1. Das letzte blaßrote Licht der Abenddämmerung stahl sich nach Westen davon und verlor sich in den scheinbar endlosen ...
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1. Das letzte blaßrote Licht der Abenddämmerung stahl sich nach Westen davon und verlor sich in den scheinbar endlosen Weiten der See. Dunkelheit breitete sich über der Insel Tutuila aus und schien alles Unheil dieser Welt zuzudecken. Aber die Nacht vermochte das blutige Drama nicht auszulöschen, das
sich soeben hier, in der großen Nordbucht, abgespielt hatte. Sie konnte auch das schallende Gelächter Don Mariano José de Larras nicht erstikken, das in den Ohren der Männer der „Isabella" gellte und nicht abreißen wollte. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand wie gelähmt auf der Kuhl seines Schiffes. Sein Blick war starr auf die doppelläufige sächsische Rei-
4 terpistole gerichtet. Sie lag auf den starben, dann würde er, der Seewolf, Planken, leergefeuert, nicht mehr zu sich nie wieder von diesem Schlag gebrauchen für einen blitzschnellen, erholen, soviel wußte er mit Sichertollkühnen Ausfall gegen Don Ma- heit. Es würde auch sein Ende sein. riano José de Larra. Ein wenig Seine Haltung war gebeugt. Er Schmauch kräuselte sich noch aus schien um Jahre gealtert zu sein. den Mündungen und bildete eine De Larras Lachen brach plötzlich weißliche Spur im Schwarz der ab. Nacht, das jetzt alle Konturen zerDer Spanier begann wieder zu fließen und untergehen ließ. schreien: „Das Logbuch des Satans Nie hätte sich Hasard auch nur läßt uns nicht im Stich! Es wird uns auszumalen gewagt, daß es eines Ta- den Weg weisen, den richtigen Kurs ges ausgerechnet seine eigene Waffe zum Südland, zum Südland! Bewegt sein würde, die seinen Sohn und ei- euch, ihr Hunde! Wir gehen noch nen seiner Männer schwerverletzte. heute nacht in See. Ich will keine Zeit Und doch war es geschehen. Das verlieren. Du da, Bastard, nimm deischier Unfaßbare war eingetreten: nen Kameraden alle Waffen ab, alle, Hasard junior war von dem ersten, hörst du? Trag sie hier herüber und Batuti von dem zweiten Schuß aus wirf sie vor mir auf einen Haufen! der Doppelläufigen niedergestreckt Wird's bald?" worden. Bill, der Moses, trat zu Smoky und Der Blick des Seewolfs wanderte zog diesem die Pistole und das Enterlangsam zu ihren reglosen, blutüber- messer aus dem Gurt. Er ging weiter strömten Gestalten, die jetzt kaum und wandte sich Matt Davies zu. noch wahrzunehmen waren. Der Der Seewolf öffnete wieder die Kutscher hatte sich über den Jungen Augen, sah den glatzköpfigen Spaund den schwarzen Herkules aus nier an und spürte eine Woge kalten Gambia gebeugt, und er tat sein Be- Hasses in sich aufsteigen. stes, um ihnen zu helfen. Aber vielDe Larra hatte das Logbuch jetzt leicht war hier jede Hilfe bereits zu wieder im Ausschnitt seines Hemdes spät, vielleicht konnte der Kutscher versenkt. Er war eine ausgemergelte, nur noch ihren Tod feststellen und zerlumpte Erscheinung, die geradeein letztes Gebet für sie sprechen. wegs den Tiefen der Hölle entstiegen Gerade hielt er sein Ohr an Hasard zu sein schien - der leibhaftige Teujuniors Brust, um nach dem Herz- fel. Immer noch glaubte Hasard in schlag zu lauschen. Er verharrte, und seinen Augen das Licht des Irrsinns aus seinem Benehmen ließ sich nicht glimmen zu sehen. erkennen, welches Ergebnis die UnDie Pistole, die de Larra von seitersuchung gebracht hatte. nem Landsmann Domingo erbeutet Es war ein einziges Bild des Jam- hatte, nachdem er ihn mit einem mers, wie Hasard junior und der Speer getötet hatte, zielte nach wie Gambia-Mann dalagen und der Rest vor genau auf Philip juniors Schläfe. der Crew mit gesenkten Köpfen um Knapp eine Handspanne Distanz lag sie herum versammelt stand. zwischen der Mündung der Waffe Hasard schloß in ohnmächtiger und dem Kopf des Jungen. Erschütterung die Augen. Und wenn es das letzte war, was er Dies war die größte Niederlage sei- in seinem Leben tat - der Spanier nes Lebens. würde nicht zögern, auch auf Philip Wenn Hasard junior und Batuti junior abzudrücken, falls einer der
5 keine Angst, auch das bringe ich dir Männer ihn anzugreifen wagte. Das Risiko war zu groß. Sie waren noch bei. Ich bin der Capitán auf diemachtlos gegen diesen Satan, der sem Schiff, und ihr alle habt vor mir durch einen gemeinen Trick die „Isa- zu kuschen. Ich werde euch Lumbella" in seine Gewalt gebracht hat- penbande schon lehren, wie man sich zu benehmen hat. Ich werde euch zu te. De Larra war der Sieger und wür- einem halbwegs ordentlichen Haude von jetzt an das Kommando über fen erziehen, das ist mal sicher." Luke Morgan konnte nicht mehr die „Isabella" und ihre Crew führen. an sich halten und schrie: „Und du Bill, der Moses, war bei Ben Brighton angelangt und entledigte auch wirst unser Schiff so gut durch die ihn seiner Waffen. Polternd lande- Südsee steuern wie deinen elenden ten Bens Pistole, der Degen und das Kahn, die ,Hernán Cortés'? Sie ist Messer auf den Planken. Traurig doch dein Schiff gewesen, oder? Was wirkte das Arsenal, das vor de Lar- hast du mit ihr getan - und was ist mit ihrer Mannschaft geschehen?" ras Füßen wuchs und wuchs. De Larra bückte sich überraBill schaute zu seinem Kapitän schend und klaubte eine der Pistolen auf. De Larra kicherte. „Ich habe ihn ja auf, die Bill vor ihm hatte aufschichschon um seine Waffen erleichtert, ten müssen. Es war Ben Brightons den stolzen Lobo del Mar, aber sieh Waffe, ein teures Radschloß-Modell. nach, ob er nicht etwa ein Messer in De Larra hob sie hoch und spannte seinem Stiefel verborgen hat. Na los, den Hahn, und somit hatte er jetzt in jeder Hand eine Pistole. Während er taste ihn ab." Bill tat noch einen halben Schritt mit der ersten weiterhin auf Philip auf den Seewolf zu und blieb dann junior zielte, legte er mit der zweiten auf Luke Morgan an. wieder stehen. „Sir, ich ..." „Schweig, du Hund!" schrie er zu„Tu, was er sagt", befahl Hasard rück. „Sei still, oder ich schieße dich mit leiser, brüchiger Stimme. „Recht so", sagte der Spanier auf der Stelle nieder. Es steht dir schrill. „So gefällst du mir besser, nicht zu, Fragen zu stellen. Es geht Bastard! So benimmt sich ein kluger keinen was an, was der ,Hernán CorMann, der sich endlich seinem tés' widerfahren ist. Für deine boSchicksal beugt, statt ihm zu trotzen. denlose Frechheit entschuldigst du Du willst doch nicht noch mehr dich, du Strolch. Los, bitte mich um Dummheiten begehen, oder? Ant- Verzeihung!" worte!" Luke Morgan dachte nicht daran, dies zu tun. Er stand neben der Kuhl„Nein." „Nein, Senor!" verbesserte de Lar- gräting, nicht weit von Bob Grey und Sam Roskill entfernt, und wartete ra. nur darauf, daß der Spanier sich eine Hasard schwieg. Blöße gab. Der Spanier stand geduckt und alHasard zweifelte nicht daran, daß lem Anschein nach sprungbereit da. Luke es wagen würde, über die GräFür einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sich auf den Seewolf ting zu springen und sich auf den Glatzkopf zu werfen. Es war fast sostürzen. weit. Luke war ein leicht aufbrauAber dann lachte er nur auf und rief: „Das Wort ,Senor' will dir nicht sender, jähzorniger Typ, der in gewisso leicht über die Lippen, wie? Aber sen Situationen seine Natur nicht be-
6 zwingen konnte. Jetzt war er an der Grenze seiner Beherrschung angelangt. „Luke", sagte Hasard. „Halt dich zurück. Sei vernünftig. Du würdest es nie schaffen. Und Philip darf kein Haar gekrümmt werden." „Ist das ein Befehl, Sir?" „Natürlich, Luke." „Aye, Sir." Luke ballte die Hände zu Fäusten, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat. Er zwang sich dazu, den Spanier nicht mehr anzusehen und um jeden Preis an sich zu halten. „Was habt ihr wieder auf englisch zu reden?" fuhr de Larra sie an. „Ich will kein Wort mehr von eurer verdammten Sprache hören. Ich verbiete euch jede Unterhaltung auf englisch. Sprecht spanisch!" „Ich habe diesem Mann die Order gegeben, den Mund zu halten", sagte der Seewolf in seinem fehlerfreien und nur leicht akzentgefärbten Kastilisch. „Er wird jetzt keine Fragen mehr stellen." „Aber er soll sich bei mir entschuldigen!" „Das wird er nie tun", sagte Hasard. „Du da", wandte sich der Glatzkopf an den dunkelblonden Mann mit den blauen Augen. „Wirst du mich jetzt gefälligst um Vergebung für deine Dreistigkeit bitten?" Luke schwieg. Er richtete nur wieder seinen Blick auf den Spanier und schien ihn damit durchbohren zu wollen. Totenstille lastete plötzlich über dem Deck der „Isabella". Luke Morgan dachte nicht daran, auch nur noch ein einziges Wort zu sprechen. Er bremste sich und ergriff keinerlei Initiative. Er stand einfach nur da und fixierte kalt den Todfeind. Schieß doch, du Satansbraten,
dachte er, dann hast du eine Kugel weniger, und vielleicht entwischt Philip junior dir genau in dem Moment, in dem du mich abknallst. Dann bist du geliefert, du Hundesohn! Don Mariano José de Larras Überlegungen schienen sich in ähnlicher Richtung zu bewegen. Er feuerte nicht, sondern ließ Ben Brightons Radschloßpistole jetzt sinken. Voll Hohn und Verachtung musterte er Luke Morgan. Dann rief er: „Verfluchter Engländer, du wirst deinen Starrsinn noch bereuen. Heute nacht, auf hoher See, lasse ich jeden Widerstand mit der Neunschwänzigen aus dir herauspeitschen, und dann wirst du mich winselnd um Verzeihung anflehen." Bill hatte de Larras Anordnung Folge geleistet und richtete sich jetzt von den ledernen Stulpenstiefeln des Seewolfs auf. Der Spanier wandte den Kopf. „Nun, bist du nicht fündig geworden?" „Nein, Senor." „Ich will für dich hoffen, daß du die Wahrheit sprichst. Für dich und für den kleinen Bastard hier." De Larra wies mit Bens Waffe auf den Sohn des Seewolfs, während er mit der anderen Pistole unverändert auf Philip juniors Schläfe zielte. „Der Kapitän hat kein Messer im Stiefel", sagte Bill laut und deutlich, und das stimmte auch - leider. Wäre es nämlich der Fall gewesen, dann hätte Bill es im Schaft des Stulpenstiefels belassen und auf diese winzige, letzte Chance alle Hoffnungen gesetzt. Aber so - welche Aussichten gab es jetzt noch, den hinterhältigen Spanier durch einen Trick zu überlisten? Bill schaute zu Philip junior, der erschüttert und hilflos wie ein Häufchen Elend auf dem Rand der Kuhl-
7 gräting hockte, und plötzlich war ihm zum Heulen zumute. Der Seewolf richtete seinen Blick nach rechts und konnte über das Steuerbordschanzkleid der Kuhl hinweg gerade noch die Umrisse der „Hernán Cortés" erkennen. Die Dreimast-Galeone schien noch ein Stück tiefer gesunken zu sein, ihre Masten hatten sich näher zur Wasseroberfläche geneigt. Im Morgengrauen würden wohl nur noch die Mastspitzen aus den Fluten aufragen. Die Gestalten seiner Männer am Ufer der großen Bucht waren jetzt beim besten Willen nicht mehr zu erkennen. Aber selbstverständlich waren Big Old Shane, Dan O'Flynn, Blacky und Al Conroy noch dort, und sie mußten auch mitgekriegt haben, welche Tragödie sich an Bord der „Isabella" abgespielt hatte. Jetzt sahen sie sich vielleicht untereinander bestürzt an und beratschlagten miteinander. Verdammt, können wir denn nichts tun? fragte sich Hasard immer wieder. Könnten sich die Männer dort an Land nicht im Schutz der Dunkelheit an die „Isabella" heranpirschen und heimlich am Heck aufentern? Aber Shane, Dan, Blacky und Al hatten ja nicht einmal ein Boot zur Verfügung, mit dem sie zu ihrem Schiff übersetzen konnten. Und wenn sie es schwimmend zu erreichen versuchten, konnte es sein, daß de Larra ihnen zuvorkam, mit der „Isabella" ankerauf ging und ihnen vor der Nase davonsegelte. * Dan O'Flynn hatte die besten Augen von allen Männern, die auf der „Isabella" fuhren, aber im Dunkeln konnte auch er jetzt nichts mehr erkennen. Er schob seinen Messingkie-
ker zusammen, steckte ihn sich hinter den Gürtel und sagte zu den drei Kameraden, die mit ihm auf dem breiten Sandstrand der Nordbucht standen: „Es scheint wirklich so zu sein, wie wir schon vermutet haben. Wir sind um Minuten zu spät eingetroffen. De Larra, dieser Hund von einem Spanier, hat Hasard überwältigen können. Wie, das weiß der Henker. Aber er hat's geschafft und ist mit dem Seewolf an Bord unserer alten Lady gegangen." „Die zwei Schüsse, die gefallen sind, stammten aus Hasards Reiterpistole", stellte Al Conroy nachdrücklich fest. „Ich bin da völlig sicher, denn so einen Klang hat nur die Doppelläufige." „Aber es war nicht Hasard, der gefeuert hat", sagte Shane. „Der Spanier muß ihm die Pistole abgenommen haben und ..." „Aber warum hat der Dreckskerl geschossen?" unterbrach ihn Blacky. „Warum nur?" „Unsere Kameraden haben Widerstand geleistet", murmelte Al. „Doch offenbar hat's ihnen wenig eingebracht. Dan, du hast doch deutlich genug gesehen, wie sie plötzlich alle stocksteif dastanden, oder? Du hast dich nicht getäuscht, nicht wahr?" „Leider nicht." „Die beiden Kugeln aus der Doppelläufigen - zum Teufel, sind die ins Leere gegangen oder was ist eigentlich passiert?" stieß Big Old Shane hervor. „Mann, mir wird immer scheußlicher zumute, wenn ich daran denke, was ..." „Hör auf", schnitt Dan ihm das Wort ab. „Es hat keinen Zweck, Vermutungen anzustellen. Wir haben nicht sehen können, ob einer von unserer Crew verletzt worden ist. Wie auch immer, die ,Isabella' befindet sich in der Gewalt des verteufelten Spaniers, und wir müssen zusehen,
8 daß wir sie ihm wieder entreißen." „Auf was warten wir noch?" zischte Al. „Wir haben zwar kein Boot, weil der Spanier und Hasard die Jolle der spanischen Galeone benutzt haben, aber das kann uns nicht aufhalten. Schwimmen wir!" „Und die Flaschenbomben?" fragte Blacky. „Und unsere Schußwaffen? Die werden im Wasser unbrauchbar. Allein mit unseren Entermessern sind wir dem Satanskapitän de Larra glatt unterlegen. Der kann mit den Pistolen und Musketen, die er auf der ,Isabella' vorfindet, ein Zielschießen auf uns veranstalten." „Basteln wir ein kleines Floß", schlug Shane vor. „Wir legen unsere Waffen darauf und schieben es vor uns her." Blacky schüttelte den Kopf. „Entschuldige, wenn ich dir widerspreche, Shane, aber das dauert viel zu lange. Bis wir etwas Treibholz zusammengetragen haben, aus dem sich so ein Behelfsfloß zusammenzimmern läßt, ist dieser Bastard von einem Don mit unserer ,Isabella' auf und davon. Oder was meint ihr, warum hat er sie sich wohl unter den Nagel gerissen?" „Mann", flüsterte Al entsetzt. „Wir müssen uns höllisch beeilen, wenn wir noch was ausrichten wollen." „Augenblick mal", sagte Dan plötzlich. „Als wir vorhin hier auf dem Strand eingetroffen sind, habe ich im Büchsenlicht noch eine Planke in der Brandung liegen sehen. Vielleicht finde ich sie wieder." Er lief los, um danach zu suchen, und versuchte angestrengt, sich daran zu erinnern, an welcher Stelle er die Planke erblickt hatte. Er glaubte es zu wissen und steuerte auf den Platz zu, aber nach zehn, zwölf Schritten gab er es auf, in dem schäumenden, vor- und zurückgleitenden Wasser nach dem Stück Holz
zu forschen. Dan drehte sich um und sah Shane, Blacky und AI, die auf ihn zugingen. „Laß es bleiben", sagte Shane. „Ich schätze, das ablaufende Wasser hat die Planke mit in die Bucht hinausgenommen." Weder er noch die anderen ahnten, daß es sich bei dieser Planke, die tatsächlich mit dem Ebbstrom immer weiter in die offene See trieb, um das Hilfsmittel handelte, das Kapitän Don Mariano José de Larra bei seiner Flucht von der „Hernán Cortés" zur Insel benutzt hatte. Al Conroy schob sich näher an Dan heran und meinte: „Außerdem würde uns der Schweinehund von einem Don mit einem Stück Holz und unseren darauf festgezurrten Waffen im Wasser entdecken, sobald wir an der wracken Galeone vorbei wären und auf die ,Isabella' zusteuerten. Mit anderen Worten, er würde uns auf jeden Fall abknallen, und wir könnten uns unserer Schußwaffen nicht bedienen, solange wir schwimmen oder tauchen müssen." Blacky stemmte die Fäuste in die Seiten. „Aber, Mann, wir könnten wenigstens eine Flaschenbombe zur ,Isabella' rüberschleudern." „Vom Wasser aus?" „Zum Teufel, ja." „Der Don läßt uns nicht auf Wurfweite heran, meine ich." Conroy warf einen prüfenden Blick an der sinkenden Galeone der Spanier vorbei auf die „Isabella". „Im übrigen würden wir nicht unser eigenes Schiff zerbomben, sondern auch unsere Kameraden gefährden, hast du das vergessen?" „Nein, aber ich habe gedacht, wir könnten die Höllenflasche auf die Galion schmeißen", sagte Blacky, dem selbst einleuchtete, daß sein Vorschlag nicht der glücklichste war.
9 „Mein Gott", stieß Dan hervor. von der Lichtung der Insel aufgele„Wir stehen hier herum und quat- sen hatte, auf die Rücken der beiden schen sinnloses Zeug zusammen, und vor ihm und Gary schreitenden drüben spitzt sich die Lage wahr- Männer. „Serafin und Joaquin, die beiden spanischen Decksleute", erscheinlich immer mehr zu." widerte er auf spanisch. „Und hinter „Ich hab's", sagte Big Old Shane. „Wir müssen uns trennen. Ich weiß, uns marschieren Maguro, der wir sind nicht genug Männer, um Häuptling der Eingeborenen, und zwei Gruppen zu bilden, aber wir unser Freund Otalu, der uns als ermüssen es trotzdem versuchen. Wir ster auf dem gastlichen Eiland empholen den Prof os und Gary Andrews fangen hat. Nein, keine Angst, die als Verstärkung, dann stellen wir Dons entwischen uns nicht. Sie werzwei Trupps von je drei Mann zu- den sich hüten, auszukneifen, denn sammen. Der eine Haufen lenkt den sie wissen genau, daß es ihr sicheres Don auf der ,Isabella' ab, während Ende wäre." der andere sich anschleicht." „Wir sind nicht wie Capitán de Dan fuhr plötzlich herum und Larra", stieß der schwarzbärtige Sebrachte seine Muskete zum Inseldik- rafin gepreßt hervor. „Und wir haben mit seinen Teufeleien nichts zu kicht hin in Anschlag. „Da ist jemand", raunte er den Ka- tun. Er ist vor uns geflohen, weil wir ihm angedroht hatten, wir würden meraden zu. „Vorsicht." Tatsächlich: Unter den verhalten ihn töten." im Wind raschelnden Wipfeln der „Sei still", sagte der Profos barsch. Palmen hervor traten sechs Gestal- „Du kannst deine Verse später noch ten auf den Strand. Um wen es sich herunterbeten. Shane, Al, Dan, Blakhandelte, blieb allerdings nicht lange ky, was ist auf der ,Isabella' los? Nun ungelöst, denn eine wohlbekannte redet schon!" Stimme dröhnte los: „He, nehmt die Big Old Shane trat vor den Profos Finger von euren Kanonen, ihr und Gary Andrews hin, die jetzt mit Schnarchhähne! Ich sehe euch zwar ihren Gefangenen auf dem weißkörnur undeutlich, aber ich könnte nigen Sandstrand stehenblieben. Er schwören, daß ihr uns für ein paar gab einen kurzen Bericht der Lage, Buschungeheuer oder so was haltet soweit es ihm aufgrund ihrer Beobund schon auf uns zielt." achtungen möglich war. Carberrys und Garys Mienen wur„Ed", sagte Big Old Shane. „Reiß jetzt keine Witze. Es ist nicht der den lang und länger. Als der graubärtige Riese seine Schilderung richtige Augenblick dafür." „Was hatten die zwei Schüsse zu beendet hatte, erkundigte sich der bedeuten, die wir gehört haben?" Spanier Serafin: „Könnten wir vielwollte Gary Andrews wissen, der leicht auch erfahren, was geschehen sich rechts neben der wuchtigen Ge- ist?" stalt Carberrys befand. „Meinetwegen", entgegnete der Blacky hatte sich geduckt und Profos. leicht vorgebeugt. Er blickte aus Gary Andrews übersetzte ihnen, schmalen Augen zu den Ankömm- was Shane auf englisch erzählt hatte, lingen und rief ihnen zu: „Halt! Wer und auch die beiden Spanier zeigten ist bei euch?" plötzlich betroffene Mienen. Carberry wies mit dem Rad„So ist das also", sagte Joaquin. „De schloß-Drehling des Seewolfs, den er Larra hat zuerst Domingo getötet,
10 dann hat er dem Seewolf, der hinter Domingo her war, aufgelauert. Er hat ihn als Geisel genommen und hat auf diese Weise euer Schiff in seinen Besitz gebracht. Satanás - wir haben ihm den richtigen Beinamen gegeben ..." „Wohin will der Hund?" fragte Blacky. „Welches Ziel hat er vor Augen? Und warum segelte eure Galeone überhaupt so durch die Weltgeschichte? Willst du uns das endlich erklären?" „Ich sage es euch", erwiderte Serafin. „Vor gut zwei Monaten verließen wir mit einem Sonderauftrag des spanischen Gouverneurs auf den Philippinen Manila. Don Mariano José de Larra sollte auf einer einsamen Expedition nach dem Südland suchen. Wir hofften, durch ruhige Wasser zu segeln, aber wir verloren in etlichen Stürmen jegliche Orientierung, litten unter Erschöpfung und schließlich auch noch unter Skorbut und Gelbfieber. Unsere Mannschaft wurde arg dezimiert. Irgendwie gelangten wir bis hierher, zu dieser Insel - und hier, in dieser Bucht, bestatteten wir am Nachmittag unseren Kameraden Esteban. Sein Leichnam ruht jetzt auf dem Grund der Bucht." „Und dann habt ihr gegen de Larra gemeutert?" wollte Shane wissen. „Ja. Ich selbst forderte ihn heraus und kämpfte mit ihm." „Das waren also die Schüsse, die wir hörten, als wir uns Tutuila näherten?" fragte Dan O'Flynn. Serafín nickte. „Das müssen sie gewesen sein. Der Capitán floh, und wir jagten ihm noch ein paar Kugeln nach, trafen ihn aber nicht. Ich glaube, er hat nur einen Streifschuß am Bein." „Anschließend habt ihr ihn im Urwald gesucht", schlußfolgerte Al Conroy. „Ihr fandet aber nicht ihn,
sondern die beiden Polynesier, die dieser Hurensohn umgebracht hatte." „Ja, so ist es", stieß Joaquin erregt hervor. „Dann erschient ihr und dachtet, wir hätten das getan." „De Larra will weitersegeln", sagte Serafin. „Nach Süden. Er hat seinen Plan, den rätselhaften Kontinent zu entdecken, immer noch nicht aufgegeben. Er war ein guter Seefahrer und Navigator, dieser Capitán, deshalb wurde er in Manila als der richtige Mann für dieses Unternehmen ausgewählt. Aber er hatte großes Pech und beging eine Reihe von Fehlern. Am Ende unserer Reise mit der ,Hernán Cortés' muß ihn der Wahnsinn gepackt haben." „Wahnsinn?" Carberry ließ einen ächzenden Laut vernehmen. „Das heißt, er ist zu allem fähig..." Maguro und Otalu, die Polynesier, hatten kein Wort von der Unterhaltung verstanden, aber sie schienen aus den Mienen der weißen Männer genug herauslesen zu können. Maguro trat vor, schob sich zwischen Shane und Carberry und wies mit der Hand auf den Inseldschungel. „Nein", sagte Carberry. „Wir können jetzt nicht nach Pago -Pago, in euer Dorf, zurückkehren. Wir müssen an Bord der ,Isabella'. Unser Kapitän und unsere Kameraden schweben in Lebensgefahr. Hasard, der Seewolf - ach, du verstehst mich ja nicht." Maguro begann zu gestikulieren. Dan O'Flynn meinte: „Ich glaube, er will uns was ganz anderes zu verstehen geben. Seht doch mal genau hin." Maguro gab sich redlich Mühe, seine weißen Freunde auf etwas hinzuweisen. Immer wieder ballte er die Hände zu Fäusten und bewegte sie, als halte er einen Gegenstand fest und führe eine Arbeit damit aus.
11 Zwischendurch deutete er auf das Dickicht jenseits des westlichen Ufers der Bucht. „Ich hab's", sagte Blacky. „Mann, warum ist uns das nicht gleich eingefallen? Die Insulaner ernähren sich doch nicht nur von dem, was ihnen der Regenwald bietet, die leben auch vom Fischfang." „Sie haben Boote", keuchte Carberry. Aus geweiteten Augen blickte er auf Maguro. Dessen Geste war jetzt klar: Sie gab die Bewegung des Paddeins wieder. „Er will uns zeigen, wo sie liegen. Los, Leute, nichts wie hin!" Maguro erkannte, daß sie ihn verstanden hatten. Er winkte Otalu zu, und beide setzten sich an die Spitze des kleinen Trupps. Sháne, Carberry, Gary Andrews, Al Conroy, Blacky und Dan O'Flynn schlossen sich sofort an. Keiner paßte mehr so richtig auf die Spanier Serafin und Joaquin auf, aber diese beiden dachten an alles andere als an Flucht. Sie liefen mit, denn auch sie wollten Kapitän de Larra greifen, überwältigen, und zur Rechenschaft ziehen. Zehn Männer hasteten über den weißen, weichen Sand, und jeder dachte in seiner Muttersprache das gleiche: Hoffentlich kommen wir nicht zu spät, hoffentlich schaffen wir es noch.
2. Unbemerkt von den Männern an Bord der „Isabella" und den Männern auf der Insel Tutuila segelten zur selben Zeit zwei Schiffe in Dwarslinie mit südöstlichem Kurs auf das Eiland zu. Sie lagen mit Backbordhalsen hoch an dem immer noch aus Nordost blasenden Wind. Es waren eine rahgetakelte DreimastGaleone und eine schlankere Karavelle mit zwei Masten und dreieckigen Lateinersegeln. „El Cisne", der Schwan, hieß die gut armierte Zweihundert-Tonnen-Galeone mit dem breiten Bug und den wuchtigen Aufbauten. „El Gabian", die Möwe, lautete der Name der kleineren Karavelle. Seit über zwei Jahren gehörten diese beiden Schiffe mit ihren Mannschaften zusammen. Sie stellten einen kleinen, aber wehrhaften Verband dar, dessen Ziel klar abgesteckt war: fremde Schiffe aufbringen, Prisen nehmen, Beute machen. Fast zwei Dutzend Schnapphähne' und Galgenstricke fuhren an Bord der „El Cisne". Auf der „El Gabian" zählte die Besatzung fünfzehn Mann. Sie waren ehemalige Meuterer, Abtrünnige regulärer Schiffsmannschaften, Deserteure und Glücksrit-
12 ter verschiedener Rasse und Herkunft, ein durch Härte und Grausamkeit zusammengeschmiedeter Haufen, der sein Nest auf einer einsamen Insel mitten in der Südsee eingerichtet hatte. Rafael Sabicas, der Kapitän der „El Cisne", und Andrés Ponce, der Kapitän der „El Gabian", waren ihre Anführer. Das Oberkommando über die Meute hatte Sabicas. Sabicas hatte seine Kammer im Achterkastell der Galeone verlassen und stieg aufs Achterdeck. Hier trat er zu seinem Bootsmann, einem Kalabrier namens Donato, der auch sein engster Vertrauter und seine rechte Hand war. „Du hast mich rufen lassen?" sagte Sabicas. „Wir haben eben Schüsse gehört, Senor. Wir alle von der Deckswache. Wir können uns nicht alle Mann auf einmal getäuscht haben." Sabicas grinste. Er war ein großer Mann mit fast schulterlangen schwarzen Haaren, dunklen Augen und derben Zügen in einem Gesicht mit olivfarben grundierter Haut. Er stammte aus der tiefsten, ärmsten Einöde Andalusiens. Schon mit zwölf Jahren war er von zu Hause ausgerissen und hatte sich quer durch die Sierra Nevada bis nach Malaga durchgeschlagen, wo er als Schiffsjunge an Bord eines Kauffahrteischiffes gegangen war. Zwischen der Alten und der Neuen Welt, von Afrika ums Kap der Guten Hoffnung herum und bis nach Ostindien und wieder zurück hatte er viele Tritte und Hiebe einstecken müssen, aber eines Tages war er groß genug gewesen, um den Spieß umdrehen zu können. Da hatte er eine Meuterei angezettelt, eine blutige Revolte. Seitdem bewegte er sich jenseits dessen, was man Legalität nannte. Der Wind fuhr in Sabicas' Haare
und zerzauste sie. „Das glaube ich auch nicht, Donato", sagte er. „Es sei denn, ihr Halunken habt euch im Dienst betrunken. Und das will ich nicht hoffen, denn du weißt ja, was euch dann blüht." „Wir sind alle stocknüchtern, Senor", versicherte der Kalabrier. Er streckte die Hand aus und wies voraus. „Von dort hörten wir die Schüsse, von Südosten." „Kanonen?" „Nein, Musketen oder Pistolen. Zweimal hat es gekracht." „Habt ihr schon zu Ponce und seinen Männern hinübersignalisiert?" „Ja", erwiderte Donato. „Sie haben das Schießen auch vernommen." „Gut. Vielleicht ist ja wirklich an Bord des Schiffes gefeuert worden, das wir verfolgen. Ich nehme es sogar mit einiger Sicherheit an. Wir haben die Galeone vor zwei Tagen zwar aus den Augen verloren, aber ich habe es ja oft genug gesagt: Weit können wir nicht von ihr entfernt sein, zumal sie stark angeschlagen zu sein scheint und nicht viel Fahrt läuft." „Möglich ist es", meinte der Kalabrier. Er war breitschultrig und von gedrungener Gestalt. Ein buschiger Schnauzbart wuchs über seine Mundwinkel hinaus und hing sichelförmig zu beiden Seiten hinunter. Seine Nase war platt und deformiert, was auf einige heftige Schläge zurückzuführen war. Über seine rechte Wange zog sich eine lange Messernarbe. Kleine, tiefliegende Augen funkelten unter seiner Stirn, die durch ein rotes Kopftuch halb verdeckt war. Seine übrige Kleidung bestand aus bunten Fetzen. Im Gegensatz zu Sabicas, der immer eine schwarze Hose und ein weißes Hemd trug, sah er zerlumpt und verwahrlost aus. „Aber wer sollte auf dem Schiff auf die Idee verfallen, nachts
13 zu schießen - und warum?" „Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Eine könnte lauten, daß die Mannschaft ihres Capitáns überdrüssig geworden ist und ihn kurzerhand aus dem Weg geräumt hat." „Ah!" „Somit hätte die Galeone wieder einen Mann weniger, und wir haben noch mehr Chancen, sie einzuholen und zu entern." „Sie haben nicht mehr viele Leute an Bord, wie?" „Nein", sagte Sabicas. „Ich bin davon fest überzeugt. Sie müssen seit Wochen unterwegs sein, vielleicht seit Monaten - so, wie ihr Schiff aussieht. Woher sie auch kommen und wo immer ihr Ziel liegt, die Stürme, die auch über unsere Insel gerast sind, müssen ihnen schwer zugesetzt haben. Mit denen haben wir leichtes Spiel." Donato beobachtete seinen Kapitän aus schmalen Augen. Durfte er es wagen, seine Bedenken anzumelden? „Senor", meinte er nach einigem Überlegen. „Darf ich dir mal was sagen? Etwas, was sich sonst keiner an Bord der ,E1 Cisne' herausnehmen würde?" „Wenn es eine Beleidigung ist, kriegst du die Peitsche zu schmecken wie jeder andere Hundesohn auf diesem Schiff", erwiderte Sabicas. „Aber nur zu! Was hast du zu sagen?" „Dieser Jammerkahn, der da keine zwei Meilen von uns sein muß könnte der nicht auch die Pest, die Pocken und das Gelbfieber an Bord haben?" Sabicas verzog spöttisch den Mund. „Wie? Gleich alles auf einmal? Und die Cholera? Du hast die Cholera vergessen." „Ich hab's gewußt, daß du mich nur verhöhnen würdest." Das Lächeln verschwand aus Sabicas' Gesicht. „Irrtum, Amigo. Auch
ich habe über diese Möglichkeit nachgedacht. Und ich bin zu dem Schluß gelangt, daß sie alle längst verreckt wären und ihr Kahn zu einem Geisterschiff geworden wäre, wenn sich eine Seuche zu ihnen aufs Schiff geschlichen hätte. Außerdem, wenn wir sie wirklich vor uns haben, werden wir sie wohl erst im Morgengrauen angreifen und dann recht schnell herauskriegen, ob bei ihnen eine Epidemie ausgebrochen ist oder nicht." „Ja. Stimmt. Daran habe ich nicht gedacht." „Aber ich sehe dir an, daß du noch mehr zu sagen hast. Spuck's aus." „Der Elendskahn", sagte der Kalabrier langsam, „hat vielleicht gar nichts von dem an Bord, was wir erhoffen. Ich meine, wir haben uns ihm an die Fersen geheftet und sind nun schon seit fast fünf Tagen hinter ihm her, aber wir wissen immer noch nicht, ob der Zug sich lohnt oder nicht." „Ja - und was ist, wenn wir die ,Nao de China' vor uns haben?" „Die Manila-Galeone?" „Ja. Die sagenhafte Manila-Galeone mit unermeßlichen Schätzen an Bord. Sie bringt wertvolle Güter nach Mexiko hinüber und kehrt mit Gold und Silber zurück." „Aber deren Kurs liegt viel weiter nördlich", wandte Donato verdutzt ein. „Wer sagt dir das? Ist denn jemals bekanntgeworden, auf welcher Route sie von Kontinent zu Kontinent segelt?" „Nein", sagte der Kalabrier und biß sich auf die Unterlippe. „Senor, ich ich meine ja nur, nun ja, sicher, der Kurs der ,Nao de China' wird wie ein Geheimnis gehütet, keiner kennt ihn. Außerdem könnte die Galeone ja auch durch die Stürme von ihrer ursprünglichen Reiseroute abgeraten
14 und weiter nach Süden gedrückt Sabicas wandte sich zum Gehen. „Es wäre schade, einen Schlauberger wie worden sein." „Na also. Siehst du jetzt ein, daß ich dich zu verlieren." Wieder grinste er hämisch. recht haben könnte?" Donato holte tief Luft. „Senor, es „Du hast mich falsch verstanden", will mir aber nicht in den Kopf, daß sagte Donato hastig. „Ich will mich die Manila-Galeone so ganz ohne vor nichts drücken. Nur auf ein paar Geleitschutz durch die Südsee segelt. Dinge, die du übersehen haben könnEinmal soll sie ja schon von El Lobo test, wollte ich dich hinweisen." del Mar, dem Seewolf, aufgebracht „Ich übersehe nichts", erklärte Saworden sein. Wo, das weiß der Hen- bicas grob. „Merk dir das. Wir halten ker, aber ich hab's gehört, und ich bin Kurs, Donato. Melde mir sofort jede sicher, daß es stimmt. Seither hat der Neuigkeit, verstanden?" König von Spanien - der Teufel soll „Si, Senor." ihn holen - den Konvoi von Manila Sabicas benutzte den Niedergang nach Mexiko mehr und mehr ver- der Steuerbordseite, kehrte auf die stärkt." Kuhl zurück und betrat von hier aus „Auch das hast du gehört?" das Achterkastell. Er schritt den Mittelgang entlang und glich die „Si, Senor." Schiffsbewegungen Rafael Sabicas' Stirn hatte sich ge- taumelnden furcht, und seine Augenbrauen zo- durch geschicktes Verlagern seines Körpergewichts vom einen auf das gen sich jetzt drohend zusammen. „Du scheinst sehr viel zu hören andere Bein aus. Er öffnete die Tür seiner Kammer, heute nacht, elender Hurensohn", sagte er ärgerlich. „Paß auf, ob du trat durch den Spalt ins Innere und auch das Grunzen des Wassermanns drückte die Tür hinter sich zu. Sein und das Heulen der Seedämonen Blick erfaßte die Gestalt des braunvernimmst. Sperr deine Ohren auf, häutigen Mädchens. Sie hatte sich an aber belästige mich um Himmels der Backbordseite des Raumes auf willen nicht mehr mit deinem leeren dem Boden niedergelassen und die Geschwätz. Donato, du Hundesohn, Knie an den Leib gezogen. Das war der Sturm könnte den Verband aus ihre bevorzugte Haltung, und sie Manila auseinandergerissen haben, setzte sich immer an demselben Platz will dir das nicht in den Kopf? Und auf eine geflochtene Grasmatte. Wie ein Hund auf seinem primitiwir haben in dem halb wracken Kahn da vorn keinen Kriegssegler, ven Lager, fand Sabicas. „Donato hat nachgelassen", sagte sondern einen fetten Handelsfahrer Sabicas. „Die lange Feuerpause, die vor uns, kapiert?" wir gezwungenermaßen wegen der „Si, Senor." „Es lohnt sich also auf jeden Fall. Stürme einlegen mußten, hat ihm nicht gutgetan. Entweder gewöhnt Wir fischen eine gute Beute." „Ja. Gewiß. Ich dachte nur, es wäre er sich wieder an unsere Gepflogengut, vor Ausbruch des nächsten heiten oder er - hörst du mir überSturmes wieder im Schlupfwinkel zu haupt zu?" „Lavida hört dir immer zu." sein", sagte der Kalabrier. „Wenn wir Er ließ sich auf seiner Koje nieder uns zu weit entfernen, dann ..." „Dann reiten wir den nächsten und streckte die Beine von sich. Sturm eben ab, du Wanze. Gib acht, „Bring mir Wein. Einen ganzen daß du dann nicht über Bord gehst!" Kelch voll. Ich will meinen Ärger
15 mer bis ans Pult beförderte. herunterspülen." „Nein!" rief er. „Das ist es nicht. Sie erhob sich, trat vor einen Schrank und holte eine Flasche mit Das Furchtbare ist, daß ich mir dann rubinrotem Wein und einen silber- eine neue Sklavin suchen muß." Sie klammerte sich am Kapitänsnen Kelch daraus hervor - Beutestücke des Piraten von einem seiner pult fest und riß fast die Weinflasche um, die sie darauf abgestellt zahlreichen Überfälle. Lavida füllte den Kelch bis zum hatte. Sie taumelte, ließ die TischRand, trug ihn zu ihrem Herrn und kante wieder los, begann zu schluchbeugte sich zu ihm nieder. Er griff zen und schlug die Hände vors Genach dem Gefäß, hob es an seine Lip- sicht. Sabicas grinste, vollführte eine pen und nahm einen tiefen Schluck. „Werdet ihr wieder kämpfen?" wegwerfende Handbewegung und fragte sie ihn in ihrem etwas holpri- setzte wieder den Kelch an, um ihn zu leeren. gen, fehlerhaften Spanisch. Keiner, weder Sabicas noch das „Ein wenig", antwortete er, nachdem er den silbernen Kelch wieder Mädchen noch Donato oder Ponce und die Deckswachen auf der „El abgesetzt hatte. „Hast du Angst?" „Nur ein bißchen", flüsterte sie und Cisne" und der „El Gabian" ahnten zu diesem Zeitpunkt, daß sich die Pirasenkte den Blick. Er lachte auf. „Es wird krachen tenschiffe nur noch knapp zwei Seeund donnern, und überall wird Feuer meilen von der Insel Tutuila entfernt sein. Rauch wird sich durch sämtli- befanden. che Schiffsräume wälzen, und man wird das Gurgeln und Röcheln der Verwundeten und Sterbenden hö3. ren. Gefällt dir das?" Sechs schmale Auslegerboote la„Es ist entsetzlich", hauchte sie. Er lachte laut und häßlich. „Du gen meisterhaft getarnt in der Flußkannst dich ja an meiner Seite halten mündung an der Westseite der Nordund dich an mir festklammern, bucht versteckt. Beide Ufer des Gewenn's ganz dick kommt. Schließlich wässers waren dicht mit Buschwerk bist du meine Leibeigene. He, hast du bewachsen. Das Gestrüpp rankte bis etwa Angst vorm Krepieren? Nun, in die Fluten und wuchs auf deren das Schlimmste, was dir passieren Mitte zu, als wollte es sich dort vereikann, ist, daß du wirklich bei so ei- nen. Carberry, Shane, die vier anderen nem Gefecht draufgehst. Weißt du, was daran so furchtbar ist? He, von der „Isabella" sowie die beiden Spanier staunten nicht schlecht, als weißt du es nicht?" Sie blickte ihn wieder an. Ihre Au- Maguro das duftende Dickicht mit gen hatten jetzt einen feuchten den Händen teilte und stolz auf die Schimmer. „Es - es tut weh, und es ist Boote deutete. Sanft dümpelten sie auf den Wellen. Die Paddel lagen beschrecklich, langsam zu verbluten." Er sah auf ihr rundes, festes Hin- reit, man brauchte nur noch die terteil, das sich unter dem einfachen Hanfleinen zu lösen und konnte gut Gewand aus weißem Leinen spann- die Bucht hinausfahren. te. Plötzlich holte er mit der Hand „Großartig", sagte der Profos. Er aus und gab ihr einen kräftigen Hieb schenkte dem Häuptling der Polynedarauf, der sie quer durch die Kam- sier sein freundlichstes Lächeln und
16 sah dabei doch so abstoßend häßlich aus, daß man das Fürchten lernen konnte. „Wo steckt eigentlich Otalu?" wollte Gary Andrews plötzlich wissen. „Himmel, ist er denn nicht neben uns hergelaufen? Männer, er ist verschwunden. Der Urwald scheint ihn verschluckt zu haben." „Otalu?" Maguro horchte auf und wandte sich zu Gary um. Er wies in die Richtung, in der das Dorf Pago Pago liegen mußte, nickte bedeutungsvoll und sagte ein paar kurze Sätze in seiner klangvollen, merkwürdig singenden Sprache. „Offenbar ist Otalu zum Dorf unterwegs, um Verstärkung zu holen", raunte Big Old Shane. „Aber darauf können wir nicht warten. Wir müssen sofort handeln und dürfen keine Zeit mehr verlieren. Hat jemand einen konkreten Vorschlag, wie wir uns am besten an die ,Isabella' heranpirschen?" „Ich", erklärte der Profos finster. „Wir nehmen drei Boote. Jedes wird mit zwei Mann besetzt. Eins paddelt dicht unter Land bis zur Ostseite der Bucht, und seine Insassen fangen mit einem wilden Feuerzauber an, sobald sie dort eingetroffen sind. Das ist das Ablenkungsmanöver." „Al", sagte Shane, „wir beide übernehmen am besten diese Aufgabe. Du hast die Höllenflaschen dabei, und ich habe meinen Bogen und meine Pfeile. Einverstanden?" „Ja", erwiderte Al Conroy. „Prächtig", sagte der Profos. „Weiter. Wer begleitet mich?" „Ich", meldete sich Dan O'Flynn, ehe die anderen es tun konnten. „Und zwar werden wir uns an das Heck der .Isabella' heranschleichen, während Shane und AI ihr Feuerwerk zünden." „Du hast es erfaßt, Mister Oberschlau."
„Und was tun Gary und ich?" wollte Blacky wissen. „Augenblick, ich hab's: Wir steuern mit dem dritten Boot die ,Hernán Cortés' an, entern sie und gehen mit ihr ankerauf. Wir werden sie ja wohl noch bis an unsre alte Lady heranmanövrieren können, bevor sie ganz absäuft. Wir werden ein paar ihrer Kanonen gefechtsklar machen, um de Larra damit eventuell ein paar Warnschüsse vor den Bug zu setzen." „Die ,Hernán Cortés'?" fragte Serafin, der von alledem nur den Namen der spanischen Galeone verstanden hatte. „Was ist mit ihr?" Blacky setzte es ihm auf spanisch auseinander, während die anderen schon in die Auslegerboote kletterten. „Wir haben die Geschütze unseres Schiffes nicht mehr laden können, als wir de Larra nachstellten", erklärte der schwarzbärtige Spanier daraufhin. „Aber das Munitionsdepot ist offen, und ich traue mir zu, in kürzester Zeit klar zum Gefecht zu rüsten. Nehmt mich mit - ich bitte euch darum." „Damit du uns im Boot überlistest?" sagte Gary mißtrauisch. „Nein, nein." Serafin schüttelte den Kopf. „Habt ihr immer noch nicht begriffen, daß wir es ehrlich meinen? Wir hätten doch eben schon davonlaufen können, wenn wir gewollt hätten." „Blacky, Gary", sagte der Profos vom Boot aus. „Nehmt ihn mit. Der andere steigt bei Shane und Al ein." „Aye, Sir", sagte Blacky. „Danke, Senor", erklärte Serafin. „Ihr werdet das nicht bereuen. Ich versichere es euch." „Eins haben wir alle vergessen", meinte Joaquin plötzlich. „Die ,Hernán Cortés' könnte längst auf dem Grund festsitzen. Wir haben in ziemlich flachem Wasser geankert
17 und ..." „Der Ebbstrom könnte sie aber auch ein Stück mit hinausgenommen haben", widersprach Serafín. „So weit, wie die Ankertrosse reicht. Wenn wir uns beeilen, könnte das Vorhaben doch noch klappen." Er zwängte sich durch das Dickicht und stieg zu Blacky und Gary Andrews in das Auslegerboot. Joaquin folgte ihm und gesellte sich zu Big Old Shane und Al Conroy in das andere Fahrzeug. Maguro kletterte mit einer Gewandtheit, die ihm wegen seines Alters wohl keiner der weißen Männer zugetraut hätte, über die schlanken Bootsleiber und kauerte sich hinter dem Prof os und Dan O'Flynn nieder. Er lächelte ihnen zu und gab ihnen durch ein Zeichen zu verstehen, daß sie ruhig ablegen sollten. „Ich sehe nicht ein, warum wir ihn daran hindern sollten", sagte Carberry mit einem raschen Blick auf den Häuptling. „Er will Vergeltung für den Mord an seinen beiden jungen Stammesbrüdern. Das ist sein gutes Recht." „Ja, ich kann ihn auch verstehen", meinte Dan. „Dann los." Der Profos griff zum Paddel und tauchte es ein. Das wendige, schmale Boot löste sich und glitt mit der Strömung des Flusses zwischen dem wuchernden Gestrüpp auf die Bucht zu. „Vor der Mündung warten wir eine Weile, bis Al und Shane an uns vorbei sind und ein wenig Vorsprung gewonnen haben", raunte Carberry Dan O'Flynn zu. Dan nickte und bedeutete Blacky und Gary, die hinter ihnen mit Serafin im Boot ablegten, das gleiche zu tun. Die drei Auslegerboote glitten, auf die langgestreckte, geräumige Bucht hinaus. Keiner konnte sie von der „Isabella" aus sehen. Die Nacht war
zu dunkel. * Bill, der Moses, hatte Pistole um Pistole, Muskete um Muskete unter der Aufsicht von Don Mariano José de Larra entladen müssen, und so lagen die Waffen jetzt leer neben der doppelläufigen sächsischen Reiterpistole auf den Planken der Kuhl. Das Pulver und die Kugeln hatte Bill außenbords befördern müssen. De Larra hatte sich nur noch die Radschloß-Pistole Ben Brightons in den Gurt geschoben, auf weitere Waffen hatte er verzichtet, um nicht zu unbeweglich zu sein. Mit der Pistole, die er von Domingo erbeutet hatte, hielt er nach wie vor Philip junior in Schach und verfolgte das Bestreben des Kutschers, die Schußwunden von Hasard junior und Batuti genau zu untersuchen. „Feldscher", sagte er. „Du vergeudest nur deine Zeit. Sie sind krepiert, nicht wahr? Gib es doch zu, daß sie tot sind. Don Mariano schießt nicht vorbei." Er kicherte, unterbrach sich aber sofort wieder und schoß einen drohenden Blick auf Philip junior ab, der eine ruckartige Bewegung vollführt hatte. „Sitz still", fuhr er ihn an. „Ich will zu meinem Bruder", sagte Philipp junior. „Laß mich zu ihm." Er sprach ein fast fehlerfreies Spanisch - lange genug waren er und sein Bruder bei ihrem Vater und bei SiriTong, der Roten Korsarin, in die Schule gegangen. „Du rührst dich nicht vom Fleck", zischte der glatzköpfige Spanier. „Du kriegst eine Kugel ins Bein, wenn du es wagst, von der Gräting aufzustehen." „Ja", sagte der Junge leise. „Dazu gehört eine Menge Mut, Senor. Was für eine Heldentat hast du voll-
18 bracht, auf meinen Bruder zu schießen. Dazu muß man wohl den Schneid eines spanischen Edelmanns haben, um auf einen unbewaffneten Jungen loszugehen." „Philip", sagte der Seewolf. „Sei still." „Dad, ich halte es nicht mehr aus", stöhnte Philip junior, und in seinen Augen war plötzlich jenes gefährliche Funkeln, das die Männer der „Isabella" sonst nur von seinem Vater kannten. „Philip Killigrew, das ist ein Befehl", sagte der Seewolf hart. „Setze nicht unser aller Leben durch dein Verhalten aufs Spiel, klar?" „Verstanden, Sir", murmelte Philip junior. „Kutscher", sagte sein Vater. Der Kutscher schaute auf. „Sir? Mein Gott, ja - sie leben noch, alle beide. Nein, ich schwindle dir nichts vor." Er sprach spanisch wie sein Kapitän, damit der Glatzkopf nicht argwöhnen konnte, sie würden irgendeinen Plan miteinander abstimmen. „Aber ich will dir auch den Rest nicht verheimlichen. Ihr Leben hängt an einem seidenen Faden ..." „Sprich weiter", befahl Hasard. „Der Spanier hat wirklich gut gezielt", sagte der Kutscher erbittert, und er spürte, wie dabei etwas heiß Und brennend in seine Augen stieg, das er nicht niederkämpfen konnte. „Hasard junior hat die Kugel unterhalb des Halses in der linken Brusthälfte stecken. Bei Batuti sitzt das Geschoß etwas tiefer. Mein Gott..." „Weiter, Kutscher!" „Ja, weiter Kutscher", ahmte de Larra ihn nach. „Sag ihm die ganze Wahrheit, deinem degradierten Capitán." Zuerst sah es so aus, als wollten sich Luke Morgan, Matt Davies und Jeff Bowie gleichzeitig auf den Glatzkopf stürzen. Aber ein Blick
von Hasard genügte, und sie zügelten ihre unbändige Wut. Sie richteten ihren Blick wieder auf die beiden reglosen Gestalten, und auch die anderen von der Crew schauten dem Kutscher über die Schultern. Der teuflische Spanier existierte plötzlich nicht mehr für sie. Der Kutscher befeuchtete sich die spröden Lippen mit der Zungenspitze. „Ich weiß noch nicht, ob bei Hasard junior und Batuti irgendwelche inneren Organe verletzt sind. Im Dunkeln kann ich das beim besten Willen nicht feststellen. Wir müssen sie unter Deck schaffen, Licht entzünden und alles für einen Eingriff vorbereiten. Je eher ich operieren kann, desto besser." Der Seewolf sah zu de Larra. „Sie haben es gehört. Ich appelliere an Ihr Gewissen und ersuche Sie, unserem Feldscher die Ausübung seines Samariterdienstes zu ermöglichen." „Nur, wenn du mich darum bittest, Bastard", sagte der Spanier höhnisch. „Ich bitte Sie darum." Hasards Miene war hart wie aus Stein gemeißelt, seine Lippen bewegten sich kaum beim Sprechen. „Bedien dich gefälligst einer angemessenen Anrede, du Hund!" schrie de Larra. „Na los, versuch es noch einmal!" „Ich bitte Sie darum, Senor." „Señor Capitán!" „Bitte seien Sie vernünftig, Senor Capitán..." „Sag es etwas freundlicher, zum Teufel." „Nein, Senor Capitán." De Larras Mundwinkel zuckten, eine Art Flattern schien über seine verkniffenen Züge zu streichen. Für Augenblicke lag unerträgliche, knisternde Spannung in der Luft. Der Seewolf fixierte den Glatzkopf, sprach kein Wort mehr und wartete
19 herrischen Wink des Spaniers hin dessen nächste Reaktion ab. Da endlich sagte de Larra: „Also seinen Männern anschließen. De gut, schafft diese beiden Halbleichen Larra packte Philip juniors Arm, zog unter Deck. Von mir aus in eine den Jungen von der Gräting hoch Kammer des Achterkastells. Feld- und dirigierte ihn hinter der Gruppe scher, wählte drei Männer aus, die her. „Wo sind die Munitions- und Wafmit anpacken und dir helfen." „Smoky und Stenmark", sagte der fenkammern?" fragte der Spanier dicht hinter Hasard. Kutscher. „Und Bob Grey." „Gut", erklärte der Spanier. „Ihr „Im Achterdeck." geht voraus. Der Bengel hier und ich „Sind sie abgeschlossen?" folgen euch. Ja, Killigrew, auch du „Ja." begleitest uns. Während wir im Ach„Wo sind die Schlüssel?" terdeck am Krankenlager bleiben „In der Kapitänskammer. In meiund auf den Tod dieser beiden Kreaturen warten, lichtet ihr anderen nem Pult." „Wenn das nicht stimmt, könnt ihr Hundesöhne den Anker und setzt die Segel. Wir laufen aus und verlassen alle euer blaues Wunder erleben", die Bucht und diese verdammte Insel drohte der Glatzkopf. „Dann gibt es einen Tanz hier an Deck, den ihr nie der Wilden." „Müssen wir auch das tun?" fragte wieder vergessen werdet." „Es ist die Wahrheit", sagte der Ferris Tucker Hasard. „Das darf Seewolf. „Ich will jedes weitere Blutdoch nicht wahr sein." „Tut, was er sagt", erwiderte der vergießen verhindern." „Gut. Wir werden uns diese Seewolf. „Der Fluch des Satans liegt über Schlüssel gleich holen, damit keiner unserem Schiff", murmelte Old deiner Bastarde auf die dumme Idee O'Flynn. „Es ist aus, Freunde, end- verfällt, sich durchs Schiff bis zum Depot zu schleichen und dort einzugültig aus." „Bewegt euch!" herrschte der Spa- brechen." De Larra blieb kurz mit nier sie an. „Ich dulde keinen Schlen- Philip stehen und wandte sich noch drian und will euch springen sehen! einmal zu dem Rest der Crew um. Wenn ihr auch nur den kleinsten „Habt ihr verstanden? Keine DummTrick versucht, geht es dem Bengel heiten! Ich kriege auch unter Deck jede eurer Bewegungen mit. Ich spühier dreckig!" Smoky, Stenmark und Bob Grey re es, ob ihr meine Befehle ordnungstraten vor und bückten sich nach gemäß ausführt oder nicht. Ich bin Hasard junior und dem Gambia- ein erfahrener Seemann und hervorMann. Der Kutscher griff dem Sohn ragender Navigator, ein Mann mit des Seewolfs behutsam unter die Weitblick und zum Herrscher geboAchseln und hievte ihn ein Stück ren. Mich legt keiner herein, keiner!" Matt Davies, Jeff Bowie, Sam Roshoch. Bob hob Hasard juniors Beine kill und Will Thorne drehten sich an. Smoky und der Schwede stemmlangsam dem Vordeck zu und setzten ten den schweren Körper des schwarzen Goliaths hoch. Dann be- sich in Marsch, um die Back zu enwegte sich die traurige Prozession tern und den Anker mit dem Ganglangsamen Schrittes auf das Achter- spill hochzuhieven. Pete Ballie ging nach achtern. Sein Platz war im Rudecksschott zu. derhaus. Die anderen schickten sich Der Seewolf mußte sich auf einen an, die Segel der „Isabella" zu setzen.
20 Jeder kannte seine Aufgabe, jeder müßte den Jungen loslassen, um das Handgriff saß. Sie vermochten jedes Schott zu öffnen, aber ..." Manöver mit geschlossenen Augen „Beeilung", drängte de Larra. „Ihr durchzuführen und zeichneten sich da vorn mit den Verwundeten, tretet durch Schnelligkeit und Präzision zur Seite. Killigrew, geh zum Schott aus. Aber jetzt, unter dem Zwang des und öffne es." Spaniers, fehlte ihnen jeder Die Männer befolgten seinen BeSchwung und innerer Antrieb. Sie fehl. Der Kutscher und Bob Grey, handelten wie in Trance. Smoky und der Schwede rückten mit „Schneller!" schrie de Larra. „Ihr den bewußtlosen Schwerverletzten faulen Hunde, wollt ihr wohl ren- nach links. Hasard trat an ihnen vornen? Wir laufen bei Ebbe aus, und bei auf das Schott zu. De Larra noch weht der Wind günstig. Das schloß auf und hielt sich mit Philip müssen wir ausnutzen, verstanden?" junior weiter rechts. Wieder stellte der Seewolf fest, daß „Ja, Senor", sagte Ben Brighton. „Das ist dreckiges Lumpenpack", der Glatzkopf auf seinem rechten zischte de Larra, indem er sich wie- Bein hinkte. Als er von der „Hernán der dem Seewolf zuwandte. „Man Cortés" geflüchtet war, hatten seine muß sie alle mit der Peitsche antrei- drei letzten Männer ihm einige Kuben, um sie in Trab zu halten. Por geln nachgejagt, und eine davon Dios, was für ein Haufen von Gal- mußte ihn an der Wade gestreift haben. genvögeln." Hasard löste die Verriegelung des Hasard schwieg. Schotts und zog es auf. Ferris Tucker trat mit Ben BrighUnd da geschah es. ton an die Nagelbank auf der BackEin ohrenbetäubendes Kreischen bordseite der Kühl und flüsterte mit mühsam verhaltenem Zorn: „Wenn war in dem stockfinsteren Achterich dem Hurensohn doch bloß eins decksgang. Etwas polterte, etwas überbraten könnte. O Jesus, wenn flatterte, jemand schien zu stöhnen, wir nur die geringste Chance hät- und dann schössen zwei Gestalten aus der Hütte. Die eine raste geduckt ten ..." „Wartet ab", raunte Old O'Flynn an Hasards Beinen vorbei, die andere wirbelte krächzend über den Kopf ihnen zu. Ben und Ferris blickten ihn fra- des Seewolfs weg. De Larra brüllte auf und stieß eigend an, aber die Miene des Alten war verschlossen und undurch- nen mörderischen Fluch aus. dringlich. Hatte er auf etwas anspielen wollen? Oder hatte er nur wieder 4. eine seiner vagen, nicht näher zu deutenden Bemerkungen von sich Arwenack, der Schimpanse, und gegeben? Der Kutscher und Bob Grey waren Sir John, der karmesinrote Aracanmit Hasard junior jetzt vor dem ga! Sie stürzten sich nicht auf den Achterdecksschott angelangt. Hinter Glatzkopf, das wäre denn doch zuihnen stoppten auch Smoky und viel verlangt gewesen von einem AfStenmark mit Batuti, dann blieben fen und einem Papagei, aber sie Hasard, Philip junior und Mariano sorgten für Verwirrung. Ob sie sich nun ins Achterdeck José de Larra stehen. geschlichen hatten, oder ob sie ir„Sir", sagte der Kutscher. „Ich
21 gend jemand dort eingesperrt hatte, blieb vorläufig ungeklärt. Fest stand nur eins: Ihr Platz war im Vordeck oder an Deck, keinesfalls aber im Achterkastell, und deswegen hatten beide ein entsetzlich schlechtes Gewissen. Als sie sich auch noch vom Seewolf höchstpersönlich ertappt sahen, brachen sie voll Panik aus der Poop aus. Sie ergriffen die Flucht und wollten sich in die Takelage hinauf retten. Dabei gerieten sie mit dem Spanier ins Gehege. Arwenack riß de Larra fast um und keckerte und grunzte dabei, als ginge es ihm nun ans Leder. Sir John schlug in seiner Aufregung mit seinen bunten Flügeln in das Gesicht des Spaniers und kreischte dabei auf englisch und auf spanisch. De Larra hob unwillkürlich die Pistole, mit der er bislang auf Philip junior gezielt hatte. Der Seewolf fuhr herum. Philip junior handelte mit beispielhafter Geistesgegenwart und riß seinen Arm aus de Larras Griff los. Der Spanier war für einen Augenblick zu entgeistert, um darauf reagieren zu können. Außerdem hatte er wegen Arwenack fast die Balance verloren und taumelte. Hasard trat dem Kerl mit voller Wucht gegen das wunde rechte Bein. Mit einem gellenden Schrei drückte de Larra ab, und ein Feuerstoß löste sich aus Domingos Pistole. Die Kugel stob himmelan, brannte haarscharf an dem aufgebracht fluchenden Sir John vorbei und verlor sich dann irgendwo. Hasard rief: „Philip, in Deckung!" Philip junior huschte zu Ben Brighton und Ferris Tucker hinüber, die sich blitzschnell mit je zwei Belegnägeln bewaffnet hatten. Die Männer der Crew waren auf ihren Posten herumgefahren: Matt Davies, Jeff
Bowie, Sam Roskill und Will Thorne rissen die Spillspaken aus der Winsch und kletterten von der Back, um sich den Spanier zu kaufen. Old O'Flynn grinste grimmig und hielt ebenfalls nach einer Waffe Ausschau. Der Seewolf warf sich auf Mariano José de Larra und riß ihn mit sich um. Beide krachten der Länge nach auf die Planken. Hasard wollte dem Kerl die rechte Faust unter die Kinnlade rammen, aber im Sturm der Ereignisse hatte er die leergefeuerte Pistole nicht mehr beachtet, die der glatzköpfige Kerl immer noch in der Hand hielt. De Larra stieß eine Verwünschung aus und hieb dem Seewolf den hölzernen Knauf der Pistole auf den Kopf. Der Kolben prallte von Hasards Schädel ab und schien eine brennende Spur hinter dem rechten Ohr zu ziehen. Hasard stöhnte auf und wälzte sich zur Seite. De Larra rappelte sich auf, bevor die anderen Männer ihn erreichen konnten. Mit einem Ruck hatte er Ben Brightons Radschloßpistole aus dem Gurt gerissen und deren Hahn gespannt. Er sprang ans Backbordschanzkleid zurück, um den Rücken frei zu haben, legte auf den Seewolf an und schrie: „Los, auf was wartet ihr? Kommt! Ich knalle ihn ab wie einen tollen Hund, aber das kann euch nicht aufhalten, oder?" Die Männer zögerten. Ferris Tukker kalkulierte den Abstand, der zwischen ihm und dem Spanier lag, und rechnete grob aus, ob er den Kerl durch einen Wurf mit dem Koffeynagel auf die Planken schicken konnte. Er gelangte zu dem entmutigenden Ergebnis, daß die Distanz zu groß war. Der Seewolf richtete sich halb auf. Siedendheißer Schmerz tobte durch
22 seinen Kopf, aber er war nicht ohnmächtig geworden und war immer noch Herr über seine Bewegungen. „Laßt euch nicht beirren!" rief er seinen Männern zu. „Selbst wenn er schießt, müßt ihr ihn überwältigen. Los!" De Larra grinste, und in seinen Augen flackerte wieder das beängstigende Licht des Wahnsinns. Er zog eins der Hartholzmesser aus dem Hosenbund, das er den beiden toten Insulanern abgenommen hatte. Somit hatte er eine Waffe für den Nahkampf. Ein zweites Hartholzmesser steckte zudem noch hinter seinem Gurt. „Bleib, wo du bist, Killigrew!" rief er Hasard mit schriller Stimme zu. „Ich weiß, daß du Angst vorm Sterben hast wie jeder andere. Mich kannst du nicht täuschen. Nicht mich, Don Mariano José de Larra, der dazu auserkoren wurde, das Traumland im Süden zu finden!" Hasard erhob sich jetzt ganz von den Planken. Mit abgespreizten Beinen stand er da, die Arme angriffsbereit vorgestreckt. „Gib die Pistole her", sagte er. . „Das Spiel ist aus." De Larra lachte wild auf. „Du Narr! Auf so einen billigen Trick soll ich hereinfallen? Du bist ja nicht recht bei Trost. Keinen Schritt weiter, oder du hast deinen letzten idiotischen Spruch getan." Hasard fixierte ihn. „Du bist nicht mehr bei Verstand, de Larra. Deine fanatischen Ideen haben deinen Geist umnachtet. Gib's auf und streich die Flagge." „Ich? Wahnsinnig?" De Larras Züge verzerrten sich zu einer Fratze. „Niemand hat es je gewagt, einen Capitán von König Philips Gnaden derart zu beleidigen. Killigrew. du hast selbst dein Todesurteil gesprochen ..."
Er zielte mit Bens Pistole auf Hasards Stirn. Hasard zweifelte keinen Moment daran, daß er auch wirklich abdrükken würde. Drohend rückten die Männer der „Isabella" von allen Seiten auf den glatzköpfigen Spanier zu. Sie schwangen ihre Belegnägel und Handspaken und schirmten vor allem Philip junior und die beiden Schwerverletzten gegen den Todfeind ab, aber jeglicher Einsatz erfolgte zu spät, wenn de Larra jetzt das über den Seewolf verhängte „Urteil" vollstreckte. In diesem Augenblick höchster Gefahr fiel das zweifache Wummern am Ostufer der Bucht, das von grellen Feuerblitzen begleitet war. Einen Atemzug später zischte eine lodernde Fackel in den Nachthimmel und gleich darauf noch eine. Dann rollte von der „Hernán Cortés" dumpfer Kanonendonner heran, und im nächsten Moment stieg vor dem Bug der „Isabella" eine steile Wasserfontäne hoch. Rauschend fiel sie wieder in sich zusammen. De Larra blickte nur kurz zum Vorschiff der „Isabella", aber das genügte dem Seewolf. Da er dem Spanier am nächsten stand, sprang er vor, packte den Pistolenarm des Kerls und drehte ihn mit einem harten Ruck um. De Larras Schrei hallte über die Bucht - zu Shane, Al Conroy und dem Spanier Joaquin, die am Ostufer die Flaschenbomben und die Brandpfeile gezündet hatten, zu Blacky, Gary Andrews und Serafin an Bord der spanischen Galeone und zu Carberry, Dan O'Flynn und Maguro, dem Polynesier, die zur selben Zeit am Steuerruder der „Isabella" aufenterten und bis zum höchsten
23 Punkt des Achterdecks hochkletterten. Bens Radschloßpistole polterte auf Deck. Mit zwei Schritten war Ben Brighton bei seiner Waffe, bückte sich und nahm sie von den Planken auf. Er legte auf den Spanier an, doch Hasard, der mit dem Kerl rang, versperrte ihm mit seinem Rücken das Schußfeld. „Aufpassen, Hasard!" schrie Ferris Tucker. Hasard ließ de Larras rechten Arm los und blockte den Stoß ab, mit dem der Gegner ihm das Hartholzmesser der Insulaner in den Leib rammen Wollte. Don Marianos linke Hand mit dem Dolch prallte gegen den Ellbogen des Seewolfs und rutschte daran ab. Die erstaunlich scharfe Klinge ritzte den Stoff von Hasards Hemd, aber nicht die Haut seines Armes. Wieder brüllte de Larra in grenzenlosem Haß auf. Er wollte wieder zustechen, aber Hasard war schneller. Wie eiserne Klammern legten sich seine Finger um den linken Arm des Spaniers. Er holte aus und hieb de Larras Unterarm so heftig auf die Handleiste des Schanzkleides, daß es aussah, als würde er ihm die Knochen brechen. Aber die Knochen blieben heil. Nur die Muskeln und Nervenstränge des Armes waren plötzlich gelähmt, die Hand öffnete sich und das Hartholzmesser entglitt den schlaffen, völlig kraftlosen Fingern. Ferris war heran und fing das Messer auf. Der Seewolf hielt den Spanier fest. Ben Brighton trat vor und riß dem Kerl auch das zweite Hartholzmesser aus dem Hosenbund. Dann umringten die Männer der „Isabella" ihren Kapitän und den besiegten Spanier. Carberry, Dan O'Flynn und Magu-
ro hatten das Achterdeck geentert und waren von dort aus auf das Quarterdeck hinuntergesprungen. Sie traten in diesem Augenblick an die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß zur Kuhl bildete, und blickten ebenso verblüfft wie bestürzt auf das, was sich unter ihnen abspielte. „Eins kann ich erkennen", sagte der Profos. „Wir werden nicht mehr gebraucht. Hasard hat den Satansbraten von einem Don bereits entwaffnet." Pete Ballie trat neben ihn und erklärte: „Daß das gelingen konnte, ist dem Feuerzauber zu verdanken, den
ihr in der Bucht veranstaltet habt. Das war eine gute Idee, Ed." Carberry sagte darauf nichts, er schaute nur wie vom Donner gerührt auf die Gestalten von Hasard junior und Batuti hinunter, die in den Armen von Smoky, Stenmark, dem Kutscher und Bob Grey hingen. „Ja, Kreuzdonnerwetter noch mal", sagte er. „Was ist denen denn zugestoßen? Smoky - zum Teufel, Smoky! Kutscher!" Die Männer blickten zu ihm auf, schwiegen aber. „Verdammt", sagte Dan O'Flynn gepreßt. „Jetzt wissen wir, was die beiden Schüsse aus Hasards Doppelläufiger angerichtet haben."
24 „Kutscher", stieß Carberry mit versagender Stimme hervor. „So rede doch. Wir - wir können die Wahrheit schon vertragen. Spuck's aus, Mann." „Sie leben", erwiderte der Kutscher. „Ich muß sie beide schleunigst einem Eingriff unterziehen, sonst..." „Auf was wartet ihr dann noch?" zischte der Profos. Wie ein belebendes Elixier wirkten die Worte Carberrys auf Smoky, Stenmark, Bob Grey und den Kutscher. Sie lösten sich aus ihrer steifen, verkrampften Haltung, setzten sich wieder in Bewegung und verschwanden mit den Schwerverletzten im Achterdeck. Der Profos schob Pete Ballie zur Seite, marschierte auf den Backbordniedergang zu, der das Quarterdeck mit der Kuhl verband, und murmelte dabei: „Und jetzt laßt mich mal ein paar Worte mit diesem Affenarsch von Don reden, Männer. Nur ein paar Worte." Dan, Pete und der Häuptling Maguro folgten ihm. Maguro stieg aber nicht bis zur Kuhl hinunter. Er verharrte oben an der Öffnung der Schmuckbalustrade zum Niedergang und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wirkte wie eine bronzene Statue, ein stummer Wächter über Ruhe und Ordnung, der durch nichts mehr erschüttert werden konnte. Hasard hielt den glatzköpfigen Spanier immer noch fest, aber die Männer waren jetzt sehr nah und versuchten, ihm de Larra zu entreißen. „Schlagt den Hund zusammen!" schrie Ferris Tucker. „Prügelt ihn windelweich!" „Knüpfen wir ihn an der Rahnock auf!" brüllte Luke Morgan. Und selbst der sonst so beherrschte
Ben Brighton rief: „Los, geben wir ihm den Rest. Für Hasard junior und für Batuti!" „Rache", keuchte Matt Davies. „Wir wollen Vergeltung!" Der Seewolf drehte sich langsam zu ihnen um. Noch nie hatte er seine Männer derart aufgebracht gesehen. Fast erschrak er vor der Grausamkeit, die sich in ihren Mienen abzeichnete. 5. Hände griffen nach dem jetzt wimmernden und sich windenden Spanier, Belegnägel und Spillspaken hoben sich schlagbereit. Matt Davies und Jeff Bowie rückten mit ihren Eisenhakenprothesen auf de Larra los, und im Nu hatte sich eine dichte, wimmelnde Traube aus Leibern rund um Hasard und den Glatzkopf gebildet. Die Selbstjustiz hielt Einzug an Bord der „Isabella". Aber Hasards schneidende Stimme stoppte die Männer. „Halt, Aufhören! Reißt euch zusammen, verdammt, oder ihr kriegt es mit mir zu tun!" Die Männer blieben auch wirklich stehen. Alle sahen jetzt den Seewolf an. Erstaunen und Verständnislosigkeit mischten sich in ihren Mienen. „Sir", sagte der Profos vom Niedergang her. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Es ist nicht nur unser Recht, sondern sogar unsere Pflicht, diesen Hundesohn auf der Stelle zu richten. Er hat auf der Insel Tutuila zwei junge Männer brutal umgebracht. Er hat Hasard junior und Batuti schwer angeschossen. Was soll er denn noch alles anrichten?" „Er ist ein gemeingefährlicher Irrer", fügte Ben Brighton hinzu. „Jedes Gebot der Menschlichkeit ist ihm
25 gegenüber unangebracht." „Sir, überlaß ihn mir!" rief der Profos. „Nein, mir", sagte Ferris Tucker leidenschaftlich. Plötzlich redeten und fluchten die Männer wieder durcheinander. Erst eine herrische Geste des Seewolfs unterbrach sie von neuem und bremste jeden weiteren Einwand. „Beherrscht euch", fuhr er sie an. „Mein Haß auf diesen Mann ist größer als eurer, denn er hat meinen Sohn so schwer verwundet, daß keiner von uns weiß, ob der Junge es überleben wird. Trotzdem steht es uns nicht zu, wie eine Meute Wölfe über de Larra herzufallen." Ben Brighton fand als erster zu sich selbst zurück und besiegte seine heftig wogenden Gefühle. „Natürlich hast du recht, Sir", sagte er. „Aber ich kann es den Männern nicht verübeln, daß sie de Larra am liebsten zerreißen würden." „Ja", stieß Ferris Tucker aus. „Jawohl. Genau das hat der Hund verdient." „Mensch, sei doch still", sagte Ben Brighton. „Herhören", wandte sich der Profos an die Crew. „Was Hasard uns erklären will, ist folgendes: Wir sollen uns nicht wie eine Bande disziplinloser Säcke benehmen. So was hat es auf diesem Schiff noch nie gegeben, und ich persönlich werde dafür sorgen, daß sich neue Sitten gar nicht erst durchsetzen." „Aye, Sir", murmelten die Männer. Luke Morgan hob den Kopf und blickte zum Seewolf hinüber. „Sir, eine Frage", sagte er mühsam beherrscht. „Willst du etwa das Bordgericht tagen lassen? Mein Gott, der Tatbestand ist doch klar und die Last der Beweise erdrückend." „Das hast du sehr treffend formuliert, Luke", meinte der alte O'Flynn.
„Aber ich schätze, es geht Hasard weniger um einen Urteilsspruch als um ..." „Sehr richtig!" rief der Seewolf. „Das Urteil lautet in jedem Fall ,schuldig in allen Punkten'. Und ich werde diesen Mann nicht in einem Boot aussetzen und davonziehen lassen, wie wir es in anderen Fällen getan haben. Das, was er angerichtet hat, wiegt zu schwer, auch wenn vielleicht seine beginnende Geisteskrankheit dazu beigetragen hat. Ich will, daß er büßt, aber ich will auch, daß die Methode fair gewählt wird." „Das heißt?" erkundigte sich Dan O'Flynn. „Bringt zwei Degen her." „Sir", sagte Ferris Tucker. „Das ist..." „Ein Befehl!" rief der Seewolf. „Mister Brighton, Mister Carberry sorgt dafür, daß meine Order sofort ausgeführt wird. Und kein weiteres Palaver verstanden?" „Aye, aye, Sir", brummten die Männer. Allmählich beruhigten sie sich. Philip Hasard Killigrew war der Kapitän der „Isabella", seine Befehlsgewalt war uneingeschränkt. Wenn auch Freizügigkeit und Demokratie an Bord herrschen, ließ er es nicht zu, daß über seine Entscheidugngen diskutiert wurde. Dem hatte sich jede Crew auf jedem Segelschiff zu beugen, und das konnte auch hier, auf der „Isabella", nicht anders sein. Meuterei? Auflehnung? Dieser Gedanke kam bei den Seewölfen gar nicht erst auf. Dazu waren sie eine zu fest zusammengewachsene Einheit und hingen zu sehr an ihrem Kapitän. Matt Davies und Will Thorne holten auf einen Wink Ben Brightons hin zwei Degen. Die Versammlung um Hasard und den Spanier herum öffnete sich, und Matt und Will hän-
26 digten die Waffen, die sie aus dem auf Deck liegenden Arsenal aufgelesen hatten, dem Seewolf aus. De Larra blickte in panischer Angst auf die Degen. Von der Unterhaltung der Männer hatte er kaum ein Wort mitgekriegt, denn sie war auf englisch geführt worden. So nahm er jetzt fest an, daß die Degen einzig und allein einem Zweck dienten: seiner Exekution. „Santa Madre de Dios", begann er zu stammeln. „Senor, hab Erbarmen! Töte mich nicht! Ich werde dir die Hände, ja, sogar die Füße küssen, wenn du ..." „Schweig", unterbrach ihn der Seewolf. „Du weißt nicht, wie du mich anwiderst, de Larra. Sag mir lieber, ob du dich auf deinen Beinen halten und deinen rechten Arm wieder bewegen kannst." „Ja - ich glaube." „Ich will es genau wissen." „Ja, ja, ich kann mich ganz gut bewegen. Nur der linke Arm schmerzt noch." Hoffnung leuchtete in de Larras Augen auf. Gab es doch noch einen Ausweg für ihn? Hätte der Engländer ihn nicht längst mit einem der Degen durchbohrt, wenn er es wirklich vorgehabt hätte? „Zur Seite", sagte Hasard zu seinen Männern. Ben Brighton war der einzige, der dicht bei ihm stehenblieb. Eindringlich sprach er auf seinen Kapitän ein. „Soweit dürfen Edelmut und Fairneß meiner Ansicht nach nicht gehen. Wir alle wissen deine Menschlichkeit und deinen Gerechtigkeitssinn zu schätzen, aber - Himmel, was nutzt es dir, wenn man eines Tages von dir sagt, du seist ein anständiger und aufrichtiger Mann gewesen, aber leider habe dich ein hinterhältiger Bastard wie dieser hier umgebracht?" Hasards Stimme klang kalt. ,,Mi-
ster Brighton, bist du fertig?" „Ja, Sir." „Gut. Wenn ich in diesem Zweikampf siege, unterhalten wir uns später über das, was du gesagt hast. Falls der Spanier mir überlegen ist, verlange ich von euch, daß ihr ihn in einem Boot aussetzt und abziehen laßt. Ich warte auf deine Erwiderung." „Aye, aye, Sir." Hasard drückte Don Mariano José de Larra den einen Degen in die rechte Hand. Dann trat er zwei Schritte von dem verdutzt dreinblikkenden Mann zurück, hob seinen Degen und hieb prüfend die Klinge durch die Luft. „De Larra!" rief er. „Auf zum Duell. Solltest du siegen, ist dir freies Geleit sicher. Dafür bürge ich - mit meinem Leben!" Der Spanier duckte sich leicht. Seine Lider senkten sich ein wenig. Heimtückisch musterte er seinen Todfeind. „Aber wenn du stirbst, wer garantiert mir dann, daß deine Männer sich auch wirklich daran halten?" „Ich", sagte Ben Brighton in das einsetzende Schweigen hinein. „Ich stehe dafür gerade, daß dieser Befehl unseres Kapitäns strikt eingehalten wird." „Gut, ich verlasse mich darauf." Mariano José de Larra stieß sich mit diesen Worten vom Schanzkleid ab und drang in einer überraschenden Attacke degenschwingend auf den Seewolf ein. * Das Krachen der Explosionen und der einmalige Kanonendonner hatten so laut geklungen, als wären sie in unmittelbarer Nähe der „El Cisne" und der „El Gabian" erfolgt. Rafael Sabicas hatte gerade den
zweiten Kelch Rotwein geleert und. wollte das willenlose, eingeschüchterte Polynesier-Mädchen Lavida zu sich auf die Koje holen. Jetzt aber fuhr er hoch, schleuderte den Silberkelch von sich und stürmte aus der Kammer. Seine Schritte polterten durch den Gang des Achterkastells. Kurz darauf stieß er fast mit dem Mann zusammen, der von der Kuhl aus das Schott aufriß und sich anschickte, in die Hütte zu stolpern. Sabicas schlug ihm die Hand gegen die Schulter, daß er fast nach hinten überkippte. „Du Narr!" fuhr er den Mann, einen wildbärtigen Eurasier, an. „Was ist in dich gefahren? Hast du mich nicht gesehen?" „Nein, Senor. Ich - Donato hat mich beauftragt, dir Meldung zu erstatten", stammelte der andere. „Wegen des Kanonendonners? Was hat das zu bedeuten? Was ist geschehen?" „Wir wissen es selbst nicht genau ..." Sabicas lief an ihm vorbei, ohne ihn weiter zu beachten. Mit ein paar Sätzen nahm er den Niedergang zum Achterdeck und eilte zu dem Kalabrier hinüber, der dicht neben dem Rudergänger stand und angestrengt voraus spähte. „Was ist los?" erkundigte sich der Andalusier ungeduldig. „Haben wir diese verfluchte Galeone vor uns? Hat ihr Capitán, der Höllenhund, das Feuer auf uns eröffnen lassen?" Donato wandte ihm das schnauzbärtige Gesicht zu. „Nein, Senor. Das galt nicht uns." „Sondern?" „Wir wissen es nicht. Unser Ausguck hat im Licht der Explosionen nur erkennen können, daß wir uns vor einer großen Bucht mit Sandstrand und Palmen befinden. Ein
27 oder mehrere Schiffe scheinen dort zu liegen..." „Und? Ist eins in die Luft geflogen?" „Nein. Es müssen größere Mengen Pulver gezündet worden sein, soviel habe auch ich gesehen, aber sie gingen weiter östlich, also auf Distanz zu den Schiffen, hoch. Weiter wurden ein paar Fackeln in die Luft abgeschossen - Brandpfeile, schätze ich." „Und der Kanonenböller?" „Der donnerte hinter der Galeone los, deren Umrisse wir gerade eben erkennen konnten, und lag genau vor ihrem Bug. Mehr konnte keiner von uns im Mündungsfeuer des Geschützes erkennen, aber es scheint offensichtlich zu sein, daß sich diese Kanone auf einem anderen Schiff befindet." Donato wies auf die Segelstellung, die sich jetzt geändert hatte. „Ich habe abfallen lassen, damit wir nicht genau in die Bucht laufen. Wer weiß, was uns dort erwartet." „Richtig. Gut gemacht", sagte Sabicas, obwohl er weit davon entfernt war, seinem Bootsmann ein Lob auszusprechen. „Die ,E1 Gabian' läuft in unserem Kielwasser?" „Ja, Senor. Es war klug, daß wir bei Dunkelwerden keine Bordlaternen angezündet haben. Die Leute auf den Schiffen in der Bucht können uns nicht sichten." „Bestimmt nicht. Wie weit sind wir ungefähr von dieser Bucht entfernt?" „Höchstens eine Meile." „Hast du den Männern eingeschärft, daß sie nicht laut reden sollen?" „Selbstverständlich, Senor", sagte der Kalabrese. „Hast du eine Ahnung, zu welcher Insel die Bucht gehören könnte?" „Nicht die geringste." „Nun, es könnte einer Samoa-In-
28 sein sein", brummte der Andalusier. labrier. „Das war nicht die, hinter der „Aber das ist für uns unwichtig. Ich wir her sind. Und doch liegt sie gleich frage mich nur, was passiert ist. Ist vorn, in der Einfahrt der Bucht. Ein die Galeone, die wir verfolgen, etwa großes, stolzes Schiff. Scheint sehr in ein Piratennest geraten? Al diablo, hohe Masten zu haben." das hieße ja, daß uns die fette Beute „Ja, und?" vor der Nase weggeschnappt wird." „Ich frage mich, wer das ist." „Was sollen wir aber tun? Wir kön„Ein guter Freund ganz gewiß nen doch nur abwarten und zusehen, nicht", sagte Sabicas. „Zerbrich dir ob wir Genaueres auskundschaften, darüber jetzt nicht den Kopf. Spätebevor wir zuschlagen '' stens bei Morgengrauen kriegen wir „Vorsicht ist der bessere Teil der heraus, was gespielt wird und mit Tapferkeit, oder?" sagte Sabicas. wem wir es zu tun haben. Ich bleibe Donatos Gestalt straffte sich et- von jetzt an auf dem Achterdeck und was. Der Blick seiner kleinen Augen bestimme unseren weiteren Kurs." heftete sich auf Sabicas' Gesicht. „Ich Er dachte an das hübsche braunhabe keine Angst, mich zu schlagen", häutige Mädchen unten in seiner versetzte er leise. „Ich bin immer Kammer und an das Vergnügen, das noch der alte Donato, der den Teufel ihm durch den Vorfall entgangen nicht fürchtet. Aber ich finde es war. Er spähte in die Richtung, in der trotzdem verdammt riskant, aufs nach den Angaben des Kalabriers die Geratewohl in die Bucht einzudrin- Inselbucht lag, und sagte sich: Wer gen. Da könnten wir überrascht wer- immer ihr auch seid, ihr fremden den, ehe wir es uns versehen." Hunde, ich werde es euch schon noch „Sicher. Du hast ausnahmsweise heimzahlen, daß ich mir euretwegen mal recht. Erst müssen wir die Stär- die ganze Nacht um die Ohren schlake der Parteien kennen, die sich da gen muß. drüben offenbar eine freundliche Begrüßung geliefert haben. Dann se* hen wir weiter." „Wir warten also die weitere EntHasard war auf der Hut gewesen. wicklung der Dinge ab?" Er wußte, wie er einen Gegner vom „Ja." Sabicas grinste plötzlich. Typ de Larras einzustufen hatte. „Weißt du was, Amigo? Ich bin ein Rechtzeitig genug hatte er seinen unverbesserlicher Optimist und Degen hochgerissen und den stürmiglaube nicht daran, daß uns die Felle schen Angriff des Glatzkopfes abgeweggeschwommen sind. Wir kommen blockt. Die Klingen klirrten aneinnoch zum Zug, verlaß dich drauf. ander, lösten sich wieder, und der Keiner von denen auf der Insel ver- Spanier startete einen neuen Ausmutet uns hier. Wir können um das fall. Eiland herumpirschen, so lange wir Der Seewolf begegnete ihm mit eiwollen, und wenn wir dann unseren ner schulmäßigen Parade und hielt Schlag landen, wird dies für die Ker- ihn auf Distanz. le auf den Schiffen wie aus heiterem De Larra mochte der geistigen Himmel erfolgen." Verwirrung erlegen sein, seine „Die Galeone, die wir im Mün- Fechtkunst hatte darunter nicht gedungsfeuer der Kanone und beim litten. Wie alle spanischen SchiffskaAufblitzen der Pulverexplosionen pitäne und hohen Offiziere war auch gesichtet haben", murmelte der Ka- er lange genug in dieser Fertigkeit
29 unterrichtet worden, das entnahm Hasard sofort, der Art, wie er die Waffe führte. Abgemagert und heruntergekommen, verwundet und geschwächt war der Mann, und doch erwies er sich als vollwertiger Gegner, den man nicht unterschätzen durfte. Er hatte seine letzten Energien zusammengerafft, um seine große Chance wahrzunehmen. Hasard hielt sich auf seinem Platz, blieb aber größtenteils in der Defensive. Er wollte de Larra locken und provozieren, wollte, daß dieser sich verausgabte. Der Spanier erkannte jedoch diese Absicht und steckte seinerseits zurück. Er zeigte sich jetzt weniger aggressiv. Eher temperamentlos, fast spielerisch kreuzten sie jetzt die Klingen. Das Duell war auf einem toten Punkt angelangt. Die Männer der „Isabella" hatten einen Kreis um die Kämpfenden gebildet und verfolgten den Verlauf des tödlichen Kräftemessens mit gemischten Gefühlen. Manch einer war versucht, in das Geschehen einzugreifen. Aber jeder wußte, daß der Seewolf ein solches Handeln mit der härtesten Strafe geahndet hätte, die es auf der „Isabella" gab. Ben Brighton und Ferris Tucker hatten sich neben den alten O'Flynn gestellt. „Der Affe und der Papagei", sagte Ben, ohne den Blick von Hasard und dem Spanier zu nehmen. „Die sind beide in den Großmars geflohen", informierte sie der Alte. „Haben ein sauschlechtes Gewissen, die Viecher. Oh, sie glauben bestimmt, daß wir wie wegen des Zustandes, den sie ausgelöst haben, noch zur Rechenschaft ziehen." „Das meine ich nicht, Donegal. Wer hat sie ins Achterkastell gesperrt?" „Ich. Und zwar, als wir hier in der
Bucht vor Anker gingen. Ich ahnte, daß was faul war. War so eine Idee von mir, die beiden einfach in den Achterdecksgang zu stecken, aber es ist ja Gott sei Dank was dabei herausgekommen." Ben mußte unwillkürlich grinsen. Ferris blieb ernst, sagte aber: „Manchmal muß man dir wirklich zugestehen, daß du ein Teufelskerl bist, Donegal. Ich werde dich auch wegen deiner Prophezeiungen nicht mehr aufziehen." „Danke, daran ist mir sehr gelegen." „Ich glaube, ich bin heute nacht ein anderer Mensch geworden", sagte der rothaarige Schiffszimmermann der „Isabella". „Das mit Hasard und Batuti - das ist ,mir nahegegangen. Wenn - wenn es die beiden überstehen, zimmere ich einen Altar und zünde darauf ein paar Kerzen an, glaube ich." „Ja, und ich helfe dir dabei", sagte Ben Brighton und meinte es genauso ernst wie Ferris. Old O'Flynn hatte den Kopf gewandt und blickte über das Steuerbordschanzkleid der Kuhl. „Ich glaube, da kommen Boote - Auslegerboote der Inselbewohner, wenn mich nicht alles täuscht. Ho, ich wette mein Holzbein, daß Shane, Al, Blacky und Gary darinsitzen. Diese Satansbraten! Sie wollen bestimmt erfahren, was eigentlich los ist und ..." „Still", sagte Ben Brighton. „Seht doch!" De Larra war nervös geworden. Seine Ausfälle, Finten und Paraden wurden unkontrollierter. Er gab sich erste Blößen. Schweiß trat ihm auf die Stirn, wie die ihm am nächsten stehenden Männer trotz der Dunkelheit erkennen konnten. Auch der Seewolf bemerkte diesen Schweiß und fragte sich, wie lange der Spanier noch durchhalten wür-
30 de. Jäh ging ein Ruck durch de Larras Gestalt, er duckte sich, brachte seinen Degen in eine tiefere Position und stach damit nach Hasards Unterleib. Hasard wich aus, riß seine Waffe hoch und wehrte die Klinge des anderen ab. Er ließ ihn noch ein Stück näher heran, dann deckte er ihn mit einem Hagel von Streichen ein, die de Larra bis ans Schanzkleid zurücktrieben und bedrohlich in Verlegenheit brachten. „So haben wir nicht gewettet", sagte der Seewolf. „Wenn du die Regeln einer fairen Auseindersetzung vergißt, de Larra, dann kann ich auch anders." „Ich töte dich!" „Versuch es." Wild gab de Larra mit seinem Degen zurück, was Hasard an Streichen auf ihn einprasseln ließ. Aber es nutzte nichts. Er konnte nichts mehr erreichen. Hasard wich um keinen Zoll zurück. Wie festgenagelt mußte der Glatzkopf am Backbordschanzkleid verharren und sich den Gegner mit aller Energie vom Leibe halten. Er selbst brachte keinen Angriff mehr zustande. Alles, was er von jetzt an tat, war auf die Verteidigung konzentriert, und auch das fiel ihm immer schwerer, denn der Seewolf war drauf und dran, die Abwehr zu zerbrechen, die Don Mariano José de Larra vor sich aufgebaut hatte. Hasard wollte ihm den Degen mit einem wuchtigen Hieb aus der Hand schlagen. Ob er ihn wirklich töten wollte, wußte er in diesem Moment nicht, aber allein der Zweifel ließ darauf schließen, daß er nicht dazu imstande war, diesen Mörder und wahnsinnigen Fanatiker kaltblütig ins Jenseits zu befördern. Plötzlich unternahm de Larra einen Ausfall nach rechts. Er wollte
dem Profos, der neben ihm am Schanzkleid stand, die Degenspitze in den Leib rammen, aber Carberry wich schnell genug aus. De Larra hatte den Weg frei und stürmte auf den Backbordniedergang zum Quarterdeck zu. Ehe der Profos, Dan O'Flynn oder sonst jemand ihn daran hindern konnte, war er in rasender Flucht die hölzernen Stufen hinaufgesprungen und wollte sich über das Quarter- und Achterdeck bis zum Heck absetzen. Von dort aus wollte er in die Bucht springen und sich schwimmend retten. Die Dunkelheit, so hoffte er, würde dabei sein Verbündeter sein. Wenn er auf offener See auch mit Haien rechnen mußte, so war ihm das allem Anschein nach wohl immer noch lieber, als auf der „Isabella" sein Leben auszuhauchen. Carberry und ein paar andere wollten gerade losfluchen und die Verfolgung aufnehmen, da stockte de Larras Gestalt oben auf dem Niedergang, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Aufrecht stand der Spanier da. Neben ihm war die bronzene Statue des Wächters aufgetaucht. So schnell, wie Maguros Hand jetzt vorzuckte, konnte de Larra seinen Degen nicht mehr hochreißen. Etwas drang hart und heiß in die Brust des Spaniers ein, und er glaubte, von irgendwoher einen gewaltigen Donnerschlag zu vernehmen. Auf seinen gehetzten, verzerrten Zügen breitete sich ein Ausdruck grenzenlosen Staunens aus. Dann kippte er hintenüber. Er schlug auf die Stufen des Niederganges und rutschte sie hinunter. Der Degen entglitt seiner Hand. Als er auf der Kuhl liegenblieb, konnten alle das Heft des Hartholzmessers erkennen, das aus seinem Herzen ragte.
31 De Larra regte sich nicht mehr. Maguro stand hoch über ihm und nickte bedächtig, denn er hatte das vollbracht, was er sich vorgenommen hatte, als er zu Carberry und Dan O'Flynn in das Auslegerboot geklettert war. Jetzt hatte er den Tod seiner beiden jungen Stammesbrüder gerächt. 6. Sabicas feuchtete den Zeigefinger an und hielt ihn in die Luft. „Der Wind dreht nach Osten", sagte er. „Ich glaube, der Südost-Passat setzt sich durch. Das ist gut für uns." „Warum?" wollte der Kalabrese wissen. „Weil wir die Insel runden können, ohne kreuzen zu müssen. Wir laufen vorerst noch nach Westen ab und tasten uns am Ufer entlang. Irgendwann müssen wir das westliche Ende dieses Eilandes erreicht haben, die Wassertiefe wird es uns verraten. Dann luven wir wieder an, gehen nach Süden und wenden uns später, wenn der Wind - wie ich hoffe - weiter südlich dreht, in östliche Richtung." „Du willst wirklich ganz um die verdammte Insel herum?" fragte Donato verblüfft. „Ja, zum Teufel. Ich will auf diese Weise herausfinden, ob hier irgendwo noch andere Schiffe liegen, die uns in die Quere geraten könnten, verstehst du? Wer sagt uns denn, ob sich hier nicht ein ganzer Verband versteckt hält?" „Der Konvoi der Manila-Galeone der Geleitschutz, der vor den letzten Stürmen Zuflucht gesucht hat?" „Möglich wär's. Wenn wir uns dicht genug unter Land halten, sehen wir auch, ob es irgendwo noch andere Ankerbuchten gibt", sagte Sabi-
cas. „Falls wir dort Schiffe vorfinden, werden wir uns überlegen, ob wir sie in einem Blitzangriff zusammenschießen und auf diese Weise die anderen verunsichern. Ich glaube nicht, daß die Insel sehr groß ist, wir werden nicht sehr viel Zeit brauchen, um zu unserem Ausgangspunkt zurückzukehren. Laß einen Mann auf die Galionsplattform abentern, Donato. Er soll von jetzt an ständig die Wassertiefe ausloten, damit wir nicht auf Grund laufen." Der Kalabrier blickte zur Bucht zurück, die sie hinter sich gelassen hatten. Nichts hob sich aus der Nacht hervor, weder die Umrisse der Schiffe noch das Ufer der Bucht. War alles nur eine Vision gewesen? „Sie schießen jetzt nicht mehr", brummte er. „Und was ist, wenn sie überraschend auslaufen?" „Dann hoffe ich, daß sie die Hecklaternen anzünden und unser Ausguck das Licht rechtzeitig genug erkennt", erwiderte der Andalusier gallig. „Wenn er schläft, lasse ich ihn vor versammelter Mannschaft auspeitschen." „Si, Señor." „Veranlasse jetzt, was ich dir befohlen habe, Donato - und daß mir Ruhe an Deck herrscht, äußerste Ruhe, kapiert?" „Si, Señor", sagte der Kalabrier noch einmal. Er stieg auf die Kuhl hinunter, um der Deckswache flüsternd mitzuteilen, was Sabicas beschlossen hatte. Wohl war ihm dabei nicht zumute. Er wußte sich selbst nicht zu erklären, was ihn so bedenklich stimmte und ihm suggerierte, es werde noch ein großes Unheil geben. Er spürte nur, daß er ein ungutes Gefühl hatte, das ihn nicht mehr loslassen wollte. Die Galeone und die Karavelle rundeten wenig später das Westkap der Insel Tutuila und luvten an, um
32 mit dem inzwischen aus Südosten wehenden Passat am langgestreckten Südufer des Eilandes entlangzusegeln. * Die Auslegerboote waren längsseits der „Isabella" gegangen und hatten dort vertäut, wo immer noch das Beiboot der „Hernán Cortés" lag, das von Mariano José de Larra und dem Seewolf zum Übersetzen benutzt worden war. Blacky, Gary Andrews, Al Conroy und Big Old Shane enterten an der Jakobsleiter auf. Serafin und Joaquin, die an dem Ablenkungsmanöver teilgenommen hatten, folgten ihnen. Alle sechs blieben nicht weit von Hasard und den anderen entfernt auf der Kuhl stehen und blickten auf die verkrümmte, bewegungslose Gestalt am Fuß des Niederganges. Bill, der Moses, hatte vorsichtshalber wieder seinen Posten als Ausguck bezogen. Er war zu Arwenack und Sir John in den Großmars geklettert. „Deck!" rief er plötzlich. „Da erscheinen noch mehr Boote! Sechs, sieben Auslegerboote - nein, noch mehr!" „Otalu hat Verstärkung aus dem Dorf Pago Pago geholt", erklärte Big Old Shane. „Lassen wir die Boote getrost heran. Es besteht kein Anlaß, sich zu sorgen. Jetzt nicht mehr." „Der Kampf ist zu Ende", sagte Blacky. „Ihr wißt ja nicht, was hier geschehen ist", murmelte Old O'Flynn, der sich ihnen langsam näherte. „Hört zu und haltet euch am besten irgendwo fest. Wir haben zwei - Schwerverletzte." Opfer, hatte er sagen wollen, aber er hatte das Wort im letzten Augenblick gerade noch unterdrückt. „Allmächtiger", sagte Al Conroy
betroffen. „Wen hat's denn erwischt?" Der alte O'Flynn sagte es ihnen, und jedes siegesbewußte Lächeln, jede Freude über den errungenen Triumph verschwand aus den Mienen von Shane, Blacky, Gary und Al. Sie stießen bestürzte Laute aus, und der Riese Shane geriet plötzlich wirklich ins Wanken und mußte sich auf das Schanzkleid stützten. Sie hatten englisch gesprochen, und Joaquin, der Spanier, wandte sich entsetzt an seinen Nebenmann Gary Andrews. „Was ist passiert?" fragte er immer wieder. „Ich sehe es doch euren Mienen an, daß es schlechte Nachrichten gibt." Seraf in hatte sich von der kleinen Gruppe gelöst und ging quer über das Deck auf den toten de Larra zu. Im ersten Moment sah es so aus, als wollte er sich noch auf den Leichnam stürzen, und der Profos traf schon Anstalten, vorzutreten und den mageren, zerlumpten Mann zu stoppen. Aber Serafin blieb dann doch vor dem Toten stehen, blickte auf ihn hinunter und sagte leise: „So hat Satanás endlich sein Ende gefunden. Recht so. Er wäre nie wieder vernünftig geworden und hätte sich nur immer tiefer in seine wahnwitzige Idee verbohrt." „Sir", sagte der Profos zu Hasard. „Die beiden Spanier haben uns bei unserer Aktion zwar unterstützt, aber wir wissen noch nicht mit Gewißheit, ob sie es ehrlich meinen." Der Seewolf trat zu Serafin. ,De Larra hat mir gesagt, daß er die beiden Späher des Inselvolkes getötet hat. Seine Decksleute, die ihm auf den Fersen saßen, trifft also keine Schuld. Als wir mit ihnen zusammenstießen, kriegten sie nur einen gewaltigen Schreck. Sonst hätte der Schußwechsel zwischen uns wohl nie
Vor nicht allzu langer Zeit rief einer der Leser unserer SEEWÖLFE-Romane in der Redaktion an und sprach mit Davis J. Harbord, der die Manuskripte dieser Reihe redigiert und auch als Autor den einen oder anderen SEEWÖLFE-Roman schreibt. Dieser Leser stellte die uns etwas verblüffende Frage, ob die Redaktion und die Autoren etwas gegen Spanien und die Spanier hätten, wodurch zwangsläufig ein „anglophiler" Trend in den verschiedenen Romanen spürbar werde. Klar ausgedrückt meinte der Leser, wir seien spanienfeindlich und englandfreundlich, und das bereite ihm etwas Unbehagen. Uns scheint, daß dieser Eindruck eines Lesers durchaus ernst genommen werden muß, weil wir keineswegs die Tendenz verfolgen, die eine Seite schwarz und die andere Seite weiß zu zeichnen. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß wir sogar bewußt versuchten, die Romane, die sich mit dem Untergang der Armada befaßten, so zu gestalten, daß die Menschlichkeit im Vordergrund stand. In der freien Ausgestaltung dieser betreffenden Romane gingen wir immerhin soweit, die Gestalt des legendären Francis Drake als die eines Mannes zu zeichnen, der in seinem Haß auf Spanien maßlos geworden war. Wer diese Romane noch nicht vergessen hat, wird sich erinnern, daß Philip Hasard Killigrew und seine Seewölfe n a c h der Schlacht gegen die Armada die Maxime vertraten, jetzt gelte es, gegenüber dem geschlagenen Gegner Ritterlichkeit, Fairneß und Hilfsbereitschaft zu zeigen. Es gab den
spanischen Gegner nicht mehr, sondern nur den in Seenot befindlichen Menschen. Freilich verhehlen wir nicht und sagen es auch immer wieder, daß die Neue Welt in der Epoche, in der unsere SEEWÖLFE-Romane spielen, von den spanischen Eroberen in erschreckender und blutiger Weise ausgeplündert wurde. Das ist eine historische Tatsache. Würden wir diese Tatsache ignorieren, dann wäre dies eine Verfälschung der Geschichte. In dieser Epoche war England ein Habenichts - was den großen Kuchen betrifft, den Spanien und Portugal in der Neuen Welt angeschnitten hatten. Genau dies war auch die Zeit, in der sich England, die Niederlande und Frankreich zu Seemächten zu mausern begannen, die Zeit, in der Schnapphähne zur See - Schnapphähne aller Nationen - auf Beutefahrt gingen, um an dem großen Kuchen teilzuhaben. Da wurden oft private und nationale Interessen miteinander vermischt, und auch das ist Geschichte. Aus dieser Zeit stammt der Begriff des Kaperbriefes, der es einem verwegenen Kapitän ermöglichte - und ihm das „Recht" gab - , im Auftrag seines Souveräns Seebeute zu nehmen. Es waren ruppige Zeiten, die wir nicht verherrlichen, aber so darstellen wollen, wie sie waren. Immer aber wird es unser Bestreben sein, die Geschichte und die Geschichten in ihr menschlich zu zeichnen. Für heute grüßt Sie herzlich Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren.
36 stattgefunden." „Mit anderen Worten - wir können ihnen trauen?" fragte Carberry. „Davon bin ich überzeugt", antwortete der Seewolf. „Danke", sagte Serafín. „Das werde ich dir nie vergessen, Capitán. Gibt es irgend etwas, durch das wir uns für dein Entgegenkommen revanchieren können?" Hasards Miene war unbewegt, fast starr, er dachte an Hasard junior und an Batuti. „Wenn du erfährst, wer wir sind, wirst du nicht mehr das Verlangen haben, etwas für uns zu tun. Ich glaube, dann wirst du mit deinem Kameraden zusammen so schnell wie möglich die ,Isabella' verlassen." „Die ,Isabella'?" Serafins Mund öffnete sich in ungläubigem Staunen. „Ihr seid doch Engländer, oder? Engländer auf einer großen Galeone, die einen spanischen Namen führt por Dios, dann gibt es nur die eine Erklärung: Ihr müßt die sein, die vor Jahren Manila überfallen und fast sämtliche Schiffe im Hafen in Brand gesteckt haben. El Lobo del Mar - der Seewolf und seine Mannschaft!" „Ganz so üppig war der ManilaRaid nun gerade nicht, und sicherlich übertreiben die Leute, wenn sie von der Angelegenheit sprechen", meinte Ben Brighton, der jetzt neben den Seewolf getreten war. „Aber es freut uns natürlich, daß wir der Bevölkerung Manilas in angenehmer Erinnerung geblieben sind." Serafín wollte schon lächeln, sah dann aber den tiefen Ernst in Hasards Miene und hielt sich lieber zurück. Ruhig sagte er: „Joaquin und ich zählen zum einfachen Schiffsvolk, und wir teilen nicht immer die Ansichten derer, die über uns stehen. Ich will damit ausdrücken, daß es uns im Grunde egal ist, was zwischen Spanien und England geschieht. Wir
können nichts daran ändern, aber solange die Engländer nicht gerade in unserer Heimat landen und sie besetzen, hegen wir keinen Haß gegen die, die eigentlich unsere Feinde sind. Außerdem habt ihr uns das Leben gerettet, denn de Larra oder die Eingeborenen der Insel hätten uns gewiß getötet, wenn ihr nicht eingegriffen hättet. Wir haben ja gesehen, wie es Domingo, dem armen Teufel, ergangen ist." Hasard streckte ihm die Hand entgegen. Serafin ergriff sie, drückte sie und nannte dem Mann, über den so viele abenteuerliche Erzählungen kursierten, seinen Namen. „Serafin", sagte der Seewolf. „Auch wir sind keine Spanienhasser. Früher ist sogar einmal ein Spanier mit uns gefahren und hat an unserer Seite gekämpft. Wir haben keine Vorurteile und sehen die Welt mit etwas anderen Augen, als man es gemeinhin tut. Deswegen glaube ich, daß wir Freunde bleiben." Serafin ließ die ihm dargebotene Hand los, bückte sich nach dem toten spanischen Kapitän und zog ihm das Logbuch aus dem Hemdausschnitt. Er wandte sich um, erhob sich wieder und händigte Hasard die Niederschriften de Larras aus. „Das Logbuch des Satans", sagte Serafin. „Wir hatten es in die Bucht befördert, aber de Larra sprang über Bord und fischte es wohl wieder auf, ehe er an Land schwamm." „Ja." Hasard nahm das Buch entgegen und begann, darin zu blättern. „Er hat uns mehrfach damit vor der Nase herumgefuchtelt. Eigentlich hätte das Wasser die Schrift verwischen und auslöschen müssen, aber ich sehe, daß das nur zum Teil der Fall ist." „Er hat immer eine sehr gute Tinte benutzt", sagte Seraf in. ,„Tinta de China'?"
37 „Ja. Du kennst sie?" „Wir sind auch schon im Reich der Mitte gewesen", sagte der Seewolf und fuhr fort, in den Aufzeichnungen des Spaniers zu lesen, soweit die Dunkelheit es zuließ. „Es sind viele Positionsangaben darin enthalten", stellte er fest. „De Larras Theorie über die geographische Lage des Südlandes?" „Ja. Er war bis zuletzt von dem Wahn besessen, seine Mission zu Ende zu führen." „Das hat er auch uns immer wieder gesagt." „Er meinte, seine Logbuch-Eintragungen wären mehr wert als Gold und Silber", sagte Serafin. „Aber ich weiß nicht, ob das stimmt." Hasard klappte das Buch zu. Das Licht reichte nicht aus, um Genaueres zu erkennen, und er vermochte sich jetzt auch nicht darauf zu konzentrieren. Das Logbuch war noch feucht - ob vom Wasser der Bucht oder von Don Mariano José de Larras Blut, ließ sich jetzt, in der Nacht, auch nicht ermitteln. Hasard ließ es bei der ersten flüchtigen Untersuchung bewenden und steckte das Buch in die Lederweste. Otalu und die anderen Männer von Pago Pago waren jetzt mit ihren Auslegerbooten eingetroffen. Erste Gestalten erschienen über dem Steuerbordschanzkleid der Kuhl. Maguro gab seine starre Haltung auf, stieg den Niedergang hinunter und überquerte die Kuhl, um seine Stammesbrüder zu begrüßen. Ben Brighton sagte: „Ich erwarte deine Bestrafung wegen meiner Worte von vorhin, Sir." Der Seewolf wandte ihm langsam das Gesicht zu. „Reden wir nicht mehr darüber, Ben. In gewisser Weise hattest du recht. Außerdem verliert das alles an Bedeutung gegen-
über dem, was jetzt zu tun ist." Er drehte sich um und ging zum offenen Achterdecksschott. Seine Gestalt entzog sich den Blicken der Männer und tauchte im Gang unter. Ben Brighton, Ferris Tucker, der Profos, Shane, die O'Flynns und viele andere schlossen sich ihrem Kapitän sofort an. Auch Maguro, Otalu und einige andere Polynesier begaben sich ins Achterdeck, um nach Hasard junior und Batuti zu sehen. Joaquin bewegte sich auf seinen Landsmann zu. „Was hat das zu bedeuten?" fragte Serafin. „Santa Maria, du machst ja auch eine Leichenbittermiene, Joaquin. Kannst du mir erklären, was passiert ist?" „Zwei Schüsse hat de Larra abgegeben", sagte der spindeldürre, nur noch in Fetzen gehüllte Joaquin, und der Blick seiner großen, umschatteten Augen heftete sich auf Serafins Gesicht. „Die Kugeln trafen den einen Sohn des Seewolfs und einen seiner Männer, einen Neger. Sie sind so schwer verletzt, daß es wahrscheinlich keine Hoffnung mehr für sie gibt." Serafin sah wieder auf den Toten hinunter. Plötzlich holte er mit dem Fuß aus und trat ihm kräftig in die Seite. „Satanás", zischte er. „Auch das mußtest du also noch anrichten. Nicht nur die beiden Insulaner und Domingo - auch diese beiden armen Teufel hier! Was für eine elende Kreatur du doch warst! Nein, ich schäme mich nicht, dich auch im Tode noch zu beschimpfen. Alle werden ein angemessenes Begräbnis erhalten und von uns auf der Insel beigesetzt - nur du nicht." Er wandte sich mit einem Ruck zu Joaquin um. „Los, faß mit an, Compadre. Sieh mich nicht so groß an du weißt schon, was ich vorhabe."
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7. Der Kutscher hatte die beiden Schwerverwundeten in die geräumigste Kammer schaffen lassen, die an der Backbordseite des Achterdecks gleich neben der Kammer des Seewolfs lag. Hasard und Philip junior verharrten an der Spitze des Trupps, der sich durch den Gang bewegte. Der Seewolf fragte Stenmark, der vor der Tür Wache hielt: „Wie steht es? Hat der Kutscher angefangen zu operieren?" „Ja, Sir", antwortete der Schwede. „Smoky und Bob Grey helfen ihm dabei, so gut sie können. Und - ich soll nur dich 'reinlassen, hat der Kutscher mir aufgetragen." „In Ordnung." Hasard drehte sich zu den Männern im Gang um. „Ihr bleibt also draußen. Tun könnt ihr ja doch nichts, im Gegenteil, ihr stört den Kutscher nur." „Wir wollen nur wissen, wie es Hasard junior und Batuti geht", sagte der Profos leise. „Himmel, er muß doch jetzt schon was Genaueres sagen können." Stenmark schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht, Ed." „Der Teufel soll den Kutscher holen", sagte Carberry zornig. „Wenn er sich nicht damit beeilt, ihnen die Kugeln herauszuschneiden und sie ordentlich zu verarzten, drehe ich ihm eigenhändig seinen verdammten Quacksalberhals um." „Jetzt tust du dem Kutscher aber unrecht", brummte Old O'Flynn. „Natürlich unternimmt er alles, was in seinen Kräften steht. Nur ist es noch zu früh, um was Endgültiges sagen zu können." „Ruhe", sagte der Seewolf. „Und kehrt wieder auf die Kuhl zurück.
Das ist ein Befehl, verstanden?" „Aye, aye, Sir", murmelten die Männer bedrückt und drehten sich um, um den Rückmarsch anzutreten. Nur Philip junior zupfte seinen Vater am Hemdsärmel und sagte: „Schick mich nicht weg, Dad. Laß mich zu Hasard und zu Batuti - bitte. Ich muß zu ihnen, Sir, bitte!" Der Seewolf strich ihm über das Haar. „Ja, ist gut. Du bleibst bei mir. Aber verhalte dich ruhig. Versprichst du es mir?" Philip junior sah zu seinem Vater auf. „Ich schwöre dir, daß ich mich zusammenreiße." Hasard nickte knapp und öffnete die Tür. Stenmark ließ ihn und den Jungen vorbei und schloß die Tür hinter ihnen. In der Achterdeckskammer war es warm, fast stickig, weißer Wasserdampf hing unter den Deckenbalken. Sechs Öllampen hatte der Kutscher anzünden lassen, damit er genügend Licht für seine schwierige Aufgabe hatte. Heißes Wasser war in Kübel und Schalen gefüllt, überall waren weiße Leinentücher ausgebreitet. Auf einen Tisch hatte der Kutscher Messer, Scheren, Klammern, Pinzetten und andere Gerätschaften gelegt, die er brauchte. Philip junior schauderte beim Anblick dieser Bestecke unwillkürlich zusammen. Er malte sich aus, wie so eine Operation vonstatten ging und was man als Patient wohl empfand, wenn an einem herumgeschnitten wurde, und plötzlich wurde ihm schwindlig. Er mußte sich an der Tischkante festhalten und gegen seine aufsteigende Übelkeit ankämpfen. Aber er bezwang alles Elend, das ihn so unvermittelt gepackt hatte, richtete sich wieder auf und trat so sicher wie möglich auf die Koje zu, in
39 der sein Zwillingsbruder Hasard lag. Bob Grey hockte bei Hasard junior auf dem Kojenrand und nahm seinen Blick keinen Moment von dem Gesicht des Jungen. In der zweiten Koje der Kammer lag Batuti, der schwarze Herkules aus dem fernen Gambia. Der Kutscher und Smoky hatten sich gerade über ihn gebeugt. Sie hatten sich beide die Ärmel hochgekrempelt. Der Kutscher schien mit einem seiner Messer zu arbeiten. Smoky hielt mehrere saubere Leinentücher bereit und wartete auf Anweisungen. „Philip", raunte Bob Grey dem Jungen zu. „Komm her. Setz dich hierher, zu mir." Verwirrt ließ sich Philip junior auf der Koje nieder. Er zwang sich, nicht mehr zu Batuti, zum Kutscher und zu Smoky hinüberzuschauen, und richtete seinen Blick auf Hasard juniors wachsbleiches Gesicht. Hasard hatte die Augen geschlossen. Seine Brust, um die ein dicker Verband gelegt war, schien sich um keinen Deut zu heben und zu senken. Philip junior fühlte, wie etwas tief und schmerzhaft in sein Herz schnitt, und die Tränen stiegen ihm in die Augen. „Hasard", flüsterte er. „Tu uns das bloß nicht an. Ich will dich nie wieder ärgern. Wir werden viele Ratten fangen und auf Kakerlakenjagd gehen, wenn du wieder gesund bist..." „Ruhig", sagte der Seewolf. „Er kann dich nicht hören." Philip sah entsetzt zu ihm auf. „Nicht? Ist er ..." „Er ist ohnmächtig", erklärte Bob Grey mit sanfter, beschwichtigender Stimme. „Er braucht jetzt viel Ruhe. Der Eingriff ist gut verlaufen." „Stimmt das auch?" fragte Philip junior zweifelnd. „Es ist die Wahrheit." Bob Grey sah den Seewolf an. „Sir, der Junge ist nur einmal kurz aufgewacht, aber er
hat nichts gespürt schätze ich." „Die Kugel?" „Liegt drüben auf dem Tisch." „Bob", hauchte Philip junior mit verstörter Miene. „Das schwindelst du uns doch bloß vor, nicht wahr? Das sagst du doch nur, damit ich keinen Schreck kriege und umkippe, stimmt's?" Der Seewolf beugte sich zu ihnen nieder, griff nach Philip juniors rechter Hand und schloß die Finger vorsichtig um Hasard juniors linken Unterarm. Er plazierte die Kuppen des Zeige-, Mittel- und Ringfingers so, daß sie den Pulsschlag fühlen konnten. „Spürst du es?" fragte er leise. Philip junior nickte, und ihm war jetzt wieder etwas besser zumute. „Es pocht, Dad. Ganz langsam nur, aber es pocht. Das ist der Puls, nicht?" „Ja", erwiderte der Seewolf. „Das untrügliche Zeichen des Lebens. Hab also keine Angst, Philip. Es wird alles gut werden." Der Junge hielt den Arm seines Bruders fest, wandte sich wieder der Koje und der schmalen, blassen Gestalt darauf zu und flüsterte: „Es wird alles gut, Hasard. Einen Killigrew kann man nicht kaputtkriegen, und an so einer blöden Kugel geht unsereins noch lange nicht zugrunde. Wir müssen nur Geduld haben. Wenn du aufwachst, hole ich dir was zu essen und zu trinken." „Still", sagte Bob Grey. „Wir dürfen nicht soviel sprechen, Junge." „Jawohl. Ich werde meinen Mund halten", versicherte Philip junior. Der Seewolf war zu Smoky und dem Kutscher getreten. Er blickte über ihre Schultern und konnte nun jeden Handgriff verfolgen, den der Kutscher tat. Es roch nach Alkohol. Batuti mußte vor kurzem zu sich gekommen
41 sein, und der Kutscher hatte ihm Rum oder Whisky zu trinken gegeben, damit er es aushielt. Später war der Gambia-Mann wieder besinnungslos geworden, er hielt jetzt die Augen geschlossen. Sein Gesicht und sein Körper waren schweißbedeckt. Über seine Lippen drang kein Laut. Es war erstaunlich, daß auch vorher kein Schrei aus seinem Mund zu vernehmen gewesen war. Er mußte sich gewaltig zusammengenommen haben, um nicht loszubrüllen. Hasard empfand tiefen Respekt vor dem schwarzen Goliath. Er war ein Kerl wie aus Eisen geschmiedet, der nicht nur zu kämpfen, sondern auch unglaubliche Schmerzen zu ertragen verstand. „Kutscher", sagte der Seewolf behutsam. „Kann ich helfen?" Der Kutscher antwortete nicht. Augenscheinlich war der heikelste Moment der Operation gekommen. Er konnte jetzt nicht sprechen und mußte sein volles Augenmerk auf die offene Wunde richten, in der er mit seinen Gerätschaften nach der Kugel forschte. Mit geradezu verbissener Akribie war er am Werk. Plötzlich hielt er jedoch inne und sagte kaum vernehmbar: „Ja, Sir. Du kannst mir helfen, wenn du willst. Gib mir bitte die größte Pinzette, die du auf dem Tisch siehst. Smoky, Achtung, ich brauche gleich die Leinentücher. Hasard trat an den Tisch, griff mit Daumen und Zeigefinger nach der Pinzette - und sah dabei die Pistolenkugel, die neben den Instrumenten des Kutschers auf dem blütenweißen Tuch lag. Die Kugel, die Hasard junior um ein Haar mitten ins Herz gedrungen wäre. Rasch griff der Seewolf die Pinzette und reichte sie dem Kutscher, der sie entgegennahm, ohne von seinem Patienten aufzuschauen.
Drei, vier Atemzüge später klemmte die Kugel, die de Larra aus dem zweiten Lauf der sächsischen Reiterpistole abgefeuert hatte, zwischen der Pinzette, und der Kutscher hob sie demonstrativ hoch. Der Seewolf nahm sie ihm ab und legte sie neben dem Geschoß, das der Kutscher aus Hasard juniors Brust geholt hatte, auf den Tisch. Kurz darauf hatte der Kutscher Batutis Wunde geschlossen, gereinigt und verbunden, und erst jetzt richtete er sich von dem wie in tiefem Schlummer daliegenden GambiaMann auf, ging etwas schwerfällig zu einer der Schüsseln mit heißem Wasser und wusch sich gründlich die Hände. Er sah seinen Kapitän an und verengte die Augen ein wenig. ¿Sir, du hast da einen Kratzer am Hals", sagte er. „Laßt du mich mal nachsehen, wie tief der ist?" Hasard fuhr sich mit der Hand über die kleine Wunde, die inzwischen verschorft war. „Nicht nötig. De Larra hatte mich auf der Insel mit einem Speer dazu gezwungen, ihm meinen Namen und einige andere Details zu verraten. Aber die Speerspitze hat mich wirklich nur leicht geritzt, du kannst es mir glauben." „Wie du meinst. Ich würde aber trotzdem einen Balsam auftragen, der dem Wundstarrkrampf und dem Wundfieber vorbeugt. Die Speerspitze könnte infiziert gewesen sein." Der Seewolf trat dicht vor ihn hin. „Später, Kutscher. Spann mich jetzt nicht länger auf die Folter. Und weich mir bitte nicht aus. Wie stehen die Chancen von Hasard junior und Batuti?" „Gut", entgegnete der Kutscher mit einem Blick auf Philip junior. „Was soll ihnen denn jetzt noch passieren nachdem ich ihnen die Kugeln her-
42 ausgeholt habe?" Hasard verstand. „Ja, natürlich. Das war eine überflüssige Frage von mir. Begleitest du mich eben kurz an Deck? Ich will von dir wissen, ob de Larra auch wirklich tot ist. Nur du kannst das feststellen." Der Kutscher trocknete sich die Hände ab. „Sofort, Sir." Er gab Smoky und Bob Grey ein paar knappe Anweisungen, dann trat er mit seinem Kapitän vor die Tür der Kammer. Stenmark blickte sie erwartungsvoll an, sagte aber kein Wort. Der Kutscher ging bis an die gegenüberliegende Wand des Ganges, dann drehte er sich um und erklärte leise: „Ich habe getan, was ich konnte. Jetzt ist die Natur an der Reihe oder die Vorsehung, wenn ihr so wollt. Ich kann dir soviel verraten: Dein Sohn hat auf seine Weise Glück gehabt, denn die Kugel ist in einem Muskel steckengeblieben, statt bis in die Lunge vorzudringen. Organe sind also nicht verletzt, trotzdem wird er hart zu kämpfen haben, denn sein Blutverlust war groß. Sehr groß für einen Jungen seines Alters." „Danke für deine Aufrichtigkeit, Kutscher. Und Batuti?" „Bei ihm saß die Kugel tiefer, das habe ich ja schon gesagt. Gott sei Dank ist sie von einer Rippe aufgehalten worden und daran praktisch abgeprallt." „Und wenn's nicht so gewesen wäre?" fragte Stenmark. „Dann hätte sich das Projektil in seinen Magen gebohrt, ihn vielleicht durchschlagen und möglicherweise noch das Zwerchfell angegriffen, dem Winkel nach zu urteilen, in dem es in Batutis Körper eingedrungen ist." „Mir reicht's", keuchte der Schwede. „Mann, das hört sich ja furchtbar an." „Also ist auch Batuti wie durch ein
Wunder vor Schlimmerem bewahrt worden", sagte der Seewolf. „Aber damit ist er noch lange nicht über den Berg. Jetzt folgt das Fieber, und mit dem Fieber stellt sich die Schwäche ein, die jeden natürlichen Widerstand des Körpers zu untergraben versucht. Richtig, Kutscher?" „Leider, Sir." „Und so wird es auch meinem Sohn ergehen", sagte Hasard so gefaßt wie irgend möglich. „Wenn die beiden durchhalten, wann dürften sie dann wohl das Gröbste hinter sich haben?" Der Kutscher kaute eine Weile auf der Unterlippe herum, dann erwiderte er: „Ich will weiterhin ganz ehrlich sein. Das ist doch meine Pflicht, nicht wahr?" „Richtig." „Nun, dann also in aller Offenheit: Falls sie den morgigen Tag erleben, sind sie dem Teufel sozusagen von der Schippe gesprungen. Dann haben sie beide die besten Chancen, wieder ganz zu genesen." „Sie haben also noch die ganze Nacht vor sich", sagte Stenmark in ohnmächtiger Erbitterung. „Und wir können nichts weiter für sie tun, als zu hoffen - und zu beten." In Hasards Gesicht regte sich kein Muskel. „Danke für deine Auskunft, Kutscher. Kehr bitte jetzt in die Kammer zurück." „Und de Larra?" „Die Sache habe ich nur als Vorwand benutzt - wegen Philip junior. De Larra hat sein elendes Dasein ausgehaucht, daran besteht gar kein Zweifel." „Daß wir diesem Hund auch begegnen mußten", murmelte der Kutscher. „Plötzlich ging alles schief. Wir hätten noch tiefer im Schlamassel gesessen, wenn du den Spanier nicht hättest überwältigen können." „Sir, eine Frage noch", sagte Stenmark. „Bleiben wir hier auf Tutuila,
43 bis Hasard junior und Batuti wieder hinzufügen, unterließ es aber, denn in diesem Moment trat der Seewolf halbwegs gesund sind?" „Nein. Im Morgengrauen laufen auf die Kuhl. Hasard setzte seinen Männern wir aus. Was immer auch geschieht, ich will den Südost-Passat nutzen auseinander, wie es um Batuti und und weiter westwärts segeln. Wir Hasard junior stand. Er teilte ihnen wollen hier keine Wurzeln schlagen." auch seine Entscheidung mit, die Damit ließ er sie stehen und schritt Bucht der Insel im Heranbrechen des zur Kuhl. Der Kummer um seinen neuen Tages zu verlassen und endeSohn und um den Gambia-Mann te: „Zündet jetzt die Bordlaternen setzten ihm schwer zu, schwerer, als an. Wir werden umschichtig Wache er es vor sich selbst eingestehen halten. Ben, teile du die Männer entwollte. Er allein trug die volle Ver- sprechend ein. Ich bleibe die ganze antwortung für das Leben seines Nacht über auf den Beinen." Sohnes Hasard und Batutis - und er „Aye, Sir." würde mit sich selbst zu Gericht geHasard wandte sich dem Backhen müssen, wenn einer der beiden bordniedergang zu, der die Kuhl mit starb. Oder wenn beide den neuen dem Quarterdeck verband. Sein Tag nicht mehr erlebten. Blick suchte die Gestalt des toten Spaniers, aber der war verschwun* den. Serafin und Joaquin traten vor. Sir John hatte es gewagt, den „Wir haben de Larras Leiche über Großmars zu verlassen und in Bord geworfen", erklärte Serafin ohschwungvollem Flug die Schulter ne Umschweife. „Er liegt jetzt auf seines Herrn anzusteuern. So saß er dem Grund der Bucht, nicht weit von jetzt dicht neben Carberrys linkem Esteban, unserem toten Kameraden, Ohr und begann, daran herumzu- entfernt. Wir stehen dafür gerade. knabbern. Der Profos ließ es sich Wenn du willst, kannst du uns zu eiausnahmsweise gefallen. Mehr noch, ner Strafe verdonnern." er streichelte den Aracanga mit sei„Nein. Ich sehe keinen Grund daner großen, derben Hand und sagte: „Gut gemacht, Sir John. Einfach fa- für. Und ihr gehört auch nicht zu belhaft, wie du mit Arwenack, die- meiner Crew." „Senor", sagte Joaquin zu Hasard. sem Lauseaffen, aus der Hütte hervorgeprescht bist. Dafür kriegst du „Wir hätten, was das betrifft, eine Bitte an dich. Unser Schiff, die ,Hernoch einen Leckerbissen von mir." „Ed!" rief Dan O'Flynn. „Du woll- nán Cortés', liegt hoffnungslos auf test ihn doch auf Tutuila aussetzen, dem sandigen Grund fest. Blacky weil er dir ewig auf die Nerven fiel." und Gary Andrews können es bestätigen. Sie haben die ,Hermán Cortés' „So? Hab ich das gesagt?" mit Serafin zusammengeentert und „Ja. Du wolltest ihn bei den Papa- den Kanonenschuß abgegeben." geien und den Riesenschildkröten „Stimmt, wir wollten zwar mit der zurücklassen, bei denen er sich deiner Meinung nach in bester Gesell- Galeone ankerauf gehen und bis an die ,Isabella' heranmanövrieren", fiel schaft befunden hätte." „Unsinn", brummte der Narben- Blacky ein. „Aber im ablaufenden mann. „Natürlich habe ich das nicht Wasser war sie schon auf Grund geernst gemeint." Er wollte noch etwas gangen. Die Flut wird sie nicht mehr
44 freischwimmen lassen, sie hat schon zuviel Leckwasser in sich aufgenommen. Sie ist dazu verdammt, ganz zu sinken. Auch mit erheblichem Aufwand wäre es kaum möglich, sie zu bergen und wieder instandzusetzen." „Ich verstehe", sagte der Seewolf. „Ihr beiden wollt also bei uns anheuern?" „Ja. Wenn du bereit bist, uns mitzunehmen", entgegnete Serafin. „Es würde uns genügen, wenn du uns auf einer weiter westlich gelegenen Insel absetzen könntest, an einem Platz, wo wir Aussicht darauf haben, irgendwann ein spanisches Schiff zu treffen, das uns zurück zu den Philippinen bringt." „Einverstanden", sagte Hasard kurz entschlossen. „Da Batuti und Hasard junior als Arbeitskräfte an Deck vorübergehend ausfallen, brauchen wir ohnehin zwei Männer. Ben Brighton wird euch erklären, was auf diesem Schiff verlangt wird, und selbstverständlich erwarte ich, daß ihr euch unserer Disziplin bedingungslos unterwerft, solange ihr mit uns fahrt." „Si, Señor", sagte Serafin. „Wir versprechen hoch und heilig, daß wir unsere Arbeit gut verrichten und euch keinen Anlaß zu Ärger geben!" „Schlagt euch erst mal den Magen voll, ihr Hungerleider", sagte der Profos in seinem grauenvollen Spanisch. „Ihr müßt neue Energien schöpfen, und von nichts kommt bekanntlich nichts. Nachher sehen wir dann weiter." Ferris Tucker wandte sich an Hasard. „Du hast eben gesagt, daß Batuti und Hasard junior vorübergehend ausfallen. Bedeutet das, daß du ihren Zustand nicht ganz so ernst siehst, wie - wie der Kutscher ihn darstellt?" „Nein. Ich mache mir keine Illusionen", versetzte der Seewolf hart.
„Und auch euch rate ich: Gebt euch keinen falschen Hoffnungen hin. Es hat keinen Zweck." „Nein, hat es wohl nicht", murmelte Ferris niedergeschlagen. Hasard blickte zu Maguro, Otalu und den anderen Insulanern, die ihn ihrerseits ernst musterten. Er trat ein paar Schritte auf sie zu und sagte: „Ich begleite euch mit ein paar Männern an Land. Wir wollen dabeisein, wenn ihr eure Stammesbrüder bestattet, denn das sind wir euch schuldig. Anschließend verabschieden wir uns voneinander. Ich weiß eure Freundschaft zu würdigen, aber ich sehe keinen Sinn darin, länger auf Tutuila zu verweilen." Er versuchte, ihnen dies durch Zeichen zu erklären, und nach einigem Gestikulieren gelang es ihm auch. Maguro verbeugte sich vor ihm, richtete sich wieder auf und wies einladend zur Insel hinüber. Auf seinen Wink hin begannen die Polynesien das Deck der „Isabella" zu räumen und in ihre Auslegerboote abzuentern. „Shane, Ferris, Dan und Blacky", sagte der Seewolf. „Ihr begleitet mich. Wir nehmen das Beiboot der ,Hernán Cortés'. Ben, du übernimmst solange das Kommando auf der ,Isabella'. Falls der Zustand von Batuti oder Hasard junior sich verschlechtert, gibst du mir sofort ein Zeichen." „Aye, Sir. Dann feure ich eine der Drehbassen ab", sagte Ben Brighton - und er wünschte sich inständig, dies nicht tun zu müssen. 8. Rafael Sabicas und sein Bootsmann Donato standen schon seit geraumer Zeit auf der Back der Galeone „El Cisne" und ließen sich von dem Posten auf der Galionsplattform
laufend die Wassertiefe mitteilen. „Fünfzehn Faden", wiederholte Sabicas die letzte Meldung. „Ausgezeichnet. Rund um die Insel herum scheint es keine Riffe und Bänke zu geben, die einem Schiff zum Verhängnis werden können. Vielleicht besteht also wirklich keine Gefahr, daß wir irgendwo auflaufen. Kannst du die Küste sehen, Donato?" „Sie ist ein schwarzer Streifen im Norden, noch schwärzer als die Nacht." „Das genügt. Mehr brauchen wir von ihr nicht zu erkennen, vorläufig jedenfalls nicht. Sollten irgendwo noch andere Schiffe liegen, werden wir sie entdecken, verlaß dich darauf." „Ja", sagte der Kalabrier. „In der Bucht, die wir soeben passiert haben, waren keine. Da waren nur Affen und Nachtvögel im Gebüsch, aber sonst haben wir weder etwas gesehen noch gehört." Der Andalusier strich sich mit der Hand übers Kinn und überlegte. „Nach meinen Schätzungen müßten wir das Südufer jetzt um gut die Hälfte hinter uns gebracht haben. Ich nehme mit einiger Sicherheit an, daß das Eiland zu dem Archipel gehört, den die Polynesier Samoa getauft haben. Und in dieser Gruppe gibt es keine Rieseninseln. Ich sagte dir ja: Wir kehren schnell wieder zu unserem Ausgangspunkt zurück." „Das hoffe ich auch." „Kannst du die ,El Gabian' in unserem Kielwasser erkennen?" Donato wandte sich nach achtern um. „Ja. Ich kann ihre Masten und das Rigg sehen. Die Augen gewöhnen sich eben an die Dunkelheit." „Wichtig ist, daß Ponce nicht den Kontakt zu uns verliert", sagte Sabicas. „Deck!" raunte plötzlich der Ausguck im Vormars.
45 Sie hoben den Blick, legten die Köpfe in den Nacken und schauten zu ihm hoch. „Senor", sagte der Posten hoch über ihnen. „Ich sehe Feuer auf der Insel, ziemlich weit oben. Es muß dort eine Hügelkette geben, und auf den Hängen hat jemand Feuer angezündet!" Sabicas und Donato lenkten ihr«' Blicke zur Insel hinüber und sahen nun ebenfalls die Flammen, die dort wie aus dem Nichts hochgeschossen waren und ein loderndes Fanal in die Nacht brannten. „Wer weiß, was da los ist", sagte Sabicas. „Vielleicht wird dort ein Fest gefeiert. Aber es kann uns verflucht egal sein, was da oben vorgeht, uns interessieren nur die Schiffe in der Nordbucht." Donato äußerte nichts dazu. Er beobachtete nur unausgesetzt das Feuer, das immer größere Ausnaße anzunehmen schien. Wieder war das ungute Gefühl da, das ihn nicht loslassen wollte. Einige Zeit später erreichten die „El Cisne" und die „El Gabian" das östliche Kap der Insel, umrundeten es, liefen platt vor dem Wind aus Südosten her und luvten wenig später wieder an, um nun an der Leeseite von Tutuila entlangzusegeln. Nach Ablauf von weiteren anderthalb Glasen gab der Ausguck im Vormars der „El Cisne" wieder einen Laut von sich. Er brauchte diesmal nicht erst auf das hinzuweisen, was er erspäht hatte - Sabicas, Donato und die anderen an Deck hatten es auch bereits entdeckt. Licht. Backbord voraus, also im Westen, glommen mehrere Lampen und setzten den Wellen glitzernde kleine Kronen auf. „Schiffslaternen", sagte Sabicas. „Der Teufel soll mich holen, wenn
46 das nicht die Lichter der großen Galeone mit den hohen Masten sind. Donato, wir sind wieder am Ziel, und unsere Beute ist uns nicht entwischt. Gut so. Sehr gut. Wir drehen bei, geien die Segel auf und gehen hier vor Anker, bis es hell wird." „Soll ich Ponce und den anderen von der ,El Gabian' ein Zeichen geben lassen?" „Ja. Ahmt zweimal den Ruf eines Nachtvogels nach, das wird er verstehen. Daß mir keiner ruft oder Licht entzündet!" „Nein, Senor", sagte der Kalabrier untertänigst. Er hatte beschlossen, seinem Kapitän durch sein Verhalten keinen Anlaß mehr zu Argwohn und Ärger zu geben. Vielleicht hatte Sabicas ja auch wirklich recht - vielleicht gab es auf der großen Galeone tatsächlich etwas zu holen. Beute, von der sie alle träumten - Gold, Silber, Perlen und Diamanten. Unten, in der Kapitänskammer, lag das Mädchen Lavida zusammengekrümmt auf ihrer Matte. Sie hatte versucht zu schlafen, aber es gelang ihr nicht, die Augen zu schließen. Starr blickte sie vor sich hin. Ihre lebhafte Phantasie gab ihr die schrecklichsten Bilder ein, Szenen voll Feuer, Rauch und Blut liefen vor ihrem geistigen Auge ab. Sie hatte Angst. Nackte Angst vor dem, was unweigerlich auf sie alle zukam. * Der Abschied von den Insulanern war fast schweigend verlaufen. Die Mädchen des Stammes hatten den Seewölfen Perlenketten und kleine, geschnitzte Statuen als Geschenke überreicht, aber Hasard hatte sie fast nicht annehmen mögen. Nicht angesichts des Bestattungszeremoniells,
bei dem die Leichen der beiden jungen Eingeborenen verbrannt worden waren. Hasard, Big Old Shane, Ferris Tucker, Dan O'Flynn und Blacky kehrten mit dem Boot der „Hernán Cortés" zur „Isabella" zurück. Hasard saß auf der Heckducht und hielt die Ruderpinne. Seine vier Männer pullten die Jolle an der spanischen Galeone vorbei, die sich jetzt wie ein todwundes Riesentier noch weiter auf die Seite gelegt hatte. Aus war es mit der einstmals so stolzen „Hernán Cortés", die ihren Namen dem Entdecker und Eroberer Neuspaniens verdankte. Nie würde sie das legendäre Südland sehen, ihre Fahrt war hier zu Ende. Geblieben war nur das Logbuch des Satans, ein Bruchstück des großen Traumes, das sich entweder als aufschlußreich erweisen würde - oder aber als ein einziges Konglomerat des Wahnsinns. Hasard hatte es in seiner Kammer deponiert, bevor er die „Isabella" verlassen hatte. Irgendwann würde er sich mit de Larras Aufzeichnungen befassen, irgendwann, wenn es über das Schicksal von Batuti und Hasard junior keine Zweifel mehr gab. „Sir", sagte Ferris Tucker. „Ben hat keinen Drehbassenschud abfeuern lassen. Und Mitternacht ist schon vorüber. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?" „Es sind noch viereinhalb Stunden bis zum Morgengrauen." „Warum bist du so grenzenlos pessimistisch?" Hasard schüttelte den Kopf. „Es ist kein Pessimismus. Ich halte mich nur an die Tatsachen. In euren Augen mag das ein kaltes, gefühlloses Verhalten sein, aber ich weiß, warum ich den Dingen so und nicht anders gegenüberstehe." „Dann ist die bittere Wahrheit, die
47 wir vielleicht hinnehmen müssen, nicht mehr ganz so vernichtend", sagte Big Old Shane. „Das meinst du doch, oder?" „Ja. Ich bin innerlich auf alles vorbereitet. Und jetzt laßt uns nicht mehr darüber reden." Sie hatten die „Isabella" fast erreicht und schickten sich an, längsseits zu gehen und an ihrer Bordwand anzulegen. * Die Mienen der Männer waren alles andere als zuversichtlich. Sie gaben sich zwar redlich Mühe, den Ankömmlingen nicht zu zeigen, wie besorgt sie waren, aber sie konnten doch über nichts hinwegtäuschen. Hasard ging über die Kuhl zum Achterdecksschott, ohne ein Wort zu sagen, eilte durch den Gang bis zu der Kammer und blieb bei Matt Davies, der jetzt vor der Tür Wache hielt, stehen. Matt Davies begegnete dem Blick seines Kapitäns mit ernster Mine. Er wußte nur die Achseln zu zucken und eine verlegene Grimasse zu schneiden, mehr nicht. Hasard betrat die Kammer. Philip junior saß immer noch bei Hasard junior am Krankenlager, und mit ihm befanden sich Ben Brighton und der Kutscher im Raum. Der Kutscher hatte dem Gambia-Mann und dem Jungen nasse Umschläge auf die Stirn gelegt, ein Mittel, das das Fieber ein wenig dämpfte, es aber nicht lindern konnte. „Der Kutscher hat vorsichtshalber die beiden Spanier untersucht", sagte Ben. „Du weißt ja, sie haben Skorbut und das Gelbfieber an Bord gehabt. Wenn sie auch alles überlebt haben, war es doch wohl ratsam, sich zu vergewissern, ob sie nicht etwa irgend-
wie angesteckt worden waren." „Sie sind gesund", erklärte der Kutscher leise. „Abgezehrt und erschöpft bis auf die Knochen zwar, aber bei unserer Verpflegung werden sie rasch wieder zu Kräften gelangen. Auf jeden Fall stellen sie keine Gefahr für die Crew dar." „Gut", sagte der Seewolf. „Und nun zur Sache." „Hasard geht's schon besser, Dad", raunte Philip junior. „Vorhin hat er kurz die Augen aufgeschlagen und ein paar Worte gesagt. Wir haben nicht verstanden, was, aber ..." „Schon gut, Philip", sagte Hasard. „Wenn er richtig aufwacht, könnt ihr ja noch genug miteinander plaudern." „Fein, Dad." So leise, daß Philip junior es nicht verstehen konnte, sagte der Kutscher: „Das Fieber ist immer noch sehr hoch. Ich habe alles getan, um ihre körperlichen Abwehrkräfte zu steigern, aber es scheint alles nichts zu nutzen. Wenn das so weitergeht, werden sie beide anfangen, zu phantasieren. Das ist dann das Zeichen, daß die Hitze das Hirn angegriffen hat." Hasard schloß die Augen und öffnete sie wieder. Wie konnte er das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit noch länger bezwingen? Keine Aussicht auf Besserung für Batuti und Hasard junior. Die Dinge zogen sich in die Länge, und für die Zuversicht war in dieser Entwicklung kein Platz. Die Hoffnung war wie ein weißer Sturmvogel, der über die schwarzen Fluten der See segelte und an der Kimm verschwand. Philip junior schaute zu den drei Männern hinüber, sah den zerrüteten Ausdruck im Gesicht seines Vaters und fragte vorsichtig: „Dad, ist was nicht in Ordnung?" Der Seewolf wandte ihm das Ge-
49 sicht zu und bemühte sich um ein Lächeln. „Doch, Söhnchen. Alles in Ordnung. Es wird alles gut werden", sagte er, und wußte doch ganz genau, daß nicht alles gut war. * Die Männer der Freiwache wurden im Morgengrauen durch Bills helle Stimme geweckt. „Deck! Schiffe im Nordosten! Eine Galeone und eine Karavelle! Sie liegen hart am Wind und halten genau auf uns zu!" Smoky, der Decksälteste, war als erster aus der Koje. Wie ein Derwisch fuhr er in seine Hosen, stürmte aus dem Mannschaftslogis und band sich das Beinkleid im Laufen zu. Hinter ihm rumorte es, die Kameraden fielen regelrecht von ihren Lagern, fluchten und eilten ihm nach. Ihre Schritte trappelten durchs Vordeck, dann stürmten sie auf die Kuhl hinaus und wandten alle den Blick in die von Bill angegebene Richtung. Der Seewolf stand auf dem Achterdeck und richtete sein Spektiv Backbord voraus. Er drehte am Okular und stellte das Bild scharf. Deutlich konnte er die beiden Schiffe erkennen. Eben erst war er aus dem Achterdeck aufs Hauptdeck gestiegen, nachdem er den Rest der Nacht über an Hasard juniors und Batutis Koje gewacht hatte. Die Müdigkeit und der Gram hatten tiefe Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, aber jetzt war er mit einem Schlag wieder hellwach und alarmiert. „Eine stattliche Galeone und eine lateinergetakelte Karavelle", sagte er zu Ben Brighton. „Der Teufel soll mich holen, wenn ihre Kapitäne friedliche Absichten hegen."
„Sie führen keine Nationalitätszeichen", sagte Ben, der sich ebenfalls mit einem Kieker bewaffnet hatte. „Der Bauart nach zu urteilen sind es spanische oder portugiesische Schiffe." „Sie halten mit vollem Praß auf uns zu." Der Seewolf senkte das Spektiv, drehte sich der Kuhl zu und gab seine Befehle. „Lichten Anker, Männer! Setzt das Großsegel, die Fock und die Blinde, wir fallen ab und laufen vor dem Südostwind aus, damit wir in der Bucht nicht wie in einer Falle festsitzen!" „Aye, Sir", gab der Profos zurück. „Der Kutscher und Philip junior bleiben in der Achterdeckskammer und passen auf unsere Verletzten auf!" „Kutscher!" brüllte Carberry. „Zieh deinen Quadratschädel aus dem Achterdecksschott zurück und verdrück dich! Hast du nicht gehört, was der Kapitän angeordnet hat?" Der Kutscher verschwand augenblicklich. „Öffnet die Stückpforten! Rennt aus die Geschütze!" rief der Seewolf. „Wir machen klar zum Gefecht, um für alle Fälle gerüstet zu sein!" „Bewegt eure lahmen Knochen, ihr Rübenschweine!" rief Carberry. „Zeigt die Hacken und schwenkt eure verdammten Affenärsche, ich will Tempo sehen! He, Sam Roskill, du krummbeiniger Läusebock, reib dir gefälligst den Schlaf aus den Klüsen und beweg dich! Wird's bald, oder muß ich euch erst wieder beibiegen, wie das geht? Mann, Matt Davies und Will Thorne, ihr dreht ja wie matäugige Schnecken an der Winsch! Oh, was seid ihr bloß für ein Sauhaufen geworden!" Serafin und Joaquin standen noch etwas verwundert da und blickten auf den Profos. Sie verstanden zwar kein Wort von dem, was er heraus-
50 brüllte, aber sie erkannten auch so, daß er wohl der rauhbeinigste und seltsamste Zuchtmeister war, den sie je auf einem Segelschiff erlebt hatten. Plötzlich fuhr er zu ihnen herum und herrschte sie in seinem gräßlichsten Spanisch an: „Was steht ihr 'rum und glotzt Löcher in die Luft, ihr Lorbasse? Schnappt euch Kübel und holt Seewasser zum Befeuchten der Wischer 'rauf. Schiebt ab und holt Sand zum Bestreuen der Decks. Maaarsch!" Die Spanier hetzten los. Im Nu waren sie mit eingespannt in das hektische Treiben an Bord der „Isabella", rannten mit Kübeln und Pützen voll Wasser und Sand auf und ab und arbeiteten wie besessen. Plötzlich waren sie ein Teil der Crew und spürten ihre Herzen rascher schlagen. Der Anker der „Isabella" glitt hoch. Pete Ballie, der Rudergänger, legte Hartruder Backbord. Die Segel bauschten sich, die Galeone drehte ihr Vorschiff nach Norden und nahm Fahrt auf. Mit zunehmender Geschwindigkeit glitt sie aus der Bucht von Tuntila. „Besan, Großmars- und Vormarssegel setzen!" rief der Seewolf. Mit leicht abgespreizten Beinen stand er an der Schmuckbalustrade des Quarterdecks, verfolgte die Manöver und blickte immer wieder durchs Spektiv zu der fremden Galeone und der Karavelle hinüber. Vergessen war jetzt die Sorge um Batuti und Hasard junior. Er war ganz Kapitän seines Schiffes, ganz der alte Seewolf. Sein Gesicht war von eiserner Entschlossenheit geprägt. Rumpelnd rollten die schweren 17-Pfünder aus. „Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!" schrie der Profos.
Hasard drehte sich zum Achterdeck um und blickte zu Ferris Tukker und Ben Brighton. „Drehbassen?" rief er. „Klar zum Gefecht, Sir", antwortete Ben Brighton. „Ferris, hast du auch deine Flaschenbomben-Kanone gerichtet?" „Aye, Sir", erwiderte der rothaarige Riese grinsend. „Und keine Sorge, ich habe hier einen Vorrat von gut zwei Dutzend Stück liegen." „Drehbassen Back - klaaar", meldete Smoky vom Vorkastell. Der Seewolf warf wieder einen Blick durchs Spektiv. Er hatte die fremden Schiffe jetzt an Steuerbord und konnte sie noch besser als vorher erkennen. „Sie haben ihren Kurs geringfügig geändert und sind leicht abgefallen", teilte er seinen Männern mit. „Sie ziehen also mit und wollen uns nicht entwischen lassen. Ihre Absichten scheinen klar zu sein, aber wir werden es gleich mit Endgültigkeit wissen." Er nahm das Spektiv herunter, schaute zum Großmars auf und rief: „Bill, zeig den Brüdern mal ein paar Flaggensignale, und zwar solche, die sie auf jeden Fall verstehen! Sie sollen sich zu erkennen geben!" „Aye, aye, Sir!" „Jetzt wissen wir gleich, woran wir sind", sagte Old O'Flynn, als Bill, der Moses, aus dem Großmars zu der Galeone und der Karavelle hinübersiegnalisierte. „Und ich schätze, es wird ein heißer Morgen für uns werden. Hauptsache, wir verbrennen uns nicht den Achtersteven dabei." 9. Rafael Sabicas' Stimme hatte vor Erregung zu vibrieren begonnen. „Nein, das ist nie und nimmer die ,Nao de China', die Manila-Galeone",
51 sagte er zu Donato, der neben ihm auf dem Vordeck stand. „Du hattest schon recht mit deinen Zweifeln, Amigo." „Freut mich, daß du das einsiehst. Es wäre ja auch zu unwahrscheinlich gewesen, daß sie so weit vom Kurs ab..." „Schweig", fiel ihm der Ahdalusier scharf ins Wort. „Du hast mich nicht ausreden lassen. Was wir da vor uns haben, ist mehr wert als jede närrische Manila-Galeone. Hast du das Schiff immer noch nicht erkannt, du Idiot?" Der Kalabrier spähte angestrengt durch sein Fernrohr. „Nein. Ich weiß nur das eine: Das ist nicht das Schiff, das wir tagelang verfolgt haben." „Natürlich nicht! Der andere Kahn liegt in der Bucht und ist am Absaufen, siehst du das nicht? Por Dios, was bist du doch für ein Einfaltspinsel! Die große Galeone mit den hohen Masten muß sie heute nacht versenkt haben, anders kann es nicht sein. So erklären sich der Kanonenschuß und die Pulverexplosionen." Ein wissender, siegessicherer Ausdruck trat in Sabicas' Züge. „Und nun will ich es dir verraten, Donato. Oft genug habe ich Schilderungen über die Galeone dort vernommen, oft genug habe ich mir ausgemalt, was wohl wäre, wenn sie eines Tages meinen Kurs kreuzen würde. Nun, nach allen Beschreiben, die über das Schiff im Umlauf sind - von Manila bis nach Malakka und darüber hinaus -, kann es nur die .Isabella' sein." Donato riß die Augen weit auf und sah seinen Kapitän überrascht an. „Wie? Das Schiff des Seewolfes? El Lobo del Mar - hier, in der gottvergessenen Südsee?" „Er wird schon wissen, warum er ausgerechnet hier herumspukt, der Lumpenhund." Sabicas begann zu lachen. „Sieh mich nicht so entgei-
stert an. Freue dich! Von dem Seewolf heißt es, daß er ständig die prächtigsten Schätze mit sich führt. Wir werden ihn besiegen, denn wir sind in der Übermacht!" Sabicas wandte sich zu den Männern auf der Kühl um, breitete die Arme aus und • rief: „Amigos, wir werden in Goldund Silbermünzen baden und uns über und über mit Perlenketten und Diamantschmuck behängen!" Der bärtige Eurasier riß sich das Kopftuch vom Haupt, schwenkte es und brüllte als erster: „Hurra! Hoch lebe unser Capitán, der mächtige Sabicas!" „Ein dreifaches Hurra unserem Capitán!" schrien nun auch die anderen. Sabicas schritt mit erhobenem Kopf zum Steuerbordschanzkleid der Back. In Lee seines Schiffes lief auf Parallelkurs die „El Gabian". Deren Kapitän Andrés Ponce blickte erwartungsvoll zu dem Andalusier. Die Karavelle war auf Rufweite heran. Sabicas legte die Hände als Schalltricher an den Mund und schrie: „Andrés - wir werden die reichsten Männer der Welt sein! Das dort ist die .Isabella' des Seewolfs!" „Vernichten wir ihn!" rief Ponce zurück. „Nehmen wir seinen Kahn aus wie eine schlachtreife Gans!" „Senor", sagte Donato, dem dies alles immer noch nicht recht behagen wollte. „Senor, die Jsabella' signalisiert uns. Sie will, daß wir uns zu erkennen geben." Sabicas fuhr zu ihm herum. „So? Nun, dann geben wir uns eben zu erkennen." Er trat selbst hinter das Drehgeschütz, das auf der vorderen Balustrade der Back in seiner eisernen Lafette montiert war. Fertig geladen wie alle anderen Geschütze der „El Cisne" war diese kleine Kanone, und auch drüben auf der ..Kl Oahian" war
52 gab noch einen anderen Grund daman gefechtsbereit. für: So wenig sie an Deck erschien, Sabicas justierte das Geschütz in desto besser war es, denn die Freider drehbaren Gabellafette, stellte es fest und berechnete die Distanz, der beuter waren eine gierige, lüsterne sein Schiff jetzt noch von der „Isa- Meute, die jederzeit versuchen würde, über sie herzufallen. Aber sie gebella" trennte. Nur noch eine Kabellänge, und der hörte ihm, ihm allein. So dachte er. Aber Lavida konnte Abstand schrumpfte rasch zusamdie Tür öffnen, wie sie erstaunt festmen. Rafael Sabicas zündete das Dreh- stellte. Ja, Sabicas hatte in dieser geschütz. Belfernd verließ der Schuß Nacht vergessen, sie zuzusperren. Zu das Rohr. Die Kugel heulte zur „Isa- eilig hatte er es gehabt, nach oben zu bella" hinüber und ließ dicht neben laufen und nach dem Rechten zu seihrem Steuerbordbug eine Wasser- hen. Und dann war er ja nicht wieder zurückgekehrt, sondern hatte den fontäne aufsteigen. „So", sagte der Piratenführer. Rest der Nacht auf Deck verbracht. Lavida lächelte und schlüpfte in „Jetzt wissen sie, mit wem sie's zu tun haben. Macht euch bereit zum den Gang hinaus. Ihre Angst schwand nicht völlig, Kampf - und zum Entermanöver, aber sie spürte deutlich, daß ihre Männer!" Wieder brüllten, johlten und pfif- Knie nicht mehr weich und schwach waren und die aufkeimende Panik fen die Kerle hinter ihm. In der Achterdeckskammer hatte wie weggewischt war. sich das Polynesiermädchen von seinem Lager erhoben. Sie war schließ* lich doch eingeschlafen. Erst das Geschrei der Männer und das Rumpeln Als die rauschende Wassersäule der Kanonen an Deck hatten sie wie- neben dem Steuerbordbug aufstieg der aufgeweckt. Blinzelnd stolperte und wieder in sich zusammenfiel, sie in dem matten Morgenlicht, das fing der Profos mörderisch zu fludurch die Bleiglasfenster der Kam- chen an. „Schockschwerenot" und mer drang, quer durch den Raum. „Himmel, Arsch und Zwirn" - das Kampf, dachte sie immer wieder, waren noch die mildesten Ausdrükeine große, schreckliche Schlacht - ke, die er gebrauchte. Er blickte nach Osten zu den zwei fremden Schiffen und viel, viel Blut! Verzweiflung packte sie. Sie ging hinüber und sah noch die Spur weizur Tür, hielt sich aufstöhnend dar- ßen Qualmes, die von der Mündung an fest und spürte, wie ihre Knie des Geschützes der Galeone emporweich wurden. Die Angst brachte sie kräustelte. fast um. Obwohl sie wußte, daß es „Piraten", sagte er zornig. „Eine sinnlos war, drückte sie die Eisen- Horde wilder, mordgieriger klinke der Tür nieder. Schnapphähne. Sir - sie sind nah geRafael Sabicas pflegte stets von nug heran. Auf was warten wir?" außen abzuschließen, wenn er seine „Daß sie glauben, leichtes Spiel mit Kammer verließ. Lavida war nicht uns zu haben", gab Hasard vom Quanur seine Leibeigene, sondern auch terdeck aus zurück. „Lassen wir sie seine Gefangene. Weil er genau wuß- noch näher heran. Sie werden abfalte, daß sie fliehen würde, wenn er len und uns ihre Backbord-Breitseinicht zuriegelte, sperrte er sie ein. Es ten präsentieren."
53 „Diese Bastarde glauben doch wohl nicht, daß sie unsere alte Lady kapern können, was, wie?" wetterte Carberry. „Da haben sie sich aber selbst in den Achtersteven gebissen, das schwöre ich, so wahr ich Carberry heiße!" „Shane!" rief Hasard. „Entere mit deinen Brandpfeilen in den Vormars auf! Serafin!" „Senor?" sagte der schwarzhäutige Spanier. „Du übernimmst Shanes Geschütz. Du kannst doch damit umgehen, oder?" „Und ob, Senor!" „Vielleicht mußt du auf Landsleute schießen. Die Galone und die Karavelle scheinen zumindest spanischer Bauart zu sein." „Ich werde auf Piraten schießen", sagte der ehemalige Decksmann der „Hernán Cortés" ernst. „Und da spielt die Herkunft keine Rolle. Ja, vielleicht haben diese Freibeuter-Schiffe unsere ,Hernán Cortés' sogar schon einige Zeit verfolgt - wie die Haie einen Schiffbrüchigen. Vielleicht sind sie unsretwegen hier, vor Tutuila, aufgetaucht. Das ist ein zusätzlicher Grund für mich, so zielsicher wie möglich zu schießen, denn sie hätten uns massakriert, wenn sie uns zu fassen gekriegt hätten." „Gut möglich", meinte der Seewolf. „Ich erwarte von dir, Serafin, und auch von dir, Joaquin, daß ihr euer Bestes tut!" Sie zeigten klar und wandten sich den Culverinen zu. Wenig später hatten die „El Cisne" und die „El Gabian" ihren Kurs geändert und segelten auf einer Höhe mit der „Isabella". Die Karavelle lief jetzt vor der Galeone der Freibeuter - und sie war es auch, die die erste Breitseite losließ. Sechs Geschütze brüllten los und spuckten Feuer, Rauch und Eisen -
und im selben Augenblick gab auch der Seewolf den Feuerbefehl. Seine Geschützführer an der Steuerbordseite der Kuhl senkten die Luntenstöcke mit den glimmenden Zündschnüren auf die Bodenstücke der 17-Pfünder und sprangen zur Seite. Jetzt donnerten auch die Culverinen der „Isabella" los und entfesselten das wahre Inferno. Der Teufel war los, jetzt war es vorbei mit der nervenaufreibenden Stille vor dem Gefecht. Die Aktion verlangte den Männern ihre volle Konzentration und Einsatzkraft ab, aber sie erlöste sie von dem zähen Warten und Abwägen. Irgendwo auf der halben Kabellänge Distanz, die zwischen den feindlichen Parteien lag, schienen sich die Kanonenkugeln zu begegnen, aber dann waren sie an ihrem Ziel, und die knackenden und berstenden Geräusche brechenden Holzes und die Schreie verwundeter Männer tönten über die See. Als sich der Pulverqualm und der Feuerrauch auf dem Deck der „Isabella" etwas verzogen, sah der Seewolf seine Männer grinsen. Carberry fuhr herum, ließ einen wilden Schrei los und brüllte: „Holla, sie haben kein Zielwasser getrunken, die Hunde! Zu kurz hat die Salve gelegen - alle Kugeln im Wasser! Wir sind nicht mal angekratzt, Sir!" Die Männer johlten und pfiffen und luden die Kanonen nach. Von der Karavelle der Freubeuter gellte wütendes Geschrei herüber. Dann eröffnete auch die Galeone „El Cisne" das Feuer. „Ferris!" schrie der Seewolf. Ferris Tucker kauerte schon mit grimmiger Miene neben seiner grandiosen „Höllenflaschenabschußkanone" und plazierte mit spitzen Fingern eine Flasche auf die hölzerne Pfanne der Schleuder. Die Lunte
54 war rasch gezündet - und dann segelte die Bombe in hohem Bogen zur Karavelle hinüber. Sie klatschte dicht neben der Bordwand der „El Gabian" ins Wasser, explodierte aber doch noch, weil die Zündschnur bereits durch den Korken der Flasche bis ins Innere abgebrannt war. Bill, der Moses, glaubte vom Großmars aus deutlich zu sehen, wie ein großes Loch in der Bordwand der Karavelle aufklaffte - und wie die Gestalten der Männer nur so wirbelten. „Weiter, Ferris!" rief Hasard. „Shane, Feuer frei!" Der rothaarige Riese hatte schon die nächste Flaschenbombe in seine Schreckensmaschinerie gespannt. Sie schwang hoch und sauste auf die Karavelle zu, als der Schmied von Arwenack seinen ersten Brandpfeil in die Takelage der „El Gabian" hinübersandte. Diesmal polterte die Höllenflasche mitten aufs Deck der Karavelle. Orgelnd rasten die Kanonenkugeln der „El Cisne" auf die „Isabella" zu, und in dem Augenblick, in dem drüben die Flaschenbombe explodierte, duckten sich Hasards Männer tief hinters Schanzkleid. Gigantenhände schienen den Rumpf der „Isabella" zu packen und zu schütteln. Es prasselte und knirschte, und irgend etwas flog bedrohlich über die Köpfe der Männer auf der Kuhl weg. Carberry fluchte heftig, der Spanier Joaquin schickte ein Stoßgebet zum Himmel, und unten in der Achterdeckskammer mußten der Kutscher und Philip junior die beiden Patienten festhalten, damit sie nicht aus den Kojen fielen. Ja, die „Isabella" war getroffen. In ihrem Steuerbordschanzkleid war ein Loch, ein paar Wanten waren zerfetzt, und eine Culverine hing be-
drohlich schief in ihren Brooktauen. ,,Scheiße!" brüllte Carberry. „Aber Gott sei Dank ist keiner verletzt, Sir!" „Gut, Ed", schrie der Seewolf. „Feuer!" Die acht 17-Pfünder der Steuerbordseite waren jetzt nachgeladen. Carberry ließ die „El Cisne" aufs Korn nehmen, und dann wummerten die Geschütze los. Ben Brighton schwenkte unterdessen die eine achtere Drehbasse herum. Die Galeone der Piraten befand sich jetzt im richtigen Winkel, er konnte ihr einen Schuß verpassen. Fast gleichzeitig mit der Drehbassenkugel flog auch die nächste Höllenflasche Ferris Tuckers', und schließlich zischten auch die Brandpfeile von Big Old Shane zu Sabicas und seinen Kerlen hinüber. Alles Feuer vereinte sich jetzt auf der „El Cisne", denn die „El Gabian" stand in hellen Flammen. Und nicht nur das: Die Explosion hatte sie fast in der Mitte auseinandergerissen, zumindest aber schwer leckgeschlagen, jetzt neigte sie sich bedrohlich nach Backbord, krängte immer weiter und drohte ganz querzuschlagen. Sie sank! Andrés Ponce, ihr Kapitän, hatte es aufgegeben, Löschversuche anzustellen, er verließ mit seinen überlebenden Männern selbst das Schiff. Es gelang ihnen gerade noch, eins der beiden Beiboote abzufieren. Der Seewolf blickte aus schmalen Augen zur „El Cisne" hinüber. Er wußte, daß er dem Anführer der Bande keine Atempause mehr gönnen durfte. Mit unnachgiebiger Härte erteilte er seine Befehle. Ein Hagel von Kugeln, Pfeilen und Flaschenbomben flog zu der Galeone hinüber und deckte sie ein, ehe drüben wieder die Geschütze geladen werden konnten oder aber der Anführer dazu
55 kam, sein Schiff zu drehen und die andere Breitseite zu zünden. 10. Das Durcheinander hätte schrecklicher nicht sein können: Eben ging eine Flaschenbombe hoch und fetzte der „El Cisne" das halbe Backbordschanzkleid auf der Kuhl weg. Die Gestalten der schreienden Männer flogen wie von einer unsichtbaren Macht bewegt über das Deck bis zur anderen Schiffsseite. Das Großsegel hatte Feuer gefangen, und irgendwo kündeten gewaltige Schläge davon, daß auch die 17-Pfünderkugeln des Feindes getroffen hatten. Donato schrie auf die Männer ein, aber er vermochte keine Ordnung mehr in den durcheinanderbrüllenden, von Panik ergriffenen Haufen zu bringen. So stürzte er selbst an eins der Backbordgeschütze und begann, daran herumzuhantieren. Sabicas hatte eben noch fassungslos zugesehen, wie die „El Gabian" besiegt worden war, jetzt begriff er, daß seinem Schiff das gleiche Schicksal drohte, wenn er nicht augenblicklich handelte, wenn nicht sofort etwas geschah. Hastig kletterte er von der Back auf die Kuhl und griff mit zu, um das von Donato nachgeladene Geschütz in Feuerstellung zu schwenken. Keiner bemerkte, wie sich das Achterdecksschott öffnete, die schlanke Gestalt des Mädchens geduckt ins Freie glitt und zum Steuerbordniedergang hinüberhuschte. Lavida floh von dem Schiff, das für sie die Hölle auf Erden bedeutete. Sie schlich sich aufs Achterdeck, eilte mit hart klopfendem Herzen an dem toten Rudergänger vorbei, hatte den Weg zum Heck frei, rannte auf die Reling zu, kletterte hinauf und ließ
sich kopfüber in die Fluten fallen. Sie tauchte ein, schwamm unter Wasser, schoß wieder hoch und entfernte sich vom Heck der „El Cisne". Die Flucht war gelungen. Ja, vielleicht kamen die Haie. Aber es war ihr lieber, von den Haien getötet zu werden, als an Bord der „El Cisne" zu sterben oder weiter das Dasein einer Sklavin erdulden zu müssen. Lavida schwamm mit fast ruhigen, ausgeglichenen Zügen und fühlte sich schon in Sicherheit. Aber da krachte der Musketenschuß. Sabicas hatte ihn abgegeben. Er hatte durch einen puren Zufall gesehen, wie das Mädchen hinter dem Heck der Galeone aufgetaucht war. In wildem Jähzorn und Haß hatte er zur Muskete gegriffen. Seine Wut über die Niederlage, die unabwendbar zu sein schien, richtete sich in diesem Moment auf das Mädchen. An ihr wollte er Rache nehmen, wenn alles andere auch dem Untergang geweiht sein mochte. Im Aufpeitschen der Muskete zuckte Lavida zusammen. Sie hob die Hände in einer verzweifelten Geste, schlug mit den Beinen. Rasender Schmerz durchtobte ihren Körper. Sie wand sich im Wasser - und ging plötzlich unter. Donato zündete die Kanone, die sie soeben in Feuerstellung gebracht hatten. Donnernd löste sich der Schuß. Das Geschütz rollte zurück, die Kugel verließ mit derselben Vehemenz das Rohr und heulte zur „Isabella" hinüber. Plötzlich stellte Rafael Sabicas fest, daß die „Isabella" etwas zurückfiel. Auch ihr verheerendes Feuer schienen die Männer des Seewolfs jetzt eingestellt zu haben. „Noch ist nicht alles verloren", keuchte Sabicas und wirbelte zu sei-
57 nen Kerlen herum. „Löscht das Feuer! Rettet das Großsegel! Werft die Toten ins Wasser! Los, bewegt euch! Springt, oder ich mache euch mit der Peitsche Beine!" „Die Männer der ,E1 Gabian'!" rief Donato. „Wir müssen sie aus dem Wasser fischen und aus dem Beiboot aufnehmen! Wir ..." „Nein!" schrie Sabicas ihn an. „Niemals! Jeder ist sich selbst der Nächste, verdammt! Wir segeln in die offene See hinaus, denn unser einziges Heil liegt jetzt in der Flucht! Sieh mich nicht so dämlich an!" Er zog seine Pistole und spannte den Hahn. „Ich schieße dich über den Haufen, wenn du noch länger gegen meine Befehle handelst! Ich töte dich, wenn du quertreibst!" „Ich werde gehorchen", sagte Donato. Die „El Cisne" glitt mit brennendem Großsegel an dem Beiboot der Karavelle vorbei, und es nutzte Andrés Ponce und dessen letzten Männern nichts, daß sie um Hilfe riefen und wild •gestikulierten. Sabicas achtete nicht darauf. Er steuerte seine Galeone in Luv an der sinkenden „El Gabian" vorüber, trieb seine Männer zur Eile an, enterte schließlich selbst mit einem Kübel Wasser in den Großwanten auf und dachte nur noch an eins: das Feuer zu löschen, sich der Toten zu entledigen und immer mehr Distanz zwischen sich und die „Isabella" zu bringen, soviel Abstand wie irgend möglich. * „Mädchen über Bord!" hatte Bill gerufen. „Sie ist von der Galeone der Piraten in die See gesprungen!" Sofort hatte sich das Augenmerk des Seewolfs und der anderen Männer auf die Gestalt des braunhäutigen Mädchens gerichtet. Hasard
dachte im ersten Moment, sie würde wohl zur Insel Tutuila schwimmen aber dann krachte der Musketenschuß, und das bedauernswerte Geschöpf tauchte im Wasser unter. Hasard verdammte den, der auf sie gefeuert hatte, bis in die tiefsten Schlünde der Hölle. Er riß sich die Weste und das Hemd vom Leib, zog auch schnell die Hose aus und kletterte, nur noch mit einer kurzen Hose und einem Gürtel bekleidet, aufs Schanzkleid des Quarterdecks. Ohne zu zögern, stieß er sich ab, drehte sich ein wenig in der Luft, streckte die Hände vor und stach mit einem sauberen Sprung ins Wasser. Gut vierzig Yards trennten ihn von dem fremden Mädchen. Wenn er sie noch retten wollte, mußte er sich höllisch beeilen. Er schwamm auf seine ureigene Art - wie ein Hund, mit abwechselndem Armschlag. Seine Beine schlug er dabei gestreckt auf und ab und schlängelte sich auf diese Art wie ein Aal durch die Fluten, ein Aal mit zwei Armen, die wirbelnd abwechselnd weit nach vorn griffen und den großen Körper durchs Wasser zogen. Noch einmal tauchte das Mädchen auf. Hasard sah für einen Moment vor sich, ein hübsches, aber gehetztes Gesicht, in dem sich Todesangst und Verzweiflung abzeichneten. Sie ging wieder unter. Wie besessen arbeitete er mit Armen und Beinen, brachte sich voran und erreichte die Stelle, an der er sie entdeckt hatte. Jetzt nahm er den Kopf unter Wasser, behielt die Augen offen und suchte in dem klaren, türkisfarbenen Naß nach ihr. Da war sie - ein hilflos zappelndes Wesen, das dem Tod ausgeliefert war. Sie zog eine Blutspur hinter sich her, die sich rasch verbreiterte. Ein blaßroter Schleier, der wie der Flögel
58 eines Segelschiffes hin- und herschwang und binnen kürzester Zeit die Haie anlocken würde. Hasard schwamm mit zwei, drei Stößen zu ihr und packte sie. Es war ihrer beider Glück, daß sie jetzt ohnmächtig wurde, denn in ihrer Panik hätte sie sich an seinem Hals festgeklammert und mit aller Kraft seine Gurgel zusammengepreßt. Nichts war gefährlicher als das kopflose Handeln eines Ertrinkenden. Hasard tauchte mit ihr auf und schleppte sie in Rückenlage zur „Isabella". Die „Isabella" lag jetzt beigedreht in der See. Ben Brighton hatte in aller Eile eine Jolle abfieren lassen. Dan O'Flynn, Al Conroy, Matt Davies und Luke Morgan pullten auf ihren Kapitän zu, und wenig später nahmen sie die beiden in das Boot über. „Dort", sagte Dan O'Flynn und wies nach Osten. Kleine Dreiecke waren über der Wasseroberfläche aufgetaucht und Schossen rasch größer werdend heran. Auch die Piraten, die sich mit dem Beiboot von der sinkenden „El Gabian" gerettet hatten und davonpullten, hatten sie entdeckt. Sie stießen Flüche aus. „Tirburónes", sagte Dan. „Haie. Da habt ihr beiden aber wirklich ein Mordsglück gehabt, Sir." „Ja", murmelte der Seewolf und blickte auf das Polynesiermädchen, das schlaff in seinen Armen lag. „Und jetzt haben wir einen Patienten mehr an Bord der ,Isabella'. Auf Tutuila können wir sie nicht zurücklassen, sie braucht die Pflege des Kutschers, um wieder auf die Beine zu kommen." Er deutete auf die Schußwunde in ihrer rechten Hüfte, und seine Miene war alles andere als begeistert.
Maguro, Otalu und die anderen Eingeborenen von Tutuila hatten den Verlauf des Gefechtes von dem besten Aussichtspunkt auf den Hügeln der Insel verfolgen können, und sie hatten aufgeatmet, als sie die Männer der „Isabella" als Sieger aus dem kurzen, erbarmungslosen Kampf hatten hervorgehen sehen. Jetzt winkten sie ihren weißen Freunden zum letztenmal nach. Die „Isabella" segelte vor der aufgehenden Sonne nach Westen davon, wurde immer kleiner und verschwand schließlich am Horizont, als habe sie nie existiert. Hasard jagte die Galeone der Piraten, die einigen Vorsprung gewonnen hatte. Kostbare Minuten waren durch die Rettung des Polynesiermädchens verlorengegangen, die „El Cisne" war nur noch als vager grauer Fleck vor der schimmernden Linie der Kimm zu erkennen. Der Piratenführer und seine Männer hatten das Feuer an Bord löschen können. Trotz des massiven Beschusses durch die „Isabella" schien die Galeone immer noch seetüchtig und voll manövrierf ährig zu sein. „Trotzdem erwischen wir ihn noch, den Hund", sagte der Seewolf voll Grimm. „Wir stellen ihn, und wenn ich ihn bis nach Manila hinauf hetzen muß. Nein, so billig kommt er nicht davon." Ben Brighton, Ferris Tucker, Shane, die O'Flynns und die anderen, die jetzt mit den Bergungs- und Aufklarungsarbeiten auf Deck begonnen hatten, blickten zu ihrem Kapitän. War der Seewolf ein anderer Mensch geworden? Hatte die Bitterkeit über das, was Batuti und Hasard junior zugestoßen war, den Haß in ihm so sehr geschürt, daß er jetzt keinen Gegner mehr entwischen ließ, wie er es früher getan hätte?
59 Dumpfes Schweigen senkte sich über das Schiff. Es wurde erst wieder durch den Kutscher gebrochen, der seinen Kopf aus dem Achterdecksschott streckte. „He", sagte er. „Wo steckt der Kapitän?" Täuschten sie sich - oder lächelte er wirklich? „Kutscher", sagte Carberry mit bösartig verkniffener Miene. „Hat das Gefecht dir deinen kleinen Rest Verstand geraubt? Was grinst du so blöd?" „Ich habe allen Grund dazu", verkündete der Kutscher stolz. „Batuti und Hasard junior geht es nämlich besser." Zuerst herrschte wieder Stille, aber dann hatten die Männer ihre Verblüffung überwunden und brachen in ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus. Ja, bis nach Old England sollte es zu hören sein: Hasard junior und der Gambia-Mann waren über den verdammten „Berg" weg. Der Seewolf stieg mit dem Kutscher in die Achterdeckskammer hinunter. Er konnte sich selbst davon überzeugen: Hasard junior und Batuti lagen zwar noch in tiefstem Schlummer, aber ihre Köpfe waren längst nicht mehr so heiß wie in der Nacht. Der Kutscher hatte ihnen sogar die Tuchumschläge abgenommen. Philip junior lachte. „Siehst du, Dad? Ich hab's ja gesagt, einen Killi-
grew kriegt man nicht klein. Und einen Batuti erst recht nicht. Sie schlafen sich jetzt gesund, und bald sind sie wieder unter uns." „Ja", sagte der Kutscher. „Das kann ich jetzt ruhigen Gewissens bestätigen." Hasard lächelte beglückt. Ihm war zumute, als wäre ihm eben eine Zentnerlast von den Schultern gerutscht. „Heute wird gefeiert, Kutscher", teilte er seinem Feldscher mit. Und Philip junior legte er die Hand auf die Schulter. „Komm jetzt, du bist lange genug hier unten gewesen." „Nein, Dad, ich bleibe doch lieber bei Hasard, wenn du nichts dagegen hast." „Einverstanden", sagte der Seewolf. „Aber nachher läßt du dich ablösen. Kutscher, sehen wir jetzt nach dem Mädchen." „Aye, Sir. Ich habe sie in der gegenüberliegenden Kammer untergebracht." * Lavida schlug die Augen auf. Der schwarzhaarige Mann mit den eisblauen Augen, der sich über sie gebeugt hatte, sah wild und entschlossen aus. Sie fuhr zusammen, stieß einen Schrei aus und versuchte, von ihm fortzurücken. „Verstehst du spanisch?" fragte er sie sanft. „Vielleicht. Hör mir zu. Ich
60 bin dein Freund. Wir alle auf diesem Schiff sind deine Freunde. Ich habe dich aus dem Wasser gerettet, nachdem einer der Kerle von der Piraten-Galeone dich angeschossen hatte. Faß an deine Hüfte, aber vorsichtig." Lavida tat es - und bewies dadurch, daß sie die Sprache verstand, derer er sich bediente. Sie berührte die Wunde. Die Kugel war nicht stekkengeblieben und hatte den Knochen nicht verletzt, es handelte sich eher um einen groben Streifschuß. Der Kutscher hatte ihn inzwischen behandelt und verbunden, aber Lavida verspürte trotzdem noch heftigen Schmerz, sobald sie den Verband betastete. Sie gab einen wimmernden Laut von sich. „Beruhige dich", sagte der Seewolf und legte ihr die Hand auf den Unterarm. „Ich heiße Philip Hasard Killigrew. Willst du mir nicht wenigstens deinen Namen verraten?" Sie zögerte. Aber von seinem Griff um ihren Arm schien etwas Menschliches, Besänftigendes auszugehen, etwas, das ihr ein Gefühl von Sicherheit gab. Deshalb antwortete sie ihm schließlich in ihrem etwas fehlerhaften Spanisch: „Ich bin - Lavida." „Du warst die Gefangene der Piraten?" „Sabicas Sklavin." „Sabicas? Ist das der Anführer der Kerle?" „Ja." „Wo hat er seinen Schlupfwinkel?" „Auf Ngau", sagte sie. „Wo liegt das?" „Fünf Tage westlich von hier. Suva, Fidschi-Inseln - meine Heimat." „Dort liegt unser nächstes Ziel", sagte der Seewolf grimmig. „Der Passat-Wind wird uns rasch dorthin bringen. Ruh dich jetzt aus, Lavida.
Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Hier bist du in guten Händen."
Am Mittag dieses Tages war die „El Cisne" plötzlich verschwunden. Sie gelangte erstaunlich schnell voran, und Hasard und seine Männer drohten die Spur zu verlieren. Aber der Seewolf wußte jetzt, welchen Kurs er nehmen mußte. Zwei Tage später sichtete Bill, der Moses, die Galeone des Freibeuters Sabicas wieder an der westlichen Kimm, und zu diesem Zeitpunkt waren sie den von Lavida beschriebenen FidschiInseln schon sehr nahe. Am vierten Tag nach dem Verlassen der Insel Tutuila nahm der Südost-Passat plötzlich zu. Die „Isabella" segelte mit Vollzeug und lief mehr als sechs Knoten Fahrt. Kleine Inseln waren jetzt vor ihr aufgetaucht, dicht bewachsen mit Palmen. Weit voraus schickte sich die „El Cisne" gerade an, an einem Korallenatoll vorbeizusegeln. Da geschah es. Von Südosten orgelte es bedrohlich heran - und Bill stieß einen entsetzten Ruf aus. Arwenack verließ den Großmars und brachte sich in Sicherheit, begleitet von Sir John, der sich mit dem Affen immer dann aufs engste verbündete, wenn Gefahr im Verzug war. Eine schwärzliche Säule verband die See mit dem Himmel und tanzte schwänzelnd heran. Rasch färbte sich der Himmel dunkler. Über den Köpfen der Männer schien sich alles Unheil der Welt zusammenzubrauen. „Zeug wegnehmen!" schrie der Seewolf. „Manntaue spannen! Das ist eine Wasserhose!"
61 Während seine Männer eilends die Befehle ausführten, beobachtete Hasard die Erscheinung. Eine Wasserhose, ein tropischer Wirbelsturm, der sich röhrend über das ganze Meer auszudehnen schien-ein grandioses,
aber tödliches Schauspiel der Natur. Heulend raste sie genau auf die „Isabella" zu. Mein Gott, dachte der Seewolf, reißt unsere Pechsträhne denn nie mehr ab?
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 203
Die Brandungswelle von Roy Palmer Das schlimmste von allen Übeln aber war die Wasserhose, die als schwarze Säule zwischen Himmel und See stand, sich hin und her wiegte und donnernd und rauschend in einem grotesken Tanz auf die „Isabella" zuwirbelte. Einem apokalyptischen Reiter gleich, der mit den teuflischen Heerscharen dahingaloppiert, raste sie inmitten der Schlechtwetterfront auf die Galeone zu. Zwar hatte Hasard die Sturmsegel setzen und alle anderen Segel bergen lassen, Manntaue waren gespannt und die Luken verschalkt, aber hier konnten die Seewölfe nur noch beten . . .
Die seemännische Sprache von A-Z Schottür
Schotwinsch
Schouw
Schralen
Schrapen
Schratsegel
eine wasserdicht verschließbare Tür in einem Schott, meist mit Vorreibern ausgestattet, die die Tür an die Füllung pressen. auch Schotwinde, siehe Winsch, Vorrichtung zum Durchholen von laufendem Gut wie Schoten, Fallen usw. Plattbodenfahrzeug mit einem nach vorn und achtern ansteigenden Boden. Seitenkanten und Boden werden vorn und achtern von einem Bord begrenzt dem Vorbord und dem Achterbord. Die sogenannte Salmschouw bildet hierbei eine Ausnahme. Der Boden ist vorn stark aufgekrümmt und reicht in einem Punkt fast bis ans Deck. Man unterscheidet die Friesische Schouw (eine offene Schouw), die Kajütschouw und die Seeschouw. Letztere wird bei den Holländern auch „Speckschüssel" genannt. Wegen der niedrigen Baukosten und der einfachen Bauweise werden gegenwärtig viele Seeschouwen als Fahrtensegler aus Stahl gebaut. Bei einer Länge von etwa neun Metern verfügt man in diesen Schiffen über eine angemessene Stehhöhe, die Segeleigenschaften sind, je nach Typ, leidlich bis gut zu nennen. das Drehen des Windes, bezogen auf den jeweiligen Kurs. Der Wind schralt, wenn er vorlicher einfällt. Das bedeutet In den meisten Fällen, daß man dann abfallen muß, um dieser ungünstigen Winddrehung zu begegnen. Das Gegenteil von Schralen ist Räumen (siehe dem). das Abziehen oder Abkratzen von alter Farbe oder Rost am Schiffsrumpf vor dem Neuanstrich. Als Handwerkszeug dient dazu der Schraper, der einen langen Handgriff hat, auf dessen Ende rechtwinklig eine dreikantige, angeschärfte Stahlplatte als Klinge auswechselbar angebracht ist. Kollektivbezeichnung für alle dreieckigen und trapezförmigen Segel, die in Längsrichtung zum Schiff gefahren werden. Alle modernen Segelboote und Yachten sind schratgetakelt, seien es die am Mast gesetzten Segel wie Großsegel, Besansegel, Hochsegel oder Gaffelsegel, oder seien es alle Stagsegel wie Fock, Klüver, Flieger usw. Im Gegensatz zu ihnen stehen die viereckigen Rahsegel der Vollschiffe. Sie werden an Rahen in Querschiffsrichtung gefahren.
Schraube
Schricken Schrick in die Schot
Schrottau
Schubschiff
Schulschiff
1. siehe Propeller. 2. scherzhafte Bezeichnung für den Zylinderhut, der zur Zeit der alten Segelschiffe von den KaDitänen als Zeichen ihrer Kapitänswürde getragen wurde. 3. auch „Chinesische Halse" genannt, die schraubenartige Verwindung eines Gaffelsegels beim Halsen (siehe dem), wobei durch zu langsames Dichtholen der Großschot der Baum während der Halse regelrecht hochsteigt und mit dem unteren Teil des Segels übergeht, während der obere Teil mitsamt der Gaffel auf der anderen Seite bleibt. In dieser Situation ist das Gaffelsegel mit sich selbst „überkreuz" - man spricht von einer Schraube oder „Chinesischen Halse". Einzige Möglichkeit, diesen gefährlichen Zustand zu verändern: Dichtholen des Segels, um dadurch den Baum wieder auf die Seite der Gaffel zu bringen. eine Trosse, Leine oder Schot stückweise etwas Lose geben, das heißt, auffieren. Bezeichnung für ein kurzes Auffieren der Schot, die dann wieder festgehalten wird. Ein kurzer Schrick ¡st meist bei Am-Wind-Kursen üblich, um einen zu starken Druck aus dem Segel zu nehmen, bei dem das Segelfahrzeug zu weit überkrängt. Bezeichnung für ein Tau, das mit seinem einen Ende fest an einem Pfahl oder Ring auf dem überhöhten Arbeitsplatz angeschlagen ist und mit beiden Parten eine Last wie z. B. ein Faß, einen Ballen oder eine Spiere unterfängt, wobei das andere Ende des Taus mit Muskelkraft die Last wegfiert oder aufholt. Das Schrottau dient also dazu, Lasten auf einer schiefen Ebene oder direkt senkrecht zu bewegen. auch Schubboot genannt, Fahrzeug mit breiter Stirnfläche, das die Funktion eines Schleppers im umgekehrten Sinn erfüllt - der Verband der Transporteinheiten wird nicht geschleppt, sondern geschoben. für Ausbildungszwecke vorgesehenes Schiff, so das Segelschulschiff, das Artillerieschulschiff, Torpedoschulschiff, Maschinistenschulschiff usw. Der Begriff Schulschiff dürfte bei den Handels- und Kriegsmarinen unterschiedlich gehandhabt werden. Im eigentlichen Sinn einer allgemeinen seemännischen Ausbildung ist das Segelschulschiff der Prototyp des Schulschiffes. So ist z. B. die Bark „Gorch Fock", 1958 in Hamburg gebaut, Schulschiff der deutschen Bundesmarine. Als stationäres Schulschiff dient das Vollschiff „Deutschland".