handel mit Unternehmen ist das Geschäftsmodell ein finanzgetriebenes und damit uniformeres als beim Behalten eines Unternehmens über viele Jahrzehnte. Wie sieht es also mit den Modellen für die Behaltenden aus? Angebote
Sehen wir uns die Eigenschaften jener an, denen Individualität in der Internationalisierung zugeschrieben wird. Es werden oft angeführt: Flexibilität, höhere unternehmerische Dynamik als Konzerne, weniger Risikokapital, es entscheidet eine Person oder einige wenige. Die Kombination aus knapper Risikokapitaldecke und einer Alleinentscheidung führt zu Fragen nach praktischen Entscheidungsmodellen. Sie sollen sowohl selbstreflexive Antwortmöglichkeiten auf die wirtschaftlichen Existenzfragen anbieten, als auch die Emotionen und die Sinnfragen miteinbeziehen. Ein Beispiel für die Bedeutung der Frage nach der wirtschaftlichen Existenz lässt sich geradewegs aus der Praxis der Kreditwirtschaft ableiten: Bei Internationalisierungsprojekten muss meist das bereits erwirtschaftete Kapital für eine Internationalisierung eines kmu miteingesetzt, besser gesagt: riskiert, werden.39 Daraus ergeben sich existenzielle Vorfragen der Entscheidung. Da für solche oder ähnlich bedeutende Vorfragen nichts angeboten wird – so könnte man weiter vermuten – wird die gesamte Theorie links liegen gelassen. Apel/Reihlen bezeichnen dieses Verhalten als Ignoranz und Urteilssubjektivität. »Ignoranz rührt schlicht daher, dass das Management des internationalisierenden Unternehmens unzureichendes Wissen über die ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen im Auslandsmarkt besitzt und damit die Frage nach den erfolgreichen Geschäftspraktiken unter diesen neuartigen Rahmenbedingungen nicht ohne Weiteres beantworten kann. Mit Urteilssubjektivität wird das Phänomen bezeichnet, dass die Einschätzungen der internationalen Marktbedingungen immer durch die Brille der subjektiven Erfahrungen der Manager betrachtet werden, die je nach Hintergrund zu unterschiedlich 38 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Investitionen in der realen Wirtschaft – eine eingrenzende Vorentscheidung«. 39 Vgl. Interview v, S. 57
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begründeten Urteilen kommen können.« 40 Ist also die Ignoranz der Theorie begründet und betrachtet man die Realität des Ablaufes von Internationalisierungsprojekten, drängt sich die Frage auf: Wie werden (trotzdem) Entscheidungen getroffen? Sie sind immer ein Dilemma, weil sie sich nicht logisch aus den Voraussetzungen ergeben.41 Nach den Vermutungen individueller Entwicklungen und der Ignoranz gegenüber den angebotenen Theorien stellten sich weitere Fragen: Was treibt die kmu in die Internationalisierung? Wo ist die Energie für Entscheidungen angesiedelt? Die Fragen der Entscheidungseinflüsse und der Entscheidungsverortung und der Entscheidungen selbst.42 Auch dafür gibt es Ansatzpunkte in den Checklisten, den Theorien und den Modellen.43 Diese damit verbundenen Forschungsfragen können hiermit jedoch nicht abschließend beantwortet werden. Daher formuliere ich mein Angebot: Die Theorie wird in dem Ausmaß, wie ich sie für die Unternehmer nützlich und interessant halte, abgebildet. Und meiner Ansicht nach soll ein Modell die Fragen eher an die Entscheider zurückdelegieren und sie dort entstehen lassen, bevor plakative Checklisten die Sicht verstellen. Wie sieht so ein Modell aus, das die Rahmenbedingungen hinterfragen lässt? Dem folgenden Modell könnte man vorschnell diese Eigenschaften zuordnen. Gibt es Bedingungen, die Internationalisierung stimulieren? Oder ist in ihnen lediglich unser westliches, also europäisches und us-amerikanisches, Modell für eine förderliche Unternehmensentwicklung abgebildet? Dieses fragt nach folgenden Faktoren für Unternehmensentwicklung: Kapitalstock,44 Infrastruktur, Finanzierungsmöglichkeiten durch Eigen- beziehungsweise Fremdkapital, politische Sicherheit und Rechtssicherheit, Ausbildungssystem und Facharbeiter. Dazugekommen ist in den letzten zwei Jahrzehnten eine intakte Umwelt. Leistet die Wirtschaftspolitik einen entscheidenden Beitrag oder ergeben sich aus dem weltweiten Wettbewerb um Investoren an vielen Standorten herausragende Bedingungen? Sind Förderungen insbesondere für kmu eine 40 B. A. Apel, M. Reihlen, Internationalisierung als Lernprozess – ein konstruktivistischer Ansatz, in: M. Reihlen, A. Rohde, Internationalisierung professioneller Dienstleistungsunternehmen, Köln 2006. http://www.spl.unikoeln.de/fileadmin/documents/Mitarbeiter/ Reihlen_Publikationen/Apel_Reihlen_Internationalisierung_als_Lernprozess.pdf (26. 1. 2008) 41 iff-Abteilung für Weiterbildung und systemische Interventionsforschung, Wissen und Entscheiden, S. 27 42 Siehe beispielsweise meine Essays »Chakren, ein Modell für die Verortung von Entscheidungen« und »Selbststeuerungsgrenzen«. 43 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Modelle und Wirklichkeit(en) im Management«. 44 Siehe Glossar
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große Unterstützung bei der Entscheidung für Standorte oder werden gerade Förderungen widersprüchlich beurteilt? Die folgenden Aussagen weisen darauf hin: »Wenn wir keine Investitionszuschüsse bekommen hätten, […] dann hätten wir sicher nicht diese Investitionen in diesem Ausmaß getätigt«,45 und sogleich das Gegenteil: Ein Interviewpartner nennt sich »Verfechter der Nichtförderung. Er hält wenig von Direktförderungen für Investitionen, weil, ›durch Förderung eine einseitige Ausrichtung der Branche erfolgt und es der falsche Weg sei, wenn man heute hergeht und mit massivsten Förderungen Leute ins Land holt.‹« 46 Gerade bei diesen Fragestellungen ergeben sich also in Bezug auf die Antworten wieder große Unterschiede. Eine starke Unterstützung der kmu durch die Wirtschaftspolitik am jeweiligen Stammsitz fördert die Internationalisierung. Dies ist insbesondere ein Effekt der Forschung und von Entwicklungsförderungen.47 Ob es dadurch zu einem Aufbau oder einem Abbau von Arbeitsplätzen kommt, unterliegt wiederum verschiedenen Interpretationen. Relativ klar ist jedoch, dass sich daraus starke strukturelle Veränderungen bei den Arbeitsplätzen ergeben. Und damit rückt das große Thema Ausbildung weiter ins Zentrum des Themas der Bedeutung von Internationalisierungsüberlegungen. Von der Standortpolitik wieder zu den Märkten, wie sie sich auch auf der Seite der Eigentümer organisieren. Die Modelle für (internationale) Arbeitsteiligkeit sprechen meistens mehrere Aspekte an. Vorherrschend ist dabei die Betrachtung der Angebotskette (value chain, supply chain) und wie man in diese erfolgreich eindringen oder sich in ihr behaupten beziehungsweise ausbreiten kann. Aus den Erfahrungen, wie Konzerne am Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind, nämlich durch vertikale Integration, können kmu lernen. Vertikale Integration bedeutete Eigentum in sämtlichen Stufen des Beschaffungs-, Produktions- und Verkaufsprozesses des fertigen Produktes. Das seinerzeitige Entstehen von Konzernen weist auf einen starken Zusammenhang zwischen der Produktlogik und der Eigentumslogik hin. Kaum jemand kann sich eine Internationalisierung ohne entsprechende Eigentumsstrukturen vorstellen. Hier wird ein Widerspruch deutlich, den bereits David Ricardo zu Beginn des 19. Jahrhunderts erkannte, nämlich die Risikolage bei schwer beherrschbaren internationalen Investitionen einerseits und die Freiheit, mit dem Eigentum das machen zu können, was ein Entscheider/Unternehmer machen will, andererseits. Oft genug werden die Modelle und die darauf aufgebauten Entscheidungen von den Möglichkeiten, 45 Heintel et al., Investitionen in Kärnten, S. 24 (Interviewzitat Interview vi, S. 15) 46 Ebd., S. 26 (Interviewzitat Interview iii, S. 20 u. S. 22) 47 Vgl. Interview st i, S. 152
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Eigentum zu begründen und das Investment zu beherrschen, hergeleitet. Das hat auch Vorteile. Birger Priddat meint zum im persönlichen Eigentum des Entscheidungsträgers befindlichen Risikokapital, dessen Einsatz also mit der Person verbunden ist, welche die Entscheidungen trifft, es sei »Leben im Kapital«. Dieses stehe im Gegensatz zum fremden Eigenkapital, über welches angestellte Manager entscheiden. Meine eigene ähnliche Position ist durch meine Vorentscheidung, mich mit der realen Wirtschaft zu beschäftigen,48 durch die Auswahl der Interviewpartner untermauert. Diese haben sich für eine lange Behaltedauer ihrer Unternehmen entschieden. Als Forscher habe ich damit für mich die Möglichkeit eröffnet, trotz der themenbezogenen Langfristigkeit während eines Forschungszeitraumes von drei Jahren im richtigen Leben und vor allem im Kontext von Entscheidungen nachfragen zu können. Das bedeutet aber auch, dass meine persönlichen, beruflichen und gesellschaftspolitischen Interessen und Anliegen und die meiner Interviewpartner in den Forschungsprozess und in das Ergebnis integriert werden. Mit der Einbeziehung von Eigentümern, die oft in Personalunion auch Manager von kmu sind, werden damit deren Anliegen Teil der vorliegenden Arbeit. Interventionsforschung49 und Internationalisierung
Durch die oben ausgeführte Ausgangslage bietet sich für das Forschungsprojekt die Interventionsforschung an. Bei den Forschungsfragen vermischt(en) sich immer wieder Theorie(en) mit der Umsetzungspraxis. Diese Kombination, wo Wissenschaft verschiedener Disziplinen in einem Forschungsprojekt die Entscheider und die Verantwortungsträger an der Umsetzung durch ihre persönlichen Geschichten teilhaben lässt, ist in den Grundätzen der Interventionsforschung (Grundaxiomatik)50 formuliert.51 Ich folge damit unter anderem dem Aufruf, dass »Probleme, die technische Kulturen, das heißt die modernen Industriegesellschaften, im überreichen Maße haben, […] uns nicht den Gefallen [tun] sich als Probleme für disziplinäre Spezialisten zu definieren. Interdisziplinarität soll die Rückgewinnung wissenschaftlicher Wahrnehmungsfähigkeiten ermöglichen und nicht zuletzt auch Probleme und Problementwicklungen erkennbar machen« 52 und damit auf Wissenslücken hinweisen und die Wissen48 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Investitionen in der realen Wirtschaft – eine eingrenzende Vorentscheidung«. 49 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft«. 50 P. Heintel, L. Krainer, I. Paul-Horn (Hrsg.), Zur Grundaxiomatik der Interventionsforschung. Präambeln für eine andere Wissenschaft. Klagenfurt 2005 51 Siehe meine Ausführungen im Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft«.
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schaften um ein Problem herum organisieren. Interdisziplinarität versuche ich mit folgender Metapher zu erklären: Es ist, wie zwischen (mindestens) zwei Stühlen – die Stühle repräsentieren die Wissenschaftsdisziplinen – zu sitzen. Der Anspruch ist jedoch, diesen Zwischenraum auszufüllen und an die Stühle anzuschließen und Angebote dafür zu machen. Im Unterschied dazu ist ein transdisziplinärer Zugang zu diesem Thema eher mit der Wertschöpfungskette 53 eines Produktes zu erklären. Am Anfang eines Produktes stehen Material und Wissen. So liefert beispielsweise nur gutes Material die Basis für ein gutes Speiseangebot aus der Küche. Hier leistet das gelieferte Vorprodukt (Theorien, Axiome, Modelle) einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen des Produktes (Unternehmen, Organisation, internationalisierte Firma). Im Unterschied zum Küchenbeispiel soll die Transdisziplinarität auch Beiträge in die umgekehrte Richtung leisten. Das bedeutet, dass die erlebten Erfahrungen aus der Firma zum Fortschritt in Theorie- und Modellbildung beitragen sollen. Ein Unternehmer, der sich innerhalb der globalen Ökonomie wirtschaftlich erfolgreich behaupten kann, vereint viele Rollen und Skills in sich. Er ist der Entscheidungsträger. Es soll Führungskraft, Finanzmanager, kommunikationsversiert, organisierend und moderierend sein, um aus Problemlagen heraus Lösungen zu erörtern und sie im Unternehmen umzusetzen. Dazu finden wir in den wirtschaftlichen und technischen Forschungsdisziplinen viele Antworten. Manche fehlen jedoch. Das führt dazu, dass zu den Problemen Fragen gestellt werden. Was dabei nicht passieren soll, dass folgendermaßen gefragt wird: Können Sie sich vorstellen, dass dieses oder jenes Modell für Sie passt? Es ist offen zu fragen – das soll ein breites Antwortspektrum ermöglichen,54 und erst aufgrund der Antworten, der Chancen- und Problemlagen kann der Forscher selbst entscheiden, welche Theorien und Modelle passen könnten. Es liegt also in meiner Verantwortung, aus den Komponenten Themen vorzuschlagen. Und die Verbindung zur Wissenschaft ist dann gegeben, wenn die Interventionsforschung nicht Geschichten von Personen erzählt, sondern Themen aufschließt. Die Interventionsforschung, welche durch die Methode der offenen Interviews mit den Entscheidungsträgern versucht, deren Probleme und Projekte zu erörtern, schafft so den Zusammenhang von Mensch und Thema. Dazu ist das Herausgehen 52 J. Mittelstrass, Die Stunde der Interdisziplinarität?, in: J. Kocka (Hrsg.), Interdisziplinarität. Praxis – Herausforderung – Ideologie, Frankfurt/Main, 1987, 154 f., entnommen aus: Interdisziplinarität – Transdisziplinarität. Zu Theorie und Praxis in den Geistes- und Sozialwissenschaften, J. Feichtinger, H. Mitterbauer, K. Scherke, S. 12, www-gewi.kfunigraz. ac.at/moderne/heft13s.pdf (18. 4. 2008) 53 Anm: Wertschöpfungskette und Wertkette werden synonym verwendet. 54 Vgl. L. Krainer, Einführung, S. 19
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aus den vorherrschenden Regeln wissenschaftlicher Arbeit erforderlich, als solche werden in der Regel die (vorherige) Hypothesenbildung und die Nicht-Einbeziehung der Beforschten genannt. Dagegen versteht sich die Interventionsforschung als ergebnisoffene und die Beforschten miteinbeziehende Wissenschaft. Die interdisziplinäre Forschungshaltung als wissenschaftliche Grundlegung öffnet sich im Zusammenhang mit der »Wissensproduktion gegenüber ihrem gesellschaftlichen Umfeld […] und [hört] dabei auf, eine in sich geschlossene Tätigkeit zu sein. Sie beschränkt sich weder darauf, die ›Wissenschaft‹ der Universitäten noch die ›Technik‹ der Industrie zu sein. Wissenserzeugung ist nicht mehr das Privileg einer besonderen Art von Institution […]. Sie hat sich vielmehr von den Universitäten auf die ganze Gesellschaft ausgebreitet. In diesem Sinn ist sie zu einem Prozess geworden, der sich über viele Orte der Gesellschaft erstreckt, die ihrerseits wieder dazu dienen, eine kontinuierliche Kombination und Rekonfiguration von Wissensbeständen in unterschiedlichen Problemkontexten zu initiieren und mitzugestalten.« 55 Die praktischen Antworten auf die Internationalisierung von kmu führten also auf der wissenschaftlichen Seite dazu, sich mit dem Thema in einem Interventionsforschungsprojekt auseinanderzusetzen. Das setzt erstens die oben angeführte Vermutung voraus, dass mit Antworten aus den Wirtschaftswissenschaften nicht das Auslangen gefunden wird. Zweitens dass man sich auch mit der Interdisziplinarität als eigene Forschungsdisziplin und, weil dies ein sprachlicher Widerspruch ist, mit der ihr innewohnenden spezifischen Forschungshaltung auseinandersetzen muss. Das bedeutet nicht das Aufgeben des wissenschaftlichen Prinzips, der Suche nach allgemeingültigen Erklärungsmustern, sondern ein gleichwertiges »daneben Hinstellen« von Forschung, die für sehr heterogene Zugänge offen ist, weil es für dieses von mir ausgewählte Thema – wie die Internationalisierungsentscheidungen von kmu – keine exklusive Wissenschaftsdisziplin geben kann. Diese Auseinandersetzung mit Interdisziplinarität als Vorbedingung zur Themenbearbeitung, aber in Bezug zu dieser, unterstützt auch die disziplinorientierten Wissenschaften. Denn (auch) die Wissenschafter der Hauptdisziplinen der Internationalisierung – das sage ich, weil in diesen Disziplinen die meisten Publikationen zu finden sind – wie Volkswirte, Betriebswirte, Rechtswissenschafter und Angehörige von deren Spezialdisziplinen sehen die Internationalisierung völlig unterschiedlich. Wenn dann noch Vertreter weiterer Disziplinen dazukommen, wie beispielsweise Psychologen, Familienforscher und weitere Kulturwissenschafter, werden die Abstände zur Praxis durch das jeweilige disziplinorientierte Herangehen deutlich. Als 55 H. Nowotny, Es ist so. Es könnte auch anders sein, 1999, S. 66
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interdisziplinärer Forscher bin ich, wie oben formuliert, außerhalb der einzelnen Disziplinen angesiedelt und kann damit noch nicht in die derzeit existierenden Forschungstraditionen eingeordnet werden. Andererseits bin ich mit Volkswirtschaft als Herkunftsdisziplin für die Interventionswissenschafter, die bereits für sich ein Verständnis und eine Haltung zur Interdisziplinarität entwikkelt und in vielen Projekten umgesetzt haben, nicht einfach zu verstehen. Durch die inter- und transdisziplinären Zugänge hat sich für mich das Projekt als komplexer Kommunikationsprozess herausgestellt. Die betriebs- und volkswirtschaftliche Herangehensweise an die Themen und auch die Diskurse mit Betriebs- und Volkswirten sind für mich dann nicht schwierig, wenn ich innerhalb der Disziplinen verbleibe. Und es ist ein Sozialisierungsprozess und auch Lernen für diese Forschungshaltung wichtig. Für mich als Ökonomen und Investitionsspezialisten ist es schwierig, die offenen Interviews auch offen zu führen. In manchen Passagen der Interviews findet man ein nicht zulässiges fachliches und hin und wieder »oberlehrerhaft« wirkendes »hineinintervenieren«.56 Dazu ein dramatisches Beispiel: »Denn ich hab das schon erlebt, Sie sind ja nicht das einzige Beispiel von Unternehmern, die sich in eine Region oder ein Hotel verliebt haben und dann geschaut haben, wie das geht.« 57 Es ist also geboten, mit dem Anspruch, den Entscheidungsträgern und Umsetzungsverantwortlichen zuzuhören und nicht zu irgendetwas zu überreden, sich mit Kommentaren und eigenem Wissen und eigener Erfahrung zurückzuhalten. Auf diese Forschungshaltung möchte ich hinweisen. Denn jeder Interviewpartner erzählt seine Geschichte aus seiner Sicht. Seine Worte sollen das in dieser Arbeit Angebotene stützen. Das Hereinnehmen von Aussagen in diese Arbeit wird durch mich entschieden. Damit ist auch die Subjektivität erklärt.58 Das Wachstumsprinzip als unternehmerisches Grundprinzip ist dem kmu genauso eigen wie dem Konzern, das Vorgehen gestaltet sich meiner Ansicht nach jedoch anders. Das Wachstum dieser Unternehmen entsteht meistens aus aktivem unternehmerischen Entscheidungswillen des oder der Eigentümer. Dabei sind die Erlebnisse im täglichen operativen Betrieb ein wesentlicher Antrieb, neue Geschäftsmöglichkeiten zu erkunden. Neue Geschäftsmöglichkeiten können Innovationen und/oder Internationalisierung des Unternehmens sein. Durch ihre Einbettung in den laufenden Betrieb können die ersten Entscheidungen im Nachhinein zwar schwer, aber doch irgendwie zeitlich 56 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft«. 57 Interview vi, S. 72 58 Siehe dazu meine eigenen Ausführungen im Essay »Der Essay als Darstellungsform«.
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eingeordnet werden. Ihre weitere Entwicklung läuft parallel mit dem operativen Betrieb und ist in diesen direkt integriert. Wenn sie tragfähig und in weiterer Folge finanzierungsfähig werden, werden Projekte daraus. Die Weiterentwicklung eines Internationalisierungsprojektes innerhalb des Geschäftsalltags erfordert, dass sich das Projekt über einen langen Zeitraum als tragfähige Alternative zur Ausgangssituation erweist. Dieser Ablauf ist ein wesentlicher Unterschied zum Wachstum von finanzgetriebenen Investitionen. Das Wachstum von Publikumsgesellschaften und/ oder Konzernen ist von roi59-Zielen determiniert und besteht überwiegend aus Portfolioinvestitionen. Die Wachstumsvorgaben des Managements werden nicht innerhalb des laufenden Betriebes mitbearbeitet, sondern in eigenen m&aAbteilungen (Mergers & Acquisitions) und mit Beratern vorbereitet, entschieden und umgesetzt. Erst danach folgt der oft lang andauernde und auf den Boden der Realität zurückkehrende Integrationsprozess. Meine Rolle als Forscher, abgeleitet aus den Grundsätzen der Interventionsforschung
Problemorientierte Forschungsarbeiten mit Entscheidungsträgern in der Wirtschaft setzen ein hohes Maß an Selbstverantwortung, Erfahrung – vielleicht auch ein gewisses Alter – des Forschers voraus. Das Wissen, wie Informationen beschafft werden können, wie sie verarbeitet werden, um für Problemlösungen nützlich zu werden, ist die Voraussetzung für die Wirksamkeit des Wissens in der jeweiligen Anwendung, also in Bezug auf das zu bearbeitende Thema. An dieses Wissen schließt unmittelbar an, das jeweils in Erfahrung Gebrachte auf Nützlichkeit hin zu bewerten und darüber zu entscheiden, ob es dargestellt werden soll, ob der Entstehungs- und Umsetzungsprozess beschrieben werden und es in seiner oft auch nichtwissenschaftlichen Widersprüchlichkeit dem Leser überlassen werden soll. Dazu habe ich diese Grundlegungen formuliert. Ich benötige sie auch, weil die hier vorliegenden Grundlegungen den Unterschied zwischen Forschung und Beratung sichtbar machen sollen. Was ist der Unterschied? Das Forschungsprojekt stellt ein Angebot an Theorie und Praxiserkenntnissen dar, das Beratungsprojekt wirkt meines Erachtens auch an der Umsetzung – also beratend – mit, es kann meiner Ansicht nach sehr gut nach einem (Interventions-) Forschungsprojekt aufgesetzt werden. Für so angelegte Forschungsprojekte sind wissenschaftstheoretische Vorbedingungen hilfreich. Eine dieser Vorbedingungen ist, dass es in der Wissenschaft kein Alleinstellungsmerkmal in Bezug auf Einmaligkeit gibt, und den Gedanken 59 roi (Return on Investment), Kurzerläuterung siehe Glossar
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von Peter Heintel weiterfolgend, dass man sich mit den Unterschieden auseinandersetzen muss. Was sind seine Anhaltspunkte zur Unterschiedsetzung? Axiome, Geografie und Zeit. Weiters sollten Vertreter keiner Wissenschaft für sich behaupten können, ihre Wissenschaft und keine andere sei an der Quelle der Wahrheit. Auch Abwehrhaltungen von Wissenschaftern, die meinen, man könne sich als interdisziplinärer Forscher nicht eines ökonomischen Themas annehmen, sind unangebracht. So ist es beispielsweise nicht zulässig, festzulegen, eine (bestimmte) Wissenschaft sei nicht berechtigt, zu einem Thema, das Menschen, Organisationen, Staaten und letztendlich die ganze Welt betrifft, zu forschen und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Mit diesem Vorgehen ist der Anspruch verknüpft, den Nutzen für die an der Forschung Beteiligten und für die Leser der Ergebnisse nachvollziehbar zu machen. Daraus leitet sich die Bedingung für die Nachvollziehbarkeit ab – man soll mir als Forscher in meinem Denkweg folgen können. Das ist ein Maßstab, um den ich mich bemühe. Dabei entsteht eine weitere Schwierigkeit, die zu meistern ist. Ein »guter« Gedanke soll immer klar ausgeführt werden, und wenn dies nicht möglich ist, weil kein Kontext in der Theorie, im Interview oder durch mich herstellbar ist, ist es besser, ihn fallen zu lassen. Das war auch für mich eine wichtige Erkenntnis. Die Ausführungen sollen aber auch zur Selbstreflexion ermuntern, und damit erfüllt sich der nächste Punkt. Das Forschungsprojekt soll für den Lehr- und Lernbedarf nutzbringend sein. Forschungsvorhaben, die dem formulierten Forschungsinteresse, den Forschungsfragen, den Axiomen folgen, müssen nicht nur für die Beforschten, sondern auch für Lehrende und Studierende nachvollziehbar sein. Damit hoffe ich, ein Angebot für die Verbindung mit zukünftigen Forschungsprojekten hergestellt zu haben. Die Grundwahrheiten der Wissenschaft, so habe ich es von Peter Heintel oft gehört, beruhen auf einer Entscheidung des Forschers und der Forschungscommunity, der er sich zugehörig fühlt. Der Auseinandersetzung mit diesen Entscheidungen habe ich mich gestellt. Ich richte mich mit den Ergebnissen an Unternehmer, interessierte Regionalpolitiker und weitere interessierte Leser. Das wird gleichermaßen zu Einverständnis und zu Kritik führen. Was der eine kritisiert, passt dem anderen. Das rührt daher, dass ich einander entgegengesetzte Aussagen oft einfach stehen gelassen habe. Weil die Internationalisierungstheorien, die Energie für die Entscheidungen, die Einbettung der Entscheidungen und die Entscheidungen selbst in Bezug auf Internationalisierung von kmu, wie viele Themenstellungen, die Menschen und Organisationen betreffen, breit gefächert sind, müssen die Unterschiedlichkeiten des Zugangs stehen bleiben. Ein Herausnehmen der Widersprüche würde die Ausgangshypothese auflösen. Die parallel statt-findende Auswahl der relevanten Themen betrifft Regeln 39
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und Normen. Viele davon sind nicht von selbst im System erkennbar. Als Beispiele, die ich gefunden habe, können angeführt werden: die Stellung des Eigentums, die Bedeutung von Normen, der Einfluss der Familie, der Einfluss der wirtschaftlichen Existenz auf unternehmerische Entscheidungen. Durch die Beschreibung von Prozessen beziehungsweise durch Modellangebote, die den Aussagen aus der Praxis gegenübergestellt werden, möchte ich die Differenzen besser erkennbar machen und die Bedeutung von Entscheidungen aufzeigen. Ein wichtiger Grundsatz war auch für mich, meine Position festzulegen. Denn »jeder Forschungsaktivität gehen vorwissenschaftliche Auswahlentscheidungen voraus: die Problemstellung, das Erkenntnisziel, das Erkenntnisobjekt, das Auswahlprinzip, die Forschungsmethodik, die Auswertungssystematik – alles Entscheidungen, die aus einer grundlegenden Perspektive, aus einem Weltbild abgeleitet werden, geprägt durch die Persönlichkeit des Forschers und seine geschichtlich-kulturelle Situation. Damit werden bereits die Fragen, die ein Wissenschafter stellt, durch sein Interesse an der Welt und seine Werthaltungen bestimmt; normative Prämissen beeinflussen maßgeblich den Inhalt der Argumente selbst. Jede vorwissenschaftliche Auswahlentscheidung entspricht einer Stellungnahme, die die ausgewählten Aspekte priorisiert und andere nicht berücksichtigt.« 60 Es klingt auf den ersten Blick vielleicht banal, doch es ist mir wichtig, ein paar Grundsätze deklaratorisch festzuhalten. Das Konstrukt Unternehmen als Kernorganisation der kapitalistischen Wirtschaft ist das bedeutendste und wichtigste Modell. Daraus ergibt sich meine Forschungs-Vorentscheidung, die lautet, dass die operative Eigenlogik der zweckorientierten Organisation Unternehmen nicht in Frage gestellt wird, ihre Grenzen jedoch immer wieder angesprochen werden. Diese Fixierung wird von globalisierungskritischen Kollegen bestimmt als sehr einseitig gesehen, genauso wie die nächste, nämlich dass die meisten Unternehmen eine Eigendynamik in Bezug auf das eigene Wachstum entwickeln. Ich beschreibe die systemimmanente Logik des Wachstums ausführlich. Sie gründet sich einerseits auf den technischen Fortschritt und andererseits auf den Wunsch, ein Unternehmen auf Dauer einzurichten. Dieses Wachstum kann nur durch Innovation, Marktzuwachs auf den angestammten Märkten und/oder durch Internationalisierung erfolgen. Daraus folgt, dass eine erfolgreiche Internationalisierung einen Fortschritt in der Entwicklung des Unternehmens darstellt – wirtschaftlichen Erfolg vorausgesetzt. Mit diesen mir 60 T. P. Beyes, Kontingenz und Management, Dissertation an der Universität St. Gallen 2002 S. 13f, http://www.unisg.ch/www/edis.nsf/wwwDisplayIdentifier/2643/$file/dis2643.pdf (6. 1. 2008)
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wichtigen Bemerkungen soll oberflächlicher Globalisierungskritik in Bezug auf unternehmerisches Handeln, insbesondere jenes eines kmu, entgegengewirkt werden. Denn ein kmu kann die Rahmenbedingungen des globalen ökonomischtechnologischen Modells nicht verändern. Aber es würde sich bei Veränderungen zu seinem Gunsten gerne sehr schnell anpassen. Aus diesen Vorentscheidungen resultiert meine Rolle als Forscher. Die Aktivitäten innerhalb des Unternehmens und an seinen Schnittstellen werden beschrieben. Wobei darauf hinzuweisen ist, dass nicht immer klar ist, was Teil des Systems ist und was nicht. Diese Doppelrolle nehme ich natürlich auch ein, ich bin nicht Teil des beforschten Systems (Unternehmen) und zugleich bin ich es. Systemabgrenzung und das Ausmaß und die Art von Rückkoppelung liegen daher in meinem Ermessen und im Ermessen der interviewten Unternehmer. Aus diesen Parametern heraus konstituiert sich die Intervention. Dazu eine persönliche Anmerkung für Interventionsforscher: Ein persönlicher Bezug zum Interviewpartner entwickelt eine andere, »direkter« und emotionaler ablaufende Verbindlichkeit als ein durch Bekannte vermittelter Interviewtermin. Das ist ein Vor- und ein Nachteil zugleich. Das unternehmerische Prinzip als ein vom Menschen erfundenes Prinzip gibt meiner Ansicht nach vor, dass Forschungen über Internationalisierung bei den Menschen, bei den Entscheidungsträgern und seinen Mitarbeitern, ansetzen müssen. Denn wo die Logik am Ende ist, und das ist bei Humanwissenschaften »bald« der Fall, werden dialektische Zugänge benötigt. Wo Konflikte und Widersprüche vorliegen, wird betont, diese zu akzeptieren und zu bearbeiten und damit die Kompetenz auf Selbstreflexion, auf Prozesse und auf das Denken und das Entscheiden in Widersprüchen zu legen. Damit können die Möglichkeiten für Entscheidungen eröffnet werden. Hier trifft sich – und das ist sehr bedeutend – die Forschung mit dem unternehmerischen Prinzip. Denn das Unternehmerische ist dann verwirklicht, wenn es Bedingungen vorfindet, die mehr als eine Möglichkeit anbieten, um zu Lösungen zu gelangen. Diese Lösungen leiten sich von Ratschlägen aus der unternehmerischen Praxis ab. Die Praxis besteht sowohl aus Problemlagen und Scheitern als auch aus Lösungen und Erfolgen. Auf bewusst erlebten Erfahrungen, die nicht geschönt und marketingmäßig geglättet werden. Diese Erfahrungen »verschränke« ich mit theoretischen Aspekten. Diese Kombinationen aus Theorie und Praxiselementen erfordern auch eine andere Form des Darstellens. Für die Überleitungen aus den individuellen Geschichten der Interviewpartner zur Themenaufschließung und zur Anreicherung mit Theorieelementen wird die Form des Essays gewählt.
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Der Essay als Darstellungsform61 »Diskontinuität ist dem Essay wesentlich, seine Sache stets ein stillgelegter Konflikt.«62 Zum Thema Internationalisierungsinvestitionen von kmu sind, was den Umfang und die Bedeutung der Themen betrifft, Vorentscheidungen zu treffen. Mit dem Problem des Umfangs in Bezug auf ein Thema sind viele Forscher konfrontiert. Das gilt insbesondere für jene Forschungsprojekte, die einen hohen Praxisbezug aufweisen. Die Praxis wird in diesem Forschungsobjekt durch jene Menschen repräsentiert, die als Entscheidungsträger von kmu fungieren. Sie möchte ich zu Wort kommen lassen. Eine andere Form wäre eine möglichst umfassende Darstellung des Themas, ein wohl ziemlich langweilig zu lesendes Kompendium, und so habe ich von vornherein den Versuch einer auch nur scheinbaren Vollständigkeit aufgegeben. Die Zitate der Entscheidungsträger kommen als Einleitungsstatement, im Text oder in Fußnoten vor – oder die Erläuterung wird durch den Hinweis auf eine Interviewpassage gestützt. Und damit wird auch auf die Vielfalt der Zugänge zum Thema hingewiesen. Denn die Adressaten dieses Themenfeldes, die Unternehmer und Unternehmerinnen, welche die Internationalisierungsentscheidungen zu treffen haben, sind nur unter einem einzigen Aspekt unter einen Hut zu bringen, dass nämlich den meisten von ihnen die Internationalisierungstheorien und Standortanalysen weitgehend unbekannt sind – von mancher Seite wurde ihnen sogar Ignoranz unterstellt. »Einer der Pioniere der verhaltenswissenschaftlichen Internationalisierungsforschung, Yair Aharoni (1966), beginnt seine Analysen mit der einfachen Tatsache, dass Unternehmen, die international tätig werden möchten, vor eine erhebliche Unsicherheit gestellt werden. Diese Unsicherheit führt er, wie bereits ausgeführt, auf zwei wesentliche Faktoren zurück: Ignoranz und Urteilssubjektivität.63 Doch es kann nicht Intention einer wissenschaftlichen Arbeit sein, die es sich zum Ziel gesetzt hat, als Intervention bei den Adressaten wahrgenommen zu werden, es bei dieser Feststellung bewenden zu lassen. Vielmehr sollen theoretische Grundlagen aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und praktische Aussagen aus offenen Tiefeninterviews sich gegenseitig stützen. Damit sollen – nach der Vorstellung einer Matrix – theoretische Grundlagen sowohl der 61 Die Idee, eine essayistische Darstellungsform zu wählen, entstand durch die Lektüre der Dissertation von M. A. Kahre, Ein in die Zeit gehängtes Netz. Der Essay als glaubwürdige Form der Moderne, Konstanz 2002. 62 Th. W. Adorno, Der Essay als Form, in: ders., Philosophie und Gesellschaft: Fünf Essays 5 – 32, Stuttgart 1984, S. 9 – 33, S. 25 63 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Grundlegungen«
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Wissenschaft als auch den Unternehmern neue Erkenntnisse verschaffen. Umgekehrt sollen praktische Erkenntnisse sowohl Wissenschaftern als auch interviewten Entscheidungsträgern in den Unternehmen zugänglich gemacht werden. Mit der Zusammenstellung der Inputs aus den verschiedenen Wissenschaften und den Interviewzitaten sind Entscheidungen verbunden. Denn Unternehmer, die sich internationalisierten und dabei erfolgreich waren, aber auch solche, die teilweise oder ganz scheiterten, erzählen ihre Geschichte aus ihrer Sicht. Und genau diese Worte sind das Wertvollste, sie sollen das in dieser Arbeit Angebotene stützen. Dazu sind jedoch – ohne manipulierend zu sein – auch hin und wieder die Interviewaussagen zu bearbeiten. Die gesprochenen Worte, wenn sie wortwörtlich zitiert werden, vermitteln nicht immer den Sinn des Gesagten. Es ist wie bei wissenschaftlichen Zitaten auch an den Kontext anzudocken. Besseres Verständnis soll durch die Transkription, das Nachhören der Aufzeichnungen und die durch die Interpretation abgeleitete Niederschrift erreicht werden. Die Auswahl orientiert sich bei meinen Analysen oft an der hörbaren Emotionalität des Interviewpartners. So erzählte einer meiner Interviewpartner mir über das Motiv, warum er sich selbstständig gemacht hatte, und schloss mit einem zweimal wiederholten »Der Himmel war zu nieder«. Diese Formulierung war »weit weg« von rationalen Motiven.64 Diese Auswahlmethode ist zugegebenermaßen in gewissem Ausmaß subjektiv, was ich mit dieser Feststellung transparent machen will. Weil die Theorien der Internationalisierung in der Praxis kaum wahrgenommen werden, soll nicht mit dem Finger auf fehlende Bestandteile in den verschiedenen Internationalisierungstheorien gezeigt und versucht werden, Lücken zu schließen. Es sollen Denkanstöße in Form von verschiedenen Zugängen zum Thema Internationalisierung von kmu vor allem in Bezug auf die schwierig zu treffenden Entscheidungen und deren Umsetzung angeboten werden. Dafür scheint mir die essayistische Form ein taugliches Mittel zu sein. Denn der Essay wird, der Definition nach, als Versuch angesehen, ein wissenschaftliches, gesellschaftspolitisches oder kulturelles Thema in knapper Form abzuhandeln.65 Adorno erlaubt es im Essay das Geliebte und das Gehasste zu reflektieren und »die Elemente des Gegenstandes mitsammen zum Sprechen zu bringen.« 66 Dies scheint mir für die Behandlung meines Themas, welches innerhalb des derzeit dominanten Wirtschaftssystems angesiedelt ist, geradezu eine Einladung zu dieser Darstellungsform zu sein. Denn dieses Wirtschaftssystem – ich nenne es den 64 Interview viii, S. 98 65 Vgl. Duden. Das Fremdwörterbuch, 1974 66 Adorno, Essay, S. 10
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Kapitalismus, der überwiegend vom Finanzmarkt, von den großen Unternehmen und von den wichtigsten Technologien bestimmt ist – wird kritiklos befürwortet und zugleich ebenso intensiv abgelehnt, und Anhänger beider Gruppen sind derzeit ohne Alternative. Der wissenschaftliche Hintergrund erfordert jedoch auch Festlegungen des Umgangs mit den wissenschaftlichen Standards, was in manchen wissenschaftlichen Ausführungen zur essayistischen Form als Widerspruch gesehen wird. So wird beispielsweise auf die Zitierung in Fußnoten nicht verzichtet. Und bei der Entscheidung, ob Zitat oder sinngemäße Referierung des Inhalts mit Verweis auf die Quelle, habe ich mich trotz Unterbrechung des Stiles oft für das Zitat entschieden, weil mir der Inhalt durch das Zitat am besten wiedergegeben erschien. Die Angemessenheit in der Würdigung des Zitats kann nur aus dem Kontext, dem es entnommen, und in Verbindung, wie es in diesem Vorhaben verwendet wurde, eingeschätzt werden. Ich hoffe damit der Angemessenheit entsprochen zu haben. Ich habe versucht, die Abkürzungen zu disziplinspezifischen Begrifflichkeiten und die Fachtermini selbst in Fußnoten beziehungsweise im Glossar zu erklären und mit den entsprechenden Präpositionen und einschränkenden Konjunktionen (Annahme, in etwa beziehungsweise ungefähr) einerseits die Vielfalt der den Begriffen zugeordneten Definitionen anzudeuten, andererseits auch auf den Kontext, in dem ich sie verwende, Bezug zu nehmen. Somit sind diese Termini nicht mit einer einzigen gültigen Definition erklärt. Ziel dieser Erklärungen ist es, die inter- beziehungsweise transdisziplinären Grundsätze der Themenbearbeitung zu unterstützen, weil damit Menschen, die nur in einer Disziplin (zum Beispiel Betriebswirtschaft oder Finanzwissenschaft oder Ökonomie oder Philosophie usw.) ausgebildet sind oder die rein praktische Erfahrungen haben, auch erreicht werden können. Die Transdisziplinarität hat zur Folge, dass die Darstellungsform dieses Vorhabens im weitesten Sinne nicht hierarchisch ist. Zusammenhänge zwischen den Interviewpartnern, die sich nicht oder nur zufällig kennen, sind nicht durch eine logische Struktur, wie sie wissenschaftlichen Arbeiten zugrunde liegt, dargestellt. Die Unterschiedlichkeit ihrer unternehmerischen Aktivitäten, das NichtVorhandensein einer allgemein gültigen Theorie der Internationalisierung und der korrespondierenden Investitionsentscheidungen verlangt eine andere, in diesem Kontext eher ungewohnte Darstellungsform. Die Abschnitte beziehungsweise die einzelnen Essays können in der vorgeschlagenen oder in beliebiger Reihenfolge gelesen werden. Deshalb habe ich auch auf eine Gliederung mit Zahlen (i, i.i, …) verzichtet. Jeder Essay behandelt ein Thema, das, zugunsten punktueller, vertiefender Erkundungen, nicht den Anspruch erhebt, erschöpfend behandelt worden zu sein. Solche bewussten 44
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Auslassungen entstehen aus meiner Einschätzung, dass bestimmte Details keinen Erkenntniszuwachs mehr versprechen, nicht praktisch zu verwerten wären oder ich sie im Zusammenhang mit dem engeren Thema für überflüssig halte. Mitunter sind sie auch dem transdisziplinären Zugang zum Thema, hier beispielsweise der Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft beziehungsweise Politik, zum Opfer gefallen oder erscheinen mir als irrelevant. Die methodische Entscheidung, offene Interviews zu führen, bedeutet, aus dem gesprächsweise Angesprochenen etwas zu machen. Denn auch das vielleicht zufällig nicht Thematisierte oder nur Angedeutete und für das Spannungsfeld von Theorie und Praxis Bedeutsame muss mitbedacht und bearbeitet werden. Damit jedoch nicht so leicht der Vorwurf der Manipulation entstehen kann, sind in der Forschungshaltung Grundsätze der Transparenz festzulegen. Ein möglicher Grundsatz ist beispielsweise, sämtliche geführten Interviews dem interessierten Leser als Interviewsammlung zur Verfügung zu stellen.67 Die Interventionsforschung sieht in ihrem Repertoire vor, Interviewergebnisse aus der subjektiven Sicht des Forschers an den oder die Beforschten mündlich rückzukoppeln und durch diese Rückkoppelung eine vergemeinschaftete Meinung von Forscher und Beforschten herzustellen. Meine Richtungsentscheidungen sind nicht zu verleugnen, sie sind aus der Biografie, der Auswahl des Forschungsthemas, dem Forschungsinteresse und aus den Forschungsfragen ableitbar.68 Und Auslassungen einerseits und Überraschungen andererseits sind mit der eingangs erwähnten Unerreichbarkeit von Vollständigkeit begründet. Denn wenn beispielsweise die Ehefrau des Unternehmers im gemeinsamen Urlaub eine Standortentscheidung für eine Investition am Urlaubsort trifft, so ist das wissenschaftlich betrachtet wohl eine Überraschung, in der Praxis kommt es jedoch vor. Doch wie sollen solche Überraschungen69 wissenschaftlich verwertet werden? Indem man in allen infrage kommenden Wissenschaften nach einem Zusammenhang sucht – das wäre ein aufwendiger Zugang! Vielmehr sollte man versuchen, die Vielfältigkeit durch die Interventionsforschung in den Griff zu bekommen,70 durch Methoden, Modelle, Hintergrundtheorien, die wesentlichsten Themenfelder von kmu (Familie und Unternehmen, Eigentum, wirtschaftliche Existenz) und durch eigene Entscheidungen. Mit der Einstellung, dass die Wirtschaft etwas zutiefst Lebendiges ist, ist – trotz des Problembewusstseins, was 67 Das kann ich nicht anbieten, weil ich den Interviewpartnern Anonymität zugesichert habe. 68 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Grundlegungen«. 69 Vgl. P. Heintel, et al., Investitionen in Kärnten 70 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft«.
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die Auswirkungen auf das Wirtschaften betrifft – auch die Freude am Forschen und an der Darstellung verknüpft. Eine Struktur ist noch erkennbar – beispielsweise mit der Themenzuordnung in Kapitel und Teile. Erläuterungen könnten aber auch einem anderen Kapitel zugeordnet werden, was ich durch Hinweise auf die eigenen Ausführungen in einem anderen Essay zu lösen versucht habe. Es werden auch manche Probleme bei mehreren Themen angesprochen und es musste entschieden werden, wie viele Redundanzen eine Dissertation verträgt, die anbietet, dass man beim Lesen eines Essays gute Hinweise zum Problem erhält, um dann selbst weiterdenken zu können. Ebenso verhält es sich mit der Problematik adäquater Überschriften und damit der Struktur beziehungsweise Abfolge der Arbeit. Die Darstellungsform des Essays kommt dieser thematischen Vielfalt entgegen. Die Benutzung »verschiedenartiger Quellen […]: ökonomische Daten, historische Darstellungen, Sozialtheorien« 71 und die Erforschung des Alltagslebens durch die Stützung auf Interviews und auf das Alltagsleben gebühren einem Essay. 72 Die transdisziplinäre Forschung sucht auch nach Antworten in der Ökonomie, in den Rechtswissenschaften, der Religion, in den Kulturwissenschaften und weiteren verwandten Wissenschaftsdisziplinen, um Phänomene in Bezug auf Internationalisierungsentscheidungen zu erklären.73 Der in den Computer eingetippte und dann zu Papier gebrachte Text ist ein zeitabhängiges Resultat, gespeist aus der Lektüre von Büchern, Zeitschriften, aus Internetrecherchen, Interviews, Seminarunterlagen, persönlichen Erfahrungen, Eindrücken, Diskussionen, Dissertantenkollegs, Forschungskolloquien, Symposien und vielem anderen mehr. Er ist eine individuell generierte Antwort auf die heutige entgrenzte Komplexitäts- und Informations- situation unter persönlichen Festlegungen. Er soll in erster Linie vermitteln, und zwar zwischen den Unternehmern, die Entscheidungen treffen (wollen), »und den Spezialisten einer Wissenselite, die geheim und hoch qualifiziert forschen. […] Essayistische Denk- und Handlungsformen [machen] damit noch die spezialisiertesten Wissensfelder beschreibbar und so für jedermann zugänglich […]. Emergierende essayistische Strukturen – so suggeriert es diese Idealvorstellung – machen die Welt gegenwärtig verständlicher und öffentlicher.« 74 Es ist für mich damit die Frage in Bezug auf das gegenständliche Vorhaben beantwortet, dass es für den Entscheidungsträger-Leser beziehungsweise den Forscher-Leser besser ist, mit offenen Punkten alleingelassen zu werden, doch mit Motivation ausgestattet, das 71, 72 R. Sennett, Der flexible Mensch, Berlin 2006, S. 12 73 Kahre, Netz 74 Ebd., S. 3. Kahre bezieht mit diesen Ausführungen auf P. Sloterdijk, Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus, Frankfurt/M. 1999.
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Thema weiter zu besprechen und zu bearbeiten, als eine logisch geschlossene Abhandlung vorzufinden. Mit der Veröffentlichung in dieser Darstellungsform sollen Bedingungen geschaffen werden, unter denen ein Thema erneut und damit auch in differenzierter Form sichtbar werden kann. Denn Internationalisierungsprojekte verlaufen selten genauso wie ursprünglich geplant. Forscher, die sich für die Methode des offenen Interviews entschieden haben, fragen sich »nicht so sehr, wie kohärent die Geschichten sind, die […] die Menschen erzählen, sondern welche Anstrengungen sie unternehmen, um ihren Geschichten Kohärenz zu verleihen«.75 Es ist nämlich ein Unterschied ob »Wissenschaft als Summe, als System axiomatisch deduktiver Aussagen über einen wohlbestimmten Gegenstandsbereich definiert wird, dort sind Abhandlungen, nicht Essays möglich. Aber insofern ja jede Wissenschaft eine Gegenständlichkeit festlegt und diese auch Thema kritischer Reflexion wird, vermag es durchaus einen wissenschaftlichen Essay zu geben.« 76 Max Bense zieht für den Vergleich von experimentellem Schreiben des Essays und wissenschaftlicher Abhandlung die Abgrenzung von theoretischer und experimenteller Physik heran. »In der experimentellen Physik, um bei unserem Vergleich zu bleiben, stellt man eine Frage an die Natur, indem sie ihre Gesetzmäßigkeiten aus mathematischen Notwendigkeiten analytisch, axiomatisch, deduktiv demonstriert. So unterscheidet sich also der Essay von einer Abhandlung. Essayistisch schreibt, wer experimentierend verfasst, wer also einen Gegenstand hin und her wälzt, befragt, betastet, prüft, durchreflektiert, wer von verschiedenen Seiten auf ihn losgeht und in seinem Geistesblick sammelt, was er sieht, und verwortet, was der Gegenstand unter den im Schreiben geschaffenen Bedingungen sehen lässt.« 77 Bei Dissertationen ist die essayistische Darstellungsform die Ausnahme. Eine auf Empirie basierende wissenschaftliche Abhandlung zum Thema würde üblicherweise an das Ende von Hunderten Seiten zusammengefasster und teilweise neu geordneter Theoriekapitel einige Seiten empirischer Aussagen und Schlussfolgerungen stellen. Diese würden dann den einzelnen Theorieansätzen zugeordnet werden, um überprüfbar zu sein. Die meiner Arbeit zugrunde liegenden offenen Interviews beinhalten jedoch einerseits so viele unterschiedliche Aspekte, dass am Ende, wenn nach den Methoden empirischer Recherchen vorgegangen würde, viele Zitate in die Rahmen der verschiedenen Internationalisierungstheorien eingeordnet werden könnten. Und es würde viel Interessantes diesem Zu- und Einordnen zum Opfer fallen. Andererseits sind die in vielen Fällen 75 R. Sennett, Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 2007, S. 149 76 M. Bense, Über den Essay und seine Prosa, in: Merkur, Stuttgart 1947, S. 414 – 424, S. 421 77 Ebd., S. 418
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gar nicht neuen Erkenntnisse für mich und meine Interviewpartner ein mitunter gar vernachlässigbares Resultat in Relation zum betriebenen Aufwand. Die heute vorherrschende Meinung, dass die traditionelle Form wissenschaftlicher Darstellung die einzig mögliche sei, um wissenschaftlich ernst genommen zu werden, kann man auch so interpretieren, dass damit der bescheidene wissenschaftliche Erkenntnisgewinn schnell erfasst werden kann – mit dem Lesen des Inhaltsverzeichnisses, der Einleitung, der verwendeten Literatur und der Zusammenfassung. »Wenn es wissenschaftlich ›ernst wird‹, so kann man pointieren, wenn es um die ›Natur‹ des Menschen geht, scheint der Essay als Mischform heute noch außerhalb der eigentlichen Entscheidungen und Willensbildungsprozesse zu bleiben. Auch hier, wissenschaftsintern betrachtet, scheint die Favorisierung des Essays als Leitmedium eines neuen Wissenschaftsverständnisses noch jederzeit in ihr Gegenteil, den Geltungsbereich ›erster‹ und ›einziger‹, axiomatischer Wahrheitsansprüche, zu kippen oder dies zumindest jederzeit tun zu können.« 78 Der Vorteil dieser Darstellungsform ist, dass in jedem Essay mit einer gewissen Leichtigkeit Neues beschrieben und gefunden werden kann. Der Theoriegewinn und der praktische Nutzen sind abhängig von der Neugierde, vom praktischen Wissen des Lesers in Bezug auf seine individuelle Entscheidungssituation. Der Essay »fängt nicht mit Adam und Eva an, sondern mit dem, worüber er reden will. Er sagt, was ihm daran abgeht, bricht ab, wo er sich selbst am Ende fühlt, und nicht dort, wo kein Rest mehr bliebe.« 79 Verlangt wird in der strengen Auslegung von Essays, dass sie Themen aufschließen und nicht Geschichten von Personen erzählen.80 Mit dieser strengen Auslegung des Essays decken sich die Auslegungen von Wissenschaft. Auch sie soll nicht Geschichten von Personen erzählen. So wird auf der einen Seite mit der Interventionsforschung durch die gewählte Methode des offenen Interviews der Bezug zum Menschen hergestellt. Mit der Formulierung seines Problems beziehungsweise seines Zugangs zur Lösung entsteht auf der anderen Seite die Idee, das Problem beziehungsweise den Lösungszugang sowohl als Prozess darzustellen als auch Inhalte zu vermitteln – und das Mittel der Wahl ist die essayistische Darstellung. Damit ist auch das Ausmaß der Objektivität definiert: »Denn das Maß solcher Objektivität ist nicht die Verifizierung behaupteter Thesen durch ihre wiederholte Prüfung, sondern die in Hoffnung und Desillusion zusammengehaltene einzelmenschliche Erfahrung. Sie verleiht ihren Beobachtungen erinnernd durch Bestätigung oder Widerlegung Relief.« 81 »Im Verhältnis zur [natur-] 78 Kahre, Netz, S. 10 79 Adorno, Essay, S. 10 80 Vgl. ebd., S. 13
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wissenschaftlichen Prozedur und ihrer […] Grundlegung als Methode zieht der Essay, der Idee nach, die volle Konsequenz aus der Kritik am System. Selbst die empirischen Lehren, welche der unabschließbaren, nicht antizipierbaren Erfahrung den Vorrang vor der festen begrifflichen Ordnung zumessen, bleiben insofern systematisch, als sie mehr oder minder konstant vorgestellte Bedingungen von Erkenntnis erörtern und diese in möglichst bruchlosem Zusammenhang entwickeln.« 82 Dadurch soll auch die Vielschichtigkeit des Themas nicht zu sehr reduziert werden, vielmehr sollen die Modelle 83 und Theorien für sich stehen. Die Praxis soll nicht in das abstrakte Modell hineingezwungen werden. Weder dem Modell beziehungsweise der Theorie auf der einen noch der Praxis auf der anderen Seite wäre damit gedient. Es wird versucht, dem Widerspruch zwischen dem experimentellen Verfassen und einer Struktur zu entsprechen, indem die innere Struktur ähnlichen Konzepten folgt – was auch mit dem Ablauf des gegenständlichen Forschungsprojekts zu tun hat. Hintergrundtheoretische Ansätze und die recherchierten Fakten sollen in das Problem hineinführen. Es sind dabei auch jene Themen anzusprechen, die zum Problem werden, falls gar nichts passiert, falls nichts entschieden wird und letztlich der Sachzwang dominiert. Um diesen Sachzwang zu erkennen und ihm idealerweise zu entgehen, wird das weitere Augenmerk immer wieder auf die Entscheidungsprozesse gelenkt. Und mit der Betrachtung der Bedingungen für Entscheidungen bewegen sich der Autor und der Interviewte direkt in die Organisation hinein. Denn bei Entscheidungen ist sowohl das Individuum als auch die Organisation betroffen. Der oder die Entscheidungsträger entscheiden für viele nicht direkt in die Entscheidung Eingebundene, doch von der Entscheidung Betroffene mit. Doch es wird nicht nur verarbeitet, was aus der Theorie und aus den Interviews hergeleitet wurde. Praxis und Theorie werden durch eigene Erfahrungen, Erinnerungsspuren und Anregungen angereichert und sollen Erkenntnisse für die Entscheidungsträger hervorbringen. Der Leser, ob als Entscheidungsträger oder am Thema Interessierter, soll mit dieser kompakten Darstellungsform in ein aktuelles komplexes Thema leichter hineinfinden. Das soll auch dazu dienen, um mit der unübersichtlichen Informationssituation zurechtzukommen, um sich also selbst ein Bild zu machen. Die Information wird nicht bereitgestellt – es ist auch nicht möglich –, die Hinweise auf die Unübersichtlichkeit sollen Orientierung ermöglichen. 81 Ebd., S. 15 82 Ebd., S. 16f 83 Siehe dazu meine Ausführungen in den Essays »Modelle und Wirklichkeit(en) im Management« sowie »Theorien der Internationalisierung von Unternehmen«.
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Zur Unübersichtlichkeit der Information Google 84 Amazon 85
Internationalisierung Foreign Direct Investment Foreign Direct Investment Direktinvestitionen Internationalisierung
1,590.000 3,410.000 10.017 279 691
Treffer Treffer englische deutsche deutsche
Bücher Bücher Bücher
Internet-Abfrage am 15. 6. 2008
Die Menge der Management- und Wissenschaftsliteratur zur Internationalisierung und zu ihren Teilgebieten wie beispielsweise Direktinvestitionen hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Doch wie die betroffenen Unternehmer, nämlich jene die sich mit Internationalisierungsthemen konkret auseinandersetzen, in kurzer Zeit einen Gesamtüberblick über verschiedene Zugänge zu Internationalisierungsaktivitäten erhalten können, ist meiner Ansicht nach nicht so leicht herauszufinden. Sie sind jedoch auch nicht aufgeschlossen in Bezug auf Theorien und Analysen. Manche Forschungsarbeiten, insbesondere jene, die auf verhaltensorientierten Theorien aufbauen, wollen Ignoranz 86 herausgefunden haben. Die Relevanz beziehungsweise auch die Nicht-Relevanz der Theorieaspekte wurde bei den Interviews, die ich mit Entscheidungsträgern von Internationalisierungsprojekten führte, nie angesprochen. Ich habe auch selten danach gefragt. Deshalb mache ich es mir in diesem Essay zur Aufgabe, einem Unternehmer, der ein Internationalisierungsprojekt plant, Zugänge und Orientierung in Bezug auf die wissenschaftlichen Arbeiten der letzten 40 Jahre zu eröffnen, um diese für ihn nutzbar zu machen. Dazu verweise ich auch auf die Ausführungen zu den Theorien der Internationalisierung. Sie sind eine kompakte Darstellung der wichtigsten Theorieaspekte. 87 Was findet man als Beobachter der Theoriebildung vor? Fließende Übergänge der Theorien (von einer zur anderen) und viele hin und wieder widersprüchliche Erklärungsmuster. Sie weisen meiner Ansicht nach einerseits auf den geringen Fortschritt in der Theoriebildung andererseits auf vermehrte Praxiseinflüsse auf die Theoriebildung hin. Eine einzige, jedoch 84 www.google.com 85 www.amazon.com: foreign direct investment, beziehungsweise www.amazon.de: Direktinvestitionen, Internationalisierung 86 B. A. Apel, M. Reihlen, Internationalisierung als Lernprozess – ein konstruktivistischer Ansatz, in: M. Reihlen, A. Rohde, Internationalisierung professioneller Dienstleistungsunternehmen, Köln 2006, S. 80; http://www.spl.uni-koeln.de/fileadmin/documents/Mitarbeiter/Reihlen_Publikationen/Apel_Reihlen_Internationalisierung_als_Lernprozess.pdf (26. 1. 2008) 87 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Theorien der Internationalisierung«.
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wirksame Theorie, so meine These, würde beinahe von selbst bekannt werden und von der theoretischen Seite her die Praxis durchdringen. Weiters ist wichtig zu wissen, dass unterschiedlichste Wissenschaften Zugänge zum Thema Internationalisierung finden. Bei der Informationsbeschaffung kann man sich als Praktiker leicht verirren. Denn »in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung gibt es kaum einen Zweig, der keine Aussagen zu Ursachen und Wirkungen der Direktinvestitionen macht: Genannt seien hier die Bereiche der Kapitalbeziehungsweise Zinstheorie, der Außenhandels-, Standort-, Zahlungsbilanz-, Wechselkurs-, Beschäftigungs-, Konjunktur-, Entwicklungs-, Wachstums-, Wettbewerbs-, Markt- und Spieltheorie, der Wirtschaftsgeographie sowie des Industrial-Approach- oder des Transaktionskosten-Ansatzes.« 88 Dies sind nur einige wirtschaftswissenschaftliche Teildisziplinen. Es muss noch einmal betont werden, dass trotz starker Zunahme der Forschung im Bereich der Internationalisierung von Unternehmen es noch keine befriedigende Internationalisierungstheorie gibt. So wird die Suche nach einer umfassenden Theorie zwar von manchen Wissenschaftern zur zentralen Herausforderung erklärt.89 Meine These dagegen ist, dass die Entwicklung einer Theorie, wenn man die bisherigen theoretischen Entwicklungen und die Kritiken beobachtet, keinesfalls absehbar ist. Entweder es fehlen in den theoretischen Ansätzen wesentliche Aspekte aus der unternehmerischen Praxis, oder sie sind auf einem Abstraktionsniveau, wo dann wieder alles passt und man damit nichts anfangen kann. Ich bezeichne also die Suche nach einer allgemein akzeptierten Internationalisierungstheorie provokant als »leere Kilometer«. Einen Ausweg aus diesem Dilemma sehe ich bei den theoretischen Begründungen von Untersuchungen im eklektischen Ansatz, der aus mehreren Theorieansätzen zusammengesetzt ist. J. H. Dunning hat argumentiert, dass für Direktinvestitionen im Ausland neben Kosten- und Standortvorteilen auch Eigentümerinteressen von entscheidender Bedeutung seien. Eigentümerinteressen waren in seinen Überlegungen ursprünglich auf das Ökonomische beschränkt und wurden später um Machtinteressen und Optionen erweitert. Am häufigsten wird zur Erklärung der Internationalisierung die Internalisierungstheorie herangezogen. Diese hat einen breiten theoretischen Hintergrund. Ihre Vertreter sind R. Coase, O. Williamson und Buckley/Casson. Knapp dargestellt bedeuten 88, 89 Ch. Reker A. Knorr, A. Lemper, A. Sell, K. Wohlmuth (Hrsg.), Direktinvestitionstheorie: Stand und Potenzial der Ursachenforschung. Materialien des Wissenschaftsschwerpunktes »Globalisierung der Weltwirtschaft«, Bd. 26, August 2003 (ehemals: Materialien des Universitätsschwerpunktes »Internationale Wirtschaftsbeziehungen und Internationales Management«), S. 28; www.iwim.uni-bremen.de/publikationen/pdf/ W026.pdf (28. 12. 2006)
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diese Theorien, dass Produkte dann selbst hergestellt werden, wenn Transaktionskosten, das sind Beschaffungskosten, Logistikkosten usw., höher sind als das »Selbermachen«. Die Standorttheorie und vor allem die Neue Außenhandelstheorie,90 die ebenfalls eine umfassende Erklärung der Direktinvestitionen umfasst, finden im Vergleich dazu wenig Beachtung. Die beiden letztgenannten Theorien stellen auf differenzierte bilaterale Verträge in Bezug auf Waren- und Kapitalströme zwischen Staaten ab und sind dadurch für Vertreter des freien Welthandels mit zu großen Einschränkungen des Postulates des freien Handels verbunden. Deren Hauptargument für das Wachstum des weltweiten Wohlstandes ist der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital. Doch dass dieses Postulat nicht immer für alle Staaten von Vorteil ist, zeigt die Verarmung mancher rohstoffreicher Länder der Dritten Welt. Natürlich können mit den bilateralen Verträgen auch andere als wirtschaftspolitische Faktoren verknüpft werden. Ein Beispiel für ein Vorgehen nach den Grundsätzen der Neuen Außenhandelstheorie ist der unterschiedliche Ölpreis, den Russland verschiedenen Staaten verrechnet. Alle Theorien weisen zwei Mängel auf, die die Entwicklung einer möglichst umfassenden Direktinvestitionstheorie erheblich erschweren: Sie unterschätzen einerseits die Dynamik und die Dezentralität unternehmerischer Entscheidungen, andererseits die Kosten von Auslandsinvestitionen.91 Beide Argumente sind wichtig für mein Vorhaben. Einerseits bei Unternehmern, die sich internationalisiert haben, nachzufragen, und andererseits Hinweise zu geben, was kmu, insbesondere mit sehr beschränkten Finanzierungsspielräumen, tun können. Denn die Dynamik unternehmerischer Entscheidungen, die Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten der Interviews stützen die These, dass dadurch ein höherer Erkenntnisstand in Bezug auf die Aufschließung wichtiger Themen hervorgebracht werden kann als durch die Suche nach einer umfassenden Theorie der Internationalisierung von Unternehmen. Darauf weist jedenfalls die Vielfalt in der praktischen Umsetzung von Internationalisierungsprojekten hin. Wenn man bei Entscheidungsträgern nachfragt, welche Ansätze sie für die Internationalisierungsüberlegungen angewendet haben, erhält man meistens als Antwort, dass das auf das jeweilige Geschäfts(-modell) ankomme. Und wenn man eine klassische Herangehensweise, mit vorheriger Hypothesenbildung, anwendet, kann man nur Antworten einordnen, oder man benötigt nur Antworten, welche die Hypothese abstützen. Wozu dient also die Befassung mit Internationalisierung 90 P. Krugman ist deren prominentester Vertreter; siehe dazu auch meine Ausführungen in »Theorien der Internationalisierung«. 91 vgl. Reker et al., Direktinvestitionstheorie, S. 28
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oder Direktinvestitionen? In der ökonomischen Theorie geht es auf der betrieblichen Ebene (Mikroebene) vor allem um die Begründung der rationalen Existenzberechtigung des Unternehmens. Im Artikel »The Nature of the Firm« 92 heißt es sinngemäß, dass Unternehmen dann entstehen, wenn die Summe von Produktionskosten, inklusive produktspezifischen Investitionen, Informations-, Verhandlungs- und Kontrollkosten, pro nachgefragtem Stück kleiner ist als die Beschaffung desselben Gutes über einen individuell ausgehandelten Vertrag am Markt. Der Zugang über den Markt erfordert die Auswahl des potenziellen Kunden, die Darstellung der eigenen Position (Produkt, Preis usw.), die Verhandlung, den Abschluss eines Vertrages und die Kontrolle seiner Einhaltung. Somit ergibt sich aus der Internalisierung der Kostenarten der Vorteil gegenüber dem Markt und damit die Existenzberechtigung für ein Unternehmen.93 Dieser Aufsatz zählt zu den meistzitierten in ökonomischen Publikationen, der Autor wurde mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Was steckt in diesem Artikel? Ein fulminanter Beitrag zur Klarheit. Warum existieren diese Gebilde, genannt Unternehmen? Weil nicht jedes Produkt direkt am Markt erwerbbar ist – direkt bezogen werden kann. Der Kunde formuliert Nachfrage nach Produkten, die organisiert, transformiert oder aus verschiedenen Vorleistungen materieller und vor allem immaterieller Natur verändert werden müssen. Und das geschieht in Unternehmen. Das Phänomen Markt selbst ist also nicht kostenlos – eine bedeutende Erkenntnis. Die Begründungen zur Existenzberechtigung eines Unternehmens von R. Coase müssen in Bezug auf die leichtere Verfügbarkeit der Information, die durch das Internet gegeben ist, nicht verändert werden. Der Abstraktionsgrad der Theorie lässt zu, dass sich durch das Internet nichts an den Grundaussagen ändert. In der unternehmerischen Praxis ist das traditionelle Unternehmen mit seinen Organisationsmechanismen der Beschaffung und der Verarbeitung von Information durch das Internet stark beeinflusst. Durch die globale Infrastruktur des Internets wurden die Kosten der Suche nach Kapital, Mitarbeitern oder Patenten wesentlich verringert. Es suchen aber auch mehr Unternehmen nach diesen Ressourcen, was insgesamt zu einer Erhöhung des Konkurrenzdrucks geführt hat. Ein Beispiel für diese Feststellung sind die Marktplätze der elektronischen Auktionshäuser, sie ersetzen aufwendige Informations- und Verhandlungskosten. Dadurch hat sich beispielsweise auch das geografisch eingrenzbare Alleinstellungsmerkmal eines reinen Handelsbetriebes 92 R. H. Coase, Nature of the Firm, in: Economica, New Series, Vol. 4, No. 16 (Nov., 1937), S. 386 – 405 93 Der Titel des Aufsatzes, »The Nature of the Firm«, weist auf eine naturwissenschaftliche Zugehörigkeit der Begründungen hin.
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verändert. Es ist bereits durch die verfügbare Information eine neue Verhandlungssituation zwischen Anbieter(n) und Nachfrager(n) entstanden. Wenn also ein regionaler Autohändler ein Auto teurer verkaufen will, als ein vergleichbares Modell bei eBay kostet, wird dies schwer zu argumentieren sein, obwohl der auch in diesem Ort lebende Käufer lieber bei ihm kaufen würde. Der Transaktionskostenansatz in Verbindung mit dem Markt-HierarchieParadigma von Williamson,94 wonach nicht nur die Erstellung von Gütern Kosten verursacht, sondern auch die Organisation der Tauschabwicklung, ist somit die theoretische Basis der Ökonomen für die Internationalisierung von Unternehmen durch Internalisierung der Transaktionen. Diese Arbeiten sind die theoretische Basis für die sehr populäre und oft verwendete Entscheidungsalternative »Make or buy«.95 Mit dieser wird rechnerisch eine Entscheidung für die kostengünstigere Variante argumentiert: Lieferantenbeziehung oder eigene Produktion. Auch hier zeigt die Praxis viele zusätzliche Entscheidungsmerkmale, wie beispielsweise Markenpolitik, Marktmacht, Stellung des Eigentums, Informationsmonopol über mehrere Produktionsprozessschritte, das Wissen im Unternehmen und die nicht patentierbaren Vorteile. Diese Entscheidungsalternative kann mit den heutigen Informationsmöglichkeiten auch neue Verhandlungspositionen ergeben und dies in einem geografisch größeren Wirtschaftsraum. Somit hat ein Unternehmen zwei Möglichkeiten, internationale Transaktionen abzuwickeln. Erstens über den Markt durch Kooperationspartner und Lizenzvergaben sowie die entsprechenden Verträge und Kontrollmechanismen. Zweitens durch das eigene Unternehmen als Exporteur oder durch Direktinvestitionen.96 Wie kann diese Theorie für die praktische Umsetzung genutzt werden? Dazu sind auch noch Zusammenhänge mit der Finanzwelt und der realen Produktionswelt zu betrachten. Die Tatsache, dass sich in den letzten 100 Jahren immer größere Unternehmen entwickelt haben, lässt sich auf die Beherrschung von Chancen- (Kosten, Markt, Technologie) und Risikokombinationen (politisch-rechtliches System, Umwelt, Infrastruktur, Währung) zurückführen – das 94 O. E. Williamson, Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications, New York 1975; vgl. zum Beispiel: New Economy in kleinen und mittleren Unternehmen, in: Jahrbuch der kmu-Forschung 2002, Hrsg. Jörn-Axel Meyer, Universität Flensburg S. 245f; www.uni-hohenheim.de/www510e/fisch/pap-eb-mey.pdf (6. 4. 2007) 95 Siehe dazu auch meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«. 96 Vgl. P. J. Buckley, M. Casson, The Future of the Multinational Enterprise, London 1976 (vgl. Jahrbuch der kmu-Forschung 2002, Hrsg. Jörn-Axel Meyer, Universität Flensburg S. 245f)
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enorme, vor allem in multinationalen Unternehmen vorhandene Risikokapital ist die Hauptstütze dieser Beherrschung. Dieses industriell investierte Kapital ermöglicht es großen Unternehmen, Einfluss auf die Finanzmärkte auszuüben. In der Beschaffung von Kapital und in dessen Veranlagung sind sie als Finanzintermediäre bedeutende Spieler – salopp gesagt: Sie haben neben ihrer Rolle als Produzent bankähnliche Funktionen. Sie unterliegen, weil sie nur eigenes (Anleger-)Geld investieren, nicht den Regeln und Einschränkungen der (ohnehin relativ zahnlosen) Aufsichtsinstitutionen der Finanzmärkte. Und sie können sich durch ihre Marktstellung und ihr industrielles Know-how beinahe jedes interessante Unternehmen kaufen. Die Beschaffung von Geld am Finanzmarkt und die Veranlagung am Realinvestitionsgütermarkt und am Finanzmarkt ist eine wirtschaftlich sehr interessante Kombination. Diese Kombination steht den kmu nicht zur Verfügung. Die oben angesprochene Internalisierungstheorie gekoppelt mit dem Markt-Hierarchie-Ansatz ist also ein Internationalisierungsansatz für große Unternehmen. Das lässt sich beispielsweise aus folgenden Merkmalen einer Unternehmung ableiten: Eigentum an mindestens zwei Stufen im Produktionsprozess, die traditionelle Form der Vertikalität, zentrale, durch das Eigentum bestimmte Entscheidungen, eher unvollständige Informationssituation, weil diese nicht unbedingt erforderlich ist. Denn wenn zwei oder mehrere Stufen in einer Hand sind, benötigt man keine genauen Spezifizierungen, und Transparenz mobilisiert bestenfalls die Konkurrenz. Man hat es also hier mit einer monopolähnlichen Situation auf der Angebotsseite zu tun. Dagegen sind unter Marktbedingungen eher kurzfristige, auftragsbezogene Entscheidungen üblich, die Informationssituation ist besser, weil die Produktspezifikationen zwischen den Wertschöpfungsstufen Vertragsbestandteil sind. Und es gibt verschiedene Eigentümer in den einzelnen Stufen des Produktionsprozesses. Diese Beschreibung gibt Hinweise darauf, dass vertikal integrierte international aufgestellte Unternehmen viel Kapital aufweisen, dieses durch die monopolartige Situation auch bedienen können und damit das Markt-HierarchieParadigma kaum Bedeutung für kmu hat – außer jener, dass diese Theorie für sie nicht relevant ist. Die Frage, ob es von Nutzen ist, darüber Bescheid zu wissen, möchte ich trotzdem mit Ja beantworten. Die Anfänge der Internationalisierungsüberlegungen gehen auf die Theorie relativer Kostenvorteile von David Ricardo (1817) zurück. Einen wissenschaftlichen Aufschwung nahm die Befassung mit dem Thema Direktinvestitionen und Internationalisierung in den 1960er-Jahren. Neben der Internalisierungstheorie entstanden behavioristische und empirische Ansätze. Lange Zeit war ein Modell in den Publikationen vorherrschend, das einen »natürlich« scheinenden Ablauf der Internationalisierung skizzierte. Wenn man einem Unternehmer 55
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dieses Modell erklärt, empfindet er es auch als natürlich. Es unterstellt, dass ein Unternehmen zuerst über Aufträge eine Region kennenlernt, was bei Erfolg letztendlich zu einer Direktinvestition vor Ort führt. Praktische Relevanz hat auch dieses plausibel klingende Lernmodell 97 kaum – es gibt aber auch Ausnahmen.98 Einer der Hauptkritikpunkte an diesem verhaltensorientierten Lernmodell ist, dass das Verhalten der »born globals« durch dieses Modell nicht abgebildet werden kann. Was sind born globals? Dies sind vor allem Gründungsunternehmen und kmu, welche ihr Geschäftsmodell für die ganze Welt, unabhängig von Standorten, aufgebaut haben. Sie haben ein spezielles Nischenangebot, eine herausragende Innovation, aber auch hohe Entwicklungskosten, weshalb ein geografisch begrenzter Markt nicht ausreicht. Eine weitere Kategorie der Internationalisierungstheorien umfasst empirische Theorien und Standortanalysen. Diese Arbeiten weisen eine Vielfalt an Motiven auf und weisen dadurch indirekt darauf hin, dass es keinen Modellfortschritt geben wird, wo alle Hauptaspekte der Internationalisierung abgebildet sein werden.99 Die Unübersichtlichkeit der Theorien führte zu vielen wissenschaftlichen Anläufen. Und die meisten empirischen Arbeiten beschäftigen sich mit der Zuordnung der Internationalisierungsmotive zu den einzelnen Theorien. Für einen Entscheidungsträger bieten diese Zusammenstellungen wenig Unterstützung. Die Arbeiten selbst werden durch die Unübersichtlichkeit der Theorieansätze immer umfangreicher. Der Theoriegewinn stellt sich als relativ gering dar, der Gewinn für die Praxis ist auch in meinen Interviews nicht klar geworden. Bei Nachfragen nach einem von der Theorie abgeleiteten unternehmensspezifischen Internationalisierungsmodell reagierten die Befragten mit Erstaunen. Meine Interviewpartner vermittelten den Eindruck, dass ich etwas ganz anderes wissen wolle und gingen dann zu anderen vermeintlichen Antworten auf meine Frage über, etwa zu den Währungsproblemen mit dem us-$, der Rolle des Handels im internationalen Geschäft, Interkulturalität usw.100 Der Unternehmer, der die Investitionsentscheidung fällen muss, sitzt also zwischen den Stühlen der Wissenschaftsdisziplinen. Ich möchte noch weiter gehen: Die Vielfalt der oben angeführten Wissenschaften wird in ihrer Bandbreite noch immer als zu eng wahrgenommen, wenn man sich die Breite des The97 J. Johanson, J. E. Vahlne, The Mechanism of Internationalisation, in: J. Johanson, et al. (Hrsg.), Internationalisation, Relationships and Networks, Uppsala 1994, www.kmu.unisg.ch/rencontres/RENC2004/Topics/Zanger_Renc_2004_Topic_A.pdf (22. 2. 2008) 98 Interview vii, S. 77 99 Dazu siehe die Details in meinem Essay »Theorien der Internationalisierung«. 100 Vgl. Interview vii, S. 79, Interview zu, S. 237
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mas vor Augen führt und auf den Nutzengewinn für den Entscheidungsträger abstellt. Es gibt nämlich noch weitere Disziplinen: Die Familienforschung, die Management- und Organisationsforschung, viele Aspekte aus den Kulturwissenschaften, alle möglichen Methoden aus empirischen Forschungsdisziplinen und so weiter und so fort. Die Möglichkeit, aus den verschiedenen Ansätzen einen generellen Fortschritt in der Internationalisierungstheorie zu entwickeln, erscheint also wirklich zweifelhaft. Und doch ist ein Hineinschnuppern in vorhandene Theorien nützlich, um bei den Unternehmern Ansatzpunkte zu finden, inwieweit die Theorieaspekte für ihre Direktinvestitionen von Relevanz waren, beziehungsweise Hinweise für die verschiedenen Unternehmenssituationen geben zu können. Für Entscheider ist es ohnehin unmöglich, auf die allumfassende Theorie zu warten. Für die Partner von Entscheidern wie die Familie, die Finanzpartner und die Mitarbeiter kann es vertrauensbildend sein, wenn sie durch diese Arbeit erfahren, wo Wissen für die Internationalisierungsentscheidung abrufbar ist und in welchen Zusammenhängen Wissen vor allem in den letzten 40 Jahren generiert wurde. Damit sind aber auch bereits die Grenzen aufgezeigt. Das Unternehmen ist kein disziplinorientiert zu erforschendes und zu beratendes Konstrukt. Technologien und Produkte werden mit naturwissenschaftlichen Methoden ständig weiterentwickelt, Psychologie, Ökonomie und weitere Wissenschaftsdisziplinen sind die wissenschaftliche Basis für das Management. Diese Ausdifferenzierung führt zum Problem, dass es für die Entscheidungsträger schwierig ist, Unterstützung durch die Wissenschaft(en) und die Literatur zu erhalten. Die beschriebene Situation weist eine gewisse Enge auf. Diese Enge führt nur zu kleinen Erkenntniszuwächsen bei enormen wissenschaftlichen Anstrengungen und entfernt sich zugleich vom realen Problem. Die Ausdifferenzierung ist von einem Wissenschaftsbereich abgeschaut, wo sie ihre Tradition und auch zum enormen Erfolg der Wissenschaften und der Wirtschaft geführt hat, nämlich in den Naturwissenschaften. Aber man braucht beides. Denn »es gibt Probleme […], deren Disziplin wir noch nicht gefunden haben. Es gibt aber auch Probleme, ist man versucht hinzuzufügen, deren Disziplin wir vielleicht nie finden werden und die trotzdem ihrer Bearbeitung mit den Möglichkeiten der Wissenschaften harren.« 101 Die Öffnung der Wissenschaften hin zu realen Problemstellungen – wie hier zum Thema der Internationalisierung von kmu – kann auch über eine Veränderung der Forschungsdefinition in Angriff genommen werden. Diese neue Definition von wissenschaftlichem Fortschritt,102 die nicht 101 H. Nowotny, Es ist so, es könnte auch anders sein, 1999, S. 66 vgl. 67f 102 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft«.
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mehr nur allgemeingültige Ergebnisse und »eine komplexe Verbindung von Ideen, Methoden, Normen, Praktiken, Instrumenten und institutionellen Voraussetzungen« 103 als wissenschaftlichen Fortschritt akzeptiert, sondern aus sehr heterogenen Zusammenhängen Anwendungen für die Umsetzungspraxis vorschlägt, ist eine andere Form von Wissensproduktion. Die Zugänge aus den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen auf eine Problemstellung können beides leisten: Wissenszuwachs in den einzelnen Wissenschaften und Erhöhung der Lösungskompetenz bei der spezifischen Problemstellung. Diese Art der Wissens- produktion orientiert sich an den Adressaten. Damit entsteht eine »Freiheit, die nicht an Experten delegiert wird, sondern versucht herauszufinden, was das System selbst wahrnimmt und für sich zu verwenden lernt«.104 Daraus leiten sich die Kompetenzen der Experten ab, es sind dies die Kompetenzen Prozesse zu organisieren, Erfahrungen aus anderen Zusammenhängen beizubringen und die Organisation zu unterstützen, ihr eigenes Modell zu finden, um Bedingungen für Entscheidungen herauszuarbeiten.105 Von besonderer Bedeutung ist dabei die dafür vorgesehene Zeit, worauf nicht nur ich hinweise, denn »der sichtbar gewonnene Zeitbedarf verlangt[e] nach neuer Sinnzuschreibung: In der Spannung, die durch die Kluft zwischen der Erlebnis- und Verarbeitungsfähigkeit des Einzelnen und jener der Welt entstand, kam es darauf an, ›Fortschritt‹ nicht nur aus seinen objektiv-inhaltlichen Zwangsläufigkeiten heraus zu verstehen, sondern als etwas, das durch Methode, Organisation und Institution vorangebracht und durch Beschleunigung zusammengedrängt werden kann.« 106 Damit kann, so paradox dies klingt, indem man sich Zeit nimmt, Zeit gespart werden. Deshalb sind mir auch einige abschließende Feststellungen in Bezug auf das Thema Literatur und Informationssituation in Bezug auf Internationalisierung wichtig. Die Auswahl, welche Modelle und Checklisten gelehrt werden, wird noch immer von Wissenschaftern, meist von disziplinorientierten Wissenschaftern, getroffen. Hingegen wählt das Management jene Modelle aus, nach denen in der Praxis gearbeitet wird. Somit bestimmt das Geschäftsmodell in der unternehmerischen Umsetzung die ihm zugrunde liegenden Modelle. Diese zwei Welten führen zur (Un-)Übersichtlichkeit der Informationen und verlangen Suchprozesse, die sich vom linearen Denken verabschieden.107 Das sind Suchprozesse, die nicht an Experten delegiert, sondern bedarfsorientiert aus dem Unternehmen heraus in Gang gesetzt werden. Die Zusammenhänge findet 103 104 105 106 107
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Nowotny, Es ist so, S. 67f P. Heintel, Zur Grundaxiomatik der Interventionsforschung, 2005, S. 125 Vgl. ebd., S. 125f H. Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, 1986, S. 240, in: Nowotny, Es ist so, S. 89 Vgl. Nowotny, Es ist so, S. 90
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man durch Begleitprozesse und Hintergrundtheorien.108 Diese operieren häufig mit einer philosophischen Theorie von Widersprüchen, werden projektbezogen angeboten und sollen Möglichkeiten des Verstehens von Logiken und von Prinzipien bieten.109 Aber es kann auch so sein, dass die Methoden, Modelle und Organisationsformen das individuelle Geschäft(-smodell) bestimmen. Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidungsträger für die Umsetzung Partner benötigen, also nicht alleine entscheiden können. Für die Überzeugungsarbeit bei Partnern (Mitgesellschaftern, Vorstandskollegen und Financiers auf der Eigen- und Fremdkapitalseite) braucht man Modelle. Und diese Modelle 110 erleichtern, wenn sie verstanden werden, die Durchsetzung von Interessen. Und sie können einen Beitrag zur Überwindung der Unübersichtlichkeit der Informationen bieten. Doch die traditionelle Form wissenschaftlichen Arbeitens ist angehalten, bei den Theorien nachzuschlagen.
108 Zu Hintergrundtheorien ist im Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft« etwas zu finden. 109 L. Krainer, Einführung in die Interventionsforschung, 2007, S. 54f 110 Zu Modellen siehe den Essay »Modelle und Wirklichkeiten im Management«.
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Theorien der Internationalisierung von Unternehmen Die Theorien der Internationalisierung von Unternehmen sind so alt wie die Theorien der Ökonomie selbst. Heute gibt es Theorien und Modelle von höchster Ausdifferenzierung bis hin zu Diskussionsbeiträgen, die die Theorie der Internationalisierung für obsolet erklären. Die Unübersichtlichkeit führt nicht zuletzt dazu, dass es wenig Sinn hat, wenn sich die Unternehmen in der Praxis an den Theorien orientieren. Antworten in den Interviews, die ich geführt habe, weisen ganz selten auf die eine oder andere Theorie hin, ohne dass dies den Entscheidern explizit bewusst ist.111 Der Klassiker
Die Theorie der absoluten Kostenvorteile von Adam Smith und insbesondere die Theorie der komparativen Kostenvorteile von David Ricardo besagen, dass die Vorteilhaftigkeit des Handels zwischen zwei Ländern [Anmerkung: nicht zwei Unternehmen!] nicht von den absoluten Produktionskosten abhängt, sondern von den relativen Kosten der produzierten Güter zueinander. »Grundsätzlich ist demnach der Handel zwischen zwei Ländern immer vorteilhaft, wenn bei beiden Handelspartnern unterschiedliche Produktionskostenstrukturen existieren, das heißt, wenn ein Land für ein produziertes Gut auf weniger Einheiten eines anderen Gutes verzichten muss als das andere Land (niedrigere Opportunitätskosten).« 112 In diesem Fall sollte jedes Land sich auf das Gut spezialisieren, das es relativ (komparativ) günstiger herstellen kann. Ricardo führt uns jedoch auch die praktische Begrenztheit seiner Theorie vor Augen, und zwar mit dem Argument, dass sie nur gültig sei, solange der Faktor Kapital immobil sei. »It would undoubtedly be advantageous to the capitalists of England and to the consumers in both countries, that under such circumstances, the wine and the cloth should both be made in Portugal, and therefore that the capital and labour of England employed in making cloth, should be removed to Portugal for that purpose.« 113 Der bereits von Ricardo erkannte Anachronismus vom immobilem Kapital beziehungsweise der Begrenztheit der Theorie durch diese Annahme hat heute zwei dramatische Ausprägungen, welche das Auseinanderdriften im Vorgehen bei der Internationalisierung zwischen großen Unternehmen und kmu bestimmen. Da ist einerseits das jederzeit in beinahe jedem Ausmaß verfügbare Kapital 111 Vgl. Interview vii, S. 77 112 http://de.wikipedia.org/wiki/Komparativer_Kostenvorteil (27. 11. 2008) 113 D. Ricardo, On the Principles of Political Economy and Taxation (1817), Hildesheim/ New York, Nachdruck 1977, S. 161f.
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großer (Finanz-)Konzerne. Mit der ausreichenden Verfügbarkeit von Kapital lässt sich ein Investment durch Nachschüsse so lange aufrechterhalten, bis neue Umstände, die vielleicht dann Erfolg versprechen, eintreten. Auf der anderen Seite steht die schwierige Beherrschung eines einzelnen Investments, einer Direktinvestition, von kmu. Die klassische Außenhandelstheorie zeigt auch auf, dass die Internationalisierung eher eine branchenstrukturelle (zum Beispiel Kostenstruktur) als eine vom Management getriebene Ursache hat. In der Theorie wird immer von der Mobilität des Kapitals ausgegangen. Deshalb wird im Allgemeinen die von den Klassikern angenommene Immobilität des Kapitals als größte Schwäche der klassischen Internationalisierungstheorie angesehen. Doch meiner Meinung nach interessant ist der Zusammenhang zwischen Immobilität des Kapitals in Bezug auf den Verlust an Kontrollmöglichkeit des Investments, denn dieser Zusammenhang macht die klassische Theorie zum eigentlichen und praktischen Wegbereiter für die Internationalisierung, insbesondere von kmu. Wie beherrsche ich mein Investment? ist eine ganz aktuelle Fragestellung am Beginn einer Investition in einer wenig bekannten Region. Und hier ist die liquiditäts- und rentabilitätsorientierte Beherrschung gemeint. Darüber hinausgehende Motive werden weit hintangestellt beziehungsweise kommen erst danach. Aus dieser Situation, die eine Vorentscheidung 114 darstellt, sind Internationalisierungsprojekte von kmu zu beurteilen. Adam Smith zieht die Investition im Inland jener im Ausland vor und meint, dass die Risken mit der Entfernung vom eigenen Land anwüchsen. Mit der Warnung vor den Risiken und mit der Empfehlung zu höheren Inlandsinvestitionen glaubte er, dass sich der Wohlstand im eigenen Land vermehren würde. Und hier unterliegt er einem Irrtum, denn »der Reichtum Englands ist nicht durch Arbeit und Sparsamkeit zustande gekommen, wie Adam Smith es propagierte. Er wurde vielmehr hervorgerufen durch Fremdenergie in Form von Wind, der die Segel der Handelsschiffe blähte und über die Meere führte – der Wind wurde später durch Kohle und dann durch Erdöl ersetzt.« 115 Neuere ökonomische Theorien der Internationalisierung – FDI-Theorien116 Neue Außenhandelstheorie
Paul R. Krugman vom hat als einer der Vertreter der neuen Außenhandelstheorie (New Trade Theory) die Vorteile des uneingeschränkten Handels zwischen Ländern und damit den Hauptverdienst der klassischen Außenhandelstheorie in Frage gestellt und die Abnahme von Zollbarrieren und die Abnahme von 114 Siehe meine Ausführungen im Essay »Existenzielle Entscheidungen«. 115 H. Ch. Binswanger, Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen, München 1998, S. 63
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Transportkosten als einen Grund für die Zunahme von Disparitäten im Wohlstandsvergleich einzelner Staaten angeführt. Anders als die klassische Außenhandelstheorie geht die neue Außenhandelstheorie davon aus, dass aufgrund von »zirkulärer Verursachung« 117 regionale Disparitäten 118 dauerhaft sind und sich die Abstände im Einkommen und somit im Wohlstand von Ländern permanent vergrößern. Dazu ist auf folgende Unschärfe in den Diskussionen aufmerksam zu machen: Es weisen durch die zunehmende internationale wirtschaftliche Verflechtung und den freien Handel auch die ärmsten Länder Wirtschaftswachstum auf. Gemeint ist jedoch, dass sich der Abstand zwischen den armen und den reichen Ländern vergrößert, weil ein prozentuell hohes Wachstum auf einer niedrigen Basis absolut noch immer viel weniger ist als ein prozentuell niedriges Wachstum, das sich mit einem hohen Ausgangsniveau vergleicht. Das ist somit kein statistischer Fehler – es ist ein Appell an die Genauigkeit in der Argumentation. In Fortführung der Außenhandelstheorie und unter Einbeziehung von Erkenntnissen der Wachstumstheorien legte Krugman mit seinem Buch »Geography and Trade« (1991) einen Grundstein für die neue Außenhandelstheorie. Zentrale Komponente für die Erklärung der (regionalen) wirtschaftlichen Entwicklung ist neben den Transportkosten auch der Grenznutzen. Am Ende seiner Ausführungen über die neue Außenhandelstheorie verbindet Krugman, der diese Annahmen ausführlich begründet, die Komponenten und kommt dabei hinsichtlich der anhaltenden Divergenz der regionalen Entwicklungspfade zu folgendem Schluss: »There are costs to transactions across space; there are economies of scale in production. Because of economies of scale, producers have an incentive to concentrate production of each good or service in a limited number of locations. Because of the costs of transacting across distance, the preferred locations for each individual producer are those where demand is large or supply of inputs is particularly convenient – which in general are the locations chosen by other producers. Thus concentrations of industry, once established, tend to be self sustaining.« 119 Die Außenhandelstheorien erläutern den Nutzen von Exportaktivitäten zwischen einzelnen Ländern, jedoch nicht zwischen einzelnen Unternehmen. Sie 116 fdi: Foreign Direct Investment 117 K. A. Crow, Ausgleichs- versus Wachstumsziel. Eine Effektivitätsanalyse der Gemeinschaftsaufgabe »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur am Beispiel SachsenAnhalt« (Diss.), Ziele und Konzepte der Regionalpolitik, S. 57, zit. Myrdal 1957 sundoc.bibliothek.uni-halle.de/diss-online/01/01A7371/t5.pdf (2. 4. 2007) 118 Zu Disparitäten s. Glossar. 119 P. Krugman, Geography and Trade, Cambridge, Mass. 1991, in: K. A. Crow, Ausgleichsversus Wachstumsziel, (Diss.) Berlin 2001, S. 57, http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv? idn=963258117 (29. 7. 2008)
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meinen aber nicht die Staatswirtschaften und sind somit den privatwirtschaftlich kapitalistischen volkswirtschaftlichen Theorien zuzuordnen. Für das einzelne Unternehmen liefern sie jedoch keinen Erklärungsansatz für ausländische Direktinvestitionen. Mit diesen Theorien werden volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen wie Währung und Zölle erklärt. In der Theoriediskussion sind sie, obwohl sie einen interessanten Gegenansatz zum Postulat des freien Handels anbieten, wenig präsent. Ihre praktische Relevanz ist jedoch eindeutig gegeben: Eine Standortentscheidung soll, wenn sie eine kostenbedingte und nicht eine durch den Markt bedingte ist, den größtmöglichen Gesamtkostenvorteil betrachten. Die Entwicklungsdynamik des neuen Standortes ist auch zu beachten. Das bedeutet, dass ein Zusammenhang zwischen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen wie politischer und rechtlicher Stabilität, Währungsstabilität usw. und Kosten hergestellt werden soll. Eine positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung wirkt sich dann auch auf die Direktinvestition aus. Versteckt in diesen Zusammenhängen ist auch das Argument aller Wachstumsbefürworter: Wachstum ist Ursache und zugleich Voraussetzung für politische Stabilität, weil erst durch das Wachstum die Diskussionen über die Verteilung auf der Basis des Wachstums geführt werden. Eine weitere Brücke zu den unternehmensbezogenen Theorien schafft noch die folgende Theorie. Monopolistische Vorteilstheorie von Hymer
Das Beherrschungsargument, ein für kmu besonders wichtiges Argument in der Internationalisierung, ist in der monopolistischen Vorteilstheorie ausgearbeitet. Hymer sieht einen »entscheidenden Unterschied darin, dass der Unternehmer über die Direktinvestitionen gegenüber der Portfolioinvestition [die lediglich den Kauf von Gesellschaftsanteilen vorsieht] einen wirksamen und dauerhaften Einfluss auf die Geschäftsführung und die Ertragsgestaltung eines Unternehmens gewinnen und erhalten könne (Kontrollmotiv) – ein Aspekt, der seitdem als ein wesentliches Definitionsmerkmal der Direktinvestitionen gilt«,120 und der somit das moderne Element der ricardianischen Außenhandelstheorie ist. Zum Zweiten wies Hymer darauf hin, dass Unternehmer bei Direktinvestitionen gegenüber den im Ausland beheimateten Anbietern benachteiligt seien, da sie sprachliche, kulturelle, rechtliche, politische und wirtschaftliche Nachteile in 120 Ch. Reker A. Knorr, A. Lemper, A. Sell, K. Wohlmuth (Hrsg.), Direktinvestitionstheorie: Stand und Potenzial der Ursachenforschung. Materialien des Wissenschaftsschwerpunktes »Globalisierung der Weltwirtschaft«, Bd. 26, August 2003 (ehemals: Materialien des Universitätsschwerpunktes »Internationale Wirtschaftsbeziehungen und Internationales Management«), S. 4, www.iwim.uni-bremen.de/publikationen/pdf/W026.pdf (29. 07. 2008)
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Kauf zu nehmen hätten, deren Überwindung Kosten verursachten. Wenn trotzdem im Ausland investiert würde, müssten diese Nachteile durch firmenspezifische Vorteile überkompensiert werden. Diese Vorteile wurden in der Folge in mehreren Studien konkretisiert und schließlich von Dunning (1977) in einer Weise zusammengefasst und gruppiert, die einen erheblichen Einfluss auf die weitere Forschung gewonnen hat.121 Die kontrollbezogenen Vorteile, einerseits durch die Beisteuerung von Management, andererseits die Vorteile im Produktionsverfahren bei den Produkten und Technologien, können kurzfristige ökonomische Vorteile ergeben und somit zum rascheren Wachstum beitragen als bei Finanzinvestitionen (Portfolioinvestitionen). Dem steht als Nachteil die persönliche Involvierung der Eigentümer gegenüber, die sich bei Schwierigkeiten aus emotionaler und sozialer Verbundenheit nicht so leicht zurückziehen können wie bei reinen Finanzinvestitionen. Weiters ist auch zu beachten, dass der Vorteilstheorie das eher politische Argument der Überlegenheit der westlichen Ökonomien innewohnt, da sie auf Größe, Macht, Vorteilen im Rechtssystem (zum Beispiel Patente) und kapitalbedingten Vorteilen aufbaut. Sie ist dadurch für die Begründung von Internationalisierungsaktivitäten von kmu nicht in jedem Fall geeignet. Die Vorteilstheorie hat bei kmu dann Relevanz, wenn das kmu zum bedeutenden Beschäftigungsträger am neuen Standort wird beziehungsweise wenn das neue Unternehmen das sozioökonomische Umfeld massiv verändert – was auch für die oben ausformulierte Beherrschung des Investments eine Rolle spielt. Eklektische Theorie von Dunning
Eine der sehr oft zitierten Theorien zur Internationalisierung ist die eklektische 122 Theorie von Dunning. Die eklektische Theorie erweitert die Transaktionskostentheorie mit ihrem zentralen Postulat, nämlich der Internalisierung von Kostenvorteilen, um Eigentumsvorteile und Standortvorteile im Ausland. Nur bei Vorhandensein aller drei Vorteilsarten entscheidet sich das Unternehmen für eine Direktinvestition im Ausland. Fällt der Standortvorteil im Ausland weg, werden vertragliche Exportkooperationen der Direktinvestition vorgezogen.123 Die Theorie stellt zwar nur auf Vermutungen ab und weist gegenüber den einzelnen ökonomischen Theorien eine geringe theoretische Fundierung auf, sie aber meiner Ansicht nach als Erklärungsansatz bedeutender als viele andere 121 Vgl. ebd. 122 Zu Eklektizismus s. Glossar. 123 J. H. Dunning, Explaining international production, S. 28, entnommen aus K. B. Nienhaber, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen, 2003, S. 76
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Theorien. Der Begriff »eklektisch« weist darauf hin, dass mehrere Theorien verknüpft werden. Vorteil dieser Verknüpfung ist die Praktikabilität der Theorie. Bestandteile der eklektischen Theorie von Dunning sind also die oben angesprochene monopolistische Vorteilstheorie von Hymer, die klassische Standorttheorie 124 und der Internalisierungsansatz von Coase/Williamson. Die Kritik an der Theorie führte zu späteren Ergänzungen um die Aspekte der Investitionsmotive und der Faktorausstattungen einzelner Länder. Für die Hinterfragung der Aspekte der Entscheidung für Direktinvestitionen sind die Elemente der eklektischen Theorie ganz eindeutig relevant. Das wesentlichste Element dieser Theorie, das Erfordernis der Analyse der standortbezogenen Vorteile, ist für Entscheidungsträger wahrscheinlich das bedeutendste. Aus heutiger Sicht (2009) ist das Verdienst dieser Theorie, einzelne Aspekte anderer Theorien zusammengefasst zu haben. Sie eignet sich auch als praktische Checkliste bei Internationalisierungsentscheidungen und hat insofern Modellbildungsfunktion. Verhaltensorientierte (behavioristische) Internationalisierungstheorien
Viele Forschungen im Feld der Auslandsinvestitionen resultierten aus den realen Entwicklungen der multinationalen Unternehmungen. Es wurde die Annahme getroffen, dass die Investitionsentscheidung einen Ausgangspunkt markiere und viele Fragen und Erfahrungen, die vor dieser Entscheidung lagen, unberücksichtigt blieben. Eine Änderung dieser Forschungshaltung begann mit Yair Aharoni, der einen verhaltensorientierten Forschungsansatz wählte. Seine Grundannahme war, dass Entscheidungen für Direktinvestitionen einen komplexen sozialen Prozess darstellen, der von sozialen Beziehungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens beeinflusst wird. »First, any one choice made in the organization depends on the social system in which the process takes place; second, the process, although not each one of the decisions from which it is composed, takes a long time; third, decisions are made under uncertainty; fourth, organizations have goals; and finally, there are many constraints on the freedom of action of the decision-maker to be reckoned with.« 125 Meist startet der Prozess mit der Frage, ob überhaupt investiert werden soll, und diese Grundsatzfrage bezieht die Erfahrungen des Unternehmens mit dem Thema Internationalisierung mit ein. 124 In der Standorttheorie, oft auch klassische Standorttheorie genannt, wird ein Investitionsstandort immer nach den Kosten beurteilt. 125 F. Ghanatabadi, Internationalization of Small and Medium-Sized Enterprises in Iran, Luelå University of Technology 2005, S. 21, http://epubl.luth.se/1402-1544/2005/index. shtml (29. 7. 2008); Y. Aharoni, The foreign investment decision process, in: »The Internationalization of the firm«, 1966, hrsg. von Buckley & Ghauri, International Thomson Business Press 1999, S. 1 – 13, hier S. 3
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Danach folgen die Beurteilung und die Investitionsentscheidung. In dieser Phase spielen die Stakeholder des Unternehmens eine wesentliche Rolle: Kunden, Regierungen und auch Mitbewerber, die bereits erfolgreich investiert haben. Aber auch persönliche Motive oder die Angst, den Markt zu verlieren oder durch Protektionismus nicht mehr liefern zu dürfen, spielen in die Überlegungen hinein. Die Grafiken zur behavioristischen Theorie von Aharoni stellen auf einen (statischen) Zusammenhang zwischen der Zunahme der Ressourcenbindung mit der Zunahme der Internationalisierungsintensität ab. Von wenig gebundenen Ressourcen ist bei normalen Exportaktivitäten auszugehen. Die Bindung nimmt mit Vertriebsniederlassungen zu und ist am intensivsten bei einer ausländischen Produktionseinrichtung. Die Kritik an dieser Theorie ist die Annahme eines bewussten Starts zu Internationalisierungsüberlegungen, beispielsweise mit Exportaktivitäten. Dieser Start lässt sich – obwohl auch in Anleitungen zur Strategieentwicklung oft gewünscht und auch von mir vorgeschlagen – in der Praxis kaum festmachen. Zumeist lässt sich das Anfangen selbst als mehrphasiger, stufenweiser Prozess beschreiben, von dem man im Nachhinein auch nicht immer genau sagen kann, wie er begonnen hat und wie er verlaufen ist. Einer der Interviewpartner in der Studie zu Investitionen in Kärnten gab dies nachvollziehbar wieder, indem er auf die Frage, wie es zum Investitionsprojekt gekommen sei, spontan antwortete: »Das hat sich ergeben.« 126 Lerntheorie von Johanson Vahlne (auch Uppsala-Modell beziehungsweise Stufentheorie der Internationalisierung)
Angelehnt an Aharoni führen Johanson/Vahlne die Internationalisierung von Unternehmungen nicht auf ökonomische Faktoren wie Vorteile in der Kostenstruktur oder der Marktpotenziale zurück, sondern auf erworbene Erfahrungen und Lernprozesse. Die Internationalisierungserfahrungen führen zur Steigerung der Intensität von Auslandsaktivitäten und somit wird in die Theorie ein dynamischer Aspekt eingebracht.127 Dieser kann folgendermaßen beschrieben werden: Aus dem operativen Geschäft heraus entsteht neues Wissen, wie die Märkte funktionieren. Aus diesem Wissen heraus werden Entscheidungen über die Bearbeitung der Märkte abgeleitet. Die Bearbeitungsformen sind unterschiedlich (vom 126 P. Heintel, L. Krainer, R. Lerchster, M. Ukowitz, iff-Abteilung für Weiterbildung und systemische Interventionsforschung, Investitionen in Kärnten. Ein Ergebnisbericht, 2007, S. 11 127 D. Holtbrügge, Die Lerntheorie der Internationalisierung von Johanson/Vahlne: Grundzüge, empirische Relevanz und Kritik, Working Paper 3/2005, S. 4f, http://www.im.wiso.uni-erlangen.de/veroeffentlichungen.htm (29. 7. 2008)
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Export bis hin zur Direktinvestition). Was jedoch mit der Unterschiedlichkeit der Bearbeitungsform einhergeht, ist die damit festgelegte Bindung der Aktivität an den jeweiligen Markt. Soll heißen: Mit der Bearbeitungsform durch eine Direktinvestition ist die Bindung und damit die Eigenlogik eines Investitionsprojektes festgelegt. Das Uppsala-Modell hat in den letzten 25 Jahren die Erforschung der Internationalisierung von Unternehmen dominiert. Es wird dort hinterlegten Internationalisierungsmustern und dem Modell selbst ein hoher Erklärungsgehalt konzediert. Auch in meinen Interviews kommt implizit, wenn man sich den Internationalisierungsweg der Unternehmen genau anschaut, gerade dieser Theorie ein gewisses Maß an Relevanz zu. Ich muss betonen, dass sie den Interviewpartnern nicht explizit bekannt ist. »Jüngere Untersuchungen stellen die Brauchbarkeit des Ansatzes allerdings zunehmend in Frage. While the traditional Uppsala […] theories have historical relevance, recent technological, economic, and social conditions appear to have changed in ways that point to new research questions and perhaps alternative explanations for the internationalization process of firms in the new millennium.« 128 Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass der Internationalisierungsprozess lediglich auf unternehmungsinterne Faktoren zurückgeführt wird und andere mögliche Einflüsse vernachlässigt werden. Wie immer spielt das spezifische Geschäftsmodell natürlich eine wesentliche Rolle. Faktoren sind die extern vorgegebenen Transportkosten und die Mühe(-Losigkeit) beim Aufbau von Produktionskapazitäten. Zukünftige Studien sollten deshalb auch externe Faktoren wie die Marktgröße, die Geschäfts-, Rechts- und Wettbewerbsbedingungen sowie die Kundenstrukturen und das Nachfrageverhalten auf ausländischen Märkten einbeziehen.129 Darüber hinaus ist der Einfluss der Branche sowie der verwendeten Technologie auf das Internationalisierungsverhalten von Unternehmungen noch weitgehend ungeklärt.130 Auf den behavioristischen Grundsätzen des Uppsala-Modells bauen auch die innovationsbasierten Ansätze auf. Sie bedeuten, dass verschiedene Generationen von Produkten auf unterschiedlich entwickelten Märkten produziert und verkauft werden. Diese Überlegungen sind meiner Ansicht nach eher im 128 B. M. Oviatt, P. P. McDougall, Challenges for Internationalization Process Theory. The Case of International New Ventures, in: Management International Review, Vol. 37 (1997), Special Issue, in: Holtbrügge, Lerntheorie, S. 26 129 Holtbrügge, Lerntheorie, S. 26; siehe auch: Nordström, The Internationalization Process of the Firm, Stockholm 1991 sowie Pedersen, The Internationalization Process of Danish Firms. Gradual Learning or Discrete Rational Choices?, in: Journal of Transnational Management Development, Vol. 5, No. 2 (2000), S. 75 – 89 130 Holtbrügge, Lerntheorie, S. 26
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Zusammenhang mit Maschinen- und Anlagenbau und bei gebrauchten und generalüberholten Gütern vorherrschend. Sie weisen jedoch auch auf Internationalisierung als inkrementellen (Vor-)Prozess hin. Und zwar, wenn beispielsweise Unternehmen durch Leasingverträge im Besitz von Anlagegütern sind, diese nach Ende der Leasingverträge günstig zurückkaufen beziehungsweise durch eine neue Generation ersetzen können und sich dann für das gebrauchte Investitionsobjekt einen neuen Markt suchen. Das Augenmerk in Bezug auf den Anfang der Internationalisierungsaktivität wird dabei vor die ersten Exportaktivitäten gelegt, was keine herausragende Zusatzerkenntnis bedeutet. Diese Ausdifferenzierungen und Zersplitterungen haben eine weitere Entwicklung in Gang gesetzt. Es wird in Studien auf einen typischen Ablauf beispielsweise nach den Mustern der Lerntheorie abgestellt und es werden danach einige Ablaufschritte untersucht. Die folgende – aus einer derartigen Studie stammende – Grafik soll aufzeigen, wie schwierig es ist, den Ablauf einer Internationalisierungsentscheidung zu skizzieren. Es werden, obwohl von einem offenen Modell ausgegangen wird, meiner Ansicht nach gleich zu Beginn schwerwiegende Einschränkungen getroffen; das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die weißen Felder nicht untersucht werden. Das hat natürlich auch mit den außerhalb der Forschung liegenden Bedingungen für die Möglichkeiten, Forschung zu betreiben, zu tun: Da sind Entscheidungen der zu beforschenden Unternehmen, das zur Verfügung stehende Forschungsbudget und die Zielsetzungen der Auftraggeber, um einige wenige Motive aufzuzählen.131 Mir geht es dabei nicht um Kritik am Vorgehen, sondern nur darum, dass dies eine der praktizierten Vorgehensweisen sein kann, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Es kann nach dieser Vorgehensweise auch ein Forschungsprojekt für ein einzelnes Unternehmen organisiert werden. Doch dann sollte begründet und individuell entschieden werden, welche der in der Grafik erwähnten Felder untersucht werden sollen und welche nicht.132
131 Siehe dazu den Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft« 132 Wenn diese Vorgehensweise gewählt wird, sollte mein Essay »Modelle und Wirklichkeiten im Management« gelesen werden. 133 St. Janotta, Der Standort Kalifornien als Zielregion von Direktinvestitionen des HighTech-Sektors: Entscheidungskriterien und Standortwahlverhalten untersucht am Beispiel deutscher Unternehmen, in: H. D. Haas, H. M. Zademach (Hrsg.), Entwicklungsprozesse und unternehmerische Entscheidungsdeterminanten in Technologieregionen – dargestellt anhand der High-Tech-Standorte Kalifornien (usa) und Bangalore (Indien), wru-Berichte, Heft 18, 2003, S. 5, www.geographie.uni-muenchen.de/department/fiona/ department/wirtschaftsgeo/publikationen/wru/wru18.pdf (2. 3. 2008)
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Unternehmenstradition
Persönlichkeitsstruktur der Unternehmensmitglieder
Unternehmenskultur
Produktbezogene Faktoren
Interaktion der Verhaltensträger
Stressfaktoren / Motive
Interne Faktoren
Weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen
Unternehmensbezogene Faktoren
Externe Faktoren
Abnehmerbezogene Faktoren
Marktbezogene Faktoren
Selektive Wahrnehmung Zielbeitrag der Auslandsmärkte: Lernen
Bewertung
Externe Rückkopplung
Verhalten
Handlung
Internationalisierungsentscheidung
Arten des Auslandsengagement / Auswahl der Zielregion
Direktinvestition
Lizenzvergabe
Standortentscheidung im Ausland
Export
Für vorliegende Arbeit relevante Untersuchungsperspektiven
Ablauf einer Internationalisierungsentscheidung und deren Übertragung auf relevante Untersuchungsperspektiven der [Anm. d. Autors: in der zitierten Studie] vorliegenden Arbeit 133
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Eine vorherrschende Theorie der Internationalisierung?
Michael Porter 134 hat die Internationalisierung von Unternehmen nicht direkt erklärt, sondern die Wettbewerbsfähigkeit von Staaten oder Regionen herausgearbeitet. Und damit wird seiner Ansicht nach durch die Wettbewerbsvorteile von Staaten die Entscheidung für die Internationalisierung von Unternehmen beeinflusst. Seine Hypothese lautet, dass die hohe Entwicklungsdynamik einer Region zu weiteren Ansiedlungen führt. Salopp formuliert: »Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu.« Die hoch entwickelten Standorte in den usa wie beispielsweise das Silicon Valley 135 oder die Gegend um Boston, Massachusetts, lassen sich mit seinen Ansätzen erklären. Die Faktoren, die im Diamond-Modell von Porter für einen Wettbewerbsvorteil von Staaten entscheidend sind, setzen sich aus fünf Positionen zusammen (»five forces«). Es sind dies die Strategie, die Struktur und die Konkurrenzintensität der Industrie (1), die Kompetenz der Zulieferbetriebe und der Dienstleistungsunternehmen (2) sowie die (Beschaffungs-)Bedingungen für die Produktionsfaktoren. Darunter fallen in erster Linie ausgebildete Fachkräfte, aber auch öffentliche Infrastruktur (3). Weiters sind die (hohen) Kundenansprüche, die sich durch deren Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ausdrückt (4), ein wichtiger Punkt. Diese vier privaten Faktoren stehen in Beziehung zueinander. Der Regierung (5) ordnet Porter Einfluss auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die vier privaten Bedingungen und deren Struktur zu.136 Inhärent sind diesen Einflussfaktoren, in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung und damit auf die Standortentscheidungen von Unternehmen, die Grundsätze des us-amerikanischen Wirtschaftssystems.137 Der Ansatz ist jedoch insofern interessant, als traditionellerweise Standortbedingungen als kaum veränderbar gelten und Staaten anhand folgender Faktoren verglichen werden: geografische Lage, Rohstoffe, Ausbildungsstand, Arbeitskräftepotenzial, Kaufkraft, Kapitalstock. Wenn also dem politischen System Einfluss auf die Standortfaktoren zugeschrieben wird, dann kann daraus politische Stabilität und Rechtssicherheit abgeleitet werden. Nach Porter wird über die Kunden- und Lieferantenbeziehungen und den Arbeitsmarkt ein Innovationsdruck aufgebaut und dieser steigert die Attraktivität der Region. Somit wird mit dem Diamond-Modell von Porter dem Staat oder der Öffentlichkeit folgende Aufgabe zugewiesen: Mit der 134 Siehe zum Diamond-Modell (Diamantenmodell) und Cluster: Michael Porter www.12manage.com/methods_porter_diamond_model_de.html (8.4.2007). 135 So wird die Region zwischen Stanford, San Francisco und San Diego genannt. 136 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Akteure und Rahmenbedingungen«. 137 Politische Stabilität, Rechtssicherheit, Zugang zu Kapital und hoher Ausbildungsstand
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Schaffung der Rahmenbedingungen zur Clusterentwicklung werden langfristige Wohlstandsvorteile erzielt und nachhaltige Investitionen getätigt. Dieses Kompetenznetzwerk ist laut Porter nicht so leicht kopierbar. Diese Gestaltungsaufgabe der öffentlichen Hand wird als Zusatzerkenntnis gegenüber der traditionellen Standorttheorie gewertet. Ein Unternehmen, welches eine Direktinvestition in einer fremden Region tätigen will, soll demnach die Kombinationen und die Rahmenbedingungen anhand des Diamond-Modells beurteilen. Diese Kurzzusammenfassung eines wirtschaftspolitisch und managementstrategisch weit verbreiteten Analysewerkzeugs soll meinen Adressaten, den kmu, einen Hinweis für einen Beurteilungszusammenhang zwischen öffentlichen Aufgaben, insbesondere Ausbildung, Infrastruktur- und auch Umweltbedingungen, und den angesiedelten Unternehmen geben. Implizit ist auch dieser Theorie, wie den allermeisten Internationalisierungstheorien, dass für unternehmerische Aktivitäten keine Einschränkungen, außer die gesetzlichen, gelten dürfen. Wirtschaftsförderungen, wie sie in der eu für kmu erlaubt sind, können mit dieser Theorie auch erklärt werden, wenn ihre Vergabe transparent und alle gleich behandelnd erfolgt. Die Überlegungen zu bilateralen Vereinbarungen gemäß der Neuen Außenhandelstheorie, mit dem Ziel des Abbaus regionaler Disparitäten, könnten ebenfalls im Modell von Porter untergebracht werden. In der Realität werden sich Regierungen, die ihr Land wirtschaftlich entwickeln wollen, jedoch kaum gegen den freien Welthandel durchsetzen, sondern sie werden diesen akzeptieren müssen. Summa summarum kann man also sagen, dass Porters Theorie eigentlich eine Standorttheorie ist, die vom Stammsitz des Unternehmens ausgehend eine Beurteilung nach den in seinem Modell angeführten Bedingungen empfiehlt. Empirische Studien zur Internationalisierung
Es gibt eine große Anzahl empirischer Studien zum Thema Internationalisierung. Diese Studien ergeben, dass deren Resultate den in diesem Essay angeführten Theorien zuzuordnen sind. Damit ist auch eine Kritik zu äußern, nämlich dass der Zugang zum Thema Internationalisierung in den empirischen Studien nicht ergebnisoffen ist und man daher vermuten kann, dass bereits durch Vorentscheidungen und Vorhypothesen auf bestimmte Ergebnisse abgezielt wird. In meinen Interviews, und ich habe mit sehr erfolgreichen Entscheidungsträgern ausführlich über die Internationalisierung ihres Unternehmens gesprochen, wurde keine dieser Theorien explizit erwähnt, auf Nachfragen nach bestimmten Modellen und Vorgehensweisen konnte einmal die Lerntheorie als Vorgehen interpretiert werden. Was ich damit sagen will: Die Akteure der Internationalisierung werden in diesen empirischen Studien nicht oder suggestiv 71
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befragt (Fragebogen). Und da alle in diesem Essay angeführten Theorien plausible Aspekte aufweisen, kommen empirische Studien, wenn sie nach einer oder mehreren Theorien explizit fragen und deren Grundgedanken anführen, zu entsprechenden Ergebnissen. Das dient zwar der Abstützung der Theorie, unterstützt jedoch nicht unbedingt Entscheidungsträger bei ihren Internationalisierungsüberlegungen und Entscheidungen. Im Folgenden eine Zusammenfassung der Initialkräfte der schnellen Internationalisierung als Zitat aus einer Tabelle empirischer Studien. Die Tabelle auf der nächsten Seite zeigt durch Doppel- und Mehrfachnennungen, dass es keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen den Initialkräften und den theoretischen Grundlagen gibt, womit der Nutzen in Frage steht. Des Weiteren ist man bei Durchsicht dieser Tabelle geneigt zu glauben, dass es mehrere Lerntheorien gibt, und unwissenschaftlich formuliert, dass »alles für alles passt«. Vielleicht hilft jedoch folgende Zusammenschau? Die Direktinvestitionstheorie, die von Christoph Reker 138 aus vielen wissenschaftlichen Überlegungen zusammengestellt wurde, zeigt beispielsweise folgende Einflussfaktoren auf: 139 Politisch-rechtliche Bedingungen • Währungs- und geldpolitische Bedingungen • Handels- und fiskalpolitische Bedingungen Marktbedingungen • Verhalten anderer Marktteilnehmer • Marktgröße • Faktor- und Gütereigenschaften
138 Reker et al., Direktinvestitionstheorie, Grafik S. 26 139 Man kann sie auch als Checkliste anwenden, im Folgenden die Überschriften aus der Studie, die in der vorigen Fußnote angeführt ist: S. 10 – 25 140 Anmerkung: plz heißt hier Produktlebenszyklus, die plz-Theorie ist von Vernon 141 D. Holtbrügge, B. Enßlinger, Initialkräfte und Erfolgsfaktoren von Born Global Firms, University of Erlangen-Nürnberg, Working Papers, No. 2/2005, S. 11, www.im.wiso.unierlangen.de/download/Working_Papers/working-paper-02-05-born%20global%20 firms.pdf (8. 4. 2007)
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Theoretische Grundlagen
Initialkräfte der schnellen Internationalisierung
Internationalisierungstheorie, Verhaltenswissenschaftliche Theorie
Beschränktes Heimatmarktpotenzial, internationale Vision, Nutzung der internationalen Erfahrung anderer Unternehmungen, Unternehmensgröße, externes Eigenkapital (zusätzliche Gesellschafter), Branchenbeziehungsweise Gastlandkenntnisse, F&E-Intensität, High-Tech-Produkte
Netzwerkansatz
Netzwerkeinbindung
Eklektische Theorie, Stufentheorie, Netzwerkansatz
Produkt: Design, Qualität, Preis, Vertrieb, Image des Herkunftslandes; Persönliche/psychologische Gründe: Einstellung zur Unternehmenstätigkeit, Familie, Persönlichkeit, Ausbildung/Training, Angstlosigkeit; kognitive Faktoren: Netzwerke, Zugang zu Know-how, Kundenorientierung, business skills; Branche: Brancheneinfluss, globaler Markt
Lerntheorie
Technologische Innovation, Möglichkeiten für Wachstum im Ausland, Größe des Heimat-marktes, Grad der Regulierung durch eine nationale Regierung, Branchenbedingungen, Unternehmungseffekte (Technologie, Flexibilität, Komplexität der Transaktion)
Monopolistische Vorteilstheorie, PLZTheorie140, Lerntheorie, Oligopolistische Reaktionstheorie, Internalisierungstheorie, Eklektische Theorie, Strategic-Choice-Ansatz, Netzwerktheorie
Humankapital: Geschlecht, familiärer Hintergrund, Ausbildung; Management-Know-how: Eltern sind ehemalige Unternehmenseigentümer, Alter des Managers, frühere Managementposition, früherer Unternehmungseigentümer, Partner-Gesellschafter, Nutzung von externen Beratern; branchenspezifisches Know-how: Branchenkenntnisse, frühere Erfahrung im Export, früherer Anteil des Exports; Zugang zu Kapital
Monopolistische Vorteilstheorie, Ressourcenbasierter Ansatz, Lerntheorie, Netzwerkansatz, Standorttheorie
Innovationsgehalt/Neuigkeitsgrad des Produktes, Einzigartigkeit des Produktes, Zugang zu Kapital, Internationalität der Unternehmung, Skaleneffekte, Erreichen einer kritischen Kundenzahl, Produkt soll weltweiter Standard werden, Produktlebenszyklus, internationale Erfahrung aus früheren Arbeitsstellen, internationale Ausbildung, Fremdsprachenkenntnisse, persönliche Kontakte/Netzwerke/strategische Partnerschaften, Imitation der Hauptwettbewerber, Standortfaktoren
Lerntheorie
Marktkenntnis, organizational slack, Werthaltigkeit der Ressourcen, Gastlandvorteile
Ressourcenbasierter Ansatz, Oligopolistische Reaktionstheorie
Internationale Erfahrung, Unternehmensgröße, Diversifikationsgrad, Verhalten der Wettbewerber, Marktwachstum in einem spezifischen Produktsektor im Auslandsmarkt, Risiko des Auslandsmarktes, Markteintritt ohne Eigenkapitalbeteiligung
Lerntheorie, Internalisierungstheorie
Kunden, Nischenmarktposition, economies of scale, Netzwerkeinbindung, internationale Erfahrung des Top-Management-Teams, Produktcharakteristika (digitales Gut)
Ressourcenbasierter Ansatz
Humankapital, Organisationskapital, technologisches Kapital, Beziehungskapital
Chronologischer Überblick über den Stand der Forschung zu den Initialkräften einer schnellen Internationalisierung 141
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Mit dieser Grafik möchte Reker auf die Interdependenz bei Direktinvestitionsbedingungen hinweisen. Politisch-rechtliche Bedingungen Eigentums- und Planungsordnung Währungspolitik, Geldpolitik z.B. Wechselkurs, Konvertibilität der Währungen, Inflation, Kreditmarktpolitik
Handels-, Fiskalpolitik z.B. Steuer-, Wettbewerbs-, Industrie-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Umweltpolitik, Handelsbeschränkungen
Erfahrungen, Erwartungen, Risikoeinstellung Persönliche Bedingungen (Direktinvestor) Erfahrungen, Erwartungen, Risikoeinstellung
Marktverhalten Anderer, Nachfrage, Konkurrenten, Beweglichkeit, Vertragspartner
Marktgröße Anbieterzahl, Verfügbarkeit, Absatz, Investition, Größenvorteile
Faktor- und Gütereigenschaften Ausschließbarkeit, Gleichartigkeit, Preis
Markttransparenz Marktbedingungen
Direktinvestitionstheorie: Stand und Potential der Ursachenforschung Stand der Theorien der Internationalisierung (Kurzüberblick)
Wie allen ökonomischen Theorien wohnt auch vielen Internationalisierungstheorien ein hoher Abstraktionsgrad inne. Sie versuchen, sich von verschiedensten Seiten dem Thema zu nähern. Weil keine das Thema umfassend erläutert, sind sie lediglich geeignet, den Hintergrund partieller Zusammenhänge darzustellen. Die Beschreibung eines Internationalisierungsprozesses mit ersten zögerlichen Exportaktivitäten und dem Finale, der Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, klingt gut und hat lange Zeit die Lehrbücher dominiert, beschreibt jedoch nicht den Ist-Zustand von schnell wachsenden Unternehmen. Außenhandelstheorien, Vorteilstheorien, die Eklektische Theorie von Dunning, 74
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verhaltensorientierte (behavioristische) Internationalisierungsprozesse, die Lerntheorie oder auch Stufentheorie der Internationalisierung und Porters Diamond-Modell dienen hauptsächlich als Hintergrundanalysen für empirische Studien. Wenn man, wie beispielhaft in obiger Tabelle dargestellt, die theoretischen Grundlagen den Kräften der Internationalisierung gegenüberstellt, kommt beinahe alles heraus, was gefällt und irgendwie plausibel ist, beziehungsweise – zynisch formuliert – was man zum wissenschaftlichen Arbeiten benötigt. Es lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass die Untersuchung an einem einzelnen Projekt und eine dazugehörige Prozessbeschreibung wesentlich bessere Voraussetzungen für Entscheidungen bringen können. Dafür können die Theorien der Internationalisierung teilweise herangezogen werden. Man muss bei diesem Projekt jedoch auch die Vorentscheidungen, beispielsweise: Was wird untersucht?, transparent machen.142 Da kmu aus verschiedenen Gründen zunehmendem Konkurrenzdruck ausgesetzt sind und die Internationalisierung einen Entwicklungsschritt darstellen kann, ist ein Überblick über die Theorien der Internationalisierung empfehlenswert. Die obige Übersicht kann so einen Überblick geben. Die tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Thema Internationalisierung des eigenen Unternehmens bleibt den Entscheidungsträgern weder durch einen Theorieüberblick noch über eine in Auftrag gegebene empirische Studie erspart. Vorerst ist noch ein Schritt zurück zu machen: Was ist überhaupt unter einer Investition zu verstehen? Die Vorstellung, was eine Investition ist, ist an ihren Grenzen zu ihren Alternativen auszumachen. Und was für einen Unternehmer eine Investition ist, ist für den anderen Luxus oder Konsum – das hat weder viel mit dem Handelsrecht noch viel mit der bilanziellen Zuordnung zu tun.
142 Siehe dazu meine Ausführungen in den Essays »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft« und »Modelle und Wirklichkeiten im Management«.
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Annäherung an einen Investitionsbegriff Eine einfache Geschichte, um sich die Kernmerkmale von Investitionsentscheidungen zu vergegenwärtigen: »Schon bei Aristoteles werden wir fündig, genauer gesagt bei seiner Thales-Geschichte. Thales von Milet war [...] Philosoph [...]. Glaubt man der Überlieferung, so verfügte Thales über regelrechte seherische Fähigkeiten. Jedenfalls standen für ihn eines Frühjahrs die Zeichen auf eine sehr gute Olivenernte – so gut sogar, dass Thales seine gesamten, wiewohl bescheidenen Ersparnisse zusammenkratzte und von den Eigentümern der örtlichen Olivenpressen das Recht erwarb, die Maschinen während der Erntezeit zum marktüblichen Satz zu mieten. Nun, Thales hatte tatsächlich Glück. Die Ernte fiel hervorragend aus, und als die Olivenbauern zu den Pressen strömten, um sich ihr Öl zu beschaffen, stand Thales schon bereit. Er zahlte den Eigentümern der Pressen den vertraglich vereinbarten Mietpreis und kassierte flugs bei den Ölbauern ab – zum Marktpreis natürlich, und der lag angesichts der starken Nachfrage weit über dem Mietpreis für die Pressen. Thales erwarb sich auf diese Weise ein Vermögen und lieferte gleichzeitig ein Paradebeispiel für die sprichwörtliche Cleverness und lebenspraktische Klugheit der so genannten »Sophisten«. Im Prinzip handelt es sich hierbei um das früheste Beispiel eines Realoptionsvertrags. [...] Das risikobehaftete Basisobjekt ist der Mietwert der Olivenpressen. Hauptunsicherheitsfaktor ist die Schwankung im Ernteertrag, doch die eigentlich interessante Variable (das eigentliche Risikoobjekt) ist die Standardabweichung des Wertes der Mietgebühr für die Olivenpressen. Basis- oder Ausübungspreis ist der übliche Mietsatz, wie vertraglich fixiert. Als risikofreier Zinssatz kann vermutlich ein beobachtbarer Marktsatz gelten. Die Laufzeit oder Optionsfrist ist die Zeit bis zur Olivenernte. Der Optionswert wiederum ist die Summe, die Thales den Eigentümern der Pressen zahlte – mithin seine gesamten Ersparnisse.« 143 Warum werden überhaupt Investitionen getätigt?
Einer der Zugänge zum Verständnis von Investitionen ist Betrachtung der Rolle des Unternehmers in der Marktwirtschaft. Zum Unterschied vom Selbstständigen, der meiner Ansicht nach für Einkommen für sich und seine Familie sorgt und bei großem Erfolg auch für seine Freunde, folgt der Unternehmer dem Freiheitsversprechen der Ökonomie durch Gestaltungsentscheidungen,144 sich selbst durch sein Geschäftsmodell zu verwirklichen. Auf die Frage »Warum investieren Unternehmer?« ist die ökonomisch begründete Antwort: Ein wirtschaftlich 143 www.banken-competence-center.de/banken.nsf/429F9B5435E6DF0CC1256CCB004C1CE6/$File/19_26_copeland.pdf, S. 24 (4. 4. 2007) 144 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Managemententscheidungen«
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erfolgreiches Unternehmen erwirtschaftet Mittelüberschüsse und muss sich irgendwann die Frage stellen, was damit zu tun ist. Wenn das Geschäftsmodell erfolgreich ist, so die Antwort, ist dem Modell weiter zu folgen und wieder und wieder zu investieren. Aus dem Verhalten der Verwendung des Mittelüberschusses gibt es den starken Hinweis, dass es sich hier um einen Unternehmer handelt. Für die Verwendung von Vermögen gibt es nicht viele (rationale) Alternativen: konsumieren, investieren oder durch Sparen beides aufschieben. Verschenken, vernichten oder andere auch vorkommende Möglichkeiten werden hier nicht beachtet. Wenn man also die alternativen Verwendungsformen mit dem Wissen des Unternehmers nach dem temporären Vorteil wirtschaftlichen Handelns verknüpft, bleibt also in der Regel nur selbst investieren übrig. Denn – so die Argumentation – wozu das Verdiente in Aktien stecken oder auf Sparbücher legen, das hieße, anderen Unternehmern oder Unternehmen (Banken, Fondsgesellschaften usw.) mehr zuzutrauen als sich selbst. Somit schließt sich der Kreis. Von der Verwendung des erwirtschafteten Überschusses leitet sich die Unternehmereigenschaft ab. Die moderne reale Alternative zum Investieren ist, das erwirtschaftete Geld in Stiftungen zu parken und am Finanzmarkt 145 zu veranlagen. Die Definition ist eng, sie weist nicht auf den Menschen hin, sondern auf seine abstrakte Funktion in der kapitalistischen Ökonomie, und sie ist vollständig. Was sind Investitionen?
Investitionen sind finanzielle Mitteleinsätze zum Erwerb langfristig nutzbarer Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. In der Betriebswirtschaftlehre geht man in Bezug auf die Langfristigkeit von einer Nutzungsdauer von mehr als einem Jahr aus. Diese Formulierung ist meiner Ansicht nach nicht umfassend genug. Ein etwas umfassenderes Bild ergibt folgende Feststellung: Investition ist alles, was nicht kurzfristigen Nutzen bringt, sondern längerfristigen Nutzen erwarten lässt, denn repräsentativ für kurzfristigen Nutzen ist Konsum. Mit dieser Festlegung auf langfristigen Nutzen sind auch Ausbildung, Forschung und Aufbau von Organisationen als Investition abbildbar. Investitionen beinhalten auch wesentliche Erkennungsmerkmale eines Wandels und somit eines Neuanfangs. Es entstehen neue Produkte beziehungsweise dieselben Produkte an neuen Standorten, Dienstleistungen, Wissen, aber auch neue Konkurrenzsituationen und/oder neue Partnerschaften. Die Produktdeterminiertheit von Investitionsentscheidungen ist heutzutage vorherrschend, was einerseits den Geschmack 145 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Investitionen in der realen Wirtschaft – eine eingrenzende Vorentscheidung«.
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einer gewissen Einseitigkeit für die Gestaltung der Zukunft hinterlässt, andererseits ist jedes Unternehmen darauf auszurichten, neue Produkte, neue Produktionsverfahren, neue Dienstleistungen zu generieren. Um den Investitionsbegriff verständlicher zu machen, sollte man noch fragen: Was sind die Kernmerkmale von Investitionsentscheidungen?
In der neueren ökonomischen Literatur wird unter den Eigenschaften von Investitionsentscheidungen angegeben, dass sie irreversibel, handlungsflexibel und unsicher sind.146 Die Irreversibilität beruht auf der Tatsache, dass Investitionsausgaben im Regelfall »versunkene« Kosten darstellen. Zur Handlungsflexibilität kann beispielsweise angeführt werden, dass ein Investitionsprojekt wegen gestiegener Rohstoffpreise (zum Beispiel eine Biogasanlage) vorübergehend stillgelegt oder seine Umsetzung verschoben wird. Während der Dauer eines Investitionsprojektes können diverse Umweltzustände eintreten, deren positiven beziehungsweise negativen Einwirkungen auf das Vorhaben nicht oder zumindest nur ansatzweise vorherzusehen waren.147 Folgendes Beispiel soll aufzeigen, wie weit Einflüsse während der Umsetzung gehen können und wie weit die Irreversibilität gehen kann. Es ist dies das völlig fertiggestellte Atomkraftwerk in Zwentendorf (Österreich), das durch eine Volksabstimmung (1978) und ein darauf beschlossenes Atomsperrgesetz nie in Betrieb ging. Dieses AKW musste nach der Katastrophe von Tschernobyl (1986) endgültig als »versunkenes« Investitionsprojekt angesehen werden. Inzwischen haben zwar die Befürworter von Atomkraftwerken wieder mehr Zustimmung, doch es ist nun auch technisch überaltert. In den Bilanzen der Energieversorgungsunternehmen ist es längst verdaut. Diese versunkenen Kosten, auch »stranded costs« genannt, werden zur Hälfte durch die öffentliche Hand über Steuer reduzierende außerordentliche Abschreibpositionen getragen, die andere Hälfte trägt das Unternehmen. Dieses »Hälfte-Risiko« ist ein wesentlicher Parameter für investitionspolitische Überlegungen und für die Beurteilung des maximalen (Netto-)Ausmaßes versunkener Kosten. Es ermöglicht eine riskantere Investitionspolitik. Diese Hälfte-Risiko-Position nützt nur wirtschaftlich starken Unternehmungen, nur sie können durch Steuererspar146 Vgl. M. Gilroy, E. Lukas, Optionen der Internationalisierung. Motive ausländischer Direktinvestitionen in einem neuen Licht, Forschungs-Forum Paderborn, 7/2004 (25. 2. 2007), www.uni-paderborn.de/ffp/ffp2004.pdf. »Der in diesem Zusammenhang prägende Begriff des Realoptionenansatzes subsumiert dabei drei wesentliche Merkmale von Investitionsentscheidungen: Irreversibilität, Handlungsflexibilitäten sowie Unsicherheit.« S. 6 147 Vgl. ebd.
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nisse einen Teil der nicht rentablen Investitionskosten auf die öffentliche Hand überwälzen. Die Definition einer Investition und das Beispiel müssen noch weiter erläutert werden. Dafür eignen sich plakative Aussagen wie: »Eine Fabrik ist Mittel zum Zweck, sie ist ein Mühlstein am Hals des Unternehmens. Leider braucht man sie zur Güterproduktion!« Den Kunden kann man nur erreichen, wenn man ihm Güter anbieten kann. Die Fabrik ist somit sichtbares Zeichen der Widersprüchlichkeit zwischen dem Investitionsmotiv und dem Erfordernis. Für erfolgreiche wirtschaftliche Aktivitäten benötigt man attraktive Produkte und für die Herstellung dieser Produkte sind Produktionsanlagen erforderlich. Somit liegt in der Investitionsentscheidung das Erfordernis für wirtschaftliche Aktivitäten. Nach derselben Logik kann man ein Hotel aus unternehmerischer Sicht als notwendiges Übel bezeichnen. Der Wunsch des Kunden, die Nacht oder den Urlaub dort zu verbringen, macht das Hotel notwendig. Wenn man aus diesem Wunsch wirtschaftlichen Nutzen ziehen will, muss man ein Hotel zur Verfügung stellen können. Es gibt also nicht das geringste Motiv, ein Hotel oder eine Fabrik ohne Kundenwünsche nach Übernachtungen beziehungsweise nach Produkten zu betreiben. Für die Beurteilung von Financiers und öffentlichen Einrichtungen für Förderungen und Genehmigungen ist dieser Investitionsfokus wesentlich. Denn wozu benötigt beispielsweise ein SoftwareHaus eine eigene Betriebsliegenschaft? In Singapur stellen staatliche Immobiliengesellschaften die Immobilien den Unternehmen gegen Mietzahlung zur Verfügung. Diese müssen jedoch bei ihrem für die Bereitstellung eingereichten Geschäft bleiben und dürfen es ohne Zustimmung nicht verändern. Aus einer Produktionsstätte für Mikroelektronik darf kein Lager für Waren gemacht werden. Doch zurück zur eigentlichen Problematik von Investitionsentscheidungen. Es können finanzielle Mittel, welche für die Errichtung und Ingangsetzung einer Fabrik oder eines Hotels eingesetzt werden, nicht mehr für andere Aktivitäten verwendet werden. Und aus der Investition selbst, also ohne deren Betrieb, entsteht kein unmittelbarer Nutzen. Der Unternehmer kann – wie erwähnt – diese Mittel nicht gleichzeitig für ein anderes Projekt verwenden, er kann sie nicht konsumieren, nicht verschenken, er ist Gefangener seiner eigenen Entscheidung und muss sich somit für einen längeren Zeitraum – vielleicht für die nächsten 10 Jahre – um den wirtschaftlich erfolgreichen Ausgang seiner eigenen Entscheidung bemühen. Erst nach Ende der wirtschaftlichen Bindungsfrist, durch ausgeschüttete oder im Unternehmen akkumulierte Gewinne oder durch den Verkauf des Projekts, ist die unternehmerische Entscheidungsfreiheit wieder gegeben. Aus der Sicht des Unternehmers muss diese Kapitalbindung also 79
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um jeden Preis wieder rückgängig gemacht werden, und dies geht im Regelfall nur damit, dass das Projekt ins Verdienen gebracht wird. Dies bedeutet, dass das eingesetzte Kapital durch Erträge hereingebracht werden muss und über die Laufzeit eine Verzinsung erzielen sollte. Damit ist die Irreversibilität von Investitionsentscheidungen erklärt. Die Handlungsflexibilität erklärt sich durch die Varianten der Umsetzung und den Zeitraum von der Investitionsentscheidung bis zum Ende ihrer Durchführung. Der Spruch »Viele Wege führen nach Rom« eignet sich sehr gut für die Beschreibung der Handlungsflexibilität. Wenn man neben den Wegstrecken den Zeitpunkt des Reiseantritts sowie die verschiedenen Verkehrsmittel berücksichtigt und auch allfällige Verzögerungen, die unterwegs auftreten können, einkalkuliert, erkennt man bald, dass es wirklich viele Möglichkeiten gibt. Bei der Errichtung einer Fabrik geht man vereinfacht davon aus, wie sich die Kundenwünsche, also die zukünftigen Aufträge, zusammensetzen. Davon hängt die Ausgestaltung der Betriebsstätte ab. Während der Errichtung können sich die Wünsche ändern. Es kann extreme Nachfrage auftreten, dann müsste die Fabrik größer gebaut werden. Es können mehrere Unternehmer auf dieselben Wünsche mit Investitionen reagieren – dann müsste die Fabrik produktiver und damit vielleicht teurer ausgestaltet werden. Es könnten neue Gesetze erlassen werden, die bei der Umsetzung der Betriebsanlage zu befolgen sind. Für das Management ergeben sich bei der Umsetzung von Investitionsentscheidungen also sehr viele freiwillige oder unfreiwillige Varianten – Entscheidungen oder Sachzwänge. Investitionsentscheidungen sind mit hoher Unsicherheit behaftet. Sie gelten als die heikelsten Entscheidungen im (Wirtschafts-)Leben: Was wir vererben, sind die Resultate unserer Investitionsentscheidungen – so oder ähnlich könnte eine Formulierung lauten, in der sich der Wunsch verbirgt, ein erfolgreiches Unternehmen auf Dauer einzurichten. Meiner Ansicht nach sind bei Investitionsentscheidungen die ihnen innewohnenden Prozesse zu betrachten, die sich von Ideen über (Real-)Optionen, Entwicklungen, Umsetzungen bis zum »ins Verdienen bringen« erstrecken. Entwicklungen von Produkten oder Fertigungsprozessen müssen bereits bei der Entscheidung zur Entwicklung Gewinnverzicht und in der Regel auch zusätzliche Finanzierungen mit einbeziehen. Gebäude, Maschinen und Geschäftsausstattung sind nur die sichtbaren Zeichen dieses Prozesses. Mit diesen Zeichen verbunden sind irreversible Zustände. Wir haben es bei der Irreversibilität also mit einem Transformationsprozess zu tun, beispielsweise der Transformation eines Investitionskredites in ein Hotelgebäude.
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Warum ist der Begriffsinhalt wichtig?
Die Statistiken zeigen eindeutig zunehmende Aktivitäten auch von kmu im Bereich der Internationalisierung. Für Unternehmen, die Projekte in fremden Regionen überlegen, haben makroökonomische Daten kaum Relevanz. Für eine Entscheidung, sich selbst zu internationalisieren, sind Branchenvergleiche anzuraten. Für eine Investitionsentscheidung ist jedoch die Bezugnahme auf das eigene Geschäftsmodell geboten (Hypothese). Zu dieser Aussage komme ich durch geführte Interviews, diese ergaben deutliche Hinweise auf die Vielfalt der Motive, Entscheidungen und Umsetzungswege – sodass nur eine Zusammenschau von weniger bedeutenden Makrothemen mit der dem Unternehmen eigenen Investitionspolitik, die sehr bedeutend ist, zu erfolgreichen Projekten führen kann. Für dieses Zusammenwirken ist auch ein gemeinsames Verständnis zu finden, wo die begrifflichen und inhaltlichen Zugänge zum Thema Investition angesiedelt sind. Die Erforschung von Entscheidungszusammenhängen gestaltet sich sehr schwierig, weil die Komplexität des Themas zu Vereinfachungen, auch zu Verkürzungen verführt. Eine Systematisierung von Einflussfaktoren kann nur beim einzelnen Unternehmen auf Vollständigkeit hin untersucht werden.148 Immer mit der Herde
»Immer mit der Herde« gilt als Grundsatz in der Finanzwirtschaft, wenn man Erfolg haben will, wenn man vorne dabei ist; das bedeutet bei extremer Kurzfristigkeit, nur um Minuten schneller zu sein als die meisten Kollegen. Ein Aufmerksammachen auf Spekulationsblasen ist für Investmentbanker nicht ratsam. Mit einem so kurzfristigen Vorsprung können Investitionsentscheidungen in der realen Wirtschaft keinen nachhaltigen Erfolg erzielen. Denn Investitionen sollen einerseits langfristigen Nutzen generieren und stellen andererseits nach ihrer Durchführung »stranded costs« dar – man muss lange daran arbeiten, bis die Investition zurückverdient ist. Wenn ein kmu also erkennt, dass Internationalisierung für das eigene Geschäft von Vorteil sein könnte, muss es aufpassen, nicht in eine Welle von Internationalisierungsprojekten hineinzugeraten, welche die zu spät begonnenen Projekte unrentabel macht. Meiner Ansicht nach muss daher der Vorsprung viel größer sein. Denn der sonst auftretende Widerspruch von Geschäftschance durch Internationalisierung und Überkapazitäten ist oft Ausgangspunkt für ruinösen Wettbewerb und belastet die Finanzstruktur 148 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft«.
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der einzelnen Unternehmen einer Branche. Dazu ein Beispiel: Das enorme Wachstum des Marktes für Snowboards am Beginn der 1990er-Jahre führte zu einer Zunahme an Kapazitäten von 200.000 auf über 2,5 Millionen Stück pro Jahr innerhalb weniger Jahre und erzeugte einen ungeheuren Produktivitätsdruck. So produzierten Anfang der 1990er-Jahre 400 Mitarbeiter in einer Kärntner Snowboardfabrik 120.000 Boards. Heute produzieren in derselben Fabrik 150 Mitarbeiter 250.000 Boards. Das Wissen darum führt zu enormem Rentabilitätsdruck auf viele Projekte. Es werden nur Projekte finanziert, die sich in längstens fünf, besser in noch weniger Jahren wieder refinanzieren. Damit gewinnt folgende Hypothese an Bedeutung: Es wird eine Spirale von immer kurzfristigeren Investitionszyklen in Gang gesetzt. Der kurzen Frist kann nur mit einer umfassenderen Betrachtung der Investitionskompetenz auch im Hinblick auf den Optionsbegriff begegnet werden. Damit gewinnt die in diesem Essay angebotene Darstellung des Investitionsbegriffes erhöhte Bedeutung, welche auf »die endlose und kompetitive Ausfaltung neuer Möglichkeiten […] nicht nur in den Regalen der Supermärkte, sondern auch im Reich des Geistes« 149 hinweisen will. Man könnte natürlich kritisch einwerfen: Investitionen gelten als systemimmanentes Element der kapitalistischen Wirtschaft. Das Altern der Produktionseinrichtungen, und zwar weniger durch Abnützung als durch den technischen Fortschritt, führt selbstredend zu Investitionen. Es gibt aber auch andere Zugänge, wie zum Beispiel die hier zugrunde gelegten (Real-)Optionen. Diese weisen auf ein vielfältigeres Chancen-Risiko-Potenzial hin als die finanzmathematischen Betrachtungen der Theorien zu ausländischen Direktinvestitionen. Dazu eine etwas verkürzte, für diesen Kontext jedoch ausreichende Anmerkung: Die finanzmathematischen Modelle zielen durchwegs auf die auf den Investitionszeitpunkt abgezinsten Zukunftserträge ab. Mit der Investition ist ein unternehmerischer Geist verbunden und dieser hört nicht bei Gebäuden und Maschinen zu denken auf. Die Verbreiterung des Investitionsbegriffes ist mir ein Anliegen – obgleich ich die Betrachtung von Investitionen schon wieder einschränke. Ich möchte das Aufmachen des Investitionsbegriffes, wie ich es hier versucht habe, mit der realen Wirtschaft verknüpfen – die folgenden Seiten sollen zum »Warum« anregen.
149 P. Gross, Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt am Main 1994, S. 11 (Vorwort). P. Gross nimmt in dieser Formulierung kritisch auf die Gegenwartsdynamik Bezug. Ich meine, dass es sich mit dieser Anmerkung ziemt, dieses Zitat in meinen Kontext zu stellen, weil insbesondere auf das »Reich des Geistes« verwiesen wird – was bei Investitionsentscheidungen (und hier vor allem bei solchen von kmu) oft vernachlässigt wird.
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Investitionen in der realen Wirtschaft – eine eingrenzende Vorentscheidung Wo ist das »Unternehmerische« im kapitalistischen Modell angesiedelt?
Der Erfolg der Marktwirtschaft war und ist nach wie vor die Wohlstandszunahme seit dem Beginn der ersten industriellen Revolution mit der Verdoppelung des Wohlstands alle 30 bis 40 Jahre. Die Messmethoden wurden zwar immer wieder kritisiert, dennoch muss man von einem Erfolgsmodell sprechen. Eine der Hauptursachen des Erfolges ist die Absicht des Unternehmers, mit seinem Angebot an Produkten Gewinne zu erzielen – Geld zu verdienen. Diese temporäre Überschussgenerierung hat uns Menschen überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, über diesen Überschuss zu entscheiden. Dazu eine Anmerkung: Der 2006 verliehene Friedensnobelpreis (und bezeichnenderweise nicht der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften) an Mohammed Junus, den Gründer einer Bank für Mikrokredite, führt uns in die Anfänge des kapitalistischen Wirtschaftens. Das Instrument des Mikrokredites zeigt uns die Entstehung der landwirtschaftlichen Genossenschaftsbanken und der gewerblichen Volksbanken und ermöglicht es uns, eine über 200-jährige Entwicklung zu vergleichen. Mit dem Kredit hat also vieles begonnen. Nicht zuletzt, dass man dieses Modell natürlich auch von der Zukunft herleiten kann. Mit einem bestimmten Produktionsprogramm beabsichtigt ein Unternehmen Überschüsse zu erzielen, so wird es in einem Kreditansuchen an eine Bank formuliert. Und um die unternehmerische Tätigkeit beginnen zu können, muss in diese Produktionsanlagen investiert werden, es muss Material eingekauft werden und es müssen die Mitarbeiter bezahlt werden. Für diesen Investitionskredit will der Financier eine Vorausschau als Nachweis, dass mit dem Produkt Überschüsse generiert werden können. Mit der Kreditierung der Investitionen wird die Entscheidung, wohin dieser Überschuss vorrangig fließt, natürlich auch vorweggenommen – nämlich an den Kreditgeber. Und über das verbliebene Geld nach Bezahlung der anderen Ausgaben kann der Unternehmer selbst entscheiden. Welche Varianten gibt es? Konsumieren, sparen, mehr oder weniger riskant veranlagen oder wieder investieren. In diesen kurzen Überlegungen steckt mehr. Es entscheidet sich, ob der Unternehmer eine finanz- oder realkapitalistische Investition tätigt. Das ist wiederum abhängig von den Investitionsmöglichkeiten, vom (Mindest-)Erfordernis an Kapital, aber auch vom Chancen- und Risikobewusstsein, also vom Vertrauen in die eigenen unternehmerischen Fähigkeiten. Die Ausführungen sollen modellhaft zum Kern hinführen, wo an einer Einzelentscheidung die Verzweigung zwischen Finanzveranlagung – wie etwa sparen beziehungsweise in andere Unternehmen investieren – und Realveranlagung – das bedeutet, in das eigene Unternehmen zu investieren – angesiedelt ist. 83
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Unklarheiten
So einfach und so zuordenbar, wie oben geschildert, ist die Situation heutzutage natürlich nicht mehr. Immer mehr Finanzintermediäre erschweren diese Zuordnung. Auf der einen Seite suchen enorme Summen von Anlegergeld Veranlagungen, auf der anderen Seite sind viele Wirtschaftsbereiche für Anleger uninteressant, weil beispielsweise die Bearbeitungs- und Überwachungskosten in Relation zu den zu erwartenden Erträgen und der Risikoeinschätzung zu hoch sind. Dies ist insbesondere bei Investitionsfinanzierungen für kmu der Fall. Deshalb haben die enormen Mengen an Finanzkapital zu einer Produktvielfalt und Unübersichtlichkeit geführt, die nur noch mit darauf spezialisierten Organisationen (oder gar nicht mehr) bewältigt werden kann. Das führt zu auch unbewussten Entscheidungsverzweigungen – man weiß also nicht mehr, ob man sich in der Finanzwelt oder in der realen Produktions- und Dienstleistungswelt bewegt, wenn man Investitionsentscheidungen trifft. Dezentralisation
Zusätzlich sind wegen der Überforderung zentraler Entscheidungssysteme Tendenzen zur Dezentralisierung der Entscheidungen erkennbar. In traditionell hierarchisch ausgerichteten Industrieunternehmen werden reale Investitionsentscheidungen noch immer zentral getroffen – sie sind in der Regel dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorzulegen – und meistens auch zentral gesteuert, obwohl gerade die realen Investitionen für die Umsetzung ortsgebundene Informationen benötigen – wie zum Beispiel das Fertigungs-Know-how der ansässigen Facharbeiter. Mit diesen Problemen und Widersprüchen haben viele Entscheidungsträger zu kämpfen, wenn sie Investitionsentscheidungen in ihren Gremien durchsetzen wollen. Hier ist auch eine natürliche Barriere für die Internationalisierung eingebaut. Peter Heintel formuliert die Entscheidungsvoraussetzungen meiner Ansicht nach für diese Situation besonders passend: »Wenn diese Klarheit ins Rutschen kommt, fehlt ein Basismaß für Entscheidungen. Damit laufen sie Gefahr, willkürlich, zufällig zu werden. Als solche sind sie kaum mehr begründbar. Wir delegieren aber nur dann gerne, wenn wir Entscheidungen ›in guten Händen‹ wissen. Hier entsteht aber so etwas wie ein Delegationsvakuum. In ihm bemerken plötzlich viele, dass sie Kompetenzen ihr Eigen nennen, die man ›höheren Orts‹ vermisst; plötzlich ›wissen es alle besser‹, und wenn dies manchmal auch nur informell kultiviert wird, die hierarchische Macht ist damit extrem gefährdet.« 150 Aus der geschilderten Situation, aus dem Erfordernis 150 P. Heintel, Gruppe und Komplexitätsmanagement, Manuskript 26. 7. 1996 [keine Seitenangaben]
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dezentraler Entscheidungskompetenz bei realen Investitionen, gibt es meiner Ansicht nach starke Reaktionen im Investitionsverhalten. Es passieren Rückzüge aus realen Investitionen und dieses Kapital landet nur mehr auf den vermeintlich sichereren und ertragreicheren Finanzmärkten. Ganze Unternehmenszweige sind entstanden, um für dieses Finanzkapital Investitionsmöglichkeiten zu erkunden. Die Transaktionsvolumina der Finanztitel auf der New York Stock Exchange betragen mehr als 98 % des gesamten Transaktionsvolumens. Die Trennung von Realwirtschaft und Finanzwirtschaft hat ihren Beginn mit dem Ende der fixen Wechselkurse. Damals setzte die Spekulation auf Währungsschwankungen ein, und damit gewann das Geld über die Tausch- und Aufbewahrungsfunktion hinaus Produkteigenschaften.151 Das ist meiner Ansicht nach Handel und nicht Investition. Die Eigenschaften realer Investitionen wie beispielsweise die Irreversibilität und die Handlungsflexibilität führten auch in die Finanzinvestitionen, was aber hin und wieder zu Enttäuschungen führen kann. Und es entstanden instabile Finanzmärkte mit enormen Handelsvolumina, begründet durch spekulative Motive. Die riesigen Volumina lassen sich mit der Kurzfristigkeit der Transaktionen erklären. 80 % werden innerhalb einer Woche gekauft und verkauft. Doch es gibt noch andere Skalierungen: So kann langfristig bei Finanzinvestitionen eine Zeitspanne zwischen Kauf und Verkauf von mehr als 10 Minuten beschreiben. Der Trend geht also zur extremen Kurzfristigkeit. Und die hohen Mindesteinsätze von mehreren Millionen Euro bedeuten Investitionen von mehreren Milliarden Euro pro Tag. Das alles hat, wie leicht nachzuvollziehen ist, nichts mehr mit der Realwirtschaft zu tun. Auch sind die steigenden Aktienkurse, auf die ebenfalls spekuliert werden kann, nicht kompatibel mit dem Wachstum der Realwirtschaft; die Wirtschaft taumelt also von einer Spekulationsblase zur nächsten. Profis zeichnet in diesem Geschäft aus, dass sie die Trends frühzeitig erkennen, und sei es nur um Minuten früher als die anderen. Der weltweite Zugang zu Informationen und auch die spekulativen und manipulativen Möglichkeiten, in das Informationssystem sehr schnell intervenieren zu können, haben die Preisbildungen sehr volatil werden lassen. Insbesondere der Finanzwirtschaft ist es möglich, durch ihre schnell verfügbaren Informationen diese rasche Preisbildung zu generieren. Ein Unternehmen der Realwirtschaft richtig zu bewerten kann Wochen dauern. Solange die Finanzwirtschaft die Zwischenfinanzierungsrolle für die Realwirtschaft darstellte, waren die Zusammenhänge leichter einschätzbar. Doch jetzt sind diese Veranla151 vgl. P. Kellermann (Hrsg.), Geld und Gesellschaft. Interdisziplinäre Perspektiven, Wiesbaden 2005
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gungen losgelöst von jeder Realität, aber zugleich bestimmend für diese. Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind beispielsweise über die Preise für Währungen spürbar. Ein Unternehmen wird zögern, in ein Unternehmen eines Landes in anderer Währung zu investieren, wenn der Kurs instabil ist. Vor allem, wenn dieser irrational, von realen Basisdaten unabhängig und von spekulativen Schwankungen bestimmt ist. Diese Phänomene werden auch als Wachstumsbremse gesehen, weil das unternehmerische Gewinnstreben zunehmend auf die Finanzgeschäfte verlagert wird. Denn so schnell kann niemand, der in der Realwirtschaft investiert, reich und auch wieder arm werden. Die Ursache wird von kritischen Ökonomen darin gesehen, dass es zu viel Kapital und zu viel Kredit auf der gesamten Welt gibt. Futures und Optionen sind nur ein paar zu nennende Produkte für diese Transaktionen. Die nationalen und internationalen Geldpolitiken werden ebenfalls als zu locker eingeschätzt. Dieses Kapital sucht also ständig nach Anlagen und treibt die Preise in die Höhe – Immobilien, Rohstoffe, Aktienkurse. Warum ist das so? Welche Bedingungen sprechen für Kapitalveranlagung in der realen Wirtschaft, also beispielsweise in Investitionen in Unternehmen oder in Güter, und welche Bedingungen sprechen eher für Finanzveranlagungen? Im Zeitalter der fixen Wechselkurse war das Gewinnmodell »Tausche Geld gegen Geld« durch Regulierung weitgehend verhindert worden. Die Entwicklung der Unternehmenswerte über einen Zeitraum von 20 Jahren (1960 – 1980) stieg zwar real, weil die höchsten Investitionsquoten erreicht wurden, der Aktienkurs blieb dennoch gleich. Damit wurde das Investitionsinteresse auf die Realwirtschaft gelenkt. Bewertungsspiele haben erst danach eingesetzt. Und die Finanzwirtschaft kann für sich nicht Werte schaffen, sie muss sich mit der Realwirtschaft irgendwie verbinden. Und bei starken Ungleichgewichten gibt es Krisen, sie werden aber auch gleichzeitig von manchen Experten als reinigende Kraft gesehen. Die Forschung geht meiner Ansicht nach in diesem Zusammenhang in die falsche Richtung. Es wird nicht geforscht, wie man den Finanzmarkt in den Griff bekommen kann, sondern es wird vielmehr geforscht, wie man am Finanzmarkt kurzfristig Gewinne realisieren kann. Deshalb bleibt auch Industriekonzernen oft scheinbar nichts anderes übrig, als auf den Finanzmärkten wegen der höheren Renditen Fuß zu fassen.152 Als Reaktion auf den Abfluss von Investitionskapital in die Finanzwirtschaft sind sie damit selbst eher zur Bank mit angeschlossener Produktionsabteilung mutiert. Daher ist es mein Anliegen, dass dann, wenn realwirtschaftliche unternehmerische Kompetenz vorhanden ist, nicht mit Flucht in Finanztitel reagiert wird. Vielmehr sollte man den Ausfüh152 Vgl. Ö1, Journal Panorama, 19. 6. 2008 zum Thema Tobin Tax beziehungsweise Spekulationssteuer; http://www.im.wiso.uni-erlangen.de/veroeffentlichungen.htm (29. 7. 2008)
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rungen von Peter Drucker folgen, der es als unternehmerische Aufgabe sah, dass die unteren Ebenen an der Werkbank mitdenken. Beispielsweise sagte er bereits 1986 etwas, das heute zum Allgemeinwissen des Managements gehören sollte: »Die Organisationsstruktur einer informationsorientierten Firma ist flach.« 153 Die Formulierung ist genau zu beachten. Denn wenn Produktkompetenz vorhanden ist, ist es unumgänglich, auch bei Internationalisierung nur wenige Hierarchiestufen zu haben, um informationsorientiert zu bleiben. Der Verweis fußt also auf der Informationsorientierung als Voraussetzung. Und flache Organisationen sind eine der wesentlichen Stärken von kmu, sie sollten im Rahmen der Internationalisierung nicht aufgegeben werden. Die Voraussetzungen dafür sind meistens gegeben. Realwirtschaft – Finanzwirtschaft – zwei Welten?
Die obigen Ausführungen müssen dahingehend ergänzt werden, dass es nicht nur bequem ist, in Finanztitel zu wechseln – es kann auch gefährlich sein. Daraus leitet sich mein Appell ab, sich als Unternehmer mit realen Investitionen auseinanderzusetzen, Vertrauen in die eigene Kompetenz zu entwickeln und zu stärken. Meine Interviewpartner waren ausschließlich Unternehmer, die sich in der realen Wirtschaft, in der Ökonomie der Produkte und Dienstleistungen bewegen. Die Finanzwirtschaft wird natürlich auch von ihnen immer wieder angesprochen, zum Beispiel in einer Einschätzung zum us-Dollar: »Der Dollar hat mit Amerika nichts zu tun, das ist eine Währung von einer Bankengruppe, die an dieser Schraube dreht«,154 so ein Kärntner Unternehmer, der weltweit tätig ist. Und trotz der Emotionalität und der massiven Einflüsse, die der Finanzsektor auf die Realwirtschaft ausübt, wird das Thema, wie mit Geld Geld verdient wird, hier nicht betrachtet. Das ergibt sich wie gesagt aus der eigenen Intention, aber auch aus der Tatsache, dass sich die beiden Welten auch im wissenschaftlichen Arbeiten getrennt weiterentwickeln. Indikatoren, welche Seite betrachtet wird, sind beispielsweise: Realwirtschaft: • prozentueller Anteil Auslandsbeschäftigter an der Belegschaft, • Auslandsumsatz im Vergleich zum Gesamtumsatz und • regionale Streuung der Aktivitäten des Unternehmens.
153 P. Drucker, Spiel nach neuer Partitur, manager magazin 2/86, Hamburg, S. 184 154 Interview viii, S. 89
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Finanzwirtschaft: • Aktienanteil ausländischer Anleger, • Anwendung internationaler Bilanzierungsstandards und • Notierungen an ausländischen Börsen. Es zeigt sich, dass die drei Indikatoren des jeweiligen Bereichs, also des realwirtschaftlichen auf der einen Seite beziehungsweise des kapitalmarktbezogenen auf der anderen Seite, stark miteinander korrelieren, dass also, wenn man die realwirtschaftlichen Indikatoren insgesamt betrachtet, die realwirtschaftliche Internationalität abgebildet ist. Wenn alle drei hoch sind, bedeutet dies, dass das Unternehmen in der realwirtschaftlichen Dimension stark internationalisiert ist. Zwischen den beiden Internationalisierungsdimensionen gibt es jedoch nur einen schwachen Zusammenhang.155 Diese Studie, die ausführlich die Trennung der beiden Internationalisierungsdimensionen analysiert und beschreibt, stützt somit auch meine Entscheidung, sich ausschließlich der realwirtschaftlichen Internationalisierung zuzuwenden und hin und wieder auf die kapitalseitigen Einflüsse aufmerksam zu machen, wie dies in den Interviews auch geschehen ist.156 Ich halte außerdem fest, dass sich für mich die Internationalität eines Unternehmens besser am Anteil der Beschäftigten, die nicht Staatsangehörige des Stammsitzlandes sind, abbilden lässt als über den Aktienanteil im Besitz ausländischer Anleger. Diese Einschätzung wird durch die Annahme verstärkt, dass Management und Interventionserfordernisse, Know-how- und Technologietransfer für die Internationalisierung von kmu in ihrer Bedeutung vor das Kapitalerfordernis zu stellen sind. Und eben diese Themen werden auch durch die Inhalte in meinen Interviews repräsentiert.157 Trotzdem ist ständig die Finanzierbarkeit der Vorhaben im Auge zu behalten. Es gibt natürlich noch weitere Motive, einen klaren Trennstrich zu Finanzinvestitionen zu ziehen: Erstens sind die internationalen Kapitalmärkte von den kmu »relativ weit entfernt«, sie existieren nur noch als mehrmals durchmischte Portfoliomischungen. Zweitens ist die ganze m&a-Thematik keine wirkliche Erfolgsstory und a priori nicht unbedingt als Wachstumspfad für kmu zu empfehlen, sondern eher, um sich gegen Übernahmen resistent zu machen. Und weiters ist »nur« bezahlen 155 Vgl. A. Hassel, M. Höpner, A. Kurdelbusch, B. Rehder, R. Zugehör, Produkt- versus Kapitalmarkt: Zwei Dimensionen der Internationalisierung von Unternehmen, MaxPlanck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln, S. 1ff u. S. 16f, http://www.mpifg.de/ people/mh/ paper/ InternationalisierungkzfSS.pdf (22. 2. 2008) 156 Vgl. z. B. Interview zu, S. 237, Interview viii, S. 89 157 In beinahe allen Interviews lag der Schwerpunkt auf Innovations- und Technologiekompetenz als Voraussetzung für die Internationalisierung.
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keine Investition, die von vornherein Arbeitsplätze schafft, oft tritt auch das Gegenteil ein. Daraus folgt, dass drittens die Behandlung des Themas, wie Finanzkapitalisten investieren, völlig andere Interviewpartner erfordern würde, um neue Erkenntnisse aus der Praxis zu erhalten. Diese Eigentümer sind nicht leicht oder meistens gar nicht identifizierbar und es müsste somit das Management befragt werden. Und für die Auseinandersetzung mit unternehmerischen Entscheidungen braucht man den oder die wesentlichen Eigentümer als Gesprächspartner oder zumindest jenen Vorstand, der die wesentlichen Eigentümer kennt und auch für sie sprechen kann. Wer soll Gewinn aus meiner Betrachtung realwirtschaftlicher Internationalisierung ziehen?
Während bei Finanzinvestitionen die Entscheidungen wesentlich näher um das Thema Rendite kreisen, ist das bei Realinvestitionen nicht immer der Fall. Die Entscheidungsenergie liegt vorerst auf den Investitionsüberlegungen (was, wo, wie viel usw.), und wenn diese Entscheidung gefallen ist, beherrschen über einen langen Zeitraum die Umsetzungsprobleme den Alltag. Erst in weiterer Folge werden die Motive Markt, Lohnkosten und Kundennähe hervorgehoben.158 Es hat also die Befassung mit Investitionen in die reale Wirtschaft eine kaum eingrenzbare Vielfalt an Überlegungen, Motiven, Strategien und Umsetzungsvarianten. Die reale Investition in eine neue Fabrik oder ein neues Hotel hat im Vergleich zur Investition, bei der lediglich ein (teilweiser) Eigentümerwechsel stattfindet, Auswirkungen in einer Region. Sie beeinflusst den Markt der Investitionsgüter wie Grundstücke, Maschinen und Gebäude, aber auch den Arbeitsmarkt – insbesondere in ländlichen Regionen. Sie erzeugt hin und wieder, und das trotz des Wunsches nach neuen Arbeitsplätzen, Widerstand. Die Einschränkung auf Realinvestitionen ermöglicht mir ein weites thematisches Aufmachen dieses Bereiches. Denn aus den Gesprächen mit den Unternehmern hat sich ergeben, dass es kein generell gültiges Vorgehen für erfolgreich umgesetzte Internationalisierungsprojekte gibt und dass eben diesen Vorhaben sowohl positive als auch negative Merkmale zugeschrieben werden. Insbesondere in kleinen und in Bezug auf den Arbeitsmarkt relativ geschlossenen Regionen. Dazu ein Beispiel: Wenn in einer ländlichen, industrialisierten Umgebung für eine Fabrik 100 oder mehr neue Mitarbeiter benötigt werden, bedeutet dies für den regionalen Arbeitsmarkt zusätzliche Arbeitplätze und gleichzeitig geraten die bestehenden Unternehmensorganisationen und das Entlohnungsgefüge in 158 Vgl. P. Heintel, L. Krainer, R. Lerchster, M. Ukowitz, Investitionen in Kärnten. Ein Ergebnisbericht, 2006
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Bewegung. Dagegen ist in industriellen »Großregionen« ein neuer Arbeitgeber mit derselben Anzahl an Arbeitsplätzen ein »Nobody«.159 Diese Veränderungen werden dann dem neuen Investor zugeschrieben. Und es werden ihm Eigenschaften zugeordnet wie: Er hat Geld, Kompetenz, er steht in der Hierarchie ganz oben und hat somit auch Macht. Verkürzt heißt das, dass die Eigenschaften im Besitzen, im Beherrschen und im Durchsetzen geortet werden können. Und genau das sind Motive, die einen Investor bewegen, in einer fremden Region tätig zu werden. Dazu eine Anmerkung zu Finanzinvestoren: Diesen werden die genannten Eigenschaften – zusammen gesehen – nie zugeschrieben, das hat auch damit zu tun, dass man sie meistens nicht kennt – und wenn man sie kennt, werden sie in der Öffentlichkeit meistens durch die operative Geschäftsführung vertreten. Somit wird mit einer Betriebsansiedlung ein neuer relevanter, jedoch noch nicht vernetzter »Spieler« am Beginn der Umsetzung dieser Investition wahrgenommen. Zuneigung und Respekt, aber auch Abneigung und Angst werden mit dem Projekt verbunden. Der Hauptantrieb dafür entsteht aus den am Beginn geschilderten Entscheidungsmöglichkeiten in Bezug auf den Überschuss, somit der unternehmerischen Dynamik. Daraus leitet sich das Wachstum ab und typische Antworten lauten: »Wir wollen den italienischen Markt ausbauen« und »Dann wird die Gruppe alleweil größer«.160 Logisch ist das nicht, wenn meistens Wachstum vor Rentabilität genannt wird, doch es wird bereits im zweiten Gedankenschritt das »Warum« ausgeführt: Woanders »ist es schwieriger zu einem ›guten Erwerb‹ zu kommen, es gibt wesentlich weniger Angebot am Markt«: 161 Die hier ausgeführte Vielfältigkeit soll also mit einem Forschungsvorhaben aus der Sicht von Lehre und Forschungsmethodik einen Erkenntniszuwachs für die am Forschungsvorhaben Mitwirkenden bringen. Der Anspruch ist, einen Fortschritt für jene bereitgestellt zu haben, die ich befragt habe und die zu diesem Thema auch von anderen Forschern befragt wurden.162 Der neue Unternehmer orientiert sich natürlich an seinen am Stammsitz erworbenen Erfahrungen und probiert diese am Arbeitsmarkt des neuen Standortes aus. Er versucht zu optimieren. Das wird als Störung wahrgenommen. Er vermischt seine eigenen Ziele mit den Zielen einer neuen Mannschaft und versucht natürlich, die Ziele in Einklang zu bringen. Auch stellen sich in der Regel zuerst Schwierigkeiten ein, später werden die Potenziale erkannt und diese müssen 159 160 161 162
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Vgl. ebd., S. 13 Vgl. ebd., S. 14 Vgl. ebd., S. 14 Meeting in Griffen: Teilnehmer das Forschungsteam und die Mehrheit der Interviewpartner am Forschungsprojekt »Investitionen in Kärnten«
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gemanagt werden. Aber das mit dem »in Einklang bringen« soll meiner Ansicht nach nicht vollständig durchgezogen werden, denn das hieße Möglichkeiten der Innovation und der Produktivitätsverbesserung nicht auszureizen. Dazu zwei extreme Beispiele in Bezug auf ihre Unterschiedlichkeit: Das erste Beispiel ist das vermutlich sehr weit entwickelte Konzept einer McDonald’s-Niederlassung. Es wird wahrscheinlich nicht an jedem neuen Standort auf Verbesserungspotenzial überprüft, um alle alten Filialen nachzurüsten. Das zweite Beispiel betrifft ein sicherheitstechnisch notwendiges Back-up eines Rechenzentrums. Dieses würde, wenn man zweimal dieselbe Rechnerkonfiguration mit derselben Rechnergeneration umsetzte, aufgrund der Kürze der betriebswirtschaftlichen Lebensdauer der Computer von vornherein eine unliebsame Totalabschreibung bedeuten. Diese beiden (Extrem-)Beispiele sollen aufzeigen, dass es kein brauchbares Muster gibt. Realinvestitionen haben also höchst unterschiedliche Abläufe. Sie trotzdem abzubilden und für Entscheidungsträger einen Nutzen zu generieren, ist meine durchgängige Absicht. Die Finanzinvestitionsentscheidungen bleiben also weitgehend ausgeblendet. Mit der Befassung realer Investitionen soll vor allem der Mut in die eigene unternehmerische Kompetenz angesprochen werden – damit sie zum Erfolg geführt werden können. Diese Abgrenzung zum Finanzmarkt bedeutet weiter, unternehmerische Entscheidungen treffen zu müssen. Wie kann das gelingen? Die Erfahrung hat man ja bekanntlich erst hinterher.
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Interventionsforschung, die andere Wissenschaft Wo ist das Geheimnis einer »Organisation, die das Produkt nach außen, in die Welt, hinausträgt und die Welt nach innen, in die geschlossene Region, hereinführt«? Gibt es Beispiele »einer geglückten Balance zwischen dem Selbstbewusstsein eines lokal verankerten [Handwerks] [kmu (Kleines oder mittleres Unternehmen)] und dessen Erfolg am globalen Markt«?163 Die Intention des gewählten Themas und der in diesem Zusammenhang interessanten Fragestellungen liegt darin, einen Beitrag bei der Suche nach Antworten auf die Veränderungen in der Unternehmenslandschaft zu leisten. Somit geht der Rahmen der Arbeit über die einzelne befragte Person und auch das befragte Sample von circa 20 Unternehmern und Unternehmerinnen hinaus. Dieser Forschungsbeitrag soll praxisbezogen angelegt werden und konstruktive und kritische Ansätze zu oberflächlichen und einseitigen Positionen zum Phänomen der globalisierten Ökonomie und Technologie herausfiltern. Er dreht sich um ein Fragenpaket an Entscheidungsträger von kmu: Wie finden Sie sich in der globalisierten Ökonomie zurecht? Ist Internationalisierung eine mögliche Antwort? Und welche Rolle spielt für Sie dabei das Theorieangebot? Welche Bedeutung haben Standortanalysen? Was erwarten Sie sich von der Wirtschaftspolitik? Nichts was derzeit als Theorieangebot zur Internationalisierung vorhanden ist, wird derzeit von kmu zur Entscheidungsfindung angenommen, so meine Hypothese. Was als Theorieangebot vorhanden ist, reicht meiner Ansicht nach zwar schon für die Unterstützung des Verständnisses für eine Entscheidung bei den Stakeholdern. Hier können die Erkenntnisse aus der Theorie gute Dienste erweisen. Das bedeutet, dass sie für die Entscheidungsaufbereitung von Bedeutung sein könnten. In keinem Interview wurde jedoch dieser von mir festgestellte Nutzen des Theorieangebotes erwähnt. Und das, obwohl die Forschung zur Internationalisierung, insbesondere auch der multinationalen Konzerne und des Finanzsektors, in den letzten 40 Jahren stark zugenommen hat und die kmu auch von den Großen lernen könnten. Selbst bei empirischen Arbeiten macht die Aufarbeitung der Internationalisierungstheorien 70 bis 90 % des Publikationsumfanges aus. Also machte ich mich auf die Suche nach anderen Angeboten für diese Unternehmen. Und dies mit der Absicht, den Schwerpunkt auf den praktischen Nutzen in Bezug auf Entscheidungen bei Internationalisierungsinvestitionen von kmu zu setzen. 163 Vorspann der Herausgeber zu H. Leiprecht, Der Sessel-Cluster Friaul. Im Stuhl-Dreieck Manzano. Handwerk und Marketing, Strategien des Handwerks. Sieben Portraits außergewöhnlicher Projekte in Europa, in: Landschaft des Wissens (Hrsg.), 2005, S. 246 164 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Theorien der Internationalisierung«.
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Was wird dazu benötigt? Reichen ein paar Projekte, Interviewpartner und theoretisches Wissen? Und gibt es eine Wissenschaft, die Theorie und Praxis verbindet und die nicht, wie es bei den meisten empirischen Arbeiten der Fall ist, Befragungsergebnisse daraufhin überprüft, ob sie zu einer Theorie passen und welche das sei? 164 Interventionsforschung – eine Wissenschaft, die Wissen wirksam werden lässt
Die Adressaten dieser Arbeit – die Entscheider in den kmu – sollen ein ganzheitliches Angebot erhalten und in ihren Entscheidungen zur Internationalisierung unterstützt werden. Es wurde von mir bereits mehrmals erwähnt, dass die traditionelle wissenschaftliche Herangehensweise an die Aufschließung eines Themas (wenn also ein Problem formuliert wird) – nämlich bei den Theorien nachzuschauen – durch die Interviews keine wie immer geartete Bestätigung in Bezug auf die Relevanz für Entscheidungen gefunden hat. Gibt es andere Forschungsmethoden, wenn ich meinem Forschungsinteresse nachgehen will? Es soll ja nicht nur eine Entscheidungsunterstützung für die Interviewten, sondern für weitere Unternehmer, Wirtschaftsförderer, Interessensvertreter und Regionalpolitiker geschaffen werden. Die Investoren und die Stakeholder am Stammsitz und am neuen Standort sollen einander verstehen.165 Und was notwendig ist, um dieses Einander-Verstehen zu ermöglichen – im Unternehmen und im System der Stakeholder –, kann meiner Ansicht nach nur durch Forschungsfragen ausgelotet werden. Mit solchen habe ich meine Interviewpartner konfrontiert. Das kam insofern gut an, als diese Fragen sich an den realen Problemen der Entscheidungsträger orientierten. Wie ging das? Ich stellte in meiner Rolle als Interventionsforscher folgende Verknüpfung her: Ich interessiere mich über ihr Projekt hinaus auch für Sie (zum Beispiel als Familienvater, Entscheidungsträger, Mensch), wenn ich Sie frage: Wie ist es Ihnen im Zuge des Projektes gegangen? Durch die Forschungsmethode des offenen Interviews werden also erst die Räume für Antworten aufgemacht. Es stellte sich für mich die entscheidende Frage: Ist ein Herangehen an das Thema, welches Antworten für Gesamtzusammenhänge, für Lösungen und für die Erweiterung der (eigenen) Entscheidungskompetenz liefert, mit dieser Methode wirksamer, als wenn ich mich mit Details und der Ausdifferenzierung von Problemen befasse, um daraus eine herausragende Expertise zu erhalten und der wissenschaftlichen Community zur Verfügung zu stellen? Ich habe mich für die Aufklärung von Gesamtzusammenhängen entschieden, damit lehne ich das Expertentum für Spezialisierung nicht ab – man braucht es auch. 165 Siehe dazu meine Ausführungen im Eingangsessay »Grundlegungen«.
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Direktinvestitionen in fremden Regionen (fdi, adi) findet man in den Statistiken von Notenbanken und in den Leistungsbilanzen von Nationalstaaten wieder. Wie viel haben österreichische Unternehmen in Ungarn 2004 investiert? ist eine mögliche Frage, daran beispielsweise anschließend Wie hoch ist der Zuwachs gegenüber 2003? und weiter Wie viel wurde beispielsweise im Vergleich zu Deutschland in Ungarn investiert? Diese Statistiken sagen kaum etwas über die Motive der Investoren aus. Die Makroanalysen unterstellen in der Regel verbesserte Rahmenbedingungen wie Kostenersparnis, Zollabbau und Währungsstabilität. Neuere Untersuchungen über gestiegene Direktinvestitionen haben Marktmotive herausgefunden. Hinter all diesen Analysen liegt, wie so oft, die Annahme vom rational handelnden Unternehmer. Wegen der Dominanz der makroökonomischen Betrachtungsweise, auch die Forschungen betreffend, wurde in diesem Vorhaben ein anderes Forschungsdesign gewählt. Der vorliegende Handlungsrahmen setzte seine Schwerpunkte auf Mikroanalysen und sollte über Interviews mit Unternehmern, welche in einer für sie fremden Region investiert haben, die Motive für diese Investitionen erforschen. Dies sollte nicht durch Fragebögen geschehen, weil anzunehmen war, dass die Mehrzahl der Unternehmer beim Ausfüllen von Fragebögen sich zu sehr an den angebotenen Alternativen orientierten und somit viele Aspekte unbeantwortet bleiben würden. Das gilt auch für strukturierte Interviews. Unternehmer neigen nämlich bei Antworten auf Interviewfragen zu schnellen Antwort-Entscheidungen. Das hat auch mit ihrer Sozialisierung als Manager zu tun. Jeder Entscheidungsträger kennt folgende Alltagssituation: Ein Mitarbeiter kommt zur Tür herein und fragt: »Ich bin so weit gekommen, wie soll ich weitermachen?« Und erwartet eine schnelle Antwort – eine schnelle Lösung seiner Probleme. Diese Situation kann auch auf ein Interview übertragen werden, wie folgender Dialog beweist: »J: [...] Verkehrstelematik, ist ja doch ein großes Thema – es ist vermeintlich eng, aber eigentlich weit. G: Ja, genau.«166 Wenn einem Manager oder Unternehmer etwas angeboten wird, reagiert er sofort darauf. Dabei spielt auch der allgemeine Zeitdruck, dem Entscheidungsträger täglich ausgesetzt sind, mit hinein. Damit Antworten möglichst frei erfolgen können und nicht durch suggestive Elemente schnelle Schlussfolgerungen auf Fragen erfolgen, sollte also das eher aufwendige offene Interview angewandt werden. Die offene Art, zu fragen, erlaubt es, dahingehende Motive anzusprechen und zu identifizieren. Das ist dann nützlich, wenn die Individualität von Menschen und Organisationen im Hinblick auf ihre Entscheidungen hervorgehoben werden soll.167
166 Interview ref, S. 220 167 Vgl. L. Krainer, Einführung in die Interventionsforschung, Klagenfurt 2007, S. 19f
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Offene Interviews müssen gut vorbereitet sein. Einem Telefongespräch soll ein Schreiben folgen, welches den Zweck erklärt. Es soll auch ersucht werden, ausreichend Zeit zur Verfügung zu stellen. Die Erlaubnis zu einer Audioaufzeichnung sollte auch eingeholt werden. Die »10 Gebote (des richtigen Fragen-Stellens und Antworten-Lassens)« von Peter Heintel enthalten Ratschläge, wie ein gutes Interview geführt werden kann: • Herstellung eines gegenseitigen Vertrauens als Basis der Beziehung – auch bei zuvor völlig Fremden. • Vermeiden von Urteilen und Beurteilungen. • Systematisches Erfragen von differenzierten Fakten, jedoch ohne Verhörcharakter. • Beachten der Gefühle und der Widerstände des anderen sowie Kontrolle über eigene Gefühlsreaktionen. • Zuhören – zwischenfragen – wieder zuhören. Schließlich hinhören und zu verstehen suchen. • Findenlassen durch Hilfestellung statt Imponieren durch schnelle Reaktion. • Wo kein Raum gegeben wird, kann sich der Interviewte nicht entfalten. Wenn der Interviewer mehr als 10 % der Gesamtzeit redet, ist er ein schlechter Interviewer. • Das reale Verhalten des Interviewers beeinflusst das Gefühl des Interviewten im Sinne von Verstärkung oder Verringerung von Angst und Freiheit. • Pausen durchstehen. Oft kommt gerade nach einer Pause eine wertvolle Aussage. • Ausreden lassen.168 In einem derartigen Interviewklima und mit einer Haltung des Interviewers, der diese zehn Gebote beachtet, werden neben Antworten zu Investitionsthemen auch Antworten zu anderen Themen gegeben. Diese haben jedoch nur scheinbar nichts mit dem sogenannten Hauptthema zu tun. Viele Anmerkungen gibt es in meinen Interviews natürlich »zum Zustand der Welt« und zur Wirtschaftspolitik beziehungsweise zur Finanzwelt. Der schwache Dollar und der starke Euro werden angesprochen. Aber auch Familienthemen, insbesondere im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge, kommen immer wieder vor. Auch die sogenannten Mainstream-Anliegen: Nachhaltigkeit, Natur und Technologie. 168 P. Heintel, Noch Fragen?, in Werkstatt 017, 28 Grazer Zukünfte, http://www.asset-one.at/ downloads/werkstadt017.pdf S. 9 (12. 7. 2008)
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Es wird aber auch über ganz Persönliches gesprochen. Diese Antworten habe ich als Anliegen gewertet, das Forschungsangebot zu erweitern und auf die angesprochenen Themen einzugehen. Denn mit Motiven sind Entscheidungen verbunden. Die Investitionsentscheidungen ragen aus den Alltagsentscheidungen besonders heraus. Diese sind bei kmu alle paar Jahre zu treffen und der Erfolg dieser Entscheidungen ist für das Weiterbestehen des Unternehmens essenziell. Die Bedeutung des Ergebnisses der Entscheidung für das Unternehmen ist nicht nur an den rationalen Aussagen zu diesen Konsequenzen spürbar – auch in den Emotionen, die mitschwingen. Das war für mich der Hinweis, dass ich mit meinen Interviewpartnern einen Bezug zum ursprünglichen Ereignis herstellen konnte. Die Rahmenbedingungen dazu sind Klarheit im Ablauf und Zusicherung der Vertraulichkeit in Bezug auf die Verwendung der Interviewergebnisse. Denn fast alle, aber nicht alle Interviewpartner konnten sich vom mitlaufenden Aufnahmegerät lösen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen dass die Gefahr der Bestätigung des Gefragten sehr hoch ist, sind doch die Entscheidungen selbst bereits erfolgreich oder weniger erfolgreich umgesetzt. In der Forschung werden derartige »Abkürzungen als Heuristiken 169 beschrieben, bei denen nur ein Teil der Informationen zur Entscheidungsbildung« 170 und ein noch kleinerer Teil zur Antwortbildung verwendet wird. Ich glaube, dass diesem Verhalten sowohl Forscher als auch Beforschte erliegen. Für die Unternehmer, die Adressaten meines Forschungsprojektes, gibt es weitere Begründungen für geschönte Antworten. Eine dafür sind etwa die Zeitabstände zwischen Entscheidung, Ergebnis und Interview. Eine weitere Begründung liefern Antworten in Bezug auf Misserfolge, wenn diese durch spätere Erfolge kompensiert werden konnten und nicht zum Zusammenbruch des gesamten Unternehmens führten. Und es ist auch noch auf ein Problem im Zusammenhang mit (Sozial-)Forschungen hinzuweisen: Es muss für die Antwort bei Interviews zu Forschungszwecken keine mit dem realen Unternehmerleben vergleichbare Verantwortung übernommen werden – man kann sich sozusagen auch eine schöne Erfolgsstory zurechtlegen. Folgt der Forscher diesen Storys? Er muss es wohl, wenn er nicht andere Quellen hat, beispielsweise die Jahresabschlüsse des Unternehmens über mehrere Jahre.
169 Heuristiken siehe Glossar. 170 http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=98038155x&dok_var=d1&dok_ext=pdf& filename=98038155x.pdf (29. 7. 2008)
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Einige Grundsätze der Interventionsforschung
Interventionsforschung ist problembezogen und nicht gegenstandsbezogen – damit muss die Organisation der Forschung sich um ein Problem »herum« gestalten. Viele Wissenschaften, auch die Sozialwissenschaften, nähern sich mit ihren Methoden den Naturwissenschaften an. Doch Probleme sind Störungen der Wirklichkeitsauffassung, und Lösungen von Problemen kann man nicht mit Experimenten begegnen, die in einer reduzierten Wirklichkeit (oder in reduzierten Wirklichkeiten) stattfinden, um diese zu verändern. Das trifft insbesondere auf Probleme zu, die von Menschen, Organisationen und Managementsystemen vorgebracht werden. Eine bekannte Metapher dafür ist: Menschen haben Probleme, die Wissenschaft hat Disziplinen beziehungsweise Fakultäten. Die Wissenschaft hat also in erster Linie disziplinorientierte Antworten auf die Probleme der Menschen. Dazu kommt noch, dass sich die Wissenschaften »in ihren Traditionen und Schulen ihre Fragen selbst [stellen], bei zunehmender Immunisierung gegenüber jenen der gesamten Gesellschaft«.171 Zur Problembezogenheit gesellt sich Interdisziplinarität. Durch interdisziplinäres Herangehen an Problemstellungen und mit dem Bezug zur (unternehmerischen) Praxis überschreitet sie auch die Systemgrenze der Wissenschaften und wird damit transdiziplinär. Die Beforschung von Investitionen ist anhand vieler Wissenschaftsdisziplinen möglich, und ich meine, dass das Ergebnis bereits durch die jeweils angewandte Wissenschaft vorbestimmt ist. Das soll folgendes Beispiel erklären: Man errechnet die Rendite des Investitionsobjektes, wenn man finanzmathematische Methoden anwendet. Wenn man eine umweltbezogene Forschung in Auftrag gibt, wird die Veränderung der Emissionen durch das Projekt oder die Veränderung der Verkehrsströme berechnet. Wenn man sozioökonomische Forschungen anstellt, wird man den Arbeitmarkt vor und nach der Investition erforschen. Das bedeutet, dass die Voraussetzungen für spätere Entscheidungen wissenschaftsdiszipliniert geschaffen werden. Für eine gesamthafte Betrachtung einer Investitionsentscheidung können aber alle drei Ergebnisse nützlich sein. Man kann natürlich noch weiter gehen und sagen, dass sich die Entscheidungsgrundlagen widersprechen, und dann muss eine Entscheidung auf diesen Widersprüchen aufbauen. Die wissenschaftsdisziplinierte Auswahl ist also eine wichtige Vorentscheidung, sie gilt im Übrigen auch für die Vergabe von Aufträgen an Personen (Experten), die man für die Entscheidung auswählt.
171 P. Heintel, L. Krainer, I. Paul-Horn (Hrsg.), Zur Grundaxiomatik der Interventionsforschung. Präambeln für eine andere Wissenschaft. Klagenfurt 2005, S. 70
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Die Interventionsforschung wählt eine differenzierte Vorgehensweise. Sie verwendet die wissenschaftsdisziplinierten Erkenntnisse zur Abstützung ihrer Erkenntnisse. Diese Art der Forschung ist somit ein maßgeschneidertes Entscheidungsmodell – und deshalb vielleicht gar kein Modell 172 im naturwissenschaftlichen oder empirischen Sinn von Wissenschaften. Sie soll den an der Umsetzung Arbeitenden und in ihr Lebenden einen Nutzen bringen. Die Erkenntnisse, die durch die Forschungsmethodik gewonnen werden, sind nicht in ein typisches Muster von Evaluierungen zu pressen, sie sollen in die Zukunft weisen. Denn »allein die Aufhebung der klassischen Subjekt-/Objekttrennung öffnet einen Raum, der einerseits allerlei ›Erweiterungen‹ mit sich bringt (zum Beispiel die Einbeziehung von Emotionen, die ad hoc entstehen, Aspekte, die von den Forschenden vorher nicht bedacht werden können), andererseits Eingrenzungen vorsieht, die im unendlichen Prozess klassischer Forschung nicht vorkommen. Letztere ergeben sich sowohl aus dem Praxisbezug wie auch aus dem Umsetzungs- und Nutzungszweck.173 Denn die üblichen Forschungszugänge sind vergangenheitsbezogen und orientieren sich an »Fakten, Quellen, Artefakten«,174 die für sich selbst nicht interessant sind. Sie sollen die sogenannte Objektivität stützen. Diese vergangenheitsbezogene und reduktionistische Vorgehensweise leistet nur partielle Beiträge für die Lösung realer Probleme. Sie ist somit für Zukunftsfragen der Umsetzung nicht ausreichend. Organisationale Vorentscheidungen
Die Managementforschung hat bereits Felder der Widersprüchlichkeiten ihres eigenen Metiers ausfindig gemacht, insbesondere die zu starke Annäherung an naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten wie zum Beispiel »Objektivität (Wertfreiheit, Reliabilität, Validität und Universalgültigkeit von Forschungsergebnissen), Wiederholbarkeit, Widerlegbarkeit, Reduktionismus« 175 und die »Subjekt-Objektspaltung im Forschungsprozess (die Forschenden haben ihre Objekte), die annimmt, menschliches Erkennen vollziehe sich unabhängig von sozialen Bezügen«.176 Diese Anmerkung habe ich als Randnotiz in fortschrittlicher Managementliteratur gefunden, sie weist meiner Ansicht nach darauf hin, dass für bestimmte Forschungen eine neue Forschungsarchitektur überlegt und gefunden werden muss. Denn die häufigste Form, in der Entscheidungen getroffen werden, sind im weitesten Sinn Managementsysteme. Diese Systeme gestal172 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Modelle und Wirklichkeiten im Management«. 173 Vgl. Heintel/Krainer/Paul-Horn, Grundaxiomatik, S. 99 174 Vgl. ebd., S. 72 175, 176 R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, C. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Band 1, Bern 2004, S. 187
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ten durch ihre Entscheidungen die Zukunft. Entscheidungen müssen sich für eine Variante aussprechen und damit gegen alle anderen. Deshalb ist ein Anliegen der Interventionsforschung, sich der Praxis und der Unterstützung für die Umsetzung von Entscheidungen zu widmen. Die Methode des offenen Interviews und die Zukunftsbezogenheit der Forschung reichen dafür noch nicht aus. Verlangt wird auch, und das ist eines der wesentlichen Charakter-Merkmale dieser Forschung, die freiwillige Teilnahme der Akteure am Forschungsprojekt. Die Begründung für die Freiwilligkeit ist, dass nur sie gewährleistet, dass individuell oder kollektiv autonome Entscheidungen möglich sind. Kann man daraus nachvollziehen, dass damit Umsetzungsenergie entsteht? Umsetzungsschritte werden in Unternehmen durch Modelle 177 gestützt, die Managementforschung und die Organisationsforschung arbeiten mit Modellen. Auch die Interventionsforschung verwendet Modelle als Angebote, um Prozesse zu bearbeiten. Diese Vorgehensweise deckt sich mit systemischen und gestalttheoretischen Ansätzen. Und auch diese Ansätze haben Einfluss auf die vorliegende Arbeit. Mit ihnen sollen die Einbettung von Entscheidungen und die Sphären, in denen sich ein Unternehmen organisiert, beschrieben werden, das sind neben der Wirtschaft die Gesellschaft, die Natur und die Technologie. Die weiteren Modellbausteine des neuen St. Galler Managementmodells wie Interaktionen und Ordnungsmomente dienen der Prozessunterstützung. Dazu kommen noch eklektische, behavioristische und empirische Ansätze aus den traditionellen Wissenschaften der Internationalisierung.178 Dominant sind jedoch ökonomische und betriebswirtschaftliche Ansätze, nämlich »Technik und deren Verbindung mit der kapitalistischen Ökonomie«.179 Diese Vielfalt kann Probleme bereiten. Denn die Fülle an modellhaften Angeboten erfordert Entscheidungen, wie die Probleme bearbeitet werden sollen. Hier lauert eine Gefahr – weiß man auf einmal zu viel? Denn wenn man alle Möglichkeiten überlegt, handelt man nicht mehr und entscheidet durch Nichthandeln. Enthaltung ist auch Entscheidung: Man muss nicht immer etwas tun. Damit wird etwas aufgemacht, was aufgrund des vorhandenen Wissens vielleicht zu einer Entscheidungsschwäche oder gar zur Nicht-Entscheidung führt. Auch diese ist unumkehrbar – was ist dann? Dann greift man auf die Axiomatik der Ökonomie mit dem Jetzt-oder-niePrinzip in ihren Modellbildungen zurück. Aktionen werden dann aus einem 177 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Modelle und Wirklichkeiten im Management«. 178 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Theorien der Internationalisierung«. 179 Heintel/Krainer/Paul-Horn, Grundaxiomatik, S. 9
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Sachzwang heraus eingeleitet, nach der Devise: zu retten, was noch zu retten ist. Und ein Investitionsmodell ist schnell gefunden. Denn Stillstand wäre ja Rückschritt, so eine inflationär verwendete Devise. Projekte, Präsentationen, Dokumentation, Finanzierung, alle Stakeholder ins Boot zu bekommen oder, wenn die Krise schon für alle erkennbar ist, sie im Boot zu halten, diese Parole wird ausgegeben. Dazu passt sehr gut jener Grundsatz, der dem Unternehmerischen innewohnt: Es war meine alleinige Entscheidung. Wenn also die Konsequenzen einer (Nicht-)Entscheidung von einer Person getragen werden – und meistens ist das finanziell gemeint –, dann hat das auch Auswirkungen auf die Zukunft: Es ändert sich nichts und die zukünftigen Auswirkungen werden konsequenterweise nicht vergemeinschaftet.180 Das passt meiner Ansicht nach nicht zur Zukunft eines internationalisierten kmu. In der Praxis hat man Partner, die man informieren und gewinnen muss, und die Praxis reduziert sich nicht notwendigerweise auf die finanzielle Dimension. Für diese sind die Modelle der Investitionstheorie und der Betriebswirtschaft sehr nützlich. Sie eignen sich als Hintergrundmodelle und können auch in der Interventionsforschung Anwendung finden. Die Praxispartner sind mit den systemischen Modellen für die Prozessbearbeitung zu ködern. Und welche Personen und Organisationen werden in die Forschung einbezogen? Ein Problem praxisbezogener Forschung ist die Entscheidung über die Systemgrenzen. Systemabgrenzung als wichtige Vorentscheidung ist für Vorhaben dieser Art erforderlich. Warum? Damit soll einerseits klargestellt werden, auf welcher Basis die Darstellungen erfolgen, andererseits ist ein Ende der Forschung zu vereinbaren. Forschungsresultate sind ja von begrenzter Rechweite und Wirkung, »je nach System und Zweck. Sie sind Ergebnis von Entscheidungen, die so lange ›halten‹, als man sich gemeinsam an sie hält. Und sie sind immer auch an Rahmenbedingungen geknüpft, die zulassen oder ausschließen.« 181 In Interventionsforschungsprojekten entscheiden die Beforschten mit. Und die Ergebnisse zu akzeptieren ist nicht nur eine Sache der Forscher, sondern aller am Ergebnis Beteiligten.
180 Vgl. ebd., S. 47 181 Ebd., S. 152
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Einflussnahmen
Gibt es neben der systemimmanenten Investitionslogik der Ökonomie weitere Argumente, die für oder gegen Investitionen sprechen? Warum werden private Investitionen unter bestimmten Bedingungen durch Förderungen 182 unterstützt? Also sind sie volkswirtschaftlich gesehen nützlich. Sie sind aber auch Anlass für Bürgerinitiativen, was deren Ablehnung bedeutet. Und beide Einflussnahmen sind ein Thema der Politik. Wie passt dies mit dem Postulat der sich selbst regulierenden freien Marktwirtschaft zusammen? Die Antwort kann nur lauten, dass Störungen – wie auf der einen Seite Subventionen und auf der anderen Seite Bürgerinitiativen – in die Preisbildung der produzierten Güter mit einfließen. Man findet in den ökonomischen Modellen keine Begründungen für die Ermessensspielräume bei Genehmigungsverfahren und bei Subventionen.183 In der praktischen Umsetzung spielen diese politischen und gesellschaftlich relevanten Positionen eine große Rolle und können über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Somit kann bei Investitionsprojekten projektbezogenes Vorgehen überhaupt erst die Voraussetzung für deren Gelingen sein und damit die Möglichkeit eröffnen, durch ein Interventionsforschungsprojekt bessere Ergebnisse zu erzielen. In der betriebswirtschaftlichen Logik ist es die Rendite, in der Bevölkerung die Akzeptanz. In meiner Bearbeitung ist sowohl dem individualistischen, unternehmerischen Zugang als auch dem Ermessensspielraum der Öffentlichkeit breiter Raum gegeben. Die Regeln von monetären Beihilfen und auch von Rahmenbedingungen leiten sich zwar aus der Existenz und dem Funktionieren der Marktwirtschaft ab, zeigen aber gleichzeitig ihr Versagen auf. Sie geben auch den Ermessensspielraum 184 bekannt, der bei Zutreffen der Versagensindikatoren für ein bestimmtes Projekt in einer bestimmten Region gilt. In der Praxis eingeschränkt durch die budgetäre Situation der jeweiligen Wirtschaftsförderungsorganisation. Dies ist also mein Motiv, mich in der Interventionsforschung gut aufgehoben zu fühlen. Denn zwischen den Rahmenbedingungen und der individuellen Situation ist eigentlich immer etwas auszuhandeln. Über dieses Aushandeln und die Gefühle der Ohnmacht – und zwar auf beiden Seiten: auf der Seite des Unternehmens und auf der Seite der die Investition fördernde Behörde – habe ich in meinem Essay »Förderungen für kmu« meine Erfahrungen niedergeschrieben. Für mich gilt, dass ich meine Kunden, die Entscheider für Investitionen, dazu bewegen soll, in unserer Region zu investieren. Dazu steht mir ein 182 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Förderungen für kmu«. 183 Siehe dazu meine Ausführungen ebd. 184–187 Vgl. Heintel/Krainer/Paul-Horn, Grundaxiomatik, S. 86
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gesetzlicher Rahmen, öffentliches (Förder-)Geld und die fachliche sowie die Entscheidungskompetenz unserer Organisation, des kwf – Kärntner Wirtschaftsförderungs-Fonds, zu Verfügung. Diese Organisation hat Entscheidungs- und Fachkompetenz zur Beurteilung der Umsetzungschancen und ebenso der Risken von Investitionsprojekten. Damit kann ich unserem gesetzlichen Auftrag nachkommen. Das beihilfenrechtliche System führt uns also vor, »worauf man Rücksicht zu nehmen hat, wenn man es mit Widersprüchen zu tun hat« 185 – nämlich mit dem Widerspruch zwischen marktwirtschaftlichen Prinzipien und regionsspezifischen Nachteilen. Die dazu erlassenen Gesetze und Richtlinien sind sehr allgemein formuliert. »Ihrer Allgemeinheit und Abstraktheit muss eine ›Reindividualisierung‹ zur Seite gestellt werden, die sich auf Personen, soziale Zusammenhänge und historische Situationen, ja selbst auf Einzelentscheidungen und ›Ermessensspielräume‹ zu beziehen hat.« 186 In diesen Spielräumen ist beispielsweise auch der Widerspruch verpackt, mit öffentlichen Mitteln sparsam umzugehen, also möglichst wenig Geld für möglichst viel Investitionsvolumen und möglichst viele Arbeitsplätze auszugeben. In der Beschäftigung mit diesen und ähnlichen Widersprüchen ist der Sinn dieser Arbeit begründet. Für die erforschten Unternehmen und deren Umfeld bringt sie – so hoffe ich – auch einen Beitrag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen von kmu in fremden Regionen. Mit diesen Hinweisen versuche ich die Aufgabenorientiertheit darzustellen. Über den Nutzen dieser Hinweise müssen die Beforschten und auch Akteure, die ähnliche Themenstellungen bearbeiten, selbst entscheiden.187 Im Unterschied zur folgenden Aussage, dass »in den klassischen disziplinorientierten Wissenschaften […] die wichtigsten Entscheidungen schon getroffen worden« 188 sind. So ist auch in den empirischen Arbeiten zur Internationalisierung von kmu.189 Es stellt sich in diesen Forschungsprojekten nur mehr die Frage: In welchen Theorierahmen passt die Untersuchung hinein? In der Interventionsforschung wird durch die Akzeptanz der Freiheit und Autonomie des Gegenstandes durch das zur Verfügungstellen des bestmöglichen Materials entschieden, was umgesetzt und somit wirksam wird – und was nicht. Damit passt die Interventionsforschung besser als die Theorien der Internationalisierung und gibt zusätzlich auch den mutigen wissenschaftstheoretischen Tipp, nicht nach einer allgemein akzeptierten Internationalisierungstheorie zu forschen, denn nichts trifft besser auf die Theoriebruchstücke der Internationali188 Vgl. ebd., S. 100 189 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Theorien der Internationalisierung«.
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sierung zu als die Aussage, dass selbst die elaborierteste Theorie kein Gesamtangebot darstellen könne.190 Es ist also einiges anders in der Interventionsforschung. Das »Andere« an dieser Wissenschaft
Empirische Arbeiten verlangen – verkürzt formuliert – vorherige Hypothesenbildung und dann die Bestätigung beziehungsweise Falsifizierung dieser Hypothesen aufgrund von Befragungen. Anders in der Interventionsforschung, hier geht es »weniger darum, Hypothesen zu formulieren, die bewiesen oder widerlegt […] werden sollen, sondern zunächst schlicht darum, das eigene Vor-Verständnis, Alltagsvermutungen und Ausgangshypothesen oder auch die eigenen Vorurteile festzuhalten beziehungsweise sich selbst bewusst zu machen«.191 Dazu gehören Offenheit und Mut. Denn Einschränkungen durch Fragen verhindern überraschende und zusätzliche Erkenntnis generierende Antworten. Durch diese Vorgehensweise lässt sich auch die schöne Behauptung aufstellen, dass der Interviewte nach dem Interview ein anderer ist als vorher. Und dass auch der Verfasser der Zusammenhänge von Theorie und Praxis im Rahmen eines Interventionsforschungsprojekts nach dem Schreiben ein anderer ist. Sowohl Vorurteile als auch Zusammenhänge von Theorie und Praxis lassen sich am Beispiel »Unternehmer-Sein« erklären: Ein diesbezügliches Vorurteil könnte beispielsweise sein, dass Unternehmer reich seien und Arbeiter arm. Jedoch zahlen zwei Drittel der Unternehmen keine Steuern, was nicht nur auf die Schattenwirtschaft, die Stiftungsvermögen und eine steuerschonende Bilanzpolitik zurückzuführen ist, sondern auf die schwache Ertragslage – und somit kein ausschließlich wirtschaftliches, sondern ein soziales Phänomen und einen noch nicht einmal ansatzweise begonnenen Veränderungsprozess für Interessensvertretungen darstellt. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auch hier deutlich auseinander. Ein weiters Vorurteil könnte sein, dass Unternehmer es mit den Gesetzen in Bezug auf Umwelt, Arbeitsrecht, Steuern und sonstigen Behördenauflagen nicht so ernst meinten. Hier muss man wahrscheinlich die verschiedenen Sektoren und Größen differenzieren und sich auch anschauen, wie die Wertschöpfungskette organisiert ist. Aus diesen Analysen ergeben sich eindeutigere Beurteilungen in Bezug auf die Einhaltung der Gesetze, weil es auch überbetriebliche, systemimmanente selbstorganisierende Kontrollen gibt. Abschließend noch ein drittes Vorurteil: Es könnte lauten, dass nur die Wirtschaft wisse, »wie es auf der Welt funktioniert« – der öffentliche Sektor solle sein unintelligentes Geld hergeben, damit es in der Wirtschaft bestmöglich 190 Vgl. Heintel / Krainer / Paul-Horn, Grundaxiomatik, S. 101
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investiert werde. Gegen dieses Vorurteil ist nur mit Fach- und Entscheidungskompetenz in Gesprächen und Verhandlungen ein Kraut gewachsen und in die Bildung der Mitarbeiter des öffentlichen Sektors muss investiert werden – da dieser sonst seine Aufgaben immer weniger erfüllen wird können. Es gab in den einzelnen theorie- und vor allem praxisbezogenen Themen dieser Arbeit immer wieder auftauchende Fragen, welche durch die offene Gestaltung der Interviews den Interviewpartnern natürlich nicht explizit gestellt wurden. Gab es dazu interessante und auch überraschende Antworten, wurden diese in die Gesamtarbeit eingebaut. Die Antworten stützten den forscherischen Zugang zum Thema Unternehmen. Dieser Gedanke soll im Folgenden nachvollziehbar gemacht werden. Zunächst die nicht gestellten Fragen: Was haben Sie mit ihren bisher erwirtschafteten Gewinnen gemacht und was sind die weiteren Schritte, wenn Sie das nächste unternehmerische Ziel erreicht haben? Wie starten Prozesse für Investitionsentscheidungen? Lässt sich ein bewusster Start festmachen? Für die gegebenen Antworten können Ansätze aus der Ökonomie, der Betriebswirtschaftslehre, die Stellung des Eigentums in unserer Gesellschaft (Recht) oder die Entscheidungsverortung (Existenz) Aufklärung leisten. Damit kann zur Methode und Interpretation am Beispiel Unternehmereigenschaft Folgendes festgestellt werden: Merkmale, die auf die Eigenschaft hinweisen, sind vom Tun ableitbar. Ein starker Hinweis, dass es sich bei einer bestimmten Person um einen Unternehmer handelt, ist die Verwendung des bereits erwirtschafteten Vermögens in weiteren unternehmerischen Aktivitäten, zum Unterschied zum Rentier, Sparer oder Konsumenten. Denn – so wird sein unternehmerisches Handeln begründet – wozu das Verdiente in Aktien stecken oder auf Sparbücher legen? Das hieße, anderen Managern mehr Fähigkeiten in Bezug auf unternehmerische Entscheidungen zuzugestehen. Dazu die Wiederholung der oben gestellten Frage: Wie habe ich meine bisher erwirtschafteten Gewinnen verwendet und was sind meine weiteren Schritte, wenn ich das nächste unternehmerische Ziel erreicht habe? In Gegensatz zur realen Situation eines Interviews hat die Nationalökonomie mit dem Unternehmerbegriff keine Personifizierung verbunden, wie sie im allgemeinen Sprachgebrauch auch mit Selbstständiger oder Arbeitgeber gemeint ist. Somit ist wichtig darauf hinzuweisen, dass Unternehmer »nicht Menschen, wie man ihnen im Leben und in der Geschichte begegnet, sondern die Verkörperung von Funktionen im Ablauf der Marktvorgänge« 192 sind. 191 L. Krainer, Einführung, S. 39 192 L. v. Mises, Nationalökonomie. Theorie des Handelns und des Wirtschaftens, 1940, S. 245, in: U. Bröckling, Jeder könnte, aber nicht alle können, eurocine, 4/15, 2002, http://www.eurozine.com/articles/2002-10-02-broeckling-de.html (29. 6. 2008)
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Dies ist nur ein Beispiel für die Gegenüberstellung von (Zwischen-) Ergebnissen aus der Interventionsforschung in Bezug auf mein Thema und von Annahmen bezüglich der Unternehmereigenschaft in den traditionellen Wissenschaften. Somit zur folgenden damit zusammenhängenden These: Die (Wirtschafts-)Politik vermischt den Unternehmer mit dem Selbstständigen, nur weil er Mitglied der Wirtschaftskammer ist, sie ordnet sektoral. Die Nationalökonomie hat im Unternehmerbegriff eine abstrakte Funktion abgebildet. Der Realität nützt weder die eine noch die andere Betrachtung. Unternehmer haben noch andere Eigenschaften und diese kann die Interventionsforschung mit ihrer Methode erforschen. Es werden dahingehend natürlich keine geschlossenen Fragen gestellt. Nur wenn etwas angeboten wird, kann weitergefragt werden. Damit können Unternehmereigenschaften aus der Auswertung der Interviews gewonnen werden. Daraus folgt, dass die Interventionsforschung zu den Unternehmereigenschaften wertvolle Aufklärungsarbeit leisten kann, ein Bereich, der in den anderen Wissenschaften und im wirtschaftspolitischen Alltag nicht ausreichend erforscht und erläutert wird – wie etwa die Verwendung der erwirtschafteten Gewinne in weiteren Investitionsvorhaben. Diese Art der Verwendung ist verbunden mit dem Selbstvertrauen, also dem Vertrauen in die eigenen unternehmerischen Fähigkeiten. Damit der Begründungszusammenhang: die Gewinnverwendung weist auf das Selbstvertrauen eines Unternehmers hin, vertieft wird, muss ich noch ergänzen, dass man mit der Methode des offenen Interviews oft mehr über den Menschen erfährt als über das, worüber er spricht. Der Unternehmer, die zentrale Figur in meiner Arbeit, ist nur über seine Aussagen als Unternehmer identifizierbar. Definitionsgemäß – abgeleitet aus der Rechtswissenschaft – sind nämlich alle meine Interviewpartner Unternehmer, weil Eigentümer, Miteigentümer, Vorstände – jedenfalls (Mit-) Entscheidende bei Investitionsprojekten. Vielleicht sind sie es gar nicht wirklich? Sie würden jedoch niemals in Marketing- und Strategieprospekten und auch nicht in Geschäftsberichten erkennen lassen, dass sie auch andere Stärken und Schwächen haben beziehungsweise dass ihre Entscheidungen andere als rationale Gründe haben. Sie würden nur Argumente bringen, die ihr Image als Unternehmer stützen. Das ist zwar, wie man so sagt, menschlich verständlich und wichtig für ein veröffentlichtes Bild. Für die eigene Weiterentwicklung, für den Erkenntniszuwachs in der Forschung und als Erfahrungsschatz für zukünftige eigene Entscheidungen und Entscheidungen von anderen Unternehmern bringt diese sowohl durch Marketing als auch durch Verdrängungen einseitig gewordene Information keinen Nutzen. Mit der Methode der Interventionsforschung wird man fündiger, wenn man sich als Unternehmer weiterentwickeln und die wirklichen Erfahrungen seiner eigenen Entscheidungen nutzen will. 105
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Wie kommt man zu diesen Informationen? Dazu muss wieder auf die oben angeführten zehn Gebote für das Interview verwiesen werden. Denn man erkennt beim Durchlesen des Transkripts bereits Unterschiede in Bezug auf die eigene Erinnerung an die Interviewsituation und auf das verschriftlichte Interview. Ein Leitfaden, der durch das Thema führt, kann einerseits wertvolle Hilfe darstellen, andererseits aber auch stören, Stress erzeugen und zu völlig anderen Ergebnissen führen. Sichtbar wurde bei meinen Interviews auch, dass ein gewisses Maß an Fachwissen – im vorliegenden Fall über Investitionsrisiken und Finanzierungen – meiner Ansicht nach Einfluss auf das Interview hat. Anzumerken ist dabei, dass mit diesem Wissen das Hineingleiten in suggestive Fragen nur mit enormer Disziplin verhindert werden kann, da das Interview sonst leicht in ein Gespräch – also in einen Dialog – abgleitet. Ein weiteres Ziel der Forschung ist Veränderung. Und diese Veränderung ist vielfach kaum bemerkbar, weil die sie auslösenden einzelnen Prozessschritte erst an ihrer Unumkehrbarkeit als (vorweggenommene) Entscheidungen erkennbar werden. Die Erklärungen zu den gesetzten Schritten, zu jedem einzelnen, haben den Vorteil der Bewusstseinsbildung in Bezug auf die stattfindenden oder stattgefundenen Veränderungen. Der Lernprozess läuft entlang dieser Abfolge ab, sodass am Ende – idealerweise – mündliche Rückkoppelungen an die Interviewpartner erfolgen sollten, um näher an das wirklich Gesagte und auch Gemeinte heranzukommen. Die Interventionsforschung interveniert in der Regel auf allen Organisationsebenen und macht durch ihre Methode die unterschiedlichen Sichtweisen von Einzelpersonen, Gruppen, aber auch des Gesamtsystems Wirtschaft oder Gesellschaft anschaulich. Dabei zeigt sich, dass bei Internationalisierungsinvestitionen die Bearbeitung des Themas weit ausgedehnt werden könnte und sich, wie immer, die Frage nach der Abgrenzung des Systems stellt. Damit wird ein Problem der Managementforschung aufgegriffen. Denn die Managementforschung hat herausgefunden, dass Topmanager zu den Informiertesten einer Organisation gehören, weil sehr viel an sie herangetragen wird – formal, aber auch informell. Sie haben aber Schwierigkeiten, diese Information an ihre Mitarbeiter weiterzugeben. Das hat damit zu tun, dass sie die mündliche Kommunikation bevorzugen und dabei »Gesichtsausdruck, Stimmlagen und Gesten« 193 mit aufnehmen und auch ihren Entscheidungen zugrunde legen. »Eindrücke und Gefühle über andere Leute, Hörensagen, Klatsch usw. Die ganz analytischen Inputs scheinen darüber hinaus für Manager von relativ geringem Interesse zu sein.« 194 Damit wollen, wie bereits angemerkt, beide Forschungsdisziplinen auf 193, 194 H. Mintzberg, Mintzberg über Management, Führung und Organisation. Mythos und Realität, Wiesbaden 1991, S. 62
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komplexe Systeme wirken und diese durch ihre Aktivitäten verändern. Sie wirken auf diese Systeme ein und liefern eine Basis für Entscheidungen. Meiner Ansicht nach ist die Interventionsforschung mit ihrer Methodik wirksamer. Doch in der Managementforschung finden wir wertvolle Hinweise, die die Grundaxiomatik der Interventionsforschung abstützen. Beide Wissenschaften haben den Zweck, mit Komplexität umgehen zu können. Ebenfalls beiden innewohnend ist die Schaffung von Voraussetzungen für Entscheidungen. Managementsysteme bestimmen die Umstände, in denen wir leben. Unter Managementsystemen sind Aufsichtsräte, Geschäftsführungen, Vereinsorgane, Parlamente, Regierungen, Administrationen und so weiter zu verstehen. Zur Erforschung von Organisationen und Managementsystemen waren »immer schon die Wissenschaften vom Lebendigen, speziell die Humanbiologie und Psychologie beziehungsweise Psychiatrie, als Inspirationsquelle näher als Ingenieurwissenschaften und Physik«.195 Die Humanwissenschaften sollten sich also nicht zu sehr an den Naturwissenschaften orientieren. Denn es »weist auch ein Unternehmen Vitalität, Wachstum, Organ- und Strukturbildung auf, die nicht willkürlich zu konstruieren sind, sondern im hohen Maße einer Eigenzeitlichkeit gehorchen«.196 Der Gestaltpsychologe W. Metzger hat schon sehr früh auf recht treffende Weise die Unterschiede des Arbeitens am unbelebten Stoff und am Lebendigen einander gegenübergestellt: 197 Spezieller Bezug der Interventionsforschung zu Internationalisierungsinvestitionen
Brauche ich eine derart aufwendige Form der Forschung für meine Aufgabenstellung? Bei Internationalisierungsprojekten müssen Unternehmen die globale Form der Arbeitsteilung in ihre Entscheidungen einbeziehen. Andererseits sind die kmu durch die Konzentration der Anbieter von Endprodukten zur Lieferung von Systemen angehalten, wollen sie in der Supply Chain verbleiben. Alternativen also, die sehr schwierig zu bewältigen sind. Standardisierte Massenproduktion (sie firmiert auch unter dem Begriff Fordismus) von wenig differenzierten »Commodities« steht auf der einen Seite, »mass customization«, also kundenbezogene Produktion, unter industriellen Bedingungen auf der anderen. Andere Dichotomien sind die Konzentration auf die Kernkompetenzen und die Diversifizierung. Nachdem fasst immer beides passt, zwischen den Extremen viele Zwischenlösungen möglich sind und eigentlich nur der Erfolg das Maß 195, 196 F. Glasl, B. Lievegoed, Dynamische Unternehmensentwicklung, Bern 2004, S. 36 197 W. Metzger, Schöpferische Freiheit, Frankfurt am Main 1962, S. 18ff, entn. aus Glasl/ Lievegoed, Unternehmensentwicklung, S. 38.f
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aller Dinge ist, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, im Geiste der Interventionsforschung auch sinnliche und emotionale Aussagen in Bezug auf Erfahrungen, einzusammeln – und daraus Entscheidungsgrundsätze herauszufiltern. Denn manchmal werden emotionale Entscheidungen auch erst im Nachhinein ökonomisch begründet. Ich glaube, dass Sinn und Zweck unternehmerischen Handelns zusammenpassen müssen. Man kann natürlich auch argumentieren, dass die Unterschiede und die Kompromisse oder die Zwischenlösungen so lange uninteressant sind, solange folgende Aussage Gültigkeit hat: Gleichgültig ob Arbeitsteilung oder Komplettlösungen, ob emotional oder ökonomisch begründete Investitionsentscheidungen – es verdichtet sich im Shareholder-Value, und das Ausmaß des Unternehmenswertes ist dann ausreichend, wenn es mit der Erwartungshaltung des Eigentümers oder der Eigentümer in Einklang steht. Die Axiomatik dieser Formulierung füllt ganze Bibliotheken mit Managementliteratur. Und die Lücke zwischen den abstrakten Theorien und der Wirklichkeit versuchen ohnehin die empirischen Studien zu schließen. Doch diese Studien haben oft selbstrechtfertigenden Charakter. Und ich kenne diesen Charakter aus vielen Evaluierungen, die ich in Auftrag gegeben habe, aber auch aus jenen, die beauftragt wurden, um die eigene Organisation zu evaluieren.198 Ein Interventionsforschungsprojekt sollte nicht vom Ergebnis her angelegt werden. Und ein Investitionsprojekt ist in der Regel im Unterschied zu einem vermeintlich individuell zusammengestellten neuen Auto keine »Commodity«. Deshalb ist es auch erforderlich, die Forschungsmethode einzuhalten und Vorvermutungen und Vorurteile festzuhalten. Mit dieser Vorgehensweise kann es gelingen, vermeintliche Zusammenhänge – Kausalitäten – auf ihre Wahrheit zu prüfen, ohne explizit danach zu fragen. Denn die linearen Kausalitäten, wie wir sie aus den Naturwissenschaften und aus der Mathematik kennen, sollen nicht in die Erforschung von Managementsystemen übernommen werden. Wie wird der Anspruch von Kausalitätsfreiheit abgedeckt? Indem man sich die eigenen Vorurteile, aber auch die beruflichen Erfahrungen, insbesondere jene fachspezifischer Natur, bewusst macht und sie nicht zum Gegenstand der Befragung macht. Und wenn man selbst dann nicht unterbricht oder gar widerspricht, wenn die Antworten völlig anders sind, als man sie erwartet hat. Larissa Krainer verlangt von einem Interventionsforscher »die eigenen Vermutungen so weit hintanzustellen, dass sie der eigenen Forschung nicht im Wege stehen«.199 Das Erreichen von Kausalitätsfreiheit gelang mir auch nicht vollständig – aber ich habe Kausalitätsfreiheit versucht 198 Siehe dazu auch den Essay »Theorien der Internationalisierung«. 199 L. Krainer, Einführung, S. 40
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und bei der Auswertung der Interviews insbesondere auf Anmerkungen geachtet, die ich nicht erwartete oder die mir nicht passten. Das Forschungsinteresse, die Verbindung zum eigenen Beruf, die Forschungsfragen und eine definierte Methodik bieten solch ein Ausmaß an Unterstützung, dass »ein Faktor sichtbar [wird], der in der klassischen Forschung so gut wie keinen Stellenwert hat, der des Vertrauens«.200 Mit dem Vertrauen kann eigentlich erst ein Klima geschaffen werden, das Fragen ermöglicht. Denn das Kernstück einer Frage ist die Methodik zur Erstellung einer Differenz. Es ist sehr ärgerlich, nach etwas zu fragen, bei dem der Befragte, dass Gefühl hat, dass der Fragende es ohnehin weiß. Die Differenz ist eine Balance von Nähe und Distanz. Die Nähe wird repräsentiert durch die Formulierung: »Ich interessiere mich …« Die Distanz spürt man in der folgenden Formulierung: »Deshalb frage ich Sie, wie es Ihnen dabei ergangen ist.« Die verbale und emotionale Ausgestaltung der Frage bestimmt das Ausmaß von Selbstdifferenz. So wird beispielsweise der »Warum-Frage« die stärkste Form der Differenz zugeschrieben. Vergleiche mit anderen Fragen (was, wo, wie) können den Inhalt dieser Feststellung vermitteln. Damit soll angeregt werden, dass diese Aussagen nur durch persönliche Überprüfung bewertet werden können. Forschungsprojekte haben meiner Ansicht nach die Aufgabe, dass sich die Betreiber laufend mit ihrer Rolle als Forscher auseinandersetzen. Das geht auch nur durch praktische Arbeit. Die Interventionsforschung leistet, wenn man ihre Grundsätze befolgt, durch das ihr innewohnende Vertrauen Abbau von Ängsten gegenüber Forschungsprojekten, die mit Menschen und Organisationen zu tun haben. Damit wird die praktische Forschungsarbeit durch gegenseitiges Vertrauen von Forschern und Beforschten unterstützt, gerade weil es sich um ein Forschungsprojekt und somit um eine seriöse Behandlung des Themas handelt. Damit entsteht ein Klima, das bestimmte Fragen überhaupt erst zulässt. Die Forschung verlangt auch etwas. Denn im Gegensatz zu Beratung und Begleitung sind die Interviewpartner dahingehend aufzuklären, dass es die Aufgabe von Wissenschaft ist, möglichst viele Quellen zu erschließen. Es soll sozusagen volle Zugangsvielfalt ermöglicht werden. Denn eine spannende Facette der Interdisziplinarität ist, dass der Experte einen Moment lang in diesem Prozess Recht hat. Und zwar dann, wenn er fragt, die Antwort abwartet und die Antwort sinngemäß wiederholt, also dupliziert, vielleicht mit Zusätzen wie »Habe ich Sie richtig verstanden, als Sie sagten, dass …« oder »Kann ich Ihre Aussagen in der Form zusammenfassen …« oder »Fehlt bei meiner sinngemäßen Wiederholung etwas für Sie Wesentliches?« Das heißt, »wissenschaftliche Erfassung entsteht erst aus 200 Heintel/Krainer/Paul-Horn, Grundaxiomatik, S. 132
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einer gemeinsamen Erfassung der jeweils endlichen Situation und liegt nicht schon von vornherein vor«.201 Damit kann gut weitergefragt werden, und zwar »am Leitfaden des Angebotenen« – wie es Peter Heintel als goldene Regel formuliert hat 202 – und es können sich für den Unternehmer die Entscheidungsoptionen erweitern. Das unternehmerische Prinzip wird dadurch unterstützt. Aus der Emotion und dem Moment des Recht-Habens kann etwas Tragfähiges entstehen, und die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Neue in Konzepten verschwindet und dann in der Schublade landet, ist meiner Ansicht nach geringer. Beim vorliegenden wissenschaftlichen Vorhaben ist die zeitliche Nähe zur Entscheidung zur Investition und die Beurteilung, ob diese ein Erfolg war, ist oder sein wird, wesentlich. Am besten lässt sich die Frage der Abgeschlossenheit des Projektes über die derzeit aktuellen Themen des Unternehmers abgrenzen. Ist noch viel zu tun, zu entscheiden, zu verändern oder haben andere Aktionen Priorität? Auch in diesem Feld ist die explizite Frage nach der Abgeschlossenheit keineswegs hilfreich. Die Abgeschlossenheit ist mit folgender Metapher gut beschrieben: Ein ausgeglichenes Investitionskonto inklusive aller erwarteten Überschüsse weist auf Abgeschlossenheit hin, denn man kann die Fabrikshalle mit verhältnismäßig weniger Aufwand dem Erdboden gleichmachen, als ein nicht abgedecktes Investitionskonto auf null zu stellen. Dies muss man sich wirklich bewusst machen, die Emotionalität hinter dem abstrakten Begriff Konto wird durch die Interventionsforschung spürbar. Wie kann eine Investitionsentscheidung noch begründet werden? Eine Antwortmöglichkeit ist, sie als Akt der Selbstverwirklichung zu bezeichnen, mit dem Risiko des Scheiterns und den Gestaltungsmöglichkeiten von Innovation und Internationalisierung. Entscheidungen können aber auch anders fallen. Eine Geschäftsidee kann als Raum des Handelns aufgemacht und Sorgfalt auf den Prozess gelegt werden. Die Sorgfalt bei der Differenzeröffnung trägt zur Prozessqualität bei. Damit kann es gelingen, das Wollen mit dem Sein zu verbinden. Mit dem eigenen Gewissen als Instanz – das heißt, sich »in den Spiegel schauen« zu können. Und einen eigenen Weg zu finden, den Menschen auch in der zweckorientierten Organisation mehr Selbstverantwortung überträgt. Denn eine moderne Organisation funktioniert, wenn der einzelne Mensch in ihr in seiner Individualität (wert-)geschätzt wird. Die Rückbesinnung auf die Sinnlichkeit und die Freude kann als Reaktion zur Rationalisierung aufgefasst werden Denn »die Fakten, Quellen, Artefakte, dokumentierten Ereignisse sind nicht für sich selbst interessant. Sie verstehen zu wollen, heißt immer uns besser verstehen zu 201 Ebd., S. 101 202 Krainer, Einführung, S. 19
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wollen. Wird dieser Zusammenhang verschwiegen oder vergessen, glaubt man, unbeirrbar am sogenannten Objektivitätsgebot festhalten zu müssen, stellt sich aber in verschärfter Form, als dies in den Naturwissenschaften der Fall ist, die Sinnfrage.« 203 Bevor im Zusammenhang mit dieser Form der Forschung die Akteure und die Gestalter der Rahmenbedingungen beschrieben werden, ist festzuhalten, dass mit diesen Ausführungen die Prozesse offengelegt und damit transparent gemacht wurden. Das ist ein wichtiger Teil der Architektur bei Interventionsforschungsprojekten: So bin ich, so (sind wir) vorgegangen. Denn jedes Forschungsdesign konstituiert Inhalte. Es hat Einfluss auf das Gesamtergebnis und erzeugt zusätzliche Hypothesen.
203 Vgl. ebd., S. 74
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113 E. Juritsch, Internationalisierungsentscheidungen von kleinen und mittleren Unternehmen © Springer-Verlag/Wien 2011
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Akteure und Rahmenbedingungen »Ich werde eines nicht tun, und das ist auch für Unternehmer nie gut, das lehnen wir auch ab, dass wir für alles und jedes die Politik hernehmen, die brauchen wir nicht im Grunde, um es klar zu sagen. Aber eines brauchen wir, die Rahmenbedingungen müssen in der Politik geschaffen werden.«1 Mit dem Eingangsstatement scheint die Aufteilung der Agenden klar. Ich möchte nicht von Unternehmen und dabei insbesondere von kmu als theoretischem Konstrukt sprechen, sondern von den Menschen, die Entscheidungen im Rahmen ihrer Eigenschaft als Unternehmer treffen. Sie sind die Akteure im Wirtschaftsleben. Es ist bei einem kmu leicht herauszufinden, wer Entscheider ist. Doch in jedem Unternehmen ändern sich Entscheidungsregeln und auch das Kommunikations- und Entscheidungsumfeld im Laufe eines Lebens als Unternehmer oder als Unternehmerin. Dieses Umfeld ist wesentlich an den Investitionsentscheidungen oder Internationalisierungsentscheidungen mitbeteiligt. Eine einzelne Person, ein Gesellschafterteam, eine Familie oder eine größere Anzahl von Personen mit verschiedensten Interessen bilden das Zentrum für derartige Entscheidungen. Die europäische (Wirtschafts-)Politik hat in den letzten Jahren die Bedeutung von kmu, insbesondere auch von Familienunternehmen, (an-) erkannt. Ob dies eine echte Aufwertung oder nur eine Reaktion auf Politikversagen in der Beschäftigungspolitik darstellt, wird sich erst dann herausstellen, wenn es weitere nachvollziehbare Verbesserungen der Rahmenbedingungen für kmu gibt. Der Unternehmer erlebt als regionaler Arbeitgeber meiner Ansicht nach seit den 1980er-Jahren eine langsame Aufwertung seine Images, auch wenn dies von der Mehrheit der Unternehmer – vor allem in Deutschland und Österreich – noch nicht so gesehen wird. In Studien werden nach wie vor Aussagen zitiert, wie »In Österreich gibt es keine ausgeprägte unternehmerische Tradition« und »Österreich zeigt im internationalen Vergleich soziokulturelle Normen, die Unternehmertum verhindern«.2 Während die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eher die Zeit der verstaatlichten Industrie und der Großindustrie – auch in den westlichen Industriedemokratien (usa, Frankreich, Italien, Deutschland, Großbritannien) – war, ist seither wieder stärker die Unternehmerpersönlichkeit zum wichtigen Akteur für die Wirtschaftspolitik geworden. Deren Hauptinteresse, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, sieht sie durch starke mittelständische Unter1 Interview st i, S. 152 2 M. Samer, U. Schneider, gem Global Entrepreneurship Monitor, Bericht 2005 zur Lage des Unternehmertums in Österreich, Graz 2005, S. 53f
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nehmen repräsentiert. Woher nehmen Wirtschaftspolitiker diese Einstellung zum Unternehmer? Die mediale Berichterstattung über Erfolgsgeschichten oder das Scheitern von Unternehmerpersönlichkeiten bestimmt über weite Strecken die Einstellung. Eine Erfolgsgeschichte verbunden mit einem Menschen – also mit einem Gesicht – zu erzählen ist leichter, als sich mit der Funktion des Unternehmers als Arbeitgeber zu beschäftigen, auch in Abgrenzung zum Manager. Aber es ist auch umgekehrt; noch schwieriger wird die Abgrenzung zum Maximierenden von Renditen oder zum Grundeigentümer, weil die Funktion als Person auftritt und mit ihr vermischt wird.3 Das theoretische Konstrukt des Entrepreneurs muss also politisch, in den Medien und im wirtschaftlichen Alltag für die Formen wirtschaftlichen Diskurses herhalten – obwohl dies von den Theoretikern nicht so gemeint war. Es ist die Zeit großer Veränderungen in der Wirtschaft. Das bewirkt eine Zunahme von Geschäftsgelegenheiten, trotz großer Unsicherheiten. Dafür gibt es viele Ursachen. Da sind neue Technologien und niedrigere Markteintrittsbarrieren zum Beispiel in der it-Branche. Es sind Veränderungen der Wertschöpfungsmodelle durch das Entstehen der Zulieferindustrien. Ein breites Spektrum entsteht durch Outsourcing – also die Auslagerung von Teilen des Produktionsund insbesondere des Dienstleistungsprozesses eines Unternehmens. Einerseits entstehen durch zunehmende Spezialisierung immer neue Geschäftsmodelle, andererseits werden aus den Spezialisierungen heraus neue Systeme angeboten. Einerseits machen also Unternehmen das Geschäft ihrer Kunden, andererseits ziehen sie sich aus ihren nicht zum Kerngeschäft gehörenden Bereichen zurück. Um beiden Strategieansätzen zu entsprechen, einerseits zu diversifizieren und andererseits sich aus Bereichen zurückzuziehen, die nicht zum Kerngeschäft gehören, braucht man Managementkompetenzen, die auch mit Widersprüchen und Konflikten umgehen können und trotzdem Entscheidungen treffen. Damit sind Entscheidungskompetenzen und -mechanismen angesprochen. Und ein Pendel zwischen Dezentralität und Zentralität von Entscheidungen – meiner Ansicht nach mit leichten Vorteilen für die Dezentralität. Diese entspricht eher der Logik der Marktwirtschaft. Ich vermute, dass trotz der Zunahme von Geschwindigkeit und Kapazität der Rechner und des Internets beziehungsweise auch der Möglichkeit, Videokonferenzen abzuhalten, die dezentrale Form unternehmerischer Entscheidung ihre Vorteile gegenüber einer zentralen Entscheidung ausbauen wird. Sonst hätten sich Teile von Wirtschaftsclustern oder Angebotsketten4 schon zentralen Entscheidungsstrukturen unterworfen. 3 Bröckling, Jeder könnte, S. 4/5 4 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«.
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Die Verarbeitung von Informationen und die Aufbereitung für Entscheidungen und die Entscheidung selbst beanspruchen Zeit. Das erfolgreiche Modell ist also in seinen Grundzügen bis auf Weiteres das Modell des vollkommenen Marktes. Dieser Markt, so die Annahme, der alle Bedürfnisse durch die Nachfrage formuliert und mit den Angeboten über den Konkurrenzpreis ins Gleichgewicht bringt. Dieses Modell hat in seiner ursprünglichen Form das Unternehmen gar nicht vorgesehen. Die wesentlichsten Elemente für die Existenz von Unternehmen sind die unvollkommene Information der Wirtschaftsakteure und die Transaktionskosten. Eine Frage, die sich nahezu aufdrängt: Wie verbindet sich diese Rationalität für die unternehmerische Existenz mit der Praxis? Ein Unternehmer muss immer Entscheidungen treffen und seine Entscheidungen umsetzen. Wenn ein Unternehmer falsch entscheidet und sich im Umsetzungsprozess noch Verbesserungen ergeben, bleibt er im Geschehen, sonst geht das Unternehmen unter. Es endet dann zwar das Unternehmen, jedoch nicht die materiellen und immateriellen Konsequenzen aus der falsch getroffenen Entscheidung. Derselbe Unternehmer kann es beispielsweise nach einem abgeschlossenen Insolvenzverfahren allenfalls unteren anderen Voraussetzungen weiterführen oder andere Unternehmer übernehmen das gescheiterte Unternehmen oder erwerben die Reste. Untergang bedeutet somit nicht das Ende. Die ebenfalls anzusprechende Alternative, nicht zu entscheiden, bedeutet in der Regel, aus dem Geschehen draußen zu sein, nichts mehr beeinflussen zu können – damit endet auch die unternehmerische Aktivität. Dann machen die anderen das Geschäft. Damit das nicht passiert, besinnen sie sich immer wieder auf ihre Rolle. Sie haben also in dieser Welt der Markt-, Produkt- und Informationsunvollkommenheiten die Mittlerrolle in der Selbstorganisationsfähigkeit zur Bedürfnisbefriedigung und damit begründen sie ihr Geschäft. Sie haben nicht auf die vollkommenen Informationen gewartet, auch nicht auf den Supercomputer, der jenen, welche die besten Faktorkombinationen besitzen, den Auftrag gibt. Und gerade diese Unvollkommenheit nimmt in einer Welt mit zunehmender Unübersichtlichkeit auch zu. Somit ist gleichermaßen der Druck oder die Chance für unternehmerisches Handeln gegeben.5 Es gibt also vermeintlich auch eine von mir so bezeichnete praktische Theorie. Die Argumente, die dem industrieökonomischen Ansatz von Porter entnommen wurden, beschreiben die Rolle des Unternehmers beziehungsweise des Unternehmens. »The essence of formulating competitive strategy is relating a company to its environment.« 6 Angesichts einer so knappen 5 Dieser Gedanke wird in meinen Essays »Kooperation und Eigentum« und »Die andere Vertikalität« ausgeführt. 6 M. E. Porter, Competitive Strategy: Techniques for Analyzing Industries and Competitors, New York 2004, S. 3
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und vermeintlich klaren Formulierung ist man geneigt, die gescheiterten Unternehmen einer Gruppe zuzuordnen, welche das Einfachste vom Einfachsten nicht versteht. Das ist einerseits die Kenntnis der Kernkompetenzen des Unternehmens, aber auch die Kenntnis der Kompetenzen der Industrie, welcher das Unternehmen zuzurechnen ist. Jedoch setzt die richtige Strategie hohe Beurteilungskompetenz voraus und zwar mit dem Schwerpunkt auf dem Mitbewerb. Und zur Umsetzung und der Bedeutung von Humanressourcen und Kapital sagt Michael Porter in diesem Zusammenhang nichts – also liest sich der Satz eher als Tautologie. Trotzdem bleibt ein Tipp übrig: Der Unternehmer analysiert die Branchenstruktur anhand deren Anbieter, der Struktur der Lieferanten beziehungsweise der Kunden, der Eintrittswahrscheinlichkeit neuer Konkurrenten und der Möglichkeit, die vorhandene Produktpalette durch neue Produkte zu ersetzen. Die Ergebnisse der Beurteilung behält er für sich – wenn sie richtig waren und erfolgreich umgesetzt werden können, hat er ein temporäres Monopol, das es ihm ermöglicht, Gewinne zu machen. Der Unternehmer in der Beschreibung von Porter kündigt also nicht öffentlichkeitswirksam an, wo in den Wertschöpfungsketten wirklich Geld verdient wird. Er hat den monopolartigen Produktionsschritten – nämlich der Teileproduktion – eine bessere Lösung entgegengesetzt. In diesem Zusammenhang ist der Auftraghersteller ein gutes, jedoch auch nicht alles erklärendes Beispiel für einen neuen Wertschöpfungskettenzugang. Der Auftragshersteller orientiert sich ausschließlich an den Kundenbedürfnissen und errichtet dann die Fabrik. Und im Rahmen von Innovationsprojekten – und da ist sowohl die Chance als auch die Gefahr angesiedelt –, die er gemeinsam mit seinen (Schlüssel-)Kunden entwickelt und auch für sie produziert, kommt er immer näher an die Anwendung heran und betreibt somit in kleinen Schritten vertikale Integration. Es werden immer mehr Systeme – und nicht Teile – angeboten, doch sowohl die Veränderung des Geschäftsmodells als auch das Eindringen in Wertschöpfungsketten bleibt nicht unbeobachtet von seinen Kunden beziehungsweise von der Konkurrenz. Der Unternehmer beziehungsweise das Unternehmen hat also dem weit verbreiteten und nicht offen zutage tretenden innovativen Protektionismus von Regionen, Staaten und Konzernen ein Faktum – ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung – vor die Tür gesetzt, also zwischen die Fabrik als Teileproduzent und den Kunden. Die Zerlegung der Wertschöpfungskette in einzelne Teile und das Eindringen in die Wertschöpfungskette 7 durch eine neue Produktkombination ist somit einer der häufigsten Ansätze unternehmerischen Handelns. 7 Siehe auch meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«.
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Da sich die Arbeit mit der Internationalisierung von kmu befasst, ist es insbesondere aus folgenden Gründen wichtig, das kleine oder mittlere Unternehmen näher zu betrachten. Vorhandene Anbieter halten immer an den monopolisierten Wertschöpfungspolstern fest und können die besten Lösungen erklären. Behörden genehmigen für die Unternehmen Normen und Patente. Die Unternehmen sind an diesen Schutzmechanismen natürlich sehr interessiert. Doch die kmu sind die hauptsächlichen Durchbrecher eingerichteter Monopole, ob behördlich geschützt oder durch ihre Wirtschaftsstruktur macht nur wenig Unterschied. Sie nutzen die Vorteile des technologisch kapitalistischen Systems, wenn auch viele dabei untergehen oder in einem anderen Unternehmen aufgehen. Und das neue Produkt, die neue Dienstleistung oder das neue Verfahren ist weiterhin existent. Ob wirtschaftlich selbstständig oder Teil eines anderen Unternehmens – die Kompetenz lebt also weiter und ist damit ein Baustein der Innovationsspirale. Denn das Wissen ist in seiner Umsetzungs- beziehungsweise Anwendungskompetenz – und nur in dieser – zu einer bedeutenden Ressource geworden: Dieses Wissen ist wirtschaftlich betrachtet auch nur dann nützlich, wenn damit neue Antworten auf Bedürfnisse, in der Regel also neue Produkte und Dienstleistungen, geschaffen werden können. Obwohl diese Erklärungen plausibel sind, bleiben sie oft in den Erklärungen zum Wissensmanagement ausgespart. Und neben entwicklungs- beziehungsweise auftragsbezogenen vertikalen Zusammenarbeitsformen gibt es, wenn man allein nicht mehr weiter kommt, noch die Kooperationen in den Wertschöpfungsmodellen und -ketten. Es könnte in verschiedenen Zusammenarbeitsformen noch weitergehen. Meiner Ansicht nach zu wenig betrachtet und beschrieben werden die Komplementaritäten in der Wirtschaft, in der Forschung und Ausbildung und im Sozialsystem. Aus diesen könnten weitere neue Lösungsangebote entstehen. Über die Nachhaltigkeit in der Investitionspolitik von kmu, um den Wert des Investierten zu erhalten und so weit zu erhöhen, dass aus dem Unternehmen kein Übernahmekandidat wird, findet man auch wenig Aussagen in der Managementliteratur. Über diese Möglichkeiten kann man nur in der Praxis etwas hören. Und die Praxis agiert eingebettet in förderliche oder hinderliche Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln – in der Regel von beiden etwas. Steuern, Infrastruktur, Ausbildung, Kapitalstock, Umwelt, Durchschnittseinkommen pro Kopf, das sind die Faktoren, welche landläufig unter Rahmenbedingungen fallen. Eine Idealvorstellung von Rahmenbedingungen für Unternehmen – daran müsste sich eigentlich die Wirtschaftspolitik orientieren – ist dann gegeben, wenn für alle Akteure in einer Volkswirtschaft der Zugang zur Infrastruktur, zur Ausbildung, aber auch zur öffentlichen und privaten Finanzierung von unternehmerischen Aktivitäten gleichermaßen gegeben ist. Dass dies in 118
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der Realität nicht so ist, wissen die meisten unternehmerisch Tätigen. Diese Zugänge werden als wichtige Ressource für unternehmerischen Erfolg wahrgenommen. Eine Rahmenbedingung macht es den kmu vermeintlich besonders schwer. Finanzierung unter Basel II
kmu haben nach Ansicht von Kreditinstituten ein höheres Finanzierungsrisiko als große Unternehmen. Dies hat dazu geführt, dass kmu Nachteile bei der Aufnahme von Krediten in Bezug auf die Verzinsung in Kauf nehmen müssen, was insbesondere bei investitionsintensiven Branchen ein großer Wettbewerbsnachteil ist. Sie werden seit einigen Jahren Normierungserfordernissen wie dem Ratingsystem »Basel ii« unterworfen. Eigentlich wurde dieses Ratingsystem für die Beherrschbarkeit von Kreditrisiken von komplexen Unternehmensgebilden, insbesondere im Finanzdienstleistungssektor, entwickelt. Der Finanzdienstleistungssektor hat jedoch seinerseits Verpflichtungen zum Rating für kreditfinanzierte kmu in seine Geschäftspraxis aufgenommen und damit Teile seiner eigenen Verpflichtungen an seine Kunden ausgelagert. Und das obwohl die weitaus größeren Risken des Finanzdienstleistungssektors im Spekulationsgeschäft liegen, also im Geschäft innerhalb des Finanzsektors. Und trotzdem wird das Kreditgeschäft mit kmu den Ratingprozessen unterworfen. Die Tatsache, dass sich kmu damit beschäftigen müssen, kann also nicht umgangen werden, und wenn man die Fremdkapitalkosten und damit auch die Gesamtkapitalkosten niedrig halten will, ist Transparenz gegenüber den finanzierenden Instituten neben der stabilen wirtschaftlichen Bestands- und Ertragssituation erforderlich. Es ist dies eine einseitige Definition der Transparenz, nämlich jene, die Zahlen und Kennziffern betrifft. Damit wird mit der Verdichtung der Unternehmenssituation auf wenige Kennziffern eine wesentliche Konzession gegenüber dem Finanzmarkt gemacht. Die persönlichen Stärken und Schwächen der Entscheidungsträger und des Unternehmens als Ganzes geraten ins Hintertreffen, obwohl sie auch in das System aufgenommen wurden. Erfolge in der realen Marktwirtschaft, jener der Güter und Dienstleistungen, erfordern eine unternehmerische Kompetenz, die viel differenzierter und ausgeklügelter ist, als sie in den zentralisierten und standardisierten Entscheidungsabläufen der Finanzwirtschaft benötigt wird. Doch es nützt (derzeit) nichts – einen gewissen Aufholbedarf für Controlling gibt es im kmu-Segment bestimmt, es sollte, um einen wirklichen Nutzen im Kerngeschäft zu bringen, für das Unternehmen und nicht für die Bank erstellt werden. Was kann aber die Politik für die kmu tun?
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Politik für KMU?
Anzumerken ist, dass die Vorteile, welche den kmu bei den Investitionsbeihilfen8 eingeräumt wurden, keineswegs die Nachteile der Zugänge zum Kapital (Eigen- und Fremdkapital) kompensieren. Das kmu muss im Hinblick auf die Ertragsdaten und auf die Bilanzdaten sehr gut dokumentiert sein. Und es müssen die Kennziffern nicht nur gut sein, sie müssen auch transparent dargestellt werden. Damit steuert die europäische Wirtschafts- und Währungspolitik mit drei Eckpfeilern die kmu: mit Beihilfen, einem Ratingsystem und mit den von beiden Seiten vorgeschriebenen Transparenzregeln. Ignoranz gegenüber diesen Systemen oder Rahmenbedingungen führt zu extremen Nachteilen auf dem Kapitalmarkt und in der Wirtschaftsförderung. In der Praxis erweisen sich Familienunternehmen oft dem System gegenüber als resistent, indem sie eine sehr zurückhaltende Informationspolitik verfolgen. Dies funktioniert nur, solange die Zielsetzungen der Familie in Bezug auf das Unternehmen homogen sind und der das Vermögen sichernde Gesellschaftsanteil an sich, und nicht sein wahrer Wert, von hoher Bedeutung ist. Aus diesem Verhalten leitet sich oft auch eine sehr konservative Ausschüttungspolitik ab. Vermögenssicherung beziehungsweise Zuwachs an Vermögen schont somit die Liquidität und schafft durch den Aufbau stiller Reserven eine der Möglichkeiten für Internationalisierungspolitik im kmu. Die Basel-ii-Regeln sind nur ein Merkmal in der differenzierten Betrachtung von kmu und großen Unternehmen beziehungsweise Finanzunternehmen. Das hat sich auch auf die kmu-Forschung ausgewirkt. Sie hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen, weil aus den sehr unterschiedlichen Verhaltensmustern für die großen Unternehmen auf der einen Seite und die kmu auf der anderen Seite grundverschiedene Erkenntnisse und aus diesen abgeleitete Handlungsempfehlungen für die Politik und die Unternehmen selbst gewonnen werden können. Einerseits kann man von den großen Unternehmen lernen, andererseits darf das kmu nicht die Strukturen von Großunternehmen übernehmen. Die Frage, die sich dabei stellt, ist, wie sich die Forschung und die Wirtschaftpolitik auf die kmu Landschaft auswirken wird. Ein hier anzuführender, kaum in dieser Klarheit diskutierter Grund für das Umwerben der kmu ist die enorme strukturelle Arbeitslosigkeit in Europa und das Versagen der Politik, gemeinsam mit den großen Beschäftigungsträgern diese abzusenken. Die Starrheit der Geldwirtschaft, institutionalisiert durch die Europäische Zentralbank und die Maastricht-Kriterien, bezüglich der Verschuldung und der Verschuldungsdynamik der öffentlichen Haushalte lässt kaum Spielraum für Beschäftigungsprogramme, welche von öffentlicher Seite gestützt 8 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Förderungen für kmu«.
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werden.9 Die Investitionspolitik der 1970er-Jahre in den Bereichen Bildung und Infrastruktur, aber auch Soziales hat einerseits einen enormen Wohlstandsschub gebracht, andererseits durch die hohen Zinsbelastungen die öffentlichen Haushalte stark verschuldet. Diese Politik des Deficit Spending wurde durch die Durchsetzung der Kennziffern für den Eintritt in die europäische Währungsunion stark eingeschränkt. Der Maastrichter Vertrag trägt überwiegend die Handschrift des Finanzsektors. Für eine Steuerung der Nachfrage – welche auch die Risikobereitschaft und -fähigkeit von kmu erhöhen würde – gibt es derzeit (2009) keine politischen Mehrheiten. Der in Maastricht (Niederlande) beschlossene und 1992 unterzeichnete Vertrag gilt als umfassendste Reform der eu. In diesem Vertrag wurden die Konvergenzkriterien (Maastricht-Kriterien) festgelegt, das sind die genauen Eintrittsbedingungen für die Europäische Wirtschaftsund Währungsunion. Die Rahmenbedingungen für Unternehmen (Beihilfen, Basel ii, Transparenz) und die Maastrichtkriterien sind derzeit die wesentlichen Eckpfeiler europäischer Wirtschaftspolitik. Die Budgetpolitik öffentlicher Haushalte und Programme in Bezug auf Bildung, Beschäftigung und sonstige öffentliche Investitions- und Sozialausgaben sind durch die Maastrichtkriterien limitiert. Es haben auch Interessensvertretungen wie Industriellenvereinigungen und Wirtschaftskammern diese Rahmenbedingungen in den Parlamenten mitratifiziert. Die strengen Regelungen öffentlicher Verschuldung wurden politisch mehrheitsfähig gemacht und somit bestimmt die Währungspolitik die Wirtschaftspolitik. Der wesentlichste Vorteil dabei ist, dass Währungsschwankungen innerhalb der Währungsunion nicht mehr existieren. Andere Politikbereiche wurden diesen Regeln untergeordnet. Was wird sich in Zukunft für die Akteure ergeben und wie werden sich die Rahmenbedingungen meiner Ansicht nach verändern? Man hat also die kmu in ihrer wirtschaftspolitischen Bedeutung aufgewertet, weil sie sich als Arbeitsplätze generierende Organisationen anbieten. Dadurch ist die Erhöhung der »Umschlagshäufigkeit« durch mehr Unternehmen und kürzere Lebenszyklen zu erwarten. Aus dieser Veränderung der Wirtschaftsstruktur ergibt sich eine weitere Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Die damit einhergehende Zunahme des Konkurrenzdrucks wird Innovationsdruck und auch eine zunehmende Internationalisierung der kmu nach sich ziehen. Zusätzlich ist mit der Abnahme des Nebeneinanders von zwei Beschäftigungswelten, nämlich kmu und großen Unternehmen und mit einem Absinken beziehungsweise einer zyklisch bedingten Flexibilisierung der Reallöhne – ähnlich wie in den usa – zu rechnen. Gesellschaftspolitische Themen, 9 www.europainfo.at/hm_a/detail.asp?show=51 (6.4.2007)
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wie Rückgang der Geburten, Einwanderungspolitik, Arbeitslosigkeit der weniger Qualifizierten und der Älteren sind derzeit ohne politische Antwort. Ebenfalls unbeantwortet ist die Erhöhung der Mobilität – von den ländlichen Regionen in die Städte – und ihre Folgen innerhalb Europas, aber auch die Abwanderung von höchstqualifizierten Forschern beispielsweise in die usa – weil dorthin auch die Familie mitkommen kann. Das politische Lob der Leistungen der kmu für die Entwicklung Europas ist mit Vorsicht zu genießen. Denn wenn die gesamte strukturelle Anpassung der europäischen Wirtschaft auf den Schultern der kmu lastet, wird sie auch (überwiegend) von den Entwicklungsinteressen der kmu getrieben. Dann kommt es in Europa im nächsten Schritt zur Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse,10 im übernächsten zur Flexibilisierung der Gehälter. Eine politische Wertung dieser Einschätzung unterbleibt bewusst, nur so viel – ohne öffentliches Organisieren der Bildung, der Migration und der Rahmenbedingungen für die älter werdende Bevölkerung hat Europa im weltweiten Wettbewerb langfristig Nachteile zu erwarten.11 Die Einseitigkeit der Möglichkeiten und der Zwänge, denen die kmu unterliegen, erfordert mehr als die Betrachtung von Effizienz und Effektivität. Mit den vorliegenden Überlegungen soll den Entscheidungsträgern von kmu bewusst gemacht werden, dass neben ihnen mindestens zwei Wirtschaftswelten existieren. Es sind dies die Finanzwelt und die großen Unternehmen. Diese beiden Sektoren haben stärkere Fürsprecher in der Politik. Und daraus ergibt sich, dass die kmu zwar politisch umarmt werden, doch aufgrund ihrer im Geschäftsalltag dominierenden unternehmerischen Eigeninteressen nicht mächtig genug sind, um zu formulieren, unter welchen Rahmenbedingungen sie in Europa Investitionen tätigen können. Das einzelne Unternehmen wird sich nämlich, soll es nicht wirtschaftliche Nachteile erleiden wollen, an die vorgegebenen Rahmenbedingungen halten müssen. Die Frage nach einer neuen Form der Vertretung der Interessen von Europas kmu stellt sich angesichts dieser Situation. Es ist nicht sinnvoll, mit Vertretern der Banken und Industriekonzerne bei den Themen Finanzierung, Infrastruktur und Ausbildung des unternehmerischen Nachwuchses sowie der Fachkräfte in einem Boot zu sitzen, die Bedürfnisse sind zu verschieden. Und wenn kmu einen wesentlichen Part in der zukünftigen europäischen Wirtschaft spielen sollen, müssen die Rahmenbedingungen für internationalisierungsfähige kmu ausgebaut werden, damit sie sich selbst motivieren können. 10 Da gibt es beispielsweise sogenannte »Selbstständige Nichtselbstständige«. Selbstständig sind sie, weil sie eine Gewerbeberechtigung haben, nichtselbstständig, weil sie nur für ein Unternehmen arbeiten (dürfen). 11 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Grundlegungen«.
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Investitionsmotive der Internationalisierung Allgemein ausgedrückt ist ein Motiv ein richtungsweisender innerer Antrieb und treibende Ursache von Handlungen des Akteurs. Motive sind nicht nur Auslöser für bestimmte Aktivitäten, sondern auch verantwortlich für deren Ergebnisse. Unternehmer, die von »innerer Hitze«, von Erfolg beziehungsweise der Freude am Geschäft und der Freude an der Branche oder von der Freude an der Arbeit sprechen, ordnen ihre Aktivitäten diesen Motiven zu. Auch für den Historiker, den Forscher 12 oder den Kommissar sind die Motive ein wesentlicher Schlüssel zur Aufklärung der Handlung. Das bedeutet, dass im vorliegenden Zusammenhang das Motiv die Initialzündung für ein Investitionsprojekt ist. Bei der Frage nach Motiven ist zu beachten, dass die Ex-ante- und Ex-post-Angaben oft unterschiedlich sind. Dies gilt insbesondere bei Investitionsentscheidungen aufgrund der langen Umsetzungszeiträume. Das richtungsweisende Motiv für die Investitionsentscheidung herauszufinden ist nach deren Umsetzung und Betrieb über mehrere Jahre schwierig. Auch ein Anfang ist nicht leicht festzumachen, und das gilt damit auch für das auslösende Moment. Woher es also nehmen? In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, in den Berichten der eu sowie in den Medien werden hauptsächlich wirtschaftliche Motive für die Internationalisierung und für Direktinvestitionen angeführt. Andere Untersuchungen haben herausgefunden, dass Direktinvestitionsentscheidungen insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmungen (kmu) sehr unterschiedlich motiviert sein können. Neben den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden »häufig private und emotionelle Gründe genannt«.13 In der Regel fehlen eine genau ausgearbeitete Strategie und die dazugehörenden Planungsarbeiten in der Anfangsphase des Entscheidungsprozesses. Es stellt sich damit die Frage, wie diese Lücken mit den wirtschaftlichen Motiven scheinbar unproblematisch verknüpft werden. Die wirtschaftlichen Motive für die Internationalisierung von kmu lassen sich zwei Sphären zuordnen: dem Zustand der Welt, also der globalisierten Ökonomie, und dem Zustand des Unternehmens. Die Erklärungen, die aus Investitionsgrundsätzen abgeleitet werden, führen zu folgenden Motiven: weitere Ausdifferenzierung der Arbeitsteilung, neue Allianzen (Kooperationen, Joint Ventures, Direktinvestitionen), Internalisierung (selbst erzeugen statt zukaufen), und jedes einzelne Motiv wird an die Wachstums- und Renditeüberlegungen 14 angehängt. Studien und Analysen zur Erforschung von Motiven gibt es 12 Vgl. P. Heintel, L. Krainer, R. Lerchster, M. Ukowitz, Investitionen in Kärnten. Ein Ergebnisbericht, 2006, S. 26 13 Vgl. ebd., S. 13 14 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Achtung Rendite!«.
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in ausreichendem Maße, beispielsweise fasst »die Fraunhofer isi-Studie 2003 […] zu den Motiven für den Aufbau von Produktionsstätten im Ausland durch das verarbeitende Gewerbe in Deutschland zusammen (Mehrfachnennungen möglich): Motive
Angaben in Prozent
Kosten der Produktionsfaktoren (Personal, Anlagen) Markterschließung Nähe zu Großkunden Steuern, Abgaben, Subventionen Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal Koordinations-, Kommunikations-, Transportkosten Präsenz der Konkurrenz Local-Content-Auflagen 15 Kapazitätsengpässe Infrastruktur Technologieerschließung Währungsausgleich
65 60 34 21 17 16 16 15 12 9 8 6
Es gibt noch weitere Investitionsgründe wie zum Beispiel weniger staatliche Auflagen vor allem im Umweltschutz (großzügige Übergangsregelungen für die neuen eu-Mitglieder im Acquis Communautaire), Subventionen und Steuererleichterungen.« 16 Die Erkenntnisse aus diesen Studien sind jedoch eher für die Wirtschaftspolitik als für unternehmerische Entscheidungen relevant. Und meistens hängen die Aussagen über die Motive für Investitionsentscheidungen mit dem Zeitpunkt der Befragung zusammen. Und wenn wie in oben angeführter Statistik Mehrfachnennungen möglich sind, bedeutet das auch nicht, dass alle Möglichkeiten angeführt wurden. Doch die Motive verändern sich. Internationalisierungsentscheidungen sind in die Unternehmensprozesse und die Veränderungsprozesse der Unternehmensumwelten integriert. Unternehmen legen ihren Entscheidungen für internationale Investitionstätigkeiten kulturelle, emotionale, strategische und strukturelle Motive zugrunde. Eine Investition, die beispielsweise unter dem Gesichtspunkt einer Brückenkopf-Funktion durchgeführt wird, ist strategischen 15 Zu Local-Content-Auflagen s. Glossar. 16 Fraunhofer isi, Inländische und ausländische Standorte richtig bewerten, Karlsruhe 2003, in: J. Tholen, E. Hemmer, Die Auswirkungen von Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in Mittel-/Osteuropa – Größenordnung, Motive, Strategien, Arbeitsplätze, http://www.iaw.uni-bremen.de/downloads/fb_8Verlagerungen5.pdf (5. 8. 2008)
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Motiven zuzuordnen. Die Rendite steht vorerst nicht im Vordergrund, sondern ausnahmsweise einmal das wirtschaftliche Überleben am neuen Standort. Dasselbe gilt für das strategische Ziel Unternehmenswachstum, also in einer anderen Liga spielen (müssen). Optionale Überlegungen verschaffen den Unternehmen die gedankliche Alternative (und zwar jederzeit), eine Investition durchführen oder abbrechen zu können, ohne zu etwas Bestimmtem verpflichtet zu sein. Die wirtschaftliche Dimension dieser gedanklichen Alternativen schwingt immer mit. In deren Abwägungen wird immer die Zeitachse mit betrachtet. Fragen, wie »Was hätten wir in der Vergangenheit anders tun sollen und was können wir noch verbessern, um in der Zukunft besser aufgestellt zu sein?« sind daher in der Realität sehr häufig. Ein weiterer wichtiger Punkt sind Geschäftsgelegenheiten, und zwar auch solche, die länger andauern und möglicherweise optional auch wiederkehren. Eine leichte, produktionstechnisch bedingte Duplizierbarkeit gilt ebenfalls als Option, die nicht zeitpunktbezogen zu betrachten ist. Das hier Angedeutete soll auf differenzierte Betrachtungen aufmerksam machen. Es ist eine völlig andere Motivlage, ob ein neuer Investitionsstandort während eines längeren Zeitraumes an das Unternehmen herangetragen wird oder ob es sich selbst einen neuen Standort sucht. Das Vorhandensein oder der investive Zuzug von ähnlichen Unternehmen kann in Bezug auf die am interessierenden Standort ausgebildeten Mitarbeiter motivierend sein, kann aber wegen der sich verschärfenden Konkurrenz Sorge bereiten. Die Abhängigkeit des Unternehmens von der Konkurrenz könnte sich daraus erhöhen. Diese kurzen Überlegungen vermitteln bereits, dass das Verhalten von Unternehmern auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehr zeitabhängig ist. »Die Betonung des sequenziellen Charakters von ausländischen Direktinvestitionen ermöglicht eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Eintrittsformen ausländischer Direktinvestitionen: Optimales Timing, unternehmerische Wertschöpfung durch Folgeinvestitionen und deren effiziente Steuerung« 17 führen daher trotz des Risikos des Scheiterns zu Direktinvestitionen. Eindimensionale Motive, wie sie den Statistiken zu entnehmen sind, müssen auch weitergedacht werden. Als Einstieg zu Verlagerungsgedanken kann folgende Überlegung dienen: Es gibt immer ein Land, in dem die Lohnkosten noch niedriger sind. Wer jetzt beispielsweise in Polen produziert, konkurriert mit den Lohnkosten in der Ukraine. Noch preiswerter ist es in China, China konkurriert in Bezug auf Lohnkosten mit Vietnam usw. Ein Unternehmen, das also nur auf die 17 M. Gilroy, E. Lukas, Optionen der Internationalisierung. Motive ausländischer Direktinvestitionen in einem neuen Licht, Forschungs-Forum Paderborn, 7/2004, S. 10 (25. 2. 2007)
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Lohnkosten achtet, vermeidet – und das ist langfristig entscheidend – Rationalisierungsinvestitionen durch Automatisierung beziehungsweise Innovationen. Denn gerade im arbeitsintensiven Bereich gewinnen letztlich diejenigen, die stetig modernisieren und automatisieren, und zwar differenziert an den verschiedenen Standorten. Investitionsmotive unterliegen also Veränderungen. Am Anfang der Internationalisierungs- und Verlagerungseuphorie überwogen zwar Lohnkostenvorteile, danach kamen Marktüberlegungen, weil man die günstig produzierten Güter auch absetzen musste. In den letzten Jahren haben diese Motive jedoch an Bedeutung verloren. Im Rahmen der Erweiterung der eu hat ein Wettlauf um den Ausbau der Märkte in Osteuropa mit deren Einladung zu Investitionen aufgrund von Steuergesetzen begonnen. Investitionsförderungen und der niedrige Umweltschutzstandard spielen dabei ebenfalls mit hinein.18 Und der Wettbewerb der Regionen im Rahmen ihrer Wirtschaftspolitik wirkt motivierend auf Investitionsüberlegungen. Oberstes Ziel regionaler Wirtschaftspolitik ist es, so viele attraktive Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten und neue hinzuzugewinnen. Dadurch erwarten sich Regionen19 auch Zuwachs an Technologiekompetenz und Wettbewerb und hoffen wegen der Wohlstandsindikatoren von etablierten Technologieregionen auf Wachstum und Wohlstandszuwachs. Neben den Investitionsbeihilfen gibt es viele offene und versteckte Unterstützungen neuer Investments. Ein Beispiel dafür ist bei öffentlichen Ausschreibungen die Begünstigung von Unternehmen, die Fabriken bauen, gegenüber Unternehmen, die ausschließlich Handel betreiben, obwohl die Gesetze zur Auftragsvergabe solche Differenzierungen nicht zulassen. Viele Staaten betreiben auf diese Art einen versteckten Protektionismus, der ausländische Anbieter von Gütern und Dienstleistungen durch gesetzliche Beschränkungen oder Differenzierungen in der Spruchpraxis bei der Vergabe öffentlicher Aufträge diskriminiert. Die eu beobachtet diese Vorgänge, weil sie auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für internationales Wirtschaften innerhalb der eu abzielt. Das führt zur Beschränkung der Möglichkeiten von finanziellen und gesetzlichen Interventionen für die Mitgliedstaaten und Regionen. Europa wächst wirtschaftlich zusammen, sodass das Thema Export und Internationalisierung in einem etwas anderen Licht zu sehen ist. 18 Vgl. M. Herbatsch, Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in der Tschechischen Republik, siehe 5.2.1. Motive für Direktinvestitionen in Tschechien; http://www.weltpolitik.net/Regionen/Europa/Tschechische%20Republik/Analysen/Fortsetzung4%3A%20 Deutsche%20Wirtschaftsstrategien%20in%20Mittel-%20und%20Osteuropa.html (23. 3. 2007) 19 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister«.
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Export wird heute einerseits stärker im regionalen als im nationalen Wettbewerb gesehen (Kärnten im Wettbewerb mit der Steiermark) und andererseits im Wettbewerb der Triade: Europa im Wettbewerb mit den usa und Asien, mit starkem Bedeutungszuwachs von China gegenüber Japan. Das gilt auch für den Import und die dadurch bedingte Verlagerung von Arbeitsplätzen. Hier muss angefügt werden, dass in der immer wieder aufflammenden Diskussion über den Arbeitsplatzexport ein entscheidender Gesichtspunkt fehlt: Ein beträchtlicher Teil der Arbeitsplätze, die aus Mittel- und Westeuropa in Richtung Osten verlagert wurden, wären ohne diese Option ohnehin wegrationalisiert worden. Bei Gütern, die transportierbar sind und deren Personalkosten einen großen Teil ihrer gesamten Herstellungskosten ausmachen, ist Europa nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Konsumenten haben diese Entscheidungen herbeigeführt. Die Überbleibsel einer Arbeitsorganisation, die mittlerweile in modernen Produktionen überholt ist, gibt es wirklich nur mehr als mit Emotionen verkaufbare Spezialitäten. Doch die Differenzierung der Schulungs-, Investitions- und Technologiepolitik trägt in gewisser Weise zu einem Ausgleich der Standorte bei und ist daher ein Hinweis darauf, dass kostenbezogene Standortüberlegungen nicht so bedeutend sind wie angenommen. Die politische Diskussion um Verlagerungen geht also noch immer von zu einfachen Überlegungen aus. »Deutsche Unternehmen können sich nur im Wettbewerb behaupten, wenn sie weltweit tätig sind – die Unterscheidung zwischen guten inländischen Arbeitsplätzen und schlechten ausländischen Arbeitsplätzen ist falsch.« 20 Es mag auf den ersten Blick überraschen, aber die Aussage stammt von einem führenden Gewerkschafter, nämlich Heinz Putzhammer, Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstand des dgb.21 Er will damit sagen, dass nationale Überlegungen bei der Beurteilung von Arbeitsplätzen zu kurz greifen und durch eine unternehmensbezogene internationale Beurteilung, und zwar in Bezug auf optimale Standorte im Gesamtzusammenhang, abgelöst werden sollen. Oder anders formuliert: Ein gut gewählter Auslandsstandort oder ein ebensolcher Kooperationspartner ist auch für die Sicherung heimischer Arbeitsplätze ein sehr gute Voraussetzung. Und das gilt nicht nur für die großen Produktionsunternehmen. Sich im Zusammenhang mit Internationalisierungsinvestitionen mit den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen, ist Unternehmern jedenfalls anzuraten. Sie können sich über die Motive für Internationa20 B. Mansel, Zwischen Ökonomie und Raffgier, in: Freitag, die Ost-West Wochenzeitung, 12. 8. 2005, http://www.freitag.de/2005/32/05320601.php (25. 3. 2007) 21 M. Michalski, Internationales Management (Vorlesungsmitschrift SS 2002 – SS 2003), http://www.fb3-fh-frankfurt.de/fachschaft/downloads/Skripte/im.pdf (25. 3. 2007)
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lisierungsinvestitionen aus den Statistiken und Studien selbst ein Bild machen. Zynisch formuliert wird bestimmt für jeden etwas dabei sein. Was ist aber viel bedeutender? Sie sollten die ureigensten Motive und Verhaltensweisen, bis hin zum Spaß, wie dies ein Unternehmer formuliert, nicht außer Acht lassen: »Im Prinzip kaufen wir wieder Arbeit, aber es ist eine, die mir Spaß macht.« 22 Und sie sollen vor der Frage nach dem Warum nicht zurückscheuen, weil damit differenzierende Sichtweisen zutage treten, denn »die Motivation, das ist auch nicht immer so leicht. [...] Das sind viele Dinge.« 23 »Motivforschung wählt zwar einen ›Gegenstand‹ der Metaebene, in dem untersucht wird, warum Menschen [...] ein Unternehmen starten; sie bleibt aber nicht auf ihr, weil sie gerade darum inhaltlich wird. Im Motiv wird sowohl die Sinn- und Zweckfrage gestellt als auch bewusst und unbewusst vorhandenen, vorgängigen Bedürfnissen der Menschen nachgegangen. Systeme der Wirtschaft, Verwaltung und auch Wissenschaft haben in ihren Modellfixierungen einen inneren ›Selbstlauf‹ entwickelt, der die Frage nach dem Motiv gar nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt stellen lässt. Die schlichte Frage, ›warum tun Menschen etwas‹, wird meist sehr vordergründig abgeschmettert und nur eine systemimmanente Begründung zugelassen.« 24 Wie gelingt es also, die Motive hinter jenen hervorzubringen, die auf Fragebogen vorgefertigt als Alternativen anzukreuzen sind? Dazu muss man ein Forschungsdesign 25 erstellen, das den Menschen und nicht den Fragebogen beziehungsweise die in der oben zitierten Studie angebotenen Antwortmöglichkeiten in den Mittelpunkt stellt. Wenn man ausführliche Interviews macht, hört man beispielsweise zu den Motiven einer Unternehmensgründung Folgendes: »Ich habe meinen Job aufgegeben – nicht wegen dem Finanziellen – der Himmel war zu nieder.« 26 Wie soll man so eine Aussage einordnen? Der Interviewende kann nur weiterfragen. Damit entsteht beim Interviewten selbst Verständnis für das eigene Handeln und die Verbindung vom Motiv zum Handeln. So können auch Entscheidungen auf mehreren Bewusstseinsebenen 27 erklärt werden. Der Ausspruch 22 Interview vi, S. 75 23 Interview viii, S. 97 24 P. Heintel, Motivforschung und Forschungsorganisation – ein neuer integrativer Forschungsansatz, in: H. Fischer (Hrsg.), Forschungspolitik für die 90er Jahre, Wien/New York S. 375f 25 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft«. 26 Interview viii, S. 98 27 Siehe dazu meine Ausführungen in den Essays »Chakren, ein Modell für die Verortung von Entscheidungen« und »Sinn und Sinngebung«.
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»der Himmel war zu nieder« war ein sehr bedeutender in diesem Interview. Die Einleitung dazu, das Aufgeben des Jobs (Sicherheit) und die Negation der finanziellen Motive (Freiheit), brachten das wahre Motiv zutage und der Abschluss vermittelte die »am Widerspruch entlang entwickelte Denk- und Handlungshaltung«.28 Es ist wesentlich, dies so ausführlich zu erklären, weil herkömmliche Studien Motive, die aus einer bewussten Grenz- und Mangelerfahrung kommen, die aus einem Lebensidentitätsproblem entsteht und zu einem Entscheidungszwang führt, nicht erklären.29 Mit diesem Ausspruch stellte der Interviewpartner zum Zeitpunkt seiner Unternehmensgründung fest: »Will ich den Mangel, die Grenze akzeptieren oder muss ich sie überschreiten? Der Möglichkeit nach habe ich sie, wenn ich sie für mich erkenne und anerkenne, bereits überschritten, über die Wirklichkeit muss erst entschieden werden.« 30 Nur wenn ich weiß, warum die Entscheidung so und nicht anders (zum Beispiel den Job beibehalten) gefallen ist, kann ich die weiteren Entscheidungen begründen. Die Freude an der Entscheidung, wie sie in diesem Beispiel eindeutig zu erkennen ist, führt uns weit weg von den üblichen Ergebnissen. Fragen in Bezug auf die Motive könnten so oder ähnlich lauten: »Können wir einen Zustand erreichen, wo unsere Wünsche erfüllt sein werden? Können wir aus dem jetzigen unbefriedigenden Zustand einen besseren erreichen?« Diese Veränderung ist jedoch nur über eine Zunahme an Unsicherheit, durch Entscheidungen und durch deren erfolgreiche Umsetzung zu erreichen. Doch wenn das Unternehmen in der Ausgangssituation gut aufgestellt ist, kann es nach dem Internationalisierungsschritt auch erfolgreich sein. Warum benötigt man dafür Wissen über Motive? Weil bereits in den Motiven Widersprüche enthalten sind. Was ist zum besseren Verstehen damit gemeint? Die Umsetzung des Motivs, sich zu internationalisieren, hat den Vorteil, nun ein international tätiges Unternehmen zu sein, und den Nachteil, kein nationales Unternehmen mehr zu sein. Sie hat den Vorteil, neue Wachstumsmöglichkeiten auszuschöpfen, und den Nachteil, über einen gewissen Zeitraum hinweg viele Ressourcen auf dieses Vorhaben zu konzentrieren. Sie hat den Vorteil, über einen Visionsentwicklungsprozess 31 die Mitarbeiter auf dieses Ziel einzustimmen, und den Nachteil, andere Geschäftsmöglichkeiten zu vernachlässigen. Das Bewusstmachen dieser Widersprüche unterstützt das Unternehmen bei den Entscheidungen. Damit können die Entscheidungsträger Pläne einhelliger und besser ausarbeiten 28 Heintel, Motivforschung, S. 389f 29, 30 Vgl. P. Heintel, Zum Verhältnis von Motivation und Manipulation, in: 10 Jahre universität klagenfurt, forschungsperspektiven, hrsg. von der Forschungskommission der Universität für Bildungswissenschaften, Klagenfurt 1980, S. 174
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und das Scheitern wird unwahrscheinlicher. Denn was oft übersehen wird: Motive ändern sich, es ist jedoch von Vorteil, wenn für die Umsetzung von Investitionsprojekten die Motivlagen bekannt sind. Das gilt insbesondere bei kmu für die Motive der Kunden, der Mitarbeiter und der Unternehmer. Das funktioniert mit der Einrichtung eines bewussten Entscheidungsprozesses durch einen Austausch der Interessen und Anliegen. Die angeführten wirtschaftlichen Motive des Unternehmens, die in vielen Studien und Statistiken nachlesbar sind, sind nur jene, die zum Abfragezeitpunkt und meiner Ansicht nach nicht zum Entscheidungszeitpunkt vorhanden sind. Sie sind eigentlich »eh klar«, wurden vielleicht sogar angeboten. – Wozu sind sie nützlich? In Wirklichkeit bedeutet unternehmerisches Handeln, in mehrfacher Weise Grenzen zu überschreiten. Durch die Erforschung der Motive ändern sich wahrscheinlich auch die Entscheidungen. Peter Heintel schlägt vor, den Gesamtkomplex der Motive zusammen mit dem dafür identifizierten Personenkreis als »Gegenstand« zu definieren, wobei folgende Zugänge zum Gesamtkomplex führen: • »Motiv (was bewegt die Menschen wirklich, was ist für sie wichtig), • Problem (was entstehen daraus für Bedürfnisse, Wünsche, Knappheiten, Verdrängungen, Kompensationen) • Analyse, Diagnose und Lösungsbeteiligungen ausmachen (wer ist an dem Problem beteiligt, interessiert, betroffen, hat wissensmäßige Zugänge usw.)« 32 Abweichend also von den volks- und betriebswirtschaftlichen Ansätzen bilden für den nachgewiesenermaßen sehr individualistischen Weg der Internationalisierung diese Zugänge die Möglichkeit, die Betroffenen und Beteiligten an der Internationalisierung mit einzubeziehen. Einige Fragen, um die Akteure ins Boot zu holen, um in weiterer Folge Aussagen über Internationalisierungsschritte tätigen zu können: »Was ist die eigene Motivationsbasis? […] Was heißt, jemand anderen oder eine kleine Gruppe motivieren zu wollen? Welche Prozesse finden hier statt [… ] Was ist kollektive Motivation; gibt es ein ›kollektiv Unbewusstes‹? Welche Grenzen der Motivation und Motivierbarkeit gibt es […]? […] Welche strukturellen Bedingungen sind notwendig, damit gegenseitige Motivation überhaupt stattfinden kann«? 33 31 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Visionsentwicklungsprozess und Visionsinhalt«. 32 Heintel, Motivforschung und Forschungsorganisation, S. 392 33 Heintel, Verhältnis von Motivation und Manipulation, S. 174
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Diese Fragen sind geeignet, höchst individuelle Prozesse zu erforschen und die dahinterliegenden Motive aufzuzeigen. So werden Investitionsentscheidungen wie bereits erwähnt als Mangelbehebungen definiert, um sogenannte eigene Barrieren zu überwinden. Hier gibt es jedoch bereits die Differenzen zwischen einer nutzungsbezogenen Einschätzung, wie wir sie aus unserem persönlichen Umfeld kennen – »das Fahrzeug hält noch zwei Jahre« –, und einer Einschätzung, wie »die anderen« über das eigene Unternehmen denken: »Wenn wir mit so einem alten Fuhrpark herumfahren, glauben unsere Mitarbeiter und Kunden, dass wir wirtschaftliche Schwierigkeiten haben.« Es gibt für solche Situation nur Erklärungen aus der Soziologie und kaum welche aus der Ökonomie. Interdisziplinär lässt sich das Thema besser analysieren, wie im Beispiel zum Alter des Fuhrparks, wo die Interdependenz von Rendite und Image sofort sichtbar ist. Die Maximierung des einen Ideals widerspricht der Maximierung des anderen – und es entsteht ein neuer Mangel – gleichgültig wie entschieden wurde. Die Erweiterung der Entscheidungsbasis durch Motivforschung, die beispielsweise auf Hintergründe, Beteiligte beziehungsweise Betroffene ausgeweitet wird, lohnt sich meiner Ansicht nach. Sonst können halbherzige Entscheidungen, deren Ursache im betrieblichen oder im familiären Umfeld des Entscheidungsträgers liegen, dazu führen, dass Projekte scheitern. Im Wissen, dass das »auf den Kopf stellen« eines Geschäftsmodells, nämlich in einem Billiglohnland (Ukraine) zu produzieren und »zu Hause« zu forschen, zu entwickeln und zu konfektionieren, zu drucken und zu assemblieren, die konsequente Form der Internationalisierung wäre, und im Wissen, dass der Abtransport der wichtigsten Maschinen emotional nicht durchzuhalten ist, muss sich der Entscheidungsträger etwas anderes überlegen.34 Halbherzigkeit, beispielsweise aus familiären Motiven, kann ein Unternehmen bedrohen. Was sind also aus der Vielfalt der Familienunternehmen herauszustreichende Themenstellungen, die auch für Wachstum und Internationalisierung betrachtet werden sollen?
34 Vgl. Interview v, S. 61
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Familienunternehmen und Internationalisierung Ein kmu ist sehr oft in der Hand eines Eigentümers beziehungsweise einer Familie. Aus diesem Grund wäre die Auseinandersetzung mit Investitions- und Internationalisierungsentscheidungen ohne Betrachtung familiärer Konstellationen sehr unvollständig. Und Familie ist nicht gleich Familie. Größe, Involvierung in das Unternehmen, Vermögen und Risikoabsicherung durch Privatvermögen müssen betrachtet werden. Hier sollen ein paar Hinweise auf Zusammenhänge zwischen und Unterschiede in den beiden Konstellationen Familie und Unternehmen gegeben werden, die relevant für Internationalisierungsentscheidungen sein können. Die Literatur – insbesondere die betriebswirtschaftliche Literatur – spricht im Zusammenhang mit Familienunternehmen hauptsächlich die Konfliktpotenziale dieser Unternehmensform an. Meistens jedoch, ohne auf das Wesen und den Sinn von Konflikten einzugehen. Wie viele Organisationsformen hat auch das Familienunternehmen Vor- und Nachteile, derer man sich bewusst sein muss, insbesondere, wenn es wirtschaftlich betrachtet einmal nicht so gut läuft. Hier kann eine Kultur in der Bearbeitung von Konflikten – Voraussetzung dazu ist, über die Existenz und den Sinn von Konflikten Bescheid zu wissen – Lösungen unterstützen. Denn es ist wesentlich, dass Unterschiede und Widersprüche zu bewältigen sind, damit wieder gemeinsam entschieden werden kann.35 Das vorherrschende Bild einer Familie ist die Kernfamilie mit Mutter und Vater und deren Kindern bis zur Volljährigkeit. Die meisten Menschen sind sequenziell betrachtet also Mitglieder zweier Kernfamilien – jener Familie, in die sie hineingeboren wurden, und jener Familie, die sie selbst begründet haben. Im Unternehmenskontext spricht man allgemein dann von Familienmitgliedern, wenn sie Kinder sind, die ursprünglich von einem Ehepaar abstammen. Auch ihre Ehe- oder Lebenspartner werden dem Begriffsfeld des Familienmitgliedes zugerechnet. Die Rollenverteilung in den beiden Systemen Familie und Unternehmen kann auf folgenden Ebenen stattfinden: • Mitarbeiter aus der Familie • Managementfunktionen durch Familienmitglieder • Eigentumsfunktionen durch Familienmitglieder (mit oder ohne Aufsichtsratsmandat)
35 vgl. P. Heintel, Konflikte kommen in jeder guten Familie vor, in: E. Juritsch, W. Nadvornik, A. Gutschelhofer, Gern geschehen. Unternehmensnachfolge in Familienbetrieben, 2007, S. 22f
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Dieses System ist auch noch unter dem Zwei-Generationen-Aspekt, wonach die meisten Menschen Mitglieder zumindest zweier Kernfamilien sind, zu betrachten und daraus ist die Ausgangssituation für relevante unternehmerische Entscheidungen abzuleiten. Komplizierter gestaltet sich die Situation im Familienunternehmen, wenn auf allen Ebenen Nicht-Familienmitglieder ebenfalls eine rechtlich und/oder faktisch relevante Rolle spielen: 36 • Mitarbeiter aus der Familie in einer Abteilung mit Mitarbeitern, die nicht Familienmitglieder sind • Managementfunktionen durch Familienmitglieder und Nicht-Familienmitglieder • Eigentumsfunktionen durch Familienmitglieder und institutionelle Investoren (mit oder ohne Aufsichtsratsmandat) Daraus folgen für die weiteren Überlegungen unterschiedliche Positionen bei Investitions- und Internationalisierungsentscheidungen. Die Zukunft der eigenen Position im Unternehmen kann zur Entscheidungsfindung insofern beitragen, als nicht nur unternehmensbezogen, sondern aus der Betrachtung beider Systeme heraus entschieden wird. Zum Verständnis sei beispielhaft angeführt, dass der Wohnort der zukünftigen Frau oder des zukünftigen Mannes oder Lebenspartners als Investitionsstandort bevorzugt wird und nicht der Standort mit den in Analysen eruierten besten Voraussetzungen.37 Die Alternativen werden gar nicht in Erwägung gezogen. Weitere Anhaltspunkte für die Ausgangssituation bei Internationalisierungsentscheidungen von Familienunternehmen ergeben sich aus dem Lebenszyklus des jeweiligen Unternehmens: Ein Ehepaar als Gründer erweist sich meist als stabiler Kern eines Unternehmens. Es kann unternehmerische Entscheidungen ohne institutionelle Kosten wie Gesellschaftsgründung, Managementverträge und daraus resultierende Fixkosten treffen. Im Falle einer Unternehmenskrise oder eines nicht so schnellen Markterfolges kann es bei den privaten Lebenshaltungskosten sparen oder durch nichtmonetäre Unterstützung aus dem Familienumfeld weitgehend von den Einkünften aus dem Unternehmen unabhängig sein und somit das Unternehmen in seiner Entwicklung weiter bringen als ein vergleichbares managementgeführtes Unternehmen. Die oft damit 36 Vgl. C. Mühlebach, Familyness als Wettbewerbsvorteil, ein integrierter Strategieansatz für Familienunternehmen, 2004 37 Vgl. P. Heintel, L. Krainer, R. Lerchster, M. Ukowitz, Investitionen in Kärnten. Ein Ergebnisbericht, 2006
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einhergehende »Selbstausbeutung« des Gründerpaares in der Gründungsphase ermöglicht es bei entsprechender fachlicher Kompetenz, das Unternehmen länger am Leben zu erhalten und sich in der Positionierung weiter zu entwickeln als ein managementgeführtes Unternehmen. Für diese Phase ergeben sich, wenn das Gründerpaar (und zugleich Kleinfamilie) aus unterschiedlichen sozialen Umgebungen kommt, Möglichkeiten von Finanzierungsquellen, diese werden mit fff (»family, friends and fools«) am treffendsten charakterisiert. An diesem Punkt sind jedoch zwei bedeutende Anmerkungen zu den Grenzen und zum Scheitern solcher Finanzierungsmodelle zu machen: • private Krisen • Unklarheit bei der Rückführung der finanziellen Ressourcen im Falle des Scheiterns des Unternehmens – wie auch im Erfolgsfall des Unternehmens Die Anführung dieser beiden Situationen soll auf die Tatsache aufmerksam machen, dass auch ein erfolgreiches Geschäftsmodell aufgrund privater Krisen oder Krisen im familiären und Freundesumfeld scheitern kann, insbesondere wenn keine Klarheit über die Refundierung der finanziellen oder persönlichen Beiträge (Arbeitseinsatz) zur Unternehmensentwicklung herrscht. Zu den Möglichkeiten, diese Klarheit im Vorfeld zu schaffen ein paar Anhaltspunkte: • Geschäftsanteile für stille Beteiligungen, Darlehen, Nutzungsrechte, Leistungen • Verzinsungen im Erfolgsfall • (teilweise) Verzichte im Falle des (endgültigen – wann ist dieser Fall objektiv eingetreten?) Scheiterns • Patentverwertungsrechte oder Weitergaberechte • Vermögensverwertung für private Teile oder getrennte Unternehmen Diese gut gemeinten Tipps sollen insbesondere in Zeiten der Begeisterung bei der Gestaltung der gemeinsamen Zukunft zu einem Innehalten – zumindest für kurze Zeit – ermuntern. Es ist anzuraten, die Identifizierung und die Vorwegnahme allfälliger Nachteile vorzunehmen, die sich aus einem Gründungsprozess ergeben – einem Prozess, wie ihn das Leben schrieb und der nicht den Bilderbüchern der Gründerleitfäden folgte. Dies auch, weil es im Umfeld der Gründer noch Verpflichtungen gegenüber Gläubigern (Banken, Lieferanten, Mitarbeiter und Kunden) geben kann, die auch berücksichtigt werden müssen. Nehmen wir an, das Geschäftsmodell des Gründerehepaares war erfolgreich. Inzwischen gibt es erwachsene Kinder und deren Partner. Das Familienunterneh134
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men ist wirtschaftlich stabil, hat jedoch aufgrund seiner Geschäftstätigkeit und durch die globale Wettbewerbssituation Internationalisierungschancen, aber auch Risken, da die Eigenkapitaldecke für weitere expansive Schritte zu dünn ist. Es könnte gut gehen und es stellen sich beispielhaft mehrere Fragen: • Wollen wir Alleineigentümer bleiben? • Wollen wir das Unternehmen weiterentwickeln oder verkaufen? • Wollen wir uns im Management (beide Generationen) weiter involvieren? • Wollen wir den Bereich Familie und Management vollständig trennen? Allein die Auflistung der Fragen zeigt, insbesondere im Zusammenhang mit einer Entscheidungsfindung zu einer allfälligen Internationalisierung, die Komplexität der Situation. Die Antwort darauf muss jede Familie für sich selbst finden. Nachdem es vielfältige Interessen in den verschiedenen Familienunternehmen gibt, kann hier nur beispielhaft eine mögliche Weiterentwicklung des Unternehmens skizziert werden: Die Familie (wahrscheinlich die Elterngeneration) behält wesentlichen Einfluss (mindestens 75,1 % der Gesellschaftsanteile) oder zumindest die Möglichkeit, über die Geschäftsführung zu entscheiden (Aktienmehrheit). Für die Minderheitsanteile wird ein Finanzpartner gesucht, der Erfahrung mit dem Internationalisierungsthema aufweist. Wenn es ausschließlich ein Finanz-(und renditeinteressierter)Partner ist, würde dies einer Arbeitsteilung entsprechen, die einerseits die strategische Weiterentwicklung betrifft und andererseits die Finanzierung beinhaltet. Die nächste Generation – also Kinder und Schwiegerkinder – wird mit Managementaufgaben am Internationalisierungs- und Heimstandort betraut und kann sich über die Abschichtung des Minderheitsanteiles, den der Finanzpartner hält, in das Unternehmen einkaufen. Solche Optionen können bei sehr gut gehenden Unternehmen unfinanzierbar sein. Dies ist meiner Ansicht nach eher der amerikanische Weg. Bei uns in Österreich wird der nächsten Generation in der Regel das Unternehmen in kleinen Anteilsportionen übertragen. Was ist der Hintergrund für diesen Unterschied? In den usa werden Unternehmen von den Kindern (teilweise) erworben. Die Elterngeneration sichert sich mit der Veranlagung des Kaufpreises den Lebensabend. In Europa und hier insbesondere im deutsch- sprachigen Raum wird ihr Lebensabend durch verbleibende Gesellschaftsanteile für Ausschüttungen und Aufsichtsratsvergütungen gesichert. Der Einfluss der Elterngeneration auf das Unternehmen und seine Investitionsentscheidungen bleibt dadurch wesentlich stärker gewahrt. 135
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Jetzt hat unsere Familienstory internationale Kompetenz und Stabilität. Die Gesellschaftsanteile sind mittlerweile auf fünf bis zehn Personen aufgeteilt. Die persönlichen Beziehungen sind intakt, doch die Interessen der Eigentümer driften in Bezug auf ihre Lebensmittelpunkte auseinander. Manche wollen sich der Wissenschaft widmen, der Kunst oder Religion. Es ergibt sich daraus ein völlig unterschiedliches Verhalten zu den Themen Wachstum, Investitionen und Finanzierung. Hinzu kommt, dass manche Familienmitglieder im Management als Geschäftsführer und manche in Aufsichtsgremien tätig sind. Warum diese Erläuterungen erforderlich sind: Wir haben es mit einem gesunden Unternehmen zu tun. Alle Familienmitglieder identifizieren sich mit ihrem Unternehmen. Und doch ist bereits erkennbar, dass die Interessen unterschiedlich verteilt sind. Vor weiteren Expansions- und Internationalisierungsschritten ist eine wichtige Vorentscheidung zu treffen. Nämlich jene, Eigentum und Management getrennt zu betrachten. Die Firma soll beispielsweise im Familienbesitz bleiben. Und Manager, die aus der Familie besetzt werden, müssen gleiche Qualifikationen aufweisen wie Manager, die nicht Familienangehörige sind. Dem Management obliegen die Vorbereitungen von Investitionsentscheidungen. Die Eigentümer treffen dann diese Entscheidungen auf Basis dieser Vorbereitungen. So kann also ein Familienmitglied, welches im Management ist, seine eigenen Investitionsanträge auf der Eigentümerseite (mit-)entscheiden. Für solche machtvollen und gegenüber angestellten Managern vorteilhaften Bedingungen sind weitere Regeln erforderlich, wenn für die Trennung von Eigentümerinteressen und Unternehmensinteressen entschieden wurde. Für das Regelwerk bieten sich verschiedene Gesellschaftsformen und deren Aufsichtsorgane an. Ein Muster der besten Grundregeln gibt es nicht und die Ausführung der verschiedenen Möglichkeiten würde den Umfang dieser Gedanken überschreiten. Vielleicht wäre es auch besser, wenn einige Eigentümer das Unternehmen an einen Eigentümer (aus der Familie) verkaufen. Die Schwierigkeiten der Bewertung und die Finanzierung der Ankäufe von Gesellschaftsanteilen aus Gesellschaftsmitteln schwächen jedoch das Unternehmen. Es ist also zu entscheiden, ob dieser Weg der Zusammenführung von Gesellschaftsanteilen vorteilhaft ist oder ob die Eigentümer ihre individuellen Interessen unter einem Dach gemeinsamer Interessen vereinen können. Unternehmenskultur, Konfliktkultur, Inszenierungen der Gesellschafterversammlungen und allenfalls auch gemeinsam getragene Projekte außerhalb der Unternehmensaufgaben (soziale, wissenschaftliche, religiöse, kulturelle) können das gemeinsame Interesse am Unternehmen stützen.
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Familienunternehmen in der Krise 38
Ich möchte hier auf eine Verlockung hinwiesen, die jedoch meistens keinen Erfolg zeitigt. Akute Unternehmenskrisen bei gleichzeitigen Internationalisierungsbestrebungen sind eine Bedrohung für jedes Unternehmen. Wenn beispielsweise gleichzeitig Auftragsgröße und geografische Entfernung des zu erwartenden Auftrages zunehmen und ein naher Zeitpunkt seines Abschlusses angekündigt wird, gibt es Problemvermutungen. Der Konfliktmanager Gerhard Schwarz würde solche Gedanken, (Phantom-)Aufträge und Projekte als »Flucht vor der Situation« 39 bezeichnen. Es kann natürlich auch sein, dass sich das Unternehmen internationalisieren muss. Aber auch dann stellt sich die Situation nur chancenreich dar, wenn die Krise anhand einer Beurteilung der strategischen Position des Unternehmens mindestens zwei bis drei Jahre vor einer akuten Existenzkrise erkannt wird. Gründe für die nahende Krise können sein, dass sich trotz Rationalisierung und Technisierung die Kostenposition durch die internationale Konkurrenz weiter verschlechtert, dass einer der Hauptkunden seine Zulieferkette verändert oder selbst in Schwierigkeiten kommt. Oder aber es sind anhand der Beobachtung der langfristigen Entwicklungen der Branche grundlegende Anpassungen erforderlich. Ist aufgrund des Kostendrucks die Internationalisierung eines Unternehmensteiles eine wichtige Voraussetzung, so sind Entscheidungen rechtzeitig zu treffen, sodass diese noch zu organisieren und aus der eigenen Substanz zu finanzieren sind. Diese Vorschau über mehrere Jahre ist heute nicht so einfach. Viele Familienunternehmen haben über Jahrzehnte Substanz aufgebaut, einer meiner Interviewpartner spricht in diesem Zusammenhang über das »alte Geld«.40 Der Abbau kann natürlich auch eine Zeit lang dauern und das Unternehmen über Wasser halten. Denn es gab die Zeiten der Käufermärkte, und das hat sich in vielen Bereichen der Konsumgüterindustrie entscheidend verändert. Im Wachstumsmodell sind die Innovationsdynamik und die Ausbreitung des Wachstums auf viele Länder, vor allem Asiens, dazugekommen.
38 vgl. E. Juritsch, Krisenmanagement: Warum wegschauen nicht gilt, in: Juritsch et al., Gern geschehen, S. 162f 39 G. Schwarz, Konfliktmanagement, Wiesbaden 2005, S. 101. Zu Konfliktmanagment vgl. auch R. Ballreich, M. W. Fröse, H. Piber, Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement. Innovative Konzepte und Methoden, Bern 2007 40 Interview bg ii, S. 263 41 H. Ch. Binswanger, Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen, München 1998, S. 107
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Wachstum und Wirtschaftspolitik »Der Vater sagt: ›Nimm so viele Fische aus dem See, wie du unbedingt zu Leben brauchst, nimm keinen Fisch mehr, die Natur will es so. Schenja fischt heimlich ein Mehrfaches und bringt die Fische an einen anderen Ort.« 41 Diese Metapher repräsentiert quasi den Beginn des Wachstumsmodells, denn mit dem Wachstum der Geldwirtschaft ist ein Antrieb entstanden, mehr zu produzieren, als man für sich selbst zum Leben benötigt. Warum werden dann Wachstum und das Festhalten am Wachstumsmodell von mir nicht in Frage gestellt? Die Ausführungen nur einiger Antwortmöglichkeiten zu dieser Frage würden diesen Rahmen sprengen, beispielsweise solche zur Kritik an den Messverfahren des Wachstums, Wachstum und Verteilung oder Vergleichbarkeit von Wachstum und Wohlstand. Die von mir vertretene Position ist, dass sich für ein kmu aus einer wachstumskritischen politischen Position heraus kein Erkenntniszuwachs für Internationalisierungsentscheidungen ableiten lässt. Und nicht nur die Geldwirtschaft war ein Antrieb, die Naturwissenschaften machten Wachstum erst möglich, weshalb folgende Feststellung wichtig ist, aber gerne vergessen wird: Mithilfe der Naturwissenschaften wurde eine unermessliche technische Innovationsspirale in Gang gesetzt, die zumindest in den Industrieländern zu einer einzigartigen Lebensqualität und zu einem nie da gewesenen Wohlstand führte. Die folgende Grafik zeigt das Wachstum des Pro-KopfEinkommens des letzten Jahrtausends. Das Bevölkerungswachstum in diesem Zeitraum spielt durch die Pro-Kopf-Berechnung keine Rolle. Century’s Growth in Real World GDP per Capita
1.000% 900% 800% 700% 600% 500% 400% 300% 200% 100% 0%
11th
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20th Century
Abb. entnommen aus B. DeLong, Slouching Towards Utopia (unpublished manuscript), 1997; http://isites. harvard.edu/fs/docs/icb.topic131895.files/Per_capita_gdp_growth_trough_history.pdf (10. 8. 2007)
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Weiterhin sind Wirtschaftswachstumszahlen die wichtigsten makroökonomischen Kennzahlen. Die Wirtschaft wächst weltweit um 4 – 5 % jährlich. Die landwirtschaftliche Produktion wächst auch und trotzdem kann sie mit der steigenden Nachfrage nicht mithalten. Die weltweiten Verkäufe von Automobilen wachsen jährlich um circa 3 % und betrugen 2005 50 Millionen, davon mehr als 70 % in den drei großen westlichen Wirtschaftsregionen usa/Kanada, Westeuropa und Japan. Die Verbrauchsgüter, die Rohstoffnachfrage und die Nachfrage nach Energie steigen weiterhin. Gleiches spielt sich – wenig überraschend – in den Bereichen it (Anzahl der verkauften pc), Finanzdienstleistungen, Unterhaltung (Computerspiele, dvd, mp3, Musik-Downloads usw.), E-Commerce und Tourismus ab. Weltweites Wirtschaftswachstum und auch die Technologieentwicklung passierten, wie ich behaupte, ohne bedeutende wirtschaftspolitische Interventionen. Der Primat der Politik ist längst dem Primat der Wirtschaft gewichen und hier insbesondere dem Primat der multinationalen Unternehmen, im Produktionsbereich – aber noch mehr in der Finanzwirtschaft. Den von manchen neoklassischen Theoretikern, von machen Wirtschaftspolitikern und insbesondere von multinationalen Organisationen wie Weltbank und wto als ideal angesehenen Vorstellungen, dass den Finanzmärkten auch eine politische Rolle zukommen solle, um nationale Regierungen über die Wechselkurse und die realen Zinsen zu kontrollieren, muss hier widersprochen werden. Auch der Wunsch, dass die Aktienmärkte in der Marktkapitalisierung von Unternehmen auch die wirtschaftspolitische Qualität an den jeweiligen Standorten in die Bewertung mit einbeziehen, muss ins Reich der frommen Wünsche, die von Idealvorstellungen über Märkte ausgehen, verbannt werden. Die Kurse sind keineswegs mit den Entwicklungen der Unternehmen im Einklang, sondern enthalten individuelle oder kollektiv subjektive Erwartungen, die nicht nur an den Handelsvolumina, sondern auch an der Anzahl der Akteure, die die entsprechenden Titel handeln, gemessen werden sollten. Denn »in der Flatterhaftigkeit der Kurse und in den spekulativen Blasen, in technischen Rückkoppelungen, irrationalen Stimmungsreflexen und kollektiven Ansteckungseffekten, in schwer erklärbaren Wechselkursschwankungen und spekulativen Währungsattacken wurden Anzeichen dafür erkannt, dass sich die internationalen Finanzmärkte von den fundamentalen Wirtschaftsdaten abgelöst haben. Dadurch wurde die Planungssicherheit von Unternehmen, die langfristige Investitionsentscheidungen treffen, erheblich beeinträchtigt. Spekulations- und Monopolgewinne wurden zur Orientierungsmarke regulärer Renditeerwartungen auf den Finanzmärkten. Diese wiederum dienten den Unternehmen als Vergleichsmaßstab für die Rentabilität realer Investitionen.« 42 139
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Früher sind Unternehmen im Gefolge der Kolonialisierung zu globalen Unternehmen geworden. Die Ursache ist darin zu sehen, dass Unternehmen im Windschatten der Macht des Staates expandieren konnten. Und die seinerzeitige Macht des Staates war im Vergleich zur Macht der Unternehmen viel bedeutender. Viele Wirtschaftsbereiche wurden vom Staat gesteuert. Heute agieren Unternehmen selbstständig, lassen sich nicht durch Kontrollregeln bremsen und nützen die Informations- und Transportmöglichkeiten, um den Platz auf der Welt zu finden, auf dem sie für ihr Produkt den höchsten Gewinn erzielen und sie es am billigsten herstellen können. »Für mich steht weiters außer Zweifel, dass die eigentliche gesellschaftliche Koordinationsmacht auf das ökonomische System unter Zuhilfenahme der Technologie übergegangen ist.« 43 Und das gilt nicht nur für die weltweit größten Unternehmen. Dies gilt auch, und das ist wiederum eine Chance, für kmu. Diese zählen, wenn sie einen bedeutenden Anteil am Weltmarkt haben, auch zu den Global Playern. Solche gibt es bereits ab 50 Mitarbeitern. Alle diese Unternehmen haben das Potenzial für wirtschaftliche Dynamik und sind zugleich Teil dieser. Sie sind untereinander nicht wirklich solidarisiert, sie sind nicht nur wirtschaftlich erfolgreich, sondern auch ein politischer Faktor. Sie haben für die Nichteinmischung in den wirtschaftlichen Wettbewerb inzwischen Wählermehrheiten gefunden. Die erfolglosen Unternehmen haben in diesem System keine Stimme. Die Stimme entsteht durch Marktmacht, durch wirtschaftlichen Erfolg und vor allem auch durch die Rolle als bedeutender und attraktiver Arbeitgeber. Diese Faktoren nehmen mit der Größe des Unternehmens zu. Das gilt auch für kmu in ländlichen Regionen, wenn sie diese Rolle abdecken. Die Rolle als Arbeitgeber ist immer im Zusammenhang mit der regionalen Wirtschaft zu sehen. Das bedeutet, die erfolgreichen Unternehmen haben eine starke Stimme, auch in der Politik. Das ist ein sehr bedeutender Punkt an der Schnittstelle von entgrenzter (Welt-)Wirtschaft und (räumlich) begrenzter Demokratie.44 Das hat zum Identitätsverlust von Politikern und Interessenvertretern beigetragen. Durch die Stimmen der Mitarbeiter, die in solchen erfolgreichen Unternehmen tätig sind, werden auch politische Entscheidungen mit bestimmt. In diesem Zusammenhang nimmt die Bedeutung der kmu zu. Ihre Grundhaltung der Unabhängigkeit hat neben den Konzernen und der 42 F. Hengsbach, Moral an die Börse? Frankfurt am Main, 2005, S. 5; http://www.sanktgeorgen.de/nbi/pdf/artikel/zfwu.pdf (6. 8. 2008) 43 P. Heintel in: G. Falk, P. Heintel, E. E. Krainz (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Wiesbaden 2005, S. 31 44 Und wenn man dem Grundsatz der Selbstbestimmung folgt, dann kann man nur auf Basis demokratisch legitimierter Regeln verordnen, was politisch getan werden darf und was nicht.
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Finanzwirtschaft Eingang in neue Marktordnungen gefunden. Die Stimme der privaten Unternehmen hat aus dem Scheitern der Staatsunternehmen, der Staatswirtschaften des ehemaligen Ostblocks, aber auch durch den massiven Beschäftigungsabbau bei den großen industriellen Beschäftigungsträgern in den alten Industrienationen Gewicht bekommen. Beispielsweise hat der Entwurf des eu-Vertrages, dessen Ratifizierung 2010 erfolgt, keine den Markt störenden Elemente eingebaut: • »Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb« (Artikel i–3) • »Freier Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit« (Artikel i–4, iii–14) • »Unternehmerische Freiheit« im Verfassungsrang (Artikel ii–16) • »Die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union umfasst […] die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die […] dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.« (Artikel iii–69) • Die Sozialpolitik trägt »der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union zu erhalten, Rechnung«. (Artikel iii–103) Mit diesen gesetzlichen Rahmenbedingungen ist es Unternehmern möglich, (Geschäfts-)Ideen zu entwickeln und umzusetzen und somit einen Markt zu stimulieren, das heißt selbst zu generieren. Jene, die das nicht tun und nur auf kapitalseitige oder wirtschaftspolitische Regelungen als finanzielle Interventionen gegen unternehmerische Schwächen beziehungsweise das Versagen hoffen, sind unter diesen Rahmenbedingungen nicht überlebensfähig.45 Es muss betont werden, dass für finanzielle Interventionen in die Marktwirtschaft, also Investitionsbeihilfen, Innovationsförderungen, aber auch Reorganisationsmaßnahmen, lediglich 2 – 3 % des Bruttoinlandsproduktes zur Verfügung stehen. Anzumerken ist, dass diese eu-Rahmenbedingungen auch für Unternehmen aus anderen Wirtschaftsregionen (zum Beispiel aus Asien und den usa) gute Internationalisierungsbedingungen darstellen und somit eine Konkurrenz für die Wertschöpfungspotenziale der europäischen Unternehmen darstellen, diese sich daher keinesfalls in einer entspannten Position befinden. Denn Wertschöpfung unterliegt bei Beobachtbarkeit der Beobachtung durch die Konkurrenz und ist das Feld für neue Unternehmer. Die Tendenz der europäischen Kommission und der nationalen Regierungen ist absehbar. Es werden immer mehr Marktelemente in Wirtschaftsverfassungen 45 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Förderungen für kmu«.
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Eingang finden, andererseits werden den kmu weiterhin Förderungen gewährt werden. Um an diese heranzukommen, wird es für die kmu erforderlich sein, dass sie in Bezug auf die Logik, die hinter diesen Förderungen steht, Bescheid wissen. Denn die Förderungen sind, so wie sie jetzt konzipiert sind, keine Bonifikationen für gutes Wirtschaften, sondern ein Antrieb für Innovationen und eine Aufteilung des Risikos in geringes öffentliches Risiko (Förderungen) und hohes privates Risiko. Die Subventionsbarwerte für Investitionen bewegen sich in wirtschaftlich schwachen Regionen um die 40 %, sonst kaum über 20 %. Das bedeutet, beim Scheitern des Investitionsprojektes trägt das Unternehmen – vereinfacht gesprochen – das jeweils komplementäre Finanzrisiko. Die Zielsetzungen wie auch die Ergebnisse dieser Risikoteilung sind jedoch einzelbetrieblich und volkswirtschaftlich völlig unterschiedlich zu betrachten. Eine Innovation kann einzelbetrieblich scheitern, durch die Weiterentwicklung in einem anderen Unternehmen letztendlich volkswirtschaftlich – und in weiterer Folge als Standardprodukt oder Routineverfahren auch betriebswirtschaftlich – reüssieren. Die wesentlichsten Budgets in der der europäischen Wirtschaftspolitik werden für die Technologiepolitik bereitgestellt. Hier wird mit Förderungen der technologische Wandel forciert. Der Zugang zu diesem Bereich erfordert auf der betrieblichen Ebene Entwicklungs- und auch Förderungs-Know-how. Dieses darf keinesfalls nur technologie- sondern muss auch prozess- und marktbezogen vorhanden sein. Doch der wesentlichste Grund für die Produktentwicklungen ist nicht die Wirtschaftspolitik. Kein Projekt, wenn es in Förderprogramme passt, wird aus wirtschaftspolitischen Gründen abgelehnt. Ablehnungsgründe sind immer nur Technologie-, Markt-, Management- und Finanzierungsrisiken oder ausgeschöpfte Förderbudgets. Die wesentlichsten Gründe für neue Produkte auf gesättigten Märkten sind die Innovationsfähigkeit der Unternehmen und die sich verändernde Nachfrage. Die veränderte Nachfrage resultiert jedoch nicht nur aus sich verändernden Kundenwünschen, sondern wie bereits erwähnt auch aus sich verändernden Kosten. Weitere Einflüsse sind Veränderungen der Informationen durch das Internet und Veränderungen der Technologien. Ein kmu sollte die angebotenen Forschungs- und Investitionsförderungen im Auge behalten, weil deren Nicht-Inanspruchnahme zu strategischen und finanziellen Wettbewerbsnachteilen führt. Auf der anderen Seite sollte kein Projekt nur wegen angebotener Förderungen in Angriff genommen werden. Die Entscheidung zum Förderantrag soll auf Basis der Einschätzung der Technologietrends erfolgen – wobei die wirtschaftpolitisch festgelegten Forschungsschwerpunkte dabei Unterstützung bieten können. Die Entwicklungskompetenz eines Unternehmens bedeutet Einschätzung der Kosten und der Zeit für die 142
Die Triebkräfte der Internationalisierung
Umsetzung eines Entwicklungsprojektes. Geld verdienen lässt sich jedoch erst durch die Fertigungskompetenz und die erfolgreiche Marktdurchdringung. Hier kommt die Bedeutung des Kapitals zum Tragen. Es ist bereits im Vorfeld von Entwicklungen die Frage nach dem späteren Kapitalzugang zu stellen. Ohne Kapital erntet die Früchte der Entwicklung ein anderes Unternehmen. Die Orientierung an öffentlichen Programmen für die Mobilisierung von Eigenoder Fremdkapital könnte sich als nützlicher Hebel erweisen. Für ein kmu gibt es für die Produktionsüberleitung Förderungen in Form von Haftungsübernahmen, diese werden auch für Internationalisierungsprojekte gewährt.46 Das nützt sowohl der Ausfinanzierung als auch der Rendite – weil öffentlich garantiertes Kapital zumindest in Österreich durch die Triple-A-Bonität der Republik sehr günstig ist. Und die Renditevorstellungen sind ein mächtiger Treiber der Internationalisierung von Unternehmen.
46 Die Austria Wirtschaftsservice GmbH gewährt für Auslandsinvestitionen von Unternehmen Haftungsübernahmen, die einen Teil des Investitionsrisikos tragen (circa 50 %) siehe dazu: http://www.awsg.at/portal/cCardDatabase.php?dgn=29&dse=5 &dsi=445 (2. 3. 2008) 47 O. Höffe, Philosophie: Vom Nutzen des Nutzlosen, 25. 6. 2005 copyright: diepresse.com Wien http://home.schule.at/cometo/latein-griechisch/html/hoeffe.html (6. 8. 2008)
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Achtung Rendite! Die folgenden Zitate sollen den Leser zuerst »weit wegführen« von den ein- oder zweistelligen Prozentzahlen, mit denen der Begriff Rendite ganz eng verknüpft wird. In der weiteren Ausführung kann dann wieder eine Verbindung gefunden werden. »Schaut man auf die tatsächliche Anwendungsfähigkeit und schließlich die Rendite, so dürfte man freilich nicht pauschal die Naturwissenschaften fördern, die Philosophie und die Geisteswissenschaften dagegen vernachlässigen: Die Sinologie beispielsweise und die facettenreiche Orientalistik helfen, Kulturen zu verstehen, mit denen wir leben müssen. Dieses Verständnis ist für unsere Medien unverzichtbar, auch für Unternehmer, nicht zuletzt für Politiker, damit sie uns finanziell und politisch kostspielige Fehlentscheidungen ersparen«.47 Denn »in den Kulturwissenschaften schläft Orientierungswissen, das die betriebswirtschaftliche Sicht der Dinge erst mit jenem Wissen versieht, das Unternehmen produktiv werden lässt«.48 Bei der Einführung des Gartengrills hat man die falsche Klientel – nämlich die Frauen – beworben, ein Historiker oder Anthropologe weiß das in einer Minute, dass Grillen etwas mit Jagd und Lagerfeuer zu tun hat. Und die Einführung des Magermotors, der sich selbst bei jeder Kreuzung abstellte, um selbstständig wieder anzuspringen, war ebenfalls ein Flop, weil der Motor eines Autos dem Herz des Menschen gleichgestellt wird und ein abgestorbener Motor [man beachte die sprachliche Nähe zum (abgestorbenen) Lebewesen] kein Erfolgsprodukt sein kann.49 Beim Begriff Rendite denkt man vor allem an Geldeinheiten, und zwar eher an bereits erwirtschaftete, wahrscheinlich, weil die Investitionsentscheidungen schon gefallen sind. Einen besseren Zugang findet man, wenn es heißt, es ist »die Fähigkeit eines Anspruchs zu verstehen, in Zukunft Überschüsse zu generieren«.50 Denn ausschlaggebend für Rendite ist die Investitionsentscheidung. Die Konzentration auf das Danach ist für die umfassende Betrachtung des richtigen Einsatzes nicht sehr hilfreich. Denn die Rendite wird sich nicht einstellen, wenn 48 P. Gross, Management als Leidenschaft für das Mögliche, in: W. Krieg, K. Galler, P. Stadelmann (Hrsg.), Richtiges und gutes Management: vom System zur Praxis: Festschrift für F. Malik, Bern, 2005, S. 135 49 Lakeside Science & Technology Park GmbH (Hrsg.), Eins und eins ist elf. Kooperation Technologie Campus Kärnten, Interview mit Peter Heintel, Klagenfurt 2004, S. 168 50 W. Nadvornik, A. Brauneis, S. Grechenig, A. Herbst, T. Schuschnig, Praxishandbuch des modernen Finanzmanagements, Wien 2009, S. 310.
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die Überlegungen, wofür überhaupt Einsatz getätigt oder bezahlt wird, nicht zu den richtigen Entscheidungen führen. Die Rendite als Ex-post-Betrachtung erweist sich als wenig aufschlussreich für Investitionsentscheidungen. Vorstellung(en)
Klar verständlich sind die Formeln aus der Betriebswirtschaftslehre, welche die Rendite als Gesamtertrag auf das eingesetzte Kapital berechnen. Es gibt dann noch die Möglichkeiten, die Rendite zu periodisieren oder in Verhältniszahlen auszudrücken. Es ändert jedoch nichts daran, dass diese Berechnungen, wenn sie vor einer Entscheidung erfolgen, bereits von Vorstellungen geprägt sind. Damit verbunden sind Vorurteile wie die persönliche Risikofreude oder ihr Gegenteil, die Risikoaversion, die eigenen (unternehmerischen) Erfahrungen mit (vermeintlich) gleich gelagerten oder ähnlichen Projekten, das Vertrauen in die eigenen Umsetzungsfähigkeiten und die Fähigkeiten von Partnern, Kollegen und Mitarbeiten. Diese Vorurteile fließen in Vorentscheidungen ein, sie sind den Berechnungen vorgelagert. Warum werden diese Einflüsse von mir so betont? Weil die Rendite das in Zahlen ausgedrückte Ergebnis von Vorstellungen, Vorentscheidungen und Vorurteilen bei Investitionen ist. Doch diese Vorstellungen führen erst zu Ergebnissen, wenn Entscheidungen zum Ressourceneinsatz fallen, wenn deren Umsetzung gewollt wird, wenn während der Umsetzung die Vorstellungen erfüllt werden, womit dann das Ergebnis in Bezug auf die Vorstellungen ausgerechnet werden kann. Wie so oft haben Investoren bei Renditevorstellungen völlig unterschiedliche Sichtweisen. So ist für den einen eine 8 %ige Jahresrendite zu hoch, weil nicht glaubhaft, während für den anderen in Bezug auf seine Risikoeinschätzung (= Vorstellung) eine 20 %ige Jahresrendite noch zu niedrig ist. Heute wissen wir, dass rationale Modelle nicht ausreichen, um den Prozess von den Vorstellungen über den Entscheidungs- und Umsetzungswillen bis zum Ergebnis so durchzudenken und durchzutragen, dass wir mit einer Prozentrechnung bereits losstarten können. Denn das würde bedeuten, dass alle Erwartungshaltungen mit der geschaffenen Realität in Einklang sind. Dieses Dilemma hat in der ökonomischen Philosophie und in späterer Folge in der neoklassischen Theorie dazu geführt, dass unsichtbare Hände alles im Gleichgewicht halten. Dies ist sogar richtig, weil sich ex post betrachtet ohnehin alles irgendwie ausgehen muss. Auf diesen Tatbestand aufbauend, hat man einen Weg eingeschlagen. Man hat die Entscheidungstheorien wesentlich verfeinert, die Anzahl der Einflussfaktoren auf die Rendite kann beinahe beliebig erhöht werden und mittels Computer kann das Ergebnis simuliert und an den einzelnen Schrauben so lange gedreht werden, bis das gewünschte Ergebnis feststeht. Somit erklärt 145
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sich die Vielzahl von mathematischen Modellen und Tools, um dem Begriff Rendite Herr zu werden. Diese Unzahl an Versuchen, die Vorstellungen von Entscheidern zu unterstützen, weisen lediglich auf das Problem hin: Man weiß vorher nicht, was am Ende herauskommt! Und ein Unternehmer, der dies »frank und frei« erklärt, wird kein Vertrauen bei seinen Partnern, die mit ihm das Risiko teilen, erwecken. Das bedeutet, viele dieser Versuche sind Placebos, die vorrangig Beruhigung verschaffen sollen. Der Dominanz der Zahlen wird durch die Gewichtungen der Kosten für eingesetztes Kapital und Erträge aus demselben entsprochen. Eine Entsprechung in einer offenen, weil unsicheren Zukunftsdiskussion in Bezug auf Vorstellungen von Rendite finden wir nicht. Vergangenheitsbetrachtungen zeigen jedoch, dass es quasi vernünftigere Perioden in Bezug auf Renditen und weniger vernünftigere gegeben hat. Dies ist auch in vielen Unternehmen nachzuvollziehen. Von goldenen Türschnallen in Zeiten von Hochkonjunktur hört man oft, und dass man dieses Geld jetzt gut gebrauchen könnte. Die Vorstellung der Rendite hielt der Nachbetrachtung nicht stand. »Erklärungen, Begründungen, Rechtfertigungen bedürfen der Zeit und der Kausalität. Man muss Bestehendes auf etwas zurückführen, als sinnvoll verursacht vorstellen können. Damit wird die Zeitreihe zunächst in eine wie auch immer gestaltete, phantasierte, projizierte Vergangenheit geöffnet und somit Geschichte mit einem Resultat Gegenwart, dem Hier und Jetzt, entdeckt.« 51 Und wenn das Vorhaben und die Renditevorstellungen der Nachbetrachtung standhalten, ist man zufrieden. Doch auch diese Einschätzung ist nur in Bezug auf das Hier und Jetzt gültig. Sie kann sich wieder verändern, die Rendite kann sozusagen von der (oder von ihrer eigenen) Vergangenheit eingeholt werden. Die Betrachtungen fließen auch ein in die Einschätzung über die Zukunft. Denn »wir bekommen durch die Globalisierung eine universelle Zukunftsverantwortung übertragen, ohne so recht zu wissen, wie wir sie wahrnehmen können. Und die gesamte wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Prognostik hilft hier allesamt recht wenig, wenn wir wirklich wissen wollen, was die Zukunft bringt. [...] Wir tun uns [also] schon schwer, Prognosen in Motiv und Praxis zu übersetzen und sie dort relevant zu machen.« 52
51 P. Heintel, Thesen zum Thema: »Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war«, Vortrag zum Symposium »Genug ist noch zu wenig« in der Abbazia di Rosazzo 2006, S. 3 52 Ebd., S. 5
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Diese Umstände begleiten uns, wenn wir uns mit Renditevorstellungen beschäftigen. Es liegt nicht nur an der Einzelentscheidung, wir wissen nicht, was andere Unternehmen im selben Segment tun. Wenn es viele tun, ist von Bubbles oder Investitionsblasen die Rede, die dann im Nachhinein als Herdentrieb ausgelegt werden. Und alle, die nicht mitgetan haben, sind gar nicht mehr im Geschäft, die anderen nur geschwächt – also mit bescheidenen Renditen ausgekommen. Diese Begleiterscheinungen führen von der Langfristigkeit der Investitionsüberlegungen zu extremer Kurzfristigkeit, um das Ergebnis der Entscheidung wieder verfügbar zu haben – doch auch dieses Verhalten ist ein sich selbst verstärkendes und somit die Rendite schwächendes. Rendite liegt in den meisten Fällen sehr nahe am Thema Geld. Und in Bezug auf Geld haben Untersuchungen gezeigt, dass es intuitive Angst vor Verlusten gibt, die sich in einem den Verlust reparierenden Prinzip und in einem den Gewinn sichernden Prinzip auswirken. Diese beiden Prinzipien beschreiben die systematischen Irrtümer, denen Investoren (eigentümlicherweise Laien wie Profis) unterliegen. Das hat zur Folge, dass bei steigenden Aktienkursen die Anleger den Gewinn zu früh realisieren, bei fallenden Aktienkursen hingegen zu lange die Papiere behalten und somit eine hohe Bereitschaft haben, alles zu riskieren.53 Investitionsentscheidung unter Innovationsdruck
Die Renditevorstellung ist nicht nur das errechenbare Ergebnis von Prognosen. Mit ihrer Vorstellung schwingt auch mit, alles oder große Teile der einzusetzenden Ressourcen zu verlieren beziehungsweise eine bestehende Marktposition einzubüßen. Die meisten Fehlschläge ergeben sich aus einer Entscheidungsbasis, die lediglich eine simple Fortschreibung der Gegenwart bedeutet. Und damit diese Gefahr kleiner wird, werden Standardprodukte innoviert und ausdifferenziert. Die Gratwanderung zwischen der »unaufhebbaren Differenz, die nach vorne drängt, nach Weiterentwicklung, Fortschritt fragt. Was alles wollen und können wir aus uns noch machen, was uns besser einrichten, wie auch besser sein?« 54 Hauptsache, wir erleben eine neue Produktgeneration – wenn auch nur in Form einer mit neuem Design ausgestatteten Kopie. Und gerade im Technologiebereich ist hin und wieder der Marktanteil die wichtigste Form von Rendite, weil durch ihn das Ausscheiden möglicher Konkurrenten gemessen wird, wie es folgende Aussage verdeutlicht: »Entweder eins oder zwei. Wenn man das nicht schafft, ist es besser, aufzugeben, besser, nicht weiterzumachen.« 55 Diese Form 53 L. Pelzmann, Ist Intuition ein guter Ratgeber? m.o.m. letters, 4/07, S. 57 54 P. Heintel, Zeit und Innovation, 2004, S. 3 55 Interview xi, S. 126
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von Rendite ist erst am Ende des Tages in Verbindung mit dem Zinssatz auf das eingesetzte Kapital zu bringen. Die Vorstellungen von Rendite unter Innovationsdruck begründet man auch aus der allgemeinen Innovationshysterie. Mit Innovationshysterie ist hier gemeint, dass in kurzen Abständen neue Produktgenerationen auf den Markt gebracht werden, deren Nutzenzuwachs für den Konsumenten fraglich ist, wie zum Beispiel drei Generationen eines Handys pro Jahr. Abgesehen von den Kosten der Anschaffung ist auch der Lernaufwand für den Konsumenten beträchtlich. Irgendein zusätzliches Feature, ein add-on, ist nützlich für die Quartalsberichte, wenn dort beispielsweise steht, dass »kein Produkt, welches unsere Fabrik verlässt, älter ist als …« Dieser Zusatz ist Prestige. Und er findet auch im Gesamtunternehmen seinen positiven Niederschlag, sei es beispielsweise, ein attraktiver Arbeitgeber für die besseren Entwickler oder die besseren Verkäufer zu sein. Prestige, Macht, Anzahl der im Unternehmen Beschäftigten, Kultur, Unternehmer zu sein, Freude am Genuss der eigenen Freiheit und viele weitere Renditevorstellungen kann man aufzählen. Wenn dann der Erfolg auf die Verursacher dieses Erfolges verteilt wird, geht es doch meistens um die erzielte Rendite auf das eingesetzte Kapital, und wenn sie zu niedrig ist, wird man zum Übernahmekandidaten. Es gibt Ausnahmen: Sie bilden starke Familienunternehmen oder nicht verkaufbare Syndikate. Diese investieren in der Regel in Vermögenserhaltung und in Vermögenszuwachs. Mit dem (teilweisen) Verzicht auf Ausschüttungen. Damit lässt sich die These verbinden, dass die getroffene Investitionsentscheidung versunkene Kosten darstellt und dann daran gearbeitet wird, das Versprochene zu erreichen. Die Bedeutung des Kapitals in diesen Gesellschaften ist nicht vergleichbar mit der Mobilität des Kapitals, das sich seine stärkste Anlageform selbst sucht. Natürlich ist diese Formulierung, obwohl oft zu lesen, nicht korrekt. Denn Kapital sucht sich nicht selbst seine stärkste Anlageform, sondern die Kapitaleigentümer bedienen sich auf ihrer Suche meistens der Finanzfondsmanager und diese wiederum hören auf die Analysten. In der Akkumulation dieser Entscheidungen liegen extreme Unsicherheiten – nicht wirklich das, was man landläufig als Markt verstehen würde. Die Verkettung dieser Umstände führt zu den berüchtigten Investitionsblasen. Selbst erfahrene und ich behaupte wissende Fondsmanager unterliegen diesen Mechanismen.56 Die Maximierung der kurzfristigen Rendite ist auch noch mit Bonifikationen und Aktienoptionen für die Manager verbunden. Damit ist es nahezu ein naturgesetzlicher Umstand, dass die Luft aus der Investitionsblase, meistens unter im Nachhinein bekundetem 56 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Investitionen in die reale Wirtschaft – eine eingrenzende Vorentscheidung«.
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medialen Getöse und unter Befragung derselben Analysten, heraus muss. Die Realwirtschaft, die produzierende Industrie, ist diesen Mechanismen vielfach mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Verbunden mit der dünnen Luft von wenigen Anbietern und dem einander Belauern kann die Rendite extrem schwanken und zu Sachzwängen in der Investitionspolitik des Unternehmens führen. Entscheidungen können dann schwer aus dem Unternehmen heraus getroffen werden. Und mit dem Investitionsrückstau, verbunden mit einer erhöhten Ausschüttungspolitik, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass es zu einer Unternehmenskrise beziehungsweise der Übernahme kommt. Der Stellenwert des Kapitals
Motive von Partnern und Financiers sind beinahe so vielfältig wie die Vorstellung verschiedener Renditen. Beispielsweise kann eine ursprünglich gemeinsam mit einem Partner durchgeführte Investition letztendlich zu einer – die Machtverhältnisse betreffend – völlig anderen Unternehmenskonstellation führen. Ein gemeinsam initiiertes Projekt führt durch Umsetzungsschwierigkeiten zu verspäteten Rückzahlungen und schwächt damit einen Partner, während der andere diese Situation als willkommene Gelegenheit erkennt, um eine bessere Markt- und damit Machtposition zu erlangen. Insofern stellt bei Investitionsentscheidungen das In-Einklang-Bringen der Renditevorstellungen eine wesentliche Voraussetzung für den Schutz der Entscheidungskompetenz dar. Wenn geduldige Investoren mit ungeduldigen gemeinsam ein Projekt umsetzen, muss die Fristigkeit von Auszahlungen und die Risikoposition beim Einstieg in die Umsetzung fixiert werden. Unterschiedliche Ausgangssituationen in der Verfügbarkeit von einzusetzendem Kapital machen eine Übereinstimmung – wie im Krisenfall vorzugehen ist – schwierig. Im Falle des drohenden Scheiterns werden jene Teilnehmer, die bereits alles eingesetzt haben, stärker am Projekt festhalten als jene, die noch finanziellen Spielraum haben. Diese Situationen führen zu unterschiedlichen Risikoeinschätzungen (gespielt und echt). Im Moment, in dem die Schicksalsgemeinschaft zerbricht, ist das Projekt der Verwertung durch neues Kapital ausgeliefert. Es macht also einen wesentlichen Unterschied, ob das Unternehmen (gut) läuft oder ob Schwierigkeiten erkennbar sind. Ich will damit sagen, dass die statischen Ansätze von Aktiven, Passiven und die Relation zum Ertrag, also zur Rendite, mit einem Federstrich verändert (verschlechtert) wird, wenn eine Krise publik wird. An diesen Gedanken ist zu erkennen, dass Unternehmen nur als funktionierende, lebende Organisationen bewertet werden. Nur solange dieser Zustand (genannt »going concern«) anhält oder glaubwürdig gegenüber Kunden, Lieferanten, Financiers und Mitarbeitern aufrechterhalten werden kann, sind die veröffentlichten Zahlen aussagekräftig. Die Zahlen 149
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ändern sich von einem Augenblick auf den anderen, wenn durch eine Liquiditätskrise das Ende des Unternehmens besiegelt wird. Der Verwertungserlös ist in der Regel wesentlich niedriger als die Vermögensansätze in der Bilanz eines Unternehmens. Mit der Aufgabe des going concern-Prinzips verschlechtert sich also die Situation augenblicklich, auch wenn noch nichts passiert ist. Damit soll auf (zwar nicht tolerierbare, jedoch) menschlich verständliche Verzögerungen bei der Bearbeitung einer Unternehmenskrise hingewiesen werden. Und festgehalten werden, dass lediglich der Gedanke an die Einstellung der unternehmerischen Handlungen bereits alle Wertansätze und alle Renditevorstellungen wesentlich verschlechtert. Die Rendite ist also völlig abhängig vom Gedanken und von der Einschätzung über die Unternehmenszukunft. Das kann auch ganz gut an strategischen Fehlentscheidungen im Computergeschäft oder beispielsweise im Musikgeschäft nachvollzogen werden.
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Risikokapital und Internationalisierung »We don’t like their sound. Groups with guitars are on the way out.« 57 Europa als Profiteur der Internationalisierung
Die Internationalisierung hat eine mehrhundertjährige Geschichte und Europa war bisher immer der Gewinner dabei. Sie wurde meist unter dem Blickpunkt der Kolonialisierung und Eroberung betrachtet. Diese Betrachtungsweise überdeckte durch ihre hohe emotionale Besetzung die ökonomischen Vorteile der Internationalisierung, losgelöst von territorialen Eroberungen. Diese sind jedoch bleibende Ursache unseres unermesslichen Reichtums, der uns auch nach dem politischen Rückzug aus den Kolonien verblieben ist. Sie sind neben der technischen industriellen Revolution mit ein Grund für den Durchbruch des Kapitalismus. Ohne Internationalisierung der letzten vier bis fünf Jahrhunderte gäbe es keine Globalisierung wie wir sie heute verstehen. Die Geschichte des Kristof Kolumbus und die Geschichte der Bagdadbahn sind nur zwei Beispiele, bei denen die Themen Kolonialismus, Imperialismus und Ausbeutung die kapitalistische Dimension dieser Internationalisierungsinvestitionen und somit die ersten Globalisierungsschritte zudeckten. Die Wirtschaftsentwicklung Europas hat durch diese und ähnliche Projekte einen enormen Aufschwung genommen. Die Investitionsgüterindustrie, aber auch die Finanzwirtschaft haben von diesen Internationalisierungsschritten nachhaltig profitiert. Das herausragende Image der deutschen Industrie wurde durch solche und ähnliche Aktivitäten begründet. Diese auf die europäische Wirtschaft stimulierende Wirkung überlebte die Kolonialzeit, sie leistete einen Beitrag zum Kapitalstock der europäischen Staaten. Damit konnten weitere Internationalisierungswellen finanziert werden. Über die mobilen Finanzströme konnten durch Internationalisierungsinvestitionen weitere Vermögenswerte erworben werden. Nur wenn Risikokapital im Spiel ist, führt die Kombination aus finanzieller Risikobereitschaft und produktionsorientierter (realer) Form der Internationalisierung zu jenem Erfolgsmodell, wie wir es unter Hinweis auf die beiden Geschichten (siehe unten zu Kolumbus und Bagdadbahn) schon lange kennen und doch in vollem Ausmaß erst in den letzten Jahrzehnten erkannt haben. Erst seit sich die Internationalisierung durch Optimierung von Produktionskosten auch, aber nicht nur gegen Europa richtet, gibt es plötzlich Kritik an ihr. Diese Kritik firmiert unter Globalisierungskritik.
57 Begründung des Tonträgerlabels DECCA bei der Vertragsauflösung mit den »Beatles« 1962.
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Die vorliegenden Überlegungen und die historischen Beispiele zeigen auf, dass es sich bei der Befassung mit Investitionsentscheidungen um umfassendere Überlegungen handeln muss, als lediglich die Kapitalwertmethode anzuwenden und die Entscheidung zu treffen oder die Investition zu unterlassen. Die ökonomische Theorie, aber auch die Betriebswirtschaft macht keinen Unterschied zwischen einer Investition und einer Internationalisierungsinvestition. Es gibt aber einen, wie die folgenden historischen Beispiele zeigen. Sultan Abdul Hamid II. wollte nach diversen Kriegen und dem Staatsbankrott von 1875 dem sich im Niedergang befindlichen Osmanischen Reich ein starkes Rückgrat geben – und seine Truppen per Bahn verschieben können. Er gab den Investoren eine Kilometergarantie, für die er Steuereinnahmen verpfändete. Die ab 1870 errichteten Teilstrecken wuchsen bald zu einem lukrativen Schienenweg zusammen. Seit 1889 verkehrte auch der Orientexpress – so rückte Südanatolien vor die Haustüren von Paris.58 Das Investitionsprojekt Bagdadbahn ist aus mehreren Gründen ein gutes Beispiel für die damals völlig neuartigen Investitionsmotive des Deutschen Kaiserreiches. Die Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie und somit wirtschaftliche Aspekte waren der Antrieb und nicht wie bis dahin üblich Herrschaftsansprüche und Kolonialisierung. Internationalisierung sollte der Stimulierung der Inlandsnachfrage dienen. Wirtschaftpolitische Zielsetzungen durch Internationalisierung haben sich erst seit dieser Zeit etabliert. Damals und unter dem Eindruck von Kolonialisierung und Missionierung waren solche Investitionsmotive somit völlig unglaubwürdig. Auch eine Investitionsethik, die heute, ehrlich gemeint oder nur aus Gründen des wirtschaftspolitischen Marketings, mit Nachhaltigkeitsaspekten oder csr argumentiert wird, gab es nicht. Mit privaten Investoren (Banken und Industrieunternehmen) und mit Staatsgarantien wollte man also ein wirtschaftlich interessantes Projekt umsetzen. Tatsächlich kamen die allermeisten Investitionsgüter aus Deutschland. An diese heute beispielsweise bei Wirtschaftsdelegationen von Politikern und Unternehmern üblicherweise kommunizierten Motive glaubte damals niemand. Und als dann mit Eintritt des Osmanischen Reiches auf Seite der Deutschen die ursprünglichen Intentionen zugedeckt wurden und aus dem wirtschaftlich intendierten Projekt ein militärstrategisches Vorhaben wurde, hatten all jene Recht, die einer damals neuen Internationalisierungsstrategie keinen Glauben schenkten. Die Bagdadbahn war im Ersten Weltkrieg Ziel vieler Anschläge 58 M. Pohl, Von Stambul nach Bagdad – Die Geschichte einer berühmten Eisenbahn, 1999; http://www.preussen.de/.../fortsetzung.html;jsessionid=01E7C1B8E3F170D01F3256B786 F04A76-31k (6. 8. 2008)
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durch die Engländer, da sie durch den Krieg plötzlich strategische Bedeutung für die Länder Europas erlangt hatte. Diese Geschichte soll auch dazu dienen, zu illustrieren, dass einem neuen Unternehmen in einer wenig bekannten Region auch heute Ressentiments begegnen könnten. Die Ressentiments können historische, kulturelle, religiöse Ursachen haben, aber auch Konflikte, die im Umgang mit dem anderen Geschlecht, in Hierarchie- beziehungsweise Obrigkeitsdenken liegen oder in einer starken Reserviertheit gegenüber allen Fremden. Das kann wirtschaftlich zu erheblichen Schwierigkeiten führen, insbesondere wenn diese Vorbehalte nicht offen ausgesprochen werden. Das kmu hat zudem nicht die Macht, nicht die Lobby und nicht die Mittel, wie sie große Unternehmen für Internationalisierungsprojekte verwenden. Wie unterschiedlich wird Unsicherheit beurteilt?
»Getrieben von der Idee, Indien auf dem Westweg über den Ozean zu erreichen, bittet der italienische Seefahrer Kristof Kolumbus 1482 Portugal um die finanzielle Unterstützung dieses Vorhabens. Nachdem jedoch die Finanzierung seiner Idee abgelehnt wird, geht Kolumbus 1484 nach Spanien und kann acht Jahre später mit der spanischen Königin Isabella von Kastilien einen entsprechenden Vertrag schließen. Durch diesen Vertrag sichert sich Kolumbus das Recht auf den erblichen Adelstitel sowie ein Zehntel von allen Edelmetallen, Edelsteinen und Gewürzen, die auf dem neuen Territorium zu finden sein würden. Der Rest der Erträge sowie die gesamten territorialen Ansprüche gehen an das spanische Königshaus. Die gesamten Investitionskosten des Vorhabens belaufen sich auf schätzungsweise 2 Millionen Maravedis, welche vom Königspaar bereitgestellt werden. Kolumbus selbst wird verpflichtet, die anfallenden Kosten für Ausrüstung und Ladung der Schiffe zu tragen. Drei Monate nach Abreise aus Spanien betritt Kolumbus am 12. Oktober 1492 auf der Insel San Salvador neues Territorium. Der Rechenschaftsbericht, den Kolumbus im Anschluss an seine Rückkehr an den Schatzmeister des spanischen Königspaares sendet, dürfte allerdings alles andere als von einer positiven Rentabilität der Entdeckungsreise zeugen. Eines der Schiffe erlitt Schiffbruch, und bis auf ein paar geringe Mengen an Gold wurde nur neues Wissen zurück nach Spanien gebracht. Was waren dann die (ökonomischen) Beweggründe, eine solche Expedition zu finanzieren? Obwohl Isabella von Kastilien das Risiko trug, eine Reise finanziert zu haben, deren Ausgang sehr ungewiss war und mit der Entdeckung unfruchtbaren Bodens oder dem Verlust des gesamten Expeditionskorps enden konnte, erkannte sie – im Gegensatz zum portugiesischem König – das damit verbundene Optionsrecht auf Erträge durch weitere Expeditionen. Diese Weitsicht Isabellas kann an dieser Stelle nur unterstellt werden. Gleichwohl verdeutlicht 153
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dieses Beispiel, dass der eigentliche Wert vieler Investitionsvorhaben vielfach durch die im Anschluss möglichen zukünftigen Gestaltungsspielräume bestimmt wird. Ein Aspekt, der bei der Quantifizierung von Investitionsvorhaben bisher verloren ging.« 59 Die Herrschaftshäuser, und wenn sie selbst nicht vermögend genug waren, finanziert durch Banken, waren somit die ersten Risikokapitalgeber und setzten den Prozess der Internationalisierung und Globalisierung in Gang. Diese Betrachtungsweise wird durch die Kolonialisierungsfolgen und die dementsprechend kritischen Diskussionen beherrscht. Der Ausbruch aus dem eigenen Wirtschafts- und Herrschaftsfeld, der durch die Erkundung neuer Territorien erfolgt, kann aber auch als Investitionsschritt gesehen werden und wird heute aus unserer westlichen Sicht nicht mehr als Eroberungsschritt gesehen. Diese Risikoinvestitionen sind in Verhältnis zu vorhandenen Finanz- und Kapitalressourcen in kmu zu sehen. Die kmu müssen sich ihre eigene Risikokapitalkasse anlegen oder sich bei Risikokapitalgebern bedienen. Und nur die Kombination von vergleichsweise wenig Risikokapital und viel Know-how kann zum Erfolg führen. Die aus dem laufenden Geschäft akkumulierten Finanzressourcen von kmu sollen nicht vollständig für Internationalisierungsinvestitionen hergenommen werden, sie müssen für ungeplante Ereignisse herhalten. Es ist also zu trennen und zu entscheiden. Und für Entscheidungen ist der Transparenz der Motivlagen ebenso viel Aufmerksamkeit zu schenken wie jener der Unsicherheitsaspekte, die neue Möglichkeiten eröffnen, die eigene Kompetenz in Erfolge umzusetzen. Staatliches und privates Risikokapital oder eine Kombination aus beiden ist in vielfacher Weise und zu jeder Zeit für Internationalisierungsprojekte vorhanden.60 Die Nutzbarmachung dieses überdurchschnittliche Chancen finanzierenden Kapitals erfordert ein eigenes Know-how. Das kmu sollte es, wenn es sich auf derartige Partnerschaften einlässt, zukaufen. Es ist so viel Wissen erforderlich, dass letztendlich entschieden werden kann und die unternehmerische Kompetenz nicht dem Sachzwang geopfert werden muss. Doch zur Entscheidung gehört es auch, Fähigkeiten für die Gestaltung der unternehmerischen Zukunft zu entwickeln – also Visionen zu haben und mit folgender Frage die unbestimmte Zukunft ins Jetzt holen: Wie ist es denn, damit es für uns alle gut ist? 61
59 M. Gilroy, E. Lukas, Optionen der Internationalisierung. Motive ausländischer Direktinvestitionen in einem neuen Licht, Forschungs-Forum Paderborn, 7/2004, S. 7, www.uni-paderborn.de/ffp/ffp2004.pdf (25. 2. 2007) 60 Für staatliches Risikokapital siehe Garantien des Ost-West-Fonds bei der Austria Wirtschaftsservice GmbH. 61 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Sinn und Sinngebung«.
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Visionsentwicklungsprozess und Visionsinhalt »Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.« 62 Dieses Motto wird sehr oft zitiert, wenn man eine bildhafte Beschreibung für den Begriff Vision braucht – und es wird von vielen Unternehmen verwendet. Eine Vision »kann unglaublich starke Kräfte mobilisieren, alle Beteiligten hinter einem Ziel versammeln und das Unternehmen nach außen hin abgrenzen«.63 Was mit Vision gemeint sein kann, soll im Folgenden geschärft werden, und zwar weil der Begriff in Interviews immer wieder gebracht wird, ohne dass auf seine Bedeutung und auf seine Widersprüchlichkeit eingegangen wird. Hier wird ausgeführt, was gebraucht wird, wenn ein Unternehmen durch Vision(en) seine eigene Entwicklung unterstützen möchte. Beschreibungen des Unternehmensalltags lauten im Vergleich zu Visionen völlig anders. Sie stellen auf die Existenzberechtigung des Unternehmens ab. Zweckorientiertes unternehmerisches Handelns ist es, für seine Produkte und Dienstleistungen rechtzeitig höhere Einzahlungen zu erhalten, als dann Auszahlungen zu gewähren – so oder ähnlich lautet die auf die operativen finanziellen Aktivitäten reduzierte Formel, sie wird auch als Leitdifferenz bezeichnet. Visionen und Unternehmensalltag – dieses Begriffspaar harmoniert vordergründig nicht miteinander. Doch die Vision soll den Alltag stützen, wenn sie auch immer wieder durch die Alltagsprobleme eines Unternehmens zugedeckt wird und die operativen Tätigkeiten naturgemäß im Vordergrund stehen. Deshalb ist ihre Tragfähigkeit in größeren Abständen zu überprüfen. Was ist eine Vision und welche Funktion hat sie?
Zuerst ist die Bedeutung des Begriffes in Zusammenhang mit dem, was er leisten soll und kann, zu schärfen. Denn der Visionsbegriff ist auch mit negativen Wertungen besetzt. Visionen wurden schon mit Kranksein in Verbindung gebracht 64 oder sie werden im Zusammenhang mit emotionalem Aufheizen von kollektiven Gefühlen genannt.65 Es ist äußerst problematisch, wenn negative Wortbesetz62 Antoine de Saint-Exupéry (1900 – 1944), französischer Flieger und Schriftsteller; http://www.zeiss.de/ c12567a10053133c/Contents-Frame/51b282899026f 635c1256c1b 00357cb6 (6. 8. 2008) 63 R. Nagel, R. Wimmer, osb international, Systemische Strategieentwicklung, Stuttgart 2006, S. 38 64 Der Spruch »Wer Visionen hat, braucht einen Arzt« wird dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Franz Vranitzky zugeschrieben.
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ungen, aber auch Methoden in ein Unternehmen hineingetragen werden, um Manipulationszwecken zu dienen, für »Hierarchie und Herrschaftsspiel(e)« beziehungsweise »Kollektivierungsritual(e)«.66 Dieser Visionsbegriff ist nicht gemeint. Eine weitere Überfrachtung des Begriffs liegt vor, wenn von vornherein beabsichtigt wird, die Unternehmensvision in Strategie- und Imagebroschüren aufzunehmen. Dadurch findet oft eine Verwechslung von Vision und Mission – mit der Business Mission – statt. Das folgende Beispiel soll den Unterschied erklärbar machen. Der Kärntner Wirtschaftsförderungsfonds hat als seine Vision »Freude, Vertrauen und Stärke« erarbeitet. Als öffentliche Institution, die als Dienstleister für die Unternehmens- und Wirtschaftsentwicklung einer Region fungiert, steht aus Sicht der zu fördernden Unternehmen die Vergabe von Geld im Vordergrund. In Bezug auf diese Mittelvergabe muss die Institution Antworten für einen Weg zwischen den Ansprüchen und dem vorhandenen Budget finden und diese Antworten müssen in Einklang mit dem gesetzlichen Auftrag sein. Die Vision unterstützt die Organisation somit bei der Suche nach Antworten auf die an sie gestellten Aufgaben. Die Unternehmensmission hingegen lautet: »Mit Begeisterung und Kompetenz Menschen und Unternehmen in ihrer Entwicklung begleiten und stärken.« 67 Visionsentwicklung braucht Organisation. Ihre Präzisierung oder ihre Überprüfung soll idealerweise in einem vom Unternehmensalltag losgekoppelten Umfeld stattfinden. Das Führungsteam soll eine Klausur mit Beratern vereinbaren, diese weisen Kompetenzen in Fragen der Organisationsentwicklung, Supervision oder im Coaching auf. Mit einem professionell begleiteten Entwicklungsprozess hält man leichter Distanz zum unternehmerischen Alltag. Peter Heintel macht beim Thema Vision auf die Unterscheidung in organisatorische und inhaltliche Zugänge aufmerksam und unterstreicht damit die doppelte Funktion: »An dieser Stelle gewinnt, was mit ›Vision‹ gemeint sein kann, zentrale Bedeutung: Visionen vermitteln nämlich einerseits Bilder, Vorstellungen, Ahnungen von möglichen Zielen, andererseits wird in ihnen kollektive Selbstreflexion organisiert.« 68 Dieses Hinschauen auf den Begriff von zwei Seiten ist für seine Beschreibung und Bearbeitung wesentlich. Die doppelte Bedeutung der Vision ergibt sich durch die Bündelung von Energie und Motivation für 65 Der Begriff Prediger hat viele Bedeutungen. Predigten können manipulierenden Inhalt und eine manipulierende Vortragsweise haben. 66 Vgl. E. Krainz, Vision. Eine archaische Denkfigur im Management, in: Hernsteiner, Fachzeitschrift für Managemententwicklung, Nr. 4, 99, S. 30 – 34 67 http://www.kwf.at/de/service/KWF_UB_02.www.pdf (6. 8. 2008), S. 6 68 P. Heintel, »Vision« und Selbstorganisation, in: U. Sollman, R. Heinze (Hrsg.), Visionsmanagement. Erfolg als voraus gedachtes Ergebnis, Zürich 1993, S. 124
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einen erstrebenswerten und mit großer Anstrengung erreichbaren oder eben nicht endgültig erreichbaren Zustand – einen Leitstern.69 Und das ist ihre Funktion.In Bezug auf Internationalisierung von kmu sind folgende Fragestellungen interessant: Ist Internationalisierung mit unserer Unternehmensvision vereinbar? Findet Internationalisierung ihren Platz innerhalb unserer Vision? (Das ist nicht formuliertechnisch gemeint!) Unterstützt uns unsere Vision bei der Beherrschung der durch die Internationalisierung zu erwartenden erhöhten Komplexität? Sind wir strategisch, strukturell und kulturell so organisiert, dass wir mit unserer Investition in einer für uns wenig bekannten Region anpassungsfähig sind? Dont’s (oder Sackgassen)
»Aufgesetzte« Visionen, also solche, die mit dem Unternehmen im übertragenen Sinn gar nichts zu tun haben, auch nicht mit viel Phantasie zu ihm in Verbindung zu bringen sind, können ihren Zweck nicht erfüllen. Ebenso wenig solche, die Kleinmütigkeit oder Erbsenzählerei zum Inhalt haben. Auch eine verklärende Geschichte, die von einer visionären Eingebung des Gründers handelt, oder Ähnliches wird der Aufgabe, die eine Vision für das Unternehmen haben sollte, nicht gerecht. Sie wäre zu wenig zukunftsorientiert. Die erhöhte Komplexität, mit welcher im Rahmen eines Internationalisierungsprojekts gerechnet werden muss, ergibt sich schon allein dadurch, dass durch die Parallelität von Prozessen und Entscheidungen nicht alle an der Umsetzung Beteiligten immer und überall dabei sein können. Das Unternehmen kann in einer solchen Situation mit Laissez-faire, also dem freien Spiel der Kräfte, ebenso wenig anfangen wie mit einer überbordenden Determiniertheit und Hierarchisierung der Entscheidungen und der Umsetzungsschritte. Die Ausrichtung wiederum »kann aber nicht ›von außen‹ verfügt und gesetzt werden, sie muss einem eigenen »kollektiven Akt« entspringen«.70 Einstieg
Wie bereits eingangs erwähnt, soll, wenn es eine bereits bestehende Unternehmensvision gibt, diese im Rahmen einer Klausur dahingehend überprüft werden, ob sie auch den Internationalisierungsschritt des Unternehmens stützt. Unabdingbar ist, dass bei solchen Klausuren die Entscheidungsträger dabei sein müssen. Ein Visionsentwicklungsprozess stellt für die Führungskräfte eine 69 Vgl. F. Glasl, M. Weiss, Von der Vision zur Aktion, in: F. Glasl, T. Kalcher, H. Piber (Hrsg.), Professionelle Prozessberatung, Bern/Stuttgart/Wien 2005, S. 172ff 70 P. Heintel, »Vision« und Selbstorganisation, 1993 S. 121f
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Möglichkeit zur Selbstaufklärung dar und kann dadurch auch deren Kompetenz und damit ihre Akzeptanz im Unternehmen steigern. »Selbstreflexion ist Voraussetzung der Selbstbestimmung, so wie die Reflexion der Naturgesetze Voraussetzung für die Technik ist. Diese Selbstreflexion kann aber nicht alleine die eines Individuums sein, sondern sie ist eine des sozialen Systems, das heißt zunächst der Gruppe, später der Organisation.« 71 Erst in der Organisation kommt die enorme Bedeutung der Selbstreflexion zum Tragen. Die Internationalisierungsüberprüfung der Vision kann nicht nur durch Analyse und Beurteilung nach rationalen Maßstäben, beispielsweise Prospektfähigkeit oder Geläufigkeit in vielen Sprachen, erfolgen. Eher könnte das Motto »Aufbruch« heißen. Eine Frage könnte sein: Wie wäre es, wenn wir mit unserer derzeitigen Vision nicht mehr nur ein regional verankertes Unternehmen sind, sondern einen neuen Standort dazubekommen? Sind wir begeistert von der weiteren Entwicklung? Trägt uns die Begeisterung durch die Widersprüche durch, um die langfristige Existenzberechtigung unseres Unternehmens vor den kurzfristigen Erfolg stellen zu können? Organisation des Visionsentwicklungsprozesses
Visionsentwicklungsprozesse können eine zähe Übung sein. Denn »der Vermeidung, ja Bekämpfung von Ratio, Analytik etc. kommt natürlich ein unaufhebbares Phänomen entgegen, das meines Erachtens falsche Hoffnungen mit Visionen verbindet.« 72»Es ist die schon angesprochene Komplexität, Unübersichtlichkeit, die von immer stärkeren Ohnmachtgefühlen begleitet wird.« 73 Trotzdem sollte auch ein schwieriger Visionsentwicklungsprozess nicht erfolglos sein. Die Überprüfung des bisher Erarbeiteten auf Stimmigkeit und die Klärung von Barrieren gegenüber den Begriffen, die im Zusammenhang mit der Vision vorgeschlagen wurden, dienen einer ersten Reflexion. Die Worte, die in den unternehmerischen Visionen ihren Niederschlag finden, haben meistens einen hohen Wert in unserer Gesellschaft und sind deshalb von Werbung, Marketing und der Politik strapaziert.74 Diese Worte repräsentieren in sich selbst Widersprüche, weshalb viele Menschen ein zwiespältiges Gefühl zu ihnen haben. Einerseits wiegt ihre Bedeutung schwer, andererseits wurden sie oft missbraucht und sind dadurch ramponiert. Eine Vision wirkt jedoch dann positiv, wenn zwischen den Menschen, die die Vision erarbeitet haben, und den Begriffen eine Bindung 71 G. Schwarz, Was Jesus wirklich sagte, Wien 2007, S. 194 72, 73 Heintel, »Vision«, S. 141 74 Dazu eine Anmerkung: Man denke dabei an Wörter, die propagandistisch verwendet wurden wie zum Beispiel »Führer« – sie wurden dadurch zu »Unwörtern«.
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besteht. Somit ist die Vision auch in Bezug auf den oder die Ersteller der Vision und deren persönliches Umfeld zu sehen. Man kann ihr erst in diesem Kontext die eigentliche Bedeutung zumessen. So sollte im Rahmen einer Rückkoppelung an die Teilnehmer, die am Visionsentwicklungsprozess beteiligt waren, abgefragt und festgehalten werden, was sie mit den einzelnen Worten, Wortgruppen oder der formulierten Vision in Verbindung bringen.75 Dabei ist zu beachten, dass dieses Festhalten nur ein auf den Zeitpunkt bezogenes ist. Peter Heintel spricht davon, dass es keine »ontologische Wahrheit« über den Zustand oder das Sein ist, sondern »Prozesswahrheit« und damit eine Art »flüchtige Wahrheit«.76 Ein nächster Schritt in der Abschätzung der Wirkung der Vision ist die Abklärung und gegebenenfalls die Ergänzung der Vision in einem gut durchmischten Teilnehmerkreis von Führungskräften und Mitarbeitern. Ein komplementär aufgestelltes Team mit prozessorientierten Experten, Projektmitarbeitern, Managern und Quereinsteigern ist eine Voraussetzung, um nicht sofort zu operativen Themen kurzgeschlossen zu werden. Wenn auch in dieser Gruppierung Akzeptanz für die Vision gegeben ist, kann man davon ausgehen, dass die Vision zum Unternehmen passt. Dann kann die Vision und der Visionsentwicklungsprozess an alle mit dem Unternehmen verbundenen Menschen kommuniziert werden. Die praktische Reihenfolge dafür: 1. Der ursprüngliche Weg des Unternehmens zur Alleinstellung wurde durch die erfolgreich durchgesetzte Geschäftsidee in Gang gesetzt. 2. Es wurde ein Visionsentwicklungsprozess gestartet und im Führungsteam erfolgreich abgeschlossen. 3. Die dort formulierte Vision lautet: »…« 4. Was passiert nun mit der Vision, wie wird sie verankert? Durch Ergänzung der praktischen Vorgänge und Rückkoppelungen mit den dazu gehörenden Geschichten passiert häufig noch etwas, was auf eine tragfähige Vision hinweist beziehungsweise ihre Tragfähigkeit unterstützt: Sie vermittelt ein gewisses Maß an Intimität. Jene, die sie erarbeitet haben, tun sich zuerst schwer mit dem Gedanken, sie zu publizieren und für Außenauftritte des 75 Siehe auch meine Ausführungen in Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft« und das dort mehrmals zit. Skriptum von P. Heintel, L. Krainer, I. Paul-Horn (Hrsg.), Zur Grundaxiomatik der Interventionsforschung. Präambeln für eine andere Wissenschaft. Klagenfurt 2005, wo angeregt wird, dass man sich auf einer reflexiven Metaebene auch zu den Inhalten treffen kann; S. 133 76 Vgl. Heintel, »Vision«, S. 141
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Unternehmens zur Verfügung zu stellen. Doch die volle Wirkung erlangt die Vision, wenn sie von den Erstellern direkt kommuniziert, in den verschiedenen Abteilungen einer (Selbst-)Reflexion unterzogen und in weiterer Folge in die Geschäftberichte des Unternehmens aufgenommen wird. Eine weitere Möglichkeit, die Vision auf Gehalt und Stabilität zu überprüfen, kann sich sehr gut durch die Ausarbeitung von grundsätzlichen Zielen und operativen Maßnahmen ergeben. Eine Vision, die in stimmiger Atmosphäre entwikkelt, mit Begeisterung verdichtet und formuliert wird, kann die Energie für spätere Entscheidungen erzeugen. Die Vision als Leitmotiv für einen in eine Richtung gehenden Prozess wäre also der richtige Zugang. Und darauf kann das operative Geschäft aufbauen. Die mit dem Tagesgeschäft zusammenhängenden Aktivitäten bedeuten zunächst die Formulierung qualitativer und danach quantitativer Zielsetzungen. Spätestens dann bemerkt man, ob die Vision die Organisation stützt und somit – derzeit – passt. Die Unternehmensvision ist hierarchisch ganz oben angesiedelt. Sie versucht den Geist (Spiritualität),77 der die Existenz des Unternehmens begründet, einzufangen und macht – wie gesagt – den Spannungsbogen zum Unternehmenszweck auf. Dies ist durch die Frage »Warum existieren wir als Unternehmen?« am besten verständlich zu machen. Meistens denken wir bei unternehmerischer Entwicklung an die Möglichkeit, etwas zu schaffen, und landen sehr schnell bei der Umsetzung vom immateriellen [?] 78 Gedanken hin zum materiellen [?] Produkt. Das Unternehmerische kann also nur im Menschen selbst verankert sein. Da »das Bedürfnis nach Exploration, nach Neugier, nach Sensation [...] die Differenz zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit also im Einzelnen selber angelegt ist, findet sich die dualistische Ontologie gewiss in jedem Einzelnen wieder«.79 Wenn über etwas Neues im unternehmerischen Zusammenhang nachgedacht wird, treibt dieses Nachdenken uns automatisch, je nach unserer fachlichen Ausrichtung, in die technische, wirtschaftliche oder organisatorische Umsetzungsrichtung. So vordergründig hinderlich diese Gedanken für den Visionsprozess sind, bei genauerem Hinsehen sind gerade sie die verbindenden Elemente.
77 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Spiritualität (oder von Gott und der Welt)«. 78 Die Fragezeichen sollen die Unmöglichkeiten in der Zuordnung zu Materialität und Immateriellem andeuten. 79 P. Gross, Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt/M 1994, S. 348
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Bedingungen für den Abschluss des Prozesses
Natürlich gibt es zum Thema Vision überfrachtete Erwartungshaltungen. Wenn nichts mehr hilft, wenn das Unternehmen nicht erfolgreich ist, vielleicht nützt ein Visionsprozess? Das kann gut gehen oder auch nicht. Hier muss im Einzelfall die Ursache der Krise – meistens sind es mehrere – herausgefunden werden. Mit einem Visionsprozess zu beginnen, wenn es im Geschäftsalltag sehr viele Probleme gibt, kann dazu führen, dass sich die Teilnehmer nicht verstanden fühlen und sich deshalb auch nicht darauf einlassen können. Das heißt, es ist an den Voraussetzungen zu arbeiten. Ein weiteres Problem ist, dass Visionsprozesse, weil man im Unternehmen damit keine Erfahrung hat, als beratungsintensiv gesehen werden. Man kann sie aber nicht auslagern oder zukaufen. Zukaufen kann man Analyse- und Prozessunterstützung. Es gibt ein breites Beratungsangebot dafür, aus dem man sorgfältig auswählen muss. Man soll nicht allen Beratungsmoden nachjagen. Was die externen Experten auszeichnen soll, ist Prozess- und Begleitungskompetenz. Visionsprozesse können andere Themen der Steuerung von Unternehmen nicht ersetzen. Und so wie die Vision durch den Unternehmensalltag überlagert wird, entsteht nach einem Visionsprozess der Eindruck, dass die Vision alles andere überlagert. Die Entscheidung für einen Visionsprozess ist eine bewusste, weil damit ein Sinn stiftender Unternehmenszweck als ausgerichtete Energie und damit mit einer anderen Gewichtung als der ausschließlich wirtschaftlich orientierten herausgearbeitet werden kann. Mit der Funktion der Vision und dem Prozess ihrer Erstellung ist auch die Erwartungshaltung festzulegen. Diese könnte sein: In der Vision soll jener Rahmen enthalten sein, der Widersprüche umfasst und dadurch Entscheidungen unterstützt. Die Unternehmensvision soll, gerade im Hinblick auf die bevorstehende oder stattfindende Internationalisierung, die Fähigkeiten für Widerspruchsmanagement in der Dialektik von Hierarchie und Selbstverantwortung umfassen. Die Vision hat etwas mit jenem Grundkonsens zu tun, welcher die Aufmerksamkeit der Organisation in eine gemeinsame Richtung abbildet. Doch diese Energie ist nicht nur mit Erfahrungen aus der Vergangenheit verbunden, sondern hat Zukunftsbezogenheit und ist durch diese beiden Pole, die Erfahrungen einerseits und die Zukunftsbezogenheit andererseits, eine Vermittlung zur derzeitigen Positionierung des Unternehmens.
80 Siehe dazu im Kapitel »Entscheidungen« meine Ausführungen im Essay »Spiritualität (oder von Gott und der Welt)«: Den Sinn von Regeln, wenn diese gemeinsam vereinbart und entschieden werden – in Unternehmen, wie in Parlamenten heißt es: verabschiedet werden –, kann man darin erkennen, dass diese Regeln und Gesetze nach der Entstehungsphase dem Menschen überantwortet werden – vgl. Schwarz, Jesus, S. 26
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Zum Visionsprozess gehören auch der Abschluss und die Verabschiedung der Vision. Mit der Verabschiedung der Vision wird so etwas wie ein ursprünglicher Sinn von Gesetzen, ein Handlungsrahmen, der an die Selbstverantwortung erinnert, festgestellt.80 Die prozesshafte und reflexive Entwicklung einer Vision als von Prozessberatern begleiteter Ablauf muss vollständig internalisiert und damit von der Außensteuerung bewusst abgekoppelt werden. Damit wird ihr Inhalt den Auslegungen der Mitarbeiter und Führungskräfte überantwortet und die Vision als Hilfe beziehungsweise Motiv für Entscheidungen im Unternehmen angenommen. Die Freiheit bei Entscheidungen korrespondiert mit der gestiegenen Verantwortung bei jedem Einzelnen. Damit wird eine Möglichkeit geboten, eine Verbindung zwischen individueller und kollektiver Sinngebung in der Ausrichtung herzustellen.81 Als definitiven Abschluss empfehle ich ein Seminar und die Verankerung im Erscheinungsbild (Geschäftsbericht und Imagebroschüre) des Unternehmens, schön wäre auch ein Fest. In der unternehmerischen Praxis wird für den Abschluss von Visionsprozessen oft keine Zeit reserviert. Sie würde das Gefühl vermitteln, etwas im Sinne der Unternehmensentwicklung geleistet zu haben. Vielleicht sehen Manager und Unternehmen aber im Einräumen von Zeit für den Abschluss von Prozessen auch die Gefahr, dass neue Erfordernisse »aufstehen«, beispielsweise dass es Zeit ist für die Überprüfung der Strategie oder Zeit für eine neue Strategie.
81 Vgl. P. Heintel, »Kulturelle Nachhaltigkeit, eine Annäherung«, in: L. Krainer, R. Trattnigg (Hg.), Kulturelle Nachhaltigkeit, Konzepte, Perspektiven, Positionen, oekom, München 2006, S. 91. Ich möchte den Gedanken hier nur anmerken und nicht weiter ausführen: Ein Visionsprozess kann auch ein Prozess für kulturelle Nachhaltigkeit sein, die aus kollektiver Sinngebung entsteht. Dies ist dann der Fall, wenn der Versuch gemacht wird, »allen Arbeiten, Leben und deren ›Produkten‹ einen Zusammenhang zu geben, einen Platz anzuweisen. Und Nachhaltigkeit ergibt sich aus einem gewissen Maß an Zufriedenheit und Genuss. Fehlen diese, gelingt die Sinngebung nicht mehr.«
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Zeit für Strategie82 Wir können nicht immer davon ausgehen, dass die Unternehmer ihr Unternehmen und ihr unternehmerisches Umfeld gut kennen. Vieles funktioniert beinahe von selbst, weil es eingespielt ist und weil das Unternehmen an seinen von außen wahrgenommenen Schnittstellen (Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Financiers) als solider Partner gesehen wird. Trotzdem sollte man sich die Hauptpunkte in Bezug auf die Situation des eigenen Unternehmens vor einer strategischen Entscheidung (was grundsätzlich eine Entscheidung ist, siehe unten) konzentriert zu Gemüte führen. Sie sind nämlich verinnerlicht und damit schwer an die Oberfläche zu bringen, womit erst die Beurteilung der strategischen Schwächen möglich wird. Einen Einblick verschaffen in teilweiser Anlehnung an Michael Porter 83 bereits ungefähre, jedoch ehrliche Einschätzungen zu folgenden Feldern: allgemeine Informationen zur Branche, Branchenstruktur (regional oder global), eigener Anteil am relevanten Markt, strategische Position der wichtigsten Mitbewerber, Wertschöpfung in den einzelnen Abschnitten des Produktionsprogramms beziehungsweise des Dienstleistungsprogramms, Einschätzung der Auswirkungen der wichtigsten Investitionsvorhaben der letzten Jahre, geplante Investitionen. Die Fragen haben nur ein Ziel. Eine Antwort auf die Frage »What business are we in?« 84 Ich habe jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass das Hineindenken in diese Zusammenhänge einen auf neue Gedanken kommen lässt. Zur halbwegs richtigen Einschätzung sind Zeit, Sensibilität und ein zumindest teilweise strukturierter Prozess nötig. Supervision und Coaching können den Prozess unterstützen. Der Kern aller Geschäftsstrategien ist die Fähigkeit, Wertschöpfung zu generieren. Ob aus der Sicht des Kunden, ob auf der Basis optimal eingesetzter Ressourcen oder aus der Sicht des Eigentümers ist demnach beinahe eine Geschmacksfrage. Wirtschaftliche Situation – Betriebswirtschaft
Eine der Voraussetzungen ist, dass die internen Finanzinformationen eine hohe Qualität aufweisen. Diese Qualität sollte Routine sein und nicht erst für Sonderprojekte mit enormen Anstrengungen oder mit kurzfristig unter Vertrag genommenen Beratern erreicht werden. Die meisten kmu sind in Bezug auf Beratungsaufträge ohnehin sehr reserviert, das reicht bis zur völligen Ablehnung.85 Die Finanzinformationen können dann mit der oben angesprochenen strategischen 82 83 84 85
Ich möchte P. Heintel für die Anregung zu dieser Überschrift danken. Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Theorien der Internationaliserung«. Wird P. Drucker zugeschrieben. Vgl. z.B. Interview iii, S. 31, Interview x, S. 117
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Einschätzung verglichen und auf Kompatibilität hin geprüft werden. Ist der Zustand des Unternehmens in Balance von Stabilität und Veränderung? Doppelte Stabilität ist dann gegeben, wenn zu jedem Zeitpunkt von der Zuverlässigkeit der Daten (des letzten Quartals beziehungsweise Wirtschaftsjahres) zur wirtschaftlichen Situation ausgegangen werden kann und die wichtigsten Kennziffern inhaltlich auf stabile Verhältnisse hinweisen. Veränderung oder Dynamik erkennt man an den Bereichen f&e, Alter der Produkte, geplante und getätigte Investitionen. Aus dieser Situation heraus lässt sich anhand der Überlegungen auf den folgenden Seiten ein Vorprojekt zur Internationalisierung skizzieren. Die angesprochenen Informationen über die betriebliche Ausgangssituation gelten sowohl für die vergangenheitsbezogenen Daten, das sind die Jahresabschlüsse, als auch für die kurzfristigen Erfolgsrechnungen und die Plandaten. Strategische Einschätzung – von der wirtschaftlichen zur strategischen (Selbst-)Beurteilung
Die stabile Position ist als bewusster Ausgangspunkt für Veränderungen zu sehen und sie ist zugleich deren größter Verhinderungsfaktor. Die bewusste und klare Einschätzung der strategischen Situation ist der Anknüpfungspunkt für einen gedanklichen Startpunkt, eine Internationalisierungsentscheidung 86 aufzubereiten. Stabilität schafft den Freiraum für den Start. Und die ehrliche Selbstbeurteilung, wo das Unternehmen in seinem Lebenszyklus steht, ist eine wertvolle Information. Expertenmeinungen und Außensichten sind da wertvoll. Mein eigenes praktisches Modell dazu ist die Beurteilung anhand einer Matrix, die das unternehmerische Potenzial mit dem unternehmerischen Risiko vergleicht. Es müssen dabei Kombinationen aus hohem beziehungsweise geringem Risiko mit hohem beziehungsweise geringem Potenzial angeschaut werden. Bei der dynamischen Betrachtung des Modells gelangt man von selbst zu Veränderungen in der Potenzial-Risiko-Kombination und kann darauf die Entscheidungen aufbauen. Ein anderes weit verbreitetes Modell ist das Lebenszyklus-Modell. Meistens werden die Phasen wie folgt abgebildet: Gründung, Wachstum, Konsolidierung, eventuell Stagnation und dann die Verzweigung Niedergang mit Liquidation auf der einen Seite beziehungsweise Erneuerung auf der anderen Seite. Wo sich das Unternehmen in seinem Lebenszyklus befindet, kann anhand folgender und ähnlich lautender Fragenpakete beantwortet werden:
86 Und das, obwohl in der praktischen Umsetzung selten ein Ausgangspunkt feststellbar ist und ein solcher auch in einigen Theorien kritisch gesehen wird, zum Beispiel gibt es Modelle, die die Prä-Export-Phase erklären (siehe meine Ausführungen im Essay »Theorien der Internationalisierung«).
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Renewal
Consolidation VALUE
Growth
Maturity Decline
Establishment Liquidation TIME
Lifecycle of an Organisation, Quelle: www.beehive.govt.nz (01. 01. 2007)
Fragen zu Kunden, Produkten und Organisation
• Welchen Lebenszyklus in Jahren haben unsere Produkte und in welcher Phase befinden sie sich? (Anmerkung zur verbreiteten Falle: geringer Ertrag am Beginn und am Ende des Zyklus). Die Aggregation der Produktlebenszyklen ist eine wesentlich bessere Einschätzungsbasis für die gesamte Unternehmenssituation im Vergleich zur Einschätzung des Gesamtunternehmens anhand der Zahlen – sie erfordert auch mehr Zeit, die gut investiert ist. • Ist unser Kunden-Portfolio ausgewogen und wissen wir, mit welchen Kunden wir Geld verdienen und bei welchen wir Geld verlieren? Entscheidend bei dieser Frage ist die Zusatzfrage, ob kundenbezogene Differenzierungen strategische beziehungsweise taktische Ursachen haben oder ob sie hingenommen werden müssen. Fragen zur Ertragssituation
• Sind unsere Ertragskennziffern kontinuierlich steigend, stabil, sinkend oder weisen sie (un-)geplante Diskontinuitäten auf, wie zum Beispiel beim Projektgeschäft oder saisonal bedingt? • Haben unsere Vertriebsmitarbeiter in den letzten Jahren Einkommenszuwächse oder Einkommensrückgänge zu verzeichnen? Haben wir Mitarbeiter im Vertriebsbereich verloren, weil sie Einkommensrückgänge hinnehmen mussten und weil unsere Produkte nicht mehr so attraktiv waren?
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Die Triebkräfte der Internationalisierung
Fragen zum außen wahrgenommenen Zustand des Unternehmens
• Haben wir einen Investitionsrückstau? Wenn ja, ist es von Vorteil, den Investitionsrückstau in die Kalkulation einzubeziehen und die veränderten Ertragskennziffern für die Beurteilung des Lebenszyklus heranzuziehen. • Welche Position haben wir als Arbeitgeber in unserer Region beziehungsweise im Einzugsgebiet unserer Mitarbeiter? Die Frage des Images als Arbeitgeber ist eine wichtige Vorfrage zu Internationalisierung eines kmu. Die Modelle,87 die hier vorgeschlagen werden, haben eigentlich nur einen einzigen Hintergrund. Sich Zeit für grundsätzliche Fragen zu nehmen, es können dann ganz andere Modelle und andere Fragen zur Beurteilung der strategischen Position angewendet werden. Denn die Strategie eines Unternehmens ist in der Regel eingebettet in die Unternehmenskultur und soll die Unternehmensvision88 mit der Business Mission verbinden. Man kann auch den Spieß umdrehen und formulieren, dass man viele Fragen zur Internationalisierung nur beantworten kann, wenn Vision und Strategie zusammenpassen. Die Strategie wird als der härteste Bereich der unternehmerischen Entscheidungsfindung wahrgenommen. Eine ausformulierte Strategie ist auf ihren Realitätsgehalt zu überprüfen, durchzureflektieren und von allen Seiten kritisch zu hinterfragen. Sie muss also an die Unternehmensvision andocken können und andererseits mit den Orientierungszielen 89 und der daraus abgeleiteten Struktur und den Prozessen im Einklang stehen. Und damit sind in der praktischen Um-setzung gleich mehrere Probleme angesprochen, denn aus dem Mangel an Zeit für Strategie entsteht ein Hinterherhinken der Organisation. Doch wenn man sich die Zeit zu Beginn von Internationalisierungsüberlegungen nimmt, kann dabei Folgendes entstehen: eine Verschränkung von strategischer Ausgangssituation mit der Internationalisierungsstrategie. Die Praxis hat mir gezeigt, dass die Strategiefindung vor allem bei kmu als kaum bearbeitbares Thema gesehen wird. Aus dieser Falle herauszukommen erleichtern einige Vorfragen, die sich zum Thema Internationalisierung für Unternehmen in der Literatur wiederfinden. Es sind dies die Fragen zur Internationalität der Wertschöpfungskette,90 und zwar in Bezug auf die für das Unter87 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Modelle und Wirklichkeiten im Management«. 88 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Visionsentwicklungsprozess und Visionsinhalt«. 89 Die Orientierungsziele weisen auch eine gewisse »Vertikalität« auf. Sie sind selbst zu erstellen. 90 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«.
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nehmen wichtigsten Beziehungen.91 Wie ist die Relation zwischen den globalisierten Unternehmen in Bezug auf alle Unternehmen der Branche? 92 Eine grobe Einschätzung dieser Vorfragen soll das Thema greifbarer machen. Weitere Vorvermutungen zur Sinnhaftigkeit der Internationalisierung betreffen zusätzlich zu den oben gestellten Vorfragen die Rahmenbedingungen, die der Stammsitz für die Internationalisierung bietet. Dazu ein aktuelles Beispiel: Ein Slowenisch sprechender Unternehmer (auch seine Mitarbeiter sprechen überwiegend Slowenisch) wusste aufgrund der Transportkosten, dass er nur im Umkreis von 150 Kilometer gute Erträge erwirtschaften konnte. Erst der Beitritt Sloweniens zur eu ermöglichte es ihm, seinen Radius auch nach Slowenien ziehen, weil erst der Abbau der Zollbarrieren es ihm erlaubte, rentable Projekte umzusetzen und die Sprachkenntnisse seiner Belegschaft zu nutzen. Die eigene Aufmerksamkeit wird erst durch die richtigen Fragen auf jene Länder gelenkt, in denen Sprache, Gesetz, geografische Nähe oder Fortschrittsdifferenz eine Möglichkeit aufmachen, Investitionen oder Projekte umzusetzen. Und mit diesen beiden Alternativen ist es möglich, die Alternativen in der Struktur zu beurteilen – es genügt für den gedanklichen Eintritt in strukturelle Felder, mit wenigen Alternativen zu beginnen. Handeln oder Investieren? Allianz oder Alleingang, kaufen oder bauen und organisieren, Eigentum oder Kooperationen? Nach einer ersten Einschätzung sollten die Entscheidungsträger gedanklich zurück zum Ausgangspunkt. Denn diese Fragen kann man nicht eindeutig beantworten, »wenn man keine klare, gut an die strategische Logik angepasste Vision hat, was die Gründe betrifft, aufgrund derer eine Firma sich internationalisieren will. Diese »internationale« Vision ist für den Erfolg absolut essenziell, wird jedoch häufig vergessen.« 93 Es nützen jedoch alle strategischen Überlegungen nichts, wenn das Bewusstsein nicht sicher ist, ob »wir das so wollen« oder ob uns der Sachzwang dorthin treibt. Umso bedeutender ist die Vision für erstmalige Internationalisierungen – und man kann dafür natürlich die bestehende Vision in Bezug auf eine mögliche Internationalisierungsentscheidung überprüfen. Die Strategie, vor allem eines kmu, muss auch die Interessen und Anliegen 94 von der Planung der einzusetzenden Ressourcen über die Interessen der Shareholder bis hin zu den Ansprüchen der Stakeholder eines Unternehmens zufriedenstellen. Die Internationalisierungsentscheidung ist, wenn es die erste Inter91 So besteht beinahe die Hälfte der internationalen Beziehungen österreichischer Unternehmen aus Beziehungen zu deutschen Unternehmen, 92 Jarillo, Strategische Logik, S. 215f 93 Ebd., S. 215 94 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Es bleibt viel zu entscheiden (Widerspruchsfelder)«.
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nationalisierung eines Unternehmens ist, eine strategische Entscheidung und sie muss in die grundlegenden Ziele des Unternehmens eingebettet sein – nämlich »creating value, handling imitation and shaping a perimeter«.95 Die Fähigkeit, nachhaltig Wert zu generieren, ist das wichtigste Ziel jeder Strategie. Die Internationalisierung muss also an der langfristigen und auch finanzierbaren Wertgenerierung gemessen werden. Es sind in der Beantwortung dieser Frage weitere grundlegende Einschätzungen zu treffen, um nicht häufig genannten strategisch Irrtümern zu unterliegen: Ein reines Wachstumsziel zu haben, ohne die Rentabilität zu betrachten, bedeutet permanent Lehrgeld zu zahlen.96 Und man kann, wenn man neu auf der Bühne ist, auch nicht als Kompensation für das zu zahlende Lehrgeld mit regionalen oder nationalen Loyalitäten der Behörden, der Mitarbeiter und natürlich auch nicht der Kunden rechnen. Was setzen wir also dazu ein? Das ist eigentlich eine rechnerisch zu beantwortende Frage, die sich an den Grundsätzen der Investitionstheorie und der Finanzierung zu orientieren hat. Und vorher ist für nachher auszuhandeln und zu entscheiden, wie diese Wertgenerierung auf Eigentümer, Management und Mitarbeiter verteilt werden soll. Es ist unverständlich, warum die Verteilungsdiskussion oft vergessen wird. Dazu ein Zugang, der natürlich ebenfalls Zeit in Anspruch nimmt. Der einerseits von den einseitigen Grundsätzen des Shareholder-Value-Konzeptes ein Stück wegführt, jedoch andererseits auch nicht in eine gleichmacherische oder gar bedürfnisorientierte Verteilungsdiskussion hineinführt. Dieser Zugang wird durch die Anregung einer Investitionspolitik, welche die inneren Werte eines Unternehmens steigert, eröffnet. Es ist nämlich nicht nur die Investition entscheidend, sondern auch der kommunikative Umgang mit ihr. Damit sind die sonst nur auf der Eigentümerseite stattfindenden Investor Relations, wenn man meinen Ausführungen folgt, etwas breiter angelegt. Denn das weitere Schicksal des kmu interessiert nicht nur die Eigentümer. Der Vorwurf der Belegschaft und der Führungskräfte, aber auch der Hausbank könnte lauten: Jetzt werden unsere hier geschaffenen Vermögenswerte für wirtschaftliche Abenteuer in fremden Ländern riskiert! Und dieser Vorwurf könnte, was noch schlechter wäre, unausgesprochen im Raum stehen. Strategie ist also Kommunikation. Und Kommunikation soll dazu dienen, Klarheit für den Entscheidungsträger zu bringen. Denn die nächste Frage betrifft die unmittelbaren Interessen der Eigentümer, der Financiers, der Mitarbeiter in der Zeitachse: Wie stellen wir Einvernehmen her – bei kurzfristigem Verzicht auf Rentabilität durch eine Investitionsent95 F. Frèry, The Fundamental Dimensions of Strategy, in: mit Sloan Management Review, Fall 2006, Vol. 48, S. 71 96 Vgl. Jarillo, Strategische Logik, S. 211
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scheidung, die jahrelang keine Ausschüttungen ermöglicht, aber die langfristige Entwicklung begünstigen kann? Für eine ausgewogene Strategie muss das Management oder der Eigentümer zwischen den verschiedenen Interessensgruppen verhandeln und diese Dynamik klar formulieren, auch hier ist offene Kommunikation angesagt.97 Denn neben dem einzusetzenden Kapital ist der Internationalisierungsprozess eine aufwendige Arbeitsübung. Sollte sich das Management auf diesen Weg machen, ist von vornherein die Frage zu stellen: Was bedeutet für uns eine gute Rendite? 98 Und im Entscheidungsprozess ist diese auch immer wieder zu stellen. Werden nur Umsätze vergrößert und nicht die Ertragskraft mit beachtet, ist es besser, »zu Hause zu bleiben« 99 Der nächste Punkt bei der Entscheidung zu einer Internationalisierungsinvestition hängt mit der vielleicht zunächst überraschenden Frage zusammen: Wie kann ich vorteilhaft nachahmen? Wer ist mein nächster Mitbewerber? In erster Linie wird hier der Markt betrachtet. Strategie hat mit der Suche zumindest nach einem temporären Vorteil, besser nach einem dauerhaften Vorteil zu tun. Den vorerst temporären Vorteil findet man in der Nachahmung. Sind also jene Prozesse, die unser Alleinstellungsmerkmal definieren, internationalisierungsfähig? Und diese Nachahmung ist neben den Economies of Scales, den sinkenden Stückkosten bei steigender Produktionsmenge, auch die Voraussetzung für Innovationen. Aus der Energie für die Nachahmung eines sehr guten Produktes kann die Energie für dessen Verbesserung entstehen. Als dynamischer Prozess, der so oder ähnlich lautet: »Wenn wir schon dabei sind!« Trotzdem gilt: Wenn das Unternehmen in einen Wettbewerb eintritt, muss es einen temporären Vorteil erkennen. Von der Einschätzung des Ausmaßes des Vorteils, von dessen Halten (Zeitspanne) und dem Ressourceneinsatz sind die weiteren Entscheidungen abhängig. Kein Entscheidungsträger wird ernsthaft über Höhe und Verteilung von generierten Werten diskutieren, wenn das »Wie« nicht plausibel ist. Fragen, wie eine Strategie umzusetzen ist, finden wir im Benchmarking, in der Produktdifferenzierung, in den Kernkompetenzen, den Beschaffungsvorteilen und der Flexibilität.100 Und das beginnt mit der temporären und auf möglichst lange Sicht zu organisierenden wirtschaftlichen Überlegenheit zur Konkurrenz. Das kann in einem begrenzten Markt mit hoher regionaler Loyalität sehr lange gelingen und keinen Störungen unterworfen sein. Bei der Suche nach einem neuen Standort kann man von dieser Loyalität, wie sie am Stammsitz existiert und 97 98 99 100
Vgl. Frèry, Fundamental Dimensions, S. 72 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Achtung Rendite!« Jarillo, Strategische Logik, S. 216 Frèry, Fundamental Dimensions, S. 72
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bereits angesprochen wurde, nicht ausgehen. Denn im globalen Wettbewerb ist von einer regionalen Loyalität für ein kmu, jedenfalls a priori, nichts zu bemerken. Was gibt es also für Vorbedingungen? Das Thema (Il-)Loyalität in Bezug auf ein Produkt haben Arnold C. Hax und Dean L. Wilde II. in ihrem Buch »The Delta Project« 101 beschrieben. Dort wird die Strategie »best product« als Ausgangspunkt jedweder Expansionsstrategie in einer globalisierten Wirtschaft festgelegt. Der Fokus liegt darauf, dass ein Anbieter von Commodities, das sind undifferenzierte Leistungen beziehungsweise Produkte, wenn diese auf gesättigten Märkten angeboten werden, nur dann erfolgreich ist, wenn sie zum billigsten Preis am Markt abgesetzt werden können. Jedoch konzedieren sie neben der »best product«-Strategie, die den Kern auf sinkende Stückkosten legt, eine Möglichkeit der Differenzierung der Marktleistung, für die der Kunde temporär einen Preisaufschlag zu zahlen bereit ist. Eine strategische Entscheidung, sich zu internationalisieren, ist also mit dem Ausmaß der einzusetzenden Ressourcen unmittelbar verknüpft. Wie viel Kapital wird eingesetzt, um eine temporäre Vorteilsdifferenz zu erzielen? Wie viel Managementressourcen werden abgezogen beziehungsweise neu verteilt, um dieses Ziel zu erreichen? Sind andere Projekte weniger riskant oder ist das zu Hause bleiben eine willkommene Alternative? Der Prozess der strategischen Entscheidung hat keine mechanistische Kausalität, sondern er braucht immer wieder Rückkoppelungen und Abwägungsschritte. Anzumerken ist noch, dass sich ein Internationalisierungsstrategieprozess nicht vom Prozess im Allgemeinen unterscheidet.102 In den Überlegungen zur Vision, zu den Orientierungszielen und zur Strategie ist damit bereits die Internationalisierung als Element des Wachstums und der Rentabilität enthalten. Die Erstellung einer Landkarte
Eine Vorfrage – und zwar eine wesentliche – zur Differenzierung der Prozesskompetenz in Bezug auf einen neuen Standort ist: Sollen wir uns für diesen Standort zur Entwicklung neuer Produkte entscheiden oder sollen wir uns für diesen Standort zur Herstellung neuer Produkte entscheiden oder soll dort beides passieren? Wenn diese Entscheidung gefallen ist, gibt es bereits eine Landkarte möglicher Standorte in Bezug auf den dort vorhandenen Ausbildungsstand bei Arbeitskräften, auf die Kostensituation und die geografische beziehungsweise 101 Vgl. A. C. Hax, D. L. Wilde ii., The Delta Project, 2001, S. 31, Fig. 2.1 102 Vgl. J. Rüegg-Stürm, Das neue St. Galler Management-Modell, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, Ch. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Bd. 1, Bern 2004, S. 107
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verkehrstechnisch bedingte Distanz zum Stammsitz des Unternehmens. Und wie sich die Kostensituation auf Internationalisierungsüberlegungen von Unternehmen auswirkt, zeigt die Geschichte der europäischen Integration. Der Abbau von Zollbarrieren, die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und die Verringerung der administrativen Aufwendungen haben zu einer starken Integration der europäischen Wirtschaften geführt. Die Rahmenbedingungen haben innereuropäische Standortentscheidungen stimuliert und es konnten dadurch die relativ hohen Personalkosten und die durch Personalkosten bedingt hohen Investitionskosten in eine rentable Relation zu den erzielbaren Preisen und den Distanzkosten gebracht werden.103 Die Zerlegung der Produkte in Prozesse ist Detailarbeit. Sie braucht Ehrlichkeit, in welchen Prozessen Geld verdient wird und welche Prozesse kein Alleinstellungsmerkmal haben, jedoch für das Gesamtprodukt erforderlich sind. Wenn man die Vorteile von Kernprozessen und die vorangegangene Frage der Kosten in Bezug auf die Standorte kennt, kommt man zum nächsten Schritt: Was wird wohin ausgelagert? Die Wie-Frage wurde bereits vorne angesprochen. Zu den Eintrittsbarrieren kommen neben den standortbedingten rechtlichen auch noch standortbedingte branchenbedingte Barrieren, zum Beispiel regionale Patente. Dazu gibt es zwei Extremsituationen, die zu beachten sind: Niedrige Eintrittsbarrieren bedeuten schnelles Geld, jedoch in der Regel nur über einen kurzen Zeitraum, da sie für weitere Mitbewerber auch gelten. Hohe Eintrittsbarrieren bedeuten hohe materielle und immaterielle Investitionskosten und bei Erfolg in der Regel lang anhaltende wirtschaftliche Vorteile. Mit den zwei Vorentscheidungen Herstellung oder Entwicklung am neuen Standort und mit den drei Feldern Stückkosten inklusive Distanzkosten, Wertschöpfung im auszulagernden Prozess und Eintrittsbarrieren kann die Landkarte möglicher Standorte bereits eingeengt und präziser erstellt werden. Eine Strategie aus mehreren
Die folgende Matrix scheint geeignet, eine Hilfestellung für kmu bei Überlegungen zu Direktinvestitionen in fremden Regionen zu geben. Sie ist insbesondere hilfreich, weil sie zu Fragen der Organisation eine gute Überleitung darstellt. Es ist dies »eine Kombination aus der Typisierung von Internationalisierungsstrategien und der Darstellung von Entwicklungspfaden.«104 103 Jarillo, Strategische Logik, S. 204f 104 P. Dicken, Global Shift. Internationalization of Economic Activity, New York 1992, in: A. Schneider, Internationalisierungsstrategien in der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie – eine empirische Untersuchung, Frankfurt am Main 2003, S. 34f, sylvester.bth.rwth-aachen.de/dissertationen/2003/159/03_159.pdf, (25 .12. 2006)
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Co-ordination of a firm’s activities
tight
tight
Complex Global Strategy Geographically dispersed production with tight co-ordination between overseas affiliates
2
Basic Global Strategy Highly geographical concentration of production with tight co-ordinated marketing services
3
1 Multidomestic Strategy Geographically dispersed production with tight degree of local autonomy
1
2 Export-based Strategy Highly geographical concentration of production with loosely co-ordinated marketing services
dispersed
concentrated Geographical location of a firm’s activities
Abb. aus http://darwin.bth.rwth-aachen.de/opus3/volltexte/2003/629/pdf/03_159.pdf (06. 08. 2008), Typologien internationaler Wettbewerbsstrategien, Quelle: Schneider
»In einer Vier-Felder-Matrix sind die verschiedenen Strategien nach zwei Dimensionen, der Art und dem geografischen Charakter der Koordination von Unternehmensaktivitäten dargestellt (vgl. Abbildung 105). In der Matrix sind vier Typen von Strategien aufgeführt: die »export-based strategy«, die »multidomestic strategy«, die »basic global strategy« und die »complex global strategy«.106 »Die exportorientierte Strategie (›export-based strategy‹) ist durch eine hohe geografische Konzentration der Produktion und eine lose Koordination der Marketingaktivitäten gekennzeichnet. Innerhalb der einfachen globalen Strategie (›basic global strategy‹) ist die geografische Konzentration der Produktionsstätten ebenfalls hoch, die Koordination der Marketingaktivitäten ist dagegen sehr straff organisiert. Ist die Produktion stark geografisch verteilt, wird zwischen der multinationalen Strategie (›multidomestic strategy‹) und einer komplexen globalen Strategie (›complex global strategy‹) differenziert. Für den ersten Typ besteht ein hoher Grad an lokaler Autonomie, während der zweite Typ eine straffe Koordination der Auslandstöchter beinhaltet. Interessant an dieser Dar105 A. Schneider, Internationalisierungsstrategien, S. 34 106 Vgl. Dicken, Global Shift, S. 195, basierend auf M. Porter, Der Wettbewerb auf globalen Märkten. Ein Rahmenkonzept, in: M. E. Porter (Hrsg.), Globaler Wettbewerb. Strategien der neuen Internationalisierung, Wiesbaden 1989, S. 30
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stellung sind die Pfeile. Sie weisen auf das Erfordernis der Prozessgestaltung hin. Im Gegensatz zum Lernmodell beziehungsweise zur Stufentheorie der Internationalisierung lässt die Darstellung von Dicken drei Möglichkeiten offen, wie sich ein Unternehmen vom exportorientierten Inlandsunternehmen zum globalen Unternehmen entwickeln kann. Dieser Prozess kann entweder direkt erfolgen oder als Zwischenstation eine einfache globale Strategie oder eine multinationale Strategie zur Folge haben.« 107 »Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die[se typologischen] Arbeiten dazu beigetragen haben, dass das Erkenntnisobjekt des internationalen Unternehmens differenziert betrachtet werden kann. Es muss [nämlich realistischerweise] angenommen werden, dass Unternehmen ihre Gestalt allmählich verändern und nicht ausschließlich sprunghaft von einer Gestalt in eine andere übergehen. Es ist daher davon auszugehen, dass zusätzlich Übergangsformen existieren.« 108 Bei der Frage, ob es ein Modell für die Internationalisierung gibt, wird in den Internationalisierungsstrategieansätzen darauf hingewiesen, dass die wichtigsten Merkmale eines Unternehmens an allen Standorten wiedererkennbar sind und dadurch bestimmte Aktivitäten zentral gesteuert und für alle Standorte bereitgestellt werden können.109 Damit verbleiben für die regionale Identität eher Themenbereiche außerhalb des Unternehmens oder an den Schnittstellen zwischen dem Unternehmen und seinem Umfeld. Die standortspezifische Unternehmenskultur wird also nach diesen Annahmen in Betriebsfeiern oder in regionalen Veranstaltungen, Wirtschafts- und Kulturprojekten zelebriert. Auch das ist eingeräumte Zeit, wie überhaupt die Frage »Wie viel Zeit für Strategie brauchen wir also?« nur mit »ausreichend« beantwortet werden kann. Denn die (erstmalige) Internationalisierung eines kmu ist eine strategische Herausforderung. Sie spricht alle Ebenen der Organisation an. Deshalb ist es Aufgabe der Entscheidungsträger, Resistenzen und oft tief liegende Vorurteile gegen einen solchen Schritt anzusprechen. Dies gelingt besser, wenn man sich Zeit für die in diesem Essay aufgeworfenen Fragestellungen und daraus weitere entstehende Fragen nimmt. Ablehnung oder Zurückhaltung haben natürlich mit Vorteilen der bestehenden Situation zu tun. Es sind dies beispielsweise Vorteile wie Jobsicherheit, es kann aber auch Bequemlichkeit sein. Und die Internationalisierungsstrategie muss sich am Ende rechnen. In die Aufbereitung und vor allem in die 107 A. Schneider, Internationalisierungsstrategien, S. 35 108 Ebd., S. 36 109 A. Schneider, Internationalisierungsstrategien, S. 13, in Anlehnung an Porter, Wettbewerb auf globalen Märkten
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Kommunikation dieses Ziels ist Know-how und Zeit zu investieren. Denn es lähmt das Stammunternehmen, wenn im Entscheidungszeitraum bereits folgende Gedanken aufkommen: So viel verlorene Zeit und so viel riskiertes Geld – wofür eigentlich? Mit den in diesem Essay formulierten Anregungen und Fragen zu einer Internationalisierungsstrategie sollen durch die Kompetenz der Entscheidungsträger die Stärken der Mitarbeiter und der sonstigen Partner für die neue Strategie mobilisiert werden. Damit werden die Alleinstellungsmerkmale internationalisierbar. Ein individuelles erfolgreiches Modell wird also an einen anderen Standort übersiedelt. Was von unserem Modell brauchen wir auf dem neuen Standort? Wenn also in diesem Kapitel schon mehrmals von Modellen die Rede war, so ist davon auszugehen, dass sie bewusst oder unbewusst unsere Entscheidungen beeinflussen.
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175 E. Juritsch, Internationalisierungsentscheidungen von kleinen und mittleren Unternehmen © Springer-Verlag/Wien 2011
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Chakren,1 ein Modell für die Verortung von Entscheidungen Über Entscheidungen2 wird im gesamten wissenschaftlichen Vorhaben räsoniert. Das »Unternehmerische«, also das Denken in Alternativen und das danach Handeln, erfordert sie. Und Heinz von Foerster nennt als ethischen Imperativ: »Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird.« Das bedeutet einerseits, dass durch Entscheidungen aus Unbestimmtem Bestimmtes wird und es ergeht die Aufforderung, dass mit der Entscheidung die Alternativen zunehmen. Damit verbindet sich Vergangenheit mit Zukunft, denn »durch das Entscheiden können, wird die Vergangenheit ihrer Bestimmtheit beraubt. Bislang Bewährtes legt nicht mehr fest und die Zukunft verliert ihr Unbestimmtsein. Man will ja in der Abgrenzung zum Bisherigen etwas Bestimmtes erreichen. Organisationen leben gleichsam von dieser Form der Reproduktion. Sie sind dazu da, im Prozess des Entscheidens Ungewissheit in Gewissheit zu verwandeln, um auf der Basis dieser selbst geschaffenen Orientierung die eigene Handlungsfähigkeit immer wieder zu erneuern.« 3 Da sind die Veränderungen, die zum einen aus dem Unternehmen heraus organisiert werden und zum anderen durch die sich verändernden Unternehmensumwelten passieren. So herrscht oftmals Unsicherheit, was besser ist: die als komfortabel wahrgenommene Ist-Situation oder eine die Organisation möglicherweise existenziell bedrohende Veränderung. Im Bewusstsein dieses Widerspruchs ist zu entscheiden. Weiter wie bisher – oder Veränderung, die Frage stellt sich aber meistens nicht so klar. Ob die (Re-)Aktion als Entscheidung oder als Sachzwang wahrgenommen wird, kann viele Ursachen haben. Kaum mehr zu ertragende Sprüche wie »das einzig Stabile in unserem Unternehmen ist die Veränderung« weisen auf den oft mühevollen Alltag hin, man kann nicht mehr unterscheiden, was die erforderlichen Veränderungen sind und was nicht. Denn es »ergibt sich die Notwendigkeit von Veränderungen [aber] einerseits durch inneres Wachstum, andererseits durch Anpassungsanforderungen an die Systemumwelt, Tendenzen, die zur Veränderungsfeindlichkeit in Widerspruch geraten. Dieser Widerspruch ist keine Panne, die vermeidbar wäre [die mit Logik oder mit Expertise aus der Welt geschafft werden kann], es handelt sich dabei um einen Grundwiderspruch, der nicht umgangen werden kann, sondern irgendwie gehandhabt werden muss [und das gerade weil trotz unterschiedlicher Meinungen alle »recht« haben] – er 1 Chakren s. Glossar. 2 Vgl. zu diesem Thema L. Kopeikina, The Right Decision Every Time. How to Reach Perfect Clarity on Tough Decisions, New Jersey 2005 3 R. Nagel, R. Wimmer, osb international, Systemische Strategieentwicklung, Modelle und Instrumente für Berater und Entscheider, 3. Auflage, Stuttgart 2006, S. 20
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führt zum Konflikt und er setzt Systeme unter Entscheidungsdruck.« 4 Und dann wird bemerkt, dass in der nun erneuerten Organisation kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Und es bleibt oft unklar, wer eigentlich die Verantwortung trägt, denn in Organisationen gibt es mehrere Personen, die Auslöser von Entscheidungen sein können. Formal gibt es die Einzelentscheidung, die kollektive Entscheidung in einem Gremium, die stufenweise Entscheidung über Antrag an ein Aufsichtsorgan oder die stufenweise Entscheidung über Antrag an einen oder mehrere Eigentümer, Mehrheitsentscheidung, qualifizierte Mehrheitsentscheidung mit mehr als drei Vierteln der Aktien, Einstimmigkeit oder Konsensentscheidung. Diese formale Absegnung durch den oder die Entscheider geschieht nicht immer durch jene Person (oder jenen Personenkreis), welche(r) die Entscheidung wirklich getroffen hat. Die äußerst ausdifferenzierte Arbeitsteilung in der Wirtschaft hat zur Folge, dass statt den einsamen Einzelentscheidungen, immer öfter Entscheidungen von mehreren Personen getroffen werden. Dazu kommt, dass zunehmend Expertenmeinungen in den Entscheidungsvorgang hineinwirken. Dies alles hat natürlich Auswirkungen, wie in Unternehmen entschieden wird. Es gibt Gruppenentscheidungen, projektbezogene Entscheidungen usw. Dabei spielen auch die Vorbedingungen wie beispielsweise die der Entscheidungskultur eine Rolle. Wenn zum Beispiel der Grundsatz, Entscheidungen im Konsens zu treffen, zur Entscheidungskultur zählt, ohne im Gesellschaftsvertrag verankert zu sein, dann wirkt dieser Grundsatz, wenn er bisher immer eingehalten wurde, wahrscheinlich auch für die zukünftigen Entscheidungen, zumindest muss beim nächsten Mal davon ausgegangen werden. Dem Konsens, wenn dieser nicht im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben ist, kann man eine emotionale Komponente zuschreiben. Dieser emotionalen Komponente, die sich aus der geübten Praxis entwickelt hat, wird in der gängigen Managementliteratur viel zu wenig Platz eingeräumt. So erklärte einer meiner Interviewpartner zu Konsens: »Einer ist der Chef, aber ich entscheide alles mit meiner Frau gemeinsam, weil ich muss sagen, die Frauen sind [trotz allem] konsequenter als die Männer. Und was das Geld betrifft, auch ein bisschen härter.« 5 Diese zwar nicht gendergerechte und auch widersprüchliche Aussage ist als Versuch zu werten, aus der Unternehmenspraxis zu erklären, was mit Konsens gemeint sein kann. Die dort nur am Rande angemerkten Themen wie Glück, Genuss, Zwang, Freiheit, also die emotionalen Themen, sind in der Praxis oft Ursache von Entscheidungen, 4 Vgl. P. Heintel, E. E. Krainz, Über Entscheidung, Gruppendynamik, 17. Jahrg., Heft 2, 1986, S. 121 5 Interview viii, S. 94
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wie dies in folgender Erklärung für eine Investitionsentscheidung zu spüren ist: »Ich kam dazu wirklich wie die Jungfrau zum Kind, aber eben sehr emotional. Und das ist einer der ersten Fehler. Man sollte immer versuchen ein Hotel nicht so zu gestalten, wie man es selber will, sondern immer aus den Augen des Gastes – des Kunden.« 6 In rationalen Modellen können sie trotz ihrer großen Bedeutung für die Entscheidungsträger nicht untergebracht werden. Deutliches Beispiel für Emotionen sind die publizierten Entscheidungen in Bezug auf wesentliche Beteiligungen oder Übernahmen großer Unternehmen. Hier verdichtet sich der Entscheidungsprozess auf wenige Tage oder Wochen und es ist auch hin und wieder von einer »Entscheidungsschlacht« die Rede. Ähnliches gilt, verteilt auf einen längeren Zeitraum, auch für Investitions- beziehungsweise Internationalisierungsentscheidungen von kmu. Hilft es uns, wenn wir den Ursachen und Wirkungen von rationalen aber auch emotionalen Entscheidungen auf den Menschen und die betroffene Organisation einen Ort geben? Schreiben über Entscheidungen und das »Modell« der Chakren
Als Unterstützungsmaßnahme für die Beschreibung von unternehmerischen Entscheidungen orientiere ich mich am Modell der Chakren, Lebensebenen oder Energiezentren. Um dieses Modell auf Tauglichkeit zu prüfen, ist es nützlich, meine Ausführungen im Essay »Modelle und Wirklichkeiten im Management« zu lesen. Das gewählte Modell der Chakren beziehungsweise der Bewusstseins- oder Lebensebenen passt meiner Ansicht nach für die Entscheidungssituation im Unternehmen. Diese Wahl bedeutet nicht die Hereinnahme von indischer Philosophie, in der ich auch nicht kompetent bin, sondern ist als Verbindung des Themas der Dissertation mit einem aus einer anderen Kultur für meine Ausführungen entlehnten Modell gedacht: Internationalisierungsentscheidungen von kmu bedeuten immer, auch mit anderen Kulturen und damit mit anderen Zugängen konfrontiert zu sein, hier am Beispiel Entscheidungen und ihres Bezugs zum Menschen und zur Organisation. Diese aus asiatischen Philosophien und Medizinlehren stammende Zuordnung der Energie ist für die Beschreibung von Mustern gut geeignet. Denn auch bei Entscheidungen sind Muster erkennbar. Es sind dies beispielsweise archaische, rationale oder emotionale Muster. Zusätzlich gibt jedoch Überschneidungen und Verbindungen zwischen den Entscheidungsursachen. Dieser Zugang verdeutlicht außerdem, dass es keine Trennschärfe über das wirkliche Entscheidungszentrum in einer bestimmten Situation gibt. Es geht nicht um die Frage Kopf oder Bauch. Es werden Logik, in unserer Vorstellung der Geist beziehungs6 Interview vi, S. 68
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weise der Intellekt, und Intuition, also Bauch oder ganzer Körper, bewusst oder unbewusst involviert. Viele Abbildungen veranschaulichen die Zuordnung der Chakren zum menschlichen Körper.7 Meistens ist der Mensch stilisiert im »Schneidersitz« abgebildet. Die ersten fünf Chakren liegen entlang der Wirbelsäule, das sechste auf der Stirn und das siebente Chakra beim Haaransatz. Die sieben Zentren sind also folgenden Körperzonen zugeordnet: 1. Damm (Schritt) 2. Beckenraum, Nabel 3. Solarplexus 4. Herz 5. Kehlkopf, Sprechzentrum 6. Stirnmitte 7. Scheitel Chakren bezeichnen also Zentren, die eine verortete Position im Körper haben. Diese Einteilung soll vor allem eine Zuordnung des Individuellen – der körperlichen, intellektuellen, organisationalen, kommunikativen, sinnlichen und spirituellen Erfahrung mit Entscheidungen – ermöglichen.8 Da wir nicht wissen, wie wir entscheiden und warum wir so und nicht anders entscheiden, es jedoch Gefühle gibt – beispielsweise ein (un-)gutes Kribbeln im Bauch – oder auch Bezeichnungen wie Kopfmensch beziehungsweise Bauchmensch und diese Gefühle einen Ort im Körper benennen, gibt es in den verschiedenen Kulturen verschiedene Konzepte zum Körper-Energie-Zusammenhang. Dieser Zusammenhang wird neben dem Themenkomplex Körper – Geist – Seele für die Themen Lernen, Organisieren und Entscheiden verwendet. Der ersten Ebene (beziehungsweise dem ersten Chakra) werden das Überleben, die Erhaltung der Gattung, und ergänzend für die Jetztzeit, die Themen Geld und materielle Sicherheit zugeordnet. Als Unternehmensphasen werden dieser Ebene sowohl die kritische Gründungsphase als auch die Krise zugeordnet. Entscheidungen, auch jene über Investitionen, werden unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Existenz getroffen. In Urzeiten war die physische, heute ist, zumindest in unseren Breiten, die materielle Existenz entscheidungsrelevant. Die zweite Ebene bringt die Lebensdynamik des Einzelnen ins Spiel – auch über überschaubare Generationen hinaus. Zukunft ist hier bedeutend und zwar nicht mehr nur für das Individuum, sondern für die Gruppe, die Organisation 7 Ein Beispiel für eine Darstellung der Chakren siehe: http://www:arolo-tifar.de/images/ chakren1.gif (Copyright: Jürgen Pitten) 8 Siehe dazu die Ausführungen im diesem Kapitel.
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beziehungsweise das Unternehmen. Wachstum als immanentes Element des Unternehmens ist auf dieser zweiten Ebene angesiedelt. In Unternehmen gehört zur zweiten Ebene aber auch der Abteilungsegoismus beziehungsweise das Erreichen und die Verteidigung kleiner Privilegien wie Einzelbüro, Ausstattung usw. In Bezug auf Internationalisierungsentscheidungen ist die Skepsis gegenüber dem Fremden und die Verteidigung des Territoriums zu beachten. Wo(hin) investieren das Management und/oder die Eigentümer unser Geld? Management, Gestaltungsentscheidung, Macht und Durchsetzungskraft sind Schlagworte, die der dritten Ebene zugeordnet werden. Durch bewusstes Tun werden Maßnahmen gesetzt, um Ziele zu erreichen. Das ökonomisch-technologische Paradigma hat hier seine energetische Zuordnung. Lange Zeit wurden unternehmerische oder politische Entscheidungen ausschließlich mit den dieser Ebene zuzuordnenden Attributen begründet. Auch heute noch ist diese Ebene für alle Unternehmensentscheidungen sehr dominant. Das Konzept der »property-rights« und das Shareholder-Value-Konzept sind beispiels-weise »Produkte« aus der globalisierten Ökonomie, die auf Entscheidungsgrundsätzen der dritten Ebene aufbauen. Für Entscheidungen auf der vierten Ebene gibt es auch mehrere Grundsätze. Da ist erstens die Symmetrie, also die Augenhöhe – den anderen nicht hierarchisch unterzuordnen, ihn als gleichwertiges Wesen zu akzeptieren. Zweitens, dass jeder Mensch er selbst sein kann. Drittens wird Konsensentscheidungen absolute Priorität eingeräumt. Die Herzensebene kann meiner Ansicht nach, wenn man einen Begriff aus dem Managementalltag anwendet, für Entscheidungen unter einem Win-win-Aspekt gesehen werden. Und ist die Ebene der Liebe.9 Kommunikation ist der Überbegriff für Entscheidungen auf der fünften Ebene. Gemeint ist aber auch, in sich selbst hineinzuhören. Die Balance zwischen der rationalen Entscheidung und dem persönlichen Wohlbefinden wird als ein Entwicklungsschritt zu besseren Entscheidungen gesehen. Authentizität entspricht dem Wesen des Individuums. Zwischen dieser Authentizität und der Wahrnehmung der Umgebung werden dann Entscheidungen getroffen. Die sechste Entscheidungsebene stellt die Zeit für Entscheidungen in den Mittelpunkt. Sinn und Vision auf der einen Seite und die Durchsetzung und Umsetzung auf der anderen passen nur zusammen, wenn das Verhalten der Organisation sich insofern verändert, dass Auszeiten für ganzheitliche Unternehmensentwicklungen organisiert werden und wesentliche Entscheidungen im Rahmen dieser Auszeiten getroffen werden. Die Reflexion, ob Sinn und Vision mit dem Alltag zusammenpassen, wird somit zum Bildungsthema. 9 Vgl. G. Schwarz, Was Jesus wirklich sagte, Wien 2007, S. 7
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»Erfahren, Erleben, Kenntnisse bekommen, Distanzen einüben, also eben ein mit Leib und Seele Lernen.« 10 Und dies wird ergänzt durch »die Frage nach dem jeweiligen Sinn unseres Tuns, ethisch formuliert jene nach unserem Wollen: ›Wollen wir es so, wie wir es uns eingerichtet haben?‹«.11 Mit der siebenten Ebene wird die Spiritualität angesprochen. Spiritualität ist ein Begriff, der ob seiner widersprüchlichen Bedeutung Emotionen auslöst. Da ist einerseits die Religiosität, die in vielen Kulturen das »Jenseitige« mit Wünschen, aber auch Bedrohungen verknüpft, andererseits ist auch die Sehnsucht nach dem »Aufgehobensein« in diesem Begriff enthalten. Die christlichen Zugänge zur Spiritualität mit der Trinität, der Verknüpfung vom Jenseits (Jehova, Jahwe) mit dem Menschen Jesus und nach seinem Tod dem (heiligen) Geist, der in uns allen ist, könnte ein Zugang zu Spiritualität auch in der modernen Welt sein.12 In gedanklicher Verbindung mit der Möglichkeit, auch über den Untergang der Gattung zu entscheiden, was seit der Erfindung der Atombombe ja möglich ist, ist vieles, wenn nicht alles auf uns zurückgeworfen. Peter Heintel bezeichnet die Spiritualität als Selbst- und Systemtranszendenz.13 Die modernen komplexen und prinzipiell unentscheidbaren Entscheidungen sprechen alle Lebensbereiche des Menschen an. Denn die archaischen Muster, wie die Sicherung der nackten Existenz, heute der wirtschaftlichen Existenz, der Einfluss auf unsere Zukunft und die Machtdimension, sind nicht per Entscheidung aus der Welt zu schaffen, sie müssen gepflegt werden, man muss sie akzeptieren. Das Herz, die Emotion, und die Kommunikation wirken in unterschiedlicher Stärke und Weise gleichzeitig. Der Klarheit wegen werden die Bereiche (Ebenen) einzeln behandelt, auch um die verschiedenen Aspekte im jeweils eigenen Entscheidungsverhalten zuordnen zu können. Diese Reflexionsmöglichkeit wird dadurch für die Praxis und für die Zuordnung von Aussagen von Interviewpartnern aufgemacht. Und damit verlasse ich die »falschen Wege«, die heutige auch im Rahmen meines Forschungsvorhabens festgestellte Praxisferne der Theorie. »Theorie ist [auch für mich][...] vielmehr Produkt der Muße des Nachdenkens und Sinngebens für die Praxis.« 14
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P. Heintel, Zwei Seiten (!) zum Thema Bildung, Manuskript vom 9. 1. 2007, S. 3 Ebd., S. 5 Schwarz, Jesus, S. 105ff P. Heintel, Spiritualität als »Selbst- und Systemtranszendenz« – am Beispiel der Supervision, in: Supervision. Mensch Arbeit Organisation. »Spiritualität«, 2005, S. 38 – 50 14 Heintel, Zwei (!) Seiten zu Thema Bildung, S. 5
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Existenzielle Entscheidungen Wenn man in die Geschichte zurückblickt, haben Schicksal, Vorsehung, aber natürlich auch herrschaftliche Vorschriften den Menschen viele ihrer Entscheidungen abgenommen. Wissen, Erfahrung oder Rationalität waren in diesen Vorschriften enthalten – wenn auch nicht immer. So hatten und haben auch heute noch die meisten Religionen für alle wichtigen Fragen und Widersprüche (letzt)gültige Antworten parat. (Herrschafts-)Regeln setzten ein Korsett von Normen fest. Dieses Korsett ist leichter zu erkennen, wenn man Vergleiche mit anderen Systemen für die Erkennung von Normen anstellt. Dies können bereits vergangene Systeme oder andere Rechtssysteme sein. Kollektive Normen sind die Rechtssysteme und auch Religionen und Traditionen. Solange dieses Korsett kollektiver Normen als Grundlage für Entscheidungen passt, herrscht Einhelligkeit und das eigene System wird be- und geschützt. Und es gibt individuelle Normen in den eigenen Wertsetzungen, welche aus Erfahrungen, Prägungen, Vorurteilen und Selbstverständlichkeiten resultieren. Normen werden erst in Frage gestellt, wenn sich Systembrüche ankündigen. Und ein bedeutender Systembruch, der mit der ersten industriellen Revolution begonnen hat und sich durch die dritte industrielle Revolution 15 weiter verstärkt, ist die sukzessive Durchsetzung des Universalmodells der kapitalistisch-technologischen Weltwirtschaft. Die Geschwindigkeit seiner Durchsetzung ist wesentlich höher als die Etablierung entsprechender Normen beziehungsweise Gesetze. Solange das Normensystem nicht mit dem Wirtschaftssystem Schritt halten kann, müssen sich die Menschen, Institutionen, Staaten mit den Differenzen zwischen den vorhandenen Normen und den neuen wirtschaftlichen Spielregeln zurechtfinden. Das gilt auch für kmu. Ein auf einen bestimmten Zweck ausgerichtetes Unternehmen kann jedoch nicht darauf warten, bis neue politisch ausgehandelte Normen gefunden werden. Es muss auch in diesen unsicheren Zeiten Entscheidungen treffen. Und Investitionsentscheidungen und Internationalisierungsentscheidungen sind für den Weiterbestand des Unternehmens dabei von herausragender, weil existenzieller Bedeutung. Eine Fehlentscheidung kann, insbesondere bei einem kmu, zum Untergang des Unternehmens führen. Dazu gibt es viele unterschiedliche Zugänge. Investitionsentscheidungen, wie wir sie heute kennen, mit Renditevorstellungen, Chancen und Risken, welche durch strategische Logik untermauert werden, gibt es noch nicht so lange. Und mit dem Aufstieg der ökonomischen Wissenschaften, der auf den Beginn des 17. Jahrhunderts zurückgeht, hat man 15 Siehe dazu das Einleitungsstatement in meinem Essay »Zeit für Strategie«.
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begonnen, Investitionen mit methodischen Vorgehen zu berechnen, sie werden oft auch nach diesen entschieden. Über lange Zeiträume betrachtet war menschliches Handeln nicht darauf ausgerichtet, Dispositionen zur Verwendung von produzierten (Güter) oder finanziellen (Geld) Überschüssen zu treffen, sondern physisch zu überleben. Auch die gesellschaftliche Stellung war während des Lebens nicht veränderbar. So war man mächtig von Geburt an oder eben nicht. Entscheidungen ordneten sich dem Überleben der Gattung und auch der Macht unter. Doch es hat sich die Einstellung zur (göttlichen) Vorsehung verändert. Und seither hat sich eine neue Haltung herausgebildet: Der Mensch könne durch Entscheidungen – nämlich durch andere Entscheidungen als die ausschließlich auf das physische Überleben bezogenen –, und zwar durch Verstandeslogik, seine Zukunft selbst in die Hand nehmen. Wirtschaftsbegriffe, wie wir sie heute kennen, tauchten auf. Die Systematik der doppelten Buchhaltung und das Controlling waren erste Versuche, wirtschaftliche Aktivitäten nach objektiv erstellten Vergleichsmaßstäben zu beurteilen. Der Einfluss der Religion auf die Entscheidungen wurde somit zugunsten rationaler Überlegungen zurückgedrängt. Wirtschaftsgesetze und Normen bildeten sich langsam heraus. Es entstand ein System, in welchem die Investition, wie wir sie heute verstehen, eine wichtige immanente Position erlangte. Die Reise von Kristof Kolumbus 16 ist ein Beispiel für das heutige Denken, dass Investitionen Optionen 17 sind. Optionen verbinden Möglichkeiten mit Entscheidungen. Und in der Kombination aus Möglichkeiten und Entscheidungen liegt auch ein Kern unternehmerischen Handelns begründet. Nicholas Hayek verbindet drei Aspekte in der Person des Unternehmers, wenn er sagt: »Ein Unternehmer ist ein innovativer Mensch, der Mut zum Risiko hat und in den meisten Fällen sein eigenes Geld investiert.« 18 In dieser Kombination ist also die Entscheidungsenergie angesiedelt. Und zu ihr gehört mehr als die Analyse der finanziellen Rendite und des finanziellen Risikos. Denn diese Entscheidungen finden im Rahmen von unaufhebbarer Unsicherheit statt. Sie sind »der Ort des Widerspruchs zwischen Sicherheit und Unsicherheit und die neuzeitliche ›Ich-Entdeckung‹ hat die Unsicherheit der Entscheidungssituation verschärft«.19 Dieser Umstand hat Konsequenzen, wenn von einem Entscheidungsnotstand die Rede ist. Der 16 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Annäherung an einen Investitionsbegriff«. 17 Zur heutigen »Optionsgesellschaft« empfehle ich die kritische Auseinandersetzung mit ihr durch P. Gross in: ders., Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt am Main 1994 18 G. Fischer, Fragen an einen, der es wissen muss. Was ist ein Unternehmer? Interview mit Nicolas Hayek, Gründer von Swatch, brand eins 4/2005, www.brandeins.de (16. 3. 2008) 19 P. Heintel, Über Entscheidung, in: E. Heintel, H.-D. Klein (Hrsg.), Wiener Jahrbuch für Philosophie, Wien 1986, S. 150
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hat auch mit der Krise des mechanistischen Denkens zu tun, wenn wir gefordert sind, Entscheidungen zu treffen. Das mechanistische Denken nämlich gründet sich auf den Glauben, dass jedes Ergebnis einer Entscheidung genau prognostizierbar ist. Diese Denkweise reduziert die Wirklichkeit auf einige modellhaft abzubildende Faktoren. Das ergibt zwar ein eindeutiges, aber unbefriedigendes Ergebnis. Heinz von Foerster spricht in diesem Zusammenhang von trivialen Maschinen mit folgenden Eigenschaften: »Synthetisch determiniert, vergangenheitsunabhängig, analytisch bestimmbar, voraussagbar.« 20 Somit kann also festgehalten werden, dass alles, was ohnehin logisch nachvollziehbar ist, somit keine Entscheidung in der hier abzuhandelnden Vorstellung von Entscheidungen ist, sondern eine Wahl der besten Alternative. Ob sie wirklich die beste war, stellt sich zwar erst im Nachhinein heraus, und schlecht entschieden, weil schlecht informiert, kommt in der Praxis oft vor. Man hört sich sagen: »Ich war mir eigentlich (zu) sicher.« Die Entscheidungssituation, etwas zu tun oder zu unterlassen, weil gesicherte Informationen vorliegen, weil ein Informationsvorsprung gegenüber anderen existiert, wird hier nicht weiter behandelt, viele sogenannte Entscheidungen basieren auf diesen Annahmen. Das ist zwar untrennbar mit Entscheidungen verbunden, hat aber mit Wissen zu tun (Wissen, Erfahrung, Wissensvorsprung). Irgendwie entsteht eine Spirale von neuem Wissen (und Unwissen), das dann, wenn etwas Neues daraus werden soll, umgesetzt werden muss. Unangenehm für den Entscheider wird die Angelegenheit nämlich dann, wenn sich die Information im Nachhinein als nicht vollständig herausgestellt hat. Es geht um die prinzipiell unentscheidbaren Entscheidungen, um Widersprüche, um das eine oder das andere – nicht um das »sowohl als auch« oder »von jedem ein bisschen«, nicht um Kompromisse, nicht um Kuhhandel oder Deals. Heinz von Foerster formuliert dazu: »Nur die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, können wir entscheiden«, und brachte als Beispiel zum Thema »unentscheidbare Entscheidungen« oft die Antworten auf die Frage: Wie ist das Universum entstanden? Dann stellte er den Physiker und den Theologen nebeneinander und formulierte, dass deren Antwort mehr über sie selbst beziehungsweise ihre wissenschaftliche Herkunftsdisziplin aussage als über die Entstehung des Universums.21 Der Mensch traf also Entscheidungen, die sein eigenes Überleben betrafen, und wenn das gesichert schien, wurde das Leben seiner eigenen Nachkommen relevant.22 Weil existenzielle Entscheidungen auch für das Überleben der Gattung 20, 21 H. von Foerster, 2 mal 2 ist grün, 1999, Doppel-cd, ISBM 3-932513-08-8 22 Vgl. P. Heintel, Thesen zum Thema: »Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war«, Vortrag zum Symposium »Genug ist noch zu wenig« in der Abbazia di Rosazzo 2006, S. 48
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bedeutsam waren, wurden Themen, die die Existenz des Menschen gefährdeten, in Institutionen entschieden. Die Entscheidungen, die ihm selbst übertragen waren, betrafen nur das Hier und Jetzt. Planung, Strategie und ähnliche Phänomene der modernen Zeit waren kein Element von Entscheidungen. Salopp formuliert nach dem Motto: »Wenn ich den Tag nicht überlebe, brauche ich keinen Gedanken an den nächsten Tag zu verschwenden.« Heutzutage, als Teil einer Organisation oder einer Gemeinschaft, würde die physische Existenz natürlich auch die Grundlage für Entscheidungen bilden, wenn diese auf dem Spiel stünde. Die Gefährdung der physischen Existenz ist bei uns in Europa nur noch selten gegeben. Sie würde jedoch entscheidungsrelevant sein. Stand lange Zeit die physische Existenz im Vordergrund, geht es heute um die wirtschaftliche Existenz, das wirtschaftliche Überleben. Und es sollte hier von prinzipiell unentscheidbaren Entscheidungen in Bezug auf das wirtschaftliche Überleben einer Organisation und die damit verbundenen Arbeitsplätze die Rede sein. Die entscheidbaren und nach bestimmten Spielregeln ablaufenden Entscheidungen waren in diesen Überlegungen nicht gemeint. Betrachten wir deshalb existenzielle Entscheidungen (nur) unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Und sieht jemand seine Existenz gefährdet, wird seine Entscheidung – gleichgültig wie wirtschaftlich attraktiv und chancenreich die Entscheidungsalternativen sein mögen – auf das Überleben der persönlichen wirtschaftlichen Existenz abgestellt. Wenn also mehrere Personen eine Entscheidung treffen und ein Mitglied sich in seiner Existenz bedroht fühlt, wird sich beim Grundsatz, dass im Konsens zu entscheiden ist, dieses Mitglied durchsetzen. »Es kann aber auch sein, wenn der Grundwiderspruch auf die Spitze getrieben, die Existenz des Systems gefährdet, [und] (werden) Entscheidungen notwendig [werden], dass in komplexen Systemen Einzelne ›draufgehen‹.« 23 Die Befürchtung, dass unter diesen Umständen der Kreis der Entscheidungsträger – beispielsweise die Gesellschafter eines Unternehmens – nicht mehr weiterbesteht, kann also in die eine (Konsens) oder andere (Dissens) Richtung wirken. Das Entscheidungsresultat ist somit nicht prognostizierbar. Ein nachvollziehbares, auf heutige existenzielle Bedrohungen abgestelltes Beispiel von Methoden des Überlebens zeigen Unternehmen in der Gründungsphase. Ihr Verhalten findet am Rande oder außerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen statt. Toleriert wird dieses Verhalten durch alle möglichen Wirtschaftspartner, der Gedanke dahinter ist: Wo kein Kläger, da kein Richter! Ebenso, und das möchte ich etwas ausführen, ist es mit dem Verhalten von 23 P. Heintel, E. E. Krainz, Über Entscheidung, in: Gruppendynamik 17. Jhrg. Heft 2, 1986, S. 121
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Unternehmen, die sich in einer existenziellen Krise befinden. Zu beobachten ist Verhalten außerhalb der normalen Krida-Tatbestände, wie beispielsweise Diebstahl. Juristisch gesehen wird der Dieb jedoch mit dem Diebstahl zum Dieb und nicht erst, wenn er erwischt wird. Genauso ist es auch beim Entzug der letzten Finanzreserven aus dem Unternehmen, nur um das persönliche, wirtschaftlich gesehen, existenzielle Überleben zu sichern. Bei diesen eindeutigen Straftatbeständen findet man immer wieder menschliches Verständnis der unmittelbaren Umgebung vor, dieses wirkt stärker als das objektive Rechtsempfinden. Erklärbar ist mir dies nur, weil das Verständnis, dass Eigentum geschützt werden muss, menschheitsgeschichtlich viel jünger ist als die Sorge um die persönliche Existenz des Menschen. Kann man hier von einer Verständnishierarchie sprechen? Die Unternehmenskrise fordert den eigenen Verstand heraus. Dieser ist jedoch blockiert durch Muster und Normen, die im Menschen und in der Gesellschaft verankert sind, insbesondere dann, wenn eben die Existenz bedroht ist. Die eigene Entscheidungsfähigkeit wird gebraucht, um die Lage einzuschätzen, ob wir mit der Situation zurechtkommen oder nicht. Diese »Deadlock«-Situation können wir nicht lösen, wenn die Existenz bedroht ist und die Handlungsfreiheit nur dieses Kalkül beinhaltet. Investitionen sind in dieser Phase extrem schwer zu entscheiden und durchzusetzen, auch weil Gläubiger und Partner ihr eigenes kurzfristiges wirtschaftliches Überleben im Auge haben – sich somit auch existenziell bedroht fühlen – und nicht an die längerfristige Entwicklung des krisengeschüttelten Unternehmens denken (und auch nicht daran glauben). So kann man beispielsweise die Argumentation eines Bankvorstandes nachvollziehen, dass das Unternehmen in der Krise die Zinsen und sonstige laufende Ausgaben bezahlen und die Produktpolitik darauf ausrichten solle, dass die Zinszahlungen möglich sind. Über Investitionen darf gar nicht nachgedacht werden, selbst wenn sie für das langfristige Überleben des Unternehmens unbedingt notwendig sind. Es liegt dann ein Entscheidungsnotstand vor und damit wird die Zukunft des Unternehmens abgeschnitten. Die Bank und ihr Vorstand hoffen, diese Situation wirtschaftlich zu überleben. Mit der in der Regel unausgesprochenen Entscheidungshaltung »in the long run we are all dead« 24 vertritt der Bankmitarbeiter somit sein eigenes Erfolgsmodell. Dieses Modell ist vorrangig die regelmäßige Bezahlung der Zinsen und bei ausreichenden Sicherheiten in zweiter Linie die Rückführung des Kapitals, weil es ohnehin veranlagt ist. Seine sich selbst erfüllende Prophezeiung ist, dass Investitionsentscheidungen in der Krise nie anstehen können. Das führt zu Verdrängung und letztendlich zum Scheitern 24 Berühmte(ste)r Ausspruch von John Maynard Keynes, 1923, http://www.keynes-gesellschaft. de/Hauptkategorien/LebenWerk/AusspruecheParabeln.html (16. 3. 2008)
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des Unternehmens. Nachdem jedoch ein Unternehmen aus Entscheidungen und der Umsetzung besteht, wird hier das Augenmerk auf solche Entscheidungen gelenkt werden, die auf die Zukunft eines Unternehmens wesentlichen Einfluss haben. Und das sind Entscheidungen, wo auch hin und wieder die Existenz auf dem Spiel steht. Und eine Existenzbedrohung kann die Ursache sein, warum Entscheidungen so und nicht anders fallen. Ein Beispiel zu dem, was hier nicht behandelt wird: Wenn sich eine Investition rechnet, wenn die Anschaffung einer bestimmten Produktionsanlage bei vorhandenen Aufträgen im Laufe ihrer Nutzungsdauer mehr bringt, als sie verzinst kostet, dann ist die Entscheidung nach den Spielregeln der Kapitalwertmethode bereits getroffen worden und muss nur noch umgesetzt werden. Anders sieht die Lage bei folgender Entscheidung aus: Es muss entschieden werden, ob in Forschung und Entwicklung investiert werden soll oder ob in die Erweiterung der Produktionsanlagen investiert wird. Der Innovationsdruck steigt wegen der erfolgreichen Produktentwicklung durch die Konkurrenz. Gleichzeitig gibt es die Notwendigkeit, die Kapazität aufgrund sinkender Preise zu erweitern. Und das Unternehmen ist für seine Innovationsstärke bekannt und wird von den Kunden dafür geschätzt. Was ist, wenn die Finanzierungsmöglichkeiten nur eine Variante zulassen und alle Recherchen keine Variante bevorzugen? Dann haben wir es mit einer prinzipiell unentscheidbaren Situation zu tun. Meine Meinung dazu ist, eine Münze zu werfen, wenn es keine Kompromissmöglichkeiten gibt. Oder mit anderen Entscheidungsebenen zu operieren – beispielsweise der Intuition zu folgen. Zum Abschluss ist noch anzuführen, dass auch jene (Internationalisierungs-) Investitionen nicht durchgeführt werden, die sich nach allen Regeln der Betriebswirtschaft rechnen würden und das Stammunternehmen aus der Krise herausführen könnten. Einem meiner Interviewpartner wurde nur der Kauf des Unternehmens finanziert und die Finanzierung der Erweiterungsinvestition versprochen. Da sich die Rentabilität nach dem Kauf der Erstinvestition nicht so entwickelte, ist er jetzt in einer Schere zwischen steigenden Verbindlichkeiten und einem Investitionsrückstand, der das Kaufobjekt veraltern lässt. Die finanzierende Bank hat ihm mitgeteilt, keine weiteren Investitionskredite bereitzustellen. Die Summe von echten Schulden und entstehenden Schulden aus nicht getätigten Erweiterungs- und Ersatzinvestitionen sind zusammengezählt aus Sicht der Bank so hoch, dass sie nicht verzinst und rückgezahlt werden können, wenn man die üblichen Risikoabschläge bei Bankfinanzierungen mitberücksichtigt. Die Investitionsrechenmodelle, Marktrecherchen, Chancen- und Risikoanalysen haben also keine Bedeutung, wenn die wirtschaftliche Existenz eines Entscheidungspartners auf dem Spiel steht. Denn wenn es heißt, »dass die To-do187
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Liste viel größer ist, als ich gedacht habe«, und weiter: »Ich war gezwungen meine Firma in Deutschland zu verkaufen, mein Haus zu verkaufen, das ganze Eigenkapital hier hereinzustecken. Denn ich war schon mitten drin und wusste, jetzt kann es nur vorwärts gehen, wenn ich alle Kräfte bündle«,25 dann weiß jeder, was mit wirtschaftlicher Existenzbedrohung gemeint ist.
25 Interview vi, S. 68
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Investitionsentscheidungen sind Zukunftsentscheidungen »The social object of skilled investment should be to defeat the dark forces of time and ignorance which envelope our future.« 26 »Der soziale Zweck geschickter Investitionen sollte die Überwindung der dunklen Kräfte der Zeit und der Unwissenheit sein, die unsere Zukunft einhüllen.« 27 John Maynard Keynes hatte also auch seine Probleme mit der Zukunft und versuchte diese Probleme mit einem Appell an Entscheidungsträger in Bezug auf ihre Investitionsentscheidungen zu lösen. Was hat es also mit der Zukunft auf sich? In ihr ist Neues, noch nicht Existierendes angesiedelt. Sie ist nicht die Fortschreibung der Vergangenheit. Wir wissen über sie aber auch nicht, was sie nicht ist. Die wirtschaftsorientierte Gesellschaft hat für die Unbestimmtheit der Zukunft mächtige Hilfskonstrukte eingerichtet. Mit ihnen wird die ökonomische »Verbindung« von Zukunft und Gegenwart scheinbar zu überbrücken versucht. Auf ihrer Basis werden »Zukunftsentscheidungen« getroffen. Die Begriffe Unsicherheit, Risiko, Rendite 28 und die auf den Kosten und Erträgen dieser Begriffe begründeten Entscheidungen suggerieren uns eine Kalkulierbarkeit von Zukunft. Den Kosten und Erträgen wohnt aber auch der Verdacht inne, dass das Vorhaben scheitern könnte. Dadurch gibt es verschiedene Unterschiedsetzungen von der Gegenwart zur Zukunft. Sie werden durch Zahlen repräsentiert. Diese sollen Sicherheit vermitteln. Sie sollen Zukunftserwartungen in Einklang bringen zwischen jenen, die eine Investition tätigen, und jenen, die sie finanzieren – sie vertragsfähig machen. Wenn so eine Zahl, beispielsweise ein Zinssatz, auch noch für andere einsichtig ist – dann erliegen wir als Vertragspartner der Illusion, die Zukunft endgültig in den Griff zu bekommen. Wir Financiers und Unternehmer sind dann miteinander im Glauben an das Projekt – die Investition – verbunden. Daher rührt auch der Begriff des Gläubigers. Und das gegenseitige Versprechen kann auch gemeinsamer Irrtum sein. Oder erwarten die, denen die Zinsen versprochen wurden, etwas anderes – ein Scheitern vielleicht, um sich die Reste unter den Nagel zu reißen? Eine Investitionsentscheidung beziehungsweise eine Internationalisierungsentscheidung schließt also Zukunft ein, dringt gewissermaßen in die Zukunft ein. Es kann aber auch sein, dass sich alle gemeinsam täuschen, das ist dann, wenn 26 J. M. Keynes, The General Theory, 1936, S. 155 27 J. M. Keynes zum Thema Zukunft und Investitionen: ders., Allgemeine Theorie, 10. Auflage, S. 132:, www.keynes-gesellschaft.de/Hauptkategorien/LebenWerk/ AusspruecheParabeln.html (16. 3. 2008) 28 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Achtung Rendite!«
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alles viel schlechter kommt, als gemeinsam geplant war. Doch Unternehmer wissen das Gesetz des Handelns ohnehin auf ihrer Seite. Kein Projekt – kein Problem, keine Firma – kein Konkurs, das sind für Unternehmer keine Optionen. Die Zukunft eines Unternehmens schließt jedoch auch Vergangenheit und Gegenwart in seine Zukunftsentscheidungen ein. Und aus der Geschichte des Unternehmens entsteht auch das Vertrauen in die Einhaltung der Investitionsergebnisse. Deshalb haben es neu startende Unternehmer meist schwerer. Lange wurde Zukunft ausschließlich unter existenziellen Aspekten entschieden. Denn »für ihre Entscheidungen brauchten sie [Peter Heintel spricht von den ›ersten‹ Menschen] keine zusätzlichen Rechtfertigungsinstanzen, dafür stand ihr Leben«.29 Zwischen dieser Situation, die sich über Jahrtausende hielt, also ständig wiederholte, und der heutigen Situation, wo wir ständig Neues erwarten, besteht also ein bedeutender Unterschied. Und der hat auch mit dem Leben und dem Wirtschaften und dem Innovieren und dem Wachstum der Ökonomie zu tun. Heute werden also viele Zukunftsentscheidungen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen: Ist also die wirtschaftliche Existenz 30 heute gesichert, gilt es, die wirtschaftliche Existenz auch für die Zukunft zu sichern. Die Kraft und Energie für Entscheidungen ist also ausschließlich auf die Gestaltung der Zukunft gerichtet. Im ökonomischen Prinzip, welches aus der Transformation aller Produktionsfaktoren das beste Produkt für die Menschen hervorbringt, ist die Zukunftsgestaltung integriert. Und das Modell des Kapitalismus lässt im Erfolgsfall dem Unternehmer den verbleibenden Mehrwert an Kapital und damit die Machtdimension für gute Zukunftsentscheidungen. Er hat es also in seiner Hand. Damit ist aber auch die überdeterminierte Verantwortung für das Handeln und Umsetzen verbunden. Ein aus dem Modell heraus getriebenes Hoffen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass das »Lassen« als Entscheidung keine Option ist. In den modernen schnelllebigen Wirtschaftsgesellschaften bedeutet die Nicht-Entscheidung meist, das Erreichte auch wieder zu verlieren. Man hat sich zu wenig mit der Zukunft auseinandergesetzt – war nicht innovationsfreudig genug und kann keine neue und bessere Produktgeneration anbieten. Eine realistischere Alternative ist, alles Erworbene für die Zukunft zu riskieren und alle Finanzierungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Zu innovieren, zu wachsen, sich zu internationalisieren, ständig zu rechnen – sich aber auch immer zu verrechnen. Was ist damit gemeint? Damit hin und wieder ein Scheitern möglich wird, hofft man, dass man aus anderen Investitionen einen Polster erwirtschaftet. Dass sich also die Irrtümer saldieren, auch das verspricht keine 29 P. Heintel, E. E. Krainz, Über Entscheidung, Gruppendynamik, 17. Jhrg., Heft 2, 1986, S. 155
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Leichtigkeit. Es gibt unter anderem vielleicht noch die Möglichkeiten dazwischen. Es ist also eine Balance zu finden zwischen dem Nutzen in der Gegenwart und dem vermeintlichen Nutzen in der Zukunft, der beinahe zwingend den Verzicht auf Gegenwärtiges bedeutet. Die betriebswirtschaftlichen Algorithmen der Investitionsrechnungen fokussieren mit ihren Abzinsungen, auch Diskontierungen genannt, auf das Hier und Jetzt, also auf die Gegenwart. Dasselbe gilt für die Optionen, diese werden wie alle anderen Wirtschaftsgüter begeben, gekauft und verkauft. Diese Gegenwartsbezogenheit steht im Widerspruch zur Zukunftsfähigkeit, und es »bleibt die Frage offen, ob wir uns selbst in unserem Verhalten, unseren ›alten Mustern‹ so entscheidend verändern oder ob wir nicht sogar Rückfälle notieren müssen. Zu bemerken ist weiter auch, dass diese Art Gegenwartsbezogenheit, Nutzenoptimierung, offensichtlich auch nicht ganz zufrieden macht.« 31 Und wie wird dann entschieden, was in die Zukunft, die uns sozusagen offen steht, zu investieren und worauf in der Gegenwart zu verzichten ist, wenn die Dominanz der Gegenwart mit ihrem Charakter, die Zukunft abzuschließen – sie sozusagen auf Dauer zu stellen –, die Verbindungssicht zur Zukunft verstellt? Ändert sich unser Lebensmodell? Haben wir bereits den Höchststand an Lebensqualität erreicht? 32 Die Nachhaltigkeitsdebatten könnten darauf hinweisen, dass es mit der Quantität und der Steigerung von Qualität und Wirtschaftswachstum nicht so weitergehen kann. Und es kommt noch ein wichtiger Aspekt dazu. Denn eine der gut nachvollziehbaren Verbindungen aus dem Hier und Jetzt in die Zukunft ist die Verbindung zu jenen, die uns nachkommen. Für sie und oft, ohne sie zu fragen, wird in ihrem Namen Zukunft entscheiden. Auch werden Entscheidungen gefällt, die über mehrere Generationen wirken können, das betrifft nicht nur das Spaltmaterial aus Kernkraftwerken. Zukunftsentscheidungen in Unternehmen sind von der Aussicht auf wirtschaftliche Existenzabsicherung der Entscheidungsträger und ihrer (unmittelbaren) Nachkommen bestimmt. Damit treibt der Widerspruch zwischen der Absicherung des Erworbenen durch rentables Wirtschaften und dem weiter vorne Bleiben uns zum Handeln an. Und den Entscheidungsträgern kommt die Verantwortung zu, den Individuen mit ihren Entscheidungen, also nicht durch leere Worte, die gesicherte Zukunft zu versprechen. Ein Unternehmen, welches Entscheidungen unter diesen Aspekten trifft, wird meiner Ansicht nach gut funktionieren, kaum wachsen – bestenfalls organisch –, jedoch beendet 30 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Existenzielle Entscheidungen«. 31 P. Heintel, Thesen zum Thema: »Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war«, Symposium »Genug ist noch zuwenig« Abbazia di Rosazzo, 2006, S. 10 32 Ebd., S. 24
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oder verkauft werden, wenn ein Mitglied oder mehrere in seiner (ihrer) Existenz bedroht ist (beziehungsweise sind). Wenn die Zukunft nicht abgesichert ist, dann nehmen wir uns eben aus dem Spiel. Wer sind wir? Interessensgruppen, die Stakeholder, die Geschäftsführer, die Mitarbeiter, die Kunden und Lieferanten. Wenn die an diesem funktionierenden Unternehmen zwar Interessierten, jedoch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht unmittelbar existenziell Betroffenen nicht für sich selbst eine Zukunft im Zusammenhang mit dem Unternehmen sehen und die Macht haben, die derzeitigen Entscheidungsträger zu beeinflussen oder auszuhebeln – dann wenden sie sich ab. Konflikte werden also nicht ausgetragen, sondern man orientiert sich woanders hin. Wenn sich also so viele Interessen vermischen, wenn Gegenwartsoptimierung und Zukunftssicherung mit allen Systeminteressierten in Einklang gebracht werden sollen, wie soll das zusammengehen? Denn »im Guten sind sich zwar meistens alle Menschen einig, meist aber nur, wenn es eine Abstraktionsebene erreicht hat, die konkrete Interessen nicht mehr tangieren kann. Das heißt aber nicht mehr und nicht weniger, dass jede bestimmte Zielsetzung eine Auseinandersetzung mit bereits vorhandenen, wenn auch manchmal ›versteckten‹ Zielen bedeutet.« 33 Am Anfang von Unternehmensaktivitäten sind jene Entscheidungen zu treffen, wer Eigentümer des Unternehmens sein soll. Die Gesellschafterentscheidungen in Bezug auf ihre Struktur bedingen bereits das Entscheidungsverhalten für die Zukunft, also für Investitionen. So verknüpft sich das Investitionsverhalten mit der Gruppe der Entscheidungsträger. Denn die den Investitionen innewohnende Unsicherheit wirkt sich unterschiedlich auf ihr Entscheidungsverhalten aus. Jede Investitionsentscheidung ist unmittelbar verbunden mit dem Verzicht auf die Freiheit, mit dem erworbenen Geld tun und lassen zu können, was der Einzelne oder die Gruppe der Entscheidungsträger will. Was passiert beispielsweise bei einer konservativen Gesellschafterstruktur. Es wird nur die Entscheidung für eine Investition getroffen, wenn mit ihr die Sicherheit erhöht wird, wie beispielsweise beim Ersatz einer alten Maschine durch eine neue gleichen Typs, am besten nur mit einem Teil des mit der alten Maschine verdienten Geldes. Dann wird man sich zu dieser Investitionsentscheidung leicht hinreißen lassen. Die meisten Menschen denken: »Es wäre zu schön, wenn man aus einem erwünschten Zukunftsziel alle gegenwärtigen Handlungsaufgaben mit logischer Notwendigkeit ableiten könnte.« 34 Doch weil diese Eindeutigkeit selten gegeben ist, sind sie mit mindestens zwei Sorgen konfrontiert: Die Sorge vor dem Verlust der wirtschaftlichen Existenz und vor dem Verlust der Gestaltungs33 Ebd., S. 19 34 Ebd., S. 20
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freiheit der Zukunft. Im dauernden Hin und Her zwischen dem Aspekt, das Erreichte zu behalten und abzusichern auf der einen Seite und modern und innovativ zu bleiben auf der anderen Seite, sind auch für umsichtige Entscheidungsträger Konflikte vorprogrammiert. Und wie an anderer Stelle festgehalten, es macht in Bezug auf die Verantwortungszuordnung für dieses Problem beinahe keinen Unterschied, ob es es sich um eine Einzelperson oder um eine Entscheidungsgemeinschaft handelt. Denn kein Familienmitglied wird seine Interessen im vollen Umfang durchsetzen. Doch der Aufwand beziehungsweise die Mühe, einen Konsens oder zumindest einen Kompromiss zu finden, lohnt sich, weil diese Entscheidungen objektiv – das heißt logisch unentscheidbar – sind. Es liegt eine Aporie 35 vor. »Eine Aporie ist durch drei Eigenschaften gekennzeichnet: 1. zwei einander widersprechende Behauptungen und Interessen, 2. beide sind wahr beziehungsweise berechtigt, 3. beide sind voneinander abhängig. Nur wenn die eine Behauptung wahr ist, kann es auch die andere sein und umgekehrt.« 36 Und »indem Zukunft als Risiko aufgefasst wird, kommen wir allerdings zu einer seltsamen Aporie. Das Unberechenbare muss berechenbar werden. Wäre das nicht so, wäre Zukunft wie bislang auch etwas anderes. Schicksal zum Beispiel oder Kismet oder Zufall.« 37 Da dies aber nicht so sein kann, ist die Entscheidung auf uns zurückgeworfen und man kann dies beispielsweise bei beiden im Folgenden genannten Alternativen leicht nachvollziehen: ausschütten oder investieren; hohe soziale Absicherung oder hoher Shareholder-Value. Und die in den Betriebswirtschaftslehrbüchern nachlesbare richtige Aussage, dass die Unternehmensinteressen vor die persönlichen Interessen zu reihen seien, wirkt nicht, wenn es offene beziehungsweise nicht offen deklarierte Interessen in die eine oder die andere Richtung gibt. Und bei Kompromissen – nicht bei faulen! – und für einstimmige beziehungsweise Konsensentscheidungen wäre das Vertrauen nicht in die Beherrschbarkeit der Zukunft, sondern ins Tragen einer gemeinsamen Verantwortung eine wichtige Unterstützung. Doch dieses Vertrauen gibt es nicht geschenkt. Aber auf seiner Basis können Inhalte und die dahinterliegenden Motive offen besprochen werden. Und es können Bedingungen für kollektive Entscheidungsprozesse festgelegt werden. Wie kann man solche Bedingungen in der Praxis einrichten? Entscheidungshierarchien, die für die schnelle 35 Aporie (griech.): logische Ausweglosigkeit 36 G. Schwarz, Konfliktmanagement, Wiesbaden 2003, S. 285 37 K. P. Liessmann, Zukunft kommt!, Graz 2007, S. 54
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Entscheidung im Alltag erforderlich und hilfreich sind, brauchen eine Prozessqualität für weitreichende Entscheidungen. Diese Prozessqualität, die den Ablauf von Entscheidungen beschreibt, ist auf einer Vertrauensbasis besser vereinbar. So ist als nur kleines Beispiel folgende Vereinbarung zu sehen, dass nach weitreichenden Entscheidungen noch einmal darüber geschlafen wird, bis sie endgültig abgesegnet werden. Prozessqualität wirkt in Arbeitsgesprächen, wo vereinbart ist, dass jeder Teilnehmer explizit zu Wort kommen soll. Bei Meetings mit Tagesordnung soll die Möglichkeit der Veränderung der Tagesordnung gegeben sein. Als Beschlusskonvention, wo mehr Zeit und ein höheres Quorum beziehungsweise Einstimmigkeit zu erreichen ein als hohes Gut angesehen wird. So organisierte Kommunikationsprozesse sollen gemeinsames Handeln unterstützen. Und es geht um Konstitution von Sinn. »Sinnnormen bedürfen (damit) der Anerkennung und einer organisatorisch betreuten Umsetzung.« 38 »Denn in einer bestimmten Situation nicht über sich selbst bestimmen zu können, sondern sich für etwas zu entscheiden, was andere vorgeben, widerspricht dem Unternehmersein, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Die Praxis hat dafür das Wort Sachzwang.«39 Auch in der Gesellschaft sind Entscheidungen zur Bewältigung der Zukunftsprobleme geboten. Die Staatsgewalten (Rechtssystem und Gerichtsbarkeit, Militär, Polizei und Verwaltungsbehörden) und die Politik als Machtund Gestaltungsorgan stehen den privaten Institutionen, den Familien und den Unternehmen gegenüber. Dieses System hat meiner Ansicht nach die Tendenz, seine Besitzstände abzusichern. Das bedeutet, dass die Erträge aus den mutigen und erfolgreichen Investitionsentscheidungen nicht jenen zukommen, die sie treffen und zu diesem Erfolg führen, sondern jenen, die schon vorher da waren. Die Renditen werden an die Finanzwirtschaft übertragen, die ihrerseits artikuliert, was die anderen Teile des Systems tun sollen. Und sie bedient sich dabei einfältiger Sprachrohre – eigentümlicherweise rekrutieren sich diese aus den Interessensvertretungen der Realwirtschaft. »Obwohl wir in einem noch nie da gewesenen Reichtum leben, hören wir ständig von Verzicht, Opfer, Sparen, ›Gürtel enger schnallen‹.« 40 Es wird aber das, worauf heute verzichtet werden soll, um die Zukunft abzusichern, nie genannt, es könnte ja jemand kommen und (politisch) widersprechen. Und es wird ganz allgemein vom Sparen gesprochen, um sich nicht die Zukunft zu verbauen. Was mit dem Ersparten gemacht werden 38 Heintel, »Zukunft«, S. 21 39 E. Juritsch, Generationswechsel, Der Sinn von Konflikten bei Nachfolge im Familienunternehmen, swk 2008, S. 442 40 Heintel, »Zukunft«, S. 21
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soll, wird selten erwähnt. Das Sparen ist dann meistens auf die öffentlichen Haushalte gemünzt, weil sie ineffizient mit unserem Steuergeld umgehen. Anstatt das öffentliche Leistungsangebot auch zukunftsorientiert auszurichten und nicht einzuschränken, muss also gespart werden. Damit müssen sich vor allem die Unternehmen der Realwirtschaft, wo das Ausmaß des Sparens mit dem Ausmaß des Investierens in Einklang zu bringen ist, auf die Abdeckung zukünftiger nicht mehr öffentlich bereitgestellter Leistungsangebote, insbesondere die Infrastruktur und die Ausbildung ihre Mitarbeiter betreffend, einstellen. Und je kleiner diese Unternehmen sind, desto riskanter ist für sie die Abdeckung öffentlicher Aufgaben. Ein gut ausgebildeter Mitarbeiter stellt für sie Risikokapital dar – etwas, was im kmu nur sehr beschränkt vorhanden ist. Und das passiert, obwohl kmu und forschungsintensive Großunternehmen im Produktionssektor in den modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften die wesentlichen Treiber von Veränderung sind. Die Gesellschaft als Nationalstaat oder eu ist aber gefordert, auch inhaltlich zu gestalten, und hat sich zumindest in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg für demokratisch legitimierte Entscheidungen ausgesprochen. Wir sprechen vom Primat der Politik und der Freiheit, sich den Entscheidungsrahmen selbst zu gestalten. Bis vor wenigen Jahren war auch der Primat der Politik unbestritten. Heute gibt es eine Mehrfachspaltung der Entscheidungsverhältnisse: Auf der einen Seite stehen die Finanzwirtschaft und die multinationalen Unternehmen. Auf der anderen Seite die Parlamente und die kmu. Die Verlagerung von Entscheidungen von Regierungen oder Parlamenten in die Stammsitze (Headquarter) großer (Finanz-)Unternehmen lässt Defizite entstehen. Politikverdrossenheit ist nur ein Ergebnis daraus. Die Parlamente leiden unter massiver Nachwuchsschwäche. Die unterschiedlichen Zukunftsaussichten der derzeit lebenden Generationen würden aber kompetentes Entscheidungs- und Widerspruchsmanagement für dieses Auseinanderdriften der Prioritäten von Finanz- und Realwirtschaft benötigen. Und was noch passiert, ist, dass wir heute nicht mehr wissen, wo die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Die Vermutung lautet, dass Zukunftsentscheidungen auf die dem Finanzsektor zuzurechnenden öffentlichen Einrichtungen verlagert werden – doch die Europäische Zentralbank (ezb) ist kein Parlament. Die kmu können dann vom öffentlichen Sektor das nicht mehr fordern, was durch Sparen rückgebaut wurde. Und sie müssen ihre Entscheidungen auf diese Situation abstellen – wollen sie zukunftsfähig sein!
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Managemententscheidungen »Nachdem Gott die Position räumen musste, die Zukünfte optioniert und die Vergangenheiten obsolet geworden sind, tritt das Subjekt in die Lücke.« 41 Nachdem wir Menschen also glaubten, das physische und wirtschaftliche Überleben für Gegenwart und Zukunft gesichert zu haben, und im Glauben, dass für diese Lebensnotwendigkeiten stabile Verhältnisse herrschen, haben wir eine neue Form von Entscheidungen entwickelt. Wir haben begonnen, unsere über die Lebenserhaltung hinaus vorhandenen Fähigkeiten zu nutzen, um aus den über das Lebensnotwendige hinaus vorhandenen Materialien und dem Wissen beziehungsweise den Erfahrungen zu experimentieren – zu produzieren. Dieses Wissen war und ist nicht unser Wissen, sondern das allgemein vorhandene und verfügbare. Daraus ist die Arbeitsteilung der modernen Gesellschaft entstanden. Und wir Menschen produzieren aus der Kombination von Wissen und Material nützliche und, durch die Geldwirtschaft angeregt, jene Güter, für die wir glauben Geld zu bekommen. Und je größer die Unterschiede zwischen den Bedürfnissen (Nachfrage) und den angebotenen Gütern und je schwieriger die Herstellung, desto erfolgreicher waren und sind die Geschäftsmodelle. Diese sehr verkürzte Darstellung soll zeigen, dass die Arbeitsteilung, also die Zuordnung der Mitarbeitenden auf Basis ihrer Fähigkeiten die entsprechenden Tätigkeiten betreffend, die Beobachtung der Kundenbedürfnisse sowie die Finanzierung der Transformation von Material und Wissen in Produkte den Beruf des Managers hervorgebracht hat. Er wurde für die Entscheidungen im Sinne des Ganzen zuständig. Begriffe wie »gestalten« und »in die Wirkung bringen« werden damit in Zusammenhang gebracht. Er muss Entscheidungen in diesem Sinne treffen. Es sind Gestaltungsentscheidungen. Auf welche Grundsätze nehmen sie Bezug und warum sind sie möglich geworden? Sie nehmen ja wenig Rücksicht auf Sieger und Verlierer in Bezug auf die Ergebnisse dieser Entscheidungen. Eher schielen sie nach attraktiven Renditen: »We won’t make cars – we will make money!« Dies ist meiner Ansicht nach deshalb möglich, weil auch die Existenz der Verlierer von Entscheidungen – davon gehen die Entscheidungsträger aus – abgesichert ist. Sind nur deshalb Gestaltungsentscheidungen politisch und/oder wirtschaftlich durchsetzbar? Meiner Ansicht nach ja. Anders gelagert kann dies schon sein, wenn neue (Produktions-)Standorte errichtet werden, welche die in dieser Region Arbeitenden dazu veranlassen, selbst zu investieren, sie dann wieder geschlossen werden und dies einen Rattenschwanz von wirtschaftlichen Problemen nach sich zieht. Dass die Geldwirtschaft an vielen Standorten, auch in 41 P. Gross, Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt am Main 1994, S. 22
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Osteuropa, andere Formen des Wirtschaftens substituiert, sollte man bei der Internationalisierung schon berücksichtigen, denn durch diese Formen von (Investitions-)Entscheidungen kommt es zu Einkommens- und Machtverschiebungen. Und wenn diese kulturellen Veränderungen nicht gewollt oder unterlaufen werden, kann es zu wirtschaftlichen Problemen führen. Die Macht der Entscheidungen ist immer unter das Diktat des (wirtschaftlichen) Erfolgs zu stellen. Damit ist jedoch Macht nicht mehr nur eine von der Herkunft beziehungsweise vom Stand verliehene oder aus demokratischen Prozessen abgeleitete. Macht ist abhängig vom Ergebnis erfolgreicher Entscheidungen. Die Zeit, die uns zur Verfügung steht, welche wir nicht zum Abdecken des Lebensnotwendigen benötigen, können wir also in die Veränderung unserer Lebensbedingungen investieren. Märkte und Unternehmen sind der Ort beziehungsweise die rechtlich-organisatorische Ausgestaltung, wo dies passiert. Einen bewussten Start in dieses Zeitalter der Gestaltungsentscheidungen können wir nicht festmachen, weder bei einer Person noch als gesellschaftliches Phänomen. Wir wissen jedoch, dass wir uns heute im Zeitalter der größten Unternehmungen befinden und dass die größten Unternehmungen vor 200 Jahren, mit Ausnahme der Herrschaftsgebilde, nicht mehr als ein paar Dutzend Mitarbeiter hatten. Lässt sich dieser Umstand durch unternehmerisches Handeln und die darauf aufbauenden Entscheidungen erklären? Vereinfacht ja, obwohl die heute vorherrschenden theoretischen ökonomischen Erklärungen noch immer keine Subjektbezogenheit anbieten. Die ökonomische Theorie kann auch nicht Organisations- und Aggregationsphänomene erklären und die enorme Macht, die jene Personen haben, die an der Spitze von multinationalen Unternehmen stehen. Die aktuelle Einkommensdiskussion zu Spitzengehältern in der Privatwirtschaft weist eher darauf hin. Ein einziger theoretischer Beitrag weist überhaupt auf die Existenz von Unternehmen hin – die Internalisierungstheorie. Für alle Güter – so lautet ihre Hypothese –, die nicht direkt über den Markt beschaffbar sind, benötigen wir Unternehmen. Diese Unternehmen erledigen dann für andere Unternehmen oder für die Konsumenten die Herstellung, Beschaffung, Logistik und den Verkauf der nachgefragten Güter. Mit der Entscheidungsalternative »make or buy« hat die Transaktionskostentheorie aus der Sicht ihrer Vertreter alles geklärt und damit wurde die Arbeit bereits zu Ende gebracht. Doch es ist kein Nullsummenspiel, der Einsatz von Geld als Ware und Machtinstrument schafft die Verhältnisse auf den Märkten, die Ungleichheiten und die Möglichkeiten, wieder Geld zu verdienen oder zu verlieren. Deshalb gibt es bis heute keine garantierten Erfolgsfaktoren in der Wirtschaft – obwohl dauernd darüber geschrieben wird. Darum sind Insolvenzen, nicht in ihrer rechtlichen Ausgestaltung, sondern als Zustandsbeschreibung des Scheiterns, täglich Realität und 197
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volkswirtschaftlich geduldete Wirklichkeit. Und die realen Gegebenheiten wie (Markt-)Macht, die Bedeutung des Kapitals, der Ausbildungsstand, die Einkommens- und Vermögensverteilung, der Zugang zu Technologie kommen in den Analysen nicht so oft vor. Diese Zusammenhänge führen zu Anpassungen, welche gemanagt und entschieden werden müssen. Das hat zu einer Überbewertung der Zahlen geführt. Entschieden wird also auf der Basis der Abstraktion und damit der vermeintlichen Vergleichbarkeit. Der Weisheit, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, hat die einseitige Transparenz der Zahlen eine Lösung entgegengestellt, nämlich vergleichbar zu sein. Doch die Euphorie für die Zahlen und der unerschütterliche Glaube an die Kennzahlen sind brüchig geworden. Immer mehr wird auf das sogenannte Innere des Unternehmens Wert gelegt. Ein Begriffsbeispiel dazu ist der »hidden champion«. Unter dem Gesichtspunkt des Schnäppchens wären die hidden champions nur gewinnbringende Übernahmekandidaten, die aufgrund eines Informationsvorsprunges billig erworben werden können. Aber es steckt mehr dahinter. Themen wie Unternehmenskultur, Kommunikationskultur, Transparenz über die Zahlen hinaus, Investieren in inneres Potenzial zur Erhaltung, und zwar nicht im Sinne von Konservierung, sondern im Sinne tagesaktueller Tauglichkeit, können als Gegenmodell der kmu zum undifferenzierten Wachstum angeführt werden. Bei kmu ist der Vermögenszuwachs in der Regel von höherer Bedeutung als das Ausmaß der Ausschüttungen. Der Vorteil von kmu ist, dass diese Unternehmen kein leicht handelbares Gut darstellen. Der Wert orientiert sich an den Menschen und wie sie ihr Wissen transformieren. Anders ist die Welt der Finanzmärkte und der Unternehmen, die sie repräsentieren. Transparenz, und zwar einseitige, auf anerkannten Methoden basierende Kennzahlenpyramiden, wird gefordert, um an das Geld der Anleger und der Fondsmanager heranzukommen. Auch das Wohlwollen der Analysten ist von überragender Bedeutung. Sie sagen, wer das Geld braucht und wer es nicht kriegt. Die Situation bei kleinen Unternehmen und überschaubaren Familienunternehmen unterscheidet sich so stark von den multinationalen Unternehmen, dass wirklich von zwei Welten gesprochen werden kann. Diese zwei Welten – und das ist die Verbindung zueinander – beobachten und belauern einander. Dort wie da werden Entscheidungen in letzter Konsequenz auf der Ebene von ganz persönlichen Einschätzungen getroffen. Was ist dann der Unterschied? Brauche ich für meine Entscheidung einen Partner? Der Unterschied liegt also im Erfordernis von Partnern. Denn solange man keinen Partner im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft braucht, reicht es sehr oft, wenn man sein Modell im Kopf hat, und allgemeingültige Kennzahlen sind nicht von so großer Bedeutung. Des Weiteren sind langjährige Partner, die ihr Verhältnis zum Unternehmen im 198
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Vertrauen auf die Problemlösungskompetenz aufgebaut haben, mit wenigen Informationen ins Boot zu holen. Solange auch die Bank nicht ihr Risikomanagement einschalten muss, die Kunden Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Unternehmens haben, die Lieferanten langfristig stabile Beziehungen zum Unternehmen unterhalten, findet man also mit wenigen Eckdaten das Auslangen. Was ist, wenn es nicht so ist: Dann kippt die Informationspolitik auf die einseitige, auf Zahlen fixierte Transparenz. Und sie erzeugt in der Regel Misstrauen beim Unternehmer. Er fühlt sich zu Tode geprüft. Er stellt sich die Frage, ob durch die Bereitstellung umfassender Unterlagen seine Position, die im Ausnützen eines temporären Vorteils liegt, gefährdet wird. Welcher Unternehmer setzt sich gerne mit (»Zahlen«-)Menschen, denen er nicht vertraut, an einen Tisch, wenn er nicht bereits in wirtschaftlicher Bedrängnis ist? Also nur jener, der seine Unternehmerposition selbst in Frage stellt, auch wenn er in der Tradition von Schumpeter und auch moderneren Ökonomen die beste Marktkombination beherrscht und durch Innovationen sich ständig einen Vorsprung verschafft. Das Wissen und die Umsetzungsfähigkeit der besten Marktkombination sind in dem Moment zu Ende, in dem der temporäre Vorteil auf einen anderen übergeht. Im Zeitalter der sich ständig verändernden Anbieter und Nachfrager in den Angebotsketten 42 ist die rechtliche Absicherung über Patente eine Seite, die innovative wirtschaftliche Geheimniskrämerei eine auch heute noch viel wichtigere. In der Realität ist also weiter Flunkern als Teil der unternehmerischen Kernkompetenz angebracht, wichtig ist jedoch, dabei selbst genau zu wissen, was real ist! Doch weil eine Einzelperson mit den Anforderungen, die von allen Seiten gestellt werden, nicht zurande kommen kann, muss sie entscheiden, wie sie mit Informationen in Bezug auf die Alleinstellungsmerkmale des Unternehmens umgeht. Und die Bezugnahme auf den Umgang mit Information bleibt das Vertrauen. Und Vertrauen ist bei (Wissens-)Vorsprung nicht leicht aufzubauen und zu erhalten. Der Widerspruch von Konkurrenz und Kooperation 43 ist also auch zu managen beziehungsweise zu entscheiden. Und weil dies nicht ausreicht, wird auch noch die Liebe bemüht. Georg Simmel spricht von der Verbindung von Konkurrenz und Liebe: »Der Konkurrenz gelingt demnach unzählige Male, was sonst nur der Liebe 44 gelingt: das Ausspähen der innersten Wünsche des anderen, bevor sie ihm noch selbst bewusst geworden sind. Die antagonistische Spannung gegen den Konkurrenten schärft bei dem Kaufmann die Feinfühligkeit für das Publikum bis zu einem fast hellseherischen Instinkt für 42 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«. 43 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Kooperationen und Eigentum (Konkurrenz)«. 44 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Win-win-Entscheidungen«.
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die bevorstehenden Wandlungen seines Geschmacks, seiner Moden seiner Interessen; und doch nicht nur bei dem Kaufmann, sondern auch bei dem Zeitungsschreiber, dem Künstler, dem Buchhändler, dem Parlamentarier. Die moderne Konkurrenz, die man als Kampf aller gegen alle kennzeichnet, ist doch zugleich der Kampf aller um alle.« 45 Die Möglichkeiten, Entscheidungen zu fällen, die über die Absicherung der Existenz in Gegenwart und Zukunft hinausgehen, haben mit dem Unternehmer oder Manager als Entscheidungsträger jenes personifizierte Missing Link hervorgebracht, das durch Gestaltungsentscheidungen eine unbestimmte Zukunft bestimmt macht. Aus dem Ergebnis des Entwicklungsprozesses leitet sich Macht ab, und zwar über die zwei Faktoren Erfolg und Kapital. Mit beiden Faktoren wird die Gestaltungsmacht für weitere Entscheidungen verliehen. Damit haben wir heute die größten Unternehmen aller Zeiten und zugleich die größten Zuwachsraten neuer unternehmerischer Aktivität. Dazu kommt noch die Innovationsgetriebenheit. Sie ist gleichzeitig Ursache und Folge der Gestaltungsmacht und sie ist Informationsmacht. Entscheidungen von kmu unterscheiden sich von denen großer Unternehmen durch zurückhaltende Information in Bezug auf die Erfolg versprechenden Kernprozesse und Ausspähen der Wünsche des Kunden. Das ist nicht der Stoff, aus dem Konzernträume gemacht werden.
45 G. Simmel, zit. nach W. Palalver, Segen und Fluch der Konkurrenz, in: H. Gross, Prolog zum Managementsymposium »Friss oder stirb!«, Abbazia di Rosazzo 2000, Seminarunterlagen, S. 2
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Win-win-Entscheidungen 46 Unmündigkeit des Menschen wird im Christentum scharf verurteilt. Im Rahmen der allgemeinen Regeln und Gesetze und Gelegenheiten nicht frei entscheiden zu können, »nicht selbst sein zu können, nicht über sich verfügen zu können […] heißt bei Jesus auch ›Sünde‹. [Dieser Zustand wird von Jesus mit] als bei lebendigem Leibe tot sein‹« 47 beschrieben. »Wem es gelingt, die Sünde zu überwinden (es geht am besten, wie wir wissen, durch Liebe, also durch Konsensfindung), der lebet neu, ein zweites, ein drittes oder ein x-tes Leben. Im neuen Testament heißt dies auch Auferstehung. Die Auferstehung des Leibes findet natürlich zu Lebzeiten statt.« 48 Somit ist die eigene Entscheidung eine Neuentdeckung des Selbst. Irgendwann und in mehreren Phasen der Geschichte und der Entwicklung von Gesellschaften wurde diese Eigenschaft unterdrückt. Auch heute heißt es trotz Überforderung des einzelnen Entscheidungsträgers und bei gleichzeitig voller Verantwortungszuordnung: »Der Chef hat immer recht!« Das sind schlechte Voraussetzungen für ein konsensuales Klima. Deshalb stellt sich folgende Frage: Gibt es Möglichkeiten, wichtige Entscheidungen in Unternehmen wie zum Beispiel Investitionsentscheidungen so zu organisieren, dass sich trotz ihrer Bedeutung und der Zuordnung der Entscheidungsmacht zur obersten Leitungsebene eine breitere Entscheidungsbasis verantwortlich für das Gelingen fühlt? Und kann eine solche Verbreiterung dauerhaft eingerichtet werden und auch funktionieren? Eine der wirksamsten Möglichkeiten ist, sich auf konsensuale Entscheidungsfindung einzulassen. Diese lässt sich aber nicht verordnen und braucht mehr Zeit. Es gibt zwar keine Garantie, aber Konsens liefert in der Regel bessere Ergebnisse. Grundsätze im Konsens zu entscheiden, setzt vorerst eine kollektive Sichtweise des Problems voraus. Dazu braucht man Besprechungsformate, die es ermöglichen, dass unterschiedliche Sichtweisen zur wesentlichen Fragestellung vorgetragen werden können. Ein einfaches und bewährtes Besprechungsformat hat beispielsweise folgenden Ablauf: Zwei Besprechungsrunden umrahmen den Informationsteil, eine erste, in der jeder Teilnehmer sagen soll was ihm gerade am Herzen liegt, dann ein kurzer, vorher angekündigter Inhaltsblock zum Projekt oder Vorhaben und eine Abschlussrunde, in der sich wieder jeder Teilnehmer zum Projekt äußern kann; damit kann eventuell auch ein Zusammenhang zur ersten Runde, zu den Befindlichkeiten jedes Einzelnen, hergestellt 46 Nach dem Modell der Chakren werden in diesem Essay Entscheidungen auf der Herzensebene, also der vierten Ebene, beschrieben. 47, 48 G. Schwarz, Was Jesus wirklich sagte, Wien 2007, S. 9
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werden. »Dadurch entsteht eine gemeinsame Sichtweise des Themas, der Probleme und Vorurteile. Dann geht es darum, ein Umsetzungsdesign zu finden – die praktische Organisation der gemeinsam entschiedenen Maßnahmen.« 49 Bedeutend für den Aufwand beziehungsweise die Mühe, im Konsens zu entscheiden, ist die logische Ausweglosigkeit beziehungsweise sind die objektiv unentscheidbaren Entscheidungen, wenn also eine Aporie 50 vorliegt. Und dies ist bei Internationalisierungsentscheidungen sehr oft der Fall. Denn es gibt nicht nur die Alternative, sich mit Haut und Haar mit allem, was wir an Finanzressourcen und an Managementkapazitäten haben, zu internationalisieren oder sich zu verkriechen und zu Hause zu bleiben. Um ein Konsensklima herzustellen, sind jedoch einige Vorbedingungen notwendig. So ist ein Klima des Vertrauens eine Voraussetzung für Konsensentscheidungen. So formuliert es einer meiner Gesprächspartner: »Das sage ich immer dazu, traue jemandem und vertraue ihm, Vertrauen, Vertrauen – eine Voraussetzung für gute Entscheidungen.« 51 Und Vertrauen entsteht, wenn eine Besprechungskultur bei Arbeitsgesprächen und eine Lösungskultur durch gemeinsame Bearbeitung von Problemen vorhanden ist. Diese organisierten Kommunikationsprozesse sollen immer wieder ein einander Verstehen ermöglichen. Wenn dies nicht durch Selbstaufklärung auf der Metaebene passiert, können sich trotz der Konsensregeln Dauerkonflikte in Abstimmungsmustern verbergen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es sich bei der Organisation des Entscheidungsprozesses auf breiterer Basis um eine Scheinmaßnahme handelt. Auf Basis dieses Vertrauens kann sich der Grundsatz, dass beispielsweise so wichtige Entscheidungen wie Investitionsentscheidungen im Konsens zu treffen sind, über die Geschäftsordnung konstituieren. Dann ist die Breite der Zustimmung innerhalb des Unternehmens höher als beispielsweise das erforderliche Zustimmungsausmaß auf der Gesellschafterebene. Diese beiden Ebenen weisen bei kmu oft – zumindest teilweise – Rollenidentitäten auf, wie zum Beispiel beim geschäftsführende Gesellschafter. Durch die geschilderten Bedingungen, damit im Konsens entschieden und eine Basis des Vertrauens aufgebaut werden kann, ist zugleich für die Möglichkeit der Bearbeitung von Konflikten vorgesorgt. Denn es ist bei Investitionsentscheidungen fast immer davon auszugehen, dass zwischen verschiedenen Zielen zu wählen ist. Investieren bedeutet temporären Verzicht auf Ausschüttungen an die Gesellschafter, 49 H P. Heintel, Rahmenbedingungen, Herausforderungen und Dynamik, in: H. J. Gögl, C. Th. Schedler für den Verein Landschaft des Wissens (Hrsg.), Wissen schafft Unternehmen, Bern 2007 50 Siehe meine Ausführungen im Essay »Investitionsentscheidungen sind Zukunftsentscheidungen« und Glossar 51 Interview vii, S. 92
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zugunsten einer durch Entscheidungen zu bestimmenden Zukunft. Das heißt aber auch, dass solche »Konflikte nicht nur notwendig sind, sondern auch Sinn haben. Geht es doch in ihnen um die Sinnkonstitution überhaupt. Systemkonflikte beweisen nämlich zweierlei: erstens, dass gesetzter Sinn, egal von welchem System er kommt, relativierbar ist und keinen absoluten Anspruch vertreten darf. Zweitens aber auch, dass Sinn notwendig ist, unverzichtbar fürs Überleben und Glück menschlicher Existenz.« 52 Aber natürlich braucht man, um den Sinn von Konflikten zu erkennen, Übung im Umgang mit ihnen. So entsteht mit der Bearbeitung des Konflikts erst die Verbindung von wirtschaftlicher Existenz mit dem Zukunftsprojekt, weil gerade das erarbeitete beziehungsweise erworbene Risikokapital für dieses Projekt wieder eingesetzt werden muss – es wieder gebunden wird und damit nicht mehr zur freien Verfügung des oder der Eigentümer steht. Konsensual organisierte Entscheidungsgremien beziehen also die Existenz mit ein.53 Sie nehmen die Entscheidungsgründe, die sich auf das wirtschaftliche Überleben beziehen können, sozusagen immer wieder in sich selbst auf. Das ist insofern von Bedeutung, als die wirtschaftliche Existenz eines Minderheitseigentümers durch eine Mehrheitsentscheidung im Risikokapitalpool enthalten ist. Und die Interessen von Eigentümern sind in unserer Gesellschaft sehr stark verankert. Die Normen von Eigentumsrechten wirken sehr stark. Die aus den Eigentumsrechten abgeleiteten Entscheidungen müssen oft gar nicht begründet werden. Um einen dialektischen Zugang zwischen Eigentumsrechten und Konsens bei Entscheidungen zu finden, ist es von Vorteil, innerhalb der Eigentümer die grundlegenden Zielsetzungen des Unternehmens – seine Existenzberechtigung – gemeinsam zu erarbeiten, und sie dürfen bei weiteren Entscheidungen nicht bei jeder problembehafteten Entwicklung in Frage gestellt werden. Gemeint sind damit ständige Grundsatzdiskussionen, obwohl alles passt. Anders gelagert ist die Situation, wenn die grundlegende Zielsetzung selbst zum Thema erklärt und die Akzeptanz, wie das Unternehmen organisiert ist, in Frage gestellt wird – beispielsweise weil die wirtschaftlichen Erfolge ausbleiben. Denn die Existenz jedes Unternehmens unterliegt einem ganz bestimmten Zweck. Die Strategie, die Produkte oder Dienstleistungen, die finanziellen Ressourcen sind die Bausteine des Unternehmens. Über diese Grundsätze der Existenzberechtigung des Unternehmens ist auch in Zusammenhang mit Investitions- beziehungsweise Internationalisierungsentscheidungen Konsens 52 P. Heintel, Widerspruchsfelder, Systemlogiken und Grenzdialektiken als Ursprung notwendiger Konflikte, in: G. Falk, P. Heintel, E. E. Krainz (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Wiesbaden 2005, S. 20 53 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Existenzielle Entscheidungen«.
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herbeizuführen, will man ein weiteres Vorgehen im Konsens ermöglichen. Mit einer Internationalisierung verändert sich das Unternehmen – es bleibt nicht mehr ein regionales. Wie sieht die Entscheidungsrealität aus und wie kommt man von der Entscheidungsrealität in kmu zu diesen geschilderten Grundsätzen? Unternehmen, ob als Aktiengesellschaften oder als andere Unternehmensform, sind nicht immer in einer Hand. Abgeleitet von dieser Tatsache ergibt sich somit ein höherer Komplexitätsgrad für unternehmerische Entscheidungen. Die Vielfalt von Gesellschaftsformen und die noch größere Vielfalt von klaren oder unklaren Mehrheitsverhältnissen in Bezug auf eigentümerrelevante Entscheidungen lässt Entscheidungsentstehung und -verhalten meistens nur erahnen. Von Koalitionen über offene oder geheime Syndikate bis hin zu politischem Verhalten in größeren familiengeführten Unternehmen gibt es unzählige Spielarten für Entscheidungsprozesse. Es gibt keine Struktur eines allgemein gültigen Investitionsentscheidungsprozesses. Mathematisch wurde bereits 1786 erstmals bewiesen, dass Ja/nein-Entscheidungen bereits bei einfachen Fragen mit mehr als zwei Akteuren zu Zirkularitäten führen, somit keine eindeutigen Ergebnisse hervorbringen 54 und für wesentliche Entscheidungen in Unternehmen unbrauchbar sind. Einem unerfahrenen Manager wird bei der ersten Ja/neinVerzweigung erklärt, dass diese Verzweigung zwar perfekt aufbereitet sei, aber es noch eine dritte und vierte Variante gebe, die nicht berücksichtigt worden sei. Deshalb wird im Alltag oft intuitiv entschieden. »Es ist natürlich schwierig zu antizipieren, weil man für gewisse Dinge immer Lehrgeld zahlt. Wer arbeitet, macht Fehler, aber sie müssen nicht so gravierend sein, dass es existenzgefährdend ist. Man muss sich da schon auf einem gewissen vorsichtigen Terrain bewegen. Man muss verschiedene Dinge einfach wagen und ausprobieren. Und wenn man in den eigenen Bauch reindenkt, wenn man das ein wenig genauer analysiert, dann schafft man eine Menge richtiger und guter Entscheidungen. Nicht alle, aber die Mehrzahl der Entscheidungen dürfte schon gut werden.« 55 Diese Aussage fasst in wenigen Sätzen die verschiedenen Zugänge zusammen: Analyse, Bauch, Erfahrung, Existenz. Menschen entscheiden aufgrund ihrer guten und schlechten Erfahrungen, durch Lernen in ihren wechselnden Umgebungen, somit in unterschiedlichen Kulturen wie Familien-, Unternehmens-, Universitäts- oder Alltagskultur. Dies gilt insbesondere für Teams, für mehrere Geschäftsführer oder Gesellschafter, die auf der Basis von bestimmten Normen entscheiden. Und genau in diesen Entscheidungsgremien spielt die Entscheidungskultur, 54 Zum Condorcet-Paradoxon s. Glossar 55 Interview vi, S. 72
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die sich neben der Machtbasis, jedoch meistens nicht losgelöst von dieser entwickelt, eine Rolle. Dies gilt beispielsweise für die Entscheidungskultur oder Entscheidungspolitik, sich bei Entscheidungen immer nach den gesellschaftsrechtlichen oder in der Satzung festgelegten Mindesterfordernissen zu richten. Hier kann eine Änderung der Entscheidungskultur ansetzen! Es ist empfehlenswert, wenn bei sehr relevanten Entscheidungen so lange diskutiert und die zur Entscheidung vorgelegten Anträge so lange verändert werden, bis in wesentlichen Punkten – jedenfalls über die grundsätzliche Ausrichtung der Geschäftspolitik in Bezug auf ein bestimmtes Thema – Einstimmigkeit und somit Konsens erreicht wird. Die Einhaltung dieser Grundsätze unterliegt dann einer gemeinsamen Beobachtung. Denn meistens, wie schon betont, ergeben sich erst aus verschiedenen Sichtweisen, aus unterschiedlichen Motiven, aus widersprüchlichen Meinungen Ausgangssituationen, die zu einer objektiveren Entscheidungsgrundlage führen als eine nicht reflektierte Einzelmeinung. Die Spezialisierung komplementär organisieren
Eine Begründung für die Arbeitsteilung lautete, dass sich die zeitintensive Hinwendung auf eine spezifische Tätigkeit positiv auf die Fähigkeit auswirke, Entscheidungen in Bezug auf diese Tätigkeit zu treffen. Dieser Grundsatz ist in einer Zeit entstanden, in der wenige Wissende (Weise, Lehrer, Kleriker) für andere dachten und diese das Vorgedachte ausführten. Die bloße Ausführung hat Vorteile für Entscheidungen, bei denen die Wirkungszusammenhänge klar sind. Wo aber Kombinationen aus geistigen und körperlichen Fähigkeiten benötigt werden, gilt das nicht. Und diese Kombinationen gelten auch für komplexe, nicht in Einzelteile zerlegbare Entscheidungen. Diese wichtigste Erkenntnis wird aber oft vernachlässigt: einen Zusammenhang zwischen geistigen Fähigkeiten und den Erfahrungen der Menschen, die damit arbeiten, zu organisieren. Denn »Im Prinzip spielt es sich zwischen Leuten ab und sonst gar nichts. Die Maschine ist ein [Haufen Material]. Derjenige, der die Maschine bedient und täglich oben sitzt, der muss damit glücklich sein und der muss auch akzeptiert werden. Das hat man in Russland gut gesehen. Dessen Stellung in der Gesellschaft steigt damit.« 56 »Genau, zeigen, dass man nicht besser und nicht gescheiter ist. Er hatte eine andere Ausbildung, er hat vielleicht andere Stärken, er hat einen anderen Wissensstand und dass man das auch als solches respektiert. Man darf sich nicht überbewerten. Man hat eine gute Lösung. Man ist spezialisiert auf dem Gebiet. Es muss einem bewusst sein – wie wäre es, dass wir das machen können? Das kann nur gemeinsam gehen. […] Die ganze Struktur muss dort 56 1 Interview vii, S 93
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mitwachsen, eine Maschine alleine ist [Material das richtig zusammengeschraubt ist]« 57 Diese Aussagen eines Unternehmers sprechen für Kollektiventscheidungen von Spezialisten mit unterschiedlichen Erfahrungen in der erfolgreichen Lösung realer Probleme. Da ein Unternehmen verschiedenste Ausprägungen annehmen kann, indem es beispielsweise irgendwo auf dieser Welt investiert, in ein Vertriebsbüro, in eine Produktionsanlage oder in ein Joint Venture, enthält dieser Entscheidungsprozess jene Komplexität, die hier gemeint ist und die sich nicht in Einzelteile für den jeweiligen Experten zerlegen lässt, welche sich dann durch eine Rechenoperation oder ein anderes Modell wieder »zusammenfügen« lassen. Alles was sich herauszerlegen lässt, soll von (einzelnen) Experten vorentschieden werden. Nur manche Kompetenzen lassen sich getrennt erwerben. Die Sprachkompetenz eines Teams, welches eine Investition in einer fremden Region umsetzen soll, ist zum Beispiel eine aus dem Gesamtthema herausschälbare, ebenso viele technische Fragen und Kostenfragen, Rechtsfragen und Finanzierungsfragen. Dieses den naturwissenschaftlichen Vorgehen nachgebildete Konzept dient zur Überprüfung der Ausdifferenzierung: »Zerlege ein Problem, den Gegenstand in so kleine Teile, dass Begriff, Herrschaft, Kontrolle über sie möglich ist. Voraussetzung: Isolation von der sie umgebenden Wirklichkeit. Setze dann die Teile zusammen und erzeuge daraufhin eine eigene Wirklichkeit. Methode: Logik und Ausschluss von Widersprüchen. Diese Ausdifferenzierung bedeutet Förderung des Spezialistentums.« 58 Alles, was das Ganze betrifft, muss jedoch anders entschieden werden, es müssen die gemeinsamen Kenntnisse eingesetzt werden. Trotz dieser starken Einschränkung des Prinzips der Arbeitsteiligkeit – es wird in der Organisation sehr spezialisiert angewendet – stellte es einen Quantensprung 59 für die wirtschaftliche Entwicklung dar. Mit dieser Einschränkung lässt sich auch die These verfestigen, dass die Alleinentscheidung bei komplexen Themen nicht die beste aller Entscheidungsformen darstellt. Eine der Möglichkeiten, Arbeitsteiligkeit in ein Unternehmen zu integrieren, ist, bei Kollektivorganen oder bei Gesellschaftsgründungen auf die unterschiedlichen Stärken von Gesellschaftern, Geschäftsführern und leitenden Mitarbeitern zu achten. Diese müssen dann ihre eigenen Mittel und Wege finden, wie sie zur Entscheidungsfindung beitragen können. Dieser mit unterschiedlichen Stärken zusammengewürfelte Haufen ist dazu angehalten, zu einem Team zu werden. Das passiert aber nicht von selbst – es muss organisiert werden. In die Teamfähigkeit und Teamkultur ist zu investieren, dazu sind Themen gut geeig57 Interview vii, S. 91 58, 59 P. Heintel, Gruppe und Komplexitätsmanagement, 26. 7. 1996 (Manuskript ohne Seitenangaben)
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net, die das ganze Unternehmen betreffen, wie Visionserstellungsprozesse oder Strategiewokshops.60 Der Beachtung unterschiedlicher Stärken (und auch Schwächen) bei der Zusammenstellung von Teams, Abteilungen oder ganzen Organisationen wird meist viel zu wenig Priorität eingeräumt. Denn diese Beachtung erfordert es, auf zwei Voraussetzungen zu achten. Es ist von Vorteil, neben der Fachkompetenz auch auf Persönlichkeitsmerkmale einzugehen. Gemeint sind beispielsweise persönliche Prägungen: Eher verstandesbezogene Menschen sollten mit eher gefühlsbetonten, eher ordnungsliebende mit freiheitsliebenden Menschen zusammenarbeiten. Das ist eine Möglichkeit, die Entscheidungskompetenz zu erhöhen und kollektiven Irrtum – alle sind einer Meinung und sie führt nicht zum gewünschten Ergebnis – zu verringern. Die Anerkennung der speziellen persönlichen Stärken und die Akzeptanz dieser unterschiedlichen Prägungen im Entscheidungsgremium ist eine gute Voraussetzung für konsensuale Entscheidungsfindung und -qualität. Die Vorteile der Arbeitsteilung (Expertise) und ihre Nachteile (Reduzierung auf eindeutige Kausalitäten) können also durch unterschiedliche menschliche Stärken in der Organisation und durch organisatorische Vorkehrungen ausbalanciert werden, und das sind gute Bedingungen für das Management, nämlich mit der Frage: »Wie lassen sich Entscheidungen in lebendige Prozesse der jeweils Betroffenen übersetzen?« 61 Für diese Frage gab es in meinen Interviews viele Beispiele. Ich führe eines an, wo Sicherheitsbedürfnisse, Akzeptanz, Zuhören und Technik beinahe in einem Atemzug genannt werden, wo es um die Entwicklung von Bringungsgeräten unter schwierigsten Bedingungen geht: »Unfallhäufigkeit – es ist einfach ein gefährlicher Job, den ganzen Tag im Steilhang oder im Sumpf. […] Man kann auch sagen, da kommt auch die Akzeptanz dazu. Wenn man das gemeinsam macht, mit der örtlichen Gruppe, da kommt eine gute Lösung heraus. Man muss sich die Leute vor Ort anhören und wirklich aktiv anhören. Da kommen oft Lösungen heraus von Leuten, die man mit einbindet, wirklich wunderbar. Die zeigen oft Dinge, die man selbst im Übereifer, in der technischen Spinnerei gar nicht sieht. Das muss man auch erkennen, hin und wieder.« 62 Das erwünschte Ausmaß an Sicherheit, Technik und Wirtschaftlichkeit kann natürlich nur durch Entscheidungen bestimmt werden. Und das Ergebnis ist ein Kompromiss, der die Interessen in Einklang bringt. Und wie erklärt sich das? Am einfachsten durch die Negation: Konsens und Harmoniestreben sind für so unterschiedliche 60 Siehe beispielsweise meine Ausführungen im Essay »Visionsentwicklungsprozess und Visionsinhalt«. 61 P. Heintel, Über Entscheidung, in: E. Heintel, H.-D. Klein (Hrsg.), Wiener Jahrbuch für Philosophie, Wien 1986, S. 161 62 Interview vii, S. 92
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Interessen wie Sicherheit und Wirtschaftlichkeit völlig unpassend, da diese Interessen einander widersprechen. Und für gute oder gar schnelle Entscheidungen sind diese Voraussetzungen nicht geeignet. Denn dann kann man sagen, dass hier nichts zu entscheiden war, oder es wurden nicht alle Möglichkeiten an- und durchgedacht, es mangelte sozusagen am Dissens im Entscheidungsprozess.63 Wie kann man also bei so unterschiedlichen Zugängen (technologisch, finanzwirtschaftlich, machtdeterminiert) das Dilemma Hierarchie und Konsensentscheidungen lösen? Denn »längst weiß man, dass Vorgesetzte nicht immer das beste Wissen für ein Entscheidungsproblem haben, auch wenn sie die Entscheidung treffen müssen und dafür verantwortlich sind. Ihre Aufgabe ist es oft nicht, das beste Wissen zu haben, sondern dafür zu sorgen, dass in ihrem Bereich die besten Entscheidungen getroffen werden. Technologie und ihr rasanter Fortschritt […] unterlaufen das sogenannte hierarchische Prinzip. […]Diese Gruppen haben leider sehr oft mit großen Organisationsschwierigkeiten zu kämpfen, weil uns allen noch die hierarchische Ordnung in den Knochen liegt.« 64 Das gelingt nur, wenn Konkurrenz und Kooperation 65 in einer Organisation oder auch in einem Projekt Platz haben, wenn Klarheit herrscht, dass Widersprüche zu entscheiden und zu managen sind. Die Betonung der Konkurrenz, des technologischen Vorsprungs und der Wettbewerbsfähigkeit ist nur die eine Seite, sie bei komplexen Entscheidungen umzusetzen und während einer langen Zeit durchzutragen, erfordert mehr als die Entscheidung auf der Ebene der Macht. Und die konsensuale Entscheidung vermittelt den weniger Mächtigen in einer Organisation ihre Anerkennung und die Symmetrie (»Augenhöhe«) im Diskussions- und Entscheidungsprozess. Diese Entscheidungskultur durch eingeführte Regeln und durch gelebte Erfahrung aufrechtzuerhalten ist hohe Kunst im Management. Doch ein Automatismus ergibt sich dadurch nicht. Es ist ein immanenter Erfahrungsprozess. Um die Synergien in einer Unternehmung und die besten Voraussetzungen für gute Internationalisierungsentscheidungen zu treffen, ist ein kooperatives Klima sehr hilfreich. Denn über die räumliche Distanz lässt sich kaum ausschließlich durch Macht oder mit der kurzen Leine ein entwicklungsfähiges neues Unternehmen aufbauen. So geführte Manager werden Kosten sparen und sich an alle durch sie selbst aufgestellten spieltheoretisch 63 Vgl. F. Malik, Führen, Leisten, Leben. Wirksames Management für eine neue Zeit, Stuttgart–München 2003, S. 290f 63 P. Heintel in P. Heintel, L. Krainer, I. Paul-Horn (Hrsg.), Zur Grundaxiomatik der Interventionsforschung. Präambeln für eine andere Wissenschaft. Klagenfurt 2005, S. 9 64 P. Heintel, Gruppen als Entscheidungsorgane, (Manuskript, 21 Seiten, ohne Datum) S. 2f 65 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Kooperationen und Eigentum (Konkurrenz)«.
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ausgeklügelten Geschäftspläne halten, jedoch nicht alle ihre Fähigkeiten entfalten. Die Kommunikationstechnologie lässt sich sowohl für Management über räumliche Distanzen als Kontrollinstrument einsetzen, ermöglicht jedoch genauso Verschleierung in der Beantwortung der Kontrollfragen. Und die direkte Kommunikation kann sie ohnehin nicht ersetzen. Es gibt Möglichkeiten, die Kommunikationskultur in einem Unternehmen von der Befehlsebene, wie sie dem hierarchischen Prinzip zugrunde liegt, auf die Verstehensebene zu heben. Das gelingt dann, wenn Emotionen erkannt und anerkannt werden. Das gilt auch, wenn Gedanken geteilt werden und man sein Wissen nicht hortet, sondern den Kollegen mitteilt. Es ist dazu besonders hilfreich, wenn man die Verfassung des Unternehmens gemeinsam erarbeitet, wenn die Vision, die Mission und die Strategien 66 breit kommuniziert werden, die Möglichkeit für Verständnisfragen eröffnet wird und zur besseren Klarheit auch Korrekturen und Anpassungen erfolgen können. Die Fragen der doppelten Verantwortung des gesamten Führungsteams, aber auch der einzelnen Mitglieder müssen immer wieder sich selbst und einander gestellt werden. Verantwortung für die fachlichen Beiträge und die Beiträge für Entscheidungen. Diese Anforderung an eine Unternehmensführung ist kein Appell an Harmonie. Es bedeutet, dass sie mit Widersprüchen umgehen kann, ohne dass persönliche Verletzungen passieren. Der Grundsatz, dass das Ganze und die Verantwortung für das Ganze etwas anderes sind als die Summe von Teilverantwortungen, unterstützt die Konsensbildung, erfordert jedoch wie schon oft betont genügend Zeit. Diese Mehrzeit für die Klarheit im Entscheidungsprozess erspart man sich bei der Umsetzung. Und es muss uns bewusst werden »dass wir in den letzten hundert Jahren in Technik, Wissenschaft und Produktion, der ökonomischen Konstituierung von Weltgesellschaft, ungeheuer fortgeschritten sind, mit unseren Gefühlen, Handlungsmustern, Reaktionsformen, Verhaltensweisen hierbei jedoch nicht mitgekommen sind«.67 Damit ist wohl gemeint, dass unsere Gefühle alten Mustern folgen, obwohl unsere Produktionsprozesse neuzeitlich sind. Wie löst sich diese Differenz? Indem man den Gefühlen ausreichend Platz einräumt; und die beste Gelegenheit dazu bietet jede symmetrische Form von Kommunikation. Sie einzurichten ist Voraussetzung auch für die Freude an der Zusammenarbeit. Zwischen Terminen, wo man sich vereinbart ausspricht, kann die informelle Kommunikation ausreichen und für die Umsetzung auch das temporäre gegenseitige blinde Vertrauen. 66 Siehe dazu meine Ausführungen in den Essays »Visionsentwicklungsprozess und Visionsinhalt« und »Zeit für Strategie«. 67 Heintel, Gruppe und Komplexitätsmanagement
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Die gemeinsame Aufgabe steht also im Mittelpunkt. Das Klima im Unternehmen soll so sein, dass man sich an dieser gemeinsamen Aufgabe erfreut, dass die Begeisterung spürbar ist. Da muss nicht jeden Tag so sein. Aber die Zusammenarbeit ist nicht nur an der Beherrschung der Arbeitsteiligkeit mittels Produktivitätskennziffern zu messen. Hier spielt wieder das Gegenwarts-ZukunftsDilemma herein. Der Verzicht auf aktuelle Produktivitätszuwächse zugunsten von Zukunftsthemen als Ergebnis einer Entscheidung ist eine Investition.68 Sie hat eine Chancen- und Risikotangente. Die Zusammenarbeit gestaltet sich als gemeinsames Arbeiten und als Einzelarbeit am gemeinsamen Ziel mit allen Fähigkeiten und auf Basis des Vertrauens. Und die Vertrauensbasis ermöglicht wiederum das Arbeiten mit Modellen,69 mit Organisationsbeschreibungen, mit »verkürzter Kommunikation« im Alltag, mit Reduktion und führt damit zu hoffentlich erwünschten Ergebnissen. Es gibt auch in den besten Unternehmen Blockaden, die das Klima beeinträchtigen. Diese dürfen nicht weggeredet, sondern müssen bearbeitet werden. Blockaden ergeben sich aus Angst und der Angst, Schwäche zu zeigen, aus Schuldgefühlen, Neid, nicht aufgearbeiteten persönlichen Verletzungen, Vorurteilen Veränderungen gegenüber, aber auch aus Reserviertheit den Menschen gegenüber, die diese Veränderungen propagieren und vorantreiben. Weitere Gefahr droht bei Scheinkonsens. Dieser kann in eine Sackgasse führen, wenn er nur eingegangen wird, um aus der durch Macht determinierten Entscheidung herauszukommen, weil aus Gründen der Managementmoden gerade Teamentscheidungen angesagt sind und der Vorstandsvorsitzende sich nicht die gesamte Verantwortung selbst zuordnen will. Gefahr des Kuhhandels, des Zerfallens der Leitungsteams usw. droht insbesondere dann, wenn wie oben angeführt die Entscheidungsregeln nicht von diesem selbst konstituiert und die Ablaufgrundsätze nicht selbst aufgestellt werden. »Der Konsens wird nämlich nicht geschenkt. Er kann nur über einen Prozess, in dem zunächst alle Widersprüche, Gegensätze und Interessen auftreten können müssen, erreicht werden. Also es kann nicht ohne Konflikte ablaufen. Konsens ist mehr oder weniger immer ein Resultat durchgestandener Konflikte.« 70 So oder so ähnlich könnten Grundsätze oder Leitlinien zur Organisation und zur Leitungsgruppe lauten, wenn sie auf Win-win-Entscheidungen setzen. (Dies ist als Empfehlung zu werten, und weil Ziele zur Orientierung oftmals appellativen Charakter haben, verwende auch ich hier diese Art der Formulierung): 68 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Annäherung an einen Investitionsbegriff«. 69 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Modelle und Wirklichkeiten im Management«. 70 Heintel, Gruppe und Komplexitätsmanagement
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Wir kooperieren als Team, Unterschiede in Bezug auf Lösungen werden angesprochen und alle Teammitglieder haben das Recht und auch die Pflicht, diese Unterschiede zu artikulieren, damit wir zu guten Entscheidungen finden. Wir fühlen uns in unserer individuellen Persönlichkeit verstanden. Unsere fachliche Expertise wird im Team gehört. Wir unterstützen uns gegenseitig, nehmen Hilfe an und haben Geduld mit Mitarbeitern bei der Übernahme neuer Aufgaben. Es gibt eine offene Diskussionskultur im Umgang mit Fehlern. Wir achten auf die Erhaltung und Verbesserung unserer Vertrauensbasis und stimmen darin überein, dass wesentliche Teamentscheidungen im Konsens getroffen werden.71
71 Anmerkung: Dieser Absatz ist Teil der Orientierungszielformulierungen des KWF Kärntner Wirtschaftsförderungsfonds.
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Entscheidungen sind Kommunikation 72 »Man braucht Gespür, ich bin kein Freund von Marktstudien. Bis man die Studie hat, ist schon alles vorbei. Man kann sich das auch als kleiner Betrieb gar nicht leisten. In dieser Sparte sind das schon subjektive Entscheidungen. Gefühlsmäßige, es geht oder es geht nicht. […] Das, was gemacht wird, von den Innovationen her, das wird im relativ kleinen Kreis entschieden. Da sind ein paar Leute bei uns, mit denen wir diskutieren. Auch mit ein paar Kunden, mit denen man sehr guten Kontakt hat. Nicht, dass wir einen Blindflug machen, es werden Entscheidungen getroffen – das ist machbar, das können wir uns zumuten –, auch wirtschaftlich.« 73 Entscheidungen im Konsens 74 benötigen zu ihrer Umsetzung Rahmenbedingungen, ihre organisatorische Einrichtung und Prozessvorkehrungen. Wenn die Konsensentscheidung im Unternehmen etabliert ist, tappt man nicht so leicht in die Entscheidungs- und Konfliktfallen. Diese weisen beispielhaft folgende Reaktionsformen auf: Es ist nichts zu entscheiden; es gibt keinen Konflikt; egal was herauskommt, ich hatte recht; es wurde ausreichend diskutiert und jetzt muss endlich entschieden werden. Wie kann das Unternehmen bei so schwierigen Aufgabenstellungen wie einer Entscheidung zur Internationalisierung einen Entscheidungsvorgang organisieren? Als Vorentscheidungserfordernisse wurden die wichtigsten Gesichtspunkte bereits angesprochen: wirtschaftlich gesundes Unternehmen, die Eigentümer sind stolz auf oder zufrieden mit ihrem Unternehmen, es ist ein attraktiver Arbeitgeber, es hat klare und eindeutige Managementstrukturen und Entscheidungsbefugnisse, das Leitungsteam entscheidet konsensual und beherrscht Denken und Entscheiden im Rahmen unaufhebbarer Widersprüche.75 Im globalisierten Markt kann kein kmu eine Entscheidung für einen neuen Standort oder für Internationalisierungsaktivitäten treffen, ohne auf der Nachfrageseite, also bei den Kunden, bei seinen Führungskräften, auch bei neuen Mitarbeitern und bei seinen Financiers anzufragen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Der Entscheidungsträger muss also herausfinden, was seine Partner von seinen Überlegungen halten, und er muss sie von seiner Idee überzeugen. Das ist nach Röpke »reine Kommunikation«.76 72 Nach dem Modell der Chakren werden in diesem Essay Entscheidungen auf der fünften Ebene beschrieben; diese Ebene ist dem Kehlkopf, dem Stimmapparat, zugeordnet. 73 Interview viii, S. 95 74 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Win-win-Entscheidungen«. 75 Vgl. Landschaft des Wissens, Band 2, 2007, S. 15, 26 76 J. Röpke, Der lernende Unternehmer. Zur Evolution und Konstruktion unternehmerischer Kompetenz, Marburg 2002, S. 153
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Jochen Röpke behauptet dies zwar für Produktinnovationen, es gilt aber meiner Ansicht nach gleichermaßen für eine Internationalisierungsentscheidung: Je weiter weg von der Alltagsroutine eine Entscheidung erfolgen soll, desto höher die Anforderungen an die Kommunikationskompetenz; und mit höher ist nicht allein die Sprache gemeint. Auch Mimik und Gestik sind wesentlich. Denn so ein Interviewpartner »Ich kann ein paar Worte Japanisch […], dort gibt es nur Japanisch. Aber man bekommt mit, wie er reagiert. Wir schauen in unserem Leben ein bisschen zu wenig auf diese Dinge. Dort habe ich mitbekommen, wie der eigentlich reagiert. Ob er beleidigt oder zornig ist, das merkt man. Das war nur eine Bemerkung nebenbei, aber das ist ein Wahrnehmungsvermögen, das wir vernachlässigen. Das ist mir dort ins Bewusstsein gekommen, als ich im Busch war. Der kann nicht Deutsch und nicht Englisch und gar nichts. Man verständigt sich mit Händen und Füßen, schreiben geht auch nicht – man kann schon ein paar Zeichen, aber [es ist] überhaupt keine Chance. Und trotzdem spürt man, das war jetzt nur eine Randbemerkung, wie eine Verhaltensweise wirkt. « 77 Beobachtungen und danach die dazu in Bezug stehenden Entscheidungen, das beschreibt ein Unternehmen als ganz spezifisches Beobachtungs-, Kommunikations- und Entscheidungssystem.78 Dieses System ist auf ökonomischen Grundsätzen aufgebaut. Die Änderung der wirtschaftlichen Bedingungen, ob von den Entscheidern vorgegeben oder von den Veränderungen auf den Märkten (Absatz, Beschaffung, Arbeit) hervorgerufen, erfordert die Verabschiedung von Gewohnheiten und die Überwindung von bisher für den Erfolg relevanten Kenntnissen. Das setzt die Fähigkeit für selbst verantwortliche Entscheidungen voraus. Das gilt nicht nur für jedes Führungsmitglied in einer Organisation, sondern für sie als Ganzes. So ein Leitungsteam muss sich temporäre Vorteile zunutze machen. Es muss die aus Beobachtungen erworbenen Kenntnisse kommunizieren, die Unterschiede besprechen und aus diesem Prozess seine Entscheidungen ableiten. Ein Kommunikationsthema kann überwiegend nur mit Fragestellungen aufgemacht werden. Diese Fragestellungen können zu unternehmensspezifischen Fragenkatalogen erweitert werden, da nicht alle Entscheider geübt sind, aus dem Alltag plötzlich in ein selbst organisiertes Umfeld zu wechseln, wo Kreativität, schräge Gedanken und vordergründig unglaubliche Lösungsansätze gefragt sind.
77 Interview viii, S 93f 78 Vgl. S. J. Schmidt, Unternehmenskultur, Weilerswist, 2004, S. 66
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Der vorgeschlagene Weg
1. Zuerst ist Selbstaufklärung zu betreiben: Jeder Einzelne soll sich selbst oder mit einem Gesprächspartner mit seinen persönlichen Befindlichkeiten in Bezug auf diese Entscheidung auseinandersetzen. Wobei der Gesprächpartner kein Kommentator der Position(en) sein soll, sondern nur Zuhörer, nur Medium. Im Anschluss an die Zwiegespräche (Diaden) ist eine Vergemeinschaftung der einzelnen Position(en) durch moderierte Gruppengespräche zu organisieren, wobei die ganz persönlichen Befindlichkeiten, die in den Zwiegesprächen ausgetauscht wurden nicht erzählt werden. Da die meisten Management-Meetings nach bereits eingefahrenen Ritualen ablaufen, ist ein Ausbrechen daraus nur mit kompetenter Prozessgestaltung und -begleitung zu erwirken. Wesentliche Voraussetzung ist die zur Verfügung gestellte Zeit aller Teilnehmer. Sonst passiert ein Abgleiten in die Bewältigungsrituale des unternehmerischen und des Management-Alltags: Dass alle schon immer alles gewusst haben und dass es schwierig sein würde und dass die meisten Lösungsansätze zu nichts führen und dass man sich noch mehr anstrengen muss und dass der eine oder andere Kunde noch immer nicht bezahlt hat usw. usf. Wenn der Alltag dominiert, dann wird Tempo gemacht, es werden die Beiträge zu Entscheidungen oder zu Lösungsansätzen zu neuen Themen aus vermeintlichen Analogien abgeleitet und die Energie für das Neue ist weg. Diese Ansätze werden zwar facettenreich und eloquent vorgetragen, bringen jedoch nicht viel. Deshalb ist 2. anders vorzugehen. Es sind eigene Verantwortliche für eine kreative Prozessarchitektur zu bestellen. Denn das Unternehmen muss sich auch bewusst sein, dass der Prozess wahrscheinlich nur einmal funktioniert und nur schwer wiederholbar ist. Mit diesem Wissen in Bezug auf die Ausgangssituation können dann Vorfragen gestellt werden. Der Prozessverantwortliche kann durch diese Vorfragen den Ablauf besser gestallten und seine Prozessautorität kompetenter wahrnehmen. In die Entscheidung(en) darf er sich keinesfalls einmischen – nur insoweit noch nicht ausreichend Klarheit für alle Verantwortungsträger herrscht. Wenn neue Themen und Probleme auftauchen, die in der Ausgangssituation noch nicht klar beziehungsweise noch nicht evident waren (und das wird eher die Regel als die Ausnahme darstellen), soll er auch auf die Neuheit dieser Themen und Probleme aufmerksam machen. Somit ist die Arbeitsteilung definiert. Dem Moderator kommt also die Prozessverantwortung zu, bei den Entscheidungsträgern bleibt die Ergebnisverantwortung. Es darf keine Vermischung von Prozess- und Ergebnisverantwortung geben. Die Teilnahme aller relevanten Entscheidungsträger muss betont werden, denn manche Manager lassen nur allzu gerne »arbeiten«, ohne selbst dabei zu sein, nicht aus Faulheit, sondern weil 214
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danach leichter rational erscheinende Korrekturen angebracht werden können als während des Entscheidungsprozesses. Denn während des Prozesses treten Gefühle, Emotionen und ganz persönliche Befindlichkeiten zutage, die Teil der Entscheidung sind. Prozesse dieser Art sind eine – oft temporäre Aufhebung – von Fremdbestimmung und somit eine hervorragende Möglichkeit zur Einübung kollektiver Entscheidungskompetenz. Und Prozesse kommen umso besser vorwärts, als es den Moderatoren gelingt, Emotionen »anzusprechen, reflektierbar zu machen; in ihrer mitsteuernden Macht sie sich transparent zu machen. Diese Differenz-setzende Reflexion geschieht nicht von selbst: Sie bedarf einer Intervention.« 79 Deshalb muss 3. der Termin so koordiniert werden, dass alle, die aus der Sicht aller dabei sein sollen, Zeit haben. Wer soll dabei sein?
»Unsere Empfehlung, in die Kerngruppe ›Mächtige‹, ›Betroffene‹ und ›Träger von Prozess-Know-how‹ zu entsenden, löste Erstaunen aus. Die Hauptströmungen des Konzerns sollten sich in dieser Gruppe widerspiegeln. Deshalb mussten auch ›Ausländer‹ hinein, kritische Geister und junge Querdenker.« 80 Dass aus dem Leitungs-, Projekt- oder Managementteam wesentliche Akteure dabei sein sollen, ist auch klar. Es können auch Fachexperten mit einbezogen werden. Es kann Inputs geben, um die eingefahrenen Bahnen des Alltags aufzulockern. Kreativprozesse können auch durch Malen, Schauspielen, Organisationstheater oder dergleichen angeregt werden. Jedenfalls ist 4. über den Zeitrahmen, über das festgelegte oder aus dem Prozess heraus entwickelte Design Einvernehmen herzustellen. Auch über den 5. Ort des Meetings soll bewusst entschieden werden. Wie viele Konventionen und wie viele Überraschungen braucht also so ein Prozess, um sein Ziel zu erreichen? Das wird in jedem Unternehmen anders sein und hängt vom Grad der Selbstorganisationsfähigkeit des Unternehmens in Bezug auf neue Themen ab. Es wird darauf ankommen, wie weit die Organisation ihr Selbstaufklärungspotenzial bereits aufgebaut hat und welche Erfahrungen mit Selbst-Veränderung bereits gemacht wurden.81 Dazu ist auch Bildung erforderlich, und zwar eine ganz bestimmte Bildung für das Berufsleben. Es ist Verhal79 P. Heintel, Zum Thema: Professionalität in der Mediation, Klagenfurt 2006, S. 20 80 R. Königswieser, Unhörbares hören. Anleitung zur Selbstorganisation, in: B. Mutius (Hrsg.), Die andere Intelligenz, Stuttgart 2004, S. 149 81 Vgl. R. Wimmer, Das Team als besonderer Leistungsträger in komplexen Organisationen, http://www.osb-i.com/en/publications/osb-articles.html (9. 7. 2007) S. 3f
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tensbildung und diese hat zwei Seiten: »Die eine richtet sich an das Individuum, die Person. Es ist ein Selbstaufklärungsakt vonnöten, der das Individuum gegen kollektivisierte Muster stärkt und selbstständig macht. (Dies ist umso nötiger, als gegenwärtig Organisationen die Funktion der Musterkollektivisierung übernehmen und die Kraft individueller Autonomie schwächen.) Die andere richtet sich an Kollektive, Gruppen, Organisationen, schlussendlich an das politische System. Bildung verliert hier ihre traditionelle Ausrichtung auf die Einzelperson. Die Einsicht lautet: Nur wenn Kollektive lernen, sich bilden, hat auch das Individuum Chancen.« 82 Selbstaufklärung: Was ist unsere wirkliche Aufgabe? Diese Frage sollen die Mitglieder eines Entscheidungsteams vorerst an sich selbst richten. Wie auch die folgenden: Will ich bei einer so schwierigen Aufgabe dabei sein? Sehe ich mich in der Lage, neben dem operativen Geschäft einen neuen Standort mit aufzubauen? Wirkt der vermeintlich naheliegende praktische Vorteil für mich stärker oder gebe ich einen Teil meiner eigenen Spielräume für das neue Projekt auf? Bin ich stark genug, um mich innerhalb des Führungsteams mit meiner mir zugeordneten Teilaufgabe durchzusetzen, aber auch als Teil des ganzen Teams meinen individuellen Entscheidungsbeitrag zu leisten? Bindet die Sorge um mein Ein- und Auskommen die kreative Energie, den Kopf für das Neue freizuhaben? Will ich ohne Eitelkeit, ohne besondere Vorschusslorbeeren vorbehaltlos starten? Weil unser Unternehmen am neuen Standort von vorne beginnen muss. Wir sind dort ein Nobody, wir sind nichts Besonderes, wir müssen alles aufbauen, was wir hier bereits haben. Kann unser Führungsteam die Differenz zwischen dem noch nicht vernetzten neuen Standort und dem kulturell, strategisch und wirtschaftlich gut positionierten Stammsitz abbauen? Wenn wir diese Fragen an uns selbst für uns selbst zufriedenstellend beantworten können, ist es wahrscheinlicher, dass wir mit dem neuen Projekt Erfolg haben werden. Es ist wahrscheinlicher, dass wir ausreichend Kraft und Stolz, aufbauend auf unseren Kompetenzen, entwickeln. Ein Spruch könnte etwa so lauten »Ohne dieses Projekt würde uns bereits jetzt etwas fehlen.« Wenn wir die Fragen an uns selbst beantworten können, werden wir auch im Team die Projektarbeit organisieren können. Denn mit dem Beginn der Selbstaufklärung beim einzelnen Mitglied ist eine gute Voraussetzung dafür geschaffen, diese als Leitungsteam fortzusetzen. Dort treten die Phänomene zutage, die den Organisations- und Entscheidungsprozess stören (können). Und dort ist der Ort, wo jeder seine Anliegen vorbringen kann. Die Vorfragen im Team unterstützen bei der Aufgabenfindung. Eine Klausur ist dafür der geeignete Ort und 82 P. Heintel, Zwei Seiten (!) zum Thema Bildung, Klagenfurt 9. 1. 2007, S. 4
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Rahmen. In dieser Klausur sollen die Unterschiedlichkeiten zum Vorschein kommen. Sie soll nicht zum kollektiven Beschwörungsritual missbraucht werden. Denn »das Wesenselement der systemischen Strategieentwicklung ist das gekonnte Herstellen geeigneter Kommunikationsräume, um unterschiedliche strategische Grundannahmen erörtern und strategischen Entwicklungsbedarf festlegen zu können«.83 Die Fragen, um als gesamtes Team eine Einschätzung zu erhalten, sind teilweise abgeleitet aus den Fragen an die einzelnen Mitglieder: • Wie geht es jedem Einzelnen von uns, wenn von diesem Projekt die Rede ist? • Haben wir eine gemeinsame Sichtweise von unserer Aufgabe? • Gibt es Themen und Fragestellungen, von denen wir beseelt sind, wenn wir daran denken, an deren Lösung mitzuarbeiten? • Wofür schlägt unser Herz? • Gehen wir (Existenz-)angstfrei an diese Aufgaben heran? Bedeutend in diesen Vorbereitungsaktivitäten sind die Ursachen vorhandener Motivation. Diese Motivation wird durch die Umsetzung verwirklicht. Damit in Zusammenhang steht die immer wieder vorgebrachte Erkenntnis, dass sich Motivation aus ausschließlicher Mangelbehebung ergibt. Und diese Form der Motivation führt, wenn sie sich nicht bewusst gemacht wird, zu Entscheidungszwang. Es wird sogar oft unterstellt, dass Entscheidungsfreudigkeit nur als Sonderfall auftritt, weil man anthropologisch davon ausgeht, dass nur Mangelsituationen Entscheidungen motivieren.84 Es stellt sich in diesem Zusammenhang in Hinblick auf die reale Situation die Frage: Wollen wir diesen Mangel, uns nicht zu internationalisieren, für uns akzeptieren oder werden wir ihn beheben, und zwar im Bewusstsein, dass neuer Mangel entsteht? Eine Entscheidung dieses Teams im Bewusstsein der Überwindung des Mangels hat Beschlusscharakter und ist wohl über einen längeren Zeitraum verbindlich, weil weitere Entscheidungen darauf aufbauen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass aus dieser Grenzerfahrung und durch ihre Bewältigung viele positive Erlebnisse gewonnen werden.85 Damit kann weiter überlegt und gefragt werden: Ist es wegen eben dieser Grenzerfahrung wahrscheinlicher, dass 83 R. Nagel, R. Wimmer, osb international, Systemische Strategieentwicklung. Modelle und Instrumente für Berater und Entscheider, Stuttgart 2006, S. 89 84 Vgl. P. Heintel, E. E. Krainz, Über Entscheidung, Gruppendynamik, 17. Jahrg., Heft 2, 1986, S. 119 85 Vgl. P. Heintel, Zum Verhältnis von Motivation und Manipulation, in: 10 Jahre Universität Klagenfurt, forschungsperspektiven, hrsg. von der Forschungskommission der Universität für Bildungswissenschaften, Klagenfurt 1980, S. 174
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Entscheidungen für etwas Neues überwiegen? Und ist das Unternehmerische somit ein dialektischer Zugang von Mangel und Fülle? Ich glaube, dass es eine Nähe von Eigenschaften, die dem aktiven und mutigen Unternehmer zugeschrieben werden, und dem Lernen aus (unternehmerischen) Grenzerfahrungen gibt. Ich meine, dass man mit dem Lernen aus den Erfahrungen sehr nahe an das herankommt, was als das Unternehmerische bezeichnet wird. Das gilt auch für Mitglieder eines Führungs- und Entscheidungsteams. Lernen von den Stakeholdern des Unternehmens, von der Konkurrenz, aus der eigenen Erfahrung, aus dem Tun und lernen, was funktioniert und was nicht funktioniert.86 Da es verschiedene Ebenen des Lernens und des Wissens gibt, ist folgende kurze Tabelle über die unterschiedliche Bedeutung von Lernen hilfreich, um zu erläutern, was gemeint ist: Lernen 0 Optimieren, Anpassung an Daten, Routine Lernen 1 Fachwissen erwerben und anwenden (»durchsetzen«) Lernen 2 Erwerb von Kompetenzen: Lernen zu lernen, Wissen erwerben und schöpferisch nutzen, lernen zu kommunizieren Lernen 3 Lernen, neue (Lern-)Kompetenzen zu erwerben, Entfaltung von unternehmerischer Energie, Reflexion.87 Zurück zur Kommunikationskompetenz und zur (Selbst-)Reflexionskompetenz jedes einzelnen Teammitglieds einer Führungsgruppe. Sie sind die eigentlich wichtigen Entscheidungskompetenzen eines Führungsteams und sie ermöglichen die Überwindung des Abstandes von vorhandener Erfahrung und neuer Herausforderung. Diese Fähigkeiten können sich aber nur im Tun und am Tun entwickeln. Sie stellen auch keine unmittelbare Nachahmung bereits vorhandener Ergebnisse dar, profitieren aber gleichzeitig von diesen. Diese Form der Entwicklung von Fähigkeiten ist meiner Ansicht nach wesentlich für Entscheidungen, wie sie Internationalisierungsinvestitionen darstellen, und sie braucht ihre dafür vorgesehene Zeit oder sie nimmt sich diese. Die direkte Kommunikation ermöglicht den Teilnehmern eine nicht nur wortreiche, sondern, wie in den obigen Zitaten erkennbar, facettenreichere Einbringung ihrer Anliegen und die Reflexion auf die Anliegen des jeweils anderen. Anfragen und Diskussionsbeiträge haben unverzichtbare Vorteile: Sie ermöglichen ein ganzheitliches Bild der Situation sowie eine sich entwickelnde Phantasie und damit eine gemeinsame 86 Vgl. R. W. Smilor, Entrepreneurship. Reflection on a subversive activity, in: Journal of Business Venturing, 1997, entnommen aus Röpke, Lernender Unternehmer, S. 262 87 Vgl. Röpke, Lernender Unternehmer, S. 264
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Sichtweise auf das zukünftig Umzusetzende. Denn »soziale Prozesse sind Kommunikationsprozesse, diese kann man nur auf kommunikativem Weg erfassen, indem man mit ihnen in Kommunikation tritt und das heißt eben ein Teil von ihnen wird, an ihnen teilnimmt.« 88
88 K. Buchinger, Die Stellung der Gruppendynamik in der Managementfortbildung und Organisationsberatung, in: G. Schwarz, P. Heintel, M. Weyrer, H. Stattler, (Hrsg.), Gruppendynamik; Geschichte und Zukunft, Wien 1993, S. 318
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Sinn und Sinngebung? »Wenn das Sinnloch beklagt wird und allenthalben Seminarteilnehmer, bis hinauf in die obersten Führungsebenen, den Marschbefehl zur Sinnsuche erhalten, muss dieser keineswegs wie die Stecknadel im Heuhaufen gesucht werden. Er liegt in tausend Versionen auf der Straße.« 89 »›Wie wollen Sie das machen, Sinn anbieten? Sinn ist transzendent, er funktioniert nicht als Produkt, für jeden konsumierbar. Sinn muss man suchen und sich selbst geben. Man muss ihn in sich und bei sich finden. Das wissen auch die Kirchen inzwischen. […] Und um den zu finden, brauchen Sie Zeit.‹ Arbeit verlangt Willen, Wille entsteht durch Sinn, aber wer Sinn sehen will, braucht Zeit. ›Sinn braucht eine Zeitunterbrechung, in der man zurücktritt und fragt: Was wollen wir eigentlich?‹ Aber wo, fragt Heintel, werden diese Fragen gestellt? ›Griechische Denker blieben mitten auf den Straßen stehen, wenn sie glaubten, etwas sofort bedenken zu müssen.‹« 90 Handeln wir um der Technologie und der Ökonomie willen oder soll es für ein besseres Leben sein? Entscheidungen können nicht als Ausrede auf Ökonomie und Technologie begründet werden, obwohl wir als Individuum und auch als kmu keinen Einfluss auf die Entwicklung des globalisierten technologisch-ökonomischen Modells haben. Wenn wir den Erfolg des Industriezeitalters betrachten, gibt es eindeutige Hinweise, dass wirtschaftliches Handeln und der technologische Fortschritt für ein besseres Leben da sein soll. Wirtschaftliches Wachstum und technischer Fortschritt sollen und können also nicht Selbstzweck werden. Warum ich das in den Raum stelle? Weil vielerorts, in Unternehmen, in Parlamenten, in Banken, an der Börse – also an Orten, wo Argumente und Meinungen aufeinanderprallen – viel zu oft eine übergeordnete Instanz bemüht wird, um sich nicht persönlich zu nahe treten zu müssen. So ist es beispielsweise einfacher zu sagen: Basel ii 91 ist der Grund für eine (negative) Kreditentscheidung und die Entscheidungsbefugnis liegt nicht in der Person des Sachbearbeiters oder des Vorstandes. Was also oft einem System zugeordnet wird und sich dort quasi verselbstständigt hat, wird in immer größeren Bereichen unseres Lebens als standardisiertes Vorgehen, wie mit Widersprüchen umzugehen ist, angewandt. Für Unternehmer ist es heute wenig verständlich, dass Kreditentscheidungen sozu89 P. Gross, Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt/M 1994, S. 67 90 P. Heintel, Interview: Time is honey, http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die-DritteSeite;art705,1899244 vom (27. 7. 2007) 91 Zu Basel ii (Regeln für die Kreditvergabe) siehe meine Ausführungen im Essay »Akteure und Rahmenbedingungen«.
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sagen entpersönlicht getroffen werden, weil die Finanzwirtschaft ihre Entscheidungen nach Formeln trifft und sich mit diesen Formeln ihres eigenen Kerngeschäftes entledigt hat. Um es genau zu nehmen und gleichzeitig auf das Problem hinzuweisen: Es sind in den Variablen, die zu Kennziffern werden, auch die sogenannten weichen Faktoren verarbeitet. Es wäre natürlich interessant zu wissen, wie die Kennziffern für Lebenswandel, unternehmerische Kompetenz, Kreativität, Mitarbeiterführung, Kundenfeeling errechnet werden, welche Umstände diese Kennziffern verbessern beziehungsweise verschlechtern, in welchem Ausmaß und bezogen auf welchen Zeitraum sie das tun und welchen Anteil sie an der Gesamtkennziffer haben, welche die Grundlage für das Rating ist. Dem Unternehmer wird dann mitgeteilt, dass er aufgrund der Ziffer, die aus dem System herauskommt, nicht kreditwürdig ist oder der Kredit, weil sehr teuer, seine Erträge verbrauchen würde und daher zusätzliche Sicherheiten beizubringen sind. Diese in Zahlen gegossene Finanzierungskultur führt direkt zur Frage: Ist ein Unternehmen ein Entweder-oder, ein entweder Sinnlichkeit oder Vernunft, ein entweder Lust oder Verantwortung,92 oder kann es durch seine Entscheidungen beides sein? Sowohl ein rationales ökonomisch begründbares Gebilde als auch ein soziales System, mit über die Rationalität hinausgehendem Sinncharakter? Ist also ein Unternehmen ein Gestaltungsraum, in dem die Möglichkeiten, etwas Sinnvolles zu tun, aufgemacht werden, in dem im Rahmen eines gemeinsam erdachten und in ständiger Bearbeitung befindlichen Vertrages mit einer durch Entscheidungen der völligen Unbestimmtheit beraubten Zukunft Investitionen, Entwicklungen und Aufträge getätigt werden? Es sind damit natürlich nicht nur die erfolgreichen Projekte gemeint, das Scheitern ist ebenso enthalten, es ist jedoch von einem Streben nach einer wirtschaftlich erfolgreichen Entwicklung auszugehen. Siegfried J. Schmidt nennt es eine »Sinnbildmaschine«.93 In seinem Wort drückt sich aus, dass ein Unternehmen ein Ort des Widerspruchs ist. Denn »wenn unterschiedliche Eigenlogiken und Leitdifferenzen problembezogen miteinander koordiniert werden müssen, kann man sie nicht einfach zusammenzählen. Die Synergievorstellung stammt letztlich von einem mechanistischen Weltbild. Es stellt sich vielmehr heraus, dass sie sich selbst relativieren müssen, und das bringt allemal die Sinnfrage ins Spiel.« 94 Dagegen begründet der Transaktionskostenansatz 95 völlig rational die Existenz von Unternehmen. Diese Begründung trifft punktgenau, ohne sie gäbe es keine Unternehmen – immerhin 92 Vgl. J. Koch, Megaphilosophie, Frankfurt/Main 2002, Prolog 93 S. J. Schmidt, Unternehmenskultur, Weilerswist 2004, S. 108 94 P. Heintel, Supervision als Sinn- und Grenzreflexion. Vortag anlässlich des Symposiums: »Friss oder stirb!« auf der Abbazia di Rosazzo 2000, S. 15 95 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Theorien der Internationalisierung«.
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haben die größten Unternehmen mehrere 100.000 Mitarbeiter. Die rationale Begründung trifft nicht, was wir unter einem Unternehmen auch verstehen, weil es für die Entwicklung dieser sozialen – über das Individuum hinausgehenden – Gebilde verschiedenste Interpretationen gibt. Über Unternehmen wird im (medialen) Alltag nicht nur anhand von Zahlen und Produkten gesprochen, sie werden ähnlich wie Personen benannt. Und es gibt auch sprachliche Verbindungen zwischen einer Firma und ihren Mitarbeitern. Ich habe schon die Begriffe »Siemensianer«, »Sparianer« und in Kärnten »Genesisen« gehört. Diese Personifizierung in der Diskussion geschieht, weil hinter dem Zweckgebilde ein emotional beschreibbares Sinnbild existiert. Wir finden diese Sinnbildbeschreibung, von der meiner Ansicht nach die Wirtschaftszeitschriften ihrerseits ihre wirtschaftliche Existenzberechtigung ableiten, als ein aus Erfordernis der Arbeitsteilung hervorgegangenes »Wirklichkeitsmodell einer Gesellschaft […] als System wählbarer Sinnbildoptionen. Dieses System wird durch das Kulturbildungsprogramm in Gang gesetzt und in Gang gehalten, das solche Sinnbildoptionen miteinander in Beziehung setzt, emotional besetzt sowie moralisch bewertet und hinsichtlich der Problemlösungsrelevanz innerhalb einer Gesellschaft gewichtet.« 96 Zu dieser Beurteilung kann man noch die Person des (der) Vorstandsvorsitzenden dazunehmen und was mit ihm oder mit ihr verknüpft wird. Und damit hat das Unternehmen neben dem Namen, dem Produktionsprogramm und der Marke auch ein Gesicht. So ist neben der üblichen Bewertung von Unternehmen anhand seiner Zahlen sehr viel Psychologie und Emotion im Spiel. Das führt unter anderem auch dazu, dass man bereits von zufälligen, weil nicht aus der prognostizierbaren wirtschaftlichen Entwicklung allein ableitbaren, Börsenkursen spricht. Das kmu hingegen muss ein anderes Selbst- und Umfeldeinschätzungssystem organisieren und beobachten. Die persönliche und geografische Nähe als Arbeitgeber, als Lieferant usw. hat den Vorteil der direkten Kommunikation und Beeinflussbarkeit und kann Reaktionen unmittelbar in die weiteren Entscheidungen miteinbeziehen. Nachteilig können sich regionale Abhängigkeiten auswirken. Und ein Rückzug auf E-Mails oder künstliche Holdingkonstruktionen mit dazwischengeschalteten Hilfsgeschäftsführern funktioniert nicht, wenn es sich wirklich um eine wichtige Angelegenheit handelt. Die Anforderung an ein kmu, etwas herzustellen, was man nicht kaufen kann, was also transformiert werden muss, wird »direkter« herangetragen. Und weil die Institution Unternehmen als soziales System, trotz Wirtschaftskrisen und Pleiten, das Erfolgsmodell der Industriegesellschaft ist, wird ihr so etwas wie eine eigene Identität zuge96 Schmidt, Unternehmenskultur, S. 108
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schrieben. Elementarer Baustein dieser Identität ist, wie Entscheidungen getroffen werden. Da ist zum einen die Zukunftsfrage 97 zu lösen. Heute ist es Mode geworden, sich bei Zukunftsfragen an sogenannten Trend- und Zukunftsforschern zu orientieren. Doch die Verantwortung bleibt auf den eigenen Schultern. Diese Verantwortung zu übernehmen ist wirklich nur dann sinnvoll, wenn ein organisatorischer, finanzieller und persönlicher Zusammenhang zwischen unbestimmter Zukunft und der betrieblichen Praxis herstellbar ist. Doch kann man sich dieser Verantwortung überhaupt entziehen – ist da ein Entscheidungsspielraum? Das Dahindümpeln von Unternehmen ist ebenso Realität wie die Fokussierung auf die Funktion als Innovations- und Internationalisierungsmaschinen auf der Produktebene. In beiden Fällen muss der Sachzwang herhalten. Und dazu kommt, dass die alleinige und schnelle Antwort auf Bedürfniswidersprüche mittels Produkten zu jener Sinnentleerung führt, wie sie mit dem Taylorismus in Verbindung gebracht wird. Wo Organisationen wie Maschinen mit eindeutiger Ursache-Wirkungs-Kette aufgestellt wurden. Die Folge davon waren beinahe unermessliche Fortschritte in der Produktivität, weil komplexe Arbeitsschritte durch ihre Zerlegung vereinfacht wurden. Es bestand für die Arbeiter jedoch keine Möglichkeit, sich mit dem Endprodukt zu identifizieren. Das hat sich insofern verändert, als nicht die Standardisierung und Zerlegung der Produkte zur Sinnentleerung führt, sondern die Standardisierung von Innovationsschritten sowohl in der Produktwelt als auch in der Organisationswelt. Neben der Steigerung der Produkte ist auch die Anzahl von Erfindungen und Patenten und Produktinnovationen anzuheben – eine doppelte Produktivitätsmessung. Hier sind die größten innerbetrieblichen Konflikte angesiedelt. Begonnen hat das mit dem betrieblichen Vorschlagswesen. Man konnte als Mitarbeiter ein Kuvert mit dem Verbesserungsvorschlag in der Geschäftsleitung abgeben und darauf hoffen, dass Verbesserungen umgesetzt wurden, diese wurden prämiert – doch dieses Vorschlagswesen stellte auch nur auf technische Verbesserungen aus der Sicht eines Einzelnen ab. Warum ich das so ausführlich behandle? Weil andere Verbesserungen gemeinsam in Angriff genommen werden können. Und in der Beziehung der einzelnen Inputgeber liegt das Geheimnis, welches die Vermutungen für zukünftige Antworten auf Bedürfnisse lüften kann. Wenn diese Experten sich nicht im Wettbewerb um die Gunst von irgendjemandem befinden. Denn die praktische Lösung ist ein Produkt des Wissens und das Wissen ein Produkt des Nachdenkens, Lernens und Kommunizierens. Erst im Paket von Nachdenken, gemeinsamem Lernen und Produzieren erlebt also der 97 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Investitionsentscheidungen sind Zukunftsentscheidungen«.
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Mensch oder hier vielmehr ein Team jenen Sinn, der wiederum selbst durch den Einklang dieser Bausteine entsteht. Denn »in jeder Gegenwart hat aber die Zukunft bereits begonnen. Insofern hat sie Sinnanspruch. In der Sinnfrage wiederholt sich die Dialektik der Zeit: Immer schon Vergangenes wird vergegenwärtigend befragt, um seine Bedeutung, seinen Sinn erfassen zu können. Der Sinn steckt aber nicht unmittelbar in ihm. Er kommt nachträglich dazu, also aus seiner jeweiligen Zukunft substanziell. Es ginge also darum, diese Art Zukunft substanziell zu etablieren, um unserem individuellen und kollektiven Wollen im Geschehen der Zeit wieder einen konstitutiven Platz zu verschaffen.« 98 Damit steht zum einen der Sinn hinter einer Entscheidung. Dieser ist zukunftskontextabhängig. Welches Wagnis steckt da noch drin, was will bewirkt werden? Mangelbehebung, eine neue Antwort auf Bedürfniswidersprüche, wird immer wieder als wesentlicher Grund für eine Investitionsentscheidung angeführt und es werden auch Erfahrung, Intuition und das Glück angesprochen. Das Glück hat etwas Unerwartetes. Wie passt das mit bewusster Entscheidung zusammen? Dazu kommt noch, dass nicht der Entscheidung das Glück zugeschrieben wird, sondern der erfolgreichen Umsetzung. Denn Innovationen, die Ergebnis von Forschung und Entwicklung sind, werden meiner Ansicht nach nicht durch Glück hervorgebracht. Sie sind Ergebnis eines Ressourceneinsatzes, sie beherbergen Risiko, und wenn sie erfolgreich sind, wurde die Absicht realisiert, einen wahrgenommenen und damit existierenden Mangel zu beheben, das zu Erwartende ist eingetreten, alles andere ist vielleicht dem Zufall überlassen oder ihm zuzuordnen – und hier ist auch das Glück angesiedelt, als Nebenprodukt. Mit einer Zukunftskontextbezogenheit wäre man einen Schritt weiter und vielleicht glücklicher. Denn bei Überangeboten an Gütern kann die Begründung, diese zur Mangelbehebung herzustellen, nicht mehr ausreichen. Vielleicht finden wir Glücksantworten in dem, was wir als das »Unternehmerische« bezeichnen. Man hört hin und wieder den Begriff Grenzgänger, und damit wird wohl gemeint sein, dass ein Unternehmer aktiv an seine Grenzen geht. Dazu ist noch einmal seine Rolle beziehungsweise seine Funktion zu vergegenwärtigen. Einerseits ist er im Zentrum des Geschehens, andererseits bestimmt er die Grenzen, den Radius des Handelns, und zugleich ist er der Einzige, der sie verändern kann. Aus dieser Vielfalt heraus kann vielleicht die Grenzerfahrung – ähnlich einem Erstbesteiger einer schwierigen Route – ein Grund dafür sein, etwas zu wagen, was wirtschaftlich bedeutsam ist. Ein erster Internationalisierungsschritt wäre eine solche Grenzerfahrung. Das kommt sehr in die Nähe des ultimativen Kicks. Und dieser 98 P. Heintel, »Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war«, Vortrag zum Symposium »Genug ist noch zu wenig« in der Abbazia di Rosazzo 2006, S. 51
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Zustand ist, weil das Ergebnis nicht vorhersehbar ist, tatsächlich einer, der so etwas wie Glück verspricht und der Probleme erwarten lässt. Denn diese Grenzerfahrung hat, wenn man die Extreme betrachtet, zwei diametral verschiedene Ausprägungen – Erfolg oder Misserfolg. Diese wollen wir uns im Zusammenhang mit Glück ansehen, weil ein durchschnittliches Ergebnis ja als beherrschbar angenommen wurde. Weil aber insbesondere unerwarteter Erfolg ein mögliches Ergebnis darstellt, da der erwartete Erfolg ja nicht das Ergebnis von Entscheidungen ist, kann in der Möglichkeit, ein Glücksgefühl zu erlangen, ein Aspekt unternehmerischer Energie gesehen werden. Natürlich gibt es aber noch unzählige weitere Ausprägungen wie »nicht ganz erfolgreich«, »nicht ganz gescheitert« und die Phase dazwischen, wo die Entscheidenden nicht wissen, wie die Erfahrung danach aussehen wird. Doch für diese Überlegung genügt die Befassung mit den Extremen, weil diese während der ganzen Phase der Unsicherheit sehr oft auftreten können. Und wenn mehrere entscheiden, könnte es für diejenigen, die an der Entscheidung und an der Umsetzung beteiligt sind, verschiedene Grenzerfahrungen geben. Somit könnte diese Begründung als Sinngebung für die Entscheidungssituation – also davor – bereits durchgehen. Um sich von dem Kick-Gedanken zu einer tieferen Sinngebung weiterzuarbeiten, sind die emotionalen Begleitumstände zu ergründen. Denn jede neue Aktivität erfordert eine klare Strategie und auch den Optimismus, der dem Unternehmerdasein innewohnt, selbst gegen persönliche, innere und äußere Widerstände. Doch ein »sei optimistisch« kann nicht befohlen werden, sondern nur aus einer sinngebenden Ursache entstehen. Den Optimismus können wir aus der Prämisse ableiten, dass das Scheitern im rationalen Kalkül des Unternehmers nicht vorgesehen ist. Das ist eine der beständigsten und stabilsten rationalen Annahmen des kapitalistischen Wirtschaftens. Es ist nicht vorgesehen, in Wertvernichtung zu investieren ohne den Aspekt, etwas Neues, wirtschaftlich betrachtet noch Wertvolleres zu schaffen. Joseph Schumpeter hat das unternehmerische Motiv nicht den betriebswirtschaftlichen Grundsätzen unterworfen, wie er zum Unternehmer-Sein sehr deutlich feststellt: »Sein Motiv ist nicht das Streben nach Gewinn oder die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern die Freude am Gestalten, die sich in dem schöpferischen Tun des Künstlers« 99 orientiert. Die saldierte Betrachtung von Wertvernichtung und Wertgenerierung zeigt auch, dass kein Widerspruch im Axiom der kreativen Zerstörung als Voraussetzung für Unternehmertum und Innovation, Investitionen beziehungsweise Internationalisierung existiert. 99 J. Schumpeter, A creative Response in economic History, 1947, S. 151, entn. R. Nagel, R. Wimmer, osb international, Systemische Strategieentwicklung, Stuttgart 2006, S. 37
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Saldiert bedeutet hier beispielsweise: die Einnahmen aus einem Internationalisierungsvorhaben abzüglich der dafür getätigten Einsätze Material und Arbeit, in Werteinheiten gemessen. Es existierten viele Unternehmer- und Managementhaltungen, die diese saldierte Betrachtung unter dem Kalkül der Krisenvermeidung zur Erlangung des Erfolges praktizierten. Und diese Grundhaltung war bis zur Durchsetzung des Shareholder-Value-Konzeptes völlig ausreichend für wirtschaftlichen Erfolg. Heute ist diese Grundhaltung die Ausgangsposition für Übernahmekandidaten. Dazu kommt ein weiterer unternehmerischer Wagnisaspekt. Das Interesse an Neuem birgt die Entscheidung in sich, es auch nicht zu wagen. Dazu sind auch die Finanzierungsmöglichkeiten mit zu beachten. Und zu diesen gehören die Verschuldungsmöglichkeiten. Damit eröffnet sich für einen Unternehmer die Möglichkeit, auf etwas zu verzichten, was er noch gar nicht hat. Wie geht das? Wenn er zur Bank geht und sich die Mittelüberschüsse der nächsten Jahre vorfinanzieren lässt – ein üblicher Weg. Doch die Entscheidung ist auch davon beeinflusst, ob zugleich das Erworbene oder ein Teil dessen aufs Spiel gesetzt wird – in der Regel werden muss, nämlich dann, wenn das Versprechen nicht hält und die Überschüsse nicht kommen. Und damit sind wir wieder bei einem wesentlichen Element des Unternehmerischen: bei der Entscheidung, wie viel vom eigenen Kapital und wie viel Kapital von anderen in ein Investitions-Finanzierungspaket und damit in eine die wirtschaftliche Zukunft vorwegnehmende Entscheidung gepackt werden kann. Wenn die Allokation des Einsatzes so ausfällt, dass kein eigenes Kapital riskiert werden muss, wird die unternehmerische Entscheidungsfreiheit sozusagen absolut, wenn nur eigenes Kapital – das zudem noch nicht verdient wurde – riskiert werden muss, gehe ich eher von einer unternehmerischen Spielernatur aus, weil das wahrscheinlich in der Zukunft zu erzielende Vermögen bereits jetzt eingesetzt wird. Diese Gestaltungssucht muss einen Sinn haben und wiegt meiner Ansicht nach wahrscheinlich viel mehr, als die Möglichkeit, Macht auszuüben. Diese auszuüben wird, wenn man meiner Argumentation folgt, also nur dann eingesetzt, wenn Sinngebung fehlt oder temporär abhanden gekommen ist. Ist hier eine neue Fährte erkennbar? Kann Sinnerfüllung auch über den Umweg von Gier oder Geldgier erfolgen? Denn der Zweck des Unternehmens kann auch zugunsten von Gier vernachlässigt werden. Dann hätte das rationale Gebilde, wie es Ronald Coase in seinem Artikel »The Nature of the Firm« beschreibt, plötzlich mehr Sinn als das Unternehmen als Geld-Maschine im Dienste der Gier der Eigentümer und der Financiers.
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Eine weitere Sinngebung taucht bei meiner Suche immer wieder auf: ein in die Wirkung Kommen. Die Internationalisierung des eigenen Unternehmens habe den Sinn, der Welt ein neues Produkt und eine Verbesserung der Lebensumstände zu ermöglichen. Das ist ein Widerspruch zur (reinen) Zweckorientierung, die im unternehmerischen Prinzip verankert ist. Einen derartigen Zugang muss man sich im Einzelfall ansehen. Im Zuge einer Globalisierungsdebatte erscheint diese Sinnzuordnung also zu einfach: Eine Aufgabe an uns selbst zu richten, das Leben der Menschen auf dieser Welt zu verbessern. Das Vorhaben kann ja wirtschaftlich scheitern, was bedeutet, dass das Ergebnis nicht uns selbst zugute kommt. Das in die Internationalisierung und in die damit verbundene Investition gesteckte Geld ist für unser Unternehmen unwiderbringlich verloren. Was dabei auch oft vergessen wird, vom Know-how-Transfer, vom immateriellen Einsatz, profitieren dann andere Menschen beziehungsweise Unternehmen, wenn es ihnen gelingt, aus den versunkenen Kosten des Erstinvestors wirtschaftlich brauchbare Ergebnisse zu generieren. Für uns als diejenigen, die es als Erste versucht haben und gescheitert sind, gilt also: Wenn das Ziel wirtschaftlich nicht erreicht wird, wird die Herausforderung ohnehin an uns selbst zurückdelegiert. Womit wir bei der Sinnkrise angelangt wären, doch dazu später. Ein Unternehmen mit dem Anspruch an wirtschaftliche Selbstständigkeit ist ständig befasst mit der Aufgabe, sein Alleinstellungsmerkmal zu behalten und auszubauen. Diese Aufgabe ist zwischen den Prozessen, die im Unternehmen ablaufen, und den Kunden beziehungsweise Lieferanten angesiedelt. Mit der Internationalisierung ergibt sich in diesem Zusammenhang eine neue Aufgabe. Die für die Internationalisierung erforderlichen Ressourcen und Alleinstellungsmerkmale müssen einer anderen Organisation zur Verfügung gestellt werden. Die Öffnung könnte – so die berechtigte Sorge – die einzigartigen Knowhow-Elemente, die in den Prozessen des Unternehmens stecken, aufs Spiel setzen. Diese beiden Ansprüche, die Beibehaltung von Einzigartigkeit in machen Prozessen und die Fähigkeit bei der Internationalisierung durch Know-howTransfer und Öffnung, sind auch Themen, die immer wieder Entscheidungen erfordern, die diese beiden Aspekte berücksichtigen und die nicht nur auf der rationalen Ebene angesiedelt sind. Die Frage aus der Mannschaft könnte so gestellt werden: »Ist es sinnvoll, dass wir unsere Alleinstellungsmerkmale dorthin transferieren? Wenn die Internationalisierung scheitert, erleiden wir nicht nur finanzielle Verluste, sondern unser Know-how liegt auf dem Präsentierteller.« – Wie die Investition eines deutschen Chip-Herstellers, der in Großbritannien eine Fabrik um 2 Milliarden Euro gebaut hat und schließen musste. Um dieser Gefahr zu entgehen, wurde nicht das ganze Werk zum Kauf angeboten, sondern nur die einzelnen Anlagegüter. 227
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Denn mit der Internationalisierung ist ein kmu stärker in eine internationale Angebotskette integriert. Damit stellt sich natürlich auch die Frage nach der Kultur der Zusammenarbeit des kmu mit großen Unternehmen. Und auf diese Zusammenarbeitskultur ist die Mannschaft vorzubereiten, um auch zu überlegen, welche Probleme der Kunde, Lieferant oder Kooperationspartner haben könnte. Ein kmu kann nur mit großen Unternehmen oder mit anderen kmu auf Augenhöhe kooperieren, wenn die Hemmschwelle nicht zu groß ist und die Mitarbeiter selbstbewusst auftreten können. Als internationalisierungswilliges Unternehmen ist die Zusammenarbeitskultur am besten anhand eines Projektes zu entwickeln. Denn mit der Einstellung, dass ein Produkt vorhanden ist, welches auch in einem anderen Teil der Welt gebraucht wird, und mit der Hintergrundinformation, dass der Sinn aller Produkte darin liegt, eine Antwort auf die Bedürfnisse der Menschen zu finden, hat die Leidenschaft, sie zu entwickeln und zu produzieren – sie den Menschen zur Verfügung zu stellen –, auch etwas Sinnliches, weil sich darin der menschliche Geist verkörpert. Mit den hier skizzierten Schritten beginnen natürlich die Vorbereitungen auf der Organisationsebene, aber auch auf der Prozess- und Kommunikationsebene. Wichtige Tätigkeiten zum Projekt rücken ins Zentrum und plötzlich wird in Sinngebung und Tagesarbeit getrennt. Das sollte nicht sein. Die Tagesarbeiten im kmu tragen den Internationalisierungsprozess – nicht nur finanziell. Wenn dann die Menschen, die das Alltagsgeschäft erledigen, keinen Sinn in ihrer Tätigkeit finden, kann es schnell zu einer Sinnkrise kommen, damit ist das Unternehmerische wieder gefordert – nämlich die Aufmerksamkeit dorthin zu richten, wo die Schwierigkeiten geortet werden. Sinnkrise
»Das Drama der Diskrepanz zwischen dem Eigentlichen und dem Tatsächlichen wird landläufig als Sinnproblem« 100 erklärt. Eine Sinnkrise kann es meiner Ansicht nach nur geben, wenn es den Sinn gibt. Der Sinn eines Unternehmens ist im selbstbestimmten Transformieren begründet, mit der profanen Notwendigkeit, ausreichend und rechtzeitig Einzahlungen für das Gebotene zu erhalten. Wenn diese Einzahlungen (Liquidität ist eine der Voraussetzungen für ein funktionierendes Unternehmen) nicht mehr ausreichen, um die an Erfolg versprechenden Lösungen arbeitenden Menschen zu bezahlen, um sich die Zeit und mit ihr die Zinsen für das geliehene und auch eigene Geld sowie das benötigte Material leisten zu können, kann der sinnbringende Zustand nicht mehr eintreten. Dann tritt in der Regel zeitgleich mit der wirtschaftlichen Krise die Sinnkrise auf. 100 Vgl. Koch, Megaphilosophie, S. 207
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In dieser Phase ist die Zeit der größte »Tyrann«. In dieser Phase hat man es als Entscheidungsträger mit zwei sich widersprechenden Wahrnehmungen zu tun. Erstens, der Monat verfliegt deshalb so schnell, weil man einerseits den regelmäßigen Pflichten, nämlich die Mitarbeiter, die Miete und die Betriebskosten zu bezahlen, kaum nachkommen kann, weil auf der anderen Seite zu wenig verrechenbare Leistungen stehen. Zweitens vergeht der Monat so langsam, weil tief greifende Krisen und ihre Beseitigung mehr Zeit in Anspruch nehmen. Wenn es also keine Zeit mehr für das Denken und Handeln gibt, bleibt man nur denk- und handlungsfähig, wenn man nicht die ganze Verantwortung auf sich lädt. Denn nur im selbstbestimmten Handeln liegt auch die Möglichkeit der Umsetzung und die Gelegenheit, für das Umgesetzte auch einzutreten – es als Erfolg verkaufen zu können. Eine Krise ist dann eine Chance, wenn sie so viel Spielraum übrig lässt, dass man nicht endgültig scheitert, sondern dass sich aus ihr neue Entwicklungs- und Entscheidungsmöglichkeiten eröffnen. Die Vision 101 – ein Sinntest?
Die Vision des Unternehmens zu formulieren kann den Sinn des unternehmerischen Handelns hervorbringen. Die Unternehmensvision ist oft nicht bewusst vorhanden, sie kann durch explizite Herausarbeitung zur Stärkung der Unternehmensidentität, insbesondere in Zeiten vor Veränderungen, wie sie Investitionen und Internationalisierung darstellen, beitragen. In der Praxis wird die Vision aus einem funktionierenden Tagesgeschäft und auf Basis einer bewährten Strategie heraus formuliert. Diese Praxis zeigt dann, ob eine Vision der sinngebende Überbau eines Unternehmens sein kann, der sich selbst im Spannungsfeld des Alltags Gewicht verleihen muss und der die Mitarbeitenden unterstützt. Bei so einem Visionsentwicklungs- beziehungsweise Überprüfungsprozess wird also der Umstand integriert, dass ein Internationalisierungsschritt ansteht oder bereits entschieden ist. Der Prozess wird natürlich dazu genützt, die vorhandene Unternehmensvision auf ihre Sinnhaftigkeit und Tragfähigkeit abzuklopfen. Es ist hinzuzufügen, dass die Überprüfung der Vision auch dazu dient, das Leitungsteam für das Projekt zu gewinnen, um an den Entscheidungsvorbereitungen und an den Entscheidungen mitzuwirken. Beweggründe der Internationalisierung finden sich dann in der Vision wieder. Vision und Entscheiderpersönlichkeit(en) sind miteinander verbunden. Eigenschaften, die den Personen zugeschrieben werden, haben oftmals ihre Entsprechungen innerhalb der Vision. 101 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Visionsentwicklungsprozess und Visionsinhalt«. 102 Nagel/Wimmer, Systemische Strategieentwicklung, S. 39
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Sie ist »ein geistiges Bild eines möglichen und wünschenswerten zukünftigen Zustandes der Organisation«.102 Dieser Zustand sollte den »Unternehmens-Auftrag« abdecken. Was ist unsere Existenzberechtigung in 10 bis 20 Jahren? Können wir auch dann noch einen Beitrag für die Menschen leisten? Ein erfolgreicher Visionsprozess und ein daraus entstandener und für die Internationalisierung tragfähiger Visionsinhalt ist eine Möglichkeit, den über die Rationalität hinausgehenden Sinn eines Unternehmens zu erfahren.
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Spiritualität 103 (oder von Gott und der Welt) Es »haben die Menschenwissenschaften sich selbst Gott aus der Hand genommen und sich zum Souverän des eigenen Daseins gemacht. Heinrich Heine hat dieser völlig veränderten metaphysischen Stellung des Menschen auf seine Art Ausdruck verliehen: ›Ich war jung und stolz‹, heißt es bei ihm, ›und es tat meinem Hochmut wohl, als ich von Hegel erfuhr, dass nicht, wie meine Großmutter meint, der liebe Gott im Himmel residiert, sondern ich selbst hier der liebe Gott auf Erden sei.‹« 104 Augustinus vergleicht die Selbstständigkeit des Menschen in seiner persönlichen Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen mit der Kultur, er bezieht sich dabei auf die abnehmende Abhängigkeit einerseits von den Eltern (beim Menschen), andererseits von Gott (bei der Kultur) »und sagt: Als die Menschheit in der Kindheit war, suchte sie in einem Jenseits einen Vater, der für die Geschichte jene Funktion übernimmt, die ein Vater für das Kind übernimmt. Mit der Erlösung sind die Menschen auch für die Geschichte erwachsen geworden und dafür alle verantwortlich. Er sagt daher: ›Suchet die Transzendenz nicht außerhalb, sondern in euch selber – inscende in te et transcende te.‹ (De vera religione 39: Confessiones x, 24 –26)« 105 Die Trinität des Christentums verbindet also den jenseitigen Gott mit den Menschen durch den Gottessohn Jesus. Da gibt es also den jenseitigen Gott, Jesus als die Menschwerdung Gottes und somit für seine eigene Lebenszeit Mensch und den Heiligen Geist als göttliche Existenz in jedem von uns seit dem Tod Jesu bis heute. Die Selbstbestimmung des Menschen, wie sie im Christentum zum Ausdruck gebracht wird, braucht dadurch noch eine eigene Instanz für die Beurteilung des Sinns hinter seinen Entscheidungen. Es ist das individuelle Gewissen. »Wir kommen in Zeiten, in denen immer mehr die Verantwortung des einzelnen Menschen gefragt wird. […] Die in kleinen Gruppen vernetzten Selbstständigen brauchen immer mehr das, was man ›Konsensfindung‹ nennt. Konsens setzt selbstständige und eigenverantwortliche – interdependente – Personen voraus.« 106 Gerhard Schwarz führt in der Einleitung noch 103 Einleitende persönliche Anmerkung: Ich selbst fühle mich zum Thema Spiritualität nicht fundiert genug ausgebildet, jedoch so weit inspiriert, dass ich glaube, mit meiner Auswahl an Zitaten und den eigenen hoffentlich ausfüllenden Zwischenräumen einen Beitrag für meine »Ziel-Gruppe« zu leisten. Und es ist die höchste Ebene im Modell der Chakren. 104 D. Sternberger, Heinrich Heine und die Abschaffung der Sünde, 1976, S. 260, entn. aus P. Gross, Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt am Main 1994, S. 124 105 G. Schwarz, Was Jesus wirklich sagte, Wien 2007, S. 75 106 Ebd., S. 72
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weiter aus: »Bei Jesus von Nazareth hieß es ›Liebe‹. In Hierarchie und Abhängigkeit gibt es aber keine Liebe.« Spiritualität ist also heute weitgehend verloren gegangen. Dieser Verlust von Spiritualität ist auch ein Ergebnis der Aufklärung. Die Säkularisierung war in ihrer Wirkung so mächtig, dass die Spiritualität zurückgedrängt wurde. Diese Zurückdrängung ist Ergebnis des Wettbewerbs, der zwischen den Naturwissenschaften und den Religionen stattgefunden hat und den die Naturwissenschaften vorläufig für sich entschieden haben. Erst durch das Zurückdrängen des jenseitigen Gottes (oder Ähnlichem) und mit dem (vorläufigen) Ende des Paradigmas »hier Mensch – dort der oder das Jenseitige« wurden die Voraussetzungen für den Durchbruch der Wissenschaften der Neuzeit geschaffen. Und dieser Durchbruch, sowohl der Naturwissenschaften als auch der Ökonomie, eröffnete uns den Weg in die Selbstständigkeit, wie wir sie heute verstehen. Diese diesseitige Selbstständigkeit entspricht auch überwiegend dem, was wir Unternehmen nennen, und ist die Sicht ihrer Eigentümer. Und mit dem UnternehmerSein wird auch meistens Selbstverantwortung verbunden. Was ist unter diesen Voraussetzungen ein möglicher Kern unternehmerischen Handelns? Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf das existierende Geschehen richten und dabei entdecken, dass durch eine Idee eine bessere Lösung der Lebensumstände erzielbar wäre, haben wir bereits den ersten gedanklichen unternehmerischen Schritt getan. Es passiert jedoch weiter nichts, wenn wir nichts tun. Die Idee bleibt in diesem Stadium stecken und wird niemals Realität. Sie war zwar zweckgerichtet und dadurch sinnvoll, ohne je ein Ergebnis zu erreichen. Wir haben etwas wahrgenommen und unsere Umgebung hat uns sozusagen auf etwas aufmerksam gemacht. Das Erkennen von Verbesserungen von praktischen Dingen gehört zum Essenziellen des Bewusstseins als Voraussetzung für das Tun. Dabei sind unsere Sinne angeregt und unser Denken gefordert. Mit dem »Beobachten der eigenen Gedanken, ohne Stellungnahme, ohne Beurteilung, ohne Wertung, und damit ein Stärken der Fähigkeit, in der Gegenwart zu leben (ein Charakteristikum von Unternehmertum) und Unsicherheit, Furcht und Sorgen zu beherrschen, wenn nicht loszuwerden« 107 wird der Schlüsselprozess der Bewusstseinsbildung beschrieben. Mit der Fähigkeit, in der Gegenwart zu leben ist Umsetzung gefordert. Das lässt sich nur erklären, wenn man sich vorstellt, dass mit einer Idee (im Kopf) der Geist des Menschen mit seinen körperlichen, handwerklichen Fähigkeiten, also mit seiner (eigenen) Produktions-(Handwerk) beziehungsweise Kommunikationskompetenz (Management) vereint ist. Der 107 J. Röpke, Der lernende Unternehmer. Zur Evolution und Konstruktion unternehmerischer Kompetenz, Mafex, Band 3, 2002, S.6
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unternehmerische Mensch muss dann noch den Wert dessen, was er erzeugen will, kommunizieren und jemanden überzeugen, dafür zu bezahlen. Und es muss immer wieder etwas Neues sein. Denn »was auf dem [unternehmerischen] Weg zählt, ist die Fähigkeit zum Wandel«.108 In asiatischen Philosophien wie beispielsweise im Taoismus 109 sind die Erkenntnisse zur Entwicklung des Menschen viel allgemeiner formuliert. Die Frage nach dem Sinn des Lebens wurde nicht auf jenseitig sinngebende Instanzen verlagert, sondern es wurde immer gesagt, dass sich der Mensch den Sinn selbst geben könne. Es gibt eine Reihe von Abhandlungen fernöstlicher Denkschulen, die ähnlich argumentieren, wenn sie die Fähigkeiten des Menschen ansprechen: »Es gibt zwei Linien, entlang derer die menschliche Entwicklung vonstatten geht. Die Linie des Wissens und die Linie des Seins, das bedeutet die Anhäufung von Informationen und Kraft. Bei einer richtigen Evolution entwikkeln sich die Linie des Wissens und die Linie des Seins gleichzeitig, parallel und unterstützen einander. Aber wenn die Linie des Wissens der Linie des Seins zu weit voraus ist, dann wird die menschliche Entwicklung falsch und muss früher oder später zu einem Stillstand kommen. […] Wenn das Wissen dem Sein sehr voraus ist, wird es theoretisch und abstrakt, auf das Leben unanwendbar oder geradezu schädlich, denn statt dem Leben zu dienen und den Menschen zu helfen, besser mit ihren Schwierigkeiten fertig zu werden, beginnt es das menschliche Leben zu komplizieren.« 110 Es kommt also auf die Balance zwischen dem Wissen, dem Sein und dem Tun an. Diese ist nur über Entscheidungen zu erreichen und aufrechtzuerhalten, denn »unsicher macht […] genau diese Spannung zwischen dem bloßen (dass) Sein und dem wer oder was (bestimmt) Sein. Habe ich in der Entscheidung meine Bestimmung gefunden oder bin ich mir eher fremd geworden? Habe ich in der Fülle des Seins das für mich Richtige ausgewählt?« 111 Es kommen aber noch weitere Einschränkungen und Bedingungen dazu, wenn wir uns nicht entscheiden: »Erstens verlieren wir unsere (Selbst)Bestimmung, wissen daher nicht, wer wir sind (andere entscheiden über uns), zweitens müssen wir uns auch zum Nicht-Entscheiden entscheiden, das Lassen wird uns nicht geschenkt.« 112 Und mit dem Wissen ist dasjenige, zu wessen Lasten entschieden wurde, auch präsent, nur das unmöglich gewordene Ergebnis der nicht realisierten Alternative(n) bleibt uns verborgen. 108 Lao-tse, Also sprach Lao-tse, 1996, S. 113 entn. aus Röpke, Lernender Unternehmer, S. 11 109 Anmerkung aus Schwarz, Jesus, zum Taoismus: Individualisierung des Sinns, S. 201 110 Treinheptavainpahaldries oder Der Einäugige ist ein König unter Blinden, http://www.homoeopathie- repertorium-version.de/tr.pdf (17. 8. 2007) 111, 112 P. Heintel, E. E. Krainz, Über Entscheidung, Gruppendynamik, 17. Jahrg., Heft 2, 1986, S. 152
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Kein »Ende« des Gewissens
Die meisten Menschen in Organisationen treffen ihre Entscheidungen nicht selbst. Sie werden ihnen abgenommen. Vom Chef, vom Vorgesetzten, vom Qualitätsmanager beziehungsweise von seinem Handbuch – einem innerbetrieblichen Gesetzeswerk, welches, so kann ich aus der eigenen Berufserfahrung berichten, kaum jemand liest. Doch durch den Prozess der Erstellung des Handbuches kann man sich aber dunkel erinnern – zumindest jene, die dabei waren –, dass dort einiges Sinnvolles festgelegt wurde. Die Erfolgsorganisation des industriellen Zeitalters, das kapitalistische Unternehmen, setzt ja voraus, dass Leistung in einer bestimmten Zeit und mit definierten Kosten erbracht wird. Und aufgrund des Erfolgs hat sich das Modell in verschiedensten Ausformungen weltweit zu Recht durchgesetzt. Denn »was immer auch Kritisches gegen die Einseitigkeit der ökonomisch-technologischen Dominanz unserer Kultur gesagt wurde, etwas verdanken wir ihr, was wir nicht leichsinnig aufs Spiel setzen sollen: die Problematisierung von personeller und institutioneller Fremdbestimmung (Aufklärung) und eine ökonomische Entlastung, die jedenfalls ›freier denken ließe‹.« 113 Bedingung ist also, dass der in dieser Organisation tätige Mensch auf den Zweck und die Unternehmensziele fixiert wird, weil gerade diese Festlegung erst ein (wirtschaftliches) Überleben und Erfolg-haben einer Organisation ermöglicht. Das wäre zum einen der organisationale Selbstzweck; was aber noch entscheidend ist, es sind auch Wachstum, Fortschritt und ein besseres Leben für uns alle mit der Organisationsform verbunden – artikuliert durch unsere Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen. Und damit die Produkte immer ertragreicher werden, wurden die Abläufe zur Leistungserbringung immer genauer festgelegt. Denn »im großen Zusammenspiel aller Funktionen und Tätigkeiten liegt der Grund für Entwicklung, Fortschritt, besseres Leben. Es muss zwar jeder das Opfer der Reduktion auf sich nehmen, dafür erhält er aber einiges zurück, das durch die Leistung anderer hervorgebracht wurde.« 114 Das wird in kapitalismuskritischen Diskussionen oft vergessen, denn »alle wollen am besseren Überleben teilhaben und nicht bloß ihr nacktes Leben sichern. Die Sinnfrage konnte lange Zeit mit der Evidenz von Bequemlichkeit und Fortschritt befriedigt werden. Schwierig wird die Aufwertung dann, wenn hier Grenzen und Zweifel auftreten. Funktionale Reduktion wird als Selbstzweck kaum ertragen.« 115 Der auf seine Funktion reduzierte arbeitende Mensch hat ja 113 P. Heintel, Kulturelle Nachhaltigkeit – eine Annäherung, in: L. Krainer, R. Trattnigg (Hrsg.), Kulturelle Nachhaltigkeit, München 2007, S. 119 114 P. Heintel, Moralität und Sittlichkeit, in: H-D. Klein, J. Reikersdorfer (Hrsg.), Philosophia perennis, E. Heintel zum 80. Geburtstag, Frankfurt am Main, 1993, S. 297 115 Ebd. S. 298
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neben seiner Funktion seine individuelle Lebensgeschichte und als philosophische Errungenschaft der Neuzeit (Aufklärung) das entscheidungsautonome Ich mit dem Gewissen als letzte Instanz, wenn etwas zu beurteilen und danach zu handeln ist. Damit ist aber der Spannungsbogen definiert: auf der einen Seite die Funktionen (Organigramme) und die Abläufe (Prozesse) usw., auf der anderen Seite das Gewissen mit seinem Recht auf Beurteilung. Und dieses Gewissen ist nicht vom Gesetz und, banal ausgedrückt, auch nicht vom Qualitätshandbuch abhängig. Wie kann also das neuzeitlich errungene autonome Ich auf der einen Seite mit der Funktion zur Leistungserstellung in Einklang gebracht werden? Wohl nur durch die breite Beteiligung der Betroffenen am Prozess der Erstellung von innerbetrieblichen Vorschriften, Qualitätsmaßstäben und -handbüchern sowie deren reflexiver Revision. Dann sind die Mitarbeiter nicht mehr von den Regeln und internen Normen abhängig, sondern haben diese in sich aufgenommen. Entscheidungen auf der Basis des Gewissens können so den Regelungsbedarf herabsetzen – einen Bedarf, der in modernen komplexen Organisationen und den darin stattfindenden Prozessen sonst ohnehin nicht darstellbar ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich ein Unternehmen in welcher Form auch immer internationalisiert. Der Regelungsbedarf wird sukzessive durch die (internationalisierungsorientierte) Selbstbestimmung des Individuums zu ersetzen sein. Dieses wird einerseits auf seine Individualität achten, andererseits jedoch, beispielsweise als Führungskraft, »wenn es in seinem ›funktionsethischen‹ Bezug (Leistungsethik) in Organisationen andere für seinen Zweck zum Mittel machen muss, [dann] agiert es an sittlichen Grenzen, die einer gesonderten Reflexion bedürften«.116 Beide Ziele, also Anordnungen, die zur Selbstbestimmung und Selbstverantwortung aufrufen und gleichzeitig den Bezug auf Qualität und Rentabilität hergestellt wissen wollen, lassen sich nur dann leistungsethisch vereinbaren, wenn mit der gemeinsamen Regel- und Prozessgestaltung die Möglichkeit eröffnet wird, neues gemeinsames (kollektives) Wissen zu erwerben, und wenn alle Betroffenen am Erwerb partizipieren. »Was u. E. [jedoch] fehlt, sind Überlegungen zur notwendigen Organisation einer Vergemeinschaftung solcher Denkund Handlungsprozesse.« 117 Wie kann also Selbstverantwortung in geeigneter Form ins Unternehmen hineinkommen? Man sollte sich nicht in eine Sackgasse hineinbegeben, wenn man – nachdem das x-te Entscheidungstool auch nicht den Durchbruch zum 116 Ebd., S. 306 117 Ebd., S. 294 (Anm.: P. Heintel hat diese Formulierung in Bezug auf den Staat verwendet, sie gilt meiner Ansicht nach auch für große Unternehmen und für schnell wachsende kmu.)
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von ihm garantierten Erfolg gebracht hat – auf Eingebungen durch ein höheres Wesen hofft. Beim Ruf nach einem darin kompetenten Berater bekommt dann jener Berater den Auftrag, der sehr direkt Folgendes vertritt: »Es wäre verfehlt, die Integration von Spiritualität ins unternehmerische Denken und Handeln als (rein) karitativen Akt zu werten. Spiritualität macht sich bezahlt.« 118 Entsprechend einem »Trend in Richtung Spiritualität, in dem sich höchst Unterschiedliches zusammenfindet, unter anderem auch ein neuer Kult der Instauration von Gurus; also eine Verbindung von alten Abhängigkeitswünschen mit ihnen entsprechender autoritärer Strukturbildung«. Dem kann ich mich nur anschließen, denn ein sich internationalisierendes Unternehmen wäre wohl auf der falschen Spur, wenn es, weil es im Zuge der Internationalisierung nicht schnell wirtschaftlich reüssiert, in weiterer Folge die technologischen Errungenschaften oder die unterschiedlichen Kulturen ablehnt, oder wenn es sich, weil es schnell gehen muss, mit einem noch höheren Regelungsbedarf einem eigenen neuen Diktat unterwerfen würde. Besser ist es, wenn man sich vorstellt, dass ein Unternehmen auch als permanenter Prozess erklärt werden kann. Gewissen ist also mit den laufenden Tätigkeiten beziehungsweise mit den Entscheidungen verbunden. Und damit mit der persönlichen Vergangenheit in der Organisation. Dazu einer meiner Interviewpartner: »Das Gewissen ist bei uns eine große Instanz. Wir haben diese ethischen Grundsätze, wir wollen Ehrlichkeit, wir wollen auch eine Ästhetik haben. Deswegen haben wir als Philosophie den Menschen im Mittelpunkt und iq heißt nicht Intelligenzquotient, sondern Innovationen & Qualität.« 119 Wenn der Mensch mit seinem Gewissen im Mittelpunkt steht, wie es im Interview zu hören war, gibt es einerseits eine gute Anknüpfungsmöglichkeit für »Ausdehnung« des Gewissenshandelns in die Organisation und kann man andererseits eine Rückdelegation des gewissenhaften Handelns auf den Menschen bewusst machen. Dazu müssen die Regeln und die (unternehmensbezogenen) Gesetze »in den Menschen Ursprung und Zweck haben, von ihnen hervorgebracht, begründet, gerechtfertigt und auch verändert werden. Als erste ›Ansprechstelle‹ gilt hier neuzeitlich das Individuum, dessen Einsicht in die Vernünftigkeit des Rechts [hier: des Regelwerks des Unternehmens] nicht übergangen werden kann. [Und damit die] Autonomie und ›Rechtmäßigkeit‹ des individuellen Gewissens als unhintergehbarer Letztinstanz.« 120 118 Vgl dazu S. Mingers, Ph. Wildburg, Systemische Beratung und Spiritualität, in: supervision, Mensch, Arbeit, Organisation, Köln, 4/2005, S. 21 119 Interview ix, S. 100 120 Heintel, Moralität, S. 306
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Die Organisation öffnen
Es gibt wie schon zitiert zur Spiritualität Fundiertes, Lesenswertes und Erkenntnisreiches aus mehreren Jahrtausenden. Um sie für Unternehmen und für Entscheidungen in Unternehmen anwendbar zu machen, braucht man eine die Organisation oft überfordernde Offenheit. Diese Offenheit ist zu üben, sie kann nicht verordnet werden. Leider bringt man dafür kein Know-how von der Schule und auch keines von der Universität mit. Denn es wird dort selten gemeinsames Nachdenken organisiert, vielmehr dienen dieses Institutionen der Wissens-(Re) Produktion und diese ist dann auch meistens allein zu bewältigen. Auch im Unternehmen gibt es keine Zeit für Fragen und für Antworten. Mit einer inhaltlichen Bestimmung von Bildung könnte ein Unternehmen sich für Spiritualität öffnen. Der gedankliche Abstand zwischen Alltag und Spiritualität ist sehr weit. Denn erst durch anderes Lernen, also »Heraustreten, gemeinsames Nachdenken, Lernen am Alltäglichen, […] an eingerichteten Veranstaltungen, an Ereignissen, Geschehnissen, am Umgebenden und medial vermittelten Fenstern, also sich ›Transzendenzen‹ einzurichten, lässt Bildung für menschliches Tun, Handeln, Entscheiden erst konstitutiv werden. […] Theorie ist hier vielmehr Produkt der Muße des Nachdenkens und Sinngebens für die Praxis unter dem Postulat der Ermöglichung eines individuell und kollektiv gelingenden Lebens.« 121 Wie gesagt, beinahe alles zur Spiritualität ist vor unserem naturwissenschaftlichen Zeitalter entstanden und durch unsere Sozialisation, durch das rationale (natur-)wissenschaftliche Denken verschüttet oder verstellt. Da wir diese Entwicklung nicht ungeschehen machen können, gibt es also nur Möglichkeiten, Spiritualität neu zu entdecken und aufzubauen. Denn wie schon oben angeführt und von Augustinus formuliert, liegt die Lösung des Problems im Problem und in uns selbst und nicht im Jenseits und auch nicht sonstwo. Auf dieser teilweise verschütteten »Einsicht in die Geistbestimmung des Menschen beruht die Wissenschaft (jeder soll selber prüfen, was wahr ist), beruht die Demokratie (jeder soll mitentscheiden können) und beruhen die Menschenrechte (alles, was Menschenantlitz trägt, ist zugleich auch göttlich)«.122 Wenn ein Unternehmen wirtschaftlich nicht mehr funktioniert, wird dies auf das Versagen der Leitdifferenz – zahlen – nicht zahlen oder zu wenig zahlen – zurückgeführt. Helmut Wilke formuliert die Leitdifferenz als »Hauptkriterium oder zentraler Gesichtspunkt für die Steuerung und Zuordnung von Kommunikationen. In funktional differenzierten Gesellschaften ordnet etwa die Leitdifferenz ›Zahlung/Nichtzahlung‹ Kommunikationen dem Teilsystem Ökono121 P. Heintel, in Zwei Seiten (!) zum Thema Bildung, 9. 1. 2007, S 3f 122 Schwarz, Jesus, S. 11
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mie zu.« 123 Dieses Prinzip wird hier auch nicht in Frage gestellt. Und meistens wird bei Krisen in Unternehmen nach einer technisch-wirtschaftlichen Lösung gesucht. Diese hat vielerorts ihre Grenzen erreicht, wie viele Fehlentwicklungen zeigen. Doch wie können wir im Unternehmen die Selbstbestimmung des Handelns erreichen? Nur wenn die Ursachen des Handelns in uns selbst liegen, wenn wir die Freiwilligkeit nicht unter das vermeintliche Diktat des Sachzwanges stellen. Denn das weit verbreitete Sachzwang-Argument wird auch verwendet, um die Verantwortung loszuwerden. Doch sie bleibt bei uns, weil die Entscheidung schon vorher gefallen ist und wir es nicht bemerkt haben oder bemerken wollten. Denn »als unfreiwillig gilt, was aus Zwang oder Unwissenheit geschieht«.124 Auch daran ist niemand schuld, denn in Unternehmen ist es nicht immer angebracht, mit Informationen offen umzugehen. Wenn beispielsweise die Entscheidung für ein neues Produkt oder für ein Internationalisierungsprojekt gefallen ist und dieses eine lange Entwicklungszeit beziehungsweise Umsetzungszeit für die Marktreife beziehungsweise die Umsetzung der Investition benötigt. Mitarbeiter und Führungskräfte sind zur Verschwiegenheit verpflichtet und die Verletzung dieser Pflicht ist mit Sanktionen bis hin zur Entlassung bedroht. Offenheit in der Information muss dem Vorteil gegenüber der Konkurrenz geopfert werden. Dies ist auch einer der größten Widersprüche zwischen dem realen Wirtschaften und der ökonomischen Theorie. Die Transparenz oder vollständige Information, wie sie in der Theorie angenommen wird, verunmöglicht geradezu unternehmerisches Handeln und ökonomischen Erfolg. Dazu folgendes Beispiel (es gibt viele): Nehmen wir an, ein neues vielversprechendes Produkt wird vor seiner Fertigstellung ungeschützt präsentiert. Die Konkurrenz würde die Entwicklung sofort übernehmen und versuchen, einen Vorsprung herauszuholen. Die Kosten für das innovierende Unternehmen wären dann nicht mehr durch Umsätze finanzierbar. Der Widerspruch zwischen der Offenheit und der Verschwiegenheit ist dann leicht zu entscheiden, wenn jeder an der Produktentwicklung Beteiligte den Sinn dieser Innovation erkennt und danach, in diesem Fall während der Phase der Unsicherheit, nach außen verschwiegen ist und sich nur mit seinen ebenfalls beteiligten Kollegen austauscht. Damit ist sowohl die Offenheit zum Zeitpunkt der Entscheidung als auch die Verschwiegenheit in der jeweiligen Person angesiedelt und diese kann somit Verantwortung übernehmen. Das ist eine Regel, die in der Praxis geschrieben wurde. 123 H. Wilke, Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen, Lehrbrief, 2007, S. 6 124 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Drittes Buch, Kap. 1 – 3 iiiob, entnommen aus Schwarz, Jesus, S. 14
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Den Sinn von Regeln und Gesetzen, wenn diese gemeinsam vereinbart und entschieden werden, kann man am Wort »verabschiedet« erkennen: In Unternehmen wie in Parlamenten heißt es verabschiedet werden. Das Wort verabschiedet bedeutet, dass diese Regeln und Gesetze nach ihrer Entstehungsphase dem Menschen überantwortet werden. Denn die »Trennung von Gesetz und Gesinnung, wodurch das Gesetz erst seine widerwärtige Äußerlichkeit bekam, machte den Menschen zum Knecht des Gesetzes. Die Fundierung der Entscheidung im Gewissen als letzter Instanz gab dem Gesetz erst wieder seinen ursprünglichen Sinn, Hilfe und Motiv für die Entscheidung zu sein, das Heil des Menschen zu fördern.« 125 Wenn er also den Sinn darin (noch) wiedererkennt, kann er selbst danach handeln und braucht keine außengesteuerte Auslegung oder Ausrede. Der Prozess der Gesetzwerdung lässt sich mit dem Prozess der Entscheidung für ein Investitionsprojekt vergleichen. Beide Prozesse sind zwischen individueller und kollektiver Entscheidung angesiedelt. Das heißt, es soll schon zu Beginn der Gestaltung des Prozesses Zeit für Erkenntnisse, was damit alles verbunden sein kann, vorgesehen werden. Damit sind Voraussetzungen für konsensuale Entscheidungen gegeben und kann nach diesen Grundsätzen selbstverantwortlich gehandelt werden. Wenn auch nicht leicht, da im Alltag solche idealistischen Vorstellungen kaum Platz haben, also zu weit weg angesiedelt sind. Ich glaube, dass diese Grundsätze nach wie vor Gültigkeit haben, aber auch für ihre Gültigkeit Bedingungen einfordern. Und die ausgearbeiteten Regeln, deren Interpretation dem Gewissen des Individuums übertragen ist, sind nach ihrer Beschlussfassung nicht mehr absolut, sondern haben plötzlich eine übergeordnete Autorität, nämlich die Selbstbestimmung des Individuums. Damit ist die Gesetzesmaterie oder das Regelwerk nicht starr, sondern der Auslegung und der Veränderung ausgesetzt. Damit sind wir zwar freier, wir haben aber auch mehr Verantwortung in Bezug auf unser Verhalten innerhalb dieser Regeln. Wenn wir diese verlassen, ohne für das Kollektiv und mit ihm Veränderungen und vor allem Verbesserungen zu erwirken, handeln wir nicht korrekt. Aber die Anstrengungen für Verbesserungen bleiben bei uns selbst. Im Zusammenhang mit dieser Eigenverantwortung beispielsweise ein Aspekt, wie in verschiedenen Rechtssystemen die Rolle des Gerichtes als Urteilsgeber über Recht und Unrecht definiert ist: Im anglo-amerikanischen Recht, welches sein Urteil auf die Erfahrung ähnlich oder gleich gelagerter Fälle (»cases«) aufbaut, ist die Änderung oder Neuinterpretation leichter erkennbar als im Rechtspositivismus Österreichs und Kontinentaleuropas. Wenn der Angeklagte (das Individuum) der Auslegung des Gesetzes beziehungsweise den bisher erlassenen Urteilen erfolgreich 125 Schwarz, Jesus, S. 26
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widerspricht, kommt ein neues Gesetz in die Welt, hebt das alte damit (teilweise) auf. Für einen unbestimmten Zeitraum gilt dieses Urteil als unfehlbar. In Unternehmen, um eine Brücke zu spannen, kommt beides zusammen und überschneidet sich, die Gesetze der Gesellschaft und die unternehmensinternen Regeln. Die Verantwortungsträger müssen beides beachten und somit sind Widersprüche in eigener Verantwortung zu entscheiden. Absolute Sicherheit gibt es dabei nicht, wie erst die Geschichte bei gut gemeinten, verantwortungsvollen, aber letztendlich Fehlentscheidungen zeigt. Zum Abschluss dieses Essays der eine oder andere Gedanke zum bedeutenden Thema Spiritualität heute und daraus abgeleitet die Fragen zur Führung heute sowie zum unsterblichen Unternehmensmodell. Was kann Spiritualität heute sein126
Gleich zu Beginn muss abgegrenzt werden, was zu diesem »alten« Thema heute zu sagen ist. »Als Charakteristikum lässt sich die Existenz einer Differenz aufzeigen, die, wie sich herausstellen wird, überhaupt als Synonym für Spiritualität zu bezeichnen ist: Es gibt ein Tun, ein Handeln, das beobachtet, betrachtet werden kann, das zu sich selbst in Differenz tritt, unterbrochen, überlegt wird, es wird ihm ein reflexiver Raum eröffnet, in dem ›normale‹ Aktivität gleichsam ausgesetzt wird. In ihm kommt zwar alles Mögliche vor, was in Letzterer vorgeht, es ist aber nicht mehr dasselbe. Es wechselt seinen Charakter, ist nicht mehr Teil in einer Kette von Handlungen, sondern »Gegenstand« einer Betrachtung, Überlegung.« 127 Diesen geistvollen Zustand kann man nur außerhalb der operativen Arbeit, in Coaching- oder Supervisionssitzungen erreichen. Unkritisch wird das nicht gesehen, da wir in unserer Sozialisierung vom rationalen Denken geprägt und bestenfalls das Spirituelle mit dem Jenseitigen verbinden. »Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung ihrer Systeme, die Steigerung von Komplexitäten verlangen immer mehr Denken und Entscheiden von immer mehr Menschen. Das muss aber nun gelernt werden; man beginnt zunächst beim, wie man glaubt, Einfachsten und Notwendigsten: beim Funktionellen, Professionellen, Fachlichen. Hier hat die Selbstreflexion noch eine große Stütze im Kontext der Fach- und Funktionslogiken; sie bleibt somit beschränkt.« 128 Doch es soll weiter gehen. Geist soll nicht Hierarchie sein und nicht außerhalb. Und es sollen neue Erkenntnisse dazukommen, die nicht von vornherein Bewertungen unterliegen. 126 P. Heintel, Spiritualität als »Selbst- und Systemtranszendenz« – am Beispiel der Supervision, in: Supervision. Mensch Arbeit Organisation. »Spiritualität«, 2005, S. 38 – 50 127 Ebd., S. 39 128 Ebd., S. 41
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Doch für beides gibt es keine Garantie. Man braucht auch dazu Übung und das Sich-Einlassen, um sich in der Selbstdifferenz zu verbessern. Coaching »bietet keine Lösungen an, trifft keine Entscheidungen, repräsentiert eigentlich ›in aller Härte‹ die Differenz und deren anfängliche Leere«.129 Doch es ist uns aufgegeben, diese Leere zu füllen und neue Möglichkeiten zu finden, die sich nicht kausal an alles, was wir an Erfahrungen haben, sogleich anschließen. Im Zuge existenziell bedeutender Entscheidungen kann dieses Innehalten und Freiwerden von Determiniertheiten Räume aufmachen, die völlig neue Zugänge eröffnen. Dies hat nichts mit jenseitigen Dogmen zu tun. Peter Heintel schließt seine Ausführungen mit einer Übungsaufforderung: »Wenn man Supervision und ähnliche (›Geist‹-) Praktiken auf Gruppen, Organisationen, Systeme ausdehnen, der Selbsttranszendenz eine ›Systemtranszendenz‹ beigesellen würde, wäre das einer der größten Schritte unserer Weiterentwicklung.« 130 Führung
»Wenn Erlösung bedeutet, dass jeder Mensch selber Auctoritas wird, also Autorität, das heißt wörtlich übersetzt: Urheber seiner eigenen Handlungen, die nicht mehr fremdbestimmt von anderen werden, dann muss natürlich auch die Rangordnung neu überdacht werden. Führen heißt nicht mehr: anordnen, befehlen, sondern führen muss heißen: den anderen helfen, selber reif zu werden, selber entscheidungsfähig zu werden, selber Autorität zu werden.« 131 Zeitgemäßes Führen ist Interesse am anderen, an seiner Entwicklung, an seinen Fähigkeiten. Es beginnt vor allem bei der eigenen Person. Irreführend ist dabei wieder einmal die Managementliteratur. Die vielen Bücher, die von den Unterschieden von Management, Leadership und Führung handeln. Die einen ordnen dem Manager subalterne operative Aufgaben zu und dem Leader charismatische, beinahe übernatürliche Fähigkeiten. Dabei geht es doch um die Fähigkeit in einem unsicheren Umfeld gemeinsam mit anderen Entscheidungen zu treffen. In der heutigen Wissensgesellschaft ist Führung gekoppelt mit Erfahrung und muss Wissen wirksam werden lassen.132 An der Führung eines einzigen mit eigener fachlicher und persönlicher Autorität ausgestatteten Mitarbeiters zeigt sich die Herausforderung von Führung. Ein Vergleich: Die Konsequenzen von nicht befolgten Befehlen beim Militär oder in ausschließlich hierarchisch geführten Unternehmen sind völlig klar. Die Nicht-Ausführung war und ist mit 129 130 131 132
Ebd., S. 43 Ebd., S. 49 (Kasten) Schwarz, Jesus, S. 32 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft«.
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Sanktionen bedroht, die Sanktionen sind relativ klar geregelt. Was bedeutet aber beispielsweise folgende Drohung in einem zwar hierarchischen Kontext in einer wissensbasierten Organisation? Wenn du das nicht tust, musst du das Unternehmen verlassen! Mit dem Einsteigen in den Lift verlassen viel Erfahrung und Wissen und Problemlösungskompetenz das Unternehmen. Und das fällt auf die Führungskraft zurück und das wissen beide. Konfliktmanagement ist also erforderlich, um in differenzierterer Weise die Folgen von Miteinander oder Nicht-Miteinander bearbeiten zu können. Denn die Alternativen, bleiben beziehungsweise gehen, sind keine Lösung. Die Lösung liegt, um bei unserem Beispiel zu bleiben, bei beiden Menschen. Beim Umgang in Augenhöhe und in Selbstbestimmung. Nur wenn einer nicht reif ist, nicht ausreichend Kompetenz für Selbstaufklärung entwickelt hat, egal ob der Führer oder der Geführte, funktioniert das Prinzip nicht.133 Doch für die Möglichkeit ausreichend Selbstaufklärungskompetenz zu erwerben, muss der Vorgesetzte sorgen. Denn die Rollen bleiben klar verteilt. Das hat mit Verantwortungsteilung genauso zu tun wie mit gemeinsamer Verantwortung, und beides sollte klar sein, denn von beiden wird mehr verlangt als von jedem einzeln und alle Fähigkeiten und Erfordernisse, Anliegen und Interessen können niemals schriftlich fixiert werden. Leben/Tod 134
Die Frage von Leben und Tod ist eine der letzen Fragen in Bezug auf die menschliche Existenz. Was haben Investitions- und Internationalisierungs-Entscheidungen damit zu tun? Diese Entscheidungen wirken über den Tod hinaus, die falschen Entscheidungen können nicht mehr durch neue richtige Entscheidungen verändert werden. Denn die individuelle Freiheit, zu handeln und zu entscheiden, endet mit dem Tod. Weder kann ein erfolgreicher Weg erfolgreich weiterbeschritten werden, noch ist Umkehr nach falsch getroffenen Entscheidungen und versunkenen Kosten möglich. Die Entscheidungsfreude wie die Verweigerung treffen die nächste Generation und das eigene Erbe oder Vermächtnis. Eine ausschließlich ökonomische Betrachtung greift zu kurz, weil beide Phänomene andere als ökonomische Sinndimensionen haben. Nur die Nicht-Entscheidung und die ihr vorausgehende Nicht-Befassung in Bezug auf eine Investition ist jetzt, wieder ökonomisch betrachtet, die noch schlechtere Alternative. Verbunden mit dem Dilemma, die Aufgabe niemals endgültig zu Ende bringen zu können, ist 133 Vgl. G. Schwarz, Konfliktmanagement, Wiesbaden 2003, S. 170ff 134 Der Stellenwert von Leben und Tod bei unternehmerischen Entscheidungen ist insofern von Bedeutung, weil Entscheidungen und deren Konsequenzen über das Leben des Entscheiders hinaus wirken und diese Tatsache Einfluss auf das Entscheidungsverhalten hat.
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das Misstrauen oder das Vertrauen in die, die uns nachfolgen. Sie können die Entscheidungen beurteilen. Sie können aber nicht alle Motive, die den Entscheidungen zugrunde liegen, erfragen. Und nach dem Tod kann man bei der Beurteilung der eigenen Entscheidungen nicht mehr mitreden. Natürlich gibt es einbaubare Unsterblichkeiten für ein Unternehmen. Der Unternehmenszweck einer »auf unbestimmte Zeit errichteten Gesellschaft« kann durch die Einrichtung einer nur durch den Stifter zu Lebzeiten veränderbaren Stiftung in der zukünftigen Eigentümerrolle festgeschrieben werden. Die wahre Unsterblichkeit wird jedoch eher durch die spezifische Unternehmenskultur erhalten und vor allem weiterentwickelt als durch die für die Nachkommenschaft »Zukunft abschneidende« Unsterblichkeit. Es ist die Identität ganz besonderer Persönlichkeiten, meistens der Gründer des Unternehmens, verbunden mit dem Zweck des Unternehmens, mit den persönlichen Auseinandersetzungen des Aufbaus mit Rückschlägen und Erfolgen, die über den Tod hinaus wirksam wird. Das Weiterbestehen des Unternehmens hängt neben der wirtschaftlichen Ertragskraft, der durch Entscheidungen sich selbst generierenden Optionen und Alternativen von der Pflege des Zusammenhalts der Eigentümer ab. Damit vereint sich Investitions- und Ausschüttungspolitik mit gemeinsamen Festen, die gegen das Auseinanderdriften der Interessen wirken.
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245 E. Juritsch, Internationalisierungsentscheidungen von kleinen und mittleren Unternehmen © Springer-Verlag/Wien 2011
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Selbststeuerungsgrenzen Ein interessantes Gedankenexperiment, das leider in der eu kaum praktische Relevanz hat: Ein zu 100% eigenkapitalfinanziertes Unternehmen kann nicht in Konkurs gehen. Es ist und bleibt eine Eigentümerentscheidung, weiterzumachen oder aufzuhören. Es herrscht kein Sachzwang. An diesem wenig realistischen Experiment sind die Grenzen für Selbststeuerung zu erkennen. Das Wissen um die Chancen eines Unternehmens, die Kunst und die Grenzen der Beherrschung von Risken, keine Garantie für den Erfolg, aber auch keine für das Scheitern machen alle Versuche zunichte, Entscheidungen auszulagern. Beobachtungen und Überlegungen auf der Basis von bereits Erreichtem weisen immer wieder auf neue Chancen und neue Risken hin. Welche Voraussetzungen benötigen strategische unternehmerische Entscheidungen? Eine der wesentlichsten Voraussetzungen liegt in der Beantwortung der Fragen: • Warum existieren wir als Unternehmen? • Welche Ressourcen, wollen wir für unser Erfolgsmodell einsetzen? Entscheidungsträger und Umsetzer sind Menschen, denen man oft ein nicht leicht fassbares Eigenschaftsbündel, welches man als das »Unternehmerische« bezeichnet, zuschreibt. Es hat für das Unternehmersein lange gereicht, aus der Not eine Tugend zu machen und Produkte als Angebote auf menschliche Bedürfnisse anzubieten. Man musste sich auch nicht so sehr um seine Umwelten (Öffentlichkeit, Umwelt usw.) kümmern. Die Situation hat sich jedoch verändert. Durch eine sensibilisierte Öffentlichkeit sind Unternehmen und seine Anspruchsgruppen, wenn auch unterschiedlich so doch in gewisser Weise gemeinsam, für deren Handeln verantwortlich. Heute ist es meiner Ansicht nach besonders wichtig, dass das Unternehmen neben seinen wettbewerbsfähigen Produkten intakte Beziehungen zu seinem Umwelten hat. Damit öffnet sich ein weites Feld der Kooperation und weniger der Konkurrenz – trotz unterschiedlicher Interessen.1 Es liegt also an den Menschen, denn »langsam beginnt man zu begreifen, dass Kultur Menschenwerk geworden ist und daher aus dem Menschen selbst und seinem widersprüchlichen Wesen heraus begriffen werden muss. Und dass dieses Werk Entscheidungen voraussetzt.« 2 Aus Beobachtungen verschiedener Situationen werden also Entscheidungen abgeleitet und diese werden während ihrer Umsetzung wieder beobachtet. Sie sind in das Organisations-, Manage1 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister«. 2 P. Heintel, Kulturelle Nachhaltigkeit, eine Annäherung, Manuskript 2/2006, S. 46
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ment- und Prozesssystem eingebettet und ihre Wirksamkeit wird an den Ergebnissen gemessen. Denn die zentrale Managementaufgabe ist es, das Unternehmen in einem komplexen und sich verändernden Umfeld so zu organisieren, dass sein Zweck umsetzbar ist. Dieser Grundsatz ist auch ohne Festlegung des unternehmensspezifischen Zwecks immer richtig – also tautologisch. Substanz erhält er aber erst, wenn das Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens, welches seine Kunden durch ihre Kaufentscheidungen definieren, mit den finanziellen, technischen, ökologischen, sozialen und organisatorischen Voraussetzungen in Einklang steht. Dabei unterstützt die differenzierte Betrachtung von Funktionalitäten einerseits als einfache, analytisch bestimmbare und andererseits als komplexe, analytisch nicht bestimmbare Systeme. Wobei es Manager aus vielerlei Gründen zu den einfachen (kausalen) Erklärungen von UrsacheWirkungs-Zusammenhängen hinzieht. Diese kausalen Zusammenhänge leisten selten einen Beitrag zum Organisieren und zum Entscheiden. Für das bessere Verstehen von Organisationen ist es hilfreich, wenn man unterschiedliche Zusammenhänge, wie Systeme funktionieren, vergleicht. Hier unterscheidet Wilke nach einer Systematik von Weaver: 3 1.
Die Probleme einfacher Zusammenhänge
Die Ursache-Wirkungs-Beziehung ist eindeutig und linear und berechenbar. Vorbild dieses Organisationsverständnisses ist das Funktionieren einer Maschine. Am ehesten sind diese eindeutigen Beziehungen in streng hierarchischen Organisationen abgebildet. Dieses Muster ist trotz Überforderung hierarchischer Strukturen noch immer prägend für das Führungsverhalten in vielen Organisationen. 2.
Probleme unorganisierter Komplexität
Probleme unorganisierter Komplexität haben unzählig viele Veränderliche, davon ist jede einzelne Variable zufällig, jedoch die Masse beziehungsweise Menge ermöglicht es, mit statistischen Methoden bestimmte Eigenschaften zu prognostizieren. Als Beispiel kann das Verhalten einer Sanddüne herangezogen werden. Auch das Verhalten der Menschen im Zusammenhang mit nicht überschaubaren Naturkatastrophen, wo die Infrastruktur (Energie, Telekommunikation, Straßen, Wasser, medizinische Versorgung usw.) völlig zusammenbricht und Organisation unmöglich wird, bietet dafür Anhaltspunkte. 3 vgl. W. Weaver, Wissenschaft und Komplexität, 1948, in: K. Türk (Hrsg.), Handlungssysteme, 1978, S. 38 – 46, zitiert nach: H. Wilke, Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen (Studienbrief), 2007, S. 13
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3.
Probleme organisierter Komplexität
Diesen Typus von Problemen hebt Weaver als besonders bedeutsam hervor: »Die Probleme in diesem Mittelbereich werden oft tatsächlich eine beträchtliche Anzahl von Veränderungen betreffen. Aber viel wichtiger als die bloße Zahl der Veränderlichen ist die Tatsache, dass alle diese Veränderlichen in wesentlichen Beziehungen zueinander stehen. Die eigentlich wichtige Besonderheit der Probleme dieses Mittelbereiches, in dem die Wissenschaft bisher nur geringe Fortschritte gemacht hat, liegt in dem Umstand, dass dieses Problem im Gegensatz zu den unorganisierten Vorgängen, für deren Behandlung die Statistik geeignet ist, die wesentlichen Züge einer Organisation aufweist.« 4 (Dazu ist entsprechend den obigen Beispielen Sanddüne und Verhalten von Menschen bei Katastrophen ergänzend anzumerken, dass die Probleme unorganisierter Komplexität (siehe 2.) in der Regel auch nicht steuerbar sind.) Was nützt das Wissen um Probleme organisierter Komplexität bei knappen finanziellen Ressourcen? Wirtschaftlich reüssiert man nur dann, wenn, sehr vereinfacht gesprochen, die Summe der Einzahlungen für eine Leistung größer gleich der Summe aller Auszahlungen für dieselbe Leistung ist. Langfristig, über einen geplanten Investitionszyklus betrachtet, entscheiden die Eigentümer das Ausmaß des wirtschaftlichen Mindesterfolgs aus ihrer Sicht. Und zwar dann, wenn Investitionsentscheidungen zu treffen sind, weil diese große Auszahlungsbeträge nach sich ziehen. Diese primäre Konsequenz aus einer positiven Investitionsentscheidung wirft folgende Frage auf: Wie agiert beziehungsweise reagiert das System organisierter Komplexität (das Unternehmen) im Zuge einer Entscheidung einer beträchtlichen Auszahlung? Wenn man davon ausgeht – wie es von den Systemtheoretikern vertreten wird –, dass Organisationen sich dadurch auszeichnen, dass sie aus dem Zweck ihres eigenen Überlebens einen Selbstregelungsmechanismus entwickeln, versucht die Organisation aus der Investitionsentscheidung das Beste zu machen und diese Auszahlung langfristig und verzinst zurückzuverdienen und die Interessen der Eigentümer mit abzudecken. Da aber Überleben heute keine dauerhafte Strategie ist, muss es auch Freude machen, »etwas tun wollen [zu] müssen«.5 Mit diesen Zusätzen ist eine 4 Weaver, Wissenschaft und Komplexität 5 P. Stadelmann, Managementtugenden kybernetisch betrachtet – oder: Die Selbststeuerung des Selbst, in: W. Krieg, K. Galler, P. Stadelmann (Hrsg.), Richtiges und gutes Management: vom System zur Praxis: Festschrift für F. Malik, Bern 2005, S. 116. Zu Management gibt es radikale Ansätze, vgl. M. Hammer, J. Champy, Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen, Frankfurt–New York, 1994 und solche, dass wir erst »am Anfang stehen«, vgl. G. Hamel, Das Ende des Managements, Unternehmensführung im 21. Jahrhundert, Berlin 2008
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Investitionsentscheidung, wenn sie einer Organisation selbst überlassen wird, ergebnissicher – wie Peter Stadelmann mit der Selbststeuerung des Selbst die Idealvorstellungen von Management (und Eigentümer) unter selbstorganisierenden und selbststeuernden Systemen formuliert. Damit sind die selbstorganisierenden Grundsätze für deren Wirksamkeit bei wesentlichen Entscheidungen nur dann nützlich und mit den Gedanken von Peter Heintel vergleichbar, wenn Bedingungen für die Möglichkeiten einer Entscheidung innerhalb der Organisation eingerichtet sind, und damit ist ebenfalls das Wollen gemeint: Wollen wir es so? Doch für die Einrichtung der Bedingungen für die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, ist Konflikt- und Widerspruchsmanagement nötig. Erst dann führt die Selbstbezüglichkeit des Systems unabhängig vom Ausgang der Investitionsentscheidung wieder selbst zu einer operativen Geschlossenheit. Es gibt dann keine außengesteuerten Einflussmöglichkeiten mehr. Die Beurteilung einer Investitionsentscheidung auf der Basis der Unterschiede zwischen kurz- und langfristiger Betrachtung anhand eines praktischen Beispiels ist nützlich für die Bedeutung der Selbststeuerung. Was bedeutet es, wenn das Unternehmen sehr ertragsschwach ist? Bringt eine systemische Betrachtung Erkenntnisse in Bezug auf Selbststeuerung unter knappen finanziellen Ressourcen? Und zwar in einer Organisation, die ihr Weiterbestehen gefährdet sieht und damit langfristige Themenstellungen nicht betrachtet. Die Begleitmusik solcher Situationen sind Evaluierungen, Sonderprüfungen und Beratungen aller Art. Das sind Umstände, die einen Zusammenhalt in der Unternehmung nur schwer organisierbar machen. Denn alle, die sich sorgen, das Unternehmen verlassen zu müssen, oder überhaupt alle, wenn die Existenz des Unternehmens auf dem Spiel steht, überprüfen ihre eigene Marktfähigkeit. Und alles wird dem Beschaffen von Geld geopfert. Diese Situation hat in den kmu einen realen statistischen Hintergrund. Die »Lebensdauer« von kmu beträgt im eu-Raum durchschnittlich 15 Jahre; andere Quellen sprechen von ähnlichen Zahlen, dass nämlich rein statistisch gesehen der Unternehmensbestand sogar alle 6,5 bis 7 Jahre erneuert wird.6 Und unter diesen statistischen Rahmenbedingungen ist es sehr schwierig, Investitionsentscheidungen zu treffen. Denn wenn man nun die Lebensdauer eines kmu mit Investitionszyklen oder mit einem Arbeitsleben vergleicht, lässt sich damit das Phänomen, nur kurzfristige Bindungen einzugehen, erklären. Wir haben es also mit einer »doppelten« Kurzfristigkeit zu tun. Das auf unbestimmte Zeit eingerichtete Unternehmen existiert nur 15 Jahre – ein Investitionszyklus dauert beinahe so lange wie die Lebenszeit des Unternehmens und die Mitarbeiter müssen sich statistisch gesehen mehrmals 6 Vgl. U. Fueglistaller, Ch. Müller, T. Volery, Entrepreneurship, Wiesbaden 2004, S. 101
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neu orientieren. Das wollen sie vielleicht sogar, aber nur wenn sie sich selbst dafür entscheiden. Kann also Selbststeuerung wirken, wenn man ständig am Rande der Existenz agieren muss? Ich glaube, dass sich eine Investitions- beziehungsweise Internationalisierungsentscheidung nur dann selbst steuert, wenn für alle Beteiligten klar ist, dass das Weiterbestehen des Unternehmens nicht gefährdet ist. Wenn Gefährdung vorliegt, ist Selbststeuerung nicht erfolgreich – weil es keinen inneren Zusammenhalt gibt. Dagegen ist gerade in dieser prekären Situation das Management angehalten, sich auf die für die langfristige Stabilisierung erforderlichen Maßnahmen zu konzentrieren und dabei sind auch (finanzielle) Interventionen in das Unternehmen mit zu berücksichtigen. Beteiligungskapital, neue Finanzierungen unter neuen Bedingungen – vielleicht Kostensenkungsprogramme, Sanierungsbeihilfen. In diesem Zusammenhang ist Vertrauen in die Mitarbeiter und Vertrauen der Mitarbeiter in die Führung für das Ausmaß an Selbststeuerung wichtig. Damit ist eigentlich jener Vorschuss gemeint, der aus der Erfahrung gespeist wird, dass man sich auf die Verhaltensregeln, die sich im Unternehmen über einen langen Zeitraum etabliert haben, verlassen kann – insbesondere was Informationen und ihre Bearbeitung betreffen. Wenn also das Unternehmen unter wirtschaftlichen Druck gerät, hat man einerseits das Problem der Erstmaligkeit des Ereignisses, andererseits möchte man, nur um Vertrauen zu generieren, keine Dauerdiskussionen. Wenn Geld zu knapp wird, werden langfristige Ziele allzu gerne von der Tagesordnung genommen. Dann nützt es auch nichts, wenn es heißt, dass Investitionsentscheidungen auf die Branchenstruktur (Eintrittsbarrieren, Substituierbarkeit der Produkte, Vorleistungen), auf das Ausmaß des Konkurrenzdrucks und auf die Kaufkraft der Kunden abzustellen seien.7 Innen und außen sind in der Krise noch viel stärker vermischt – jeder redet mit. Die Alternativen, die sich für die Eigentümer anbieten, sind dann selbst investieren oder nicht mehr investieren. Beide Alternativen sind wenig attraktiv, bedeuten sie doch, wenn nicht Geld von außen zugeführt wird, das Ende eines selbstständigen Unternehmens. Wie agiert ein kmu, wenn zwar Kapital knapp ist, es jedoch keine Krise gibt? Auch dann sind meiner Ansicht nach die Grenzen einer selbststeuernden und auch offenen Unternehmenspolitik schnell erreicht. Man kann beobachten, dass Unternehmen insbesondere in den alten Industrieländern und in der Old Economy die Tendenz haben, sich abzukoppeln und die Systemgrenzen über Normen bis hin zu Zugehörigkeitsritualen klar erkennbar zu machen.8 Das erschwert 7 Vgl. M. Porter, Five Forces, siehe: http://www.quickmba.com/strategy/porter.shtml (15. 12. 2007)
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Kooperationen 9 und die Umsetzung der zwar strategisch anerkannten Grundsätze wie die Beherrschung des finanziellen Alltags einerseits, aber auch die Konzentration auf das Kerngeschäft und die Diversifikationen andererseits. Erfolgreiche Unternehmungen haben ihre modellhaften und höchst speziellen Antworten auf diese allgemeinen Themenstellungen gefunden. Sie liegen in verschiedenen Formen von Offenheit. Eine Lösung für finanzielle Probleme wird folgendermaßen vorgeschlagen: »Wenn es den Konkurrenten mal schlecht geht, […] sagt, [man sich] wir sind die Firma, die durchhält. Ich will deine Produkte haben, ich will nicht, dass du vom Markt verschwindest, wir organisieren dir eine Kreditlinie untereinander, ohne Bank. Man ist immer Konkurrent, […] die Amerikaner haben so ein schönes Wort, das heißt Kooperation und Wettbewerb in einem.« 10 Eine Verhaltensweise für Diversifizierung liegt im Wollen und Nicht-Aufgeben, wie dies in den folgenden Metaphern gut zusammengefasst ist: »Man muss daran glauben. Ich versuche es immer wieder, und wenn man mich bei der Tür rausschickt, dann komm ich beim Fenster wieder rein und mach wieder einen anderen Vorschlag. Bis es halt einmal so weit ist. […] Wenn Sie in den Wald gehen Schwammerln suchen und keine finden, na gut, in der Umgebung muss es ja noch andere geben. Jetzt gehen wir die mal suchen. Und dann kommt der eine mit etwas heim, mit ein paar Kilo Pilzen, und der andere kommt mit nichts heim. Und ich glaube, es ist im Leben schon sehr viel die Beharrlichkeit.« 11 Das bedeutet, dass man als Entscheider einerseits mit einem gewissen Verhalten der Mitglieder einer Organisation rechnen kann, dies würde ich unter Selbststeuerung verstehen, dass man aber andererseits sich sein Modell zurechtzimmern muss, um sich den Themenstellungen widmen zu können, die für die Internationalisierung erforderlich sind. Was kann so ein Modell leisten? »Der ›Bezugsrahmen‹, das neue St. Galler Management-Modell, dient zur systematischen Einordnung von Fragestellungen, Herausforderungen, Entscheidungsund Handlungsfeldern im Kontext des Managements [und der Eigentümer]. Das Modell ist als Suchraster und nützliche ›Landkarte‹ zur eigenen Orientierung aufzufassen und soll dazu beitragen, wichtige Begriffe und Konzepte im Gesamtzusammenhang […] zu verstehen.« 12 Bevor man sich jedoch für ein Modell aus dem Lehrbuch entscheidet, schlage ich vor, sich grundsätzlich mit 8 Vgl. R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, C. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Band 1, Bern 2004, S. 65 f 9 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay: »Kooperationen und Eigentum (Konkurrenz)«. 10 Interview xii, S. 141 11 Interview xi, S. 129
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dem Thema Modelle auseinanderzusetzen. Ein gewisses Wissen, was Modelle leisten können und wo ihre Gefahren liegen, ist für die Bildung eines eigenen Modells von Vorteil. Und zwar, weil Modelle immer abstrakt sind »und in ihrer funktionellen Ausrichtung notwendigerweise von ›methodischer Einseitigkeit‹ geprägt. Tritt diese in die Wirklichkeit, stößt sie immer an die Grenzen und wird mit Widersprüchen konfrontiert. […] Diese zu akzeptieren, ernst zu nehmen, sie zu managen.« 13
12 J. Rüegg-Stürm, Das neue St. Galler Management-Modell, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, Ch. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Bd. 1, Bern 2004, S. 65 13 P. Heintel, Widerspruchsfelder, Systemlogiken und Grenzdialektiken als Ursprung notwendiger Konflikte, in: G. Falk, P. Heintel, E. E. Krainz (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Wiesbaden 2005, S. 30
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Modelle und Wirklichkeit(en) im Management Hier hast du eine große Schachtel mit der Aufschrift Schachtel. Wenn du sie öffnest, findest du darin eine Schachtel mit der Aufschrift Schachtel aus einer Schachtel mit der Aufschrift Schachtel. Wenn du sie öffnest – ich meine jetzt diese Schachtel, nicht jene –, findest du darin eine Schachtel mit der Aufschrift … Und so weiter, und wenn du so weitermachst, findest du nach unendlichen Mühen eine unendlich kleine Schachtel mit einer Aufschrift so winzig, dass sie dir gleichsam vor den Augen verdunstet. Es ist eine Schachtel, die nur in deiner Einbildung existiert. Eine vollkommen leere Schachtel.14 14 H. M. Enzensberger, Erkenntnistheoretisches Modell, (20. 10. 2007)
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Man kann das erkenntnistheoretische Modell auch anders formulieren: »Wird, wie bei Tadeusz Kotarbinski, die Verschiedenheit von Karte und Landschaft betont – ›the map is not the territory‹ –, dann folgt postwendend die Foerster’sche Umkehrung – ›the map is the territory‹. Ein Motto einer Journalistenschule, ›Sage es, wie es ist‹, entwickelt sich bei Foerster spontan zu ›Es ist, wie ihr es sagt‹. Schon sehr früh wurde von ihm ein Satz aus Ludwig Wittgensteins ›Tractatus‹ invertiert, und zwar die Proposition ›Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit‹ hin zu ›Die Wirklichkeit ist ein Modell des Bildes‹.« 15 Das Eingangszitat und die obige Erklärung weisen also bereits auf einige Schwierigkeiten mit dem Modellgriff hin. Und wie sieht es im Management, also in der Praxis aus? Es gibt doch kaum eine Diskussionsrunde, eine Vorstandssitzung oder einen Organisationsworkshop, wo nicht nach wenigen Minuten jemand aufsteht und etwas auf das Flip-Chart malt. Diese Grafik beziehungsweise dieses Modell bestimmt oft den Verlauf der weiteren Diskussion, ohne dass die Annahmen des aufgezeichneten Modells hinterfragt würden. Genau das zu tun wäre jedoch wichtig. Bekannt für Modelle sind Architektur oder Geographie. Lange Zeit waren Modelle der Mathematik und den Naturwissenschaften vorbehalten. Die sozialwissenschaftlichen Modelle, die für Situationen konstruiert wurden, die mit den Menschen als Organisation zu tun haben, können jedoch mit naturwissenschaftlichen Modellanforderungen nicht verglichen werden. Modelle in den Sozialwissenschaften sind in erster Linie eine Orientierungshilfe für Manager und Mitglieder einer Organisation, um »sich in einer dynamischen Komplexität zurechtzufinden und wirksam zu entscheiden und zu handeln«.16 Und diese Orientierungshilfe wird durch Modelle gegeben, welche die Komplexität realer Situationen oder geplanter Zustände oder Prozesse durch Vereinfachungen reduzieren. »Im Zusammenhang mit Modellen wird oft nur von Analyse – dem Zergliedern des zu untersuchenden Gegenstandes in seine Teile – gesprochen. Einen Sachverhalt zu verstehen erfordert jedoch primär die Synthese, das Verknüpfen und Zusammenfassen der Teile, etwa der Erkenntnisse, die analytisch gewonnen wurden, zu einem Ganzen.« 17 Die Funktion von Modellen besteht also in der Beschreibung von Wirklichkeiten. Sie stellen (Kausal-)Zusammenhänge dar, damit wir die Realität(en) besser verstehen. In der Managementpraxis wichtiger und häufiger sind Modelle, welche Vorgehenswei15 K. H. Müller, Wie heißt dieser Artikel?, Heinz von Foerster zum 90. Geburtstag, www.univie.ac.at/heinz-von-foerster-archive/etexte/khmwz.htm (2. 7. 2008) 16 M. Schwaninger, Was ist ein Modell?, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, Ch. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Bd. 1, Bern 2004, S. 3 17 Ebd., S. 59
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sen, Veränderungsprozesse und Entscheidungen unterstützen. Woher kommen Modelle? Sie haben sich aus Erfahrungen und Abstraktionen der Realität herausgebildet. Diese Erfahrungen, aber vor allem die Abstraktionen sind oft von den Erfahrungen des Anwenders (Entscheidungsträgers, Beraters, Lehrers) unabhängig, sie repräsentieren sozusagen den verdichteten Erfahrungsschatz vorangegangener Entscheidungen innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation. Robuste Modelle sind Teil unseres täglichen Lebens und haben lange Zeiträume überdauert. Der wichtigste Grund dafür ist, dass nicht jeder die Erfahrung selbst beziehungsweise von vorne machen muss. »An (solchen) Modellen kann ein lebendes System seine Chancen und Risken mit weit geringerem Aufwand erproben als in der realen Umwelt. […] Allerdings ist eine große Gefahr solcher bewusst gestalteten Modelle nicht zu übersehen. Sie liegt in der möglichen Loslösung von der Realität.« 18 »Es ist die nächste und im gewissen Sinn wichtigste Aufgabe unserer bewussten [Natur-]Erkenntnis, dass sie uns befähigt, zukünftige Erfahrungen vorauszusehen, [und] alle Wissenschaft hat Erfahrungen zu ersetzen oder zu ersparen durch Nachbildung und Vorbildung von Tatsachen und Gedanken.« 19 Die Eingangszitate und -überlegungen und diese wissenschaftstheoretischen Hinweise lassen nicht von vornherein vermuten, dass viele Modelle einfach sind und auch deshalb nicht mehr hinterfragt werden. Modelle werden also mit praktischen Erfahrungen und den Erfahrungen mit den Modellen (Abstraktionen) selbst verknüpft und mit den Zweck, wofür sie verwendet werden sollen, angereichert. Dieses praktische Verhalten führt zu Problemen, insbesondere wenn Zeitdruck oder unzulässige Vereinfachungen und Partikularitäten die Entscheidungsgrundlage bilden – wenn eine vermeintliche Analogie keine Analogie ist. Natürlich wird diese Vorgehensweise auch bewusst gewählt und wirkt dadurch manipulativ. »Für den Zweck der allgemeinen Unternehmensführung sind neben der wirtschaftlichen auch andere Dimensionen in die Betrachtung mit einzubeziehen. Ökonomische, technologische, soziale, kulturelle, politische, ökologische, ethische und ästhetische Aspekte sind zu verknüpfen. Dabei genügt eine additive Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte nicht. Es gilt vielmehr, sie zu einem kohärenten Gesamtbild zu integrieren. Dazu bedarf es eine Überschreitung der durch Funktionen, Methoden oder Disziplinen etablierten Grenzen. Kurzum, es braucht ein umfassendes Rahmen
18 F. Vester, Neuland des Denkens, Vom technologischen zum kybernetischen Zeitalter, in: F. Vester, Kybernetik, die Dynamik der Regelkreise, MSZG Seminardokumentation, 2003, S. 28f 19 Heinrich Hertz, zit. nach: http://www.muellerscience.com/MODELL/Definitionen/ WasisteinModell.htm (7. 11. 2007)
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konzept mit einem transdisziplinären Bezug.« 20 Das neue St. Galler ManagementModell ist ein mehrdimensionales gedankliches Ordnungsschema – ein »Leerstellengerüst für Sinnvolles«,21 fachsprachlich ausgedrückt: ein heuristisches Schema, das einem hilft, Sachverhalte oder Probleme zu strukturieren, Bezüge zu erkennen oder herzustellen. Gleichzeitig soll es helfen, keine wichtigen Aspekte zu vergessen, die für eine anstehende Untersuchung oder einen zu fällenden Entscheid relevant sein könnten.22 Man kommt also ohne Modelle, insbesondere in der Wirtschaft, nicht aus. Modelle dominieren Besprechungen, Konferenzen und Entscheidungsvorbereitungen. Wenn man beispielsweise nicht Alleinentscheider (als solcher hat man auch ein Modell »im Kopf«) einer Internationalisierungsinvestition ist, wenn man also Finanzpartner, Gesellschafter oder Kollegen in die Entscheidung mit einbinden muss, ist man ohne modellhaftes Vorgehen chancenlos. Die Partner können den Gedanken nicht folgen, sie können sich kein Bild machen und das vorgeschlagene Vorgehen nicht mit den eigenen Modellvorstellungen verknüpfen. Sie wollen die Annahmen also mit ihrer Vorstellung von der zukünftigen Situation vergleichen. Damit treffen einerseits Modelle Vorentscheidungen und sind doch Voraussetzungen für gemeinsames Lernen und Entscheiden. Es gibt aber auch das Gegenteil. Trotz des Vorhandenseins von Modellen, von Anleitungen, wie vorzugehen ist, werden diese im entscheidenden Zeitpunkt missachtet. Dietrich Dörner hat in seinem Buch »Die Logik des Misslingens« 23 viele Situationen beschrieben, die beinahe logisch zu Fehlentscheidungen führen. Die meisten gründen auf der unbewussten Übernahme von Modellen, auf falschen Hypothesenbildungen, auf falschen vermeintlich sich selbst erfüllenden Prophezeiungen und deren gleichzeitig verordneter Unüberprüfbarkeit. Bestimmte Fragen werden oder dürfen nicht mehr gestellt werden. Diese Warnungen sollen dazu dienen, auf die Gefahren, die von Modellen ausgehen, hinzuweisen. Ein Beispiel menschlichen Versagens, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl entstand durch die Ignoranz eines modellhaften Ablaufs von Sicherheitschecks, die nach eintreten bestimmter Parameter durchzuführen gewesen 20 Schwaninger, Modell, S. 60 21 H. Ulrich, Gesammelte Schriften, Bern 2001, entnommen aus: M. Schwaninger, Was ist ein Modell?, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, Ch. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Bd. 1, Bern 2004, S. 60 22 Schwaninger, Modell, S. 60 23 Vgl. D. Dörner, Strategisches Denken in komplexen Situationen, MSZG Literaturordner, St. Gallen 2003, S. 24: Er nimmt Bezug auf D. Dörner, Die Logik des Misslingens, Reinbek 1992 24 Vgl. die Ausführungen von J. T. Reason in: Dörner, Logik des Misslingens
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wären. Der vollständig beschriebene Ablauf der Katastrophe 24 zeigt, dass Modelle (hier Sicherheitsanleitungen) in der Krise durch intuitives Verhalten außer Kraft gesetzt werden. Das Selbstbewusstsein von Experten führt zu Improvisation und Verzicht auf sorgfältige Analyse. Gruppennormen und (Gruppen-) Dynamik basieren auf folgenden Argumenten: Wir haben keine Bedenken, wir sind ein gutes Team, was wir in dieser Situation tun, ist das einzig Richtige, Betriebsanleitungen sind für Anfänger geschrieben. Es gibt für unser Tun keine Alternative. Das hat auch damit zu tun, »dass das Bedienungspersonal solche Verletzungen der Sicherheitsvorschriften bereits des Öfteren praktiziert hatte. Verletzungen der Sicherheitsvorschriften aber werden im lerntheoretischen Sinn gewöhnlich ›verstärkt‹, das heißt, es lohnt sich, man hat was davon.« 25 »Wohl gerade die hohe Selbstsicherheit dieses Teams war mitverantwortlich für den Unfall. Man betrieb den Reaktor nicht mehr ›analytisch‹, sondern gewissermaßen ›intuitiv‹.« 26 Das modellhafte Vorgehen wäre also hier richtig gewesen. Doch vom Modell hat man sich, weil man es vermeintlich besser wusste, verabschiedet. Entstehen aus diesen Gedanken noch mehr Fragen als Antworten? Man weiß also nicht genau, woran man bei Modellen ist, soll man ihnen vertrauen und ist (gleichzeitig) Misstrauen angebracht? Wie werden Modelle gebildet? Wie bringt man Theorie in die Auseinandersetzung mit einem in der Praxis relevanten Thema? Wie gelingt es auseinanderzuhalten, was in einem Modell nur beschreibend ist, welche Elemente bereits Interpretationen sind und damit manipulativ zu Handlungen verführen? Erzeugen Vorentscheidungen in Bezug auf das Modell mehr Offenheit oder setzen sie unverrückbare Prioritäten? Und suggestiv gefragt: Sind Vorentscheidungen nicht gefährlicher Reduktionismus und ein Diktat der Produktivität und der schnelleren Entscheidungen? Es verbinden sich die Produktivitätsanforderungen der Wirtschaft mit der Wissenschaft in der Mach’schen Forderung, welche der Wissenschaft die Aufgabe zuordnet, »mit möglichst geringem Denkaufwand das Tatsachenmaterial zweckmäßig zu sortieren, ordnen und vergleichen«. Reicht also diese Begründung für die Erstellung von Modellen? Eine grundlegendere Antwort auf die vielen Fragen können wir in der Formulierung von Herbert Stachowiak, finden, der meinte, dass »Jedes nur denkbare Konzept […] seine Basis in der Vergewisserung der weitgehend übereinstimmenden Grundmotive des Menschen [hat]: Deckung des unerlässlichen vitalen Bedarfs, darüber hinaus Bedürfnisbefriedigung unter dem Gesichtswinkel maximaler Selbstverwirklichung. […] Freiheit, 25 Dörner, Strategisches Denken, S. 24 26 Ebd., S. 27
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Mündigkeit, Emanzipation sind Synonyme für die Wahl- und Entscheidungsfähigkeit des einzelnen Menschen.« 27 Die hier formulierten Grundmotive des Menschen finden wir in den Grundsätzen des Wirtschaftens wieder. Daraus kann man schließen, dass Modelle der Konstruktion des Wirtschaftens dienen, weil »die Gesamtmenge der Annahmen […] im Kopf eines Akteurs, die sich auf die einseitigen oder wechselseitigen, einfachen oder komplizierten Zusammenhänge der Variablen eines Systems beziehen, […] wir ein Realitätsmodell« 28 nennen, und mit diesem erst lässt sich Wirklichkeit modellhaft gestalten. Denn »wir sind heute vor Globalprobleme gestellt, denen gegenüber unsere spezialistisch organisierte Arbeitsteilung versagt«.29 Und die Gefahr des Versagens veranlasst uns immer wieder dazu, Modelle heranzuziehen. Inwieweit können Modelle und Checklisten Unterstützung bei Entscheidungen anbieten? Zu ergänzen ist an dieser Stelle, dass es hier keinen Unterschied macht, ob von Modellen oder Checklisten die Rede ist. Auch Checklisten versuchen ein bestimmtes Thema vollständig zu erfassen, sie dienen also dazu, dass nichts Wesentliches unbeachtet bleibt. Zu Entscheidungen werden wir bei Fredmund Malik fündig, wenn er sagt: »In neun von zehn Fällen kommt man durch die Einhaltung einer einfachen Vorgehensweise, einer Abfolge von Schritten zu guten Entscheidungen. Die Schritte sind: • die präzise Bestimmung des Problems; • die Spezifikation der Anforderungen, die die Entscheidung erfüllen muss; • das Herausarbeiten aller Alternativen; • die Analyse der Risken und Folgen für jede Alternative und die Festlegung der Grenzbedingungen; • der Entschluss selbst; • der Einbau der Realisierung in die Entscheidung; • die Etablierung von Feedback: Follow-up und Follow-through.« 30 So eine Checkliste kann also zu einer guten Entscheidung hinführen. Doch wenn die Checkliste für alle Entscheidungen passen würde und alle nach diesem Muster vorgingen, gäbe es keine gescheiterten Unternehmen. Weiters wäre keine Wissenschaft mehr damit beschäftigt, weil keine neuen Erkenntnisse zu gewinnen wären. So kann eine geeignete Checkliste für die Sensibilisierung 27 H. Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, Wien 1973, S. 61, 62, 104f, beide Zitate in: http://www-muellerscience.com/MODELL/Definitionen/WasisteinModell.htm (7. 11. 2007) 28 Dörner, Strategisches Denken, S. 7 29 P. Heintel, E. Krainz, Projektmanagement, Wiesbaden 2000, S. 69 30 F. Malik, Führen Leisten Leben, Stuttgart/München 2003, S. 212
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bezüglich des Ausmaßes des Nichtwissens sehr hilfreich sein, denn »die entscheidendste Konsequenz, die wir im Bereich komplexer Phänomene zu berücksichtigen haben, ist die unvermeidbare und unaufhebbare Limitierung unseres Wissens. Je weiter man in den Bereich komplexer Sachverhalte eindringt, je mehr wir also darüber in Erfahrung bringen, desto größer wird gleichzeitig unsere Unwissenheit.« 31 Wir sollen, wenn wir auf Modelle zurückgreifen, dabei nicht vergessen, auf die Motive zu blicken, die hinter den Modellen stehen. Wie kann das gemeint sein? Unterstellen wir der Phrase »structure follows strategy«, dass sie ein Modell ist – mit ihrer Einmahnung wird eine Vorentscheidung getroffen, salopp formuliert, versucht diese Phrase die Diskussion von Organisationsthemen wegzuführen. »Structure follows strategy« 32
Unternehmen sind wirtschaftswissenschaftlich betrachtet zweckrationale Gebilde. Die Handlungen der Mitglieder eines Unternehmens orientieren sich an Erfolgsmodellen. Das unbestimmte Denken und Tun führt sie aufgrund des (Unternehmens-)Zwecks zu einem bestimmten Modell – beispielsweise einer Bilanz. An diesem Modell soll die Genese eines Modells erklärt werden. Die Bilanz wurde wegen ihres Erfolges Teil der Lehre – der Bilanzlehre – und die dort unbestimmten oder unklar angekommenen Elemente führten zu Regeln, die analytisch beziehungsweise theoretisch präzisiert wurden. Diese Regeln wurden wiederum an der Praxis getestet. Dieser Vorgang wiederholt sich laufend und beschreibt den Fortschritt in der Betriebswirtschaft. Dieser Ablauf ist sozusagen ein modelltypischer für Modelle. Es gibt aber weitere Entwicklungsanstöße. Die aktuelle Situation der globalisierten Ökonomie mit ihrer permanent artikulierten Komplexität ist nun ihrerseits der Nährboden für eine erhöhte Modellproduktion. Die Antwort auf Situationenvielfalt ist also Modellvielfalt, in Analogie zu den Produkten kann man sie als Produktvielfalt bezeichnen. Diese Produktion hat verschiedene Beweggründe. Zum Beweggrund der situationsbezogenen Ausdifferenzierung zählen der wirtschaftswissenschaftliche Wettbewerb von Modellen, Modelle, die Schnittstellen beschreiben, Modelle, denen eine Unternehmenspolitik innewohnt (Shareholder-Value), und Modelle, die einen Prozess beschreiben und unterstützen (zum Beispiel osb-Trichter, siehe unten).33 31 F. Malik, Strategie des Managements komplexer Systeme, Bern 2002, S. 207 32 Vgl. A. D. Chandler, 1962, unter: http://www.provenmodels.com/7/structure-followsstrategy/chandler (2. 9. 2008) 33 R. Nagel, R. Wimmer, osb international, Systemische Strategieentwicklung, Stuttgart 2006, S. 112: OSB-Trichter http://www.wu-wien.ac.at/persm/lehre/sbwlalt/sbwlalt2/vk2teil3 (1. 11. 2007)
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Als Gegenbewegung kann man Forschungen werten, die möglichst viele Aspekte in einem Modell abbilden wollten, ohne den Abstraktionsgrad enorm zu erhöhen. Am ehesten ist dies meiner Ansicht nach Stafford Beer gelungen mit seinem Modell lebensfähiger Systeme, welches unten kurz vorgestellt wird. Wobei anzumerken ist, dass in Lebensfähigkeit und Modell eine gewisse Widersprüchlichkeit erkennbar ist. Das Modell lebensfähiger Systeme umfasst Erkenntnisse aus vielen Wissenschaften und wurde auf die Managementlehre übertragen. Denn »Probleme wie Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Lernfähigkeit, Evolution, Selbstregulierung und Selbstorganisation stehen im Zentrum des Interesses«.34 Sensibilität für Modellbildungen und deren Weiterentwicklung ist meiner Ansicht nach von Bedeutung. Ein vernachlässigtes Feld in der Betriebswirtschaftslehre ist das Training der Fähigkeiten, Modelle zu hinterfragen. Und diese Fähigkeiten sind für Internationalisierungsentscheidungen von kmu unerlässlich. Denn es kann passieren, dass durch die neuen Aufgabenstellungen immer wieder neue Modelle angeboten werden. Die Frage, ob die alten nicht mehr passen, sollte gestellt werden. Die Zuordnung entlang der oben angeführten Kategorien Bilanz, situationsbezogene Modell(-mode) beziehungsweise ist die ganze (Unternehmens-)Welt abgebildet, kann bereits Sensibilität für die Differenzen erzeugen. Ich möchte zum am weitesten verbreiteten Modell in der Betriebswirtschaftslehre, zur Bilanz eines Unternehmens, zurückkehren. Sie ist ein modellhaftes Abbild, ein kardinales Gerüst des Unternehmens, das anhand von rechtlichen Regeln und betriebswirtschaftlichen Standards aufgestellt wird. Unterschiedliche Bewertungen ergeben ein unterschiedliches Bild des Unternehmens bezüglich seiner wichtigsten Daten (Anlagevermögen, Umlaufvermögen, Eigen- und Fremdkapital, Gewinn usw.). Die Anwendung derselben Standards in verschiedenen Unternehmen suggeriert jedoch Vergleichbarkeit. Damit wird das Modellhafte offensichtlich. Aus einer oder mehreren aufeinanderfolgenden Bilanzen (besser Jahresabschlüssen) lässt sich also ein »getreues Bild« der Vermögens- und Ertragslage, des Zustandes eines Unternehmens ableiten. Und wie sieht es wirklich aus? In der Praxis hat sich herausgestellt, dass gute Unternehmen wirtschaftlich wesentlich besser stehen, als der Jahresabschluss es ausweist, wohingegen gefährdete Unternehmen wirtschaftlich noch schlechter sind, als es deren Jahresabschluss zeigt. Und damit ist ein weiteres wichtiges Thema in Bezug auf Modelle angesprochen. Mit einer Bilanz (oder einem Jahresabschluss) oder besser mit mehreren aufeinanderfolgenden können Fragen gestellt werden. Neben den all34 Malik, Strategie, S. 77
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gemeinen Anforderungen an Bilanzen als Ertrags- und Vermögensaufstellung sind sie ja auch Bonitäts- und Führungsinstrument – sie sind Ausgang für Entscheidungen. Sie sind ein Instrument zur schnellen Beurteilung von Macht und Einfluss in einem Unternehmen. Neuere Modelle haben den Jahresabschluss als Urmodell zur Führung eines Unternehmens zu Unrecht etwas in den Hintergrund treten lassen. Der Jahresabschluss ist zusammen mit den Quartalsberichten das Instrument zur Unterstützung des Shareholder-Value-Konzepts. Die Veröffentlichungen der Quartalsberichte und die veröffentlichten Erläuterungen von Analysten stellen heute die eigentliche Wirklichkeit eines börsenotierten Unternehmens dar. Und für kmu stellt sich die Sachlage völlig anders dar. In diesem Unternehmenssegment ist der Jahresabschluss zu einem Dokument (für Firmenbuch, Finanzamt, Bank, Förderstellen) degradiert worden. Modelle können sich durch ihre Abstraktheit auf die wichtigen Zusammenhänge beschränken, wobei die Reduktion auf das Wichtige durch explizite Vorentscheidungen erfolgen soll – das wirklich Wichtige muss im Modell abgebildet bleiben. Vorentscheidungen reichen jedoch nicht aus, die ganze Verantwortung an das Modell beziehungsweise den Verantwortlichen für das Modell, den Berater, der als Experte beispielsweise eine Neuformulierung der Unternehmensstrategie erstellt, zu delegieren. In vielen Unternehmen war Strategie dem Vorstandsvorsitzenden und dem externen Berater vorbehalten und die Umsetzung der Strategie erfolgte erst nach dieser Neuformulierung. Diese Vorgehensweise hat sich aus der Position des Alleineigentümers entwickelt. Diese Vorgehensweise folgt der Vorgabe von Alfred Chandler aus dem Jahr 1962: »structure follows strategy«. Unter dieser Überschrift formulieren Reinhart Nagel und Rudolf Wimmer: »Das Erdenken, das heißt der konzeptionelle Teil, ist klar vom Handeln, von der operativen Umsetzung im Alltag des Unternehmens getrennt. Diese Trennung entspricht der Kompetenzverteilung zwischen [Unternehmens-] Spitze und den Ebenen darunter.« 35 Dies ist eine Spielart der Strategieentwicklung, bei ihr bleibt die strategische Arbeit und Leistung der Unternehmensspitze vorbehalten, die auf sich allein gestellt, mit Experten, die nicht dem Unternehmen angehören, den großen Wurf erstellt. Ein eindrückliches Symbol für dieses Prinzip ist das berühmte Foto von J. Watson, der mehrere Jahrzehnte lang ceo (Vorstandsvorsitzender) von ibm war. Er sitzt an seinem aufgeräumten Schreibtisch, wie ein us-Präsident, wenn er eine Rede zur Lage der Nation hält, vor einer, bezogen auf Buchrücken, perfekt zusammengestellten Bücherwand. An oberen Ende der Bücherwand, die mit einem stilisierten Torbogen 35 Nagel/Wimmer, Systemische Strategieentwicklung, S. 46
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abschließt, prangt das Wort »think«, denke, welches zu seiner Zeit Motto und Symbol von ibm war.36 »Wir haben es hier also nicht mit einer darwinistischen Sicht der Strategieentwicklung zu tun, sondern sozusagen mit einer biblischen Version.« 37 Mit der biblischen Version, so kann ich nur vermuten, meint Henry Mintzberg eine monotheistische Religionsversion. Der ceo befindet sich außerhalb des Systems. Diese Sichtweise und das damit verbundene modellhafte Vorgehen sind von großer Bedeutung für die Verantwortungszuordnung. Und trotzdem gibt es Manager, die, wenn sie heute diesen Spruch verwenden, nicht mehr wissen, welches Organisationsmodell der Strategieentwicklung dahintersteckt. Vielleicht deshalb, weil sich die Arbeitsteilung nicht mehr so konsequent vollzieht. Öffnung der Modellwelt
Die Trennung von Strategie und Umsetzung wird also heute nicht mehr in dieser Form bearbeitet. Und die Modellwelt hat sich weit geöffnet. Man unterscheidet relativ offene Modelle beziehungsweise Rahmenmodelle und mentale Modelle – in ihnen sind Normen und Philosophien eher versteckt. Und auf der anderen Seite des Modellspektrums gibt es abstrakte beziehungsweise Theoriemodelle oder auch formale Modelle. »Die oben pragmatisch begründete Notwendigkeit von Modellen hat einen tieferen Grund. Diesen erschließt ein theoretisches Konzept der Kybernetik – das Conant-Ashby-Theorem. Es besagt, dass »every good Regulator of a System must be a Model of that System«, dass also die Ergebnisse eines Führungsprozesses nicht besser sein können als die ihm zugrunde liegenden Modelle, es sei denn durch Zufall. (Conant/Ashby 1981) »Dieses Gesetz hat universale Gültigkeit, denn wir managen immer aufgrund von Modellen, ob wir das wollen oder nicht und ob wir es wissen oder nicht.« 38 Modelle sind in Bezug auf ihre Qualität zu überprüfen. Das Problem dabei ist, dass Qualität nicht per se gegeben ist. Modelle müssen daher Überprüfungen von verschiedenen Seiten her standhalten. Man kennt diese Überprüfungen unter dem Begriff Modellkritik. Die Kritik an Modellen ist oft massiv, und zwar weniger wegen des Modells als wegen seines unmittelbaren Einfluss auf Entscheidungen. Dabei muss man genau beobachten, ob nicht die schon entschiedene Wirklichkeit das Modell (vor-)konstruiert hat. An dieser vermeintlichen Spitzfindigkeit können sich Emotionen entzünden und Konflikte entstehen. Als Vorzüge eines 36 Das Foto finden Sie z. B. unter: http://www.computermuseum.li/Testpage/ Watson-Sr-THINK.jpg 37 H. Mintzberg, Strategy Safari, 1999, in: R. Nagel, R. Wimmer, osb international, Systemische Strategieentwicklung, Stuttgart 2006, S. 47 38 Schwaninger, Modell, S. 58
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Unternehmensmodells werden immer wieder genannt: Orientierungshilfe, um als Individuum einen Beitrag für das Ganze leisten zu können, Denken und Handlungsweisen ermöglichen, Bedingungen für das Setzen von Prioritäten herausfinden sowie die Kommunikation und gemeinsame Sprache in der Organisation unterstützen.39 Alle Modelle, die sich über einen längeren Zeitraum halten, also erfolgreich sind, verändern zwar nicht ihre Grundaussagen, werden jedoch im Laufe der Zeit an aktuelle Gegebenheiten angepasst. Ihre Verbreitung hängt von Publikationen, Seminaren und praktischen Anwendungen ab und folgt fast immer folgendem Muster: Benannt wird das Modell meist nach seinem akademischen Erfinder (zum Beispiel Porter’s Diamond 40), oder aber es wird versucht, die zentralen Anliegen des Modells zu beschreiben (Balanced Scorecard 41). Im folgenden (langem Zitat) über »Aufbau und Überblick über die Grundkategorien des neuen St. Galler Management-Modells 42 auf der Grundlage des skizzierten Systembegriffs unterscheiden wir in diesem ManagementModell sechs zentrale Begriffskategorien: • Umweltsphären • Anspruchsgruppen • Interaktionsthemen • Ordnungsmomente • Prozesse • Entwicklungsmodi Diese sogenannten Grundkategorien beziehen sich auf zentrale Dimensionen des Managements. Unter Management verstehen wir nicht eine Gruppe von Führungskräften im Sinne von »das Management der Unternehmung X«, sondern eine Funktion, das heißt ein System von Aufgaben, die sich in enger Anlehnung an Hans Ulrich 43 als Gestalten, Lenken (Steuern) und Weiterentwickeln zweckorientierter soziotechnischer Organisationen 44 zusammenfassen lassen. Umweltsphären sind als zentrale Kontexte der unternehmerischen Tätigkeit zu 39 Vgl. Schwaninger, Modell, S. 61 40 Vgl. M. E. Porter, The Competitive Advantage of Nations, New York 1990 41 Vgl. R. S. Kaplan, D. P. Norton, The Balanced Scorecard Measures that Drive Performance, Harvard Business Review 1992, S. 72 – 79 42 Das St. Galler Management-Modell zählt zu den erfolgreichsten Managementmodellen im deutschen Sprachraum (und trägt eine Ortsbezeichnung). 43 Vgl. Ulrich, Management 44 Der Begriff der Organisation ist weiter gefasst als der Begriff der Unternehmung. Er umfasst auch andere arbeitsteilige Institutionen wie zum Beispiel das irk, Spitäler, öffentliche Verwaltungen, kirchliche Organisationen, Gewerkschaften oder Fußballvereine.
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verstehen. Je nach Branche und Tätigkeitsschwerpunkten sind diese Umweltsphären auf wichtige Veränderungstrends hin zu analysieren. Anspruchsgruppen (Stakeholder) sind als organisierte oder nicht organisierte Gruppen von Menschen, Organisationen und Institutionen zu verstehen, die von den unternehmerischen Wertschöpfungs- und manchmal auch Schadschöpfungsaktivitäten betroffen sind. Mit Interaktionsthemen werden »Gegenstände« der Austauschbeziehungen zwischen Anspruchsgruppen und Unternehmung bezeichnet, um die sich die Kommunikation der Unternehmung mit ihren Anspruchsgruppen dreht. Dabei unterscheiden wir einerseits personen- und kulturgebundene Elemente wie Anliegen, Interessen, Normen und Werte und andererseits objektgebundene Elemente, das heißt Ressourcen. Bei den Interaktionsthemen handelt es sich somit teils um thematische Felder (im Sinne von »issues«) der Auseinandersetzung, teils um handelbare Güter und Rechte. Zusammenfassend werden unter Interaktionsthemen verschiedene Typen von Inhalten kommunikativer Prozesse mit den Anspruchsgruppen verstanden. Die unternehmerischen Wertschöpfungsaktivitäten laufen nicht beliebig, sondern in mehr oder weniger geordneten Bahnen ab – auch wenn die entsprechenden Kommunikations- und Handlungsmuster meistens nicht einfach zu erkennen (zu rekonstruieren) sind. Die Ordnungsmomente 45 geben dem organisationalen Alltagsgeschehen eine kohärente Form, indem sie diesem eine gewisse Ordnung auferlegen und auf diese Weise das Alltagsgeschehen auf die Erzielung bestimmter Wirkungen und Ergebnisse ausrichten. Alle Wertschöpfungsaktivitäten einer Unternehmung und die dazu notwendige Führungsarbeit werden in Prozessen erbracht, die sich durch eine bestimmte sachliche und zeitliche Logik bei Vollzug spezifischer Aufgabenfelder charakterisieren lassen. »Die hohe Umweltdynamik, an deren Erzeugung menschliche Neugierde und Kreativität im Allgemeinen und innovative Unternehmungen im Besonderen maßgeblich beteiligt sind, bringt für jede Unternehmung das Erfordernis einer kontinuierlichen Weiterentwicklung mit sich. Die Entwicklungsmodi 45 Der Begriff Ordnungsmomente lehnt sich eng an Giddens’ Begriff Strukturmomente an (vgl. hierzu ausführlich A. Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft, Frankfurt/Main 1984, S. 240ff, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, Ch. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Bd. 1, Bern 2004. Unter einem Ordnungsmoment ist in diesem Sinne eine übergreifende ordnende und strukturierende »Kraft« zu verstehen, die vergleichbar ist mit den Strukturen (Grammatik, Semantik) einer Sprache. 46 J. Rüegg-Stürm, Das neue St. Galler Management-Modell, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, Ch. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Bd. 1, Bern 2004 S. 69ff
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beschreiben grundlegende Muster unternehmerischer Veränderungsprozesse.« 46 (Ende des »Langzitats«) Dann werden im Laufe der Zeit vom Erfinder des Modells, seinen Schülern oder seinen Kritikern Ergänzungen gemacht. In weiterer Folge bedienen sich Beratungsunternehmen des Modells, das sie schließlich bei Unternehmen anwenden. Erfolglose Modelle verschwinden über kurz oder lang wieder. Teilmodelle und alte Modelle werden durch neue ersetzt. Neue Modelle können Aspekte der alten relativieren oder ergänzen. Das ist jedoch kein Fortschritt, vergleichbar mit einem naturwissenschaftlichen Fortschritt. In den Naturwissenschaften würde sich nicht zuletzt aus der naturwissenschaftlichen Logik heraus ein neues Modell, das keinen Fortschritt beinhaltet, nicht durchsetzen. Diese Logik kann man in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften nicht anwenden. Fortschritt in meinem Sinn ist also sowohl aus der Anwendung in der Praxis als auch aus den Auseinandersetzungen in theoretischen Publikationen ableitbar. Die Grundaussagen des Modells sollten durch die Praxisanwendung erhalten bleiben. Und auch wenn sich die Unternehmensumwelt ändert, sollte das Modell in seinen Grundzügen und als Kommunikationsinstrument weiterhin anwendbar sein. Für eine Modellverbreitung ist jedoch auch unternehmerisches Handeln erforderlich. Was ich damit meine: Wenn sich ein Modell in Publikationen, Seminaren und Anwendungen durchzusetzen beginnt, ist zur Modellverbreitung enormes Marketing in Forschung, Lehre, Beratung und Anwendung erforderlich. Die häufigsten Anwendungen, also praktische Überprüfungen, von Modellen in der Wirtschaft passieren in gewinnorientierten Unternehmen. Und diese sind kein disziplinorientiert zu erkundender Untersuchungsgegenstand. Weshalb Modellanleihen aus verschiedenen Wissenschaften genommen werden. Woher kommen die Anleihen? Für Technologien und Produkte bieten sich eher naturwissenschaftliche Modelle an. Psychologie, Ökonomie und weitere Wissenschaftsdisziplinen sind das Fundament für Entscheidungsfindung und erfolgreiche Steuerungen. Das hat zur Folge, dass es einerseits für sehr viele kleine Situationen und Entscheidungen Modelle gibt. Andererseits gibt es Modelle, die immer gelten – wenn alles passt, passt nichts –, mit dieser Ambivalenz, die den Angeboten inhärent ist, können natürlich jene, die genau darüber Bescheid wissen, manipulierende Vorentscheidungen treffen. Ich frage mich, ob da nicht ein ungewollter Nutzen aus diesen Ausführungen gezogen werden kann. Aber ich frage mich auch, wo nach weiteren Voraussetzungen für geeignete Modelle für Organisationen, die sich weiterentwickeln und internationalisieren wollen, zu suchen ist.
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Modelle und Interdisziplinarität
Für die Praxis und für das Management gibt es nämlich kaum ein Angebot aus traditionellen disziplinorientierten Forschungen, mit dem sich gut arbeiten lässt. Helga Nowotny 47 hält dazu fest: »Jedes nichtlineare Programm der Wissensintegration steht vor dem Problem, eine adäquate Repräsentationsform für die Wissensgenerierung und -integration zu finden, die deren gegenwärtiger Dynamik entspricht. Im Klartext heißt dies, der neuen Beweglichkeit des Raums und der Dynamisierung der Zeit reflexiv – das heißt durch positive Rückkoppelung – Rechnung zu tragen. Dazu sind nicht zuletzt die Komplexitätswissenschaften mit ihren auf Selbstorganisation, Diskontinuitäten und Nichtlinearitäten aufbauenden Theorien und ihrer Sensitivität für geringfügig unterschiedliche Anfangsbedingungen besonders gefordert, ihre strukturellen und transdisziplinären Codierungsmöglichkeiten und Theoriemodelle zur Verfügung zu stellen.« 48 Diese Bearbeitungsform, man kann von einem Anspruch ausgehen, trennt jedoch nicht mehr Wissensnutzer und Wissensproduzenten, sie eröffnet durch die Gleichzeitigkeit der Wissensproduktion und -nutzung die Möglichkeit der Bewusstseinsbildung auf »beiden« Seiten.49 Durch die Verfügbarkeit der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien gibt es darüber hinaus noch die Möglichkeiten gleichzeitiger Bearbeitung an verschiedenen Orten. Nach dem »Verlust der Gesamtperspektive – die ja genau genommen auch immer nur einen Teilausschnitt wiedergab – geht es heute darum, die Konstruktion einer Vielzahl und somit jeder möglichen Perspektive verstehen zu lernen.« 50 In der Praxis ist man von diesen Überlegungen noch weit entfernt. Die Komplexität erhöht sich noch, wenn Management und Berater sich unklar über die Zielsetzungen eines Prozesses sind. Jeder Berater hat sein Modell in seinem Werkzeugkoffer. »Beratung ist nicht gleich Beratung. Ihre Modelle, ihre Vorgehensformen, ihre Zielsetzungen unterscheiden sich, je nachdem, was von ihr verlangt wird, ob und wie sie wirksam werden soll.« 51 Mit diesen Ausführungen soll ein Sich-Hineinversetzen in die komplexe Situation beispielsweise einer erstmaligen Internationalisierung eines kmu angeregt werden. Der Überforderung von Beratern, Experten und Entscheidungsträgern soll damit entgegengewirkt werden. Denn durch das Aufmachen von Diskussionsmöglichkeiten und die Erlaubnis, Fragen zu stellen, wird man einem geeigneten Modell näherkommen. Defizite im Wissen (Theorie) und in der Einschätzung der Realität können durch 47, 48 H. Nowotny, Es ist so, es könnte auch anders sein, Frankfurt/Main 1999, S. 114 49 Vgl. ebd. 50 Ebd., S. 117 51 Heintel/Krainz, Projektmanagement, S. 165
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gemeinsam eingebrachte Erfahrungen und Reflexionen abgebaut werden. Wenn die Organisation ihre Ziele mit dem Modell in Einklang bringt, kann man von einem dialektischen Zugang zum weiteren Vorgehen sprechen. Von dieser interdisziplinären Vorgehensweise noch einmal zur These, dass sich Modelle immer an der Leitwissenschaft orientieren. Diese war beispielsweise im 19. und 20. Jahrhundert die Physik. Und mit physikalischen Modellannahmen ist man heute dem Wunsch der Unternehmenspraxis immer noch sehr nahe – die möglichst naturgetreue Spiegelung der Realität durch ein Modell. Analog zum Fortschritt in der Physik bedeutete Fortschritt nur Verbesserung der Methoden und der Rechenkünste. Damit reagierte man auf Modellschwächen und es fand, obwohl es sich um sozialwissenschaftliche Modelle handelte, Fortschritt im naturwissenschaftlichen Sinn statt. Heute erleben wir neue Anleihen aus der Natur, nennen die Wissenschaft Bionik und versuchen uns beispielsweise am Verhalten von Fischschwärmen zu orientieren, wenn wir über nichthierarchische selbstorganisierende Modelle nachdenken. Ein generelles Problem bei Modellen liegt jedoch darin, dass oft übersehen wird, dass sie nicht die ganze Wirklichkeit abbilden – man kann das auch mit dem Phänomen des »blinden Flecks« erklären: Wir sehen nicht, dass wir nichts sehen. Das führt zu einem »partikularen Universalismus«, einem Gedanken von Peter Heintel folgend. Er beschreibt mit dem Terminus des partikularen Universalismus die Perfektionierung von Erklärungen von Teilwirklichkeiten unter Außerachtlassung wesentlicher Gegebenheiten. Wiederum finden wir also einen Hinweis auf Nachahmung der Vorgehensweise bei naturwissenschaftlichen Experimenten. Das Risiko von Teilnehmern, diesem Phänomen in Diskussionsforen zu erliegen, ist groß, da Modellkritik die Kenntnis der Modellannahmen voraussetzt. Und es werden, wenn auf Mängel hingewiesen wird, meistens weitere partikulare Angebote nachgeliefert. Das kann man auch in der Theoriegeschichte eines einzelnen Modells gut beobachten. Es werden (einfach) zusätzliche Annahmen hinzugefügt, ohne sich das gesamte Modell in Bezug auf seinen Einsatz anzusehen. Voraussetzung ist also Akzeptanz des Modells in Bezug auf die Zielsetzung. Durch die Akzeptanz jedes Mitgliedes (individuelle Akzeptanz) und der Gruppe (Konsensentscheidung über das Modell) wird eine Vorentscheidung getroffen – man ist also einen wichtigen Schritt weitergekommen. Im Prozess, der zu dieser Vorentscheidung führt, sind die einzelnen Schritte und die Reflexionsmöglichkeiten zu bestimmen. Als Bedingungen für die Offenlegung von Hintergründen von Modellanwendungen und den Modellen selbst können, beispielsweise aufgezählt werden:
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• • • • •
experimentierend und kreativ von allen Seiten beleuchten, das Modell durchreflektieren, Alternativen, dialektische Herangehensweise durch die Frage: Was wird ausgeschlossen? Fragen stellen: Was ist die Funktion? Welches Interesse wird damit verknüpft? Befindlichkeitenrunde einlegen (wie geht es uns damit?) und die Praktikabilität durch Verständnisherstellung überprüfen.
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Modelle und die sich verändernde Rolle des Managements – festhalten oder loslassen? Warum nur einige wenige Systeme zur Herrschaft gelangten? Weil wir so zäh festhalten an Gewohnheiten, aus Furcht vor einem Denken ohne Verbotstafeln und Gebotstafeln, aus Furcht vor der Freiheit.52 Manager sind geneigt, Vorgänge, die nicht so ablaufen, wie sie es gerne hätten, zu ignorieren. Vom blinden Fleck war schon die Rede, Betriebsblindheit wird nur als oberflächlich selbstkritisches Schlagwort angewandt. Meistens sind die Bedingungen für abweichende Fragestellungen gar nicht gegeben. Und diese Bedingungen müssen vorhanden sein, weil gerade diese abweichenden Fragestellungen ein Test für die Möglichkeit neuer Wege sein könnten. Denn wie schon oft betont, gibt es nicht nur das Entweder-oder. Und Entscheidungen sollten immer auf mehr als einer oder zwei Möglichkeiten beruhen. Man will oder muss sogar etwas Neues ausprobieren, traut sich jedoch oft nicht einmal, Unkonventionelles anzudenken. Die eingeübten Pfade spielen – unbewusst und bewusst – mit hinein. Der Alltag verstellt den Blick auf die verschiedenen Möglichkeiten, und so muss ein Manager die Courage haben, Selbstdistanz zu üben – eine seiner wesentlichsten Aufgaben. Peter Drucker hat festgestellt,53 dass Management niemals eine Wissenschaft im naturwissenschaftlichen Sinn sein werde. Er sprach sogar davon, dass es nicht an der Universität gelehrt, sondern nur an der Praxis geübt werden könne, jedoch erlernbar und nicht eine »Gabe« sei. Und diese Praxis ist ständig in Bewegung. Diese Bewegung bedeutet, dass Neues nur aus dem Vorhandenen und aus sich selbst (dem Neuen, der Zukunft) heraus entwickelt werden kann. Für diese Entwicklungen braucht man aber Modelle, um sie auch erklären zu können. Managern kann nicht geraten werden, sich innerhalb der engen Grenzen der Experten- und ceo-(beziehungsweise Generaldirektor-)orientierten Strategieentwicklung, wie sie vorne beschrieben wurde, zu bewegen. An dieser Stelle tritt auch die Doppelrolle des Managements hervor. Einerseits ist es Teil der Organisation, andererseits wird es als eigenes Element der Organisation betrachtet. Daraus ergibt sich auch die veränderte Bedeutung der Vorgaben des Managements. Ein Strategiepapier wird, so es nicht von vielen Verantwortlichen durchreflektiert wird, an den Führungskräften »abgleiten« und als Papier im Regal enden. Aus diesen Zusammenhängen geht deutlich hervor, dass die Modelle, die Strategie und die Umsetzung mitein52 Ingeborg Bachmann, zitiert nach: http://www.ihp.de/pdf/Handbuchoe.pdf (22. 10. 2007) 53 Vgl. P. Drucker, Effektive Führung kann erlernt werden; in: Die ideale Führungskraft, München 1993
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ander verschwimmen und immer wieder Rückkoppelungen erforderlich sind. Der Entscheidungsvorgang ist dann nicht mehr klar erkennbar. Und er ist in etwa mit einem Vorgehen wie beispielsweise in der Medizin vergleichbar. Modelle können wie ein Röntgenbild oder eine Computertomographie als Diagnoseinstrument und für Handlungsanweisungen dienen. Das Ergebnis hängt ab vom Zeitpunkt der Diagnose, von der Technologie und von denen, die die Diagnose erstellen, sowie von denen, die die Umsetzung betreiben und den Patienten mitentscheiden lassen (müssen). An der Diagnose und Umsetzung sind im heutigen Unternehmen viel mehr Menschen beteiligt als vor 50 Jahren. Organisationen sind flacher und dezentralisierter. Das hat zur Folge, dass die unternehmensrelevanten Prozesse (nach der Einteilung im neuen St. Galler ManagementModell sind dies Managementprozesse, Geschäftsprozesse und Unterstützungsprozesse) heute den wichtigsten Stellenwert in Theorie und Praxis einnehmen. Auf die Organisation der Prozesse wird in modernen Unternehmen immer mehr Wert gelegt. OE-Modelle
Ein Paradigmenwechsel kommt nicht mit einem Paukenschlag. Systemische Modelle entstanden und entstehen aus Managementprozessen und umgekehrt. Die Begriffswelt wird unübersichtlicher. Strategiepapiere werden als »work in progress«, als »living paper« 54 usw. bezeichnet. Die wesentlichste Änderung ist die Änderung der Darstellung der Organisation und die Verortung für die Entscheidungsfindung. Die prozess- und beziehungsorientierte Darstellung der Organisation ist dafür da, um in geplanten Workshops außerhalb des operativen Alltags langfristige Ziele zu prozessieren. Daher ist auch die Verantwortungszuordnung zwischen den einzelnen Stufen der Hierarchie und parallel eingerichteten Gruppen nicht mehr ausschließlich durch das klassische Organigramm darstellbar. Systemische Funktionen wie beispielsweise die Koordinationsfunktion überlagern fachliche Funktionen (Marketing, Rechnungswesen usw.). Die Organisation ist wie die Zielformulierungen im Fluss. »Ein Unternehmen kann sich im Grunde nur dann von seinen Zukunftsvisionen leiten lassen, wenn klar ist, dass solche Festlegungen nichts Endgültiges sind, sondern im Fluss des Geschehens in begründeter Form korrigiert werden können.« 55 Der osb-Trichter ist ein Chart, anhand von welchem diese Anforderungen antrainiert werden können.
54 Vgl. www.trigon.at 55 Nagel/Wimmer, Systemische Strategieentwicklung, S. 77
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Die »Story« wird zum Modell
Zunehmende Verunsicherung der zentralen Annahmen über das Geschäft 1. Schritt Diagnose der Ausgangssituation Vielfalt hoch
Konkretisierung niedrig
2. Schritt Entwicklung von Strategieoptionen
3. Schritt Auswahl der günstigen Optionen
Analyse: Chancen und Bedrohungen aus der Umwelt
Branchenvorausblick
»Erfinden«
4. Schritt Überprüfung der normativen Prämissen
5. Schritt Umbau von Strukturen und Prozessen
Gestaltung: Identitätsentwurf
Das aktuelle Portfolio an Kernkompetenzen
»Suchen«
Zunehmende Stabilisierung der zentralen Annahmen über das Geschäft
Strategische Programme Selbsterneuerung und »Lernende Organisation«
Metakonzept der Organisation
»Wollen«
7. Schritt Präventive Lernfähigkeit der Organisation
Umsetzung: Strategisches Controlling
Grundstrategien und Unternehmensziele
»Entscheiden«
6. Schritt Steuerungsund Controllingsystemen
»Umbauen« »Beobachten« »Verändern«
Grundhaltungen Der »OSB-Strategietrichter«, entnommen aus: R. Nagel, R. Wimmer, osb international, Systemische Strategieentwicklung, Stuttgart 2006, S. 112
In diesen Gedanken sind die Grundüberlegungen der Kybernetik enthalten. Die beiden folgenden Modelle von Stafford Beer dienen dazu, Beziehungen dazustellen, um ihre Rollen zu diskutieren, die Modelle lehnen sich auch an Darstellungen eines menschlichen Organismus an. Eine durch ihre Einfachheit und Klarheit bestechende Darstellung für eine organisatorische Unternehmensanalyse ist die Trennung der Bereiche Management, operatives Unternehmen und Unternehmensumwelt. Diese Trennung des Managements vom übrigen Unternehmen ist für die Analyse von Prozessen sehr hilfreich. Damit lassen sich Beobachtungs-, Entscheidungs- und Kommunikationsmuster darstellen. Viele systemische Ansätze gehen von dieser Dreiteilung aus und haben sich weiterentwickelt. Das Beziehungs- und Prozessdenken geht von der folgenden Grafik aus.
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Die »Story« wird zum Modell
Environment Management
Attenuators
Variety Amplifiers
Operations Variety Amplifiers
Darstellung eines (vereinfachten) Systems zur Bewältigung der Varietäten, adaptiert von P. Hyward nach einem Modell von St. Beer (1985), siehe: http://www.metafuture.org/Books/FuturesStudiescdrom.htm (2. 9. 2008)
»The square encloses all managerial activity needed to ›run‹ (whatever that may mean) the circle which encloses the relevant operations that produce (the total) variable System-in-focus. The amoboid shape represents the environment. The […] arrows refer to the necessary interactions between the three basic entities: each stands for a multiplicity of channels whereby the entities affect each other.« 56 Diese Beziehungsanalyse – jeweils in beide Richtungen – ist der wesentliche Ansatz einer systemischen Betrachtung. Im Gegensatz zu den funktionalen Bezeichnungen, die in Organigrammen (Produktion, Marketing, Rechnungswesen usw.) abgebildet werden, betrachtet er Aufgaben wie koordinieren, bearbeiten, intervenieren, aufklären usw. Das ist der Ort, wo das Verstehen, aber auch die Missverständnisse angesiedelt sind, wo Emotionen mitspielen, wo das kollektive Wissen im Unternehmen angesiedelt ist. Und noch eine nützliche Anmerkung zur Grafik: Das Verbotsschild zwischen Management und dem Umfeld des Unternehmens weist auf einen verbreiteten Managementfehler hin. Direkte Interventionen zwischen dem Management und dem Unternehmensumfeld überfordern die Subsysteme Management und Unternehmensumfeld. Um mit Komplexität besser umgehen zu können 56 S. Beer, Diagnosing the System for Organisaziations, New York 1985, S. 20
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und das gesamte Wissen der Organisation für Lösungen mit einbeziehen zu können, sollen Interventionen mit dem operativen Unternehmen besprochen werden. Hier tritt die Vielschichtigkeit der Rolle der Person des Managers zutage, wenn er direkt mit der Unternehmensumwelt in Kontakt tritt oder eine Intention direkt an ihn herangetragen wird. Beer sagt: »Damit von Lebensfähigkeit gesprochen werden kann, muss ein System sich an seine sich stetig verändernde Umgebung anpassen können. Es muss seine Identität bewahren, Erfahrungen aufnehmen und verwerten können, es muss lernen und sich weiterentwickeln können.« 57 In dieser Aussage vergleicht er das Funktionieren einer Organisation mit dem Funktionieren des menschlichen Körpers. Alle Elemente (Organe usw.) müssen enthalten sein, sonst funktioniert das eine (der Mensch) wie das andere (die Organisation) nicht.
S. Beers vereinfachte Darstellung des Lösungsmodells für Steuerungsfragen anhand des Zentralnervensystems eines Menschen in sogenannten »one-person-business«, zu finden unter http://www.bogacki.co.uk/images/sntlsys3_30percent.gif
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Dieses an die menschliche »Natur« angelehnte Modell 58 hat die Zukunft eines Unternehmens mit der höchsten Hierarchiestufe verknüpft, damit auch Langfristigkeit und somit Investitions-, Finanzierungs- und Ausschüttungspolitik an die Eigentümer. Diese Zukunftsfunktion eines Unternehmens wird als normatives Management bezeichnet, welches die Wert-setzende Funktion repräsentiert. Die weiteren Hierarchiestufen sind, von oben nach unten, strategisches Management als aufklärende Funktion und operatives Management als optimierende Funktion. Darunter sind koordinierende und Zweck-erfüllende Funktionen. Auf der Wert-setzenden Ebene, also im normativen Management, ist die Macht angesiedelt. Doch gerade mit dem Begriffspaar Macht/Zentralisierung ist gleichzeitig die Überforderung zentralistischer Systeme bei schnellen Veränderungen beschrieben. Modellantworten darauf sind beispielsweise Projektmanagement oder das Prinzip der Homöostase, des physiologischen Strebens nach Einhaltung eines Gleichgewichts, das für die Lebenserhaltung und Funktion eines Organismus oder eines Organs notwendig ist. Diese Zuordnungen in operatives, strategisches und normatives Management ermöglichen es, für außergewöhnliche Unternehmenssituationen zugleich verschiedene Organisationsmodelle anzuwenden. Damit sich jedoch jeder auskennt, müssen diese Parallelitäten in ein Gesamtmodell passen, welches zum alltäglichen Werkzeug wird und damit mit Leben erfüllt und wo organisierter Informationsaustausch ermöglicht wird. Solche außergewöhnlichen Situationen sind Aufträge, welche das Unternehmen als Ganzes fordern, Forschungs- und Entwicklungsprojekte, Investitionsprojekte, eine erstmalige Internationalisierung, aber auch Reorganisation oder Eigentümerwechsel. Die Parallelität von operativem Geschäft, Projektmanagement und Hierarchie kann im vorne beschriebenen Modell von Stafford Beer abgebildet werden. Das Nebeneinander mehrerer Organisationsformen ist nicht mehr Modellthema allein, sondern die Verknüpfung eines Modells mit der Organisation – mit zentralen Funktionen, projektbezogenen Funktionen einerseits und Selbstorganisation andererseits. Kybernetiker und Systemtheoretiker 59 verwenden dafür den Begriff Rekursivität. Rekursiv ist ein System dann, wenn die Modellgrundzüge auf allen Hierarchiestufen und in den unterstützenden Funktionen erkennbar sind. Das Ausmaß an Hierarchie und das Ausmaß der Selbstorganisation ist situationsabhängig, es lässt sich jedoch vermuten, dass beides 57 St. Beer, zitiert nach: Cwarel Isaf Institute, http://www.kybernetik.ch/fs_methmod3.html (27. 10. 2007) 58 Siehe: S. Beer, Brain Of The Firm, Diagrams from Fig. 23, Copyright © John Wiley & Sons Limited 1981, 1994, zu finden unter http://www.bogacki.co.uk/images/sntlsys3_ 30percent.gif (28. 10. 2007) 59 Vgl. Nagel/Wimmer, Systemische Strategieentwicklung, S, 77
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optional eingerichtet sein muss. Dieses Nebeneinander von Hierarchie und projektbezogener Organisation entsteht nicht aus romantischer Verklärung, sondern aus Kalkül. Es bleibt also die Anforderung an ein Modell mit folgender Fragestellung: Wie bekommt man als Entscheidungsträger oder als Betroffener – gleichgültig auf welcher Hierarchiestufe beziehungsweise in welchem Projekt – eine gute Sichtweise auf das Ganze beziehungsweise das Relevante? Dieser Fragestellung hat die Strategieentwicklungsbranche Rechnung getragen und sie mit der Ist-Situation der globalisierten Ökonomie verknüpft. Dies hat zur Modellinflation geführt und durch unterschiedliche Herangehensweisen unterschiedliche Perspektiven eröffnet. Doch auch durch dieses vielfältige Angebot bleibt es einem Entscheidungsträger nicht erspart, aus dem Organisationszusammenhang heraus Bilder zu entwickeln, um die Angebote nutzen zu können. Die Modelle und die Begriffe werden hier nicht erklärt, es soll lediglich auf die Vielfalt hingewiesen werden, auch als Anregung. Und manche dieser Modelle werden in anderen Essays angesprochen. So stehen nur für die Betrachtung »entlang der Leitdifferenz ›innen und außen‹ […] beispielsweise sorgfältig ausgearbeitete Konzepte zur Verfügung. So sind etwa die bekannte Stärken-SchwächenAnalyse, das Kernkompetenzkonzept, Modelle zur Analyse der Wertschöpfungskette oder Elemente des Portfoliomodells bewährte Beobachtungsinstrumente, um die Innenperspektive eines Unternehmens und seiner Prozesse zu diagnostizieren. Mehrere vom Markt bestimmte Ansätze, wie die Wettbewerbsanalyse nach dem Porter-Modell, die Stakeholder-Betrachtung, die Konkurrenzanalyse oder verschiedene Instrumente zur Auseinandersetzung mit Kundenbedürfnissen ermöglichen auf der anderen Seite eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Umwelt eines Unternehmens.« 60 Genauso wichtig sind die Leitdifferenzen Vergangenheit–Zukunft und Autonomie–Netzwerk. Damit wird dem Trend zur Organisationsentwicklung entsprochen. Denn überall werden die Unterschiedlichkeiten hervorgehoben und an den verschiedenen Modellen getestet. Es beißt sich, wenn man die Einzigartigkeit des Unternehmens – sein Alleinstellungsmerkmal – mit einem Modell konfrontiert. Doch gerade dieses Gefühl kann sich für Problemlösungen als nützlich erweisen. Und die Leitdifferenzen lassen ähnlich den Widersprüchen den Entscheidungsraum erkennen. Man kann natürlich, wenn es Unterschiedlichkeiten in der Auffassung gibt, das Modell in Frage stellen – es gibt meiner Erfahrung nach Unternehmer, die auch zur Aussagekraft von Bilanzen eine sehr kritische Meinung haben. Dann nützen Modellvergleiche, die im Folgenden beispielhaft angerissen werden.
60 Ebd., S. 83
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Unerwartbare Modellvergleiche …
Solche gibt es, denn eines wird übersehen: »Allein die Herangehensweise soll Gesetzmäßigkeiten erkennen und den Markt auf Modelle reduzieren, die als Dogmen sodann den Anspruch unangreifbarer Wahrheit haben. Dass es eine Wissenschaft gibt, impliziert die Regelmäßigkeit des Geschehens, nicht etwa die Nachweisbarkeit seiner Analysen. Als Preis winkt die Verstehbarkeit der kulturellen Welt, die in ihrer Unwägbarkeit und Komplexität eingefangen werden soll.« 61 Peter Heintel hat die Bewältigungsformen ökonomischer Forschung beschrieben,62 die in ihrer Bandbreite auf die Schemata religiöser Dogmen übertragbar sind:
Heintels ökonomische Bewältigungsformen Tabuisierung des Modells Beweis und Rechtfertigung seiner Richtigkeit durch Brauchbarkeit Verabsolutierung der Teilwirklichkeit Festlegung und Dogmatisierung (!) einer Hierarchie Selbstverkomplizierung Scholastik Enthaltsamkeit, Mystik
Ableitung des Modells aus einer modellierten Zukunft Identifikation des Modells mit Begriffen wie Wahrheit, Exaktheit, Objektivität, Rationalität, Vernünftigkeit
Religiöse Entsprechung Exklusive Heiligkeit Legenden, die Zufälle überhöhen und künstliche Kausalketten bilden; Lebenshilfe Universalanspruch religiöser Normen vom begrenzten Geltungsbereich der Heiligkeit aus Priesterliches Expertentum Abstraktion, Paradoxa theologische Scholastik Rückzug aus der Innerweltlichkeit, zirkuläre Legitimation durch Glauben Transzendenz Eschatologie Wahrheit, Allgemeingültigkeit, Unhinterfragbarkeit, theologische Wissenschaftlichkeit«63
61–63 P. Heintel, Alternative Modellbildungen in der Ökonomie, in J. Weiß, Mammon, Eine Motivgeschichte zur Religiosität des Geldes, Diss., Mannheim 2005, S. 265: http://madoc. bib.uni-mannheim.de/madoc/volltexte/2006/1152/pdf/Promotion_Jochen_Weiss_ Mammon.pdf (29. 10. 2007)
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… und (m)ein konventioneller Modellvergleich
Aus Modellvergleichen entwickelt sich eine Kultur der kritischen Distanz zu einem Modell. Denn auch allgemeine Beobachtungen werden sofort in Modelle übersetzt, das hat einerseits die praktische Konsequenz, Komplexität zu reduzieren und vermeintlich Störendes einfach zu entfernen. Dieser pragmatische Reduktionismus hat jedoch seinen Preis. Er löst viele Probleme, manche jedoch nicht. Deshalb ist es oft besser, mit etwas Ballast zu arbeiten und auch das vermeintlich Unnötige mit einzubeziehen. Durch das Stolpern über Unnotwendigkeiten wird das Tempo der Analyse verlangsamt und wir befassen uns auch intensiver mit den wesentlichen Dingen. Denn denken wir uns in eine Situation hinein, wo wir etwas verstecken wollen oder wo wir wollen, dass es andere übersehen. Um für so eine Situation gerüstet zu sein, wird alles, was irgendein Problem aufwerfen könnte oder zu einer Frage ermuntern könnte, eliminiert oder übersehbar dargestellt. Es sollen diejenigen, deren Interessen mit der (modellhaften) Darstellung zufriedengestellt werden, ihr gewünschtes Bild erhalten – ihre Erwartungshaltung soll abgedeckt werden, und es ist keine Kunst, sich deren Wünsche auszudenken. Die Probe auf das Exempel können wir mit einem Modell machen, das in Europa gleichermaßen wie in den usa Anwendung findet, den Jahresabschluss. Dieses meinem Erachten nach wichtigste Unternehmensmodell mit der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung, Erläuterungen und dem Lagebericht soll also Interessen befriedigen. Welche Interessen können das sein? Betrachten wir nur an einem kulturellen Unterschied, was es bedeutet, ein getreues Bild der Vermögens- und Ertragslage aufzustellen. Es ist der eigentümerorientierte Transparenzgedanke in der Bilanzierung in den usa im Gegensatz zum gläubigerorientierten Transparenzgrundsatz europäischer Handelsgesetze. Wenn alles aus dem Weg geräumt wird, was den Eigentümer misslaunig stimmen könnte, würde ihn das stutzig machen. Er würde Fragen stellen – also werden sogenannte Verbesserungspotenziale – wenn auch vielleicht erst für das nächste Jahr – für die nächste Dividende eingebaut. Eine europäische Bank als Hauptgläubiger würde ebenfalls nachfragen, wenn ihr auffällt, dass beispielsweise Rückstellungen sehr vorsichtig gebildet oder gar welche aufgelöst wurden, also zieht sich die Geschäftsführung warm an – zu Lasten des Eigenkapitals. Modellvergleiche und die dahinter liegende Kultur ermöglichen es uns, wenn wir die Zusammenhänge kennen, die richtigen Fragen zu stellen. In unserem Beispiel liegt der Hauptgrund in der Finanzierung der Unternehmen. In Europa finanziert, historisch durch den Zweiten Weltkrieg bedingt, überwiegend der Bankensektor die Unternehmen und vor allem die kmu, in den usa werden sie zu mehr als 50 % von den Eigentümern finanziert. Damit sind mit den Risiko- und den Fragepositionen auch die 277
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Bilanzierungsgrundsätze und die mit ihnen korrespondierenden Versteck- und Aufklärungsspiele erklärt. Des Weiteren können, bedingt durch diese historischen Unterschiede, nur durch sehr aufwendige Umrechnungen Vergleiche zwischen zwei Unternehmen gezogen werden, obwohl es sich um vermeintlich dasselbe Modell handelt – nämlich den Jahresabschluss des Unternehmens. Diese Unterschiede ziehen weitere Kreise: Es ergeben sich aus den unterschiedlichen Bilanzierungsgrundsätzen Konsequenzen auf die Basel-ii-Thematik. Sie sind für europäische Unternehmen, die unter dem oben angeführten Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes bilanzieren, wesentlich schwerer zu erfüllen, weil die Bilanzen nach diesem Grundsatz schlechter aussehen als die gleichen Bilanzen von nach amerikanischen Regeln bilanzierenden Unternehmen. (Sind sie aber nicht!) Das führt wiederum zu durchschnittlich höheren Zinsbelastungen in vergleichbaren europäischen Unternehmen und damit zum Abfluss von Ertragsteilen in den Finanzsektor. Es lohnt sich also, die Aufmerksamkeit von den zentralen Modellannahmen abzulenken – im Sinne des Unternehmens. Noch (viele) Fragen?
Zur Aufklärung: (Modell-)Erfahrungen wirken ähnlich wie langjährige Beraterbeziehungen, sie sind eine Gefahr für Betriebsblindheit – deren Folge ist, dass vermeintlich alles bestens funktioniert, man weiß aber nicht genau warum. Wenn es keine Widerstände zu bestimmten Entscheidungen beispielsweise in den Gesellschafterversammlungen gibt – soll man diese dann aus eigenem Interesse herstellen? Über Modellkritik kann man einen Zugang aufmachen. Damit kann man Probleme erzeugen, die dann wohl eine plausible Ursache haben, aber gleichzeitig eine Perspektive einräumen – sie sind also nicht so schwer zu formulieren und werden nicht abgeblockt. Also Differenzen setzen, denn dann leisten Modelle das, wofür sie auch da sind: Widersprüche hervorzurufen. Können wir unsere Fragen aus den (zum Beispiel historischen) Hintergründen heraus erklären, dann wird unser Widerstand gegen »glatte« Darstellungen anerkannt. Ein weiterer Punkt ist Frage: Woher kommen die Modelle? Aus der empirischen Forschung, aus den (eigenen) Erfahrungen, aus den Naturwissenschaften? Diese Frage ist insofern von Bedeutung, weil das Ringen der sozialwissenschaftlichen Modelle um naturwissenschaftsähnliche Anerkennung die Wirtschaftswissenschaften beschäftigt und belastet. Beispiele dafür sind die obigen Ausführungen zum Modell lebensfähiger Systeme und weitere Anmerkungen im Text. Das soll nicht dazu führen, Modelle, die sich an naturwissenschaftliche Vorgänge anlehnen, abzulehnen, doch das Wissen über deren Herkunft kann andere Fragenfelder öffnen. Ein (belustigendes) Beispiel: Glaubt ihr wirklich, dass unser Unternehmen gleich funktioniert wie ein Bienenschwarm? 278
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Weitere Fragen zu Aufklärung: Was steckt hinter den Modellen? Eine Ideologie (oder, wie oben dargestellt, eine Religion), Normsetzungen 64 und eben Fragen zur Modellgeschichte: Ist beispielsweise »structure follows strategy« bei Internationalisierungsentscheidungen aufgrund der patriarchalischen Führungsstruktur einer Unternehmerfamilie (als erster Schritt) besser geeignet? Passen also unsere Modelle zu unserer Unternehmenskultur? Was ist die Funktion des zur Diskussion stehenden Modells und wer hat welches Interesse am Modell? Die Antworten können sehr unterschiedlich ausfallen. Sie weisen in verschiedene Richtungen. So ist positiv herauszustreichen, wenn man beabsichtigt, das Kreativpotenzial zu fördern, Bedürfnis nach neuen Orientierungen artikuliert oder im vorliegenden Vorhaben der Internationalisierung von kmu die Beziehungsklärung zu den Stakeholdern am alten und neuen Unternehmensstandort mit einem prozessunterstützenden Modell bearbeiten möchte. Als negativ wahrgenommen und nur mit großen Anstrengungen und Widerstand ins Positive zu wenden sind die Motive: Kontrolle ausüben, spätere Evaluationen ermöglichen, Rationalisierungspotenzial maximieren oder auch Schließungspläne diskutieren. Für die Praxis bedeuten diese Fragestellungen (nach Hintergründen) eine Sensibilisierung, die einerseits unterstützen kann, jedoch nur, wenn von den Fragenden nicht bestimmte Modelle kategorisch abgelehnt werden. Denn die elementare Funktion eines Modells, an dem sich das Unternehmen ausrichtet, ist die Herstellung einer gemeinsamen Wirklichkeit. Durch Modelle ist Verständigung überhaupt erst möglich. Als mein Rat wird daher vorgeschlagen, was indirekt, aber deutlich im Essay mehrmals angesprochen wird: Das Modell dekonstruieren und individuell adaptieren. Dabei wird nicht vorentschieden, nach welchem Modell gearbeitet wird. Es wird das Thema zur Sprache gebracht und danach entschieden, welche Modelle hilfreich sein könnten. Denn »wissenschaftliche Wahrheit entsteht erst aus einer gemeinsamen Erfahrung der jeweils endlichen Situation und liegt nicht schon von vornherein vor«.65 Der Sinn bleibt die Orientierungshilfe bei der Begegnung mit komplexen Fragestellungen und komplexen Entscheidungssituationen. Ein Unternehmen, das sich internationalisiert, ist ein dynamisch offenes System in einer sich verändernden Umwelt. »Der Input wird ständig ein anderer, ebenso der Output und der Throughput. Die Veränderungen wirken auch auf das Universum des Systems verändernd ein und von da wieder auf die Umgebung zurück. Der Mensch ist zu dieser Art 64 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Modell und Praxis«. 65 P. Heintel, L. Krainer, I. Paul-Horn (Hrsg.) Zur Grundaxiomatik der Interventionsforschung. Präambeln für eine andere Wissenschaft,. Klagenfurt 2005, S. 101
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von Systemen zu zählen; Organisationen oder Gemeinschaften oder Gesellschaften weisen dieselben Eigenschaften auf.« 66 Eine individuelle Modellbildung ist für Entscheidungen, insbesondere für Entscheidungen von Investitionsprojekten wo auch die Wirtschaftspolitik durch Förderungen und Genehmigungen mitentscheidet,67 sehr zu empfehlen. Die Beforschung einer Investitionsentscheidung kann ein individuelles Paket an öffentlichen Leistungen zusammenstellen, welches auf die Art der Investition, auf die Motive des Unternehmers, auf die Einflüsse auf die Region (Arbeitsmarkt, Verkehr, Umwelt usw.) abstellt. Ein Unternehmer, der nach betriebswirtschaftlichen Kriterien entscheidet, muss zur Befriedigung seiner eigenen Rolle und der seiner Shareholder nämlich seine Risken sozialisieren und die Chance zu seinen Gunsten verbuchen. Die Schnittstelle und auch der Widerspruch zwischen öffentlichen Aufgaben, wie sie beispielsweise in der Schaffung von Arbeitsplätzen begründet sind, und privater Unternehmerhaltung, welche durch eine langfristig gute Unternehmensentwicklung begründet wird, kann mit folgenden Fragestellungen zusammengefasst werden: Wollen wir diesen Unternehmer/dieses Unternehmen in der Region haben? Und auf der Seite des Unternehmers: Will ich in dieser Region investieren? Idealerweise erfolgt nach der Beforschung des »Davor« daraus als nächster Schritt nach der mündlichen Rückkoppelung die Systemabgrenzung und die Darstellung eines geeigneten Modells anhand des Verständnisses für die Rolle der Interventionsforschung.68
66 Glasl F., B. Lievegoed, Dynamische Unternehmensentwicklung, Bern 2004, S. 25 67 Siehe meine Ausführungen in den Essays »Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister« sowie »Förderungen für kmu«. 68 Siehe dazu meine Ausführungen in den Essays »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft« und »Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister«
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Modell und Praxis Ich werde in diesem Essay die aus meiner Sicht wichtigen Themen herausgreifen, um die Hypothese zu stützen, dass Modelle wie zum Beispiel der den folgenden Themenstellungen zugrunde gelegte Teil des neuen St. Galler ManagementModells als Arbeitsgrundlage für Internationalisierungsüberlegungen von kmu (und sie begleitende Prozesse) gut geeignet sind.69 Jedenfalls stützt es aufgrund seines Anspruchs auf Vollständigkeit auch meine Entscheidungen bei der Themenauswahl. Damit sollte auch belegbar werden, dass sich Modelle, die sich ja aus einer Zusammenschau von Theorien und praktischen Erfahrungen ergeben haben, für Internationalisierungsprojekte oder große Investitionsprojekte von kmu gut eignen, auch wenn man sich ihrer Grenzen und Gefahren bewusst sein soll. Die Innovation des ursprünglich von Hans Ulrich in den 1970er-Jahren entwickelten St. Galler Management-Modells war einerseits die Erkenntnis der Einbettung der Unternehmung in ein komplexes Umfeld von Sphären (ökologische Umweltsphäre, technologische Umweltsphäre, ökonomische Umweltsphäre, soziale Umweltsphäre).70 Sie führte andererseits zur Empfehlung, dass das Management nur mit ganzheitlichem Denken und Handeln dieser Komplexität erfolgreich begegnen könne. Das neue St. Galler Management-Modell verleiht den Umweltsphären, den Prozessen und den Normen sowie der Kultur einen deutlich höheren Stellenwert. Damit reagiert es meiner Ansicht nach auf die gestiegene internationale Verflechtung der Wirtschaft. Und es »wird der interpretativ-sinnhaften 71 Dimension von Management mehr Raum zuteil«.72 Was sind Sphären?
»As an individual you can’t change a system, you can choose one« 73 »Sphären sind als zentrale Kontexte unternehmerischer Tätigkeit zu verstehen […] und auf wichtige Veränderungstrends hin zu analysieren.« 74 Mit dieser Aufgabenstellung trifft die oben zitierte provozierende Ansicht eines asiatischen 69 Um die Redundanzen geringer zu halten, hier der Hinweis, dass die anderen Themenstellungen des Modells verteilt bearbeitet wurden (Zielsetzung ist hier die Anwendung eines Teils des Modells auf Internationalisierungsentscheidungen von kmu). 70 Vgl. J. Spickers, Die Entwicklung des St. Galler Management-Modells, St. Gallen 2007, http://www.ifb.unisg.ch/org/Ifb/ifbweb.nsf/wwwPubInhalteGer/St.Galler+ManagementModell?opendocument (1. 8. 2008) 71 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Sinn und Sinngebung«. 72 Spickers, Entwicklung, S. 1 73 T. S. He, ceo eines asiatischen Tochterunternehmens eines europäischen Herstellers
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Managers den Nagel auf den Kopf. Man braucht also nur die richtige Kombination zu wählen. Nicht persönliche gesellschaftspolitische Anliegen sind bedeutend, sondern Trends in Bezug auf die Auswirkungen auf das eigene Geschäft, wenn es um die Themen Demokratie, Rechtssystem,75 Einkommensverteilung und Umweltsituation 76 geht. Was ist ähnlich wie bei uns und was wird anders? Denn ein erhebliches Ausmaß der Geschäftsroutinen ist vom Umfeld des Stammsitzes beeinflusst – wir kennen meistens das Ausmaß nicht. Bei Internationalisierungsbestrebungen vermischen sich Gewohnheiten mit Wünschen, jedoch ohne die Möglichkeit, Laborbedingungen herzustellen, um eine Idee auszuprobieren. Es gibt also keine Analogie zum naturwissenschaftlichen Experiment. Jeder Umsetzungsschritt erfolgt in der Realität, sozusagen in freier Wildbahn. Damit ist es aber unmöglich, etwas Vollendetes zu organisieren – es will entwicklungsfähig und entscheidungsfähig sein, selbst wenn es durch das Geschäftsmodell bereits festgelegt wurde, denn: »Die Frage, ob man internationalisiert oder nicht, die hat sich für uns nie gestellt. Wir haben immer gesagt, [… ] das ist ja eine enge Nische, [wir mussten] von Beginn eigentlich international […] arbeiten.« 77 Damit hat man sich bereits damit zu beschäftigen, verschiedene Mentalitäten und die eigene Unternehmenskultur 78 unter einen Hut zu bringen. Denn »es gibt nur eine Kultur in der Firma, das muss man gleich sagen, das ist die Kultur der Mutter«,79 obwohl die »Mentalitäten natürlich nicht die gleichen sind. Diese unterschiedlichen Mentalitäten zuzulassen, das ist in jedem Unternehmen, das international arbeitet, Voraussetzung. Das sind die Eigenheiten der unterschiedlichen Kulturen, das kann ja viel weiter gehen, das können jetzt Leute sein, die aus dem arabischen Raum kommen. […], aus dem asiatischen Raum – da existieren andere Wirklichkeiten. Die muss man schon auch akzeptieren, aber nicht im Sinne einer Unternehmenskultur.« 80 Der Bezug zur Umgebung und das, was vom Stammsitz »exportiert« wird, werden sich vermischen. Von dieser gelungenen Mischung aus exportfähigen Identitätselementen und am neuen Investitionsstandort zu übernehmenden Bedingungen wird die Umsetzung bestimmt. Gibt es denn keine eindeutigen Erfolgsmodelle, wie vorzugehen ist? 74 J. Rüegg-Stürm, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, C. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Band 1, Bern 2004, S. 70 75 Vgl. Interview stmk iii, S. 163 76 Vgl. Interview v, S. 64, Interview viii, S. 94, Interview ix, S. 101 u. 108 77 Vgl. Interview st iii, S. 167 78 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Unternehmenskultur und Mentalitäten«. 79 Vgl. Interview st iii, S. 171 80 Vgl. Interview st iii, S. 171
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Einerseits gibt es Einschätzungen, die sich für Filialen nach dem Modell McDonald’s aussprechen, also für Kopien der wesentlichen Elemente eines funktionierenden Systems. Aber auch etwas völlig anderes hört man, etwa: Individualität und Adaptivität zu beachten sei wichtig. Und das sind nur die beiden Extreme. Und dabei muss man immer den Umgang mit den Investitionsmerkmalen 81 der Irreversibilität und der Handlungsflexibilität mitbedenken.82 Die endgültige Form der Internationalisierung trägt also auch bestimmte Irrtums-Kosten 83 mit. Meistens wird, wenn sie gelungen ist, über Irrtümer keine Auskunft erteilt. Dann wird sie geradlinig dargestellt, »poliert« – die Probleme werden verschwiegen und die Investitionserfahrungen vereinfacht dargestellt. Über die wirklichen Erfahrungen zu berichten und offen zuzugeben, dass man nicht alles von vornherein geplant und festgelegt hat, würde Sinn machen, wie folgende Aussage zu verstehen ist: »Wenn man eine […] Präsentation machen würde, könnte man sagen, wir haben strategisch geplant, das ist ein wichtiger Markt. Das ist es aber nicht.« 84 Gesellschaft
Jeder Markt, jeder Standort ist Teil eines größeren (politischen) Systems, einer Stadt, einer Region, eines Staates und allenfalls auch einer supranationalen Organisation, wie die eu eine ist. Diese Systeme sind zwar von einem einzelnen kmu nicht veränderbar, es wird aber nicht nur in Bezug auf das eigene Geschäftsmodell immer auf das politisch gesellschaftliche Umfeld eingegangen.85 Es interessiert also und es sollte für ein kmu auch so sein, dass man weiß, wie das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in dem Staat oder der Region organisiert ist, wohin man seine wirtschaftlichen Aktivitäten erweitern will. Und an den Unterschieden in den anderen Umwelten im Vergleich zur gewohnten kann man auch Anpassungen des eigenen Geschäfts orten. Zum Beispiel, dass man in Ländern, die hohe Wachstumsraten aufweisen, bei Wirtschaftsaktivitäten nicht unbedingt jenes Gesellschaftssystem vorfindet, wie es sich in den alten Industriestaaten über lange Zeit entwickelt hat. Der verbindende Mittelstand 86 existiert zum Beispiel nicht, weder als Unternehmensform noch als Bevölkerungsschicht bei den Arbeitnehmern. Das führt dazu, dass »eben diese Zwei-KlassenGesellschaft existiert. Gerade in Indien ist das ganz schlimm, die Mittelschicht 81 82 83 84 85 86
Vgl. Interview st Interview, S. 178 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Annäherung an einen Investitionsbegriff«Vgl. Interview st v, S. 187 Interview vii, S. 78 Vgl. Interview iii, S. 37 u. 38, Interview vii, S. 86, Interview xii, S. 138 u.v.m Vgl. Interview iii, S. 40, Interview vii, S. 87
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entwickelt sich ja jetzt gerade ein bisschen. [Einerseits] Hochschulabsolventen, sehr intelligente Leute, sehr viele und [andererseits] die wirklich Unqualifizierten mit sehr wenig schulischem Hintergrund.« 87 Damit sind ZusammenarbeitsModelle, die in einer Mittelstandskultur und in einer Unternehmenskultur von Familienbetrieben funktionieren, vor Ort nicht umsetzbar. Es wird in diesen Staaten vieles zugunsten von Kurzfristigkeit getan und steht damit einer langfristigen Entwicklung im Wege.88 Das ist auch beim Arbeitnehmerverhalten erkennbar. Es ist dort noch nicht lange möglich, Arbeitseinkommen zu generieren, daher wechseln die Mitarbeiter bereits bei minimalen Lohnunterschieden zu einer anderen Firma, wodurch es zu einer hohen Fluktuation 89 kommt. Das hat mit der Erfahrung der in den Fabriken Arbeitenden 90 zu tun und somit wahrscheinlich auch damit, dass Loyalität für sie keinen Erfolg nach sich zieht, weil Karrieren woanders entschieden werden. Um hier Kontinuität zu erreichen, müssen Organisationsentwicklungen daher die Themen Entlohnung und Karriere offen ansprechen. Es gibt auf die Fluktuation aber auch viel brutalere Reaktionen, indem man Fabriken und Wohnanlagen für die Arbeitenden an entlegenen Orten errichtet – mit wenig Erfolg.91 Dass nicht nur die Wirtschaftsdynamik, sondern auch die politische Dynamik zu beurteilen ist, möchte ich an einem schönen Beispiel aus der Vergangenheit, im Zusammenhang mit dem Fall des Eisernen Vorhanges, erklären. Die Prognose, was bei der Öffnung von Grenzen passieren wird, ist mir an diesem Beispiel wichtig. Einerseits ergeben sich Chancen für den Tourismus, andererseits gleichzeitig Risken aufgrund abnehmender Sicherheit. Sorgenvoll schreibt der Autor: »[…] die Innenstadt wimmelt von Russen. Seitdem sie reisen dürfen, stolpert man in ganz Westeuropa über russische Touristen. Ein Sicherheitsproblem ersten Ranges.« 92 Diese Hellseherei von Hans Magnus Enzensberger, der vor dem Fall des Eisernen Vorhanges ein heute aktuelles Thema angesprochen hat, mutet als zu viel verlangt für eine Standortentscheidung 93 an. Es kommt aber sehr darauf an, welche politischen Tendenzen sich für die regionale oder nationale Wirtschaft 87 88 89 90 91 92
Interview iii, S. 40, und vgl. Interview viii, S. 93 u. 97, Interview stmk i, S. 152 Vgl. Interview stmk i, S. 151 Vgl. Interview iii, S. 29 Interview iii, S. 37 Vgl. Interview iii, S. 34 H. M. Enzensberger, Ach Europa! Wahrnehmungen aus sieben Ländern. Mit einem Epilog aus dem Jahr 2006, Frankfurt/Main 2007, S. 455 (verfasst 1987!) 93 Vgl. Interview iii, S. 37f, Interview vii, S. 78, Interview x, S. 119 94 Vgl. Interview iii, S. 37 u. 38, Vgl. Interview vii, S. 78
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am neuen Unternehmensstandort abzeichnen.94 Meiner Ansicht nach gehören politische Risken zu den größten Investitionsrisiken, und das trotz der Gesetzmäßigkeiten und Logiken, nach denen die internationale Ökonomie funktioniert. Informationen über politische Risken können bei der Österreichischen Kontrollbank 95 eingeholt werden, dort kann man sich auch in Bezug auf die wirtschaftlichen Folgen politischer Risken 96 im Zusammenhang mit dem Investitionsvorhaben versichern lassen. Diese Rahmenbedingung ist ebenso wie die Information und die Unterstützung durch die Handelsdelegierten ein wichtiger Faktor für kmu, sie zu nützen gilt für alle Entscheidungsträger und ihre Geschäftsmodelle. Und es ist auf die veränderten (Finanzmarkt-)Bedingungen der Wirtschaft zu achten. Denn etwas hat sich entschieden verändert. »Überleben« ist kein Erfolgsmodell in der heutigen Wirtschaft, sondern es geht darum, den größtmöglichen Erfolg einzufahren, somit steigt auch die Sorge vor dem Scheitern und dem Verlust der Selbstständigkeit durch eine Übernahme.97 Nicht ein stabiles Geschäftsmodell findet Beachtung und Bewunderung, sondern ein solches, das eher einer Spielernatur, nach dem Motto »no risk, no fun«,98 als einer Unternehmernatur entspricht. Diese unterschiedlichen Logiken, einerseits die renditewütige Finanzmarktlogik und andererseits der Wunsch nach unternehmerischer Unabhängigkeit, müssen also im Geschäftsmodell untergebracht werden. Wie kann also große Unsicherheit in Bezug auf andere Gesellschaften und Staaten und enormer Renditedruck auf der einen Seite mit Unabhängigkeit auf der anderen Seite zu Internationalisierungsprojekten führen? Vielleicht ist eine Verantwortungsentlastung nur darin zu suchen, sich zuerst zu informieren und dann doch auf höchst persönliche Grundeinschätzungen zurückzugreifen, wenn der Themenkomplex Gesellschaft, Arbeitswelt und Unternehmensumwelt beurteilt werden soll. Und damit die eigenen mitschwingenden Emotionen und Gefühle 99 zu bedienen. Diese reagieren ja vor allem auf die vom Unternehmen nicht beeinflussbaren Parameter. Sehen wir uns die Hypothese an, dass ein einzelnes kmu im Unterschied zur Gesamtwirtschaft wenig Einfluss auf die Gesellschaft und umgekehrt die Gesellschaft nur wenig Einfluss auf das kmu hat. Die wechselseitigen Einflussmöglichkeiten sind durch die Systemgrenzen eines Unternehmens bestimmt. Und innerhalb dieser Systemabgrenzung gibt es eigentlich nur die bekannten wechselseitigen Verflechtungen, nämlich die als Arbeitgeber, Lieferant, Kreditnehmer, 95 96 97 98 99
http://www.oekb.at (25. 7. 2008) Vgl. Interview iii, S. 33, Interview st Interview, S. 178 Vgl. Interview st vi, S. 198 Vgl. Interview iii, S. 33 Vgl. Interview stmk iii, S. 163
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Steuerzahler und Kunde. Auf einen einzelnen Betrieb bezogen existieren zwei sich gegenseitig beobachtende Systeme weitgehend nebeneinander. Dem entspricht auch die These Karl Polanys, dass »das Europa des 19. Jahrhunderts die ›Herauslösung‹ der Wirtschaft aus der Gesellschaftsstruktur« brachte und dies »befreite die wirtschaftlichen Motivationen von der gesellschaftlichen Kontrolle und setzte eine Entwicklung in Gang, durch die wirtschaftliche Überlegungen die Vorherrschaft über die Gesellschaft erlangten«.100 Einige weitere Aussagen Karl Polanys stimmen heute nicht mehr, obwohl die oben zitierte These heute mehr denn je Gültigkeit hat. Es ist insbesondere die Etablierung eines Systems sich entwickelnder Märkte, und zwar weitgehend unabhängig von der Politik. Er kommt zur Schlussfolgerung, dass »außerhalb der Vereinigten Staaten […] es den liberalen Kapitalismus kaum mehr [gibt]. Wir stehen erneut vor der Frage, wie man das menschliche Leben in einer Maschinengesellschaft organisieren soll.« 101 Heute kommt dazu, dass uns Antworten, die zur Dominanz des Finanzkapitalismus gegeben werden können, fehlen. »Im Grunde ist die ManagementWelt und die Konzern-Welt kapitalmarktgetrieben.« 102 Also mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Feststellungen Karl Polanys haben wir es mit einem universellen und nicht nur in den usa sehr erfolgreichen Modell des Kapitalismus zu tun. Aufgrund dieser Fakten ist es mein Anliegen, innerhalb des Systems nach Antworten für die Internationalisierung von kmu zu suchen. Die Voraussetzungen, chancenreiche Antworten zu finden, sind nicht so schlecht. Denn es gibt in vielen Staaten der Welt eine positive Einstellung, was die Gründung und Ansiedlung neuer Unternehmen betrifft.103 Insbesondere hinsichtlich neuer Arbeitsplätze und technologischer Neuerungen – beides erhofft man sich – sollen sie sich positiv auf das Wirtschafts- und Sozialsystem auswirken. Regionale Politiker wissen aber auch um den Wettbewerb und die hohen Anforderungen, »das heißt, es gibt einen extremen Wettbewerb und ein extremes G’riss um derartige Firmen […] jeder strengt sich auf seine Art und Weise einfach an. Da ist sehr viel Handgestricktes dabei, es gibt da sehr individuelle Zugänge, […] jeder versucht da eben sein Bestes zu geben.« 104 Das bedeutet also, dass die Einschätzung der Ist-Situation und die möglichen Veränderungen von Politik, Rechtssystem und jene in Bezug auf die Sicherheit des Individuums als Voraussetzungen für einen möglichen Standort vor den ökonomischen, steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Analysen erfolgen sollen. 100 101 102 103 104
K. Polany, Ökonomie und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1979, S. 2 Ebd., S. 129 Vgl. Interview xi, S. 140 Vgl. Interview bg i, S. 240, Interview bg ii, S. 255 Interview bg ii, S. 255
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Gibt es somit gar keinen Einfluss auf die das kmu umgebenden Sphären beziehungsweise auf sein Umfeld? Durch eine spezielle Unterschiedsetzung möchte ich auf ein paar Möglichkeiten für kmu, Einfluss auszuüben, aufmerksam machen.105 Sich für einen Standort mit wirtschaftlicher Dynamik, wie es Michael Porter postuliert, zu entscheiden heißt, sich einem hohen Wettbewerb zu stellen, und das ohne standortbezogenen Startvorsprung.106 Das wird nur dann passen, wenn das eigene Geschäft große Vorteile gegenüber den dort ansässigen Unternehmen aufweist und wenn der Stammsitz von verschiedenen, nicht nur monetären Rückflüssen profitiert. Beispielsweise jene im Bereich der Technologie und der Bildung. Sich andererseits für einen wenig dynamischen Standort zu entscheiden heißt, auf wenig Wirtschaftsverständnis (Handwerk, Produktion, Technologie, Tourismus) 107 zu treffen. Gibt es in der dynamischen Situation wenig Einflussmöglichkeiten, muss in einer schwach entwickelten Region Technologie-, Wirtschafts- und Unternehmenskultur erst aufgebaut werden – eigentlich eine Aufgabe der Politik, die jedoch in der Praxis von den Unternehmen ausgeht. Beide Situationen haben Vor- und Nachteile. Nehmen wir als Beispiel eine ländliche Region. In einer regionalen Wirtschaft werden an einen wichtigen neuen Arbeitgeber hohe Erwartungen geknüpft – dieses neue Unternehmen erzeugt jedoch gleichzeitig Unsicherheit. Natürlich kommt es auf die (relative) Größe des neuen Arbeitgebers an. Ein großer Arbeitgeber, bezogen auf die Anzahl der Mitarbeiter, in einem kleinen regionalen Arbeitsmarkt verändert viel mehr in der Struktur dieses Arbeitsmarktes als derselbe Arbeitgeber in einem Ballungsgebiet oder einem großen Industriegebiet. Und das bedeutet plötzlich Einfluss, wo doch oben von Unbeeinflussbarkeit die Rede war. Das kmu wird also zum politischen »Player«.108 »Die […] zeigen ja vor, wie das geht, also die stellen sich extrem rasch auf eine Regierung ein. Denen ist es egal, ob jetzt gerade ein roter Bundeskanzler ist, und das ist es auch auf unserem Level [Anm. Autor: der Stadt] eigentlich. Die haben ein Interesse, die wollen erfolgreich sein, die wollen Geschäft machen.« 109 Unternehmer und Unternehmerinnen übernehmen also wirtschaftspolitische Aufgaben. Sie können regionalwirtschaftliche und -politische Entscheidungen beeinflussen.110 Doch gleichzeitig sind sie von den regionalen Stakeholdern abhängig. Und in einem erfolgreichen Unternehmen sind auch die Mitarbeiter ein Multiplikator der Meinungen der Entscheidungsträger. Sind 105 106 107 108 109 110
Vgl. Interview st i, S. 148f Vgl. Interview i, S. 6 Vgl. Interview Interview, S. 47, Interview vi, S. 66 Interview st i, S. 153, Interview bg ii, S. 264 Interview bg ii, S. 265 Vgl. Interview st i, S. 142ff
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Standortentscheidungen schon unter diesen Aspekten betrachtet worden? Der Unterschied zwischen neuen und alteingesessenen mittleren oder großen Unternehmen ist nicht groß. Und wie ist es mit Förderungen? Wer genügend neue Arbeitsplätze schafft, kann mit Investitionsbeihilfen rechnen.111 Und auf etwas ist noch hinzuweisen, obwohl eine solche Situation keinem Unternehmen zu wünschen ist: Bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der Gefahr, als bedeutender Arbeitgeber einer Region auszufallen, kann es auch öffentliche Unterstützungen (Kurzarbeit, finanzielle Beihilfen usw.) geben, wenn das Unternehmen Aussicht auf Widererlangung der (Re-)Investitionsfähigkeit vorweisen kann.112 Dies sind nur ein paar Anregungen für zu beachtende und beachtliche Einflussmöglichkeiten auf eine regionale Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftskultur. Durch Gegenüberstellung von Weltwirtschaft und regionaler Wirtschaft ist also gut zu erkennen, dass eine ganzheitlich betrachtete Standortentscheidung – eine, die über die üblichen Standortfaktoren, wie sie in den empirischen Untersuchungen aufgelistet sind, hinausgeht – große Vorteile bringen kann. Die standortbezogenen Steuern sind in meinen Interviews kein einziges Mal angesprochen worden. Deshalb hier nur ein paar Hinweise zum Steuerthema: Hochentwickelte Standorte sind in der Regel auch Staaten mit hohen Steuersätzen. Man kann aus der Höhe der Steuern und Gebühren und insbesondere anhand deren Verwendung Standortpolitik einschätzen. Man sollte nicht nur auf geringe Steuern setzen. Mit dem Zulassen des Standortwettbewerbs über niedrige Steuern hat sich meiner Ansicht nach die eu keinen guten Dienst erwiesen. Entstehende Mankos in den Bereichen Umwelt, Ausbildung und Infrastruktur ziehen notwendigerweise Standortverschlechterungen nach sich. Irgendwann müssen diese durch Steuererhöhungen oder Quersubventionierungen repariert werden. Damit hat eine Standortentscheidung nur aufgrund niedriger Steuern meiner Ansicht nach mindestens drei Nachteile: Spitzenarbeitskräfte meiden den Standort, weil Bildungseinrichtungen und Infrastruktur nicht adäquat ausgebaut sind, das Image des Unternehmens leidet mit und es werden doch irgendwann die Steuern erhöht. Und niedrige Steuern sind oft auch dort zu finden, wo auf den sorgsamen Umgang mit der Umwelt kein großer Wert gelegt wird. Das ist aber ein wichtiger Differenzierungsaspekt bei Standortentscheidungen. Der Umgang mit der Natur weist auf den Entwicklungsstand einer Region hin.
111 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Förderungen für kmu«. 112 Vgl. Broschüre der ksg – Kärntner Sanierungsgesellschaft, Klagenfurt 2006, S. 6, (21. 8. 2008)
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Ein paar Gedanken zur Natur
Die Zunahme der Bedeutung der Naturwissenschaften markiert zusammen mit der Geldwirtschaft den Ausgang des kapitalistischen Erfolgsmodells. Selbst wenn man nur die letzten 1.000 Jahre Revue passieren lässt, gab es in Bezug auf neue Produkte die ersten 800 Jahre lang wenig davon. Doch die Vielfalt der Möglichkeiten, Neues hervorzubringen, hat uns von der Natur einseitig abhängig 113 gemacht und Natur verbraucht. Die Schäden sind teilweise unbewusst und teilweise aus Neugier entstanden. Neugier ist jedoch das Verlangen nach Wissen um nicht nur eine Lösung, sondern auch um seine Umsetzung. Und damit beginnt das, was wir einen Transformationsprozess nennen. Aus der Natur wird Material entnommen und mit Wissen in Produkte verwandelt. Wenn mehr Produkte nachgefragt werden, als man für sich selbst braucht, und wir der Nachfrage nachkommen und die Produkte verkaufen, agieren wir nach dem Modell der Arbeitsteiligkeit des modernen Wirtschaftens und des Wirtschaftswachstums. Das ist unternehmerisches Handeln. Es ist neben der Einhaltung der Gesetze ausschließlich an Managemententscheidungen gebunden. Wenn nun (freiwillige) Management- oder Eigentümerentscheidungen Entnahmen aus der Natur (also Umweltkosten sowohl die Produktion als auch den Umweltverbrauch betreffend) mitberücksichtigen, schränkt dies naturgemäß die Anzahl der Investitionsstandorte ein. Früher waren Naturvorkommen entscheidend für die Wahl eines Standortes. Der Aufschlag der Transportkosten auf die Materialkosten verbraucht die Deckungsbeiträge ab einer gewissen Distanz. Fabriken wie solche der Baustoffindustrie müssen im Rahmen ihrer Standortentscheidung heute noch Rohstoff-, Personal- und Betriebskosten mit der Größe des Marktes vergleichen. Vom Management entschiedene Kompromisse stehen dann vielleicht in Widerspruch zu den vom Unternehmen proklamierten Umweltstandards. Und das auch, weil die Natur-Anteile in unseren Produkten nicht mehr leicht nachvollziehbar sind oder bewusst verschleiert werden. Während also die einen vom Wissen reden, das den kalkulierten Aufschlag auf die Materialkosten auslöst, reden andere von Naturverbrauch. Wie viel Natur ist denn zum Beispiel in einem touristischen Produkt, wenn man Folgendes hört? »Na ja, als Unternehmer versuche ich natürlich die Wertschöpfung, die mir die ländliche Gegend, die Natur, gibt, zu nutzen, ohne mich von der Grundthematik der Natur abhängig zu machen. Wir gehen zum Tauchen, wir machen einen Triathlon, wir binden eigentlich immer die Natur ein Stück mit ein. Unlängst hatten wir eine Kanutour geplant. Dann sind wir in die Turnhalle der Volksschule zum Klettern gegangen, weil es geregnet hat. Ich kann 113 Vgl. Interview vi, S. 67
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auch nichts dafür, dass es regnet, aber ich kann mich sofort bemühen, ein anderes Programm zu haben. Es kommt keine Langeweile auf. Demzufolge versuchen wir die Natur stark einzubinden, aber immer mit einem hohen Maß an Flexibilität. Wir hängen die Natur auch nicht als Aushängeschild raus.« 114 Bis heute gibt es keine Natursteuer. Mit einer der wenigen mir bekannten Ausnahmen hat man sich jedoch dem Problem einen Schritt genähert. Der Lösungsansatz basiert auf neoklassischen Annahmen und ist damit vermeintlich einfach, nämlich dass sämtliche Kosten des Verbrauches und der Belastung der Natur in die Preise einzukalkulieren sind. Nach diesem Modell wurde ein eigener Markt (ohne die usa und China) generiert, der Handel mit Schadstoffen. Einerseits wurde den Unternehmen Schadstoffreduktion gemäß dem Stand der Technik vorgeschrieben und damit haben die Kosten des Umweltverbrauchs über die Investitionen beziehungsweise die Abschreibungen in die Produktionskosten Eingang gefunden. Andererseits können als Alternative zur Umweltinvestition auch Emissionsrechte gekauft werden. Der Kauf der Zertifikate legalisiert somit den erhöhten Schadstoffausstoß und stellt eine rechnerische Entscheidungsalternative zur Umweltinvestition dar. Dazu gibt es noch Auflagen, was mit dem Geld, welches die Staaten auf diese Art und Weise einnehmen, zu tun ist. Das ist eines der wenigen Beispiele, wo ein theoretischer Ansatz in Bezug auf Umweltthemen praktisch umgesetzt wurde. Und es wird bereits darüber diskutiert, dass für CO2 in Zukunft ein Preis festgesetzt werden muss. Es gibt inzwischen weitere marktähnliche Naturverbrauchseinschränkungen. Betrachten wir die Situation bei großen beziehungsweise börsenotierten Unternehmen.115 In diesen findet, weil die Behörden dies nicht kontrollieren (können oder wollen), zusätzlich zur behördlichen eine nichtbehördliche öffentliche Überwachung statt, die Einfluss auf Managemententscheidungen hat. Die großen und börsenotierten Unternehmen unterliegen, was ihren Umgang mit der Umwelt an ihren Standorten betrifft, der Beobachtung von Organisationen wie Greenpeace und Ähnlichen, und die Aktivitäten dieser Organisationen werden wiederum von den Analysten beobachtet, was bei Umweltproblemen Auswirkungen auf den Börsenkurs hat. Hier obliegt meiner Ansicht nach den kmu mehr Selbstverantwortung. Wenn nicht Eigentümer und Management klare Standards vorgeben, kann geschwindelt werden – die Behörden sind nicht mehr in der Lage, über finanzielle Anreize und Ankündigungen von gesetzlichen Verschärfungen die Situation zeitgerecht zu beeinflussen. Wie viel Einfluss hat also die Umweltthematik heute auf Standortentscheidungen? Da gibt es kaum einen 114 Interview vi, S. 71 115 Vgl. Interview st vii, S. 211
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Unterschied, ob es sich um große Unternehmen handelt oder um kmu, die selbst eine Unternehmenskultur in Bezug auf Umweltqualität haben. Es ist dies die intakte Natur als Standortqualität für das Management und ihre Mitentscheidenden, ihre Familien. Auch Kulturlandschaft – eine Dialektik von Natur und Mensch – ist für Standortentscheidungen immer bedeutender. Europäische weltweit tätige Unternehmen werden sich in Zukunft noch viel mehr mit Antworten für Lösungen, die Natur und Technologie in Einklang bringen, auseinandersetzen müssen, wollen sie wirtschaftlich erfolgreich sein. Von Nachhaltigkeit ist allerorts die Rede. Denn Technologiefeindlichkeit und ökodiktatorische Gesellschaftsmodelle weisen nicht auf das hin, was unter Technologie verstanden werden will – sie ist für ein besseres Leben da. Technologie
Eine Definition von Globalisierung meint, dass »im materiellen Bereich die Globalisierung die Vernichtung der Entfernung, im immateriellen Bereich Vernichtung der Entfremdung ist«.116 Begonnen hat die Verkürzung der Entfernung bereits mit dem Eisenbahnzeitalter, nämlich damit, »dass die Veränderung der räumlichen Verhältnisse nicht ein einfacher Vorgang der Raumverkleinerung ist, sondern ein doppelter der Raumverkleinerung und der Raumerweiterung. Die Dialektik des Vorgangs ist, dass die Verkleinerung, das heißt die zeitliche Verkürzung des Transports, die Erweiterung des Verkehrsraums bewirkt. Die Zusammenziehung der Nation zur Metropolis […] erscheint umgekehrt als Erweiterung der Metropolis.« 117 Wie schafft es ein kmu, seine Standort- und Investitionsentscheidungen in Bezug auf eine unbestimmte Zukunft aufzubauen? Nur wenn es dort seine Zelte aufschlägt, wo alles, was es so benötigt, vorhanden ist – das sind die kaum leistbaren Ballungsräume. Dort gibt es Kunden, Finanzierung, Technologie und auch gut ausgebildete junge Arbeitskräfte. Gibt es dazu Alternativen? In meinen Interviews war es für die Unternehmen sehr klar, wohin die Reise gehen kann. Im Anlagenbau »sind das immer die Investitionstreiber, [es] ist ein neues Produkt, eine neue Technologie, dann braucht jeder diese Technologie oder Kapazitäten«.118 Demgegenüber gibt es in der Technologiepolitik kaum differenzierte Konzepte und daher kaum differenzierbare Beurteilungen, wo die besten Bedin116 H. Sabet, Globale Maßlosigkeit, der (un)aufhaltbare Zusammenbruch des weltweiten Mittelstandes, Düsseldorf 2005, S. 22 117 W. Schievelbusch, Geschichte der Eisenbahnreise, Frankfurt/Main 2004, S. 37 118 Vgl. Interview st vi, S. 188
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gungen für spezifische Entwicklungen aufgebaut werden. Und ausschließlich unternehmensgetriebene Technologieschwerpunkte stellen, wenn sie zu großen Einfluss auf die Technologiepolitik haben, zu sehr auf gegenwärtige Problemlösungen ab. Das gilt auch für die Bildungspolitik. Wo ist also der Nutzen für kmu, wenn man sich als x-tes Unternehmen auf einem heute hochentwickelten Standort ansiedelt? Und in den Standortanalysen werden meist nur die existierenden Standortfaktoren angeführt. Alles bleibt also sehr allgemein. Es gilt immer wieder jene Faktoren aufzuzählen, die auf den diversen Technologiestandorten vorzufinden sind: Marktzugänge, qualifizierte Arbeitskräfte und über Universitäten Zugang zu Technologien. Kein Informationsgewinn für die Internationalisierung. Und die fehlenden Standortfaktoren werden als wenig bedeutend genannt.119 Es sind dies Förderungen und Finanzierungen. Ebenso die unbeeinflussbaren wie Handelshemmnisse, Energiekosten, Lohnkosten und Zugang zu Rohstoffen. Sich die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen anzusehen, ist wichtig. Die Standortfaktorenrecherche kann man sich sparen. Die folgenden Überlegungen verstärken noch die Argumente, warum die Studien zu Standortentscheidungen in Bezug auf Technologie so wenig Informationswert für die Entscheider haben: »Entrepreneuership in Developing Countries« 120 – Richard Locke spricht in seinem Vortrag von einer ziemlich »konventionellen Weisheit«, wenn von Voraussetzungen für die Entwicklung von Technologieregionen die Rede ist. Durch Gründungen, Spin-offs von großen Unternehmen, Universitäten und durch Ansiedlungen entsteht unternehmerische Dynamik. Was war die Basis dafür? Die Rechtsstaatlichkeit und ein gut entwickelter Kapitalmarkt, der folgende Elementen aufweist: Venture Capital und Business Angels, also ein lebendiger Markt, um mit Unternehmensanteilen oder dem Kauf und Verkauf von Unternehmen und Unternehmensanteilen Geschäfte machen zu können. Weiters ein flexibler Arbeitsmarkt mit Jobhoppern und wohl auch flexiblen Löhnen und Arbeitszeiten, ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte, Source-Organisationen wie Universitäten, große Unternehmen, Regierungsprogramme für Gründungen und Ansiedlungen. Meiner Ansicht nach muss diesem Modell auch eine Kultur des Scheiterns innewohnen. Es wird auf der Erfolgsseite mit hohen Renditen gerechnet, die sämtliche Misserfolge kompensieren müssen. Mit dem Scheitern als Unterneh119 Vgl. H.-D. Haas, H.-M. Zademach, Materialien und Forschungsberichte aus dem Institut für Wirtschaftsgeografie der Universität München, Heft 18, Entwicklungsprozesse und unternehmerische Entscheidungsdeterminanten in Technologieregionen, Selbstverlag, 2003, S. 40f, http://www.wigeo.bwl.uni-muenchen.de/forschung/schriftenreihen/wru.asp (25. 7. 2007) 120 R. Locke, mit, Leadership, Management and Innovation (Seminarunterlage), 9. 5. 2002
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mer oder Business Angel wird jedoch ein Know-how-Zuwachs verbunden. Diese gängigste Weisheit über die oben beschriebenen Standortfaktoren ist aber lediglich eine stilisierte Beschreibung des us-amerikanischen Wirtschaftsmodells, und zwar insbesondere jenes von etablierten Technologieregionen wie Boston, Silicon Valley, North und South Carolina. Dynamische Wirtschaftsräume gibt es jedoch auf der ganzen Welt, wie zum Beispiel Bangalore in Indien, Shanghai in China, Rio in Brasilien usw. In diesen Regionen fehlen wesentliche von den zuvor beschriebenen Elementen. Bestenfalls kann man noch von rechtlicher und politischer Stabilität sprechen, jedoch auch da gibt es Unsicherheiten. Alles andere fehlt. Es ist ein guter Rat, bei Internationalisierungsentscheidungen von kmu ein Projekt aufzusetzen.121 So auch beim Technologietransfer. Als Vorstufe zu größeren Investitionen nähert man sich über grenzüberschreitende TechnologieKooperationen dem Standort an, denn entscheidend in Bezug auf Technologiezuwachs im kmu ist es, dort zusammenzuarbeiten, wo Technologiezugänge in Zukunft bereitgestellt werden, in den heutigen Spitzenregionen ist man meiner Ansicht nach zu spät dran. Technologiekooperationen brauchen eigenes Knowhow.122 Denn mit den oben erwähnten Mobilitäten, die bereits bei kleinen Einkommensunterschieden zu Firmenwechsel führen, sind Entwicklungsprojekte noch schwieriger umzusetzen, als eine Produktion aufzubauen: Niemand fühlt sich verpflichtet, ein Projekt zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Auch Teamarbeit und Diskussionskultur einzurichten, gestaltet sich schwierig. Und eines der größten und in den Interviews am häufigsten genannten Hindernisse ist die Sprache.123 Stellt schon Sprache ganz allgemein eine Beschränkung der Möglichkeit dar, im Zusammenhang mit Produktentwicklungen Wissen zu vermitteln, so gestaltet sich gemeinsames Arbeiten wesentlich schwieriger, wenn die Teammitglieder unterschiedliche Sprachen sprechen. In vielen Technologiekooperationen ist Englisch die einzige Sprache. Die Missverständnisse in der sprachlichen Beschreibung von Tätigkeiten können so groß sein, dass dies die einzige Ursache ist, warum ein Projekt scheitert. Technologischer Fortschritt ist also immer mit dem Streben nach Verbesserung der Lebensumstände des Menschen in Zusammenhang gebracht worden. Aus diesem Streben wurden und werden immer neue Produkte entwickelt. Das 121 Vgl. Interview xi, S. 124 122 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Kooperationen und Eigentum (Konkurrenz)«. 123 Vgl. Interview viii, S. 91: »Die Sprache, die Schrift ist sowieso eine Katastrophe. Es ist doch ein anderer Kulturkreis«, Interview xi, S. 130: »Nur mit ein bisschen Englisch […], damit gewinnt man keine Herzen«
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ist die Ursache für den heutigen Wohlstand. Denn seit der industriellen Revolution ist der bis auf Kriegs- und Krisenzeiten steigende Wohlstand die machtvolle Kennziffer für den Fortschritt.124 Es steckt auch ein immanenter Antrieb im industriellen Modell. Statische Vermögenswerte, Gebäude und Maschinen werden durch Nutzung kaum weniger wert. Sie veralten durch immer neue immaterielle Vermögenswerte,125 wie sie beispielsweise in Form von Patenten oder in Form von Umsetzungs- und Entwicklungs-Know-how vorhanden sind. Diese tragen zum Wertverlust der realen Vermögenswerte bei. Mit dem Begriff des technischen Fortschritts wird also der Alterungsprozess existierender Güter erklärt. Für sich selbst genommen sind die immateriellen Güter, wenn man das naturwissenschaftliche Paradigma anwendet, natürlich nichts wert. Nur ihre wirtschaftlich erfolgreiche Nutzung, die Ausbeutung des ihnen innewohnenden Wissens, schafft Werte, und diese sind immer verknüpft mit einem realen Produkt. Mit der Entwicklung eines neuen Produktes verliert das Alte und technisch Überholte an Wert, obwohl es meistens noch technisch funktioniert. Die immateriellen Güter wirken somit auf materielle, sie ergänzen oder ersetzen sie. Sie wirken auch auf die immateriellen Güter selbst, wenn beispielsweise alte Patente durch neue ersetzt werden. Immaterielle Güter sind also wesentlich wirkungsmächtiger als die realen Güter. Das Wissen um die Herstellung eines stark nachgefragten Gutes ist demnach viel mehr wert als das Gut selbst. Wo steckt dieses Wissen? Nur ein Teil davon ist dokumentiert. Patente beschreiben nur den Zustand eines Produktes oder den Idealzustand eines Verfahrens. Das Patent repräsentiert also den dokumentierbaren Teil. Es ist der Versuch einer Erklärung für die Verbindung zwischen immateriell und materiell. Was fehlt? Das undokumentierte 126 im Unternehmen vorhandene Wissen, die Fähigkeiten, die Fertigkeiten, alles was zwischen dem materiellen Vorzustand und dem fertigen Produkt liegt, ist meistens nur im praktischen Tun wirklich nachvollziehbar. Dieses Wissen ist zwar (auf der Passivseite der Bilanz) finanziert, spiegelt sich jedoch auf der Aktivseite nicht wider, ist also, solange es noch nicht verkaufbar ist, nur einseitig abgebildet. Es ist individuelles und kollektives Wissen. Und es ist nicht nur im Unternehmen, sondern auch in den Beziehungen der Mitglieder eines Unternehmens zu anderen Menschen und zu anderen Organisationen.
124 Siehe dazu eine andere Größe: die Grafik in den Ausführungen im Essay »Wachstum und Wirtschaftspolitik«. 125 Vgl. Interview iii, S. 26, Interview ix, S. 104 126 Vgl. Interview ix, S. 104
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Ein wichtiger Teil dieses Wissens ist das meistens auch nicht dokumentierte Branchenwissen.127 Dieses kann dazu verwendet werden, zu beurteilen, ob die eigene Branche regional, national oder global ist. Mit welchen Schlussfolgerungen? Ist die eigene Branche eine globale, dann ist das Internationalisierungspotenzial hoch, das gilt auch für die Konkurrenten. In globalen Branchen dominiert in Bezug auf die Wertschöpfung Immaterialität, also verbrieftes (Patente, Lizenzen, Franchiseverträge usw.) und nicht verbrieftes Wissen, mit den oben angeführten Problemen bei Forschung und Technologie. Konkurrenz und Immaterialität spornen also zur Internationalisierung an. Fördernd für die Internationalisierung wirkt auch, dass die Transportkosten, wie bereits erwähnt, nicht ins Gewicht fallen und sich dadurch einerseits für alle die Auswahlmöglichkeiten für neue Standorte erhöhen, andererseits kommt es gerade wegen der günstigen Transportkosten vor, dass dadurch Direktinvestitionen in bestimmten Branchen auch gebremst werden.128 Auch hier haben wir es also mit dem in den Eingangsstatements formulierten doppelten Phänomen der Raumerweiterung und der Raumverkleinerung zu tun. Doch es ergeben sich weitere Fragen. Jörg Freiling weist darauf hin, dass die Leistungstypologie von Produkten und Dienstleistungen nicht nur in Bezug auf die Immaterialität zunimmt, sondern auch in Bezug auf die Integrativität.129 Dies gilt vor allem für hochentwickelte Branchen wie Pharma und Automobil, die Strategie hinter integrativen Produkten verbindet man mit dem Begriff Systemlieferant.130 Standortentscheidungen werden also in der Praxis vornehmlich auf Basis dieses im Unternehmen selbst aufgebauten technologischen Wissens getroffen, das gilt auch für Investitionsentscheidungen. Wenn man bedenkt, wie viel Erfahrung, Fähigkeiten und Fertigkeiten für bestimmte Problemlösungen erforderlich sind, kann man getrost formulieren, dass ein Zukauf dieses Wissens für eine Internationalisierung als Entscheidungsgrundlage völlig wertlos und zudem sehr riskant ist. Dazu kommt noch, dass Management über größere Distanzen, gepaart mit Fähigkeiten, das Unternehmen technologisch weiterzubringen, Entscheidungen voraussetzt, die nicht mehr allein kraft Funktion oder Hierarchie getroffen werden können. Man braucht dafür eine breitere Wissensbasis. Wenn man sie selbst nicht für die Internationalisierung abstellen kann, muss man auf Partner zugreifen, die auf ähnlichen Feldern Abstimmungsmöglichkeiten für Produkte ermöglichen. Daher ist »ein […] ganz wichtiger Themenblock […] gerade für kmus die 127 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«. 128 Vgl. Interview v, S. 63 129 J. Freiling, Vorlesungscharts: Mittelstand in internationalen Wertschöpfungsnetzen, ws 2001/2002 (Teillieferung 1), Universität Bremen 2002, S. 22 130 Vgl. Interview st i, S. 147, Interview st Interview, S. 175
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Internationalisierung über Kooperationen«.131 Kooperation ist also eine Möglichkeit, sich in Bezug auf Technologiethemen zu internationalisieren. Damit stellt sich jedoch sofort die Frage nach dem Vertrauen. »Das heißt, es ist eine Mischung zwischen dem, was eigentlich Lösung und Technik ist, und dem, wie man eigentlich miteinander umgeht.« 132 Doch auf die ökonomischen Grundsätze ist immer zu achten, sonst passiert Folgendes: »dann kommt eines Tages einer, und der sagt, […] die Aktie [ist] nicht mehr so viel wert oder geht kontinuierlich herunter. Irgendwann einmal erbarmt sich ein Internationaler und sagt, es ist doch eine gute Kerntechnologie, ich kaufe das auf, vielleicht können wir etwas daraus machen.« 133 Wirtschaft
Kernprozesse von produktionsorientierten Unternehmen finden heute beinahe ausschließlich im Bereich der Technologie und ihrer Kommerzialisierung statt. Das deckt sich auch mit den Aussagen eines Interviewpartners, wenn er meint: »Überall haben wir den Anspruch, dass wir über Technologie zur Marktführerschaft gelangen.« 134 Diese beiden Ansprüche zu verknüpfen ist also von existenzieller Bedeutung, wenn man unabhängig bleiben will, wie folgende Aussage bekräftigen soll: »Wir sind in all diesen Gebieten, wo wir tätig sind, weltweit entweder die Nummer eins oder zwei, […] entweder eins oder zwei. Wenn man das nicht schafft, ist es besser, aufzugeben, besser, es nicht zu machen. Und immer darauf achten, dass man nicht in Commodities verfällt, dass man also gar nicht bemerkt, dass man inzwischen eine Massenware wird, die man eigentlich nicht mehr mit den entsprechenden Margen verkaufen kann.« 135 Und wenn der Zyklus von der Entwicklung bis zur Kommerzialisierung nicht durchfinanziert ist, scheitert das Unternehmen oder es verliert zumindest seine Unabhängigkeit. Der Finanzsektor 136 verfolgt seine eigenen Investitions-, Internationalisierungs- und Wachstumsstrategien. Wie hängen Finanzsektor und realer Sektor zusammen beziehungsweise wie kann ein kmu die beiden Sphären in seinem Geschäftsmodell unterbringen? Denn das finanzielle Engagement für eine Investitionsentscheidung ist zwar für das real investierende Unternehmen selbst sehr bedeutend, aber in den Dimensionen des Finanzsektors betrachtet, ist es 131 132 133 134 135 136
Vgl. Interview viii, S. 79 Vgl. Interview viii, S. 93 Interview xi, S. 128 Vgl. Interview st v, S. 186 Vgl. Interview xi, S. 126 Siehe dazu meine Ausführungen »Investitionen in der realen Wirtschaft – eine eingrenzende Vorentscheidung«.
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sehr gering. Neben der Möglichkeit über die Gesellschaftsstruktur, die »natürlich gewisse Vorteile [hat], wenn man damit Finanzmittel generieren kann«,137 gibt es eine weitere Möglichkeit, Geld aus dem Finanzsektor zu generieren: eine klare Diversifikationsstrategie vorlegen. Damit schafft man bei den Financiers Vertrauen, indem man ihnen einen Umsetzungsweg erläutert, der es ihnen ermöglicht nachzuvollziehen, dass sie durch des Scheitern eines Projektes oder durch eine technologische Fehleinschätzung beziehungsweise durch einen konjunkturellen Einbruch in einer Branche nicht ihr ganzes Kapital verlieren. Für diese Strategie braucht man jedoch auf der Seite der Financiers eine Abstimmung in Bezug auf die Umsetzungszeiten der einzelnen Schritte. Heute ist die Dominanz des Finanzsektors unbestritten, er wirkt in den realen Sektor hinein. Manche Kritiker gehen sogar davon aus, dass die Finanzwirtschaft durch einen neuen teureren Finanzierungsmix den Mittelstand finanziell aushungert und so Unternehmen reif für die Übernahme macht. Zu dieser Hypothese von Hunschmand Sabet ist kurz auszuholen. Die europäische Wirtschaft ist seit dem Zweiten Weltkrieg überwiegend durch den Bankensektor und nicht durch Eigenkapital finanziert. Der Bankensektor ist durch seine überdimensionalen und unproduktiven Kostenstrukturen und sein geringes Eigenkapital selbst gezwungen, zu sparen oder nach neuen Geschäftsmöglichkeiten zu suchen. Eine der neuen Geschäftsmöglichkeiten ist, anstelle von Krediten Beteiligungen zu vergeben. Kredite werden also gegen verschiedenste Formen von Beteiligungskapital getauscht. Die Beteiligung – sie wird zum Unterschied von Krediten dem Risikokapital zugerechnet – muss natürliche höhere Renditen abwerfen. Damit verlagert sich ein wesentlicher Teil der erwirtschafteten Überschüsse vom produktiven Sektor zum Finanzsektor. Die Banken steuern nach Sabet dieses Vorgehen.138 Wie das funktioniert, wird im Folgenden verkürzt dargestellt: Die Kreditlinien werden knapp gehalten und Wachstum nur über teures Beteiligungskapital finanziert. Beteiligungsverträge sind dann meist so konzipiert, dass, wenn bestimmte Renditen, welche zweistellige Prozentsätze aufweisen müssen, nicht erreicht werden, immer größere Anteile des Unternehmens dem Beteiligungspartner, dem Investmentfonds, zuwachsen. Wenn dann die Mehrheit des Unternehmens den Eigentümer wechselt, was zwar vertraglich vereinbart ist, jedoch aus dem vorher geschilderten Ablauf doch in hohem Ausmaß unfreiwillig geschehen ist, wenn also die Mehrheit der Beteiligungsgesellschaft gehört, wird mittels Änderung in der Geschäftsführung eine Änderung der Geschäftspolitik herbeigeführt. Unter Androhung weiterer Verluste 137 Interview st i, 142 138 Vgl. H. Sabet, Globale Maßlosigkeit, S. 71ff
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entsteht Verkaufsdruck bezüglich der Anteile der Alteigentümer. Danach wird das Unternehmen in ein Finanzkonglomerat eingegliedert. Dies ist jedoch nur eine Übergangslösung zum Auffinden eines strategisch interessierten Investors. Wenn dieser Investor, meistens ein Industrieunternehmen, gefunden ist, wird das Unternehmen unter Beachtung von Synergien eingegliedert oder zerschlagen. Während dieser mehrmaligen Verkaufsprozesse werden sukzessive die stillen Reserven aufgelöst. Meistens geht das mit der Aktivierung des Wissens in Form von Firmenwerten einher, das dient dann zur Ausschüttung an die neuen Eigentümer. Wenn ein Unternehmen also wirtschaftlich selbstständig bleiben will, bedeutet dies, dass ein kmu sein eigenes Investmenthaus werden muss und nicht ein Investmenthaus unter den eben erläuterten Bedingungen als Shareholder hereinnehmen soll. Wachstum kann nur mit ausreichendem Eigenkapital oder mit limitiertem Risiko geplant und umgesetzt werden. Weil die operativen Überschüsse in den Kompetenzaufbau für die Internationalisierung investiert werden, ist von einer anderen Investitionsphilosophie auszugehen. Dazu braucht das Management Selbstbewusstsein, und es ist wichtig, die Außenorientierung vorzuleben. Damit entsteht jedoch Umsetzungsdruck, der auch risikobehaftet ist. Denn wenn dann kein Projekt umgesetzt und das akkumulierte Internationalisierungswissen in Bezug auf Gesellschaft, Natur, Technologie und Wirtschaft nicht ins Verdienen gebracht wird, kann es dazu führen, dass Mitarbeiter mangels Möglichkeiten, etwas zu tun, das Unternehmen verlassen. Sie können nur gehalten werden, wenn der Kompetenzaufbau in eine Internationalisierungsinvestition mündet. Damit entwickelt sich eine nicht immer beeinflussbare Eigendynamik. Die Entscheidung wurde also bereits mit dem Kompetenzaufbau getroffen. Und der Sachzwang – also kein Entrinnen aus dem eingeschlagenen Weg – wird immer wieder als Argument für Entscheidungen angeführt. Wie meistens dienen Modelle wie dieses nur als die Hilfe zur Selbsthilfe und die Anregungen sollen dazu dienen, in Themen hineinzuführen. Auch Johannes Rüegg-Sturm argumentiert, dass die Einteilung der (Umwelt-)Sphären einer Unternehmung in Gesellschaft, Natur, Technologie und Wirtschaft »lediglich analytische Strukturierungshilfen zur Identifikation erfolgskritischer Trends« 139 sind. Diese Identifikation soll – so die Absicht – bei den Entscheidungsträger(n) entstehen.
139 Rüegg-Sturm, St. Galler Managementmodell, S. 74
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Praxismodelle … oder die Unternehmer zu Wort kommen lassen »Wir sind natürlich jetzt sehr fokussiert auf unsere Unternehmung, und ich muss wirklich sagen, wir haben eine Unternehmensphilosophie, die in allem dem widerspricht, was andere tun. Das ist wirklich eine gewachsene Geschichte, schwer zu kommunizieren. Wir haben also doch unseren Steuerberater, der auch Universitätsdozent ist, das eine oder andere Mal mit unseren Ideen sehr überrascht, weil wir das Ganze von wirklich ganz anderen Gesichtspunkten betrachten und angehen.« 140 Wertschöpfungskette
Die Wertschöpfungskette wird als der Treiber für unternehmerische Aktivitäten gesehen. Dadurch können Branchen profitieren oder verlieren.141 Die Auslagerungen 142 treiben das Wachstum 143 an, weil die Produktionsanlagen exportiert werden und neue Produkte neue Technologien und Kapazitäten nach sich ziehen, ebenso wie sie das Ende für bestehende Produkte am Produktionsstandort Europa eingeläutet haben, wie ein alteingesessener Unternehmer formuliert: »Alle Kollegen aus der damaligen Zeit – vielleicht mit einer Ausnahme –, die gibt es nicht mehr, die sind alle verschwunden. Die sind alle zugrunde gegangen oder haben liquidiert.« 144 Da half also nur die konsequente Umsetzung des Auslagerungsmodells bei Commodities, die in den Worten eines Unternehmers so klingt: Die Internationalisierung »[hat] mir auch sehr viel Mut gegeben weiterzutun, weil ich gesehen habe, ich kann viel verändern. Das war aber dann der nächste Schritt, wo Internationalisierung unbedingt notwendig war. Wenn Sie nämlich so ein Produkt umsetzen wollen und zu einem wettbewerbsfähigen Preis anbieten wollen, und das auch international, dann müssen sie es auch wettbewerbsfähig herstellen können. Und das war in Österreich unmöglich. Auch schon damals.« 145 Die Wertschöpfungskette ist somit zugleich die Risikokette, weil sie konjunkturell interdependent ist. Die Wertkette nicht ständig zu beobachten wird als gefährlich angesehen.146 Zum Beispiel resultiert aus der Bankenkrise eine Baukrise, und durch die Rückgänge aufgrund der Baustoffkrisen wirkt sie bis zum Anlagenbau, weiter zu den Systemanbietern und zu den Zulieferern. 140 141 142 143 144 145 146
Interview iii, S. 27 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«. Vgl. Interview i, S. 8 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Wachstum und Wirtschaftspolitik«. Interview st vi, S. 198 Interview st vii, S. 205 Vgl. Interview iii, S. 34
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Es gibt aber noch eine dramatischere Wertkettenkrise, die technologische Krise.147 Um sie zu erkennen und um zu reagieren braucht man Cross-BranchenKnow-how – Branchen-Know-how ist zu wenig, weil man damit nach zu eng gestreuten Antworten sucht. Wenn man branchenfremde Personen einbindet, kommen ganz neue Antworten.148 Es ist die Zukunftsbezogenheit nie aus den Augen zu verlieren. Sie wird immer falsch eingeschätzt.149 Lernen 150 und die Internationalisierung als Erkundung,151 Innovationen und Eigenentwicklungen in der Nische werden als Investitionsfokus gesehen.152 Denn selbst so primitiv anmutende Produkte wie Eisenbahnschienenprofile erzeugen »Bewegungen, die man nie erwartet hätte. Wer hätte geglaubt, dass man in Österreich jemals mit Blech und mit Schienenprofilen wieder Geld verdienen kann. Die Schiene ist ausverkauft für die nächsten ich weiß nicht wie vielen Jahre, mit ein paar neuen Ideen.« 153 Zur Vertikalität gehört neben der Forschungs- und Entwicklungskompetenz und der Materialwirtschaft 154 die pünktliche Lieferfähigkeit, vor allem für kmu,155 und die Servicekompetenz. Zu beachten ist, wie in vielen Modellen erkennbar, die finanzierungsseitige Vertikalität. Unternehmer sein
»Es gibt schon dieses Unternehmerische. Manche haben’s, manche haben’s nicht. Es gibt Leute, die sich nie trauen. [Und] die große Gefahr ist ja auch beim Unternehmer, beim Entrepreneur, dass man vielleicht nicht richtig mitwächst und in seinem Wesen zu sehr gefangen bleibt.« 156 Zur Frage »Unternehmer sein und bleiben« ist die häufigste Antwort, das wichtigste Ziel sei, ein unabhängiges Unternehmen zu haben, welches vom Haupteigentümer gestaltet werde. Das langfristige, beharrliche, gewinnorientierte Wachstum in Unabhängigkeit ist also Hauptziel.157 Damit im Zusammenhang wird aber auch auf die Gefahr verwiesen, diese durch Internationalisierung mit 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157
Vgl. Interview iii, S. 41 Vgl. Interview viii, S. 92, vgl. Interview v, S. 65, Interview vi, S. 96 Vgl. Interview Interview, S. 54 Vgl. Interview vii, S. 83, Interview x, S. 118 Vgl. Interview xi, S. 124 Vgl. Interview vii, S. 88f Interview iv, S. 48 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«. Vgl. Interview iii, S. 30, Interview ix, S. 100 Interview xi, S. 131 Vgl. Interview vii, S. 84, Interview ix, S. 100 u. 104, Interview x, S. 118 usw.
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Partnern zu verlieren. Diese Zielformulierungen sind größtenteils sehr genau, denn »die Internationalisierung soll ja nicht bedeuten, dass [wir] irgendwann aufgehen in einem wirklichen Super-Multi-Mega-Betrieb, wir wollen ja dieses Spezielle, das wir heute haben, selber weiter ausbauen. Wir wollen selbstständig bleiben. [Der] Betrieb [ist] auch zu teuer […], um allenfalls von jemandem geschnappt zu werden, auch zu komplex, zu spezifisch und zu speziell.« 158 Oder andersherum gesagt: Wenn nichts getan wird, kommt jemand und sagt »ich kaufe dich. Du bist gerade gut am lokalen Markt, den brauch ich eh.« 159 Von familiärer und (Branchen-)Herkunft wird gesprochen.160 Über die Errungenschaften des industriellen Zeitalters und seiner Gesinnung, eine bestimmte Leistung innerhalb einer bestimmten Zeit zu erbringen, wird philosophiert, die industrielle Tradition wird als Erfolgsmodell für Europa gepriesen und andernorts als Rat an Neueinsteiger verstanden, sich für die Tradition der Branche zu interessieren 161 und so die eigene Unternehmerlaufbahn sehr gut vorzubereiten. Dafür wird beispielsweise technisches Consulting als Sondierungsfeld empfohlen 162 und immer wieder sehr gute Sprachkenntnisse, und nicht nur in Englisch. Doch es gibt auch Kritik am Unternehmersein: »Es gibt ja heute noch Unternehmer, die mit Vehemenz argumentieren, dass ihr schlichtes wirtschaftliches Gedeihen, eigentlich eher schon ihr voranschreitendes Reduzieren, nur von dem abhängt, weil sich die Gesetzgebung erdreistet hat, die Bedarfsprüfung aufzuheben. Und der ist überzeugt davon, dass das der einzige Grund ist. Und jetzt haben sie einen Mitbewerber […] und der fährt ihn in Grund und Boden. […] In dem gleichen Kontext ist es wesentlich leichter, die Ursache zu suchen, warum es nicht geht oder warum etwas so nicht funktioniert hat, als die Herausforderung anzunehmen.« 163 Und auch eine dazupassende Feststellung zum Unternehmersein heißt vor allem, nichts aus der Firma nehmen sowie langfristig zu denken, was in Widerspruch zum schnellen Geld steht.164 Zum internationalisierten Unternehmer hat ein Interviewpartner seine Vorstellungen sehr präzise formuliert: »Es ist eine gewisse Geisteshaltung notwendig. Man muss das wollen, man muss international denken können, es muss einem Spaß machen, international zu arbeiten. Aber man darf nicht glauben, dass man sozusagen nur einen Schalter umlegen muss, es ist ein mühsamer und 158 159 160 161 162 163 164
Interview xi, S. 128 Interview st iv, S. 182 Vgl. Interview iv, S. 44 Vgl. Interview vii, S. 77 Vgl. Interview iii, S. 23 Interview st iv, S. 182 Vgl. Interview iii, S. 25, Interview viii, S. 92
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anstrengender Entwicklungsprozess«, und vielleicht noch etwas ausdifferenzierter, »dort haben wir das erste Mal gespürt, was Internationalisierung wirklich bedeutet. Das teilt sich in drei, vier Hemisphären. Das eine ist der organisatorische, finanzielle Aufwand, das Zweite ist der kulturelle Aufwand, der sehr erheblich ist. Dann Anforderungen in die Aufbauorganisation und die, wir nennen es einfach Prozesse. Also: Wie laufen Aufträge durch, welche Kompetenzen sind im Land, welche Kompetenzen sind in der Zentrale oder im Mutterhaus, und dann hat man natürlich noch einen Sub-Problemkreis Kommunikationsstrukturen, ist zwar in den anderen auch irgendwo drinnen, aber es ist halt eine gewisse Kultur. Kommunikation, Information könnte man als vierten Problemkreis sehen, wenn man es extrahiert.« 165 Das bedeutet wieder das Denken und das Entscheiden in widerspüchlichen Situationen: »Es ist ein wenig eine paradoxe Geschichte, wenn der Laden gut läuft, hat man meist nicht die Kapazitäten, wenn er schlecht läuft, fehlt das Geld.« 166 Wichtig ist dabei, dass den Gesellschaftern und Geschäftsführern vielfältigste Aufgabenstellungen zukommen. Sie müssen Erfahrung haben und sich ständig um alles kümmern.167 Sie geben das Feuer der Motivation weiter, wollen die Sehnsüchte 168 des Menschen treffen, haben Spaß, Freude und sehen den Sinn 169 darin, dass es »etwas Wunderschönes ist, etwas zu entwickeln«.170 Andererseits finden sich auch realistische Bemerkungen, die feststellen: Es muss ein »Produkt schon so sensationell sein, dass man darauf schon ewig gewartet hat, was ja heute auch nicht mehr so wirklich der Fall ist, weil es grundsätzlich alles überall gibt. Es geht um Verdrängung oder beim Wachstum um was Neues.« 171 Überraschend ist dann doch der Hinweis, dass es das Wichtigste ist, die Ängste im Unternehmen abzubauen.172 Universalmodell
»Also jeder, der sich heute darüber Gedanken macht, die Globalisierung können wir nicht aufhalten. […] Wenn ich mich heute damit belaste, mir Gedanken darüber zu machen, dann verschwende ich so viel Zeit. Besser ist es, die Dinge, die wirklich wichtig sind, anzugehen. Also [dazu kann ich] wenig sagen, weil ich mich einfach nicht damit beschäftige. Weil ich die Zeit, die ich habe, die Ressour165 166 167 168 169 170 171 172
Interview st iv, S. 175f Interview viii, S. 95 Vgl. Interview iii, S. 25, Interview st iii, S. 166 Vgl. Interview iv, S. 74, Interview v, S. 82 Vgl. Interview iii, S. 41 Interview vii, S. 97 Interview st v, S. 189 Vgl. Interview st v, S. 189
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cen ich dafür anwende, mein Modell umzusetzen. Globalisierung ist da, ich muss das Beste daraus machen. Es wird Marktverschiebungen geben, die werden irgendwann auch zu Ende sein. Man muss sich heute schon damit auseinandersetzen, wie geht es generell weiter. Selbst China hat mittlerweile erkannt, dass mit zweistelligen Wachstumsraten auf Dauer nicht gut zu handeln ist. Man weiß nicht, überlebt es die Wirtschaft oder nicht. Man muss schauen, wie rückt Indien nach? Welches sind die nächsten Märkte? China hat ein irrsinniges Potenzial durch die Menschen, Indien genau das Gleiche. Indien hat meines Erachtens mit sehr vielen anderen Problemen noch zu kämpfen. China kann doch aus dem großen Potenzial Mensch schöpfen. Das heißt, wen entlasse ich, da kommt einer nach, der kostet auch nicht mehr. Nur durch die Ein-Kind-Politik wird sich das sehr stark in den nächsten Generationen verändern.« 173 Und ein anderer Unternehmer glaubt, »alle diese wirtschaftlichen Allianzen werden dazu beitragen, dass wir keinen Krieg mehr in dem Sinn haben. Wir erleben eher eine Art Wirtschaftskrieg. Im Endeffekt geht alles über Wirtschaftsmacht. Aber immerhin, das ist kalkulierbar, steuerbar. Das hat auch seine Grenzen, dem kann man Grenzen setzen. Wenn man sich ansieht, im 17. und 18. Jahrhundert hat es schon Riesenkonzerne gegeben, deren Namen heute keiner mehr kennt, aber relativ gesehen waren die Dimensionen gigantisch. Oder ein totaler technologischer Wandel. Die Giganten werden auch alle verschwinden, weil auch die Primär-Energie Öl, Gas verschwinden wird. Das sind zwar Zyklen von 50 – 70 Jahren. Immer am Ende des Zyklus sind die Giganten entstanden. Dann wenn es nur mehr um Macht geht, überlebt natürlich nur mehr der Große. Aber es ist eigentlich das Alarmzeichen, dass der Zyklus schon zu Ende geht, wenn nur mehr Große überbleiben.« 174 Alle diese Modelle sind nachvollziehbar und erfolgreich und sie unterscheiden sich. Viele kmu sehen ein starkes Headquarter als Voraussetzung für eine gelingende Internationalisierung.175 Es gibt einige, die sich auf die Internationalisierung in kleinen Schritten vorbereiten. Bildung wird als Voraussetzung gesehen, um sein Internationalisierungsmodell zu finden, weil damit die Entscheidungskompetenz gesteigert wird. Zur Entscheidungskompetenz muss sich für die Internationalisierung die Entscheidungsfreude dazugesellen.176 Und dafür eignen sich Mitarbeiter, die aus kmu rekrutiert werden, besser, sie sind auch mobiler, weisen allerdings hin und wieder ein Bildungsdefizit gegenüber jenen 173 174 175 176
Interview iii, S. 37 Interview i, S. 10 Vgl. Interview xi, S. 123 Vgl. Interview iv, S. 50
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aus, die aus großen Unternehmen kommen. Als Beispiel wird mehrmals genannt, dass im kmu einer alles alleine erledigen muss, beim gu gibt es mehrere Spezialisten, oder anders gesagt: »Und damals war es ich oder ich. Ich habe immer gesagt, unser Anwendungstechniker wird Sie nächstes Mal besuchen. Das war wieder ich. Aber gut, irgendwo, irgendwie muss man klein anfangen.« 177 Das entspricht all jenen Erfahrungen, wo mit der technologischen Nische bereits die Vorentscheidung für die Internationalisierung getroffen wurde.178 Denn »wenn Sie in einer Nische spezialisiert tätig sind, bleibt Ihnen nur die Internationalisierung des Unternehmens, um das entwickeln zu können«.179 Was ist eigentlich ein Geschäftsmodell, beispielsweise für einen Systemanbieter? »Die absolute Steigerung geht in Richtung Asien und Amerika. Dann ist man um den großen See herum. Ich halte klarerweise die asiatischen Staaten für die noch größere Herausforderung, weil man sich entscheiden muss, ob man dort ein Geschäftsmodell aufbauen kann oder nicht. Von dem reden wir ja heute nicht, denn ohne Geschäftsmodell brauche ich nicht hinzugehen. Und unter Geschäftsmodell meine ich, wie mache ich das dort mit Wiederverkäufern, mit Direktvertrieb, mit welcher Wertschöpfung vor Ort kann ich rechnen. Das muss im Vorfeld geklärt werden.« 180 Aber auch die folgende Erkenntnis ist für all jene wichtig, die Marktführer 181 oder unter den ersten drei sein wollen oder es auch sind: »Im Prinzip wollten wir als Gesamtanbieter am Markt auftreten, dass wir global als Gesamtanbieter auftreten. Zum einen war die Erkenntnis, dass der Kunde das gar nicht möchte, denn der kauft sich alles separat. Und das andere war, dass die drei Unternehmen untereinander so unterschiedlich aufgestellt waren, in der Technologie, im Image, dass sie nicht zusammengepasst haben. Das war, wie wenn ich in einem Konzern einen Mercedes, einen VW und einen Trabi verkaufen möchte. Und das hat nicht zusammengepasst, das war die lehrreiche und teure Erkenntnis aus dieser Geschichte.« 182 Individuelle Modelle innerhalb des Universalmodells
Es wird in den Interviews immer wieder davon gesprochen, dass die Geschäftsmodelle den Logiken der Wertschöpfungskette und der Branche entsprechen (müssen). Auf der anderen Seite werden kulturelle Differenzen aufgemacht. Besonders bemerkenswert dabei ist, und weil es häufig angesprochen wurde, 177 178 179 180 181 182
Vgl. Interview iv, S. 51, Interview xi, S. 129 Vgl. st ii, S. 159, st iii, S. 167 Interview st iii, 174 Interview st iv, S. 176 Anmerkung: Das kommt in vielen Interviews vor. Interview st v, S. 190
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erwähne ich es hier, dass offenbar viele Unternehmen noch kein Erfolgsmodell für die usa gefunden haben. Es gibt dafür höchst unterschiedliche Begründungen wie zum Beispiel: »Wir haben zu anspruchsvolle Maschinen für den amerikanischen Markt«,183 oder es werden Kulturunterschiede ins Treffen geführt wie die Kurzfristigkeit im Geschäftsleben oder der Einheitsbrei, als Beispiel wird angeführt, dass es dort den einzigen »Häuslbauerkonzern« auf der Welt gibt, was in Europa undenkbar ist, und in bestimmten Bereichen die Marktreife.184 Was zur Schlussfolgerung führt: »Also da jetzt rüberzugehen und sofort eine Investition zu machen, das würde mir im Traum nicht einfallen.« 185 Andererseits ist in allen kmu-Internationalisierungsmodellen die kapitalschonende Expansionslogik erkennbar, sie wird auch meistens explizit angesprochen. Dazu kommt jedoch als meiner Ansicht nach wichtigstes Element, dass es sich im Kontext zu dem vorher Gesagten um das eigene, fast persönliche Erfolgsmodell handelt und dieses mit Leib und Seele vertreten wird. Dabei wird darauf verwiesen, Geschäftsgelegenheiten seien zu erkennen und Zufälle auch nicht zu verpassen.186 Ein Modell für den Start …
Die Geschäftsgelegenheit hat sich aus einer technischen Fragestellung ergeben. »Wir haben dann gesagt, ok, was wir uns geschaffen haben, […] indem wir heute sehr erfolgreich vertreiben und in Zukunft am Standort auch produzieren möchten, das können wir eigentlich weiter umsetzen. Das haben wir dann sukzessive ausgebaut. Zuerst ich als Leiter aus der Unternehmung in Deutschland raus, er hier in Österreich, bis wir dann im Jahr 2005 letztendlich die Entscheidung getroffen haben, wir legen beide Firmen zusammen, wir machen jetzt etwas Größeres daraus und bündeln das Know-how und ziehen jetzt weiter am gleichen Strang und bauen weiter – mit dieser Philosophie, die sich eben von der Basis aus entwickelt hat – nach oben. Das kommt sehr gut auf dem Markt an, weil die Leute wirklich nicht mit – das soll jetzt nicht negativ behaftet sein – einem studierten Betriebswirt sich auseinandersetzen, sondern wirklich an der Basis mit einem Techniker sprechen. Das ist doch gerade in vielen Bereichen – Entwicklung, Automotive – sehr, sehr wichtig, die Kernbereiche abzudecken und Lösungen zu finden. Und das eben nicht über große Mitarbeiterstämme und Projekte, sondern wirklich an der Basis die Ärmel hochkrempeln und loslegen.« 187 Weil es 183 184 185 186
Interview st v, S. 188 Vgl. Interview iv, S. 50, Interview vii, S. 80, Interview st ii, S. 161 Interview st iii, S. 173 Vgl. Interview vi, S. 68, Interview st v, S. 185 u. 194, Interview st iv, S. 175
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eine enge Nische ist, ist man bald Marktführer, man kann damit mit den Geschäftsführern der Kunden verhandeln und muss nicht mit den Technikern in Wettbewerb treten. Mit der Marktführerschaft auf einem kleinen Markt ergibt sich die Möglichkeit der Expansion in ein großes europäisches Land. … und für die Expansion
Erste Verkaufserfolge durch uns selbst, dann versuchen wir vor Ort gute Verkäufer mit technischem Background zu finden. Als kmu haben wir »nicht Millionenreserven für große Investitionen. Ohne große Investitionen« 188 versuchen wir über erste Erfolge im Vertrieb Schritt für Schritt den neuen Markt zu besetzen. Und durch die Referenzen in Europa kann man in China in den Massenmarkt hinein.189 Ein Marktmodell
»Man hat immer dann ein Problem, wenn man zuerst die Ressourcen herstellt und dann den Markt. Das geht in unserer Branche nicht. Ich muss zuerst einen Markterfolg herstellen und dem folgend die Strukturen und Ressourcen aufbauen, das ist der einzig machbare Weg. Jedesmal wenn ich es anders gemacht habe, war es nicht gut. Gut, wir sind international, um zu exportieren, um zu verkaufen. Wir gehen nicht woanders hin, um billiger zu produzieren«; 190 und dynamisch betrachtet: »Der eine Markt nimmt zu, der andere nimmt ab. Im Mittelwert passt das wieder. Das haben wir eigentlich konsequent entwickelt, auch in Verbindung mit dem Asien-Geschäft. Die Ausrichtung war auch dort immer erst die Entwicklung von einem gesamten Konzept, nicht einfach auf einen Markt springen und diesem einfach nachrennen, sondern wirklich konsequent erst zu entwickeln. Logistik, Marktverständnis aufbauen, kulturell auch sehr wichtig: Wie arbeiten diese Märkte Europa und Asien zusammen. Dann das Ganze jetzt über zwei Jahre entwickelt und ausgebaut.« 191 Ein Modell für schwach entwickelte Märkte
»Wir hatten unten sehr große Kunden, dort hatten wir auch unser Know-how sehr gut einsetzen können, weil Kroatien zum damaligen Zeitpunkt, was die Verpackung anlangte, sehr, sehr weit hinten war. Da hatten wir unseren Technologievorsprung wirklich sehr gut nützen können. Wir waren unten auch immer einge187 188 189 190 191
Interview iii, S. 24 Interview vii, S. 77 Vgl. Interview iii, S. 26 Interview st iv, S. 181 Interview iii, S. 25
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laden als Vortragende im Bereich Verpackung.« 192 »Klarerweise geht man nur in Länder, wo man gewisse Wachstumschancen sieht. […] Wenn ich eine Million zum Investieren habe und ich kann es mir aussuchen: Frankreich oder die Ukraine, dann nehme ich die Ukraine, oder?« 193 In große, in reife Märkte kann man nur hineingehen, wenn man viel Geld hat.194 Hier ist eine Erkenntnis vollkommen klar, man muss die Märkte nach ihrem Entwicklungsstand und nach ihrem Reifegrad betrachten. »In sehr reifen Märkten … mich erinnert das an die Geschichten, wo die österreichischen Banken Ende der 80er, Anfang der 90er nach usa und nach London gegangen sind und außer blauen Flecken und viel abgeschriebenem Geld haben sie nichts aufgestellt. Als sie aber nach Osteuropa gegangen sind, hat das funktioniert.195 Weil sie dort den Markt gekannt haben und weil sie einfach ein völlig anderes Potenzial vorgefunden haben und da mit wenig [Kapital] auch viel machen konnten.« 196 Eine Form des kundenbezogenen Modells
»Das Know-how kommt in erster Linie aus unseren eigenen Erfahrungen des […] Handels. Als wir das begonnen haben, waren wir schon über 30 Jahre […] Händler. Ich selbst war zu dem Zeitpunkt bereits 15 Jahre im Einzelhandel berufstätig und habe die Erfahrung gesammelt. Und ein wesentlicher Punkt – im Gegensatz zu allen anderen Mitbewerbern, die denken immer aus Lieferantensicht, der denkt immer industrietechnisch, vertriebstechnisch, vertretertechnisch. Und wir haben das Ganze aufgezogen, indem wir gesagt haben, was braucht ein Einkäufer, was braucht ein Händler, wie will der es strukturiert haben.« 197 Ein projektbezogenes Modell
»Für uns war klar, dass der Markt in Europa ein beschränkter ist. Die […] Papierindustrie ist ein ganz beschränkter Markt, und um Geschäfte zu akquirieren, muss man ganz einfach über die Grenzen gehen. Da waren wir schon sehr früh. […] Ich habe immer gesagt, ich habe die These verfolgt, ein Anlagenbauer muss dort Geschäfte machen, wo es Anlagen zu bauen gibt, sprich: wo es Projekte zu bauen gibt. […] Wenn es dort kein Projekt mehr gibt, dann bin ich pleite und dann kann ich aufhören […]. Also ich muss dort hingehen, grundsätzlich, und 192 193 194 195 196 197
Interview v, S. 56 Interview st iv, S. 180 Interview x, S. 114 Anmerkung: Bis 2009 Interview x, S. 114f Interview i, S. 4
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alles so aufbauen, dass ich zu diesen Projekten komme und diese Projekte dort verfolge, wo sie eben gemacht werden, sei es in Deutschland oder Transdanubien oder sonstwo. Dazu sind wir international auch sehr gut zu diesen Projekten gekommen. Natürlich hat sich dabei immer die Frage gestellt, wie kann man die Vertriebsnetze aufbauen. Deswegen sage ich bewusst Vertriebsnetze. Man muss in diesen Geschäften, weil man nicht alle Märkte marktbeherrschend machen kann, Netzwerke aufbauen. Die Netzwerke sind ein langer Weg. Wir haben da einen Weg gesucht und gefunden, indem wir gesagt haben, zuerst mit den großen Anlagenbauunternehmen, die ja dort schon weltweit tätig waren, als Sublieferant. Und wenn du dort in einem Projekt drinnen bist, hast du den Markt, also bist du eh schon vor Ort. Wir haben während dieser Projektabwicklung vor Ort dann unsere Netze ausgelegt und haben dort unsere Akquisitionen gemacht und uns dann dort heimisch hingesetzt. Das hat sich erweitert, und jedes Mal, wenn eben so ein Projekt – ich sage jetzt in den usa – gewesen ist, dann haben wir gesagt, jetzt müssen wir schauen, dass wir dort einen Repräsentanten oder einen Partner finden, mit dem wir diese Märkte bearbeiten können. Das war also einfach der Weg. Das Ergebnis ist heute einfach, dass man jetzt sagt, wir sind weltweit, weltumspannend tätig. Also einerseits durch Vertretungen, andererseits durch Tochtergesellschaften, wobei wir im Anlagenbau einen Weg verfolgen, der auch nicht so gewöhnlich und üblich war. Das möchte ich auch sagen, wie ich das aufgestellt habe seinerzeit, dieses Unternehmen, das ich damals vorgefunden habe, war ein vollkommen fertigungsgetriebenes Unternehmen. Wir haben noch andere Produkte gemacht, Serienprodukte, wir haben damals so ungefähr 60 – 70 % Wertschöpfung gehabt im eigenen Haus und eine sehr hohe Fertigungstiefe. […] Die Preise [sind dann] immer mehr gesunken und man [war] einem Wettbewerb ausgesetzt, […] das konnten wir nicht mitmachen [ohne Millioneninvestitionen]. Ich habe damals […] einen Vortrag [zur Zukunft gehört]. Eindeutig höchste Kompetenz im Engineering, höchste Kompetenz im Know-how, höchste Kompetenz in der Abwicklung eines Auftrages vor Ort und keine Fertigung [hier], sondern vor Ort, dort wo ein Projekt gemacht wird, die Möglichkeit, das Preisgefälle auszunützen, vor allem in Entwicklungsländern, die auch teilweise gut entwickelt sind, dass man dort fertigen lässt – sehr gescheit. Ich habe mir gedacht, der Mann weiß, wovon er redet, und habe gesagt, das machen wir auch. Auf das hin habe ich das Unternehmen aufgebaut. Die Fertigung wird heruntergefahren. […] Das hat uns international geholfen und hilft uns jetzt besonders.« 198 Jetzt hat sich wegen der enorm gestiegenen Energiekosten herausgestellt, dass es aufgrund der langen Transportwege nach Asien unrentabel geworden ist, 198 Interview st i, S. 142ff
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die Anlagen zu verschiffen. Und weiters beherrschen die Facharbeiter in diesen Ländern die Fertigungstechnik.199 »Einlagerungen« – Facetten eines Integrations-Modells
»So hat sich natürlich das einerseits als Grundstrategie ergeben, dass man gesagt hat, wir müssen den Betrieb internationalisieren. […] Diese Branche – wir leben ja in einer Branche, die sehr stark fragmentiert ist –, es gibt viele Kleine und Mittlere, die auch Ähnliches tun, also wir müssen auch die Konsolidierung so einer Industrie als Chance wahrnehmen und sagen, wir konsolidieren diese vielen Kleinen und bringen etwas zusammen in eine schlagkräftige Gruppe, wo man den Verkauf weltweit abdecken kann. […] Und man wird nicht von jeder kleinsten Konjunktureintrübung sofort hart getroffen. […] Eines steht ganz klar fest, durch die Internationalisierung ist das Unternehmen immer stabiler geworden.« 200 Der Erfolg macht also sicher, was so klingt: »Die V. hier ist eine eigenständige Firma, war ursprünglich integriert und [wurde] 1980, 1982 in eine selbstständige Einheit ausgegliedert. Dann hat es eigentlich begonnen mit der Akquisition im 85er-Jahr mit dem Mitbewerb in V., der im S. tätig war. Das war [unser] einziger Mitbewerber in Österreich. Die waren finanziell angeschlagen und so hat es 1985 den Expansionsschritt gegeben zur Übernahme des Mitbewerbs.« 201 Dieses Unternehmen hat das Modell Sanierungsfälle zu übernehmen für seine Internationalisierung angewandt.202 Die finanzielle Angeschlagenheit ist jedoch für andere, die beinahe demselben Modell folgen, kein Thema, denn »wir kaufen oder beteiligen uns [nur] an Unternehmen, die ein gutes Management haben. Weil wir einfach gesagt haben, das Problem Managementkapazitäten ist ein sehr großes, du kannst zwar viele Unternehmen kaufen oder sanieren, aber du hast nicht die Potenziale an Managern, die in der Lage sind, das Unternehmen zu führen. Die zweite Idee dabei ist, dass wir gesagt haben, wir wollen das Management dabei als Unternehmer beteiligen, damit es Interesse am Unternehmen hat und es gleichzeitig als sein Unternehmen mitbetrachtet. Das hat sich bestens bewährt, […] in der Zwischenzeit sind schon sehr viele daraus geworden. […] Und das ist eine gute Expansionsphilosophie jetzt, natürlich muss man den Mut haben, in neue Märkte zu gehen. Man darf keine Angst haben, nur weil ein neuer Markt droht, ich habe jetzt Angst vor China oder vor Russland, oder wie auch immer. […] Und das Wichtigste – das folgt einer klaren Strategie –, man muss in 199 200 201 202
Vgl. Interview st i, S. 144f Interview xi, S. 129 Interview st v, S. 185 Vgl. Interview st v, S. 191
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den Bereich Technologie gehen, wo sehr hohe Technologie gefragt ist, und das ist ein Erfolgsprinzip, das wir grundsätzlich verfolgen. Du darfst nicht in einfache Fertigungsbetriebe gehen, das brauchst du überhaupt nicht. [Ich baue auch nicht in China Fertigungskapazitäten auf.] Da holen wir uns genauso Netzwerke und Kooperationspartner, wie wir es hier in Europa machen. Wir machen auch dort wiederum Kompetenzzentren in Form von Forschung und Entwicklung und Planung und Engineering. Das und natürlich optimale Marktbearbeitung.« 203 Das gilt auch für Support-Branchen wie zum Beispiel Logistik und Transport. »Wir haben das gleiche Problem gehabt. […] Wir haben hier die eigenen Leute […] für Exportabwicklung [ausgebildet, und als] sie fertig ausgebildet waren, haben uns dann die A. die Leute abspenstig gemacht. Da mache ich nicht mehr mit, sondern ich suche mir einen Partner, der bereit war [Unternehmer zu sein, der sagte, ich will] gerne Spediteur werden. In Ordnung, wenn du das willst, kannst du das machen, wir beteiligen uns bei dir, du bist unser Partner, du fängst an, wir geben euch die Grundauslastung, heute ist das ein Logistikunternehmen, das nur mehr zu 5 % mit uns arbeitet, der Rest ist am freien Markt.« 204 »Die Philosophie ist ja eine ganz einfache. Ich habe immer gesagt, ich will lieber mit 50 oder 40 % an etwas Gutem beteiligt sein als zu 100 % an etwas Schlechtem. Das ist eine ganz klare Regelung. Und bevor ich hier ganz große Dinge aufbaue, wo ich große Abteilungen machen muss, sage ich, bittschön, es ist die sicherste Variante, wenn man einen guten Geschäftsführer hat, der auch Unternehmer ist und unternehmerisches Denken hat, wenn man ihm das überantwortet und ihm nur zur Seite steht in Form eines Beirates oder Aufsichtsrates und er sein Geschäft alleine machen muss.« 205 Der Start zu einer späteren Unternehmerkarriere kann aber auch mit einem Mitarbeiter passieren, man »stellt […] einen Mitarbeiter ein, nimmt ihn ins eigene Haus, arbeitet an Projekten dort mit, er wird hier hochgepäppelt, arbeitet teilweise an Projekten in Österreich mit, damit er lernt«,206 und wenn die partnerschaftliche Lösung nicht funktioniert, dann wird über die Kapitalseite das neue Unternehmen vollständig integriert: »Wir haben keine eigene Produktion gehabt, da haben wir eigentlich nur das Produkt-Know-how gekauft und jetzt die Fertigung an einen deutschen Standort verlagert.« 207 Oder es drängt die Zeit: »Man kann zwar viel selbst entwickeln, aber das geht halt nicht schnell genug. Dann haben wir sukzessive zwei Unternehmen in Deutschland dazugekauft.« 208 203 204 205 206 207
Interview st i, S. 145 Interview st i, S. 146 Interview st i, S. 146 Interview st iv, S. 179 Interview st iii, S. 170
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Und ein Markenmodell
»Ich will jetzt nicht das Lied von der Sachertorte, den Mozartkugeln und den Sängerknaben singen, dass das das Einzige wäre, was Österreich kann. Da hat sich vieles verändert, aber es ist nun mal so, stellen Sie sich vor, ein ganz hochwertiges Mikroskop, und wenn es auch jemand im Waldviertel sehr gut macht, wenn halt irgendwas draufsteht …« 209 … dann lässt es sich trotz der hohen Qualität nicht verkaufen, weil es keine Marke ist. »Wir haben unser Auge auf diese schweizerische Firma W. geworfen und haben gesagt, die können halt was, haben auf dem Sektor einen super Namen gehabt, in der Automobilindustrie, in der Flugzeugindustrie. Wir hatten gute Produkte, haben [diese] gegen diesen schweizerischen Gegner vielfach getestet, aber man hat uns immer abgewimmelt. Man hat gesagt, ja wir wollen sicher sein. Nicht weil wir schlechter waren, wir hatten vielleicht in gewissen Bereichen sogar […] bessere Werkstoffe, aber wir hatten keine Marke. Und ich glaube, in der heutigen Zeit ist das A und O die starke Marke. Ohne eine Marke werden Sie nichts bewegen, und das gilt nicht nur für die Luxusindustrie […]. Man muss eine Marke aufbauen und diese Marke muss all die Kriterien erfüllen, muss gut besetzt sein. […] Die Marke muss natürlich gewissen Ansprüchen genügen, muss ausbaufähig sein. [Eines Tages gab es] die Möglichkeit, diese Gesellschaft zu kaufen. […] Das war damals der große Schritt der Internationalisierung. Die Techniker aus Kärnten haben dann in der Schweiz gelernt, teilweise ein Jahr dort gewohnt, haben aufgenommen, was man da alles tun kann. Und in der Folge konnten wir erstens in Österreich stark ausbauen, wir hatten eine gute technologische Grundlage, aber wir hatten vor allem eine Marke. Wir haben auch für die Schweizer gefertigt […] unter dieser Marke, […]. Unter diesem Namen und Titel sind plötzlich die Türen aufgegangen. Das war nichts anderes als Internationalisierung. So wie ich gesagt habe, da ist in einem ersten Schritt aus einem Provinz-Unternehmer ein europäischer Unternehmer geworden.« 210 Dann »haben wir sehr viel investiert in den Ausbau dieser Leitmarke. Zuerst in Deutschland mit Seminaren, mit immer kostenpflichtigen Seminaren, […] wir haben für die Kunden Seminare veranstaltet, um die Kunden auszubilden, immer aber auch dabei die Marke zu fördern und zu pushen. Bis zum heutigen Zeitpunkt, wo wir regelmäßig in Indien, in Thailand, in China, auf der ganzen 208 Interview st iii, S. 168 209 Interview xi, S. 124 210 Interview xi, S. 124f
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Welt W.-Seminare abhalten, die immer voll gebucht sind. […] Wir haben aus der Marke das Synonym für das Wissen in der […] Technik gemacht. Wir haben das dann noch untermauert mit Literatur. Es gibt unwahrscheinlich viel W.-Technologie-Büchlein zu Präzisionsverfahren.« 211 Und auch hier ist wieder die Rede von einer Nische, die nicht jeder schnell besetzen kann. »Die Marke zu haben, ist auch ein Türöffner, darum muss man [ihr] auch einen Wert zuschreiben. Sie muss permanent neu unterfüttert, frisch gestrichen werden, immer wieder […] und noch vertrauenswürdiger. Auch diese Schweizer Präzision, die wir in einem Nebensatz bei der Marke erwähnen. Ein gewisses Image […] na ja, Sie wissen, dass in Kärnten eben Präzisionswerkzeuge so einfach nicht sind.« 212 »Wenn man als Marke überleben möchte, [braucht man] hohe Qualität, und das fängt wiederum beim Design an, Designqualität, Ausführungsqualität, Lieferqualität und dass man die richtigen Vertriebskanäle nutzt.« 213 Alle diese Modelle aus der unternehmerischen Praxis werden voller Überzeugung vertreten und der Umsetzungserfolg gibt ihnen recht. Das technischökonomische Universalmodell dient als Rahmenbedingung für höchst individuelle Modelle. Und zwischen dem Universalmodell und den individuellen Modellen bleibt viel zu entscheiden.
211 Interview xi, S. 125f 212 Interview xi, S. 130 213 Interview st vii, S. 217
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Es bleibt viel zu entscheiden (Widerspruchsfelder) Um aus der Individualität heraus wieder ein halbwegs geordnetes Vorgehen zu ermöglichen, haben Organisationstheoretiker versucht Modelle zu finden, um Themen zusammenzufassen. Im St. Galler Modell wurden beispielsweise die Umwelten und die Stakeholder in Teilmodellen dargestellt. Bei Interaktionsthemen, das ist »alles, was über die Anspruchsgruppen (Stakeholder) an die Unternehmung herangetragen, dieser zur Verfügung gestellt oder dem Unternehmen streitig gemacht wird […]«,214 spricht Ken Wilbers 215 »von Arenen«, genauer von der Markt-Arena, der öffentlichen Arena, der internen Arena und der FinanzArena. Damit hat er die Kampfplätze für Interaktionsthemen definiert. In allen Arenen findet aber vor allem der Kampf der Bewahrer gegen die Veränderer statt. »Dieses Ringen um neue Leitideen und Leitwerte zeigt auf der Ebene des einzelnen Unternehmens genau dieselbe Dynamik, wie sie auch im Allgemeinen für den Paradigmenwandel in Wirtschaft und Religion unserer Gesellschaft typisch ist.« 216 Hier treffen also das kapitalistische Universalmodell und das Modell, nach welchem das Unternehmen agiert, aufeinander: »Da gibt es die, die in der Firma meine Welt verstehen und mitziehen, und dann gibt es die Bremser, die Konservativen, die sagen, haben wir noch nie gemacht. Da gibt es ein bisschen Schizophrenie derzeit. […] Aber das ist ein natürlicher Prozess, den ich sehr bewusst und sehr behutsam angehe.« 217 Herbert Pietschmann stellt in Anlehnung an Gerhard Schwarz für den hier erwähnten Kulturkampf das gesellschaftliche Verhaltensmuster der »Elimination des Widerspruchs« dar. Denn wenn es heißt, dass es nur eine Kultur geben könne, und das sei die Kultur der Mutter und man könne nichts anderes tolerieren,218 dann werden Widersprüche durch (1) Ableugnen, Tabuisieren, (2) ihre Abtrennung, (3) ihre Zuordnung durch Einschränkung des Gültigkeitsbereiches und durch Zusatzhypothesen und (4) ihr Aufgreifen und Einordnen durch Abänderung des Weltbildes aus der FirmenWelt geschafft. Die Muster (1) bis (4) sind dazu da, jede Form von Offenheit zu unterbinden. Trotzdem sind sie für uns wertvoll, und zwar wenn man durch sie erkennt, dass man in der Entscheidung nicht weiterkommt, dann können sie dazu dienen, die 214 Vgl. R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, C. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Band 1, Bern 2004, S. 77f 215 K. Wilbers, Anspruchsgruppen und Interaktionsthemen, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, C. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Band 1, Bern 2004, S. 334f 216 F. Glasl, B. Lievegoed, Dynamische Unternehmensentwicklung, Bern 2004, S. 236 217 Interview vii, S. 82 218 Vgl. Interview st iii, S. 171
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Synthese durch Aufhebung des Widerspruchs – durch Widerspruchsmanagement – zu erreichen.219 Peter Heintel gibt uns dazu zwei Ratschläge: »Erstens, dass es uns gut ansteht, die Notwendigkeit der Widersprüche mit frohem Mut anzunehmen, zweitens, dass Sinngebung bei uns selbst liegt und über ›gute‹ Konfliktlösungen erreichbar erscheint. [Doch] nicht von vornherein ist jeder Konflikt sinnvoll, er wird es erst durch einen ihn reflektierenden Prozess.« 220 Die Kämpfe der Bewahrer gegen die Veränderer sind in vielen Fällen mit Angst verbunden, »Angst, dass ausländische Mitarbeiter ins Land kommen. Angst aber auch durch ihr eigenes Unwissen. Oftmals [wird] die Angst beim kleinen Mann [geschürt, indem man offen lässt, wer] seinen Arbeitsplatz« 221 verliert. Im Rahmen von Internationalisierung treten also (Verlust-)Ängste auf. Und zwar weil die alten Identitäten aufgegeben werden müssen und noch keine stabilen Verhältnisse herrschen: »Für manche Einheimische in irgendwelchen Bergtälern [ist] der wesentlichste [Schritt] in der Entwicklung einer Firma, dass man diese Ängste abbauen und in Chancen umwandeln [muss]. Es ist nur die Frage, wie man es angeht. [Jedenfalls nicht] warten, bis man gefressen wird.« 222 »Man kann also den Sinn des Konflikts ›Verändern–Bewahren‹ weder auf der einen noch auf der anderen Seite suchen wollen, sondern nur im gestalteten Konflikt selbst.« 223 Wie bewahren/verändern balanciert wird hat viel mit Normen zu tun. Normen
Normen findet man, wenn man die Geschichte des Unternehmens ansieht, man muss sozusagen »in die Anfänge zurückgehen. Erstens einmal ist das Unternehmen nach wie vor ein Familienunternehmen [und] es gibt ein klares Bekenntnis [zur] Möglichkeit, […] aus sich selbst heraus zu erweitern, was wir auch in den letzten Jahren gemacht haben. Stammend aus dem ursächlichen Bereich als Zulieferer beziehungsweise Anlagenbau« 224 war das Unternehmen erfolgreich. Ich meine also, dass die bisher getroffenen Entscheidungen und das Kerngeschäft normgebend sind: »Ich kenne […] nichts anderes als die Produktion, ich liebe die Maschinen, ich liebe alles, was hergestellt wird.« 225 Der Charakter sol219 Vgl. H. Pietschmann, Das Ende des naturwissenschaftlichen Zeitalters, 1983, in: F. Glasl, B. Lievegoed, Dynamische Unternehmensentwicklung, Bern 2004, S. 140f 220 P. Heintel, Widerspruchsfelder, Systemlogiken und Grenzdialektiken als Ursprung notwendiger Konflikte, in: G. Falk, P. Heintel, E. E. Krainz (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Wiesbaden 2005, S. 16 221 Interview iii, S. 38f 222 Interview st iv, S. 182 223 Heintel, Widerspruchsfelder, S. 22 224 Interview st i, S. 142
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cher Normen ist, dass sie Vorentscheidungen darstellen, das bedeutet, es wird auf Basis der Norm entschieden. Probleme bei Entscheidungen tauchen auf, wenn das Normgerüst nicht mehr passt, wenn die eigenen Erfahrungen, Prägungen und Vorurteile erschüttert werden. Investitionen erfordern aufgrund ihrer Langfristigkeit stabile Verhältnisse auf eine bestimmte Dauer. Die Normativität selbst hat so eine wichtige stabilisierende Funktion. Diese Funktion wirkt über alle Hierarchieebenen und ist in vielen Fällen krisenresistent. Am Gedankenexperiment, dass Normen jede Unternehmenskrise überstehen, selbst wenn das Unternehmen in Konkurs geht und seine Tätigkeit beendet, kann man die Dominanz einer Norm gut nachvollziehen. Doch auch eine andere wichtige Überlegung weist auf Normen hin: An der Grenze einer Kultur, und diese wird überschritten, wenn ein Unternehmen sich erstmals internationalisiert; dann trifft die Norm die Vorentscheidung, es entscheidet eine unterschwellig vorhandene Abneigung gegen das Fremdsein oder kollektives Misstrauen gegen ein Volk.226 Die Norm als Schutz des eigenen Systems war schon vorhanden, sie blieb unsichtbar. Was kann damit zum Ausdruck gebracht werden? Die Rendite des Projektes passt, es könnte umgesetzt werden, die Ablehnung gegenüber einer anderen Mentalität spricht jedoch dagegen – die Norm gibt die Antwort. Die bessere Norm wäre also: Es ist doch normal, über die Fremdheit einer anderen Kultur zu diskutieren. Das kann jedoch nur gelingen, wenn vor der Diskussion eines Internationalisierungsprojektes eine Normendiskussion stattfindet. Dazu ist es jedoch von Bedeutung, dass das Unternehmen nicht als Selbstzweck gesehen wird, sondern dass es ja seine Existenz seinen Kunden verdankt. Dafür geeignet ist, weil die Aussage provoziert, die Orientierung an der universellen Dimension des Wirtschaftens. Und als Balance kann die Unternehmenskultur als »Vermittlung von äußerem Zweck und Selbstzweckhaftigkeit« 227 herangezogen werden. Denn »Kultur ist immer darauf aus, innere Identitäten herzustellen und zu sichern, dem bedrohenden Auseinanderfallen entgegenzuwirken; sie produziert Identifikationsmöglichkeiten über den äußeren Zweck hinaus (zum Beispiel ein gutes Betriebsklima), Umgangsformen, Normierungen, Wertsetzungen, Sanktionen durch Sozialkontrolle usw. Sie konstituiert ›Sinn‹, gibt Antworten, warum und weshalb es erstrebenswert ist, gerade in diesem Unternehmen tätig zu sein. Eben dieser Sinn schafft Motivation, Einsatzbereitschaft, Kreativität. Man versteht, dass man nicht nur für andere tätig ist, sondern selbst auch noch etwas davon hat.« 228 Und das ist die Basis für den 225 226 227 228
Interview v, S. 66 Vgl. Interview x,S. 113 P. Heintel, Unternehmenskultur, Manuskript, Klagenfurt, 10. 6. 2008, S. 2 Ebd. S. 3
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Umgang mit fremden oder in fremden Kulturen (und Ökonomien) und die Voraussetzung für die Bereitschaft, Management, Know-how und Finanzressourcen für Internationalisierungsinvestitionen bereitwillig zur Verfügung zu stellen.229 Momente der Ordnung
Erste konkretere Überlegungen zur Internationalisierung gehen einher mit der Strategieentwicklung,230 vielleicht mit Visionsprozessen.231 Für kmu hat sich in meinen Interviews mehrfach herausgestellt, dass für den Start in die Internationalisierung die Positionierung in einer Marktnische 232 oder als Top-Spezialist für bestimmte Aufgaben (Projekte) 233 eine Erfolg versprechende Strategie sein kann. Wenn dies bereits auf den regionalen oder nationalen Markt erprobt ist und somit keine Veränderung der vorhandenen Strategie bedeutet, dann erleichtert es den Umsetzungsprozess. Die erste Frage für die spätere Implementierungsarbeit kann daher so oder so ähnlich lauten: Was können wir mitnehmen? Jedoch ist darauf zu achten, nicht zu schnell bei einer Muster- oder Modellstruktur anzukommen. Wichtig ist ein Heraustreten aus den eigenen Mustern, um Beobachtungen und Reflexionen zu ermöglichen und Differenzen zu setzen. Die eigenen Erfahrungen und die verfügbaren Informationen 234 über die Zukunft sind wichtiger Bestandteil, um sich zu internationalisieren.235 Man hat es also mit drei Beobachtungsüberlagerungen zu tun. Teile des Alten und Bewährten, Neues und ein neues Umfeld, neue Stakeholder an den Rändern des Unternehmens. Wir basteln also unser strategisches Konzept zusammen, und zwar aus Beobachtungen, Wahrnehmungen, Einsammeln und Verteilen von aufgenommenen Informationen. Es werden uns Bedeutungszusammenhänge zugetragen und wir sind auch Gerüchten nicht abgeneigt. Oft vermischen wir das »Was ist« und das »Was wird wahrscheinlich sein« mit dem »Was wäre schön, was wollen wir«. Sind die Bedingungen vorhanden, dass es möglich ist, die Geschichte der Zukunft des Projektes zu Ende zu denken? Nicht weil alle Pläne aufgehen, son229 Siehe dazu meine Ausführungen im nächsten Essay »Unternehmenskultur und Mentalitäten«. 230 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Zeit für Strategie«. 231 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Visionsentwicklungsprozess und Visionsinhalt«. 232 Zur Nischenpolitik gibt es viele Hinweise in den Interviews, z. B: Interview vii, S. 77, Interview viii, S. 88 233 Vgl. Interview st i, S. 142 u. 143 sowie Interview st ii, S. 160 234 Ich verweise, weil es nur in einem Interview (Interview iv, S. 49) angesprochen wurde und die Bedeutung sonst vielleicht übersehen wird, auf die Handelsdelegierten der Wirtschaftskammer Österreich: www.wko.at 235 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Zur Unübersichtlichkeit der Information«.
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dern vor allem in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten unter der Prämisse des Erhaltens der Entscheidungsfreiheit. Ein Hineinstolpern und Nicht-mehrzurück-Können bedeutet Entscheidungsschwäche, vielleicht weil man mit dem »Wir müssen uns internationalisieren« leichter umgehen kann. Eine Entscheidung für den Sachzwang. Die Vielzahl an kleinen Schritten hin zur Internationalisierung vermittelt zwar auch Freiheit, der Übergang zum Zwang ist in diesen kleinen Schritten ebenfalls versteckt. Dazu kommt der Treiber schlechthin, nämlich dass man durch die eigenen Internationalisierungsüberlegungen plötzlich merkt, dass »kein Unternehmen mehr in der Lage [ist], weder bei uns noch in Deutschland, selbst Gewinne zu machen im Inland, sondern die machen wir alle im Ausland«.236 Auf einmal werden also neue Chancen gesehen und Eile hält in den Prozess Einzug. Man beobachtet die internationalisierten Unternehmen und die Konzerne nicht nur in Bezug auf ihre wirtschaftliche Stärke, sondern weil sie permanent in der Öffentlichkeit präsent sind. Man soll sich trotzdem nicht drängen lassen. Die Internationalisierung wird weiter fortschreiten und das ist sowohl eine Chance als auch eine Gefahr für einzelne kmu. (M-)Ein wichtiges Anliegen ist, dass dieser Prozess nicht schicksalhaft hingenommen werden soll. Und selbst wenn man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt entscheidet zu Hause zu bleiben, sollte man sich trotzdem auf eine Internationalisierung einrichten. 237 Denn die Globalisierung ist kein externes Phänomen, »sondern resultiert aus individuellen Entscheidungen, die von Tausenden von Unternehmen auf der ganzen Welt getroffen werden. Bei der falschen Interpretation dieses Phänomens können die Unternehmen schwerwiegende Fehler begehen.« 238 Warum sind solche Projekte im kmu nicht an Berater delegierbar? Das liegt auch im Unterschied von Beratung und Entscheidung und die Interviews weisen ebenfalls deutlich auf das Selbertun hin. Mehrmals wurde schon betont, dass die strategische Bearbeitung für ein derart komplexes Thema auf der Ebene der Eigentümer, Manager und Schlüsselpersonen des Unternehmens angesiedelt sein muss. Eine zugekaufte Leistung reduziert Lernen von vornherein. »Eine emergente Strategie verstärkt es. Ein Schritt baut auf dem anderen auf, sodass sich schließlich ein Muster ergibt.« 239 Mit der Prozessgestaltung sollten sich die Verantwortlichen in die Lage versetzen können, Entscheidungen bei Widersprüchen herbeizuführen. Nachdem hier also eine Lanze für eine Bearbeitung 236 Interview st i, S. 142 237 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Warum sich kmu für einen Internationalisierungsprozess einrichten sollen«. 238 J.-C. Jarillo, Strategische Logik, 2. Auflage, 2005, S. 195 239 H. Mintzberg, Mintzberg über Management, Führung und Organisation. Mythos und Realität, Wiesbaden 1991, S. 45
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der Internationalisierungsüberlegungen »im eigenen Haus« gebrochen wurde, ist es doch an der Zeit, eine nützliche Rolle für externe Experten festzumachen. Experten können in zweifacher Weise und mit unterschiedlichen Qualifikationen benötigt werden: Informationen zu recherchieren und aufzubereiten auf der einen Seite und den Auseinandersetzungs- und Vergemeinschaftungsprozess zu moderieren auf der anderen Seite. Vergemeinschaftungsprozesse dienen in diesem Zusammenhang dazu, die Internationalisierungsstrategie, die Normen und die Unternehmenskultur zu hinterfragen. Für die Bearbeitung der relevanten Themen sind also Modelle und Checklisten nützlich. Sie reduzieren die Entstehung blinder Flecken; Ängste, Normen und Hierarchie wirken so stark, das Konsens zum Scheinkonsens wird und das Verwirrspiel um Verantwortungszuordnung beginnt. Damit das nicht passiert, soll sich das Führungsteam selbst ausreichend Zeit für die Offenheit einräumen, um Sinnebenen Raum zu geben. Mit Fragestellungen wie »Wollen wir es so?« kann die sinnbehaftete Dimension der Entscheidung beantwortet werden. Eine Wirkung zeigt sich daran, wenn die Zuordnung der Verantwortung für Erfolg oder Scheitern zu einer einzelnen Person (»ist schuld«) wegfällt. Georg von Krogh argumentiert folgendermaßen: »Wir sollten uns stets bewusst sein, dass Strategiebildung in der Realität nie in einem Vakuum stattfindet. Soziale und ethische Dimensionen spielen eine ebenso wichtige Rolle.« 240 Sonst gewinnt aufgrund der verschiedenartigen Themenstellungen in Organisationen jenes Modell beziehungsweise jene Abteilung, die in der Hierarchie am besten verankert ist. Eine rigide Zeiteinteilung ermöglicht es, bewusst verschiedene »Draufsichten« zu bearbeiten, weil es zwar in einer Organisation immer Interdependenzen gibt, jedoch nicht alles gleichzeitig betrachtet werden kann. Denn wenn beispielsweise die Finanzthematiken alles zudecken, kommen andere Dimensionen zu kurz: • die institutionelle: Die Unternehmung ist eine Organisation (Sinnvermittlung). • die instrumentelle: Die Unternehmung hat eine Organisation (Wirtschaftlichkeit). • die funktionale: Die Unternehmung wird organisiert (Umgang mit Komplexität).241
240 G. von Krogh, Strategie als Ordnungsmoment, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, C. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Band 1, Bern 2004, S. 418f 241 Vgl. P. Gomez, T. Zimmermann, Unternehmensorganisation, 1999, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, C. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Band 1, Bern 2004, S. 430
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Diese Betrachtungen führen zu Strukturen als weiteres wichtiges Ordnungsmoment des Unternehmens. Dazu ein paar praktische Hinweise. Nicht mit dem Organigramm beginnen! Die Kästchen eines Organigramms lösen bei den Protagonisten eines Entwicklungsprozesses viel zu viele Blockaden aus. Und im Organigramm fehlen viele informelle und temporär eingerichtete Subsysteme (Projektorganisation, Teams, Arbeitsgruppen). Ein weiterer Ratschlag ist, die neue Einheit soll gedanklich so aufgestellt sein, dass sie ohne größere organisatorische Ergänzungen verkauft werden kann. Diese Überlegung ist natürlich nicht dazu da, um das Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt zu verkaufen, sondern um als Entscheidungsträger zu den eigenen Aufgaben zurückkehren zu können. Das gilt vor allem auch in räumlicher Hinsicht. Denn über die Aufgaben, die vor Ort erledigt werden müssen, wie beispielsweise Repräsentationsaufgaben 242 oder eigentümerbezogene 243 Aktivitäten und jene, die auch aus kommunikationstechnologischer Sicht im Unterschied zu früher jetzt vom Headquarter aus erledigt werden können,244 gibt es zwar unterschiedliche Auffassungen, doch es scheinen viele meiner Interviewpartner für sich diese Entscheidungen getroffen zu haben. Dieses Zusammenspiel von verschiedenen Standorten hat zur Folge, dass »sich jedes Sozialgebilde seine eigene Kulturwelt [schafft]; klimatische, geografische Bedingungen spielen hier ebenso eine Rolle wie Auffassungen über Zusammenleben, Aufgabenteilung, Arbeits- und Produktionsverhältnisse, Traditionsbildung, Rechtsauffassungen, Riten, […]. Je nach Bedingungen und Voraussetzungen nach kollektiv oft unbewussten Vorentscheidungen [haben] sich auf der ganzen Welt recht unterschiedliche Kulturen entwickelt.« 245 Das ist zwar nicht wirklich etwas Neues, doch für ein internationalisiertes Unternehmen ein bedeutendes Thema.
242 243 244 245
Vgl. st v, S. 190 Vgl. Interview x, S. 119 Vgl. Interview st i, S. 152 Heintel, Widerspruchsfelder, S.
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Unternehmenskultur und Mentalitäten »Wie viele sind in China aber gescheitert, Automotive-Leute, Werkzeugbauer, Elektro-Spezialisten, die in China ausgenommen worden sind, […] die Einschätzung der Rechtslage war da falsch. Die haben aber auch Kulturfehler – weil eine Kopie dort kein Vergehen ist – gemacht. Das würde ich sagen, ist das Hauptproblem, die geringe kulturelle Anpassung.« 246 Jedoch »Keine Kultur kann, ohne sich selbst zu verlieren und trotz des Bewusstseins, dass es andere mit gleichem Anspruch gibt, sich von sich aus unterordnen.«247 Kultur modellhaft einzuordnen beziehungsweise Ereignisse dem Kulturthema zuzuordnen ist meiner Ansicht nach deshalb schwierig, weil unter dem Kulturbegriff verschiedenste Inhalte, angesprochen werden und diese auch nicht sehr leicht zu trennen sind. Die Differenzierungen und Überschneidungen finden an diversen Schnittstellen Unternehmenskultur und der Mentalität, als Kultur vor Ort, also an den internationalen Standorten, statt. Und diese Differenzierungen sind eher neuerer Natur, weil durch das Scheitern von Investitionsprojekten oder Joint-Vertures plötzlich erkannt wurde, dass die Gewohnheiten des westeuropäischen unternehmerischen Alltags nicht überall gelten. Und das obwohl sich die Globalisierung auf die zwei Säulen Ökonomie und Technologie stützt.248 Unternehmenskultur
Wenn von Unternehmenskultur die Rede ist, will man eher eine durchgängige Kultur und keinen Kulturkampf 249 und bei Kooperationen oder Beteiligungen eine ähnliche Familienkultur und -tradition.250 Unternehmenskulturen legen sich selbst an, reproduzieren sich immer wieder und sind schwer veränderbar. Und oft ist es auch so gewollt, wenn es heißt: »Also Kultur kann es nur eine geben. Wobei es jetzt wirklich nicht die Frage ist, ob das die bessere oder die schlechtere ist, sondern es kann nur eine geben.« 251 Das führt dazu, dass in der Managementpraxis meistens eher an Strategien und Strukturen gefeilt wird. Das ist meiner Ansicht nach ein pragmatischer Zugang, weil aufgrund der Rolle der Träger der Kultur, nämlich der Eigentümer und der Führungskräfte, diese meistens feststeht. Wenn sie an den Erfolg glauben, starten sie einfach mit der Internationali246 247 248 249 250 251
Interview xii, S. 4. Vgl. P. Heintel, Interkulturelles, Manuskript, Klagenfurt 14. 7. 2008, S. 6 Ebd., S. 2 Vgl. Interview st iii, S. 171 Vgl. Interview st i, S. 147 Interview st iii, S. 171
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sierung, obwohl es retrospektiv heißt: »Wir sind am Anfang schwer belächelt worden. Die Kommentare lauteten, ja was wollt ihr denn mit den T[…] da unten, ihr werdet euch schon noch anschauen. Heute redet keiner mehr darüber, es kann sich auch keiner mehr erinnern.« 252 Man hat deshalb mit dem Thema Kultur mindestens zwei Probleme: Sie ist da und schwer veränderbar und sie zu ignorieren kann große Probleme bei Entscheidungen bereiten. Und sie gilt auch als selbstdefinierter Ort für systembedingte Antworten auf Widersprüche und beeinflusst daher die Entscheidungen mit. Denn »die systembedingten historischen und kulturellen Unterschiede [sind] zu respektieren«.253 Sie beeinflussen die Unternehmenskultur und es müssen Marktmodelle aus diesem Umstand heraus entwickelt werden.254 Denn die historischen Ungleichzeitigkeiten, wie Peter Heintel sie nennt, sollen nicht zu Wertungen führen; sie können dazu genützt werden, dass beispielsweise eine Internationalisierungsstrategie den Entwicklungsstand eines Marktes beurteilt und dann feststellt, dass man auf einem hoch entwickelten und großen Markt viel mehr Kapital braucht, um andere Marktteilnehmer zu verdrängen, weil dort niemand auf das (vielleicht gar nicht so neue) Produkt gewartet hat. Auf einem unterentwickelten Markt kann man mit weniger Kapital auskommen.255 Dabei ist jedoch ein gewisser Respekt nötig und man soll vermitteln, dass man nicht besser und nicht gescheiter ist. Mentalitäten
Meistens werden unter dem Begriff Kultur im Zusammenhang mit Internationalisierung die Mentalitäten in den einzelnen Ländern, bis hin zu Sprache und Gestik, zusammengefasst. Wenn beispielsweise liebevoll zu einem bestimmten Land gesagt wird: »Das war ein anderer Kulturkreis. Die Sprache – die Schrift ist sowieso eine Katastrophe«,256 und zu Erlebnissen in einem ganz anderen Land: »Bei uns ist das ein bisschen vernachlässigt worden. In Japan, das ist ja beispielsweise ein komplett anderer Kulturkreis, die Leute reagieren anders von der Mimik und Gestik, sie reagieren anders. Aber eines können sie nicht verstellen, nämlich wenn sie einen Zorn auf dich haben. Und das wird noch viel deutlicher, wenn man die Sprache nicht spricht.« 257 252 Interview x, S. 113 253 P. Heintel, Widerspruchsfelder, Systemlogiken und Grenzdialektiken als Ursprung notwendiger Konflikte, in: G. Falk, P. Heintel, E. E. Krainz (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Wiesbaden 2005, S. 18 254 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Praxismodelle … oder die Unternehmer zu Wort kommen lassen«. 255 Vgl. Interview x, S. 115 256 Interview viii, S. 92
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Was eine andere Mentalität bedeutet und wie in der Praxis damit umzugehen ist, erzählte mir ausführlich einer meiner Interviewpartner. Die folgenden Aussagen spannen einen Bogen vom Management über die Hierarchie, die daraus abgeleiteten Kontrollmethoden bis zur Verlässlichkeit der Frauen. »Man muss immer vor Ort sein, und die Firma wird ja an Personen festgemacht, und ich sage immer bei so einem Geschäft, wenn man das erfolgreich führen will, gilt auch der Führungsgrundsatz der israelischen Armee, der heißt: vorleben – vorsterben. Du kannst dich nicht daheim auf die faule Haut legen, du musst dort mit den Leuten in den Schlammbaustellen herumfahren und schauen, was da läuft, und schauen, wie du die Probleme löst. Das wird erwartet. […] Und das ist der Erfolg, weil sie natürlich genau wissen, du hast sie auch am Zug. Aber man ist halt 120 – 150 Tage im Jahr draußen.« 258 »Da würdest du ja mit allen Führungsgrundsätzen, wie sie bei uns verinnerlicht werden, dass man auf jeden zugeht, sofort Schiffbruch erleiden. Wenn du mit einem Buchhalter redest, ohne dass sein Chef dabei ist, dann denkt der, das ist ein V… oder mein Chef ist am Abschuss. […] Wenn du mit der Buchhalterin reden willst, holst du ihren Chef rein, sagst zum Chef, jetzt rufen Sie die Buchhalterin an und sagen Sie, sie soll kommen, und dann weiß der, da stimmt alles. Da stimmt die Hierarchie, denn wenn das nicht so ist, dann werden sie nervös. […] Du kannst in Russland zum Beispiel überhaupt nicht in einer Runde ein Thema diskutieren. Der Geschäftsführer darf nie einen Gesichtsverlust erleiden. Dann hast du dich selbst als unfähig erwiesen, ein russisches Geschäft zu machen.« 259 »Was und wie kommuniziert man? Wie tut man was? Du darfst ja nie deine Intentionen oder deine Absichten, dein Verhalten, wie du es gängigerweise hast, dort versuchen zu perpetuieren. Das wird […] als bescheuerter Zugang [ausgelegt], das heißt, du weißt gar nicht, wie dort das Geschäft geht. […] Oder zum Beispiel in Weißrussland und Kroatien arbeiten wir ja mit Partnern, die Minderheitsbeteiligungen haben. […] Aber die Hierarchie ist vollkommen ausgeprägt. Das geht so weit, dass du selbst als höchster Spitzenmanager des Konzerns mit einem Weißrussen […], wenn es dann um irgendeine Beteiligungsgeschichte geht, nicht reden kannst. Der will, dass der Eigentümer auch dabeisitzt, der sagt, ich rede nur mit dem Eigentümer. Sie sind ein Manager, aber Sie sind kein Eigentümer. […] Der braucht den Eigentümer. Ich sagte, machen Sie mich nicht verrückt, ich werde nicht wegen … Euro [den Eigentümer einfliegen]. 257 Interview viii, S. 91 258 Interview x, S. 118 259, 260 Interview x, S. 119
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Dann sagt er: Sie, das tut mir Leid. Das musst du machen, denn er verlangt so etwas und er wird mit keinem anderen reden. Es ist eine Sache des Respekts. Selbst wenn du als Manager die ganzen Verhandlungen führst, [weil der Eigentümer auch die Sprache nicht beherrscht], muss [er] danebensitzen.« 260 Sie sagten, »sie werden eine Beurteilung machen im Zusammenhang mit dem Mitarbeitergespräch und die Mitarbeiter beurteilen ihre Chefs. Ich habe ja nur gelacht. […] Die Mitarbeiter, klug genug, […] haben gesagt, Herr Chef können wir heute mit Ihnen zusammen die Beurteilung ausfüllen, die wir über Sie machen müssen? Ja sicher, dann haben die bei der Auswertung gefragt – es ist ein Wahnsinn, wie gut der wegkommt. [Anm. d. Autors: Ich kann mir hier die Anmerkung nicht verkneifen: Soviel zu den Methoden der Sozialforschung.] [… ] Das darf aber nicht sein. Dann sagte ich denen: Ja glauben Sie, dass dort einer so ein T[…] ist, dass er Ihnen ein Formular ausfüllt und er am nächsten Tag keinen Job mehr hat. Der weiß, wie das läuft. […] Wir [glauben zu] wissen, wie es läuft. […] Dann reden sie groß von Kultur. Und dann sage ich immer, ja bitte, die haben eine andere Kultur. Wir können zwar glauben, dass unsere besser ist, aber der hat seine und der muss in seiner leben, und das ist so.« 261 »Es gibt Phasen, wo es wirtschaftlich schwierig ist, und da muss man sie beschimpfen, weil man sonst als Führungskraft überhaupt nicht ernst genommen wird. »Sonst sagt der, das ist ein S…, der hat mich nicht einmal zusammen ge…, was ist denn da los? Das steht natürlich in keinem Management-Handbuch. Oder zum Beispiel Controlling, wenn ich hinuntergefahren bin nach Belgrad: So – zeigen Sie mir einmal die Bewirtungsrechnungen, zeigen Sie mir einmal die Tankrechnungen, warum haben Sie denn da ein Packerl Pril gekauft, einmal machen Sie das noch, dann sind Sie draußen aus der Firma.« 262 »Die Frauen sind dort die viel verlässlicheren, arbeitsfreudigeren Menschen. Die Hauptbuchhalterin, Marketingleiterin, Vertriebschefin, das sind am besten alles Frauen. Sie sind mit Abstand die viel verlässlicheren. Loyal einfach.« 263 Unternehmenskultur ganzheitlich zu erfassen ist, wie bereits formuliert, deshalb schwierig, weil sie meistens einfach nur da ist und erst bei sogenannten Kulturbrüchen, also radikalen Veränderungen wie großen Investitionen oder auch bei Krisen, spürbar wird. Und trotzdem wird vorgeschlagen, die Intervention zur Unternehmensentwicklung, hier durch Internationalisierung, nach manchen Modellen auch über die Unternehmenskultur zu starten, weil diese Prozesse der Strukturierung in Gang setzt, sie sozusagen steuert und damit legitimiert. Diese Prozesse führen zu Strukturen, welche die Rahmenbedingungen 261, 262 Interview x, S. 120 263 Interview x, S. 121
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Die »Story« wird zum Modell
für die Routinen des Alltags bilden. Die Routineprozesse verstärken oder verunsichern die (Kultur-)Veränderung.264 Wo ist der Zusammenhang zwischen Identität (Kultur) und der auf einen Zweck ausgerichteten Organisation zu erkennen? Das Unternehmen, als interessensbezogener Partner seiner Stakeholder (Kunden, Lieferanten usw.), ist durch seine Aushandlungen und Entscheidungen Teil dieser Systeme, die ihrerseits kulturell identifizierbar sind. Entscheidungen sind auf der Ebene der Eigentümer als Unternehmenspolitik, Öffentlichkeitsarbeit, aus den dazupassenden Außenauftritten erkennbar und sie pflanzen sich auf die Mitarbeiterbeziehungen fort. Dies führt zu einem kollektiven Außenbild des Unternehmens, welches auch Image genannt werden kann. Auch »Akzeptanz fördernde gesellschaftliche Ordnungen vom Typ symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien wie Wahrheit, Geld, Macht oder Liebe« 265 spielen bei diesen Außenbild mit. Hier muss wieder einmal auf die vielfach vernetzte Rolle eines kmu in einer ländlichen Region verwiesen werden. Aus dem Bild oder Image, welches ein Unternehmen nach außen hin vermittelt, können Spannungen entstehen, wenn neben den bisher erfolgreichen Entscheidungen neue internationale Geschäftsmöglichkeiten entstehen sollen. Der Stolz der Erfolge vermischt sich mit der Sorge um einen wichtigen Arbeitgeber. Diese Mischung aus Stolz und Sorge zeigt auch den Gestaltungsspielraum bei der Internationalisierung auf. Und eine diesen Parametern widersprechende Kultur wird sich nicht entwickeln. Generell gilt zwar Folgendes: »Das System Wirtschaft verwirklicht sich und seine Eigenlogik in unzähligen Einzelunternehmen, Konzernen, Betrieben und unterwirft diese ihren Grundprinzipien und Leitdifferenzen. Keines kann ungestraft ausscheren.« 266 Und trotz dieses Generalmodells und des berechtigten Wunsches nach einer einheitlichen Unternehmenskultur gibt es völlig unterschiedliche Unternehmenskulturen und zusätzlich auch noch Zusammenarbeit mit Menschen aus verschiedenen Kulturen und mit verschiedenen Mentalitäten. Dies führt zu einer völligen Desillusionierung, dass ein einziges (streng geheimes) Modell zum Erfolg führen könne, und endet mit dem Rat, sein eigenes kulturell geprägtes Modell auseinanderzunehmen, dessen Elemente durch die vielen praktischen, jedoch widersprüchliche Hinweise zu hinterfragen und einen Versuch zu starten, ein paar Zusammenhänge herzustellen. Ich habe herausgefunden, dass für die Modellbildung die Vertikalität in der Bran264 Vgl. M. Schwaninger, Was ist ein Modell. Zirkuläre Logik von Kultur und Struktur, in: R. Dubs, D. Euler, J. Rüegg-Stürm, C. E. Wyss (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre, Band 1, Bern 2004, S. 103 265 S. J. Schmidt, Unternehmenskultur, Weilerswist 2004, S. 53 266 P. Heintel, Supervision als Sinn- und Grenzreflexion, 2000, S. 10
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che (bis hin zum Endprodukt) von großer Bedeutung ist. Innerhalb dieser existieren in den einzelnen Stufen eigene Geschäftslogiken. Die einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette »ticken« aber völlig unterschiedlich, womit an den Schnittstellen Konflikte auftreten. Für kmu ist es kaum ratsam, in kapitalintensive Verschränkungen einzusteigen. Denn auch die richtige Balance zwischen Unabhängigkeit und Abhängigkeit der ganzen Unternehmensgruppe ist von der Kultur, den Normen, den Strategien und den operativen Erfordernissen geprägt. Und es wird als eine der schönsten unternehmerischen Aufgaben gesehen, wenn man den Widerspruch zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit selbst entscheiden kann,267 wie auch folgende Formulierung deutlich macht: anlehnen an den Partner ja, »aber immer nur in der unteren Ebene, nie in der Holding«.268 Dieses Nebeneinander von Kooperation und Konkurrenz ist im Zusammenhang mit Internationalisierung doch ein Erfolgsmodell.269 »Mit wem man dort zusammenarbeitet, der muss Dinge kennen, die man selber gar nicht wissen kann. […] Man muss einfach […] Drähte und Kontakte haben. […] Da haben wir wirklich einen fantastischen Partner seit 10 Jahren, mit dem wir mitgewachsen sind.« 270 Gerade weil mit einer Internationalisierungsentscheidung zugunsten des Wandels entschieden wurde, werden als Reaktion die Stabilität und die Abgeschlossenheit verteidigt.
267 Vgl. Interview ix, S. 100 268 Interview st i, S. 147 269 Siehe dazu meine Ausführungen in den Essays »Kooperation und Eigentum (Konkurrenz)« und »Praxismodelle … oder die Unternehmer zu Wort kommen lassen«. 270 Interview st viii, S. 218 (eines von vielen Kooperationszitaten)
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327 E. Juritsch, Internationalisierungsentscheidungen von kleinen und mittleren Unternehmen © Springer-Verlag/Wien 2011
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Die andere Vertikalität »Betrachten wir [...] die Firmennamen der Computer, die wir kaufen. Sie sind eine Collage von überall in der Welt hergestellten Einzelteilen, der Firmenname steht bestenfalls noch für das Zusammensetzen am Schluss.« 1 Die Wertschöpfungskette war immer sehr bedeutend für Erklärungen, wie Geschäftsmodelle erfolgreich initiiert und umgesetzt werden können. Die folgenden Seiten sollen aufzeigen, dass sie mehreren interdependenten Einflüssen ausgesetzt ist und dass ohne Analyse der Wertschöpfungskette, innerhalb der das eigene Unternehmen angesiedelt ist, kein Verständnis für seine strategische Position gefunden werden kann. Und ohne umfassendes Verständnis der strategischen Position werden die erforderlichen Investitionen von außen an das Unternehmen herangetragen und es gibt nicht ausreichend Gelegenheit, Entscheidungsalternativen zu überlegen. Zu den Bedeutungszusammenhängen innerhalb von Wertschöpfungsketten sollen Beispiele hinführen. Diese sollen die Unternehmer auf eine dynamische Betrachtung des eigenen Geschäftsmodells aufmerksam machen. Die Analyse ist natürlich nicht nur für das Halten der Position des Bestehenden, sondern insbesondere für neue Unternehmensaktivitäten bedeutungsvoll. Sie leistet auch gute Dienste, wenn kmu Entscheidungen zur Internationalisierung vorbereiten und dabei neue Organisations- und Finanzierungsformen mitberücksichtigen.2 Wir sind nicht mehr ganz am Anfang der sogenannten dritten industriellen Revolution. Diese Revolution basiert nach der Erfindung der Dampfmaschine (erste) und der Erfindung der elektrischen Energie (zweite) auf den Technologieschüben von folgenden Schlüsseltechnologien: Biotechnologie, Telekommunikation, Mikroelektronik, ikt (Informations- und Kommunikationstechnologien), Robotik und Neue Materialien. Diese Schlüsseltechnologien sind Auslöser einer Neuordnung von Wertschöpfungsketten. Die Definition von Wertmaßstäben von Produkten, welche immer weniger materielle Anteile am Verkaufspreis und immer mehr umgesetztes Wissen, also Immaterialität, enthalten, ist auch ein Resultat der Technologie-Vorlagen. Und diese aktuelle Form einer flexiblen Zusammenstellung von Wertschöpfungsstufen orientiert sich nicht mehr in erster Linie am Eigentum an den verschiedenen Wertschöpfungsstufen, sondern es sind die unterschiedlichen Dynamiken in Bezug auf die jeweils vorhandene Technologie (siehe unten: das Communications Roadmap 1 R. Sennett, Der flexible Mensch, Berlin 1998, S. 70 2 Dieser Essay bietet mit meinen eigenen Ausführungen im Essay »Kooperationen und Eigentum (Konkurrenz)« Ansätze für die Internationalisierung von kmu an.
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Consortium). Sie ergeben zusammen mit den wichtigsten Unternehmen in der Wertschöpfungskette Strategien und Strukturen. Und dabei sind die Technologie-Dynamiken meiner Ansicht nach einer der wesentlichen Treiber des grenzenlosen Modells der realen Wirtschaft. Daraus ergeben sich Chancen und Risken. Chancen, in die Wertkette einzudringen, und das Risiko, aus ihr herauszufallen. Denn an den Schnittstellen der einzelnen Stufen und an den Schnittstellen des Ersatzes »alter« Lösungen durch neue liegt die Arena für unternehmerisches Handeln. Keine Verordnung und kein Gesetz bremst dieses Handeln. Rahmenbedingungen ermöglichen es. Und es beginnt bei der Idee. Das Erkennen dieses Platzes löst Energie für Veränderung aus. Denn jedes bereits vorhandene Produkt ist eine existierende Antwort auf Bedürfnisse und jedes Produkt birgt auch Schwächen in sich. Beispielsweise kann es zu groß sein oder es kann zu teuer sein. Es kann aber auch eine schlechte Antwort auf Bedürfnisse sein. Oder es war eine gute Antwort und ist es nicht mehr. So ist beispielsweise ein großer Zentralcomputer, wie wir heute wissen, keine gute Antwort auf die Nachfrage nach Computerleistungen einer ganzen Stadt. Und aus diesem wahrgenommenen Defizit, jedoch ausgestattet mit den Fähigkeiten, Computer zu bauen, wird nach einer neuen Lösung gesucht. Die Energie nach Neuem entsteht aus dem Mangel und in der Regel ohne vollständigen Überblick über die weltweiten Aktivitäten: Damit gibt es bei Produktentwicklungen auch Gleichzeitigkeiten. Vorsichtige Wirtschaftsakteure recherchieren nach dem Erkennen des Mangels die Möglichkeiten von der technischen Seite und von der Marktseite her und generieren nach Abklärung der finanziellen Erfordernisse die neuen Produkte, Vorprodukte oder Verfahren. Und gleichzeitig passieren jedoch ungeplant, das heißt ohne Recherche über mögliche ähnliche Entwicklungen, dieselben Aktionen. Auch wenn die Ersten, die sich auf dem neuen Feld bewegen, nicht wirtschaftlich reüssieren, das neue Produkt wird existent. Es ist da und wartet sozusagen auf seine wirtschaftliche Verwertung. Und dieses neue Produkt ist ein neues Element einer riesigen Innovationsspirale, die viel Bestehendes durch Neues, wenn auch nicht immer Besseres ersetzt. Die dritte industrielle Revolution hat, zumindest aus heutiger Sicht, differenziertere Ursachen als die ersten zwei. Heutzutage benötigt man ein umfassendes Verständnis von interdependenten Technologie-, Produkt- und Dienstleistungsschüben. Die Geschwindigkeiten sind ebenfalls unterschiedlich. Am folgenden Beispiel aus dem Segment elektronischer Kommunikation ist dies gut erklärbar. Das folgende Konglomerat von Unternehmen, das eine oder mehrere Wertschöpfungsstufen gemeinsam mit den jeweiligen Konkurrenten abdeckt, existiert natürlich nicht als reale gesellschaftsrechtlich zusammenhängende Unternehmensgruppe. Die Eigentümerstruktur erschließt sich nicht leicht – ist 329
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also weitgehend unbekannt. Jedes Unternehmen hat in dieser Wertkette in einer oder mehreren Stufen Kernkompetenz. Das »Communications Roadmap Consortium« 3 sieht auszugsweise wie folgt aus: Wertkette Anbieter von neuen intelligenten Materialien und Investitionsgütern für neue Verfahren: Komponenten: Ausstatter für Netzwerkanbieter: Eigentümer von Netzwerken: Service Provider: Content Provider: Geräte (Devices): 4 Konsumenten, End-User:
Unternehmen
Applied Materials, Dupont usw. Alcatel, Nortel usw. Cisco, Siemens AT&T, Worldcom AOL/TW, T-Mobile Disney, Microsoft, Google, NBC Computer, Handys, Kameras Business, Konsumenten, öffentlicher Bereich, Gesundheitssektor, Soziales usw.
Was kann innerhalb dieser Wertkette passieren? Woher können Störungen kommen? Da sind einerseits die Impulse von der Seite des Konsumenten beziehungsweise End-Users, die sich in verstärkenden oder abschwächenden Wellen bis zum Anbieter von intelligenten Materialien auswirken können. Mit der Frage »Wie wäre es, wenn man auch E-Mails über das Handy empfangen, weiterleiten und bearbeiten könnte?« wird so ein Impuls ausgelöst. Andererseits kann ein neues Material, beispielsweise ein anderer Grundstoff, der Akkus leichter und leistungsfähiger macht, die gesamte Kette in die andere Richtung beeinflussen. Dazu kommt noch, dass jeder Teilnehmer innerhalb der Wertkette selbst Forschung, Entwicklung und Marktanalysen betreibt und natürlich neue Anbieter in die Wertkette eindringen oder existierende Anbieter das Geschäft ihres Kunden oder ihres Lieferanten machen wollen – ihre Kernkompetenz vertikal erweitern wollen. Kooperationen in Forschung und Entwicklung können die Dynamik in Teilbereichen noch erhöhen. All diese aus unternehmerischen Aktivitäten entstehenden Veränderungen sind für den einzelnen Akteur innerhalb der 3 Ch. H. Fine, Leadership, Management and Innovation, mit May 2002, Unterlage zur Konferenz 4 Bei den Devices werden aufgrund der Vielzahl der Anbieter keine (Marken-)Namen angegeben.
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Wertkette kaum überschaubar. Und die Logiken der Akteure und ihr Tempo in Bezug auf Veränderungen sind ebenfalls unterschiedlich hoch. Diese kurze Beschreibung einer Megaindustrie soll die Innovationsdynamik, die vielen Branchen innewohnt, verständlich machen. Und aus der Sicht vieler Konsumenten gibt es auch überschießende Auswüchse. Alle paar Monate wird beispielsweise ein neues Handy auf den Markt gebracht. Und da es Industriebetriebe gibt, die organisatorisch nicht in der Lage sind, drei bis vier Handygenerationen in verschiedenen Entwicklungsstadien gleichzeitig zu bearbeiten – also zu entwickeln, mit einem Design zu versehen, zu testen, zu produzieren, allenfalls auch zu verkaufen und das Garantiegeschäft zu erledigen –, lagern diese Industriebetriebe Teile dieser Zyklen an kmu aus oder beteiligen sich an kmu, die in verschiedenen Stadien dieses extrem kurzen Innovationszyklus jeweils ihre Kernkompetenz haben. In dieser Kommunikationsindustrie sind die kürzesten Innovationszyklen bei Produkten und Dienstleistungen zu beobachten. Etwas länger dauert es bei Veränderungen der Infrastruktur.5 Und noch langsamere Schübe gibt es bei den Komponenten und den Materialien. Wie diese Interventionen ablaufen und große Überraschungen nach sich ziehen, soll an einem sehr bekannten Einzelfall dargestellt werden: »Who let intel inside«6
Die Intel-Geschichte ist die Geschichte eines kleinen Unternehmens, welches die damals vorhandene, vertikal integrierte Struktur der Computerindustrie völlig veränderte. Auslöser war eine Kooperation mit ibm – ähnlich wie bei Microsoft. 1980 wurde der Personalcomputer von ibm, der damals größten Computerfirma der Welt, auf den Markt gebracht. Das Produktdesign war einzigartig und der Markterfolg entgegen allen Prognosen von namhaften Experten phänomenal. Er war also die Antwort für die oben angeführte Nachfrage einer Stadt (und der industrialisierten Welt) nach Computerleistungen. Wenn man die Wertkette betrachtet, wie viel von der Wertschöpfung an ibm und wie viel mehr an Intel und Microsoft ging, so war diese Produktantwort für ibm ein Desaster: Die wertvollsten Teile lieferte Microsoft, nämlich das Betriebssystem dos. Darauf aufbauend folgte im Übrigen die Standardsoftware, die heute einen Anteil am Weltmarkt von über 80 % hat. Und Intel lieferte den Prozessor mit einem heutigen Marktanteil von 70 %. ibm steuerte die unintelligenten Teile und den Zusammenbau des 5 Zum Beispiel Breitbandtechnologie 6 Fine, Leadership Management and Innovation, Roadmapping the Communications Value Chain (Folie Nr. 15)
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pcs bei. Wie kann uns so etwas passieren? So oder ähnlich werden die Fragen in den Führungsetagen von ibm gewesen sein. In einer Wirtschaftsstruktur, wo wenige große Unternehmen den Markt beherrschen und sich gegenseitig nicht stören, also in einer oligopolistisch organisierten Wirtschaft, wäre wahrscheinlich kein Unternehmen eine Allianz mit so kleinen Unternehmen eingegangen. Die unstete wirtschaftliche Performance und die improvisierende Organisation einer kleinen Chip-Design-Firma ist in einer oligopolistischen Wirtschaftsstruktur kein ernst zu nehmender Partner für die Großen. Anders verhält es sich in einer gemischten Wirtschaftsstruktur mit großen, kleinen und vor allem auch mittleren Unternehmen. Da denkt man nicht von vornherein an Abwehr von Innovationen. In einer gemischten Struktur können also solche Fälle wie Microsoft oder Intel passieren. Und wie erklärt sich das? Die den Großunternehmen innewohnende Arroganz und deren Selbstbewusstsein führt oft genug zu blinden Flecken in Bezug auf neue Lösungen, versinnbildlicht durch folgende Aussage: »There is no reason for any individual to a have computer in his home.« 7 Tief greifende Veränderungen einer ganzen Industrie werden also nicht gesehen. Auf Beständigkeit von Produkten und Geschäftsmodellen blind vertrauend, reagiert man erst, wenn es bereits zu spät ist. 1980 hat also ibm mit dem pc ein neues Produkt auf den Markt gebracht, den ibm 256 Personal Computer, und damit die Welt verändert. Die Anzahl der Nutzer bewegt sich 2008 auf eine Milliarde zu und die jährliche Verkaufszahl betrug 2005 circa 200 Millionen Stück. Astronomische Zahlen für ein Produkt, das es 1975 noch nicht gab. Die Wertkette der Computerindustrie war vor der Einführung des pc vertikal integriert. Sowohl ibm als auch die anderen großen Hersteller offerierten alle Produkte: Prozessoren, Betriebssysteme, Peripherie, Anwendungssoftware, Netzwerke inklusive die dazugehörenden Dienstleistungen und auch die assemblierte Hardware. Heute hat diese Wertkette eine weitgehend horizontale Struktur von Anbietern. Das Produkt pc hat somit auch die Industriestruktur verändert und hat einen Verlierer – nämlich ibm – und zwei Sieger, Microsoft und Intel. Dieser knappe Abriss dient zur Illustration, dass ausgelöst durch Technologie und durch Produktinnovationen die (Wirtschafts-)Welt innerhalb weniger Jahre verändert wird und sich völlig neue Kombinationen herausbilden. Eine Verlangsamung oder gar Unterbrechung dieses Handelns ist in nächster Zeit kaum zu erwarten, der Fortschritt in den technologischen Anwendungen gelingt ganz offensichtlich schneller. Die gesellschaftlichen Reaktionen auf dieses Tempo, die rechtlichen Anpassungen, dauern wesentlich länger. 7 DEC-Gründer Ken Olsen im Jahr 1977, siehe: http://www.snopes.com/quotes/kenolsen.asp (6. 4. 2007)
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Wir erleben also heute Kombinationen von Produkten, Prozessen und Organisationen, die innerhalb einer Wertkette verschiedene Geschwindigkeiten aufweisen. Dadurch ergibt es sich, dass zwar die ganze Wertkette logisch integriert abgebildet werden kann, dass jedoch nicht dieselbe Logik in den einzelnen Stufen abgebildet ist. Neben den unterschiedlichen Geschwindigkeiten in den einzelnen Stufen ist auch noch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten anderer Sektoren der Wirtschaft umzugehen. Wenn beispielsweise die kurzen Produktzyklen der Computeranwendungen mit den langen Produktzyklen in den Finanzierungen in Einklang zu bringen sind, so haben die Menschen, die diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten, bedingt durch ihre arbeitsspezifische Spezialisierung vertreten, große Schwierigkeiten miteinander zu arbeiten. Wie kann man also als kmu mit den Veränderungen der Wertschöpfungsketten umgehen – aus ihnen Nutzen ziehen, also in sie eindringen oder nicht herausfallen? Vorteilhaft ist Forschungs- und Entwicklungskompetenz, zumindest in einer Nische. Die Basis dafür erhält man durch technische Ausbildung, durch überbetriebliche Job-Rotation beziehungsweise durch anwendungstechnische Beratungstätigkeit. Dabei passiert ein Hineinhören in die Kundenbedürfnisse und dafür sind Sprachkenntnisse wichtig. Ein Weg für kmu ist, durch Kooperationen Zugänge zu Komplementären zu erhalten, um als Systemanbieter ganze Prozesse abdecken zu können.8 Als sehr wichtig werden die kurzen Wege gesehen, in erster Linie die zum technisch Verantwortlichen (der Kunden beziehungsweise der Lieferanten), in weiterer Folge die zum Geschäftsführer.9 Das auch, weil man im eigenen Unternehmen so arbeitet. Damit soll die Aufmerksamkeit auf die Gefahr betrieblicher Bürokratien gelenkt sein. Weil man auf der Kundenseite ähnliche Phänomene wie im eigenen Unternehmen vorfindet, nämlich jenen Stolz auf die eigene Lösung, das eigene Produkt, der durch das Bewahren bestimmt ist. Daran schließt sich unmittelbar die finanzseitige Vertikalität an, die da heißt, dass nicht von vornherein davon auszugehen ist, dass der Kunde die Lösung beziehungsweise das Produkt bezahlen kann.10 Um jedoch nicht ständig mit Misstrauen konfrontiert zu sein, gibt es in Kooperationen, »die auf Respekt und Fairness beruhen, [die also] längerfristig den Vorteil beider Seiten befördern«,11 jene »Vertikalität [, die] nicht durchstrukturiert wird«,12 die auf Vertrauen aufgebaut sein soll.
8 9 10 11 12
Vgl. Interview ii, S. 17, Interview xi, S. 123 Vgl. Interview iii, S. 30 Vgl. Interview ii, S. 20 P. Heintel, Interkulturelles, Manuskript, Klagenfurt, 14. 7. 2008, S. 4 Interview xii, S. 140
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Business-Modelle
Es gibt wenige Unternehmen, die über einen langen Zeitraum existieren, ohne sich permanent mit den Veränderungen, die um sie herum passieren, auseinandersetzen zu müssen. So kann man beispielsweise Infrastrukturunternehmen wie Autobahnen und Kraftwerke zu den längerfristig mit ähnlichen Parametern arbeitenden Unternehmen zählen, aber auch Immobilienunternehmen und Unternehmen, die in der Gewinnung von Rohstoffen tätig sind, zählen dazu. Die meisten müssen sich jedoch permanent mit Veränderungen auseinandersetzen, und dadurch haben sich Sprüche etabliert wie »Stillstand ist Rückschritt«, übrigens mit 20.000 Treffern in Google. Veränderungen sind aus der Sicht vieler Unternehmen exogen getrieben, was natürlich nicht ganz richtig ist. Es herrscht die Meinung vor, sie hätten wenig bis keinen Einfluss auf diese Veränderungen. Denn ihre Grundhaltung bevorzugt Stabilität: Wer möchte nicht über lange Zeiträume hinweg ohne Eingehen neuer Risken gute Geschäftsergebnisse erzielen? Die wirtschaftliche Realität ist jedoch etwas Lebendiges und die Summe der Veränderungen wird gesamtwirtschaftlich betrachtet von den Unternehmen selbst erzeugt. Deren Auswirkungen spüren sie. Die Marktseite bringt, und das ist noch am einfachsten zu erklären, zumindest über die Preise Bewegung ins Unternehmen hinein. Das kann von der Beschaffungsseite oder von der Absatzseite erfolgen. Und damit entstehen bereits wesentliche Fragen wie beispielsweise die Frage nach der optimalen Unternehmensgröße. Diese ist bezogen auf die Produkt-MarktKombination ausschlaggebend für die Investitionsentscheidungen, für Innovationen oder Nachahmungen und für Internationalisierung. Erst damit kann eine Antwort auf die Allokation der Managementressourcen, der Mitarbeiter und der Finanzen erfolgen. Durch Wissen, Kommunikation und Information sowie durch die neuen Technologien entsteht somit eine beinahe immanente Unsicherheit in den Unternehmen. Damit passiert aber Folgendes: Es gibt neben den erforderlichen Veränderungen, als Folge oder aus der Verunsicherung heraus, oft noch solche um ihrer selbst willen. Und es bleibt nicht nur bei den Veränderungen der Unternehmensstruktur, es folgen welche in den Strategien. Das »Hamsterrad« dreht sich immer schneller, und ohne Beobachtung der Veränderungen kann man sein Unternehmen nicht in die Situation bringen, um entscheiden zu können. Sinngemäß habe ich in meinen Interviews gehört, dass die Interviewpartner ihr Unternehmen verändern mussten, um erfolgreich bestehen zu können und ihre Unabhängigkeit weiter zu behalten, es gipfelte in der Aussage: »Ich wage zu behaupten, wenn es also nicht gelungen wäre, [das] abzusichern, weiß ich nicht, ob es W. überhaupt noch gegeben hätte.« 13 13 Vgl. Interview iv,S. 47, Interview vii, S. 8, Interview x, S. 112
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Die Veränderungen sind jedoch nicht nur an den Schnittstellen zwischen den Unternehmen und seiner Umgebung – also vertikal – angesiedelt, sondern es gibt auch horizontales Wissen und das dazugehörige Know-how zur Vermarktung. Dieses Know-how ist in den it-Branchen, in der Finanzwirtschaft und vor allem in der Beratungswirtschaft angesiedelt. Die Veränderungen in den traditionellen Wertketten und die dadurch ausgelöste latente Verunsicherung ganzer Industrien machen die Dienstleistungsbranchen zum Wachstumssektor. Aber auch die Angebote dieser Branchen sollte man als industrieller Auftraggeber genau hinterfragen. Denn große Teile dieses Wachstums beruhen auf Modeerscheinungen und einer Inflation von Modellen.14 Es werden also Innovationen bei Unternehmensmodellen angeboten. Und mit jedem neuen Modell wird das Ende des unternehmerischen Hochseilaktes versprochen – natürlich hat noch keines der Modelle dieses Versprechen erfüllen können. Ich möchte noch ein Beispiel von Charles F. Fine bringen, welches für das Ende eines der gewinnträchtigsten Geschäftsmodelle steht: das Ende der vertikal integrierten Musikindustrie. Das Scheitern dieses über viele Jahrzehnte erfolgreichen Geschäftsmodells konnte nicht vorhergesehen und durch keine Strategie verhindert werden. Das Ende des Geschäftsmodells wurde mit der Möglichkeit eröffnet, Musik aus dem Internet herunterzuladen. Vorher gab es folgende Wertschöpfungskette: Die Musikindustrie hatte ihre Fühler ausgestreckt, um Talente zu identifizieren. Sie konnte mit ihrem Netzwerk auf Komponisten zurückgreifen. Sie verfügte über Tonstudios und sie hatte großen Einfluss durch eigene PR-Gesellschaften und durch Musiksender, um ihre Hits zu bewerben. Sie beherrschte den Produktionsprozess für cds und hatte eigene Geschäftslokale, wo die bespielten cds direkt dem Konsumenten verkauft wurden. Das führte auch zu Auswüchsen, so wurden eigene Produktionen aufgekauft, um die Hitparaden zu stürmen. Nichts und niemand, so glaubte man, kann in diese Wertkette einbrechen. Das Ende der Geschichte ist bekannt: Der Konsument hat zuerst unrechtmäßig die Musik aus dem Internet heruntergeladen, weil beim Internet-Musikanbieter Napster 15 vorerst nichts bezahlt werden musste. Heute werden mehr Musikstücke aus dem Internet heruntergeladen als im Geschäft gekauft. Es gibt Tauschbörsen und weitere Online-Märkte. Die Lehre aus diesem Modell ist, dass eine produktorientierte Strategie vieles übersehen kann: indem sie ihr Augenmerk auf den Konkurrenten richtet und mit ihrer vertikalen Integration vermeintlich völlig abgeschottet ist und den Konsumenten übersieht, 14 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Modelle und Wirklichkeiten im Management«. 15 Zu Napster s. Glossar.
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der mit einer neuen Technologie – dem Internet – am Ende der Wertkette an das Produkt herankommt.16 Das Erfolgsmodell der Musikindustrie ist bereits Geschichte, heute werden die Einnahmen hauptsächlich über Tourneen und Merchandising gemacht – doch wie wird es, wenn die Filmindustrie das gleiche Schicksal ereilt? Die Praxisbeispiele sollen aufzeigen, dass die in bestimmten Zeitabständen stattfindende Analyse von Angebotsketten viele Vorteile für unternehmerische Entscheidungen bietet. Die Internationalität der Angebotskette kann auf die Chancen beziehungsweise die Erfordernisse der Internationalisierung des eigenen Unternehmens hinweisen. Weil die Zusammensetzung der Wertkette das Schicksal ganzer Industrien bestimmt, wird damit das Schicksal des Unternehmens, welches Teil dieser Industrien ist, mitbestimmt. Und auch weil es keine Angebotskettenstruktur gibt, die dauerhaft existiert, haben (neue) Unternehmen die Möglichkeit, ein neues, vielleicht internationales Geschäft einzugehen. Und es ist in Bezug auf die oben angeführten Beispiele zu beachten, dass strategische Entscheidungen 17 nicht nur auf einen Umstand aufgebaut werden sollen. Beispielsweise kann die Auslagerung der Produktion in eine fernöstliche Werkbank,18 weil dies beispielsweise aus Kostengründen geschieht, das Unternehmen aus der Wertkette hinauskatapultieren. Auf die Bedeutung des Internets, in Bezug auf die Struktur, die (In-) Stabilität, die Organisation und die Veränderungen von Wertketten, möchte ich auch ein paar Hinweise geben.19 Denn es gibt wenig Forschungsarbeiten zu möglichen Auswirkungen des Internets auf die Internationalisierung von kmu. Und dass es Auswirkungen hat, ist zweifelsfrei.20 Heute sind beinahe 20 % der Weltbevölkerung online, und damit 80 % der Kaufkraft. In der industrialisierten Welt sind durchschnittlich zwei Drittel der Bevölkerung an das Internet angeschlossen. Das Internet hat Einfluss auf die Organisation und ist bei der Internationalisie16 Fine, Leadership Management and Innovation, Roadmapping the Communications Value Chain (Folie Nr. 29): »Go to the end [of the supply chain] and seal everything«. 17 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Zeit für Strategie«. 18 Zu (verlängerter) Werkbank s. Glossar. 19 Das Thema Internationalisierung durch das Internet kann nur gestreift werden. Ein gänzliches Weglassen wäre jedoch meiner Ansicht nach nicht praxisgerecht. Deshalb wurden ein paar Aspekte »entlang« des Aufsatzes von J. H. Fisch, H. Dürrfeld, G. Drexler, E-Business als Akzelerator der Internationalisierung von kmu (siehe nächste Fußnote) zusammengefasst 20 Vgl. J. H. Fisch, H. Dürrfeld, G. Drexler, E-Business als Akzelerator der Internationalisierung von kmu, in: J. A. Meyer (Hrsg.), New Economy in kleinen und mittleren Unternehmen, Jahrbuch der kmu-Forschung 2002, Univ. Flensburg, S. 242, https://www.uni-hohenheim.de/www510e/fisch/pap-eb-mey.pdf (3. 3. 2008)
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rung unterschiedlich einsetzbar. Die Einführung von E-Business zum internationalen Marktauftritt beginnt mit dem elektronischen Marktplatz und mit der Marktbindung durch und über das Internet. Daraus abgeleitet verändert sich das Tagesgeschäft. Die Informationstechnologien sind per se Wegbereiter und Unterstützer einer Internationalisierung; sie erleichtern sowohl den Start als auch die Umsetzung von Geschäftstätigkeiten. »Dabei ist an den Online-Zugriff auf Datenbanken oder direkte Ansprechmöglichkeiten von Mitarbeitern im Ausland, die Nutzung von Zeitunterschieden bei weltweit verteilten Prozessen oder auch die Beschleunigung der Kommunikation zwischen Institutionen zu denken. E-Business als eine Konsequenz der neueren ikt-Entwicklung hat die Internationalisierungsbedingungen für Unternehmen besonders wirksam verändert.« 21 Lothar Kamp 22 unterscheidet folgende Bereiche des elektronischen Geschäfts: »Electronic Commerce (Kauf und Verkauf von Produkten und Dienstleistungen über das Internet beziehungsweise E-Markets), Electronic Collaboration (Zusammenarbeit mit Zulieferern und Kunden über das Internet), Electronic Communication (E-Mail, Chat, interaktive Websites) und Electronic Education (Ausund Weiterbildung über das Internet). Für die Erleichterung der internationalen Geschäftsaufnahme und Intensivierung bereits bestehender internationaler Geschäfte sind insbesondere die drei erstgenannten Aspekte des E-Business relevant. Unternehmen können durch E-Business in kurzer Zeit eine virtuelle Präsenz im Ausland aufbauen, was ihnen den ersten Internationalisierungsschritt, meist die Aufnahme von Exportaktivitäten, erleichtert.« Was also früher durch kontrollierte Angebotsketten und Vertriebskanäle möglich war, ist jetzt viel offener. Das ermöglicht Neueinsteigern in die Angebotskette einzudringen und erhöht den Wettbewerbsdruck für etablierte Anbieter. Die Information ist wesentlich transparenter und schafft neue Geschäftsmöglichkeiten. Der Innovationsdruck bedeutet auch, dass die neuen Geschäftsmöglichkeiten dann von kurzer Dauer sind, wenn wieder neue Anbieter dasselbe tun. Für die politischen und wirtschaftstheoretischen Vertreter des vollkommen transparenten Marktes und der jederzeit verfügbaren Information ist das Internet jene Infrastruktur, die (geschlossene) vertikal integrierte Unternehmen auflöst und eine Wirtschaftsstruktur unterstützt, die dem Ideal des vollkommenen Wettbewerbs entgegenkommt. Es entstehen kollektive Innovationsnetzwerke. 21 M. Perlitz, Internationales Management, 2000, in: Fisch/Dürrfeld/Drexler, E-Business als Akzelerator, S. 244 22 L. Kamp, Electronic Business treibt Wirtschaft, 2001, in: Fisch/Dürrfeld/Drexler, E-Business als Akzelerator, S. 244
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Dazu ist die Open-Source-Bewegung, die mit Linux 23 dem Monopolisten Microsoft den Kampf angesagt hat, ein bekanntes Beispiel: 24 mit einer für jeden frei verfügbaren Software. Große Konzerne investieren bereits in die Weiterentwicklung der Linux-Software, ohne daraus einen direkten Nutzen wie beispielsweise Lizenzerlöse zu erzielen. Ein anderes Beispiel ist die sich selbst organisierende Lexikonplattform Wikipedia. Ohne Entscheidungshierarchie werden Texte zu verschiedenen Themen ins Web gestellt und auch wieder gelöscht. Die Verantwortung für deren Qualität ist beim Nutzer angesiedelt, er entscheidet also selbst, ob ihm die Information genügt, er muss auch entscheiden, ob die Information wahr ist. Für die Unternehmen, die Lexika in Papierform herstellen und damit Entscheidungen über die Textqualität treffen müssen, ist diese Plattform ein Angriff auf ihr Geschäftsmodell. Recherche, Entscheidungen, Produktion, Logistik haben einen zeitlichen Nachteil gegenüber dem selbstorganisierenden System. Auf der anderen Seite ist keine Autorität identifizierbar, die der Qualität verpflichtet ist und die zur (wissenschaftlichen) Rechenschaft gezogen werden kann. Ein neuartiger Unternehmens- beziehungsweise Internationalisierungstyp, der von der inkrementellen Internationalisierung abweicht, sind die »International New Ventures«.25 Diese versuchen nach ihrer Gründung möglichst schnell auf der ganzen Welt vertreten zu sein. Dieses Geschäftsmodell ist erst durch das Internet möglich geworden beziehungsweise es ist durch das Internet nicht mehr so kapital- und zeitintensiv. Und es ist eine Übergangsphase organisierbar, die es traditionellen und sesshaften Unternehmen ermöglicht, die vorhandenen Unsicherheiten im Umgang mit fremden Menschen aus fremden Ländern abzubauen. Über den leichteren Zugang zu Informationen über elektronische Business Ventures kann ein erster Schritt gesetzt werden. Die grundsätzliche Einstellung des Unternehmers zur Internationalisierung wird sich also durch die Einführung von E-Business ändern. Er bestimmt jedoch, ob und in welchem Ausmaß E-Business in das Geschäftsmodell Eingang findet. Es ist davon abhängig ob 23 Alle Informationen über das offene Betriebssystem Linux von den österreichischen Benutzergruppen unter www.linux.at 24 Die Plattformen Linux und Wikipedia und deren »Spielregeln« verändern sich selbst mit hoher Geschwindigkeit. Was bleibt und was im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung ist, ist jedoch die Idee des kollektiven sich selbst innovierenden und offenen Netzwerks. 25 B. M. Oviatt B. M., P. P. McDougall, Challenges for Internationalization Process Theory. The Case of International New Ventures, in: Management International Review, Vol. 37 (1997), Special Issue sowie M. Lindquist, Infant Multinationals, The internationalisation of Young, Technology Based, Swedish Firms, Diss. Stockholm School of Economics, 1991; beide Quellen in: Fisch/Dürrfeld/Drexler, E-Business als Akzelerator, S. 244
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er »das Internationalisierungspotenzial, das sich für sein Unternehmen aus dem Einsatz von E-Business ergibt [erkennt, dann] kann er ihm als Machtpromotor zu Akzeptanz verhelfen«.26 Eine weitere Studie zeigt die Internationalisierungsunterstützung durch das Internet. Sie ist speziell für Firmen aus peripheren Regionen interessant. Die untersuchten Software-Unternehmen sind in Bangalore, Indien, angesiedelt und exportieren ihre Produkte und Dienstleistungen in die ganze Welt. Shameen Prashantham nennt die drei wichtigsten Voraussetzungen für ihr Geschäft »The first is that the Internet holds great promise in facilitating the internationalisation of small firms – especially those in peripheral regions like developing economies; clearly, the four small software firms in Bangalore that were studied shared this hope. The second is that, Internet technology notwithstanding, traditional aspects of business such as the importance of face-to-face interaction and the building of trust remain vital; here a potential facilitator for small firms to overcome this barrier comes in the form of Internet-supported intermediaries that attract prospective clients and match them to small firms, whose quality they guarantee. The third is that ultimately, the prospect that the Internet holds for internationalising resource-poor firms is that of international growth; a rudimentary study of 30 Bangalore-based small software firms suggests that this notion holds credence and is worthy of further study, on a larger scale.« 27 In diesen wenigen Sätzen ist also eine neue Unternehmenswelt erkennbar: Unternehmer aus benachteiligten Regionen können virtuell ins Zentrum rükken, können somit Einkommen für sich generieren. Sie können die kulturellen Unterschiede durch das Internet überwinden und damit Anschluss an den Weltmarkt finden. Das wichtigste Argument in den hier zitierten Sätzen ist, dass durch das Internet Geschäftsmodelle erst möglich wurden, die sonst durch die Knappheit an finanziellen Ressourcen nicht zustande gekommen wären. Was bedeutet das? Hier verschränkt sich die Auslagerung aus den Industrieländern mit vorerst virtuellen Einlagerungen neuer Unternehmen. Daraus wird ganz eindeutig ein neuer Wettbewerb entstehen. Die kmu aus weniger entwickelten Ländern werden durch ihre Internationalisierungsfähigkeit und ihren Internationalisierungsdrang die weitere Entwicklung in Europa stark beeinflussen. Sie können durch das Internet ihre unternehmerische Leistung ohne Transportkosten 26 J. H. Tiessen, R. W. Wright, I. Turner, A Model of E-Commerce Use by Internationalizing smes, in: Jounal of International Management, 2002, Quelle aus: Fisch/Dürrfeld/Drexler, E-Business als Akzelerator, S. 245 27 Shameen Prashantham,The Internet and the Internationalisation of Small KnowledgeIntensive Firms: Promises, Problems and Prospects, 2004 S. 26, www.internationalmanagement.strath.ac.uk/ sibu/sibu-wpapers/WP2004-05 %20SP %20SY.pdf (2. 1. 2007)
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exportieren. Und den virtuellen Einlagerungen werden reale Exporte und Direktinvestitionen in Europa folgen. Dies wird insbesondere in Branchen passieren, die kein hohes Kapitalerfordernis für ihren Markteintritt benötigen. Wertketten, in denen das eigene Unternehmen angesiedelt ist, sind also in kleineren oder größeren Abständen zu analysieren. Kleinere Abstände gelten für Wertschöpfungsstufen, die schnelle Taktzeiten aufweisen, wie die oben genannten drei bis vier Handygenerationen pro Jahr. Innerhalb einer Wertschöpfungsstufe gibt es auch Unterschiede. Das Betriebssystem eines Handys wird nicht so schnell gewechselt wie die Komponenten des Geräts, die lediglich das Aussehen betreffen. Die größeren Abstände betreffen am ehesten die Infrastrukturen, die Materialwirtschaft, Branchen mit hohen Sicherheitsstandards, aber es gibt auch lange Softwarezyklen. Mit den Zyklen korrespondieren Eintrittsfenster in die Wertkette, und auch die Gefahr des Hinausfallen aus dieser. Diese Windows of opportunity sind in weitere Stufen zerlegbar. Sie beginnen mit Beobachtungen und können sich durch Kooperationen fortsetzen. Und es ist auch belauern einzukalkulieren, denn das Geschäft seines Kunden zu machen, kann auch eine potenzielle Bedrohung darstellen. Ein Intel-Inside-Effekt kann das eigene Geschäft empfindlich stören. Und es ist über das Ausmaß an Konkurrenz und jenes an Kooperation zu entscheiden. Und für diese Zusammenarbeitsformen ist Kooperationskompetenz nötig – und Vertrauen.
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Kooperationen28 und Eigentum (Konkurrenz)29 »Sie sagen Augenhöhe. Die kleine Welle sagt zur großen Welle: Bist du mächtig. Nach einiger Zeit: Du bist so groß, ich bin so klein, du bist so stark, ich bin so schwach. Die große Welle sagt nichts. Die große Welle sagt dann, wir sind das Gleiche. Die Kleine Welle: Das können wir nicht sein, du so groß, ich so klein, du so stark, ich so schwach. Sagt die große Welle: Wir sind Wasser. Das ist das Interessante an der Betrachtung. Aber selbstverständlich macht man Hierarchien und Unterschiede.« 30 »Je differenzierter sich unsere Organisations- und Systemlandschaft entwickelt, umso notwendiger wird Koordination und Kooperation. […] Letzteres sind Themen, die in allen modernen Organisationsversuchen relevant werden, die sich mit Fusionen, Netzwerken, Interdisziplinärem […] abmühen und vor die Aufgabe gestellt sind, die dabei auftretenden Konflikte selbst zu bewältigen.« 31 Was gehört einem eigentlich, wenn man Eigentümer eines Unternehmens ist? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, obwohl sie für Entscheidungen bedeutend ist. Das Eigentum an einem Unternehmen wird repräsentiert durch den Geschäftsanteil und ist in der Regel ein Konglomerat, beginnend bei Produktionsmitteln (Grund und Boden, Gebäude, Maschinen, Material usw.), immateriellen Wirtschaftsgütern wie beispielsweise Markenrechten, langfristigen Nutzungsvereinbarungen an Patenten bis hin zu den Aufträgen, abzüglich den Schulden. Das Eigentum repräsentiert auch die oberste Entscheidungsmacht. Auch diese bestand »in einem ständigen Widerspruchsmanagement. Letzteres ließ sich vergleichsweise noch einfach gestalten, als klare Systemhierarchien die Macht hatten, Koordination zu gestalten.« 32 Der (Mehrheits-)Eigentümer entschied auf Basis der Unternehmensergebnisse das Ausmaß von Investitionen und Ausschüttungen, von Expansion oder Konsolidierung. Die Strategie des vertikal integrierten Konzerns, der vom Rohstoff bis zum Endprodukt alles in seinem Eigentum hielt, ist ein dazu passendes Bild. Durch die das Eigentum schützenden Normen war auch eine rechtliche Absicherung gegeben. 28 Dieser Essay kann auch in Zusammenhang mit meinem Essay »Die andere Vertikalität« gelesen werden. 29 Anmerkung: Eigentum steht hier quasi stellvertretend für Besitz, eigenes Vermögen, eigenes haftendes Kapital und Ähnliches. 30 Interview ix, S. 102 31, 32 P. Heintel, Widerspruchsfelder, Systemlogiken und Grenzdialektiken als Ursprung notwendiger Konflikte, in: G. Falk, P. Heintel, E. E. Krainz (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Wiesbaden 2005, S. 31
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Die ausschließlich eigentumsorientierten Geschäftsmodelle sind später durch Vertragsmodelle (Franchise, Lizenz usw.) ergänzt und erweitert worden. Es gab und gibt den Trend zur Trennung von Kapitalinteressen (Eigentum) und Unternehmensinteressen (Management), insbesondere bei großen Unternehmen und naturgemäß bei Publikumsgesellschaften. Doch die Entscheidungen, und vor allem jene in Bezug auf Investitionen, sind, gleichgültig ob es sich um größere Unternehmen oder kmu handelt, nach wie vor meistens auf der Ebene der Eigentümer angesiedelt. Es soll hier keine Grundsatzdiskussion über die Bedeutung des Eigentums und von allem, was damit verbunden wird, geführt werden. Es lohnt sich jedoch, auf die überragende Bedeutung des eigentumsorientierten Denkens hinzuweisen. Weil sich eben dieses Denken bei Internationalisierungsüberlegungen als Hindernis herausstellen kann. Denn eine Internationalisierung, die nicht auf Eigentum aufbaut genießt auch nicht den Schutz des Eigentums. Und unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes wird für oder gegen Standorte entschieden. Was sind also die Leitplanken bei Überlegungen zu Investitionen an neuen Standorten? Der durch Gesetze und politische Rahmenbedingungen normierte Schutz des Eigentums einerseits und die wirtschaftliche Beherrschung des Investitionsvorhabens andererseits. Die häufigsten Fragen dabei sind: Wollen wir mit dem erworbenen Vermögen die Internationalisierung teilweise finanzieren? Passt die vorhandene Eigentumsstrategie 33 für die Internationalisierung? Ist das Unternehmen ausreichend mit Eigenkapital 34 ausgestattet, um die Internationalisierung durch Gründung und Finanzierung einer eigenen (beziehungsweise mehrheitlich in unserem Eigentum befindlichen) Tochtergesellschaft zu wagen? Und wie internationalisiert sind die anderen? Wie sind die Unternehmen unserer Branche beziehungsweise die Unternehmen unserer Angebotskette in Bezug auf das Eigentum strukturiert? Eigentumsbezogenheit hat weitere bedeutende Zusammenhänge. Und zwar, weil das Eigentum an einem Unternehmen im Zusammenhang mit Investitionsbeziehungsweise Internationalisierungsentscheidungen mehrere, beispielhaft angeführte Bedeutungen hat. Das Wissen um das Eigentum macht es möglich, durch Bewertungen das Vermögen des Eigentümers oder auch sein Einkommen zu schätzen oder zu errechnen. Damit wird versucht, die wertmäßige Größenordnung, über die er verfügen kann, abzuschätzen. Denn nur der Eigentümer 33 Drei Beispiele für eine Eigentumsstrategie in Unternehmen: Alles gehört zu 100 %, 75,1 % oder 50,1 % einer Person beziehungsweise einer (vertraglich verbundenen) Familie. 34 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Risikokapital und Internationalisierung«.
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und sonst niemand entscheidet über die Verwendung seines frei verfügbaren Eigentums 35 beziehungsweise Vermögens. Im Zusammenhang mit den verschiedenen Möglichkeiten, dieses für etwas Neues einzusetzen, wird der Eigentümer vor allem durch sein Eigentum als mehr oder weniger ernst zu nehmender Partner angesehen. Diese Einschätzung hat verschiedene Aspekte. Zum Beispiel ist für einen Geschäftspartner die Höhe des Vermögens für die Ausgestaltung der Geschäftsbeziehung relevant. Für einen Arbeitnehmer wird ein starker und kapitalkräftiger Eigentümer als Garant für einen sicheren Arbeitsplatz gesehen. Ähnlich wird ein Bankinstitut in Bezug auf die Kredite, die es dem Unternehmen geliehen hat, urteilen. Beide messen die Verlässlichkeit und die Stärke nicht nur an den statischen Größen wie am Eigenkapital und den stillen Reserven, sondern auch an den bisherigen Entscheidungsprozessen und dem Investitionsverhalten. Die Beurteilung als Kreditnehmer oder auch als zukünftiger Geschäftspartner hängt somit (beispielhaft) von der Antwort auf folgende Fragen ab: Wie viel ist sein Eigentum wert? Wie ist sein Investitionsverhalten? Und für Financiers: Wie viel wird an den Eigentümer ausgeschüttet? Wie hat sich das Eigenkapital (Risikokapital) des Unternehmens in der Vergangenheit entwickelt? Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass alle diese Einschätzungen neben den betriebswirtschaftlichen Daten eng mit der Person des Eigentümers verknüpft werden. Es wird ihm aus diesem Umstand heraus Entscheidungsmacht zugeschrieben. Und das, obwohl in Bezug auf die Bandbreite des disponierbaren Vermögens selten Transparenz herrscht. Gewagt zu behaupten, aber es gilt die mangelnde Transparenz hin und wieder nicht nur für die Geschäftspartner, sondern auch für die Eigentümer selbst. Es gibt Kaufleute, die sich ärmer machen, als sie sind, und es gibt Optimisten, die bei der Einschätzung ihres eigenen Vermögens sogleich alle Erträge aus zukünftigen Geschäften mit einrechnen. Für Entscheidungen in Bezug auf die weitere Unternehmensentwicklung sind Einschätzungen des vorhandenen Spielkapitals von äußerster Relevanz. Sie werden beinahe von jedem in der Wirtschaft Tätigen getroffen, ob es dem Betroffenen passt oder nicht, ob sie richtig sind oder falsch, und es wird darüber kaum gesprochen. Ein einfaches Beispiel einer solchen Einschätzung ist jene, ob der Kunde den erteilten Auftrag bezahlen kann oder nicht, ob er also kurzfristig ausreichend Liquidität hat. Bei Investitionsentscheidungen und bei Internationalisierungsprojekten wird von den zukünftigen Partnern (Kreditinstituten, Förderstellen, Politik, Verwaltungsbehörden usw.) versucht, die langfristig vorhandene Kapitalstärke zu beurteilen. Aus diesen Beurteilungsmechanismen heraus ergibt sich eine Chance 35 Er ist in Bezug auf die Nutzung und die Verwendung jedoch an Gesetze und allenfalls auch Verträge gebunden.
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insbesondere für Eigentümer von kmu, auf die ich hinarbeiten möchte. Die Betrachtung einer Einheit von Vermögen und Person kann zur Stärke werden, auch wenn man bei Internationalisierungsprojekten als potenzieller Investor für sich eine gedankliche Trennung von Vermögen und Person vornimmt. Denn es ist zu bedenken, dass selbst ein Unternehmen, welches gut mit Kapital ausgestattet ist, die Kapitalposition mit der Investition und den Anlaufverlusten ausdünnt. Die Einheit von Vermögen und Person wird auch durch die Trennung weiterhin vermutet – das hat mit der Geschichte, mit der Entwicklung des Unternehmens zu tun. Daraus lässt sich für die Internationalisierung Verhandlungskapital schlagen, ohne dass man sein erworbenes Vermögen überwiegend oder zur Gänze einsetzt.36 Neben den Joint Ventures gibt es dafür weitere Möglichkeiten. Dazu ist es jedoch notwendig, sich mit anderen als eigentumsgetriebenen Geschäftsmodellen zu beschäftigen. Denn auch Unternehmenskäufe 37 sind riskant und erfordern nach dem Kauf viel Integrationsarbeit. Denn »gerade der Umbau von Unternehmen hat vielfach den Charakter einer sich selbst verzehrenden Leidenschaft, vor allem, wenn es bei Firmenzusammenschlüssen um zukünftige Synergien geht. Ist die Ehe einmal geschlossen und das Personal reduziert, gerät die Suche nach Synergien aus dem Blickfeld.« 38 Wenn es also eine für das Unternehmen erstrebenswerte Zukunft durch Internationalisierung gibt, bietet sich für die Internationalisierung die Kooperation 39 als Alternative zum Eigentum an. Es steht nicht das Eigentum im Vordergrund, sondern das Funktionieren des Geschäftsbetriebs. Das vollständige Aufbauen eines eigenen Angebotskettengliedes durch ein einzelnes kmu mit auch nur geringer Wertschöpfungstiefe steht im Widerspruch zu den Eigenlogiken der heutigen globalisierten 36 Interview v, S. 57: »Und 5 Jahre nach der Gründung haben wir praktisch wieder aufgehört. Ich muss sagen, wir haben die Produktion eingestellt, wir haben dann versucht, die Maschinen zu verkaufen, wir haben die Liegenschaft wieder verkauft. Alles mit sehr, sehr großen Verlusten. Mit Ende des letzten Jahres ist es über die Bühne gegangen, ich bin jetzt froh, dass ich einen Schlussstrich gezogen habe und dass ich an dieses Thema nicht mehr erinnert werde. Es ist erledigt. Leider haben wir von unserem starken Mutterunternehmen ja fast sämtliche Reserven auflösen müssen. Jetzt müssen wir diesen Verlust verkraften.« 37 B. Langer, Früherfassung der Unternehmenskultur als Risikofaktor bei Mergers & Acquisitions, Hamburg 1999. Kurzbeschreibung der Publikation: »Dass nicht alles heilt, was es ›auf Rezept‹ gibt, stellen immer wieder viele Unternehmer fest, denn zwischen 30 und 60 Prozent aller m&a-Projekte erfüllen nicht ihre Vision und werden daher als gescheitert ad acta gelegt.« http://www.verlagdrkovac.de/3-8300-0048-0.htm (17. 3. 2008). Siehe auch Interview v, S. 57f 38 R. Sennett, Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 2007, S. 114 39 Interview vii, S. 79
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Wirtschaft. Diese werden durch die Strategien der großen Industrien und ihrer Leitbetriebe und durch die Strukturen dieser Industrien bestimmt. Des Weiteren durch die diesen Technologien 40 innewohnenden Dynamiken und ihre eigenlogischen immanenten Konjunkturzyklen. Auf diese Situation hat ein kmu keinen Einfluss. Also geht es um das Einrichten von Zusammenarbeit, bei der man seine Anliegen und Interessen durchsetzt, ohne Eigentümer zu sein.41 Die Entwicklung von neuen Angebotskettengliedern unter Kooperationsbedingungen kann die Risken und ihre dazugehörenden Kosten teilen, es kann gemeinsames Lernen in einer sich schnell verändernden wirtschaftlichen Umwelt ermöglichen. Doch um je nach Geschäftsgelegenheit Organisationseinheiten aus zwei oder mehreren Unternehmen um ein Problem oder eine Geschäftsgelegenheit »herum« zu bilden, braucht man wenige, aber wichtige Voraussetzungen. Denn Kooperationen benötigen für ihren Start nicht grandiose Pläne und Strategien, sondern Geduld und Beharrlichkeit, um aus kleinen Anfängen signifikante strategische Allianzen zu bilden.42 Einrichten der Kooperationsfähigkeit
Ob ein Unternehmen für Kooperationen eingerichtet ist, lässt sich im Falle von Übereinstimmung anhand folgender Beschreibung beurteilen: Die eigene Prozesskette hat die klassischen Schnittstellen, wie beispielsweise Forschung & Entwicklung zu Produktion, Produktion zu Vertrieb. Wie gehen wir mit diesen Schnittstellen um? Für das Klima an diesen Schnittstellen im Folgenden zwei polarisierend und verkürzt dargestellte Abläufe: 1. Der Vertrieb hat Kundensignale für ein neues Produkt an die Forschungsabteilung herangetragen; diese hat einen Prototypen entwickelt; er wird der Produktionsabteilung übergeben und diese macht eine Kleinserie daraus. Die Ergebnisse werden ständig zwischen den jeweils zuständigen Abteilungen (f&e, Produktion, Vertrieb) hin- und hergeschickt, die wiederum aus ihrer jeweils eigenen Sicht Verbesserungen aus den Anforderungen der jeweils anderen Abteilung durchführen. 2. Es wird zuerst eine mit dem Kunden und den internen Abteilungen gemeinsame Sichtweise des Problems 43 erarbeitet, für dessen Lösung ein Produkt entwickelt werden soll, danach wird ein Prototyp entwickelt und die Entwürfe der Produktionsabteilung übergeben, die ihrerseits das Zwischenergebnis mit dem 40 Ein Beispiel für technologische Dynamik ist »Moores Law«, das besagt, dass sich die Schaltkreisanzahl von Mikrochips alle zwei Jahre verdoppelt. 41 Interview ii, S. 16 42 J. E. Austin, The Collaboration Challenge New York, 2000, S. 1 43 Interview vii, S. 93
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Verkauf und den Kunden bespricht, während die Entwicklungsabteilung mit Beschaffung und Materialwirtschaft diskutiert. Die Möglichkeiten von Lösungen werden jedoch nur gemeinsam bearbeitet. In der zweiten Variante wird um ein Problem und seine mögliche Lösung herum die Organisationsform zur Umsetzung gebildet. Diese Art der Bearbeitung ist in modernen Unternehmen durchaus üblich und kann als Stärke von kmu gesehen werden, insbesondere wenn sie die vollständige Prozesskette im Haus beziehungsweise in einer Hand haben. Hier wirkt also die Eigentumslogik. Denn in einem Unternehmen »gehört es sich«, aufgrund des gemeinsamen Zwecks – der Aufrechterhaltung und des Ausbaus des Alleinstellungsmerkmals – zu kooperieren. Trotz der unterschiedlichen innerbetrieblichen Eigenlogiken von Vertrieb, Produktion oder Forschung entscheidet bei Differenzen der Eigentümer. Das auf unbestimmte Zeit eingerichtete Unternehmen und die damit einhergehende Verbindlichkeit beziehungsweise die Existenzberechtigung, resultierend aus der Antwortkompetenz für Bedürfniswidersprüche,44 wird durch die Eigentümerentscheidung untermauert. Mit der heutigen Spezialisierung und Arbeitsteilung ist man also auf betriebsinterne Kooperation angewiesen. Die Hierarchie und die oben beschriebene Eigentumslogik »motiviert« zu kooperativem Verhalten. Wenn kooperatives Arbeiten eingerichtet ist, muss man natürlich hinterfragen, ob es nur zum guten Ton gehört, zu kooperieren, oder ob sich in Bezug auf einen Kundenwunsch ernsthaft und lösungsorientiert temporäre Organisationen aufbauen. Also die Experten zu einem Thema in unterschiedlicher Form verbinden und überlegen, ob dieses miteinander Verbinden zur Unternehmensnorm 45 gehört. Dazu gehört auch der Umgang mit Konflikten, weil die unterschiedlichen Ansprüche an eine Lösung (technisch, wirtschaftlich, ästhetisch, rasch verfügbar usw.) zu Konflikten führen. Die Funktionalität eines Produktes ist meistens nicht mit den wirtschaftlichen Anforderungen vereinbar usw. Bei solchen oder ähnlichen Konflikten ist die Art der Konfliktbearbeitung zu hinterfragen. Werden diese Konflikte immer durch den Eigentümer entschieden oder wird anders, beispielsweise konsensual, entschieden? Die Beurteilung, wie grundsätzlich an Problemlösungen herangegangen wird, ist wertvoll für Überlegungen und für den Start von unternehmensübergreifenden Kooperationen. Denn bei Kooperationen von zwei oder mehreren Unternehmen stellen sich bereits zu Beginn viele Fragen. Zum Beispiel: 44 Vgl. P. Heintel, Thesen zum Thema: »Das Modell Neuzeit«, Klagenfurt 2003, S. 12, http://uniclub.uni-klu.ac.at/downloads/Heintel.pdf (27. 8. 2008) 45 Siehe dazu meine Ausführungen in den Essays »Es bleibt viel zu entscheiden« und »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft«.
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Was wollen wir erreichen? Was wollen unsere Partner erreichen? Gibt es dafür Vorbedingungen? Können wir einen Prozess der Auftragsklärung organisieren? Ein gemeinsam aufgestellter grober Plan kann vorab das Ziel, die Zeitachse, die benötigten personellen und finanziellen Ressourceneinschätzungen in ungefähren Einklang bringen. Er soll so gestaltet sein, dass er während der Verhandlungsphase verändert werden kann. Darin wird von den verhandelnden Personen festgelegt, wer was einbringt, was noch fehlt und wie Entscheidungen getroffen werden, denn »die Zieldefinition hat […] den vermeintlichen Nachteil, dass […] (man sich) entscheiden muss, für das eine und gegen das andere«.46 Durch die Verabschiedung des gemeinsam erstellten Plans werden die bisherigen und die weiteren Schritte verbindlich eingerichtet. Dieser Geschäftsplan ist auch der Raster für die Einarbeitung des Zahlenmaterials. Am Ende kann zwar etwas anderes herauskommen – doch auch darüber ist Einvernehmen zu erzielen. Denn in der Flucht aus dem Einvernehmen über die Ziele und die gegenseitigen Wünsche, Anforderungen und Interessen begründet sich das Scheitern von Kooperationen. Die geschilderten Voraussetzungen für die Möglichkeiten gelingender Kooperationen sind für Eigentümer-Entscheidungsträger ungewohnt. Es sind Abläufe einzurichten, wo nicht die Macht des Eigentums als Aktionsmacht oder Reaktionsmacht auf Vorgänge die Abläufe entscheidet, sondern ein Zusammenarbeitsvertrag: »Und lieber habe ich, man ist nicht unternehmerisch aneinandergekettet, sondern nur über einen Vertrag – aber nicht firmenseitig.« 47 Neben den Vertrag ist ein (Geschäfts-)Plan aufzustellen und gemeinsam zu beschließen. Das beginnt bereits mit folgender Voraussetzung: Es sind die innerbetrieblichen Arbeitsschritte für bestimmte Prozesse zu öffnen und mit Mitarbeitern und Entscheidungsträgern des anderen Unternehmens zu diskutieren.48 Dazu ist anzumerken, dass ohne »Grundsympathie« 49 Kooperationen nicht funktionieren, weshalb folgende Einstellung auch sehr nützlich ist, nämlich, »bei den ersten Gesprächen über mögliche Kooperationen […] besonders wachsam [zu sein], ob, abgesehen vom Fachlichen, auch eine persönlich erfreuliche Entwicklung entstehen kann.« 50 Aber für das Funktionieren von Kooperationen reicht es nicht, wenn diese nur auf Sympathie aufgebaut sind, vor allem dann nicht, wenn durch Sympathie die kontroversiellen Interessen nicht offengelegt werden. Ein 46 J. Quendler im Interview, in: Lakeside Science & Technology Park GmbH (Hrsg.), Eins und eins ist elf, Klagenfurt 2004, S. 112 47 Interview ii, S. 17 48 Vgl. Interview iii, S.4 49, 50 Vgl. Interview mit E. Rappold, in: Lakeside Science & Technology Park GmbH, Eins und eins; S. 38
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Offenlegen der (wirtschaftlichen) Interessen ist aber wiederum ohne Vertrauen nicht durchführbar. Das bedeutet am Beginn jeder unternehmensübergreifenden Kooperation, Vertrauensvorschüsse zu leisten und gemeinsame Vertragsverhandlungsprozesse anzulegen. Diese prozessartigen Verhandlungen machen den Raum und die Grenzen für Vertrauen auf.
Relationship stage Level of engagement Importance to Mission Magnitude of recources Scope of activities Interaction level Managerial complexity Strategic value
One Philantropic Low › › › Peripheral › Small › › › Narrow › › Infrequent › Simple › › Modest › ›
Two Transactional › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › › ›
› › › › › › ›
Three Integrative › › › High › Strategic › › › Big › › ›Broad › Intensive › Complex › › Major
J. Austin, »Collaboration Continuum«51
»The strength of a relationship also depends on the depth of trust, that can be cultivated between the partners.« 52 Wenn also Kooperation der Weg in die Internationalisierung ist, kommt es darauf an, sich mit dem Vertrauen als Vorbedingung für die Entscheidung, in eine Kooperation einzutreten, auseinanderzusetzen. Zur Vertrauensbildung gehört auch die Behandlung von Vorurteilen. Innerhalb der Kooperation ist dann der Prozess-Platz für Konflikte, Störungen und Konkurrenzdenken einzurichten. Die Fähigkeit, mit Konflikten umzugehen, spornt die Flexibilität an und ermöglicht die Formulierung von Schutzvereinbarungen und Sanktionen. Der Umgang mit Konkurrenz wird dadurch – das ist eine Begleiterscheinung funktionierender Kooperation – geschärft. Und das ermöglicht erst den Umgang mit den unterschiedlichen Vorstellungen zur Lösung, zum Geschäft und zur Investition. Über die Beobachtung, wie viel Zeit gemeinsam verbracht wurde, kann man sich der Beurteilung über die Ernsthaftigkeit einer Kooperation annähern. Doch viel investierte Zeit kann auch Detailverliebtheit oder andere Ursachen haben. Bessere Informationen über die Qualität der Kooperation erhält man, wenn Klausuren so organisiert werden, dass Widersprüche sichtbar gemacht, unterschiedlichen Logiken Aufmerksamkeit 51 J. E. Austin, The Collaboration Challenge. How Nonprofits and Businesses Succeed Through Strategic Alliances, New York, 2000, S. 35 52 Ebd., S. 121
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geschenkt und die möglichen Probleme auf den Tisch gelegt werden können. Damit gibt es überhaupt erst die Möglichkeit, mit Widersprüchen umzugehen. Wie kann man aber Widerspruchskultur lernen und überprüfen? Eine Unterstützung bieten die Reaktionsmuster auf Konflikte von Peter Heintel an. Er gibt vier Reaktionsmuster an, die in Kooperationen (nicht nur dort!) zu schlechten Entscheidungen führen. Das Bewusstmachen dieser Reaktionsmuster entlastet die Individuen und kann eine Basis für gute Entscheidungen sein: • Es ist »eh« kein Konflikt (Negation) • die Frage nach dem/den Schuldigen • »Konfliktlösung« durch Erschöpfung • die »schnelle« Lösung – ein Muster der Politiker/Manager Mit dem Bewusstmachen dieser Muster ist nämlich die Möglichkeit zur Selbstaufklärung gegeben. Mit gemeinsam diskutierter Zuordnung zu den Reaktionsmustern – als Beispiele, die zu schlechten Entscheidungen führen – entsteht das Bewusstsein für das Reden über Unterschiedlichkeiten und, was auch sehr wichtig ist, über gleiche Stärken – die Konkurrenzen. Statt Energie in diese Muster zu stecken, geht es bei der Einrichtung von Kooperationen als Alternative zu eigentumsbasierten Erweiterungen vor allem um einen gemeinsamen Erfolg. Die Grundbedingung ist jedoch, ein Win-win-Ergebnis vorzudefinieren, welches unter den Bedingungen eines vereinbarten Nebeneinanders von Konkurrenz und Kooperation erreicht werden soll. Konkurrenz heißt Konflikt, Kooperation bedeutet Teamarbeit. Dabei reicht nicht nur guter Wille, »man muss sehr oft nachhelfen, und dabei macht nicht die exakte Abgrenzung […] ein erfolgreiches Team aus, sondern die wechselseitige Unterstützung.« 53 und Konfliktmanagement. »Kooperatives Wertschöpfungsmanagement […] führt auch zu einem veränderten Wettbewerbsparadigma. Während das klassische Wettbewerbsverständnis vereinfacht von ausschließlich rivalisierenden Akteuren ausgeht, zeichnet sich ein Verständnis einer Koexistenz von Kooperation (›cooperation‹) und Wettbewerb (›competition‹) ab, das heute meist mit der Bezeichnung ›coopetition‹ belegt wird. Gemeint ist damit, dass auch Konkurrenten bspw. auf Endproduktmärkten durchaus auf vorgelagerten Wertschöpfungsstufen, zum Beispiel in Forschung und Entwicklung, Produktion oder Logistik, kooperativ zusammenarbeiten können, um dadurch Effizienzsteigerungspotenziale zu realisieren.« 54 Es müssen also sowohl die Unterschiede als auch die Gleichheiten »angenommen« und geregelt werden. Dem Einbringen der unterschiedlichen 53 J. Quendler im Interview, in: Lakeside Science & Technology Park GmbH (Hrsg.), Eins und eins ist elf, Klagenfurt 2004, S. 112
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Zugänge darf die Verbindlichkeit in Bezug auf die gemeinsamen Zielsetzungen nicht entgegenstehen, nur so werden überhaupt erst Konflikte sichtbar und können bearbeitet werden. Dabei unterstützen können Moderation und Prozessbegleitung. Und ich betone, was damit nicht gemeint ist: die Aufgabenorientierung zugunsten der sozialen Funktionen in den Hintergrund treten zu lassen! Nur eine Balance von Aufgaben und sozialen Elementen lassen neues Sozialkapital in Kooperationen entstehen. Das ist enorm wichtig, damit keine isolierten Parallelwelten, wie sie sich oft in Projektgruppen herausbilden, entstehen. Denn die gesamte Organisation und nicht nur die Führungskräfte müssen die Kooperation mittragen.55 Braucht man für Kooperationen kein Eigentum – Wer ist dann Nutznießer?
Eigentumsorientierte Überlegungen können im Rahmen der Internationalisierung eines kmu eine bremsende Wirkung haben, weil dem Eigentum das Risiko des Totalverlustes entgegensteht, wenn die (wirtschaftliche) Beherrschung einer Investition in einer wenig bekannten Region verloren geht. Und dafür können viele Gründe angeführt werden. Zum Start ist das Unternehmen noch nicht gut vernetzt, ist als Arbeitgeber noch kein Faktor und muss sich erst seinen Platz erarbeiten beziehungsweise erobern. Die Potenziale der Internationalisierung, wenn sie aus den eigenen Stärken entwickelt werden, führen zum Beispiel zu ähnlich gelagerten Investitionen – geleitet vom Grundsatz abnehmender Stückkosten. Damit werden zwar die Ertragspotenziale, jedoch auch das unternehmensspezifische Risiko erhöht. Es befinden sich zu viele Eier in einem Korb. Und zusammen mit dem bei kmu nur sehr beschränkt vorhandenen Risikokapital 56 kann das Unternehmen schnell in eine kritische Position gelangen, wie dies beispielsweise auch durch branchenspezifische Konjunkturzyklen ausgelöst werden kann. Doch für Überlegungen, von einer (ausschließlich) eigentumsorientierten Internationalisierung Abstand zu nehmen, ist Kompetenz für den Aufbau und die Organisation von Kooperationen erforderlich. Kooperationen unterscheiden sich jedoch voneinander, genauso wie Unternehmen. Es gibt unterschiedlich intensive Kooperationen mit entsprechend unterschiedlicher Komplexität. Meiner Ansicht nach gibt es eine Faustregel dazu. Kooperationen zu einfachen 54 J. Zentes, Coopetition – Kooperation und Wettbewerb, Editorial, S. 1, siehe: http://www.hima.uni-saarland.de/material/TransferApril2003.pdf (18. 3. 2008); R. J. Noorda gilt als Schöpfer des Begriffs Coopetition, siehe: http://diepresse.com/home/ techscience/wissenschaft/365710/index.do?from=suche.intern.portal (24. 8. 2008) 55 Austin, Collaboration Challenge, S. 122 56 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Risikokapital und Internationalisierung«.
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Themenstellungen sind leicht zu organisieren und halten auch nicht allzu lange, das Gegenteil ist bei den komplexen Themenstellungen der Fall. Beispielsweise wird sich eine Einkaufskooperation nicht so schwierig gestallten wie eine Allianz auf strategischer Basis (f&e, Produktion, Marktbearbeitung, Verkauf). Ich glaube aber, dass nur in einer neuen Konfiguration von Spezialisierungen durch neue, innovativ zusammengestellte Kernprozesse Vorteile gegenüber etablierten integrierten Unternehmen entstehen können. Die Kooperationskompetenz ist also eine zusätzliche Kompetenz neben den Fachkompetenzen und den Managementkompetenzen. Sie aufzubauen ist für alle Formen von Kooperation wichtig. Letztendlich wirkt sich jeder Kooperationsvorteil auf das vorhandene Eigentum positiv aus. Eine Risikobeurteilung ist trotzdem erforderlich, weil der Ressourceneinsatz gemanagt und finanziert werden muss. Bei kmu-Kooperationen steht somit das Eigentum im Hintergrund und das Know-how wird aus diesem Eigentumsumfeld vorerst temporär und bei Erfolg auf Dauer bereitgestellt. Die Rückflüsse aus den Kooperationsprojekten dienen dann als Abgeltung, Rendite und Möglichkeit, die Eigentumsbasis zu stärken. Ein exaktes und gegenüber den wesentlichen Stakeholdern des Unternehmens transparentes Ressourcenmanagement ist wichtig für starke Kooperationspartner und für das Funktionieren von langfristig angelegten Kooperationen. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die betriebswirtschaftliche Logik und die Eigentumslogik bei solchen Kooperationen, die sich nicht selbst organisieren, sondern die von Unternehmen organisiert und gesteuert werden, eine noch genauere Zuordnung von Ressourcen und den Bezug habenden Rückflüssen erfordert – denn diese Zuordnung unterliegt der Beobachtung der Partner. Aus dieser Beobachtung resultiert wiederum Zeiterfordernis, welches eingeräumt werden muss, um die Resultate zu reflektieren und in einem Klima des Vertrauens den Kooperationsfortschritt, die Probleme und verbindliche nächste Schritte erläutern und austauschen zu können. Zur Verteilung der aus der Kooperation gewonnenen Überschüsse sind mindestens zwei Grundsätze zu vereinbaren: Wenn wir auf Dauer erfolgreich kooperieren wollen, bleibt ein Betrag für die weitere Entwicklung der Kooperation in der Kooperation, erst darüber hinausgehende Beträge fließen als Prämie an die Teilnehmer. Die relevanten Träger der Kooperation sollten bei der Diskussion über das Ausmaß der Ausschüttung beziehungsweise der weiteren Investition in die Kooperation mitreden. So weit zum Formalismus in Kooperationen, die an ihrem Beginn formale Grundsätze und Prozessgrundsätze einrichten. Es schließt das Thema zwar nicht ab, doch am Ende des Essays kann gesagt werden, dass es auch informell funktionieren kann – Kooperation über die Grenzen in beide Richtungen, denn »in dieser Zusammenarbeit – und das ist eben ganz 351
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wichtig kulturell, dass man dieses Geben und Nehmen hat; ich kaufe bei dir ein, das ist sehr wichtig; denen ist lieber ein großer Auftrag als irgendein Gastgeschenk, das kommt meistens gar nicht so gut an, aber wenn ich eine schöne Bestellung rüberschicke, dann ist das ganz eine andere Atmosphäre. Im Gegenzug möchten die natürlich auch im Inlandsmarkt glänzen und wieder zeigen, wie stark sie sind.« 57 Die Zweckorientierung ist also auch in Kooperationen für ihr Überleben und für ihre Entwicklung ein entscheidendes Motiv. Ralph Grossmann meint, dass es »paradoxerweise gerade auch ihres Gegenteils« 58 bedürfe, nämlich, dass die Mitglieder nicht ständig auf die Durchsetzung ihrer Interessen pochten. James E. Austin formuliert ähnlich: »Alliances are successful when key individuals connect personally and emotionally with the alliance’s […] purpose and with each other.« 59 Zu den Bedingungen gelingender Kooperationen gehört auch, dass Träger der Kooperation, das sind meistens die Eigentümer aus den beteiligten Unternehmen, als Personen so unbestritten sind, dass sie im Rahmen der Kooperation nicht auf enge Vereinbarungen angewiesen sind. Die Kooperation ist also »wesentlich von den stabilen Beziehungen zwischen Personen genährt« 60 und orientiert sich mehr an den Einzelpersonen und an deren Integrität. Die Steuerung der Kooperation kann nicht durch ein andauerndes Dreinreden erfolgen. Sie muss als eine eigene »lebensfähige« Organisation eingerichtet werden. Durch die Steuerungsgruppe der Kooperationsmitglieder, die als eigentümerähnliche Gruppe die Einhaltung und die allfälligen Änderungen des Kooperationsplanes gemeinsam beobachten und Änderungen beschließen, soll die Arbeitsfähigkeit der Kooperation gewährleistet werden.
57 Interview iii, S. 26 58 R. Grossmann, H. Lobig, K. Scala, Kooperationen im Public Management, München 2007, S. 108 59 Austin, Collaboration Challenge, S. 173 60 Grossmann/Lobig/Scala, Kooperationen, S. 110
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Warum sich KMU für einen Internationalisierungsprozess einrichten sollen61 »Also ich will den Betrieb hier in Klagenfurt belassen, […] in irgendeiner Form mache ich schon eine Globalisierung, beispielsweise was den Einkauf betrifft, etc. – das ist ein Muss. Sonst kommt man ja von der Preispolitik her betrachtet überhaupt nicht mehr mit.« 62 Was kann ein kmu tun, um in dieser globalisierten Welt zu bestehen und sich weiterzuentwickeln? Es kommt auf das Geschäftsmodell an. Diese an sich richtige Antwort führt zu einer Spaltung der Unternehmenslandschaft. Kann man dann von Glück reden, wenn sich das Unternehmen in einer sicheren Nische befindet, durch ein (regionales) Monopol (auf Dauer) geschützt ist, wie zum Beispiel eine Apotheke, die eine Dienstleistung anbietet, welche nicht durch Importe substituierbar ist, oder ein Unternehmen ist, das Produkte für den kurz- und mittelfristigen Bedarf seiner näheren und weiteren Umgebung in einzigartiger Qualität zu einem vernünftigen Preis verkauft? Bis vor 20 Jahren wäre diese Frage eindeutig mit »Ja« zu beantworten gewesen. Denn Unternehmen mussten – erst einmal aufgebaut – ihre langfristig stabilen Geschäftsprozesse in überwiegendem Ausmaß nur einem fine-tuning in Bezug auf die Personal- und Sachkosten unterziehen. In größeren mehr oder weniger regelmäßigen Abständen kamen noch die Investitionsentscheidungen dazu, meistens waren es Ersatzinvestitionen auf dem jeweils aktuellen, also höheren technischen Stand. Dieser jeweils höhere technische Stand hat aber Einfluss auf alle Unternehmen und seine Folge ist Produktivitätssteigerung durch Automatisierung. Diese Produktivitätszuwächse werden zwar vor allem in der Industrie beobachtet und in den Berichten der Unternehmen berechtigterweise als Erfolg dargestellt. Doch die Auswirkungen auf kmu bleiben natürlich nicht aus. Dazu ein Beispiel: wenn Maschinen zuerst für die großen Industrieunternehmen entwickelt werden, gibt es für den Maschinenbauer folgende Möglichkeiten, die Entwicklungskosten wieder zu erwirtschaften: einen geografisch größeren Markt zu bearbeiten, die Maschinen auch für kleinere Kunden auszurichten, oder beides. Und damit fließt der Produktivitätsfortschritt in viele Bereiche der Wirtschaft ein – ist sozusagen systemimmanent. Damit kann die Stabilität, die auch in Bezug auf die Beschäftigtenpolitik 61 Dies ist der Versuch, Gedanken auszuführen, die für den Einsatz des Klagenfurter prozessethischen Modells für die Internationalisierungsprozesse von kmu sprechen. Das Modell selbst wird nicht erläutert. Quelle: P. Heintel, Das Klagenfurter prozessethische Beratungsmodell, in: P. Heintel, L. Krainer, M. Ukowitz (Hrsg.), Beratung und Ethik, Berlin 2006 S. 196 62 Interview ix, S. 101
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eines etablierten, gut gehenden Unternehmens gilt, nur durch Wachstum aufrechterhalten werden – es müssen also Anpassungen vorgenommen werden, wenn Folgendes gelten soll: der Grundsatz des impliziten Versprechens auf einen lebenslangen Arbeitsplatz und, geleitet von diesem Versprechen, auch Karrieremöglichkeiten der Mitarbeiter. Diese Form des Fortschritts – meiner Ansicht nach wesentlichster Teil des Erfolgs des westlichen kapitalistischen Wirtschaftsmodells – war jedoch so ziemlich die einzige Veränderung seit dem Beginn des Industriezeitalters und insbesondere seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, mit dem sich die Unternehmen in größeren Abständen und in Zusammenhang mit ihren Investitionsentscheidungen und den daraus folgenden Konsequenzen auf Beschäftigung und Finanzierung auseinandersetzen mussten. Damit hat die Wirtschaft also nicht nur leben gelernt, sondern eine unglaubliche Erfolgsstory daraus gemacht.63 Die anderen Faktoren waren relativ stabil. So stand die Finanzstruktur eines Unternehmens in einer relativ fixen Relation von Eigenkapital und Fremdkapital, wenn man den mehrjährigen Durchschnitt betrachtete. Und ein gern übersehenes Muster lag im Kundenverhalten. Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen war stabil. Lange Zeiten des Mangels führten zu stabilen Kundenbeziehungen – man war also froh über das, was angeboten wurde. Die Nachfrage hatte also kaum Einfluss auf das Angebot, dieses war bestimmend – es stellte die knappere Seite des Marktes dar. Und daran knüpfte der wichtigste Grund für die Existenz eines Unternehmens an, die Produktion von Gütern – man sprach in diesem Zusammenhang von einem Käufermarkt. Das war mit ein Grund, dass die Innovationsgetriebenheit, wie wir sie heute kennen, nicht in diesem Umfang existierte. Daher wurde dem Marketing und der Werbung eher die Informationsaufgabe zugeordnet. Die Unterstützung des Verkaufs oder – wie es heute ist – die Unterstützung bei der Entwicklung eines Lebensmottos des Konsumenten war nicht Usus. Ein weiterer wichtiger Stabilitätsfaktor war die Dominanz national gestalteter Ökonomien. In diesen Binnenmärkten existierten beinahe ausschließlich von nationalen Interessen geleitete Produktions- und Verkaufsbedingungen für die Unternehmen. Die Ökonomien waren, was den Import von Gütern betraf, die im Inland nicht erzeugt wurden, zwar grundsätzlich offen. Durch die Wirtschaftspolitik und deren protektionistische Maßnahmen war die Preisbildung von nationalen Interessen geleitet und kaum Wettbewerb möglich, man hatte es daher in Bezug auf die der nationalen Wirtschaft schützenswerten Bereiche als Importeur mit Beschränkungen zu tun. Die Wirtschaftspolitik hatte also starken 63 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Wachstum und Wirtschaftspolitik«.
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Einfluss. Sie legte einerseits die nationalen Rahmenbedingungen fest (Import, Export, Steuern, Zölle usw.) und intervenierte andererseits durch die öffentliche Nachfrage und durch Subventionen in die Marktwirtschaft. Diese Vorgehensweise trug meiner Ansicht nach zur Stabilisierung etablierter Unternehmen bei. Dazu ein Beispiel in Bezug auf die Wirkungen. Lebensmittelimporte nach Österreich waren mit hohen Einfuhrzöllen belegt und vice versa wurden Lebensmittelexporte hoch subventioniert. Dieser doppelte Protektionismus verschwand durch den Beitritt zur eu, und was dies für die Lebensmittelbranche – und auch für ihren Zuliefersektor, die Landwirtschaft – bedeutete, kann man leicht erahnen. Diese Entwicklungen einer geschützten Branche, die sich nicht von selbst verbessert, ist natürlich Wasser auf die Mühlen der politischen und wissenschaftlichen Vertreter eines grenzenlosen freien Warenverkehrs. In anderen Branchen war es zwar etwas anders, jedoch mit ähnlichen Konsequenzen. Andererseits waren auch Unternehmen, die dem Grunde nach Produkte erzeugten, die auf der ganzen Welt verkaufbar gewesen wären, zwar einerseits vor Importen von ähnlichen Produkten geschützt, andererseits konnten sie sich wegen des Protektionismus der anderen Staaten auch nicht so leicht internationalisieren. Ein weiterer Faktor, der zu Stabilität beitrug, war die relativ fixe Zuordnung der Einkünfte aus unternehmerischer Tätigkeit. Zu meiner Studienzeit, das war Anfang der 1980er-Jahre, wurde auf der Universität gelehrt, dass der langfristige (inflationsbereinigte) Realzinssatz circa 3 % beträgt. Wenn man nun von einem fixen und berechenbar langsam wachsenden Kapitalstock (Summe der Vermögenswerte von Produktionsvermögen) ausgeht, ergibt sich bereits ein relativ stabiler Verteilungsalgorithmus auf Arbeits- und Zinseinkommen. Dieser orientierte sich beinahe ausschließlich an den Zuwächsen des bip. Warum war das so? Was nicht für die relativ fixen Kapitalkosten aufgebracht werden musste, konnte (vereinfacht) als Lohnzuwachs, also auf der Seite der Arbeitseinkommen, zu Buche schlagen. Dazu ist noch anzumerken, dass die Verzinsungshöhe sowohl für Fremd- als auch für Eigenkapital ebenfalls von keinen großen Unterschieden gekennzeichnet war. Damit war die Bildung von Eigenkapital im Unternehmen keine interessante Steuerungsgröße. Der Wettbewerb um eine höhere Verzinsung des Eigenkapitals war also nicht sehr ausgeprägt, daher war Eigenkapital im Gegensatz zur ökonomischen Theorie relativ immobil, das heißt, es stand über lange Zeit demselben Unternehmen zur Verfügung und war damit gebunden. Durch die sogenannte Hausbankfinanzierung galt dies im Übrigen auch für Fremdkapital. Diese ausführliche Beschreibung soll mehrere Veränderungen, die sich in den letzen beiden Jahrzehnten ereignet haben, aufzeigen. Da ist zum einen die Änderung des Konsumverhaltens durch beinahe kostenlose Information, verstärkt durch das Internet, und zum anderen die ständig 355
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zunehmende Bedeutung von Marken. Damit einhergehend erfolgte ein radikaler Abbau von Produkt- und damit Unternehmensloyalitäten, wenn diese durch neue Produkte von neuen Unternehmen substituierbar erschienen. Dieses Kundenverhalten, das nicht nur von Konsumenten ausgeübt wird, sondern auch innerhalb der Wertkette der Unternehmen entstand, hat zwei Konsequenzen. Erstens die Zunahme der Mobilität von Marktteilnehmern innerhalb von scheinbar etablierten und fixierten Wertketten 64 und zweitens, und daraus folgend, die Zunahme des Wettbewerbs durch den Austausch von Lieferanten. Wichtig im Bezug auf die Erhöhung des Wettbewerbs in Europa ist die Integration neuer Mitgliedsländer in die eu, die Bemühungen um den Abbau der Zollschranken und die Überwachung des Abbaus protektionistischer Regeln und Gesetze. Auch damit eröffnete sich für Kunden, es sind hier die Konsumenten und die Produzenten gemeint, die Möglichkeit, sich von nationalen Produkten zu verabschieden – das Internet akzelerierte diesen Abbau. Mit der Integration neuer Mitgliedsländer in die eu nahm auch die Migration zu, sodass durch die Unterschiedlichkeiten der Einkommenssituation und der – sehr oft auch enttäuschten – persönlichen Verbesserungen beim Einkommen neue und oft billigere Kombinationen zur Herstellung von Produkten möglich wurden. Doch die bedeutendste Veränderung passierte meiner Ansicht nach auf der Habenseite der Bilanzen der Unternehmen – also auf jener Seite, die die Finanzierung abbildet. Und zwar in Bezug auf die Bedeutung des Eigenkapitals als Risikokapital. Dass dieses Eigenkapital heute langfristig, also auf unbestimmte Zeit, einem Unternehmen zur Verfügung steht, ist nicht mehr sichergestellt, sondern es besteht die Tendenz, dass es von unzufriedenen Investoren aus einem Unternehmen abgezogen und in ein anderes, vermeintlich besser performendes investiert wird. Es besteht auch die Gefahr, dass unterschiedliche Interessen der Eigentümer eines Unternehmens Druck auf die Erzielung marktkonformer Verzinsung erzeugen, was bei Nichterfüllung dieser Forderung zum Verkauf des Unternehmens führen kann – das hat in der Regel, weil das kmu nicht kapitalmarktfähig ist, den Totalverkauf zur Folge. Damit ist das Ende einer ganz besonderen Loyalität beschrieben, das Unternehmen wurde von einer stabilen Dreiecksbeziehung abgekoppelt. Von den Beziehungen (1) Investor (Eigentümer, Kapitalgeber) zu Kapital, (2) Unternehmen zu Kapital und (3) Investor (Eigentümer, Kapitalgeber) zu Unternehmen blieb also nur die erste stabil. Es gibt ganz bestimmt noch mehrere Veränderungen, doch mit den von mir hier angeführten Beschreibungen sind bereits wichtige Aspekte aufgezählt, die 64 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«.
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zur Antwort beitragen sollen, warum sich kmu auf die Internationalisierung einrichten sollen: Abbau der Produktloyalitäten, Öffnung der Märkte (nicht nur innerhalb der eu), Migration und Abbau der Loyalität der Eigentümer zu ihrem Unternehmen – zu ihrem Investitionsobjekt. Somit hat ein traditioneller Spruch von Investoren – »Viel hin und her macht Taschen leer« – keine Gültigkeit mehr. Dieser Aspekt ist noch weiter auszuführen, denn wenn Kapital das Investitionsobjekt wechseln will, muss es auch dafür einen Markt und wiederum Unternehmen geben, die dieses Geschäft betreiben. Ein Beispiel dafür sind Venture-Fonds und ihre verschiedenen Spielarten. Diese können ausschließlich durch Kauf und Verkauf von Unternehmen und Beteiligungen jene Renditen erzielen, welche sie ihren Anlegern versprechen. Der Handel mit Unternehmen und Unternehmensteilen steht im Vordergrund und nicht die realen Investitionsentscheidungen beziehungsweise die Rendite aus der Erzeugung und dem Verkauf von Produkten. Ein ausreichender Deal-Flow 65 und eine erfolgreiche Exit-Strategie 66 können meistens nur dann erreicht werden, wenn es einerseits genügend Interessenten für die Beteiligungen gibt und andererseits die Einmalerlöse, welche durch den Verkauf der Geschäftsanteile erzielt werden, hoch genug sind auch für die Kompensation der abzuschreibenden Beteiligungen. Damit werden die hohen und risikobehafteten Renditen erklärt. Aufgrund des Risikos solcher Geschäftsmodelle müssen vom Management der Venture-Kapital-Gesellschaften Versprechen für zweistellige Renditen abgegeben werden. In Prospekten heißt es sinngemäß: »Über den Verkauf der Beteiligung[en] nach frühestens vier und spätestens sieben Jahren planen wir eine Rendite […] von 15 % jährlich. […] Ein Ausfall von 40 – 50 % der Beteiligungen wird durch Erträge aus dem Verkauf von ein bis zwei ›Stars‹ überkompensiert.« 67 Ohne dieses Renditeversprechen gibt es kein Anlegergeld und daher kein Geschäft. Was die Wirtschaftstheoretiker in Bezug auf die Mobilität des Kapitals seit jeher in ihren Modellen angenommen haben, ist also eingetreten. So weit nichts Neues. Die Umsetzung der theoretischen Annahmen findet also im praktischen Verhalten der Anleger ihren Niederschlag. Das Kapital sucht sich seine beste Veranlagungsmöglichkeit. Es ist ein riesiger Wirtschaftszweig entstanden. Die Investmentbanker und Fondsmanager, die diese Entscheidungen treffen, sind an den Ergebnissen meistens finanziell beteiligt. Und sie treffen ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen auf Basis der von Experten herausgegebenen Prognosen. 65, 66 Siehe Glossar 67 E. Juritsch, Erfahrungen bei Venture-Finanzierungen aus der Sicht eines Fondsmanagers, in: A. Gutschelhofer, E. Juritsch, W. Nadvornik (Hrsg.), Managementpartner Bank. Der neue Dialog zwischen Banken und kmu, Frankfurt am Main 2004, S. 60
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Die Finanzwirtschaft (das sind Fonds und große Aktiengesellschaften) ist, in ihrer Gesamtheit betrachtet, in überwiegendem Besitz der großen Unternehmen und vieler kmu. Auch die großen Unternehmen in der realen Wirtschaft, die mit ausreichend Eigenkapital ausgestattet sind, stellen ihre Wachstumsstories durch Akquisitionen neuer Unternehmen dar, denn ein organisches Wachstum braucht viel zu lange und ist daher für ungeduldige Investoren unattraktiv. Diese großen Unternehmen müssen durch die Shareholder-Value-Logik attraktiv für ihre Eigentümer sein, das bedeutet, eine hohe Eigenkapitalrendite zu erwirtschaften. Und deren Eigentümer sind nicht nur die großen Finanzmarktkapitalisten, sondern beispielsweise auch die sogenannten kleinen Sparer und Rentenfonds zur Ansparung der Pensionsvorsorge – also wir alle. Als Richtwert für diese Rendite ist sie zwischen der Rendite von risikoreich agierenden Venture-Fonds und den Renditen, die für langfristige Veranlagungen erzielt werden, angesiedelt.68 Nur damit kann sich das Management in seiner Position halten beziehungsweise das Unternehmen wird nicht von neuen Finanzinvestoren oder strategischen Interessenten übernommen. Für ein kmu stellt sich also die Frage: Wie weit werden Renditevorstellungen von diesen großen Unternehmen bestimmt? Denn obwohl es natürlich weltweit nicht so viele große Unternehmen gibt, bestimmt ihre Macht, gemessen an Marktanteilen, an Beschäftigten und am verfügbaren Risikokapital, die Kosten für dieses latent verfügbare Eigenkapital, und jenes Maß, das diese Unternehmen vorgeben, ist auch für kmu sehr bedeutend. Daraus ergibt sich die neue strategische Entscheidung zur Positionierung eines kmu. Denn jene mehr als 95 % der Unternehmen, die kmu sind, haben natürlich dadurch nicht alle Entscheidungsfreiheiten – sie hatten sie unter den Regeln nationaler Wirtschaftspolitik auch nicht. Doch heute stellen sich die Entscheidungsgrundsätze neu: Wo müssen kmu dieser (Kapitalmarkt-)Logik folgen und wo können sie sich abkoppeln? Gibt es ein Entweder-oder – entweder man ordnet sich der Logik der globalisierten Ökonomie unter oder man verkauft beziehungsweise liquidiert das Unternehmen – oder gibt es ein Sowohl-als auch – das heißt, gibt es Bereiche, wo ein eigener Weg als kmu möglich ist, und solche, wo man der Logik der globalisierten Ökonomie unterworfen ist? Peter Heintel würde diese Alternativen in zwei Kategorien unaufhebbarer Widersprüche einordnen. Erstens die systembedingten Widersprüche, also jene, die in der Organi68 Interview ix, S. 104: »Ich glaube, man muss etwas verstehen, dass die Banken mit ihren Normalkunden in dieser Größenordnung gar nicht existieren können. Aber dass man es erkennt, dass es so riskante Geschäfte gibt. Ich habe nie in meinem Leben spekuliert. Ich habe keine Aktien und ich mach das nicht. Ich werde von Freunden oft als sehr – die nennen mich nicht zeitgerecht – sie erzählen mir von 30 % Gewinn und mehr, und ich sage, ja, mir ist lieber ein Sparbuch mit 5 %, weil ich die Stabilität brauche.«
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sation selbst eingerichtet sind und weshalb die Organisation überhaupt existiert. Als Beispiele sind die unterschiedlichen Anforderungen an ein Produkt, je nachdem, ob man es von seiner Materialseite (Umweltanspruch, Kosten), von seiner Designseite (Ästhetik) von seiner Funktionalität (Stand der Technik) oder von seiner Preisseite (Vertrieb, Kunden) her betrachtet. Auf diese Widersprüche Antworten zu finden ist die Organisation quasi verpflichtet, will sie gut weiterexistieren. Außerdem ist der oben beschriebene mehrfache Loyalitätsabbau auch den historischen Ungleichzeitigkeiten des Bewahrens im Gegensatz zum Verändern zuzuordnen.69 Die Lösungen innerhalb des Systems können nur durch Verhandlungen und Vereinbarungen zustande kommen. In selbst gestalteten Prozessen können sie dann erfolgen, wenn es um Entscheidungen und nicht um den oft zur Rechtfertigung herhaltend müssenden Sachzwang geht. Beginnen wir bei wichtigen und den kmu und Familienunternehmen vielfach zugeschriebenen Merkmalen.70 Es sind dies die Loyalität und die Abgeschlossenheit. kmu können, insbesondere in ländlichen Regionen, durch einschätzbare Haltungen ihrer Mitglieder (Eigentümer, Manager und Mitarbeiter) ein mehrdimensionales Alleinstellungsmerkmal aufbauen und ausbauen. Und zwar auf der Basis der zwei folgenden Grundsätze: Es sind dies die Kultur von Anstellungsvereinbarungen und die damit verbundenen traditionellen Versprechen eines sicheren Arbeitsplatzes, der auch Aufstieg im Unternehmen ermöglicht auf der Seite der Arbeitnehmer und die langfristigen Zielsetzungen der Eigentümer, die sich nicht wie oben beschriebene Investoren verhalten – sondern eine eher vermögenssichernde und -aufbauende Unternehmensphilosophie vertreten. Damit ist jedoch auch festgelegt, dass die Antworten aus dem Modell 71 heraus gefunden werden müssen, um ein eigenes Vorgehen innerhalb des Weltmodells einzurichten. Das kann jedoch zwei gegensätzliche Auswirkungen nach sich ziehen. Die innere Loyalität, jene der Mitarbeiter untereinander und zu ihrem Unternehmen, kann zu einer Abkapselung nach außen führen und es kann damit die Sensibilität für die Vorgänge außerhalb des Unternehmens verloren gehen. Damit gemeint sind die Schwierigkeiten, die Menschen für Offenheit zu sensibilisieren. Abgeschlossenheit kann auch Abweisung bedeuten, auch
69 Vgl. P. Heintel, Widerspruchsfelder, Systemlogiken und Grenzdialektiken als Ursprung notwendiger Konflikte, in: G. Falk, P. Heintel, E. E. Krainz (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Wiesbaden 2005, S. 17f 70 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Familienunternehmen und Internationalisierung«. 71 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Modelle und Wirklichkeiten im Management«.
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wenn sie beispielsweise durch das positive Bewusstsein eines scheinbar überragenden Qualitätsanspruchs, welcher ohnehin nur im eigenen Unternehmen herrscht, geprägt ist. »Durch den geringen Kontakt mit den Mitbewerbern glaubt jeder, er sei der Beste«,72 so die Aussage eines Unternehmers zur Abgeschlossenheit. Dafür gibt es eine Begründung, denn »Wertfiguren 73 neigen als Systeme, um ihre ›Schutzbereitschaft und -fähigkeit‹ zu sichern und womöglich zu verstärken, zu Geschlossenheit, Selbstüberschätzung und -bewertung, zur Einvernahme und zu abwertender Distanzierung anderer.« 74 Diese Eigenschaften können bei den beschrieben Veränderungen hinderlich sein. Es sind aber jene, auf die das kmu Einfluss nehmen und damit weiter sein Alleinstellungsmerkmal erhalten und ausbauen kann, es sind die Kundenwünsche und die neuen Angebote der Informations- und Kommunikationstechnologien. Es gibt weitere Möglichkeiten, sich zu positionieren, wie jene, bei der Jugend eine Stellung als attraktiver Arbeitgeber in der Region herauszuarbeiten. Und in diesem Zusammenhang sowie mit den einleitenden Erläuterungen empfiehlt es sich, sich auf einen Diskussionsprozess einzulassen und Antworten auf die Frage zu finden: Wie gehen wir als regional verankertes kmu mit unseren externen Beziehungen um? • Gestalten wir unsere Beziehungen in Augenhöhe (Symmetrie)? • Sind wir ein berechenbarer Partner und stehen wir für langfristige, stabile Beziehungen? • Sind wir sind offen für Neues, für Innovationen und für Internationalisierung und gehen wir mit unseren Gestaltungsmöglichkeiten und Ressourcen verantwortungsvoll um? Es ist schwierig, innerhalb des Unternehmens Offenheit gegenüber dem Zustand der Welt in Bezug auf das eigene Unternehmen zu erzeugen. Eine theoretische Situation oder ein Projekt unter dem Motto »Was wäre, wenn« zu besprechen, wird in der Regel wenig Wirkung zeigen, weil lediglich diskutierte und nicht ausprobierte Möglichkeiten keinem Realitätstest standhalten müssen und schnell wieder beendet sind. Mit echten Projekten und den dazugehörenden Prozessen ist mehr zu erreichen als mit bloßen Diskussionen. Projektmöglichkeiten 72 E. Rappold (Interview), in: Lakeside Science & Technology Park GmbH (Hrsg.), Eins und eins ist elf, Klagenfurt 2004, S. 38 73 Ich interpretiere die Wertfigur in diesem Zusammenhang als »Mir san mir«(»Wir sind wir«-) Mentalität. 74 P. Heintel, Das »Klagenfurter prozessethische Beratungsmodell«, in: P. Heintel, L. Krainer, M. Ukowitz, Beratung und Ethik, Praxis, Modelle, Dimensionen, Berlin 2006, S. 204
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gibt es viele – ich führe beispielhaft zwei an: ein kleines und ein großes Projekt. Als Beispiel für einen kleinen Internationalisierungsschritt der etwas anderen Art ist die Beschäftigung neuer Mitarbeiter mit anderer Muttersprache oder neuer ausländischer Mitarbeiter – mit einer Aufgabenstellung, die vielleicht für eine spätere Internationalisierung nützlich sein könnte. Projekte, die auf die Internationalität des Unternehmens vorbereitend sind, können aber auch andere und größere Dimensionen erreichen, wie beispielsweise einen regionalen Mitbewerber in das Unternehmen gesellschaftsrechtlich beziehungsweise organisatorisch zu integrieren oder zwei regionale kmu zu fusionieren, was zwar oft auf der Hand läge, aber aufgrund langjähriger Konkurrenzsituation praktisch kaum passiert. Dazu ist festzuhalten, dass solche Maßnahmen auch dann die Offenheit des Unternehmens unterstützen, wenn das Geschäftsmodell ein rein regionales ist. Denn die Entscheidung, ob sich das Unternehmen internationalisiert, steht hier nicht so sehr im Vordergrund beziehungsweise sind diese Anregungen eher als Übungen mit realem Hintergrund für die Bereitschaft, sich mit neuen Themen auseinanderzusetzen, zu sehen. Denn die Auswirkungen des zunehmenden Wettbewerbsdrucks sind auch bei regionalen Dienstleistungsbetrieben und Handwerks- oder kleinen Industrieunternehmen spürbar. Dafür sind neben den bereits erwähnten Ursachen, wie der Zunahme der elektronischen Informations- und Einkaufsmöglichkeiten und der Zunahme des internationalen Handels, weitere Gründe maßgeblich. Etwa die Abnahme der Nachfrage nach handwerklichen Leistungen einerseits durch Sättigung – die Küchenausstattung amerikanischer Haushalte wird oft als Beispiel dafür genannt – andererseits durch den Ersatz von handgefertigten Einzelstücken durch Fabrikware. Das bedeutet, dass das Unternehmen zwar regional ist, jedoch in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit sich mit überregionalen kmu messen muss. Diese Form einer indirekten internationalen Verflechtung weist ebenfalls auf die begrenzten Möglichkeiten hin, sich von den globalen Trends abzukoppeln. Und deshalb das hier formulierte Anliegen, durch Vorbereitungsmaßnahmen und Projekte sich darauf einzurichten. Wenn es tatsächlich um die Einrichtung von Entscheidungsprozessen für oder gegen eine Internationalisierung geht, können solche Projekte sehr nützlich sein. Beim nächsten Aspekt geht es um die wirtschaftliche und gesellschaftsrechtliche Selbstständigkeit eines kmu. Dieser Punkt lässt sich ganz gut mit dem skurrilen Beispiel erklären, wie ein Frosch reagiert, wenn er ins Wasser geworfen wird. Wenn das Wasser heiß ist, springt der Frosch sofort wieder heraus und überlebt. Anders endet die Geschichte, wenn das Wasser kalt ist und sehr langsam aufgeheizt wird. Der Frosch stirbt, weil er den Zeitpunkt übersieht, an welchem er spätestens aus dem Wasser springen müsste, um zu überleben. Ich weiß 361
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nicht, ob das Verhalten des Frosches je im Rahmen eines naturwissenschaftlichen Experiments ausprobiert wurde. Mir ist die Metapher in diesem Beispiel wichtig. Es werden nämlich die Auswirkungen der Globalisierung zwar medial und oft auch politisch im Zusammenhang mit einer spektakulären Schließung einer Bekleidungs-, Schuh- und neuerdings auch Handyfabrik verteufelt, jedoch viel stärker wirken die langsame Zunahme des Wettbewerbsdrucks durch Automatisierung und Innovation und die Zunahme des Wettbewerbs um die höchsten Renditen. Mit den Anforderungen an höhere Renditen geht der Anstieg der (Eigen-)Kapitalkosten beziehungsweise die Verknappung der Finanzierungsmöglichkeiten für kmu einher. Und die Höhe der Kapitalkosten bestimmt den Kapitalabfluss aus dem Unternehmen. kmu sind sich der Bedrohung durch die langsame Zunahme des Wettbewerbsdrucks und vor allem der Verknappung und Verteuerung der Finanzierungsmöglichkeiten bewusst, Gegenstrategien sind aber nur durch grundsätzliches Überdenken des Geschäftes zu finden. Und wenn sie einen gesunden Unternehmenskern in Bezug auf ihre Produkte und Dienstleistungen haben, geht nicht ihre technische Kompetenz und ihre Marktkompetenz zugrunde, das Unternehmen gerät durch den oben beschriebenen Rentabilitätsdruck unter Verkaufsdruck und droht die wirtschaftliche Eigenständigkeit zu verlieren. Dazu kommt auch noch die mangelnde Attraktivität für jene Eigentümer, die ausschließlich Renditeinteressen haben. Sie haben ihr ganzes Vermögen in einem Unternehmen gebunden und damit ist ihr Risiko nicht gestreut, sie sind von einer einzigen, konjunkturell bedingt schwankenden Dividende abhängig. Dazu kommt, dass auch für die Banken das geringe Interesse zwar kaum aus dem Risiko des Kapitalverlusts gegeben ist, sondern aus dem geringen Volumen, das in einem kmu in Form von Krediten veranlagt werden kann.75 Das geringe Kapitalvolumen steht in einem für das Kreditmanagement nachteiligen Verhältnis zu den Kosten der Entscheidung für die Kreditvergabe und den Kosten für die laufende Kontrolle. Skaleneffekte und damit Finanzkonzentration finden somit auch auf der Seite der Kreditobligos statt. Doch es gibt es eine, allerdings beschränkte Autonomie – es ist die Beibehaltung der Hausbankentradition. Ich glaube, solange es Regionalbanken, das heißt mit eigenen Entscheidungskompetenzen ausgestattete Institute, gibt, kann eine stabile Finanzierungsbeziehung der heutigen Finanzmarktlogik entgegenwirken. Bei Internationalisierungsprojekten ist gegenseitiges Vertrauen in diese langfristige Beziehung wichtig, es soll jedenfalls durch die kompetente und transparente Darstellung der Investitionsvorhaben gestärkt werden.
75 Interview ix, S. 104
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In Bezug auf die hier angeführten, aber nur langsam wahrgenommenen Verschärfungen der Bedingungen für kmu hat die Wirtschaftspolitik noch keine neuen Anstrengungen für Erleichterungen unternommen. Diese vermeintlich bequeme Position ist nicht nachvollziehbar. Denn während korrekterweise bei der Schließung einer nicht mehr rentablen Produktion eine Arbeitsstiftung für Umschulungsmaßnahmen eingerichtet wird, gibt es beim Abbau von 10 % der Beschäftigten in Hunderten kmu offensichtlich für Wirtschafts-Politiker keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Dieser Handlungsbedarf fällt auf das Unternehmen zurück und damit auf die Entscheidung über die wirtschaftliche Selbstständigkeit des Unternehmens. Doch meiner Ansicht nach sollten diese Entscheidung heute nicht mehr nur die traditionellen Entscheider, also die Eigentümer, treffen. Es sollten die Führungskräfte und die wichtigsten Stakeholder, und zwar in Bezug auf ihre unterschiedlichen Rollen, eingebunden werden. Dazu müssten auch das Risiko und die Chancen verbreitert werden. Warum soll die Entscheidung verbreitert werden? Es können durch die Automatisierung bei gleichem Output nicht mehr alle Arbeitnehmer sinnvoll weiterbeschäftigt werden. Damit ist das Unternehmen bereits Teil der globalen Maschinerie. Vor allem in attraktiven Unternehmen muss der Widerspruch zwischen dem Versprechen nach einem lebenslangen Arbeitsplatz mit entsprechender Aussicht auf Karriere (Bedürfnisanspruch) und dem Überleben und der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens (Leistungsanspruch) 76 gemanagt werden. Damit sind die Eigentümer überfordert. Mit dem Erkennen dieser systemimmanenten Widersprüche können nämlich, wenn das Unternehmen noch ausreichend Zeit und Reserven hat, sich umzustrukturieren, die unterschiedlichen Interessen in Bewegung gebracht und Verhandlungen ermöglicht werden. Das Wissen um diese Bedingungen ermöglicht es den Mitarbeitern des Unternehmens genauso wie den Eigentümern und Managern, Verständnis für die Situation aufzubringen, weil sie damit erkennen, dass nicht sie selbst versagt haben, sondern dass das System sie zwingt, mit den neuen Gegebenheiten umzugehen. Man beginnt, miteinander zu reden und nicht die Schuld bei den anderen im Unternehmen zu suchen. »Damit ist im prozessethischen Sinn die wichtigste Vorbedingung für die Konstitution von Ethik (neue Werte, Normen 77 usw.) erfüllt: nämlich die Bedingung[en] für ihre praktische Möglichkeit sicherzustellen.« 78 Denn wenn man das oben beschriebene Beispiel weiterdenkt, dann sind aufgrund der Verän76Vgl. Heintel, »Klagenfurter prozessethischess Beratungsmodell«, S. 207: Peter Heintel führt zu den beiden »Moralitäten« zwei weitere an, nämlich das individuelle Gewissen und die Loyalität. 77 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay » Es gibt viel zu entscheiden«. 78 Heintel, »Klagenfurter prozessethischess Beratungsmodell«, S. 210
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derungen durch Automatisierung und Auslagerungen weitere Entscheidungen zu treffen. Und es ist ein wesentlicher Unterschied, ob durch Qualifizierung des Managements und der Mitarbeiter neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet und durch dieses Wachstum alle Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden, oder ob Mitarbeiter abgebaut werden. Die Aussicht auf Karriere und Dauerarbeitsplatz hält gute Mitarbeiter im Unternehmen. Doch diese Schritte brauchen Vorbereitungszeit und finanzielle Ressourcen. Ein erfolgreicher Unternehmer sagt, ausschließlich bezogen auf die Marktseite der Internationalisierung: »Das sind alles Schritte, die ich gesetzt habe, das waren aber viele Jahre.« 79 Wenn diese Überlegungen von innen kommen, ist es eigentlich spannender und immer noch einfacher, als wenn der Wettbewerbsdruck nur mehr ein Vorgehen aus dem Sachzwang heraus vorschreibt. Es ist also nachvollziehbar, wenn ein Unternehmen, das durch die entstandene Abgeschlossenheit und die positiven Erfahrungen aus lang anhaltenden Wertschöpfungspolstern, die einen lange währenden wirtschaftlichen Erfolg nach sich gezogen haben, in die Zwickmühle von Wettbewerbsdruck und sozialer Verantwortung gerät. Diese Erkenntnis sollte ein Auslöser sein, dass es »sich selbst seine Diskussions-, Kommunikations- und Entscheidungsinstanzen einrichten muss«.80 Das geht nur, wenn die Prozessgestaltung so erfolgt, dass »Selbsthilfe, Selbstklärung und entscheidungsvorbereitende Selbstreflexion ermöglicht« 81 werden. Dabei unterstützt uns die Hintergrundinformation, dass Unternehmen als von Menschen eingerichtete Organisationen, ebenso wie Institutionen, (ewige) Antworten auf Widersprüche sind.82 Damit kommen wir wieder auf den Zweck des Unternehmens zu sprechen. Denn vereinfacht und verkürzt wird in der Marktwirtschaft die Nachfrage nach Produkten unter bestimmten Bedingungen wie Preis, Qualität, Menge usw. durch die Unternehmen in eben dieser Marktwirtschaft abgedeckt. Und so einen Hinweis auf das Unternehmen als Antwort auf Widersprüche finden wir auch in der theoretischen Begründung des Unternehmens.83 Der Markt selbst gibt also nur selten befriedigende Antworten auf die Bedürfnisse der Menschen in ihrer Rolle als Konsumenten oder Produzenten und der Markt produziert auch Kosten. Das wird, wie gesagt, durch die Unternehmen erledigt und die Kosten des Marktes in Bezug auf Produktion, Logistik, Finanzierung, Vermarktung usw. sind unternehmensbezogene Kosten, der darüber hinausgehende Wert ist gleichermaßen der Unternehmensnutzen. Und diese Kosten und Nutzen unterliegen lang- und 79 80 81 82 83
Interview ix, S. 103 Heintel, »Klagenfurter prozessethisches Beratungsmodell«, S. 220 Ebd. S. 224 Vgl. ebd. 227 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Zur Unübersichtlichkeit der Information«.
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kurzfristig angelegten Verhandlungen. Denn ein Unternehmen kann, wenn es wirtschaftlich erfolgreich sein will, die gestellten Anforderungen nur erfüllen, wenn es diese Aushandlungsbedingungen erfüllen kann. Diese sind zum Beispiel auf der Produktebene der Preis, die Lieferzeit oder die Umweltbelastung, auf der Mitarbeiterebene sind dies Gehalt, Arbeitszeit oder beispielsweise die vereinbarte Lärmbelastung. Bei den Investitionen sind es die für die Investitionen benötigten finanziellen und vor allem personellen Ressourcen, welche nach der Entscheidung für diese Investition gebunden sind. Die Bedingungen sind also unter dem Aspekt des zu definierenden Erfolges der Organisation auszuhandeln. Damit sind aus den ehemals eher starren Relationen in Bezug auf Material, Arbeits- und Kapitalkosten flexible Relationen entstanden. Und das ist meiner Ansicht nach eine sehr wichtige Erkenntnis: Denn wenn auch hier und zu Recht permanent von Flexibilität und Mobilität gesprochen wird, spezifische regionale Stärken wie beispielsweise Identifizierung der Eigentümer, Ausbildung, Erfahrung und Loyalität der Stakeholder zum Unternehmen sind so bedeutend für dieses Aushandeln und die dazugehörenden Investitionsentscheidungen, dass damit ein wichtiges unternehmerisches Kompetenzfeld für kmu im Entstehen ist. Das gilt auch, wenn Investitionsentscheidungen im scheinbaren Widerspruch zu den standortbezogenen Personalkosten stehen. Was wird also am Standort investiert? Sind damit die Hausaufgaben erledigt? Das sind sie nicht, denn es wartet der nächste Fragenkomplex. Die Entscheidungen in Bezug auf die Allokation der Mittelverwendung führen naturgemäß zu weiteren Konflikten. Denn »die Globalisierung, die Entgrenzung der Kommunikation durch Technologie ist eine Herausforderung an alle traditionellen Systeme«.84 Es reicht nämlich nicht nur, standortbezogene Überlegungen im Bezug auf das Überleben der Organisation anzustellen. Denn wenn das Überleben des Unternehmens sein einziger Zweck ist, dann ist die Gefahr des Auseinanderdriftens der Interessen der Eigentümer, aber auch der Mitarbeiter sehr hoch und das bedeutet in der heutigen Wirtschaft aufgrund der für das kmu geschilderten Veränderungen: Übernahme oder Zerfall durch Liquidation oder Insolvenz. Zwar kann das Überlebensthema über einen gewissen Zeitraum für das eine oder andere (eher kleine) Familienunternehmen konstituierend wirken, wenn zum Beispiel die Lebenshaltung der Familie nicht von den Gewinnausschüttungen abhängig ist, wenn die Familienmitglieder durch ihr Gehalt ihren Lebensalltag bestreiten. Doch auch das familiengeführte Unternehmen ist meistens mit 84 Heintel, »Klagenfurter prozessethisches Beratungsmodell«, S. 233 85 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Familienunternehmen und Internationalisierung«.
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einer – meist konservativen – kapitalmarktorientierten Eigenkapitalbewirtschaftung 85 (Verzinsung und/oder Investition) konfrontiert. Das Management bringt die Unterschiedlichkeit der Interessenslagen in Form von gleichmäßigen vereinbarten und auch erreichbaren Ausschüttungen noch am ehesten in Einklang. Und auch die Mitarbeiter eines Unternehmens, welches seine Existenzberechtigung ausschließlich am wirtschaftlichen Überleben orientiert, verlassen es über kurz oder lang. Durch die geografische Nähe von Eigentümern, Managern, Mitarbeitern und deren Familien lassen sich Krisen und daraus resultierende unterschiedliche Interessenslagen kaum »unter der Decke« halten. Sie haben Auswirkungen auf das Klima im Unternehmen. Aber es ist auch umgekehrt: So wirken sich beispielsweise Fluktuation oder ein als riskant empfundenes Wachstum negativ auf das Image in seiner Umgebung und dadurch auf den Wert des Unternehmens aus. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Zeiten stabiler Verhältnisse für etablierte und erfolgreiche Unternehmen bestimmt nicht zurückkehren. Die treibenden Kräfte finden wir am Finanzmarkt, sie haben uns alle, auch in unseren verschiedenen Rollen als Sparer und Pensionsvorsorgende, veranlasst, fixe Vorstellungen von Renditen aufzugeben. Durch die verbesserte Informationssituation hat natürlich auch in vielen anderen Bereichen ein Abbau von Loyalitäten stattgefunden. Konsumenten und Unternehmen haben ihre planbaren Verhaltensweisen in Bezug auf Kunden und Lieferanten ad acta gelegt. Die nationalen Ökonomien mit ihren spezifischen (wirtschafts-)politischen Interessen haben massiv an Einfluss verloren. Somit stellt sich für ein kmu die Frage: Wo können wir uns abkoppeln und wo nicht? Eine sture Abgeschlossenheit und das Hoffen auf die Wirtschaftspolitik sind zwei Optionen, die von vornherein keinerlei Erfolg versprechen. Die Überraschungen, die ein kmu erlebt, sind durch die Langsamkeit der Wirkungen von Veränderungen – es mag widersprüchlich klingen – noch größer geworden. Somit bleiben für das Abkoppeln, für einen quasiautonomen Weg, nur Verhandlungen mit jenen, die an einem starken Unternehmen interessiert sind – noch dazu, wo reines Überleben heute keine erfolgsträchtige Strategie mehr darstellt. Verhandlungen bedeuten jedoch Umgang mit Konflikten und die Aufrechterhaltung der Entscheidungsfähigkeit. »Denn in einer bestimmten Situation nicht über sich selbst bestimmen zu können, sondern sich für etwas zu entscheiden, was andere vorgeben, widerspricht dem Unternehmersein, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Die Praxis hat dafür das Wort Sachzwang.« 86 Diese organisierten Kommunikationspro86 E. Juritsch, Der Sinn von Konflikten bei der Nachfolge im Familienunternehmen, in: swk, Nr. 8, 2008, S. 442
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zesse beziehungsweise Verhandlungen sollen mehr als eine Möglichkeit unternehmerischer Optionen eröffnen und immer wieder für ein Einander verstehen den Raum aufmachen. Sie sollen die Hintergründe für die Widersprüche und die Konflikte, die aus dem System der internationalisierten Ökonomie in das Unternehmen hineinwirken, aufzeigen. Damit kann auch der Sinn für den inneren Zusammenhalt der Organisation in Bezug auf deren Ziele unter den vorhandenen Regeln und Rahmenbedingungen erklärt werden. Er »liegt nämlich in der jeweils guten Lösung – auf Zeit. Es liegt ein Glücksempfinden darüber, der jeweils gültigen […] Konstellation Genüge getan zu haben.« 87 Kann also in der Kompetenz im Umgang mit Konflikten die Kompetenz für den Umgang mit der Internationalisierung eines kmu gefunden und geübt werden? Können damit auch die direkten und indirekten Auswirkungen der international verflochtenen Ökonomie auf das kmu bearbeitet werden? Beide Fragen sind meiner Ansicht nach mit »Ja« zu beantworten. Wenn diese Kompetenzen nicht aufgebaut werden, können auch die Vorteile aus der Globalisierung nicht genützt werden. Der Zugang zu neuen Geschäftsmöglichkeiten hat sich enorm erweitert und die internationalen Märkte sind weiterhin aufnahmefähig. Die Betrachtung der Unternehmensgewinne führt jedoch zu ähnlichen Ergebnissen wie die Betrachtung der nichtselbstständigen Einkommen – die Schere in den Erträgen geht auseinander. Eine politische Steuerung ist meiner Ansicht nach nur über die Information und die Ausbildung über die Wirkungsweise der globalisierten Ökonomie möglich. In der Bildung helfen keine einseitigen Positionen, sondern die Fähigkeit, selbst zu beurteilen, wo die Möglichkeiten und die Bedrohungen der Zukunft angesiedelt sind. Es wird noch viel mehr als bisher auf die eigenen unternehmerischen Fähigkeiten ankommen. Denn die Finanzwirtschaft wird weiter abgekoppelt bleiben und sich über das Kapital der Ideen bemächtigen. Die Antworten können eigentlich nur aus dem eigenen Modell heraus gefunden werden. Die Ich-ag ist meiner Ansicht nach ein zu einfacher Tipp. Sie ist zu erweitern, denn es ist heute ohnehin ziemlich gleichgültig, ob ein Unternehmen aus einem Gesellschafter besteht und die anderen Menschen angestellt sind, oder ob der Kreis der Gesellschafter auf mehrere Personen aufgeteilt wird. Dadurch, dass der Bedeutung des (Finanz-) Kapitals nur organisiertes (geballtes) Know-how entgegengesetzt werden kann, eine einzelne Person in bestimmten Branchen nichts bewegen kann, müssen andere Formen von Unternehmen entstehen. Mischungen von Eigentum, Management, Mitarbeit, Beteiligungen, Finanzierung sind rechtlich und finanziell organisierbar – sie bedürfen für ihren Erfolg der Überwindung alter hierarchischer Modelle. Die Interessen und ihre 87 Heintel, »Klagenfurter prozessethisches Beratungsmodell«, S. 231
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Vertretung sind derzeit polarisiert aufgestellt: Auf der einen Seite die Großen, auf der anderen die Einpersonenunternehmen. Meiner Ansicht nach fehlt gerade den mittleren Unternehmen, die in Bezug auf die Mitarbeiterzahl nach unten in die eu-Dimension des ku (kleinen Unternehmens) und nach oben in bestimmten Branchen in die Dimension des gu (großen Unternehmens) hineinreichen, eine kräftige Lobby. Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl von 30 bis 500 sind wichtiger Teil des Erfolgsmodells der europäischen Wirtschaft. Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich organische neue Modelle davon herausbilden, wäre eine echte Aufgabe der Wirtschaftspolitik und der Interessensvertretungen. Solidarität mit dieser Minderheit ist (noch) nicht zu sehen. Sind Förderungen allein in der Lage, Rahmenbedingungen für dieses Unternehmenssegment zu liefern?
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Förderungen für KMU »Qualifizierte Ganzjahresarbeitsplätze. Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Betriebliche und überbetriebliche Unternehmensentwicklung. Das bringt dauerhaft Einkommen und Prosperität am Wirtschaftsstandort Kärnten.« 88 Viele regionale und nationale Förderungsorganisationen beschreiben ihre Strategie so oder so ähnlich. Und die überwiegende Anspruchsgruppe für Förderungen sind kmu. Jene, die in der Region ihren Stammsitz haben und investieren oder Forschung und Entwicklung betreiben, aber auch jene, die sich neu ansiedeln – sich internationalisieren. Förderungen sollen also sowohl die regionalen Wirtschaftsentwicklungsziele als auch die Wachstumsziele der kmu unterstützen – sie sind neben den Rahmenbedingungen 89 auch eine wichtige Säule der Wirtschaftspolitik. Vielleicht wird von Förderungen zu viel erwartet. Und zwar von allen Seiten; von der Wirtschaftspolitik und von den Unternehmen. Ihre Wirkungen werden meiner Ansicht nach überschätzt. Deshalb geht es hier einmal (ausnahmsweise) darum, die unterschiedlichen Förderbedingungen für ein Unternehmen selbst erkennbar zu machen. Der Zugang dazu soll durch den Blick auf die Problemlagen der kmu und die wirtschaftspolitischen Erwartungen, die an sie gestellt werden, ermöglicht werden. Die Hauptprobleme von kmu werden heutzutage überwiegend der hauptsächlich von Finanzmarktlogiken bestimmten globalisierten Wirtschaft zugerechnet – beinahe täglich ist im Rahmen von Finanzierungsgesprächen von Basel ii die Rede. Die Basel-ii-Regeln führten in den letzten Jahren zu restriktiveren Vergabekriterien bei Krediten. Das führte zu Schwierigkeiten bei Kreditfinanzierungen von kmu. Aber auch die Hereinnahme von Finanzpartnern durch Eigenkapitalzuführung als Risikokapital ist für kmu schwer zu erreichen. Auch hier wirken Skalenerträge – was nichts anderes bedeutet, als dass der Aufwand für eine größere Anzahl von Beteiligungen mit einem geringen Umfang von jeweils wenigen Hunderttausend Euro viel höher ist als jener einer einzigen Beteiligung mit mehreren Millionen Euro. Und auch die Übernahme von Haftungen durch die öffentliche Hand zur Stimulierung von Beteiligungen führte zu vielen Haftungsfällen – die Beteiligungen mussten also durch den Bürgen, die öffentliche Hand, (teilweise) abgelöst werden. Das führte zu einem Rückzug aus diesem 88 kwf – Kärntner Wirtschaftsförderungs Fonds (Hrsg.), Der kwf ist die Wirtschaftsförderung des Landes Kärnten (Broschüre), Klagenfurt 2005, S. 13 89 Zu den Rahmenbedingungen siehe meine Ausführungen im Essay »Akteure und Rahmenbedingungen«.
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eigenkapitalbildenden Förderinstrument. Dadurch ist die Bildung von Eigenkapital ausschließlich aus den Erträgen aus dem laufenden Geschäft möglich und damit sehr begrenzt. Wenn das Unternehmen wächst beziehungsweise Investitionsvorhaben und Internationalisierungsprojekte verwirklicht, sinkt die Eigenkapitalquote, womit sich aufgrund des Basel-ii-Ratings die Bonität verschlechtert. Im Wissen, wie es nach der Investition bilanziell aussieht, sind daher Investitionskredite schwer zu bekommen, und sie verteuern sich aufgrund dieser schlechteren Bonität – des höher eingeschätzten Risikos. Dieses höhere Risiko, welches im Zusammenhang mit einer Internationalisierungsinvestition steht, hat zur Folge, dass für derartige Projekte nicht ausschließlich die projektbezogenen Sicherheiten ausreichen, sondern dass das Mutterunternehmen oder die Gesellschafter Sicherheiten für Bankkredite begeben müssen. Die Unterschiedlichkeit in der Beurteilung der unternehmerischen Kompetenz und des Projektrisikos hängt auch mit folgender Situation zusammen: Am Stammsitz eines kmu, wo der Unternehmer eine persönliche Erfolgsgeschichte aufzuweisen hat und durch ein vielfältiges Beziehungsnetzwerk und das aufgebaute Vertrauen bekannt ist, ist das Unternehmen nicht so sehr den objektiven, von Banken, Analysten und Investmentfonds aufgestellten Bedingungen in Bezug auf seine Kreditwürdigkeit ausgesetzt. Bei der Beurteilung am neuen Investitionsstandort bleibt die persönliche Erfolgsgeschichte meist unberücksichtigt, umso mehr sollte man auch am neuen Standort diese Erfolgsgeschichte vorbringen, um auch die persönliche Komponente beurteilen zu können. Analysten und Ratingorganisationen unterstellen ja den kmu ganz allgemein mangelnde Kapitalmarktfähigkeit und damit auch mangelnde Mobilität und Internationalisierungsfähigkeit. Damit werden zwar manche kmu aufgrund der ihnen zugeschriebenen Stärken und ihrer Nischenkompetenz interessant für eine Übernahme, aber sie selbst können sich wirtschaftlich selbstständig aus den eingangs erwähnten Gründen nur sehr schwer internationalisieren. Aufgrund dieser Einschätzung bekommen Investitionsförderungen, das können Zuschüsse, Darlehen, stille Beteiligungen oder Bürgschaftsübernahmen durch öffentliche Institutionen sein, einen hohen Stellenwert. Selbst wenn Förderungen bilanziell nicht direkt dem Eigenkapital zugerechnet werden, stellen sie für die privaten Financiers einen Risikopolster und ein Commitment der öffentlichen Hand in Bezug auf die Investition dar. Bei betriebswirtschaftlich und technisch kompetenten Förderorganisationen hat die Beurteilung des Projektes durch sie die Funktion einer zweiten Meinung (»second opinion«) – was wiederum für die Kreditgeber von Bedeutung ist. Wo sind also die Gründe für ein öffentliches finanzielles Engagement zu finden, welches ja nicht renditeorientiert ist?
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Den kmu wird einiges an wirtschaftspolitischen Aufgaben zugeschrieben und auch zugemutet. • Als Gründer sorgen sie für eine florierende Unternehmensdynamik – Gründungen sollen auch die Insolvenzen überkompensieren. kmu gelten als Träger für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. • In ländlichen Regionen übernehmen sie neben der Einkommen generierenden Aufgabe durch ihre vielfachen Vernetzungen mit den regionalen Stakeholdern auch soziale und kulturelle Funktionen in der Gemeinschaft. • Sie haben, wenn sie ein überregionales Geschäft betreiben, oft Transferfunktion von der Region in die Welt hinaus und noch wichtiger von der Welt in die Region hinein. Sie stiften damit Identität, sorgen für regionales Selbstbewusstsein – beispielsweise durch eine geografische Herkunftsbezeichnung eines Produktes. Politiker von abgeschlossenen Talschaften führen bei Präsentationen ihrer Region meistens sehr stolz die vorhandenen wichtigen Arbeitgeberbetriebe 90 an. Eine weitere Auswirkung ist, dass Unternehmen der Absiedlung und damit der Überalterung von Regionen entgegenwirken. Diese vielfältigen Rollen der kmu werden von der Wirtschaftspolitik erkannt und anerkannt und sie hat den kmu in Bezug auf Förderungen objektiv die besseren Rahmenbedingungen eingeräumt als den großen Unternehmen. Doch bevor von Förderungen die Rede ist, noch eine wichtige Vorbemerkung, die als Voraussetzung für die meisten Förderungen gilt: Die Unternehmen müssen für den wirtschaftlichen Erfolg in ihrem Kerngeschäft selbst sorgen, die Finanzierung des wirtschaftlichen Alltags – also der Betriebsmittel – stellt nur in den allerseltensten Fällen, allenfalls bei kleinen Gründungen, einen Förderungstatbestand dar. Finanzielle Unterstützung im operativen Geschäft ist beihilfenrechtlich verboten und es lohnt sich nicht, darauf zu hoffen oder Energie in diese Art von Begehren hineinzustecken. Und in Bezug auf das Kerngeschäft reicht es nicht aus, nur zu überleben, das Unternehmen muss zumindest dem Durchschnitt der Branche entsprechen. Wenn also nicht jede wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit einen Förderungstatbestand darstellt, wo kann ein solcher vermutet werden? Die besseren Rahmenbedingungen für kmu ermöglichen es also den öffentlichen Institutionen, legitimiert durch wirtschaftspolitische Leit- und Richtlinien, ihnen Förderungen zu gewähren. Welche Bedingungen sind für Förderungen 90 Ein Arbeitgeberbetrieb ist ein Unternehmen, das mindestens einen Vollzeitmitarbeiter beschäftigt hat.
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erforderlich? Wenn sich ein Unternehmen in einer außergewöhnlichen Situation befindet, dann besteht Aussicht auf eine Förderung. Denn Ziel jeder unternehmensorientierten Förderung sind Unternehmen mit hohem Potenzial und geringem wirtschaftlichen Risiko.91 Dass so ein Unternehmensportfolio nur mit Projekten und dazugehörenden begleitenden Prozessen erreicht werden kann, ist nur zu verständlich. Wenn es zum Beispiel Projekte gibt, durch deren Umsetzung beispielsweise Arbeitsplätze geschaffen und/oder neue Produkte entwikkelt werden, kann Förderungswürdigkeit vermutet werden. Dazu ist es unbedingt notwendig, dass ein kmu durch sein Projekt sein Anliegen in der Weise formuliert, dass diese Aktivitäten volkswirtschaftlich wichtig sind und nicht nur (aber auch) aus der betriebswirtschaftlich getriebenen Logik heraus umgesetzt werden können. In der Regel können finanzielle Unterstützungen nur auf der Basis von klar definierten Projekten erfolgen. Die Aufgabenteilung zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen kann man in diesem Zusammenhang folgendermaßen beschreiben: Unternehmen sind dazu da, um Gewinne zu machen. Dafür müssen sie in der realen Wirtschaft, in der Produkte entwickelt, produziert und verkauft werden, Mitarbeiter beschäftigen und investieren. Die Wirtschaftspolitik sollte kmu bei den Investitionen und Produktentwicklungen fördern, denn ihr kommt die (teilweise) Unterstützung bei der Aufgabe der Schaffung (und Erhaltung) von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen und bei der Stimulierung von Forschungsprojekten zu. Projekte, die solche Merkmale aufweisen, müssen zu den regionalen Förderprogrammen passen und der überwiegende Teil der Projektkosten muss vom Unternehmen selbst aufgebracht werden. Es sind also folgende Mindestvoraussetzungen für Förderungen gegeben: ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen, ein Projekt, ein Förderprogramm und die überwiegend vom Unternehmen aufzubringenden finanziellen Eigenmittel 92 – soviel zur betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlage von geförderten Projekten. Das Projekt sollte außerdem über das Unternehmen hinaus wirksam werden. kmu haben beim Formulieren und Präsentieren der Wirksamkeit des Projektes sowie in der Aufbringung des betriebswirtschaftlich erforderlichen Eigenbeitrags oft Nachteile gegenüber großen Unternehmen, die durch Lobbying und ihre Präsenz in Interessensvertretungen und anderen öffentlichen Organen mehr Ressourcen haben, für ihre Projekte einzutreten. Kooperationen 93 von mehreren kmu, von ansässigen und neuen, sind eine mögliche Alternative. Sie stellen mitunter eine aufwendige Förder- und auch Organisationsübung 91 kwf, Wirtschaftsförderung des Landes Kärnten, S. 14 92 Eigenmittel lt. Förderungsrichtlinien sind Eigenkapital, Innenfinanzierung (Cashflows), aber auch nicht geförderte Kredite. 93 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Kooperationen und Eigentum (Konkurrenz)«.
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dar und lohnen sich nur, wenn die Zielsetzungen für alle Teilnehmer sehr ähnlich sind und Vertrauen zwischen den Unternehmen aufgebaut werden konnte. Wenn kmu sich internationalisieren, sollten sie sich jedenfalls mit den öffentlichen Unterstützungsmöglichkeiten auseinandersetzen, und zwar sowohl mit jenen, die ihren Stammsitz betreffen, als auch mit jenen, die sie an einem allfälligen neuen Betriebsstandort zu erwarten haben. Es gibt beide Varianten, oft auch in Kombination – aber nicht überall! Internationalisierung bedeutet in der Regel, wie bereits erwähnt, dass auch das Mutterunternehmen finanziell oder in Bezug auf die Übernahme von Risken eingebunden werden muss. Zu beachten ist, wie die Praxis zeigt: Unklarheiten in finanziellen Belangen im Zusammenhang mit einer ersten Internationalisierung lösen einen Vertrauensverlust bei den Mitarbeitern und Financiers aus. Wenn alle (Finanz-)Ressourcen an einem Standort fixiert sind, stellt sich in diesem Zusammenhang die Vertrauensfrage nicht. Mit einem als förderungswürdig identifizierten Projekt und den vertrauensbildenden Maßnahmen kann man sich also den öffentlichen Förderungsorganisationen zuwenden. Diese öffentlichen Einrichtungen gibt es in unterschiedlicher rechtlicher und organisatorischer Ausgestaltung – näher bei der Politik angesiedelt oder relativ autonom agierend – und sie müssen sich an den eu-Rahmenbedingungen für Förderungen orientieren.94 Die Förderungslandschaft ist auf den ersten Blick undurchsichtig. Das liegt zum Ersten im sehr differenzierten Charakter der als förderungswürdig festgelegten Maßnahmen. Zum Zweiten ist eine Förderung eines Unternehmens eine individuelle finanzielle Intervention – kein Fall gleicht dem anderen. Der kwf beschreibt es in seiner Unternehmensbroschüre so: »Objektivierungskriterien sichern [zwar] eine korrekte Behandlung aller Anträge. Dennoch bleibt stets ein Rest an Subjektivität bestehen. Denn jedes Projekt ist eine individuelle Angelegenheit.« 95 Mit den verschiedenen Merkmalen können Unterschiede in der Vergabe beziehungsweise Nicht-Vergabe verknüpft werden. Das kann zu Ablehnungen, zu unterschiedlichen Instrumenten und Förderhöhen und zu differenzierten Förderungsauflagen (= Bedingungen für die Auszahlung) führen. Beispielsweise sind in Bezug auf zu schaf94 Steuerliche Erleichterungen, sind vom Grundsatz her etwas anderes. Steuersystem und Förderungen sind in der Regel wirtschaftspolitisch nicht aufeinander abgestimmt und weisen zudem Unterschiede bezüglich Vergleichbarkeit und Transparenz auf: Die steuerlichen Bedingungen gelten für alle Unternehmen, die dieselben Voraussetzungen erfüllen, sie sind nur von Land zu Land sehr verschieden. Die Steuerthematik ist jedoch nicht Teil dieser Ausführungen. Indirekte Förderungen, wie Steuererleichterungen auch genannt werden, ›kosten‹ auch Geld – sie haben den Vorteil, dass sie wie die Steuersätze für alle gelten, die in die Zielsetzung passen. 95 kwf, Wirtschaftsförderung des Landes Kärnten, S. 20
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fende Arbeitsplätze keine vergleichbaren Tatbestände feststellbar, außer es gibt ein explizit dafür formuliertes Programm. Dazu ist die Höhe der realisierbaren Förderungen meiner Ansicht nach auch vom Verhandlungs- und Darstellungsgeschick in Bezug auf förderpolitische Formulierungen abhängig. Doch Verhandlungen um geschenktes Geld – so die landläufige Meinung in Bezug auf Fördergelder – sind nicht jedermanns Sache. Und meistens fühlt man sich benachteiligt, weil zwischen den Möglichkeiten und dem Erreichten eine Lücke klafft. Das hat auch mit Haltung oder Selbstverständnis zu tun. Denn viele Unternehmer von kmu verbinden mit dem Ansuchen auf Förderungen die Rolle eines Bittstellers. Das bemerkt man schon an ihrem unterschiedlichen Verhalten, wenn man Besprechungen im Unternehmen mit Besprechungen im Amt beziehungsweise in der Förderorganisation vergleicht. Ein anderes Beispiel, welches auf dieses Verhalten hinweist, sind Wechselbäder zwischen Drohungen einerseits, beispielweise der Betriebsverlagerung ins Ausland, von Interventionen bei Politikern, und Bitten andererseits, beinahe so, als ob es sich bei Förderungen um einen Gnadenakt handle. Das kommt wahrscheinlich daher, weil Unternehmer aus ihrem Alltag – wo Leistungsaustausch im Mittelpunkt steht – keine Erfahrungen in Bezug auf Förderungsmotive mitbringen. Doch sie sind nicht Bittsteller, wenn sie ein gutes Projekt haben, welches die eigenen betriebswirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Standortes unterstützt. Meistens wissen sie nur unzureichend Bescheid über die Darstellung der volkswirtschaftlichen Auswirkungen, welche vom Projekt ausgehen. Und sie recherchieren keine vergleichbaren Projekte, es bleibt ein unnotwendiger Rest von einem Gefühl der Benachteiligung zurück. Das eigene Projekt ist ja (hoffentlich) immer das beste und sinnvollste und der Rahmen der Fördermöglichkeiten wurde nicht ausgeschöpft. Man sieht, was man hätte bekommen können – neuerdings auch, was andere bekommen haben –, doch einen direkten Vergleich kann man nicht herstellen. Mit der Forderung nach mehr Projektvergleichsmöglichkeiten ist vielleicht nicht mehr herauszuholen – aber man würde es sich ersparen, das Gefühl zu haben »über den Tisch gezogen worden zu sein«. Vergleichsmöglichkeiten können auch von Förderungsberatern angestellt werden. Sie sollten gute Referenzen, wenn möglich auch von großen Unternehmen aufweisen. In Großunternehmen eingerichtete Stellen, die sich auf Investitions- und Forschungsförderungen spezialisiert haben, beschreiben nämlich oft in blumigster Weise triviale und zum Teil aus dem normalen technischen Fortschritt heraus erklärbare Produkt- und Verfahrensverbesserungen. Vorerst ist es aber nützlicher, die Grundsätze, welche in der eu für Wirtschaftsförderungen gelten, zu kennen, um die dahinterliegende wirtschaftspolitische Logik zu verstehen.
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Vorab ist festzuhalten, dass der Europäische Binnenmarkt ein marktwirtschaftlich orientiertes System ist, und im Zusammenhang damit ist durch eu-Verordnungen und ihre Ratifizierung in den Mitgliedsstaaten festgelegt, dass öffentliche Zuwendungen an privatwirtschaftlich und damit im wirtschaftlichen Wettbewerb stehende Organisationen nur unter bestimmten Bedingungen möglich sind. Diese trockene Formulierung eröffnet die Frage nach den Rahmenbedingungen, unter welchen Förderungen erlaubt sind – sie sind schnell aufgezählt und unterstützen die Vermutungen für Fördermöglichkeiten (§87 eg-Vertrag): Als Haupttriebfeder der Entwicklung der Mitgliedsstaaten gelten • Ausbildung, • Umweltinvestitionen sowie • Infrastruktur und als unternehmens- und regionsspezifische Möglichkeiten zur regionalen Entwicklung • Beihilfen für wirtschaftlich benachteiligte Regionen sowie • für kmu (kleine und mittlere Unternehmen) und für • Forschungs- und Entwicklungsvorhaben. Die eu konzediert also in diesen Feldern Versagen beziehungsweise teilweises Versagen der Marktmechanismen und erlaubt somit, die Benachteiligungen, die durch eben dieses Versagen der Marktwirtschaft entstehen, unter bestimmten Bedingungen durch Förderung von Unternehmen abzufedern. Balsam auf die Wunden der Kritiker neoliberaler Positionen. Und wenn man sich einerseits den Zustand des privatisierten englischen Schienennetzes und des us-amerikanischen Stromnetzes ansieht und sich andererseits die Massenauswanderung aus Polen mangels attraktiver Unternehmen und Arbeitsplätze vergegenwärtigt, weiß man, welche Dimensionen Marktversagen – dieses Unwort neoliberaler Dogmatiker – erreichen kann. Als weitere Motive gelten Innovationen, Wirtschaftswachstum und die Entwicklung des Binnenmarktes. Doch Achtung: Das bedeutet nicht, dass die Mitgliedsstaaten und die Regionen sich mit Förderungen diesen Themen widmen müssen. Das ist deren Entscheidung. Doch wenn sie sich den Themen widmen, wird durch die beihilfenrechtlichen Regelungen das Ausmaß der Förderungen nach oben hin begrenzt, um die Marktmechanismen nicht zu stören, so die Begründung. Weniger oder auch gar keine Förderungen auszuschütten, diese Entscheidung bleibt den Regionen beziehungsweise den Nationalstaaten vorbehalten! Das Ausmaß der Benachteiligung in Bezug auf den wirtschaftlichen Entwicklungsstand einer Region in Relation zum eu-Durchschnitt bestimmt in etwa die maximale Förderhöhe. So wird die maximale Förderhöhe eines Investitionsprojektes eines kmu in Abhängigkeit vom wirtschaftli375
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chen Entwicklungsstand der Region zwischen 10 % und 50 % festgesetzt, dafür wird zwischen den Mitgliedsstaaten jeweils eine sieben Jahre lang gültige Landkarte eu-weit vereinbart.96 Die Obergrenzen der Beihilfenmöglichkeiten werden aus budgetären Gründen und aus Gründen der Differenzierung in Bezug auf die unterschiedlichen Projektqualitäten selten in vollem Umfang ausgeschöpft. Der erste Block, Umwelt, Ausbildung und Infrastruktur, wird aufgrund seiner Streuwirkung nicht primär als unternehmensbezogene Subvention, sondern als nationalstaatliche Aufgabe gesehen, doch auch hier gilt das Kofinanzierungsprinzip 97 und damit Subsidiarität 98 in Bezug auf die Maßnahmen, das heißt, der Nationalstaat entscheidet über die Maßnahmen, die Höhe des Budgets und die Dotierungsbandbreite der Projekte. Diese Themen werden nicht selten durch die vielfältigen ppp-Modelle 99 (»public private partnership«) abgedeckt. Für eine eigenständige Schwerpunktsetzung in Bezug auf unternehmerische Entwicklung benachteiligter Regionen verbleiben die drei Felder des zweiten Blocks: kmu, f&e und Regionalförderungen. Dazu ist ein Vorverständnis erforderlich: Das Ziel des Ausgleichs regionaler Disparitäten wurde inzwischen teilweise zugunsten des Zieles der Stärkung der regionalen Stärken aufgegeben. Denn um das Ziel des Ausgleichs regionaler Disparitäten zu erreichen, müssten die Budgets vervielfacht werden. Die Unterschiede im regionalen Pro-Kopf-Einkommen in den diversen europäischen Regionen sind gewaltig und werden es in den nächsten Jahrzehnten auch noch sein. Es gibt Prognosen, die sogar ein weiteres Auseinanderdriften der Einkommensunterschiede für möglich halten. Warum bestimmte Regionen zurückbleiben, müsste eigens und ausführlich untersucht werden. Von wesentlicher Bedeutung für den Entwicklungsstand von Regionen sind neben den Rahmenbedingungen die politischen Entscheidungen. Und zwar, wie weit die Politik Schwerpunkte für eine eigene wirtschaftliche Entwicklung setzt, und insbesondere, wie sehr sie finanziell in der Lage und auch bereit ist, diese Schwerpunkte über Jahrzehnte hinweg zu finanzieren und zu begleiten. 96 Der Entwicklungsstand misst sich hauptsächlich am durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen. Es werden jedoch in der wirtschaftspolitischen Praxis innerhalb von Regionen Gebiete »abgetauscht«. Die derzeit gültige Gebietskulisse in Bezug auf die Beihilfenhöhe in der Europäischen Union siehe http://ec.europa.eu/comm/competition/state_aid/regional_aid/map.pdf; für Österreich: http://www.oerok.gv.at/ (ab Juli 2008). 97 Ein von der Region gefördertes Projekt kann nur dann EU-Mittel in Anspruch nehmen, wenn die Region oder der Nationalstaat dazu aus eigenem Budget einen Beitrag leistet (die Relationen sind meistens fix). 98 Subsidiarität heißt hier: Beantragung, Entscheidung und Mitfinanzierung durch die Region. 99 PPP-Modelle sind öffentlich/private Mischformen in der Finanzierung beziehungsweise im Betrieb von Infrastrukturprojekten.
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Damit die Region »schneller laufen« kann und damit höhere absolute (und nicht nur prozentuelle) Wachstumszahlen erreicht werden, ist metaphorisch gesprochen »zähes Bohren dicker Bretter« erforderlich. Die Philosophie der erfolgreichen Entwicklung von Regionen, in Zusammenarbeit mit dem Nationalstaat und mithilfe der eu hat zwar berühmte Beispiele – deren wohl berühmtestes, wo ein ganzer Staat vom Armenhaus Europas zu einem wohlhabenden Industriesaat entwickelt wurde, ist Irland. Doch selbst so fulminante Entwicklungen, wie wir sie in Irland beobachten können, sind keine Garantie für einen politischen Erfolg und nachhaltiger Wohlstand, und vielleicht orientieren sich deshalb regionale Förderungen eher an anderen Kriterien als an den Zielen wirtschaftlicher Stärkung der eigenen Region. Es muss also jede Region ihre mehr oder weniger begründeten Spezialisierungen in Bezug auf Maßnahmen, Projektauswahl und Förderintensitäten selbst festlegen und sich dabei an die oben erwähnten Rahmenbedingungen halten. Damit ergeben sich für Unternehmen auch interessante Indikatoren, die man aus der Förderpolitik ableiten kann. Von Gießkannenförderungen, die alles und jedes mit kleinen Beiträgen unterstützen, bis hin zu Spezialisierungen, die auf die regionalen Stärken Bezug nehmen, kann man ziemlich alles finden. Dabei ist zu beachten, dass bei ländlichen Regionen die Marktbedingungen nicht im Vordergrund stehen können. Eher sind es die Kosten der Arbeit im Vergleich zum Ausbildungs- und Erfahrungsstand der potenziellen Mitarbeiter und deren höhere Bindung an den Arbeitgeber. Und wenn ein Unternehmer mit wenig bekannten Kulturen und Traditionen zu tun hat, ist folgende extreme Formulierung nützlich für das Bewusstmachen von (industrie-)kulturellen Unterschieden: »Man sollte schon berücksichtigen, wenn man irgendwo […] [hin] kommt und eine Kleinigkeit haben will, und die Leute dort nicht einmal wissen, was ist der Stiel vom Hammer und was ist der Hammer. Bei uns ist das im Blut. Das macht vielleicht das, was Tradition ist, wirklich aus.« 100 Deshalb zur Erinnerung, wenn eine Standortentscheidung gefällt wird: Der wirtschaftliche Entwicklungsstand einer Region soll auch außerhalb von Förderszenarien ein Argument für seine Auswahl sein. Es kann ein großer Abstand im Pro-Kopf-Einkommen viele Potenziale eröffnen, jedoch auch viele Defizite aufweisen, die für kmu schwer überbrückbar sind. Diese Fakten zu berücksichtigen ist Voraussetzung für eine gelingende Internationalisierung. In diesem Essay sollen jedoch die unternehmensspezifischen Förderthemen beleuchtet werden. Und den Inhalt von Förderstrategien sollte sich ein kmu, welches sich internationalisieren möchte, ansehen; allein schon deshalb, weil solche Differenzierungen 100 Interview iv, S. 47
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in der Förderpolitik verschieden entwickelter Regionen gegeben sein müssen, sonst wären sie in Bezug auf das Postulat des Marktversagens obsolet. Der Entwicklungsstand einer Region kann sich an der Förderstrategie für Unternehmen zeigen. Benachteiligte Regionen mit einer adäquaten strategischen Ausrichtung gewähren, wenn sie auf die Wirtschaftsentwicklung als Regionsentwicklung setzen, schwerpunktbezogen höhere Förderquoten für Unternehmensentwicklung, Leitprojekte, Schlüsseltechnologien und Ausbildung. Das lässt vermuten, dass ein wirtschaftlicher Aufholprozess politisch gewünscht wird. Wohlhabende Regionen können mit einer Fördergießkanne das Auslangen finden und Spitzenregionen sollten nur noch spezielle Programme anbieten. Eine erste kritische Frage, die im Zusammenhang mit Förderungen oft auftaucht: Braucht eine gut gehende Firma Förderungen, um sich irgendwo anzusiedeln? Es ist vielleicht vermessen zu sagen, das sei die falsche Frage. Doch ich will es erklären. Die in diesem Zusammenhang zu stellende Frage müsste lauten: Braucht (und will) die Region dieses neue Unternehmen beziehungsweise dieses Investitionsprojekt zur Umsetzung ihrer Ziele in der Wirtschaftsentwicklung? Wenn die erste der Fragen Gültigkeit hat, ergäben sich daraus zynische Ablehnungsalternativen. Wirtschaftlich schwache Unternehmen bekommen aufgrund ihrer Wirtschaftsdaten keine Förderungen und starke Unternehmen benötigen diese nicht. Diese Vorgehensweise hat keinen Sinn und wird auch nicht praktiziert. Meine Argumentation ist also ein Plädoyer, sich als Region um gute Unternehmen und um gute Projekte zu bemühen. Denn in der Realität gibt es trotz kritischer Töne ein Gerangel der Regionen um die Gunst von jenen ernst zu nehmenden Investoren, die Fabriken oder Hotels bauen und diese erfolgreich zu betreiben versprechen. Wenn die regionale Strategie den Schwerpunkt Unternehmensentwicklung und Ansiedlung neuer Unternehmen aufweist, sollte man sich als nächsten Schritt die Dotierung dieses Schwerpunktes anschauen. Denn es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die europäischen Rahmenbedingungen für die Vergabe von Förderungen gleichlautend der Förderpraxis der Regionen sind. Die Rahmenbedingungen setzen, wie oben erwähnt, das maximale Ausmaß der Zuwendung fest, auch für das im eigenen Haushalt der Region vorhandene oder aufzubringende öffentliche Geld. Sie setzen fest, wie hoch kmu, Investitionsprojekte oder f&e-Projekte aufgrund von beihilfenrechtlichen Grundsätzen in einer bestimmten Regionen maximal gefördert werden dürfen. Wenn die Schwerpunkte mit den oben angeführten Schwerpunkten der eu kompatibel sind, sind die nationalen und allenfalls regionalen Förderinstitutionen zu Dotierungen der Förderbudgets und/oder der Einzelprojekte verpflichtet, wenn sie wollen, dass auch eu-Fördermittel in ihrer Region eingesetzt werden können. Welche Schwierigkeiten damit für sehr struktur- und einkommensschwache 378
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Regionen verbunden sind, kann man sich leicht ausrechnen. Sie können im Wettbewerb der Standorte um Investoren finanziell nicht mithalten. Oft ist es auch so, dass schwache und politisch wenig aufgeklärte oder mit wenig entwikkelten demokratischen Verwaltungsgrundsätzen agierende Regionen eine Entwicklung zu wirtschaftlicher Prosperität im Eigeninteresse der lokalen Politiker und der ansässigen Unternehmen in großer Eintracht bremsen. Die Regionalpolitiker wissen auch, dass die langfristige Entwicklung einer strukturschwachen von Absiedlung betroffenen Region, welche nur durch ein Bündel an Maßnahmen möglich ist und viel Geld kostet, für sie selbst, also in Bezug auf ihre Wiederwahl, nicht immer den größten Nutzen nach sich ziehen kann, wie dies, nebenbei bemerkt, auch am Beispiel Irland mitverfolgt werden kann. Regionale Entwicklung durch neue Unternehmen bedeutet massive Veränderungen in der sozioökonomischen Struktur. Ein sichtbares Resultat zur Bewältigung dieser Veränderungen sind die Industrieparks. Damit ist jedoch nur die räumliche Konfliktsituation entschärft. Der Einstieg ist also einfacher. Veränderungen der Unternehmenslandschaft werden nämlich in der Anstoßund Entwicklungsphase nicht immer gutgeheißen. Warum das so ist? Man hat sich gemütlich eingerichtet. Kein Unternehmen tut dem anderen am Markt weh. Es finden keine Abwerbungen von Mitarbeitern statt. Dadurch sind die Gehaltskosten planbar. Bewerbungen sind nicht immer geheim zu halten. Somit kann das, was bei industriellen Clustern und bei den, allerdings verbotenen, Kartellen als Erfolg gefeiert wird, auch in eine strukturelle Krise führen.101 Muss die Ausgangssituation also sehr schlecht sein? Ich vermute leider ja: Fundamentale Krisen wie Massenschließungen von Unternehmen (Agglomeration einer Branche, wie beispielsweise der Bekleidungsbranche, die vollständig nach China absiedelt) oder die Insolvenz eines großen Produktionsbetriebs (zum Beispiel eines Industrieunternehmens mit mehreren Tausend Arbeitsplätzen) oder Auswanderung von gut ausgebildeten jungen Menschen können zum Auslöser eines Umdenkens werden. Kleine latente Probleme von Unternehmen (zum Beispiel Nächtigungsrückgang im Kärntner Tourismus), die auch strukturelle Ursachen haben und zu ebensolchen Krisen führen, stoßen kein kollektives Umdenken an, und auch in den politischen Strukturen, Interessensvertretungen und Verbänden passiert häufig nichts oder zu wenig Tiefgreifendes. Damit kann eigentlich nur durch den Import neuer Unternehmen – und nur wenn diese erfolgreich sind – ein beispielgebender Anstoß erfolgen. Doch dann kann es wiederum passieren, dass in Bürgerinitiativen gegen eine Ansiedlung Personen auftreten, die selbst nicht arbeitslos sind. Oder ansässige Unternehmen opponieren wegen zu 101 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«.
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erwartender Konkurrenz am Arbeitsmarkt gegen das Projekt. Sie alle fürchten durch einen neuen Betrieb neue Konflikte. Und damit hat man als neues Unternehmen mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die außerhalb der betriebswirtschaftlichen Logik liegen. So ein Problem wird dann meist an die Politik delegiert, womit die Schwierigkeiten regionaler Politiker bei Investitionsentscheidungen zusätzlich zur budgetären Thematik erkennbar werden. Ein typisches Ausweichmanöver sieht dann so aus: Ein kmu hat ein regionales Fördergebiet für seine Internationalisierungsaktivitäten ausgewählt und könnte als investitionswilliges kmu für sein Projekt viel an öffentlichen Geldern bekommen. Doch die öffentliche Kasse des entsprechenden Staates beziehungsweise der Region ist (dafür) leer. Sie ist für andere, die vorhandene Situation in der Region weniger störende Einflüsse verplant, beispielsweise für die Errichtung eines neuen Radwegs, gegen den ja auch niemand sein kann! Damit ist keine oder nur eine scheinbare Zustimmung für das neue Unternehmen gegeben. Im Zusammenhang mit dieser scheinbaren Zustimmung passiert dann Folgendes: Die regionalen Politiker bieten möglichst wenig finanzielle Unterstützung zur Erreichung möglichst vieler wirtschaftspolitischer Ziele an. Man packt sozusagen die ganze Welt in ein ganz kleines Förderprogramm. Ich habe schon Förderprogramme gesehen, in denen für das ganze Bundesgebiet der Republik Österreich, damit für mehr als 300.000 Unternehmen, unter dem Begriff Produktfindung eine Richtlinie vom bmwa herausgegeben wurde, die mit einem Förderbudget von 50.000 Euro dotiert war! Als Begründung heißt es dann oft: Sparsamkeit in der Verwendung öffentlicher Mittel. Die Fördergießkanne ist also weit verbreitet. Sie kann bessere Erfolgsstatistiken aufweisen, weil sich mehrere, meistens ansässige Unternehmen mit jeweils geringeren Beträgen im Geschäftsbericht der Förderorganisation wiederfinden und die Statistik aufpolieren, obwohl diese Förderungen nur als Mitnahmeeffekt zu werten sind. Kein Unternehmen investiert wegen einer Förderung von 1–2 % der Investitionssumme. Solche Programme lohnen den finanziellen und Verwaltungsaufwand nicht – man kann sie einsparen. Diese Art von Förderung wird keine chancen- und risikobehafteten Projekte anziehen und damit keine wesentlichen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur einer Region bewirken. Zusammenfassend stellen sich also weitere wichtige Vorfragen: Was sind die maximalen Förderintensitäten in Bezug auf den Ansiedlungsstandort, die unternehmensspezifischen Schwerpunkte in der regionalen Strategie? Wie hoch ist die eigene Budgetdotierung? Und wie hoch ist die Refinanzierung der unternehmensspezifischen Strategie durch nationale und eu-Programme? Wie lange gelten die Förderungsbedingungen (Schwerpunkte, Programme, Prozentsätze)? Sind diese Vorfragen für ein internationalisierungsfähiges kmu befriedigend erklärt – und das wird bei jedem Investitionsprojekt und 380
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bei jedem Unternehmen anders sein –, ist es sehr empfehlenswert, die Förderpraxis auf Basis von Referenzprojekten zu recherchieren, denn der Abstand zwischen den Rahmenbedingungen und der Realität ist letztendlich wesentlich für die Entscheidung für das Unternehmen und gilt auch als Entscheidungsspielraum im Verhandlungspoker um sonst vergleichbare Standorte oder im Vergleich zu weniger entwickelten Standorten mit höheren Fördermöglichkeiten. Und noch einmal der Hinweis: Bin ich als neues Unternehmen willkommen? Sind die Mitarbeiter und die Stakeholder an meinem Stammsitz informiert und im Grund einverstanden? Das hat nicht nur mit Geld zu tun. Beides braucht ein klares Ja. Doch mit dieser hier empfohlenen Vorgehensweise haben viele kmu Probleme. Meine Erfahrung ist, dass ein Unternehmen im Zusammenhang mit Förderungen wenig Kompetenzen hat. Es kann sich auch kaum in die Entscheidungslogik öffentlicher Fördereinrichtungen hineindenken. Diese sind noch dazu mit völlig unterschiedlichen Kompetenzen und Know-how ausgestattet. Wie begründe ich diese Feststellung? »Zwischen den globalen Beziehungen von Unternehmungen [und zwar in Bezug auf ihre Kernkompetenzen einerseits], der gesteigerten Relevanz lokaler Entwicklungssysteme (in denen Unternehmen eingebettet agieren) [insbesondere Wirtschaftsförderungseinrichtungen] und deren Qualität [andererseits] ist eine Dichotomie zu beobachten.« 102 Man hat es hier als kmu mit zumindest zweifacher Unkenntnis zu tun. Die eine liegt beim Unternehmen selbst, obwohl jeder Unternehmer wie beinahe jeder Bürger glaubt, Experte in Förderfragen zu sein. Doch das Tagesgeschäft der Wirtschaftsförderer ist ein »Geschäft«, das im kmu nur alle paar Jahre anfällt. Bei einem großen Investitionsprojekt eines kmu entscheidet das genaue Wissen über die Rahmenbedingungen,103 die Entscheidungslogik und die Vergabepraxis über Erfolg oder Misserfolg in Bezug auf die Förderzusage und die Auszahlungsbedingungen und wegen des eingangs erwähnten Problems der mangelnden Kapitalmarktfähigkeit des kmu bestimmt dieser Erfolg vielleicht auch den Projekterfolg – jedenfalls aber das Ergebnis. Man weiß als Unternehmer in einem neuen Umfeld auch nicht, ob die Förderungsinstitution(en) ausreichend Kompetenz und Verlässlichkeit aufweisen, jedenfalls nicht mit jener Sicherheit, mit der man im eigenen täglichen Geschäft mit den Kunden agiert. Diese Vorabklärungen werden meistens vernachlässigt, und so stellen sich ihm als neuer Spieler in einer unbekannten Region viele 102 E. Juritsch, H. Schönegger, Integrierte Regionalstrategie, Beispiel Kärnten, in: N. Wohlgemuth (Hrsg.), Arbeit, Humankapital und Wirtschaftspolitik, Festschrift für H. J. Bodenhöfer zum 65. Geburtstag, Berlin 2006, S. 41 103 Für Kärnten siehe zum Ziel-2(beziehungsweise Ziel-3-)Programm: ; http://www.kwf.at/eu_ziel3/
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Probleme dar, die nur mit Mühe zu bewältigen sind, insbesondere wenn bereits mit Umsetzungsarbeiten begonnen wurde. Auch die Rolle der Banken und Berater ist in diesem Zusammenhang zu prüfen. Es lohnt sich, einen wirtschaftspolitischen Fragenkatalog zusammenzustellen und die neuen Partner zu prüfen. So macht es zwar kaum jemand, so wäre es effizient und würde viele Enttäuschungen auf beiden Seiten ersparen. Diese Erläuterungen sollen es ermöglichen, eine eigene Struktur für Fragen aufzustellen, denn ein vorgeschlagener Fragenkatalog kann nicht alle standort- und projektbezogenen Verschiedenheiten berücksichtigen. Es ist jedoch beabsichtigt, in meinem Essay »Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister« Unterstützung für die Erstellung eines standortund unternehmensbezogenen Fragenkataloges anzubieten.104 Was wird mit Förderungen noch verbunden? Förderungen sind Angebote, welche die Risikobereitschaft eines Unternehmens, zu investieren oder zu forschen, stimulieren sollen. Man spricht von der Förderungskarotte! Investitionen und Innovationen gelten per se als wesentlich riskanter als die Abwicklung von Aufträgen, das unternehmerische Tagesgeschäft. Und sie gelten sowohl als einflussreich auf die einzelbetriebliche als auch auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Das heißt, sie wirken über das Unternehmen hinaus und haben also volkswirtschaftlichen Einfluss. Und Misserfolg im Unternehmen bedeutet nicht immer zugleich volkswirtschaftlichen Schaden. Beispielsweise kann eine Unternehmenspleite viele Gründer nach sich ziehen. Eine Aussage, die in der Regel bei geschädigten Gläubiger emotionale Reaktionen hervorruft, die jedoch, wenn man die Mechanismen der Wirtschaft mit all ihren Problemen im Kern betrachtet, einen Wahrheitsgehalt hat. Eine getätigte Investition, das kann man als Gesetz des Wirtschaftens betrachten, ist ins Verdienen zu bringen und damit entsteht von selbst und ohne öffentliche Intervention der Antrieb zu unternehmerischen Anstrengungen. Ein f&e-Projekt ist zu ebenso zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen, es gilt für diese Art von Projekten dieselbe Logik. Beide Felder sind der Transmissionsriemen für neue Arbeitsplätze, für eine Erhöhung des privaten Wohlstandes. Diese Wachstumslogik hat zwar Risse und Brüche bekommen. Natürlich wurden durch Automatisierungen Arbeitsplätze wegrationalisiert, jedoch meiner Ansicht nach vor allem in solchen Branchen, die aufgrund des hohen Personalkostenanteils sonst völlig ausgelagert worden wären. Daraus folgt: Nicht jede Investition schafft Arbeitsplätze – aber ohne Investitionen, so viel ist sicher, werden ganz bestimmt keine Arbeitsplätze geschaffen. Man sollte aber zusätzlich annehmen, dass heute in der Produktion aufgrund des Kostendrucks tendenziell Arbeit durch Kapital substituiert wird. Dann ergeben sich bei 104 Siehe dazu den Essay »Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister«.
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einem (dauerhaften) Investitionsvolumen von 1 Million Euro pro Arbeitsplatz und bei einer Rentabilität auf das eingesetzte Kapital von 10 % 100.000 Euro Kapitaleinkommen und durchschnittlich weniger als 50.000 Euro Arbeitseinkommen. Diese grobe und hier für das Verständnis von Förderungslogiken zulässige Rechnung lässt hin und wieder die Hoffnung schwinden, dass Investitionen große positive Effekte auf die Dotierung in den regionalen öffentlichen Kassen generieren, weil zwar die Arbeit an den Betriebsstandort gebunden ist und damit auch das arbeitsbezogene Steueraufkommen, das Kapital jedoch sehr mobil geworden ist. Trotzdem müssen gerade benachteiligte Regionen über die Wirtschaftsförderung als Unternehmensförderungen strategisch in eine bessere Position kommen, und die eingangs angeführte geringere Mobilität von kmu ist im Hinblick auf den Standort, an welchem die Steuern anfallen, als Chance zu sehen. Diese Sichtweise macht große Konzessionen an das System der globalisierten Ökonomie. Was aber ist die Alternative? Wo die Gewinne durch mangelnde Rentabilität der ansässigen Betriebe rückläufig sind, sind es auch die privaten Einkommen, weil Beschäftigte entlassen werden oder Betriebe schließen müssen. Und damit fallen die Steueraufkommen. Nur – und ich habe noch keine andere Möglichkeit gefunden – mit neuen Arbeitsplätzen, mit der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch außergewöhnlichen Produktivitätsfortschritt (Prozessinnovation) und durch neue Produkte ist insbesondere eine ländliche Region auch als Wohnort attraktiv, das hängt wiederum unmittelbar mit der Beschäftigungswirksamkeit der Investitionen zusammen. Beschäftigung schafft Einkommen, welches in der Region verausgabt wird, und über die Schüssel zur Verteilung der Steuern nach Wohnort und Betriebsstätte füllt Beschäftigung die regionalen Haushalte. Damit sollte die Frage, warum Förderungen gegeben werden, eigentlich beantwortet sein. Es existiert bereits ein scharfer Wettbewerb der Regionen um Investitionen und Betriebsansiedlungen, obwohl das wirtschaftspolitische Ziel der eu nicht Förderwettbewerb heißt, sondern Förderung des Gesamtmarktes durch Innovationen. Wenn beides mit einem Projekt angesprochen wird – Arbeitsplätze und Innovation – können es die kmu für sich nutzen. Sie können unter hervorragenden Standorten wählen und mit ihren innovativen Angeboten, bestehenden Industriestrukturen und Wertketten neue Lösungen anbieten und sich vielleicht zuerst als Zulieferer und später als kompetenter Systemlieferant einbringen. Meistens ist es so, dass nur die großen Ansiedlungsprojekte politisch ausgehandelt werden. kmu müssen sich selbst darum kümmern, und es ist auch zu empfehlen, dass sie es selbst tun. kmu-Investoren können sich über die Förderpolitik also ein Bild von der regionalen Politik machen. Und sie sollten bei ihrer Standortentscheidung die regionale Wirtschaftspolitik mit ins Kalkül ziehen. Denn es werden oft auch 383
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schlechte Projekte im Bezug auf die regionalpolitischen Zielsetzungen gefördert. Wenn man als Unternehmen erst einmal in der Region angesiedelt und damit Teil der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Community ist, wäre man ähnlich restriktiv gegenüber diesen Angeboten an neu Hinzukommende. Diese Förderpolitik führt in eine Sackgasse, und zwar sowohl für die öffentlichen Einrichtungen als auch für die Förderungsempfänger selbst. Eine langfristig stabile Orientierung der Region und Investitionen brauchen kein Schielen auf den kurzfristigen Effekt. Sie sind wichtig für die internationalisierungsfähigen kmu, denn diese sind im Bereich der Finanzierung und im Wettbewerb ihres Tagesgeschäftes selbst genügend Veränderungsdruck ausgesetzt. Projekte ohne betriebswirtschaftlichen und strukturpolitischen Effekt werden keine Gewinne abwerfen, werden die regionale Politik also nicht durch Steuern aus Kapital und Arbeitseinkommen (re-)finanzieren und auch wenig zur regionalen Entwicklung beitragen. Trotzdem gibt es in ganz Europa einen Fördertourismus schlechter und blamabler Projekte. Sie eignen sich jedoch oft besser für politische Tauschgeschäfte (Junktime) als die Förderung exzellenter Projekte – und das ist das wirkliche Problem. Denn exzellente Projekte stehen für sich und können sich souverän einem Förderwettbewerb stellen. Ein Unternehmer kann mit politisch motivierten und vielleicht auch regional begründbaren Verknüpfungen seiner öffentlichen Zuwendung mit anderen politischen Zielen meistens gar nichts anfangen. In diesem Zusammenhang sind von außen beobachtbare Unterschiede in der wirtschaftspolitischen Kompetenz und Kultur bemerkbar. Testballons können diese Unterschiede relativ schnell sichtbar machen und zur Standortentscheidung beitragen. Dazu braucht man sich gar nicht vorzubereiten. Man kann die Intentionen an den Fragestellungen der Politiker und der Behörden sehr leicht erkennen. Doch zurück zu den positiven Entscheidungsvoraussetzungen. In Bezug auf die Standortentscheidung sind also nicht nur jene Regionen gemeint, die eine präzise Strategie für die Ansiedlung neuer und meistens technologieorientierter Unternehmen haben, sondern Regionen, wo für ein ansiedlungswilliges Unternehmen alles passt, wo Interesse spürbar ist, auch wenn die Motive der Region nicht ganz klar sind, weil beispielsweise das Wissen in Bezug auf das spezifische Geschäftsmodell des Ansiedlungswilligen nicht vorhanden ist. Das kann für ein Unternehmen von Vorteil sein, denn man wird versuchen, es mit einem Bündel öffentlicher Vorteile zur Standortentscheidung zu bewegen; beginnend mit günstigen Grundstücksbedingungen über Nutzungsvereinbarungen für öffentliche Güter, Garantien für Kredite, Infrastrukturbeiträge, Subventionen und Übernahme von Schulungskosten für einzustellende Mitarbeiter aus der Region bis zu schnellen Behördenverfahren usw. Die Lösungsansätze und Angebote an Förderungen sollten, wenn die Gesprächspart384
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ner keine Ansiedlungsprofis sind, jedenfalls politisch abgestimmt sein. Empfehlenswert ist das Drängen auf Schriftlichkeit und Verbindlichkeit in einem frühen Projekt-Stadium. Denn weitere Projektentwicklungskosten entstehen und stellen ohne rechtsverbindliche Förderzusage ein extremes Risiko dar und Interessenskonflikte mit regionalen Stakeholdern können zu unnotwendigen Verzögerungen führen. Politische Beschlüsse haben natürlich auch eine gewisse Publizität, was Vor- und Nachteile hat. Es kommen die Medien dazu oder auch die politische Opposition und es kann zu Initiativen gegen das Projekt kommen. Wichtig ist auch zu wissen, dass bei allen ernst zu nehmenden Angeboten, die von öffentlicher Seite gemacht werden, zwei wichtige Unterscheidungen zu machen sind: Formalismus und Ermessen. Die Beihilfenpolitik der eu ist dem Formalismus zuzuordnen. Die Verwaltungsbehörden für regionale Beihilfen sind unter Androhung des Verlustes von eu-Förderungen dazu verpflichtet, die beihilfenrechtlichen Rahmenbedingungen einzuhalten, und müssen zu viel ausbezahlte Förderungen zurückfordern. Es gibt natürlich noch weiter reichende formale Erfordernisse wie das Prinzip der Antragstellung vor Projektbeginn und die Zustimmung zur Weitergabe unternehmensspezifischer Daten innerhalb der Behörden. Zum Zweck der Trennung von formalen und inhaltlichen Kriterien ist eine Liste von Formalerfordernissen anzufordern – am besten bei mehreren Regionalbehörden. Wenn diese Anforderungen tatsächlich Formalerfordernisse darstellen, man sollte sich dessen vergewissern, dann gibt es darüber keinen Verhandlungsspielraum. Vergebene Liebesmüh also, wenn man diese Bedingungen nicht erfüllen kann. Viel weiter und facettenreicher ist der Bereich des Ermessens. Wurden bereits oben der beihilfenrechtliche Rahmen und die Unterschiede in der Förderpraxis angeführt, stellt sich in diesen Zusammenhängen ein gutes Verhandlungsergebnis als zusätzliche Kapitalrücklage heraus. Wie sehen die Bedingungen für diese öffentliche Kapitalzufuhr aus? Das Förderprodukt ist natürlich völlig anders gestaltet als ein Produkt, das man kaufen kann – die Form des Förderproduktes ist Geld oder ein geldwerter Vorteil. Es ist nicht genau spezifiziert. Es ist instabil. Es gehorcht zwar bestimmten Regeln und Gesetzen, unterliegt aber auch einem bestimmten Zeitfenster, der Konjunktur und sehr oft den Wahlterminen – und all das ist natürlich standortgebunden. Innerhalb der Gesetze und Richtlinien gibt es Spielräume, das sind Rahmenbedingungen, Budgets und vor allem das politische Wollen. Das politische Wollen sollte die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik abbilden, die abgestimmte Überzeugung der Menschen einer Region. Doch die Gesetze der Ökonomie, regionale Überzeugungen und Normen weisen Unterschiede in ihren Antworten auf, und deshalb muss die Förderpraxis beziehungsweise die Institution eine Antwort anbieten, die das kmu in seiner Entscheidungsfindung unterstützt. Den 385
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Sicherheitsgurt für Politiker und Beamte, damit nichts passieren kann und Versprochenes nicht gehalten werden muss, zeigt schon der in vielen Verfassungen formulierte Grundsatz, dass es keinen Rechtsanspruch auf Förderungen gibt. Wenn also jemand eine Förderung bekommen hat, kann jemand anderer, der sich auf diesen Sachverhalt beruft, die Zuwendung nicht per Gerichtsbeschluss durchsetzen. Also ist die Vorlage der erforderlichen Unterlagen zur Erreichung eines rechtsverbindlichen Abschlusses eines Fördervertrages, welchen das antragstellende kmu auch einzuhalten in der Lage ist, der einzig richtige Weg. Wichtig für eine erfolgreiche Verhandlung im Bezug auf diese Lieferung erscheint mir ein nachvollziehbares Motiv, in dieser Region zu investieren. Neben allen zu liefernden und einzuhaltenden Fakten sollten am gedanklichen Ende des Investitionsprojektes und am Beginn des laufenden Betriebes neue Arbeitsplätze den Verhandlungserfolg bestimmen. Weitere Projekte, welche die Wirtschaftsstruktur verändern, sind im Bereich Forschung und Entwicklung angesiedelt. Die Investitionsabsicht in einer fremden Region wird die unterschiedlichen Zugänge zum Thema Unternehmensentwicklung ohnehin ans Tageslicht bringen. Sie sollte im Vorfeld die Unterschiede bearbeiten, um sich dann sicher zu sein, nicht nur die Förderungsauflagen zu erfüllen, sondern sich in der neuen Region wirtschaftlich, sozial und gesellschaftlich wohlzufühlen.
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Eine Checkliste für Investoren und Bürgermeister Wenn sich ein kmu dafür entschieden hat, sich zu internationalisieren, und bereits eine Region für sein Investitionsvorhaben ausgewählt hat, sollte es sich unbedingt mit den regionalen Gegebenheiten der Zieldestination auseinandersetzen. Für das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben beispielsweise einer Gemeinde ist es von Vorteil, sich mit dem neuen Unternehmer zu beschäftigen. Die Abgeschlossenheit einer ländlichen Region hat ja ihre spezifischen Stärken und Schwächen, und sie gilt es herauszufinden. Auf den Stärken kann aufgebaut werden, die Schwächen sollte man kennen. Mit einem kmu ist es ähnlich bestellt, auch ihnen werden Stärken und Schwächen zugeschrieben. Wieso ist das hier von Bedeutung? Weil sich keiner der Partner, weder die regionale Politik noch das sich ansiedelnde kmu, einen Flop leisten kann. Ich werde dies anhand der finanziellen Umstände ausführen. Beide Akteure sind finanzschwach und hegen große Hoffnungen, dass der jeweils andere einen Beitrag zur wirtschaftlichen Performance liefert. Sie haben also hohe Erwartungen voneinander. Die Firma möchte möglichst schnell Gewinne schreiben, der Bürgermeister möchte über kommunale Abgaben und Zuweisungen aus dem Finanzausgleich seine Gemeindekasse füllen und allfällige Förderungen, die dem Unternehmen gegeben wurden, auf diesen Umwegen wieder zurückerhalten. Eine Checkliste unterstützt, um in die Intentionen von ländlichen Regionen einerseits und kmu andererseits hineinzuführen, in einen für alle adäquaten Weg, um aus den Unterschieden zwischen den Interessen der Region und jenen der kmu einen Weg zu skizzieren, wie sie gut zusammenfinden können. Was sind die Merkmale von Schwächen und Abhängigkeiten? Wenn man nicht nur politische Klischees bemüht, sondern die Situation genau analysiert – von Fall zu Fall –, können aus diesem Zugang relevante Erkenntnisse gewonnen und abzuleitende Maßnahmen erkannt werden. Es soll auch praktisch beschrieben und mit theoretischen Ansätzen aus verschiedenen Wissenschaften hinterlegt werden, wie bei Internationalisierungsentscheidungen von kmu immer wieder die Einrichtung von Möglichkeiten guter Investitionsbedingungen herbeigeführt werden kann. Deshalb wird hier auch dem Wunsch nach einer Checkliste entsprochen. Die geläufige Praxis der Betriebsansiedlungen zeigt, dass allgemeine Standortpolitik und die Bewerbung von Standorten für Investitionen enorme Streuverluste haben. Die Abhängigkeit von globalen, supranationalen 105 und nationalen Bedingungen ist für Regionen allein fast nicht zu bewältigen. In Bezug auf die 105 Ein Beispiel für mehr oder weniger erfolgreiche supranationale Rahmenbedingungen ist die sogenannte Lissabon-Strategie der eu aus dem Jahr 2000, welche grob formuliert, dass die eu bis 2010 der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Welt sein will.
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Gestaltungsmöglichkeiten ist fast eine Parallele zu den Abhängigkeiten auf der Seite der kmu zu erkennen. Dort ist die Abhängigkeit von den großen (Finanz-) Konzernen gegeben. Es stehen einander also, wenn man (ländliche) Gemeinden und kmu vergleicht, zwei Organisationen gegenüber, die zumindest folgende Gemeinsamkeiten haben: Sie sind finanziell nicht besonders gut ausgestattet und sie können sich im Bereich von Investitionen und Betriebsansiedlungen kein Scheitern erlauben. Sie sind bei den Themen, die den globalen Wettbewerb bestimmen, nicht die Spielmacher und doch am Spielfeld, sie sind also, wenn sie keinen eigenen Weg finden, Spielball. Denn »die Freiheit dieser vielen Kleinen ist ungefähr so groß wie die des Wellensittichs im Vogelkäfig«.106 Im globalen Wettbewerb der Standorte beziehungsweise der Unternehmen müssen beide eine Nische finden. Denn »im Standortkrieg gibt es neben der globalen Außenfront auch die Front nach innen. Wenn Demokratien um die Gunst der Investoren buhlen, um die höhere Anziehungskraft für das Kapital, profitiert davon nicht der Standort, sondern es gewinnt oft nur eine Minderheit.« 107 So ähnlich formuliert es eine meiner Interviewpartnerinnen: »Also ich habe da eine sehr zwiespältige Ansicht dazu. Einerseits ist es ganz einfach durch diesen Wert des Arbeitsplatzes generell, weil er ganz einfach die Basis für alles ist. […] Durch diese Attraktivität, die Firmen ausstrahlen, und auch dann letztlich, weil ja jeder Bürgermeister gewählt wird, jeder glaubt, es erhöht extrem seine Wahlchancen, wenn noch eine weitere Halle dasteht. Leider Gottes hat dadurch ein unglaublicher Wettlauf eingesetzt, der rational gar nicht nachzuvollziehen ist, unter den angrenzenden Gemeinden. Das halte ich für den puren Wahnsinn.« 108 Damit ergibt sich eine ähnliche Situation für die Vorphase einer Betriebsansiedlung und für die Vorbereitung der Unternehmensentscheidung. Diese gemeinsame Situation legt nahe, Prozesse für die Entscheidung und die Umsetzung zu organisieren, welche die unterschiedlichen Zielsetzungen, Konflikte und Widersprüche zutage treten lassen und dadurch zu nachhaltigen Entscheidungen führen, denn es ist schön eines zu erreichen, ein Gefühl des »willkommen Seins«.109 Das folgende Beispiel wirft ein paar Fragen auf. Jene Fragen, die auf der Seite der Unternehmer und auf der Seite der Standortgemeinde Priorität haben, können in offenen Interviews herausgefunden werden. Sie können ein Raster für Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse darstellen.110 106 107 108 109 110
Ch. Felber, Neue Werte für die Wirtschaft, Wien 2008, S. 33 Ebd., S. 157 Interview bg ii, S. 259 Vgl. Interview bg ii, S. 255 Siehe meine Ausführungen in den Essays »Grundlegungen«, »Interventionsforschung, die andere Wissenschaft« und »Kooperationen und Eigentum (Konkurrenz)«
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Was will die Gemeinde? • Arbeitsplätze • Wohlstand der Bürger • Lebensqualität • modernes Image Wie will es die Gemeinde erreichen? • Betriebsansiedlungen • Unternehmensgründungen • strenge Umweltauflagen • Freizeitinfrastruktur • Ausbildung
Wie will die Gemeinde die Zukunft gestalten? • Stakeholder einbinden (Bürger, Jugend, Unternehmer, Banken) • Finanzgebarung sichern (Steuern, Gebühren, Umlagen, Subventionen)
Was will das KMU? • Geringe Lohnkosten • Wohlstand der Bürger • Lebensqualität • modernes Image Wie will es das KMU erreichen? • Standortvergleiche • Investitionen • gute Ertragslage (Gewinne) • Forschung und Entwicklung • Ausbildung Wie will das KMU die Zukunft gestalten? • Stakeholder einbinden (Bürger, Jugend, Unternehmer, Banken) • Finanzierung sichern (Eigenkapital, Kredite, Subventionen)
Was will die Gemeinde nicht? • Arbeitslosigkeit • Armut der Bürger • Umweltbelastungen • »zurückbleiben« Was muss sie dafür in Kauf nehmen? • Grundstücksverbrauch • Konkurse (soziale Kosten) • Abbau und Abweisung von Unternehmen, die die Umwelt schädigen • Belastung des Gemeindehaushalts (für Freizeitinfrastruktur) • Brain-drain, Auspendler Wie will die Gemeinde Entscheidungen herbeiführen? • prozessorientiert
Was will es nicht? • Arbeitskräftemangel • Armut der Bürger • Umweltkosten • »zurückbleiben« Was muss es dafür in Kauf nehmen? • langfristige Kapitalbindung • wirtschaftliches Risiko • Umweltinvestitionen • hohe Steuerbelastung Wie will das KMU Entscheidungen herbeiführen? • prozessorientiert
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Die Checkliste und das Beispiel weisen auf Widersprüche hin. So können niedrige Lohnkosten kaum mit einem hohen Wohlstand in Einklang gebracht werden, oder doch? Wenn die Höhe der Lohnkosten beispielsweise mit dem Ausbildungsstand und dem Erfahrungsschatz, der niedrigen Fluktuation der Facharbeiter in Beziehung gebracht wird. In Bezug auf das Thema Wohlstand kann ähnlich vorgegangen werden. Beispiel dafür ist das frei verfügbare Einkommen, welches durch die niedrigen Lebenshaltungskosten und die Qualitäten des Standortes höher sein kann als jenes in einer Stadt: geringe Arbeitswege, geringe Verkehrsbelastung, Lebensqualität durch intakte Umwelt usw. Es kann aber auch sein, und das ist der Sinn der aufwendigen Übung, dass man gerade durch die Befassung mit diesen Faktoren plötzlich draufkommt, dass die Soft-Facts entscheidender sind und man sich gerne am Standort ansiedelt.111 So ist es auch, »wenn Ehefrauen heimatverbunden sind …« 112 Immer wieder fällt auf, dass bei der Entscheidung, Investitionen zu tätigen, emotionale Aspekte in Bezug auf die Identifizierung mit der Region eine wesentliche Rolle spielen, wobei auffallend häufig dabei die persönliche Verbundenheit von Ehepartner(inne)n mit der Region von Bedeutung ist, und das ist insofern wichtig, als emotionale Verbundenheit mit einem Standort und den dort lebenden Menschen in wirtschaftspolitische Entwicklungsmaßnahmen mit eingebaut wird.113 Gemeint ist damit, dass man bei Betriebsansiedlungsagenturen von Regionen nicht breit gestreute Standortmarketingmaßnahmen setzen, sondern personenbezogene, auch private Verbindungen nutzen sollen, um die Menschen über ihre emotionalen Motive zu einer Entscheidung für einen Lebens- und Wirtschaftsstandort zu bewegen. Diese Form des Standortmarketings und der Akquisition von neuen Unternehmen wäre nicht nur sparsamer, sondern auch wirkungsvoller und mit weniger Risiko behaftet, sowohl was die Streuverluste der Marketing- und Akquisitionskosten betrifft, als auch in Bezug auf den nachhaltigen Erfolg von neuen Investitionsprojekten. Die emotionale Verbundenheit führt meiner Ansicht nach zu höheren Anstrengungen aller Beteiligten, um ein Projekt zum Erfolg zu führen. Mit der Bearbeitung der Gemeinsamkeiten und der Widersprüche können die emotionalen Faktoren ihren Platz finden: gut aufgehoben zu sein.
111 Vgl. P. Heintel, L. Krainer, R. Lerchster, M. Ukowitz, Investitionen in Kärnten, ein Ergebnisbericht, 2006, S. 27: »Ich wollte immer schon Griffnerin werden.« 112 Ebd., S. 28 113 Vgl. Interview bg i, S. 239
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Zusammenfassung
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391 E. Juritsch, Internationalisierungsentscheidungen von kleinen und mittleren Unternehmen © Springer-Verlag/Wien 2011
Zusammenfassung
Voraussetzungen
Internationalisierung von Unternehmen – auch von kmu – kann einerseits notwendig werden, weil es auf regionalen oder nationalen Märkten sprichwörtlich eng geworden ist oder weil bestimmte Produktionsschritte oder ganze Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig hergestellt werden können oder weil sich Produktions- beziehungsweise Entwicklungskosten nur über einen größeren Markt amortisieren. Internationalisierung kann andererseits eine Wachstumsmöglichkeit oder der Beweis der Kompetenz eines Unternehmens im internationalen Umfeld sein. Was sind aber die Voraussetzungen für die Internationalisierung eines kmu? Ein Unternehmer zählte sehr präzise vier Hauptthemenfelder auf: organisatorischer und finanzieller Aufwand, erheblicher kultureller Aufwand, Anforderungen an die Aufbauorganisation und an die Prozesse sowie an die Kommunikationsstrukturen. Wenn er dann weiter ausführt, dass der Erfolg von der Geisteshaltung, international zu denken, vom Spaß, international zu arbeiten, abhängt und zudem noch als mühsamer und anstrengender Bildungs- und Entwicklungsprozess gesehen werden muss, so ist es naheliegend, dass eine sozialwissenschaftliche Arbeit über Internationalisierungsentscheidungen beim Menschen, beim Individuum ansetzen soll.2 Die dominante Rolle des Kapitals ist jedoch gerade im Zuge von Internationalisierungsentscheidungen gegeben. Und diese Bedeutung spürt ein Unternehmen auch durch den Mangel an Kapital. Risikokapital- beziehungsweise Eigenkapitalmangel ist eines der Merkmale österreichischer (beziehungsweise europäischer) kmu. Die Kunst, damit umzugehen und vielleicht gerade deshalb erfolgreich zu sein, ist eine Gemeinsamkeit aller Unternehmer, die mir für ein Interview zur Verfügung gestanden sind. Kapitalmangel und Internationalisierung benötigen Abstimmung. Miteigentümer, Hausbank und auch führende Mitarbeiter müssen einbezogen werden, wenn entschieden werden soll, wohin (geografisch gemeint) das (knappe) Kapital investiert wird. Sonst kann es zu (unbearbeiteten) Konflikten kommen. Im Zuge der Internationalisierung kommen neue Partner hinzu, sodass es von Vorteil ist, wenn man bereits Erfahrung in der Bearbeitung widersprüchlicher (Investitions-)Situationen hat. Der Entscheidungsträger ist angehalten, sein Modell zu entwickeln und es in Bezug auf die neuen Geschäftssituationen zu »prozessieren«, also als Prozess mit 1 Ergebnisse, Empfehlungen, zusammenfassende Gedanken und Ausblicke für die Wissenschaften und die unternehmerische Praxis 2 Vgl. Interview st iv, S. 176
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Zusammenfassung
Schleifen und Reflexionsmöglichkeiten auszugestalten. Ohne überzeugendes Modell ist man insbesondere wegen der Kommunikationserfordernisse mit seinen alten und neuen Partnern chancenlos. Erst so kann sich die Organisation dann in Bezug auf das Thema konstituieren und Vertrauen aufgebaut werden. Jede spezifische Überlegung zur Internationalisierung ist meiner Ansicht nach konfliktbehaftet. Ein nahezu immer und immer wieder auftretender Konflikt ist jener zwischen den Bewahrern und den Veränderern, basierend auf dem Verlust der alten Identität, wo noch keine neue erkennbar ist, jedoch Gewissheit darüber besteht, dass die neue jedenfalls anders sein wird. Konfliktbearbeitung passiert bereits, wenn etwa vom Abbau der Ängste und ihrer Umwandlung in Chancen die Rede ist und wenn man nicht wartet, bis man »gefressen« wird.3 Anzeichen für Ängste sind dann gegeben, wenn bestimmte Fragen nicht mehr gestellt werden (dürfen). Es ist sinnlos, dann einer Seite (zum Beispiel den Bewahrern) »die Schuld« zu geben, vielmehr sollte der Sinn im Konflikt gesucht und bearbeitet werden. Dies schon deshalb, weil der Verlust der Gestaltungsfreiheit der Unternehmenszukunft die noch schlechtere Lösung darstellt.4 Weil »nur überleben« keine sinnvolle Strategie ist (das Unternehmen kann dann leicht zum Übernahmekandidaten werden), sind verschiedene Formen von Prozessen notwendig. Geeignete Prozesse zur Bearbeitung all dessen, was das Unternehmen langfristig ausmachen soll, sind Strategieentwicklung 5 und Visionsprozess.6 Viel Zeit wird auch für die Bearbeitung neuer Märkte benötigt, was wiederum der (prozessorientierten) kmu-Kompetenz in Nischen entgegenkommt.7 Die Positionierung als Top-Spezialist für bestimmte Aufgaben (Projekte)8 ist eine mögliche Strategie. Ein anderes Geschäftsmodell beinhaltet die konsequente Auslagerung meist arbeitsintensiver Produktionsschritte. Dann müssen die Projekte am jeweils kostengünstigsten Standort (»vor Ort«) umgesetzt werden, weil es kein Unternehmen mehr in Westeuropa gibt, das in bestimmten Geschäftsfeldern in der Lage ist, damit in Europa Gewinne zu machen. Das gilt aufgrund von Kostennachteilen vor allem für Commodities wie zum Beispiel Schuhe, das gilt aber wegen der hohen Arbeitsintensität auch für viele Bereiche des Anlagenbaus. 3 4 5 6
Interview st iv, S. 182 Interview st vi, S. 198 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Zeit für Strategie«. Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Visionsentwicklungsprozess und Visionsinhalt«. 7 Zur Nischenpolitik gibt es viele Hinweise in den Interviews, zum Beispiel: Interview vii, S. 77, Interview viii, S. 88 8 Vgl. Interview st i, S. 142 u. 143 sowie Interview st ii, S. 160
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Zusammenfassung
Ergebnisse der Forschung
Die Ergebnisse der Forschung sind so vielfältig wie die Internationalisierungsentwicklungen meiner Interviewpartner. Die Themen, die im Folgenden als Ergebnisse ausgewiesen werden, beinhalten signifikante Differenzierungen im Vergleich zu allgemeinen wissenschaftlichen Betrachtungen betreffend die Internationalisierung. I.
Verschiedene Welten (KMU – Großunternehmen (GU))
Einige beispielhaft angeführte, jedoch hier nicht mehr weiter ausgeführte Unterschiede in den Entscheidungen, im Verhalten und in der Unternehmensführung betreffen die Bereiche: • Motive • emotionale Bindung (Verbindlichkeit) • Lang- beziehungsweise Kurzfristigkeit (UnternehmensBehaltedauer) • Macht und Einfluss allen entsprechen auch die verschiedenen »Realitäten hinter« den Jahresabschlüssen: Quartalsberichte und der Jahresabschluss sind für große Unternehmen die Wirklichkeit, an der sich Analysten und Anleger orientieren – für kmu eine lästige Pflicht für Finanzamt und Firmenbuch. Beide Extrempositionen sind nur in eingeschränktem Maße gültig. Familie und Unternehmen – zwei Systeme
Sinngemäß ist zu hören, dass es bei der Internationalisierung auf das jeweilige Geschäftsmodell ankommt und wie die Familie dazu steht. Beide Systeme wirken also in die Entscheidungen hinein. Verstehen und Missverständnisse sind in den unterschiedlichen und widersprüchlichen Rollen (Familienmitglied beziehungsweise Unternehmer) verankert. Es wird im Zuge von Internationalisierungsüberlegungen dringend geraten, die Familienkultur in Bezug auf Internationalität mitzubeachten. Denn es können emotionale Abgeschlossenheit oder Ablehnung gegen fremde Kulturen aus der Familie in das Unternehmen hineinwirken und Entscheidungen beeinflussen. Internationalisierung eingebettet – und nicht beraten
Internationalisierung im Großunternehmen wird durch Beraterteams, m&aAbteilungen und externe Gutacher bearbeitet und dabei meistens vorentschieden. Ein sehr wichtiges Ergebnis ist, dass Internationalisierung im kmu innerhalb des laufenden Betriebes organisiert werden muss. Dazu kommt auch noch, 394
Zusammenfassung
dass kmu ohnehin großes Misstrauen gegenüber Beratern hegen. Experten werden (»gerade noch«) ganz spezielle Fachaufgaben, zum Beispiel Rechtsprobleme, übertragen. Der Wert des Eigentums liegt im Gestalten
Die Gestaltung der Zukunft des Unternehmens durch den Haupteigentümer (und nicht durch das Management) in Unabhängigkeit ist oberstes Ziel der Entscheidungsträger meines Interviewportfolios. Dafür braucht das Unternehmen langfristiges und gewinnorientiertes Wachstum. Diesem Ziel werden also alle anderen Ziele (auch die Internationalisierung) untergeordnet. Hinsichtlich der Umsetzung (Verwirklichung) der Unabhängigkeit gibt es jedoch Unterschiedlichkeiten. Die Gestaltungsmacht (in der Krise Ohnmacht) ist also einer Person zuzuordnen.9 Bei dieser Person ist auch das Entscheiden bei beziehungsweise Ausbalancieren von Widersprüchen angesiedelt: • kooperieren oder konkurrieren • innovieren oder internationalisieren • investieren oder Gewinne thesaurieren • sozialen Zielen oder Investitions-, Wachstumsbeziehungsweise Rentabilitätszielen den Vorzug geben Immobiles Kapital und die dazugehörenden Renditevorstellungen
Bei kmu ist es weit verbreitet, dass kein Kapital aus der Firma entnommen werden soll. Deshalb ist das (Familien-)Eigenkapital im Unterschied zur ökonomischen Theorie relativ immobil und steht eindeutig im Widerspruch dazu, dass sich das (Anleger-)Kapital die höchste Rendite sucht, dies entspricht auch nicht dem Streben nach dem schnellen Geld. Rendite kann man aktuell als überdeterminierten Begriff bezeichnen. Früher war Rendite etwas zu Erwartendes, Stabiles und beinahe fix Vereinbartes. Sie wurde meist (nur) in Bezug auf den Kapitaleinsatz errechnet und hatte zinsähnlichen Charakter. Heute ist Rendite etwas anderes. Man muss nämlich gedanklich ein paar Schritte früher ansetzen und davon ausgehen, dass sich die Rendite nur einstellen wird, wenn die Überlegungen, wofür Arbeit und Kapital eingesetzt wird, zu den richtigen Entscheidungen führen. Im Folgenden zwei Beispiele für die vielfältigen Vorstellungen von Rendite meiner Interviewpartner: Langfristig zu denken, also »ein längerfristiges Betriebshirn haben, […] eigentlich lehnt man sich ein bisschen aus dem Fenster, aber das Problem steht an,10 das Geld kommt dann selber – oder der Erfolg. […] Man darf nicht am 9 Wie Beschlüsse im gu zustande kommen, unterliegt meistens der Verschwiegenheit.
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Zusammenfassung
Anfang schon alles kalkulatorisch ansetzen. Das ist bei der Entwicklung das Gleiche, […] man muss manchmal das Geld ausblenden – das Geld ist nur Mittel.« 11 Der Marktanteil kann eine Form von Rendite sein, sie wird dann durch das Ausscheiden möglicher Konkurrenten repräsentiert (»weltweit die Nr. 1«). Solche und ähnliche Renditeformen können erst über Umwege mit einem Zinssatz auf das eingesetzte Kapital versehen werden. Es gilt dabei jedoch zu beachten, dass das Wesentliche, nämlich – der Anteil der geistigen Investitionsleistung 12 an der Rendite nicht ausgeblendet wird. II.
Kultur – Mentalität
Mit Kultur ist sehr oft und wertend die »unsere« gemeint. Doch durch Erzählungen über die Gründe des Scheiterns von Projekten wurde herausgefunden, dass die herkömmliche Weisheit13 unternehmerischer Rahmenbedingungen, wie sie in den usa und in Westeuropa für erfolgreiches unternehmerisches Handeln angenommen werden, nicht immer gilt. So weist beispielsweise eine Wirtschaft, die sich überwiegend aus Handelsbetrieben zusammensetzt, also auch durch eine Handelskultur bestimmt wird, vordergründig auf einen Nachholbedarf an Produktionsbetrieben hin, weil eben ein ausreichend großer Markt vorhanden ist.14 Den (unternehmens-)kulturellen Mangel kann ein einzelnes kmu jedoch nicht überwinden. Also müssen Modelle der Internationalisierung die (Wirtschafts-)Kultur berücksichtigen und aus diesem Umstand heraus entwickelt werden. Der Einfluss von Kultur wird unterschätzt. Dass die Unternehmenskultur für die verschiedenen Kulturen offen sein muss, glauben fast alle meine Interviewpartner. Wie das jedoch gelingen kann, dafür gibt es keine eindeutige Empfehlung. Einmal wurde festgestellt: »Kultur kann es nur eine geben. Wobei es jetzt wirklich nicht die Frage ist, ob das die bessere oder die schlechtere ist, sondern es kann nur eine geben.« 15 Die meisten meiner Interviewpartner haben aber das Thema Kultur angesprochen und meiner Ansicht nach auch die jeweiligen Kulturen (und Mentalitäten) 16 in ihr Geschäftsmodell miteinbezogen.
10 Anmerkung: Hier wurde nicht dazugesagt, »man braucht ohnehin eine Lösung«. 11 Interview viii, S. 92 12 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Achtung Rendite!« und vgl. Interview xi, S. 126 13 Gründungen, Spin-offs von großen Unternehmen, ein hochentwickeltes Rechtssystem und ein gut entwickelter Kapitalmarkt mit Venture Capital und Business Angels. 14 Vgl. Interview v, S. 56 15 Interview st iii, S. 171 16 Begriffe werden unterschiedlich verwendet.
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Zusammenfassung
III. Internationalisierung durch Kooperation(en)
Das Wort Kooperation wird sehr oft erwähnt (viel öfter als Konkurrenz oder Mitbewerb). Kooperationsformen im Kerngeschäft werden in der Regel aus den jeweiligen Geschäftsmodellen abgeleitet und sind (oder wären) eine kapitalschonende Form der Internationalisierung. Diese Form widerspricht der Eigentumslogik, weshalb es auch bei kmu noch nicht viele tiefgreifende Kooperationen gibt. Kooperationen werden als Zukunftsmodell für Internationalisierung genannt. Ein anderes Feld, in dem Kooperationen existieren, ist der Aufbau intakter Beziehungen zur Unternehmensumwelt. Wissenschaftliche Auseinandersetzung
Es wird auf Themen mit signifikanten Differenzierungen zu (disziplinorientierten) wissenschaftlichen Arbeiten und zum allgemeinen Vorgehen bei wissenschaftlichen Projekten hingewiesen.
I. Hinweise auf die Wissenschaftsdisziplinen Die Form
Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form dient der Unterstützung von Entscheidungen. Die erlebten, erzählten und ausgewerteten Erfahrungen aus den Unternehmen tragen zur Entwicklung im Unternehmen bei (selbst wenn es das andere Unternehmen anders macht) und sie sollen den Fortschritt in der Theorie beziehungsweise der Modellbildung unterstützen. Diese Form hat zwei Ausprägungen: • den Forschungsprozess selbst und • die Form der schriftlichen Darstellung. Der Prozess (die Auswahl der Interviewpartner, die Form der Interviewführung, die Transkription, die Auswertung und die Möglichkeiten der aktiven beziehungsweise passiven Rückkopplung der Ergebnisse) wird durch die essayistische Form der Darstellung unterstützt. Gleichzeitig stützt die Darstellungsform den Prozess. Das Anzeigen der (Rahmen-)Bedingungen der Möglichkeiten und nicht die checklistenhafte Handlungsanleitung soll Fortschritt bei den Beteiligten ermöglichen. Die Essays können – nicht nur, aber auch und zwar als Konzession an den Zeitmangel – einzeln gelesen werden. Offene Interviews
Die Akteure der Internationalisierung werden in den meisten empirischen Studien mittels Fragebögen zu ihren Motiven abgefragt. Damit werden dann 397
Zusammenfassung
Theorien und Modelle abgestützt. Durch die Struktur der offenen Interviews kommen viel mehr Antwortmöglichkeiten zutage. Es werden auch Themenbereiche angeschnitten, die mit dem Hauptthema scheinbar nichts zu tun haben. Das soll dazu anhalten, ein Forschungsthema nicht zu eng zu gestalten und eine Auswahl zu treffen. Interventionsforschung
Die Interventionsforschung mit ihrem Grundsatz der Akzeptanz der Freiheit und der Autonomie des Forschungsgegenstandes bietet die Voraussetzungen für Theoriebildung und Unterstützung der Praxis. Mithilfe der Internationalisierungsentwicklung der Unternehmen werden Themen aufgeschlossen. Mit der Methode des offenen Interviews entsteht eine authentische Auseinandersetzung mit den Problemen und damit ein direkterer Zusammenhang zwischen Mensch und Thema. »Dazu ist das Herausgehen aus den »dominanten Prinzipien« wissenschaftlicher Arbeit erforderlich, als solche werden in der Regel die vorherige Hypothesenbildung und die Nicht-Einbeziehung der Beforschten genannt. Dagegen versteht sich die Interventionsforschung als ergebnisoffene und die Beforschten miteinbeziehende Wissenschaft.« 17 Mit diesen (Gesprächs-) Grundsätzen war es mir möglich, in einem vertretbaren Zeitraum das bestmögliche Material aus der unternehmerischen Praxis 18 zur Verfügung gestellt zu bekommen. Es sind dies 23 transkribierte und ausgewertete narrative Interviews. Forschungsarbeiten
Es fehlen gerade den mittleren Unternehmen (Größenordnung circa 30 –500, in bestimmten Branchen bis 1.000 Mitarbeiter) 19 Forschungsarbeiten, die auf deren Größenordnung, auf deren Chancen und Probleme abgestimmt sind. Die Unterschiede zur Internationalisierung von großen Unternehmen (siehe oben »zwei Welten«) sind beträchtlich, wie auch jene zwischen Unternehmen, die internationalisiert sind, und denen, die »zu Hause bleiben«.
17 Zitat aus der Dissertation im Essay »Grundlegungen zur Bearbeitung des Themas – Internationalisierungsentscheidungen von kmu«, S. 43 in dieser Arbeit. 18 Genau genommen sind es 19 Interviews mit Unternehmern, ein Interview mit einer Unternehmerin, ein Interview mit einem kmu- beziehungsweise Familienunternehmensforscher, ein Interview mit einer Bürgermeisterin und eines mit einem Bürgermeister. 19 Siehe im Glossar die kmu-Definitionen der EU. Ich behaupte, dass die Forschungsthematik nicht beim Einpersonenunternehmen (epu) beginnen soll und nicht strikt an der Grenze von 250 Mitarbeitern enden soll.
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Zusammenfassung
II. Resultate für die Wissenschaft und Praxis in Bezug auf das Vorgehen Das Vorgehen beziehungsweise die Methode fördert neue Erkenntnisse zutage, die (auf den zweiten Blick) selbstverständlich sind, jedoch in den meisten wissenschaftlichen Publikationen zur Internationalisierung von Unternehmungen nicht aufgezeigt werden. Doppelte Ignoranz
Ein bedeutendes Ergebnis meiner Interviews ist, dass nichts, was derzeit an Theorien zur Internationalisierung vorhanden ist, von den Unternehmern der kmu zur Entscheidungsfindung herangezogen wird. Die Unternehmer zeigen auch keinerlei Interesse an Standortanalysen. Umgekehrt findet sich in den wissenschaftlichen Arbeiten wenig Praktisches. Ich kann also vermuten, dass durch Fragebogenuntersuchungen und das Hineinpressen empirischer Ergebnisse in Modelle und Theorien vieles verloren geht. Einer der meiner Ansicht nach wenigen tauglichen theoretischen Versuche, die »doppelte« Interesselosigkeit zu überwinden, stellte die eklektische (»zusammengestellte«) Theorie von Dunning dar. Sie erklärt, dass erst ein Zusammentreffen mehrerer verschiedener Interessenslagen zur Internationalisierung führen kann. Damit gibt sie einen Hinweis, dass ein interdisziplinärer Zugang zum Thema ein »lohnender Umweg« zu besseren Ergebnissen ist. Probleme, die also sowohl ökonomischtechnischer als auch organisatorischer und kultureller Natur sind, können nicht allein durch Spezialdisziplinen bearbeitet werden. »Es ist so – es könnte auch anders sein« 20
Sehr viele Forschungsergebnisse sind von der Qualifikation des Forschers beziehungsweise von den Intentionen des Auftraggebers beeinflusst. Das bedeutet, dass die Vorbereitung für die meisten Forschungstätigkeiten wissenschaftsdiszipliniert erfolgt. Und es bedeutet auch, dass die Vorbereitungen für die unternehmerische Praxis auftragsbezogen geschaffen werden. Wenn man sich hingegen entschließt, inter- und transdisziplinär zu forschen, muss man mit schwierigen Kommunikationsprozessen rechnen. Diese werden einerseits wegen des Strebens nach Dominanz einzelner Wissenschaftsdisziplinen (auch der eigenen Herkunftsdisziplin) und andererseits aufgrund der polarisierenden Haltung zwischen Wissenschaftern (Theoretiker!) und Unternehmern (Praktiker!) oft sehr emotional geführt.
20 H. Nowotny, Es ist so, es könnte auch anders sein, Frankfurt/Main 1999
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Zusammenfassung
Modelle
Modelle sollen so gestaltet sein, dass sie Fragen und Antwortmöglichkeiten an die Entscheider zurückdelegieren und nicht als vorgefertigte Checklisten wirklichkeitsblind machen. Deshalb ermöglichen viele Modellbetrachtungen und eine kritische Auseinandersetzung mit den Zielen eines Modells die individuelle Modellbildung. Die Modellinflation ist Chance und Gefahr zugleich. Die Gefahr, die von Modellen ausgeht, ist, dass sie zur Verstärkung blinder Flecken und Normen beitragen und als »schnelle Lösung« zum Scheinkonsens führen. Chancen eröffnen Modelle, wenn neben dem (bloßen) Unternehmenszweck auch dem Sinn Raum gegeben wird, vielleicht mit der Frage: »Wollen wir es so?« Nicht (natur-)wissenschaftlich
Geschäftsroutinen sind von der eigenen Geschichte, den Erfahrungen und den Erlebnissen beeinflusst. Internationalisierung findet nicht unter Laborbedingungen statt. Es existiert also keine Analogie zum naturwissenschaftlichen Experiment. Jeder Umsetzungsschritt erfolgt in der Realität. Dazu kommt noch, dass aus den eher starren Anspruchsrelationen von Arbeit und Kapital flexible Relationen entstanden sind. Dies gilt auch für die rechtliche Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen und Finanzierungen. Diese flexiblen Relationen erfordern eine Aushandlungsprozesserfahrung, welche nicht von vornherein gegeben ist, insbesondere wenn das bisherige erfolgreiche Geschäftsmodell auf den traditionellen Stärken wie eigentümerorientierte Entscheidungen, Erfahrung und Mehrfachloyalitäten zum Unternehmen aufgebaut war. Ein Modell der Wertschöpfungskettendynamik
Synergievorstellungen entstehen nicht durch ein Zusammenzählen aller Vorteile – der Weg zum Erfolg ist komplexer, als es ein kausales und mechanistisches Vorgehen glauben lässt. Am Beispiel der unterschiedlichen Technologiedynamiken, die innerhalb einer Wertschöpfungskette wirken, lässt sich das gut nachvollziehen.21 Sie können sich gegenseitig stärken, aber auch behindern. Inkrementelle Innovationen stehen im (oft nicht bekannten) Wettbewerb mit einer völlig neuen (Killer-)Technologie. Damit erklären sich auch die systemimmanenten Triebkräfte des grenzenlosen Modells der (Real-)Wirtschaft. Jeder Teilnehmer innerhalb der Wertschöpfungskette betreibt selbst Forschung, Entwicklung und Internationalisierung. Neue Anbieter dringen in die Wertkette ein, existierende 21 Zum Beispiel dauert die Entwicklung neuer Energieversorgungen länger als jene einer neuen Software.
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Zusammenfassung
wollen das Geschäft ihrer Kunden beziehungsweise Lieferanten machen beziehungsweise stellen neue Formen der Kooperationen auf.22 Praxisprozesse
Man ahnt im spezialisierten kmu, wie eine technische Lösung aussehen könnte. Doch sie steht nicht von vornherein fest. Daher ergeben sich beinahe von selbst prozessorientierte, (selbst-)reflexive Abläufe. Wenn man Personen einbezieht, die nicht an der direkten, das heißt technischen, Lösung arbeiten, kommen völlig neue (wunderbare) 23 Lösungen heraus. Ich vermute, dass in der Qualität der persönlichen Beziehungen der einzelnen Akteure zueinander zukünftige Antworten gefunden werden können. Die Emotionalität beim Erzählen weist darauf hin. Denn jedes Produkt ist materialisiertes Ergebnis eines Entwicklungs-, Verhandlungs- und Produktionsprozesses. Und der Weg zum widerspruchsfreien Produkt ist nicht widerspruchsfrei, er bedarf vieler Entscheidungen, deren Ergebnis nicht prognostizierbar ist. Wachstum
Es ist immer wieder von qualifiziertem Wachstum die Rede (darin verbirgt sich auch Kritik am Wachstum). Für kmu ist es jedoch bedeutender, wie mit der Logik des Wachstums umzugehen ist. Will man wettbewerbsfähig bleiben und den Mitarbeitern Perspektiven auf einen langfristig sicheren Arbeitsplatz sowie Karrieremöglichkeiten bieten, muss man in unserer innovations- und produktivitätsgetriebenen Zeit obenauf schwimmen, also mehr als nur überleben. Eine nachhaltige Möglichkeit dazu ist, den inneren Wert des Unternehmens zu steigern. Investieren in das innere Potenzial, gerade in die Ausdifferenziertheit und Nischenkompetenz, lässt eine Übernahme nicht leicht zu – man muss diese Kompetenz aber auch wollen und strategisch umsetzen. Dann kann das ein Modell der kmu zu einem differenzierteren Wachstum sein. Und dennoch gilt: »Zu viel Wachstum und Entwicklung schadet Ihrer Bonität!« 24 Theorie und Lernen
Aufgrund der Alltagsdynamik unternehmerischer Entscheidungen, bestätigt durch die Interviews, sind die Erkenntnisse aus den Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten bedeutender für die kmu als die Suche nach einer allgemein akzeptierten Internationalisierungstheorie (siehe oben: doppelte Ignoranz). Fortschritt 22 Siehe dazu meine Ausführungen im Essay »Die andere Vertikalität«. 23 Vgl. Interview viii, S. 92 24 Siehe unten das »oberste« kmu-Ziel
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Zusammenfassung
in diesem Sinn ist also beides: praktisches Wirtschaften auf der einen Seite und Auseinandersetzung mit Theorien und Modellen auf der anderen. Es ist (leider) ein vernachlässigtes Feld in den Wirtschaftswissenschaften, jene Fähigkeiten zu trainieren, die es erlauben Modelle in Bezug auf deren Relevanz zu hinterfragen. Das setzt Offenheit voraus und gemeinsames Nachdenken muss organisiert werden – beides überfordert. Know-how aus der Schule und der Universität mitzubringen, wie man gemeinsames Nachdenken organisiert, wäre neben der einsamen Wissens-(re-)produktion sehr wichtig. Empfehlungen für KMU
Empfehlungen für kmu findet man natürlich auch in anderen Abschnitten dieser Zusammenfassung [Ergebnisse beziehungsweise Wissenschaft(en)]. Beispielsweise die Veränderungen in der Wertschöpfungskette zu beobachten oder sich im Zuge von Internationalisierung mit Kooperationsmöglichkeiten ernsthaft auseinanderzusetzen. Die hier angeführten Empfehlungen beginnen beim Produkt, führen zur Aufgabe, die unterschiedlichen Lebenszyklen wie Arbeit, Investition und Unternehmen immer wieder in Einklang zu bringen. Eine weitere Empfehlung ist, sich der Bedeutung und der Probleme des kmu in einer Region bewusst zu sein, um ›im Kopf‹ nachvollziehen zu können, wie (anhand der Statements meiner Interviewpartner) Internationalisierung eines kmu ablaufen kann. Der direkte Weg
Ein kmu sollte seine Arbeitsweise trotz Internationalisierung nicht wesentlich verändern. Es ist nämlich außerordentlich wichtig, die Kernbereiche der Kundenbedürfnisse zu finden, einen Prozess zu organisieren und sie mit (meistens technischen) Lösungen abzudecken. Dies nicht mit großen Mitarbeiterstäben, sondern an der Basis »die Ärmel hochkrempeln und loslegen«.25 Das funktioniert dann gut, wenn man mehrere Rollen vereint (»das war dann wieder ich«) 26 und wenn man viel »draußen« ist und die Probleme hautnah erlebt.27 Keine Commodities
Die Erreichung der Nr. 1 oder 2 in einer Nische ist schon bei Unternehmensgrößen ab 30 Mitarbeitern möglich. Die enge Nische bedeutet gleichzeitig, dass man keinesfalls der (schleichenden) Versuchung erliegen darf, Commodities anzubieten. Deren Margen verfallen innerhalb kürzester Zeit. 25 Interview iii, S. 24 26 Interview xi, S. 129 27 Vgl. Interview x, S. 118, vgl. Interview viii, S. 89
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Zusammenfassung
Marke
Marken sind auch für kmu bedeutend. Industrielle Marken müssen gewissen Ansprüchen genügen, müssen ausbaufähig sein. Die technologische Grundlage ist das eine, die Marke das andere. Sie ist ein Synonym für das Wissen in einer speziellen Technik. Wenn eine Region für etwas Bestimmtes steht, dann unterstützt das ebenfalls die Marke. In den Ausbau einer Leitmarke muss viel investiert werden. Eine Möglichkeit dazu ist, Seminare abzuhalten, weiters natürlich auch Patente einzureichen beziehungsweise wissenschaftliche Publikationen zu veröffentlichen. Auch die Verständlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, die Verbreitung in korrekter und verständlicher Sprache und die grafische Gestaltung von Wartungs- und Bedienungsanleitungen trägt zur Marke bei. Die Marke ist aber auch etwas Flüchtiges. Sie muss ständig neu unterfüttert und frisch gestrichen werden; erst dadurch wird sie vertrauenswürdig. Diese Metaphern eines Interviewpartners meinen, dass um die Marke herum ständig etwas passieren muss, was die Verbindung zwischen Produkt und Symbol belebt. Lebensdauer
Wenn man die Statistik heranzieht, beträgt die durchschnittliche Lebensdauer von kmu in der eu 15 Jahre. Diese Zeitspanne ist einerseits zu kurz für viele langfristige Investitionsentscheidungen und andererseits zu kurz für die Kommerzialisierung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen. Auch Mitarbeiter orientieren sich gerne längerfristig. Weil aber die Flexibilisierung und Verkürzung der verschiedenen »Bindungsfristen« ein Thema unserer Zeit ist, ist Vertrauen in Verbindung mit Fakten ein Gebot der Stunde. Denn im Zuge von Investitionsbeziehungsweise Internationalisierungsprojekten läuft die permanente Beurteilung der langfristigen Kapitalstärke wie ein »Hintergrundfilm« in den Köpfen der Partner ab. Porter? 28
Entgegen Porters Theorem sind Regionen, wo es alles gibt, was gut und teuer ist, zwar auch für kmu attraktiv, doch man kann dort nur mit viel Kapital reüssieren. Sie sind jedoch geeignet, die Geschäftsmöglichkeiten unter der Prämisse anzusehen, dass dort »niemand auf unser Produkt gewartet hat«.29 Eine (mehrmals 28 Hohe Entwicklungsdynamik zeichnet sich aus durch (Porters »five forces«): Konkurrenzintensität der Industrie, Kompetenz Dienstleistungsunternehmen, günstige (Beschaffungs-)Bedingungen für die Produktionsfaktoren (ausgebildete Fachkräfte und Material), öffentliche Infrastruktur, (hohe) Kundenansprüche, stabile politische und rechtliche Rahmenbedingungen. 29 Vgl. Interview x, S. 114
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Zusammenfassung
geäußerte) Alternative dazu ist, sich eine weniger entwickelte (eventuell ländliche) Region anzusehen. Die Vorteile dabei sind: • kmu als wirtschaftspolitischer Faktor, • Loyalität der Mitarbeiter nach einer erfolgreichen Anfangsphase, • Innovationen werden nicht so schnell kopiert, • Förderungen. Ein ländliche Region hat natürlich auch Schwächen (Bildungseinrichtungen, Infrastruktur usw.). Unternehmer gestalten Politikprozesse
Ein kmu ist insbesondere in einer ländlichen Region bereits mit ein paar Dutzend Mitarbeitern ein politischer Faktor. Damit soll nicht empfohlen werden, apodiktisch Forderungen aufzustellen, sondern sich aktiv in den wirtschaftspolitischen Gestaltungsprozess einzubringen. Damit können vor allem Rahmenbedingungen (zum Beispiel Bildungsthemen, Infrastruktur) mitgestaltet, aber auch Förderungsprogramme angeregt werden. Auf dieser Basis können bedarfsorientiert Förderprojekte (insbesondere, wenn sich mehrere kmu zusammenschließen) von der öffentlichen Hand mitfinanziert werden. Die unterschiedlichen Bedürfnisse von Unternehmen und Regionen, beispielsweise die kurzfristigen (konjunkturbedingten) auf der einen Seite und die langfristigen (strukturbedingten) auf der anderen Seite, können so gemeinsam bearbeitet werden. Loyalität – Abgeschlossenheit – Offenheit
Regionalität bedeutet sehr oft Abgeschlossenheit. Und steht im Einklang mit Sicherheit des Arbeitsplatzes und mit innerbetrieblichen Karrieremöglichkeiten. Und es passt mit den langfristigen Zielsetzungen der Eigentümer gut zusammen.30 Durch diese positive innere Loyalität kann jedoch die Sensibilität für die Vorgänge außerhalb des Unternehmens verloren gehen. Im Zuge der globalisierten Ökonomie wird dagegen sehr oft von Loyalitätsverlust(en) gesprochen, jenem: • der Mitarbeiter zu ihrem Arbeitgeber, • der Eigentümer zu ihrem Unternehmen oder • der Kunden zu Produkten. Der dialektische Weg ist nun, durch das Bewusstmachen dieser unterschiedlichen Entwicklungen eine neue innere Loyalität aufzubauen. Diese soll die Stärken der Regionalität und die Offenheit in Bezug auf die globalisierte Ökonomie 30 Siehe oben Wachstum und langfristige Ziele
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Zusammenfassung
beinhalten. In dieser Aufgabenstellung liegen natürlich eine Menge Widerspruchsfelder. Es ist zu empfehlen, dazu einen Experten als Moderator für die Organisationsentwicklung einzusetzen. Vom Reden zum Tun
Internationalisierung im kmu entsteht fast immer aus persönlichen Erlebnissen. Im Zentrum steht der Erfahrungswert, der sich in den bisher angebotenen Produkten manifestiert, materialisiert und kommerzialisiert hat. Daher kommt es auch, dass der Weg zum internationalisierten Unternehmen sehr unterschiedlich verlaufen kann. Deshalb ist im Zusammenhang mit neuen Kundenbeziehungen oft vom Zuhören die Rede, von den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, dem gesetzlichen Rahmen, vom Verständnis auf Augenhöhe, davon, den Menschen zu akzeptieren, von der Neugierde, von »Maßschneiderei«.31 Diese Vorgänge sind stimmig, wenn man eine wesentlichen Stärke der kmu betrachtet – die Kompetenz in der Nische. Wenn man in die unternehmerische Praxis hineinhört, findet man das (emotionale) Ringen um die richtigen Entscheidungen. Die Erfahrungen aus diesen Entscheidungen müssen durch neue Erlebnisse immer wieder adaptiert werden. Denn der Kunde merkt, wann es authentisch ist, wann es also möglich ist, »nicht nur von der Müh’ zu plaudern, sondern konkret zu sein, von der Müh’ zu wissen«.32 Diese Vorgänge unterscheiden sich also wesentlich von der Internationalisierungsentscheidung vom Schreibtisch aus. Also gilt es über die Erfahrungen aus dem eigenen Tun zu reden, um für zukünftige Entscheidungen mit den wesentlichen, immer wieder adaptierten Fähigkeiten ausgestattet zu sein. Diese Fähigkeiten sind nicht nur technisch und/oder wirtschaftlich. Die (überwiegend) technischen Themen, die Lösungen in Form von Produkten, die meine Interviewpartner anzubieten hatten, gingen bei ihnen einher mit den Fähigkeiten, mit anderen Kulturen, anderen sozialen Standards und anderen Mentalitäten umzugehen. Spezifische Erkenntnisse in Bezug auf Förderungen
Diese Resultate wenden sich sowohl an die regionale Politik als auch an jene kmu, die sich mit Förderungen (Subventionen) für ihr Unternehmen auseinandersetzen wollen, zudem an jene, die Förderungen gegenüber sehr kritisch sind. Förderungsmöglichkeiten versuchen, bei Zutreffen von marktwirtschaftlichen Versagensindikatoren Anreize für unternehmerische Tätigkeiten zu schaffen. 31 Interview, S. 54 32 Interview xi, S. 126
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Zusammenfassung
Die (maximale) Höhe von Förderungen steht meist im direkten Zusammenhang mit den (statistisch erfassten) regionalen Benachteiligungen (Einkommen, Arbeitslosigkeit, Bildung, Infrastruktur) oder unterstützt ein wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel der eu (zum Beispiel: Forschungsquote). Nicht jede (betriebs-)wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit ist auch förderungswürdig. Wo kann also Förderungswürdigkeit vermutet werden? • Bei Investitionen und/oder neuen Arbeitsplätzen sowie • bei Innovationen, Forschung und Entwicklung. Das ist deshalb so, weil sich bei diesem Themenstellungen private (unternehmerische) Aktivitäten (Investitionen, Innovationen) und öffentliche Aufgaben wie die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Unterstützung des Strukturwandels durch Forschung und Entwicklung überschneiden und eine Risikoteilung durch eine gemeinsame Finanzierung (zum Beispiel 80 % privat, 20 % öffentlich) dadurch sinnvoll erscheint. Die Höhe des öffentlichen Anteils kann jedoch von den öffentlichen Budgets, den Rahmenbedingungen (Förderungsrichtlinien), aber auch vom Formulierungs- und Verhandlungsgeschick abhängig sein. Letzteres ist eine oft unerkannte und uneingestandene Schwäche der kmu. Daher ist das Recherchieren vergleichbarer Projekte unbedingt notwendig, damit nicht ein Gefühl der Benachteiligung entsteht. Förderungswidersprüche
In Bezug auf Förderungen gehen die Unternehmermeinungen sehr auseinander und es gibt viele Vorurteile. So werden politische Gegengeschäfte vermutet. Es wird auch artikuliert, dass nur die Unternehmen wüssten, wie die Wirtschaft funktioniere, der öffentliche Sektor solle sein Geld hergeben, damit es in der Wirtschaft bestmöglich investiert werde. Diesen Vorurteilen ist nur mit Fachund Entscheidungskompetenz sowie Unabhängigkeit der Fördereinrichtungen beizukommen. Die Kompetenzen der Förderorganisationen stellen auch eine Beurteilungsmöglichkeit für Unternehmer in Bezug auf die Qualität des öffentlichen Sektors an diesem Standort dar. In den Förderungsrichtlinien sind oft sehr allgemeine Formulierungen enthalten. Die Förderentscheidung ist vor allem bei größeren Projekten eine individuelle. Der verbreitete Irrtum, dass die regional erlassenen Richtlinien gleichlautend zu den europäischen Rahmenbedingungen sind, sollte bei allen Beteiligten nicht zu viele leere Kilometer nach sich ziehen.
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Zusammenfassung
Investitionen polarisieren
Ein Beispiel aus der Wirtschaftsförderung: Internationalisierungsinvestitionen (Betriebsansiedlungen) werden sehr oft gefördert und öffentlich mitfinanziert, sind aber auch gleichzeitig Anlass für Bürgerinitiativen. Das fordert neben der Unternehmensentscheidung auch die Politik heraus und es muss deshalb zusätzlich zur Internationalisierungsentscheidung des Unternehmens auch politisch entschieden werden. Zudem ist die Akzeptanz in der Bevölkerung für beide Seiten, für die Politik und das Unternehmen, eine wichtige Voraussetzung für den (späteren) Erfolg. Eine Checkliste der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede in den Interessenslagen anzulegen ist meiner Ansicht nach sinnvoll. Die in das Projekt involvierten Stakeholder können dann die gemeinsame Sichtweise (paradoxerweise) »verobjektivieren«, und zwar für ein bestimmtes Projekt – und auf einen bestimmten Zeitraum. Politiker sind außerdem in Bezug auf Betriebsansiedlungen einem scharfen Standortwettbewerb ausgesetzt, weil zwar ein kompetenter Investor das Fördergeld vielleicht nicht braucht, die Region jedoch die Arbeitsplätze benötigt. Förderprojekt
Die Bedeutung als potenzieller Arbeitgeber ist am ehesten in der Relation zur Größe und Struktur der regionalen Wirtschaft zu erkennen. Eine Mitwirkung der Arbeitgeber in der Regionalpolitik ist wichtig, wenn man auf der einen Seite die globale Wirtschaft betrachtet und auf der anderen Seite die räumlich begrenzte Demokratie. Denn regionale Stärken sind nur durch differenzierte Betrachtungen auszumachen und sind auch nur bedingt vergleichbar mit den bekannten Standortbedingungen. Diese Differenzierungen können die Vorteile erst wirklich herausarbeiten. So kann zum Beispiel Loyalität zum jeweiligen Arbeitgeber nur schwer gemessen werden. Das Unternehmen soll sich selbst Vorfragen für Förderungen33 stellen und trotz häufig geäußerter Ablehnung von Förderungen empfehle ich, solche zu beantragen, weil: • sonst das Unternehmen »seinem ›eigenen‹ Geld feind ist«, • die Förderung eine weitere Meinung zum Projekt darstellt, eine sogenannte »second opinion«, und Förderungen hinsichtlich • dem Risiko als eigenkapitalähnlich 34 zu werten sind.
33 Gehört eigentlich zu den Empfehlungen für kmu, passt aber besser hierher. 34 Das gilt nicht handelsrechtlich (Behaltedauer) und nur dann, wenn sie ohne bankmäßige Sicherheiten vergeben werden.
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Zusammenfassung
Wenn ein Unternehmen den Sinn der Förderungen erkennt, kann es leicht alle damit verbundenen Fragen beantworten; diesbezüglich erweisen sich als nützlich: • Können wir einen wirtschaftspolitischen Fragenkatalog für unser Projekt zusammenstellen? • Wie gehen wir mit der (regionalen) Politik um? • Beherrschen wir den Förderformalismus – sind wir mit dem Ermessen (für die Verhandlungen) vertraut? • Verträge und Beschlüsse ziehen Publizität nach sich. Können wir damit umgehen? • Können wir die Kompetenz der öffentlichen Stellen und die (Rechts-)Verbindlichkeit ihrer Zusagen überprüfen? • Welche Standorte kommen für uns in Frage? (mindestens zwei vergleichen) • Welche Motive veranlassen uns zur Internationalisierung und welche lassen uns einen bestimmten Standort den anderen vorzuziehen? Am Ende bleibt viel offen
Die offenen Punkte bedeuten einerseits, dass es unmöglich ist, in einem Forschungsvorhaben so große Themen wie Vertrauen oder die zukünftige Bedeutung von Kooperationen wirklich abzudecken, sie sollen aber andererseits dazu ermuntern, vor diesen Themen nicht zurückzuschrecken. Stolz
Strategieentwicklung nach Lehrbuchart klammert aus, was (die von mir interviewten) Unternehmer antreibt: eine Innovations- und Internationalisierungslust für ein besseres Leben für uns alle, den Stolz auf die Arbeitsergebnisse und die Erlebnisse im Zusammenhang mit der Tätigkeit. Dazu passt eine meiner Vermutungen, sie lautet, wonach emotionale Entscheidungen oft erst im Nachhinein wirtschaftlich begründet werden. Erst wenn Intuition, Erfahrung, Gefühl und Erlebnisse nicht den wirtschaftlich erwarteten Ergebnissen entsprechen, führt dies zu Problemen. Damit ist anzunehmen, dass Sinn und Zweck unternehmerischen Handelns (zumindest im Nachhinein betrachtet) zusammenpassen müssen. Man kann natürlich auch neoklassisch argumentieren, dass es sich ex post irgendwie ausgehen muss, und ob es emotionale oder ökonomisch begründete Internationalisierungsentscheidungen sind, spielt keine Rolle – im Shareholder-Value erfolgt ohnehin eine Verdichtung.
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Zusammenfassung
Hierarchie
Trotz der »Krise der Hierarchie« 35 wird in (den von mir interviewten) kmu ziemlich hierarchisch entschieden. Warum das so ist, konnte im Rahmen dieses Vorhabens nicht beantwortet werden. Warum finden sich Entscheider von kmu in Ländern und Gesellschaften mit hierarchischer Kultur und Tradition so gut zurecht? Doch eine Empfehlung kann abgegeben werden: Gerade deshalb ist es im Zuge der Internationalisierung vorteilhaft, Metakompetenzen aufzubauen. Dazu gehören Kooperationskompetenz, Hierarchiekultur in Bezug auf das Eigentum anderer und das Verstehen unterschiedlicher Unternehmenslogiken. Kooperationen
Es gibt eine Faustregel, die besagt, dass einfache Kooperationen (zum Beispiel Beschaffungskooperationen) leicht zu organisieren sind und kaum ein Alleinstellungsmerkmal darstellen, während komplexe Kooperationen (Forschung, Strategie, Internationalisierung) schwer zu organisieren sind, bei Erfolg jedoch eine größere Dauerhaftigkeit aufweisen. Durch die Spezialisierung und Arbeitsteilung ist man meist auf betriebsinterne Kooperation angewiesen. Die Hierarchie und Eigentumslogik führt bei kmu eher als bei gu 36 (Großunternehmen) zu betriebsinterner Kooperation. Man muss jedoch in jedem Unternehmen genau hinschauen, ob oberflächlich kooperiert wird, oder ob sich beispielsweise in Bezug auf einen Kundenwunsch ernsthaft und lösungsorientiert temporäre Kooperationen konstituieren. Es ist nicht von vornherein gesichert und eher unwahrscheinlich, dass dasselbe Verhalten auch unternehmensübergreifend funktioniert. Wenn unternehmensübergreifend kooperiert werden soll, ist das bewusste Einrichten von Zusammenarbeit (Visions- und Strategieprozesse) notwendig, sodass die Anliegen und Interessen der einzelnen Kooperationspartner (konsensual) durchgesetzt werden können, ohne dass ein Eigentümer als Letztinstanz »schlichtet«. Als Unterstützung dafür soll mittels betriebswirtschaftlicher Grundsätze eine noch genauere Zuordnung der Ressourcen und der Rückflüsse geplant und verfolgt werden. Es wird von den Partnern beobachtet. Damit kann der Vertrauensvorschuss, der für Kooperationen Grundvoraussetzung ist, eingehalten und Vertrauen aufgebaut werden. Kooperationsforschung wird sich ebenso wie Vertrauensforschung als Forschungsfeld etablieren.
35 Vgl. P. Heintel, E. E. Krainz, Projektmanagement: Eine Antwort auf die Hierarchiekrise? Wiesbaden 1988 36 Subkulturen sind bei gu sehr verbreitet.
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Zusammenfassung
Aller Anfang ist …?
Es gibt keine Forschung der Anfänge. Wie kann es gelingen, dass man auch danach noch sagen kann, »wie alles begonnen hat«? Das interessiert die Öffentlichkeit. Welche Projekte unterstützt die Politik ebenso wie die Förderorganisationen und die Kammern? Das interessiert neben der Öffentlichkeit die Unternehmen am allermeisten. Economies of Scales – eine Falle?
Die in der heutigen Wirtschaft geforderte Flexibilität mit den Kriterien für Investitionen in Einklang zu bringen, führt jedenfalls in Bezug auf Internationalisierung von kmu dazu, keinesfalls nur ein Mehr von Demselben anzubieten. Die zu beantwortende (Forschungs-)Frage wäre: Wann ist das Schielen auf abnehmende Stückkosten für kmu gefährlich? Soll sich die öffentliche Hand an Unternehmen beteiligen?
Die Entwicklung einer Region sollte auch unternehmerische Aktivitäten stimulieren, die, wenn man auf die Marktwirtschaft ›wartet‹, nicht leicht zustande kommen können. Wichtig für die Kompetenz einer Region sind beispielsweise ausreichend technologieorientierte Gründer, Kooperationen in Forschung und Entwicklung und eben Unternehmen auf dem Sprung in die Internationalisierung. Doch dazu sind Begleitung, Anregungen und Korrekturen durch öffentliche, politisch geschaffene Einrichtungen erforderlich. Und die öffentlichen Institutionen brauchen dafür Know-how, um diesen Aufgaben gewachsen zu sein, und Kapital, um bei Entscheidungen mit dabei zu sein. Ein unabhängiger Förderungsfonds mit regionaler Verankerung, der zu mehr Eigenverantwortung der Regionen führt, könnte diese Aufgabe erfüllen, insbesondere weil das für unternehmerische Tätigkeiten verfügbare, also freie, Kapital einen Mangel in ländlichen Regionen darstellt. Der Markt versagt quasi »natürlich« auch in Bezug auf verfügbares Kapital – es agglomeriert sich in den Ballungszentren. Aktives Beteiligungsmanagement bei regionalen kmu bedeutet nicht (Re-)Verstaatlichung, sondern aktive Strukturpolitik. Dadurch können Wissen und Verständnis für unternehmerische Aktivitäten in öffentlichen Einrichtungen aufgebaut und ausgebaut werden. Öffentliche Renditevorstellungen müssen jedoch mehr abdecken als nur einen möglichst hohen Prozentsatz der Verzinsung des eingesetzten Kapitals, nämlich Investitionen, Innovationen und Arbeitsplätze. Das ist ein weitgehend unpraktizierter Zugang, wenn über öffentliche Aufgaben diskutiert wird. Erfolgreiche Unternehmensentwicklung als eines der wichtigsten Instrumente regionaler Entwicklung wirkt gegen Überalterung, Abwanderung und gegen die vollständige, dauerhafte Abhängigkeit von Direktzahlungen aus den Staats- und eu-Budgets. 410
Ein doch schließender, jedoch nicht abschließender Gedanke
Ein erfolgreiches Unternehmen soll organisatorisch für innerbetriebliches Widerspruchsmanagement gerüstet sein, um sich in der widersprüchlichen kapitalistischen Welt und der widersprüchlichen Öffentlichkeit gut organisieren zu können. Denn für ein kmu gilt es immer wieder Antworten im System zu finden obwohl auch sehr oft für Systemantworten plädiert wird. Denn bereits mein erster Interviewpartner formulierte: »Also ich bin der Meinung […] die Globalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Meiner Meinung nach ist sie das größte Geschenk für uns und unsere Kinder und Enkelkinder. Weil die Globalisierung der Garant eines Friedens ist […] und [dazu beiträgt], dass wir keinen Krieg mehr in dem Sinn haben. Wir erleben eher eine Art Wirtschaftskrieg. Im Endeffekt geht alles über Wirtschaftsmacht. Aber immerhin, der ist kalkulierbar, steuerbar. Der hat auch seine Grenzen, dem kann man Grenzen setzen.« 37 Als kmu »muss [man sich] jeden Tag hinterfragen, ist das, was ich mir [für die nächsten fünf Jahre vorgenommen habe,] noch richtig«.38 Deshalb ist ein wichtiges Ergebnis, welches aus dem Vorgehen meines Forschungsvorhabens resultiert, Beiträge zur Selbstaufklärung der Entscheidungsträger, also ähnlich der »Hilfe zur Selbsthilfe«, anzubieten.
37 Interview i, S. 12 38 Ebd., S. 27
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Glossar
Das Glossar soll dem Leser ein besseres Verständnis »über« die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen hinweg ermöglichen. Es soll den inter- und den transdisziplinären Zugang erleichtern. Die Begriffe werden hier nicht umfassend und vollständig erklärt, sondern ich versuche die Erläuterungen knapp zu halten, und sie sind im Kontext des Themas »Internationalisierungsentscheidungen von kmu« zu sehen. Manche Begriffe werden auch in einzelnen Essays ausführlicher behandelt. Und es fehlen bewusst kritische Anmerkungen zu den einzelnen Begriffen. Einige der philosophischen und systemtheoretischen Begriffe habe ich wörtlich aus einem Lehrbuch beziehungsweise einem Studienbrief entnommen, weil mir die Erklärungen als bereits wissenschaftlich anerkannt erschienen sind und ich sie nicht besser erklären beziehungsweise durch Umformulierung leichter verständlich machen konnte.
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Glossar
Abstraktion Reduzieren auf die (vermeintlich) wesentlichen Merkmale, beispielsweise in der Bildung einer Theorie. Acquis Communautaire Gemeinschaftlicher Besitzstand. So »bezeichnet man den Gesamtbestand an Rechten und Pflichten, der für die Mitgliedsstaaten der eu verbindlich ist. Er besteht aus dem Primärrecht der Verträge, dem Sekundärrecht, den von den eg-Organen erlassenen Rechtsakten, den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EUgH), Erklärungen, Entschließungen und bestimmten Abkommen.« http://www.europareden.de/info/acquis.htm (12. 4. 2008) adaptiv anpassungsfähig Alleinstellung(smerkmal) Der Begriff umfasst den vom Unternehmen selbst erarbeiteten und über einen bestimmten Zeitraum gehaltenen Vorteil eines Produkts beziehungsweise einer Dienstleistung beziehungsweise des gesamten Angebots eines Unternehmens gegenüber der Konkurrenz. Dieser Vorteil kann sich aus verschiedensten Komponenten zusammensetzen: Preis, Qualität, räumliche Nähe, Design, Marke, War-tungsaspekte und Sicherheit, um nur einige zu nennen. Der englische Begriff dafür ist usp (Unique Selling Proposition). Allokation So bezeichnet man die Zuteilung von (beschränkten) Ressourcen (Mitarbeiter, Kapital, Maschinen, Material, Raum usw.) zu bestimmten unternehmerischen Leitungsprogrammen. Die Allokation setzt Entscheidungen voraus. Analyse zum Beispiel Zerlegung eines Problems in seine verschiedenen Ursachen. Analysten (am Kapitalmarkt) Experten, welche die diversen Entwicklungen von Unternehmen, Wertpapieren, aber auch Staaten und Währungen beobachten und ihre Einschätzungen veröffentlichen.
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Anspruchsgruppen Der deutsche Begriff für Stakeholder, siehe deshalb: Stakeholder. Aporie [Griechisch: logische Ausweglosigkeit] »Eine Aporie ist durch drei Eigenschaften gekennzeichnet: • zwei einander widersprechende Behauptungen und Interessen, • beide sind wahr beziehungsweise berechtigt, • beide sind voneinander abhängig. Nur wenn die eine Behauptung wahr ist, kann es auch die andere sein und umgekehrt.« G. Schwarz, Konfliktmanagement, Wiesbaden 2003, S. 285 Augenhöhe siehe: Symmetrie Auslagerung Wird auch Offshoring genannt und bedeutet in ihrer gängigsten Form, dass bestimmte (arbeitsintensive) Teile eines Produktes in einem sogenannten Billiglohnland hergestellt werden. Ausschüttung Jener Anteil am Gewinn, der durch einen Gesellschafterbeschluss den Eigentümern zufließt. Axiom »[Griech.: Forderung] Ein Grundsatz, der nicht von anderen Sätzen abgeleitet, das heißt: nicht bewiesen, werden kann. Die Axiome sind aber darum nicht unbegründete Annahmen, sondern gelten als unmittelbar einsichtig.« http://lexikon. meyers.de/meyers/Axiom (3. 9. 2008) Basel ii »Im Ratingprozess werden alle erfolgsrelevanten Merkmale eines Unternehmens mithilfe von statistischen Verfahren untersucht. Mit dem Rating soll so eine Bonitätsaussage über ein Unternehmen getroffen werden. http://www. sparkassen-leasing.de/definitionen.html (6. 4. 2007)
Glossar
Beobachtung »Elementare Operation, mit der ein Unterschied festgestellt wird. Jede Beobachtung führt zu einem Datum, nur über Beob-achtungen lassen sich Daten erzeugen. Beobachtungen führen zu Daten beim beobachtenden System nach den vom Beobachter zugrunde gelegten Kriterien der Beobachtung. Die erzeugten Daten sagen also mehr über den Beobachter aus als über den Gegenstand der Beobachtung.« H. Wilke, Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen, Lehrbrief, 2007 Born Globals Dies sind vor allem Gründungsunternehmen und kmu, welche ihr Geschäftsmodell für die ganze Weltwirtschaft aufgebaut haben. Sie haben ein spezielles Nischenangebot, eine herausragende Innovation, aber auch hohe Entwicklungskosten, weshalb ein geografisch begrenzter Markt nicht ausreicht. Mit der Entscheidung zum Geschäftsmodell wurde bereits die Internationalisierung mitgetroffen. Oder die Entwicklung wird verkauft und nicht selbst kommerzialisiert (siehe: Exit-Strategie) Business Angels Sind in der Regel erfahrene (ehemalige) Unternehmer, die sich in der Gründungsphase an einem Unternehmen beteiligen und mit ihrem Know-how und ihren Kontakten versuchen, das Potenzial des Unternehmens zu kommerzialisieren. Business Mission Beschreibung des Unternehmenszwecks, seiner Existenzberechtigung, seiner Ziele und Werte in einem oder ganz wenigen Sätzen. ceo Der Chief Executive Officer entspricht etwa dem Vorstandsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft.
Chakren »Der Begriff ›Chakra‹ kommt aus dem Sanskrit und bedeutet übersetzt so viel wie Rad oder Kreis. Chakren sind feinstoffliche Energiezentren im Körper, die entlang der Wirbelsäule angeordnet sind. Durch diese Energiezentren fließt unsere Lebensenergie.« http://www.kleinesundfeines.de/ front_content.php?idcat=38 (3. 9. 2008). Cluster So werden »Schwärme« von Unternehmen (einer Branche), die über Kunden- und Lieferantenbeziehungen verbunden sind, bezeichnet. Dem Eigentum an diesen Unternehmen wird eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Dominant in Clustern sind in der Regel die großen Unternehmen. Sie bestimmen auch (und meiner Ansicht nach nicht die Regierungen) die Strategie-, die Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Erfolgreiche Cluster sind Kartellen (siehe: Kartelle) nicht unähnlich. Commitment Ist die innere Einstellung oder Bindung, Identifikation beziehungsweise Verpflichtung eines Individuums einer Organisation gegenüber. Commodity Massenware, Gebrauchsartikel, undifferenziertes Gut, welches in Bezug auf seinen Preis meistens einem hohen Wettbewerb ähnlicher Güter unterliegt. Conant-Ashby-Theorem Es besagt: »Every good regulator of a system must be a model of that system«, dass »also die Ergebnisse eines Führungsprozesses nicht besser sein können als die ihm zugrunde liegenden Modelle (es sei denn durch Zufall).« Vgl. R. C. Conant, W. R. Ashby, Every Good Regulator of a System Must be a Model of that System, in: International Journal of System Science, Vol. 1 No 2, 1970, S. 89 – 97
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Glossar
Condorcet-Paradoxon Das Paradoxon erklärt, dass es bei eindeutigen individuellen (politischen oder wirtschaftlichen) Präferenzen nicht immer zu eindeutigen kollektiven Präferenzen kommen kann. Daraus können bei Abstimmungsprozessen in Gesellschafterversammlungen oder in Parlamenten uneindeutige Ergebnisse resultieren. Trotz dieser mathematisch bewiesenen Uneindeutigkeiten müssen jedoch Entscheidungen getroffen werden. csr Mit Corporate Social Responsibility wird üblicherweise ein System von Regeln überschrieben, denen sich Unternehmen (zusätzlich zu den gesetzlichen Vorschriften) unterwerfen; die Einhaltung dieser Regeln soll nachhaltiges (siehe: Nachhaltigkeit) Wirtschaften dokumentieren und transparent machen. Deal-flow So wird die Anzahl der Investitionsmöglichkeiten für neue und die Verkaufsmöglichkeiten für vorhandene Beteiligungen bezeichnet, welche dem Management eines Venture-Fonds angeboten werden. Deficit Spending Nachfrageimpulse durch öffentliche Aufträge in den Bereichen Soziales, Bildung und Infrastruktur, die durch öffentliche Schulden finanziert werden. Die Finanzmittel werden über Staatsanleihen aufgebracht, diese werden überwiegend von den privaten Haushalten und vom Ausland gezeichnet. determiniert (vor-)bestimmt, (vor-)entschieden Dialektik Ein Grundgedanke von Dialektik ist, dass zu einer These ihr Gegenteil existiert und dass aus beiden eine höherwertige Aussage hervorgehen kann, in der die Gegensätze mitbedacht werden.
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Dichotomien Differenzen, Unterschiede. Berühmte Dichotomien sind beispielsweise die (unüberwindbare) Trennung von Leben und Tod, Mann und Frau usw. Disparitäten So werden beispielsweise Unterschiede im Einkommen, im Vermögen (Kapitalstock), in der Infrastruktur, in den Ausbildungsund Umweltstandards bezeichnet. Es werden dabei sowohl Regionen als auch Staaten verglichen. Disparitäten dienen auch als Maßstab für Förderungen. Diversifizierung Diversifizierung in der Produktionsgüterindustrie bedeutet die Ausweitung der Produkt- und Dienstleistungspalette eines Unternehmens. Economies of Scales So wird das produktionstechnische Phänomen sinkender Stückkosten durch Erhöhung der Produktionsmenge bezeichnet. Eigendynamik »Ein System ist eigendynamisch, wenn es sich nach eigenen Gesetzen und nach einer eigenen Logik verhält. Die Operationen des Systems sind nicht von außen vorgegeben, sondern sie folgen den Regeln der Selbststeuerung des Systems. Die Eigendynamik eines Systems macht gelingende Interventionen in dieses System schwierig, weil der Intervenierende die eigendynamische Reaktion des Systems auf seine Interventionen kaum oder gar nicht voraussehen kann.« H. Wilke, Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen, Lehrbrief, 2007 Eintrittsbarrieren (hohe) Sie bedeuten hohes Kapitalerfordernis (in Investitionen, Patente oder in die Übernahme existierender Anbieter), um auf einem (neuen) Markt oder in einer Branche Fuß zu fassen. Siehe auch: Protektionismus.
Glossar
Eklektizismus (eklektisch) Eklektizismus bedeutet, ein aus verschiedenen Ansätzen, Theoriesystemen und weiteren Überlegungen zusammengesetztes neues Modell-, Theorie- oder Systemangebot zu erstellen. empirisch aus praktischer Erfahrung gewonnene Erkenntnisse eu-Grundsätze (als Wirtschafts- und Währungsunion) Ein paar Auszüge aus dem Vertrag von Maastricht über die eu: • »Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb« (Artikel I-3) • »Freier Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit« (Artikel I-4, III-14) • »Unternehmerische Freiheit« im Verfassungsrang (Artikel II-16) • »Die Tätigkeit der Mitgliedsstaaten und der Union umfasst […] die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die […] dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.« (Artikel III-69) • Die Sozialpolitik trägt »der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union zu erhalten, Rechnung« (Artikel III-103). http://www.bundesbank.de/download/presse/publikationen/texte_wwu.pdf (4. 9. 2008) Evaluierungen Evaluierungen sind im Förderwesen zum Beispiel Bewertungen von Projekten (oder Förder- beziehungsweise Forschungsprogrammen) in Bezug auf ihre Zielerreichung. Sie werden oft zur Voraussetzung für deren Neuauflage beziehungsweise Weiterfinanzierung gemacht. Existenz »Dasein als Wirklichkeit, philosophisch reflektiertes Sein, Seinsweise des Menschen, Auskommen, Unterhalt (Existenzminimum).« P. Heintel, D. Pickl, Think, Philosophieren. Ein Lehrbuch, Wien 1991, Glossar
Exit-Strategie Ist jene Strategie, die bereits beim Abschluss des Beteiligungsvertrages, also beim Einstieg des Venture-Kapitalgebers (siehe: Venture Capital), für den späteren Verkauf der Beteiligung festgelegt wurde. Den höchsten Erlös bringt normalerweise ein Börsegang (ipo – Initial Public Offering). Die Beteiligung kann aber auch an einen strategisch interessierten Partner oder an einen anderen Venture-Fonds (siehe: Deal-flow) mit einem anderen Investmentschwerpunkt verkauft werden. Expatriates (Expats) Sind Personen, die von einem inländischen Arbeitgeber meist vorübergehend, das heißt für ein paar Jahre, an eine ausländische Tochtergesellschaft (oder Betriebsstätte) gesandt werden. Sie haben in der Regel ein vertraglich gesichertes Rückkehrrecht in ihr Unternehmen. Firmenwert Wird auch Goodwill genannt und ist jener Betrag, welchen ein Käufer unter Berücksichtigung der zukünftigen Ertragserwartungen zusätzlich zum Wert der materiellen (Grund, Gebäude, Maschinen usw.) und der immateriellen Werte (Patente usw.) nach Abzug der Verbindlichkeiten zu zahlen bereit ist. Fordismus Eine Form der Industrieproduktion, die durch extreme Standardisierung (siehe auch: Arbeitsteilung) hohe Produktivität erreicht, dafür benötigt man neben der Festlegung auf Standards einen hohen Grand an Automatisierung. Organisiert ist dies in Fließbandfertigung. Fusion Zusammenschluss zweier oder mehrerer Unternehmen (siehe auch: m&a) Gattung Art. Zum Beispiel ist die Summe aller menschlichen Wesen die Gattung Mensch.
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Glossar
Gruppendynamik »Gruppendynamik ist eine angewandte Sozialwissenschaft, die sich mit den sozialen Voraussetzungen, den institutionellen Möglichkeiten und praktischen Folgen von Reflexion beschäftigt. Die Gruppe erscheint dabei als ein sozialer ›Körper‹ mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, sowohl nach innen wie im Verhältnis zur organisatorischen Umgebung (›Komplexität‹). Dies ermöglicht den Ausblick auf zentrale Fragen der Steuerung, Führung, Konfliktregelung, Motivation usw.« http://www.uni-klu.ac.at/home/fbericht/91/ipg.htm (31. 7. 2008) Haftungsübernahmen Bürgschaften oder Garantien, die beim Eintritt eines vereinbarten Schadensfalles den Schaden übernehmen und in die Position des Geschädigten (zum Beispiel Gläubigers oder Eigentümers) eintreten. Headquarter Hauptverwaltung, Sitz der Holding, Stammsitz eines Unternehmens Heuristik »[1] Lehre, Wissenschaft von Verfahren, Probleme zu lösen; methodische Anleitung, Anweisung zur Gewinnung neuer Erkenntnisse (nur Singular) [2] Ein aus der Heuristik [1] gewonnenes Verfahren [3] Ein unsicheres Verfahren, als Ersatz eines sicheren Algorithmus« http://de.wiktionary.org/wiki/Heuristik (11. 9. 2008) Hierarchie »Heilige Herrschaft, heilige Ordnung; Prinzip der Über- und Unterordnung« in Organisationen, Institutionen und in Unternehmen. P. Heintel, D. Pickl, Think, Philosophieren. Ein Lehrbuch, Wien 1991, Glossar
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Hintergrundtheorie Diese operiert häufig mit einer philosophischen Theorie von Widersprüchen, wird projektbezogen angeboten und soll Möglichkeiten des Verstehens von Logiken und von Prinzipien bieten. Vgl. L. Krainer, Einführung in die Interventionsforschung, Klagenfurt 2007, S. 54f Homöostase So wird das »natürliche« Streben nach einer Balance, welches für die Funktion eines Organs und die Lebenserhaltung eines Organismus notwendig ist, bezeichnet. Beispiele den Menschen betreffend, sind die Körpertemperatur, der Blutzuckergehalt usw. In Unternehmen gibt es ebenfalls selbststeuernde und selbstorganisierende Tendenzen – beispielsweise das Sparen bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ein ganz spezifisches Betriebsklima beziehungsweise die Unternehmenskultur. Homöostasen können aber auch bewusst eingerichtete sich wiederholende Veranstaltungen sein, wie die Jahreshauptversammlung und die Weihnachtsfeier. Hypothese »Annahme von Tatsachen oder Gesetzmäßigkeiten, die durch Beweis verifiziert oder falsifiziert werden.« P. Heintel, D. Pickl, Think, Philosophieren. Ein Lehrbuch, Wien 1991, Glossar Immaterialität In der Wirtschaft werden darunter geistige Leitungen, wie zum Beispiel Wissen zur Produktherstellung, verstanden. In Patenten wird dieses geistige Eigentum verbrieft. Es können aber auch (Geschäfts-) Ideen, Know-how oder ein Firmenwert (Goodwill) so bezeichnet werden. Institution Ist ein Normensystem (Unternehmen, öffentliche Einrichtung, Kirche), welches sich durch bestimmte Methoden oder Rechte zur Durchsetzung der eigenen Normen auszeichnet, mit dem Ziel der Steuerung individuellen Verhaltens zur Erreichung ihres Zwecks.
Glossar
Integrativität Wenn Produkte einen (Produktions-) Prozess erfordern, dessen Konfiguration Anteile geistiger (s. Immaterialität) Leistungen aus mehreren (meist technischen Disziplinen) erfordert, spricht man von erhöhter Integrativität. Interdisziplinarität Eine (Wissenschafts-)Disziplinen übergreifende Herangehensweise an ein Problem und deren organisatorische Form der Zusammenarbeit (in Bezug auf das Problem). Intervention »Interventionen sind bewusste und zielgerichtete Einwirkungen auf ein System. Sie können vom System selbst als EigenInterventionen durchgeführt werden; sie können aber auch von außen, von einem externen Intervenierenden mit Blick auf ein anderes System vorgenommen werden. Interventionen sind möglich, aber ihre Erfolge sind ungewiss. Denn die Eigendynamik des Systems kann Richtung und Wirkungen einer Intervention abschwächen, leer laufen lassen oder gar ins Gegenteil verkehren.« H. Wilke, Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen, Lehrbrief, 2007 Intuition »Intuition ist gefühltes Wissen, das rasch im Bewusstsein auftaucht, dessen tiefere Gründe uns nicht bewusst sind und das stark genug ist, um danach zu handeln.« G. Gigerenzer in: Mit Bauchgefühl sicher durch den Tag, siehe http://www.aerztezeitung.de/panorama/?sid=473514 (11. 9. 2008) ipo (Initial Public Offering) siehe: Exit-Strategie Kapitalstock Als Kapitalstock einer Volkswirtschaft wird das kumulierte Anlage- beziehungsweise Produktionsvermögen bezeichnet. Es nimmt durch die gesamten Neuanschaffungen von Investitionsgütern zu und durch die gesamten Abschreibungen ab.
Kartell So werden verbindliche Absprachen mehrerer gesellschaftsrechtlich unabhängiger Unternehmen über Preise, Marktanteile und/oder Absatzgebiete usw. genannt. Kartellabsprachen sind verboten. Kernkompetenzen Beschreiben Vorteile, die ein Unternehmen gegenüber anderen hat. Es können technologische Vorteile sein und meist führt eine dauerhaft vorhandene Kernkompetenz zu Marktführerschaft. kmu (Kleine und mittlere Unternehmen)Bestimmungen der EU »Als ›kleine und mittlere Unternehmen (kmu)‹ gelten solche, die im Jahresdurchschnitt weniger als 250 Personen beschäftigen und entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro erzielen, oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Millionen Euro erreichen und das Unabhängigkeitskriterium erfüllen.« http://www.kwf.at/de/help/kmu. html (3. 9. 2008) Kofinanzierung Findet beispielsweise dann statt, wenn wirtschaftspolitische Maßnahmen von mehreren Gebietskörperschaften (Region/eu) gemeinsam finanziert werden müssen, um die Budgetmittel der jeweils anderen Gebietskörperschaft einsetzen zu können (siehe auch: Subsidiarität). Kommunikation »Kommunikationen sind die Bausteine und Elemente sozialer Systeme. Kommunikation wird durch Menschen als Sprecher getragen und getrieben, aber sie entwickelt – wie die Sprache – eine Eigenlogik als Symbolsystem. Kommunikationen etablieren ihre eigene Ordnung als Kommunikationsmuster (Strukturen), Kommunikationsprozesse und in den Regeln gelingender Kommunikation. In der Kommunikation werden bestimmte Informationen durch ein Medium mitgeteilt und von dem oder den Adressaten der Kommunikation zunächst als Daten aufgenommen und dann in der Logik des Empfängers der Daten zu eigenen Infor-
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mationen aufbereitet. Das Ausgangsmedium ist die natürliche Sprache, aber es gibt Steigerungsformen von Sprache – symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wie Geld, Macht, Wissen, Glaube etc. –, die Kommunikation hochgradig standardisieren und performativ steigern.« H. Wilke, Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen, Lehrbrief, 2007 Komparative Kostenvorteile Gehen zurück auf David Ricardo und besagen, dass die Vorteilhaftigkeit des Handels zwischen zwei Ländern (Anmerkung: nicht zwei Unternehmen) nicht von den absoluten Produktionskosten abhängig ist, »sondern von den relativen Kosten der produzierten Güter zueinander. Grundsätzlich ist demnach der Handel zwischen zwei Ländern immer vorteilhaft, wenn bei beiden Handelspartnern unterschiedliche Produktionskostenstrukturen existieren, das heißt wenn das eine Land für ein produziertes Gut auf weniger Einheiten eines anderen Gutes verzichten muss als das andere Land. [...] In diesem Fall sollte jedes Land sich auf das Gut spezialisieren, das es relativ (komparativ) günstiger herstellen kann. Somit sind nach der Theorie internationaler Handel und internationale Arbeitsteilung selbst für solche Länder von Vorteil, die alle Güter zu niedrigeren Kosten erzeugen können als das Ausland. In der Realität lässt sich dies vor allem auf Handelsbeziehungen zwischen hoch und niedrig industrialisierten Ländern anwenden. Die Theorie Ricardos beinhaltet generell eine Forderung nach einem weltweit, freien Handel, der bei Spezialisierung der Staaten auf ihre komparativen Kostenvorteile zum Vorteil aller ist.« http//de.wikipedia.org/wiki/Komparativer_Kostenvorteil (22. 12. 2008)
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Komplexität »Komplexität bezeichnet den Grad der Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes. In lebenden Systemen ist Komplexität immer organisierte Komplexität, das heißt, spezifische Zwänge der ganzheitlichen Organisation des Systems erzwingen ›unwahrscheinliche Zustände‹ der Selektion und Kombination von möglichen Ereignissen. Je komplexer ein System ist, desto trennschärfer sind die differenzierenden Selektionen und desto unbestimmter sind die integrierenden Rekombinationen möglicher Ereignisse im System.« H. Wilke, Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen, Lehrbrief, 2007 Konsens Vollständige Übereinstimmung von Meinungen, beispielsweise bei Entscheidungen. Kooperation (Strategische) Zusammenarbeit von Unternehmen, ohne gesellschaftsrechtlich verflochten zu sein (Kooperation ist mehr, als eine Kunden- beziehungsweise Lieferantenbeziehung einzugehen). Kybernetik In etwa die Wissenschaft von der Steuerung organisierter komplexer Systeme (»nichtmechanistischer« Systeme) unter vergleichenden Annahmen aus den Naturwissenschaften. Leitdifferenz »Hauptkriterium oder zentraler Gesichtspunkt für die Steuerung und Zuordnung von Kommunikationen. In funktional differenzierten Gesellschaften ordnet etwa die Leitdifferenz ›Zahlung/ Nichtzahlung‹ Kommunikationen dem Teilsystem Ökonomie zu, die Leitdifferenz ›kollektiv verbindlich/kollektiv nicht verbindlich‹ dem Teilsystem Politik oder die Leitdifferenz ›legal/nicht legal‹ dem Teilsystem Recht.« H. Wilke, Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen, Lehrbrief, 2007
Glossar
Local-Content-Auflagen Sind Vorschriften, bestimmte Wertschöpfungsstufen oder Teile eines Produktes in einem Land zu produzieren, wenn man sie in diesem Land auch verkaufen will (eine protektionistische Maßnahme). Mass Customization Verbindet die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Kunden mit der Effizienz industrieller (Massen-)Fertigung. m&a (Mergers and Acquisitions) »Unter m&a versteht man Unternehmenstransaktionen wie etwa Unternehmenseinkäufe, -verkäufe und -zusammenschlüsse. Die weltweit zunehmende Anzahl und das steigende Volumen von Unternehmenstransaktionen hat einen eigenen m&aMarkt entstehen lassen. So steht der Begriff m&a heute vermehrt für die Dienstleistungen, insbesondere Beratungstätigkeiten rund um Unternehmenstransaktionen. Die Zahl und das Volumen von m&a-Tätigkeiten sind ein wichtiger Indikator für Konsolidierungstrends innerhalb einer Branche und ermöglichen so Prognosen für die Entwicklung dieser Branche.« http://www.cecu.de/506+M535c017e1dd. html (5. 9. 2008) Maastricht-Vertrag siehe: Wirtschafts- und Währungsunion Managementnomaden siehe: Expatriates Marktversagen »Der Begriff Marktversagen bezeichnet eine Marktsituation, in der es dem Markt nicht gelingt, die Ressourcen effizient oder in der gewünschten Weise zuzuteilen. Dieses Problem kann in der Theorie auf Informationsmangel, externe Effekte, staatliche Interventionen oder die Öffentlichkeit der Güter zurückgeführt werden.« http://de.wikipedia.org/wiki/ Marktversagen (30. 8. 2008) mbo (Management-Buy-out) Management-Buy-out ist ein Vorgang, bei dem das Management eines Unternehmens das Unternehmen (in der Regel) durch Kauf der Gesellschaftsanteile übernimmt.
Metapher Bildhafter Vergleich, beispielsweise mit der Natur: »Die Schnellen fressen die Langsamen«. Mikrokredite So werden Kleinstkredite bis circa 1.000 us-$ bezeichnet, die vor allem in den Entwicklungsländern als Startkapital für unternehmerische Tätigkeiten begeben werden. Mission siehe: Business Mission Monopol Ein Monopol in seiner stärksten Ausprägung ist, wenn es für ein Produkt nur einen Anbieter gibt. Nachhaltigkeit (eu-Definition) »Die eu-Strategie für nachhaltige Entwicklung (sds), die im Juni 2006 erneuert wurde, stellt eine kohärente Methode auf, wie es die eu schaffen wird, ihre vor langer Zeit gegebene Zusage, den Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung Rechnung zu tragen, wirksamer einzulösen. Sie bekräftigt das Gesamtziel des Strebens nach kontinuierlicher Verbesserung der Lebensqualität und des Wohlergehens auf der Erde für die heute lebenden und für die künftigen Generationen, indem nachhaltige Gemeinschaften geschaffen werden, die in der Lage sind, Ressourcen effizient zu bewirtschaften und zu nutzen und das ökologische und soziale Innovationspotenzial der Wirtschaft zu erschließen, wodurch Wohlstand, Umweltschutz und sozialer Zusammenhalt gewährleistet werden.« http://epp.eurostat.ec.europa.eu/ portal (3. 9. 2008)
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Glossar
Napster »Die Musiktauschbörse Napster wurde 1998 […] programmiert, um leichter über das Internet mp3-Musikdateien austauschen zu können. Revolutionär war dabei ihr Peer-toPeer-Ansatz. Die Napster-Software durchsuchte den Rechner, auf dem sie installiert war, nach Internet mp3-Dateien und meldete die Ergebnisse an einen zentralen Server im Internet, wo auch die Angebote und Suchanfragen der anderen Teilnehmer eingingen. Der Server meldete als Ergebnis auf eine Anfrage die ip-Adressen der Computer zurück, die die gesuchte Musikdatei anboten. Die beiden Clients konnten sich daraufhin direkt miteinander verbinden (Peer-to-Peer) und das Musikstück übermitteln.« http://de.wikipedia.widearea.org/wiki/Napster (13. 6. 2008) Narratives Interview Eröffnet wird das narrative Interview durch eine dem Thema entsprechende Eingangsfrage (Erzählaufforderung), welche die Haupterzählung des Interviewten stimulieren soll. Diese besondere Form des Interviews zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass der Verlauf des Interviews völlig offen ist und dem Interviewten genügend Zeit gegeben wird, über besonders entscheidende Punkte seines Lebens zu erzählen. Man spricht deshalb auch oft vom erzählenden Interview. http://de.wikipedia.org/wiki/ Narratives_Interview (13. 12. 2008) Nullsummenspiel Wenn der (Nutzen-)Gewinn des einen Partners dem (Nutzen-)Verlust des anderen entspricht (ein Begriff aus der Spieltheorie). Nutzungsrechte siehe: Property Rights Optionen Optionen verbinden Möglichkeiten mit Entscheidungen.
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Organisationsentwicklung Ist die Begleitung von Veränderungs- und Entwicklungsprozessen von Institutionen beziehungsweise Organisationen. Das bedeutet im Rahmen eines organisierten Prozesses und unter methodischem Einsatz, die Organisation auf neue Herausforderungen wie beispielsweise die Internationalisierung des Unternehmens vorzubereiten. Outsourcing Die Auslagerung von Teilen des Produktions- und insbesondere des Dienstleistungsprozesses eines Unternehmens. Partikularer Universalismus Peter Heintel beschreibt mit diesem Terminus die Perfektionierung von Erklärungen von Teilwirklichkeiten unter Außer-AchtLassung wesentlicher Gegebenheiten. Oder zynisch: Spezialisten wissen von immer weniger immer mehr, sodass sie einmal von nichts alles wissen werden. Portfolioinvestitionen Portfolioinvestitionen sind in der Regel Teiloder Gesamtübernahmen der Eigentumsanteile an einem Unternehmen, vorerst ohne Management- und Know-how-Transfer, lediglich mit der Überprüfung der Erzielung von Synergien. Produktwidersprüche Produkte sind Antworten auf die Anforderungen menschlicher Bedürfnisse und beinhalten selbst Widersprüche. So ist ein Auto die Antwort auf das Bedürfnis sowohl nach Geschwindigkeit als auch nach Sicherheit – ein Widerspruch. Property Rights Verfügungsrechte (Property Rights) sind wesentlich stärkere Rechte als Eigentumsrechte, weil sie auf den wirtschaftlichen Nutzen abstellen. Zum Beispiel an der wirtschaftlichen Nutzung eines Urheberrechtes beteiligt zu sein, ist mehr wert, als es zu besitzen. Der Wert eines Grundstückes hängt von seiner Nutzungsbewilligung ab (Land für ein Atomkraftwerk oder ein Landschaftsschutzgebiet).
Glossar
Protektionismus Soll ausländische Anbieter fernhalten. Die bekanntesten Formen sind Zölle, bürokratische Handelshemmnisse. Es gibt aber such subtilere Formen wie Qualitätszertifikate oder Einschränkungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Rating(-vorschriften, -system) siehe: Basel ii Reflexion »Reflexion bezeichnet die Fähigkeit psychischer und sozialer Systeme, sich selbst zu thematisieren und sich selbst als geeignete Umwelt anderer lebender Systeme zu verstehen. Reflexion setzt ein inneres Modell der Umwelt voraus, welches als Bezugspunkt und Hintergrund für Prozesse dient, in welchen das fokale System sich selbst zum Gegenstand eigenen Handelns macht. In komplexen Umwelten zielt Reflexion auf die Selbstbeschränkung eines (Teil-)Systems durch Rücksichtsnahme auf die Überlebens- und Entwicklungsbedingungen der anderen (Teil-)Systeme in seiner Umwelt.« H. Wilke, Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Interventionen, Lehrbrief, 2007 Rekursivität Rekursiv ist ein System dann, wenn die Modellgrundzüge auf allen Hierarchiestufen und in den unterstützenden Funktionen erkennbar sind. Ressourcen Dazu wird in einem Unternehmen alles gezählt, was zur Erreichung des Unternehmenszwecks erforderlich ist. Neben den »traditionellen« Ressourcen wie Arbeit, Kapital, Boden, Energie liegt die heutige Betrachtung immer mehr auf immateriellen Ressourcen wie Wissen, Forschung, Ausbildung, Netzwerke, Zugänge (Access), wie solche zu Märkten, zu Finanzen, zu anderen Netzwerken, jedenfalls zu Menschen, die für das Unternehmen in irgendeiner Form Nutzen bringen.
Risiko In der Wirtschaft Gefahr des Verlustes. Risikokapital Eigenkapital ohne Tilgungs- und fixierte Zinsansprüche. Es trägt das (volle) Verlustrisiko und hat eine auf seine Höhe beschränkte Haftungsfunktion. roi Return on Investment bezeichnet bei einer Investition die während der Nutzungsdauer erzielten geldwerten Erfolge im Verhältnis zu ihren Anschaffungskosten. Säkularisierung Mit der Autonomie des Individuums begründete »Ablösung« von Bindungen an Religionen. Shareholder-Value-Konzept Der Shareholder-Value wird errechnet als die Differenz aus der (diskontierten) Summe der Einzahlungen in ein Unternehmen abzüglich seiner erforderlichen (Kosten für Personal, Material und Kapital) Auszahlungen. Nicht die Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze sind entscheidungsrelevant, sondern die größtmögliche Differenz dieser beiden Größen. Und Entscheidungen orientieren sich an dieser Maxime. Skills Als Skills (oder Soft Skills) wird in der Regel die Kombination aus Ausbildung und Erfahrung zur Entscheidungsfindung verstanden. Diese Kombination ist vor allem bei der Gestaltung von Prozessen und bei der Bearbeitung von Konflikten wertvoll. Stakeholder (eines Unternehmens) Das St. Galler Managementmodell bezeichnet als Stakeholder (siehe: Anspruchsgruppen): Kunden, Lieferanten, Staat, Kapitalgeber, Öffentlichkeit, Medien, ngos, Mitarbeitende, Konkurrenz; also jene Gruppen, die von unternehmerischer Aktivität betroffen sind.
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Glossar
Stranded costs Das sind Ertragseinbußen (bei bereits getätigten Investitionen), die aufgrund neuer Technologien oder neuer Marktbedingungen entstehen. Subsidiarität »Ist ein Begriff der Sozialphilosophie zur Kennzeichnung einer bestimmten Ordnung im Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Er stammt vom lat. ›subsidium ferre‹ (= Hilfestellung leisten) und besagt, dass der Staat im Verhältnis zur Gesellschaft nicht mehr, aber auch nicht weniger tun soll, als Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten.« http://www.bpb.de/wissen (11. 9. 2008) Hier: Eine Region muss selbst entscheiden, wie sie öffentliche Mittel einsetzt (staatliche oder eu-Mittel). Subventionen siehe dazu: Subventionsbarwerte Subventionsbarwerte Der Barwert einer Förderung ist der geldwerte Vorteil, der nicht mehr zurück an den Subventionsgeber fließt. Es wird bei der Berechnung immer Bezug auf das eingereichte Förderprojekt genommen. Supply Chain Die Angebotskette ist ein Begriff, der die gesamten Wertschöpfungsaktivitäten eines Produktes oder einer Dienstleistung umfasst. Beschaffung, Produktentwicklung, Produktion, Verteilung (Logistik), Verkauf, Service usw. Symmetrie Bedeutet »Augenhöhe« und zwar im übertragenen Sinn, beispielsweise als Vorbedingung für Kooperationen. Synergien Eingeschätztes Potenzial an positiven wirtschaftlichen Effekten, welches sich aus dem Zusammenschluss von Unternehmen ergeben soll.
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System »Hier im Sinne von komplexem System verwendet, bezeichnet System einen ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt. Komplexe Systeme sind durch die Merkmale Selbstorganisation, Grenzerhaltung, Selbstreferenz und Generativität charakterisiert. Die Besonderheit der Klasse der psychischen und sozialen Systeme liegt darin, dass ihre Grenzen nicht physikalisch-räumlich bestimmt sind, sondern symbolisch-sinnhaft. Da soziale Systeme nicht aus Personen, sondern aus Kommunikationen bestehen, werden die Grenzen sozialer Systeme durch Kommunikationsmuster definiert, welche dazugehörende und nicht dazugehörende Kommunikationen unterscheiden.« H. Wilke, Zur Unwahrschein-lichkeit gelingender Interventionen, Lehrbrief, 2007 Taylorismus Organisationen die, ähnlich Maschinen, mit eindeutiger Ursache-Wirkungs-Kette aufgestellt wurden. Die Folge davon waren beinahe unermessliche Fortschritte in der Produktivität, weil komplexe Arbeitsschritte durch ihre Zerlegung vereinfacht werden. Es bestand für die Arbeiter jedoch keine Möglichkeit, sich mit dem Endprodukt zu identifizieren These »Eine Behauptung, die durch eine möglichst lückenlose Argumentationskette begründet beziehungsweise, wenn möglich, bewiesen wird. Sie muss auf diesem Wege gegen Antithesen zu verteidigen sein.« http://www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/textbook/ definitions/df8.html (11. 9. 2008)
Glossar
Trade-off Beispiel für Trade-off: einen Aspekt (Umweltstandard) teilweise (oder ganz) zugunsten eines anderen Aspekts (Wirtschaftlichkeit) aufzugeben. Transdisziplinarität Bei transdisziplinären Zugängen zu Problemen oder Forschungsthemen arbeiten Akteure aus Gesellschaft beziehungsweise Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam, um Antworten zu finden. »Transdisciplinarity starts from real-world problems and draws knowledge from inside and outside academia by new means of mutual learning.« Rudolf Häberli in: http://www.digitalwork.ch/ transdisciplinarity (12. 1. 2004) Trinität Ist die Grundidee des Christentums, nämlich die Verknüpfung eines jenseitigen Gottes (Jehova, Jahwe) mit dem Menschen Jesus und nach dessen Tod mit dem (Heiligen) Geist, der in uns allen ist. Übernahme (siehe: Portfolioinvestition) Als Übernahme einer Firma wird meistens der aus der Sicht des Managements unfreiwillige Wechsel von wesentlichen Teilen des Eigentums am Unternehmen bezeichnet. Universalmodell Hier: Die technologisch kapitalistische Wirtschaft als Rahmenbedingung für unternehmerisches Handeln. P. Heintel: Sehr erfolgreiche »Universalisierung einer Teilwirklichkeit (Umsetzung eines Modells, das nur eine Teilwirklichkeit repräsentiert, als Gesamtwirklichkeit, zumindest als alle anderen dominierende Wirklichkeit)«. P. Heintel, Thesen zum Thema: »Das Modell Neuzeit«, Klagenfurt 2003, S. 9, http://uniclub.uni-klu.ac.at/ downloads/Heintel.pdf (27. 8. 2008) Urteilssubjektivität So wird das Verhalten von Einschätzungen (zum Beispiel über Märkte) bezeichnet, wenn diese durch die (subjektive) Sicht der persönlichen Erfahrungen des Managements prognostiziert werden.
Venture Capital siehe: Risikokapital Vergemeinschaftung Wenn mehrere Personen sich auf denselben Informationsstand bringen und ihr weiteres (selbstständiges und) gemeinsames Handeln darauf aufbauen. Vertikale Integration Bezeichnet in der unternehmerischen Praxis, entweder das Geschäft seines Lieferanten oder das seines Kunden selbst zu machen. Sie kann in verschiedensten Formen stattfinden, beispielsweise auch den Kunden gesellschaftsrechtlich zu übernehmen – zu integrieren. Werkbank (verlängerte) Als (verlängerte) Werkbänke werden Produktionsstätten bezeichnet, an denen nur produziert wird. Es gibt an diesen Standorten keine Entwicklungsabteilung, kein Design und kein Marketing und es auch meistens keine eigene Verwaltung. Wertschöpfung Erzielter Preis abzüglich der zugekauften Vorleistungen. Widerspruch siehe: Aporie Zirkularitäten siehe: Condorcet-Paradoxon
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Literaturverzeichnis
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