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Ich bin die siebte Kleopatra, aber ich will, daß die Welt alle anderen vergißt und sich nur an mich erinnert...
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Ich bin die siebte Kleopatra, aber ich will, daß die Welt alle anderen vergißt und sich nur an mich erinnert.
Das Buch Ehrgeizig, zielstrebig, witzig und arrogant - so läßt Martha Rofheart die letzte Gottkönigin Ägyptens ihre Lebens- und Liebes-Geschichte, vom Aufstieg zur mächtigsten Frau der Welt bis zu Verfehmung und Freitod schildern. Kleopatra sieht sich als Griechin und Nachfahrin des großen Alexander und verachtet alles Römische - aber ihr ist auch klar, daß sie sämtliche Fähigkeiten und den Reichtum ihres Landes einsetzen muß, um Ägypten vor der Vereinnahmung durch Rom zu schützen ...
Von MARTHA ROFHEART außerdem erschienen: Fortune made his sword (Deutsch: Das Schwert des Königs) (1972), The savage brood (1978), Cry 'God for Harry' (1972), Cry 'God for Glendower' (1973), Cry 'God for Glendinning' (1973), Glendower Country (1973), My name is Sappho (Burning Sappho, deutsch: Mein Name ist Sappho, 1974), Lionheart! (1982)
Martha Rofheart
Ich, Kleopatra Roman Universitas
Titel der amerikanischen Originalausgabe »The Alexandrian« Übersetzung von Götz Pommer © 1976 by Martha Rofheart Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe beim Universitas Verlag, München, 1979 Schutzumschlag: Hansbernd Lindemann, Berlin Satz: IBV Lichtsatz KG, Berlin Druck und Einband: Mohndruck, Reinhard Mohn OHG, Gütersloh ISBN 3-8004-0864-3
Schriften: Minion 9,5 pt. (Fließtext), Lucinda Sans Unicode, University Roman (Titel), Americana v1.0 5.10.2002
Erstes Buch
ALEXANDRIA
1 Heute ging ich wieder zu Alexanders Grab. Seit ich diesen Ort entdeckte, habe ich das mehrmals im Jahr getan, immer wenn ich zornig oder verwirrt war oder Geburtstag hatte. Heute geschah es aus allen drei Gründen. Ich bin vierzehn, ich bin jetzt eine Frau, Erbin des Doppelthrons von Ägypten und so vergessen, als wäre ich schon tot wie Alexander. Sein Blut fließt in meinen Adern, und wenn ich sein Angesicht betrachte, das nach drei Jahrhunderten noch schön ist, spüre ich, wie dieses Blut in meinen Handgelenken prickelt und in meinem Hals pulst und in meiner Brust pocht und mich beben macht. Ich habe Alexanders Blut in mir, sage ich, aber leider haben es auch all meine Brüder und Schwestern und die sämtlichen alten Ptolemäerherrscher unserer Linie in sich. Man braucht nur einen Blick auf unsere mörderische und törichte Geschichte zu werfen, und man wird darüber lächeln, wie dünn dieses Blut geflossen ist! 6
Und mein armer, schwacher Vater, der vor Rom katzbuckelt! Seine einzige Stärke ist die Musik, eben das, was ein großer Pharao nicht unbedingt nötig hat. Ich verbanne ihn - Auletes, den Pfeifer, nennt man ihn - aus meinen Gedanken und denke an meine wahren Väter; an meine Lehrer, die besten der Welt, und an die großen Schriftsteller unserer griechischen Vergangenheit ... und an Alexander. Denn er hat zwar keine Nachkommen hinterlassen, aber der erste Ptolemäus von Ägypten war sein Halbbruder; beide wurden sie von Philipp von Mazedonien gezeugt. Die ganze Welt wußte es, damals wie heute, obwohl Ptolemäus natürlich illegitim war. Für ein uneheliches Kind hat er seine Sache recht gut gemacht; er nahm sich der Stadt Alexanders an und führte sie zur Größe und begründete unsere Dynastie. Trotz seiner Mängel hat unser Königshaus hier in Alexandria all das lebendig erhalten, was hellenisch war; die römischen Barbaren heulen und geifern vor den Toren wie Wölfe, aber sie herrschen noch nicht über uns. Mein Vergleich trifft auf traurige Weise zu, denn die Römer brüsten sich mit Vorfahren, die von einer Wölfin gesäugt wurden! Einer dieser römischen Wolfssprößlinge ist heute hier im Palast; Marcus Antonius mit Namen, ein Soldat und Aristokrat - oder was in dieser Parvenüstadt für einen Aristokraten gilt. Deshalb werde ich an meinem Geburtstag vernachlässigt; Vater ist aufgeregt wie eine Braut, er ist es immer, wenn ein Römer in seine Nähe kommt. Ich werde heute abend beim offiziellen Festessen für diesen Antonius zugegen sein müssen, aber bis jetzt habe ich den Mann noch gar nicht zu Gesicht bekommen, obwohl er schon gestern seinen Einzug hielt. Ich war mit meinen Aufgaben beschäftigt und blickte nicht einmal verstohlen aus dem Fenster; welcher grobklotzige römische Rohling hält dem Vergleich mit Sokrates und Plato stand? Aber der Rest des Hauses machte mein Versäumnis wieder wett; die Fenster waren schwarz von Leuten - vom Küchensklaven bis zu meiner Schwester Arsinoë, die in der Erbfolge nach mir kommt! Sie, Arsinoë, schwor, daß er der hübscheste Römer sei, den sie je gesehen habe, und rollte ihre blöden schwarzen Augen; ich zuckte die Achseln. »Das sagt nicht viel«, meinte ich. Das arme Dummchen weinte 7
große Tränen wie Perlen - wie stets, wenn ich sie geringschätzig anrede. Ich mag versuchen und versuchen, es zu lassen, aber ich kann nicht anders, ich tus immer wieder; sie will verachtet werden - wie Vater. Natürlich war ich neugierig auf den Römer, so sehr ich auch das Gegenteil heuchelte; als wir alleine waren, fragte ich Iras, meine andere Schwester, die nicht von königlichem Geblüt ist: »Wie sieht er aus, der Barbar?« Sie blickte einen Moment starr drein, wie man es tut, wenn man nachdenkt; dann erschienen Fältchen um ihre Augen. »Wie ein Gesicht auf einer Münze«, sagte sie. Wir fingen beide an zu kichern und konnten kaum aufhören. Ich wußte genau, was sie meinte; es gibt alte, vor Abnutzung dünngewordene Münzen aus dem Griechenland der Glanzzeit, köstliche und schöne Münzen; aber heutzutage haben wir keine solchen Prägekünstler mehr, und alle Gesichtszüge sind gröblich übertrieben: dicke Lippen, Glotzaugen und ungeheure Nasen. »Und er ist sehr haarig«, sagte sie, prustete wieder los und vergrub ihr Gesicht in einem Kissen. »Du scheinst eine gute Aussicht gehabt zu haben«, bemerkte ich. »Na ja, seine Tunika war ganz weit hochgerutscht«, sagte sie. »Fast sah ich seinen -« »Hör auf!« schrie ich. Ich trommelte mit den Fäusten auf die Liege und erstickte beinah. »Hör auf - oder ich sterbe noch vor Lachen!« »Aber er ist sehr groß«, schloß sie und versuchte, eine ernste Miene aufzusetzen. »Wirklich?« fragte ich boshaft und mit runden Augen und brachte sie wieder zum Lachen. »Ich meine hochgewachsen - und breit ... wie ein Gott«, sagte sie. Ich dachte an die haarigen Beine. »Ein Bocksgott«, erwiderte ich. »Er und Vater müßten eigentlich gut miteinander auskommen. Vater kann die Panflöte spielen ...« Sie blickte mich vorwurfsvoll an und lachte nicht mehr. Ich glaube, sie mag ihn wirklich gern, unseren Pharao-Vater. Nun, er war auf seine Weise gut zu ihr; ihre Mutter war nur eine Sklavin. Wir wurden am selben Tag geboren, Iras und ich, und unser beider Mütter starben daran, die meine im königlichen Schlafgemach 8
und die ihre in der Gesindestube. Sie ist noch hellhäutiger als ich, und ihr Haar ist gelb wie Getreide, denn ihre Mutter, die Sklavin, war nördlichen Stammes, eine Gallierin oder Germanin. Vater entdeckte sie eines Tages, als sie hinter ihrem Mann herging, einem römischen Söldner, und er holte sie in sein Bett. Es heißt, sie habe ihn verflucht, als sie starb, aber das weiß niemand genau, denn niemand konnte ihre Barbarensprache verstehen. Diese Frauen aus dem Norden sind sehr verläßlich und treu; ich habe sie im Legionärslager gesehen, wie sie kochten und Kleider flickten und ihre Kinder stillten. Denn natürlich hatten wir, etwa für die Dauer einer Generation, eine römische Legion hier, die uns »beschützte«. Mein Vater war nicht der erste Liebhaber Roms in Alexandria. Iras ist meine liebste Freundin, die an all meinen Geheimnissen teilhat, und so habe ich ihr auch von meinen Besuchen im Mausoleum erzählt. Außer ihr weiß es niemand, nicht einmal Apollodorus, der mir hier unterm Palast den Eingang dazu gezeigt hat. Alexander lag früher, zumindest steht es so in allen alten Büchern, in einem Gebäude, das man das Sema nannte, und mit ihm meine sämtlichen Vorfahren. Vor hundert Jahren wurde es zugemauert, und jetzt ist es nur noch ein leerer Haufen - wie ein großer Hügel. Man kann auf einem Pfad hinaufgehen und von droben das Meer sehen. Ein Blitz hatte eingeschlagen, und das Gemäuer war geborsten. Grabräuber kamen und stahlen Alexanders goldenen Sarkophag. Irgendein Ptolemäus, der damals Pharao war, ersetzte ihn durch einen Sarkophag aus Alabaster und ließ ihn hierher ins Mausoleum schaffen. Man muß mehrere Treppen mit steinernen Stufen hinuntersteigen, durch dunkle, niedrige Gänge gehen, die sich endlos hin und her winden, und man muß ein Licht mit sich tragen. Es hat keine Beleuchtung, das Mausoleum, nicht einmal bewacht ist es; ich werde all das ändern, wenn ich erst Königin bin; es ziemt sich nicht, daß unsere göttlichen Toten so vernachlässigt in ihrem Grabe ruhen; ich glaube, es wird einmal im Jahr ausgefegt, wenn überhaupt! Heute wollte ich Iras ehren und nahm sie darum mit in diese Kellerkammern, doch sie legte den ganzen Weg in Entsetzen zurück. Manche Leute haben große Angst vor geschlossenen Räumen; 9
ich empfinde das auch, aber nicht so schlimm. Iras Atem ging stoßweise, und wo sie mit ihrer Fackel dahinschritt, warf das Licht schwankende Schemen an die Wand - wie die Schatten der Toten. Sie ist trotzdem ein tapferes Mädchen, sie reckte das Kinn und nahm die Fackel in beide Hände, um ihr festen Halt zu geben; es ist ein Jammer, daß Arsinoë von königlichem Geblüt ist und nicht sie! Am Ende des verschlungenen Weges, der sich mehr als tausend Schritt (ich habe sie gezählt) unter der Erde dahinwindet, kommt man an eine große gemeißelte Tür. Sie ist nicht verriegelt und schwingt schon bei einer leisen Berührung nach innen, denn der Architekt war ein Meister. Das ist das eigentliche Mausoleum, in dem die Toten unseres mazedonischen Königshauses liegen, Reihe um Reihe gewaltiger, reich verzierter letzter Ruhestätten aus Marmor. Sie sind nach ägyptischer Manier in kunstvoll bemalten, aufklappbaren und dem Körper nachgeformten Innensärgen beigesetzt. Man kann die Deckel aufheben und schauen, aber Iras, die neben mir stand, schlug die Hand vor die Augen. Was sich drinnen befindet, ist nicht besonders ehrfurchtgebietend, ein Leichnam eben, von Kopf bis Fuß mit schmalen Leinenbändern umwickelt, die im Lauf der Zeit noch nicht einmal vergilbt sind. Der erste Ptolemäus, Alexanders Bruder, liegt am hintersten Ende des Raumes; ich schaute wieder, obwohl es mich jedesmal schaudern macht, denn die Leinenbänder sind an einer Stelle am Kopf vermodert, und man kann die Haut darunter sehen - braun und glatt, straff gespannt überm Backenknochen. Weil sie der Luft ausgesetzt ist, hat sie sich braun verfärbt, sagte Apollodorus; unter der Umhüllung ist der Körper noch ebenso, wie er bei Lebzeiten war. Ich verstehe nicht, wie er das so genau wissen will, denn wenn man die Bänder entfernen würde, täte die Luft ihr zerstörerisches Werk. Doch dergleichen sagt man hier in Ägypten nicht zu seinem nutricius; diese Männer sind fast so wichtig wie Priester. Außerdem liebe ich Apollodorus von ganzem Herzen, viel mehr als meinen Vater, und ich würde nicht despektierlich gegen ihn sein wollen. Man flüstert an solchen Orten, obwohl die Toten natürlich nicht hören können. Iras wisperte mir eine Frage ins Ohr; ich antwortete leise. »Alexander liegt woanders - allein. Komm.«
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Wir sind beide groß für Mädchen, größer als die Ägypter, die dieses Mausoleum gebaut haben, und wir mußten den Kopf einziehen, um durch den niedrigen Eingang zu kommen, der zur geheimen Grabkammer führt. Spinnweben hingen da, dick wie Weinlaub; wir mußten uns würgend den Weg mit den Händen frei machen. Der Ort ist gut versteckt; ich mußte das Licht minutenlang über die Mauer tanzen lassen, bis ich die Stelle fand, den Punkt, auf den man drücken muß, damit die Tür aufgeht. Er befindet sich über dem ersten Buchstaben von Alexanders Namen; er ist in Hieroglyphen geschrieben, und ich gehöre zu den sehr wenigen Griechen, die diese ägyptische Bilderschrift gelernt haben, es ist also wirklich alles sehr geheim. Drinnen riecht es dumpfig wie im Grab; ich unterdrückte einen Schwall von Gelächter, denn es ist ja ein Grab und ein sehr feierlicher und geheiligter Ort. Die Kammer ist klein, aber hoch genug, daß wir uns aufrichten konnten; der Alabastersarkophag schimmert wie ein Licht und zieht einen an. Wir traten nah heran; im Inneren des Alabasters befand sich eine weiche Dichte, eine kaum wahrnehmbare Dunkelheit: der Leichnam Alexanders. Ich nahm Iras beim Handgelenk und zog sie noch dichter heran, drückte ihre Hand, damit sie schwieg. Es wäre nicht nötig gewesen; ich wußte, daß sie es auch empfand, wie ich es jedesmal zuvor empfunden hatte: die Schönheit und das Wunderbare dieses Gesichts - sanft strahlte es über die Jahrhunderte hinweg. Denn der Teil, der den Kopf in sich barg, war ganz aus Glas; schwach rauchiges, erstaunlich gewölbtes und abgedichtetes Glas, das keine Naht zu haben schien. Wir starrten ihn an und wagten es nicht, Atem zu holen; Alexander starrte auch, starrte nach oben, denn man hatte ihm die Augen, die eisblau sind wie Edelsteine, offen gelassen. Man hatte das Gefühl, daß sie sich jeden Moment zur Seite bewegen und uns sehen könnten, wie wir außerhalb des Glases dastanden. Wie eine gestürzte Statue lag er da, aber mit Farben, die kein Künstler ihm hätte verleihen können; es waren die Tönungen der Natur mit ihren köstlichen Unregelmäßigkeiten, sogar noch die zarte Sprenkelung der Sommersprossen auf dem Nasenrücken und das Blau der pulslosen Ader an der Schläfe. Er war jung, als er starb, und diese Jugend ist ihm für 11
immer geblieben. Hier war der Beweis für die Künste unserer ägyptischen Untertanen, die Künste, die so alt sind wie die Zeit und vor der Welt geheimgehalten werden: Sie suchten den Körper vollkommen zu erhalten, damit ihn die Seele wieder einmal bewohnen konnte; das war die alte Religion, die von den Fellachen nilaufwärts noch ausgeübt wird; es gibt Könige, die dreitausend Jahre alt sind und älter und in ebensolch fleischlicher Vollkommenheit wie der, den wir gerade betrachteten, unter den Pyramiden schlummern. Neben mir ging Iras Atem geräuschvoll, als sei sie gerannt; sie hatte ihn zu lange verhalten. »Das könntest du sein«, flüsterte sie. »Du könntest es sein, die da liegt ... siehst du, wie ähnlich er dir ist?« Ich hatte es zuvor auch schon gedacht, aber nur insgeheim, hatte nicht gewagt, es in Worte zu fassen, nicht einmal mir gegenüber. Ich zog aus meinem Gürtel einen kleinen polierten Silberspiegel; er war an mehreren Stellen verbeult, denn mein jüngster Bruder hatte ihn als Spielzeug benutzt und darauf herumgebissen, als er noch klein war und zahnte; aber trotzdem konnte man ein fast völlig klares Bild darin sehen. Es stimmte mit der Ähnlichkeit, nur daß meine Augen grün sind; die etwas lange, aber richtig gerade griechische Nase, die niedrige, breite Stirn und die kräftigen, gewölbten Brauen; das schmale, runde Kinn und die vollen, scharf geschnittenen Lippen mit Einkerbungen in den Mundwinkeln. Es ist ein Gesicht, das besser zu einem Mann als zu einer Frau paßt; es findet sich Kühnheit darin und zuviel Kraft. Alexanders Haar ist nicht sichtbar, denn er trägt die persische mitraförmige Krone; aber seiner Hellhäutigkeit nach könnte man sich vorstellen, daß es hellbraun ist wie meines. Ich schaute lange in den kleinen Silberspiegel und steckte ihn befriedigt weg. Das ist ein gutes Omen für meinen ersten Geburtstag als erwachsene Frau. Hier in meiner Wahlheimat Ägypten haben große Frauen gelebt, die viele tausend Jahre zusammen mit Männern regierten, und davor saßen sie sogar allein auf dem Pharaonenthron. Und der, dem ich ähnlich sehe, wird selbst heute noch Alexander der Große genannt. Ich bin die siebte Kleopatra, aber ich will, daß die Welt alle anderen vergißt und sich nur an mich erinnert.
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2 Meinen Vater zu beschreiben - oder, besser gesagt, ihn zu erklären ist wahrhaftig keine leichte Aufgabe. Es gibt ein Spiel, das die Legionäre mit ihren runden, kleinen Schilden und einem gesteppten Lederball spielen; wir Kinder vom Palast haben sie an manchem regnerischen Nachmittag beobachtet und untereinander Wetten abgeschlossen. Zwei Gruppen von Spielern stehen sich gegenüber, alle mit Schilden bewehrt; es geht darum, den Ball so lange wie möglich in der Luft zu halten; wenn einer ihn zu Boden fallen läßt, zählt es gegen seine Gruppe. Solch ein Ball ist mein Vater, der rechtmäßige Pharao von Ägypten. Der Unterschied besteht darin, daß ers bezahlen muß, wenn er auf die Erde kommt. Aber meistens schwebt er über dem Boden. Das beschreibt und erklärt ihn gleichermaßen. Was sein Aussehen betrifft ... soll ich sagen, daß es reizlos ist? Das heißt so vieles. Seine Gesichtszüge sind gut, wirklich gut, ehrlich 13
und nett und klar in der Linie, es sei denn, er hat getrunken, und das hat er meistens. Er sieht aus wie ein Schreiber oder ein Gelehrter, wie ein Mensch, der seine Zeit, eingeschlossen in einem Zimmer, mit Zahlen und Papyrusrollen verbringt; das täuscht, denn er hat überhaupt keine Begabung zur Gelehrsamkeit. In bester Form ist er, wenn er die Flöte spielt oder die Leier schlägt; dann wird sein dünner Mund weich, und seine Augen werden groß und strahlend. Er entlockt diesen Instrumenten wundervolle Klänge, die schwierigen griechischen Stücke und die traurigen, klagenden Lieder der Ägypter; man könnte weinen, wenn man zuhört. Iras hat dieses Talent geerbt; sie kann jede Melodie nach Gehör spielen. Auch ich bin eine sehr gute Musikerin, aber das kommt vom vielen, stundenlangen Üben; ich bin nicht von Natur aus dafür begabt. Ich habe viele Fertigkeiten; das ist keine eitle Prahlerei. Man kann alles lernen, wenn man den Wissensdurst, den Willen und den Stolz dazu hat. Die erhabenen Könige von Ägypten wurden immer Pharao genannt, ein Titel, der heute seine Bedeutung verloren hat; die Könige unserer Linie heißen Ptolemäus nach dem Begründer der Dynastie, obwohl sie manchmal noch andere, nicht amtliche Namen haben. Mein Großvater zum Beispiel hieß Alexander und mein Onkel auch. Vaters anderen Namen kenne ich wirklich nicht; man nennt ihn Auletes. Das bedeutet, frei übersetzt, »der Pfeifer«, und natürlich muß das anfangs spöttisch gemeint gewesen sein, denn die Pfeifer bei den Saturnalien und den anderen Festtagen sind immer Sklaven; aber Vater faßt das als Kompliment auf und sagt seinen Vertrauten, sie sollen ihn auch so nennen! Selbst die niedrigsten seiner Untertanen kichern hinter seinem Rücken, und im Lächeln der Höflinge liegt stets ein Anflug von Verachtung. Als ich jünger war, errötete ich immer peinlich berührt für ihn, meine helle Haut wurde fleckig davon; jetzt wende ich mich gegen die Missetäter und schaue sie mit Basiliskenblick an; niemand erstarrt zu Stein, aber das Lächeln verschwindet. Ich studiere gerade einen hochmütigen Gesichtsausdruck ein; der Römer speist heute abend bei uns. Apollodorus ertappte mich eben dabei und tadelte mich. »Du wirst eine Falte zwischen den Augenbrauen davon bekommen«, meinte er und runzelte selber die Stirn; ich mußte unwillkürlich lächeln. Er warf mir einen kurzen, schar14
fen Blick zu, sagte aber nichts. Natürlich hat er recht; eine Königin hat sich, jedenfalls hier in Ägypten, das Aussehen einer Göttin zu bewahren. Was Apollodorus betrifft, muß ich einiges erklären - wer er ist und so weiter; ich kenne ihn schon mein ganzes Leben lang, oder zumindest scheint es mir so. Er ist mein nutricius, ein Titel, der sich schwer erläutern läßt, weil diese Stellung nur hier in Ägypten existiert. Seit unvordenklichen Zeiten hat man die Königskinder dieses Nillandes vom zartesten Alter an in die Obhut besonderer Bedienter gegeben; oft hatte ein Kind einen solchen Bedienten ganz allein für sich. »Nutricius« heißt wörtlich übersetzt »männliche Amme«; aber sie sind natürlich keine richtigen Ammen; ich würde sagen, sie sind Ratgeber oder Mentoren, nicht eigentlich Erzieher, obwohl sie einen gutes Benehmen und Artigkeiten und vieles andere lehren. Das Verhältnis ist, wenn es ganz gut geht, fast wie das zu einem Pflegevater; und etwas wie ein Pflegevater ist Apollodorus gewiß für mich. Ich habe mir oft über diese Beziehung und ihren Ursprung den Kopf zerbrochen; der nutricius ist immer ein Bedienter und manchmal sogar ein Sklave, aber er übt erhebliche Autorität aus und wird behandelt wie ein Blutsverwandter. Obwohl ich diesen Gedanken noch nie in Worte gefaßt habe, glaube ich, daß der nutricius des Königskindes vor langer, langer Zeit dessen eigentlicher Vater war. Das ist nicht so seltsam, wie es sich anhört; hier in Ägypten sitzen auf dem Doppelthron stets Bruder und Schwester, in Anlehnung an den Gott Osiris und seine Schwester Isis, von denen alle Pharaonen abstammen. Nun ist das für einen Griechen Inzest, und die Herrscher unserer Dynastie haben nur so getan als ob, haben Cousinen dritten oder vierten Grades oder sogar Familienfremde geheiratet und sie »Schwestern« genannt. Tatsächlich sagen unsere großen Ärzte, daß aus einer Ehe zwischen Bruder und Schwester nach ein paar Generationen Schwachsinnige hervorgehen würden. Ägypten hat seit Anbeginn der Welt große Ärzte gehabt; ich bin mir sicher, daß die Pharaonen diesen Brauch von jeher irgendwie umgingen, denn ich habe nie von Schwachsinnigen unter ihnen gehört. Ich glaube, daß die Schwester neben ihrem Bruder auf dem Thron saß, aber einen anderen »Bruder« mit in ihr Bett nahm; dieser wahre 15
Vater erzog dann das Kind als »nutricius«. Natürlich ist das viele hundert Jahre her - aber es muß auf diese oder auf ähnliche Weise begonnen haben. Es ist jedenfalls eine Stellung, zu der viel Vertrautheit und Vertrauen gehören, die man allerdings auch mißbrauchen kann. Meine beiden kleinen Brüder haben einen gemeinsamen nutricius, einen üblen Kerl namens Pothinus - ein Eunuch, aber machtgierig. Arsinoës Ganymed ist kein Eunuch (ich habe gesehen, wie er sie betatscht hat - und Schlimmeres!), doch auch er ist ehrgeizig und muß im Auge behalten werden. Ich bin das Glückskind, denn Apollodorus ist ein Mann, der Lauterkeit und Geist besitzt. Apollodorus ist ein sizilianischer Grieche; er wurde als Kind in den Tempel gegeben, um Apollo zu dienen, daher sein Name. Die Priester des Apollo sind berühmte Lehrer; Apollodorus ist ein hochgebildeter Mann und wurde seinerseits wieder Lehrer - hier im Tempel zu Alexandria. Wie es kam, daß er erwählt wurde, um mir zu dienen, weiß ich nicht; er gehört zum Palast, solange ich denken kann. Vielleicht ist er gar nicht besonders alt, aber er hat ganz weißes Haar, weiß wie Gischt auf dem Meer oder wie eine Wolke; er sagt, ungefähr in meinem Alter habe er die ersten weißen Haare an sich entdeckt. Was sein Äußeres betrifft, so gleicht er Sokrates, ein häßlicher Mann mit dickem Bauch und grobem Gesicht; aber sieh noch einmal hin, und die Schönheit, die in ihm wohnt, schaut aus seinen lichten, grauen und strahlenden Augen; so könnte ein Gedanke blicken, wenn er faßliche Gestalt hätte. Apollodorus ist kein Eunuch; ich habe ihn einmal danach gefragt, als ich noch zu jung war, um zu wissen, daß eine solche Frage sich nicht gehört. Er antwortete mit einem Lächeln, bei dem sich sein grobes Gesicht in Falten legte: »Nein - es war nicht nötig, mich zu verschneiden, denn es gelüstete keine Frau nach mir. Außerdem habe ich das Gelübde der Ehelosigkeit abgelegt.« Es gibt viele Sekten innerhalb unserer griechischen Religion, die das fordern, und jedes Jahr kommen neue auf. Einige führen ein abgeschiedenes Leben, und andere widmen sich der Medizin oder den Künsten. Sogar Rom hat seine jungfräulichen Vestalinnen; man kann sich wohl gewiß sein, daß solche Gelübde den römischen Männern nicht abverlangt würden! Die meisten von ihnen haben mehrere Frauen gehabt und, 16
mögen die Götter wissen, wie viele Konkubinen; dabei sind es ganz gewöhnliche Leute - keine Könige wie Vater. Dieser Marcus, der heute abend festlich bewirtet werden soll, war auch schon zweimal verheiratet, heißt es, und das, obwohl er noch ziemlich jung ist, erst siebenundzwanzig. Man könnte das Bankett heute abend eine Feier nennen; dieser Marcus hat Vater gewissermaßen seinen Thron zurückgeben. Vater hätte ihn sich selbst wieder holen können, wenn er schnell genug gehandelt hätte; er hätte ihn wohl nie verloren, wenn er nicht zu den Römern gerannt wäre. Das ist eine lange und verwickelte Geschichte. Kurz gesagt, Rom hat schon seit vielen Jahren ein Auge auf das Königreich Ägypten; nichts gefiele den Römern besser, als uns ihren Eroberungen hinzuzufügen. Statt seinen Verstand zu gebrauchen und einen Plan zu machen, wie man unser Land erhalten kann, ist mein Vater immer in Panik geraten. Wenn die Römer sich rührten, hat er sie bestochen, bis er sich im Lauf der Jahre in entsetzliche Schulden gestürzt hat. Seine Untertanen müssen furchtbar hohe Steuern zahlen, um das Loch in der Kasse zu stopfen; natürlich lieben sie ihn nicht und würden jeden Herrscher begrüßen, der ihnen ein besseres Dasein verspricht. Als Vater letztes Mal Gold nach Rom brachte, bemächtigte sich seine älteste Tochter Berenice, meine Halbschwester, des Thrones. Das war vor drei Jahren, und seitdem gärt es im Königreich. Arme Frau, ihre Glanzzeit ist vorbei, und sie wird hier irgendwo im Palast gefangengehalten. Ich habe Berenice nie gekannt; sie ist mehr als doppelt so alt wie ich und wurde gezeugt, als mein Vater noch jung war, sie und eine Zwillingsschwester, die Kleopatra hieß wie ich. Kleopatra ist ein königlicher Name; sie war die sechste, die ihn trug. Diese Schwester ist vor zwei Jahren friedlich im Schlaf gestorben - zumindest verkündete man das. Iras, die in die Gesinderäume und sogar in die Küche gehen darf, sagt, man munkle, daß Berenice sie ermordet, sie entweder vergiftet oder mit einem Kissen erstickt habe, denn diese sechste Kleopatra hatte ein kleines Heer von Gefolgsleuten um sich geschart und selbst ein Komplott geschmiedet, um auf den Thron zu gelangen. Das kann ich schon glauben, denn der Mord zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Geschichte, wie ein Webfehler im 17
Linnen. Vater soll seine erste Frau, Berenices Mutter, umgebracht haben; das glaube ich nicht - nicht, daß er weichherzig wäre, aber er ist viel zu schwach für so etwas. Doch vielleicht hat er jemand dafür gedungen, während er sich außerhalb des Königreichs aufhielt. Aber die blutigen Intrigen unseres Hauses sind fast ein Nichts gegen das, was die Römer treiben; da kommt man wirklich nicht mit! Rom ist eine sogenannte Republik; man kann dort nicht einmal einen Thron gewinnen! Das war nie die Art der Griechen; den Griechen war das Leben teuer. Wenn ich Königin bin und mir einen Feind vom Halse schaffen muß, werde ich es ganz offen tun und ihn hinrichten lassen; wozu ist die Macht denn da? Natürlich hoffe ich, daß ich keine Feinde haben werde. Die Ereignisse, die zu Berenices Entmachtung führten, sind so verwickelt wie die, die sie an die Macht gebracht haben; es reicht hin zu sagen, daß Vaters Feigheit und Verschlagenheit die Ursache dieser Ereignisse waren. Unruhe und Aufruhr kennzeichnen die Jahre seiner Regierung; er ist kein guter König. Rom hat natürlich auch die Finger mit im Spiel, denn die Römer wollen die ganze Welt beherrschen. Vater konnte sich schließlich nach vielen riesengroßen Bestechungsgeschenken, die nichts fruchteten, einen Römer namens Gabinius kaufen, den Statthalter von Syrien; der Preis dafür war ungeheuer; zweieinhalb Millionen Pfund Silber. Gabinius erklärte sich bereit, in unser Land einzudringen und Vaters Thron durch Krieg zurückzugewinnen. Berenice war mit einem Mann namens Archelaus verheiratet, dem Hohenpriester von Komana in Kapadozien. Archelaus war ein Freund des Römers Pompejus, der große Macht und großen Einfluß hatte; ich vermute, daß er und Berenice Hilfe von Pompejus erwarteten, aber er ließ sie im Stich. Gabinius erklärte Archelaus den Krieg und sagte in Rom, Archelaus sei ein Pirat, der die römischen Besitzungen an der afrikanischen Küste gefährde, seine Flotte sei eine Bedrohung für die Seemacht der Römer und auf diese Weise erhielt er Hilfe von Amts wegen. Bald marschierte eine römische Armee von Gaza nach Pelusium durch die Wüste. Ihre Vorausabteilung, die Kavallerie, wurde von Marcus Antonius befehligt. Er nahm Pelusium, marschierte weiter und zog in unserem Alexandria ein. Die Legionen liefen zu ihm über (sie 18
waren schließlich Römer), und Archelaus verlor nicht nur seine Macht, sondern auch sein Leben. Berenice wurde irgendwo eingesperrt, und Vater bekam seinen Thron wieder. Das ist, einfach gesagt, die Lage. Und Vater bewirtet diesen Marcus, und man hat mir und meinen königlichen Brüdern und meiner königlichen Schwester Arsinoë geboten, anwesend zu sein. Ich werde Iras als meine Hofdame mit in den Festsaal nehmen. Apollodorus kommt auch mit, um darauf aufzupassen, daß ich mich manierlich aufführe; als ob ich nicht wüßte, wie man sich königlich benimmt! Ich mache mir Sorgen wegen meiner Kleider, denn ich bin im letzten Jahr aus allem herausgewachsen und habe kein Geld erhalten, um neue zu kaufen. Das kommt davon, wenn man keine Frauen um sich hat; Apollodorus ist immer mehr um die Verschönerung meiner Seele als um die meines Leibes besorgt. Für eine Königin ist beides wichtig. Ich muß auch mit Iras teilen, sonst würde sie nackend gehen; es gibt keine Näherinnen, nicht einmal im Palast. Die Sklavinnen und Sklaven sind alle mehr als nutzlos; sie verneigen sich und entfernen sich rückwärts aus meiner Gegenwart, aber in sämtlichen Ecken liegt der Staub. Das Drunter und Drüber in unserem Hause dauert schon so lange, daß jede Ordnung aufgehört hat; manchmal muß ich Iras in die Küche schicken, um das Mittagessen zu holen, oder ohne Mittagessen auskommen. Obwohl ich in der Erbfolge an erster Stelle stehe und nach Berenice die Älteste bin, habe ich keinerlei Autorität; Vater denkt nie an seine Kinder, dessen bin ich mir sicher, nur bei Staatsangelegenheiten, oder wenn sie ihm, wie in Berenices Fall, bedrohlich werden. Wenn Arsinoë aus anderem Holz geschnitzt wäre, könnten wir die Köpfe zusammenstecken und Pläne gegen diesen Römer schmieden, aber wir sind uns so unähnlich, wie man sichs nur vorstellen kann, es ist fast so, als gehörten wir verschiedenen Rassen an! Natürlich hatte sie eine andere Mutter, eine entfernte Verwandte, aber von königlichem Geblüt. Ich erinnere mich noch an die Dame, denn sie ist erst vor ein paar Jahren gestorben. Dünn und dunkel und leidend war sie; ich sah sie nie von ihrem Bett aufstehen. Dieser Verbindung entstammen noch zwei Kinder, meine kleinen Halbbrüder; merkwürdig, daß sie das geschafft hat - krank, wie sie war,. 19
Sie starb auch nicht bei einer Geburt, sondern sie siechte einfach dahin; die Ärzte konnten ihr Leiden nie benennen. Ihre Heimat war weit weg, in Spanien; vielleicht war sie heimwehkrank. Jedenfalls ist sie jetzt tot; Vater hat nicht mehr geheiratet und sich nur noch Konkubinen von ziemlich niedriger Abkunft genommen. Es gibt keine Damen im Palast, mit denen man sich über passende Kleider beraten, niemand, von dem man sich welche borgen könnte; ich muß mich mit dem behelfen, was ich so an Krimskrams finde. Mögen die Götter wissen, wo die Juwelen meiner Mutter sind; vielleicht hat Vater sie versetzt! Das ist kein Witz; es gibt viele Pfandleiher im phönizischen Viertel, und alle haben das Zeichen des königlichen Skarabäus über ihrer Tür. Der einzige Schmuck, den ich besitze, sind zwei kleine Perlen für meine Ohren; ich trage sie immer, sogar wenn ich schlafe. Sie sind zu klein, als daß es Vater nach ihnen gelüsten könnte, aber ich hüte sie wie einen Schatz. Ich habe sie zu einem glücklicheren Geburtstag, meinem fünften, von meinem Onkel Alexander geschenkt bekommen, der mich hätschelte und verwöhnte, wie Vater es nie getan hat. Dieser Onkel, der auch Ptolemäus heißt, war Vaters Zwillingsbruder und Herrscher von Zypern. Als die Römer sein Land überfielen und kurz davor standen, es zu erobern, nahm er sich das Leben - lieber tot als römischer Untertan. Und so denke ich mit Bewunderung, Hochachtung und Zärtlichkeit an ihn zurück. Er hatte eine Tochter, an die ich mich noch erinnern kann; sie war ein bißchen älter als ich und hieß Charmion, aber sie ist spurlos verschwunden; wahrscheinlich haben die Römer sie umgebracht. Wohl oder übel habe ich mich schlicht gekleidet, den Faltenwurf meines Obergewandes einer Statue aus Athen abgeschaut und mein Haar so gelassen, wie es ist, denn es ist schön und glatt fließend wie der Regen. Ich habe einen Kranz gelber Rosen als Krone, nur mit ganz heller Haut kann man Gelb tragen. Mein Gewand ist schwach safranfarben, und ich habe auf meine Lider grüne Farbe aufgetragen, um die Augen hervorzuheben. Mit Ausnahme der Schminke habe ich vor Apollodorus kritischem Blick bestanden; er sagte stirnrunzelnd: »Nimm das ab ... Mädchen aus königlichem Hause sollen nicht so aussehen wie Tänzerinnen.« Hinter mir kicherte Iras; das geschah ihr recht, denn er hörte es und befahl ihr, ihre blaue Schmin20
ke auch abzuwaschen. Wir mußten ziemlich stark reiben, um die Farbe abzukriegen, und bekamen gerötete Augenlider davon; egal, dachte ich mir, er ist nur ein Römer. Ich hielt den Kopf höher. Der Beginn des Festes war für Sonnenuntergang angesetzt, und ich hatte gedacht, wir seien früh dran, denn als wir den Flur entlanggingen, war der Himmel, gerahmt von den westlichen Fenstern, noch von roten Streifen durchzogen. Aber sie mußten schon angefangen haben mit dem Weintrinken, denn lange bevor wir zum Eingang des großen Saales kamen, hörten wir Vaters Flöte über dem Klang der Trommeln; er spielt nur in Gesellschaft, wenn er ein bißchen angeheitert ist. Der Saal strahlte vor Licht; ich habe noch nie so viele Kerzen gesehen; wegen der Kohlenpfannen bei jeder Liege herrschte erstikkende Hitze, denn es war noch Sommer. Das Aroma von ägyptischer Narde hing schwer in der Luft, dazu der süßsaure Geruch von Weintrauben; man kann sich darauf verlassen, daß Vater die übelsten Angewohnheiten übernimmt! Jeder Gast hatte ein kegelförmiges Stück parfümiertes Wachs bekommen - das war Mode im alten Ägypten. Es soll auf den Kopf gelegt werden, auf diese Weise allmählich schmelzen und dem ganzen Körper Wohlgeruch verleihen. Natürlich gingen die alten Ägypter fast nackt, also bekleckerten sie sich nicht die Kleider; heute ist es recht ekelhaft, denn es macht die Gewänder dunkel wie Schweiß. Ich sah, daß keiner von unseren griechischen Aristokraten das Wachs genommen hatte. Sie hatten es lediglich vor sich auf die Tische gelegt, wo es neben den großen Gefäßen mit dunklem, italienischem Wein dahinschmolz wie die Kerzen. Die Römer warteten nicht darauf, daß die Sklaven sie bedienten, sie bedienten sich selbst mit Schöpflöffeln aus den Gefäßen und machten Flecken auf die Tischtücher. Man erkannte die Römer auf den ersten Blick; sie trugen alle irgendwo Purpur - eine purpurne Schärpe oder eine purpurne Borte am Gewand -, denn sie halten es für eine königliche Farbe; die Könige haben natürlich längst darauf verzichtet, schon als dieses Pigment im Überfluß verfügbar wurde. Niemand bemerkte uns, als wir eintraten, und unsere geröteten Augenlider erst recht nicht; der Rauch aus den Kohlenpfannen erfüllte die Luft mit blauem Dunst, und außerdem waren die Römer bereits betrunkener als Vater. Das wird ihm gefallen, dachte ich. Er 21
hat einmal einem bedeutenden Hofmann mit der Hinrichtung gedroht, weil er nicht mit ihm trinken wollte; ich habe nie erfahren, wie es schließlich ausgegangen ist, es war vor meiner Zeit. Wir wurden nicht angesagt, denn Vater dudelte noch auf seiner Flöte; ein Sklave führte uns zu unserem Tisch. Die Römer saßen auf den Ehrenplätzen, dort, wo Vater hingehört hätte; er hatte es sich ein Stückchen rechts davon bequem gemacht, und wir waren gegenüber, auf der linken Seite. Die kleinen Ptolemäer, meine Brüder, saßen schon da mit ihrem nutricius, dem Eunuchen Pothinus; Arsinoë auch, sie teilte sich eine Liege mit ihrem Ganymed. Iras und mir blieb die Luft weg, als wir sie sahen; wir und Tänzerinnen, von wegen! Ich habe noch nie so viel Schminke zu Gesicht bekommen, nicht einmal im Zirkus. Ihr Kleid war durchsichtig, darunter schimmerte rosig ihr Fleisch, und an ihren Armen und an ihrem Hals leuchtete Gold. Sie hatte das Haar hochgekämmt, ganz nach griechischer Manier, aber das gab ihr auch kein griechisches Aussehen und war eine viel zu alte Mode für sie. Außerdem trug sie ein goldenes Diadem, in das der königliche Skarabäus eingelassen war; ich fühlte, wie meine Wangen glühend rot wurden; wo hatte sie das her? Und woher kamen die goldenen Armreifen und der Rest? Wahrscheinlich hatte das ihr nutricius Ganymed zusammengestohlen, denn er war selber aufgeputzt wie ein Götzenbild aus dem Osten und blinkte vor Edelsteinen. Er hat schon immer mehr wie eine Frau als wie ein Mann ausgesehen mit seinen langen schwarzen Schmachtlocken und seinen leuchtenden Gewändern, obwohl er in einem ganz anderen Ruf steht; ich sah, daß seine Hand auf dem dünnen Stoff lag, der ihr Knie bedeckte. An einem anderen Hof würde man ihn für eine solche Ungehörigkeit hinrichten; schließlich ist sie eine Prinzessin und seiner Obhut anvertraut. Ich schaute zum Tisch der Römer; es waren ungefähr ein Dutzend, die für mich alle gleich aussahen. Ich beugte mich zu Iras hinüber und flüsterte: »Wer von denen ist Marcus?« »Der, der sich gerade in der Nase bohrt«, sagte sie. Ich hielt ein Lächeln zurück; es stimmte gar nicht, er kratzte sich nur an der Nase; ich glaube, er wollte höflich sein und Vater zuhören und langweilte sich inzwischen ein wenig; während ich ihn beobachtete, erhob er sich ein Stückchen von der Liege und zog hinten sein Gewand von 22
den Schenkeln weg; wahrscheinlich klebte es ihm an der Haut - kein Wunder bei dieser Hitze! Als ich ihn anblickte, verstand ich nicht mehr, warum ich ihn nicht gleich erkannt hatte; er war bestimmt der Größte von ihnen. Und er sah wirklich aus wie ein Gesicht auf einer Münze, die Züge gröber, als sie es sein sollten, und das Haar kleingelockt, wie mit einem unhandlichen Griffel gezeichnet. Er schaute außerdem aus wie ein Bulle, stiernackig und breit und mit blinzelnden Augen. Trotzdem hatte er etwas Edles, schwer, es genau zu bezeichnen; man konnte jedenfalls verstehen, warum die Kreter dieses Tier verehrt haben. Aus der Nähe - Vater hatte zu Ende gespielt und mich zu diesem Stiergott geführt - erkannte ich dann ein denkendes Hirn hinter den hervortretenden Augen; nicht nur glücklicher Zufall hatte ihm zu einem hohen Rang verhelfen. Er begrüßte mich stockend und bedachtsam auf griechisch; ich antwortete in perfektem Latein und überraschte ihn damit. »Du sprichst unsere Sprache sehr gut«, sagte er und verfiel selbst ins Lateinische. »Fast akzentfrei.« »Mein Lehrer war ein römischer Sklave«, erwiderte ich kühl. Er lachte. »Deine jüngste Tochter hat Witz, Auletes.« »Ich bin Kleopatra, die Älteste, und ich bin Thronerbin«, sagte ich. »Und du vergibst einem Römer keinen Fehler, wie ich sehe!« Seine vollen Lippen wölbten sich, und auf seiner Wange erschien ein weibisches Grübchen. »Ich bitte dich tausendmal um Verzeihung, Kleopatra«, sagte er. Er lächelte jetzt. »Ich wollte dich nicht beleidigen. Aber das Mädchen, das da drüben bei dir in der Nähe saß - die mit dem Diadem - sie sieht gut zwei Jahre älter aus.« Das lag natürlich am Diadem. Ich warf Vater einen bösen Blick zu. »Wo hat sies her?« zischte ich in flinkem alexandrinischem Griechisch. Er breitete die Hände aus und zuckte mit den Achseln. »Ich sage ihr, sie solls abnehmen«, meinte er. »Du bekommst es, ich verspreche es dir.« »Ich will nicht das, Vater. Ich will ein größeres. Ich will die Schlan23
genkrone ...« Ich hätte nicht gedacht, daß der Römer uns verstehen würde, aber anscheinend verstand er uns doch. »Warum nicht, Auletes? Der Kopf, auf dem sie saß, hat keine Verwendung mehr dafür ...« Ich erstarrte. Er meinte Berenice! Vater wurde aschfahl. Selbst das Blut wich aus seinen Lippen. »Ist es ... ist es denn -« »Ja«, sagte der Römer glatt. »Es ist erledigt. Sie ist im Hades.« Vater begann zu schluchzen. Der Römer sah nicht zu ihm hin, sondern sprach mit mir. »Morgen schicke ich dir die Schlangenkrone, kleine Prinzessin. Sieh zu, daß du sie mit mehr Anstand trägst als die, die sie verloren hat.« Seine Worte waren sanft, aber es schwang eine Drohung in ihnen mit; ich wußte, daß er im Namen Roms sprach. Ich holte tief Luft, damit meine Stimme fest blieb, und antwortete. »Danke für die Krone, Römer. Und für die Warnung.« Und ich drehte mich um und nahm mir Zeit dabei. Im Weggehen hörte ich, wie er laut den Atem ausstieß, lachte und das Wort an den Mann richtete, der neben ihm saß. Es war ein gallischer Dialekt, Soldatensprache, und er konnte nicht wissen, daß ich verstand, was er sagte. Aber wir hatten hier im Palast gallische Söldner um die Wiege, solange ich denken kann; auf ihren Knien habe ich meine Flüche gelernt. »Puh!« keuchte er. »Zum Glück sind wir diese dürre Ziege los! Jetzt soll mal die Frau mit den dicken Titten kommen!« Ich wußte, daß er Arsinoë meinte, noch bevor ich sah, wie mein Vater sie zu ihm führte. Sie hatte ein einfältiges Lächeln um den Mund, und ihre großen Kugelbrüste drängten durchs Kleid. Bevor sie zwanzig ist, wird sie eine Kuh sein, dachte ich. Dann lächelte ich ein wenig bitter vor mich hin. Tja, er ist schließlich ein Bulle. Ich haßte ihn.
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3 Alexandria ist eine schöne Stadt, die zweite Weltstadt nach Athen. Natürlich habe ich nicht viele Städte gesehen, ich bin kaum gereist, aber ich war einmal in Athen. Selbst damals - ich war noch ein Kind - sah ich Athen durch einen Schleier von Tränen und eine Wolke von Sehnsucht; unsere ganze ruhmreiche griechische Vergangenheit findet sich dort; es ist mehr Heiligtum als Stadt. Athen ist alt, uralt; man hat das Gefühl, daß dort immer noch die Götter wandeln. Apollodorus nahm mich mit nach Athen; Vater hat uns nie irgendwohin mitgenommen. Vaters Reisen nach Rom waren stets Bittgänge, und er sagte immer, die altägyptischen Städte seien nichts weiter als Ruinen und das Landesinnere von Ägypten habe ein ungesundes Klima und sei von Krankheiten heimgesucht. Ich glaube nicht, daß Vater je nilaufwärts gefahren ist; er denkt nicht an seine Untertanen, es sei denn, es geht ans Besteuern. Was er sagt, kann 25
man vergessen; eines Tages werde ich selbst sehen, wie es ist. Schließlich hat auch Ägypten eine ruhmreiche Vergangenheit. Jahrhundertelang war es das mächtigste der Königreiche; in Theben und Kairo und im übrigen Lande muß es noch Erstaunliches zu sehen geben. Die Insel- und Küstenstädte Griechenlands sind bloß Häfen, in denen es geschäftig und betriebsam zugeht vor Handel und Wandel, aber winzig, wenn man sie mit Alexandria vergleicht. Nach Osten zu sind die Städte nicht mehr als eine Ansammlung zerstreuter Zelte oder ein Haufen von Lehmhütten. Zumindest ist das alles, was ich gesehen habe. Doch selbst Menschen, die weit gereist sind und das Ausland gut kennen, sagen, daß Alexandria schön ist. In Alexandria gibt es immer Blumenpracht; wo keine Straßen verlaufen, geht man über Boden, der scharlachrot und golden von Blumen ist; blühende Büsche stehen an allen Wegen und ragen einem über den Kopf; in den Schlechtwettermonaten fallen nasse, zarte Blumenblätter mit den Regentropfen nieder und hängen sich aneinander, ein Regen von Helligkeit gegen das Grau. Kaum daß Mauern neu hochgezogen sind, wachsen blütenschwere Kletterpflanzen dran; an unserem Palast sieht man wenig Stein; er ist von Weinranken überwuchert. Jede Woche müssen Arbeiter sie beschneiden; sonst hätten wir bald keine Fenster und Türen mehr! Irgend etwas an unserem Klima fördert dieses Wachstum; selbst lächelnd sagt Apollodorus, die Götter lächelten uns hier. Alexander hat die Lage seiner Stadt gut gewählt; sie war vor allem als griechischer Handelsplatz gedacht; man sollte griechische Güter leicht an Land schaffen und Erzeugnisse vom Nil leicht nach Norden und Westen verschiffen können. Die Stadt steht im Nildelta, ist auf einen Landstreifen zwischen dem Mittelmeer und dem Mareotis-See gebaut und völlig getrennt vom eigentlichen Ägypten; Alexandria ist auf diese Weise nicht an den Rest des Landes gebunden und beherrscht es doch. Es hat einen vollkommenen Hafen; zwischen Stadt und Meer liegt die Insel Pharus, und zwei lange Landzungen umschließen den Raum dazwischen: ein sicherer Ankergrund für die Schiffe. Ein Großteil der Stadt wurde noch von Alexander angelegt; ich habe den Bericht seines Bruders Ptolemäus gelesen, den Bericht darüber, wie der große Held die Straßen mit Sei26
len und Holzpflöcken absteckte, die er mit eigener Hand in den Boden trieb; er starb, bevor er die Vollendung seines Werkes erlebte, aber viele Straßen tragen noch den Namen, den er ihnen gegeben hat. Es ist seltsam, daß man einen Ort viel klarer sieht, wenn man von auswärts kommt; ich kannte meine Stadt besser, nachdem ich aus Athen zurückgekehrt war. Ich erinnere mich noch: Als wir in den Hafen einliefen, war das erste, was ich sah, der Leuchtturm auf Pharus. Man zählt ihn zu den Weltwundern, aber ich hatte seine Erhabenheit vorher gar nicht richtig erkannt. Er ist ganz aus weißem Marmor gebaut; wenn die Sonne auf ihn strahlt, erscheinen regenbogenfarbene Flecke auf seinen glatten Mauern. Sie steigen ununterbrochen fünfhundert Fuß hoch auf; aus der Ferne sieht er aus wie ein Finger, der gen Himmel weist. Wir kamen bei Tag an, aber man sagt, daß das Leuchtfeuer ganz droben das stärkste der Welt ist; es scheint natürlich zur See hin, ich glaube, sonst gäbe es keine Nacht in Alexandria! Der Turm wurde vor zweihundert Jahren von dem berühmten Architekten Sostratus ausgeführt, doch er sieht so aus, als sei er erst gestern gebaut worden; selbst aus der Nähe ist der Marmor vollkommen, jeder Block paßt vollendet, ohne daß man eine Fuge erkennt; es ist wie das Werk eines meisterhaften Bildhauers. Unser Schiff umrundete den großen Leuchtturm und steuerte in den Hafen; ich erinnere mich an das Marmorfundament, weiß wie ein Knochen gegen das wilde, dunkle Wasser, das heftig dagegen anbrandete und schäumte. Die Seeleute sagten, es gäbe hier tückische Klippen, aber wir gelangten wohlbehalten in den Hafen; nun, da ich daran denke, fällt mir ein, daß hier kein Schiff je zerschellt ist; vielleicht haben sies nur hochgespielt, um ein kleines Mädchen zu beeindrucken. Jedenfalls gibt es im Hafen selbst keine Klippen, ich weiß es, denn das Wasser ist fast glasklar, und man kann bis auf den Grund schauen. Es gibt dort Seegras in allen Farben - ich hatte immer gedacht, es sei bloß grün; unter Wasser sieht es aus wie das Haar ertrunkener Mädchen. An den tieferen Stellen sind Delphine, wunderbare Fische, so groß wie Menschen, die aus dem Wasser schnellen und wie Kinder spielen. Ich hatte natürlich schon vorher welche gesehen, denn sie kommen ans Ufer und fressen einem Brot 27
aus der Hand. Aber ich habe noch nie so viele gesehen wie vom Schiff aus - es waren Hunderte. Ich finde, sie sind die nettesten von allen Tieren; sie lächeln, anders als Katzen, die sind eingebildet, aber die Delphine lächeln freudig. Wenn man im Hafen ist, hat man ganz Alexandria vor Augen. Die großen Gebäude stehen dicht bei dicht am Ufer wie ein Wald, dahinter andere, die in dunstiger Ferne verschwimmen. Ich hielt den Atem an, als ich die Stadt im strahlenden Sonnenschein sah; es kann auf der Welt nicht noch so einen Anblick geben! Erst kommt unser Palast, der auf der Halbinsel Lochias steht und die ganze westliche Front einnimmt; gegenüber, auf der kleinen Insel Antirhodos, befindet sich ein weiterer königlicher Palast, und mehr nach dem Land zu liegt der königliche Hafen, wo Stufen direkt ins Wasser führen. Ich wohne dort und gehe überall herum, aber es sieht nicht halb so großartig aus, wenn man drinnen ist; vom Meer aus erkennt man erst, was der Architekt im Sinn hatte. Natürlich treffen alle Besucher auf dem Seeweg ein, und darum sind sie genauso überwältigt von diesem Anblick, wie ich es war. Dahinter, auf der rechten Seite, befindet sich das Museum mit seinen Höfen und von Bäumen gesäumten Gehwegen, wo die Philosophen mit ihren Schülern Gespräche führen wie seinerzeit jene großen Athener. Schräg gegenüber liegen, weit ausschwingend und zum Himmel hin offen, das Theater und dahinter die Tempel der Götter, jeder auf seinem kleinen Hügel. Dann kommen die stattlichen Wohngebäude, die Gymnasien, das Forum, die Anlagen und die öffentlichen Gärten und so weiter bis zu den Vierteln der Ausländer, die ihre eigenen Häuser haben; die Stadt ist groß. So groß sie auch ist - ich habe sie fast ganz erkundet; was hatte ich sonst zu tun? Besonders in den Jahren, nachdem Vater seinen Thron wiederbekommen hatte und wir in einer Art von unbehaglichem Frieden lebten. Marcus Antonius ging nach Rom zurück, aber er ließ auf Gabinius Befehl noch mehr römische Söldner da; wir waren in Wirklichkeit Roms Gefangene, auch wenn niemand das sagte. Ich ging oder fuhr nie in die Stadt ohne eine bewaffnete Eskorte von Galliern oder Germanen. Das geschah teils zu meinem Schutz und teils, damit ich keine Anhänger gewann und mich vorzeitig des Throns bemächtigte. Die Römer waren sich alles Alexandrinischen 28
nicht sicher; wir wurden ohne Ausnahme beobachtet und überwacht. Sie hatten natürlich recht; selbst in Friedenszeiten gab es Verschwörungen und Gegenverschwörungen. Die Jungen, meine Brüder, waren zu klein, um zu wissen, was ihr nutricius vorhatte, aber Pothinus hatte überall seine Spione, und Arsinoës Ganymed zettelte mehrere kleine Aufstände an, die freilich nichts brachten. Doch Arsinoë hielt es trotzdem mit ihm, darauf kann man sich verlassen; so jung war sie nicht mehr, fast in meinem Alter, und sie war immer machtgierig. Sie war auch in manch anderer Beziehung gierig und dumm dazu, denn sie gebar ihm ein Kind. Es kam tot zur Welt; sie hatte sich unter den Kleidern straffe Leinwandbänder um den Bauch gewickelt, um es zu verbergen, und es erstickte im Mutterleib. Am Ende wußten es alle, denn sie heulte eine ganze Nacht lang. Vater hatte mit Verspätung auf den guten Namen seiner Tochter achtgegeben, und Ganymed wurde zum Tode verurteilt. Was sollte er tun? Er stritt es ab und sagte, das Kind sei von Marcus Antonius. Arsinoë unterstützte ihn; so dumm, nicht zu merken, daß sie Ganymed brauchte, war sie doch nicht. Man glaubte ihm, und Vater schluckte seinen Zorn hinunter; was vermochte er gegen einen Römer? Außerdem war das Kind tot; die Sache war bald vergessen, und Ganymed schmiedete wieder seine Komplotte. Ich für mein Teil glaube nicht, daß das Kind von Marcus war, obwohl er mit ihr geschäkert hatte; ich kann schließlich zählen. Ich ging überallhin; es war kein Ungemach für mich, meine Wache, die Soldaten, dabeizuhaben, denn diese nördlichen Stämme sind von einer unbefangenen, offenen Freundlichkeit, die man bei anderen Völkern nicht findet. Außerdem lerne ich gern, lerne Sprachen und erfahre von Sitten und Bräuchen, wo ich nur kann; das ist auch eine Art von Reisen. Wir gingen sogar in die Ausländerviertel, Iras, Apollodorus und ich in Begleitung unserer Garde. Ich habe immer gefunden, daß eine Königin ihr Volk kennen soll, auch die Ärmsten ihres Volkes; bei den meisten Herrschern ist das nicht der Fall, und deshalb regieren sie nicht weise. Ich ging nicht mit der Absicht zu ihnen, mich einzuschmeicheln und Anhänger zu gewinnen, aber irgendwie lief es darauf hinaus. Wo immer ich war, erkannte mich jemand, und die Neuigkeit verbreitete sich; ich war hübsch, und sie 29
hielten mich für gut; ich lächelte, und sie hielten mich für freundlich. Ich war nie gut und freundlich in meinem Leben, nur, wenn es mir paßte; in diesem Punkt bin ich wie die meisten Menschen. Ich hatte Glück damit, sooft es mir wirklich gepaßt hat. Alexandria ist eine griechische Stadt; von ein paar Ägyptern abgesehen, nehmen mazedonische Griechen die hohen Posten bei Hofe ein; viele von ihnen sind mit unserem Königshaus verwandt. Aber die Bevölkerung setzt sich aus vielen anderen Nationalitäten zusammen - aus Assyrern und Phöniziern, Italienern, Kretern, Zyprioten, Persern, Juden und Ägyptern; es wimmelt von ihnen in der Stadt, denn sie bilden den Stand der Kaufleute und Handwerker, bieten Waren und Dienstleistungen feil. Größtenteils sind es dunkelhäutige Menschen und von kleiner Statur; wenn ich zu ihnen kam, leicht und hell, mit Iras mit dem Goldhaar und Apollodorus mit dem weißen Haupt und unserem Trupp grobknochiger und mißtönend sprechender Krieger, müssen wir aus gesehen haben, als seien wir vom Himmel gefallen. Diese Völker haben, jedes für sich, eine eigene Sprache, dazu eine Art von Gassenjargon, der allen geläufig ist; ich war stolz darauf, daß ich mit sämtlichen Leuten reden konnte und verstanden wurde. Das war einer der Gründe dafür, daß meine niedrigsten Untertanen mich liebten und mich dann als Göttin grüßten; es war nichts Übermenschliches dabei; ich hatte fleißig gelernt und war überdies begabt für Sprachen. Größtenteils lebten diese vielen Völker ganz friedlich zusammen - wenn man die Juden ausnimmt. Das sind seltsame Leute, stolz und abgesondert; nie heiraten sie Angehörige anderer Stämme, denn ihr Gott verbietet es. Anders als alle sonstigen Religionen beten sie nur einen Gott an und machen sich kein Bildnis von ihm, sondern verehren ihn durch Bücher und Gesetze. Ich war neugierig und las ihre heiligen Schriften in einem Buch, das die Thora heißt, das Werk vieler Propheten und Halbgötter. Aber als ich an einen ihrer Priester herantrat, um darüber zu reden, wie ich es mit allen anderen tun würde, drehte er sich weg, als verbreitete ich einen Pesthauch um mich. Selbst ihre großäuigen Kinder kamen nicht in meine Nähe, sie starrten mich nur an, hinterm Rockzipfel ihrer Mütter versteckt und ohne zu lächeln; mich, die ich ihre Königin sein werde! Diese Erfahrungen haben mich ihnen ein wenig entfremdet; ich habe 30
meine Juden nie verfolgt, wie einige Herrscher es tun, aber ich habe sie auch nie auf hohe Posten berufen. Manchmal gingen wir zum Picknicken außerhalb der Stadttore. Immer heftete sich ein Schwarm von Kindern an unsere Fersen und bettelte um Speisereste. Da gab es zum Beispiel in der näheren Umgebung die kleine Siedlung Eleusis, die eine heilige Quelle und einen kleinen Lorbeerhain mit einem Altar besaß. Der Gott oder die Göttin dieser Stätte war längst verschwunden, der Stein des Götterbildes lag zersplittert am Boden unterm Altar; aber es war ein hübsches Fleckchen Erde, trocken und sonnig; Bienen summten gemächlich in den kleinen wilden Rosen, die sich am Altar hochrankten, und es war ein Teppich aus Gras zum Sitzen da. Oder wir speisten in einem der Parks; es ist schön dort, gepflegte Gärten und riesengroße, schattenspendende Bäume; doch wir waren nie allein, stets versammelte sich eine Menge und sah bei jedem Bissen zu, den wir in den Mund schoben. Ich konnte auch gar nichts essen, denn ich wußte, sie hatten Hunger, und es gab nicht so viel, daß es für alle gereicht hätte. Damals gelobte ich, daß in meiner Stadt niemand Hunger leiden sollte, wenn ich an die Macht käme; ich war fast noch ein Kind und wußte nicht, daß solche Gelöbnisse leichter abgelegt als gehalten werden. Der beste Platz zum Picknicken, mein Lieblingsplatz, lag am Mareotis-See. Dort befand sich ganz dicht beim Wasser eine phönizische Siedlung, eigentlich ein Markt. Sie sind Kaufherren und Händler, die Phönizier, und ein wohlhabendes Volk; in ihrer Gegenwart konnte man schlemmen, ohne sich schuldig zu fühlen, und man konnte auch von ihren seltsamen, wunderbar duftenden Speisen kosten. Wir fuhren immer mit kleinen, stundenweise gemieteten Booten (die natürlich den Phöniziern gehörten) und ruderten mitten auf den See hinaus. Im seichten Wasser wuchsen Schilf und großfächrige Palmen; wir legten unser Essen auf Palmblätter, die wir abrupften und über den Schoß breiteten; es schmeckte köstlich, stets ein wenig feucht von den Palmblättern; und um uns war der herrliche Wohlgeruch von Holz und Pflanzen und Wachstum, und die phönizischen Frauen und Kinder kamen uns nach in ihren Booten, lachten und redeten in einem, streckten die Hand aus, um mich zu berühren, und waren plötzlich scheu. 31
Ich liebte diese lauten, helläugigen Menschen, sie waren so herzlich und freundlich. Ich liebte diese langen, unschuldigen und verträumten Tage; ich wußte, daß sie nicht dauern konnten.
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4 Im Frühling des Jahres, in dem ich achtzehn wurde, starb Vater. Das kam nicht plötzlich; er hatte den ganzen Winter über gehustet - trotzdem rechnet man nie mit dem Tod. Er reißt eine Lücke, selbst wenn jemand wie Vater sie gefüllt hat. Vater hinterließ ein Testament, das in zwei Ausfertigungen geschrieben war. Die eine wurde im Palast verwahrt, versiegelt und bewacht, und die andere hatte man nach Rom geschickt, an Pompejus. Dieser Pompejus war der mächtigste aller Römer nach Julius Cäsar, der fort war, um wieder einmal hilflose Barbaren im nördlichen Gallien zu unterwerfen, oder vielleicht auch in Britannien; ich brings durcheinander. Jedenfalls war dieser Julius für eine Weile von der Bildfläche verschwunden. Vaters Maßnahme war für seine Verhältnisse weise; er bat Rom schriftlich um Schutz für sein Königreich und für seine Erben, und Pompejus war für römische Verhältnisse 33
ein Ehrenmann. In diesem letzten Willen verfügte Vater, daß nach ihm seine älteste Tochter und sein ältester Sohn gemeinsam regieren sollten, und er ersuchte das römische Volk im Namen aller Götter und im Hinblick auf die Verträge, die er mit ihm geschlossen hatte, dafür zu sorgen, daß die testamentarischen Bestimmungen eingehalten würden. Es war das Beste, was er tun konnte, der arme Mann. Ich war die älteste Tochter, und der älteste Sohn war ein zehnjähriger Knabe, mein Bruder Ptolemäus XIII., den wir immer »Maus« nannten, weil er wie ein Mädchen Angst vor Mäusen hatte und auch ein bißchen wie eine Maus aussah. Er war winzig, selbst für seine zehn Jahre, hatte derart blasse Haut, daß man die Adern darunter durchscheinen sah, eine spitze Nase und glattes, seidiges, falbes Haar. Wie ich bereits erwähnt habe, hatten die Pharaonen von Ägypten auf diese Weise gemeinsam regiert; Bruder und Schwester heirateten, um sich als Nachfolger der Bruder-und-Schwester-Gottheiten Osiris und Isis den Thron zu sichern. In unserem Fall kam das wegen des Altersunterschieds nicht in Frage; der Eunuch Pothinus schlug es zwar vor, aber keiner der anderen Hofleute war damit einverstanden. Ich nehme an, als Eunuch fand er nichts dabei, eine erwachsene Frau mit einem Kind zu verheiraten! Pothinus hatte, das sagte ich schon, viel Einfluß auf die beiden Jungen, nachdem er sie gewissermaßen von frühester Kindheit an großgezogen hatte. Nun sind die meisten Eunuchen problemlose Leute, zufrieden damit, sich für die körperlichen Genüsse zu erwärmen, die ihnen geblieben sind, fürs Essen und Trinken und Liegen auf weichen Stühlen; aber Pothinus war anders, habsüchtig und machtgierig. Er sah kaum aus wie ein Eunuch, war eher schlank als fett, allerdings hatte er etwas krankhaft Weiches an sich; er war glatzköpfig und trug Turbane nach östlicher Manier. Ich weiß nichts von seiner Herkunft, aber meiner Meinung nach stammte er möglicherweise von Persern mit der Beimischung irgendeines anderen dunkelhäutigen Volkes ab. Sein Gesicht war fast ausdruckslos, fade, er hatte beinahe verdeckte Augen wie ein Raubvogel; man konnte nie erraten, was er dachte. Auch sein Alter war ein Geheimnis, faltenlos, wie er war; er war einmal Berenices Erzieher gewesen, also mußte er fast so alt sein wie Vater. 34
Pothinus hatte ein Bündnis mit zwei anderen Hofleuten geschlossen, mit Männern, die so unangenehm waren wie er selbst. Der eine war Theodotus, ein Grieche. Er trug den Titel eines königlichen Erziehers, aber er hatte jahrelang, seit der Kindheit meines Vaters, nicht mehr gelehrt. Er bildete sich ein, er sei ein guter Redner, und nahm jede Gelegenheit wahr, um Ansprachen zu halten, die voll von Phrasen und Bombast und mit Zitaten aus den dubioseren Klassikern gespickt waren. Er war langatmig und langweilig und sprach ein schlechtes Griechisch; Iras und ich hatten uns über ihn lustig gemacht, weil wir ihn bloß für einen Dummkopf hielten; das war ein Fehler, denn hinter seiner Dummheit verbarg sich große Verderbtheit. Er sah ganz wie ein Phrasendrescher aus: hochmütig, mit schwachen, wäßrigen Augen; die meisten bei Hofe verehrten ihn, weil sie selbst Dummköpfe waren. Der dritte Mann aus dem Umkreis meines kleinen Königsbruders war der Befehlshaber der königlichen Garde, ein Ägypter mit dem griechischen Namen Achillas. Er, der Soldat, hatte die eunuchenhaften Züge, die bei Pothinus fehlten. Er war fett, dunkelhäutig und ölig, eine ekelhafte Kreatur. Diese drei benutzten den armen kleinen Maus wie eine Puppe; es war schrecklich, wenn man mitanhören mußte, wie er ihre Worte mit seiner piepsigen Kinderstimme wiederholte. Apollodorus war mein Freund und ein weiser und hochgebildeter Lehrer, aber kein Weltmann, und er war auch nur einer; er war diesen drei Aasgeiern nicht gewachsen. Ich mußte allein gegen sie kämpfen. In den Jahren ihrer Macht konnte ich nie frei atmen. Ich sprach kein einziges unüberlegtes Wort und tat keinen einzigen unbedachten Schritt. Stets behielt ich meine Eskorte gallischer Legionäre bei mir, ließ sie sogar vor meiner Zimmertür Aufstellung nehmen, wenn ich schlief. Weil der König noch ein Kind war, fiel der Großteil der formellen Regierungsgeschäfte an mich; aber ich wußte, daß das ein nichtiges Privileg war, wenn ich mich auch einmal in der Woche in schöne, feierliche Gewänder kleidete und auf einem mit Einlegearbeiten aus Elfenbein verzierten Thron saß, um die Klagen meiner Untertanen anzuhören und Urteilssprüche zu fällen. Diese Urteilssprüche wurden gewöhnlich, obwohl ich sie ernst nahm und mir große Mühe gab, von den dreien rückgängig gemacht, die Ägypten in Wirklich35
keit regierten - von Pothinus, Theodotus und Achillas. Ich hatte keine echte Macht, und ich wußte es, denn ich war klug. Das Beste, was man von diesen frühen Jahren sagen kann, ist, daß sie mich Geduld gelehrt haben. Auch wurde der Rückhalt gefestigt, den ich beim Volk hatte; dieses üble Trio konnte nichts tun, um meine Popularität zu untergraben, außer mich schmählich hinrichten zu lassen. Ägypten mußte eine Herrschergestalt haben, die bei den Prozessionen mitzog und bei den Zeremonien im Tempel ihres Amtes waltete, sonst hätte sich das Volk empört. Maus taugte da gar nichts; er war ein Kind und außerdem schüchtern, verkroch sich lieber, stotterte arg und hatte ein dünnes Stimmchen; er mochte sich auch nie in der Öffentlichkeit zeigen und zitterte wie ein Blatt, das gleich abfällt. Wenn ich in Alexandria herumfuhr, bekam ich taube Ohren vor lauter Jubelrufen, und die Menge in den Tempeln warf sich vor mir als ihrer Göttin zu Boden. Sie liebten mich so, wie ich war: machtlos; es reichte nicht, aber es war immerhin etwas. Ich wartete. Das soll nicht heißen, daß ich müßig blieb, während ich zur Königin heranreifte; ich tue immer etwas, das entspricht meiner Natur. Ich lernte gern, wie ich bereits sagte, und die großen Gelehrten an meinem Hof liebten mich dafür. Wie Apollodorus waren sie keine Weltleute und keine Bedrohung für Pothinus und die anderen; ich konnte einen Teil des königlichen Schatzes für Bibliotheken und Schulen und für die Forschung zur Verfügung stellen; unter mir war Alexandria selbst damals auf dem Gebiet der Künste und der Wissenschaften führend in der Welt. Dioscorides, der Arzt, war mein teurer Freund und Lehrer; Sosigenes, der Astronom, und Photinus, der Mathematiker, konnten sich an meinem Hof voll entfalten; junge Scholaren kamen in Scharen zu ihnen, um zu studieren - selbst aus Rom. Ich veranstaltete kleine, private Bankette für sie, für die Lehrer und Schüler; oft redeten wir die ganze Nacht lang, erregt, disputierend, trunken von altem und neuem Wissen, das uns mehr zu Kopf stieg als Wein. Die jungen Römer waren alle in mich verliebt, obwohl Iras hübscher ist; aber ich bin schließlich die Königin. Jeden Tag wurden zu Dutzenden Gedichte auf meine Lippen, mein Haar, meine weiche Haut geschrieben; ich hätte unausstehlich eitel werden können, wenn ich weniger Verstand oder weniger Spiegel besessen hätte. Mein 36
Mund war zwar fein geformt, aber zu groß für mein Gesicht, mein Haar zu dünn, um viel damit anzufangen, und meine Haut zu sommersprossig. Wenigstens hatte ich keine Pickel wie Arsinoë! Gewisse Dinge konnte ich als Königin ändern. Ich hatte jetzt meine eigenen Räume im Palast, die Zimmer, die mein Vater bewohnt hatte; Arsinoë und meine beiden Brüder hatten die ihren; manchmal sahen wir vier vom Königshaus uns von einer Staatsangelegenheit bis zur nächsten nicht; wir waren alle nur froh darum. Natürlich führten meine Brüder unbeschadet dessen, daß sie die Erben von Ägypten waren, ein Kinderleben, und Arsinoë und ich waren uns nie über etwas einig gewesen. Im ganzen Haus gestaltete sich der Ablauf jetzt reibungsloser; ich hatte alle nichtsnutzigen Sklaven durch geschickte Arbeiter ersetzt und Frauen zum Kopfputzmachen, Bereiten von Bädern und Nähen in den Palast geholt. Das wurde als große Neuerung betrachtet, und man mußte die Mädchen alles lehren; vor meiner Zeit hatte man sie für grobe Arbeiten in der Küche und auf dem Hof verwendet. Als persönliches Gefolge suchte ich mir ein paar Mädchen aus guter Familie und mit einer gewissen Bildung; sie erledigten leichte Aufgaben zeremonieller Art, waren aber in Wirklichkeit meine Gefährtinnen. Es machte mir Freude, sie um mich zu haben; außer Iras hatte ich in meinen Kinder- und Jugendjahren keine Vertrauten gehabt. Ich wählte die Wohlgestaltetsten, lauter Griechinnen, wie es sich schickt für unser griechisches Haus; sie waren schön angezogen und hatten gute Manieren, und ich legte Ehre mit ihnen ein. Wenn ich mich nun meinen Untertanen zeigte, war ich eine Blume unter Blumen. Die edlen Mädchen kämpften untereinander um dieses Privileg; nach ihrem eigenen Leben war der Hof ein Abenteuer für sie. Obwohl sie in meinem Haus viel Freiheit hatten, gab es keine Zügellosigkeit; wenn eine ihre Freiheit mißbrauchte, wurde sie fortgeschickt, denn ich wollte keine außerehelichen Bälger haben. Auf diese Weise erwarb ich mir die Hochachtung unserer sämtlichen vornehmen griechischen Familien; wir hatten sie vorher nicht gehabt, seit den Anfangstagen unserer Dynastie nicht. Generationenlang war es am Hof der Ptolemäer schlimmer zugegangen als in einem Bordell, die besseren Aristokraten hatten ihn gemieden; nun herrschte Ordnung, man hielt regelmäßige Zeiten ein und benahm sich anständig. Ich 37
war nicht spröde, wirklich nicht, zumindest glaube ich das, aber Arsinoës mißliche Lage hatte mich sehr vorsichtig gemacht; meine Hofdamen wurden mit Adleraugen beobachtet; was mir entging, sah Apollodorus, denn er hatte nun, da ich erwachsen war, nicht mehr viele Pflichten. Eines meiner Mädchen war die Tochter eines Hofschreibers und kam aus einer alten Familie, die ihre Abstammung auf Philipp von Mazedonien zurückverfolgen konnte. Sie hieß Cleito und war freundlich und fügsam wie ein zahmes Reh - so dachte ich wenigstens. Als wir eines Morgens bei einem zeitigen Mahl saßen, fiel zufällig mein Blick auf sie; sie war blaß wie eine Mandel ohne Haut, und Schweißperlen standen ihr auf dem Gesicht, obwohl es noch früh und noch kühl war. Ich fürchtete, sie litte an einem Fieber, denn hier in Ägypten werden wir ständig von Fiebern heimgesucht, und fragte sie, was ihr fehlte; sie erwiderte, daß sie glaubte, der Fisch sei verdorben. Ich war ein wenig beunruhigt, weil ich meinen ganz aufgegessen und nichts davon bemerkt hatte. »Aber du hast doch deinen Fisch gar nicht angerührt, Cleito«, sagte Iras. Das Mädchen erwiderte nichts darauf, aber sie war grün im Gesicht. Plötzlich beugte sie sich vornüber und erbrach sich, roten Granatapfelsaft und Samenkörner - ein ekelhafter Anblick. Sie war natürlich schwanger, aber erst seit kurzer Zeit, denn man sah noch nichts. Ich war zornig; ihre Familie hatte in Alexandria fast soviel Macht wie die meine und eine lange Geschichte des Zwists mit dem Thron und der Intrigen gegen den Thron. Ich konnte sie in diesem Zustand nicht zu ihrem Vater zurückschicken, wie ich es mit jedem anderen Mädchen gemacht hätte, und sie wollte den Namen ihres Verführers nicht preisgeben. Eine Woche setzte ich sie auf Wasser und Brot; sie war zart und schwach; sie nannte flüsternd den Mann mit Namen, einen der römischen Studenten. »Nun ja, er kommt aus dem Ritterstand«, sagte ich. »Nicht gut genug für dich ... aber egal - du wirst ihn heiraten müssen.« »Er hat eine römische Frau«, erwiderte sie und sah wieder elend aus. »Bei allen Göttern!« rief ich gedämpft. »Du hättest bedenken sollen, was du tust - gab es denn keinen unverheirateten Römer, an 38
den du dich wegwerfen konntest?« Ich war grausam, aber ich konnte nicht anders; ich verachte Dummköpfe. Und natürlich war es mit Sicherheit die Schuld des Mannes; sie war scheu wie ein Vogel. »Hat er dich vergewaltigt?« fragte ich. »Selbst ein Römer kann dafür hingerichtet werden...« »O nein -«, rief sie. »Ich liebe ihn.« »Dann muß er seine Frau verstoßen und dich heiraten«, sagte ich. »Das ist in Rom gang und gäbe.« Ich entsandte meine Gallier, um ihn in Gewahrsam nehmen und in Ketten legen zu lassen. Nach einem Weilchen tat er, was ich ihn hieß. Aber es war eine heikle Sache; er mußte entlohnt werden und seine römische Frau auch. Nach der Geburt des Kindes wurde er nach Rom zurückberufen, und Cleito begleitete ihn. Ich habe nie erfahren, wie es ausging und ob sie zufrieden war mit ihrem Los; aber mit einem Römer - ich hielt es für unwahrscheinlich.
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5 Nach Cleitos Mißgeschick hätte ich gern alle anderen Studenten ihre Sachen packen lassen, aber das war unmöglich. Vater hatte uns für immer an Rom gebunden; man mußte sich damit abfinden. Ich durfte auch nicht vergessen, daß der Thron unter römischer Schutzherrschaft stand; ich durfte die Römer auch nicht mehr offen verachten, wie ich als Mädchen Marcus Antonius verachtet hatte, und ich mußte lernen, mir Rom zunutze zu machen. Die Soldaten des Gabinius, die Marcus hier zurückließ, nachdem er Vater wieder zu seinem Thron verholfen hatte, waren immer noch in Alexandria, ein stehendes Heer, das das unsere verstärkte. Sie waren kaum gebraucht worden; wir lebten seit mehreren Jahren im Frieden. Soldaten, die nichts zu tun haben, werden immer lax; sie exerzierten nie und übten nie und hielten nicht einmal korrekte Zeiten ein, sondern blieben lange nach dem ersten Hahnenschrei noch im Bett und würfelten und tranken die ganze Nacht über. Ich 40
wußte es wohl, denn wir hatten ein Truppenkontingent im Palast; ich hatte oft wachgelegen und den Radau gehört, den sie machten, und ihre rauhen, lauten und weinseligen Stimmen. Es stand nicht in meiner Macht, sie zur Disziplin zu zwingen, sie waren doppelt so viele wie unsere Alexandrier. Ich hatte mich darüber beschwert und Brief um Brief an Gabinius geschrieben; ich erhielt nie eine Antwort, nicht einmal von einem Sekretär. Als zwei Römer in voller Rüstung und mit Purpur angetan einem syrischen Kriegsschiff entstiegen, dachte ich, sie seien gekommen, um sich dieser Sache anzunehmen. Es stellte sich heraus, daß sie überhaupt nichts mit Gabinius zu tun hatten und gekommen waren, um die Soldaten wegzuholen; sie seien ihnen willkommen. Der Gouverneur von Syrien war ein Römer namens Bibulus, der im selben Jahr Konsul gewesen war wie der berühmte Julius Cäsar; diese beiden waren seine Söhne Calpurnius und Titus, und sie wollten römische Legionen zwangsweise für den Feldzug ihres Vaters gegen die Parther verpflichten. Ich hatte Spione in Syrien, aber ich dachte bei mir, ich hätte sie besser ablösen lassen sollen, denn ich hatte von ihnen keinerlei Nachricht über diesen Feldzug gegen die Parther erhalten. Trotzdem war ich eigentlich nicht überrascht; die Römer planen immer irgendwo Krieg. Ich empfing sie höflich, aber ohne großes Zeremoniell; schließlich waren sie gekommen, um zu nehmen, und nicht, um zu geben. Trotzdem weiß man nie, ob die Freundschaft mit Syrien nicht vielleicht irgendwann einmal nützlich ist; ich trug das Schlangendiadem, ließ ein mit Muscheln gefülltes gebratenes Zicklein für sie servieren, eine alexandrinische Spezialität, und bemühte mich, reizend zu sein. Es war nicht schwierig; sie waren sehr provinziell und hatten die Tischmanieren eines syrischen Vorpostens; Titus, der jüngere, war nur ein oder zwei Jahre älter als ich. Sie glotzten mich an, zwei hagere Burschen mit schmalen, zum Verwechseln ähnlichen Gesichtern, die nicht wußten, welches Messer sie nehmen sollten. Calpurnius räusperte sich und verschlang ein Stück Fleisch, das so groß war, daß es ihm die Tränen in die Augen trieb; man konnte sehen, wie es langsam nach unten rutschte - ein widerlicher Anblick. Er sagte: »Das ist wohl die neueste Mode in Rom, wie?« Ich nahm an, er meinte mein Obergewand; es war nach griechi41
scher Manier drapiert, aus ägyptischer Baumwolle und blau. Ich lächelte, bis man meine Grübchen sah, um meine Verachtung zu verbergen. »Ich war nie in Rom«, sagte ich. »Wir auch nicht«, sagte er und schüttelte betrübt den Kopf. »Vater versprichts immer, aber ...« Seine Worte versiegten, er war untröstlich. Sie waren ein trauriges Paar; nur mit Mühe konnte ich das Gespräch einigermaßen in Gang halten. Irgendwie standen wir das Essen durch; alle drei unterdrückten wir unser Gähnen, als die letzte Süßspeise aufgetragen wurde; es war ein langer Tag gewesen. »Gut denn«, meinte ich lächelnd. »Ich darf euch Lebewohl sagen, nachdem ihr eure Geschäfte hier erledigt habt. Ihr segelt morgen mit den Truppen ab, um die ihr batet ...« »Ja, bei Tagesanbruch«, sagte Titus. Sie verbeugten sich und verabschiedeten sich von mir, meinten, sie würden noch in den Quartieren der Soldaten des Gabinius vorbeischauen, bevor sie sich zurückzögen. »Eine Geste des Wohlwollens«, erklärte Calpurnius. »Vater sagt, ein Kommandeur soll seine Leute kennen ...« Ich wünschte ihnen viel Spaß miteinander, den zwei grünen Kommandeuren mit ihren krakeelenden Leuten, aber äußerte es nicht und ging zu Bett. Ich fand nicht viel Ruhe, und sie kamen nicht zu dem Spaß, den ich ihnen gewünscht hatte, denn sie wurden vor Mitternacht bei einem im Rausch begonnenen Streit getötet - beide hinterrücks von römischen Kurzschwertern durchbohrt. Meine Gallier, diejenigen, die auch in diesem Quartier untergebracht sind, hatten die Tat gesehen und führten mir die Mörder vor, deren Handgelenke mit dikkem Seil gefesselt waren. Es waren drei, haarige, ungeschlachte Kerle mit dummen Gesichtern, die nach saurem Wein und Erbrochenem stanken. Ich forderte sie auf, frei heraus zu sprechen, um sich zu retten, doch ich konnte ihre barbarische Sprache nicht verstehen und mußte einen Dolmetscher hinzuziehen; ich kenne die meisten Dialekte, aber das war das erste Mal, daß ich ordinären römischen Gassenjargon hörte. Anscheinend hatten sie an dem Ansinnen der Brüder Anstoß genommen und wollten nicht in einem Krieg kämpfen, über den sie nicht im Bilde waren; sie sagten, sie sprächen für die gesamte Armee des 42
Gabinius. Ich konnte es ihnen nachfühlen; sie hatten ein angenehmes Leben hier im Palast, aber trotzdem waren sie Mörder, egal, wie gereizt oder wie betrunken sie auch sein mochten. Ich überlegte, was ich mit ihnen machen sollte. Nach einigem Nachdenken beschloß ich, sie nach Syrien zu schikken, zu Bibulus, und ihm mitzuteilen, daß das die Mörder seiner Söhne seien, gefaßt dank meiner Tüchtigkeit und Schnelligkeit. Auch die Leichname sandte ich auf der syrischen Galeere mit; ich hatte sie unseren ägyptischen Ärzten übergeben, und sie wurden für die Reise einbalsamiert. Bibulus nahm die sterblichen Überreste seiner Söhne in Empfang, aber die Gefangenen schickte er zurück, ohne ihnen ein Haar zu krümmen, und schrieb dazu in einem Brief, daß in solchen Fällen das Recht, Strafen zu verhängen, allein dem römischen Senat gebühre. Armer sturer Patriot, dachte ich - einst Konsul und jetzt auf einen unbedeutenden Posten abgeschoben, aber trotzdem einem unbegreiflichen, überholten Kodex treu ergeben. Gut, sollte der Senat sie haben! Ich schickte sie in Ketten dem Senat in Rom, dazu die Rechnung für ihren Transport, zahlbar bei ihrer Ankunft. Natürlich bekam ich das Geld nie; ich weiß auch nicht, was mit den Gefangenen geschah; womöglich liegen sie heute noch in Ketten und warten darauf, daß der Senat zusammentritt! Denn der Senat hatte Wichtigeres zu tun, als über das Schicksal dreier gewöhnlicher Schwerverbrecher zu befinden; soviel ich weiß, fiel auch die Auseinandersetzung zwischen den beiden größten Römern nicht in den Zuständigkeitsbereich des Senats, aber sie war gewiß auf der ganzen Welt in aller Munde und in aller Gedanken. Rom war in zwei Fraktionen gespalten, in die des Pompejus und in die des Cäsar. Diese Männer waren so groß geworden, daß in einer Stadt kein Platz mehr für beide war, nicht einmal in Rom. Es würde zum Bürgerkrieg kommen, und zwar bald. Und das mußte sich wohl oder übel auf die ganze Welt auswirken. Ich war inzwischen zur Frau herangereift und besaß eine gewisse Weisheit. Die Welt war römisch, ob es mir nun gefiel oder nicht. Diese zwei, Pompejus und Cäsar, hatten früher mit einem dritten, mit Crassus, ein mächtiges Triumvirat gebildet; nach Crassus Tod erkannten die beiden ehemaligen Freunde plötzlich ihre un43
überbrückbaren Differenzen und begannen, miteinander um die Gunst des römischen Volkes zu wetteifern. All das ist viel zu simpel dargestellt, aber die römische Politik ist verwirrend kompliziert. Rom ist keine Monarchie, sondern eine sogenannte Republik; jede politische Auseinandersetzung, jeder Machtkampf muß so aussehen, als hätte ihn das Volk gewollt, und das Ergebnis muß vom Volk gutgeheißen werden. Es läuft natürlich darauf hinaus, daß jeder die höchste Regierungsgewalt haben möchte, wenn sie auch durch keinen Thron symbolisiert wird. Jeder römische Politiker sehnt sich danach, aber diese zwei haben eine echte Gewinnchance, weil sie große Taten, gute wie böse, vorweisen können. Sie sind beide schon ziemlich ältliche Leute; Cäsar muß mindestens fünfzig sein, und Pompejus ist sechs Jahre älter, trotzdem sind beide hervorragende Feldherren; Cäsar, so wird behauptet, legt am Tag hundert Meilen im Marsch zurück, wenn er sich auf einem Kriegszug befindet. Beide haben sie unglaubliche Siege und gleichermaßen unglaubliche Brutalitäten hinter sich. Zum Beispiel schlug Pompejus den großen Sklavenauf stand nieder, den Spartakus anführte; es war ein ungeheurer Verlust an Eigentum, denn kein Sklave wurde seinem Herrn zurückgegeben; alle wurden gekreuzigt, eine barbarische Hinrichtungsart, die den Römern lieb und wert ist. Es sollen Tausende gewesen sein. Andererseits hat Cäsar eine Million Gallier und Germanen niedergemacht, größtenteils Frauen und Kinder, um seine Eroberungen in Gallien abzusichern. Man könnte zwar sagen, daß Pompejus die zivilisierte Welt vor der Gefahr der Sklavenherrschaft bewahrt hat, aber zu Cäsars Gunsten läßt sich nicht viel vorbringen; nicht die Gallier versuchten über Rom herzufallen, sondern es war genau umgekehrt. Die Lebensläufe dieser beiden sind, wie bei allen hochgestellten Römern, durch Heirat miteinander verflochten. Cäsars zweite Frau (er ist jetzt bei der vierten angelangt) war eine Cousine von Pompejus, und Pompejus letzte und jüngste Frau war Julia, Cäsars einziges Kind. Er war siebenundfünfzig und sie siebzehn; sie starb vor einem Jahr bei einer Entbindung und ist nicht einmal so alt geworden wie ich. Beide Männer waren untröstlich, wenigstens sagte man das, aber das hielt sie nicht lange vom Kriegshandwerk ab; seitdem sind sie ununterbrochen damit beschäftigt. 44
Ich habe das unabweisbare Gefühl, daß Cäsar die Oberhand gewinnen wird; Pompejus hat dem Staat große Summen Geldes gegeben, aber Cäsar hat ihm noch mehr Menschenleben geopfert. Die Römer sind ein junges Volk und lieben Blutgeruch.
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6 Im Jahr darauf verliebte ich mich. Ich kam spät dazu; man hätte mich für eine Vestalin halten können, die durch ein Gelübde gebunden ist, oder für eine Mondjungfrau des Artemiskults, die sich dem Mädchentum verschworen hat. Die Wahrheit ist, daß ich nicht von der Liebe träumte wie andere Mädchen; wenn ich alleine war und mir die Zukunft ausmalte, träumte ich nur davon, eines Tages hier in Alexandria auf dem Thron zu sitzen, aber Thron, Stadt und Königreich waren viel größer als in Wirklichkeit - das Königreich umfaßte die ganze Welt. Der Thron Ägyptens ist seit uralten Zeiten ein Doppelthron, doch die Gestalt, die neben mir saß, war immer nebelhaft; wenn sie ein Gesicht hatte, dann Alexanders Gesicht. Das heißt, das zwillingshafte Gegenstück zu meinem. Die jungen Männer unseres griechischen Hofes waren alle zum stehenden Heer von Alexandria unter Achillas eingezogen; sie ahm46
ten die Römer nach und sprachen schlechtes Latein; ich hielt sie für Flegel. Die römischen Studenten ahmten uns Griechen nach; ich hielt sie für weibisch (was sie natürlich nicht waren; man denke nur an die Misere der armen Cleito!). Ich mochte die Gallier von meiner Garde gern; aber in diesen frühen Tagen hielt ich sie fast für Untermenschen. Wirklich begegnet war ich nur drei Römern, den wenig einnehmenden Söhnen des Bibulus, die ermordet worden waren, und jenem Marcus Antonius, der Arsinoë mir vorgezogen hatte. Ich war nicht auf Gnäus vorbereitet, den Sohn des Pompejus. Gnäus, der Aristokrat; Gnäus, der Athlet, der Gebildete, der Dichter ... Gnäus, das Ebenbild eines Gottes. So kam er mir vor, als ich ihn zum ersten Mal sah, wie er mit zwei anderen lachend an der Reling einer Galeere stand, in der prallen Sonne, denn es war fast Mittag. Er konnte mich nicht sehen, obwohl das Schiff unmittelbar aufs Ufer zuhielt; ich hatte mich in einem Zelt aus gestreifter Leinwand versteckt und blickte durch einen Spalt nach draußen. Vielleicht geschah es mir darum so; zuvor hatte man immer nur mich angeschaut. Ich blickte ihn lange, lange an, erst dann ließ ich Iras auch durch den Spalt nach draußen sehen. Wir hatten hinter dem Zelt gebadet; es stand im Sand, und wir waren gut eingewickelt zum Schutz vor dem Sonnenlicht und ließen unser Haar trocknen. Wir trugen breitkrempige Hüte ohne Deckel und hatten unser Haar durch die Öffnung gezogen und es auseinandergefächert, damit es rasch trocknete und ein wenig von der Sonne gebleicht wurde. Iras hatte das gar nicht nötig, und keine Sonne konnte mein Haar je so golden machen wie das ihre. Ich hatte gedacht, alle Römer seien dunkel, und seine beiden Gefährten hatten auch rabenschwarzes Haar, aber er, der leicht an der Reling des römischen Schiffes lehnte, war blond wie ein Grieche. Es war heiß, und die Tunika, die er trug, ließ Arme und Beine frei. Sie war fast bernsteinfarben getönt, und an seinem Gürtel hing ein blitzender Dolch; auf seinem Kopf konnte ich - wir waren ja nicht weit entfernt - ein dünnes goldenes Diadem erkennen, dunkler als sein Haar, irgendein Adelssymbol, wenn er auch keine Juwelen trug. Er sah aus wie in Gold getaucht; ich hielt es für ein Blendwerk des Lichts, aber er sah immer so aus. 47
Am Abend wurde er mir offiziell im großen Saal vorgestellt; inzwischen hatte ich erfahren, wie er hieß - Gnäus Pompejus - und welchen Rang er bekleidete - den eines Kommandeurs der Zwölften Adriatischen Legion. Er beugte sich über meine Hand; als er aufblickte, begegneten seine Augen den meinen und weiteten sich. Sie waren hell wie der dunstige Himmel in der Regenzeit, mehr grau als blau. Er neigte sich mir zu und sprach mit leiser Stimme. »Ich hatte schon gehört, daß die Ägypter Katzen verehren«, sagte er, und seine Lippen kräuselten sich ein wenig, »aber ich habe nicht gewußt, daß ihre Königin Katzenaugen hat.« Das war eine dreiste Bemerkung - bloß für einen Römer nicht. Ich hielt den Blick auf ihn gerichtet, aber ich zog meine Hand weg, denn sie zitterte. »Die Katzen Ägyptens werden nicht ihrer Augen wegen verehrt«, sagte ich kühl. »Und die Königin Ägyptens auch nicht.« Er lächelte und ließ sehr weiße Zähne sehen; wahrhaftig, seine Schönheit nahm kein Ende. »Verehrt?« fragte er. Die eine Augenbraue stand ein wenig höher als die andere, das war das einzig Seltsame an seinem Gesicht. »Die Königin von Ägypten ist eine Göttin, die auf Erden wandelt«, sagte ich. »Aber du bist doch eine Griechin«, erwiderte er. Er sprach immer noch leise und nur zu mir gewandt, eine weitere Dreistigkeit. »Du bist eine Griechin und hast Alexanders Blut in den Adern. Wir sind verwandt, du und ich. Bin ich denn nun auch ein Gott?« Mein Herz machte einen kleinen Sprung, aber ich sagte beherrscht und achselzuckend: »Philipp von Mazedonien hatte viele uneheliche Kinder ...« »Ich komme von der weiblichen Seite her ... meine Mutter stammt in direkter Linie von Olympias von Epirus ab.« »Von Alexanders Mutter«, sagte ich. Kein Wunder, daß er griechisch aussah! »Nun weißt du also, daß ich auch ein wenig Göttlichkeit für mich beanspruchen kann ... Olympias zählte Achill zu ihren Vorfahren.« Ich war sehr betroffen, aber ich glaube, ich ließ es mir nicht anmerken. Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie Alexander zu sei48
nem Anspruch auf Göttlichkeit gekommen war. Natürlich war all das recht albern in einer Zeit wie der unseren; wir wissen mittlerweile, daß die Göttergeschichten nur Märchen sind. Trotzdem hat man gern die richtige Abstammung - für alle Fälle. Ich zuckte wieder die Achseln und fragte mit etwas erhobener Stimme: »Und deine Mutter?« »Sie hatte einen römischen Namen - Mucia. Aber ihre Familie war durch und durch griechisch. Mein Vater hat sie wegen ihrer Abstammung geheiratet.« Er lachte. »Aber man siehts nur bei mir ... Meine Brüder und Schwestern sind alle richtige kleine Römer.« Ich hatte gehört, was man über seine Mutter klatschte; bei ihm in der Familie und bei allen Römern ging es so lasterhaft zu wie in der meinen. Anstandshalber setzte ich das Gespräch nicht fort; außerdem hatten wir schon zu lange geredet; um uns herrschte betretenes Schweigen. Ich bedeutete ihm mit einem Wink, links von mir Platz zu nehmen. Mein Bruder Ptolemäus saß zu meiner Rechten, denn man betrachtete dies als Staatsangelegenheit; neben ihm saß Pothinus, und neben Pothinus saß Theodotus, der Rhetor. Ich seufzte, weil ich an all die Reden dachte, die noch kommen würden, und gab mit einem Zeichen zu verstehen, daß das Mahl beginnen sollte. Wenigstens, so dachte ich, können wir den ersten Gang und ein bißchen Wein zu uns nehmen, um uns zu stärken, bevor Theodotus anfängt! Eine Platte mit Neunaugen wurde vor uns hingestellt, dazu Wein. Ich hob mein Glas und trank, damit die anderen es mir nachtun konnten; außerdem brauchte ich ihn, denn mein Mund war trokken. Ich sah, daß Gnäus die ekelhaften Neunaugen auch nicht anrührte. Flüsternd sagte ich: »Danach gibts Muscheln.« »Ich hoffte es«, flüsterte er zurück. Ich warf ihm einen Seitenblick zu und lächelte. »Ich warne dich«, flüsterte ich. »Ägyptische Bankette dauern ewig.« »Römische auch«, sagte er. »Das ist wohl auf der ganzen Welt dasselbe.« Theodotus erhob sich und begann mit einer langen, weitschweifigen Rede über Pompejus Karriere; sie war durchaus nicht uninteressant, diese Karriere, aber er sorgte dafür, daß es sich so anhörte. Er war noch nicht zum Kernpunkt gekommen, der natürlich darin 49
bestand, Pompejus Sohn zu begrüßen, als die Muscheln aufgetragen wurden. Gnäus Pompejus beugte sich zu mir. »Darf man essen, während er ...?« »Die Königin tuts jedenfalls«, sagte ich und nahm eine Muschel aus ihrer Schale. Ich hatte noch nie ein angenehmeres Bankett erlebt; die Königin hatte es nie gewagt, unverblümt unhöflich gegen diesen Langeweiler, gegen diesen Theodotus zu sein. Nun fragte ich mich, warum nicht, denn es ging so leicht wie das Atmen. Als er seine Rede endlich beschloß, regte sich dünner Applaus, und ich hörte Gnäus Pompejus Namen. Er stand auf. Wir waren beim Lamm angelangt, das immer ein bißchen fett ist; er ließ die Gesellschaft warten und tauchte noch schnell die Hände in die Fingerschale, die vor ihm stand. Dann erhob er sich lächelnd und leicht und machte dem Rhetor ein lässiges Kompliment, deutete ein Beifallklatschen an, damit Theodotus mehr Applaus gespendet wurde. Als das vorbei war, richtete er das Wort der Reihe nach an jeden Würdenträger und beschloß seine Ansprache, zu meinem Pharaonenbruder gewandt, mit einer schwülstigen Phrase und einer tiefen Verbeugung. Als er sich zu mir drehte, legte er die Hand aufs Herz. Er sagte wenig, erklärte nicht recht, was er wollte, meinte nur, es hätte etwas mit den Legionen des Gabinius zu tun und mit Rom. Es gab mir einen Stich; ich dachte an jenes andere Vorhaben mit diesen Legionen. Meine Stimme klang heiser, als ich sagte, man möge es sich bequem machen. Niemand außer mir schien es bemerkt zu haben; es entstand eine allgemeine Bewegung, als die Gäste sich erhoben, um sich die Beine zu vertreten und sich im ganzen Raum gruppenweise zusammenzustellen, während die Sklaven die Prunksessel fortschafften und Liegen hereintrugen, bevor der letzte Gang und die Dessertweine serviert wurden. Gnäus ging mit mir zu dem großen Fenster, von dem aus man den Garten überblickte; es stand offen, damit die Abendluft hereindringen konnte, und eine leichte Brise bauschte die Vorhänge. »Würdest du ein Stückchen mit mir laufen, edle Kleopatra?« fragte er. »Es sieht so aus, als sei es kühl im Garten ...« Ich warf einen Blick über die Schulter. Zwischen den hin und her eilenden Sklaven sah ich 50
flüchtig Pothinus, der die Augen mit den schweren Lidern starr auf Gnäus gerichtet hielt. Als wir außer Hörweite waren, sagte ich ein wenig atemlos: »Ich bitte dich - liefere dich nicht diesen Legionen aus - du weißt nicht -« »Doch«, erwiderte er grimmig lächelnd. »Ich kenne das Schicksal der Söhne des Bibulus. Ich weiß, wie lax Soldaten werden ohne Disziplin - besonders Söldner. Aber was ich ihnen mitzuteilen habe, wird ihnen besser gefallen ... Ich bin gekommen, um sie für meinen Vater anzuwerben - gegen Julius Cäsar.« »Ich glaube«, sagte ich langsam, »ich glaube, das wird ihnen ganz und gar nicht gefallen ... es geht ihnen gut hier in Alexandria. Warum sollten sie im Dienste eines Römers gegen einen anderen Römer kämpfen? Ist dieser Julius denn so verhaßt?« »Keineswegs!« sagte er. »Er ist der Liebling der Soldaten - überall ... mögen die Götter wissen, warum! Trotzdem werden sie mit mir kommen. Einige zumindest. Vater hat mir die Vollmacht erteilt, jedem, der seinem Banner folgt, das Bürgerrecht zu versprechen.« Ich sah ihn mit großen Augen an. »Und was kümmert das die Leute?« Sein Lächeln erstarb. »Ich wüßte keinen Soldaten, der nicht seinen rechten Arm um das römische Bürgerrecht geben würde!« Ich biß mir auf die Lippe; diese Römer sind wirklich alle gleich, ob mit oder ohne griechische Mutter! Ich fragte sanft: »Und was ist, wenn er nicht siegt - dein Vater?« »Nun, das Leben ist nun mal ein Glücksspiel ... Und alle spielen. Außerdem wird er siegen.« Ich erwiderte nichts, ich wollte ihn nicht kränken. Wir gingen schweigend zurück; ich wünschte nicht, daß man unserer Abwesenheit wegen fragend die Brauen hob. »Schön«, sagte ich, bevor wir am Eingang zum Saal angelangt waren, »vielleicht gehts so aus, wie du meinst. Solange du eine Menge Wachen um dich hast ...« »O nein!« widersprach er. »Die Leute würden eine solche Machtdemonstration gar nicht schätzen.« Ich nahm seine Hand, unbekümmert darum, ob die im Saal es sahen oder nicht. »Schau«, flüsterte ich. »Du kennst Pothinus nicht. Er ist durchaus dazu imstande, seine Leute unter die Soldaten ein51
zuschmuggeln - damit sie dir etwas antun ... er ist machtgierig. Ich glaube, daß er irgendwie in den Mord an Bibulus Söhne verwickelt war, obwohl ich keinen Beweis dafür habe ...« Seine Augen verengten sich. »Ja«, sagte er langsam. »Das glaubt mein Vater auch. Der kleine Ptolemäus - dein Bruder - kann man ihn alleine sprechen?« »Schon«, meinte ich ein wenig stirnrunzelnd. »Er geht gern zum Angeln ...« »Gut«, sagte er. »Richte das für morgen ein.« »Ich werde auch mitkommen müssen«, erwiderte ich. »Und meine Eskorte, meine Gallier ...« »Damit hatte ich fest gerechnet«, sagte er und lächelte mich strahlend an. Ich spürte, wie ich rot wurde, und nickte. Dann ging ich nach drinnen, verabschiedete mich von ihm und nahm neben Iras auf einer niedrigen Liege Platz. Ihre Augen waren sehr hell, und in beiden stand eine Frage. Dies eine Mal erzählte ich ihr nichts und redete von anderen Dingen.
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7 Die beste Zeit zum Angeln ist der frühe Morgen und der beste Platz der Mareotis-See. Unser kleiner Maus war ganz fiebrig vor Aufregung, denn der goldene Römer hatte ihm ebenso Eindruck gemacht wie seiner Königsschwester. Er weckte mich, als es noch dunkel war; ich war verärgert, denn zu dieser Stunde stehen nicht einmal die Götter auf; außerdem hatte ich mich in der Nacht lange unruhig im Bett gewälzt, bevor ich endlich einschlafen konnte. »Wenn du schon mal da bist«, sagte ich und rieb mir die Augen, »dann laß uns wenigstens ein bißchen was frühstücken.« Und ich schickte Iras, die auch gähnte, in die Küche. Sie brachte eine Melone mit und Brot vom Abend zuvor, dazu Honig und Wein. Mein Bruder schüttelte den Kopf. »Ich hab keinen Hunger.« »Das ist nichts Neues«, sagte ich und biß in einen Melonenschnitz. »Mögen die Götter wissen, wie du auch nur bis zu dieser Größe gewachsen bist -« Ich betrachtete ihn kurz und stellte fest, daß er in 53
diesem letzten Jahr tatsächlich gewachsen war. Er war jetzt so groß wie Iras, aber immer noch spindeldürr wie ein Wurm. Armer Maus, dachte ich, du gibst nicht viel her als Pharao, nicht einmal für die Verhältnisse unseres dekadenten Hauses. Seine Nase war spitzer denn je, und er hatte die aufreizende Angewohnheit, jede Sekunde die Augen halb zuzukneifen. Vielleicht stimmte etwas nicht mit seinen Augen; ich mußte einmal mit den Ärzten reden. Pothinus überwachte und dirigierte ihn zwar, aber er kümmerte sich im eigentlichen Sinne wenig um den Jungen. Ich hatte die Melone aufgegessen und nahm mir ein Stück Brot. »Ach, Kleopatra«, jammerte er. Ich holte aus, als wollte ich ihm eine Ohrfeige geben, und schaute finster drein; ich hatte es als Spaß gemeint, aber er krümmte sich zusammen wie ein Köter, den man getreten hat. Es juckte mich in der Hand; fast hätte ich ihm wirklich eine geschmiert, aber ich fragte nur: »Was ist los mit dir? Wann hab ich dich je geschlagen?« »Oft«, sagte er und nickte weise. »Bevor du Königin geworden bist.« Ich hörte auf zu kauen und dachte nach. »Nie«, sagte ich. »Du meinst wohl Arsinoë.« »Ach die«, sagte er. »Die zählt doch nicht.« Das stimmte allerdings. Ich schaute ihn wieder an; ich fand, er sah lustig aus - wie eine Katze, die viel geronnene Ziegenmilch geleckt hat. »Hat Pothinus irgendwas über Arsinoë gesagt?« Nun sah er plötzlich nicht mehr lustig aus, nur noch dumm wie eh und je. »Nein ... bloß daß ich mich wie ein König verhalten soll, denn ich bin ja jetzt einer.« »Na schön«, sagte ich. »Aber auch ein König muß was essen. Und bevor dus nicht tust, gehen wir nicht.« Ich schob ihm den Teller hin. »Ich ziehe mich jetzt an«, sagte ich. Dann ging ich in den kleinen Ankleideraum und bedeutete Iras mit einem Kopfnicken, sie möge mir folgen und mir helfen. Als ich aus meinem Nachthemd schlüpfte, rief ich ihm zu: »Und kipp den Teller nicht zum Fenster raus - ich merke das nämlich!« »Du kannst scheints durch Wände gucken«, sagte er mit mürrischer Stimme. »Ja.« Danach trat Schweigen ein, und als ich wieder ins Zimmer 54
kam, sah ich, daß nicht mehr viel auf dem Teller lag und daß er Brotkrumen um den Mund hatte. »Kann ich jetzt meinen Wein kriegen?« Seine Stimme klang verdrossen. »Ich schenk dir ein«, sagte ich und griff nach einem kleinen Glas. Er wurde kurz gehalten, damit er nicht so anfing wie Vater. Ich gab ihm das Glas. Er betrachtete es finster und trank es auf einen Zug aus. »Wenns Wein gibt, wirst du plötzlich zum Gierhals«, sagte ich. »Also, gehn wir.« Es war schon so hell, daß man die Kerzen ausblasen konnte; die Dämmerung war gekommen und gegangen, während wir uns gezankt hatten; ich fand es jammerschade, sie versäumt zu haben, und war wieder verärgert. »Nun mach schon, du Dummerchen«, sagte ich und puffte ihn. »Du willst doch nicht so losziehen?« fragte er und starrte mich an. Meine Beine waren nackt unter einer kurzen Knabentunika, und ich hatte die Haare hinten zusammengebunden, damit der Wind sie nicht zerzauste. »Soll ich zum Angeln vielleicht ein Prunkgewand anziehen?« Er grinste. »Er wird nicht viel von dir halten, der Römer.« Ich zuckte die Schultern. Trotzdem beschlich mich plötzlich ein leiser Zweifel. Ich hatte gedacht, die Tunika stünde mir, denn ich war ja schlank. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Gnäus Pompejus, frisch rasiert und strahlend, richtete sich von dem Angelzeug auf, das er gerade in einem kleinen Tornister verstaute. »Du siehst großartig aus - wie Diana! Fehlen nur noch Pfeil und Bogen ...« Wir hatten uns an dem Ort getroffen, den ich mit ihm ausgemacht hatte, auf einem kleinen Hof, der nicht nach dem Meer, sondern nach der Stadt zu gelegen war. »Wir habens nicht sehr weit zum Angeln«, sagte ich. »Wenn wir mit dem Wagen fahren, wacht die ganze Stadt auf ... macht es dir was aus, wenn wir laufen? Xeno wird unsere Sachen tragen ...« Xeno war ein nubischer Sklave, ein kräftiger Mann mit blauschwarz schimmernder Haut, mit freundlichen Augen und der Körperhaltung eines Imperators; sein sanfter Schritt hatte das Leben 55
im königlichen Kinderzimmer begleitet, solange ich denken konnte. Er, meine Gallier und Ptolemäus Eskorte bildeten unsere Gruppe; trotzdem waren es nicht viel Leute für königliche Verhältnisse. Apollodorus begleitete uns nicht, Iras auch nicht, obwohl ich wußte, daß sie hatte mitkommen wollen; wir würden auch so schon ein recht großes Boot mieten müssen. Außerdem war sie zu hübsch. Es war ein seltsames Gefühl, zu so früher Stunde draußen zu sein; leise und einsam hallte der Tritt unserer Sandalen in den leeren Straßen; die Türen und Häuserecken schienen auf uns zu warten und zuzuschauen, wie wir vorbeigingen. Erst in der Straße der Weber trafen wir Leute, die schon auf waren; ich wußte, daß die Webstühle die ganze Nacht über ratterten, denn wenn ich schlaflos lag, hörte ich sie hinterm Schwappen der Wellen. Eine neue Schicht von Arbeitern nahm gerade ihre Plätze ein, machte sich ans Werk, knüpfte Leinwandfäden zusammen; einige hatten ihr Frühstück mitgebracht, das in geöltes Papier eingewickelt war; es roch streng nach Dörrfisch und herbem, bitterem Wein. Gnäus drehte sich nach mir um. Er ging neben meinem Bruder her. »Eure Stadt gefällt mir ausnehmend gut«, sagte er. Ich wußte, daß er es ehrlich meinte, denn in seinen Augen tanzte es lebhaft. »Du hast kaum etwas gesehen«, antwortete ich. »Die Stadt schläft noch, und wir sind eine Abkürzung gegangen. Warte.« Ich versuchte, alles wahrzunehmen wie er, wie ein Fremder: die gewebten Stoffe mit ihren hellen Farben, das leise, unverständliche Stimmengemurmel, das man noch gar nicht richtig hörte, den kurzen Blick auf die Straße der Töpfer, runde Formen und das Surren der ersten Töpferscheibe, und dahinter der Markt, auf dem es wunderbar nach gebratenem Fisch und frischem, warmem Brot duftete. Die Marktstraße befand sich im phönizischen Viertel; hier war die Stadt glockenwach; diese Leute sind immer als erste auf, um das Geschäft mit dem Frühstück nicht zu versäumen. Sie sind klein, dunkel und lebhaft, haben kluge Augen und reden mit den Händen; man könnte meinen, daß sie überhaupt nie schlafen! Am Obststand machte ich der Händlerin mit den runden Armen gegenüber eine verneinende Kopfbewegung, gab ihr zu verstehen, daß ich nicht wollte, daß die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt wurde; nachdem sie Gnäus von oben bis unten gemustert hatte, 56
zwinkerte sie mir langsam mit großer Gebärde zu. Ich errötete; ich wünschte nur nicht, daß man sich vor mir verneigte, aber wie sollte ich ihr das erklären? Ich zog schnell Maus an den Obststand und sagte ihm, er sollte wählen. »Das ist dein Pharao«, zischte ich der Frau zu, »aber behalts für dich.« Ich hoffte, das würde die Dinge klarstellen; zumindest würde diesen Geiern bei Hofe kein Straßenklatsch zu Ohren kommen! Ich sah, daß Gnäus mit lebhaftem Interesse um sich blickte. Laufburschen von den Schiffen, die im Hafen lagen, feilschten ums Frühstück und kehrten mit warmem Brot und geräuchertem Fisch und dampfendem Fleisch zu ihren Kameraden zurück. Einer verlor das Tablett, das er auf dem Kopf trug - er stieß mit einem der Kinder zusammen, die hier scharenweise auf Kniehöhe hin und her liefen; das ganze Essen fiel in den Staub, und die Kinder klaubten es schnell auf und rannten davon. Natürlich kam es daraufhin zu einem Wortwechsel; ich warf einen römischen Denar auf einen der Ladentische und sagte: »Teilt das Geld gerecht auf - nennts meinetwegen ein Geschenk vom Staat, aber schweigt darüber ...« Ich wandte mich meinem Bruder zu, der wie üblich herumtrödelte. »Beeil dich, Maus ... nun entschließ dich mal ...« Er wurde nervös und kaufte zu guter Letzt alle Früchte, die der Obststand zu bieten hatte; ich schnalzte ungeduldig mit der Zunge. Gnäus lächelte. »Ich kümmere mich um den Rest«, sagte er. »Wir müssen von allem haben. Diese fremdartigen Sachen riechen köstlich.« Im Nu war der arme Xeno mit Essen beladen; wir würden nie alles schaffen. Gnäus legte noch einen Denar auf den Tisch; der ganze Markt konnte heute dank unserer Freigiebigkeit zumachen! Es war nur ein Katzensprung von dort bis zum Seeufer. Ich war jetzt froh, daß wir uns früh auf den Weg gemacht hatten, denn die Stadt erwachte allmählich wirklich. Freigelassene tauchten aus ihren Unterkünften auf. Sie trugen ihr zusammengerolltes Bettzeug bei sich, machten an den Ständen halt, um Wein zu trinken und schnell eine Kleinigkeit zu essen, bevor sie an ihr Tagwerk gingen. Gnäus blieb sofort stehen, starrte einem von ihnen nach, rieb sich das Kinn und blickte verwirrt drein. »So viele Teppichverkäufer«, meinte er. »Ist das das wichtigste Gewerbe hier in Alexandria?« Ich lachte. »Das sind keine Teppichverkäufer«, sagte ich. »Ihr Vier57
tel ist woanders. Aber die meisten Alexandrier transportieren auf diese Weise ihre Habe - in einem Teppich... auf dem Teppich schlafen sie.« »Aber warum schleppen sie ihre Sachen mit sich herum? Warum lassen sie sie nicht zu Hause?« »Nun«, sagte ich geduldig, »die meisten dieser Leute haben keinen festen Wohnsitz, sondern betten sich, wies gerade kommt, manchmal jede Nacht in einem anderen Haus. Sie mieten sich bei Familien ein ... das macht ihnen keine weiteren Umstände ... und die Familien verdienen dran. Und diejenigen, die für eine Woche oder einen Monat im voraus bezahlt haben - na ja, es ist riskant, Wertsachen einfach herumliegen zu lassen, denn die Türen sind nicht gesichert ...« »Aha«, sagte er. »Dann ist es hier nicht viel anders als in Rom. Wir haben natürlich Aufsichtspersonen, die sich mit Raub und Streitereien befassen ...« »Hier bin ich die Aufsichtsperson«, erwiderte ich und blickte so hochmütig drein, wie ich nur konnte. Ich glaube, in seinen Mundwinkeln zuckte es, aber er sagte nichts mehr; es war ja auch wirklich eine traurige Pflicht für eine Königin! Ein Brocken von Kerl kreuzte unseren Weg. Über der Schulter trug er einen großen Teppich, der fest mit einem Seil verschnürt war. Gnäus lachte und sagte: »Der könnte das Bettzeug für eine vielköpfige Familie schleppen - oder vielleicht schmuggelt er einen Spion! In seinem Teppich hat auch ein ausgewachsener Mann noch gut Platz ...« Das stimmte, aber es steckte natürlich niemand drin; man konnte durchs offene Ende des Teppichs das Leintuch und die Decken sehen; ich überzeugte mich davon - für alle Fälle. Ich merkte, daß es Gnäus aufgefallen war. Er lächelte mich an. »Na ja«, sagte ich. »Man weiß nie ... Pothinus könnte durchaus ...« »Das erinnert mich an was«, erwiderte er. »Ich muß die entzükkende Königin von Ägypten um ihres weniger entzückenden Bruders willen vernachlässigen. Ein politisches Problem ... verzeih mir im voraus.« Es stimmte mit der Vernachlässigung; nachdem wir unser Boot gemietet hatten und auf den See hinausgefahren waren, blieb ich 58
allein, während er bei Maus saß. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt, und Gnäus Hände waren emsig mit ihren Angelruten und leinen zugange. Ich hörte Maus wieder und wieder lachen, ein zufriedenes Lachen; ich hatte es selten gehört von diesem grämlichen Jungen. Es waren natürlich dick aufgetragene Schmeicheleien, und es wunderte mich, daß Maus das nicht durchschaute; er durchschaute es tatsächlich nicht, er war nicht eben der Klügste, mochte er nun Pharao sein oder nicht. Wir hatten uns schließlich dafür entschieden, nur Xeno mit ins Boot zu nehmen und die Soldaten der Eskorte am Ufer zurückzulassen; schließlich konnte man uns klar und deutlich sehen, wir waren das einzige Boot, es war kein Feiertag. Während das seltsame Paar, der eine golden und der andere farblos, auf der einen Seite saß und im Flüsterton harte Männergespräche führte oder was man so nennt, rekelte ich mich unterm Baldachin auf den Kissen und zog träge die Hand durchs kühle Wasser; Xeno fing mit meiner Angel einen Eimer Fische zu ihren drei Stück dazu; sie waren natürlich viel zu laut. Nach einer Weile bereute ich, daß ich Iras nicht mitgenommen hatte; dann hätte ich wenigstens ein bißchen Gesellschaft und Unterhaltung gehabt! Die Sonne stieg und schien prall auf uns herab; schließlich mußten sie aufgeben und unter den Baldachin schlüpfen, in den Schatten. Ich sah mit einem bißchen Gehässigkeit, daß die schneeweiße Tunika des Römers da, wo sie die Haut berührte, dunkel von Schweiß war. Ptolemäus hatte natürlich einen Sonnenbrand und würde sich bald schälen, denn er hatte Gnäus nachgeahmt und seinen großen Strohhut nicht aufgesetzt. »Oh, habt ihr viele gefangen!« rief der Römer. »Aber meine sind größer«, sagte Ptolemäus. Es stimmte zwar gar nicht, aber wir schwiegen. »Obwohl wir Geheimnisse besprochen haben«, schloß Ptolemäus eingebildet. Gnäus zwinkerte mir zu; ich schlug die Augen nieder und versuchte, nicht zu lächeln. Ich hatte Xeno gesagt, er möge das Essen aufdecken und Wein und Bier einschenken; er stand am Tisch und befächelte uns mit einem großen Palmblatt, um die herumschwirrenden Schmeißfliegen fernzuhalten. Sie waren eine wirkliche Plage auf den Binnengewässern, stiegen in Wolken auf, waren nicht wegzukriegen und trie59
ben einen fast zum Wahnsinn. Plötzlich beugte sich Gnäus nieder und griff sich einen noch zappelnden Fisch aus dem Eimer; sein sanftes Gesicht war angespannt von einem kleinen Zorn, und das Messer von seinem Gürtel blitzte auf, als er den Fisch aufschlitzte und über Bord warf. Er landete ein paar Meter weit entfernt, man sah kurz die Eingeweide - wie ein Nest von silbrigen Würmern -, und dann war alles schwarz von Schmeißfliegen. »So machen wirs bei unseren Feldzügen«, sagte er und zeigte seine weißen Zähne. »Das ist ein römischer Trick«, meinte ich, denn der Anblick hatte mich angeekelt. »Egal«, sagte er achselzuckend. »Es hilft.« Und das tat es auch; die Fliegen waren verschwunden. Ich bedeutete Xeno, er könne den Fächer aus der Hand legen und etwas zu sich nehmen. Ptolemäus aß, ohne daß man ihn drängen mußte, ich hatte das noch nie erlebt; doch er trank dazu, um es hinunterzuspülen, Wein und Bier durcheinander und ohne Wasser, und schlief ein. Ich war froh, denn jetzt nahm ich seinen Platz ein und erhielt eine Lektion im Angeln auf römische Art. Freilich fing ich wenig Fische, aber ich lernte, wie man richtig mit der Rute umgeht, lernte es Hand an Hand, fest und führend, und Haut an Haut, sich streifend und wie Feuer. Er erzählte mir, daß er Ptolemäus als Geisel mit ins Lager der Truppen des Gabinius nehmen und ihn dort festhalten würde. Ich erwiderte, das sei ein geschickter Schachzug; der Eunuch Pothinus werde es nicht wagen, etwas zu unternehmen, was Ptolemäus schaden könne, denn er brauche ihn als Werkzeug. Wir unterhielten uns leise auf lateinisch; es ist eine kalte Sprache, so recht geeignet für Gesetze und Intrigen; über unsere Worte hinweg redeten Augen und Hände die stürmischere Sprache der Liebe.
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8 Ptolemäus begleitete Pompejus Sohn entzückt auf seiner Mission bei den Soldaten; Gnäus hatte Erfolg, und vielleicht hätte man den kleinen Maus gar nicht gebraucht. Nach dem zu schließen, was man mir berichtete, behandelten diese rauhen Truppen meinen Bruder wie eine Art Maskottchen, das heißt mit einer Mischung aus Spott und Nachsicht. Er merkte es natürlich nicht, sondern hielt sich sozusagen für einen Zenturio honoris causa und tat danach recht eingebildet. Er rühmte sich seiner Männerfreundschaft mit dem schönen Römer; es war schwierig, ihn loszuwerden, denn Winke verstand er grundsätzlich nicht. Gnäus und ich waren zu komplizierten Machenschaften gezwungen, wenn wir ein bißchen allein sein wollten. Die Soldaten des Gabinius wurden dazu ermuntert, Gnäus zu folgen; fünfhundert Freiwillige meldeten sich, fast die Hälfte der Garnison, und man versprach ihm außerdem fünfzig Kriegsschiffe. 61
Er verbrachte viel Zeit bei diesen Legionen, wartete darauf, daß die Schiffe ausgerüstet wurden und überwachte im Hafen den Fortgang der Arbeiten. Oft begleitete ich ihn; es war faszinierend zu sehen, wie die großen Rammsporne und Katapulte angebracht wurden und wie die Ruderreihen sich hoben. Es waren meistenteils Galeeren mit drei Decks für die Ruderer, aber die größeren Schiffe hatten der Geschwindigkeit wegen noch ein oder zwei zusätzliche Decks. Diese Plätze nähmen heutzutage Sklaven ein, erklärte er, weil die Seeleute eine solche Arbeit von sich wiesen; wenn ein Schiff mit irgend etwas kollidiere, bedeute das für die auf engstem Raum zusammengepferchten Ruderer den Tod. »Sklaven sind entbehrlich«, sagte er. Ein typisch römischer Gedanke, denn Sklaven sind gewiß der Reichtum des Landes - man sollte sich schon mehr für sie interessieren. Ich sagte das mit einer gewissen Verachtung und mit einem gewissen Überlegenheitsgefühl. Man erwartet von Rom natürlich nichts anderes als Brutalität - das äußerte ich allerdings nicht. Aber ich schloß: »Es ist gewiß nicht vernünftig, sein Eigentum so in Gefahr zu bringen ...« »Ach«, sagte er, »das sind doch rechtskräftig verurteilte Verbrecher ... Staatseigentum wohl, ja. Und sie müssen immerhin ernährt und eingekleidet werden ...« Ich sagte nichts; die armen Teufel, die ich gesehen hatte, trugen einen schmutzigen Lappen um die Lenden und darüber stachen in knochigem Bogen ihre Rippen hervor. »Das ist ein weiteres Zeichen des Fortschritts«, meinte er. »Ein anderes, weniger humanes Land würde seine Schwerverbrecher töten lassen -« »Und Rom läßt sie nur arbeiten«, sagte ich nachdrücklich. »Ja Fortschritt. Ich verstehe.« Er blickte mich scharf an, erwiderte aber nichts. Ich führte den Gedanken nicht weiter; er würde die Dinge nie so sehen wie ich, das vermochte kein Römer. Außerdem wollte ich nicht mit ihm streiten, auf keinen Fall! Es war schwierig, uns allein zu treffen, aber mit Hilfe von Iras schafften wir es; mein Liebesabenteuer erregte sie, und ich wußte, daß sie treu bis in den Tod war. Spät in der Nacht, wenn das ganze Haus schlief, öffnete sie ihm meine Zimmertür und blieb auf, um Wache zu halten wie eine Soldatin im Dienst der Liebe. Obwohl wir 62
uns bis zum Morgengrauen küßten und liebkosten, alle möglichen Liebeszeichen von Körper zu Körper austauschten, bewahrte ich mir meine Jungfräulichkeit. Selbst bei einer Sklavin erhöht sie den Preis; für ein hochgeborenes Mädchen ist sie ein unschätzbarer Vorzug beim Handel um Macht; aber für eine Königin bedeutet sie noch mehr. Sie ist eine Waffe. Er begriff das genausogut wie ich; was politischen Scharfsinn angeht, war er mir fast ebenbürtig. Wir sprachen vom Heiraten - sprachen nüchtern davon nach den Entzükkungen der Nacht. Ich glaubte, wir würden gut miteinander auskommen können und gut zusammenpassen; seine Abstammung war, wenn schon nicht königlich, so doch genauso vornehm wie die meine. Er sagte - und blickte dabei weiser drein, als es seiner Jugend gemäß war -, alles hinge vom Ergebnis des Bürgerkrieges ab. Wenn sein Vater siegte - und ich merkte, daß er sich dessen längst nicht so sicher war, wie er anfangs behauptet hatte -, ließe es sich vielleicht einrichten; Pompejus werde nichts dagegen einzuwenden haben, seinen Sohn auf dem Doppelthron von Ägypten zu wissen - wer auch? Und diese Verbindung würde mich stärken, ich würde mich besser gegen meine Brüder und meine Schwester und deren Anhang behaupten können. Rom würde auch nicht die Stirn darüber runzeln; diese Stadt giert danach, etwas zu verehren. Man tut sich hart damit, zu einer Republik zu stehen; der Massenmensch verneigt sich gern vor einem Götterbild; und die armen Römer haben nichts als die goldenen Adler ihrer Legionen! Wir schmiedeten keine Komplotte, Gnäus und ich, obwohl man uns später dessen bezichtigte; wir träumten, das ist alles. Und wir waren verliebt. Oder zumindest ich war verliebt. Er war der erste Mann, dessen Hände und Lippen ich erfahren hatte; der erste schlanke und harte Männerkörper, den ich schmelzend an meinem gespürt hatte. Gnäus ging mir nie aus dem Sinn in jenen Tagen. Irgendwo war er tief in meinem Innern stets gegenwärtig, wie ein Zauber, den ein Gott über mich geworfen hatte, damit ich wußte, daß ich wahrhaft lebte. Hin und wieder empfinde ich ihn heute noch - nach so langer Zeit. Es war bald vorbei, so bald. Eile war geboten, weil der Krieg sich zusammenbraute und die Soldaten und Schiffe benötigt wurden. In der Nacht davor sagten wir uns heimlich Lebewohl - ein Kuß 63
zwischen jedem erstickten Wort. Er ließ mich wissen, daß die Legionen des Gabinius auf meiner Seite stünden. »Sie haben ihr römisches Ehrenwort gegeben«, sagte er, und ich lächelte nicht, aus Liebe zu ihm. »Wenn du sie brauchst, dann tu es kund - und sie werden dir folgen.« Er drückte mir ein kleines Medaillon in die Hand, ein armseliges Ding aus irgendeinem alten, zerdellten Metall, Eisen vielleicht; darin eingraviert waren ein Adler, primitiv wie das Gekritzel eines Kindes, und Worte in einer Sprache, die ich nicht kannte. »Das ist eines der frühesten Symbole des römischen Staates«, sagte er. »Sie können das Etruskische auch nicht lesen - aber sie werden alle Bescheid wissen. Du wirst eine Armee haben, wenn ich fort bin. Malbius - er ist dein Mann der Zenturio Malbius. Sieh zu, daß er das Medaillon in die Hände bekommt - versprichs mir.« Ich nickte. Noch wußte ich nicht, daß ich es wirklich brauchen würde - und bald brauchen würde. Am Morgen darauf sah ich zu, wie er fortfuhr - übers Meer, wie er gekommen war. Ich stand neben meinen kleinen Brüdern und meiner voll entwickelten Schwester und der lieben Iras, und ich stand aufrecht und groß da wie eine Statue. Man hats mich gelehrt. Er war in voller Rüstung, ehern, und die Sonne liebte ihn wie zuvor. Ich sah zu, wie alle fünfzig Schiffe die Anker lichteten, jedes mit ohrenbetäubendem Salut. Seins war das letzte, und es war Mittag wie an jenem ersten Tag, da ich durch den Spalt im Zelt gelugt hatte. Er leuchtete golden, auch noch, als die Segel des Schiffes verschwunden waren, ein Lichtpünktchen, wie ein Stern bei Tage. Ich hielt die Augen weit offen und sorgte dafür, daß sie trocken blieben. Ich sah ihn nie wieder.
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9 Im Jahr darauf wurde ich einundzwanzig und wirklich zur Göttin erhoben. Schiere Notwendigkeit setzte die aasgeierhaften Adligen von Alexandria unter Druck - das ist kein erfreulicher Gedanke. Denn das fruchtbare Ägypten hatte eine verheerende Mißernte. Die Auswirkungen machte man mir zum Vorwurf, weil ich Gnäus unser überschüssiges Getreide für seine Schiffe mitgegeben hatte. Aber das hatte natürlich überhaupt nichts damit zu tun. Ägypten ist aus einem einzigen Grunde reich: des Nils wegen. Dieser Fluß schwillt auf geheimnisvolle Weise jedes Jahr an und überschwemmt das Umland. Was sonst Wüste gewesen wäre, wird zum Paradies, und alles wächst im Überfluß. In manchen Jahren steigt der Pegel bis auf dreißig Fuß - seit Menschengedenken waren es nie weniger als zwanzig. Ich hatte in jedem der vergangenen Jahre - die Priester der Niltempel erstatteten mir darüber Bericht - einen leichten Rückgang bemerkt. Und dieses Jahr war der Fluß nur um 65
acht Fuß gestiegen; so gut wie überhaupt nicht! Das Land war knochentrocken; die Menschen hatten nichts zu essen und starben; Hungersnot herrschte an den Ufern des Nils; im spärlichen Schlamm, der seinen Lauf säumte, fand man die Skelette von Ochsen, Antilopen und Menschen, die hungrige Vögel blankgepickt hatten. Ich saß zu Rate; die Priester vom Nil kamen zu mir und verneigten sich tief. Ihr Sprecher, ein ehrwürdiger Greis, dünn wie die Gerippe, die der Fluß dieses Jahr angeschwemmt hatte, aber mit schwarzen Augen, die in seinem braunen, frommen Gesicht glühten, sagte, der heilige Stier des Nils sei gestorben, der Fluß trauere darüber und werde nicht eher steigen, als bis ein neuer Gott geweiht sei. Sie hatten den Nachfolger schon erwählt, einen weißen Stier, geboren zu Hermonthis in Oberägypten. In diesem Tier lebte die Seele des Sonnengottes Amon-Ra; erst wenn ich, die Reinkarnation der Isis, der Muttergöttin, meinen neuen Sohn (den Stier) mit dem Boot zu seinem heiligen Tempel geleitet hätte, würde der Nil wieder mehr Wasser führen. Ich lächelte nicht; ich bin nicht dumm. Ich neigte einen Augenblick den Kopf; dann sprach ich, sprach Altägyptisch, das zu lernen sich kein Ptolemäerherrscher außer mir die Mühe gemacht hat; ich sah, daß er mich dafür verehrte, der Alte. Und er tat recht daran; es ist eine schwierige Sprache. Ich sagte, ich müsse meinen Gatten Osiris zu Rate ziehen. Die freundlichen, glühenden Augen lächelten. Er dachte, ich meinte meinen Königsbruder, den armen Maus. Aber natürlich meinte ich Alexander. Ich ging allein zu seinem Grab und postierte meine gallische Wache vor dem Eingang zu den Kellergewölben. Ich hoffte nicht auf ein Zeichen von dem Toten; wie ich bereits sagte, bin ich nicht dumm. Aber ich brauchte Zeit. Ich brauchte Einsamkeit, die kein Herrscher sich ohne viel List verschaffen kann. Ich blieb über eine Stunde in einer Stille, die nur von meinen Atemzügen unterbrochen wurde, und betrachtete das reglose Gesicht im Alabastersarkophag, das dem meinen so ähnlich war. Dann traf ich meine Entscheidung; sie war richtig und sie war falsch wie alle menschlichen Entscheidungen. Ich war eine Griechin mit der angeborenen Intelligenz und Ver66
nunft dieses großen Volkes; der Gedanke, die Mutter eines Stiers zu verkörpern, mochte er auch noch so weiß und heilig sein, war mir zuwider. Doch ich war die Königin dieser Leute, und sie brauchten mich, und zwar auf ihre Weise, sonst würde es nichts fruchten. Ich beschloß, es zu tun, mich in die Gewänder Altägyptens zu kleiden und die Erscheinung der Göttin anzunehmen, wobei ich nicht vergaß, daß ich fast die einzige Griechin war, die schlank genug war, um mit jenen knapp bemessenen, durchsichtigen Umhängen der Wandgemälde gut auszusehen; keusch genug, um meine Brüste zu entblößen; und mit genügend markanten Gesichtszügen, um nicht unscheinbar zu wirken unter der schweren, zeremoniellen Perücke. Ich würde mich denjenigen meiner Untertanen zeigen, die mich noch nicht kannten; ich würde Königin sein, wie keiner von unserer Linie Herrscher gewesen war; ganz Ägypten würde mein sein. Ich betrachtete Alexanders Gesicht und bildete mir ein, die vollen Lippen lächelten ein wenig wie die meinen. Meine sonstigen Gedanken waren politische Gedanken, die keine Königin je außer acht lassen darf. Ich konnte Maus nicht als Osiris mitnehmen; es handelte sich um eine Sache, die nur den Stiergott und seine Mutter betraf. Wie Gnäus wußte ich, daß Maus das beste Unterpfand meiner Sicherheit war. Ich konnte meine gallische Garde mitnehmen, denn ich konnte den Priestern sagen, das seien meine Leibsklaven. Ich konnte auch meine hochgeborenen griechischen Hofdamen mitnehmen; alle zusammen würden sie mir dank ihren einflußreichen, mächtigen Familien gewiß ebenso nützen wie das eine Unterpfand, das ich nicht haben konnte. Es war ein matriarchalischer Ritus; das warf ein Problem auf. Apollodorus - aber Apollodorus konnte mich begleiten, weil er erwiesenermaßen ehelos lebte. Ich würde natürlich Iras mitnehmen. Ich würde auch - und hier lächelte ich triumphierend - Arsinoë mitnehmen; ohne sie stand es nicht in Ganymeds Macht, mir und meinem Königreich zu schaden. Außerdem wußte ich, ich konnte darauf bauen, daß er ein Auge auf seine Rivalen haben würde, auf Pothinus Fraktion. Sie würden sich gegenseitig handlungsunfähig machen. Ich beschloß zu gehen. In altägyptischer Sprache unterrichtete ich die Priester von meiner Entscheidung. Tränen rannen ihnen über die schmalen, braunen Gesichter. »Ägypten ist gerettet!« riefen sie. »Ägypten ist geret67
tet für die nächsten tausend Jahre!« Wir fuhren mit unseren eigenen, mit Ruderern bemannten Schiffen flußaufwärts; es dauerte nicht lange, aber es wurde von Tag zu Tag heißer, und mit jedem Tag sog uns die Hitze ein wenig mehr Kraft aus den geplagten, ans Klima von Alexandria gewöhnten Körpern. Ich fragte mich wirklich, wie diese Leute, meine Untertanen, das durchstanden. Die Sonne brannte gnadenlos, die dunkelbraunen Wasser des Nils warfen ihre Strahlen mit grimmiger Heftigkeit zurück; manchmal dachte ich, ich müßte sterben, obwohl wir unter leinenen Sonnensegeln lagen und den ganzen Tag lang befächelt wurden. Nachts sprang uns die Kälte an wie ein wildes Tier, und wir hüllten uns in die Felle von Löwen und Leoparden; es ist ein Land der Gegensätze, mein Ägypten. In Hermonthis wurde ich feierlich mit meinem Sohn, dem weißen Stier, bekannt gemacht; er hieß Buchis, ein ritueller Name, der sich von einer Stiergeneration auf die andere vererbt hat. Er war jung, und seine Beine waren spillerig, aber seine Hörner begannen bereits zu wachsen, und er hatte böse, rotgeränderte und rollende Augen. Man hatte mir gesagt, ich solle ihm die Hand, auf die ein wenig Honig geschmiert war, zum Kusse reichen. Vielleicht ist Honig ein Aphrodisiakum für Stiere, oder vielleicht mochte er meinen Geruch, denn er versuchte, mich zu bespringen. Er kam nur bis zu meinen Beinen, dann zerrten Knechte ihn weg. Er brüllte traurig. Aber die Tempelpriester und Andächtigen ließen sich in der ganzen Runde mit sanften, girrenden Lauten vernehmen; sie hielten es für ein gutes Omen. Wir fuhren mit dem Boot nilabwärts, nach Theben, wo mein heiliger Sohn bis ans Ende seiner Tage leben würde. Es ging langsam, so langsam; wir waren insgesamt vierzig Schiffe, voll besetzt mit all den Würdenträgern aus Hermonthis und Theben. Ein paar aus Kairo waren auch gekommen. Ich fuhr mit dem königlichen Galaboot, das über tausend Jahre alt war und unter dem Goldanstrich auch ganz danach aussah. Ich mußte den gesamten Weg über stehen; so wills ein uralter Brauch - und das ohne Sonnensegel. Ich war dick mit Schminke bemalt und bekam auf diese Weise keinen Sonnenbrand, und meine schwarze Perücke war schwer genug, um das Hirn zu schützen. Man hatte mir eine Stützkonstruktion gebaut, eine Art 68
leicht geneigtes Brett, gegen das ich mich lehnen konnte, sonst hätte ich es nie durchgestanden; auch das gehörte zum Ritual, also war ich nicht die einzige Schwache unter all den toten Unsterblichen, die diese Fahrt vor mir gemacht hatten. Der Stier war fest an seinen dünnen Beinen angebunden und vielleicht auch ein bißchen mit Drogen betäubt worden, denn er lenkte kein einziges Mal den Blick oder seine lüsternen Gedanken auf mich. Möglicherweise wirkte das Mittel abführend, oder er hatte Würmer, wie es bei Jungtieren manchmal vorkommt; jedenfalls kotete er ständig. Ich hörte zwar Iras irgendwo hinter mir kichern, aber sonst schien es niemand zur Kenntnis zu nehmen, und die Sklaven schaufelten es schweigend in den Nil. Meine Gallier und Germanen knieten hinter mir, waren stillvergnügt und wiederholten leise und immer wieder ein Wort. Es war ein kurzes Wort, und niemand verstand es außer mir; ich weiß nicht, wie mans schreibt, aber es hört sich an wie »Schaaße«. Ich wußte allerdings, was es bedeutete, doch ich machte ein unbewegtes Gesicht, weil ichs mußte. Aber der Gestank war furchtbar bei der Hitze. Ich sah wirklich schön aus; fast nackt war ich, und die Alexandrier wären entsetzt gewesen, doch hier wurde es erwartet, und ich empfand keine Scham. Iras war natürlich genauso schön und ein paar von meinen Mädchen auch, aber sie knieten alle mit gesenktem Kopf da, und niemand schaute sie an. Arsinoë machte eine weniger glückliche Figur, denn sie ist zu dick, mehr etwas für den römischen oder orientalischen Geschmack; ich dachte ein- oder zweimal boshaft an sie, weil es auf dem Boot fraglos langweilig war. Meine Untertanen, die Fellachen und ihre Frauen und Kinder, säumten den Fluß in Massen wie die schwarzen, lästigen Fliegen unseres Landes. Ich durfte den Kopf nicht bewegen, aber unter dem grünen Antimon auf meinen Lidern warf ich verstohlen Seitenblikke nach links und nach rechts und beobachtete sie. Beim Zeus, was waren sie mager, so mager! Alle Knochen traten deutlich hervor, und die Köpfe wirkten übergroß wie bei Säuglingen; mein Herz weinte um sie, denn ich hielt sie für die Meinen. Ich tat das Gelöbnis, daß sie während meiner Zeit als Königin nie mehr so leiden sollten; ich habe es sogar erfüllt - oder fast erfüllt. Es sind grazile und reizende Leute, egal, wie verhungert sie ausse69
hen. Ich hatte die alten Wandmalereien für Idealisierungen gehalten, aber es waren keine. Dort an den Ufern des Nils sah ich jene breiten, heiteren Stirnen, betonten Backenknochen und Lippen wie feste kleine Kissen; die Farbe ein Goldbraun wie poliertes Holz. Sie sind kleinwüchsig, wie Zehnjährige bei uns Griechen, und in ihnen ist Anmut wie in Blumen. Ich liebte diese Menschen allmählich ihrer Schönheit und uralten Weisheit wegen; sie liebten mich auch, weil ich aussah wie ihre Göttin und ihre Sprache sprechen und ihre Bilderschrift lesen und schreiben konnte. Bevor ich von ihnen ging - die Zeremonie war vorbei und der Stiergott eingesetzt -, kam der alte Priester zu mir mit einem Erinnerungsgeschenk, das dem von Gnäus nicht unähnlich war; es war ein Skarabäus, vergoldet, aber matt geworden im Lauf der Zeit. Er sagte mit seiner dünnen Greisenstimme, wenn ich ihn meinen ägyptischen Untertanen zeigte, gleichgültig, wo oder wann, würden sie, wenn ich es nötig hätte, Hilfe für mich holen. Seine Worte trafen zu, und ich habe den Skarabäus öfter als einmal gebraucht. Er hat mich nie im Stich gelassen.
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10 Ich war nicht länger als einen Monat in Oberägypten, doch in Alexandria spürte ich, daß sich irgend etwas auf seltsame und subtile Weise geändert hatte. Erst schrieb ich es dem Klima zu, das im Vergleich zu dem des trockenen und abgestorbenen Niltals so vollkommen und fruchtbar war, dann den Leuten, die so mannigfaltig waren, so reich gewandet, so wohlgenährt mit Öl und Honig und Getreide. Doch das war es nicht; innerhalb der Palastmauern herrschte etwas Lastendes, eine Art Flimmern, wie man es manchmal spürt, bevor ein Sturm losbricht. Iras merkte es nicht, beklagte sich jedoch darüber, daß es im ganzen Haus an Sklaven fehlte. »Na ja«, sagte ich, »wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch ...« Das war ein alter Spruch von irgendeinem Einfaltspinsel, von Hesiod vielleicht, und ich wußte, daß er keine zureichende Antwort war. Denn es stimmte, was sie sagte; es waren kaum genug Leute da, um uns zu bedie71
nen - fast so wie zu Vaters Zeiten. Das einzig Schlimme für mich war, daß man Xeno, den treuen Schwarzen, den ich in Kindertagen stets um mich gehabt hatte, nirgends auffinden konnte. »Sklaven brennen eben manchmal durch«, sagte Theodotus, diese gute Seele. »Aber nicht Xeno«, erwiderte ich. »Er liebt mich.« Ich fragte jeden und schickte Botenläufer in die Stadt, überallhin, in sämtliche Ausländerviertel, aber sie fanden keine Spur von ihm. Arsinoë zuckte die Achseln. »Ist doch nur ein schwarzer Sklave«, meinte sie. Aber dann wandte sie mir ihre großen, dunklen Augen haßerfüllt zu. »Es ist deine Schuld«, sagte sie. »Irgendwas stimmt hier nicht, ich fühls ... es ist deine Schuld, weil du weggegangen bist - um dich verehren zu lassen. Deine Schuld, weil du mich mitgenommen hast ... O Zeus - was soll ich nur machen? Pothinus Augen ...« Und sie zitterte und brach in Tränen aus und rang die Hände. Ich hatte Pothinus auch schon gesehen und begann, sie zu schütteln. »Was ist mit Pothinus Augen? Was weißt du?« »Nichts ...«, wimmerte sie. »Nur so ein Gefühl ...« Nun, ich hatte es auch, dieses Gefühl, deshalb hörte ich auf, sie zu schütteln und sagte brutal: »Geh und frag deinen Geliebten. Frag Ganymed.« Ich nehme an, daß sie es tat, aber die Ereignisse entwickelten sich derart rasch, daß ich weder von der Antwort erfuhr noch an sie oder an ihren Schatz dachte; soviel ich weiß, verschwanden die beiden noch am selben Tag. Für mich sahen Pothinus Augen eigentlich aus wie sonst, verschleiert und böse; aber Maus hatte plötzlich etwas Katzenhaftes, Hochmütiges und eine honigsüße Art, ganz anders als sonst; er küßte mich auf die Wange und sagte mir freundliche Worte. Ich stellte Theodotus zur Rede. Ich vertraute ihm zwar nicht, aber er war immer höflich. »Wo sind all die Bedienten?« fragte ich. »O liebe Herrin«, antwortete er und blickte ernst drein mit seinen feuchten Augen, »wir mußten sie für Besorgungsaufgaben und Trägerdienste zur Armee abstellen ...« »Zur Armee?« »Achillas Truppen sind an der ganzen Küste postiert und bewachen überdies die Stadttore.« 72
»Was - ist es schlimmer geworden mit dem Krieg? Sind wir daran beteiligt? Warum hat man mich nicht davon unterrichtet?« Ich wurde zornig. »Cäsar ist auf dem Vormarsch, liebe Herrin.« »Aber er wird nicht hierher kommen, du Dummkopf!« schrie ich. »Er marschiert Pompejus entgegen. Das weiß doch die ganze Welt! Wahrscheinlich werden sie bei Pharsalos kämpfen - eine halbe Ewigkeit entfernt!« Er zuckte die Achseln. »Nun ja, liebe Herrin, man weiß nie. Wir müssen auf alles gefaßt sein ...« Auf alles gefaßt sein, dachte ich. In meinem Kopf schwirrte, klickte, rechnete, addierte es. Ich sah, daß ihn mein Gesichtsausdruck ängstigte, und lächelte innerlich. Ich starrte ihn einen Moment an, dann legte ich los. »Und Xeno? Hat man Xeno auch weggegeben zur Armee? Er gehört zum Palast, er gehört mir, und er hat nichts mit dem Staat zu schaffen!« Seine Backen flatterten, und er drehte rasch den Kopf hin und her. »Ich weiß nichts von Xeno ... nichts!« Ich starrte ihn wieder an und sah, daß er in Wirklichkeit doch etwas wußte. Ich musterte ihn kalt, während ihm langsam Schweißperlen auf die Stirn traten und langsam über sein Gesicht rollten. Schließlich sprach ich. »Ich könnte dich hinrichten lassen. Ich bin die Königin, und es gibt hier noch genügend Leute, die meine Befehle ausführen.« Das stimmte natürlich nicht ganz, aber er war nicht Manns genug, mir zu antworten, und Angst stand ihm in seinem schwachen, alten Gesicht geschrieben. »Nun, ich will dich deiner Bejahrtheit wegen verschonen. Aber geh mir vom heutigen Tage an aus den Augen.« Er entfernte sich aus meiner Gegenwart. Es war ein schönes Gefühl. Aber trotzdem wußte ich im Innersten, daß ich in Todesgefahr schwebte - irgend etwas bedrohte mich. Eines frühen Morgens fanden zwei von meinen Galliern Xeno außerhalb eines wenig benutzten Tores zu einem der kleinen Palastgärten; man hatte ihn dort seinem Schicksal überlassen; der Ort befand sich genau über einem der alten Kerker der Armee. Als sie ihn mir brachten, konnte ich wahrhaftig nicht begreifen, wie er überlebt hatte, so übel war er zugerichtet. Ich wußte, daß das Pothinus oder Achillas Werk war, und verwünschte mich dafür, daß ich ihn 73
nicht mitgenommen hatte. Kraft alten Gesetzes darf man sich das Zeugnis eines Sklaven durch die Folter verschaffen; er war vertraut mit den Ereignissen im Palast und mit allen, die mir nahestanden ich hätte daran denken sollen. Ich kenne mich nicht aus mit Folterinstrumenten; trotz unserer Schwächen ist das Haus der Ptolemäer von solchen Grausamkeiten unbelastet gewesen. Er hatte tiefe Brandwunden am ganzen Leib, offene und blutende Wunden, und seine Gelenke waren auf das Doppelte ihrer normalen Größe angeschwollen und verfärbt; der eine Fuß war zu einer breiigen Masse zermatscht. Ich schickte nach den Ärzten; als sie ihn behutsam abgetastet hatten, sagten sie, es seien keine Knochen gebrochen, aber viele Muskeln und Gewebe beschädigt; möglicherweise werde er lahmen. Sie setzten ihm einen Becher mit einem starken Trank an die Lippen, damit er wieder zu Kräften kam; man hatte ihm die Zunge herausgeschnitten! Ich war bis dahin ruhig geblieben, obwohl es mich innerlich geschüttelt hatte; jetzt brach ich in heiße Tränen aus. Armer Xeno! Er muß die Stärke eines Herkules haben, denn er erhob sich und fuchtelte, besorgt und betrübt über mein Weinen, schwach mit der Hand in der Luft herum. Ich starrte ihn an - natürlich! Er wollte einen Griffel oder eine Feder; man hatte ihn vor langer Zeit, als man sah, daß er intelligenter war als der Durchschnitt, das Schreiben gelehrt. Und so hatten sie einen Menschen für nichts und wieder nichts zugrunde gerichtet, diese viehischen Kerle; er konnte uns doch alles mitteilen. Die ersten Worte, die er schrieb - sie sahen aus wie kümmerliche Hahnentritte, so schwach war er - die ersten Worte lauteten: »Eßt nichts, was nicht vorgekostet ist ...« Mir standen fast die Haare zu Berge; man wollte mich vergiften! »Er muß sich jetzt ausruhen«, sagte Dioscorides, der Arzt, »sonst kommt er am Ende nicht durch ... in ein paar Stunden wird er stark genug sein, um alles aufzuschreiben.« Xeno fiel in bleiernen Schlaf, atmete aber wie ein Gesunder; die Ärzte hatten ihm unverdünnten Mohnsaft gegeben. Sie wuschen seine vielen Wunden und bestrichen sie mit heilkräftigem Balsam und legten ihm um die geschwollenen Gelenke Packungen mit Schnee aus den Bergen, der sein Gewicht in Gold wert war. Den 74
armen geschundenen Fuß behandelte Dioscorides selbst, nahm ihn wie ein Stück Lehm, verlieh ihm wieder seine natürliche Gestalt und bettete ihn dann in echten Lehm, den er mit Feuer härtete; er sollte eine Art Preßform bilden und dem Fuß festen Halt verleihen. »Er wird das ein, zwei Wochen tragen müssen«, sagte Dioscorides, während er bei der Arbeit war. »Dann kann er den Fuß, glaube ich, wieder normal gebrauchen. Er wird nur noch ein bißchen hinken.« Unsere Ärzte in Alexandria können wahrhaftig Wunder wirken! Natürlich wird Xeno nie mehr sprechen; das geht über alle Kunstfertigkeit hinaus, die man sich bis jetzt angeeignet hat. Als er aufwachte, hatte er sich schon recht gut erholt; die Ärzte gaben ihm Fleischbrühe und in Wein geweichte Stücke Brot. Er schrieb uns alles auf ein Wachstäfelchen. Seine Qualen schilderte er nicht; er hatte eine große Seele. Aber er schwor bei den fremden Göttern, die ihm heilig waren, daß er ihnen nichts gesagt hatte. »...Nicht aus Tapferkeit«, schrieb er, »sondern weil ich nichts wußte. Mir war keine Verschwörung bekannt ...« Aber ich glaube wirklich, daß die meisten Menschen, nicht nur Sklaven, irgend etwas herausgeschwätzt hätten, das ihnen in den Sinn kam, um der Folter zu entgehen. »Du bist tapfer, Xeno«, sagte ich. »Tapfer wie ein König ...« Der leise Anflug eines Lächelns spielte um seine geschwollenen Lippen; vielleicht war er wirklich ein König bei seinem Stamm gewesen, bevor er gegriffen und in die Sklaverei verkauft wurde. Vielleicht auch nicht; es gibt Menschen, die geborene Herrscher sind und nie einen Thron zu Gesicht bekommen haben. Achillas Leute hatten ihn gefangengenommen, in den Kerker geworfen und in Ketten gelegt, und Pothinus hatte ihn Tag für Tag verhört. »Wer hat dich gefoltert?« fragte ich. Aber er schüttelte den Kopf und wollte es nicht hinschreiben. Egal, sie waren alle drei daran beteiligt und würden alle drei noch dafür sterben müssen; das schwor ich mir. Sie verhörten ihn auf lateinisch, sprachen aber untereinander griechisch, sprachen über ihre Komplotte und Pläne - daß sie mich beseitigen und den Thron an sich reißen und Maus darauf setzen wollten, der Wachs in ihren Händen war. Sie hatten nicht gedacht, daß Xeno Griechisch konnte, doch er muß sich durch irgend etwas 75
verraten haben, durch einen Blick oder ein griechisches Wort, das er in seiner Qual herausschrie, denn sie schnitten ihm die Zunge ab. Natürlich wußten sie nicht, daß er schreiben konnte. Es war ihm nicht bekannt, wann sie mich beseitigen wollten und mit welchem vergifteten Essen, aber Gift würde es sein, ein Gift, das so wirken würde, als sei ich eines natürlichen Todes gestorben. »Flieh, Herrin ... flieh rasch. Und laß alle Speisen und Getränke vorkosten, bevor du sie anrührst ...« Es war eine furchtbare Zeit, denn ich konnte nicht einfach unbekümmert wegrennen; ich mußte jeden Schritt planen. Die Gefahr, vergiftet zu werden, war sehr real; das stand fest. Dioscorides schlug vor, wir sollten unser Essen von einem Sklaven vorkosten lassen, aber ich fand es entsetzlich und wollte nichts davon hören. »In den Gefängnissen sitzen Schwerverbrecher, die zum Tode verurteilt sind und auf ihre Hinrichtung warten«, sagte Apollodorus. »Für sie wäre es ein gnädiger Tod verglichen mit dem, was sie von der Hof-Justiz zu gewärtigen haben.« Doch wir hatten keinen Zugang zu ihnen, denn die Gefängnisse wurden von Achillas Leuten bewacht. »Könnten wir nicht irgendein Tier nehmen?« fragte ich. »Einen Hund vielleicht?« Dioscorides rieb sich das Kinn und dachte nach. »Die Dosierung ist anders ... aber wenn der Hund eingeht - doch, dann könnten wir mit Bestimmtheit sagen, daß es sich um Gift handelt. Ja ... ein Hund tuts auch.« Einer der Gallier, Longinus mit Namen, brachte uns seinen Hund, ein geflecktes Tierchen mit schmalem Kopf und traurigen, klugen Augen. Ich wußte, daß es ihn betrübte; unter Tränen dankte ich ihm für seine Treue. Wir anderen versuchten, keine Notiz von dem Hund zu nehmen, ja nicht einmal, seinen Namen zu erfahren, denn wir wollten ihn nicht liebgewinnen. In der Zwischenzeit zerbrachen wir uns den Kopf. Ich beschloß, mich nach Syrien aufzumachen, denn ich fand, Bibulus sei verpflichtet, mir Zuflucht zu gewähren, nachdem ich die Mörder seines Sohnes vor Gericht gebracht hatte. Ich schrieb ihm einen Brief, versiegelte ihn und schickte heimlich einen unserer schnellsten Botenläufer los; ein Mann kann sich immer an Posten vorbeistehlen. Wir wußten, daß er aus der Stadt gekommen und auf dem Weg war; ein 76
phönizischer Kaufmann brachte uns die Nachricht unter dem Vorwand, uns seine Waren vorführen zu wollen. Er sagte mir auch, daß alle in den Ausländervierteln auf meiner Seite stünden und daß sich jetzt schon bei den jungen Männern Freiwillige meldeten, die mir nach Syrien folgen würden. Das gab mir eine Idee ein, die mich befeuerte. Ich würde ein Heer um mich sammeln und kämpfen; ich würde mein Königreich nicht aufgeben. Ich schickte Longinus, den Gallier, ins Quartier der Soldaten des Gabinius. Er hatte das altrömische Erinnerungsstück dabei, das Gnäus mir gegeben hatte, denn jetzt oder nie war die Zeit, Gebrauch davon zu machen. Zurück kam die Botschaft, daß auch sie mir folgen würden - fünfhundert ausgebildete Legionäre. Der arme Hund verendete unter Krämpfen; ich hatte ihm eine Muschel von meinem Teller gegeben; sie waren eins meiner Lieblingsgerichte, diese Muscheln - schlau vom Feind, denn ich ließ sie mir fast nie entgehen. Es wurde Zeit; wir mußten fort aus dem Palast. Apollodorus kannte einen Weg; er führte durch Alexanders Mausoleum, und er schwor, daß niemand ihn kannte außer ihm und einem Priester, der voriges Jahr gestorben war. Er verlief unterirdisch quer durch die Stadt und endete am Ufer des Mareotis-Sees. Er zeigte Gnäus Mann die Stelle; ich betete darum, daß wir ihm vertrauen konnten. Er sagte, sie würden uns einen Tag Vorsprung geben und dann nachkommen, alle fünfhundert Legionäre; wir würden uns kurz hinter der syrischen Grenze treffen. Mit einigem Glück würde man niemand von uns vermissen, bis wir uns aus dem Staub gemacht hatten. Meine Hofdamen weinten, weil ich ging; ich konnte nicht all diese hochgeborenen, zarten Mädchen mit in ein Heerlager nehmen. Außerdem erhielten sie Anweisung zu behaupten, ich sei sehr krank; Pothinus würde meinen, das Gift wirke bereits, und nichts ahnend auf mein Ende warten. Iras nahm ich mit; ich konnte unter den vielen Soldaten nicht ohne Gefährtin sein; und wenn ich sie zurückließ, würde man sie höchstwahrscheinlich umbringen, sobald man entdeckte, daß wir anderen verschwunden waren. Ich liebte meine Schwester Arsinoë nicht, aber ich wünschte ihr auch nicht den Tod und schickte Leute aus, die sie suchen sollten; weder sie 77
noch ihr Geliebter waren aufzufinden. Was den Rest unserer kleinen Gruppe betraf, so bestand sie aus Apollodorus, Dioscorides, Longinus und meinen Galliern und Germanen, insgesamt etwa zwölf; zwei von der Garde trugen Xeno auf einer Trage, denn er war noch schwach und hatte noch den schweren Lehmverband um den Fuß. Er würde unseren Fortschritt verlangsamen, aber ich hätte ihn nie zurückgelassen. Iras und ich trugen Knabentuniken und Armeemäntel mit dunklen Kapuzen und hatten uns Kurzschwerter umgegürtet; wir wußten beide nicht im mindesten, wie man mit diesen Waffen umging. Ich verweilte einen Moment vor dem Alabastersarkophag, in dem der große Alexander lag. Ich versuchte, etwas aus seinem Gesicht herauszulesen, aber es teilte mir nichts mit. Ich beugte mich rasch nieder und hauchte einen Kuß auf das kühle Glas über seinem Kopf. Es beschlug sich eine flüchtige Sekunde lang von meinem Atem, dann war es wieder klar. Ich bückte mich, schlüpfte durch die kleine, geheime Tür und zog sie hinter mir zu. Der Gang war stockfinster; ein schwaches Licht in Apollodorus Hand wies uns die Richtung, und wir nahmen uns bei der Hand, um uns nicht zu verlieren. Den ganzen dunklen und gewundenen Weg über, den wir geduckt und langsam zurücklegten, hielt ich mir Alexanders Gesicht vor Augen, auf daß es mir Glück brächte. Ich hatte ihn immer als meinen Talisman angesehen, als meine Schicksalsmacht. Ich betete zu ihm, den ich hatte keinen anderen Gott.
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11 Ich kann nicht näher auf die Flucht nach Syrien eingehen; sie war ein Alptraum, und ich würde das alles am liebsten vergessen - ausgenommen die große Treue meiner Untertanen. Am Mareotis-See erwartete uns eine kleine Gruppe von Phöniziern; sie hatten sich, seit sie von der Gefahr wußten, in der ich schwebte, jede Nacht hier postiert. Sie hatten schnelle Pferde für uns und Vorräte auch; zweiundzwanzig junge Männer, beritten und bewaffnet, schlossen sich uns an; ihre Augen leuchteten in Erwartung des Kampfes. Zu Eleusis, der heiligen Stätte, waren noch mehr Leute, doppelt so viele, und einige Ägypter unter ihnen. Ich schickte einen von diesen nilaufwärts, wohin ich vor nicht allzu langer Zeit feierlich gefahren war; er sträubte sich etwas, denn er wollte nichts versäumen. Ich erklärte ihm, seine Mission sei die allerwichtigste, denn er trug den Skarabäus bei sich, der mir noch mehr Anhänger verschaffen würde. »Wir verlassen uns auf dich, mein Freund«, sagte ich. »Sei 79
vorsichtig ... nimm kein Risiko auf dich. Du mußt durchkommen. Es geht um Ägypten.« »Um Ägypten«, wiederholte er und sah ehrfürchtig drein; er beugte das Knie und küßte mir die Hand. Ich hatte ständig Angst; Angst, daß mein Botenläufer nicht zu Bibulus gelangt war; Angst, daß Bibulus ihm kein Gehör schenken und uns den Zugang nach Syrien verweigern würde. Und dann waren wir müde, so müde. Ich war niemals lange Strecken geritten; keiner von uns. Wenn wir anhielten, um uns auszuruhen und eine Kleinigkeit zu essen, mußten wir uns stöhnend auf den Bauch legen. Iras und ich hatten uns an den Sätteln aufgeschürft, an den Innenseiten der Oberschenkel, wo die Haut am zartesten ist, und wir waren krebsrot von der Sonne und hatten rissige und trockene Lippen. Doch überall, wo wir übernachteten, standen frische Pferde für uns bereit; ich habe nie erfahren, wie sich die Nachricht von unserer Flucht verbreitet hat. Und im Laufe der letzten Tage brachten uns Bauern breitkrempige, fein geflochtene Hüte aus Schilf; sie waren fast wie Sonnenschirme. Die syrische Grenze wird durch eine Kette flacher Hügel markiert; wir sahen sie aus der Ferne - und eine Reihe von Reitern, die auf uns zukam. Aus der Nähe erkannten wir, daß sie elegant ausgestattet waren, selbst ihre Pferde; und ihr Führer hatte ein römisches Siegel und einen Brief von Bibulus bei sich. Er hieß uns willkommen und ließ uns über die Grenze geleiten. Ich hätte weinen können vor Erleichterung und Freude. Die römischen Barbaren - zumindest einige von ihnen haben ihre ganz eigene strenge Tugend; Bibulus vergalt mir meine Anständigkeit mit gleicher Münze. Er hatte sogar ein Lager aufschlagen lassen, ein Lager mit guten Zelten, Pferden, Essen und Wein; es war für eine solche Einrichtung fast komfortabel und an einem fließenden Gewässer gelegen. In dem großen Zelt, das ich mit Iras teilte, gab es Salben und Seife, frisches Linnen und Sandalen; Bibulus hatte sogar ein paar Sklavinnen geschickt, die uns aufwarten sollten! Diese Mädchen konnten weder Griechisch noch Latein und sprachen einen östlichen Dialekt, den selbst ich nicht verstand; es machte nicht viel aus, denn meistens kicherten sie nur. Sie schauten uns blöd an, aber ich erfuhr später, daß dieses Gekicher bei den Syrern 80
sehr als weibliches Merkmal bewundert wird, und sie waren dazu erzogen worden. Sie sahen alle aus wie meine Schwester Arsinoë, füllig, mit dicht gelocktem schwarzem Haar und dunkler Haut. Sie trugen sehr wenig am Leib, nur vergoldete Streifen um Brüste und Hüften, aber sie waren mit Glasperlen und Armreifen behängt; dünne Schleier verdeckten die untere Hälfte ihres Gesichts, darüber rollten sie ihre großen Kuhaugen mit den dick geschminkten Lidern und einem rundherum gezogenen schwarzen Strich, um sie noch größer zu machen. Sie bereiteten uns Bäder, holten aus dem Fluß kühles Wasser in großen bemalten Krügen und schenkten uns Wein ein und deckten uns Essen auf. Aber nach diesem ersten Tag sahen wir sie nie wieder, nur aus der Ferne. Sie machten im Lager die Runde wie ein Fieber und schliefen mit allen Soldaten; ich nehme an, das hielten sie für lustiger. Wir vermißten sie nicht richtig; es war kein großer Aufwand, unser Badewasser selbst zu holen und unser Haar selbst zu kämmen, und die Soldaten brachten uns gebratenes Zicklein und in Lehm gebackenes Geflügel. Wir aßen nicht zusammen mit den Männern; in Syrien tut man das nicht, erklärte Apollodorus. Wir waren dankbar für die syrische Gastfreundschaft und wollten keinen Anstoß erregen. Aber manchmal fühlten wir uns einsam, vor allem abends, wenn die Soldaten an ihren Feuern sangen; die Geräusche eines Heers im Ruhestand sind wunderbar - kurzes, plötzliches Gelächter und das Klacken von Weinkrügen, das leise Wiehern eines Pferdes, eine unvermutete Brise, die die Klappen an den Zelten zum Knattern bringt, und der ferne Schrei eines wilden Tiers. Und dann das friedliche Zur-Ruhe-Kommen; Schnarchen und Geraschel, ein schwaches letztes Klirren von Waffen und Rüstung, wenn jemand sich im Schlaf bewegt. Und wenn man aus dem Zelt blickt, die vielen Soldaten, Reihe um Reihe, die sich auf dem Boden ausgestreckt haben, um unter den Sternen zu schlafen, und das sanfte Dunkel, das überall atmet. Diese Eindrücke werden mir immer lieb sein, denn ich weiß, daß die meisten Frauen so etwas nie hören oder sehen. Tagsüber hatten wir nichts zu tun; wir warteten. Die Soldaten waren immer geschäftig, besserten ihre Rüstung aus oder polierten 81
sie, spielten Hufeisenwerfen, fetteten ihre Lederwämser ein oder schärften ihre Schwerter. Und fast jeden Tag kamen neue Freiwillige aus meinem ganzen Königreich, um sich auf Gedeih und Verderb mit mir zu verbinden; am Ende hatten wir mehr als fünftausend. Viele waren unausgebildet, stammten aus den Dörfern am Nil oder aus den Elendsvierteln der Städte, aber alle waren sie begeistert, liebten mich als ihre Königin und haßten Pothinus. Ihnen galt er als der Unterdrücker, der sie so hoch besteuerte, daß sie Hunger leiden mußten; ich war dankbar dafür, daß sie zu einfältig waren, um zu wissen, daß mein Vater mit diesem Unwesen begonnen hatte! Sie hofften auf mich als ihre Göttin, die sie einem besseren Leben entgegenführen und ihre Bedürfnisse befriedigen würde. Ich schwor mir, daß ich es versuchen wollte, wenn ich an die Macht kam. Mit den neuen Rekruten kamen Nachrichten, und wir hatten überdies Spione. Das Trio der bösen Ratgeber hatte den kleinen Maus auf den ägyptischen Thron gesetzt und regierte in seinem Namen; wir hörten furchtbare Berichte über Vergeltungsmaßnahmen gegen die Aristokraten, die ihnen Widerstand leisteten; jeden Tag wurden Hinrichtungen vollstreckt. Die Stadt Alexandria wurde wie ein Gefängnis reglementiert, jegliche Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt, und nach Sonnenuntergang herrschte bei Todesstrafe Ausgangsverbot. Wir erfuhren auch, daß die beiden Römer, Pompejus und Cäsar, schließlich im Flachland von Pharsalos zusammengetroffen waren, wie ich es vermutet hatte. Julius Cäsars abgehärtete Legionen vernichteten die Truppen des Pompejus, und Pompejus floh zu Schiff nach Mytilene. Und jetzt wird es wirklich furchtbar, denn er blieb nicht dort, um seine Wunden zu lecken und neue Leute zu rekrutieren, sondern begab sich in Begleitung seiner Frau Cornelia nach Zypern und nahm von dort aus eine Galeere, die nach Ägypten fuhr. Ich glaube, er hoffte auf Hilfe von meinem Bruder Ptolemäus, oder vielleicht hatte er nichts von der Umwälzung an unserem Hof gehört. Es ging das Gerücht, seine Flotte behaupte sich noch; möglicherweise wollte er in Alexandria seine Streitkräfte sammeln und dann noch einmal um die Herrschaft über die römische Welt kämpfen. 82
Sobald sein Schiff vor unserer Stadt gesichtet wurde, ließen ihm die drei Männer, die meinen Bruder in der Hand hatten, die Botschaft übermitteln, daß er warten müsse, während sie überlegten, was zu tun sei. Wahrscheinlich fürchteten sie den Zorn Cäsars, wenn sie Pompejus unterstützten; wenn sie es andererseits nicht taten, würde er sich womöglich mit mir verbinden. Ich stelle natürlich nur Vermutungen an - ich war ja nicht dabei. Aber ich erfuhr später, daß Theodotus sein Geschick entschied, denn seine Bemerkung ist berühmt oder berüchtigt, je nachdem, wie mans nimmt. »Tote beißen nicht«, sagte er. Ich vermute, er hielt das für gescheit; doch es ist typisch für seinen mäßigen Verstand und seine niedere Gesinnung, denn Lebende beißen auch nicht. Menschen sind keine Hunde. Jedenfalls wurde sein Vorschlag - Tod dem großen Römer, darauf lief es hinaus - von den anderen gutgeheißen und mit der Durchführung Achillas betraut. Dieser Held sicherte sich die Mithilfe zweier abtrünniger Römer, Septimius und Salvius, die einst unter Pompejus gedient hatten. Diese drei und ein paar Begleiter machten sich mit einem kleinen Boot auf den Weg zu Pompejus Galeere. Als sie längsseits kamen, stand der vermeintlich treue Septimius auf und begrüßte Pompejus mit dessen militärischem Rang. Achillas bat ihn höflich, in ihr Boot zu steigen, und behauptete, das Wasser des Hafens von Alexandria sei zu seicht für die Galeere. Pompejus muß gewußt haben, daß das nicht stimmte, denn es lagen in Ufernähe immer etliche Galeeren vor Anker. Es heißt, seine Frau habe ihn angefleht, nicht zu gehen. Vielleicht vertraute er den beiden Römern, oder er ergab sich in sein Schicksal; man weiß es nicht. Aber er küßte sie und verabschiedete sich von ihr und kletterte hinunter in das kleine Boot. Mit ihm kamen zwei Zenturios, ein Freigelassener und ein Sklave. Ich kann nicht anders, ich muß mich einfach an Cornelias Stelle versetzen. Es war September. Der Nil macht das Wasser des Hafens trübe; der Himmel ist bleiern während der Regenzeit und spiegelt das braune Meer wider. Es sind die einzigen Tage im Jahr, an denen Alexandria traurig wirkt. Die arme Frau sah die ganze Schreckensszene vor einem Hintergrund, der dazu paßte. Das Boot landete an; Pompejus griff nach der Hand seines Freigelassenen, um besser aussteigen zu können; Septimius, der einmal 83
ein Soldat gewesen war, erdolchte ihn von hinten. Er fiel ins Boot, und Achillas und Slavius hackten ihn in Stücke. Als Achillas das abgetrennte Haupt in die Höhe hielt, tat Cornelia einen gewaltigen Schrei, den man bis ans Ufer hörte. Doch sie war nicht närrisch, denn sie befahl unverzüglich, die Anker zu lichten, und bald war ihre Galeere zu weit entfernt, als daß man die Verfolgung hätte aufnehmen können. Der enthauptete Leichnam wurde ins Wasser geworfen, und die Mörder brachten den Kopf in den Palast. Pompejus Freigelassener und Pompejus Sklave, die lebendig über Bord gestoßen worden waren, fanden den Leichnam und zogen ihn ans Ufer. Eine entsetzte Menge sammelte sich und sah zu, wie die beiden Holz auflasen, vor allem Treibholz, um einen behelfsmäßigen Scheiterhaufen aufzuschichten. Die zwei treuen Diener hüllten Pompejus sterbliche Überreste in ihre Togen - als Leichentuch - und entzündeten das Feuer. Sie trauerten die ganze Nacht daneben, hielten es in Gang und sangen Preislieder auf den Toten. Niemand behelligte sie, obwohl sich Achillas Soldaten wie immer unter die Menge gemischt hatten; ich nehme an, sie waren zu einfache Leute, um als Feinde betrachtet zu werden. Am nächsten Morgen traf Lucius Lentulus, einer von Pompejus Feldherren, mit einer zweiten Galeere ein. Er brachte die zweitausend Mann, die nach der Niederlage bei Pharsalos noch übriggeblieben waren. Kaum hatte er den Fuß an Land gesetzt, da wurde auch er ermordet. Seine Leute konnten jedoch den Leichnam bergen und an Bord der Galeere schaffen. Dann setzten sie die Segel und liefen nach der Adria aus, wo Pompejus Sohn, mein Gnäus, eine kleine Flotte befehligte. Wenn ich so die Tage zusammenrechne, vermute ich, daß Gnäus die Nachricht vom Tod seines Vaters etwa zur selben Zeit erhielt wie ich. Ich hatte Pompejus nie gekannt, aber ich betrauerte ihn um seines Sohnes willen.
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12 Ein paar Tage nach Pompejus tragischem Ende traf Julius Cäsar in Alexandria ein; es muß ungefähr der 2. Oktober gewesen sein, schätzte ich, die ich etwas verspätet davon erfuhr. Er war Pompejus nachgesetzt; er ankerte ein gutes Stück außerhalb des Hafens, denn er hatte nur eine kleine Streitmacht bei sich, und schickte Boten an Land, um zu fordern, daß man ihm seinen Feind ausliefere. Wie ich gehört habe, prügelten sich die drei Despoten fast um die Ehre, ihm Pompejus Kopf überbringen zu dürfen. Was im einzelnen geschah, weiß ich nicht, vielleicht losten sie darum! Jedenfalls fuhr dann der ölige alte Theodotus zu Cäsars Galeere, bei sich den Kopf des Pompejus und einen Finger mit dessen Siegelring. Ich kann mir gut vorstellen, wie der alte Narr, der zu Schiff immer das Gleichgewicht verlor und fast umfiel, stolz und hochmütig in einem dreinschaute und Cäsar die grausige Trophäe hinhielt! Und ich sehe auch, wie ihm der Unterkiefer herunterfiel, 85
als der große Cäsar sich entsetzt abwandte, das Gesicht in den Händen barg und laut schluchzte. Als er ausgeweint hatte, hob er den Kopf und schrie: »Geh mir aus den Augen, du Narr und du Wicht! Und scher dich weg aus Alexandria und weg aus Ägypten, denn ich werde dich zu Tode hetzen, wenn ich dich je wieder zu Gesicht bekomme!« Diese Worte hatte sich wohl der Bote ausgedacht, der die Nachricht brachte, denn sie haben einen heroischen, falschen Klang, wie es solchen Aussprüchen immer eigentümlich ist, aber dem Sinn nach hat Cäsar das gesagt. Und tatsächlich hat man danach in Ägypten nichts mehr von Theodotus gesehen. Ich vermute, daß er noch lange genug verweilte, um die beiden anderen zu warnen, denn sie verloren keine Zeit und kamen Cäsars Aufforderungen unverzüglich nach. Dieser Sieger, Cäsar, verließ seine Galeere nicht, sondern ließ seine Befehle durch Boten überbringen; anscheinend hielt man sich ganz genau daran. Er forderte, daß Pompejus Haupt und der Finger in allen Ehren nahe beim Meer, im Hain der Nemesis, beigesetzt würden; das ist ein hübsches und friedliches Fleckchen Erde, außerhalb der Stadtbefestigungen im Osten gelegen; ich hatte es nicht richtig zur Kenntnis genommen, aber dieser Cäsar kannte unser Alexandria, vermutlich aus der Zeit vor meiner Geburt. Er hätte keinen besseren Ort auswählen können, um einen großen Feind zu ehren. Er befahl, daß der Hain zum Park umgestaltet und daß ein stattliches Denkmal errichtet wurde, und zwar rasch. Dann ließ er die Asche von Pompejus Scheiterhaufen sammeln und in ein goldenes Kästchen tun, das er Cornelia schickte, die auf ihren Landsitz bei Alba geflohen war. Danach - und all diese Befehle ergingen binnen weniger Stunden -, danach forderte er die Freilassung aller politischen Gefangenen. »Denn ich werde selbst über die Fälle entscheiden«, sagte er. Er war autokratisch, aber offensichtlich auch klug; er wartete auf seine Schiffe und auf seine Leute, etwa viertausend abgehärtete Krieger. Dann fuhr er gelassen bis an die Treppe zum Palast heran, trat ein und übernahm das Kommando! »Ich bin Rom«, sagte er zu dem verblüfften Hof; zumindest hat man mir das so berichtet. Von hier an geht in der Geschichte vieles drunter und drüber, 86
denn jeder Bote hatte seine eigene Version von den Ereignissen; außerdem waren die Ereignisse zahlreich. Es scheint jedoch zu stimmen, daß es in allen Stadtteilen zu Krawallen kam, als man der römischen Legionen ansichtig wurde; Cäsar beschränkte ihren Aufenthalt danach klugerweise auf das Gelände des Palastes. Er muß sofort erkannt haben, daß er den Palast, zumindest die Landseite, mit viertausend Mann unbegrenzt lange halten konnte. Und von der See her konnte nichts kommen als noch mehr von seinen Römern; die Reste von Pompejus Flotte hielten sich in einem anderen Teil des Meeres auf und waren zu weit weg, um eine Bedrohung darzustellen. Mein letzter Spion hatte einen römischen Offizier bei sich, der mir einen Brief mit dem Siegel Julius Cäsars brachte. Er bat mich, zurückzukommen und meine Pflichten auf dem Doppelthron zu versehen. » ... denn in seinem Testament hat Dein Vater den Besitz seiner Kinder in die Obhut des römischen Volkes gegeben, und ich vertrete das römische Volk.« Mit kühner Handschrift, die auf dem Pergament schräg nach oben verlief, hatte er den Brief unterzeichnet: »Ich, Julius Cäsar, Eroberer ganz Galliens und Herr Roms.« Ich lachte laut und zeigte den Brief Apollodorus und Iras. »Herr eines Misthaufens ... der alte Gockel!« sagte ich. Mein Bote lächelte, aber Cäsars Mann kniff die Augen zusammen; ich hatte griechisch gesprochen. Ich sagte es noch einmal, um ihn auf die Probe zu stellen; er verstand es nicht. Ich versuchte es mit Latein. »Wie heißest du, Soldat?« »Cadwallader, Sohn des Cadwalladon.« So hörte es sich wenigstens an; sein Akzent war fremdartig, singend. Auf gallisch sagte ich: »Ich habe eben bemerkt, daß dein Herr ein stolzer Mann ist.« Er begriff s und antwortete, allerdings konnte ich ihn nur schwer verstehen; ich hatte einen solchen Akzent noch nie gehört. »Der Julius ist nicht mein Herr. Ich bin ein freier Belge.« »Aber römischer Soldat, ja?« Er zuckte die Achseln. »Für Geld.« »Was sind Belge?« fragte ich. »Gallier?« Wieder zuckte er die Achseln. »Gallier, Kelten ... wie du willst.« Er schmunzelte. »Barbaren jedenfalls.« Er grinste freundlich. 87
»Ich bin Griechin«, sagte ich. »Für uns sind die Römer Barbaren.« »Kommt ganz drauf an, in welcher Lage man ist, Herrin.« Immer noch lächelnd, blickte er zu mir nieder. Er war groß, wie all diese Leute aus dem Norden, und sehr breit gebaut. Er ähnelte meinen Galliern und Germanen sehr, nur daß sein Haar wie eine Flamme war und daß er es lang trug, hinten mit einem kleinen Lederriemen zusammengebunden; er hatte den Helm abgenommen, und wo er gegen seine Stirn gedrückt hatte, sah man eine scharfe Kerbe. Oberhalb davon war seine Haut weiß wie Milch und darunter brandrot von der Sonne, das falsche Rot für sein Haar. Aber davon abgesehen war er ein hübscher Mann; sein Gesicht war länglicher als das der meisten Gallier, und er hatte hohe Backenknochen und schöne, tiefe Augen von der Farbe des Meeres. Ich glaube, daß er auch noch jung war; vielleicht jünger als ich, obwohl man das bei diesen großwüchsigen Stämmen schwer sagen kann. »Nun, Cadwallader -« begann ich. Er brach in schallendes Gelächter aus; ich hatte es nicht richtig ausgesprochen. »Sags mir noch einmal - langsam«, bat ich, denn ich war stolz auf mein Gehör für Sprachen. Ich lauschte. Das »l« und das »r« wurden gerollt, ein melodischer Klang. Ich versuchte es noch einmal. Er klatschte in die großen Hände. »Gut, Herrin. Du könntest eine echte Brythonin sein.« »Eine Brythonin ...? Eine Britannierin? Du bist von den Inseln des Nebels?« Er verbeugte sich, die Hand überm Herzen. »Und dein Vater?« fragte ich. »Ist ein König ... oder war ein König. Die Römer haben ihn getötet. Er war als Geisel für unseren Stamm bei ihnen ... sie behaupteten, es sei ein Versehen gewesen, und bestraften den Soldaten, ders getan hat. Haben ihn an ein Kreuz gehängt - ekelhaft.« Ich sah, daß die Erinnerung an diesen Tod ihn wirklich anwiderte, und wunderte mich, denn er war ja auf jeden Fall ein Wilder. »Du hast ein griechisches Herz«, sagte ich. »Fast, Herrin ... mein Volk stammt allerdings von den Trojanern ab ... Aber ich vermute, daß sie den alten Griechen recht ähnlich gewesen sind. Brutus hat unseren Stamm begründet. Brutus, der 88
Sohn des Priamus.« »Den Namen kenne ich nicht«, sagte ich. »Es gibt Paris - und dann noch Hektor - aber Brutus kommt in unseren Sagen nicht vor.« »Na ja«, meinte er mit einem freundlichen Lächeln, »auf unserer Insel gibts mehr Nebel als den, der aus den Mooren aufsteigt ... was weiß man schon Genaues bei all diesen alten Liedern?« »Nun, Cadwallader, mein Freund«, sagte ich, »auch in unseren alten Liedern ist viel Nebel ... aber ich muß ihn jetzt aus meinem Kopf verscheuchen und darüber nachdenken, wie ich meinem römischen Herrn am besten gehorche.« »Du wirst also gehen?« »Natürlich. Ich will meinen Thron.« Er schaute mich an, ein langer Blick. »Ich glaube, du kriegst ihn, Herrin.« Apollodorus flüsterte mir etwas ins Ohr, wies mich darauf hin, daß ich den beiden Boten kein Essen und keinen Wein angeboten hatte und daß sie noch nicht einmal dazu gekommen waren, sich ein wenig auszuruhen. »Ich war nachlässig, Freunde«, sagte ich. »Entschuldigt. Bitte macht es euch bequem.« Nachdem sie sich ausgeruht und erfrischt hatten, kamen wir zur Sache. Ich hatte gedacht, Achillas Streitkräfte lagerten bei Pelusium, an der syrischen Grenze, aber nördlich von uns; und ich hatte geplant, mit meinem Heer auf dem Weg zurückzukehren, den wir gekommen waren. Aber es scheint, daß er nach Alexandria zurückgegangen war und im Moment alle Befestigungen und die Stadtteile besetzte, in denen sich keine römischen Soldaten aufhielten. »Es heißt auch, Herrin«, sagte mein Bote, »daß sein Heer zwanzigtausend Mann stark ist.« Mir stockte der Atem, denn wir würden uns mit unserem kleinen Kontingent nie zu Cäsar durchschlagen können. Und ich hatte gedacht, ich besäße eine Armee! »Wo kommen denn diese Soldaten auf einmal her?« »Ich glaube, er hat ganz Alexandria eingezogen«, sagte mein Bote. »Er hat sie in Ptolemäus Namen zu den Waffen gerufen ... auf Weigerung steht die Todesstrafe.« »Vielleicht«, so dachte ich laut, »vielleicht könnte ich mir das Haar scheren und mich wie ein Soldat anziehen und in dieser Verklei89
dung durch die Linien schlüpfen.« Der Britannier schüttelte den Kopf. »Das klappt niemals, Herrin. Sie werden alle nach dir Ausschau halten ... jeder Alexandrier kennt dein Gesicht. Zu gefährlich ...« »Ich glaube, meine Untertanen würden mich nicht verraten«, sagte ich - und es war mir ernst. »Herrin ... unter so vielen sind unweigerlich auch ein paar Verräter.« Er schüttelte wieder den Kopf, diesmal traurig. »Nein ... du mußt übers Meer fahren.« Ich starrte ihn an. »Wie denn? Wir haben keine Schiffe.« »Du wirst nur eins brauchen. Du mußt deine Leute hierlassen ... Paß auf - dieser Mann und ich« - und er deutete auf meinen Boten - »wir zwei werden denselben Weg zurückgehen, den wir gekommen sind, und die Nachricht verbreiten, du hättest dich geweigert, Cäsar zu gehorchen, und würdest nicht nach Alexandria zurückkehren ... du nimmst in der Zwischenzeit ein Schiff - ein sehr kleines, das niemand auffällt - und fährst übers Meer, verkleidet, wie du sagtest, und mit nur einer weiteren Person. Geh bei Nacht in den Palast, wenn die Wache nicht so groß ist. Falls das Glück uns hold bleibt, bin ich vor dir da und halte Ausschau. Ich werds schaffen, denn der Julius mag mich ... ich weiß auch nicht, warum.« Wir saßen bis zum späten Abend da, dachten nach, versuchten, Pläne zu schmieden. Iras begann zu weinen. »Ich will nicht, daß du dir dein schönes Haar abschneidest - bitte tus nicht!« Es war dumm, aber ich fing auch an zu weinen. Es waren die Nerven, wirklich, außerdem wußte ich, daß ich sie zurücklassen mußte. Ein Mädchen durchschmuggeln - das reichte. Apollodorus hielt den Plan auch für gefährlich. »Die Verkleidung ist nicht gut genug ...« Erst als ich sah, wie Xeno, der kaum noch hinkte, Apollodorus Bettzeug zurechtlegte, zunächst den Teppich ausrollte, kam mir die Idee, als habe sie mir ein Gott eingegeben. Ich dachte an Gnäus Bemerkung auf dem Marktplatz, als er die Arbeiter mit dem Bettzeug über der Schulter beobachtet hatte. Er hatte gesagt, auf diese Weise, in einen Teppich eingerollt und über eine starke Schulter geworfen, könnte sich ein Spion überall einschleichen. Und ich wog wenig und war schlank. Wild raste das Blut durch meine Adern. 90
Wir würden es auf Gnäus Art machen. Apollodorus und ein schwarzer Sklave, der sein Bettzeug trug ... was konnte einfacher sein? Ich beugte mich vor und flüsterte meinen Plan.
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13 Ich kam erst zum zweiten Mal auf dem Seeweg in Alexandria an und sah nichts von der Stadt, denn ich war ja in Apollodorus Teppich versteckt. Es war Nacht; wir hatten bis Sonnenuntergang gewartet und uns außerhalb des Hafens ausgeschifft. Ich sah nicht einmal das Feuer des Leuchtturms auf der Insel Pharus, denn wir hielten es für am besten, mich recht frühzeitig zu verstecken. Kopf- und Fußende des Teppichs waren mit dünnen Stoffen zugestopft; ich konnte leicht atmen, aber Apollodorus war wie ein umständliches altes Weib und bestand darauf, ein kleines Loch in den Teppich zu schneiden; es war wirklich eine Schande, denn er hatte ihn schon viele Jahre, und er war feiner gearbeitet als die Teppiche heutzutage und ohne eine einzige abgenutzte Stelle. Er war in die Priestergewänder seiner Jugend gekleidet; dazu gehörte eine Kapuze, und er hatte sie nie im Palast getragen; es war unwahrscheinlich, daß er erkannt wurde. Und was Xeno betraf - die meisten Leute glauben, 92
alle Nubier und Afrikaner sähen gleich aus; auch hier bestand keine große Gefahr. Es war ein seltsames Gefühl, ganz in Dunkelheit eingeschlagen zu sein und zu hören, wie die Ruder leise durchs Wasser glitten und die Wellen gegen unser kleines Boot schlugen. Einmal rief jemand etwas, aber ich konnte seine Worte nicht verstehen; wahrscheinlich ein Posten auf der Stadtmauer - weit weg. Ich spürte, wie das Boot anhielt und ein wenig schaukelte, fühlte den kleinen Ruck, mit dem Xeno mich auf seine Schulter hob, und das Aufwärtsgehen auf den flachen Stufen; ich zählte sie: vierundzwanzig. Dann hörte ich Geflüster und die leisen Worte: »Das Kennwort ist LERCHE.« Ich fragte mich, warum. Dann keine Worte und kein Geflüster mehr, nur noch tappende Schritte - von mehr Leuten als den zweien, die mit mir waren, dachte ich. Ich merkte, daß wir den Palast betraten, denn die Luft wurde dumpf und drückend, und ich roch Essen und Leder und den Moschusduft, der immer in unseren Korridoren hängt. Seltsam, wie stark Gerüche und wie laut Geräusche werden, wenn man nicht sehen kann. Wir stiegen wieder Stufen empor; zweimal hörte ich das Kennwort, einmal von Apollodorus und einmal von dem Britannier gesprochen. Ich merkte, daß wir in meine Räume kamen; vermutlich rochen sie noch nach mir, aber alle Fenster mußten geschlossen und eine Kohlenpfanne angezündet worden sein. Mir war plötzlich zum Ersticken heiß. Ich hörte ein Niesen; jemand schneuzte sich. Xeno setzte mich behutsam auf dem Boden ab; ich hörte eine römische, etwas nasale Stimme. »Ist das der Schatz, den du mir versprochen hast, Cadwallader? Der Teppich ist nicht einmal antik nur alt ...« »Warts ab, Julius«, sagte der Britannier leise. Ich merkte, daß ich aus dem Teppich gerollt wurde; obwohl wir es geübt hatten, stellte Xeno mich hochkant. Ich zog meine Knabentunika herunter und krabbelte, so gut ich konnte, in sitzende Haltung, aber ich war verkehrt herum gedreht und hatte die Tür meines Ankleideraumes vor mir. Ich hörte, wie die nasale Stimme mit einem leisen Anflug von Gelächter fragte: »Ist es ein Knabe oder ein Mädchen?« 93
Ich wandte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam, nahm meine phrygische Mütze ab und schüttelte mein Haar, so daß es lose um mich fiel. Ich lächelte Julius Cäsar an, denn es war natürlich seine Stimme. »Ich habe gehört, Römer, daß dir das einerlei ist!« Er lachte laut und lange; es muß seine Nase wieder zum Laufen gebracht haben, er schneuzte sich. Ich wartete und sagte nichts. Er erhob sich von seinem Platz bei der Kohlenpfanne, kam zu mir, nahm mich bei der Hand und zog mich auf die Füße. Wir waren gleich groß; er war kein hochgewachsener Mann. »Nun«, sagte er, blickte mir in die Augen und lächelte ein dünnes Lächeln, »du bist wohl ein Mädchen ... und vielleicht das hübscheste, das ich je gesehen habe.« »Ich bin Kleopatra«, erwiderte ich. »Du hast mich rufen lassen.«
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14 Man hat behauptet, ich hätte Cäsar benutzt und er hätte mich benutzt, und wir hätten es beide aus selbstsüchtigem Ehrgeiz getan. Ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß wir vom ersten Moment an, da ich in unordentlicher Kleidung von meinem Teppich aufstand, um einem alternden Barbaren mit roter Nase ins Gesicht zu schauen, viel Liebe füreinander empfanden. Wir verharrten lange reglos, ein Moment außerhalb der Zeit; der starke Geruch von Heilkräutern hing schwer und erstickend im Raum. Ich sah einen dünnen Mann, hart wie Holz, glatzköpfig, mit klugem Mund und schwarzen Augen, die wie Kohlen glühten. Ich weiß nicht, was er sah, aber es war etwas zwischen uns, lief von Hand zu Hand wie ein kleines, heimliches Feuer, und es war egal, was er sah. Ich glaube, ich sprach zuerst. »Du hast mein Zimmer mit Beschlag belegt, Römer.« 95
»Es war das beste.« Ich lachte. »Aber du solltest das Fenster aufmachen«, sagte ich. »Die Luft ist schlecht.« »Ich habs nicht gemerkt«, antwortete er liebenswürdig. »Meine Nase ist verstopft.« In seinen dünnen Lippen zuckte es. »Ist auch gut so ... sonst würde ich das Feldlager an dir riechen, kleine Griechin.« Ich lachte wieder. »Nein, denn ich bin königlicher bedient worden als du, Cäsar ... Bibulus hat mir ein schönes Zelt gegeben, es waren Parfüme und Öle da, und ich hatte jeden Tag frisches Wasser zum Baden.« »Bibulus ...«, sagte er, zog den Namen in die Länge und lächelte. »Ich werde ihn reichlich belohnen ...« Ohne sich zu bewegen, erhob er plötzlich die Stimme. Ich hörte den Befehlshaber über Tausende. »Also, wer kümmert sich um das Fenster?« »Ich, Julius«, antwortete der Britannier. »Er nennt dich Julius«, sagte ich. »Ist er denn nicht dein Gefangener?« »Er ist mein Freund«, erwiderte Cäsar. Der Wind vom Meer fegte herein, zog die Vorhänge aus dem Fenster und brachte die Flammen in der Kohlenpfanne zum Flackern; er schauderte, ließ meine Hand los und drehte sich um, um den Pelz in Empfang zu nehmen, den Cadwallader ihm um die Schultern legte. Ich rannte ans Fenster, beugte mich hinaus und sog mit tiefen Atemzügen die frische Luft ein. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß er sich wieder vor die Kohlenpfanne gesetzt hatte. Ich wirbelte im Kreis herum vor Freude, hob die Arme und breitete sie weit aus. »Ich bin wieder in meinem Alexandria! Danke, Cäsar.« Und ich warf mich, ohne nachzudenken, vor ihm auf die Knie und barg den Kopf in seinem Schoß. Ich spürte seine Hand unterm Kinn, er hob mein Gesicht hoch und fuhr mit einem Finger die Tränenspuren unter meinen Augen nach. »Kind«, sagte er, »ich habe dich nur gerufen. Hergekommen bist du dank deinem Mut und deiner Klugheit ... Erzähl mir, wie es war«, schloß er mit einer neuen Freundlichkeit. Und ich tat es; ich redete die ganze Nacht lang. Ich erzählte ihm 96
alles - wie ein Fluß, der seine Dämme sprengt. Von unserer Geschichte, von meiner Kindheit, von meinen Hoffnungen, von meinen Ängsten. Er antwortete wenig, nickte nur oder atmete tief; er hatte die anderen längst aus dem Zimmer geschickt, wir waren allein. Ich kann mich kaum auf diese Nacht besinnen, bloß auf meine Gefühlsergüsse, sein ruhiges, unbewegtes Gesicht und das feurige Band zwischen uns. Ich weiß, daß Essen gebracht wurde und Medizin für ihn und Wein für mich. Vielleicht spielte auch der Wein mit bei meinem Reden; ich hoffe es nicht, denn ich wollte, daß er mich und nur mich hörte. Als der Morgen blaß aprikosenfarben dämmerte, gingen wir zu Bett; in mein Bett. Es war für mich gar keine Frage, daß er mein Geliebter sein und mir die Jungfräulichkeit nehmen sollte, obwohl ich vorher so achtsam gewesen war. Ich dachte auch nicht an Politik oder Strategie; oder vielleicht doch; ich habe einen Instinkt für solche Dinge, wie eine Katze ein Raubtierherz hat. Man muß ehrlich sein, zumindest sich selbst gegenüber. Es kann keinen Liebhaber geben und es gab keinen Liebhaber wie meinen Julius; ich wußte es damals schon, obwohl ich keinen Vergleichsmaßstab hatte. Er kannte jeden Zentimeter des weiblichen Körpers und verstand es, sogar eine Jungfrau zu befriedigen. Es überraschte ihn, daß ich eine war, wie es mich überraschte, daß es nicht weh tat. Es gibt ein unanständiges Lied über ihn, das die Legionen singen; irgendein Soldat hat es auf einem Rückmarsch nach Rom gemacht, und es wurde populär. Es geht etwa so: »Römer, sperrt eure Frauen ein ... der glatzköpfige Ehebrecher kommt ...« Das Lied hat viele, viele Verse, einer schmutziger als der andere, aber voll Zuneigung, denn die Soldaten liebten ihn genauso wie ich. Es ging mir danach durch den Kopf, und ich sprach ihn darauf an. Er lachte und sagte, es sei eine Übertreibung. Ich fragte ihn, mit wieviel Frauen er geschlafen habe; es war inzwischen ganz hell, und ich sah sein Gesicht deutlich; ein leichtes Zucken, ein belustigtes Zucken vielleicht, ging über seine unbewegte Miene hin. Er zog die Schultern hoch und sagte: »Kriegsprämien und Bordelle und gastliche Nächte im Haus von Freunden mit eingerechnet ... ? Ach, vielleicht tausend ...« Ich vermute heute, daß er mich auf den Arm nahm und innerlich 97
kicherte; aber damals glaubte ich ihm. Irgendwie störte es mich auch nicht, doch ein dunkles Gefühl bewog mich zu fragen: »Und die Knaben..?« »Oh«, sagte er leichthin, »ich habe sie nicht gezählt ... und sie gehören zur undeutlichen Vergangenheit meiner Jugend.« Er kam näher und schaute mir in die Augen. »Du bist schockiert ... warum? Hast du denn nie mit einer Frau geschlafen?« »O nein!« rief ich entsetzt. Er war amüsiert. »Wie kann das sein?« fragte er. »Du bist doch nicht aus Eis - ganz und gar nicht. Und du lernst auch nicht langsam ...« »Ich bin in allen Dingen schnell«, sagte ich. »Ich muß es sein. Ich bin eine Königin ... und außerdem eine Göttin.« Er lachte schallend, bis er husten mußte. Wir verbrachten den ganzen Tag im Bett. Und wir schliefen nicht viel. Es war die erste von vielen solchen stürmischen Stunden. Als die Dunkelheit kam wie eine Decke, sagte er zu mir: »Das war ein gutes Tagwerk - besser als ein Feldzug in Gallien. Ich liebe dich, kleine Göttin. Ich hoffe, daß wir einen Gott hervorgebracht haben ...« Meine Gedanken rasten wild in die Zukunft voraus, Freude durchpulste mich rasch. Ich hatte keinen Zweifel daran, daß hier - vom perfekten Liebhaber gar nicht zu reden - der größte Mann der Welt neben mir lag. Und er würde unseren Sohn anerkennen! Ich wußte, daß er mich wirklich liebte. Es war eine vollkommene Nacht und ein vollkommener Tag und wieder eine vollkommene Nacht, von all denen, die noch kamen, ganz zu schweigen. Nur zwei Dinge bedauerte ich. Ich hätte ihm nie von Gnäus erzählen sollen. Und außerdem steckte er mich mit seiner Erkältung an.
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15 Ich fuhr wieder mit dem Schiff nilaufwärts, aber diesmal nicht als Mutter des heiligen Stiers, sondern als Königin und Göttin, als die Isis beider Ägypten mit ihrem königlichen Gefährten, der auch ein Gott war, Jupiter-Amon - mein Julius -, und in mir trug ich das Kind unserer Vereinigung, das Gott der ganzen Welt werden würde! Diesmal stand ich nicht, für all meine Untertanen sichtbar, sondern ich ruhte auf Kissen; das Kind wurde bald sieben Monate und wölbte mächtig meinen Leib. Ich konnte mich nicht bücken, um meine Sandalen zuzumachen, und mußte in meine Badewanne gehoben werden. Insgeheim wußte ich, daß ich all das auch hätte allein tun können, trotz meines Bauches; ich bin immer ungeduldig mit Bedienten gewesen. Aber Julius gestattete mir keinerlei Tätigkeit. »Ich werde dick werden!« rief ich. »Du nicht«, sagte er. »Du bist immer noch gertenschlank bis auf eine Stelle ...« Aber das stimmte nicht; im Spiegel sah ich, daß mei99
ne Wangen rund waren, und unter meinem Kinn lag winzig ein zweites. Ich hielt den Kopf hoch, reckte den Hals und wies Zuckerwerk zurück. Ich war entsetzt, um die Wahrheit zu sagen, nicht gewöhnt an frauliche Arme und Brüste, die so groß waren wie die meiner armen Schwester Arsinoë; was, wenn sie immer so blieben? Julius lächelte und sagte, das würde nicht geschehen. »Denn ich habs viele Male gesehen ... wenn es vorbei ist, wirst du wieder wie ein junges Mädchen sein.« Ich warf ihm einen scharfen Blick zu. »Ich dachte, du hättest nur ein Kind gezeugt ...« »Ein eheliches Kind«, sagte er. »Aber es gibt noch mehr - auf der ganzen Welt, ich zweifle nicht daran. Ich habe einen Sohn in Rom ... ein feiner junger Mann und ein Aristokrat. Ich konnte ihn aber nicht anerkennen, denn seine Mutter hatte eine gute Partie gemacht und konnte sich nicht von ihrem Gatten trennen.« Er schaute mich nachdenklich an. »Du wirst ihn mögen ... er ist ungefähr in deinem Alter ... nein, älter. Ich zeige ihn dir, wenn du nach Cäsarions Geburt nach Rom kommst.« Wir hatten nämlich beschlossen, unseren Sohn Cäsarion - kleiner Cäsar - zu nennen. Manchmal wurde mir tief im Innersten eiskalt, wenn ich daran dachte, daß es vielleicht kein Sohn war und daß sich all unsere Pläne zerschlagen würden. Einmal - ich war verdrießlich, weil ich eine leichte Schwangerschaftsübelkeit spürte sagte ich das zu Julius. »Dann nennen wir sie Julia ... nach meinem toten Liebling ...« Und er weinte auf seine seltsame und gottgleiche Weise - ich habe nie aufgehört, darüber zu staunen. Seine Miene verzerrte sich nicht dabei, sie blieb unbewegt wie die einer Statue, während ihm die Tränen wie ein Regen übers Gesicht strömten. Er war ein Mann der vielen Seltsamkeiten, mein Julius. Er konnte etliche Stunden ohne Schlaf auskommen, um dann, aufrecht sitzend und mit offenen Augen, einzuschlummern und nach zehn Minuten völlig erholt wieder aufzuwachen. Er machte sich nichts aus Wein und noch weniger aus Essen. Er trank literweise stark mit Wasser verdünnten Wein, wenn er Durst hatte, und aß gewaltige Mengen, wenn er hungrig war - doch er konnte auch stundenlang ohne Essen und Trinken auskommen, wie ein Kamel in der Wüste. 100
Vieles läßt sich damit erklären, daß er einen großen Teil seines Lebens auf Feldzügen verbracht hat, aber nicht alles. Ich habe gesehen, wie er teilnahmslos bei einer fürchterlichen Hinrichtung zuschaute oder die Arme bei einer Zeremonie für einen alten Gott, an den er nicht glaubte, bis zu den Ellenbogen in blutige Eingeweide tauchte. Aber er konnte kein Sandkorn unter seinen Fingernägeln und keinen Schmutzfleck auf seiner Toga ertragen. Ich wußte - denn ich hatte lange mit Cadwallader, dem Britannier, geredet -, daß er im Krieg kaltblütig Massaker an ganzen Dörfern angeordnet hatte, und das waren vor allem Frauen gewesen, Frauen mit Kindern, die sich an ihren Rockzipfeln festklammerten, oder schwangere Frauen wie ich. Doch er wich nie von meiner Seite und ließ es nicht zu, daß ich auch nur einen Finger rührte, sondern sorgte für alles, damit ich in Luxus daliegen konnte wie eine große, aufgeschwollene Biene. Er liebte mich natürlich; ich wußte das. Aber was ich damals nicht begriff, begreife ich heute. Ich vergaß immer sein Alter; ich vergaß immer, daß das Kind, mit dem ich schwanger ging, vielleicht das letzte war, das er zeugen würde, und er sehnte sich auch in dieser Hinsicht nach Unsterblichkeit, mein Julius. Das Schiff, das auf dem Nil schwamm, war so groß wie ein Palast, mit Innenhöfen, Kolonnaden, Bankettsälen, Wohnzimmern, Altären für alle Götter - römische, griechische und ägyptische -, und es wurde von vielen Reihen von Ruderern angetrieben. Es war aus Zedern- und Zypressenholz gebaut, und Blattgold zierte seine sämtlichen Beschläge. Die Einrichtung war griechisch, allerdings von der überladeneren Art, die dem römischen Geschmack mehr zusagt. Er hatte es eigens bauen lassen, als er von meiner Schwangerschaft erfuhr, denn er wollte mit mir unser Königreich besichtigen; wie ihm das gelang trotz den vielen Dingen, die er sonst noch in diesen kurzen sieben Monaten zustande brachte, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Denn diese sieben Monate waren praktisch wie sieben oder wie siebzig Jahre gewesen. Der Kampf in Alexandria hatte ein Ende gefunden; alle meine Feinde waren besiegt; ganz Ägypten gehörte mir - und meinem Geliebten. Aufruhr, Zwietracht, Empörung und Verrat hatten geherrscht; das war jetzt beigelegt, und Ägypten gedieh. Der bösartige Pothinus und der brutale Achillas waren tot, unterm 101
Richtbeil gestorben; Theodotus war außer Landes geflohen. Arsinoë und ihr Ganymed, die einen Aufstand geschürt hatten, waren Gefangene des Staates. Der arme Maus war leider tot, im Nilschlamm ertrunken; sein schwerer Bronzeharnisch hatte ihn hinuntergezogen, bevor man ihn retten konnte; der eitle Junge - irgendwie liebte ich ihn und betrauerte ihn, obwohl er sein ganzes junges Leben lang gegen mich intrigiert hatte. Jetzt saß ich auf dem Thron von Ägypten mit meinem kleinsten Bruder, der mittlerweile zehn Jahre alt war; man kann ihn nur Maus II. nennen; ich nehme an, daß er einen Königsnamen hat, aber niemand scheint ihn zu kennen. Es hat natürlich keine formale Hochzeit stattgefunden, sie wird auch nie stattfinden, doch das weiß niemand außer Julius und mir. Diese Reise wird Cäsar zum König und Gott machen, wie ich Königin und Göttin bin; und wenn danach alles in Ordnung gebracht ist, werden wir gemeinsam über Ägypten herrschen. Und über Rom auch. Aber wir bewahren Stillschweigen darüber, und ich liege schläfrig in meinen Kissen, ziehe die Hand durchs Nilwasser, das jetzt im Frühling kühl und angenehm ist, und warte auf mein Kind. Wir werden von einer Flotte von vierhundert Schiffen und Booten begleitet; eine Machtdemonstration - allerdings bezweifle ich ihre Notwendigkeit. Aber Cäsar ist vorsichtig; das ist eine Eigenschaft, die ich noch lernen muß. Er war für ein weiteres Jahr zum Diktator ernannt worden; man hatte ihn vor mehreren Monaten davon benachrichtigt; die ganze römische Flotte und alle Garnisonen in seiner Nähe standen ihm zur Verfügung. Es war unmöglich, daß seine und meine Feinde gegen diese Macht etwas ausrichten konnten. Ich dachte, er würde nach Rom zurückgehen, aber ich hatte ihm gerade gesagt, daß ich schwanger sei, und er wollte mich nicht verlassen. Ich war geschmeichelt, drängte ihn jedoch zum Aufbruch - das sei klüger. Er lächelte und sagte: »Nein, so ist es klüger ... ich bin zwar populär, aber es gibt immer noch die Feinde aller Leute, die an hoher und höchster Stelle sind, und die habe ich auch ... Das soll sich am besten erst einmal legen, Pompejus soll ein bißchen mehr vergessen werden.« Sein Gesicht wurde seltsam verschlossen. Dann fuhr er fort: »So werden wir alle vergessen - wenn wir gestorben sind. Mit der Zeit ... 102
wir alle ...« Ich sagte nichts; es ist eine ernüchternde Vorstellung. Und obwohl ich wußte, daß sie zutraf und daß er, einst ein guter Freund von Pompejus, Pompejus fast vergessen hatte, gab es immer noch Dinge, die er nicht vergaß. Es war mir klar, daß Julius nicht Pompejus wegen dessen Sohn, meinen Gnäus, hetzte. Gnäus war Befehlshaber der Adriaflotte gewesen, der letzten wohl, die gegen Cäsar aushielt. Es ist verständlich, daß sie bezwungen, vielleicht sogar stark geschwächt werden mußte. Aber es bestand wirklich keine Notwendigkeit, dafür zu sorgen, daß Gnäus zu Tode kam; er hatte sich bereits ergeben und sich Cäsar überantwortet. Sextus Pompejus, Gnäus Bruder, wurde verschont und auf freien Fuß gesetzt. Aber Gnäus wurde hingerichtet, und Cäsar überwachte die Hinrichtung. Danach behauptete er, Gnäus habe furchtbare Greueltaten gegen seine, Cäsars, Truppen verübt; das wurde sogar auf sein Geheiß schriftlich niedergelegt, damit die Nachwelt Gnäus nur als grausamen Verbrecher kannte. Vielleicht war es so; ich glaube es nicht. Julius tat es um meinetwillen; er war eifersüchtig, um es einfach zu sagen. Seltsam, denn er hatte oft von seinen anderen, früheren Lieben gesprochen; seine Gefühle waren immer oberflächlich gewesen, und er hatte weder davor noch danach einen Groll gegen die Gatten oder gegen die Geliebten dieser Frauen gehegt. Aber bei mir verhielt er sich anders. Vielleicht lag es daran, daß er alt war. Doch auf die andere Art ging es auch nicht. Ich erfuhr, daß er mit der Frau des Befehlshabers des Standorts liebäugelte, von dem aus er die pompejanische Flotte bekämpfte; der Befehlshaber war anscheinend überglücklich darüber, daß er so geehrt wurde. Selbst in der Nacht von Gnäus Hinrichtung legte sich Julius zu dieser Frau ins Bett; sie hieß, glaube ich, Euphemia. Ich sagte nie ein Wort über Gnäus, aber ich schalt ihn wegen der Affäre mit Euphemia; auch ich war eifersüchtig. Er sah mich baß erstaunt an. »Aber das hatte doch überhaupt nichts zu bedeuten! Das ist so Brauch ... eine Art Gastfreundschaft, die man immer angeboten bekommt ...« »Gastfreundschaft!« brüllte ich und holte mit aller Kraft aus und schlug ihm ins Gesicht. Er stand stocksteif da, verdutzt; die Spur 103
von meiner Hand hob sich weiß gegen seine sonnengebräunte Haut ab und ein dünner Faden Blut lief ihm die Wange herab, wo ich ihn mit meinem königlichen Skarabäusring getroffen hatte. Er nahm mich bei den Handgelenken, freundlich, aber fest, und sah mir ernst in die Augen. »Keine andere hat das je getan«, sagte er ruhig. »Und du wirst es auch nicht mehr tun.« »Nein!« schrie ich mit puterrotem Gesicht. »Beim nächsten Mal nehme ich ein Messer!« »Paß auf«, sagte er und hielt mich immer noch bei den Handgelenken, »zwischen uns soll Friede sein. Wenn du den Gedanken nicht ertragen kannst, daß andere Frauen, wie oberflächlich auch immer ... ich werde auf sie verzichten. Wie ich viele Tage auf Essen verzichten kann ...« »Und wie du nicht einmal unterscheiden kannst, was du ißt!« rief ich, immer noch zornig. »Der Vergleich war nicht in jeder Hinsicht wörtlich gemeint«, antwortete er lächelnd. Sein Lächeln erboste mich; ich fühlte mich sehr jung. Er fuhr fort: »Alle Frauen sind verschieden. Natürlich empfindet man nicht für jede dasselbe.« Plötzlich lachte er. »Wenn ich immer so empfunden hätte, wie ich für dich empfinde, meine Liebe ... tja, dann wäre ich sicher schon lange tot!« Ich merkte, wie mein Zorn abklang und Gelächter in mir aufstieg, aber ich unterdrückte es und blickte finster drein. »Wie sah sie aus ... diese Euphemia?« fragte ich. Sein Blick wurde verschwommen. Er überlegte. Dann wurden seine Augen klar. »Schwarz«, sagte er und nickte. »Schwarz!« schrie ich entgeistert. Schwarze sind in Ägypten immer Sklaven gewesen, und es erforderte einige Anstrengung, sich an diese Vorstellung zu gewöhnen. »Ja, aus Nubien«, sagte Julius. »Und ihr Mann auch. Römische Bürger natürlich. Sie mußten selbstverständlich mehr für ihre Papiere bezahlen, als sie wert sind. Es ist nur ein kleiner Herrschaftsbereich an der Küste.« Er ließ behutsam meine Handgelenke los und nahm mich bei den Schultern. »Es wurde richtig von mir erwartet, weißt du ... mein Ruf eilt mir voraus ...« Er blickte mich verstohlen und merkwürdig scheu an; ich konnte mir vorstellen, wie er als kleiner Junge ausgesehen hatte. Mein Zorn war verflogen, 104
aber ich tat immer noch erbost. »Also, von nun an wird es nicht mehr von Cäsar erwartet!« sagte ich. »Cäsar ist mein!« Er lächelte und fuhr sich mit der Hand über die Wange. »Freilich«, sagte er, »du hast mich ja auch entsprechend gekennzeichnet ...« Er streckte mir einen Finger entgegen, der mit seinem Blut beschmiert war. Ich senkte die Augen und betrachtete ihn; mir wurde übel, aber ich erbrach mich nicht; ich fiel in Ohnmacht. Und so wurde ich mir des Lebens sicher, das in mir keimte; ich hatte es schon seit Tagen vermutet. Die Ärzte bestätigten es und steckten mich ins Bett, damit ich nicht wieder in Ohnmacht fiel, bis das Kind ein bißchen größer und weniger verletzlich war. Cäsar versprach mir alles, worum ich ihn bat. Und so kam es, daß ich neben dem Mann, den die Leute den »Welteroberer« nennen, müßig die Hand durchs Nilwasser zog. Einmal erzählte er mir leise in der Nacht, wie er vor Jahren heiße Tränen geweint hatte, als er von Alexander las, der trotz seiner Jugend schon soviel erobert hatte. »Ich war bereits älter als er, verstehst du ...« Das Herz tat mir weh um seinetwillen; ich hatte so oft dasselbe empfunden. Ich versprach, daß ich ihm den geheimen Ort zeigen würde, an dem Alexander lag, wenn wir erst in die Stadt zurückgekehrt waren. »Aber«, flüsterte ich, »aber du hast doch schon einen größeren Batzen von der Welt als er ...« »Nicht ich«, antwortete er. »Rom.« »Aber du bist Rom«, sagte ich. »Oder wirst es sein. Du wirst König sein - wie hier ... Gott, wie hier ...« Und so träufelte ich ihm Tag für Tag tropfenweise das Königsgift, das Gottgift ein. Ich merkte es damals nicht einmal; schließlich hatte ich mein Leben lang von diesem Stoff gezehrt.
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16 Cäsarion wurde in einer Nacht im Hochsommer bei Vollmond geboren; die Astrologen nannten das eine günstige Konstellation und meinten, es anhand von Tabellen beweisen zu können. Julius hörte immer auf alles mögliche, das aus dem Mund der Weisen kam; ich wußte, daß die Astrologie eine alte und nicht exakte Wissenschaft war, aber er legte für alle Fälle die Finger über Kreuz und begrüßte die guten Omen. Mir reichte es, daß es ein Junge war und ein gesunder Junge dazu; bei einer solchen Hitze schrumpft das Kind manchmal im Mutterleib. Ich hielt ihn in den Armen, schaute ihn an und lachte leise; er war Julius in klein, sogar kahlköpfig wie er; ein fünfzig Jahre alter Kopf auf dem Leib eines Neugeborenen. Er würde nicht immer so aussehen, sagten die Ärzte; von Tag zu Tag bekam er mehr sein eigenes Gesicht, und hellbrauner Flaum sproß auf seinem Kopf wie junges Gras. 106
Es war eine leichte Geburt, noch leichter gemacht durch den Mohnsaft, den Dioscorides mir gab. Cäsar staunte. Er sagte, die Frauen in Rom, auch die reichsten und vornehmsten, litten sehr bei der Entbindung. Sie würden für gewöhnlich nicht von Ärzten behandelt, sondern von Frauen, die man Hebammen nenne - genauso wie die Armen in den Ausländervierteln von Alexandria. Ein weiterer Beweis dafür, daß die Römer Barbaren sind, und ich sagte das auch. Julius lächelte und meinte, ich solle denken, was ich wolle, solange ich mich wohl fühlte und einem prächtigen Sohn das Leben schenkte. Das Glück war uns wahrhaftig hold gewesen. Nichts würde sich unseren Plänen in den Weg stellen. Ganz Ägypten anerkannte unseren Sohn als Amon, den »Welterben«. Er wurde, drei Wochen alt und gewandet in die Pharaonenrobe mit der langen Schleppe, im Isistempel symbolisch gekrönt. Als man ihm das Schlangenzepter entgegenhielt, schlossen sich seine kleinen Finger fest darum, und er führte es zum Mund und biß drauf mit seinen zahnlosen Kiefern. Er lachte nicht, denn es war eine ernste Sache, aber selbst der älteste Priester schmunzelte bei diesem Anblick. Was mich betraf, so griff es mir ans Herz wie eine eiserne Faust; mein Sohn machte sich das königliche Symbol Ägyptens zu eigen! Jetzt mußte man nur noch den römischen Adler als Spielzeug für ihn in einen Käfig sperren! In den Wochen nach der Rückkehr von unserer Fahrt auf dem Nil war ich ins Bett gesteckt worden; Dioscorides hielt viel von Ruhe und Untätigkeit kurz vor der Geburt. Es war fürchterlich heiß für Alexandria, oder vielleicht war ich in meinem Zustand besonders empfindlich dagegen. Julius sagte danach, ich sollte den Göttern dafür danken, denn bei der Geburt hätte ich meinen ganzen Speck weggeschwitzt! Es stimmte; ich war dünner als zuvor, und das Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenblickte, hatte neue Konturen, straff über den Wangenknochen und feine Schatten darunter. Ich sah älter aus, aber ich war schöner geworden; ich war zufrieden. Julius Cäsar ist nicht der Mann, der lange müßig bleibt; während ich mich vor der Geburt ausruhte, arbeitete er Stunde um Stunde mit Sosigenes, dem Astronomen; sie reformierten den Kalender! Die Götter wissen, daß das nötig war; jedes Jahr mußten Tage zugerechnet werden; aber es ging nie glatt auf. 107
Doch sie lösten gemeinsam das Problem, nahmen sich einen Monat vor und machten ihn kürzer - einen Wintermonat. Das war in gewisser Weise auch vorher schon getan worden, aber immer noch nicht ganz aufgegangen. Ich weiß nicht, wer von ihnen auf den Gedanken kam, aber sie gaben jenem Monat im neuen Kalender alle vier Jahre einen zusätzlichen Tag und machten ihn mathematisch perfekt. Diesen Kalender nannten sie den »Julianischen Kalender«. Die Monate wurden größtenteils nach Göttern benannt, aber am Ende fielen ihnen keine mehr ein und sie nahmen Zahlen; einen Monat, den Monat vor Cäsarions Geburt, nannten sie »Julius«, weil auch Julius zu dieser Zeit des Jahres auf die Welt gekommen war. Sie machten Überstunden und wurden mit dem neuen Kalender fertig, bevor Julius nach Rom zurückging; er ist in den meisten Teilen der zivilisierten Welt heute noch in Gebrauch. Denn der Diktator von Rom konnte nicht länger in Alexandria bleiben, so glücklich wir auch waren. Wir hatten unsere Pläne geschmiedet, und er mußte beginnen, sie zu verwirklichen. Es waren noch Feldzüge in den Grenzbereichen des Mittelmeers auszufechten; die Parther mußten unterworfen, ganz Indien erobert werden. Wenn das getan war, wenn nur noch Ägypten außerhalb des römischen Herrschaftsgebiets blieb, würde er seine Hochzeit mit mir, der Königin dieses Landes, bekanntgeben; wir würden den Wohlstand Ägyptens und allen Reichtum der römischen Welt miteinander verbinden und Alleinherrscher der Erde werden. Das war unser Plan, und ich wars zufrieden, für unseren Sohn zu sorgen und zu warten, bis Julius mich nach Rom rief.
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Zweites Buch
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ROM
1 Cäsarion konnte schon früh laufen; er war etwas über zehn Monate alt, als wir nach Rom fuhren. Ich hatte ihn nie in die Obhut von Ammen gegeben, wie man es mit den meisten königlichen Kindern macht; ich hielt mir immer vor Augen, daß er der »Welterbe« war, des großen Cäsar Sohn und mein Glückszauber. Ich war entsetzt, wenn er hinfiel und sich die Knie aufschürfte oder sich den Kopf anstieß; ich habe mir oft gedacht, daß es wirklich ein Wunder ist, daß Kinder überhaupt groß werden! Immer schlagen sie sich um Haaresbreite den Schädel an der Kante eines Marmortisches oder an einer eisernen Bank ein; und dann essen sie alles, selbst Hundekot, wenn man ihnen nicht zuvorkommt. Einmal trank Cäsarion ein ganzes Gefäß von der Mandelmilch aus, die ich für meine Haut verwende; ich wußte nicht, was darin war, und rannte zitternd vor Angst zu Dioscorides. Er sagte, sie enthielte nichts Schädliches, nur ein bißchen Honig. Aber ich ließ meinen Zorn an der armen Iras 110
aus; sie hatte auf ihn aufpassen sollen, während ich hinter dem Vorhang verschwand, um einen der Deckskübel zu benutzen. Danach tat es mir leid, denn sie war die ganze Fahrt über seekrank, konnte kaum den Kopf hochhalten und erst recht nicht ein unermüdliches Energiebündel von Kleinkind beaufsichtigen. Dank der Gunst der Götter kam er nie auf dem glitschigen, schwankenden Deck zu Schaden, fiel auch nicht ins Meer oder in den Laderaum. Ich weiß inzwischen, daß Kinder das selten tun, aber damals war ich eine junge Mutter und selbst ganz und gar nicht glücklich darüber, übers Meer zu fahren. Er ähnelte seinem Vater immer noch sehr, obwohl er mittlerweile einen dicken Schopf hellbraunes Haar, hellbraun wie meines, und runde Wangen mit Grübchen hatte. Aber man erkannte Julius Augen, tiefliegend und dunkel; heiße Augen. Und obwohl er watschelte, hatte er den gleichen Gang - die kleine Brust raus, Kopf hoch und Füße nach außen gedreht; lustig anzuschauen. Er war ein sonniges Kind und von sehr gewinnendem Wesen; er weinte selten und konnte immer leicht mit einer Umarmung oder mit Süßigkeiten getröstet werden. Er schien alle zu lieben; mich, Iras, Apollodorus, die Ärzte, die Sklaven, die Matrosen. Er bevorzugte niemand, nur vielleicht den schwarzen Xeno und den rotgoldenen Cadwallader; Xeno war sein unermüdliches Reitpferd, und der Britannier sang ihm einschmeichelnde, fröhliche Lieder vor und erzählte ihm kleine Geschichten von seinem nebligen Land. Zu meinem geheimen Ärger betete er Arsinoë an, kletterte ihr auf den Schoß und spielte mit den Armreifen, mit denen sie sich immer noch, selbst jetzt als Gefangene, behängte. Denn auch Arsinoë und ihr Geliebter Ganymed reisten mit uns; sie sollten bei Cäsars Triumph gezeigt werden und, dem Spott der Menge preisgegeben, in Ketten gehen. Arsinoë hatte es ja nicht anders gewollt, aber es beunruhigte mich trotzdem; es kümmerte mich nicht, daß Ganymed im dreckigen Laderaum schmachtete, aber meine Schwester behielt ich während der Reise bei mir - sie war nicht gefesselt und hatte an all unseren zweifelhaften Bequemlichkeiten teil. Sie dankte mir nicht dafür, sondern warf mir, wann immer ich in ihre Richtung schaute, stumme, dunkle, haßerfüllte Blik111
ke zu. Aber sie war lieb und nett zu meinem kleinen Jungen; ich beobachtete sie auch mit Adleraugen, wenn er in ihrer Nähe war. Doch sie gab ihm ihre Armreifen zum Spielen und ließ ihn auf ihrem Knie reiten, bis er vor Freude jauchzte. Hin und wieder sah ich, wie sie ihn an sich drückte, und die Tränen flossen ihr über die Wangen herab; bei solchen Gelegenheiten tat sie mir leid, obwohl sie sich schändlich gegen meinen Thron und sogar gegen mein Leben verschworen hatte. Auch mein Mitregent, Ptolemäus XIV. - mein elfjähriger Bruder -, reiste mit uns und sorgte für mehr Aufregung als Cäsarion. Zweimal ertrank er fast, denn er lehnte sich immer zu weit über die Reling; mich schauderte bei dem Gedanken, was die Leute, nachdem schon sein Bruder im Nil ertrunken war, dazu gesagt hätten; sie konnten mir jedenfalls Maus Tod nicht in die Schuhe schieben, wie sehr sie es auch versuchen mochten, denn ich war nie in seiner Nähe. Aber dieser Knabe fuhr mit demselben Schiff wie ich! Er war noch schlimmer seekrank als Iras und wurde blaß und dünn auf der Reise; als wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten, sah er aus, als hätte er Hunger leiden und Schläge über sich ergehen lassen müssen; ich hätte ihm mit Wonne den Hals umdrehen können! Cäsar hatte mir geraten, ihn mitzunehmen, hatte geschrieben, daß das Aufrührerische in meiner Familie läge und daß es besser sei, ganz sicherzugehen. Ich bin zwar nicht imstande zu glauben, daß dieser schwächliche kleine Bruder den Nerv hätte, einen Aufstand anzuführen, oder daß ihm überhaupt jemand folgen würde. Natürlich konnte er sterben oder ermordet werden, wenn man ihn in Alexandria ließ, und mir würde man dann die Schuld daran geben; irgendwie hat Cäsar immer recht! Cäsar war nicht da, um uns zu begrüßen, nachdem wir bei sengender Hitze noch ein Stück über Land gereist waren; es schien ewig zu dauern mit all unseren Sklaven und Habseligkeiten, und ich war sogar froh, daß er nicht da war und mich nicht in einem solchen Durcheinander sah. Er hatte jedoch eine Eskorte geschickt, die von einem jungen Mann mit nachdenklichem, ernstem Gesicht geleitet wurde; er stellte sich mir vor - Brutus - und sagte, Julius sei sein Patenonkel. Als er mir den Arm reichte, um mir auf mein Pferd zu 112
helfen, sah ich jedoch seine Hand - ganz deutlich, als sei sie von ihm losgelöst. Sie war schmal und braun mit langen Fingern, die seltsam konisch zuliefen und an den Spitzen abgeflacht waren. Ich hätte fast einen Schrei ausgestoßen; das war das genaue Pendant zu Cäsars Hand! Dioscorides hat oft gesagt, daß die Hände alles verraten, wenn sonst keine Ähnlichkeit da ist. Das mußte also der nicht anerkannte Sohn sein, von dem Julius gesprochen hatte. Ich schaute ihn heimlich von Zeit zu Zeit an, während er neben meinem Pferd herging und höfliche Konversation machte. Sonst sah ich nichts, was an Cäsar erinnerte; er mußte wohl nach seiner Mutter geraten sein. Er war größer und kräftiger gebaut, sein Gesicht war durch und durch derb, wie Cäsars Gesicht durch und durch scharf geschnitten war; wenn er lächelte, bildete ich mir ein, eine Andeutung von Julius Art um die Mundwinkel zu erkennen, aber vielleicht hatte ich danach gesucht. Er verließ mich nach ein paar höflichen Momenten und stieg auf sein Pferd, um mit uns nach Rom zu reiten. Wir wurden zu Cäsars Villa geleitet, einem Haus am rechten Ufer des Tiber, ein Stückchen entfernt vom eigentlichen Rom und wunderhübsch, ein kleines Juwel inmitten blühender Gärten. Als wir eintraten, sah ich, daß es durchaus nicht klein war, es sei denn, verglichen mit meinem Palast in Alexandria, und es war alles komplett - Personal, Essen und Wein auf dem Tisch und sämtliche Zimmer gelüftet und bezugsbereit. Die Gefangenen, Arsinoë und Ganymed, wurden in den Stallungen untergebracht; das war keineswegs so schlimm, wie es sich anhört, es handelte sich um ein ziemlich großes Gebäude neben den Pferdeställen, und eine Reihe von Sklaven bezog hier auch Quartier, um ihnen aufzuwarten; natürlich wurden überall Wachen postiert, denn bei diesem Paar ließ sich Cäsar auf kein Risiko ein. Es ging auf den Abend zu; die Sonne stand niedrig und färbte den Himmel rot. Das Essen wurde auf einer Terrasse in einem geräumigen Hof serviert, von der aus man den Fluß überblickte; am anderen Ufer sah man Rom, als sei es nur für uns hingebaut worden. Es ist nicht schön wie Alexandria, aber es hat seinen eigenen Zauber. Es ist eine sehr neue Stadt, dieses Rom; seine Umrisse sind scharf und nicht gemildert durch die feierlichen dunkelgrünen Zypressen, die man sonst überall gepflanzt hat. Von unserem Blickpunkt aus 113
wirkte es ein wenig so, als habe sichs ein Kind als Spielzeugstadt gebaut; Rom liegt auf sieben Hügeln und ist sehr gleichförmig; eine kindliche Ordnung herrscht vor. Es gibt viel Marmor, der jetzt im Westen rötlich wird, und die Gebäude sind in langen Zeilen angeordnet und zum Teil sehr hoch - vier Geschosse und mehr. Ich sah bei diesem ersten Überblick viele Nachahmungen griechischer Tempel und Foren; hie und da steigen dünne Rauchsäulen auf. Es ist zu heiß für alles andere als kleine Feuer zum Kochen; sie müssen in den Tempeln opfern - Abendgottesdienste. Man sieht keine Farben außer den Reflexen der Sonne und dem schwärzlichen Grün der Zypressen; die ganze Stadt ist blendend weiß. Der Tiber ist auch schwärzlichgrün, nicht blau wie das Meer oder braun wie der Nil; von hier aus betrachtet, scheint er eine starke Strömung zu haben, schnell treiben kleine Boote auf ihm dahin. Ich fragte mich, wohin sie fuhren und was sie transportierten. Ich erkundigte mich bei dem jungen Mann, bei Brutus, danach, und er antwortete, sie seien ein allgemeines Fortbewegungsmittel bei schönem Wetter; den Leuten sei die frische Luft auf dem Fluß lieber als die engen, dumpfigen Gassen. Wir sollten nicht auf Cäsar warten, sagte er; er werde bei Sonnenuntergang kommen, wenn der Senat auseinandergegangen sei. Ich erwiderte, ich sei noch abgespannt und nähme nur ein Stück Melone und ein bißchen Wein. »Aber ich glaube kaum, daß Cäsarion länger warten kann«, sagte ich mit einem Blick auf ihn. Er gähnte und rieb sich die Augen. »Er muß ein wenig Hafergrütze und Milch haben und ins Bett gebracht werden ... er ist nicht in der rechten Verfassung, seinen Vater zu begrüßen ...« Brutus schaute zu dem Jungen hinüber. »Er ist Cäsar wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten«, sagte er nachdenklich. Er lächelte ein wenig versonnen. »Das wird die Ärzte und Seher verwirren, denn sie haben alle behauptet, Cäsar könne kein männliches Kind zeugen ...« Ich machte große Augen; wußte er denn nicht, wer er war? Nach kurzem Zögern sagte ich, wobei ich ihn beobachtete: »Das ist seltsam ... denn Cäsar hat mir erzählt, daß er auf der ganzen Welt uneheliche Kinder hat - sogar in Rom.« Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, nur sein Lächeln 114
wurde breiter. »Nun ... er muß es ja wissen ...« Ich ließ das Thema fallen, und wir redeten oberflächlich über andere Dinge, über ein neues Stück, das in Vorbereitung war, ein Stück in Versen von dem Dichter Catull; über die Wagenrennen und die ungeheuren Summen, die dabei verwettet wurden; und über den bevorstehenden Triumph. »Er wird noch größer sein als der von Pompejus«, sagte er, »allerdings weniger kostspielig. Die Plebs wird sich noch lange daran erinnern ...« »Die Plebs?« fragte ich. »Das gemeine Volk ... der niedere Bürgerstand. Sie lieben solche Spektakel; ihr Leben ist eintönig. Und es wird an jeder Ecke kostenlos Essen geben, und in den Rinnsteinen wird Wein fließen.« Ohne zu überlegen, sagte ich: »Wie entsetzlich! Die werden sicher alle krank vom Straßendreck!« »O nein«, erwiderte er ernst und schüttelte den Kopf. »Das ist so Brauch ... und sie sind daran gewöhnt. Außerdem werden die Straßen vorher gründlich gereinigt.« Ich behielt meine Gedanken für mich; was für Barbaren! Nun, ich werde das alles nach und nach ändern, wenn ich an die Macht komme. Die Dunkelheit brach rasch herein; sämtliche Laternen waren bereits angezündet, als wir ein flackerndes Licht auf dem Fluß sahen. »Das wird Cäsar sein«, sagte Brutus. Inzwischen waren wir, abgesehen von ein paar Sklaven, die uns aufwarten sollten, allein auf der Terrasse. Ich hatte die anderen auf ihre Zimmer geschickt; wir warteten auf Julius. Es schien mir, daß eine große Veränderung mit Cäsar vorgegangen war; er wirkte um zehn Jahre gealtert, obwohl er sonnengebräunt war und lächelte. Tiefe Falten hatten sich links und rechts vom Mund in seine Wangen eingegraben, sein Hals war dürr und sehnig und die Haut schlaff. Die neuesten Darstellungen von ihm auf Münzen hatten dieses Aussehen, aber ich hatte gedacht, sie seien einfach das Werk eines minderen Künstlers. Seine Bewegungen waren durchaus energisch und seine Muskeln straff, als er mich umarmte, doch als er neben mir auf die Liege sank, schien sein ganzer Körper ein wenig zu erschlaffen. Er streckte die Hand aus, um sich von mir einen Pokal mit Wein geben zu lassen, und ich sah, daß seine Hand 115
zitterte. Ich sagte nichts; er leerte den Pokal und hielt ihn Brutus zum Nachfüllen hin. Dann fragte Brutus, was ich nicht zu fragen gewagt hatte. »Wars ein anstrengender Tag im Senat, Cäsar?« »Leidlich«, erwiderte er. Dann herrschte ein kleines Schweigen. Brutus lächelte. »Es tut mir nicht leid, daß ich ihn versäumt habe.« »Nun«, sagte Julius bedrückt, »laß uns nicht dabei verweilen... es war - es war ein Tag wie jeder andere. Alle Tage sind anstrengend im Senat.« Sein Lächeln hatte einen Anflug von Bitterkeit. Er wandte sich zu mir. »Ich habe dich noch gar nicht gefragt, wie die Reise war ...« »Oh«, sagte ich, »es ging ganz gut, obwohl ein paar von uns seekrank waren.«« »Du siehst so frisch aus wie eine Blume ... und unser Sohn?« »Er war zum Umfallen müde ... ich habe ihn ins Bett gesteckt ... aber wir schauen später zu ihm rein ... wenn wir zu Abend gegessen haben.« »Du hast auf mich gewartet? Das hättest du nicht tun sollen; ich habe keinen Hunger.« Aber noch während er es sagte, nahm er eine Scheibe geröstetes Brot, aß sie hastig und griff nach der nächsten. Ich bedeutete einem Sklaven, er möge den ersten Gang bringen. Ich redete, während er aß, nahm nur ein paar kleine Bissen; er merkte es nicht und schlang riesige Mengen hinunter. Ihr Götter, dachte ich, er hat den ganzen Tag über vergessen, etwas zu essen! In dieser Hinsicht muß man bei Cäsar aufpassen; der Britannier hat mir gesagt, er wüßte aus eigener Erfahrung, daß er zwanzig Meilen mit leerem Magen marschiert. Er hat das jetzt wahrscheinlich seit neun Monaten so gehalten, auf all diesen großen Feldzügen. Kein Wunder, daß er so aussieht! Brutus verabschiedete sich von uns. Ich ging mit ihm die Treppe zum wartenden Boot hinunter, während sich Cäsar, gegen die Kissen gelehnt, ausruhte. Brutus lächelte. »Ich habe noch nie gesehen, daß er so viel weggeputzt hat. Du tust ihm gut ...« »Das muß ich«, sagte ich einfach. Zusammen gingen wir auf Zehenspitzen in das Zimmer, in dem 116
Cäsarion schlief; ich legte den Finger an die Lippen und gab der Amme auf diese Weise zu verstehen, daß sie in ihrer Ecke sitzen bleiben sollte. Cäsar betrachtete lange und wortlos seinen Sohn. Der Junge lag wie immer auf dem Rücken, die Arme angewinkelt neben dem Kopf auf der Matratze und die Finger zu Fäusten geballt. Julius lachte leise. »Er spürt schon das Zepter in der Faust.« »Aber er macht zwei Fäuste«, erwiderte ich flink. »Vielleicht wünscht er sich die beiden Schlangen des Herakles ...« »Er ist dick«, meinte Cäsar verwundert. »Gewiß«, sagte ich scharf. »Alle Babys sind dick. Er ist gesund, das ist alles.« Er schwieg einen Augenblick. »Vielleicht habe ich zu viele von der anderen Sorte gesehen ...« Seine Stimme klang schwermütig; es war das erste Mal, daß er andeutete, was er auf seiner Siegesstraße erblickt - und verursacht - hatte. Ich sagte nichts, obwohl ich es vielleicht hätte tun sollen. Das ist sein Problem, dachte ich, nicht meines; er muß allein damit fertig werden. Aber es ernüchterte mich immer - diese hingeschlachteten Millionen. Vielleicht fuhr mir der Gedanke in die Glieder und machte mich matt; oder vielleicht hatte es seine Ursache darin, daß ich so lange nicht mehr die Berührung eines Mannes gefühlt hatte. Doch als wir in dieser Nacht zusammenlagen, ging nichts, wie es sollte. Bei mir dauerte es lange bis zur Erregung, und er erschöpfte sich zu schnell. Danach spürte ich eine schmerzhafte innere Leere; und als das vorbeigegangen war, konnte ich nicht schlafen, so müde ich auch war. Es war, als juckte mich etwas, als könnte ich die Stelle nicht finden, um mich zu kratzen. Ich weiß nicht, was er empfand; vielleicht gar nichts. Denn er schlief sofort ein und schnarchte. Ich sagte mir, daß er alt war und daß es ein langer Tag gewesen war.
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2 In derselben Woche bekam Cäsar einen Anfall - es war erschrekkend. Die Ärzte nanntens Epilepsie und sagten, er habe sie schon von Geburt an, aber ich hatte das zum ersten Mal gesehen. Unmittelbar nach meiner Ankunft in Rom hatte Cäsar bei dem hochberühmten Bildhauer Archesilaus eine lebensgroße Statue von mir in Auftrag gegeben. Ich dachte, er wollte sie für den Triumph haben, sie als Zeichen der Unterwerfung Ägyptens auf Rädern durch die Straßen ziehen lassen, und ich war zornig und wollte nicht Modell stehen, als der arme Bursche mit Marmor und Meißel eintraf. Ich ließ ihn den ganzen Tag warten, bis Cäsar da war und ich ihn zur Rede stellen konnte. Ich ging auf der Terrasse hin und her und hatte mich in eine rasende Wut hineingesteigert, als Cäsar vom Fluß heraufkam. »Wie kannst du es wagen, mich so auszunutzen! Wie kannst du es wagen - du Barbar! Ich werds dir zeigen, von wegen Triumph ... du 118
erhältst kein Geld mehr von mir und von meinem Land ... ich stelle eine Armee gegen dich auf ... du wirst schon sehen, wer die Welt beherrscht!« Er packte mich bei den Handgelenken, der arme, müde, alte Staatsmann, und zwang sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Hör zu, Kleopatra ... hör zu, meine Liebste ... Die Statue sollte eine Überraschung für dich sein ... für dich und für das römische Volk ... hör zu! Ich lasse gerade einen neuen, prächtigen Tempel bauen, der der Venus geweiht ist - denn wir Julier stammen von ihr ab, wie du weißt. Er wird gegen Ende des Sommers fertig und mit einer großen Zeremonie für die Öffentlichkeit freigegeben. Die Statue von dir soll am heiligsten Ort dieses Tempels stehen. Sie soll deine Göttlichkeit zeigen, deine Göttlichkeit als Venus-Astarte ... und als meine Gefährtin ...« Ich war überwältigt und brach in Tränen aus, warf mich ihm zu Füßen und schluchzte laut. Er zog mich schnell hoch und sagte: »Pst, Kind ... der Künstler soll das nicht hören und das Haus auch nicht. Du benimmst dich nicht wie eine Königin ...« Meine Tränen versiegten auf der Stelle, und rote Schleier tanzten mir vor den Augen, aber ich faßte mich rechtzeitig und schrie nicht los; ich hörte die Klugheit in seinen Worten - wie immer. Ihr Götter, wann würde ichs je lernen! Danach war ich fügsam, so fügsam, daß er lächeln mußte. »Übertreibs nicht, mein Liebling ... laß uns die ganze Angelegenheit einfach vergessen ...« Er hatte mich in die Arme genommen, und ich lehnte mich an ihn und hatte den Kopf auf seine Schulter gelegt, als es geschah. Ich spürte, wie sein Körper steif wurde und wie seine Hände mich krampfhaft packten; ich blickte ihm überrascht ins Gesicht und dachte, er sei plötzlich in Wut geraten. Ich mußte mich von ihm losmachen, weil mich das, was ich sah, so mit Schrecken erfüllte. Seine Augen stierten ins Leere und traten aus den Höhlen, und sein Gesicht war wie versteinert und zu einer Grimasse erstarrt. Einen Moment lang war ich selbst wie versteinert, und in dieser Zeit beobachtete ich, wie er langsam, langsam zu Boden fiel. Ich dachte, der Schlag habe ihn getroffen oder sein Herz habe ausgesetzt, denn er sank um wie ein gefällter Baum. Einen 119
Augenblick lag er stocksteif da; dann begannen sich seine Gliedmaßen zu winden - erschreckend, wie Schlangen; sein Gesicht wurde tiefrot, und weißer Schaum trat ihm vor den Mund. Ich kniete mich neben ihn, aber ich konnte ihn nicht festhalten, ich glaube auch nicht, daß er mich erkannte. Sein Körper war wie ein fremder Gegenstand ohne Willen, er zitterte und bebte in Zuckungen, während heisere, röchelnde Laute aus seiner Kehle drangen. Ich rannte um Hilfe, holte Xeno und Cadwallader, damit sie ihn festhielten, denn ich dachte, er könnte sich verletzen. Der Britannier betrachtete ihn ruhig einen Moment lang, dann nickte er dem Schwarzen zu. »Pack ihn bei den Armen, Xeno ...« Dann nahm er einen hölzernen Griffel von meinem Tisch und steckte ihn Cäsar zwischen die Zähne. Ich hatte vor langer, langer Zeit einmal gesehen, wie jemand das mit einem Hund machte, der toll geworden war. »Hol den Arzt, Herrin!« Ich tat, was er mich hieß, stürzte los und dachte nicht eine Sekunde daran, daß ich einem Sklaven gehorchte! Als ich mit Dioscorides zurückkam, hatten die beiden Cäsar an Beinen und Armen gefesselt, damit er nicht um sich schlagen konnte; sie hatten ihm ein Kissen unter den Nacken geschoben, das seinen Kopf nach hinten zwang; seine Augen waren immer noch offen und starr, aber sie hatten ihm den Schaum, vom Gesicht gewischt. Dioscorides sah Cadwallader prüfend an. »Wo hast du das gelernt ... etwas unter den Nacken zu schieben, gegen die Ader?« »Bei den Druiden ... den Priestern meiner Heimat - sie haben mich ein paar Dinge gelehrt ... sie nennen es die Dämonenkrankheit ...« Der Arzt verzog den Mund, während er ein Pulver in ein Glas Wein schüttete und es verrührte. »Ja«, sagte er. »Und die Israeliten nennen es Die Ekstase der Propheten, und wir nennen es ein göttliches Zeichen ...« Cäsar beruhigte sich, nachdem man ihm die Medizin eingeflößt hatte; er wurde ins Bett gebracht und lag jetzt mit geschlossenen Augen friedlich schlummernd da. Dioscorides sagte, er werde höchstwahrscheinlich die Nacht und den Tag darauf durchschlafen, denn solche Anfälle kosteten viel Kraft. »Danach wird er sich so verhalten, als ob nichts geschehen wäre - ich glaube tatsächlich, daß 120
sie sich nicht daran erinnern ... arme Kerle.« Ich erkundigte mich bei ihm genau nach dieser Krankheit; er erzählte mir viel, sagte jedoch, daß man nicht viel wisse; man hielte sie für erblich. Ich dachte an Cäsarion, und man muß es mir angesehen haben; denn Dioscorides meinte freundlich, sehr oft überspringe sie eine Generation. »Und dann noch eins, Herrin ... man stirbt nicht daran, es sei denn, sie führt zu einem Schlaganfall.« Ich fragte ein wenig ängstlich: »Ist - ist Müdigkeit die Ursache dafür?« »Möglicherweise ... oder ein Übermaß an Anspannung ... mehr als das Nervensystem verkraften kann.« »Oh«, jammerte ich. »Dann bin ich schuld daran!« Und ich warf mich auf eine Liege und schluchzte haltlos. »Wenn du dich zu oft so verhältst - dann ja«, sagte er, zog mich mit fester Hand hoch und sah mir tief in die Augen. »Warum handelst du so unbeherrscht? Du bist doch eine vernünftige Frau und klug obendrein.« Das ernüchterte mich; ich dachte angestrengt nach und antwortete ehrlich. »Ich tus nicht absichtlich ... ich glaube, es kommt davon, daß man mir immer gesagt hat - oder daß ich mir immer gesagt habe , ich sei eine Göttin ...« »Und eine Göttin hat mehr unberechenbare Gefühle als andere?« Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Es sollte genau umgekehrt sein ...« Ich geriet nicht in Wut über seine Anmaßung, denn er kannte mich, seit ich ein kleines Kind war. Ich beschloß, daß ich versuchen wollte, seinem Rat zu folgen. Ich mußte jedoch erfahren, daß solche Beschlüsse nicht immer so leicht zu verwirklichen sind; jahrelange Angewohnheiten sind hartnäckig. Aber bei Cäsar und seinem Sohn gelang es mir im großen und ganzen; es war eine böse und beunruhigende Krankheit. Ich fragte Dioscorides, ob sich Cäsar dieser Anfälle bewußt sei; er antwortete, im Augenblick, da er sie hätte, wohl nicht. »Doch er weiß, daß da etwas ist, an das er sich nicht erinnern kann, und er weiß, daß er krank war ... das ist üblich. Aber ich muß einen römischen Arzt hinzuziehen - einen, der ihn vorher behandelt hat ... es 121
gibt kein Heilmittel dagegen, doch wenn ich erfahre, wie oft und seit wann er darunter leidet, kann ich ihm vielleicht Linderung verschaffen.« Nachdem er sich mit anderen Ärzten beraten hatte, teilte er mir mit, daß Cäsar bis jetzt nur in seiner Kindheit und in seiner frühen Jugend Anfälle gehabt hatte. Man hatte geglaubt, er habe es überwunden. Seltsamerweise sagte er, Cäsar sei beunruhigt gewesen, denn seine Mutter habe ihn gelehrt, diese Krankheit beweise, daß er ein Gott sei; er befürchtete, das Zeichen der Erwähltheit sei ihm genommen! »Glaubst du, daß es eine göttliche Krankheit ist, Dioscorides?« fragte ich. »Sag mir die Wahrheit.« Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Es gibt Bettler, die sie haben ... und Ärzte ... und Könige. Es ist ein Zeichen von gar nichts, eine Schwäche - das ist alles.« »Ein Aberglaube also ...«, sagte ich langsam, denn ich dachte nach. »Aber er kann nützlich sein ... ich möchte, daß du ihm von diesem Anfall erzählst - sobald er sich erholt hat.« Dioscorides sah mich seltsam an, doch er nickte. Was mich betraf, so wußte ich, was ich tat. Cäsar war ein Mann der Vernunft. Man muß ein wenig Unvernunft in sich haben, um an seine eigene Göttlichkeit zu glauben. Und mochte er in Rom auch Imperator sein - in Ägypten konnte er ohne das nicht regieren.
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3 Die Statue von mir wurde vor dem Triumph vollendet, mir schien, daß der Bildhauer überhastet gearbeitet hatte. Ich hegte immer noch den leisen Verdacht, es sei ihm befohlen worden, sie rasch fertigzustellen, damit Cäsar sie in den verwinkelten Straßen von Rom zur Schau stellen konnte, aber dessen bezichtigte ich meinen Julius nie mehr; ich ordnete einfach an, man möge sie mit Tüchern verhüllen und das Zimmer, in dem sie stand, abschließen; den Schlüssel verwahrte ich. Als Cäsar kam, um sie zu betrachten, sagte ich ihm, er solle warten, während ich den Schlüssel aus seinem Versteck holte. Er warf mir einen verschmitzten und wissenden Blick zu, dann lächelte er zustimmend. »Ja«, sagte er, »es ist gut ... wir wollen sie verborgen halten bis zu dem großen Tag, an dem sie ihren gebührenden Platz im Tempel einnimmt.« Das hatte er geschickt gemacht, doch ich erfuhr nie, was wirklich dahinter steckte. Als ich ihm die Bitte um einen Zweitschlüssel abschlug, schüttelte er traurig den 123
Kopf, aber ich übersah es; er hat mich schließlich Vorsicht gelehrt! Ich bewunderte die Skulptur nicht besonders; sie entsprach dem römischen Geschmack, war leblos und überladen, viel zuviel Aufmerksamkeit auf den Faltenwurf und die Darstellung der Kronjuwelen gewendet, die ich, Cäsar bestand darauf, alle tragen mußte. Bevor sie gefaßt wurde, hatte sie eine gewisse strenge Würde, denn der Marmor ist an sich schon schön; aber als die Fassung fertig war, sah sie vulgär aus. Unsere hellenischen Künstler hatten eine leichte Hand beim Kolorieren des Marmors, verwendeten gedämpfte Farben und feine Valeurs und stellten sie mit zartem Gefühl zusammen, so daß der Marmor noch mit seiner ganzen Eigenart durchschimmerte. Die grellen Töne des Gewandes und der Juwelen konnte ich dem Künstler verzeihen, aber das Fleisch war so rosa wie gekochte Garnelen, die Lippen waren angemalt wie die einer Kurtisane, und in die Augen waren Smaragde eingesetzt! Er hatte mein Haar außerdem goldblond gemacht, was freilich nicht so schlimm war, denn die Venus wird immer auf diese Weise dargestellt, das ist ein alter Brauch. Und dann fand ich auch, daß die Statue, abgesehen vom Mund, nicht die geringste Ähnlichkeit mit mir hatte; Cäsar aber bewunderte sie sehr; ich finde, Geschmack ist etwas Erworbenes; man muß viele, viele schöne Dinge um sich haben, bevor mans in sich aufnimmt. Ich beschloß, dementsprechend auf diesen großen Mann, meinen Geliebten, einzuwirken; doch das war nicht die rechte Zeit, um damit zu beginnen. Ich sagte nur, ich hielte die Farben für zu kräftig. Er erwiderte, das sei mit Absicht geschehen, damit die Statue eine schöne Patina bekäme. Ich dachte mir, bis dahin werde ich sie durch eine andere ersetzt haben, mein lieber Barbar! Ich zeigte sie heimlich Iras und Apollodorus; ich sah ihnen an, daß sie so fühlten wie ich. Cäsarion aber, der bei Iras auf dem Arm saß und strampelte, streckte die molligen Hände danach aus und rief: »Mama!« An ihm werde ich auch arbeiten müssen. Zum Glück können wir früh damit anfangen. Ich war bis jetzt noch nicht öffentlich in Rom aufgetreten, aber der junge Brutus hatte mich mit auf die andere Seite des Flusses genommen, um mir die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen. Ich ging in meinem schlichtesten Obergewand, mit Kopfbedeckung 124
und ohne Schmuck und von nur einem Sklaven aus der Villa begleitet - und darum schaute mich auch niemand aufdringlich an. Aus der Nähe betrachtet ist die Stadt, mit Ausnahme der großen öffentlichen Gebäude, - reizlos. Es gibt keine breiten Straßen, wie wir sie in Alexandria haben, und keine Bepflanzung bis auf die feierlichen Zypressenhaine, die hie und da völlig unvermittelt stehen und recht dürr und braun aussehen. Die Straßen sind tatsächlich so eng, daß es gesetzlich verboten ist, sie mit Wagen zu befahren; der ganze Verkehr wird zu Fuß abgewickelt, selbst die Waren werden in Körben von Sklaven auf dem Kopf transportiert. Ich fragte mich, wie der Triumphzug sich durch diese Gassen schlängeln sollte, aber Brutus sagte, er werde vor allem auf dem Tiber stattfinden, auf Booten, bis man beim weiträumigen Forum vor dem Kapitol angelangt sei. Die vielen, vielen Häuserzeilen, die aus der Ferne so weiß wirkten, waren in Wirklichkeit recht schmutzig, obwohl die Stadt so neu ist. Und die Straßen sind wirklich verdreckt, wenn man mir auch erklärte, man habe hier ein sehr ausgeklügeltes Abwassersystem mit Rohren unter der Erde, die den Spülicht in den Fluß leiteten. Trotzdem scheint es keine Gesetze gegen das Wegwerfen von Abfällen zu geben; man tritt auf allen möglichen Unrat und muß sehr aufpassen, damit man nicht auf zermatschten Früchten und weggekipptem Öl ausrutscht. Und dann leben hier offensichtlich viele arme Leute, ungewaschen und in Lumpen gehüllt; sie betteln oder liegen in irgendwelchen Winkeln, als seien sie selber Abfall. »Sie sehen alle so aus, als hätten sie nichts zu tun«, sagte ich. »Haben ihre Herren denn keine Arbeit für sie?« »Oh, das sind keine Sklaven, edle Kleopatra«, antwortete Brutus. »Das sind alles römische Bürger. Man kann ihnen keine Sklavenarbeit zumuten ... sie sind frei.« Frei, dachte ich; frei zum Betteln und zum Stehlen. Ich sagte laut: »Wovon leben sie dann, wenn sie nicht arbeiten? Wovon nähren sie sich?« »Nun, jeden Morgen gibt es eine milde Gabe ... das hat der Senat beschlossen. Natürlich heißts da: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst ...« Er zuckte die Achseln. »Was soll man machen? Hier gibts überall Arme ...« 125
Ich runzelte die Stirn. »Statt einer milden Gabe sollte es ein Arbeitsprogramm geben. Es sind doch sicher öffentliche Gebäude zu errichten, und es werden doch sicher Arbeiter gebraucht, Steinmetze, Zimmerleute ...« »Dafür gibt es Sklaven«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Abgesehen von den gelernten Handwerkern ...« »Dann sollte man diese freien Bürger ein Gewerbe lehren«, erwiderte ich. »Man kann nicht einfach sagen: Du bist frei, nun sieh selbst, wie du damit zurechtkommst ...« Ich war empört, denn in Alexandria sieht wirklich nicht einmal der niedrigste Untertan so ausgezehrt aus, es sei denn, bei einer Hungersnot. »Ich werde mit Cäsar darüber reden ...« Er warf mir einen merkwürdigen Blick zu und sagte: »Cäsar ist kein König ... er kann nichts ohne den Senat machen.« Ich preßte die Lippen aufeinander; es würde sich einiges verändern müssen. Diese Römer brauchten einen König! Aber ich sagte nichts mehr, denn ich sah, daß der junge Mann weder mich noch das, was ich meinte, auch nur im mindesten begriff. Eines hat die Republik zustande gebracht; ob es gut ist oder nicht, ist eine unentschiedene Frage. Man bewegt sich ganz ungezwungen in der Öffentlichkeit; selbst die vornehmen Frauen werden nur von einem oder von gar keinem Sklaven begleitet, und das auch in den armseligsten Straßen. Ich sah, wie viele prunkvoll gekleidete Aristokraten in nähere Berührung mit der gewöhnlichen Bürgerschaft kamen. Ich war neugierig und fragte: »Laufen sie nicht Gefahr, überfallen und ausgeraubt zu werden?« »Nein, edle Kleopatra«, sagte er. »Nur nach Einbruch der Dunkelheit natürlich.« Und er deutete auf zwei Soldaten, die mit Schwertern bewaffnet waren und dicke Knüttel trugen. »Die Sonderlegion wahrt die öffentliche Sicherheit - zwei an jeder Straßenecke. Oh, die Straßen von Rom werden gründlich überwacht ...« »Aha.« Und im Näherkommen betrachtete ich einen dieser Soldaten ganz genau. Er war sehr jung, weit unter zwanzig, schätzte ich, aber er sah arrogant aus; er vergalt Gleiches mit Gleichem und fixierte mich. »Und das sind auch römische Bürger?« fragte ich. »Und wer entlohnt sie?« 126
»Also«, sagte er lachend, »du hast mir zwei Fragen gestellt. Das sind auch römische Bürger, ja ... und sie werden von privaten Gruppen bezahlt, die die Gebäude und den Grund und Boden besitzen ...« »Ach - ich dachte, das sei alles Staatseigentum.« »O nein, edle Kleopatra ... dieser Mietshauskomplex zum Beispiel gehört der Familie Calpurnius -« Er warf mir einen raschen Blick zu und wurde doch tatsächlich rot und unterbrach sich mitten im Satz. Ich war amüsiert, ließ mir aber nichts anmerken; der Besitzer des Anwesens mußte der Vater oder der Onkel von Cäsars Frau sein; sie hieß Calpurnia. Ich hatte mir nie viel Gedanken über sie gemacht, obwohl die Ehe noch bestand; die Verbindung war rein politischer Natur gewesen, und das Paar lebte schon seit langem getrennt. »Ist es denn eine wohlhabende Familie?« Ich ließ den Blick über die Häuser schweifen, die alle gleich aussahen. Sie hätten einen Anstrich gebraucht, die meisten Türen waren aus den Angeln gegangen oder fehlten ganz, und die Fensterläden waren zerbrochen. Sie schienen auch hastig gebaut worden zu sein; einige Dachstühle waren verrottet, und die Dächer hatten sich abgesenkt; in einem klaffte ein großes Loch. »Die Calpurnier kümmern sich offenbar nicht um ihr Eigentum«, sagte ich. »Diese Häuser sind in sehr schlechtem Zustand...« »Tja«, erwiderte er, »was erwartest du? Die Mieten sind niedrig ... und die Mieter sind destruktive Leute, an nichts Gutes gewöhnt ...« Ich lächelte unfroh, denn ich sah die armen Mieter mit eigenen Augen; zum größten Teil saßen sie, Frauen und Kinder, auf den hohen Stufen, die zum Eingang führten; drinnen war es wahrscheinlich stickig; man nahm den muffigen Geruch der Armut noch auf der Straße wahr. Solcher Dinge wegen hielt ich zu Hause Rat; um das Unrecht wiedergutzumachen, das Hausbesitzer taten, und um den Beschwerden der Mieter zu lauschen. Anscheinend gab es hier in Rom keine derartigen Gesetze. Ein kleines, sehr schmutziges Mädchen zog meine Aufmerksamkeit auf sich und näherte sich mir, hielt das schmierige Pfötchen auf; sie war nicht viel älter als Cäsarion. Ich griff in meine Börse und holte eine kleine Münze heraus. »Ach je, edle Kleopatra«, sagte Brutus, »jetzt ists passiert! Sie wer127
den dich alle anbetteln ...« Und das stimmte auch; es hatte sich bereits eine kleine, schweigende Gruppe um mich geschart, Kinder mit dunklen, hungrigen Augen und traurigen Mündern. Ich war entsetzt und leerte meine Börse, zählte Münzen in jede kleine Hand, die ich erreichen konnte. Natürlich ging das Geld aus, denn wie durch Zauber strömte eine lärmende Menge zusammen; er zog mich rasch weg von den gierig zugreifenden Händen. Als wir zur Straßenecke kamen, sah ich, wie die beiden Soldaten ihre Keulen fester faßten und an uns vorbeiliefen, um Ordnung zu schaffen; ihre Augen hatten einen harten Ausdruck. »Was machen die?« fragte ich erschreckt. »Sie werden sie doch nicht schlagen?« »O nein ... sie schüchtern sie nur ein, damit sie verschwinden. Es geht nicht an, daß hier ein Menschenauflauf entsteht.« »Aber es sind doch nur Kinder!« »Man muß es sie frühzeitig lehren.« Ich preßte die Lippen aufeinander, denn ich war nicht einverstanden damit; auf dem ganzen Heimweg hatte ich aufrührerische, zornige Gedanken, und am Abend, als Cäsar kam, um mit mir zur Nacht zu essen, erzählte ich ihm erbost davon. Er hörte mich an, dann sagte er ernst: »Ja, ich habe wieder und wieder mit den Calpurniern darüber geredet ... sie haben keinen Bürgersinn.« »Aber gar niemand!« rief ich. »Alle Mietshäuser sind verdreckt ... und gefährlich zum Wohnen. Die Leute sind zusammengepfercht wie Pökelfisch in einem Faß! Was ist, wenn einmal ein Brand ausbricht?« »Wir haben eine Feuerwehr ... das Gesetz ist soeben verabschiedet worden ...« Er war so ruhig, daß man in Wut geraten konnte; außerdem hatte er mich vom Thema abgelenkt: von der Ungerechtigkeit des ganzen Systems. Ich kam wieder darauf zurück, erklärte es ihm sorgfältig und ohne Zorn und schloß: » ... Und deshalb halte ich jede Woche Rat, verstehst du. Eine Königin muß sich um ihre Untertanen kümmern.« Er lächelte mich aufreizend nachsichtig an und sagte trocken: »Meine Liebe, du wirst sehen, daß Rom schwieriger zu regieren ist als dein Alexandria ... es gibt hier so viele Interessengruppen ... und 128
allen muß Genüge getan werden«. Ich schwieg einen Moment und sagte dann langsam: »Ja ... deshalb benötigt man ein Staatsoberhaupt ... nicht bloß den Titel eines Diktators, der auf seine Weise schon ganz gut ist. Aber Rom braucht einen weisen Herrscher ...« Und ich blickte ihn unverwandt an. Er nagte ein wenig an seiner Unterlippe und sagte dann unvermittelt: »Schön, meine Liebe, du magst recht haben. Und nun laß uns von erfreulicheren Dingen reden ...« Und er legte mir den Arm um die Schulter. Doch sein Gesicht trug immer noch einen nachdenklichen Ausdruck; ich hatte ein Samenkorn gesät.
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4 Ich hatte schon von den großen römischen Triumphen gehört; jeder Sieger in jedem Krieg Roms feiert seinen Sieg auf diese Weise, vorausgesetzt natürlich, daß er genügend Geld hat, um es zu bezahlen. Der letzte teure und sorgfältig vorbereitete Triumph war der des Pompejus gewesen; mein Vater erlebte ihn mit und war sehr beeindruckt gewesen. Natürlich will das nicht viel heißen, denn alles Römische beeindruckte ihn, den armen Mann. Man sagt, Pompejus habe mehr aufgewendet als Cäsar; ich verstehe nicht, wie das sein kann, denn Cäsars Triumph dauerte vier Tage, und auf den Straßen floß, wie versprochen, der Wein; an jeder Ecke wurden Ochsen gebraten, und die Götter erhielten nur ein kleines Stück davon. Außerdem fielen Kosten an für die endlosen Festzüge, einschließlich der Boote, der Laderampen und des Abbruchs mehrerer Mietshäuser, um in den engen Straßen Raum zu schaffen. Ich zahlte die Besitzer aus und kaufte etliche kleine, soeben fertiggestellte Land130
häuser außerhalb der Stadt als Unterkunft für die Mieter, die aus ihren Wohnungen vertrieben worden waren - über 3000 Plebejer. Später erfuhr ich, daß viele hochgestellte Römer sich fragten, warum ich eine solche Macht über die Herzen der Plebejer hätte! Das war das erste meiner guten Werke in Rom. Andererseits schlug ich Cäsar für den Fall, daß der Triumph über seine Mittel ging, ein Darlehen ab: Ich fand, es reichte, daß ich ihn mein Land zu seinen Eroberungen zählen ließ. Er erwiderte, wir hätten uns auf diese Politik geeinigt. Ich sagte, diese Politik beinhalte nicht auch noch, daß ich mich an den Bettelstab brächte. Er trug es mit Fassung; ich glaube, er hatte sich nicht viel Hoffnungen darauf gemacht, daß ich ihm Geld geben würde. Ich war an allen vier Tagen dabei, saß auf einem Podium bei den wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt; es war mein erster öffentlicher Auftritt. Ich trug den klassischen ionischen Chiton aus feiner, plissierter orientalischer Seide, safrangelb gefärbt; Cäsarion, den ich in den Armen hielt, war in Blau gekleidet. Das gemeine Volk jubelte mir zu, als ich meinen Platz einnahm; die Nachricht von meiner Mildtätigkeit hatte sich verbreitet. Wann immer ich mich während dieser vier Tage erhob und wann immer man sich vor mir verneigte, spendete die Menge mit Rufen und Trampeln Beifall. Cäsarion behielt ich nur so lange bei mir, bis sein Vater vorbeiritt und ihn grüßte; kleine Kinder werden schnell zappelig, und außerdem war damit erreicht, was ich beabsichtigt hatte; ich ließ ihn von einer Amme nach Hause bringen, bevor er weinte und die ganze Wirkung verdarb. Vor dem inneren Auge sah ich mich, wie ich neben den römischen Damen dasaß, und lächelte in mich hinein. Ich hatte mein Haar schlicht frisiert; fast schulterlang und ohne Schmuck, außer meiner schmalen Schlangenkrone, die elegant ist und mir sehr gut steht, und an den Ohren trug ich zwei große britannische Perlen, Geschenke von Cäsar. Es war Spätsommer und sehr heiß, aber mein Seidenkleid war dünn und kühl, und ich saß unter einem Baldachin, den ich bestellt hatte. All die Damen hatten Sonnenschirme oder wurden von Sklaven befächelt, aber es sah so aus, als sei ihnen reichlich warm und nicht besonders wohl. Es war Mode in Rom, schlank zu sein; diejenigen, die sich nicht zur entsprechenden Figur 131
durchhungern konnten, trugen straffe Bandagen unterm Gewand ein miserables Gefühl bei einem solchen Wetter. Kunstvolle Perükken waren in diesem Jahr ebenfalls Mode; man sah noch aus einiger Entfernung, wie ihnen die Schweißtröpfchen auf den sorgfältig geschminkten Gesichtern standen. Der junge Brutus kümmerte sich um mich, teilte sich seine Zeit zwischen meinem Platz und dem Teil der Tribüne, wo seine Frau saß; ich nehme an, Cäsar hatte ihm befohlen, mir die Dinge zu erklären, für Erfrischungen zu sorgen und mir, wenn ich kam und ging, einen Weg zu bahnen. Seine Frau hieß Porcia; ich weiß nicht, was sie davon hielt, daß er sie zwischendurch verließ; aber sie blickte ganz freundlich drein, als er sie mir zeigte, sie verneigte sich und lächelte. Sie saß mit einigen anderen Damen und deren Aufwärterinnen in einer Art Loge; Cäsars Frau Calpurnia saß neben ihr. Sehr streng sah sie aus; aber vielleicht lag das an den modischen Bandagen. Sie war zu weit entfernt, doch sie schien älter zu sein, als ich gedacht hatte, über dreißig mindestens. Sie hatte keine Kinder bekommen, war aber nicht unfruchtbar; sie hatte eine Reihe von Fehlgeburten gehabt. Kein Wunder, dachte ich, sie hat sie alle mit diesen Korseletts erdrückt, die sie trägt. Nun, ich werde diesen Gedanken nicht laut äußern, denn die Fehlgeburten der armen Frau sind mein Glück. Außerdem bin ich mir völlig sicher, daß Cäsar seit einigen Jahren nicht in ihrem Bett gewesen ist; jedenfalls gewiß nicht, seit ich hier bin! Selbst ein Cäsar brächte das kaum zustande ! Calpurnia, flüsterte mir Iras zu, sah auch eher so aus, als lasse sie sich gern bitten und ungern betten; Iras hat einen boshaften Witz. Marcus Antonius, dieser Kerl, kam an meinen Platz, um mir seine Aufwartung zu machen; ich fand, er hatte Fortschritte gemacht, sowohl, was sein Äußeres, als auch, was seine Manieren betraf. Aber freilich hielt Cäsar viel von ihm, und vielleicht mäßigte das meine Gefühle - Cäsar hat sie so oft gemäßigt. Nachdem er sich verabschiedet hatte, flüsterte Iras mit zitternder Stimme vor unterdrücktem Gekicher, er habe sich anläßlich des Triumphes die Beine rasiert. Ich weigerte mich zu lachen; ich wußte, daß Cäsar alle Freunde brauchte, an die er sich halten konnte. Am ersten Tag des Triumphes wurde der Sieg in Gallien und den gallischen Ländern gefeiert. Cäsar führte den Zug in einem blatt132
vergoldeten Triumphwagen an und trug den goldenen Siegeskranz. Als er an mir vorbeikam, legte er die Hand aufs Herz und verbeugte sich tief; ich neigte den Kopf. Aus irgendeinem Grunde entzückte das die Menge; ich konnte mich kaum eines Lächelns erwehren, denn ich hörte ihre Kommentare. »Gibs ihm, Mädchen!« ... »Sei anständig zur Königin!« ... »Schau mal, wie sie dem alten Lustmolch die kalte Schulter zeigt ... das tut ihm auch mal gut!« ... »Paß nur auf, alter Glatzkopf!« Ich weiß nicht, ob er es auch hörte; wahrscheinlich nicht, denn direkt unter ihm befanden sich die Räder des Triumphwagens, und auf ihn folgten vierzig Elefanten. Ich verstand nicht, was das bedeutete, denn in Gallien gibt es keine Elefanten; ich nehme an, daß sie bloß den Leuten Eindruck machen sollten, die mit diesen großen Tieren nicht so vertraut sind wie wir in Ägypten. Der Rest des Tages war mit dem Vorbeimarsch der vielen Legionen ausgefüllt, die in den Gallischen Kriegen gekämpft hatten; einige von ihnen gingen sehr langsam, weil sie aus alten Männern, verkrüppelten Männern, kaum noch als Menschen zu erkennenden Männern bestanden; ein paar humpelten auf einem Bein zwischen zwei Kameraden daher, vielen fehlte ein Arm oder ein Auge, und alle hatten sie wie aus Fels gehauene Gesichter; es waren Tausende. Ich dachte an die anderen, die nicht heimgekehrt waren, versehrt oder unversehrt, sondern auf fremdem Boden gefallen waren; ich glaube, die Menge empfand auch so, denn obwohl ein paar heisere, rauhe Hurrarufe laut wurden, verfiel sie bald in Schweigen, und man hörte nur noch das ungleichmäßige Getrampel und Geschlurf, mit dem sie vorbeizogen. Ich bin keine Römerin, aber ich hasse die Vergeudung; diese Menschen waren in der Hochblüte ihrer Jugend fern der Heimat vorwärtsmarschiert: Für sie war es kein Triumph. Und es war gewiß auch keiner für diejenigen, die nach ihnen kamen, für die Söldner aus den eroberten Gebieten, obwohl sie wakker ausschritten, Kopf hoch, die Köpfe mit den blassen oder rosigen, unrömischen Gesichtern. Die letzte war die berühmte Legion, die auf den Namen »Lerche« hörte und aus Häuptlingssöhnen der Barbarenstämme von Gallien, Germanien und Britannien bestand. In der Nacht, in der ich, eingewickelt in meinen Teppich, zum ersten Mal Cäsar begegnet war, war dies das Kennwort gewesen: »Lerche« - denn die Legion war damals gerade aufgestellt worden und 133
Cäsars Lieblingstruppe. Ich hielt Ausschau nach Cadwallader, meinem britannischen Freund, denn er marschierte auch mit. Aber er zog vorbei, ohne daß ich ihn sah unter den vielen Rotschöpfen, die alle gleich gekleidet und bewaffnet waren und alle den hohen Wuchs dieser nördlichen Stämme hatten. Das gemeine Volk beklatschte sie und brüllte Beifall, denn sie boten einen schönen und prächtigen Anblick mit ihren polierten Bronzeharnischen und ihren Helmen mit den großen Federbüschen. Über den goldenen Adlern der Legionen flatterte ihre Fahne, die eine Myriade kleiner schwarzer Vögel zeigte, kunstfertig in einen stürmischen Himmel gemalt. Dann kamen, was am schlimmsten anzusehen war, die Gefangenen; ebenfalls Tausende. Ein paar Hundert schleppten auf dem Rükken die großen Kreuze mit, an denen sie sterben würden; das waren vor allem mächtig gebaute Männer, feindliche Krieger ohne Verletzungen bis auf die wundgescheuerten Stellen, wo ihre Ketten ins Fleisch geschnitten hatten; sie waren in irgendwelchen unterirdischen Verliesen gefangengehalten worden, denn sie hatten alle diese Gefängnisblässe - wie alter Käse. Ihre größtenteils hellen Augen funkelten wild in den groben, bärtigen Gesichtern; die Rippen zeichneten sich deutlich an den halbnackten, immer noch muskulösen Leibern ab. Ohne daß ich es wollte, begegnete mein Blick dem von einem, der vorbeiging; er spie grimmig aus. Brutus flüsterte mir ins Ohr, die mit den Kreuzen seien schlimmer als reißende Tiere, nicht zu bändigen und ohne Reue; sie würden wirklich etwas bieten beim langsamen Tod am Kreuz, denn sie seien stark und rebellisch und kaum umzubringen; ich starrte ihn entsetzt an, aber sein plumpes Gesicht war und blieb freundlich; er merkte gar nicht, was er gesagt hatte, das ist die römische Denkweise! Dann kamen die armen Geschöpfe in Körben aus Weidenruten, die so winzig waren, daß sie nur zusammengekauert darin Platz hatten; sie sahen schwach und kränklich aus, halb verhungert. Brutus sagte, sie würden den Tod ihrer barbarischen Stämme sterben, den Feuertod in diesen Käfigen, genauso, wie sie die römischen Soldaten verbrannt hatten, die ihnen in die Hände gefallen waren eine angemessene und passende Rache. Ich empfand Mitleid für sie, und mir wurde fast übel, aber ich sah, daß die römische Menge nichts fühlte als Haß; sie schrien Verwünschungen und bewarfen 134
die Käfige mit Unrat und Erdklumpen. Ganz zuletzt, von Wachen umgeben, kam Vercingetorix, langsamen Schritts und in Ketten. Das war der große Held und Krieger Galliens, Imperator und Feldherr gleichermaßen; er hatte einen langen, harten Krieg ausgefochten, alle Stämme unter seinem Banner vereint und fast gewonnen. Ich glaube, er hätte tatsächlich den Sieg davontragen können, aber das war ihm zu teuer erkauft. Er sah, wie Cäsar sein Volk zu Tausenden niedermetzelte, und schloß eine Abmachung mit ihm, gab sich als Geisel für eine friedliche Regelung hin. Er war jetzt seit sechs langen Jahren gefangen; obwohl er nicht alt war, durchzogen graue Strähnen sein blondes, wallendes Haar, und tiefe Falten hatten sich links und rechts von seinem Mund eingegraben. Seine Ketten waren sehr schwer, und die Fessel zwischen seinen Fußgelenken zwang ihn zu kurzen Schritten, aber er stolperte nicht und beugte den Kopf nicht; statt dessen paßte er seinen Gang der Kette an, bewegte sich langsam und mit Würde, blickte geradeaus und kniff manchmal die Augen vor der Sonne zusammen; er mußte lange Zeit im Dunkeln eingesperrt gewesen sein. Er war nicht bis auf die Haut ausgezogen wie seine Soldaten, auch nicht in Rüstung, sondern in sein Königsgewand gekleidet; es war fremdartig, aber trotzdem königlich, ein großer Latz aus Weißgold bedeckte seine Brust, und breite Reifen lagen um seine mageren Arme, auf dem Kopf trug er eine dünne Krone aus irgendeinem Metall, das sehr alt aussah. Ein mächtiger Pelz hing ihm um die Schultern, ein Pelz aus dicken roten Fellen, die in Schichten übereinander gewirkt waren und bis zum Boden reichten; an den Schultern befanden sich große, verzierte Spangen aus Gold, die den Pelz festhielten. Die Menge hielt den Atem an, als er vorbeiging; er war zu königlich, als daß man ihn verspottet hätte, nur ein kleiner Junge warf mit einem Pferdeapfel nach ihm - seine Mutter gab ihm danach eine Ohrfeige. Vercingetorix galt selbst hier in Rom als Held. Ich hatte Cäsar mit Respekt, ja mit Ehrfurcht von ihm reden hören; noch in dieser Nacht starb er bei Fackelschein mit seinen Landsleuten - einen Gnadenerweis hatte er abgelehnt. Die Leute kannten die Wahrheit nicht, und viele schalten Cäsar und nannten ihn grausam. Aber es war nicht Cäsars Wille, sondern der Entschluß des großen Königs. Diese Menschen kennen noch das Königsopfer, das frü135
her ein Bestandteil aller Religionen war; der König stirbt zum Wohl seines Volkes und geht zustimmend in den Tod. Genau das hatte Vercingetorix gemeint; es ist ein Jammer, daß dies mißverstanden wurde. Aber vielleicht gedenken die Seinen seines Opfers. Ich weiß, daß Cäsar weinte. Ich sah im Gegensatz zur Mehrheit der Römer nicht bei den Hinrichtungen zu. Am nächsten Morgen waren viele Augen rot und geschwollen von zu wenig Schlaf, und einige Leute wirkten immer noch betrunken. Diesmal begann der Umzug mit Tieren aus Ägypten, die den Römern fremd waren; Giraffen, deren lange Hälse sich zwischen den Käfigstangen durchschoben, unerschrocken blickten sie drein mit ihren großen Augen und kauten friedlich wie die Kühe vor sich hin; hübsche kleine Zebras wurden an einem feinen seidenen Band durch die Straßen geführt; wunderbar farbige sprechende Vögel aus dem Dschungel kreischten lateinische Flüche; Affen mit traurigen Gesichtern schnatterten aus ihren Käfigen wild die Menge an und hingen an ihren Schwänzen; ein großer Gorilla, diese haarige Kreatur, die dem Menschen so ähnlich und doch so unähnlich ist, und natürlich das schläfrige Krokodil mit seinen Schuppen und seinen bösen Augen; Sklaven begossen es ständig eimerweise mit Wasser, denn sonst wäre es eingegangen. Dieses Tier lebt nicht lange in der Gefangenschaft, und es ist dem uralten Volk meines Landes heilig; ich hoffte, Cäsar würde an meine Anweisung denken und es, bevor der Tag zu Ende war, in einen Teich setzen lassen. Dieser Tag war natürlich dem »ägyptischen Triumph« gewidmet, wie er es nannte; ich akzeptierte es einstweilen. In der Hauptsache wurden die Wunder meines Landes gezeigt; Modelle vom Leuchtturm auf der Insel Pharus, von allen Museen, vom Palast in Alexandria, von den einzelnen Tempeln und sogar eine Darstellung des Nils mit seinem Sand und seinen Palmen; und zuletzt - Cäsar hatte auf mein Drängen hin das Interessanteste und Kurioseste von allem mit dazugenommen - Modelle der großen Pyramiden und jenes geheimnisvollen Kolosses, des Sphinx. Das Volk gab Ausrufe des Staunens von sich, obwohl es natürlich keinen Begriff von der Gewaltigkeit dieser Monumente hatte. Dann kamen ein paar von der alexandrinischen Armee, einige Priester, Ärzte und Lehrer in den Gewändern ihres Standes und einige alte Kunstwerke, Malerei136
en und Skulpturen, entliehen aus den Gräbern der reichsten Pharaonen am Oberen Nil. Den Schluß bildeten die häßlichen, klobigen Statuen von Pothinus und unseren restlichen toten Feinden, übertrieben garstig und fürchterlich anzusehen, fast schon wieder komisch; das Volk von Rom machte sich lustig darüber, und diesmal stieß ich mich nicht am Naturell dieser barbarischen Menge. Dann ein trauriger Anblick, meine Schwester Arsinoë und ihr Schatz Ganymed in Ketten; sie hat mich nie gemocht, und ich könnte sie wirklich zu meinen Feinden zählen, aber mir wurde weh ums Herz, als ich das Haus der Ptolemäer so entehrt sah. Gewiß, sie war in Seide gekleidet, und ihre Ketten waren leicht und aus Gold und locker gelassen, damit sie es bequemer hatte; doch sie wirkte sehr klein und hilflos, als sie sich so mühsam hinter ihrem Geliebten herschleppte. Sie ging nicht stolz, sondern mit niedergeschlagenen Augen; ich glaubte, ein schwaches Rot auf ihren Wangen zu sehen, das keine Schminke war. Ich konnte es nicht mehr ertragen, stand auf, hob den Arm und machte das Zeichen, das bei den Spielen Gnade bedeutet - zumindest hatte man mir das gesagt. Cäsar saß neben mir; er zog heute aus Achtung vor mir nicht mit; ich hörte, wie er einen kleinen, verärgerten Laut von sich gab, bevor er mich auf meinen Platz zog. »Setz dich hin!« befahl er. »Denkst du, ich würde deine Schwester zum Tod verurteilen?« Er hatte schnell reagiert, aber trotzdem hatte meine Geste Aufmerksamkeit und Neugier erregt; einige vom gemeinen Volk jubelten mir zu, denn das arme Mädchen tat ihnen wohl leid, und vermutlich hießen sie meine schwesterlichen Gefühle gut; ich wußte gar nicht, daß ich welche hatte! Cäsar ließ den Zug anhalten, gab einem Zenturio einen Wink; als alles stillstand, ertönte eine Trompete, und der Zenturio führte auf ein Wort von Cäsar hin Arsinoë, die immer noch in Ketten war, zu dem Platz, wo wir saßen; sie blickte völlig verwirrt drein. Cäsar stand auf und hob die Hand, bat um Ruhe. Dann sprach er; mir fiel ein, daß er bekannt war für seine Redekunst. Seine Stimme trug gut, und die Menge schwieg still. Er verkündete, daß auf die Bitten der großen und barmherzigen Königin von Ägypten hin deren verräterischer Schwester Gnade gewährt werde; ich kann mich nicht mehr an all seine Worte erinnern, aber sie waren wohlgesetzt 137
für eine Rede aus dem Stegreif; die Menge war zu Tränen gerührt und hingerissen zu Jubelrufen. Mit einem verstohlenen Blick zu mir und einem zufriedenen Zug um den Mund löste er dann ihre Ketten, führte sie zu einem Platz neben mir und gab ihr den Friedenskuß. Ich mußte es ihm gleich nachtun; es war der erste Kontakt, den wir zwei Schwestern seit der frühen Kindheit gehabt hatten. Als meine Lippen ihre Wange berührten, schmeckte ich Salz; sie war naß vor Angstschweiß. Ich empfand Mitleid für sie und umarmte sie. Ein Platz wurde frei gemacht, damit sie neben mir unterm Baldachin sitzen konnte, und ich schickte einen Sklaven um einen kühlen Trunk. Cäsar klatschte in die Hände; der Triumph nahm seinen Fortgang. Ich blickte flüchtig zu Arsinoë hinüber; sie trank in kleinen Schlukken vom mit Wasser verdünnten Wein. Ich sah, daß ihre Wangen plötzlich gerötet und ihre Augen unnatürlich hell waren. Sie flüsterte: »Was ist mit Ganymed ...?« »Er wird sterben«, sagte ich. Prompt strömten ihr die Tränen übers Gesicht, aber sie gab keinen Laut von sich. Was erwartete sie? Irgend jemand mußte dafür bezahlen. Der dritte Tag hatte die Eroberung von Pontus zum Thema; ich blieb nicht die ganze Zeit über da, denn die Darbietungen waren langweilig und hatten nichts mit mir und dem Meinen zu tun. Das einzig Interessante war das große Banner mit den Worten »Veni, vidi, vici«, das vor Cäsar hergetragen wurde. Er soll diese arroganten, alliterierenden Worte nach dem Sieg von Pontus gesprochen haben; natürlich hörte ich sie nicht. Aber sie klangen ganz nach Cäsar; er hatte eine ordinäre Ader wie alle Römer. Und wie alle Römer liebte er seine Parvenüsprache. Nun, zu solchen Wortspielen eignet sie sich recht gut; anders verhält es sich, wenn es um die Dichtkunst oder um andere subtile Dinge geht; da braucht man unbedingt das Griechische. Am vierten und letzten Tag wurden die Siege in Nordafrika gefeiert. Man nahm etwas Anstoß daran, und einige vom römischen Volk drohten mit den Fäusten und schrien zornig auf, denn es wurden Bildnisse von besiegten Römern und erbeutete römische Waffen durch die Straßen getragen. Ich wurde natürlich nicht gefragt, aber 138
ich hätte ihm sagen können, daß eine solche Zurschaustellung ein taktischer Fehler sein würde. Und tatsächlich, als das Volk das Bildnis des Pompejus sah, schlugen die Wellen der Erregung so hoch, daß der Zug angehalten und das Bildnis verhüllt werden mußte. Danach kam die Statue des großen, verstorbenen Cato, aber inzwischen hatte Cäsar schon seine Lektion gelernt, denn sie war mit einem goldenen Lorbeerkranz bekrönt, den man schnell auf das marmorne Haupt gesetzt hatte; als sie an unserem Platz vorbeigetragen wurde, stand sie ein wenig schief, so daß der große Mann wie betrunken aussah. Doch sonst schien es niemand zu bemerken. Dann wurden weniger bedeutende Feinde vorgeführt, ein Dutzend etwa. Gnäus Pompejus, mein Gnäus, war unter ihnen. Mein Herz machte einen kleinen Sprung, als sein Bildnis vorbeigetragen wurde; der Bildhauer hatte ihn lebensecht getroffen. Ich schaute auch nicht bei den letzten Hinrichtungen zu, bei denen Ganymed den Tod fand. Ich habe an diesen Dingen nie Freude gehabt und bewegte Cäsar dazu, das Urteil um Arsinoës willen zu mildern und ihn nur enthaupten zu lassen; er bestand darauf, daß sie zugegen war, um ein Exempel zu statuieren; und ich glaubte, sie hätte es nicht ausgehalten, eine Kreuzigung mitansehen zu müssen. Auch so regte sie sich auf, und ich gab ihr heimlich ein wenig Mohnsaft zur Beruhigung. Ich weigerte mich jedoch, sie in meine Obhut zu nehmen; die Klauen waren ihr gestutzt worden, aber ich traute ihr immer noch nicht; ich kannte meine Schwester zu gut. Sie war wirklich ein Problem, denn man konnte sie nicht einsperren wie eine gewöhnliche Schwerverbrecherin; das hätte schlecht ausgesehen. Wir zwei, Julius und ich, brauchten einen ganzen Abend, um zu ergründen, was mit ihr geschehen sollte. »Ich werde sie zu Cornelia, zu Pompejus Witwe, nach Alba schikken«, sagte er schließlich mit einer Miene, als hätte er die perfekte Lösung gefunden. »Diese Dame ist freundlich und wird gütig zu ihr sein - aber sie wird sich immer daran erinnern, daß Ägypter ihren Mann umgebracht haben ...« »Arsinoë nicht«, erwiderte ich und schüttelte den Kopf. »Sie hatte nichts mit Pompejus Tod zu tun ...« 139
»Egal«, sagte er leichthin. »Es wird schon gehen.« Er blickte mich einen Moment lang an und schnippte mit den Fingern. »Fast hätte ichs vergessen«, sagte er. »Wir können einen Geiselaustausch vornehmen ... es gibt noch eine Prinzessin in Pompejus Landhaus in Alba. Ein Mädchen, das schon seit Jahren dort lebt. Ich habe sie vor langer Zeit mit meiner Julia hingeschickt, als sie heiratete -« Die Stimme versagte ihm wie immer, wenn er seiner toten Tochter gedachte; ich erinnerte mich daran, daß Julia einmal Pompejus Frau gewesen war, und wartete. Er fuhr fort: »Dieses Mädchen - Charmion heißt sie - ist zusammen mit Julia aufgezogen worden, nachdem ich sie aus dem königlichen Haus von Zypern fortgeführt hatte ...« »Meine Cousine?« fragte ich. »Meine Cousine aus Zypern?« Es war tatsächlich die Charmion, die ich für tot gehalten und aufgegeben hatte, die Tochter jenes Onkels, der mir seiner Freundlichkeit und seiner vornehmen Gesinnung wegen im Gedächtnis geblieben war. Als sein Land erobert wurde, hatte er sich das Leben genommen, um nicht römischer Untertan sein zu müssen. »Ich kann mich schwach an sie erinnern«, sagte ich. »Wir haben uns, glaube ich, einmal als Kinder gesehen.« »Julia mochte sie gern«, meinte er. »Und nun werde ich sie dir als Hofdame schenken ...« Ich unterdrückte die Antwort, die mir hitzig über die Lippen wollte; ein Römer verschenkt eine ägyptische Prinzessin! Nun, wenn die Götter mir nicht hold gewesen wären, wäre ich an ihrer Stelle. Ich lächelte und dankte ihm liebenswürdig. »Das gefällt mir gut, Julius«, sagte ich. Und so kam Charmion zu mir. Wir waren viele Jahre zusammen; mit der Zeit wurde sie meine liebste Freundin nach Iras. Ein treues Mädchen und ein edler Mensch. Heute fällt es mir schwer, mir ein Leben ohne sie vorzustellen.
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5 Wenn schon der Triumph kein vollständiger Triumph war, so war es die Weihe des Venustempels noch weniger. Die Mißbilligung hatte freilich eine andere Ursache. Das gemeine Volk von Rom suchte, wie ich bereits vermutet hatte, als ich sein Naturell noch gar nicht kannte, stets und ständig Gestalten, die es anbeten konnte; deshalb wollten die Leute es nicht haben, daß ihre alten Idole - Cato, Pompejus und die anderen - herabgesetzt wurden. Und darum billigten, ja begrüßten sie auch meine Apotheose als Venus-Isis im neuen Tempel. Nicht so die Patrizier; sie hatten ungerührt zugesehen, wie sich die brutal karikierten Bildnisse der ehemaligen Größen von Rom schwerfällig durch die Straßen bewegten, aber sie waren zu weltmännisch und zu klug, um einer Sterblichen Unsterblichkeit zu gewähren - nicht einmal einer Königin. Eine Woche vor der feierlichen Freigabe des Tempels hatten Lohnschreiber lange Traktate gegen die ganze Zeremonie vervielfältigt, die in der Stadt massiv in 141
Umlauf gesetzt wurden. Seltsamerweise kritisierten diese Schriften nicht mich, die ich zur Göttin ausersehen war, sondern den römischen Helden Cäsar dafür, daß er etwas anstiftete, was sie eine »Blasphemie« nannten. Ich las die Werkchen selbst; sie waren gut geschrieben und zielten darauf ab, all die Patrizier aufzurütteln, die Bürgersinn und Bürgerstolz besaßen. Eins nahm ich Cäsar mit, versuchte, ihn von der Feier abzubringen oder ihn wenigstens zu überreden, daß er sie verschob, bis die Stimmung günstiger war. Er wollte nichts davon hören; wie seine epileptischen Anfälle wurden auch seine Anfälle von Hochmut häufiger. »Cäsar kann nichts falsch machen!« sagte er. Am Morgen der Feier sprach sich Roms größter Redner, ein Mann namens Cicero, auf dem Forum dagegen aus; ich war nicht dabei, doch Apollodorus, und er meinte, die Rede sei vernünftig und eindrucksvoll gewesen. Wieder versuchte ich, Cäsar davon abzubringen, doch es gelang mir nicht; die Feier nahm wie geplant ihren Lauf. Es war nichts weiter als die Freigabe eines Tempels für die Öffentlichkeit, ein paar Gebete, ein Opfer und die Enthüllung der Statue, aber der Andrang war so groß, daß wir nur mit Mühe zu unseren reservierten Plätzen gelangten. Und das ohne kostenloses Essen oder kostenlosen Wein! Natürlich erschallten keine Jubelrufe, denn wir befanden uns an einer heiligen Stätte, aber das einfache Volk verbeugte sich vor mir, berührte mit der Stirn den Boden zu meinen Füßen, als ich vorbeiging. Ich wußte, daß diese Schmeichelei mir galt; ich entnahm es unmißverständlich den geflüsterten Worten der Menge; doch Cäsar dachte, er sei gemeint, neigte würdevoll den Kopf und gab sich das Ansehen eines Olympiers. Nicht daß ich mich um das Meine gebracht fühlte, aber ich war mit dieser Verehrung als Göttin aufgewachsen und wirkte aus Gewohnheit so; ihm stand es nicht besonders gut zu Gesicht; er brauchte mehr Übung. Doch ich wagte nicht, ihm das zu sagen. Es waren auch ein paar von den höheren Ständen im Tempel, allerdings sah ich keine Frau unter ihnen. Brutus war da, Antonius auch, und ich nickte ihm huldvoll zu; die anderen kannte ich nur vom Sehen. Cicero war ebenfalls da; man zeigte ihn mir: ein kleiner alter Mann mit grobem Gesicht und einer selbst für römische Ver142
hältnisse sehr großen Nase. Man konnte seine Miene nicht ergründen. Als die Statue enthüllt wurde, zeigte die Natur, daß sie auf unserer Seite war; der Tempel war von Kienspänen und Fackeln erleuchtet, denn sein Inneres war dunkel, anders als bei unseren griechischen Tempeln; eine der großen, schweren Türen stand einen Spalt weit offen, mehr nicht, aber es drang ein Sonnenstrahl herein, der auf die Edelsteinaugen des Bildnisses fiel, und sie schienen in lebendigem Fleisch aufzublinken. Das gemeine Volk sank mit einem gedämpften Seufzer in die Knie. Dann schloß jemand die Tür, vermutlich ein Patrizier, der daneben stand, und es war wieder Marmor. Trotzdem war es ein eindrucksvoller Moment gewesen; das Glück lachte mir immer in Rom - wenigstens in jenen ersten Tagen. Cäsar gab am Abend, nach der Weihe des Tempels, einen Empfang in seiner Villa; bei dieser Gelegenheit sollte ich formell in die römische Gesellschaft eingeführt werden. Sie war keine besonders kleine Gruppe und nicht allzu exklusiv, diese römische Gesellschaft; ich sah eine Reihe von Leuten aus dem Ritterstand, aber Iras flüsterte mir zu, sie hätten vielleicht den Pförtner bestochen. Ich sagte ihr, wenn sie nicht ihre Zunge im Zaum hielte, würde ich dafür sorgen, daß man sie dieser Räume verwiese. Ich sagte es freundlich, aber ich fürchtete trotzdem, eine ihrer witzigen Bemerkungen im passenden Moment könnte mich dazu bringen, einem strengen Senator laut ins Gesicht zu lachen. Die Götter wissen, daß es schwer genug war, bei all dem altväterischen Purpur eine ernste Miene zu bewahren. Ich hatte Cäsar fast dazu überreden können, ihn wegzulassen, aber er trug immer noch eine schmale Borte am Saum seiner Tunika. Brutus stellte mich seiner Frau vor; es hätte umgekehrt sein sollen, doch ich duldete es. Sie war liebenswürdig und klein und hatte ein hübsches Gesicht, aber eine etwas mollige Figur. Ich bemerkte, daß all diese römischen Damen aus der Nähe betrachtet einen dunklen Teint und dunkle Augen hatten, doch die meisten hatten gebleichtes oder mit Henna gefärbtes Haar oder trugen blonde Perükken. Es gab zwei auffällige Ausnahmen, Antonius Frau Fulvia, ein lebhaftes, quecksilbriges Geschöpf mit einem mutwilligen Mundwerk, und die strahlend schöne, allbekannte Clodia; beide hatten 143
ihre üppigen, kunstvoll frisierten Locken im natürlichen Schwarz belassen. Clodia war auf der ganzen Welt berühmt - oder berüchtigt; sie war die »Lesbia« der Gedichte des verstorbenen Catull; seit seinem Tod vor ein paar Jahren war sie lasterhafter geworden denn je. Ich starrte sie neugierig an; es hatte keine Spuren hinterlassen, ihr ausschweifendes Leben, falls es überhaupt stimmte; ihr Gesicht war faltenlos, ihre Augen leuchteten, und sie war ungeschminkt. Ich habe die Begeisterung der Römer für das Werk dieses Dichters nie teilen können; er soll der »griechischste« von allen sein, aber ich fand seine Gedichte anstößig erotisch; das hat nie der griechischen Art entsprochen! Seine Übertragungen nach der Sappho - ja, sie sind tatsächlich vollkommen, metrisch wie gedanklich. Doch aus Sapphos Werk kann man kaum etwas Schlechtes machen; die Worte sagen alles. Der Rhetor Cicero war eine Überraschung; ich hatte gedacht, ich würde seine Mißbilligung zu spüren bekommen, aber seinem Gesicht und seiner Stimme war nicht zu entnehmen, was er empfand. Er bewunderte sogar mein Kleid! Wir sprachen griechisch; er hatte einen thessalischen Akzent; aber ich sagte das natürlich nicht; er war stolz darauf, daß er die Sprache vermeintlich perfekt beherrschte. Eins muß ich ihm lassen; er ist gebildeter und kultivierter als die anderen Zeitgenossen hier; er spricht außer dem Griechischen die meisten italienischen Dialekte und kann leidlich Arabisch. Wir redeten über den Ursprung der Sprachen; es würde ihn interessieren, Hebräisch zu lernen; ich versprach ihm, aus Alexandria ein paar Bücher in dieser Sprache kommen zu lassen. »Ich kann dir zumindest die Grundelemente andeuten«, sagte ich. »Aber ich habe mich noch nicht als Lehrerin versucht; es ist eine Kunst für sich.« Falls er begriff, was ich meinte - daß nämlich auf allen Gebieten die besten Lehrer Griechen sind -, so ließ er sich doch nichts anmerken. Ich kann mich nicht der Versuchung erwehren, hier in Rom Bemerkungen dieser Art zu machen, doch niemand kommt dabei auf den springenden Punkt, und ich kanns ihnen nicht auf höfliche Weise eintrichtern. Es war ein reizender und gelungener Abend, nur trank Marcus Antonius zuviel. Vielleicht lag es daran, daß seine Frau schon zeitig mit einem Ritter weggegangen war. Davor hatte ich gesehen, wie er sie böse anfunkelte; ich hielt es nicht für eine reine Vernunftehe. 144
6 Ich sah Cäsar tagsüber kaum, denn seine Pflichten im Senat nahmen ihn sehr in Anspruch; er war wieder zum Diktator ernannt worden, und man munkelte, er solle für zehn Jahre zum Diktator ernannt werden, freilich murrte man auch dagegen; ich habe meine Spione. Die Zeit wurde mir jedoch nicht allzu lang; nach dem Empfang kamen viele Besucher, die Frauen paarweise am Vormittag mit kleinen Geschenken und einem großen Bestand an Klatsch, die Männer am Nachmittag - aber sie wurden schon an der Tür abgewiesen. War es denn möglich, daß man mich auf diese Weise hereinlegen wollte? Wir Griechen sind seit langem Meister in solchen Intrigen; niemand konnte je einen Vorwand finden, um mir eins auszuwischen - nein, während der ganzen Zeit nicht, die ich in Rom verbrachte, fast drei Jahre. Ich gewöhnte mich nie an die römischen Sitten; für mich, die 145
Griechin, waren sie stets schlicht und einfach Barbaren. Sie liebten ausnahmslos alles Griechische; unglücklicherweise übernahmen sie nur das Schlechte von uns (denn selbst wir Griechen haben ein paar üble Angewohnheiten). Die griechische Vorliebe für Feste wurde bei den Römern eine Entschuldigung für die wüstesten Orgien; die Vorliebe für schmackhaftes, gut zubereitetes Essen, die die Griechen von ihren östlichen Nachbarn gelernt hatten, verkehrte sich zu der Angewohnheit, den ganzen Tag lang zu schlemmen, sich den Magen wahllos mit allen möglichen Speisen und Saucen vollzuschlagen, und meistens kam es ihnen wieder hoch! Die homosexuelle Liebe, die in der hellenischen Welt akzeptiert, aber selbst da auch mißbraucht wurde, verwandelte sich bei den Römern zum lasterhaften, ja kriminellen Treiben. Bei ihnen floß der Wein in Strömen und unverdünnt, der Ehebruch war fast die Regel; jedes Jahr flakkerten religiöse Kulte auf und verloschen wieder wie Buschfeuer; Mord blieb unbestraft; die Politik war ein wüstes Durcheinander, unmöglich zu entwirren. Um nur einiges zu nennen. Vor langen, langen Jahren - noch vor Hellas großer Zeit - tat Solon von Athen den weisen Ausspruch: »Nichts im Übermaß.« Das wurde die Basis des griechischen Lebens. Ich glaube nicht, daß die Römer je etwas von diesem Ausspruch gehört haben! Die wirklichen Barbaren, die Gallier und Germanen und andere nördliche Stämme, wie der, dem Cadwallader angehörte, gaben sich keinen solchen Ausschweifungen hin; sie lebten harten und schlichten ethischen Maßstäben gemäß, aber es waren Maßstäbe. Die Römer waren, so sehe ich es jetzt, ein junges Volk, das zu rasch gealtert war und alle Mäßigung im Galopp hinter sich gelassen hatte. Ich habe noch nicht von den römischen Spielen berichtet, die regelmäßig im großen Amphitheater veranstaltet und von reichen Römern ausgerichtet wurden, die die Plebs hofieren wollten. Die ersten Spiele dieser Art, die ich miterlebte, hatte Marcus Antonius organisiert; die Kosten gingen zu Lasten Cäsars, denn Antonius war die Hauptstütze von Cäsars Partei. Sie fanden kurz nach der Weihe des Venustempels statt und sollten zum Teil auch die Aufmerksamkeit auf dieses Ereignis lenken. Cäsar befahl mir, mit all meinen Leuten hinzugehen. Obwohl ich etwa wußte, was mich erwartete, war die Wirklichkeit noch schlimmer, als man es mir geschildert hatte. 146
»Spiele« nannte man sie nach den alten Wettkämpfen in Olympia. Aber sie waren eine Entartung; es gab gar keine richtigen Wettkämpfe. Statt Athleten, die um den Lorbeer und um die Ehre stritten, der Beste zu sein, kämpften hier Sklaven, und der Siegespreis war das Leben - wenigstens für eine kleine Weile. Die Wettkämpfer hießen Gladiatoren und wurden aus der ganzen eroberten römischen Welt zusammengekauft und gründlich trainiert, manchmal viele Monate lang, was den Staat eine Menge Geld kostete. Und alle waren dazu bestimmt, in der Arena zu sterben. Denn am Ende starben sie alle. Man sagte mir, nach dem ersten Auftritt in der Arena währe das Leben eines Gladiators noch drei Monate; er könne es höchstens auf ein Jahr bringen! Und das waren die ausgebildeten Leute; manchmal wurde am Schluß oder am Anfang eine große Schlacht dargeboten, und zwar von Menschen ohne Training und mit recht primitiven Waffen - ein Kampf bis zum Tod, bei dem es keinen Sieger gab; es war schlicht und einfach das schiere Gemetzel. Spartakus, der Sklave, der große Rebell, war Gladiator gewesen, fiel mir ein; kein Wunder, daß er rebelliert hatte! Wir waren eine Gruppe für uns, ich und die Meinen; Iras und meine wiedergefundene Cousine Charmion saßen neben mir in der Loge, Apollodorus und Cadwallader hinter mir, denn Cäsar saß ein Stück weiter weg auf dem Ehrenplatz des Donators. Charmion hatte versucht, sich zu entschuldigen, denn da sie in einem römischen Haus auf gewachsen war, hatte sie die Spiele schon einmal erlebt; ich hätte es erlaubt, aber Cäsar sagte, das sähe nicht gut aus, all meine Vertrauten müßten sich zeigen. Ich hatte Charmion bereits liebgewonnen; sie war nicht so hübsch wie Iras und auch nicht so witzig, doch eine wunderbar stattliche und königliche Erscheinung; schließlich stammte sie wie ich von Mutters wie von Vaters Seite aus einer königlichen Familie. Sie war starkknochig wie eine Römerin und nahm leicht zu; sie aß wenig, um schlank zu bleiben, und trank weder Wein noch Bier. Cäsar hielt sie für allzu streng, aber sie bildete ein angenehmes Gleichgewicht in unserem Haushalt; ich wußte natürlich, daß ihre Strenge nur defensiv war; sie hatte so lange bei den Eroberern ihres Landes gelebt! Das kam ihr auch bei diesen sogenannten Spielen gut zustatten. Sie konnte bei den grausigsten Szenen die Fassung bewahren; Iras schlug die Hände vors Gesicht, 147
und selbst ich mußte manchmal die Augen schließen. Der Lärm war ohrenbetäubend; der Blutgeruch war widerlich. Nach jeder Nummer schleiften Sklaven die Toten aus der Arena, die zerfleischten, kaum mehr als Menschen zu erkennenden Leichen, und streuten frisches Sägemehl. Trotzdem blieb der Blutgeruch; man konnte sich ein parfümiertes Tuch vor die Nase halten oder duftende Essenzen um sich versprengen, es half nichts. Nach einer Stunde in der Hitze und unter der Sonne spürte man das Blut klebrig an den Händen und wie einen Kloß im Hals. Ich saß den ganzen Tag lang da, ohne etwas zu essen, und trank nur ein wenig Wasser in kleinen Schlucken; der Wein hatte schließlich die Farbe des Blutes. Man verwendete eine Vielfalt von Waffen; Schwerter, Speere, Keulen, Äxte; bei einer vielbeklatschten Nummer traten zwei Männer auf, die mit Netz und Dreizack bewehrt waren; es ging darum, dem Gegner das Netz überzuwerfen und ihn, den Hilflosen, wie einen großen Fisch aufzuspießen. Diese meine ersten Spiele schlossen, wenn ich mich recht erinnere, mit einer Löwenjagd; man hatte die Bestien hungern lassen, damit sie angriffen, denn sie mögen kein Menschenfleisch. Das war vielleicht das Schlimmste; es ist schwer zu sagen. Der Menge gefiel es am besten; sie sind alle Römer. Wie ich bereits sagte, wurde ich von denen begleitet, die mir am nächsten standen; sie empfanden wie ich, ließen sich aber mit Ausnahme von Iras keine Gefühlsregung anmerken. Ich spürte, daß meine Gallier und Cadwallader, die hinter mir saßen, zornig waren. Wie leicht hätten sie alle in der Rüstung dieser Gladiatoren stecken können! Cäsar und ich gerieten fast in Streit über diesen Tag; er hatte befohlen, daß Cäsarion zugegen sein sollte, um Eindruck zu machen und seine Vaterschaft anzuzeigen. Ich konnte das nicht zulassen, auch nicht in Anbetracht der Genugtuung, die seine Anerkennung mir geben würde. Ein ahnungsloses Kind soll sich solche Szenen anschauen - und am Ende wird es immun dagegen! Und dabei muß man sich vor Augen halten, daß ich noch gar nicht wußte, wie entsetzlich das Ganze war! Ich hatte recht damit, wie es in letzter Zeit öfter der Fall war; anfangs war Cäsar in allen Dingen klüger als ich gewesen; ich war in Rom rasch gereift. Schon in diesen ersten Monaten in Rom erkannte ich, daß Cäsar, 148
obwohl er ungeheuer populär war, vorsichtig zu Werke gehen mußte; die Partei des Pompejus hatte sich trotz ihrer schweren Niederlagen am Leben erhalten. Mir schien - aber das sagte ich natürlich nicht , Cäsar tat, um die Zuneigung zu diesem toten Römer zu überwinden, genau das Falsche. Er gab Unsummen aus, weil er um die Gunst der Masse buhlte, die ohnehin auf seiner Seite stand, und unternahm andererseits überhaupt nichts, um die Patrizier und die reichen Kaufherren, die Anhänger von Pompejus gewesen waren, für sich zu gewinnen. All die Schaustellungen, die er anordnete und teuer bezahlte, waren geschmacklos; die vornehmeren Römer hatten eine gewisse geistige Strenge und Einfachheit, und Cäsars Aktionen zu dieser Zeit und in der danach waren für sie ein Stein des Anstoßes. Obwohl man die Spiele nicht so wie ich betrachtete, nämlich als Barbarei (sie war gebilligt und gehörte zum Leben), hielt man Cäsars Spiele für bei weitem zu protzig. Nach wie vor schlugen die Wogen der Erregung hoch wegen seines Triumphs, wegen der Art, wie er mit seinen gefallenen römischen Feinden umgesprungen war; die höheren Stände akzeptierten mein Bild im Tempel nie und wehrten sich auf subtilere Weise gegen Cäsars Bild von sich selbst; man hätte es in den Griff bekommen können, alles, wenn er langsamer vorgegangen wäre. Rückblickend glaube ich, daß Cäsar das Gefühl hatte, ihm bliebe nicht mehr viel Zeit. Außer den Spielen veranstaltete er große Bankette für die Plebs; einmal ließ er mehrere Straßen absperren und bewirtete 22 000 Menschen mit Essen und Wein! Er inszenierte eine Seeschlacht auf einem künstlichen See, mit 100 Triremen und 4000 Sklaven; zum Ruhme Cäsars gingen sie alle zuschanden, die Schiffe, die Waffen und die Sklaven, eine fürchterliche Verschwendung; auch mit dem See ließ sich nichts mehr anfangen, er mußte trockengelegt werden, weil das Wasser verunreinigt war. Das stürzte ihn in hohe Schulden; ich weigerte mich, ihm aus der Klemme zu helfen. Ich war nicht bei ihm in Rom, um die Gelder meines Landes zu vergeuden! Er wollte mich beschwatzen wie ein verzogenes Kind, dieser große Mann, und schließlich drohte er damit, zu Calpurnia zurückzugehen. Ich zuckte die Achseln, obwohl es mir viel ausmachte, und wünschte ihm viel Spaß mit ihr. Er nannte mich hartherzig; ich sah ihn eine Woche lang nicht. Er kam zerknirscht und mit Geschenken beladen zurück 149
und redete kein Wort mehr von seinen Schulden; vielleicht hat sies bezahlt, ich habe nie danach gefragt. Für mein Teil führte ich ein ruhiges Leben und wartete ab. Ich liebte Cäsar, obwohl ich seine Fehler deutlich sah. Trotz seiner Fehler war er der größte und der bezauberndste Mann, der auf Erden lebt. Ich wußte, daß er mich heiraten würde, wenn die Zeit dafür reif war; wir mußten um unsertwillen und um Cäsarions willen langsam vorgehen. Calpurnia stellte kein Problem dar; in Rom wird eine Frau ohne jede Rechtfertigung verstoßen; und in ihrem Fall kam dazu, daß sie kinderlos war. Sie hatte nichts, auf das sie sich berufen konnte, es sei denn, er schuldete ihr wirklich Geld, und das schwarz auf weiß. Ich wußte, daß er dafür zu schlau war; sie hatte ihm als Vorwand gedient, um mir eins auszuwischen, das war alles. Ich beschloß, daß das nicht noch einmal geschehen sollte, und erwähnte sie von da an mit keinem Wort. Ich wohnte in seiner Villa, aber ich hielt es für klug, Miete zu zahlen und alle Kosten zu übernehmen; das trug zu mehr Freiheit bei. Und außerdem wurde ich dafür bewundert, als es - und ich hatte dafür gesorgt - unter die Leute kam. Ich wurde in Rom für vieles bewundert, nicht nur vom gemeinen Volk, sondern auch von den Höhergestellten. Wie ich schon sagte, liebte man in diesem jungen Land alles Griechische, und ich war eine reinblütige Griechin. Ich spielte es hoch, trug griechische Gewänder und Frisuren, besuchte das Theater, wenn das Stück von einem griechischen Verfasser war, und ging in die griechischen Tempel. Mein Aussehen begünstigte das; wenn ich etwas nachhalf, glich ich den griechischen Skulpturen der Glanzzeit, besonders den Aphroditen. Auch mein Wissen kam mir gut zustatten; selbst Cicero fand sich bei meinen »griechischen Nachmittagen« ein. Ich las aus den klassischen Dichtern vor, ich wußte, daß meine Aussprache makellos war; alle sagten, ich sei besser als die Schauspieler. Die Frauen waren hingerissen; ich begann, einmal in der Woche Stunden in Griechisch zu geben; die Creme der Gesellschaft kam mit dem Eifer von Kindern zu mir. Es war amüsant zu hören, wie diese feinen Leute über die Worte stolperten und den Sprachrhythmus verpfuschten; Fulvias Gesicht war von Zorn umwölkt, und die arme kleine Porcia brach in Tränen aus, aber trotzdem kamen sie; es war große Mode. 150
In späteren Jahren sagte man, ich sei in Rom nicht beliebt gewesen; das ist durchaus nicht wahr. Die Männer hingen an meinen Lippen und machten mir Komplimente, obwohl ich keinem von ihnen irgendeine Gunst gewährte; die Frauen ahmten meine Kleidung nach. Was die Masse betraf, so betete sie mich an, als sei ich wirklich eine Göttin. Ich war in dieser allzu kurzen Zeit sehr glücklich; glücklicher denn je.
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7 »Eine Armee? Du hattest eine Armee?« Fulvia riß die Augen auf und schaute mich verdattert an. Clodia hielt in ihrem unablässigen Herumstöbern inne und blickte ebenfalls zu mir. »Wie hinreißend, meine Liebe!« Fulvia, die gerade hatte gehen wollen, ließ ihren Umhang von den Schultern gleiten. Sie setzte sich wieder. »Erzähl uns alles«, verlangte sie. Ach du meine Güte, dachte ich, was sind sie doch langweilig! »Nun, da gibts nicht viel zu erzählen«, sagte ich laut. »Es war einfach notwendig ...« »Aber eine Armee ...! Und du hast eine Rüstung getragen - und bist im Herrensattel geritten ...« »Und hast in Zelten geschlafen ...«, warf Clodia mit einem boshaften kleinen Lächeln ein. Ich achtete nicht auf sie; das mußte man. »Ja ... wir sind im Herrensattel geritten ... und das ist nicht sehr vergnüglich. Rüstung 152
nein. Wir trugen keine Rüstung.« »Wer - wir?« fragte Fulvia und hob die Augenbrauen. »Iras und ich ... Iras war auch dabei«, erwiderte ich, schaute zu Iras und lächelte. »Ach ja, Iras.« Fulvias Blick ging kurz über sie hin wie ein Peitschenriemen; die römischen Frauen sind sehr hochnäsig. Erwartungsvoll schaute sie wieder mich an. Ich breitete die Hände aus. »Das ist alles. Ich hatte eine Armee. Ich floh von Alexandria nach Syrien. Ich wartete auf Nachrichten von meinen Spionen. Cäsar gewann den Krieg und schickte nach mir. Ich ging zu ihm. Das ist alles.« Ich zuckte die Achseln. Fulvia sah enttäuscht aus. Clodia wirbelte herum. »Ist es wahr, was Cäsar sagt ... daß du in einem Teppich zu ihm in den Palast geschmuggelt wurdest? Nackt?« »Nein, nicht nackt!« Ich wurde rot vor Zorn. »Hat er das gesagt?« »Beruhige dich, Liebes«, meinte Fulvia träge und zeigte ihre kleinen spitzen Zähne. »Cäsar hat nie einen Tag mit Clodia verbracht ... sie hats wahrscheinlich von Sklaven gehört. Außerdem - warum so spröde ? Du trägst jetzt auch nicht viel mehr am Leib ...« Das stimmte natürlich; in diesem Herbst waren durchsichtige Tuniken Mode, geschlitzt vom Ausschnitt bis zum Saum; selbst bei feuchtem Wetter zog man sich in ganz Rom so an. Trotzdem war es etwas anderes. »Ich mag solchen Klatsch nicht«, meinte ich stirnrunzelnd. »Wer hat das gesagt, Clodia?« Jetzt zuckte sie die Achseln. »Oh, niemand. Ich habs erfunden.« Fulvia lachte. »Das ist nur das, was sie an deiner Stelle getan hätte.« Clodia zuckte wieder die Achseln. »Aber natürlich«, murmelte sie. »Warum Zeit verschwenden?« Ich mußte einfach lachen; Clodia war so völlig aufrichtig. Es war das einzige, was sie anziehend machte außer ihrer Schönheit. Und das reichte; ich glaube, sie hatte überhaupt keine Feinde. Schon ein Kunststück in Rom! Ich empfand plötzlich eine gewisse Herzlichkeit für sie und war sogar duldsam gegen Fulvia. Ich erzählte ihnen die ganze Geschichte; meine Version, etwas verwässert. Sie waren trotzdem entzückt. Ich wußte, daß sies am nächsten Tag in der ganzen Stadt herumerzählen würden. Ich hatte mir ein paar Ausschmückungen gestattet 153
und mich für alle Fälle ein bißchen jünger gemacht. Denn ich wußte, daß sie mir nie eine Geschichte mit einer einundzwanzigjährigen Jungfrau abgenommen hätten! »Tja, meine Liebe«, sagte Fulvia gedehnt und erhob sich endlich zum Gehen, »du hast unser aller Herzen erobert ... mein Mann zum Beispiel ist verliebt in dich!« »Marcus Antonius?« Ich schüttelte den Kopf. »Da irrst du dich sehr ... er bewundert mich nicht mal!« »O doch ... und mehr als das? Was er so im Schlaf redet ...« Und sie drehte lächelnd die Augen himmelwärts. »Fulvia«, sagte ich streng, »laß diese Scherze ... ich will nicht, daß solche Dinge unter die Leute kommen ...« »Mmmm«, summte Clodia. »Was würde Cäsar dazu sagen ...?« Ich war kurz davor, wütend mit dem Fuß aufzustampfen, als Fulvia sagte: »Na, nun mach dir nichts draus ... es war wirklich nur ein Scherz. Würde sowieso niemand glauben ... ganz Rom weiß, daß wir nicht zusammen schlafen ...« Clodia schaltete sich ein. »Oh, aber ich habe ihn gehört ... letzte Woche erst. Eijeijei, war das ein Traum!« Sie grinste wie ein Gassenjunge, rückte nah an mich heran und zupfte mich am Ärmel. »Was gibst du mir, wenn ichs nicht erzähle, liebe Kleopatra?« »Nichts, liebe Clodia«, sagte ich und lächelte sie an, als sei sie ein Kind, »denn niemand würde dir glauben ... »Aber du bist doch so reich ...«, sagte sie schmollend. Sie warf mir einen Blick zu, bei dem jeder Mann dahingeschmolzen wäre. »Und so gemein! Ach ja ... gehn wir, Fulvia -« Sie trat an die offene Tür, von der aus man den Fluß überblickte. »Schaut mal, wer da kommt, meine Lieben ... Wenn man den Teufel nennt, kommt er gerennt ...!« Es stimmte. Marcus Antonius stieg soeben aus seinem kleinen bemalten Boot. Ich musterte sie scharf, die beiden dummen Weiber. Hatten sie das angezettelt? Nein, Fulvia schaute drein, als sei sie ebenso erstaunt wie ich. Sie warf den Kopf zurück. »Ich verschwinde durch die Hintertür«, sagte sie. »Ich will ihm nicht begegnen. Komm, Clodia.« Clodia ging ganz folgsam mit, aber nicht, ohne sich noch den Hals zu verrenken, um einen letzten Blick auf den Mann am Ufer zu 154
werfen. »Wir finden schon selber raus«, sagte Fulvia und zog Clodia am Ärmel. »Komm - beeil dich!« Ich blickte verwirrt hinter ihnen drein, dann schob ichs von mir weg; und wenn ich hundert Jahre alt würde - ich werde diese römischen Frauen nie begreifen! Immer noch stehend beobachtete ich, wie Marcus Antonius näher kam; selbst auf einige Entfernung sah ich, daß er die Stirn runzelte; ich fragte mich, ob er die beiden doch gesehen hatte. Aber all diese Gedanken waren wie weggeblasen, als er vor mich hintrat. Er nahm meine Hände in die seinen und hielt sie fest, ohne mich zu begrüßen. »Du mußt rasch kommen, Herrin.« »Cäsar?« »Ja. Er hatte einen schlimmen Anfall. Im Senat, mitten im Sitzungssaal ...« »O ihr Götter!« rief ich leise. »Ich hole Dioscorides ...« »Nein, Herrin, wir haben nicht die Zeit dazu ... es sind schon andere Ärzte da ... sie haben ihm einen Arzneitrank gegeben ... aber er sieht gar nicht gut aus ... du mußt kommen!« Ich warf den ersten besten Umhang über und folgte ihm. Der Weg - wir legten die ganze Strecke auf dem Fluß zurück - kam mir so weit vor; ich wand nervös die Hände. »Fasse dich, Herrin - wir sind gleich da ... nur noch ein Stückchen hier in dieser Straße ...« Und er reichte mir die Hand und half mir aus dem Boot. Man hatte ihn in Ciceros Haus gebracht; es lag am nächsten, ein kleines, gepflegtes Gebäude aus Backstein, eins der wenigen dieser Art in der Stadt. Ich hielt den Atem an, als wir eintraten; ein beißender Geruch hing in den Räumen, irgend etwas Starkes, Heilkräuter, die die Ärzte verbrannt hatten; ich sah, daß ihr schwarzer Rauch noch in Ringeln aus einer großen Schale aufstieg. Ungeduldig dachte ich: Es hat keinen Sinn, es gibt kein Mittel dagegen. Während ich so geistesabwesend um mich blickte, kam Cicero aus einem anderen Raum und legte den Finger an die Lippen. Er sah erschreckt aus; ich nahm an, daß er zum ersten Mal einen solchen Anfall erlebt hatte. »Er ist wach«, sagte er, »und er fragt nach dir ...« Wach! O ihr Götter, dachte ich, das ist nicht normal! Aber ich 155
sagte nichts und ging mit ihm in ein weiter innen gelegenes Zimmer. Dort lag Cäsar, fast blau im Gesicht, schwer atmend; er schlug die Augen auf; sie schienen tief in seinen Kopf eingesunken zu sein. Er streckte langsam die Hand aus. »Was ist geschehen? Ich fühle mich, als hätte mir eine Axt den Schädel gespalten ...« Und er lachte kurz und freudlos, furchtbar anzuhören, und umklammerte fest meine Hand. Ich beugte mich über ihn. »Es ist nichts, Liebling ... ein Gott ist über dich gekommen. Ein Zeichen. Jetzt ists vorbei ...« Er schaute mich prüfend an. »Die alte Krankheit? Hast dus gesehen ...?« »Ich bin gerade gekommen ... Marcus hat mich geholt.« Er blickte an mir vorbei, seine Augen suchten Marcus. »Marcus hast dus gesehen? Was wars?« »Wie Kleopatra sagt, Julius. Du ... es war die Hand eines Gottes, die nach dir gegriffen hat ...« Cäsar lächelte. »Ich dachte, es sei der Tod ...« Und er schloß die Augen. Das Wort entsetzte mich, seine Reglosigkeit auch. Ich drehte mich um, um Marcus anzublicken, und sah das gleiche Entsetzen in seinem Gesicht. Ein Arzt, in dunkles Safrangelb gewandet, zupfte an meinem Umhang; ich wandte mich um. »Er wird jetzt schlafen«, sagte er mit einer tiefen Verbeugung. »Das Mittel wirkt bereits. Hier - fühl sein Herz.« Und er nahm meine Hand in seine dürren, ledernen Finger und führte sie an Cäsars Brust. Ich spürte ein langsames, gleichmäßiges Pochen, das stärker wurde. Ich blickte in sein Gesicht auf dem Kissen; das Blau war fast verschwunden, und auf seinen Backenknochen zeigte sich ein kleiner Fleck gesunder Farbe. »Wir können ihn nicht fortbringen«, sagte ich zu Cicero; ich hatte ganz vergessen, daß ich mir die Befugnisse eines Arztes anmaßte, aber ich hatte all das ja schon vorher erlebt. »Wenn du ihn hierbehalten könntest ...« »Selbstverständlich«, sagte er sanft. »Mein Haus ist klein - aber für dich ist schon auch noch ein Zimmer da ...« Meine Empfindungen waren zwiespältig; seit seiner Geburt hatte ich Cäsarion keine einzige Nacht allein gelassen. Irgend etwas muß man mir angesehen haben; Marcus sagte freundlich: 156
»Ich kann die anderen benachrichtigen lassen ... oder sie selber benachrichtigen. Ich glaube, Herrin, es ist am besten, du bleibst hier.« Es war ganz klar, was er befürchtete, was alle befürchteten. Ich hörte mich fast zornig sagen: »Er wird nicht sterben ... nein, er wird nicht sterben!« Und das stimmte; er erholte sich. Aber es ging langsam, so langsam; diese Attacke, sagten die Ärzte, sei mehr als ein gewöhnlicher epileptischer Anfall gewesen, fast ein tödlicher Schlaganfall, der ihn auf Monate schwächen werde. Von allen Seiten kamen Ratschläge, die ich nicht ohne weiteres befolgen konnte, denn Cäsar durfte nicht merken, daß wir Angst um ihn hatten. Während ich in seinem Haus weilte - fast eine Woche lang -, sprach Cicero oft mit mir, drängte mich, ich sollte Cäsar dazu überreden, ein Testament zu machen, und bot sogar an, es selbst abzufassen. »Das kann ich nicht«, sagte ich. »Außerdem brauche ich nichts von Cäsar ... ich habe die ganzen Einkünfte aus Ägypten ...« »Darum gehts nicht«, erwiderte er mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Aber du mußt dir die Legitimität deines Sohnes sichern ...« Ich sah ihn groß an. »Wie denn? Wie denn - ohne Heirat? Und Cäsar hat eine Frau.« »Er hat eine römische Frau«, sagte er. »Es gibt Mittel und Wege, das zu umgehen - sogar ohne Scheidung ...« Ich sah ihn wieder groß an. Diese Römer biegen alles zurecht, wies ihnen paßt. Im Moment zu meinen Gunsten - aber wer weiß, ob das immer so sein wird? Ich schüttelte den Kopf. »Du verstehst das Problem nicht«, sagte ich. »Es ist weitaus komplizierter.« Ich erklärte es ihm geduldig und einfach wie einem Kind. »Man muß auch die Gesetze meines Landes und die Traditionen meiner Dynastie berücksichtigen ... Die Königin von Ägypten kann ihren Mann nicht mit einer anderen teilen!« Ich konnte ihm nicht erklären und war nicht bereit, ihm zu erklären, daß ich nichts Geringeres wollte als den Thron der Welt für meinen Sohn. Ich machte ihn glauben, ich fühlte mich in meiner Königswürde beleidigt; das war im Augenblick das beste. Dieser Cicero war nicht der Mann, dem man voll und ganz vertrauen konn157
te; er wirkte gradlinig wie eine von den römischen Zypressen, aber diese Zypressen biegen sich, so kräftig sie auch sind, mit dem Wind; man braucht nur ein paar davon an einem Hügel stehen zu sehen steif und starr, aber dahin geneigt, wo sie Schutz finden. Marcus dagegen sagte ich einen Teil der Wahrheit. Dieser Mann, den mein kindliches Selbst haßte, schien mir jetzt Cäsars einziger wahrer Freund hier in Rom zu sein. Und er hatte sich sehr verändert; was in früheren Jahren an ihm grob gewesen war, war jetzt angenehm und freundlich - oder vielleicht war ich diejenige, die sich geändert hatte. Jedenfalls wandte ich mich zur Zeit von Cäsars Not und auch danach diesem Mann zu. Ich sprach, und er nickte; wir waren unter uns, nicht in Cäsars Krankenzimmer, sondern in einem anderen Raum. Als ich ausgeredet hatte, sagte er: »Ja ... ich verstehe. Es wird nicht mehr lange dauern ... man wird ihm bald die Krone anbieten. Ich sehe es schon kommen. Man spricht bereits davon - und das ist kein leeres Gerede -, ihn zum Diktator auf Lebenszeit zu ernennen ...« Er legte die Stirn in Falten. »Natürlich bedarf es dazu vielleicht noch eines, zweier Kriege -« »Bloß das nicht!« rief ich gedämpft. »Cäsar ist krank!« Er lächelte. »Versuch ihm das beizubringen! Er arbeitet bereits im Bett Feldzugspläne aus ... er hat ein Auge auf Parthien. Und auf Indien auch.« Ich schwieg. So war Cäsar - ich wußte es ja. Er hatte mir mit einer Handbewegung bedeutet zu gehen, als ich letztens zu ihm hereingeschaut hatte, glücklich darüber, daß er aufrecht saß; ich hatte gedacht, er schriebe einen Brief. »Hör zu«, sagte Marcus. »Cäsar hat ein Testament. Ich habs mit meiner Unterschrift beglaubigt - vor zwei Jahren etwa. Der Haupterbe ist sein Neffe ...« Ich blickte rasch auf. »Ich wußte gar nichts von diesem Neffen ...« »Er heißt Oktavian«, sagte er. »Ein kränklicher junger Mann ... von dieser Seite ist nicht viel zu befürchten. Aber Cäsar hat einen stark ausgeprägten Familiensinn - und das war noch, bevor er deinen Jungen gezeugt hat.« Er rieb sich das Kinn und dachte nach. »Laß mich überlegen ... im Testament hinterläßt er seinen Besitz zur einen Hälfte dem römischen Volk und zur anderen Oktavian 158
und seinen Schwestern - zum Erben bestimmt er Oktavian.« Er dachte einen Augenblick angestrengt nach; ich wartete. »Er muß ein neues Testament unterzeichnen - ein provisorisches - für die Zeit nach seiner Krönung. Und in dem wird Cäsarion der Erbe sein. Denn er hat - im Moment jedenfalls - nichts, was er Cäsarion vermachen könnte. Was kann er auch einem Jungen bieten, der einmal Pharao von Ägypten wird?« Er lachte ein bißchen und streckte die Hand aus, um meinen Arm zu tätscheln. »Keine Bange, Herrin. Ich rede mit Cäsar. Und er wird mir zuhören. Das Testament wird abgefaßt und du verwahrst es, bis es dir eines Tages zustatten kommt ...« Ich schaute ihn an und lächelte. »Ich überlasse es also ganz dir.« Der Blick, mit dem er den meinen erwiderte, überraschte mich; es war ein Leuchten in seinem Gesicht, eine Art offenes Geheimnis; man spürte, daß er dachte, ich teilte es. Ich fühlte mich unbehaglich und schlug die Augen nieder; warum dachte ich an Fulvia?
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8 Auch nachdem er sich erholt hatte, schmiedete Cäsar neue Eroberungspläne; ich hatte geglaubt, die ihm auf gezwungene Untätigkeit habe seine Gedanken in diese Richtung gelenkt. Er duldete keinen Widerspruch von meiner Seite; zum einen war ich eine Frau, und selbst Cäsar wollte nicht anerkennen, daß ich einen Sinn für das Praktische hatte; zum ändern war es eine heikle Sache, der Versuch, ihn davon zu überzeugen, daß seine Krankheit schwer und chronisch war; das beleidigte ihn in seiner Männlichkeit, er hatte das Gefühl, man wolle ihn zum Greis abstempeln. Und so gab es für mich wirklich keinen Weg, ihn von seinen Plänen abzuhalten. Ich weigerte mich wie üblich, ihm Geld zu leihen, aber er zuckte nur die Achseln und borgte es sich anderswo; man findet viele reiche Opportunisten in Rom, die froh sind, wenn andere ihre Schlachten schlagen. Cäsar hatte sich ganz offensichtlich schon länger mit diesen sei160
nen Plänen getragen; ich war so ausgefüllt mit meinen Träumen von unserem Sohn und so müde von meiner Schwangerschaft gewesen, daß ich nicht erkannt hatte, was er alles beabsichtigte, als er mit mir nilaufwärts fuhr; er betrachtete nicht bloß Sehenswürdigkeiten! Dank seiner Beziehung zu mir hatte er Zugang zu den Seewegen, die zu den sagenhaften Reichtümern Indiens führten; und wenn er über Land wollte, lag ihm nur das kleine, schlecht verteidigte Parthien im Weg. Ziel Cäsars, der ja bereits ein Welteroberer war, war es natürlich, dieses Hindernis zu beseitigen und sich beide Routen nach Indien zu sichern. Als er in Ägypten war, hatte er gesehen, welch ein wunderbarer Strom von Edelsteinen, Seidenstoffen, Gewürzen und Parfümen aus dem Indienhandel sich in mein Land ergoß; und als Römer sah er keinen Grund, für etwas zu bezahlen, was er mit Gewalt haben konnte. Er sprach natürlich nicht offen darüber zu mir; vielleicht gestand er sich diese räuberischen Gelüste nicht einmal selbst ein. Statt dessen redete er von seinem Wunsch, in die Fußstapfen meines Ahnherrn Alexander zu treten, der Parthien und einem großen Teil von Indien schwere Verluste beigebracht hatte; gerade so, als sei die Eroberung der Welt ein Spiel! Es war nicht das einzige Spiel, das er spielte; Cäsar war ein sehr schlauer Politiker; er nahm sich auch der Angelegenheiten im eigenen Lande an. Mehr und mehr Abendgesellschaften wurden veranstaltet, ich war die Gastgeberin; er nutzte schamlos meine Popularität aus, um sich bei den mächtigen römischen Familien beliebt zu machen. Ich hatte eigentlich nichts dagegen; ein paar von meinen Gästen waren zwar langweilig, die meisten aber nicht. Ich bemühte mich, außer seinen Senatskollegen auch die führenden Redner, Schauspieler, Dichter und Dramatiker einzuladen; das trug zur Belebung des Gesprächs bei und erschloß uns die römische Gesellschaft. Es war nicht üblich gewesen, sich unter diese Leute zu mischen, es sei denn, sie stammten zufällig aus vornehmer Familie wie Cicero. Es war eine Neuerung, ein bißchen schockierend am Anfang, aber später ahmte man es überall nach; in jenen Tagen konnte ich einfach nichts falsch machen. Doch dem Erben Cäsars, seinem Großneffen Oktavian, begegnete ich zum ersten Mal bei Cicero; ich fragte mich kurz, warum Cä161
sar den jungen Mann nicht selbst in das Haus eingeladen hatte, das wir gemeinsam bewohnten; vielleicht lags daran, daß diese Familie auf dem Land lebte. Jedenfalls hatten sie gewiß ländliche Manieren, alle vier, wenn man mir auch sagte, sie gehörten gewissermaßen zum Hochadel von Rom (die Julier rühmen sich nicht nur der Abstammung von der Venus, sie sind auch stolz darauf, den sagenhaften Äneas unter ihren Vorfahren zu haben). Acia, Cäsars Nichte, war noch jung; ihr aus schwarzem Haar geflochtener Kopfputz sah ein wenig staubig aus, aber sie hatte keine einzige graue Strähne und ein glattes Gesicht. Sie war die erste Frau dieses Typs, die ich erlebte, die wahrlich tugendhafte römische Matrone, obwohl einen alle Römer glauben machen wollen, solche Frauen kämen bei ihnen so häufig vor wie die Schwalben. Acia war kurzwüchsig, wirkte etwas eckig und stand bolzengerade da wie ein Soldat; ihre Miene war streng, ihr Mund fast lippenlos, aber sie hatte schöne Augen wie alle Julier. Sie sah mich mit einer Art Abscheu an, zumindest empfand ich es so; Fulvia beteuerte, so schaute sie immer - »Als hätte sie Knoblauch gerochen, meine Liebe, oder noch Schlimmeres!« Der Junge und seine Schwester hatten diesen Blick unglücklicherweise geerbt oder vielleicht ahmten sie ihn nur nach; aber sie brauchten dringend Acias Gegenwart und hätten sich nie allein in eine größere Menschenansammlung getraut. Die Tochter - Oktavia - war eine junge Frau von etwa 20 Jahren, die ihren Bruder überragte und - verständlicherweise - die Angewohnheit hatte, gebückt zu gehen. Das gab ihr etwas Linkisches und war ihrem Aussehen abträglich; sie hatte ein nettes Gesicht mit klaren Zügen, nichts Besonderes, aber angenehm. Cäsars Neffe und Erbe, Oktavian, war nicht einmal angenehm; ich starrte ihn an und versuchte zu sehen, was Cäsar sah. Oktavian war kleinwüchsig wie Cäsar, aber er hatte nichts von der nervigen Kraft dieses großen Mannes; wo Cäsar drahtig war, war Oktavian schlapp. Er hatte das julianische Gesicht, gute Züge, aber leider pickelig - nicht eben anziehend. Das würde sich verlieren, er war kaum 17 Jahre alt und außerdem sein ganzes Leben lang bei schlechter Gesundheit gewesen. Ich fand ihn reichlich widerwärtig und war betont herzlich, um das wieder wettzumachen, aber 162
er blickte mich kalt und fischig an; es war schwer, ihn zu mögen. Der Gatte, sein Stiefvater, war ein Mann, den man überhaupt nicht bemerkte, trocken und professoral und mit einer Art, als müsse er sich ständig entschuldigen; ich erfuhr später, daß Acia unter ihrem Stand geheiratet hatte. Der arme Mann, ich beneidete ihn nicht; aber er war ein guter Freund von Cicero; vielleicht glich das alles wieder aus! Cäsar war zweifellos etwas stolz auf seinen Großneffen; ich hörte, Oktavian sei ungewöhnlich gebildet, besonders wenn es um Schriftsteller ginge, die sich, wie Xenophon, mit Krieg und Taktik befaßten. Sein Griechisch war nicht nennenswert, ich weiß es, denn ich stellte ihn auf die Probe; meines Erachtens gibt es keine Bildung ohne dieses Produkt unserer alten Kulturen. Aber vielleicht war er nicht sprachbegabt; er muß jedoch die griechische Schrift beherrscht haben, denn sonst hätte er den Xenophon gar nicht lesen können. Sie hatte etwas Altmodisches und Steifes an sich, diese ländliche Linie der Julier; sie waren gar nicht am richtigen Platz in dieser Gesellschaft, die vor Juwelen und Witz funkelte. Sie taten mir aufrichtig leid, obwohl ich sicher bin, daß mir Acia nicht dafür gedankt hätte; man konnte nicht anders, man sah sie einfach als die armen Verwandten. Ich sagte mir, daß es tatsächlich auch so sein mußte, denn ich fand keine andere Rechtfertigung für Cäsars Testament. Ich dachte an jenen anderen provisorischen letzten Willen, den ich zusammengefaltet in einem goldenen Halsanhänger bei mir trug; Marcus Antonius hatte Wort gehalten, ihn aufgesetzt und Cäsar zur Unterschrift überredet. Wir hatten nicht viel darüber gesprochen, Cäsar fragte mich bloß einmal mit undurchschaubarem Blick, ob ich ihn sicher verwahrte, und ich nickte und sagte ja. In Wirklichkeit sah ich keine Notwendigkeit für all diese Vorkehrungen; das Testament zu Cäsarions Gunsten galt nur, wenn ich Cäsars Frau war. Marcus aber schüttelte den Kopf und sagte, es würde als Unterpfand seiner Vaterschaft dienen. Als ob irgend jemand bezweifeln könnte, daß Cäsar ihn gezeugt hat! Denn der Junge wurde ihm tatsächlich von Tag zu Tag ähnlicher. Wir hatten ihn an diesem Abend mitgenommen, damit er seine Verwandtschaft kennenlernte; die ganze Gesellschaft lächelte, als sie 163
das stämmige Kind sah - Beine gegrätscht, Brust raus, Hände hinter dem Rücken verschränkt, ganz Cäsar. So stand er lange da und schaute; dann nahm er seine Babyhände nach vorn und reichte Oktavian die Rechte zum Kuß! Oktavian blinzelte nicht einmal mit seinen Fischaugen; er nahm die Hand und drückte sie auf die alte römische Weise, legte dann seine Hand aufs Herz und verbeugte sich mit immer noch ernster Miene. Ich sah, wie Cäsarion ihn mißbilligend musterte, ging zu ihm und sagte: »Cäsarion - das ist ein Verwandter von dir, kein Untertan. In Rom sind alle gleich.« »Das stimmt nicht, Mama -«, begann er heftig. »Darüber reden wir ein andermal«, erwiderte ich ruhig. »Jetzt wirst du deinen Vetter begrüßen ...« Cäsarion wandte sich wieder Oktavian zu. »Grüß dich, Vetter vom Land«, sagte er. Von allen Seiten kam unterdrücktes Gekicher; Cäsarion, Kleinkind, das er war, sah die Gesellschaft mit runden, unschuldigen Augen an; er hatte ihre Stimmung erfaßt. »Warum, Mama - ist er denn nicht vom Land?« Man hätte ihm natürlich eine Tracht Prügel geben sollen, aber das war unmöglich vor all den Leuten; er war Cäsars Sohn und der Pharao von Ägypten. Ich begnügte mich damit zu sagen: »Wenn du brav bist, wirst du vielleicht einmal zu deinem Vetter und deiner Cousine eingeladen ... Sie wohnen am Stadtrand, und ich habe gehört, daß ihr Gut wunderschön ist.« Er war noch keine drei Jahre alt, aber er wußte, daß er ungezogen gewesen war, und um den Tag zu retten, wurde er noch ungezogener. »Du darfst mich einladen, Oktavian«, sagte er mit piepsiger Stimme; zu meinem Ärger lachte sogar Cäsar. Das Mädchen, Oktavia, befreite mich aus der peinlichen Situation; sie war intelligenter, als sie aussah, und freundlich dazu. Sie beugte sich zu Cäsarion hinunter. Und nun steckten sie die Köpfe zusammen. »Ich lade dich ein, Cäsarion«, sagte sie. »Wir haben eine Stute, die gerade geworfen hat ... wenn du ihr ein Stückchen Honigbrot gibst, läßt sie dich mit ihrem Fohlen spielen. Hast du schon mal eins gesehen?« Er war entzückt. »Kann ich auf ihm reiten?« »Nein«, sagte sie. »Es ist noch zu schwach ... seine Beine werden 164
dich nicht tragen. Schließlich bist du ein großer Junge ...« »Ja?« fragte er und blickte mit Cäsars ganzem Charme zu ihr auf. »Magst du große Jungen?« Sie nickte. »Gut«, sagte der kleine König. »Ich komme.« Er blickte sie wieder an und lächelte. »Du bist sehr hübsch«, sagte er. Jemand lachte hinter mir. »Er hat einen guten Blick, genau wie sein Vater ...« Ich sah mich um; es war Marcus. Er schaute mich an und meinte: »Sie ist das hübscheste Mädchen von ganz Rom ... findest du nicht?« Ich kam mir alt vor, so wie ich mir früher einmal zu jung vorgekommen war. Ich sagte etwas spröde: »Sie ist ein bißchen arg groß geraten ...« »Na ja«, erwiderte er, blickte auf mich herunter und zuckte die Achseln, »das kommt ganz auf den Mann an, nicht?« Und er straffte den mächtigen Körper. Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden, und hoffte nur, daß ich nicht errötete. Er schüttelte den Kopf und sah nicht mehr mich an, sondern Oktavia, und lachte. »Tja, nächste Woche wird sie sowieso verheiratet ...« Ich konnte nicht anders. Ich sagte scharf: »Und du bist auch verheiratet.« Er blickte mich überrascht an. »Fulvia ist eine Ziege«, meinte er. »So hast du mich auch einmal genannt.« Ich hätte mir die Zunge abbeißen können; er machte große Augen, und ich ließ ihn stehen, ging zu Cäsarion und dem Mädchen. »Komm«, sagte ich so schroff wie noch nie in meinem Leben. »Komm - es wird Zeit, daß du nach Hause kommst. Du solltest schon längst im Bett sein ...« Hinterher sprach mich Cäsar darauf an. Er tadelte mich. »Was war denn los mit dir, Mädchen? Der Junge war gerade im Begriff, seine Cousine und seinen Cousin kennenzulernen - genau das, was ich wollte.« Ich blickte ihn kühl an. »Cäsarion ist verzogen. Hast du das Gesicht der Mutter gesehen? Und dein Erbe erst! Er war blaß vor Wut unter seinen Pickeln. Ich hätte ihn nicht gern zum Feind ...« Und ich ging weg und ließ einen gaffenden Cäsar zurück.
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9 Im folgenden Winter wurde Cäsar wie erwartet zum Diktator auf Lebenszeit ernannt. Das andere Ereignis trug sich in derselben Woche zu, aber es kam unerwartet. Mein kleiner Bruder, der tituläre Pharao, den wir unter uns Maus II. nannten, starb, und ich wurde die alleinige Herrscherin von Ägypten. Ich hatte schon gefürchtet, daß das geschehen könnte, denn dieser Maus war noch kränklicher als der erste; vom ersten Augenblick in Rom an beschützte ich ihn wie eine Mutter und teilte ihm eigens einen Arzt zu, damit er sich zu jeder Stunde des Tages wohl fühlte. Man brachte ihn durch zahllose Erkältungen und Fieber, einen Knöchel- und einen Schädelbruch, aber kein Arzt konnte das Leiden heilen, das man in Rom »die ägyptische Krankheit« nennt. In Altägypten kannte man sie schon vor Tausenden von Jahren; viele Pharaonen waren ihr erlegen, alle in der Blüte ihrer Jugend; sie befiel diejenigen, die noch nicht zum Mann herangereift waren, und schien Frauen zu verschonen; es gab 166
kein Mittel dagegen. Es fing damit an, daß Maus die Nase lief, mit Husten und Fieber, man hielt es deshalb für eine ganz gewöhnliche Erkrankung. Die Schmerzen im Genick, die später dazukamen, offenbarten das Verhängnis, von da an ging es bergab, und wir waren machtlos; er starb binnen einer Woche. Er war zwölf Jahre alt. Ich hatte ihn nicht richtig gemocht, traurig, das zu sagen; er war ein armes Etwas wie meine ganze Familie. Trotzdem bekümmerte es mich, daß ein so junges Leben dahingerafft worden war. Und dann muß man als Monarchin bei solchen Sachen auch vorsichtig zu Werk gehen, besonders in Rom, wo Giftmorde eher die Regel als die Ausnahme sind; wie viele Römer auf diesem Weg zu ihrem Erbe gekommen sind, weiß man nicht genau, aber es besteht kein Zweifel daran, daß es nach Ansicht der Römer die einfachste Methode ist. Inzwischen wollte Cäsar die Ereignisse nicht mehr vernünftig betrachten; er freute sich sehr über diesen Tod, und das ganz unverblümt, weil er unserem Sohn die Thronnachfolge sicherte. Ich war entsetzt über seine Haltung, denn ich verabscheue auch nur den Anschein eines Mordes - wie oft stand meine Familie in diesem Verdacht! Ich traf Maßnahmen, die, wie ich hoffte, die Gerüchte wenigstens teilweise zum Verstummen bringen würden. Marcus half mir dabei, denn er verstand meine Gefühle, wie Cäsar sie früher verstanden hätte. Auf seinen Vorschlag hin ließ ich den Toten hier in Rom öffentlich aufbahren, nachdem ich nach den kunstreichen Einbalsamierern meines Landes geschickt hatte; das war eine doppelte Vorsichtsmaßnahme: die Römer konnten sich davon überzeugen, daß der Leichnam unversehrt war, und die ägyptischen Emissäre ebenso. In beiden Ländern wurde schriftlich niedergelegt, daß der Junge an einem Rückenmarksleiden gestorben war wie so viele seiner Vorgänger. Trotzdem gab es Gerede; man kann dem nicht ganz Einhalt gebieten. Oft empfand ich in den folgenden Tagen tief in meinem Inneren Ärger darüber, daß ich die Hand gehoben hatte, um Gnade für Arsinoë zu erbitten; sie hatte den kleinen Maus geliebt und klagte mich an, wo sie nur konnte. Sie wurde zwar stets beobachtet, aber ich erlegte ihr keine wirklichen Beschränkungen auf, und so brachte sie es fertig, bei einigen wenigen Gehör zu finden. Marcus tadelte mich und nannte sie eine Schlange, die man 167
hätte zertreten sollen; ich vermute, er vergaß, daß sie vor langer Zeit seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Trotzdem ließ ich sie leben; der Schaden war schon angerichtet, und Maus war schließlich ihr Bruder und hatte dieselbe Mutter wie sie. Nun war der kaum dreijährige Cäsarion mein Mitregent; während ich älter wurde, wurden sie immer jünger! Ich sehnte mich nach dem Tag, an dem ich den Brauch der Doppelherrschaft zu etwas tatsächlich Belangvollem machen konnte, nach dem Tag, an dem der große Cäsar den alexandrinischen Doppelthron besteigen würde. Ich wollte das natürlich nicht, ohne daß ich Rom für mich hatte; sonst taugte es einfach nichts, denn Rom würde uns Ägypten entreißen, es sei denn, wir waren Rom. Ich hatte das Gefühl, daß uns wenig Zeit blieb in Anbetracht von Cäsars Gesundheitszustand, aber das konnte ich natürlich nicht sagen. Cäsar glaubte jedoch, er müsse erst einmal Parthien erobern und den Indienhandel in seine Gewalt bringen; ich suchte nach Argumenten, die meinen Standpunkt untermauerten. Es gibt eine alte, fast vergessene etruskische Prophezeiung: Rom vergißt möglichst alles Etruskische, denn es gehörte einst den Etruskern, und diese erste Eroberung war schändlich. Die Prophezeiung besagte, daß Parthien nicht unterworfen werden würde, bis ein römischer König es unterwarf. Das half nicht wirklich; Cäsar ist ein eigensinniger Mensch. Rückblickend glaube ich, daß das wohl nicht alles war; ich vermute, daß der große Cäsar mit den Jahren und aufgrund der Bedrohung durch seine Krankheit einen Teil seines Wagemuts verloren hatte. Er ging nicht mehr aufs Ganze; er spielte nicht mehr um die höchsten Einsätze. Freilich würde er in vorderster Linie kämpfen; das war er gewohnt. Aber er wollte sich die Gunst des Volkes nicht verscherzen, denn sie war ihm teurer als sein Leben. Und so fuhr er fort zu planen, Truppen auszuheben und Kriegsvorbereitungen zu treffen. Er nahm sich Zeit, statt es schnell hinter sich zu bringen; drängen konnte man ihn auch nicht, denn den hitzigen, entschlossenen, sprungbereiten Cäsar gab es nicht mehr, er war dahin wie seine Gesundheit und seine Energie. Ich konnte nicht mehr tun als aufmerksam seinen Plänen lauschen und seinen Scharfsinn loben, während ich ihm Tag für Tag mit leisen Winken die Idee näherbrachte, 168
König zu werden. Er nahm das nur zu günstig auf; bei einem Griechen wäre es übertrieben gewesen, doch die meisten Römer billigten alles, selbst den goldenen Thron! Aber König durfte man ihn nicht nennen - bloß das nicht! Cäsar wurde jetzt Imperator genannt, das ist ein lateinisches Wort für Befehlshaber. Er hatte diesen Titel nicht nur selbst vorgeschlagen, sondern es auch irgendwie fertiggebracht, ihn erblich machen zu lassen; es war tatsächlich ein erster Schritt in Richtung Monarchie, und ich hieß ihn gut. Einige von den anderen Veränderungen hätte ich wohl rückgängig machen können, aber ich wurde nicht gefragt; es war seltsam, daß Cäsar sich nun, da ich klüger war und die Urteilskraft des reifen Frauentums besaß, so benahm, als sei ich ein launisches Mädchen, daß er über mich lächelte und mich verhätschelte und auf meine sämtlichen Äußerungen nicht achtete. Früher, als ich es nicht verdient hatte, hatte er zugehört; nun gab mir ganz Rom die Schuld an seiner Unklugheit. Im Kapitol befanden sich sieben Statuen, Darstellungen der alten Könige, die vor vierhundert Jahren regiert hatten; jetzt sind es acht, denn Cäsar ließ eine von sich dazustellen. Außerdem begann er, sich in die mit Stickereien verzierten Gewänder dieser Monarchen von damals zu kleiden; wenn er in der Öffentlichkeit auftrat, trug er sie über seiner Toga wie ein Kind, das sich zum Spielen verkleidet hat; er hatte ein Zepter aus Elfenbein in der Hand und auf dem Kopf stets einen goldenen Lorbeerkranz. Wenn er über die Straße zum Sitzungssaal des Senats ging, fielen die Leute, die sich angesammelt hatten, manchmal auf die Knie, verneigten sich vor ihm und grüßten ihn als König. Und er wandte sich dann stets mit ernster Miene an sie, musterte sie mit seinem nachtwandlerischen Blick und sagte: »Cäsar bin ich, nicht König.« Es war eine Art von umgekehrtem Stolz, und ich konnte es verstehen, aber einige runzelten die Stirn darüber, Cicero zum Beispiel; sie waren Spielverderber, denn das Volk liebte ihn - selbst wenn er unmäßig war. Er hatte auch einen königlichen Triumphwagen, der dem meinen nachgebildet war, und einen goldenen Thron, auf dem er saß, wenn er Gericht hielt. Man stellte ihm außerdem eine Art königli169
cher Leibwache zur Verfügung, lauter junge Senatoren; ich drängte ihn, er möge sich stets ihrer bedienen, weil ich befürchtete, die Krankheit könnte ihn übermannen, aber er machte nur bei Amtshandlungen von ihr Verwendung. Er war ein Mensch der Widersprüche, wie ich bereits gesagt habe, und nicht immer vernünftig in dieser Zeit, da sein Gesundheitszustand sich verschlechterte. Tagtäglich schien er hagerer zu werden; wenn er den ganzen Tag im Senat gewesen war und spät in sein Haus am Tiber zurückkehrte, starrte ich ihn manchmal an wie einen Fremden - bis er lächelte. Und als ich einmal eines staatlichen Festtags wegen nach Alexandria gereist und zwei Wochen fort gewesen war, erkannte ich ihn wirklich nicht wieder, als er mich begrüßte. Das wußte er natürlich nie; ich tat so, als habe mich die Sonne geblendet. Marcus teilte meine Sorgen. »Julius übernimmt sich«, sagte er kopfschüttelnd. »Aber das hat er immer getan ... und niemand kann ihn davon abhalten - nicht einmal du.« Er zog die eine dunkle Braue hoch, das war eine Eigenheit von ihm. »Und es hat auch keinen Sinn, ihm was Feines zum Essen zu machen ... das ist ihm ganz einerlei.« Wir standen in dem kleinen Vorratsraum neben der großen Küche; Marcus war zum Abendessen eingeladen, denn Cäsar schätzte seine Gesellschaft. Cäsar nahm ein Bad vor dem Nachtmahl, und ich, die Königin von Ägypten und dreißig Jahre jünger als er, spielte das Hausmütterchen und machte eigenhändig den Salat für ihn an; Marcus war mir in die Speisekammer gefolgt. »Das römische Essen ist so schwer«, sagte ich mit einem abbittenden Lächeln. »Unser alexandrinischer Koch hat eine leichte Salatsoße aus lydischem Olivenöl und mit zerstoßenem Koriander erfunden. Heute gibts frische Kresse und -« Er grinste. »Das ist verlorene Liebesmüh bei Julius. Er ißt alles.« Marcus nahm mir die Ölflasche aus der Hand und stellte sie weg. »Paß auf, Kleopatra - ich möchte wetten ...« Er schaute zu mir herunter und grinste sehr breit, mit einem unbändigen, frechen Leuchten in den Augen; Cäsarion blickte so drein, wenn er irgendeinen kleinen Unfug im Sinn hatte. »Ich wette zehn Denare - er wirds nicht merken ... Mach den Salat an - aber mit dem Öl, mit dem wir die Wagenräder schmieren ...« 170
Ich rang nach Luft. »Davon wird er krank!« »Er nicht«, sagte Marcus. »Sein Magen ist nicht sein Kopf ... sein Magen ist aus Eisen. Komm - nimm die Wette an ...« In mir begann es zu kichern; ich war so lange ernst und gesetzt gewesen. Ich erhöhte den Einsatz auf zwanzig Denare und besiegelte es mit Handschlag; es war nichts Gesundheitsschädliches an der Achsschmiere, es war nur ekelhaft. Das Grünzeug wurde vor Cäsar hingestellt, mit hartgekochten Eiern garniert und in einer roten Tonschüssel aus Kreta; es war der erste Gang; ich hatte darauf bestanden, daß er vorher noch nichts gegessen haben sollte - der Fairneß halber. Er blickte mich über den Tisch hinweg an und lächelte. »Hast du das gemacht, meine Liebe?« Denn er war immer höflich. Er nahm ein großes Blatt, das ölig glänzte, und steckte es in den Mund. »Oh, köstlich! Du hast dich selbst übertroffen!« Und er langte nach dem nächsten. Ich sah entsetzt zu, wie er die ganze Schüssel leerte und den Rest der Salatsoße mit einer Brotkruste aufstippte. Ich machte mir keine Gedanken wegen der zwanzig Denare; ich war reich genug. Aber das war das letzte Mal, daß ich meine Zeit in der Küche vertrödelte; es gibt Aufgaben, die einer Königin gemäßer sind.
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10 Cäsars Vorbereitungen auf den Krieg gegen die Parther schleppten sich hin, eine trostlose Woche nach der ändern; er ging oft so müde zu Bett, als unternähme er den Feldzug bereits! Denn natürlich gab sich Cäsar nie nur mit einem einzigen Projekt zufrieden; neben der Planung für den Krieg war er noch mit anderen Entscheidungen beschäftigt: wie der Lauf des Tiber umgeleitet und der Kanal von Korinth gebaut werden sollte, was die beste Straßenbettung im Apennin und der geeignetste Platz für den Hafen in Ostia sei. Um nur ein paar Dinge zu nennen. Auch andere hatten bemerkt, wie abgezehrt er aussah; seine Ärzte schüttelten den Kopf, und seine vertrauteren Freunde seufzten; Calpurnia schrieb mir drei erregte Briefe und flehte mich an, meinen Einfluß geltend zu machen, um Cäsar in seinen Aktivitäten zu bremsen. Die Arme wußte wohl nicht, daß keine Frau Cäsar beeinflussen konnte. Sie glaubte vermutlich, ich besäße eine Art Zauberkraft, weil 172
er meine Gesellschaft der ihren vorzog. Aber ich war überrascht über die Briefe; ich nehme an, daß sie ihn immer noch liebte. Ich habe von seinen vertrauteren Freunden gesprochen; doch ich dachte dabei an seine Nichte Acia und deren Tochter Oktavia, denn viele von diesen angeblichen Freunden hatten sich verdrückt. Es war alles ganz allmählich gekommen; erst als ich Einladungen zu einer Abendgesellschaft verschickte, die im kleinen, intimen Kreis stattfinden sollte, erkannte ich die Lage. Mit Ausnahme von Marcus erhielt ich nur Absagen, mit einwandfreien Entschuldigungen zwar, aber trotzdem beunruhigend; schließlich mußte ich mit Schauspielern und Rednern und jenen stets verfügbaren Rittern vorliebnehmen, die nach Aufstieg streben. Ich befürchtete, Cäsar könnte zornig werden, aber er schien kaum zu bemerken, wer da war. Marcus und ich steckten die Köpfe zusammen und stellten Vermutungen über die Gründe für all das an; wir brauchten nicht lange zu suchen. Ein Mann wie Cäsar hat stets Feinde, besonders wenn er immer höher und höher aufsteigt; damit rechnet man. Und Cäsar war in allen Dingen reichlich arrogant geworden, fand sogar Entschuldigungen für den Thron und den Lorbeerkranz und alles sonstige. Er hatte sich angewöhnt, hochgestellte Persönlichkeiten stundenlang auf eine Audienz warten zu lassen und nicht aufzustehen, um sie zu begrüßen, selbst vor Menschen nicht, die aus ebenso vornehmer Familie stammten wie er; andererseits wurde er sehr wütend, wenn sich nicht alle von ihren Plätzen erhoben, wenn er vorbeiging. Wenn seine Autorität in Zweifel gezogen wurde, stieß er wilde Soldatenflüche aus, auch in Gegenwart der feinsten Damen; es gab viel böses Blut. Cicero hatte eine Reihe von Traktaten geschrieben, in denen er über diese Beleidigungen Beschwerde führte, und Cicero war ein hochgeachteter Bürger. Marcus konnte über all das lachen, denn er ist die Art Mensch; ich bins nicht, und ich konnte nur hoffen, daß Cäsar schleunigst in seinen Krieg ziehen und den Leuten etwas anderes zu denken geben würde; auch darüber lachte Marcus. »Cäsar ist sein eigenes Gesetz«, sagte er. Ich schüttelte den Kopf. »Das ist niemand«, erwiderte ich. »Selbst ein König nicht - und Cäsar ist noch nicht einmal das ... und wirds vielleicht nie werden, wenn er nicht behutsam zu Werk geht.« 173
»Du machst dir zuviel Gedanken«, sagte Marcus und lachte auf mich nieder, denn er war groß. »Du bekommst schon eine Falte über der Nasenwurzel.« »Für mich steht viel auf dem Spiel«, erwiderte ich. Aber ich begann, jeden Abend meine Stirn mit Hautwasser einzureiben; ich war noch zu jung für Falten. In Wirklichkeit war ich noch stärker beunruhigt, als ich zugab. Der junge Brutus, Cäsars unehelicher Sohn, hatte uns stets in der Villa besucht und sich erboten, mich zu begleiten, wenn Cäsar zu tun hatte, aber jetzt ließ er sich schon seit einigen Monaten nicht mehr blicken; ich vermißte ihn nicht sehr, denn ich hatte ja Marcus. Doch als ich einmal ins Theater fuhr, sah ich Brutus; ich hätte schwören können, daß er so tat, als habe er mich nicht bemerkt; es war ein unangenehmes Gefühl. Ich dachte, vielleicht sei ihm die Gesellschaft peinlich, in der er sich befand; die beiden Männer, die ihn begleiteten, wirkten auf mich abstoßend. Aber nein, Marcus sagte, sie seien Tribune und Aristokraten, Cassius und Casca mit Namen. Sie sahen mich, kein Zweifel, denn sie folgten mir mit ihren Blicken; Cassius hätte - nur daß er dünner war - Pothinus Geist sein können; es machte mich schaudern. Ich wagte es nicht, Cäsar von dieser Begegnung zu erzählen; er haßte weibliche Launen und wollte nie auch nur ein Wörtchen gegen seinen Sohn hören, wie ich zu meinem Kummer herausgefunden hatte. Ich erwähnte bloß beiläufig, daß Brutus uns in letzter Zeit nicht mehr mit seiner Gesellschaft beehrt habe; er blickte von seinen Karten auf und sah mich mit stechendem Blick an. »Er hat viel zu tun, der Junge«, sagte er. »Er hat keine Zeit für uns alte Leute ...« Ich war ein Jahr jünger als Brutus! Ich unterdrückte die heftige Antwort, die mir auf der Zunge lag; auch wenn Cäsar von allen guten Geistern verlassen war, konnte ich es mir nicht leisten, darüber nachzudenken; er war alles, was ich hatte. Wenn Cäsar sein Glück nicht riskieren wollte - das begann ich tatsächlich zu glauben -, mußte ich es für ihn tun. Ich hatte einen Plan, über den ich schon im vorigen Jahr nachgegrübelt hatte; damals ließ ich ihn wieder fallen, denn ich hielt die Zeit noch nicht für reif. In diesem Jahr hatte ich das Gefühl: jetzt oder nie, man mußte es versuchen. Ich benötigte Hilfe, und Marcus war der perfekte Part174
ner; man brauchte ihn nie zu etwas zu überreden, wenn es nur tollkühn genug war. Diese Wildheit lag in seiner Natur wie im Herzen eines Vollbluthengstes, so gezähmt und an Zügel gewöhnt er auch sein mag. Am fünfzehnten Tag des zweiten Monats im Jahr findet in Rom ein sehr beliebtes Fest statt, die Luperkalien. Niemand scheint seinen Ursprung zu kennen, aber seltsamerweise hat es viel mit einem altägyptischen Fest gemeinsam. (Ich habe mich oft gefragt, ob nicht in ferner Vergangenheit, als es weniger Männer und Frauen gab und die Sprachen nicht komplizierter waren als unartikulierte Laute, alle dieselben Götter hatten.) In Ägypten kennt man den Gott Min-Amon, der alles fruchtbar macht; die unfruchtbaren Frauen wetteifern untereinander an seinem Ehrentag um seine Gunst. Hier in Rom heißt der Gott Luperkus; aber sonst sind sie sich sehr ähnlich. Die Statuen von MinAmon halten eine Peitsche in der Hand, bei näherem Zusehen erkennt man, daß sie aus drei zusammengeflochtenen Schakalhäuten besteht. Ein Hieb dieser Peitsche macht die Frauen fruchtbar - zumindest glaubt man das weiter nilaufwärts inbrünstig. Ich habe die ägyptische Zeremonie kein einziges Mal gesehen, weil wir in Alexandria griechische Götter haben; aber wenn ich es recht verstanden habe, ist das Ritual das gleiche wie in Rom. In Rom werden zwei ziemlich junge und virile Männer aus dem Kollegium der Luperci ausgewählt, und diese beiden opfern am Tag des Gottes einen Ziegenbock und einen Hund, ziehen ihnen das Fell ab und schneiden es in Streifen, die sie zu Peitschen zusammenflechten. Dann lachen sie laut (auch das gehört zum Ritual) und laufen los. Sie rennen durch die ganze Stadt und schlagen jede Frau, die sie sehen. Natürlich drängen sich die unfruchtbaren Frauen wie in Ägypten danach, einen Hieb mit dieser Peitsche zu bekommen, die man februa nennt. Die Aufsicht über den ganzen Tag führt der Gott Luperkus in Gestalt eines hochgestellten Aristokraten. Früher wählte man ihn durch Losentscheid, aber dieses Jahr sicherte Cäsar sich im voraus die Ehre, denn ich fand bei ihm Gehör. Es war nicht schwer, ihn davon zu überzeugen, daß die Ägypter ihn als Amon verehrten, der ihre Königin fruchtbar gemacht hatte; was lag näher, als daß er auch der römische Luperkus sein sollte? 175
Ich nahm es mit der Wahrheit zwar nicht ganz genau, als ich ihm das erzählte (denn Amon ist nicht Min-Amon), aber seis drum; Cäsar hörte nicht mehr allzu aufmerksam zu, besonders, wenn von einem Gott die Rede war; der arme Sterbliche, es klang ihm süß in den Ohren. Cäsar ging noch einen Schritt weiter; er gründete ein Kollegium, das er die Julischen Luperci nannte, und verfügte, daß die Peitschenmänner nur aus diesem Kreis ausgewählt werden durften. Auch ohne diese Neuerung wäre es ein leichtes gewesen, dafür zu sorgen, daß Marcus berufen wurde, nachdem sich Cäsar schon darauf versteift hatte. Und er wurde natürlich berufen; das Ausmaß von Cäsars Beschäftigtsein mit sich selbst erkannte man am zweiten Mann seiner Wahl, an Dolabella. Er war Fulvias momentaner Geliebter, und ganz Rom wußte es. Außer Cäsar, der keine Notiz davon nahm, daß den Leuten die Luft wegblieb, worauf sie ihnen noch mehr wegblieb; ich glaube mittlerweile, daß er es vielleicht doch wußte - er hatte einen verschmitzten Humor. Ich hatte ihn nicht davon abhalten können, an diesem Tag Purpur zu tragen; sein Gesicht war ganz gelb unter dem goldenen Lorbeerkranz. Er saß auf dem Forum auf seinem Thron und führte die Aufsicht über die Zeremonie, das blutige Opfer, das dumme Gelächter und die widerlichen Verstümmelungen; bei uns zu Hause werden diese altmodischen Possen mit einem gewissen Anstand erledigt - hinter den Tempeltüren. Es war ein strahlender, aber eisigkalter Tag; wir hüllten uns in unsere Pelze, doch Cäsars Arme waren nackt und bloß; er blickte starr geradeaus, so gelassen wie der Gott, den er imitierte. Obwohl er krank und vorzeitig gealtert war, schlug einem das Herz höher, wenn man ihn sah; er war mehr als ein Mensch. Ganz Rom schaute zu, zumindest schien es so; eine riesige Menge stand auf dem Forum und drängte sich bis in die angrenzenden Gassen hinein. Die Patrizier, die früher immer unser Haus beehrt hatten, befanden sich in den vordersten Reihen, saßen der Bequemlichkeit halber und wurden von Sklaven begleitet; die meisten hatte ich seit Monaten nicht mehr zu Gesicht bekommen; ich blickte um mich und bildete mir ein, nur säuerliche Mienen zu sehen. Es war eine Freude, sich 176
Marcus und seinem Partner, dem jungen Dolabella, zuzuwenden; seltsamerweise ähnelten sie sich sehr; vom Alter abgesehen, hätten sie Brüder sein können. Marcus Antonius wirkte mittlerweile nicht mehr wie ein Bulle, außerdem hatte er ein paar überflüssige Pfunde verloren, und Dolabellas Gesicht hatte noch die klaren Züge der Jugend; sie waren zwei hübsche Männer. Beide hochgewachsen und breitschultrig, mit üppigen schwarzen Locken, großen, feuchten Augen und vollen Lippen; beide auch etwas beeinträchtigt in ihrem Aussehen durch etwas Weibisches ums Kinn mit dem Grübchen. Ich war natürlich an Cäsars dürren Körper gewöhnt. Ich biß die Zähne zusammen während des Schlachtens und Abhäutens; eine Königin darf nicht zimperlich sein. Sie waren auch ein bißchen langsam; ich hatte schon erlebt, daß Cäsar ein Opfertier getötet hatte, kaum daß das Messer aufgeblitzt war. Sie mußten etruskische, etwa tausend Jahre alte Worte sprechen; niemand konnte sie verstehen. Das war auch besser so, vermutete ich, denn ich erkannte an der Art, wie Marcus dreinschaute, daß sie ihre Rede nicht allzu gut gelernt hatten; mir fielen etliche Wiederholungen auf, aber ich habe eine rasche Auffassungsgabe; sonst schien es niemand zu bemerken. Als sie fertig waren und man die Kadaver weggeschafft hatte und Sklaven die Steine abwuschen, lachten sie lang und laut, wie man es sie geheißen hatte; sie waren beide keine Schauspieler, und das Lachen klang so unecht, daß selbst jene mürrischen Patrizier im Publikum hinter der vorgehaltenen Hand grinsten. Ich sah, daß Cäsars Lippen sich zu einem unfrohen Lächeln verzogen, dann klatschte er, Aufmerksamkeit heischend, in die Hände und hielt seinerseits eine Rede. Offensichtlich waren es Anweisungen -»Geht zu den unfruchtbaren Frauen« oder dergleichen, denn sie machten sich auf den Weg, rannten leichtfüßig los und knallten mit ihren Peitschen; viele schöne Kleider würden an diesem Tag ruiniert werden, denn von den Peitschen troff noch Blut, und bei jedem Schlenker flogen Tröpfchen durch die Luft. Wir mußten fast den ganzen Tag über dasitzen und bekamen blaue Lippen und Nasen vor Kälte, denn es wurde und wurde nicht wärmer; es folgten noch viele, viele langweilige Zeremonien und Reden und ein paar noch langweiligere unterhaltsame Darbietungen auf 177
römische Art: eine Bärenhatz und sehr vulgäre Possenreißereien. Aber ich war inzwischen daran gewöhnt und machte ein ruhig-heiteres Gesicht. Ein feiner, nadelscharfer Graupelschauer ging nieder, bevor die zwei erwählten Luperci zurückkehrten; ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, war erstarrt vor Kälte und Langeweile, doch es muß später Nachmittag gewesen sein. Die beiden Peitschenmänner keuchten und dampften wie Schlachtrösser; es war ein langer Tag gewesen, und sie hatten, so wollte es der Brauch, den ganzen Weg laufend zurückzulegen und in alle Stadtteile zu rennen. Eine große Menge folgte ihnen, stieß und drängte; es wirkte wie ein Tumult und klang noch schlimmer. Das Blut an den Peitschen war inzwischen getrocknet, und die Hautstreifen sahen schrumpelig aus und waren an den Ecken aufgebogen, hingen schlaff in müden Händen; ich bemerkte, daß Marcus in der anderen, freien Hand, in den Umhang eingeschlagen, etwas trug. Mein Herz schlug rascher; ich war mir nicht sicher gewesen, ob er es schaffen würde, das königliche Diadem zu holen. Cäsars Statue im Venustempel hatte es getragen; ich nehme an, daß die Priester von der Menge abgelenkt worden waren; sie haben immer Angst vor Plünderungen an solchen Festtagen. Die meisten vornehmen Frauen wichen vor ihnen zurück und stießen gezierte kleine Schreie aus, denn die Peitschen baumelten noch hin und her; aber Brutus Frau Porcia trat Dolabella in den Weg, die Augen sittsam niedergeschlagen. Er blickte verdutzt drein, dann zuckte er die Achseln und gab ihr einen leichten Hieb. Dann breitete sich ein kleines Schweigen aus, denn Calpurnia ging zu Marcus hin; seine Augen verengten sich. Gleich darauf drehte er sich weg, streckte die Hand mit der Peitsche aus und berührte mich sacht. Der Schock war fast ein Schrei, obwohl niemand die Stimme erhob; es hätte eine in Stein gemeißelte Szene sein können. Plötzlich schrie jemand aus dem Plebejerhaufen heraus; heiser von der Kälte und im ordinärsten Tonfall der Gasse, aber auch die zierlichsten Ohren verstanden es. »Die kleine Königin braucht was anderes ... die kleine Königin wird nicht schwanger von so `nem schlaffen Ding ...!« Wildes, johlendes Gelächter wurde laut, dazu ein, zwei rauhe Hurrarufe. Als der Lärm verebbt war, schrie eine 178
andere Stimme, eine Frauenstimme: »Wie wars, wenn dus selber versuchst, Marcus - du bist doch überall groß!« Und dann noch eine, zitternd vor Gelächter: »Versuchs hier, Marcus ... ich bin bereit!« Schrille Pfiffe, und dann: »Pst, Alte ... benimm dich, den Gott kriegt man nicht jeden Tag!« Marcus drehte sich um und rief schlagfertig und ebenso derb: »Da könnt ihr drauf wetten! Dort sitzt er ... und wartet. Wartet, daß ihr das Maul haltet!« Und er verbeugte sich tief vor Cäsar, der, ehrlich gesagt, allmählich so aussah, als hätte er am Gürtel mit dem Dolch einen Donnerkeil. Die Menge war unbekümmert, wie sie es in Rom nun einmal ist, und liebte Marcus derbe Sprache. Sie jubelten laut und lange. Marcus richtete sich auf, wandte ihnen das Gesicht zu und hielt das königliche Diadem hoch empor. »Grüßt Cäsar! Grüßt den Gott!« Und nun jubelte das ganze Volk laut und drängte vorwärts. Marcus streckte die Hand aus, als wolle er ihnen Einhalt gebieten. Wieder hob er das Diadem in die Höhe; noch mehr Jubel. Er wandte sich zu Cäsar, beugte das Knie und hielt ihm die uralte Krone hin. »Großer Cäsar, du bist als Gott auf Erden gegrüßt worden ... nimm sie hin und nimm die Königswürde an! Heil Cäsar! Heil dem König von Rom!« Dolabella rief »Heil!« und noch zwei oder drei; es klang sehr schwach in der seufzenden Stille. Ich lauschte angestrengt; nichts. Sie waren noch nicht bereit. Cäsar erhob sich. Er stieß die Krone beiseite, die Marcus in der Hand hielt; seine Augen sahen traurig und sehr alt aus. »Ich kann sie nicht annehmen«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich bin Cäsar ... und kein König.« Ein wildes Gebrüll brach los, unbändiger Jubel, Getrampel. Kappen wurden in die Luft geworfen, Stimmen dröhnten: »Cäsar ... Cäsar! Kein König! Kein König!« Cäsar lächelte und hob beide Hände, damit Ruhe einkehrte. »Marcus Antonius«, sagte er feierlich, »Marcus Antonius, mein Freund und Freund des Volkes ... nimm die Krone wieder. Bringe sie ins Kapitol, und lege sie dem Jupiter zu Füßen. Schreibt, daß an diesem Tag der Luperkalien Cäsar die Krone angeboten wurde. Schreibt, daß Cäsar sie abgelehnt hat.« Und jetzt schallten die lautesten Jubelrufe. Mittendrin saß Cäsar, 179
ernst, zog seine Purpurtoga, aufgeweicht wie seine Würde, über die Arme; er winkte, und ich ging zu ihm hin und hielt den Kopf hoch.
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11 » ...Und darum, meine Liebe, kehrst du am besten nach Hause zurück, denn ich rechne damit, daß ich mindestens drei Jahre fort bin.« Cäsar sprach ganz gelassen; es war, als hätte er die Ereignisse des Nachmittags vergessen. Mir machten sie immer noch zu schaffen, denn die Darreichung der Krone war meine Idee gewesen; zum ersten Mal war ich in meinem Urteil fehlgegangen. Ich sagte mir, daß ich die römische Masse nicht verstand, aber trotzdem war ich nach wie vor erschüttert; zu dieser Stunde - es dämmerte -, so hatte ich geglaubt, würde ich die Königin von Rom sein! Es hatte keinen Sinn, mit Cäsar darüber zu reden; es war seine Art, Mißerfolge nicht zur Kenntnis zu nehmen. Eine stolze und vielleicht auch löbliche Haltung, aber wirklich nicht sehr zweckmäßig. Ich starrte ihn an, wollte nicht akzeptieren, was er sagte. Er fuhr fort: »Natürlich kannst du gern hierbleiben - solange du willst ... Ich möchte nur nicht, daß du dich langweilst.« Und er warf mir 181
einen durchdringenden Blick zu, der einen Anflug von Humor hatte. »Rom langweilt dich doch, nicht wahr? Die Römer sind ungesittet, ihre Belustigungen sind vulgär, die Stadt ist ein zu groß gewordenes Dorf ...« Und ich hatte geglaubt, ich hätte mir nicht anmerken lassen, was ich dachte! »Ich könnte ja mit dir gehen -« Es war nur ein Versuch, ich erwartete eigentlich nicht, daß er zustimmte. Und er schüttelte denn auch den Kopf. »Nein, ich will keine Frau im Lager haben - damit gäbe ich ein schlechtes Beispiel.« »Nun, ich bin eine Königin, das ist schon etwas anderes. Ich kann dir Hunderte von Kriegern zuführen ...« Er hob die Augenbrauen. »Aber meine Liebe, damit habe ich sowieso gerechnet! Trotzdem - das Leben bei der Armee ist nichts für Frauen. Und ich nehme auf jeden Fall an, daß ich die meiste Zeit auf dem Marsch bin.« Ich schwieg einen Moment, Gedanken huschten mir durch den Kopf wie Mäuse. »Julius«, sagte ich schließlich, »wart noch ein bißchen. Ich glaube, nächstes Mal schaffen wirs ... Marcus -« »Marcus! Das ist es ja! Er hat nicht die Redlichkeit, nicht die Anständigkeit für ein solches Anerbieten. Du hättest dich mit mir beraten sollen ...« Er schüttelte wieder den Kopf und sah verärgert aus. »Nein, die Leute haben keine Achtung vor ihm -« »Aber Julius - sie lieben Marcus! Nur dich lieben sie noch mehr!« Er wackelte mit dem erhobenen Zeigefinger wie eine alte Amme. »Nein, der Mann, der mir die Krone anbieten soll, ist Brutus. Zu Brutus blicken sie auf. Brutus werden sie respektieren, Brutus werden sie folgen ...« Ich war entgeistert; konnte es denn sein, daß Cäsar, dieser welterfahrene Mann, nicht sah, was sich unmittelbar vor seinen Augen abspielte? Mittlerweise wußte ganz Rom, daß Brutus die Fraktion Cäsars verlassen hatte, aber wie sagte man ihm das, ohne ihn zu kränken? »Julius«, begann ich, »ich glaube, daß Brutus sich schon gegen die Idee der Königsherrschaft sperrt ... ich habs ihn oft sagen hören ...« Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Die hitzigen Worte der Jugend! Sie haben nichts zu bedeuten! All seine Ideen kom182
men doch von mir! Brutus Liebe zur Republik - sein Patriotismus, seine edlen Prinzipien - all das kommt von mir! In vergangenen Jahren haben wir doch oft nächtelang miteinander geredet ... Brutus denkt wie ich.« »In diesem Punkt nicht«, sagte ich standhaft. »Er war sogar gegen deine Diktatur ...« Cäsar blickte mich an und rieb sich das Kinn. »Nun denn - ich muß mit Brutus sprechen. Morgen vielleicht. Ja, morgen. Würdest du - äh -, würdest du dich darum kümmern, meine Liebe? Ihn zum Abendessen einladen?« Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sagte: »Julius - ich habe Brutus zu meinen letzten zehn Abendgesellschaften eingeladen - und er hat zehnmal abgelehnt.« Sein Blick war unbestimmbar. »Nun ja, meine Liebe, ich glaube, er mag keine größeren Menschenansammlungen. Lad ihn allein ein. Ja, das ist es. Lad ihn allein ein.« Ich dachte einen Moment nach. »Vielleicht ... vielleicht auch Porcia. Er gehört zu den Männern, die nicht gern ohne ihre Frau in Gesellschaft sind ... außerdem können wir Frauen uns zurückziehen und euch in aller Ruhe reden lassen ...« Das war wirklich meine einzige Hoffnung. Ich würde Porcia eine Elle lydischer Seide und ein paar kleine britannische Perlen schicken. Wenn sie nicht unhöflich sein wollte, konnte sie meine Einladung nicht aus schlagen, und der unwillige Brutus würde mitkommen müssen. Ich traf auch noch weitere Vorsichtsmaßregeln; ich setzte kein Datum fest, sagte, jeder Tag in der Woche sei uns recht; sie konnten nicht an allen Abenden verhindert sein! Ich erhielt Nachricht von Porcia. Sie dankte mir für die Geschenke und nahm die Einladung zum Abendessen an. Sie bat um die Erlaubnis, ihren Bruder mitbringen zu dürfen, der gerade bei ihnen wohnte; ein Mann zuviel, aber was sollte ich tun? Ich redete mit Cäsar darüber. »Wir werden mehr sein«, sagte ich und erklärte es ihm. »Na ja, da kann man nichts machen«, meinte er mürrisch. »Aber das ist ein Mann, dem ich nicht traue ... irgendwas ... seine Augen. Cassius hat merkwürdige Augen.« Also war das der Mann, den ich unterwegs einmal in Brutus Gesellschaft gesehen hatte! Ich stimmte voll und ganz zu; ich traute 183
ihm auch nicht, es war bekannt, daß er gegen Cäsar war. Trotzdem - was konnte er schon anrichten bei einer Abendgesellschaft im kleinen Kreis? »Ich werde Clodia einladen«, sagte ich und schnippte mit den Fingern bei dieser Idee. Cäsar zwinkerte mit den Augen; es war das erste Mal seit langer Zeit. »Hat keinen Sinn«, meinte er. »Er ist völlig unempfänglich für ihre Reize.« »Das ist kein Mann«, erwiderte ich und glaubte es. Aber ich täuschte mich. Dieser Cassius hätte ein Eunuch sein können wie Pothinus, und er sah auch aus wie Pothinus; er wich nicht von Brutus Seite, obwohl ich der sinnlichen Clodia einige Anweisungen gegeben hatte und sie ihren ganzen verführerischen Zauber spielen ließ - keine geringe Leistung. Er schaute sie nicht einmal an; er war wirklich recht unhöflich. »Du hättest einen hübschen Knaben besorgen sollen«, sagte Clodia schmollend, als wir drei Frauen allein waren. Porcia erstarrte; schließlich handelte es sich um ihren Bruder. »Cassius ist kein Päderast«, erwiderte sie überheblich. »Er liebt seine Frau. Und seine Geliebte ist Rom.« Clodia kicherte. »Ein übelriechendes Schätzchen«, meinte sie, und es tanzte in ihren Augen. »Heute haben sie wieder mal vergessen, den Abfall einzusammeln ...« Porcia öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Sie sah beleidigt aus. Clodia streckte impulsiv die Hand aus. »Liebe Porcia - sei bitte nicht gekränkt. Auch ich liebe Rom. Aber die Stadt braucht wirklich eine feste Hand ... all diese Senatoren! Sie können sich nie einig werden - und infolgedessen wird nichts erledigt. Die Plebs hustet und spuckt ins Theater, Schweine laufen frei auf der Straße herum und reichlich verwildert sind sie auch -, und im Tiber schwimmen Melonenschalen, ein ekelhafter Anblick. Nein«, sagte sie und schüttelte die Locken, »was Rom braucht, ist ein König ...« »Keineswegs«, erwiderte Porcia. »Rom muß zu den alten republikanischen Tugenden zurückfinden. Es herrscht zuviel neuzeitliche Laxheit ... zu viel östlicher Luxus ...« Sie würde mir nächstens an allen Problemen Roms die Schuld 184
geben! Ich klatschte in die Hände und bestellte Musik. Ich wollte mich einfach nicht in eine politische Diskussion mit diesen beiden dummen Weibern hineinziehen lassen und brachte das Gespräch auf britannische und mittelmeerische Perlen. »Natürlich danke ich dir sehr für die Proben, die du mir geschickt hast, Kleopatra«, sagte Porcia. »Aber weißt du, ich glaube nicht, daß die britannischen Perlen im großen und ganzen einen Vergleich mit den unseren aushallen können ...« »Da irrst du dich aber -«, begann Clodia. Es war ein nettes kleines Streitgespräch, völlig unverfänglich; ich ließ sie reden und bedeutete einem Sklaven, er solle die Schale mit dem Honigkonfekt nehmen und mir folgen. Die drei Männer saßen immer noch am Eßtisch, der nicht abgeräumt worden war. Ich habe nie eine düsterere Gruppe gesehen; sie lehnten sich nicht zurück, sondern saßen stocksteif da - wie Feinde, was sie ja auch tatsächlich waren. Es herrschte zähes Schweigen, aber scharfe Worte hingen in der Luft, nadelscharf wie der Graupelschauer gestern. »Bitte bleibt sitzen«, sagte ich; keiner hatte auch nur einen Muskel bewegt! »Bitte nehmt euch ein bißchen vom Honigkonfekt«, sagte ich und deutete auf die Schale. »Es ist ein Rezept von mir.« Ich griff nach einer Amphore und schenkte ihnen ein. »Wein aus Lesbos«, sagte ich. »Sehr alt.« Brutus nahm den Kelch von mir entgegen. »Pompejus Lieblingswein«, meinte er mit versagender Stimme. »Und Catos auch«, ergänzte Cassius und sah ihn an mit strengen Augen unter buschigen Brauen. So hatten sie ihn also geködert! Brutus hatte vor langer Zeit auf Pompejus Seite gekämpft, Cäsar hatte ihm diese Jugendsünde freilich vergeben; Cato war ein Vorfahr von ihm - von mütterlicher Seite natürlich. Cäsars Gegner konnten sichs nach Bedarf aussuchen bei ihm, wenn sie sich ein wenig bemühten. Und sie hatten sich mehr als ein wenig bemüht, das war klar. Brutus leerte sein Glas und hielt es mir hin. Er sah unglücklich aus, und ich empfand plötzlich eine gewisse schmerzliche Sympathie für ihn, denn ich wußte, daß er Cäsar durchaus liebte. Aber ich verhärtete mich; er war einer von den Lauen wie Cicero; solche Leute sind gefährlich. 185
Ich hatte einen neuen Plan ersonnen und wartete geduldig darauf, daß die Gesellschaft aufbrach und ich ihn Cäsar unterbreiten konnte. Ich begleitete sie höflichkeitshalber zum Anlegeplatz hinunter - Sklaven leuchteten uns den Weg -, aber ich blieb nicht stehen, bis sie wohlbehalten am anderen Ufer angelangt waren, sondern kehrte gleich nach Hause zurück, ihr leises Lebewohl noch im Ohr. Cäsar saß nicht mehr auf seinem Platz! Im Halblicht berührte eine Hand meine Schulter; ich drehte mich um. Cadwallader, der Britannier, blickte zu mir herunter und lächelte freundlich. »Cäsar läßt um Entschuldigung bitten, Herrin«, sagte er flüsternd. »Er hat noch zu tun ... und wird sich auf der Liege im Vorraum zur Ruhe legen.« Dieser Vorraum war wie ein Armeezelt hergerichtet; ich wußte, daß Cäsar vor meiner Zeit oft dort geschlafen hatte. Er war ein Mann, der kleine Räumlichkeiten und eine karge Umgebung liebte. Aber das war die erste Nacht hier in Rom, die er nicht in meinem Bett verbrachte. Ich schaute Cadwallader lange und durchdringend an. »Schickt dich Cäsar? Sind das Cäsars Worte?« Er sagte nichts für einen Moment; dann meinte er, wieder sehr freundlich: »Nein, Herrin ... Cäsar hat nicht mit mir gesprochen. Aber die Tür ist verriegelt ...« »Aha«, und ich nickte bedächtig. »Nun, ich bin auch müde ... Würdest du bitte dafür sorgen, daß das abgeräumt wird, mein Freund?« Und ich deutete auf das Geschirr und die Reste vom Abendessen. »Es ist spät ...« Gut, mein Plan konnte bis morgen warten - allerdings hatte mein Schwung ein wenig nachgelassen. Was den Rest betraf, so würde ich ihn nicht vermissen. Cäsar war seit dem Wiederaufflackern seiner Krankheit ein jämmerlicher Liebhaber. Oft hörte ich ihn schon schnarchen, wenn ich zur Nacht gewandet und gekämmt wurde; manchmal drehte er sich von mir weg und stellte sich schlafend. Aber beides war jenen anderen Nächten vorzuziehen, den Nächten, in denen er bitteren Zypernwein trank, dem man nachsagte, er sei ein Aphrodisiakum, denn dann mühte er sich vergeblich bis zum Morgen ab und murmelte Verwünschungen. Ich hatte blaue Flekken, die es zeigten, und Liebesbisse und ein furchtbar verlangendes Mitleid, das ich nicht zeigen konnte. 186
Anfangs war er wütend auf sich und auf die Götter und bat mich unter Tränen, ihm zu verzeihen; das war entnervender als die Impotenz, und ich weinte oft im Dunkeln. In letzter Zeit hatte er mir die Schuld gegeben, sagte, mein Parfüm sei widerlich oder meine Beine seien nicht enthaart; einmal nannte er mich ein dürres Gestell und empfahl mir, mehr zu essen! Obwohl ich stolz bin, hatte ich all das aus Liebe zu ihm ertragen; ich würde froh sein um die Ruhe heute nacht. Ich ging auf Zehenspitzen an der verriegelten Tür vorbei, leuchtete mir selbst den Weg zu meinem Zimmer und schickte meine Leibsklavin weg; ich würde ihre östlichen Künste heute nicht benötigen!
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12 Cäsar schlief aus und ich auch; wir fühlten uns beide wohler dank dieser getrennt verbrachten Nacht. Er sah so frisch aus wie seit Wochen nicht mehr und hatte etwas Jugendlich-Schwungvolles in seinem Gang. Er küßte mich zärtlich und gab mir kleine Bissen von seinem Teller zu essen; ich sah, daß er ein üppiges Frühstück zu sich genommen hatte. »Hilf mir mit dieser Toga, Liebling ... ich kriegs nie hin.« »Muß es gerade die sein?« fragte ich. »Die Weinflecken gehen nicht mehr raus - und sie ist fast abgetragen ...« »Es ist meine Lieblingstoga«, sagte er streng und reichte sie mir, damit ich sie drapierte. Die römische Toga ist ein ärgerliches Kleidungsstück, altmodisch und unhandlich, aber Vorschrift im Senat, egal, welches Wetter gerade ist. »Gut«, sagte ich. »Und darunter bist du ja warm angezogen... es ist nämlich noch recht kühl.« 188
»Tja«, meinte Cäsar. »Bald werden wir marschieren ...« »In Alexandria ist es jetzt schon warm ... ich kann mich nie an euer furchtbares Klima hier gewöhnen ... so -« Ich zog das Ende der Toga durch die Schlaufe an seiner Taille. »Wenn dus so läßt - ja, so -, dann sieht man die Weinflecken nicht.« »Sie sitzt zu eng«, sagte er stirnrunzelnd und zog das Ende der Toga wieder aus der Schlaufe; seis drum, er war schließlich Cäsar; Rom würde ihn eben auch mit Weinflecken dulden müssen! Ich schaute ihn fröhlich an. »Marcus sagt, du seist dein eigenes Gesetz ...« »Ja, wirklich?« fragte Cäsar erfreut. »Guter Mann, der Marcus ... lad ihn zum Abendessen ein.« Er küßte mich noch einmal und verließ das Haus, ging zur Anlegestelle hinunter, federnd wie ein kleiner Junge. Aus einiger Entfernung wirkte er auch wie einer, klein und mager, und dann stand er aufrecht im Boot, selbst als es vom Ufer abstieß. Das war ein kleines Kunststück von ihm; ich hatte es selbst einmal probiert, als ich nach Rom kam; es sah einfach aus, aber ich wäre fast ins Wasser geplatscht. Ich wartete, bis Cäsars Boot am anderen Ufer landete, dann rief ich Cadwallader zu mir. »Geh und hol Marcus Antonius«, sagte ich. »Er wird zu Hause sein ... es ist noch früh. Sag ihm, daß es sehr dringend ist.« Denn ich mußte ihm einige Anweisungen geben, bevor er mit Julius sprach. Er war überhaupt nicht verstimmt darüber, daß er so gebieterisch herzitiert wurde; tatsächlich hatte ich ihn noch nie gereizt oder verärgert erlebt; ich konnte nicht verstehen, warum Fulvia nicht allen Göttern für ihn dankte. Nun, jeder ist aus anderem Holz geschnitzt; vielleicht war er auch nicht so gefällig, wenn man mit ihm verheiratet war. Er war schleunigst gekommen, wie ichs von ihm erbeten hatte, und kaute noch an einem Stück Röstbrot. »Beiß ruhig ab«, sagte er und grinste mich an; ich war zum Tiber hinuntergegangen, um auf ihn zu warten. Ungeduldig schob ich das Brot weg. »Ich habe schon gegessen«, sagte ich. »Magst du denn gar nicht aus dem Boot steigen?« »Ich dachte, wir könnten vielleicht rudern gehen«, meinte er. Doch als er mich genauer ansah, wurde seine Miene ernst, und er stieg 189
aus dem Boot. Es sank gefährlich tief ins Wasser; er war kein Leichtgewicht! Wir gingen unter den Tamarinden, ihre Wedel streiften uns übers Gesicht, aber ich wollte nicht, daß man uns belauschte. Ich erzählte ihm von meinem Plan; eigentlich war es gar kein richtiger Plan nur eine Idee, aber eine gute. »Cäsar soll die Krone aller Besitzungen außerhalb von Rom angeboten bekommen - König sämtlicher römischer Provinzen ... ja, das könnte gehen. Ja ... den Legionen wirds jedenfalls recht sein.« Er ging ein Stück weiter, sein Gesicht war gedankenumwölkt. »Wieviel Zeit sollen wir dafür ansetzen? Wir müssen die Idee zur Debatte stellen ... bei den Patriziern, bei den Rittern ... und wir müssen uns den richtigen Moment aussuchen, um es vorzuschlagen ...« »Ich dachte - vielleicht an den Kalenden des März? Kein richtiger Feiertag - aber Frühlingsanfang ... was meinst du?« »Ja ... nicht schlecht. Cäsar wird auf dem Forum opfern ... er wird greifbar sein ...« »Er sagte, er wolle an den Iden opfern -«, begann ich. »O nein - das kann doch nicht sein Ernst sein!« Er starrte mich an. »Das bringt Unglück. Niemand plant etwas für die Iden ... natürlich konntest du das nicht wissen, du bist ja keine Römerin.« Er zuckte die Achseln und lachte ein bißchen. »Mögen die Götter wissen, wieso das Unglück bringt ... oder vielleicht weiß es Cicero. Eine alte Prophezeiung oder Warnung, irgend so was Nebelhaftes ... aber nein, schlag das nicht vor.« »An den Kalenden also.« »Ja«, sagte er. »Wir müssen dafür sorgen, daß die gallischen Legionen da sind und die neue auch, die Lerche ... sie werden die Menge günstig beeinflussen ... soll ich ihm die Krone anbieten? Vielleicht bringe ich auch Unglück ...« »Aber nein, Marcus! Wer denn sonst? Es gibt keinen Mann außer dir, der Einfluß und Ansehen hat und es machen würde ...« Ich erzählte ihm vom letzten Abend und von Brutus und von Cäsars Enttäuschung. Er nickte gemessen. »Da ist irgendeine Verschwörung im Gang, glaube ich ... um Cäsar zu stürzen, ihn seiner Macht zu berauben ... ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich weiß, daß Cassius der Draht190
zieher ist. Sie haben nicht viele Anhänger - zumindest glaube ich das. Aber ich habe Inschriften gesehen - Schmierereien an den öffentlichen Gebäuden, die zu Aktionen gegen den Tyrannen aufrufen - Schluß mit Cäsars Tyrannei - in dieser Art etwa ...« Ich war entsetzt. »Das ist ja furchtbar!« »Ach, so ist das immer in Rom ... Jetzt nur ein bißchen mehr als sonst ... diesmal steckt eine echte Fraktion dahinter.« Er lachte. »Brutus Haus und die Mauer seines Hofs sind vollgekritzelt von oben bis unten ... Wach auf, Brutus - Mach mit, Brutus - O daß du nur wach wärst, Brutus! Als ich neulich vorbeikam, ließ Porcia gerade ein ganzes Heer von Sklaven daran schrubben und scheuern ... aber ich möchte wetten, daß alles schon wieder vollgekritzelt ist.« »Warum Brutus?« fragte ich. »Oh, der soll dem Ganzen ein gewisses Ansehen verleihen. Er ist sehr geachtet.« »Nach dem gestrigen Abend zu schließen, haben sie bei ihm Gehör gefunden ...« »Ja, und mehr als das. Ich glaube, daß er ganz tief mit drinsteckt was immer es sein mag.« »Was können sie ausrichten?« fragte ich. Er zuckte die Achseln. »Eigentlich gar nichts. Es handelt sich um eine Verleumdungskampagne, das ist alles ... Natürlich kann sich Cäsar das nicht leisten ... er hat zu viele Feinde.« »Aber die Feinde können nichts mehr machen, zählen nicht mehr - wenn er erst gekrönt ist«, sagte ich. »Ich glaube, du hast recht. An den Kalenden also ...« Wir unterbreiteten Cäsar den Plan noch am selben Abend beim Essen, denn Marcus kam natürlich; er war immer gefällig. Der Gedanke schien Cäsar neues Leben einzuflößen; zur Abwechslung hatte er Farbe im Gesicht, und die neue Energie fuhr ihm in die Beine; wir waren alle sehr glücklich und tranken eine Menge Wein. Und in dieser Nacht liebten Julius und ich uns wieder - fast so wie damals in Alexandria. Doch gegen Morgen träumte Cäsar; für einen vernünftigen Mann ist er überraschend leichtgläubig in diesen Dingen. Allerdings habe ich bemerkt, daß er die Träume von anderen nicht beachtet, nur die seinen. Wahrsager und schlechte Vorzeichen bedeuten ihm nichts, 191
aber er braucht nur von einem scheelen Blick zu träumen, und schon schickt er Spione aus, damit sie nach dem Menschen suchen, der diesen scheelen Blick hat! Sein Traum war äußerst seltsam; Wölfe am Himmel bei Neumond; es war noch viel mehr, aber das beeindruckte ihn besonders. Er behauptete hartnäckig, es bedeute, daß die günstigste Zeit für die Darreichung der Krone die Iden seien oder der nächste Vollmond, denn die Wölfin sei das Symbol Roms. Ich sagte, man brächte Wölfe, zumindest in meinem Land, auch deshalb mit dem Vollmond in Verbindung, weil man glaubte, daß sich bei Vollmond Wölfe in Menschen oder Menschen in Wölfe verwandelten. Deshalb, so erklärte ich, halte man die Iden seit uralten Zeiten für unglückbringend. »Denn Wölfe und Schakale, ja sogar Hunde heulen den Vollmond an - und Menschen werden verrückt ... Mord und Selbstmord, Streit unter Liebenden, all das geschieht bei Vollmond.« »Diese Dinge gelten nicht für Cäsar«, sagte er mit einer verächtlichen Handbewegung. »Nein, ich muß die Krone an den Iden bekommen ...« Ich hatte es für recht schlau von mir gehalten, die Kalenden genannt zu haben, denn der Neumond wird natürlich mit Anfängen in Beziehung gebracht; doch es war immer zwecklos, gegen Cäsar anzureden, wenn er einen Entschluß gefaßt hatte. Marcus schüttelte zweiflerisch den Kopf, als ichs ihm erzählte, räumte aber ein, daß uns das wenigstens mehr Zeit geben würde. »Ja«, sagte ich, »ich lasse die Näherinnen am besten schon mal den Goldstoff zuschneiden ...« Er lachte schallend. »Das ist das erste Zeichen von Eitelkeit, das ich an dir bemerke, kleine Griechin!« Ich richtete mich stolz empor. »Das hat nichts mit Eitelkeit zu tun«, erwiderte ich. »Die prächtige Gewandung ist durchaus angebracht ... denn nach ihm werde ich gekrönt.« Ich dachte einen Augenblick lang nach. »Ich werde darauf dringen, daß genug übrigbleibt für einen Mantel für Cäsarion.« Er lachte wieder; ich wußte nicht, was daran so lustig war. Es schien, daß Cäsar recht hatte; an den Kalenden opferte er zum Fest des Neumonds einen Ziegenbock; weder er noch die Tempelpriester konnten das Herz des Opfertiers finden - man hält das für 192
das schlimmste aller Vorzeichen. Unser ägyptischer Arzt, Dioscorides, lächelte säuerlich und sagte, die Römer mästeten ihre Opfertiere derart, daß das Herz in gelbe Fettklumpen eingeschlossen sei; das stimmte wahrscheinlich, denn welche Kreatur kann ohne Herz leben? Cäsar paßte seine Feldzugspläne glücklich den veränderten Umständen an; er wollte Rom jetzt ein paar Tage nach der Entgegennahme der Krone der Provinzen verlassen und zu seinen Legionen stoßen; ich würde ihn begleiten, und wir würden einen zeitweiligen Herrschaftssitz im Lande Troas beziehen, an der Stelle, wo sich einst Troja befunden hatte. Es war eine gute Wahl, denn dieser Ort ist geheimnis- und sagenumwoben, und die alte Stadt Sigeum steht noch zum Teil. Dort würden wir getraut und gekrönt werden; ich bemerkte nicht ohne Ernst, daß es auch allmählich Zeit würde. Marcus war ebenfalls tätig gewesen; er sagte, der neue Plan gefiele allen Senatoren und Patriziern, bei denen er sich erkundigt habe; wir würden Unterstützung finden. Ich zweifelte nicht daran, daß wir, wenn Rom sich erst an die Idee des Königtums gewöhnt hatte, auch ein römisches Reich erlangen konnten. Meine goldene Robe und Cäsarions Gewand wurden vorzeitig fertig, allerdings konnte man bei Cäsarion keine Anproben machen. Ich durfte es nicht riskieren, daß das Kind drauflosschwätzte und alles verriet. Meine sämtlichen Kisten und Kasten und Habseligkeiten wurden für die Reise gepackt, selbst Geschirr und Möbel; wir würden in Sigeum ein paar Luxusgegenstände brauchen; es war eine Ruinenstadt. Cäsar hätte natürlich alles, was er benötigte, in einem Tornister unterbringen können; »Soldaten marschieren mit leichtem Gepäck, meine Liebe!« Mein Herz war so leicht wie sein Gepäck, und ich ging trällernd im Haus herum. Selbst die Nachricht, daß Oktavian uns begleiten würde, konnte meiner Freude keinen Abbruch tun; vielleicht war er angenehmer geworden! Marcus sollte als Cäsars Stellvertreter in Rom bleiben, ebenso ein anderer Tribun namens Lepidus, gerade aus Gallien zurückgekehrt, wo er Statthalter gewesen war. Dieser Lepidus wurde am Vorabend der Iden zum Nachtessen eingeladen; er hatte allerhand Amtliches zu erledigen, was die Le193
gionen betraf, Papiere, die unterzeichnet werden mußten und dergleichen, und Cäsars Zeit war sehr ausgefüllt; ich beklagte mich darüber, daß das Haus nicht im rechten Zustand sei, um Gäste zu empfangen, aber Julius lachte. »Lepidus hat drei Jahre lang im Zelt gelebt - wenn er Glück hatte. Er wird meinen, er sei in einem Palast!« So saßen wir denn auf Feldstühlen und Kissen und aßen vom Boden wie bei einem Picknick. Sonst war nur noch Marcus eingeladen, und Cäsarion durfte aufbleiben und einen Schluck verdünnten Wein trinken; warum nicht - morgen würde er der Erbe der ganzen Welt sein, wenigstens fast! Er wartete mit seinen besten Manieren auf, wischte sich nach jedem Bissen den Mund ab und redete nicht zuviel; er bat nicht einmal darum, den ganzen Abend aufbleiben zu dürfen, sondern verabschiedete sich mannhaft und ließ sich von der Amme zu Bett bringen. Lepidus schaute ihm nach und winkte ebenso albern wie wir anderen Lebewohl. »Ein aufgeweckter Junge«, sagte er, »man könnte ihn gut und gern für fünf halten ...« Und er zwinkerte Cäsar zu und meinte: »Man sieht auch gleich, wo ers her hat ... seine Mutter hat nicht rumgetändelt ... Verzeihung, Herrin!« Ich nahms ihm nicht übel, ich war überglücklich darüber, daß mein Sohn Cäsar ähnelte. Dieser Lepidus war irgendwie liebenswert, es machte auch nichts, daß er Soldatenmanieren hatte; man konnte ihm auf den ersten Blick vertrauen; er war ohne Falsch. Er war groß, offenherzig und freundlich und nur ein bißchen linkisch. Ich weiß nicht mehr, wie wir auf den Tod zu sprechen kamen; seltsam, wie manche Dinge aus dem Gedächtnis schwinden! Ich erinnere mich nur noch daran, daß einer von uns die Frage stellte, wie wir am liebsten sterben würden; vielleicht lags am Wein, wir hatten eine Menge getrunken. Marcus schüttelte den Kopf und lachte. »Ich denke nie darüber nach!« Ich sagte, Alexander habe auf eine solche Frage geantwortet: »Ich wünsche mir jedenfalls langen Nachruhm ...« Cäsar lächelte, hob sein Glas und meinte: »Wie ich am liebsten sterben würde? Schnell!« An das mußte ich später immer und immer wieder denken. 194
Denn so starb mein Julius. Schnell, im Senat, am nächsten Tag. Denn es griffen ihn viele Mörder an und verwundeten ihn tödlich mit vielen Stichen. Ich hoffte nur, daß sein Tod schnell genug kam. Ich hoffte, daß er unter den Mördern nicht das Gesicht seines Sohnes Brutus gesehen hatte.
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Drittes Buch
ACTIUM
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1 Ich hätte nie gedacht, daß ich Heimweh nach Rom haben könnte. Aber ich hatte Heimweh; ich war krank und unglücklich und niedergeschlagen im Jahr von Julius Tod. Alexandria war auch krank und mit ihm das ganze Land Ägypten. Denn es herrschte wieder Hungersnot, die schlimmste seit vielen Jahrzehnten. Der Nil war nicht gestiegen, der Boden ausgedörrt, es gab nur Mißernten, und die Menschen starben wie die Fliegen. Und diesmal hatte die alte Religion kein Mittel dagegen. Der heilige Bulle, für den ich vor langer Zeit die Mutter gespielt hatte, lebte nach wie vor unter seinen Färsen und Kälbern; er wurde nach wie vor gewaschen und gestriegelt und mit kostbarem Getreide gefüttert, wenn man auch keine Blumen finden konnte, um ihn zu bekränzen. Die Priester gaben Cäsars Mördern die Schuld und beweinten den Tod des Gottes Amon, der sich in dem großen Römer verkörpert hatte. Auch ich weinte heimlich, denn es schien, als seien mit 197
ihm all meine Hoffnungen begraben. In Rom trauerten die Leute ebenso wie über das Hinscheiden eines Gottes; man bemerkte unheilvolle Zeichen; ein Komet leuchtete sieben Tage und sieben Nächte lang am Himmel, und ein Dunstschleier hing vor der Sonne. Bevor ich mich nach Alexandria einschiffte, sah ich, daß sein Bild in seinem Tempel mit einem Stern bekrönt war, der vor Juwelen funkelte, eine Gabe der Plebs, die ihn geliebt hatte. Cäsarion weinte auf dem ganzen Heimweg, denn irgendein Narr hatte ihm erzählt, sein Vater sei tot. Ich war darüber verzweifelt, befürchtete, er werde sich selbst krank machen; um ihn zu beruhigen, sagte ich, sein Vater sei fortgegangen, um ein Gott unter den Göttern auf dem Olymp zu sein. »Aber er ist nicht da!« jammerte Cäsarion. Der Britannier Cadwallader, der jetzt sein nutricius war, nahm ihn in die Arme. »Paß mal auf, kleiner Cäsar«, sagte er in seinem Singsang, den er in all den Jahren bei uns nie verlor. »Paß auf -« Und er hielt ihm einen Spiegel vor. »Da ist er, dein Vater. Schau gut hin, mein Kleiner. Er ist noch da ...« Ich glaube nicht, daß Cäsarion diese Worte verstand, sosehr sie auch stimmten. Aber er hörte auf zu weinen, langte nach dem Spiegel und drehte ihn in seinen dicken Kinderhänden. »Zinn!« flüsterte er erstaunt. »Ist das Zinn?« »Ja«, sagte Cadwallader. »Aus meiner Heimat. Ich habe den Spiegel bekommen, als ich ein kleiner Prinz war wie du. Ich weiß noch, wie mein Vater, der König, ihn mir zum Geburtstag geschenkt hat ...« Und schon war er bei seiner Geschichte, und Cäsarion war still; darauf konnte man sich meistens verlassen. Aber ich lächelte ein wenig bei dem Gedanken an das Staunen des Kindes über den kleinen Spiegel. Er hatte Spiegel aus Silber und Gold und Elektron, in Elfenbein gefaßt und mit Edelsteinen geschmückt, in allen Formen und Größen und von meisterhaften Kunsthandwerkern gefertigt. Natürlich ist Zinn sehr kostbar, dessen ungeachtet, daß es häßlich ist und sich leicht verbeult; und dieses Stück sah so alt aus, als hätten Titanen es gewonnen oder was auch immer auf den Inseln des Nebels mit ihnen vergleichbar ist. Tatsächlich erzählte Cadwallader eine solche Geschichte, und ich hörte sie mit halbem Ohr, aber dank198
bar, denn Cäsarion war von seinem Kummer abgelenkt. Er würde sowieso mit der Zeit darüber hinwegkommen; das ist immer so bei Kindern. Doch ich würde nicht zulassen, daß ers ganz vergaß. Ich erfuhr alles über Cäsars Tod von Marcus, der dabeigewesen war; er sah es aus einiger Entfernung, hilflos, die Krone, die er Julius hatte anbieten sollen, noch in der Hand. Es hat keinen Sinn, mit der Vergangenheit zu hadern und zu sagen: »Wenn jemand das und das getan hätte, wäre dies und jenes nicht passiert.« Ich habe mich zu oft auf diese Art gequält, mir gedacht, wenn Cäsar nur an diesem Morgen aufgehalten worden wäre, und seis durch einen Anfall! Oder wenn er auf Calpurnias Warnung gehört hätte! Denn sie hatte aufgeregt einen Zettel geschickt, von einer Verschwörung berichtet; er hatte ihn stirnrunzelnd gelesen und zerknüllt, sich gegen die Schläfe getippt, als wolle er sagen, sie sei verrückt. Wir erfuhren später, daß sie durch Porcia, Brutus Frau, Wind davon bekommen hatte, also war es zuverlässig. Aber Cäsar hätte ja nie geglaubt, daß ihm von dieser Seite etwas Böses drohen könnte - leider! Nein, es ist nicht gut, zurückzublicken oder zu bedauern. Wir sind, wie wir sind, und die Dinge geschehen, wie sie geschehen; wir können sie nicht ändern, ebensowenig wie den Tag, an dem wir geboren wurden. Der sinnlose Mord wurde im Senat verübt, direkt unterm Standbild des Pompejus. Cäsar wurde von Marcus begleitet, aber am Eingang hielt ein gewisser Trebonius Marcus auf; danach konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was der Mann gesagt hatte. Es war sehr voll im Saal wie bei einem besonderen Anlaß; Marcus hatte dafür gesorgt und die Mörder auch. Die Verbrecherbande bestand vor allem aus angeblichen Bittstellern, die so taten, als wollten sie Gehör beim Diktator finden. Ein Mann namens Tullius Cimber, dessen Bruder verbannt war, trat an Cäsar heran, der schon in Bereitschaft saß; Marcus sagte, Cäsar habe den Mann angelächelt und ihm mit einem Zeichen zu verstehen gegeben, daß sein Bruder begnadigt sei. Gleich darauf herrschte totales Durcheinander, und die Verschwörer rückten dicht heran; Cäsar sprang auf. Tullius Cimber faßte ihn an der Toga und zog sie ihm vom Leib. Cäsar stand jetzt nur noch in seiner kurzen Tunika da. Ein anderer Mann trat hinzu, Cas199
ca, und verletzte ihn mit einem Stich an der Schulter. Cäsar rief laut: »Casca, du Schurke! Was machst du da?« Dann fielen sie über ihn her wie eine Meute wilder Hunde: Cassius, Bucolianus, Decimus Brutus und Cäsars sauberer Sohn Marcus Brutus. Cäsar hatte keine Waffe, aber er zog seinen Schreibgriffel aus dem Gürtel und verteidigte sich, so gut er konnte. Selbst als er sterbend zu Boden gesunken war, stachen sie noch auf ihn ein, selbst als kein Leben mehr in ihm war, gingen sie noch auf ihn los, stachen und schlitzten und glitten aus in der großen Lache seines Blutes. Es war ein Lärm wie auf dem Schlachtfeld, denn die Menge entsetzte sich und schrie gellend auf; einer stieß und drängelte den anderen, um wegzukommen. Brutus, mit Blut besudelt, zog eine große Schriftrolle aus der Toga; er hatte eine Rede vorbereitet! Mit zitternden Händen entrollte er das Papier inmitten einer unnatürlichen, atemlosen Stille; es gab niemand, vor dem er sie hätte verlesen können, denn alle waren geflohen oder im Begriff zu fliehen. Nur Marcus stand am Eingang; er sagte, er habe sich gefühlt wie in einem bösen Traum, gefesselt an Händen und Füßen. Erst als ein paar der Verschwörer mit erhobenen, noch feuchten und roten Dolchen auf ihn zustürzten, machte er kehrt und rannte davon. Er weinte und weinte zu meinen Füßen und konnte nicht aufhören, nannte sich einen Feigling; ich mußte mir die gräßliche Geschichte selbst zusammenreimen, denn er war wie von Sinnen vor Entsetzen. Ich konnte es nicht recht glauben, auch als ichs gehört hatte, nicht; ich merkte plötzlich, daß ich immer wieder tröstende Worte sagte und seine Schulter tätschelte. Schließlich wurde ich mitgerissen, begann zu schluchzen und zu zittern und fiel neben ihm auf die Knie und weinte, doch ich wußte nach wie vor nicht, warum ich weinte. Nach einer kleinen Weile sah ich die Krone, die er immer noch in der Hand hielt; ich beruhigte mich und starrte sie an. Und dann begriff ich. Es kam in Wellen über mich, das Wissen, ganz allmählich, bis mein Herz davon überflutet war - eisig, schwarz und grauenhaft. Cäsar war nicht mehr. Ich sage, daß der Mord sinnlos war, und das stimmt; die Verschwörer hatten nicht einmal einen politischen Plan! Blutbesudelt wie Metzger wankten sie durch den Sitzungssaal des Senats, fuchtelten 200
mit ihren Dolchen herum und schrien Parolen von der Freiheit und von der Republik; sie müssen ausgesehen haben wie Betrunkene oder wie Irre, denn es war niemand da, der ihnen zuhörte, nur ein paar von der städtischen Wache, die auf ihrem Posten geblieben waren; einer von ihnen war aus Cäsars Haus, ein freigelassener Sklave, und von ihm erfuhren wir, wie es weiterging. Wie die Mörder, entsetzt über die Leere und Stille, sich hinter den verschlossenen Türen des Kapitels verbarrikadierten; wie sie sich, auf unerklärliche Weise gereinigt, hinaus auf das Forum wagten; wie die Leute dort schweigend, aber mürrisch der Rede lauschten, die Brutus verlas, und nur ein wenig grollten, als Cäsars Name erwähnt wurde. Doch als ein Mann namens Cinna das Wort ergriff und Cäsar zu schmähen und niederträchtige Anschuldigungen vorzubringen begann, bewegten sie sich geschlossen und mit einem dumpfen Aufschrei auf die Verschwörer zu und jagten sie ins Kapitol zurück, wo sie die Nacht verbrachten. Mehrere Tage und Nächte lang war Rom ein einziges Chaos; selbst am anderen Ufer des Tiber konnten wir den Krach hören, eine Art Schlachtenlärm; es fehlte nur noch das Klirren von Schwertern und Schilden. Der Himmel war rot vor Flammen, denn Pöbelhaufen zogen umher und steckten alles mögliche in Brand; grimmig dachte ich später in Alexandria an die Getreidespeicher, die zu schwarzen Gerippen verkohlt waren, und an die Garküchen und an die Marktstände und schauderte - eine solche Verschwendung; Rom hat noch nie eine Hungersnot erlebt! Die Pöbelherrschaft kennt keine Gerechtigkeit; die Verschwörer kamen mit heiler Haut davon, nicht ein Haar wurde ihnen gekrümmt, aber viele, viele Unschuldige starben im rasenden Gewühl. Ein armer, kleiner, argloser Dichter, der Cinna hieß wie der Verschwörer - ich hatte ihn einmal bei einem Nachmittagskonzert aus seinen Werken lesen hören -, wurde gepackt, als er gerade sein Nachtgeschirr ausleerte; seine Sklaven waren alle dem entfesselten Mob nachgerannt. Er wurde mit dem anderen Cinna verwechselt, vom einen zum ändern gestoßen und zu Tode geprügelt und getrampelt. Man tat nichts, um die Ordnung wiederherzustellen; die Senatoren verkrochen sich wie die Verschwörer hinter verschlossenen Türen; die städtische Wache schlug sich auf die Seite des Volkes und 201
schloß sich den Pöbelhaufen an, die brandschatzend und plündernd umherzogen. Die Legionen standen an den Provinzgrenzen, viele weit, weit fort; Cäsars gallische Regimenter waren vorausgeschickt worden; Rom hatte keinen Schutz vor sich selbst! Daß schließlich wieder eine gewisse Ordnung einkehrte, war Marcus Werk; er hielt die Trauerrede und rief die Götter als Zeugen an, als Cäsars Leichnam vom Feuer verzehrt wurde; nachdem alles zu reiner und weißer Asche verbrannt war, setzten sie sie in einer Urne aus Alabaster bei und stellten einen großen Gedenkstein auf. Am nächsten Tag verlas Marcus öffentlich Cäsars Testament, das, in dem Oktavian zum Erben bestimmt wurde. Das gemeine Volk schwieg still, keine Jubelrufe wurden laut; sie kannten diesen Neffen vom Land nicht; würden sie ihn akzeptieren - falls er sich überhaupt durchsetzen konnte ? Marcus hegte gewisse Hoffnungen, aber ich glaubte eher, daß sie ihn akzeptieren würden, wenn die Idee erst einmal Fuß gefaßt hatte; Cäsar hatte schließlich sein Siegel daruntergesetzt. Es gab ein großes Hurra, als Cäsarion als einziger legitimer Sohn Cäsars genannt wurde, man rief seinen Namen, rief »Kleiner Cäsar« und sogar »Kleopatra«. Mir wurde warm ums Herz, als ich es erfuhr, aber ich wußte, es hatte keinen Sinn, darauf zu bauen, daß das irgendeine Tragweite haben würde; Cäsarion war ja bloß ein kleines Kind und ich eine ausländische Königin. Man kann sich vorstellen, wie die Menge lärmte, als sie hörte, daß Cäsar jedem römischen Bürger 300 Sesterzen vermacht hatte; einige von ihnen hätten eine solche Summe ihr Lebtag nicht zu Gesicht bekommen! Er hinterließ ihnen auch seine Besitzungen jenseits des Tiber als öffentlichen Park; zum Glück hatte Marcus mich vorgewarnt, denn das war natürlich die Villa, die mir in Rom als Heim diente! Ich hatte ihn zu der Erklärung bevollmächtigt, daß ich als Miete für diesen Trauermonat jedem Bürger weitere 100 Sesterzen zahlen würde; es war teuer, aber es bewahrte mich vor einer sehr realen Gefahr, denn da die Stadt in solchem Aufruhr war, konnte ich nicht aus Rom wegkommen. Und so sah ich an diesem Abend Fackelschein auf dem Fluß, und bald darauf legte ein recht großes Boot an meiner Uferseite an. Ich hielt meine Wachen zurück, denn ich hatte das Gefühl, daß ich wußte, wer da kam. Ich bat sie, sie sollten ohne Angst näher treten. Sie 202
tatens, stolpernd, weil es dunkel war und weil sie zuviel vom - zur Beerdigung - ausgeschenkten Wein getrunken hatten, etwa acht Plebejer mit grob gewebten, fleckigen und abgetragenen Tuniken, mit nackten Beinen, die im Fackelschein schmutzig aussahen. Ich merkte, daß sie sich sehr fürchteten, denn die Wirkung des Weins ließ allmählich nach. »Kommt, Freunde«, sagte ich. »Habt keine Angst - es wird euch nichts geschehen. Ihr trauert wie ich, und ihr seid mir teuer, weil Cäsar euch geliebt hat ... Seid ihr gekommen, um euer Eigentum in Augenschein zu nehmen? Ich verspreche euch, daß ich nur noch diesen einen Monat bleiben werde ... Kommt - nehmt eure Fackeln mit, und schaut euch das Grundstück an ... Ist es nicht schön, Cäsars Geschenk?« Ich führte sie sogar ins Haus und ließ sie einen Blick in alle Zimmer werfen - meine Bedienten blickten finster und mißbilligend drein. Die armen, schäbigen Leute! Sie hatten noch nie so ein Haus gesehen ... wie ein Haus auf dem Mond muß es ihnen vorgekommen sein! Sie scharrten verlegen mit den Füßen und zupften sich an den Stirnlocken. Ich redete freundlich mit ihnen und ließ die Tränen fließen; es war nicht schwer; ein paar von den Plebejern schluchzten auch. Schließlich gab ich jedem eine seidene Börse mit Kleingeld und ein Stück Blattgold von Cäsars Tisch; es war ein bescheidener Preis für ihre Liebe. Marcus, der alles beobachtet hatte, gluckste, als sie gegangen waren. »Du kannst es gut mit dem gemeinen Volk, meine Liebe ...« »Das muß ich als Königin«, erwiderte ich und warf ihm einen kühlen Blick zu. Er lachte schallend. »Ich sollte froh darum sein«, sagte er. »Denn sonst würdest du mich nicht mögen.« »Tu ich das?« fragte ich und hob die Augenbrauen. »Etwa nicht?« konterte er. Ein kleines Lächeln spielte um seine vollen Lippen. Ich schaute ihn entsetzt an. Was machten wir da ... Cäsar war tot! Er wurde ernst, denn er spürte es auch. »Ich mag dich wahrhaftig mehr als ein bißchen, mein Freund«, sagte ich. »Denn ich bin dir so sehr dankbar ...« Ich sah ihn fest an. »Außer dir hat mich niemand besucht, mußt du wissen. Auch nicht 203
einer.« »Und dabei wirds bleiben«, erwiderte er ebenso ernst. »Sie warten alle ab, wie sich die Ereignisse entwickeln.« »Du meinst Oktavian?« fragte ich. »Nein, Rom.« »Ich verstehe«, sagte ich. Und so war es auch, ich verstand sie. »Vielleicht bist du tollkühn, Marcus.« »Ich glaube nicht«, erwiderte er lächelnd. »Ich habe immer gewußt, auf welches Pferd ich setzen muß ...« Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. »Eine andere Frau würde an diesem Vergleich Anstoß nehmen.« »Aber du«, sagte er, »bist eine Königin.« »Ja -«, sagte ich. »Und ich kann es gut mit dem gemeinen Volk.« Er warf den Kopf zurück und lachte, und ich lachte mit, lange und laut. Danach schaute ich ihn an und zuckte leise die Achseln. »Besser als Weinen«, meinte ich. »Magst du einen Schluck Wein, mein Freund?« Denn er war mir ein großer Trost. Es war trotzdem nicht zum Lachen; ich mußte zurück nach Alexandria und vielleicht jahrelang auf die nächste Chance warten- was für eine Chance? Die Weltherrschaft? Gewalt über Rom? Ein größeres Reich? Traurig dachte ich an die Wirklichkeit; mein Alexandria, mein Ägypten stand auf dem Spiel. Rom hatte schon größere Brokken geschluckt. Alles hing tatsächlich von diesem kränklichen Jungen ab, von Oktavian. Und von der Stärke der Waffen, die gegen ihn aufgeboten werden konnten. Ich hatte keine andere Wahl, als das Schicksal Ägyptens in Marcus Hände zulegen; ich sagte ihm das. Er grinste breit und schaute zu mir herunter. »Ach, Oktavian hat Wichtigeres zu tun als Alexandria zu erobern ... für eine Weile jedenfalls.« Seine Miene verhärtete sich. »Aber man muß ein Auge auf ihn haben.« »Wenn er sich überhaupt durchsetzen kann«, sagte ich und dachte an sein kraftloses Aussehen. »Oh, er wird sich durchsetzen«, erwiderte Marcus. »Cäsar hatte einen guten Blick, und Oktavian ist der Mann seiner Wahl. Er wird sich durchsetzen. Er ist schon auf dem Weg ... und er hat alle gallischen Legionen hinter sich.« 204
»Ich muß fort«, sagte ich. Aber in meinen Augen stand eine Frage. »Ja«, bestätigte er. »Ist besser so ... Wir werden uns wiedersehen. «
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2 Die römischen Legionen murrten gegen mich; ich hörte es, leise und unheildrohend, wenn ich außer Haus ging, und sogar in den Räumen meines Palastes. Wann immer ich an einer Gruppe Soldaten vorbeikam, die würfelten oder Harnische reparierten, spürte ichs zwischen den Schulterblättern - den Dolchstoß oder die Lanze; ich mußte mich zwingen, den Kopf nicht einzuziehen und den Rücken geradezuhalten. Denn römische Soldaten sind es nicht gewohnt, daß ihnen der Magen knurrt. Ich hatte eine Verordnung erlassen, demzufolge alle, auch die im Palast, mit knappen Rationen auskommen mußten, solange mein Volk hungerte. Wir hatten noch einige Überschüsse in unseren Vorratskammern; jeden Morgen überwachte ich die Austeilung der jämmerlich kleinen Portionen; es gibt immer Leute, die Notlagen ausnutzen. Mein Herz weinte bitterlich um die zierlichen, braunhäutigen Menschen in den Landen nilaufwärts; sie litten mehr als alle 206
anderen, denn es bestand keine Möglichkeit, zu gewährleisten, daß das Getreide zu ihnen gelangte (die Pferde und auch die Kamele mußten Nahrung erhalten, von den Männern, die die Aufsicht führten, gar nicht zu reden). Es war nicht genug da. Die Bevölkerung in den Ausländervierteln, die Phönizier, die Assyrer und die Juden erhielten nichts; die Bürger von Alexandria kamen an erster Stelle. Meine Leute magerten sehr ab, aber sie blieben gesund, wenigstens am Anfang. Dann brach in den Ausländervierteln die Pestilenz aus. Als man von den Toten und Sterbenden erfuhr, dachte man erst, sie seien verhungert, und man nennt die Seuche bis zum heutigen Tag »die Hungerkrankheit«. Doch als die Ärzte die Leichen sahen, waren sie ratlos; es handelte sich um eine neue Krankheit, gräßlicher als alle, die man kannte. Die Gesichter der Opfer waren schwärzlich und blutunterlaufen, und in den Achselhöhlen und in der Leistengegend bildeten sich Beulen, so groß wie Granatäpfel. Wenn die Beulen aufplatzten, genasen die Kranken manchmal, aber meistens starben sie einen plötzlichen und furchtbaren Tod. Ganze Familien wurden ausgelöscht, niemand begrub die Toten, und so lagen auf manchen Straßen die Leichen in Haufen und stanken. Dioscorides drang darauf, daß sie um jeden Preis begraben werden mußten, denn er befürchtete, die Toten könnten ansteckend wirken; es sei gefährlich, die verpestete Luft einzuatmen, sagte er. Was auch immer der Grund sein mochte, die Seuche wütete, verbreitete sich über die Ausländerviertel hinaus und erfaßte eine Straße nach der anderen; selbst der Palast blieb nicht verschont; wir mußten die Küche zumachen, weil ein paar Sklaven beim Feuerschüren oder Putzen starben. Unsere Katzen lagen tot, groß, steif und aufgedunsen da; Dioscorides verfügte, daß man sie nicht berühren sollte, höchstens mit einer Schaufel. Er sagte nach vielem Nachdenken und Sitzen über alten Büchern, er glaubte, daß Ratten die Pestilenz übertrügen. »Aber ich habe lebendige Ratten gesehen -«, rief ich, »überall im Palast, auch da, wo sie sich nie hingetraut haben!« »Sie sind Überträger«, sagte er. »Sie bekommen die Krankheit nicht ...« Ich ließ die abermals murrenden römischen Legionen nach die207
sen Ratten suchen; sie sollten sie mit Lanzen oder Speeren aufspießen. Nach ein, zwei Tagen lag auf den Fluren des Palasts dies Ungeziefer haufenweise, größere Exemplare, als ichs je gesehen hatte. Sklaven wurden dazu angestellt, sie mit Schaufeln nach draußen zu verfrachten und zu verscharren. Wir aßen kaum etwas außer Obst und tranken den Wein unverdünnt, denn Dioscorides befürchtete, die Brunnen könnten Gift enthalten. »Wenn eine Ratte hineingeraten ist -«, sagte er und schüttelte den Kopf. Mir graute bei dieser Vorstellung: eine Ratte im Trinkwasser - und wenn es bloß eine gesunde war! Ich schickte ein Heer von Sklaven aus, damit sie die Toten draußen begruben; die Legionen weigerten sich, und nun mangelte es uns an Arbeitskräften im Haus. Obwohl die Toten rasch begraben wurden, hing ein seltsam süßlicher, Übelkeit verursachender Geruch in der Luft; man mußte die Türen schließen, damit er nicht hereinkam, und Mund und Nase mit Schleiern verhüllen. Vielleicht rettete uns das; denn wunderbarerweise erkrankte niemand im Palast, abgesehen von jenen paar Küchensklaven. Wir waren etwas wirr vom wenigen Essen und ein bißchen betrunken vom vielen Wein, aber sonst fehlte uns nichts, weder den adligen Hofleuten noch den Soldaten; sogar den Sklaven ging es gut. Abend für Abend wurden weniger Tote gemeldet, und eines Tages war die Seuche - urplötzlich, so schien es - verschwunden, obwohl die Ratten nicht krepiert waren und frech durch die Stadt rannten; es war ein Rätsel. Dioscorides fiel es auf, daß auch die Katzen nicht mehr starben, selbst diejenigen nicht, die an Rattenkadavern vorbeischlichen; er sagte achselzuckend, daß die Krankheit wohl einfach ihren Verlauf genommen habe. »Eines Tages«, meinte er, »werden wirs begreifen und wissen, wie man ihrer Verbreitung Einhalt gebietet und sie heilt ... aber jetzt -« Und er schüttelte traurig den Kopf. Als eine Zählung vorgenommen wurde, entdeckte man, daß drei Viertel der Bevölkerung gestorben waren, alle binnen einiger weniger Wochen. Es klingt schlimm, aber das trug sehr dazu bei, das Problem der Hungersnot zu lösen; es waren einfach weniger Menschen zu versorgen. Ich konnte den Leuten am Oberen Nil Getreide 208
zukommen lassen; viele wurden gerettet. Und wies immer so geht, begannen jetzt über alle Handelsrouten seit langem versprochene und erwartete Nahrungsmittel einzutreffen. Wir erfuhren auch von den reisenden Kaufherren, daß unser Ägypten nicht das einzige Land war, das die Seuche heimgesucht hatte; sie war über die ganze östliche Welt hinweggefegt; nur Rom blieb verschont. Erbost hörte ich, daß Oktavian, der sich mittlerweile »Cäsar« nannte, sich das als Verdienst anrechnete und eine Woche der Danksagung angesetzt hatte. Was uns in Ägypten betraf, so war unsere Woche eine Woche der Trauer. Aber langsam, sehr langsam, erholte sich das Land, und im Frühjahr darauf trat der Nil über die Ufer, das größte Hochwasser seit vielen Jahren; wir waren gerettet.
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3 Die Nachrichten aus Rom waren nicht gut. Ich hatte im Jahr der Hungersnot und der Pestilenz keine Zeit dafür gehabt, aber nun, da ich wieder Muße zum Nachdenken hatte, war ich entsetzt über das Chaos, das dort immer noch herrschte. Natürlich war, von meinem Standpunkt aus betrachtet, das Chaos der Ordnung vorzuziehen; wenigstens brauchte Ägypten für eine Weile keine Invasion zu befürchten! Kurz nachdem ich Rom verlassen hatte, traf Oktavian mit vielen Legionen im Triumph dort ein, um sein Erbe anzutreten. Er nannte sich »Cäsar« und stieß damit etliche vor den Kopf; ich lächelte, als ich von Marcus Ausspruch erfuhr, der auf der ganzen Welt die Runde machte: »Ein kleiner Junge mit einem großen Namen!« Die beiden waren natürlich Feinde; von der politischen Rivalität einmal abgesehen, konnte man lange suchen, bis man zwei unähnlichere Menschen fand; Antonius war kühn, offenherzig, stark, 210
freundlich, Oktavian schmächtig und verschlossen, kalt wie ein Fisch. Bei ihrem ersten Zusammentreffen in der Öffentlichkeit, heißt es, umarmten sie sich, wies der Brauch ist, und nahmen dabei die Gelegenheit wahr, den anderen nach verborgenen Waffen abzutasten. Die ganze Geschichte ist nicht recht klar und das, was danach geschah, zu umständlich und zu kompliziert, um es zu enträtseln; bei der offenen Feindseligkeit konnte es nicht bleiben, denn das hätte den einen oder den anderen oder beide vernichtet. Schließlich erwarb sich Oktavian mit Ciceros Hilfe das Vertrauen des Senats und die widerwillige Anerkennung durch die Plebs, und Marcus galt eine Zeitlang als Staatsfeind und mußte aus Rom fliehen. Ich kaute mir einige Wochen die Fingernägel ab, denn mein Schicksal und Cäsarions Schicksal hingen von diesem Mann ab; er war tatsächlich mein einziger Freund in Rom (denn wohlwollende Leute ohne Macht sind nutzlos). Plötzlich kam die Nachricht, daß sich ein neues Triumvirat gebildet habe, ein Bündnis zwischen Antonius, Oktavian und Lepidus mit vollen Einverständnis des Senats und dementsprechenden Machtbefugnissen. Ich war sehr überrascht, aber seis drum; ich mußte Antonius vertrauen, welches Spiel er auch immer spielte. Ich dachte lange darüber nach; irgendwie hatte er seinen Frieden mit Oktavian gemacht, ein kluger Schachzug im Moment. Lepidus, dem ich einmal begegnet war, war ein unkomplizierter Mensch und stand Marcus nahe, kein Zweifel; von ihm hatte ich nichts zu befürchten; ich sagte mir: zwei zu eins, und nickte zustimmend. Das Triumvirat wurde »Allianz zur Neuordnung des römischen Staates« genannt und erhielt unumschränkte Macht für die Dauer von fünf Jahren; auch die Provinzen wurden unter den dreien aufgeteilt. Damit herrschten sie praktisch über Rom und alle römischen Besitzungen. Oktavian erhielt Spanien und Lepidus Nordafrika; Antonius bekam den Löwenanteil; er gebot über den ganzen Osten und über Gallien. Ich stieß einen Erleichterungsseufzer aus; Ägypten war immer noch ein unabhängiges Königreich und gehörte zum Osten; aber ich glaubte nicht, daß Marcus uns angreifen würde! In jedem Königreich gibt es Probleme - wie in jeder Familie auch. In meinem Fall kam beides zusammen. Ich hatte, abgesehen von 211
Iras, keine Familie mehr außer meiner Schwester Arsinoë, die seit langem eine Gefangene war; warum ließ ich, die ich für gewöhnlich so wachsam bin, mich immer wieder von diesem Mädchen hinters Licht führen? In der Zeit der Hungersnot und der großen Seuche bekam ich Mitleid mit ihr und schenkte ihr die Freiheit; sie machte sich nützlich und stand mir wie eine wahre Schwester in aller Not und Bedrängnis zur Seite; ich glaubte tatsächlich, sie habe sich gebessert. Das heißt, ich hatte das Gefühl, sie würde sich jetzt, als reife Frau, verhalten, wie es sich gehörte, umsichtig sein und sich, ohne zu klagen, mir unterordnen. Wie sich dann herausstellte, irrte ich mich in beiden Punkten. Ich hatte keine Berater, nur meine innere Stimme; sie muß auf irgendeine schwer zu ergründende, heimliche Weise gesprochen haben, denn ich benannte sie nicht als meine Nachfolgerin nach Cäsarion, obwohl es üblich gewesen wäre, das am Tag des Amonsfestes zu tun. Ich dachte daran, daß Cäsar vor langer Zeit ihr und unserem kleinen, inzwischen toten Maus II. den Thron von Zypern gegeben hatte, und machte sie statt dessen zur Königin dieser Insel. »Du wirst keine Schwierigkeiten mit diesem Königreich haben, Schwester«, sagte ich. »Serapion ist dort mein Statthalter und war es während unseres ganzen Aufenthalts in Rom ... er ist ein guter Verwalter und weiß, was das Land braucht.« Ich hatte vergessen, daß Serapion auch ein Mann war, jung, unverheiratet und ehrgeizig! Serapion war eine Seltenheit, ein ägyptischer Grieche; diese Völker heiraten in der Regel nicht untereinander, zumindest nicht in der Oberschicht. Er war auf Zypern geboren, sein Vater war dort vor ihm Statthalter gewesen; er war nur einmal in Alexandria gewesen, als er nach dem Tod seines Vaters dessen Amt übernahm; ich hatte ihn als bartlosen jungen Mann mit klugen Augen und statuenhaftem Kopf in Erinnerung. Arsinoë hatte kaum den Fuß auf die Insel gesetzt, da wurde er ihr Ganymed! Ich dachte mir wenig dabei; sie war eine erwachsene Frau und mußte auch irgendwie ihr Vergnügen haben; ich hätte es gebilligt, wenn sie ihn geheiratet hätte, denn er war vornehm genug und sehr tüchtig, aber sie bat mich nicht um ein Einverständnis. Vielleicht war sie zu sehr an heimliche Umarmungen gewöhnt, oder vielleicht 212
hatte sie sich etwas Höheres in den Kopf gesetzt als einen Statthalter; möglicherweise hatte sie es auf Rom abgesehen wie ich. Ich habe sie nie durchschaut, diese Arsinoë; um sicherzugehen, schickte ich Spione nach Zypern, die auf sie angesetzt wurden. Es stellte sich heraus, daß Brutus und Cassius die Verschwörung angeführt hatten; sie wurden verbannt. Unglaublicherweise gab der Senat - ich hielt ihn allmählich für einen Haufen von senilen Narren - diesen Mördern, die sich zu ihrer Tat bekannten, die Provinzen Syrien und Mazedonien, als müßten sie auch noch belohnt werden. In Wirklichkeit waren beide Länder nicht mehr frei; Cäsar hatte Mazedonien an Antonius und Syrien an Dolabella gegeben, schon Monate vor seinem Tod; die zwei vergaßen ihren Kampf um Fulvias Gunst, steckten die Köpfe zusammen und dachten darüber nach, wie sie den verbannten Verschwörern ihren Besitz entreißen konnten. Sie begannen, Truppen auszuheben und Schiffe zu beschaffen, und Dolabella stach in See, um den Verbannten gegenüberzutreten. Das neue Triumvirat war inzwischen damit beschäftigt, seine Feinde loszuwerden. Über hundert Senatoren und einige tausend reiche und einflußreiche Römer kamen dabei um. Man sagte, sie seien »hingerichtet« worden, aber in Wirklichkeit hatte es sich um Metzeleien gehandelt; als mein Bote die schaurige Geschichte vom verstümmelten Leichnam Ciceros zu erzählen begann, gebot ich ihm Einhalt, denn mir hob sich der Magen; ich hatte den Mann gekannt! Ich fragte mich, auf wessen Befehl diese Tat verübt worden sei, und hoffte, Oktavian habe es geboten; ihm legte ich bereitwillig alles Böse zur Last, denn ich mochte ihn nicht. Aber dann fielen mir plötzlich die Millionen Menschen ein, die in den Kriegen meines Geliebten gestorben waren, Cäsars Tote; kam ihr Blut über mich, war ich demnach schuldig? Ich schob den Gedanken von mir weg; ich würde später, viel später darüber nachsinnen - wenn ich alt war. Etwa um diese Zeit trafen zwei Boten ein, beide mit derselben Bitte; das heißt, der eine kleidete sie in ehrerbietige Worte und ersuchte mich um einen Gefallen; der andere befahl mir im Namen der römischen Republik, ihm zu willfahren. Ich starrte den Mann an, einen parfümierten Syrer mit dem Gehabe eines Despoten. »Wem verdanke ich diese Ehre?« fragte ich mit zuckenden Lippen. So massiv meine Ironie auch war, sie blieb ohne Wirkung auf ihn; er erwi213
derte mit komischem Stolz, er spräche im Namen des edlen Cassius. »Ich bin eine Frau«, sagte ich, »und weichherzig. Du hast Glück. Du wirst dich jetzt auf dein Schiff begeben und heimfahren - woher du auch immer gekommen bist. Sag Cäsars Mörder, daß ihm sein nächster Bote ohne Kopf zurückgeschickt wird.« Es war ohnehin egal, was Cassius wollte und in welcher Form er darum bat; meine Antwort wäre dieselbe gewesen. Der andere Bote - eine geschickte Wahl - war ein mazedonischer Grieche; er kam von Dolabella. Er bat mich darum, die Legionen, die Cäsar in Alexandria zurückgelassen hatte, leihweise zur Verfügung zu stellen. »Mein Land ist in Gefahr, Herrin ... denn Brutus herrscht dort. Konsul Dolabella hat versprochen, uns zu befreien, aber er braucht Soldaten und Schiffe ... er steht einer großen Übermacht gegenüber.« »Eilt es?« fragte ich. »Ich schicke sie ihm gerne ...« »Je eher, desto besser«, erwiderte er. »Sie werden reisefertig sein, wenn du reisefertig bist.« Er verließ Alexandria mit meinen Legionen und hundert guten Schiffen; binnen eines Monats waren sie wieder da - sie hatten Leid und Weh hinter sich. Dolabella war auf See von Cassius angegriffen und besiegt worden. Die Verluste waren groß gewesen; er hatte allerdings entkommen können. »Dieser Schurke, dieser Cassius, war zu schnell für uns, Herrin«, sagte der Grieche. »Und er hatte ägyptische Schiffe ...« »Aber du hast doch selbst gehört, daß ich sie dem anderen verweigert habe!« Ich war völlig entgeistert. »Ja, Herrin. Sie kamen aus Zypern ... und sie waren vor uns da.« Arsinoë und ihr Serapion! Wieder einmal meine Schwester! Ich kochte innerlich, aber ich war jetzt älter und hatte gelernt, mich zu beherrschen; ich sagte lediglich: »Danke, mein Freund. Ich werde mich darum kümmern ... Übermittle dem guten Dolabella mein Beileid, und nimm die Schiffe und Truppen wieder mit. Nächstes Mal sind sie vielleicht von größerem Nutzen.« Ich dachte darüber nach, was ich tun, zu welchen Vergeltungsmaßnahmen ich greifen sollte. Ich konnte nicht Schiffe und Männer für einen Krieg gegen meinen eigenen Besitz verschwenden; ich würde warten müssen. Ich verdoppelte die Zahl der Spione auf Zy214
pern. Und ich gab Arsinoë Nachricht, daß ich zweihundert zypriotische Schiffe und zweitausend Mann brauchte. Sie antwortete, daß sie mir das Gewünschte nicht schicken könne, denn eben diese zweihundert Schiffe und zweitausend Mann seien in einen Sturm geraten und alle untergegangen! Sie muß geglaubt haben, meine Freundlichkeit ihr gegenüber könne nur bedeuten, daß ich nicht mehr bei Sinnen sei; es würde ein weiterer Anklagepunkt gegen sie sein, wenn mein Abrechnungstag kam. Die Zeit es Erbarmens war längst vorbei; einstweilen ließ ichs dabei bewenden und begnügte mich damit, sämtliche Schiffe in Zyperns Häfen anzufordern; sie konnte es mir nicht abschlagen, denn ich schickte eine große Streitmacht, die sie beschlagnahmte und nur so viele zurückließ, wie zur Verteidigung der Insel nötig waren. Ich berief Serapion ab und schickte an seiner Stelle einen der letzten Eunuchen, die es noch an meinem Hof gab; das würde sie wahrhaftig ein rechtes Elend nennen! Ich verdrängte ihre endgültige Bestrafung aus meinen Gedanken, denn ich bin empfindlich.
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4 Wir waren nicht spät dran in Alexandria, wir erfuhren die Neuigkeiten; sie liefen nach und nach bei uns ein. Ich freute mich über den Tod von Cäsars Mördern, von Brutus und Cassius; ich freute mich auch darüber, daß Antonius sie besiegt hatte. Sie wurden vernichtend in der Schlacht bei Philippi geschlagen; Marcus führte den Oberbefehl; er brauchte den Ruhm nicht mit Oktavian zu teilen, denn der Knabe, der sich Cäsar nannte, war krank. Cassius fiel, und Brutus nahm sich das Leben; die Welt war sie los, die Führer der Verschwörung. Zwar starben viele Feinde bei Philippi, aber die meisten wurden gefangengenommen; es hieß, daß alle Gefangenen, unter ihnen berühmte und reiche Römer, sich tief vor Marcus verneigt, ihn »Großer Sieger« genannt und darum gebeten hätten, in die Reihen seiner Armee aufgenommen zu werden. Oktavian sollen sie verwünscht und ihn einen Emporkömmling geschimpft haben. Mir ging auf, 216
daß das nicht wahr sein konnte; trotzdem muß eine solche Stimmung geherrscht haben, wie unterschwellig auch immer; Oktavian war sehr unbeliebt. Soviel ich weiß, hatte er nichts getan, das diese Geringschätzung gerechtfertigt hätte; meiner Meinung nach machte er bloß im Vergleich mit Marcus, ja selbst mit Lepidus, ein schlechtes Bild. Er war immer noch ein Knabe und ein schwächlicher, kühler dazu; die beiden andern vom Triumvirat waren abgehärtete Krieger, gesund, von hohem Wuchs und freigebig, und Marcus war, auf seine derbe Art, so schön wie ein Gott. Es wurde beschlossen, daß Oktavian sich daranmachen sollte, die Ordnung in Italien wiederherzustellen; Lepidus sollte sich um Afrika und die dortigen Einkünfte kümmern, und Marcus sollte den Osten bereisen, die reichsten Provinzen, um Geld einzutreiben und die römische Herrschaft wieder zu befestigen. Wir hörten, daß Marcus ganz gemächlich und mit einem Gepränge, als seis ein Triumph, durch Griechenland reiste; ein riesiger Troß, Legion um Legion, Streitwagen, Karren und ein kompletter Hofstaat. Alle großen Potentaten kamen, um ihn zu begrüßen, verbeugten sich, brachten Geschenke und verehrten ihn wie einen Gott. Wegen der vielen Geschenke und Huldigungen ging es langsam voran, und er brauchte fast ein Jahr, um Ländereien zu durchqueren, durch die man in einem Monat marschieren konnte. Ich fragte mich, ob er auch hierherkommen würde; es durfte nichts auf die Hungersnot hindeuten, nichts nach Mangel aussehen; Ägypten mußte Roms Verbündeter sein, nicht Roms Beute. Ich sandte doppelt soviel Nahrungsmittel wie üblich nilaufwärts, griff tief in die königliche Schatulle, denn das war es mir wert. Meine Legionen übten sich jeden Tag; alle Römer schätzen tüchtige Soldaten. Das ganze Jahr über arbeiteten Tausende von handwerklich ausgebildeten Sklaven am Palast und an den öffentlichen Gebäuden; Alexandria, das ohnehin die schönste unter den Städten ist, erstrahlte in neuem Glanz. Und er kam immer noch nicht. »Ich glaube, er hat dich vergessen«, sagte Iras freundlich und schalkhaft; sie hatte immer die Freiheiten einer Schwester und Gefährtin, und außerdem hatte sie Marcus nie gemocht. »Wer?« fragte ich, obwohl ich natürlich wußte, wen sie meinte. 217
»Der mit dem Gesicht wie auf einer Münze. Der mit den haarigen Beinen. Marcus.« »Er ist jetzt schlanker ... und ich glaube, er rasiert sich auch«, sagte ich mit einem kleinen Lächeln. »Aber egal ...« Ihre ersten Worte fielen mir wieder ein. Ich setzte mich auf. »Natürlich hat er mich nicht vergessen. Er war Cäsars Freund.« Sie zuckte die Achseln. »Und jetzt ist er Oktavians Freund.« Ich nickte bedächtig. »Ja ... er spielt ein schlaues Spiel, so durchschaubar er auch wirkt. Zum einen hat er die größte Macht im Triumvirat. Und dann war der Sieg von Philippi sein Sieg. Er ist in jeder Hinsicht der Diktator Roms, bloß dem Namen nach nicht.« Sie sah mir in die Augen. »Aber er ist nicht Cäsar. Denk daran.« »Cäsar ist tot«, sagte ich. »Aber Cäsarion lebt. Und er muß einen Fürsprecher haben. Wer außer Marcus käme sonst noch in Frage?« »Du hast natürlich recht.« Aber sie blickte sehr kritisch drein. »Doch ich traue Marcus nicht. Er ist ein Egoist.« »Wer nicht?« erwiderte ich und breitete die Hände aus wie ein Kaufmann. »Trotzdem braucht er Verbündete. Und ich muß dafür sorgen, daß ich - daß Ägypten sein wichtigster Verbündeter ist. Wenn er meint, daß er mich für seine Zwecke gebrauchen kann - na schön, daraus folgt, daß ich ihn für die meinen gebrauchen kann.« Sie nahm einen Schluck Wein; vielleicht machte sie das dreist. »Ja«, sagte sie langsam. »Du bist auch schlau. Schlauer als er. Ihr beide könntet euch - zusammen - zu einem Cäsar ergänzen.« In ihrer Stimme schwang ein kleiner, scharfer Unterton von Verachtung mit. Ich lachte. »Fulvia würde das weibliche Gehässigkeit nennen... Wolltest du mich verletzten, Schwester? Es stimmt ... zusammen könnte es uns gelingen. Wenn wir wirklich schlau sind.« Sie seufzte. »Es tut mir leid.« Sie war einen Moment lang still. »Ich frage mich nur eins - träumst du, wie Alexander, davon, die Welt zu erobern?« Ich war weniger gekränkt als vielmehr empört. »Natürlich träume ich davon! Für mich. Für Ägypten. Für Cäsarion. Aber selbst wenn ichs nicht täte - ich kann es nicht zulassen, daß Rom sich mein Land einverleibt! Griechenland ist römisch - Gallien ist römisch - Spanien ist römisch und der Rest auch! Und du -« Ich schrie. 218
»Kannst du einfach so untätig dasitzen und es geschehen lassen ... gerade du?« »Ich denke wohl, daß ich es könnte«, sagte sie. »Ich bin keine Königin ... nur eine Kammerfrau.« »Du bist meine Schwester!« rief ich. »Und eine Tochter Ägyptens!« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin die Tochter des Königs, den du verachtet hast ... flink gezeugt mit einer Barbarensklavin.« Sie lachte leise. »Oh, ich werde dir helfen, wenns möglich ist. Ich will mein Bestes tun. Aber wenn ich wirklich wählen könnte - ich hätte lieber meinen Barbaren ...« »Cadwallader?« »Du hast es gewußt?« Ich nickte. »Es steht dir ins Gesicht geschrieben. Gut, das ist in Ordnung. Er ist der Sohn eines Königs. Ich werde ihm befehlen, dich zu heiraten.« »Aber nein!« rief sie halb lachend. »Liebe kannst du nicht befehlen! Laß es, Schwester. Wenn es geschieht, geschieht es. Das zumindest will ich allein meistern!« Ich sagte nichts mehr, beschloß aber, sie zusammenzubringen; Cadwallader hatte schon zuviel Priesterhaftes an sich. Und sie sollte haben, was sie sich ersehnte. Sie war schließlich meine Schwester. Charmion äußerte sich entschiedener als Iras. »Marcus wird kommen«, sagte sie. »Er braucht Ägypten. Und außerdem«, fuhr sie fort und blickte so gelassen drein wie die Pallas Athene, »außerdem begehrt er dich ... ich habe seine Augen gesehen.« »O nein!« rief ich überstürzt und wurde rot wie ein junges Mädchen. »Bloß das nicht!« »Warum nicht?« fragte sie und blieb ebenso gelassen wie zuvor. »Du bist eine Frau. Das ist deine größte Waffe ... Du weißt es ja noch von Cäsar her.« »Daran habe ich nie gedacht«, sagte ich. Aber ich log. Und was Marcus anging, log ich auch. Ich log mich sogar selbst an - bis zu dem Tag, an dem er mich rief.
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5 Als schließlich Nachricht von Marcus kam, war sie so ausgefallen wie der Mann selbst. Denn er schickte eine Schauspielertruppe als Boten. Sie waren herrlich anzusehen, prächtige, heitere Menschen, die zu keiner Nation gehörten, obwohl ihre Namen und ihre Gesichter griechisch waren. Ich hatte gehört, daß er die Gesellschaft dieser Leute liebte und sich, ungeachtet des Standesunterschieds, stets mit ihnen umgab. In Wirklichkeit haben sie natürlich keinen Stand und leben außerhalb der Gesellschaft in ihrer eigenen kleinen, in sich geschlossenen Welt. Ich hatte das Schiff - ein römisches und sehr großartiges Schiff anlanden sehen und trat hinaus auf die Treppe des Palastes, um die Reisenden zu begrüßen. Ich sah sie, von denen ich noch nicht wußte, daß sie Schauspieler waren, über die Reling springen wie Seeleute; sie ließen sich nicht helfen dabei und verschmähten die Lauf220
planke; selbst die Frau, die sie bei sich hatten, war so gelenkig wie ein Äffchen. Man hörte sie auch schon von weitem; sie lachten und trällerten, ihr heiteres Geplapper stieg leicht in die Luft auf wie Vogelgesang. Ich hielt die Hand über die Augen, denn es war Mittag, und sah zu, wie sie die flachen Stufen emporstiegen und auf mich zukamen. Sie gingen nicht einmal wie andere Leute, zielbewußt und zielgerichtet; sie schlenderten heran; der eine bückte sich, um ein blühendes Pflänzchen aus einer Ritze im Stein zu pflücken, das er sich, den Kopf zurückwerfend, hinters Ohr steckte; der andere nahm seinen Gefährten beim Arm und drehte sich um, um aufs Meer hinaus zu deuten. Die Frau, die winzig klein war, merkte, daß ich zuschaute, und rannte die letzten paar Stufen empor wie ein Kind. Sie kam mir leichtfüßig entgegen, in ihrem Gesicht leuchtete eine Art Mutwillen auf, und dann warf sie sich vor mir zu Boden, wie es die Perser tun. Ich war verblüfft und trat einen Schritt zurück; kurz darauf streckte ich die Hand aus und wollte sie hochziehen. Sie blickte mich rasch und lustig an und sprang auf. »Wir sind ein Geschenk, Herrin ... ein Geschenk von Dionysos ...« Und sie klatschte in die Hände und begann singend herumzuhüpfen. »Wir sind ein Geschenk ... zum Spielen und Spionieren ... zum Spielen und Spionieren ... zum Spielen und Spionieren ...« Und auch die anderen stimmten ein, ein Dutzend etwa, faßten sich bei den Händen, tanzten im Kreis um mich herum und sangen dabei: »Zum Spielen und Spionieren...« Ich war verwirrt und fand mich, wie die meisten Leute, wenn sies mit der Tollheit zu tun bekommen, selbst ein wenig läppisch. Es war offensichtlich, daß ich von diesen Menschen nichts zu befürchten hatte, denn sie waren unbewaffnet, aber bis jetzt wußte ich überhaupt nichts von ihnen; ich hatte ihre gesungenen Worte noch gar nicht richtig begriffen. Man muß mir, ganz im Gegensatz zu sonst, angesehen haben, daß ich verwundert war, denn einer von ihnen, der Größte, trat vor und verneigte sich tief. »Erlaube, daß ich mich vorstelle, Herrin ... Ich bin Sergius, Sergius aus Athen.« Ich starrte immer noch drein und begriff nichts; aber dann traf es mich wie ein Schlag. Das war der Tragöde, der 221
Held, der sechsmal hintereinander den Lorbeer gewonnen hatte; das hatte es bis dahin bei den Dionysien noch nie gegeben. Im letzten Jahr hatte ein Rivale die Sache vor Gericht gebracht, aber an der Entscheidung wurde nicht gerüttelt; ich fühlte mich tatsächlich geehrt, äußerte das auch und streckte ihm zur Begrüßung die Hand entgegen. »Ich habe dich nie ohne Maske gesehen«, sagte ich. »Aber ich habe deinen Agamemnon zweimal gesehen ... es war großartig.« Ich betrachtete prüfend sein Gesicht, denn ich war neugierig. Es glich wahrhaftig einer Maske, die Züge scharf gezeichnet und irgendwie überlebensgroß, der Kopf ein Löwenhaupt; er war nicht jung, durchaus nicht; tatsächlich schien die ganze Gruppe in mittleren Jahren zu sein. Oder vielleicht hatte ihr Beruf seine Spuren hinterlassen; es war schwer zu sagen. Ich sah, daß auch die Frau, so zierlich und lebhaft sie war, kein taufrisches junges Mädchen mehr war; sie hatte feine Falten um die Augen und einen kaum wahrnehmbaren Zug von Angespanntheit im Gesicht. Er nannte sie Kytheris und sagte, sie sei die Tochter des Mannes, der neben ihm stand, des Hippias. Natürlich kannte ich ihn, hätte ich ihn sofort erkennen müssen, denn Komödianten treten ohne Maske auf, und ich hatte ihn in Rom oft gesehen. »Ich bewundere dein Schaffen«, sagte ich, »aber ich wünsche dir eine glücklichere Hand bei der Auswahl deiner Stücke ... das letzte war eine Schande. Selbst die Plebs hat gebuht.« Er grinste, nicht im mindesten eingeschüchtert. »Nun, Herrin, es war ein Haufen Geld ... allerdings wird von dieser Seite nichts mehr kommen ...« Und er rollte die Augen und verzog das Gesicht zu einer Trauermiene; ich blickte ihn fragend an. »Du wußtest doch sicher, daß das Stück von Cicero war ...? Und das Geld auch ...« Ich war zutiefst erschüttert; ich hatte nicht gewußt, daß Cicero ein solcher Feind gewesen war. Das Stück, das diesen Namen gar nicht verdiente, war nichts weiter als ein geschmackloser Ausfall gegen Cäsar; Hippias hatte ihn lebensecht getroffen, mit Epilepsie und allem. Ich fragte mich kurz, wie er es mit dem Aussehen gemacht hatte; er hatte einen großen Schopf schwarzen Haars; wahrscheinlich hatte ers sich abrasiert. Noch etwas fiel mir ein, und ich drehte mich rasch um, um die Frau prüfend zu betrachten. 222
Sie lächelte. »Sei so gut und verzeih mir, Herrin. Es war so schön viel Geld.« Und sie reckte sich stolz empor, ganz wie ich, aber furchtbar. Einen Moment lang verharrte sie so, dann brach sie in Gelächter aus; sie war von solchem Zauber, daß ich mitlachte. »Ich verspreche dir, Herrin, es ist meine letzte komische Rolle gewesen.« »Das stimmt«, sagte Hippias. »Dabei haben wir für sie eine große Rolle im gegenwärtigen Repertoire, die Sappho. Aber sie will sie nicht spielen.« Und er schüttelte den Kopf und schaute sie vorwurfsvoll an. Ich sah, daß sie für die Rolle der Sappho wie geschaffen war; sie war klein, dunkel und lebhaft, wies die Dichterin selbst gewesen sein soll. Mit einem Ausdruck des absoluten Zorns zog sie die Augenbrauen zusammen; ich fand später heraus, daß alles bei diesen Leuten übertrieben ist, daß die Gefühle jedes Maß übersteigen; man gewöhnte sich nach einer Weile daran, aber am Anfang kamen sie einem völlig irr vor. Sie schrie wütend los: »Dieses Stück ist eine Schande! Die Sappho ist eine Witzfigur ...« Ihr Vater zuckte die Achseln. »Na ja, es ist schließlich eine Komödie. Wenigstens müßtest du nicht nackt auftreten ...« Er blickte mich an. »Sie kann das nämlich nicht ausstehen ...« Ich erinnerte mich an die Frauenrollen in den Komödien; sie waren lüstern und zügellos; ich hatte natürlich angenommen, daß die Schauspielerinnen auch alle Flittchen seien. Sie mußte meine Gedanken erraten haben, denn sie sagte: »Herrin, ich wurde in einer Requisitenkammer geboren und auf weichen Perücken gewiegt ... es ist mein Beruf - was sonst? Aber -« Und sie warf mir einen verschmitzten Blick zu. »Aber ich habe das geändert ... ich trage jetzt Masken wie mein Mann.« Und sie nahm die Hand des Tragöden und lächelte ihn zärtlich an. Er war zu alt für sie, um ein Jahrzehnt oder zwei; aber das war bei Cäsar und mir nicht anders gewesen. Vielleicht liebte sie ihn ebensosehr, wie ich Cäsar geliebt hatte. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?« fragte sie übersprudelnd. Ich mußte lächeln. Sie wartete meine Antwort gar nicht ab, die Worte purzelten nur so aus ihr heraus. »Du hast mich in einer besseren Rolle gesehen ... in mehreren besseren Rollen ... Denk nach! Der Euripides - Sergius war der Agamemnon ...« 223
»Das Haus des Atreus ...?« sagte ich zögernd. Frauen spielen nicht mit bei den Tragödien, es ist nicht üblich. Trotzdem deutete sie genau das an. Ich betrachtete sie prüfend. »Du warst die Elektra ...?« Sie nickte, die Augen wie kleine schwarze Juwelen. »Und die Kassandra. Und der kurze Auftritt am Anfang - die Helena.« »Aber du warst verblüffend!« rief ich. »So echt, so mädchenhaft ...« Dann hörte ich plötzlich auf meine Worte und brach in Gelächter aus wie bei Iras, wenn ich etwas Dummes gesagt hatte. Sie lachte entzückt mit. »Ich dachte, es mußte ein Junge sein, vielleicht ein Verschnittener - wegen der hohen Stimme ...« Und ich begann wieder zu lachen. »Wir verschneiden keine Schauspieler«, sagte der Tragöde hochmütig. Auch das gehörte zu den Dingen, die ich noch lernen sollte; diese Leute sind stolzer als Könige und nehmen ebenso schnell an etwas Anstoß, wie sie ihre Masken aufsetzen. Sie waren wahrhaftig faszinierend und rätselhaft in ihrem Verhalten, mit niemand zu vergleichen. Zwar stritten sie sich oft heftig, aber es war rasch wieder vorbei wie ein Sommergewitter, und sie waren vertrauter miteinander als jede Familie. Oft handelte es sich bei ihnen auch noch um Familien, denn sie heirateten und bekamen Kinder innerhalb der Truppe, fast wie die Pharaonen, und so konnte man bei allen gemeinsame Züge finden. Selbst miteinander konkurrierende Truppen ähnelten sich; da waren das unverkennbare, wandelbare Gesicht, die Stimme, die bis zu den entferntesten Rängen des Amphitheaters reichte, die anmutigen, fließenden Bewegungen, das prompte Gelächter und jener allen gemeinsame Anflug von Selbstüberhebung. Ich habe mir oft gedacht, wenn ich nicht als Königin geboren wäre, hätte ich diesen Beruf gewählt, obwohl ich keine Begabung dafür hatte, nur eine wohltönende Stimme, die fast so nuancenreich war wie die eines Schauspielers. Aber all diese Leute, selbst die ältesten und würdigsten, konnten tanzen und singen, Instrumente spielen, trommeln, Purzelbäume schlagen und Verse aus dem Stegreif machen. Ich entdeckte viel Bewundernswertes und noch mehr Vergnügliches an ihnen; sie verwandelten meinen Palast in einen Jahrmarkt; wir langweilten uns nie in der Zeit, die sie bei uns waren. Was nun das Spionieren betraf, so war es natürlich schlau von 224
Marcus, sie dafür einzusetzen. Sie waren ständig unterwegs, zogen von Stadt zu Stadt und von Hof zu Hof, gaben Vorstellungen an sämtlichen Festtagen; damals gerieten sie auch nie in Verdacht, denn daß sie spionierten, traute ihnen keiner zu. Später änderte sich das, und sie wurden allerorten sorgfältig nach versteckten Sendschreiben durchsucht. Das nützte nicht viel, denn ihr Inneres konnte man nicht durchsuchen, und in ihr erstaunliches Gedächtnis konnte man nicht eindringen. Wie Kytheris es in ihrer unbekümmerten Art formulierte - es kam gelegen in einer mühseligen Spielzeit, als Nebenberuf gewissermaßen. Sie waren alle apolitisch und wären unter jeder Regierungsform glücklich gewesen, so brutal sie auch sein mochte, wenn sie nur eine Bühne zum Auftreten, einen Winkel zum Ausruhen und ein Stück Brot hatten. Ich erfuhr, daß sie inoffizielle Boten von Marcus waren, dem Schein nach geschickt, um uns zu unterhalten; die Bezahlung hatte unser gemeinsamer Freund bestritten, was mir ein Lächeln abnötigte; ich hätte mir zwanzig solche Truppen kaufen können! Der offizielle Bote war ein römischer Offizier namens Dellius; Kytheris flüsterte mir mit einem mutwilligen Lächeln zu, er sei ein Spion im Dienste Oktavians. »Im Gegensatz zu uns, liebe Herrin, die wir Spione im Dienste Antonius sind. Das ist ein feiner Unterschied ...« Es stellte sich heraus, daß dieser Dellius ein ziemlich erschrekkend effeminierter junger Mann mit schwarzen, schulterlangen Schmachtlocken und mit rotem Schmollmund war; Iras kicherte, und er warf ihr einen messerscharfen Blick zu; er war nicht das, was er zu sein schien. Gelangweilt übermittelte er mir einen Befehl von Oktavian, demzufolge ich in einer Hafenstadt mit dem Namen Tarsus mit Marcus Antonius zusammentreffen sollte, und zwar in spätestens drei Wochen, vom heutigen Tag an gerechnet. Hitzige Worte wollten mir über die Lippen, aber ich hielt mich zurück und hörte ihn bis zum Ende an, streckte dann höflich die Hand aus und sagte, ich wolle es mir überlegen. »Da gibts kein Überlegen, Herrin«, erwiderte er arrogant. »Das ist ein Befehl von Cäsar.« »Oh«, sagte ich und hob die Augenbrauen, »aus dem Grab?« Er blieb unbeeindruckt. »Von Augustus Cäsar«, antwortete er. So nannte er sich also! Ich lächelte innerlich bei dem Gedanken an den 225
schwächlichen Augustus, der Befehle ergehen ließ, neigte aber den Kopf, als hätte ich mich gefügt; schließlich hatte Marcus mit diesem »Befehl« zu tun; am besten fand man erst einmal heraus, was gemeint war. Sergius sprach unter vier Augen mit mir. »Marcus bittet dich dringend zu gehorchen, Herrin, selbst wenns dir gegen den Strich geht ... er hats auch getan. Einstweilen braucht ihr beide Oktavian - also«, und er blickte in die Runde, um sich zu vergewissern, daß niemand zuhörte. »Ich habe einen Brief bei mir, ganz geheim ...« Und er zog ihn aus dem Gewand mit dem Gebaren eines östlichen Magiers, der Blumen aus der Luft zaubert. Ich bedankte mich bei ihm und entschuldigte mich, um den Brief zu lesen. Darin stand, er habe es bei den anderen Triumvirn durchgesetzt, daß sie Ägypten nicht besetzen wollten, wie ursprünglich geplant (ich biß mir auf die Unterlippe bei dieser Stelle!). Es war ein Brief voller Artigkeiten und Unklarheiten, aber er schloß mit den Worten: »Vertrau mir, meine liebe kleine Griechin. Was mich betrifft, so sehne ich mich danach, Dich wiederzusehen. Bring Cäsarion mit ... Dein Marcus.« Die Worte waren schlicht, gewiß; warum hatte ich Herzklopfen? Nachdem ich mich bei dem Schauspieler bedankt hatte, drehte ich mich beiseite und hielt das Pergament über eine Kerzenflamme; ich konnte nichts Aufrührerisches in dem Brief entdecken, aber es ist immer besser, wenn man ganz sichergeht. Das Herzklopfen ließ nicht nach, und das Prickeln in meinen Adern hörte auch nicht auf. Man kann eine Seuche und eine Hungersnot nicht gerade als Routineereignisse bezeichnen, aber irgendwie hatte ich mich hier in Alexandria draußen gefühlt; ich bin eine Frau, die gefordert werden will, und ich hatte mich gelangweilt, so seltsam es auch klingen mag. Erregendes stand bevor, und ich sehnte mich danach; wenn ich nicht die Klugheit einer Königin besessen hätte, wäre ich gleich am nächsten Tag nach Tarsus aufgebrochen. Und so ging ich umher, als hätte ich Fieber, legte von Zeit zu Zeit die Hände an mein erhitztes Gesicht und lächelte still vor mich hin. Als ich einmal eines sinnlosen Gangs wegen, den man besser einem Sklaven überlassen hätte, durch die Flure eilte, stieß ich plötzlich auf meinen kleinen Cäsarion. Er musterte mich und kniff die dunklen, julischen Augen zusammen. 226
»Was ist?« fragte ich und faßte ihm unters Kinn. »Warum schaust du so, Liebling?« »Du siehst aus wie die Statue von dir, Mama ... die im Tempel in Rom.« Ich langte nach dem Zinnspiegel, den er jetzt wie ein kostbares Medaillon um den Hals trug, und blickte hinein. Meine Wangen waren von vulgärem römischem Rot, grell wie ein Feuer, und meine Augen glichen den protzigen Smaragden, die ich nicht ausstehen konnte. »Schöne Mama«, sagte er. Ich hätte ihn schlagen mögen; er hörte sich an wie sein Vater, wenn er sich über mich lustig machte.
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6 Der Gesandte Dellius stand vor meinem Thron, zwei Stufen unterhalb davon. Ich hatte solche augenfälligen kleinen Tricks immer verschmäht und mich lieber auf meine natürliche Würde und Königlichkeit verlassen. Hippias, der Komödiant, hatte mich zu dieser Pose überredet. »Herrin«, sagte er, »man muß von den Werten der Leute ausgehen ... dieser Dellius ist nicht eben subtil und leicht durch eine Machtdemonstration zu beeindrucken. Wie viele andere auch ...« Und er warf mir einen seltsamen kurzen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. »Es schickt sich nicht, wenn man mit solchen Männern vertraulich ist - oder sollen wir sagen, wenn man für sie zugänglich ist?« Und er rieb sich das Kinn wie auf der Bühne und dachte nach. »Er ist groß ... sei größer. Er ist arrogant ... laß ihn warten.« Ich muß gestehen, daß es mir einigen Spaß machte. Ich hörte auch bei anderen Dingen auf den Rat des Schauspielers, denn ich sah, 228
daß er klug war. Ich weigerte mich - aufs allerhöflichste natürlich , mich an den Termin zu halten, den man mir für Tarsus gesetzt hatte. »Ich kann es unmöglich einrichten«, sagte ich. »Es stehen hier die nächsten Gerichtstage bevor, bei denen ich den Vorsitz führen und Urteile sprechen muß. Das ist so Brauch.« Ägyptisches Brauchtum diente mir immer wieder als Vorwand; es war Brauch, bei Mondschein zu speisen, ob dem Römer der Magen knurrte oder nicht; es war Brauch, alle Fenster zu öffnen, wenn es regnete, mochte der Römer auch noch so niesen; dies war Brauch und jenes war Brauch - und so weiter. Schließlich ersuchte Dellius selbst darum, zu seinem Herrn zurückkehren zu dürfen; ich fragte mich, zu welchem, zu Antonius oder zu Oktavian, denn man hatte mich darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Mann zwei Herren diente, vor allem aber, wie es bei solchen Leuten immer der Fall ist, sich selbst. Ich sah ihn gerne gehen, obwohl ich Bedenken hatte, Marcus könnte an diesem Hingehaltenwerden Anstoß nehmen. »Taktik«, sagte Hippias, legte den Finger an die Nase und zwinkerte mir zu, »Taktik.« Und er seufzte. »Es ist großartig, daran teilzuhaben, wenn auch nur mittelbar ... Schauspieler müssen immer pünktlich sein. Und leider sind sie den Launen aller ausgesetzt - selbst denen von Freudenmädchen und Freigelassenen - denn auch sie gehören zum Publikum.« Und er seufzte wieder und blickte schwermütig drein. Aber ich sah, daß er Freude hatte an seinem Beruf und daß die Seufzer nur Schein waren. Diese Schauspieler hatten sich mir und meiner engeren Umgebung sehr angeschlossen, wies diese Leute immer tun, wenn man ihnen schmeichelhafte Aufmerksamkeiten entgegenbringt. Es ist empörend, welche Freiheiten sie sich herausnehmen, aber sollen sie, und das auch noch gerne, denn sie schenken einem viel Freude. Überdies sind sie geschickt und schlau und merken manches, was anderen entgeht. Ich war stolz darauf, daß ich den Chiton auf drei Arten drapieren konnte, eine so reizvoll und anmutig wie die andere; Kytheris dagegen kannte ein Dutzend Arten, brauchte weniger Zeit dazu und konnte mit ein paar Bürstenstrichen eine Frisur kreieren. Auch die Männer beherrschten ausnahmslos alle weiblichen Künste, nähten säuberlich und flink und machten ganz schnell einen besseren Salat an als ich. »Ach, Herrin -«, sagte Sergius und 229
rollte dramatisch die großen Augen, »wir haben nicht immer soviel Glück ... uns stehen nicht immer Palastköche zur Verfügung!« Und ich nickte, denn ich hatte eine Nacht lang Kytheris zugehört, Geschichten von heiter erlittenen Mühsalen und durch Lachen vertriebenen Härten; Geschichten so leicht wie der Schaum auf dem Meer, aber darunter, unausgesprochen, das tiefe Dunkel. Sie wars auch, die den Kopf schüttelte, die Augen zusammenkniff und sagte: »Es kann doch nicht dein Ernst sein, bloß dreihundert Schiffe mitzunehmen!?« Und ich hatte gedacht, das sei pompös genug! »Hör zu, liebe Herrin«, sagte sie. »Du hast Marcus Antonius nicht mehr gesehen, seit er zu Macht gekommen ist. Kein Herrscher, auch kein Pharao, hat seine Vorliebe für das Übermaß, seine verschwenderische Hand ... Im Osten, in den griechischen Ländern, wird er als Gott verehrt, als Inkarnation des Dionysos. Und wie diese Rolle zu ihm paßt! Man muß ihn einfach bewundern! Schon vor langer Zeit -« Und sie unterbrach sich und blickte mich von der Seite an. »Ja - vor langer Zeit - fahr fort«, hieß ich sie. »Ich kannte ihn ... vor langer Zeit«, schloß sie gelassen. »Aber so alt bist du doch gar nicht«, sagte ich und lachte leise. »O doch, Herrin!« Aber dann lachte sie auch und sagte: Freilich, ich war damals noch keine Frau ... aber ich spielte Frauenrollen, auf der Bühne und anderswo ...« Sie dachte eine kurze Weile angestrengt nach; diese Leute können wunderbar die Stimmungen des Lebens treffen, manchmal wirklich, manchmal vorgetäuscht. Ich ließ sie diese Pause einlegen, dann fragte ich freundlich: »Wie war er - Marcus?« »Schlimmer als jeder Schauspieler«, antwortete sie. »Denn er konnte sich mit nichts entschuldigen, es war die reine Launenhaftigkeit ... Er war wild und rücksichtslos und liebte es, die gesetzten Bürger von Rom zu schockieren. Ich erinnere mich daran, wie er mich einmal mitnahm in einem Streitwagen - er bezahlte mir natürlich was dafür -, der von zwei Löwen gezogen wurde ... ich hatte Angst, aber er nicht.« »Und was ist passiert?« fragte ich fasziniert. »Na ja, einer von den Löwen biß die Zügel durch und riß sich los - richtete ein paar Freigelassene übel zu ... Antonius wurde für sechs 230
Monate aus dem Senat ausgeschlossen. Ich kam mit einer Geldbuße davon ...« »Ich hoffe, er hat sie bezahlt«, sagte ich. »Seine Mutter.« Ich blickte sie prüfend an, aber ihr Gesicht war völlig ernst. »Du kanntest seine Mutter?« »Ja«, antwortete sie. »Das gehörte dazu, zum Anstoßerregen ... Er nahm mich zu einem Abendessen im Familienkreis mit, ein sehr feierlicher Anlaß, zum Gedächtnis an die Toten oder dergleichen. Ich war verlegen, aber er nicht ... und seine Mutter auch nicht. Er benahm sich entsetzlich, besoff sich und kotzte übers ganze Tischtuch. Ich weinte, weil mir die Nerven versagten und weil ich einen solchen Schreck bekommen hatte ... seine Mutter schickte mich in ihrer Sänfte nach Hause.« »Eine erstaunliche Frau«, sagte ich. »Durchaus ... Irgendwo hat er etwas von ihrer noblen Art.« Ich nickte. »Ja, das habe ich auch schon bemerkt.« Sie fuhr fort, mir von Marcus Heldentaten zu erzählen, von seinen Jugendstreichen. So hatte er etwa die Statuen auf dem Forum mit Schnurrbärten und Vollbärten angemalt, sich als Flötenspielerin verkleidet, laut an die Fenster von redlichen, schlafenden Bürgern geklopft, um dann wegzurennen, wenn sie erbost aufgewacht waren. Auch Fulvia hatte er zahllose Streiche gespielt; ich bildete mir ein, die Schauspielerin erzählte diese Geschichten mit etwas mehr Genuß. »Und du kennst Fulvia?« fragte ich. »Nicht doch«, sagte sie und wirkte ein wenig schockiert. »Ich habe sie natürlich gesehen, denn sie liebt das Theater ... sie ist eine ehrgeizige Frau ...« »Ich hätte sie nicht so genannt«, meinte ich. »Mir kam sie durch und durch frivol vor.« »Oh, dann weißt dus gar nicht ... sie hat mit Marcus Bruder Lucius angebandelt und eine Armee aufgestellt ... sie verfolgen Oktavians Truppen. Bis jetzt hat er sie bloß abgeschüttelt wie lästige Ameisen, aber -« »Sie könnte Marcus in Schwierigkeiten bringen«, sagte ich langsam. 231
»Hat sie bereits getan ... und sein Bruder auch. Aber er kann nichts machen. Fulvia hat ihren eigenen Willen. Und ihr eigenes Geld.« »Ich habe die römischen Frauen nie verstanden«, sagte ich. »Treue ist für sie ein Fremdwort ...« »Oh, Fulvia würde behaupten, daß sies für Marcus tut - um seine Sache zu fördern.« »Und deshalb schläft sie auch mit seinem Bruder?« »Wahrscheinlich.« Sie zuckte die Achseln und lachte. »Man muß sich über eins im klaren sein - diese Patrizierinnen haben von Kindheit an all ihren Lüsten gefrönt ... die Männer genauso. Und in Rom sind alle Ehen Vernunftehen.« »Das ist immer so ... höheren Orts«, sagte ich. »Ja ... und da haben wir Glück, wir landlosen Schauspieler. Niemand kümmert sich darum, was wir mit unserem Leben anfangen ...« Sie grinste. »Es ist komisch - meistens heiraten wir nur einmal und haben keine Geliebten, es sei denn, es handelt sich um eine wirkliche Leidenschaft.« Ich schaute sie an und schüttelte den Kopf. »Trotzdem - auch du hast um deines Vorteils willen geheiratet ... du hast einen Tragöden geheiratet und bekommst auf diese Weise die Rollen, die du dir ersehnst ...« Sie legte den Finger an die Lippen. »Pssst, Herrin. Das ist ein Gedanke, den ich nie laut werden lasse ... Dennoch - ich liebe Sergius.« »Ich habe Cäsar auch geliebt ...« »Wenn Herz und Verstand sich verbinden ... ah, das ist Glück!« Sie lächelte. »Wir sind beide glückliche Frauen.« »Ich wars«, sagte ich traurig. »Vielleicht wirst dus wieder.« Ich schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen zweiten Cäsar.« »Es gibt auch keinen zweiten Sergius. Doch falls er sterben sollte, würde ich mich unter den Tragöden umschauen ... ich gehe nicht zur Komödie zurück!« Ich war verblüfft, denn es schien mir eins zu sein, Komödie und Tragödie fast dasselbe - alles Schein. Doch ich sagte bereits, daß diese Leute ihre eigene Welt haben, die wir anderen nicht begreifen. Und ich merkte, daß sie aus tiefster Seele sprachen und respektierte das. Ebensowenig konnte ich römische Untertanin sein oder es zu232
lassen, daß mein Land römisch wurde. Wir waren uns sehr ähnlich; auch Königinnen haben ihre eigene Welt. Kytheris sagte plötzlich: »Marcus Antonius kann sich nicht entscheiden -« Und sie lachte trillernd und hell, es hörte sich an wie ein Vogelruf; ich hatte sie im Verdacht, daß sie ihr Spiel mit mir trieb. »Er weiß nicht, ob er Dionysos sein soll oder Herakles. Beides paßt zu ihm. Den einen Tag trägt er ein Leopardenfell und am nächsten Weinlaub ...« Ihre Augen hatten einen mutwilligen Ausdruck. »Öfter allerdings Weinlaub... besonders nach langen Tagesmärschen.« Ich spürte, wie Gelächter in mir aufstieg, verzog aber keine Miene. »Du bist respektlos.« »Na ja«, erwiderte sie, »er ist doch gar kein richtiger Gott ...« Leider nicht, dachte ich und fragte mich, wie oft er betrunken war, und erinnerte mich an meinen Vater. »Er kotzt nicht mehr«, sagte sie, als hätte ich laut gesprochen. Diesmal lachte ich, und sie lachte mit. Sie nahm meine Hand (diese Leute sind sehr ungezwungen). »Keine Bange, Herrin ... noch ist er kein Säufer ...« Meine Miene verfinsterte sich, und ich wehrte dem nicht. »Beten wir zu den Unsterblichen, daß ers nie wird. Denn es hängt so viel von ihm ab ...« »Dein Schicksal, Herrin«, sagte sie mitfühlend. Und jetzt steckten wir die Köpfe zusammen, denn ich merkte, daß sie mich verstand - und besser, als ich gedacht hatte. Warum sollte man sich die Talente dieser Leute nicht zunutze machen? Schließlich waren sie Meister in der Kunst der Illusion. Ich ließ sie gewissermaßen die Bühne einrichten, die Kostüme aussuchen und die Spielleitung für die schicksalhafte Begegnung in Tarsus übernehmen. Es war gewiß keine Illusion, daß ich wahrscheinlich die reichste unter den Monarchen der Welt war, und das auch noch nach einer schweren Hungersnot, doch wie gab man subtil zu verstehen, daß ich Rom nicht brauchte - daß hingegen Rom mich und das Meine dringend brauchte? Das war das Problem. Sie machten sich mit großer Begeisterung daran, blieben halbe Nächte auf, und ich mit ihnen, unermüdlich wie ein Kind mit seinem Lieblingsspielzeug. Das Lieblingsspielzeug war natürlich die Macht, und ich mußte es fertigbringen, alles zwischen Marcus und mir in der Schwebe zu 233
halten wie ein Jongleur seinen Ball, und das, ohne daß er irgend etwas ahnte. Bewegt sagte Sergius mit seiner klangvollen Stimme: »Sechshundert Schiffe, Herrin, würde ich meinen, und sechstausend Söldner, alle in Purpur ...« »Nicht in Purpur«, erwiderte ich. »Er ist außer Mode, selbst auf der Bühne.« »Rot jedenfalls!« sagte er dröhnend. »Die Farbe des Feuers!« »Und alle Hofdamen - als Meernymphen in Hellgrün ...« Hippias hatte den Finger an die Nase gelegt; er dachte nach. »Und du, Herrin, als Thetis ...« »O nein!« rief Kytheris und sprang auf. »Sie muß natürlich Aphrodite sein! Sie ist Aphrodite - oder Isis oder was auch immer - ja, Aphrodite auf einer großen Muschel, in Gewändern so hauchdünn wie Schaum -« »Und mit sämtlichen Kronjuwelen«, sagte Hippias, »um das Glitzern der Wellen nachzuahmen -« »Nicht mit den ganzen -«, begann ich, aber niemand hörte mir zu. Sie saßen über einem Bogen Pergament und zeichneten blitzschnell Pläne drauf. Ich schaute Sergius über die Schulter, konnte aber nichts damit anfangen - das reinste Verwirrspiel wars, aber sie verstanden es alle und redeten alle durcheinander. Ich überließ sie ihrer Beschäftigung und ging, um kaltes Wasser zu holen und mir die Stirn damit zu netzen, denn mir war, als hätte ich Fieber. Als ich die Tür hinter mir schloß, hörte ich Kytheris sagen: »Cäsarion muß als Erosknabe gehen ...« Ich lächelte in mich hinein und fragte mich, ob ich ihn wohl unter Drogen würde setzen müssen. Er war jetzt fast zehn Jahre alt und fühlte sich als Mann.
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7 Tarsus liegt in Cilicien, an den Ufern des Flusses Kydnus; hinter der Stadt erheben sich hohe, bewaldete Berge, die gegen den Himmel stehen wie Titanen. Wo die eigentliche Stadt liegt, weitet sich der Fluß zu einer großen Bucht; sie war freilich nicht groß genug für meine sechshundert Schiffe, aber für die Hälfte langte sie, wenn sich die dümpelnden Schiffe auch leise berührten. Der Rest meiner Flotte dehnte sich dahinter bis ins offene Meer hinaus; vom Ufer aus muß es gewirkt haben, als nähme es gar kein Ende - ein Schwarm von unglaublichen Seevögeln mit rot und golden gestreiften Flügeln. Ich schickte ein paar Geleitschiffe voraus und blieb mit meinem, dem größten, an der Einfahrt zur Bucht, denn ich wollte nicht gesehen werden, bevor ich bereit war. Die Ufer waren von Zuschauern gesäumt, zehn oder mehr Reihen hintereinander, aus der Ferne schwarz wie Fliegen; Tarsus hatte mehr Einwohner, als ich gedacht hatte; die Tempel und Häuser schmiegten sich in einem weiten Halb235
kreis der Biegung des Flusses an; die Dächer hatten etwas östliches, wie es heutzutage in vielen griechischen Städten der Fall ist - zwiebelförmige Kuppeln und steinernes Stabwerk oberhalb der Mauern. Es war heiß und ziemlich windstill; wir mußten mit Ruderkraft in den Fluß einfahren. Ich beschloß, unter einem Baldachin zu ruhen, bis die Sonne unterging; außerdem gehörte das Wartenlassen zu meiner Strategie. Und natürlich, so dachte ich sarkastisch, geziemt es sich nicht für Aphrodite, zu schwitzen! Ich legte mich zurück, sank bis zum Kinn in meinem Bad aus Mandelmilch und Rosenwasser ein; die Oberfläche stockte etwas, und ich bildete mir ein, die Ingredienzien seien in der Hitze verdorben; aber egal, es war ein altehrwürdiges Hausmittel und kostete gar nichts, verglichen mit dem, was ich für den Rest ausgab. In dem kleinen Leinenzelt, das mich vor der Außenwelt abschirmte, fühlte ich mich losgelöst von Zeit und Raum; von weit her hörte ich die dünnen, jammervollen Töne von Blasinstrumenten, ein Motiv, das wiederholt und wiederholt und wiederholt wurde - zum Aus-derHaut-Fahren. Kytheris probte mit den Musikern, oder vielleicht wars Hippias. Irgendwo unter mir, im Laderaum, brüllte ein Tier - ein Leopard, ein Löwe? Jedenfalls ein ruheloses Geschöpf wie ich. Ich hörte einen leisen, kratzenden Laut an der Zeltleinwand, nah beim Eingang, dann eine Stimme: Iras. »Ja!« sagte ich. »Komm rein!« Sie hielt sich ein quadratisches Tuch aus Seide vor den Busen; ihre Augenlider sahen geschwollen aus. Man mußte sie aus einem Schläfchen gerissen haben, ihre Stimme klang heiser und undeutlich. »Eine Botschaft - von Marcus.« Sie kicherte. »Sie mußte auf dem Umweg über etwa hundert Schiffe durchgegeben werden ... er erwartet dich auf dem öffentlichen Richterstuhl ... es heißt, er säße schon seit einer Stunde dort!« »Bei dieser Hitze?« Ich begann auch zu kichern und stopfte mir den Waschlappen in den Mund, damit es wieder aufhörte. Ich blickte lächelnd zu ihr hoch. »Sag, daß die Königin in ihrem Bad sitzt.« »Das ist alles?« fragte sie verblüfft. Ich nickte. »Es wird noch einmal eine Stunde dauern, bis ihn deine Botschaft erreicht.« »Um so besser«, sagte ich und schloß die Augen. »Ihr Götter!« rief sie. »Er wird einen Hitzschlag bekommen!« 236
»Wenn er zu dumm ist, sich in den Schatten zu setzen - dann hats sowieso keinen Zweck, oder was meinst du ?« Sie zuckte die Achseln und ging. Ich hatte unbekümmerter geredet, als ich mich fühlte; womöglich ließ er mich für immer fallen; es war ein Glücksspiel. Kytheris hatte mir ihr Wort gegeben, daß solche Taktiken nie ihre Wirkung auf den Mann Marcus verfehlten. Bis jetzt hatte ich ihn nur als Cäsars Freund gekannt. Ich stieg aus dem Zuber, rief nicht nach einer Sklavin, sondern ließ mich von der Luft trocknen; es wirkte kühlend, welche Überraschung; ich würde ein bißchen Wein trinken und vielleicht schlafen. Egal, in welchem Zustand sich meine Nerven befanden - die Reise war ermüdend gewesen. Ich nickte tatsächlich ein; ich hielt es für ein gutes Zeichen. Und dann ein noch besseres Zeichen: eine weitere Botschaft von Marcus. Diesmal wars ein Brief, von ihm selbst geschrieben, sehr höflich und alles bedenkend. Er sagte, in seiner Gesellschaft befänden sich viele römische Gesandte und ortsansässige Patrizier, und er wäre mir sehr verbunden, wenn ich mit ihm im Konsulatsgebäude, seinem Hauptquartier, speisen wollte. Ich antwortete ihm, er müsse mir die Ehre erweisen, hier an Bord meines Schiffes zu speisen; ich fügte hinzu, er möge all seine verehrten Gäste mitbringen. »Ich werde bis an den Kai heranfahren«, schrieb ich. »Du wirst keinerlei Umstände haben.« Denn es war alles geplant und auf dem Nil geprobt worden: das lange und langsame Heranfahren an der sich drängelnden Menge vorbei, die prächtige Umrahmung, die Musik, der ehrfurchtgebietende Pomp ... und ich war die Herrin über das alles. Die Praxis weicht immer von der Theorie ab. Ich merkte an den »Ahs« und »Ohs« und an den ehrfürchtigen Gesichtern der Menge, daß das Schauspiel, das wir darboten, wunderbar und schön anzusehen war; aber die große Muschel, auf der ich träge lag, schnitt mir an den empfindlichsten Stellen ins Fleisch, und vom Weihrauch, der einen Haufen Geld gekostet hatte, bekam ich eine verstopfte Nase, und in den Ohren gellte mir unangenehm, weil zu nahe, der dünne Klang der Blasinstrumente. Ich war schön, es ging gar nicht anders; man hatte einen ganzen Nachmittag ans Schminken und Pudern verwendet; kein Zentimeter meines Körpers war von der 237
Zauberkraft der Kosmetik der Schauspieler unberührt geblieben. Aber trotzdem spürte ich, wie sich eine kleine, glatte Haarsträhne aus dem mit Goldfäden umwirkten, kunstvollen griechischen Knoten löste und mir den Nacken hinunterglitt. Eine Stunde und nicht weniger hatte man Erörterungen darüber angestellt, ob ich nicht eine Perücke tragen sollte; vielleicht wäre es in Anbetracht der Hitze und der Tatsache, daß mein Haar so fein ist und ganz gerade herunterfällt, klüger gewesen. Kytheris, als Halbgöttin gewandet, beugte sich über mich, hielt ihren Fächer aus Straußenfedern vor mich hin und steckte die Strähne fest. Sie stach mir mit der Nadel in die Kopfhaut, aber egal; als ich aus den Augenwinkeln nach dem Ufer schielte, sah ich, daß die Menge sich teilte. Da kam wohl Marcus, doch ich mußte meiner Rolle als Aphrodite gerecht werden und durfte nicht hinstarren. Hinter mir kicherte Iras ungehemmt; ich fragte mich, warum. Ich war gut unterwiesen worden; ich sollte nicht unbeweglich und statuenhaft daliegen, sondern eine Aphrodite verkörpern, die ganz absichtslos war, sich der Macht ihres verführerischen Liebreizes gewiß, unerreichbar für den Beschauer und doch ihm nah. Es war mir gestattet, mich ein wenig auf anmutige, gemessene Weise zu regen, lässig die Hand zu heben, um mir über die Augenbraue zu streichen oder ein leises Gähnen zu unterdrücken. Und ich konnte ganz zierlich die Haltung verändern, damit man das rosige Fleisch unter dem durchsichtigen Stoff sah, der mich umhüllte. Doch wie eine echte Schauspielerin durfte ich mein Publikum nicht betrachten; ich richtete meine ungeübten Augen starr geradeaus, denn ich beherrschte diese Kunst nicht. Am Rand meines Gesichtskreises konnte ich die sorgsam ausgewählten, schlanken und anmutigen, goldhaarigen Mädchen sehen, meine Nymphen; direkt vor mir stand Cäsarion, kerzengerade und mit einer leichten Rüstung angetan. Ich dachte daran, wie besorgniserregend er sich verhalten hatte, als man ihn bat, er möge sich als Erosknabe verkleiden, als der kleine Gott der Liebe; er war in meinem Zimmer zu Boden gestürzt, hatte einen Anfall bekommen, mit den Fäusten getrommelt und den Kopf gegen die Fliesen geschlagen. Ich fragte mich kurz und entsetzt, ob er auch in diesem Punkt nach seinem Vater geraten sei, bis ich seine Augen sah; er hatte sie zugedrückt und öffnete sie nur ganz rasch 238
für einen kurzen, spähenden Blick - sie waren stechend und kühl. Aber trotzdem war es eine zu gute Imitation, und mir wurde schaudernd klar, daß er Cäsar einmal so erlebt haben mußte. Er würde also nicht Eros sein und auch nicht Hermes, sondern Ares, der Gott des Krieges; es wäre lustig gewesen, wenn es nicht zum Verzweifeln gewesen wäre, denn natürlich ist Ares kein Bürschchen, sondern ein kräftiger, muskulöser Mann. Aber er bekam seinen Willen wie immer; ich seufzte wie immer, denn er ist gräßlich verzogen. Doch ich erkannte auch, daß seine Unartigkeit uns zumindest diesmal gut zustatten kommen würde, die Rüstung und die Waffen betonten nämlich noch seine große Ähnlichkeit mit Cäsar. Er hatte Marcus lange nicht mehr gesehen - am Zeitbegriff eines Kindes gemessen; würde er sich an ihn erinnern können? Würde er sich anständig benehmen? Ich hatte noch Zeit, um ein kleines Gebet an die wirkliche Aphrodite zu richten, bevor ich merkte, daß das Schiff anlegte. Wir waren da! Ich hörte das Knarren der Winden, das Trampeln von Füßen, das Scharren des Schiffs am Kai; wir wurden vertäut. Jetzt ertönte eine andere Musik, schmetternde Trompeten, ein Paar für den großen Antonius. Das Schiff tauchte ein wenig tiefer ins Wasser ein, als er mit seinem Gefolge an Bord kam. Ich erhob die Augen und streckte die Hand aus.
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8 Ich merkte gleich, warum Iras gekichert hatte. Marcus hatte sich nicht entscheiden können, welcher Gott er sein sollte. Sein von Natur aus krauses Haar war in Locken gelegt worden, in die traditionellen, enganliegenden Locken des Dionysos; dazu trug er einen Kranz aus Weinlaub, das in der Hitze ein wenig angewelkt war, und seine vollen Lippen waren rot geschminkt, rot wie vom Saft der Reben; doch als Umhang trug er ein Leopardenfell, das Symbol des Herakles, und die Spange, die es festhielt, hatte die Form zweier Schlangenköpfe. Trotzdem sah er großartig aus, ganz wie ein Gott, wie irgendein Gott; ich hatte ihn früher immer nur äußerst lässig gekleidet gesehen und gedacht, er lege recht wenig Wert auf seine äußere Erscheinung. Er küßte mir die Hand und fiel dabei aufs Knie; ich war etwas verblüfft, denn das war in Rom nicht der Brauch; natürlich war er im Osten herumgekommen. 240
»Du siehst so anders aus«, sagte er. »So schön.« Wie hatte ich sonst ausgesehen? Ich sagte nichts. »Du könntest die fleischgewordene Aphrodite sein«, fuhr er fort. Ich hatte das Gefühl, ich müßte ihm den Kopf tätscheln wie einem Kind, das das Alphabet begriffen hat! Ich schlug die Augen nieder und ließ die Wimpern flattern, die ich in schwarzes Wachs getaucht hatte, damit sie ganz lang wirkten. Kytheris hatte mich diesen Trick gelehrt; ich hätte nicht gedacht, daß er bei ihm verfangen würde. Aber Marcus Antonius lief dunkelrot an, und ich spürte, daß seine Hand - er hielt noch die meine - richtig zitterte; so einfach war das also! Cäsar hätte natürlich gelacht. Ich entzog ihm freundlich meine Hand, bevor ich zu schwitzen begann. »Darf ich dein Kompliment erwidern?« fragte ich. »Du siehst auch aus wie ein Gott ... nur« - ich konnte es mir nicht verkneifen - »nur komme ich nicht darauf, wie welcher ...« »Ich weiß«, sagte er mit einem drolligen kleinen Grinsen. »Ich kann mich nicht entscheiden. Die einen sagen, Dionysos, die andern, Herakles ... ich habe einen Kompromiß gemacht.« All meine dunklen Zweifel verflogen; ich warf den Kopf zurück und lachte schallend, und er lachte mit. »Ich kanns dir ja sagen, Kleopatra ... ich würde gern das Kostüm mit dir tauschen. Dieses Ding da -« Und er fuhr sich mit dem Finger um den Halsausschnitt des Umhangs aus Leopardenfell und schüttelte den Kopf. »Dieses Ding ist gut warm ...« »Und das ist gewiß noch untertrieben.« Ich lächelte und vergaß dabei, Grübchen zu machen. »Legs bitte ruhig ab.« Ich ließ kurz den Blick über ihn hingehen. »Außerdem glaube ich, daß mir Dionysos lieber ist. Und es gibt gut gekühlten Wein für diesen Gott, einen alten Tropfen aus Kreta.« »Mein Lieblingswein«, sagte er, legte dankbar den Umhang ab und reichte ihn einem Sklaven. Ich erhob mich von meiner Muschel, und ich erhob mich anmutig, denn ich hatte es lange geübt. »Sollen wir unter Deck gehen?« fragte ich. »Bis die Sonne untergeht, ist es dort kühler.« Ich legte meine Hand auf seinen Arm und blickte zu ihm auf, sah ihm in die Augen. »Du bist so groß«, sagte ich. »Jedenfalls größer, als ich dich 241
in Erinnerung habe.« Kleine Lichtpunkte tanzten in seinen Augen. »Ein Schauspielertrick«, erwiderte er. »Meine Sandalen.« Ich schaute nach unten; er hatte Schuhe mit hohen Sohlen an wie die Tragöden, über fünfzehn Zentimeter dick. »Man möchte es nicht glauben«, sagte er, »aber man kann eine Menge von diesen Bühnenmenschen lernen.« Ich blickte rasch auf; ich befürchtete, er wolle sich über mich lustig machen. Aber nein, sein Gesicht war ernst; also hatte er das theatralische Flair, das ihn überall umgab, gar nicht bemerkt. Ich verzog keine Miene und blickte mit runden Augen zu ihm auf. »Wie klug von dir, Marcus.« Der Anblick, der sich unter Deck bot, war wirklich prachtvoller als alles, was es in meinem Palast in Alexandria zu sehen gab, zumindest, wenn man nicht zu genau hinschaute; ein Schiff kann schließlich nicht unbegrenzt viel transportieren. Für meinen Geschmack war das Ganze bei weitem zu protzig, aber ich hatte eine Ahnung, hatte sie von Anfang an gehabt, daß meine Schauspielerfreunde recht hatten und daß Marcus es nicht so empfinden würde. Er war bei sämtlichen Potentaten des stark östlich beeinflußten Griechenlands zu Gast gewesen, die zum größten Teil gar keine Griechen sind, kein Maß und Ziel kennen und leben, um anzugeben; wenigstens war mein Geschmack einwandfrei und aller Luxus, den ich trieb, exquisit. Ich hörte, wie er die Luft anhielt, als ers sah, und atmete erleichtert auf. »Gefällt es dir?« fragte ich. »Und ob! Aber du mußt Ägypten an den Bettelstab gebracht haben!« Ich machte wieder runde Augen. »Das ist nur mein altes, einfaches Tafelgeschirr - zweite Wahl ... und ein paar geflickte Wandbehänge, aber für ein Schiff reichts wohl.« Das Speisezimmer war groß, die Decke mit Elfenbein eingelegt und mit goldgetriebenen Göttergestalten; der Boden bestand aus östlichen Mosaiken mit kleinen, komplizierten Mustern. An den Wänden hingen unbezahlbare Stickereien mit Abbildungen der grandiosen Szenen aus Griechenlands ruhmreicher Vergangenheit, alles farbenprächtig und von zehntausend parfümierten Kerzen erhellt. Zwölf Liegen für jeweils drei Leute standen da (ich hatte schon 242
im voraus die Zahl der Gäste in Erfahrung bringen lassen), Liegen aus Elfenbein und Gold mit Seidenkissen aus dem Fernen Osten nur unsere ägyptischen Kaufherren reisen dorthin. Vor jeder Liege ein Tisch mit einem »einfachen Tafelgeschirr«, goldene Teller mit einer Unzahl von Smaragden und Rubinen; ein wirklich einfaches Tafelgeschirr ist natürlich praktischer, aber seis drum! Die Messer waren aus Obsidian und Alabaster, ihre Klingen aus dem kostbaren Zinn, rasiermesserscharf; ich hoffte, daß niemand betrunken und streitsüchtig werden würde! »Ich schwörs dir, Kleopatra«, rief Marcus, »noch nie habe ich eine solche Pracht gesehen ... da kannst du sagen, was du willst!« Noch rundere Augen konnte ich nicht machen; ich zuckte bloß die Achseln und meinte: »Wenns dir gefällt, mein Lieber - dann gehört es dir!« Nun war es an ihm, runde Augen zu machen. »Das kann doch nicht dein Ernst sein!« »Aber natürlich! Unbedingt! Erst essen wir natürlich. Danach, wenn alles poliert und in Ordnung gebracht ist, schicke ichs dir in dein Quartier. Laß deine Sklaven eine Inventarliste davon anfertigen - wenn du magst ...« »Oh, das wird nicht nötig sein«, sagte er mit geistesabwesendem Ausdruck. Ich glaube, er zählte das Ganze zusammen; ich hatte soeben zehntausend Pfund, gerechnet in Silbermünzen, verschenkt! Ich wandte mich ab und wischte rasch mit dem Finger eine kleine Spur Feuchtigkeit von der Oberlippe; ich würde mich daran gewöhnen müssen; ich gemahnte mich daran, daß viel auf dem Spiel stand. Mit dem Essen ging es gut, besser, als ich es erwartet hatte; mir ist immer etwas unbehaglich, wenn Römer bei einem Festmahl dabei sind. Aber es war kein Säufer, kein Vielfraß und kein Prahlhans unter ihnen - vielleicht waren sie auch nur von Ehrfurcht ergriffen. Sie wurden königlich bewirtet, obwohl niemand zugegen war, der wirklich bedeutend gewesen wäre; ich hatte beschlossen, den Komödianten Hippias zu bitten, sich zu Marcus und mir auf die königliche Liege zu setzen. Das war ein kluger Schachzug, denn er war ein alter Freund von Marcus und entzückte ihn, den die Würdenträger dieser Provinz vermutlich ebenso langweilten wie die bis zum Über243
druß vertrauten Gesichter seiner römischen Kameraden. Cäsarion benahm sich zu meiner Erleichterung ganz erwachsen, war höflich und konnte sich noch sehr gut an Marcus erinnern; ich rief mir ins Gedächtnis zurück, daß ich früher auch nicht anders war; wenn wir älter sind, vergessen wir so oft unser kindliches Selbst, das wesentlich weniger kindlich ist, als unsere Eltern meinen. Er war ernst, ruhig und würdevoll, auch als er Marcus aufforderte, er solle raten, welchen Gott er darstellte. Marcus erwiderte mit unbewegtem Gesicht: »Den Ares natürlich ... das sieht doch ein Blinder. Was für ein Gott sollte Cäsars Sohn sonst sein?« Cäsarion warf mir einen Blick zu, als wollte er sagen: »Hab ichs dir nicht gleich gesagt?«, und lächelte Cäsars dünnes, kühles Lächeln. Er stellte ein paar wißbegierige Fragen zur Schlacht von Philippi; schließlich war er ein Junge wie jeder andere. Doch dann fiel ihm ein, Marcus dafür zu danken, daß er seinen Vater gerächt hatte, und man sah mit einem Mal den Prinzen. Er blieb bis zum ersten Trinkspruch, netzte sich die Lippen mit dem Wein, entschuldigte sich und verließ uns; es war fast zu schön, um wahr zu sein. »Wohin geht er?« fragte Marcus. »Oh -«, lachte Hippias respektlos, »er muß mit dem Gesinde essen!« Ich lächelte. »Das ist ihm lieber.« »Wars mir auch - als Junge«, meinte Marcus. Er blickte einen Augenblick nachdenklich drein - selten bei ihm - und sagte langsam: »Ich habe einen Sohn in seinem Alter ...« Ich war verblüfft, denn ich hatte noch nie etwas von diesem Jungen gehört. »Ist er bei seiner Mutter ...?« Er lachte. »Bei Fulvia? Nein - Fulvia hat zuviel anderes zu tun ... sie hatte immer zuviel anderes zu tun. Er lebt bei meiner Mutter in Verona.« »Aber das ist ja in Gallien!« rief ich. Er lächelte. »Es ist inzwischen eine sehr römische Stadt. Häuslich geradezu ... wir unterhalten kaum noch eine Garnison dort.« Er langte nach seinem Weinglas. »Ich habe ihn über ein Jahr nicht gesehen - Antyllus.« »Antyllus ... ein hübscher Name. Vielleicht kann er eines Tages 244
Cäsarion besuchen.« »Gern«, sagte er und schaute mich über den Rand seines Glases hinweg an; ich sah, daß seine Augen nicht braun waren, wie ich gedacht hatte, sondern von dunkler Bernsteinfarbe, mit Gold gesprenkelt - Löwenaugen. Hatte ich ihn zuvor denn nie richtig betrachtet? Ich redete nicht mehr von Familie und Zuhause, denn ich glaubte, das machte ihn traurig; ich wechselte das Thema und klatschte leise in die Hände - die Musik sollte anfangen. »Ich habe keine Flöten dabei, wie du siehst -« Ich blickte ihn an, kniff die Augen zusammen und wartete. Für eine Sekunde blieb sein Gesicht ausdruckslos. Dann sagte er: »Ich dachte, du hättest unsere erste Begegnung vergessen ... damals, vor vielen Jahren in Alexandria.« »Ich habe nichts vergessen«, erwiderte ich. Sein Blick ruhte kurz auf mir, der Bernstein starr wie Glas; ich vermutete, daß er sich fragte, was er sagen sollte. Dann sah er zu Boden, räusperte sich und meinte: »Na ja ... Auletes war ein guter Flötist, das muß man ihm lassen.« »Das war aber auch das einzige«, sagte ich. Ich war immer brutal, wenn es um meinen Vater ging; eine traurige Schwäche und auf traurige Weise menschlich. »Nun«, sagte er, »er hat sich sein Leben auch nicht ausgesucht, vergiß das nicht. Und nicht alle Herrscher kommen mit der Begabung zum Herrschen auf die Welt ... Es sind nicht alle wie du, Kleopatra.« Ich spürte, wie bei seinen Worten Triumph in mir aufstieg wie Gelächter; ich hätte es dabei bewenden lassen sollen, aber ich war gierig und wollte mehr - wie irgendein dummes Frauenzimmer. Ich sagte ein wenig scharf: »Ich hoffe, du hast seit damals deine Meinung über mich geändert.« Er blickte überrascht drein. »Ich habe dich immer reizend gefunden«, sagte er. »Du warst reizend ... so klein und so jung ...« »Du hast gesagt, ich sei dürr und kalt.« »Niemals! Wofür hältst du mich? Ich war schließlich zu Gast in eurem Haus!« »Du hast nicht gemerkt, daß ichs verstanden habe ... du hast Sol245
datensprache geredet. Ich war wütend.« »Das würde mich nicht wundern - wenn ichs gesagt hätte. Aber ich habs nicht gesagt.« Ich zuckte die Achseln. »Ist ja egal«, meinte ich. »Vergessen wirs.« Ich nehme an, das hätte er auch liebend gern getan, aber ich - wieder wie irgendein dummes Frauenzimmer - ließ ihn nicht dazu kommen. »Du hast damals meine Schwester vorgezogen«, sagte ich plötzlich. Er antwortete nicht, aber seine Augen verengten sich. »Da wir gerade von deiner Schwester reden -«, begann er, hielt inne und blickte mich durchdringend an. »Es ist mir zu Ohren gekommen ... paß mal auf, Kleopatra«, sagte er und stellte sein Glas auf den Tisch, »hast du da mit ihr gemeinsame Sache gemacht? Ehrlich - sags ehrlich. Antworte mir nicht als Frau ... und auch nicht als Königin, sondern ganz aufrichtig von Mensch zu Mensch.« Ich merkte, daß er viel entschlossener war, als ich gedacht hatte; zum ersten Mal sah ich den Feldherrn; ich war froh darüber und nickte. »Du meinst die Geschichte mit Zypern ... ? Nein. Ich gebe dir mein Wort. Nein. Das waren Arsinoë und Serapion.« »Wer ist Serapion?« Seine Frage war scharf, eine Messerspitze an meiner Kehle. Es gefiel mir; seit Cäsars Tod hatte ich dergleichen alleine besorgen müssen. »Serapion kommt von meinem Hof. Ein harmloser Mann - bis er ihr begegnete.« »Er wird ebenfalls sterben müssen.« Ich fühlte, wie mein Gesicht erstarrte, sagte aber nur: »Ich weiß.« »Reden wir nicht mehr davon«, meinte er nach einer kleinen Weile. »Ich vertraue dir. Aber in Rom heißt es - und bei den Legionen auch -, daß du Schiffe und Männer geschickt hast, um Cassius zu unterstützen.« »Cäsars Mörder? Du müßtest eigentlich wissen, daß ich das nie tun würde!« »Ich habs auch nicht geglaubt. Ich habe bereits Maßnahmen getroffen, um dieses Gerücht ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Man wird sie ergreifen und sie hierherbringen - nach Tarsus. Aber 246
du mußt den Befehl zur Hinrichtung geben. Ich nehms nicht noch einmal auf meine Kappe - wie damals bei Berenice.« Er blickte mich eindringlich an, dann lächelte er. »Du hast eine lästige Familie, Kleopatra.« Ich sagte einen Moment lang nichts. »Ich weiß ... es ist meine Pflicht. Ich weiß. Aber ich kann mir nicht helfen - ich glaube, daß ich genauso gehandelt hätte, wenn ich an Arsinoës Stelle gewesen wäre.« »Solche Anwandlungen kannst du dir nicht erlauben. Du bist eine Königin.« Das Essen war ein Erfolg. Hippias war in komödiantischer Hochform und brachte Marcus zum Lachen. Das Essen war hervorragend, fein gewürzt, vollendet zubereitet und genau zu dem Zeitpunkt aufgetragen, als es den größten Wohlgeschmack hatte. Aber ich brachte nichts hinunter. Ich mußte an Arsinoë denken. Ich schob bloß das Fleisch auf dem Teller hin und her und zerkrümelte mein Brot. Und wider besseres Wissen trank ich ein zusätzliches Glas Wein. Als wir nach Beendigung des langen Mahles wieder an Deck kamen, standen die Sterne am Himmel, und in größerer Nähe hingen noch größere Sterne; meine Entwerfer hatten gute Arbeit geleistet. Über uns wölbte sich ein Wald von verschlungenen Zweigen mit unzähligen brennenden Kerzen, ein verblüffender Anblick, bei dem man den Atem anhielt. Wir sanken auf die Kissen, um die unterhaltsamen Darbietungen zu betrachten. Marcus nahm neben mir Platz und schob die Hand unter meinen dünnen Chiton - durch den Schlitz an der Seite. Sie war heiß wie ein Feuerbrand auf meiner nachtkühlen Haut, aber ich rückte nicht von ihm ab. Vielleicht lags am zusätzlichen Wein.
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9 »Niemand nennt mich Marcus außer dir, Kleopatra«, sagte er, der sich nach römischer Manier hingerekelt hatte und sich auf einem Ellenbogen aufstützte. »Du kannst es nicht wissen, denn du bist ja eine Griechin, aber in Rom heißt jeder Junge Marcus mit Vornamen. Du rufst Marcus!, und jeder x-beliebige Kerl fühlt sich angesprochen ...« Es war mein dritter Bankettabend, und diesmal waren wir in seinen Räumlichkeiten im Konsulatsgebäude von Tarsus; es herrschte ein solcher Lärm, daß ich mein Ohr fast an seinen Mund legen mußte, um ihn zu verstehen. Er fuhr fort: »Cicero hieß Marcus und Brutus auch. Lepidus hört ebenfalls auf diesen Namen, und mögen die Götter wissen, wieviel Gallier und Spanier ihn übernommen haben.« »Du bist also nicht zufrieden mit deinem Namen?« fragte ich und ließ wieder die Wimpern flattern. »Für mich ist es nur deiner ...« 248
Er lächelte. »Doch, ich bin zufrieden. Ich mag meinen Namen. Mutter hat mich immer Marc genannt ... als ich noch klein war.« »Jetzt nicht mehr?« »Ich kann mich nicht erinnern. Ich sehe sie so selten.« »Wie kommts?« fragte ich. Er zuckte die Achseln, aber sein Gesicht trug einen grüblerischen Ausdruck. »Ach ... ich führe eben ein Soldatenleben. Und dann ist Mutter nie mit Fulvia ausgekommen. Und mit den anderen beiden auch nicht.« »Ich wußte gar nicht, daß du so oft verheiratet warst«, sagte ich, obwohl ich es mir natürlich hatte angelegen sein lassen, das in Erfahrung zu bringen. »Oh, ich erinnere mich kaum an sie, ich war noch so jung damals. Reine Vernunftehen, wirklich. Die erste war eine Witwe, doppelt so alt wie ich. Häßlich und eine Hexe ...« »Es gibt keine Hexen«, sagte ich lächelnd. »Sie hielt sich für eine. Sie dilettierte ein bißchen in Magie - so Krempel aus dem Osten, Levitation und all das, Kulte und Waschungen mit Blut ... deswegen konnte ich mich auch leicht von ihr scheiden lassen und bekam ihre Mitgift zugesprochen.« Ich sagte nichts, aber ich war entgeistert. Diese römischen Gesetze! »Ich habe sie sowieso nie besonders gemocht«, fuhr er fort. »Sie hat mich immer ausgelacht. Das war hart ... mit vierzehn Jahren.« Ich blickte zu ihm nieder und dachte: wie jung er aussieht, selbst jetzt noch, über die Dreißig hinaus; die vollen, aufgeworfenen Lippen mit einem Anflug von Unzufriedenheit, die Spur von Rundlichkeit ums Kinn, die üppigen, feuchten Locken, die ihm in die Stirn hingen. Ich fragte sanft: »Und die andere?« »Eine Cousine. Jung ... und lieb. Sie ist gestorben.« Er setzte sich auf und zog seine Toga zurecht; ich sah, daß sein Gesteht einen verschlossenen Ausdruck hatte. Er griff zum Wein, schenkte mir ein Glas ein und hielt es mir entgegen. »Es ist eine trockene Sache, die Geschichte meines Lebens anzuhören ...« »Überhaupt nicht«, antwortete ich und nahm das Glas. »Es bringt uns einander näher.« 249
»Jetzt bist du dran.« »Die Geschichte meines Lebens ist wie ein offenes Buch - mit einem Namen drin - Cäsar.« »Wirklich?« »Ich schwöre es.« Er faßte plötzlich nach meiner Hand mit dem Glas, und ich verschüttete versehentlich den Wein. »Oh, das tut mir leid«, sagte er. »Ich habe dein Kleid ruiniert.« »Macht nichts«, sagte ich und betupfte den Fleck mit einer Serviette. »Es schaut sowieso niemand her ...« Ich sprach die Wahrheit; die meisten Gäste, diejenigen, die weniger vertrugen, waren eingeschlafen, und die übrigen sahen nichts mehr vor lauter Wein. Noch nie, nicht einmal zu Zeiten meines Vaters, hatte ich ein so ungeheures Gezeche erlebt. Der Raum sah aus, als sei ein Wirbelsturm hindurchgefegt; zerbrochenes Geschirr lag auf dem Boden; Hunde beschnupperten die Brocken, die vom Tisch gefallen waren, und suchten nach Eßbarem; die Sklaven, die gerade abräumten, glitten in Weinlachen und Erbrochenem aus; die Kerzen in den goldenen Leuchtern tropften und rußten und machten die Luft noch schlechter. Es war schon spät; bald würde der Morgen grauen. Marcus muß das Ganze plötzlich mit meinen Augen gesehen haben; denn er schüttelte ein wenig den Kopf und sagte traurig: »Ich habe versucht, es dir an Pracht gleichzutun, Kleopatra. Aber ich habe nicht das Gespür dafür ...« »Es - es ist ein dionysisches Bankett«, meinte ich und versuchte, den Mund nicht zu verziehen. Er brach in schallendes Gelächter aus und schlug mir nach Soldatenart auf den Rücken - ich erstickte fast. »Du bist ein Prachtmensch, Kleopatra«, sagte er. »Die meisten Frauen wären böse.« »Ich bin nicht die meisten Frauen ... und außerdem war es eine neue Erfahrung.« Das war es tatsächlich. Ich erinnerte mich daran, wie Fulvia die Augen himmelwärts drehte und von den »Nächten meines Antonius« sprach, und hatte wieder Clodias lüsternes Gekicher im Ohr; wenn ich früher an diese Dinge gedacht hatte, war ich mir immer sicher gewesen, etwas versäumt zu haben. 250
»Worüber lächelst du?« fragte Marcus. »Ach ... nichts«, erwiderte ich. Ich hatte mich nicht von ihm einladen lassen wollen, weder auf diese noch auf irgendeine andere Weise; ich hatte ursprünglich nur eindrucksvolle Abende auf meinem schönen Schiff vorgesehen, einer sollte den andern noch übertreffen. Aber Marcus hatte seinerseits imponieren wollen; gut denn, es bedeutete ja nur einen Abend Verzögerung. Außerdem würde das meinen Leuten Gelegenheit geben, sich auszuruhen; sie arbeiteten schon seit Wochen für diese Reise. Der vorige Abend, unser zweiter in Tarsus, war ein so verschwenderisches Fest gewesen, daß der erste sich daneben knauserig und schäbig ausnahm. Jeder Gast war mit der Liege heimgekehrt, auf der er es sich bequem gemacht hatte, mit den Tellern und Pokalen, die er benutzt hatte, mit Sänften und Sklaven und Pferden mit goldenem Geschirr - alles Geschenke. Die armen Leute waren vor Ehrfurcht so sprachlos wie ihre Pferde. Vielleicht waren sie deshalb heute in dieser Verfassung; sie waren keinerlei Verfeinerung gewöhnt, schließlich handelte es sich größtenteils um Römer. Gut, dachte ich, sollen sie ausschlafen, morgen abend müssen sie sich wieder anständig benehmen. Nicht einmal ich hatte genau gewußt, was meine Schauspieler und Regisseure planten; es kostete sogar weniger als sonst, aber welch ein Effekt! Die Gäste würden sich wie Götter fühlen! Der Boden des Speisezimmers an Bord war einen guten halben Meter tief mit Rosen ausgelegt; irgendwie verrutschten die Blumen nicht; bei näherem Zusehen merkte ich, daß ein feines Netz darüber gespannt war, das sie an Ort und Stelle hielt. Es war wirklich, als ginge man auf duftenden Wolken. »Die sind ja echt!« rief Marcus und blieb stehen, um eine Blume zwischen den Maschen des Netzes herauszuziehen. Ich sah sie in seiner Hand - dunkelrot, die Blütenblätter noch geschlossen, aber bald würden sie sich öffnen. »Es ist sogar Tau drauf!« sagte er, staunend wie ein Kind. Es war natürlich kein Tau, sondern Wasser, mit dem man die Blumen besprengt hatte, damit sie frisch blieben, aber ich sagte nichts und ließ mir Anerkennung für diese scheinbare Magie zollen. 251
»Das sind ja Tausende ... Millionen! In ganz Tarsus gibt es nicht so viele Rosen!« rief Marcus. »Sie sind aus Samos«, sagte ich leichthin und fragte mich, ob diese Insel der Rosen jetzt kahl war. Ich schaute ihn an und lachte, denn er ging wie auf Eiern - ein Bär auf Zehenspitzen. »Mach dir nichts draus, mein Freund«, sagte ich. »Die Götter gehen, wo sie wollen, und zertreten noch viel mehr als Rosen.« Es war eine banale Bemerkung, meiner nicht würdig, aber Marcus lächelte und straffte seinen breiten Rücken. »Soviel Gold!« sagte er und schüttelte bewundernd den Kopf. Kytheris kannte ihn wirklich gut; solche Dinge waren der Weg zu seinem Herzen. »Es ist wenig genug, mein Freund«, antwortete ich und ließ wieder die Wimpern flattern, »wenig genug für den Gebieter der Welt.« »Nicht so schnell, kleine Griechin«, sagte er. »Bis dahin gibts noch einiges zu tun.« Aber sein Lächeln war das einer Katze, die Rahm geleckt hat; ich wartete fast darauf, daß er zu schnurren anfing! Doch ich erinnerte mich daran, daß das Ganze kein Spaß war, sondern eine Sache auf Leben und Tod. Also lächelte ich nicht, sondern legte ihm die Hand auf den Arm und sagte: »Denk jetzt nicht daran ... du hast noch genügend Zeit, diese Dinge zu planen ... Komm, hier ist unsere Liege, eine Liege für zwei heute abend.« Die Liege war aus Perlmutt, gepolstert mit Rosen wie der Fußboden, aber mit gelben, einer selteneren Züchtung; sie paßten farblich zu meinem Chiton; kühl nahm ich Platz und streckte ihm die Hand entgegen. Er setzte sich neben mich und murmelte: »Wie klug du bist ...« Und dann, wieder kopfschüttelnd: »Aber solche Ausgaben ...« »Ich will dir ein Geheimnis verraten«, sagte ich und rückte nah an ihn heran. »Diese Rosen ... alle zusammen ... kosten, selbst wenn man die Frachtgebühren und das Geld für die schnellsten Ruderer einrechnet, viel weniger als die Ausstattung für die anderen Abende. Aber ich bin zufrieden mit dir, Marcus ... denn nur ein Gott weiß den Einsatz der Schönheit der Natur so zu schätzen.« »Was hast du für morgen abend geplant?« fragte er. »Das hier kannst du nicht mehr übertreffen ...« »Oh, warts ab!« sagte ich lachend. »Warts nur ab!« 252
Ich hatte mich an ein altes Buch erinnert, eingestaubt im Laufe der Jahre, das ich als Kind gelesen hatte, als ich wenig zu tun gehabt und unsere alexandrinische Bibliothek durchstöbert hatte. Und was ich darin fand, könnte man ein Rezept nennen, wenn auch ein seltsames; ich hätte nie gedacht, daß ich es einmal würde brauchen können. Ich hatte in meiner Schmucktruhe zwei britische Perlen von Cäsar, vollkommen, zueinander passend und laut Cäsar die größten der Welt; sie waren mit Sicherheit so groß wie Vogeleier, vielleicht auch größer. Ich hatte sie nie getragen, obwohl Cäsar sie als Ohrgehänge hatte herrichten lassen; ich hatte sie für viel zu protzig gehalten. Als ich am nächsten Abend in den Spiegel schaute, um sie zu sehen, war ich immer noch dieser Meinung, aber dies eine Mal würde ich sie tragen; mit einem ganz schlichten, cremefarbenen Wollkleid würde es wohl gehen. Sonst trug ich keinen Schmuck, nicht einmal meine Schlangenkrone; meine Arme und mein Hals waren nackt und mit Perlenstaub überpudert; ich ließ die Kerzen in einiger Entfernung aufstellen, damit der Schimmer besser zur Geltung kam. Doch all das blieb ohne Wirkung auf Marcus; er schaute sich im Raum um und sagte: »Ich sehe nichts Außergewöhnliches ... mehr Goldgeschirr, aber - und das Licht ist doch wohl etwas trüb?« »Es wird reichen«, meinte ich und streckte mit einer wortlosen Geste den Arm aus. »So weiß«, sagte er und hob mein Handgelenk hoch. »So zart ...« Man konnte ihn sehr leicht täuschen. Ein Sklave brachte einen goldenen Pokal; ich nahm ihn entgegen. »Was Besonderes?« fragte Marcus. »Bloß Essig«, sagte ich. »Magst du?« Und ich hielt ihm den Pokal unter die Nase. Er verzog das Gesicht. »Nein, danke. Auf den Märschen habe ich genug davon gehabt. Das trinken die Legionäre, mußt du wissen. Stillt mit Wasser vermischt hervorragend den Durst. Wir nennen es Weihwasser.« »Gut«, sagte ich und faßte nach meinem rechten Ohr, »ich werde das Weihwasser versüßen.« Und ich ließ eine der großen Perlen hineinfallen. Ich hatte, um die Wahrheit zu sagen, nicht genau gewußt, ob es 253
klappen würde; aber als wir in den Pokal blickten, löste sich die Perle bereits auf; ein paar Augenblicke später war nichts mehr von ihr da als ein milchiger Niederschlag. Die Perle war natürlich unbezahlbar; selbst Marcus wußte das. Ich hob den Pokal und trank. Es schmeckte nach Essig, sonst nach gar nichts, nicht schlimmer als eine bittere Medizin, aber es trieb mir das Wasser in die Augen. Was Marcus Augen anging, so dachte ich, sie würden ihm gleich aus dem Kopf fallen. »Warum hast du das gemacht?« fragte er fast gequält. »Um dir zu zeigen, wie reich ich bin«, sagte ich. »Und wie wenig mich Gold kümmert. Ich habe gerade 75 000 Pfund davon getrunken!« »Beim Zeus«, flüsterte er. Er sah wirklich drollig aus; aber, ich lachte nicht, sondern hob den Pokal und bedeutete dem Sklaven, er solle mir nachschenken. »Und jetzt die andere«, sagte ich und löste die zweite Perle von meinem Ohr. »Nein - o nein!« rief er und hielt meine Hand fest. »Ich glaubs dir! Ich sehe, wie reich Ägypten ist ... du hast dein Ziel erreicht - ich gebs ja zu! Schluß damit!« »Oh, laß uns nicht knauserig sein, mein Freund«, sagte ich und reichte ihm den Pokal. »Die andere trinkst du!« »O nein, nein, nein - niemals! Das kann ich einfach nicht!« protestierte er, schüttelte den Kopf und wies den Pokal von sich. Er lachte, aber ich glaube, daß er in Wirklichkeit ein wenig schockiert war. »Es reicht! Eine Perle ist genug!« »Gut -« Ich überlegte, wiegte die große Perle in meiner Hand. »Vielleicht hast du recht. Ich habe sie immer für viel zu groß gehalten ... ich werde sie in der Mitte durchschneiden lassen. Lustig, findest du nicht ... wenn man Halbmonde als Ohrschmuck trägt?« Er schaute mich seltsam an. Langsam sagte er: »Ich hoffe, Kleopatra, daß du nie das Gold nötig haben wirst, das so schnell deine hübsche Kehle hinuntergeflossen ist.« »Oh, das wird nie der Fall sein«, erwiderte ich. »Es gibt genug Gold in Ägypten.« Ich sprach gelassener, als ich mich fühlte, aber gleichwohl. Ich sah, daß ich die Wirkung erzielt hatte, die ich erzielen wollte. »Ich stimme mit dir überein, Marcus ... man kann Gold besser verwenden als so. Zum Beispiel zum Kampf gegen einen Feind, 254
auch gegen einen mächtigen Feind ...« Er begriff und grinste: »Ja ... wenn die Eigentümerin dieses Goldes unter Antonius Banner marschieren will.« »Nicht unter«, sagte ich. »Neben. Wir sind gleichgestellt. Entweder das oder gar nichts. Abgemacht?« »Abgemacht«, sagte er. »Abgemacht, kleine Kriegerin.« Er schaute zu mir herunter, lächelte und sah wieder aus wie ein Gott. »Laß uns drauf trinken.«
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10 »Ich brauche dieses ganze Gold nicht! Was soll ich damit anfangen?« Man hätte meinen können, ich hätte Kytheris ein nutzloses Geschenk gemacht, einen Elefanten als Haustier etwa; ihr Gesicht war ein Bild des Jammers; ich mußte lächeln. »Ich wollte dich nur belohnen, liebes Mädchen ... hättest du lieber etwas anderes? Juwelen! Eine Villa? Land?« Sie breitete hilflos die Hände aus. »Nichts ... ich will nichts. Nur Theater spielen ...« »Nimms Mädchen, nimms -«, sagte Hippias, ihr Vater; er hatte bereits fröhlich seinen Anteil eingestrichen. »Mit Gold kann man alles kaufen«, ergänzte ihr Mann. »Sogar ein Theater. Eine eigene Schauspielertruppe. Wir können nicht immer mit einem Gönner rechnen ...« »Wir haben Kleopatra«, sagte Kytheris. »Und Antonius -« Ich merkte, daß sie trotz ihrer Klugheit verblüffend weltfremd 256
war. »Leg das Gold auf die hohe Kante, meine Liebe«, sagte ich. »Du brauchst es nicht jetzt auszugeben; später hast du immer noch Gelegenheit dazu ...« »Legs dir als Notgroschen zurück -«, meinten Sergius und Hippias gleichzeitig und brachen in Gelächter aus. Ich erfuhr später, daß das eine alte Redensart bei diesen Leuten war, für die der nächste Tag immer ungewiß ist. »Verwahr dus, Sergius«, sagte sie. »Du kennst mich ja ... ich würde es nur verlieren.« »Das dürfte dir schwerfallen bei einer Kiste voll Münzen!« sagte er und lachte wieder. Sie schmollte wie ein kleines Kind - dabei war sie älter als ich und warf den Kopf zurück; dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck blitzschnell; jetzt war ihre Miene etwas irr, mit einem milden, priesterinnenhaften Lächeln. Ich sah, daß das Ganze eine Art kleine private Schau war - und die Männer ließen sie gewähren. Mir kam sie blöde vor, sie machte mich ungeduldig; aber dann verdrängte ich diesen Gedanken und erinnerte mich daran, wie wertvoll sie für mich war. Schließlich war es ihr Gesicht, nicht meines; wir alle spielen der Welt etwas vor; wer war ich, daß ich mich zur Richterin über sie aufwarf? Meine Miene der Macht und des Stolzes war für sie vielleicht ein Raubvogelgesicht. Und bei diesem Gedanken mußte ich lächeln. An diesem Morgen fühlte ich mich gewiß nicht wie ein Raubvogel - höchstens wie ein krankes Küken. Mein Mund war trocken wie die Wüste, meine Zunge pelzig, mein Kopf wie mit einer Axt gespalten, und mein Magen hob und senkte sich wie die stürmische See. Der vorige Abend war mein siebter Bankettabend gewesen; ich hatte keine Hoffnung darauf, daß es auch der letzte war. Ich kam zum drittenmal von der Toilette zurück und fühlte mich schwach und leer. Die drei Schauspieler rekelten sich auf Kissen, aßen und lachten, von Sklaven bedient; auf dem Tisch vor ihnen türmten sich die Speisen. Als ich hinsah, hielt Hippias gerade einen eingesalzenen Fisch bei der Schwanzflosse hoch und machte den Mund auf; irgend etwas regte sich flau in mir; ich wandte den Blick ab. Kytheris legte ihr Honigbrot aus der Hand, schluckte und wischte sich den Mund ab. Sie schaute mich prüfend an, ihr lebhaftes Ge257
sicht war so sonnig wie der Tag, keine Spur mehr vom schmollenden Kind. »Dir ist übel vom vielen Wein, liebe Herrin«, sagte sie und nickte weise. »Ein Stück trockenes Brot ...« Und sie hielt mir eins hin. Ich schüttelte den Kopf. »O nein, ich kann nicht!« »Du mußt«, beteuerte sie. »Das ist das einzige. Wenns dir hochkommt - na ja, dann hast du wenigstens was im Magen ...« Ich nahm das Brot und kaute vorsichtig. Es blieb unten. Ich biß noch ein Stück ab. »Ich habe Durst«, sagte ich. »Solchen Durst ...« »Gerstentrank«, meinte sie und goß mir welchen ein. »Aber in kleinen Schlucken ...« Nach einer kleinen Weile fühlte ich mich nicht besser, doch weniger schlecht. Ich schaute sie an, die drei, und versuchte zu lächeln. »Was soll ich tun?« fragte ich. »Alles verlieren - weil ich nicht soviel Wein vertrage?« »Herrin -«, sagte Sergius kopfschüttelnd. »Das geht nicht nur dir so. Kein Mensch kann mit Antonius mithalten. Er ist ein Faß ohne Boden.« »Aber er will, daß ich mithalte!« rief ich. »Er wird böse und nennt mich eine Spielverderberin ... und im Augenblick kann ichs mir nicht erlauben, ihn zu verärgern ... Ich habe versucht, das Zeug in einen Pflanzenkübel zu kippen, aber er hat mich dabei ertappt. Es ist wirklich nicht lustig«, sagte ich, als ich Hippias lächeln sah. »Verzeih mir, Herrin. Ich lache nur, weil es eine ganz einfache Lösung gibt.« Ich unterdrückte die scharfen Worte, die mir auf der Zunge lagen, ich hatte begriffen, daß ich diese Leute brauchte. Ich meinte nur: »Bitte sags mir.« »Schau, Herrin ... wenn wir bei einer Theatervorstellung Wein trinken oder ein Trankopfer darbringen ... oder so etwas wie eine Orgie darstellen müssen ... dann trinken wir das.« Und er deutete auf den Gerstentrank. »Mit ein paar Tropfen Farbe sieht er aus wie Samos- oder Chios-Wein ... Du mußt natürlich schlau sein. Sag, daß du eine besondere Vorliebe für deinen eigenen Wein hast, der im Palast gekeltert worden ist oder den du von deinem Hoflieferanten beziehst, oder behaupte, das sei Cäsars Lieblingswein ... dir wird 258
schon was einfallen. Und hab immer eine Flasche davon bei dir ... und trink nichts anderes. Er wirds verstehen. Trinker verstehen so was immer.« »Und wenn er davon kosten will?« »Das bezweifle ich ... aber wenn du vor dieser Brücke stehst, dann geh hinüber.« Und er machte eine lässige Handbewegung. Ich hatte einige Zweifel, aber als ich es das erste Mal versuchte, klappte es. Ich habe es mein Leben lang beibehalten. Wie oft habe ich über die seltsamen Gerüchte gelächelt, die mir zu Ohren gekommen sind! Es ist gesagt worden, und das von respektablen und klugen Leuten, daß ein Wunderdoktor mir einen Trank gegeben habe, der mich gegen die Trunkenheit gefeit mache. Andere, weniger Kluge, haben behauptet, daß ich einen klaren Kopf behielte, sei Hexerei! Ich hatte das Problem mit dem Wein also gelöst, aber da war noch ein anderes, und dem wollte ich mich nicht stellen. Wie wir alle, hoffte ich auf die Möglichkeit, daß es sich in Wohlgefallen auflöste, wenn ich es von mir wegschob. »Sollen die Götter auf das ihnen Gebührende warten«, dachte ich. »Sie sind von Ewigkeit zu Ewigkeit.« Aber natürlich warten sie nie. Es folgten eine weitere Woche und ein weiterer Tag des Feierns, und Marcus, immer an meiner Seite, war leichten Muts und guter Laune. Aber dann umwölkte sich seine Miene eines Abends mit irgendeinem unausgesprochenen Groll; er zog die Brauen zusammen, er lächelte nicht, und sein Blick ruhte nachdenklich auf mir. Ich dachte zuerst, es sei eine Weinlaune; Vater hatte hin und wieder auch so ausgesehen, und der ganze Palast lebte in Angst und Schrecken, bis es wieder vorbeiging. Doch das war nicht der Fall; Marcus trank keinen Tropfen Wein, aß wenig und schickte die Tänzerinnen fort, bevor sie ihre Darbietung beendet hatten, obwohl sie die besten aus Phrygien waren. Ich fühlte seinen Blick auf mir. »Also«, sagte er ernst, »was hast du mit ihr gemacht? Und lüg nicht ... ich bekomme die Wahrheit doch heraus. Wo ist sie?« Mein Mund wurde trocken, obwohl ich mir keiner Schuld bewußt war; meine Stimme hörte sich an wie ein Krächzen. »Wer?« fragte ich. 259
»Das weißt du ganz genau. Deine Schwester. Arsinoë. Sie ist von Zypern geflohen - und Serapion mit ihr.« Hoffnung loderte in mir auf, aber ich schüttelte den Kopf und ließ mir nichts anmerken. »Ich weiß von nichts«, sagte ich. »Vielleicht ist sie nach Alexandria gefahren ...?« »Meine Soldaten hatten Anweisung, nach Alexandria zu marschieren. Nein, sie ist verschwunden.« Er wandte sich mir zu, streng wie Cäsar in seinen schlimmsten Momenten. »Du mußt irgend etwas wissen ...« Und er schüttelte mich doch tatsächlich! Jeden anderen hätte ich ergreifen und auspeitschen lassen. Aber ich brauchte ihn und konnte so nicht mit ihm verfahren; ich brach in Tränen aus, schluchzte laut und warf mich ihm in die Arme. Noch durch den Krach, den ich machte, konnte ich das verblüffte Schweigen hören; der ganze Raum hielt den Atem an; die Römer lieben Szenen. Ich spürte, wie sein Zorn nachließ; er betastete mir linkisch die Schulter und sah betreten drein; die wenigsten Männer wissen, was sie mit einer weinenden Frau anfangen sollen. Ich hörte, wie er über mir leise, rauhe Laute von sich gab, und schlug die Augen Zu ihm auf, in denen die Tränen standen; ich hoffte, daß die schwarze Schminke nicht verlaufen war. »Kleopatra -«, flüsterte er, »können wir irgendwo allein sein - wir müssen miteinander reden ...« Ich wartete, bis mein Schluchzen nachließ; es war halbwegs echt, Angst und plötzliche Erleichterung; außerdem war es die Zeit meiner monatlichen Unpäßlichkeit, in der man leicht gereizt und nervös ist. »Draußen«, flüsterte ich. »Auf Deck - in meinem Zelt ...« Als wir dann alleine saßen, sprach ich so leise, daß er sich zu mir hinneigen mußte, und in meiner Stimme schwang ein leichtes Zittern mit - das hatte ich von Kytheris gelernt. »Du vertraust mir nicht«, sagte ich. »Wir sind Verbündete ... du hasts geschworen. Und du vertraust mir nicht ...« »Es tut mir leid, Kleopatra ...« Aber er legte mit festem Griff die Hände auf meine Schultern. »Das ist keine Frage des Vertrauens. Glaub nur nicht, daß ich mich davon abbringen lasse ... du kannst Arsinoë nicht retten, also könnte das Ganze jetzt auch ein Ende haben. Wir finden sie ohnehin, ob du uns hilfst oder nicht ... ich nehms auf meine Kappe, aber denk daran - du hast mehr von ihrem Tod als ich ... also laß uns ehrlich sein ...« 260
»Sie ist blutsverwandt mit mir«, sagte ich. »Aus königlichem Hause wie ich. Willst du, daß ich unmenschlich bin? Auch Cäsar hat um Pompejus geweint.« »Trotzdem hat Cäsar durch diesen Tod eine Menge gewonnen ... Ägypten. Und dich.« Ich sprach einen Moment lang nicht, dann sagte ich: »Ich habe gehofft, solange ich regiere, keinen Mord auf mich zu laden ... es ist so oft vorgekommen in meiner Familie. Aber ... vielleicht weiß ich, wohin Arsinoë geflohen ist.« »Das ist kein Mord, sondern ein gerechter Tod. Sie war immer eine Verräterin ... du liebst sie nicht einmal.« »Es wäre leichter, wenn ich sie lieben würde«, sagte ich traurig. Aber ich merkte, daß er es nicht begriff; es war ein subtiles Problem, zu subtil für einen Römer. »Sie wird an einer Freistatt Zuflucht gesucht haben ... bei Artemis. Sie ist unsere Schutzgöttin ... kein Priester kann ihr das verweigern.« »Wo?« »Entweder Milet oder Ephesus. Wahrscheinlich Ephesus.« »Ich lasse sie in Milet und in Ephesus suchen«, sagte er und straffte die Schultern, als wollte er es hier und jetzt tun, mitten in der Nacht. »Du brauchst dich nicht zu beeilen«, sagte ich bitter. »Man wird alt an solchen Freistätten und stirbt dort.« Er schüttelte den Kopf. »Aber nicht sie«, sagte er. Sie schleiften sie vom Altar weg und spießten sie auf wie einen Fisch; Serapion kreuzigten sie, den armen treuen Geliebten. Der Hohepriester, der ihr Zuflucht gewährt hatte, wurde mir in Ketten vorgeführt, ein alter Mann, fast blind. Ich begnadigte ihn. Wenigstens das konnte ich tun. Der Skandal des Todes im Tempel geriet nicht so rasch in Vergessenheit wie seine Opfer; er verfolgte mich noch jahrelang. Aber wenn man zum Schwert greift, muß man mit Wunden rechnen.
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11 Kaum hatte unsere Flotte Alexandria erreicht, als ein weiterer Bote von Marcus eintraf; er mußte auf den Weg geschickt worden sein, als ich noch in Tarsus war. Es verwirrte mich, denn ich wäre ja da und erreichbar gewesen; ich hätte Marcus nicht für so raffiniert gehalten; es gefiel mir, denn es eröffnete eine neue Dimension. Diesmal wars kein Schauspieler und auch kein Zenturio, sondern Herodes, der König von Judäa. Er kam nicht übers Meer, er marschierte unerschrocken bis an die Stadtmauern heran und mit ihm eine bewaffnete Eskorte von etwa zweitausend Mann. Ich befahl ihm, die Waffen vor den Toren zu lassen, bei meiner Wachlegion, und mit seinen Leuten und seinen Pferden Quartier im Äußeren Lager zu beziehen, und ich bereitete mich darauf vor, ihn zu empfangen. Freilich war Judäa ein kleines und unbedeutendes Königreich, aber dieser Mann stand in dem Ruf, reich und klug und des freundschaftlichen Verkehrs wert zu sein; außerdem war seine 262
Frau Halbgriechin. Der Hofstaat befand sich im Kleinen Saal, der für private Feiern verwendet wird; er trat alleine ein - die Schar der Festgäste teilte sich vor ihm - und hielt vor dem Podium inne, auf dem ich stand. Ich streckte die Hand aus und sagte: »Du bist in eine Hochzeit hereingeplatzt, mein Freund.« Und ich lächelte das Lächeln der Höflichkeit. Ich sah flüchtig kühne Augen in einem Wüstengesicht aufschimmern, bevor er sich über meine Hand neigte, sie leise mit den Lippen berührte und kurz aufs Knie fiel. Es war eine mir neue Form der Begrüßung; anmutig, aber ein wenig überheblich wie der Mann selbst. Ich sah ihm in die Augen und lächelte nicht, sondern wartete darauf, daß er das Wort ergriff. Man hat mich eine kalte Frau genannt; vielleicht ist es wahr. Gewiß bin ich keine römische Ehegattin, die einen muskulösen Sklaven beäugelt oder sich in Liebesgeflüster mit dem Mann ihrer Freundin ergeht. Ich bin eine Königin, meinen Untertanen und der Welt verantwortlich. Zumindest habe ich mir das immer gesagt. Ich habe »nach innen geschaut«, wie Apollodorus es mir freundlich gebot, und die Wahrheit erkannt. Von all den Männern, die mir begegnet sind, haben nur vier mein Blut in Wallung gebracht; jene beiden großen Römer, die ich für mein Schicksal hielt; Gnäus Pompejus, in den ich mich auf den ersten Blick verliebte, und dieser stolze Jude, den ich ebenso prompt haßte. Unterschiedlichere Menschen als Julius und Marcus kann man kaum treffen; Gnäus und Herodes lernte ich zwar nie näher kennen, aber mit ihnen scheint es sich genauso verhalten zu haben. Denn Gnäus war golden, sonnig, ein Lichtbringer wie Apoll, und der König von Judäa war umdüstert und schwer deutbar, eine dunkle Gottheit. Ja, er besaß eine gewisse Vornehmheit, war hochfahrend und von herrlicher, widerspenstiger Schönheit; er erinnerte mich an einen Araberhengst, wild und geschwind und edel, aber kein Pferd, dem man vertraut. Ich fühlte mich wider Willen zu diesem Mann hingezogen und haßte mich dafür und haßte ihn dafür - all das in der kurzen Zeit, die man braucht, um einmal Atem zu holen. Deshalb und wegen der Unvernunft des Ganzen war ich ihm gegenüber übertrieben höflich, kalt wie der Schnee auf den Bergen; ich glaube, 263
er ahnte den Grund. Er war nicht viel größer als ich, zartknochig und schlank; sein Gesicht war schmal und adlerartig, tiefbraun von der Sonne. Er trug sich römisch, aber seine Tunika und sein Umhang waren aus schwerem östlichem Seidenstoff gefertigt, und seine Riemensandalen waren vergoldet; sein Griechisch war fehlerfrei. Die Geschichte seiner Mission war mir widerlich; ich hatte genug vom Blutvergießen, aber ich mußte ihn anhören, denn was er erzählte, war auf Marcus Befehl hin geschehen. Es scheint, daß in Phönizien eine Armee aufgestellt worden war, die mich verjagen und jemand anderen auf den ägyptischen Thron bringen sollte. Das hatte sich schon seit Monaten zusammengebraut, aber im geheimen; Marcus erfuhr gerade noch rechtzeitig davon. Die Leute folgten einem Mann, der behauptete, mein Bruder zu sein, jener arme Maus, der vor langer Zeit im Nil ertrunken war. Ich hatte den Leichnam nicht gesehen; man erkannte ihn an dem schweren Prunkharnisch, den er immer trug. Er lag im offenen Sarg und wurde vor der Beisetzung dem Volk gezeigt, damit alle sehen konnten, daß weder Cäsar noch ich bei seinem Tod die Hand im Spiel gehabt hatten. Marcus hatte Herodes entsandt, weil er ihn für einen Freund und Verbündeten hielt, damit er der Sache auf den Grund ging und den Aufstand niederschlug; das war ihm verhältnismäßig mühelos gelungen, denn die Anhänger des Prätendenten waren nicht zahlreich und außerdem ungeübt im Kriegshandwerk. Die Führer des Rebellentrupps wurden getötet, ebenso der Prätendent, den man hinrichtete. Ich bekam eine Gänsehaut und mußte ein paarmal schlucken, bevor ich sprechen konnte. »Wie ist er gestorben - der Junge?« »Es war kein Junge, Herrin«, sagte Herodes mit einem dünnen Lächeln. »Und ich habe ihm den Schierlingsbecher zu trinken gegeben.« Ich hatte die Luft angehalten; jetzt atmete ich leise aus. »Du warst gütig«, sagte ich. »Ich danke dir.« »Herrin - er war nur ein armer Irrer, der dummes Zeug redete. Und beruhige dich, er kann nicht dein Bruder gewesen sein. Er war viel zu alt dafür, gebeugt und voll Falten. Irgend jemand hatte ihm 264
eine Perücke in der Haarfarbe deines Bruders gemacht. Er bekam einen Anfall, als er gefangengenommen wurde, und die Perücke rutschte ihm vom Kopf. Der Mann hatte eine Vollglatze.« Schweigen legte sich zwischen uns; er hatte die Art Augen, die Löcher zu bohren scheinen, wo sie hinblicken; ich wandte die meinen nicht ab, doch es fiel mir schwer. »Nun, Herodes«, sagte ich. »Du hast deine Sache gut gemacht. Ich danke dir. Und wenn du dich jetzt uns anschließen willst ... Denn wie ich schon sagte, bist du hier bei einer Hochzeitsfeier. Oder vielleicht willst du dich lieber auf dein Zimmer zurückziehen?« Ich schaute ihn kurz an, während ich einen Sklaven herbeiwinkte; er hielt sich kerzengerade, keine Spur von Müdigkeit nach dem langen Ritt; ich sah nicht einmal Flecken auf seiner Tunika. »Es wird mir ein Vergnügen sein«, sagte er mit einer Verbeugung. »Aber wenn du mich einen Augenblick entschuldigen wolltest - ich möchte mir den Staub abwaschen.« Ich nickte Einverständnis und wandte mich wieder meinen Gästen zu. Die Braut, meine Schwester - denn es war natürlich Iras, die mit Erfolg das Herz ihres Britanniers erobert hatte -, lächelte mir matt zu. Die Schminke hob sich fleckig von ihrem weißen Gesicht ab; natürlich hatte sies gehört, sie hatten es alle gehört. Ich umarmte sie und sagte sanft: »Mach dir keine Gedanken darüber, Iras, Schatz ... Maus kanns nicht gewesen sein. Er ist schon lange tot und begraben. Der andere war ein armer, irregeleiteter Mensch, den meine Feinde nur für ihre Zwecke benutzt haben ...« Und jetzt verstummte ich; mir wurde plötzlich kalt. »Bloß ... ich wußte nicht, daß ich so viele Feinde habe -« Cadwallader, der Britannier, sah mich traurig an. »So gehts auf der Welt, Herrin. Mein Vater - er war der dritte von drei Brüdern, die über unseren Stamm herrschten. Die anderen beiden sind durch Verrat zu Tode gekommen. Und dein Thron ist der bedeutendste von allen ... wahrhaftig eine fette Beute.« »Ja, ich weiß«, erwiderte ich. »Es war ein weibischer Gedanke ... aber jetzt ist er verflogen.« Ich lächelte und griff nach einem Weinpokal; es war schließlich der Freudentag meiner lieben Schwester. Die Zimbeln begannen wieder leise zu ertönen - und die Flöten. Denn Iras hatte sich Flötenmusik gewünscht; im Gegensatz zu mir 265
ehrte sie das Angedenken unseres Vaters. Aber ich bin auch nicht musikalisch, und wenn es ihr gefiel Eine Stimme hinter mir unterbrach mich in meinen Gedanken. »Verzeih, daß ich hier so eingedrungen bin, Herrin. Bei einem solchen Anlaß sind Staatsangelegenheiten, brutale Dinge, wie ein Schlag ins Herz.« Es war der Jude, Herodes, in frisches weißes Leinen gekleidet; wie hatte er das so schnell gemacht? Um sich blickend, fuhr er fort: »Aber ich bin sicher, daß die Braut zu sehr von ihrem Glück erfüllt war, um unsere Worte zu hören.« »Ich fürchte - nein«, erwiderte ich. »Sie ist meine Halbschwester. Ägyptens Wohlfahrt liegt ihr sehr am Herzen ...« Ich schaute ihn an und lächelte. »Aber sie wirds vergessen. Wir werden es alle vergessen - dank dir.« »Und dank Marcus Antonius«, sagte er. »Ich hätte nicht ohne seinen Befehl handeln können ... ohne den Befehl von Rom.« Ich glaubte, seine letzten Worte hätten einen bitteren Klang gehabt, und sah ihn prüfend an, aber seine Miene verriet mir nichts. Wir beobachteten die Tanzenden, die sich zwischen langen Blumengirlanden hin und her bewegten, ein griechischer Brauch. »Sieht schön aus«, sagte er nach einer kleinen Weile. »Das hätte mir auch gut gefallen - bei meiner Hochzeit ...« Er lachte ein wenig. »Aber wir Juden sind sehr ernst und feierlich. « »Ich habe gehört, deine Frau sei Halbgriechin«, sagte ich. »Ja. Aber ihr Herz ist durch und durch hebräisch. Sie ist eine Makkabäerin.« Ich verstand nicht, was er meinte, und hob fragend die Augenbrauen. »Die Makkabäer sind die stolzeste unserer vornehmen Familien ... sie stammen von Helden ab. Und es heißt auch, daß der Messias aus diesem Hause kommen wird ...« »Was ist das - der Messias?« »Der Erlöser. Der die Juden wieder zu dem Ruhm führen wird, den sie einst hatten.« Ich blickte überrascht auf. »Ich habe nicht von diesem Ruhm gewußt -« Er lächelte; ich meinte, ein Funkeln in seinen Augen zu sehen Spott? »So stehts in den alten Büchern ... ich vermute, alle Völker be266
wahren sich Erinnerungen an vergangene Größe.« »Nun ja«, sagte ich, »in den meisten Fällen gibt es Beweise dafür. Athen steht noch - und gedeiht ... in Troja und Mykene sieht man immerhin eingestürzte Dächer und gebrochene Säulen. Und was mein Land angeht - Ägyptens Tempel sind großartiger als alle anderen - bis zum heutigen Tag.« »Ich weiß«, sagte er freundlich lächelnd und immer noch mit diesem seltsamen Funkeln in den Augen. »Wahrscheinlich war unser Jerusalem ganz aus Lehmziegeln gebaut und nicht von Dauer. Wir sind ein Wüstenvolk, mußt du wissen, Wanderer, Zeltbewohner. Saul war meistens im Krieg - und verrückt dazu. Und David mußte kämpfen, um seinen Thron zu behalten. Nur Salomo - zumindest heißt es so - hat einen Palast gebaut.« »Das sind eure großen Könige?« fragte ich. »Nie von ihnen gehört. Seltsam.« »Das ist nicht seltsam, Herrin. Wir Hebräer sind ein unterjochtes Volk ... ein Jahrhundert und mehr waren wir Sklaven - hier in Ägypten.« »In den langen Jahren der ägyptischen Vorherrschaft waren hier zur einen oder zur anderen Zeit Sklaven aus allen Stämmen.« Ich zuckte die Achseln. »Das ist das Geschick der Besiegten. Ägypten war das, was Rom heute ist ...« Er nickte und sah mich durchdringend an. »Und du, Herrin - du willst diese alte Zeit wiederaufleben lassen. Du hast einen Traum ...« »Du meinst, es ist nur ein Traum?« Er sprach langsam. Jedes Wort war sehr deutlich. »Ich meine, daß du ihn nicht alleine verwirklichen kannst.« »Das kann niemand«, erwiderte ich. »Hältst du mich für töricht?« »Gewiß nicht«, sagte er mit einem leisen Lächeln. »Man muß nur ein bißchen ein Auge auf dich haben, Kleopatra.« Es war das erste Mal, daß er mich mit Namen ansprach; ich erstarrte, ließ es aber hingehen. Er fuhr fort, seine Augen sehr ruhig auf die meinen gerichtet: »Ich meine außerdem, daß es bei dem Spiel, das du spielst, sehr viel zu gewinnen, aber auch sehr viel zu verlieren gibt ... und daß es nicht das einzig mögliche Spiel ist.« 267
Ich sah ihn wachsam an; ich traute dem Mann nicht. Ich bedeutete einem Sklaven, er möge seinen Pokal füllen und ihm eine Schale mit Süßigkeiten anbieten. Er lehnte die Süßigkeiten dankend ab und trank in kleinen Schlucken vom Wein. Dabei beobachtete er mich unverwandt. Ich fragte: »Würdest du dich wohl erklären, König Herodes?« Er setzte den Pokal ab. »Folgendes. Der Triumvir Antonius ist ein großer Römer, hochangesehen in seiner Heimatstadt und im Osten. Seine Soldaten sind ihm von ganzem Herzen ergeben. Den Triumvirn Lepidus kann man außer acht lassen. Aber der andere - Cäsars Erbe -, er wird vielleicht noch höher aufsteigen.« »Oktavian ist nur ein Notbehelf«, erwiderte ich rasch. »Mein Sohn ist der wahre Erbe, Cäsars leiblicher Erbe.« »Freilich«, sagte er. »Aber er ist noch ein kleiner Junge und braucht einen Fürsprecher, der seine Sache verficht.« »Du meinst also, Herodes, daß ich den falschen Fürsprecher gewählt habe?« »Nein. Antonius ist der richtige Mann. Es ist ganz offensichtlich, daß er sich auf Gedeih und Verderb mit dir verbinden will ... und mit Cäsarion. Aber Rom spielt seltsame Spiele ... seine Politik ist voll von Verwicklungen, die nur Götter - oder Dämonen - entwirren können. Wenn das Glück dir hold ist ...« Und er zuckte die Achseln; es war eine beredte Geste, und ich fühlte, wie ein leichtes Schaudern mich überlief. Ich gestattete mir nie, an ein Mißlingen zu denken. »Du sprachst von einer anderen Möglichkeit, Herodes. Hast du die Absicht, es mir zu sagen - oder muß ich raten?« Er lachte; es war der erste spontane Laut, den ich von ihm hörte. »Du hast das Herz eines Löwen, Kleopatra ... Nein - ich will dir sagen, was ich meine.« Ich wartete. Aber er sprach immer noch nicht geradeheraus. Er fragte: »Warum nicht gegen Rom ... ohne Römer?« »Erklärs mir deutlicher.« »Mit Waffengewalt - und ganz unverhohlen.« Ich lächelte. »Ich mag das Herz eines Löwen haben, Herodes. Doch ich bin eine Frau, kein Krieger. Und so stark ist Ägypten nicht. Ein offener Machtkampf - das wäre Wahnsinn.« »Nicht du allein«, sagte er. »Du schaffst es nicht allein: Nein, kämp268
fe mit Verbündeten gegen Rom. Da sind all die kleinen Königreiche Asiens ... und es ist nicht eines unter ihnen, das nicht dem Joch entgehen möchte, das ihnen droht. Phönizien, Syrien, Mazedonien - mein Judäa - um nur ein paar zu nennen...« »Ich glaube«, sagte ich langsam, »daß das immer noch nicht genug wäre, um Rom zu bezwingen ...« »Es gibt noch ein Land, ein Land, das sehr stark ist und viele Krieger aufbieten kann ... Parthien ...« Parthien! Das wilde Land, das Cäsar unbedingt hatte unterwerfen wollen. Ich schüttelte den Kopf. »Die Parther sind wild - wild wie Tiere - oder Zentauren. Sie bringen ihr Leben im Sattel zu und essen rohes Fleisch ... ich kann mir kein Bündnis mit Parthien vorstellen. Als nächstes wirst du Indien vorschlagen!« »Auch«, sagte er. »Man wird einiges dafür tun müssen ... aber es ist möglich. Mit der Zeit ... und wenn man behutsam und klug vorgeht. Auch diese wilden Länder wollen nicht unter römische Herrschaft geraten. Und wenn alle sich zusammentun...« »Gallien hat es versucht«, erwiderte ich. »Gallien hatte zahllose Stämme. Aber es ging trotzdem nicht, und jetzt ist ganz Gallien römisch.« »Sie haben zu spät damit angefangen in Gallien«, sagte er. »Ein paar Jahre früher - und man würde den gallischen Kindern heute vielleicht ganz andere Geschichten erzählen.« »Und wer soll der Feldherr sein?« fragte ich kühl. »Du?« Er war nicht gekränkt. »Ja«, antwortete er. »Ich - zunächst. Es werden andere dazukommen. Wir müssen sie nur finden.« Wir! Der Mann war wirklich unverschämt. Ich hielt meine Zunge im Zaum und antwortete ihm höflich. Man konnte nie wissen; vielleicht würde ich ihn eines Tages brauchen. »Ich danke dir für deine Sorge und Anteilnahme, Herodes«, sagte ich und gab ihm die Hand. »Und was du ausführst, hat viel für sich. Ich werde es überdenken.« »Um mehr bitte ich auch nicht, Herrin. Und -« Er drückte mir die Hand. »Und es bleibt unter uns ...?« »Ich werde Marcus nichts davon sagen, wenn du das meinst.« »Das meine ich.« »Ich verstehe.« 269
Ich ließ meine Hand kurz in der seinen ruhen, bevor ich sie ihm wieder entzog. »Und nun«, sagte ich, »haben wir genug ernste Worte gewechselt. Du mußt die Braut begrüßen ...« Herodes hatte mir auch mitgeteilt, daß Marcus nach Alexandria kommen würde, vielleicht binnen eines Monats. Es dauerte etwas länger; ich hatte viel Zeit, um über die Strategie nachzudenken, die Herodes vorschlug. Sie hatte ihr Für und Wider, wie die römischen Redner gern sagen; ich würde mich genau mit dem Plan befassen, Spione in die kleinen Königreiche schicken, bei den Herrschern vorfühlen lassen, alles erwägen. Und wenn Marcus kam, würde ich mich entscheiden.
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12 Die Regenzeit verstrich, Monat um Monat, feucht und öd, und Marcus kam nicht. Aber jedes Schiff, das in Alexandria einlief, brachte einen Brief, jeder Brief nannte einen neuen Ankunftstermin und führte eine vertrautere Sprache als der vorige. Als er schließlich kam, legte ich mein Königinnentum ab und war nur noch Frau. Es war bereits Winter, der stürmische Winter unseres Meeres; der Hafen war voll von Schiffen, denn kein Kapitän wollte bei solch unsicheren Witterungsverhältnissen seine Fracht oder seine Mannschaft aufs Spiel setzen. All die alten Seebären nickten und schauten grimmig drein; es braute sich etwas zusammen, keine Frage. Die Astronomen sahen Vorzeichen am Himmel, und es pochte in vernarbten Wunden, Hunde winselten, und Vögel suchten Zuflucht unter den Tempeldächern. Der große Sturm kam nicht wie sonst ganz plötzlich, sondern 271
langsam. Als ich aufwachte, schlugen die Fensterläden hin und her; es war früher Morgen, aber grau, kein Lichtschimmer am Himmel, und der Wind frischte auf von Stunde zu Stunde. Den ganzen Tag über wurde es dunkler statt heller, und die Leute verriegelten eilig ihre Türen vor dem, was bevorstand. Noch bevor die eigentliche Nacht hereinbrach, brannte das Leuchtfeuer auf der Insel Pharus; sein Licht warf eine seltsame gelbe Bahn aufs tosende Wasser. Ein Leuchtturmwärter kam, Entsetzen in den Augen, um uns mitzuteilen, daß untergehende Schiffe gesichtet worden seien; römische Schiffe, sagte er. Einige von uns aus dem Palast trotzten dem mächtigen Wind, setzten über zur Insel Pharus und stiegen die Wendeltreppe des Turms hinauf. Man spürte, wie der schlanke Turm schwankte, es konnte einem übel werden dabei; ich erinnerte mich daran, daß mir Architekten erklärt hatten, er sei so gebaut worden, damit er solchen Belastungen standhielte. Von dem kleinen Raum ganz oben, Fenster nach allen Seiten, sah man viele Meilen weit; ich erkannte selbst den römischen Adler und Marcus Antonius Farben; ich war mir sicher gewesen, daß es seine Schiffe waren, aber mein Herz setzte fast aus, als ich sie beobachtete - wie Spielzeugboote schlingerten sie, sausten in Wellentäler, verschwanden manchmal hinter einer großen Woge. Der Lichtpfad vom Turm war hell wie der Tag, und mit wildem Zucken beleuchteten Blitze das Meer. Einmal sahen wir, wie ein Feuerball von der einen Seite des Hafens zur andern über die Wasseroberfläche rollte und dann spurlos verschwand; ein anderer setzte vier vor Anker liegende Schiffe in Brand. Auch bei der römischen Flotte war Feuer ausgebrochen; man konnte nicht wissen, um welche Schiffe es sich handelte und welche Kapitäne an Bord waren; sie sanken, und ihre Masten standen noch in Flammen, während andere auf Wogen ritten, die so hoch waren wie Berge, und keinen Schaden nahmen. Ich hatte vom Leuchtturm aus über dreißig Schiffe gesehen; wahrscheinlich waren es ursprünglich noch mehr gewesen. Als die lange Nacht ein Ende nahm und der Sturm abflaute, waren es nur noch drei, die, entmastet und mit Ruderkraft, langsam aufs Ufer zuhielten. Wir rannten die Wendeltreppe hinunter, zum Ufer, sprangen ins 272
Boot, fuhren zurück; das Wasser des Hafens war glasklar und blau, der Himmel spiegelte sich darin. Es war ein schöner, friedlicher Tag, sonnig, aber kühl, ein vollkommener alexandrinischer Morgen; es sah aus, als sei es nie anders gewesen, wenn da nicht die verkohlten Holzstücke gewesen wären, die in der Nähe des Ufers schwammen, und ein schwacher Geruch wie von einem fernen Feuer. Das erste Schiff legte an, die Ruder knarrten und scharrten gegen die Kaimauer. Der erste, der von Bord ging, war Marcus. Ohne nachzudenken, lief ich auf ihn zu und warf mich ihm in die Arme; ich zitterte, als hätte ich das Sumpffieber, und mein Gesicht war tränennaß. Wir verstellten uns nicht und tauschten keine Artigkeiten aus; vor meinen Augen hingen Schleier, und ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber ich wußte, daß er lebte und unverletzt war und daß ich seine Arme fest und warm um mich spürte. Ich kümmerte mich nicht um die neugierigen Zuschauer und nicht um die Höflinge mit ihren leeren Gesichtern und ihrem süßlichen Lächeln; ich hätte mich auch hier zu ihm gelegt, hier auf den immer noch nassen Marmorstufen meines Palastes, egal, ob Krethi und Plethi zusahen. Denn ich empfand Sehnsucht und Verlangen, stark, schmerzend, triebhaft; es zog mir den Magen zusammen und ließ Feuer über meine Schenkel regnen; es war der langen Schreckensnacht entsprungen, jenseits aller Vernunft, stumm und wild, und Marcus erkannte es, wahrscheinlich empfand er es auch. Er hob mich hoch und trug mich die Treppenflucht hinauf, in den Palast. Und im selben Zimmer, in dem ich jene erste Nacht mit Cäsar verbracht hatte, schlief ich mit Marcus. Es war bald vorbei; Kleider lagen auf dem Boden, achtlos hingeworfen; Angst und Dankbarkeit hatten Fleisch zu Fleisch getrieben. Es war eine Vereinigung, die über die Lust hinausging - mystisch. Danach - ich war schweißnaß und spürte kühl den leichten Lufthauch im Zimmer auf mir - sagte ich schwach: »Die Königin von Ägypten ist, scheints, eine leichte Beute für Römer ...« Und er lachte und zog mich an sich. Aber als ich ihn forschend betrachtete, sah ich einen träumerischen Ausdruck in seinem Gesicht, und er sagte sanft: »Ein Gott hat uns angerührt, kleine Griechin ...«
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13 Marcus war in mittleren Jahren, und ich wurde bald dreißig, doch in diesem ersten süßen Jahr in Alexandria hätten wir zwei Kinder sein können, gerade alt genug für die Liebe, die an den Hängen des Olymps spielten. Ein kurioser Gedanke, aber er ist mir oft in den Sinn gekommen, getrübt von Bedauern. Denn solche Zeiten haben keinen Bestand; die Welt dreht sich, und wir drehen uns mit. Aber wir hatten dieses Jahr. In jenen Tagen hätte niemand Marcus für einen Römer gehalten; er war durch und durch Grieche. Er zog seine Tuniken nicht mehr an, sondern trug den Chiton und die weißen attischen Schuhe; ich erinnere mich an ein sehr lustiges kurzes Stück, das Hippias aufführte; es war sehr populär beim Volk, und er mußte es oft wiederholen. Hippias trat auf mit einer gewaltigen Nase und einer strubbeligen schwarzen Perücke und mit dunkelrot geschminkten Wangen; er kam mit einem riesigen Weinkrug in der Hand auf die Büh274
ne und stolperte über weiße Schuhe, die so groß wie Lastkähne waren. Es war ein bißchen grausam, wie das bei solchen Dingen immer der Fall ist, aber Marcus lachte so laut wie die anderen. »Ich habe eben große Füße - na und? Das ist noch nicht alles -« Und er schielte lüstern nach mir und gab mir einen Rippenstoß; er hatte einen sehr derben Humor; bei einem anderen Mann hätte ich es widerlich gefunden. Aber Liebe macht blind; sie sieht nicht, was sie nicht sehen will. Jedenfalls wurde Marcus mitsamt seinen großen Füßen und allem von ganz Alexandria geliebt; wenn er an meiner Seite ausfuhr oder ausritt, waren die Straßen von jubelnden Menschen gesäumt, und er trat auf wie ein Gott, selbst wenn er betrunken war. Ein paar Leute machten säuerliche Mienen, ein paar führten auch bittere Beschwerden; ein paar Trauerklöße munkelten, der römische Barbar verderbe ihre Königin. Doch das war zu erwarten; dergleichen raunte man sich sicher auch in Rom zu - nur gegen mich gerichtet. Es stimmt wohl, daß wir uns gelegentlich würdelos verhielten; rückblickend glaube ich, daß das Kind in mir zum Vorschein kam, jenes Kind, das sich nie hatte ausleben dürfen. Und dann tat ich auch, was Marcus wollte, denn ich war liebestrunken. Und Marcus war stets ein Kind; er spielte gern den Narren, manchmal sogar bei Staatshandlungen. Ich habe es erlebt, daß er, wenn er in ernsten Angelegenheiten Boten aus Rom empfing, von seinem Stuhl aufsprang, um zu mir zu laufen, die ich in meiner Sänfte gerade am Fenster vorbeigetragen wurde. Oder er schnitt Grimassen, wenn ich zu Rate saß, oder kitzelte mich, so daß ich die Fassung verlor. Ich brachte es nie übers Herz, ihn auszuschelten. Er war auch ein sehr geselliger Mensch; er gründete eine kleine Gesellschaft und nannte sie »Die Liebhaber des Lebens«. Sie bestand hauptsächlich aus Schauspielern, Dichtern, Musikern und dergleichen, und ihre Lebensaufgabe war es, zu schlemmen, zu trinken, unglaubliche Geschichten zu erzählen und Streiche zu spielen. Sie zogen ausgefallene Gewänder an, verkleideten sich manchmal als Bauern, manchmal als Quacksalber und rannten nach Mitternacht durch die Straßen von Alexandria, klingelten mit Glocken, hämmerten an Türen, weckten anständige Bürger und verschwanden 275
dann. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich gelegentlich mit dabei war! Aber eine sture und steife Frau hätte Marcus nicht gemocht. Außerdem tat all das niemand richtig weh, und meines Wissens wurde ich nie erkannt. Marcus war auch gut für Cäsarion. Cäsarion war wie sein Vater alt auf die Welt gekommen; er hatte nichts Kindliches an sich gehabt und neigte dazu, sich und seine Königlichkeit zu ernst zu nehmen. Und außerdem war er fast immer in Gesellschaft von Frauen gewesen - dadurch wird ein Junge mit der Zeit verwöhnt. Er lernte Dinge von Marcus, die ihn kein Erzieher lehren konnte; Würfeln, Glücksspiele und Seemannsknoten. Das Beste war, daß Marcus nach seinem Sohn Antyllus schicken ließ; die beiden Jungen wurden unzertrennlich. Cäsarions strenges Gesicht bekam einen freundlicheren Ausdruck; zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Spaß - wie seine Mutter. Die Bankette waren großartig, dauerten viele Stunden und bestanden aus Dutzenden von Gängen; zu jedem gabs einen anderen Wein; die Gäste wurden mit akrobatischen Kunststücken, Tanz, Gesang und schauspielerischen Darbietungen unterhalten, außerdem hatten wir Ringer aus Griechenland und sogar Gladiatoren aus Rom da. Ich wußte nie, wann Marcus nun wirklich essen wollte, weil er so gern zuvor etwas trank; oft mußte ich acht Ochsen oder Wildschweine bestellen, die nacheinander am Spieß gebraten wurden, damit sie zur erwünschten Zeit richtig durch waren. Verwöhnte ich ihn? Natürlich; das hatte niemand sonst getan, weder seine Mutter, die nicht reich war, noch seine Frauen, denen es überhaupt nicht einfiel. Es machte ihm Freude und gab ihm das Gefühl, hier genauso wichtig zu sein wie draußen in der Welt. Und meine Alexandriner verstanden es; sie liebten selbst den Luxus sehr. Daneben lernte Marcus auch einiges von mir; er hatte sich nie wirklich die Zeit zum Lesen oder Studieren genommen, nur als Junge, wenn er mußte. Oft traf ich ihn in einem dunklen Winkel meiner großen Bibliothek an, in irgendeine staubige Schriftrolle vertieft, bei so schlechtem Licht, daß er sich die Augen verdarb; wenn ich mit ihm schimpfte, lachte er und meinte, seine Augen würden es so lange machen wie er. Ich haßte es, wenn er solche Dinge äußerte, ich mag es nicht, wenn man den Tod erwähnt; das ist wohl mein 276
einziger Aberglaube. Aber dann schaute er mich an und lachte wieder. »Liebes Mädchen«, sagte er, »Soldaten sind jeden Tag vom Tod bedroht ... er ist nichts weiter als eine Gefahr unter vielen. Und uns allen gehts nicht anders als den Soldaten. Das gehört zum Menschsein.« Und er zuckte die Achseln und hob die eine schwarze Augenbraue. »Aber jetzt wollen wir jedenfalls Götter sein, kleine Griechin ...« Und er zog mich neben sich in den dünnen Staub und küßte mich still, während ich die Finger überkreuz nahm wie eine einfältige Bäuerin. Manchmal skizzierte er in einem der Museen, zeichnete große alte Wandmalereien ab und zerriß dann kopfschüttelnd das Blatt. Und er suchte die berühmten Gelehrten von Alexandria auf, Männer, die ihre Studierstube seit Jahren nicht mehr verlassen hatten und blinzeln mußten, wenn sie das Tageslicht sahen. Er lernte rasch, wenn er erst einmal einen Anfang gefunden hatte, so rasch wie ich; ich war stolz auf ihn. »Aber ich werde es nie nachholen können ...«, sagte er. »Ich bin zu alt.« Oh, es waren schöne Tage, diese Tage unserer jungen Liebe. Er lehrte mich Reiten auf einem guten römischen Pferd, das an Sattel und Zaumzeug gewöhnt war, und wir ritten zusammen Wege entlang, kühle und frühlingshafte Wege, von blühenden Büschen gesäumt, die fast über unseren Köpfen zusammenschlugen, und galoppierten wild wie die Parther über weite Felder; die Pferde zertrampelten meine jungen Saaten, aber es war mir egal. Ich wiederum lehrte ihn Schwimmen, erinnerte mich noch von früher daran, als wir Königskinder am Fuß der Palasttreppe im tiefen Wasser des Hafens gebadet hatten, ganz furchtlos, als seien wir für das nasse Element geboren; ich nehme an, daß es uns wohl Seeleute gelehrt hatten, aber ich wußte es nicht mehr; doch die alte Fertigkeit stellte sich wieder ein und fiel mir so leicht wie das Gehen. Und ein dunkler Gedanke kam mir kurz in den Sinn: Wie war Maus ertrunken? Denn ich sah ihn vor mir, als sei es gestern gewesen, ein winziges Kerlchen, das an Land kletterte - das Haar klebte ihm am Kopf, und die Sonne schimmerte auf seinem mageren, braunen, nackten Körper. Es war ein Gedanke, den ich von mir wegschieben mußte, damit er mich nicht in der Nacht verfolgte. Wir angelten auch vom Boot aus im Mareotis-See, was mich an 277
Gnäus und wieder an Maus erinnerte, bis ich mürrisch sagte, im Nil seien die Fische besser. Das stimmte natürlich nicht, und Marcus blickte fragend von mir zu dem großen Fang, den er gemacht hatte; aber er zuckte nur die Achseln und gab sich lächelnd geschlagen; er war immer gefällig in jenen Tagen. Als wir einmal im Hafen angelten (denn der Nil eignete sich nicht dafür, ich hatte es ja gewußt; es war zu heiß und das Wasser zu schlammig), spielte ich Marcus einen Streich. Er hatte mir auch schon alle möglichen Streiche gespielt und glaubte, ich hätte seinen neuesten Trick gar nicht durchschaut, der darin bestand, daß er sich von einem Sklaven unter Wasser die dicksten Fische an die Angel hängen ließ. Und danach prahlte er mit seiner großartigen Geschicklichkeit. Diesmal drehte ich den Spieß um, nur steckte ihm mein Sklave einen gut gepökelten Fisch aus der Tonne im Keller an den Angelhaken. Alle grinsten, aber Marcus überspielte es gut, warf den Kopf zurück, lachte schallend und verzehrte ihn sofort mit bestem Appetit. Doch dann wandte er sich mir zu und sagte traurig: »Ich habe nicht viel Glück mit den Fischen hier ... anscheinend beißen sie bei Römern nicht an.« Und er blickte mich durchdringend an. »Meinst du, daß das ein schlechtes Omen ist, meine Süße? Vielleicht lachen die Götter über unsere Verbindung ...« »Niemals!« rief ich. »Aber ich weiß, was es bedeutet. Es bedeutet, daß der große Antonius das Angeln weniger wichtigen Leuten überlassen soll ... Antonius Kurzweil sind Königreiche und Städte, Throne und Kronen ... nicht Fische und Angelgerät ...« Er beugte sich über mich, kam so nah, daß nur ich ihn verstehen konnte, und sein Gesicht war ernst. »Ja, Liebling ... wir haben zu lange gespielt. Das kann nicht dauern.« Und tatsächlich konnten unsere sorglosen Vergnügungen in mehr als einer Hinsicht nicht dauern; noch am selben Abend befiel mich, die ich vor aller Augen auf der königlichen Liege saß, eine entsetzliche Übelkeit; ich konnte es nicht einmal verhalten, bis ich auf der Toilette war, ich erbrach mich wie ein römischer Säufer. Marcus hielt mir die Hand, und als es vorbei war, trug er mich aus dem Saal. »Richte aus, daß die Königin krank ist«, sagte er. »Wir lassen uns entschuldigen.« Ich weiß nicht, zu wem er sprach, zu Sergius viel278
leicht oder zu einem seiner Kameraden; ich fühlte mich wirklich sehr schlecht. Er legte mich auf mein Bett, so behutsam, als könnte ich zerbrechen; ich öffnete die Augen und sah mit schwindligem Kopf sein Gesicht, das dunkelrot vor Zorn war; ich hörte, wie er wütend befahl, man solle ihm sämtliche Köche des Palastes in Ketten vorführen. »Nein, nein -«, sagte ich schwach. »Es ist kein Gift ... laß es.« Und ich hob die Hand, um den Befehl rückgängig zu machen. »Komm ganz nah zu mir, Marcus. Und schick meine Frauen fort ... ich bin schwanger, das ist alles. Ich wollte es dir bald sagen - morgen vielleicht, denn ich bin mir schon seit Wochen fast sicher ...« Er war überglücklich, sein Gesicht hellte sich auf; die Götter und das Fatum waren unserer Verbindung hold. Ein weiterer Erbe für Ägypten - und mit einigem Glück auch für Rom! Ich war gewiß nicht traurig - ich fühlte mich nur schlecht. Ich konnte nicht auf unser Kind trinken; tatsächlich mußte ich mir die Nase zuhalten, damit ich den Wein in Marcus Glas nicht roch. »Geh wieder zu den Leuten«, sagte ich, »und schick mir Iras. Ich will dich nicht von deinem Fest abhalten.« Er küßte mich zärtlich und lange, aber ich merkte, daß er ganz versessen darauf war, bei den anderen zu sein und zu feiern. »Geh jetzt«, sagte ich. »Ich kann dich hier nicht brauchen - das ist Frauensache ...« Er stand da, blickte auf mich nieder und lächelte. »Wenn alle Ehefrauen so wären wie du, Kleopatra ...« Und er schüttelte den Kopf und verließ mich. Auch ich schüttelte den Kopf. Denn noch war ich keine Ehefrau. Und es sah auch nicht danach aus, als würde ich eine werden jedenfalls für eine Weile nicht. Wir planten zwar eine Hochzeitsfeier hier in Alexandria, aber das zerschlug sich, wie sich dann herausstellte. Denn von zwei Orten trafen plötzlich schlechte Nachrichten ein, und Marcus mußte fort. Aus Rom wurde gemeldet, daß Marcus angetraute Frau Fulvia und sein Bruder Lucius, dem sie treuer gewesen war als ihm, von Oktavian zum Kampf gestellt und vernichtend geschlagen worden seien; es war alles sehr vage, aber man glaubte, sie hätten Italien 279
fluchtartig verlassen. Die andere Nachricht kam aus Syrien und war eine wahre Hiobsbotschaft. Einige von den syrischen Fürsten, die Marcus abgesetzt hatte, hatten sich mit den Parthern zusammengetan und marschierten vom Nordosten des Landes aus gegen Decimus Saxa, den Statthalter von Syrien. Es standen wenig römische Truppen dort, das Gros von Marcus Legionen befand sich in Gallien und Mazedonien; es war leicht möglich, daß Syrien überrannt wurde und verlorenging. Marcus konnte natürlich nicht an zwei Orten zugleich sein. »Ich habe eigentlich keine Wahl«, meinte er. »Erst muß ich mir Syrien vornehmen. Fulvias Niederlage - das ist nun mal passiert. Was soll ich machen? Ich kann die Schlacht nicht noch einmal schlagen ...« Er wollte keine Hilfe von mir annehmen, nur ein paar Schiffe. »Denn ich habe noch all die anderen Quellen am Weg«, sagte er. »Sparen wir uns Ägyptens Mittel auf, bis wir sie wirklich brauchen ...« Es war seltsam; er trank so viel, wie ich es bei keinem anderen Menschen erlebt habe. Doch kaum waren diese Nachrichten eingelaufen, die ihn zu schnellem Handeln nötigten, enthielt er sich des Weins und trank nur noch Wasser. Er verlor auch das Interesse am Essen und kaute wie Cäsar an einem Stück trockenem Brot, während er über Karten und Plänen saß. Als er absegelte, war er schlank wie ein Knabe. Ich sah den Schiffen nach, bis sie verschwunden waren. Dann drehte ich mich um, ging wieder in den Palast und sagte traurig zu mir: »Ach ja, liebster Marcus - du wirst immer dünner, aber ich -« Denn an diesem Morgen hatte ich meinen Lieblingschiton weiter machen lassen müssen.
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14 Ich hatte verzweifelt gehofft, daß Marcus den Aufstand schnell und mühelos niederschlagen und mich zu sich an einen Ort rufen lassen würde, wo es ruhig und friedlich war; ich hoffte sogar, er könnte bald nach Alexandria zurückkehren und bei mir sein, wenn ich niederkam. Denn ich war mürrisch und fühlte mich nicht recht wohl, nicht einmal bei der kühlenden Frische des Frühlings. Es war nicht wie meine erste Schwangerschaft mit Cäsarion; vielleicht war ich zu alt - ein erschreckender Gedanke. Dioscorides sagte, er sei töricht und man könne mich nur jung und gesund nennen. Astrologen aus ganz Ägypten kamen zu mir, alle mit Schriftrollen und Tabellen und Sternkarten. Die Ägypter schätzen diese Wissenschaft hoch ein, obwohl man ihr in Griechenland jetzt keinen Glauben mehr schenkt; Dioscorides lachte sogar. »Fauler Zauber!« rief er verächtlich; die Ärzte glauben, daß nichts auf der Welt einen Wert hat außer der Medizin. Was mich betraf, so hatte ich wenig zu 281
tun und breitete gemeinsam mit Iras und Charmion die Tabellen auf dem Tisch aus und lauschte den Astrologen, obwohl sie wirklich nicht viel Gescheites sagten. Sie sahen diesen und jenen Stern bei der Zeugung zusammentreffen und bei der Geburt diesen und jenen Stern nicht zusammentreffen; viel miteinander im Widerstreit liegende Meinungen gabs bezüglich dessen, was all das bedeute, und auch viel Konkurrenzneid unter diesen hochgelehrten Herrn. Ausnahmslos sahen sie Ruhm und Reichtum und Schönheit. Natürlich würde mein Kind königlich und reich sein, das war ohnehin klar, denn Marcus und ich waren ja nicht gerade häßlich. Ich begann mich Dioscorides Meinung anzuschließen, es war alles ein bißchen dumm. Ein uralter Mann jedoch, ein Priester aus Theben, blind und mit der unheimlichen Würde der Blinden, sagte mehr. Er sagte, die Königin werde Zwillinge gebären, einen Jungen und ein Mädchen. Vor Jahrhunderten wäre das für die alten Ägypter eine Freudennachricht gewesen, denn der Sage nach waren die ersten von Göttern abstammenden Pharaonen solche Zwillingsherrscher; Dioscorides meinte, der Alte habe das prophezeit, um mich zufriedenzustellen und vielleicht ein paar Zuwendungen außer der Reihe für seinen Tempel herauszuschinden. Ich teilte seine Ansicht nicht, denn er war seltsam beeindruckend, und etwas Gold gab ich ihm sowieso, denn ich verehrte ihn und bedauerte ihn wegen seiner Blindheit. »Warum soll ichs nicht glauben«, sagte ich bitter zu Iras, »ich habe jetzt schon einen Bauch wie ein Mutterschwein, dabei bin ich erst im fünften Monat ...« Die Monate schlichen dahin, die heiße Jahreszeit kam, und Marcus kehrte immer noch nicht zurück und ließ mich nicht zu sich rufen; es wäre ohnehin zu spät gewesen, denn ich konnte jetzt nicht mehr reisen. Nachrichten liefen ein, aber sie waren stets bedrükkend. Fast ganz Syrien war den Parthern in die Hände gefallen, und Marcus hatte keinerlei Hoffnung, mit den paar Truppen, die ihm dort zur Verfügung standen, Boden zu gewinnen; er hatte es gar nicht erst versucht und sich nach Ephesus begeben, wo er Näheres über Fulvias Probleme erfuhr. Diese neueste Nachricht brachte Sergius, der als unser Kurier mit Marcus in See gestochen war. Er sagte, Marcus gesamte Familie und all seine Freunde seien aus Italien ge282
flohen, um Oktavians Zorn zu entgehen; Fulvia würde zu ihm nach Athen kommen. Ich war außer mir vor Zorn und Eifersucht; das war sonst nicht meine Art und ungerecht obendrein, denn ich wußte, daß Marcus sie nicht liebte; es muß an meinem Zustand gelegen haben. Aber ich behielt mich in der Gewalt und blieb leise und freundlich, als ich Sergius gebot, er solle zu Marcus zurückkehren und beobachten, wie sich die Ereignisse entwickelten. »Herrin -«protestierte er, »ich bin doch eben erst angekommen! Ich wollte dasein, wenn mein Kind geboren wird ...« »Ach, sei nicht albern, mein Guter! Kytheris ist immer noch schlank wie ein Knabe!« »Trotzdem - es kann jeden Tag soweit sein. Und sie hatte drei Totgeburten ...« Ich ließ ihn natürlich dableiben; ich bin schließlich kein Scheusal. Aber es war wieder eine Totgeburt, und ich weinte, als sei Kytheris meine eigene Schwester. Die Arme mußte mich trösten! »Still, Herrin«, flüsterte sie. »Still, Kleopatra - sonst wirst du noch krank ... und ich bins gewohnt. Ich bin verkehrt gebaut«, schloß sie traurig. Aber Dioscorides sagte, nein, daran läge es nicht; sie habe sich irgendwelche inneren Zerrungen zugezogen durch ihre Luftsprünge und Verkrümmungen, die Mittel ihres Berufs. »Um so mehr Grund für dich, jetzt Ruhe zu halten, Herrin ... unsere Königin darf nicht in dieselbe Lage kommen ... und mir gehts gut, Sergius kann jetzt wieder zurück.« Ich habe wirklich Glück mit meinen Frauen. Auch diese kleine Schauspielerin aus niederem Stande war immer treu und freundlich. Sergius kehrte bald mit weiteren schlechten Nachrichten zurück. Fulvia war gar nicht bis Athen gekommen, sondern an die hundert Kilometer davor in dem Ort Sikyon plötzlich erkrankt und gestorben. Und wieder benahm ich mich blödsinnig wie ein verstörtes dummes Ding; tiefer Schmerz überwältigte mich, und ich weinte stundenlang bitterlich, raufte mir das Haar und jammerte laut, als sei sie eine Blutsverwandte oder eine liebe Freundin von mir gewesen. Vielleicht sind wir alle nicht aus einem Guß; denn wenn ichs gewesen wäre, hätte ich mich sicher darüber gefreut, daß dieses Hindernis aus meinem Leben verschwunden war. Später glaubte ich 283
dann, daß die Trauer durch Gewissensbisse entstanden war; insgeheim hatte ich mir bestimmt gewünscht, Fulvia möge tot sein. Aber den Sterblichen fehlen die letzten und tiefsten Einblicke; sie sind den Göttern vorbehalten. Jedenfalls hegte Marcus keine solchen Gefühle; kaum hatte er von ihrem Tod erfahren, da machte er seinen Frieden mit Oktavian und schob die ganze Schuld an dem Kleinkrieg seiner armen Frau in die Schuhe! Die beiden Triumvirn trafen in Brundisium zusammen; man sagte mir, sie hätten gefeiert und seien lustig gewesen; einen lustigen Oktavian konnte man sich kaum vorstellen! Aber sie schlossen einen Friedensvertrag und gelobten, sich fünf Jahre daran zu halten. Ich hatte ein unbehagliches Gefühl dabei, denn Antonius verlor nichts, behielt alle Provinzen, die der Senat ihm zugesprochen hatte; kurz, er wurde weder bestraft, noch hatte er Nachteile. Es war schwer zu glauben, und ich war innerlich in Aufruhr; meine Gedanken schossen wieselflink bald hierhin, bald dorthin, hefteten sich erst an diese und dann an jene Information. Denn der Bote, der die Nachricht brachte, war keiner von den meinen, sondern ein Soldat, den Marcus geschickt und den ich noch nie gesehen hatte; ich konnte mich nicht darauf verlassen, daß er mir alles erzählte. Wieder rief ich Sergius zu mir; armer Mann, er hatte kaum den Staub von den Sohlen geschüttelt, könnte man sagen; trotzdem bat ich ihn, er möge sich wieder auf den Weg machen, diesmal auf den Weg nach Brundisium. »Sieh zu, daß du etwas herausbringen kannst, mein Freund, ich flehe dich an. All das klingt mir recht unwahrscheinlich ... sprich unter vier Augen mit Marcus ... mach ihn betrunken, wenns sein muß. Finde heraus, was zwischen diesen beiden Feinden vor sich geht ... welches Spiel sie spielen ...« Sergius brach bereitwillig auf und zwinkerte mir zu. »Zähl auf mich, Herrin. Keine Bange. Und beruhige dich.« »Das ist viel verlangt, mein Freund«, antwortete ich. »Aber ich wills versuchen. Ich vertraue dir.« Doch bald verschwand die Besorgnis aus meinen Gedanken; man könnte tatsächlich sagen, daß meine Gedanken selbst verschwanden. Denn ich bekam qualvolle Unterleibsschmerzen und konnte nicht gehen; eine Woche lang lag ich im Bett und hielt sie aus. Ich 284
konnte nichts essen und wurde sehr dünn, abgesehen von meinem Bauch, der wie ein Berg unter der Decke aufragte. Nach meiner Berechnung war es noch zu früh, und ich befürchtete eine Fehlgeburt oder eine Totgeburt, doch Dioscorides behauptete fest, es werde alles gut ausgehen, und ordnete an, daß man mir Fleischbrühe zu trinken gab, damit ich bei Kräften bliebe. Am Ende dieser Woche wachte ich am frühen Morgen auf und entdeckte, daß mein Bettlaken triefnaß und durchgeweicht war; Kytheris, die auf mein Rufen hin kam, sagte wissend und besorgt, die Fruchtblase sei geplatzt, und rannte los, um den Arzt zu holen. »Das wird eine Trockengeburt«, sagte Dioscorides. Aber ich hörte ihn kaum, denn die Wehen hatten eingesetzt. Ich kann mich nur schlecht an diese lange Geburt erinnern, denn man hatte mir Mohnsaft in hohen Dosen verabreicht; es war ein Segen, denn es dauerte zwei Nächte und einen Tag, wie man mir später sagte. Als ich erwachte, wehte eine frische Brise, die schwach rauchig roch; die Fenster standen weit offen; es war kurz vor der Abenddämmerung, schattig und kühl; irgend jemand hatte draußen Laub verbrannt, denn es war Herbst, und die Bäume waren schon kahl, ihre Zweige hoben sich wie eine schwarze persische Schrift vom rostroten Himmel ab. Mein Blick glitt an mir herunter; ich sah eine Flachheit, die mich erstaunte; es wirkte so, als sei mein Leib eingesunken. Ich lächelte und hörte - wie eine Antwort - ein leises, stillvergnügtes Lachen. Iras stand neben dem Bett, ein Baby auf dem Arm, und hinter ihr Charmion, noch ein Baby auf dem Arm. Immer noch lächelnd, sagte ich langsam: »Der Blinde aus Theben hat recht gehabt ...« Ich hatte Zwillinge geboren, einen Jungen und ein Mädchen; sehr rot und verknittert und klein waren sie, und an den Schläfen des Jungen erkannte man noch die Spuren von Dioscorides Zange, aber sie waren gesund und hübsch. Wenn man sie genau betrachtete, sah man, daß unser Sohn Marcus ähnelte; das Mädchen war mir wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich nannte sie Kleopatra Selene und Alexander Helios nach der Mondgöttin und dem Sonnengott Griechenlands; ich wollte weder bei den Ägyptern noch bei den Römern Anstoß erregen. Aber ge285
meint hatte ich Isis und Osiris oder Artemis und Apoll; die Götter sind dieselben, wie sie auch heißen mögen. Ganz Alexandria freute sich; in den Tempeln wurde geopfert, die Straßen verwandelten sich in Jahrmärkte - Festessen, Wein, eine arbeitsfreie Woche. Ich schickte Hippias hinter Sergius her, damit er Marcus die Neuigkeit überbrachte, denn ich war sehr gehobener Stimmung.
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15 Die Babys waren schon bald einen Monat alt, als die beiden Boten zurückkehrten. Sie hatten Marcus den ganzen Weg bis nach Rom folgen müssen. Sie standen vor mir, Sergius und Hippias, aber keiner wollte das Wort ergreifen. Ich hatte ihnen geboten, sofort zu mir zu kommen, und ihre Gewänder waren noch schmutzig von der Reise; an Kinn und Wange sprossen ihnen dunkle Bartstoppeln. Ich ließ Wein holen. »Freunde«, sagte ich vergnügt, »ihr sollt euch gleich ausruhen und schlemmen und ein Bad nehmen - aber trinkt erst ein Glas Wein mit eurer Königin, denn ich bin sehr glücklich.« Sie schienen meinem Blick auszuweichen, scharrten mit den Füßen und sahen zu Boden. Schließlich schaute mir Hippias in die Augen und räusperte sich. »Herrin - wir wollen nichts trinken, denn wir bringen dir eine traurige Nachricht ...« 287
»Habt ihr Marcus nicht sprechen können? Ist er etwa gefangen? Oder ...?« Angstvoll faßte ich mir nach der Kehle. »Nein, Herrin, es geht ihm gut -« Und wieder hielt Hippias inne. Sergius rückte schließlich damit heraus. »Herrin - er hat geheiratet. In Rom. Vor knapp zwei Wochen. Oh, es war eine schöne Hochzeit -« Seine Stimme klang bitter. »Auf den Straßen floß der Wein, und ein paar Mietshäuser gingen in Flammen auf ...« Mir war, als stünde mein Herz still; ich konnte es nicht fassen und stierte blöde drein. Schließlich flüsterte ich: »Wen ...?« »Oktavia, die Schwester von -« »Ich weiß«, erwiderte ich dumpf. »Die Schwester von Oktavian. Ich bin ihr einmal begegnet ...« »Herrin«, sagte Hippias, »hier ist ein Brief für dich ...« Und er zog ihn aus seiner Tunika und reichte ihn mir, eine plattgedrückte Schriftrolle, achtlos zugebunden und nicht einmal gesiegelt. Ich nahm sie mit spitzen Fingern entgegen, als sei sie dreckig; ich war tief gekränkt - so, als sei dieses schlampige Schreiben die Ursache meines ganzen Elends und nicht die Unglücksnachricht. »War er besoffen?« fragte ich laut und hart. Den Brief öffnete ich nicht. Hippias blickte verwirrt drein. »Als er geheiratet hat?« »Nein, als er das geschrieben hat!« Und ich zerriß den Brief ungelesen. Am steifen Pergament brach ich mir einen Fingernagel bis zum Fleisch ab. Ich begrüßte den Schmerz, denn dadurch bekam ich mich wieder in die Gewalt. Ich lächelte. »Trunkenheit, meine Liebe, wäre wirklich das Freundlichste, was sich zur Entschuldigung vorbringen ließe ... für diesen ganzen Schlamassel. Aber ich war unfreundlich und unhöflich ... Ihr seid beide zum Umfallen müde. Bitte geht auf eure Zimmer, und erfrischt euch. Ich lasse euch Essen und Wein bringen. Und am Abend werden wir zusammen speisen - und vielleicht auch reden ... und weiterkommen als jetzt.« Sergius verneigte sich tief. »Herrin, wir danken dir. Andere Königinnen hätten uns einer solchen Botschaft wegen hinrichten lassen.« Ich lächelte. »Wie die Herrscher von früher in euren Tragödien? Nein, meine Freunde - diese Tage sind für immer vorbei.« Ich lach288
te ein wenig. »Aber ich bedaure es wirklich ... das wäre befriedigender, als bloß ein Pergament zu zerreißen.« Jetzt lächelten sie zum ersten Mal, denn sie merkten, daß ich noch bei Sinnen war, und Hippias schnitt eine drollige Grimasse, rollte die Augen und machte die Geste des Halsabschneidens. »Geh jetzt, du treuer Narr«, sagte ich. »Du hast mich zum Lachen gebracht - aber ich kann nicht garantieren, daß das lange vorhalten wird ...« Und ich schob sie hinaus. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich den Tag überstand; ich nehme an, daß er nicht schlimmer war als viele andere Tage in den folgenden Wochen und Monaten; mein Kissen war immer naß von Tränen und wurde nicht ausgewechselt, weil ich es vor meinen Frauen verbergen wollte. Ich weiß, daß ich fast einen Trampelpfad in meinen Teppich trat, ihn fast durchscheuerte bis zum Marmor darunter, denn ich ging immer wieder hin und her und her und hin, vom Fenster zur Liege. Doch wenn ich es nicht getan hätte, hätte ich irgend etwas kaputtgemacht in meinem Zorn und in meinem Schmerz - so wie ein armes, eingesperrtes Tier, das einen Stock oder einen Fetzen Stoff zerfasert. Jedenfalls behielt ich die Neuigkeit den ganzen Nachmittag für mich und war beim Essen durchaus gelassen. Allerdings - ich erinnere mich - trug ich zuviel Schmuck und hatte mich zu stark geschminkt. »Wie sieht sie aus - Oktavia?« fragte ich. »Als ich sie kennenlernte, war sie noch ein unerfahrenes Mädchen.« Sergius schaute mich an, ausnahmsweise ein wenig unsicher. »Tja - sie ist sehr groß geworden ...« Ich lächelte. »Das will ich doch nicht hoffen«, meinte ich etwas boshaft. »Sie war damals schon ein gutes Stück länger als die meisten ...« »Sie ist so groß«, sagte Hippias, »wie ihr Bruder klein ist ... und sie sind sich auch nicht ähnlich.« »Ist sie beliebt?« Ich konnte nicht anders, ich mußte diese Frage stellen. Hippias zuckte die Achseln. »Nicht mein Geschmack. Ohne Saft und Kraft.« 289
»Marcus nannte sie einmal ... das hübscheste Mädchen in ganz Rom.« »Ach ja - hübsch ist sie wohl. Ihre Augen sind groß und sanft, die Nase ist gerade und klein, das Kinn rund und der Mund gut geschnitten ...« »Sie scheint ja ein Prachtstück zu sein«, sagte ich trocken. Sergius sprach. »Herrin - das Beschreibbare ist schnell aufgezählt. Groß, ein bißchen zu mollig, der Kopf ein wenig zu klein, dunkles Haar und ein liebes Gesicht. Aber das Unbeschreibbare - Zauber, Ausstrahlung -, das fehlt. Der Funke springt nicht über, wie wir beim Theater sagen würden ...« »Und Stampfer hat sie wie ein Elefant«, warf Hippias rüde ein. »Natürlich trägt sie lange Kleider; so vernünftig ist sie immerhin.« »Trotzdem - man muß gerecht sein. Sie ist höflich und freundlich. Sie hat sich nach dir erkundigt, Herrin ... und ich schwöre dir, daß ihr wirklich daran lag«, sagte Sergius. »Ich möchte wetten, daß das Ganze nicht von ihr ausgegangen ist. Sie ist gerade die Woche davor Witwe geworden und trug noch das Weiß der Trauer. Es heißt, sie habe diesen Mann geliebt ...« »Es heißt auch«, ergänzte Hippias, »es sei gut, daß er gestorben ist, denn seine Tage seien sowieso gezählt gewesen, nachdem Oktavian erfahren hat, daß Marcus frei ist.« »Ihr glaubt also«, fragte ich, »daß es ausschließlich Oktavians Idee war?« »O Herrin - daran gibt es überhaupt keinen Zweifel!« Hippias erhob die Stimme. »Alle römischen Aristokraten denken in diesen Dingen gleich. Nichts als Politik. Überleg! Profitiert Oktavian davon, daß er in ständiger Feindschaft mit Marcus lebt? Das Volk liebt ihn nicht, hats nie getan und wirds nie tun. Marcus ist der populärste Mann in Rom - populär bei den Plebejern, bei seinen Soldaten ... und sogar bei den Aristokraten. Wenn Oktavian schon sonst nichts ist, schlau ist er. Diese Verbindung kann ihm nur nützen; ein bißchen von der Popularität, hofft er, wird auf ihn abfärben. « »Ich glaube«, sagte ich langsam, »daß diese Verbindung allen nützt ... bloß mir nicht.« »Sie wird Antonius sicher so manche Tür öffnen. Türen, die sich Fulvias wegen vor ihm verschlossen haben«, meinte Sergius. 290
»Der fadere Typ Mensch liebt Oktavia ... man hält sie für die perfekte römische Ehefrau.« »Die Plebejer sind da allerdings anderer Meinung«, ergänzte Hippias. »Der Hochzeitszug wurde nach der Trauung mit Steinen beworfen, und die Menge schrie: Kleopatra!« Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoß. Ich hatte einen Kloß im Hals und mußte schlucken, bevor ich sprechen konnte. »Stimmt das? Haben sie das wirklich gerufen?« »Herrin«, sagte Hippias, »ich schwörs. Und öfter als einmal. Man mußte sogar Soldaten holen, damit die öffentliche Ordnung gewahrt blieb. Und sie haben auch nach Cäsarion gerufen ... einige zischten Marcus an - er sei ein Verräter. Und eine Frau schrie: Schäm dich! Du siehst also - man denkt an dich in Rom ... und liebt dich.« Ich lächelte ein wenig. »Marcus hat gesagt, ich könnte es gut mit dem gemeinen Volk.« »Ohne das kommt man nicht weiter«, meinte Hippias und nickte weise. »Mein Freund, ich befürchte, ich komme mit dem nicht weiter jedenfalls im Moment nicht.« »Das ist ein trauriger Moment für dich, Herrin«, sagte Sergius. »Aber es handelt sich ja nur um eine von diesen römischen Ehen. Sie werden schnell geschlossen und ebenso schnell wieder geschieden ... und du hast Kinder von ihm.« »Mögen die Götter mich selbstsüchtige Frau strafen!« rief ich. »Ich habe an nichts anderes gedacht als an meinen gekränkten Stolz ... Was hat Marcus gesagt? Wie hat ers aufgenommen... gleich zwei Kinder?« Ich war fast fröhlich. »Er hat gelacht«, antwortete Hippias. »Und gesagt, man könnte sich darauf verlassen, daß du aus allem mehr rauskriegst, als du investiert hast.« »Was er wohl damit gemeint hat?« fragte ich. »Aber vergessen wirs einstweilen! Er hat sich also gefreut? Und was sonst? Haben ihm die Namen gefallen?« Hippias hob lachend die Hand. »Bitte nicht alles auf einmal, Herrin! Zu den Namen hat er genickt ... ich nehme an, er war damit einverstanden. Und er hat sich betrunken ...« »Na ja - das ist nichts Neues«, sagte ich ein wenig enttäuscht. »Aber 291
es bekümmert mich, das zu hören. Ich dachte, er hätte das Trinken aufgegeben.« »Tja ... es war seine Hochzeitsnacht«, sagte Sergius. »Und die Braut war in Trauer«, sagte Hippias. Immerhin etwas, dachte ich. Aber dann fiel mir ein, daß es schon Wochen her war; die Römer trauern nicht lange. »Am Tag darauf«, fuhr Sergius fort, »gab er die Geburt der Kinder auf dem Forum bekannt.« »Was?« rief ich. »Das ist doch nicht möglich!« Er nickte. »Doch. Er hat eine Rede verlesen, die Namen und alles. Etwa: ... die Königin von Ägypten ist von Zwillingen entbunden worden, ein Junge und ein Mädchen, meine Kinder. Denn wir sind nach ägyptischem Ritus getraut ... und dies sind nach Cäsarion, dem Sohn des großen Julius, die Erben Ägyptens.« »Wir sind nach gar keinem Ritus getraut«, sagte ich. »Aber seis drum ... Marcus ist gescheit; er hats zu seinem Vorteil gewendet mit dem Verweis auf Cäsar - auf den wahren Cäsar, nicht auf den, der sich Augustus nennt.« Hippias nickte. »Und der machte auch ein äußerst finsteres Gesicht ... du hättest es sehen sollen. Und dann - dann brach unbändiger Jubel los ... Oktavia ließ gratulieren; ich glaube sogar, daß sie es ehrlich gemeint hat.« Insgeheim dachte ich, das könnte nicht sein, aber ich sagte nichts. Es war jedenfalls unmöglich, ihr irgendwelche Vorwürfe zu machen; wahrscheinlich hatte sie keine Wahl gehabt; soviel wußte ich von den römischen Bräuchen. Trotzdem nagte die Eifersucht an mir; wider alle Vernunft spürte ich sie wie einen körperlichen Schmerz. Ich gönnte Marcus seinen Wein nicht; das war eigentlich nicht meine Art. Als ich später wieder in mein Zimmer kam, stolperte ich im trüben Lampenlicht und trat auf etwas. Es war Marcus Brief, den ich zerrissen hatte. Er lag noch dort, wo ich ihn im ersten Zorn hingeworfen hatte. Mit zitternden Fingern hob ich ihn auf und dankte den Göttern dafür, daß ich das Zimmer nicht hatte aufräumen lassen. Es war ein glatter Riß; man konnte den Brief leicht wieder zusammenfügen. Er erklärte alles oder versuchte es zumindest. Mar292
cus schrieb, diese Hochzeit sei die einzige Möglichkeit, die ihm bliebe, er sei nicht in der Lage, Krieg gegen Oktavian zu führen, er sei gezwungen, sich mit ihm auszusöhnen, » ...mein Liebling, Du mußt mir vertrauen. Du kennst die Situation hier in Rom nicht und weißt nicht, welche Macht Oktavian an sich gerissen hat ... er ist sehr listig. (Ich darf Dich daran erinnern, diesen Brief zu vernichten.) Denk auch daran, meine Süße, daß es nur eine Papierehe ist, die uns nicht weiter berührt. Ich sehne mich danach, unsere Kinder zu sehen. Mögen die Götter sie und Dich beschützen... Marcus.« Es sei nur eine Papierehe, sagte er, aber sie trug ein knappes Jahr später Früchte; im nächsten Herbst gebar Oktavia eine Tochter, die Antonia genannt wurde. Und obwohl Marcus sich danach sehnte, die kleine Kleopatra und den kleinen Alexander zu sehen, wurden sie fast vier Jahre alt, bis es soweit war.
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16 Wie soll man vier lange Jahre übergehen, als hätte es sie nicht gegeben? Das Leben steht nicht still für eine Frau, weil sie von ihrem Geliebten getrennt ist, und es steht nicht still für eine Königin, weil die Zeit ihrer Herrschaft ruhig verläuft. Viel geschah in jenen Jahren in Alexandria und außerhalb Alexandrias. Die Zwillinge gediehen prächtig; sie waren anfangs klein gewesen, aber sie wuchsen rasch und waren vollkommen gesund. Der Junge lief als erster, doch das Mädchen sprach früher; Dioscorides sagte, das sei normal. Für mich gab es nur einen Alexander, den, der in beängstigender Schönheit unter dem Palast schlief; wir riefen den Jungen Alex. Das Mädchen nannten wir immer bei ihrem zweiten göttlichen Namen - Selene; es schien ihr recht zu sein. Es waren schöne Kinder, auch wenn ihre Mutter das sagt, schön und lieb dazu. Nicht wie Cäsarion, der von Tag zu Tag selbstherrlicher und schwieriger wurde. Er war liebenswürdiger gewesen, als Antyllus noch da 294
war, aber binnen eines Jahres ließ Marcus seinen Sohn kommen; er wolle, so erklärte er, daß der Junge seine neugeborene Schwester kennenlerne! Ich schickte ihn natürlich zurück und gab ihm viele Geschenke für die Kleine mit; was bedeutete schon eine Kränkung mehr? Aber der Junge weinte, als müsse er nicht bloß Abschied nehmen, sondern sterben. Später entdeckte ich unter dem Lederarmband, das Cäsarion trug, die alte Narbe der Bruderschaft - die beiden Freunde hatten nach griechischem Brauch ihr Blut vermischt. Sie hatten auch gemeinsam Platon gelesen; eine dunkle Locke lag als Merkzeichen zwischen den Seiten; sie hatte die Farbe und Beschaffenheit von Antyllus Haar. Ich sagte nichts, dachte aber bei mir, daß die Trennung letzten Endes vielleicht doch nicht so schlecht war. Solche Freundschaften können das Herz für immer in Anspruch nehmen und alles andere ausschließen. Und Cäsarion war zum Herrschen geboren. Iras gebar ein paar Monate nach mir auch Zwillinge, zwei Mädchen; bei den Ptolemäern hat es oft Zwillinge gegeben. Sie waren unirdisch schön und leider auch so zart, denn sie starben, bevor sie die ersten Milchzähne bekamen. Ein Fieber raffte sie im Frühling dahin; das ganze Haus mußte das Bett hüten, aber wir hielten es für eine leichte Krankheit, bloß Schnupfen und ein bißchen Schmerzen. Auch mein lieber Apollodorus starb daran; es war ein sanfter Tod wie bei den Kindern - er ereilte ihn im Schlaf. Ich ließ ihn und die Kleinen im königlichen Mausoleum beisetzen; ich hatte ihn zu meinen Wahlverwandtschaften gerechnet und trauerte lange. Der Nil trat jedes Jahr über die Ufer; es gab keine Hungersnöte, und das Land gedieh. In Alexandria herrschte tiefster Friede; nur einmal kam es zu einem kleinen Aufruhr im Ägypterviertel, als ein römischer Soldat eine Katze tötete. In der alten Religion sind das heilige Tiere; unbeschadet dessen, daß diese eine toll geworden war. Doch es kostete niemand das Leben, einige holten sich nur ein paar Schrunden am Kopf und blutige Nasen. Das war nicht schlecht für eine so große Stadt. Was mich betrifft, verschwimmen die Monate zum größten Teil ineinander, wenn ich zurückdenke. Ich wusch mir täglich die Haare, badete in Milch und verbrachte viel Zeit mit Schminktöpfen und 295
Parfümen. Ich hielt das Personal auf Trab - es polierte Möbel und Geschirr - und ließ die Köche neue Rezepte ausprobieren. Ich sorgte dafür, daß meine Legionen gefechtsbereit blieben und sich fleißig übten und ließ viele neue Schiffe bauen. Und die ganze Zeit über hoffte ich auf die bloße Möglichkeit, daß jeden Morgen die Segel von Marcus Galeere in Sicht kommen könnten, rosig gegen den Himmel. Einmal sandte ich in einem Wutanfall nach Herodes, dem König von Judäa, hatte vor, sein Bündnisangebot anzunehmen; aber dann gewährte ich ihm keine Audienz; er stand sich eine Woche lang die braunen Beine in den Bauch und ging wieder heim. Vermutlich führte er das auf die unbeständige Natur der Frauen zurück; obwohl er sich römisch kleidete, war er schließlich ein Orientale. Und für die kommen die Frauen irgendwo hinter ihren Lieblingspferden. Ich blieb die ganze Zeit über auf dem laufenden, was die Nachrichten aus aller Welt, aus Rom und über Marcus betraf; manchmal durch meine Schauspieler, manchmal durch andere Spione. Kurz nach der Geburt seiner Tochter schlug Marcus sein Quartier in Athen auf, Oktavia kam mit. Es hieß, er feiere verschwenderische Feste, tränke ungeheuer und verschwende Zeit und Geld. Man sagte auch (vielleicht wars nur für meine Ohren bestimmt), Oktavia habe sich zur keifenden und schimpfenden Xanthippe entwickelt. Den einen Tag tat sie mir leid, den nächsten jubelte ich darüber, daß sie ihn so nicht halten konnte. Marcus herrschte den Berichten zufolge wie ein Despot im Herzen Griechenlands, aber wie ein gütiger Despot man liebte ihn sehr. Im Gegensatz dazu war das, was man von Oktavian erzählte, fürchterlich - wenn man dem überhaupt Glauben schenken durfte. Er ließ so viele foltern und kreuzigen, daß es ihm den Spitznamen »Der Scharfrichter« eintrug. Er wirkte beherrscht und gab sich ganz ruhig, wenn er in der Öffentlichkeit auftrat, doch im Privatleben frönte er zügellosen Ausschweifungen in ordinärster Gesellschaft. Etliche römische Patrizier schickten ihre Frauen und Töchter aufs Land, denn dieser nicht eben angenehme Neffe Cäsars machte Jagd auf tugendhafte Damen und tat ihnen sogar Gewalt an! Es hieß, selbst Kurtisanen seien, sein Gold verschmähend, vor ihm geflohen. Ich sagte bereits, daß ich unschlüssig war, ob ich all das glauben sollte, 296
aber so wurde es mir berichtet. Ich weiß, daß er in dieser Zeit dreimal die Frau wechselte; die letzte, Livia, wurde ihrem Mann gewaltsam im achten Schwangerschaftsmonat entrissen und binnen eines Tages geschieden und wiederverheiratet. Ich weiß auch, daß viele seiner Untertanen ihn haßten und nicht einmal seinen Anblick ertrugen; noch nie hatte es in Rom so viele Fraktionen gegeben. Einer seiner einflußreichsten Feinde war Pompejus Sohn Sextus, der Bruder des toten Gnäus. Dieser Mann war ein berühmter Kapitän, bekannt als »Der Seeräuber«; und tatsächlich war er auch nicht mehr als ein Pirat; sein Vermögen war mit dem seiner Familie dahingeschmolzen. Aber er galt als Volksheld; Rom liebt manchmal die Zukurzgekommenen. Als er Oktavian auf See schlug - ein Entscheidungssieg -, kam es in allen Provinzen zu Demonstrationen, und auf den Straßen Roms jubelte die Plebs. Fast zur selben Zeit gewann ein Feldherr namens Ventidius, ein Anhänger von Marcus und auf Marcus Befehl hin tätig, eine große Schlacht gegen die Parther, durch die der Besitz von Syrien wieder gesichert wurde. Der Senat verfügte einen Triumph für Marcus und Ventidius; er fand in Rom statt, unmittelbar vor Oktavians Augen und gleich nach seiner Niederlage. Ich war nicht so niederträchtig, daß ich mich freute; aber für mich war es ein Schritt vorwärts, wenn ich auch weitab vom Schuß und außerhalb des Geschehens war. Ich begann mich wieder häufig im Hafen aufzuhalten und stationierte Doppelposten auf dem Leuchttum auf der Insel Pharus. Denn ich glaubte zu wissen, daß Marcus kommen würde. Ein Jammer, daß es nicht so war; ich hätte ihm alles verziehen und keine Fragen gestellt. Ich habe ein widersprüchliches Wesen; ich bin berechnend, wenn ichs sein muß, und lasse die Berechnung achtlos beiseite, wenn ichs will. Ich bin eine Griechin und die große Geste gewohnt; vielleicht war es falsch, das auch von einem Römer zu erwarten. Dreieinhalb Jahre waren vergangen, seit er Alexandria verlassen hatte. Diese Jahre hatten ihm Macht im Osten und Siege in Rom gebracht; Parthien schien vor ihm in die Knie zu gehen, und Oktavians Stern schien zu sinken. Doch obwohl das Glück ihm hold war, hatte er mir nichts anzubieten als Vorsicht und Zurückhaltung. Denn er schickte einen Mann zu mir, den ich noch nie gesehen 297
und von dem ich noch nie gehört hatte, einen Mann namens Fontejus Capito. Er hatte die gleiche umständliche, spröde, altjüngferliche Art wie Cicero und das gleiche kühle, dünnlippige Gesicht samt ungeheurer Nase. Ich hatte Cicero durchaus gemocht, aber als Überbringer einer Liebesbotschaft war er nicht geeignet. Und so verhielt es sich auch mit diesem; er rümpfte ein wenig die lange Nase und verlas Marcus Worte; sie waren zwar glanzlos, aber ich hätte sie lieber selbst gelesen! Er erwähnte nicht einmal unsere beiden Kinder, geschweige denn, daß er sie grüßen ließ oder sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte. Auch kein Wort über Cäsarion. Er ließ wahrhaftig nicht einmal mich grüßen; das ganze Schreiben war nichts weiter als eine Aufforderung, mich zu einem Treffen in Syrien einzufinden; er war so freundlich - oder so wurstig -, Ort und Zeit mir zu überlassen. Ich verbeugte mich und dankte diesem Capito, ließ ihn allerdings von meinen Hofleuten unterhalten und bewirten und sagte ihm eine Antwort für den nächsten Morgen zu. Ich hatte viel Geduld gelernt in den letzten Jahren, aber sie reichte denn doch nicht bis zu einem Mann, den meine Schauspielerfreunde einen »Senator zweiter Garnitur« genannt hätten! Nachdem ich ihn verabschiedet hatte, stand ich lange da und dachte nach. Schließlich entschied ich mich dafür, meinen Berater zu fragen; ich konnte nicht darauf bauen, daß ich bei dieser Angelegenheit kühl und gelassen blieb. Ich ließ Cadwallader, den Britannier, zu mir rufen. Er war Iras ein guter Mann und Cäsarion ein kluger Erzieher; er war etwas weltfremd wie mein lieber Apollodorus, aber solche Menschen blicken oft tiefer, durchschauen die Maske des reinen Verstandes. Cadwallader hatte bereits zu altern begonnen, obwohl er, glaube ich, so jung an Jahren war wie ich. Sein Haar war ausgebleicht zu einem graufarbenen Gelb, hie und da mit roten Strähnen wie Roststreifen, und er hatte die faltenreichen Augenlider der Freundlichkeit und des Humors; er hielt sich nach wie vor gerade, war groß und hatte mächtige Schultern. Er hörte mich ruhig an; zweifellos hatte er bereits Mutmaßungen angestellt und die Lage zum größten Teil erfaßt. »Also, mein Freund -«, schloß ich. »Was soll ich tun?« 298
Er schaute mich einen langen Moment an und lächelte ein wenig. »Ich glaube, das weißt du selbst, Kleopatra, denn nur du hast Zugang zu deinem Herzen.« »Du sollst eins wissen, lieber Freund«, sagte ich. »Bevor wir uns weiter unterhalten, sollst du wissen, daß ich diesen Mann wider alle Vernunft liebe ...« Er nickte. »Ja. Und es fällt schwer, standhaft und fest zu bleiben, wenn das Herz Sehnsucht hat ... Aber du mußt standhaft und fest bleiben - um deiner Kinder und um deines Landes willen. Laß es mich klar und deutlich sagen ...« Und er schwieg kurz. »Erstens hat Antonius dich praktisch im Stich gelassen, und das für eine ganze Weile. Denn seiner Ansicht nach brauchte er Oktavian dringender. Nun verhält es sich umgekehrt, und er bedarf dieses Mannes und seiner Schwester nicht mehr -« Ich unterbrach ihn. »Erwartet er, daß ich glaube, die Heirat und seine lange Abwesenheit seien nichts weiter als politische Schachzüge gewesen? Daß ich glaube, er habe nie aufgehört, mich zu lieben? Daß ich glaube, er habe Oktavia nicht einen Augenblick geliebt?« »Das wirst du besser wissen als ich, Kleopatra«, sagte Cadwallader. »Männer nehmen sich immer, was sie leicht kriegen können ... nur du selbst weißt, wie stark das Band zwischen euch ist ...« Ich schwieg und dachte nach. Trotz allem spürte ich das Band, von dem er sprach, spürte es über Meere hinweg. Konnte ich diesem Gefühl vertrauen? Ich lachte ein bißchen und fragte: »Kann ich Marcus vertrauen?« »Nein«, sagte Cadwallader. »Denn wie jeder Römer verstrickt er sich in die Mittel, die er einsetzt, um sein Ziel zu erreichen. Sie sind ein intriganter Menschenschlag und können keinen geraden Weg gehen - selbst die Besten nicht ... Nein, die Liebe reicht nicht, wenn du ihn an dich binden willst - und die Ehre auch nicht. Denn trotz aller schönen Worte haben die Römer recht wenig davon.« »Cäsar war ein ehrenwerter Mann -«, wandte ich ein. »Ja. Dir gegenüber. Und mir gegenüber. Aber bei meinem Vater nicht. Bei Gallien und Galliens Führern nicht. Und nicht bei den Säuglingen in jenem Dorf jenseits des Rheins, die er auf Schwerter hat spießen lassen ...« Er blickte mich durchdringend an. »Und - sei 299
mir nicht böse - nicht bei Calpurnia.« Weil ich selbst eine Frau war, wurde mir seltsamerweise alles klar, als er Calpurnia erwähnte. Ich nickte. »Ja. Ich verstehe. Ich muß aufhören zu geben. Ich muß nehmen ... Aber nach Jahren des Nachdenkens sehe ich es so, daß ich mein Geschick nicht allein bestimmen kann ... Es gibt keinen anderen Weg als den über Marcus. Keinen sicheren Weg - nicht einmal zur Erhaltung meines Throns. Wahrscheinlich habe ich das immer irgendwo gewußt ... Aber diesmal muß ich die Gewißheit haben, daß er es redlich meint.« »Mehr noch. Du brauchst mehr. Erstens muß er dich heiraten. Zweitens muß er mit den Machenschaften aufhören, die ihm so lieb und wert sind. Er muß Oktavian ganz offen als Feind entgegentreten. Außerdem muß er - gemeinsam mit dir - nach der vollständigen Eroberung des grenzenlosen Ostens und des gesamten Westens trachten. Er muß in allen Dingen als der Nachfolger von Julius Cäsar handeln. Er muß es sich zum Ziel machen, daß Cäsarion einmal erbt, was ihr gemeinsam geschaffen habt. Und das muß er bei dieser Zusammenkunft schriftlich und in Gegenwart von Zeugen niederlegen - in Gegenwart seiner und deiner Zeugen.« Ich lächelte ein wenig. »Und du glaubst, ich kann ihn dazu bekommen?« »Du mußt«, sagte er schlicht. Am nächsten Morgen rief ich Capito, Marcus Gesandten, zu mir und brachte meine Forderungen vor. Ich kleidete mich in meine Prunkgewänder, die ich selten trage; ich hatte die Schlangenkrone Altägyptens auf dem Kopf und das Zepter von Isis und Osiris in der Hand; um den Oberarm hatte ich sogar den bronzenen Reif der Pharaonen, zwei sich windende Uräusschlangen. Obwohl ich das Ding nicht mag; es war schlecht gearbeitet, mit zwei scharfen Spitzen innen, die man wieder und wieder abgefeilt hatte, aber trotzdem scheuerte ich mir immer die zarte Innenseite des Arms daran wund. Wie es früher üblich war, hatte ich mir schwarze Lidstriche gezogen; es gab mir etwas Entrücktes, an eine Göttin Gemahnendes. »Ich werde - sofern die Winde günstig sind - mit dem Triumvirn Antonius am Tag der Wintersonnenwende in Antiochien in Syrien zusammentreffen. Er soll vor mir da sein und für Unterkünfte sor300
gen. Ich werde mit kleinem Gefolge kommen, mit etwa dreihundert Personen. Der Palast des Statthalters wird wahrscheinlich ausreichen.« Er ließ den Unterkiefer fallen; ich mußte fast lächeln. »Ich möchte binnen zweier Wochen Bestätigung«, sagte ich. »Deshalb würde ich vorschlagen, daß du keine Zeit verlierst. Du wirst die Gastfreundschaft Alexandrias ein andermal genießen können.« »Der Triumvir Marcus Antonius hat um eine kurze Zusammenfassung deiner Bedingungen gebeten«, sagte er und geriet angesichts meines kalten Blicks ein wenig ins Stottern. »Meine Bedingungen sind nur für das Ohr des Triumvirs bestimmt. Er wird sie noch rechtzeitig in Syrien erfahren. Und nun, Fontejus Capito, mußt du dich beeilen.« Ich beobachtete, wie er sich zurückzog, aufrecht und steif wie Cicero, aber irgendwie komisch. Als die Sklaven die schweren Türen des Audienzsaals hinter ihm geschlossen hatten, lachte ich zur Verblüffung meines Hofstaats schallend. Dann faßte ich mich wieder, entließ sie und ging würdevoll auf mein Zimmer. Iras stand schon bereit, um mir den schweren Mantel von den Schultern zu nehmen; über ihren Kopf hinweg sah ich in Charmions fragende Augen. »Es ist erledigt«, sagte ich. »Und jetzt lassen wir Marcus eine Weile schmoren!« Ich zog den schweren Armreif ab und rieb mir zusammenzukkend die beiden wunden Stellen.
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17 Antiochien ist eine orientalische Stadt mit Türmen und Befestigungsanlagen; anders als bei uns geht es im Hafenviertel zu wie auf einem Marktplatz. Vom Schiff aus sieht man das bunte Gewimmel; Seeleute aus aller Herren Ländern mischen sich unter die Händler und Huren, die sich ganz unbefangen in der Menge bewegen. Nur mit Mühe konnten wir Liegeplätze für unsere sechs Schiffe finden, so voll war es im Hafen. Und als wir einliefen, schaute niemand hin; die Leute waren zu sehr an Neuankömmlinge gewöhnt. Um so besser, denn das war meinen Plänen nur förderlich. Wir fuhren bei Sonnenuntergang in den Hafen ein; ein paar Verkaufsstände waren schon abgebaut oder für die Nacht zugedeckt, aber die Menge hatte sich noch nicht verlaufen. Kytheris, die neben mir an der Reling stand, sagte, daß der Geschäftsbetrieb hier bei Einbruch der Dunkelheit nicht aufhörte, sondern bei Laternen- und Fackelschein weiterginge. »Diese Stadt bleibt den größten Teil der 302
Nacht über auf«, erklärte sie. »Bei Glücksspiel und Hurerei, Darbietungen an jeder Straßenecke - Gauklerkunststücke, Vorführungen ohne Worte und ohne Masken natürlich - nicht das Wahre, aber immerhin ...« Ich glaubte, trotz ihrer verächtlichen Worte einen Unterton von Wehmut in ihrer Stimme zu hören; »das Wahre«, wie sie es nannte, das richtige Theater, ist für Festtage und Spiele da, und darum finden nur selten und mit langen Abständen dazwischen Vorstellungen statt. Ich blickte sie nachdenklich an. »Wir sollten ein Hoftheater haben«, sagte ich. »Auf Befehl der Königin. Aber ein gutes, nicht den üblichen Pfusch ... wenn all das geregelt ist - die Sache mit Marcus ich gebe dir mein Wort ...« »Du bist sehr freundlich, Herrin«, sagte sie. Ihr dunkles kleines Gesicht hellte sich auf. Sie strahlte. »Aber jetzt«, fuhr ich fort, »wollen wir sehen, wann wir unseren Plan in die Tat umsetzen ...« Ich betrachtete die Menschenmenge an Land, die bunt durcheinanderwimmelte wie ein Ameisenhaufen. »Wann, glaubst du, geht Marcus zu Bett?« »Na ja - hier sicher nicht vor Tagesanbruch. Vielleicht kurz davor ... wenn der Morgen graut. Dann wird er wohl schlafen ...« »Hoffen wirs«, sagte ich lächelnd. »Wir wollen, daß er schläft wie ein Toter ...« Sie erwiderte mein Lächeln, und wir gingen unter Deck, um zu Abend zu essen und unsere Vorbereitungen zu treffen. Wir speisten schon früh, und danach legte ich mich zur Ruhe; ich mußte aussehen wie das blühende Leben und munter sein. Es herrschte tiefste Nacht, als Kytheris mich sanft an der Schulter rüttelte. »Wach auf, Herrin ... es wird Zeit. Ich habe alles zurechtgelegt ...« Ich blinzelte und fuhr hoch; Iras zündete gerade ein paar Kerzen an; sie flackerten in den Ecken des Raumes. Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen; Kytheris brachte mit Wasser verdünnten Wein, und Charmion begann, mein Haar locker hochzustecken; ich sah, daß sie alle schon fertig waren - bloß ich noch nicht. »Oh, das sieht großartig aus«, sagte ich. »Junge skythische Reiter ... aber du mußt ohne den Bart gehen, Charmion, der wirkt nicht sehr überzeugend ...« »Nein«, bestätigte Kytheris. »Wir können nicht so tun, als seien 303
wir besonders alt, dafür sind wir alle zu klein und zu schmal. Er muß ab.« Und sie streckte die Hand aus und nahm Charmion den schwarzen Bart aus der Requisitenkammer vom Kinn; sie blickte so enttäuscht drein, daß wir alle lachen mußten. »Und wenn du zu wild schaust, Cousine«, sagte ich vergnügt, »kommen wir nicht an den Posten vorbei.« »Hippias hat für alles gesorgt ... sämtliche Posten sind bestochen - diejenigen, die nicht Bescheid wissen. Er erwartet uns vor dem Eingang zu dem Palast, in dem Marcus wohnt. Sergius ist schon fertig und wird sich mit uns auf den Weg machen, Cadwallader auch.« Kytheris sprach mit Nachdruck; an diese Dinge war sie gewöhnt, an Aufführungen, an Inszenierungen. Ich drückte ihr kurz die Hand und griff, nach den Lederhosen. Sie waren korallenrot gefärbt, aus feinstem Rehleder, und paßten wie eine zweite Haut. Die Hosen der anderen hatten Zugschnüre am Bund und fielen locker, darüber trugen sie eine Art Tunika. Es war die Aufmachung jener skythischen Reiter, die schnell wie der Wind, ohne Sattel und Zügel dahinjagen und manchmal, auf zwei Pferden stehend, im gestreckten Galopp ihre Pfeile abschießen; bei Darbietungen sind sie überall sehr begehrt, auch in Rom; ein kleines Volk, also würden wir Frauen mit unserer Verkleidung keine Schwierigkeiten haben. Ich stand still, während Kytheris meine Hosen zuband; das Leder war an mehreren Stellen durchbohrt und durch die Löcher liefen dünne Riemen, die hinten, wo ich nicht hinkam, zusammengeschnürt wurden. Aber das gehörte zum Plan. Als Kytheris fertig war, nahm sie einen nassen Schwamm und fuhr damit über die verknoteten Riemen. »Wenn sie trocken sind, kriegt man sie nicht mehr auf«, sagte sie kichernd. »Und hier ist dein Dolch - da, am Gürtel ...« Ich trug eine safrangelbe Ledertunika mit gestrickten Ärmeln, die hauteng saßen. Keins der durchsichtigen Kleider, die ich in Rom angezogen hatte, hatte mir derart die Schamröte ins Gesicht getrieben; ich hätte ebenso gut nackt gehen können. Aber es sah gut aus, und auf den zweiten Blick wirkte ich auch gewiß nicht wie ein Knabe. Ich steckte mein Haar unter einen skythischen Helm; Schutzklappen verdeckten Ohren und Kinnlade; es war amazonenhaft und 304
kleidsam. Die Schauspielerin rieb mir mit einem Stück Sämischleder übers Gesicht, bis es glänzte; ich war ungeschminkt; im Spiegel sah ich fast halbwüchsig aus, aber vielleicht lags am sanften Licht. Wir kamen an Deck. Es war noch dunkel. Der Kai lag verlassen da, und die Stille war wie ein Schmerz; die Wellen, die gegen das Schiff schlugen, schienen von weit her zu kommen. Nach einer kleinen Weile gewöhnte man sich daran und erkannte die kleinen Lichter am Kai. Leise schaukelte das Schiff unter uns. Sergius und Cadwallader näherten sich uns; sie flüsterten; beim Schein ihrer einen Laterne sah ich, daß sie wie wir Frauen gekleidet waren, allerdings trugen sie Helme, die die untere Hälfte ihres Gesichts verdeckten; sie waren aus dickem Leder gemacht und liefen in einer Spitze aus. Wir gingen von Bord, stiegen über eine Strickleiter hinunter, die derart schwankte, daß einem übel werden konnte; ich hörte, wie Iras über mir nach Luft rang. »Ganz ruhig«, flüsterte Sergius. »Nur noch eine Sprosse ...« Und dann waren wir alle in dem kleinen Boot, das aufs Ufer zuhielt. Das Wasser war hier seicht, reichte uns nur bis zu den Knöcheln. Wir mußten durchwaten, nachdem das Boot vertäut worden war. Pferde standen für uns bereit; ich habe nie erfahren, wer die Männer waren, die sie am Zügel hielten; Sergius hatte alles in die Wege geleitet; vielleicht waren es echte Skythen. Die Pferde waren klein und hatten ein schmales Kreuz; das war gut so, denn sonst wären wir womöglich heruntergefallen - kein Sattel und keine Satteldekke, nur kurze Zügel. »Haltet euch mit den Beinen fest«, mahnte Sergius. »Und wir werden sie nur im Schritt laufen lassen.« »Ich kann fast selber laufen«, sagte Cadwallader mit einem leisen Lachen. »Meine Beine reichen beinah bis zum Boden.« Wir brauchten nicht weit zu reiten; trotz unserer Maskerade hatten wir eine ernste Aufgabe vor uns; aber dennoch kicherte gelegentlich die eine oder andere von uns Frauen und wurde von den übrigen zum Schweigen gebracht. Sergius deutete auf etwas Dunkles, Großes und Niedriges an der Straße. »Das ist der Palast des Statthalters, Herrin.« Er wirkte nicht besonders grandios, ein von einer Mauer umfriedetes Gebäude wie all die anderen, an denen wir vorbeigeritten waren, doch brannten Fackeln an einem mächtigen Tor mit gemeißelten Löwenköpfen und 305
einem gewaltigen Riegel aus Eisen. »Wir sind da«, sagte Sergius kaum hörbar. »Leise«!« Wir saßen vor einem anderen Tor ab; zwei Soldaten kamen und nahmen die Pferde entgegen; ich sah, daß der eine grinste. Daran erkannte ich, daß sie mit Sergius und Hippias im Bunde waren. Ich weiß nicht, wie diese Leute das fertiggebracht haben; es war eben noch eins von ihren Talenten - und sie wurden schließlich dafür bezahlt. Ich dankte den Göttern wieder im stillen dafür, daß sie mir diese nützlichen Diener geschickt hatten. Wir wurden durch lange, verwinkelte Flure geführt, die trüb beleuchtet waren, gingen auf Zehenspitzen an verschlossenen Türen vorbei. »Bast du sicher, daß er schläft?« fragte ich flüsternd den Soldaten. Er nickte. »Herrin, ich bin über einen leeren Krug gestolpert, einen großen, hat einen ziemlichen Krach gemacht ... aber er hat sich nicht einmal gerührt. Seit einer Stunde schläft er wie ein Stein sie haben seit gestern morgen gefeiert ...« Oh, oh - ich dachte es ein bißchen grimmig -, hoffentlich schläft er nicht zu tief. Aber man muß es eben riskieren - wie immer. Wir gelangten zu einer großen Tür am Ende eines Korridors. »Hier, Herrin«, sagte der Soldat. »Da drin schläft er.« »Leih mir dein Schwert«, bat ich. Es war fast zu schwer; ich mußte es in beide Hände nehmen, damit ich es hochheben und gegen die Tür mit ihm hämmern konnte. Ich hatte keine große Kraft, aber es gab trotzdem einen ziemlichen Lärm; drinnen rührte sich nichts. Sergius nahm mich beim Arm. »Halt ein, Herrin. Du weckst noch die ganze Wache auf! Laß uns rein«, sagte er zu dem Soldaten. Die Luft drinnen war muffig und verbraucht; die Kerzen hatten getropft, und der Gestank des verbrannten Wachses stach einem in die Nase. Und es mußte irgend etwas auf dem Rost vergessen worden sein, denn es roch nach verschmurgeltem Fleisch und verbratenem Fett. Ich hustete. »Mach doch mal jemand das Fenster auf -« Ich sprach leise, aber das hörte Marcus. Er schreckte von seiner Liege hoch; man hatte die Wandfackeln brennen lassen, und ich sah das Weiße in seinen Augen, die sehr groß wirkten. Wir begannen, mit den Füßen zu stampfen und gellend zu schreien, wie wirs geprobt hatten. Ich konnte kein Skytisch, aber Marcus auch nicht; wir brüllten irgendwelches arabisches Kauderwelsch, fuchtelten mit den 306
Armen und umkreisten die Liege. Er schaute drein wie vom Donner gerührt, bewegte sich nicht, blieb in seiner halb hockenden Stellung und stierte uns an, die wir um ihn herumtanzten. Doch dann sah ich, wie er zum Schwert griff; natürlich war er vollständig bekleidet und bewaffnet zu Bett gegangen! Er erhob sich plötzlich, wandte sich dem Größten von uns zu, Cadwallader, und holte weit mit dem Schwert aus. Er war nicht feige! Aber Cadwallader natürlich auch nicht, obwohl er unbewaffnet war. Er fiel Marcus in den Arm, und die beiden standen starr da; ich rannte hinter Marcus, trommelte ihm mit den Fäusten auf den Rükken und schrie immer noch arabische Wortfetzen. Mehr mit dem Gefühl als mit den Augen nahm ich die Anstrengung wahr, mit der Marcus sich von Cadwallader befreite. Dann wirbelte er zu mir herum, dem belanglosen Plagegeist hinter ihm. Mit seiner freien Hand packte er mich bei der Kehle, hielt mich auf Armeslänge und schüttelte mich wie einen kleinen Hund. In der anderen hatte er noch das Schwert. Es schwebte über meinem Kopf. Der Helm rutschte mir herunter, und mein Haar fiel mir um die Schultern. Er machte ein sehr komisches Gesicht, wie ein Possenreißer, völlig verdattert, aber ich konnte nicht lachen, weil ich fast erstickte unter seinem Griff. Ich spürte, wie seine Hand sich langsam lockerte, und hörte, wie das Schwert klirrend auf die Steinfliesen fiel. »Marcus!« rief ich leise, warf mich ihm in die Arme, drängte ihn zurück und wieder auf die Liege. »Sind wir zu spät zum Fest gekommen?« Sein Gesicht unter mir hatte immer noch einen törichten Ausdruck, aber langsam schimmerte irgend etwas in seinen Augen auf. »Ich bins, Kleopatra!« rief ich. »Ja ... ich sehs«, sagte er langsam. »Ja, du verrücktes Huhn ... aber wer sind die anderen? Und - und du drückst mir die Luft ab«, schloß er und bemühte sich, hochzukommen. »Keine Waffen?« fragte ich. »Versprichst dus?« Er nickte, und ich erhob mich und zog ihn auf die Füße; ich sah zu, wie er um sich blickte und die anderen musterte, die ihre Helme und einen Teil ihrer Verkleidung abgelegt hatten und abwartend 307
vor ihm standen. Sein Gesicht war köstlich anzuschauen; es veränderte sich wie der Strand, wenn die Flut kommt, erst langsam, dann plötzlich. Er warf den Kopf zurück und brüllte vor Lachen, lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen kullerten. Ich schlug die Augen nieder und verharrte so, scheu wie ein junges Mädchen, das bei Hofe eingeführt wird. Er wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht und schüttelte den Kopf, als glaubte er zu träumen. »Was wartest du, Mädchen?« rief er plötzlich. »Komm her!« Und er breitete die Arme aus. Ich schmiegte mich an ihn. Es war, als käme ich heim. »Ich dachte ... ich dachte, du wärst vielleicht böse ...«, flüsterte ich, schmiegte mich noch enger an ihn und barg das Gesicht an seiner Schulter; so hatten wirs geprobt; ungeheuer, wie es wirkte, ich hatte nicht gedacht, daß es derart leicht sein würde. »Böse!« Er hielt mein Gesicht in seinen Händen. »Kleopatra, mein Liebling ... das ist das erste Mal seit vier Jahren, daß ich richtig gelacht habe!« »Eine lange Zeit ...«, murmelte ich. »Hab ich mich verändert?« »Nur zu deinem Vorteil. Du bist noch schöner geworden ... ich hatte ganz vergessen, wie schön du bist ...« Und so gings eine Weile hin und her; wir sprachen leise, Liebesworte, die seit Anbeginn der Welt wieder und wieder gesagt und doch nicht langweilig geworden sind. Sein Brustkorb war hart wie Holz, und seine Hände waren schwielig; von seinen Küssen schmerzte mir der Mund; die vier Jahre Unberührtheit hatten mich empfindlich gemacht. Ich dachte flüchtig: Morgen werde ich Kratzer und blaue Flecken haben; und ich fragte mich auch, ob es das war, wonach ich mich all die Zeit allein in meinem Bett gesehnt hatte? Aber dann kam verstohlen und langsam das Feuer über mich, mir wurde weich in den Knien, und ich war froh. »Schick unsere Freunde raus«, flüsterte er. »Ja ...« Und ich löste mich von ihm und schaute mich um. Sie taten alle so, als hätten sie nichts gesehen; ich ging zu Kytheris, ganz nah, und redete leise. »Bleibt vor der Tür ... denn ich werde euch brauchen. Möge Aphrodite mir Kraft geben!« Und ich kicherte gedämpft. »Bete besser zur Artemis, die die weibliche Tugend schützt ...«, 308
sagte sie. Sie lächelte, drückte mir die Hand und gab den anderen ein Zeichen. Ich hatte immer gehört, viel Alkohol mache die Männer langsam bei der Liebe, aber bei Marcus war es nie so gewesen, und jetzt auch nicht. Er roch wie ein ganzes Weinfaß, selbst seine Haare; es war, als hätte er in dem Zeug gebadet; außerdem war er gerade aus tiefem Schlaf erwacht. Doch kaum waren die anderen draußen, da begann er, an meinen Kleidern zu zerren; Leder gibt natürlich nicht so leicht nach. Er fingerte und suchte herum, rief die Götter an und drückte mich fast durch die Liege hindurch auf den Boden. Ich hatte groteske Vorstellungen von Hengsten vor Augen, und der Bauch tat mir weh vor unterdrücktem Gelächter; es war gewiß nicht die rechte Zeit dafür. Es war auch nicht die rechte Zeit für das, was ich dann tat, aber ich mußte es tun, wenn ich am Ende nicht alles verlieren wollte. Ich hielt seine Hände fest, die sich unter mir mit den Lederknoten abmühten. »Die Mühe ist vergeblich, mein Freund«, flüsterte ich. »Du mußt dich gedulden ...« Irgendwie brachte ich es fertig, das Pergament aus meiner Tunika zu ziehen; es raschelte in meiner Hand, und bei diesem Laut hielt er inne. »Ich habe ein Messer bei mir - gut versteckt«, sagte ich. »Damit kannst du das Leder ohne weiteres durchschneiden ... wenn du das hier unterschrieben hast.« Er rührte sich, um sich aufzusetzen; der Druck auf meinen Schenkeln ließ nach. »Was zum Teufel ...?« Er nahm das Schriftstück entgegen; er war ganz rot im Gesicht und schwitzte, der arme liebe Kerl! »Ist das auch ein kleiner Schabernack?« fragte er herrisch. »Glaub das nur nicht«, sagte ich ganz ruhig. »Lies.« »Ausgerechnet jetzt!« Er schüttelte den Kopf und gewann wieder ein wenig von seiner Würde zurück, als er den Saum seiner Tunika glattstrich. »Gerade jetzt«, erwiderte ich gelassen; innerlich war ich nicht so gelassen, denn es war ein Glücksspiel. Ich beobachtete ihn beim Lesen. Er beugte sich dicht über die Kerze und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf die Buchstaben. Bei der zweiten Zeile begann er zu glucksen. 309
»Wer außer dir, Liebste ...«, sagte er sanft. Er las es zu Ende und blickte auf. »Natürlich unterschreib ichs«, meinte er leichthin und zuckte die Achseln. »Ich habe bloß nichts zum Schreiben da ... wir müssen es vertagen.« »Das geht nicht«, erwiderte ich. »Es ist zu lange vertagt worden. Cadwallader hat alles Nötige, ich werde ihn holen - und die anderen auch. Das muß in Gegenwart von Zeugen geschehen.« »Schauspieler können nicht Zeugen sein«, sagte er. »Freigelassene auch nicht. Frauen auch nicht. Also gibts niemand, der ...« »Doch, mein Freund«, sagte ich fest. »Iras und Charmion sind von königlichem Geblüt - beide Töchter eines Ptolemäers. Das reicht auch für Rom. Und Cadwallader ist mein Kanzler.« Ich hatte diesen Posten gerade im Moment geschaffen, aber egal; Marcus wußte es nicht und würde es nie erfahren. »Und außerdem wirst du einen römischen Bürger hinzuziehen ... den Mann, den du zu mir geschickt hast, um mich hierherzuholen. Fontejus Capito.« Er starrte mich lange an; seine Augen, die ohnehin schon zu groß waren, traten beängstigend aus den Höhlen. Einen Moment war ich mir nicht sicher, ob er nicht wie Cäsar zu Boden stürzen und einen Anfall bekommen würde. Oder mich schlagen würde. Doch schließlich lachte er wieder und meinte: »Du hast gewonnen, Kleopatra. Ich werde in Gegenwart von Zeugen unterschreiben - und dich heiraten und alles - aber trotzdem sage ich, daß es ein schmutziger Trick war.« Ich widersprach ihm nicht, denn er hatte natürlich recht. Ich sagte lediglich: »Es werden andere Nächte kommen ... viele.« »Ach«, meinte er beiläufig, »die jetzige ist ja noch nicht ganz vorbei. Fünf Unterschriften - das dauert nicht lange.« Und er packte mich oberhalb vom Knie und drückte fest zu. Ich zuckte zusammen und mußte die Tränen zurückhalten. Beim Frühstück - viel später, am hellerlichten Tag - sagte er bester Laune: »Ich habe auch eine Urkunde. Noch ist sie nicht geschrieben ... aber ich tus gleich - jetzt bin ich in der Stimmung dazu.« Und so erhielt ich die Halbinsel Sinai, Arabien, ein Stück vom Jordantal und die Stadt Jericho, Gebiete in Samaria und Galiläa, die phönizische Küste, die Libanonküste, ein Stück von Cilicien, den größten Teil von Syrien, so bekam ich auch ganz Zypern zurück und einen guten Teil von Kreta obendrein. 310
18 Kaum ein Jahr später war ich wieder Mutter - aber diesmal auch Ehefrau mit von Zeugen beglaubigten und unterschriebenen Dokumenten, die es bewiesen. Das möchte erbärmlich scheinen für eine Königin, doch man muß an seine Kinder und an das Erbe seiner Kinder denken. Das Kleine war ein Sohn, den ich Ptolemäus Philadelphus Antonius nannte und den ich so mühelos gebar wie eine Hündin ihre Welpen. Marcus und ich hatten den Winter in Antiochien verbracht, in Marcus neuem Haus, das in dem wohlhabenden Stadtteil Daphne stand. Es war ein wunderschönes Fleckchen Erde mit dichten Lorbeer- und Zypressenhainen, die kilometerweit reichten; tausend Rinnsale flossen von den Hügeln zu Tal und erfüllten die Luft mit leiser Musik. Es war ein Ort des immerwährenden Frühlings; ein leichter Umhang genügte, auch wenn die Nacht hereinbrach. Ich hatte meine Kinder bei mir, und Marcus schickte nach Antyllus; es 311
war für uns alle eine idyllische Zeit, kurz und von fast schmerzlicher Süße. Und sie konnte nicht dauern - es ist immer so. Aber dort, in Daphne, feierten wir Hochzeit; es war eine stille Hochzeit für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie uns, doch sie war rechtskräftig - das galt auch für Rom. In Rom wohnte nach wie vor Oktavia in Marcus Haus; eine Scheidung hatte weder stattgefunden noch war davon gesprochen worden. Das Dringliche zuerst. Marcus war auf eine lässige Weise mit Plänen zur Fortführung seines Feldzugs gegen die Parther beschäftigt. Ich konnte ihn ebensowenig davon abbringen wie seinerzeit Cäsar; Parthien schien für die Römer eine Herausforderung zu sein. Ich hielts für etwas, das immer da war wie der Tod, eine Sache, die man am besten aufschob, doch obwohl ich Marcus zu vielem überreden konnte, hörte er nie auf die Ratschläge, die ich ihm freimütig gab. Meiner Meinung nach sollte er es hier und jetzt mit Rom und Oktavian aufnehmen; wir wurden auch nicht jünger. Aber Marcus hatte vor, Parthien zu erobern; im März machte er sich auf den Weg nach Zeugma, einer Stadt an der armenischen Grenze, wo er seine Truppen aus dem Osten um sich sammeln würde. Ich schickte meine Kinder und mein Gefolge heim, nach Ägypten, und ging mit ihm; schließlich hatte ich recht viel Geld in dieses riskante Unternehmen gesteckt; ich wollte nicht erleben müssen, daß es zum Fenster hinausgeworfen wurde. Außerdem fühlte ich mich wunderbar jung und kraftvoll und liebte noch von früher her das Leben am Lagerfeuer. Aber wir waren kaum in Zeugma, als sich wieder mein Leib wölbte; ich war glücklich und unglücklich in einem. Mir blieb nichts anderes übrig, als nach Alexandria zurückzukehren und dieses - mein viertes - Kind zu erwarten. Ich glaube, daß Marcus erleichtert war, als er mir Lebewohl sagte. »Freu dich nicht zu früh, mein lieber Freund«, meinte ich halb lachend. »Ich werde trotzdem an deiner Seite in den Kampf ziehen ...« Und er antwortete, ebenfalls halb lachend: »Feldzüge sind nichts für Frauen ... nicht einmal für unfruchtbare. Es gibt Dinge, bei denen man Frauen nicht brauchen kann.« Armer Marcus. Es dauerte nicht lange, bis er diese Worte zurück312
nehmen mußte. Denn wenn er mich schon nicht beim Vormarsch gegen die Parther brauchte, so brauchte er mich doch, als er wieder zurückhinkte. Buchstäblich - Marcus bekam bei der Belagerung von Phraaspa, dem Bollwerk der Parther, einen Pfeil in den Fuß; keine schlimme Verwundung, aber sie begann auf dem langen und furchtbaren Rückzug zu eitern; er hatte Glück, daß er den Fuß nicht verlor. Doch sonst verlor er viel; 20 000 Fußsoldaten und 40 000 Reiter. Nach 27 entsetzlichen Tagen - die römischen Legionen schlugen die Parther in dieser Zeit achtundzwanzigmal zurück - überschritten sie den Araxas und brachten ihre Adler wohlbehalten nach Armenien. Doch damit waren ihre Mühen keineswegs vorbei, denn der Winter, der in diesen Gegenden besonders streng ist, stand bevor; Marcus schrieb, es gebe viele Kranke im Heer, die Männer liefen zerlumpt herum und seien halb verhungert. Er bat mich, ihm zu Hilfe zu kommen. Die Botschaft erreichte mich an dem Tag, an dem ich vom Kindbett aufstand; ich brauchte etwas Zeit, um Proviant und Material, Männer und Schiffe bereitzustellen, aber davon abgesehen, beeilte ich mich sehr, denn mir war äußerst bang um meinen Mann und Verbündeten. Was mich betraf, so war ich nie bei besserer Gesundheit gewesen, wenn das auch seltsam klingen mag; das Kind mußte einer Amme anvertraut und alles in die Obhut meiner treuen Frauen gegeben werden; ich zögerte nicht. Marcus hatte die kläglichen Reste seiner Streitmacht an einen Ort geführt, der »Weißdorf« hieß und an der Küste zwischen Sidon und Berytus lag. Das Ufer dort war felsig und öd; als wir heranfuhren, sahen wir dreckige, zerschlissene Zelte und ein paar Männer, die sich auf den zerklüfteten Hängen zu schaffen machten, aber kein einziger blickte von seiner Arbeit auf, um uns zu begrüßen. Als wir schließlich an Land gingen, bot sich uns ein herzzerreißendes Bild: halbnackte Männer, blaugefroren und zum Skelett abgemagert, stierten uns leer an, ihre Gesichter waren schwarz vor Grind; kaum noch menschenähnlich saßen oder lagen sie auf den Felsen am Strand, der eisige Wind umpfiff sie, die nicht mehr dazu fähig waren, vor ihm Schutz zu suchen. Andere hatten sich reglos hingestreckt, als seien sie ans Wasser gekrochen, um zu sterben. Obwohl der Wind 313
sehr böig war, lag ein entsetzlicher, süßlicher und fauliger Gestank in der Luft - wie von Küchenabfällen. Dioscorides, der uns begleitete, sagte, dies sei der Geruch des Todes, und er hafte hier selbst den Lebenden an. »Verhüllt Mund und Nase mit euren Gewändern«, mahnte er, »denn ihr könnt krank davon werden.« Geier, schwarz gegen den Himmel, kreisten dicht über dem Lager. Als wir kamen, stiegen ein, zwei mit großen Flügelschlägen höher, langsam, übersättigt. Ich wandte die Augen ab und war froh, daß ich nichts zum Frühstück gegessen hatte. Als wir uns den Zelten näherten, den Körper gegen den Wind gestemmt, kamen uns ein paar Offiziere entgegen und salutierten vor mir; sie waren zerlumpt und ihre Gesichter abgehärmt vor Mühsal und Entbehrung, aber ich glaubte, ein Leuchten über sie hingehen zu sehen, als sie den Troß erblickten. Überall waren schwer arbeitende Männer, die wie hohläugige Schatten wirkten. Ich konnte den Sinn ihrer Plackerei nicht erkennen; sie schienen grundlos große Steine von einem Ort zum ändern zu bewegen. In der ganzen Umgebung des Lagers waren viele, viele Männer auf diese Weise tätig, aber ohne Ordnung und ohne System. Keine Arbeitsgruppen, keine Lieder bei der Arbeit, nur diese seltsamen Gestalten, die sich schwunglos abmühten, deren Muskeln an den mageren Armen hervortraten, die einen Stein aufhoben, ihn wegtrugen und ihn wieder absetzten. Einer der Offiziere, den ich trotz seiner grauen Locken wiedererkannte, sagte: »Herrin ... sie sind verrückt geworden. Niemand kann sie davon abhalten, denn sie hören nicht. Sie machen das etwa eine Stunde lang, dann sterben sie.« »Verrückt?« fragte ich entsetzt. »Vor Hunger?« »Nein, Herrin. Hier gibts eine Wurzel, die direkt unter dem Boden wächst ... wie du siehst, gedeiht sonst nichts. Sie haben davon gegessen - die da - obwohl man ihnen gesagt hat, sie sollten es lassen ... es ist irgendein Gift. Einige sterben gleich, laufen violett an und spucken Blut. Die haben Glück. Andere schreien stundenlang. Ein paar kämpfen auch und bringen sich gegenseitig um. Und diese ... diese wälzen Steine, wälzen sie unaufhörlich, bis sie sterben.« Dioscorides betrachtete das Ganze und wandte sich dem Offizier zu. »Hast du ein Exemplar von dieser Wurzel?« »Wir haben alle verbrannt, die wir finden konnten ... damit die 314
übrigen vor ihnen sicher sind ...« »Ja«, sagte der Arzt, »natürlich. Aber wenn ihr noch eine findet, dann bewahr sie auf ... man sollte sie untersuchen.« Wieder betrachtete er nachdenklich die Steine wälzenden Männer. »Wie sieht diese Wurzel aus? Wo wächst sie und wie?« Der Offizier blickte verwirrt drein. Er sah abgehärmt und müde aus, aber er war noch jung. »Sie ist krumm und unförmig, dunkelgrau, fast schwarz, und weich - für eine Wurzel. Sie zerbröselt, wenn man sie berührt ...« Dioscorides nickte. »Ja ... ich vermute, daß es gar keine Wurzel ist, sondern ein Pilz, eine von den Arten, die in baumlosen Gegenden oft unter Felsen wachsen. Er ist giftig, wenn man viel davon ißt, aber in kleinen Mengen genossen, ruft er angenehme Träume und Euphorie hervor. Diese Männer sind nicht verrückt - nicht verrückt im eigentlichen Sinne. Sie suchen unter den Steinen nach der Droge.« »Aber sie schauen nicht mal drunter nach!« rief ich. »Nein, weil sie unter dem Einfluß der Droge stehen ... sie sind nur halb wach. Wenn sie zuviel davon gegessen haben, werden sie sterben, nachdem sie schon unterernährt sind. Wenn sie nur ein bißchen genommen haben, können sie sich vielleicht noch erholen ...« »Ja«, sagte der Offizier. »Einer hat sich tatsächlich erholt. Ein einziger. Aber er ist blind.« Ich sah das Feuer des Wissensdurstes im Auge des Arztes aufscheinen. Gedankenverloren sagte er: »Ach, wenn ich nur eine von diesen Pflanzen hätte ...« Ich hielt es für besser, ihm nicht zu antworten, sondern ihn zur Eile anzutreiben. Denn in den Zelten wurde er gewiß dringend benötigt. Ich wandte mich wieder dem Offizier zu. »Weiß Marcus, daß wir da sind?« »Herrin ...« Er sah irgendwie beschämt aus. »Herrin ... er ist jeden Tag an den Strand geeilt, um nach deinen Schiffen Ausschau zu halten, selbst mitten beim Essen ist er aufgesprungen. Nicht daß es viel zu essen gäbe«, sagte er sarkastisch, »ein paar Getreidekörner und ein bißchen Dörrfisch... und Wein ...« Und bei diesen Worten warf er mir einen eigentümlichen Blick zu, halb lustig und halb betrübt. »Herrin, ich werde dich zu ihm führen.« 315
Wir suchten uns einen Weg zwischen den Toten, den Sterbenden und den armen Verrückten und kamen - Dioscorides mit uns - zu einem Purpurzelt, verdreckt und mit Wasserflecken übersät und größer als die anderen. Der Offizier hielt die Eingangsklappe auf; ich zog den Kopf ein und ging ins Zelt. Drinnen roch es auch nach Tod und Verwesung, aber hier wurde es fast überlagert von Weindünsten. Es war dunkel, alle Kerzen waren längst niedergebrannt und das Feuer auch; die Luft war abgestanden, schlecht und sehr kalt; ich schüttelte mich. »Marcus ist nicht da«, sagte ich. Der Offizier warf mir wieder einen eigentümlichen Blick zu und deutete auf ein Feldbett an der Zeltwand; ich konnte nur ein längliches Bündel darauf erkennen. Ich trat näher und sah, daß es Marcus war, von Kopf bis Fuß zum Schutz vor der Kälte in schwere, zerschlissene Gewänder eingewickelt. Er schlief fest, zumindest glaubte ich das, und er rührte sich nicht, als ich ihn mit seinem Namen anredete. Ich beugte mich über ihn und rüttelte ihn an der Schulter, erst sacht, dann kräftiger. »Er wird nicht aufwachen«, meinte Dioscorides. »Er ist bewußtlos.« »Oh ihr Götter ...«, rief ich. »Was ist passiert?« »Es liegt nur am Wein,« sagte er und schüttelte traurig den Kopf. »Er hat viel zuviel auf nüchternen Magen getrunken ... aber es wird ihm bald wieder gutgehen«, fuhr er fort. Er hatte Marcus untersucht und richtete sich auf. »Herrin, er muß nur in aller Ruhe seinen Rausch ausschlafen. Er hat keinen Schaden genommen ... vielleicht hat ihn das sogar am Leben erhalten. Trauben haben schließlich einen gewissen Nährwert.« »Ja, Herrin«, sagte der Offizier eilfertig, wollte es erklären; Marcus wurde immer von seinen Leuten geliebt. »Er hat sich etwas geschämt wegen dieser Niederlage ... und sich so gegrämt um die schweren Verluste ... und dann wollte er nichts essen, weil seine Soldaten auch nichts hatten ... o Herrin, er braucht dich ...« Und das war die Wahrheit, die traurige Wahrheit. Für die Sterbenden konnte ich nichts tun, aber diejenigen, die noch einen Funken Lebenskraft in sich hatten, kamen durch, nachdem wir ihnen zu essen gegeben und ihnen gute Unterkünfte zur Verfügung ge316
stellt hatten. Dioscorides schickte seine Ärzte zu allen Dienstgraden, und viele wurden geheilt und gerettet. Sobald sie imstande waren, an Bord zu gehen, ohne daß es ein Risiko darstellte, brachten wir sie nach Alexandria. Und Marcus erholte sich gut, sogar von seiner Niedergeschlagenheit. Ich wartete lange, bis er aufwachte, an die zwölf Stunden, machte mir am Feuer zu schaffen und kochte wie eine vernarrte Mutter. Als er bereit dafür war, gab ich ihm löffelweise gute, kräftige Rinderbrühe und später mit Honig gesüßte Hafergrütze. Er sagte, es sei das Beste, was er je gegessen habe. Und nachts lag er in meinen Armen - manchmal liebten wir uns, manchmal war er zu schwach dazu -, lag in meinen Armen, bis seine Lebensgeister wieder erwachten. Ich machte ihm keine Vorwürfe, sondern weinte mit ihm um die Gefallenen. »Du kommst jetzt mit heim«, sagte ich. »Du fährst mit mir nach Alexandria. Vergessen wir die Welt für eine Weile. Sie läuft uns nicht fort. Und du hast einen zweiten Sohn ...« Für den Bruchteil einer Sekunde blickte er entgeistert drein; ich glaube, er hatte es tatsächlich vergessen! Armer Marcus, auch er war fast verrückt geworden. Ich schwor mir im stillen, daß es nie mehr zu einer solchen Niederlage kommen würde - allerdings müßte ich ihm meinen Willen aufzwingen. Denn alle Männer sind unbesonnen in manchen Dingen; ich habe die zwei besten auf der Welt gekannt.
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19 Es mag seltsam erscheinen, daß ich gleich im Anschluß an die vernichtende Niederlage gegen die Parther von einem Triumph berichte, und natürlich folgte das auch nicht so rasch aufeinander, sondern es lagen etwa zwei Jahre dazwischen. Aber in dieser Zeit gab es keine nennenswerten Ereignisse; die römische Art mit ihren Intrigen und Wirrungen hatte sich in unser Leben in Ägypten eingeschlichen, das ich zuvor dank meiner Alleinherrschaft schlicht und einfach gestaltet hatte. In all diesen Tagen und Monaten hatte ich - fast unmerklich freilich - auf die Auseinandersetzung mit dem wahren Feind, mit Oktavian, gedrungen; doch ich war kaum vorangekommen. Es schien, daß Marcus es trotzdem vorzog, vom Weg abzuirren und Schakale zu töten, statt ihn bis ans Ende zu gehen und den Löwen zu bezwingen, der auf ihn lauerte. Drei kleine Kriege hatte er ausgefochten und gewonnen, mit Medien, Armenien und Syrien; man hätte all 318
dessen auch durch kluges Vorgehen und Verhandlungen und ohne Blutvergießen Herr werden können; aber vielleicht ist das Männerart, vielleicht lieben sie solche Waffengänge, ich kann es nicht sagen. Trotzdem war viel gewonnen oder zurückgewonnen worden; insgeheim dachte ich, daß es nie hätte verlorenzugehen brauchen. Wir wurden reicher dadurch, seis drum, und ich bekam alles; Marcus gab sich mit dem Ruhm zufrieden. Ich überredete ihn dazu, den Triumph hier in Alexandria zu feiern; es war das erste Mal, daß ein römischer Triumph außerhalb von Rom stattfand. Ich hoffte, der Welt auf diese Weise zeigen zu können, daß Alexandria eine echte Konkurrenz für Rom war, und außerdem wollte ich Oktavian damit aus der Reserve locken. Es war ein schöner Triumph, denn unsere Schauspieler organisierten ihn ausgezeichnet, er war meiner Meinung nach besser als alle zuvor. Die Kriegsbeute, die Gefangenen gingen mit im Zug, aber ohne Ketten - ich hatte es untersagt. Die drei besiegten Könige huldigten uns, den Herrschern von Ägypten, bereitwillig und schworen uns Lehnstreue; dafür versprachen wir ihnen Schutz und Beistand in Zeiten der Not. Es war ein erfreuliches Ende des Krieges und ein gutes Geschäft für alle; für den König von Medien sprang noch mehr dabei heraus; er hatte keinen Erben, und seine einzige Tochter Jotapa wurde mit unserem kleinen Alex verlobt. So würde er ein Königreich für sich bekommen und eine Frau, die noch jung war, jung wie er, wenn sie heirateten. Es wurden keine Tiere in Käfigen zur Schau gestellt, und es gab keine Hinrichtungen; die Tiere, die im Zug mitgingen, waren dressiert und konnten wunderbare Kunststücke vorführen und kamen danach in den Zirkus; und die Gefangenen, auch die geringsten und unbedeutendsten, wurden ausnahmslos begnadigt. Kein Wein floß auf den Straßen, aber man konnte an diesem Tag in allen Weinhandlungen kostenlos trinken und in allen Garküchen kostenlos essen. Nach dem Triumph fand eine weitere Zeremonie statt, die für mich wesentlich wichtiger war. Auf dem ausgedehnten Gelände des Gymnasiums hatten wir ein großes Podium errichten lassen, blattversilbert und mit sechs goldenen Thronen drauf; im späten, schräg 319
einfallenden Licht schimmerte all das wie ein riesiger, prachtvoller Edelstein. Ich hatte einige Zweifel daran gehabt, ob es klug sei, einen Zweijährigen, meinen kleinen Ptolemäus Philadelphus Antonius, an der Feier teilnehmen zu lassen, aber er mußte natürlich dabeisein; ich sorgte wenigstens dafür, daß er erst im letzten Moment dazukam. Marcus hatte entschieden, was wir anzogen; er liebte es, sich herauszuputzen. Die Leute hielten ihn mittlerweile für Dionysos, und so war es keine Überraschung, ihn entsprechend gewandet zu sehen; ich nahm den Thron neben ihm in meinen fleischfarbenen Venuskleidern ein und trug das königliche Diadem und den alten Armreif, der mir immer die Haut aufschürfte. Cäsarion trat in der Rüstung seines Vaters auf; das war genau das richtige, denn er war schon so groß, daß sie ihm paßte; es war, als stünde Julius in eigener Person da; ich hielt den Atem an, als ich ihn sah, und die Menge jubelte unbändig. Er kniete vor uns nieder, und Marcus rief mich zur Monarchin Ägyptens und Herrscherin all der Lande aus, die er mir in Antiochien geschenkt hatte. Dann proklamierte er Cäsarion zum Mitregenten, verlieh ihm den Titel »König der Könige«, krönte ihn mit einer Nachbildung meines Diadems und überreichte ihm ein goldenes Zepter. Cäsarion setzte sich würdevoll und mit ernstem Blick auf den kleinen Thron neben dem meinen, aber ich merkte, wie er suchend um sich schaute, und flüsterte: »Da ist Antyllus in der ersten Reihe ...« Der Knabe Antyllus, erhitzt vom Wein wie sein Vater, lächelte und warf eine Girlande; sie fiel vor Cäsarions Füßen nieder; er bückte sich, um sie aufzuheben und sein Erröten zu verbergen. Die Näherstehenden lachten und applaudierten diesem kleinen Zwischenspiel; ganz Alexandria hatte die beiden Freunde schon Arm in Arm auf der Straße und bei den Spielen gesehen. Und die Griechen lieben natürlich solche Knabenromanzen. Nun erschien der kleine Alexander Helios, unser Alex. Er sah eingeschüchtert, aber bedeutsam drein; kein Wunder, denn an diesem Tag wurde auch seine Hochzeit gefeiert! Er war sechs Jahre alt, und seine Braut war fünf, doch das ist hier in Ägypten ein königlicher Brauch, und die beiden Kinder hatten sich schon miteinander angefreundet - ein rechtes Glück. Sie kamen Hand in Hand und sehr 320
ernst nach vorn; auf dem ganzen Gymnasiumsgelände hörte man sanftes, girrendes Geraune, und sie sahen tatsächlich reizend aus. Sie waren in das Gewand der medischen Lande gekleidet, das kleine Mädchen verschleiert und mit geschminkten Augen; Alex trug eine hohe, steife Tiara über einem Turban, einen wallenden Umhang und weite Pumphosen wie die Perser. Marcus gab die Eheschließung offiziell bekannt, und ägyptische und medische Hohepriester sprachen leise ihren Segen; als die Kinder ihr Gelöbnis ablegen sollten, geriet die kleine Jotapa, beklommen wegen der ungewohnten ägyptischen Worte, ein wenig ins Stottern; Alex umarmte sie, flüsterte ihr ins Ohr und bekam sie schließlich dazu, daß sies freiweg sagte, ihm dagegen gings so schnell und laut von der Zunge, daß die Leute Beifall klatschten und lachten. Marcus lachte auch, ich jedoch nicht, denn ich sah Alex Gesichtsausdruck, der nichts Gutes verhieß. Das Paar blieb stehen, während Marcus bekanntgab, daß Alex die Throne von Medien, Armenien und Parthien erhalten würde. Ich hielt den Atem an, denn Parthien war noch gar nicht erobert, und Alex würde Medien erst bekommen, wenn sein Schwiegervater, der König, gestorben war! Doch Marcus war, was solche Feinheiten anging, immer äußerst nachlässig, und für die Menge hörte es sich jedenfalls gut an. Alex nahm Platz auf seinem Thron - Jopata ihm zu Füßen -, und seine Zwillingsschwester Kleopatra Silene kam allein aufs Podium, gekleidet als die Mondgöttin, von der sie ihren Namen hatte. Iras und ich hatten aus feinster ägyptischer Baumwolle ihr Gewand geschneidert, und dazu trug sie eine Krone aus kleinen Silbersternen; Selene war ein entzückendes Kind, groß für ihr Alter und schlank wie eine Dyade. Sie war blond wie ich, aber ihr Haar begann dunkler zu werden und sich zu kräuseln wie das ihres Vaters. Schön, dachte ich, Locken sind Mode in Rom; sie wird dort allgemein beliebt sein, wenn wirs erst erobert haben. Ihr gab Marcus Cyrenaica, Libyen und die kleinen Länder an der afrikanischen Küste, die er besiegt hatte; er ernannte sie zur Königin und geleitete sie zu ihrem Thron, als sei sie erwachsen und eine Dame; ich sah, daß es ihr gefiel. Sie war immer der Liebling ihres Vaters. Jetzt war alles soweit für den Auftritt meines Babys, für Ptolemäus Philadelphus Antonius; ich sprach für alle Fälle ein kleines Ge321
bet; man weiß nie, was ein solches Kind anstellt. Er konnte schon gehen, aber bei dieser Gelegenheit trug Iras ihn aufs Podium und legte ihn seinem Vater in die Arme. Marcus warf ihn kurz in die Luft - der Kleine jauchzte vor Wonne -, und dann hielt er ihn hoch, damit die Menge ihn sehen konnte. »Hier ist euer neuer Ptolemäus, der Jüngste des Königshauses!« rief er laut. »Ich gebe ihm hiermit Phönizien, das nördliche Syrien und Cilicien. Ich möchte wetten, daß das der kleinste König der Welt ist ... was sagt ihr?« Es gab ein großes Gelächter und noch mehr Jubel, und von dort, wo die Phönizier standen, rief jemand: »Lang lebe Phöniziens König!« Ich sah, daß das Kind verwirrt war vom Lärm und den vielen Gesichter, die zu ihm aufblickten; er begann, in den Armen seines Vaters zu strampeln und wollte niedergesetzt werden. Marcus merkte es nicht und fuhr fort, ihn hochzuwerfen; dieses Spiel liebte er sonst sehr. Nur für ihn hörbar, rief ich Marcus zu: »Laß ihn runter ... er will laufen ...« Er wirkte tatsächlich nicht größer als eine Maus, und meine kleinen Brüder fielen mir ein; ich schwor mir, daß niemand ihn je mit diesem Spitznamen anreden sollte. »Komm, Tonio -«, rief ich; es war das erste Mal, daß ich ihn so nannte. Er strahlte übers ganze Gesicht, plapperte es nach und hatte es sich damit schon eingeprägt. Tonio trug mazedonische Tracht, Stiefel und einen Mantel und eine runde kleine Kappe mit einem Diadem darum. Die Beine unter der kurzen Tunika sahen arg krumm aus; ich war entsetzt, aber dann fiels mir wieder ein - er hatte drei Windeln drunter! Er war ziemlich weit für sein Alter und fast ganz sauber; doch kleine Zwischenfälle kann man nicht ausschließen. Er tappte zu mir herüber und stützte sich mit den Ellenbogen auf meinen Schoß, blickte zu mir auf und wartete auf einen Kuß. Ich hob ihn hoch und drückte ihn an mich; er roch immer noch nach Milch wie ein Säugling, frisch und süß. »Du mußt jetzt auf deinem eigenen Thron sitzen, mein kleiner König«, flüsterte ich. Als ich ihn wieder absetzte, fühlte sich meine Hand trotz der drei dicken Windeln feucht an; ich lächelte in mich hinein, als Marcus ihn zu seinem Platz führte und ihm auf den Thron half. Es war ein langer Nachmittag für die Kinder; wir mußten - so wollte es der Brauch - sitzen bleiben, bis die Menge sich verlaufen 322
hatte, und dann noch eine Weile; Marcus hatte Bronzen von den Kindern in ihren Kostümen in Auftrag gegeben, und der Bildhauer machte die ersten Skizzen. Marcus war derweil damit beschäftigt, eigenhändig einen Bericht über den Nachmittag und seine Ereignisse zu schreiben, der, zusammen mit einem weiteren Bericht über seine Siege, an den Senat in Rom geschickt werden sollte. Seinen Bevollmächtigten teilte er mit, sie möchten sich um die Ratifizierung der Veränderungen bemühen, die er hinsichtlich der Aufteilung der Throne seines Herrschaftsbereichs vorgenommen hatte. Die Nachrichten aus Rom erreichten uns einige Wochen später, und wir erfuhren, daß ganz Italien erstaunt war über diese Vorgänge im Osten; natürlich wurde in offiziellen Kreisen viel Mißbilligung laut; Rom ist formell eine Republik, in der alle politischen Angelegenheiten endlosen Meinungsbildungsprozessen unterliegen. Aber schließlich handelte es sich um Marcus Besitzungen, die er teils kraft Verleihung oder Übereinkunft, teils durch Eroberung bekommen hatte. Was mich betraf, so hielt ich mich heraus; ich war nicht einmal in seine Beschlüsse eingeweiht. Trotzdem gab man natürlich wie gewohnt mir die Schuld an allem. Marcus Bevollmächtigte in Rom entschieden sich klugerweise dafür, diese Dokumente nicht publik zu machen; doch Oktavian bestand darauf, und nach einiger Zeit und vielem Hin und Her wurden sie auf dem Forum verlesen. Sofort begannen Geschichten in Umlauf zu geraten, in denen Marcus als eine Art orientalischer Despot figurierte, der in Alexandria in Wollust und Entartung lebte. Es hieß, er sei ständig betrunken, was nicht stimmte, denn er vertrug sehr viel. Mich konnten sie nicht solcher Dinge bezichtigen, ich trank nur wenig Wein; doch es ging das Gerücht, ich bliebe dank magischer Kräfte nüchtern; man munkelte, ich besäße einen Amethystring, der es verhinderte, daß mir der Wein zu Kopf stiege! Man kann sich kaum vorstellen, wie solcher Blödsinn in die Welt gesetzt wird; man muß es einfach ignorieren. Jedenfalls war Krieg im Anzug, Krieg mit Oktavian, Krieg, bei dem es um eine Entscheidung ging. Marcus suchte eigentlich nicht die Auseinandersetzung mit ihm, aber alles, was er tat, reizte Okta323
vian in einem Maße, das für diesen selbstherrlichen Tyrannen unerträglich gewesen sein muß. So hatte Marcus zum Beispiel alle Verbindungen zu seiner Frau in Rom, zu Oktavia, abgebrochen; er beantwortete ihre Briefe nicht, sondern schickte sie sogar ungeöffnet zurück. Die Scheidung wäre menschlicher gewesen, denn die Arme wußte nicht, woran sie war; sie ertrug seine Kränkungen großmütig, und ich empfand wirklich viel Sympathie für sie. Doch es fiel Marcus in allen Dingen schwer, sich zu einer klaren Entscheidung durchzuringen; er war nicht der Mann dafür. Selbst wenn er sich sehnlichst wünschte, einen unbotmäßigen oder unfreundlichen Bediensteten zu entlassen, mußte er sich in besinnungslosen Zorn hineinsteigern, bevor ers über sich brachte, und dabei regte er sich mehr auf als der Mensch, der die Ursache dafür war. Monatelang hatte ich verfolgt, wie er über Oktavia nachgrübelte, wie er sich über ihre fade hausfrauliche Art, ihre Unterwürfigkeit, ihre Überbesorgtheit beklagte; ganz davon abgesehen, daß er das bei einer anderen Frau Tugenden geheißen hätte! Schließlich ließ sie, die so lange gelitten hatte, ihn durch einen Boten bitten, er möge in Athen mit ihr zusammentreffen oder an jedem anderen Ort in Griechenland, der ihm beliebe; sie werde als Geschenk ein paar tausend Männer und Pferde mitbringen. Er schickte den Boten zurück mit der Antwort, Oktavia möge zu Hause bleiben und ihren Flachs spinnen! Ich war entsetzt und sagte es auch. »Ich hätte dich getötet, mein lieber Freund!« rief ich. Er rekelte sich auf den Kissen auf meiner Liege wie immer am Nachmittag und nahm vor den Schlemmereien des Abends einen kleinen Appetithappen zu sich. Er stellte sein Weinglas ab, griff lässig nach ein paar süßen Trauben, hielt sie hoch und schob eine nach der ändern in den Mund. »Ja, Liebste?« fragte er träge. Der Gedanke, daß er mich vier Jahre lang im Stich gelassen hatte, schoß mir durch den Kopf; ich war geduldig gewesen und hatte ihm verziehen - aus Klugheit, wie ich meinte. Oder wars einfach sklavische Gesinnung? Ich schwieg und spürte, wie mein Gesicht starr wurde. Dann lachte ich, wenn ich mich auch dazu zwingen mußte, und küßte ihn sanft. 324
»Du wirst geliebt, mein Guter ... und du weißt es ganz genau. Deine jetzige Frau betet dich an.« Und ich küßte ihn wieder. »Du bist klebrig von den Trauben«, sagte ich und verzog ein wenig das Gesicht. Dann stand ich auf und bemerkte über die Schulter hinweg: »Aber wirklich ... du mußt dich entscheiden - sie oder ich.« »Ich habe mich entschieden, Liebling.« Und dann meinte er achselzuckend: »Bin ich nicht hier - bei dir?« »Es soll auch vor dem Gesetz bestehen können«, sagte ich. »Früher oder später wirst du dich von ihr scheiden lassen müssen«. »Im Moment«, erwiderte Marcus langsam, stand auf, reckte und streckte sich, »im Moment beschäftigt mich mehr ihr Bruder ...« Ich spann den Faden weiter. Das Triumvirat würde bald auslaufen; es sprach einiges dafür, daß Oktavian dann irgendwelche Maßnahmen ergreifen würde, wenn Marcus es nicht tat; ich rechnete jedenfalls sicher damit. Tatsächlich hatte Oktavian ihn schon bei einer öffentlichen Sitzung des Senats mit wütenden Worten und heftigen Drohungen attackiert und versucht, Stimmung gegen ihn zu machen. Scheußliche Briefe, zu unflätig, um daraus zu zitieren, waren zwischen den beiden hin und her gegangen; was will man anderes erwarten von Römern? Dann hatte Marcus an Oktavian geschrieben, er habe ihm etliche Schiffe, die er ihm für den Kampf gegen Sextus Pompejus geliehen habe, nicht zurückgegeben; außerdem habe er die Beute aus dieser Schlacht nicht geteilt. Darüber hinaus hatte Oktavian alles freie Land in Italien seinen Soldaten geschenkt und nichts für Marcus Leute übriggelassen. »Und Soldaten kämpfen nun einmal nicht ohne Belohnung!« Er blickte wütend von seinem Brief auf und wurde noch wütender. »Beruhige dich, Liebster«, sagte ich beschwichtigend. »Du hast etwas Wichtiges vergessen«. Ich beugte mich über ihn und streichelte seine Wange, während ich es ihm erklärte. Lepidus, das dritte Mitglied des Triumvirats, hatte sich letztes Jahr zurückgezogen; Oktavian hatte seine Besitzungen beschlagnahmt und mit keinem Wort vom Teilen geredet. »Das stimmt!« schrie Marcus. Seine Augen traten aus den Höhlen und röteten sich. »Jetzt aber, mein Freund«, sagte ich sanft. »Mäßige dich im Ton deines Briefes ... es steht Staatsmännern schlecht zu Gesicht, sich 325
aufzuführen wie zwei raufende Kater ...« »Ha!« rief Marcus. »Ich habe dir nicht den Brief gezeigt, in dem er mir vorwirft - ausgerechnet er, dieser geile Bock - daß ich mit dir in Sünde lebe!« Ich spürte, wie mir das Blut heiß in die Wangen schoß, und preßte die Lippen aufeinander; ich würde mich nicht von diesen Römern ärgern lassen! »Vielleicht«, sagte ich sanft, »vielleicht solltest du ihn mir zeigen ...« »Ich habe ihn vernichtet«, erwiderte er. »Er war ekelhaft.« Ihr Götter, dachte ich, was muß da dringestanden haben, daß sogar ein Römer es ekelhaft fand! »Aber ich werde dir meine Antwort zeigen«, sagte Marcus. »Hier ... auf der ersten Seite.« Und er hielt den Brief vor mich hin. Ich las: »Was für eine Bezichtigung soll das sein? Meinen Beziehungen zu der Königin von Ägypten haftet nichts Skandalöses an. Sie ist seit vielen Jahren meine Frau, wir haben drei Kinder, und Cäsars Erbe befindet sich in unserer Obhut ...« Ich hatte einen dicken Kloß im Hals; ich drückte Marcus Kopf an meine Brust und wiegte ihn; Tränen stiegen mir in die Augen, was bei mir selten vorkam. »Mein Marcus«, flüsterte ich. »Ich liebe dich sehr ...« Und ich sprach nicht mehr von der Scheidung ... einstweilen.
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20 Oktavians Antwort kam schnell wie ein Partherpfeil; man konnte fast das Gift an der Spitze spüren. Er erwiderte, daß er über die Beute aus dem Krieg gegen Pompejus mit sich reden ließe, wenn Marcus ihm einen Anteil an Armenien und Ägypten gäbe. An Ägypten! »Das steht dir gar nicht zu!« rief ich erbost. »Mein Land ist unabhängig von Rom ... und Rom soll sich vor Ägypten hüten!« Ich war außer mir; wenn meine Schiffe bereit zum Auslaufen gewesen wären, wäre ich gewiß hier und jetzt losgefahren, um Rom eine Schlacht zu liefern. Nun war es an Marcus, mich zu beschwichtigen. »Ganz ruhig, meine Süße«, sagte er. »Das hat er geschrieben, damit du dich zu überstürztem Handeln hinreißen läßt - mehr steckt nicht dahinter. Oktavian weiß sehr wohl, daß Ägypten nur dir gehört ...« Er las weiter. »Der Rest ist unwichtig«, meinte er, zerriß den Brief und warf ihn in die Kohlenpfanne. Aber ich sah, daß seine Nüstern beb327
ten wie bei einem Hengst, der Blut gerochen hat, und obwohl ich mich sanft und weiblich gab, jubelte ich innerlich. Irgendwie war Oktavian zu weit gegangen; Marcus war jetzt bereit, unsere Sache zu verfechten. Nachdem er sich aufgerafft hatte, verlor er keine Zeit; er schickte Boten in alle Himmelsrichtungen, um seine Streitkräfte zu sammeln. »Auch du mußt Kriegsvorbereitungen treffen«, sagte er. »Deine Schiffe müssen überholt und gegebenenfalls repariert werden ... und du mußt deine Soldaten zu den Waffen rufen.« Ich sagte ihm nicht, daß ich meine Vorbereitungen längst getroffen hatte und daß meine Truppen sich jeden Tag übten; außerdem konnte man keins meiner Schiffe als nicht seetüchtig bezeichnen. Doch wir gaben sämtlichen Ländern Bescheid, die jetzt meinen Kindern und mir gehörten. Auf Marcus Befehl hin wurden alle nach Ephesus beordert, einer Stadt, die seiner Meinung nach eine perfekte strategische Lage besaß. Zu Beginn des Winters trafen wir dort ein, und viele Verbündete stießen zu uns; ich war in Hochstimmung. Ephesus lag nah bei der Mündung des Flusses Kaystros im Schatten von Bergen, nicht weit südlich von Smyrna und gegenüber von der blumenreichen Insel Samos. Übers Meer kam man von dort direkt nach Athen; ich hielt es für ein gutes Omen. Die ganze Ausstrahlung dieser Stadt schien uns Glück zu verheißen, zumindest mir und den Meinen. Sie war seit uralten Zeiten meiner Schutzpatronin geweiht, die hier Diana genannt wurde; inmitten der Stadt erhob sich der prächtige Tempel dieser Göttin, ein Tempel aus weißem Marmor, Zypressen- und Zedernholz, und überall schimmerte Gold. Die berühmte Statue stand hier, die vielbrüstige Diana; sie entsprach der alten Überlieferung und war zur Verehrung gedacht, aber in neuerer Zeit war sie zur Touristenattraktion geworden; die Leute gingen hin, um sie zu bekichern und vergaßen darüber ihre Symbolik. Die Priesterinnen hatten daran Anstoß genommen und die Göttin verhüllt, als sei sie etwas Unanständiges; man mußte zwei Oboli zahlen, wenn man sie sehen wollte. Die zahlte ich natürlich auch, denn ich war schon lange neugierig auf die Statue gewesen; es war eine Enttäuschung, ein plumpes Ding, unbeholfen modelliert, archaisch, ohne Schönheit. Trotzdem war ich froh, daß wir die Kinder zu Hause gelassen hatten; auf den naiven Be328
schauer konnte das Ganze, so verquält, verzerrt und leblos es war, erotisch wirken. Doch im Tempel befand sich auch ein schönes und herzergreifendes Bildnis von meinem großen Vorfahren Alexander. Es nahm die Wand gegenüber von der Statue ein. Die Farben waren im Lauf der Zeit verblaßt, aber das Gesicht entsprach genau dem Gesicht im Mausoleum, dem Gesicht, das ich so gut kannte. Ich hielt den Atem an und rief leise: »Das ist Alexander - und so schön getroffen, so ähnlich!« Ich hörte Marcus neben mir lachen. »Woher willst du das wissen, kleine Göttin ... hast du damals gelebt?« Und ich dachte daran, daß ich ihn nie in die Kellergewölbe geführt und mit ihm dieses Gesicht betrachtet hatte; ich fragte mich, warum, sagte aber nichts. Diese alte, heilige Stadt wurde bald der größte Heeres- und Flottensammelplatz der Welt. Ich hatte aus Ägypten 200 vollständig bemannte Kriegsschiffe und eine Unzahl von Matrosen, Soldaten, Handwerkern und Sklaven mitgebracht. Aus Syrien, Armenien und Pontus trafen tagtäglich Schiffe mit weiterem Material ein, und Marcus Schiffe, die ebenfalls nach Hunderten zählten, sammelten sich rasch an der Mündung des Flusses. Tag und Nacht dröhnte auf den Straßen der Marschtritt von Bewaffneten, Tag und Nacht hallte von den Bergen Huf schlag wider - die Herrscher des Ostens führten ihre Truppen zur Heerschau. Und jeden Tag hielt Marcus Reden, um sie anzufeuern, machte unsere Sache geltend, verkündete öffentlich, daß Cäsarion der wahre Erbe des großen Julius sei. Wir freuten uns sehr darüber, denn Oktavian schien nirgends beliebt zu sein, doch einmal wandte sich Marcus ärgerlich gegen mich und sagte: »Es ist ausgesprochen dumm von uns, daß wir Cäsarion nicht mitgenommen haben!« Ich beherrschte mich, erwiderte aber, ich wollte es nicht riskieren, daß der Junge irgendwie in Kriegshandlungen hineingezogen würde. Das war schon seit langem ein Streitpunkt zwischen uns, doch ich war überzeugt davon, daß ich recht hatte. Wenn Cäsarion starb, hatten wir nichts mehr in der Hand; Rom würde niemals die Herrschaft einer Frau akzeptieren, mochte sie noch so siegreich sein, und es würde auch niemals die Herrschaft eines einfachen republikanischen Römers akzeptieren, mochte er noch so beliebt sein ... Cäsarion verkörperte unsere Sache, und er war Roms zukünftiger König. 329
Die Heere, die tagtäglich heranmarschierten, setzten sich aus fast allen Völkern der Erde zusammen. Neunzehn römische Legionen; gallische und germanische Truppen; Kontingente maurischer, ägyptischer, sudanesischer, arabischer und beduinischer Krieger; wilde Meder und verwegene Armenier; Schwarze mit Nasenringen und großen Scheiben in den Lippen und gewaltigen, todbringenden Speeren; grimmige Kämpfer aus den Ländern am Schwarzen Meer; Syrer, Griechen - und sogar ein paar Juden, obwohl diese Leute sich selten für andere schlugen; Herodes mußte ihnen erzählt haben, daß Cäsarion ihr langerwarteter Messias sei! In den Straßen von Ephesus drängten sich Männer, die auf jede erdenkliche Weise gekleidet waren und alle möglichen Waffen trugen und hunderterlei Zungen sprachen; nicht einmal ich konnte alle verstehen! Ich glaube wirklich, daß sich noch nie so viele Leute aus sämtlichen Weltteilen zur selben Zeit am selben Ort versammelt hatten - und all das um meines und Cäsars Sohnes willen. Ich fragte mich kurz, ob er meine glücklichen Briefe erhalten hatte und, wenn ja, ob sie ihn überhaupt interessierten. Vielleicht reichte es ihm auch völlig, Gedichte für seinen lieben Antyllus zu schreiben oder mit den schmalbrüstigen jungen Leuten von Alexandria über Philosophie zu reden. Bei dieser Vorstellung wurde mir unbehaglich; er übte sich in letzter Zeit nicht mehr körperlich, weder auf der Kampfbahn noch bei der Jagd; er ging bloß im Park auf und ab und lauschte eifrig irgendwelchen zerlumpten Eklektikern oder ungewaschenen Stoikern. »Denk dir nichts dabei, liebes Mädchen«, sagte Marcus leichthin. »Alle Jungen machen einmal diese Phase durch ... das dauert nicht ewig.« Was mich betraf, so dachte ich oft an die längst vergangenen Tage, da ich als junges Mädchen in Cäsars Armen gelegen hatte. Damals war ich zwar schon Königin gewesen, aber ganz am Anfang, und die Königin eines Landes, das Rom vielleicht an sich gerissen hätte, wenn er nicht gewesen wäre, stark und freundlich; nun herrschte ich über mehr Ländereien als früher die großen Pharaonen! Ganz Ephesus grüßte mich als Königin der Welt, und die Könige, die meine Vasallen waren, huldigten mir jeden Tag; nachts träumte ich davon, auf dem Kapitol Recht zu sprechen. Aber ich wagte es natürlich nicht, Marcus von diesen Träumen zu erzählen! 330
Im Frühjahr trafen an die 400 Senatoren aus Rom in Marcus Quartier ein. Diese Männer berichteten, Oktavian habe, nachdem er Marcus im Senat gebrandmarkt habe, bekanntgegeben, daß alle, die auf der Seite seines Feindes stünden, Rom verlassen müßten, wenn sie nicht die Todesstrafe gewärtigen wollten; darum seien sie hier. Etwa 700 Senatoren waren in Rom geblieben - und selbst diese, sagten sie, befürworteten nicht Oktavians Sache, sondern hätten sich einfach noch nicht festgelegt, da noch keine Kriegserklärung erfolgt sei. »Es werden viele andere kommen, keine Angst«, sagte Publius Canidius. Diesen Mann, einen der geachtesten in Rom, hatte ich zur Zeit des großen Julius kennengelernt; wir hatten zusammen griechische Literatur gelesen. Als ich ihn daran erinnerte, wurden seine Augen trüb, und erjagte: »Liebe Herrin, heute würde ich dir Schande bereiten ... ich bringe keinen einzigen Satz mehr zusammen ...« Und er schüttelte traurig den Kopf. »Mein Freund«, antwortete ich, »wir werden wieder griechische Nachmittage veranstalten ... und dann fällt dir alles wieder ein.« Doch diese Männer aus Rom betrachteten mich nicht ausnahmslos so wohlwollend. Da war ein gewisser Ahenobarbus, aus altrömischer Familie, streng wie Zeus persönlich, der immer den Kopf wegdrehte, wenn ich sprach, und meine Ratschläge mit Schweigen überging. Als ich erfuhr, daß er Marcus nahegelegt hatte, mich nach Alexandria zurückzuschicken, war ich zutiefst gekränkt und aufgebracht. »Was glaubt er, mit wem ers zu tun hat«, tobte ich, »mit einer Hausfrau?!« »Ich habe das nicht gesagt«, beteuerte Marcus. »Du mußt ihn ins Gebet nehmen ...« Und so trat ich würdevoll und gemessen, meinen Zorn hinunterschluckend, dem alten Herrn in seinem Zelt gegenüber. »Verehrtester«, sagte ich, »ich kann nicht ganz glauben, daß es dir ernst war mit deinen Worten. Der größte Teil des Kriegsmaterials und die gesamten Gelder kommen von mir. Soll ich nicht im Auge behalten, was mein ist?« »Frauen haben auf dem Kriegsschauplatz nichts verloren«, erwiderte er frostig. »Du solltest zugunsten deines Sohns das Feld räumen.« »Mein Sohn«, sagte ich ebenso frostig, »ist keine 16 Jahre alt. 331
Würdest du dich von einem unerfahrenen Knaben führen lassen, nur weil er männlichen Geschlechts ist? Ich war schon Monarchin, als ich nicht viel älter war als er. Inwiefern ist - nach mehr als zwanzig Jahren Regierungszeit! - mein Urteil weniger wert als das, sagen wir, eines Senators?« Falls ich ihn damit getroffen hatte, so zeigte er es doch nicht. Er meinte lediglich: »Kleopatra, du mußt wissen, daß deine Anwesenheit deinen Geliebten in Verlegenheit bringt ...« Meinen Geliebten! Ich biß mir auf die Zunge. Er fuhr fort: »Es macht einen ungünstigen Eindruck und gefährdet unsere republikanische Sache.« Nun erstarrte ich zu Eis. Ich richtete mich auf und sah ihm in die Augen; wie die meisten Römer war er von kleinem Wuchs. »Unsere Sache ist keineswegs republikanisch. Und ich führe den Titel Königin. Daran wirst du dich wohl noch erinnern.« Doch er hatte bereits Unfrieden gestiftet. Die Senatoren begannen zu murren; ich merkte, daß es Marcus beunruhigte; er war, um es freundlich zu sagen, durchaus nicht unerschütterlich wie ein Fels, und es ist nie einfach, zwischen zwei Parteien zu stehen; niemand kann zwei Herren dienen, so lautet ein altes Sprichwort, Marcus freilich hatte dieses Spiel öfter als einmal gespielt. Es war, abgesehen vom Trinken, sein einziger Fehler; und die eine Untugend half der anderen nicht ab. Schließlich kam er zu mir, sah erledigt aus und sagte zögernd: »Kleopatra, ich habe mir überlegt - hast du keine Sehnsucht nach deinen Kindern? Vielleicht solltest du für eine Weile nach Alexandria gehen ... und Ägypten ist ohne Regierung ...« »Marcus«, sagte ich ruhig, »mein Land ist in guten Händen. Glaubst du, ich würde es in ungeordneten Verhältnissen zurücklassen? Meine Kinder, ja, ich vermisse meine Kinder. Aber dieser Krieg kommt letzten Endes ihnen zugute. Und ich kann ihn nicht ein paar hundert uneinigen Senatoren überlassen, die noch nie in ihrem Leben einen Schild in der Hand hatten.« Er lächelte ein wenig verschmitzt. »Und du, mein Liebling ... hattest du schon mal einen Schild in der Hand?« »Nein, aber mir stehen Tausende von Schilden - und Schwertern und Speeren - zu Gebote. Möchtest du, daß ich sie abziehe?« »Nein, natürlich nicht, Liebste«, sagte er sanft. »Denn wir brauchen sie ... und ich brauche dich ...« Und er nahm mich in seine 332
Arme. Ich küßte ihn leidenschaftlich und sagte nichts mehr. Aber danach war ich unruhig, denn ich sah, daß man ihn leicht beeinflussen konnte. Und meine Drohungen waren nichtig, denn was nützte es mir, wenn ich meine Truppen und meinen gesamten Besitz aus dem Kampf nahm? Es war ja mein Kämpf - und in unserem Bett ließ sich das auch nicht erledigen. Ich mußte ihn irgendwie und ohne Schliche davon überzeugen, daß ich wie ein Mann an seine Seite gehörte. Ich wußte, daß es wenigstens einen Römer gab, der zu mir hielt; ich ließ ihn zu mir rufen und sprach unter vier Augen mit ihm. »Publius Canidius«, sagte ich, »ich betrachte dich als meinen Freund. Oder habe ich unrecht?« »Herrin«, erwiderte er und verneigte sich vornehm, wie es seine Art war, und mit der Hand überm Herzen, »Herrin, ich stehe dir immer zur Verfügung.« »Du hast gehört, daß hier einige etwas gegen mich haben?« »Niemand hat etwas gegen dich als Königin oder als Königsmutter ... aber es gibt ein paar altmodische Leute, die es ärgert, wenn Frauen die Führung innehaben. Und dann sind hier auch Republikaner, die ihre eigene Sache zu fördern suchen. Viele Römer wollen keine Monarchie in Rom.« »Das war schon zu Cäsars Zeiten so ... ich weiß«, sagte ich. »Aber mein Freund, ob sie es wollen oder nicht - die Monarchie ist im Kommen. Unabhängig von mir und den Meinen - es kann auch jemand anders sein. Rom ist zu groß, um Republik zu bleiben. Die griechischen Demokratien waren lebensfähig, weil sie klein und selbstgenügsam waren. Jeder Lehrersklave kann dir das sagen. Aber Rom - Rom ist mittlerweile die Herrin der halben Welt ... mindestens ... und Roms Regierung ist wie ein Nest von Vipern, die sich gegenseitig beißen ...« »Das stimmt«, sagte er langsam. »Ich denke das auch schon seit langem. Und als Cäsar noch lebte, habe ich ihn unterstützt.« Ich streckte die Hand aus und berührte seinen Arm. »Wirst du auch seinen Sohn unterstützen?« »Einen unerfahrenen Knaben ...?« »Aber er hat den besten aller Römer als Regenten ... Marcus Antonius.« 333
»Und die weiseste Königin ...« Er lächelte, ein freundliches, verständnisvolles Lächeln. »Ja. Er kann auf mich zählen. Ich schwöre es.« »Du bist sehr liebenswürdig, mein Freund. Ich weiß, daß du treu bist ... wirst du mir helfen - jetzt? Ich habs dringend nötig.« »Von Herzen gerne, Herrin.« »Rede mit Marcus. Sprich überzeugend ... und ganz offen. Vertritt meine Sache.« Er lächelte wieder, diesmal ein wenig sarkastisch. »Meine Königin, vor deinem Gatten vertritt man eine Sache nicht ganz offen. Man geht taktisch vor.« Er schien angestrengt nachzudenken, und als er schließlich sprach, geschahs mit wohlüberlegten Worten. »Ich werde Marcus sagen, ich hätte Anzeichen dafür gefunden, daß deine Ägypter ungern kämpfen werden, wenn du nicht da bist; das stimmt auch auf eine Art. Und ich werde sagen, daß es nicht anständig ist, dein Geld zu nehmen und deinen Rat zu verschmähen. Ich werde ihn auch frei heraus fragen, wer von diesen Senatoren klüger ist als du. Mein Junge, werde ich sagen, schließlich hat die kleine Königin all das von dir gelernt!« Wie hört sich das an?« Ich klatschte in die Hände und lächelte. »Großartig! Genau richtig! Das wird seine Wirkung nicht verfehlen.« »Ich hoffe es, Herrin. Ich werds versuchen.« Und tatsächlich hatte seine »Taktik« Erfolg. Marcus kam zu mir und sagte, er habe sich alles noch einmal überlegt und ob ich bitte dableiben würde? »Denn wer von diesen Senatoren steht dir schließlich an Klugheit nach, Liebste? Von mir hast du doch gelernt, wie mans macht ...« Ich nickte und sagte: »Du hast natürlich recht, Liebling. Ich habe viel von dir gelernt ...«
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21 »Für mich ist eines klar«, begann ich. »Diese geringfügigen Maßnahmen provozieren Oktavian nicht ... du mußt dich dazu entschließen, dich von seiner Schwester scheiden zu lassen. Das ist die einzige Möglichkeit.« »Sagst du.« Marcus sah mittlerweile wie ein großer Vogel in der Mauser aus; nichts schien ihm mehr zu passen; die Tuniken fielen ihm unordentlich über den stattlichen Bauch und waren nicht gerade strahlend sauber; der Faltenwurf war unbeholfen, denn für gewöhnlich drapierte er ungeduldig seine Kleidung selbst. Er mied den Barbier; das Haar kräuselte sich ihm bis zum Nacken, und am Kinn sproß ihm der Bart. Ich betrachtete ihn und sah Falten in seinem Gesicht, die vorher noch nicht dagewesen waren, tief eingegrabene Falten, und seine Nase schien länger geworden zu sein. Das waren die Auswirkungen des Feierns, des Trinkens und des Müßiggangs; in seinem Blick lag etwas Verdrießliches, und unter den Au335
gen hatte er purpurrote Tränensäcke; ich war entsetzt. Er seufzte und meinte bedrückt: »Meine Liebe, du treibst mich ständig zur Scheidung an ... na ja, das ist wohl Frauenart, keine Rivalin neben sich zu dulden ... Aber sonst übt man von allen Seiten Druck auf mich aus, damit ichs nicht tue. Das zermürbt mich, kann ich dir sagen.« »Die Friedenspartei natürlich!« Ich erhob die Stimme und sprach mit scharfem Ton. »Was haben sie dann hier verloren, wo man sich zum Krieg rüstet? Hast du einmal bedacht, was dieser lange Aufenthalt in Ephesus kostet? Die Leute müssen ernährt werden und ihren Sold bekommen - ob sie kämpfen oder nicht. Aber sie sind Kämpfer! Jetzt haben sie angefangen, sich gegenseitig die Schädel blutig zu schlagen ... erst letzte Woche hats wieder Krawall gegeben - wie viele haben wir verloren ... dreißig ... fünfunddreißig? Eine entsetzliche Verschwendung!« Ich merkte, daß er mich anstarrte, als habe er mich lange Zeit nicht mehr gesehen. »Meine Liebe«, sagte er milde, »du schaust nicht gut aus. Man kann deine Knochen zählen - sogar durchs Kleid! Und du bist blaß ...« »Was glaubst du eigentlich?« schrie ich. Meine Stimme klang dünn und häßlich. »Wenn dus mit den Nerven hast, ißt und ißt du ... und trinken tust du auch! Bei mir ist das anders ...« »Armes Mädchen«, sagte er. »Man merkt dir dein Alter an ...« Irgend etwas in mir machte sich selbständig, löste sich ab und betrachtete das 50jährige Wrack, das mir gegenübersaß. Ich begann zu lachen, lachte und lachte und konnte nicht aufhören. Gleichzeitig strömten mir heiße Tränen übers Gesicht. Mein Herz schlug heftig und schmerzhaft, mein Atem ging mühsam und stoßweise, mein ganzer Körper war schweißnaß. Er handelte rasch, nahm mich in die Arme und ließ Dioscorides rufen; ich brachte kein Wort heraus. Es tat mir wirklich leid, daß ich ihn beunruhigte, aber ich war machtlos dagegen. Ich mußte mit angewärmten Steinen an den Füßen und einem Schlaftrunk ins Bett gesteckt werden. Als ich wie zerschlagen aufwachte, saß Marcus bei mir und betrachtete mich schwermütig. Ich redete. Meine Stimme klang fern und schwach. »Liebster«, sagte ich, »mach dir nichts draus ... vergiß unseren Streit - tu, was du für richtig hältst ...« 336
»Nein ... ich machs. Ich lasse mich scheiden. Du hast recht - ich habe zu lange gezögert ...« »Nein, nein -«, wandte ich ein. »Ich habe mich nicht wohl gefühlt, das ist alles ... jetzt gehts mir wieder besser. Du darfst nichts übereilen ...« Er lächelte; etwas vom alten Marcus zeigte sich wieder, etwas Helles und Kühnes. »Liebste, laß uns jetzt nicht übers Gegenteil streiten. Ich liebe dich, und du liebst mich ... ich bin manchmal nur ein bißchen lahm.« Er küßte mich zärtlich und sagte dann mit breitem Lächeln: »Ist schon passiert - während du geschlafen hast. Wir können es jetzt nicht mehr rückgängig machen. Ich habe einen Boten zu Oktavia geschickt mit der Anweisung, daß sie mein Haus verlassen und sich als geschieden betrachten soll.« Ich staunte. »So geht das? So einfach?«, »Ja«, sagte er. »So geht das in Rom.« »Aber - wenn eine Frau dasselbe machen würde?« »Oh, das wäre nicht Rechtens.« »Ich verstehe«, sagte ich langsam. »Es ist wirklich eine reine Männerwelt ...« Er lachte. »Mit der wichtigen Ausnahme der kleinen Königin von Ägypten ...« Seine Worte enthielten wenig Wahrheit, wenn ich an meine ganzen Bemühungen dachte, aber egal; es ist wohl alles relativ. »Während du schliefst, habe ich auch Order gegeben, daß sämtliche Truppen und Schiffe nach Athen verlegt werden. Wir werden dort auf Oktavians Antwort warten.« »Du hast wirklich eine Menge getan ...«, murmelte ich und schlief wieder ein. Ich konnte natürlich nicht erwarten, daß Marcus irgend etwas auf einen Streich tat; auf dem Weg nach Athen legten wir einen Zwischenaufenthalt auf Samos ein, und dort wurde wild gefeiert, geschlemmt und gezecht. Ich bewahrte Geduld, aber das war sehr unklug; solches Verhalten gibt einem viel gemeinem Klatsch preis; was feierten wir überhaupt? Doch ich sagte nichts und harrte geduldig aus; ich war nach wie vor schwach und hätte keinen Streit verkraftet. Als wir schließlich Athen erreichten, lag dort immer noch keine 337
Nachricht über Oktavians Reaktion vor. Aber nach und nach lief der und jener Senator zu ihm über; es war wohl nichts anderes zu erwarten nach so vielen Verzögerungen. Doch es hatte schädliche Folgen und führte zu Verleumdungen. Einige von diesen Leuten - Männer, die in Marcus Pläne eingeweiht waren und sein Testament mit unterschrieben hatten,- verrieten Oktavian, was darin stand. Nachdem er erfahren hatte, daß es von den Vestalinnen verwahrt wurde, drang er in ihren Tempel in Rom ein und brachte es an sich. Es enthielt natürlich nichts Belastendes, aber Oktavian machte viel Aufhebens von einer Klausel, in der Marcus darum bat, daß man seinen Leichnam, falls er an einem anderen Ort stürbe, nach Alexandria überführen und ihn neben dem meinen beisetzen möge. Oktavian verstieg sich sogar dazu, öffentlich zu verkünden, ich hätte durch Zauberei Macht über Marcus gewonnen! Ist es denn so seltsam, daß ein Mann neben seiner Frau den ewigen Schlaf schlafen will? Natürlich hoffte er, mich beim Volk in Verruf bringen zu können, das mich zu Cäsars Lebzeiten geliebt hatte. Vielleicht verfing es, wer weiß; es gibt überall Dumme. Einen Monat lang ließ er außerdem allen möglichen Unsinn über mich und Marcus verbreiten. Dann meinte er wohl, daß die Zeit reif sei zum Krieg; doch er erklärte nicht Marcus den Krieg, sondern einzig und allein mir. »Rom befindet sich im Kriegszustand«, verkündete er auf dem Forum. »Rom befindet sich im Kriegszustand mit der Königin von Ägypten ...« Oktavian verfügte außerdem, daß Marcus seiner Ämter und seiner Amtsgewalt enthoben sei - weil er einer Frau gestattet habe, sie an seiner Stelle auszuüben! Er ergänzte, daß ich Marcus offenbar Zaubertränke eingeflößt habe, die ihn um den Verstand gebracht hätten. Er sagte überdies, daß die Feldherren, gegen die Rom kämpfen werde, leicht besiegt werden könnten, da es sich bloß um Eunuchen und Friseusen handle. Die einzigen Eunuchen, die es bei uns noch gab, waren ein paar alte, zahnlose Geschöpfe aus dem Hofstaat meines Vaters, und die »Friseusen« waren Iras und Charmion, königliche Töchter Ägyptens!
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22 Wir warteten auf Oktavians Angriff - ein ermüdendes Geschäft. Ich habe mich oft gefragt, ob alle Römer an derselben seltsamen Krankheit leiden, an diesem Zaudern, denn weder er noch Marcus schritten zur Tat. Wenn ich nicht darauf bestanden hätte, hätten sich unsere Truppen nie geübt! »Schätzchen«, sagte Marcus gedehnt, »du bist kriegerischer als jeder Feldherr!« »Ich verstehe nichts vom Kriegshandwerk«, erwiderte ich etwas scharf, »aber man muß vernünftig sein. Für Müßiggang ist kein Platz in einer Armee ... und Übung macht den Meister.« Ich versuchte immer, möglichst wenig mit ihm zu streiten, vor allem nicht in Gegenwart von anderen, doch es fiel mir oft schwer; auch ich litt an der Untätigkeit, langweilte mich und war ungeduldig. Außerdem vermißte ich meine Kinder. Ich wagte es nicht zu sagen; Marcus hätte das als willkommene Gelegenheit begrüßt, um mich heimzuschicken; nach der Kriegserklärung hatte sich der Druck, der auf 339
ihn ausgeübt wurde, nur noch verstärkt. Nach dem ersten verwarteten Monat meinte ich, wir sollten vielleicht zuerst angreifen. »O nein«, erwiderte Marcus. »Du verstehst nicht, inwiefern wir im Vorteil sind ...« Und so erklärte er es mir. Er glaubte zuversichtlich, daß unsere große Flotte (er nannte sie die seine) den Feind vernichten könnte, bevor er Griechenland überhaupt erreichte; er meinte, Oktavians Streitkräfte würden meutern, bevor die Flotte unter Segel ginge, denn der Krieg werde sich verheerend auf die italienische Wirtschaft auswirken; in Griechenland und im Osten dagegen werde sich dadurch kaum etwas an den Preisen für Proviant und Material ändern. Ägypten sei imstande, genug Getreide für unsere gesamte Armee zu liefern, Italien aber werde bald Hunger leiden. »Außerdem, Liebste, wirst du immer dafür sorgen, daß unsere Leute entlohnt werden«, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln, »und Oktavian weiß nicht, woher er Geld nehmen soll. Ich rechne nicht einmal damit, daß wir eine Feldschlacht schlagen müssen. Schau, Liebste, ich habe vier Legionen in Kyrene zurückgelassen, vier in Ägypten, drei in Syrien - und ein paar kleinere Kontingente überall an der Küste. Unser Heer hier besteht aus einigen 10 0000 Fußsoldaten und 12 000 Reitern; Oktavian kann nicht einmal die Hälfte davon aufbieten.« »Bist du sicher?« fragte ich. »Mein Agent hat letzte Woche berichtet, es seien 80 000 Fußsoldaten und 12 000 zu Pferd ...« »Na schön, aber auch das fällt nicht sehr ins Gewicht; wir sind ihnen auf jeden Fall überlegen. Das ist das entscheidende für mich. Mit den Zahlenangaben braucht mans nicht so furchtbar genau zu nehmen ...« Auf diese Weise tat er immer ab, was ich sagte; es war sehr verdrießlich. Trotzdem liebte ich ihn. Der Winter rückte näher, und wir bezogen in Patrae unser Winterlager. Ich sah nicht ein, welchen Sinn das haben sollte; es war meiner Meinung nach eine kostspielige Truppenbewegung, die keinen Vorteil brachte. Aber man sagte mir, Armeen gingen immer ins Winterlager; nun ja, ich konnte mir vorstellen, das Geld für vernünftigere Dinge auszugeben. Die Flotte wurde in den Ambracischen Golf geschickt, ein Stück weiter nördlich; dieser Golf war ein großer natürlicher Hafen mit einer engen Einfahrt; er bot Schutz vor Stürmen und Angriffen. Ich betrachtete die Karte; kalt griff mir 340
ein Gedanke nach dem Herzen. Ich wandte mich zu Marcus. »Wie breit ist die Einfahrt zu diesem Golf?« fragte ich. »Gerade so breit, daß ein Schiff durchpaßt«, antwortete er. »Das ist ja das Schöne daran. Oktavians Flotte kann nicht rein.« »Aber Marcus!« rief ich. »Und unsere Flotte kann nicht raus! Womöglich sitzt sie da für alle Zeiten fest!« »Ach Unsinn«, sagte er mit einer abwertenden Handbewegung. »Das passiert auf keinen Fall. Oktavian wird nie darauf kommen ...« »Oktavian ist nicht beliebt«, erwiderte ich. »Aber seine Fähigkeiten als Kommandeur hat noch nie jemand in Frage gestellt. Er wird von klein auf seine Strategie und Taktik von Julius gelernt haben. Du mußt die Flotte wegholen aus diesem Golf!« »Meine Beste«, sagte er mit einem nachsichtigen Lächeln, »du stellst wirklich meine Geduld auf die Probe. Geh und lies irgendwo deine alten Griechen ...« Ich glaube, wir stritten uns dann; ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Die Zeit dehnte sich endlos, und die Tage begannen, ineinander zu verfließen. Jedenfalls wurde - wenn ich auch durchaus nicht froh darüber war - meine Ansicht bestätigt, daß man die Flotte verlegen sollte, das freilich auf eine Weise, die ich nicht vorhergesehen hatte. Die Winterstürme setzten ein und machten die Gewässer unsicher; die Vorräte der Flotte gingen allmählich aus, ein Drittel der Rudersklaven und Matrosen kam durch die Entbehrungen und durch Krankheiten um; sie mußten ersetzt werden durch ungedrillte Leute; schlimmer noch: durch Ackerknechte und Bauern, vereinzelt sogar durch zufällig des Weges ziehende Reisende und Kriminelle. Überdies verrottete durch das lange Vor-Anker-Liegen das Spantenwerk, und das Eisen rostete. Meine Spione meldeten große Unzufriedenheit auf allen Schiffen; Seeleute sind Entbehrungen gewohnt, aber das ewige Warten kann kein Mensch vertragen. Und es stellte sich heraus, daß es in diesem Jahr kein Ende nahm. Ich hatte so lange gewartet, daß mir war, als streute man mir Salz in offene Wunden. Auch wir lebten nicht eben komfortabel; das Kastell von Patrae war kein Palast. Dazu kam die Sorge um meine Kinder, um mein Land und um Marcus, die mich in diesen Tagen nie 341
verließ. Er trank so unmäßig, daß ich fürchtete, er könnte krank davon werden; sein Aussehen und seine Lebenskraft litten darunter; die gemeinen Soldaten verehrten ihn zwar noch, aber er verlor mit der Zeit den Respekt seiner Offiziere. Oft bemerkte ich zufällig verächtliche oder mitleidige Blicke oder hörte Gelächter, das plötzlich verstummte. Und ich konnte niemand bestrafen; es waren nicht meine Leute. Der Winter kam und ging, und der Feind unternahm immer noch nichts. »Marcus«, sagte ich eines Tages, als sich das erste Grün auf den Hügeln zeigte, »ich würde gern sehen, wie es unserer Flotte im Golf ergangen ist. Könnten wir nicht dort vorbeischauen?« Damit gab ich ihm taktvoll zu verstehen, daß dies seine Pflicht als Kommandeur sei. Er wollte nicht recht mit der Sprache heraus, aber drei, vier Tage später machten wir uns mit frischem Proviant auf den Weg. Als wir uns dem Golf näherten, in dem die Flotte vor Anker lag, überfiel mich ein Schwächegefühl; die Küste war düster und grau, ein paar Seevögel kreisten über uns, und gegen die Klippen sprühte hochauf der Gischt - ein Bild der Öde und Verlassenheit. Wir mußten alle paar Meter loten, denn es gibt dort tückische Untiefen; ganz in der Nähe sah ich häßliche Reptilien, eine mir unbekannte Art; Marcus behauptete, sie seien harmlos, aber sie hatten scharfe Zahnreihen wie die Krokodile. Ich bemerkte auch eine Unzahl von Schlangen, die lautlos über die Felsen glitten; ich schauderte an der Reling. »Ich muß mich über dich wundern, kleine Göttin«, scherzte Marcus. »Diese Uräusschlangen sind doch der Isis heilig ... da -« Und er tat so, als wollte er eine greifen. »Diese gefleckte - wäre das nicht ein nettes Haustierchen?« »Oh, nein!« rief ich. »Außerdem sind es gar keine Uräusschlangen ...« »Du kennst dich also genau aus mit Uräusschlangen?« Er lachte mich an. Ich lachte mit, aber nur widerwillig. Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie eine gesehen - ich kenne sie nur von meinem Schmuck ...« Wir steuerten durch die schmale Einfahrt zum Golf, suchten uns einen Weg zwischen den Untiefen; unser Schiff war klein und schnell; ich fragte mich, wie das die großen Kriegsschiffe machten. Als wir 342
schließlich bei der Flotte ankamen, sahen wir, daß die Matrosen tüchtig bei der Arbeit waren, reparierten, was der Winter zerstört hatte; die Schiffskörper waren alle blasig, die Farbe blätterte ab, und viele Decksbalken waren verrottet. Die Männer schienen einigermaßen munter zu sein, wenn sie zum Teil auch zahnlos lächelten; sie hatten kein frisches Gemüse oder dergleichen gehabt, nur hartes Brot und gedörrtes Getreide. Sie waren auch nicht warm genug angezogen, denn es hatte alles auf dem Landweg herangeschafft werden müssen - und übers Land hatte sich streng der Winter gelegt. Ich versuchte, Mut zu fassen, denn jetzt kam ja der Frühling, aber es fiel mir schwer; überall sahen wir die Auswirkungen der Bedrängnis, Unzufriedenheit und Vernachlässigung. Marcus, der so lebhaft wirkte wie seit Wochen nicht mehr, erkundigte sich bei einem Mann, der am Ufer saß und ein zerrissenes Segel reparierte. Der Matrose blickte von seiner Arbeit auf; sein Gesicht war kreuz und quer von unzähligen Falten durchzogen, braun gegerbt, doch seine Augen waren von klarem und leuchtendem Blau, so, als hätten sie die Farbe des Meers angenommen. »Tja, mein Feldherr«, sagte er. »Damit muß man rechnen. Bei jedem Schiff gibts eine natürliche Abnutzung, und wenn es noch so solid ist. Wir kümmern uns selbstverständlich drum ... das heißt, wer noch übrig ist.« »Hast du denn viele Freunde verloren, guter Mann?« fragte ich. Falls es ihn überraschte, daß er von einer Frau angesprochen wurde, so zeigte er es doch nicht; Seeleute, das habe ich erfahren, leben ihren eigenen Gesetzen gemäß. »Na ja, `n paar ... mit anderen war ich nicht so dick Freund.« Und er ließ ein kurzes, freudloses Kichern hören. »Die da -« Und er deutete mit einem Ruck des Kopfes auf das Schiff, das uns am nächsten lag; eine Gruppe von Männern stand untätig an der Reling, nur einer oder zwei ließen Angelruten ins Wasser hängen. »Die da - die tun scheints nichts wie fischen. Aber wie ich es sehe, fangen sie nichts. Klar, was will man schon erwarten ... sind ja bloß Landratten.« Er zog die Nadel durch das Segeltuch und biß den dicken Zwirn ab. »Hat auch n paar Kräche gegeben, will ich gar nicht bestreiten. Wegen dem Bier und so. Das passiert immer, wenn man festliegt ... auch bei richtigen Seeleuten, und erst recht bei denen ...« Und er spuckte verächtlich aus. »Hör mal, Herr, sag mir eins ... stimmt das, was n paar Leute sagen ... daß 343
der Oktavian den alten Agrippa rumgekriegt hat?« »Agrippa befehligt Oktavians Flotte - ja«, erwiderte Marcus. »Oh, oh, oh«, rief der Mann leise und schüttelte den Kopf. »Das ist `n alter Fuchs. Der hat den Sohn vom Pompejus weggeputzt. Herr, der Agrippa hat wirklich Ahnung. Entschuldigung, aber da sitzen wir ganz schön in der Patsche.« Mir wurde kalt bei seinen Worten, denn sie klangen wie eine Prophezeiung; es stimmte, daß wir keinen Kommandeur hatten, der mit Agrippa zu vergleichen war; man hielt ihn für den erfahrensten Mariner der Welt. Ich war auch gekränkt, weil Marcus keinen Ton davon zu mir gesagt hatte, obwohl er es offensichtlich schon seit langem wußte. Marcus schien den Worten des Matrosen jedoch keine Beachtung zu schenken, denn er meinte achselzuckend und mit einem Lächeln: »So schlimm wirds nicht sein, guter Mann ... ich glaube, daß wir siegen werden - ohne weiteres. Wir sind dem Feind zahlenmäßig haushoch überlegen.« »Zahlenmäßig ... na ja -« Und nun zuckte der Matrose die Achseln und spuckte noch einmal aus. Er dachte wohl an die Aushilfskräfte in unserer Flotte. Mehr als die Hälfte unserer Leute verstand überhaupt nichts von der Seefahrt und war überdies zum Dienst gepreßt worden. »Komm, Kleopatra«, sagte Marcus fröhlich. »Schauen wir uns unser Flaggschiff an, das größte von allen.« Als wir längsseits kamen, zeigte er auf den Namen - Niltochter. Ich war ergriffen und nicht wenig stolz, denn es war wirklich ein gewaltiges Schiff; es ragte aus dem Wasser auf wie eine Festung und wirkte ebenso massiv. Das Oberdeck war mit gigantischen Katapulten bestückt; die Steine dafür waren so schwer, daß sie von vier Matrosen getragen werden mußten. »Und sie hat dreißig Ruderbänke«, sagte Marcus. »Wenn sie an Bord kommen wollen, müssen sie Sturmleitern nehmen«, fuhr er fort. »Du siehst also, Liebste - wir können gar nicht verlieren. Und wir haben noch zweihundert, die fast ebenso groß sind.« Aber ich merkte, daß auch hier Spanten verrottet und Segel brüchig waren; hie und da gaben die Decksplanken knarrend unter unseren Füßen nach. Ein Matrose erklärte uns, sie seien vom Wurmfraß befallen. »Aber gib uns noch einen Monat Zeit, mein Feldherr 344
... dann haben wir sie wieder in Ordnung.« Ein Monat! Noch ein verwarteter Monat! Als wir wieder im Lager waren, sagte ich zu Marcus: »Wenn der Monat um ist, mußt du was machen, mein Lieber. Die Zeit zerrinnt uns zwischen den Fingern ...« »O nein, Liebste«, erwiderte er. »Den ersten Schritt muß Oktavian tun.« Und das tat er auch. Beziehungsweise Agrippa. Er griff mit einem Geschwader seiner Schiffe plötzlich griechisches Territorium an und nahm den Hafen Methone ein. Es war ein brillanter Schachzug, denn damit schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe. Von Methone aus konnten seine Schiffe unsere aus Ägypten kommenden Frachter abfangen; noch mehr Getreide verloren! Und Marcus wurde dadurch abgelenkt; während er sich mit seinen Truppen fertigmachte, um Methone zu entsetzen, lief Oktavian mit weiteren Schiffen in Toryne ein, direkt oberhalb des Golfes, in dem unsere Flotte lag. Gewiß, er konnte sie nicht angreifen, weil die Einfahrt schmal und gut befestigt war; aber wie ich es vorhergesehen hatte, konnten auch unsere Schiffe nicht heraus. Und es war ihm natürlich möglich, uns von unserem gesamten Nachschub abzuschneiden, der übers Meer kam; wir standen unter Blockade. Nun, da er zum Handeln aufgefordert war, trat bei Marcus wieder der Umschwung ein, den ich schon einmal erlebt hatte. Er gab das Feiern auf, trank wenig Wein und aß nur einfache Gerichte; nach einer Woche sprühten seine Augen Funken, die Tränensäcke verschwanden, er schnallte den Gürtel enger, weil er abgenommen hatte, und fast sichtbar durchpulste ihn neue Kraft. Im Nu war er mit unserer großen Streitmacht wohlgeordnet zum Konfliktherd marschiert; wir schlugen unser Lager auf der südlichen Halbinsel bei dem Ort Actium auf. Oktavians Armee stand auf der Nordseite, aber einige Kilometer landeinwärts. Marcus beorderte einen Teil seiner Truppen nach der Spitze der nördlichen Halbinsel, und somit beherrschten wir fast den ganzen Küstenstrich bis zur Einfahrt zum Golf, in dem unsere Kriegsschiffe vor Anker lagen. Wie ich es sah, hatten wir zwei Möglichkeiten. Die eine war, um den Golf herumzumarschieren und Oktavian eine offene Feldschlacht zu liefern; die zweite war, die Blockade zu durchbrechen und Oktavian auf See zu schlagen. Die meisten der römischen Se345
natoren, die uns begleiteten, rieten Marcus dringend zur Feldschlacht, ich aber befürchtete, daß sich Oktavians Heer zu gut verschanzt hatte; außerdem ließen wir, wenn wir so vorgingen, praktisch unsere Flotte im Stich. Nacht um Nacht drängte ich Marcus, sich auf See zu schlagen; Nacht um Nacht zögerte er, gehemmt durch die miteinander im Widerstreit liegenden Gruppen. »Wenn wir unsere Flotte verlieren«, sagte ich, »verlieren wir auch alles Gold, den ganzen Proviant und das ganze Material, das wir mitgenommen haben.« Wochen vergingen - vergingen quälend langsam. Agrippa, der anscheinend nie die Zügel schleifen ließ, eroberte äußerst schlau mit ein paar von seinen Schiffen die Insel Levkas. Diese Insel, die von der Westküste Griechenlands nur durch einen schmalen Kanal getrennt wird, beherrscht den gesamten Bereich südlich von Actium; nun stand nicht nur unsere Flotte unter Blockade, sondern auch unsere Armee! »Kannst du denn nie einen Blick auf die Karte werfen?« rief ich erbittert. Das war ungerecht, aber ich war mit den Nerven am Ende durch Marcus Warterei; außerdem meint man immer, man selbst könne es besser. Und zu diesem schlauen Schachzug des Feindes kamen noch die furchtbaren Vorzeichen, die stets auf Rückschläge folgen. Aus Athen wurde gemeldet, daß die berühmte Statue des Dionysos, Marcus Ebenbild gewissermaßen, bei einem gewaltigen Unwetter von ihrem Sockel gestürzt sei; von nicht so weit weg, aus unserem Stützpunkt in Patrae, erfuhren wir, daß der Tempel des Herakles, der angeblich Marcus Ahnherr war, vom Blitz getroffen worden sei. Ich neige immer dazu, solche Dinge als reinen Zufall zu betrachten, aber selbst die gesetzten Senatoren, die uns begleiteten, schauten bedenklich drein, und einige der gemeinen Soldaten machten das Zeichen gegen den bösen Blick, wenn sie Marcus sahen. Armer Marcus! Er hatte sich so gut gehalten; jetzt fing er im Handumdrehen wieder mit dem Trinken an. Wir hörten, daß sich in Oktavians Lager die meisten der Senatoren aufhielten, die sich nicht auf Gedeih und Verderb mit uns verbunden hatten; Oktavian hatte ihnen Ruhm und Ehre und einen Anteil an der Kriegsbeute versprochen. Das war sehr schlau von diesem Neffen Cäsars, denn so rief er den Eindruck hervor, daß es sich 346
nicht um einen Bürgerkrieg handelte, sondern ausschließlich um einen Krieg gegen einen ausländischen Feind, gegen Ägypten. Nach und nach liefen auch die mit uns verbündeten Senatoren zu ihm über. Ich hatte das Gefühl, daß die Lage hoffnungslos wurde. Der Sommer kam und mit ihm eine Hitze, wie ich es noch nie erlebt hatte, nicht einmal in Oberägypten. Denn wir befanden uns hier in moorigem Flachland; feuchter Dunst hing in der Luft; es war, als ginge man durch Wasser; Tröpfchen standen in unserem Haar von der Nässe, und wir rangen nach Atem. Und bald fielen auch Stechmücken über uns her, die in Wolken von den Sümpfen aufstiegen. Im königlichen Zelt schliefen wir unter Netzen, aber die gemeinen Soldaten hatten keinen solchen Schutz. Sie liefen verschwollen und rot herum, striemig vom vielen Kratzen und elend, und viele litten an einer Krankheit, die von den Mücken übertragen wurde. Sie bekamen ein gelbes Gesicht, und Hunderte waren halbtot vor Entkräftung und lagen von morgens bis abends auf ihren Pritschen, bis das Fieber wieder abklang. Die Moral war auf einem Tiefpunkt angelangt. Zweitausend Galater liefen samt ihrem Führungsstab zu Oktavian über; Ahenobarbus, der immer anderer Meinung gewesen war als wir, tat es ihnen nach, und mit ihm ging ein König aus Paphlagonien, dessen tausend Mann jetzt die feindlichen Reihen verstärkten. Durch Krankheits- und Todesfälle und Fahnenflucht verloren wir unsere zahlenmäßige Überlegenheit; Marcus weigerte sich allerdings mitzuzählen und verhielt sich, als sei nichts geschehen. Die traurige Wahrheit war aber, daß wir, soweit sich das überblicken ließ, nicht einmal mehr 50 000 Mann hatten, Land- und Seestreitkräfte zusammengerechnet, und etliche von diesen waren nicht in der Lage, einen langen Kampf durchzustehen. Obwohl viele der Römer immer noch dringend zur Feldschlacht rieten, hatten wir in Wirklichkeit gar keine Wahl; wir mußten auf die eine oder die andere Teilstreitkraft verzichten. Erfahrene Legionen können sich notfalls auch auf See einrichten, das hatte mir Cäsar gesagt; aber Matrosen sind ganz auf ihre Schiffe angewiesen. Wir mußten unsere Flotte einsetzen oder sie aufgeben. Auf mein Drängen hin berief Marcus schließlich den Kriegsrat ein; er bestand aus Publius Canidius, Marcus und mir. Nach einer langen Nacht wurde beschlossen, daß Canidius den 347
Oberbefehl über die Landstreitkräfte und alles an Proviant und Material erhalten würde, was wir entbehren konnten. Unsere Flotte wollten wir in vier Geschwader aufteilen. Drei sollten unter Marcus Kommando stehen, eins - etwa 60 Schiffe aus Alexandria - unter meinem. Diese Schiffe waren schnell und leicht und konnten bei günstigem Wind fast jeden Verfolger abschütteln. Laut Plan sollte ich all unser Gold, dazu Proviant, Material und Besitzstücke auf diese Schiffe verladen lassen, nicht in den Kampf eingreifen, sondern nur im Hintergrund Wartestellung beziehen. Wenn sich ein Sieg abzeichnete, würden wir Kurs auf die offene See und auf Rom nehmen; im Fall einer Niederlage mußten wir so schnell wie möglich nach Ägypten zurückfahren. Auf diese Weise wollten wir Kraft für eine weitere Auseinandersetzung sparen. Dies mußte vor dem Rest der Flotte geheimgehalten werden; meine Schiffe sollten im Schutz der Dunkelheit beladen werden. Ich glaube, Marcus meinte, das ließe sich bewerkstelligen; ich war mir sicher, daß die meisten es merkten. Denn selbst wenn man die ganze Ladung heimlich an Bord schaffen konnte, muß es aufgefallen sein, daß meine Hofleute, Bediensteten und Sklaven aus dem Lager verschwunden waren; mit einem solchen Gefolge zieht man nicht in eine Schlacht! Gegen Ende des Sommers waren wir bereit. Nachdem wir die wirklich unbrauchbaren Schiffe ausrangiert hatten, hatten wir einschließlich meines Geschwaders, das nicht in den Kampf eingreifen sollte, etwa 300 unzureichend bemannte Schiffe. Oktavian verfügte über 400 und hatte noch zusätzliche Legionen an Bord. Freilich waren seine Schiffe um einiges kleiner, aber das war unter bestimmten Umständen womöglich ein Vorteil; ich konnte es mir nicht leisten, mir viel Gedanken deswegen zu machen; wir mußten es dem Willen der Götter anheimstellen. Unsere Schiffe hatten sich innerhalb des Golfs ordnungsgemäß formiert; es war kurz nach Tagesanbruch und noch kühl. Wir warteten auf das Signal vom Führungsschiff, von Marcus Niltochter. Ich stand am Bug meines Schiffes, direkt unter der Holzplastik der Athene mit Helm und Speer; der Arm, mit dem sie ihn hielt, zeigte genau nach Westen, nach der Einfahrt zum Golf. Ich spürte einen frischen Wind im Gesicht und lächelte. Kytheris stand in der Nähe inmitten meiner Frauen; ich merkte, daß sie mich anblickte und 348
wandte mich zu ihr. In der Brise löste sich mein Haar, das ich zu einem lockeren Knoten zusammengesteckt hatte. »Ach, Herrin«, seufzte sie. »Lach nicht zu früh ... es ist ein Westwind. Ich habs schon erlebt, daß der eine Woche lang weht.« Sie mußte es natürlich wissen; diese Theaterleute sind auf Schiffe angewiesen, die sie von Engagement zu Engagement bringen. Und es stimmte, der Wind kam von Westen, durch die Einfahrt zum Golf, uns entgegen; wir lagen fest, solange er wehte. »Sieh nur -«, rief Kytheris. »Der Feind läuft ohne Segel aus ... sie müssen Hunderte von Ruderern haben!« »Die haben auch keine Wahl«, sagte ich. »Ihre leichten Schiffe würden direkt auf uns zutreiben. Agrippa läßt sich auf kein Risiko ein ...« »Er kennt sich zweifellos gut aus mit diesen Westwinden ...«, murmelte Kytheris und blickte finster drein. Es dauerte vier Tage, bis der Wind abflaute; es war ein heller, heißer Sommermorgen, still und friedlich noch in diesen frühen Stunden. Marcus kam längsseits mit einem kleinen Ruderboot, er hatte bei allen Schiffen die Runde gemacht, den Leuten Mut zugesprochen und von ihren Wein- und Bierfässern gekostet. »Großer Zeus«, rief ich halb lachend, »wo hast du das Zeug nur gelassen?« Denn er wirkte nicht im mindesten betrunken. Sein Gesichtsausdruck war klar und kühn, ja heiter; so hatte ich ihn seit Monaten nicht mehr erlebt. Er hangelte sich die Strickleiter hoch und küßte mich stürmisch; zwischen uns war die Reling. »Denk daran, was du versprochen hast, Liebling ... du greifst nicht in den Kampf ein. Und du ziehst dich schnellstens zurück, falls sich das Glück gegen uns wendet ...« »Aber woher soll ich das wissen?« »Du wirst es merken«, sagte er. Sein Mund war plötzlich wie ein Strich. »Aber sei guten Muts. Das wird nicht geschehen. Es heißt, Oktavian sei seekrank.« Aber Agrippa nicht, dachte ich. Doch ich sagte nichts weiter, nur: »Gib auf dich acht, mein Mann ... laß dich auf nichts ein ...« »Du kennst doch die alte Redensart ...« Und er zwinkerte mir zu. »Säufer tun sich nie was ...« Und ich sah zu, wie er davonruderte, den Rücken so gerade wie Cäsar. 349
Neben mir murmelte Kytheris kopfschüttelnd: »Er hätte Schauspieler werden sollen ...« »Wie meinst du das?« wollte ich wissen. »Hast dus nicht gemerkt? Er zittert innerlich vor Angst ... aber er gibt sich ganz gelassen.« Ich hoffte nur, daß sie sich irrte. Ich beobachtete, wie die Geschwader nacheinander ihre Position einnahmen, mit Ruderkraft und in Zweierreihen gestaffelt, die sich den ganzen Golf entlang bis zur Einfahrt hinzogen. Dann sah ich, daß der linke Flügel sich an die Spitze setzte, schwerfällig den Golf verließ und auf die offene See zuhielt. Die anderen folgten nach. »Gib Order, die Nachhut zu bilden, Herrin«, sagte Kytheris, die Augen gegen die Sonne verengt. »Und laß die Segel setzen ... der Wind wird ablandig.« »Ich spüre keinen Wind«, erwiderte ich. Sie zeigte es mir; die ganze weit auseinandergezogene Doppelreihe setzte die Segel; sie blähten sich schon im Wind. »Er kommt«, sagte sie. »Wir müssen darauf vorbereitet sein.« Ich hörte auf ihren Rat und bezog ein gutes Stück westwärts von der Insel Levkas Stellung. Wir befanden uns in einiger Entfernung vom Kampfplatz und konnten meilenweit in die Runde sehen. Wir beobachteten, wie Oktavians Schiffe denen von Marcus entgegenfuhren; beide Seiten manövrierten jetzt mit Ruderkraft. Die Schiffe des Feindes wirkten aus dieser Entfernung unglaublich klein, aber es waren ungeheuer viele. Marcus Schiffe waren groß und schwerfällig; sie konnten nicht angreifen, sondern mußten auf die Attacke warten wie eine belagerte Stadt. Agrippa schickte - perfekte Strategie - vier bis fünf Schiffe gegen jedes von uns vor. Wenn Rauch und Feuer einem nicht die Sicht versperrten, erkannte man, daß die Szene einer Hetzjagd ähnelte, bei der eine Meute von Hunden einen Keiler umzingelt hat. Falls es dem Keiler gelang, seine Hauer in einen der Widersacher zu schlagen, konnte er ihn vielleicht abschütteln, aber schon war der nächste da. Zumindest sah es von unserem Blickpunkt so aus; viele von Agrippas Schiffen gingen in Flammen auf oder sanken, weil unsere Katapulte große Lecks in die Bordwände geschlagen hatten, doch es kamen immer neue nach, die unsere Schiffe angriffen. 350
Wir waren so weit entfernt, daß wir kein Gemetzel sahen; die Männer, die von den Leitern ins Meer stürzten, wirkten klein wie Insekten, Pünktchen gegen die gewaltige blaue Leere des Himmels. Ich nahm nichts wahr von den Leichen, die im geröteten Wasser schwammen, von den abgetrennten Gliedern und zerfleischten Leibern; ich stellte es mir nur vor. Alle beobachteten die Szene so wie ich - hilflos, entsetzt, mit trockenem Mund, die Finger abgestorben, weil sie sich lange, lange um die Reling gekrampft hatten. Schiff um Schiff versank; es war totenstill; wir waren zu weit entfernt, um die Schreie und das Fauchen der Flammen zu hören; irgendwie schien alles unwirklich zu sein. Ich war benommen und geistesabwesend; ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. »Herrin -« Eine Hand zupfte mich am Ärmel: Kytheris. »Herrin«, sagte sie leise. »Gib Order, nach Süden zu segeln ... die Sonne geht bald unter.« »Ist es schon so spät ...?« Ich rieb mir die Augen. Sie schmerzten von der salzigen Luft und von der Anstrengung. »Ja«, sagte sie, immer noch leise. »Wir verlieren die Schlacht - fast die Hälfte unserer Schiffe ist untergegangen ...« Ich sah, daß sie recht hatte; mir war auch klar, daß ich es selbst gewußt hatte, aber ich hatte es nicht wissen wollen. »Marcus ...?« flüsterte ich mit schwacher Stimme. Sie zeigte es mir. »Da ... da ist sein Flaggschiff. Der Mast ist geknickt, aber es hält sich noch über Wasser.« »Ich kann ihn nicht im Stich lassen ...« »Du mußt es - und rasch. Er hats befohlen, und es war so vereinbart. Denk nicht mehr dran - mach bloß schnell. Denk an deine Kinder und an dein Land ... denk an Cäsarion!« Mit einem Kopfnicken gab ich meinem Kapitän zu verstehen, daß wir losfahren sollten, und er leitete den Befehl an den Rest des Geschwaders weiter. »Ja, Herrin«, sagte er. »Verzeihung, aber das ist das beste. Und wir haben jetzt voll den Wind in den Segeln. Wir werden umkehren, und er wird uns nach Süden treiben - so schnell, wie die Möwe fliegt ...« Ich schaute zurück, während wir uns davonmachten; nach einer kleinen Weile konnte ich nur noch etwas dunklen Rauch erkennen, und dann sah ich nichts mehr. 351
Ich wandte mich Kytheris zu: »Wir können immer noch gewinnen ...« »O ja, liebe Herrin«, sagte sie, »das Schlachtenglück kann sich wenden ...« Aber ich glaubte ihr nicht.
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23 Irgend etwas erlosch in Marcus für immer nach der Niederlage bei Actium - denn es war natürlich eine Niederlage, eine fast unvermeidliche Niederlage, wie ich es jetzt sehe. Vielleicht war auch das, was mit Marcus vorging, unvermeidlich; eine natürliche Folge des herannahenden Alters oder schleichender, durchs Trinken hervorgerufener Verfall. Es ist schwer zu bezeichnen, was in ihm erlosch, aber man sah deutlich, daß etwas fehlte. Nicht die Hoffnung oder die Liebe zum Leben oder die Freude - nein, es war, als sei das, was einen Menschen einzigartig macht, verschwunden; Marcus war nicht mehr Marcus. Und was auch immer der Grund dafür sein mochte, ich bemerkte es zum ersten Mal, als er an Bord unseres fliehenden Schiffes kam, während hinter ihm noch die Schlacht tobte. Wir hatten es nicht so geplant, aber als ich mich von meiner Überraschung erholt hatte, pries ich seine Vernunft. »Du lebst, und du wirst noch andere Schlachten schlagen«, sagte ich. Er antwortete 353
nicht, sondern blickte durch mich hindurch, als stierte er etwas unendlich Fernes an. Dann sah ichs in seinen Augen, die Leere, und Angst durchschauerte mich. Er gab mir auch keine richtige Antwort, sagte nur mit einem seltsamen, fast mitleidigen Unterton in der Stimme: »Kleine Königin, du wirst das nie begreifen ... du hast nie jemand verraten ...« Drei Tage sprach er mit keinem, saß allein auf dem Vorderdeck; er aß und trank nichts und trug noch seine von der Schlacht besudelten Gewänder. Als wir schließlich den Hafen Taenarum erreichten, löste er sich aus dieser Erstarrung und ging unter Deck, um sich zu waschen und sich mit einem Mahl zu stärken. Das war die erste seiner depressiven Phasen; sie kamen öfter und öfter und dauerten immer länger. Dort, in Taenarum, holte uns das einzige von unseren Schiffen ein, das die Schlacht heil überstanden hatte, und meldete, daß wir alles verloren hatten; sämtliche Schiffe waren gekapert oder versenkt worden und unglaublich viele Verluste zu beklagen. Am schlimmsten war - zumindest für mich - der Tod von Dioscorides, meinem geliebten Freund und Arzt; ich hatte ihn nicht in die Schlacht schikken wollen, aber Marcus hatte darauf bestanden. Ich wandte mich ihm zu, ein scharfes Wort auf der Zunge, doch ich sprach es nicht aus, denn ich bemerkte wieder diesen leeren Blick. Wie oft habe ich mich in den letzten Monaten beherrschen müssen; man kann nicht einem Menschen zusetzen, der gar nicht da ist! Dioscorides Schriftrollen aber waren geborgen worden, ebenso fast seine sämtlichen Arzneien; ein junger Kollege, der bei ihm seine Ausbildung genossen hatte, Olympos mit Namen, hatte überlebt und all diese Dinge aus dem Kampfgeschehen gerettet. Er hatte böse Brandwunden und fieberte, doch er wollte sich nicht zur Ruhe legen, denn es gab noch andere Verletzte, die seiner Hilfe bedurften. Wir blieben fast eine Woche in diesem Hafen, um die Leidenden zu pflegen und frisches Wasser an Bord zu nehmen. Dort erreichten uns noch schlimmere Nachrichten, sofern das überhaupt möglich war; das Heer war geschlossen zu Oktavian übergelaufen, Canidius und die anderen Offiziere waren geflohen, niemand wußte, wohin. Oktavian hatte ihnen anscheinend dieselbe Behandlung wie seinen eigenen Soldaten zugesichert und ihnen vor 354
Augen geführt, daß ihr großer Kommandeur ein Feigling sei, der Fersengeld gegeben habe. Als Marcus das hörte, liefen ihm dicke Tränen übers Gesicht. »Liebster«, sagte ich freundlich, »das ist nichts als Taktik ... erwartest du, daß er dich in den Himmel hebt? Hör nur, was er über mich gesagt hat!« Denn es hieß tatsächlich, daß ich Marcus durch Zauberkraft dazu gebracht hätte, mir zu folgen; kein Römer war eigentlich feige, und in Wirklichkeit war ich an allem schuld. »Und nun, mein Mann, müssen wir schnellstens nach Alexandria zurückkehren und zeigen, daß wir frei und unverletzt sind und unser Geschick noch in der Hand haben.« Aber er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht«, sagte er. »Du mußt mitkommen«, erwiderte ich. »Du mußt deine Angelegenheiten im Osten regeln, dich der Treue deiner Verbündeten vergewissern ... neue Schiffe bauen lassen. Noch ist Ägypten wohlhabend.« Er sagte nichts; ich gab den Befehl zum Auslaufen und hatte das Gefühl, nun, da sich etwas tat, werde er sich einfach mitreißen lassen. Doch als wir wieder einen Hafen ansteuerten, diesmal den der kleinen Garnisonsstadt Paraetonium, hob er den Kopf und sagte: »Ich bleibe hier.« Es war ein öder Vorposten; ein kleines Kastell überschaute das Vorgebirge mit einer schmalen, von Kalksteinfelsen eingefaßten Bucht. Dahinter dehnt sich die Wüste; es ist drückend heiß; den ganzen Nachmittag über blasen sengende Winde aus Afrika wie ein erstickender Gluthauch, »Es sind nur noch 160 Meilen bis Alexandria, Liebster«, sagte ich. Ich sprach freundlich wie mit einem Kind. Er schüttelte wieder den Kopf. »Nein, ich ertrage es nicht.« Und ich konnte ihn nicht vom Fleck bewegen; kein Argument verfing und keine Überredungskunst; schließlich mußte ich ihn lassen, wo er war, denn meine Kinder und meine Untertanen brauchten mich. Einige seiner treuen Kameraden blieben bei ihm; er blickte nicht einmal auf, als wir abfuhren. Das Herz war mir schwer um meines Liebsten willen; ich glaube, er war dem Wahnsinn nahe. Und dann waren die Nachrichten stets noch schlimmer, als man erwartet hatte. Sämtliche Städte Griechenlands schlugen sich auf Oktavians Seite; wir erfuhren, daß die Statuen von Marcus vom Sockel gekippt und in Stücke gehauen wurden; all der Ruhm, mit dem man ihn noch 355
vor wenigen Monaten überhäuft hatte, war auch zu Bruch gegangen. Es bekümmerte mich nicht meinetwegen, ich war schließlich Roms Feind und mußte damit rechnen. Aber für Marcus war seine Welt zusammengestürzt; ich hoffte nur, daß die Nachrichten ihn nicht erreichen würden in seiner selbstgewählten Verbannung. Die Niederlage von Actium war in aller Munde; es war nur eine Frage der Zeit, wann die östlichen Provinzen und Vasallenstaaten zu Oktavian überlaufen würden. Aber Ägypten blieb übrig. Und Alexandria war immer noch die größte Stadt der Welt. Ich durfte keine Zeit verlieren; ich mußte retten, was zu retten war. Ich schickte den kleinen Alex und seine junge Frau an den Hof des Schwiegervaters in Medien; dort würden sie auf jeden Fall in Sicherheit sein. Und mit Medien als verbündetem Land konnte ich darangehen, ein neues Königreich zu schaffen. Ich begann Schiffe bauen zu lassen. Zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer liegt eine Landenge, die an der schmalsten Stelle nur etwa 60 km mißt. Dort wollte ich Schiffe bauen, die leicht transportiert und im Roten Meer zu Wasser gelassen werden konnten. Aber leider ging es mit diesem Vorhaben so wie jetzt mit allem - als das Ganze gut angelaufen war, wurden die Werften überfallen und die Schiffe eingeäschert; die Araber aus Petra warens gewesen, alte Feinde, auf die ich hätte achthaben müssen. Zu spät hoben wir ihr Nest in Petra aus und eroberten die umliegenden Städte; der Schaden ließ sich nicht ausgleichen, die Schiffe waren dahin. Ich hatte nur noch die, mit denen ich von Actium geflohen war. Marcus kehrte aus seinem Exil nach Alexandria zurück - aber bloß, um sich an einen anderen Ort zu verbannen. Ich mußte mich damit abfinden; wenn er sich der Verzweiflung hingab, tat ers mit derselben Ausschließlichkeit, mit der er früher dem Wein zugesprochen hatte. Er baute sich eine Behausung auf einer Halbinsel in der Nähe von Pharus; dort saß er mutterseelenallein und grübelte und nannte sich den neuen Timon. Das war ein fürchterlicher Unsinn; dieser Timon war ein Bürger von Athen gewesen, der sich schlecht behandelt und benachteiligt gefühlt und die Menschheit gemieden hatte. In Wirklichkeit gab es keine Parallelen, denn viele von Marcus Leuten waren für ihn gestorben, und diejenigen, die noch lebten, waren ihm treu und wohlgesinnt. 356
Ich konnte es nicht zulassen, daß Marcus dort verkam; ich schickte ihm seinen Sohn Antyllus, und irgendwie - ich habe nie erfahren, wie - tat das seine Wirkung. Antyllus holte ihn in den Palast und nach Alexandria zurück. Aber als ich ihn wiedersah, war ich sehr schockiert; er wirkte plötzlich uralt, sein Haar war weiß geworden, und in sein Gesicht hatten sich tiefe Falten eingegraben. Er war schmutzig und verwahrlost, etliche Zähne waren ihm ausgefallen. Und er war schwach und fügsam; als ich ihn in die Obhut des neuen Hofarztes Olympos gab, protestierte er nicht, wie ers früher getan hätte, sondern ließ sich ins Bett stecken und sich Arzneien verabreichen. Einen Monat lang hielt er Ruhe, schlief lange, las und hörte Musik; der Weingenuß war ihm verboten, und er trank nur ein wenig Dünnbier. Diese geregelte Lebensweise wirkte Wunder; zwar kam der alte Marcus nicht wieder zum Vorschein, aber er sprach nicht mehr von Timon oder vom Pessimismus und sah nach einiger Zeit sogar gesund aus. »Ich pflege mich für meinen Tod«, sagte er mit einer gewissen Heiterkeit. Bei seinen Worten überlief es mich kalt, aber ich lachte mit ihm, als seis ein Spaß gewesen; im Innersten wußte ich, daß unsere Niederlage nur ein Ende nehmen konnte. Nun, zumindest würde er mich nicht überrumpeln, mein Tod. Und kein Feind sollte über ihn gebieten können. Ich dachte fürs erste nicht mehr daran; Cäsarion wurde volljährig, eine wichtige Zeremonie. Bei dieser Gelegenheit kehrte ein wenig von Marcus altem Schwung zurück; sein Sohn Antyllus würde ebenfalls die toga virilis anlegen. Es war eine ernste Feier, die vor den Augen der gesamten Bevölkerung im Gymnasium stattfand; obwohl nur Latein geredet wurde, das kaum einer von unseren Untertanen verstand, jubelte die Menge Cäsarion zu, ihrem jungen Herrscher, der am heutigen Tag offiziell ein Mann geworden war. Später, beim Festmahl, blickte Cäsarion mich an; das dünne Lächeln seines Vaters umspielte seine Lippen. »Tja, Mutter«, sagte er und hob seinen Weinpokal, als wolle er auf mein Wohl trinken, »heute hast du mein Todesurteil unterzeichnet ...« Es verschlug mir den Atem. »Wie meinst du das?« flüsterte ich. »Glaubst du, Oktavian läßt mich leben ... einen zweiten Cäsar 357
der jetzt ein Mann ist?« Er zuckte die Achseln, setzte den Pokal an die Lippen und trank ihn auf einen Zug aus. »Mach dir nichts draus, Mutter.« Er tätschelte meine Hand. »Mir ists egal. Wenigstens wird es Hinrichtung heißen und nicht Kindesmord.« »Wir werden berühmt sein wie Alexander«, sagte Antyllus, und seine Wangen röteten sich. »Wenn wir schon nicht lange leben ...« »Red keinen Unsinn, Antyllus«, meinte Cäsarion. »Gegen dich kann Oktavian doch nichts haben.« »Wir haben einen Pakt geschlossen - weißt du noch?« Antyllus Stimme zitterte ein wenig. »Damals waren wir sehr jung«, sagte Cäsarion mit einem traurigen Lächeln. Ihr Götter, dachte ich, sehr jung! Sie sind immer noch Kleinkinder trotz ihrer toga virilis und ihrer hochtrabenden römischen Worte. Und ich saß da und plauderte beiläufig, aber gleichzeitig dachte ich nach - über meine anderen drei, wirkliche Kleinkinder. War Alex in Medien in Sicherheit? Seine Schwester war doch gewiß nicht bedroht? Und der Kleine - Ptolemäus ... war er in Gefahr? Es würde noch Jahre dauern, bis er auch nur ein Halbwüchsiger war. Und würde Oktavian daran denken, daß er keinen Erben hatte, sondern nur eine Tochter? Würde er meine Kinder verschonen, wenn ich auf meinen Thron verzichtete? Ich entwarf im Geist einen Brief während des Essens - und schrieb ihn am Morgen nieder und vertraute ihn einem Boten an. Oktavian war Cäsars Neffe - er würde doch sicher Menschlichkeit walten lassen?
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24 Die Antwort kam rasch; der Bote, der sie überbrachte, sah verschreckt aus, als wüßte er, was darin stand. Oktavian sagte in seinem Brief nichts von meinen Kindern und ihrem Schicksal; er faßte sich sehr kurz. Ich würde »vernünftig« behandelt werden, wenn ich selbst vernünftig sei und Marcus Antonius töten ließe. Zornig wandte ich mich dem Boten zu, einem Mann namens Thyrsus; mit Mühe beherrschte ich mich, denn es war ja nicht seine Schuld. Ich sagte ruhig, er werde mein Antwortschreiben am nächsten Morgen erhalten. Ich handle ungern überstürzt, wenn ich es impulsiv gern täte; man kann alles falsch formulieren. Thyrsus kam näher und fragte leise: »Herrin, ich habe noch einen Brief ... einen geheimen ...« »Von Oktavian?« »Nein, Herrin. Von Oktavia.« »Geheim? Geheim vor wem?« Ich hatte das Gefühl, daß ich vorsichtig sein mußte; die Frau war schließlich Oktavians Schwester. 359
»Er ist ganz und gar geheim, der Brief. Nur für deine Augen bestimmt.« Kein Wunder, daß er verschreckt ausgesehen hatte; Tyrannen dulden keine Geheimnisse. Er war jedoch kein Feigling; er sagte, und das erforderte schon einigen Mut angesichts einer Königin: »Du mußt mir dein Wort darauf geben, daß dus für dich behältst ...« »Niemand soll je davon erfahren, ich verspreche es dir, mein Freund.« Ich nahm den Brief entgegen, verabschiedete ihn und sagte ihm, morgen würde ich beide beantwortet haben. Das Schreiben von Oktavia ging mir zu Herzen - erst war ich dankbar, dann bekam ich Angst. Der edlen Kleopatra von Ägypten: In Bewunderung und Mitleid biete ich Dir an, was ich gewährleisten kann: eine sichere Zuflucht für Deine drei kleinen Kinder. Mein Bruder hat geschworen, sie in Frieden zu lassen, wenn sie unter meiner Obhut und in Abgeschiedenheit leben. Ich verspreche Dir, daß es ihnen an nichts mangeln wird und daß sie gute Gesellschaft haben werden. Meine Antonia ist fast so alt wie die Zwillinge, und ich versorge auch Julia, die Tochter meines Bruders. Wir werden hier in Rom wie eine kleine Schule sein und in der Sommerhitze werden wir aufs Land gehen, wo die Luft frisch ist. Wir haben hervorragende Lehrer - Griechen - und eine gute Amme für das Baby. Es ist mir klar, daß Du Dich jetzt vielleicht noch nicht von ihnen trennen willst, aber sei versichert, daß das Angebot gilt, komme, was da mag. Ein zweiter, leerer Bogen lag bei. Ich drehte ihn um; in kleinen griechischen Buchstaben stand geschrieben: »Halte dies über eine Flamme. Vernichte beide Briefe, ich flehe Dich an.« Unterschrieben wars mit: »Julius Cäsars Nichte Oktavia.« Die Hände zitterten mir, als ich den zweiten Bogen über eine Kerze hielt. Worte erschienen, schwach und bräunlich; sie hatte sie mit Milch geschrieben, ein Trick aus der Schulzeit, aber ich lächelte nicht. »Schaff Cäsarion fort.« Mehr stand nicht da, aber es reichte aus, um mich in Angst und Schrecken zu versetzen. Ich mußte mir Gedan360
ken über einen sicheren Zufluchtsort machen, der so geheim war wie dieser Brief. Hatte sie Oktavians Worten entnommen, daß Cäsarion in Gefahr war, oder vermutete sie es bloß? Doch das war wohl egal; sie hatte viel riskiert, um mich zu warnen; die Bande des Blutes sind den Römern nicht so heilig, daß sie Oktavia geschützt hätten, wenn ihr Bruder sie ertappt hätte. Ich sah zu, wie ihre Briefe zu Asche verbrannten. Meine Gedanken rannten im Kreis. Am nächsten Morgen rief ich den Boten Thyrsus zu mir und sagte: »Keine schriftliche Antwort - auf beide Briefe nicht. Übermittle der edlen Oktavia meinen Dank ... und richte Oktavian aus, daß Marcus Antonius mein Mann ist und der Mitregent der Königin dieses Landes. Das ist alles.« »Herrin«, erwiderte er. »Oktavian ist im Begriff, in Kleinasien einzumarschieren; ich werde dort mit ihm zusammentreffen. Ich bitte dich sehr - besorge deine Angelegenheiten mit Umsicht, solange er noch weit weg ist.« Ich merkte, daß er fürchtete, selbst in der Abgeschiedenheit meiner Gemächer belauscht zu werden. Ich nickte. »Ja, mein Freund, ich habe verstanden. Cäsars Sohn soll weggeschickt werden nach -« »Sags nicht, Herrin, ich flehe dich an!« Der Arme! Er fürchtete, man könne ihm dieses Wissen unter der Folter abzwingen. Ich sagte nichts mehr, nur noch Lebewohl, und entließ ihn mit einem königlichen Geschenk. »Mutter«, erwiderte Cäsarion, als ich ihm von meinen Plänen erzählt hatte, »ich werde gehen - aber es hat keinen Sinn ... niemand kann seinem Schicksal entrinnen.« Das waren traurige Worte, zu fatalistisch für sein Alter; ich fragte mich, welcher neue Philosoph sie gesprochen hatte und wann, doch ich sagte nichts; dies war nicht die Zeit zum Streiten. »Für mich, Cäsarion ... tus für mich. Dort bist du in Sicherheit, ich verspreche es dir ...« Er schüttelte den Kopf und lächelte ein wenig. »Selbst du kannst mir das nicht versprechen, Mutter, so stark du auch bist ... auf dieser Welt ist kein Platz für zwei Cäsaren.« Ich wollte ihn in der Begleitung der drei Schauspieler und seines Erziehers Cadwallader nach Berenice schicken, einem abgelegenen Hafen am Roten Meer, unserem Hauptumschlagplatz für den Arabien- und Indienhandel. Die Schauspieler sollten dort eine Thea361
tertruppe zusammenstellen und ein Stück proben, es mußte so aussehen, als hätte ich den Auftrag dazu gegeben und als sei Cäsarion mein Bevollmächtigter; ich hoffte, das würde als Rechtfertigung dafür dienen, daß Cäsarion dort blieb, bis ich nach ihm schicken ließ, und keinen Anlaß zu dem Verdacht geben, er halte sich versteckt, und keinen Denunzianten in Versuchung führen. Wenn uns das Glück irgendwie doch noch hold war, konnte er nach Alexandria zurückkehren; wenn nicht, war es ihm ein leichtes, übers Meer nach Indien zu fahren und dort Zuflucht zu finden. »Vielleicht, Mutter«, sagte Cäsarion, »vielleicht geben sie mir auch eine Rolle ... wenn ich eine Maske trage, bin ich wirklich sicher.« Ich merkte, daß er mich verspottete, und meine angespannten Nerven versagten; Tränen stiegen mir in die Augen, und ich warf mich ihm verzweiflungsvoll in die Arme. Er tätschelte mich unbeholfen, wie es große Jungen tun, wenn sie ratlos Gefühlsausbrüchen von Erwachsenen gegenüberstehen. »Mutter«, sagte er und hielt mich auf Armeslänge, »du bist so klein! Ich habe gar nicht gewußt, daß du ...« »Du bist ja auch groß geworden, mein Sohn«, erwiderte ich und rang mir ein Lächeln ab. »Aber du hast Knöchelchen wie ein Vogel ... und dunkle Schatten unter den Augen ... oh, Mutter -« Und ich sah, daß er nasse Augen hatte. »Oh, Mutter, du warst einmal so schön ...« Traurige Worte, schmerzliche Worte. So viel war für immer dahin. Ich wischte mir die Augen. »Wir werden alle einmal alt, Cäsarion ... aber wenn ich nicht zu oft in den Spiegel schaue ... und außerdem kann ich auch tapfer sein, zumindest für eine Weile.« Ich hielt den Kopf hoch und lachte. »Und dann - Schminke hilft. Ich habs heute morgen vergessen ... aber mach dir nichts draus, Cäsarion ... behalte mich als schön in Erinnerung.« Ich küßte ihn auf die Wange und schmeckte Salz; ich glaube, er hatte seit seiner frühen Kindheit nicht mehr geweint. Er richtete sich auf; ich sah, daß er Antyllus anblickte. »Ich wollte, du würdest mich mit dir kommen lassen!« rief der Junge. Cäsarion schüttelte den Kopf. »Nein, Antyllus, - dein Vater braucht dich...« Er streckte ihm die Hand entgegen. »Vergiß mich nie, mein Freund ...« 362
»Hört auf, Jungen«, sagte Kytheris energisch. »Gleich fangen wir alle zu weinen an. Hebt euch das fürs Theater auf ... und jetzt sag mir, Herr, Cäsar, was für ein Stück sollen wir spielen?« Und mit ihrer strahlenden und spröden Art lenkte sie ihn ab; er neigte den Kopf, in ein gelockertes Gespräch mit ihr vertieft. Und so stand Cäsarion, als sie sich am Nachmittag auf dem Nil einschifften, voll guter Laune an der Reling und winkte und winkte, bis das Schiff um die nächste Flußbiegung verschwunden war. Antyllus schaute mich an und fragte: »Er ist dort in Sicherheit, nicht wahr?« »O ja, gewiß«, antwortete ich. Aber die tapferen Worte klangen mir hohl in den Ohren. »Warum ist mein Vater nicht gekommen?« fragte Antyllus. »Ich dachte, er mag Cäsarion sehr ...« Ich wußte erst keine Antwort darauf; ich hatte mich auch schon verwundert. Doch nach einer kleinen Weile sagte ich: »Dein Vater hat die Niederlage nicht verwinden und in die Zukunft blicken können.« Aber noch während ich es sagte, wußte ich, daß das niemand konnte. »Und dann grübelt er darüber nach, daß ihn so viele Freunde im Stich gelassen haben ...« »Das waren keine Freunde! « rief er. »Freunde verraten einen nie ... « »Oh«, sagte ich ruhig, »doch, doch ... selbst Canidius, und ich dachte, er sei ein Fels, auf den man bauen könnte ... und viele andere mehr. Die Nachrichten sind jeden Tag schlecht auf die eine oder andere Weise.« Er sah mich beunruhigt an. »Herrin, ich habe dich noch nie so reden hören - wir werden siegen, nicht wahr ... am Ende werden wir siegen?« »Ja - wenn wir guten Muts sind - ja, dann werden wir am Ende siegen.« Aber ich meinte es nicht so wie er. Ein weiterer Bote wartete im großen Saal auf mich; ich brauchte ihn nur kurz anzusehen, und dann wußte ich, daß es eine traurige Nachricht war - wie üblich. Ich wandte mich Antyllus zu. »Sieh zu, daß du deinen Vater findest ... und sorg dafür, daß er bleibt, wo er ist. Geh mit ihm zum Angeln oder irgendwas ...« Denn ich wußte wirklich nicht, wieviel Marcus noch verkraften konnte; ein weiterer 363
Schicksalsschlag hätte ihn vielleicht zugrunde gerichtet. Herodes, der König von Judäa, war zu Oktavian übergelaufen; sein Herrschaftsbereich lag im Norden, auf der Route, die der Tyrann nehmen würde; nun stand ihm der Weg nach Ägypten offen. Auch ich konnte nicht mehr viele Schicksalsschläge verkraften. Ich spürte Marcus selber auf, zornig und vorwurfsvoll. »Wie oft habe ich dich gebeten, Judäa zu erobern und es mir zu geben! Du hattest es einmal in der Hand!« Marcus schüttelte den struppigen Kopf, als wolle er Klarheit in seine Gedanken bringen; die Geste erinnerte mich an ein erschöpftes Pferd. »Süße, ich dachte, Herodes mag mich ... ich habe ihn für einen Ehrenmann gehalten ...« »Ich hätte dich eines Besseren belehren können! Vor langer Zeit hat er versucht, mich dir abspenstig zu machen ...« »Aber das hast du mir verschwiegen. Wie sollte ich also danach handeln?« Und er zuckte die Achseln. »Ach, schimpf nicht, Kleopatra ... du warst immer so freundlich ...« Und er langte nach meinem Arm. Ich nahm seine Hand und küßte sie. »Ich werde auch wieder freundlich sein ... die widrigen Umstände haben mich dazu getrieben. Es tut mir leid.« Er hielt mich in den Armen, und wir schmiegten uns einen langen Moment in einer Art müder Ruhe aneinander. »Wir haben ja noch uns«, sagte er. »Wir sind reich ...« »Ja«, flüsterte ich. »Oktavian will uns auseinanderbringen ...« »Ich weiß«, sagte er mit einem merkwürdigen kleinen Lächeln. »Er hat mir nahegelegt, dich zu beseitigen. Und dann wollte er mich wieder in Ehren aufnehmen ...« Ich blickte rasch auf. »Dasselbe hat er mir gesagt ...« Wir blickten uns lange an, dann brachen wir plötzlich beide in schallendes Gelächter aus. »Was hast du erwidert?« fragte er und wischte sich die Augen. »Daß Marcus Antonius mein Mann und Mitregent ist und der Vater meiner Kinder und der Vormund von Cäsars Sohn. Und du?« »Oh, ich habe nichts zurückgeschrieben. Ich habe einfach den Boten auspeitschen lassen.« »Aber, Marcus, es war doch nicht seine Schuld!« Er zuckte wieder die Achseln. »Er ist glimpflich davongekommen 364
... er lebt.« Und so trotzte Marcus noch einmal der Gefahr - und ich auch. Dennoch wurde unsere Lage mit jedem Tag schlechter. Oktavian marschierte in Syrien ein, alle Garnisonen ergaben sich ihm. Sein Feldherr Gallus eroberte Paraetonium, die Stadt, in die sich Marcus nach der Niederlage bei Actium in seiner Verzweiflung zurückgezogen hatte; Ägypten drohte ein Angriff von zwei Seiten. Ohne mich mit Marcus zu beraten, nahm ich die ganzen Kronjuwelen beiseite, die uralten Symbole des Reichtums und der Macht Gold, Silber, Smaragde, Perlen, Ebenholz und Elfenbein; all das wurde in den Teil des Palasts gebracht, der sich über dem Mausoleum befand; und dort leuchteten die Schmuckstücke wie seltsame Feuer. Ich ließ sie auf eine Art Bahre legen und zudecken und Reisigbündel darunterschieben, man brauchte nur noch die Fackel dranzuhalten; Schatz und Ruhm der Ptolemäer sollten niemals diesem römischen Emporkömmling in die Hände fallen! Es ging weiter mit den Schreckensnachrichten, unerbittlich kamen sie auf uns zu wie die vorrückende Zeit; Pelusium fiel kampflos; der Weg nach Alexandria stand Oktavian offen. Drei Tage darauf konnte man schon die Staubwolke des herannahenden Heers sehen; sie lag überm Horizont und dehnte sich aus auf die Felder an der Straße. »Leiste ihnen noch einmal Widerstand, mein Freund!« rief ich. »Die römischen Truppen werden müde und durstig sein nach ihrem Marsch durch die Wüste. Nimm all unsere Landstreitkräfte, und rücke gegen sie vor. Sie werden nicht damit rechnen, du kannst einen Überraschungsangriff machen!« Ein wenig von der alten Tatkraft erwachte wieder in Marcus; er legte die Rüstung an und ritt los; nach nur zwei Stunden kehrte er zurück; seine Reiter sangen, sangen rauh und heiser vom Sieg. »Wir haben sie bis in ihr Lager verfolgt«, sagte er mit leuchtenden Augen. »Die ganze Straße entlang liegen Leichen ... sie müssen erst einmal Atem holen, ihre Reihen neu ordnen. Ich habe eine Idee -« Er beriet sich nicht mit mir. Aufgeregt wie ein Knabe ging er ans Werk. Er schickte Bogenschützen los, die dicht an Oktavians Lager heranritten und ihre Pfeile abschossen, an denen Botschaften festgebunden waren, die allen eine Belohnung versprachen, die von 365
Oktavian abfielen; niemand reagierte darauf. Er sandte Oktavian auch einen Brief und forderte ihn zum Zweikampf auf. Oktavian war natürlich zu schlau, um sich darauf einzulassen; er stand zwar in der Blüte seiner Jahre, war aber Marcus schierer roher Kraft nicht gewachsen. Nein, Oktavian erwiderte, wenn Marcus sterben wolle, stünden ihm viele Möglichkeiten offen. »Du kannst nicht erwarten, daß jemand mit dem Geist und dem Körper eines Buchhalters ein tapferes Herz hat«, sagte ich. »Vergiß deine homerischen Gesänge, mein Mann, und bereite dich auf die Belagerung vor. Alexandria kann lange aushalten ...« Aber er schlug meine Worte in den Wind und befaßte sich mit einem neuen Vorhaben - einem Doppelangriff. Die Schiffe, die wir noch hatten, sollten bei Tagesanbruch Oktavians Flotte entgegenfahren, die in einiger Entfernung gesichtet worden war; gleichzeitig sollten unsere Landstreitkräfte auf der langen Straße vorrücken und dem Feind eine Schlacht liefern. »Ein Doppelsieg!« rief er. Doch mir standen fast die Haare zu Berge, denn ich sah, wie er halb irr die Augen rollte; flackernde Lichter tanzten drin. »Zum letzten Mal, Liebste«, rief er, »werden wir ein großes Fest feiern - zum letzten Mal vor dem Sieg ...« Im großen Saal, wo zum Bankett gedeckt war, konnten wir von den Fenstern aus die Feuer von Oktavians Lager sehen, die den Nordhimmel erhellten - so nah waren sie. Es war ein ernstes Fest; Tränen flossen statt Wein. Denn Marcus sprach zu seinen Freunden und Offizieren und sagte, wenn er morgen verlöre, würde er sie nicht in den Tod führen, sondern sich in sein Schwert stürzen. »Liebe Freunde«, verkündete er in der atemlosen Stille, »das ist der einzige Weg ...« Man hörte ein ersticktes Schluchzen; Marcus wurde immer noch geliebt. Später, im Bett - es war ruhig geworden in der Stadt - träumte ich oder glaubte zu träumen. Ich hörte süße Musik und leise, wilde Schreie, wie sie die Bacchantinnen am Tag des Dionysos ausstoßen. Sie steigerten sich zu einem gedämpften Crescendo, dann verhallten sie, dann Geräuschfetzen und dann gar nichts mehr; ich wachte auf mit nassen Wangen. Marcus lag so still da, daß ich erschreckt hochfuhr, wie mans tut, wenn man noch nicht ganz wach ist; ich rüttelte ihn sacht. »Ich bin wach, Liebling«, sagte er sanft. »Hast dus 366
auch gehört?« »Ich dachte, es sei ein Traum.« »Nein«, erwiderte er. »Das war kein Traum. Das war mein Gott, der mich verlassen hat.«
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25 Langsam, die Segel gesetzt, liefen Ägyptens Schiffe aus; sie waren nur noch ein kümmerlicher Rest, aber trotzdem ein prächtiger Anblick, strahlend gegen den blassen Morgenhimmel. Die Brise zerzauste mir das Haar, blies es mir über die Augen; ich strich es ungeduldig aus der Stirn. Ich stand auf den Stufen, wo ich so oft Schiffe hatte ein- und auslaufen sehen, wo ich vor langer, langer Zeit beobachtet hatte, wie mein Gnäus fortgefahren war, wo ich Marcus voll Leidenschaft entgegengerannt war; der Wind frischte auf, und ich raffte mein Gewand zusammen; es war Spätsommer, und es würde ein heißer Tag werden; trotzdem fröstelte mich. Weit weg am Horizont, sich fast auflösend im farblosen Himmel, waren die Segel von Oktavians Flotte, die den Hafen sperrte; weißer Dunst lag über allem. Im Norden standen Marcus Truppen in Gefechtsformation, die goldenen Adler blinkten, die Fahnen prunkten. Marcus war mit sei368
nen Offizieren auf einem kleinen Hügel, von dem aus er Land und Meer überblicken konnte. In der Stille wieherte laut ein Pferd, dann noch eins; es hörte sich an, als risse man Stoff entzwei. Neben mir hielt sich Iras die Ohren zu. Die Schiffe bewegten sich langsam, so langsam, obwohl wir an den silbernen Spuren im Wasser sahen, daß sie auch ihre Ruder benutzten; trotzdem war es unerträglich. »Warum greifen sie nicht an?« Das war Antyllus; er sprach schmollend wie ein kleines Kind. »Nun«, sagte ich, und meine Stimme klang mir dünn und fremd in den Ohren, »sie sind noch nicht nah genug dran -« »Nein, nein, Herrin ... ich meine die Soldaten!« Und er deutete auf sie. »Oktavians Truppen haben sich schon in Marsch gesetzt!« Er hatte recht; die große Staubwolke kam näher. »Dein Vater weiß schon, wann er angreift ... keine Angst.« Wie oft hatte ich Marcus sagen hören, daß es einen idealen Zeitpunkt gibt, nicht zu früh und nicht zu spät, und daß man seinem Gefühl vertrauen muß; ich betete darum, daß es ihn jetzt nicht im Stich ließ, dies Gefühl. »Behalte die Schiffe im Auge, Antyllus ... bald werden sie ihr Feuer verschießen, denn jetzt sind sie endlich nah genug dran ...« Wir schauten angestrengt, aber sie ähnelten immer noch reglosen Bildern oder Spielzeugbooten. »Was machen sie denn, Herrin?« Panik regte sich in Antyllus Stimme. »Sieh nur, sie ziehen die Ruder ein!« Er hatte die jüngeren Augen; wir übrigen bemerkten es einen Moment später; die hellen Spuren, die sie hinter sich gelassen hatten, waren fort, das Wasser war glatt, und da, da - unglaublich -, unsere Schiffe schlossen sich geordnet den Reihen des Feindes an. »O ihr Götter, wir sind verloren!« rief Charmion leise. »Sie haben sich vereinigt - sie werden nicht kämpfen!« Ich hielt die Luft an, bis ich dachte, die Lungen würden mir platzen; als ich ausatmete, klangs wie ein langer, pfeifender Seufzer. Wir standen machtlos da, während die beiden Flotten sich langsam auf den östlichen Hafen zubewegten. Von Norden kam ein fernes Geräusch, ein Klingen und Klirren von Eisen; ich glaubte, die Soldaten trügen endlich den ersten Angriff vor, und drehte mich um. Aber im Morgenlicht sahen wir klar und deutlich, daß unsere Leute ihre Waffen zu Boden fallen ließen 369
und daß die Reiter auf die vorrückenden Truppen Oktavians nur zugaloppierten, um sich mit ihnen zu verbünden. »Herrin, sie sind desertiert! Sie rücken alle gemeinsam gegen uns vor!« rief Antyllus. Er hatte recht - nur die Legionen mit Marcus an der Spitze hielten stand. Aber nicht lange. Ein Speer flog durch die Luft, wies auf den Hafen, wo die Schiffe friedlich nach Osten fuhren, jetzt fast außer Sicht. Den Tumult des Kampfes übertönten hohe, klagende Schreie, Waffengeklirr, Hufschlag; plötzlich brach die Linie der Legionen auseinander, sie rannten in hellen Haufen auf die Stadt zu. Ich sah nichts von Marcus; ich nahm an, daß er keine andere Wahl gehabt habe, als sich von ihnen mitreißen zu lassen; er würde sich wohl in sein Quartier begeben. Auf dem Hügel, wo tausend Mann und tausend Reiter gestanden hatten, befand sich jetzt nichts mehr außer ein paar weggeworfenen Legionsadlern, hie und da blitzte ein Speer auf; doch der Boden war wie immer, wenn eine Armee darüber hingeht: zertrampelt und zerwühlt, mit tiefen Furchen und dem chaotischen Muster von Pferdehufen. Die Staubwolke des Feinds war keine Staubwolke mehr, sondern Banner und Schilde, befiederte Helme und Gesichter drunter; die erste Reihe hatte bereits den Hügel erreicht; Panik ergriff mich. Ich zupfte Antyllus am Ärmel, packte ihn. »Geh zu deinem Vater! Er wird in seinem Quartier sein ... such ihn! Sag ihm, ich schließe mich im Mausoleum ein und öffne niemand als ihm ... sag ihm, daß ich auf ihn warte. Geh!« Und ich stieß ihn vorwärts. »Charmion ... Iras ... die Kinder! Wir müssen die Kinder suchen! Kommt!« Und wir drei Frauen rasten wie von Furien getrieben in den Palast, rissen, kopflos vor Angst, alle Türen auf. Wir stürzten ins Kinderzimmer am Ende des Flurs. Der kleine Ptolemäus blickte verdutzt auf. Er saß auf einem Schaukelpferd. »Komm, Liebling!« rief ich, hob ihn hoch und drückte ihn an mich. »Mama, du tust mir weh!« protestierte er und wand sich in meinen Armen. »Ruhig, Kind ... ruhig! Wo ist deine Amme? Wo ist deine Schwester?« Ich machte ihm angst; ich konnte es nicht ändern. Ich nahm mich zusammen und lockerte meinen Griff, hielt ihn allerdings immer noch an mich gedrückt. »Wo ist Selene?« 370
Er deutete zum Fenster; sie lehnte sich weit hinaus, ihre Füße hatten fast keine Berührung mit dem Boden mehr. »Selene!« rief ich. Sie wandte sich um. »Mama! So viele Soldaten - und Pferde! Wo wollen die hin?« Ihre Augen waren groß vor Aufregung und ihre Wangen gerötet. »Mach dir jetzt keine Gedanken drüber, Liebling ... geh mit Charmion!« Die Amme war nirgends zu finden; wir hatten keine Zeit mehr, sie zu suchen, sondern rannten, Charmion und ich mit den Kindern und Iras mit einem Arm voll Spielzeug und Kleidern, zurück über den Flur. Der Teil des Palasts, der sich über dem Mausoleum befand, lag ein wenig abseits von den übrigen Gebäuden. Man erreichte ihn über einen überdachten Weg. Zwischen den Säulen, die ihn säumten, sahen wir zur Rechten die leere See. Wir eilten keuchend bis zur großen Tür und warfen sie zu. Ich setzte den kleinen Ptolemäus ab; er begann zu weinen. »Selene ... tröste deinen Bruder«, sagte ich und drehte mich um, um den schweren Riegel vorzuschieben, der die Tür verschloß. Er war verrostet. Zu dritt schafften wir es schließlich, und dann hörte ich Selene. »Heulsuse!« Ich konnte mich jetzt nicht weiter um ihr Verhalten kümmern. Ich winkte den anderen. Wir überprüften die Schließvorrichtungen an den Türen und Fenstern; sie funktionierten. »Am besten gehen wir nach oben«, sagte ich, »da sind wir doppelt sicher ... und wir können wenigstens ein Fenster aufmachen ...« Die ersten Soldaten Oktavians hatten die Zugänge zum Palast erreicht; vom Fenster aus sahen wir, wie zwei Offiziere, gesichtlos unter ihren entsetzlichen Helmen, auf die Treppe hinaustraten, wo wir noch vor ein paar Minuten gestanden hatten. Sie blickten aufs Meer hinaus wie wir vorhin; der eine setzte den Helm ab, um besser zu sehen. Dann lachte er kurz und hart und sagte etwas, was wir nicht verstehen konnten. Er legte seinem Kameraden den Arm um die Schulter, und sie gingen an uns vorbei in Richtung Osten, ganz lässig, als schlenderten sie durch einen Park - eine Unverschämtheit. Gleichzeitig hörten wir es an die große Tür des Palasts hämmern, sie dröhnte hohl unter Speerstößen. Dann gab sie kreischend nach. Dann hallten Schritte in den Fluren. Gleich darauf pochte es an die Tür zu dem Gebäude, in dem wir Zuflucht gesucht hatten. Iras hielt die Hand vor den Mund. 371
»Oh, Schwester, sie haben uns gefunden!« »Pst ... sei leise!« Ich lauschte. Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Herrin ... Herrin ...!« Es war Antyllus; beim letzten Wort versagte ihm die Stimme. »Komm -«, sagte ich zu Charmion und nahm sie bei der Hand. »Paß auf die Kinder auf, Iras!« Und wir schlichen uns die Stufen hinunter und warteten hinter der Tür. Wieder Antyllus Stimme: »Herrin? Bist du da?« »Ich getraue mich nicht, die Tür aufzumachen«, sagte ich. »Überall auf dem Gelände sind Oktavians Leute - und dieser Riegel hier ist verrostet ...« »Oh, Herrin ...« Es klang fast so, als sei er nicht mehr imstande zu sprechen, ein unterdrücktes Schluchzen lag in seiner Stimme. »Herrin, es ist wegen meines Vaters. Er ist verletzt - ich glaube, er stirbt ... Sein Schwert -« Er brachte die Worte kaum heraus. »Es steckt noch in ihm, sein Schwert. Ich glaube, er hat sich ins Schwert gestürzt, um sich das Leben zu nehmen ... er ist schon halbtot.« »O ihr Götter!« rief ich und zog, der Gefahr nicht achtend, den Riegel auf. Als er hereinschlüpfte, sahen wir, wie Soldaten von beiden Enden des Weges auf uns zuliefen. Antyllus war allein, sein Gesicht verschmiert von Dreck und Tränen. »Marcus - wo ist Marcus?« schrie ich und schüttelte ihn. »Oh, Charmion - mach die Tür zu!« »Ich konnte ihn nicht heben, Herrin ... und sollte ich etwa das Schwert herausziehen ... ?« »Ist er noch in seinen Räumen?« fragte ich. Er nickte, und ich schüttelte ihn wieder. »Du darfst jetzt nicht zusammenbrechen - du bist sein Sohn. Hör zu ... geh und such Olympos, den Arzt ... wenn du ihn nicht findest, hol dir irgendwie Hilfe und mach eine Bahre ... bring deinen Vater hierher. Wo wir heute morgen standen - da sind keine Römer - das Fenster oben geht genau dort hinaus. Bring ihn dorthin ... verschaff dir ein paar Seile - wir ziehen ihn dann hoch. Ich kann die Tür nicht noch einmal öffnen ... beeil dich!« Ich dachte, er würde nie zurückkommen. Ich dachte, ich müßte ihm hinterherrennen und machte zweimal den Ansatz dazu, aber Charmion hielt mich zurück. Ich lief hin und her im Zimmer droben und rang die Hände; die Kinder, entsetzt über das, was ich tat, 372
weinten still in einer Ecke; Iras stand am Fenster und spähte aus. Durch mein leises Schluchzen hindurch hörte ich Geräusche auf der Treppe unten und stürzte ans Fenster, um nachzusehen. Antyllus stand da mit einem Sekretär namens Diomedes und mit Olympos; sie trugen eine Bahre. Die Gestalt, die darauf ausgestreckt lag, sah so lang aus, so flach; sie war in ein Leintuch gehüllt, das sich bereits mit Blut vollgesogen hatte, und eine rote Spur bezeichnete den Weg, den sie gekommen waren. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, und er rührte sich nicht; es schien sehr weit nach unten zu sein. Charmion, die stets ein praktischer Mensch war, hatte irgendwo Seile aufgetrieben und ließ sie hinunter. Sie schlängelten sich die Wand entlang. Olympos blickte auf. »Ist er ...« Ich konnte nicht zu Ende sprechen. Er schüttelte den Kopf. »Nein, aber er stirbt, Herrin ... doch er hat noch ein bißchen Zeit.« Es ist mir unbegreiflich, wie wir es schafften, denn Marcus war groß und schwer, und wir waren drei schwache Frauen, aber trotzdem zogen wir ihn nach oben und bekamen ihn ins Zimmer. Es heißt, daß die Götter einem Kraft verleihen, wenn man sie dringend braucht. Ich entsinne mich dunkel, daß Antyllus von irgendwo eine Leiter geholt hatte. Jetzt kletterten die drei Männer nach oben. Marcus war voll von Blut, auch im Gesicht; wahrscheinlich hatte er versucht, den Blutstrom mit den Händen aufzuhalten, und sich dann das Gesicht abgewischt, mein armer Liebster. Alle Farbe war aus ihm gewichen; er war wächsern, sein Gesicht gezeichnet von tiefen Falten um die Mundwinkel und schwarzen Flecken unter den Augen. Olympos hatte viele Leinenbänder um seinen Leib gewickelt, aber das Blut quoll immer noch hervor; es bildete sich bereits eine Lache auf dem Boden. Ich fragte mich flüchtig, wie ein Mensch nur soviel Blut haben konnte, und sagte mir, daß er gewiß ein Gott sei. Sie hatten ihn auf einen langen Tisch gelegt; ich beugte mich über ihn und streckte die Hand nach seinem Gesicht aus; ich wagte es nicht, ihn in die Arme zu nehmen, weil ich befürchtete, das könnte sein Ende beschleunigen. Seine Augen öffneten sich; um seinen Mund zuckte es ein wenig, die Andeutung eines Lächelns. »Ich hab gepfuscht, Liebling ... das Herz verfehlt, stell dir vor. Habs in die 373
Eingeweide gekriegt, Liebe ... aber so können wir uns wenigstens Lebewohl sagen ...« Er hielt meine Hand derart fest, daß ich dachte, die Knochen würden mir brechen; ich merkte, daß er entsetzlich litt. »Oh, Liebling«, flüsterte ich. »Warum ...?« Die eine Augenbraue ging hoch, ein Zerrbild des alten, vergnügten Marcus. »Es war der einzige Weg«, sagte er. »Oktavian hätte es mir schwerer gemacht - meinst du nicht? Mich vielleicht kreuzigen lassen ...« Er schloß die Augen; ich sah, daß es ihm große Mühe machte zu sprechen. Er versuchte wieder und wieder, seine Lippen mit der Zunge zu befeuchten. Ich drehte mich um und bat um Wasser. Er schlug die Augen auf. »Kein Wasser - Wein ...« Und fast brachte er ein wirkliches Lächeln zustande. »Nicht was du denkst, meine Arme ... aber es wird helfen, bestimmt ...« Ich blickte Olympos an. Er nickte und sagte leise: »Es wird ihn töten ...« Ich hielt die Hand vor den Mund, doch den Schrei konnte ich nicht unterdrücken. »Vergönns ihm, Herrin ... er leidet furchtbare Schmerzen.« Und er nahm den Pokal, den Charmion gebracht hatte. Marcus schüttelte den Kopf, eine kleine und müde Bewegung. »Du - Liebe -, du sollst ihn mir geben ...« Ich nahm den Pokal, zwang mich, nicht zu zittern, und hielt mit der anderen Hand sanft seinen Kopf, damit er den Pokal erreichte; er versuchte zu trinken, aber der ganze Wein rann ihm übers Kinn. Er hob die Augen und blickte mich an. »Schwach bin ich ... so schwach. Tja, wir sterben, wie wir geboren werden ... damals konnte ich auch nicht aus einem Pokal trinken.« Und ich meinte, kurz etwas Verschmitztes in seinen Augen zu sehen, den Ansatz zu einem Scherz - unglaublich. Oh, mein Marcus es gibt keinen wie dich ... Ich hielt ihm den Pokal noch einmal an die Lippen; diesmal leerte er ihn auf einen Zug und fiel auf die Bahre zurück. »Da war Salz drin, Liebste ... nicht gut für eine Königin ... nicht gut.« Er schüttelte den Kopf. »Weine nicht, Liebste ... ich sterbe einen römischen Tod ... sei glücklich darüber, daß wir glücklich waren, denn es war großartig ...« Und dann wurden seine Augen glasig und starrten an mir vorbei; Antyllus trat an die Bahre, aber er 374
war schon tot. »Er hat nicht Lebewohl gesagt ...« Ich blickte ihn an; was hatte er jetzt noch, der arme Junge? Ich nahm seine Hand und zog ihn zu mir heran, denn ich war immer noch gelassen, wenn auch wie versteinert. »Hör zu, Antyllus ... er hat Lebewohl gesagt - und daß du tapfer sein sollst und ein guter Römer. Er konnte nur nicht laut genug sprechen ...« »Oh, Herrin!« Und er legte den Kopf auf meine Schulter und weinte. Ich hielt ihn in den Armen, bis er sich ausgeweint hatte. Dann wandte er sich ab. Ich kniete neben meinem Mann nieder. Vom offenen Fenster her wehte mich ein leichter Luftzug an; es dürfte ein heißer Wind gewesen sein zu dieser Jahreszeit, aber mich fror. Ich blickte an mir nieder und merkte, daß mein Gewand mit Blut getränkt war; meine Hände sahen aus, als hätte ich sie in Blut getaucht; mein Gesicht war tränennaß, doch ich wußte gar nicht, daß ich geweint hatte. Aus der gegenüberliegenden Ecke kam ein leises Wimmern; oh, ihr Götter - das waren meine Kinder, die armen, unschuldigen Kinder. Und bei diesem Gedanken löste sich meine Erstarrung, und ich weinte laut und konnte nicht aufhören.
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26 Es ist nicht so leicht, am Kummer zu sterben, wenn auch die alten Lieder davon singen; es gibt zuviel auf der Welt, an dem wir hängen, ohne es zu wollen. Für mich waren das meine Kinder, mein armes, ruiniertes Land und mein Stolz; am Ende blieb nur noch der Stolz. Die Tage, die auf Marcus Tod folgten, waren ein einziges Durcheinander; ich war sehr krank, seelisch wie körperlich. Bald darauf müssen die Soldaten gekommen sein - über die Leiter, die wir vergessen hatten. Ich griff nach einem Tafelmesser, das stumpf war und kaum durch Butter gedrungen wäre, aber sie entwaffneten mich trotzdem; sie nahmen mir sogar die Haarnadeln weg! Ich wußte nicht, wohin sie meine Leute brachten, kannte nicht einmal den Verbleib meiner Kinder; ich wurde alleine eingesperrt, keine einzige Sklavin wartete mir auf, und die Kleider konnte ich auch nicht wechseln. Wie gelähmt sah ich, daß die Soldaten all meine königlichen Schmucksachen abtransportierten, das Goldgeschirr 376
und die Juwelen der Ptolemäer; ich hatte sie vernichten wollen, sie sollten den Römern nicht in die Hand fallen. Irgendwo in meinen Gemächern stand die Truhe mit den uralten Machtsymbolen - Diadem, Zepter und Schlangenarmreif, in Seide eingeschlagen; ich fragte mich, ob Oktavian sie gefunden hatte. Sie hatten auch alle Möbel fortgetragen und ein Feldbett hereingestellt; die Türen waren versperrt und Latten vor die Fenster genagelt; ich lag in einem Gefängnis. Ich glaube, daß ich viele Tage lang überhaupt nichts wahrnahm; ich war krank und fieberte und aß nichts. Ich entsinne mich dunkel, daß ich Marcus Leichnam hinunter ins Mausoleum folgte, wo er seine letzte Ruhestätte inmitten der Ptolemäer fand, und ich muß wieder haltlos geweint haben, denn ich hatte mich irgendwie verletzt; meine Arme und Brüste waren voll von blauen Flecken und taten weh; vielleicht hatte ich mit den Fäusten dagegen geschlagen - aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Eines frühen Morgens war das Fieber fort; ich wachte schweißgebadet auf, doch ich hatte einen klaren Kopf; ich war allein. Im Liegen blickte ich an meinem Körper nieder; meine Knöchel waren kaum dicker als meine Handgelenke, und ich war furchtbar schwach. Die Tür öffnete sich knirschend, und zwei Soldaten kamen herein, die ein Servierbrett mit Essen trugen; es dampfte aus einer Schale mit Suppe oder Brühe; bei dem Geruch wurde mir flau im Magen. Wie lange hatte ich nichts mehr gegessen? Sie setzten das Servierbrett auf einem kleinen Tisch neben meinem Bett ab, standen da und schauten auf mich herunter. »Nur noch Haut und Knochen!« sagte der eine und lachte kurz. Sie sprachen das Soldatenlatein, das ich von klein auf verstand. Ich glaube, sie waren keine Legionäre, sondern gemeine Soldaten, denn sie hatten etwas Verkümmertes, Gewöhnliches an sich, so wie es in den römischen Mietshäusern entsteht; sie sahen nicht böse aus, nur dumm. Der zweite lachte auch. »Trotzdem -«, sagte er mit einem dünnen Grinsen. Ich sah, daß ihm etliche Zähne fehlten. »Trotzdem - die würde mir auch so schmecken! Wäre ganz einfach, man könnte glatt ...« »Laß das lieber«, meinte der andere. »Die hat der Alte sich schon 377
reserviert.« »Ach, nie im Leben! Der Kaiser nimmt doch nichts, was Antonius übriggelassen hat! Er will sie bloß für den Triumph hochpäppeln ... Donnerwetter - das Essen hätte ich lieber als sie! Fasanenbrühe und Weißbrot ... und gutes Rindfleisch! Und alles für die Katz! Die ißt ja doch nichts. Die will sich tothungern - was sonst?« Der andere schaute auf mich nieder; ich sah Neugier in seinem Blick und vielleicht auch ein wenig Mitleid. »Hier, sie ist zu schwach, um selber zu essen ... soll ich dich füttern, Königin?« Ich starrte ihn an. »Was für Augen! Ich könnte schwören, daß sies versteht!« »Sie soll eine Hexe sein ... rühr sie nicht an!« Aber der andere hob die Schale hoch. »Schau, kleine Königin ... ich halt sie für dich ... vielleicht bist du ja nicht stark genug ...?« Ich schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln. »Das ist nett von dir«, sagte ich in ihrer mißtönenden Sprache. »Aber es geht schon ... wenn du mir ein bißchen Wein einschenken würdest ...?« Sie glotzten, als hätte ein Vogel gesprochen; der Freundliche goß zitternd den Wein in einen Becher und verschüttete das meiste; der andere zupfte ihn ununterbrochen am Ärmel. »Komm«, sagte er furchtsam, »komm, weg von hier ... ich habs dir ja gesagt, daß sie eine Hexe ist. Willst du vielleicht am Kreuz hängen?« Sie entfernten sich dienernd wie Höflinge, so ungebildet sie auch waren, in Angst und Ehrfurcht. »Danke, mein Freund«, sagte ich. Die große Tür fiel krachend zu. Ich brachte es fertig, den Becher zum Mund zu führen, ohne viel Wein zu verschütten; er machte mich einen Moment lang benommen, aber danach spürte ich ein wenig mehr Kraft in den Gliedern. Ich trank einen Schluck von der Brühe und aß ein bißchen Brot; es war gut. Ich schlief wieder ein. Als ich aufwachte, fiel schräges Licht ins Zimmer; später Nachmittag. Ich fragte mich, ob man mir irgendein Mittel verabreicht hatte; im Wein, in der Brühe? Ich drehte mich um im Bett und sah ein Gesicht vor mir; lockiges schwarzes Haar, große Augen, die ein wenig vorstanden, und volle, fast weibliche Lippen; einen Herzschlag lang dachte ich, es sei Marcus. Der Mann, der dicht bei mir auf einem niedrigen Hocker saß, richtete lächelnd das Wort an mich. »Kannst du dich noch an mich erinnern, Kleopatra?« 378
Ich schüttelte den Kopf, um klarer zu werden; keine einzige graue Locke und keine Tränensäcke unter den Augen; nicht Marcus, aber ich kannte das Gesicht. »Dolabella - ja?« fragte ich unsicher. »Ich habe deinen Vornamen vergessen ...« Sein Lächeln wurde ein wenig breiter. »Ich habe einen ganzen Haufen Vornamen - egal. Nenn mich Dolabella.« »Vor langer Zeit -«, sagte ich. »In Rom ... bei den Luperkalien ... ich erinnere mich.« »Bei anderen Gelegenheiten auch - aber das hast du vergessen ich war damals noch jung und nicht sehr bedeutend. Aber ich war Cäsars Freund.« »Und jetzt?« »Jetzt bin ich der Bote des anderen Cäsar.« »Oktavians Bote? Hat er dich geschickt?« Er nickte. Ich griff nach seinem Arm. »Meine Kinder ... wo sind meine Kinder? Was hat er mit ihnen gemacht?« »Sie sind in Sicherheit. Er hat den Legionen verkündet, daß er die Absicht habe, sie gemeinsam mit seiner Tochter aufzuziehen.« Ich dachte an Oktavias Brief. Vielleicht war das Band zwischen Bruder und Schwester doch stärker, als ich geglaubt hatte. »Aber -«, fuhr er fort, »ich soll dich warnen. Der Kaiser sagt, wenn du weiter versuchst, dich zu Tode zu hungern, wirst du dafür büßen müssen.« »Was?« fragte ich wild. »Was will er tun?« Dolabella zuckte die Achseln; sein Gesichtsausdruck war düster. »Er hat ein kaltes Herz. Und er will, daß du stark und gesund bist für seinen Triumph.« »Dolabella«, sagte ich, »ich wollte mich nicht zu Tode hungern ... ich kann mich an nichts erinnern - ich weiß nicht einmal; wie lange ich hier schon bin ...« »Fast zwei Wochen«, erwiderte er. Ich war entsetzt. »Aber wer hat für mich gesorgt?« »Dein Arzt ... er durfte dich aufsuchen - unter Bewachung. Du warst sehr krank.« »Und meine Frauen - meine Schwestern?« Er runzelte verwirrt die Stirn. »Ich dachte, deine Schwester sei tot.« 379
»Meine Hofdamen ... sie sind königliche Töchter Ägyptens. Iras ist meine Halbschwester und Charmion meine Cousine ... sind sie ...?« »Sie sind wohlauf und werden an einem anderen Ort festgehalten. Der Kaiser vertraut ihnen nicht. Sie haben wie die Löwinnen gekämpft. Du übrigens auch.« Er blickte unsicher in die Runde. »Sprich griechisch«, sagte er und tat es selbst. »Hier haben die Wände Ohren. Kleopatra - um Cäsars, unseres alten Freundes willen, bin ich zum Verräter geworden ... ich habe die ägyptische Amme der Kinder in den Palast geschmuggelt.« »Aber sie haben keine ägyptische Amme!« Er legte den Finger an die Lippen. »Warte.« Und er ging auf leisen Sohlen zu der Tür, die auf die Treppe hinausführte, und öffnete sie. Eine kleine, gebeugte Gestalt mit einem riesengroßen Umhang trippelte herein. Sie kam auf mich zu, sah aus wie eine alte ägyptische Sklavin, braun und abgearbeitet. Als sie vor mir stand, schlug sie die Kapuze zurück. Ich schrie leise auf und streckte ihr die Hände entgegen. Es war Kytheris, die Schauspielerin, braun geschminkt und zurechtgemacht wie ein altes Weib. Ich drückte mich an sie und sagte nichts. Dann blickte ich ihr in die Augen; zögernd, denn ich las die Antwort darin, fragte ich: »Cäsarion?« »Tot«, sagte sie. »Sie sind alle tot. Der Britannier ... und die anderen. Oktavians Soldaten waren schon da - sie haben uns abgepaßt.« Ihre Stimme klang alt und trocken wie raschelnde tote Blätter. »Oktavian hat gute Spione.« Ich hatte so viel geweint, daß ich nicht mehr weinen konnte. Meiner gequälten Brust entrang sich nur ein einziges, krächzendes Wort: »Wie ... ?« »Sie haben gekämpft«, sagte sie. »Sie haben gut gekämpft. Wenigstens ist ihnen der Triumph erspart geblieben - und das Kreuz.« Sie lachte kurz und freudlos. »Mich haben sie für Cäsarions Konkubine gehalten ... deshalb haben sie mich nicht getötet. Als sie fertig waren, habe ich mich aus dem Staub gemacht. Es ist eine lange und unerfreuliche Geschichte.« Sie sah mich mit einem schiefen Lächeln an. »Ich konnte mich in den Palast einschleichen ... habe gesagt, ich sei die Amme.« »Meine Kinder -« 380
»Es geht ihnen gut. Oktavian besucht sie jeden Tag - sie mögen ihn, sagen Onkel zu ihm. Sie glauben, du seist nach Rom gereist ... und meinen, sie kämen nach - ein Abenteuer...« »O hab auf sie acht, liebste Freundin!« »So wahr ich lebe, Herrin.« Sie legte ein zusammengeschnürtes und verknotetes Bündel vor mich hin. »Ich habe dir Seife und Öl mitgebracht ... Schminke und Kämme auch ... und ein reines Unterhemd.« Sie kramte in dem Bündel herum und zog Toilettengegenstände hervor. Ich spürte, wie mir etwas in die Hand geschoben wurde, eine Phiole; ich schloß die Finger darum. Ich sah ihr Gesicht, klein und verschlossen. Sie kam ganz nah und flüsterte: »Schierling. Genug für eine halbe Legion. Verstecks.« Es war mein Tod, und er war mir willkommen; ich lächelte. »Danke«, sagte ich sehr leise. Von der Tür her kam ein Geräusch; dann näherte sich Dolabella. »Los, Mädchen, die Wache wechselt ... wir schmuggeln dich schon durch. Verabschiede dich.« »Kann ich ihm vertrauen?« sagte ich ihr ins Ohr. »Ich glaube ja. Viel Glück, Herrin. Lebewohl.« Und dann war sie fort. Dolabella stand da und blickte zu mir herunter; sein Gesichtsausdruck war freundlich. »Es tut mir leid. Ich wollte, daß sie es dir sagt.« »Du kennst sie also?« »Von früher ... schon lange her. Aber ich werde sie nicht verraten.« Er nahm meine Hand. »Arme kleine Königin - du hast nicht mehr viele Freunde ...« Ich schaute ihn fragend an. Er schüttelte ernst den Kopf. »Seit die Stadt gefallen ist, sind jeden Tag Leute enthauptet worden. Alle Offiziere, die nicht schnell genug waren, selbst das Schwert zu ziehen ... dein gesamtes Kabinett - fast dein ganzer Hofstaat. Ich glaube, nur dein Arzt und deine Frauen sind dir noch geblieben ...« Wieder wußte ich die Antwort schon, bevor ich fragte. »Antyllus?« »Er ist in den Venustempel geflohen. Sie haben ihn herausgezerrt.« »Ein Kind ... warum?« »Wer weiß? Rache vielleicht - weil der Vater sich ihm entzogen hat.« 381
»Dann ist Oktavian also ein Monstrum ...« »Er ist ein Rätsel - wie alle großen Männer. Denn er ist groß ... unser Kaiser.« Meine Lippen zuckten ein wenig. Rom würde also einen Kaiser haben! »Wann - wann ist der Triumph?« »Er will dich jetzt sehr bald nach Rom bringen ... dir bleiben vielleicht noch drei Tage - um dich vorzubereiten.« Ich blickte ihn an - lange. Ahnte er, was ich vorhatte? »Übrigens überrascht der Kaiser gern seine Mitmenschen. Ich bin mir recht sicher, daß er dich besuchen wird - unangemeldet. Vielleicht heute abend.« »Dann geh jetzt, mein Freund, denn an mir klebt der Dreck von zwei Wochen -« Ich lächelte und streckte ihm die Hand entgegen. »Sehe ich dich wieder?« Nun blickte er mich lange an. »Ich soll beim Triumph deine goldenen Ketten tragen.« »Aha.« Ich hob das Kinn, die Schwäche fiel von mir ab. »Also kein Abschied ...« »Kein Abschied.« Und er küßte mir die Hand und ging. Ich versteckte die kleine Phiole in meiner Unterwäsche und griff nach Seife und Waschschüssel.
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27 Oktavian kam nicht an diesem Abend, auch nicht am nächsten oder übernächsten Tag, obwohl ich eilig daranging, mir ein vorzeigbares Aussehen zu verleihen, täppisch mit der Seife herumhantierte und mir das zottig gewordene Haar fast mit dem Kamm ausraufte; ich bin es nie gewohnt gewesen, das allein zu tun, und meine Schwäche machte mich ungeschickt. Ich hätte den Inhalt der Phiole gleich schlucken können, aber ich sagte mir, daß ich nicht als krankes Bettelweib und ohne Begleitung zu den Göttern heimkehren würde, ich, das königliche Kind Ägyptens und die Verwandte Alexanders des Großen. Und dann gab es wohl in meinem Innersten irgend etwas, das gegen meinen erklärten Willen immer noch hoffte. Ich war allein, abgesehen von den Soldaten, die mir das Essen brachten; es waren nie dieselben; Oktavian ließ sich auf kein Risiko ein. Sie traten ein, setzten schweigend das Servierbrett ab, mit abge383
wandten Gesichtern, und verließen schweigend den Raum; sie wollten sich nicht behexen lassen. Ich aß ein wenig, wurde kräftiger, und ich schlief viel; ich wagte es nicht, über jene ersten bitteren Gedanken hinauszudenken. Als Oktavian mich schließlich besuchte, weckte er mich aus einem halberinnerten Traum; ich hörte gallische Stimmen, die Befehle blafften, und dachte, mein Julius käme gegangen. Ich fuhr vom Bett auf, Traumfreude im Gesicht und mit offenen Armen. Das muß den Sieger freundlich gestimmt haben, denn er umarmte mich brüderlich und küßte mich auf die Stirn; ich roch ihn; er roch muffig und alt, obwohl er jünger war als ich. »Königliche Kleopatra -«, so redete er mich an! »Nimm bitte Platz ...« Und seine Soldaten stellten zwei Stühle in das leere Zimmer; ich bemerkte flüchtig, daß es Stühle aus dem Palast waren, mit Elfenbein und Gold verziert und aus meinen eigenen Gemächern. Er kam mit einer Garde von zwölf Mann, Gallier oder Britannier, große, blonde, brutale Kerle mit felsharten Gesichtern. Er schnalzte mit den Fingern, damit sie Abstand wahrten, und sie nahmen hinter ihm Aufstellung und bewachten die Türen mit Speeren in der Hand. Oktavian sah so aus, als schneiderte ihm immer noch seine Mutter auf dem Land die Kleider; sie waren unbeholfen drapiert und am Saum ausgefranst und grau, weil schlecht gewaschen. Er war klein, fast zart, genau, wie ich ihn noch von früher in Erinnerung hatte; seine Haut wirkte gelb gegen das Graubraun seines Gewandes; mir fiel ein, daß Marcus gesagt hatte, er werde leicht seekrank. Doch ohne das und seine allgemeine Ungepflegtheit wäre er ein gutaussehender Mann gewesen, sogar trotz seines blatternarbigen Gesichts, das Ähnlichkeit mit dem einer Statue hatte, die das Alter angefressen hat. Er überspielte seinen kurzen Wuchs gut, hielt sich sehr gerade; all seine Bewegungen waren knapp und wohlüberlegt; seine Augen waren kalt wie Edelsteine. Er fuhr mir mit dem erhobenen Zeigefinger vor dem Gesicht herum; sein dünnes Lächeln war ein Zerrbild von Cäsars und Cäsarions Lächeln; es gab mir einen Stich ins Herz. »Du warst ein böses Mädchen, Kleopatra ...« Einen Moment lang konnte ich nichts erwidern; diese Spaßhaf384
tigkeit stand ihm schlecht zu Gesicht. »Warum hast du dich so heruntergewirtschaftet? Dein Cäsar ist unzufrieden mit deinem Aussehen ...« Und er langte mir unters Kinn und näherte seinen Mund dem meinen. Seine Lippen waren kalt und hart, aber seine Zunge füllte naß und würgend meinen Mund; ich erbrach mich fast. Ich schlug die Augen nieder, damit er meinen Blick nicht sah, und befahl mir, die ich zurückzucken wollte, stillzusitzen. »Ich war krank, Herr ... und habs gar nicht gemerkt.« »Du kannst ruhig Oktavian zu mir sagen«, meinte er und neigte den Kopf. »Das ist gut«, erwiderte ich, immer noch mit niedergeschlagenen Augen, »denn du bist ja Cäsars geliebter Neffe.« »Ich bin jetzt selber Cäsar«, sagte er. »Ja, Oktavian.« Er räusperte sich. »Ich habe hier eine Liste«, sagte er, schnalzte mit den Fingern und nahm sie von einem der Soldaten entgegen, »eine Liste der königlichen Besitzstücke - Tafelgeschirr, Münzen, Goldbarren, Elektrum, Silber, Juwelen...« Rasch überflog er die Schriftrolle. Und wieder erhob er den Zeigefinger. »Du warst nicht ehrlich, meine Liebe ... hier sind noch ein paar Sachen - ich weiß es seit ein paar Tagen von deinem Kämmerer - die nicht aufgefunden werden können ... Du müßtest so klug sein zu wissen, daß Rom haben will, was ihm zusteht, meine Liebe ...«, sagte er und schüttelte traurig den Kopf. »Ich bin gar nicht gefragt worden«, erwiderte ich und gab mich ein wenig energisch. »Ich habe dir ja gesagt, daß ich krank war. Ich war ganz allein - ohne Bedienstete - nichts!« »Nun, da werden wir Abhilfe schaffen. Cäsar ist großmütig...« Er überflog noch einmal die Liste. »Hier sind die Sachen - ein Diadem, golden, mit Schlangen, ein Zepter - wieder mit Schlangen - verschiedene Gold- und Rubinringe, zwei goldene Fußspangen, ein bronzener Armreif in Form einer Schlange ... was hat es auf sich mit diesen vielen Schlangen?« »Sie sind das ägyptische Symbol der Isis«, erklärte ich. »Aus der Zeit der alten Pharaonen ... der damaligen Religion galten sie als heilig.« 385
»Aha«, sagte er und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Wichtige Symbole, ja?« »Sie stehen für Ägypten«, sagte ich schlicht. »Ich habe mir gedacht, daß sie später einmal schöne Geschenke für deine Frau und für deine Schwester wären - und daß es gut aussehen würde, wenn ich sie bei der Ankunft in Rom trüge. Sie sind das einzige, was ich habe.« Ich versuchte, demütig zu sprechen, obwohl meine Stimme belegt war bei diesen Worten. »Diese Dinge -«, er deutete auf die Liste, »werden sie manchmal noch getragen?« »Oh, immer«, antwortete ich. »Ohne sie ist die Königin keine Königin.« »Nun, meine Liebe, Königin sollst du sein - ein letztes Mal. Rom wird Ägypten in seinem ganzen verlorenen Glanz sehen. Goldketten, habe ich mir gedacht - oder vielleicht Elektrum ...?« Ich glaube, er hatte mich im Moment vergessen; doch als er mich anblickte, muß sich irgend etwas in meinem Gesicht abgespielt haben, denn er beugte sich rasch vor und nahm meine Hand. »Oh, meine Liebe, du wirst natürlich keine Ketten tragen! Das werden die höchsten Offiziere Roms für dich sorgen. Du wirst mit einem blumengeschmückten Wagen fahren und auf einem Thron sitzen auf einem geketteten Thron. Symbolisch, könnte man sagen ... ah, ja - das ist es! Du mußt sie alle tragen - alle Kronjuwelen. Ich werde sie in deine Verwahrung geben - wir holen sie auf der Stelle - wo sind sie?« »In einer Truhe in meinem Zimmer. Normalerweise sind sie in der Obhut meiner Hofdamen ...« »Dann sollen sie sie holen. Und sie sollen bei dir bleiben ... und dich auch beim Triumph begleiten.« »Ich möchte nicht ihr Tod sein«, sagte ich traurig, aber honigsüß. »Meine Liebe«, erwiderte er mit großer Geste, »sie werden nicht sterben - genausowenig wie du! Es gibt eine Menge wackerer römischer Patrizier, die gerne solche exotischen Schönheiten bei sich aufnähmen. Und Cäsar« - dabei grinste er - »Cäsar will natürlich auch eine haben ... wie sein Onkel ... dich.« Inzwischen lernte ich, mich zu verstellen. Ich schlug wieder die Augen nieder und sagte leise: »Zuviel der Ehre, o Erhabener ... ich 386
bin alt ...« »Du tusts schon«, meinte er, »wenn du wieder ein bißchen Fleisch auf den Rippen hast. Immer - ich kanns dir ja sagen-, immer hatte ich schon ein Auge auf dich. Ich hatte noch nie eine königliche Konkubine ...« Ich unterdrückte meinen Ekel und murmelte: »Ich fürchte, ich werde dich enttäuschen, Oktavian.« »Meine Liebe«, sagte er schelmisch und leckte sich die Lippen, »wie das? Du - die größte Kurtisane der Welt!?« Ich schaute ihn groß an; er glaubte seinen eigenen Lügen! »So will ichs denn versuchen«, erwiderte ich, ganz Demut. »Und ich darf meine Frauen haben - wirklich? Denn ich muß sehr umsorgt werden ... ich möchte gern schön sein - für den Triumph ...« »Du sollst sie haben«, sagte er. »Wünschst du dir sonst noch etwas? Sags nur ... Cäsar ist in Geberlaune.« Und er lächelte, langte nach meinem Bein und faßte es oberhalb vom Knie. »Nur ein bißchen mehr Freiheit ... hier ist alles zu und verriegelt.« »Tja, die Türen kann ich nicht aufsperren lassen ... das würde keinen guten Eindruck machen. Ich muß an meine römischen Adligen denken - an meine Verbündeten. Du warst sehr unartig, wie du weißt! Na schön ... du kannst dich in diesem Gebäude frei bewegen. Und du sollst ein paar Sklavinnen haben ...« »Und Kleider?« fragte ich. »Ich habe kaum etwas an ...« Er lächelte wieder und schaute auf meine Brüste, die sich deutlich unter dem dünnen Stoff meines Hemds abzeichneten. »Es steht dir. Aber egal - du sollst alle Kleider haben, die du willst ... ich verlasse mich auf deinen Geschmack ... wie Cäsar seinerzeit.« »Danke. Ich werde mich mit meinen Frauen beraten ... sobald sie bei mir sind.« Dann wurde ich sehr müde, einerseits der Verstellung, andererseits der Erleichterung wegen, weil ichs durchgestanden hatte; ich bat, mich zur Ruhe legen zu dürfen. »Ja, wir müssen dir Gelegenheit geben, zu Kräften zu kommen«, sagte er; seine ländlichen Manieren kamen zum Vorschein; ich sah wieder den schüchternen, unbeholfenen Knaben mit dem pickligen Gesicht vor mir, Cäsars Neffen. 387
»Ich lasse dir alles schicken, worum du gebeten hast. Du hast einen Tag und eine Nacht Zeit. Übermorgen fahren wir nach Rom.« Er beugte sich zu mir herunter, küßte mich noch einmal und quetschte mir eine Brust derart, daß ich fast aufschrie. Aber ich lächelte und sagte: »Also dann bis zum Triumph.« Der Tag verstrich und die Nacht verstrich; mein letzter Tag ist angebrochen. Am Morgen bin ich wieder zu Alexanders Grab gegangen. Obwohl heute nicht mein Geburtstag ist. Oder vielleicht doch; die alten Ägypter glaubten es; ich folge ihrem Beispiel. Ich werde königlich meinen Weg zu Ende gehen ... was erwartet uns dort? Wer? Ich habe keine Angst. Iras und Charmion, meine königlichen Schwestern, meine lieben Freundinnen, kommen mit mir; ich werde nicht alleine sein. Das ist mein Triumph.
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NACHBEMERKUNG DER VERFASSERIN Kleopatra starb 30 v. Chr. Man fand sie und ihre Hofdamen tot im Mausoleumsflügel des großen Palastes auf. Sie trug ihre königlichen griechischen Festgewänder und die Schlangenkrone Ägyptens. Wie sie zu Tode gekommen ist, bleibt ein Rätsel, allerdings akzeptierten die Römer offensichtlich die Erklärung ihres Arztes Olympos: Schlangengift. Das ist ziemlich unwahrscheinlich, denn es wurde keine Schlange gefunden, wenn man auch zwei leichte Schwellungen unter ihrem schweren Armreif als Beweis dafür nahm - man deutete sie als Spuren, die die Giftzähne der Schlange hinterlassen hatten. Es möchte plausibler scheinen, daß alle drei Frauen am selben Gift starben, das irgendwie an den Wachen vorbeigeschmuggelt worden war. Die Erklärung des Arztes könnte eine Erfindung gewesen sein, um den Verdacht von sich abzulenken. Oktavian feierte seinen Triumph 29 v. Chr. in Rom. Der ganze Reichtum Ägyptens wurde zur Schau gestellt, und eine lebensgroße Statue von Kleopatra, gekleidet wie zum Zeitpunkt ihres Todes, durch die Straßen getragen. Ihre drei Kinder von Antonius, die zu jung waren, um in Ketten zu gehen, wurden in goldenen Käfigen gezeigt. Im Jahr darauf wurde Oktavian der erste römische Kaiser mit dem Titel Augustus Cäsar. Er wurde außerdem zum Erben sämtlicher römischen Besitzungen bestimmt, einschließlich der letzten und reichsten Neuerwerbung: Ägypten. Er starb 14 n. Chr. Auf ihn folgte sein Stiefsohn Tiberius. Wir wissen nicht, was mit Kleopatras Söhnen Alexander Helios und Ptolemäus Philadelphus geschah; nach ihrer Kindheit finden sie keine Erwähnung mehr in der Geschichte. Ihre Tochter Kleopatra Selene wurde mit Juba verheiratet, dem König von Numidien und später auch von Mauretanien. Beider Sohn, ein weiterer Ptolemäus, wurde von Kaiser Caligula ermordet. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Ptolemäer. Von den vielen Bildnissen und Statuen Kleopatras sind nur wenige erhalten geblieben. Man nimmt an, daß sie zu Beginn von Oktavians Regierungszeit aus politischen Gründen zerstört wurden. Die Schriftsteller der Antike schildern sie ähnlich wie ich - als hellhaarige und hellhäutige mazedonische Griechin. 390
Da sie Roms Feindin war, wurde sie zu Lebzeiten und nach ihrem Tod mit Verleumdungen und falschen Anschuldigungen überhäuft. Im kalten Licht der Geschichte hält nichts davon stand. Das einzige »Verbrechen«, das man ihr nachweisen kann, ist ihr Ehrgeiz.
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DAS QUELLENMATERIAL. EINE AUSWAHL Literatur der Antike: Julius Cäsar, Cicero, Dio Cassius, Lucanus, Strabo, Sueton und vor allem Plutarch. Zeitgenössische Literatur: Bradford, Ernle, Cleopatra, New York 1971. Duggan, Alfred, Julius Caesar, New York 1955. Forster, E. M., Alexandria, New York 1951. Hadas, Moses, A History of Rome, New York 1956. -, Römisches Reich. Das lateinische Jahrtausend, Reinbek 1972. Kinross, Lord (d. i. Balfour, P. D. J.), Portrait of Egypt, New York 1966. Komroff, Manuel, Julius Caesar, New York 1955. Lindsay, Jack, Men and Gods on the Roman Nile, New York 1966. Toynbee, Arnold J., Hellenism, London 1959. Volkmann, Hans, Kleopatra. Politik und Propaganda, München 1953. Weigall, Arthur, The Life and Times of Cleopatra, London 1936. Wertheimer, Oskar von, Kleopatra, Zürich, Leipzig, Wien 1949.
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