DIETER PERLOWSKI
Der gebürtige Buxtehuder, jetzt Informatiker an der Universität Würzburg, lädt uns ein in ein kleines ...
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DIETER PERLOWSKI
Der gebürtige Buxtehuder, jetzt Informatiker an der Universität Würzburg, lädt uns ein in ein kleines Dorf hoch im Norden Deutschlands, in dem Hermine zu Hause ist, und in dem auch wir uns schnell zu Hause fühlen werden. In vielen kleinen Episoden, humorvoll beschwingt erzählt, läßt er das Dorf in unserer Phantasie geradezu plastisch entstehen. Schmunzelnd, zuweilen auch lachend, erkennen wir den einen oder anderen Bekannten oder Verwandten, aber immer auch uns selbst wieder. Der liebevolle Umgang mit den Eigenheiten der Generationen läßt uns für den Moment unsere Sorgen und Nöte vergessen, erspart uns aber nicht Augenblicke melancholischer Besinnung, für die wir an anderer Stelle mit satirischem Witz belohnt werden.
DIETER PERLOWSKI / HERMINE
DIETER PERLOWSKI
Hermine Geschichten zum Weitererzählen
Hermine Geschichten zum Weitererzählen von Dieter Perlowski mit Illustrationen von Peter Briese
CIP Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Perlowski, Dieter Hermine : Geschichten zum Weitererzählen/ Dieter Perlowski. [Mit Ill. von Peter Briese]. -1. Aufl. – Stade : Hannah, 1999 ISBN 3-931735-12-5
Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors und des Verlages unzulässig und strafbar. Insbesondere gilt dies für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und das Einspeichern und Verarbeiten in elektronischen Medien.
1. Auflage Oktober 1999 Copyright © 1999 Hannah Verlag GmbH & Co. KG, Stade und Dieter Perlowski Alle Rechte vorbehalten Satz und Einbandgestaltung: HannaH-Verlag
Printed in Germany ISBN 3-931735-12-5
Widmung Diese Geschichten widme ich Charlotte Kurth und Rosi Schmauß, zwei Mitgliedern der Kabarettgruppe GELA ‘84 e.V., sowie post mortem Martha Steffens, meiner Oma, die mir unbewußt viele Anregungen zu Hermines Menschwerdung gegeben haben, aber auch dem kleinen Dorf Wohlerst im nördlichen Niedersachsen, wo ich einige norddeutsche Bräuche erleben durfte.
Dieter Perlowski
Liebe Leserin, lieber Leser, seien Sie herzlich begrüßt auf der ersten Textseite dieses Buches. Hermine und ich würden uns freuen, Sie in unserem kleinen Dorf hoch im Norden Deutschlands willkommen heißen zu dürfen. Wir sind sicher, daß Sie sich schon bald bei uns heimisch fühlen werden. Selbstverständlich werden wir uns bemühen, Ihnen Ihren Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich zu gestalten, indem wir Sie mit dem Leben bei uns vertraut machen. Sie werden Hermine begleiten, wo immer sie auch hin geht, und Sie werden den Schalk in ihrem Nacken lieben lernen. Nun sind Hermine und ich nicht mehr die Jüngsten, trotzdem haben wir uns die hochdeutsche Sprache nach bestem Wissen und Gewissen angeeignet, um Ihnen das Verständnis unserer Lebensart zu erleichtern. Einige Eigenheiten können wir uns aber beim besten Willen nicht abgewöhnen. So stolpern wir immer noch über n spitzen Stein und verkürzn in e Aussprache, wo das nur geht. Wir machn in
e Aussprache auch kein’n Unterschied zwischen „dem“ und „den“, also zwischen n drittn und n viertn Fall. Denn gibt das bei’n Schreibm noch so n lüttn Unterschied zwischn „an’n“ und „an n“. Das is ganz einfach is das, „an’n“ heißt „am, also ein Wort, „an n“ heiß „an den“, also zwei Wörter. Im Übrign laufen wir nich, sondern wir laufm. So, wenn ihr bis hier allns gut mitgekricht habt, denn kann eigntlich nix mehr passiern, denn könnt ihr bedenknlos rein komm’n in unser Dorf. Daß ihr ganz liebe Gäste seid, habt ihr ja all gemerkt, wir sagn ja all „du“ zu euch. Das machn wir nich mit jedn, das machn wir bloß mit solche Leute, die wir leidn mögn. So is das, könnt ihr mir glaubm.
Der Hochzeitslader . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11 Die Hochzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14 Die Hochzeitsfeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20 Die Hochzeitsnacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23 Der 90. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .27 Das Theaterstück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .31 Das neue Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33 Der Fernsehapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35 Der Selbstbedienungsladen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 Die Sternschnuppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41 Der Heimatfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44 Die Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .47 Das Plastikgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .48 Die Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53 Die Uhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55 Die Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .61 Der Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65 Der Kindergarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68 Das Altersheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .71 Die Spargelcremesuppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75 Die Befreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .78 Die Spargeldose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .82 Das ewige Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .85 Das Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .88 Die Lücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .90 Der Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .92 Die Schwester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .95 Das Geschenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98 Das Loch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101 8
Das Museum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .105 Der Kandidat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .111 Die Straßenbeleuchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .117 Die Gaslaterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .119 Die Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .121 Der Bankräuber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127 Der Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .131 Der Umbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .133 Der Lehrling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .136 Die Antiquität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .139 Die Hexenverbrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .144 Die Briefmarke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .150 Die Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .153 Der Tannenbaum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .155 Der heilige Abend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .160 Der Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .164
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Der Hochzeitslader Wißt ihr noch, was n Hochzeitslader is? Nee? Sind n paar Leute aus e Stadt hier, was? Denn will ich euch das noch ma ebm erzähln. N Hochzeitslader, das is so ne Art Nachrichtnmann, der in’n Dorf rumerzähln muß, wer als nächstes seine Sexualbeziehung amtlicherseits genehmign und beglaubign lassn will und mit wen. Aber nich warum. Das geht nämlich kein’n ein’n was an. Ja, und kirchlich auch. Ohne Paster geht das in’n Dorf ja nich, das Heiratn. Für e Leute aus n Südn schnell ma ebm: Der Paster, das is der Pfarrer von e Konkurrenz, nech, wolln ma so sagn: Der Paster darf heiratn, wenn er will, der Pfarrer darf das noch nich ma, wenn er muß. So is das, könnt ihr mir glaubm. Aber hier geht das ja nu gar nich um n Paster, auch wenn das ohne den auch nich geht, nee, der Hochzeitslader kam neulich auch nach Hermine hin, nech. Nebmbei noch ma ebm: Das is n Ehrnamt is das, der kricht da nix für. Wenn zwei Leute heiratn wolln, denn suchn die sich ein’n aus n Dorf aus, und der is denn der Hochzeitslader und muß los und die Gäste einladn. Das ganze Dorf, du, da muß der überall hin. Und überall kricht er n Lüttn aus n Buddel, nech, und weil er ja auf ein’n Bein nich stehn kann, kricht er auch 11
gleich noch ein’n. Wenn er fertich is, is er n Tausndfüßler. So is das, könnt ihr mir glaubm. Tja, und denn stand er da eines schön’n Tages bei Hermine an e Tür, hat er so n langn Stab mit und klopft damit auf e Erde und saacht sein’n Spruch auf: „Ich steh nu hier und soll euch sagn, die Erika will in wenign Tagn …“ Oder so ähnlich, muß sich jednfalls reim’n, nech. Tut das an’n Anfang von’n Dorf ja auch, aber Hermine wohnt an’n Ende, und denn hat sie nich allns so richtich verstandn, weiß ich auch nich. Mach angehn, daß sie n büschn schlecht hörn kann, mach aber auch angehn, daß der viele Köm all bereits von außn über e Zunge in n Magn, von da in n Darm, denn in n Blut, nu inn’n in e Zunge angekomm’n is und da die Feinmotorik stört. Hat sie ihn mit rein genomm’n. „Trink man ers ma n orntlichn Schnaps.“ Hat sie ihn ein’n eingeschenkt, sich auch. „Op dien Gesundheit!“ Und wech damit. Weniger auf e Gesundheit, mehr auf e Leber, kann ich euch sagn. Bei’n Zweitn hat sie „zum Wohl“ gesagt, war eigntlich auch ne Lüge. Den arm’n Kerl war nämlich ganz fürchterlich, wie soll ich sagn, also jednfalls nich wohl, gar nich wohl. Das hat Hermine denn auch gesehn, hat sie Mitleid mit ihn gehabt. „Wo muß du denn noch überall hin, Heinnerich?“ hat sie ihn gefraacht. Seit sie Fernsehn hat, schnackt sie manchma Hochdeutsch. „No n Klo!“ Und nix wie raus, nech, war auch besser für e Reinlichkeit von Hermine ihrn Teppich. 12
Na ja, die Geräusche, die denn hörn kanns von’n Klo, die kennt ihr ja alle, muß ich hier nix von erzähln. Hat auch nich ganz lange gedauert, denn war er wieder da. „Noch ein’n, Heinnerich?“ hat Hermine ihn gefraacht, „is ja nu wieder Platz für in dein’n Bauch.“ Hat er gar nich auf geantwortet, du. Hermine hatte ihrn Mund noch gar nich wieder richtich zu, da war Heinnerich all wieder verschwundn. Das ging dreimal so, denn konnte er schon wieder flach auf n Bodn liegn ohne sich festzuhaltn, wie man so schön saacht, nech, hat er denn auch all wieder n büschn was deutlicher. „Hermine“, hat er gesaacht, das „m“ ungefähr dreima. Is eigntlich komisch, sons stottert der gar nich. „Herm-mm-ine, du solls zu deine Erika ihre Hochzeit solls du hinkomm’n, an’n nächstn Sonnabmd solls du da hinkomm’n.“ Also, wenn Hermine das nich all vorher gewußt hätte, verstandn hätte sie das glaub ich nich mehr. Glaubt ihr nich? Könnt ihr ja ma probiern. Müßt ihr zwei Buddels Köm leer machn, denn zwanzich Minutn einwirkn lassn und denn den Satz wiederholn, den ich euch ebm erzählt hab. Was? Das könnt ihr nu all nich? Nu, wo ihr nüchtern seid? Schon vergessn, den Satz? Da könnt ihr ma sehn, was das Hochzeitsladn für ne geistige Leistung is, was? Nee, das hat unsre Hermine all bereits gewußt, schließlich is Erika ja ihre Enkeltochter, nech, Oma is ja schließlich die erste, die sowas zu wissn kricht. Hat sie 13
denn auch gleich gefraacht, ob sie nu zuers n Schwiegerenkelsohn kricht oder ob sie zuers Uroma wird. Is Erika ganz rot gewordn bei, und da hat Hermine Bescheid gewußt.
Die Hochzeit Also, da hat ja nich ganz viel gefehlt und Hermine hätte den großn Tach glatt vergessn. Nee, wirklich, wenn die nich ihrn neu’n Fernsehapparat gehabt hätte, und wenn die von’n Fernsehn nich zufällich den großn Preis von weiß ich auch nich, 1987 oder so, wiederholt hättn, weil ein’n von e Kandidatn aus e Sendung zufällich 75 Jahre alt gewordn is oder weil der Silberhochzeit gehabt hat oder sowas, is ja auch egal, irgnd so n Jubiläum muß ja sein so als billige Ausrede für e noch billigere Wiederholung von so n altn Programm, also denn ... Was wollt ich euch eigntlich jetz erzähln? Ach so, ja, nu weiß ich wieder: Der Wendelin, kennt ihr ja vielleich noch, nech, das war der Papierelefant, also der Wendelin hat gesaacht: „Samstach in acht Tagn“, und da is ihr das wieder eingefalln, daß sie ja zu Erika ihre Hochzeit hin muß, nech. 14
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Sie denn aber nix wie hoch aus n Sessel, nech, und hin nach n Kleiderschrank. Muß dich ja n büschn fein für machn. Kanns ja alt werdn wie ne Kuh, aber eins gibt das, das altert einfach nich mit, das is die Eitelkeit. So is das, könnt ihr mir glaubm. Ja, und die Sparsamkeit auch nich. Und denn kam der große Kampf in ihrn Gewissn, da habm sich ihre Eitelkeit und ihre Sparsamkeit ganz fürchterlich in e Wolle gekricht, kann ich euch sagn. Zuers die Eitelkeit: „Da muß n neues Kleid her, mit den altn Fummel kanns dich ja nich mehr auf e Straße sehn lassn.“ „Auf e Straße wolln wir ja auch gar nich hin“, hat da die Sparsamkeit gesaacht, „und für n Saal langt das noch, da is das ja sowieso nich so hell.“ Bei e Schuhe war das einfacher, da hat sich die Bequemlichkeit auf e Seite von e Sparsamkeit geschlagn, und denn habm die beidn die Eitelkeit gemeinsam besiecht. Von neue Schuhe kricht man Blasn, besonders bei’n Tanzn. Aber der Kleiderkriech in Hermine ihrn Kopf der hat ganz schön lange gedauert. Und zu’n Schluß hat Hermine gewonn’n, ja, Hermine is nämlich noch ganz schön auf Draht, du. So is das, könnt ihr mir glaubm. Sie hat sich einfach n Kleid von ihre Schwester aus e Stadt geliehn, und da warn die Eitelkeit und die Sparsamkeit denn auch beide zufriedn mit. Und denn is das Sonnabmd gewordn, nech. Die ganze Nacht hat Hermine denn auch nich schlafm könn’n, die 16
war aufgereecht, als wenn sie die Braut spieln sollte abmds. Morgns um sex stand sie all wieder vor’n Kleiderschrank, hat sie das Kleid anprobiert, zu’n siebtn oder achtn Mal, weiß ich nich genau, hätte ja auch angehn könn’n, daß sie über Nacht dicker gewordn is, nech, kanns ja nie wissn sowas. Hat aber noch gepaßt, also wieder ausziehn und in e Badewanne. Was nützt das gute Aussehn, wenn der Geruch nich stimmt. Um zehn zu’n Frisör, Mittachessn kanns vergessn, Hunger hat sie vor lauter Aufregung sowieso nich gehabt, und denn um zwei in e Kirche. Sie war die erste. Sie war sogar noch vor’n Paster da. Naja, die Trauung sollte ja auch ers um vier sein, nech. Das is aber auch ne gute Zeit zu’n Heiratn, guck ma, wenn das um vier losgehn soll, denn dauert das bestimmt bis um fümf, vielleich sogar noch n büschn länger, und schon has du Kaffe und Kuchn für all die Gäste gespart, das geht denn gleich zu’n Abmdessn. Der Paster hatte sich übrigns n Bibelspruch ausgedacht für das junge Paar, so als Gebrauchsanweisung für n weitern Lebmsweech oder was er dazu gesaacht hat. Das muß er auch immer machn bei jede Hochzeit, und denn muß er guckn, ob sein Spruch auch zu die jungn Leute dazupassn tut, nech. Das is nu diesma aber so n büschn in e Büx gegangn, eigntlich is das sogar ziemlich gründlich in e Büx gegangn. „In die Hose“ für e Süddeutschn. Er hat gesaacht: „Seid fruchtbar und mehret euch“. Siehste, und das war all längs in Auftrach gegebm, aber 17
das konnte der arme Paster ja nich wissn, er is ja nich allwissnd, nur sein Chef, nech. So is das, könnt ihr mir glaubm. Was noch sons so in e Kirche abgeht, das wißt ihr ja alle selbs, muß ich hier ja wohl nix von erzähln. Als das denn aber hieß: „Bis daß der Tod euch scheidet“, da is die Erika ziemlich blaß gewordn, aber sons is nix Besondres passiert. Nee, nich was ihr nu wieder denkt, das kam doch man bloßvon e Schwangerschaft, da has das ma mit, daß dich ma n Schwindel anfällt. Also, sehn konns das all, daß die Braut n büschn schwanger gewesn is, nech, wie soll ich euch das erklärn, also, das weiß ich auch von Erika ihre Schneiderin, die hat das Brautkleid Größe 38 so auf e Höhe von’n Bauchnabel, da hat die das auf Größe 44 umnähn müssn. Tja, ich weiß nu auch nich, wie man Kleidergrößn in Schwangerschaftswochn umrechnet, müßt ihr vielleich ma euern Dokter nach fragn. „Seid fruchtbar und mehret euch“, hat der Paster gesaacht, Mensch, wenn ich da nu so über nachdenk, denn komm ich da gar nich so richtich über wech. Der muß das doch auch gesehn habm, daß das all bereits zu spät war. Größe 38 und Größe 44, das is doch n Unterschied. Das sieht doch aus wie n Mittelgebirge in e norddeutsche Tiefebmne. Kanns doch gar nich an vorbeiguckn an sowas. Liecht wohl doch an seine Augn. Kann ich mich auch 18
erinnern, immer, wenn er so was ganz was Schlaues gesaacht hat, denn hat er seine Brille abgenomm’n und so verträumt in n Himmel geguckt, also nich direkt in n Himmel, mehr so nach obm an e Kirchndecke, so, als ob das da steht, was er sagn will, als ob er da abguckn will. Kanns ihn ja auch nich übel nehm’n, ich hab in e Schule ja früher auch immer ma abgeguckt. Ja, und wenn er die Brille aufhatte, denn hat er in e Bibel geguckt, auch zu’n Ablesn. Der hat vor lauter Ablesn nich gemerkt, daß die Erika n dickn Bauch hatte, anners kann das ja gar nich angehn. Hermine hatte die ganze Zeit Trän’n in e Augn, weiß ich auch nich, warum. Aber das passiert ihr öfter. Neulich ers bei e Beerdigung von Tante Frieda. Naja, kanns ja auch verstehn. Sind ja immerhin zusamm’n in e Schule gegangn, die beidn, nech, aber bei e Hochzeit? Is doch nix zu’n Wein’n, wie heißt das man noch: Is doch der schönste Tach in’n Lebm von so ne junge Deern. Vielleich hat Hermine aber auch an ihre eigne Hochzeit gedacht, is in e selbe Kirche gewesn damals. Und als das denn mit n Ringetauschn losgegangn is, da hat sie ihrn Brautstrauß auf n Altar geleecht. Tja, und nu gab das ja damals noch richtige Kerzn, nech. So war das, könnt ihr mir glaubm. Aber Otto, der was damals ihr Bräutigam war, der hat ihr denn in’n Kirchngartn n neu’n Strauß geklaut, viel schöner als der gekaufte, und war ja auch gerecht, nech. Der alte hatte sich ja an’n Feuer des Herrn entzündet, 19
mußte der Herr den Strauß denn ja auch ersetzn. Soll froh sein, daß Otto den selbs gepflückt hat, hätt er ja auch noch von’n liebm Gott verlangn könn’n. Das Brandloch is aber immer noch in e Tischdecke von’n Altar, ja, das stammt von Hermine ihrn Brautstrauß her.
Die Hochzeitsfeier „Du solls hier zu sitzn komm’n, Oma“, hat Erika zu Hermine gesaacht, und bums saß Hermine bei e Hochzeitsfeier an’n Prominentntisch. Eigntlich wollte sie da ja nu partu nich hin. „Aber das steht mir doch gar nich zu“, hat sie gesaacht, „das is doch der Brauttisch, und ich bin ja man bloß deine Oma“, und die Eitelkeit hat ihr Gesicht n lütt büschn rot angemalt. Kann ein’n schon das Herz klopfm lassn, wenn man an’n wichtign Tisch kommt. Und so n büschn Lampmfieber is da auch mit bei. Da guckn ja alle her, nech, hätt man vielleich doch n neues Kleid nötich gehabt. „Muß ich denn da auch ne Rede redn?“ „Nee, Oma, dafür habm wir ja Papa mit, der muß das“, 20
und denn hat der Bräutigam seine neue Schwiegeroma zu’n Tanzn geholt. Tango. „Darf ich bitten zum Tango um Mitternacht“, und Hermine immer mit n Absatz von ihre altn Schuhe in n Saum von ihre Schwester ihr Kleid, und wenn sie nich in so n starkn Arm von so n jungn Mann gewesn wär, denn hätte sie sich bestimmt n paar ma auf n A..., also, wie soll ich sagn, schlachartich in sitznde Position begebm. Is aber nix passiert, Hermine hat das gut überstandn. Der Bräutigam auch. Herrmann hat ne Rede erzählt, muß er ja als Brautvater. Liecht ihn eigntlich nich so, wenn er nix saacht is er normalerweise unterhaltsamer, aber an so n wichtign Tach mit so n schön’n Anlaß komms da ja nich um rum. Er also aufgestandn, sein’n Zettel aus e Jacke, ausnandergefaltet, raufgeguckt, nix gesaacht, in e Jackntasche rumgefummelt, nix gefundn, nervös umgeguckt, in e annere Jackntasche gewühlt, auch nix. Und denn hat er frei improvisiert: „Liebes Brautpaar, liebe Freunde und Verwandte, liebe Gäste, ich muß ma ebm nach n Auto, meine Brille suchn“, und wech war er. So war das, könnt ihr mir glaubm. Wenn wir das nu mitzähln, denn hat er an den Abmd zwei Redn gehaltn, die zweite war aber n büschn länger. Fing genau so an: „Liebes Brautpaar, liebe Freunde und Verwandte, liebe Gäste“, und weil er nu sein Spekuliereisn auf e Nase hatte, ging das ganz vernümftich weiter, und vor alln Dingn, habt ihr Herrmann schon ma Hochdeutsch schnackn hörn? Nee? So richtich mit jedes Wort 21
ganz deutlich und so? Paß auf, mit n ganz feierlichn Blick wie vorhin der Paster: „Als einer derjenign, die einst maßgeblich an der Grundsteinlegung für die eine der Hauptperson’n des heutign Abmds beteiligt warn ...“ Applaus, so n kompliziertn Satz war für Herrmann nu ja gar nich üblich, und Hermine wurde all wieder n büschn rot, von wegn den erotischn Sinngehalt von Herrmann seine Aussage. Hat ihn denn auch ganz böse angeguckt. Über fümfzich Jahre war sie zugange, ihrn Herrmann zu’n anständign Menschn zu erziehn, und kaum wird er Schwiegervater, schon erzählt der so n Schweinkram, geht doch nich. Weiß doch jeder, was er da ebm gemeint hat, nech! Und plaudert auf e Hochzeitsfeier von seine Tochter über seine Bettgeheimnisse. Sowas macht man nich, auch denn nich, wenn die Braut n Kind kricht! Ging denn so weiter, irgndwann hat er gesaacht, daß er sich orntlich freut, daß er nu bald Opa wird. War nich ganz so schlimm, konns ja sowieso sehn. So n Brautkleid von e Größe 38 bis 44 sieht n büschn unförmich aus. Sons gibs eigntlich nix mehr von e Hochzeitsfeier zu erzähln, is allns so gelaufm, wie das so läuft, nech, der Hochzeitslader war da, an’n Anfang von e Feier noch ganz klar in’n Kopp, später denn, als ob er die Tour noch ma gelaufm wär. Is doch so, wenn der Köm nix kost’t, denn bleibt der auch nich in’n Hals steckn, geht euch doch auch so, ma ehrlich. Ach doch, nachts um zwölf is das noch ma ganz lustich gewesn. Ihr kennt das doch auch, nech, die Braut dreht 22
sich mit ihrn Gesicht nach e Wand hin, daß sie nix mehr von e Gäste sehn kann, und denn schmeißt sie ihrn Brautstrauß über e Schulter nach hintn, da wo die Gäste sind. Ja, und denn is das ganz einfach, bei wen der Strauß landet, der is denn der nächste, der vor n Altar soll. Hat Erika auch gemacht. In’n hohn Bogn, und mit e Stengels genau in Hermine ihr Bier. So war das, könnt ihr mir glaubm. „Nee“, hat Hermine gesaacht“, in diesn Lebm nich noch ma!“ Und denn is sie richtich rot gewordn.
Die Hochzeitsnacht Das hab ich mir doch fast gedacht, du. Naja, macht nix, du bis bestimmt nich der einzige, der diese Geschichtn nich von vorne an liest. Is ja auch ganz normal, nech, bei n Krimi zuers die letzte Seite und bei einzelne Geschichtn zuers da, wo du Sex vermutes, sogar auch denn, wenn das mit e verheiratete Frau is, wie hier in e Hochzeitsnacht. So lütte Ferkels sind wir ja alle, und wenn dich das tröstet, ich hab bei’n Schreibm auch grade n büschn feuchte Finger. 23
Also, wie war das noch. Hermine hatte den Brautstrauß gekricht und das ganze Dorf hat nu nach n Bräutigam gesucht. War gar nich so einfach, bis sie denn auf n Hochzeitslader gekomm’n sind, aber als sie den nich wach kriegn konntn, habm sie das denn wieder gelassn. Nu will ich euch aber noch von ein’n Brauch erzähln in e Hochzeitsnacht. Das is nämlich so: Wenn das an’n nächstn Morgn hell wird, denn versammelt sich das ganze Dorf vor’n Schlafzimmerfenster von das neue Ehepaar, und denn muß man wartn, bis die aufhörn, also mit schlafm aufhörn, nech, also bis die aufwachn. Darf man auch ma n büschn bei nachhelfm, is auch nich verbotn. Denn machn die das Fenster auf und denn müssn sie ihr Bettlackn raushängn, und wenn da nu nich n rotn Fleckn in is, denn is die Braut keine Jungfrau nich gewesn. So is das, könnt ihr mir glaubm. Is auch nich schlimm, aber früher war das ne böse Sünde und konnte schwer bestraft werdn. Und nu standn sie dann auch alle da unter n Fenster und pliertn nach obm hin, nech, auch Hermine. „Ich weiß gar nich, was ich hier so früh all soll“, hat sie gesaacht, „is doch dummes Zeuch, gestern abmd is sie noch schwanger gewesn, da kann sie doch heute nich all wieder Jungfrau sein.“ Hermine is ebm ne ehrliche Haut, die kann sich das gar nich vorstelln, daß da einer bei schummelt. Doch, das kann man, tut noch nich ma weh. Guck ma, is doch ganz einfach. Für so ne Hochzeits24
feier auf n Dorf, nech, da muß ja denn auch n Stück Vieh in n Topf, sons gibt das ja kein orntliches Essn. Und bei’n Schlachtn organisiert sich die Braut denn heimlich n Fingerhut voll Blut, wenn sie Bedenkn hat. Wenn sie das geschickt anstellt, merkt das nich ma der Bräutigam. So is das, könnt ihr mir glaubm. Vorsichtige Deerns machn das natürlich auch, wenn sie keine Bedenkn habm, weil nämlich, wenn das um diesn rotn Fleck geht, n besoffnen Ehemann dieselbe Wirkung hat wie ne nich mehr vorhandne Jungfernschaft, nur daß denn die Deern da gar nix für kann. So, und nu wißt ihr auch, warum die Fraun immer dagegn sind, daß die Männer saufm. Das Fenster is den Morgn übrigns n ganzn Tach nich aufgegangn. Ja, die Brautleute warn bei e Entbindung.
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Der 90. Geburtstag Hermine is ja nu 90 Jahre alt gewordn, nech. Muß man denn ja hin, nützt nix. Für n paar Leute is Hermine Oma, für ne Menge annere Leute is sie Tante, und für alle is sie n büschn lästich, ja, sie wird nämlich langsam tüddelich, nech. Neulich hat sie Erika besucht, zu’n Geburtstag. Erika is n Enkelkind von Hermine. Aber das wißt ihr ja all. „Och“, hat sie gesaacht, „Erika, min Deern“, hat sie gesaacht, „ich weiß ja, daß du dir all immer ne BarbiePuppe gewünscht has, nech, aber auch, wenn ich von den ganzn neumodschn Kram nix von wissn will, ick schenk di trotzdem ein.“ Ja, so geht das jedes Jahr, nech. Erika hat nu all 22 Barbie-Puppm. Und ne Tochter. Büschn tüddelich, die Oma Hermine. Ich mein, so n büschn lieb habm sie die Hermine aber ja doch alle, nech. Ja, als Erbtante mach man sie denn ja doch eigntlich so n büschn ganz gerne. Aber sie muß doch darum nich gleich jedes Jahr zu Besuch komm’n, oder? Und in n Altersheim will sie auch nich! „Das is aber doch für alle viel bequemer“, habm alle gesaacht, „jeder bezahlt n büschn was zu und denn geht das.“ „Und denn seid ihr mich los“, hat Hermine gesaacht, 27
„nee nee nee, da wird nix von, ich bleib wo ich bin. Und wenn ihr mich abschiebm wollt, denn enterb ich euch, weiß Bescheid?“ Tja, die Hermine is gar nich so dumm, nech, gar nich so dumm, und nu wißt ihr auch, warum in e Altersheime so viele Leute wohn’n, die wo nix zun Vererbm habm. So is das, könnt ihr mir glaubm. Aber nu ma zurück zu ihrn neunzichstn Geburtstach, der Bürgermeister war auch da. „Tach auch, Bürgermeister“, hat Hermine gesaacht, „is auch das erste ma, daß du mich besuchn komms.“ „Naja“, hat der Bürgermeister gesaacht, „liebe Frau Hermine, als Sie achzich gewordn sind, da war ich ja noch gar nich Bürgermeister.“ „Hätts aber meine Stimme gekricht, wenn du trotzdem gekomm’n wärs“. „Ach lassn Sie man, Frau Hermine“, hat er gesaacht, „das kann man ja noch nachholn bei’n nächstn Mal.“ „Na, na, na“, saachte Hermine, „vielleich leb ich bei e nächste Wahl ja all gar nich mehr, und denn krichs du meine Stimme nich, Bürgermeister.“ „Denn lebm Sie bestimmt noch, liebe Frau Hermine, rüstich wie Sie sind.“ „Denn krichs du sie ers recht nich!“ Ganz tüddelich is Hermine ebm doch noch nich. Der Bürgermeister hat denn gelächelt, nech, leicht gequält gelächelt, wie Bürgermeister das so tun, und denn hat er sein Ehrnbukett, also seine Steuerzahlerblum’n für n Fotografn hingehaltn und Hermine übergebm. 28
„Überreicht“, hat er dazu gesaacht, „überreicht.“ „Das reicht“, hat Hermine gesaacht, „ich bin ja nu auch nich mehr die Jüngste, und so viel Aufregung kann ich nich so ab. Kanns gehn, Bürgermeister.“ Denn is der Paster gekomm’n. „Tach Paster“, hat Hermine gesaacht, Hermine duzt jedn. Kommt daher: Als sie geborn wurde, gabs ja man auch bloß so was bei 150 Leute in’n Dorf, nech. Und so blieb das ja auch noch ganz lange. Hermine war denn so ne Art Zeitung für e Leute, die hat ja allns gewußt, nech, konns alles von erfahrn, was du wissn wolltes, und das, was du nich wissn wolltes, auch. Die wußte ganz genau, wer n Kind kriegn sollte. Und das all vor e Hochzeitsnacht, du. So is das, könnt ihr mir glaubm. Aber ich wollte ja von’n Besuch von unsern Paster erzähln. „Tach Paster“, hat Hermine gesaacht, „Tach Frau Hermine“, hat der Paster geantwortet, „mein’n herzlichn Glückwunsch und Gottes Segn, ich hab n paar Blum’n mit.“ Ja, und denn das Selbe wie bei’n Bürgermeister, nech, die Blum’n fürn Fotografn hinhaltn, lächeln, übergebm, also die Blum’n an Hermine, nech, Congnac entgegn nehm’n und n Schluck trinkn. Auf das Wohl von Hermine. Und auf ihre Kostn. Übrigns: Der Bürgermeister hat kein’n abgekricht. „Der kricht nich meine Stimme“, hat Hermine gesaacht, „und mein’n Konjack ers recht nich.“ 29
Bei’n Paster is das ja was anneres, der hat was zu bietn, ja, das Himmelreich zu’n Beispiel. Der Bürgermeister hat höchstns n Platz in’n Altersheim, und was Hermine davon hält, das wißt ihr ja all, nech. Bei’n Himmelreich überleecht sie noch, hat sie auch ma mit n Paster über geschnackt. „Wenn man da Skat spieln darf, denn komm ich“, hat sie gesaacht, und denn wollte sie wissn, ob der liebe Gott auch ma mitspieln täte. Irgndwann war denn die Geburtstachsfeier um. „Nu bis uns ers ma wieder für n Jahr los“, hat Tante Elsbeth gesaacht, „und du has deine Ruhe ja nu auch verdient bei all die Aufregungn von dein’n Neunzichstn, nech Hermine“, meinte Clodhilde, und Onkel Henri: „Ja, nu has du ers ma wieder Ruhe vor uns.“ „Ja“, saachte Hermine, „nu hab ich wieder meine Ruhe.“ Und alle gehn. So viel Ruhe wollte Hermine eigntlich gar nich habm.
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Das Theaterstück Neulich klingelt das bei Hermine, steht Anita an e Tür. Anita is n Enkeldeern von e alte Dorflehrerin, hat das ja sogar nach n Kriech noch gegebm, so ne lütte Dorfschule, nur für e erstn vier Klassn, aber immerhin. „Oma Hermine“, hat sie gesaacht, „du weiß doch, daß wir hier in’n Dorf ne Theatergruppe habm.“ Sie saacht immer Oma, wo Hermine doch gar nich ihre Oma is, freut sie sich aber über und mach Anita ja auch leidn. „Nu komm mir aber nich damit, daß ich da mitspieln soll in mein’n Alter. Das genücht, wenn ich dabei zuguck.“ Hermine hat das ebm nich so mit n Exhibitionismus, auch nich mit n geistign. Sollte sie aber auch nich. Anita hat sich nur in ihrn hübschn Locknkopf gesetzt, daß sie n Stück über Hermine ihr Lebm schreibm wollte, und da sollte Hermine nu was zu erzähln. „Nee“, hat Hermine gesaacht, „das kommt ja gar nich in e Tüte, mein Lebm geht bloß mich was an und den liebm Gott.“ „Och, Oma Hermine“, also ihr müßt euch das ma anguckn, wenn Anita ein’n überredn will. Da kanns n Film von drehn. Denn kricht die so leuchtnde Augn, kanns fast reinfalln, so ne ganz weiche leise Stimme, die sogar den Papst in annere Umstände bringn würde, und denn is Hermine wie Butter in e Sonne geschmolzn. 31
Das kommt von ihrn gutn Herz, nimmt sie auch Herztropfm für. So is das, könnt ihr mir glaubm. Erzähln wollte Hermine aber denn doch nix. „Für das, was ich all allns angestellt hab, bis du noch viel zu jung“, hat sie zu Anita gesaacht. Die wollte das aber nich glaubm, immerhin is sie ja nu all sechzehn, und n Freund hat sie schließlich auch, hat sie gesaacht, und das, was Hermine in e Jugnd angestellt hat, das hat sie alllange, und so, da hat Hermine „pfui“ gesaacht. Nich laut, aber immerhin. Nu könnt ihr euch auch ungefähr vorstelln, wo das hier um geht, nech. Als anständige Frau kanns das nich erzähln. Hermine hat da feste moralische Grundsätze, kanns nix bei machn. „Denn darf ne anständige Frau machn, was ne anständige Frau nich erzähln darf?“ hat Anita nu gefraacht. Konns richtich den Schalk in’n Nackn bei sehn. Guck, und nu war Hermine verlegn, und wenn Hermine verlegn is, denn wird sie rot, hab ich aber glaub ich schon ma erzählt. Und da aus, daß Hermine rot gewordn is, hat Anita auch sofort die richtign Schlüsse aus gezogn. Und weil Anita ja nu n ganz durchtriebm’nes Luder is, hat sie Hermine Papier und n Bleistift hingeleecht und hat gesaacht, daß sie das denn ja auch aufschreibm kann, was ne anständige Frau nich erzähln darf. Das habm auch schon berühmte anständige Fraun gemacht, die nenn’n das denn Memoirn, und wenn das denn gedruckt wird, 32
kann das angehn, daß da Pornografie bei rauskommt. So is das, könnt ihr mir glaubm. Als Hermine nu aber wissn wollte, was Pornografie is, wurde Anita verlegn, aber nur n büschn, und denn hat sie gesaacht: „Nu schreib man.“ Und denn hat Hermine geschriebm. Und denn hat Anita das gelesn. Tja, was soll ich euch erzähln, denn is Anita so rot gewordn wie sons Hermine. Und n Theaterstück hat sie vorsichtshalber auch nich von gemacht.
Das neue Telefon Hermine hat nu Telefon. Das war noch vor e Hochzeit von ihre Erika, und was Erika is, die wollte das ja all immer, aber Hermine hat gesaacht: „So lange ich zwei gesunne Füße hab, kommt mir so n neumodschn Schiet nich ins Haus.“ Konns nix bei machn, Hermine kann fürchterlich stur sein. Ach so, von wegn die zwei gesun’n Füße. Das is so: Mit ihre Füße kann sie nach e Telefonzelle laufm, hat sie gesaacht. Aber denn hat Erika die Idee des Jahrhunderts gehabt, nech. Hat sie Anita vorgeschickt. Die denn nach Hermine 33
hin, und was da abgeht, wenn die ein’n so um n Bart geht, das hab ich ja schon ma erzählt. Hat sie Hermine vorgeschnackt, daß Erika ja nu bald in e Klinik muß, von wegn die Entbindung, und ob Hermine denn gar nich wissn will, ob das nu n Junge oder n lütte Deern is, und vor alln Dingn, daß sie das ja wohl nur rechtzeitich spitz kriegn kann, wenn Erika sie antelefoniert. Und das geht ebm nich, wenn man kein Telefon hat. So is das, könnt ihr mir glaubm. Nu is das Problem ja, daß Hermine eigntlich gar nich neugierich is, nech, bloß wenn das was gibt, was sie nich als erste zu wissn gekricht hat, denn kann sie aber ganz fürchterlich fuchtich werdn. Die hat mit ihrn Herrmann drei Wochn nich geschnackt, und wißt ihr auch warum nich? Als er n Wasserrohrbruch in e Küche hatte, hat er das zuers den Klempner erzählt. Drei Wochn. So war das, könnt ihr mir glaubm. Und denn hat sie sich n Telefon bestellt, bei ihrn erstn Urenkel sollte ihr das ja nu nich noch ma passiern, langt schließlich, daß die Hebamme das vor ihr zu wissn kricht, wenn das Kind kommt, nech. Has schon ma n Antrach von e Telekom ausgefüllt? Nee, was hat Hermine gschimpft. Zweima sollte da ihr Name in zu stehn komm’n, einma für n Teilnehmer und einma für n Eintrach in n Telefonbuch. 34
„Will ich nich rein“, hat Hermine gesaacht, „wenn einer meine Telefonnummer wissn will, denn soll er mich anrufm und fragn.“ Denn hat Anita den Antrach für sie ausgefüllt. Das Kind kam aber noch vor’n Telefon. Das kommt davon, weil die Telekom ne längere Lieferzeit hat als der Klapperstorch.
Der Fernsehapparat Daß Hermine n Fernsehapparat hat, hab ich euch ja vorhin erzählt, nech, aber wißt ihr auch, wie das damals gewesn is, als sie den gekricht hat? Das war ne ganz gediegne Sache war das. Hatte auch was mit ihre Neugier zu tun. Kennt ihr ja auch, nech. Krichs morgns das Käseblatt, denn liest du das Neuste von’n Tach, und denn kommt der Nachbar, und der hat das gestern all gewußt. Das is gemein is das. Und die Zeitung, die Hermine jedn Morgn kricht, die hat ja auch mehr Ähnlichkeit mit n Geschichtsbuch als mit e neustn Nachrichtn. So is das, könnt ihr mir glaubm. Aber was wills machn, so n Fernsehapparat, den gibt das ja nich umsons, nech, da will der Händler ja richtiges 35
Geld will der dafür, und wenn du nu man bloß ne lütte Rente krichs, denn überleechs dir das zweima, ob du so n Ding nötich has. Habm denn aber die Kinder und Enkelkinder zusamm’n geschmissn und habm Hermine so n richtich großn Fernsehapparat geschenkt mit n siemunsechziger Bild (für unsere süddeutschn Freunde in Ziffern: 67). Doch, so groß muß der sein, Hermine sieht ja man nich mehr ganz so gut, nech. Und denn kam der. So n lüttn Schrank. Mußte nur ers die Blum’nvase runter und das Bild von e goldene Hochzeit, aber denn ging das. Auf n Dach steht nu auch ne Antenne für e Taubm zu’n auf Sitzn. N annern Sinn hat Hermine da noch nich in gesehn. Wenn sie noch n büschn jünger wär, hätte sie das Ding auch schon lange wieder runtergeholt, sieht ja häßlich aus, der Drahtbaum da obm. Aber in ihrn Alter klettert man nich mehr auf n Dach rum. Und denn sind sie alle zu Besuch gekomm’n, die n büschn Geld zugegebm habm, wolltn ja ma sehn, ob Hermine sich nu auch orntlich freut zu den Geschenk. Kanns ja auch verlangn für dein Geld, daß der Annere sich über freut, nech. Und wenn nich, denn muß er wenichstns so tun als ob, gehört sich so. Kann sons aber auch glatt den Familjenfriedn kostn. Den meistn Streit in e Welt gibt das ja, wenn sich einer über n Geschenk einfach nich freun will, wenn der sich weigert, Freude zu zeign. So is das, könnt ihr mir glaubm. 36
Und denn habm sie alle um die Kiste rumgestandn und die schön’n Farbm von’n Bild bewundert, und alle habm sie durchnanner geschnackt, und Hermine hat kein Wort verstandn, nix. Gesehn hat sie auch nix, weil ihr Herrmann nu ma nich durchsichtich is, und von ihrn Schaukelstuhl wollte sie nich aufstehn. Und denn habm sie Hermine gefraacht, wie ihr denn der neue Fernsehapparat gefällt. Ja, Hermine hat sich denn ne Woche später entschuldicht, und inzwischn is der Familjenfriedn ja auch wieder eingekehrt, nech. Aber den Fernseh, den mach sie nu gar nich mehr missn, den hat sie richtich so n büschn in ihr Herz geschlossn.
Der Selbstbedienungsladen Einma in e Woche muß man ja was einholn, nech, das is norddeutsch für einkaufm, siehs du, und das muß Hermine ja nu auch, komms ja nich um rum. Kanns ja nich nur von Luft und Liebe lebm. Mit e Liebe is das bei Hermine ja auch all n paar Jahre her und die Luft war frü37
her auch besser. Hat jednfalls der kleine Mann in’n Fernsehn gesaacht. Die Luft is schadstoffbelastet. Da is Hermine aber n Stein von’n Herzn gefalln, als sie das gehört hat. Sie hatte all gedacht, das kommt von’n Alter, daß sie bei’n Treppmsteign immer so pustn muß. Das passiert nu immer Donnerstach, da steicht sie in n Bus und fährt nach e Stadt hin. Das geht ganz gut, der Bus hält fast direkt vor ihre Haustür, und in e Stadt muß sie nur ebm über e Straße und schon is sie in’n Selbsbedienungsladn. Kanns ja allns kriegn, nech, was das Herz begehrt. So is das, könnt ihr mir glaubm. Die Herztropfm natürlich nich, dafür muß sie nach nebman in e Apotheke, aber dafür reichn die ja auch immer für n ganzn Monat. Und denn kommt das ja auch noch so n büschn auf an, wie groß daß die Rente is. Kanns allns kriegn, kanns bloß nich allns bezahln, und was nich bezahln kanns, kanns auch nich kriegn. Also kanns in’n Selbsbedienungsladn nich allns kriegn. Siehste, habm wir schon wieder ein’n erwischt bei’n Lügn in e Werbung. Und nu betritt Hermine den Ladn, da hat sie immer so n leichtes Kribbeln in’n Bauch bei, nech, so n Glücksgefühl. Klappt aber bloß Donnerstach abmds, weil das da so schön voll is. An’n Vormittach hat sie das auch schon ma probiert, war aber nix, hat gar kein’n Spaß gemacht. Läufs rein, nimms dein’n Kram aus n Regal, packs ihn in n Wagn, gehs an e Kasse, wird das Zeuch eingetippt, be38
zahln, einpackn, raus. Kein Wort geschnackt, kanns doch vergessn sowas. Aber Donnerstach abmd, du, da is was gebotn, komms kaum durch e Gänge mit dein’n Wagn, und denn fährs schon ma ein’n in e Hackn. Der dreht sich denn um, guckt böse und saacht: „Kanns denn nich aufpassn, Oma?“ Und schon has ne Unterhaltung in e Gang, nech. So is das, könnt ihr mir glaubm. Geht auch gleich weiter, steht da ne Frau: „Das is immer das selbe“, saacht die, „n ganzn Tach Zeit, aber nein, abmds, wenn wir Berufstätign einkaufm könn’n, denn komm’n die Altn auch.“ Überhaup nich langweilich. Is ja auch die einzige Unterhaltung, die die altn Leute noch habm, nech, ma von’n Fernsehn abgesehn. Das geht in e Mittachspause von’n Einwohnermeldeamt auch, wenn denn die Beamtn zu’n Einkaufm rüberkomm’n, geht eigntlich sogar noch besser, weil die man bloß ne halbe Stunde Mittach habm. Da sind die denn so richtich genervt. Aber Mittachs fährt kein Bus, und Hermine will ja auch nich den ganzn Nachmittach in e Stadt rumlaufm bloß für ne halbe Stunde Spaß. Nu kanns ja die jüngern Leute auch verstehn, nech, is ja denn auch ärgerlich, wenn das eilich has und die ganzn Gänge in’n Ladn sind verstopft. Der Stau is länger als auf e Autobahn, und denn fummeln die an e Kasse in ihrn Portmonee rum und kratzn den letztn Pfennich da 39
raus. Die Putnbrust is all angetaut, die Pommes schon n büschn matschich, und weiß genau, die habm den ganzn Tach Zeit gehabt. Aber ma ehrlich, kanns das die altn Leute verdenkn? Noch ma ebm für unsre süddeutschn Freunde: „Verdenkn kanns nich genau übersetzn, heißt sowas Ähnliches wie übelnehm, aber nich genau. Kanns ein’n wohl was übelnehm, aber verdenkn kanns ein’n nix. Verstandn? Nee? Paß auf: Wenn du saachs: „Ich verdenk dir das“, denn versteht das kein Aaß, wenn du aber saachs: „Das kann ich dir nich verdenkn“, denn is das klar, allns klar? „Verdenkn geht bloß, wenn nich, nech. Mit „verdenkn“ kanns nix übelnehm’n, mit den Wort kanns das bloß lassn. Heißt aber auch sowas wie „nich verstehn“, und nu wird das n büschn kompliziert. Wenn du also wieder saachs: „Das kann ich dir nich verdenkn“, denn heißt das auch „Ich kann dich nich nich verstehn“, nech. Ja, weil zweima „nich“ genau so viel is wie einma „doch.“ Und denn geht das auch noch als Frage, also, wenn das mit den „nich“ noch nich ganz klar is, denn geht das auch, is n lütt büschn kompliziert, nech? Aber ich will euch ja hier nu nich die norddeutsche Sprache beibringn. Wo hatte ich grade von erzählt? Saach ma schnell, Mensch. Ach ja, von e altn Leute, die n büschn Spaß in’n Supermarkt habm wolln. Aber sons gibt das ja auch nix für e altn Leute. 40
So is das, könnt ihr mir glaubm. Guck ma, für Kinder gibt das Kinderhort, denn die Schule, denn habm wir n Jugndzentrum in’n Dorf, aber da kann Hermine ja wohl nich mehr gut hingehn, nech. Nee nee, für e Seniorn gibt das man bloß noch das Altersheim, und wie ihr das nu nenn’n wollt, is ganz egal. Und Hermine will da nich hin. Neulich hat sie gesaacht, bevor sie da hin muß, klaut sie lieber ne Dose Spargel. Erstns mach sie den so gerne und zweitns kommt sie denn in n Knast. Hat sie gesaacht, könnt ihr mir glaubm. Hat sie denn auch erklärt. In’n Knast kanns erstns junge Leute kenn’n lern’n, und zweitns komms da auch ma wieder raus. Aus n Altersheim nich, und wer will schon lebmslänglich habm, nech.
Die Sternschnuppe Hermine is nich abergläubisch, nee, is sie nich, jednfalls nich doll. So n büschn Horoskop in e Zeitung ma, und an ein’n Freitach, den dreizehntn den Lottoschein man lieber nich abgebm, kann man ja all an’n Donnerstach machn, nech, aber sons, kanns nix von sagn. 41
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Früher hat sie immer mit ihre Kinder draußn vor n Haus auf e Bank gesessn, und denn habm sie in e Sterne geguckt, und später hat sie das denn auch mit ihre Enkel gemacht. Den Morgnstern hat sie gekannt und den großn Wagn, und das hat sie denn gezeicht und erklärt, nech, und denn hat sie gesaacht, daß genau aufpassn muß, wenn ma ne Sternschnuppe zu sehn kriegn wills, das geht bannich schnell. Hat sie auch gesaacht: „Flitzt so n Feuerstrahl über n Himmel, und wenn du so ein’n siehs, denn darfs dir was wünschn.“ Und denn habm sie alle ganz still da gesessn, als ob sie die Sternschnuppm nich erschreckn wolltn. „Da war eine, Oma“, hat Erika plötzlich gerufm, war ganz aufgereecht, die Deern, naja, war ja auch noch klein damals, so bei vier oder fümf Jahre alt, „und nu wünsch ich mir, daß ...“ „Halt Erika“, hat Hermine gesaacht und ihr den Mund zugehaltn, „das darfs du auf gar kein’n Fall verratn, sons geht dein Wunsch nich in Erfüllung, weiß du?“ Und denn war Erika ganz hibbelich und hat n ganz rotn Kopf gekricht vor lauter Geheimnis, nech. So n großes Geheimnis in so n lüttn Kopf kann ja nu auch n ganz schön’n Überdruck gebm. Hat aber nix verratn damals, weiß ich bis heute nich, was die sich gewünscht hat. Nu aber Hermine, is noch gar nich so lange her, so ein, zwei Wochn ers, hat sie gesaacht, allns Blödsinn, „dumm Tüch“ heißt das auf platt, hat sie auch auf platt gesaacht. Das mit die Sternschnuppm kanns vergessn, hat sie 43
nämlich eine gesehn, hat sich was gewünscht, hat nix verratn, hat trotzdem nich geklappt. Denn habm alle gesaacht, wenn das sowieso nich geklappt hat, denn kanns das auch ruhich verratn. „Nee“, hat Hermine gesaacht, „ich verrat euch das lieber doch nich, kann ja ma sein, daß so n kompliziertn Wunsch n büschn was länger dauert und daß ers nächste Woche die blödsinnige Werbung aus n Fernsehn verschwindet.“
Der Heimatfilm Letztn Freitach konnte Hermine nich einschlafm, is sie wieder hoch, nech, und hat n Fernseh angemacht. Hat jetz nix mit e Jugndsprache zu tun, nee nee, das heißt nich angrabm, anbaggern oder aufreißn, oder so, das heißt ganz einfach einschaltn. Hat Hermine also den Fernseh angemacht. War schon spät. War zufällich auf RTL eingestellt. Gab grad n Heimatfilm. Das erste Mal, daß Hermine ihre Herztropfm nich für n ganzn Monat gelangt habm, hat sie aber nich wieder ausgemacht, nö, nö, das kommt von ihre Sparsamkeit. Is 44
allns mitbezahlt, hat sie sich gedacht, und was bezahlt is, das muß man auch mitnehm’n. Seit den Abmd hat Hermine ne ganz verkehrte Vorstellung von Bayern. So is das, könnt ihr mir glaubm. Sie blättert jetz auch immer in’n Kirchnblatt, und denn is sie bei’n Paster gewesn und hat gesaacht: „Paster, ich schmeiß nix mehr in n Klingelbeutel, das kommt überhaupt nich mehr in e Tüte. Bevor du diese Ungerechtichkeit nich abstelln tus, kanns woanners sammeln, ober nich bi mi!“ Der Paster war ganz baff, hat ers ma kein’n Ton rausgekricht, und denn: „Aber Frau Hermine“, hat er gesaacht, „ich verstehe Sie nich ganz.“ „Was heißt hier nich ganz“, hat Hermine geschimpft, „du verstehs gar nix, guck ma, ihr spendet doch jede Menge Geld weit wech, nech, steht hier in’n Kirchnblatt, kanns nachlesn, je weiter, je lieber, bis nach Afrika, ja sogar bis nach Südamerika. Du, Paster“, sie denn noch weiter, „ich weiß, wie weit das is, ich bin noch nich tüddelich.“ „Das hat ja auch niemand behauptet.“ Der arme Kerl wußte noch immer nich, wo ihn der Kopf steht. „Aber denn muß du mir aber nu ma ganz genau erzähln, warum ihr meine Spende so weit wech schickn müßt, solange sich unsre arm’n Brüder und Schwestern in Bayern noch nich ma was zu’n Anziehn leistn könn’n.“ Nu hatte der Paster begriffm. Ob er so intelligent is, oder ob er die Nacht auch nich recht schlafm konnte, 45
weiß ich auch nich, aber er hatte das sofort begriffm, wo das um ging. Hat er Hermine angeguckt, so n büschn wie so n achtes Weltwunder, hat er sich auch überleecht, wie er Hermine das nu klarmachn soll, nech, muß man so ne alte Dame ja nich mehr auf e Nase bindn, die Schlechtichkeit von e Welt, und denn is ihn das gekomm’n, und er wollte wissn, ob sie sich noch an n Brautspruch für ihre Erika erinnern kann. Doch, doch, den kannte sie noch ganz genau. „Seid fruchtbar und mehret euch. Aber, Paster, wo wir nu schon ma dabei sind, der war eigntlich ganz verkehrt, den Befehl hätts ihr damals gar nich mehr gebm müssn.“ Und denn is ihr das gedämmert mit e Bayern und was der Paster ebm gemeint hat: „Kommt das, weil die katholisch sind?“ Und von den Tach an is sie nich mehr davon abzukriegn: Wenn einer katholisch is, denn muß er entbehrungsreich lebm, und deshalb darf er sich auch nich in’n warm’n Bett mehrn, sondern muß draußn auf n Stoppelacker fruchtbar sein, wo das piekt und kalt is.
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Die Wahl „Saach ma“, saachte Hermine gestern, „is das all wieder ma so weit?“ „Was denn?“ „Is all wieder ma Wahl?“ Guck, und damit hat sie den Nagel genau mittn auf n Kopp getroffm. Nu glaub man nich, sie hätte das in e Zeitung gelesn oder in’n Fernsehn gesehn, nee nee, das geht zu’n ein’n Auge rein und zu’n annern wieder raus. Das mit ihrn Gedächtnis is all so n Problem. Wenn Wahl is, denn kanns das in’n Potmonee kanns das denn sehn, hat sie gesaacht, das is nämlich immer denn, wenn die Rente doppelt so viel gestiegn is wie sons. So is das, könnt ihr mir glaubm. Und seitdem sie das begriffm hat, is sie ja nu auch für e Demoskopie, sie bringt die Fremdwörter manchma n büschn durchnanner. Aber das kommt von’n vieln Fernsehn, muß dir ma die Nachrichtn anhörn, du, da sind manchma gar nich so viele deutsche Wörter bei, und denn kommt Hermine nich mehr so mit. Ich kenn überhaupt kein’n, der in e letztn zwei Wochn die Tageschau von’n erstn bis zu’n letztn Wort verstandn hat. So is das, könnt ihr mir glaubm. Aber is ja auch ganz egal, vor n paar Tagn wollte sie noch unbedingt n Könich, aber als sie denn gelesn hat, 47
daß der letzte Könich aus Bayern war, und als sie sich denn auch noch an n Heimatfilm erinnert hat, da war das aus. N Könich mit schöne teure Gewänder, der seine Untertan’n nackt rumlaufm läßt, nee, das will sie denn doch lieber nich. Besonders nich in’n Winter, und überhaupt, nech. Nee, sie hat sich das nu gut überleecht, bevor sie jedn Tach nackt rumlaufm muß, will sie doch lieber alle vier Jahre nach e Wahl gehn.
Das Plastikgeld Als Hermine damals ihre erste Rente gekricht hat, da hat sie sich ers ma n Buddel Sekt von gekauft, nich so n teuern, aber war schon was Besondres. Gab ja auch gar keine Probleme mit, guck ma, das Geld hat ihr der Postbote gebracht, und ihrn Sekt konnte sie noch in’n Ladn um e Ecke kaufm, das kanns heute allns vergessn. Den Ladn gibt das nich mehr, und die Rente kommt auf ihr Konto, und wenn sie nu ihr Geld habm will, denn muß sie das von e Bank holn. Und wo is die Bank? 48
Nee, in’n Dorf gibt das keine, da muß sie nach e Stadt für. Kost’t denn ja auch gleich immer drei Mark mit n Bus, geht von e Rente ab, die Kontoführungsgebühr auch. Is aber modern. Nu hat Hermine das nich so genau verstandn. Guck ma, in ihrn langn Lebm hat sie ja nu auch all so ihre Erfahrungn gemacht, doch, auch mit Geld. Hat sie zwar nie so fürchterlich viel von gehabt, nech, aber was n Sparbuch is, das weiß sie auch. Hat sie denn auch ma den Sparkassnmenschn nach gefraacht, wie das nu is. Bei’n Sparbuch kricht sie Geld von e Sparkasse, weil die Sparkasse ihr Geld ma n büschn behaltn darf. Hat der Sparkassnmensch nich widersprochn. Ja, und bei’n Giro-Konto muß sie ne Gebühr bezahln, weil die Sparkasse ihr Geld ma n büschn behaltn darf. Hat der Sparkassnmensch wieder nich widersprochn. „Warum?“ Wenn ihr ma n größern Vortrach übern Mechanismus von e Geldgeschäfte hörn wollt, denn müßt ihr ma auf e Bank gehn und die Fragn in genau der Reihnfolge stelln, Junge, du, denn is aber was gebotn. So is das, könnt ihr mir glaubm. Geht ers ma los mit: „Das Geld von’n Sparbuch kann für die Bank arbeitn“. Hat Hermine gesaacht: „Auf mein’n Giro-Konto is auch kein faules Geld.“ Hat ihn n büschn aus n Konzept gebracht, aber nich doll. „Ihr Geld von’n Giro-Konto könn’n Sie uns aber jederzeit entziehn.“ „Das von’n Sparbuch auch.“ Hermine is ja nu nich dumm, 49
nech, auf ihr Sparbuch kommt immer bloß so viel Geld, wie sie auch auf einma abhebm kann, mehr nich. Wenn sie ma mehr hat, denn gibt das ebm n neues Sparbuch. Gut, hat sie gewonn’n, reine Verhandlungssache, verstehs, kurz vor’n Nervmzusammbruch hat der Sparkassnmensch denn gesaacht, daß er das Giro-Konto auch gebührnfrei führn könnte, kann man bei ne Rentnerin mit e kleine Rente wohl ma ne Ausnahme machn. Und denn ging das ja ers richtich los, Hermine wollte ihr eines Sparbuch auflösn. „Das kost’t zehn Mark Auflösungsgebühr.“ Der Sparkassnmensch konnte das einfach nich lassn, an Hermine ihr wohlverdientes Geld komm’n zu wolln. Hat er aber nich gekricht. Hermine hat nämlich gefraacht, wieviel sie denn abhebm darf, und da hat er ihr erklärt, daß da zehn Mark auf bleibm müssn. „Das is ja genau so viel, wie die Auflösung kost’t.“ In’n Rechnen war Hermine all immer gut. Und weil Hermine ja nu der festn Überzeugung is, daß sie sich selber auf n Arm nehm’n kann, da braucht sie gewiß nich so n jungn Schnösel von e Kreditanstalt zu, da hat sie denn gesaacht: „Denn wolln wir die zehn Mark man auf n Buch lassn, nech, denn kriech ich sie nich, aber du auch nich, und du has nu auch noch das Problem mit e Verwaltung von mein’n Buch, das has nu davon.“ So is das, könnt ihr mir glaubm. Also, an den Tach hat der Sparkassnmensch denn nich mehr versucht, ihr die neue Sparkassnkarte anzudrehn, das hat er sich aber ganz fest für n nächstn Besuch vorgenomm’n. 50
Ach ja, falls einer von euch n Sparkassnmensch is, kann ich dich tröstn, du. Das liecht nämlich nich an e Sparkasse, das kanns bei jede Bank habm. Gibt das keine Unterschiede bei, soll auch keine Werbung sein hier. Kanns wirklich hingehn wo du wills, has schon ma ne arme Bank gesehn? Arme Kundn kenn ich n paar. So is das, könnt ihr mir glaubm. Aber das is nu egal, ich wollt ja von Hermine erzähln und von ihre Erfahrung mit n Plastikgeld. Kam sie also denn hin nach e Sparkasse, und der Sparkassnmensch hat sie ganz freundlich angelächelt. Muß in sein’n frühern Lebm n Schauspieler gewesn sein, sah nämlich ganz echt aus. „Sie sind doch n sparsam’n Menschn“, hat er zu Hermine gesaacht, „und deshalb hab ich heute was ganz was Besondres.“ Die Norddeutschn verwendn das „was“ öfter ma doppelt, besonders, wenn sie n büschn aufgereecht sind. „So?“ hat Hermine gesaacht. „Ja, hier, sehn Sie ma, ne Sparkassnkarte.“ Hermine nimmt das Ding, guckt sich das an, guckt den Sparkassnmenschn an, guckt wieder die Karte an. „Und?“ hat sie gefraacht. Dies „und?“ von Hermine is ja nu n ganzn Fragnkatalooch, nech, fängt an mit „wo is sowas gut für?“ geht über „seid ihr nu verrückt gewordn?“ bis zu „und was soll ich damit, und was hat das mit meine Sparsamkeit zu tun?“ Hat er auch allns schön erklärt. Das is, damit man Zeit 51
sparn kann. Muß man nämlich nich mehr in e Schlange stehn an’n Schalter, da gibt das nämlich nu n Geldautomat für. „Denn steh ich in e Schlange vor euern Blechangestelltn, bloß daß mit den nich schnackn kanns, will ich nich habm.“ Denn hat er wieder so n Vortrach gehaltn über Zeit und Geld und Vorteile für e Kundn und könn’n immer komm’n, auch wenn ma keine Geschäftszeit nich is und kanns auch Kontoauszüge mit druckn, mittn in e Nacht und so. „Will ich nich habm.“ Er denn weiter, neue Argumente: Machn aber doch alle, hunderttausnd treue Kundn könn’n sich doch nich irrn, und is auch schon in e Zeitung gelobt wordn, die Karte, und kost nix. Bloß den Grund für e Kartn hat er nich verratn, daß da ne Menge Personal gespart werdn kann. So is das, könnt ihr mir glaubm. „Will ich nich habm.“ Hat sie denn auch nich genomm’n. Nee, is besser. An’n Schalter is das ja auch immer so n büschn Unterhaltung, nech, und so n büschn Unterhaltung muß n altn Menschn doch habm, kanns ja nich jedn Tach nach n Dokter in n Wartezimmer gehn.
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Die Wahrheit Früher hieß das immer, was du schwarz auf weiß has, das kanns getrost nach Hause tragn, nech, und darum is Hermie ja auch der Ansicht, daß das, was in e Zeitung steht, auch stimmt. „Was in e Zeitung steht, das is die Wahrheit“, saacht sie immer, „sons würde das ja nich in e Zeitung stehn.“ Gegn die Logik mach ma was. Nich ma an’n erstn April is die davon abzubringn. Wißt ihr, wo sie da auf reingefalln is? Das ganze Dorf hat damals gelacht, du. War aber auch n Ding. Der Bürgermeister von’n Dorf sollte Könich von England werdn, stand da. So war das, könnt ihr mir glaubm. Da stand, er soll nu Könich werdn, weil sie ne alte Urkunde gefundn habm, wo in steht, daß er, nee, daß sein Vorfahre von früher n unehelichn Sohn von den Könich von damals gewesn is, und is auf n Kreuzzuch gezeucht wordn. Und denn habm sie den Sohn verschleppt und all so n Zeuch. Hat Hermine geglaubt, war ihr nich auszuredn. Naja, is ja auch nich ganz unmöchlich is das ja auch nich, nech. Weiß du, was die Könige damals getriebm habm mit die Deerns in’n Morgnland? Siehste wohl, das weiß du nämlich nich. Und unser Bürgermeister kann sein’n Stammbaum man bloß bis zu sein’n Uropa zurück53
verfolgn. Und darum kann das ja wirklich angehn. So is das, könnt ihr mir glaubm. Bloß, daß er nu Könich werdn sollte, daß hat nich gestimmt, die habm da drübm ja ne Königin, nech. Naja, schad ja auch nix, habm wir Hermine ebm erzählt, daß er das Amt abgelehnt hat, und denn war die Welt wieder in Ordnung, bloß daß sie unsern Bürgermeister nu für n büschn dusslich hält. Gut, macht ja nix, also wir wissn nu, daß das, was in e Zeitung steht, die Wahrheit is, und nu kommt das Problem. Hermine meint ja nu auch, daß das, was sie mit eigne Augn gesehn und mit eigne Ohrn gehört hat, stimmt, nech. Muß dir ma vorstelln, Mensch, allns, was in’n Fernsehn kommt, is die Wahrheit, weil Hermine das mit eigne Augn sieht und mit eigne Ohrn hört. Das geht vielleich an e Nervm, wenn sie denn kommt und erzählt, daß da drei Leute auf n Mars gelandet sind, bloß weil sie so n blödsinnign Film gesehn hat. Ausredn kanns ihr das nich. Habm wir in’n Dorf jetz aber n Trick für, erzähln wir ihr immer, stimmt, sind aber Amerikaner, oder is aber in Amerika passiert, oder so, und denn vergißt sie das auch wieder, weil Amerika ja nu weit wech is. „Komm ich in mein’n Lebm nich mehr hin“, saacht sie denn immer, „denn is das wohl auch nich so wichtich.“ Damit is das Problem Spielfilm so einigermaßn gelöst, der Wetterbericht hat ne Sonderstellung, da weiß Hermine, daß der von e Astrologn gemacht wird, die ja auch 54
das Horoskop in e Zeitung schreibm. Ich hatte ja schon ma gesaacht, daß Hermine n büschn Probleme mit e Fremdwörter hat, und in diesn Fall lassn wir sie auch lieber, an’n Ende würde sie sons auch noch an n Wetterbericht glaubm. Nee nee nee, das is schlimm is das. außer n Wetterbericht glaubt Hermine alles, aber auch wirklich alles, was die in’n Fernsehn bringn. Jedes Jahr muß sich darum nu einer aus n Dorf opfern und sie für Sylvester einladn. So is das, könnt ihr mir glaubm. Doch, das muß sein, stell dir doch ma vor, die sieht die Neujahrsansprache von unsern Bundeskanzler!
Die Uhr Die Uhr steht. So n Schiet, Mensch, kann doch nich einfach so stehnbleibm, das Aas. Ich mein, das holt ja nu nich grade n Erpel von e Ente, nech, mit annern Wortn, das is nich so besonders weltbewegnd, wenn Hermine ihre Uhr stehnbleibt, aber das is ja genau das Problem. Guck ma, wenn ma was Weltbewegndes passiert, denn kanns da gar nix bei machn, 55
gar nix, oder habt ihr da was an ändern könn’n, als in Berlin die Mauer abgerissn wordn is? Nee, habt ihr nich, und als sie gebaut wurde auch nich. Siehste, und darum sind diese weltbewegndn Sachn ja auch nich so wichtich, jednfalls nich für Hermine. Und das hat sie auch gesaacht, nech, hat sie gesaacht: „Ich bin nu all so alt gewordn, und in mein’n Lebm, da is all so viel aufgebaut und wechgerissn wordn, da kommt das auf so ne Mauer nu auch nich mehr auf an.“ Bei’n Willy Brandt, da war das ja was anneres, den hat das ja nu persönlich betroffm, nech, ja, da gibt das so n Bild von. Willy an e Mauer, mit Trän’n in e Augn. Der fand das nich gut damals, aber auf n Dorf has das ja gar nich so mitgekricht, nech, Fernsehn hatte kaum einer, und zu’n Zeitunglesn has ja keine Zeit gehabt. Kanns übrigns in jedes bessere Geschichtsbuch kanns das findn, das Bild von’n Willy. So is das, könnt ihr mir glaubm. Ja, und denn sind ganz viele von unsere Politiker nach China gefahrn, ma n Besuch machn, weil man das so macht, nech, is so ne Art internationale Höflichkeit is das, und solange da n Volk da is, das das bezahlt, geht das ja auch, und alle habm sie sich die chinesische Mauer beguckt. Nu fraach mich nich warum, du, ich weiß das auch nich, mach angehn, daß den’n die in Berlin nich groß genuch war. Das is aber ja allns nix gegn das Problem: Sonntach mittach, kein Brot in’n Haus, abmds Gäste. Du, da 56
komms aber in Schwulitätn. Is Erika neulich passiert, aber da geht das hier ja gar nich um, nee, hier geht das um Hermine ihre Uhr, und die steht. Was nu? Ja, so einfach is das nich auf n Dorf. Herrmann hat wohl sofort gemerkt, daß das an e Batterie liecht, aber was nützt das? Als das den lüttn Ladn um e Ecke noch gegebm hat, nech, da war das ganz einfach, bis hin, has ne neue gekauft, rein in e Uhr damit und Uhr geht, aber nu? Also nach e Stadt hin. Ja, das saacht sich hier nu so leicht, aber mach das ma. Brauchs n Bus, und den gibt das ja auch, der fährt um fümfzehn Uhr siebzehn. Wenn denn an e Haltestelle stehs, denn hält der und denn kanns mitfahrn. Wenn nich, denn nich. Also gucks nach e Uhr, machs ja ganz automatisch, nech, weiß ja ganz genau, daß das Aas steht, gucks aber trotzdem, zeicht fümfzehn Uhr siebzehn, das is genau, wenn der Bus fahrn soll, aber das zeicht die all seit gestern. Da is nu guter Rat teuer, nech, wenn n Bus all sehn kanns, denn is das zu spät, denn komms nich mehr rechtzeitich in e Puschn. Denn springs vorne bei e Tür raus und denn siehs man bloß noch die Rücklichter. So is das, könnt ihr mir glaubm. Wenn man denn auch all neunzich Jahre alt is, denn springt man ja auch nich mehr ganz so hurtich. Naja, Hermine hat das aber denn doch auf e Reihe gekricht, hat ja n Telefon, kanns dich rechtzeitich anrufm lassn von’n Weckdienst, und denn kanns auch den Bus kriegn. 57
Hat geklappt, Hermine denn wieder ma in n Selbsbedienungsladn rein, Batterien gesucht, Viererpack. So is das, könnt ihr mir glaubm. Sie denn an e Kasse mit ihrn Viererpack, war all n büschn spät, nech, warn all all die Berufstätign da, war richtich schön. Hat sie auch diskutiert mit e Kassiererin. „Was soll ich denn mit vier Batterien?“ Hat die Kassiererin gesaacht, daß sie das auch nich weiß, geht ihr ja auch nix an, und einzeln habm sie die nich. Die Schlange an e Kasse is schon n büschn was länger gewordn. Hat Hermine gesaacht: „Ich hab man bloß eine Uhr.“ Konnte die Dame an e Kasse ja nu auch nich helfm. Ich mein, das verlangt ja auch keiner, daß sie Hermine noch drei Uhrn schenkt, damit sie n Vierpack brauchn kann, nech. Die Leute in e Schlange wurdn nu so langsam n büschn ungeduldich, meinte einer, sie soll man die vier nehm’n, spart sie ja auch zwanzich Pfennich pro Stück. Hat sie sich aber umgedreht und macht den Mann an, du, fraach nich wie. „Ich hab man bloß eine Uhr“, saacht sie, „und so ne Batterie, die hält sowas bei zehn Jahre, weiß du, wie alt daß ich bin?“ Wußte der Herr von’n Einwohnermeldeamt natürlich nich, hatte ja auch seine Aktn nich mit in’n Selbsbediengsladn, darf er ja auch gar nich. „Neunzich bin ich, und wenn allns gut geht, will ich vielleich noch zwei brauchn, und was mach ich mit die 58
annern zwei? Soll ich die vielleich vererbm?“ Die Schlange reicht schon hintn um e Ecke bei’n Getränkeregal, sind auch Kinder bei. „Mamma, ich will n Lolli!“ Gibs in’n Zweierpack, war aber n Einzelkind, und nu wißt ihr auch, warum Einzelkinder immer so verwöhnt werdn, nech. So is das, könnt ihr mir glaubm. Der freundliche Herr will Hermine zwei abkaufm. „Reicht nich“, saacht Hermine, „ich will man bloß eine.“ Drei brauch der nu nich mehr ganz so freundliche Herr aber auch nich. Noch fümf Minutn bis Feierabmd. Aber noch zwanzich Minutn bis der Bus fährt, Hermine hat Zeit. Und nix weiter in ihrn Einkaufskorb als n Viererpack Batterien. Was soll ich noch lange erzähln, acht Minutn nach Feierabmd war denn allns klar, der Geschäftsführer is gekomm’n und hat drei Batterien für sich privat behaltn, und Hermine is mit ihre eine Batterie in n Bus, sie war übrigns die letzte, die den Bus noch gekricht hat. War n guter Tach für e Taxn. In den Ladn gibt das seit den Tach keine Batterien mehr.
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Die Taufe Konns ja bei e Hochzeit all sehn, daß das mit e Taufe nich so fürchterlich lange dauert, nech. Das mit „seid fruchtbar und mehret euch“ von’n Paster damals hat auch geklappt, Erika is wieder in annere Umstände, das mit n Mehrn scheint ihr ja wohl doch Spaß zu machn, auch nach e Hochzeit noch. Hermine hat sich denn ja auch bannich gefreut, und vor alln Dingn hat sie ne Nähmaschine, so ne alte, weiß du, so n richtign Tisch, mit n Schwungrad und so n Gaspedal, wo man immer mit e Füße auf steht und wackeln muß, damit sich da was tut. Und hat sie das Brautkleid von Erika umgeändert zu’n Taufkleid für Katrin. Katrin is die Deern von Erika. Sind sie sich auch alle n büschn uneinich über, die ein’n sagn, ganz die Mama, die annern sagn, ganz der Papa, ma von’n Bart abgesehn, nur Hermine is da annerer Ansicht, die saacht, ganz die Uroma. Und stolz is sie, viel mehr als der leibliche Vater, du. Wenn ich nich genau wüßte, daß das Uroma is und nich Uropa, würd ich sagn, sie läuft rum wie n junger Hahn. Aber das paßt ja wohl nich so. Und denn warn sie Sonntach alle in e Kirche bei’n Paster mit sein’n Wasserbeckn, und hat er Katrin ihrn Kopf gewaschn und dabei n büschn das schöne weiße Taufkleid bekleckert, konnt er aber nix für, das Aaß woll61
te nich stillhaltn. Hermine war trotzdem n büschn ärgerlich, kanns auch verstehn, hat sich ja doch Mühe gegebm mit n Kleid, nech, und noch orntlich aufgebügelt, und denn sowas. Ich mein, Fleckn gibt das denn ja wohl nich, hat er ja wohl hoffntlich sauberes Wasser zu genomm’n, aber wenn nich aufpaßt, denn wird das an e naßn Stelln kraus, und den muß du das neu bügeln. Wird schließlich bald wieder gebraucht. Und denn habm sie den neu’n Erdnbürger, also genau genomm’n die neue Erdnbürgerin in n Kreis des Herrn, also in e Gemeinde aufgenomm’n. Also genau genomm’n habm sie für ne neue Kirchnsteuerzahlerin, äh, wie soll ich das sagn, also is ja auch wahr, nech, wer tritt denn schon wieder aus, wenn er ers ma drin is. So is das, könnt ihr mir glaubm. Und gibs denn ja auch noch die Konfirmation später, nech, das Geld kanns gut mitnehm’n. Bringt ja jeder n Umschlach mit n büschn was in. Läppert sich ganz schön zusamm’n. Und jede Bank und auch die Sparkasse, die schickn denn n Sparbuch so als Grundstock für das neue Lebm, schreibm sie denn auch, und herzlichn Glückwunsch, und denn schlächs das Sparbuch auf und is genau die Gebür für e Auflösung von so n Sparbuch auf eingezahlt. Aber auch kein Pfennich mehr. Kanns aber ja sammeln, sowas, nech, krichs zu’n erstn Mal bei e Geburt, denn bei e Konfirmation und auch noch bei e Hochzeit. Lohnt sich aber nich, dafür n paar ma zu heiratn. Von jede Bank drei Stück is ja all n ganzn Schuhkarton voll. Nimmt richtich Platz wech. 62
Und denn war die Kirche aus, habm sie die Deern n Handtuch um n Kopf gewickelt. Mit nasse Haare solls ja nich nach draußn, sons sacks dir an’n Ende noch ein’n auf, und das is die Sache denn ja doch nich wert. Ach so, ja, aufsackn muß ich noch ebm erklärn. N Dokter würde sagn, du has dir n grippaln Infekt zugezogn oder sowas ähnliches. Und das kanns habm, wenn du nach e Taufe mit nasse Haare rausgehs, nach n Badn oder nach n Duschn auch, aber sowas macht so ne lütte Deern ja noch nich, jednfalls nich alleine. Und denn geht die Taufe ja weiter, kanns ja nich einfach so trockn rumsitzn, nech. Gibt das denn orntlich ein’n aus n Buddel. Ers ma n Bier gegn n Durst, und denn kommt das Wirkungssaufm. Lütt un Lütt heißt das. Die Reihnfolge is egal. Der eine Lütt is n Köm und der annere Lütt is n lütt Bier, also n kleines Helles. Heißt auch Friesnmaß. Sieht aus bayerische Sicht aus wie n Fingerhut aus Glas, is auch immer ganz schnell alle, so n Lütt. Nach n zweitn Duznd zählt denn auch keiner mehr mit. Ach ja, eigntlich ging das ja um die lütte Katrin, hätt ich nu beinah vergessn. Na, schad ja nix, habm die Gäste ja schließlich auch längs vergessn.
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Der Arzt Is Hermine bei’n Dokter gewesn. Ja, steht draußn an e Tür, Arzt für Allgemeinmedizin, alle Kassn, Sprechstundn und so weiter. Hermine also hin. Kommt grade der Bürgermeister raus. Kann Hermine ihrn Mund wieder ma nich haltn, hat ebm n ausgeprächtes Mitteilungsbedürfnis, auf norddeutsch: Sie is nu ma ne Schludertasch. „Guck ma, Bürgermeister“, saacht sie, „da steht Sprechstunde auf n Schild, is doch ne Lüge.“ „Aber wieso denn?“ Büschn überrascht war er, der Bürgermeister, konnt er ja auch nich ahn’n, daß er hier gegn Hermine läuft. „Ganz einfach“, saacht sie, „erstns komms nich zu’n Sprechn, und zweitns dauert das auch keine Stunde.“ Und weil der Bürgermeister n klugn Mann is, gibt er Hermine Recht, denn kann er nämlich ziemlich unbehellicht weiter. Hat heute auch geklappt. Sie nu aber rein in n Wartezimmer, is leer. Is sie wieder nach Hause, alleine rumsitzn kann sie da auch. So n Wartezimmer muß orntlich voll sein, denn macht das Spaß, denn machs die Tür auf, bleibs in’n Türrahm’n stehn, is allns schön besetzt, und denn gucks ma, wer gut erzogn is. Gibt meistns ein’n, der aufsteht, und denn is Unterhaltung, gibt nix spann’nderes als die Krankheitn von e Nachbarschaft, kanns stundnlang über schnackn. Noch schöner is das, wenn ne Deern n Kind kricht, und 65
wenn das dafür auch noch kein’n Vater gibt, denn is das wie Weihnachtn und Ostern an ein’n Tach, kanns nämlich n büschn spekuliern. „Ma guckn, wer kommt denn da als Vater in Frage, muß sich doch ein’n findn lassn, kann doch sons gar nich angehn.“ „So n Kind krichs ja schließlich nich durch Windbestäubung.“ „Saacht die Deern denn nix?“ „Nee, heult n ganzn Tach, is vielleich durchgebrannt, der Kerl, und kann ein’n ja auch leid tun, is noch so jung, hat ihre Jugnd noch gar nich richtich genießn könn’n, das arme Ding, und versucht das einmal, und schon hat das geklappt.“ „Aber wieso denn bloß einma?“ „Öfter kann ich mir nich vorstelln, und deshalb is der Junge wohl auch abgehaun.“ „Versteh ich nich.“ „Is doch ganz einfach, guckt euch die Deern doch ma an.“ „Na und, wozu?“ „Die hat doch ne Warze auf e Nase und Pickel in’n Gesicht.“ Und so geht das denn, bis man an e Reihe kommt. In so n Wartezimmer von so n Dokter wird die Pietät außer Kraft gesetzt So is das, könnt ihr mir glaubm. In so n Wartezimmer sind all Jungfraun schwanger geschnackt wordn. „Der Nächste bitte!“ 66
Hermine nu also rein zu’n Dokter, und is noch so richtich in Fahrt. Wenn das Mundwerk mit hundertzwanzich läuft, kanns das ja auch nich so gau auf Null abbremsn, und denn ergießt sich ebm auch noch so n Rest von’n Redeschwall über n Dokter: „Stimmt das? All wieder zwei Deerns mit n dickn Bauch? Und wissn beide nich, von wen? Kann ich gar nich verstehn, müssn da doch bei gewesn sein, also zu meine Zeit habm immer alle gewußt, wer ihn’n den Bratn in e Röhre geschobm hat. Oder sind die Bengels abgehaun, wolln sich um die Alimente drückn, das find ich ne Schweinerei find ich das.“ Bei’n Dokter kanns ja ma n büschn ordinärer werdn, der sieht ja jedn Tach nackte Leute, nur Sonntachs nich, es sei denn, ich mein, er is ja verheiratet. Andrerseits hat er aber keine Kinder, naja, is ja auch egal, was so n Dokter Sonntachs macht, is ja immerhin n gebildetn Menschn. Der Dokter übt seine Schweigepflicht aus. Hermine hat keine. Denn hat sie den Dokter noch da über aufgeklärt, daß man zu’n Kinderkriegn zwei Leute nötich hat und was die beidn tun müssn, damit das klappt, schließlich hat sie ja doch ne ganze Menge Erfahrung in ihrn langn Lebm sammeln könn’n, aber bestimmt mehr, als der Dokter, is ja höchstns fümundreißich, der Mann, aber n Dokter, und da brauchs ja kein Blatt vor n Mund nehm’n. Der Dokter nimmt seine Schweigepflicht sehr ernst. „Herr Dokter, nu saach doch ma was dazu.“ Tut er nich, er leistet medizinische Grundversorgung, weil die Versicherung nich mehr bezahlt. Is ja man auch 67
bloß die AOK. Und is ja man auch bloß für ne Rentnerin, wird ebm nich mehr so gebraucht, so ne alte Frau, kann der Dokter aber nix für, is die Politik, stand auch in e Zeitung. Wie hieß das da noch gleich? Ja, richtich, Kostndämpfung hieß das. Da hat Hermine zu’n erstn Mal an e Wahrheit von e Zeitung gezweifelt. Schon n paar Jahre muß sie Kranknkasse bezahln und die Rezeptgebührn werdn auch immer höher, und das nenn’n die Kostndämpfung, also in ihrn Portmonee is das Kostnexplosion. So is das, könnt ihr mir glaubm. Hermine wird denn auch nach siebm Minutn aus e Sprechstunde entlassn, kricht von e Sprechstundnhilfe noch n Rezept in e Hand gedrückt und fertich. Muß sie mit nach e Apotheke in e Stadt. Is ja nich so schlimm, kann man Donnerstach denn gleich mit erledign.
Der Kindergarten Da kanns ma sehn, was passiert, wenn nix passiert. Also das hat ja damals diese sogenannte Wiedervereinigung, stand ja auch in alle Zeitungn, also hat das gegebm, nech, diese Wiedervereinigung war auch in’n Fernsehn und hat der Bundeskanzler gesprochn, und 68
denn habm sie auch alle gesaacht, daß das bis neunzehnhundertund weiß nich genau für jedes Kind n Platz in’n Kindergartn gebm soll. Nu is Katrin ja bald in den Alter, wo das nötich tut, drei Jahre weiter, denn is das all bereits vorbei, denn soll sie ja nach e Schule hin. Muß der Bürgermeister für sorgn. Nich für e Schule, für n Kindergartn. Hermine is da gar nich für. Auf Katrin kann sie doch selber so n büschn auf aufpassn, has doch kein’n Kindergartn nötich, kost’t bloß Geld, und werdn die Kinder auch nich besser erzogn. Zu ihre Zeit gab das das ja schließlich auch nich, und kanns auch ohne Kindergartn über neunzich Jahre alt werdn. Trotzdem, habm sie n Antrach gestellt, Erika und noch zwei Fraun aus n Dorf, ja, habm alle drei n Kind in den Alter, nech. Die annern intressiern sich dafür ja noch nich oder nich mehr, je nachdem. So is das, könnt ihr mir glaubm. Nee, wirklich, is wahr, du, muß dich ma umguckn in e Bürgerinitiativn, sind allns Leute, die da selber was von habm, kommt nich vor, daß da ma einer für n annern, der letzte der sowas gemacht hat, hieß Jesus, is nu all n paar Jahre her, nech, und weiß ja auch jeder, wo der geendet is. Geendet, hab ich gesaacht, nich verendet, der Mann verdient Respekt, der hat nich den Kopf in n Sand gesteckt, wenn annere in Not warn, obwohl er die Möchlichkeit gehabt hat, nech. Hat nämlich in e Wüste gelebt, und da gab das Sand genuch. 69
Nee, is zu gefährlich, wenn man sein’n Kopf für annere hinhaltn soll, brauchs ja auch Zivilcourage für, oder wie das heißt. Zivilcourage is so n Wort, das muß ich nich bloß für unsere süddeutschn Freunde erklärn, nee, das kenn’n alle Deutschn nich so richtich. Gibs ja auch kein deutsches Wort für. Tut auch nich nötich, is auch keine deutsche Eignschaft. So is das, könnt ihr mir glaubm. Hat der Bürgermeister abgelehnt, hat kein Geld, saacht er. Kann er nich umsetzn das Gesetz, und denn erzählt er was von Ländersozialausgleich, Finanzminister, Schlüsselzuweisung, Städtetach und all so n Kram, was Hermine schon jedn Tach in e Zeitung nich versteht. Aber das Prinzip hat sie verstandn: Mit diese Wörter verschweicht man die Wahrheit ohne zu lügn. Hat sie auch lange über nachgedacht, und denn hat sie da ihre Schlüsse aus gezogn. „Das is so“, saacht sie, sie will das Katrin schon erklärn, aber die versteht das wirklich noch nich, „wenn du was verkehrt gemacht has, denn wills das ja nich jedn auf e Nase bindn. Lügn wills aber auch nich. Muß du also die Wahrheit sagn. Und denn geht das los, nimms dir n Wörterbuch, besser noch n Fremdwörterbuch, suchs dir zwei passnde Wörter und hängs die so zusamm’n, daß kein Aaß das neue Wort kennt, wenn das dummerweise noch n büschn zu verständlich is, kanns das ja abkürzn. Und mit diese neu’n Wörter kanns denn auch ganz unbesorcht die Wahrheit sagn.“ Und nu die Schlußfolgerung, is übrigns auch Hermine 70
auf gekomm’n: Je unverständlicher die Nachrichtn, um so größer der Mist, der in e Politik gemacht wird. So is das, könnt ihr mir glaubm. Is also nix passiert, in’n Dorf gibs noch immer kein’n Kindergartn. Und denn habm sie den Bürgermeister wiedergewählt, also die drei Fraun natürlich nich, aber er hat den Sportplatz renoviern lassn, und in’n Sportverein sind siebzich Prozent aus n Dorf in. Ach so, hätt ich fast vergessn, dürfm Kinder ers mit schulpflichtign Alter auf spieln, aber nur, wenn da n Lehrer bei is oder n Trainer.
Das Altersheim Letzte Woche habm sie Heinnerich abgeholt. Hermine hat das gesehn aus ihrn Fenster, Heinnerich hat ja schräch gegnüber seine Kammer gehabt. Kam ihr irgndwie bekannt vor, hatte sie schon ma gesehn sowas, wann war das bloß, muß so bei neunzehnhundertveerzich rum gewesn sein, habm sie auch ein’n abgeholt. Naja, das is all lange her, aber letzte Woche den Heinnerich? 71
„Is das nu all wieder so weit?“ hat sie sich gedacht. Naja, und denn kam so ne lütte Träne aus ihrn linkn Auge raus, über e Backe und denn auf n Bundeskanzler rauf, nech. Also, ich mein, auf sein Bild in e Zeitung. Das mit e Träne, das soll natürlich keiner wissn, das wär Hermine denn ja peinlich. Heinnerich war ja auch eigntlich n ganz nettn Kerl, und weiß ja auch nich, was passiert wär, wenn sie ihn an Erika ihre Hochzeit wach gekricht hättn, wißt ihr doch noch damals, die Geschichte mit n Brautstrauß, is aber ja nu egal, Heinnerich is ja nu wech. Hat sich auch gar nich gewehrt, habm sie ihn rausgeführt, rein in n Auto und ab. Das wars denn. Wehrn ging aber ja auch nich, hatte er n büschn zu viel für in n Buddel geguckt. Nich, daß ihr nu denkt, der Heinnerich war immer n büschn duhn, schnell ebm wieder für alle Nichnorddeutschn: Duhn is man nach n Saufm, so einfach is das. Aber das war Heinnerich bloß nachmittachs, und darum habm sie ihn ja auch an ein’n Nachmittach geholt. Konnt er sich nich wehrn, rein in n Auto und ab. Kommt Hermine gar nich über wech, hat sie immer noch vor sich dies Bild: Rein in n Auto und ab. Träumt sie nachts auch von: Tür geht auf, denn Heinnerich, an jedn Arm von so n Herrn in’n schwarzn Anzuch mit n Zylinder auf n Kopp nach n Auto hin geführt, und denn Hermine, in ihrn Traum is sie noch ganz jung, raus mit n Nudelholz, über e Straße und Heinnerich befreit. Du, das geht wie der Blitz geht das, und die beidn Herrn liegn auf n Gartnweech in ihrn Blute. 72
Denn is der Traum aus und Heinnerich nich mehr da, die beidn Herrn auch nich. Kann man sich eigntlich noch verliebm, wenn man all über neunzich is? Na, is ja auch egal, is Hermine ihr Problem. Nu hat das mit Heinnerich seine Entführung aber doch nix mit Politik zu tun, nee, den habm sie einfach so eingesperrt. Und das is ja ganz gemein is das ja, und Hermine is nu sauer, kanns ein’n doch nich einfach einsperrn so ohne Grund. Der Heinnerich, der hat doch kein’n was getan, und denn sowas, nee sowas aber auch. Ganz aus war das denn aber, als sie ihr erzählt habm, daß er in’n Altersheim is. „Und ich hab gedacht, der is in’n Knast!“ Hermine war ganz aufgereecht, „wenn der in’n Altersheim is, denn kommt der ja nie nich wieder“, Altersheim is ja lebmslänglich, hab ich glaub ich schon ma erzählt. Hat Erika gesaacht: „Kanns ihn ja ma besuchn, dein’n Heinnerich, Oma.“ Nu hat sie grade von Erika n büschn mehr Mitgefühl, also daß ausgerechnet Erika, die nu ja noch ziemlich frisch verheiratet is, also die wär ja wohl auch nich mit ihrn Lebm zufriedn, wenn sie ihrn Mann man bloß ma besuchn dürfte. Has ja doch n büschn mehr Beziehung nötich. So is das, könnt ihr mir glaubm. Nu wär Hermine nich Hermine, wenn sie das so hinnehm’n täte, nech, und n Plan hat sie auch all. Und der Plan, der fängt mit n Besuch bei Heinnerich an.
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Die Spargelcremesuppe Und denn hat Hermine aufgerüstet, muß ja n büschn vorsichtich sein, wenn in n Altersheim wills, besonders denn, wenn auch wieder raus wills. Hat sie denn auch Angst vor gehabt, als sie in n Bus gestiegn is, aber muß man durch, wenn man ein’n helfm will. Hat sie denn ihrn Schirm, weiß du, den großn mit e Spitze vorne, nech, kanns ja nich unbewaffnet in n Kriech ziehn, und für n Kriech hat Hermine das gehaltn, und denn kam sie an bei’n Kreisaltersheim. Saß ne junge Deern in’n Glaskastn, is Hermine denn hin, all ihrn Mut zusamm’n gekratzt und hat gesaacht: „Moin.“ Die junge Deern denn auch: „Moin“, und denn den fragendn Blick, konns allns rauslesn aus den Blick, zu’n Beispiel die Frage: „Na, Oma, wohns all hier oder wills ers noch komm’n?“ Geht an e Nervm, der Blick. War denn aber eigntlich ganz freundlich, die Deern. Hat sich Hermine aber nich von einwickln lassn von e Freundlichkeit. Hat sie gesaacht: „Ich will zu Heinnerich, aber ich komm bloß zu euch in n Altersheim rein, wenn du mir freies Geleit zusichers.“ Den Satz hatte sie aus n Fernsehn, den mit n frein Geleit, nech, da hat sie ma so n Film mit Indianers gesehn, und da kam der vor. Habm sie den Häuptling freies Geleit zugesichert und durftn ihn denn auch nich totschießn und auch nich einsperrn. So is das, könnt ihr mir glaubm. 75
Siehs du, und so n freies Geleit, das wollte Hermine nu auch. Und für alle Fälle hat sie schon ma vorsichtshalber mit n Schirm so n büschn gedroht. Und denn durfte sie zu Heinnerich, schien ihn ganz gut zu gehn, kanns nix von sagn, nirgnds konns was sehn von e Mißhandlungn, die immer in’n Altersheim passiern, stand ja ma in e Zeitung, nech, habm sie die altn Leute in’n Bett angebundn, und denn habm sie die auch ma verhaun und all sowas. Aber bei Heinnerich: Nix zu sehn, und is auch nich gehumpelt und war kein Arm in e Schiene. Machn sie vielleich ja auch nur mit Fraun. War n büschn gruselich, der Gedanke, und Hermine lief das auch kalt den Rückn runter, als sie da so an gedacht hat. So mit Hände und Füße an’n Bettgestell festgebundn, und denn diesn perversn Sadismus, kanns ja auch viel über lesn, und stimmt auch, nehm’n sie meistns Fraun für, für n Sadismus. So is das, könnt ihr mir glaubm. Aber Hermine hatte ja freies Geleit, und n büschn Vertraun muß auch habm, sons kanns das gleich lassn. „Wie geht dir das denn so, Heinnerich?“ hat Hermine gefraacht. Was solls auch sons sagn, wenn n liebm Menschn acht Wochn nich gesehn has. So lange hat Hermine nämlich gebraucht zu’n Mut sammeln. „Is n büschn langweilich“, hat Heinnerich gesaacht, aber sons ginge ihn das ganz gut, kanns nix von sagn. Is natürlich kein Vergleich mit n Dorf, nech, aber für so n Altersheim geht das, und denn wollte Hermine wissn, ob er nich doch wieder raus will. 76
Hätt er nix gegn, saacht er, aber geht ja wohl nich, wird ja bewacht untn an e Tür, und muß abmds um zehn wieder da sein, sons wirs gesucht, von e Polizei. „Och“, hat Hermine gesaacht, „das kriegn wir wohl auf e Reihe, daß du hier wieder rauskomms, gibt das sogar zwei Möchlichkeitn für.“ Hermine hat das so n büschn spann’nd gemacht, hat ihrn Heinnerich n büschn zappeln lassn. Wurde denn auch n büschn zappelich: „Nu man zu, saach ma.“ Und denn hat sie ihn das erklärt, soll er entweder ne Dose Spargel klaun oder soll er heiratn. „Spargel mach ich nich“, hat er gesaacht. „Kanns ihn mir ja schenkn, ich mach den.“ Geschäftstüchtich war Hermine all immer, und denn hat sie aber gemerkt, daß das so ja nich geht, nützt ja bloß was, wenn Heinnerich sich auch erwischn läßt, daß er in n Knast kommt, sons kommt er ja nich aus n Altersheim raus, und wenn er sich erwischn läßt, denn kann er Hermine den Spargel ja nich schenkn, so n Schiet. Bleibt bloß noch heiratn, aber wen? Und Heinnerich is auch noch nie nich verheiratet gewesn, weiß er gar nich, was n Ehemann machn muß, hat er gesaacht, und wird er bestimmt nervös bei, und Hermine hat ihre Hand auf seine geleecht. Habm die beidn ne Weile ganz still dagesessn, wie ältere Leute das manchma so tun. Ältere Leute muß man so sagn, nech, alt sind die beidn ja noch nich, beide noch nich ma hundert, nee, da kanns noch nich richtich von alt schnackn. 77
Und zu’n Schluß von den Besuch hat sich denn doch ihre Ansicht von’n Altersheim bestäticht, Mittachessn wurde gebracht, gab Spargelcremesuppe. Hat sie denn abmds, als sie wieder zu Hause war, hat sie Herrmann angerufm. „Das nützt nix, Herrmann“, hat sie an’n Telefon gesaacht, „das nützt allns nix, ich muß das Opfer bringn und Heinnerich heiratn, die quäln den in’n Altersheim mit Spargel.“
Die Befreiung Nu gibt das in so n Altersheim auch so ne lütte Kirche, nech, also nich so ne richtige Kirche, eher so n Andachtsraum mit n Kreuz an e Wand, wo Jesus an is, und denn so Holzpuppm, die um rum sitzn, Maria und so, n paar sehn auch aus wie die heilign drei Könige, aber die warn ja bei’n Kreuz gar nich mit bei, muß der Paster n lüttn Fehler reingebracht habm, oder warn die Figurn vielleich auch grade in’n Sonderangebot, weiß ich auch nich, is ja auch egal. Und da hat denn Hermine ihrn Heinnerich geheirtatet. Schön war das, Hermine ganz in weiß, mit n Schleier auf 78
n Kopp und Heinnerich in’n schwarzn Anzuch mit n Zylinder auf, is er ganz aufrecht nebm Hermine her und Katrin hat Blum’n gestreut und die Orgel hat gespielt, der Paster stand vorne bei’n Altar mit ausgebreitete Arme, Hermine hatte sich auch n lütt Marmeladnglas voll Schweineblut in e Handtasche gesteckt, und all die Leute aus n Dorf warn da und wolltn bei zuguckn, wenn Hermine und Heinnerich „ja“ sagn, und Heinnerich war auch überhaup nich duhn. Denn hat der Paster die beidn angeguckt und ganz besonders Hermine, ich glaub, der wollte die Größe von’n Brautkleid rauskriegn und ob obm und untn auch gleich groß, weiß ich auch nich, hat er denn aber wohl gesehn, daß sie nich schwanger gewesn is, und hat er gesaacht: „Seid fruchtbar und mehret euch.“ Da hat Heinnerich „ja“ gesaacht. Hermine hat ihn denn angestupst, geht doch auch nich, er war ja noch gar nich an e Reihe mit Ja-sagn. Kanns „ja“ denkn, hat Hermine auch gemacht, aber sagn muß das ja nu nich unbedingt. Und die Betreuer von’n Altersheim warn auch alle da und wolltn Heinnerich das letzte Geleit gebm. Ja, doch, so nennt man das, wenn einer das Altersheim verläßt, nech, den gibt man denn das letzte Geleit, war all immer so, kann man sich auch gar nich anners vorstelln. So is das, könnt ihr mir glaubm. Die Insassn standn alle an e Seitnwand von den Andachtsraum und die Wächter auch. Alle hattn sie die Hände gefaltet. Hat Hermine natürlich genau gesehn, und war auch gut 79
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so, solange die die Hände gefaltet habm, könn’n sie ihrn Heinnerich auch nich mit Spargelcremesuppe quäln. Denn sind sie raus, und draußn stand der ganze Schütznverein, und alle habm sie ihr Gewehr mitgehabt und habm Salut geschossn, hat Hermine heimlich bestellt vorher, nech, sollte ne Überraschung sein für Heinnerich, passiert ja nu auch nich jedn Tach, daß n Delinquentn wieder rauskrichs aus n Altersheim. Und denn in e Kutsche mit vier weiße Rösser vorne an, du, die Kutsche ganz weiß, mit rote Samtpolster auf e Sitze und sauber geputzte Scheibm in, Heinnerich links, Hermine rechts und n Kutscher in so n schmuckn buntn Anzuch vorne auf n Bock, wie sich das gehört. So richtich mit Klasse, sahn aus wie n Könichspaar, die beidn in ihre Kutsche. Und denn raus aus n Tor und in e Freiheit. Und der Kutscher hat das Horn geblasn, und die Rösser sind galoppiert, hat orntlich Staub gemacht, und denn habm sie sich in n Arm genomm’n. Macht man ja auch so, wenn man just verheiratet is und die erste Liebe noch an’n Kochn is, nech, später, naja, weiß ich auch nich, is ja nu auch ganz egal. Tja, und denn is das Mallör passiert, nech, der Kutscher, weiß ich auch nich, muß wohl ma n Moment eingeschlafm sein, oder sowas, jednfalls mit ein’n Rad an n Stein, und denn is die Kutsche um- und Hermine rausgefalln. Und da hat sie denn nebm ihrn Bett gelegn. Konnte sie gar nich richtich durchkomm’n zuers, hat sich n büschn 81
die Augn geriebm und aus n Fenster geguckt, aber in e Kammer von Heinnerich is kein Licht gewesn. Denn hat sie sich wieder in ihr Bett geleecht und die Augn zugemacht und gewartet, daß der Traum nu wiederkommt, has ja sons nich mehr viel, bloß noch ab und zu so n schön’n Traum – kam in diese Nacht aber nich mehr wieder.
Die Spargeldose Letztn Donnerstach abmd kam der letzte Bus aus e Stadt ohne Hermine zurück. Konnte sie nich mehr kriegn, is nämlich zu lange in’n Selbsbedienungsladn aufgehaltn wordn. Ja, sie war just dabei ne Dose Spargel zu klaun, und da habm sie sie erwischt, nech. Mit Spargel hat sie das, seit das mit ihrn Heinnerich passiert is, daß der nu in n Altersheim gekomm’n is. Hat sie auch ma erzählt, daß der arme Kerl da mit Spargel gequält wird, und daß sie da nu ja nix bei machn kann, will sie wenichstns mit ihn mitleidn, und nu gibt das dreima in e Woche Spargel. Ich mein, daß ihr der gut schmeckt, da kann sie nix für, und denn fällt das Mitleidn ja auch nich ganz so schwer. 82
So is das, könnt ihr mir glaubm. Und nu habm sie sie erwischt bei’n Klaun. Muß sie aber ganz in Gedankn gewesn sein, weil, in n Knast will sie nämlich gar nich mehr, könnte sie denn ja ihrn Heinnerich nich mehr besuchn, wenn sie in’n Knast is, und war ihr auch peinlich. „Komm’n Sie bitte ma mit nach hintn“, hat der Mann in’n Ladn gesaacht und hat Hermine an n Arm gelangt, und Hermine hat das mit e Angst gekricht, nech, ganz weiche Kniee hat sie gehabt und mußte denn ja mit. Ich mein, steht ja auch immer viel von in e Zeitung über diese Detektive von so Selbsbedienungslädn, und was das für Ferkels sind, nehm’n denn die Fraun mit nach hintn in n Büro und machn da denn Leibeszivilisation oder wie das heißt. Irgnd so n Fremdwort, und Hermine weiß auch nich so recht, was das is und ob das vielleich weh tut. Stand nur bei, daß sich die Fraun denn nackich ausziehn müssn und denn kanns dir ja denkn, nech. Hermine also mit, hatte n ganz verschwomm’nen Blick, nech, gehs ja wie durch n Nebel mit so ne Angst in’n Herzn. So is das, könnt ihr mir glaubm. Sind sie denn auch angekomm’n in’n Büro. Kam’n denn auch die erstn Trän’n in e Augn. Is ja auch peinlich, der junge Mann war ja man höchstns fümundzwangzich, und denn soll sich ne anständige Frau von über neunzich Jahre vor ihn ausziehn, was solln denn da die Leute bei denkn, kanns ja n ganz schlechtn Ruf bei kriegn, wenn sowas rauskommt, und das kommt ja auch raus, das 83
schreibm die doch in e Zeitung, sons hätte Hermine ja auch nich gewußt, was nu gleich passiert. Is aber nich passiert. Als Hermine ihn gefraacht hat, wo sie ihr Zeuch hinlegn soll, da hat er gesaacht, welches Zeuch, und denn hat sie gesaacht, daß sie sich doch nu bestimmt ausziehn muß von wegn die Leibeszivilisation, so zu’n Beguckn von den nackign Körper. Da hat er gesaacht: „Um Gottes Willn, das tut nich nötich.“ Und das hat Hermine nu gar nich verstandn, in e Zeitung stand das auch ganz anners in. „Na, denn nich“, hat sie gesaacht, war sie eigntlich schon fast n büschn enttäuscht, nech. Also, nich, daß sie sich da all auf gefreut hätte, nee nee, so denn auch nich, aber abgefundn hatte sie sich damit, so kann man das wohl sagn, nech. Naja, war denn nix, hat er gefraacht, was sie denn mit den Spargel will, und sie hat gesaacht, „essn“, und ob sie das immer so macht, daß sie nich bezahlt. Wußte sie nich richtich was auf zu sagn, is ja auch peinlich, so ne Frage, auch wenn sie ja nu ihrn Körper eingepackt lassn sollte, ihre Seele sollte sie nu, wie soll ich sagn, entblößn, und das vor diesn jungn Menschn, nee, denn doch lieber den Körper, du, da kanns die Augn zumachn und durch und fertich. Der ließ aber nich locker, und denn hat Hermine ihn allns erzählt, von Heinnerich, und daß der mit Spargel gequält wird, und daß sie nu mitleidn will, mit Spargel, und dreima in e Woche, und bezahlt hat sie auch immer und heute, naja, kanns ja ma vergessn, nech, soll der 84
Junge doch ers ma neunzich werdn, denn wolln ma sehn, ob der nich auch ma was vergißt. Hat er immer noch böse geguckt, hat sie weitererzählt, daß sie ganz alleine lebm muß, daß sie kein’n Menschn hat, mit den sie ma so richtich schnackn kann, bloß ma, wenn Besuch kommt, kommt aber ja nich oft, nu, wo Erika all wieder bald n Kind kriegn soll, nech. Kam so nach un nach so n büschn Mitleid durch. Sie ihn denn gefraacht, ob er noch ne Oma hat und ob er die auch n büschn lieb hat und so. Da war er denn fertich, hat er auch n büschn schlechtes Gewissn und so, hat seine Oma all siebm Wochn nich besucht, muß er unbedingt ma wieder hin, und denn hat er Hermine die Spargeldose geschenkt. Ja, und weil der letzte Bus ja nu all wech war, hat er sie nach Hause gefahrn mit sein’n Auto. Und er hat sie nich belästicht, obwohl das ja nu auch fast jedn Tach in e Zeitung steht.
Das ewige Leben Hermine glaubt an das ewige Lebm. Nee, nich an das bei’n liebm Gott in’n Himmel, so richtich, das ewige Lebm hier auf e Erde, und das gibt das 85
auch nich für jedn, nur so für ganz ausgesuchte Leute, nech, und ob Hermine das nu noch auf e Reihe kricht, daß sie da mit zugehört, das is noch nich ganz klar. Sie will das jednfalls rauskriegn und ma hinschreibm nach n Fernsehn, da gibt das nämlich so jemand, und braucht sie die Adresse von, zu’n Nachfragn, wie man sowas anstellt. Das liecht an Silvester. Dies Jahr war Erika an e Reihe. Hab ich euch ja all erzählt, nech, wegn den Bundeskanzler seine Ansprache, Hermine war also bei Erika. Nu is das ja so, daß Erika noch n büschn viel um e Ohrn hat mit ihrn Nachwuchs, und das nächste Gör is bei ihr ja auch all wieder in Auftrach gegebm, macht sie auch immer Gymnastik für, kann Hermine gar nich verstehn, diesn neumodschn Kram, hat sie früher auch nich gemacht, hat trotzdem Kinner gegebm. Rübm hackn auf n Feld hat dafür gereicht, brauchs nich auch noch mit e Beine strampeln, sieht auch albern aus, hält Hermine gar nix von. Aber Erika, sogar an Silvester is die beigegangn, so Liegestütz, und Brücke schlagn und Radfahrn mit e Beine bei’n auf n Buckel liegn, und hat sie nich genuch auf Hermine aufgepaßt, die denn auch gleich hin zu’n Fernsehapparat und angemacht. Saß da ne Frau an’n Tisch, und denn n Diener immer um ihr rum, die saß da ganz alleine, ging ihr genau so wie Hermine, alle ihre Freunde schon längs unter e Erde, nech, nee, bei Hermine nich ganz, da is ja noch Heinnerich, aber den kanns ja nich mehr richtich mitzähln, is ja man eingesperrt. Und hat gegessn, die Frau in’n Fernseh und getrunkn, 86
und der Diener immer mit, war bald genau so duhn, wie früher immer Heinnerich, war auf englisch. Hat Hermine aber doch das meiste verstandn, das kommt von e Besatzungszeit her, da hat sie n englischn Boyfreund hat sie da gehabt, der hieß Tommi. Eigntlich komisch, die hießn alle Tommi, besonders die, die damals abgehaun sind ohne ihre Freundin und ohne ihre Kinder, aber das is ja nu egal, erinnert sie sich noch gerne an, an ihrn Tommi, der konnte ja nu auch einiges besorgn, was ma gerne habm wolltes, Schokelade zu’n Beispiel, auch ma Kaffe und Zigarettn, die has nämlich nötich gehabt, auch wenn du nich rauchn wolltes, ja, konns mit tauschn. So war das, könnt ihr mir glaubm. Nu hat man sich denn ja auch so n büschn erkenntlich gezeicht, wenn der Tommi wieder ma mit e große Tasche voll gekomm’n is, wär sons ja vielleich auch nich wieder gekomm’n und is mit Schuld an, daß Anita neulich das Theaterstück nich geschriebm hat, aber das wollt ich ja eigntlich gar nich erzähln. Also, Hermine hat das verstandn in’n Fernseh. Und nu kommt das Fatale. Genau dasselbe hatte sie in’n letztn Jahr auch all gesehn, da muß auch all einer nich gut auf ihr aufgepaßt habm. Siehste wohl, und wenn nu n Mensch zwei Jahre nachnanner neunzich Jahre alt wird, nich älter und nich jünger, genau neunzich, denn wird der ebm nich älter und denn gibt das das ewige Lebm hier auf e Erde, und das hat sie nu in’n Fernseh gesehn, und das is nu so. 87
Das Fernsehn hat natürlich nich auf ihre Anfrage nach e Adresse von die Frau geantwortet, macht aber nix, is Hermine nu selber auf gekomm’n, wie das geht mit n ewign Lebm. Is eigntlich auch ganz einfach. Sie feiert von nu an jedes Jahr ihrn neunzichstn Geburtstach.
Das Gedächtnis Habt ihr bestimmt all mitgekricht, daß das mit e Geschichtn hier so n büschn durchnanner geht, nech. Is nich allns so genau in e richtige Reihnfolge. Geht euch aber doch bestimmt auch so, daß ein’n das nich immer gleich allns so genau zusamm’npassnd einfällt, nech, manchma krichs ja die richtige Zeit überhaupt nich mehr auf e Reihe oder geht euch das nich so? Habt ihr euch noch nie gefraacht: „Is Onkel Friedrich nu in den November gestorbm wo Karl-Ferdinand sein neues Fahrad zu Weihnachtn gekricht hat oder war das vor Meta-Marie ihrn Puppmwagn?“ Macht aber ja nix, so geht das ja jedn, nech. So is das, könnt ihr mir glaubm. Auch Hermine, is eigntlich merkwürdich, an ihrn Tommi kann sie sich noch ganz genau an erinnern, an 88
sein’n lüttn Schurrbart, und wenn sie die Augn zumacht, denn kann sie ihn auch meist noch fühln, so seine Hände auf ihrn Rückn und so. Das mit n Rückn, das hat sie mir ma erzählt, das „und so“ hab ich mir dazugedacht, wird aber wohl stimm’n, sons hätte Anita ja das Theaterstück geschriebm, aber das geht euch ja nu nix an. Was ich sagn wollte, die Sachn, die all n Moment her sind, die kanns dir merkn, aber das, was von jetz auf gleich noch wissn wills, das muß dir aufschreibm, is komisch is das. Geht Hermine genau so, nech, nimmt sie sich immer n Zettel und schreibt denn, „drei Dosn Spargel und diese Woche Herztropfm nich vergessn“, und denn vergißt sie, wo sie den Zettel hat. Ruft sie denn immer bei Erika an und erzählt ihr, daß sie ihrn Zettel nich mehr findn kann, und denn saacht Erika, der is in e Suppmschüssel in’n Stubmschrank, und denn holt Hermine den da raus, und denn fährt sie nach e Stadt hin. Das is jedn Donnerstach das selbe. Und klappt auch immer ganz gut, wenn nämlich reglmäßige Gewohnheitn has, denn brauchs nich so n gutes Gedächtnis. So is das, könnt ihr mir glaubm.
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Die Lücke Reingefalln. Oder habt ihr etwa nich gedacht, daß das hier nu um ne Lücke in Hermine ihrn Gedächtnis geht? Na also, geht das aber nich, nee, hier geht das um e Lücke in’n Gebiß, und wenn ne Lücke in’n Gebiß has, denn muß nach n Kusnklempner hin, steht Zahnarzt an e Tür, bei jüngere Kusnklempners manchma auch Dentist, is n neudeutsches Wort. Das geht hier nu auch nich um e Lücke in Hermine ihrn Gebiß, Hermine gehört ja all lange zu die Leute, die zu’n Kusnklempner für e Untersuchung gar nich mit hin müssn, die kann ihre Zähne mit e Post schickn. Hat sie neulich tatsächlich auch rausgenomm’n ihre Kauleistn und hat sie Erika mitgegebm. Sollte sie bei’n Zahnarzt ma ebm vorbeibringn mit n lüttn Brief bei, hatte sie aufgeschriebm: „Lieber Herr Dokter, guck ma bitte nach, ob die noch alle gesund sind, mit freundliche Grüße und so.“ Hat der Dokter zurückgeschriebm, ich mein, sowas gibt das ja, kommt ja ma vor, daß auch so n gebildetn Menschn so n büschn Humor hat, nech. Stand in den Brief: „Liebe Frau Hermine, Porzellan kricht kein Karies und die Goldstückn sind auch noch nich verrostet, mit freundlichn Grüßn und so weiter.“ Ach, ja, und denn war noch n PS bei, sie soll man ma ihr Zahnfleisch auch hinschickn, wegn Parodontose zu’n Nachguckn. 90
Tja, und dafür mußte sie denn ja mit. Nu is das ja in’n Wartezimmer von so n Kusnklempner lange nich so schön, wie bei’n richtign Dokter, nech, kommt gar keine richtige Stimmung auf, sitzn alle bloß rum, n paar habm ne dicke Backe, haltn sich denn auch n Mund zu mit n Taschntuch, und kein Aaß saacht was. Ich mein, was solls auch sagn, kanns sowieso bloß an n Dokter sein’n Stuhl denkn und an n Bohrer, nech, und denn gibt das nich viel, wo über schnackn kanns. Kanns höchstns ma sagn, wenn rauskomms: „Er hat überhaup nich gebohrt.“ Das is denn aber ja Werbung, oder du saachs: „Mein Weisheitszahn hat mich verlassn.“ Natürlich nur, wenn denn noch was sagn kanns. Und alle könn’n denn sehn, daß du dein’n Weisheitszahn lieb gehabt has, nech, has ja immer noch Trän’n in e Augn von’n Abschiedsschmerz. So is das, könnt ihr mir glaubm. Aber wie ich all gesaacht hab, das geht hier nich um Hermine ihr Kauwerkzeuch, sondern ich wollte euch von Katrin was erzähln. Is ja nix Weltbewegndes, aber was beweecht schon die Welt, nee, Katrin ihr einer Schneidezahn is in’n Apfel gebliebm, denn hat der Apfel n rotn Fleck gekricht, das war von Katrin ihrn Blut, und denn hat sie den Apfel wechgeschmissn mit Zahn in und Blut an. Hat sie tapfer ertragn, den Verlust, nech, tut denn ja auch nich weh, wenn so n Milchzahn fahn’nflüchtich wird, und als Hermine denn auch noch gesaacht hat, daß sie denn ja nu bald erwachsn is mit so n richtign Zahn, der da denn nu bald wächst, da konns aber ma sehn, wie 91
ne stolze Deern aussieht. Ich mein, das hebt ja auch, wenn man erwachsn wird, ganz besonders Dreijährige, die habm das da besonders eilich mit. So is das, könnt ihr mir glaubm.
Der Katalog Ich merk das all, bevor ihr mir hier nu einschlaft, muß ich wohl ma wieder n büschn Erotik in e Geschichtn bringn. So n Körper hört denn ja auch nich an’n Hals auf, also von obm aus gesehn, nech. So is das, könnt ihr mir glaubm. Gehört ja bei so n richtign Lebm auch irgndwie mit bei, die Erotik, auch auf n Dorf gibs ja zwei Sortn von Menschn, will ma sagn, also solche mit Röcke und solche mit Hosn, und den annern Unterschied kennt ihr ja wohl selber. Kommt neulich der Postbüddel, nech, das is der, der in Amtsdeutsch Zusteller heißt, aber Hermine kann kein Amtsdeutsch. Also, der Postbüddel kommt und bringt Hermine so n großn Umschlach, „paßt nich in n Briefkastn“, hat er gesaacht, und stand auch kein Absender auf. „Is n Stempel von Flensburch“, hat er dann noch 92
erzählt, „has du denn Bekannte in Flensburch?“ Hat sie nich, hat aber nix gekost’t, der Brief, und wohin soll er denn auch zurück, wenn kein Absender auf is, hat sie ihn ebm behaltn. Hat sich natürlich auch gleich überleecht, was denn nu is, wenn sie den Kram nich brauchn kann, der da in is in den Umschlach. Naja, wenn da Bilder mit bei sind, kann Katrin das ja kriegn, Bilder beguckn mach sie eigntlich immer ganz gerne, wenn sie ihre Uroma ma besuchn kommt. Und kricht sie auch immer gezeicht. Hermine hat noch so ne ganz alte Bibel mit so wunderschöne Heilige in, sitzn sie denn immer ganz feierlich auf n Sofa, die beidn, und beguckn sich die Heilign, und Hermine erzählt da denn immer die Geschichte zu, und is ja auch gut für so n Kind, muß die Deern später in’n Konfirmandnunterricht nich so doll aufpassn, wenn sie das allns all weiß. So is das, könnt ihr mir glaubm. Und denn hat sie den Umschlach aufgemacht. Stand in „Nur für Erwachsne.“ War denn ja nix, die Idee mit Katrin. Hat sie denn n büschn in rumgeblättert, konns gleich sehn, war n Katalooch, standn überall Preise an. War n ganzn Haufm Plünn’nkram bei, wo Hermine gar nich wußte, was das is, und konns auch Bücher kaufm. Bilder warn natürlich auch in’n Katalooch in, is ja immer in’n Katalooch, sons taucht der ja nix. Hier nu auch, igittigittigitt, was sahn die Deerns schön aus, konns neidisch bei werdn. Und denn kam sie an e Seitn mit e Wäsche, nee sowas, wen fällt denn nu so n unpraktischn Kram ein, 93
sehn ja ganz fein aus, die Büxn, aber laß doch ma wieder n hartn Winter komm’n, und denn? Du, da has ne Blasnentzündung, so schnell kanns gar nich guckn. Hat Hermine auch all ma gehabt, so ne Blasnentzündung, is ne lästige Sache, hat aber den Vorteil, daß jedn Tach bei’n Dokter in’n Wartezimmer sitzn kanns. Hat Hermine sich doch tatsächlich n Moment überleecht, ob sie sich nich vielleich doch so ein, zwei von die Schlüpfers, vielleich, daß sie denn noch ma wieder ne Blasnentzündung, und kanns ja auch Eindruck mit schindn, besonders, wenn erzähls, wo die her has, und denn das Gesicht von ihrn Heinnerich, wenn sie den das denn erzählt, der will das denn an’n Ende vielleich sogar noch sehn, nee, das geht nich, zeign kanns dich mit so ne Wäsche nich. Und denn hat sie sich von den Versandhaus lieber doch nix bestellt.
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Die Schwester Mit n Aufräum’n hat Hermine das nich mehr so doll, in ihrn Alter tut das nich mehr so nötich, hat sie ma gesaacht, kommt ja doch keiner zu Besuch, und denn auch für wen, nech. Also, sie is nich unorntlich, das nu nich, aber bleibt schon ma ne Zeitung liegn, oder sie kann ihre Brille nich findn, oder so. Auf n Tisch laach nu noch die Bibel von Katrin ihrn letztn Besuch her und obm auf der Katalooch. Und denn kam ihre Schwester aus e Stadt, ihr wißt ja noch, die, wo Hermine das Kleid für Erika ihre Hochzeit von gehabt hat, habm ja auch die selbe Figur, die beidn altn Dam’n. Meins, die hätte die Bibel überhaupt zur Kenntnis genomm’n? Nix, gleich den Blick nach n Katalooch, und den Blick folgn denn auch sofort die Finger, konns nix bei machn. Hermine wollte den Katalooch noch schnell wech, nech, also so n büschn versteckn oder so, aber zu spät, du, hat sie das Ding all in e Grabbel. Nu sind Stadtmenschn ja von Hause aus n büschn schenierlich, also nich direkt prüde, das wär denn doch übertriebm, würdn sons ja auch keine Nachkomm’n kriegn, nech, nee, nur so n büschn schenant, und Hermine ihre Schwester nu aber ganz besonders. Mach aber auch da an liegn, daß sie zwei Jahre jünger is als Hermine, gibt sich vielleich ja noch. Hat sie denn aufgeschlagn, nech, ich mein, so Leute aus e Stadt wissn 95
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ja, was das is, was da verkauft werdn soll, nech, gibt das ja sogar n Ladn für, steht Ehehygiene an e Tür, stand Hermine auch all ma vor. Is sie denn aber nich rein, Ehehygiene hat sie nich nötich, erstns is sie nich mehr verheiratet und zweistns wäscht sie sich ja alle Woche, und das langt an Hygiene, und außerdem geht das die Leute da in den Ladn auch gar nix an, wieviel und wo man sich auf n Dorf wäscht, nech, und die solln sich da in e Stadt man bloß nich so viel auf ihre Hygiene auf einbildn, kommt schließlich auch bloß Wasser aus e Leitung, und die Seife kauft sie in genau den selbm Selbsbedienungsladn wie die Leute aus e Stadt. Hermine ihre Schwester is nu immer abwechselnd rot und weiß gewordn in’n Gesicht. Ach ja, wo wir immer noch bei e Erotik sind, in’n Gesicht konns das sehn, ob sons noch irgndwo, weiß ich nich, hatte ja n Kleid an, die Frau. Den Katalooch hatte sie auch wieder hingeleecht, aber nich wieder auf e Bibel, gehört er ja wohl auch nich hin. So is das, könnt ihr mir glaubm. „Solls dich was schäm’n“, hat sie zu Hermine gesaacht, „in dein’n Alter noch so n Katalooch, igittigitt!“ „Versteh ich nich“, hat Hermine gesaacht, „Steht doch extra auf: Nur für Erwachsne. Soll ich dir vielleich mein’n Ausweis zeign?“ Und nu wollte sie ihre Schwester auch noch n büschn ärgern, macht sie gerne ma, und denn schwindelt sie das Blaue von’n Himmel runter, daß sich die Balkn biegn. „Hab ich mir n paar Sachn von bestellt, guck ma, das 97
hier, und das, und das da auch“, und denn zeicht sie auf was, wo sie gar nich weiß, was das eigntlich is, guckt ma kurz ihre Schwester in e Augn, nee, is noch nich in Ohnmacht, denn man weiter: „Und das da, guck ma, diese schicke Büx hier und das kurze Hemd, das kommt auch mit“, immer noch keine Ohnmacht, also denn: „Das solls du zu Weihnachtn kriegn, deine Größe stimmt doch noch?“ Und denn hat sie Erika angerufm, weil sie die arme Frau nich wieder wach kriegn konnte.
Das Geschenk Erika is denn auch gekomm’n, weiß ich auch nich, wie sie das geschafft hat, aber sie hat den Besuch heil in n Bus gekricht, denn is sie wieder rein zu Hermine und hat meist n büschn geschimpft mit ihr, daß man das nich macht, sowas, kann man doch so ne alte Frau nich so ärgern und was sie sich dabei gedacht hat und so. Schimpfm kann Hermine ja nu auch, hat sie gefraacht, ob sie alt is. „Nee, natürlich nich.“ Auf die Frage war Erika nich gefaßt. Und nu konnte Hermine lücknlos nachweisn, daß ihre Schwester keine alte Frau is, is nämlich 98
zwei Jahre jünger, und was sie mit ihre kleine Schwester anstellt, das geht Erika nu aber wirklich nix an. Denn habm die beidn ne halbe Stunde gestrittn, denn war Hermine n klein’n Moment beleidicht, denn hat die Schwester aus e Stadt angerufm, daß sie gut angekomm’n is, und denn habm Hermine und Erika sich könichlich amüsiert über die Geschichte. Und habm auch noch über n Katalooch geschnackt, Erika weiß da ganz gut Bescheid über, solls dich wundern, und denn hat sie Hermine auch n paar Sachn erklärt, auch was man damit macht und so, und denn wußte Hermine auch, warum ihre Schwester in Ohnmacht gefalln is, und denn habm die beidn auch noch ne ganz dicke Lüge entdeckt in den Katalooch, da steht nämlich: Zur Anregung und Bereicherung ihrer Zweisamkeit oder so ähnlich und tatsächlich brauchn das die meistn zu’n bessern Ertragn von e Einsamkeit. Saacht jednfalls Erika, nech, Erika braucht das nich, saacht sie, und ihrn Mann verbietet sie sowas, so einfach is das, und, saacht sie, wenn so n Katalooch mit e Post kommt, kanns ja nix bei machn, der kommt ja von ganz alleine, und sie hat auch ein’n gekricht, von den selbm Versandhaus, zeicht sie ihrn Mann aber nich, kommt er bloß auf schlechte Gedankn, hat er auch all bereits genuch von, von e schlechtn Gedankn, und das kommt von’n neu’n Telefon. „Von’n Telefon?“ „Naja, muß nich, kann aber“, saacht Erika, „kanns dich noch erinnern? Mußte doch dein Name zweima in n 99
Antrach für dein Telefon, einma is für e Telekom.“ Kanns ma sehn, Hermine wollte das gleich nich mit zweima den Nam’n in n Antrach, denn is ja Anita Schuld, die hat ja da den Nam’n zweima hingeschriebm damals, denn soll die auch den Katalooch kriegn. Tja, und denn hat Erika ihre Oma erklärt, wie das geht mit n Verkaufm von e Adressn, und daß das die Telekom macht und Versandhäuser, Bankn und Sparkassn, und alle, die überhaupt Adressn habm, Versicherungn auch, und so, und warum die das machn und daß die da Geld für kriegn, und daß das deswegn auch Preisrätsel gibt. Die gibs nämlich ja auch bloß zu’n Adressn sammeln und verkaufm So is das, könnt ihr mir glaubm. Bis auf das mit e Preisrätsel hat Hermine das denn auch begriffm, und daß Anita unschuldich is, auch, denn klingelt das, und Anita steht vor e Tür. Ganz unschuldich. Anita saacht denn auch, ob sie nu unschuldich is oder nich, das geht bloß ihr was an und ihrn Freund, aber für n Katalooch, da kann sie was, hat sie nämlich bestellt, wollte ma guckn, was Hermine zu sowas saacht, sie schreibt nämlich nu doch n Theaterstück und muß da Reaktion’n testn. Is Hermine ganz neugierich gewordn, und Erika wollte wissn wozu sie denn auch ein’n gekricht hat. Für den von Erika konnte Anita aber nix, muß doch das Einwohnermeldeamt von wegn die Hochzeit gewesn sein, is ja auch ganz nett eigntlich, wenn so n Beamtn die jungn Brautleutn ne Freude machn will. 100
Und geht auch ganz einfach, saacht Anita, muß bloß n Zettel aus e Zeitung ausschneidn und ne Adresse rauf und hinschickn, muß ja nich die eigne Adresse sein, nech. Und nu wußte Hermine aber Bescheid, konnte das gar nich abwartn, bis sie alleine war, du, is ja sons nich ihre Art, daß sie sich freut, wenn die Leute wechgehn, aber heute. Sie denn gleich die Zeitung und ne Schere, und hatte in ihrn Alter noch ne Menge Ähnlichkeit mit Katrin, wenn die ihre Mamma den Wunschzettel für n Weihnachtsmann diktiert, Hermine mach gerne was verschenkn. Ne Woche später kam der Postbote mit n großn Umschlach in n Altersheim zu Heinnerich.
Das Loch Kennt ihr ja alle noch, diesn Wettkampf „unser Dorf soll schöner werdn“, nech, habm sie ja alle mitgespielt, und brauchs denn ja auch n schön’n Platz und so, und jeder hat vor sein’n Hof denn auch das Gras gemäht oder den Weech geharkt, und denn n paar Blum’n für e Farbe an e Straße, war richtich schön alles, und als das denn auch fertich war mit n schön’n Dorf, denn hättn sie die buntn 101
Blum’n gar nich mehr nötich gehabt, gab denn schöne bunte Plastiktütn für n Müll zu’n Sortiern, liegn nu an e Straße rum und wartn, daß sie abgeholt werdn. So is das, könnt ihr mir glaubm. Und auf n Dorfplatz steht ne grüne Tonne. Ich mein, is ja dummes Zeuch, die grüne Tonne auf n Dorf, kommt auch nix rein, habm ja alle selber n Komposthümpel, nech, aber muß da stehn, is ne Verordnung is das. Und ne Bank. Kennt ihr ja, so n Dorfplatz, nech, is bei’n Rathaus, und wenn das das nich gibt, denn ebm bei e Kirche oder bei’n Feuerwehrschuppm oder bei e Kneipe, steht ja sowieso allns beinander, Kirche und Kneipe genau gegnüber, nech. Muß ja auch, kanns ja die Geister nich so weit ausnander stelln, den Weingeist und den heilign Geist. Wenn die Kirche aus is und das reechnet, denn wills ja nich unbedingt naß werdn auf n Weech zu’n Frühschoppm. Has ma da über nachgedacht, warum das immer so is, Kirche und Kneipe an’n selbm Platz? Nee? Is ganz einfach, guck ma, wenn die Kirche an’n ein’n Ende von’n Dorf is und die Kneipe an’n annern Ende, denn gehn die Leute entweder in e Kirche oder in e Kneipe, is nich gut für n Paster und auch nich für n Wirt, so aber ers in e Kirche und denn in e Gaststube, habm denn ja alle was von. Und darum is die Kirche auch immer so früh, nech, ja, guck ma, sons gehs ja ers in e Kneipe und denn in e Kirche, für n Wirt wär das ja egal, aber für n Paster nich, und darum macht der das so früh. So is das, könnt ihr mir glaubm. 102
Vielleich will er aber ja auch selbs noch, und so nach ein, zwei Bier muß ja bei’n Predign doch aufpassn, daß „Amen“ saachs und nich „Prost“. Und diese Bank, die steht nu unter eine Linde, komms dir vor wie in Berlin, da kanns auch unter Lindn, nech, doch bestimmt, gibs ja sogar Lieder über. Über unsre Linde in’n Dorf gibt das noch kein Lied. Kommt wohl davon, daß eine Linde doch n büschn wenich is für n ganzes Lied. Die Kneipe heißt denn ja auch richtich „Zur Linde“, wie sich das für so ne Dorfkneipe gehört, wo ne Linde vorsteht, und is ja auch originell der Name, ich mein, komms ja von alleine gar nich so leicht auf, so ne Kneipe nach n Baum vor e Tür zu benenn’n, is doch ganz fantasievoll, sowas, und vor alln Dingn hat die Linde, ich mein nu den Baum, die hat ja Glück, daß sie so n kurzn Nam’n hat, würde sons ja kein Wirt seine Kneipe nach benenn’n, oder has schon ma ne Kneipe gesehn, die „Zur Roßkastanie“ heißt? Oder Eberesche, „Zur Eberesche“ hab ich auch noch nich gehört, „Zur Eiche“ gibs nu wieder, „Zur Birke“ nich, klingt ja auch n büschn nach Haarwasser, is nich gut für n Bierumsatz. Und diese Bank nu unter e Linde vor e Kneipe gegnüber von e Kirche, die hat n Loch. Nu is diese Bank aus Plastik. Naja, muß ja irgndwo hin mit den ganzn Plastik, nech, das hat die Regierung ja nu auch davon, lassn den ganzn Kram einsammeln mit die gelbm Säcke und wundern sich, daß sie das Plasik auch kriegn, und nu wissn sie 103
nich, wohin damit. Habm sie Parkbänke von gemacht. Ich mein, Parkbänke kanns ja ne ganze Menge brauchn, aber is doch irgndwann vorbei, sei doch ma ehrlich, wenn das davon denn zu viele gibt, has ja bei’n Sitzn in’n Park gar keine orntlich Beinfreiheit mehr, kanns ja gleich in n Kino gehn, da is das auch immer zu eng. So is das, könnt ihr mir glaubm. Ich weiß auch nich, wo das Loch in e Bank hergekomm’n is, nech, ich mein, sieht ja eigntlich ganz echt aus, die Bank, wie richtiges Holz, aber daß da n Specht auf reingefalln is, ich weiß nich, Spechte könn’n das doch riechn ob das nu Holz is oder Plastik, Menschn nich, die konntn bloß die Müllkippm nich mehr riechn und darum kommt das Plastik da ja nu auch nich mehr hin. Mach auch angehn daß da so n Randalierer aus e Stadt, nech, mit e Bohrmaschine, und is also von obm in das Sitzbrett, aber nich ganz durch, und nach n Regn stand da Wasser in, in’n Loch. Hat sich Hermine raufgesetzt, mittn rauf mit den Körperteil, wo man von obm her all nich mehr Rückn zu saacht. Nu fließt ja Wasser bei Berührung mit n Stoff von Hermine ihrn Kleid doch nach obm, die Physikers unter euch wissn bestimmt auch warum, aber das intressiert hier kein’n, und hat das denn n ganz schön großn nassn Fleck an e Stelle gegebm, wo das besonders peinlich aussieht. Erika hat das Mallör aus n Küchnfenster gesehn, is auch nich das erste ma passiert. Is sie denn schnell mit n Mantel runter, auf daß sie Hermine bedecke, muß man ma n büschn feierlicher erzähln, is ja direkt vor e Kirche. Das 104
mit n Mantel, das tat nötich, bei’n letztn Mal hat Hermine nämlich einfach ihr Kleid ausgezogn, daß man den Fleck nich mehr sehn kann, wollte Erika nich noch ma, kanns ja auch verstehn, komms ja ins Gerede mit sowas, auch wenn das man bloß die Oma is, bleibt ja doch immer n büschn was hängn an e Familjenehre. So is das, könnt ihr mir glaubm. Tja, und denn hat Hermine die Nase voll gehabt, wußte ja auch von’n Fernsehn, wie das geht, und is nach n Bürgermeister hin, hat ihn n paar Plastikbecher gegebm und gesaacht: „So, Bürgermeister, das mit den Loch, das hat nu n Ende, hier has du mein’n wertvolln Rohstoff, und den kanns du nu einschmelzn und damit die Bank repariern, aber n büschn dalli.“
Das Museum „Wokein het denn den’n Bürgermeister in n Kopp schetn?“ Das war nu ebm so richtich platt, nech, das kann ich hier auch nich übersetzn, die Frage, die hört sich auf hochdeutsch so n büschn unanständich an, in’n Dialekt nich. So is das, könnt ihr mir glaubm. 105
Nee, so n ordinärn Satz, das geht hier nich, muß ja mit rechnen, daß ihr nich alle Dokters seid, wo das mit so n ordinärn Satz gehn würde, aber heißt ungefähr so viel wie: „Wer hat denn den Bürgermeister diesn Floh in n Ohr gesetzt?“ Und wer hat die Frage gestellt? Dreima darfs ratn. Richtich, Hermine. Und stimmt ja auch, hat er vorgeschlagn, n Museumsdorf aus unsern Dorf zu machn. Muß dir ma vorstelln: N Museumsdorf. Ich mein, als wenn man nu anners keine Sorgn hat. N Museumsdorf! Hat Hermine ihn denn ja auch gesaacht, „Bürgermeister“, hat sie gesaacht, „das geht gar nich so einfach, as du dir das denks, du kanns doch die vieln fremdn Leute hier nich einfach so in n Dorf lassn, mit zwei kaputte Birn’n in e Straßnlatern’n.“ Wollt er den auch repariern lassn, sieht er ein, saacht er. Ich mein, ich weiß ja nu auch nich, wer ihn das vorgeschnackt hat, das mit n Museumsdorf, aber is er denn durch n Dorf gelatscht, und hat sich das ma angeguckt, ob das denn auch wie n Museum aussieht, hat er denn auch Ortsbesichtigung genannt, sein’n Spaziergang, mit den Nam’n is das dienstlich und kann er auf e Spesnrechnung aufschreibm. So is das, könnt ihr mir glaubm Hat er denn auch mit Kreide n Kreuz an die Latern’npfähle gemalt, wo obm die kaputtn Birn’n in sind, denn müssn die Elektrikers die nich mehr extra suchn. Daß das die nächste Nacht gereechnet hat, kann er ja nix für, gutn Willn hat er nu immerhin gezeicht. 106
Ich mein, Zeit wurde das denn ja auch, warn ja doch nu schon bald zwei Jahre, daß die Birn’n kaputt warn, nech, kam damals von diesn fürchterlichn Gewitter, und bums war der Strom wech, kam ja öfter ma vor, aber als er diesma wiederkam, da gingn die zwei Birn’n nich wieder an. Mach Hermine sich gar nich gerne an erinnern, an die Nacht mit n Gewitter, hat sie auch immer Angst, wenn das so blitzt und donnert, nech, und bei den Gewitter hat das ja auch eingeschlagn in n Kirchturm, is ja gar nich so weit wech, ich mein die Kirche steht ganz schön dicht bei, und denn is Blitz und Donner ja ein und dasselbe, nech, kanns in e Zeit nich unterscheidn, und ne Kerze hat sie auch angemacht, macht sie immer bei Gewitter, könnte ja ma sein, daß der Strom wechgeht und denn stehs in’n Dunkeln. Das is in’n übertragnen Sinn, nech, Hermine liecht nämlich bei Gewitter immer in’n Bett mit e Decke über e Ohrn, daß sie nix hört, auch wenn das ma an’n Tach is. So is das, könnt ihr mir glaubm. Aber da geht das hier jetz gar nich um, mach Hermine auch nich gerne über schnackn, is ihr n büschn peinlich, die Angst vor n Gewitter, nee, hier geht das um n Bürgermeister auf e Straße, ich mein, passiert ja auch nich jedn Tach, daß n Bürgermeister auf e Straße zu sehn krichs bei seine Amtsgeschäfte, is viel seltner als so n Gewitter, und denn stehn sie ja auch alle an’n Fenster, nech, ich mein, bis ja nich neugierich, wills ebm bloß allns zu sehn kriegn, besonders wie so ne Amtsperson so arbeitet. Also, 107
wenn der genau so schnell denkn kann wie er läuft, denn dauert das noch n büschn mit n Museum. Nee, das is nu nich an’n offnen Fenster, das is so heimlich hinter e Gardin’n, soll ja nich gleich jeder sehn, daß du das sehn wills, hinter jedn Fenster in’n Dorf, nech, kanns an’n Wackeln von e Gardin’n kanns das an sehn, und darum wissn auch immer alle Bescheid, is auch gut so. In unsern Dorf gibt das nämlich kein Amtsblatt, und so n Glaskastn für diese öffntlichn Bekanntmachungn gibt das auch nich, bloß an e Kirche hängt so n Ding für n Gottesdienst, wann der is und wer Taufe habm soll und so, is bei Erika ja nu auch bald wieder so weit, nächste Woche is Termin, weiß Hermine in’n Augnblick auch gar nich, was nu aufregnder is, ihrn neu’n Urenkel oder die Idee von’n Bürgermeister. Is ja aber auch immer dasselbe: Monatelang passiert nix, nech, aber auch rein gar nix, ich mein, das is für so n altn Menschn schon ne Belastung, wenn nix passiert, und nu gleich allns auf einma, kommt ja noch dazu, daß Hermine die nächstn Tage neunzich wird, zu’n drittn Ma glaub ich, und muß ja denn auch n büschn was Besondres sein, is ja immerhin n rundn Geburtstach, ich mein, neunzich hat ja ne Null hintn, nech. Freut sie sich auch all auf, und mach angehn, daß Heinnerich für den Tach frei kricht in sein’n Altersheim. Vielleich will sie ihn abmds denn noch Spargel vorsetzn, damit ihn der Abschied leichter fällt, wißt ihr ja, nech, bevor Heinnerich Spargel ißt, geht er lieber wieder in n 108
Altersheim, und soll er ja auch immer tun was ihn lieber is, anners kanns ja nich glücklich werdn, nech. Hermine hat nu ma ebm ihre eigne Art, annern Leutn ne Freude zu machn, muß dich manchma ers an gewöhn’n. Der Bürgermeister hat denn das mit n Museumsdorf auch beschlossn, hat er gesaacht, komm’n viele Leute und nimmt er Eintritt für n Dorf, nech, nur nich von e Einwohner, hat er gesaacht, die dürfm umsons rein. Kanns ja auch nich jedn Donnerstach, wenn von’n Einkaufm komms, ers ma an e Kasse. Denn hättn sie den Bürgermeister auch nich wiedergewählt, das is aber gewiß, du. So is das, könnt ihr mir glaubm. Hat er denn noch gesaacht, kommt Geld in e Gemeindekasse, für zu’n Modernisiern von’n Dorf, und nu is Hermine aber ma gespannt, wie so n modernisiertes Museumsdorf denn wohl aussehn soll.
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Der Kandidat „Anita“, hat Hermine gesaacht, Anita war ma wieder zu Besuch da, kommt auch öfters ma rüber und fraacht, ob das was zu’n Helfm gibt und so, is ebm ne nette lütte Deern, die Anita, darf denn auch ma helfm, bloß bei’n Einkaufm nich, den Spaß läßt sich Hermine an ihrn Donnerstach ja nu nich nehm’n. „Anita“, saacht sie also, „wills nich heiratn?“ Is das denn n Moment still, ich mein, auf so ne Frage solls ja auch was wissn, wenn nich damit rechnes, nech. Hatte Anita ja bislang auch noch gar nich an gedacht an sowas, jednfalls nich offiziell, und nu fraacht Hermine so batz danach. Verstehn kanns die Frage ja, Anita is nu denn ja doch in den Alter, wo man da all ma an denkn kann, und von’n Aussehn her darfs sie eigntlich auch nich alleine in e Stadt lassn. Nee wirklich, hat sich ganz fein rausgemacht, die Anita, is für n Wettkampf „Unser Dorf soll schöner werdn“ ne echte Bereicherung gewesn und mußte auch mit, als die Prüfungskommission da war, hatte der Bürgermeister für gesorcht, und denn hat er gesaacht, soll sie sich ne ganz enge Büx anziehn und ihrn engn Pullover, nech, und hat Anita auch gleich Bescheid gewußt und hat sie denn geantwortet, sie weiß all, das is der aus Kamelhaar, wo die Höcker sehn kanns. Und hat auch fein geklappt. Ich mein, mit so n süßn Käfer kanns schon ma n Loch 111
in e Parkbank überdeckn, nech, aber da geht das jetz nich um. „Is mir eigntlich noch n büschn zu früh“, hat Anita gesaacht. Ich mein, sie hat denn ja n Freund, nech, ohne geht das in den Alter ja nich, so n Freund tut not, ob den nu leidn kanns oder nich, kommt das auf n Dorf nich so auf an, brauchs ihn denn ebm bloß zu’n Vorzeign. So is das, könnt ihr mir glaubm. Ja, das Lebm auf n Dorf is für so ne junge Deern nich so einfach, muß dir ma überlegn, wenn n Freund has, und das sieht auch nur so n lütt büschn nach Heimlichkeit aus, du, denn bis du aber sofort das Gesprächsthema Nummer eins in’n Wartezimmer von’n Dokter. Und wenn du nu gar kein’n has, denn ers recht, denn geht nämlich wieder das Spekuliern los: „Warum hat die kein’n?“ „Mach die Jungs nich leidn?“ „So wie die aussieht, könnte die doch an jedn Finger zehn Stück.“ „Die is doch wohl nich etwa, igittigitt.“ „Sie trächt die Haare ja auch wirklich n büschn kurz.“ „Is wohl besser, wenn ich meine Tochter den Umgang mit die Deern verbiete.“ Na, ihr wißt ja Bescheid, nech. Has also n platonischn Freund nötich, also offiziell jednfalls muß er platonisch sein. Und denn wollte Anita ja nu wissn, wie Hermine auf diese Frage gekomm’n is und hat Hermine ihr auch was zu erzählt, nech, daß sie sich noch gut an erinnern kann, 112
an ihre eigne Jugend und daß das ja auch ne Menge Spaß gemacht hat, was da allns bei’n Heiratn so mit zugehört, und kann sie ja auch Erika ma fragn, is das ja auch noch nich so lange her, und soll sie sich aber nich als Beispiel nehm’n, macht nämlich mehr Spaß, wenn man nich just schwanger is, oder höchstns bloß n büschn. Bloß die Wahrheit, die hat sie Anita nich erzählt, daß sie nämlich so gerne zu ne Hochzeit hingeht in e Kirche, und in e eigne Verwandtschaft liecht ja nu in’n Augenblick nix an, nech, die nächste is Katrin, aber die is ers drei, freut Hermine sich aber trotzdem all auf. Nee, sie möchte ma wieder so ne richtich schöne Höchzeit erlebm, so mit n Paster in e Kirche, wo sie denn wieder ma ne halbe Stunde so richtich schön wein’n kann, das fehlt ihr nämlich. „Und wen soll ich denn überhaupt heiratn?“ War da nu ebm n büschn Trotz in Anita ihre Stimme oder denkt sie da nu wirklich so n lütt büschn über nach, jednfalls war die Frage genau die verkehrte, war nämlich so n richtiges Stichwort für Hermine. „Das is doch gar kein Problem“, hat sie gesaacht und grabbelt ganz aufgereecht in so ne Zeitung auf n Tisch rum, „muß man bloß dein’n Freund wechjagn, und denn has die freie Auswahl.“ So is das, könnt ihr mir glaubm. Zu diese Zeitung muß ich euch noch ebm ma was erzähln, die kommt nu ganz neu auf n Dorf, in e Stadt gibs die all länger, kommt jede Woche und kost’t nix, ja, das is so n Werbeblatt, nee, kanns eigntlich nich sagn, is 113
mehr so Reklame in, und steht auch Werbegemeinschaft von e Stadt auf und so, na, is ja auch egal, hat Hermine die Seite nu gefundn. „Guck“, saacht sie, „hier steht das, Brautkleid Größe 38, kanns kaufm, mein Deern, müßte eigntlich passn. Das von Erika geht ja nich mehr, hab ich doch n Taufkleid von gemacht, macht aber ja nix, hätte dir untn rum sowieso nich gepaßt, Aber das Taufkleid, das kanns dir denn ma leihn, wenn das nötich tut, und hier, guck ma, hier kanns n Kinderwagn, is bestimmt auch nich so teuer, steht ja bei, n gebrauchtn, und da, das is bestimmt was für dich: Junger, gutaussehnder Mann, sexundzwanzich Jahre mit Auto, kanns auch kaufm, is hier in’n Angebot, du.“ Hermine war in e privatn Kleinanzeign zugange, hat sie aber gar nich so gemerkt, kam ihr vor wie so n Katalog, aber man bloß schwarz-weiß. Hat Anita denn ja auch sofort mitgekricht, daß Hermine auf n verkehrtn Dampfer, nech, hat aber mitgespielt, bei sowas kanns nämlich auf gute Gedankn für n Theaterstück komm’n, und da is sie immer noch an’n Schreibm für. „Sexundzwanzich is aber doch all bannich alt“, also bannich noch ma ebm für die, die n Nordn nich für ihre Heimat ansehn, bannich heißt hier so viel wie ganz fürchterlich viel. Ihr merkt aber schon, Anita spielt das Spiel n büschn mit, so dies Aussuchn von’n Kandidatn. „Also aus meine Sicht“, hat Hermine gesaacht, „is sexundzwanzich noch nich unbedingt zu alt. Hab ich aber ja nix über zu bestimm’n, soll ja für dich sein, guck 114
ma, den hier, ers zweiundzwanzich.“ Und denn habm sie zusamm’n geguckt, was über den in’n Katalooch in stand, hat kein Haus, aber viel Platz in sein’n Herzn, is n einfachn Menschn mit e einfache Lebmseinstellung, der viel Zeit hat für ne liebe, hübsche, treue, anschmiechsame, zärtliche und was weiß ich noch allns, Lebmsgefährtin. War Hermine ganz begeistert von, und traf ja auch allns zu auf Anita, was der sich so wünscht, nech. So is das, könnt ihr mir glaubm. Denn hat Anita das aber ma übersetzt, ich mein, war ja allns auf deutsch, nech, aber kanns trotzdem ja nich so genau verstehn, aber Anita hat Hermine das denn klar gemacht, viel Zeit, hat sie gesaacht, das bedeut’t, daß er nix arbeitet, kein Haus, also schläft er unter e Brücke in e Stadt und die einfache Lebmseinstellung heißt, das büschn, das ich essn soll, das kann ich auch trinkn, und so ein’n wollte sie nich. „Nee“, hat sie gesaacht und Hermine immer noch so n büschn auf n Arm genomm’n, „n Kleid von e Stange is die eine Sache, aber n Ehemann von e Stange kommt nich in e Tüte.“ Hat Hermine denn auch eingesehn, nech, ich mein, so wie die Anita aussieht, und so wie die gebaut is, da muß denn wohl doch lieber ne Sonderanfertigung her, nützt ja nix, wollte sich Anita denn auch um kümmern, hat sie gesaacht. „Ich geh denn Freitach ma wieder nach e Disco hin und guck ma zu, ob mich da einer anbaggert.“ Und denn hat sie leuchtnde Augn gekricht, also sowas von leuchtnde 115
Augn kanns dir gar nich vorstelln, und Hermine hat das natürlich gesehn und wußte ja nich warum, nech Und weil Hermine ja nu so ganz und gar unwissnd geguckt hat, konns richtich die Fragezeichn in ihrn Blick sehn, hat Anita ihr denn gesaacht, daß Disco sowas wie n Tanzlokal is, bloß lauter, und denn is sie wech. Und denn hat Hermine ihrn Mund verzogn, so n büschn in Richtung „wehmütiges Lächeln“ und so n büschn in Richtung „wissndes Grinsn“. Sie weiß ja nu auch, daß man Tanzn in’n Allgemein’n nich alleine macht. Aber denn wollte Anita angebaggert werdn, hatte sie ja gesaacht, nech, und genau bei den Wort, da kam’n ja auch die Blitze aus ihre Augn raus. Was is das bloß, also, wenn sich da so ne junge Deern so doll auf freun kann, denn muß da doch was hinter steckn, sowas is denn nich bloß n Vaniljeeis mit Sahne, du, nee nee, da is mindestns n Eierlikör bei, also auch ma wieder so übertragn gesaacht, nech, und Hermine denn auch nach n Schrank hin, wo das Lexikon in steht, weiß du, is all n büschn älter, is n Haknkreuz auf, aber sons is das noch gut erhaltn, und solange das nich ausnanner fällt, braucht man ja auch kein neues. Steht nich in, das Wort, so n Schiet. Wie kanns das nu rauskriegn, ich mein, kanns ja nich so einfach jetz auf e Straße und denn den erstbestn fragn, ob er dich nich ma ebm anbaggern will, weiß ja auch gar nich, was denn passiern kann, Erika fragn mochte Hermine auch nich, stell dir ma vor, das is so n ganz 116
schlimmes Wort, und denn kricht Katrin das vielleich auch noch zu hörn und erzählt das bei’n Spieln in e Sandkiste, was solln denn da die Eltern von e annern Kinder denkn, und ihrn Herrmann brauch sie gar nich ers fragn, der is für sowas bestimmt zu alt, ganz egal, was das is, der is für allns zu alt. Hilft nix, muß sie wartn bis sie ma wieder bei ihrn Heinnerich is in’n Altersheim, denn will sie sagn: „Lieber Heinnerich, bagger mich ma an.“ Tja, und denn Augn zu und hoffm, daß Heinnerich weiß, was er zu tun hat.
Die Straßenbeleuchtung Und denn is das passiert, is noch gar nich ma so lange her, da habm sie die Birn’n in e Straßnlatern’n ausgewexelt, und denn is das dunkel gewordn und denn ging das Licht an, und kanns ma sehn, wie das is, wenn so ne Amtsperson, wie so n Bürgermeister ja nu ma eine is, wenn die der Ehrgeiz zu fassn kricht, habm alle gebrannt. Damit sollte diese Geschichte ja nu eigntlich zu Ende sein, is sie aber nich, geht ja nu ers richtich los, die Straßnlampm sind nich mehr da. 117
Drei Abmde habm die neu’n Birn’n in e Lampm gesessn und habm da gebrannt, und denn wech. Is doch Verschwendung sowas, war zwei Jahre lang duster, kam das doch auf drei Tage auch nich mehr auf an. Ich mein, nu sind zwei Birn’n ja nich so teuer, nech, hätte sogar Hermine von ihre lütte Rente bezahln könn’n, aber stellt euch doch ma vor, daß jeder Bürgermeister zwei Birn’n für nix kauft, denn geht das doch schon an e Steuergroschn, Freunde, denn muß man langsam anfangn mit n Aufpassn. So is das, könnt ihr mir glaubm. Hermine war da auch gewaltich sauer über, hat sie gesaacht: „Bürgermeister, sowas darfs aber nich wieder machn, drei Mark zu’n Schornstein raus, weiß du überhaupt, was man mit drei Mark allns machn kann?“ Nu komm’n so lütte Zahln bei’n Bürgermeister wohl nich vor, und wenn n Museumsdorf einrichtn wills, denn komms ja mit drei Mark auch nich weit, hat ihn Hermine aufgeklärt über: „Drei Mark hab ich in Nähseide interveniert.“ „Investiert“, hat der Bürgermeister gesaacht. Hat Hermine n büschn böse geguckt. „Du solls nich dazwischnquatschn, Bürgermeister“, hat sie gesaacht, ich mein, sie hatte ja eigntlich ne ganz ordntliche Erziehung, aber diese drei Mark habm ihr ja ma wieder die doppelte Portion Herztropfm gekost’t, und denn kann sie nu ebm sauer werdn, und denn vergreift sie sich wohl auch ma in’n Ton. „Und mit diese Nähseide bin ich längsgekomm’n für 118
Katrin ihr Taufkleid, kanns ma sehn, was sparn kanns, wenn aufpassn tus.“ Also, wenn einer mit was längskommt, denn reicht ihn das, nech, also hier in’n positivm Sinn, er hat genuch davon, so n Schiet, kanns auch verkehrt verstehn. Na gut, is ebm hier so n Beispiel, wo einfach mit n Vokabular von e hochdeutsche Sprache nich längskomms, aber ich glaub, ihr habt verstandn, was ich sagn wollte. Und nu kommt der Hammer, komm’n Gaslatern’n hin. Nee, das war noch nich der Hammer, der Hammer war, daß der Bürgermeister Hermine zu’n erstn Ma in sein’n Lebm sprachlos gesehn hat.
Die Gaslaterne Also das will ich euch sagn, Mensch, wenn sich unsern Bürgermeister was in n Kopp gesetzt hat, denn krichs du das da auch nich wieder raus, und der Amtsschimmel denn, nech, also normalerweise geht der ja noch nich ma Trab, aber was unser Bürgermeister is, der macht denn aus den den Galopper des Jahres. Die Gaslatern’n sind da, ich mein, muß ja auch, wenn das n ordntliches Museumsdorf werdn soll, nech, so n 119
büschn wie um e Jahundertwende. Sehn auch ganz hübsch aus. Ob die nu zu’n Stil von e Jahrhundertwende passn, weiß ich auch nich. Der Bürgermeister auch nich, hat er Hermine gefraacht, hat aber nix genützt. Hat sie ihn erzählt, daß das in ihre Jugnd noch gar kein Licht an e Straße gegebm hat, und sie kann ja nu auch nich ahn’n wie die ausgesehn hättn, wenn das die damals all gegebm hätte. Komisch, da hat der Bürgermeister ganz zufriedn geguckt. War er auch ganz zufriedn, hat er ma erzählt. Wenn das Hermine nich weiß, wie die Lampm aussehn müssn, denn wissn das die Gäste aus e Stadt auch nich, und denn machs n Schild an, wo „Gaslaterne“ auf steht, ausgehndes neunzehntes Jahrhundert. Und wenn das denn ers auf so n Schild steht, denn wird das ja wohl auch stimm’n. So is das, könnt ihr mir glaubm. Nu steht so n Ding auch genau vor Hermine ihrn Haus, und genau da is auch das Schild an, is ja auch der beste Platz für, wenn nämlich so n betagtn Menschn wie Hermine vor’n Haus auf e Bank sitzt, und genau danebm denn das Schild, nech, das is denn ganz vertraunswürdich. Da soll denn Hermine ihr Alter die selbe Wirkung auf e Gäste habm wie Anita ihr Kamelhaarpullover auf e Prüfungskommission. Und Angst muß sie da auch nich habm, kann ja nix passiern. So is das, könnt ihr mir glaubm. Ihr müßt das ma so sehn, so ne Lampe is ja nu so ungefähr drei bis vier Meter hoch, nech, klettert bestimmt 120
keiner an hoch und guckt nach, und darum is das mit n Gas auch gar nich echt, is elektrisch, sieht aber aus wie Gas. Ging ja auch nich anners, Gasleitung zu’n Dorf gibt das keine, und Strom liecht sowieso an e Straße längs. Abgesehn davon kann Strom nich explodiern. Fand Hermine gar nich gut, kanns doch die Gäste nich so verscheißern, was geschriebm steht, das soll auch stimm’n, auch denn, wenn das man bloß auf n Bürgermeister sein Schild is. Zu’n Schluß ging das denn aber doch klar. War der Paster Schuld an, hat er gesaacht, so ne lütte Schwindelei würde der liebe Gott denn ja bestimmt verzeihn, und warum soll auch Gas in e Gaslaterne sein? Wenn Hermine ma ne Sandtorte backt, denn geht sie ja auch nich bei Katrin ihre Sandkiste bei.
Die Polizei Ich weiß nich, ob ihr euch alle in so n Haus auf n Dorf auskennt, is aber ja auch egal, ich erzähl das ma ebm. Komms rein ers ma auf e Diele, geht das gleich rechts ab in e Stube, wird aber bloß gebraucht wenn Gäste da sind oder bei besondre Anlässe, nächste Tür is so n Hilfsraum, 121
kanns als Arbeitszimmer nehm’n oder sowas, denn kommt das Klo, denn die Kammer, denn ne Glastür nach n Hof, das kann aber auch umgekehrt sein. Ach so, ja, Kammer, so heißt die Schlafstube. Ja, und wenn reinkomms links is die Küche, das is aber nich so ne Küche wie in e Stadtwohnung, wo ers ma n Schrank zumachn muß, bevor dich in umdrehn kanns, nee, die Küche is meist zweima so groß wie die Stube und is auch n Tisch in und Stühle und wird in gewohnt. So is das, könnt ihr mir glaubm. So, und wenn ihr nu aufgepaßt habt, denn wißt ihr nu auch, daß von e Küche bis nach e Kammer der weiteste Weech is, brauch Hermine von’n Aufstehn aus n Stuhl bis zu’n Sitzn auf e Bettkante sowas bei drei Minutn. Ach so, hab ich noch vergessn: Küchnfenster geht nach vorne raus, is jetz wichtich, müßt ihr wissn für e Geschichte, Stubmfenster auch, kommt das hier aber jetz nich auf an. Ihre diesjährige persönliche Bestleistung für e Strecke von e Küche nach e Bettkante liecht nu aber deutlich unter eine Minute, aber ganz deutlich, und das kam so: Immer, wenn nix ordntliches in’n Fernsehn kommt, denn sitzt Hermine an ihrn Küchnfenster und guckt n büschn aus, ich mein, was solls auch sons machn. Sitzt sie eigntlich immer, kann sich keiner aus n Dorf erinnern, daß sie ma nich da saß, außer, wenn sie bei’n Dokter in’n Wartezimmer, oder ebm Donnerstach. Aber die Zeitn kennt in’n Dorf ja jeder. Und plötzlich kommt Polizei vorbei, zwei Mann in ihre 122
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Uniform’n in’n Polizeiauto mit n blaun Licht auf n Dach fahrn die vor Hermine ihrn Fenster vorbei. Nu is ja so n Gewissn was gediegenes, nech, ne ganz eignartige Sache, ich mein, n gutes Gewissn has keine Last mit, fällt nich weiter auf und stört ja auch nich das Wohlbefindn, bei’n schlechtn Gewissn is das anners, und zwischndrin gibt das nix, also so n normales Gewissn, so nich gut und auch nich schlecht, von sowas hörs ja nix. Aber dies schlechte Gewissn, wenn das noch ganz frisch is, das rührt denn immer in’n Kopp rum und klopft von inn’n an n Bewußtsein an und läßt das denn auch nich zur Ruhe komm’n so den erstn und zweitn Tach, an’n drittn wird das denn zu’n erstn Ma n büschn müde. Und an’n viertn Tach, da kann das denn passiern, daß das schlechte Gewissn ma ebm einnickt, und den Moment muß abpassn, in den Augnblick kanns nämlich endlich ma wieder einschlafm. Und wenn so n schlechtes Gewissn denn ers ma älter is, denn schläft das meistns, aber zu e ewige Ruhe bettet sich das nie. So is das, könnt ihr mir glaubm. Bei Hermine auch nich, muß das schlechte Gewissn den Peterwagn auch gesehn habm, war nämlich sofort hellwach, sollte der junge Mann aus n Selbsbedienungsladn denn nu doch noch wegn die Spargeldose, ich mein, wenn den sein Chef, nech, kann ja ma sein, daß er die Dose gar nich verschenkn durfte, und mußte Hermine nu vielleich ja doch anzeign, und nu soll sie abgeholt werdn, und gleich mit zwei Polizistn wie so n Schwerverbrecher, 124
sind aber ja ers ma vorbei gefahrn, hättn doch auch gleich anhaltn könn’n, aber vielleich, daß sie ers den Bürgermeister Bescheid sagn, die Ungewissheit is das schlimmste. Daß sie nu doch in n Knast komm’n soll, mach sie gar nich an denkn, wegn Heinnerich nich, und wenn das nu in’n Knast gar keine Besuchszeit gibt? Denn kricht sie ihrn Heinnerich womöchlich jahrelang nich zu sehn, vielleich nie mehr. Und denn kam die Polizei tatsächlich mit n Bürgermeister den lüttn Gartnweech zu ihrn Haus hoch. Und da hat Hermine denn ihrn Rekord aufgestellt. Nee, abgeholt werdn wollte sie denn ja nu doch lieber nich, und wenn nich da bis, denn kanns auch nich abgeholt werdn, und wenn sie nich an’n Fenster sitzt, denn is sie nich da, weiß das ganze Dorf, ich mein, abmds in’n Dunkeln sitzt sie da ja nich mehr, denn kanns ja auch nix mehr sehn, denn is in’n Fernsehn mehr los, aber an’n Tach, nech. Und darum is sie nu ab in e Kammer, und wenn das klingelt, denn macht sie einfach nich auf. Klingelt tatsächlich. Ich mein, bei sowas sitz du ja auf deine Bettkante, als wenn n Besnstiel verschluckt has, so richtich steif, nech, die Beine wolln aufstehn und nach e Tür, und der Kopf saacht nee, und das Herz dazwischn, das is ja nu all in e Büx gerutscht, und denn kommt ma die eine Pobacke n büschn hoch, und denn ma die annere. So is das, könnt ihr mir glaubm. 125
Sind sie nu all wech? Nee, klingelt noch ma. Und das nu allns wegn diese eine Spargeldose, so n Schiet aber auch, und wollte sie doch auch gar nich klaun, hat sie doch man bloß vergessn zu bezahln, und in e Zeitung kommt das denn auch, und wenn das nu nochma klingelt, denn habm sie sie bestimmt doch noch an’n Fenster gesehn, bevor sie da abhaun konnte nach hintn und denn komm’n sie über n Hof, und denn springt einer mit e Schulter gegn e Tür, bis die auf is, has ja in’n Fernsehn oft genuch gesehn sowas, und dauert bestimmt auch nich lange, is ja aus Glas. Ja, und denn is die Tür kaputt, kann denn jeder rein, und wenn denn nich da bis, weil ja in’n Knast sitzt, denn klaun sie dir die ganze Wohnung leer, nee, wenn das nochma klingelt, nützt das nix, denn muß aufmachn. Das klingelt zu’n drittn Mal. Is Hermine denn auch an e Tür und hat aufgemacht. War diesma aber nich in Rekordzeit.
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Der Bankräuber Warn eigntlich ganz freundlich, die beidn Wachtmeister, hat der Bürgermeister auch vorgestellt, nech, so mit Nam’n und so, hat Hermine aber gleich wieder vergessn. Die Polizistn Hermine ihrn Nam’n natürlich nich, habm sie ja aufgeschriebm, und ob sie jedn Tach an’n Fenster sitzt, wolltn sie wissn. „Ja“, hat sie gesaacht, „warum?“ Konnte sie nich ganz auf e Reihe kriegn, was das denn nu mit e Spargeldose zu kriegn habm soll, wenn sie jedn Tach an’n Fenster sitzt. Wollte sie auch grade n Geständnis ablegn, was soll denn auch die ganze Quälerei mit n Verhör hier. Diese kriminaln Fachwörter kennt sie ja alle von’n Fernsehn, und gibt das ja auch mildernde Umstände für n Geständnis, und mit gute Führung kommt sie ja vielleich auch all so nach drei, vier Jahre wieder raus aus n Knast. So is das, könnt ihr mir glaubm. Wolltn die wissn, ob neulich n rotn Vauweh durch n Dorf is. „Is“, hat Hermine gesaacht, scheint so, als ob die von e Spargeldose doch nix wissn, lieber noch ma abwartn mit n Geständnis. Eigntlich versteht sie ja nix von Autos, aber n Vauweh kennt sie, kommt davon daß ihr Herrmann da immer Buckelporsche zu gesaacht hat, so n Nam’n kanns dir merkn und wie der aussieht auch. 127
War n Bankräuber in, hat der Bürgermeister denn erzählt, und die Polizei wollte wissn, was der Vauweh denn wohl für ne Nummer gehabt hat. Hat Hermine sie aus ihrn Küchnfenster rausguckn lassn und gefraacht, ob sie von da wohl ne Autonummer sehn könn’n. Sahn sie denn auch ein, daß das von den Fenster nich zu sehn is, und daß man so ne alte Frau auch nich zumutn kann, daß sie hinter jedn rotn Vauweh herjappt, bloß um für e Polizei die Bankräubers zu fangn. Wolltn sie nur noch ebm wissn, wann das denn gewesn is. Kam Hermine ers ma nich in n Sinn, aber denn, abmds hat sie noch ihrn Fernseh angemacht. Ob das hilft, wenn sie noch weiß, was das den Tach in’n Fernsehn gab. Sollte sie tatsächlich erzähln. „Das war bei die olln lumpign Spiele.“ „Bei was?“ „Bei die olln lumpign Spiele, hat der kleine Mann in’n Fernsehn gesaacht, bevor das losging.“ Ich mein, Hermine weiß natürlich, daß da keiner in sitzt in den Kastn, saacht sie aber immer so, wenn Katrin da is, weil die das immer so schön witzich findet, und hat sie sich nu so angewöhnt. Nur, der in’n Fernsehn, der spricht ja eigntlich immer ganz deutlich, bloß bei den Wort „olle lumpige Spiele“, da kanns ihn kaum bei verstehn, saacht jednfalls Hermine, und der Bürgermeister is der Ansicht gewesn, daß das ja auch olympische Spiele heißt, und daß Hermine das darum auch nich richtich verstandn hat, und wurdn sie sich auch einich über. Hat aber noch nix genützt, dauern zwei Wochn, n büschn 128
genauer hättn die Herrn von e Polizei das denn ja nu doch ganz gerne gewußt. Ob Hermine denn vielleich noch wüßte, was denn den Tach für ne Disziplin war. „Disziplin?“ hat sie gefraacht, „Disziplin? Also von Disziplin konns nix von merkn, sind alle durchnanner da auf n Sportplatz, und denn warn da auch n paar junge Deerns in so ganz enge Büxn und man bloß in’n Unterhemd, also war schon fast so n büschn unanständich, nech.“ Nee, wohl nich ganz so wie in’n Katalooch aus Flensburch, aber trotzdem, also Hermine würde so jednfalls nich raus. Sollte sie weitererzähln. „Ja, und denn hattn sie auch alle ne Zahl auf n Bauch, so n Nummernschild wie an’n Auto so ähnlich, und sind n paar von e Deerns denn auch in e Hocke gegangn mit e Hände an e Erde und in eine Hand n Stock, konns genau sehn. Plötzlich habm sie wie auf Kommando, also alle auf einma habm sie ihrn Hintern aber hoch, sah so ähnlich aus wie in den Heimatfilm damals, nur in den Heimatfilm, da hattn sie keine Büxn an. Und denn sind sie wechgelaufm. Hat aber gar nich lange gedauert, warn sie wieder da, standn denn auch noch n paar Deerns rum und habm denn den Stock gekricht und sind auch wech, als wenn der Teufel achter her is, habm aber vorher nich den Hintern hoch, sind vielleich n büschn besser erzogn, obwohl, also mehr an hattn die auch nich. 129
Verstandn hat Hermine das nich, renn’n die los, daß die Zunge bis zu’n Bauchnabel raushängt, komm’n genau dahin, wo das losgegangn is, und weiß nich wozu. Wolltn vielleich den Stock n Stück von e Welt zeign. Hättn sich dafür aber ja nich so beeiln brauchn, und denn vierma denselbm Weech, is doch langweilich für so n Stock, und is ja auch albern, so n Stock hat doch da gar nix von, das is doch n totn Gegnstand. Kann aber ja auch angehn, daß die Deerns, ich mein, das gibs ja, daß einer in’n Kopp, also kommt vor, wenn n Bruder mit seine Schwester, hat man ja früher so gemacht, daß der Hof nich aufgeteilt werdn muß bei’n Erbm, nech, und die Kinder von solche Geschwister, aber das kennt ihr ja alle, siehste, und so ne Deerns warn das ja vielleich, denn kanns das verstehn. Der eine Polizist meinte denn auch, daß man das ja nu rauskriegn müßte, wann die Viermavierhundertmeterstaffel von e Fraun gewesn is, und wolltn die Uhrzeit auch gar nich mehr wissn, reicht die Zeit nich für bei e Erzählweise von Hermine, und wollte Hermine aber gerne noch wissn, welche Bank denn. Das war bei e Sparkasse in e Stadt. Ich mein, nu gönnt Hermine das den Sparkassnmenschn ja, nech, wenn der immer an ihr Geld will, denn is das ja nur recht und billich, wenn da ma einer kommt, der denn an seins, aber klaun darf man trotzdem nich, und denn is sie hingefahrn nach e Sparkasse, ebm ma nachguckn, ob da bei’n Klaun nich vielleich auch ihr Geld mit in e Grabbel gekomm’n is. 130
Der Vorschlag Aber noch ma ebm zurück zu den Tach, wo die Polizei da war, die sind denn ja wechgefahrn, aber der Bürgermeister is noch dagebliebm, war ja auch ne gute Gelegnheit, nu, wo Hermine ihr Seelnzustand eher ne Seelnlage war, war nämlich ganz schön durch n Wind, die Arme, und das bei ihrn Herzn, hat denn der Bürgermeister auch gleich ers ma die Herztropfm von’n Küchnschapp und hat ihr zehn Stück auf n Löffel gezählt. Bei Hermine wirkt sowas so n büschn wie Bestechung, mach sie habm, wenn sie einer umsorcht. Und so n büschn bestechn, besonders wenn das nix kost’t, das hat er ja wohl auch in’n Sinn gehabt, der Bürgermeister. Fing er denn wieder von sein’n Museumsdorf an, und reicht ja wohl nich, wenn da bloß n paar Gaslatern’n, nech, muß all n büschn mehr was zu bietn habm, wenn Eintritt nehm’n wills, und denn solln ja auch alle in’n Dorf bei mithelfm, einer soll wieder so n Kuhstall einrichtn, weiß schon, so ohne Licht und ohne Steckdose und so, und der soll die Stadtleute denn zeign, wie das mit e Milch is und wie man beikommt ohne Melkmaschine, und die Tage, wo das Museum denn zu is, könn’n da ja auch Oxn in stehn, machn denn ja weniger Arbeit, und soll er denn auch was von abkriegn von’n Eintrittsgeld, is denn ja sowas wie n Museumsangestelltn, 131
muß aber auch Zeuch von früher anhabm bei’n Melkn und ob Hermine nich vielleich noch ne alte Tracht auf n Bodn in e Truhe liegn hat. Hat Hermine natürlich auch gleich noch n paar Ideen: Muß Jan für seine Kneipe aber auch wieder sein Bier selbs machn, kanns denn mit e Milchkanne kaufm und schmeckt ja auch viel besser als das aus e Fabrik, und auf n Hof den Kartoffelschnaps, nech, also wenn da nich schwarz gebrannt wird, denn is das auch kein richtiges Museum. Hat der Bürgermeister sie ers ma gebremst. Nee, ne Tracht hat Hermine nich mehr, saacht sie, aber als Erika noch in e Schule gegangn is, da hat sie ma n schön’n Trachtnhut mitgebracht, der is noch da. Meinte der Bürgermeister denn, daß das denn ja man n Anfang all is, und das Kleid, das kann sie ja noch nähn, ich mein, hat ja mit n Taufkleid damals auch ganz gut geklappt, und denn soll Hermine so ne alte Dorfbewohnerin spieln, so ne weise alte Frau, wo die Leute immer hingegangn sind, wenn sie Sorgn hattn oder Zahnweh oder so und hat sie denn auch Kräuter verteilt zu’n Teekochn oder auf e Wunde zu legn. Und suchn muß sie die auch nich selbs, kann sie sich ja jedn Donnerstach mitbringn von e Apotheke. Werdn denn von’n Eintrittsgeld bezahlt. „Da wird nix von“, hat Hermine gesaacht. „Och, Hermine“, nu kam die Sache mit den Honich um n Bart schmiern, also das kann der Bürgermeister auch ganz gut, und schmeicheln, nech, so nach den Motto, bis doch noch rüstich, siehs bannich gut aus für dein Alter 132
und kanns doch so n lüttes Einkomm’n nebm deine Rente bestimmt gut brauchn. Hat Hermine gesaacht: „Das is nich das Problem, das Problem is, daß Erika den Hut aus n Schwarzwald mitgebracht hat. Hat er kurz gegrübelt, und wenn so n klugn Menschn wie unsern Bürgermeister das Denkn kricht, denn kommt da auch was bei raus. So is das, könnt ihr mir glaubm. „Nimms einfach ers ma n Kopftuch“, hat er gesaacht, hattn um e Jahrhundertwende ja auch nich alle Leute ne Tracht, besonders die arm’n Kräuterweiber nich, die konntn sich das ja bestimmt nich leistn, und wenn denn ers ma allns so richtich läuft und Geld in e Kasse kommt, denn kann man ja immer noch n Trachtnhut kaufm. „Is gut“, hat Hermine gesaacht.
Der Umbau Nu ging das denn ja los, war auch n ganz schön’n Zirkus, bis das allns auf e Reihe war bei Hermine. Ich mein, reicht ja nu auch nich, man bloß olle Plünn’n anzuziehn und n Kräuterweib zu spieln, nee, wenn das für so n richtiges Museum is, denn muß ja auch das Haus, 133
nech, kanns da ja nu nich ne elektrische Klingel, und wirkt denn ja auch nich wie um e Jahrhundertwende. So is das, könnt ihr mir glaubm. Habm sie denn also Hermine ihr Haus renoviert, nech, na ja, is ja eigntlich nich das richtige Wort für, also erneuert habm sie das ja nu nich direkt, bloß n büschn was an gemacht, so veraltert muß ich wohl sagn. Kam denn n büschn Gras und Moos auf n Strohdach, Lampe von e Haustür wech, Plastikfenster so angemalt, daß sie wie Holz aussehn und so, und denn solltn ja auch drin’n n paar Zimmer, nech, solln die Stadtmenschn, die denn ja nu bald komm’n solln, ich mein, die wolln auch ma sehn, wie die Leute um e Jahundertwende gelebt habm, wo sie auf gesessn habm, womit sie gekocht habm, wovon sie gegessn habm und wo sie in geschlafm habm. War Hermine gar nich so begeistert von. Is ja nu auch nich jedermanns Sache, wenn in’n Bett liechs und dauernd komm’n da fremde Leute aus e Stadt oder auch noch von viel weiter wech, und wills schlafm und die guckn denn dabei zu, nee, wenichstns in’n Bett wills ja deine Ruhe, hätte sie beinah den Vertrach mit n Bürgermeister gekündicht. Durfte sie denn aber n Schild an e Tür von ihre Kammer machn, wo „privat“ auf steht. und denn habm sie das zweite Zimmer von rechts, nech, wißt ihr ja noch, das war so ne Art Arbeitszimmer, das habm sie denn zu’n Museumszimmer gemacht, habm sie die neu’n Möbel ers ma raus und auf Hermine ihrn Dachbodn, ging ja auch, weil sie von da obm das alte Bett, nech, das hattn sie ja 134
nötich für n Museumszimmer, war ja noch älter als das, wo Hermine nu in schläft, und das hat sie ja auch all geerbt. Hat der Bürgermeister denn gemeint, is ja gar nich von e Jahrhundertwende, war das denn aber doch, sie konntn bloß nich spitz kriegn, welches Jahrhundert. Denn war das Zimmer fertich, hat Hermine gesaacht, daß das so aber noch nich geht, in so n Museum muß überall n Schild an, wo auf steht, was das denn nu is, ich mein, bei’n Bett kanns das ja sehn, aber solln doch was lern’n die Leute aus e Stadt. Und denn nimms n Telefonbuch, machs die Augn zu und tipps mit n Finger auf irgndeine Seite auf irgndein’n Nam’n, has n Vornam’n, machs das nochma, has n Nachnam’n. Und denn steht auf n Schild „erbaut von“, denn den Nam’n, und denn noch „berühren verboten“, und denn sieht das aus wie in’n richtign Museum. Prüft ja auch kein Schwein nach, ob das nu stimmt oder nich. So is das, könnt ihr mir glaubm.
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Der Lehrling Was passiert eigntlich, wenn in so n Dorf das Kräuterweib den Löffel abgibt? Ich mein, heutzutage gibt das ja gar keine Kräuterweiber mehr, da könn’n die auch nich sterbm, die Frage war auch mehr für um e Jahrhundertwende gedacht, da war das denn ja eher n Problem, nech, und mußte früher ja auch ne Lösung für, und in so n Museumsdorf is das denn ja auch wie früher. So is das, könnt ihr mir glaubm. Konntn sie Hermine nu aber ja auch nich so direkt nach fragn, kanns doch nich hingehn und sagn: „Was machn wir bloß, wenn du ma tot bis?“ Ich mein, erstns schickt sich das nich und zweitns is Hermine ja der Ansicht, daß sie gar nich sterbm kann, wird ja jedes Jahr neunzich. Habm sie Hermine denn aber klargemacht, daß sie nu ebm nich mehr Hermine is, sondern daß sie n Kräuterweib von e Jahrhundertwende spielt, und die konntn ja nu sterbm, und denn mußte ne Nachfolgerin her, muß denn ja hier in’n Museumsdorf genau so aussehn und kanns die Stadtmenschn ja nich auf e Nase bindn, daß Hermine unsterblich is, werdn sons neidisch, und muß nu ebm n Lehrling kriegn. Aber wen? Hat der Paster gesaacht:„Wird auf e Tochter vererbt.“ Hat der Bürgermeister gesaacht: „Soviel, wie ich davon weiß, habm Kräuterweiber kein’n Mann gehabt.“ 136
Hat Hermine gesaacht: „Nanu.“ Naja, ich mein, hat Hermine ja all vorher gewußt, daß das Mehrn auch denn geht, wenn das der Paster nich extra befohln hat, und fruchtbar sein kanns auch ohne den Segn von’n Paster, siehs ja an e Karnickel. So is das, könnt ihr mir glaubm. Nu hat Hermine keine uneheliche Tochter, genau genomm’n hat sie gar keine, warn allns Jungs. Und kein’n ein’n unehelich. Bei ihrn Herrmann hat ja nich viel gefehlt, denn doch, nech, soll aber keiner wissn, is Hermine ihr Geheimnis. Und denn kommt ja sowas wie aus n heitern Himmel, habm sie alle auf einma die selbe Idee, und kommt auch wie aus ein’n Munde: „Kann Anita machn.“ Is ja nu nich die Tochter von Hermine, aber is nich so schlimm, muß ja kein’n erzähln, und die Leute in e Stadt glaubm ja sowieso, daß in so n Dorf alle irgendwie verwandt sind, nech, und wenn schon nich verwandt, denn ebm, also, will ma so sagn, unter jedn Dach in so n Dorf wohnt die Sünde, und kanns nie wissn, vielleich stamm’n Anita und Hermine ja doch von ein und denselbm totn Vorfahrn ab, als der noch lebte. Wollte Anita denn auch mitmachn, is ja sowas Ähnliches wie Theater spieln.
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Die Antiquität Also, wenn ma irgndwo hundert Leute auf ein’n Haufm stehn, denn kanns annehm’n, da is ein’n bei, der is so n büschn anners als die annern, mach angehn, daß das auch mehr sind als ein’n, aber hier geht das um den ein’n, ich mein, is nich grade n Gauner, so nu nich, aber daß er kein Gauner is, kanns auch nich direkt sagn, kam jednfalls mit n ordntlich großn schwarzn Auto in n Dorf, nech, also so n Auto für um Hermine zu’n Imponiern. Hat nich geklappt, hat Hermine nich imponiert, mit so n Blechdings kanns Hermine nich imponiern, liecht vielleich da an, daß sie nich weiß was sowas kost’t, weiß ich auch nich, aber imponiern kanns Hemine, wenn zu’n Beispiel n jungn Kerl noch mit n Vierergespann umgehn kann, also, kennt ihr ja, nech, vier Gäule vorne vor e Kutsche und solln alle in e selbe Richtung und das auch noch zu e selbe Zeit, verstehs? Also wenn das n jungn Kerl noch auf e Reihe kricht, das imponiert Hermine. Hat der Mensch mit den großn Auto bei Hermine geklingelt. Sie also an e Tür, nech, und er denn auch sofort: „Schön’n gutn Tach, ich nehm an, Sie kenn’n mich nich.“ Womit er Recht gehabt hat, und sich auch vorgestellt, und gesaacht, daß er n büschn mithelfm will bei’n Plan’n und Ausgestaltn von’n Museumsdorf. Hat er wirklich gesaacht: Ausgestaltn. War Hermine auch, wie soll ich sagn, also, hat ers ma ganz vorsichtich geguckt. Muß ja auch 139
aufpassn, wenn da ein’n so ne klugn Wörter saacht, ich mein, der kann gar nich aus n Dorf sein. So ne Wörter darf höchstns ma der Bürgermeister sagn oder vielleich auch noch n Paster, aber nich einfach so einer mit n großn schwarzn Auto, und ob er ma das Museumszimmer sehn darf, hat er vielleich noch n paar Ideen für. Und wie er das so saacht, steht er auch all mittn in in e Diele mit e Hand an’n Drücker von e richtige Tür, also zweite von rechts, kennt sich wohl aus in e Häuser auf n Dorf, und konnte Hermine auch nich mehr verhindern, also Tür auf, reingeguckt, Bett gesehn, Schild gesehn, Nam’n gelesn, und denn kam sein schauspielerisches Talent aber raus, du, hat er denn bewundert, das alte Bett, und denn auch den Nam’n von den altn Tischler, der das ma gebaut hat, is ja n ganz berühmtn Künstler aus e Gegnd gewesn und hat auch Holzdeckn in Kirchn gebaut und ob Hermine das gewußt hat, daß sie n Bett von so n berühmtn Menschn hat. Hat Hermine nich gewußt, ich mein, solls ja auch auf komm’n, daß n Nam’n, den aus n Telefonbuch zusamm’ngesucht has, zu’n berühmtn Künstler paßt, nech, also geglaubt hat sie den Mann das nich, hat sich aber nix merkn lassn, hat immer genickt und gesaacht, daß das doch wohl klar is, sons bringt das ja auch nix, wenn so n Bett in’n Museum steht. N berühmtn Nam’n muß da an sein. Als Angestellte von’n Museum muß sie das ja auch so sagn, die Wahrheit is nich gut für n Umsatz. So is das, könnt ihr mir glaubm. 140
Und nu wollt er noch wissn, ob Hermine vielleich noch mehr und ob er ma auf n Dachbodn, könnt ja noch was zu findn sein, was in n Museum passt, und sind sie denn rauf, nech, sind so ganz schmale Stufm, würdn heute gar nich mehr genehmich, so ne Treppm, sind auch gefährlich, wenn nich mehr so gut zu Fuß bis, is aber nix passiert, Hermine is noch gut zu Fuß. Obm denn mit e Taschnlampe und auch gleich die Hutschachtel gefundn, und hat er gesaacht, passt nich in n Museum, aber könnt er gut brauchn, will er kaufm, hundert Mark. Hat Hermine gesaacht, geht nich, is nich leer. Er denn also ganz vorsichtich den Deckel runter, ganz vorsichtich, is ja ne Antiquität, nech, reingeguckt, is n Trachtnhut in, aus n Schwarzwald. Has ma n Antiquitätnhändler sprachlos gesehn? Dauert aber bei so Leute man bloß n lüttn Moment, denn sind sie wieder bei Stimme, und auch gleich, daß der Hut nich da bleibm darf, kanns doch gar nich verantwortn, liecht hier vielleich noch zweihundert Jahre rum, und denn die Geschichtsforschers, nech, komm’n doch ganz durchnanner, wenn die hier den Hut, und denn lern’n die Kinder später in e Schule ja was ganz Verkehrtes in’n Geschichtsunterricht, und wollte er denn die Menschheit von befrein von diese Gefahr. Also auch hundert Mark. Nu warn das all zweihundert Mark. Hat sie gesaacht: „Den Hut nich, das is n Geschenk von Erika.“ Kanns nich hergebm, schickt sich nich, n Geschenk zu verkaufm, 141
und selbs, wenn n Hut rausnimms, is die Schachtel nich leer. „Aber dann is doch nix mehr drin, oder irr ich mich da?“ „Tja“, saachte Hermine, „sehn kanns das nich, was da denn noch in is, das sind meine Erinnerungn.“ Wollt er aber immer noch die Schachtel, auch ohne Hut, ich mein, der Hut war ja auch noch gar nich so alt, war ja noch gar keine richtige Antiquität, nech, aber die Schachtel, also gut: Zweihundert Mark. Has schon ma was von teure Erinnerungn gehört? Also Hermine warn ihre Erinnerungn teuer, kann ich euch sagn, fümfhundertsiebzich Mark, „Na gut“, hat er gesaacht. „Ja, fümfhundertsiebzich für e Erinnerungn und denn noch die zweihundert für e Schachtel.“ Ich mein, ich weiß ja auch nich, wo Hermine das so gelernt hat, nech, aber ich hab ma in e Dorfchronik so n büschn in gelesn, also das is ja spann’nd, was da allns zu lesn krichs, und stand auch in, daß Hermine früher mit ihrn Mann, stand übrignds genau genomm’n „Gemahl“ in, is aber dasselbe, nech, also mit ihrn Otto hat sie ne Pferdehandlung gehabt. Bei sowas hat so n Antiquitätnhändler denn keine Changs, is ja klar, und hat er denn auch bezahlt, siebmhundertsiebzich Mark. „Tu man noch siebm Mark bei“, hat Hermine gesaacht, „denn is das ne Schnapszahl, denn geb ich auch ein’n aus.“ Dabei hat sie auch all die Hutschachtel in n großn 142
Bogn braunes Packpapier eingepackt, laach zufällich auch auf n Dachbodn. Und denn in e Stube, nech, fing sie denn auch an mit n Schnaps und ging so ähnlich los, wie damals, als Heinnerich als Hochzeitslader da war, nech, auf ein’n Bein kanns nich stehn und so, und hat sie denn auch an Heinnerich gedacht. Auch, wenn grade siebmhundertsiebmundsiebzich Mark gekricht has, kanns dir manchma so n lütt büschn Trauer nich verkneifm, ja, wenn ihr Heinnerich ebm dabei gewesn wär, aber der junge Mann wollte nu auch nich mehr dableibm, muß los, hat er gesaacht, und Schnaps und Autofahrn, und nu darf er nich noch ein’n, und denn auf Wiedersehn, und das wars denn. Hermine weiß ebm, wie n Autofahrer verjagn kanns, wenn n nich mehr nötich has, und denn hat sie ne neue Hutschachtel aus ihre Kammer, da wo privat an steht, geholt und rauf auf n Dachbodn, nu natürlich mit elektrisches Licht, nech, darfs bloß nich anmachn, wenn Antiquitätn verkaufm wills und einpackn muß sie auch in’n Dunkeln. So is das, könnt ihr mir glaubm.
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Die Hexenverbrennung Klappt ganz gut, die Sache mit n Museumsdorf, morgns komm’n Busse mit Schulklassn, und n paar Leute, die Urlaub habm, nachmittachs denn manchma so Gruppm als Betriebsausfluch, nech, da macht Jan denn sein Geschäft mit, mit sein’n selbsgemachtn Bier und sein’n selbsgebranntn Kartoffelschnaps, ich mein, das mit den Schnaps, das saacht er vorne bloß immer, hintn is das ja verbotn und die Genehmigung, die war ihn zu teuer, und kanns ja auch einfach erzähln, has selbsgemacht, nach n fümftn glaubm die das, gar kein Problem. So is das, könnt ihr mir glaubm. Draußn vor n Dorf is n großn Parkplatz, und in’n Dorf laufm die Bewohner nu alle in alte Klamottn rum, wie das sein muß, und sieht allns so aus wie um e Jahrhundertwende, is nu auch allns so weit fertich, nech, Gaslatern’n, Teerstraße habm sie wech, is nu wieder n Schotterweech, wie das sein muß, der Stall ohne Strom, Hermines Museumszimmer und ne richtige Großfamilie, hat Erika für gesorcht. Und sons auch, in e Kirche gibs wieder richtige Kerzn, n altn Steinbackofm habm sie neu gebaut, muß Jan, was ja der Wirt is, nu immer in backn und kann Hermine auch ma Kräuter in trocknen, sucht sie nu doch selbs, macht mehr Spaß und Anita kann was bei lern’n. Tja, könntn nu alle mit zufriedn sein, Einnahm’n sind auch genuch, is nu die einzige Gemeinde in’n Landkreis 144
ohne Schuldn. Hat kein Aaß mit gerechnet, sogar der Bürgermeister nich, aber reicht ihn noch nich, saacht er, muß noch ne Attraktion her. „Was is denn ne Attraktion?“ hat Hermine gefraacht, „mit mir muß deutsch schnackn, Bürgermeister.“ Stand Katrin mit bei, soll ja nächstes Jahr nu auch all in e Schule, wie die Zeit vergeht, was? Na, is egal, hatte das gehört und gesaacht: „Aber Uroma, das is doch ne Achterbahn.“ „Nee“, hat der Bürgermeister gesaacht, und wie sie da denn nu bloß auf kommt, und Achterbahn’n passn auch gar nich zu e Jahrhundertwende, und hat Katrin denn auch geweint, hatte sich all auf e Achterbahn gefreut und hatte sie ja auch in’n Fernsehn gesehn, war so n Bericht über n Jahrmarkt und als Attraktion nu ebm ne Achterbahn. Hat der Bürgermeister aber gemeint, Achterbahn gibs nich, is auch zu teuer, nee, das muß was anneres sein, so einma in’n Monat so n Dorffest, nech, so wie das um e Jahrhundertwende gefeiert wordn is, und dazu denn noch n paar historische Ereichnisse vorführn, zu’n Beispiel Dreschn mit n Dreschflegel und gleich Brot von backn und sofort auch verkaufm mit Jan sein selbsgemachtes Bier für siebm fufzich. Bei’n Dreschn dürfm die Besucher denn auch ma mithelfm, nech, spart Arbeit für e Dorfbewohner und kanns ja auch noch ma extra ne Gebühr für nehm’n. So is das, könnt ihr mir glaubm. Ja, und denn auf n Dorfplatz vor e Kneipe n Oxn an’n 145
Spieß über offnes Feuer und gegnüber vor e Kirche denn n Scheiterhaufm für e Hexnverbrennung. Is ja auch offnes Feuer und brauchs denn ja auch bloß eine Genehmigung von’n Landkreis, is ja an’n selbm Tach zu e selbe Stunde. Nu muß n ja für so n ausgewachsnen Oxn so acht bis zehn Stundn rechnen, da geht das bei e Hexe schneller, und muß ja in’n Zeitablauf auch abgestimmt sein, guck ma, mach ja angehn, daß ein’n so ne Hexnverbrennung auch ma n Appetit verschlagn kann, nech, und denn is das besser, wenn der Oxe all verkauft is bei’n Anzündn von’n Scheiterhaufm, und die Hexe kann ja all den ganzn Tach auf n kaltn Haufm stehn, so zu e Erheiterung von e Besucher und zu’n Beguckn von e Foltermale, kann man ja n paar hinmaln so an e Hände und in’n Gesicht, mit Marmelade und n büschn Blut von den Oxn, nech, is ja genuch von da, kanns das Kleid von e Hexe ganz schön mit beschmiern. So is das, könnt ihr mir glaubm. Und wenn denn alle gegessn habm, denn wird der Scheiterhaufm angezüdet, und sieht denn auch schön stimmungsvoll aus so in e Dämmerung, und muß aber um zehn abmds fertich sein, weil das Schrei’n von e Hexe sons ja Ruhestörung is und wird nich genehmicht. Also für so Ausnahmefälle, kann das doch ma genehmicht werdn, so für so n Jubiläum oder so darf das auch ma später werdn, soll aber ja ne regelmäßige Einrichtung soll das ja werdn, jedn Monat eine Hexe, also bei e zehnte Hexe soll das denn auch bis um elf dauern, aber natürlich bloß, wenn das denn nich reechnet. Also damit ihr das nu richtich versteht, n büschn Regn 146
is ganz gut, denn brennt das nich so schnell und habm die Besucher länger was von, nech, naja klar, is doch so, hat die Hexe natürlich auch länger was von. Ich mein, denn macht das doch ers richtich Spaß, wenn das n büschn was dauert, is doch viel amüsanter, als wenn das so bums runterbrennt und fertich. So is das, könnt ihr mir glaubm. Nu saach bloß, ihr würdet da nich hingehn? Weil ihr kein Blut sehn könnt? Und warum stehn denn immer tausnd Leute um n Verkehrsunfall rum? Ich mein nu die, die da nich helfm. Und Blut gibt das bei’n Verbrenn’n überhaupt nich. Hat Hermine natürlich auch mit über nachgedacht, muß sie ja auch als Mitarbeiterin von’n Museum, und hat sie auch kluge Bücher über gelesn, und das Kräuterweib, also das is ja auch so ne Art von Zauberei, wenn ne Kuh von’n Spitzwegerich gesund wird, und wenn sie an stirbt, denn is das ers recht Zauberei, und wer zaubern kann, siehste wohl, und Hermine is in den Dorf das Kräuterweib. War sie denn aber auch gegn, gegn das Hexnverbrenn’n, nech, ich mein, kanns ja auch verstehn, verbrenn’n is ja nu vielleich auch Hermine ihrn ewign Lebm nich so zuträchlich, und wollte sie auch nich n ganzn Tach auf n kaltn Scheiterhaufm, kanns dir ja auch schwer ein’n aufsackn, wenn neunzich bis, und denn has n bösn Schnupfm, wenn das denn an n Verbrenn’n gehn soll, denn kanns gar nich Schrei’n vor lauter Hustn und Niesn. Aber denn is ihr die Lösung eingefalln, war ja eigntlich 147
auch ganz einfach, nech, sie hat doch n Lehrling, und so n Lehrling muß das doch auch ma lern’n, das Verbranntwerdn, soll Anita denn auf n Scheiterhaufm, is ja auch die frische Luft gewöhnt und erkältet sich auch nich so schnell, und soll in’n Winter ja auch gar nich stattfindn. Hat sie den Bürgermeister denn auch n langn Vortrach über gehaltn, hatte das auch ganz wichtich, der Bürgermeister kam gar nich zu Wort, hat sie denn gesaacht, daß das ja auch für e Besucher viel schöner is, wenn da ne junge, hübsche Deern auf n Scheiterhaufm, nech, wer guckt schon nach so ne alte Schachtel mit neunzich, nech, hat doch gar kein’n Reiz mehr, aber so ne junge Deern, die das fertichbringt, mit e enge Büx und n Kamelhaarpullover ne ganze Prüfungskommission für n Wettkampf „Unser Dorf soll schöner werdn“ zu’n zweitn Platz zu überzeugn. Und das mit n Loch in e Parkbank. Und denn hat sie sich da über beschwert, daß das da immer noch in is, und wird nu aber Zeit, nech, also n Museumsdorf mit n Loch in e Bank geht ja nu auch nich, und wenn denn dieser junge Körper, ich mein, der Bürgermeister is ja nu auch n Mann und blind is er auch nich, also, kanns von ausgehn, daß er weiß, was Hermine sagn will, und das Kleid brennt denn endlich von den Körper ab, „und, Bürgermeister“, hat sie zu’n Schluß noch gesaacht, „wenn das brennt, steht die Anita bestimmt nich still, wenn du weiß, was ich damit sagn will.“ Den Tach kam der Bürgermeister überhaupt ers ganz 148
spät zu Wort, nu jednfalls immer noch nich. Daß Anita nu denn bald auf n Scheiterhaufm verbrannt werdn soll, hat Hermine ja auch nich so ganz in n Kram gepaßt, nech, ich mein, sie war ja all gut angelernt und konnte all alleine Kräuter suchn und wußte auch, wo die für gut sind und konnte vor alln Dingn auch gut mit e Gäste umgehn, so bei’n Verkaufm von Postkartn, Tee und Hutschachteln. Und nu sollte sie verbrannt werdn, also, ärgerlich is das denn ja doch, auch wenn Anita ja nu sowieso nich unsterblich is, ich mein, müßte sich Hermine ja doch irgendwann ma n neu’n Lehrling suchn, aber doch nich all so früh. Und denn mußte Hermine doch ma Luft holn, und denn hat der Bürgermeister erzählt, daß das doch gar nich echt sein soll. Läuft so, hat er gesaacht, daß die Hexe ers ma von zwei Schergn in Kettn geschlagn wird und denn auf n Scheiterhaufm an’n Pfahl angeschlossn, mit e Hände über n Kopf, und da muß sie denn n büschn stehn, soll sich auch ma windn oder ma n büschn stöhn oder schrein, aber nich so laut, soll die Besucher ja nich bei’n Essn störn, und bei’n Anzündn wird sie denn schnell mit e Strohpuppe vertauscht, und is auch besser, so viele Hexn gibt das in’n Dorf ja nich, würdn ja nich ma für zwei Jahre reichn, und krichs ja auch nich genehmicht sowas. „Bürgermeister“, hat Hermine da gesaacht, „denn mach ich das ers recht nich, so doll mach ich die Besucher nich beschummeln, höchstns ma mit ne Hutschachtel von mein’n Dachbodn.
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Die Briefmarke Ein’n Donnerstach is Hermine n Bus früher nach e Stadt gefahrn. Muß auch ma sein, nützt nix, auf n Dorf kanns ja nix mehr kriegn, muß den ganzn Klöterkram aus e Stadt herschleppm. Ging diesma um Briefmarkn. Sie also denn auch gleich hin nach e Post, an e Tür, dicht. Komisch, hat doch bis halb sex auf, jednfalls war das in’n letztn Jahr so, also da konns bis halb sex Briefmarkn kriegn, und nu? Hing denn auch n Schild in e Tür: Öffnungszeitn, tja, und denn man bloß noch bis um fümf, is aber all zehn nach, is dicht. Nu hing da so n gelbm Kastn an e Wand, und soll denn die Arbeit von e Beamtn machn, wenn die Feierabmd habm oder Urlaub oder krank sind, also, wenn dicht is, geht sons aber auch, nech, so n Blechbeamtn arbeit’t auch, wenn auf is, brauchs nich rein, zu’n Beispiel, wenn den richtign Beamtn nich leidn kanns oder wenn keine Zeit has oder so, stecks Geld rein, kommt ne Briefmarke raus. Meistns. Also mit n Zehnmarkschein wirs da nix, muß Geldstücke für habm, und das war ja eigntlich auch ganz erfreulich, Hermine hatte nu keine Geldstücke, jednfalls keine, die in den Blechkastn reinpassn, man bloß n paar Groschn und Pfennige, für e Kasse in’n Selbsbedienungsladn. Nimmt sie immer mit, eine Mark in kleine Münzn, denn kanns wenichstns in e Pfennige passnd bezahln. 150
So is das, könnt ihr mir glaubm. Ach so, ihr versteht nu nich, warum Hermine sich freut, daß sie keine Markstückn hat, is doch ganz einfach, muß sie zweima nach n Selbsbedienungsladn, einma nu zu’n Wechseln und einma nachher zu’n Einkaufm. Hat sie denn auch zehn Markstücke gekricht, ich mein, das saacht sich hier so leicht, aber mach das ma als normaln Menschn, geh ma in n Selbsbedienungsladn an e Kasse zu’n Geldwexeln, wenn da ne lange Schlange vor steht. Kanns doch vergessn sowas. Das kricht bloß Hermine fertich. Und denn aber alle zehn Markstückn in den Blechbeamtn rein, nech, und nu sind da so Knöpfe an, kanns aussuchn, was auf e Briefmarkn aufstehn soll, also, ich mein, nich was für n Bild oder so, nee nee, man bloß den Betrach, Bilder sind da sowieso ja nich mehr auf, is bloß noch so n lüttn grünweißn Zettel mit n Preis auf, der Preis wie mit e Schreibmaschine, kanns an e Farbe nich mehr an sehn, wie teuer die gewesn is oder an e Größe auch nich. Nu weiß bis heute keiner, ob der Automat gesponn’n hat oder ob Hermine das nich richtich, wie soll ich das sagn, also, das is so: Hermine hat noch nie was verkehrt gemacht, und damit könn’n wir die Frage eigntlich auch vergessn, jednfalls kam da genau eine Marke raus aus den Kastn und stand zehn Mark auf. Guckt sie sich die Marke an, und kanns richtich sehn, wie das in ihrn Kopp an’n Grübeln is, hattn die klein’n graun Zelln richtich was zu’n Arbeitn. Was machs auch 151
mit eine Briefmarke für zehn Mark, wenn eigntlich zehn Stück für eine Mark nötich has. Und Kleingeld is auch wieder alle. Nee, hat sie den Tach auf verzichtet, noch ma zehn Mark sollte der Blechkastn nich kriegn, darfs die Technik ja nu auch nich verwöhn’n, aber wenn ihr euch nu fraacht, was Hermine mit e Briefmarkn für ne Mark vorhat, ganz einfach, auf n Brief klebm. Ich weiß ja nich, wann ihr diese Geschichte hier zu hörn kricht, ich mein, vielleich liest ja sogar noch einer von euch, nech, und gab das ja früher auch all, daß so Geschichtn von Generation zu Generation, also wird so vererbt, Uroma hat Oma die erzählt, Oma hat Mamma die erzählt, und die erzählt das denn, und so weiter und so weiter, und gab das wirklich ma ne Zeit, da war das genuch. Da hat eine Mark für n Brief genücht! Das is wirklich keine Legende, auch wenn sich das sagnhaft anhört, stimmt trotzdem, und das weiß ich auch ganz genau, Hermine und ich habm schließlich in diese Zeit gelebt. So is das, könnt ihr mir glaubm. Und mit e Briefmarke für zehn Mark konns echt nix mit anfangn. Als sie den Abmd denn aus n Bus gestiegn is, is sie nich gleich nach Hause, nee, da is sie ers ma zu’n Bürgermeister rüber, nech, hat sie ne neue Idee für n Museumsdorf und hat sie gesaacht: „Wir müssn hier noch ne Post habm wie um e Jahrhundertwende, weiß du, so mit richtige Menschn in.“
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Die Kontrolle Is all ma einer von euch in n Büro rein? Ich mein, is ganz egal, wo, also bloß ma so rein, sitzt da denn einer und arbeit’t, nech, also, wie gesaacht, in’n Büro, nu gibt das da ja doch Unterschiede, mach ja ma angehn, das is der Chef persönlich, aber passiert ja nich oft, also da sitzt nu einer, und müßt ihr euch ma von seine Seite aus vorstelln. Für den kommt da ja nu einer rein und droht mit Arbeit. Siehs du, und nu wißt ihr auch, warum die Leute in’n Büro immer so unfreundlich sind, sind sie aber nur, wenn einer reinkommt. Und das is ja auch genau das Problem, meistns sind die ja freundlich, nech, bloß wenn einer reinkommt, denn nich, wenn aber ma sehn wills, wenn die freundlich sind, tja, denn muß reingehn, und denn is aus mit e Freundlichkeit, has keine Möchlichkeit, die ma bei e Freundlichkeit zu erwischn, geht einfach nich. So is das, könnt ihr mir glaubm. Nu is ne Post ja auch nix anneres als n Büro, nur in’n Gegnsatz zu’n normaln Büro sind das Beamte, nech, und Hermine denn auch rein mit ihre Briefmarke für zehn Mark und hat sie denn den Beamtn auch erzählt, daß sie die nich nötich hat. Ers ma muß du das so n Beamtn ma klarmachn, der hält das nämlich für n Wertgegnstand, is das aber nich, is man bloß n lütt Stück Papier mit n büschn Klebe hintn an, sons 153
nix. Kanns ne Dienstleistung für kriegn in den Wert, der da auf steht, also zehn Briefe zu’n Beispiel, geht aber ja nich mit nur eine Marke, auch denn nich, wenn da zehn Mark auf steht. Hat der Beamte gefraacht, warum sie denn nich zehn einzelne Markn gekauft hat. Daß ich hier nu Hermine ihre Antwort nich erzähl, is wegn n Jugndschutz, und denn hat sie die Marke durch n Schlitz und sollte denn umgetauscht werdn. Der Beamte wollte Hermine ihre Marke aber nich habm, mach angehn, daß er auch nix mit e Marke für zehn Mark anfangn konnte, mach aber auch angehn, daß er da n Formblatt für ausfülln muß, und is ja auch richtich, das mit so n Formblatt, muß der Postminister ja ne Kontrolle über habm, über das Geld von e Post, sons kommt das wieder, daß der Finanzminister nich genuch Geld in e Kasse hat, nech, geht denn zu’n Bundeskanzler, erzählt den das, und der aber nix eiligeres als zu’n Postminister und fraacht den, wo Hermine ihre zehn Mark gebliebm sind. So war das, könnt ihr mir glaubm. Als nämlich noch ne Briefmarke für ne Mark für n Brief gelangt hat, da gab das noch n richtign Postminister. Denn hat er sich aber selber überflüssich gemacht, als er anstatt bloß Briefmarkn gleich die ganze Post verkauft hat. Und denn hat Hermine den Beamtn doch tatsächlich zu’n Arbeitn überredet, ja, ich mein, für so kleine Wunder is Hermine ja auch in’n Museumsdorf zuständich, so als Kräuterweib, kann man sich aber an gewöhn’n, und hat sie denn zehn einzelne Briefmarkn gekricht, diesma sogar mit Bilder auf. 154
Der Tannenbaum Den Tach vergißt Hermine in ihrn ganzn Lebm nich mehr, ich mein, das liecht ja nu zu’n Teil an den Briefmarknautomatn letzte Woche, nech, wär sie ja sons diese Woche gar nich nach e Post hin, und bevor zu Hause lange Weile has, streites doch lieber mit n Beamtn, kanns ma sehn, wo so n Automat gut für is, und brauchs ja sons in’n Jahr auch gar keine Briefmarkn, is ja bloß wegn Weihnachtn, nech, schreibt sie denn Kartn, kommt n Zehnmarkschein rein und denn in n Umschlach. Gibt denn ja doch auch n paar Verwandte, die nu all lange nich mehr in’n Dorf wohn’n, und kanns denn auch nich überall hinfahrn. Is sowieso all lange her, daß Hermine die ma alle gesehn hat, war an ihrn erstn neunzichstn Geburtstach. Is nu aber egal, denn kam der Selbsbedienungsladn, und draußn vor e Tür, da hattn sie noch n Stand mit Tann’nbäume. Bis ma mit n Tann’nbaum in n Bus gestiegn? Ich mein, so n ordntlichn Tann’nbaum für e ganze Familje, so, wenn von e Seite in n Bus einsteichs, muß gegnüber n Fenster aufmachn, und der Bus war voll, auch die Stehplätze. Erster Versuch: Mit e Spitze voran, ging nich, war er zu breit zu, denn hochkant, war er zu hoch zu, also mit n Stamm zuerst, fümf Minutn Verspätung muß für sowas einkalkuliern, ich mein, has viel Geld für bezahlt, wills 155
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ihn ja auch mitnehm’n, den Baum, und sagn sie ja auch in e Werbung immer: Busse und Bahn’n, weils vernümftich is, und Hermine is nu ma vernümftich, auch denn, wenn sie n Tann’nbaum mithat. Hattn die annern Fahrgäste ne annere Ansicht über, vernümftich is, wenn n Tann’nbaum mit n Auto kaufs, sons is das unbequem in’n Bus, und das darf das nich, verstehs? Bequem muß das sein, das Schützn von e Umwelt. So is das, könnt ihr mir glaubm. Nu konnte Hermine ja nu nix dazu, daß die hier so n lüttn Bus nehm’n, und denn war sie endlich drin in’n Bus, ich mein, n Sitzplatz krichs natürlich nich mit so n Tann’nbaum, das is klar. Stand auch ne Kinderkarre in’n Bus mit ne lütte Deern in, hat ganz friedlich geschlafm, sah auch ganz niedlich aus, und denn kam die Kurve. Ich mein, kann ja ma passiern, daß so n Baum n büschn Schlachseite kricht, und denn so n Zweich mit e spitzn Nadeln untere Nase von e Deern längs, nech, war das mit e Friedlichkeit aus. Hat die Lütte denn ers ma ausgiebich Stimmbandtest gemacht. Ich mein, verstehn kanns das ja, nech, so n Tann’nbaum in e Stube mit Kerzn an und Geschenke unter is denn ja doch was anneres als wenn der mit e spitzn Nadeln unter e Nase in e zarte Haut piekst. Konns nix sehn, so nu nich, is nich schlimm gewesn, aber schlaf du ma friedlich zu, und denn piekst dir einer mit e Tann’nnadel in e Oberlippe, verjaachs dich auch, also, verjagn heißt erschreckn, nich daß das hier einer verkehrt versteht. Hermine denn auch den Baum zurück, mit n büschn 157
viel Schwung und den Herrn hinter ihr den Hut von’n Kopp. Brille hing auch n büschn schief. Entschuldign tat nich nötich, hätte sowieso keiner verstandn wegn n Geschrei von e Deern. Nu bück dich ma nach n Hut, wenn der Bus voll is. Was du dabei obm an Platz freigibs, das brauchs untn denn mehr, also komms mit e Stellfläche nich mehr hin, läuft denn ungefähr so: Hut fällt runter, intressiert kein’n außer den Besitzer, der also runter, drückt dabei mit n Achterstevn, also mit sein’n Hintern, gegn ein’n Herrn von’n Einwohnermeldeamt in’n dunklen Anzuch und n schwarzn Aktnkoffer, der denn ganz gegn sein’n Willn auf n Schoß von e kräftich parfümierte Dame Platz nimmt. Den Strauß Astern konns wechschmeißn, und der Herr war auch froh, daß das keine Rosn gewesn sind. Vorne muß denn aufpassn, daß nich mit e Nase in’n Ausschnitt von’n Kleid von irgnd jemand hängn bleibs, bevor mit e Hand an n Hut komms, wenn nämlich mit e Nase festhängs, is das aus mit n Bewegn. Kanns auch da an sehn, daß Bulln immer n Nasnring kriegn, nech, wenn der ma wild wird, kanns ihn denn an’n Ring fassn, und denn is er ganz ruhich. So is das, könnt ihr mir glaubm. Also der Herr denn auch, nech, bei’n Bückn auf e Nase aufgepaßt, dabei aber mit n linkn Ellbogn die Mutter von e lütte Deern unsittlich berührt, die denn von’n ein’n Fuß auf n annern mit so n leisn spitzn Schrei, also nich richtich Schrei, eher so erschrockn, nech, und dabei auf n Hut getretn. 158
Nu is so n Fußbodn in’n Bus ja in’n Dezember, also gibt das n büschn Schnee, n büschn Matsch, n büschn Salz und is nich gut für Hüte, gehörn Hüte aber ja auch nich hin und zwischndrin steht Hermine mit ihrn Baum. Ich mein, was ich hier nu so breit erzählt hab, das ging natürlich allns gleichzeitich und in Sekundnschnelle und is ja auch noch nich viel kaputtgegangn, guck ma, an Hermine ihrn Baum is noch nich ma n Zweich abgeknickt, hat sie ganz gut auf aufgepaßt, ich mein, so einfach is das ja nich, wenn die Leute in’n Bus so unruhich sind, nech, wie die klein’n Kinder, und allns bloß wegn den Kerl mit sein’n Hut. Nee, is doch war, Mensch, warum bückt der sich denn überhaupt, wär er einfach stehngebliebm, wär sein Hut dreckich und eingedrückt. Nu hat er sich aber gebückt, und nu is sein Hut auch dreckich und eingedrückt, was hat das Bückn also genützt? Nix. Hat bloß Schadn angericht’t, nech, n kaputtn Blum’nstrauß, und n Beamtn von’n Einwohnermeldeamt, den das peinlich is mit die duftnde Dame, hat auch n ganz rotn Kopf, der Mann, hat Hermine ihn denn ihre Herztropfm empfohln, sind auch gut gegn zu hohn Blutdruck, wollt er aber nix von wissn. Langsam is denn wieder Ruhe gewordn in’n Bus, bloß die lütte Deern, die hat noch n büschn geweint bis Hermine ausgestiegn is.
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Der heilige Abend Anita trächt n Kind unter ihrn Herzn. Ich mein, das is nu bei so ne hübsche Deern ja auch kein Wunder, nech, aber so n büschn überrascht war Hermine denn ja doch, also ausgerechnet Anita, und wer soll denn nu in’n nächstn Jahr Kräuter suchn für n Museumsdorf? Wenn das Erika gewesn wär, da kenns das ja von, bei Erika gibs ja bloß zwei Möchlichkeitn, entweder sie is in’n Kindbett oder nich, nech, und wenn nich, denn is sie schwanger, wart ma ebm, in den Jahr, wo ich nu von erzähln will, da war Katrin fümf, ja, genau, da hatte sie all drei lütte Geschwister und immer noch kein’n Kindergartn in’n Dorf, gibt auch kein’n mehr, hat der Bürgermeister gesaacht. „Nee“, hat er gesaacht, „allns wird teurer“, hat er gesaacht, „da könn’n wir uns kein’n Kindergartn leistn.“ Hat Hermine denn auch zu ihn gesaacht: „Allns wird teurer, Bürgermeister, „man bloß deine Ausredn nich, die werdn immer billiger.“ Er hat ja nu auch ne gute Ausrede, kanns nix von sagn, er meint, daß das um e Jahrhundertwende auch kein’n Kindergartn gegebm hat, da geht das nu in’n Museumsdorf natürlich auch nich, aber wollt ich jetz eigntlich gar nich von erzähln. Als Hermine mit ihrn Tann’nbaum aus n Bus gestiegn is, war Herrmann da, hat er auch gleich geschimpft, nech, also daß sie in ihrn Alter n Tann’nbaum selbs aus e Stadt, 160
und is doch auch viel zu schwer, und er hätte doch mit sein’n Auto und vor alln Dingn, was solln denn nu die Leute davon denkn, wenn da keiner aus e Familie helfm will, ich mein, sieht für e Leute ja auch so aus, nech, die wissn doch gar nich, daß Hermine da selbs an Schuld is, und war sie denn auch beleidicht. „Alt“, hat er gesaacht, und so lange dauert das denn ja nu auch nich mehr, bis er sie eingeholt hat, der wird ja auch ma neunzich, ma guckn, ob er denn immer noch „alt“ saacht. Habm sich aber nu wieder vertragn, muß ja auch, is ja Heilichabmd. Und nu das mit Anita, also sowas, krichs das so batz unter n Tann’nbaum erzählt, nech, hat Hermine aber ja auch gleich gesaacht, daß das Museumsdorf in’n Winter keine Betriebsferien machn soll, is doch auch wahr, Mensch, wenn hier jedn Tach die Leute aus e Stadt da sind, denn has doch gar keine Zeit zu’n Schwangerwerdn. Nee, warte ma, muß doch all n paar Tage her sein, wenn sie das nu all genau weiß, denn war das Museum ja noch auf. Soll doch wohl nich so n Bengel aus e Stadt ma ebm nachgeguckt habm, ob hier auf n Dorf tatsächlich unter jedn Dach die Sünde mitwohnt? Ich mein, ihr kennt ja die Gerüchte, die das so über n Dorflebm gibt. Und mit Anita nach e Sünde suchn, also kann ich mir ganz gut vorstelln, und warn ja auch immer die meistn Besucher bei’n Kräuterhaus, aber nur, wenn Anita da war, einma in’n Monat standn sie alle bei e Kirche rum, Anita auf n Scheiterhaufm is ja auch an’n meistn fotografiert wordn, und denn mit e Kameras, nech, warn ja ganz neu, 161
gabs noch gar nich so lange, und wenn Anita denn ne Kamera gesehn hat bei’n Publikum, du, denn ging das aber los mit ihrn schauspielerischn Talent, konns mein’n, der Hümpel brennt all, und denn hat sie auch die Leute von obm mit gefesselte Hände von ihre Folter erzählt, ich kann dir sagn, du, is nich bloß einma ein’n bei schlecht gewordn, habm denn auch meistns nix mehr von n Oxn gegessn. Und nu trächt sie wie gesaacht n Kind unter ihrn Herzn, und heute is Heilichabmd, und an Heilichabmd hat der Dokter zu, kanns nich in’n Wartezimmer sitzn, und morgn nich und an’n zweitn Feiertach auch nich, und denn is ersma Sonnabmd, denn Sonntach, und bei’n Notdienst macht das kein’n Spaß, da bis ja ganz alleine. So is das, könnt ihr mir glaubm. Das is aber auch gemein is das, kanns nu gar nich mit all die annern Patientn über schnackn, Mensch, is aber doch wichtich, kanns doch die Deern nich alleine lassn bei’n Vatersuchn. Ich mein, so n paar gute Vorschläge komm’n da ja doch immer bei raus in’n Wartezimmer. Muß Hermine ebm alleine ma über nachdenkn und war denn eigntlich auch ganz einfach, guck ma, war ja Heilichabmd, nech, und das is doch der Feiertach für e Geburt von’n Jesuskind, und so ne Geburt is ja nu nix weiter als das Ende von e Schwangerschaft, is doch n Wink von’n liebm Gott, wenn Anita grade nu in geseechnete Umstände und hat Maria ja schließlich auch nich erzählt, wer dahinter steckt, nech. Ich mein, Joseph war das nich, soll sie ma gesaacht habm, aber sons? 162
Später is denn wohl irgnd n Paster auf gekomm’n, daß das denn wohl der heilige Geist, nech, naja, und das kann doch nu bei Anita auch angehn. Nee, guck ma, wenn das in’n Dorf all ne alte unsterbliche Hexe gibt, denn muß das doch auch, also so in’n Gegnsatz zu e Hölle muß doch denn einer aus n Himmel, und Anita wär ja auch genau richtich als Lehrling von Hermine, der liebe Gott muß ja schließlich dicht bei e alte unsterbliche Hexe einschlagn, und als Hexe darf sie denn auch n paar gotteslästerliche Gedankn habm, nee, die muß sie sogar habm, sons wär sie ja gar keine richtige Hexe, und nu is sie fest davon überzeucht, daß das den heilign Geist aber ordntlich Spaß gemacht hat mit Anita. Und wenn Anita denn ihr Kind hat, das hat Hermine sich ganz fest vorgenomm’n, denn feiert sie zweima in’n Jahr Heilichabmd.
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Der Markt Stell dir ma n Markt vor, is ja immer was los, nech, und denn stell dir ma Hermine vor, is ja nu auch nich direkt langweilich, und nu stell dir ma Hermine auf n Markt vor. Nee, is doch wahr, Mensch, Leute, die das fertichkriegn, n Antiquitätnhändler ne alte Hutschachtel, also ihr wißt ja noch, nech, ne neue alte Hutschachtel für siebmhundertsiemundsiebzich Mark anzudrehn, der muß ja eigntlich auf n Markt geborn sein. Ich mein, ganz so war das bei Hermine ja nich, die is in’n Bett auf e Welt gekomm’n, wie sich das gehört, komms ja sons auch ins Gerede, und das wollte Hermine ihre Mutter ja nu nich. Also, Hermine wär das in den Alter noch egal gewesn, später eigntlich auch, aber da geht das hier nich um. Nee, Hermine war ma wieder auf n Markt, wollte sie gar nich hin, komms aber nich an vorbei, wenn an’n Dienstach nach n Altersheim hin wills, muß du nämlich genau über n Marktplatz in e Stadt, gibt kein’n annern Weech, und kanns ja nich bloß darum auf n Besuch bei Heinnerich verzichtn, weil grade Markt is und du da nich hin wills, geht ja auch nich. Hat Heinnerich sich denn auch zu gefreut. Hab ich euch eigntlich schon ma erzählt, was Heinnerich zu den Katalooch gesaacht hat, den Hermine ihn damals aus Flensburch bestellt hatte? Nee? Macht nix, gehört hier 164
auch nich her, seit den Tach nimmt er die selbm Herztropfm wie Hermine. Kam sie denn auch an’n Kartoffelstand vorbei, ich mein, sie hat ja selber Kartoffeln in’n Gartn, aber muß ja ma guckn, nech, brauchs ja ma n Vergleich, und hat sie denn die Marktfrau auch nach gefraacht, warum die ihre Kartoffeln in n Plastiknetz eingesperrt hat, und vor alln Dingn warum die grün’n untn liegn. „Sind keine grün’n bei“, hat die Marktfrau gesaacht, und die Leute um rum habm schon so n büschn neugierich geguckt. War Hermine andrer Ansicht über, nimmt so n Beutel, dreht den um und zeicht den in e Runde. „Sind doch grün, nech?“ An den Tach sind auf n Markt die Kartoffelpreise gefalln. An e Fischbude is sie einfach so vorbei, von’n Fisch versteht sie nix, und wills dich ja auch nich blamiern, könnte denn ja angehn, daß der Fischhändler recht hat, aber bei’n Spargel. Guckt sich den n Augnblick an und saacht: „Schade.“ „Bitte?“ saacht die Marktfrau, und Hermine noch ma: „Schade, aber kann ich nich brauchn.“ Und denn hat die Marktfrau n Fehler gemacht, nech, ich mein, wenn die nu nix mehr gesaacht hätte, wär ja gut gewesn, wär Hermine weiter zu’n nächstn Stand, aber die fraacht doch glatt: „Warum?“ „Weil meine Katrin man ers vier Jahre alt is, und da darf die noch nich mit n Schnitzmesser spieln.“ Wär ja noch zu rettn gewesn, die Situation, warn noch gar nich so viele Leute aufmerksam gewordn, aber hat die Marktfrau gar nich so gemerkt. „Wolln Sie damit sagn, 165
daß mein Spargel holzich is?“ Das hat die nu aber all so laut gefraacht, daß sich sogar noch die Leute drübm bei’n Blum’nstand umgeguckt habm. Und von e annere Seite auch, muß dir so vorstelln wie auf n Entnteich, wenn Brot reinschmeißt, nech, denn komm’n sie von alle Seitn, und so denn auch die Leute hin nach n Spargelstand. Und denn hat Hermine das richtich Spaß gemacht: „Nee, dein Kaminholz stinkt nach Spargel.“ Habm n paar Leute gelacht, einer hat sogar sein Feuerzeuch ma kurz an so ne Spargelstange gehaltn, wollte aber denn doch nich brenn’n. Hat Hermine so aus n Augnwinkel gesehn. „Und zu naß is das auch.“ Und denn is sie ab, und n paar Leute hinterher, kanns ja vielleich noch was erlebm mit die Frau, sah aus wie Jesus mit seine Jünger, nur daß Hermine n paar mehr hatte. Hermine is denn aber doch nirgends mehr stehn gebliebm, nee, da hatte sie Bedenkn, daß sie denn die Leute nich wieder los wird, und zu Heinnerich wollte sie die ja nu nich alle mit hin habm.
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