William T. Connor
In der Hand des Kartells Special Force One Band Nr. 22 Version 1.0
In der Hand des Kartells Colone...
20 downloads
562 Views
720KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
William T. Connor
In der Hand des Kartells Special Force One Band Nr. 22 Version 1.0
In der Hand des Kartells Colonel Davidge sah einen dunkelhäutigen Mann in einer Türnische und feuerte. Den Burschen riss es herum, er torkelte zwei Schritte und stürzte. »Rückzug!«, brüllte Davidge. »Wir haben Sabato. Gebt Harrer und Caruso Feuerschutz!« Aus einer Tür kam ein Mann mit der MPi im Anschlag. Er ging geduckt. Davidge schickte ihm einen Feuerstoß. Der Bursche stürzte wie ein gefällter Baum. »Lieutenant Leblanc, Sergeant Sanchez! Mir nach! Sie sichern nach hinten, Leblanc. Vorwärts! Sonst erdrücken sie uns mit ihrer Übermacht.« Harrer und Caruso hatten Sabato, den Drogenboss, zwischen sich. Seine Hände waren mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Er versuchte, sich loszureißen. Aber Mark Harrer zog ihn mit sich. Plötzlich stürzte Caruso. Seine MPi flog in hohem Bogen davon. Er verkrampfte die Hände vor der Brust.
*** Dr. Ina Lantjes und Corporal Miroslav Topak rannten voraus und zwangen mit ihren Schüssen die Männer Sabatos in Deckung. Davidge beugte sich über Caruso. Das Gesicht des Italieners war vom Schmerz verzerrt. Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor. In seinen Mundwinkeln zuckte es. »Hoch mit Ihnen, Sergeant!«, presste der Colonel hervor. »Ich helfe Ihnen.« »Es – es hat keinen Sinn, Sir«, entrang es sich Caruso. Ein Blutfaden sickerte aus seinem Mundwinkel. »Es – es ist vorbei. Sehen Sie zu, Sir, dass Sie heil rauskommen.« Der Kopf Carusos rollte zur Seite. In seine Miene trat die
absolute Leere des Todes. Davidge kam hoch. Er war fassungslos. Gehetzt schaute er sich um. Da war die Baracke, aus der sie Sabato geholt hatten. Weitere Baracken, in der die Männer des Drogenbosses hausten, schlossen sich an. Ringsum war ein Drahtzaun mit Stacheldraht auf der Krone. Es gab zwei Wachtürme. Überall wimmelte es von Freischärlern Sabatos. Sie knieten an Hausecken, feuerten aus den Fenstern, kamen schießend aus den Türen, waren hinter Büschen und Bäumen verschanzt. Davidges Hals war wie ausgetrocknet. Caruso war tot. Und das war erst der Anfang. Sie konnten es nicht schaffen, mit Sabato das Lager mitten im kolumbianischen Busch zu verlassen und den Helikopter zu erreichen, der eine Meile entfernt auf einer Lichtung wartete. Davidge schoss auf eine heranhastende Gestalt. Ihr wurden die Beine vom Boden weggerissen, einen Moment lang schien sie schräg, in der Luft zu hängen, dann schlug sie zu Boden und überrollte sich. Der Colonel rannte im Zickzack hinter Dr. Lantjes, Corporal Topak und Mark Harrer her, der den Drogenboss mit sich zerrte. Dem Colonel folgten Pierre Leblanc und Marisa Sanchez. Das MPi-Feuer betäubte die Trommelfelle. Geschrei war zu hören. Schritte trampelten. Auf dem Wachturm tauchte einer von Sabatos Soldaten auf. Er schickte eine Kugelgarbe in die Tiefe. Davidge hielt an, richtete die MPi schräg nach oben und drückte ab. Der Bursche auf dem Turm wurde geschüttelt und herumgerissen, kippte über die Brustwehr und die MPi glitt ihm aus den Händen. Davidge rannte zu einer der Baracken und ging dicht an der Wand auf das linke Knie nieder. Er schaltete das in den Helm integrierte Funkgerät ein und nahm Verbindung mit dem Piloten des Hubschraubers auf. »Alpha 1 an Yankee, wir stecken in der Klemme. Ihr müsst uns rausholen. Hören Sie, Yankee, wir haben Sabato. Aber wir kommen hier nicht raus.
Yankee, kommen.« »Ich höre Sie, Alpha 1. Wir kommen. Ende.« »Over.« Hinter Davidge verharrten Marisa Sanchez und Leblanc. Harrer hatte Sabato zu Boden gerissen. Der Lieutenant lag auf den Knien und feuerte, während seine MPi einen Halbkreis beschrieb. Dr. Lantjes und Corporal Topak waren bei einer Hütte in Deckung gegangen und schossen auf die huschenden und hetzenden Gestalten, die sie ihrerseits mit Kugeln eindeckten. Plötzlich bäumte sich Mark Harrer auf. Er machte das Kreuz hohl. Ein Feuerstoß kam aus seiner MPi, aber die Kugeln zischten ohne Schaden anzurichten in den Himmel. Harrers Mund klaffte auf zu einem Schrei, der aber in der Kehle erstickte. Dann brach Harrer zusammen und begrub die MPi unter sich. Davidge war entsetzt. Nach Caruso jetzt auch noch Harrer, sein Vertreter. Sein Herz übersprang einen Schlag. »Harrer!«, brach es tonlos über seine Lippen. Und dann musste er sich flach auf den Boden werfen, weil einige Projektile dicht an ihm vorbeizischten und in die Wand der Baracke harkten, bei der er sich befand. Querschläger jaulten. Der Lärm war frenetisch. Sabato sprang auf und begann zu rennen. Er schlug Haken wie ein Hase. Trotz seiner gefesselten Hände brachte er ein ziemliches Tempo zustande. Seine Soldaten gewährten ihm Feuerschutz. Das Brummen eines Hubschraubers übertönte die anderen Geräusche. Und dann tauchte die Riesenlibelle aus Stahl am Himmel auf. Ein MG begann zu dröhnen. Der Copilot des Helikopters saß an der Einstiegsluke und feuerte in die Tiefe. Ein Kugelhagel riss den Boden auf und ließ das Erdreich spritzen. Der Hubschrauber begann sich langsam zu senken. Davidge sah Leblanc zu Boden gehen. Der Franzose versuchte, davonzukriechen. Einige Kugeln warfen ihn auf die
Seite. Seine Gestalt streckte sich. Davidge schoss das Rohr heiß, wechselte das Magazin, feuerte ohne Unterlass weiter. Drei seiner Leute waren schon gefallen. Ihm und den anderen musste es gelingen, das Dschungelcamp zu verlassen. Die Last, die sich auf Davidges Schultern gelegt hatte, drohte ihn zu erdrücken. Harrer, Caruso und Leblanc. Kein Einsatz rechtfertigte dieses Opfer. Er, Davidge, hatte versagt. Er erschoss einige Männer, die sich zu weit aus ihrer Deckung wagten. Sein eigenes Leben zählte nichts mehr. Der Helikopter setzte auf. Funken flogen, als er von Kugeln getroffen wurde, die an der stählernen Haut abprallten. Der Copilot feuerte mit dem Maschinengewehr. »Dr. Lantjes, Mara, Miroslav, in den Hubschrauber mit euch!«, brüllte Davidge mit sich überschlagender Stimme und schoss wie besessen. Dr. Lantjes rannte los. Geduckt überquerte sie den freien Platz zu dem Helikopter. Der Copilot streckte ihr die Hand entgegen. Dr. Lantjes ergriff sie. In diesem Moment wurde sie getroffen. Sie brach auf die Knie nieder, hielt sich sekundenlang in dieser Haltung, dann fiel sie vornüber aufs Gesicht. Marisa Sanchez rannte an ihr vorbei und ihr gelang es, den Hubschrauber zu besteigen. Ihr folgte Corporal Topak. Auch er erreichte den Helikopter und warf sich hinein. »Jetzt Sie, Colonel!«, brüllte der Copilot. »Machen Sie schon. Ich gebe Ihnen Feuerschutz.« Davidge schnellte hoch und begann zu rennen. Er sah den Hubschrauber vor sich, rannte und rannte, schien sich aber auf der Stelle zu bewegen. Er kam nicht vom Fleck. Angst kam, und mit der Angst die Verzweiflung. »Lasst mich zurück!«, brüllte Davidge. »Ich schaffe es nicht. Haut ab!« In diesem Moment wurde er getroffen. Er verspürte Schwindelgefühl. Riesengroß stand der Helikopter vor seinen
Augen. Er lag am Boden und streckte den rechten Arm aus. Sein Mund war weit geöffnet, aus seiner Kehle lösten sich unartikulierte Laute. Aus!, durchfuhr es ihn. Es ist aus… Schweißgebadet wachte Davidge auf. Finsternis umgab ihn. Es dauerte kurze Zeit, bis er sich zurechtfand. Dann begriff er. Es war ein böser Traum gewesen. Der Colonel seufzte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals hinauf. Die Bilder, die sein Unterbewusstsein projiziert hatte, waren derart realistisch gewesen, dass sein Körper davon in Mitleidenschaft gezogen worden war. Er setzte sich auf. Sein Mund war salztrocken. Schweiß stand auf seiner Stirn. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Hatte er einen Blick in die Zukunft geworfen? Nein! Er glaubte nicht an irgendwelche übersinnlichen Phänomene. Er schaute auf die Uhr. Die roten Leuchtziffern zeigten an, dass es 2 Uhr 43 war. Noch gut drei Stunden bis zum Wecken. Du hast nur schlecht geträumt, durchfuhr es ihn. Es war ein Albtraum! Trink etwas und hau dich wieder aufs Ohr. Dein Unterbewusstsein hat die schrecklichen Bilder gespeichert, die du gestern gesehen hast. Träume bedeuten nichts – gar nichts. Die innere Spannung legte sich. Dennoch gelang es ihm nicht, wieder einzuschlafen. Immer wieder erschienen die Bilder des Traums vor seinem geistigen Auge. Er sah immer wieder Caruso stürzen, dann Harrer, nach ihm Leblanc und schließlich Dr. Lantjes. Um 8 Uhr würde das Flugzeug starten, mit dem sie nach Kolumbien fliegen sollten. Der Auftrag lautete: Nehmen Sie Sabato fest und bringen Sie ihn nach Amerika, damit er vor Gericht gestellt werden kann. Der Kolumbianer wurde als der Mann angesehen, der den südamerikanischen Rauschgifthandel kontrollierte und mit Unmengen von Rauschgift den amerikanischen und europäischen Markt überschüttete. Sabato wurde per internationalem Haftbefehl gesucht.
Plötzlich fürchtete sich Davidge vor diesem Einsatz. Er hatte Angst, dass sein Traum Realität werden könnte. * 12 Stunden vorher; Fort Conroy, kleiner Besprechungsraum in der Kommandantur »Achtung!«, rief Colonel Davidge, als General Matani durch die Tür des Besprechungsraums schritt. Die Mitglieder des SFO-Teams erhoben sich und salutierten in Richtung des Südafrikaners. »Rühren!«, kam es von Matani, während er mit langen, zielsicheren Schritten in Richtung Pult an der Stirnseite des Besprechungszimmers eilte. Er trug zwei Videokassetten. Damit ging er zu einem Videorecorder, schob eine der Kassetten hinein, nahm die Fernbedienung und schaltete das Fernsehgerät ein. Dann erklang seine Stimme: »Colonel Davidge?« »Ja, Sir!« »Ist Ihr Team vollzählig und bereit?« »Jawohl, Sir!« »Dann können wir beginnen.« Die Stimme des Generals hob sich: »Attache von Schrader hat mir zwei Videos zukommen lassen.« Matani schaltete das Videogerät ein. Mittels eines Beamers wurde ein Bild an die Wand hinter Matani geworfen. Es zeigte einen Mann, der mittleren Alters war und ein braun gebranntes Gesicht hatte. Seinen Kopf bedeckte dichtes, schwarzes Haar, das modisch frisiert war. Matani stoppte den Lauf des Videobandes, wies mit einer knappen Handbewegung auf das Bild, blickte in die Runde und fuhr fort: »Darf ich vorstellen – Senor Cesar Sabato. Sabato ist der Kopf des nach ihm benannten Sabato-Kartells, das in Kolumbien ansässig ist und sich mit dem Anbau und dem
Verkauf von Drogen beschäftigt.« »Entschuldigen Sie, Sir!«, meldete sich Marisa Sanchez zu Wort. »Ja, Sergeant?« Marisa erhob sich und nahm Haltung an. »Wie Sie wissen, habe ich zu meiner Zeit bei der UEO des Öfteren an verdeckten Ermittlungen in Kolumbien teilgenommen. Mir kam dabei jedoch nichts von einem Sabato-Kartell zu Ohren.« »Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen, Sergeant«, erwiderte Matani nickend und bedeutete Marisa, sich wieder zu setzen. Dann fuhr er fort, an das Team gewandt: »Der Grund dafür, dass das Sabato-Kartell relativ unbekannt ist, liegt daran, dass es erst vor ungefähr zwei Jahren erstmals in Erscheinung trat. Sabato war bis zu diesem Zeitpunkt noch ein kleines Licht in der AUC. Das sind rechtsgerichtete Paramilitärs, die ihre Einnahmen aus dem Kokainhandel beziehen. Irgendwann vor zwei Jahren hat er begonnen, die Organisation aufzubauen. Leider haben wir dahingehend weder brauchbare Geheimdienstberichte noch sonstige Informationen.« »Wenn dieser Sabato erst so kurz im Drogenhandel mitmischt, warum ist er dann so wichtig?«, fragte Lieutenant Pierre Leblanc, während er die von Matani unterbreiteten Informationen in Cherie, seinen tragbaren Hightech-Computer, eingab. Matani betätigte wieder die Fernbedienung. Das Video lief weiter. Ein Raunen ging durch den Raum, als das nächste Bild auf die Wand projiziert wurde. Wieder betätigte Matani die Stopp-Taste der Fernbedienung. Das Bild blieb stehen. Mark Harrer verzog angewidert das Gesicht. Auch in den Mienen der anderen Teammitglieder zeichnete sich jähe Abscheu ab.
Das Bild war von erschreckender Klarheit und Eindeutigkeit und an Brutalität kaum zu überbieten. Es zeigte einen Dorfplatz, der von Leichen übersät war. Es handelte sich um Männer, Frauen und Kinder. Die meisten von ihnen waren enthauptet worden. Zwischen den leblosen Körpern standen mit Motorsägen bewaffnete Männer, die geradezu fröhlich in die Kamera lachten, Champagnerflaschen in die Höhe hielten und stolz die auf Pfähle gespießten Köpfe ihrer männlichen Opfer präsentierten. Matani aktivierte den Videorecorder aufs Neue. Das Bild wechselte. Die nächste Aufnahme war nicht weniger erschreckend und abstoßend. Sekundenlang schloss Mark Harrer die Augen. Was das Bild zeigte, war kaum zu ertragen. Während seiner Zeit bei der KSK in Afghanistan hatte Harrer eine Reihe von Gräueltaten der Taliban an der Bevölkerung gesehen. Was dieses Bild zeigte, war an Grausamkeit kaum zu überbieten. Harrer fragte sich, wie barbarisch Menschen noch sein konnten. Sie waren oft grausamer als wilde Tiere. Denn sie töteten nicht, um zu überleben, sondern um des Tötens Willen. Das Szenario glich beinahe dem ersten Bild. Wieder ein Dorfplatz, übersät mit Leichen. Doch diesmal waren es nicht auf Pfähle gespießte Köpfe. Die Aufnahme zeigte die Mörder, die mit den Köpfen ihrer Opfer Fußball spielten. Im Besprechungsraum herrschte betroffenes Schweigen. In den Köpfen wirkten die abscheulichen Bilder nach. Die Herzen schlugen höher. Matani ließ seine Stimme erklingen. »So, meine Damen und Herren, sieht es aus, wenn Sabato Verhandlungen zur Übernahme der Drogenanbauregionen führt. Nach neuesten Geheimdienstberichten hat er inzwischen mehr als zehn Kokainbauerndörfer auf diese Weise ausgelöscht, mit nahezu 3000 Opfern.« Matani legte eine kurze Pause ein und ließ seine Worte
wirken. »Das ist ja ein Teufel in Menschengestalt«, entfuhr es Dr. Ina Lantjes. Matani nickte. Dann fuhr er fort: »Vor seinem Auftreten kontrollierten die FARC im Süden Kolumbiens den Drogenanbau. Zwischenzeitlich hat Sabato in den vergangenen zwei Jahren beinahe 75 Prozent der Drogenanbaugebiete im Süden Kolumbiens, immerhin über 130.000 Hektar, unter seine Kontrolle gebracht. Er machte vor nichts und niemand Halt. Auch Kämpfer der FARC fielen seiner Brutalität zum Opfer. Es wird gemunkelt, dass Sabato sich der Sache der AUC verschrieben hat, einer paramilitärischen Vereinigung, deren Todesschwadronen gegen die FARC-Guerrilla und auch gegen die regulären Truppen eingesetzt werden.« Matani machte eine kleine Pause, dann erhob er wieder das Wort und sagte: »FARC steht für Fuerzas Armadas Revolucionarias de Columbia – Ejercito del Pueblo – und ist eine kommunistisch orientierte Guerillabewegung. Aktiv seit 1966, gehört sie zu den ältesten noch aktiven lateinamerikanischen Guerillaorganisationen. AUC steht für Autodefensas Unidas de Columbia und ist eine paramilitärische Gruppierung. Die FARC und AUC betreffend spricht man von einer Truppenstärke von jeweils etwa 15.000 Mann.« Caruso pfiff etwas respektlos zwischen den Zähnen. »Das sind Zahlen, die reißen einen ja fast vom Stuhl.« Als ihn ein tadelnder Blick Matanis traf, zog er den Kopf zwischen die Schultern. »So kann man es sicherlich formulieren«, sagte Matani, dann sprach er weiter: »Auf Grund dieser Vielzahl von Morden, die auf Sabatos Konto gehen, hat der UN-Sicherheitsrat beschlossen, Sabato zu verhaften und ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des mehrfachen Mordes einem rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren zuzuführen. In welchem
Land das stattfinden wird, bleibt vorerst offen. Einige Versuche der CIA, Sabato festzunehmen und aus Kolumbien zu schaffen, sind fehlgeschlagen. Darum sind Sie jetzt gefordert, meine Damen und Herren. Ich übergebe nunmehr an Colonel Davidge, der Sie über die weiteren Einzelheiten Ihrer Mission informieren wird.« Mit einem leichten Nicken in Richtung Colonel Davidges beendete Matani seinen Vortrag und entfernte sich vom Pult. Davidge, der etwas abseits von den anderen stehen geblieben war, trat vor sein Team. »Also, Leute, es sieht folgendermaßen aus…« Davidge brach ab, trat näher an das Pult heran, holte die Videokassette mit den Gräueltaten Sabatos aus dem Recorder und schob eine andere Kassette hinein. Das Bild an der Wand zeigte nun eine Satellitenaufnahme Kolumbiens. »Wie General Matani bereits anmerkte, war es bislang nicht möglich, Sabato dingfest zu machen. Grund hierfür war, dass man bislang annahm, dass sich sein Aufenthaltsort am südlichen Teil der Anden befindet. Hier liegt das Gros der Koka- und Mohnanbaugebiete Kolumbiens.« Davidge nahm den Laserpointer zur Hand und richtete ihn auf den Teil der Karte, der den Bergzug darstellte. Sich wieder seinem Team zuwendend fuhr er fort: »Vor zwei Tagen war es uns jedoch möglich, eine verschlüsselte Nachricht von Sabato an einen seiner Generäle abzufangen. Nachdem diese Nachricht von mehreren Spezialisten von CIA und NSA dekodiert wurde, ist man sich zu hundert Prozent sicher, dass sie von Sabato stammt.« »Sir!« Wieder meldete sich Leblanc. Davidge nickte ihm zu. »Wieso war es erst jetzt möglich, eine solche Nachricht abzufangen?« »Sabato ist äußerst vorsichtig. Durch seine Methoden hat er nicht nur die Vereinten Nationen und die CIA, sondern auch
die FARC und möglicherweise sogar die AUC zum Gegner, und das ist ihm vollkommen klar. Sabato übermittelt seine Nachrichten daher überwiegend durch Kuriere. Nur im äußersten Notfall greift er auf elektronische Kommunikationsmittel zurück.« Jetzt ergriff Mark Harrer das Wort: »Ist auch bekannt, warum er plötzlich so unvorsichtig wurde?« Ein leichtes Lächeln huschte über Davidges Gesicht. »Wir haben ihn aus der Reserve gelockt.« Mark Harrer und das restliche Team blickten Davidge fragend an. »Haben Sie schon einmal vom New Plan Columbia gehört?« Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr Davidge fort. »Der New Plan Columbia ist ein Projekt der US-Regierung mit dem Ziel, die Drogenproduktion in Kolumbien zum Erliegen zu bringen. Er sieht vor, den kompletten Kokaanbau Kolumbiens gezielt mit Pflanzengift zu vernichten.« Davidge machte eine kurze Pause. »Der Einsatz ist erst für Ende nächsten Jahres geplant und unterliegt noch der höchsten Geheimhaltung. Jedoch haben wir durch einige verdeckte Ermittler der CIA in Sabatos Kreisen durchsickern lassen, dass die Durchführung des Planes in Kürze stattfinden soll. Sabato war somit genötigt, seine Generäle unverzüglich anzuweisen, entsprechende Gegenmaßnahmen zu treffen. Er ließ sogar Boden-LuftRaketen in den Kokaanbaudörfern verteilen. Das Motto lautet: ›Macht kaputt, was euch kaputt macht. Runter mit den Giftspritzern.‹ Kein Koka-Bauer sagt nein, wenn es darum geht, seine nächste Ernte und damit das Einkommen der Familie zu sichern.« Matani mischte sich noch einmal ein und sagte: »Viele Bauern, die weder ihr Handwerk aufgeben wollen, um in die verschiedenen Bürgerkriegsarmeen einzutreten, noch vollständig verarmen möchten, sind auf den Anbau der
einzigen noch lukrativen und international konkurrenzfähigen landwirtschaftlichen Produkte Koka und Mohn umgestiegen. Mit Kaffee und Kakao, die Kolumbien bis Mitte des 20. Jahrhunderts einen bescheidenen Wohlstand verschafft hatten, ist kein lohnendes Geschäft mehr zu machen. Aber das nur am Rande. Ich wollte damit nur klarmachen, dass der New Plan Columbia eine einschneidende Maßnahme für die gesamte Wirtschaft des Landes darstellen wird.« Davidge betätigte den automatischen Vorlauf des Videorecorders. »Hier haben wir Sabato ausgemacht.« Das Bild zeigte die Satellitenaufnahme eines schier undurchdringlich erscheinenden Urwaldes. »Mitten im Dschungel!«, kam es von Davidge. »Genauer gesagt, ungefähr zehn Meilen von dem Ort San Pedro de Arimena entfernt.« Das Video lief weiter. Diesmal zeigte das Satellitenbild ein nicht besonders großes Camp, das aus mehreren Holzbaracken bestand, die von einem Drahtzaun eingegrenzt wurden, durch den ein Tor führte. Am Nord- und am Südende befand sich jeweils ein Wachturm. »Hier in diesem Camp befindet sich Sabato.« Davidge legte den Laserpointer auf das Pult zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wippte auf den Fußballen. »Der Auftrag sieht folgendermaßen aus, meine Damen und Herren. Ein kleines Team unserer Einheit wird auf einer Waldlichtung, nordwestlich von Sabatos Unterschlupf, abgesetzt und dann etwa fünf Kilometer zum Camp vorrücken. Dort angekommen, wird es das Lager infiltrieren und Sabato gefangen nehmen. Wenn das erledigt ist, wird es sich zusammen mit Sabato zum Abholpunkt zurückziehen. Das Einsatzteam setzt sich zusammen aus Lieutenant Harrer, Lieutenant Leblanc, Sergeant Caruso und Sergeant Sanchez. Codename Ihres Teams ist Viper.«
Die vier sahen sich an. Mark blinzelte Caruso zu. Harrer war froh, für diesen Einsatz ausgewählt worden zu sein. Er liebte die Herausforderung. Deswegen war er auch zur Bundeswehr und später zur KSK gegangen und schließlich bei SFO gelandet. Seine Aufträge erledigte er immer mit Ehrgeiz und Hingabe zu hundert Prozent. Dabei war er jedoch stets auf Sicherheit bedacht. Ganz im Gegensatz zu Caruso, der im Team inzwischen als Draufgänger und Hitzkopf bekannt war. »Endlich wieder etwas Action«, meinte Caruso überschwänglich zu Mark. »Packen wir den Mistkerl bei den Eiern.« Mark lächelte. Auch Leblanc und Topak mussten über Carusos Enthusiasmus grinsen. Dr. Ina Lantjes, die Ärztin des Teams, beugte sich zu Marisa Sanchez vor und klopfte ihr tröstend auf die Schultern. »Viel Spaß, Mara. Jetzt hast du einen Helden und einen Kindskopf an der Backe.« Sie meinte Harrer und Caruso. Sanchez schüttelte mit gespielter Verzweiflung den Kopf und erwiderte mit flehender Stimme: »Willst du nicht tauschen, Doc?« »Nicht um alles in der Welt!«, wehrte Dr. Lantjes mit erhobenen Händen ab. »Hey, das tut weh!«, rief Caruso dazwischen. Dr. Lantjes wollte gerade eine weitere Spitze gegen Caruso loslassen, als sich Davidge ungeduldig dazwischenschaltete: »Sind Sie fertig?« Sofort kehrte wieder Ruhe ein. Davidge fuhr fort: »Dr. Lantjes, Corporal Topak und ich bilden das zweite Team. Codename Alpha Eins. Wir werden Team Viper zum Absetzpunkt verbringen und nach Beendigung der Mission am Evakuierungspunkt wieder aufsammeln.«
Davidge sah in Richtung Topak und Lantjes. Beide nickten zustimmmend. »Wie sieht's mit Truppenbewegungen um das Camp herum aus, Sir?«, fragte Harrer. »Nach letzten Geheimdienstinformationen und Satellitenaufnahmen gibt es sieben Kilometer nördlich des Camps einen weiteren Truppenstützpunkt mit ungefähr 50 von Sabatos Männern. Damit aber geraten wir nicht in Berührung. Um das Zielgebiet herum haben wir lediglich einige kleine Wachtrupps ausmachen können. Sollten Sie Feindberührung haben, handeln sie im Sinne Ihrer Mission. Sabato darf von unserer Existenz erst Kenntnis erlangen, wenn er in unserer Gewalt ist.« Alle nickten. Sie wussten, was das bedeutete. »Übrigens…« Davidge machte eine Pause. »Sabatos Codename im Funkverkehr ist Mister White. Falls sein Name überhaupt zur Erwähnung kommt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass unsere Funksprüche während des Einsatzes abgehört werden.« Davidge schlug mit der flachen Hand gegen das Pult. »So, meine Damen und Herren, das war's.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Abmarsch morgen früh Punkt Null 800. Wecken ist um Punkt Null 600. Sie haben also genügend Zeit, sich anzukleiden und zu frühstücken.« »Viel Glück, Team!«, kam es von Matani. Alle erhoben sich und nahmen Haltung an. »Danke, Sir!«, klang es mehrstimmig, fast wie im Chor. * Fort Conroy, South Carolina, Hauptquartier der Special Force One, Donnerstag, 0600 ETZ Colonel Davidge stand auf. Er dehnte und reckte sich, dann
ging er unter die Dusche. Das warme Wasser brauste über seinen nackten Körper. Er seifte sich ein, schwemmte sich ab und duschte zuletzt abwechselnd heiß und kalt. Als er die Dusche verließ, war er hellwach. Während er sich rasierte, dachte er über seinen Traum nach. Die Bilder waren noch ziemlich lebendig in ihm. Die Empfindungen prasselten auf ihn ein wie eben die Wasserstrahlen unter der Dusche. Er fragte sich, welche Ängste es waren, die tief in seinem Unterbewusstsein verborgen waren und ihm einen derartigen Albtraum bescherten. Oder war es ein schlechtes Omen? Zuletzt putzte Davidge sich die Zähne. Er warf sich noch ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab und machte sich daran, sich anzukleiden. Es war 6 Uhr 25, als er sein Zimmer verließ und in die Kantine ging, um zu frühstücken. Er war der Erste. Von seinem Team war noch keiner hier. Der Traum wollte dem Colonel nicht aus dem Kopf gehen. Obwohl er nicht abergläubisch war, blickte er der nächsten Zukunft mit einer gewissen Sorge entgegen. Wenn der Traum nur nicht Wirklichkeit wurde. Der Colonel holte sich eine Tasse Kaffee. Essen wollte er nichts. Er hatte keinen Appetit. Dr. Ina Lantjes kam. Sie war schön wie immer. Der gefleckte Tarnanzug verlieh ihr eine besondere Ausstrahlung. Sie holte sich eine Tasse Kaffee und ein Sandwich und kam damit zum Tisch des Colonels. »Guten Morgen, Colonel«, grüßte die Ärztin. »Darf ich?« Davidge erwiderte den Gruß und nickte. Dr. Lantjes ließ sich nieder. Sie lächelte den Colonel an. »Gut geschlafen, Sir?« Unter den Augen Davidges lagen dunkle Ringe. Die Linien und Furchen in seinem Gesicht schienen an diesem Morgen tiefer zu sein als sonst. »Es hält sich in Grenzen, Doc«, versetzte der Colonel. »Ich habe schlecht geträumt. Das hat mir die halbe Nacht den Schlaf geraubt.«
»Hängt es mit unserem bevorstehenden Einsatz zusammen?« Das Gesicht Davidges verdüsterte sich. Er presste sekundenlang die Lippen aufeinander. Sollte er Dr. Lantjes erzählen, dass er sie im Traum sterben sah, dass sie das Lager Sabatos in seinem Traum nicht lebend verlassen hatte, dass die ganze Mission in seinem Traum scheiterte, dass es SFO hinterher nicht mehr gab, jedenfalls nicht mehr in dieser Besetzung? Nein! Er durfte keine negative Prognose bezüglich des Ausgangs ihrer Mission abgeben. Es hätte die Teammitglieder verunsichern können. »Mein Traum hat mit unserem Einsatz nichts zu tun, Doc. Er war rein privater Natur. Es ging um meinen Jungen.« Dr. Lantjes kannte die Geschichte. Der Sohn Davidges war bei einem Unfall ums Leben gekommen. Der Schicksalsschlag hatte das Leben des Colonels von Grund auf verändert. Erst als SFO gegründet wurde und er mit der Führung des Teams beauftragt worden war, war er aus seiner Lethargie gerissen worden. Die Ärztin schwieg und biss in ihr Sandwich. Sie kaute, dann spülte sie den Bissen mit einem Schluck Kaffee hinunter. Da tauchte Sergeant Alfredo Caruso in der Kantine auf. Er grinste lausbubenhaft und blinzelte der Ärztin zu, nahm sich ein Tablett, stellte Kaffee und ein Sandwich drauf ab und kam an den Tisch mit dem Colonel und Dr. Lantjes. »Na, einmal nicht als Letzter«, sagte die Ärztin, ehe der Sergeant grüßen konnte. »Das ist einen Eintrag in den Kalender wert. Hat dich keine hübsche Soldatin zu einem Umweg auf dem Weg in die Kantine veranlasst?« »Hübsche Soldatinnen sind dünn gesät«, versetzte der Sergeant und blieb stehen. »Mir ist heute noch keine begegnet.« Dr. Lantjes verzog das Gesicht. Davidge grinste hintergründig und forderte Caruso auf, sich
zu setzen. Im Laufe der nächsten zehn Minuten kamen auch Mark Harrer, Pierre Leblanc, Marisa Sanchez und Miroslav Topak. Das SFO-Team war vollzählig in der Kantine versammelt. Leblanc sagte: »Mon dieu, ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen. Ich habe geträumt, dass unsere Mission in Kolumbien schief gegangen ist. Es hat einige von uns erwischt.« Davidge, der gerade an seinem Kaffee schlürfte, verschluckte sich fast. Er stellte schnell die Tasse ab und hustete. Tränen traten ihm in die Augen. Und ein seltsames Gefühl der Beklemmung stellte sich bei ihm ein. * Die Operation schien unter einem schlechten Stern zu stehen. Davidge glaubte fast schon nicht mehr an einen Zufall, nachdem Leblanc einen ähnlichen Traum gehabt hatte wie er. Doch er sprach nicht drüber. Er befürchtete, sich lächerlich zu machen. Um acht Uhr startete die Maschine. Es war ein Transporter. Der Flug sollte nach Bogota gehen, wo am folgenden Tag, ebenfalls um acht Uhr, ein Termin beim Polizeipräsidenten vereinbart war. Immer wieder verharrten Davidges Gedanken bei dem Traum. Er war nicht abergläubisch. Dennoch spürte er ein wühlendes Gefühl in den Eingeweiden, wenn die Bilder wieder vor seinem geistigen Auge erstanden. Am Nachmittag kamen sie in Bogota an. Sie wurden mit drei Jeeps abgeholt und zur Kaserne der Präsidialgarde gebracht, in der sie wohnen sollten. Davidge und Harrer bewohnten ein Zimmer, Leblanc, Caruso und Topak waren gemeinsam in einem Raum daneben untergebracht, die beiden Frauen bekamen ebenfalls gemeinsam ein Zimmer zur Verfügung gestellt. Sie blieben am
Abend in ihren Zimmern. Die Nacht verlief ruhig. Davidges Traum wiederholte sich nicht. Gegen 7.30 Uhr Ortszeit wurden sie am Morgen abgeholt und zum Polizeipräsidium gebracht. Der Name des Polizeipräsidenten war Alfredo Ortega. Er empfing Davidge und sein Team freundlich und zuvorkommend. Sie wurden in einen kleinen Konferenzsaal geleitet und aufgefordert, an den hufeisenförmig angeordneten Tischen Platz zu nehmen. Ortega setzte sich an das Stirnende. Er schaute von einem zum anderen. »Ich darf Sie herzlich in Kolumbien begrüßen«, begann Ortega in einwandfreiem Englisch. »Wenn auch der Anlass, der Sie in unser Land geführt hat, kein besonders erfreulicher ist. Es geht zum einen gegen den illegalen Drogenanbau, zum anderen um vielfachen Mord. Ein Mann tut sich besonders hervor – ein Mann, der nicht greifbar zu sein scheint. Die kolumbianische Drogenpolizei und das Militär jagen sozusagen ein Phantom. Darum haben wir uns an die Vereinten Nationen gewandt.« »Die Sprache ist von Cesar Sabato«, kam es von Davidge. »Si – jawohl.« Der Polizeipräsident nickte. »Von Cesar Sabato«, wiederholte er. »Es ist ihm bisher immer gelungen, sich der Verhaftung zu entziehen. Sabato ist ein Schlächter, ein skrupelloser Verbrecher, der im Land, vor allem unter der Landbevölkerung, Angst und Schrecken verbreitet.« »Wir haben einige Bilder von Dörfern gesehen, in denen seine Freischärler gehaust haben wie die Vandalen«, warf Davidge dazwischen. »Schlächter ist wohl noch untertrieben.« Ortega nickte. »Wir haben Ihnen Videobänder zukommen lassen, die zeigen, wie es in den Dörfern aussieht, nachdem Sabatos Leute zugeschlagen haben. Sie wurden auch davon in Kenntnis gesetzt, in welchem Camp sich Sabato aufhält. Wobei wir nur hoffen können, dass er zwischenzeitlich das Versteck nicht gewechselt hat.« »Wird das Lager abgehorcht?«, fragte Harrer.
»Nein. Als feststand, in welchem der Camps sich Sabato aufhält, wurde die Scannerstation abgebaut. Da uns dieser Verbrecher immer wieder durch die Lappen ging, wollten wir kein Risiko mehr eingehen. Er hat schätzungsweise überall seine Spitzel sitzen, die ihn in der Vergangenheit über bevorstehende Einsätze der Drogenpolizei oder des Militärs informiert haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass er bei unseren Aktionen immer wieder entkam. Er hat sich für uns zu einem Phänomen entwickelt, an das wir nicht herankommen.« »Wenn Verrat im Spiel ist, Sir«, sagte Davidge, »dann sind auch wir nicht gefeit davor. Dann erwartet man uns vielleicht sogar schon in dem Camp.« Davidge dachte an seinen Traum und spürte ein seltsames Kribbeln zwischen den Schulterblättern. »Ihr Einsatz erfolgt unter höchster Geheimhaltung. Lediglich ich und der Leiter der Drogenpolizei sind informiert. Nicht mal mein Vertreter weiß Bescheid.« »Können Sie für den Leiter der Drogenpolizei die Hand ins Feuer legen?«, fragte Davidge geradeheraus. »Natürlich. Der Verräter muss irgendwo unter ihm oder hier im Präsidium unter mir sitzen. Um Verrat auszuschließen, wird die Angelegenheit als top secret behandelt. Sie brauchen also nicht zu befürchten, in einen Hinterhalt zu geraten.« »Selbst wenn wir Sabato erwischen«, sagte Harrer, »dann ist das nur eine gewonnene Schlacht. An seine Stelle wird ein anderer treten. Der Krieg gegen den illegalen Drogenanbau wird dann noch lange nicht beendet sein.« »Um den Krieg zu gewinnen«, sagte Ortega, »wurde im Einvernehmen mit den Amerikanern der New Plan Columbia entwickelt. Dieser Plan sieht vor, durch gezielte Maßnahmen den gesamten Kokaanbau in Kolumbien zum Erliegen zu bringen. Doch vor Ende nächsten Jahres können derartige Maßnahmen nicht durchgeführt werden. Es bedarf noch einer Reihe von Vorbereitungen. Zunächst hat die Eliminierung des
Kopfes des Drogenkartells Priorität. Wenn es gelingt, Sabato festzunehmen, wäre das ein wichtiger Sieg im Kampf gegen den Drogenhandel.« »Es geht auch darum, diesen vielfachen Mörder der Gerechtigkeit zuzuführen«, flocht Davidge ein. »Im Klartext heißt das, es geht zunächst gegen die Figur Sabato«, ergänzte Harrer. »Und dann erst soll der kolumbianischen Drogenmafia der Todesstoß versetzt werden.« »Genau das ist der Tenor«, bestätigte Ortega. »Sie werden mit dem Helikopter in die Nähe des Camps gebracht, in dem Sabato geortet wurde, und im Dschungel ausgesetzt. Alles andere wird dann in Ihrer Hand liegen. Auf Rückenstärkung durch Polizei oder Militär können Sie sich nicht verlassen, da Ihr Einsatz – wie ich schon sagte – unter strengster Geheimhaltung erfolgt, um Verrat auszuschließen.« »Wann fliegen wir?«, fragte Harrer. »Sobald es finster ist. Also gegen 22 Uhr. Ich lasse Sie von Ihrer Unterkunft abholen. Die Fahrer der Fahrzeuge wissen nur, dass sie Sie zum Flughafen zu bringen haben. Die Piloten des Hubschraubers werden erst unmittelbar vor Abflug über das Ziel ihres Fluges informiert. Sie sehen, wir sind, was Ihren Einsatz anbetrifft, kein Risiko eingegangen. Mir bleibt nur, Ihnen viel Glück zu wünschen. Ich hoffe, Sie alle gesund und munter wieder zu sehen.« * Der Hubschrauber vom Typ UH-60L Black Hawk brachte sie in den Dschungel. Sie waren mit Splitterschutzwesten, Helm, Nachtsichtgerät, Headsets und MP7 ausgerüstet. Auf einer Lichtung wurden sie abgesetzt. Der Pilot stellte die Turbinen ab. Die Finsternis war so dicht, dass sie fast stofflich und greifbar anmutete. Eine gespenstische Geräuschkulisse wurde
vernehmbar, als der Hubschrauberlärm endete. Die Mitglieder des Teams verließen die Maschine. Harrer, Leblanc, Caruso und Marisa Sanchez hatten sich die Gesichter mit Tarnfarbe geschwärzt. Colonel Davidge sagte: »Sie wissen Bescheid. Wir bleiben miteinander in Funkverbindung.« »Verstanden«, sagte Mark Harrer. »Team Viper, wir gehen.« »Hals- und Beinbruch«, sagte Davidge. »Danke.« Harrer salutierte lässig, schwang herum und setzte sich in Bewegung. Leblanc, Caruso und Marisa Sanchez folgten. Sie verschwanden zwischen den Büschen. Die Dunkelheit saugte sie regelrecht auf. Äste zerrten an ihren Uniformjacken. Strauchwerk raschelte. Unter ihren Schritten knackte es. Die Navigation erfolgte mit einem tragbaren GPSEmpfänger, der ähnlich funktionierte wie ein Navigationssystem in einem Personenwagen. Sie hatten in der Unterkunft mit Hilfe einer Karte des Gebietes die Koordinaten von Ausgangspunkt und Ziel eingestellt. Das GPS-System ist ein vom amerikanischen Verteidigungsministerium ersonnenes, realisiertes und betriebenes System, das aus 30 Satelliten besteht, welche die Erde in einer nominellen Höhe von 20.200 Kilometern umkreisen. GPS-Satelliten senden Signale aus, welche die genaue Ortsbestimmung eines GPS-Empfängers ermöglichen. Die Empfänger können ihre Position ermitteln, wenn sie feststehend sind, sich auf der Erdoberfläche, in der Erdatmosphäre oder in niederen Umlaufbahnen bewegen. GPS wird sowohl in der Luft-, Land- und Seefahrtnavigation als auch bei der Landvermessung und anderen Anwendungen eingesetzt, bei denen es auf genaue Positionsbestimmung ankommt. Der eigentliche Name des Systems ist NAVSTAR (Navigation System for Timing and Ranging), bekannt ist es aber nur als GPS (Global Positioning System).
Der Marsch durch den Busch war beschwerlich. Caruso ging voraus und bahnte, wo es notwendig wurde, mit einer Machete den Weg. Haushohe Felsen und sumpfige Gebiete zwangen sie manchmal, weite Umwege zu machen. Die Geräusche, die sie umgaben, klangen gespenstisch. Als sie etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, nahm Mark Harrer Verbindung mit Colonel Davidge auf und meldete, dass es bis zu diesem Zeitpunkt keine besonderen Vorkommnisse gegeben hatte. Und nach weiteren 40 Minuten lag vor ihnen das Dschungelcamp. Auf den Wachtürmen waren schwenkbare Scheinwerfer montiert. Jeder der beiden Wachtürme war mit jeweils zwei Posten besetzt. Das Camp war von einem Maschendrahtzaun umgeben, auf dessen Krone Schneidedraht gespannt war. Es gab insgesamt sieben Hütten. In keiner brannte Licht. Einige Jeeps und Lastwagen standen zwischen den Gebäuden. Zwei Soldaten gingen Streife. Harrer und seine Begleiter ließen die beiden passieren. Harrer konnte es nicht wagen, mit Davidge erneut Kontakt aufzunehmen. Aber das war auch nicht mehr vorgesehen. Erneuter Kontakt sollte nur erfolgen, wenn sich Probleme ergeben sollten. Harrer gab Caruso ein Zeichen. Der Italiener kroch zum Zaun und zwickte mit einer Seitenschneiderzange ein Loch heraus, das groß genug war, um einen Mann in voller Ausrüstung durchzulassen. Als einmal einer der Scheinwerfer über ihn hinwegschwenkte, lag er still. Er verschmolz geradezu mit dem Untergrund. Dann kroch er durch die Öffnung. Sanchez folgte, dann kam Leblanc, den Schluss bildete Harrer. Die Hütte, in der Sabato lebte, war ihnen bekannt. Es war ein etwas größeres Gebäude in der Mitte des Camps. Schlangengleich bewegten sich die SFO-Leute zur ersten Hütte, die auf ihrem Weg zur Mitte des Camps lag. An der
Hüttenwand richtete Harrer sich halb auf. Er schlich bis zur Ecke und hatte den Blick frei auf die Hütte, die Sabato bewohnte. Vor der Tür stand ein Wachposten. Harrer kehrte um und teilte seinen Leuten im Flüsterton seine Beobachtung mit. Caruso sagte leise: »Den Posten übernehme ich.« »In Ordnung«, kam es von Harrer. »Äußerste Vorsicht, Alfredo.« »Sobald ich ihn ausgeschaltet habe, kommt ihr, und wir dringen in die Hütte ein.« »Wir müssen auch die Streife ausschalten«, erklärte Harrer. »Das übernehmen wir beide, Pierre.« »In Ordnung.« »Du sicherst gegebenenfalls unseren Rückzug, Mara«, flüsterte Harrer. »Verstanden.« Harrer und Leblanc verschwanden lautlos wie Katzen. Caruso lief geduckt und leise zur nächsten Hütte und schmiegte seinen Körper eng gegen die Wand. Die MP7 hatte er sich umgehängt, sodass er beide Hände frei hatte. Er zog sein Kampfmesser aus der Scheide. Caruso setzte einen Fuß vor den anderen. Er atmete ganz flach, umrundete die Hütte, in der Sabato residierte, und schlich an der Seitenwand nach vorn. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Der Wachposten stand da wie festgewachsen. Das Gewehr hatte er umgehängt. Caruso konnte das gut erkennen, weil einmal der Lichtkegel eines der Scheinwerfer über die Gestalt hinweghuschte. Caruso wusste, dass er blitzschnell handeln musste. Wenn es dem Posten gelang, Alarm auszulösen, waren sie verraten und verkauft. Er bückte sich. Seine linke Hand wischte über den Boden und ertastete ein Stück von einem Ast. Caruso richtete sich auf und schleuderte das Aststück über den Posten hinweg. Der Wachposten wirbelte herum, als das Wurfgeschoss am
Boden aufkam und ein leises Geräusch verursachte. Caruso huschte um die Ecke der Hütte. Mit zwei kraftvollen Sätzen erreichte er den Posten. Er packte ihn von hinten mit dem linken Arm und rammte ihm mit der Rechten das Kampfmesser in den Hals und im nächsten Moment in den Leib. Ein Gurgeln kam von dem Mann, dann wurde seine Gestalt schlaff und schwer. Caruso schleppte den Toten um die Ecke der Hütte und legte ihn im tiefen Schatten ab. Da ertönte ein ganzes Stück weiter ein schriller Schrei, der aber jäh erstarb. Dann war ein dumpfer Fall zu hören. Carusos Wirbelsäule versteifte. Wie eine Warnung vor drohendem Unheil hallte der Schrei in ihm nach. Dem Fegefeuer seiner Gedanken ausgesetzt verharrte Caruso im Schlagschatten der Hütte. * Harrer und Leblanc glitten durch die Dunkelheit. Jeden Schutz ausnutzend, der sich ihnen bot, folgten sie den beiden Streifenposten. Einmal huschte das Licht eines der Scheinwerfer über sie hinweg und sie gingen schnell in Deckung. Dann hatten sie die beiden Posten vor sich. Auf dem grünen Display ihrer Nachtsichtgeräte waren die beiden deutlich auszumachen. Auch Harrer und Leblanc hatten sich jeweils die MP7 umgehängt und das Messer in die Hand genommen. Sie hatten zwar Schalldämpfer aufgeschraubt, aber die Wachposten zu erschießen wäre nicht sicher genug gewesen. Nicht jeder Schuss war auf der Stelle tödlich, sie aber mussten auf Nummer sicher gehen. Auf dem Wachturm schwenkte wieder der Scheinwerfer herum. Harrer und Leblanc verharrten im Schutz einer Hütte und legten sich flach auf den Boden. Das Licht strich über sie hinweg und bohrte sich in die Finsternis zwischen zwei Hütten.
Dumpf schlugen die Herzen der beiden Männer. Es war ein Himmelfahrtskommando. Sie wussten es und gaben sich keinen Illusionen hin. Jeder ihrer Sinne war aktiviert, ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Die beiden Wachposten hatten wieder einen kleinen Vorsprung gewonnen. Harrer legte seine Linke auf Leblancs Unterarm. »Du nimmst den linken der Kerle, ich den rechten«, wisperte Harrer. »In Ordnung.« Harrer und Leblanc glitten lautlos von hinten an die Streifenposten heran. Und dann ging alles blitzschnell. Der Mann, den Harrer gepackt hatte, kam gar nicht mehr zum Denken. Aber der andere, jener, den Leblanc ausschalten sollte, konnte noch einen schrillen Schrei ausstoßen. Dann fiel er zu Boden. »Zur Hölle!«, zischte Leblanc. Dann begann schon eine Sirene zu heulen. Es ging durch Mark und Bein. »Nichts wie weg!«, knirschte Harrer. Sie stießen ihre Messer in die Scheiden und rannten zurück, erreichten Marisa Sanchez und Harrer stieß hervor: »Wo ist Caruso?« »Bei der Hütte.« Sanchez wies mit einer knappen Geste in die Dunkelheit hinein. Eine Gestalt huschte heran. Es war der Italiener. »Rückzug!«, presste Harrer hervor. »Die Aktion ist fehlgeschlagen. Vorwärts!« Sie rannten los. Im Lager war es lebendig geworden. Türen wurden aufgestoßen, Freischärler, nur mit Unterwäsche oder Schlafzeug bekleidet, rannten ins Freie. Die Scheinwerfer auf den Wachtürmen waren nun ins Innere des Lagers gerichtet. Das SFO-Team musste durch einen der breiten Lichtfinger hindurch, wenn es zu dem Loch im Zaun wollte. Ein Maschinengewehr fing an zu hämmern. Feuergarben
züngelten aus dem Lauf. »Deckung!«, brüllte Harrer. Sie warfen sich hin und robbten in der tiefsten Gangart weiter. Caruso erreichte das Loch im Zaun und kroch behände hindurch. Als er draußen war, wandte er sich um und begann zu feuern. Die Soldaten Sabatos erwiderten das Feuer. Caruso musste blitzschnell seine Stellung ändern, denn das Ziel der Freischärler waren die Mündungsblitze. Harrer, Leblanc und Sanchez befanden sich noch im Camp. Auch sie schossen jetzt auf die Gestalten, die die Dunkelheit auszuspucken schien. Die Nacht war voll vom Krachen der Gewehre. Der Dschungel ringsum schien den Lärm festzuhalten. Leblanc schrie plötzlich auf. Eine Kugel hatte seinen linken Oberarm durchschlagen. Sofort wurde der Arm schwach und lahm. Harrer kroch durch das Loch. Auf der anderen Seite huschte er zwischen die Büsche und begann zu schießen, um Leblanc und Sanchez Feuerschutz zu geben. Auch die MP7 Carusos spuckte Feuer. Die Soldaten Sabatos stürmten schießend heran. Wie giftige Hornissen pfiffen die Geschosse durch die Finsternis. Der Lärm war trommelfellbetäubend. Einige der Soldaten stürzten. Geschrei mischte sich in das Peitschen der Gewehre. »Wir müssen verschwinden!«, brüllte Harrer. »Was ist mit Pierre und Mara?«, schrie Caruso. »Wenn wir nicht verschwinden, gehen wir alle drauf!«, rief Harrer und zog sich schießend zurück. Caruso folgte seinem Beispiel. Sie verschwanden zwischen den Büschen, wandten sich um und begannen zu laufen. Zweige peitschten ihre Gesichter. Aber darauf achteten sie nicht. Hinter ihnen verstummten die Gewehre. Geschrei war zu hören. Die Soldaten des Sabato-Kartells fielen über Leblanc und Marisa Sanchez her. Die Waffen wurden ihnen entrissen. Sie
wurden gepackt und auf die Beine gestellt. Leblanc schrie schmerzgepeinigt auf, als sein verwundeter Arm umgedreht wurde. Er erhielt einen Faustschlag ins Gesicht. Ein Handscheinwerfer flammte auf und der Lichtstrahl traf Leblanc mitten ins Gesicht. Geblendet schloss er die Augen. Marisa Sanchez machte das Kreuz hohl, um dem Schmerz in ihren Schultergelenken entgegenzuwirken. Brutal waren ihr die Arme auf den Rücken gedreht worden. Sie und Leblanc wurden zu einer der Hütten geschleift und in einen Raum gezerrt. Licht flammte auf. Sie wurden auf Stühle gedrückt. Die Mienen ihrer Häscher verrieten nichts Gutes. Dann kam der Mann, dessentwegen sie nach Kolumbien geflogen waren: Cesar Sabato. Er trug eine Uniform mit den Schulterklappen eines Generals. Obwohl er wahrscheinlich auch schon im Bett gelegen hatte, sah er aus wie aus dem Ei gepellt. Seine Brauen waren zusammengeschoben, über der Nasenwurzel standen zwei steile Falten. Leblancs Rechte umklammerte den linken Oberarm. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Unter seinem linken Auge zuckte ein Nerv. Er atmete stoßweise. »Wer seid ihr?«, fragte Sabato auf Spanisch. Seine Stimme klang grollend. Von ihm ging eine düstere Drohung aus. »Und wer schickt euch?« Leblanc verstand ihn nicht und schaute Mara Sanchez fragend an. Mara antwortete ebenfalls in ihrer Muttersprache: »Ich bin Sergeant Marisa Sanchez.« Dann nannte sie ihre Kennnummer. Mehr sagte sie nicht. Sabato beugte sich nach vorn. Sein Atem schlug Mara ins Gesicht, als er fortfuhr: »Arbeitet ihr für die Amerikaner?« »Was es von meiner Seite zu sagen gab, habe ich Ihnen gesagt. Ich bin Soldat. Und ich verlange, wie ein Kriegsgefangener behandelt zu werden.« »Sollen wir die beiden liquidieren?«, fragte einer der Soldaten. Er hielt Mara die Mündung seiner MPi unter die
Nase. Sabato dachte nicht lange nach. Dann sagte er: »Nein. Vielleicht können wir sie noch brauchen.« Seine Stirn legte sich in Falten. »Dass sie versucht haben, hier meiner Person habhaft zu werden, sagt mir, dass ich in diesem Camp nicht mehr sicher bin. Ich werde mir ein anderes Versteck suchen müssen.« Er wandte sich an Mara. »Wie viele Leute wart ihr? Einige sind meinen Männern entkommen. Also sprich. Wie viele Leute hat man geschickt?« »Sie erfahren von mir nichts«, versetzte Mara. »Ich rate Ihnen, mich und Lieutenant Leblanc gehen zu lassen, Sabato. Denn…« Er riss ihr den Helm vom Kopf, seine Hand fuhr in ihre Haare. Mara schrie auf. Sabato bog ihren Kopf zurück. »Was?«, fauchte er. »Du willst mich doch nicht etwa einschüchtern? Soll ich mich fürchten? Gibt es vielleicht noch weitere Trupps wie euch? He, sag mir, was ist, wenn ich euch nicht laufen lasse.« Er ließ Maras Haare los. Sie nahm den Kopf wieder nach vorn. Ihre Augen schwammen in einem See von Tränen, die ihr der Schmerz hineingetrieben hatte. »Nichts«, murmelte sie. »Ich habe nichts mehr zu sagen.« Sabato ließ wieder die Stimme erklingen. Er sagte: »Der amerikanische Geheimdienst hat auch schon versucht, meiner habhaft zu werden. Arbeitet ihr mit der CIA zusammen?« »Nein.« »Lüg mich nicht an. Es gibt Mittel und Wege.« »Wir arbeiten nicht mit der CIA zusammen«, sagte Mara mit Nachdruck im Tonfall. »Wie heißt Ihr Kollege?« »Lieutenant Pierre Leblanc.« Sabato wandte sich an einen seiner Männer, der wahrscheinlich einen höheren Dienstgrad innehatte. Da der Mann nur mit einem Unterhemd und einer Hose bekleidet war,
konnte man das nicht erkennen. Sabato sagte: »Ich verlasse noch in dieser Nacht dieses Camp. Die beiden kommen mit. Wir setzen sie im Falle des Falles als Druckmittel ein. Bereiten Sie alles vor für meinen Abmarsch, Capitan.« Der Mann salutierte. Sabato führte eine nach militärischem Vorbild straff geordnete Organisation. Das wurde deutlich, als er mit dem Capitan sprach. Dieser schwang herum. Sabato sagte: »Fesselt die beiden. Vorher aber versorgt die Wunde des Mannes.« Zynisch fügte er hinzu: »Wir wollen ja nicht, dass er verblutet.« * Mark Harrer und Sergeant Caruso schlugen sich durch den Urwald. Sehr schnell bemerkten sie, dass sie nicht verfolgt wurden. Ziemlich atemlos lehnte sich Harrer an einen Baum und keuchte: »Verdammt! Das ist schief gegangen. Was mag aus Mara und Pierre geworden sein?« »Was ist geschehen?«, fragte Caruso. »Ich hörte einen Schrei. Und dann…« Er brach ab. »Pierre hat seinen Mann nicht richtig erwischt«, erklärte Mark Harrer. »Dem Posten gelang es, Alarm auszulösen. Wir konnten nichts tun. Wären wir nicht geflohen, wären wir jetzt auch tot oder wir befänden uns in der Gewalt des Kartells. Und damit wäre keinem geholfen.« »Du musst dem Colonel Bescheid sagen.« Harrer schaltete das Headset ein und sprach in das Bügelmikrofon: »Hier Viper. Alpha eins, hören Sie mich?« »Ich höre Sie, Viper«, kam es ein wenig verzerrt aus dem Lautsprecher. »Ist die Operation erfolgreich verlaufen?« »Nein, Sir. Lieutenant Leblanc und Sergeant Sanchez sind entweder tot, oder sie befinden sich in der Hand Sabatos.« »Großer Gott!«
»Im Camp herrscht Alarmzustand. Im Moment wird es kaum möglich sein, etwas zu unternehmen, um Gewissheit zu erlangen, was das Schicksal Leblancs und Mara Sanchez' betrifft.« »Kehren Sie auf dem schnellsten Weg hierher zurück, Viper. Werden Sie verfolgt?« »Es sieht nicht so aus.« »Wir erwarten Sie. Over. »Ende.« »Wir sollen zum Ausgangspunkt zurückkehren«, klärte Harrer seinen Begleiter auf. »Was wird aus Leblanc und Sanchez?«, flüsterte Caruso. »Wir werden checken müssen, ob sie noch am Leben sind. Wenn ja, müssen wir versuchen, sie rauszuholen. Aber frag mich nicht, wie wir das machen wollen.« Sie machten sich auf den Weg. Mark Harrer war voll gemischter Gefühle. So hatte er sich den Ausgang ihrer Mission nicht vorgestellt. Der Gedanke, dass Leblanc und Sanchez tot sein konnten, erschütterte ihn. Er wollte diesen Gedanken, an dessen Ende etwas Dunkles, etwas Unheilvolles stand, verdrängen. Doch es gelang ihm nicht. Sie hatten keinen Fehler gemacht. Dass der Posten, den Leblanc niedergestochen hatte, noch das Camp alarmieren konnte, war eine unglückliche Fügung des Schicksals gewesen. Harrers Laune war auf dem Nullpunkt angelangt. Harrer ging voraus. Sie nahmen denselben Weg, auf dem sie hergekommen waren. Es dauerte mehr als eine Stunde, bis sie beim Helikopter ankamen. »Was ist schief gegangen?«, empfing sie Davidge. Harrer salutierte. »Team Viper vom Einsatz zurück, Sir. Der Posten, den Lieutenant Leblanc ausschalten sollte, konnte mit seinem letzten Atemzug noch das Camp alarmieren. Es gab ein Feuergefecht. Das Schicksal des Lieutenants und der Sergeantin sind ungewiss.« Davidge wandte sich ab und schluckte hart.
Sein Traum! Der Colonel spürte, wie sein Hals austrocknete. Der Traum war Realität geworden. Zwar nicht in seinen Einzelheiten, aber in den Grundzügen. Der Colonel war tief berührt und betroffen. »Wir kehren nach Bogota zurück«, sagte er nach einer Weile. »Für Leblanc und Sanchez können wir im Moment nichts tun. Sabato ist gewarnt. Eine Annäherung an das Camp dürfte ausgeschlossen sein. Ich will nichts herausfordern. Wahrscheinlich verlässt Sabato das Camp, das für ihn als Versteck nicht mehr sicher genug ist.« »Dann sollten wir das Lager beobachten«, schlug Caruso vor. Doch Davidge schüttelte den Kopf. »Was soll das bringen? Sabato wird nicht zu Fuß davonlaufen. Wir aber haben kein Fahrzeug, um ihm zu folgen. Was nützt es uns, wenn wir wissen, dass er das Lager verlassen hat, wenn wir nicht wissen, wohin er geflohen ist?« Caruso wollte es nicht einsehen. »Ich gehe hier nicht weg, ehe ich nicht weiß, was aus Pierre und Mara wurde.« »Das ist ein Befehl«, wies ihn Davidge mit harter Stimme, die keinen Widerspruch duldete, zurecht. Carusos Schultern sanken nach unten. Befehl und Gehorsam! Darauf war er gedrillt worden. Ergeben kletterte er in den Helikopter. * Leblancs Oberarm war verbunden. Man hatte den Lieutenant und Sergeant Mara Sanchez gefesselt. Grobe Hände schoben und zerrten sie auf die Ladefläche eines Lastwagens. Drei Soldaten Sabatos stiegen hinauf, um sie zu bewachen. Ein Jeep fuhr vor. Sabato verließ in Begleitung zweier Männer seine Hütte. Einer trug einen Koffer. Sabato kletterte in den Jeep und ließ sich auf den Beifahrersitz nieder. Seine beiden Begleiter setzten sich in den Fond des Jeeps. Die Motoren heulten auf. Die Scheinwerfer stießen wie grelle
Lichtbalken in die Finsternis. Der Jeep mit Sabato an Bord fuhr voraus. Der Lastwagen folgte. Der Boden war uneben, die Straße voller Schlaglöcher. Die beiden Gefangenen auf der Ladefläche des Lasters wurden durch und durch geschüttelt. »Wohin bringt ihr uns?«, fragte Mara Sanchez. »Das wirst du schon sehen, Täubchen«, versetzte einer der Soldaten. In der Dunkelheit, die unter der Plane herrschte, war er nur zu hören, nicht aber zu sehen. Eine andere Stimme erklang: »Wir bringen euch an einen Ort, an dem euch niemand suchen wird. Also begrabt eure Hoffnung auf Befreiung.« Mara Sanchez schwieg. Der Laster rumpelte und schaukelte. Sie saß mit dem Rücken an der Bordwand. Neben ihr hockte Leblanc. Manchmal wurde sie gegen ihn geworfen. Ihre Lage war ziemlich hoffnungslos. Die Finsternis stand wie eine Mauer vor ihr, umschloss sie und machte ihr die Einsamkeit bewusst, in der sie sich trotz des engen Zusammenseins mit Pierre Leblanc befand. Der Gedanke, sich in der Gewalt Sabatos zu befinden, verursachte keine Furcht in ihr, sondern vielmehr ein bitteres Gefühl der Resignation. Leblanc ging es nicht viel besser. Die Wunde an seinem Oberarm – ein glatter Durchschuss –, schmerzte. Als es wieder einmal durch ein Schlagloch ging, prallte er hart mit dem Rücken gegen die Bordwand, an der er saß. Ein dumpfer Laut stieg aus seiner Kehle. Es war nicht nur der Schmerz, der ihm diesen Ton entlockte. Es war ein Stöhnen, ein Aufbäumen gegen das Begreifen, dass sie keine Chance hatten. Er dachte an den Traum, der ihn in der Nacht vor ihrem Abflug nach Kolumbien gequält hatte. Es war ein böses Omen gewesen. Jetzt war er Gefangener Sabatos. Sein Schicksal lag in den Händen des Drogenbosses. Die Zukunft lag düster vor ihm und Mara. Leblanc dachte an die Kollegen. Würden sie versuchen, ihn und Mara herauszuholen?
Die Fahrt durch den Dschungel war eine Tortur. Stunde um Stunde ging es dahin. Die Plane war am Heck des Lastwagens offen. Draußen war es finster wie im Schlund der Hölle. Leblanc registrierte, dass sie immer noch durch den Busch fuhren. Die Sterne verblassten. Im Osten zeigte ein heller Streifen die Geburt eines neuen Tages an. Die Nacht lichtete sich, die Natur erwachte zum Leben. Sie fuhren jetzt auf einer staubigen Straße. Zu beiden Seiten war Urwald. Irgendwann bogen sie ab. Es war ein Pfad, auf dem sie landeten, gerade so breit, dass der Laster zwischen den Büschen hindurchfahren konnte. Manchmal strich das Zweigwerk an den Seiten über die Plane. Die Helligkeit nahm zu. Und schließlich fuhren sie durch ein Tor, das von vier Soldaten gesichert wurde. Sie befanden sich in einem anderen Camp. Ringsum war Urwald. Der Lastwagen hielt an. Stimmen waren zu hören. Die Soldaten auf der Ladefläche erhoben sich. Einer ging zum Ende der Ladefläche, beugte sich hinaus, dann sprang er auf den Boden. Ein Befehl erschallte. »Hoch mit euch!«, gebot einer der Freischärler. Leblanc und Sanchez hatten Mühe, auf die Beine zu kommen. Schließlich standen sie. Sie wurden vom Lastwagen bugsiert. Etwa 30 Männer, die mit Kampfanzügen bekleidet waren wie richtige Soldaten, standen herum und beobachteten sie. Es gab auch hier einige Hütten. Von Sabato war nichts zu sehen. »Vorwärts!« Leblanc bekam einen Schlag zwischen die Schulterblätter. Er taumelte zwei Schritte nach vorn und ächzte. Sie wurden zu einer der Hütten dirigiert und in einen Raum gestoßen, der ein kleines Fenster aufwies. Hinter ihnen fiel die Tür zu. Ein Riegel wurde in die Verankerung geschlagen. In dem Raum gab es zwei Hochbetten für jeweils zwei Mann, einen Tisch und vier Stühle. Das war alles.
Leblanc und Sanchez setzten sich. Durch das kleine Fenster fiel kaum Licht. Aber es reichte, um sich gegenseitig sehen zu können. »Wir sitzen ziemlich in der Tinte«, murmelte Leblanc. »Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben«, antwortete Mara. »Solange ein Funke Leben in uns ist, besteht Hoffnung.« »Ich schätze, wir sind in der Nacht an die 500 Kilometer gefahren.« »Wahrscheinlich verfügt Sabato über eine ganze Reihe solcher Camps.« Mara zerrte an ihren Fesseln. Die Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden. Außerdem war ein Seil mehrmals um ihren Oberkörper geschlungen und fest verknotet, so dass die Arme fest gegen ihre Seiten gepresst wurden. Die Fesseln hielten. »Wie geht es deinem Arm?«, fragte Mara und gab es auf, die Fesselung sprengen zu wollen. »Er schmerzt. Aber es ist auszuhalten.« »Wir sind ziemlich auf uns gestellt«, murmelte Mara. »Hilfe von außen ist kaum zu erwarten.« Leblanc nickte. »Wir sollten versuchen, gegenseitig unsere Fesseln zu lösen.« Draußen waren Geräusche zu hören. Schritte. Dann ein knirschender Laut, als der Riegel zurückgeschoben wurde. Im nächsten Moment schwang die Tür auf. Vier Männer betraten den Raum. Drei trugen tarnfarbene Kampfanzüge. Der vierte – Sabato –, war mit einer Paradeuniform bekleidet. Ein grausames Lächeln zog seinen Mund in die Breite. Seine Augen glitzerten wie die Augen eines Reptils. Er baute sich vor Mara Sanchez auf. »Ich rate dir zu reden. Ich kenne Mittel und Wege, um dir die Zunge zu lösen.« »Meinen Dienstgrad, den Namen und die ID-Nummer habe ich Ihnen genannt«, erwiderte die Sergeantin. »Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen.«
»Wir werden sehen. Zu welcher Spezialeinheit gehört ihr?« Mara schwieg. Einer der Männer im Kampfanzug wandte sich an Leblanc und stellte ihm die Frage auf Englisch. Auch der Franzose gab keine Antwort. »In welcher Mission seid ihr nach Kolumbien gekommen?«, fragte Sabato. »Sie zu verhaften und außer Landes zu bringen«, versetzte Mara. »Sie sollen sich vor einem internationalen Gerichtshof verantworten, Sabato. Drogenhandel, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.« Sabato lachte schallend auf. Doch sogleich wurde er wieder ernst. »In wessen Auftrag seid ihr nach Kolumbien gekommen? Haben euch die Amerikaner geschickt?« Als Mara keine Antwort gab, zog Sabato eine Pistole. Er entsicherte sie, lud durch und drückte die Mündung gegen die Schläfe Leblancs. »Möchtest du, dass ich ihm das Hirn aus dem Schädel schieße?« »Das werden Sie nicht wagen, Sabato.« »Warum nicht? Ein kleiner Druck meines Zeigefingers genügt. Du willst als Kriegsgefangene behandelt werden.« Wieder lachte der Verbrecher auf. »Nun, ich führe keinen Krieg. Darum gibt es für mich keinen Grund, einen von euch zu schonen. Du wirst mir jetzt Rede und Antwort stehen, Täubchen. Oder dein Kollege fährt zur Hölle.« Er machte Ernst. Jeder Zug in seinem schmalen Gesicht drückte eine düstere Entschlossenheit aus. »Und dich, meine Süße, überlasse ich meinen Soldaten. Du kannst dir vorstellen, was das bedeutet. Es sind viele Dutzend. Und die meisten von ihnen hatten schon lange keine Frau mehr. Sie werden über dich herfallen wie wilde Tiere.« »Was haben Sie davon, wenn Sie wissen, in wessen Auftrag wir gekommen sind?« »Ich will meine Feinde kennen. Ganz einfach. Aber ich
denke, ich weiß es auch so. Nachdem die CIA Pech hatte, schickte man euch. Ihr seid von Delta Force, nicht wahr? Amerikaner…« Sabato nahm die Pistole nach unten, die Mündung zeigte auf Leblancs Bein, der Schuss krachte. In der Hütte hörte sich die Detonation an wie ein Kanonenschuss. Der Raum schien aus allen Fugen zu platzen. Leblanc schrie auf. Die Kugel hatte seinen Oberschenkel durchschlagen. Blut sickerte durch den Stoff seiner Hose. Er hatte den Kopf in den Nacken geworfen und knirschte vor Schmerz mit den Zähnen. Jähe Benommenheit griff nach ihm. Es roch nach verbranntem Pulver. »Die letzte Warnung, Sergeant Sanchez«, stieß Sabato hervor. »Die nächste Kugel fährt ihm in den Kopf.« Er drückte die Mündung wieder gegen Leblancs Schläfe. Der Schmerz wehte wie ein heißer Wind durch den Kopf des Lieutenants. Er atmete krampfhaft. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Sein Blick kreuzte sich mit dem der Sergeantin. Es war ein Blick voller Qual und stummem Entsetzen. Sanchez konnte diesem Strom aus vernichtender Brutalität nicht länger standhalten. Sie sagte: »Wir sind im Auftrag der UN gekommen. Unsere Einheit nennt sich Special Force One. Wir sind in Fort Conroy, South Carolina, stationiert.« »Na also, geht doch«, grinste der Verbrecher. »Die Vereinten Nationen also. Warum hast du das nicht gleich gesagt, Schätzchen. Dein Kollege hätte weniger Schmerz erdulden müssen.« »Ich ahnte ja nicht, dass Sie ein derartiger Unmensch sind, Sabato.« Der Verbrecher schlug der Sergeantin die flache Hand ins Gesicht. Es klatschte. Seine fünf Finger zeichneten sich auf ihrer Wange ab. Ein Stau aus Not und Verbitterung, Entsetzen und Fassungslosigkeit wollte sich Bahn brechen, erstickte aber in der Kehle Maras.
»Wie viele Leute seid ihr?« »Sieben.« »Also sind noch fünf von euch übrig. Wo finde ich sie?« Marisa presste die Lippen zusammen. »Wo?« Sabato richtete die Pistole auf den unverletzten Oberschenkel Leblancs. »Sei still, Mara«, stieß der Franzose hervor. »Ich – ich kann nicht.« Mara schaute in das Gesicht des Verbrechers. »Bogota. In einer Kaserne. Den Namen kenne ich nicht.« »Ich werde mich um eure Kollegen kümmern«, zischte Sabato. Er holsterte die Pistole. Die vier verließen den Raum. Die Tür wurde wieder verriegelt. »Es – es tut mir leid«, sagte Mara. »Es braucht dir nicht leid zu tun«, kam es schmerzgepresst von Leblanc. »Dieses verdammte Schwein…« »Ich habe Davidge und die anderen verraten.« Leblanc stieß scharf die Luft durch die Nase aus. Was sollte er darauf sagen? »Er – er hätte dich erschossen«, begann Mara noch einmal. Es war, als wollte sie sich vor sich selbst und vor Leblanc rechtfertigen. »Ich konnte es nicht zulassen. Der Colonel und Mark und auch die anderen werden Verständnis dafür haben.« Leblanc wurde einer Antwort enthoben. Denn es kamen zwei Soldaten, die seine Wunde versorgten. * Bogota, Büro des Polizeipräsidenten, Samstag, 0750 OZ »Ihr Einsatz ist also fehlgeschlagen«, sagte Ortega feststellend und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. Für einen kleinen Moment glaubte Davidge so
etwas wie den Anflug eines spöttischen Lächelns um den Mund des Polizeipräsidenten erkennen zu können. Er konnte sich aber auch getäuscht haben. Es konnte ebenso gut ein schmerzlicher Zug gewesen sein, nachdem es Sabato gelungen war, sich wieder einmal der Gerechtigkeit zu entziehen. »Auf der ganzen Linie«, sagte Davidge. »Zwei meiner Leute wurden gefangen genommen. Man wird aus ihnen Einzelheiten über unseren Einsatz herauszupressen versuchen. Von nun an wird Sabato noch vorsichtiger agieren und noch weniger Angriffsfläche bieten.« »Ich hätte Ihnen das von vorneherein sagen können, Colonel«, gab Pablo Calderon zu verstehen. Er war der Vertreter Alfredo Ortegas und bei der Besprechung anwesend. Ebenso Sancho Mendoza, der Leiter der Drogenpolizei. »Sabato ist ein Phantom, das nicht greifbar zu sein scheint. Ja, ich hätte es ihnen prophezeien können. Allerdings war ich nicht eingeweiht.« Er schaute seinen Chef vorwurfsvoll an. Ortega winkte ab. »Ich hätte Sie einweihen sollen, ich weiß. Aber nachdem alle unsere bisherigen Einsätze fehlgeschlagen sind…« Ortega machte trotz der Entschuldigung seines Vorgesetzen ein beleidigtes Gesicht. »Ihr Misstrauen kränkt mich, Senor.« »Geheim halten brauchen wir unseren Einsatz nicht mehr«, sagte Harrer. »Man kann Sabato nichts verraten, was er schon weiß. Drum schlage ich vor, dass wir mit zwei Kompanien Soldaten das Camp im Dschungel hochnehmen. Und zwar aus der Luft und vom Boden. Wenn wir Glück haben, gelingt es uns vielleicht sogar, unsere Kameraden Leblanc und Sanchez zu befreien.« »Ich glaube nicht, dass sich Sabato noch in dem Camp aufhält«, gab Davidge zu bedenken. »Er hat sich schätzungsweise noch in der Nacht abgesetzt.« »Vielleicht sollten wir das Camp erst einige Zeit beobachten, ehe wir zuschlagen.«
Davidge dachte kurz nach. »Nein. Wir brauchen Gefangene, die uns gegebenenfalls die Lage des Camps verraten, in das Sabato geflohen ist.« »Wann soll Ihrer Meinung der Einsatz stattfinden, Colonel?«, fragte Ortega. »Am besten heute noch. Wir würden auch das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben. Nachdem das Kartell zwei unserer Leute in seiner Gewalt hat, wird man nicht mit einem Großeinsatz rechnen.« »Und wenn doch«, wandte der Polizeipräsident ein. »Dann opfere ich viele meiner Leute, um hinterher festzustellen, dass uns Sabato wieder durch die Lappen gegangen ist.« Harrer und Davidge wechselten einen schnellen Blick. Keiner von beiden konnte sich der Argumentation Ortegas verschließen. Dennoch sagte Davidge: »Zurückhaltung bringt uns nicht weiter. Ich schlage vor, das Camp heute noch zu stürmen.« »Warum schicken wir nicht einige Bomber darüber hinweg und machen es dem Erdboden gleich?«, fragte Ortega. »Weshalb haben Sie das in der Vergangenheit nicht getan?«, kam sofort die Gegenfrage Davidges. »Weil…« Der Polizeipräsident zögerte. »Weil wir Sabato lebend wollten«, vollendete er schließlich. »Er arbeitet mit Gangstern in Amerika, in Mexiko und vielleicht sogar in Europa zusammen. Möglicherweise sympathisiert er mit der AUC. Wir wollten aus ihm seine dubiosen Geschäftsbeziehungen herauskitzeln. Ein toter Sabato hätte uns nicht viel genützt. An seine Stelle wäre allenfalls ein anderer getreten. Nachdem aber davon auszugehen ist, dass Sabato das Camp verlassen hat…« Vielsagend brach Ortega ab. »Ich verstehe«, sagte Davidge. »Ein akzeptabler Grund. Aber ich bin trotzdem dagegen. Es ist nicht auszuschließen, dass Lieutenant Leblanc und Sergeant Sanchez in dem Camp
festgehalten werden. Ihr Leben will ich nicht riskieren.« »Das Rauschgiftkartell ist mit einem Ungeheuer zu vergleichen«, warf Harrer dazwischen. »Schlägt man ihm den Kopf ab, stirbt es. Schlägt man ihm die Gliedmaßen ab, stirbt der Kopf wahrscheinlich von selbst.« »Also Großeinsatz«, murmelte Calderon. »Ich bin dafür.« Er schaute Ortega an. »Der Colonel hat Recht. Wir müssen dem Ungeheuer die Gliedmaßen abschlagen, dann geht der Kopf von selbst zugrunde.« »Wie viel Mann brauchen Sie?«, fragte Ortega nach kurzem Zögern. Er blickte ziemlich skeptisch drein. »Mindestens 100«, erwiderte Davidge. »80 Mann umstellen das Camp und rücken vor, sobald die anderen 20 über dem Camp abspringen. So bringen wir die Soldaten Sabatos zwischen uns und können sie aufreiben.« »Die Soldaten des Kartells werden sich in den Hütten verschanzen«, knurrte Ortega. »Für die Männer, die aus der Luft kommen, ein Himmelfahrtskommando.« »Wir werden mit ihnen abspringen«, knurrte der Colonel und nickte. »Sicher, Senor Ortega, es ist ein Himmelfahrtskommando. Aber wir sind Soldaten. Unser Job ist es, Risiken einzugehen.« Ortega fühlte sich zurechtgewiesen. »Ihr Job ist es aber nicht, offenen Auges in den Tod zu rennen«, antwortete er. Davidge legte die Stirn in Falten. »Was meinen Sie, Harrer?« »Ich bin dafür. Allerdings reicht es, wenn nur das SFO-Team abspringt. Die Soldaten, die uns unterstützen, sollen Rauchgranaten verschießen und uns Feuerschutz geben. Je größer nämlich der Trupp ist, der über dem Camp abgesetzt wird, umso mehr Angriffsfläche bildet er, und umso mehr Männer werden den Einsatz mit ihrem Leben bezahlen.« Davidge nickte. »Also wir fünf.« Er schaute nach der Reihe Harrer, Dr. Lantjes, Sergeant Caruso und Corporal Topak an. »Einverstanden?«
Es sah so aus, als wollte er eine demokratische Entscheidung herbeiführen, als scheute er sich, den Einsatz zu befehlen. »Gewiss, Sir«, sagte Dr. Lantjes. Caruso verzog das Gesicht. Topak nickte. »Ich verständige Capitan Montoya«, sagte Calderon und erhob sich. »Stellen Sie auch einige Leute zur Verfügung, Mendoza?« Der Chef der Drogenpolizei nickte. »Natürlich. Ich ordne zehn Leute zu dem Einsatz ab. Mehr habe ich im Moment leider nicht verfügbar.« »Besser als gar nichts«, kam es von Calderon. Er ging zur Tür und legte die rechte Hand auf die Klinke. »Was halten Sie davon«, sagte er über die Schulter, »wenn wir unsere Männer erst einweihen, sobald sie kurz vor dem Ziel ihres Einsatzes angelangt sind? So schützen wir uns vielleicht vor Verrat.« »Eine gute Idee«, versetzte Ortega. »Wir befördern die Einsatzgruppen per Hubschrauber zum Zielort. Die letzten Kilometer müssen sie sich zu Fuß bis zum Camp durchschlagen. Es reicht, wenn die Gruppenführer Bescheid erhalten, sobald sie die Helikopter verlassen haben. Wann soll die Aktion steigen?« »Es ist jetzt 8.35 Uhr«, sagte Davidge. »Wir starten um Punkt neun Uhr. In knapp einer Stunde dürften meiner Meinung nach 100 Mann abmarschbereit sein.« Calderon nickte und verließ den Raum. Auch Sancho Mendoza erhob sich und ging zur Tür, um den Raum zu verlassen. »Ich wünsche Ihnen viel Glück für den Einsatz«, sagte er mit einem angedeuteten Lächeln um die Lippen. »Das werden wir brauchen«, gab Davidge zur Antwort. *
Sie wurden mit sechs Transporthubschraubern nach Osten geflogen und abgesetzt. 90 Mann des kolumbianischen Militärs und zehn Drogenpolizisten kämpften sich durch den Urwald. Fünf der Hubschrauber flogen nach Bogota zurück. Der sechste Helikopter sollte Davidge und seine Leute über das Zielgebiet fliegen, wo sie abspringen sollten. Die Hundertschaft war in fünf Gruppen aufgeteilt. Die Gruppenführer standen per Funk miteinander in Verbindung. Capitan Montoya, der den Einsatz der Bodenkräfte leitete, konnte jederzeit Kontakt mit dem SFO-Team aufnehmen. Die fünf Gruppen benötigten eine Stunde, um die drei Meilen zum Camp zurückzulegen. Die Männer umzingelten das Camp. Capitan Montoya wurde gemeldet, dass die Gruppen Gefechtsstellung eingenommen hatten. Montoya gab die Meldung an Colonel Davidge weiter. Und dieser gab dem Hubschrauberpiloten den Befehl, aufzusteigen und sie über das Zielgebiet zu fliegen. Schon nach vier Minuten lag das Camp unter ihnen. »Ausstieg!«, befahl Davidge und sprang zuerst. Ihm folgte Harrer, dann kamen Dr. Lantjes, Caruso und zuletzt Corporal Topak, der schweigsame Russe. Der Hubschrauber drehte ab. Im freien Fall sausten die Mitglieder des SFO-Teams in die Tiefe. Aus den Hütten im Lager rannten Männer und begannen sofort zu schießen. Da begann es rings um das Lager zu krachen. Rauchgranaten wurden abgeschossen. Einige der Sabato-Männer brachen tot oder sterbend zusammen. Dichter, weißer Rauch entwickelte sich. Den Freischärlern war die Sicht auf die SFO-Leute, die vom Himmel herabzufallen schienen, genommen. Eine Splittergranate explodierte. Die SabatoKämpfer, die noch konnten, zogen sich in die Hütten zurück. Davidge zerrte an der Reißleine. Sein Fallschirm ging auf und bremste seinen Fall abrupt ab. Auch die Fallschirme der
anderen SFO-Leute öffneten sich. Sie schwebten langsam nach unten. Unter ihnen wallte dicker Qualm. Ein heftiger Kampf fand statt. Die Kämpfer des Drogenkartells verteidigten sich nach allen Richtungen. Pulverdampf wehte aus Fenstern und Türen der Hütten. Die Kugeln der offiziellen Truppe jedoch hielten die Paramilitärs in Deckung. Dann landete Davidge auf einem der Hüttendächer. Er befreite sich von seinem Fallschirm und sprang in die Tiefe. Dicht bei der Hüttenwand landete er. Harrer kam zwischen zwei Hütten am Boden auf. Er feuerte sofort auf Fenster und Türen, zwang die Sabato-Kämpfer in Deckung, warf den Fallschirm ab und rannte in den Schutz einer Hütte. Er schmiegte sich eng an die Hüttenwand. Sekunden später drang er in die Hütte ein. Vor ihm lag ein Flur. Aus einer Tür, die in einen der Räume führte, sprang ein Mann im Tarnanzug. Eine Salve aus Harrers MPi mähte ihn um. Davidge warf eine Handgranate durch eines der Fenster. Es gab eine Explosion, Feuer erfüllte den Raum, und die Männer, die sich darin befanden, starben. Caruso war am Boden aufgekommen, hatte sich sofort flach auf den Bauch geworfen und zu feuern begonnen. Er jagte seine Kugeln in die Front einer der Hütten hinein, sie pfiffen durch die Tür und die Fenster. Raues Geschrei erklang. Caruso sprang hoch, warf den Fallschirm ab und rannte in den Schutz einer Hütte. Überall krachte, klirrte und jaulte es. Allmählich verzog sich der Rauch. Dr. Lantjes und Corporal Topak waren ebenfalls gut am Boden angekommen und feuerten auf die Schützen an den Fenstern und Türen. Die Soldaten Capitan Montoyas rissen den Drahtzaun nieder und stürmten das Lager. Die Sabato-Kämpfer feuerten blindlings und ziellos. Die Hütte, in der die Handgranate explodiert war, stand in Flammen. Männer rannten ins Freie
und wurden von den MPi-Salven umgemäht. Harrer hatte eine der Hütten erobert. Davidge stand an einem Fenster einer anderen Hütte und feuerte hinein. Mit seinen Geschossen löschte er alles Leben in dem Raum aus. Es gab keine Gnade und kein Erbarmen, es gab nur die tödliche Entschlossenheit. Niemand wurde verschont in diesem gnadenlosen Kampf. Caruso sah einen der Kämpfer aus dem Rauch auftauchen und auf sich zulaufen. Der Bursche brüllte sich die Lunge aus dem Leib und begann zu feuern. Caruso war auf das linke Knie niedergegangen. Er spürte den glühenden Hauch einer der Kugeln an der Wange, dann feuerte er. Dem Freischärler wurden die Beine vom Boden weggerissen. Er krachte auf den Boden, überrollte sich einige Male und blieb still liegen. Und dann hatte die reguläre Truppe das Camp in der Hand. Die noch lebenden Sabato-Leute wurden in der Lagermitte zusammengetrieben und gefesselt. Harrer, Dr. Lantjes, Topak und Caruso versammelten sich um Davidge. »Alle in Ordnung?«, fragte der Colonel. »Abgesehen von einem Streifschuss an der Wade – ja«, gab Corporal Topak zu verstehen. Die anderen nickten. »Bei der Truppe scheint es einige Verluste gegeben zu haben«, sagte Harrer. Capitan Montoya kam heran. »Wir haben drei Tote und acht verletzte Männer zu beklagen«, gab er zu verstehen. »Diese dreckigen Bastarde…« »Dieses Mal scheint kein Verrat im Spiel gewesen zu sein«, sagte der Colonel. »Denn dann wäre uns dieser Überraschungsschlag nicht gelungen.« »Hatten Sie einen Fehlschlag einkalkuliert?«, fragte Montoya. »Nein. Aber ich rechnete damit, dass die Sabato-Leute besser vorbereitet gewesen wären. Oder dass wir ein leeres Camp vorfinden.«
Montoya wandte sich ab und rief einige Befehle in spanischer Sprache. Harrers Blick suchte den des Colonels. »Sie denken, heute Morgen hat der Verräter mit uns am Tisch gesessen, Sir?« »Ja, das denke ich.« »Ortega können wir schätzungsweise ausschließen.« »Auch den Chef der Drogenpolizei. Der einzige, der von unserem Einsatz in der vergangenen Nacht keine Ahnung hatte, war Calderon. Würde es sich bei Ortega beziehungsweise Mendoza um den Verräter handeln, wären wir erwartet worden.« Die anderen Mitglieder des Teams schauten nachdenklich. Sämtliche Hütten wurden durchsucht. In der Hütte, in der bis vor einigen Stunden Sabato gehaust hatte, wurde eine Karte gefunden, auf der die Kokaanbaugebiete akribisch genau abgesteckt waren. Von Leblanc und Mara Sanchez keine Spur. Davidge, Harrer, Dr. Lantjes, Caruso und Topak hatten es erwartet, waren aber dennoch enttäuscht. * Sabato telefonierte mit seinem Handy. »Weshalb hast du mich nicht gewarnt? Ich hätte das Lager in der Nähe von San Pedro de Arimena evakuiert. So aber habe ich an die 30 Leute verloren. Und ich muss befürchten, dass der eine oder andere redet und die anderen Camps verrät.« »Ich konnte dich nicht warnen, Sabato. Der Verdacht, der Verräter zu sein, wäre sofort auf mich gefallen. Wo befindest du dich jetzt?« »In dem Camp in der Nähe von Arauca, nahe der Grenze nach Venezuela. Wenn mir hier der Boden zu heiß werden sollte, verschwinde ich für eine Weile. Ich habe in Venezuela gute Freunde, die mich verstecken werden. Haben diese SFO-
Leute über den New Plan Columbia gesprochen?« »Nein. Möglicherweise sind sie gar nicht eingeweiht. Der New Plan Columbia wurde von den Amerikanern ausgeheckt, die SFO-Leute aber arbeiten im Auftrag der Vereinten Nationen.« »Ich will die fünf SFO-Leute tot sehen«, knurrte Sabato. »Nimmst du das in die Hand?« »Warum sollen sie sterben?« »Es handelt sich um Angehörige einer Spezialeinheit. Wenn sie herausfinden, wo ich mich aufhalte, kommen sie erneut, um mich gefangen zu nehmen. Ich bin zwar gewarnt, und ich fürchte mich nicht vor ihnen. Aber es sind meine Feinde. Und meine Feinde pflege ich zu vernichten.« »Das ist gefährlich. Ich muss einige Leute dafür anheuern. Wäre es nicht besser, wenn deine Soldaten das in die Hand nähmen? Die SFO-Leute wohnen in der Kaserne der Präsidialgarde.« »In Ordnung. Capitan Sandego wird es erledigen.« Dann war die Leitung tot. Sabato schaute einen der Männer an, die sich bei ihm im Raum befanden, und sagte: »Du nimmst mit Paco Sandego in Zipaquira Verbindung auf. Er soll mit einer Hand voll Männer in Bogota die fünf SFO-Leute kaltmachen. Bestelle ihm von mir, dass ich kein Versagen dulde. Morgen will ich gemeldet bekommen, dass die fünf tot sind.« Der Angesprochene sagte: »Si, si, General. Der Auftrag ist bei Sandego in guten Händen.« Mit dem letzten Wort erhob er sich, um den Raum zu verlassen. Außer Sabato befanden sich jetzt noch drei Männer in dem Raum, der ziemlich spartanisch eingerichtet war. Es gab nur einen Tisch, fünf Stühle, einen alten Aktenschrank und in der Ecke einen zerkratzten Schreibtisch, hinter dem ein höhenverstellbarer Bürostuhl aus Metall stand. »Manuelito.«
»Ja, General.« »Lass die beiden Gefangenen herschaffen. Ich will mit ihnen sprechen.« Der Bursche namens Manuelito sprang auf und verschwand. Wenig später wurden Leblanc und Mara Sanchez in die Hütte gebracht. Leblanc hinkte stark. Jede Bewegung war eine Anstrengung, eine Überwindung, die all seinen Willen erforderte. Der Schmerz trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Er und Mara Sanchez mussten sich setzen. Sabato baute sich vor Mara auf. »Sag mir, was du über die Pläne der Amerikaner weißt, um den Koka- und Mohnanbau in Kolumbien zu unterbinden.« »Ich weiß davon gar nichts«, sagte Mara. »Soll ich deinem Gefährten wieder Schmerzen bereiten?« Sabato grinste grausam. * »Wohin hat sich Sabato abgesetzt?« Es war Capitan Montoya, der die Frage stellte. Auf einem Stuhl in der Raummitte saß ein gefangener Freischärler. Er war auf dem Stuhl festgebunden. Seine Unterlippe war aufgeplatzt und Blut rann über sein Kinn. Außer dem Capitan waren noch ein Teniente und ein Sargento anwesend. Der Gefangene schwieg verbissen. Der Capitan versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht. Der Kopf des Gefangenen wurde auf die rechte Schulter gedrückt. »Wohin?« »Ich weiß es nicht.« Wieder schlug der Capitan zu. Es klatschte. Der Gefangene schrie auf. »Du weißt es. Also raus mit der Sprache.« »Sabato hat mit uns nicht darüber gesprochen.« »Was ist mit den beiden Gefangenen geschehen?« »Sabato hat sie mitgenommen.«
»Wurden sie gefoltert?« »Keine Ahnung, Ich weiß nur, dass der Mann verwundet war. Am Arm.« »Wohin ist Sabato geflohen? Einer von euch wird es mir verraten. Wenn nicht du, dann einer deiner Gefährten, die wir gefangen genommen haben. Warum willst du große Schmerzen erdulden, wenn ich am Ende doch erfahre, was ich wissen will.« Er schlug dem Gefangenen die Faust ins Gesicht. Blut sprudelte aus der Nase des Misshandelten und rann über seinen Mund. Der Capitan griff ihm in die Haare und bog seinen Kopf in den Nacken. Der Gefangene röchelte. »Ich schlage dich in Stücke«, versprach der Capitan. »Soweit ich weiß, hat sich Sabato in ein Camp in der Nähe von Arauca zurückgezogen.« Der Gefangene hatte nicht mehr die Kraft, gegen diesen Strom aus Gewalt und Brutalität anzuschwimmen. »Das Camp liegt 15 Meilen südlich der Stadt im Dschungel. Mehr weiß ich nicht.« »Befinden sich auch die Gefangenen dort?« »Si.« »Arauca. Das liegt an der Grenze zu Venezuela, nicht wahr?« »Ja. Im Falle einer Gefahr kann Sabato innerhalb kürzester Zeit über die Grenze verschwinden.« »Warst du in dem Dorf San Martin dabei, als Sabatos Männer die gesamte Einwohnerschaft auslöschten?« »Nein, Capitan.« »Bring ihn zu den anderen Gefangenen, Sargento«, gebot der Capitan. »Wir haben erfahren, was wir wissen wollten.« Er und der Teniente verließen den Vernehmungsraum. Indes sie den Flur des Gebäudes entlang schritten, sagte der Capitan: »Ich werde den Präsidenten unterrichten. Möglich, dass wir heute noch nach Norden gehen, um das Camp hochzunehmen. Bereiten Sie Ihre Männer auf den Einsatz vor, Teniente.«
* Bogota, Büro des Polizeipräsidenten Samstag, 1630 Ortszeit Soeben sagte Ortega: »Kolumbien ist nicht nur weltweit führend in der Drogenproduktion und dem -export, auch was Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeht, liegt Kolumbien an der Weltspitze.« Ortega machte eine kleine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. »Hinter den Grausamkeiten stecken Guerilleros und Paramilitärs«, setzte er dann hinzu. »Die Söldner werden gut bezahlt. Es ist für die jungen Leute im Lande finanziell durchaus verlockend, bei einer der Truppen mitzumischen. Das gilt auch für das Rauschgiftkartell, an dessen Spitze Sabato steht. Die Finanzierung der Truppen erfolgt durch den Rauschgifthandel…« Ortega wurde abgelenkt, als es an der Tür klopfte. Es war Capitan Montoya. Er lächelte, dann sagte er mit triumphierender Stimme: »Wir wissen, wo sich Sabato verkrochen hat.« Montoya richtete den Blick auf Davidge. »Dort befinden sich auch Ihre Leute, Colonel. Einer der Gefangenen hat es verraten.« Davidge war wie elektrisiert, ebenso auch die anderen Mitglieder des SFO-Teams. »Sie leben also«, entfuhr es Mark Harrer. »Ja«, versetzte Montoya. »Leblanc scheint verwundet zu sein. Allerdings nicht schwer. Eine Kugel soll seinen Oberarm verletzt haben.« »Mir fällt ein Stein vom Herzen«, murmelte Davidge wenig militärisch und zeigte damit Emotion. »Wir dürfen keine Zeit verlieren«, stieß Caruso hervor und erhob sich.
»Langsam«, sagte Ortega. »Sollten wir nicht erst abwarten, bis sich die Wogen nach unserem heutigen Einsatz geglättet haben? Wird Sabato nicht mit einem erneuten Schlag von unserer Seite rechnen? Ich denke, wir sollten ihn ein wenig in Sicherheit wiegen.« Der Polizeipräsident formulierte seine weiteren Worte im Kopf, dann fuhr er fort: »Wenn sich Sabato in Sicherheit wiegt, läuft er uns auch nicht weg. Lassen wir ihn in dem Glauben, dass wir keine Ahnung bezüglich seines Verbleibs haben. Und dann schlagen wir zu, wenn er nicht mehr damit rechnet.« Caruso schaute wenig begeistert drein. Aber er setzte sich wieder. »Mir geht es nicht mehr so sehr um Sabato«, knurrte er. »Es ist mir viel wichtiger, Pierre und Mara rauszupauken.« »Wir dürfen unseren Auftrag auf keinen Fall vernachlässigen«, sagte Davidge. »Pflichterfüllung steht über persönlichen Wünschen und Gefühlen, Sergeant.« »Ich weiß. Dennoch…« »Allzu lange dürfen wir nicht warten, bis wir zuschlagen«, mischte sich Mark Harrer ein. »Jetzt ist Sabato angeschlagen. Er leckt sozusagen seine Wunden. Wenn wir ihm die Zeit lassen, sich zu erholen, sinkt unsere Chance, die Kameraden herauszuholen und Sabato festzunehmen.« Davidge nickte beipflichtend. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Ortega und sagte: »Das sehe ich auch so, Senor. Wir werden uns daher in die Nähe des Camps begeben und in der kommenden Nacht zuschlagen.« »Soll ich Ihnen wieder ein Kontingent an Soldaten und Polizisten zur Verfügung stellen?« »Nein. Nur einen Hubschrauber, der uns nach Norden bringt und wieder zurück fliegt.« »Wann möchten Sie fliegen? Bis Arauca sind es immerhin etwa 300 Meilen.« »Um null 900.«
* Zwei Jeeps beförderten das SFO-Team zurück zur Kaserne. In jenem, der vorausfuhr, saßen Davidge und Harrer, im nachfolgenden Dr. Lantjes, Caruso und Topak. Ein ziviler Personenwagen, der vor dem Polizeipräsidium geparkt hatte, folgte. Die Besatzungen der Jeeps merkten es nicht, oder sie maßen dem keine Bedeutung bei. Der Beifahrer in dem Pkw hatte ein Handy am Ohr und sagte: »Sie fahren in Richtung Kaserne. In etwa zehn Minuten dürften sie eintreffen. Wir bleiben dran.« Er senkte die Hand mit dem Mobiltelefon. Es dauerte in der Tat nur zehn Minuten, dann tauchte die Kaserne auf. Am Schlagbaum stand ein Soldat mit geschultertem Gewehr und Stahlhelm. Etwa 100 Meter von der Einfahrt entfernt parkte ein Lastwagen mit einer Plane über der Ladefläche. Die Jeeps mussten wegen der Ausweiskontrolle anhalten. Die Plane des Lastwagens hob sich. Die Rohre zweier Raketenwerfer wurden sichtbar. Männer, die mit Tarnanzügen bekleidet waren, hatten die Waffen auf den Schultern liegen. Einer zielte auf den vorderen der beiden Jeeps, der andere auf den hinteren. Ein dritter Mann hielt die Plane hoch. Der Wachposten, der sich dem vorderen der beiden Jeeps näherte, riss plötzlich das Gewehr von der Schulter und schrie: »Achtung!« Gleichzeitig repetierte er und feuerte auf den Lastwagen. Im letzten Moment hatte er bemerkt, dass die beiden Jeeps Ziel eines Anschlags werden sollten. Und er hatte sofort reagiert. Da feuerte einer der Männer auf dem Lastwagen auch schon die Rakete ab. Doch er hatte verrissen, als die Kugel des Wachsoldaten dicht an ihm vorbeistrich. Die Rakete zischte über den Jeep hinweg und schlug in das Wachgebäude ein, wo sie explodierte.
Steine flogen durch die Luft. Staub wölkte. Geschrei wurde laut. Der Fahrer des vorderen Jeeps gab geistesgegenwärtig Gas und durchbrach den Schlagbaum. Dr. Lantjes, Caruso und Topak waren aus dem hinteren Jeep gesprungen. Im letzten Moment. Denn die zweite Rakete traf das Fahrzeug und hob es regelrecht vom Boden weg. Der Benzintank explodierte. Eine Stichflamme schoss zum Himmel. Blechteile schepperten, als sie am Boden aufschlugen. Dr. Lantjes, Caruso und Topak wurden von der Druckwelle erfasst und zu Boden geschleudert. Sie blieben liegen und schützten mit den Armen ihre Köpfe. Der Fahrer des Jeeps hatte zu spät reagiert. Ihn hatte es noch erwischt. Ihm war nicht mehr zu helfen. Schüsse peitschten. Dann heulte ein Motor auf. Der Lastwagen fuhr an. Die Plane war wieder heruntergelassen. Das Fahrzeug verschwand in der nächsten Seitenstraße. Der Jeep brannte lichterloh. Soldaten kamen über den Kasernenhof gelaufen. Befehle wurden gebrüllt. Dr. Lantjes, Caruso und Topak erhoben sich und liefen aus dem Bereich des brennenden Jeeps. Davidge und Harrer waren ausgestiegen und kamen ihnen entgegen. Caruso hinkte. Seine Hose war über dem linken Oberschenkel blutgetränkt. Sie trafen zusammen. »Sind Sie alle in Ordnung?«, keuchte Davidge. »Mein Bein«, presste Caruso hervor. »Irgendetwas hat mich getroffen. Ein Stück Blech.« »Kümmern Sie sich um ihn, Dr. Lantjes«, sagte Davidge. Die Ärztin nickte. »Stütz dich auf mich, Caruso«, sagte sie. »Ich bringe dich in mein Zimmer. Dort habe ich Verbandszeug.« »Ich helfe dir«, sagte Topak. Caruso legte seine Arme um die Schultern der beiden. Grinsend sagte er: »So eng waren wir noch nie beisammen, Doc. Ich glaube, ich kriege Gefühle. Und ich kann es kaum
erwarten, dass wir auf dein Zimmer kommen.« »Bilde dir nur keine Schwachheiten ein, Alfredo. Eng mit dir zusammen ist nur die Ärztin, nicht aber die Frau.« »Du zerstörst einem jede Illusion.« Dr. Lantjes grinste. »Falsche Illusionen, mein Lieber. Aber es ist gut, dass du trotz der Verwundung deinen Humor beibehalten hast. Gehen wir.« Sie schleppten den Italiener fort. »Caruso dürfte ausfallen«, murmelte Davidge. »Das bedeutet, wir sind nur noch zu viert.« Harrer nickte und presste die Lippen zusammen. Dann erwiderte er: »Dieser Einsatz hat von uns schon einen ziemlich hohen Tribut gefordert. Wenn das so weitergeht…« »Ich habe es geträumt«, murmelte Davidge. »In der Nacht, bevor wir nach Bogota flogen. Caruso, Leblanc, Dr. Lantjes und Sie, Harrer, starben in meinem Traum. Leblanc hatte einen ähnlichen Traum. Es war alles so realistisch. Das Lager, Sabato, der Kampf…« »Darauf sollten Sie nichts geben«, sagte Harrer nach kurzer Zeit, in der er arbeitete, was Davidge von sich gegeben hatte. Mit belegter Stimme fuhr er fort: »Es war nur ein Traum. Das Unterbewusstsein hat sich gemeldet. Noch leben wir alle.« Davidge schaute ziemlich unglücklich drein. Einige Soldaten versuchten, den Brand mit Handfeuerlöschern unter Kontrolle zu bekommen. Stimmen schwirrten durcheinander. Sanitäter kamen, um die verletzten Wachsoldaten, die sich im Wachgebäude aufgehalten hatten, zu versorgen. Ein Coronel, den einige andere Offiziere und Unteroffiziere begleiteten, trat heran. »Ich hoffe, Sie und Ihre Leute sind unversehrt geblieben, Colonel Davidge.« »Ja. Bis auf eine Beinverletzung eines meiner Leute. Wir haben es der Aufmerksamkeit des Wachsoldaten zu verdanken. Hätte er uns nicht im letzten Moment gewarnt, wären wir jetzt
tot.« »Der Mann wird eine besondere Belobigung erhalten, Colonel. Auf wessen Konto, denken Sie, geht der Anschlag?« »Auf das Konto Sabatos, Coronel.« * Im Dschungelcamp bei Arauca, Samstag, 1810 OZ »Wir müssen raus hier!«, stieß Leblanc hervor. Sie waren nach dem Verhör, das Sabato mit ihnen durchführte, wieder in den kleinen Raum in einer der Hütten gebracht worden. Die Wände waren aus Holz. Es gab ein kleines Fenster, durch das in schräger Bahn Sonnenlicht fiel. Winzige Staubpartikel tanzten in der Lichtbahn. Das Fenster war nicht groß genug, um einen ausgewachsenen Mann hindurchzulassen. Das Verhör hatte nichts ergeben. Sabato hatte eingesehen, dass weder Mara Sanchez noch Leblanc etwas wussten, was für ihn von Interesse gewesen wäre. »Wir sind gefesselt«, murmelte Mara. »Unser Gefängnis wird bewacht. Du bist verwundet, Pierre. Ich glaube nicht, dass wir es schaffen.« »Zunächst müssen wir versuchen, uns von den Fesseln zu befreien«, kam es unbeirrt von Leblanc. »Wir stellen uns Rücken an Rücken. Du versuchst, meine Handfesseln aufzubekommen. Wenn ich erst mal die Hände frei habe…« Sie machten es, wie Leblanc es vorgeschlagen hatte. Mara arbeitete verbissen. Schließlich gelang es ihr, den Knoten zu lockern. Und dann konnte sie ihn aufziehen. Leblanc drückte die Arme auseinander. Die Oberarmwunde schmerzte. Aber er verbiss den Schmerz. Schließlich fielen seine Fesseln. Sich von den Fesseln zu befreien, die um seine Arme lagen, fiel ihm nicht schwer, nachdem seine Hände frei waren. Er befreite auch Mara. Es schmerzte, als das Blut wieder in ihre Finger
zirkulieren konnte. Sie massierten die Hände. Bald ließ das Stechen in den Fingerkuppen nach. »Wir müssen versuchen, die Posten zu überwältigen, wenn sie uns das Abendessen bringen«, erklärte Leblanc. »Wie kommen wir aus dem Camp?« »Wir ziehen die Uniformen der Posten an, die wir überwältigen. Wenn Sie uns das Abendessen bringen, ist es fast finster. Man wird uns nicht erkennen.« Noch einmal meldete Mara ihre Bedenken an. »Du kannst mit dem durchschossenen Bein nicht weit laufen. Wir werden uns mitten im Dschungel befinden. Es ist kaum zu bewältigen.« »Wir müssen uns ein Fahrzeug beschaffen, die Zündung kurzschließen und nichts wie weg.« Mara Sanchez schaute skeptisch. Sie verlieh ihren tief sitzenden Zweifeln erneut Ausdruck: »Wir kommen nicht weit, Pierre. Es ist Wahnsinn. Wahrscheinlich töten sie uns, wenn wir es versuchen.« »Sie töten uns auch, wenn wir es nicht versuchen«, versetzte Leblanc. Jeder Zug seines Gesichts drückte unumstößliche Entschlossenheit aus. Da waren an der Tür Geräusche zu hören. Mara glitt an die Wand neben der Tür. Das Türblatt würde sie decken, wenn es aufschwang. Leblanc bückte sich und hob die Stricke auf. Dann stellte er sich neben Mara an die Wand. Die Tür wurde aufgedrückt. Ein Soldat betrat den Raum. Er gab einen überraschten Laut von sich, als er die beiden Gefangenen nicht sah, wollte herumwirbeln – doch da legte sich ihm von hinten ein Arm um den Hals. Mara riss ihn an sich heran. Der Soldat gab einen verlöschenden Ton von sich. Leblanc öffnete das Holster des Mannes und zog die Pistole heraus. Da schoben sich zwei weitere Wachposten in den Raum. Sie hielten die Gewehre im Anschlag. Die Waffen waren geladen und entsichert. Leblanc hätte erst laden müssen,
um mit der Pistole zu feuern. »Fallen lassen!«, peitschte das Organ eines der Soldaten. Er hielt das Gewehr auf Leblanc angeschlagen. Sein Finger lag um den Abzug. Leblanc atmete stoßweise. Sprungbereit stand er da, die Hand mit der Pistole halb erhoben. Plötzlich entspannte er sich. Er schob die Pistole wieder ins Holster des Soldaten. Mara nahm ihren Arm von seinem Hals und versetzte ihm einen leichten Stoß. Der Mann wirbelte herum, riss die Pistole heraus, und einen Moment lang sah es so aus, als wollte er schießen. »Wir halten die beiden in Schach«, sagte einer der Kerle, die Gewehre trugen. »Du legst ihnen wieder die Fesseln an, Juanito.« Juanito ließ die Faust mit der Pistole sinken. Sein Zahnschmelz knirschte. Wo ihn Mara im Würgegriff hatte, war sein Hals leicht gerötet. Schließlich versenkte er die Waffe im Futteral, ging zur Wand und bückte sich nach den Schnüren, die Leblanc dorthin geworfen hatte. * Bogota, Samstag, 1830 OZ Alfredo Ortega verließ das Polizeipräsidium. Sein Mercedes stand im Hof. Ortega wollte Feierabend machen. Mit dem SFO-Team war alles besprochen. Auf Hilfe durch Militär und Polizei hatte Colonel Davidge verzichtet. Er, Ortega, hatte veranlasst, dass die SFO-Leute zum Militärflugplatz gefahren wurden und dass dort für sie ein Helikopter bereitstand, der sie nach Norden, in die Nähe von Arauca, fliegen sollte. Mehr konnte er im Moment nicht tun. Doch sollte seine Anwesenheit vonnöten sein, dann wusste der Offizier vom Dienst, wie er ihn erreichen konnte. Ortega freute sich auf zu Hause. Seine Frau Conchita kochte
ihm täglich ein warmes Essen, das er sich schmecken ließ, wenn er am späten Nachmittag oder am frühen Abend nach Hause kam. Conchita war eine hervorragende Köchin. Natürlich hatte Ortega von dem Anschlag auf das SFO-Team Bescheid erhalten. Er war froh, dass Davidge und seine Leute das Attentat überlebt hatten, denn ihr Tod hätte sicherlich eine Reihe von Komplikationen ausgelöst. Die Vereinten Nationen ließen sich nicht auf der Nase herumtanzen. Per Fernbedienung öffnete Ortega den Mercedes. Es war eine gehobenere E-Klasse, und er war stolz auf diesen Wagen. Der Parkplatz war fast leer. Die meisten Beschäftigten des Präsidiums hatten bereits ihren Feierabend angetreten beziehungsweise hatten heute, am Samstag, dienstfrei. Aber daran verschwendete Ortega keinen Gedanken. Er öffnete die Fahrertür und wollte sich auf den Sitz fallen lassen, als hinter ihm trappelnde Schritte zu hören waren. Er drehte den Kopf herum. Zwei Männer in Tarnanzügen rannten auf ihn zu. Ein dritter kam hinter einem der abgestellten Fahrzeuge in die Höhe. Und jetzt erklangen auch von der anderen Hofseite Schritte. Ortegas Kopf flog herum. Er begriff. Aber es war zu spät. Die beiden Männer, die er zuerst gesehen hatte, waren heran. Einer hielt eine Pistole in der Hand, die auf Ortega gerichtet war. Er riss Ortega den Schlüsselbund aus der Hand. Der andere öffnete die hintere Tür des Mercedes. »Einsteigen!« Als Ortega, der wie gelähmt war, nicht sogleich gehorchte, packte ihn der Bursche und stieß ihn in den Fond des Wagens. Der Uniformierte rannte auf die andere Seite und warf sich auf den Sitz neben Ortega. Er hatte jetzt eine Pistole in der Hand. Einer der Kerle nahm auf dem Fahrersitz Platz. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss, der Motor sprang an. Die anderen Kerle waren vom Hof verschwunden. Der Mercedes stieß rückwärts aus der Parklücke, fuhr einen Halbkreis, dann rammte der Bursche hinter dem Steuer den
ersten Gang ins Getriebe, ließ die Kupplung kommen und gab Gas. Sie fuhren aus dem Hof, ein Toyota folgte ihnen. Darin saßen die anderen Kidnapper. Die ganze Aktion hatte nicht länger als zwei Minuten in Anspruch genommen. Ortega fand seine Sprache wieder. »Wer seid ihr? Wohin bringt ihr mich?« »Schnauze!«, zischte der Bursche, der neben ihm saß. »Das wirst du schon noch früh genug erfahren.« Ortega spürte, wie die Angst nach ihm griff. Sie berührte ihn mit eisig kalter Klaue. * Niemand hatte die Entführung bemerkt. Lediglich die Frau Ortegas rief im Präsidium an, nachdem ihr Mann bis 19.30 Uhr nicht angekommen war, obwohl er sein Kommen um 19 Uhr telefonisch angekündigt hatte. Conchita Ortega rief im Präsidium an. Ihr wurde erklärt, dass ihr Mann seinen Dienst um 18 Uhr 30 beendet hatte. Sie sprach mit dem Offizier vom Dienst. »Vielleicht ist Ihr Mann in einen Unfall verwickelt, Senora«, sagte er. »Es kommt immer wieder mal vor, dass zwei Autos auf unseren überfüllten Straßen kollidieren. Ich schicke eine Streife los. Sie soll den Weg abfahren, den Ihr Mann immer nimmt.« Conchita Ortega bedankte sich. Um 20 Uhr stand fest, dass Ortega in keinen Unfall verwickelt war. Er war verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Pablo Calderon, sein Stellvertreter, wurde informiert. Um 20 Uhr 10 ging ein Anruf im Polizeipräsidium ein. Der Anrufer sprach mit dem Offizier vom Dienst. Er sagte: »Wir haben Ortega in unserer Gewalt. Sorgt dafür, dass das SFOTeam noch heute das Land verlässt. Wenn nicht, legen wir die
Leiche Ortegas vor die Tür des Polizeipräsidiums.« Das war eindeutig. Um 20 Uhr 20 wurde Davidge in Kenntnis gesetzt. Pablo Calderon war am Telefon. Er sagte: »Ich will, dass Sie und Ihre Leute auf der Stelle das Land verlassen, Colonel. Das Leben unseres Polizeipräsidenten steht auf dem Spiel. Sabato pflegt nicht zu spaßen.« »Sie verlangen von mir, dass ich meine Leute in der Gewalt dieser Bestie zurücklasse?«, schnappte Davidge. »Das kann nicht Ihr Ernst sein. Sind Sie überhaupt befugt, uns aus dem Land zu weisen?« »Meine Befugnis besteht darin, dass ich dem Piloten Anweisung geben werde, Sie nach Venezuela zu fliegen. Sie sollten sich dagegen nicht zur Wehr setzen, Davidge. Als stellvertretender Polizeipräsident stehen mir alle Türen offen. Ein Anruf genügt, und Sie werden offiziell aus dem Land gewiesen. Es kann aber auch schlimmer für Sie und Ihre Leute kommen.« »Ich werde mit dem UN-Beauftragten…« Calderon ließ Davidge nicht aussprechen. »Ich warne Sie, Colonel. Es gibt Mittel und Wege, Sie und Ihre Leute auszuschalten. Es muss nicht der offizielle Weg sein. Sie verstehen?« »Sehr gut«, knirschte Davidge. »Ich werde sofort Ihre Abholung veranlassen. Sie werden zum Flugplatz gebracht, wo der Hubschrauber bereitstehen wird. Ich rate Ihnen, sich an meine Weisungen zu halten, Davidge. Sollten Sie den Piloten zwingen, Sie nach Arauca zu fliegen, werden Sie es bereuen.« »Was wird aus meinen Leuten, die sich in Sabatos Gewalt befinden?«, grollte Davidge. »Ihr Schicksal liegt in Sabatos Händen. Vielleicht lässt er sie laufen, vielleicht tötet er sie. Wer weiß das schon?« Davidge schmetterte den Hörer auf den Apparat.
Ein spöttisches Lächeln kräuselte Calderons Lippen. Er deponierte gleichfalls den Hörer auf dem Apparat, doch dann überlegte er es sich anders und nahm den Hörer noch einmal zur Hand. Er tippte eine Nummer. Als sich jemand meldete, sagte er: »Das SFO-Team wird heute noch Kolumbien verlassen. Das Zugriff, der für heute Nacht geplant war, findet nicht statt. Haltet aber vorsichtshalber Ortega und die beiden SFO-Leute fest. Solange sie sich als Druckmittel in deiner Hand befinden, wird sich Davidge an meine Anordnungen halten.« »Sehr gut. Aber ich habe nicht vor, Ortega und die beiden SFO-Leute laufen zu lassen. Sobald sicher ist, dass das restliche Team das Land verlassen hat, lasse ich ihnen die Kehlen durchschneiden. Ich werde ein Exempel statuieren. Jeder soll sehen, wie ich mit meinen Feinden verfahre.« »Von mir aus. Tu, was du für richtig hältst. Sicher. Wenn Ortega das Zeitliche segnet, steht meiner Beförderung zum Polizeipräsidenten nichts mehr im Wege. Ja, räume ihn aus dem Weg. Es wird auch für dich von Nutzen sein, wenn ich hier die Befehle gebe.« »Dann sind wir, uns ja einig. Eine Hand wäscht die andere. Ich werde dafür sorgen, dass du an Ortegas Stelle rücken kannst.« »Hasta la vista, Sabato«, sagte Calderon. Dann legte er endgültig auf. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Endlich«, murmelte er für sich. »Der Weg ist frei.« Er verschränkte die Hände über dem Bauch und grinste triumphierend vor sich hin. * Der Hubschrauber wartete außerhalb Bogotas auf einer Wiese. Die Einstiegsluke stand offen. Ortega musste aus dem Mercedes steigen. Er wurde nach wie vor mit der Pistole
bedroht, einer Beretta 92F. Jetzt forderte ihn einer seiner Kidnapper auf, in den Helikopter zu klettern. Aus dem Toyota, der dem Mercedes gefolgt war, stiegen drei Männer. Drei seiner Entführer folgten Ortega in den Hubschrauber. Alles ging nahezu schweigend vor sich. Die Einstiegsluke wurde geschlossen, der Pilot ließ den Motor an. Die Rotoren begannen sich zu drehen. Der Luftzug legte das Gras im Umkreis von zehn Metern um und ließ die Haare der Männer, die zurückblieben, fliegen. Der Helikopter hob ab. Er stieg ein Stück senkrecht in die Höhe, dann flog er eine Kurve und nahm die Route nach Norden. Einer der Entführer holte aus dem Toyota einen 5-LiterKanister und goss das Benzin über die Sitze des Mercedes. Dann warf er ein brennendes Streichholz hinein. Fast explosionsartig setzte sich der Treibstoff in Brand. Die Flammen schlugen aus den geöffneten Türen. Dunkler Rauch entwickelte sich. Bald stand der Mercedes in hellen Flammen. Die Spuren, die die Entführer in dem Wagen hinterlassen hatten, wurden vernichtet. Die Männer setzten sich in den Toyota und fuhren zurück nach Bogota. Der Hubschrauber flog in das Dschungelcamp in der Nähe von Arauca. Im Camp gab es genügend Platz, um zu landen. Einige Soldaten der paramilitärischen Truppe Sabatos rannten herbei. Die Rotoren blieben stehen, die Turbinen des Helikopters erstarben, die Einstiegsluke wurde aufgeschoben. Ortega erhielt den Befehl auszusteigen. Seine Kidnapper sprangen ebenfalls auf den Boden. Dann nahmen sie den Polizeipräsidenten zwischen sich und führten ihn zu einer der Hütten. Wenig später stand er Sabato gegenüber, dem Phantom, das er seit längerer Zeit jagte, das ihm aber immer wieder entkommen war. Sabato saß hinter dem Schreibtisch und
grinste siegessicher. An dem Tisch in der Raummitte hockten drei seiner Unterführer. Sabato sagte, ohne dass sein Grinsen erlosch: »Nehmen Sie Platz, Senor.« Ortega ignorierte diese Aufforderung. »Weshalb haben Sie mich entführen lassen, Sabato?« »Es steht Ihnen nicht zu, Fragen zu stellen, Ortega. Sie sind mein Gefangener.« Sabato tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust. »Ich stelle hier die Fragen, falls es überhaupt Fragen zu stellen gilt.« »Trotzdem würde ich den Grund gerne erfahren, Sabato. Was haben Sie vor zu erpressen?« »Ich will nichts erpressen, Ortega. Ich mache Ihren Platz frei. Das ist alles. An Ihrer Stelle wird ein Mann Polizeipräsident, der mir aus der Hand frisst und der nicht mit ausländischen Spezialeinheiten zusammenarbeitet, um mich zu vernichten.« »Sie sprechen von SFO.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Ja. Ich weiß, dass das Team heute in der Nacht zuschlagen wollte. Nun, wir hätten den SFO-Leuten eine Falle stellen und sie töten können. Aber damit hätte ich wohl auch das Leben einiger meiner Männer riskiert. Warum sollte ich das herausfordern? Die UN-Truppe hat heute Abend das Land verlassen. Mein guter Freund Calderon hat dafür gesorgt. Sicher ist das SFO-Team schon in Venezuela.« Ortega war wie vor den Kopf gestoßen. Die Worte hallten in ihm nach. »Calderon«, flüsterte er. »Calderon ist also der Verräter.« »Er hat die Zeichen der Zeit zu deuten gewusst«, versetzte Sabato. »Auf unserer Seite ist er sicher. Er wird Polizeipräsident und seinen Job in unserem Sinn machen.« »In wessen Sinne?« »Im Sinne der Paramilitärs.« »Sie kämpfen auf der Seite der AUC? Seit wann? Bisher
agierten sie doch neben der FARC, der AUC und der Regierung als vierte Macht im Lande.« »Ich musste mich für eine der Parteien entscheiden. Andernfalls wäre ich zwischen ihnen aufgerieben worden wie ein Weizenkorn zwischen zwei Mühlsteinen. Der Kampf gegen die Guerrilla geht weiter. Finanziert wird er mit dem Verkauf von Drogen. Das Militär hält sich heraus. Und künftig wird sich auch die Polizei raushalten. Das geht aber nur mit einem Calderon als Polizeipräsident.« »Dann ist mein Tod also beschlossene Sache.« »Ja. Nachdem ich Sie über die Rolle Ihres Stellvertreters aufgeklärt habe, kann ich Sie gar nicht mehr laufen lassen. Aber ich töte Sie nicht gleich. Erst wenn wir Sie und die beiden SFO-Leute nicht mehr brauchen, werden Sie alle drei sterben. Bringt ihn zu den anderen Gefangenen.« Dieser Befehl galt den drei Männern, die Ortega hergebracht hatten. Er wurde gepackt und nach draußen gezerrt. Bald darauf wurde er in den Raum gestoßen, in dem Pierre Leblanc und Mara Sanchez eingeschlossen waren. Auch Ortega wurde gefesselt. Dann ließ man die drei allein. Die Tür wurde von außen verriegelt. »Sie, Senor Ortega?«, stieß Mara hervor. »Wie kommen Sie hierher?« »Man hat mich gekidnappt. Am hellen Tag, mitten in Bogota, hat man mich entführt. Sabato hat keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass er uns töten wird. Ich weiß jetzt auch, wer unsere Einsätze verraten hat. Es war Calderon, mein Stellvertreter. Er ist ein dreckiger Schuft.« Der Polizeipräsident brach ab. Sein Atem ging stoßweise. Er hatte sich in Rage geredet, und ihm war die Luft ausgegangen. »Haben Sie mit Colonel Davidge gesprochen?«, fragte Pierre Leblanc. »Wird der Colonel etwas unternehmen, um uns hier rauszuholen?« »Heute Nacht sollte der Einsatz durchgeführt werden. Ihre
Befreiung und die Festnahme Sabatos standen auf dem Plan des Colonels. Heute Abend aber hat man Davidge und sein Team nach Venezuela ausgeflogen. Auch das hat mir Sabato unter die Nase gerieben.« Ortega ließ sich auf einen der Stühle fallen. Seine Gesichtszüge erschlafften. »Mit Hilfe von außen können wir nicht rechnen. Ich denke, wir sind verloren. Es geht nicht mehr nur um Drogen. Es geht um den Bürgerkrieg. Drogen und Krieg sind in unserem Land zwei Seiten derselben Medaille.« »Wie sollen wir das verstehen?«, fragte Mara Sanchez. »Der Bürgerkrieg prägt den Drogenanbau. Es ist ein offenes Geheimnis. Das mag für Sie fantastisch klingen, ist es aber nicht. Die Finanzierung der Guerilla und der Paramilitärs verschlingt gewaltige Summen. Allein an Sold für die geschätzten 15.000 Mitglieder der FARC-Guerilla sind jährlich mehr als 50 Millionen Dollar aufzubringen. Medizinische Versorgung, Verwaltung und vor allem Bewaffnung der Truppe kosten schätzungsweise noch einmal dieselbe Summe. Ohne die Einnahmen aus dem Drogenanbau könnte der Bürgerkrieg nicht finanziert werden.« »Was hat Sabato mit dem Krieg zu tun?« »Er und seine Männer kämpfen auf der Seite der Paramilitärs. Oberbefehlshaber ist Carlos Perrano. Er bekämpft die Guerilla. Seine Todesschwadronen machen das ganze Land unsicher. Er gibt die Finanzierung seiner Truppe durch Drogengelder in Interviews offen zu. Auf seine Seite hat sich Sabato geschlagen.« »Das heißt, dass der Drogenanbau und -handel von höherer Stelle geleitet wird und dass Sabato nur noch ein kleines Licht zwischen vielen anderen kleinen Lichtern ist.« »So kann man es nennen. Wenn man Sabato aus dem Verkehr zieht, hat man der Hydra zwar einen Kopf abgeschlagen, der jedoch über Nacht nachwachsen wird.« »Warum sagen Sie das erst jetzt?«, knurrte Leblanc.
»Weil ich es selbst erst seit wenigen Minuten weiß. Bis jetzt sind wir immer davon ausgegangen, dass Sabato seine eigene Suppe kocht. Seit eben ist mir klar, dass er zu Carlos Perranos Paramilitärs gehört.« * Luftraum über Kolumbien, Samstag, 2045 OZ Davidge hielt dem Piloten die Pistole an den Kopf. »Sie fliegen uns in die Nähe des Dschungelcamps bei Arauca«, gebot er. »Aber…« »Kein aber! Sie tun, was ich Ihnen sage. Verstanden? Also fliegen Sie.« Mark Harrer hielt den Copiloten in Schach. Der Pilot fügte sich. Es war finster, als sie drei Meilen von dem Camp entfernt auf einer Lichtung aufsetzten. Davidge, Harrer, Dr. Lantjes und Topak stiegen aus. Caruso blieb zurück. Zum einen handicapte ihn die Beinwunde, zum anderen um zu verhindern, dass die Piloten das Polizeipräsidium per Funk verständigten. Und er musste auch verhindern, dass der Hubschrauber weggeflogen wurde. Das SFO-Team benötigte ihn für die Flucht aus Kolumbien. Davidge und seine Leute trugen volle Ausrüstung, also Helme, Headsets, Nachtsichtbrillen, Splitterschutzwesten, MP7, Pistolen und Kampfmesser. Topak trug an Stelle der MPi7 einen Granatwerfer. Zum weiteren Equipment gehörten M67 Splittergranaten, XM84 Betäubungsgranaten und AN-M8 HC Rauchgranaten. Die Koordinaten hatten sie vorher auf Grund der Angaben eines Gefangenen festgelegt. Davidge trug das GPS-Gerät. Davidge, Harrer, Dr. Lantjes und Topak marschierten los.
Der Dschungel war stellenweise fast undurchdringlich. Topak bahnte dann den Weg mit einer Machete. Die Nachtsichtgeräte stellten eine ungemeine Hilfe dar. Per Headset standen sie mit Caruso in Verbindung. Nachdem sie etwa eine Meile zurückgelegt hatten, fragte Davidge nach, ob alles klar sei. »Alles Roger«, bestätigte der Italiener. Sie marschierten weiter. Jeder Schritt brachte sie näher an das Camp heran. Das geschrumpfte Team hatte nur zwei Dinge vor Augen. Das eine war die Befreiung Leblancs und Mara Sanchez', das andere die Festnahme Sabatos. Dürre Zweige knackten unter ihren Schritten. Obwohl es Nacht war, schien der Dschungel voller Leben zu sein. Die vielfältigsten Geräusche vermischten sich miteinander; Kreischen, Pfeifen, Brüllen, Knistern und Knacken. Sie erreichten das Camp. Das Dröhnen eines Dieselgenerators für die Stromerzeugung war zu hören. Das Lager war kleiner als jenes, in das sie in der vergangenen Nacht eingedrungen waren. Es gab auch keinen Zaun. Aber es gab einen Wachturm, auf dem zwei Posten standen. Im Gegensatz zum anderen Lager wurden hier keine schwenkbaren Scheinwerfer benutzt. Dieses Camp schien nicht für die Dauer eingerichtet zu sein. Fünf Hütten schälten sich aus der Dunkelheit. Davidge und Harrer stellten die MP7 auf Einzelfeuer. Die Schalldämpfer waren aufgeschraubt. Davidge zielte kurz. »Feuer!«, flüsterte er, dann drückte er ab. Es machte ›plopp‹. Ein Geräusch, das in der Reihe der Geräusche des Urwaldes unterging. Einer der Wachposten brach – ohne einen Laut von sich zu geben –, zusammen. Harrer hatte ebenfalls das Ziel aufgenommen. Es gab kaum einen Rückstoß, als er feuerte. Der zweite Wachposten sank zu Boden.
Sie warteten in den Büschen. Bald waren Schritte zu vernehmen. Flüsternde Stimmen… Die beiden Streifenposten unterhielten sich leise miteinander. Die Dunkelheit gab ihre Gestalten frei. Sie hatten die Gewehre geschultert. Davidge und Harrer ließen sie passieren. Dann tauchten sie – die Kampfmesser in den Fäusten –, hinter den beiden Wachleuten auf. Davidge und Harrer arbeiteten professionell. Lautlos töteten sie die beiden Wachposten. »Sie, Corporal Topak und Dr. Lantjes, bleiben hier zurück«, befahl Davidge raunend, »und sichern gegebenenfalls unseren Rückzug.« »Jawohl, Sir.« Flüsternd kam die Bestätigung des Befehls von Topak. »Lieutenant, Sie versuchen die Hütte mit den Gefangenen auszumachen. Ich kümmere mich um Sabato.« »Hals- und Beinbruch, Sir.« »Ihnen auch, Harrer. Geben Sie auf sich Acht.« Sie trennten sich. Harrer schlich von Hütte zu Hütte. Zwei der Hütten wurden bewacht. Aus dem Fenster einer der Hütten fiel Licht. Harrer nahm an, dass hier die Kommandantur untergebracht war. Er schlich um eine der Hütten herum und gelangte hinter jene, vor deren Tür ebenfalls eine Wache aufgestellt war. An der Längsseite schob er sich nach vorn, bis er um die Ecke blicken konnte. Der Wachposten lehnte an der Wand. Harrer nahm die MPi. Eine feurige Zunge lohte fast lautlos aus der Mündung. Der Mann fiel um wie ein gefällter Baum. Mit drei Schritten war Harrer bei der Tür. Sie ließ sich öffnen. Er konnte nur hoffen, dass in der Hütte nicht ein weiterer Mann Wache hielt. Harrer machte Licht. Er sah zwei Türen, die von dem kleinen Flur abzweigten. Die linke ließ sich öffnen. Die rechte war verschlossen. Harrer drehte den Schlüssel herum und schlug den Riegel aus der Halterung. Dann drückte er die Tür auf.
Licht aus dem Flur fiel in den Raum und riss drei Gestalten aus der Dunkelheit, die in den Hochbetten lagen und schliefen. Es waren Leblanc, Mara Sanchez und der Polizeipräsident. Mara Sanchez erwachte. »Mara!«, stieß Harrer hervor. »Mark, du?« Es kam fast wie ein Jubelschrei. Mit einem Satz stand sie. »Leise. Wir sind hier, um euch rauszuholen.« Brummend erwachte Leblanc. Er richtete sich auf. »Pierre ist verwundet«, sagte Mara. Leblanc kam hoch. Auch Ortega war erwacht und erhob sich. »Ich wähnte Sie schon längst in Venezuela«, sagte er. »Sabato hat damit geprahlt, dass das SFO-Team aus dem Land verwiesen wurde.« »Wir haben jetzt keine Zeit für lange Erklärungen«, knurrte Harrer. »Sehen wir zu, dass wir verschwinden. Folgt mir.« Er trat hinaus in den Flur, lief bis zur Tür und sicherte nach draußen. Die Luft war rein. Harrer trat ins Freie. Ihm folgte Mara, auf die sich Leblanc stützte. Ortega bildete den Schluss. Geduckt liefen sie zwischen den Hütten hindurch zu der Stelle, an der Topak und Dr. Lantjes zurückgeblieben waren. Die Befreiung der Gefangenen war geglückt. Mark Harrer atmete auf. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Hütte, in der er Sabato vermutete. Dann sagte er: »Ich gehe noch einmal hinein. Ihr wartet hier.« Er lief noch einmal in das Camp zurück. Möglicherweise benötigte der Colonel seine Hilfe. Er erreichte die Hütte. Vor der Tür lag der Wachposten. Tot. Harrer drang in die Hütte ein. Da hörte er Davidge sagen: »Rührt euch nur nicht, sonst schieße ich Sabato den Kopf von den Schultern. Vorwärts, Sabato, wir gehen.« Eine Tür wurde geöffnet. Harrer sah den Rücken Davidges. Der Colonel hatte seinen linken Arm um Sabatos Hals gelegt und drückte ihm die Pistole unter das Kinn. Er benutzte Sabato
wie ein lebendiges Schutzschild. »Ich halte Ihnen den Rücken frei, Colonel«, stieß Harrer hervor. Er drängte sich an Davidge und seinem Gefangenen vorbei und betrat den Raum, aus dem soeben Davidge und Sabato gekommen waren. Vier Männer saßen am Tisch. Alle trugen Uniform. Harrer hielt die MP7 auf die Kerle angeschlagen. Die Mündung beschrieb einen kleinen Halbkreis, als Harrer die Waffe herumschwenkte. Er brauchte nichts zu sagen. Die vier Uniformierten wagten kaum noch zu atmen. Davidge verließ mit seinem Gefangenen die Hütte. Er ließ Sabato los. »Sie gehen vor mir her. Diese Richtung.« Er deutete dorthin, wo Topak und Dr. Lantjes zurückgeblieben war. Die Mündung der Pistole stieß er gegen Sabatos Rücken. Sabato warf sich unvermittelt herum und stürzte sich auf Davidge. »Alarm!«, brüllte er mit kippender Stimme. »Alarm!« Seine Stimme gellte durch das Camp. Sabato umklammerte Davidge mit beiden Armen. Der Colonel zog die Knie hoch und traf den Verbrecher empfindlich. Er löste seinen Klammergriff und wankte ächzend zwei Schritte zurück. Davidge folgte ihm und schlug zu. Die Pistole krachte gegen Sabatos Schläfe und fällte ihn. Er fiel auf den Bauch. Davidge packte ihn am Jackenkragen und schleifte ihn mit sich in den Busch. Harrer rannte ins Freie. Da drängten aus den anderen Hütten schon die Freischärler Ortegas. Doch sie hatten keine Ahnung, weshalb sie alarmiert wurden. Sie sahen zwar eine Gestalt in den Dschungel laufen, aber sie konnten sich keinen Reim drauf machen. Erst als die vier Uniformierten aus Sabatos Hütte kamen, wurden sie aufgeklärt. »Bringt mir die Schufte!«, brüllte einer der Uniformierten mit überschnappender Stimme. Es war Sabatos Vertreter hier im Camp. Sein Name war Jose Sandobal. »Ich will sie lebend.«
Da feuerte Topak eine Rauchgranate ab. Sie explodierte mitten im Lager, dichter Rauch wallte auseinander, der alles bedeckte und den Freischärlern die Sicht nahm. Davidge, der Sabato hinter sich her schleppte, Leblanc, den Harrer stützte, und Mara Sanchez rannten an Topak und Dr. Lantjes vorbei. Dr. Lantjes jagte einige Feuerstöße in den wolkenden Rauch hinein. Topak lud den Granatwerfer mit einer M67. Er schoss die Splittergranate ab. Die herumfliegenden Schrapnells rissen einige Verfolger von den Beinen und verwundeten oder töteten sie. Dann ergriffen auch Topak und Dr. Lantjes die Flucht. * Sie flohen durch den Busch. Caruso konnte sie mit dem Hubschrauber nicht herausholen, weil die riesige Stahllibelle hier nirgends landen konnte. Ihre Verfolger veranstalteten einen ziemlichen Lärm. Sie trugen Handscheinwerfer mit sich. Ihr Geschrei holte die Flüchtenden ein. Harrer hatte sich den bewusstlosen Sabato auf die Schulter geladen. Leblanc stützte sich schwer auf Topak. Sie kamen nicht besonders schnell voran. Damit hatten sie nicht gerechnet. Davidge war überzeugt gewesen, dass ihnen die Soldaten nicht folgen würden, wenn sie Sabato in ihrer Gewalt hätten. Jetzt musste er mit schmerzlicher Schärfe begreifen, dass Sabato kein Druckmittel war. Auf ihn wurde keine Rücksicht genommen. Davidge drehte sich um und schickte einen Feuerstoß in den nächtlichen Dschungel hinein. Die Mündungsfeuer flackerten. Der Schalldämpfer schluckte die peitschenden Detonationen. Das Feuer wurde erwidert. Kugeln pfiffen durch das Buschwerk, zerfetzten Zweige und Blätter. Wieder feuerte Davidge. Die Verfolger verfügten über keine Nachtsichtbrillen und schossen aufs Geratewohl. Er, Davidge, hingegen konnte
den einen oder anderen ihrer Häscher ausmachen. Er stellte die MP7 auf Einzelfeuer um. Geschrei vermischte sich mit dem Krachen der Schüsse der Sabato-Soldaten. Der Urwald schien die peitschenden Detonationen festhalten zu wollen. Davidges Schüsse waren wegen des aufgeschraubten Schalldämpfers nicht zu hören. Harrer und die anderen waren schon ein ganzes Stück voraus. Da erhob sich Hubschrauberlärm. Und dann stieg der Hubschrauber, mit dem Ortega ins Camp gebracht worden war, über die Bäume. Ein Suchscheinwerfer war in den Wald gerichtet. An der Einstiegsluke saß ein Soldat mit einer Uzi. Sabato war schwer. Harrer keuchte. Seine Lungen stachen. Er spürte Seitenstechen. Auch Topak und Leblanc fielen mehr und mehr zurück. »Lass mich hier«, stieß der Franzose zwischen keuchenden Atemzügen hervor. »Es hat keinen Sinn. Wir können ihnen nicht entkommen.« »Kommt nicht in Frage«, kam es von Topak. Sein Atem flog. »Mara, hilf mir.« Die Sergeantin sprang hinzu und legte sich Leblancs anderen Arm auf die Schulter. Sie schleiften ihn nun mehr, als dass er lief. Immer wieder knatterten Kalaschnikow-MPis mit ihrem unverwechselbaren Klang, und die Kugeln pfiffen wie bösartige Hummeln durch das Strauchwerk. Alle anderen Geräusche wurden vom Donnern der Schüsse geschluckt. Dann war Harrer am Ende. Er warf Sabato ab und ließ sich auf die Knie niederfallen. Seine Bronchien pfiffen. Davidge kam herangehastet. »Hoch mit Ihnen, Harrer!« »Ich – ich kann nicht mehr«, kam es abgehackt und stoßweise von dem Lieutenant. »Fliehen Sie, Sir. Ich versuche, die Kerle zurückzuschlagen.« Der Hubschrauber flog über sie hinweg. Für einen Moment standen sie voll im Licht des Suchscheinwerfers. Die Uzi begann zu hämmern. Davidge zerrte Harrer in den Schutz eines
dichten Strauches und schickte eine Salve aus seiner MP7 zum Himmel. Jetzt schoss auch Harrer. Er jagte seine Kugeln in den Wald hinein, schickte sie den Verfolgern entgegen. »Fliehen Sie, Colonel«, rief er zwischen den Schüssen. »Nehmen Sie Sabato mit. Ich versuche, die anderen aufzuhalten.« Davidge packte Sabato am Arm und zog ihn hinter sich her. Dr. Lantjes half ihm. Plötzlich aber wehrte sich der Verbrecher. Er war zu sich gekommen. Es gelang ihm, aufzuspringen. Er riss sich los. Davidge schlug mit der MP7 nach ihm, verfehlte ihn aber. Sabato warf sich auf den Colonel und riss ihn zu Boden. Harrer kam heran. Er hatte einige Salven verschossen. Dr. Lantjes riss Sabato von Davidge herunter. Sabato brüllte auf. Die Ärztin richtete die MPi auf ihn. Davidge kam hoch. »Verschwinden wir, Harrer!« »Nicht ohne Sabato!«, versetzte Harrer und schlug zu. Sabato bekam den Kolben der MPi gegen die Stirn und brach zusammen. Davidge packte ihn am Kragen, Dr. Lantjes am Arm. Sie schleppten ihn mit sich. Harrer wandte sich wieder den Verfolgern zu und feuerte aus der Hüfte. Der Hubschrauber kam zurück. Harrer sprang in den Schutz eines Strauchs. Der Lichtkegel glitt über den Boden. Der Lärm war infernalisch. Harrer feuerte schräg in die Höhe. Der Hubschrauber flog derart tief, dass zu befürchten war, dass er die Baumwipfel streifte. Etwas Großes, Dunkles stürzte in die Tiefe und verschwand zwischen den Büschen. Es war der MPi-Schütze. Ein dumpfer Aufprall war zu hören. Harrer zielte. Dann drückte er erneut ab. Der Suchscheinwerfer zerplatzte. Schlagartig ging das Licht aus. Dann hatte Harrer die letzte Kugel verschossen. Er wechselte das Magazin. Jeder von ihnen hatte ein Reservemagazin am Mann.
Laub raschelte in seiner Nähe. Er ging auf das linke Knie nieder. Die MP7 hielt er an der Seite, den herausgezogenen Kolben unter den Arm geklemmt. Im Dschungel wimmelte es von Verfolgern. Die Lichtbalken der Suchscheinwerfer bohrten sich in die Finsternis. Ein Aufschrei ertönte von dort, wo sich die anderen Flüchtlinge befinden mussten. Er war aus der Kehle eines Mannes gestiegen. Harrer konnte nicht wissen, dass Ortega einen Zufallstreffer kassiert hatte. Die Kugel hatte ihm die linke Schulter zerschmettert. Zuerst merkte er nur einen fürchterlichen Schlag gegen das Schulterblatt, er stürzte. Und dann kam der Schmerz wie ein alles verzehrendes Feuer. Harrer begann wieder zu feuern. Er sah zwei Verfolger fallen. Ein Suchscheinwerfer verlosch, als er am Boden aufprallte. Dann kam Harrer hoch und folgte den anderen. Zweige peitschten sein Gesicht und zerrten an seiner Uniform. Er achtete nicht drauf. Da sah der Deutsche die Gestalt am Boden. Es war Ortega. Er röchelte. Er saß da, mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt. »Es – es hat mich erwischt. Sehen Sie zu, dass Sie den anderen folgen. Kümmern Sie sich nicht um mich.« »Kommen Sie«, stieß Harrer hervor. »Ich lasse Sie nicht einfach hier liegen. Versuchen Sie aufzustehen.« Stöhnend und ächzend kämpfte sich Ortega auf die Beine. Er legte den rechten Arm um Harrers Schultern. »Der Schmerz ist kaum auszuhalten«, presste Ortega hervor. »Hierher, Harrer!«, ertönte es. Es war die Stimme von Davidge. Mark Harrer folgte dem Klang. Ortega stieß immer wieder gurgelnde Laute aus, die ihm der Schmerz entlockte. Auch verspürte er eine zunehmende Schwäche, die der Blutverlust mit sich brachte. Die Kugel war vorne wieder ausgetreten und hatte ein ziemlich großes Loch gerissen. Plötzlich versagten Ortegas Beine. »Ich – ich kann nicht
mehr«, entrang es sich ihm. »Verschwinden Sie. Ich bin Ihnen nur ein Klotz am Bein…« Vorsichtig ließ Harrer den Verletzten zu Boden gleiten. »Niemals«, sagte er. Er kniete neben Ortega ab und feuerte in den Wald hinein, durch den mit viel Geschrei und Getöse die Häscher kamen. Schließlich waren die 40 Kugeln aus dem Magazin. Harrer zog die Pistole. Aber da war er schon eingekreist. Er hörte zu schießen auf und rief: »Ich ergebe mich!« Ortega rief es auf Spanisch. Seine Stimme klang fast ein wenig panisch. Das Krachen der Gewehre endete. Schemen lösten sich aus dem Busch und kamen mit angeschlagenen Gewehren näher. Harrer hatte die Pistole fallen lassen, sich erhoben und die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Jemand nahm ihm die MP7 weg. Der Freischärler schob die Schulterstütze ein, sodass die MPi nur noch 34 Zentimeter lang war, und hängte sie sich um den Hals. Im Knattern des Hubschraubers, der nach wie vor über den Bäumen kreiste, versanken alle anderen Geräusche. »Du Hund!«, stieß einer der Freischärler hervor und schlug Harrer die Faust ins Gesicht. Seine Unterlippe platzte auf, Blut sickerte aus dem Riss und rann über sein Kinn. Harrer sagte: »Der Polizeipräsident ist schwer verwundet. Er braucht schnell ärztliche Hilfe, sonst verblutet er.« Einer versetzte auf Englisch: »Soll er verrecken. Er wird nicht mehr gebraucht.« »Vielleicht könnt ihr ihn gegen Sabato austauschen.« Harrer sagte es, um die Freischärler zu veranlassen, etwas für Ortega zu tun. Ortega wurde aufgehoben und fortgetragen. Er hatte zwischenzeitlich die Besinnung verloren. Harrers Hände wurden auf den Rücken gefesselt. Mit Kolbenstößen wurde er vorwärts getrieben. Einige der Sabato-
Soldaten folgten Davidge und den anderen. Der Rest kehrte mit Ortega und Mark Harrer ins Camp zurück. Der Deutsche machte sich keine falschen Hoffnungen. Einen erneuten Coup würde Davidge nicht wagen, um ihn zu befreien. Er war auf sich selbst angewiesen, ahnte aber, dass Flucht kaum möglich war. Seine einzige Chance war, dass er zusammen mit Ortega gegen Sabato ausgetauscht wurde. Falls ein solcher Austausch überhaupt in Frage kam. Er wurde in den Raum gesperrt, in dem vor ihm Leblanc, Mara Sanchez und Ortega eingesperrt waren. Harrer war sich bewusst, dass er von Glück reden konnte, dass ihn die Freischärler nicht an Ort und Stelle erschossen hatten. Immerhin waren einige ihrer Kameraden bei der Befreiungsaktion getötet worden. Dass er noch lebte, gab Grund zu der Hoffnung, dass er als Druckmittel benutzt werden sollte. Es dauerte keine fünf Minuten, dann wurde sein Verlies wieder aufgeschlossen. Drei Männer betraten den Raum. Einer machte Licht. Harrer wurde einen Moment lang geblendet, dann aber hatten sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt. »Mein Name ist Jose Sandobal«, sagte einer der Kerle, ein etwa 40-jähriger, schlanker Bursche mit einem sauber getrimmten Oberlippenbart. »Ich bin in diesem Camp Sabatos Vertreter. Wohin soll Sabato gebracht werden?« »Zunächst nach Venezuela«, sagte Harrer. Er hatte keinen Grund, daraus ein Geheimnis zu machen. »Von Venezuela aus soll er nach Amerika geschafft werden, wo man ihm wahrscheinlich auch den Prozess machen wird.« »Wir haben den Polizeipräsidenten in unserer Gewalt«, knurrte Sandobal. »Wenn Sabato nach Amerika ausgeflogen wird, töten wir ihn. Und dich auch. Wie ist dein Name?« »Mark Harrer. ID-Nummer…« »Sie interessiert mich nicht. Das ist kein Krieg. Du bist kein
Kriegsgefangener. Du und der Polizeipräsident gegen Cesar Sabato. Was denkst du? Wird man darauf eingehen?« »Ich habe keine Ahnung.« »Wenn nicht, wirst du sterben.« * »Sergeant Caruso kommen. Hören Sie, Sergeant. Hier Davidge.« »Ich höre Sie. Kommen.« »Wir sind noch etwa eine Meile vom Hubschrauber entfernt«, sagte Davidge ins Mikrofon. »Eine gute Viertelstunde noch, Sergeant. Ist bei Ihnen alles klar?« »Ja.« »Wir haben Harrer und den Polizeipräsidenten verloren. Leblanc ist verwundet. Hinter uns sind Sabatos Leute her. Es wird eng. Der Pilot soll in zehn Minuten schon mal den Motor starten, sodass wir sofort abheben können, wenn wir bei Ihnen eintreffen.« »In Ordnung«, kam es von Caruso. »Over.« »Over.« Der Italiener schaute auf seine Armbanduhr. Sie zeigte an, dass es 23.24 Uhr war. Nach Davidges Angaben mussten sie um etwa 23.40 Uhr eintreffen. Caruso zog sich der Magen zusammen, als er verarbeitet hatte, dass Harrer sich in der Gewalt der Freischärler befand. Der Deutsche war ihm ausgesprochen sympathisch. Außerdem war er ein hervorragender Vorgesetzter. Caruso war einen Moment unachtsam. Er veränderte ein wenig seine Haltung, um nicht zu verkrampf en. In diesem Moment fuhr der Copilot heran. Seine Hände zuckten in die Höhe, erwischten Carusos Pistolenhand und drehten sie herum. Der Italiener schrie auf. Er versuchte, dem Copiloten die Hand zu entreißen. Jetzt aber mischte sich der Pilot ein. Er
sprang von seinem Sitz in die Höhe, kniete sich darauf und packte Caruso mit beiden Händen an der Uniformjacke. Mit einem wilden Ruck zog er ihn halb über die Rückenlehne des Pilotensessels. Der Copilot hatte Caruso die Pistole entwunden. Er schlug zu, traf aber nur den Helm. Sein zweiter Schlag mit der Waffe traf Caruso am Halsansatz. Seine Beine knickten ein. Der Copilot stieg über den Sitz hinweg und donnerte Caruso die Faust in den Magen. Der Pilot stieß ihn zurück. Er fiel in einen der Passagiersessel. Der Copilot richtete die Pistole auf ihn. Der Italiener schloss die Augen. Aus – finito!, durchfuhr es ihn siedend. Er erwartete den Schuss und mit der Kugel den Tod. Aber der Schuss fiel nicht. »Aussteigen!«, herrschte der Copilot ihn an. Er öffnete die Augen wieder. Der Pilot war aus dem Helikopter gesprungen und hatte die Einstiegsluke geöffnet. »Hören Sie schlecht?«, zischte der Copilot. Caruso erhob sich. Sein Bein schmerzte. Auf weichen Knien stieg er aus. Der Pilot nahm ihm den Helm mit dem Headset ab und warf ihn achtlos in den Hubschrauber. »Wir verschwinden«, gab er zu verstehen und stieg in den Helikopter. Der Copilot lief um die Maschine herum und kletterte ebenfalls hinein. Er hielt nach wie vor die Pistole Carusos in der Faust. Carusos MP7 lag im Hubschrauber auf einem der Sitze. Der Italiener konnte nichts tun. Der Motor sprang an, die Rotoren begannen sich zu drehen. Der Lärm wurde fast unerträglich, dann hob der Helikopter ab. Er stieg bis über die Bäume hinaus, schwenkte herum und flog in Richtung Süden davon. Der Lärm entfernte sich. Finsternis umgab Caruso wie ein schwarzer Vorhang. Er konnte keine Verbindung mit Colonel Davidge aufnehmen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er war stinksauer. Nicht auf die beiden Piloten, die eiskalt ihre Chance genutzt hatten.
Er war auf sich selbst sauer, weil er sich wie ein blutiger Anfänger hatte hereinlegen lassen. Die Minuten verrannen. Der Lärm, den der Helikopter veranstaltete, war nur noch aus der Ferne zu vernehmen. Dann kamen Davidge, Leblanc, Topak, Dr. Lantjes und Mara Sanchez. Sabato, der wieder zu sich gekommen war, ging vor Davidge, der ihm die Pistole gegen den Rücken drückte. Davidge stieß eine Verwünschung aus, nachdem er aus Carusos Mund gehört hatte, was sich zugetragen hatte. Ihre Verfolger hatten sie abgeschüttelt. Jedenfalls war nichts mehr von ihnen zu hören. Davidge sagte: »Die Grenze zu Venezuela liegt nur 15 Meilen von hier entfernt. Wir werden uns zu Fuß durchschlagen müssen.« »Was wird aus Harrer?«, fragte Dr. Lantjes. »Wir können ihn doch nicht einfach hier sich selbst überlassen.« Sie empfand mehr für den Deutschen als nur Sympathie. Er war ihr nicht egal. Dass Harrer möglicherweise den Freischärlern in die Hände gefallen war, ließ Dr. Lantjes' Herz höher schlagen. Sie atmete tief durch, um den Druck, der sich auf ihre Brust gelegt zu haben schien, zu überwinden. »Harrer ist schätzungsweise tot«, murmelte Davidge und dachte an seinen Traum. Ein eisiger Schauer rann ihm den Rücken hinunter. Leise fügte er hinzu: »Aber wir haben Sabato. Ihn festzunehmen war schließlich unser Auftrag.« Der Colonel sagte es und fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. »Sabato ist nachrangig geworden«, sagte Leblanc. Er hatte sich auf den Boden niedergelassen. Seine Wunden schmerzten. Die Beinwunde war wieder aufgebrochen, der Verband blutgetränkt. »Von Ortega haben wir erfahren, dass Sabato sich auf die Seite Carlos Perranos geschlagen hat. Perrano ist Oberbefehlshaber der Paramilitärs hier in Kolumbien. Er führt Krieg mit der Guerrilla. Es geht in dem Krieg um die Kontrolle, wer den Handel mit dem Rauschgift abwickelt und
wie viel er daran verdient. Sabato ist in diesem Reigen nur einer von vielen, die nach Perranos Pfeife tanzen. Er ist nicht mehr der Mann, der die Rauschgiftproduktion und den Handel manipuliert. Ziehen wir Sabato aus dem Verkehr, tritt ein anderer an seine Stelle. So einfach ist das.« »Warum hat uns das Ortega nicht gesagt, ehe wir alles aufs Spiel setzten, um Sabato festzunehmen?«, kam es fast zornig von Caruso. Er war verbittert. Durch seine Schuld war ihnen der Hubschrauber durch die Lappen gegangen. »Weil Ortega es selbst erst nach seiner Entführung aus Sabatos Mund erfuhr. Der Verräter ist im Übrigen Pablo Calderon, der Vertreter Ortegas. Ortega sollte getötet werden, damit Calderon an seine Stelle treten konnte. Sabato wäre es in diesem Fall möglich gewesen, völlig frei zu agieren.« »Wir müssen von hier verschwinden«, sagte Davidge. »Es ist nicht auszuschließen, dass die Freischärler noch nach uns suchen. Wie sieht es aus, Lieutenant Leblanc. Halten Sie noch eine Weile durch?« »Mit Miros Hilfe werde ich es wohl schaffen. Wie lange werden wir unterwegs sein?« »Schätzungsweise fünf Stunden. Gehen wir. Marschrichtung ist Norden.« * In der Wohnung Calderons klingelte das Telefon. Der stellvertretende Polizeipräsident hatte schon geschlafen. Schlaftrunken erhob er sich. »Wer mag das sein?«, fragte seine Gattin und knipste die Nachttischlampe an. »Nicht mal in der Nacht hat man seine Ruhe«, fügte sie ärgerlich hinzu. Calderon hob ab. Es war Jose Sandobal, Sabatos Vertreter im Lager nahe der Grenze zu Venezuela. Er sagte: »Schlechte Nachrichten, Senor Calderon. Sabato hat Ortega auf die Nase gebunden, dass Sie mit uns zusammenarbeiten und dass wir die
Tipps in der Vergangenheit von Ihnen bekommen haben.« »Nun, ich hoffe, Ortega kann mit seinem Wissen nichts mehr anfangen«, sagte Pablo Calderon. »Das ist das Problem. Das SFO-Team hat das Land nicht verlassen. Es war im Lager und hat die Gefangenen befreit sowie Sabato entführt.« Die Worte waren wie Hammerschläge gefallen und hallten in Calderon nach. Eine Bruchteile von Sekunden andauernde Blutleere im Gehirn ließ ihn wanken. »Die Gefangenen sind entkommen?«, entrang es sich ihm fassungslos. Und dann stieß er scharf hervor: »Sie sind euch entkommen?« »Ortega und einen Mann namens Harrer konnten wir wieder in unsere Gewalt bringen«, erklärte Calderon. »Ortega ist schwer verwundet. Aber es wird wohl so sein, dass Ortega seine Mitgefangenen aufgeklärt hat.« »Ihr müsst sie finden und zum Schweigen bringen.« »Sie sind uns entkommen. Wahrscheinlich haben sie die Hubschrauberpiloten gezwungen, sie zum Camp zu bringen. Wir sahen den Hubschrauber davonfliegen und sind davon ausgegangen, dass sich das SFO-Team an Bord befand.« »Ihr habt also die Suche abgebrochen?« »Si, Senor. Wie ich schon sagte…« »Ihr Dummköpfe, ihr gottverdammten Dummköpfe! Warum wart ihr nicht besser auf der Hut?« »Nachdem Sie Entwarnung gaben, war für uns die Sache erledigt. Wir nahmen an, dass die SFO-Leute nach Venezuela ausgeflogen werden und nie mehr nach Kolumbien zurückkehren.« Calderon atmete schwer. Er sah seine Felle davonschwimmen. Er wollte ganz hoch hinaus, umso tiefer und grausamer war jetzt der Fall. »Wie konnte Sabato nur Ortega gegenüber meine Rolle verraten?«, sagte er fast weinerlich. »Sabato fühlte sich zu sicher«, erwiderte Calderon. »Aber wir haben Ortega und diesen Harrer. Man könnte Sabato gegen
die beiden austauschen. Ohne großes diplomatisches Tamtam – einfach so.« »Was nützt mir das? Ortega weiß, dass ich mit Sabato zusammengearbeitet habe. Auch das SFO-Team weiß es jetzt. Man wird mich wegen Korruption aus dem Amt jagen und anklagen. Wenn ich Sabato, diesen Narren, zwischen meinen Fingern hätte, würde ich ihn zerquetschen.« Calderon hatte die letzten Worte regelrecht zwischen den Zähnen hervorgeknirscht. Es überstieg seinen Verstand. Er war mit dem Gedanken eingeschlafen, bald neuer Polizeipräsident von Bogota zu sein. Jetzt stand er sozusagen mit einem Bein schon im Zuchthaus. Es war nur eine Frage der Zeit. »Ich kann es nicht ändern, Senor«, sagte Calderon. »Was soll ich tun?« »Versuchen Sie, mit SFO Verbindung aufzunehmen. Schlagen Sie den Austausch vor.« »Es wird mir kaum möglich sein, mit den SFO-Leuten Verbindung aufzunehmen. Oder doch? Natürlich. Dieser Harrer war mit einem Funkgerät im Helm ausgestattet. Ja, Senor, ich werde Verbindung mit dem Team aufnehmen.« »Gut. Halten Sie mich auf dem Laufenden.« »Natürlich, Senor.« * Als der Morgen graute, erreichten sie Arauca. Da sie annahmen, dass in dem Ort Freischärler stationiert waren, umgingen sie ihn. Als die Sonne aufging, überschritten sie die Grenze nach Venezuela. Eine staubige Straße zog sich von Osten nach Westen. Auf ihr fuhren die an der Grenze stationierten Soldaten wahrscheinlich Patrouille. Sie folgten der Straße. Die Strapazen, die hinter ihnen lagen, zeichneten die Gesichter. Die Augen lagen tief und entzündet in dunklen Höhlen. Die Schatten der Erschöpfung auf den
Gesichtern ließen die Backenknochen stärker hervortreten. Die Muskeln arbeiteten automatisch, von keinem bewussten Willen gesteuert. Motorengeräusch wurde laut. Es näherte sich. Das Team verbarg sich im Gestrüpp. Dann kam der Jeep näher. Er war mit vier Männern besetzt, von denen drei Gewehre in den Händen hielten. Davidge trat aus seiner Deckung. Sofort wurde der Jeep abgebremst. Drei der Soldaten sprangen heraus, nur der Mann hinter dem Lenkrad blieb sitzen. Die Gewehre wurden auf Davidge gerichtet. Er hob die Hände und zeigte die Handflächen. »Ich bin Colonel Davidge, ich gehöre zu einer Spezialeinheit der Vereinten Nationen, der Special Force One, kurz SFO.« Einer der Soldaten lief zwischen die Büsche. »Da sind noch mehr«, rief er auf Spanisch und schwenkte das Gewehr über Leblanc, Mara Sanchez, Dr. Lantjes, Topak und Sabato hinweg. »Sie sind über die Grenze gekommen?«, fragte einer der Soldaten. »Ja. Wir hatten einen Auftrag in Kolumbien zu erledigen.« Davidge wies auf Sabato. »Es galt, diesen Mann festzunehmen. Sein Name ist Cesar Sabato. Er kontrollierte das Drogenkartell, auf sein Konto gehen unzählige tote Kokabauern und ihre Familien.« »Sie halten sich also illegal in Venezuela auf«, sagte der Sprecher der Grenzpatrouille, seinen Rangabzeichen nach ein Sargento, ein Sergeant also. »Wir mussten vor den Freischärlern flüchten und sahen keinen anderen Ausweg, als uns über die grüne Grenze abzusetzen. Ich denke doch, dass uns Ihr Land Asyl gewährt und nach Amerika ausfliegt.« »Ihr seid jedenfalls zunächst einmal festgenommen. Geben Sie mir Ihre Waffen, Colonel. Und auch die anderen sollten
ihre Waffen abgeben.« »Tut, was er sagt«, kam es von Davidge. Seine Schultern waren nach unten gesunken. Er war müde. Die Müdigkeit hatte seine Gesichtsmuskeln erschlaffen lassen. Auf den Augen lag ein trüber Schein. Er überreichte seine MP7 und die Pistole P226 dem Sargento. Auch Topak und Dr. Lantjes gaben ihre Waffen ab. Leblanc und Mara Sanchez waren sowieso waffenlos. »Marschieren Sie vor uns her – in diese Richtung.« Der Sargento wies nach Osten. »Wir haben einen Verletzten«, sagte Davidge. »Darf er sich zu Ihnen in den Jeep setzen?« Der Sargento starrte kurze Zeit auf das blutgetränkte Hosenbein Leblancs, dann nickte er: »Si. Er soll in den Wagen steigen. Es ist nicht weit bis zum nächsten Grenzposten. Dort können Sie sich alle ausruhen.« Davidges Zuversicht wuchs. Er sagte sich, dass der Sargento gar nicht anders konnte, als sie zu verhaften. Sie waren in der Tat illegal nach Venezuela gekommen. Sie marschierten vor dem Jeep her. Die Straße war von Reifenspuren zerfurcht. Zu beiden Seiten war Urwald. Es war jetzt heller Tag. Die Hitze war kaum zu ertragen. Schweiß rann in die Augen und entzündete sie. Staub, den ein heißer Wind aufwirbelte, verklebte die Poren. Die Lippen der Männer und Frauen waren trocken und rissig. Nach etwa zwei Meilen lag die Grenzstation vor ihnen. Die Flagge Venezuelas hing schlaff vom Mast und bewegte sich leicht im Wind. Ein halbes Dutzend Männer waren hier stationiert. Sie kamen aus der Hütte, in die sie sich vor der sengenden Sonne zurückgezogen hatten. Ein Teniente wandte sich an den Sargento. »Was ist mit diesen Leuten?« Der Sargento salutierte und stand stramm. »Wir haben sie
aufgegriffen, nachdem sie illegal über die Grenze gekommen sind. Der Colonel…«, der Sargento wies mit dem Kinn auf Davidge, »hat mir erzählt, dass sie von den Vereinten Nationen nach Kolumbien geschickt worden waren, um diesen Mann…«, jetzt wies er mit einer knappen Geste auf Sabato, »festzunehmen und nach Amerika zu schaffen, wo er vor Gericht gestellt werden soll.« »Was hat er ausgefressen, dass sich die Amerikaner für ihn interessieren?«, fragte der Teniente. »Er ist Boss eines Drogenkartells«, sagte Mara Sanchez auf Spanisch. »Mit Drogen aus Kolumbien überschwemmte er den amerikanischen und europäischen Markt. Zwischenzeitlich hat er sich dem Befehl Carlos Perranos unterstellt. Er hat viele hundert, vielleicht sogar mehrere tausend Menschen auf dem Gewissen.« »Ist sein Name Cesar Sabato?«, fragte der Teniente. »Haben Sie von ihm gehört?« »Ja. Er wird per internationalem Haftbefehl gesucht.« »Dann wissen Sie ja Bescheid, Teniente«, sagte Mara und übersetzte sogleich, was sie mit dem Oberleutnant gesprochen hatte. »Ich werde mit meiner vorgesetzten Dienststelle in San Cristóbal telefonieren«, sagte der Teniente. »Man wird mir Bescheid geben, was mit euch zu geschehen hat. Können Sie sich ausweisen?« »Uns hat man alles abgenommen, als wir von den Freischärlern Sabatos gefangen genommen wurden«, sagte Mara Sanchez. Sie schaute Davidge an. »Er will Ihren Ausweis sehen, Sir. Auch deinen, Ina, und den deinen, Miro.« Die drei zückten ihre Ausweise. Der Teniente nahm sie und ging in die Wachstube, um zu telefonieren. Davidge half Leblanc aus dem Jeep. Er führte ihn zu einer Holzbank und Leblanc setzte sich.
* Camp in der Nähe von Arauca, Sonntag, 0705 OZ Ortega war ärztlich versorgt und zu Harrer in die Hütte gesperrt worden. Der Polizeipräsident war bleich. Tief lagen seine Augen in den Höhlen. Sein Blick war getrübt. Der Blutverlust forderte von ihm seinen Tribut. Die Männer, die ihn brachten, hatten ihn auf eines der Betten gelegt. Hemd und Jacke Ortegas waren zerrissen und blutverschmiert. In seinem Gesicht zuckten die Nerven. »Calderon kommt damit nicht durch«, flüsterte er. »Wahrscheinlich sind Ihre Kameraden in Sicherheit und Calderons Stunden als stellvertretender Polizeipräsident sind gezählt.« »Wenn ihnen die Flucht mit dem Hubschrauber gelang, dann sind meine Kameraden längst in Venezuela.« Draußen wurden Geräusche laut. Gleich darauf wurde die Tür geöffnet. Ein Mann erschien im Türrahmen, deutete auf Mark Harrer und sagte: »Folgen Sie mir.« Harrer, der auf einem Stuhl saß, erhob sich und ging zur Tür. Der Mann, der ihn aufgefordert hatte, ihm zu folgen, trat zur Seite. Harrer wurde von zwei weiteren Uniformierten in die Mitte genommen und aus der Hütte geführt. Man brachte Harrer in die Kommandantur. Er war in der Nacht schon einmal in dieser Hütte gewesen, als der Colonel Sabato kidnappte. Heute saß Jose Sandobal hinter dem zerkratzten Schreibtisch. Am Besuchertisch saßen vier seiner Unterführer. Auf dem Tisch lag Harrers Helm mit dem Headset. »Sie werden jetzt mit Ihren Kameraden Verbindung aufnehmen«, sagte Sandobal. »Ich will mit Ihrem Vorgesetzten sprechen. Machen Sie schon.« Sandobal wies auf den Helm. Mark Harrer setzte sich den Helm auf und schaltete das
integrierte Funkgerät ein. »Alpha eins bitte kommen«, sagte er. »Alpha eins, hier ist Viper. Bitte kommen.« Eine Weile rührte sich nichts. Nur ein Knistern kam aus dem Lautsprecher. Dann erklang eine Stimme. »Wer spricht da?« Die Frage wurde in spanischer Sprache gestellt. »Ich möchte Colonel Davidge sprechen«, sagte Harrer. »Hier spricht Lieutenant Mark Harrer. Ich befinde mich in der Gewalt der Paramilitärs. Bitte, holen Sie den Colonel ans Mikro.« Wieder kam das Knistern durch den Äther. Dann erklang Davidges Stimme: »Hier Colonel Davidge. Was gibt es?« »Hier Viper – Mark Harrer. Sir, ich bin Gefangener der paramilitärischen Truppe Sabatos. Man hat mich gezwungen, mit Ihnen Verbindung aufzunehmen. Wo befinden Sie sich?« »Wir sind in Venezuela und werden heute Vormittag noch nach San Cristóbal gebracht. Man wirft uns illegale Einreise und illegalen Aufenthalt vor. Wir sind sozusagen auch Gefangene. Sicher wird man uns verhören und dann abschieben.« »Geben Sie mir den Helm«, forderte Sandobal. Harrer nahm ihn ab und reichte ihn dem Freischärler. Sandobal setzte ihn auf. In englischer Sprache fragte er: »Mit wem spreche ich?« »Mit Colonel Davidge.« »Sie sind Anführer des SFO-Teams?« »Richtig.« »Bueno. Passen Sie auf, Colonel. Sie haben General Sabato in Ihrer Gewalt. In unserer Gewalt befinden sich Alfredo Ortega und Lieutenant Harrer. Wir möchten Sabato gegen die beiden austauschen. Ohne Einschaltung der diplomatischen Dienste oder sonst welcher Vertretungen. Wo befindet sich Sabato?« »In Venezuela. Wir sind selbst Gefangene. Ich kann nicht bestimmen, was zu geschehen hat. Nachdem Sabato per internationalem Haftbefehl gesucht wird, ist es leicht möglich,
dass er in Venezuela bis zu seiner Auslieferung nach Amerika festgesetzt wird.« »Das bedeutet, dass Ortega und Harrer sterben müssen.« »Sie sollten sich hüten, sie zu töten«, sagte Davidge. »Es ist bekannt, dass Calderon der Verräter war, der die Paramilitärs Sabatos mit wertvollen Tipps versorgte. Über die diplomatische Vertretung Venezuelas in Bogota wird die Festnahme Calderons bereits in die Wege geleitet. Er wird seinen Kopf nicht allein hinhalten und sprechen. Dann wird auch Ihr Name fallen. Und Ihnen wird es ähnlich ergehen wie Sabato. Wenn Sie Ortega töten, werden Sie keine Gnade zu erwarten haben. Man wird Sie jagen wie einen tollwütigen Hund.« »Es gelingt Ihnen nicht, mich einzuschüchtern. Sprechen Sie mit den Verantwortlichen in Venezuela. Wir verlangen Sabato im Austausch gegen Ortega und Harrer. Wird mein Vorschlag abgelehnt, ist das Ortegas und Harrers Tod. Ich gebe Ihnen bis heute Abend, 20 Uhr, Zeit. Danach werden Harrer und Ortega sterben, wenn es zu keinem Austausch kommt.« Sandobal unterbrach die Verbindung. Er legte den Helm auf den Tisch und fixierte Harrer. »Sie haben es gehört, Harrer. Also beten Sie, dass man auf meinen Vorschlag eingeht. Andernfalls sind Sie und Ortega tot. Wir werden Sie beide erschießen.« Ein Wink, und die Soldaten, die Harrer hergeführt hatten, packten ihn und zerrten ihn aus der Kommandantur. Sie bugsierten ihn über den Hof und dann saß er wieder in dem Gefängnis, aus dem es ohne fremde Hilfe kein Entrinnen gab. An Flucht dachte Harrer aber auch gar nicht. Auch wenn sich der Hauch einer Chance ergeben hätte – er wollte den verwundeten Polizeipräsidenten nicht allein in der Gewalt der Freischärler zurücklassen. Harrer setzte sich an den Tisch. Er legte die Ellenbogen auf die Oberschenkel und ließ die Hände zwischen den Knien
baumeln. »Sie wollen uns gegen Sabato austauschen«, erklärte er. »Allerdings müsste wahrscheinlich das Innenministerium, vielleicht auch das Justizministerium in Venezuela zustimmen. Da Sabato per internationalem Haftbefehl gesucht wird, werden sie ihn aber kaum laufen lassen. Bis 20 Uhr muss eine Entscheidung gefallen sein. Sollte der Austausch abgelehnt werden, will man uns beide töten.« »Großer Gott.« »Die Festnahme Ihres Vertreters wurde über die Botschaft Venezuelas in Bogota bereits in die Wege geleitet.« »Man sollte dieses korrupte Schwein kurzerhand erschießen«, stieß Ortega voll Hass hervor. »Er wird sicher hart bestraft werden«, knurrte Harrer. »Aber dieses Wissen ist wenig tröstlich für uns. Wir befinden uns in einer ziemlich prekären Situation. Der Kommandeur des Camps hat gewiss nicht gespaßt, als er sagte, dass man uns erschießen wird.« Harrer schaute auf seine Uhr. Es war 7 Uhr 22. »Noch gut zwölf Stunden«, murmelte Mark Harrer. Er kam sich vor wie ein Todeskandidat, dem eröffnet wurde, dass um 20 Uhr seine Hinrichtung stattfindet. Denn er glaubte nicht daran, dass die Behörden in Venezuela einem Austausch zustimmen würden. Man würde Sabato inhaftieren und die SFO-Leute des Landes verweisen. Mark Harrer duckte sich unwillkürlich unter dem Anprall der Erkenntnis, dass er verloren war. * Bogota, Wohnung des stellvertretenden Polizeipräsidenten, Sonntag, 0745 OZ Pablo Calderon und seine Gattin saßen beim Frühstück. In der Küche roch es nach frisch gebrühtem Kaffee. Die Wohnung befand sich in einem ruhigen Wohnviertel im Süden
Bogotas. Hier lebte eine gehobene Mittelschicht. Es gab hier keine Mietskasernen, keine Junkies, die auf Treppen und in Hinterhöfen ihrer Sucht frönten, keine lärmenden Kinder auf der Straße, die einem Fußball hinterherhetzten. Hier ging es ruhig und gesittet zu. Pablo Calderon hatte nach dem Telefonat in der Nacht keinen Schlaf mehr gefunden. Er hatte keine Hoffnung mehr. Den Traum, Polizeipräsident von Bogota zu werden, konnte er begraben. Seine Frau hatte er nicht eingeweiht. Motorengeräusch war zu vernehmen. Es endete vor dem Haus. Calderons Gesicht versteinerte. Er spülte einen Bissen seines Frühstücks mit einem Schluck Kaffee hinunter, dann erhob er sich. »Was ist?«, fragte seine Frau. »Nichts.« Calderon ging zum Fenster. Er konnte von hier aus die Straße sehen. Dazwischen lag sein Garten mit Büschen und Bäumen. Er wurde zur Straße hin von einem Metallzaun begrenzt. Es waren drei Autos, die vorgefahren waren. Aus jedem der Fahrzeuge stiegen drei Männer aus. Einige von ihnen trugen Sonnenbrillen. Calderon schluckte trocken. Sie kamen in den Vorgarten. Calderon wandte sich ab. »Was ist los?«, fragte seine Frau. »Wer ist gekommen?« »Es sind meine Leute«, erwiderte Calderon tonlos. »Lass sie herein. Ich gehe schon mal in mein Arbeitszimmer.« »Da stimmt doch was nicht«, sagte Calderons Gattin. »Willst du mir nicht sagen…« »Du würdest es sicher nicht verstehen.« Mit dem letzten Wort verließ Calderon die Küche. Er betrat sein Arbeitszimmer. Da gab es einen Schreibtisch mit einer Computeranlage darauf, einige Regale mit Büchern, einen Schrank mit einer Glastür. Hinter dem Glas standen ebenfalls einige Bücher, dazwischen waren Porzellanfiguren aufgestellt.
Der Raum war geschmackvoll eingerichtet. Aber heute hatte Calderon kein Auge dafür. Er ging zum Schreibtisch, öffnete die Seitentür und griff hinein. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie eine Beretta. Calderon entsicherte die Waffe und lud durch. Da läutete es an der Haustür. Gleich drauf waren Stimmen zu vernehmen. Calderon hob die Hand mit der Waffe und hielt sich die Mündung gegen die Schläfe. Er zögerte. Seine Lippen bebten, seine Nasenflügel vibrierten. Er schloss die Augen. Schritte waren durch die geschlossene Tür zu hören. Calderon drückte ab. Es gab einen peitschenden Knall. Blut spritzte über die Computeranlage und den Schreibtisch. Calderon brach haltlos zusammen. Verkrümmt lag er am Boden. Die Tür flog auf, einige Männer drängten in den Raum. »O mein Gott!«, schrie Calderons Ehefrau im Hintergrund. Sie drängte sich zwischen den Polizisten hindurch und warf sich bei ihrem toten Mann auf die Knie nieder. »Warum?«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. »Er hat sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen«, sagte einer der Polizisten. »Ich verständige den Staatsanwalt.« * Grenzstation Checkpoint Papa an der kolumbianischen Grenze Sonntag, 0850 OZ Ein Lastwagen war vorgefahren. Vier Bewaffnete saßen auf der Ladefläche. Ein Capitan stieg aus dem Führerhaus. Er hatte dort auf dem Beifahrersitz gesessen. Der Fahrer des Trucks blieb sitzen. Colonel Davidge, Dr. Lantjes, Lieutenant Leblanc, die Sergeanten Sanchez und Caruso sowie Corporal Topak wurden aus dem Aufenthaltsraum der Grenzstation dirigiert. Man
behandelte sie höflich und freundlich, was aber nichts daran änderte, dass sie Gefangene waren. Der Kommandeur der Grenzstation salutierte und machte Meldung. Da er spanisch sprach, konnte außer Mara Sanchez kein Angehöriger des SFO-Teams verstehen, was er sagte. Dann sagte der Capitan etwas und der Teniente legte seine steife Haltung ab. Der Capitan trat vor Davidge hin und sagte auf Englisch: »Ich bin Capitan Rosso Santacruz. Mein Auftrag lautet, sie nach San Cristóbal ins Hauptquartier zu bringen. Ich hoffe doch, dass Sie mir keine Schwierigkeiten bereiten werden.« »Gewiss nicht, Capitan«, versetzte der Colonel. Dann sprach er sogleich weiter: »Ich weiß nicht, ob Sie Bescheid wissen, Senor. Wir sind vor den Schergen Sabatos aus Kolumbien geflohen, nachdem wir den Polizeipräsidenten von Bogota und zwei unserer Kollegen aus einem Camp der Paramilitärs befreit hatten.« »Das hat mir der Teniente berichtet.« »Mein Vertreter, Lieutenant Harrer, und Ortega, der Polizeipräsident, fielen den Freischärlern Sabatos wieder in die Hände. Nun verlangt Sabatos Vertreter, Sabato gegen Harrer und Ortega auszutauschen. Falls es aus dem Austausch nichts wird, werden Harrer und Ortega sterben. Das Ultimatum läuft um 20 Uhr ab.« »Darüber eine Entscheidung zu treffen bin ich ebenso wenig kompetent wie der Teniente. Wir bringen sie nach San Cristóbal. Dort soll der Kommandeur der Grenztruppen, Coronel Martinez, eine Entscheidung treffen.« »Hoffentlich ist es dann nicht zu spät.« Die Brauen des Capitans schoben sich zusammen. Es verlieh seinem Gesicht einen düsteren Ausdruck. »Die Entscheidung wird rechtzeitig getroffen werden«, stieß er hervor. »Wo ist Sabato?« Mit der letzten Frage hatte er sich wieder an den Teniente gewandt.
»Im Wachlokal. Ich habe angeordnet, ihn zu fesseln.« Der Teniente gab einem der Wachsoldaten einen Wink. Der Mann verschwand in dem kleinen Gebäude, in dem es außer zwei Räumen eine kleine Arrestzelle gab. Gleich darauf wurde Sabato ins Freie geschoben. Seine Hände waren mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Seine Miene drückte nicht aus, was er dachte. Seine Augen glitzerten unheilvoll. »Aufsteigen!«, befahl der Capitan. Zwei Soldaten halfen Sabato auf die Ladefläche des Lasters. Hier gab es zwei Bänke, die die gesamte Länge der Ladefläche einnahmen. Dann stiegen die Mitglieder des SFO-Teams auf. Sie setzten sich. Die Wachsoldaten aus San Cristóbal folgten. Der Wagen fuhr an. Staub quoll unter den Rädern hervor. Die Fahrt nach San Cristóbal dauerte über zwei Stunden. Die Mitglieder des SFO-Teams fühlten sich wie gerädert. Fast zwei Stunden lang war es über unausgebaute Straßen durch den Dschungel und durch felsiges Land gegangen. Die Stadt lag in den nordöstlichen Kordilleren, um genau zu sein in der Cordillera de Merida. Sie erreichten eine Kaserne. Vor dem Schlagbaum hielt der Lastwagen an. Nachdem sich der Capitan ausgewiesen hatte, durften sie passieren. Vor einem Gebäude mit drei Stockwerken wurde der Laster erneut angehalten. Der Motor erstarb. Jemand trat an das Heck des Wagens heran und schlug die Plane zur Seite. »Aussteigen!« Die Wachsoldaten saßen ab und warteten, bis auch das SFOTeam ausgestiegen war. Dann halfen zwei der Soldaten Sabato von der Ladefläche. Gehässig musterte er Davidge, aber er schwieg verbissen. Er wurde fortgeführt. »Folgen Sie mir«, sagte der Capitan und setzte sich in Bewegung. Er führte Davidge und dessen Leute in das Gebäude und dort in ein leeres Zimmer, in dem es nur einen Tisch und sechs Stühle gab. Das Fenster war vergittert. Die Wachsoldaten, die gefolgt waren, bauten sich vor der Tür auf.
»Ich muss Sie jetzt allein lassen«, sagte der Capitan. »Lassen Sie sich die Zeit nicht zu lange werden.« »Werden Sie mit Coronel Martinez sprechen?«, fragte Davidge. Capitan Santacruz nickte. »Gewiss.« Santacruz grinste. »Vielleicht erscheint dem Coronel die Person Sabato nicht wichtig genug, als dass dafür zwei Menschen sterben sollten.« »Sabato hat sich Carlos Perrano, dem Oberbefehlshaber der Paramilitärs in Kolumbien, angeschlossen. Er ist nach der Regierung, der Guerilla und den Paramilitärs nicht mehr die vierte Macht im Lande, die den Rauschgiftanbau und -handel steuert. Sabato ist nur noch einer von Perranos Generälen, der wahrscheinlich schon ersetzt worden ist.« »Warum will man ihn dann austauschen, wenn er eigentlich wertlos geworden ist?« »Er könnte Namen nennen. Die Namen von Männern, die an exponierter Stelle sitzen und wie Pablo Calderon mit den rechtsgerichteten Paramilitärs zusammenarbeiten.« Der Capitan zog die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf herum. »Das wäre eine Begründung«, meinte er schließlich, dann aber zuckte er mit den Schultern und sagte: »Machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen. Die Beziehungen zwischen Venezuela und Kolumbien sind nicht gerade als freundschaftlich zu bezeichnen. Während des Bürgerkrieges in Kolumbien hat nämlich Venezuela 1952 die ursprünglich von Kolumbien kontrollierten Monjes-Inseln vor dem Golf von Maracaibo besetzt. Seither werden diese von Kolumbien wieder beansprucht. Verhandlungen haben nicht stattgefunden und der Konflikt dauert an. Die bilateralen Beziehungen haben sich immer mehr verschlechtert. Während sich Venezuela den Kolumbianern als Vermittler im Krieg gegen FARC und AUC anbietet, ohne dass dies von der kolumbianischen Regierung gewünscht wird, wirft Kolumbien Venezuela vor, der kolumbianischen Guerilla im Grenzgebiet
Unterschlupf zu gewähren.« Der Capitan sprach es und wandte sich um. »Weisen Sie bitte den Coronel darauf hin, dass um 20 Uhr das Ultimatum abläuft.« Santacruz nickte. Dann fiel hinter ihm die Tür zu. Es knirschte leise, als der Schlüssel herumgedreht wurde. Ein Riegel wurde in die Halterung geschoben. Das metallische Kratzen war durch die geschlossene Tür zu vernehmen. »Schicken wir ein Stoßgebet zum Himmel, dass Coronel Martinez dem Austausch zustimmt«, murmelte Davidge. Er ging zu einem der Stühle und ließ sich darauf nieder. Auch Leblanc und Caruso setzten sich. Die Strapazen des nächtlichen Marsches hatten sie besonders getroffen. Jeder von ihnen hatte eine üble Wunde am Bein. Es hatte all ihren Willen erfordert, um nicht einfach aufzugeben. Doch sie waren hart genug gewesen, durchzuhalten. Jetzt aber waren sie ziemlich am Ende. * Etwa zwei Stunden später, es war kurz nach 13 Uhr Ortszeit, kam Capitan Santacruz zurück. Er betrat den Raum, in dem das SFO-Team eingesperrt war, und sagte: »Die Regierung von Venezuela will sich raushalten. Sie will auch nicht bestimmen, ob der Austausch stattfinden soll oder nicht. Man wird Sie der ständigen UN-Vertretung in Caracas übergeben und dort wird man das weitere Vorgehen prüfen, denke ich.« »Wie viele Meilen sind es von hier nach Caracas?«, fragte Davidge. »Fast 700 Kilometer.« »Großer Gott, das sind fast 450 Meilen«, brach es über Davidges Lippen. »Um 20 Uhr läuft das Ultimatum ab, zu dem der Gefangenenaustausch stattfinden soll.« »Wenn ich es auf meine Kappe nehme und es gibt
diplomatische Verwicklungen, bin ich geliefert«, murmelte Santacruz. »Dann kann ich meine Karriere an den Nagel hängen.« »Es wird keine diplomatischen Probleme geben, Capitan«, versicherte Davidge schnell. »Es handelt sich um Guerillas der AUC, die Harrer und Ortega festhalten. Sabato ist in dem großen Ganzen, zu dem sich die AUC und das Sabato-Kartell verschmolzen hat, ziemlich unwichtig geworden. Es könnte die Beziehungen zwischen Venezuela und Kolumbien nur stärken, wenn Venezuela dazu beiträgt, den Polizeipräsidenten von Bogota aus der Gewalt der Freischärler zu befreien.« Davidge hatte mit einer Intensität gesprochen, die seine Wirkung bei Santacruz nicht verfehlte. Plötzlich nickte der Capitan. »Bueno. Auch Sabato soll nach Caracas geschafft werden. Ich werde für den Transport verantwortlich sein. Wir nehmen den Umweg über Checkpoint Papa. Nehmen Sie mit den AUC-Guerrillas Verbindung auf. Sagen Sie Ihnen, dass der Austausch stattfindet. Und nennen Sie als Ort der Übergabe den Checkpoint.« Impulsiv reichte Davidge dem Capitan die Hand. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.« »Ich schaufle mir möglicherweise mein eigenes Grab«, murmelte Santacruz. »Aber ich kann mit Ihnen fühlen, Colonel. Mir ginge es nicht anders, wenn es sich um einen meiner Männer handeln würde.« Um 14 Uhr mussten sie wieder auf einen Laster steigen. Sabato wurde gebracht. Er war nach wie vor gefesselt. Vier Soldaten bewachten sie. Santacruz, der den Transport begleiten musste, setzte sich ins Führerhaus. Es ging denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Sobald die Übergabe stattgefunden hatte, würde man sie nach Caracas schaffen, wo sie der UN-Vertretung übergeben werden sollten. Davidge hatte Verbindung mit Sandobal aufgenommen. Der Freischärler war mit dem Übergabeort an der Grenze
einverstanden. Als Termin vereinbarten sie 17 Uhr. Kurz vor 16 Uhr kamen sie bei dem Grenzposten an. Der Teniente ging davon aus, dass alles seine Ordnung hatte. Er stellte keine großen Fragen. Die Stunde Wartezeit schien eine Ewigkeit zu dauern. Die Zeit schien stillzustehen. Aber die Zeit stand nicht still. Und dann fuhren auf der kolumbianischen Seite der Grenze drei Jeeps vor. Im Jeep, der als Zweiter fuhr, saß Mark Harrer. Man hatte ihm die Fesseln abgenommen. Im Fond des nachfolgenden Jeeps befand sich Ortega. Schweiß rann über sein Gesicht. Der Schmerz von seiner Schulter trieb ihn ihm aus den Poren. Die Fahrzeuge verhielten hintereinander etwa 100 Yards von der Grenze entfernt auf einem Feldweg, der den Grenzpatrouillen als Straße diente. Colonel Davidge und Capitan Santacruz gingen bis zur Grenze. Auf der anderen Seite näherten sich Jose Sandobal und ein weiterer Mann in Uniform. Die Männer reichten sich nicht die Hände. »Ich sehe Sabato nicht«, sagte Sandobal. »Er befindet sich in der Station«, erwiderte Santacruz. Sandobal sagte: »Wir schicken die Gefangenen zur gleichen Zeit los. Ich hoffe, Sie warten nicht mit einer Hinterlist auf.« »Wir wollen Ortega und Harrer, sonst nichts.« »Bueno. Dann soll der Austausch stattfinden.« Sandobal und der andere Bursche machten kehrt und kehrten zu den Jeeps zurück. Auch Davidge und Santacruz machten kehrt. »Bringt Sabato heraus«, gebot Santacruz. Einer der Soldaten holte Cesar Sabato aus der Station. Ihm wurden die Handschellen, die seine Hände fesselten, abgenommen. Auf der anderen Seite marschierten Harrer und Ortega los. Der Polizeipräsident stützte sich auf Harrer. Sabato ging ihnen entgegen. Ein hämisches Grinsen
umspielte seine Lippen. Genau auf der Grenze trafen sie sich. Und jetzt ging alles blitzschnell. »Laufen Sie!«, zischte Harrer und meinte Ortega. Er versetzte dem Polizeipräsidenten einen leichten Stoß und trat von ihm weg. Ehe Sabato sich versah, sprang ihn Harrer an und riss ihn nieder. Die Freischärler der AUC rissen die Waffen hoch. Es waren mit Sandobal neun Mann. Ortega rannte trotz seiner Schulterverletzung ziemlich schnell. Santacruz riss seine Pistole aus dem Holster und gab einige ungezielte Schüsse ab. Die AUC-Kämpfer spritzten auseinander, als hätte eine Granate zwischen ihnen eingeschlagen, und rannten in die Deckung der Jeeps. Das verschaffte Ortega ein wenig Zeit. »Werfen Sie sich zu Boden!«, brüllte Davidge. In seinen Händen zuckte es. Aber er war waffenlos. Eine Salve krachte. Die Kugeln pfiffen über Harrer, Sabato und Ortega, der sich im letzen Moment hingeworfen hatte, hinweg. Und jetzt schossen die venezolanischen Soldaten. Sie feuerten nicht direkt auf die AUC-Kämpfer, zwangen sie aber, in Deckung zu hasten, und gaben Harrer und Ortega Feuerschutz. Harrer hatte mit zwei hart geschlagenen Haken Sabato ausgeknockt. Er schleifte ihn in der tiefsten Gangart mit sich. Sie befanden sich auf venezolanischem Hoheitsgebiet. Auch die venezolanischen Soldaten, Capitan Santacruz, Colonel Davidge und die anderen Mitglieder des SFO-Teams waren in Deckung gelaufen. Ortega kroch trotz der Schmerzen in seiner Schulter schnell und behände. In einer Bodenmulde blieb er liegen. Harrer zerrte Sabato hinter sich her. Auf sie wurde nicht geschossen, weil die Kolumbianer befürchten mussten, Sabato zu treffen, in dessen Schutz sich Harrer bewegte.
Und plötzlich schwiegen die Waffen. Die kolumbianischen Freischärler sahen wohl ein, dass sie nur Munition vergeudeten. Sie warfen sich in die Jeeps und fuhren davon, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken. Harrer erhob sich. Einige der venezolanischen Soldaten rannten herbei und ergriffen Sabato. Andere kümmerten sich um Ortega, dessen Gesicht schmerzverzerrt war. Davidge trat an Harrer heran. Wortlos reichte er ihm die Hand. Davidge sagte: »Man wird uns nach Caracas zur UNVertretung bringen. Von Caracas aus werden wir nach Amerika zurückfliegen. Der Auftrag ist damit erfolgreich beendet, Lieutenant.« »Dennoch haben wir einige Federn lassen müssen«, versetzte Harrer etwas flapsig. »Es hätte schlimmer kommen können«, murmelte Davidge und dachte an seinen Traum. An der Seite von Mark Harrer schritt er zur Grenzstation.
ENDE
Vorschau Das dürfen sie nicht verpassen! In 14 Tagen erscheint der nächste spannungsgeladene Einsatz der Special Force One.
EINSATZ HINTER KLOSTERMAUERN von Roger Clement In Kandhastan herrscht seit zehn Jahren Bürgerkrieg. Blutige Kämpfe erschüttern das Land am Himalaya, in dem das Terrorregime des General Zhandar für Angst und Schrecken sorgt. Niemand ist in der Lage, dem grausamen Despoten die Vorherrschaft in Transkandhanien streitig zu machen. Zwischen Regierungstruppen und Rebellen besteht überdies eine Patt-Situation. Doch es gibt alarmierende Meldungen, die das Alpha Team der Special Force One auf den Plan rufen: Ein berüchtigter Drogenhai, Diego Alvarez aus Kolumbien, ist nach Kandhastan gereist. Und: In dem öden Land soll eine Start- und Landebahn für Drogenflugzeuge gebaut werden. Die Männer und Frauen unter dem Kommando von Colonel John Davidge wissen, was das bedeutet. Wenn Diego Alvarez und General Zhandar ihre Pläne verwirklichen, wird die Welt mit billigen Drogen geradezu überschwemmt werden. Und noch etwas ist den Mitgliedern des Alpha Teams klar: Weil die Verbrecher alles daran setzen werden, ihr Ziel zu erreichen, werden sie Kandhastan, ihre künftige Goldgrube, mit mörderischer Gewalt verteidigen…