ROY ROCKWOOD
BOMBA IM BERG DER FEUERHÖHLEN
AWA-VERLAG MÜNCHEN 8
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Der Originaltitel lautet
BOMBA AT THE MOVING MO...
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ROY ROCKWOOD
BOMBA IM BERG DER FEUERHÖHLEN
AWA-VERLAG MÜNCHEN 8
2
Der Originaltitel lautet
BOMBA AT THE MOVING MOUNTAIN Aus dem Amerikanischen übertragen von Dr. Hansheinz Werner Bearbeitung: Werner Gronwald, Wessling Umschlaggestaltung: Herm. M. Schneider, München Gesamtberstellung: AWA-Druck Krüger & Co. München Non Profit Scan by: Wesir der Nacht & Sungella 10/2005
Printed in Germany Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
AWA-VERLAG MÜNCHEN
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1 Das Zischen der Schlange Als Bomba den Gipfel des Hügels erklommen hatte, blieb er am Fuße eines knorrigen Baumriesen stehen. Er beschattete die Augen mit der Hand und hielt vorsichtig Umschau. Vor ihm wogte der Dschungel wie ein grünes Meer — mit den Wolkenkämmen kleiner Hügel und mit Lichtungen, die wie helle Schaumspritzer zwischen den grünen Wellen aufleuchteten. Die Landschaft senkte sich nach Norden zu, so daß Bomba eine der näheren Lichtungen deutlich sehen konnte. Dort quirlte Rauch auf. In der Einsamkeit des Urwaldes konnte Rauch immer Gefahr bedeuten. Für Cody Casson und Bomba war es besonders wichtig, eine Gefahr rechtzeitig zu erkennen. Ohne zu zögern, begann Bomba den Doladobaum zu erklettern, der die Kuppe des Hügels mit seiner Krone weit überragte. Dieser alte Riese war voll spitzer Dornen, aber der Junge verstand es so geschickt, jede Unebenheit und jeden Riß im Stamm als Halt für Hände und Füße zu gebrauchen, daß er schnell vorankam. Von seinen vierbeinigen Urwaldfreunden, den Affen Tatuc und Doto, hatte er gelernt, ohne Hilfe der Knie, nur mit den Fingern und den Füßen zu klettern, und des-
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halb sah es aus, als glitte ein pantherartig geschicktes Wesen den Stamm hinauf. Im Gewirr der Äste entschwand die Gestalt jedem Blick. Der Junge, der im Wipfel des Baumes auf einem Ast kauerte und über das Blätterdach der Bäume hinwegblickte, bot ein Bild von Anmut und Harmonie. Es war so, als gehörte Bomba zum Dschungel, als wäre er die Verkörperung von wilder Schönheit, von Jugendkraft und Lebensfreude, von all jenen Elementen des blühenden Daseins, die im Dschungel so mannigfaltig und unverfälscht zur Gestaltung drängten. Der Junge mochte etwa vierzehn Jahre alt sein. Für sein Alter war er ziemlich groß und kräftig. Er hatte braunes, lockiges Haar und Augen von rehbraunem Glanz. Jetzt hatte dieser Blick die Schärfe und Aufmerksamkeit eines Indianerauges. Die bronzefarbig getönte Haut und die Kleidung aus Pumafell, Lendentuch und selbstgeflochtenen Sandalen ließen leicht die Täuschung zu, daß man einen Indianer des Amazonasgebietes vor sich hatte. Wie ein Eingeborener hatte Bomba als Waffe und Handwerkszeug ein langes Buschmesser — die Machete — im Gürtel stecken. Pfeile und Bogen hatte er am Fuße des Baumes zurückgelassen. Von den Wilden unterschied den Jungen neben der helleren Hautfarbe auf der Brust auch der Besitz eines Revolvers. Diese Waffe war ein Geschenk von Gummisuchern, die Bomba vor einiger Zeit im Urwald getroffen hatte. Bei einem nächtlichen Überfall von Jaguaren hatte er den Männern das Leben gerettet, und das Geschenk ihrer Dankbarkeit war der fünfschüssige Revolver gewesen.
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Bombas Blick glitt dorthin, wo sich der Rauch von der Lichtung hochkräuselte. Von seiner luftigen Höhe aus konnte er fast das ganze, grasbewachsene Oval der Lichtung einsehen. Nur die Stelle, an der das Lagerfeuer brennen mußte, war noch von Bäumen verdeckt. Bomba mußte deshalb noch höher in den schwankenden Baumwipfel hineinklettern. Er fragte sich besorgt, ob es Kopfjäger waren, die dort Rast hielten. Schon früher am Tage hatte er eine Gruppe dieser blutgierigen Indianer gesichtet. Einige von ihnen trugen am Gürtel als Trophäen die zusammengeschrumpften und sorgfältig präparierten Menschenköpfe mit den echten, blauschwarzen Haarsträhnen, die von der Ermordung harmloser Eingeborener Kunde gaben. Einmal hatte Bomba die Wildheit und Grausamkeit der Kopfjäger am eigenen Leibe spüren müssen. Sie hatten ihm und seinem alten Gefährten Cody Casson nach dem Leben getrachtet. Bei dem Kampf waren einige der Wilden getötet worden, und der Häuptling Nascanora hatte Verwundungen erlitten. Es war nicht ausgeschlossen, daß ihre Rachsucht die Kopfjäger dazu treiben würde, von neuem einen Angriff auf die beiden Weißen im Dschungel zu wagen. Unter der Last des Menschengewichtes geriet der dünne Baumwipfel bedenklich ins Schwanken. Der Urwaldriese hatte eine Höhe von nahezu sechzig Metern, und ein Sturz in die Tiefe würde für den Jungen den Tod bedeuten. Sehr vorsichtig setzte er den Fuß noch ein wenig höher hinauf. Jetzt endlich sah er das, was ihm wichtig erschien. Am Rande der Lichtung saßen Gruppen von Indianern im Gras. Über einem Feuer brieten lange Fleischstücke.
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Einige der Eingeborenen aßen, während andere in lebhafter Unterhaltung beieinander hockten. Aus ihren heftigen Handbewegungen war zu erraten, daß es sich um hitzige Wortgefechte handeln mußte. Doch dann sah Bomba etwas, das ihn mehr fesselte als der Anblick der schmausenden und schwatzenden Indianer. Unwillkürlich beugte sich der Junge auf seinem luftigen Sitz weit vor. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er erspähte vier Gestalten, die an einen Baum gefesselt waren. Es waren keine Indianer — Bomba erkannte es sofort an der Kleidung. Wie die Gummisucher, denen er vor einiger Zeit begegnet war, trugen sie Tropentracht, die sie von den Wilden unterschied. Dort waren Menschen von seiner Art! Aber sie waren Gefangene der Kopfjäger, und Bomba wußte, was es bedeutete, Gefangener dieser mordgierigen Wilden zu sein. Menschen von seiner Art! Bomba atmete erregt und starrte angestrengt auf die Lichtung hinunter. Aus dieser Entfernung waren die Gesichter nicht deutlich zu erkennen. Eine Gestalt fiel ihm jedoch auf. Sie war schlanker und nicht so groß wie die anderen Gefangenen. Golden schimmerndes Haar fiel ihr über die Schultern. Das war ein Anblick, der Bomba mit einer unbekannten, süßen Sehnsucht erfüllte. Noch nie hatte er eine weiße Frau gesehen, und nun wußte er, daß dort eine in der Gefangenschaft der Kopfjäger war. Ob seine Mutter auch solche wunderbaren, goldenen Haare gehabt hatte? Die Vorstellung, daß es ebensogut seine Mutter sein könnte, die in der Gewalt der grausamen Wilden schmachtete, erfüllte ihn mit wildem Zorn. Das durfte nicht sein! Er mußte sie retten! Er mußte diese Weißen retten! Der Wille war so stark und impulsiv, daß Bomba sich keine
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Gedanken um die Ausführung der Tat machte. Nur erst an Ort und Stelle sein, dachte er. Er verließ sich auf seinen Mut und auf seine Dschungelerfahrung. Im rechten Augenblick würde ihm schon der beste Plan einfallen. Schnell und gewandt begann Bomba seinen Abstieg vom Doladobaum. Er ließ sich hinabgleiten, schwebte mitunter, nur von seinen Händen gehalten, hoch zwischen Himmel und Erde und fand dann mit den Füßen wieder Halt auf einem Ast. Plötzlich hielt er inne. Ein Laut hatte sein Ohr berührt, und er erstarrte mitten in der Bewegung. Es war das böse, angriffslustige Zischen einer Schlange gewesen. Zwischen ihm und dem Boden verbarg sich das Tier irgendwo im Geäst. Das war das schlimmste dabei: der Fluchtweg nach unten war ihm abgeschnitten.
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2 In Todesnot Über Bomba war nur der dünne Baumwipfel und der Tropenhimmel. Der nächste Ast war etwa neun Meter entfernt. Bis dorthinüber hätte auch der kräftigste Affe nicht springen können — und so war kein Fluchtweg offen! Das Zischen der Schlange klang jetzt noch näher. Das dichte Laubwerk verbarg den Körper, aber das Rascheln der Blätter verriet die Stelle, von wo die Schlange emporgekrochen kam. Bombas Hand tastete unwillkürlich dorthin, wo der Revolver im Gürtel steckte. Das wäre das sicherste Verteidigungsmittel gewesen. Im gleichen Augenblick erinnerte sich Bomba jedoch an die Kopfjäger auf der Lichtung. Der Schall des Schusses würde sie sofort herbeilocken. Aus der Gefangenschaft der Schlange würde er in die Gefangenschaft der blutrünstigen Wilden kommen. Da zog er den offenen Kampf mit dem Reptil vor. Also war er nur auf die Schnelligkeit seiner Hand, auf sein Selbstvertrauen und auf die Schärfe seiner doppelschneidigen Machete angewiesen. Jetzt entdeckte Bomba zum ersten Male die Bewegungen des Schlangenkörpers. Die Blätter des Astes unter ihm hoben und senkten sich in wellenförmiger Bewegung.
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Dort bahnte sich der Schlangenleib seinen Weg zu ihm hin. Das Laubwerk teilte sich, und der dreieckige Kopf mit seinem Schuppenmuster hob sich empor. Mit einem bösartigen, hypnotisierenden Glitzern richtete sich der Schlangenblick auf sein Menschenopfer. Es war so, als wollten die schmalen Augen jede Bewegung ihrer Beute lähmen — als wollten sie den Mut und die Lebenskraft zum Erlöschen bringen, um dann umso leichter den Todesbiß anzubringen. Bomba war erregt und erschreckt, aber er gab den Kampf nicht verloren, noch bevor er begonnen war. Er zog seine Machete und erwartete den ersten Angriff. Da er nichts anderes als das Leben im Dschungel kannte, war er daran gewöhnt, seinen Körper gegen alle möglichen Gefahren zu verteidigen. Schon andere Kämpfe gegen Giftschlangen hatte er bestehen müssen. Vielleicht war ihm auch diesmal das Glück hold. Die Schlange war jetzt in gleicher Höhe mit ihm. Zwischen zwei eng beieinander wachsenden Dornenästen glitt sie sehr langsam auf ihn zu. Auch sie wußte, daß ein Kampf bevorstand. Ihre Bewegungen waren vorsichtig und bedächtig. Nur die blitzschnell hin- und hergleitende, gespaltene Zunge verriet die Erregung des Reptils. Die Chancen waren gegen Bomba. Er mußte sich weiter und weiter auf dem Ast zurückziehen. Nur noch zwei Meter maß die Entfernung zwischen ihm und dem Giftrachen. Die Schlange hielt inne und rollte ihren Leib zwischen den beiden Ästen ringförmig zusammen. Aus dieser Stellung würde sie den Kopf zum tödlichen Angriff vorschnellen lassen, und dieser Angriff würde so schnell kommen, daß es dagegen kaum eine Abwehr gäbe.
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Bomba war es gewöhnt, alle Hilfsmöglichkeiten der Umgebung mit auszunutzen. Diese gefahrerprobte Denkund Kombinationsfähigkeit hatte ihm mitunter in Kämpfen das Leben gerettet, wo es sonst aussichtslos erschienen wäre, gegen die tierische Kraft und Überlegenheit zu siegen. Jetzt entdeckte er die seltsame Lage des Schlangenkörpers auf den beiden Ästen — und er faßte sofort einen Entschluß. Noch weiter glitt der Junge auf dem Ast zurück. Jetzt bog er das Ende jenes Astes, auf dem der Schlangenleib ruhte, soweit wie möglich nach unten. Dann ließ er ihn plötzlich hochschnellen. Der zähe und elastische Zweig federte empor und prallte an den höher gelegenen Ast. Die Schlange wurde so zwischen den beiden Ästen eingeklemmt, und die spitzen Dornen drangen in den Leib. Die natürliche Falle hielt. Mit peitschenden Bewegungen versuchte sich die Schlange aus den Dornenzähnen des Baumes zu befreien. Ein schreckerregendes Zischen der Wut kam aus dem Rachen des Untiers, und es drehte und wand seinen Schuppenleib. Da die beiden Äste so dicht übereinander aus dem Stamm wuchsen, bohrten sich die einmal in den Schlangenkörper gedrungenen Dornen nur noch tiefer hinein. Jetzt schien sich die Jaracara, die gefährliche Giftschlange, an ihren Feind zu erinnern, der sie in diese Lage gebracht hatte. Sie wandte den Kopf herum und stieß ihn blitzschnell in Richtung des Jungen vor. In ohnmächtiger Wut wiederholte sie ihre Angriffe. So sehr sie sich auch reckte: die Stöße waren um einen halben Meter zu kurz. Das Gift aus den Fangzähnen spritzte gegen das Pumafell auf der Brust des Jungen, aber der Kopf sank immer wieder zurück.
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Allmählich erschöpfte sich die Kraft der Jaracara. Noch einmal richtete sich der schwarze Hals mit dem häßlichen Kopf empor und stieß vorwärts. Dann fiel der Kopf ermattet zur Seite — und auf diese Chance hatte Bomba gewartet. Als die Aufmerksamkeit der Schlange sekundenlang erlahmte, schnellte der Arm des Jungen vor und trennte mit einem Hieb der Machete den Kopf vom Rumpf des Reptils. Schon als das Schlangenhaupt längst zwischen den Zweigen hindurch zu Boden gefallen war, wand sich der Leib noch in der Dornenfalle der Äste. Bomba wischte seine Machete an den Blättern ab und glitt dann an dem toten Schlangenkörper vorüber in die Tiefe. Eile war nötig. Die Schlangen pflegten meist paarweise zu jagen. Die Gefährtin der Jaracara konnte in unmittelbarer Nähe sein, und Bomba hatte kein Verlangen nach einer zweiten Schlangenbegegnung an diesem Tage. Während er schnell und gewandt hinabglitt, huschte der aufmerksame Blick des Jungen über jeden Zweig. Aber er sah nichts. Dann dachte Bomba wieder an die Menschen auf der Lichtung. In der Aufregung des Kampfes hatte er sie vergessen. Er stieg noch einmal höher hinauf und hielt Ausschau. Die Weißen waren noch am Baum gefesselt, aber das Mahl der Wilden schien beendet zu sein. Sie standen beieinander und beratschlagten. Bald würden sie wahrscheinlich aufbrechen. Bomba hatte den Abstieg schon wieder begonnen, als sein Blick eine zweite Rauchsäule wahrnahm. Diese Lichtung war nicht weit von der anderen entfernt. Aber ein eisiger Schreck durchfuhr den Jungen, als ihm klar wurde,
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wie nahe die Rauchsäule bei seiner eigenen Hütte in die Höhe stieg. Casson! Sein alter Lehrer und früherer Beschützer war in Gefahr! Seit Jahren war der Alte nur noch ein Schatten seiner selbst. Krank, an Gedächtnisstörungen leidend und lebensmüde — war der alte Mann für den Jungen keine Hilfe mehr, sondern nur noch eine Last. Aber Bomba liebte Cody Casson. Jetzt hatte kein anderer Gedanke mehr Platz im Gehirn des Jungen, als der, seinem alten Gefährten zu Hilfe zu eilen. Bomba war sicher, daß die zweite Rauchsäule ebenfalls von einem Lagerfeuer der Kopfjäger stammte. Und wenn es den Wilden gelingen sollte, vor ihm bei der Hütte zu sein, dann war der Alte verloren. Als Bomba den Boden erreicht hatte, nahm er seinen Bogen und die Pfeile auf und eilte davon. Nur im Vorübergehen warf er noch einen Blick voller Abscheu auf das Schlangenhaupt. Der Rachen war geöffnet, die spitzen Zähne schimmerten drohend, und die Augen schienen ihn noch im Tode mit einem haßerfüllten, glasigen Blick anzustarren. Im Laufen dachte Bomba an die Gefangenen auf der Lichtung. Sein Herz fühlte sich zerrissen von zwei Pflichten. Auch sie hatten seine Hilfe nötig: die drei Männer und die blonde Frau, die in der Gewalt der Kopfjäger waren. Ohne ihn waren sie zweifellos verloren. Aber er konnte ihnen im Augenblick keine Hilfe bringen. Noch näher stand Cody Casson seinem Herzen. Der Junge schwor sich, den Gefangenen zu Hilfe zu eilen, sobald Casson außer Gefahr war. Er sagte sich das im Laufen immer wieder, um den Schmerz zu betäuben, der sein Inneres durchdrang. Weiße
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in der Gefangenschaft der Kopfjäger! Und dazu noch eine Frau! Er mußte auch ihnen helfen! Als Bomba durch den Dschungel eilte, flatterten Kiki und Woowoo, seine beiden Papageienfreunde, heran. Auch Doto, der Affe, hangelte sich durch das Gezweig und eilte an seine Seite. Aber der Junge hatte keine Zeit, sich um seine Freunde zu kümmern. Er gab ihnen das durch Gesten und Worte zu verstehen, und sie blieben betrübt zurück. „Ein andermal!“ rief der Junge ihnen zu. Er winkte und eilte weiter. Wahrscheinlich würden sie ihn nun heimlich begleiten, wie sie das oft zu tun pflegten. Aber er hatte keine Zeit, darauf zu achten. Bomba schlug ein noch rascheres Tempo ein. Bald stieg Rauchgeruch in seine Nase, und er wurde vorsichtiger. Sein Schritt war unhörbar. Wenn man seine Bewegungen sah, mochte man an eine Raubkatze denken, die ihr Opfer beschleicht. Die Muskeln spielten unter der gebräunten Haut. Jeder Schritt, jede Geste zeugte von der natürlichen Anmut und Kraft eines Wesens, das seinen Körper vollendet beherrscht. Stimmengewirr drang an Bombas Ohr. Der Junge ließ sich zu Boden fallen und glitt mit schlangenartiger Geschmeidigkeit durch das Unterholz. Bald war er nahe genug, um die Stimmen aus nächster Nähe zu hören. Vorsichtig teilte er den Blättervorhang und spähte hindurch. Mehr als zwanzig Eingeborene waren auf der Lichtung zu sehen. An einer schwarzgebrannten Stelle im Gras lagen Fleischreste und Knochen. Das Mahl war beendet, und die Kopfjäger rüsteten zum Aufbruch. Sie nahmen ihre Speere und ihre Bogen und schnatterten in der Eingeborenen-
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Sprache aufgeregt miteinander. Ihre Gesichter verhießen nichts Gutes. Aber wo war Nascanora, ihr Häuptling? Bomba ließ den Blick von einem Gesicht zum anderen gleiten, ohne das narbige Gesicht des riesigen Indianers entdecken zu können. Dieser Häuptling der Kopfjäger, den Bomba seinerzeit beim Kampf verwundet hatte, war sicherlich der erbitterste Feind, den der Junge kannte. Wo dieser baumlange Wilde war, mußte auch für Bomba Gefahr sein. Hier jedoch erwiesen die Kopfjäger einem anderen Manne ihre Ehrerbietung. Auch dieser Häuptling war groß und kräftig wie Nascanora. Er hatte sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem. Bei seinem Anblick erinnerte sich Bomba an das, was ihm Hondura, ein freundlich gesinnter Indianerhäuptling, erklärt hatte. Nascanora hatte einen Halbbruder mit Namen Tocarora. Die beiden teilten sich in die Führung des Stammes der Kopfjäger vom „Großen Fall“. Es war sehr wohl möglich, daß Bomba hier den Halbbruder seines gefürchteten Feindes vor sich hatte. Nicht ausgeschlossen, daß dieser Häuptling gekommen war, um Rache zu nehmen für die Verwundung und die Schmach, die Bomba seinem Halbbruder und dessen Stamm in der Kampfnacht zugefügt hatte. Hondura, der freundliche Häuptling, hatte Bomba auch erzählt, daß Tocarora allgemein als schwachsinnig galt. Nun schaute sich der Junge den riesigen Mann daraufhin an, und er glaubte im Ausdruck der Augen und in den Gesten des Mannes eine Bestätigung dafür zu finden, daß er sich nicht geirrt hatte.
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Da die Wilden sich marschfertig machten, hatte Bomba keine Zeit mehr, seine Vermutung nachzuprüfen. Aus den Gesten der Männer entnahm er, daß sie in Richtung der eigenen Hütte aufbrechen wollten. Dorthin mußte er zuerst gelangen, um Casson zu warnen und mit ihm in den Urwald zu flüchten. Im weiten Bogen kroch Bomba um das Lager herum. Als er glaubte, weit genug entfernt zu sein, erhob er sich und eilte weiter. Der Weg durch den Dschungel bedeutete kein Hindernis für den Jungen. Überall fand er zwischen den wuchernden Fangschnüren der Lianen, zwischen den Fächern der Palmen und den Dornenbüschen einen Durchschlupf. In der grünlichen Dämmerung glitt er mit rehleichtem Schritt dahin. Schlammige Tümpel versperrten ihm den Weg. Der Urwald war voller Gefahren. Aber Bomba dachte nur an Cody Casson — an den alten Mann, der ohne ihn verloren war. Als er schließlich die Lichtung erreichte, rann ihm der Schweiß in Strömen die Wangen hinab. Die Tür zur Hütte stand offen. Bomba stürzte hinein und weckte den Alten, der in der Hängematte schlummerte. Das Leben im Amazonasdschungel hatte den Körper Cody Cassons ausgedörrt und seine Haut wie Pergament gegerbt. Seidigdünnes, weißes Lockenhaar umgab das Gesicht des Alten. Die Züge verrieten noch immer Klugheit, Güte und Mut. Aber die blauen Augen schimmerten stumpf, als wäre Freude und Lebenskraft in der Seele erloschen. „Du hast mich erschreckt, Bomba“, murmelte der Alte und richtete sich auf. „Was ist? Du bist in Schweiß gebadet! Wer hat dich gejagt?“
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„Die Kopfjäger!“ Bombas Atem ging noch immer keuchend. Er mußte sich auf eine Truhe setzen und gegen die Holzwand lehnen. „Sie sind schon wieder auf dem Wege“, fuhr Bomba atemlos fort. „Sie werden zum zweitenmal versuchen, uns umzubringen, um den bösen Zauber der weißen Männer zu zerstören!“ „Unmöglich!“ Der Alte schüttelte fassungslos den Kopf. „Wir haben sie in die Flucht geschlagen. Sie werden es nicht zum zweitenmal versuchen!“ „Ich habe sie gesehen!“ Der Junge sprang erregt auf. „Wir dürfen keine Zeit verlieren! Wir müssen uns im Urwald verstecken! Rasch! Nicht mehr sprechen! Nur schnell — schnell!“ Bomba half dem Alten aus der Hängematte. Dann ergänzte er seinen Vorrat an Patronen und steckte neue Pfeile in seinen Köcher. In aller Eile raffte er noch Lebensmittel zusammen. Während dieser Zeit wankte Cody Casson unschlüssig in der Hütte hin und her und griff dieses und jenes an, ohne sich zu einer vernünftigen Tat aufzuraffen. Plötzlich kam ein Ausruf des Schreckens aus dem Munde des Alten. Bombas Kopf zuckte herum. Dann ließ der Junge die Vorräte fallen, die er eben aufgenommen hatte. Zu spät! Ein Schwarm von Kopfjägern bahnte sich seinen Weg durch das Unterholz. Die ersten von ihnen hatten die Lichtung erreicht. Ihre dunklen Körper glänzten in der Sonne, und die Gestalten eilten auf die Hütte zu.
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3 Der Zauber des weißen Mannes Bomba sprang zur Tür, warf sie zu und schob den Riegel aus dem Holz des Lebensbaumes vor. Keinen Augenblick zu früh! In der nächsten Sekunde dröhnten schwere Körper gegen das Holz. Es krachte, und der Riegel bog sich — aber er hielt stand. Es war merkwürdig genug, daß sich die Angreifer nach diesem kurzen Versuch sofort zurückzogen, denn bei anderen Angriffen wären sie kaum von der Stelle gewichen. Aber nach ihrer abergläubischen Meinung war in dieser Hütte ein Zauber. Sie wollten kein unnötiges Risiko eingehen und stürmten so schnell zurück, daß Bomba bei einem Blick durch die Schießscharten der Hüttenwand keine Gestalt mehr am Rande des Dschungels erblicken konnte. Für die Kopfjäger saßen Bomba und Casson natürlich in einer Falle. Sobald sich einer von beiden zeigte, würde ein Hagel von Pfeilen seinen Leib durchbohren. Dieser unerfreuliche Gedanke huschte durch Bombas Sinn, während er eilig die Vorbereitungen zur Verteidigung traf. Die fünf Kammern seines Revolvers waren geladen, und er hatte einen Vorrat von Patronen neben sich aufgestapelt. Er saß an einer der Schießscharten, und ein Bündel neuer Pfeile lag neben seinem Bogen griffbereit. Doch der
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Urwald war wie eine grüne Wand: undurchdringlich und finster. Dahinter verbarg sich irgendwo der Feind. Dort standen die dunklen Männer und warteten vielleicht auf das Kommen der Nacht. Wie lange mochte diese Ruhe vor dem Kampf — dieses trügerische Schweigen jenseits der Farnbüsche und wiegenden Palmgipfel dauern? Bomba ermaß nach dem Sonnenstand, daß es um die Mitte des Nachmittags sein mußte. Vielleicht warteten die Kopfjäger auch auf weitere Angehörige ihres Stammes. Jene Krieger, die die Weißen in ihrer Gewalt hatten, würden vielleicht noch zu dem Trupp stoßen, der die Hütte soeben bestürmt hatte. Sie wollten sich so stark wie möglich machen, um die vermeintlichen Zauberer in der Hütte bestimmt überwältigen zu können. Während diese Überlegungen durchBombas Sinn huschten, bemerkte er, daß Casson sich von seinem Schreck und seiner Unschlüssigkeit erholt hatte. Er half bei den Verteidigungsvorbereitungen und zeigte eine Beweglichkeit und Lebendigkeit, die Bomba sonst an ihm vermißte. „Sind es Nascanoras Leute?“ fragte Casson im Flüsterton. „Er ist nicht dabei“, gab Bomba Auskunft. „Vielleicht macht ihm seine Verwundung noch zu schaffen.“ Er lachte grimmig. „Ich wünsche ihm alles Gute.“ Mit seiner brüchigen Stimme lachte Casson mit. „Auch von mir das Beste für den Herrn mit den schönen Narben im Gesicht! Er sieht aus wie ein zur Erdoberfläche zurückgeschickter Teufel.“ „Und er ist es auch“, ergänzte Bomba leise. „Ich sah von einem Baumgipfel aus vier Gefangene bei einem Trupp der Kopfjäger.“
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„Weiße?“ rief der Alte mit einem Ton von Erregung in der fragenden Stimme. „Weiße“, bestätigte Bomba mit dumpfer Stimme. Der alte Naturforscher seufzte schwer. „Möge der Himmel den armen Menschen helfen! Ich möchte nicht, daß einer von uns beiden lebend in die Hände dieser Unmenschen fällt.“ Casson versank in Nachdenken. Erst nach einer Weile richtete er von neuem eine Frage an Bomba. „Hast du den Führer der Gruppe erkannt?“ fragte er. „Den Häuptling dieser Leute, die eben unsere Hütte erstürmen wollten?“ Bomba nickte. „Der Mann sah wie Tocarora aus. Du weißt, das ist der Halbbruder dieses narbigen Teufels. Er soll nicht ganz richtig im Kopf sein.“ Ein Geschrei vom Dschungelrand her unterbrach das Gespräch der beiden in der Hütte. Diesmal war es jedoch kein Kampfruf — nicht das wüste Geheul des Angriffs oder der ohnmächtigen Wut. Es war ein langgezogener Signalruf, der anscheinend die Aufmerksamkeit der Weißen in der Hütte erregen sollte. Noch einmal wurde der gedehnte Schrei wiederholt, und dann rief ein unsichtbarer Sprecher: „Hört ihr Tocarora? — Tocarora will mit dem weißen Mann sprechen!“ Unschlüssig und verblüfft sahen sich die beiden an. In Bombas Augen glimmte Mißtrauen auf. „Eine Kriegslist! Sie wollen uns herauslocken, um dann leichtes Spiel zu haben“, vermutete er. Doch Casson war diesmal nicht seiner Meinung.
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„Wir sollten ihn anhören“, rief er. „Früher habe ich oft mit Eingeborenen unterhandelt, die sich zuerst recht wild und angriffslustig gebärdeten. Manchmal ist dies besser als die Sprache der Feuerwaffe.“ Casson wurde lebhaft, wie ihn Bomba selten gesehen hatte. Irgendeine Erinnerung schien in seinen verdüsterten Geist zurückgekehrt zu sein. „Deine Stimme ist stärker“, fuhr Casson fort. „Sprich du mit ihm. Rufe ihm zu, daß wir ihn reden hören wollen. Er soll sich zeigen, wenn er Mut hat. Er soll zeigen, daß er ein Häuptling ist und kein Feigling. Wir müssen wissen, ob er auch über die Macht verfügt, seinen Willen bei den Kriegern durchzusetzen.“ Die Eingeborenensprache des Amazonasgebietes war Bomba bekannt. Die meisten Stämme benutzten diesen Dialekt mit geringfügigen Abweichungen. Getreulich übersetzte der Junge die Worte des alten Naturforschers. Obwohl seine Stimme noch hell war, klang sie volltönend und schallte weit über die Lichtung bis in den Urwald hinein. Drüben hinter dem Vorhang von üppig wucherndem Gestrüpp und Buschwerk blieb es eine Weile still. Wahrscheinlich wurde beraten. Endlich kam die Antwort. „Der weiße Mann hat einen Stock, der Feuer spuckt!“ rief die Stimme. „Der Häuptling fürchtet sich nicht, aber er muß wissen, daß der weiße Mann keine List gebraucht. Auch mit Pfeilen darf der weiße Mann nicht schießen. Er muß selbst herauskommen. Dann wird auch Tocarora ihm entgegengehen, und sie werden die Zeichen der Freundschaft und des Friedens austauschen.“ Das war ein vernünftiger Vorschlag, wenn er keine verborgene List enthielt. Bomba hatte sein Mißtrauen immer
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noch nicht überwunden. Zögernd blickte er Casson an. Doch die Wandlung im Benehmen des Alten blieb bestehen. Er war wie von neuem Lebensmut beseelt. Jetzt war er wieder der kühne Mann der Wissenschaft, der früher einmal in die gefahrvolle Dschungelwelt gezogen war, um ein Leben zu führen, das weit von dem der Menschen in der Zivilisation abwich. Es war der Cody Casson, an den Bomba sich noch erinnerte. Ein Mann im Vollbesitz seiner Geisteskräfte — bevor die Explosion eines Gewehres ihm die Gedächtniskraft geraubt hatte. „Sage ihm, daß ich kommen werde“, befahl Casson. „Sage ihm aber auch, daß er sich vor Doppelzüngigkeit hüten möge. Der Feuerstock würde dann sprechen, und er müßte sterben. Der Häuptling soll ohne Waffen kommen. Er muß auch seinen Männern befehlen, nicht zu schießen. Du versprichst ihm von uns aus die gleiche Sicherheit. Wenn das Palaver vorüber ist, kann er unversehrt zu seinen Leuten zurückkehren, und ich gehe in unsere Hütte.“ Wieder übersetzte Bomba die Worte des Alten genau. In seinem Innern war Freude und Verwunderung. Wie sollte er sich die Verwandlung des alten Gefährten erklären? Gewöhnlich saß er stundenlang stumm und brütend da. Fragen beantwortete er einsilbig oder überhaupt nicht. Nur wenn ihm irgendeine Erinnerung zu schaffen machte, wurde er etwas gesprächiger. Aber er wurde gereizt und brach in Tränen aus, sobald er merkte, daß das Gedächtnis ihn wieder im Stich ließ. Und nun diese Energie und Tatenlust! Eigentlich hätte es Bomba vorgezogen, das Palaver selbst zu führen. Doch er machte sich klar, daß einer im Hintergrund sein mußte, der wirklich genau und sicher
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mit Waffen umgehen konnte. Cassons Hand war nicht mehr so ruhig wie ehedem. Also mußte Bomba mit dieser Regelung einverstanden sein. Während der Junge die Meldung hinausrief, lief Casson in der Hütte hin und her und nahm Gegenstände an sich. Da der Raum kein Fenster hatte, vermochte Bomba im Halbdunkel nicht zu erkennen, welche Vorbereitungen der alte Naturforscher für das Zusammentreffen mit dem Häuptling der Kopfjäger traf. Es dauerte nicht lange, bis Tocarora hinter einem Baum hervortrat. Von weitem war die Ähnlichkeit mit Nascanora verblüffend. Die gleiche riesige Gestalt und die Zeichen der Häuptlingswürde auf der Brust. Er war unbewaffnet und hielt die Hände hoch über dem Kopf. Als Zeichen der Freundschaft wiesen die Handflächen in Richtung der Hütte. Jetzt öffnete auch Casson die Tür und trat ins Freie. In derselben freundschaftlichen Art näherte er sich der Mitte der Lichtung. Sie gingen aufeinander zu, bis sie sich fast berührten. Mit bangem Herzklopfen sah Bomba den Unterschied im Kräfteverhältnis. Auf der einen Seite der große, kupferfarbige Indianer mit den muskulösen Armen und Beinen, und ihm gegenüber der schmächtige Gelehrte, den noch dazu Alter und Krankheit gebeugt hatten. Es sah so aus, als könnte der Kopfjäger sein Gegenüber mit einer Handbewegung auslöschen. Dennoch war etwas im Wesen Cassons, das ihm eine unsichtbare Überlegenheit gab. Was war das für eine Kraft? Casson richtet die ersten Worte an seinen Gegner.
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„Warum ist Tocarora gekommen? Warum hat Tocarora die guten Jagdgründe am Großen Katarakt verlassen?“ Tocarora lächelte schief. „Viele und gute Jagd hier! Mehr Tiere als bei uns! Wir sind gekommen, um zu jagen.“ „Tocarora spricht mit doppelter Zunge“, tadelte ihn der Alte mit erhobener Stimme. „Wie sollen wir ein gutes Palaver halten, wenn Tocarora so die Wahrheit verbirgt? Nicht Tapire und nicht Schildkröten sind in der Hütte der weißen Männer verborgen. Ich habe jedenfalls dort noch keine gejagt. Warum also stürmt Tocarora mit seinen Leuten auf die Hütte los, wenn er doch nur Wild jagen will?“ Es schien für Tocarora unmöglich zu sein, den Blick des alten, schwächlichen Mannes auszuhalten. Er blickte ihn mit seinen schwärzlichen, weit auseinanderliegenden Augen nur immer verstohlen an und schielte dann zur Seite. „Kein böser Gedanke gegen die Weißen ist in Tocaroras Herzen!“ beteuerte er scheinheilig. „Kein Leid wird dem weißen Mann zugefügt werden. Tocarora hat nur eine Bitte: Der weiße Mann soll ihn zum Großen Katarakt begleiten.“ „Mein Jagdgebiet ist nicht beim Großen Katarakt“, sagte Casson. „Was sollte ich dort tun?“ „Es ist der Wille Nascanoras, dich dort zu sehen“, erwiderte Tocarora. „Häuptling Nascanora war krank und mit ihm viele seines Stammes. Alle haben sehr gelitten unter dieser Krankheit. Nascanora glaubt, daß der Zauber des weißen Mannes die Krankheit über den Stamm gebracht hat. Der weiße Mann kann auch den Zauber wieder
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entfernen, und deshalb soll er zum Großen Katarakt kommen.“ Casson machte eine langsame, abwehrende Geste. „Kein böser Zauber geht von mir aus“, sagte er. „Mein Zauber ist gut. Auch Nascanora und seinem Volke habe ich nichts Böses zugefügt. Viel lieber würde ich ihnen Gutes tun.“ Tocaroras Bitte wurde dringender. Er beugte sich vor, und von der Hütte aus wirkte es so, als wollte er den Weißen mit seinen Händen packen. Bombas Hand preßte sich fester um den Revolvergriff. Dann sah der Junge jedoch, daß der Indianer nur erregter sprach und dabei diese Gesten machte. „Es ist Nascanoras Wille, daß du kommst“, wiederholte der Kopfjäger. „Du wirst es nicht bereuen. Geschenke werden dir zu Füßen gelegt werden, und du wirst kräftiges Vieh erhalten.“ „Der weiße Mann braucht keine Geschenke", wies ihn Casson stolz zurück. „Wäre mein Zauber etwas wert, wenn er mir nicht brächte, was ich will? Niemand muß mir Geschenke machen. Ich rufe die Dinge, und sie kommen zu mir. Sieh her, Tocarora! Öffne deine Augen weit und schau!“ Aus der linken Hand ließ Casson Nägel und ein Stückchen von einer eisernen Pfeilspitze ins Gras fallen. Er hob beschwörend die Hand und blickte den Indianer durchdringend an. „Die Dinge kommen zu mir, wenn ich sie rufe“, verkündete er noch einmal. Er bückte sich und streckte die Rechte aus, in deren Innenfläche er einen Magneten verborgen hielt.
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„Kommt! Ihr toten Dinge, kommt zu mir!“ rief er. Es sah so aus, als sprängen die Eisenstücke aus dem Gras empor an seine Hand. Der Alte richtete sich auf und steckte alles zusammen in die Tasche. Er machte dazu ein gleichmütiges Gesicht, als bemerkte er nicht die Verblüffung des Eingeborenen. „Du siehst, Tocarora“, sagte er freundlich, „selbst das harte Eisen gehorcht mir. „Weshalb sollte ich also Nascanoras Geschenke brauchen?“ Auf der Stirn des Eingeborenen standen Schweißtropfen. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er schaute abwechselnd auf den Boden und in das Gesicht des Weißen. Anscheinend erwartete er, daß im nächsten Augenblick noch weitere Nägel und Eisenstücke wie Gras aus dem Boden sprießen würden. „Der weiße Mann hat einen starken Zauber“, murmelte er. Seine Lippen zitterten. „Totes Eisen wandert in seine Hand!“ „Oh, das ist nicht viel“, meinte Casson lächelnd. „Es gibt noch mehr Zauber — guten Zauber! Oder ist das Feuer kein guter Zauber? Ich habe es an meinen Fingerspitzen! Schau!“ Mit einem Streichholz entzündete Casson eine kleine Fackel aus Pechfichte, die er mitgebracht hatte. Der Eingeborene sprang beim Anblick der plötzlich aufzischenden Flamme einen Schritt zurück. Er schaute furchtsam auf das abbrennende Hölzchen. Dann trat er vorsichtig wieder heran, als Casson den Rest des Streichholzes fortwarf. Tocarora wollte nicht zugeben, daß er sich gefürchtet hatte. Es erschien ihm auch nicht so übernatürlich, auf so schnelle Weise Feuer zu erzeugen.
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„Auch Tocarora macht mit dem Holz Feuer“, brüstete er sich. Damit meinte er die Methode der Eingeborenen, ein hartes Hölzchen so lange in einer kleinen besonderen Schüssel zu wirbeln, bis ein Funke entstand. „Tocarora macht auch sehr schnell Feuer!“ Casson nickte zustimmend. Heimlich rieb er die Fingerspitzen aneinander. „Gewiß“, sagte er besänftigend. „Auch Tocarora und seine Männer kennen den guten Zauber des Feuers. Aber keiner von ihnen wird es aus seinen Fingern holen können. Sieh es dir an!“ Der Alte blies die Fackel aus, von der noch eine schwache Rauchfahne hochstieg. Mit den durch die Reibung elektrisch geladenen Fingerspitzen berührte er das Rauchfähnchen, und die Fackel entzündete sich von neuem. Das war zuviel für den primitiven Verstand des Häuptlings. Er stieß einen Ruf aus, der zwischen Erstaunen und Furcht alle möglichen Gefühle ausdrücken mochte. Seine Stirn war sorgenvoll gerunzelt, und vorsichtshalber hatte er einen Fuß zurückgesetzt. Es war nicht ausgeschlossen, daß der weiße Mann vielleicht auch plötzlich Feuer aus Mund und Nase spie. War nicht seinerzeit in der Nacht eine zweibeinige Schlange mit einer Feuerkrone in seine Hütte gelaufen? Bei diesem weißen Zauberer war alles möglich. Casson wußte jetzt, daß seine Tricks Erfolg gehabt hatten. Er nutzte diesen Vorteil aus, um dem Wilden noch mehr Hochachtung vor seiner Zauberkunst beizubringen. „Was sehe ich!“ rief er mit gut gespieltem Erstaunen. „Sehe ich recht? Tocarora trägt Betelnüsse in den Ohren?“
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Unwillkürlich griffen die Hände des Eingeborenen zu den Ohren. „Da sind keine Betelnüsse“, sagte er wütend. „Will der weiße Mann Tocarora verhöhnen?“ Casson machte eine begütigende Geste. „Wie kann Tocarora an der guten Absicht des weißen Mannes zweifeln?“ fragte er scheinheilig. „Der weiße Mann sieht viele Betelnüsse in Tocaroras Gesicht — in seinen Ohren und überall. Er ist verwundert und hat es dem großen Häuptling nur sagen wollen.“ Casson griff an das Gesicht des Eingeborenen und pflückte anscheinend eine Betelnuß aus seinem rechten Ohr. Der Wilde betrachtete die Frucht verblüfft. Vorsichtig nahm er sie in die Hand. Dann betrachtete er Cassons Hand. Aber sie war leer. Und nun griff sie wieder in sein Gesicht und holte eine Betelnuß aus der Nase. Dann eine aus dem linken Ohr, eine wurde von seinen Lippen gepflückt und zwei aus den Augen. Tocaroras Mund stand weit offen vor Fassungslosigkeit.
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4 Der drohende Sturm Für den schwachen Verstand des Wilden gab es keine Erklärung für alle diese zauberhaften Vorgänge. Er starrte den weißen Mann an und er fühlte, daß seine Knie zitterten. Betelnüsse? Er wußte genau, daß er keine einzige dieser Früchte bei sich gehabt hatte. Und doch hatte sie ihm der weiße Zauberer aus dem Gesicht gepflückt, als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt. Kein Zweifel — der Weiße war mit Dämonen im Bunde. Dazu gehörte die zweibeinige, gräßlich kreischende Schlange mit dem Feuerkopf und wer weiß was sonst noch für furchtbare Geister. Wenn man mit diesem Zauberer verhandelte, mußte man sehr sanft und vorsichtig sein. Vielleicht verwandelte er einen sonst in einen Baum oder in eine Heuschrecke. Es war alles möglich. Tocarora seufzte hörbar, und Casson mußte bei diesem Zeichen von Verwirrtheit heimlich lächeln. Er steckte die letzte aus Tocaroras Gesicht gepflückte Betelnuß in die Tasche und nickte dem Wilden zu. „Du siehst, Tocarora, der weiße Mann hat vielerlei Zauber. Es wird gut sein, dem weißen Mann mit Achtung und Freundschaft entgegenzukommen. Geh zu Nascanora zurück und berichte ihm, was du gesehen hast. Sage ihm auch, daß der weiße Mann nichts Böses gegen ihn im Sinne
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hat. Solange die Männer Nascanoras den weißen Mann in Frieden lassen, wird er sie nicht mit einem Zauberbann belegen. Sollten aber die Männer vom Großen Katarakt meinen Zorn erregen, so wird das für sie schlimme Folgen haben. Wirst du diese Botschaft überbringen?“ „Ich werde es tun“, murmelte Tocarora. Noch immer hatte er sich von dem Schrecken nicht erholt, als lebendiger Baum herumzulaufen, von dem der weiße Zauberer nach Belieben Betelnüsse abpflückte. Verstohlen tastete er noch einmal nach seinem Gesicht, ohne etwas Verdächtiges zu fühlen. Casson machte eine hoheitsvolle Geste. Er war jetzt wirklich der Überlegene — der König, der irgendeinem Untertanen eine Audienz gewährt hat und ihn jetzt verabschiedet. „Ich habe dir nun meine Botschaft an Nascanora übergeben“, sagte er feierlich. „Es ist gut! Du wirst mit deinen Leuten abziehen und mich jetzt allein lassen. Ich habe gesprochen!“ Ohne sich um den Wilden zu kümmern, wandte sich Casson langsam um und schritt auf die Hütte zu. Hinter ihm entfernte sich Tocarora eilig auf den Dschungel zu. Es gelang Casson, die hoheitsvolle Haltung beizubehalten, bis er die Schwelle der Hütte überschritten hatte. Dann verließ ihn die Kraft. Müde und erschöpft sank er auf einen Hocker. Bomba bemühte sich mit Ehrfurcht und Besorgnis um seinen alten Gefährten. Er war noch verwirrt und erregt von den Vorgängen auf der Lichtung. Wenn er auch wußte daß es sich um keine Zauberei handelte, so war er doch erstaunt über die Fingerfertigkeit seines alten Gefährten.
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Woher schöpfte der gebrechliche, kranke Casson mit einem Male die Kräfte? Welcher Mut gehörte dazu, den Wilden in dieser Art zu überlisten! Wehe, wenn der Versuch mißglückt wäre. Es gehörten stählerne Nerven dazu. Die Finger durften nicht zittern. Und wie unruhig waren sonst die Hände des alten Naturforschers. Kaum ein von ihm abgeschnellter Pfeil würde sein Ziel erreichen. „Nun wird dich Tocarora für einen gewaltigen Zauberer halten“, begann Bomba zu sprechen. „Ich selbst war so erstaunt, daß ich am liebsten zu dir hingerannt wäre, um alles aus der Nähe mitansehen zu können.“ Casson lächelte müde und tastete sich zur Hängematte hin. „Mit Gottes Hilfe ist es mir gelungen, diese Eingeborenen zu überlisten. Ich weiß selbst nicht mehr, wie mir mit einem Male diese Kraft zuwuchs. Das alles ist natürlich keine Zauberei. Früher habe ich die Tricks zu meiner Unterhaltung gelernt und so lange geübt, bis ich sie vollkommen beherrschte. Vielleicht zeige ich dir später einmal, wie man es macht. Es gehört nur Fingerfertigkeit und Übung dazu. Jetzt bin ich sehr müde — ich muß ruhen.“ Es war deutlich zu sehen, wie die Energie in den Augen des Alten erlosch. Die Züge verfielen, als sänke er in Ohnmacht. „Ich helfe dir in die Hängematte“, sagte Bomba und eilte hinzu. „Du hast viel erreicht. Ich glaube nicht, daß die Wilden noch einmal zurückkehren werden.“ Casson stützte sich schwer auf die Schulter des Jungen. Gemeinsam schritten sie auf die Hängematte zu. Der Alte seufzte dabei schwer und schüttelte resigniert den Kopf. „Trotzdem wird alle Mühe vergebens sein“, sagte er mit
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schwacher Stimme. „Die Kopfjäger sind zu weit gewandert, um unverrichteterdinge zurückzukehren. Im Walde wird Tocarora mit seinen Unterhäuptlingen und dem Medizinmann Palaver halten. Die haben den Zauber nicht am eigenen Leibe gespürt und werden darauf drängen, daß die Krieger uns töten oder lebendig fangen. Was für eine Schande wäre es auch für sie! Die Squaws am Lagerfeuer würden lachen, wenn sie unverrichteterdinge heimkehrten. Niemals dürften sie davon sprechen, daß sie sich vor einem alten Manne und einem Jungen gefürchtet haben. Nach einer Weile wird auch bei Tocarora die Wirkung der Tricks nachlassen. Dann wird er sich schämen, daß er vor seinen Kriegern Zeichen von Furcht gezeigt hat, und sein Zorn gegen uns wird sich verdoppeln.“ Casson seufzte von neuem schwer. „Ach nein, Bomba: Sie werden zurückkehren. Aber es wird einige Zeit vergehen. Vielleicht warten sie auf die Nacht — vielleicht warten sie bis morgen. Wir haben ihnen für eine Weile den Mut genommen. Das ist alles.“ Nun war Cody Casson am Ende seiner Kräfte. Bomba mußte ihn in die Hängematte heben. Sofort sank der Alte zurück und fiel in ohnmachtähnlichen Schlaf. Kurze Zeit stand der Junge bei ihm, dann kehrte er an seine Schießscharte zurück, um Wache zu halten. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken, denn am Waldrand blieb es still. Überlegungen huschten durch seinen Sinn. Gedanken der Hoffnung belebten ihn. Er glaubte jetzt, daß Casson wieder sein Helfer und Verbündeter werden könnte. Das wäre gut für beide. Denn jetzt lastete die ganze Verantwortung für die Verteidigung und für die Erhaltung ihres Lebens auf Bomba.
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Aber da war noch etwas anderes. Wenn Casson seine Erinnerungskraft wiederfand, konnte er ihm endlich die Aufklärungen geben, die für ihn so wichtig waren. Noch immer wußte Bomba nichts von seiner Herkunft. Bartow — und Laura! Diese beiden Worte spielten in den wirren Reden des Alten eine Rolle. Aber immer war bisher die Tür zu den Gemächern der Erinnerung zugefallen, sobald Bomba um nähere Erklärungen bat. Jetzt hoffte der Junge, daß Casson beim Erwachen ebenso frisch sein würde wie zuvor bei der Unterhandlung mit Tocarora. Dann würde es wohl möglich sein, endlich das Geheimnis der Vergangenheit zu lüften. Die Aufmerksamkeit des Jungen erlahmte nicht. Die Strahlen der Nachmittagssonne prallten schräg auf die Lichtung und den Dschungelrand. Die Hitze ließ flimmernden Dampf über dem Gras tanzen. Der Himmel war nicht blau, er hatte den metallisch-silbernen Glanz, aus dem das Licht erbarmungslos und grell auf die Amazonaslandschaft herabfiel. Vögel und Affen hatten sich in den schattenspendenden Urwald zurückgezogen. Mitunter gaukelten bunte, große Schmetterlinge über die Lichtung. Sie ließen sich lautlos auf eine Blüte sinken und flatterten wieder davon. Das war alles, was in dem dumpfen, heißen Schweigen des Tropentages auf das vielfältige Leben der Wildnis deutete. Als die Abendschatten länger wurden, erwachte Casson. „Bomba?“, seine Stimme klang schwach und ängstlich. „Wo bist du, Bomba?“ „An der Schießscharte“, gab Bomba Antwort. „Ich halte Wache gegen die Wilden.“
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„Wilde? Welche Wilden?“ Der Stimme des Alten war anzumerken, daß er sich Mühe gab, irgendwelche Gedanken festzuhalten. „Wo sind die Wilden?“ „Dort drüben im Wald“, versuchte Bomba die Erinnerung des Alten zu wecken. „Du weißt doch: Tocarora und seine Leute. Der Häuptling, mit dem du am Nachmittag auf der Lichtung unterhandelt hast. Deine Zaubertricks haben ihn so erschreckt, daß er am liebsten geflohen wäre.“ „Tricks? Was für Tricks?“, murmelte Casson fragend. Bombas Hoffnung zerbrach jäh. Er wußte jetzt, das Cassons Erinnerungskraft von neuem erloschen war. Nur die Erregung des Augenblicks hatte seine Energie wachgerufen, und ihm einen Teil seiner Kraft zurückgegeben. Nun war er in den Dämmerzustand der Gedächtnislosigkeit zurückgesunken. „Du erinnerst dich nicht?“, fragte der Junge verzweifelt. „Weißt du nicht mehr, wie du das Eisen gerufen hast? Du hast aus den Fingerspitzen Feuer geholt. Und du hast aus Tocaroras Ohren und Augen und aus seinem Mund Betelnüsse gepflückt.“ Der Alte machte in der Hängematte eine schwache Geste der Abwehr. „Früher einmal habe ich solche Tricks ausgeführt", sagte er. „Das ist viele Jahre her. Ich glaube nicht, daß ich es jetzt noch könnte.“ Bomba war sehr betrübt, als er seine Hoffnung auf die Lösung vieler Lebensrätsel dahinschwinden sah. Aber er wußte, daß er jetzt seinen kummervollen Gedanken nicht nachhängen durfte.
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„Erinnere dich, Casson!“ sagte er beschwörend. „Die Kopfjäger sind im Dschungel. Tocarora führt sie. Am Nachmittag hattest du ein Palaver mit ihm. Du solltest mit ihm zum Großen Katarakt gehen und den Bann von seinem Volke nehmen. Das forderte er im Namen Nascanoras.“ Casson starrte den Jungen ohne Verständnis an. In der Dämmerung war zu sehen, wie die Gedanken hinter seiner Stirn arbeiteten. Das ganze Gesicht verzog sich bei der Anstrengung, die Erinnerung wachzurufen. „Ich weiß es wieder! Ich erinnere mich!“ rief der Alte. „Ich sagte ihm, daß ich nicht mitgehen würde.“ Bomba nickte erfreut. „Tocarora zog dann ab und sagte, er wollte deine Botschaft an Nascanora überbringen. Ich glaube aber, daß er lügt. Sobald es Nacht wird, werden sie zurückkommen und uns überfallen. Wir müssen versuchen, von hier wegzukommen.“ „Wegkommen?“ wiederholte Casson mit schwacher Stimme. „Wie wollen wir wegkommen?“ „Vielleicht flüchten wir mit dem Boot, wenn uns das gelingt“, antwortete Bomba. „Sonst müssen wir im Dschungel Unterschlupf suchen. Der Mond geht erst spät in der Nacht auf. Bevor er leuchtet, müssen wir verschwunden sein. Es ist auch nötig, Nahrungsmittel mitzunehmen. Und jetzt essen wir so schnell wie möglich. Es wird schon dunkel.“ In einer stumpfsinnigen Art von Gehorsam befolgte Casson die Anweisungen des Jungen. Verschwunden war das Feuer von Energie und Scharfsinn, das ihn zuvor belebt hatte. Wieder war er zu dem hilflosen Greis ge-
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worden, für den Bomba die Sorgepflicht übernommen hatte. Als sie ihre Vorbereitungen trafen, wurde der Himmel zusehends dunkler. Ein Wind erhob sich, und vom Dschungelrand her drang das leise Geräusch der bewegten Baumwipfel. Die Windstöße wurden stärker und fauchten um das Blockhaus. Ein Tropensturm braute sich zusammen. Nun kam ihnen die Natur zu Hilfe. Bombas Hauptsorge war gewesen, daß die Kopfjäger nach Einbruch der Dunkelheit die Hütte mit brennenden Pfeilen in Brand schießen könnten. Gegen diese Art von Angriff gab es keine Abwehr für die Hüttenbewohner. Sollte aber Regen einsetzen, so würden die Feuerpfeile im nassen Holz keine Nahrung finden. Auch für die Flucht war der Gewittersturm vorteilhaft. Sobald der Regen niederstürzte, war es nachtdunkel. Der Regen verwischte außerdem die Spuren, und die Kopfjäger würden vergeblich ihre Verfolgung aufzunehmen trachten. Casson und Bomba aßen hastig eine Mahlzeit von getrocknetem Fleisch und Mehl. Sie schlangen soviel wie möglich hinunter, um so für die nächste Zeit einen kleinen Kraftvorrat zu schaffen. In der Hütte war jetzt fast nichts mehr zu erkennen. Draußen rauschte und brauste der Sturm. Dann begann es auf das Dach zu trommeln — zuerst in zögernd fallenden Tropfen und dann in einem schneller und schneller werdenden Wirbel. Der Regen hatte eingesetzt. In dem Aufruhr der Natur packten Bomba und Casson ihre Waffen und Lebensmittel zusammen und tasteten sich zur Hüttentür. Der Junge öffnete und sah vor sich nichts als die undeutlich bewegte Masse des Regengusses.
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Es war dunkel, und das Geräusch des fallenden Regens übertönte alle anderen Laute. Bomba berührte seinen Gefährten am Arm und flüsterte: „Komm!“
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5 Der Blitz schlägt zu Der erste Schritt ins Freie war der gefährlichste. Wenn ein Feind in der Nähe stand, würde er vielleicht die Bewegung der Gestalten erkennen und seinen Pfeil absenden. So schnell wie möglich zog Bomba daher den alten Casson an die Seitenwand der Hütte. Sie schlichen schnell dahin und wandten sich dem Dickicht zu, das seitlich von der Hütte wucherte. Das war der Ort, der wahrscheinlich vom Sammelplatz der Wilden am weitesten entfernt lag. Der Sturm packte die gebrechliche Gestalt des Alten, und Bomba mußte ihn festhalten, damit er nicht umgeweht wurde. Sie hatten bald den Rand des Urwaldes erreicht, und Bomba zog Casson in das Unterholz. Als die beiden im Schutze der Sträucher verschwunden waren, erhellte ein Blitz die Lichtung. In magischem Glanz war die Hütte deutlich zu sehen; wenn sie jetzt noch im Freien gestanden hätten, wären sie von den lauernden Wilden bestimmt entdeckt worden. Keinen Augenblick zu früh waren sie in den Schutz der Dunkelheit eingetaucht. Im Licht des Blitzes hatte Bomba aber auch eine Gruppe von Indianern entdeckt. Sie standen in kurzen Abständen zwischen dem Bach und der Hütte verteilt. Sein Ver-
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dacht hatte sich also bestätigt. Bei Einbruch der Dunkelheit hatten die Kopfjäger die Hütte umzingelt. Bomba hoffte nur, daß sie das Boot am Ufer nicht entdecken würden. Er hatte es gut versteckt, und in der Nacht war das Auffinden fast unmöglich. Allerdings war ihnen nun der Fluchtweg über das Wasser abgeschnitten. Die Kopfjäger befanden sich zwischen ihnen und dem Versteck des Bootes. Sie mußten also tiefer in den Dschungel hinein fliehen. Damit verdoppelten sich die drohenden Gefahren. Nicht nur die Kopfjäger, sondern auch Raubtiere und Schlangen konnten ihnen verderblich werden. Ohne etwas von seinen trüben Gedanken zu verraten, zog der Junge den alten Forscher mit sich, und sie drangen tiefer in das Gebüsch ein. Sie waren noch nicht weit gekommen, als ein neuer Blitzschlag die Dunkelheit durchbrach. Sofort folgte der Donner. Der Boden bebte, und ein Krachen und Bersten ertönte. Der Wald schien in Aufruhr zu geraten. Das Splittern und Brechen von Holz wurde noch lauter. Es rauschte und krachte — und ein dumpfer Aufschlag folgte. Sekundenlang war es still. Selbst das Brausen des Regensturmes erschien jetzt leise gegen den vorangegangenen Wirbel von Geräuschen. Dann schallten plötzlich Schmerzensschreie und Klagerufe durch die Dunkelheit. Ein neuer Blitz zuckte auf, und Bomba beobachtete aus ihrem Versteck heraus, was auf der Lichtung geschehen war. Das Laubwerk eines hohen Baumes bedeckte fast die halbe Hütte. Die eine Ecke des kleinen Holzbaues war vollkommen zerschmettert. Einer der Bäume am Rande der Lichtung war vom Blitz gespalten worden, und der
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stürzende Wipfel hatte die Vorderseite der Hütte noch getroffen. Aber auch unter den anschleichenden Wilden hatte der fallende Baum Opfer gefunden. Die Schmerzensschreie hielten an. Überall im Walde war das Geräusch von laufenden Füßen und knackenden Zweigen zu hören. Die Kopfjäger eilten ihren Männern zu Hilfe. Wenn ein Blitz die Szene erhellte, sah Bomba, wie Gestalten unter dem Gewirr von Laubwerk und Ästen hervorgezogen wurden. Einige von ihnen ließen leblos und schlaff den Kopf und die Arme hängen. Andere stießen Schmerzensschreie aus, wenn sie aufgehoben und in den Busch getragen wurden. Zwei Tote blieben auf der Lichtung liegen. In der allgemeinen Verwirrung war es leicht, noch tiefer in den Dschungel zu fliehen, ohne entdeckt zu werden. Bomba zog seinen Gefährten mit sich, und sie hasteten weiter. Im Gehen erklärte der Junge, was geschehen war. „Vielleicht glauben sie, daß wir auch erschlagen wurden“, frohlockte Casson. Daran hatte Bomba noch nicht gedacht, obwohl die Vermutung naheliegend war. Es war wohl möglich, daß die Wilden sie beide für tot hielten. Den riesigen Stamm des Baumes konnten sie nicht bewegen, und so war es ausgeschlossen, daß sie sich einen Weg in die Hütte bahnten, um sich sofort Gewißheit zu verschaffen. Vielleicht waren sie nachlässig genug, sich nicht erst von der Richtigkeit ihrer Vermutung zu überzeugen. Es konnte geschehen, daß sie abzogen und Nascanora vom Tode der Weißen berichteten.
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Die Gewalt des Gewitters ließ allmählich nach. Das Grollen des Donners verzog sich nordwärts in Richtung der Hügel, und die Blitze waren zu fern, um noch die Urwaldnacht zu erhellen. Durchnäßt kauerten die Flüchtlinge im Busch. Das war für Bomba nur unbehaglich — für Casson konnte es jedoch den Tod bedeuten. Der Junge nahm sein Pumafell und hüllte Kopf und Oberkörper des Alten fürsorglich darin ein. Sein Gefährte murmelte vor sich hin. Er schien nicht einmal zu wissen, wo sie sich befanden, und was um sie her vorging. Sein Geist war irgendwo auf Wanderschaft. Als Bomba gerade den Entschluß faßte, mit Casson weiterzufliehen, näherte sich das Geräusch von Schritten. Einige der Krieger schleppten schwer an den Lasten ihrer Verwundeten. In unmittelbarer Nähe ihres Versteckes hielten die Wilden an. Sie legten die Verwundeten nieder. Wenn es nicht so naß gewesen wäre, hätten sie jetzt sicherlich ein Lagerfeuer entzündet. Dann wäre die Entdeckung der Flüchtlinge unvermeidlich gewesen. Jetzt ließen sich die Kopfjäger auf ihre Fersen nieder und kauerten reglos und mürrisch in der Nässe. Die Wolkendecke, über dem Dschungel zerriß. Dort, wo der Mond schräg über der Lichtung stand, färbte sich das Gewölk mit silbrigen Glanz. Dann schob sich die Sichelspitze des zunehmenden Mondes durch den Vorhang von schimmernden Wolkenschleiern. Bleiches Licht rieselte durch die regenfeuchten Blätter und Zweige und erhellte die Szene mit gespenstischem Dämmerlicht. Die kauernden Gestalten waren vom Versteck der Flüchtlinge aus schemenhaft undeutlich zu erkennen. Zwei Männer standen etwas abseits. Nach der Größe zu urtei-
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len, mußte der eine Tocarora sein. An seinem grotesken Schmuck erkannte Bomba auch den Medizinmann des Stammes. Bomba sah, daß das Handgelenk des Häuptlings mit Zweigen geschient war. Vermutlich war auch Tocarora beim Sturz des Baumes verletzt worden. Eine Liane war um seine Schulter geschlungen und hielt den Arm gewinkelt. Tocarora grollte wie ein gereizter Puma. Undeutlich war zu sehen, wie er mit dem gesunden Arm eine Gebärde in Richtung des Medizinmannes machte. „Alle wissen nun, daß Ruspaks Medizin nicht gut ist“, begann er seine Anklagerede. „Hat Ruspak von den Göttern etwas über den stürzenden Baum erfahren? Hat Ruspak gewußt, daß der Blitz Unheil anrichten würde? Er hat es nicht gewußt! Er hat auch seinen Häuptling Tocarora nicht gewarnt. Ruspaks Medizin ist nicht gut!“ Der Medizinmann hob beschwörend und abwehrend die Hände. „Donner und Blitz hat Ruspak vorausgesehen“, verteidigte er sich. „Jeder weiß, daß der Blitz die Bäume spalten kann. Es war unvorsichtig von Tocarora, sich so nahe bei der Hütte aufzuhalten. Wenn er sich von den Bäumen ferngehalten hätte, wäre ihm kein Leid widerfahren.“ Tocaroras Geste war verächtlich. „Ich sage dir: Ruspaks Medizin ist nicht gut! Der weiße Mann hat einen größeren Zauber. Durch seinen Zauber ist der Baum gefallen! Er ist der bessere Medizinmann!“ Ruspak ließ einen Laut der Empörung hören. Die Anzweifelung seiner magischen Fähigkeiten konnte gefähr-
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liche Folgen für ihn haben. Er durfte nie zugeben, daß er schwächer war als der weiße Zauberer. „Der weiße Mann hat nur geringe und böse Geister zu seiner Verfügung“, erklärte er aufgebracht. „Mit Ruspak jedoch sind die Götter im Bunde. Es ist gut, daß Tocarora sich daran erinnert. Die Götter sprechen mit Ruspaks Zunge.“ Das war eine verhüllte Drohung. Doch der Häuptling ließ sich jetzt nicht einschüchtern. „Ich sage: der weiße Mann hat bessere Medizin als Ruspak! Kann Ruspak Eisen in seine Hand springen lassen? Kann er Feuer aus den Fingerspitzen locken? Kann er an einem lebenden Menschen Betelnüsse pflücken?“ Aus dem Haufen der kauernden Krieger erscholl ein Murmeln der Zustimmung. Auch auf sie hatten Cassons Kunststücke Eindruck gemacht. Jetzt richtete sich die Wut des Medizinmannes gegen die Männer, die am Boden kauerten. „Ihr Ungläubigen!“ schrie er. „Ihr Blinden und Dummen, wollt ihr Ruspak verhöhnen? Soll ich einen Fluch auf eure Weiber und Kinder herabrufen, damit ihr meine Macht erkennt? Hütet euch! Ihr könntet sonst den Zorn dessen wecken, der mit der Zunge der Götter spricht!“ Der Respekt vor dem Medizinmann war in den Wilden tief eingewurzelt. Sie waren es nicht anders gewöhnt, als in ihm wirklich einen Halbgott und einen Verbündeten der machtvollen Geister zu sehen. Unbehaglich wanden sie sich und senkten den Blick vor den zornsprühenden Augen des Medizinmannes. Mit dieser Wirkung seiner flammenden Worte war Ruspak zufrieden. Jetzt konnte er es wieder wagen, gegen den Häuptling vorzugehen.
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„Der weiße Mann zeigt geringen Zauber! Unsere Götter könnten ihn beschämen, wenn sie nur wollten. Warum hat der weiße Zauberer sich nicht selbst und den Jungen aus seiner Hütte gerettet? Sein Zauber war also nicht stark genug, den fallenden Baum aufzuhalten! Ist das kein Beweis für seine schlechte Medizin?“ Diese Worte überzeugten die Krieger halbwegs. Sie ließen ein zustimmendes Murmeln hören, und selbst Tocarora wurde nachdenklich. „Es mag sein, wie Ruspak es sagt“, gab er beschwichtigend zu. „Wenn der weiße Mann tot ist, müssen wir an diesem Ort nicht länger rasten. Wissen wir denn, ob sein Geist nicht ebenfalls einen starken Zauber besitzt? Er kann hier umherirren und — In diesem Augenblick wurde der Häuptling von einem unheimlichen Stöhnen unterbrochen. Es war, als machte sich der Geist, von dem er gesprochen hatte, bereits bemerkbar. In Wirklichkeit hatte Bomba die gute Gelegenheit ausgenutzt, um sich als Geist zu betätigen. Der Erfolg war großartig. Tocarora blieb mit offenem Munde stehen. Der Medizinmann schielte ängstlich umher, und die kauernden Gestalten der Krieger schienen noch mehr in sich zusammenzusinken. „Ein böser Ort“, stieß Tocarora schließlich hervor. „Wir gehen sofort. Wir werden Nascanora sagen, daß der weiße Mann tot ist. Das wird genügen!“ Ruspak hatte seine Furcht schon wieder überwunden. „Nascanora wird noch zufriedener sein, wenn wir den Kopf des Weißen mitbringen“, erklärte er. „Warum wollen wir nicht warten, bis das Tageslicht kommt? Wir
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werden dann unter den Trümmern der Hütte die Weißen finden. Wir schneiden ihnen die Köpfe ab und bringen sie Nascanora. Dann weiß der Häuptling, daß wir die Wahrheit sprechen.“
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6 Die Gefangennahme des Zauberers Bomba hielt es für besser, noch einmal den Geist auftreten zu lassen. Er stöhnte tief aus dem Bauch herauf, und die Wirkung war wieder überwältigend. Die Indianer drängten sich aneinander, und Tocarora ging vorsichtshalber näher an die Gruppe heran. „Ruspak mag recht haben“, stieß er hervor. „Aber es ist sicher, daß auf diesem Ort der Fluch der Götter ruht. Wir gehen so schnell wie möglich fort!“ Auch der Medizinmann war von dem zweiten Auftritt der Geister beeindruckt. Er blickte um sich und sah in allen Gesichtern die Entschlossenheit, diesen unheimlichen Platz zu verlassen. Er unterwarf sich daher dem Willen der Mehrheit, obwohl es ihm besser gefallen hätte, mit Cassons und Bombas Köpfen als Trophäe zum Großen Katarakt zurückzukehren. Über den Erfolg seiner Geisterbeschwörung war Bomba sehr froh. Die ganze Zeit über hatte er befürchtet, Casson könnte ihr Versteck durch eine unvorsichtige Bewegung oder durch Sprechen verraten. Jetzt lauschte er, bis das Geräusch der Schritte in der Tiefe des Urwaldes verklang. Dann wandte er sich an den alten Naturforscher.
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„Wir können in die Hütte zurück“, flüsterte er und schüttelte den Alten am Arm. „Die Kopfjäger sind fort!“ Doch Casson antwortete nicht. Er lehnte an einem Baum, und sein Kopf war nach vorn gesunken. Als Bomba ihn aufrichten wollte, sank der Körper schlaff und leblos zurück. Angstvoll rief der Junge seinen alten Gefährten an. Er schüttelte ihn, aber der Kopf sank von einer Seite auf die andere. Die Augen waren geschlossen, und die Haut war totenbleich. „Casson! Casson!“, rief der Junge. „Du mußt aufwachen. Wir gehen in die Hütte zurück!“ Bomba schlug das Pumafell zurück und horchte an der Brust des Alten. Ganz schwach und flatternd regte sich das Herz. Bomba atmete auf: Casson lebte noch. Nun versuchte er eine Viertelstunde lang, den Ohnmächtigen zum Bewußtsein zu bringen. Er rieb seine Handgelenke und massierte die Brust. Aber alles blieb ohne Erfolg. So mußte er ihn wohl oder übel doch in die Hütte zurücktragen. Der Transport wäre nicht schwierig gewesen auf einem glatten Weg. Jetzt mußte sich Bomba jedoch mit dem Körper des Alten durch das Unterholz zwängen. Er keuchte unter der Last und stolperte. Da Casson aber nicht schwer und Bomba über sein Alter hinaus kräftig war, gelangte er mit dem ohnmächtigen Körper schließlich in die Hütte und legte die Last auf den Boden. Nahezu die Hälfte des Blockhauses war von dem gestürzten Baumwipfel zerstört worden. Da jedoch ein Teil des Daches unversehrt geblieben war, bot der Rest der Hütte noch immer Schutz gegen Sonne und Regen. Bomba räumte einen Teil der Äste beiseite, bis er sich im unbeschädigten Teil der Hütte wieder frei bewegen
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konnte. Eine der Hängematten war ganz geblieben, und dorthinein bettete Bomba den Bewußtlosen. Die einzige Medizin, die Bomba kannte, war ein Gebräu von Kräutern. Er hatte dieses Rezept von Candido gelernt, einem halb verrückten Indianer, der mitunter die Hütte aufsuchte. Jetzt holte er in einem Topf Wasser, bereitete vor der Hütte ein Reisigfeuer und warf die in der Hütte aufbewahrten trockenen Kräuter ins Wasser. Er kochte sie so lange, bis ein breiiger Pflanzentee entstanden war. Die ganze Nacht hindurch flößte Bomba in regelmäßigen Abständen dem Alten das Getränk ein. Er hoffte, daß dieses Mittel wie immer wirken würde. Aber als der Morgen anbrach, war die Haut des Alten trocken und heiß von Fieber. Im Delirium warf sich der Körper heftig hin und her. Es bestand die Gefahr, daß Casson bei einem dieser Anfälle aus der Hängematte fallen könnte. Bomba bereitete daher auf dem Boden ein Lager aus Palmblättern und Zweigen und bettete Casson darauf. Wenig Zeit verwandte er für sich selbst. Er aß nur hastig ein Stück getrocknetes Fleisch und nahm seinen Pflegedienst wieder auf. Doch die Stunden gingen dahin, ohne daß sich Cassons Zustand besserte. Mitunter richtete sich der Körper auf, die Hände streckten sich aus, und die Augen starrten angstvoll ins Leere. Es war so, als stände irgendwo — für Bomba unsichtbar — schon der Tod, und der Alte wehrte ihn ab. Die Verzweiflung ließ den Jungen nicht zur Ruhe kommen. Er rannte auf die Lichtung hinaus, und dann wieder in die Hütte zurück. Was sollte er tun? Casson durfte nicht sterben! Die Gedanken jagten durch seinen Sinn. Er wußte, daß die Medizinmänner mitunter wirklich große Kenntnisse
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von natürlichen Heilmitteln hatten. Sie waren keine Zauberer, aber sie hatten alte, überlieferte Rezepte, die manchmal Wunder wirkten. Da waren die Araos, ein befreundeter, friedlicher Indianerstamm. Diese gutartigen Indianer waren Bomba schon mehr als einmal behilflich gewesen. Zweifellos hätte Hondura, ihr Häuptling, ihm die Hilfe Petos, des Medizinmannes, zur Verfügung gestellt. Und Peto besaß in der Gegend einen hervorragenden Ruf als Heilkünstler. Doch das Dorf der Araos war weit entfernt. Vielleicht hatten sie — aus Furcht vor den Kopfjägern — sogar ihre Hütten verlassen und waren noch weiter gezogen. Er hätte tagelang nach ihnen suchen müssen. Erregt sprang Bomba vom Lager des Alten auf und eilte wieder vor die Hütte. Er netzte am Bach das Tuch, das er zur Kühlung auf die Stirn des Fiebernden gelegt hatte und lief in die Hütte zurück. Mit zärtlicher Vorsicht wischte er den Schweiß vom Gesicht des Kranken und legte das Tuch auf seine Stirn. Ein neuer, abenteuerlicher Gedanke zuckte durch seinen Sinn. Er dachte an Ruspak, den Medizinmann der Kopfjäger. Auch der hatte viele Kenntnisse auf dem Gebiet der Heilkräuter. Er war zwar sein Feind, aber was spielte das jetzt für eine Rolle, wo es galt, Cassons Leben zu retten? Sicherlich würde der Medizinmann der Kopfjäger nicht freiwillig seine Heilkunst für den Feind einsetzen. Gewalt oder List — eines von beiden würde Bomba anwenden müssen, um ihn herzulocken. Im Augenblick dachte er nicht weiter über die Möglichkeiten seines Planes nach. Es galt, für Cassons Sicherheit während der Zeit seiner Abwesenheit zu sorgen. Bomba
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trat auf die Lichtung hinaus und ließ einen langgedehnten Lockruf erschallen. Oft wiederholte er den Ruf. Er wollte damit Polu, den Puma, herbeilocken. Diese gefährliche Raubkatze war sein Freund seit langer Zeit. Einmal hatte Bomba dem Puma das Leben gerettet. Das Raubtier war von einem stürzenden Baum eingeklemmt worden. Ein Bein war ihm gebrochen, und der Junge hatte das Tier aus der Falle der Natur befreit und so lange mit Nahrung versorgt und das verletzte Bein gepflegt, bis der Puma wieder gesund geworden war. Das Raubtier hatte diese Pflege nie vergessen. Sooft sich die beiden im Dschungel trafen, zeigte Polu seine Freude und Dankbarkeit. Er hatte seine Höhle in der Nähe der Hütte und ließ sich auch oft auf der Lichtung sehen. Bomba rief von neuem. Endlich vernahm sein Ohr ein leises Geräusch. Es dauerte auch nicht lange, und der dunkle, gedrungene Körper des mächtigen Pumas zerteilte das Gezweig und trat auf die Lichtung. Freudig lief Bomba dem Tier entgegen. Bomba kraulte den Puma hinter dem Ohr, und dieser rieb seinen Kopf an der Hüfte des Jungen und schnurrte laut und zufrieden. „Guter, alter Polu“, murmelte der Junge immer wieder in liebevollem Ton, du hast deinen Freund nicht vergessen. Ich bin froh, dich zu sehen. Du mußt mir helfen.“ Er führte das Tier vor die Hütte und deutete auf den kranken Casson. Auch den Alten kannte der Puma. Er wußte, daß dieses zweibeinige Lebewesen auch zu seinem Freund gehörte, und er wäre nie auf den Einfall gekommen, Casson anzugreifen. „Schau!“, rief Bomba. „Du mußt ihn bewachen. Ich muß fortgehen. Du mußt hier vor der Hütte bleiben, bis
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ich wiederkomme. Verstehst du, Polu? Hier vor der Hütte mußt du bleiben!“ Bomba sprach mit dem Puma, als wäre er ein Hofhund, der ein Haus bewachen muß. Und wie ein zahmes Haustier schien der Puma auch die Worte des Jungen zu begreifen. Die Gesten, die die Worte begleiteten, machten alles deutlich genug. Ohne weiteres ließ sich die riesige Raubkatze quer vor der Hüttentür nieder. Nun wußte Bomba, daß niemand seinem alten Casson ein Leid zufügen konnte, solange dieser mächtige Wächter am Leben war. Noch einmal kühlte er die fiebrige Stirn des Alten mit einem kühlen Tuch. Er richtete das Lager und flößte ihm den Heiltrank ein. Dann verabschiedete er sich mit einem zärtlichen Klaps von Polu und verschwand im Urwald. Bald hatte Bomba die Stelle erreicht, an der die Krieger in der vergangenen Nacht gerastet hatten. Von dort aus war die Fährte leicht zu verfolgen, weil die Kopfjäger sich nicht die Mühe gemacht hatten, ihre Spuren zu verwischen. Bomba rechnete sich aus, daß die Wilden einen Vorsprung von mehreren Stunden haben mußten. Sie kamen mit ihren Verwundeten nicht sehr schnell voran — und das war ein Glück für ihn. An vielen vertrauten Plätzen kam der Junge vorüber. Er überquerte einen kleinen Wasserlauf, über den ein Palmenstamm als Brücke gelegt war. Im klaren Wasser unter sich sah er sein Spiegelbild und die dahinhuschenden Schatten von Fischen. Der Dschungelwald nahm ihn wieder auf mit seinen hochragenden Stämmen, mit dem verfilzten Buschwerk, dem Gewirr der Lianen und mit duftenden Blüten, die aus dem sumpfigen Gewirr des Unterholzes emporzüngelten.
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Bombas Gedanken befaßten sich mit der Möglichkeit, Ruspak in seine Gewalt zu bekommen. Er mußte warten, bis der Medizinmann aus den Augen seiner Krieger verschwunden war. Um ihre Wichtigkeit zu beweisen, pflegten diese Zaubermänner sich öfter am Tage von ihrem Stamm abzusondern. Sie hielten dann Zwiesprache mit den Göttern oder sammelten Heilkräuter. Wenn sich eine solche Gelegenheit ergab, wollte Bomba handeln. Der Geruch von Rauch stieg nach einiger Zeit in seine Nase. Das mußte das Lager der Indianer sein. Es war Mittagszeit, und sie rasteten wahrscheinlich in der Hitze. Als Bomba sich nahe genug angeschlichen hatte, sah er seine Vermutung bestätigt. Tocaroras Kopfjäger beschäftigten sich mit der Zubereitung des Mahles. Die meisten kauerten am Feuer. Tocarora saß am Fuße eines hohen Baumes. Es war zu sehen, daß er übellaunig war. Das verletzte Gelenk bereitete ihm sichtlich Schmerzen. Hin und wieder zuckten die Muskeln in seinem Gesicht, und wenn er einem der Gefolgsleute einen Befehl erteilte, klang seine Stimme wie eine böses Schnarren und Zischen. Weit von seinem Häuptling entfernt, saß Ruspak am Rande der Lichtung. Der Streit der Nacht war anscheinend noch nicht geschlichtet. Zum ersten Male sah Bomba das Gesicht des Medizinmannes im vollen Tageslicht. Er erkannte, daß er in geistiger Hinsicht einen ebenbürtigen Gegner haben würde. Die Züge verrieten List und Klugheit. Im übrigen war der Medizinmann mit den Zeichen seiner Würde geschmückt. Um den Hals trug er eine Kette aus Alligatorzähnen. Seine nackte Brust war mit grotesken Zeichen verziert. Diese Symbole hoben ihn aus der Menge der Krieger heraus und verdeutlichten in jedem
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Augenblick seinen hohen Rang als Mittler zwischen den Göttern und den Menschen. Für Bomba war es eine harte Geduldsprobe, zuschauen zu müssen, wie die Wilden umständlich und langsam tafelten. Dann wurde aber sein Warten belohnt. Ruspak hatte nur wenig gegessen. Er holte jetzt aus seiner Tasche mehrere merkwürdige Gegenstände. Das waren Gerätschaften, die bei der Beschwörung der Götter gebraucht wurden. „Was hat Ruspak vor?“ grollte Tocarora, der die Vorbereitungen mit mißgünstigen Blicken beobachtet hatte. Ruspak erhob sich und wandte sich zum Gehen. „Ruspak geht in den Wald, um die Götter zu befragen!“ antwortete er. „Es ist nötig, den Rat der Götter anzurufen! Wir haben Schaden erlitten und müssen uns den Göttern in Demut nähern.“ Der Häuptling überhörte die Anspielung. „Ruspak geht und kommt immer, wann er will“, murrte er. „Wann wird Ruspak heute zurückkehren?“ „Die Götter allein wissen es“, antwortete der Medizinmann würdevoll. „Tocarora muß nicht warten, wenn es ihm nicht behagt. Ruspak findet seinen Weg auch allein. Ehe die Sonne untergeht, bin ich wieder bei euch.“ Ohne ein weiteres Wort schritt Ruspak durch die ehrfurchtsvoll zur Seite tretenden Reihen der Wilden und tauchte im Dschungel unter. Er schlug einen Weg ein, der im rechten Winkel zur Marschroute der Kopfjäger verlief. Mit geschmeidigen Bewegungen kroch Bomba rückwärts bis er außer Sicht- und Hörweite war. Dann erhob er sich und schlug einen weiten Bogen um den Platz. Er näherte sich dem Medizinmann von der Seite. Bald konnte
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er dessen Weg kreuzen. Aber er ließ sich nicht sehen. Je weiter sich Ruspak von seinen Leuten entfernte, umso besser war es für Bomba. Sie hatten mehr als einen Kilometer zurückgelegt, ehe der Medizinmann einen geeigneten Platz für seine Götterbeschwörung gefunden hatte. Im Schatten eines hohen Baumes hielt er inne und baute aus Steinen einen kleinen Altar auf. Die Bilder seiner Götter fanden darauf Platz. Nun begann Ruspak im Halbdunkel des Dschungelwaldes mit seiner Beschwörungszeremonie. Er schwenkte die Arme, als erteilte er Befehle an unsichtbare Geister. Die Finger zeichneten seltsame Bilder in die Luft. Die ganze Zeit über kam ein unheimlicher Sprechgesang über die Lippen des Medizinmannes. Endlich war der Höhepunkt des Götzendienstes erreicht. Ruspak warf sich zu Boden. In diesem Augenblick legte Bomba einen Pfeil auf die Bogensehne. Er trat geräuschlos auf die Lichtung und verharrte einen Augenblick lang aufgerichtet mit gespanntem Bogen, wie ein schönes Standbild eines bronzefarbenen Bogenschützen.
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7 Geisel Leise aber drohend rief Bomba nur das eine Wort: „Ruspak!“ Der Medizinmann federte aus seiner liegenden Haltung empor und wandte sich um. Er wäre beinahe wieder zurückgefallen, als er Bomba sah und die drohend auf ihn gerichtete Pfeilspitze wahrnahm. Sein Mund öffnete sich, als wollte er einen Hilferuf ausstoßen. „Nicht rufen!“ warnte Bomba und spannte die Bogensehne noch straffer. „Ruspak wird sterben, bevor der Ruf seine Lippen verlassen kann!“ In den Augen des Jungen lag Todesdrohung — das sah der Medizinmann. Er wußte auch, was es bedeutete, aus so kurzer Entfernung von einem Pfeil getroffen zu werden. „Was willst du von mir?“ fragte er mit gepreßter Stimme. „Wagst du es, einen Priester der Götter mit dem Tode zu bedrohen? Sähest du nicht, daß ich mit den übermächtigen Geistern sprach?“ Auf diese Weise war Bomba nicht einzuschüchtern. „Deine Götter müssen warten“, sagte er kurzangebunden. „Dir selbst wird nichts geschehen, wenn du mir gehorchst. Du wirst mich begleiten und den weißen Mann
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mit einem deiner guten Tränke gesund machen. Der weiße Mann ist sehr krank.“ Ruspak ließ den Blick zwischen der Pfeilspitze und dem Gesicht des Jungen hin und her gehen. Hier gab es keine Fluchtmöglichkeit und keine Übertölpelung. „Wohl oder übel mußte er sich auf Unterhandlungen einlassen. „Hat der stürzende Baum den weißen Mann in der Nacht nicht getötet?“ fragte er. „Wir waren in der Nähe und sahen es zufällig.“ „Was für ein Zufall!“ Bomba lächelte ironisch. Dann wurde seine Miene wieder ernst. „Wir wollen jetzt nicht über die Falschheit Tocaroras und seiner Männer reden. Du sollst wissen, daß der weiße Mann noch am Leben ist. Aber er ist sehr krank. Fieber schüttelt ihn, und er redet irre. Ich weiß, daß du viel Erfahrung darin hast, kranke Menschen gesund zu machen. Wenn du Casson zu heilen vermagst, darfst du zu deinem Stamm zurückkehren, ohne daß dir ein Leid geschieht. Ich werde dir sogar Geschenke mitgeben, wenn deine Medizin Erfolg hat.“ Der Medizinmann hatte sich vom ersten Schreck erholt. Er stand würdevoll aufgerichtet auf der Lichtung und überlegte. Er wußte, daß es keine andere Möglichkeit gab, als die Anweisung des Jungen zu befolgen. Um jedoch sein Gesicht zu wahren, versank er in Schweigen, als müßte er eine schwerwiegende Entscheidung treffen. „Ich habe über deine Worte nachgedacht“, verkündete er nach geraumer Zeit. „Wenn du meine Hilfe brauchst, werde ich sie dir geben. Aber du weißt, daß du den Zorn der Götter auf dich lenkst, wenn Ruspak ein Leid widerfährt.“ Bomba machte eine stolze Geste.
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„Ich spreche nicht mit doppelter Zunge“, sagte er. „Mein Wort gilt. Wenn du Casson gesund machst, kannst du ungehindert zu deinem Stamm zurückkehren. Jetzt müssen wir jedoch eilen, damit der weiße Mann nicht stirbt, ehe wir ihm Hilfe bringen können.“ Ruspak sammelte die kleinen Steinbilder der Götter wieder ein und versenkte sie in eine Tasche. Dann warf er einen schrägen Seitenblick auf seinen jungen Wächter. Aber der war aufmerksam und machte mit dem Bogen eine gebieterische Bewegung. „Ruspak!“ befahl er. „Gehe vor mir her und folge meinen Anweisungen! Meine Hand liegt auf dem Messer. Du kennst dieses Messer: es ist lang, scharf und zweischneidig! Eine böse Waffe!“ Den Weg, den Bomba entlanggeeilt war, liefen sie nun zurück. Von Zeit zu Zeit warf Ruspak einen verstohlenen Blick hinter sich. Immer sah er die lebhaften, braunen Augen des Jungen mit Wachsamkeit auf sich gerichtet. Sie eilten schweigend dahin, und nach nicht allzulanger Zeit deuteten die vertrauten Einzelheiten an, daß sie sich in der Nähe der Hütte befanden. Als sie auf die Lichtung traten, stieß Ruspak einen Entsetzensschrei aus. Polu lag noch immer vor der Tür der Hütte. Der Medizinmann wollte sich zur Flucht wenden, aber Bombas starke Hand hielt ihn fest. „Polu wird dich nicht angreifen“, sagte er. „Polu, der Puma, ist mein Freund. Doch wenn ich es ihm befehle, wird er dich in Stücke reißen.“ Bomba stieß einen Lockruf aus. „Polu! Komm zu mir, mein Freund!“ Wie ein folgsamer Hund erhob sich die große Raubkatze und trottete auf Bomba zu. Der Junge liebkoste den zottigen Kopf,
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und er spürte dabei, wie der Arm Ruspaks, den er festhielt, zitterte. „Braver Freund Polu“, lobte Bomba den Puma. „Du darfst jetzt gehen, wohin du magst. Aber bleibe in der Nähe. Hörst du, Polu? Bomba ist in großer Sorge! Diesem Manne hier darfst du nichts tun, solange er in der Nähe der Hütte bleibt. Wenn du aber siehst, daß er durch den Wald davonrennt, dann gehört er dir.“ Polu gab sein Einverständnis durch liebevolle Kopfstöße zu erkennen. Dann hob er den Kopf und blickte Ruspak einen Augenblick lang durchdringend und ohne zu blinzeln an. Das war der furchtbarste Augenblick für den Medizinmann. Die gelben Augen des Raubtieres schienen bis in sein Inneres zu dringen und dort alle Gedanken vonVerräterei und Feigheit zu erkennen. Nach diesem Blick war sich Ruspak klar darüber, daß er keine Chance hatte, die Weißen oder gar diese gefährliche Bestie zu betrügen. Der Puma trabte mit federndem Schritt davon und verschwand im Dschungel. Erst als der dunkle Körper zwischen den Büschen verschwunden war, atmete Ruspak auf. Er war jetzt noch unterwürfiger als zuvor. „Zeige mir den Kranken“, sagte er. „Ich will gleich meine gute Medizin bereiten. Aber zuvor muß ich wissen, welches Übel ihn befallen hat.“ Die beiden traten in die Hütte. Auf dem Lager warf sich der Fiebernde hin und her. Er stöhnte, und das kühlende Tuch auf seiner trockenen, heißen Stirn war längst zur Seite gefallen. „Du siehst, wie krank der weiße Mann ist“, sagte Bomba mit besorgter Stimme. „Aber ich weiß, daß du ein großer
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Medizinmann bist. Dein Ruf ist überallhin gedrungen. Du wirst Casson gesund machen.“ Ruspak machte eine theatralische Gebärde. „Du sprichst die Wahrheit“, sagte er. „Jeder weiß, daß Ruspak ein großer Medizinmann ist! Ich werde es beweisen! Noch bevor die Sonne sinkt, soll der weiße Mann gesund sein!“ Sein Berufsstolz war angestachelt, und er ließ sich neben dem Lager des Kranken nieder, um mit seinen Vorbereitungen zu beginnen. Zuerst untersuchte er Casson gründlich und, wie es schien, mit Sachkunde. Er war jetzt nicht mehr der Zauberer, der seinen primitiven Kriegern mit allerlei geheimnisvollem Firlefanz Respekt einflössen möchte. Er gab knappe, klare Anweisungen und benahm sich wie ein richtiger Arzt. Bomba mußte Wasser in einem Topf herbeiholen. Aus einem Beutel nahm der Medizinmann einige Kräuter, und dann kauerte er sich nieder und braute einen Tee. Nun fiel er allerdings in seinen Zauberhokuspokus zurück. Er sang Beschwörungsformeln, während das Wasser im Topf brodelte. Als dieser Kräutertee fertig war, flößte er dem Kranken in regelmäßigen Abständen etwas davon ein. Die Wandlung war unverkennbar. Nach mehreren Stunden hatte Casson einen heftigen Schweißausbruch. Er warf sich nicht mehr im Delirium hin und her. Nicht lange danach fiel er in tiefen, gleichmäßigen Schlaf. Die Freude brachte Bomba dazu, sein Lob zu wiederholen. „Ich sehe, daß Ruspak wirklich der größte Medizinmann ist! Was er sagt, das stimmt! Er hat Casson in wenigen Stunden gesund gemacht! Ich werde Ruspaks Fähigkeiten überall rühmen!“
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Der Medizinmann stolzierte mit stolzgeschwellter Brust vor der Hütte auf und ab. „Ruspak ist groß!“, verkündete er seinen Ruhm. „Keiner ist unter allen Stämmen, der ihm gleicht! Ruspak kennt Medizin für alle Gebrechen! Ruspak ist groß!“ Bomba bereitete unterdessen eine Mahlzeit. Die beiden hockten einander gegenüber und aßen, als wären sie Freunde. Das Kriegsbeil war begraben. Bei der Unterhaltung fiel Bomba auf, daß der Kopfjäger mehr Intelligenz besaß, als die meisten Eingeborenen, mit denen er bisher in Berührung gekommen war. Die Kopfjäger kamen weit herum. Noch nie hatte Bomba Gelegenheit gehabt, mit einem von ihnen freundschaftlich zu sprechen. Es war möglich, daß Ruspak etwas von Jojasta wußte, dem Medizinmann am ,Laufenden Berg’. Mit diesem Jojasta hatte es eine eigene Bewandtnis. In einem lichten Augenblick hatte Casson vor kurzem einmal den Namen erwähnt. Er hatte Bomba erklärt, daß er sich an diesen Medizinmann wenden müßte, wenn er mehr von seinen Eltern und seiner Herkunft erfahren wollte. Casson selbst hatte sich vergeblich angestrengt, sich an weitere Einzelheiten zu erinnern. Das war alles geblieben: Bombas Herkunft konnte nur der geheimnisvolle Jojasta klären. Bomba wandte sich jetzt an den Medizinmann, der ihm gegenübersaß und mit großem Appetit getrocknetes Fleisch verzehrte. „Kennt Ruspak Jojasta, den Medizinmann vom Laufenden Berg?“ fragte er. Die harmlose Frage versetzte den Wilden in große Aufregung. Er ließ das Fleischstück fallen und starrte Bomba entgeistert an.
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„Was fragst du da?“ flüsterte er. „Jojastas Name darf nicht so leichthin genannt werden.“ „Du kennst ihn also?“ drang Bomba weiter in ihn. „Du weißt, wer er ist?“ Ruspak schlug die Augen nieder und machte ein Beschwörungszeichen. „Wer kann sagen, daß er ihn kennt“, murmelte er. „Ich weiß nur, daß er ein großer Medizinmann ist und in der Nähe der Feuerhöhlen am Laufenden Berg wohnt. Er hält sich abgesondert. Viele Dinge sind ihm bekannt, die keiner weiß. Die Menschen zittern vor ihm.“ „Ich brauche ihn nicht zu fürchten“, erklärte Bomba unerschrocken. „Ich will ihm kein Leid zufügen, sondern nur eine Frage an ihn richten.“ In Ruspaks Zügen spiegelte sich echte Bestürzung. „Von Angesicht zu Angesicht willst du mit Jojasta sprechen?“ fragte er entsetzt. „Weißt du, was das bedeutet?“ Bomba nickte unbeeindruckt. „Sobald Casson gesund ist, werde ich aufbrechen. Jojasta ist der einzige Mensch, der mir vielleicht Auskunft über meinen Vater und meine Mutter geben kann.“ „Der weiße Mann dort weiß das nicht?“ fragte Ruspak ungläubig und deutete auf das Lager des Kranken. „Früher hat er es wohl gewußt“, sagte Bomba. „Er wurde jedoch am Kopf verletzt, und seither ist sein Verstand so schwach, daß er sich an keine Einzelheiten der Vergangenheit erinnern kann.“ Mit einem Ausdruck, als betrachtete er einen zum Tode Verurteilten, schaute der Medizinmann den Jungen an. Mißbilligend schüttelte er den Kopf. 61
„Du weißt, wie töricht es wäre, den Kopf in den Rachen eines Jaguars zu legen. Ruspak sagt dir, daß es genau so töricht ist, zu Jojasta zu gehen. Mit einem einzigen Blick seiner Augen kann er dich töten. Schon immer hat er leicht Tod und Verderben ausgestreut. Seit dem Tode seiner weißen Frau ist er noch böser und einsamer geworden.“ Bomba beugte sich erregt vor. „Weiße Frau?“ fragte er atemlos. „Ist Jojasta auch weiß? Davon hat Casson nicht gesprochen.“ „Er ist halb weiß und halb ein Indianer“, erklärte Ruspak. „Seine Frau war eine Weiße. Sie ging in die Feuerhöhlen und kehrte nie zurück. Es war gerade kurz nach der Zeit, als sie ein Kind geboren hatte.“ „Was war es für ein Kind?“ Bomba vermochte seine Erregung nicht zu verbergen. Er wußte, daß er etwas erfahren hatte, was für ihn bedeutungsvoll sein mochte. „Ein Kind?“ wiederholte er seine Frage. „War es ein Junge?“ „Ein Junge“, bestätigte Ruspak. „Wenn er am Leben geblieben wäre, müßte er etwa dein Alter haben.“ „Er ist also gestorben?“ fragte Bomba enttäuscht. Ruspak machte eine Gebärde der Ohnmacht. „Die Götter allein wissen das. Weder er noch seine Mutter sind je wieder aufgefunden worden.“ Durch Bombas Gehirn zuckten die absurdesten Gedanken. Konnte Jojasta sein Vater sein? „Wie hieß die Frau?“ fragte er hastig weiter. „Hieß sie Laura?“
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8 Aufbruch zum Laufenden Berg Die Erregung des Jungen blieb Ruspak unverständlich. „Laura?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob die weiße Frau diesen Namen trug. Ich habe ihn nie gehört. Was soll es auch bedeuten? Sie ist tot. Sie wurde nie mehr gefunden. Ich will nicht mehr von Jojasta sprechen. Viel zuviel ist bereits gesagt worden. Du weißt nicht, welche Macht dieser Mann besitzt. Du kennst ihn nicht!“ Von neuem beschäftigte sich Ruspak mit seiner Mahlzeit. Er aß schweigend und überließ den Jungen seinen aufgeregten Gedanken. Schließlich erhob sich der Medizinmann und bereitete einen neuen Kräutertrank für den Kranken. Indessen hockte Bomba da und versuchte, seiner Erregung Herr zu werden. Sollte er wirklich Jojastas Sohn sein, fragte er sich immer wieder? Im Dschungel waren Weiße sehr selten. Es mochte sein, daß dieses das Geheimnis war, das Casson nicht mehr im Gedächtnis hatte. Wieder richtete er Fragen an Ruspak, aber der Medizinmann antwortete ausweichend oder schwieg. Erst als Bomba dieses Thema fallen ließ, wurde Ruspak gesprächiger. „Ihr habt in den letzten Tagen Gefangene gemacht, wie ich hörte?“ erkundigte sich Bomba mit gespielter Gleichgültigkeit.
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Die Erinnerung an eine erfolgreiche Menschenjagd spiegelte sich in Ruspaks Gesicht. Er grinste mit häßlicher Zufriedenheit. „Unsere Krieger hatten gute Jagdbeute. Weiße Männer waren unvorsichtig. Sie ließen überall Spuren zurück. Wir fanden das Lager und nahmen alle gefangen.“ „Hatten sie euch erzürnt?“ fragte Bomba. „Haben sie Krieg gegen euer Volk geführt?“ Diese Fragen blieben Ruspak unverständlich. Er dachte eine Weile nach, betrachtete den Jungen neugierig und schüttelte dann den Kopf. „Davon weiß ich nichts. Sie haben keinen Krieg gegen uns geführt, die weißen Männer. Aber der Dschungel gehört uns, und deshalb haben wir sie gefangengenommen. Immer gehört der Dschungel dem Stärkeren: wir waren stärker.“ Bomba war erregt, aber er vermied es, seine Gefühle zu offenbaren. „Ihr habt die Weißen getötet?“ fragte er leichthin. Ruspak grinste vielsagend. „Noch nicht — noch nicht! Viele Schmerzen stehen ihnen bevor, ehe sie sterben dürfen. Es wird ein großer Tag für unsere Männer und Squaws werden, wenn sie die Weißen stöhnen hören und ihren Tod sehen dürfen. Ein langer Tod — ein gutes Schauspiel! Dann werden die Köpfe auf unseren Wigwam kommen.“ Bomba erschauerte. Was für ein schreckliches Los! Auch ihm und Casson hatte das gleiche Schicksal gedroht. „War eine Frau bei den Weißen?“ fragte Bomba so gleichmütig, als es ihm möglich war. Ruspak machte eine Gebärde der Begeisterung.
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„Ja — eine weiße Frau! Die Haare sind so gelb wie Gold! Viele Haare — lange Haare! Das wird ein herrlicher Kopf für Nascanoras Wigwam werden! Nascanora hat viele Köpfe — aber er hat noch keinen, der so schön ist.“ Bomba sah das ekelhafte Grinsen der Vorfreude auf dem Gesicht des Wilden, und er biß sich auf die Zähne, um den Mund nicht zu öffnen. Jedes Wort hätte seine Wut verraten. Eine Minute lang starrte er vor sich hin, und er machte sich klar, daß er keine Erregung zeigen durfte. Wenn er den Weißen Hilfe bringen wollte, durfte Ruspak auf keinen Fall Verdacht schöpfen. „Dann werden also die Weißen erst sterben, wenn ihr zum Großen Katarakt zurückgekehrt seid?“ fragte er harmlos. Ruspak nickte eifrig. „Nascanora würde großen Zorn haben, wenn wir die seltene Beute tot vor ihn hinlegen müßten. Es soll ein großes Fest werden, und alles wäre verdorben, wenn sie zu früh sterben würden.“ Durch diese Mitteilung fühlte sich Bomba einigermaßen beruhigt. Seit der Entdeckung der Gefangenen vom Wipfel des Doladobaumes aus war es für ihn eine beschlossene Sache, die Weißen aus den Klauen der Kopfjäger zu befreien. Dieser Entschluß hatte nun durch Ruspaks Erzählung nur noch eine Bekräftigung erfahren. Da waren Menschen von seiner Art — sie waren in Not, in Todesgefahr. Bomba mußte ihnen helfen, auch wenn es für ihn selbst höchste Gefahr bedeuten sollte. Der Abend kam. Der Kranke schlief ruhig und fest auf seinem Lager, und auch Bomba verspürte Müdigkeit. Obwohl er einen leichten Schlaf hatte, war es sicher nicht ratsam, in der Nähe des Kopfjägers die Augen zu schließen.
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Der Junge trat vor die Hütte und hielt Umschau. Die Dämmerung streute ihr graues Halbdunkel über die Tropenlandschaft; die Farben des Himmels verblaßten zu dunklem Violett und taubenblauem Stahlschimmer. Scharf wie Scherenschnitte zeichneten sich bizarre Palmwipfel gegen das matte Leuchten ab, und die ersten nächtlichen Laute erwachten im Dschungel. Bomba ließ seinen Lockruf hören, und sofort trat Polu auf die Lichtung. Er mußte irgendwo im Gebüsch gelauert haben. Dicht bei der Hütte ließ sich das Raubtier schnurrend nieder. Als Bomba in die Hütte zurücktrat, sah er das schreckverzerrte Gesicht des Medizinmannes. Der Kopfjäger wandte sich schnell ab, um seine Angst nicht zu zeigen, aber Bomba war zufrieden. „Du siehst, daß Polu vor der Hütte Wache hält“, erklärte er leichthin. „Wir können ruhig schlafen. Wenn jemand Casson oder mir zu nahe käme, würde Polu sofort zur Stelle sein.“ Eine ruhige Nacht folgte. Als Bomba am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fiel sein erster Blick auf den Medizinmann, der im äußersten Winkel der Hütte kauerte und Polus Schatten vor der Hütte nicht aus den Augen ließ. Bomba lächelte und sprang auf die Füße. Er trat an das Lager des Kranken und sah, daß Cassons Augen offen waren. Sie blickten ihn dankbar an. Die Lippen des Alten bewegten sich, aber er war noch zu schwach zum Sprechen. Vor der Tür begrüßte Bomba seinen vierbeinigen Freund; dann wusch er sich am Bach. Als er in die Hütte zurückkam, sah er, daß Ruspak zum Aufbruch bereit war. Der Medizinmann schaute ihn mit einem unsicheren Blick entgegen. Anscheinend fürchtete er, daß er nicht so leichten
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Kaufes aus der Gefangenschaft der Weißen freikommen würde. „Bomba sieht nun, daß ich den weißen Mann gesund gemacht habe. Ruspak hat sein Versprechen gehalten. Es ist nun Bombas Sache, auch sein Versprechen zu halten und Ruspak ungehindert ziehen zu lassen. Ruspak möchte zu seinem Stamm zurückkehren.“ Bomba war nur zu gern bereit, den Medizinmann unbehelligt abziehen zu lassen. Nie hatte ihn die unbehagliche Vorstellung verlassen, daß die Krieger Tocaroras auf der Suche nach ihrem verschollenen Medizinmann unversehens zur Hütte zurückkehren könnten. „Deine Worte sind gut“, sagte Bomba. „Ich will Polu sagen, daß er dich nicht angreifen darf. Du mußt jedoch schwören, deinem Volk nichts von dieser Heilung zu erzählen. Sie sollen nicht wissen, daß Casson und Bomba noch leben.“ Ruspak beeilte sich, das Versprechen zu leisten. Sein Blick irrte jedoch ab. Es war ein Ausdruck von Verschlagenheit darin, der seine Worte Lügen strafte. „Ruspak geht nun“, sagte der Medizinmann zögernd. Er hüstelte, als hätte er noch etwas auf dem Herzen. „Ruspak hat den weißen Mann geheilt, aber Ruspak hat die versprochenen Geschenke noch nicht erhalten.“ „Mein Wort gilt“, sagte Bomba stolz. „Welches Geschenk wünscht Ruspak sich?“ Der Medizinmann grinste verlegen. „Diese Schachtel dort — die feuerspuckenden Hölzer — das wäre ein schönes Geschenk für Ruspak.“ „Sie gehören dir“, sagte Bomba mit einer großzügigen Geste.
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Als der Medizinmann Zugriff, vermochte er seine Begierde und sein Entzücken nicht zu verbergen. Hatte er doch nun einen neuen Zauber, mit dem er seinen Stamm in Erstaunen setzen konnte. Und als ihm Bomba noch ein altes Buch mit farbigen Bildern überreichte, kannte seine Freude keine Grenzen mehr. Er hatte weit mehr erhalten, als er sich in seiner habgierigen Phantasie ausmalen konnte. Der Medizinmann verabschiedete sich, und Bomba trat mit ihm vor die Hütte. Er rief Polu zu sich, und das Tier kam schnurrend zu ihm hin. Sehr eilig und mit mißtrauischen Seitenblicken entschwand Ruspak. Als er in den Wald kam und von der Hütte aus nicht mehr zu sehen war, begann er zu rennen. Seine Schritte waren deutlich zu hören, und Bomba lachte. Dann wurde sein hübsches Jungengesicht jedoch ernst und nachdenklich. Wie viele Stunden mochte es dauern, ehe Ruspak seine Leute erreichte? Das war die Frist, die Casson und ihm blieb. Denn auf den Schwur des Medizinmannes war kein Verlaß. Mit einer Liebkosung verabschiedete Bomba den Puma, und dann ging er in die Hütte. Casson lag wach da und blickte ihm entgegen. „Dieser Mann, der dich gepflegt hat, war Ruspak“, erklärte Bomba. „Ruspak, der Medizinmann der Kopfjäger. Ich wußte mir keinen anderen Rat, als ihn mit zur Hütte zu bringen, weil du so starkes Fieber hattest. Er wird seinem Volk verraten, daß wir noch am Leben sind, obwohl er gelobt hat, dies nicht zu tun. Wir müssen also fort von hier. Ich werde dich an einen sicheren Platz bringen.“ Auf den Alten schienen die Worte keinen großen Eindruck zu machen. Er nickte teilnahmslos. Sein Leben war ihm nicht mehr viel wert, und er überließ Bomba voll-
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kommen die Sorge dafür. Die Vorbereitungen zum Aufbruch traf Bomba allein. Die wenigen Habseligkeiten waren bald im Boot verstaut, das hinter der Hütte am Flußufer in einem Versteck lag. Zum Schluß trug der Junge seinen alten Gefährten ins Boot und bettete ihn bequem hinein. Noch einmal hielt er in der Hütte Umschau, bevor er sie für immer verließ. Viele Erinnerungen verbanden ihn mit dem armseligen Bauwerk. Lange Jahre hatte sie Casson und ihm Schutz und Unterkunft gewährt. Doch die Zeit drängte. Er mußte einen großen Vorsprung gewinnen, um jede Verfolgungsmöglichkeit auszuschalten. Bomba stieg ins Boot und steuerte es mit einigen Paddelschlägen in die Mitte des Flusses. Die Strömung erfaßte das schmale Kanu, und Bomba mußte nur mit dem Paddel steuern und hie und da mit einigen Schlägen den Kurs ausgleichen. Buschwerk und Schilf, ins Wasser hängende Lianen und schlanke Palmen säumten das Ufer. Sie glitten an verschwiegenen Buchten vorüber, in denen Kraniche und träumerische Flamingos im seichten Uferwasser standen. Mitunter sah Bomba auch die kaum über die Wasserfläche ragenden, dunklen Stirnwülste der lauernden Krokodile. Doch ihre Fahrt wurde von keinem Hindernis gehemmt, und als die Sonne hoch über ihnen stand, hatten sie ihr Ziel erreicht. Auf einer versteckten Lichtung, etwas abseits vom Flußufer, stand eine Hütte. Nur Bombas scharfer Blick sah sie zwischen den Büschen und Bäumen hindurchschimmern. Er paddelte ans Ufer und stieß einen hellen Ruf aus. Nach einer Weile trat eine Frau aus den Büschen. Sie beschattete die Augen mit der Hand. Ihr Gesicht war verwittert und
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alt, doch als sie Bomba erblickte, verzog sie die Züge zu einem breiten Lachen. „Sehe ich dich einmal wieder, Bomba! Was für eine Freude!“ „Ja, Pipina“, erwiderte der Junge, „ich habe dich lange Zeit nicht mehr besucht. Heute komme ich, weil ich in Not bin und um deine Hilfe bitten möchte.“ Bomba sprang ans Land und zog das Boot hinter sich her. Die alte Frau kam noch ein wenig näher heran. „Pipina wird Bomba immer helfen“, sagte sie bereitwillig. „Wie oft hat Pipina Fleisch von Bombas Jagdbeute erhalten. Das vergißt eine alte Frau nicht schnell.“ „Ich werde dir noch mehr Fleisch bringen“, versprach Bomba. „Du sollst keine Not leiden.“ Er wies auf Casson, der matt im Boot lag. „Du kennst Casson, nicht wahr? Schau, er ist noch schwach. Das Fieber hat ihn geschüttelt. Ich selbst muß fort, und es können viele Tage vergehen, ehe ich wiederkomme. Allein kann ich Casson nicht in der Hütte lassen. Kopfjäger waren in unserer Nähe und haben Casson töten wollen. Das ist der Grund, weshalb ich dich bitte, einige Zeit für Casson zu sorgen. Im Boot habe ich Lebensmittel mitgebracht, und ich werde noch jagen, ehe ich zu meiner großen Reise aufbreche.“ Der Junge schaute die alte Eingeborenenfrau bittend an. „Wird Pipina mir meinen Wunsch erfüllen?“ Wortreich und freudig willigte die Alte ein. Sie lebte seit vielen Jahren als Witwe allein für sich. Ihre Ernährung bestand fast nur aus den Früchten des kleinen Gartens, den sie sich angelegt hatte. Wenn Bomba auf seinen Jagdzügen hier vorübergekommen war, und ihr etwas Fleisch geschenkt hatte, war sie jedesmal vor Dankbarkeit außer
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sich gewesen. Andererseits war sie erfahren in der Bereitung von Heilmitteln, und Bomba wußte, daß er für seinen alten Gefährten keine bessere Pflegerin finden konnte. Die mitgebrachte Hängematte wurde in der Hütte aufgehängt und der Kranke hineingebettet. Dann folgten zwei arbeitsreiche Tage für Bomba. Von früh bis spät war er unterwegs, um reichliche Jagdbeute heimzubringen. Die alte Pipina unterhielt Tag und Nacht ein Feuer, über dessen schwelendem Rauch das Fleisch gedörrt und geräuchert wurde. Noch einmal unternahm Bomba dann den Versuch, von Casson etwas über die geheimnisvollen Namen ‚Bartow’ und ‚Laura’ zu erfahren. Der Alte strengte sich vergeblich an, aber kein Funke der Erinnerung erhellte die Vergangenheit. Für Bomba gab es also keinen anderen Weg. Wollte er das Geheimnis seiner Herkunft lösen, so mußte er zu dem gefürchteten Jojasta reisen. Keine Gefahr sollte ihn abschrecken. Der Abschied von Casson und der alten Pipina fiel ihm dennoch nicht leicht. Lange stand er am Lager des Alten und hielt seine Hand. Endlich riß sich Bomba los und rannte hinaus. Er hielt nicht inne, bis er im Boot saß und stromaufwärts paddelte. Um seine trüben Gedanken zu vertreiben, strengte er sich mächtig an, und er war in ziemlich kurzer Zeit bei der alten Hütte angelangt. Doch die Lichtung war leer — bis auf den gestürzten Baum. Als Bomba das Boot im Versteck befestigt hatte, eilte er hinauf und sah nur noch Reste verkohlter Balken, die schwelten und einen herben Rauchgeruch ausströmten. Seine Ahnung hatte ihn also nicht getrogen! Anscheinend waren die Kopfjäger in der vergangenen Nacht zurück-
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gekehrt. Als sie sich um ihre Beute betrogen sahen, hatten sie voller Wut die Hütte angezündet. Doch das war nicht so schlimm. Bomba konnte eine andere Hütte an einem besseren Platz errichten. Wichtiger für ihn war es, daß die Kopfjäger nach diesem Umweg bestimmt keinen großen Vorsprung vor ihm auf ihrem Wege zum Großen Katarakt haben konnten. In den zwei Tagen, während er für Vorräte sorgte, hatte ihn immer der Gedanke gequält, er könnte zur Rettung der Weißen zu spät kommen. Jetzt wußte er, daß er wahrscheinlich noch rechtzeitig erscheinen könnte. Ob ihm jedoch die Rettung gelingen würde? Von jetzt ab setzte Bomba seinen Weg zu Fuß fort. Die Richtung, in der die Kopfjäger abgezogen waren, ließ sich an vielen Spuren deutlich erkennen. Bomba folgte dem Pfad und wanderte eine Stunde lang ohne jeden Zwischenfall schnell dahin. Der Pfad machte eine scharfe Biegung nach rechts, und unversehens sah sich Bomba einem bewegungslos daliegenden Jaguar gegenüber. Die Bestie mußte seinen Schritt gehört und reglos gelauert haben. Nicht mehr als neun Meter war der Kopf des Raubtiers von ihm entfernt. Der Jaguar erhob sich mit einem dumpfen Grollen. Es war zu sehen, daß er die willkommene Jagdbeute nicht entfliehen lassen wollte. Für nichts hatte er Augen, als für den Menschen, der vor ihm stand und den Bogen hob. Doch Bomba sah noch etwas anderes. Halbwegs zwischen ihnen lauerte eine Anakonda auf dem Ast. Wen hatte sie zum Opfer erkoren? Den Jaguar, der zum Sprung ansetzte, oder den Menschen, der auch in erreichbarer Nähe war? Bomba hatte keine Zeit zu warten, bis die
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Schlange in die Handlung eingriff. Er spannte den Bogen, zielte, und sah im gleichen Augenblick, daß sich der Jaguar zum Sprung zusammenkauerte. Anscheinend griff die Anakonda nicht in den Kampf ein. Weit zog Bomba die Sehne zurück. Zu weit! Es gab einen scharfen Laut — die Sehne war gerissen!
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9 Die Ringe der Anakonda Bomba gab sich verloren. Eine Flucht war unmöglich, und ehe er den Revolver gezogen hätte, wäre er schon von den Pranken des Raubtieres niedergeworfen worden. Jetzt sprang der Jaguar! Aber das war der Augenblick, den auch die Schlange zum Angriff ausersehen hatte. Ein schmaler, langer Körper schnellte sich plötzlich in den Weg des Jaguar. Der Sprung mißglückte, und die Bestie fiel einen Meter vor Bomba zu Boden. Ehe sie sich umwenden konnte, hatte der Schlangenleib einen Ring um ihren Körper gewunden. Die Fänge der Anakonda gruben sich in den Nacken des Jaguars, und es begann ein Kampf auf Leben und Tod. Bomba war gerettet! Aufatmend trat er zurück und beobachtete den Kampf. Vergeblich versuchte der Jaguar, der Schlange den festen Halt mit dem Schwanzende am Baumast zu rauben. Der elastische, muskulöse Leib des Jaguars wand und drehte sich. Schrecklich leuchtete das Gebiß des Räubers mit dem schwarzgefleckten Fell. Der Schwanz peitschte den Boden und die Krallen gruben sich in das Erdreich. Doch die Ringe der Anakonda waren unlösbar. Enger und enger preßten sie sich um den Leib. Ein entsetzliches Brüllen kam aus dem Rachen des Raubtieres.
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Die Knochen knackten. Dann wurden seine Bewegungen schwächer. Einmal röchelte er noch — dann sank der Kopf des Jaguars zur Seite, und sein Blick verglaste. Noch eine Weile lang hielt die Anakonda ihre Ringe geschlossen. Das schreckliche Geräusch brechender Knochen war so lange zu hören, bis der Raubtierleib in seinem Fellkleid nur noch eine formlose Masse war. Dann erst öffnete die Anakonda ihre Ringe und bereitete sich auf das Mahl vor. Ein Drama des Urwaldes ging zu Ende. Bomba wandte sich schauernd ab. Bevor er weitereilte, vergaß er nicht, eine neue Sehne auf den Bogen zu ziehen. Noch sorgsamer als bisher achtete er auf seinen Weg. Wachsam glitten seine Blicke nach links und rechts. Jedes leichte Wippen im Buschwerk, jede Bewegung auf einem Ast sah er. Meist waren es harmlose Urwaldbewohner, die ihn erschreckten. Aber er umging jede mögliche Gefahr und nahm Umwege in Kauf, um jeden Kampf mit überlegenen Feinden zu vermeiden. Nach der mehrstündigen Wanderung begann der Durst Bomba zu quälen. Mit dem feinen Instinkt der Urwaldbewohner spürte er bald die Richtung auf, in der ein Wasserloch lag. Er näherte sich vorsichtig. Der Anblick der schimmernden Wasserfläche steigerte noch sein Durstgefühl. Aber da gab es noch einen anderen Anblick, der ihn mit Wut und Kummer erfüllte. Schlangen! Sie umsäumten den Weiher wie schillernde Bänder. Manche waren so dick wie Bombas Arm. Andere hatten die Stärke von mittelgroßen Aalen. In der prallen Sonne lagen sie behaglich da. Aber es wäre leichter gewesen, einen Ring von Jaguaren
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zu durchbrechen, als an diesen Wächtern des Weihers vorüberzukommen. Also mußte Bomba durstig weiterwandern. Er kannte diesen Teil des Dschungels nicht. Bis er neue Anzeichen von Wassernähe gefunden hatte, verging viel Zeit. Sein Durst begann quälend zu werden. Müde und mit trockener Zunge stolperte Bomba durch den dunstigen, feuchtwarmen Dschungelwald. Er war froh, daß sein Instinkt ihn nicht getäuscht hatte. Ein liebliches Plätschern drang nach längerer Zeit an sein Ohr. Wasser! Ein seichtes Bächlein spülte über Steine und Sand und rann mit eifrigem Murmeln dahin. Für Bomba war der Anblick des klaren, fließenden Wassers das schönste Bild der Welt. Er warf sich zu Boden und ließ zuerst sein Gesicht von dem kühlenden Naß umspülen. Dann trank er lange und in gierigen Zügen. Die Rast nach dieser Stärkung war schön und erquikkend. Träumerisch saß Bomba an einen Baum gelehnt. Die Einsamkeit stimmte ihn melancholisch. Um sich von seinen trüben Gedanken abzulenken, holte er die Mundharmonika hervor, die ihm seinerzeit die Gummisucher Gillis und Dorn geschenkt hatten. Er spielte eine seiner selbsterfundenen Melodien und dachte an nichts Böses, als es plötzlich an seiner Seite im Busch raschelte. Der flache Kopf einer Schlange lugte durch das Farnkraut. Die Giftzähne waren in Stoßnähe, und die perlrunden Augen starrten ihn böse an. Für eine Flucht war es zu spät. Bomba dachte an sein Abenteuer mit dem Jaguar, den er mit seinem Harmonikaspiel vertrieben hatte. Würde sich die Schlange auch abschrecken lassen?
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Es sah nicht so aus! Bomba blies und blies, aber der Kopf der Schlange zuckte immer wieder vor. Dicht vor seinem Körper schreckte der dünne Leib jedoch jedesmal zurück, als prallte er gegen eine unsichtbare Wand. Das Spiel wiederholte sich so oft, daß Bomba der Angstschweiß auf die Stirn trat. Hinter ihm war der Baum und nach der Seite konnte er auch nicht ausweichen. Verzweifelt entlockte er der Mundharmonika schrille und sanfte Töne. Jeden Augenblick erwartete er einen der tödlichen Bisse. Aber dann beruhigte sich die Schlange in einer merkwürdigen Weise. Es sah so aus, als verfiele sie in einen hypnotischen Zustand. Sie schwenkte den Vorderleib und den aufgerichteten Kopf hin und her, wie der Takt der Musik es ihr vorschrieb. Bomba sah, daß der Blick der Schlange leblos wurde. Sie war wie in einem Traumzustand befangen, und der Junge kroch vorsichtig Zoll für Zoll rückwärts. Als der Abstand weit genug war, sprang er auf die Füße und eilte davon, so schnell er nur laufen konnte. Zum zweiten Male hatte ihm die Mundharmonika das Leben gerettet! Er betrachtete das Instrument mit Dankbarkeit. Es kam aus einer anderen Welt, aus der Welt der Weißen, nach der er sich sehnte. Gillis und Dorn hatten ihm das Wunderding geschenkt, das wilde Tiere zahm machte. Aber das war nur eines der vielen Wunder, die die große, ferne Welt für ihn bereithielt. Europa! Amerika! Das Meer! Die Worte hatte er von den weißen Männern gelernt. Welche Geheimnisse verbargen sich dahinter? Eines Tages würde er das alles kennenlernen, sagte sich Bomba. Eines Tages würde er alles lernen, was die Menschen in der Zivilisation schon kannten.
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Als der Abend dämmerte, wurde es für Bomba Zeit, sich einen geeigneten Rastplatz für die Nacht zu suchen. Bevor er jedoch daranging, wollte er erst seinen Hunger stillen. Er hatte Fleisch bei sich, das Pipina vor seinem Aufbruch sorglich für ihn gebraten hatte. Das Tapirfleisch mundete ihm gut, und er saß zufrieden kauend in der Dunkelheit. Sein gutes Gehör warnte ihn vor einer Gefahr, die sich sehr, sehr leise ankündigte. Was war das? Ein fast unhörbares Murmeln, ein Rauschen, so leise wie das Säuseln des Windes in den Baumkronen! Bomba kroch auf Händen und Füßen weiter. Im Dahingleiten ahnte er mehr, als er sah, daß der Wald mit schleichenden Gestalten belebt war. Ein Dorn berührte seine Hand, und einen Augenblick lang dachte Bomba, es wäre die Spitze eines Indianermessers. Hätte er jetzt die Beherrschung verloren, und wäre er aufgesprungen, dann würde seine Entdeckung unvermeidlich gewesen sein. Doch er bezwang sich und wußte im nächsten Augenblick, daß ihn nur ein Dorn gestreift hatte. Das geisterhafte Rascheln zu beiden Seiten war jetzt sehr nahe. Es klang wie das Rauschen des Sumpfgrases in einer leichten Brise. Die Schatten, die dahinhuschten, gewannen Gestalt und Umriß. Bomba lag gegen den Boden gegreßt da und hielt den Griff seiner Machete umklammert. Ein Laut ließ ihn leicht zusammenzucken. Es war ein schriller, schmerzerfüllter Schrei, der die Stille mit seinem Ausbruch von Todesnot und Angst zerriß.
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10 Der Kampf im Dunkel In dem Schrei kam etwas zum Ausdruck, was Bomba zum Handeln zwang. Viele Rufe hatte er bereits im Dschungel gehört: röchelnde Schreie verwundeten Wildes, die Kampfrufe der Raubtiere und die tierisch gellenden Angstschreie von Wilden, die von den Pranken eines Jaguars zerfleischt wurden. Doch der Notschrei, den Bomba eben gehört hatte, unterschied sich von allen diesen Lauten. Er mußte aufspringen und — ohne Rücksicht auf sich selbst — vorwärtseilen. Bald erkannte er an den kehligen Lauten keuchender Indianer und an schrillen spitzen Schreien, daß er sich einem Kampfplatz näherte. Undeutlich sah er endlich in einer Mulde die Kampfszene vor sich. Zwei Indianer kämpften mit einer dritten Gestalt. Das helle Haar leuchtete durch die Dunkelheit: es war die weiße Frau! Die Wilden hatten ihr Opfer ergriffen, warfen es zu Boden und wollten es binden. In diesem Augenblick schwang sich Bomba auf einen Ast, der über die Mulde reichte und glitt darauf entlang bis über die Männer. Er sprang dem einen Indianer auf den Rücken und stieß ihm die Machete ins Genick. Ehe der zweite den Überfall erkannt hatte, war Bomba über ihm und jagte ihm die Waffe durch die Brust.
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Die Frau schrie leise auf, als Bomba sie hochzerrte. Sie begriff die Vorgänge nicht mehr. Zwei Wilde hatten sie überwältigt, und nun kam eine dritte dunkle Gestalt und stach die beiden nieder. „Rasch!“ flüsterte Bomba. „Wir müssen fort!“ Die Frau ließ sich widerstrebend mitzerren. Die englischen Worte hatten sie etwas beruhigt, aber sie war noch immer voller Furcht. „Du mußt rasch folgen“, flüsterte Bomba noch dringlicher. „Ich bin dein Freund! Ich will dir helfen!“ Sie hasteten auf das dichtere Unterholz zu. Hinterher versuchte sich Bomba vergeblich Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie den umherschleichenden Indianern entgangen waren. Er wußte, daß manchmal die lautlosen Gestalten greifbar nahe an ihnen vorübergehuscht waren. Die Flucht fand ein jähes Ende, als seine Begleiterin mit einem Seufzer zu Boden sank. Sie war am Ende ihrer Kräfte, und Bomba kauerte sich neben ihr nieder. „Ich verstehe nichts“, flüsterte die Frau ängstlich. „Wer bist du? Wohin laufen wir? Was geschieht mit mir?“ Bomba legte rasch seine Hand auf ihren Mund. Die Frau mit dem blonden Haar mißverstand die Geste und wich entsetzt zurück. Da fühlte Bomba, daß sie ihn nicht als ihresgleichen erkannte. Er benahm sich plump und dumm wie ein Wilder. Woran sollte sie da einen Unterschied erkennen? Sein Gesicht war dunkel, seine Kleidung glich jener der Eingeborenen, und er hatte gekämpft wie ein Indianer. Mit behutsamen Gesten deutete Bomba an, daß sie jetzt schweigen müßten. Sie kauerten dicht beieinander im Unterholz. Kein Geräusch entging dem Ohr des Jungen.
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Er wußte, ob es ein kleines Kriechtier war, das mit verstohlener Schnelligkeit durch das Gras huschte, oder ob die Sohlen eines Eingeborenen fast unhörbar den Boden berührten. Doch die Zeit verstrich, und die Stille hielt an. Nur die Laute des nächtlichen Urwaldes drangen zu ihrem Versteck. Wahrscheinlich hatten die Indianer für die Nacht die Verfolgung aufgegeben. Auf alle Fälle würden sie dann am nächsten Morgen wiederkommen. Bis dahin wollte er die weiße Frau weit fortgeführt haben. Eine sanfte Berührung erschreckte Bomba. Dann wußte er, daß ihn die Frauenhand gestreift hatte, und er spürte seinen schnellen Herzschlag. Noch nie hatte er eine so zarte Annäherung kennengelernt. „Glaubst du, daß sie fort sind“, flüsterte die helle Stimme an seiner Seite. „Sind wir jetzt sicher?“ Bomba schluckte. Das Sprechen fiel ihm schwer, und die eigene Stimme kam ihm rauh und häßlich vor. „Ich bin sicher, daß sie für die Nacht verschwunden sind“, sagte er. „Sie werden wiederkommen. Ehe die Nacht um ist, müssen wir weiterfliehen. Es ist besser, du schläfst jetzt eine Weile.“ „Wohin wollen wir weiterfliehen?“ flüsterte die Frau. „Wo gibt es eine Zuflucht für uns?“ „Nur fort von hier“, murmelte Bomba. „Ich werde dich zu einem anderen Platz bringen.“ Ein Laut, wie ein unterdrücktes Stöhnen, kam aus dem Munde der Frau. Bomba wußte nicht, wie er sich das erklären sollte. Als er keine Antwort bekam, wiederholte er noch einmal:
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„Jetzt mußt du schlafen, damit du Kraft für den Weg hast.“ „Schlafen?“ schluchzte die Frau mit gepreßter Stimme. „Wie kann ich je wieder Schlaf finden!? Nach allem, was ich erlebt habe!“ Bomba dachte an die Berührung der Frauenhand, die ihn sanft wie das Schmeicheln warmen Windes angemutet hatte. Er dachte an ihr Haar, das golden leuchtete, und er dachte an ihre Stimme, die in der Trauer wie leise, schwermütige Musik geklungen hatte. Das Schluchzen an seiner Seite wurde leiser. Dann verstummte es, und Bomba fühlte, wie der Frauenkopf gegen seine Schulter sank. Jetzt schlief sie! Bomba wagte sich nicht zu bewegen. Mit einer unendlich vorsichtigen Geste zog er den Bogen zu sich her und legte einen Pfeil auf. Er war der Beschützer der blonden Frau! Er hatte eine Aufgabe. Trotz der Gefahren, die sie umlauerten, fühlte er sich stolz. Die ganze Nacht über hielt er Wache. Einmal vernahm sein Ohr das leise Anschleichen eines Raubtieres. Er starrte in die Dunkelheit hinein und sah zwischen den Schlinggewächsen die gelbgrünen Lichter von Jaguaraugen glitzern. Ohne die Schlafende zu wecken, spannte er die Sehne und sandte einen Pfeil in die Richtung der gefährlich blinkenden Raubtierlichter. Ein Zischen! — Dann ertönte ein Schnauben und ein Grollen des Schmerzes. Der Jaguar zog sich mit einer Verwundung in der Schulter zurück. Der unsichtbare Feind, dessen Witterung er in der Nase hatte, war ihm zu gefährlich. Voller Genugtuung dachte Bomba daran, daß er sogar in der Nacht einen Jaguar mit einem Pfeilschuß ver-
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treiben konnte. Für den Rest der Nacht war nun kaum noch etwas zu befürchten. Der Morgen dämmerte. Zuerst wurden die Umrisse der nahen Bäume sichtbar. Ein Castanhabaum ließ die Äste unter der Last seiner Nüsse fast bis zum Boden hängen und ein Geschlinge von Lianen hing vor ihrem Versteck wie ein Netz. Erste Vogelrufe erwachten in den Zweigen. Irgendwo in der Ferne lärmte eine Affenherde. Wahrscheinlich hatten sie einen Puma oder Jaguar gesichtet, der vom nächtlichen Raubzug in seine Höhle zurückkehrte. Allmählich färbte sich der Nachthimmel mit einem hauchfeinen, silbergrauen Schimmer. Die Sterne verblaßten. Der östliche Horizont war von dem Versteck der beiden aus nicht zu sehen, aber Bomba wußte, daß bald der goldene Sonnenball über den Wipfeln der Bäume emporsteigen würde. Die Zeit zum Aufbruch war gekommen. Als sich der Junge seiner Gefährtin zuwandte, sah er, daß sie ihn mit offenen Augen anschaute. Ihr heller Blick ruhte nachdenklich und neugierig auf seinem Gesicht. Immer noch prägte sich der Gram deutlich in ihren Zügen aus, aber es war zu sehen, daß sie auch über ihren seltsamen Retter nachdachte. Noch nie hatte ihn ein Wesen angeschaut wie diese weiße Frau. Bomba fühlte seine Verwirrung und senkte den Blick. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie die Frau sich aufrichtete, den Kopf bewegte und das ungeordnete, goldene Haar aus dem Gesicht strich. Dann beugte sie den Kopf so weit vor, daß er ihrem Blick nicht mehr entgehen konnte. „Du hast die ganze Nacht an meiner Seite wach gesessen? Du hast Wache für mich gehalten?“
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Diese Stimme! Bomba konnte sie nicht hören, ohne daß ihn ein wunderliches Gefühl von Rührung und Freude beschlich. Was war nur für ein Zauber in dieser lieblichen, leisen Stimme? „Einmal war ein Jaguar da“, berichtete Bomba bescheiden, aber doch mit heimlichem Stolz. „Er ist nicht lange geblieben. Ich habe ihn mit einem Pfeilschuß vertrieben.“ Die Frau erschauerte und zog ihre Wildlederjacke enger um den Oberkörper. Ihr Blick war wieder groß und aufmerksam auf Bomba gerichtet. „Du warst sehr tapfer heute nacht!“ sagte sie leise. „Ich habe es beobachtet, obwohl ich vor Schreck fast außer mir war.“ Für Bomba waren die Worte süßeste Musik. Er mußte sich zusammennehmen, um Stolz und Freude nicht zu deutlich in seinem Gesicht zu verraten. „Zuerst hielt ich dich für einen Wilden“, fuhr die Frau fort. Ein Lächeln huschte über ihr kummervolles Gesicht. „Aber ich sehe jetzt, daß du ein sehr hübscher Junge bist.“ Bomba öffnete den Mund. Kein Laut wollte über seine Lippen kommen. Jetzt wäre der Augenblick gekommen, wo er alles offenbaren konnte — und er hatte die Sprache verloren. Wieder berührte ihn die Hand leicht wie eine Vogelschwinge. „Du brauchst nicht zu sprechen“, sagte die sanfte Stimme, „ich sehe, daß du ein weißer Junge bist.“ Ja, wollte Bomba rufen, ich bin ein weißer Junge! Aber er konnte noch immer keinen Ton hervorbringen. Statt dessen nickte er nun immer wieder eifrig mit dem Kopf und fuhr mit der Hand in verlegener Hast mehrmals durch sein Lockenhaar.
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11 Den Kopfjägern entgangen Die Frau ergriff mit einer leidenschaftlichen Geste Bombas Arm. Ihr Gesicht war nahe bei ihm. Kummer und Erschöpfung hatten ihre Linien darin eingegraben, aber jetzt war noch ein anderer Ausdruck in den schönen Zügen. „Du mußt mir helfen“, rief sie aus. „Ich weiß, daß du der einzige bist, der mir helfen kann, meinen Mann, meinen Bruder und meinen Sohn zu befreien. Zum zweiten Male haben uns diese schrecklichen Wilden eingefangen. Vielleicht werden sie schon in diesem Augenblick gefoltert.“ In ihrer Erregung schüttelte sie Bombas Arm, und Tränen traten in ihre leuchtend-blauen Augen. „Oh — ich darf nicht daran denken! Ich sehe diese bösen Gesichter immer vor mir! Ich muß mir vorstellen, daß sie —“ Sie schluchzte auf, und Bomba legte sanft die Hand auf ihre Schulter, als er sah, daß sie in einer ungestümen Bewegung aufspringen wollte. „Wir dürfen nicht laut sprechen“, warnte er. „Wir wissen nicht, ob uns die Indianer nicht schon wieder belauern. Ich will versuchen, deine Angehörigen zu befreien. Aber wir müssen uns Zeit lassen. Übereilung würde nur unseren eigenen Tod bedeuten. Erzähle mir erst, wann du sie das letztemal gesehen hast.“
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Es war zu spüren, wie schwer es der Frau fiel, Ruhe zu bewahren. Ihr Körper zitterte, und sie trocknete mit einer verstohlenen Handbewegung die Tränen auf ihren Wangen. „Eines Nachts überfielen die Indianer unser Lager“, begann sie zu berichten. „Ehe wir Widerstand leisten konnten, waren wir alle überwältigt und gefangen.“ „Ich sah euch“, fiel ihr Bomba ins Wort. „Ich sah euch — an Bäume gefesselt, auf einer Lichtung!“ „Nicht!“ Die Frau stieß einen unterdrückten Schrei aus. „Bitte, nicht davon sprechen! Ich kann es nicht ertragen!“ Sie beruhigte sich und fuhr fort: „In einer der folgenden Nächte gelang es meinem Bruder, seine Fesseln zu lösen. Er befreite uns, und wir konnten entkommen. Dann verirrten wir uns aber. Vergeblich versuchten wir, den Weg zu unserem Lager wiederzufinden. In der letzten Nacht haben sie uns dann wieder gefangen. Ich wurde vor Schreck fast wahnsinnig bei dem Angriff aus dem Hinterhalt. Ich riß mich los, und zwei der Wilden verfolgten mich. Als du kamst, hatten sie mich gerade überwältigt und —“ Die Frau hielt inne und blickte Bomba an. Wieder siegte ihre weibliche Neugierde über den Kummer. Der helle Blick brachte Bomba in Verlegenheit und ließ ihn errötend die Wimpern senken. „Es ist mir heute noch ein Rätsel“, murmelte die Frau. „Wie konntest du diese beiden Bestien in Menschengestalt besiegen? Du bist ein Junge, und du hast zwei von den Wilden überwältigt. Es war eine wunderbare Tat!“ Das Lob erzeugte in Bombas Herz eine köstliche Wärme. Er hätte immer da sitzen und der lieblichen Stimme an seiner Seite lauschen mögen. Aber jetzt mischte
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sich wieder der Klang von Kummer in den Wohllaut. „Und doch sind mein Mann und mein Junge wieder in den Händen dieser Barbaren!“ Ihre Hand berührte mit einer schüchtern-flehenden Gebärde Bombas Arm. „Können wir gar nichts tun? Gibt es keine Möglichkeit, sie zu retten?“ „Wir versuchen es“, besänftigte Bomba ihren Gram. „Aber du mußt kräftig sein. Iß zuerst etwas.“ Aus seinem Beutel zog er den Rest des gebratenen Tapirfleisches. Als er jedoch das nicht sehr ansehnliche Bratenstück der Frau hinreichte, zog sie die Hand mit einem Ausdruck des Ekels zurück. „Oh — ich bin gar nicht hungrig“, sagte sie eifrig und versuchte, ihren Abscheu vor dem unappetitlichen Braten zu verbergen. „Ich bin wirklich nicht hungrig. Ich könnte jetzt überhaupt nichts essen.“ Die Ablehnung bereitete Bomba eine leichte Verstimmung. Trotzig biß er in das Fleisch, um der Gefährtin zu zeigen, wie gut es ihm mundete. „Es ist nicht richtig, daß du nichts zu dir nehmen willst“, meinte er mit einem bekümmerten Stirnrunzeln. „Wenn du willst, suche ich dir später einige Schildkröteneier.“ Die Frau schien sehr erleichtert über den Vorschlag zu sein. Als Bomba aufsprang, erhob sie sich ebenfalls. Sie stolperte jedoch bei den ersten Schritten und mußte an einem Zweig Halt suchen. „Ich sehe, daß du hungrig bist“, sagte Bomba unzufrieden. „Das Fleisch war gut; du hättest essen sollen!“
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Die Frau wollte Bomba nicht kränken, und sie widersprach sanft. „Ich bin nur vom Liegen steif. Ich bin es nicht gewöhnt, auf dem Boden zu schlafen.“ Sie wollte gehen und mußte nach einigen Schritten von neuem die Hand nach einer Stütze ausstrecken. Bomba eilte zu ihr. „Stütze dich auf mich“, sagte er schüchtern. „Ich bin stark genug.“ Daran war nicht zu zweifeln. Die Frau hielt inne und betrachtete den bronzefarbenen Knabenkörper. Er war wohlgestaltet wie ein griechisches Bildwerk, stellte sie in Gedanken fest. Ein junger Gott der alten Heldensagen: so mochte er ausgesehen haben. Anmutig und doch kräftig — mit ebenmäßigen Zügen und einem Blick, der sanft und stark zugleich sein konnte. „Du bist ein prächtiger Junge“, murmelte sie und seufzte. „So alt und so groß wie mein Frank! Ob ich ihn je wiedersehen werde?“ Sie brach in Schluchzen aus, und Bomba zwang sie mit sanfter Gewalt zum Gehen. „Wir finden ihn“, tröstete er sie. „Noch heute werden wir ihre Spur haben. Doch jetzt müssen wir gehen, solange noch die Morgendämmerung herrscht.“ Schattenhaft glitten ihre Gestalten durch das Unterholz. Die Frau stützte sich mitunter schwer auf den Jungen, dann wieder spürte er ihr Gewicht fast kaum. Sie versuchte, mit ihm Schritt zu halten und ihn nicht zu sehr mit ihrem Körpergewicht zu behelligen. Mrs. Parkhurst, so war ihr Name, war eine kräftige, mutige Frau gewesen, als sie leichten Herzens ihren Gat-
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ten in den Dschungel begleitet hatte. Für sie hatte es zuerst wie ein romantisches Abenteuer ausgesehen. Doch nun war aus der Romanze ein Drama geworden. Trotzdem hielt sie sich tapfer, und als der Druck auf Bombas Schulter immer leichter wurde, war er nicht einmal so sehr erfreut darüber. Sie gingen mit äußerster Vorsicht dahin. Doch sie fanden keine neuen Spuren. Es war also zu hoffen, daß die Kopfjäger die Verfolgung der blonden Frau aufgegeben hatten. Die Frau war erstaunt, mit welcher Sicherheit der Junge seinen Weg durch den Dschungel nahm. Der Weg, den sie selbst bis zu ihrem Versteck zurückgelegt hatte, war ihr überhaupt nicht mehr bekannt. Es war für sie wie ein Albtraum gewesen: ein nächtliches Inferno mit düsteren Gestalten, mit wilden Schreien und kopfloser Flucht. Nach einer Weile hatten sie den Schauplatz des nächtlichen Kampfes erreicht. Die Körper der beiden von Bomba bezwungenen Wilden waren verschwunden. Die Erinnerung wurde übermächtig, und die Frau verbarg das Gesicht in den Händen. Schnell zog sie Bomba weiter. Er hatte die Fährte der Indianer aufgenommen. Die Frau erkannte keine Spuren, aber für Bomba waren sie so deutlich wie Wegweiser an einer Straße der Zivilisation. So gut wie möglich folgte die Frau dem schnellen, gleitenden Schritt des Jungen. Wie gewandt er war — wie er jedem Hindernis mit einem anmutigen Sprung auswich! Sie hatte so etwas noch nie gesehen und war voll heimlicher Bewunderung. Dann hörte sie einen Warnlaut aus dem Munde des Jungen und sah, wie er einen Pfeil auf den Bogen legte.
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12 Das Grollen des Wassers Die Frau wich zurück, als sie Bombas Geste bemerkte. Indianer! Sicherlich waren sie auf ihrer Fährte! Als der Pfeil jedoch davonschnellte, stieß Bomba einen leisen Triumphlaut aus. Er folgte der Richtung des Geschosses und eilte auf die Lichtung hinaus. Die Frau folgte ihm furchtsam. Erst als sie sah, daß er sich über einen toten Tapir beugte, wurde sie ruhiger und trat näher heran. „Frisches Fleisch für dich“, sagte Bomba, rot vor Freude. „Das war ein glücklicher Schuß! Tapirfleisch wird dir frischgebraten bestimmt gut schmecken.“ Die Frau mußte an ihre Angehörigen denken. Hunger und Müdigkeit schienen ihr wesenlos. „Die Indianer! Wir müssen sie finden! Wir dürfen keine Zeit verlieren.“ „Die Rast ist keine verlorene Zeit“, belehrte sie Bomba geduldig. „Wir müssen kräftig sein, dann legen wir eine viel größere Strecke zurück, als wenn wir müde dahinstolpern. Außerdem müssen wir nachdenken.“ Die Frau versuchte in seinem Gesicht zu lesen. „Worüber müssen wir nachdenken?“ Bomba wies noch einmal stumm durch die Bäume. Wasser glitzerte undeutlich durch das Unterholz.
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„Dort ist der Fluß. Die Indianer haben ihn auf Flößen überquert. Wir können ihnen nicht folgen, weil wir kein Boot haben.“ Die Frau starrte den Jungen an. Es sah aus, als schwankte ihre Gestalt leicht. Sie machte einen unsicheren Schritt rückwärts und suchte mit der Hand Halt an einem Baumstamm. Ihre zarte Gesichtsfarbe war jetzt durchsichtig bleich. „Wir können ihnen nicht folgen“, wiederholte sie mit tonloser Stimme. „Wir können ihnen keine Hilfe bringen?“ Bombas Herz krampfte sich vor Mitleid zusammen. „Wenn wir einen Umweg machen, werden wir an einer anderen Stelle einen Übergang finden“, sagte er rasch. „Es gibt manchmal umgestürzte Bäume, die eine Brücke über den Fluß bilden. Oder wir bauen selbst ein Floß.“ „Warum schwimmen wir nicht?“ fragte die Frau verzweifelt. „Ich bin sicher, daß du gut schwimmst. Ich selbst bin auch keine schlechte Schwimmerin.“ Bomba lächelte verzagt. „Überall lauern hier Alligatoren im Uferschlamm. Oder wir geraten zwischen Schwärme der freßgierigen Pirhanas. Sie würden uns in kurzer Zeit das Fleisch von den Knochen reißen. Aber irgendwie werden wir hinüberkommen. Jetzt müssen wir vor allen Dingen essen.“ Die Frau beobachtete mit einem Gemisch aus Verwunderung und Abscheu, wie Bomba große Stücke mit der Machete aus dem Leib des Tapirs herausschnitt. Jetzt erinnerte er sie wieder an einen der Wilden. Er kauerte am Boden, und seine Hände trieften von Blut. Ohne aufzublicken, ahnte Bomba die Gedanken der Frau. Es beküm-
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merte ihn, daß er so grob und roh war. Ihn belästigte der Anblick von Blut nicht sehr. Das gehörte zu den Alltäglichkeiten des Dschungellebens. Aber er beeilte sich, seine Arbeit zu beenden, und wischte dann verstohlen seine Hände an großen Unkrautblättern ab. Bald war ein Feuer angezündet. Bomba schälte einen Zweig ab und spitzte ihn zu. Dann steckte er ein Lendensteak auf diesen Spieß und begann das Fleisch zu rösten. Der Duft hatte nichts Ekelhaftes mehr an sich. Auch die verwöhnte Mrs. Parkhurst rückte heimlich immer näher an das Feuer heran. Sie griff gern zu, als Bomba ihr das leckere Steak reichte. Bomba sah mit Wohlgefallen, wie gut es seiner Gefährtin mit einemmal schmeckte. Als sie satt war, betrachtete sie Bomba wieder mit offener Neugierde. Sie wurde aus diesem kräftigen, hübschen Jungen nicht klug, der wie ein Wilder im Urwald lebte, sich aber wie ein Gentleman benahm. „Du weißt sehr viel vom Dschungel“, meinte sie nachdenklich. „Du bist so erfahren in all diesen Dingen wie ein Indianer.“ „Ich glaube, ich weiß eine Menge mehr als die Indianer.“ Bomba sprach nicht prahlerisch, sondern nur im gleichmütigen Ton einer sachlichen Feststellung. „Sie verstehen nicht so viel vom Dschungel wie ich. Von der Sprache der Tiere haben sie keine Ahnung. Sie sind auch nicht befreundet mit ihnen. Sie kennen nicht die Namen der Blumen und Blätter und wissen nicht, daß die Bäume auch Lebewesen sind.“ Die Augen der Frau nahmen einen schwärmerischen Glanz an.
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„Das alles weißt du?“ Bomba hob die Wimpern zu einem raschen, etwas verlegenen Blick und schaute wieder ins Feuer. „Ich habe auch viele Freunde im Dschungel“, erklärte er. „Aber du bist doch ein weißer Junge“, sagte Mrs. Parkhurst verwirrt. „Wie kommt es, daß du im Dschungel lebst? Sicherlich bist du nicht allein?“ „Ich lebe bei Casson“, erklärte Bomba, als läge darin die Lösung für alle Rätsel. „Aber dein Vater und deine Mutter?“ Die Frau fragte mit drängender Neugierde. „Ist dieser Casson dein Vater?“ Ein Schatten glitt über Bombas Gesicht. Als Mrs. Parkhurst das sah, tat es ihr leid, die Frage an ihn gestellt zu haben. „Casson ist mein Freund“, erwiderte Bomba zögernd. „Da er sehr alt ist, pflege ich ihn. Sein Verstand ist etwas verwirrt. Er kann sich nicht an meinen Vater erinnern. Ich weiß nicht, wer es ist.“ „Und deine Mutter?“ fragte die Frau sanft. Ihr Interesse für den Jungen wurde immer reger. Vielleicht konnte sie etwas für ihn tun, sobald sie wieder in Sicherheit waren. Wenn es jemals dazu kam! „Ich versuche, alles über meine Mutter und meinen Vater zu erfahren“, sagte Bomba. „Bisher habe ich nicht viel erreicht.“ Fertig gebraten hing das Fleischstück am Stockende, aber Bomba fühlte mit einem Male das Bedürfnis, der weißen Frau sein Herz auszuschütten. Er erzählte von der Begebenheit mit Ruspak und davon, was der Kopfjäger über Jojasta berichtet hatte. Auch davon sprach Bomba,
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daß Casson in klaren Momenten die Namen ‚Bartow’ und ,Laura’ erwähnte und daß dann seine Erinnerung im entscheidenden Augenblick immer versagte. Er berichtete, daß Casson ihn selbst gedrängt hatte, Jojasta am Laufenden Berg aufzusuchen, um etwas über seine Herkunft zu erfahren. „Wenn es so ist, wie Ruspak erzählt“, schloß Bomba seinen Bericht, „und wenn die Frau, die in den Feuerhöhlen des ‚Laufenden Berges’ für immer verschwunden ist, eine Weiße war, dann könnte sie meine Mutter gewesen sein.“ Der Junge starrte in düsterer Nachdenklichkeit vor sich hin in das flackernde Feuer. „Aber wenn es so ist, dann wäre Jojasta, der Medizinmann, mein Vater.“ Mrs. Parkhurst nickte. „Es ist möglich, obwohl ich es fast nicht glauben möchte. Soviel ich gehört habe, sagt man nicht viele guten Dinge von Jojasta. Er soll ein Tyrann sein und sehr grausam. Ich glaube nicht, daß dies deiner Art entspricht.“ Bomba schüttelte entschieden den Kopf. „Ich hoffe, daß er nicht mein Vater ist. Er ist ein halber Indianer, und ich möchte doch ganz weiß sein — wie Casson und — wie du!“ Die Frau fühlte sich zu dem einsamen Jungen hingezogen. Nach diesem offenherzigen Geständnis noch mehr denn je. Sie wollte die Lippen öffnen, um etwas Tröstliches zu sagen, doch in diesem Augenblick sprang Bomba auf. Sein Blick richtete sich besorgt flußaufwärts. Fern im Dschungel vernahm sein aufmerksames Ohr ein dumpfes Geräusch wie fernes Donnergrollen. Der Fluß rauschte und schwoll an.
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Weit entfernt von hier mußte irgendwo im Dschungel ein wolkenbruchartiger Regenfall niedergehen. Das bedeutete, daß die Flüsse die riesigen Wassermengen nicht halten konnten und über die Ufer traten. Es war möglich, daß die gefürchtete Pocaroca, die Flutwelle des Amazonasdeltas, heranbrauste und für kurze Zeit die flußnahen Gebiete überschwemmte. Der Himmel verfinsterte sich. Sehr schnell trieb eine dunkle Wolkenbank am Tropenhimmel näher. Ein erster Regenschauer peitschte durch den Wald. Das drohende Grollen wurde stärker. Die Frau trat ängstlich an Bombas Seite. „Was bedeutet dieser ferne Donner?“ fragte sie. „Es klingt, als brüllten irgendwo sehr weit von hier wilde Tiere.“ „Es ist das Steigen des Flusses“, erklärte Bomba. „Bald wird das Wasser über die Ufer treten, weil irgendwo sehr viel Regen gefallen ist. Wir müssen auf höheren Grund gehen. Komm schnell!“ Mrs. Parkhurst schien die Gefahr nicht zu erkennen. Sie ergriff Bombas Arm mit einer beschwörenden Geste. „Unser Lager war in der Nähe eines Flusses“, sagte sie. „Wenn wir uns hier am Ufer halten, finden wir es vielleicht. Ich möchte nicht zu weit fort vom Fluß.“ Bomba nickte zustimmend. „Wir bleiben nahe — doch nicht so nahe, daß wir von der Pocaroca erfaßt werden.“ Die Papageien und Affen, die Wächter und Warner des Urwaldes — begannen mit ihrem Geschrei und Geheul. Unruhig flatterten große Wasservögel vom Ufer auf. Der Urwald belebte sich mit tausendstimmigen Lauten. Der Regen fiel dichter, und der Himmel verdunkelte sich noch
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mehr. Die Bäume neigten sich vor der Gewalt des heranbrausenden Sturmwindes. Die Castanha-Nüsse fielen mit dumpfem Laut wie übergroße Hagelkörner zu Boden. Im fahlen Licht des Gewittersturmes erschien die brodelnde Oberfläche des Flusses schwarz. Sie warfen einen letzten Blick auf das drohende Wasser und wandten sich in den Wald. Das Haar der Frau flatterte im Winde. Im Gesicht und an den Händen trug sie Spuren von dem Dornengestrüpp, durch das sie eilten. Ihr Atem ging keuchend, aber sie folgte dem Jungen tapfer. Als Bomba stehenblieb und rückwärts nach dem Fluß Ausschau hielt, sah er, daß plötzlich der Wasserspiegel gefallen war. Teile des Ufers, die eben noch überschwemmt waren, wurden wieder sichtbar. Das bedeutete, daß die Flutwelle kam! Es war, als kauerte sich ein gigantisches Untier zum Sprung zusammen. Ein Augenblick des Schweigens trat ein: der fürchterliche, leere Moment vor der Katastrophe. Die Tierlaute verstummten. Ein heißer Tropenatem wehte als Vorbote des Kommenden in das Gesicht der beiden. Ein Brüllen wie von tausend Jaguaren zerriß die Stille. Die Flutwelle wandte sich und brauste heran. Es rauschte und donnerte, und die wirbelnden Wassermassen rissen alles mit, was sich ihnen in den Weg stellte. „Schnell!“ schrie Bomba. Seine Stimme war nur ein ohnmächtiger Hauch in dem Aufruhr der Elemente. „Lauf um dein Leben — zu den Bäumen dort!“
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13 Im Griff der Pocaroca Nie zuvor in seinem Leben hatte Bomba soviel Dankbarkeit darüber empfunden, daß er starke Arme und eiserne Muskeln besaß. Es galt jetzt nicht nur sein eigenes Leben zu retten, sondern auch das einer hilflosen Frau. Dieses Bewußtsein stachelte Bombas Kräfte an. Als die Frau stolperte, riß er sie hoch und trug sie weiter. Sie hatten keine Chance, der Flutwelle zu entkommen, aber er mußte versuchen, soweit wie möglich vom Flußufer fortzueilen. Als sie einen starken Baum erreicht hatten, hielt Bomba an. Die einzige Hoffnung für sie war, im Geäst des Baumes der Flutwelle zu entrinnen. Bomba hob die Frau, als wäre sie leicht wie ein Kind. Er streckte die Arme so hoch, daß sie einen der unteren Äste erreichen konnte. „Halte dich fest!“ schrie er. Als er sah, daß die Finger der Frau sich bei dem Griff um den Ast nicht lockerten, eilte er um den Baum herum und klomm am Stamm empor. Dann stellte er sich auf den Ast und ergriff die Arme der Frau. Schnell zog er sie zu sich empor. In der Astgabel war ein fester Sitz, und dorthin hob er sie. Das Brüllen der Flutwelle kam näher und näher. Dann
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schäumte mit rasender Gewalt eine feste, fünf Meter hohe Wasserwand durch die Bäume auf sie zu. Mächtige Stämme knickten wie Schößlinge und verschwanden in den gurgelnden Fluten. Die Frau schrie auf, aber ihr Notruf verwehte im Aufruhr. Die Flutwelle jagte unter ihnen hindurch. Fest packte Bomba den Ast an und legte den anderen Arm um die Frau. Der mächtige Stamm zitterte, und das Zittern verstärkte sich! Ein ohrenbetäubendes Krachen — ein Stöhnen, als wäre der Baum ein Menschenwesen, das im Todeskampf aufschreit — dann neigte sich der Stamm! In schwindelndem Sturz sahen die beiden die Wassermassen auf sich zukommen. Im nächsten Augenblick schlugen die Wellen über ihnen zusammen. Eine Ewigkeit verging, während an Bombas Ohr nur das Gurgeln und Dröhnen der Wassermassen vorüberrauschte. Seine Lungen drohten zu platzen. Im Wirbel der Wassermassen trieben Äste und Wurzeln an ihnen vorüber. Mit aller Kraft mußten sie sich an den rettenden Ast klammern, um nicht unter Wasser von der Strömung erfaßt zu werden. Endlich machte der entwurzelte Baum eine schwerfällige Wendung, und sein Wurzelgeflecht blieb an einer kleinen Anhöhe hängen. Nur ein wenig kam der Ast über die Oberfläche. Zum ersten Male konnte Bomba etwas Atem schöpfen. Er schüttelte das Wasser aus Augen und Haar und schaute die Frau an, die er noch immer fest umklammert hielt. Sie hing schlaff und ohnmächtig in seinen Armen. Bomba selbst fühlte sich sterbensmüde. Alle Glieder waren wie zerschlagen. Überall hatte er Hautabschürfungen und Dornenrisse. Mit aller Kraft mußte er sich
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dazu zwingen, den rettenden Griff am Ast nicht zu lösen. Der einzige Trost war, daß das Wasser jetzt schnell zu sinken begann. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er mit seiner Gefährtin den rettenden Ast verlassen konnte. In der Ferne erstarb das Brüllen der dahinrasenden Pocaroca. Es wurde zu einem schwachen Grollen — zu einem Murmeln — und dann war die Stille da. Nur das leise Geräusch des fallenden Regens und das Gurgeln des unter ihnen dahinfließenden Wassers belebte den Urwald. Spinnen, Taranteln und Skorpione trieben hilflos auf dem Wasser dahin. Sie waren von der Flutwelle erfaßt worden wie die Zweige und jungen Bäume, die immer noch unter ihnen weitergeschwemmt wurden. Als Bomba glaubte, das Wasser wäre tief genug gefallen, stieg er mit der noch immer leblosen Frau im Arm vom Baum herab. Bis zu den Hüften reichte ihm die Flut. Er wandte sich dem höhergelegenen Teil des Dschungels zu und fühlte mit einem Male, wie die Last auf seinen Armen leichter wurde. Mrs. Parkhurst war erwacht und stellte sich auf die Füße. Das Fließen des Wassers um sie her verwirrte sie. Es dauerte eine Weile, ehe sie sich an die Vorgänge erinnerte. Dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und stöhnte auf. „Diese entsetzliche Welle! Es war wie ein Sterben — ein vielfaches Sterben! Das Wasser überschüttete uns, als der Baum fiel. Wir sanken — sanken!“ „Es ist jetzt vorüber!“ tröstete Bomba. „Die Pocaroca ist weitergezogen.“ Die Frau schaute mit klarer werdendem Blick den Jun-
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gen an. Bewunderung und eine mütterliche Art von Zärtlichkeit spiegelten sich in ihren Zügen. „Niemals hätte ich mich allein retten können“, murmelte sie nachdenklich. „Du mußt uns beide gehalten haben, sonst hätte mich die Flut mitgespült. Ich würde irgendwo treiben — eine Tote! Du hast mir zum zweiten Male das Leben gerettet!“ Bomba fand keine Antwort. In der Nähe der Frau empfand er eine merkwürdige Scheu. Das Lob wärmte sein Herz, aber er blieb stumm. Die Frau jedoch schien seine Gefühle zu verstehen. Im Weitergehen ergriff sie mit einer behutsamen Geste seine Hand und streichelte sie. Es bedurfte keiner weiteren Worte, um ihre Dankbarkeit auszusprechen. Diese Sprache verstand Bomba sehr gut. Nachdem sie sich eine Weile durch die Fluten gekämpft hatten, versagten Mrs. Parkhursts Kräfte. Es war höchste Zeit, daß sie festen Boden erreichten und ungehinderter weiterlaufen konnten. Nach einer weiteren halben Stunde war Bombas Gefährtin vollkommen erschöpft. „Ich kann keinen Schritt weiter“, keuchte sie und sank zu Boden. Etwas hatte Bombas Aufmerksamkeit schon seit den letzten Schritten erregt. Er machte eine Geste der Beruhigung und verließ die Frau. „Warte hier!“ sagte er. Dann glitt er davon und erkletterte mit pantherschnellen Sätzen einen nahen Baumstamm. Er hielt Ausschau, und als er zu seiner Gefährtin zurückkehrte, glühten seine dunklen Augen.
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14 Das Lager im Dschungel Bombas Hand deutete westwärts. „Dort drunten ist Rauch!“ Der Ton klang so freudig erregt, daß auch Mrs. Parkhurst sofort neue Hoffnung schöpfte. „Ein Lager?“ fragte sie hastig. „Ein Lager von Weißen“, bestätigte Bomba eifrig. „Einige Eingeborene und ein weißer Mann sind am Feuer. Vielleicht ist dies dein Lager!“ Vor Glück schloß die Frau die Augen und senkte den Kopf. Bomba dachte, sie fiele von neuem in Ohnmacht, aber schon sprang sie auf die Füße und ergriff seinen Arm, als er sich ebenfalls erhob. „Rasch, Bomba! Führe mich hin! Vielleicht hast du meinen Mann gesehen! Oder meinen Bruder! Oh, Bomba!“ In ihren Augen war ein Ausdruck von flehender Hoffnung. „Hast du keinen Jungen gesehen? Einen Jungen in deiner Größe?“ Mit einem traurigen Lächeln schüttelte Bomba den Kopf. Nur zu gern hätte er die Bestätigung gegeben, die seine Gefährtin so gern hören wollte. „Vielleicht ist er im Zelt gewesen. Wir werden —“ Für weitere Worte blieb ihm keine Zeit. Vor ihm her
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eilte Mrs. Parkhurst durch den Dschungel. Vergessen war ihre Schwäche — vergessen alle Strapazen und das Leid. Hoffnung beflügelte den Schritt der Frau. Sie wäre in einer falschen Richtung immer weiter in den Dschungel hineingerannt, wenn Bomba sie nicht auf den richtigen Weg geführt hätte. Bald sahen sie zwischen den Bäumen die dunklen Gestalten von Eingeborenen und etwas abseits, mit dem Rücken zu ihnen, am Feuer einen Mann in Tropenkleidung. Seine gebückte Haltung drückte Melancholie oder Nachdenklichkeit aus. Als Zweige unter den Schritten der Heraneilenden knackten, griffen die Indianer sofort zu ihren Waffen, und der Mann am Feuer sprang auf und brachte das Gewehr in Anschlag. „Gerry!“ rief die Frau mit einer Stimme, die vor Erregung und Freude schrill und unnatürlich klang. „Leg die Waffe fort! Ich bin es! Rose!“ Der Mann ließ die Waffe fallen, stürzte vorwärts und fing die Frau mit seinen Armen auf. „Rose! Rose!“ Er streichelte über ihr Haar, und seine Stimme war heiser vor Ergriffenheit. „Alles habe ich nach dir abgesucht! Ich habe überall —“ Die Frau unterbrach ihn mit hastigen Fragen. „Wo ist John? Wo ist mein Junge? Sind sie hier?“ Der Mann ließ die Arme sinken und schaute zur Seite. Da wußte Mrs. Parkhurst, daß ihre Hoffnung trügerisch gewesen war. Sie taumelte einen Schritt zurück und schluchzte auf. Im Hintergrund stand Bomba und wußte nicht, ob er bleiben oder sich heimlich davonstehlen sollte. Der Mann faßte sich, trat an die Frau heran und legte ihr die Hände auf die Schultern.
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„Ich weiß noch nichts, Rose! Als ich in der Dunkelheit fliehen konnte, bin ich sofort ins Lager zurückgeeilt und habe einige von den Eingeborenen zusammengesucht. Seitdem sind wir dauernd unterwegs, um eure Spuren zu finden. Es wird uns gelingen! Rose, du darfst die Hoffnung nicht aufgeben! Wir finden sie!“ Vor dem Feuer sank Mrs. Parkhurst nieder. Ihre Kleidung war naß, und sie fror. Mit einer müden Geste streckte sie die klammen Finger den Flammen entgegen. „Mir kommt alles wie ein schrecklicher Traum vor“, sprach sie leise vor sich hin. „Warum mußten wir in dieses Höllenland fahren? Alles wird mir hier geraubt: mein John — und mein armer, armer Junge, mein Frank!“ Als Mr. Hicks sich über seine Schwester beugte, um sie zu trösten, wollte sich Bomba zurückziehen. Er fühlte sich bei dieser Szene fehl am Platze. Seine heimliche Flucht wäre ihm auch gelungen, wenn nicht einer der Indianer ihn aufgehalten hätte. Der Mann mißtraute Bomba, da er die Zusammenhänge nicht erraten konnte. Er legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn aufzuhalten. Mit dieser Geste erregte er Bombas Zorn, und der Junge ließ einen drohenden Ausruf hören. Die Stimme brachte Mrs. Parkhurst ihren Begleiter in Erinnerung. Sie wandte sich um und rief Bomba zurück, ehe er sich davonstehlen konnte. Zögernd näherte sich der Junge. Der fremde, weiße Mann machte ihn schüchtern. „Wer ist der Junge?“ erkundigte sich Gerry Hicks leise bei seiner Schwester. „Er ist ein weißer Junge, Gerry, aber er hat sein ganzes Leben im Dschungel zugebracht. Er ist es, der mich vor
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den Indianern gerettet hat. Wenn er nicht wäre, könnte ich nicht gesund vor dir stehen.“ Der Mann trat auf Bomba zu. Seine Augen leuchteten freundlich und vertrauenerweckend. Er ergriff Bombas Hand und drückte sie fest. „Ich danke dir, mein Junge“, sagte er mit bewegter Stimme. „Wenn du meiner Schwester geholfen hast, bist du auch mein Helfer gewesen!“ Er wandte sich wieder an seine Schwester und bat sie, die näheren Einzelheiten zu berichten. Indessen ließ sich Bomba vor dem Feuer nieder und lauschte der Erzählung der Frau. Immer noch glaubte er den Druck der Männerhand zu spüren. Was für eine schöne Art der Begrüßung, dachte er. Die Indianer reichten einander nie die Hand. Aber Bomba verstand, daß in dieser Geste Freundschaft und Vertrauen zum Ausdruck kamen. Auf einen Wink des weißen Mannes hin, brachten die Eingeborenen Essen herbei. Mit herzlichen Worten hieß Mr. Hicks den Jungen bei der Mahlzeit willkommen, und die Indianer bedienten den jungen Gast nun mit der gleichen Dienstbeflissenheit wie die Erwachsenen. Bombas Hunger war groß. Trotzdem spürte er beim Essen, wie ihn Mr. Hicks immer wieder neugierig anblickte. Sein Name kam in dem leisen Gespräch immer wieder vor. Mitunter klatschte sich der Mann mit der Hand aufs Knie und lachte. „Das muß der Junge sein, von dem Gillis und Dorn schon berichtet haben!“ rief er plötzlich aus. Bomba hob den Kopf, als die bekannten Namen fielen. „Du kennst Gillis und Dorn?“ fragte er begierig.
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„Natürlich“, bestätigte Mr. Hicks. „Wir sind in der gleichen Gummigesellschaft. Du bist also Bomba, der Dschungelboy, von dem sie solche Wunderdinge berichtet haben! Sie erzählten mir, wie du ihr Lager vor dem Angriff der Jaguare gerettet hast. Ich glaube, wir haben großes Glück, daß wir dich gefunden haben!“ Wieder ein Lob aus dem Munde eines weißen Mannes. Bomba schaute verwirrt zu Boden. Er wußte nun auch, daß Gillis und Dorn ihn nicht vergessen hatten. Die Bindung zu der Welt der weißen Menschen wurde enger und enger. Die Mahlzeit aus Rindfleisch und Mehlkuchen ging zu Ende. Für Bomba war der Genuß nicht sehr groß gewesen, weil seine Zunge an Tapirfleisch und Schildkröteneier gewöhnt war. Immerhin war er satt und gestärkt. Er brannte darauf, seinen Weg fortzusetzen, nachdem seine Gefährtin wieder in Sicherheit war. Das Geheimnis, das ihn am ,Laufenden Berg’ erwartete, war für ihn wichtiger als alles andere. Er mußte Jojasta finden und die Wahrheit über sich und seine Herkunft erfahren! Mit unbeholfenen Worten verabschiedete sich Bomba von den beiden, die ihm in kurzer Zeit schon so nahe gekommen waren. „Ich hoffe, du findest deinen Jungen“, sagte er zum Schluß zu Mrs. Parkhurst. Die Mutter des verschleppten Jungen ließ Bomba ungern gehen. „Du wirst nach ihm Ausschau halten?“ bat sie ihn. „Nicht wahr, du versuchst es, ihn zu finden und zu mir zurückzubringen? Versprich es mir!“
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Als Bomba das tränennasse Gesicht der Frau vor sich sah, war sein Entschluß bereits gefaßt. „Ich werde nach ihm suchen“, versprach er, „und ich werde ihn zu dir bringen, wenn ich ihn gefunden habe!“ Die Frau stand auf, legte ihren Arm um Bomba und küßte ihn. Zum ersten Male in seinem Leben empfing Bomba diese Art von Liebkosung. Die mütterliche Zärtlichkeit war wie ein köstliches Geschenk für ihn. Ein Geschenk, das er nicht sehen und betrachten konnte — aber eine Gabe, an die er sich jederzeit erinnern würde. Er taumelte ein wenig, als die Arme der Frau sich lösten. „Auf Wiedersehen, Bomba!“ rief sie, und unter den Tränen stahl sich ein Lächeln hervor. „Ich werde für dich beten, mein Junge! Und ich werde immer nach dir Ausschau halten und hoffen, daß du meinen Sohn zu mir zurückbringst.“ Mit einem letzten Winken wandte sich Bomba ab und eilte in den Dschungel hinein. Er stolperte tränenblind vorwärts und hielt erst inne, als er weit fort war. Dann wischte er sich die Augen und atmete tief. So müßte meine Mutter sein, dachte er. „Meine Mutter!“ hörte er sich plötzlich laut in das Schweigen des Waldes hineinrufen. „Bald werde ich es wissen! Jojasta! Wo ist meine Mutter?“
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15 Der Berg erwacht In Bombas Inneren war ein Zwiespalt, während er seinen Weg in der Richtung des ,Laufenden Berges’ verfolgte. Er hatte das Versprechen gegeben, den Sohn der weißen Frau zu ihr zurückzubringen, sobald er ihn gefunden hatte. Aber ebenso drängend war in ihm der Wunsch, Jojasta zu finden. Wenn er ziellos den Urwald nach den Kopfjägern abgesucht hätte, wäre ihm viel Zeit verlorengegangen. Er mußte auch daran denken, daß er Casson nicht allzulange bei Pipina allein lassen durfte. Die Verpflichtung seinem alten Gefährten gegenüber war noch höher zu bewerten als die neuen Verpflichtungen, die er eingegangen war. So entschloß er sich, ohne Aufenthalt zuerst zum ‚Laufenden Berg' zu wandern. Mehrere Tage lang kam er gut voran. Zwischendurch lieferte ihm Pfeil und Bogen die Nahrung, deren er bedurfte, oder er fand Schildkröteneier, die eine Abwechslung in seine eintönigen Mahlzeiten brachten. Sobald er Durst verspürte, suchte er die Anzeichen für Wassernähe, und er fand immer, was er brauchte. Nur von den Kopfjägern und ihren Gefangenen fanden sich keine Spuren in all den vielen Tagen seiner Reise. Die
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einzige Hoffnung blieb ihm, daß inzwischen vielleicht Vater und Sohn wohlbehalten in das Lager zurückgekehrt waren. Auf seiner einsamen Wanderung hatte Bomba genug Muße zum Nachdenken. Er versuchte sich vorzustellen, wie wohl der weiße Junge Frank aussähe. Weiße Männer und Frauen kannte er nun. Wie aber sah ein Junge in seinem Alter aus? War er groß und stark wie er selbst? Beherrschte er auch die Zaubertricks, über die die weißen Männer soviel wußten? Oder war er gewandt und schnell wie Bomba selbst? Vermochte er mit Pfeil und Bogen umzugehen wie er? Verstand Frank die Stimmen der Waldtiere? Die Fragen machten ihm viel zu schaffen und sie weckten ein sehnsüchtiges Verlangen nach Anlehnung und Kameradschaft. Bomba wußte es nicht genau, aber er fühlte, daß ihm so etwas fehlte. Er hatte nicht nur Sehnsucht nach Weißen, er hatte auch Sehnsucht nach Jungen von seiner Art. Je näher Bomba dem ,Laufenden Berg’ kam, um so mehr traten diese Überlegungen allerdings in den Hintergrund. Die Erregung machte ihm zu schaffen. Nachts schlief er nur wenige Stunden, und er brach in der Dämmerung schon auf, um recht weite Wegstrecken hinter sich zu bringen. Dann bemerkte Bomba eines Tages, daß der Boden unter seinen Füßen zitterte. Es war nicht das weiche Beben des Ygapo, des Sumpfes, in dessen Nähe ihre Hütte gewesen war. Es war ein anderes Beben, das tief aus der Erde zu kommen schien. Für Bomba blieb es unbegreif-
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lich, welche Kräfte den Boden wie eine Haut im Fieberschauer zum Zittern brachten. Je näher Bomba dem ‚Laufenden Berg' kam, umso heißer wurde auch das Klima. Selbst die Nächte brachten wenig Kühlung. Es fehlte der erfrischende Morgentau, den der Junge von seiner vertrauten Dschungelgegend her kannte. An einem Tage erreichte Bomba dann hügeliges Gelände. Er mußte viel steigen, kam aber fast so gut voran wie auf ebenem Boden. Ein fremdartiges Geräusch ließ ihn innehalten. Bomba erkletterte einen Dolado-Baum und schaute um sich. Im Norden hinter ihm lag der Dschungel. Die Hügel, die er überstiegen hatte, waren wie ein grünes Gewoge. Darüber spannte sich der Tropenhimmel: hitzeflimmernd — erbarmungslos hell — und mit dem Feuerball darüber als Spender allen Lebens, aber auch als Mörder mit Trockenheit, Durst und Ausdörrung. Vor ihm jedoch lag ein Tal. Breit, dunkel und abweisend hob sich der Kegel des ,Laufenden Berges’ daraus empor. Wie zu einem übermächtigen Riesen blickte Bomba auf. Ein Anblick ließ seine Augen starr und weit vor Schrecken werden. Die dunkle Flanke des Berges bewegte sich — bewegte sich in einer langsamen, gewichtigen Schwingung, als wollte der Berg auf Bomba sinken und ihn unter sich begraben. Ein dumpfes Dröhnen und Kollern kam plötzlich aus dem Innern des Berges, als wäre das seine Stimme. Vor den Augen des Jungen löste sich ein mächtiges Stück des Bergkegels und glitt mit Donnergetöse talwärts. Der Berg hatte sich geöffnet, und der Boden schwankte!
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16 Ein schreckliches Erlebnis Als die Bergwand barst und talwärts glitt, schoß zugleich eine glühendrote Flammenzunge aus dem Gipfel des ,Laufenden Berges’. Der Dolado-Baum begann sich in einem wahnsinnigen Tanz von Seite zu Seite zu neigen. Die Luft sauste wie ein Windstoß an Bombas Ohren vorbei. Er sah, wie sich ihm die Erde entgegenhob, und er versuchte den Halt am Ast nicht zu verlieren. Vergeblich! Der Tanz des Baumes wurde gefährlicher. Bombas Griff löste sich, und er fiel. Im Fallen griff der Junge verzweifelt nach Ästen. Sie schnellten vor ihm zurück, als würden sie von einer Geisterhand weggerissen. Die Erde kam näher und näher, und dann fiel Bomba in einen Strauch, dessen Dornenzweige zwar seinen Fall abdämpften, seine Haut aber zugleich wie tausend Pfeile durchbohrten. Bomba erhob sich in halber Betäubung. Die Erde schwankte so stark, daß er taumelte. Das Zischen und Dröhnen aus der Richtung des ‚Laufenden Berges’ verstärkte sich. Aber noch etwas Neues kam hinzu. Der Dschungel erfüllte sich mit Leben. Es hastete und jagte — es lärmte, schrie und wimmerte. Rudel von Wild rasten
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an Bomba vorüber. Kleines Getier glitt zwischen seinen Beinen durch und brachte ihn zum Stolpern. Alles Leben des Urwaldes brach auf zu einer entsetzenerregenden Flucht. Schlangen krochen dahin in schnellen, windenden Bewegungen. Jaguare und Pumas sprangen in gewaltigen Sätzen durch den Wald. Keines der Tiere achtete auf Bomba. Ein riesiger Jaguar stürzte auf ihn zu, riß ihn zu Boden und eilte weiter. Die Tiere des Dschungels waren auf der Flucht vor dem ,Laufenden Berg’. Ihre Feindschaft war vergessen. Sie kannten nur einen gemeinsamen Gegner: den grollenden, feuerspeienden, tobenden Vulkan. Bomba floh mit dem Getier in nördlicher Richtung davon. Die Erde riß auseinander und ein tiefer Spalt gähnte ihm entgegen. Der Junge fühlte sich hineingerissen und hielt sich am Rande des Abgrundes fest. Als er auf festem Boden stand, schloß sich die Wunde der Erde wieder. Er wäre in dieser grausamen Umarmung rettungslos zerquetscht worden. Weiter ging die Flucht. Die entsetzten Tiere stoben an ihm vorbei. Vogelschwingen verdunkelten den Himmel, und der ‚Laufende Berg’ brüllte und grollte mit seiner übermächtigen Stimme. Plötzlich wurde es still. Das Beben der Erde hörte auf. Der ‚Laufende Berg’ schwieg. Atemlos blieb Bomba stehen und lehnte sich an einen Baum. Doch die Pause in dem Aufruhr war kurz. Kaum hatte der Junge etwas Atem geschöpft, als ein neuer gewaltiger Stoß die Erde erzittern ließ. Ein Flammenball stieg aus dem Gipfel des Berges. Unirdisch glühendes Licht breitete sich über dem Himmel aus, und der Widerschein färbte
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die Bäume und Büsche des Dschungels mit magischer Glut. Wieder löste sich ein Stück des Berges. Der Riese schien sich zu neigen und über Bomba zu stürzen. Mit einem Entsetzensschrei eilte Bomba weiter. Ein Baum stürzte über seinen Weg. Bomba sprang zurück, und zugleich fühlte er ein Brennen auf seiner Haut. Ein Tropfen Wasser war auf seinen Handrücken gefallen. Ein neuer Tropfen! Brühend heiß! Bomba schaute nach oben. Ein heißer Spritzer fiel auf seine Wange. Kochendes Wasser — heißer Regen fiel vom Himmel! Immer stärker wurde der Tropfenfall. Bomba stürzte in besinnungsloser Flucht vorwärts.
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17 Die Jaguarhöhle Mit geschlossenen Augen stolperte er dahin. Der heiße Regen des Geysirs peitschte ihn wie mit glühenden Ruten. Blindlings kämpfte sich der Junge weiter, bis er gegen einen harten Gegenstand stieß und zurückstolperte. Das Hindernis war ein Felsblock, der einen Spalt hatte, gerade groß genug, um einen schlanken Körper durchzulassen. Hastig zwängte sich Bomba, auf dem Bauch kriechend, hinein. Es dauerte lange, denn die Öffnung war sehr eng. Inzwischen peinigten ihn immer noch die heißen Tropfen. Als der Junge endlich im Schutz des Felsens lag, war die Enge so atemraubend, daß er mit den Füßen weitertastete. War es eine Raubtierhöhle? Jeden Augenblick konnten ihn dann gierige Zähne packen und rückwärts in die Höhle ziehen. Doch alle Tiere waren geflohen, es war anzunehmen, daß auch die Höhlenbewohner ihre Wohnung verlassen hatten. Jetzt drangen Bächlein des kochenden Wassers sogar in seinen Unterschlupf, und Bomba zwängte sich weiter. Mit den Füßen voran glitt er in einen weiteren Raum. Er wußte nicht, welche neuen Gefahren ihn dort erwarteten. Begab er sich in eine Falle? Immer noch zitterte die Erde. Hier, im
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Innern der Höhle, konnte er lebendig begraben werden. Aber dort draußen erwartete ihn der Tod im brühendheißen Sturzregen des Geysirs. Mit einem jähen Entschluß zwängte sich Bomba aus der Umklammerung der Felsspalte rückwärts und fiel in die Höhle. Sekundenlang lag er da — nach Atem ringend und seine zerschundene, verbrühte Haut befühlend. Dann tastete er vorsichtig seine nähere Umgebung ab und berührte etwas, das seine Finger sofort zurückschnellen ließ, als hätten sie Flammen angefaßt. Seine Fingerspitzen hatten Fell berührt, und im nächsten Augenblick grollte es mehrmals in der Höhle. Bomba griff nach seiner Machete und starrte in die Dunkelheit. Als sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, mußte er vor Erleichterung laut auflachen. Jaguarbabys saßen da — drei an der Zahl. Sie gebärdeten sich dem ungebetenen Gast gegenüber recht grimmig, fauchten ihn an und ließen ein wahrhaftig ehrfurchteinflößendes Knurren aus ihren kleinen Mäulchen hören. Als Bomba die Hand nach einem ausstreckte, zischten alle zwar sehr bösartig, aber dann ließ sich das Kleine doch nehmen und streicheln. Es schnurrte sogar und schlug spielerisch mit der Pfote nach Bombas Hand. Aber es war nicht die Zeit, um mit Raubtierjungen zu spielen, dachte Bomba. Die Jaguarmutter war sicherlich nicht fern. Wenn sie auch im ersten Schreck mit den anderen Urwaldtieren geflohen war — bald würde sie zurückkehren. Bomba erhob sich und untersuchte die Höhle. Ein zweiter Ausgang war nicht da. Da der Spalt, durch den er sich gezwängt hatte, sehr eng war, würde auch die Raubkatze Zeit brauchen, ehe sie hindurchkam. Bomba konnte also getrost
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in der Höhle bleiben und die Ankunft abwarten. Sein Pfeil würde schneller sein als der Jaguar. Draußen hatte sich der Aufruhr der Natur noch nicht besänftigt. Es war zu hören, daß auch die Tropfen noch fielen. Also konnte der Junge die schützende Höhle nicht verlassen. In der Nähe des Eingangs ließ er sich nieder, legte Pfeile und Bogen und seinen Revolver bereit und wartete. Die Zeit verging. Der Boden grollte und zitterte. Trotzdem war der Junge so erschöpft, daß er mehrere Male einnickte. Dann fuhr er wieder hoch und starrte auf den Höhleneingang. Nichts rührte sich. Aber der ‚Laufende Berg' rumorte und donnerte noch. Bomba dachte an die Szenen, die er gesehen hatte. Die Flucht der Tiere! Die Flammen, die aus dem Berg schossen! Der aufgerissene Schlund der Erde! Zürnte der Berg seinetwegen? Wollte er nicht, daß Bomba in seine Geheimnisse Einblick erhielt? Hatte er dem Jungen auf diese Weise eine unmißverständliche Warnung erteilt? Zweifel und Verwirrung bemächtigten sich Bombas. Sollte er feige fliehen, weil der Berg gegrollt hatte? Dann mußte er zu Casson zurückkehren und seine Niederlage eingestehen. Er mußte warten, bis vielleicht — vielleicht in Cody Cassons Gedächtnis eine Aufhellung kam. Aber niemand wußte, wann und ob dies je der Fall sein würde. Nein! Es gab kein Zurück für Bomba! Und wenn der Berg ihn verschlingen wollte, er würde weitersuchen! Er mußte das Geheimnis seiner Herkunft erfahren — mußte wissen, was die Namen ‚Bartow’ und ‚Laura’ zu bedeuten hatten.
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Ein leises Geräusch am Höhleneingang schreckte Bomba auf. Da waren sie — die gefürchteten gelben Lichtpunkte der Raubtieraugen! Bomba hob den Bogen und spannte die Sehne. Der Jaguar hatte sich schon in den Spalt gezwängt, ohne daß der Junge etwas gehört hatte. Bomba zog den Pfeil zurück Da schien die Erde zu bersten. Bomba fühlte, daß der Boden unter seinen Füßen so heftig schwankte wie noch nie. Das Felsdach über ihm zerbarst, wie von Riesenhand zerrissen. Bomba wurde emporgeschleudert und fiel wieder zu Boden. Eine Last drückte zentnerschwer auf seine Brust. Wie ein Vorhang fiel es über seine Augen, und alles wurde dunkel!
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18 Der Hilfeschrei Als Bomba aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Er blickte um sich und sah Verwüstung überall, wo er hinschaute. Auf ihm selbst lastete Geröll und Erdreich. Mit schwachen Bewegungen räumte er etwas davon zur Seite. Jetzt konnte er freier atmen. Langsam zwängte er sich aus den Gesteinstrümmern hervor und erhob sich. Die Landschaft war ein Höllengewirr von entwurzelten Bäumen, toten Tieren und aufgetürmten Gesteinsbrocken. Bomba fragte sich mit dankbarer Verwunderung, warum er in diesem Hexensabbat der Natur am Leben geblieben war. Kein Knochen war gebrochen. Er war gesund, wenn auch zerschunden und elend. Der ‚Laufende Berg’ hatte seine Stimme verloren. Auch die Erde war still. Die Ruhe über der Landschaft hatte etwas von dem geisterhaften, erstarrten Schweigen des Todes an sich. Nun war Bomba so weit, wieder an sich und sein Weiterkommen zu denken. Er mußte seine Wunden heilen, sich kräftigen und essen. Das war das wichtigste für den Augenblick.
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Dann behandelte er seine Wunden notdürftig und bestrich die verbrühten Hautstellen mit einem heilkräftigen Schlammbrei. Zu alledem ließ er sich nicht viel Zeit. Seine Gedanken eilten den Schritten bereits wieder voran. Er mußte Jojasta erreichen — er mußte in das Geheimnis des ,Laufenden Berges’ eindringen! Trotz der Schmerzen in seinen Gliedern wanderte er von neuem dem ‚Laufenden Berg’ entgegen. In dem Chaos von gestürzten Baumriesen und zerrissenen Felsblöcken mußte er sich mühselig seinen Weg suchen. Er erreichte jene Stelle wieder, von der aus er zuvor den Berg erblickt hatte. Nach dem Sturm war der Himmel klar und leuchtend blau. Das dunkle Massiv des Berges zeichnete sich vor diesem Hintergrund von Himmelsbläue scharf und hochragend ab. Ein blaßgraues Wölkchen schwebte über dem Gipfel des Vulkans. In der leichten Brise veränderte es die Gestalt, wie ein Nebelwesen, das in tausendfacher Veränderung sich darbietet. Es glich einem Geist, der die Einsamkeit des Berges bewachte und vor allen Annäherungen schützte. Bomba verstand die Bedeutung dieses verräterischen Wölkchens nicht. Er sah nur die Ruhe in der Nähe des Vulkans und setzte wohlgemut seinen Weg fort. Jetzt ging es bergab. Bald hatte er leichtfüßig die Talsohle erreicht. Von hier aus bot der ‚Laufende Berg’ einen ehrfurchtheischenden Anblick. Hoch ragte er vor ihm auf — mit steilen Felswänden, mit Klüften und jähen Überhängen. Wie ein altes verwittertes Gesicht bot sich die zugewandte Seite des Berges dar. Der Pflanzenwuchs war an manchen Stellen weggefressen, wie von einer scheußlichen
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Krankheit. Dunkle Höhlenlöcher wirkten wie Pockennarben in der faltigen Haut. Hier mußte also irgendwo Jojastas Behausung sein — hier herrschte der geheimnisvolle Medizinmann! Bomba überlegte nicht lange, welche Richtung er einschlagen sollte. Geradewegs arbeitete er sich den Berghang hinan. Durch das Unterholz suchte er sich seinen Weg aufwärts, bis der Baumwuchs seltener wurde und er leichter vorankam. Hinter einem Felsvorsprung stieß er auf einen der Höhleneingänge, die er von unten schon gesichtet hatte. Er tat einige vorsichtige und neugierige Schritte in das Innere. Dunkelheit und Stille! Doch plötzlich wogte ihm ein heißer Giftatem entgegen. Ein flammend roter Nebel hüllte ihn ein und ließ ihn rückwärtstaumeln. Bomba warf sich zu Boden und rang nach Atem. Die Feuerhöhlen! Er durfte nicht stehenbleiben, er mußte fliehen! Auf dem Bauch kroch er zurück, und er hielt den Atem an, um nicht den Schwefeldampf in die Lungen zu bekommen. Bomba hatte die Plattform vor der Höhle erreicht, als ein Schrei ihn aufhorchen ließ. Mit vollen Zügen atmete der Junge die frische Luft ein und lauschte. Konnte er sich geirrt haben? Nein! Da war wieder dieser Schrei! Bomba erschrak bis ins Innerste hinein. Der Schrei kam aus den Feuerhöhlen!
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19 Eine wagemutige Rettung Es war ein menschlicher Hilferuf! Bomba vergaß sogleich jeden Gedanken an die eigene Sicherheit. Ein Mensch war in der Feuerhöhle und hatte um Hilfe gerufen. Er mußte ihn retten! Die Flamme hatte sich zurückgezogen. Bomba trat in das Innere und wurde sofort von dem erstickenden Schwefelatem umfangen. In der Finsternis tastete er sich mit den Händen weiter. Jeden Augenblick konnte die tödliche Flamme wieder vorzucken und ihn ergreifen. „Wo bist du?“ schrie er verzweifelt. „Wer hat gerufen?“ Die Stimme antwortete so nahe, daß er erschrocken zusammenfuhr. „Hier! An deiner Seite! Hilf mir!“ Als Bomba sich hintastete, berührten seine Finger etwas Fellähnliches. Im nächsten Augenblick wußte er, daß er einen Menschenkopf anfaßte. „Wir müssen hier heraus!“ rief Bomba. „Schnell! Ehe das Feuer wiederkommt! Kannst du dich nicht bewegen?“ „Mein Fuß ist eingeklemmt“, sagte die Stimme mit einem kläglichen Stöhnen. „Zwischen zwei Felsbrocken ist mein Bein verklemmt. Ich kann mich nicht befreien!“
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Wortlos tastete Bomba den Körper ab, bis er die Beine erreichte. Er befühlte das eingeklemmte Bein und wollte es hervorzerren. Aber ein Schrei kam von den Lippen des Gefangenen der Feuerhöhlen — ein unterdrückter Wehruf, der sofort wieder verstummte, als wäre er unerwünscht. „Ich muß den Stein bewegen“, murmelte Bomba. Sein Atem ging röchelnd. Die Luft wurde heißer. Ein phosphoreszierendes Glühen erfüllte jetzt die Höhle. Gleich würde sich der heiße Feuerrachen des Berges wieder öffnen. Mit aller Kraft stemmte sich der Junge gegen den Felsen, der den Fuß des Unbekannten gefangenhielt. Er spürte, wie der Stein Zentimeter um Zentimeter nachgab. Plötzlich schrie der Gefangene: „Ich bin frei! Mein Fuß ist wieder frei!“ Sofort trat Bomba zu ihm hin, bückte sich und legte seinen Arm um den Gefangenen. Es war der letzte Augenblick! Das Leuchten wurde stärker. Rötlicher Schein mischte sich in das bleiche Geisterlicht. Zischend fuhr die Feuerzunge aus dem Höhleninnern hervor. Bomba stolperte mit seiner nicht allzu schweren Last auf den Höhleneingang zu. Der Schwefeldampf beizte seine Kehle. Er keuchte und warf mit letzter Kraft sein Körpergewicht vorwärts, um das Freie zu erreichen. Er ließ den fremden Körper zu Boden gleiten und rollte dann selbst ein Stück den Abhang hinunter. Alles war ihm gleichgültig jetzt. Wenn er nur dem Feueratem der Höhle entrinnen konnte. Als Bomba an einem Felsvorsprung Halt fand, richtete er sich zum Sitzen auf und schöpfte Luft. Dann wandte er
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sich um und hielt nach dem Geretteten Ausschau. Ein merkwürdiger Ausdruck, zwischen Freude und Erstaunen schwankend, trat auf seine Züge, als er kaum zehn Schritt von seinem Sitzplatz entfernt einen etwa gleichgroßen Jungen gewahrte. Der Junge war hellhäutig, hatte blonde Haare und blaue Augen. Bisher hatte Bomba weiße Männer und eine weiße Frau gesehen. Sehr unerwartet und unter seltsamen Umständen erfüllte sich nun sein Wunsch, auch einen weißen Jungen zu Gesicht zu bekommen. Der fremde Junge war damit beschäftigt, das Feuer zu löschen, das seine Kleider ergriffen hatte. Er schlug eifrig mit den Händen nach den kleinen Flammen, bis alles erstickt war. Sein Hemd war so zerrissen, daß es nur noch in Fetzen um den Oberkörper hing. Die graue Hose, die einmal in hohen Dschungelstiefeln gesteckt hatte, war zerschlissen und hing nur lose an einem Gürtel um die Hüften. Der Junge blickte jetzt auf. Es war ein wenig komisch, mit welchem scheuen Respekt und mit welcher Verwunderung sich die beiden Altersgefährten betrachteten. Sie saßen da, redeten eine ganze Weile lang kein Wort, sondern starrten einander mit unverhohlener Neugierde an. So mochten sich auch zwei Lebewesen des Dschungels anschauen, die sich nicht darüber klarwerden können, was sie von dem anderen zu halten haben. Aber schließlich waren es doch zwei Jungens — der Sprache mächtig und mit Verstand begabt. Sie taten das, was alle Jungens auf der weiten Welt tun, wenn sie einander fremd sind und wenn sie diese Fremdheit überbrücken möchten.
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Der fremde Junge lächelte Bomba schüchtern und freundlich zugleich an. Er rutschte etwas näher heran und machte eine vertraulich grüßende Geste. „Das warst du also“, sagte er. „Du hast mich aus dieser schrecklichen Feuerhöhle befreit?“ Bomba war noch sehr befangen. Er senkte den Blick und nickte nur mit dem Kopf. Der andere Junge rückte noch ein wenig näher. „Du“, sagte er und berührte ihn am Arm. „Das war wirklich fabelhaft.“ Bomba machte eine wegwerfende Geste. „Du brauchst davon nicht reden“, murmelte er. Der fremde Junge schüttelte energisch den Kopf. „Nicht davon reden, sagst du?! Holt mich aus dieser Teufelshöhle — schleppt mich auf den Armen hinaus und sagt dann, ich soll nicht davon reden?“ Bomba schaute unruhig auf. Womit mochte er den fremden Jungen erzürnt haben, daß dieser so laut und entrüstet sprach? Aber dann sah er das warme Glänzen der Dankbarkeit im Blick des Fremden, und er wußte, daß er sich irrte. „Ich werde davon reden“, fuhr der fremde Junge fort. „Ich werde es allen erzählen. Vor allen Dingen möchte ich verdammt gerne wissen, was du für Muskelpakete an den Armen hast. Ich glaube, du wirst mit dem Stärksten aus meiner Klasse fertig.“ „Was ist deine Klasse?“ erkundigte sich Bomba, nun schon etwas vertrauter. Der fremde Junge machte ein komisch verzweifeltes Gesicht. 123
„Meine Klasse? Freue dich, du harmloser Knabe, wenn du diese gräßliche Einrichtung, die sich Schule nennt, nicht kennen solltest.“ Er hielt inne und starrte den anderen mit wahrhaft entsetzenerregender Neugierde an. „Sag mal ganz ernsthaft: bei euch hier gibt es keine Schulen?“ Bomba schüttelte so betrübt den Kopf, als würde er auf ein heimliches Gebrechen an seinem Körper hingewiesen. Der fremde Junge lachte herzlich bei diesem Ausdruck von Kümmernis. „Mensch, da drauchst du doch nicht traurig sein, du Paradiesvogel! 'Ne Feuerhöhle ist bestimmt kein angenehmer Aufenthalt. Aber ein Klassenzimmer erinnert mich manchmal verdammt stark an so eine Feuerhöhle. Besonders wenn der Drache von Mathematikprofessor am Katheder steht und Gift und Galle spuckt.“ Alles war fremd für Bomba. Er hörte Worte, die er nicht begriff, aber er spürte aus dem Tonfall, daß es eine vertrauliche und schöne Unterhaltung war, die er da mit dem fremden Jungen führte. „Wenn er nur alles verstehen würde! Der fremde Junge stellte schon wieder eine Frage. „Jetzt möchte ich ganz gern wissen, wer du eigentlich bist. Ich muß doch meinen Lebensretter mit Namen kennen.“ „Man nennt mich Bomba“, sagte der Junge leise. „Bomba — Bomba —“ Der fremde Junge wiederholte den Namen sinnend. Dann nickte er. „Klingt nett! Und nichts weiter? Nur Bomba?“ „Ich habe keinen anderen Namen“, bestätigte der Junge. Der fremde Junge hatte das Gefühl, daß sein neuer
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Freund sich deswegen schämte, und er beeilte sich, ihn zu trösten. „Der Name paßt gut zu dir“, sagte er. „Klingt wirklich sehr hübsch. Ich heiße übrigens Frank Parkhurst.“ Bomba stieß einen Freudenschrei aus und ergriff zum ersten Male die Hand des fremden Jungen. „Frank! Was für ein Wunder! Dich habe ich gesucht, und hier finde ich dich! Du bist der Sohn von der schönen Frau mit dem Goldhaar.“ Das Gesicht des fremden Jungen überzog sich mit einem Schatten vor Trauer. „Meine Mutter! Du weißt etwas von ihr?“ Seine Stimme wurde beschwörend. „Du weißt, wo sie ist? Ist sie in Sicherheit? Ja? Sage es mir!“ Jetzt konnte Bomba den neuen Freund trösten. Er berichtete schnell, wie er Franks Mutter gefunden hatte und daß sie nun wohlbehalten und sicher im Lager war. „Und mein Vater? Mein Onkel? Wo sind sie?“ Bomba zuckte die Schultern. „Ich weiß nur, daß dein Onkel im Lager ist. Von deinem Vater hatten sie noch keine Spur gefunden.“ Frank Parkhurst schaute traurig zu Boden. Dann faßte er sich und berichtete Bomba seinerseits von der Flucht. Die Indianer, die seinen Vater und ihn gefangenhielten, waren in der Nacht von einem feindlichen Stamm angegriffen worden, und in der allgemeinen Verwirrung war Mr. Parkhurst und seinem Sohn die Flucht geglückt. Sie hatten einander jedoch verloren, und Frank war es bisher nicht gelungen, seinen Vater wiederzufinden. Das Erdbeben hatte den Jungen auf dem Berg überrascht, und er hatte vor dem heißen Regen Zuflucht in der Feuerhöhle
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gesucht. Bei einem der Stöße, die den Berg erschütterten, war sein Fuß zwischen zwei Steinen eingeklemmt worden. Seither hatte er in dieser hoffnungslosen Lage in der Höhle gesessen. Dann begann, kurz bevor Bomba erschien, auch noch die Höhle zu glühen, und heiße Dämpfe brodelten aus dem Innern. Den ersten Feuerstoß, hatte der Junge noch überstanden; wer weiß, ob er nach dem zweiten Gluthauch noch am Leben geblieben wäre. Eine Weile schwiegen die beiden und blickten nachdenklich vor sich hin. Vor ihnen breitete sich die Dschungellandschaft wie ein grüner Teppich aus. Einzelne Hügel überragten die wogenden Baumwipfel, und die Kronen mächtiger Bäume zeichneten sich vom blauen Himmel ab. Ein Flußlauf blinkte silbern in der Sonne. Das schimmernde Band verschwand zwischen dem grünen Gewirr von Ästen und Blättern und trat an einer anderen Stelle noch einmal hervor. „Bist du sicher, daß du den Weg zurück zum Lager findest?“ fragte Frank nach längerer Zeit mit unsicherer Stimme. Bomba nickte stolz. „Ich bringe dich sicher dorthin zurück. Nur muß ich zuvor noch Jojasta aufsuchen.“ Frank blickte ihn verwirrt und enttäuscht an. „Wer ist Jojasta?“ Nun mußte Bomba so schnell wie möglich die Geschichte erzählen, die sich eigentlich nicht in wenige Worte fassen ließ. Immer wieder wurde er von Franks neugierigen Fragen unterbrochen. Am Ende nickte der neue Freund nachdenklich und blickte scheu nach dem Berggipfel hin.
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„Danach müßte Jojasta hier in unmittelbarer Nähe leben. Ein bißchen unheimlich die Geschichte. Aber natürlich: wenn er alles von deiner Mutter und deinem Vater weiß, mußt du ihn aufsuchen.“ Er seufzte. „Mir wäre es allerdings lieber, das wäre schon vorbei und ich könnte ins Lager zurück und mich um meinen Vater kümmern.“ „Es wird nicht lange dauern“, beruhigte ihn Bomba. „Du kannst inzwischen auf mich warten, wenn du nicht mitgehen möchtest.“ Frank schien nicht viel dafür übrig zu haben, an diesem unfreundlichen Platz zurückgelassen zu werden. Für ihn knüpften sich wenig schöne Erinnerungen an den Ort. „Nein“, rief der Junge und sprang auf. „Ich gehe mit dir. Den alten Zauberkünstler möchte ich auch gern kennenlernen. Außerdem sind zwei immer besser als einer.“ Bomba stand ebenfalls auf. „Wie ist es?“ fragte er fürsorglich. „Traust du dir zu, eine schnelle Gangart mitzumachen?“ Frank wollte natürlich vor seinem neuen Freund nicht zurückstehen. „Das will ich meinen!“ rief er. „Ich habe noch genug Dampf. Auf also! Zum alten Hexenmeister Jojasta!“ Sein neuer Freund hatte eine hübsche Art zu sprechen, fand Bomba. Zwar verstand er nicht immer, was Frank meinte, aber allein die vertraulichen Worte und das Lachen des Stadtjungen bezauberten ihn. Den Berg hinan legte Bomba ein schnelles Tempo vor. Zu Ehren Franks muß gesagt werden, daß er tapfer mit dem Dschungelboy Schritt hielt. Er war schlank, aber zäh, und wenn er auch mitunter keuchend innehalten mußte, so war er doch sofort wieder hinter Bomba. Mit dieser
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stummen Zähigkeit errang er Bombas Bewunderung, obwohl der Junge kein Wort darüber verlor. Je höher sie kamen, umso mehr deuteten die drohenden Anzeichen auf einen neuen Vulkanausbruch hin. Dumpfe Stöße erschütterten die Bergwand. Der Boden unter ihnen zitterte. Sie gingen jetzt durch lichten Hochwald, und die Bäume bebten und schwankten hin und her. „Ich wette, daß wir noch ein Erdbeben erleben, bevor der Abend kommt“, meinte Frank unruhig. Doch Bomba hatte nur noch das eine Ziel vor Augen: Jojasta zu finden! War der Mann so finster und unheimlich wie der Ort, an dem er wohnte? Dann würde es Bomba schwer haben, das zu erreichen, was ihm vorschwebte. Plötzlich kam ein Überraschungsruf über die Lippen Franks. Er wies auf etwas hin, das weiß durch die Stämme schimmerte. „Das Haus!“ Bomba blieb unwillkürlich stehen und sprach die Worte laut aus. Ergriffenheit war in seiner Stimme. Endlich war er am Ziel. „Jojastas Haus! Komm, Frank! Dort muß Jojasta wohnen!“ Furcht und Hoffnung belebten Bomba zugleich. Er war am Ziel, aber er wußte nicht, was ihn hier erwarten würde. Jetzt, da er so dicht vor der Erfüllung seiner Wünsche stand, zauderte er. Was mochte ihn dort erwarten — dort in dem schimmernden Gebäude? Nach kurzer Zeit hatten Bomba und sein Gefährte einen Punkt erreicht, von dem aus sie das Gelände in der Umgebung von Jojastas Haus gut sehen konnten. Hinter Bäumen verborgen, hielten sie inne und blickten auf die
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Szene, die sich ihren Augen bot. Eine weiträumige Plattform unterbrach die schräge Linie der Bergflanke. Die Natur selbst mochte diese Ebene am Berghang vor langer Zeit einmal geschaffen haben. Menschen hatten dann diese Plattform der Natur dazu ausersehen, ein tempelartiges Bauwerk zu tragen. Die Wände dieses Palastes waren eingestürzt. Von mächtigen Steinsäulen getragen, ragte nur noch das Dach empor. Aus den Säulen hatten längst vergangene Geschlechter von Bildhauern riesige, grotesk und häßlich wirkende Figuren herausgemeißelt. Es waren Tiere halb und halb Menschen, die dort zu sehen waren. Frank Parkhursts Augen leuchteten bei dem Anblick auf. Er wußte, daß er uralte Kulturdenkmäler der Menschheit vor sich hatte — Ruinen eines Bauwerks, das ein verschollenes Geschlecht erschaffen hatte. Bomba jedoch sah etwas, das ihn mehr interessierte als das Bauwerk. Aus dem Wald neben dem Tempel trat ein Mann hervor. Er trug reich bestickte Sandalen, und ein weites Gewand aus kostbarem Stoff hüllte seine Gestalt ein wie eine schimmernde Priesterrobe. Um seine Hüften war ein Gürtel geschlungen, den wertvolle Edelsteine zierten. In der Hand schwang der Mann eine Peitsche aus geknüpftem Seil. Zwei dunkelhäutige Sklaven schleppten sich vor ihm her. Sie trugen steinerne Sandalen an den Füßen. Jeder Schritt mußte für sie eine unmenschliche Anstrengung und Qual bedeuten. Ihre Schultern waren gebeugt, und blutige Striemen von Peitschenhieben zogen sich über die Haut.
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Jetzt waren sie am Rande der Plattform angekommen. Der Abgrund gähnte unter ihnen. Doch die Peitsche sauste durch die Luft und klatschte erbarmungslos auf die Rükken der Sklaven. Der Mann in der Priesterrobe schien jede Beherrschung zu verlieren. Mit einem Wutschrei trat er einen Schritt vor und stieß die beiden Unglücklichen mit jähen Bewegungen seiner kräftigen Schultern in die Tiefe.
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20 Lebendig begraben Die beiden Jungen vermochten ihr Entsetzen bei diesem Anblick nicht zu verbergen. Sie sprangen beide zugleich aus ihrem Versteck vor und traten näher an den Abhang, um den Fall der beiden Sklaven zu beobachten. Von ihrem Platz aus konnten sie nichts sehen. Ebenso war plötzlich der grausame Mann mit der Peitsche verschwunden, als sie in seine Richtung schauten. Die Jungen starrten einander an. „Ob das Jojasta war?“ fragte Frank flüsternd. Bomba schaute umher, ohne etwas zu erblicken. Der Mann in der Priesterrobe blieb verschwunden. „Er muß es gewesen sein“, murmelte er. „Es ist so, wie Ruspak, der Medizinmann der Kopfjäger, mir berichtet hat. Am ‚Laufenden Berg’ gehört alle Macht Jojasta. Er tut, was ihm gefällt, und niemand kann sich ihm entgegenstellen.“ Die Grausamkeit des Mannes war fürchterlich. Mit Entsetzen dachte Bomba daran, daß dieser Tyrann vielleicht sein Vater sein könnte. „Nein!“ rief er so laut, daß Frank erschrocken zur Seite sprang. „Nein! Er ist ein Unmensch! Er ist nie mein Vater!“ Jetzt traten die beiden noch näher an den Rand der
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Klippe. Sie legten sich auf den Bauch und spähten hinab. „Schau! Dort!“ rief Frank. Bomba folgte mit dem Blick der Richtung seiner deutenden Hand. Unter ihnen glitt jäh die Felswand ab. Zähes, knüppelartiges Buschwerk wuchs hie und da aus Spalten, in die der Wind im Laufe der Zeit Erdreich und Samen hineingetragen hatte. Die bedauernswerten Sklaven hatten dort in ihrem Sturz Halt gefunden, und es war zu sehen, wie sie sich verzweifelt am Buschwerk festhielten. Kaum hatte Bomba die beiden erblickt, als ein harter Stoß den Berg erschütterte. Der Junge hielt sich unwillkürlich an einer überhängenden Wurzel fest. Dann kam ein Schrei über seine Lippen beim Anblick einer furchtbaren Szene. Dort, wo die Sklaven an den Büschen hingen, öffnete sich der Berg wie ein gewaltiger Schlund in einer Breite von mehr als zehn Metern. Der Riesenrachen des Berges verschlang das Buschwerk und die Gestalten der beiden Sklaven. Das Schlimmste an diesem Bild war jedoch, daß sich sofort darauf die Erdspalte wieder schloß. Der Berg hatte seine Opfer verschlungen. Die Jungen schauten einander an und vermochten kein Wort hervorzubringen. Franks Lippen zitterten, und Bomba biß die Zähne zusammen, um nicht schreien zu müssen. Viel Zeit blieb ihnen nicht, um mit ihrer Erschütterung fertig zu werden. Der ‚Laufende Berg’ ließ von neuem sein wütendes Grollen vernehmen. Vom Gipfel stieg eine Feuerschlange in die Luft. Der Schlund brüllte, und die Gesteinsplatte unter den Füßen der Jungen bebte in heftigen Erschütterungen. Ein schrecklicher Stoß warf die Jungen über
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die Klippen in den freien Raum hinaus. Sie ruderten mit Armen und Beinen in der Leere. Dann fielen sie zwischen zwei Felsgrate. Die Büsche, die dort standen, gaben ihnen Halt. Doch sie glitten noch weiter, bis sie in einem Gewirr von Zweigen und Buschwerk liegenblieben. Bomba schlug mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Er verlor sekundenlang das Bewußtsein. Dann war es dunkel um ihn her — tiefstes, undurchsichtiges Dunkel herrschte. Vorsichtig befühlte der Junge seine Glieder. Wieder war alles heil geblieben. Die Haut war an einigen Stellen abgeschürft; er fühlte es, wenn er über die Arme und Beine fuhr. Aber er war gesund, und er lebte. „Frank?“ fragte er in die Finsternis hinein. „Wo bist du, Frank?“ Halblinks, nicht weit von ihm, antwortete eine schwache Stimme. „Hier, Bomba! Ich bin hier!“ Bomba war glücklich, wenigstens seinen Gefährten bei sich zu haben. „Ich komme!“ rief er und tastete sich vorsichtig auf die Stimme zu. Als er den Arm des anderen Jungen berührte, hörte er einen zufriedenen Seufzer. „Eine Luftreise ist was Schönes“, brummte Frank. „Aber für solche Luftreisen bedanke ich mich! Ich für meine Person möchte nicht mit einem Vogel verwechselt werden. Fliegen will ich lieber mit dem Flugzeug.“ „Wo war ein Flugzeug?“ fragte Bomba verwirrt. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Frank stieß die Luft zwischen den Zähnen aus und berührte in der Dunkelheit Bombas Arm.
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„Eben hättest du zwei wunderbare Düsenjäger bewundern können! Fabelhaft, sage ich dir! Startplatz war die Plattform vor Jojastas pompöser Villa, und dann ging's im Sturzflug los! Atemberaubend schön! War 'ne ganz glatte Bauchlandung! Oder bei dir nicht? Möchte bloß wissen, was das für ein komischer Landeplatz ist? Für Blindflug ist meine Maschine nämlich nicht eingerichtet.“ Das Wort Galgenhumor war Bomba nicht bekannt. Aber er lachte mit seinem Gefährten zusammen, weil er fühlte, daß Frank in diesem Augenblick das Richtige tat, um die unangenehme Lage zu vergessen. „Feiner Platz, das hier“, fuhr Frank fort. „Hat uns jetzt der ‚Laufende Berg’ auch geschnappt wie ein dicker, alter Frosch zwei kleine Fliegen?“ Dieses Bild verstand Bomba auch. „Ja!“ bestätigte er, „wir sind im ‚Laufenden Berg’. Am besten versuchen wir, irgendwo herauszukommen.“ „Gibt es da eine Chance?“ „Wenn du geradeaus schaust, siehst du einen rötlichen Lichtschimmer“, sagte Bomba. Frank starrte mit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit hinein, ohne etwas zu erblicken. „Ich will Emil heißen, wenn da etwas zu sehen ist“, murmelte er unzufrieden. „Du heißt doch Frank“, sagte Bomba bestürzt. Wider Willen mußte Frank lachen. „Wenn's nicht so traurig wäre, könnte ich immer über dich lachen, Bomba“, sagte er mit einer Stimme, die zwischen Bekümmerung und Heiterkeit schwankte. „Du bist so ein gescheiter Bursche, aber sobald ich mal ein bißchen kariert zu quatschen anfange, kommst du nicht mehr mit. 134
Ich will natürlich nicht Emil heißen, und du wirst wahrscheinlich auch nicht gern hören, wenn dich einer Nepomuk nennt. Aber wenn dort vorn rotes Licht ist, dann bin ich der größte frei herumlaufende Dussel, denn ich sehe absolut nichts.“ „Du bist nicht an die Dunkelheit gewöhnt“, erklärte Bomba. „Ich sehe das Licht, weil ich oft nachts im Dschungel bin. Meine Augen gewöhnen sich schnell an die Finsternis.“ „Dann glaubst du also, daß es einen Ausweg gibt?“ fragte Frank begierig. „Ich hoffe es“, antwortete Bomba. „Auf alle Fälle müssen wir vorsichtig kriechen, damit wir nicht in irgendeinen Abgrund stürzen.“ Auf Händen und Knien tasteten sich die beiden vorwärts. Frank hielt sich dicht an der Seite seines erfahrenen Gefährten. Ihre Schultern berührten sich, und die Nähe des anderen erfüllte jeden von beiden mit dem tröstlichen Gefühl der Kameradschaft. Noch waren sie nicht weit gekrochen, als Bomba seinen neuen Freund mit einer Armbewegung warnte. „Bleib!“ rief er aus. „Gefahr!“ Sie waren dicht am Rande eines Loches. Bomba tastete mit den Händen nach beiden Seiten. Der Abgrund versperrte die ganze Breite des Tunnels. Es gab keine Möglichkeit, nach den Seiten auszuweichen. „Jetzt müßten wir wieder fliegen können“, seufzte Frank. „Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wie das ging.“ Diesmal klang sein Galgenhumor schon etwas kläglicher. „Wir sind doch vorher an einen Baumstamm gestoßen“, erinnerte ihn Bomba. „Da lag so etwas in unserem Wege.“
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„Ich weiß“, stimmte Frank zu. „Bei diesem Stamm habe ich mir eine ganz schöne Beule geholt.“ „Der Baum müßte lang genug sein, um das Loch zu überbrücken.“ Frank verstand sofort, was sein Gefährte meinte. „Also wollen wir uns eine Notbrücke bauen. Keine schlechte Idee. Nur stelle ich mir vor, daß es sich im Dunkeln nicht allzu gut balancieren läßt.“ Der Tonfall der letzten Worte hatte etwas unsicher geklungen. Es war auch eine ziemliche Mutprobe, die von Frank da verlangt wurde. In der Finsternis sollte er über einen schlüpfrigen Stamm gehen, und er wußte nicht, wie tief der unter ihm drohende Abgrund war. „Wir haben keine andere Chance“, sagte Bomba. „Wenn wir hierbleiben wollen, können wir warten, bis wir langsam, aber sicher verhungern. Oder der Berg beginnt von neuem mit seinem Hexentanz, und wir werden hier drinnen bei lebendigem Leibe geröstet.“ Frank schauderte. „Schöne Aussichten das! Und wir wissen nicht einmal, ob der Weg hinter dem Abgrund uns ins Freie führt. Vielleicht laufen wir nur in eine neue Feuerhöhle.“ Bomba kroch zu dem Baumstamm zurück, der bei einem der Erdaufbrüche ins Innere des Berges geschleudert worden war. Mit Franks Hilfe rollte er den Stamm zum Abgrund. Sie stellten ihn auf und ließen das eine Ende über die Schlucht fallen. Keiner von beiden sprach ein Wort, aber sie lauschten in der bangen Sekunde, ob das andere Ende des Stammes drüben Halt fand. Ein dumpfer Aufschlag! Sie hatten ihre Brücke!
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Mit bangen Gefühlen trat Frank an den Abgrund. Neben sich fühlte er Bombas Hand. „Du gehst zuerst“, sagte der Dschungeljunge. „Ich bleibe dicht hinter dir und berühre dich. „Wenn du strauchelst, halte ich dich. Das Loch ist nicht sehr breit. Wir sind bald drüben.“ „Und wenn ich unten bin, schicke ich dir 'ne Ansichtspostkarte“, murmelte Frank mit kläglicher Lustigkeit. „Du weißt doch nicht, ob es da unten so etwas gibt“, meinte Bomba naiv. „Nein, das weiß ich allerdings nicht, Bomba“, lachte Frank. „Du bist unbezahlbar. Dir darf man nichts sagen, ohne daß du es gleich wörtlich nimmst.“ Jetzt straffte sich der Stadtjunge vor seinem gefährlichen Weg und machte den ersten Schritt auf den Stamm hinaus. Die Oberfläche war feucht und glitschig, und er glitt sofort aus. Bomba packte ihn und zog ihn auf den Rand des Tunnels zurück. „Hoppla“, murmelte Frank, dessen Herz wie rasend schlug. „Wäre beinahe schiefgegangen.“ „Du mußt deine Schuhe ausziehen“, meinte Bomba. „Ich hätte es dir gleich sagen sollen. Du mußt barfuß sein, wenn du hinüberkommen willst.“ Frank zog seine Schuhe aus und wollte sie stehenlassen. „Laß sie nicht zurück“, riet Bomba. „Du wirst sie später wieder brauchen. Im Dschungel läuft es sich nicht gut barfuß, wenn man es nicht gewöhnt ist.“ Frank nahm seine Schuhe auf, und Bomba, der inzwischen auch seine Sandalen von den Füßen gestreift hatte, trat jetzt als erster auf die Notbrücke. 137
„Vielleicht ist es besser, wenn ich doch vorausgehe“, meinte er. „Du kannst mir dann folgen und die Hände auf meinen Rücken legen. So werden wir sicher hinüberkommen.“ Für Frank war es ein tröstliches Gefühl, mit der linken Hand den Rücken seines Gefährten zu spüren. Unter ihm war ein unmeßbarer Abgrund aus Dunkelheit, aber er spürte die Körperwärme und Nähe seines neuen Freundes, und sein Selbstvertrauen wuchs. Trotzdem schlug das Herz des Stadtjungen hoch in der Kehle. Mit den Zehen suchte er Halt in der schlüpfrigen Rinde des Stammes. Langsam gingen sie Schritt für Schritt dahin, und Bomba mußte sich jede Bewegung ertasten, da nicht der geringste Lichtschimmer die Dunkelheit erhellte. Sie hofften schon, bald das andere Ende der Kluft erreicht zu haben, als der Stamm sich unter ihren Füßen langsam zu bewegen begann. Es war ein furchtbares Gefühl! Sie konnten nichts daran ändern und mußten spüren, wie ihr Halt unter den Füßen mit stetiger Bewegung in die Tiefe glitt. Wahrscheinlich war der Stamm doch nicht lang genug gewesen. Nur das äußerste Ende hatte die andere Seite der Kluft berührt. Durch das Gewicht der beiden Körper bog sich der Baum jetzt durch, und die Spitze schien ihren Halt zu verlieren. „Bomba!“ schrie Frank. „Merkst du es nicht? Wir fallen.“ Die Schulter vor ihm glitt fort. Als er die Hände jedoch ausstreckte, griffen Bombas Finger fest zu. „Ich bin am Rande“, keuchte der Dschungelboy irgendwo über ihm in der undurchdringlichen Finsternis. „Ich halte
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dich. Versuche zu klettern. Sobald du hoch genug —“ Er beendete den Satz nicht mehr. Seine Füße verloren den Halt. Der Rand des Abgrundes bröckelte ab, und beide Jungen begannen in die unheimliche Tiefe zu gleiten.
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21 In der Tiefe Keiner der beiden Jungen glaubte mehr an eine Rettung. Bombas Füße suchten verzweifelt nach einem Stützpunkt, während seine Hände den Gefährten hielten. Er wurde langsam aber sicher in die Tiefe gezogen und gab sich auch bereits verloren. Plötzlich prallten seine Knie auf eine vorspringende Felskante. Der Fall wurde gehemmt, und Bomba löste eine Hand, um sich festzuhalten. Franks ganzes Gewicht hing nun an seinem linken Arm. Zugleich mußte sich Bomba langsam hochziehen. Nach geraumer Zeit erst hörten sie einen dumpfen Aufprall. Der Baumstamm hatte den Boden der Schlucht erreicht. Bombas Muskeln waren zum Zerreißen angespannt. Zentimeter um Zentimeter kämpfte er sich zurück, bis er seinen Körper wieder auf den Rand des Tunnels schwingen konnte. Frank war jetzt so weit, daß er die Ellbogen auf die rettende Felskante stützen konnte. Mit einer letzten Kraftanstrengung zog Bomba seinen Gefährten hoch. Beide sanken zurück, und für eine Weile war nichts zu hören als die keuchenden Atemzüge der Erschöpften. Eine Hand tastete sich vor und berührte Bombas Arm. Dann erklang Franks Stimme — leise und verschleiert.
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„Du bist wirklich ein großartiger Kerl“, sagte der Stadtjunge. „Jetzt wäre ich da unten, wo der Baumstamm aufgeplumpst ist. Hast du gehört, wie lange das gedauert hat? Von mir wäre nicht viel übriggeblieben.“ Bomba spürte ein Brennen in der Herzgegend. Er war glücklich, obwohl im Augenblick kein Anlaß dazu bestand. Nur die leisen Worte seines neuen Freundes hatten dieses Gefühl ausgelöst. „Die Felskante hat uns beide gerettet“, wies er den Dank bescheiden ab. „Und deine Muskeln“, ergänzte Frank. „Ich durfte dich nicht fallen lassen“, erklärte Bomba einfach. „Ich habe deiner Mutter versprochen, dich zurückzubringen, und ich muß doch mein Wort halten.“ Frank lachte gepreßt auf. „Meinst du, daß in dieser Lage alle Jungens so denken würden? Ich kenne 'ne Menge, die mich ganz schnell abgeschüttelt hätten, nur um ihre eigene Haut zu retten.“ Er räusperte sich. „Ich wollte, du wärst mein Bruder!“ Es war Bomba, als hätte der andere seinen geheimsten Wunsch erraten. Einen Kameraden zu besitzen oder gar einen Bruder wie den lustigen, tapferen Frank — das stellte sich Bomba als den köstlichsten Besitz vor. „Es wäre schön“, seufzte Bomba. „Ich wollte auch, du wärst mein Bruder.“ Dann schwiegen beide wieder. Wahrscheinlich waren sie etwas verlegen, daß sie ihr Innerstes so offenbart hatten. Frank brach das Schweigen. „Liegenbleiben wollen wir hier aber nicht“, rief er mit übertriebener Lustigkeit und sprang auf. „Sonst schlagen wir noch Wurzeln. Ich möchte ganz gern wieder den
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‚Laufenden Berg’ von außen sehen; von innen gefällt er mir nicht besonders gut.“ Bomba mußte lachen, und auf diese Weise vergaßen beide schnell, daß sie sich mit ihren Geständnissen in Verlegenheit gebracht hatten. Sehr vorsichtig tasteten sie sich in der Höhle weiter. Bei jedem Schritt konnten sie auf eine neue Kluft stoßen. Schulter an Schulter krochen sie dahin, und nur gelegentlich warnten sie einander mit einem leisen Wort, wenn ein unerwartetes Hindernis ihre tastenden Finger berührt hatte. Sie waren jetzt dem rötlichen Lichtschein um ein gutes Stück näher gekommen. Auch Frank erkannte jetzt den Schimmer. „Eine neue Feuerhöhle“, brummte er. „Mir klebt das Hemd schon am Leibe vor lauter Hitze.“ Es war tatsächlich immer wärmer geworden. Zungen und Lippen trockneten aus wie Pergament. Hin und wieder fegte ein Gluthauch durch den Gang, und die Jungen duckten sich unwillkürlich zu Boden. Jetzt war auch zu sehen, daß der Lichtschein von dünnen Flammenstrahlen erzeugt wurde, die aus dem Innern des Berges zu kommen schienen. Die beiden mußten anhalten. Jeder weitere Schritt war unerträglich. Die Hitze begann ihre Augenbrauen zu sengen. „Ein wahrer Höllenberg“, murmelte Frank. „Fehlen nur noch die Teufelchen, die da vorn um die Flammen tanzen, und die sündigen Seelen, die im großen Topf geschmort werden.“ Er schüttelte sich, als hätte das von ihm selbst erzeugte Phantasiebild seinen Abscheu erregt. „Aber wenn man das photographieren könnte: das wären Sen-
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sationsaufnahmen! Stell dir einmal die Zeitungsüberschriften vor! Bomba und Frank im Vulkan! Originalbericht der beiden jungen Abenteuerer mit Photos! Dazu gehört noch dein Hexenmeister Jojasta! Der gäbe auch prächtige Bilder ab.“ Die beiden waren einige Schritt zurückgekrochen, um der Hitze zu entgehen. Bomba kauerte am Boden neben seinem Gefährten und blickte ihn scheu an. Jetzt konnte er wieder undeutlich die Umrisse seines Gesichtes erkennen. Wie klug Frank ist, dachte er. Er wagte nicht, Fragen zu stellen. Aber die letzten Bemerkungen des Freundes waren so fremdartig gewesen, daß Bomba kaum etwas davon verstanden hatte. „Ich werde noch viel lernen müssen“, sagte er unwillkürlich laut aus seinen trüben Gedanken heraus. Frank berührte vertraulich und liebevoll seine Schulter. „Mach dir nichts daraus, altes Haus. Ist nun mal unser Los, in der Schule zu schwitzen, bis wir erwachsen sind. Ich glaube nicht, daß du viele Schwierigkeiten haben wirst. In Naturkunde bist du bestimmt prima. Na, und im Sport!“ Er lachte unwillkürlich auf. „Ich möchte Mr. Smith, unseren Sportlehrer sehen, was der für Augen machen würde, wenn er dich klettern und springen und laufen sähe. Der ist doch so eingebildet auf seine Athletikkünste. Da würde ihm wohl die Spucke wegbleiben.“ Bomba war nicht ganz so optimistisch. „Es gibt doch viele andere Dinge auch noch. Ich werde bestimmt nicht alles begreifen.“ „Dann setzen wir uns eben zusammen hin, und ich erkläre dir diesen mathematischen Quatsch und das ganze Grammatikzeug so lange, bis du es verstehst.“
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Das Angebot kam so impulsiv und ehrlich aus Franks Mund, daß wieder eine heiße Woge von Freude durch Bombas Herz glitt. Wenn auch keiner von beiden wußte, ob sie jemals lebend diese Höhle verlassen würden, so fühlten sie doch, daß in den wenigen Stunden ihres Beisammenseins der Keim für eine unzertrennliche Freundschaft gelegt worden war. Es war schön — wenn auch der äußere Anlaß für die Bekanntschaft nicht sehr erfreulich erschien. Bomba kroch wieder einige Schritte auf die Feuerquelle zu und kam dann zurück. „Es geht beim besten Willen nicht weiter“, murmelte er. „Aber wir müssen hier heraus. Du wirst ebenso wie ich vor Durst bald umkommen, und Hunger habe ich auch.“ „Ich gäbe eine Million für ein paar Schluck Wasser“, seufzte Frank. „Und etwas zu essen will ich mir gar nicht vorstellen, sonst dreht sich mein leerer Magen wie ein Kreisel.“ „Wir müssen noch einen Ausweg finden“, sagte Bomba. „Es muß einen Weg geben, der —“ Weiter kam er nicht. Das Geräusch von Stimmen war an sein Ohr gedrungen. Er erstarrte in vorgebeugter Haltung und lauschte. „Was hörst du?“ fragte Frank leise. „Still!“ flüsterte Bomba hastig. „Ich höre Männerstimmen. Ich weiß nur noch nicht, aus welcher Richtung die Worte kommen.“ Wieder lauschte er angestrengt, und Frank kauerte stumm neben ihm. „Dort rechts muß es sein“, flüsterte Bomba nach einer Weile. „Männer stöhnen und reden miteinander. Sie schei-
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nen in Not zu sein. Wir wollen sehen, ob ein Weg zu ihnen hinführt.“ Bomba tastete sich eilig weiter, und Frank folgte ihm langsamer. Bald hörte er einen erfreuten Ausruf Bombas. „Hierher, Frank! Lege deine Hand auf meine Schulter. Ich führe dich.“ Der Weg wurde jetzt so schmal, daß die Jungen mit beiden Schultern die Wände des Tunnels berührten. Sie mußten gebückt gehen. Die Stimmen wurden deutlicher, und Frank vernahm jetzt auch die Laute. Der Weg wurde allmählich heller. Es war aber nicht mehr die bösartige rote Helligkeit des Vulkanfeuers, sondern der bleiche Schimmer des Tageslichtes. Neue Hoffnung belebte die beiden, und sie gingen schneller voran. Der Tunnel machte eine Krümmung, und sie stießen jetzt auf Erdmassen und Büsche. Die Lichtquelle war hoch über ihnen. Durch einen unsichtbaren Spalt sickerte der Schimmer von Tageshelligkeit und erleuchtete die wüste Szenerie mit mattem Schein. Inmitten von Gesteinstrümmern und Zweigen entdeckte Bomba die sich bewegenden Köpfe zweier Gestalten. Er ahnte plötzlich, wer das sein mochte. „Die beiden Sklaven!“ rief er aus. „Sie leben noch! Komm, wir helfen ihnen!“ Die Jungen eilten zu den Schuttmassen und legten die Oberkörper der Männer frei. Die beiden Verschütteten stießen unartikulierte Freudenlaute aus, als die unerwarteten Helfer auftauchten. „Helft uns!“ riefen sie in ihrer Eingeborenensprache. Ihr gütigen Herren, helft uns!“ So gut es ihnen möglich war, halfen sie selbst bei ihrer
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eigenen Befreiung mit. Die kräftigen Jungenarme zerrten dann die Männer aus den Erdmassen und dem zerfetzten Gezweig heraus. Noch immer hatten sie die Steinsandalen an den Füßen, und sie strauchelten beim ersten Schritt. Schnell lösten die Jungen die Bänder, und die Sklaven konnten sich nun mit bloßen Füßen wieder richtig bewegen. Die Dankbarkeit der Befreiten äußerte sich in überschwenglicher Weise. Sie fielen den Jungen zu Füßen und stammelten wirre Dankesworte und Freudenrufe. Tränen rollten über ihre Wangen, während sie immerfort wiederholten: „Ihr habt uns gerettet! Wir gehören euch! Ihr habt unser Leben gerettet. Tut mit uns, was ihr wollt!“
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22 Der Tempel stürzt Die beiden Jungen waren gerührt von der Dankbarkeit der beiden Eingeborenen. Dennoch fühlten sie sich verlegen bei so viel Überschwenglichkeit. Frank zwinkerte Bomba zu, um ihnen über die Peinlichkeit der Lage hinwegzuhelfen. „Aufmerksame Burschen“, flüsterte er. „Wenn sie uns so schnell helfen könnten, wie sie den Mund bewegen, dann müßten wir im nächsten Augenblick an einem hübsch gedeckten Tisch in Muttis guter Stube sitzen und Vanilleeis löffeln.“ Bomba winkte ab. Beim Umherschauen war ihm aufgefallen, daß einige Gänge aus dem Wirrwarr von Schutt und Gesteinstrümmern abzweigten. Sie waren teilweise so regelmäßig angelegt, als wären sie von Menschenhand geschaffen. Bomba hielt es nicht für ausgeschlossen, daß die Sklaven hier Bescheid wußten, und sie wirklich ins Freie führen könnten. „Kennt ihr den Ort?“ fragte er sie hastig. „Wart ihr schon einmal hier?“ Der eine Sklave, anscheinend der intelligentere von beiden, nickte eifrig. „Als die Erde einbrach und wir hinunterstürzten, sahen
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wir, daß wir in einen von Jojastas Geheimgängen gefallen waren. Es gibt viele solche Gänge im Berg.“ „Kennst du einen Weg, der ins Freie führt?“ fragte Bomba begierig. Die Eingeborenen nickten. „Ashati und Neram werden euch an einen Ort führen, wo ihr die Sonne wieder sehen könnt. Ashati und Neram sind froh, daß sie euch diesen Dienst erweisen können.“ Aus Bombas Gesichtsausdruck erriet Frank, der die Eingeborenensprache nur sehr mangelhaft beherrschte, daß sein Gefährte eine gute Mitteilung erhalten hatte. „Was sagen unsere beiden ergebenen Diener?“ erkundigte er sich. „Ist hier in der Nähe irgendwo ein Eissalon, weil du ein so zufriedenes Gesicht machst?“ „Sie kennen den Ort hier“, berichtete Bomba, der diesen Witz wieder nicht begriffen hatte. „Es sind Geheimgänge Jojastas. Die Eingeborenen behaupten, sie würden uns ins Freie führen.“ Frank machte einen Freudensprung. Er schlug Bomba auf die Schulter und stieß einen Jodler aus. „Und ich habe uns beide schon im Vulkanfeuer am Spieß braten sehen!“ rief er aus. „Was für ein Segen, daß uns der prächtige, alte Jojasta wenigstens zwei Ortskundige mitgegeben hat! Also auf ins Grüne! Ich möchte mal sehen, ob die Sonne noch rund ist!“ Bomba runzelte die Stirn. „Ich glaube nicht, daß die Sonne sich so schnell verändert“, sagte er naiv. Frank lachte herzlich. Er schlang einen Arm um Bombas Schulter und zog für einen Augenblick dessen Kopf zu sich herüber.
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„Du bist der netteste Kerl, der frei herumläuft“, neckte er ihn. „Weißt du, die anderen haben sie nämlich alle schon eingesperrt, damit sie nicht verlorengehen. Wann wirst du endlich lernen, daß dein neuer Freund Frank der größte Quatschkopf des zwanzigsten Jahrhunderts ist? Du mußt doch langsam gemerkt haben, daß du nicht alles ernst nehmen darfst, was ich so im Laufe eines Tages sage.“ Bomba seufzte komisch verzagt. „Allmählich werde ich es schon lernen. Du bist so ganz anders als die Menschen, die ich bisher kennengelernt habe. Keiner ist so lustig wie du. Nur Gillis und Dorn — die waren dir ein wenig ähnlich. Aber damals habe ich das noch gar nicht verstanden. Die Eingeborenen sind immer ernst, oder sie lachen ganz albern.“ Inzwischen waren die beiden Sklaven schon über das Geröll geklettert. Sie standen wartend an der Mündung eines Ganges, und die beiden Jungen gingen zu ihnen hin. „Dieser Gang führt zu dem weißen Tempel von Rolat“, erklärte der eine Eingeborene. „Es ist der kürzeste Weg in die Freiheit. Wenn wir aber dorthin gehen, werden wir zu Jojasta kommen.“ „Dort will ich hin“, sagte Bomba sofort mit Entschlossenheit. „Ich bin deswegen zum ‚Laufenden Berg’ gekommen.“ Die Sklaven blickten mit scheuer Verwunderung zu ihm auf. Es erschien ihnen unglaublich, daß ein vernünftiger Mensch freiwillig zu Jojasta ging. Bomba deutete ihre Mimik richtig. „Ist er so böse, daß ihr ihn mehr fürchtet als alles andere in der Welt?“ fragte er.
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„Jojasta hat ein schwarzes Herz“, erwiderte Ashati feierlich. „Er verwundet und tötet jeden Tag. Er möchte die Welt und alles Lebende zerstören. Mit jedem Mord wird er wilder und grausamer. Alle zittern vor ihm.“ Die Worte wurden noch glaubwürdiger, wenn Bomba an die Szene dachte, die er mit Frank bei ihrer Ankunft vor dem Tempel beobachtet hatte. Trotzdem wollte er dem Medizinmann gegenübertreten. „Ich fürchte Jojastas Zorn nicht“, sagte er. „Aber ich will euch nicht zwingen, mich zu ihm hinzuführen. Er wollte euch töten, und er würde es wieder versuchen.“ Doch die Sklaven senkten die Köpfe und kreuzten mit einer Gebärde der Ergebenheit die Hände vor der Brust. „Wenn es die Götter so wollen! Ihr habt uns gerettet, Herr! Ihr habt einen Wunsch getan, und wir werden ihn erfüllen. Wir führen euch zu Jojasta!“ Vor den beiden Jungen her schritten sie durch die Labyrinthgänge, in denen sich Bomba und Frank nie zurechtgefunden hätten. Die Eingeborenen jedoch zögerten nicht ein einziges Mal. Wieder wurde es heller, und sie traten auf den Boden eines Schachtes hinaus. Hoch über ihnen schimmerte vertraut und freundlich ein Stückchen Himmel, als sie den Blick nach oben richteten. „Gutes, altes Himmelslicht“, seufzte Frank glücklich. „Und wenn es auch nur so ein Fetzchen ist! Das ist doch ein Anblick für Götter.“ Es lag Bomba auf der Zunge zu bemerken, daß die Götter vermutlich diesen Anblick des Himmels dauernd vor Augen haben müßten, aber er ließ die Worte nicht über die Zunge schlüpfen. Wahrscheinlich war das wieder einer
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von Franks Ausdrücken, die er nicht wörtlich nehmen durfte. Als sie Umschau hielten, bemerkten sie seitwärts eine Plattform, von der sich eine Wendeltreppe aus Steinstufen den Schacht hinaufwand. In einer Nische befand sich daneben ein steinernes Becken, das halb mit Wasser gefüllt war. Die Jungen eilten darauf zu. In gierigen Zügen löschten sie ihren Durst. Sie überschütteten ihre Gesichter mit dem kühlen Wasser und fühlten sich zum ersten Male nach vielen Stunden wieder erfrischt und kräftig. Die Sklaven eilten voran. Es ging über die ausgetretenen, uralten Steinstufen immer höher hinauf, dem Tageslicht entgegen. Sie hatten den halben Weg hinter sich gebracht, als wieder das Grollen und Zittern aus dem Innern des Berges kam. „Eilt euch, Herren!“ rief Ashati zurück. „Der Berg beginnt sich zu bewegen. Jojasta weiß, daß wir hier sind. Er befiehlt dem Berg, uns lebendig zu begraben.“ Es war wirklich so, als wollte die Treppe ihre Menschenlast abschütteln und in den Schacht zurückwerfen. Die mächtigen Steinplatten schwankten und neigten sich zur Seite. Die Jungen mußten auf Händen und Füßen weiterklettern und sich am rauhen Gestein festhalten. Wie eine überlaute, dröhnende Stimme kam das Murren des Vulkans aus dem Innern des Berges. Sie waren jetzt dicht am oberen Rand des Schachtes. Schreie und Rufe drangen von der Tempelplattform zu ihnen hin. Das Geräusch von vielen dahineilenden Füßen scharrte über den Boden.
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Als sie sich auf die Plattform schwangen, wurden sie von fliehenden Eingeborenen beinahe zur Seite geworfen. Er war ein unbeschreiblicher Tumult von Flüchtenden und von Geräuschen. Sie blickten hoch und erkannten die Ursache für all das Entsetzen. Ströme feuriger Lava quollen aus dem Gipfel des ‚Laufenden Berges’. Schlangengleich wanden sich die Lavamassen den Berghang hinunter. Einer der Bäche von glühender Lava bahnte sich seinen Weg auf den Schacht zu, dem sie soeben entstiegen waren. Der dickflüssige Brei glitt langsam talwärts. Doch es würde wohl noch eine Weile dauern, bis er die Plattform erreichte. Ein heißer Sturmwind fegte über die Fläche. Neue Stöße erschütterten den Berg. Die Säulen des Tempels zitterten. Plötzlich zerknickte einer der breiten Steinträger wie Holz. Ein Teil des Daches neigte sich nach vorn und stürzte mit Donnergetöse zusammen. Schreie und Wehklagen! Viele fanden den Tod unter den Trümmern. Einige dunkle Gestalten krochen hervor und schwankten von der Unheilsstätte fort, dem Abgrund zu. Bomba und Frank liefen zur anderen Seite des Tempels. Durch die noch unbeschädigten Säulen bot sich ihnen ein seltsamer Anblick. Unberührt von dem Aufruhr der Natur und von der Panik der Flucht hockte dort ein Priester vor einem Steinaltar, der mit Götzenbildern geschmückt war. Es mußte Jojasta sein! Er trug die gleiche, prächtige Robe wie zuvor. Mit dem Rücken zu den beiden hockte er dort, und von Zeit zu Zeit warf er die Arme in die Luft, als wollte er die Hilfe seiner Götzen herbeirufen.
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„Das ist Jojasta“, murmelte Ashati, der herbeigeschlichen war. „Er predigt am Altar des Blauen Feuers.“ Bomba stand starr und wie in einem Traumzustand. Er hörte das Donnern des Berges nicht — er sah nicht die Verwüstung — und nicht die träge, aber stetige Bewegung der Lavaströme, die auf den Tempel zuglitten. Er wußte nur, daß er am Ziel war. Nur wenige Schritte trennten ihn von dem Manne, dessentwegen er viele Meilen gereist war und alle möglichen Gefahren und Entbehrungen auf sich genommen hatte. Die Umgebung versank für Bomba. Ohne auf die Begleiter und ihre warnenden Worte zu hören, ging er langsam auf den Mann am Steinaltar zu. „Bomba!“ rief Frank mit flehender Stimme. „Du darfst nicht weitergehen! Das Dach kann einstürzen! Kehre um, Bomba!“ Er erhielt keine Antwort. Bomba war jetzt dicht hinter dem Medizinmann, der sich aus seiner hockenden Stellung erhoben hatte. Jojasta wandte sich um, und sein Blick fiel auf die Menschengestalt, die in sein Allerheiligstes eingedrungen war und dem Zwiegespräch mit den Göttern zu lauschen gewagt hatte. Das kalte Feuer des Zornes blinkte in den dunklen Augen des Tyrannen auf. Doch im nächsten Augenblick weiteten sich die Augen. Jojasta machte einen taumelnden Schritt vorwärts und neigte den Kopf, als müßte er das Gesicht des Eindringlings näher vor sich haben. Dann stolperte er zurück, und beide Hände machten entsetzte Gebärden der Abwehr. „Bartow!“ Die Stimme des Medizinmannes klang kreischend vor Furcht.
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„Du kannst es nicht sein! Es ist ein Geist, der mich narrt.“ „Jojasta!“ rief Bomba, „ich bin gekommen —“ Doch weiter konnte er nicht sprechen. Noch einmal machte Jojasta eine wilde Gebärde der Furcht und der Abwehr. Dann sank er zu Boden und fiel in Ohnmacht.
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23 Der Rachen des Todes Als Bomba vorwärtssprang, um den Bewußtlosen vom Boden des Tempels aufzuheben, hörte er an seiner Seite einen ohrenbetäubenden Lärm. Dicht neben ihm stürzte eine Säule zu Boden. Steinsplitter streiften ihn und trafen seine Schläfe. Bomba verlor das Bewußtsein und sank zur Seite. Er wäre zwischen die Trümmer der Säule gefallen, wenn ihn nicht im gleichen Augenblick kräftige Arme ergriffen hätten. Unter dem einsinkenden Dach hervor zerrten ihn die Retter auf die freie Plattform. Bomba erwachte erst wieder zu vollem Bewußtsein, als ihn seine Begleiter den Berghang hinabführten. Auf der einen Seite stützte ihn Frank, und Ashati hatte seinen Arm um die Schulter des Jungen gelegt und bewachte seine unsicheren Schritte. „Das hast du nun von deinem Interview mit dem alten Hexenmeister“, meinte Frank mit einem Aufglimmen seines unverwüstlichen Humors. „Solche Säulen sind verdammt hart, habe ich mir sagen lassen. Ein bißchen weiter links, und von unserem guten Bomba wären nur noch Krümel übriggeblieben.“
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Immer wieder wandte der Dschungelboy den Kopf zurück. So dicht war er am Ziel gewesen, und er hatte doch noch nichts erfahren. „Was ist mit Jojasta?“ fragte er. „Ist er tot? Warum haben wir ihn nicht mitgenommen? Ich weiß noch nicht, was mit meinem Vater und mit meiner Mutter geschehen ist.“ „Wir waren froh, daß wir dich retten konnten“, sagte Frank. „Dann ist er also tot?“ Frank machte eine ungeduldige Bewegung. „Was weiß ich. Vielleicht haben ihn seine schielenden Götzen fortgetragen! Du machst mich ganz verrückt mit deinem Jojasta. Der Kerl hat dich anscheinend auch schon verzaubert.“ Bomba wandte noch einmal den Kopf. Rauchschwaden stiegen aus dem Vulkan. Der Tempel war eingestürzt, und die geborstenen Säulenstümpfe ragten wie Reste versteinerter Bäume aus dem Boden. „Schau hin!“ sagte Frank. „Du kannst nicht mehr zurück. Oder hast du Lust zu einem Spaziergang über glühende Lava?“ Tatsächlich schob sich einer der Lavaströme über die Tempelplattform vor und glitt weiter den Abhang hinunter. Der Weg zum Tempel war versperrt. Bomba sagte nichts. Aber in seinem Innern hatte er sein Vorhaben noch nicht aufgegeben. So dicht vor dem Ziel wollte er nicht umkehren. Er hatte das Gefühl, daß Jojasta noch am Leben war, und er wollte noch einmal zu ihm zurückkehren.
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Für den Augenblick verdrängte die nahe Gefahr alle anderen Überlegungen. Dem Vulkanausbruch folgte der Ausstoß von Asche und Gesteinsbrocken. Scharen von Flüchtenden suchten neben ihnen und vor ihnen den Weg hinab ins Tal und aus der Todeszone des ‚Laufenden Berges’. Gräßliche Szenen boten sich ihren Augen. Verwundete schleppten sich mühselig dahin. Andere waren hingesunken, und sie waren einem schauerlichen Sterben ausgesetzt, wenn die Lavamasse sie erreichte. Alle Sklaven und Untertanen Jojastas suchten ihr Heil in der Flucht. Frauen trugen ihre kleinen Kinder mit sich, und einige schleppten ihre geringe Habe mit. Ashati und Neram wichen nicht von der Seite der Jungen. Sie wiesen ihnen die besten Pfade im Geröll und am Rande der Abgründe. Bald hatten sie die Masse der Flüchtenden hinter sich gelassen, und sie kamen jetzt schneller vorwärts. Das Tal war erreicht, und sie tauchten in den Wald ein. Über gestürzte Bäume und Felsbrocken hinweg bahnten sie sich den Weg zu einem Hügel hin. Der ’Laufende Berg’ grollte hinter ihnen. Aber der Schall drang nur noch gedämpft herüber. Sie waren aus der Todeszone entkommen. Am Hang eines bewaldeten Hügels lag eine verlassene Hütte, zu der sie die Sklaven hinführten. Wie Schatten verschwanden die beiden, als sich die Jungen aufseufzend zu Boden sinken ließen und die zerschundenen Glieder streckten. Es dauerte nicht lange, bis Ashati und Neram zurückkehrten. Die beiden Jungen fuhren aus dem Halbschlaf empor und rieben sich die Augen.
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„Was sagst du nun, Bomba?“ rief Frank begeistert. „Tischleindeckdich ist gar nichts dagegen! Früchte, Schildkröteneier und frisches Wasser bringen die treuen Burschen! Und wir haben inzwischen geschlafen! Also auf denn! Ich habe Hunger wie drei Berglöwen nach vierzehntägiger Fastenkur.“ Die beiden langten tapfer zu, und auf den Gesichtern der Eingeborenen spiegelte sich ehrliche Freude darüber, daß sie ihren Lebensrettern einen Dienst erwiesen hatten. Als Bomba etwas gesättigt war, mußte er wieder an die Begegnung mit Jojasta denken. Warum hatte den Medizinmann solches Erschrecken ergriffen bei seinem Anblick? Bartow! Das war alles, was der Medizinmann gerufen hatte. Aber für Bomba war es bedeutungsvoll genug. Sein alter Gefährte Casson hatte also recht gehabt. Hinter dem Namen verbarg sich ein Geheimnis, und Jojasta wußte davon. Bomba versuchte, von den Sklaven etwas zu erfahren, aber weder der Name Laura noch der Name Bartow war ihnen bekannt. Ashati berichtete dann, daß Jojasta tatsächlich einmal eine weiße Frau besessen hatte. Sie war die einzige Überlebende eines Lagers von Weißen gewesen, das die Krieger des grausamen Medizinmannes überfallen hatten. Bomba überlegte und stellte dann zögernd eine Frage. „Kannst du dich an die weiße Frau noch erinnern, Ashati? Sehe ich ihr ähnlich?“ Der Eingeborene forschte lange Zeit im Gesicht des Jungen herum. „Viel Zeit ist vergangen, seit die Weiße in den Feuerhöhlen mit ihrem Kind verschwunden ist. Ich kann mich
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nicht mehr deutlich an sie erinnern. Ich glaube nicht, daß du ihr ähnelst. Sie hatte goldenes Haar und Augen so klar wie der Himmel. Deine Augen und deine Haare sind viel dunkler. Du ähnelst ihr nicht, aber du ähnelst auch Jojasta nicht.“ Die Aussage des Eingeborenen brachte immer noch keine Enträtselung des Geheimnisses. Sie bekräftigte nur Bombas Überzeugung, daß Jojasta nicht sein Vater war. Keine Regung des Herzens zog ihn zu dem Tyrannen hin, und der Gedanke an dessen Blutrünstigkeit und Herrschsucht trieb ihm jedesmal die Zornesröte in die Wangen. Nur einen einzigen Hinweis hatte Bomba von Jojasta erhalten. Als der Medizinmann ihn erblickte und den Namen Bartow ausrief, war er sicherlich einer Täuschung zum Opfer gefallen. Er mußte den Jungen mit jenem Manne verwechselt haben, vor dem er sich anscheinend fürchtete. Also hatte Bomba große Ähnlichkeit mit — Bartow. Ob Bartow sein Vater war? Im Hintergrund grollte immer noch der ‚Laufende Berg’. Heute konnten sie nichts mehr unternehmen. Stunden der Ruhe und Erholung lagen vor ihnen. Während Bomba noch sinnend dasaß, hatte Frank einen kleinen Erkundungsgang gemacht. Er kehrte jetzt zurück und ließ sich neben Bomba nieder. „Habe mich erkundigen wollen, wann der nächste Zug nach New York geht, aber der Bahnhof ist geschlossen“, meinte er trocken. Bomba lächelte schwach. Er hatte inzwischen schon gelernt, daß Züge große Wagen waren, deren Räder auf Eisenstangen dahinrollten, und die von einem dampfen-
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den Ungetüm gezogen wurden. Er wußte auch, daß es hier weit und breit nichts dergleichen gab. Also hatte Frank wieder einen seiner Späße gemacht. „Statt daß du dauernd deinen Quatsch erzählst, solltest du mir lieber etwas von den großen Orten mit den vielen Steinhäusern berichten“, sagte Bomba. Frank riß in gut gespieltem Erstaunen die Augen auf. „Habt ihr das gehört?“ fragte er eine unsichtbare Zuhörerschaft. „Habt ihr das vernommen? Dieser Bursche, der sich Bomba nennt und vorgibt, nichts von der Welt zu wissen, redet von Quatsch!“ Bomba lachte. „Das Wort stammt von dir!“ Frank hob die Brauen. „Ein gelehriger Schüler — das muß ich schon sagen! Bin nur neugierig, wann du mir die ersten Kosenamen wie 'Mistfink', 'Vogelscheuche' oder 'Armleuchter' an den Kopf werfen wirst.“ Dann wurde er aber ernst, und er begann zu erzählen, während Bomba mit dem Rücken an die Hüttenwand gelehnt dasaß und lauschte, als hörte er die schönste und spannendste Geschichte seines Lebens. Für ihn waren das auch die schönsten Geschichten von einer großen, unbekannten, herrlichen Welt. Er hörte etwas von großen Ozeanen, von Schiffen, von riesigen Städten. Vom Licht vernahm er etwas, das künstlich erzeugt wurde und die finsterste Urwaldnacht erhellen konnte, von mächtigen Gebäuden, die in den Himmel ragten, von Telephonen und Radios, von jener Unzahl von Dingen, die zusammen die Zivilisation bedeuten.
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Wenn für Bomba auch manches unerklärlich war, so wußte er doch, daß Frank die Wahrheit sprach. Als sein neuer Freund dann erschöpft innehielt, begann Bomba seinerseits vom Dschungelleben zu erzählen. Er berichtete von seinen Abenteuern mit Giftschlangen, mit den heimtückisch lauernden Anakondas und mit gefräßigen Krokodilen im Fluß. Jetzt war es Frank, der atemlos lauschte und mehr als einmal begeistert ausrief: „Das hätte ich sehen mögen, Bomba! Diese verdammten Geier! Wenn ich dabei gewesen wäre! Wir hätten Rücken an Rücken gekämpft! Dann wären noch mehr liegengeblieben!“ Weiter erzählte Bomba vom Kampf mit den Kopfjägern. Von der Begegnung im Urwald, als er Mrs. Parkhurst von den beiden Wilden befreite. Er berichtete von der Überlistung Ruspaks und von dem Kampf mit der Schlange im Baum. Franks Augen leuchteten vor Begeisterung. „Wenn ich dabei sein könnte!“ Bomba seufzte: „Und ich wollte, ich könnte endlich einmal die Riesenstädte und die Automobile und all diese Dinge sehen!“ „Eines Tages wirst du alles sehen“, prophezeite Frank. Bomba schwieg nachdenklich. Würde die Prophezeiung in Erfüllung gehen? Er wünschte es sich so sehnlich! Es kam ihm vor, als wäre er bisher im Leben um etwas betrogen worden. Aber er wollte das alles nachholen! Die Müdigkeit übermannte die beiden Jungen allmählich. Ashati und Neram hatten sich in einem Winkel der Hütte schon längst zur Ruhe begeben, und Bomba und
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Frank taten jetzt dasselbe. Es war dunkel, und der ‚Laufende Berg' schwieg jetzt. Alle schliefen fest und ungestört bis zum nächsten Morgen. Die Sonne weckte sie. Es war ein schöner, friedlicher Tag. Nur die Zerstörungen in der Umgebung erinnerten noch an die vergangenen Schrecknisse. Nach dem Frühstück rüstete sich Bomba zum Aufbruch. Wortlos machte sich Frank ebenfalls bereit. „Du willst mitkommen?“ fragte Bomba. „Du weißt, wo ich hin will?“ „Ich will nicht mitkommen, aber ich muß“, meinte Frank grimmig und machte sich an seinen Schuhen zu schaffen. „Einen armen Irren darf man nicht allein lassen.“ Aus den barschen Worten hörte Bomba den Tonfall echter Besorgnis heraus. Er hätte Frank nie gebeten, ihn zu begleiten. Aber er wußte jetzt, daß er sehr froh sein konnte, einen so tapferen Freund wie Frank gefunden zu haben. Von der Talsohle aus stiegen sie auf den nun schon vertrauten Pfaden den Berg hinan. Die Lavabäche waren erstarrt. Aber sie rauchten noch und strömten Hitze aus. Die Hänge des Berges waren zerrissen und verwüstet. Nach vielen Umwegen erreichten sie endlich die Plattform des Tempels. Ein Bild vollkommener Zerstörung bot sich ihnen. Riesenhände schienen die Steinquadern wie Bauklötze durcheinander geworfen zu haben. Die Jungen bahnten sich einen Weg durch die Trümmer. Sie kamen an einen umgestürzten Pfeiler, und Bomba sah ein farbiges Gewand zwischen dem Gestein leuchten. „Dort ist Jojasta!“ rief er und eilte vorwärts.
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24 Was Jojasta erzählt Der gefürchtete Herrscher am ‚Laufenden Berg’ lag auf dem Rücken in der Nähe des Altars, vor dem er bei Bombas erster Begegnung gehockt hatte. Eine Säule hatte seine Beine zerschmettert, und die Steinmassen hielten ihn gefangen. Zum ersten Male hatte Bomba Gelegenheit, die Züge deutlich vor sich zu sehen. Noch im Schmerz hatten sie einen Ausdruck von Wildheit und Kraft. Es war ein breites, gewaltiges Antlitz — geprägt von dem Willen eines Herrschers, geprägt aber auch von den Zeichen satanischer Grausamkeit und Strenge. Die ausladende Stirn zeigte bedeutende Geisteskräfte an. Als die beiden Jungen die Säule bewegen wollten, die Jojastas Beine zerschmettert hatte, erwachte der Priester. Die Jungen hielten inne, denn ihr Bemühen war vergeblich. Der Medizinmann blickte sich um und richtete dann seinen festen Blick auf Bomba. Es sah aus, als wollte er sich erheben. Er sank jedoch mit einem unterdrückten Stöhnen auf die Steine zurück. Die Rechte machte eine matte, abwehrende Geste. „Bartow!“ murmelte er. „Warum quälst du mich schon wieder? Kann ich keine Ruhe vor dir finden?“ „Ich bin nicht Bartow“, sagte Bomba sanft. „Ich will dir kein Leid antun. Du mußt mir nur von Bartow erzählen.“
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Bomba kniete neben dem Priester nieder und stützte seine Schulter. „Ich bin von weither gekommen, um dir eine Frage zu stellen.“ „Rasch! Frage!“ stöhnte Jojasta. „Ich habe nicht mehr lange zu leben. Das Blut verrinnt aus meinem Körper. Rasch!“ „Bist du mein Vater?“, fragte Bomba mit stockender Stimme. „Nein!“ rief Jojasta. „Niemals bist du mein Sohn!“ „Deine weiße Frau hieß nicht Laura?“ forschte Bomba hastig weiter. Der Medizinmann zögerte. „Nein! Warum fragst du?“ „Du kennst eine Frau namens Laura?“ wiederholte Bomba hartnäckig seine Frage. Der Priester biß die Lippen zusammen. Das gab seinem Gesicht einen Ausdruck von Unnahbarkeit. Wenn er ein Geheimnis hütete, so würde es Bomba wohl nie erfahren. „Du kennst die Frau?“ fragte Bomba flehend. „Du wirst keine Auskunft von mir erhalten“, sagte Jojasta mit erlöschender Stimme. „Ich muß den Namen meines Vaters und meiner Mutter erfahren!“ rief Bomba verzweifelt. „Deswegen bin ich zu dir gereist! Du weißt das Geheimnis!“ Der Medizinmann lächelte bitter.
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„Ich spreche nicht“, murmelte er. „Frage Bartow! Frage Sobrinini! Sie werden dir vielleicht Auskunft geben! Ich spreche nicht!“ Bomba sah, daß die Lebenskraft des Medizinmannes verlöschte. Er beugte sich über ihn. „Wer ist Sobrinini?“ fragte er bittend. „Beantworte mir diese eine Frage noch! Wer ist Sobrinini?“ Die Hand des Medizinmannes erhob sich zu einer schlaffen, deutenden Geste in westlicher Richtung. „Wenn du Sobrinini finden willst, mußt du zum Großen Katarakt. Beim Stamme der Pilati wohnt sie. Frage sie! Frage Sobrinini —“ Der Blick des Medizinmannes wurde verschwommen. Ein schreckliches Röcheln kam aus seiner Brust. Er starrte Bomba an und stieß ihn plötzlich mit einer letzten schwachen Handbewegung von sich. „Fort! Du bist selbst Bartow! Mich täuscht du nicht! Bist du nicht Bartow, dann bist du sein Geist! Fort!“ Jojasta fiel zurück, und seine Augen wurden starr. Im gleichen Augenblick ertönte die Stimme des ‚Laufenden Berges’, als wollte sie den Tod des Herrschers verkünden. Die Plattform bebte und schwankte. Frank sprang hinzu und riß Bomba zurück. Die Jungen sprangen von der Plattform hinab und glitten im Geröll talwärts. Über sich hörten sie ein Bersten und Krachen. Ein Schauder packte Bomba, als er zurückschaute. Der Tempel war nicht mehr! Die ganze Plattform mit ihren Säulen und Steintrümmern war im Berg verschwunden. Mit seinem Heiligtum war Jojasta untergegangen!
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25 Bomba hält sein Versprechen Wie eine Riesenfackel schleuderte der Vulkan Flammenzungen gen Himmel. Der heiße Atem des feuerspeienden Berges raste als Sturmwind talwärts. Es war keine Flucht — es war ein albtraumartiges Vorwärtstaumeln — ein Fallen und Weiterrennen! Mitunter war der Himmel dunkel von Asche. Der Boden zitterte, und Felsen sausten wie riesige Wurfgeschosse durch die Luft und fielen vor den zurückschreckenden Jungen am Berghang nieder. Bomba und Frank hatten jetzt die Talsohle erreicht. Sie schlugen den Weg zur Hütte ein. Als sie dort ankamen, hielten die Sklaven schon ängstlich nach ihnen Ausschau. Alle zusammen eilten weiter. Auch dieser Hügel bot keine Zuflucht mehr vor dem Gesteinsregen und dem heißen Wasser des Geysirs. Noch einmal hielten Bomba und Frank nach einer halben Stunde inne, als sie den Gipfel eines Hügels erklommen hatten. Von hier aus bot sich der Anblick der Katastrophe in majestätischer Pracht. Der Gipfel des ‚Laufenden Berges’ war in Rauch gehüllt. Immer wieder stießen Flammenzungen daraus hervor. Und der Berg bewegte sich. Seine Hänge schienen ausgreifende Bewegungen zu machen, als wollte die ganze unheimliche Masse von Gestein, Erde und feurigem Vulkanbrei den Urwald überschütten.
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Stumm und ergriffen wandten sich die Jungen ab. Es war ihnen zumute, als hätten sie einen letzten Blick auf ein Sinnbild des Todes geworfen. Sie wandten sich dem Leben zu und ließen die Höllenzone des Vulkans hinter sich. Noch eine Weile lang wanderten sie schweigend weiter — dann blieb Bomba stehen. Er wußte, daß von hier aus der Weg zu friedlichen Indianerstämmen abzweigte, und er wies den beiden Eingeborenen die Richtung. Sie mochten sich nicht von Bomba und Frank trennen, aber als sie hörten, daß Bomba später zu den Kopfjägern reisen wollte, ließen sie sich umstimmen. Traurig nahmen sie Abschied von den beiden Jungen, die als freundliche, glückbringende Wesen aus einer anderen Welt aufgetaucht waren. Frank schaute den Gestalten nach, die zwischen den Stämmen verschwanden. „Und wir beide?“ fragte er. „Wo ist der nächste Zauberkünstler, den wir besuchen müssen?“ Bomba lächelte schwach. „Du hast gehört, daß mir Jojasta keine Auskunft geben wollte. Ich werde zu Sobrinini wandern müssen, wenn ich mehr erfahren will. Aber zuvor bringe ich dich in das Lager zurück. Ich suche dann später meinen alten Gefährten Casson auf und bleibe einige Tage bei ihm.“ „In Ordnung!“ rief Frank mit erwachender Freude. „Das ist endlich ein Vorschlag, der sich hören lassen kann! Ich habe mir Dschungelabenteuer gewünscht! Aber jetzt
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ist mein Bedarf vorläufig gedeckt! Wenn ich jetzt mal wieder die Füße unter Mutters Tisch strecken kann, werde ich erst zu würdigen wissen, was das wert ist.“ Zu zweit gestaltete sich die Rückreise auch für Bomba abwechslungsreicher als vor Tagen der Aufbruch, wo er einsam durch den Dschungel gewandert war. In dieser Reisezeit lernte Frank viel vom Dschungelleben. Er lernte, ein richtiges Feuer in Gang zu halten und das Fleisch des Tapirs an Zweigen über den Flammen zu rösten. Die Zeit verging wie im Flug, und als vertraute Anzeichen auf die Nähe des Lagers hinwiesen, wurden die beiden Dschungelwanderer still. Mit klopfenden Herzen näherten sie sich der Lichtung. Als erste sahen sie Mrs. Parkhurst. Abgewandt saß sie beim Zelt und nähte an einem Hemd. „Mutter!“ rief Frank leise. Aber dieser schüchterne Anruf genügte. Mit einem Schrei ließ die Frau ihre Näharbeit fallen. Sie erhob sich und blickte sich um. Dann sah sie ihren Jungen. Sie breitete die Arme aus und wollte laufen, aber ihre Beine versagten den Dienst. Im nächsten Augenblick lag Frank in ihren Armen. Beide wollten sprechen, aber sie konnten nur schluchzen. Der Junge verbarg den Kopf an der Schulter der Mutter, und so standen sie da, als die Männer herbeieilten. Frank wurde von einem Paar Armen zum nächsten weitergereicht. Der Vater preßte ihn an sich, und verstohlene Tränen rannen über seine Wangen. Da wurde es Bomba sterbenstraurig zumute. Er stand abseits, und die Tränen rollten über seine Wangen. Er sah nichts und hörte
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nichts, bis ihn weiche Frauenarme umschlangen. Jetzt wurde auch er geküßt und gedrückt. Er hörte zärtliche Worte, und dann lächelte er unter Tränen seiner Gefährtin zu, mit der er so schlimme Abenteuer im Dschungel erlebt hatte. Ein abendliches Fest krönte diesen schönen Tag des Wiedersehens. Die Jungen erfuhren, daß Mr. Parkhurst nach der gelungenen Flucht tagelang im Urwald umhergeirrt war, bis ihn ein freundlicher Indianer zum Lager zurückführte. Die Dankbarkeit der Eltern war grenzenlos. Sie wollten Bomba adoptieren und ihn mit in die Zivilisation nehmen. Sein Traum konnte in Erfüllung gehen, dachte Bomba, wenn nicht —. Er dachte an Casson und schüttelte traurig den Kopf. Und er dachte auch an das Geheimnis seiner Herkunft, das er enträtseln mußte. Am meisten war Frank enttäuscht. „Jetzt hätte ich unserer Schule den besten HundertMeter-Läufer und stärksten Speerwerfer mitgebracht, der weit und breit zu finden ist!“ rief er traurig. „Die anderen hätten Augen gemacht, wenn Hamilton College sämtliche Sportpreise eingeheimst hätte!“ Der Vater lächelte. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen! Bomba hat recht. Er darf den alten Mann nicht allein lassen. Aber er weiß, wo er uns finden kann. Durch die Apex-GummiGesellschaft, die an der Küste ihre Niederlage hat, erfährt er jederzeit unsere Anschrift.“ „Und er ist uns immer willkommen“, fügte Mrs. Parkhurst mit so lieber Stimme hinzu, daß Bomba einen Au-
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genblick lang in seinem Entschluß schwankend wurde. Frank und Bomba weinten. Aber das waren Tränen, deren sie sich wahrhaftig nicht zu schämen brauchten. Zum letzten Male schloß die schöne, blonde Frau Bomba in die Arme, und alle winkten ihm zu, als er in der Morgenfrühe des neuen Tages das Lager verließ. Der Kummer wich nicht so bald aus Bombas Herz. Einsam wanderte er wieder durch den Dschungel, und alle Szenen der vergangenen Stunden erschienen ihm umso schöner, je weiter er sich von ihnen entfernte. Welches Glück mußte es sein, eine Mutter wie Mrs. Parkhurst zu haben! Oder einen lustigen, gutaussehenden Vater wie den kräftigen Mr. Parkhurst! Immer noch dachte Bomba an den Abschiedskuß, den ihm die blonde Frau gegeben hatte. Die Berührung schien er noch auf seinen Lippen zu spüren. Es war ein trauriger Heimweg. Bomba war mehrere Tage unterwegs, ehe er die vertrauten Einzelheiten in der Nähe ihrer Hütte erkannte. Von hier aus war es dann auf dem Wasserwege nicht mehr weit bis zu Cassons neuem Heim. Die Trauer hatte Bomba noch nicht verlassen. In jeder Stunde dachte er an die Familie, die im Lager zurückgeblieben war, und an deren Seite er jetzt sein könnte. Was blieb ihm noch? Nur seine Dschungelfreunde konnte er zu seinem Trost herbeirufen. Er holte seine Harmonika hervor und setzte sie an die Lippen. Da kamen sie alle herbei! Kiki und Woowoo, die Papageien, kreischten vor Freude und ließen sich auf seinen Schultern nieder. Doto hangelte durch die Zweige und sprang vor seine Füße. Er betastete Bomba von oben bis
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unten und schwatzte dabei eifrig. Anscheinend glaubte er noch nicht recht, daß der lange vermißte Urwaldfreund zurückgekehrt war. Da gab es noch viele Freunde im Fellkleid und im Federschmuck, die von Bomba begrüßt werden wollten. „Ihr seid alle meine Freunde“, rief Bomba, während die Tiere sich um ihn drängten. „Ich bin froh, euch wiederzusehen, denn mein Herz ist traurig und einsam. Doch ich kann nicht lange bleiben. Ich will zu Casson und dann später zu Sobrinini, die mir Wichtiges sagen muß.“ Die Tiere ließen einen Chor von traurigen Ausrufen hören. Der Urwald hallte von diesem Trauerchor wider. „Wohin ich auch immer gehen mag“, tröstete Bomba die Tiere, „wenn ich auch einmal in einem großen Schiff über den Ozean fahren werde und die Städte und die wunderbaren Dinge dort kennenlerne, ich komme euch immer wieder besuchen! Ihr seid meine ersten Freunde gewesen, und das vergesse ich nicht, auch wenn ich mich nach Frank und nach der schönen, blonden Frau sehne!“ Die Tiere begleiteten ihn ein Stück des Weges, und Bomba rief: „Ich komme wieder! Ich komme wieder!“ Dann eilte er weiter. Der Weg zum Großen Katarakt, zu Sobrinini, wird für Bomba beschwerlich und gefahrenreich sein. Wollt ihr diese abenteuerliche Reise miterleben, dann lest den nächsten Band:
BOMBA am großen Katarakt
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R O Y
R O C K W O O D BOMBA-BÜCHER
BOMBA Der D s c h u n g e l b o y
BOMBA Im Berg der Feuerhöhlen
BOMBA Am großen Katarakt
BOMBA Auf der Jaguarinsel
BOMBA In der versunkenen Stadt
AWA-VERLAG MÜNCHEN
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