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1. Orlando Romano, Eigner und Kapitän eines Küstenseglers, ließ sich lächelnd auf einem Holzpoller nieder. Jetzt, da sie den kleinen Hafen des noch winzigeren Fischerdorfes Cabanas erreicht hatten, hatte er nichts mehr zu tun. Er brauchte ein-
fach nur dazusitzen und alles andere Durango zu überlassen. Durango war das, was Romano eine „Verkaufskanone" nannte. Vor zwei Jahren hatte er ihn in seine kleine Mannschaft aufgenommen, Anfangs war er skeptisch gewesen. Der Mann mit der hellbraunen Hautfarbe und dem fröhlichen, ewig
4 grinsenden Gesicht schien ihm eher eine Landratte als ein leidlich guter Seemann zu sein. Doch Durango, der Kreole, der von sich behauptete, ein reinblütiger Franzose zu sein, hatte sich als äußerst gelehriger Schüler an Bord der Zweimastschaluppe erwiesen. Das, was ihm an Wissen und Können noch mangelte, hatte er sich sehr schnell angeeignet. Inzwischen kannte er sich bestens in der Seemannschaft aus - und er hatte auch noch andere Qualitäten entwickelt, die für Romano von höchstem Wert waren. Niemand konnte die Waren besser an den Mann bringen als Durango, niemand verstand sich besser aufs Feilschen und Verkaufen als er. Seine Kameraden konnten getrost die Hafenkneipe aufsuchen und sich genüßlich mit Wein und Rum vollaufen lassen. Sie waren ihm jetzt ohnehin nur im Weg. Romano verfolgte amüsiert, wie Durango auf dem Mitteldeck die Stoffballen und Werkzeuge, die Netze, Angelruten und Haken ausbreitete, aus denen die Ladung bestand. Die Schaluppe war ein typischer Küsten-Handelssegler, der die kleineren Orte wie Cabanas mit allem Erforderlichen versorgte, also die Lükke schloß die die großen Handelsgaleonen und die Geleitzüge in der Neuen Welt offenließen. Gleichzeitig war das Auftauchen solcher Schaluppen und Pinassen immer ein Ereignis. Alles, was im Dorf Beine hatte, lief zusammen, bestaunte und befingerte die Waren und ließ sich be-
richten, was es anderswo an Neuigkeiten gab. Cabanas war an einer geschützten Bucht errichtet worden, die sich an der Nordküste von Kuba öffnete, etwa zwanzig Meilen östlich der Bahia Honda und gut fünfunddreißig Meilen westlich von Havanna. Fischer lebten hier mit ihren Familien in knapp zwei Dutzend Häusern, die teils aus groben Steinen, teils aus dicken Baumstämmen gebaut worden waren. Es gab eine Spelunke und eine kleine Werft, außerdem noch ein paar Werkstätten direkt am Hafen. Ein paar Huren, Herumtreiber und Seeleute sowie ein ständig betrunkener Greis, der in einer Tonne schlief, gehörten zu dem üblichen Bild, das Romano und seine Männer schon kannten. Heute, am Vormittag des 14. Juli 1594 waren sie zum zwanzigsten Male hier. Außer den üblichen Waren konnte Durango noch einen besonderen Artikel anbieten, nämlich Stoffe aus dem fernen, geheimnisvollen China. Romano hatte sie in Havanna übernommen. Dort waren sie an Bord einer Galeone aus Vera Cruz eingetroffen. Nach Vera Cruz wiederum waren die Ballen auf dem Landweg von Acapulco aus gelangt. Dort hatte sie die legendäre ManilaGaleone vor mehr als vier Wochen gelöscht. Durango verstand es, diese seltene Ware entsprechend anzupreisen. Er drapierte die verschiedenfarbigen Stoffe kunstvoll und mit geschickten Fingern, er strich mit den Händen darüber wie über etwas unermeßlich
5 Wertvolles, er tanzte und sang und lockte die Kundschaft allein durch seine Gebärden an. Am Kai drängten sich die Menschen. Die Neugierde siegte, die ersten Frauen marschierten über die Holzpier, an der die Zweimastschaluppe zwischen einigen größeren Fischerbooten vertäut lag. Schon enterten sie das Schiff und bedrängten Durango mit ihren Fragen. „Was ist denn das für ein Stoff, Durango?" „Woher hast du ihn?" „Was kostet er?" Durango schlug die Hände zusammen und warf einen Blick zum Himmel. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre auf die Knie gesunken. „Ein Geschenk Gottes, Mama", sagte er zu der dicken, energischen Spanierin, die unmittelbar vor ihm auf dem Deck stand, die Fäuste in die Seiten stemmte und ihn aus großen dunklen Augen musterte. „Mehr als Gold und Silber. Seide! Seide aus China! Viele flinke Hände haben Jahre gearbeitet, um dieses kostbare Material zu spinnen." „Übertreib nicht", sagte eine andere Frau. „Wenn das Zeug zu teuer ist, bleibst du darauf sitzen." „Wieviel?" fragte die Dicke. „Raus mit der Sprache." Durango grinste breit. „Nimm einen ganzen Ballen, Mama, du wirst es nicht bereuen. So was bekommst du nie wieder. Du kannst zehn Kleider für dich nähen und Sachen für deine Kinder. Oh, die Chiquitos werden glücklich sein!"
„Wieviel?" fragte sie noch einmal, diesmal drohend. „Nur zehn Piaster pro Ballen." „Wahnsinn!" rief die Dicke. „Darauf lasse ich mich nicht ein! Du bist ein Halsabschneider, Durango - und ein Schlitzohr obendrein!" „Nein!" stieß er, jetzt verzweifelt wirkend, mit rollenden Augen hervor. „Tu mir das nicht an! Bedenke doch, wie teuer die Männer dafür bezahlt haben, die dieses Tuch über den Großen Ozean zu uns gebracht haben! Viele sind in Stürmen umgekommen, andere durch Krankheiten! Überhaupt ist es ein Wunder, daß man sie in China nicht in tausend Stücke gehackt und den Drachen zum Fraß vorgeworfen hat!" „Was?" rief eine jüngere Frau in ungläubigem Entsetzen. „In China gibt es Drachen? Etwa feuerspeiende?" „Nein, aber menschenfressende", erwiderte Durango mit unerwartetem Ernst. „Und die zopftragenden Gelbmänner fressen Würmer, Affen und Ratten." „Wie schrecklich", sagte die Dicke. Unwillkürlich schüttelte sie sich. Ihre Neugierde wuchs immer mehr, sie berührte einen der Ballen mit den Fingerspitzen. „So weich", sagte sie. „Unglaublich." „Und doch wahr, Mama", sagte Durango. Nun grinste er wieder. „Diesen herrlichen Ballen, der mehr wiegt als die anderen, überlasse ich dir zu einem Vorzugspreis von neun Piastern." „Zu teuer", sagte sie. „Mein Alter
6 bringt mich um, wenn ich damit nach Hause komme." „Ich glaube nicht, daß er es schafft!" rief Durango mit heller, singender Stimme. „Eine Frau wie du weiß sich zu behaupten und läßt sich nicht unterkriegen, Señora!" Er hob den Ballen hoch und rollte ein paar Fuß Stoff ab, die er ihr probeweise gegen den mächtigen Leib hielt. „Diese Farbe, Muchacha - sie steht dir prächtig! Ho, wenn du dich im Spiegel sehen könntest!" „Hast du keinen Spiegel dabei?" fragte sie. Er lachte. „Doch, ich habe einen." Er bückte sich, zog den Spiegel unter einem der Ballen hervor und hielt ihn ihr hin. „Achteinhalb Achterstücke - für dich, Mama! Weil du es bist! Greif zu! So ein Angebot kriegst du nie wieder!" „Fünf", sagte sie grollend. Weinerlich verzog Durango sein Gesicht. „Willst du mich ins Unglück stürzen? Mein Capitán läßt mich über Bord werfen, wenn ich diese duftenden Tücher des Orients verschenke. Meine Kinder nagen am Hungertuch und sterben!" Die Frauen lachten. „Du hast ja gar keine Kinder, du Schwindler!" rief die Dicke. „Du kennst mein Leben nicht", sagte Durango. Fast drohten ihm ein paar dicke Tränen über die Wangen zu rollen. „Ich bin ein unglücklicher Mann. Meine Familie lebt in Paris und muß betteln gehen, um sich am Leben zu erhalten." „Kein Wort glaube ich davon", sag-
te die Dicke. „Fünfeinhalb Piaster, mein letztes Wort." So ging es weiter. Sie feilschten und handelten, das Deck füllte sich mit immer mehr Menschen. Die Leute von Cabanas hatten ihren Spaß an dem Geschäft, das Handeln gehörte dazu. Auch Orlando Romano bereitete die Sache Vergnügen - vor allen Dingen deshalb, weil Durango den Ballen Seide schließlich doch für acht Piaster verkaufte und somit hundert Prozent Gewinn erzielte. Vier Piaster hatten sie in Vera Cruz für jeden Ballen bezahlt. Dennoch war das, was Durango verlangte, kein Wucher. Er selbst hatte Romano oft genug vorgerechnet, was die Überfahrt, der Unterhalt des Zweimasters und die Mannschaft für ihn an Kosten brachten. Durango, das Schiff und die Leute von Cabanas wurden auch von dem Mangrovendickicht an der westlichen Seite des Ufers aus beobachtet heimlich. Vier abenteuerlich gekleidete, wilde Kerle dunkler Hautfarbe und eine schwarze Frau richteten ihre Blicke auf die Zweimastschaluppe. Schon jetzt stand für sie fest, daß sie dieses Schiff haben mußten, dieses und kein anderes. In Havanna betrat zur selben Zeit ein weißhaariger, knorriger alter Mann die im Keller der Gouverneursresidenz eingerichtete Küche. Er trug zwei große selbstgeflochtene Körbe bei sich, einen in jeder Hand, die mit den Blättern von Feigenbäumen zugedeckt waren.
7 Jordano, der stämmige Küchenmeister, blickte von seiner Arbeit auf. Ein Lächeln glitt über seine Züge. Amando, der Alte mit dem von Runen durchzogenen Antlitz, war ihm immer ein willkommener Gast. Wie alt er genau war, wußte er nicht, er hatte ihn nie danach gefragt. Es war auch nicht wichtig. Amando war steinalt und doch jung, in seinen hellen, scharfen Augen funkelte es stets unternehmungslustig. Er hatte mehr Energie als mancher junge Mann und war bewundernswert gesund und kräftig. Amando war ein guter, aber auch harter Mann. Nichts in seinem Leben war ihm geschenkt worden, er hatte sich alles erarbeiten und erkämpfen müssen. Mit seiner Tätigkeit als Fischer und Lieferant für den Hof von Havanna hatte er sein Auskommen. Die Insel in der Bucht, auf der er lebte, betrachtete er als sein „Reich", und in Havanna selbst kannte er sich bestens aus. Dies wiederum gereichte seinem Gast zum Vorteil, der bei ihm Unterschlupf gefunden hatte: Don Juan de Alcazar. Amando hütete sich, mit irgend jemandem über sein Geheimnis zu sprechen. Auch Jordano, der Küchenmeister, durfte nicht andeutungsweise etwas davon erfahren. Bei aller Freundschaft konnte es schließlich doch sein, daß er sich bei Don Antonio de Quintanilla, dem Gouverneur, anzuschmeicheln versuchte, indem er ihm etwas verriet. Nein, Don Juan mußte vorläufig versteckt gehalten werden, das war Amando völlig klar. Er selbst konnte
schweigen wie ein Grab. Aus ihm bekam keiner etwas heraus. Don Juan wurde überall gesucht, der Gouverneur trachtete ihm nach dem Leben. Ein weiterer Mord aber - es wäre nicht der erste gewesen - mußte um jeden Preis verhindert werden. „Einen schönen guten Tag, Amando!" rief Jordano. „Sag nur nicht, daß du heute keine Bachforellen gefangen hast." „Ich sage es nicht. Ich habe sie." Amando grinste und setzte seine Körbe auf einer der Marmorplatten ab, die den Köchen als Ablage und Arbeitsfläche dienten. Er entfernte die Feigenblätter, und Jordano warf einen Blick hinein. Seine Lippen spitzten sich, er stieß einen leisen, anerkennenden Pfiff aus. „Alle Achtung", sagte er. „Das sind ja mehr als zwanzig Stück." „Dreißig", sagte Amando nicht ohne Stolz. „Und einige Zander und Umber sind auch wieder dabei, wie du siehst." Er blickte sich nach allen Seiten um und vergewisserte sich, daß sie nicht beobachtet wurden. „Der dickste und größte Fisch ist für dich, ich schenke ihn dir." „Im Ernst?" „Mit meinen Fischen mache ich keine Witze", entgegnete Amando trocken. „Das weißt du." „Danke", sagte der Küchenmeister, dann zog er seinen Fisch aus dem Korb und ließ ihn verschwinden. Der Rest des Fanges wanderte in große Tonbehälter, die in einem riesigen Bassin durch fließendes Quellwasser gekühlt wurden. Eine andere Möglichkeit, Fisch und Fleisch in der
8 Wärme vor dem Verderben zu bewähren, gab es nicht. Jordano zahlte dem Alten seinen Lohn für den Fang, dann begaben sie sich in einen Nebenraum, und Jordano schenkte großzügig Rotwein direkt vom Faß in zwei Zinnbecher. Sie stießen miteinander an und tranken auf weiterhin gute Geschäfte. Eine Hand wäscht die andere, von diesem Prinzip ging auch Amando aus. Mit dem Küchenmeister hatte er sich schon immer gut verstanden, und auch sonst unterhielt er zum Küchenpersonal die besten Beziehungen. Was er wissen wollte, das erfuhr er. Er konnte kommen und gehen, wann er wollte, und oft schon war er zum Essen hiergeblieben. Fast gehörte er, wie eine der Wäscherinnen immer sagte, „zur Familie". Amando nutzte seine Verbindungen in der Residenz aus. Don Juan war erpicht darauf, zu erfahren, was sich in Havanna tat. In der Residenz hatten die Wände Ohren, das bedeutete, daß einem Mann wie Jordano kaum etwas verborgen blieb. So hockten sie zusammen, scherzten und tranken und unterhielten sich wie beiläufig darüber, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Jordano wußte eine Menge zu berichten - und Amando prägte sich alles genau ein. Sein Gedächtnis war vorzüglich, sein Geist funktionierte trotz seines Alters hervorragend. Don Juan de Alcazar, dachte er, du wirst staunen.
Unausgesetzt blickte die Black Queen nach Cabanas hinüber. Die Zweimastschaluppe, auf der ein reger Handel eingesetzt hatte, fesselte ihre Aufmerksamkeit. Sie überlegte, wie sie sie am besten kapern und aus dem Hafen entführen konnte. Die Queen war mit dem geretteten Beiboot ihres vernichteten Zweimasters in die unmittelbare Nähe der Bucht von Cabanas gesegelt und gelandet. Das Boot war versteckt worden, es konnte so leicht nicht entdeckt werden. Vier Kerle der Crew waren noch bei ihr. Caligula war mit den vier anderen an der Bahia Honda zurückgeblieben. Die Queen hätte Caligula im Grunde gern mitgenommen, aber sie rechnete sich aus, daß die zurückgebliebenen Kerle leicht auf dumme Gedanken verfallen konnten. Immerhin war die Versuchung groß: Leicht hätten sie sich an der Schatztruhe oder den Silberbarren vergreifen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden können. Darum mußte Caligula bei ihnen zurückbleiben. Die Queen wollte indessen nicht mehr und nicht weniger erreichen, als sich einen neuen Segler zu besorgen, nachdem sie ihre Zweimastschaluppe im Kampf gegen die Spanier verloren hatte. Drei Wachschaluppen aus Havanna hatten sie in der Bahia Honda, etwa fünfundfünfzig Seemeilen westlich von Havanna, befeuert und in die Enge getrieben. Schließlich, in der Flußmündung, hatten die Queen und ihre Kumpane die Schaluppe aufgeben müssen.
9 Sie hatten sich aber unter Mitnahme einer Schatztruhe, eines Haufens erbeuteter Silberbarren sowie Waffen und Proviant in den Dschungel absetzen können. Dementsprechend war die Stimmung der Black Queen. Ihr Gesicht war verzerrt, sie sprach kaum mit ihren Begleitern. Wieder hatte sie eine Niederlage hinnehmen müssen. Was sie jedoch besonders erbitterte, war die Tatsache, daß sie nicht wußte, was unterdessen in Havanna geschehen war. Waren die Schiffe schon ausgelaufen? Holte der Gouverneur endlich zum entscheidenden, vernichtenden Schlag gegen die Schlangen-Insel und ihre Bewohner aus? Ihre Rache am Bund der Korsaren war zu einer fixen Idee geworden. Sie dachte an nichts anderes mehr, sie hatte nur noch den einen Wunsch, der an Besessenheit grenzte: Philip Hasard Killigrew mußte sterben, und mit ihm mußte die ganze „Rattenbrut" vernichtet werden: SiriTong, Jean Ribault, der Wikinger und alle übrigen „Bastarde und Hurensöhne", die es gewagt hatten, ihr das Recht der Vorherrschaft in der Karibik zu entreißen. Caligula wurde die ganze Sache allmählich etwas unheimlich. Zwar hatte er schon wieder die Koje mit der Queen geteilt, aber sie hatte sich seit ihrer schweren Verletzung, die ihr El Tiburón zugefügt hatte, merklich verändert. Das behagte ihm nicht, aber er hütete sich, es sich anmerken zu lassen. Oft genug hatte sie ihn auf drastische Art gemaßregelt
und zurechtgewiesen. Auch davon hatte er die Nase voll. Jetzt hatte sie wieder einen Plan. Aus schmalen Augen beobachtete sie die Zweimastschaluppe, die zwischen einigen größeren Fischerbooten an der Pier vertäut lag. Wenn sie schon zunächst mit „stinkenden Fischerbooten", wie sie sie nannte, vorlieb nehmen mußte - in Ermangelung besserer Gelegenheiten -, dann wollte sie sich wenigstens den besten Kahn von allen aussuchen. Der Zweimaster war das richtige Fahrzeug für sie, sie wollte ihn haben, koste es, was es wolle. „Auf dem Kahn ist einiges los", murmelte einer ihrer Begleiter. „Er muß so eine Art Handelssegler sein." „Im Küstenverkehr", sagte die Queen. „Stimmt." Sie verfolgten, wie die schnatternden Frauen und der lachende, tanzende Kreole ihren Standort allmählich auf die Pier verlagerten. Immer mehr Ware wechselte ihren Besitzer, zunächst die Tuchballen, dann auch die Werkzeuge, die Netze, Angelruten und Haken. Auch die Männer von Cabanas nahmen mittlerweile an dem regen Handel teil, und viele Piaster und Reales wanderten in die Schatulle von Orlando Romano. „Seht ihr das?" zischte die Queen. „Da wird dick kassiert! Wir müssen auch die Schatulle haben, verstanden?" „Ja, Queen", erwiderten die Kerle. „Der Kahn sieht seetüchtig, stabil und gesund aus", murmelte sie. „Es fragt sich jetzt nur, ob er nach dem Markt, der da abgehalten wird,
10 gleich weitersegelt oder über Nacht an der Pier bleibt." „Er bleibt", brummte einer der vier. „Die Besatzung will sich noch ordentlich vollaufen lassen." „Ich hoffe, daß du recht behältst", sagte sie zynisch. „In deinem eigenen Interesse." Er biß sich auf die Unterlippe. Hatte er zuviel gesagt? Fast bereute er, überhaupt den Mund geöffnet zu haben. Konnte man in ihrer Gegenwart nicht einmal mehr seine Meinung kundtun oder eine Vermutung äußern? Es hatte den Anschein. Was war los mit ihr? Sie hatte sich in eine blindwütige Fanatikerin verwandelt. Sie war unausstehlich und gereizt und zeigte bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit die Krallen. Die Stunden verstrichen, die Zeit des Ausharrens im Mangrovendikkicht wurde unendlich lang. Im Einsetzen der Abenddämmerung und beim Dunkelwerden stellte sich jedoch heraus, daß das Warten nicht umsonst gewesen war - und die Laune der Black Queen besserte sich wieder etwas. Die Zweimastschaluppe lief nicht aus, sie blieb an der Pier liegen. Deutlich genug konnten die fünf Piraten noch verfolgen, wie sich der Kapitän und die Mannschaft in Richtung auf die Hafenkneipe entfernten. Die Schatulle mit dem Geld war vorher unter Deck verschwunden, auch das hatte die Queen beobachten können. Nur ein Seemann blieb als Wache an Bord des Zweimasters zurück. Er gehörte zu der Gruppe, die sich be-
reits seit dem Morgen in der Kneipe aufgehalten hatte, während der Kreole Durango mit dem Verkauf der Ladung beschäftigt gewesen war. Der Mann - er hieß Santino - war inzwischen wieder halbwegs nüchtern. Romano wußte, daß er sich auf ihn verlassen konnte. Mit einem Überfall auf den Zweimaster rechnete er nicht - nicht im Hafen von Cabanas, wo noch nie etwas Derartiges geschehen war. 2. Santino war ein pflichtbewußter Seemann. Leicht hätte er die Gelegenheit zu einem Schläfchen nutzen können - er war allein, und niemand kontrollierte ihn. Aber er tat es nicht. Er stand auf dem Vordeck der Zweimastschaluppe und ließ seinen Blick immer wieder aufmerksam in die Runde wandern. Er grinste, als er das Gelächter und Grölen aus der Kneipe vernahm. Die Kameraden ließen die Mäuse auf dem Tisch tanzen, der Capitán gab eine Runde aus und hielt mit. Er war schon immer ein feiner Kerl gewesen, dieser Orlando Romano, großzügig und gerecht. Man fuhr gern unter seinem Kommando. Wenn die Geschäfte gut verliefen, legte er auf die normale Heuer gern noch ein paar Silberlinge drauf. Das war natürlich auch Durangos Verdienst. Alle mochten ihn, jeder schätzte ihn. Viel von dem, was die Schaluppe geladen hatte, war wieder
11 einmal verkauft worden, und am nächsten Morgen würde der Capitán die Heuer auszahlen. Auch das wurde gefeiert, und manch einer setzte schon jetzt seinen Vorschuß in Wein und Rum um. Zu vorgerückter Stunde würden die meisten auch mit den Huren in den Hinterzimmern verschwinden. Vielleicht war er, Santino, dann wieder mit dabei. Um Mitternacht wurde er abgelöst. Wenn er nicht zu müde war, unternahm er noch einen Abstecher in die Kneipe. Die Rothaarige mit dem üppigen Busen, die immer wie eine Raubkatze zwischen den Tischen herumschlich, hatte es ihm angetan. Sie war neu in Cabanas, erst vor zehn Tagen eingetroffen. Santino nahm sich vor, den Hafen nicht zu verlassen, ohne sich ein wenig mit ihr vergnügt zu haben. Er ahnte nicht, daß er dazu keine Gelegenheit mehr erhalten sollte. Ein Schatten huschte im Dunkeln vom Mangrovendickicht zu den ersten Häusern von Cabanas und schlich - jede Deckungsmöglichkeit geschickt ausnutzend - auf die Piers zu. Ungesehen schlüpfte er unter die Pier, tauchte ins Wasser und schwamm auf die Fischerboote zu. Sein Messer hatte er zwischen die Zähne genommen. Er war nackt bis auf einen Lendenschurz. Seine Haut war pechschwarz, sein Körper verschmolz vollendet mit der Dunkelheit, und auch im Wasser war er nicht zu erkennen. Ohne einen Laut zu verursachen, glitt er unter den Bug der Zweimastschaluppe, verharrte, lauschte und schob sich dann
an der Bordwand der Backbordseite bis zum Heck. Santino schritt vom Vordeck nach achtern, hielt routinemäßig Umschau und begab sich wieder nach vorn zurück. Er verharrte, stützte sich mit beiden Händen auf das Schanzkleid und sah zu der Kneipe. Das Grölen und Lärmen hatte an Lautstärke noch zugenommen. Unwillkürlich mußte er grinsen. Er konnte Durangos Stimme heraushören. Durango schwärmte wieder einmal von Frankreich, „dem Land seiner Herkunft". Er war nie dort gewesen und wußte nicht, wer seine Eltern waren. Aber seine Phantasie kannte keine Grenzen, sie war farbig und bildhaft. Immer fand er Zuhörer, und jeder lauschte ihm gern, weil er ein so guter Erzähler war. Santino bemerkte nicht die dunkle Gestalt, die sich auf das Achterdeck gezogen hatte und lautlos zu ihm glitt. Er wurde erst mißtrauisch, als sie dicht hinter seinem Rücken war. Er fuhr noch herum und griff zur Pistole, aber es war zu spät. Das Messer des Piraten blitzte auf. Santino sah die Klinge auf seine Brust zurasen und wollte sich zur Wehr setzen, aber der Kerl nahm ihn in einen brutalen Klammergriff. Eine feurige Lanze grub sich in Santinos Brust. Wenigstens schreien wollte er noch, doch der Kerl hielt ihm mit einer Hand den Mund zu. Ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, starb Santino auf den Planken des Schiffes. Der Traum von der Rothaarigen, der Gedanke
12 an die Heuer, an Wein und Rum - alles erlosch. Und Cabanas war die Hölle auf Erden. Der Schwarze vergewisserte sich, daß der Seemann auch wirklich tot war, dann huschte er nach achtern, legte beide Hände an den Mund und ließ den Ruf eines Nachtvogels erklingen, den er vortrefflich nachzuahmen verstand. Wenig später tauchten seine Spießgesellen auf - die drei anderen Kerle und die Black Queen. Geduckt schlichen sie über die Pier und begaben sich auf ein Zeichen ihres Kumpanen hin an Bord. Die Queen berührte den toten Santino mit dem rechten Fuß und verzog höhnisch das Gesicht. „Wir werfen ihn draußen ins Wasser", raunte sie. „Los jetzt, löst die Leinen!" Unbemerkt bugsierten sie den Zweimaster von der Pier zum westlichen Ufer der Bucht. Hier zerrten zwei der Kerle das Beiboot aus dem Mangrovengestrüpp und banden es mit der Vorleine an das Heck der Schaluppe. Dann segelte die Schaluppe mit dem Boot im Schlepp aus der Bucht und nahm Kurs auf die Bahia Honda. Der alte Mann von Cabanas, der in der Tonne seinen Rausch ausschlief, wachte für einen Moment auf, blinzelte ins Freie und murmelte etwas Unverständliches. Er glaubte, irgend etwas bemerkt zu haben, wußte aber selbst nicht genau, um was es sich handeln konnte. Gestalten waren an seiner Tonne vorbeigehuscht - oder hatte er das nur geträumt?
Er registrierte nicht, daß die Zweimastschaluppe von der Pier verschwunden war. Er ließ sich zurück auf sein Lager sinken und war im nächsten Augenblick wieder eingeschlafen. So wurde das Fehlen des Zweimasters erst nach Mitternacht entdeckt. Durango verließ zu diesem Zeitpunkt die Kneipe und bewegte sich mit tänzelndem Schritt auf die Pier zu. Er hatte einen Krug Wein mitgenommen, mit Genehmigung des Capitáns. Santino sollte auch nicht verdursten, und einen ordentlichen Schluck Wein hatte er nach der übereinstimmenden Meinung seiner Kameraden jetzt redlich verdient. Durango sang ein Lied von der großen, weiten See und der Braut des Seemanns, die zu Hause weint, aber plötzlich blieben ihm die Worte buchstäblich in der Kehle stecken. Wie angewurzelt blieb er stehen und blickte auf den leeren Platz zwischen den Fischerbooten. „Das - das kann nicht wahr sein", stammelte er. Der Krug entglitt seiner Hand und zersprang klirrend auf den Pflastersteinen. Der Alte in der Tonne wurde erneut wach und begann, mörderisch zu fluchen. Durango wirbelte herum, lief zu der Kneipe, riß die Tür auf und schrie: „Das Schiff ist weg!" Alle fuhren zu ihm herum. Eben hatte noch Lärm geherrscht, jetzt trat Totenstille ein. „Das ist ein schlechter Witz, Durango!" rief Capitán Romano. „Oh, Señor!" stieß Durango ver-
13 zweifelt hervor. „Es ist kein Witz, glauben Sie mir!" Die Männer und Frauen stürzten ins Freie, allen voran Romano. Nun konnten sie sich selbst davon überzeugen, daß es stimmte. Die Schaluppe war verschwunden - und mit ihr die Ladung und die Geldschatulle. Wo war Santino? Daß er nicht den Verstand verloren hatte und allein geflohen war, wußte Romano genau. Von allein konnte der Zweimaster auch nicht verschwunden sein, er war sachgemäß vertäubt gewesen.
wußte genau, auf welchen Platz sie zusteuern mußte. Wenig später fand das Wiedersehen statt. Caligula und die vier Kerle wurden samt Schatztruhe, Silberbarren und Ausrüstung an Bord der Zweimastschaluppe übernommen. Caligula klopfte anerkennend mit der Hand auf das Schanzkleid. „Ein feiner Kahn", sagte er. „Damit läßt sich einiges anfangen. Er ist besser als der, den wir vorher hatten, scheint mir." „Ja, stimmt", pflichtete die Queen ihm bei. Also gab es nur noch eine MöglichSie wechselten nur noch wenige keit. Worte, dann gab sie ihre knappen „Entführt", sagte Romano fasBefehle. Danach kehrte sie in die sungslos. „Sie haben uns den Kahn winzige Kammer des Capitáns Orgestohlen." lando Romano zurück, wo sie schon „Wer?" fragte Durango. vorher gesessen und das Geld aus der „Wenn ich das wüßte!" Romano Schatulle gezählt hatte. Sie schloß fuhr zu seinen Männern herum. „Los, ihre Tätigkeit ab und dachte: „Ein beschafft Boote! Und Waffen! Wir hübscher Batzen." müssen versuchen, unsere Schaluppe Die anderen brauchten gar nicht wiederzufinden!" erst zu erfahren, um welche Summe Wenig später liefen sie aus. Die es sich handelte. Sie verschwieg es ganze Bucht wurde abgesucht. Aber ihnen einfach. Die Schatulle verbarg im Licht der Pechfackeln, die ange- sie unter der Koje, das Geld sollte zündet wurden, fanden sie nur die im nur ihr gehören. Dann streckte sie Wasser treibende Leiche von Santi- sich auf dem Lager aus, um noch ein no. Sie bargen sie, ehe die Haie ihre bißchen zu schlafen. grausige Mahlzeit halten konnten, Noch in dieser Nacht gingen die Piund kehrten nach Cabanas zurück, raten wieder auf Ostkurs, um nach um den armen Teufel zu bestatten. Havanna zurückzusegeln. Auf drei, Durango wußte nur, daß er nie mehr vier Meilen Distanz steuerten sie noch singen würde. einmal an der Bucht von Cabanas Zur selben Zeit erreichten die vorbei - ungesehen von den BewohBlack Queen und ihre Kumpane die nern und Capitán Romano und seiBahia Honda. Caligula und die vier ner kleinen Mannschaft, die um den anderen warteten im Uferdickicht. toten Santino trauerte. Rachepläne Ein Pfiff ertönte, und die Queen wurden geschmiedet. Man nahm sich
14 vor, im Morgengrauen die Verfolgung der Galgenstricke aufzunehmen. Aber wo sollte man sie suchen? Keiner wußte es. Für Romano und seine Männer blieb es ein Geheimnis, wer der Mörder und der Dieb der Schaluppe war. * Amando und Don Juan hockten wie zwei Verschwörer auf dem Strand der kleinen Insel in der Bucht von Marimelena zusammen. Sie tranken von dem Rum, der zu den Vorräten des Alten gehörte, und Amando berichtete von allem, was er in Havanna vernommen hatte. Die Nacht war warm. Man konnte im Freien schlafen, ohne zu frieren. Die kleine Insel war eine Oase des Friedens und der Unveränderlichkeit, Don Juan de Alcazar fühlte sich hier wohl. Er konnte über das, was hinter ihm lag, ausreichend nachdenken und seine nächsten Schritte planen. Amando hatte sich Zeit gelassen und war erst spät auf das Eiland zurückgekehrt. „Ich dachte, es ist richtig, gründlich vorzugehen", sagte er jetzt nach dem ersten Schluck Rum. „Also habe ich mich genau davon überzeugt, ob alles, was Jordano mir erzählt hat, auch Hand und Fuß hat. Ich habe mich aufmerksam umgehört, auch in den Kneipen und Spelunken." „Sehr gut, Amando", sagte Don Juan. „Ich weiß nicht, wie ich dir dafür danken soll." „Wenn du es nicht weißt, Señor,
dann tust du's eben ganz einfach nicht. Oder?" Don Juan grinste. Der Alte hatte eine verschmitzte Miene aufgesetzt. Don Juan wußte, wie er seine Bemerkung zu verstehen hatte. Amando wollte keinen Dank. Lobende Worte waren ihm peinlich und ließen ihn verlegen werden. Daß er einen so hohen Gast wie Don Juan in seiner ärmlichen Hütte beherbergen durfte, war für ihn schon eine Auszeichnung. Daß er ihm, dem Sonderbeauftragten der spanischen Krone, zu helfen vermochte, war sein ganzer Stolz und die größte Genugtuung seines Lebens. „Also", sagte Amando. „Wie üblich habe ich meinen Fisch abgeliefert, und Jordano hat einen dicken Umber gekriegt. Wie du siehst, verteile ich sogar Schmiergeld, Señor." Don Juan war brennend an den jüngsten Ereignissen in Havanna interessiert. Er konnte kaum erwarten, sie aus Amandos Mund zu erfahren. Aber er hütete sich, den Alten zu drängen. Amando holte gern ein bißchen weitschweifig aus, das war so seine Art, zu berichten. Er erzählte von Jordano, dem Küchenmeister, dem Fisch und dem Wein, aber dann kam er zur Sache. Er trank noch einen Schluck Rum, dann sagte er: „Die letzte Neuigkeit ist das Gerücht, daß du, Señor, mit einer Zweimastschaluppe und einem Negerweib geflohen seist. Der Zweimaster ist zwar von Küstenwachbooten gestellt und vernichtet worden, aber man hat niemanden ein-
15 fangen können. Alle sind entwischt, mit Sack und Pack sozusagen." „Unfaßbar", sagte Don Juan. „Ferner ist der Stadtkommandant eines sehr plötzlichen Todes gestorben", fuhr Amando fort. „Don Ruiz de Retortilla?" „Der. Die Ursache für sein Ableben ist angeblich Herzversagen. Aber mit dem Herzversagen ist das so eine Sache. Daran sind nämlich auch in der Vergangenheit bereits mehrfach Leute verreckt, die mit dem Gouverneur aneinandergeraten waren." „Ich verstehe", sagte Don Juan ernst. „Don Ruiz hat eine Auseinandersetzung mit Don Antonio gehabt. Wahrscheinlich ist Don Ruiz aufmüpfig geworden und hat angedroht, etwas von dem Komplott gegen mich zu verraten." „Ein gefährlicher Mitwisser", sagte Amando grimmig. „Don Antonio, der fette Sack, hat ihn vergiftet, das ist für mich so klar wie Quellwasser. Und das tuschelt man auch in der Residenz. Jedenfalls sind sich die Bediensteten in diesem Punkt einig. Don Antonio ist ein Giftmischer, der sich schon so manchen lästigen Verbündeten auf diese Weise vom Hals geschafft hat." Das Komplott - es war gegen Don Juan de Alcazar geschmiedet worden, damit dieser für ewige Zeiten aus Havanna verschwand und Don Antonio de Quintanilla ungestört seinen Machenschaften nachgehen konnte, die einzig und allein auf Profit ausgerichtet waren. Bei seinem neuesten Unternehmen, dem Angriff auf die Schlan-
gen-Insel, wollte Don Antonio Don Juan um keinen Preis dabeihaben. Deshalb hatte er ihm den Mord an der schönen Samanta de Azorin, die man völlig grundlos umgebracht hatte, in die Schuhe geschoben. Don Antonio de Quintanilla hatte diesen teuflischen Plan ausgeheckt. Auf diese Weise sollte Don Juan ausgeschaltet werden. Er selbst, Don Antonio, konnte ungestört zum großen Schlag gegen die englischen Piraten und deren Versteck bei den Caicos-Inseln ausholen, dessen Lage ihm die Negerin schriftlich und mit einer Markierung auf dem Teil einer Seekarte verraten hatte. Daß Don Juan allerdings die Flucht aus der Residenz gelingen würde, dazu noch mit dem Pferd von Don Ruiz de Retortilla - damit hatte keiner gerechnet, am allerwenigsten der dicke Gouverneur. Und keiner außer Amando wußte, wo Don Juan sich derzeit befand. Einen besseren Vertrauten konnte Don Juan sich nicht wünschen. Amando deckte ihn und versorgte ihn, er hatte sogar den Streifschuß an seiner linken Hüfte verarztet. Amando war in Havanna als harmlos bekannt, niemand verdächtigte ihn, den „Frauenmörder" zu verstekken. Hinzu kam die Tatsache, daß Amando Bachforellen in den Mündungen der Flüßchen und Bäche an der Havanna-Bai fing und sie persönlich in der Residenz ablieferte. Don Antonio schätzte die Forellen als einen besonderen Leckerbissen. Amando aber fühlte sich dadurch
16 nicht daran gehindert, den verdammten Gouverneur samt seiner korrputen „Blase" die Pest an den Hals zu wünschen. „Die verfluchte Palastbande", sagte er in seiner kauzigen Art zu sprechen. „Sie sind allesamt Schmarotzer. Und unsereinen treten sie in den Arsch. Na, ich hoffe ja, daß die Stunde der Abrechnung bald kommt." „Darauf kannst du dich verlassen", sagte Don Juan. „Ich denke nicht daran, mich zurückzuziehen. Ich kämpfe weiter." „Übrigens bin ich mit meinem Bericht noch nicht ganz fertig", sagte Amando. Er räusperte sich und nahm noch einen Schluck Rum, um die „Kehle zu schmieren". „Der Hafenkommandant ist jetzt, nach Don Ruiz' Tod, zusätzlich zum Stadtkommandanten ernannt worden. Ich weiß nicht, ob du diesen Kerl, einen üblen Schleicher und Katzbuckler, kennst." „Don Alonzo de Escobedo?" Don Juan lachte. „Mit dem bin ich auch schon aneinandergeraten." „Er gehört mit zu der Blase und hat klebrige Finger, Señor." „Das glaube ich dir aufs Wort." „Wir sind uns also wieder mal einig?" „Und ob! Du liegst mit deiner Beurteilung genau richtig - bei allen. In dieser Erkenntnis wird mir auch etwas anderes immer klarer. Ich habe es bisher nie so richtig wahrhaben wollen. Die Gouverneursresidenz ist samt der dort herrschenden Clique ein einzigartiger Miststall." „Wobei allerdings der Oberschurke
Don Antonio die Fäden in der Hand hat." „Ja", sagte Don Juan. „Er läßt seine Marionetten daran tanzen - und auch sterben, wie der Fall des Don Ruiz so traurig beweist. Man muß ihm das Handwerk legen. Nicht wegen Don Ruiz, dem trauert keiner nach. Aber es geht ums Prinzip. Kerle wie Don Antonio richten Spanien zugrunde, ohne daß es in der Heimat jemand merkt." „Sollte man ihn nicht am nächsten Kranbalken aufhängen?" „Ja. Aber vorher gibt es einen Prozeß, bei dem er aller seiner Verbrechen angeklagt wird." „Übrigens", sagte Amando. „Noch etwas. Das hätte ich fast vergessen: Don Alonzo hat auf den Befehl Don Antonios hin die Kommandanten von vier im Hafen ankernden Kriegsgaleonen und drei Kriegskaravellen in die Residenz rufen lassen, um was Wichtiges mit ihnen zu besprechen. Das hat mir Jordano, der Küchenmeister, verraten." Er rieb sich die Nase, griff nach der Flasche Rum und trank erneut. „Was daran so wichtig sein soll, habe ich allerdings nicht herauskriegen können." Don Juan wußte es jedoch. Don Antonio de Quintanilla rüstete nunmehr zum großen Schlag gegen den Schlupfwinkel von Philip Hasard Killigrew. „Ich muß unbedingt nach Havanna zurück", sagte er. „Ich kann nicht länger hierbleiben und untätig herumsitzen, Amando. Das mußt du einsehen." „Das sehe ich auch ein", sagte der
17 Alte mit einem Grinsen. „Und dazu jetzt die letzte Neuigkeit, Señor. Die Suche nach dir ist eingestellt worden." „Was? Und das sagst du mir erst jetzt?" „Die Soldaten sind wieder in den Kasernen zusammengezogen worden und haben Ausgehverbot." „Aha. Das deutet darauf hin, daß man sie demnächst auf die sieben Kriegsschiffe einschiffen wird", sagte Don Juan. „Und was hast du jetzt vor, Señor?" „Erst mal die Dunkelheit abwarten. Dann sehe ich weiter." „Vergiß nicht, daß ich in und um Havanna sämtliche Schleichwege kenne, die es gibt." Amando grinste schon wieder. „Und daß es mir nur recht ist, wenn du, Señor, diesem fetten Schwein Don Antonio ein Schnippchen schlägst, das zur Folge hat, daß er entweder an seinem widerlichen Hals aufgehängt oder standrechtlich erschossen wird, was wiederum zur Folge hat, daß das ganze grüne Gift aus ihm rausläuft, das er in sich hat." „Eine gute Rede, Amando", sagte Don Juan. „Es gibt einiges für mich zu tun, und es wird Zeit, daß ich einen Schlachtplan entwerfe. Aber vorher will ich unbedingt mit Arne von Manteuffel reden." „Mit dem deutschen Handelsherrn?" „Mit genau dem." „Ist auf ihn denn Verlaß?" fragte Amando. „Außer dir ist er der einzige wirklich anständige Mensch in Havanna",
versicherte ihm Don Juan. „Wenn es dunkel ist, suche ich ihn auf. Ich will mit ihm sprechen und mich mit ihm beraten." Er streckte die Hand aus, nahm die Flasche von Amando entgegen und stärkte sich mit einem neuen Schluck. „Weißt du, daß dieser Rum verdammt gut ist?" „Ja", entgegnete Amando schlicht. „Deswegen biete ich ihn ja auch nicht jedem an. Nur ehrenhaften Gästen, die den Tropfen wert sind." „Danke. Ich werde ihn vermissen." „Das heißt, du kehrst nicht auf meine Insel zurück?" „Doch, natürlich." „Diese Bedingung stelle ich", sagte Amando ernst. „Sonst bleibst du hier sitzen, und ich biete dir mein bescheidenes Boot gar nicht erst an." „Ich kann auch schwimmen, vergiß das nicht", sagte Don Juan lächelnd. „Du vergißt die Haie, Señor." „Nachts schlafen sie." „Ein altes Märchen. Wir beide wissen, daß es nicht so ist." Amando erhob sich und stapfte zur Hütte. Don Juan folgte ihm. Sie bereiteten sich auf den Abstecher nach Havanna vor. Don Juan war sicher, daß sein Schritt richtig war. Bisher war Arne von Manteuffel noch immer ein guter, sachlicher Ratgeber gewesen. Man konnte ihn fast schon als einen richtigen Freund bezeichnen. Mehr und mehr wurde es Don Juan de Alcazar bewußt, welch hohen Werteine solche Freundschaft aufwies - und daß es andererseits lebensgefährlich sein konnte, sich auf die eigenen Landsleute zu verlassen.
18 wahrloster Fischer, der aus ärmlichen Verhältnissen im spanischen Amando ließ es sich wirklich nicht Mutterland stammte. Nie wäre ihm nehmen, Don Juan zum Hafen hin- eingefallen, sich mit einem Don, eiüberzusegeln. nem Hochwohlgeborenen, zu messen „Mich kennen dort alle", sagte er, oder gar mit einem Adligen und Abals seine Jolle mit geblähtem Segel gesandten des Hofes zu vergleichen. durch die Nacht glitt. „Mich läßt je- Er wußte aber, daß Don Juan in volder passieren, sogar der Gouverneur lem Ernst sprach, und die Äußerunpersönlich." Er spuckte in hohem Bo- gen des Mannes gaben ihm ein Gegen ins Wasser und fügte hinzu: fühl des Stolzes und der Befriedi„Aber der Fettsack liegt in seinem gung, wie er es nie zuvor empfunden Lotterbett und frißt kandierte hatte. Früchte, wette ich." Sie hatten den Hafen fast erreicht, „Eines Tages wird er nur noch da trat tatsächlich das ein, was trockenes Brot essen, Amando." Amando insgeheim erwartet hatte: „Ich hoffe, diesen Tag zu erleben", Ein Wachboot mit vier Spaniern an sagte Amando. Nach einer Weile füg- Bord näherte sich ihnen, und der te er hinzu: „Wenn wir von einem Mann im Bug rief: „He! Wer da? Wachboot gestoppt oder angepreit Nenn deinen Namen!" werden, versteckst du dich am beAmando brauchte Don Juan kein sten unter der Segeltuchpersenning, Zeichen mehr zu geben; Don Juan die achtern liegt." war bereits unter die Segeltuchper„Einverstanden." senning gekrochen. Er kauerte da, „Überlaß es dann ganz mir, mit den ohne sich auch nur um einen Deut zu Leuten zu verhandeln. Ich weiß, wie regen. man das anpackt." „Ich bin's", erwiderte Amando „Davon bin ich überzeugt, Aman- mürrisch. „Amando. Kennt ihr keine do", sagte Don Juan. „Überhaupt - du Leute mehr? Wer ist euer Bootsfühbist einer der gerissensten Kerle, die rer?" mir je über den Weg gelaufen sind." „Ich, der Sargento Diaz", erklärte „Jetzt nimmst du mich aber auf der Mann auf der achteren Ducht des den Arm, Señor." Wachbootes. „Was hast du hier um „Nein", sagte Don Juan. „Ganz ge- diese Zeit zu suchen, Amando? Sag wiß nicht. Das würde ich mir dir ge- nicht, daß du auf Fang aus bist oder genüber nie erlauben. Die Wert- eine Ladung Bachforellen zur, Resischätzung, die du mir gegenüber denz bringst." zeigst, empfinde ich nämlich auch „Doch nicht um diese Zeit", sagte für dich." Amando. „Wenn's dunkel wird, habe Amando blickte unwillkürlich an ich was anderes vor." sich hinunter. Wertschätzung? Er „Was denn?" wollte der Sargento war nur ein einfacher, etwas ver- wissen. 3.
19 „Frage ich dich auch über deine Privatangelegenheiten aus, Sargento?" Die drei anderen Insassen des Wachbootes lachten, aber der Sargento verstand keinen Spaß. „So kannst du mit mir nicht reden, Freundchen! Dreh bei, ich muß dein Boot kontrollieren! Du weißt ganz genau, daß wir unsere Anweisungen haben!" „Ja, Señor", entgegnete Amando. „Aber ich dachte, die Suche nach dem Frauenmörder sei eingestellt worden!" Die Boote glitten aufeinander zu und befanden sich jetzt fast auf einer Höhe. „Das ist sie auch!" rief der Sargento. „Dann kann ich ja wohl auch mein Liebchen besuchen!" rief Amando. „Dein was?" fragte der Sargento. „Mein Liebchen! Ich bin schließlich auch nur ein Mann! Mein Ziel ist die Hafenpinte, klar?" „Holla, und das in deinem Alter!" schrie der Sargento, der nun doch lachen mußte. „Alter schützt vor Torheit nicht!" rief Amando, und die Männer des Wachbootes bogen sich vor Lachen. Die Jolle schob sich an ihnen vorbei. Amando hob die Hand zum Gruß. Die Spanier johlten und pfiffen und wünschten ihm viel Erfolg, und somit war die Angelegenheit, die schon eine unerfreuliche Wende genommen hatte, bereinigt. „Kaltschnäuzig bist du, das muß man dir lassen", sagte Don Juan. „Señor!" zischte Amando. „Sei still,
ich fleh' dich an! Noch sind wir nicht in Sicherheit!" Aber die Männer des Wachbootes konnten schon nicht mehr hören, was an Bord der Jolle gesprochen wurde. Unbehelligt und ohne Aufsehen zu erregen, glitt die Jolle nunmehr in den Hafen und legte wenig später im Schatten eines Lagerschuppens an einer unbewachten Pier an. „Also, Señor", sagte Amando, „ich wünsche dir viel Erfolg. Aber ich warte hier auf dich." „Das kann ich nicht von dir verlangen", sagte Don Juan. „Du hast schon zuviel für mich getan." Amando spuckte wieder einmal ins Wasser. „Wenn's zuviel wird, sage ich schon Bescheid, keine Angst. Ich warte hier. Du könntest das Boot in Kürze wieder brauchen, vergiß das nicht. Vielleicht siehst du dann ein, daß es richtig von mir ist, hier liegenzubleiben und ein paar Löcher in die Nacht zu starren." „Na schön. Warte aber nur zwei Stunden. Wenn ich dann nicht zurück bin, legst du wieder ab." „Und was tue ich danach?" „Du besuchst dein Liebchen", erwiderte Don Juan. Unwillkürlich mußte er grinsen. „Ich hab' keine Frau", sagte der Alte brummig. „Das weißt du so gut wie ich. Ein bißchen Unterhaltung habe ich aber trotzdem mitgebracht." Er klopfte mit der rechten Hand bedeutungsvoll an die ausgebeulte Hosentasche. Darin steckte, wie Don Juan erst jetzt registrierte, eine volle Flasche Rum.
20 „Fühlen Sie sich bei uns wie zu Hause", sagte er. „Danke. Ich will mich aber nicht verstecken, falls es das ist, was Sie meinen." „Sie befinden sich in höchster Gefahr." „Die Gefahr hat etwas nachgelassen." „Don Antonio trachtet Ihnen nach dem Leben", sagte Arne. „Er wird es noch bereuen, mich beJussuf näherte sich lautlos der Tür. Sein Gesicht war mißtrauisch droht und in ein mörderisches Komverkniffen, er traute dem Braten plott verwickelt zu haben." „Sind Sie sicher, daß man Sie nicht nicht. In der letzten Zeit hatte es zu viele unliebsame Begegnungen mit beobachtet hat?" „Ganz sicher", erwiderte Don Juan den Spaniern und unangenehme Besuche in der Faktorei von Manteuffel de Alcazar. gegeben. Es empfahl sich, erst einmal Aber in diesem einen Punkt irrte genau den Sachverhalt zu prüfen, er sich. Genau in diesem Augenblick ehe man die Tür öffnete. Mit anderen löste sich ein Schatten aus einer TorWorten: Ungebetene Gäste wurden einfahrt in der unmittelbaren Nachgar nicht erst eingelassen. barschaft des Handelshauses. Ein So dachte Jussuf. Als er aber mit Mann in der Uniform der Stadtgarde einem prüfenden Blick durchs Fen- entfernte sich und beschleunigte seister Don Juan de Alcazar erkannte, ne Schritte. Sein Ziel war das Haus eilte er sofort zur Tür und entriegelte des Stadtkommandanten, in dessen Büro jetzt Don Alonzo de Escobedo sie. „Señor", sagte er einigermaßen seines Doppelamtes waltete. verwirrt. „Was führt Sie denn zu Don Juan, Arne und Jussuf ahnten uns? Ist das nicht - höllisch gefähr- davon nichts. Sie betraten Arnes Arlich?" beitszimmer, und Jussuf kredenzte „Allerdings", erwiderte Don Juan. mit seinem typisch orientalischen „Aber es gibt einiges zu besprechen." Gebaren einen der besten Weine, den Er trat ein und lächelte. „Würden Sie die Faktorei hatte. Dann zog er sich die Liebenswürdigkeit haben, Señor diskret zurück. de Manteuffel zu rufen, Señor Jus„Kann ich offen mit Ihnen spresuf?" chen, Señor de Manteuffel?" fragte Das brauchte Jussuf aber nicht Don Juan. mehr zu tun. Arne war sofort zur „Ja, natürlich." Stelle und begrüßte seinen Gast lä„Sicher haben Sie von den Ereigchelnd. nissen in der Residenz vernommen." Don Juan huschte von Bord und tauchte in der Nacht unter. Minuten später klopfte er leise an die Tür der Faktorei. Im Inneren blieb jedoch alles ruhig. Hatte man ihn nicht gehört - oder befand sich niemand im Haus, weder Arne von Manteuffel noch Jussuf noch Jörgen Bruhn?
21 Arnes Gesicht verhärtete sich. „Die Señora Samanta de Azorin ist ermordet worden. Sie wissen, daß ich sie gekannt habe. Ihr Tod ist mir ziemlich nahegegangen, das können Sie mir glauben." „Ich habe sie nicht getötet." „Das habe ich auch nie angenommen. Don Antonio hat die Frau umbringen lassen, und wahrscheinlich steckt der Stadtkommandant in der Sache mit drin. Irre ich mich?" „Nein. Don Ruiz hat inzwischen selbst das Zeitliche gesegnet." „Das geschieht ihm recht." „Don Antonio hat ihn vergiftet, weil er sich des lästigen Mitwissers entledigen mußte." „Ich kann de Retortilla nicht bedauern. Im übrigen scheinen Sie außerordentlich gut Bescheid zu wissen." „Ja. Ich erzähle Ihnen noch genau, wie das alles zusammenhängt. Wichtig ist mir in diesem Augenblick, daß ich auch weiterhin einen Vertrauten in Ihnen habe, Señor de Manteuffel." „Auf mich können Sie sich verlassen." „Gut." Sie tranken von dem Wein, und danach erfuhr Arne genau, was sich am 12. Juli nachmittags in der Residenz zugetragen hatte und wie Don Juan die Flucht gelungen war. „Damit bestätigt sich, was ich vermutet und befürchtet habe", sagte Arne, als der Spanier seinen Bericht beendet hatte. „Der Gouverneur zielt darauf ab, Sie so oder so auszubooten, um selbst gegen den nunmehr bekannten Schlupfwinkel der englischen Piraten vorzugehen."
„Ja." „Er will die Engländer niederkämpfen, den berüchtigten Killigrew womöglich fangen und die Lorbeeren einheimsen." „Wobei natürlich von der Schatzbeute der Piraten ein erheblicher Anteil in die Schatzkammer des Gouverneurs fließen würde", sagte Don Juan de Alcazar. „Und gelingt das geplante Unternehmen gegen Killigrew und dessen Bundesgenossen - was ich als Sonderagent der spanischen Krone bisher nicht geschafft habe -, dann wird Don Antonio de Quintanilla natürlich mit Ruhm und allen Ehren überhäuft." Arne trank noch einen Schluck Wein und sagte mit grimmiger Miene: „Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Wahrscheinlich wird er dann sogar befördert werden." „Zum Vizekönig der Neuen Welt womöglich", sagte Don Juan. „Er würde damit über eine Machtfülle verfügen, gegen die Seine Allerkatholischste Majestät im fernen Spanien ein Nichts wäre." „Wobei er sich direkt an der Quelle bedienen kann", fügte Arne hinzu. „Was das für die Neue Welt und ihre Ureinwohner bedeutet, können Sie sich leicht ausmalen." „Ja, natürlich. Ganz abgesehen davon, daß ich mir schon jetzt vorstelle, was für Galgenstricke sich um so einen Vizekönig versammeln würden." „Solche wie hier in Havanna." „Nur noch in größerem Umfang und von daher wären sie noch gefährlicher als ein de Retortilla oder de Escobedo."
22 Die Erkenntnis war so niederschmetternd und ernüchternd, daß sie sich veranlaßt fühlten, die Kelche zu leeren. Arne füllte wieder nach. Täuschte er sich - oder hatte Don Juan einen etwas verklärten, entrückten Blick? Amandos Rum hatte Don Juan tatsächlich ein bißchen benebelt, aber er war noch Herr seiner Sinne und vermochte völlig klar zu denken. Er richtete sich kerzengerade auf und sagte: „Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um das zu verhindern." „Männer mit einem anständigen Charakter hätten in dieser Welt nichts mehr zu suchen, Señor, wenn ein Don Antonio einen derart hohen Posten bekleiden würde", sagte Arne. Es kam ihm darauf an, bedächtig und in allen Farben auszumalen, was geschehen würde. Er fuhr fort zu sprechen und zeichnete ein realistisches Bild von dem Land Amerika unter Don Antonio de Quintanillas Schreckensherrschaft. Daß er dabei nicht übertrieb, war Don Juan bewußt. Arne entging nicht die innerliche Zustimmung, auf die er bei Don Juan stieß. Im Februar, als der Mann in Havanna eingetroffen war, wäre er bei derartigen Äußerungen noch explodiert und hätte sie sich verbeten. Inzwischen aber sah auch für ihn alles ganz anders aus. Der Glorienschein, unter dem er sein Land gesehen hatte, hatte sich aufgelöst, die Wirklichkeit hatte ihm endlich die Augen geöffnet. Dies beruhte nicht zuletzt auch auf der Tat-
sache, daß man vor einem Mord an einer unschuldigen Frau nicht zurückgeschreckt war und ihn als den Mörder hingestellt hatte. Das Maß war voll - er mußte gegen Don Antonio vorgehen, jetzt oder nie mehr. Aber wie sollte er es anpacken? Noch waren ihm die Hände gebunden. „Was raten Sie mir zu tun, Arne?" fragte er seinen Gastgeber. „Sind Sie noch im Besitz Ihrer Vollmacht?" fragte Arne zurück. „Der Vollmacht, in der ja, unterschrieben vom König Spaniens, ausgewiesen ist, daß Sie im Range eines Generalkapitäns stehen und allen Beamten gegenüber bis hinauf zum Gouverneur Befehlsbefugnis haben?" „Nein, diesen Revers habe ich nicht bei mir gehabt, als ich fliehen mußte. Ich habe überhaupt nichts mehr bei mir, nur meinen Degen." „Der ist immerhin schon einiges wert", versetzte Arne trocken. „Sicherlich wissen Sie auch, was es bedeutet, daß Sie noch am Leben sind." „Ich sollte froh sein, meinen Sie?" „Ja." „Das bin ich auch", sagte Don Juan. „Aber ich verfüge nicht mehr über die geringsten Geldmittel. Die Schebecke ist auf den Befehl des Gouverneurs hin besetzt worden, wie Sie sicher wissen." „Das hat einen hübschen Kampf gegeben", sagte Arne grimmig. „Ramón Vigil und die anderen haben sich bis zuletzt erbittert zur Wehr gesetzt. Jetzt hocken sie im Gefängnis." „Ohne Geld kann ich sie nicht befreien und auch keine neue Mann-
23 schaft gründen, auf die ich mich verlassen kann", sagte Don Juan. „Das muß ich leider eingestehen." Arne winkte ab. „Die Geldmittel sind in diesem Zusammenhang nicht so wichtig, wie Sie denken, Don Juan. Ich kann sie Ihnen jederzeit besorgen." „Aber - ich bitte Sie!" „Viel wichtiger ist die Vollmacht, denn die gäbe Ihnen zumindest eine beschränkte Möglichkeit, mit den anständigen und ehrlichen Leuten von Havanna gegen den Gouverneur und dessen Clique vorzugehen. Aber wahrscheinlich hat Don Antonio die Vollmacht inzwischen vereinnahmt", sagte Arne. „Damit ist leider zu rechnen", sagte Don Juan, und wieder trank er von seinem Wein. „Somit habe ich überhaupt nichts mehr in der Hand, um etwas gegen ihn unternehmen zu können." Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Ich stehe nach wie vor unter Mordverdacht. Wer auf eine Belohnung aus ist, der kann mich über den Haufen schießen." „Sie sind also ein Geächteter", sagte Arne schließlich. „Ich bin vogelfrei, richtig. So tief war ich noch nie gesunken." Eine Pause trat ein. Arne und Don Juan schwiegen. Arne sah es seinem Gast an, daß die Situation ihm schwer zusetzte. Eine bessere Gelegenheit, ihn von der Unsinnigkeit des Treibens der Spanier in der Neuen Welt vollends zu überzeugen, bot sich nie wieder, soviel war sicher.
Arne brach das Schweigen. „Jetzt haben Sie nur noch zwei Möglichkeiten, Don Juan", sagte er ernst. „Entweder versuchen Sie, nach Spanien zurückzukehren und den König persönlich über die üblen Machenschaften des Gouverneurs von Kuba aufzuklären." „Oder?" „Oder aber Sie bleiben hier und fechten Ihren Kampf gegen den Gouverneur aus - an der Seite jener, die in diesem Teil der Erde bereits den Kampf gegen die spanischen Machtansprüche, gegen Unterdrükkung, Ausbeutung und Völkermord samt Sklaverei aufgenommen haben." „Sagen Sie mal - von wem sprechen Sie eigentlich?" fragte Don Juan verblüfft. „Beispielsweise von den sogenannten englischen Piraten und deren Bundesgenossen." Jetzt zuckte Don Juan doch zusammen. „Sind Sie wahnsinnig, Señor?" entfuhr es ihm. „Das wäre ja - glatter Verrat an Spanien." „Verrat an was für einem Spanien?" fragte Arne kalt zurück. „An einem Spanien, das Verbrecher wie Quintanilla, Retortilla, Escobedo und Konsorten in die Neue Welt schickt, damit sie sie ausplündern und ihre Einwohner abschlachten lassen?" „Hören Sie auf." „Und mit welchem Recht geschieht das?" fragte Arne unbeirrt. „Mit dem Recht des Stärkeren vielleicht? Daß ich nicht lache! Ich würde, wenn ich ein Spanier wäre, den Teufel tun, ei-
24 nem solchen Land unter einem solchen Regime noch zu dienen." „Sie versündigen sich", sagte Don Juan empört. „Nein, das tue ich nicht. Ich bin Deutscher, aber wenn meine Landsleute wie die Teufel in einem fremden Land wüten würden, würde ich mich klar davon distanzieren." „Es fällt Ihnen leicht, das z,u behaupten, weil - weil die Deutschen die Neue Welt nicht entdeckt und keine Kolonien eingerichtet haben." „Vielleicht ändert sich auch das eines Tages. Wer weiß, was die Zukunft bringt?" Arne schenkte erneut Wein ein. „Wir haben es nicht in der Hand, Don Juan, aber wir haben unsere Prinzipien. Ich bin gegen Mord und Grausamkeit, gegen Folter, Plünderei und Diebstahl." „Glauben Sie, daß ich nicht dagegen bin?" „Doch. Gerade deshalb begreife ich nicht, daß Sie sich immer noch dagegen wehren, sich offen gegen die Feinde zu wenden." „Das habe ich nicht gesagt." „Freilich, es ist eine Frage des Gewissens, die jeder für sich selbst zu entscheiden hat." „Mein Gewissen hat bereits entschieden, Señor", sagte Don Juan stolz. „Aber vielleicht ein wenig anders, als Sie sich das vorstellen." Er hatte sich wieder beruhigt und sprach völlig ruhig und gelassen. Irgendwie konnte er sich auch der Einsicht nicht verwehren, daß Arne doch recht hatte, in allem, was er eben gesagt hatte.
Sie wollten ihr Gespräch weiterführen, doch es gab eine unerwartete Unterbrechung. Jussuf klopfte hastig an und steckte den Kopf zum Türspalt herein. „Es gibt Ärger, Señores", sagte er. „Er naht in Form von vier Soldaten. Was soll ich tun?" „Bist du sicher?" fragte Arne. „Daß ihr Aufkreuzen uns gilt, meine ich?" „Völlig sicher. Ich habe die ganze Zeit über Ausschau durch eins der Fenster zum Hafen gehalten." „Gewitzt wie immer, Jussuf", sagte Don Juan. „Meine Hochachtung. Ihnen scheint nichts zu entgehen." Traurig sah Jussuf ihn an. „Leider, Señor. Das ist mein Leid, meine Qual. Allah wird mich dafür strafen, ich ahne es. Der Hafenkommandant persönlich - nunmehr auch Stadtkommandant, der Scheitan verfluche ihn - steuert auf unsere Faktorei zu, und in seiner Begleitung befinden sich drei bewaffnete Gardisten." Don Juan sprang auf. Arne erhob sich ebenfalls und sagte: „Sie müssen sich sofort verstecken, Don Juan." „Wo?" „Auf dem Dach. Ich habe einen Fall wie diesen längst eingeplant. Jussuf weiß Bescheid." Jussuf deutete eine Verbeugung zu Don Juan hin an. „Señor, wollen Sie mir bitte folgen?" Sie räumten noch rasch die Gläser ab, dann verschwanden Jussuf und Don Juan de Alcazar ins obere Stockwerk des Hauses. Sie hatten das Dach noch nicht erreicht, da wurde bereits mit harten Fäusten an die Tür der Faktorei gehämmert.
25 4. Arne schritt ohne sonderliche Eile zur Tür und öffnete. Alonzo de Escobedo stand ihm mit verzerrtem Gesicht gegenüber. Hinter seinem Rükken waren die drei Soldaten der Stadtgarde zu erkennen. Schroff fuhr de Escobedo Arne an: „Señor! Ich muß Ihre Faktorei sofort durchsuchen!" „Schon wieder? Darf man den Grund dafür erfahren?" „Wir haben beobachtet, daß vor etwa einer halben Stunde ein zweifelhaftes Subjekt bei Ihnen eingelassen worden ist!" „Unmöglich, Señor", sagte Arne frostig. „Und doch wahr!" begehrte de Escobedo auf. „Es liegt die Vermutung nahe, daß es sich bei dem Subjekt um den Frauenmörder Alcazar handelt!" Arne griff nach seinem Degen. Sein Geduldsfaden riß, er hatte genug - von de Escobedo, von der Garde und von der ganzen Kamarilla, die den Gouverneur de Quintanilla umgab. Der Degen glitt aus der Scheide, die Spitze der Klinge richtete sich auf die Brust des Stadt- und Hafenkommandanten, bevor dieser zu einer Reaktion fähig war. Eiskalt und mit klirrender Schärfe erklärte er: „Eins haben Sie vergessen, Señor! Meine Faktorei ist bereits mehrfach durchsucht worden, ohne jegliches Ergebnis!. Und nach der dreimaligen dreisten Störung durch Ihre Leute habe ich dem leider so plötzlich verblichenen Señor de Retortilla bereits gesagt, daß ich eine
vierte Durchsuchung meines Hauses nicht mehr hinnehmen würde!" „Nicht mehr - hinnehmen?" wiederholte de Escobedo betroffen. Er war völlig verdattert und wußte nicht mehr, wie er sich verhalten sollte. ,,Diese neuerliche Verletzung meines Hausrechts fasse ich als Beleidigung meiner persönlichen Ehre auf", sagte Arne. „Auch darauf hatte ich den Señor de Retortilla hingewiesen, aber wahrscheinlich sind meine Worte auf taube Ohren gestoßen. Oder aber er hat nicht mehr die Gelegenheit gehabt, meine Warnungen an Sie, Señor, weiterzugeben." „Nehmen Sie den Degen weg!" rief de Escobedo. „Was Sie tun, ist ungeheuerlich! Sie..." „Ich beherberge keinen Frauenmörder", unterbrach Arne ihn kalt. Es stimmte ja auch. Don Juan de Alcazar war unschuldig. „Und wer das behauptet, den hole ich vor die Klinge", fuhr Arne fort. „Wie das in meiner Heimat üblich ist, wenn man einen Ehrenmann beleidigt." Herausfordernd pfiff die Klinge seines Degens durch die Luft. Die drei Stadtgardisten wichen zurück. Mit Ehrenhändeln - darin waren sie sich einig - wollten sie nichts zu tun haben. Außerdem war von diesem deutschen Kaufherrn von Manteuffel in Havanna bekannt, daß er sich nichts bieten ließ und eine gute Klinge zu schlagen wußte. Man hatte ja schon verschiedentlich die Gelegenheit gehabt, seinen Mut und seine Kampfkraft zu bewundern, unter anderem
26 auch bei dem Überfall der CatalinaHorde auf die Stadt im März dieses Jahres. Keiner hatte es vergessen, im Gegenteil. Die meisten Bewohner von Havanna waren Männern wie Arne von Manteuffel und Don Juan de Alcazar nach wie vor dankbar für die Rettung. Ohne sie hätte die Stadt in Schutt und Asche gelegen, und Männer, Frauen und Kinder wären von den Piraten niedergemetzelt worden. Alonzo de Escobedo stand plötzlich ziemlich dumm da. Er fühlte sich allein und verlassen. Er schien auf einem verlorenen Posten zu kämpfen. Auf was hatte er sich eingelassen? Sich mit diesem scharfen Deutschen duellieren zu sollen, behagte ihm überhaupt nicht. Hölle und Teufel, dachte er, wer weiß, wie so ein Kampf ausgeht. Er hatte auch schon lange nicht mehr mit dem Degen geübt. Folglich war zu erwarten, daß er in einem Zweikampf den kürzeren zog und unterlag. Mehr noch: Es war sicher, daß er verlor. Aber er wollte nicht sterben. Er wollte weiterleben, gerade jetzt, da er zum Stadtkommandanten avanciert war und eine neue, hoffnungsvolle Karriere witterte. Darum zog er es vor, die Taktik zu ändern. Anders ausgedrückt: Er kniff. Aber lieber nahm er diesen Augenblick der Schwäche in Kauf, der von seinen Soldaten entsprechend ausgelegt werden würde, als den sicheren Tod zu riskieren. Er wich einen Schritt zurück. „Señor, ich - ich habe Ihre Ehre
nicht kränken wollen", sagte er stotternd. „Aber wer ist in Ihre Faktorei eingelassen worden, wenn ich fragen darf?" „Señor Bruhn, mein Sekretär", erwiderte Arne kaltschnäuzig. „Im übrigen verlange ich eine Entschuldigung für die unverschämte Behauptung, daß ich einen Frauenmörder in mein Haus eingelassen habe!" Wieder pfiff der Degen drohend und provozierend durch die Luft. Alonzo de Escobedo hätte sich jetzt am liebsten umgedreht, um die Flucht zu ergreifen, aber er wußte, daß er sich diese Schwäche vor seinen Männern denn doch nicht erlauben durfte. Seine Augen weiteten sich. Die Spitze des Degens tanzte vor seinem Gesicht. Er schluckte einen imaginären Kloß herunter, senkte den Blick und murmelte eine Entschuldigung. „Ich habe nicht verstanden, was Sie gesagt haben!" Arne war unerbittlich. „Bitte wiederholen Sie es!" „Ich bitte Sie, das Versehen zu entschuldigen", sagte de Escobedo. „Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, Señor de Manteuffel. Ich tue eben meine Pflicht und muß jeder Spur nachgehen." Es zuckte in seinem Gesicht. Es fiel ihm sichtlich schwer, diese Worte auszusprechen. Aber er hatte keine andere Wahl. Entweder steckte er zurück, oder der Deutsche forderte ihn heraus - hier, auf der Stelle, mitten in der Nacht vor dem Handelshaus. „Welche Art von Spuren verfolgen Sie?" fragte Arne.
27 „Spuren, die auf den Frauenmörder hindeuten." „Bei mir verkehren keine Mörder!" fuhr Arne ihn an. „Und ich verbitte mir weitere Belästigungen! Wer auch immer meine Faktorei beobachtet, der sollte besser dreimal hinschauen, bevor er dreist behauptet, ein zweifelhaftes Subjekt habe das Haus betreten!" „Ja, Señor", sagte de Escobedo. „Auch zweifelhafte Subjekte haben in meinem Haus keinen Zutritt, merken Sie sich das! Ich pflege nur mit anständigen, ehrenhaften Leuten zu verkehren!" „Jawohl, Señor!" Arne ließ den Degen sinken, griff nach der Klinke und warf die Tür zu. Krachend fiel sie ins Schloß. Draußen knirschten die Absätze von Stiefeln, dann entfernten sich die Schritte der vier Spanier. Arne atmete auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Er schob den Degen zurück in die Scheide und grinste. Sein Vorhaben war geglückt: Allein mit seiner Autorität hatte er es geschafft, eine Durchsuchung abzuwimmeln. Genau das hatte er erreichen wollen. Hätte de Escobedo auf einer genauen Inspektion bestanden und sie auch durchgesetzt, wäre es gut möglich gewesen, daß einer seiner Soldaten das Dachversteck von Don Juan gefunden hätte. Dann aber wäre alles verloren gewesen. Don Juan mußte auf freiem Fuß bleiben. Er entwickelte sich mehr und mehr zu einem Verbündeten trotz seiner Proteste, die er immer
wieder vorschob. Arne wußte jetzt, daß er ihn für den Bund der Korsaren gewinnen konnte. Er mußte ihn nur noch ein wenig „bearbeiten", dann hatte er ihn soweit. * Wütend schritt Alonzo de Escobedo voran. So schnell, daß seine drei Gardisten fast Mühe hatten, ihm zu folgen. Grinsend marschierten sie hinter ihm her. Sie genossen ihre Schadenfreude, denn kein Mann der Garde konnte de Escobedp so recht leiden. Das gleiche hatte auch für de Retortilla gegolten. Wegen ihres arroganten Auftretens und überheblichen Gebarens waren solche Kommandanten bei ihren Untergebenen nicht beliebt. So war es immer schön, mitzuerleben, wie ein unsympathischer und sonst sehr hochfahrender Vorgesetzter einmal so richtig zusammengestaucht wurde. Jawohl, dieser deutsche Kaufherr hatte Haare auf den Zähnen. Der kroch nicht zu Kreuze vor der Obrigkeit, wie sie sich hier in Havanna in ihrer anmaßenden Art darstellte. Es war mal eine besondere Art der Genugtuung, einen de Escobedo erniedrigt und gedemütigt zu sehen. De Escobedo schnitt eine finstere Miene und grübelte über seine Fehler nach. Daß er falsch gehandelt hatte, war offensichtlich. Er mußte sein weiteres Handeln entsprechend dieser Erkenntnis ausrichten. Völlig unvermutet war er vom Hafenkommandanten zum Stadtkom-
28 mandanten befördert worden und hatte nicht einmal die Zeit gehabt, sich in sein neues Amt einzuarbeiten. Die Situation mußte gründlich überdacht werden, seine nächsten Schritte durfte er nicht einfach aufs Geratewohl unternehmen. Dunkel schwante ihm, daß er sehr vorsichtig taktieren mußte, wenn er nicht zwischen zwei Stühle geraten wollte. Die Anordnung, die deutsche Faktorei beobachten zu lassen, stammte noch von dem so plötzlich verstorbenen Don Ruiz de Retortilla. Wenn daraus aber unversehens eine Duellforderung wurde, die ins Auge gehen konnte, dann sollte man lieber die Finger davonlassen. Der Spitzel, dem die Beobachtung der Faktorei oblag, hatte sich inzwischen zum Wachwechsel in die Kommandantur zurückgezogen. Erstaunt blickte er zu de Escobedo und den drei Gardisten, als diese das Wachlokal betraten. „Haben Sie den Kerl geschnappt, Señor?" fragte der Spitzel. Doch Alonzo de Escobedos Miene sprach nicht vom Erfolg einer glänzenden Aktion, sondern sie drückte einfach nur Ärger und Gereiztheit aus. „Narr!" fuhr er den Mann an, indem er auf ihn zutrat. „Kein zwielichtiges und zweifelhaftes Subjekt! Kein Frauenmörder, kein Alcazar! Es war der Sekretär des Deutschen, der die Faktorei betreten hat, ein gewisser Bruhn! Und sonst niemand! Kannst du Hundesohn deine Augen nicht besser aufsperren? Bist du blind? Schläfst du?"
„Nein, Señor - nichts von dem", stammelte der Spitzel. „Ich - war ganz sicher, daß es sich um Don Juan de Alcazar handelte." „Dann hast du dich eben getäuscht!" „Señor..." „Abmarsch!" brüllte der Kommandant. „Ich will dich nicht mehr sehen! Die Beobachtung der deutschen Faktorei wird ab sofort aufgehoben!" Der Spitzel wandte ihm den Rükken zu und versuchte, das Wachlokal so schnell wie möglich zu verlassen. Aber de Escobedo war mit ihm noch nicht fertig. Er eilte hinter ihm her, riß den rechten Fuß hoch und trat ihm in den Allerwertesten. Der Mann stolperte, prallte gegen einen Stuhl und stürzte. Unsanft landete er auf den Bohlen, und sein Gesicht war schmerzverzerrt. „Laß dir das eine Lehre sein!" schrie de Escobedo. „Und wehe, du gibst noch einmal eine Falschmeldung ab! Dann lasse ich dich aus der Garde ausstoßen!" Die anderen Gardisten hatten sich wohlweislich im Hintergrund gehalten. Aber mancher unter ihnen ballte heimlich die Hände zu Fäusten. Haß begann zu schwelen und zu gären. Sie begriffen, daß dieser Alonzo de Escobedo nicht besser war als Don Ruiz de Retortilla, eher noch schlechter. Er buckelte nach oben und trat nach unten, und keinem seiner Untergebenen gegenüber machte er auch nur das geringste Zugeständnis. Er war der typische Menschenschinder, nur darauf bedacht,
29 stur seine Befehle auszuführen und Arne von Manteuffel es Alonzo de jene, die seinem Kommando unter- Escobedo gegeben hatte - einfach fabelhaft! Mit jedem Satz hatte er ihm, standen, zu kujonieren. Alonzo de Escobedo verließ das Don Juan aus dem Herzen gesproWachlokal. Der Spitzel erhob sich chen. Jetzt wartete Don Juan darauf, fluchend vom Boden und rieb sich nach unten zurückzukehren. Er hatden Hosenboden. Einer seiner Kameraden trat auf te mit Jussuf vereinbart, daß dieser ihn zu und sagte: „Nimm es dir nicht ihm ein Zeichen gab, wenn „die Luft zu Herzen. Laß dir lieber erzählen, rein" und jede Gefahr gebannt war. Wurde das Handelshaus etwa noch wie der Deutsche mit unserem Señor beobachtet? Dieser Schluß lag auf Comandante umgesprungen ist." Er berichtete, was sich zugetragen der Hand, denn auch das Auftauchen hatte, und kurz darauf brachen alle von Alonzo de Escobedo und den drei Gardisten in ein schallendes Geläch- Gardisten konnte nur darauf zuter aus. De Escobedo hörte es von sei- rückzuführen sein. Jemand bespitnen Amtsräumen aus - und unwill- zelte das Haus. Nicht nur in der Resikürlich hielt er sich die Ohren zu. Er denz des Gouverneurs hatten die wußte nur zu genau, über was sie Wände Ohren, wie Amando sagte, überall in Havanna wurde gelauscht, sich so prächtig amüsierten. herumspioniert und getuschelt. * Angewidert verzog Don Juan das Gesicht. Unerträglich war das. Er Von dem Dach der Faktorei von haßte Intrigen und jede Art von HinManteuffel aus hatte man einen vor- terlist. Er verachtete Hofschranzen züglichen Überblick über den ganzen und Spione, und doch war er ihnen Hafen von Havanna. Die Nacht war ausgeliefert. Wenn dieses Spiel kein klar, Sterne glitzerten am Himmel. Ende fand, würden die Dinge tatDon Juan saß mit an den Leib gezo- sächlich eine Wende nehmen, wie genen Knien auf den Pfannen und Arne von Manteuffel sie ihm vorgegenoß das Bild, das sich seinen Au- zeichnet hatte. gen bot. Die Häuser waren erleuchIntrigenspiel und Korruption watet, und auf der Reede und an den ren die klaren Zeichen für einen NiePiers funkelten und glitzerten die dergang, eine Phase der Dekadenz. Lichter der Schiffe. Ein heiteres Bild, Spaniens Verfall wurde in der Neuen das den Gedanken an Unangeneh- Welt vorgegriffen, hier war die Lage mes fast völlig verdrängte. bereits prekär, während daheim im Der hitzige Disput, in der offenen Mutterland vieles noch im rechten Haustür geführt, war jetzt ver- Lot sein mochte. Aber auch daran stummt. Don Juan lächelte immer begann Don Juan zu zweifeln. Er bezweifelte, daß Philipp II. über noch. Natürlich hatte er gelauscht und jedes Wort mitbekommen. Wie all dies unterrichtet war. Scheu und
30 zurückhaltend benahm sich der Herrscher, und fast nie verließ er den Escorial, in dessen langen, dunklen Fluren er auf und ab wanderte und seine dumpfen Meditationen abhielt. Ein König, der bereits nicht mehr alle Fäden in der Hand hielt - sie wurden ihm abgenommen, und der Niedergang der stolzen Nation war nur noch eine Frage der Zeit. Doch es mußte einen Weg geben, die Schmarotzer und Marodeure in den eigenen Reihen zu bekämpfen. Selbst wenn man sich dabei mit dem Gegner verbündete: jeder Weg, der zum Ziel führte, war richtig. Wie hatte doch Macchiavelli, der Florentiner Politiker und Poet, so richtig gesagt? Der Zweck heiligt die Mittel. Don Juan war mehr und mehr davon überzeugt. In ihm reifte die Erkenntnis heran, daß alle - von Arne von Manteuffel über Philip Hasard Killigrew bis hin zu Amando, dem listigen Alten - im Grunde das Richtige wollten: den Kampf gegen die korrupte Clique, gegen das Unrecht und die ungerechtfertigten Grausamkeiten. Er wurde ein wenig müde, der Kopf drohte ihm nach vorn zu sinken. Vielleicht lag das auch an Amandos Rum und Arne von Manteuffels vorzüglichem Wein. Er vermochte den Schlummer, der ihn zu überwältigen drohte, jetzt kaum noch zu verdrängen. Dann aber war es Jussufs leise Stimme, die ihn in die Wirklichkeit zurückrief. „Señor! He - Señor! Beim Barte des Propheten, sind Sie etwa eingeschlafen?"
„Nein", erwiderte Don Juan gedämpft. „Ich habe nur nachgedacht." „Mit Erfolg?" „Ich glaube schon." Jussuf grinste. Er hatte seinen Kopf aus der winzigen Dachluke gesteckt, es war ein witziger Anblick. „Sie können jetzt wieder herunterkommen, die Gefahr ist vorbei." „Ich habe alles gehört." „Mein Herr hat es diesem aufgeblasenen Escobedo ganz schön gegeben, nicht wahr?" „Ja." Don Juan richtete sich auf und bewegte sich auf allen vieren vorsichtig über das Dach. Das Gefälle war nicht sehr groß, aber die runden Pfannen waren nur lose übereinandergelegt, nicht gemauert, eine falsche Bewegung genügte, und man stürzte ab. Don Juan schob sich auf die Luke zu. Jussuf hatte seinen Kopf wieder eingezogen. Don Juan schlüpfte ins Innere, kletterte eine schmale Leiter hinunter und befand sich auf dem Dachboden. Jussuf stieg jetzt wieder die Leiter hoch und plazierte die von der Luke entfernten Ziegel so, daß sie die quadratische Öffnung wieder verschlossen. „Damit wir beim nächsten Regen nicht naß werden", sagte er und nickte Don Juan aufmunternd zu. Gemeinsam kehrten sie nach unten, ins Erdgeschoß, zurück, wo Arne von Manteuffel auf sie wartete. 5. Arne wischte sich die Stirn mit einem Tuch ab, als Don Juan und Jus-
31 suf zu ihm traten. Ein wenig ins Schwitzen geraten war er doch. „Das wäre überstanden", sagte er. „Es ist noch mal gut gegangen." „Ich bin Ihnen für Ihre Unterstützung sehr dankbar", sagte Don Juan. „Nicht der Rede wert", sagte Arne. „Aber wir sollten aufpassen. Man kann nicht vorsichtig genug sein, vor allem, weil die Faktorei unter Beobachtung steht" „Da ist es also sicherer, wenn heimliche Gäste den Weg über den Hinterhof nehmen", sagte Jussuf. „Ja." Don Juan sah Arne unverwandt an. „Meine Hochachtung. Ich habe verfolgen können, wie Sie dem neuen Stadtkommandanten entgegengetreten sind. Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie ihn abwimmeln können." „Ich auch nicht", sagte Arne und mußte unwillkürlich lachen. „Aber die Hauptsache ist, daß wir ihn los sind." Dieser Mann fürchtete weder Tod noch Teufel, dachte Don Juan, und auch darin ähnelte er Philip Hasard Killigrew. Sie setzten sich wieder, genehmigten sich - auf den Schrecken und die Unterbrechung hin - noch einen Schluck Wein und nahmen das Gespräch wieder auf. „Hören Sie", sagte Don Juan. „Ich habe mir das gründlich überlegt. Ich werde auf Biegen oder Brechen verhindern, daß Don Antonio die Gelegenheit erhält, gegen den Schlupfwinkel der Engländer loszuschlagen." „Ist das Ihr Ernst?"
„Mein voller Ernst, und ich habe nie einen Grund gehabt, über dieses Thema zu scherzen." „Don Juan - Sie sind sich aber doch sicher auch der Tragweite Ihrer Entscheidung bewußt, nicht wahr?" „Natürlich. Sie selber haben doch versucht, mich entsprechend zu beeinflussen." „Ja", sagte Arne. „Aber lassen Sie sich beeinflussen?" „Nicht vom Teufel höchstpersönlich", entgegnete Don Juan. Ein Lächeln glitt über seine Züge. „Sie wissen ja, ich bin ein geborener Dickschädel. Doch in diesem Fall ist es die Vernunft, die gesiegt hat. Don Antonio darf seinen Machtbereich nicht ausweiten. Das Gegenteil sollte der Fall sein." „Sie haben sich das wirklich gründlich überlegt?" „Ja. Außerdem kommt noch etwas anderes hinzu. Ich bin bei dem hohen Kampfwert der Engländer und ihrer Bundesgenossen sicher, daß eine solche Konfrontation nur mit einer Niederlage der Spanier enden kann. Ich will ein Massaker vermeiden." Nachdenklich fügte er hinzu: „Im übrigen habe ich erkannt, daß die Tätigkeit der englischen Freibeuter eine Art Regulativ ist." „Ein steuerndes Element, meinen Sie?" Verblüfft stellte Arne fest, daß Don Juan die Seewölfe und den Bund der Korsaren nicht mehr als „Piraten", sondern als „Freibeuter" bezeichnete. Auch das konnte man einen Fortschritt nennen. „Richtig", erwiderte Don Juan. „Sie verhindern auf ihre Art das uferlose
32 Auswuchern der spanischen Machtansprüche in der Neuen Welt, das zu nichts Gutem führen kann." „Offen gestanden, wundert es mich, Sie so sprechen zu hören. Don Juan", sagte Arne. Er nahm rasch noch einen Schluck von dem Wein. Ging nun wirklich eine Wandlung in dem Mann vor, oder bildete er sich das nur ein? „Ich habe eben inzwischen einiges eingesehen", sagte Don Juan. Arne lehnte sich zurück und hob die Augenbrauen. „Aber wie wollen Sie als zur Zeit Vogelfreier ohne Anhänger und Einfluß ein solches Massaker verhindern? Wie wollen Sie das bewerkstelligen?" Ein Anflug von Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Auch darüber habe ich nachgedacht", sagte Don Juan. „Und ich habe mir einen einfachen Plan zurechtgelegt. Spielen Sie dabei mit?" „Bestimmt." „Ohne zu wissen, um welche Art von Plan es sich handelt?" Arne grinste. „Don Juan, dieses Risiko gehe ich gern ein. Sagen wir weil Sie es sind." „Sehr gut! Dann hören Sie zu: Ich brauche noch einmal Ihren Beistand. Sie laden den Gouverneur, unseren gemeinsamen Freund, unter irgendeinem Vorwand in die Faktorei ein." „Das dürfte mir nicht allzu schwerfallen." „Und dann nehme ich ihn fest - wegen Amtsmißbrauch, Unterschlagung eines Briefes samt Seekarte, Verschleppung und Ermordung der
Señora Azorin und anderer Verbrechen." „Ein Plan, der mir gefällt", sagte Arne grimmig. „Das Sündenregister dieses ehrenwerten Don Antonio reicht ja aus, um ihn mehrfach zum Tode zu verurteilen", sagte Don Juan. „Wer den Kerl als Geisel hat, kann in Havanna auch gleich die Macht übernehmen." „Und wie geht es weiter?" fragte Arne. „Nicht ein einziges Schiff, das hier im Hafen liegt, wird gegen die Engländer auslaufen." „Sie vergessen die Seekarte mit dem markierten Versteck des Schlupfwinkels", sagte Arne. „Was wird damit?" Seine Miene war gespannt. „Die lasse ich verschwinden", erwiderte Don Juan fest. „Es muß sein. Es darf keinen Kampf geben." Dein Wort in Gottes Ohr, dachte Arne. Aber die Idee Don Juans war gar nicht so schlecht - vorausgesetzt, der Dicke biß an. „Nun", sagte Don Juan. „Was halten Sie von meinem Plan?" „Ich finde ihn brauchbar. Aber wir müssen einen guten Köder für Don Antonio auswerfen", entgegnete Arne. „Wir müssen ihn bei seiner Raffsucht packen und ihn damit kitzeln, daß er wieder etwas einsacken kann, das scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein, ihn aus der Residenz zu locken." „Wie stellen Sie sich das praktisch vor?" „Ich schlage vor, wir schreiben eine
Richten Sie Ihre Zuschriften bitte an Seewölfe-Redaktion, Erich Pabel Verlag GmbH, Karlsruher Straße 31, Postfach 1780, 7550 Rastatt
Liebe Seewölfe-Freunde! Einen kritischen und sehr bedenkenswerten Brief bezüglich der SEEWÖLFE-Börse erhielten wir von einem „alten Freund" der Serie - Herrn F , straße ,3501 Ahnatal . Er schreibt: Liebe Seewölfe-Redaktion! Sicherlich wird Sie interessieren, was die Anzeige im FORUM (SW Nr. 368/369) gebracht hat: nun, eine sehr nette Brieffreundschaft mit einer Seewölfe-Leserin sowie eine weitere Zuschrift, die allerdings ein TB betraf, das ich zu dem Zeitpunkt schon hatte. Wenn ich dennoch heute eine komplette TBSammlung habe, so schreibe ich das einer Art Signalwirkung zu, die von dem Brief ausging, denn plötzlich ergaben sich wieder neue Quellen (Flohmarkt, meine Brieffreundin, zwei Bücher trieb ich sogar im Urlaub auf). Nun wuchs der Ehrgeiz, auch eine komplette Heft-Sammlung zu haben... Ich richtete also mein Augenmerk auf die Leserbörse, was bisher ein einziges Ärgernis war. Dies soll keinesfalls ein Vorwurf an die Redaktion sein, sondern ist als Information gedacht Meistens erhält man überhaupt keine Antwort, auch beigelegtes Rückporto nützt in manchen Fällen nichts. Ich gewinne immer mehr den Eindruck, daß diese Leser die angegebenen Nummern längst verkauft haben, wenn ihre Verkaufsanzeige erscheint. Aber noch eine weitere unangenehme Begleiterscheinung macht sich bemerkbar: So schrieb mir eine Leserin, sie habe die von mir gesuchten Nummern (1-28) nicht mehr, denn jemand hätte ihr für die Hefte 1-30 DM 100,- gezahlt. Die Hefte haben - wie Sie sicher wissen DM 1,80 pro Heft gekostet Ich will keinesfalls die Leserin rügen, sondern nur die Frage stellen, welchen Sinn die Leserbörse noch hat wenn solche Preise Schule machen, denn ich bin der Meinung, nur ein kleiner Teil der Leser verfügt über solche Summen, wenn es um seine Privatlektüre geht... Ich werde der Serie auch über die Nr. 400 hinaus die Treue halten. Es grüßt Sie in der Hoffnung auf Band 500 mit einem kräftigen „Arwenack" - Ihr F Wir bedanken uns sehr herzlich für Ihren Brief, lieber Herr , vor allem deswegen, weil wir
auf diese Weise erfahren, daß man die SEEWÖLFE-Börse offenbar dazu benutzt, sich einen - milde ausgedrückt - „Nebenverdienst" zu verschaffen. Wenn 30 Hefte allerdings für DM 100,- verkauft werden - die normalerweise bei einem Heftpreis von DM 1,80 dann DM 54,hätten kosten dürfen -, dann können wir das nicht anders als mit Wucher bezeichnen. Um nunmehr Klartext zu sprechen: Die SEEWÖLFE-Börse wurde von uns nicht eingerichtet, damit sich gewisse Personen bereichern können, sondern sie sollte und soll den Lesern die Möglichkeit geben, fehlende Hefte zu tauschen oder zu einem Preis zu erwerben, der unter dem Ladenpreis liegt. Was jene - leider unbekannte Leserin praktiziert hat, ist unfair, wenn nicht unverschämt gegenüber dem Gros unserer Leser, deren Taschengeld, Lohn oder Gehalt keineswegs den Einkünften oder Einnahmen eines Generaldirektors oder Fußballstars entsprechen. Unsere Autoren haben empört reagiert und gesagt: Wer sind wir denn, wenn da einer beigeht und unsere Romane meistbietend auf dem grauen Markt verscherbelt ? Diese Empörung ist richtig, denn jene Leserin betreibt Geschäfte mit geistigem Eigentum, das ihr nicht gehört: Sie macht sich strafbar! Das Heftprodukt gehört dem Verlag und dem Autor gemeinsam, darüber haben sie einen Vertrag abgeschlossen. Im Impressum jeden Heftes (Seite 62 unten) steht der Vermerk „...der Wiederverkauf ist verboten". Wohlgemerkt: der Wiederverkauf zum Zwecke der persönlichen Bereicherung, die dann gegeben ist, wenn der Verkäufer mehr als den Ladenpreis verlangt - wie jene Leserin. Wir könnten uns von Herrn ihren Namen geben lassen und gerichtlich gegen sie vorgehen. Wir können aber auch die Börse schließen, denn zum Mißbrauch wurde sie von uns nicht eingerichtet. Wenn wir das tun, dann bedanken Sie sich bei jener unbekannten Leserin... Mit herzlichen Grüßen Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren
Die Galeasse „La Royale" - unseren Lesern erstmals in der SEEMANNSKISTE der Nr. 408 vorgestellt - zeigen wir dieses Mal auf den Seiten 34/35 in einer Schrägansicht von Backbord achtern, und zwar vor dem Wind - ein Kurs, der es ermöglichte, Segel und Riemen gleichzeitig einzusetzen. Interessant bei dieser Position sind die Segel, die wie Schmetterlingsflügel ausgespreizt sind (eine Segelstellung, wie sie auch heute noch bei Vorsegel und Großsegel auf achterlichem Kurs üblich ist). Das Vorsegel auf der Zeichnung ist nach Backbord ausgelegt, das Großsegel nach Steuerbord, der Besan wiederum nach Backbord - eine Segelstellung, die verhindert, daß die jeweils hinteren Segel dem vorderen Segel den Wind „wegnehmen", das heißt sie abdecken. Anders ausgedrückt: Gesamtfläche von Vorsegel und Besan entsprechen in etwa der Segelfläche des Großsegels und ermöglichen bei diesem Kurs einen ausgewogenen Trimm, der ein extremes Anluven oder Abfallen der Galeasse verhindern sollte. Auf der Zeichnung wird auch deutlich - was wir bereits in der SEEMANNSKISTE der Nr. 408 anschnitten -, daß ein Breitseitenschießen bei gesetzten Segeln und Ruderantrieb kaum möglich gewesen sein wird: Die Kanonen der Breitseiten befinden sich unter den Riemen (siehe 1 und 17). Unter den Voraussetzungen eines Gefechts so muß man annehmen - dürfte die Galeasse also kaum unter Riemenantrieb operiert haben, es sei denn, man verzichtete auf den Einsatz der Breitseiten und beschränkte sich auf die Bekämpfung des Gegners mittels der Bug- oder Heckkanonen. So gesehen, war die Galeasse ein Zwitter, der sich dennoch über drei Jahrhunderte behauptete (im Mittelmeer und in der Ostsee). Die Nummern bedeuten: 1 Riemen der Backbordseite, 2 Vorsegel, 3 Rahrute der Fock, 4 Mastkorb Fockmast, 5 Backbordwanten Großmast, 6 Außenbordniedergang, 7 Mastkorb Großmast, 8 Besan, 9 Heckverzierung, 10 Rahrute des Großsegels, 11 Großsegel, 12 Heckflagge, 13 Ruderblatt, 14 Heckkastell, 15 Heckkanone, 16 Heck-Ankerklüse, 17 Kanonen der Backbordseite (unter dem Deck für die Ruderer), 18 Fockschoten, 19 Besannest, 20 Großsegelschoten, 21 Reffbändsel des Großsegels.
37 nette Einladung an Don Antonio de blett zu servieren - ein besonderer Leckerbissen. Er hoffe, so schrieb er Quintanilla", erwiderte Arne. zum Schluß, keine Fehlbitte getan zu * haben. „Ihr ergebener Diener, der untertänigst auf eine Antwort warWenig später saß er an seinem Pult tet", lauteten die letzten Worte, dann und faßte ein Schreiben an Don An- setzte er seine Unterschrift darunter. tonio ab. Es war voller Schnörkel „Herzzerreißend", sagte Don Juan und Floskeln, aber geschickt ließ Ar- mit einem Grinsen, wie Arne es bei ne einfließen, daß er von einem Per- ihm noch nie gesehen hatte. Richtig lenfischer ein herrliches Sortiment wild sah er aus. „Ich kann kaum erPerlen übernommen habe, das er warten, den alten Fettsack wiederdem „hochverehrten und durch- zusehen und in meine Arme zu lauchten" Don Antonio gern einmal schließen." zeigen wolle, zumal sich wirklich er„Mir geht es genauso", sagte Arne. lesene Stücke darunter befänden. „Auch ich vermisse Don Antonio." Er rief Jussuf zu sich und weihte Don Juan blickte Arne über die Schulter. Gemeinsam lasen sie den ihn in alles ein. „Morgen früh bringst du das Schreiben zur Residenz", Brief noch einmal durch. „Vom Wortlaut her sehr gut", sagte schärfte er ihm ein. „Warte nach Don Juan. „Aber glauben Sie, daß er Möglichkeit auch gleich auf die Antwort." wirklich darauf eingeht?" Arne hob die Schultern und ließ sie „Das werde ich", sagte Jussuf, dann wieder sinken. „Ich hoffe es. Ich habe las auch er den Brief durch. „Ich muß schon so manches gute Geschäft mit aber darauf achten, daß das Schmalz dem Schlitzohr abgeschlossen. Er ist nicht herausfließt, wenn ich die Rolja nur auf seinen persönlichen Profit le nicht ganz gerade halte, oder?" bedacht, und Gold, Silber und Perlen „Richtig", entgegnete Arne. „Und sind das einzige, womit man ihn lok- paß auf, daß Don Antonio nicht darken kann." auf ausrutscht. Wir wollen ihn heil Sonst enthielt der Brief eine Einla- haben, er darf kein Stück angekratzt dung zum Abendessen, zur Weinpro- sein." be und zur Besichtigung der Fakto„Ich werde alles tun, was in meinen rei von Manteuffel. Schon lange habe Kräften steht", sagte Jussuf und er den sehr verehrten Don Antonio deutete eine Verbeugung an. „Wenn bitten wollen, ihm die Gnade eines ich könnte, würde ich Don Antonio Besuchs zu gewähren, schrieb Arne auf meinen eigenen Händen hierherunterwürfigst, aber es habe stets die tragen." passende Gelegenheit dazu gefehlt. „Das schaffst du nicht", sagte Arne, Nun aber habe sich die Gelegenheit dann wandte er sich an Don Juan. ergeben, zumal er auch in der Lage „Don Juan, für Sie dürfte es das beste sei, erlesene Perlen auf einem Ta- sein, wenn Sie den Rest der Nacht bei
38 uns verbringen. Es empfiehlt sich nicht, jetzt noch ein Risiko einzugehen. Wenn Sie einem der Gardisten oder einem Spitzel des Stadtkommandanten in die Arme laufen, können wir unseren schönen Plan vergessen." „Das sehe ich ein, und ich nehme Ihre Einladung auch gern an." „Was wird aus dem alten Amando, von dem Sie mir vorhin erzählt haben?" „Wir müßten ihm Bescheid sagen, daß er nicht länger zu warten braucht", sagte Don Juan. „Ich übernehme das, sofern Sie damit einverstanden sind, Señor de Alcazar", sagte Jussuf mit würdevoller Miene. Kurze Zeit darauf verließ er die Faktorei über den Hinterhof. Er warf nur noch einen kurzen Blick in die Schläge seiner gefiederten „Lieblinge" und überzeugte sich davon, daß es Ihnen an nichts mangelte. Dann verschwand er in der Nacht.
Nacht will ich mir hier nun doch nicht um die Ohren schlagen." Plötzlich wurden seine Augen schmal. Eine Gestalt huschte, einem Schemen gleich, durch die Dunkelheit. Freund oder Feind? Er überlegte, ob er sie anrufen sollte. Nein, lieber nicht. Vielleicht hatte der Mensch ihn noch gar nicht entdeckt. Doch - er steuerte jetzt genau auf ihn und seine Jolle zu. Seltsam, dabei lag die Jolle doch im Schutz des Lagerschuppens sehr gut versteckt. Wußte der Kerl etwas? Don Juan de Alcazar war es nicht, soviel konnte Amando schon jetzt erkennen. Er wartete mißtrauisch ab und hielt seine Waffen bereit. Als der Fremde nah genug heran war, sagte er: „Halt, stehenbleiben! Wer da?" „Jussuf. Einen schönen guten Abend, Amando." „Ich kenne dich nicht. Woher weißt du, wer ich bin?" „Don Juan hat es mir verraten." „Ah, jetzt fällt's mir wieder ein." Amando schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Du mußt dieAmando hatte ein stummes Zwie- ser Ali sein, dieser Türke aus der gespräch mit seiner Flasche Rum ge- Faktorei, von dem er mir schon ein führt - mit dem Ergebnis, daß der In- paarmal erzählt hat. Der Gehilfe des halt der Flasche auf knapp die Hälfte Deutschen, was?" zusammengeschrumpft war. Aman„So ist es, mein Freund." do war angeheitert, aber nicht be„Komm her und trink einen trunken. Es gehörte mehr dazu, ei- Schluck Rum mit mir. Was ist los? nen Mann wie ihn „aus den Stiefeln Bringst du mir Nachrichten von Don zu heben", wie er das nannte. Juan?" „Die paar Tropfen können einen Jussuf trat auf ihn zu und blieb Amando nicht erschüttern", brum- hart am Rand der Pier stehen, an der melte er. „Aber, holla, Señor, es Wird die Jolle vertäut lag. „So ist es. Don Zeit, daß du zurückkehrst! Die ganze Juan läßt dir mitteilen, daß er nicht
39 mehr mit dir zu der Insel zurückkehren wird." „So ein Pech." Amando sog die Luft scharf durch die Nase ein. „Na, er weiß eben nicht, daß es sein Pech ist. Was sagst du dazu? Komm schon, trink einen Schluck Rum." „Allahs Diener trinkt keinen Alkohol." „Nicht? Auch das noch. Santa Maria, ist das eine Nacht!" „Ich an deiner Stelle würde nicht so laut reden", sagte Jussuf verhalten. „Vorhin wäre es dem Stadtkommandanten beinahe gelungen, Don Juan aufzustöbern." Er berichtete, was sich zugetragen hatte. Amando begann ungeniert zu fluchen. „Da sieht man's mal wieder. Diese elende Clique gibt keine Ruhe. Man sollte sie bei lebendigem Leibe verbrennen oder in Stücke schneiden." „Vielleicht auch in siedendes Öl werfen", fügte Jussuf hinzu. „Meinetwegen. Auch das ist 'ne gute Idee. Kennst du den Dicken?" „Don Antonio? Leider." „Ich wünschte, ich könnte ihm einen vergifteten Fisch unterjubeln. Aber der Hund ist zu gerissen." „Morgen gehe ich zu ihm", sagte Jussuf. „Mein Herr und Don Juan wollen versuchen, ihn in die Faktorei zu locken. Von diesem Plan soll ich dir noch erzählen, dein Herr hat es mir aufgetragen." Amando legte den Kopf ein wenig schief. „Mein Herr?" „Ja, Don Juan." ,Ach was, er ist nicht mein Herr. Ich bin mein eigener Herr."
„Er sagt, du könntest schweigen wie ein Grab." „Das will ich meinen", sagte Amando. „Aus mir kriegt keiner was raus. Also schön, Jussuf, Amigo, das war mal ein interessanter Vortrag. Aber ich segle jetzt zu meiner Insel zurück. Ich bin ganz schön müde. Richte Don Juan meine Grüße aus. Ich wünsche euch viel Erfolg." „Danke." Jussuf griff in die Tasche. ,,Aber warte noch einen Moment. Mit einem herzlichen Dank Don Juans für die Aufnahme auf deiner Insel soll ich dir dies überreichen." Er streckte Amando die Hand entgegen. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er eine Münze. „Was ist denn das?" fragte Amando verdutzt. „Siehst du das nicht? Ein Goldtaler." „Du spinnst wohl. Ich will ihn nicht." „Don Juan schickt ihn dir." Der Alte spuckte ins Wasser. „Gerade deshalb. Von Freunden, die in Not sind, nehme ich kein Geld an. Richte ihm das aus." Jussuf blickte ihm kopfschüttelnd nach, als er die Leinen löste, ablegte und davonsegelte. Ein wirklich prächtiger Kerl war dieser Amando rauhbeinig, derb und grob, aber herzlich, genauso, wie Don Juan de Alcazar ihn beschrieben hatte.
Am Vormittag des 15. Juli erhob sich Don Antonio de Quintanilla um kurz nach zehn Uhr von seinem wei-
40 chen Daunenbett. Er ließ sich von seiner Dienerschaft waschen und pudern, dann wählte er in Ruhe die Perücke für diesen Tag aus. Natürlich geziemte es sich nicht für einen Gouverneur, jeden Tag dieselbe Perücke zu tragen. Don Antonio verfügte über eine reiche Auswahl über dreißig verschiedenartig gefärbte und gelockte Haartrachten, die sorgsam in einem eigens dafür angefertigten Spezialschrank aufgehängt waren. Er suchte eine besonders üppig gelockte Perücke aus und ließ sie sich überstülpen. Fast eine halbe Stunde hockte er vor dem Spiegel und ließ die Pracht zurechtrücken, dann, endlich, saß sie richtig, und er war zufrieden. Sorgfältig wurden auch seine Hände manikürt, und wie üblich widmete sich einer seiner Lakaien der Fußpflege. Schließlich kleidete Don Antonio sich an. Ein spitzenbesetztes Brokatgewand in den Farben Rot und Gelb schien ihm angebracht zu sein. Seine Pantoffeln vertauschte er mit einem sündhaft teuren Paar Schnallenschuhe aus weichem Ziegenleder. Darauf begab er sich mit watschelndem Gang auf die Loggia, wo er sein Frühstück einzunehmen pflegte. Es war ein sonniger Morgen - und ein besonderer Tag. Die letzten Vorbereitungen für die große Schlacht wurden getroffen, neue Schiffe würden in den Hafen von Havanna einlaufen. Sie sollten ausgerüstet und armiert werden, und die Preßkommandos würden die
fehlenden Leute für die Besatzungen zusammensuchen. In seinen Träumen war Don Antonio bereits der große Sieger über die „englischen Schnapphähne und Hurensöhne". Vorstellungen, wie er von Bord seines Flaggschiffes ging und zum Strand der Pirateninsel gepullt wurde, nahmen in seinem Geist Gestalt an. Er stieg aus und trat dem Anführer der wilden Horde gegenüber, der um Gnade bettelnd vor ihm auf die Knie fiel. Ja, sie wimmerten und winselten, die englischen Hunde, und sie flehten um Gnade. Aber er, Don Antonio, war unerbittlich. Alle mußten hängen, aber bevor sie an den Rahen ihrer Schiffe hochgezogen wurden, ließ er sie gründlich auspeitschen. Sie jammerten und stöhnten, aber er ließ sich nicht erweichen. Don Antonio nahm umständlich an seinem Frühstückstischchen Platz, warf einen prüfenden Blick auf die Stadt und den Hafen und stellte mit Genugtuung fest, daß alles seinen gewohnten Lauf nahm. Keine Vorkommnisse mehr - und Don Juan de Alcazar schien endgültig verschwunden zu sein. Recht so, dachte Don Antonio, die Hauptsache ist, daß er mir nicht mehr in die Quere gerät. Don Ruiz de Retortilla konnte auch keine Schwierigkeiten mehr bereiten, und Alonzo de Escobedo war ein katzbuckelnder, getreuer Untertan, der ihm, falls er das von ihm verlangte, zweifellos aus der Hand fressen würde. Somit hatte Don Antonio die Lage wieder unter Kontrolle, und es konnte nach menschlichem Er-
41 messen keine Zwischenfälle mehr geben. Er klatschte in die Hände, und das Frühstück wurde aufgetragen. Inzwischen war es fast zwölf Uhr, aber das spielte keine Rolle. Don Antonio pflegte meistens spät zu frühstükken, und oft ließ er die Mittagsmahlzeit ausfallen. Am frühen Nachmittag verspürte er dann wieder Hunger und nahm einen „Happen" zu sich. Abends wurde natürlich auch üppig getafelt, meistens in Gesellschaft. Es war dies die beste und erfolgsreichste Methode, rasch noch dicker zu werden. In der Tat zwangen die Gewichtsprobleme Don Antonio, fast jeden Monat den Schneider zu rufen und sich neue Kleider anfertigen zu lassen. Aber wen störte das schon? Für sein persönliches Wohlergehen gab er das Geld gern aus. Dukaten und Piaster mußten rollen, wenn es um die Erhaltung des Lebensstandards ging. Andere Dinge hingegen konnten warten - beispielsweise die Verbesserung der Hafenanlagen oder die Einrichtung eines Waisenhauses, um nur zwei Probleme der Verwaltung von Havanna zu nennen. Die Diener brachten süße Fruchtsäfte und kandierte Früchte, kleine Kuchen und heiße Schokolade. Don Antonio aß und trank und träumte erneut von seinem Triumph über die Engländer. Er verspürte ein Gefühl der Behaglichkeit und des Glückes, besonders, wenn er an das Gold, das Silber, die Perlen und die Diamanten dachte, die er auf der Pirateninsel
finden und nach Havanna schaffen lassen würde. Seine Gedanken erfuhren aber doch eine Unterbrechung, als einer der Lakaien erschien, sich vor ihm verbeugte und flüsterte: „Don Antonio, ein Besucher wartet auf Sie." „Ich empfange vormittags keine Besucher, das dürfte bekannt sein", sagte Don Antonio unwirsch. „Er wartet aber schon seit zwei Stunden." „Dann soll er auch noch den Nachmittag über warten." „Durchlaucht", sagte der Diener. „Es handelt sich um einen Boten des Handelshauses von Manteuffel. Er sagt, sein Name sei Jussuf, und die Nachricht, die er zu überbringen habe, sei sehr wichtig." „So?" Don Antonio grübelte nach. Was konnte der Deutsche von ihm wollen? Im allgemeinen hatte er ihn, seit er das Haus gekauft und die Faktorei eingerichtet hatte, immer nur dann angesprochen, wenn es ein Geschäft abzuschließen galt. Einige Male hatte er ihm sogar Geschenke überreicht. Es konnte sich also durchaus lohnen, den Kerl, diesen Jussuf, zumindest anzuhören. Der Diener stand immer noch gebückt da, die Haltung schien ihm Schwierigkeiten zu bereiten. Don Antonio musterte ihn wie ein lästiges Insekt, dann sagte er gnädig: „Also schön, laß den Burschen vor. Ich habe heute meinen guten Tag. Ich will mir zumindest anhören, was er vorzutragen hat." Der Diener verschwand und kehrte wenig später mit Jussuf zurück.
42 Jussuf blieb in der offenen Tür zur Loggia stehen, vollführte einen Bückling, der selbst die devotesten Verbeugungen der Lakaien der Residenz noch übertraf, und sagte mit honigsüßer Stimme: „Meine mindere Wenigkeit wünscht dem hochwohlgeborenen Don Antonio de Quintanilla, dem erlauchten Gouverneur von Havanna und Kuba, einen wunderschönen guten Morgen." „Danke." Don Antonio musterte ihn aus schmalen Augen. „Was willst du?" „Ich habe eine Nachricht von meinem Herrn, Señor de Manteuffel", erwiderte Jussuf und holte die Schriftrolle hervor. Gerade halten und nicht wackeln, dachte er dabei, sonst tropft das ganze Schmalz zu Boden. „Ein Schreiben?" Don Antonio tupfte sich den Mund mit einem weichen, weißen Tuch ab, das rundum mit Spitzen besetzt war. „Ich dachte, es handle sich um eine mündliche Botschaft." „Die Bedeutung des Inhaltes verlangte nach der schriftlichen Form", sagte Jussuf würdevoll und dachte dabei: Elender, verfluchter Giaur aller Giaurs, der Blitz des Scheitans soll dich treffen und dich in Stücke zerspringen lassen. Mit umständlichem Gebaren überreichte er einem der Lakaien die Schriftrolle, und dieser leitete sie an den Gouverneur weiter. Don Antonio ließ sich zunächst die Finger mit Rosenwasser waschen und mit gewärmten Tüchern abtrocknen, dann griff er mit gespreiz-
ten Fingern nach der Botschaft, brach das Siegel auf und rollte sie auseinander. Er begann zu lesen, und seine Augenbrauen hoben sich langsam. „Aha", sagte er, dann „Oho" und „Soso". Was Arne von Manteuffel ihm da mitteilte, erregte - wie erwartet wirklich sein Interesse. 6. „Eine Einladung in die Faktorei des Kaufherrn", sagte Don Antonio geschmeichelt und ließ die Rolle sinken. „Sehr schön." Er winkte Jussuf. „Komm her. Möchtest du eine kandierte Frucht?" „Gern, Euer Gnaden." Herrisch bedeutete Don Antonio einem der Lakaien, Jussuf die Früchte zu servieren. Jussuf durfte sich aber nicht setzen, er mußte stehenbleiben. Mit Widerwillen nahm er einen grünen, klebrigen Würfel entgegen, steckte ihn in den Mund und kaute darauf herum. Er gab sich aber Mühe, dabei zu lächeln und so zu tun, als handle es sich um den größten Leckerbissen, den er je in seinem Leben genossen hatte. Perlen, dachte Don Antonio. Die Versuchung war groß, das Angebot verlockend. „Eine Einladung", murmelte er. „Heute. Zum Abendessen. Hm." „Darf ich gleich auf die Antwort warten, erlauchter Herrscher?" fragte Jussuf. Don Antonio fixierte ihn mit nach-
43 denklicher Miene. Es schien plötzlich aber auch ein Anflug von Bedauern in seinen Zügen zu liegen. Jussuf bemerkte es und ahnte, was folgte, ehe der Dicke seine Erwiderung gab. „Ich bin hocherfreut", sagte Don Antonio salbungsvoll. „Und ich bedanke mich für die Einladung des Señor de Manteuffel, die ich sehr zu schätzen weiß. Aber ich fürchte, daß ich heute unabkömmlich bin." Wieder warf er einen Blick auf das Schreiben. „Ausgerechnet für heute abend lädt er mich ein. Der Gute. Er weiß nicht, wie umfangreich meine Amtsgeschäfte sind." „Er ahnt es, Euer Gnaden", sagte Jussuf. „Deshalb hat er es auch so eingerichtet, daß alles am Abend stattfindet. Die Speisen werden schon zubereitet, und Kuchen und kandierte Früchte werden mit einer Sonderkutsche angeliefert. O hoher Herrscher, es erfüllt mein Herz mit Trauer, daß Sie uns nicht die Ehre Ihres Besuchs und Ihrer Anwesenheit in unserer kargen Hütte gewähren. Mit welchem Glanz es uns erfüllen würde, wenn Sie uns nur ein Stündchen opfern könnten - Sie können es sich nicht vorstellen." Sohn eines verlausten Dromedars und einer blinden Ziege, dachte er, warum entscheidest du dich nicht? Don Antonio musterte Jussuf immer noch. Diese Orientalen - waren die alle so unterwürfig und ergeben? Ja, wahrscheinlich waren sie es gewohnt, getreten und geknüppelt zu werden. Er sollte es sich überlegen, auch ein paar solcher Kerle in seine Dienste zu nehmen.
Laut sagte er: „Ich kann den Besuch ja immer noch nachholen. Heute kann ich wirklich nicht." „Mein Herr, Señor de Manteuffel, wird darüber sehr betrübt sein." „Tröste ihn. Ich komme ja noch." „Ich wage kaum, ihm mit dieser Nachricht unter die Augen zu treten." „Peitscht er dich aus?" fragte Don Antonio interessiert. „Nein. Aber er straft mich moralisch." „Wie das?" Don Antonio richtete sich unwillkürlich auf. War das eine neue Art von Folter? Davon hatte er wirklich noch nichts gehört. „Er spricht einfach nicht mehr mit mir, übersieht mich. Er ignoriert mich." „Aber du kannst doch nichts dafür, wenn ich verhindert bin." Jussuf setzte ein verstohlenes Lächeln auf. „Vielleicht rechnet er damit, daß ich meine ganze Überredungskunst aufbiete, um Sie zu uns zu holen." „Aha." Don Antonio dachte wieder an die Perlen. Es mußte sich um ein wirklich herrliches Sortiment mit erlesenen Stücken handeln, wenn der Deutsche das so wichtig nahm. Auch die Perlen konnten warten andere Dinge nicht. Don Antonio schüttelte den Kopf. „Unmöglich. Ich sehe keinen Weg, die Einladung jetzt anzunehmen. Mir sind die Hände gebunden, mein Freund. Kann mich der Señor de Manteuffel denn nicht in der Residenz aufsuchen?" „Leider nicht." Das könnte dir so
44 passen, du Hund, dachte Jussuf, während er sprach. „Ein leichtes Fieber hat ihn bis gestern ans Bett gefesselt, und heute darf er das Haus noch nicht wieder verlassen." „Ich verstehe." Don Antonio beugte sich vor und legte eine Hand an den Mund. „Und wie war's, wenn er mir die Perlen schon mal zur Ansicht schicken würde?" Nicht ums Verrecken, dachte Jussuf. Er lächelte aber und erwiderte: „Dies werde ich ihm vortragen, Euer Gnaden, so, wie Sie es mir gesagt haben." Was blieb ihm anderes übrig? Seine Mission blieb erfolglos, daran gab es nichts zu rütteln. Don Antonio räusperte sich. „Dann erkläre ihm bitte auch, daß ich zur Zeit wegen hochwichtiger Amtsgeschäfte derart eingespannt bin, daß ich hier unabkömmlich bin." „Ja, Euer Gnaden." „Ja, die Pflichten." Don Antonio seufzte. „Ich bin völlig überlastet, mein Freund." „Ich kann es mir vorstellen", sagte Jussuf scheinbar mitfühlend. In Wirklichkeit überlegte er, ob er den Dicken lieber an einem Baum baumeln oder in der See von Haien zerfetzt sehen würde. Don Antonio blickte auf seine dikken, manikürten Finger. „Ich erstikke in der Arbeit zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger. „Er schien wirklich daran zu glauben und verging in Selbstmitleid. „Ich schlage daher Vor, in etwa vierzehn Tagen einen neuen Termin ins Auge zu fassen." „So spät, Euer Gnaden?" „So spät." Don Antonio wurde un-
geduldig, Jussuf ging ihm allmählich auf die Nerven. „Und nun geh. Bestell deinem Herrn, was ich dir gesagt habe." Er klatschte in die Hände. „Fort - dort ist die Tür!" Jussuf zog sich dienernd zurück und verschwand. Don Antonio seufzte und warf die Schriftrolle auf den Frühstückstisch. Er war satt. Außerdem hatte er schon eine Menge Arbeit erledigt, indem er diesen Orientalen vorgelassen hatte, wie er im stillen befand. Folglich war es nur richtig, sich noch ein halbes Stündchen zur Ruhe und Besinnung in die Gemächer zurückzuziehen. Schwerfällig stand er auf und verließ mit watschelndem Gang die Loggia. Jussuf schritt von der Residenz aus über die Plaza und wälzte die wildesten Mord- und Rachegedanken in seinem Geist. Er köpfte, pfählte und vierteilte Don Antonio, und seine Knochen rieb er zu Pulver. Aber es nützte alles nichts. Der Plan konnte nicht in die Tat umgesetzt Werden, die Absage war endgültig. Kurze Zeit darauf teilte er im Arbeitszimmer der Faktorei Arne Und Don Juan mit, wie der Dicke auf die Einladung reagiert hatte. Don Juan strich sich mit der Hand übers Kinn und sagte nichts. Arne schien kurz nachzudenken, dann hob er den Kopf und sagte: „Schön, dann hat es also nicht geklappt. Wir sollten uns dadurch aber nicht entmutigen lassen. Ein Versuch hat sich gelohnt." „Soll dieser Sohn eines Lurches und einer Kröte an seinen kandierten Früchten ersticken!" zischte Jus-
45 suf. „Ich wünsche ihm, daß sein Palast zerspringt, daß sich die Erde öffnet und das Feuer des Scheitans ihn verschlingt." „Fromme Wünsche", sagte Don Juan. „Aber damit kommen wir auch nicht weiter. Was können wir tun?" „Welcher Art die Amtsgeschäfte sind, die unser Freund betreibt, können wir uns natürlich vorstellen", sagte Arne. „Im Hafen werden die sieben Kriegsschiffe mit Hochdruck ausgerüstet. Sie laden alles, was sie brauchen. Vielleicht rechnet Don Antonio sogar mit dem Einlaufen weiterer Kriegsschiffe. Du solltest dich ein wenig im Hafen umtun und die Augen und Ohren offenhalten, Jussuf. Es lohnt sich bestimmt für uns, die Lage ein bißchen zu erkunden." Jussuf nickte und zog sich zurück. Ja, Arne hatte recht: Es hatte keinen Sinn, Don Antonio de Quintanilla zu verfluchen und ihm die Pest oder sonstwas an den Leib zu wünschen. Viel besser war es, auf der Hut zu sein und die nächsten Schritte des Gegners zu verfolgen. Vielleicht ergab sich daraus eine neue Strategie, derer man sich bedienen konnte. Jussuf sah sich den ganzen Tag über im Hafen um. Arne und Don Juan hingegen blieben in der Faktorei. Selbst Arne fiel zu sehr auf, wenn er sich im Hafen zeigte. Auf Jussuf jedoch achtete niemand, zumal er sich wieder einmal verkleidet hatte. Kein Mensch erkannte ihn in seinem Aufzug. Er trug einen alten Umhang mit Kapuze, seine Füße steckten in abgetragenen Sandalen. Ein Bettler
war er - keiner gönnte ihm auch nur einen Blick. Jussuf kauerte sich in eine Nische neben einer der Hafenkneipen. Eine kleine Katze leistete ihm Gesellschaft, sie strich um seine Beine herum und miaute. „Tochter der Schönheit, Göttin der Weisheit", brummte Jussuf. „Ich weiß, was du willst, aber ich habe keinen Krumen bei mir. Wenn du willst, nehme ich dich nachher mit und gebe dir zu essen und zu trinken. Aber wenn du meine gefiederten Lieblinge belästigst, fliegst du wieder raus, verstanden?" Die Katze hüpfte auf seinen Schoß und begann zu schnurren. Jussuf verfolgte, wie die sieben Kriegsschiffe mit Pulverfässern versorgt wurden, bis die Depots bis unter die Ladeluken gefüllt waren. Kugeln aller Kaliber wurden an Bord geschafft. Proviant und volle Wasserfässer wurden hinübergepullt. Alle Vorbereitungen wurden mit Eifer vorangetrieben. Das sah nach baldigem Aufbruch aus. Dann, am Nachmittag, tauchten die ersten Kommandos an Land auf. Jussuf beobachtete sie und dachte: Preßkommandos - ich hab's mir ja gedacht. Jetzt geht es los. Einer der Spanier marschierte auf ihn zu und blieb breitbeinig vor ihm stehen. „Du!" herrschte er ihn an. „Was treibst du da?" Die Katze kuschelte sich in Jussufs Schoß zusammen. Er blickte todtraurig zu dem Spanier - einem Seesoldaten vom Rang eines Sargentos -
46 auf und erwiderte mit heiserer, brüchiger Stimme: „Ich friste mein Dasein, Señor. Ich bin alt und schwach." „Kannst du nicht laufen? Bist du nicht gesund?" „Ich hab' die Gicht in den Knochen und Schwären am ganzen Leib. Willst du sie sehen?" „Nein." Angewidert verzog der Mann das Gesicht und wandte sich ab. „Kerle wie dich können wir nicht gebrauchen", sagte er im Fortgehen. Er gesellte sich wieder zu seinem Trupp, und sie suchten die Kneipe auf. Jussuf streichelte die Katze. „Siehst du, so ist das Leben. Aber glaub nicht, daß du jetzt ungestört schlafen kannst, meine Liebe. Jetzt geht es erst richtig los." Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da ertönten die ersten Flüche und das Poltern umstürzender Stühle aus dem Inneren der Kneipe. Das Preßkommando begann mit der Arbeit. Rigoros und ohne viel zu fakkeln vereinnahmten die Seesoldaten die Seeleute, die zu den zur Zeit im Hafen liegenden Handelsfahrern gehörten. Natürlich ging das Ganze nicht ohne die übliche Keilerei ab. Das Fluchen wurde lauter, jemand stieß einen Wehlaut aus. Der Wirt begann zu brüllen und zu toben, und ein Hocker flog aus dem einen Fenster, dessen Bleiglasscheiben klirrend zerbrachen und zu Boden prasselten. Ein Krug wirbelte ins Freie, knallte gegen einen Poller und zersprang. Ein Mann stolperte aus der Tür der Kneipe und brach dicht vor Jussuf zusammen.
Jussuf handelte. Er richtete sich auf, packte den Bewußtlosen und zerrte ihn zu sich in die Nische. Er hockte sich vor ihn hin und hielt die Katze auf seinem Schoß fest. Er tat, als sei nichts geschehen. Der Sargento und ein anderer Seesoldat stürmten ins Freie. „Wo ist der Kerl?" brüllte der Sargento. „Der, den ich eben rausgestoßen habe?" „Er ist abgehauen!" rief der zweite Soldat. „Dabei habe ich ihm was auf die Rübe gegeben!" „Wohl nicht hart genug!" „Los, schnappen wir uns die anderen!" schrie der Sargento und kehrte in die Kneipe zurück. Der zweite Soldat folgte ihm. Wieder lärmte und tobte es im Inneren, und mehrere Flaschen schienen in die Brüche zu gehen. Jemand jammerte - es war der Wirt, der um den Rest seiner Einrichtung bangte. Hinter Jussufs Rücken regte sich der Mann. „Was ist los?" murmelte er. „Wo bin ich hier?" „In Sicherheit. Aber halt den Mund", sagte Jussuf. „Sonst entdekken sie dich doch noch wieder." „Wer bist du?" „Ein Freund." „Haben die Hunde dich auch pressen wollen?" „Ja", entgegnete Jussuf, und das stimmte auch. „Aber es ist ihnen nicht gelungen. Und du kannst dich auch drücken. Sie glauben nämlich, daß du ihnen davongelaufen bist." „Aber meine Kameraden - ich muß
47 ihnen helfen!" Der Seemann wollte aufspringen und in die Kneipe zurücklaufen, aber Jussuf hielt ihn zurück. „Sei doch vernünftig!" zischte er. „Du kannst nichts mehr für sie tun. Du stürzt dich nur selbst in dein Unglück, begreifst du das nicht?" Der Mann verharrte. Gestalten taumelten aus der Kneipe. Ein bärtiger Mann sank auf die Knie, kippte zur Seite und streckte sich auf den Katzenköpfen aus. Sofort waren zwei Seesoldaten über ihm, packten seine Arme und Beine und schleppten ihn davon. Fassungslos verfolgte der Mann hinter Jussuf, was weiter geschah: Noch drei, vier Ohnmächtige wurden auf diese Weise abtransportiert. Da nutzte es auch dem Wirt nichts, daß er dem Sargento nachlief und ihm zurief: „Was fällt Ihnen ein, Señor? Das können Sie doch nicht tun! Was haben die Männer denn verbrochen?" „Sie sollen festgenommen werden! Anordnung vom Gouverneur!" „Warum?" „Das, Amigo, müssen Sie den Gouverneur schon selbst fragen", antwortete der Sargento barsch. „Und wer bezahlt mir die kaputte Einrichtung? Der Gouverneur?" „Wenden Sie sich an ihn", sagte der Sargento, dann marschierte er davon und folgte seinen Männern, die die gepreßten Seeleute an Bord einer der Kriegsgaleonen schafften. „Schweinebande!" stieß der Wirt erbost hervor. „Das werdet ihr noch bereuen! Eines Tages rechnen wir
Leute von Havanna mit allen ab, die uns wie den letzten Dreck behandeln!" „Zum Beispiel?" fragte Jussuf. Der Wirt fuhr zu ihm herum und sah ihn mißtrauisch an. „Wer bist du denn? Kenne ich dich?" Jussuf deutete mit dem Daumen auf den schwer atmenden Seemann, der das Erlebte noch nicht überwunden hatte. „Ich heiße Jussuf, und ich habe mir erlaubt, diesen Amigo vor dem Kommando zu verstecken." „Alle Achtung", sagte der Wirt. „Das hast du gut gemacht." Er trat auf sie zu und musterte den Seemann. „He, Arturo, sie haben wirklich geglaubt, du seist ihnen davongelaufen." „Ich habe mich feige benommen", sagte Arturo leise. „Ich hätte mich für meine Kameraden schlagen sollen. Statt dessen habe ich gekniffen." „Das war richtig so", sagte der Wirt. „Du konntest nämlich auch nichts mehr für sie tun." „Das habe ich ihm gesagt, aber er will es mir nicht glauben", sagte Jussuf. „Los, ihr beiden, kommt rein", sagte der Wirt mit grimmiger Miene. „Ich gebe einen für euch aus. Auf den Schrecken muß ich selbst einen trinken." Sie suchten die Kneipe auf. Die Katze folgte Jussuf und strich wieder um seine Beine herum. Das Innere des Lokals bot ein Bild der Verwüstung. Arturo, Jussuf und der Wirt hoben ein paar Stühle und Schemel auf und stellten sie wieder hin, aber
48 es war ein eher symbolischer Versuch, etwas Ordnung zu schaffen. Seufzend begab sich der Wirt hinter die Theke. Er suchte nach einer noch heilen Flasche Wein und fand sie. Drei Becher waren rasch gefüllt, und Arturo und der Wirt tranken sie in einem Zug leer. Jussuf hingegen schob seinen Becher dem Seemann zu. „Schönen Dank", sagte er. „Aber ich hätte lieber einen Becher Milch." „Milch?" wiederholte der Wirt ungläubig. „Für die Katze", sagte Jussuf und deutete grinsend auf das maunzende Tierchen. „Ach so." Von irgendwoher zauberte der Wirt einen Krug Milch hervor, und Jussuf versorgte seine neue Freundin. Wenig später halfen Arturo und er beim Aufräumen mit, und dieses Mal gelang es den drei Männern, die Kneipe wenigstens einigermaßen aufzuklaren. Die Scherben wurden zusammengekehrt und fortgeschafft. Am Ende kündete nur noch das zerstörte Fenster von dem Überfall, der hier stattgefunden hatte. „Von welchem Schiff bist du?" fragte Jussuf Arturo. „Von der ,Salinas', einer Dreimastgaleone, die drüben auf der Reede liegt. Wir haben Ladung für Fort St. Augustine." „Florida, nicht wahr?" „Ja. Aber so, wie die Dinge jetzt stehen, wird unser Schiff noch einige Zeit hier vor Anker liegen. Unser Kapitän wird sich beim Gouverneur
beschweren, aber das nutzt ihm auch nichts." „Don Antonio de Quintanilla!" Der Wirt stieß den Namen wie eine Verwünschung aus. „Dieser Oberhurensohn! Der ist imstande und wirft deinen Capitán in den Kerker, mein Freund, ich schwöre es dir! Wer den Mund zu weit aufreißt, der findet sich hinter Gittern wieder. So ist das in Havanna. Was, glaubst du, würde mir passieren, wenn ich wirklich Schadenersatz von dem dicken Kerl verlangen würde?" „Wahrscheinlich würde er dir die Daumenschrauben anlegen lassen", erwiderte Jussuf. „Er kann wohl walten, wie er will, wenn ich richtig verstanden habe." „Ja", sagte der Wirt erbost. „Aber das geht nicht mehr lange so, ich versichere es dir." „Preßkommandos sind üblich", warf Jussuf ein. „Aber nicht mit Genehmigung der Obrigkeit", sagte Arturo aufgebracht. „Meine Kameraden haben alle eine reine Weste, keiner von ihnen hat was ausgefressen. Es handelt sich also keineswegs um eine Verhaftung." „Das habe ich von Anfang an auch nicht angenommen", sagte der Wirt. „Es wird heute nacht noch eine ganze Reihe solcher Verhaftungen geben, soviel steht fest. Ich kenne den Sargento nicht, aber er stammt von einem der Kriegsschiffe. Die brauchen Männer für ihre Kähne, und Don Antonio hat es eilig, mit dem Verband auszulaufen. Ich habe so einiges flüstern hören."
49 „Was denn noch?" fragte Jussuf. „Na, zum Beispiel, daß noch andere Schiffe einlaufen sollen. Schiffe, die in Matanzas und Cardenas östlich von Havanna stationiert sind. Auf Don Antonios Anordnung hin sind heute früh Eilkuriere losgeritten, die diese Schiffe nach Havanna beordern sollen." „Hochinteressant", sagte Jussuf. „Damit verstärkt sich der Verband immer mehr." „Und die Preßschweine stöbern alle Wirtshäuser durch", sagte der Wirt. „Wißt ihr, was ich tue? Ich schließe meinen Laden für heute. Ich habe keine Lust, mir noch mal meine eigenen Stühle um die Ohren hauen zu lassen." Arturo und Jussuf verließen die Kneipe. Arturo kehrte an Bord der „Salinas" zurück, um seinem Kapitän Bericht über den Vorfall zu erstatten. Jussuf lenkte seine Schritte zu den Piers. Später, in" der Dämmerung, sah er die Schiffe in die Bucht von Havanna einlaufen: zwei Kriegsgaleonen und eine Kriegskaravelle. Jetzt hatte er Arne von Manteuffel, Don Juan de Alcazar und Jörgen Bruhn schon allerlei zu berichten. Er beschloß, zur Faktorei zurückzugehen, ehe er wieder einem übereifrigen spanischen Offizier in die Arme lief, der ihm vielleicht nicht abnahm, daß er krank und gebrechlich war. 7. „Aha", sagte Arne von Manteuffel, als er den Bericht von Jussuf ver-
nommen hatte. „Das ändert die Lage natürlich." In der Tat - der Verband verstärkte sich somit auf sechs Kriegsgaleonen und vier Kriegskaravellen. Arne begann, unruhig zu werden. Sieben Schiffe des Bundes der Korsaren, die „Empress of Sea II." nicht mitgerechnet, gegen zehn spanische Kriegsschiffe - das war kein sehr günstiges Verhältnis mehr für die Freunde von der SchlangenInsel, auch wenn sie die besseren Kämpfer sein sollten. Daß die Freunde wie die Löwen kämpfen würden, stand für Arne unumstößlich fest. Schließlich ging es um ihre Insel, die für sie zur zweiten Heimat geworden war, es ging um Coral Island und die Timucuas, um Frauen und Kinder - es stand sehr viel auf dem Spiel. Es ging um Sein oder Nichtsein, und da würde es sicherlich auch für die Freunde blutige Verluste geben. Arne schloß unwillkürlich die Augen. Er wagte nicht, sich das auszumalen. „Wie meinen Sie das?" fragte Don Juan. „Wie sind Ihre Worte aufzufassen?" „Daß Don Antonio noch mehr Menschen für seine Schiffe pressen lassen wird", entgegnete Arne schlagfertig. „Daß viele unschuldige Zivilisten als Kanonenfutter verheizt werden - das meine ich." „Und es gibt ein blutiges Massaker", murmelte Don Juan. „Schlimmer wohl, als ich es mir vorstelle. Mein Gott, was richtet dieser Narr von einem Gouverneur nur an? Weiß er es? Ahnt er es?"
50 „Er weiß es", erwiderte Arne. „Aber es ist ihm egal, was geschieht. Die Hauptsache für ihn ist, daß er dabei unversehrt bleibt und die Schätze der Engländer einheimsen und in seine Residenz bringen kann." „Ja", pflichtete Jörgen Bruhn ihm bei. „Er denkt an nichts anderes." „Warum vergiften wir ihm nicht die kandierten Früchte?" fragte Jussuf zornig. „Warum schicken wir ihm kein Paket mit bißwütigen Nattern oder Vipern? Oh, ich wünsche mir, daß er auf langsame und schmerzhafte Weise ums Leben kommt." „So grausam denkst du sonst doch nicht", sagte Jörgen. „Ich muß mich über dich wundern, Jussuf." „Don Antonio hat das Maß des Erträglichen überschritten", sagte Jussuf ernst. „Schon seit langer Zeit. Er gehört in die Hölle geschickt." Er bückte sich nach der Katze, die ihm bis in die Faktorei gefolgt war, hob sie hoch und streichelte sie. Die Männer schwiegen. Keiner hatte Jussufs Worten etwas hinzuzufügen. Sie stimmten mit ihm überein. Von den Fenstern der Faktorei aus beobachteten sie die weiteren Aktivitäten im Hafen. Dort wurden auf dem einen oder anderen Schiff bereits die Manöver geübt: das blitzschnelle Aussetzen von Jollen, das Abentern der Seesoldaten und das Vorpreschen dieser so besetzten Boote gegen eine imaginäre Landestelle, wo die Seesoldaten aus dem Boot sprangen, auseinanderliefen und Deckungen suchten. Als die Dunkelheit einsetzte, wurden die Übungen im Schein von Fackeln
fortgesetzt. So hatten die Männer in der Faktorei auch weiterhin Gelegenheit, alles zu verfolgen. „Die müssen sich gegen den Feind vorarbeiten", sagte Arne. „Sie lernen, wie man tötet, sie haben den Befehl, jeden umzubringen, der sich ihnen in den Weg stellt. Auch Frauen und Kinder. Davon bin ich überzeugt." Don Juan hatte eine verzweifelte Idee. „Ich kann das so nicht länger mitansehen", sagte er. „Ich muß etwas unternehmen." „Was wollen Sie tun?" fragte Arne. „Jetzt, im Dunkeln, könnte ich die Kapitäne der Kriegsschiffe aufsuchen, um sie von diesem Wahnsinnsunternehmen abzuhalten. Wenn ich entsprechend auf sie einrede, sehen sie sicherlich ein, was ..." „Nein!" unterbrach ihn Arne. „Herrgott, haben Sie denn immer noch nicht begriffen, daß Sie nichts weiter als ein Geächteter sind?" „Doch!" fauchte Don Juan zurück. „Ich muß aber etwas gegen diesen Wahnsinn, diese Ausgeburt eines kranken Hirns tun! Begreifen Sie das doch!" „Ich begreife es", sagte Arne. „Aber uns sind die Hände gebunden." „Wir könnten Don Antonio aus der Residenz entführen", sagte Jörgen Bruhn. „Daran hat noch keiner gedacht." „Die Wachen sind verstärkt worden", sagte Arne. „So leicht gelangen wir nicht hinein - und raus schon gar nicht. Nein, das hat keinen Sinn." „Übrigens, da ist noch ein Punkt", sagte Jussuf. „Er fällt mir eben wieder ein. Der Wirt der Kneipe hat mir
51 davon erzählt, daß geplant sei, auch die derzeitig einsitzenden Sträflinge des Gefängnisses auf die Schiffe zu verteilen. Ein Teniente soll gesagt haben: ,Die sind gut als Kanonenfutter.'" Don Juan erbleichte. „Verdammt! Wenn das stimmt, dann wird man auch Ramón Vigil und die acht Männer meiner Schaluppen-Crew an Bord der Kriegsschiffe verfrachten." „Um sie sinnlos zu verheizen", sagte Arne. „Damit Don Antonio um so leichter sein Ziel erreicht", sagte Don Juan. „Unfaßbar! Gute Männer sollen für die Verwirklichung seiner zwielichtigen, verbrecherischen Ziele ins Gras beißen. Für dieses Schwein! Nein! Das darf nicht sein!" „Versuchen Sie, sich zu beruhigen", sagte Arne. „Wenn die Dinge so stehen, müssen wir die neun Männer eben befreien - wenn sie vom Gefängnis zum Hafen geführt werden." Don Juan, Jussuf und Jörgen blickten ihn erstaunt an. „Wirklich?" fragte Don Juan. „Soll das heißen daß Sie bereits eine Idee haben, wie wir es tun könnten?" Arne legte die Fingerkuppen der rechten Hand an die Schläfe. „Die Idee beginnt sich gerade in meinem Kopf zu formen. Ich hoffe, sie taugt etwas."
Etwa eine Viertelstunde später - es war jetzt stockdunkel - glitten in Havanna wieder Gestalten durch den Hafen. Unbehelligt und ungese-
hen erreichten Arne, Don Juan und Jörgen Bruhn ihr Ziel und verbargen sich in einer Nische schräg gegenüber des Gefängnistores. Von jetzt an belauerten sie das Gefängnis und versuchten herauszufinden, was sich im Inneren tat. Hinter der Mauer des Gefängnishofes summte es bereits wie in einem aufgestörten Bienenstock. Fackeln verbreiteten ihr zuckendes rötlichgelbes Licht, barsche Kommandorufe ertönten. Hier und dort war das Klatschen von Peitschen, gefolgt von Schreien, zu vernehmen. „Es gibt für alles eine ausgleichende Gerechtigkeit", sagte Don Juan. „Ich glaube inzwischen, daß Pater David, der sich den Engländern angeschlossen hat, doch recht hat: Irgendwann bezahlt jeder Mensch für seine Sünden, Schandtaten und Verbrechen. Wie Ruiz de Retortilla. Er ist durch Don Antonios Hand gestorben, aber das spielt keine Rolle." „Die Hyänen zerreißen sich gegenseitig", sagte Jörgen Bruhn. „Meinen Sie das, Señor?" „Nicht ganz. Ich meine, daß es nicht darauf ankommt, wie und wann ein Übeltäter das Zeitliche segnet. Es kommt darauf an, daß er es tut. Und was danach geschieht." „Sie glauben an die Hölle und das Fegefeuer?" fragte Arne. „Sie vielleicht nicht?" „Ich glaube an das, was ich sehe", erwiderte Arne. „Aber das steht auf einem anderen Blatt. Ich bin trotzdem ein gläubiger Mensch." „Ja, die Deutschen mit ihrem Martin Luther", sagte Don Juan. „In Ih-
52 rem Land herrscht schon eine ganz andere Auffassung von der Religion. Aber ich will darüber keine Diskussion führen. Ich sage nur: Es wird auch Don Antonio, Alonzo de Escobedo, den Gefängniskommandanten und die anderen treffen - schon bald, wenn wir der göttlichen Gerechtigkeit etwas nachhelfen." „Jetzt verstehe ich", sagte Arne. „Ja, natürlich. Wir sind ja auch bereit, einiges zu riskieren." „Ich habe auf Great Abaco über drei meiner Landsleute zu Gericht sitzen müssen", sagte Don Juan. „Sie sind zum Tod durch den Strang verurteilt worden, und das Urteil wurde sofort vollstreckt. Auch dort habe ich keine Vollmacht vorweisen müssen. Wenn Don Antonio und seine Schergen erst unsere Gefangenen sind, dann gibt es auch einen Prozeß, das schwöre ich. Nicht in Spanien, sondern hier." Sie flüsterten nur, und sie durften sicher sein, daß ihre Worte nicht vernommen wurden - weder im Gefängnis noch in der näheren Umgebung. Es befand sich niemand in der Nähe, der sie belauschte, davon überzeugten sie sich mehrfach. Die Laute im Gefängnishof setzten nicht aus, sie wurden eher noch intensiver. Die Befehle wurden lauter gebrüllt, das Klatschen und Knallen der Peitschen ertönte öfter, die Aufschreie der Gefangenen waren gellend. Auch das Schnauben von Pferden war jetzt zu hören. Etwa eine Stunde verstrich - dann wurde das Gefängnistor geöffnet. Arne, Don Juan und Jörgen duckten
sich und verharrten stocksteif in ihrem Versteck. Sie verfolgten aus schmalen Augen und mit gespannten Mienen, was weiter geschah. Ihre Sinne waren auf das äußerste angespannt. Sie konnten kaum erwarten, daß Ramón Vigil und die Männer der Schaluppen-Crew erschienen. Männer hoch zu Pferde tauchten im flackernden Licht der Fackeln auf - Stadtgardisten. Sie trabten auf ihren Tieren aus dem Hof, und dort war nun eine Kolonne von Männern zu erkennen, die einer gigantischen Schlange glich. Die Männer hielten die Köpfe gesenkt. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Jeglicher Widerstand schien in ihnen zerbrochen zu sein, sie waren erniedrigt und gequält worden. An Leib und Seele gebrochen, warteten sie auf den Abtransport, aber wahrscheinlich wußten sie noch nicht einmal, wohin sie gebracht werden sollten. Zu beiden Seiten der Kolonne standen Gardisten, die ihre Fackeln hochielten. Auch Uniformierte hoch zu Roß waren wieder dabei, eben tauchten sie aus dem Hintergrund auf. Die Pferde tänzelten auf der Stelle, sie waren nervös. Ein Schimmel wollte mit den Hufen ausschlagen, wurde von seinem Reiter aber mit der Peitsche gezüchtigt. Ein Teniente erschien und brüllte Befehle. „Ab-maarsch! Bewegung! Vorwärts, ihr dreckigen Hunde, oder ich bringe euch auf Trab!" „Ob das der Teniente ist, der das mit dem Kanonenfutter gesagt hat?" fragte Jörgen Bruhn leise. „Mit dem
53 würde ich gern mal ein Wörtchen reden." „Ich auch", sagte Arne gedämpft. „Aber mal sehen, was jetzt passiert." Die Kolonne der Sträflinge setzte sich in Bewegung. Sie passierte das Tor, bog auf die Straße ab und marschierte in Richtung Hafen. Die Gardisten waren überall, es wurde gebrüllt und geflucht, und immer wieder zuckten die Peitschen auf die Köpfe und Rücken der Gefangenen nieder. „Sie prügeln wahllos auf die Männer ein", sagte Arne. Neben sich hörte er das Zähneknirschen von Don Juan de Alcazar. Ja, der Mann kochte vor Empörung. Seine Wut auf Don Antonio und die Kamarilla von Havanna war weiter gestiegen und hatte ihren Siedepunkt erreicht. Da kam noch etwas anderes hinzu: Don Juan hatte eine solche Behandlung schon selbst über sich ergehen lassen müssen, als der Gouverneur ihn gefangennehmen und zur Zwangsarbeit hatte zwingen lassen. Zum Muschelklopfen in die Werft war er getrieben worden - und er hatte nicht vergessen, was er in jenen Stunden empfunden hatte. Der Schluß, daß sich unter den Sträflingen nur wenige echte Verbrecher befanden, lag nahe. Don Antonio füllte die Kerkerzellen von Havanna mit Unschuldigen, mit Männern, die eine Gefahr für ihn darstellten oder sich nicht auf seine schmutzigen Geschäfte einlassen wollten. Sicherlich waren auch Männer darunter, die er um ihr Hab und
Gut erleichtert hatte, oder solche, die versucht hatten, gegen ihn aufzubegehren. Alle seine Feinde saßen im Gefängnis - und jetzt sollten sie im Kampf gegen die Engländer als erste verheizt werden. Die Kolonne schien endlos zu sein. „Hol's der Henker", murmelte Jörgen Brunn. „Da müssen ja eine Menge Galgenvögel einsitzen. Ganz Kuba scheint von ihnen zu wimmeln. Don Antonio unternimmt wohl richtige Säuberungsaktionen, was?" „Das glaube ich auch", raunte Arne ihm zu. „Aber sei still - sie sind schon nah heran. Sie könnten uns entdekken." Die Marschkolonne schob sich auf sie zu und an ihnen vorbei. Aber keiner warf einen Blick in die Nische, auch die Gardisten nicht. Sie waren vollauf mit der Bewachung der Gefangenen beschäftigt. Immer wieder drängten sie ihre Pferde dicht an die Männer heran, schlugen mit den Peitschen zu und brüllten auf sie ein, um zu verhindern, daß jemand auf die Idee verfiel, auszubrechen und die Flucht zu ergreifen. „Wo sind Ramón Vigil und die acht Männer?" flüsterte Don Juan. „Ich kann sie nirgends entdecken." Er begann, unruhig zu werden, Arne mußte ihn zurückhalten. Etwa an die neunzig Männer waren inzwischen an ihnen vorbeigetrieben worden, in Dreierformation, aber die Schaluppen-Crew war immer noch nicht zu sehen. Der Verdacht, den Don Juan nicht offen auszusprechen wagte, stieg nun auch in Arne und Jörgen auf.
54 Waren Ramón Vigil und dessen Kameraden etwa gar nicht mit dabei? Ließ man sie im Gefängnis zurück? Unmöglich. Oder hatte man sie bereits separat an Bord eines der Kriegsschiffe gebracht?
„Da!" zischte Don Juan plötzlich und griff nach Arnes Arm. Tatsächlich, jetzt sahen es auch Arne und Jörgen: Die neun Männer, wegen denen sie sich hier postiert hatten, bildeten den Schluß der Kolonne. Gut so, dachte Arne, das erleichtert uns die Arbeit. Er duckte sich und kauerte sprungbereit da. Den Hut, den er wie Don Juan und Jörgen Bruhn mitgenommen hatte, um sich zu tarnen und zu maskieren, zog er tief in die Stirn. Zwei Stadtgardisten zu Pferd schirmten das Kolonnenende ab. In Höhe der drei letzten Dreiergruppen marschierten auf jeder Seite je ein Fackelträger sowie ein Gardist. Arne, Don Juan und Jörgen überlegten noch, wie sie diese Männer am besten und am schnellsten überwältigen konnten, da half ihnen ein Umstand, mit dem sie nicht gerechnet hatten. An den Rändern der Straße tauchten Schaulustige auf. Der Lärm, der bei dem Zusammentreiben und Abführen der Sträflinge entstanden war, hatte viele Bürger aus ihren Häusern gelockt. Sie schoben sich nah heran, marschierten mit und begafften und bestaunten die Gefangenen. Laut tönten Rufe über die Straße.
,,Seid ihr auf einem Spaziergang?" „Warum haut ihr nicht einfach ab?" „He, läßt der Gouverneur euch frei?" Einer der Gefangenen traf Anstalten, nach einem der Rufer zu treten, aber jetzt waren auch die Gardisten heran und hieben mit ihren Peitschen zu. „Verschwindet!" brüllten sie. „Weg mit euch! Hier gibt es nichts zu glotzen! Ihr habt hier nichts verloren!" Arne, Don Juan und Jörgen hatten sich die Hüte tief über die Gesichter gezogen und verließen die Nische. Sie hielten sich im Dunkeln und verfolgten das Ende der Kolonne. Sie waren immer noch nicht gesehen worden, weder von den Schaulustigen noch von den Gardisten. Aber auch Ramón Vigil und dessen Kameraden ahnten nichts von dem, was sich hinter ihren Rücken zusammenbraute. Als die Kolonne einer Quergasse passierte, geschah es: Ganz vorn gab es Ärger mit einer Gruppe von Schaulustigen, die sich nicht einfach zurückdrängen lassen wollten. Sie fluchten und schrien und setzten sich zur Wehr. Es gärte schon lange unter den Bürgern, und hier schien sich eine langersehnte Gelegenheit zu bieten, etwas von dem aufgestauten Zorn abzulassen. Don Antonio de Quintanilla war der meistgehaßte Mann von Havanna. Die Stadtgarde stellte seinen verlängerten Arm dar, die Exekutive, die ausübende Gewalt, die blind seine Befehle ausführte
55 und dabei sogar noch kräftig übertrieb. Kein Bürger der Stadt Havanna ließ sich gern mit einer Peitsche traktieren. Diese Art der Behandlung überstieg das Maß des Erträglichen. Die Männer protestierten. Ihr Aufbegehren richtete sich zugleich gegen den Gouverneur, der für die Zustände in der Stadt verantwortlich war oder - anders ausgedrückt sich einen Dreck um das Wohlergehen seiner Bürger scherte. „Zurück!" brüllte der Teniente. „Im Namen des Gesetzes!" „Welches Gesetz denn?" schrie einer der Aufsässigen zurück. „Das der Gewalt?" „Wir sind freie Bürger!" rief ein anderer. „Keiner hat das Recht, uns zu prügeln!" Das Geschrei schwoll immer mehr an. Der Teniente und seine Gardisten brauchten dringend Verstärkung. Sie schafften es nicht, die aufgebrachten Bürger zurückzuwerfen. Die Menge wurde immer größer, der spontan erwachte Widerstand drohte, sich zu einem massiven Aufstand zu entwickeln. Die beiden berittenen Gardisten, die das Ende der Kolonne bewachten, gaben ihren Pferden die Peitsche und preschten nach vorn. Zurück blieben nur die vier anderen Soldaten, die ihre Köpfe reckten und nach vorn Ausschau hielten. Eine bessere Chance ergab sich nicht. „Los!" zischte Arne. Er rannte geduckt los und war mit ein paar Sätzen auf der linken Seite
der Kolonne. Er griff den Gardisten und den Fackelträger an. Beide waren zu überrascht und reagierten nicht mehr rechtzeitig genug. Bevor sie etwas unternehmen konnten, krachten ihre Köpfe zusammen, und sie sanken bewußtlos aufs Pflaster. Auf der rechten Seite der Kolonne geschah unterdessen das gleiche. Jörgen Bruhn war heran und donnerte die Köpfe des Gardisten und des Fackelträgers mit mächtigen Schwung zusammen. Bevor sie die Lage erfaßten, waren auch sie gefällt und blieben liegen. Die Kolonne marschierte weiter. Ramón Vigil, der natürlich alles verfolgt hatte, glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Arne war neben ihm und zischte der vorderen Dreiergruppe zu: „Nach rechts in die Gasse!" Vigil schritt in der Mitte dieser Dreiergruppe. Er stieß seine beiden Kameraden mit den Ellenbogen an und bedeutete ihnen durch eine Kopfbewegung, ihm zu folgen. „Tempo!" zischte er. Jetzt reagierten auch die anderen. Ihre Augen bewegten sich nach rechts - und sie sahen ihren Kapitän Don Juan de Alcazar, der ihnen zuwinkte. Ab ging die Jagd - Vigil stürmte zu Don Juan, seine Männer folgten ihm dichtauf. Die Gruppe tauchte in der dunklen Gasse unter. Jörgen Bruhn wartete noch, denn Arne hatte sich soeben nach der einen Fackel gebückt, die einer der zusammengebrochenen Gardisten verloren hatte. Arne richtete sich wieder auf und
56 schleuderte die Fackel voraus, mitten in die Kolonne der Sträflinge. „Haut ab!" brüllte er dazu. „Alle Mann! Nach hinten!" Und schon fuhr er herum, lief zu Jörgen und verschwand mit ihm in der Gasse. Sie rannten, so schnell sie konnten, und holten Don Juan, Vigil und die anderen bei der wilden Flucht durch das Gewirr von Gassen wieder ein. Hinter ihnen herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Die Straße schien zu kochen und zu brodeln, Fackeln zuckten hin und her, Schreie gellten, Peitschen knallten, und ein paar Musketen und Pistolen wurden in die Luft abgefeuert. Unter wüsten Flüchen ergriffen die Gefangenen die Flucht und rannten ihre Bewacher nieder. Ein berittener Gardist brach mit seinem Pferd zusammen und stürzte auf die Straße. Das Tier sprang wieder auf, und einem der Sträflinge gelang es - er hatte sich von seinen Fesseln befreien können -, in den Sattel zu springen. Mit wildem Gelächter preschte er davon. Überall herrschte Aufruhr. Die aufsässigen Bürger trugen noch zu dem Durcheinander bei. Mehrere Gardisten waren in Bedrängnis geraten und mußten sich gegen Fausthiebe zur Wehr setzen. Wieder schossen sie in die Luft. Sie wagten nicht, direkt auf die Männer zu zielen, auch sie wußten, wo ihre Grenzen lagen. Wenn es jetzt zu einem Blutbad kam, würden auch die Bürger keine Rücksicht mehr nehmen
und jeden töten, der ihnen in die Hände geriet. Die Gefangenen ergriffen die Gelegenheit und verschwanden in den Gassen. Neue Gardisten tauchten auf - der Lärm war in der Kommandantur nicht ungehört geblieben. Sie nahmen die Verfolgung der Flüchtlinge auf, und bald wurden die ersten gestellt, niedergeprügelt, in Ketten gelegt und abgeführt. Arne, Don Juan, Jörgen Bruhn und die kleine Crew hetzten unterdessen zur Faktorei. Niemand folgte ihnen, wie sie erleichtert feststellten. Unbemerkt schlüpften sie wenig später durch die Hinterhoftür, an der Jussuf auf sie gewartet hatte. Kaum hörte er die Schritte, die sich hastig näherten, riß er die Tür auf. Sie blieben auf dem Hof stehen. Jussuf riegelte die Tür zu. „Geschafft", sagte Don Juan grinsend. „Eine wirklich vorzügliche Idee, die Sie da gehabt haben, Señor Arne..." Er mußte tief Luft holen und konnte nicht weitersprechen. Auch die anderen waren außer Atem. Sie waren sehr schnell gelaufen und ständig der Gefahr ausgesetzt gewesen, entdeckt und verfolgt zu werden. Ramón Vigil schüttelte Don Juan, Arne, Jörgen und Jussuf die Hände und sagte keuchend: „Vielen Dank. Wie sollen wir das jemals wiedergutmachen?" „Die Frage brauchen Sie gar nicht erst zu stellen, Vigil", erwiderte Arne. „Das Wichtigste ist, daß wir es geschafft haben. Alles andere spielt
57 keine Rolle. Willkommen im Handelshaus von Manteuffel." Er blickte zu Jussuf. „Würdest du so nett sein, uns von dem besten Wein zu bringen, den wir im Keller haben?" „Mit dem größten Vergnügen", erwiderte Jussuf. Sie betraten das Haus, und Arne lud sie zu dem Umtrunk in sein Arbeitszimmer ein, wo alles gründlich durchgesprochen wurde - was geschehen war und was in der jüngsten Zukunft passieren sollte. Jussuf schlich noch während der Nacht wieder in den Hafen, um sich ein Bild vom Fortgang der Ereignisse zu verschaffen. Er kehrte im Morgengrauen zurück und berichtete, was er gesehen und erfahren hatte. 8. Alle hörten ihm aufmerksam zu, keiner unterbrach. „Also", sagte Jussuf zu Arne, „an die dreißig Kerle haben durch euren Einsatz fliehen können, die anderen sind wieder eingefangen worden. Zwar ist in der Nacht wieder mal alles auf den Kopf gestellt worden, aber die Faktorei haben die Gardisten ungeschoren gelassen. Das muß eine Folge deines energischen Auftretens diesem Alonzo de Escobedo gegenüber sein, anders kann ich es mir nicht vorstellen." Er blickte in die grinsenden Gesichter und mußte selbst lachen. „Also, die Gefangenen, denen die Flucht geglückt ist, werden wohl nicht wieder aufgestöbert. Aber für Ersatz wird trotzdem ge-
sorgt. Die Preßkommandos sind schon wieder unterwegs und ziehen durch die Kneipen." „Und Don Antonio tobt?" fragte Arne. „Es heißt, er sei durch den Lärm heute nacht in seinem wohlverdienten Schlaf gestört worden." Jussuf legte die Fingerspitzen gegeneinander, blickte kurz zu Boden und schaute dann wieder auf. „Allah hat meine Stoßgebete nicht erhört, sonst wäre der fette Hund in seinem Bett erstickt." „Jedenfalls sind wir hier sicher", sagte Ramón Vigil. „Wir haben die ganze Zeit gewartet, daß ein Kommando hier auftauchen würde, aber de Escobedo scheint wirklich die Nase voll zu haben, Señor Arne." „Klar", sagte Arne. „Er hat Angst vor einem Duell. Ich habe mich wie ein beleidigter Kavalier aufgeführt. Das hat gewirkt." „Es besteht keine Gefahr, daß uns hier irgend jemand stört", sagte Don Juan. „Das sollten wir ausnutzen. Ich schlage vor, wir schlafen umschichtig im vierstündigen Turnus und schöpfen neue Kräfte, vorausgesetzt, Señor de Manteuffel hat nichts dagegen einzuwenden." „Das hat er nicht", sagte Arne grinsend. „Ich selbst kann eine Mütze voll Schlaf auch gut gebrauchen." So wurden die Kammern im oberen Stockwerk bezogen. Wer ruhen durfte und wer wachen mußte, wurde genau festgelegt. Jussuf und Jörgen übernahmen bereitwillig den ersten Wachtörn, alle anderen legten sich schlafen.
58 Den ganzen Tag über wurden die zehn Kriegsschiffe im Hafen weiter ausgerüstet - und wieder wurden Landemanöver geübt. Auch die Preßkommandos zogen nach wie vor durch das Hafenviertel und streiften durch die Kneipen, wie Jussuf gesagt hatte. In der Stadt ging die Unruhe, vermischt mit Angst, um. Keiner wußte genau, was in den nächsten Stunden noch geschehen konnte, aber die Furcht vor dem Ungewissen hatte sich verbreitet und ließ sich nicht mehr verdrängen. Kaum jemand zeigte sich jetzt noch auf den Straßen. „Mit Havanna nimmt es noch ein böses Ende", sagte Jörgen. „Das sehe ich kommen. Entweder bricht eine Revolution aus, und die Bürger stürmen die Residenz, oder Don Antonio verheizt sie alle. So oder so sieht die Zukunft für diese Stadt ganz schlecht aus. Oder? Denkst du anders darüber?" „Ich bin ganz deiner Meinung", pflichtete Jussuf ihm bei. „Nur hoffe ich, daß die Faktorei von Manteuffel dabei nicht auch vor die Hunde geht. Schließlich hat unser Herr sie für teures Geld gekauft, nicht wahr?" „Ja, da hast du auch recht." Jörgen schwieg und blickte zu den Piers, als läge dort die Antwort auf die vielen Fragen, die seinen Geist beschäftigten. Den Späher der Black Queen, der sich am Rande des Hafens herumtrieb, bemerkten allerdings weder er noch Jussuf. Der Kerl beobachtete alles, was sich abspielte, und kehrte
am frühen Nachmittag zu dem Versteck zurück, in dem der erbeutete Zweimaster lag. Er schilderte, was er gesehen hatte, und die Black Queen und Caligula stießen sich an. „Also doch!" sagte sie triumphierend. „Jetzt geht es los! Ein Großangriff auf die Bastarde vom Bund der Korsaren! Endlich! Zehn Schiffe, sagst du? Nun, gegen einen solchen Verband können sie nicht bestehen." „Und wir sind die lachenden Dritten, wenn es hart auf hart geht", sagte Caligula. „Wir rühren keinen Finger, haben keine Verluste und kriegen, wenn wir es raffiniert genug anstellen, doch noch was von den Schätzen der Hurensöhne ab." „Ja", sagte die Queen. „Jetzt brauchen wir nur noch darauf zu warten, daß der Verband ausläuft. Dann hängen wir uns als Fühlungshalter an den letzten Kahn." Sie blieb mit ihrer kleinen Crew an Bord der Zweimastschaluppe, die getarnt in einer Bucht nahe der Stadt lag. Ein Späher wurde natürlich wieder losgeschickt, aber er hielt sich auf Distanz und verfolgte durch einen Kieker, was weiter geschah. Um keinen Preis durften die Piraten entdeckt werden. Ihr einziges Bestreben war jetzt, das Auslaufen des Geschwaders nicht zu verpassen. So verstrichen noch Tage, ehe Don Antonio de Quintanilla alle Vorbereitungen für seinen großen Schlag gegen die Schlangen-Insel zum Abschluß brachte.
59 Am 18. Juli erfuhr der stets gegen- Prunkkutsche um vier Uhr nachmitwärtige und listige Jussuf, auf was tags an der Pier hielt, an der eine der alle schon lange gespannt warteten. Kriegsgaleonen vertäut lag. Kein an„Am späten Nachmittag soll der derer als Don Antonio de QuintanilVerband auslaufen", sagte er, als er la, dick und üppig aufgeplustert wie nach neuen Erkundungen im Hafen üblich, stieg aus. Er ließ sich Luft zuzur Faktorei zurückkehrte. „Jetzt ist wedeln, blickte sich interessiert um und schritt auf die Galeone zu, auf es soweit." deren Decks jetzt rege Betrieb„Na schön", sagte Arne grimmig. samkeit einsetzte. „Das wird ein großes Schauspiel." Gepäck wurde an Bord gebracht, „Ich würde am liebsten doch an dann erschienen der Kommandant Bord des Flaggschiffs gehen", sagte und die Offiziere der Galeone auf der Don Juan. Pier, empfingen Don Antonio und Arne schüttelte den Kopf. „Das, Se- geleiteten ihn mit umständlichem ñor, werden Sie hübsch bleiben las- Gebaren an Bord. sen." „Nun sehen Sie sich das an", sagte „Und wenn ich es gegen Ihren Wil- Arne. „Die ganze Bande verschwinlen tue?" det im Achterdeck." „Nur über meine Leiche." „Und am Großmast steigt eine „Donnerwetter", sagte Don Juan Flagge hoch", sagte Don Juan. „Die beeindruckt. „Sie meinen das ja Gouverneursflagge. Ich werd' verwirklich ernst." rückt." Noch etwas bemerkenswertes ge„Er hat es sich in den Kopf gesetzt, schah an diesem Tag. Arne und Don das Unternehmen selbst zu leiten." Juan beobachteten von den oberen „Hoffentlich verreckt er dabei", Fenstern der Faktorei aus, wie eine sagte Don Juan.
60 Das Flaggschiff hieß „San José", wie sie von den Fenstern aus mühelos erkennen konnten. Es war größer und schwerer armiert als die anderen Galeonen und schon deshalb als Führungsschiff des Verbandes geeignet. Zischend stieß Don Juan die Atemluft aus. „Hol's der Teufel, Arne", sagte er. „Ich weiß nicht mehr weiter. Wie sollen wir diesen Wahnsinn noch verhindern? Ich sehe keine Möglichkeit mehr." „Wir werden kämpfen", entgegnete Arne hart. Sein Gesicht war wie versteinert. „Aber - mit was denn?" „Sie vergessen die Schebecke, Don Juan." Don Juan, der jetzt schon resigniert und verzweifelt wirkte, horchte auf. „Meinen Sie das wirklich?" „Natürlich, sonst hätte ich es nicht gesagt." „Auch ich habe schon an die Schebecke gedacht", sagte Don Juan, „dann aber den Plan wieder verworfen. Sie haben mir neuen Mut eingeflößt, Arne." „Gut. Im übrigen müßten wir uns ja sonst auch fragen, wozu wir überhaupt die neun Männer befreit haben." „Auch das ist richtig." „Wollen Sie meinen Plan hören?" fragte Arne. „Gern. Ich bitte Sie darum." „Sobald es dunkel ist, entern wir die Schebecke. Wir rüsten sie aus und folgen dem Verband."
„Und dann?" fragte Don Juan. Seine Augen hatten jetzt einen eigenartigen Glanz. „Oh, da gibt es einige Möglichkeiten", erwiderte Arne. „Man könnte dem Flaggschiff zum Beispiel einen Schuß in die Ruderanlage verpassen, so daß es manövrierunfähig wird." „Aha. Wie die Engländer es tun, nicht wahr?" Don Juan mußte jetzt doch grinsen. „Richtig", antwortete Arne. „Genau wie die Engländer. Von denen kann man ja einiges lernen, wie es scheint." Der Tag neigte sich seinem Ende entgegen. Um achtzehn Uhr verließen die Kriegsschiffe den Hafen von Havanna. Fast still und heimlich wirkte ihr Davonsegeln, es war von einer Aura des Bedrohlichen und Bösen erfüllt. Kein Mensch stand am Kai und winkte den Besatzungen nach, es war das erste Mal, daß ein Konvoi grußlos diesen Hafen verließ. Zur selben Stunde standen in der Faktorei von Manteuffel bereits Säkke und Kisten bereit. Proviant, Waffen, Munition - Arne hatte an alles gedacht. Die Männer fieberten dem Unternehmen entgegen, sie waren ausgeschlafen und konnten es jetzt kaum noch erwarten, daß es losging. Kaum war es dunkel, wurde Arnes Plan in die Tat umgesetzt. Wieder bewegten sich Schemen durch das Hafenviertel, das jetzt völlig verlassen wirkte. Die Schebecke war nur noch von zwei Posten bewacht, die ohnehin nicht mehr wußten, warum sie auf diesem verrückten Schiff Wache schieben sollten.
61 Entsprechend war es bei ihnen um die Wachsamkeit bestellt. Sie hatten sich eine Flasche Rum geholt und bereits bis auf ein Drittel ihres Inhalts geleert. Jetzt saßen sie achtern und erzählten sich Witze. Als Vigil zu ihnen kletterte, schienen sie ihn nicht einmal zu bemerken. So erkannten sie ihn nicht, als er ihnen den Knauf seiner Pistole über die Hinterköpfe zog. Sie sanken bewußtlos zusammen. Vigil gab den Kameraden das Zeichen, auf das sie warteten, und jetzt wurde es richtig lebendig an Bord der Schebecke. Die beiden Posten wurden gefesselt und in einen leeren Lagerschuppen gesperrt. Don Juan kontrollierte unterdessen eiligst die Munitionsvorräte an Bord der Schebecke. Ja man hatte alles unangetastet gelassen. Die Säcke und Kisten wurden an Bord gemannt, alles geschah schnell, heimlich und ohne viel Aufsehen. Gegen zehn Uhr wurden die Leinen losgeworfen, und die Schebecke legte ab. Sie glitt aus dem Hafen und ließ eine Stimmung der Trägheit und des Unwillens zurück. Seit der Verband ausgelaufen war, herrschte der Schlendrian. Niemand schien sich mehr um etwas zu kümmern, jede Tätigkeit hatte an Bedeutung verloren. Havanna war nur schwach erleuchtet und wirkte wie ein gigantischer Friedhof. Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn befanden sich an Bord der Schebecke. In der Faktorei war nur Jussuf zurückgeblieben. Vom Fen-
ster aus blickte er der Schebecke nach, solange er sie noch sehen konnte. Dann stieg er in den Hof hinunter. „Allein fühle ich mich nicht", sagte er im Selbstgespräch. „Ich habe ja meine kleinen Lieblinge - und dich." Er bückte sich nach der Katze, die ihm wieder Gesellschaft leistete, und streichelte sie. „Wir verstehen uns und kommen gut miteinander aus, was?" Er bereitete die Nachricht vor, die zur Schlangen-Insel geschickt werden und die Freunde über die letzten Neuigkeiten unterrichten sollte. Der Überbringer war der treue und bewährte „Täuberich" Achmed, der auf direktem Kurs zur Insel fliegen und in den Schlag neben seiner Gattin Fatima einfallen würde. Die Nachricht, die Arne vor dem Verlassen der Faktorei bereits aufgesetzt hatte, lautete: „6 Kriegsgaleonen, 4 Kriegskaravellen 18. 7. 17.00 Uhr Kurs Osten ausgelaufen. An Bord von Flaggschiff Gouverneur. Verfolge Verband mit Don Juan und Schebecke, um bereits zuzuschlagen - Arne." Natürlich hatte er die Botschaft wie üblich in deutscher Sprache abgefaßt, damit kein Unbefugter sie lesen konnte. Doch die Gefahr, daß Achmed womöglich gar einem Gegner in die Hände fiel, war gering. Achmed würde seine Sache wieder gut und gründlich besorgen, davon war Jussuf fest überzeugt. Er befestigte das Röllchen unter dem Gefieder Achmeds, dann ließ er ihn - begleitet von seinen guten Wünschen - in den Nachthimmel
62 über Kuba aufsteigen. Achmed drehte seine Grußrunde, dann verschwand er.
Don Antonio, dachte Jussuf, Allah wird dich strafen, für all deine Schandtaten...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 412
Auf Kriegsmarsch von Frank Moorfield Don Juan de Alcazar paßte genau den richtigen Augenblick ab, um seinen Angriff auf das Flaggschiff „San José" zu fahren, das an der Spitze des spanischen Kampfverbandes segelte. Da hatte sich der Mond gerade hinter einigen Wolkenfetzen verborgen, so daß die Schebecke aus dem dunklen Hintergrund heraus vorstieß. Als sie am Heck der „San José" vorbeistrich, gab Don Juan das vereinbarte Zeichen zu den Männern an den Drehbassen. Sie donnerten gleichzeitig los und hieben ihre Ladungen mit Wucht in das Heck des Flaggschiffs - in die Ruderanlage. Das häßliche Krachen und Bersten von Holz bewies, daß die Eisenladungen ihr Ziel erreicht hatten. Und prompt lief das Flaggschiff aus dem R u d e r , . . Diesen Roman mit einem neuen spannenden Abenteuer des Bundes der Korsaren erhalten Sie bereits in der nächsten Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler sowie in allen Bahnhofsbuchhandlungen.
Entdecker Dieser unsichtbare Mann wurde hin und wieder mit Fußtritten traktiert oder laut ausgeschimpft. Natürlich schimpfte der Kerl lautstark zurück, und so kam es zu erbitterten Wortgefechten. Als es Joshua einmal zu bunt wurde, legte er den Kerl kurzerhand in Eisen. Es muß eine recht merkwürdige Reise gewesen sein mit der unsichtbaren Besatzung und dem fluchenden Joshua. Er hat aber alles peinlich genau aufgezeichnet und später in dem Buch „Erdumsegelung ganz allein" veröffentlicht. Natürlich hatte er auch einen Smutje an Bord. Der war zwar auch unsichtbar, aber doch ein Schmierlappen, der nie richtig die Kombüse aufklarte. Einmal servierte der Smutje ihm Schildkrötenfleisch mit Zwiebeln und fragte, wie es ihm geschmeckt habe. „Habe auf den Schiffen Seiner Majestät schon schlechter gegessen", murmelte Joshua. „Aber trotzdem war eine Mannschaft selten so zufrieden mit ihrem Koch." Mit traumwandlerischer Sicherheit lief er die Azoren an und war sehr erstaunt, daß ihm hier ein überaus freundlicher Empfang zuteil wurde. Er wußte nicht, daß sich sein Unternehmen bereits herumgesprochen hatte.
Die Leute luden ihn zum Essen ein und überreichten ihm Geschenke, die er verblüfft annahm. Ein paar Tage blieb er bei den freundlichen Azoren-Leuten, dann segelte er Hals über Kopf weiter. Der Grund für seine überstürzte Abreise war ein hübsches junges Mädchen, das sich in den Kopf gesetzt hatte, mit dem bärtigen und kauzigen Alten mitzufahren. Als das hartnäckige Mädchen am Kai von Fayal mit Reisetaschen aufkreuzte, wurde dem Alten angst und bange, und er verschwand. Seine Reise wollte er durch das Mittelmeer fortsetzen, dann in den Indischen Ozean und von dort aus in den Pazifik segeln. Doch in Gibraltar änderte er seine Pläne, denn britische Offiziere rieten ihm davon ab. Die Kanalgebühren im Suezkanal seien zu hoch, und außerdem trieben sich im Roten Meer Piratenhorden herum. Joshua sah das ein, mit Geld war er ohnehin nicht gesegnet, und so beschloß er, auf den Spuren Magellanes die Welt zu umsegeln, also wieder über den Atlantik. Er segelte bis Buenos Aires, und war erstaunt, wiederum auf nette und freundliche Leute zu treffen, die ihn aufnahmen und zum Essen einluden. Sie warnten ihn allerdings vor seiner weiteren Odyssee vor den Patagoniern und Feuerländern. Die Kerle
würden nachts über ihn und sein Schiff herfallen, wenn er unter Land ankern würde. Mit sehr gemischten Gefühlen setzte Joshua die Reise fort und segelte in die Magellan-Straße. In dieser engen und klippenreichen Wasserstraße war es ihm unmöglich, nachts schlafend und mit festgelaschtem Ruder zu segeln. Daher ankerte er, wenn er müde war, dicht unter Land. Und weil er ein umsichtiger Mann war, stopfte er einen Strohsack aus, und stellte diesen ausgestopften Wachtposten deutlich sichtbar am Heck auf. Dann fiel ihm noch etwas ein. Er hatte zwei Schachteln Reißzwecken mitgenommen zwecks Abschlusses von Taufgeschichten mit irgendwelchen Wilden, auf die er bisher aber noch nicht gestoßen war. Diese Reißzwekken streute er an Deck aus, und kurz vor dem Ausgang der Magellan-Straße retteten sie ihm das Leben. Er schlief gerade, als er plötzlich durch einen markerschütternden, gellenden und schrillen Schrei aus seinen lebhaften Träumen gerissen wurde. Joshua sprang aus seiner Koje und hörte gerade noch ein Aufklatschen im Wasser. Dann folgten schnelle Paddelschläge und jaulende Laute in einer unbekannten Sprache. Weise lächelnd sammelte Joshua seine Reißzwecken säuberlich wieder
ein und verwahrte sie. Den verdammten Feuerländern hatte er es aber gegeben! Die kamen bestimmt nicht wieder. Joshua glich irgendwie dem alten Fischer Santiago aus Hemingways „Der alte Mann und das Meer". Auch er war bescheiden, ausdauernd und genügsam. Auch er liebte fliegende Fische, die während seiner zweieinhalb-monatigen Reise von der Robinson-Insel Juan Fernandez nach Samoa begleiteten. Er mußte sich überwinden, die an Bord „gelandeten" Fische zu verspeisen, und er verkniff sich das, wenn er nicht sehr hungrig war. Seine liebsten Freunde aber waren die Delphine, die hin und wieder auftauchten und ihn ein Stück begleiteten. Sah er einen dieser wendigen und fröhlichen Gesellen, dann nahm er am Schanzkleid Aufstellung und grüßte militärisch, weil sie für ihn die Seelen ertrunkener Seeleute verkörperten. Seine unglaubliche Segelkunst und eine Portion Glück retteten ihm wieder einmal das Leben. Es war zwischen den Fidschi-Inseln und Neukaledonien. Dort braute sich ein Unwetter zusammen, das schließlich zu einem brüllenden Orkan wurde. Wird fortgesetzt. Fred McMason