Scan & L by : der_leser K&L : Yfffi Jänner 2003
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C. C. BERGIUS
HEISSER SAND R...
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Scan & L by : der_leser K&L : Yfffi Jänner 2003
FREEWARE Nicht für den Verkauf bestimmt
C. C. BERGIUS
HEISSER SAND Roman
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE-BUCH Nr. 5174 im Wilhelm Heyne Verlag, München
6. Auflage Genehmigte, ungekürzte Taschenbuchausgabe Copyright © by Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH/C. Bertelsmann Verlag, München, Gütersloh, Wien Printed in Germany 1979 Umschlagfoto: Hermann Volke, München Umschlaggestaltung: Atelier Heinrichs, München Gesamtherstellung: Presse-Druck, Augsburg ISBN 3-453-00512-0
Am 14. Dezember 1932 starteten die Piloten Alan Butler und Albert Douglas bei bester Wetterlage zu einem Versuchsflug von Adelaide nach Port Darwin: 3200 Kilometer quer über Australien. Da sie ihr Ziel nicht erreichten, gab die Regierung Polizei- und Militärfliegern den Auftrag, die Vermißten zu suchen. Doch so systematisch das in Frage kommende Gebiet abgeflogen wurde, die verschollenen Piloten und ihr Flugzeug konnten nicht gefunden werden. Nach Wochen vergeblichen Suchens sah man sich gezwungen, die erfolglose Rettungsaktion abzubrechen. Zwei Menschen aber, der Flugmonteur S. Holbert und der Polizeioffizier C. P. Smith, gaben sich mit dem Mißerfolg nicht zufrieden und stellten weitere Nachforschungen an, die am 17. April 1933 zu einer sensationellen, merkwürdigerweise jedoch kaum bekannt gewordenen Entdeckung führten. Das Protokoll C. P. Smiths und ein von ihm sichergestellter Fund, ferner der Bericht einiger Reisender, die 1955 und 1958/59 Zentralaustralien durchquerten, sowie das Ergebnis eigener Recherchen beim Department of Civil Aviation, Melbourne, und Air Ministry, London, liegen diesem Roman zugrunde.
I Zermürbende Hitze brütet über der Nordküste Australiens, und aus dem Dschungel des Hinterlandes weht ein atemberaubender Fieberwind, als der von einem jungen Australier gesteuerte Wagen des Engländers Clyborough den Hafen von Darwin verläßt. In der Luft hängt der scharfe Geruch von Tang, verwesenden Fischen und Palmenöl, und nur wenige Chinesen und Malaien, denen die Hitze nichts auszumachen scheint, bewegen sich im Freien; die Weißen verlassen ihre Büros und Faktoreien erst bei sinkender Sonne, um stickige Bars aufzusuchen, in denen sie ihre verdorrten Kehlen mit Unmengen von Bier aufweichen, das sie im Stehen hinunterkippen. Clyborough sitzt neben dem Kraftfahrer, der mit zusammengekniffenen Augen auf die Fahrbahn starrt, über der die Luft schliert, daß man glauben könnte, sie sei mit Wasser übergossen. Im Fond hocken seine Begleiter: eine temperamentvolle Irin, eine kapriziöse Französin und ein strohblonder Schwede. Die Luft dampft förmlich, als der Wagen den tropischen Küstenstreifen durchfährt, der hin und wieder von fingerartig in das Land greifenden Buchten und Flüssen durchbrochen wird. Doch dann steigt die Straße, und Mangrovendschungel, Eukalyptuswälder, Pandanuspalmen und Bambus weichen immer mehr zurück. Die Erde wird rot wie Paprika, und die Sonne glüht erbarmungslos. Vereinzelt noch tauchen knorrige Akazien auf, dann aber gibt es nur noch Salzbüsche und rasiermesserscharfe Gräser, die ein kniehohes Labyrinth von Fußangeln bilden, durch das kein Tier hindurchzuschlüpfen vermag: die Wüstensteppe hat begonnen. Eine endlose 5
Einförmigkeit breitet sich aus, die in das 1500 Kilometer weite, trostlose Never-Never-Land führt, aus dem es ohne technische Hilfsmittel kein Entrinnen gibt. Die Südsee noch vor Augen, ihren Salzgeschmack noch auf den Lippen und die feuchte Tropenluft noch in den Lungen, fahren die auf ein prickelndes Abenteuer erpichten Globetrotter dem toten Herzen Australiens entgegen. »Die Durchquerung der Wüste scheint doch anstrengender zu sein, als ich es mir vorgestellt habe«, sagt Clyborough, als der schweißtriefende Australier nach achtstündiger Fahrt auf die untergehende Sonne weist und zu verstehen gibt, daß es an der Zeit sei, das mitgenommene Zelt aufzuschlagen. »Ich möchte nur wissen, wie man es fertiggebracht hat, diese Straße zu bauen.« »Das kann ich Ihnen genau sagen«, erwidert der Fahrer, während er auf die Bremse tritt und den Wagen in eine Ausbuchtung dirigiert. »Ich kenne einen Ingenieur, der Anno zweiundvierzig dienstverpflichtet wurde und hier mitmachen mußte. Es war ja Krieg, und man befürchtete, die Japaner würden uns überfallen. Als er sein Bündel schnürte, war er dreiundzwanzig, als er zwei Jahre später zurückkehrte, war er ein alter Mann. Ausgemergelt, die Augen in tiefen Höhlen, das Gesicht voller Falten und zerstochen von Moskitos und Sandfliegen, stand er eines Tages vor seinen Eltern, die ihn kaum wiedererkannten. Hitze und Kälte, Sandstürme und Wassernot hatten ihn zur lebenden Mumie gemacht. In einer Hölle hatte er gelebt, in der weder Menschen noch Maschinen geschont wurden. Aber immerhin: er kehrte zurück und wurde nicht, wie viele seiner Kameraden, unter die Erde gescharrt. Und das will in Australien schon etwas heißen!« Der Engländer sieht den Fahrer fragend an. »Was wollen Sie damit sagen?« »Daß der Aufbau dieses Landes grenzenlose Opfer verlangt. 6
Für Australien scheinen Tote der beste Dünger zusein. Ich glaube, daß hier noch viele verrecken müssen.« Clyborough macht ein unwilliges Gesicht. »Sie vergessen, daß wir uns in Gesellschaft von Damen befinden!« »Und im Nie-wieder-Land!« fügt die Irin gelassen hinzu. »Er wird schon recht haben: hier kann man nicht sterben, nur verrecken!« Der Engländer faßt sich an die Nase. »Well, dann wollen wir das Zelt aufschlagen.« Die schnell sinkende Sonne gleicht einem Feuerball, der die Erde zu verbrennen droht. In ihre vibrierende Glut aber, die alle Dinge umfließt und verfärbt, mischt sich schon das magischblaue Licht des nächtlichen Tropenhimmels. Und das unstete Funkeln der früh aufsteigenden Sterne kündet bereits von der klirrenden Kälte der kommenden Nacht. Fast drei Tage schon dauert die Fahrt durch flimmernde Hitze und grelle Eintönigkeit, als die erschöpften und ausdruckslos auf das Betonband starrenden Globetrotter plötzlich zusammenzucken und sich erschrocken ansehen. Warum, das wissen sie nicht. Sie fühlen nur, daß ihre Muskeln sich spannen. Der Kraftfahrer, der bis dahin ruhig hinter seinem Steuer gesessen hatte, schnellt in die Höhe und tritt das Gaspedal durch. »He, was ist los?« fragt der Schwede. Der Australier schlägt auf das Steuer, als sei er von Sinnen. Clyborough erstarrt und blickt auf den Tachometer, dessen Nadel sich der Hundert-Meilen-Grenze nähert. »By Jove, Sie geben ja Vollgas!« ruft er ärgerlich. »Soll ich etwa anhalten?« brüllt der Fahrer, der die Nerven verloren zu haben scheint und mit fiebrigen Augen das vor ihm liegende Gelände absucht. »Wenn wir Glück haben, können 7
wir Barlow-Creek noch erreichen. Es muß unmittelbar vor uns liegen.« »Ein Ort hier mitten in der Wüste?« »Ein dreckiges Wellblechdorf! Der Teufel mag wissen, wie es dahin gekommen ist.« »Und was sollen wir dort?« »Uns in Sicherheit bringen!« Die Irin stößt einen Schrei aus. »Wovor?« fragt der Engländer. Der Australier ringt nach Luft. »Vorm Willy-Willy natürlich! Wenn Sie den noch nicht spüren, empfehle ich Ihnen, nach oben zu schauen! In spätestens fünf Minuten geht es los! Dann gleicht die Wüste einem Sandstrahlgebläse!« Clyborough schaut zum Himmel empor, der sich unheimlich verfärbt. »Sie meinen, daß ein Sandsturm aufkommt?« Der Australier nickt. Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn. »Und was machen wir, wenn wir Barlow-Creek nicht mehr erreichen?« Die Hände des Fahrers verkrampf en sich. »Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als in Richtung des Sturmes zu fahren – quer durch die Wüste!« »Warum?« »Weil der Orkan uns umschmeißt, wenn er uns von der Seite fassen kann. Und dann ist es aus!« Der Engländer und seine Begleiter blicken sich erschrocken an. Sie möchten etwas sagen, bringen aber kein Wort über die Lippen. Das Atmen wird von Sekunde zu Sekunde schwerer. Die Luft wird bleiern, und die Pulse fliegen, als beginne das Blut zu kochen. Die Französin versucht ihre Angst fortzulachen. Es gelingt 8
ihr nicht; spröde wie Glas klingt ihre Stimme. Der Himmel wird dunkel, ohne daß eine Wolke zu entdecken wäre. Weit voraus taucht eine Siedlung auf. Der Fahrer preßt den Gashebel gegen das Spritzblech. Die Reifen heulen. Am Horizont schließt sich ein schwarzer Vorhang. Das Schweigen wird zur Qual, bis jäh ein scharfes Zischen in der Luft liegt. »Um Gottes willen!« kreischt die Irin. »Reiß dich zusammen!« fährt der Schwede sie an. Sie will aufbegehren, doch da bricht ein Lärm aus, als donnerten Flugzeuggeschwader über sie hinweg. Und dann ist es, als stürze der Himmel ein. Der Australier duckt sich und umklammert das Steuer, als befürchte er fortgerissen zu werden. »Nur eine Minute noch!« schreit er in wilder Verzweiflung. Der Lärm steigert sich und droht die Trommelfelle zu zerreißen. Und dann poltert und kracht es, als berste die Erde auseinander. »Wir schaffen es nicht mehr!« ruft der Fahrer. »Doch!« erwidert Clyborough beherrscht. »Keine fünfhundert Meter trennen uns von dem Dorf.« Der Australier verfällt in ein irres Lachen. »Das sind dreihundert zuviel!« Er hat es kaum gesagt, da schießen Sandfontänen in die Höhe. »Die Fenster schließen!« schreit er und schaltet die Scheinwerfer ein. Keine Sekunde zu früh, denn schon im nächsten Moment ist das Licht des Tages wie von Geisterhänden fortgefegt. 9
Der Fahrer drosselt den Motor, aber der Wagen wird nicht langsamer, sondern schneller. »Wir haben Glück!« ruft er und tritt auf die Bremse. »Der Orkan schiebt uns vor sich her!« Kaskaden von Sand prasseln herab und schlagen gegen die rückwärtige Scheibe. Staubbänder rasen wie Geschosse vorbei. Im Kegel der Scheinwerfer tauchen Häuser auf, deren zerborstene Fenster und schief in den Angeln hängende Türen gespenstisch hin und her schlagen. Vor irgendwoher saust eine Wellblechplanke durch die Luft. Der Australier jagt an ein Gebäude mit verandaartigem Vorbau heran und ruft »Raus!«, bevor er den Wagen gestoppt hat. »Sind Sie verrückt geworden?« schreit der Schwede dagegen. »Das Haus ist baufällig und nicht bewohnt!« Der Fahrer stößt seine Tür auf. »Wer sollte hier auch wohnen? Barlow-Creek ist eine tote Stadt!« Die letzten Worte brennen wie Peitschenschläge in den Hirnen der Europäer, die mit sich und ihrer Umgebung nichts mehr anzufangen wissen. Mit geschlossenen Lidern und über Mund und Nase gehaltenen Tüchern hocken sie in einem dunklen Raum, dessen Aussehen sie nicht erkennen, gegen dessen Wellblechwände die in irrem Wirbel umhergeschleuderten Sandmassen aber wie Maschinengewehrsalven hämmern. Fast eine Viertelstunde dauert das infernalische Getöse, dann ist plötzlich alles vorbei. Als wäre nichts geschehen, kehrt das Tageslicht zurück, und würde nicht ein trockener, rostbrauner Staubnebel jede Sicht rauben, könnte man glauben, einen wüsten Traum geträumt zu haben. »Gehen wir nach draußen«, sagt Clyborough und ist den Damen beim Aufstehen behilflich. 10
Der Schwede beklopft sein Buschhemd. »Jetzt wissen wir wenigstens Bescheid: never, never – nie wieder!« Der Fahrer spuckt Sand aus. »Haben Sie so was schon häufiger erlebt?« fragt ihn die Irin. »Heute zum fünftenmal!« »Herzliches Beileid! Ich werde meinem Schöpfer danken, wenn ich Australien den Rücken kehren kann.« In diesem Augenblick geschieht etwas, das alle aufhorchen läßt: aus der hinteren Ecke des Raumes dringt ein belustigtes Kichern. »Ist dort jemand?« ruft der Australier. »Allerdings!« krächzt eine guttural klingende Stimme. »Und der Jemand lädt die Herrschaften zu einer guten Tasse Tee ein, wenn ihm das dazu erforderliche Wasser zur Verfügung gestellt wird.« Wie gebannt starren sie in die Ecke, aus der ein in eine weite Decke gehüllter alter Mann herausschlurft, dessen verfilztes Haar an ein Knäuel Wolle erinnert. Über seinem lederartigen und von tiefen Runzeln durchfurchten Gesicht liegt ein verschmitztes Lächeln, und seinen hinter wimperlosen Lidern liegenden Augen ist anzusehen, daß sie es gewohnt sind, über flirrende Steppen hinwegzublicken. »Da staunen Sie, was?« feixt er und streift seine Decke ab. »Aber trösten Sie sich: mir ging es im ersten Moment nicht viel anders, da ich mich vorm Ausbruch des Willy-Willy in meine ›Blaue‹ eingewickelt und deshalb von Ihrem Kommen weder etwas gehört noch gesehen hatte.« »Und wer sind Sie?« fragt ihn Clyborough. »Uns wurde gesagt, daß Barlow-Creek eine tote verlassene Stadt sei!« »Stimmt!« erwidert der Alte. »Mausetot ist dieses Township. Kein Mensch lebt hier mehr.« »Und Sie?« 11
»Er ist ein ›Swaggy‹«, sagt der Kraftfahrer, noch bevor der Alte antworten kann. »Vagabunden wie ihn kann man überall finden.« Der Alte grinst. »Wenn ich ein ›Swaggy‹ bin, bist du ein ›Bastard‹, du verdammte Rotznase!« »Aber, meine Herren!« mischt sich der Engländer schnell ein. »Sie werden doch jetzt nicht streiten wollen!« Die beiden Australier sehen ihn verwundert an. »Wie kommen Sie darauf?« fragt der Kraftfahrer. »Nun, Ihre Worte ... Aber ich bin froh, wenn ich mich getäuscht habe, was offensichtlich der Fall zu sein scheint.« Der Alte bleckt die Zähne und zieht ein Tuch aus der Tasche. »In Australien sind rauhe Wort eine Art Liebkosung.« Der Schwede lacht. »Ich fange an, den Sandsturm zu verstehen: rauh, aber herzlich!« Der Alte, der sich gerade schneuzen will, kneift die Lider zusammen. »Den Willy-Willy sollten Sie aus dem Spiel lassen! Den haßt jeder, und ich besonders, weil er ... Aber wozu darüber reden. Sagen Sie mir lieber, wie es mit dem Wasser für einen anständigen Tee aussieht.« »Ein paar Liter kann ich stiften«, erklärt der Fahrer. »Dann her damit. Zunächst kommt aber mein Wagen an die Reihe.« Clyborough stutzt. »Sie haben ein Auto?« »Denken Sie, ich tippele zu Fuß? Ich hab’ natürlich keinen Straßenkreuzer, nur einen uralten Ford – ’ne Tin-Lizzy.« Die Irin schlägt die Hände zusammen. »Eine Tin-Lizzy haben Sie? Mein Vater erzählte die tollsten Geschichten von diesem Wagen. Muß ja ein verrücktes Vehikel sein! Wo haben Sie es stehen?« »Ein paar Häuser weiter in einem Schuppen. Wenn Sie 12
wollen, zeige ich es Ihnen. Aber dann kochen wir Tee! Es dauert ohnehin Stunden, bis der Sandstaub gefallen ist und Sie weiterfahren können.« »Dann dürfte es zweckmäßig sein, sich miteinander bekannt zu machen«, sagt der Engländer. Der Alte feixt und reicht seine rußverklebte Hand. »Ist in der Wüste zwar nicht üblich, macht mir aber verdammt viel Spaß. Howard ist mein Name, George Howard.« »Clyborough«, erwidert der Engländer ein wenig verwirrt und nennt die Namen seiner Begleiter. »Sind Sie auf dem Weg nach Süden oder Norden?« erkundigt sich der Alte. »Nach dem Süden. Und Sie?« »Ebenfalls. Ich komme allerdings auch von dort und fahre erst übermorgen zurück.« Der Schwede lacht hellauf. »Man könnte meinen, Sie hätten geschäftlich hier zu tun.« Der Alte reibt seine Bartstoppeln. »Was werden Sie erst denken, wenn ich Ihnen sage, daß ich seit dreiunddreißig jedes Jahr hierher fahre?« »In diese verlassene Stadt?« »In diese seit nunmehr zwanzig Jahren von allen Menschen verlassene Stadt.« Der Schwede krault sich die Haare. »Wenn man das weiß, denkt man natürlich nicht an Geschäftsfahrten. Eher an den Spruch: Der Täter kehrt immer wieder an den Ort ...« Er schweigt plötzlich und blickt unsicher zur Seite. Die Lider des Alten klappen wie Fensterläden herab. »Wissen Sie, daß Sie der Wahrheit verdammt nahekommen, Sir? Barlow-Creek ist nämlich nach einem Piloten benannt, dessen Monteur ich war und dem ich, wie ich befürchte, allerhand angetan habe. Jeff Barlow war damals ... Aber das 13
wird Sie nicht interessieren«, unterbricht er sich. »Oh, doch!« sagt die Französin und tritt an ihn heran. »Erzählen Sie uns seine Geschichte. Und sagen Sie uns auch, warum diese Stadt verlassen wurde.« Der Alte nagt an seinen Lippen und blickt unschlüssig vor sich hin. »Na, schön«, sagt er schließlich. »Sie können ja doch nicht weiterfahren. Und vielleicht ist es ganz gut, wenn ich einmal ... Zunächst werde ich uns aber einen Tee kochen; der Willy-Willy hat mich völlig ausgetrocknet.«
II Wie ein rotvioletter Lampion hängt die Sonne über dem rostbraunen Staubnebel, als sich Clyborough und seine Begleiter zu dem Australier setzen, der auf offener Straße ein kleines Feuer entfacht, über das er einen rußgeschwärzten und total verbeulten Topf stellt. »Der scheint auch schon allerhand erlebt zu haben«, sagt der Schwede und blickt grinsend von einem zum anderen. Der Alte nickt. »Ich hab’ ihn jedes Jahr mit hierher genommen, und so soll es auch bleiben. Von mir aus kann mein ›Billy‹ aussehen, wie er will.« »Billy?« fragt die Irin erstaunt. »Haben Sie Ihrem Topf einen Namen gegeben?« Der Alte schmunzelt. »Man merkt, daß Sie unser Land nicht kennen. In Australien ist alles anders und heißt alles anders als in der übrigen Welt. Einen Kochtopf zum Beispiel nennen wir ›Billy‹, eine Decke ›Blaue‹, den Sandsturm ›Willy-Willy‹ und sympathische Menschen ›Cobber‹ oder ›Mate‹.« Clyborough schüttelt den Kopf. »Ein merkwürdiges Land.« »Möglich«, erwidert der Alte und stochert in den Flammen herum. »Darum steht aber doch fest, daß man sich hier 14
verdammt wohl fühlen kann. Zugegeben, mit der Natur stehen wir auf Kriegsfuß, dafür kennen wir aber keine Kriege. Und jeder in Australien ist sein eigener Herr und kann tun und lassen, was er will.« »Interessiert doch niemanden!« wirft der Kraftfahrer ein. »Erzähl lieber die Geschichte von dem Piloten. Was war mit ihm?« Der Alte wirft eine Handvoll Tee in das Wasser, das er mit einem Holzstück umrührt. Dann zieht er ein vergilbtes Foto aus der Tasche und reicht es der neben ihm sitzenden Französin. »Das ist er!« Sie blickt in ein offenes Männergesicht, das jungenhafte Züge aufweist und doch voller Energie ist. Sein Haar ist flachsblond, und in seinen hellen Augen liegt etwas Forschendes. »Interessanter Mann«, sagt sie und reicht das Bild weiter. »War er Militärflieger?« »Für die Militärfliegerei hatte er wenig übrig, obwohl er Reserveoffizier war und wir ihn meistens ›Captain‹ nannten. Ihn beschäftigten andere Dinge: Forschungsaufgaben, Erprobungen und dergleichen. Dauernd tiftelte er an irgendwelchen Geräten herum, die er selber baute und in seiner Maschine ausprobierte.« »Er hatte ein eigenes Flugzeug?« »Und was für eines! Einen mit einem Le Bond-Motor ausgerüsteten Doppeldecker vom Typ ›American Eagle‹ mit dem er eines Tages etwas machte, was allgemein aufhorchen ließ: er spielte den Wettermacher! Mit einem von ihm erdachten und zwischen den Tragflächen befestigten Gerät schoß er beim Durchfliegen von Wolken kleine Trockeneiskugeln ab und löste dadurch kräftige Regenschauer aus!« 15
Die Irin schneidet eine Grimasse. »Wollen Sie uns auf den Arm nehmen?« Clyborough schüttelt den Kopf. »Das glaube ich kaum. Ich weiß zufällig, daß zur Bildung von Regentropfen unter anderem auch Kälte-Kernstoffe gehören, und letztere hat Captain Barlow offensichtlich in Form von Trockeneiskugeln in die Wolken geschossen.« »So war es!« krächzt der Alte begeistert. »Und ob Sie es mir glauben oder nicht: es regnete so stark, daß sich vor unserer Flugzeughalle Pfützen bildeten!« »Phantastisch!« sagt die Französin. »Der Meinung waren auch die Herren der CSIRO*, als Barlow ihnen seinen Trick vorführte. ›Zum Teufel‹, sagten sie, ›wenn Sie einen Vertrag mit uns abschließen, kaufen wir Ihnen ein erstklassiges Langstreckenflugzeug, mit dem Sie Ihre Versuche im großen fortsetzen können. Sie brauchen nur zu sagen, welche Maschine Sie haben wollen!‹ ›Eine Fokker!‹ schrie der Captain. ›Eine Fokker F VII/3!‹« Der Alte schmunzelt und fährt sich durch die Haare. »Eine dreimotorige Maschine, das war natürlich ein bißchen happig. Aber so war er: in fliegerischer Hinsicht kannte er keine Grenzen. Na, man einigte sich auf eine gebrauchte einmotorige Fokker F VII, die eine englische Luftverkehrsgesellschaft gerade zum Verkauf angeboten hatte, und kam überein, daß Barlow bis zum Eintreffen des neuen Vogels weitere Versuche mit seiner eigenen Maschine durchführen solle. Das tat er dann auch, bis er eines Tages zum Nicholson-Gebirge flog und – nicht zurückkehrte.« *
CSIRO = gebräuchliche Abkürzung für »Australian Commonwealth Scientific and Industriell Research Organization«, die von staatlicher Stelle gelenkt wird. Die Hauptaufgabe der Organisation, die über 3000 Wissenschaftler und Angestellte beschäftigt, ist die künstliche Bewässerung des Landes und Nutzbarmachung von Trockengebieten. 16
»Abgestürzt?« fragt der Engländer. »Wir wußten es nicht, konnten lediglich in Erfahrung bringen, daß zur Zeit seines Fluges ein Willy-Willy nach Westen gerast war, und hofften, daß er den Captain nur abgetrieben und schließlich wegen Benzinmangels zur Notlandung gezwungen habe. Um es kurz zu machen: das in Frage kommende Gebiet wurde drei Wochen lang vergeblich abgeflogen. Dann wurde die Suchaktion aufgrund von höchster Stelle ergangenen Befehles abgebrochen, und ich war fast verrückt vor Wut.« Die Erinnerung erregt den Alten so sehr, daß er wie besessen in dem von ihm entfachten Feuer herumstochert, in dessen Flammen er plötzlich Bilder längst vergangener Zeiten aufsteigen sieht. »Das ist eine Gemeinheit!« hört er sich schreien. »Ihr könnt und dürft die Aktion nicht abbrechen! Der Captain ist zäher als wir alle miteinander! Ich gehe tausend Wetten ein, daß er noch lebt!« Die Offiziere der Australian Air Force, die der junge und stämmige Monteur in ohnmächtiger Wut angeschrien hatte, empörten sich nicht, sondern blickten verlegen vor sich hin. »Ich verstehe Sie«, sagte ihm ihr Kommandant, »und es ehrt Sie, daß Sie sich so sehr für Ihren Boß einsetzen. Aber alles hat seine Grenzen – auch die Widerstandskraft eines Barlow! Nach menschlichem Ermessen kann er nicht mehr leben; es hat keinen Zweck, ihn weiterhin zu suchen.« »Und was ist, wenn er doch noch lebt?« begehrte George Howard auf. Der Kommandant sah ihn mitleidig an »Ohne Nahrung und Wasser?« »Wer sagt denn, daß er nichts zu essen und zu trinken hat? Vielleicht sitzt er in einem ausweglosen Tal, in dem es Beeren und andere Dinge gibt. Außerdem hat er eine Pistole bei sich! 17
Glauben Sie, daß er nicht losballert, wenn ihm ein Tier über den Weg läuft?« »Natürlich wird er dann schießen. Aber wo liegt das sagenhafte Tal, das Ihnen vorschwebt? Wir haben den gesamten Distrikt systematisch durchforscht und nichts gefunden. Was also könnten wir noch tun?« »Noch mal von vorne anfangen!« »Sie sind ja nicht gescheit«, erwiderte der Kommandant und ließ ihn stehen. Die darauffolgenden Wochen und Monate wurden für Howard zu einer einzigen Qual; er konnte sich nicht von dem Gefühl befreien, daß Barlow noch lebe. Doch wer hörte schon auf ihn? Er war ein kleiner Monteur, und es nutzte nichts, daß er etliche Male nach Perth fuhr, wo er die Herren der CSIRO immer wieder bedrängte, eine zweite Suchaktion in die Wege zu leiten. Was immer er unternahm, er hatte keinen Erfolg. Nicht einmal bei Pamela Barlow, der Frau des Piloten, die er in der 2000 Kilometer entfernten Küstenstadt Adelaide aufsuchte. »Wir müssen den Tatsachen ins Auge schauen«, sagte sie ihm. »Jeff kann nicht mehr leben! Glauben Sie mir, es wäre sinnlos, sich nochmals an die Regierung zu wenden, die wirklich alles in ihrer Macht Stehende getan hat. Unabhängig davon muß ich mich auch davor schützen, erneut Hoffnungen in mir zu wecken, die eines Tages doch wieder wie Seifenblasen zerplatzen werden.« »Das glaube ich eben nicht!« beschwor er sie. Sie machte eine müde Bewegung. »Ich wünschte, ich besäße die Kraft Ihres Glaubens. Aber ich will nicht klagen«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. »Ich besitze wenigstens die Kraft, den Schicksalsschlag einzustecken, und werde nun dafür sorgen, daß unser Junge die Ausbildung erhält, die mein Mann sich für ihn erwünschte.« 18
Mit Gott und der Welt hadernd, kehrte Howard zu dem zwischen der Hafenstadt Perth und den Goldfeldern von Kalgoorlie gelegenen Flugplatz Deborn-Rock zurück, wo im Auftrage der CSIRO eine neue Halle für die inzwischen gekaufte einmotorige Fokker errichtet wurde. »Wozu das alles, wenn Sie nicht den geringsten Versuch machen, den Captain zu retten!« fuhr der Monteur den Leiter der Forschungsstelle an, als dieser eines Tages auf dem Flugplatz erschien, um sich über den Fortgang der Arbeiten zu informieren. Sir Geoffrey Higgins sah ihn fassungslos an. »Glauben Sie etwa immer noch, daß Barlow ...?« »Ja und tausendmal ja!« unterbrach ihn Howard. »Und ich glaube es nicht nur, ich weiß es! Des Nachts höre ich ihn sogar fluchen, weil ich nicht bei ihm bin und ihm helfe!« Der Leiter der CSIRO nahm ein Tuch aus der Tasche und betupfte sich die Stirn. »Wie wäre es, wenn Sie mal Urlaub machten und für ein paar Wochen an die See führen?« »Sie denken, ich sei übergeschnappt?« »Nein, nur etwas mit den Nerven heruntergekommen. Die zurückliegenden Monate waren eine harte Belastung für Sie.« »Und warum?« empörte sich der Monteur. »Weil Sie es geduldet und nichts dagegen unternommen haben, daß die Suchaktion abgebrochen wurde! Wissen Sie, was meine verdammt ehrliche Meinung ist? Daß Sie eine nicht wiedergutzumachende Schuld auf sich geladen haben !« Sir Geoffrey Higgins rang nach Luft. »Sie scheinen keinen Wert darauf zu legen, weiterhin mit uns zusammenzuarbeiten. « »Nicht den geringsten!« schnaubte Howard. »Ich baue nur noch die Fokker zusammen, und dann hau’ ich ab!« »Bedauerlich für Sie. Wir hatten vor, Sie als Bordmonteur zu 19
übernehmen.« Howard lachte schneidend. »Und wer soll die Kiste schaukeln? Im ganzen Westen gibt es keinen Piloten, der berechtigt wäre, eine Fokker F VII zu fliegen!« »Weshalb ich ein wenig vorgesorgt und einen englischen Piloten engagiert habe. Er befindet sich bereits auf dem Weg nach Australien.« Howard erstarrte. »Sie haben einen anderen ...? Noch dazu einen Engländer, der die Verhältnisse hier nicht kennt?« »Was hätte ich anderes tun sollen?« »Captain Barlow suchen!« schrie der Monteur und rannte davon. Lustlos und vergrämt arbeitete Howard in den darauffolgenden Wochen an der Fokker F VII, die wohlbehalten in Perth angelangt und von dort nach DebornRock verfrachtet worden war. Er konnte sich nicht damit abfinden, daß der von ihm so sehr verehrte Flugzeugführer verschollen blieb und ein anderer dessen Gedanken und Pläne verwirklichen sollte. Doch was half es. An ein Wiederauftauchen des nunmehr bereits über vier Monate vermißten Captains wagte selbst er nicht mehr zu glauben. Und doch zuckte er wie elektrisiert zusammen, als er eines Nachmittags ein sich näherndes und ihm vertraut klingenden Flugmotorengeräusch vernahm. »Hört ihr’s!« rief er mit weit aufgerissenen Augen. »Das ist ein Le Blond! Ein Le Blond ist das!« Die mit dem Zusammenbau der Fokker beschäftigten Hilfskräfte sahen ihn groß an. »Le Blond?« fragte einer von ihnen. »Was ist das?« Ein anderer lachte. »Bestimmt nichts zu fressen!« »Schnauze!« schrie der Monteur und horchte nach draußen. 20
Die Arbeiter verstummten. »By Jove!« keuchte er und raste aus der Halle. »Es ist ein Le Blond! Und kein anderes Flugzeug als Barlows ›American Eagle‹ hat diesen Motor!« Seine Worte wirkten wie ein Alarmsignal. Im Nu war die Halle leer und starrten an die zwanzig Männer zu einem Doppeldecker hoch, der sich ungewöhnlich langsam dem Flugplatz näherte. »Ist es seine Maschine?« fragten die Arbeiter. Howard wurde unsicher. »Irgend etwas stimmt da nicht; der ›American Eagle‹ hat weniger Streben und ist bedeutend schneller. Und auch das Fahrwerk ...« Er unterbrach sich und faßte sich an die Stirn. »Zum Teufel, bin ich denn verrückt geworden? Es muß ein ›Eagle‹ sein und ist dennoch keiner!« In diesem Moment wurde der Motor gedrosselt und das Flugzeug in eine Kurve gelegt, so daß sein Kennzeichen sichtbar wurde. »VH-WLA!« stöhnte Howard. »Herrgott, steh mir bei! Es ist Barlows Kennzeichen!« Und dann war er nicht mehr zu halten. Wie ein Wiesel rannte er auf das Landefeld hinaus, genau der Stelle entgegen, an der die Maschine bald darauf aufsetzte und ausrollte. »Captain!« schrie er und stürzte auf das wie eine zusammengeflickte Attrappe aussehende Flugzeug los, dessen Tragflächen und Fahrwerk von knorrigen Ästen und primitiven Seilen gehalten wurden. Aber nicht nur der Doppeldecker hatte sich verändert; auch Captain Barlow, der mit einem Satz aus der Maschine sprang, war kaum wiederzuerkennen. Sein flachsblondes und langgewordenes Haar hing ihm wirr in die Stirn, und sein kupferbraun gebranntes Gesicht war von einem struppigen Bart umrahmt, der ihm ein verwegenes Aussehen gab. Doch so fremd er aussah, verwunderlicher war der Kopf eines winzigen 21
Koala-Bären, der aus dem Ausschnitt seiner verblichenen Wildlederjacke herauslugte und Augen machte, als sei er aufs höchste darüber erstaunt, daß es außer ihm noch andere Lebewesen gibt. »George, alter Junge!« rief Barlow und schloß den Monteur in die Arme. »Hättest du es für möglich gehalten, daß ich noch unter den Lebenden weile?« Howard schluchzte. »Ich hab’s gespürt und mir den Mund fusselig geredet, um eine neue Suchaktion zu erreichen. Aber mir glaubte ja niemand. Da bin selbst ich schließlich unsicher geworden, obwohl ich des Nachts – und das hab’ ich dem Scheiß-Sir Geoffrey auch gesagt – manchmal deutlich gehört habe, daß Sie fluchten, weil ich Ihnen nicht helfen konnte.« Der Pilot preßte ihn an sich. »Und wie ich geflucht habe! Schau dir den Vogel an: ohne Werkzeug und Material mußte ich ihn wieder flügge machen!« Der Monteur blickte zur Seite und schüttelte den Kopf. »Daß der nicht auseinandergefallen ist! Wo haben Sie bloß gesteckt?« »Bei den Aborigines!« Howard glaubte nicht richtig zu hören. »Bei den Australnegern?« »Ohne sie wäre ich längst vermodert.« »Die Kerle haben Ihnen geholfen?« Der Captain nickte und strich über den Kopf des Koala, der einen schwachen Seufzer ausstieß und schmatzende Laute von sich gab. »Ich weiß, ich weiß«, beschwichtigte er den Bären und griff in die Tasche seines Jacketts, aus der er einige Blätter hervorholte. »Wir haben mal wieder Hunger, nicht wahr? Damit du aber gleich Bescheid weißt: vor dir steht mein Freund George Howard, der nun immer dafür sorgen wird, daß wir frische Eukalyptusblätter im Hause haben. Koalas fressen 22
nämlich nichts anderes«, wandte er sich an den Monteur, der den Bären bis zu diesem Augenblick noch nicht bemerkt hatte. »Ist er nicht nett?« Howard wischte sich über die Augen. »Darf ich ihn mal nehmen?« Es war nicht zu begreifen: zwei Männer – ein Pilot, der hundertundsechsunddreißig Tage vermißt gewesen war, und ein Monteur, der Monate hindurch gebangt und gehadert hatte – wußten in der Minute ihres Wiedersehens nichts Besseres zu tun, als sich über ein putziges kleines Tier zu unterhalten, das wie ein lebendig gewordener Teddybär aussah und alles mit sich geschehen ließ. Jedenfalls tat der Bär keinen Muckser, als Barlow ihn aus dem Ausschnitt seiner Jacke zog und Howard übergab. »Er hat mir Glück im Unglück gebracht; ohne ihn werde ich nie wieder fliegen.« Der Monteur kraulte das aschgraue Fell des nur etwa zwanzig Zentimeter großen Koala. »Haben Sie ihn von den Aborigines erhalten?« »Seine Geschichte ist viel romantischer! Als ich an jenem Unglückstag auf das Nicholson-Gebirge zuflog, sah ich plötzlich, daß sich im Osten ein Willy-Willy bildete. Ich gab sofort Vollgas und drehte ab, erkannte aber bald darauf, daß mich der Sandsturm überholen würde. Nach oben und zur Seite konnte ich nicht mehr ausweichen, und unter mir lag der Busch. Die bleichen Eukalyptusbäume glichen Skeletten, die ihre Arme nach mir ausstreckten, und an Gummibäumen zerfetzt herabhängende Rinden erinnerten mich an zerschlagene Glieder; es war der reinste Gespensterwald! Aber dann entdeckte ich eine schmale Schneise, in der nur unterholzartiges Gestrüpp wucherte. Und da die rostbraune Wand mit irrsinnniger Geschwindigkeit auf mich zuschoß, riß ich kurz entschlossen den Gashebel zurück und drückte in die 23
Schneise hinein. Natürlich viel zu schnell. Ich konnte die Fahrt aber nicht mehr wegnehmen; die Zeit war zu knapp. Was soll ich viel erzählen: das Fahrgestell brach, es schepperte und krachte, die Tragflächen verschoben sich, und eine Strebe durchbohrte meinen Oberschenkel. Mahlzeit! Da saß ich mit einem blödsinnig blutenden Bein, und der Sandsturm fegte über mich hinweg, daß mir Hören und Sehen verging. Und als er davongerauscht war, sah ich mich der hübschen Aufgabe gegenüber, die verdammte Strebe aus meinem Oberschenkel herauszuziehen. Bei Gott, ich habe die Engel zwitschern hören!« »Und dann?« fragte der Monteur, da Barlow schwieg. »Gab ich mir zunächst eine Tetanusspritze. Anschließend Morphium. Und als die Schmerzen schließlich nachließen und ein Gefühl über mich kam, als sinke ich immer tiefer in ein Daunenkissen hinein, saß plötzlich dieser kleine Kerl vor mir und schaute mich an, als wollte er fragen: Was machst du denn hier? Ich weiß noch, daß ich ihn nahm und auf meine Brust setzte und daß er ein Eukalyptusblatt in der Schnauze hielt, an dem er unendlich langsam herumknabberte. Dann glitt ich ins Land der Träume und wurde erst wieder wach, als mich etliche Steinzeitmenschen umstanden, die ein monotones Geplapper veranstalteten, in das sich hin und wieder dumpfes Dröhnen und schwirrende Töne mischten. Ich erfuhr später, daß einige der Aborigines in hohle Äste geblasen hatten, um böse Geister zu verscheuchen, die die Zeremonie hätten stören können, und daß andere Schwirrhölzer als Warnzeichen für die Frauen hatten umhersausen lassen. Die Weiber sind nämlich von allen feierlichen Handlungen ausgeschlossen; würden sie zusehen, müßten sie sterben.« »Und würden dann aufgefressen, was?« Der Pilot hob die Schultern. »Möglich, ich weiß es nicht. 24
Mich hat man jedenfalls nicht verspeist, sondern gesundgepflegt. Und als ich nach drei Monaten wieder gehen konnte, hat man mir redlich geholfen, meinen Drachen zusammenzuflicken. Zum Glück waren der Benzintank und die Leitungen nicht beschädigt – sonst wäre es aus gewesen!« Der Monteur betrachtete das primitiv zusammengeschusterte Flugzeug und schüttelte erneut den Kopf. »Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich niemals glauben, daß die Kiste geflogen ist. Ich begreife nicht, wie der Start gelingen konnte.« »Wir hatten eine übermäßig lange Bahn frei gemacht. Das Herz klopfte mir aber trotzdem in der Kehle. Merkwürdigerweise dachte ich jedoch weniger an mich als an den Bären. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ihm etwas zugestoßen wäre.« »Der ist ja echt!« rief einer der Arbeiter, die unbemerkt hinzugekommen waren. Barlow sah sie verwundert an. »Wer seid ihr, und was macht ihr hier?« Howard lachte. »Sie helfen mir, die Fokker zusammenbauen.« Der Pilot tat einen Freudenschrei. »Die Fokker ist da? Und das hast du mir nicht sofort gesagt?« Mit einem Griff nahm er den Bären und rannte auf die neue Halle los. »Captain!« rief Howard wie in höchster Not und raste hinter ihm her. »Warten Sie, ich muß Ihnen was sagen!« »Später! Erst will ich meine Fokker sehen!« Der Monteur keuchte. »Ich flehe Sie an, warten Sie!« Barlow wurde stutzig. »Etwas nicht in Ordnung?« Howard druckste herum. »Wissen Sie, der Higgins war kürzlich hier. Und da habe ich erfahren, daß er einen anderen Piloten ...« 25
Sekundenlang verschlug es Barlow den Atem. Dann senkte er den Kopf und blies in das Fell des Bären. »Wen?« »Einen Engländer.« Barlow atmete auf. »Wozu dann die Aufregung?« Der Monteur machte ein ratloses Gesicht. »Begreifst du nicht? Hätte Sir Geoffrey – dem ich es nicht verübeln kann, daß er mich für tot hielt – einen australischen Kameraden verpflichtet, dann müßte ich wohl oder übel zurücktreten. So aber nicht, da ein Engländer, dem die hiesigen Verhältnisse unbekannt sind, froh sein wird, wenn er zunächst hinter dem zweiten Steuer Platz nehmen kann.« »Sie meinen, daß es keine Schwierigkeiten geben wird?« »Bestimmt nicht! Aber jetzt will ich die Fokker sehen. Und dann setzt du dich auf das Tretrad, und ich spreche mit Higgings, der meine Frau anrufen und schonend beibringen soll, daß sie sich nach keinem neuen Mann umzuschauen braucht.« Eine Viertelstunde später saß Howard auf einem fahrähnlichen Gestell und trat mächtig in die Pedale, um einen Dynamo in Bewegung zu setzen, der den Sendestrom für die Funksprechanlage des Flughafens Deborn-Rock lieferte. Barlow hatte sich auf eine Kiste gesetzt und drehte an der Skala des Gerätes. »Ich hab' Perth«, sagte er schließlich, nahm ein Mikrophon in die Hand und drückte auf die Sprechtaste. »Deborn-Air-Rock ruft CSIRO-Perth: zwei – vier – sechs – acht; bitte kommen!« Aus dem Lautsprecher drangen knackende Geräusche und gleich darauf eine gequetschte Stimme. »Sorry, Mate! Bist mit der Pindar-Station verbunden. Solltest du aber Rindviecher kaufen wollen, ich lass’ mit mir reden.« Barlow grinste und drückte erneut auf die Taste. »Nett von dir. Der falsch gewählten Frequenz nach zu urteilen, scheine 26
ich jedoch selbst eines zu sein. Entschuldige die Störung.« »Macht nichts. Kann ja mal vorkommen.« »Ende! Ich hab’s eilig!« »Brauchst du einen Doktor?« »Ja, für einen Arbeiter, der in den Wehen liegt. Schluß!« Howard lachte. »Ihren Humor scheinen Sie nicht verloren zu haben.« »Warum auch?« erwiderte der Captain und drehte erneut an der Skala. »Bei den Aborigines ging es mir gut.« Der Monteur rümpfte die Nase. »Wovon leben die Kerle eigentlich?« Barlow griff nach der Taste. »Erzähl' ich dir später. DebornAir-Rock ruft CSIRO-Perth: zwei – vier – sechs – acht; bitte kommen!« Wieder ertönten knackende Geräusche, und wie aus weiter Ferne rief jemand: »Hier CSIRO-Perth. Ich kann Sie kaum verstehen. Korrigieren Sie Ihre Frequenz; zwei – vier – sechs – acht – zehn; bitte kommen!« »Deborn-Air-Rock. Wie hören Sie mich jetzt?« »Gut! Was gibt’s?« »Der Teufel ist los! Holen Sie Sir Geoffrey an die Strippe; ich muß ihn dringend sprechen.« »Ist was passiert?« »Fürchterliches!« »Mit der Fokker?« »Wie man es nimmt. Aber nun laufen Sie!« »Moment!« Barlow schob das Mikrophon zu Howard hinüber. Der sah ihn fragend an. »Wird’ dir doch den Triumph nicht nehmen, ihm sagen zu 27
können, daß du recht behalten hast.« Die Augen des Monteurs blitzten wie Leuchtfeuer. »Mensch, Captain! Am liebsten würde ich ...« »Psst!« machte Barlow, da der Lautsprecher knackte. »Hallo, hier Higgins!« keuchte der Leiter der CSIRO. »Was ist los?« Der Pilot drückte auf die Sprechtaste. Howard nahm das Mikrophon vor den Mund. »Hier ist etwas Tolles passiert!« »Ist die Halle eingestürzt?« Der Monteur lachte. »Wegen einer solchen Lappalie würde ich Sie nicht anrufen. Viel Schlimmeres ist geschehen: der Himmel ist in Aufruhr!« »Wer?« »Der Himmel! Und er erschlägt alle, die nicht glauben wollen, daß Captain Barlow noch lebt!« »Sind Sie betrunken, Howard?« »Anders, als Sie denken. Ich habe nämlich recht behalten: Captain Barlow lebt und ist soeben hier gelandet. Was sagen Sie dazu?« Aus dem Lautsprecher drangen nur knackende Geräusche. »Hat es Ihnen die Stimme verschlagen?« »Hören Sie zu, Howard! Ich rate Ihnen dringend, nach Hause zu gehen und Ihren Rausch auszuschlafen!« »Einverstanden! Vorher reiche ich Ihnen aber den Captain, der neben mir steht und Sie sprechen möchte.« Der Pilot übernahm das Mikrophon. »Sir Geoffrey? »Ja.« »Erkennen Sie meine Stimme?« »Das ist ... Mein Gott, das kann doch nicht möglich sein!« 28
»Doch! Ich bin vor wenigen Minuten hier gelandet und melde mich, wenn auch reichlich verspätet, vom Flug zum Nicholson-Gebirge zurück.« Die Stimme im Lautsprecher überschlug sich. »Sie behaupten, in Deborn-Rock gelandet zu sein?« »Ja!« »Barlow oder wer immer Sie sind: ich flehe Sie an, kein übles Spiel mit mir zu treiben! Bedenken Sie die Folgen, wenn ich eine falsche Nachricht ...« »Sie können unbesorgt sein, Sir Geoffrey. Ich bitte Sie nur um eines: geben Sie meine Rückkehr erst bekannt, wenn Sie mit meiner Frau gesprochen und ihr mitgeteilt haben, daß ich gesund zurückgekehrt bin. Und zwar mit meiner eigenen Maschine, die ich nach einer Bruchlandung mit Hilfe von Aborigines wieder instand setzte. Ist das klar?« »Sie haben bei den Eingeborenen gelebt?« »Ja!« »Und Sie sind wirklich Captain Barlow?« »Würde ich Sie sonst bitten, Frau Barlow anzurufen? Ihre Telefonnummer ist übrigens Adelaide sechsunddreißig.« »Ich fange an, Ihnen zu glauben, aber ...« »Kein Aber, Sir Geoffrey. Ich bin Jeff Barlow und hoffe auf weitere gute Zusammenarbeit, wenngleich ich weiß, daß Sie für die Fokker inzwischen einen Engländer engagiert haben.« »Woher wissen Sie das?« »Von Howard. Er hat es mir als erstes gesagt.« »Unglaublich!« erwiderte der Leiter der CSIRO. »Aber es beweist mir, daß Sie wirklich zurückgekehrt sind. Mein lieber Barlow, Sie ahnen nicht, wie glücklich ich darüber bin, und wie sehr es mich schmerzt, daß Howard nichts Besseres zu tun wußte, als Galle in den Becher Ihrer Freude zu schütten.« 29
Der kräftig in die Pedale tretende Monteur wurde rot vor Zorn. Barlow warf ihm einen beschwichtigenden Blick zu und drückte auf die Taste. »Die Dinge liegen anders, Sir. Angesichts der hier stehenden Fokker wollte Howard mich nur vor einer Enttäuschung bewahren.« »Ach, so ist das! Na, dann ist ja alles in Ordnung. Ich kann mir auch lebhaft vorstellen, daß Sie jetzt nur den einen Wunsch haben, einige Monate auszuspannen und sich Ihrer Familie zu widmen.« Captain Barlow horchte auf. »Wollen Sie damit sagen, daß ich die Fokker dem Engländer überlassen soll?« »Aber nein! Wir müssen nur irgendeinen Weg finden ... Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wir können Ihren englischen Kollegen ja nicht ohne weiteres nach Hause schicken. Doch darüber sprechen wir besser mündlich. Wann werden Sie nach Perth kommen?« »Sobald ich mir meinen Bart habe abnehmen lassen!« Sir Geoffrey Higgins lachte. »Und wann wird das der Fall sein?« »Spätestens in einer Stunde! Erwarten Sie mich also morgen nachmittag. Ende!« »Ich hab's geahnt!« tobte Howard und stieß das Tretrad zur Seite. »Higgins ist ein Schwein und ...« »... Sie sind ein Narr!« fiel ihm Barlow in die Rede und nahm den kleinen Bären an sich, der während des Gespräches mit unendlich langsamen Bewegungen auf einer Pritsche umhergekrochen war. »Higgins mußte annehmen, daß ich nicht mehr lebe, und hatte somit für einen neuen Piloten zu sorgen. Aus! Ich werde morgen mit ihm reden, und bis dahin möchte ich nichts mehr von der Geschichte hören.« Howard preßte die Lippen aufeinander. 30
»Was ist mit meinem Zimmer? Hat Kai-sung es inzwischen anderweitig vermietet?« »Das hätte ich ihm nicht raten mögen.« Barlow zog den Monteur, den er vielfach duzte, an sich heran. »Hast du die Bude womöglich bezahlt?« »Ich wollte nur verhindern, daß der verdammte Engländer ...« Der Captain stieß ihn in die Rippen. »Ein anderes Thema, habe ich gesagt! Gehen wir; es ist gleich fünf, und ich lechze nach Bier.« »Mensch, Captain, wollen wir uns vollaufen lassen?« »Sie wissen, daß ich morgen nach Perth fahren muß.« Howard rieb sich die Hände. »Und dann ist der Bart ab!« Barlow stieß ihn erneut in die Seite. »Du sollst von was anderem reden!« »Ihre Nerven möchte ich haben. Damned, wenn ich Higgins ...« Er schlug sich auf den Mund. »Hab’ ich Ihnen eigentlich gesagt, daß ich Ihre Frau besuchte?« Der Pilot blieb stehen. »Sie waren bei Pamela? Mann Gottes, erzählen Sie! Wie geht es ihr? Und was macht Bill?« Der Monteur erzählte, was es zu erzählen gab, und Barlow fragte, bis es nichts mehr zu fragen gab. Howard, der es kaum mehr erwarten konnte, den Einwohnern von Deborn-Rock zu zeigen, daß ›sein‹ heißgeliebter Captain zurückgekehrt war, atmete erleichtert auf und sagte: »Na, dann will ich mal den Wagen holen.« Barlow hakte sich bei ihm ein und ging mit ihm auf einen hohlen, fast fünf Meter dicken Flaschenbaum zu, in dem ein alter Ford abgestellt war: »Weißt du noch, wie wir uns die TinLizzy kauften?« Der Monteur nickte. »Ich hab’ den Motor inzwischen überholt. Hatte ja nichts zu tun.« 31
Der Captain klopfte ihm auf die Schulter. Howard stieg ein und schaltete einige Male vor und zurück, da die Räder im sonnendurchglühten Sand nicht greifen wollten. Doch dann gelang es ihm, den Wagen in Bewegung zu setzen. Als sie bald darauf durch einen dürren Eukalyptuswald fuhren, wies Barlow auf die glatten, in sich verschlungenen Äste der Bäume, die, anstatt ihre Blätter abzuwerfen, die Rinde wechseln. »Da werden wir nun oft hinaufklettern müssen.« Der Monteur warf einen Blick auf den Bären, den der Pilot wieder in den Ausschnitt seiner Jacke gesteckt hatte. »Das lassen Sie nur meine Sorge sein. Ich kenne ein paar Buben, die froh sind, wenn sie sich ein Flugzeug aus der Nähe ansehen dürfen.« »Okay! Sagen Sie ihnen aber, daß sie immer die gleichen Bäume wählen sollen. Koalas sind in dieser Hinsicht sehr eigen.« Eine knappe Viertelstunde dauerte die Fahrt, dann erreichten sie Deborn-Rock, das einen trostlosen Eindruck machte. Ausgefahrene Furchen kennzeichneten die Straße. Die Wellblechhäuser waren von rotem Staub überschüttet, und vereinzelt stehende Bäume wirkten wie Skelette. Aber die Nachricht von der Rückkehr des Piloten war wie ein Sandsturm durch die Stadt gefegt. Hunderte von Menschen, in erster Linie Männer, erwarteten ihn bereits vor dem einzigen zweistöckigen und mit Veranden umgebenen Gebäude der Stadt, über dem im Halbbogen die hochtrabenden Worte ›Hotel International‹ prangten. »Three cheers for Captain Barlow!« schrien sie und stürzten auf den Wagen zu. Schwielige Hände streckten sich ihm entgegen; wer konnte, klopfte ihm auf die Schulter. »Seid vernünftig!« flehte Barlow, als sie immer stärker an ihn herandrängten. »Ihr zerdrückt mir meinen Koala!« 32
Die zuletzt gesprochenen Worte wirkten wie eine Zauberformel. »Er hat einen Koala!« rief es von allen Seiten, und augenblicklich traten die ihn unmittelbar Umstehenden zurück und starrten alle auf den kleinen Bären. »Ich bringe ihn nur schnell auf mein Zimmer und komme dann wieder herunter«, rief der Pilot. »Aber in die ›Pub‹!« schrien die Menschen. »Denkt ihr, ich würde mich heute in den ›Saloon‹ setzen?« Die Männer waren zufrieden und gaben den Weg zur Veranda frei, wo der wie eine schlitzäugige Wanze aussehende chinesische Hotelier Kai-sung den Captain mit verschränkten Armen begrüßte. »Ich gewußt, daß Sie kommen zurück«, sagte er und nickte dabei wie eine zu Reklamezwecken ausgestellte Buddhafigur. »Ich um keinen Preis hergegeben Ihr Zimmer!« Barlow stieß seinen Monteur an. »Was sagst du dazu?« Kai-sung grinste. »Howard mir hat gut geholfen dabei. Er mein Zeuge.« Der Pilot wollte gerade etwas erwidern, als eine schlanke und überaus hübsche Malaiin im Hoteleingang erschien, die ihn sekundenlang wie gebannt anblickte und dann langsam auf ihn zuging. Ihre Bewegungen erinnerten an eine Pantherkatze, und in ihren mandelförmig geschnittenen, samtbraunen Augen funkelten smaragdgrüne Punkte, die wie Flammen züngelten. Sie war barfüßig, trug eine orangefarbene Bluse und einen dunkelblauen Leinenrock, der sich eng um ihre Hüfte legte. »Wer ist das?« fragte Barlow schnell. Das Grinsen des Chinesen wurde unergründlich. »Oh, das ist Tania, eine Verwandte weitläufig meiner ehrenwerten Familie.« »Aber sie ist doch eine Malaiin!« 33
»Darum ich sagte: weitläufig.« »Wahrscheinlich meint er, daß sie weit gelaufen ist!« feixte Howard und fügte leise hinzu: »Ich sehe sie heute zum erstenmal. Schätze, daß sie eine ›Tai-Tai‹ ist.« Kai-sung, der die Bemerkung hörte, wurde rot. »Das nicht wahr!« zischte er. »Aber ich aufkläre später,, da nun«, er wandte sich an die hinzukommende Malaiin, »ich muß vorstellen Tania, die hilft mir und meinen Gästen.«
III Der Himmel war glasklar und vom Meer wehte eine leichte Brise, als Barlow am darauffolgenden Nachmittag die rußgeschwärzte Halle des Bahnhofes von Perth verließ und auf ein Taxi zuging, das ihn zum Verwaltungsgebäude der CSIRO bringen sollte. Sein Aussehen war nicht wesentlich verändert, wenngleich er seinen Fliegerdreß mit einem saloppen Anzug vertauscht hatte. Denn entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben hatte er sich den struppigen Vollbart nicht abnehmen, sondern nur sauber stutzen lassen. Nach kurzer Fahrt entlohnte er den Fahrer vor einem am Swan-River gelegenen roten Backsteingebäude, und noch bevor er den Hauseingang erreichte, lief ihm Sir Geoffrey Higgins mit ausgestreckten Armen entgegen. »Ich kann es immer noch nicht fassen!« rief er und umarmte den Piloten. »Mein lieber Barlow, ich habe den Auftrag, Sie im Namen unseres zur Zeit in Canberra weilenden Präsidenten willkommen zu heißen und Ihnen zu sagen, daß wir alles tun werden, um Ihre Wünsche zu erfüllen.« Barlow schmunzelte: »Darf ich dann gleich einmal meine Frau anrufen?« 34
»Aber selbstverständlich! Mein Raum steht Ihnen zur Verfügung, und Sie können so lange sprechen, wie Sie wollen.« Über eine halbe Stunde telefonierte er mit seiner über 2000 Kilometer entfernten Familie, dann verabschiedete er sich mit dem Hinweis, am nächsten Tage nochmals anzurufen, da es ihm im Augenblick noch nicht möglich sei, zu sagen, wann er nach Adelaide kommen könne. Als er kurz darauf die Tür zum Nebenraum öffnete, in den sich der Leiter des CSIRO für die Dauer des Gespräches zurückgezogen hatte, fragte ihn dieser: »Nun, wann wird der Nullabor-Expreß bestiegen?« Barlow grinste. »Das hängt von unserem Gespräch ab.« »Betreffend Fokker F VII?« »Erraten!« »Die Sache ist bereits geklärt! Der Präsident hat mich in Anbetracht der Tatsache, daß die Fokker über ein Doppelsteuer verfügt, heute morgen ermächtigt, zwei Flugzeugführer zu engagieren.« Barlow streckte ihm spontan die Hand entgegen. »Eine verdammt anständige Lösung! Herzlichen Dank!« Sir Geoffrey Higgins lachte. »Man tut, was man kann. Übrigens weilt Ihr künftiger Kamerad, der Ihnen dem Namen nach sicherlich bekannte englische Rekordflieger Arthur Durban, schon seit einigen Tagen in Perth. Ich habe ihn gebeten, um sechs Uhr hierherzukommen, damit ich sie miteinander bekannt machen kann.« »Ist ja großartig!« erwiderte Barlow. »Allerdings weniger für meine Frau und für mich.« »Wieso?« »Die Fokker ist in drei Tagen startbereit, und unter den gegebenen Umständen werde ich den Engländer wohl nach Deborn-Rock begleiten müssen.« 35
»Aber warum denn? Ich habe ihn schon darauf vorbereitet, daß er drüben verdammt primitive Verhältnisse vorfinden wird.« Barlow machte eine wegwerfende Bewegung. »Darum geht es doch nicht. Als Engländer kennt er die Eigenheiten unseres Landes nicht; es ist daher notwendig, ihm eine gewisse fliegerische Einweisung zu geben.« Sir Geoffrey Higgins hob die Schultern. »Wenn Ihnen das angebracht erscheint.« »Das erscheint mir nicht nur angebracht, sondern notwendig!« erwiderte der Captain betont. »Ein Flugzeug ist kein Auto, und ich möchte mir nicht eines Tages Vorwürfe machen müssen.« »Aber Sie können jetzt doch nicht darauf verzichten, Ihre Frau auf schnellstem Wege aufzusuchen.« Barlow vollführte eine hilflose Geste. »Was soll ich machen? Es gibt kameradschaftliche Verpflichtungen, die einen zwingen, private Wünsche zurückzustellen. Oder glauben Sie, daß es mir leichtfällt, mich nicht in den nächsten Zug zu setzen und nach Adelaide zu fahren? – Na, also!« fügte er hinzu, da er sah, daß Sir Higgins abwehrend die Hände hob. »Wie die Dinge nun einmal liegen, bleibt mir nichts anderes übrig, als den Engländer nach Deborn-Rock zu begleiten. Zumindest für acht bis vierzehn Tage.« Der Leiter der CSIRO zuckte die Achseln. »Sie müssen wissen, was Sie tun. Ich befürchte nur ... Durban ist anders als Sie und läßt sich nicht gerne etwas sagen. Sie werden aber gut mit ihm auskommen«, fügte er hastig hinzu. »Meine Frau und ich finden ihn jedenfalls sehr sympathisch. Wir hatten ihn gestern bei uns zu Gast.« Der Captain wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Sir Geoffrey Higgins warf einen nervösen Blick auf seine Armbanduhr. »Da Mister Durban jeden Moment kommen 36
kann, würde ich gerne schnell noch ein paar Briefe unterschreiben. Darf ich?« »Aber natürlich«, antwortete Barlow und trat an ein Fenster, um den frischen Seewind zu genießen. Wenige Minuten später klopfte es an der Tür, und ein Diener geleitete einen modisch gekleideten Herrn in den Raum, dem die englische Nationalität auf den ersten Blick anzusehen war. Sein schmales Gesicht zeigte einige Sommersprossen, und über der Oberlippe trug er einen buschigen, seitlich herabgewinkelten rötlichen Bart. »Hallo!« rief er und ging auf den Leiter der CSIRO zu. »Der gestrige Abend gut bekommen?« »Ausgezeichnet! Und Ihnen?« »So blendend, daß ich es mir nicht verkneifen konnte, Ihrer reizenden Gattin einen zweiten Blumenstrauß zu senden! Ich mußte mich einfach nochmals bedanken.« »Da wird sich meine Frau aber freuen«, erwiderte Sir Geoffrey Higgins und wandte sich an Barlow. »Darf ich bekannt machen ...« »Durban!« kam ihm der Engländer zuvor. Barlow nannte seinen Namen und reichte ihm die Hand. Der Engländer sah ihn abschätzend an. »Ich hörte, daß Sie Pech hatten und einen Bruch fabrizierten.« Der Captain lachte. »Soll im Sandsturm vorkommen.« »Mußten Sie ihn durchfliegen?« »Nein.« »Nicht rechtzeitig ausgewichen?« »So ungefähr.« »Ich sage ja immer: Safety first! Man darf beim Fliegen nicht ... Was für eine Maschine hatten Sie?« »American Eagle.« 37
»Den alten Schlitten?« Der Engländer zog eine Pfeife aus der Tasche. »Der ›Eagle‹ hat doch keine Reichweite!« »Ich hatte mir Zusatztanks eingebaut!« Durban schüttelte den Kopf. »Ziemlich primitiv. Na, das wird ja nun anders. Mit der Fokker kann man schon einiges unternehmen.« Barlow nickte. »Haben Sie die F VII schon viel geflogen?« »Höchstens zehn Stunden.« »Macht nichts; mit der Zeit werden Sie sich auf dem Vogel schon wohl fühlen.« »Meinen Sie?« »Bestimmt!« »Wie beruhigend.« Der Engländer kniff die Lider zusammen. »Soll das eine Pflaume sein?« »In gewissem Sinne.« »In welchem?« »In kameradschaftlichem.« Durban zündete seine Pfeife an, ohne Barlow aus den Augen zu lassen. »Sind Sie der Meinung«, fragte er und warf das benutzte Streichholz zum Fenster hinaus, »daß Anpflaumereien dazu angetan sind, eine beginnende Zusammenarbeit zu erleichtern?« »Unter Umständen schon. Nämlich dann, wenn sie dazu dienen, Standorte und Auffassungen zu klären. Machen wir uns doch nichts weis: wir sollen miteinander fliegen und auskommen. Das aber ist nur möglich, wenn sich keiner von uns auf das hohe Roß setzt!« »Habe ich das etwa getan?« »Sie haben zumindest den Eindruck erweckt.« 38
»Mit meiner Bemerkung, daß Sie sich auf der Fokker wohl fühlen werden?« »Auch damit!« »Aber, meine Herren!« mischte sich Sir Geoffrey Higgins hastig ein. »Bringen Sie, bitte, keine unnötige Schärfe in das Gespräch!« »Der Auffassung bin ich auch«, pflichtete ihm Durban bei. »Vielleicht ist es aber ganz gut, wenn wir unsere Standorte und Auffassungen, wie Herr Barlow so trefflich sagte, grundsätzlich klären und fixieren.« »Ich bin ganz Ohr!« erwiderte Barlow, der alle Mühe hatte, seine Enttäuschung zu verbergen. Der Engländer blickte zur Decke empor. »Zunächst möchte ich feststellen, daß ich die beanstandete Bemerkung nicht aus Überheblichkeit machte.« »Dann haben Sie sich eben im Ton vergriffen!« »Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Sie können es mir nicht verübeln, wenn ich auf eine Pflaume meines Kopiloten entsprechend reagiere!« Auf Barlows Stirn bildete sich eine steile Falte: »Meines KoPiloten, sagten Sie?« »Dachten Sie, ich wäre der Ihre?« Der Captain sah den Leiter der CSIRO an. »Was wird hier gespielt?« Sir Geoffrey Higgins wand sich wie ein Aal. »Mein lieber Barlow, Sie müssen Verständnis dafür haben, daß Mister Durban ... Schauen Sie, Sie werden ohnehin einen längeren Urlaub nehmen wollen. Außerdem stellten wir gestern fest, daß Mister Durban mehr Dienstjahre als Sie hat und auch als Reserveoffizier einen höheren Rang bekleidet. Er ist Major, und da bekanntlich nur einer von Ihnen der verantwortliche Kommandant sein kann ...« 39
»Ich verstehe!« unterbrach ihn Barlow. »Versetzen Sie sich, bitte, in meine Lage! Ich hatte Mister Durban als ersten Piloten engagiert ...« »... und Mister Durban ist nicht bereit, anzuerkennen, daß die Aufgabe, die wir nun gemeinsam übernehmen sollen, auf meinen früheren Versuchen basiert. Okay! Ich weiß jetzt nur nicht, was ich an Mister Durban mehr bewundern soll: seinen Mut, in einem Land,, dessen Eigenarten er nicht kennt, Versuchsflüge zu unternehmen, oder seine Kombinationsgabe, die ihm sagt: ein Mann, dessen Idee verwirklicht werden soll, wird nicht einfach abhauen, wenn er erfährt, daß widrige Umstände zur Einstellung eines ihm vorgesetzten Piloten führten.« Sir Geoffrey Higgins horchte auf. »Darf ich aus Ihren Worten schließen ...« »Sie dürfen!« schrie Barlow erregt. »Ich bin bereit, mich zum zweiten Flugzeugführer degradieren zu lassen; allerdings nur unter der Bedingung, daß Mister Durban ohne jede Einschränkung versichert, sein Kommando sofort auf mich zu übertragen, falls wir jemals in eine Lage geraten sollten, in der er sich nicht mehr auskennt!« Der Engländer steckte seine ausgegangene Pfeife in die Tasche. »Wenn Sie sich etwas davon versprechen – bitte, die Versicherung ist hiermit gegeben!« »Nehmen Sie die Sache nicht auf die leichte Schulter!« warnte ihn Barlow. »Ihre Erklärung berechtigt mich zu Gewaltanwendung, wenn ich erkennen sollte, daß Sie mit Ihrem Latein zu Ende sind und sich weigern, mir das erste Steuer zu übergeben! Hoffen wir, daß dieser Fall nie eintreten wird.« Sir Geoffrey Higgins machte einen niedergeschlagenen Eindruck, als er nach dem unerfreulichen Disput der Piloten in seinen Bungalow zurückkehrte, der inmitten von leuchtenden 40
Blumenbeeten auf einer flachen, sich weit in das Meer erstreckenden Landzunge lag. Er sah nicht die Schönheit des mit viel Liebe angelegten Gartens und spürte nicht den wohltuenden Seewind; er dachte nur an die Rolle, die er hatte spielen müssen, und an das, was ihm der Engländer knapp vierundzwanzig Stunden vor Barlows unerwarteter Rückkehr in aller Offenheit anvertraut hatte: Arthur Durban hatte das für ihn nicht sonderlich lukrative Angebot der CSIRO ausschließlich Pamela Barlows wegen angenommen, die er vor zwei Jahren in London kennenlernte, als sie ihre in England lebenden Eltern besuchte. Eleonore Higgins, eine etwas mollige und gefühlvolle Australierin, die über die unheilvolle Wendung der Dinge informiert war und es kaum erwarten konnte, Näheres über den Ausgang der mit Captain Barlow geführten Unterredung zu erfahren, lief ihrem Mann mit geröteten Wangen entgegen. »Hast du ihn gesprochen?« fragte sie hastig. Sir Geoffrey Higgins nickte. »Spann mich nicht auf die Folter«, flehte sie ihn an. »Was sagte er? Wie sah er aus? Und wie hat er es aufgenommen, daß er seine Stellung verliert?« »Er hat sie nicht verloren«, erwiderte ihr Mann. »Der Präsident gab mir heute morgen den Auftrag, beide Piloten einzustellen.« »Geoffrey!« rief sie begeistert. »Dann kann Barlow ja in aller Ruhe ausspannen und sich seiner Familie widmen! Hast du ihm zu verstehen gegeben, daß er sich mal richtig um seine Frau kümmern und die verflixte Fliegerei für eine Weile über Bord werfen soll?« Sir Geoffrey Higgins fuhr sich durch die Haare. »Das wäre sinnlos gewesen.« »Wieso?« »Weil er nicht nach Adelaide fahren, sondern Arthur Durban 41
nach Deborn-Rock begleiten will!« Eleonore Higgins griff sich erschrocken an den Mund. »Du weißt, daß ich die beiden für einige Monate voneinander trennen wollte; die Anweisung des Präsidenten zwang mich jedoch, sie miteinander bekannt zu machen.« »Ach, du lieber Gott!« »Es ist einfach alles schiefgelaufen. Und was das schlimmste ist: sie kriegten sich gleich in die Wolle! Die Schuld lag bei Durban, der den Streit meines Erachtens provozierte.« »Und Barlow will ihn trotzdem begleiten?« »Du kennst ihn doch. Als unverbesserlicher Idealist hält er sich für verpflichtet, seinen zukünftigen ›Kameraden‹ mit den Eigenheiten unseres Landes vertraut zu machen.« »Und wird seine Frau darüber verlieren!« »Verschone mich mit deinen ewigen Unkereien! Wenn er Durban eingewiesen hat, wird er nach Hause fahren. Und dann kann sich noch alles regeln.« Sie schüttelte den Kopf. »Geoffrey, ich gebe dir den guten Rat, jetzt nicht zu schweigen. Schenk Barlow reinen Wein ein!« Er rang nach Luft. »Ich soll ihm sagen, daß seine Frau und Durban ...?« »Du mußt es tun!« beschwor sie ihn. »Mir scheint, du hast den Verstand verloren«, erwiderte er unwillig. »Wie komme ich dazu, ein Pulverfaß zur Entzündung zu bringen! Glaubst du etwa, es würde nicht in die Luft fliegen, wenn Barlow erfährt, daß Durban – noch bevor er hierher kam – zwei Wochen bei seiner Frau verbrachte? Nein, ich mische mich da nicht ein. Was ich tun konnte, habe ich getan; wenn er keinen Urlaub nehmen will, so ist das seine und nicht meine Sache.« »Dann sehe ich eine Katastrophe heraufkommen.« Sir 42
Geoffrey Higgins lächelte. »Die wievielte?« Als sich die beiden Piloten am nächsten Morgen in der Wellblechhalle des Perther Bahnhofes trafen, wußte Pamela Barlow, daß ihr Mann vorerst nicht nach Adelaide kommen würde. Sie war im ersten Augenblick sehr erschrocken gewesen, als sie erfuhr, daß ihr Mann Arthur Durban nach Deborn-Rock begleiten wollte, hatte bald darauf aber großes Verständnis gezeigt und ihm erklärt, daß sie ihm nichts verüble. Etwas resignierend hatte sie allerdings hinzugefügt: »Ich bin ja Kummer gewohnt und weiß, daß du neben mir noch eine Braut hast: dein Flugzeug!« An diesen Satz erinnerte sich Barlow, als er den nachdenklich vor sich hinblickenden Engländer heimlich beobachtete. Ich bin ein Idiot, sagte er sich. Anstatt mich mit diesem Menschen zu belasten, hätte ich nach Adelaide brausen und Pamela in die Arme nehmen sollen. Zu gleicher Zeit dachte Durban: Hätte ich dieses Land doch nie betreten. Aber was soll ich machen? Es ist geschehen, und ich kann nicht mehr zurück. Verfluchte Situation! Hätte ich wenigstens gestern nicht den Bogen überspannt; mich muß der Teufel geritten haben. Barlow, der das bedrückte Gesicht des Engländers sah, hatte plötzlich Mitleid mit ihm, da er trotz der sieben neben ihm stehenden Koffer einen recht armseligen Eindruck machte. »Was schleppen Sie da eigentlich alles mit sich herum«? fragte er ihn nach kurzem Zögern. »Was man so braucht«, erwiderte Durban. »Kleidung, Schuhe, Wäsche, diverse Fliegerkombinationen ...« »Diverse?« »Na ja. Leichte und schwere – mit und ohne Fell.« »Hier brauchen Sie nur eine leichte.« »Dann hänge ich die anderen eben in den Kleiderschrank.« 43
»Wo sie in Deborn-Rock in einer Woche zerfressen sein werden!« Der Engländer sah ihn ungläubig an. »Sie werden es erleben! Ameisen und Termiten sind verdammt rücksichtslose Biester.« »Und ich scheine ein ziemlicher Esel zu sein! Damned, wenn ich gewußt hätte ...« »Die Sache läßt sich noch korrigieren!« unterbrach ihn Barlow. »Wenn wir mit dem nächsten Zug fahren, haben wir genügend Zeit, um alles, was Sie nicht benötigen, zur CSIRO zu schaffen. Mehr als einen Anzug, zwei Paar Schuhe, einige Hemden und so weiter brauchen Sie nicht.« Der Engländer blickte unschlüssig auf seine Koffer herab. »Wann fährt der nächste Zug?« Barlow schaute zu einem guten Dutzend nebeneinander hängender Uhren hoch, die alle verschiedene Zeiten zeigten. »Zehn Uhr fünfzig.« »Haben Sie das da oben abgelesen?« »Natürlich. Die Uhren gehen nämlich nicht, sondern zeigen die Abfahrtszeiten der Züge an.« »Eine merkwürdige Methode.« Barlow zuckte die Achseln und wandte sich um. »Ich hole einen Gepäckträger.« Seinem Vorschlag entsprechend fuhren sie zum Verwaltungsgebäude der CSIRO, wo Durban seine Koffer umpackte, und dann schlenderten Sie zum Bahnhof zurück. Als sie in den vorsintflutlich anmutenden Zug nach DebornRock einstiegen, verschlug es dem Engländer den Atem: die Waggons glühten, als wären sie aus einem Backofen gezogen. »Pfui Teufel!« fluchte er. »Das kann ja heiter werden!« Der Captain grinste und hängte sein Jackett an einen Haken. Bald darauf setzte sich der Zug in Bewegung. 44
Durban wischte sich den Schweiß von der Stirn und zog seine Pfeife aus der Tasche. Barlow empfahl ihm, das Streichholz an die Wagenwand zu halten; es zischte auf und brannte. Der Engländer seufzte. Draußen, im flimmernden Wüstensand, glitten gut bestellte Weingärten vorbei. Ihnen folgten Eukalyptuswälder mit bleichen Stämmen, an denen die Rinden wie abgestreifte Schlangenhäute herabhingen. Und überall standen wie Rasierpinsel aussehende Grasbäume. Auf ihren mannshohen und im Innern tintenschwarzen Stämmen wachsen statt der üblichen Laubkrone üppige Grasbüschel, deren Halme wie Glas zerspringen und wie Zunder brennen. »Die Dinger sehen lustig aus«, sagte Durban. »Sind aber nichts als Unkraut«, erwiderte Barlow. »Allerdings kein so schlimmes wie die ›Stachelbirne‹, ein Feigenkaktus, der Australien vor Jahren zu ›verstacheln‹ drohte. Irgendein Siedler hatte die Pflanze in einem Blumentopf mitgebracht; der Wind wehte ihren Samen fort, und sie vermehrte sich so irrsinnig, daß riesige Gebiete aufgegeben werden mußten. Bis Wissenschaftler herausfanden, daß es in der Heimat der Pflanze, in Mexiko oder Argentinien, ein Insekt gibt, dessen Larven den Kaktus zerfressen. Man importierte die Biester, und schon nach kurzer Zeit konnten ganze Landstriche zurückerobert werden.« »Woraus man wieder einmal ersieht, daß man der Natur nicht ins Handwerk pfuschen soll!« Barlow nickte. »Ich habe oft daran gedacht, als ich bei den Eingeborenen lebte.« »Wieso gerade da?« »Vielleicht, weil mir bei den Aborigines viele unserer Verrücktheiten vor Augen geführt wurden. Sie kennen weder 45
Streitigkeiten noch Kriege, obwohl sie unendlich arm sind und sich kümmerlich von Käfern, Larven, Würmern, Eidechsen und Schlangen ernähren. Selbst in Notzeiten würde es keinem Stamm einfallen, Nahrung im Gebiet eines anderen Stammes zu suchen. Das haben sie nicht einmal getan, als Weiße regelrechte Treibjagden auf sie veranstalteten und sie zu Hunderttausenden abknallten.« »Hat man das wirklich getan?« »Leider! Und warum? Weil wir uns auf den Standpunkt stellten, Aborigines seien keine Menschen, sondern Tiere. Zugegeben, sie sehen häßlich aus, laufen nackt umher und stehen auf der Stufe von Steinzeitmenschen – zum Teil ist ihnen sogar der Zusammenhang zwischen Zeugung und Geburt unbekannt –, aber ist das ein Grund, sie auszurotten? Und sie danken es uns noch! Ich habe es erlebt: sie haben mich gepflegt und als Menschen behandelt!«* Der Engländer faßte sich an die Nase. »Haben Sie womöglich auch Larven und Würmer gefressen?« Barlow lachte. »Auf die Frage habe ich gewartet. Natürlich habe ich! Aber haben Sie noch kein Feinschmeckerlokal aufgesucht und Schnecken, Austern, Froschschenkel und dergleichen gegessen?« Durban blickte aus dem Fenster. »Gewiß, aber ... Damned!« unterbrach er sich und wies nach draußen. »Da brennt ja der ganze Wald!« Es war kein eigentlicher Brand, sondern ein langsames Schwelen und Glimmen, über dem ein blauer, beizender Rauch aufstieg. »Derartige Brände werden Sie noch oft zu sehen bekommen«, erwiderte Barlow. »Und dann werden Sie auch *
Im zweiten Weltkrieg haben die Aborigines vielen amerikanischen Flugzeugbesatzungen, die in Australien notlandeten, das Leben gerettet. 46
verstehen, warum ich der Natur trotz gewisser Bedenken ins Handwerk pfuschen und Wolken anzapfen möchte.« Der Engländer wischte sich über die Stirn. »Wie werden die Brände gelöscht?« »Überhaupt nicht. Sie ersticken im eigenen Harz, der wie Schweiß aus den Stämmen rinnt.« »Ein merkwürdiger Kontinent!« »Der Ihnen auch in fliegerischer Hinsicht noch manche Überraschung bringen wird!« Die ohne jeden Hintergedanken hingeworfene Bemerkung veranlaßte Durban, das Gespräch abrupt zu beenden. Dem Captain war es recht. Wenn sein bisheriges Verhalten nicht hatte erkennen lassen, daß er Spannungen vermeiden und ein gutes Auskommen herbeiführen wollte, dann mochte ihm der andere den Buckel hinunterrutschen. Aber er ärgerte sich über den Engländer und rieb sich insgeheim die Hände, als der Zug nach gut zweistündiger Fahrt plötzlich anhielt und ein Schaffner, unverständliche Worte brüllend, an den Waggons entlanglief. Durban beugte sich aus dem Fenster und schaute nach draußen. Barlow sagte nichts, sondern zog sein Oberhemd aus. Der Engländer bemerkte es und blickte verwundert zurück. »Empfehle Ihnen, das gleiche zu tun. Die Lokomotive hat kein Holz mehr.« »Wollen Sie damit sagen, daß wir Holz hacken sollen?« »Nein, Bäume fällen!« Durban wurde puterrot. »Ich denke nicht daran! Ich habe eine Fahrkarte ...« »... die Sie verpflichtet, beim Lokomotivführer eine Axt in Empfang zu nehmen, falls das Brennmaterial ausgeht. Andere 47
Länder, andere Sitten! Ich rate Ihnen dringend, nicht zu mißachten, was wir ›Mateship‹ – Kameradschaft – nennen. Sie laufen sonst Gefahr, vom Heizer geholt zu werden, der Sie unter Umständen in ein Büschel Spinifex-Gras stößt. Das fühlt sich an, als würden Sie auf Scherben gesetzt!« Der Engländer schnappte nach Luft, ließ es aber nicht darauf ankommen, nähere Bekanntschaft mit dem Heizer zu machen. Und als die Fahrt nach einer knappen Stunde weiterging, sah er wie ein ›Swaggy‹ aus, der sich wochenlang nicht gewaschen hat. Die Sonne näherte sich bereits den Eukalyptuswäldern, als der in eine mächtige Dampfwolke gehüllte Zug mit kreischenden Bremsen in Deborn-Rock einlief. George Howard, den Barlow von Perth aus über die Funksprechanlage verständigt hatte, erwartete die Piloten mit gemischten Gefühlen, da ihm der Captain auf alle über den neuen Flugzeugführer gestellten Fragen nur ausweichende Antworten gegeben hatte. Sein Gesicht erhellte sich jedoch, als er zwei verschwitzte und rußgeschwärzte Gestalten auf sich zukommen sah. »By Jove!« rief und lachte dem Engländer frech ins Gesicht. »Die Taufe scheinen Sie ja schon erhalten zu haben! Haben wir nicht eine prächtige Eisenbahn? Die Axt auf dem Tender erhöht die Dividende der Aktionäre!« Barlow unterdrückte ein aufsteigendes Lachen. »Darf ich bekannt machen: mein Freund Howard, unser Monteur – Mister Durban, der neue Pilot.« Der Engländer stellte seine Koffer ab. »Ist Ihr Freund immer so witzig?« »Nur bei bestimmten Anlässen«, antwortete Howard wie aus der Pistole geschossen. »Hoffentlich strengt es Sie nicht zu sehr an«, erwiderte Durban gelassen. 48
Der Monteur schüttelte den Kopf und betrachtete ihn prüfend. »Haben wir uns nicht schon mal gesehen?« »Kaum. Ich wüßte jedenfalls nicht, wo das gewesen sein sollte.« »Das weiß ich auch nicht. Sie kommen mir aber verdammt bekannt vor, und ich kann mich genau an Ihren pessimistisch herabgewinkelten Schnauzer erinnern.« »Was würden die Herren davon halten, wenn wir zunächst einmal zum Hotel gingen?« fragte Barlow, um das Gespräch zu beenden. »You are right«, antwortete Durban und blickte wie suchend um sich. »Gibt es hier keinen Gepäckträger?« Howard feixte. »Hat Ihnen der Captain nicht gesagt, daß Deborn-Rock am Arsch der Welt liegt? Hier trägt man seine Koffer selber!« Die Gesichtsmuskeln des Engländers arbeiteten. Er sagte jedoch nichts, sondern nahm seine Koffer und setzte sich in Bewegung. »Wir haben es nicht weit«, tröstete ihn Barlow und wies auf das in der Nähe gelegene Hotel. Als sie kurz darauf die Hotelveranda erreichten, geschah etwas, das Durban interessiert aufhorchen ließ. »Das ist ja unglaublich!« rief Barlow plötzlich und rannte auf einen Korbsessel zu, in dem ein winziger Koala saß, der Augen machte, als sei er zuhöchst erstaunt darüber, daß es außer ihm noch andere Lebewesen gibt. »Wer hat die Frechheit besessen, den Bären aus meinem Zimmer zu lassen?« Der Hotelier, der ihn gerade begrüßen wollte, verlor alle Farbe. »Oh, ich untröstlich. Ich nicht gewußt ...« »Mich interessiert nicht, was Sie gewußt oder nicht gewußt haben!« brüllte ihn Barlow an. »Ich will wissen, wer den Bären an sich genommen hat! Waren Sie es womöglich selber?« 49
Kai-sung rang die Hände. »Ich mir nie würde erlauben ...« »Dann sagen Sie, wer es war!« »Das ich nicht weiß. Ich aber glaube ...« Der Chinese unterbrach sich und blickte verlegen zu Boden. »Tania sein sehr verliebt in kleine Koala.« Er hatte es kaum gesagt, da erschien die Malaiin auf der Veranda. Barlow hob den Bären aus dem Sessel und drückte ihn an sich. Die Malaiin ging mit wiegenden Hüften auf ihn zu und sah ihn unverwandt an. In ihren mandelförmigen Augen lag etwas Verwirrendes. »Haben Sie den Koala hierhergesetzt?« fragte er mit veränderter Stimme, als sie vor ihm stehenblieb. Sie nickte kaum merklich. Er drohte mit dem Finger. »Tun Sie das nicht wieder! Er ist mein Maskottchen, und ich möchte nicht, daß ihm etwas zustößt.« Die Malaiin verneigte sich. Er schnupperte am Fell des Bären. »Wissen Sie, daß er nach Parfüm riecht?« Sie senkte den Kopf. »Das wollen wir künftighin auch vermeiden, ja?« Sie blickte erleichtert auf und lächelte ihn an. Während Kai-sung den englischen Piloten in das für ihn vorbereitete Zimmer führte, suchten Barlow und Howard die ›Public Bar‹ auf, um schnell noch ein Bier zu trinken, das nur von fünf bis sechs Uhr ausgeschenkt werden durfte. Die ›Pub‹ war ein schmaler, von Qualm und Stimmengewirr erfüllter Raum, in dem an die fünfzig, zumeist unrasierte und zerlumpt aussehende Männer an einem fast zwanzig Meter langen Schanktisch standen. Und jeder kippte ein Bier nach dem anderen in sich hinein und klatschte zwischendurch Karten 50
oder Würfelbecher auf die nasse Theke. Tische und Stühle gab es nicht. »Wir kommen gerade noch zur rechten Zeit«, sagte Barlow, als er in den Raum eintrat. »In fünf Minuten ist Feierabend!« »He, Cobbers!« rief ihnen ein Schafscherer zu, dem die Wolle noch in den Haaren hing. »Komm her, hier ist Platz!« Sie gingen zu ihm hinüber und bestellten sich jeder drei Bier. Der Squatter sah sie verwundert an. »Kein Geld?« Der Captain grinste. »Wie kommst du darauf?« »Weil ihr nur sechs Bier bestellt habt.« »Wir wollen nicht mehr.« Der Schafscherer zog an seinen Hosenträgern und ließ sie zurückschnellen. »Das könnt ihr eurer Großmutter erzählen! Los, sauft! Ich zahl’ die Zeche.« »Ein anderes Mal«, erwiderte Barlow. Der Squatter griff in die Tasche und haute einen Packen schmieriger Banknoten in eine Bierpfütze. »Glaubt ihr, ich wäre ein armer Hund?« »Bestimmt nicht! Wir wollen aber heute selber zahlen, weil wir etwas zu besprechen haben und uns nicht mit dir unterhalten können. Morgen darfst du uns einladen.« »Okay, Mate!« Barlow blinzelte zu Howard hinüber und reichte ihm eines der überschwappenden Gläser, die der stiernackige Wirt mit Schwung über die Theke stieß. »Cheerio!« Der Monteur hob sein Glas. »Auf die Fokker! Wenn alles klappt, wird sie morgen fertig.« »Nanu, einen Tag herausgeholt?« »Ich hatte gehofft, daß der Neue später kommen würde. Dann hätten wir den Einweihungsflug ohne ihn machen können.« 51
Barlow klopfte ihm auf die Schulter. »Wir werden mit ihm schon fertig werden. Cheerio auf unsere Fokker!« Howard leerte sein Glas und rutschte näher an den Captain heran. »Was halten Sie von dem Briten?« »Fliegerisch dürfte er in Ordnung sein; er hat immerhin einige Rekorde errungen. Vielleicht hat er dadurch einen kleinen Knacks bekommen: er sitzt ein bißchen auf dem hohen Roß. Aber das wird sich legen. Hitze und Wüste tun bekanntlich das Ihre und werden ihn mit der Zeit durch eine andere Brille schauen lassen.« »Ich hab’s geahnt!« erboste sich der Monteur. »Ein Engländer ist ein Engländer und kann gar nicht ...« »Reg dich nicht auf«, unterbrach ihn Barlow, »und vergiß nicht, daß meine unerwartete Rückkehr für ihn einige Probleme aufgeworfen hat. Er wurde als erster Flugzeugführer engagiert ...« »... und bildet sich hoffentlich nicht ein, daß Sie jetzt als zweiter fungieren.« »Doch! Wir haben es so abgesprochen.« Howards Kiefer klappte herab. »Darauf hat er bestanden?« »Ja!« »Dann hau’ ich ihm die Fresse ein! Captain, dem ...« »Idiot!« zischte Barlow und gab ihm einen Stoß. »Sollen alle hier erfahren, was bei uns los ist?« »Natürlich nicht. Aber von mir können Sie auch nicht verlangen, daß ich weine, wenn ich den Teufel auf mich zukommen sehe!« »Verlange ich doch gar nicht.« Howard ergriff das zweite Glas Bier. »Was verlangen Sie dann?« »Daß Sie keine Dummheiten machen! ›Seid klug wie die 52
Schlangen‹, heißt es in der Bibel! Ich habe zur Bedingung gemacht, daß mit dem Augenblick, da Durban sich nicht mehr auskennt, das Kommando auf mich übergeht. Weigert er sich, bin ich berechtigt, zur Waffe zu greifen.« Die Augen des Monteurs blitzten. »Wollen Sie ihn umlegen?« Barlow lief rot an. »Haben Sie den Verstand verloren?« »Schon möglich«, erwiderte Howard verbissen. »Aber vielleicht sagen Sie mir, worauf Sie hinaus wollen.« »Ist das so schwer zu erraten? Denk an den Hampton-River! Und an den Sealrock-Sea! Was glaubst du, wie schnell Durban mit seinem Latein zu Ende sein wird!« Howard stieß einen langgezogenen Pfiff aus und hob sein Glas. »Da kann ich nur sagen: Cheerio auf die Bibel!« Als die beiden Australier die ›Pub‹ verließen, feixten sie wie Schulbuben, die einen Streich ausgeheckt haben. Der schlitzäugige Hotelier, der wie immer am Abend auf der Veranda saß und wohlgefällig hinter den Gestalten herblickte, die wie schwankende Schiffe aus der Bar heraustorkelten, grinste ihnen entgegen. »Gutes Geschäft gehabt?« fragte ihn Barlow, der genau wußte, daß der Chinese nur dort saß, um die Gäste zu zählen, die sich einen Rausch gekauft hatten. Kai-sungs Grinsen wurde breiter. »Wenn Squatter sein da, Geschäft immer gut. Schafe bringen Wolle, und Wolle bringen Ping-ping!« Der Captain lachte. »Wenn ich noch mal auf die Erde komme, werde ich Besitzer einer Public Bar.« »Und sind dann gezwungen zu führen ein Hotel! Das nicht gut. Aber ich sein froh, daß Sie nicht böse mit Tania wegen die kleine Koala.« Barlow machte eine wegwerfende Bewegung. »Reden wir 53
nicht mehr davon. Ist Mister Durban auf seinem Zimmer?« »Ja. Er sein ein feiner Herr. Hat Tania gegeben großes Trinkgeld und gebeten, daß sie ihm hilft auspacken.« »Schau, schau«, sagte Howard. »Von dem Burschen können wir noch was lernen.« Barlow warf ihm einen unwilligen Blick zu und ging in das Hotel. »Wir essen um sieben!« Der Monteur grinste hinter ihm her. »Soll ich Durban Bescheid sagen?« »Mach’ ich selber.« »Ganz wie der Herr wünschen.« »Idiot!« knurrte der Captain und stieg die Treppe empor. Als er die obere Etage erreichte, hörte er Tania in dem neben seinem Zimmer gelegenen Raum lachen. Augenblicklich wurde er von einer ihm selbst unerklärlichen Wut erfaßt. Mit schnellen Schritten ging er auf die Tür zu, die oben einen offenen Spalt besaß, ergriff ihre Klinke und stieß sie auf. Tania, die gerade einige Hemden in den Schrank legen wollte, sah ihn erschrocken an. »Oh, Verzeihung!« sagte er an den Engländer gewandt, der sich verwundert umdrehte. »Ich begreife nicht, wie mir das passieren konnte. Ich wohne ein Zimmer weiter, habe mich bis heute aber noch nie in der Tür geirrt.« »Macht nichts«, erwiderte Durban trocken. »Ich werde in Zukunft den Riegel vorlegen. Da Sie aber schon einmal da sind, möchte ich mich gleich für den guten Rat bedanken, den Sie mir in Perth erteilten.« Er wies auf den schmalen Blechschrank, vor dem Tania stand, und auf einen von Ameisen halb zerfressenen Kalender. »Ich bin heilfroh, daß ich das Gros meiner Kleidung bei der CSIRO deponierte.« Barlow blickte unsicher zu Tania hinüber. »Kommen Sie doch herein«, fuhr Durban gut gelaunt fort. 54
»Ich wollte Sie sowieso fragen, in welcher Richtung der Flugplatz liegt.« Der Captain schloß die Tür und ging an der ihn wie hypnotisiert anstarrenden Malaiin vorbei auf den Balkon hinaus. Durban folgte ihm. »Sehen Sie drüben den Eukalyptuswald?« Der Engländer nickte. »Gleich dahinter liegt der Platz.« »Besondere Hindernisse?« »Nicht das geringste. Nach Norden, Süden und Osten breitet sich die Steppe aus. Und dahinter die Wüste.« Durban nagte an seinen Lippen. »Steht gutes Kartenmaterial zur Verfügung?« »Wie man es nimmt: Maßstab eins zu einer Million. Kleinorientierung hat hier keinen Sinn; die unbewohnten Flächen sind zu groß.« »Orientierung also nach Kompaß und Stoppuhr.« »Ausschließlich.« »Und woher erfahren wir die Windrichtung?« »Die muß erflogen werden.« »Verhältnisse wie im alten Rom«, erwiderte der Engländer und zog seine Pfeife aus der Tasche. »Ihr Monteur macht übrigens einen ordentlichen Eindruck.« Barlow traute seinen Ohren nicht. ›Ihr‹ Monteur, dachte er verblüfft. Was mag ihn so verändert haben? Durban stopfte seine Pfeife. »Im ersten Moment kommen einem die Menschen hier ungeheuer fremd vor. Spricht man aber mit ihnen, dann spürt man bald, daß sie wie wir Europäer sind. Ihr Wesen läßt sich nur nicht so leicht erkennen. Es liegt entweder hinter einer rauhen Schale wie bei den Männern, die mit uns Holz hackten, oder hinter unergründlichen Gesichtern 55
wie bei Kai-sung und seinen Landsleuten.« »Da mögen Sie recht haben«, erwiderte Barlow. Der Engländer dämpfte die Stimme. »Kann man sich auf die Gelben verlassen?« »Absolut!« »Die Malaiin ist ja ein reizendes Geschöpf. Mit ihr könnte man Furore machen.« »Wie soll ich das verstehen?« Durban zündete seine Pfeife an und setzte sich auf die Balustrade. »Stellen Sie sich die Frau im Abendkleid vor! Ich sage Ihnen: London läge ihr zu Füßen!« »Und würde sie in einer Nacht verderben!« erwiderte Barlow schroff. »Daß ich es nicht vergesse: ich habe Howard gebeten, um sieben zu Tisch zu kommen. Der Speiseraum ist unten links.« »Okay!« Der Captain trat in das Zimmer zurück und fragte Tania, ob er ihr ein paar Hemden zur Wäsche übergeben dürfe. Sie sah ihn an, als habe er ihr ein Geschenk gemacht. Durban bemerkte es mit Befriedigung und nahm sich vor, den neu eingeschlagenen Kurs auch in Zukunft beizubehalten. Kein Wunder, daß der Abend einigermaßen harmonisch verlief, wenngleich Howard alles daransetzte, den Engländer nervös zu machen. Er frotzelte ihn, wo er nur konnte, fragte mit todernstem Gesicht, ob man in Europa lieber mit grüner oder roter Kompression fliege und lachte hämisch, wenn eines der seltsam geflügelten Insekten, die die Tischkerzen umkreisten, mit brennenden Flügeln auf Durbans Teller fiel. »Ich weiß nicht, warum Sie die Dinger immer zur Seite schieben«, sagte er, als der Engländer sich wieder einmal bemühte, einen angesengten Falter aus der Soße zu fischen. »Hammelfleisch mit gerösteten Insekten ist doch ’ne prima 56
Sache.« Barlow unterdrückte ein Lachen und bedeutete Durban, daß er sein Besteck anders handhaben müsse, wenn er einigermaßen ungestört essen wolle. »Wenn Sie Ihr Fleisch zunächst zerschneiden und dann das Messer fortlegen und die Gabel in die rechte Hand nehmen, haben Sie die Linke zum Verjagen der Insekten frei.« »Mit Köpfchen geht eben alles«, sagte Howard spöttisch und wies auf Durbans Teeschale, auf der ungezählte Fliegen saßen, da er das zum Schutz aufgelegte Leinendeckchen heimlich heruntergezogen hatte. »Auf Ihre Getränke müssen Sie natürlich auch achten. Die dürfen Sie nie offenstehen lassen, weil die Fliegen hier im Durchschnitt dreißig bis vierzig Eier in der Sekunde legen! Ihr Tee dürfte also schon ganz hübsch verseucht sein, und ich würde Ihnen empfehlen, sich einen neuen zu bestellen. Von Fliegeneiern kann man nämlich furchtbaren Durchfall bekommen. Ich sage Ihnen: ich habe mal einen gehabt, der ...« »Hören Sie auf!« unterbrach ihn der Engländer ungehalten. Howard schüttelte den Kopf. »Sie sind ein komischer Kauz. Da will man Ihnen gute Ratschläge geben, und was tun Sie? Werden böse, einfach böse! Sehen Sie sich lieber da drüben den Alten mit den malariagelben Zähnen an, dessen Mundfäule zehn Meilen gegen den Wind stinkt. Wissen Sie, was der gehabt hat?« Durban legte sein Besteck hin. »Wenn Sie nicht augenblicklich ein anderes Thema wählen, verlasse ich den Tisch! Hab’ ich nicht recht?« wandte er sich an Barlow. Der bemühte sich, ein überzeugend klingendes »Selbstverständlich!« herauszubringen. Howard spielte den Beleidigten. Eine Weile wurde kein Wort gesprochen, und jeder versuchte, die unablässig umherschwirrenden Insekten 57
fortzuwedeln. Dabei blickte der Engländer oftmals von Barlow zu Tania hinüber, die lautlos durch den Speisesaal ging und die chinesischen Kellner mit kaum sichtbaren Zeichen an die Tische dirigierte. Um das bedrückende Schweigen zu beenden, sagte Barlow schließlich: »Wenn alles gut geht, wird die Fokker morgen fertig.« Durban hob die Augenbrauen. »Ist ja großartig! Werden wir eventuell auch schon einen Probeflug machen können?« Howard zuckte die Achseln. »Die Perther Idioten haben anstelle der Preßluft Wasserstoff geschickt! Stellen Sie sich vor, wir hätten den Motor damit angelassen: wir wären senkrecht in die Luft geflogen!« »Unglaublich!« empörte sich der Engländer. »Wie konnte das passieren?« »Weiß der Teufel! Vielleicht, weil die CSIRO für Pilotballone Wasserstoff gebrauchte und der Sachbearbeiter sich nicht erklären konnte, wozu wir Preßluft benötigen. Bisher hatten wir ja nur einen Motor, der mit der Hand angeworfen wird.« »Und nun fehlt die Preßluft?« »Man hat mir versprochen, bis spätestens morgen nachmittag zehn Flaschen hierherzuschaffen. Wenn das der Fall ist, können wir fliegen.« »Dann wollen wir die Daumen halten«, erwiderte Durban und schaute zu Tania hinüber. Howard, der ihn gerade ansah, stutzte und kniff die Augen zusammen. »Wenn Sie den Kopf zur Seite drehen, könnte ich schwören, Sie schon mal gesehen zu haben!« Der Engländer hob die Schultern. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich nicht wüßte, wo es gewesen sein sollte.« »Das weiß ich auch nicht. Aber das kriege ich noch heraus!« 58
IV Die Opossums spektakelten auf den Wellblechdächern, als Barlow am nächsten Morgen erwachte. Er lag auf einem Metallbett, das er der unerträglichen Hitze wegen auf die überdachte Veranda hinausgeschoben hatte. Wenige Meter von ihm entfernt schlief der Engländer, und hinter diesem standen in gleichmäßigen Abständen die Betten der übrigen Hotelgäste. Eine Weile blinzelte er in das melancholische Licht des aufsteigenden Tages, dann erhob er sich und ging in sein Zimmer, das sich in der Nacht kaum abgekühlt hatte. Vom nahe gelegenen Bahnhof drang das Geblöke von Schafen, durch die Straße schepperte ein Milchwagen, und bald darauf quäkte die Hupe eines alten Ford, der vor dem Hotel anhielt. Da Barlow den Monteur erwartete, trat er auf die Veranda und gab ihm zu verstehen, daß er gleich kommen würde. »Okay!« rief Howard. »Ich bestell’ inzwischen Tee.« Der frühe Lärm weckte Durban und ließ ihn verschlafen auf seine Armbanduhr blicken. »What’s the matter?« fragte er. »Es ist doch erst kurz nach vier!« Der Captain nickte. »Ich möchte die Fokker durchsehen und hatte Howard gebeten, mich heute morgen mitzunehmen.« Der Engländer fuhr sich durch die Haare. »Und warum haben Sie mir das nicht gesagt?« »Ich wüßte nicht, warum ich es Ihnen hätte sagen sollen.« Durban richtete sich auf. »Muß ich daran erinnern, daß ich der Kommandant des Flugzeuges bin?« Barlow lachte. »Ihr Hinweis provoziert eine Gegenfrage: Wann beginnt die Tätigkeit eines Kommandanten? Doch wohl erst in dem Augenblick, da die Maschine zum Start gerollt wird! Die technische Seite ist also nicht Ihre, sondern Howards 59
Angelegenheit. Und wenn ich Howards Arbeit kontrolliere, dann tue ich es aufgrund meiner praktischen Erfahrungen und in unser aller Interesse. Ich hoffe, das ist klar.« »Sie haben recht«, erwiderte der Engländer. »Sie müssen aber auch mich verstehen. Ich wäre gern mitgekommen, um mir in Ruhe alles ansehen zu können.« »Glauben Sie, daß wir Sie den ganzen Tag über hier sitzengelassen hätten? Ich wollte Sie nach dem Frühstück mitnehmen. Wenn Sie Wert darauf legen, können Sie natürlich auch gleich mitfahren.« Durban zögerte. »Für mich ist ein Tag verpatzt, wenn ich mich schnell anziehen und rasieren muß. Ich werde also warten, bis Sie wiederkommen.« »Wie Sie wollen. Wir frühstücken um acht und fahren dann gemeinsam hinaus.« »Fein!« Als Barlow kurz darauf mit dem Bären auf dem Arm die Treppe hinabstieg, stellte die Malaiin gerade zwei Schalen Tee auf ein Tischchen, das neben dem Hoteleingang stand. »Schon so früh auf den Beinen?« fragte er gutgelaunt. Sie nickte und gab dem Bären ein Eukalyptusblatt, das sie offensichtlich für ihn bereitgehalten hatte. Barlow roch den Duft ihrer Haut und war verwirrt. Sie schaute zu ihm hoch. Ihre Augen flackerten. »Ich würde etwas darum geben, wenn ich wüßte, was Sie jetzt denken«, sagte er, da sie ihn unverwandt ansah. »Und ich will Ihnen auch sagen, warum. Weil Sie noch nie ein Wort an mich gerichtet haben!« Sie blickte verlegen zur Seite. »Hat das einen besonderen Grund?« Sie hob den Kopf und sah ihn flehend an. »Ich – Angst.« 60
»Wovor?« fragte er verblüfft. »Vor – Sie.« »Vor mir?« Sie nickte. »Aber warum denn?« »Ich – englisch sprechen – schlecht«, erwiderte sie mühsam und abgehackt. Barlow lachte. »Das macht doch nichts!« »Ich – nicht weiß.« Einer plötzlichen Regung folgend, hielt er ihr den kleinen Bären hin. »Wollen Sie ihn pflegen und verwahren, wenn ich beschäftigt bin?« Ihre Augen weiteten sich. »Er gehört dann Ihnen und mir, und Sie werden die Angst vor mir verlieren. Auf meinen Flügen muß er mich natürlich begleiten, da er mein Maskottchen ist.« Sie nahm den Koala an sich und legte ihre Wange an sein Fell. Howard, der in diesem Moment hinzukam, blieb wie angewurzelt stehen. »Nanu!« sagte er. »Neckische Spiele schon so früh am Morgen?« Barlow war zu überrascht, um ihm sofort eine passende Antwort geben zu können. Der Monteur grinste. »Den Engländer dürften Sie nun wohl für alle Zeiten ausgestochen haben.« Wenn Blicke töten könnten, wäre Howard auf der Stelle umgefallen. So aber schnitt er eine Grimasse und trat an das Tischchen heran, auf dem der Tee serviert war. Der Captain berührte Tanias Arm. »Bis heute mittag kann der Koala bei Ihnen bleiben. Ich komme dann und hole ihn mir.« 61
Sie wußte vor Glück nicht, was sie tun sollte, und rannte fort. »Du bist der idiotischste Kindskopf, der mir jemals begegnet ist!« fuhr Barlow den Monteur an, der genußvoll seinen Tee schlürfte. Howard feixte. »Darf ich fragen, warum?« »Hast du nicht gesehen, daß Tania völlig verwirrt davongelaufen ist?« »Natürlich! Wenn Sie mir aber weismachen wollen, daß meine Worte sie vertrieben haben, dann glaube ich an den Klapperstorch!« »Und was glaubst du, warum sie ...?« »Mensch, Captain!« unterbrach ihn Howard. »Haben Sie denn noch nicht gemerkt, daß Tania restlos verknallt in Sie ist? Sie kann ja nicht einmal mehr reden, wenn Sie aufkreuzen.« Barlow tippte sich an die Stirn. »Du solltest deinen Vogel mal fliegen lassen!« »Okay! Wenn die Preßluft rechtzeitig geliefert wird, werde ich Ihren Rat noch heute beherzigen.« Der Horizont war im Dunst versunken, und eine vibrierende Glut lag über dem Flugfeld, als Howard seine fettverschmierten Hände abwischte und auf die Piloten zuging, die unter einem Flaschenbaum saßen und ihm erwartungsvoll entgegenblickten. »Von mir aus kann es losgehen«, sagte er. »Ich hätte allerdings nichts dagegen, wenn ich vorher noch eine Zigarettenpause einlegen könnte.« »Einverstanden!« erwiderte der Captain und steckte dem auf seinem Knie sitzenden Bären ein Blatt in das Maul. Durban strich sich über die schweißnasse Stirn. »Ich bin ganz froh, wenn wir noch etwas warten. Die Hitze macht mich total fertig!« »Müssen eben weniger saufen«, sagte Howard und zündete 62
sich eine Zigarette an. »Dann klebt mir die Zunge am Gaumen.« »Das ist immer noch besser, als wenn einem das Wasser an den Arschbacken entlangläuft.« Barlow grinste. Der Engländer rümpfte die Nase. »Denken Sie lieber darüber nach, welchen Namen wir der Maschine geben könnten. Wir haben uns eben darüber unterhalten und noch keinen vernünftigen gefunden.« Howard rieb seine Bartstoppeln. »Wie wäre es mit ›Koala‹?« Durban verzog das Gesicht. »So nett der kleine Kerl ist – ich meine, wir sollten keinen Tiernamen wählen.« »Vielleicht den Ihrer alten Königin?« »Den. natürlich auch nicht, aber ... Ich hab’s!« unterbrach er sich, da er nur darauf gewartet hatte, einen ganz bestimmten Vorschlag in einem günstigen Augenblick vorzubringen. »Wäre der Vorname von Frau Barlow nicht der gegebene?« Der Captain stutzte. »Ich wird’ verrückt!« stöhnte Howard. »Ein Engländer mit Herz! Nun ist mir klar, warum er nach Australien gekommen ist. Verjagt hat man ihn, verbannt in Großbritanniens Strafkolonie!« Durban lachte. Der Monteur wandte sich an Barlow. »Daß ich nicht auf die Idee gekommen bin!« »Sie sind also einverstanden?« »Ist doch klar!« erwiderte Howard. »Und den Captain brauchen wir gar nicht erst zu fragen.« Barlow reichte dem Engländer die Hand. »Meine Frau heißt Pamela, und ich werde ihren Namen besonders gerne am Flugzeug sehen, weil er dann in zweifacher Hinsicht 63
bedeutungsvoll ist.« Durbans Gesichtsausdruck wurde maskenhaft. »Ihr Name erinnert nämlich an den Segler ›Pamelia‹, mit dem die ersten Siedler von England nach Australien kamen«, fuhr der Captain fort. »Dann wollen wir hoffen, daß er uns ebensoviel Glück bringt!« erwiderte Durban wie erlöst. »Und nun ran an den Speck!« sagte Howard und warf seine Zigarette fort. »Wer von Ihnen wird als erster starten?« Er ist ein Biest, dachte Barlow. »Wir fliegen zusammen«, antwortete Durban. Der Monteur gab sich nicht geschlagen. »Daß ich mitfliege, ist ja wohl selbstverständlich. Ich wollte nur wissen, wer von Ihnen beiden sich in dem Cockpit an das erste Steuer setzt.« Der Engländer sah Barlow fragend an. »Haben Sie ihn nicht informiert?« »Natürlich hat er das getan!« erwiderte Howard schnell. »Warum fragen Sie dann noch?« erboste sich Durban. »Weil ich aus Ihrem Munde hören möchte, daß Sie darauf bestehen ...« »Jetzt wird es mir aber zu bunt!« brauste Barlow auf. »Schaffen Sie die Maschine aus der Halle und kümmern Sie sich um Ihre Sachen!« Der Monteur ging schnaubend davon, und die gute Stimmung war wie fortgeblasen. Sie kehrte auch nicht zurück, als der silbern cellonierte Hochdecker ins Freie geschoben wurde und die Piloten sich startbereit machten. Durban zog eine blendendweiße Leinenkombination an und setzte sich eine enganliegende Lederkappe auf, über die er eine gummigepolsterte Schutzbrille stülpte. Barlow begnügte sich mit seiner Wildlederjacke, in deren 64
Ausschnitt er den Bären steckte, der willenlos alles mit sich geschehen ließ. Howard, der blaß vor Wut darüber war, daß die zuschauenden Hilfskräfte erleben sollten, daß ›sein‹ Captain am zweiten Steuer Platz nehmen mußte, überlegte fieberhaft, was er tun könne, um dessen Ehre zu retten. Als erster stieg Durban in das Flugzeug. Ihm folgte Barlow, den es beim Betreten der Kabine ärgerte, daß er als Kopilot zu fungieren hatte. Im Interesse der Sache unterdrückte er jedoch alle ihn überfallenden Regungen; ein wenig allerdings auch aus dem Bewußtsein, am Schluß doch nicht der Unterlegene, sondern der Sieger zu sein. Der Engländer saß schon auf dem linken Führersitz, als Barlow sich durch die schmale, zur Cockpit führende Tür zwängte. »Verdammt eng«, sagte er und wies auf die Tragfläche, die unmittelbar über der Führerkanzel lag. Der Captain nickte und schaute durch die schräg gestellten Fenster der Kabine, die seitlich offen war, um der Besatzung die Möglichkeit zu geben, im Notfall hinausklettern zu können. »Aus?« rief Howard, der Bremsklötze vor die Räder gelegt und den Schlauch der Preßluftflasche angeschlossen hatte. Durban blickte auf den Magnetschalter, streckte eine zur Faust geballte Hand nach draußen und rief: »Aus!« Der Monteur, der sich rechts vor den Motor gestellt hatte, um den Propeller mit Hilfe einer ›Peitsche‹ einige Male durchzudrehen, rührte sich nicht. »Warum dreht er den Quirl nicht durch?« fragte der Engländer, der darauf wartete, die Einspritzpumpe betätigen zu können. »Vielleicht hat er Sie nicht gehört«, antwortete Barlow. Durban rief erneut »Aus!« und zeigte nochmals die zur Faust geballte Hand. 65
Wieder geschah nichts. »Was ist denn los?« rief der Captain und beugte sich nach draußen. »Nichts!« antwortete Howard. »Ich lehne es nur ab, die Latte anzurühren, solange mir kein Zeichen gegeben wird. Da ich nach rechts drehen muß, hab’ ich rechts zu stehen und kann somit nur die rechte Seite der Kanzel sehen!« »Das ist passiver Widerstand!« brauste Durban auf. »Regen Sie sich nicht auf; die Sache bringe ich in Ordnung«, beschwichtigte ihn Barlow und gab das vorgeschriebene Zeichen. »Na also!« knurrte der Monteur und blickte befriedigt zu den Hilfskräften hinüber. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte: ›sein‹ Captain gab das Kommando! Dreimal drehte er die Luftschraube durch, dann wartete er und sagte nichts, obwohl es an ihm gewesen wäre, jetzt »Frei!« zu rufen. »Frei?« fragte Barlow, der Howard durchschaute. Der Monteur hob die geöffnete Hand und trat wie ein Sieger an die Preßluftflasche heran. Ein starkes Zischen wurde hörbar, und gleich darauf setzte sich der Propeller in Bewegung. Durban schaltete die Magnete ein. Aus den Auspuff stutzen schlugen helle Qualmwolken, und gleich darauf sprang der Motor an. Eine Weile ließ er den Motor gedrosselt laufen, dann zeigte er auf die Meßgeräte. »Ich glaube, wir können abbremsen.« Barlow nickte und zog das Steuer an sich. Durban schob den Gashebel vor. Das Dröhnen des Motors wurde ohrenbetäubend, und das Flugzeug bebte, als zerre ein Orkan an den Tragflächen. 66
Der Engländer prüfte die Instrumente, dann nahm er den Gashebel zurück und blickte nach draußen, um das Zeichen zum Fortnehmen der Bremsklötze zu geben. Der Monteur war nicht zu sehen. »Ist Howard auf Ihrer Seite? fragte er verbissen. Barlow nickte. »Weiß der Teufel, was in ihn gefahren ist. Er soll die Klötze wegnehmen.« Der Captain streckte die Hand aus der Kabine und wies nach unten. Howard feixte. Wir reden noch miteinander, dachte Barlow und riß gleich darauf Durbans Hand zurück, da er sah, daß dieser anrollen wollte. »Was soll das?« rief er außer sich. »Sie wissen doch, daß Howard noch nicht an Bord ist!« Der Engländer wehrte ihn ab. »Erwarten Sie etwa von mir, daß ich ihn mitnehme?« »Ja!« antwortete Barlow und legte die Hand auf den Zündhebel. »Wenn Sie Unrecht mit Unrecht vergelten wollen, schalte ich den Motor aus!« Durbans Kinnbacken traten hervor. »Seien Sie vernünftig und spielen Sie den Überlegenen!« beschwor ihn der Captain. Der Engländer zögerte. Barlow legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es kommt doch nichts dabei heraus.« Er hatte es kaum gesagt, da wurde die Tür zum Passagierraum geöffnet und Howard stieg ein. Die Hilfskräfte lachten hinter ihm her. »Hast du auch dein Testament gemacht?« »Nicht nötig!« rief er zurück. »Außer dem Salon-Piloten sitzt ja noch ein richtiger Flugzeugführer am Steuer!« 67
»Das geht zu weit!« empörte sich Durban mit hochrotem Kopf. »Stellen Sie den Motor ab! Ich fliege nicht mehr!« »Das würde die Sache nur verschlimmern«, erwiderte. Barlow. »Überlassen Sie Howard mir, ich werde ihn zurechtstauchen, aber zwingen Sie mich nicht, allein zu starten!« Die letzten Worte blieben nicht ohne Wirkung. »Gut«, sagte der Engländer und ließ die Maschine anrollen. »Ich verlasse mich auf Sie.« Barlow unterdrückte einen Seufzer und zog seine Brille aus der Brusttasche. Die Fokker rumpelte über das Flugfeld und erreichte den Startplatz. Durban drehte sie gegen den Wind und blickte über die graslose, rotbraune Fläche hinweg. »Bahn frei?« »Frei!« wiederholte Barlow und setzte sich die Brille auf. Durban ergriff den Gashebel und schob ihn vor. Der Motor dröhnte, und das Flugzeug setzte sich in Bewegung. Zunächst nur langsam und mit harten Stößen, dann aber immer schneller und weicher werdend, jagte es der Platzgrenze entgegen. »Etwas kopflastiger!« rief der Engländer, dessen Hände das Segment umspannten. Barlow betätigte ein Handrad. »Genug?« Durban nickte und nahm das Höhenruder zurück. Der Zeiger des Fahrtmessers kletterte auf 50 – 55 – 60 Meilen. Das Donnern des Motors wurde metallisch. Barlow drosselte ihn auf 1900 Umdrehungen. Durban zog das Steuer an. Die Räder hoben ab und die Fokker F VII war in ihrem 68
Element. »Die Maschine ist großartig«, rief der Engländer und ließ das Flugzeug steigen. Seine Augen strahlten, und nichts mehr deutete darauf hin, daß er sich vor wenigen Minuten noch bis zur Weißglut geärgert hatte. Barlow, der ihn heimlich beobachtete, bemerkte es und dachte befriedigt: Erstaunlich, wie wir uns verändern, wenn wir die Erde verlassen. Kaum liegt sie etwas weiter unter uns, da fühlen wir uns frei und losgelöst, und alles, was eben noch groß und wichtig erschien, sinkt zur Bedeutungslosigkeit herab. Durban leitete eine Kurve ein und steuerte Deborn-Rock an, das bald darauf unter ihnen lag und wie eine zusammengewürfelte Vorstadtsiedlung aussah. Der Captain beugte sich zu ihm hinüber. »Solange wir nicht alles kontrolliert haben, sollten wir in Platznähe bleiben.« Durban nickte und kurvte zurück. »Machen wir ein paar Landungen.« »Okay!« Der Engländer drosselte den Motor und ließ die Maschine gleiten. »Sie giert etwas nach Backbord«, sagt er. »Das müssen wir noch ›ausbügeln‹. Aber sonst liegt sie wie ein Brett.« Barlow schob den Bären zurück, der aus der Jacke herauszuklettern versuchte. »Sollten wir Howard – angesichts der von ihm geleisteten guten Arbeit – nicht Narrenfreiheit gewähren?« Durban grinste. »Sie sind ein Verführer.« »Bestenfalls unter Freunden und in der Luft. Am Boden überlasse ich diese Aufgabe den Frauen.« »Zum Beispiel Tania?« Der Captain sah ihn verwundert an. »Wie kommen Sie darauf?« 69
Der Engländer kurvte in die Landerichtung ein. »Man hat doch Augen im Kopf.« Barlow blickte versonnnen vor sich hin. »Sie können mit dem Umtrimmen beginnen.« Wie in Trance drehte der Captain das Handrad zurück. »Nicht zuviel!« Barlow fuhr zusammen und schaute nach draußen. Der Flugplatz lag unmittelbar vor ihnen. Durban nahm das Gas weg und setzte zur Landung an. Millimeterweise zog er das Höhensteuer an sich. Die Geschwindigkeit verringerte sich, und der Gleitwinkel wurde immer flacher, als die Fokker plötzlich wie ein Stein durchsackte und aufzuschlagen drohte. Im gleichen Augenblick aber hatte Barlow das zweite Steuer ergriffen, Vollgas gegeben, den Hebel wieder zurückgenommen und das Flugzeug sanft auf den Boden gesetzt. »Was war das?« fragte der Engländer verwirrt. Der Captain lachte. »Eine der vielen Eigenarten unseres Landes, die Sie nicht kennen können. Die Temperatur unmittelbar über dem Rollfeld dürfte zur Zeit gut sechzig Grad betragen. Die Folge: die Luft ist dementsprechend dünn und die Maschine sackt in Bodennähe durch. That’s all! Wenn Sie in Zukunft den Gashebel nicht ganz zurücknehmen, dann ist alles in bester Ordnung.« »Daß ich nicht daran gedacht habe!« schimpfte Durban über sich selber. »Macht doch nichts«, erwiderte Barlow. »Üben Sie es ein paarmal.« »Wollen Sie nicht erst ...?« »Ich hab’ ja gerade; jetzt sind Sie an der Reihe. Den letzten Flug würde ich allerdings gerne von Ihrem Sitz aus machen. 70
Schon wegen Howard. Einverstanden?« »Sie sind ein anständiger Kerl!« »Die Blumen können Sie mir heute abend überreichen.«
V Alles deutete darauf hin, daß es Barlow gelungen war, den englischen Piloten für sich zu gewinnen. Der Schein trog jedoch, da Durban nur an den Plan dachte, um dessentwillen er nach Australien gekommen war. Wie er ihn unter den gegebenen Umständen allerdings verwirklichen sollte, wußte er nicht. Im Augenblick blieb ihm nichts anderes übrig, als zu hoffen, daß die Zeit das Ihre tun würde. Er hoffte es um so mehr, als ihm der bei der ersten Landung unterlaufene Fehler gezeigt hatte, daß es Dinge gab, die er nicht kannte und schnellstens kennenlernen mußte, wenn er nicht eines Tages der Unterlegene sein wollte. Doch so bestrebt er war, seine Autorität als Kommandant nicht zu verlieren, er fühlte sich nicht mehr ganz wohl in seiner Haut, da ihm Barlows Art gefiel. Dem Captain erging es ähnlich. Auch ihn bedrückte die Rolle, die ihm zugefallen war. Aber was sollte er machen? Durban hatte ihn zum Kampf gezwungen, und den führte er nun auf seine Weise. Er haßte Streitigkeiten und hatte sich vorgenommen, den Engländer auf kaltem Wege zu besiegen: bis zur letzten Konsequenz wollte er ihm vor Augen führen, daß in der Fliegerei zugrunde gehen muß, wer nicht bereit ist, auf den Erfahrungen anderer aufzubauen. Er wäre jedoch ein Heuchler gewesen, wenn er sich selbst nicht eingestanden hätte, daß es ihm Spaß machte, Durban einen Denkzettel zu geben. Seine in der ›Public Bar‹ ausgesprochenen Worte ›Seid klug wie die Schlangen‹ bewiesen es. 71
Howard dachte an diesen Spruch, als Barlow dem Engländer zwei Tage später empfahl, einen Orientierungsflug zum Hampton-River und Sealrock-Sea durchzuführen. »Einverstanden!« erwiderte Durban. »Ich werde die Kurse gleich absetzen, und dann können wir von mir aus starten.« »Cheerio auf die Bibel!« sagte der Monteur, der es nicht verwinden konnte, daß Barlow ihn gründlich zusammengestaucht hatte. Der Engländer lachte. »Wieso gerade auf die Bibel?« »Müssen Sie den Captain fragen«, antwortete Howard. »Ich hab’ neuerdings ja die Schnauze zu halten.« Durban sah Barlow an. Der stellte sich dumm und zuckte die Achseln. Der Monteur strich sich über das Kinn. »Darf ich mich erkundigen, wieviel Benzin getankt werden soll?« »Mindestens dreihundert Gallonen!« antwortete der Captain. Howard machte ein betrübtes Gesicht. »Ich habe mir jedes Ihrer Worte gemerkt und möchte mich nur noch nach den Anweisungen des Herrn Kommandanten richten. Wieviel soll ich also tanken?« »Dreihundert Gallonen!« wiederholte Durban bissig und schüttelte den Kopf, als der Monteur gegangen war. »Er ist schon ein verdammter Hund!« Barlow grinste. »Aber ein treuer! Ich möchte ihn nicht missen.« Der Engländer strich nachdenklich über das Fell des Bären, der aus Barlows Jacke herauslugte und gemächlich an einem Blatt knabberte. »Von wem würden Sie sich eher trennen: von Howard oder dem Koala?« »Von keinem!« antwortete der Captain. »Und wenn Sie es müßten?« 72
»Dann würde ich das Muß bekämpfen!« Durban sah ihn prüfend an. »Auch wenn Sie unterliegen könnten?« »Auch dann!« erwiderte Barlow grob, da er nicht wußte, worauf der Engländer hinaus wollte. »Ich gehe zur Halle und kümmere mich um die Maschine.« Eine halbe Stunde später gab Durban Vollgas. Er saß wieder auf dem linken und Barlow auf dem rechten Führersitz. Und zwischen ihnen hockte Howard auf einem Kissen, das er in den Türrahmen gezwängt hatte, um nicht in der Kabine Platz nehmen zu müssen. Der Captain drosselte den Motor, als Durban die Maschine in einer Höhe von 2000 Fuß andrückte und auf Kurs ging. Unter ihnen glitt eine trostlose Landschaft dahin. So weit das Auge reichte, waren nur rotbrauner Sand, bleiche Gräser und vereinzelte Sträucher zu sehen. Kein Baum, keine Stadt, kein Dorf und keine Straße kreuzte ihren Weg. Und über ihnen wölbte sich ein wolkenloser Himmel. Barlow und Howard blickten nur selten nach draußen, um ihre Augen vor dem gleißenden Licht der Steppe zu schützen. Sie schauten auf die Instrumente. Durban hingegen suchte unablässig den im Dunst liegenden Horizont nach markanten Punkten ab. Aber er ließ auch den Kompaß nicht aus den Augen, da er genau wußte, daß ihn die beiden Australier beobachteten. Er wollte ihnen zeigen, daß er Kurs halten und den Fluß an genau der Stelle erreichen konnte, die er in der Karte gekennzeichnet hatte. Nur selten wurden Worte gewechselt. Der Motor dröhnte sein monotones Lied, und Howard kontrollierte von Zeit zu Zeit den Benzinstand und regulierte ungleichmäßige Entleerungen. Barlow beschäftigte sich mit dem Bären und blickte gelegentlich auf die Borduhr, um zu errechnen, wieviel Meilen 73
sie zurückgelegt hatten. Nach einer Stunde und fünf Minuten stieß ihn Howard verstohlen in die Seite und deutete auf den Engländer, der angestrengt das Gelände absuchte. Der Captain schmunzelte und schaute gelangweilt nach draußen. Durban wurde von Minute zu Minute unruhiger und rutschte nervös auf seinem Sitz hin und her. »Wir scheinen ziemlichen Gegenwind zu haben«, sagte er schließlich. »Nach meiner Berechnung müßte der Fluß längst erreicht sein.« Barlow nickte. »Was wollen Sie machen?« »Ich bleibe auf Kurs und lege noch zehn Minuten drauf.« Der Zeiger der Borduhr rückte unaufhaltsam weiter, und Durban suchte verwirrt die unter ihnen liegende Steppe ab. Auf seiner Nase perlten Schweißtropfen. »Ich verstehe das nicht«, sagte er, als die von ihm angekündigten zehn Minuten verstrichen waren. »Der Fluß müßte doch längst zu sehen sein.« Um einer Stellungnahme aus dem Wege zu gehen, fragte der Captain: »Wollen Sie weiterhin auf Kurs bleiben?« »Natürlich. Der Gegenwind scheint vierzig bis fünfzig Meilen zu betragen.« »Dann müßten wir in etwa sechs Minuten am Ziel sein.« Der Engländer zog eine Tabelle zu Rate. »Sie haben recht. Wenn meine Annahme stimmt, stehen wir in sieben Minuten am Hampton-River. Wie haben Sie die Zeit so schnell errechnet?« »Ich hab’ sie überhaupt nicht errechnet, sondern einfach über den Daumen gepeilt«, erwiderte Barlow. Durban preßte die Lippen zusammen, und Howard stieß den Captain erneut in die Seite. Minute um Minute gingen dahin, ohne daß sich etwas 74
änderte. Außer Sand gab es nichts zu sehen, und kein Anzeichen deutete darauf hin, daß sie sich einem Fluß näherten. Die Augen des Engländers wirkten gehetzt, und der Schweiß rann ihm über die Wangen. Barlow schob den Bären tiefer in den Ausschnitt seiner Jacke hinein. »Ich glaube, ich muß Sie allmählich bitten, mir das Kommando zu übertragen.« Durban verlor alle Farbe. »Darf ich fragen, warum?« »Weil Sie unseren Standort nicht kennen.« »Das ist eine Unverschämtheit!« brauste der Engländer auf. »Ich habe genau Kurs gesteuert; wir müssen somit auf der von mir in der Karte eingezeichneten Linie stehen!« »Und an welchem Punkt?« »Das wird sich schon herausstellen! Wahrscheinlich kurz vor dem Hampton-River.« »Sie wollen also weiterhin auf Kurs bleiben?« »Ja!« »Wie lange?« Durban nagte an seinen Lippen. »Noch zehn Minuten!« Der Monteur lachte schallend. »Wozu? Sie erreichen den Fluß ja doch nicht!« »Schnauze!« schrie Barlow wütend. »Okay!« erwiderte Howard und rutschte von seinem Kissen herunter. »Vorsorglich mache ich aber schon Platz, damit Mister Durban umsteigen kann.« Der Engländer blickte von einem zum anderen. »Machen Sie Schluß!« sagte ihm der Captain. »Sie werden Ihr Ziel nicht erreichen, weil Sie die Eigenarten unseres Landes nicht kennen.« Durbans Hände zitterten. »Eine Frage noch; befinden wir uns anderswo, als ich glaube?« 75
»Ja!« »Dann gebe ich mich geschlagen. Übernehmen Sie das Kommando.« »Sie können sitzen bleiben«, erwiderte Barlow und leitete eine Kurve ein. »Ich steuere nur den Hampton-River an; von dort aus können Sie weiterfliegen.« Der Monteur schäumte vor Wut. Es war ihm unverständlich, daß Barlow den Engländer nicht demütigte und auf den Sitz des zweiten Flugzeugführers verwies. Durban blickte niedergeschlagen auf den sich drehenden Kompaß. »Geben Sie Bescheid, wenn dreihundert Grad anliegen«, bat der Captain. Der Engländer horchte auf. »Sie gehen auf Gegenkurs?« »Ja. Sie haben den Fluß nämlich längst überflogen.« »Das ist völlig unmöglich!« erregte sich Durban. Barlow schüttelte den Kopf. »Sie täuschen sich, und ich will Ihnen auch sagen warum: die meisten unserer Flüsse führen nur in Regenzeiten Wasser. Und das kommt alle sechs bis acht Jahre einmal vor und dauert dann höchstens ein bis zwei Wochen.« »Aber dann hätte ich doch das Flußbett sehen müssen!« »Das werden Sie auch gesehen haben. Es unterscheidet sich nur nicht von der übrigen Landschaft, weil es kein Geröll in ihm gibt. Sie dürfen nicht vergessen, daß die Flüsse hier fast alle im Sande versiegen.« »Und warum haben Sie mir das nicht vorher gesagt?« Barlow lachte. »Sie sind gut.« »Und Sie unkameradschaftlich!« »Nun halten Sie aber die Luft an! Die Tatsache, daß ich meine Frau nicht aufsuchte und Sie nach Deborn-Rock 76
begleitete, dürfte wohl zur Genüge beweisen ...« »... daß Sie mir eine Falle stellen wollten!« unterbrach ihn der Engländer aufgebracht. »Werden Sie jetzt nicht kindisch!« erwiderte der Captain. »Ich gebe zu, daß ich Sie heute reinlegen wollte; der Gedanke ist mir während unseres Gespräches bei Higgins gekommen. Ich habe ihn aber nicht in die Tat umgesetzt, um Sie zu kränken, sondern um Ihnen zu zeigen, daß es Dinge gibt, die Sie nicht kennen. Im übrigen muß ich Ihnen sagen, daß Sie mich sehr enttäuschen: ich war der Auffassung, daß Engländer gute Verlierer sind!« »Und ich lebte in dem Glauben, daß Australier und Australneger nicht ein und dasselbe sind!« konterte Durban. Barlow war es, als habe er einen Schlag erhalten. Seine Hände verkrampften sich und umspannten das Steuer, daß die Knöchel weiß wurden. »Verlassen Sie das Cockpit!« sagte er mit heiserer Stimme. »Ich breche den Flug ab und fliege nach Hause. Howard soll vorkommen.« Durbans Stirnadern traten hervor. »Ihr letztes Wort?« »Ja! Im Interesse der Flugsicherheit muß ich darauf bestehen!« Der Engländer erhob sich. »Das werden Sie bereuen!« Schlimmeres hätte nicht eintreten können. Aus rivalisierenden Piloten waren erbitterte Gegner geworden, die nur noch miteinander sprachen, wenn dienstliche Belange das erforderten. Sie ließen sich zwar nichts anmerken und aßen zusammen, darüber hinaus aber gingen sie sich aus dem Wege, so gut sie konnten. Und niemand machte den Versuch, das unerträgliche Verhältnis zu beenden. Barlow nicht, weil er erwartete, daß der Engländer sich entschuldigen würde, und Durban nicht, weil er der festen Überzeugung war, daß Barlow ihn mit hinterhältigen Mitteln zu erledigen versuche. 77
Einer aber war da, den die Entwicklung befriedigte: Howard! Es ärgerte ihn nur, daß der Captain ihm nach dem Flug unmißverständlich zu verstehen gegeben hatte, sich sofort von ihm zu trennen, wenn er Durban ein einziges Mal an den Vorfall erinnern oder gar fühlen lassen würde, daß er der Unterlegene gewesen sei. »Ich suche seine Kameradschaft«, hatte er ihm gesagt, »und ich möchte nicht, daß dumme Redereien ihn daran hindern, mir die Hand zu reichen. Und das um so mehr, als ich so bald wie möglich zu meiner Frau und zu meinem Jungen fahren möchte.« Der Monteur hatte die Achseln gezuckt. »Sie müssen wissen, was Sie tun. Wenn es nach mir ginge, würde ich den Affen so lange aufs Kreuz legen, bis er die Schnauze voll hat und abhaut!« »Dann danke deinem Schöpfer, daß es nicht nach dir geht!« hatte Barlow erwidert. »Du könntest sonst eines Tages in einer Maschine sitzen, die vom Himmel herunterfällt, nur weil zwei Piloten die Nerven verloren haben.« Howard ahnte nicht, wie nahe Barlow daran gewesen war, dem Engländer in das Gesicht zu schlagen, als dieser seine beleidigende Bemerkung machte. Nur mühsam war es ihm gelungen, sich zu beherrschen, und es hatte eine ganze Weile gedauert, bis er sich wieder auf den Flug konzentrieren konnte. Und das wollte er kein zweites Mal erleben. Deshalb war er auch ganz froh gewesen, als der Monteur am nächsten Morgen meldete, daß ein Federbein defekt und die Maschine für einige Tage unklar sei. »Wer weiß, wofür das gut ist«, hatte er gesagt. »Vielleicht haben wir uns bis dahin gefangen und uns die Flossen gedrückt.« Seine Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Im Gegenteil, Durban rückte sogar räumlich von ihm ab. Unter einer 78
fadenscheinigen Begründung hatte er den Hotelier gebeten, ihm ein anderes Zimmer zu geben, um in sicherem Abstand von Barlow auf der Veranda sitzen und schreiben zu können. Er verschickte in diesen Tagen etliche Briefe, die er nicht dem Hoteldiener anvertraute, sondern persönlich zur Bahn brachte und in den Schlitz des Postwagens steckte. Auch Barlow schrieb einen langen Brief, in dem er seine Frau nochmals inständig um Verständnis bat, daß er sie noch nicht aufsuchen könne. »Du weißt, daß ich lieber bei Dir als in diesem elenden Deborn-Rock sein würde«, teilte er ihr mit, »weißt aber auch, daß es Verpflichtungen gibt, denen man sich nicht entziehen kann. Würde ich es tun, könnte ich schon morgen mitschuldig am Tod eines Piloten sein, der die hiesigen Verhältnisse nicht kennt und daher eingewiesen werden muß. Leider ist er nur recht bockbeinig, was mir die Aufgabe nicht gerade erleichtert. Aber wer weiß, wie ich sein würde, wenn ich an seiner Stelle stünde.« Das war alles, was er über seinen Widersacher schrieb, und er wußte nicht, welch nachhaltigen Eindruck die wenigen Worte auf seine Frau machen sollten. Denn sie erhielt zur gleichen Zeit zwei weitere Briefe aus Deborn-Rock, in denen in verdächtiger Weise erwähnt wurde, daß ihr Mann sich angelegentlich um eine Malaiin kümmere. Sachlich war das richtig, da Barlow tatsächlich oft mit der hübschen Tania zusammensaß, die ihre Gefühle für ihn nicht verbergen konnte. Und sie begleitete ihn auch einige Male zum Flugfeld, wo er den Zusammenbau eines nach seinen Plänen hergestellten Schleudergerätes für Trockeneiskugeln überwachte. Aber auch Durban suchte in diesen Tagen vielfach den Flugplatz auf, wo er sich äußerst leutselig gab und die Hilfskräfte in lange Gespräche über die Eigenarten des Landes verwickelte. 79
Sehr zum Kummer Howards, der befürchtete, daß es immer schwieriger werden würde, den Engländer nochmals hineinzulegen. Er bemühte sich daher, die Reparatur so schnell wie möglich zu beenden, und atmete erleichtert auf, als Durban ihm den Befehl gab, die Maschine zu einem Orientierungsflug zum Sealrock-Sea startbereit zu machen. Im Bestreben, keine klare Anweisung zu erhalten, erkundigte er sich nicht nach der aufzutankenden Benzinmenge, sondern fragte: »Wieviel Meilen sind es bis dahin?« »Hundertfünfundzwanzig«! antwortete der Engländer. »Hin und zurück also zweihunderfünfzig«, erwiderte Howard scheinheilig. Durban nickte. »Okay, dann brauchen wir nicht nachzutanken.« Der Engländer sagte nichts dagegen, und Howard ließ die Fokker nach draußen schaffen. Anschließend informierte er Barlow, der in der Werkstatt arbeitete. Der Captain wischte sich die Hände sauber und nickte befriedigt. »Ich bin ganz froh, daß er den Sealrock-Sea anfliegen will.« »Warum?« fragte der Monteur. »Weil er inzwischen erfahren haben dürfte, daß es auch dort kein Wasser gibt. Er wird ihn also nicht verfehlen und in gehobener Stimmung zurückkehren. Und dann könnte unser Verhältnis wieder erträglicher werden.« Howard dachte sich seinen Teil, sagte aber nichts und ging. »Wie sieht es mit dem Benzin aus?« rief Barlow hinter ihm her. »Alles bereits geregelt und mit dem Herrn Kommandanten besprochen. Die Maschine ist klar. Wir können starten.« »Well, ich komme sofort. Zieh’ mir nur noch die Jacke an und hole den Koala!« 80
Wenige Minuten später verabschiedete er sich von Tania, die im Schatten eines Baumes mit dem Bären gespielt hatte. »Tut mir leid, daß Sie nun zu Fuß zurückgehen müssen«, sagte er ihr. »Wenn Sie warten wollen, können Sie natürlich auch hierbleiben. Wir sind in zwei Stunden zurück.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich – lieber gehen.« Er steckte den Bären in den Ausschnitt seiner Jacke und reichte ihr die Hand. »Dann bis heute abend!« Ihre samtweichen Augen flackerten. »Für Glück – ich – abbrenne – Räucherstäbchen.« Er nickte ihr zu und ging davon. Durban ließ den Motor gerade anlaufen, als Barlow sich in das Cockpit zwängte und Platz nahm. Der Engländer trug wieder die weiße Leinenkombination, hatte aber darauf verzichtet, sich die Lederhaube aufzusetzen. »Hat Howard Sie über das Ziel informiert?« fragte er, ohne den Kopf zu wenden. »Ja«, erwiderte Barlow. »Ich bremse ab!« Der Captain zog das Höhenruder an sich und Durban brachte den Motor auf volle Touren, um die Magnete zu prüfen. Dann nahm er den Gashebel zurück und gab Howard zu verstehen, die Bremsklötze zu entfernen. Der Monteur tat es und kletterte in die Kabine. Durban ließ die Maschine anrollen und deutete auf den Kursgeber. »Ich steuere fünfundneunzig Grad, also ohne Einschluß eines angenommenen Windes.« »Würde ich in diesem Fall ebenfalls machen«, erwiderte Barlow. Howard, der unmittelbar hinter den Piloten auf seinem Kissen hockte, knurrte wütend vor sich hin. »Bahn frei?« fragte der Engländer, als er den Startplatz 81
erreicht und die Maschine gegen den Wind gestellt hatte. »Frei«, antwortete der Captain und lehnte sich zurück. Durban gab Vollgas und drückte das Segment an, und schon wenige Sekunden darauf konnte er die inzwischen auf den Namen ›Pamela‹ getaufte Fokker F VII vom Boden abheben. Das ging aber schnell, dachte Barlow und zog die pneumatischen Pumpen, um den Inhalt der Tanks zu kontrollieren. Howard sah es und preßte die Lippen aufeinander. Der Captain wandte sich an Durban. »Haben Sie bewußt nicht nachtanken lassen?« »Wie kommen Sie darauf?« »Weil der Betriebsstoff nur für zweieinhalb Stunden reicht. Unsere Reserve ist also verdammt gering.« Der Engländer warf Howard einen wütenden Blick zu. »Sie haben doch erklärt, wir brauchten nicht zu tanken!« Der Monteur machte Hundeaugen. »Ich hab’ gedacht, daß eine Reserve von einer halben Stunde genügt.« Barlow, der Howard augenblicklich durchschaute, schlug vor, nochmals zu landen und nachzutanken. Durban blickte auf den Kompaß und beendete die Kurve, die er eingeleitet hatte. »Wir fliegen weiter«, sagte er. »Mir genügt eine Reserve von dreißig Minuten.« Der Captain schüttelte den Kopf. »Ich verstehe Sie nicht! Wozu etwas riskieren, wenn man es nicht nötig hat.« »Kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten!« »Nun seien Sie nicht so halsstarrig!« erwiderte Barlow ungehalten. »Ich weiß genau, um was es Ihnen jetzt geht: Sie wollen unter Beweis stellen ...« »Einen Dreck wissen Sie!« unterbrach ihn Durban aufgebracht. »Verschonen Sie mich mit Ihren Vorträgen und 82
lassen Sie mich in Ruhe!« »Wie Sie wollen«, sagte der Captain. »Ich mache aber darauf aufmerksam, daß ich Sie gewarnt habe!« Der Engländer nickte und ließ die Maschine auf zweitausend Fuß steigen. Dann legte er sie gerade und betrachtete die trostlose Landschaft, die unter ihnen dahinglitt. Außer verblichenen Gräsern und Sträuchern war nur Sand, Sand und nochmals Sand zu sehen. Ich gebe es auf und fahre nach Adelaide, dachte Barlow. So hat es keinen Sinn und wird alles nur noch schlimmer. Howard hat nicht nachgetankt, weil er mich zwingen will, bei der geringsten Kleinigkeit einzugreifen. Und Durban macht nicht kehrt, weil er sein Können unter Beweis stellen will. Säße ich nicht hier, wären die Tanks gefüllt und nichts könnte passieren. So aber ... Er war die Streiterei leid und sehnte sich nach seiner Frau und seinem Jungen und machte sich Vorwürfe darüber, daß er sie nicht sofort aufgesucht hatte. Ein brennendes Verlangen erfaßte ihn; er dachte nur noch an daheim und hoffte zu Gott, daß dem Engländer kein neuer Fehler unterlaufen würde. Sein Wunsch ging jedoch nicht in Erfüllung. Denn als Durban die blendendweiße Fläche des ausgetrockneten Salzsees vor sich liegen sah, sagte er triumphierend »Voila!« und leitete augenblicklich eine Kurve ein, um nach DebornRock zurückzufliegen. Barlow warf schnell noch einen Blick zum See hinüber und bat um die Navigationskarte. Der Engländer reichte sie ihm mit Gönnermiene. Er sah die von Durban eingezeichnete Kurslinie, die in der Mitte der Nordseite des gut vierzig Meilen breiten Sees endete. Der Blick zum See aber hatte ihm gezeigt, daß sie während des einstündigen Fluges eine Windversetzung von etwa fünfzehn Meilen erfahren hatten. Wurde diese Tatsache nicht 83
berücksichtigt, mußten sie nach einer weiteren Flugstunde um dreißig Meilen versetzt an Deborn-Rock vorbeifliegen. Im Bestreben, den Engländer hierauf aufmerksam zu machen, reichte er die Karte zurück und sagte: »Empfehle Ihnen dringend, sich den See etwas näher anzusehen!« Durban grinste hämisch. »Sonst noch Wünsche?« »Seien Sie vernünftig!« warnte ihn Barlow. »Ich habe den Vorschlag in Ihrem Interesse gemacht.« Der Engländer lachte. »Wenn Sie glauben, mich in ›Benzindruck‹ bringen zu können, dann täuschen Sie sich!« »Gerade das Gegenteil will ich erreichen!« erwiderte der Captain. »Ich kann doch kein Interesse daran haben ...« »Nun hören Sie endlich mit Ihrer Quatscherei auf!« unterbrach ihn Durban wütend. Barlow zuckte die Achseln. »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Beschweren Sie sich aber nicht, wenn Sie Ihr Ziel nicht erreichen!« Durban machte eine wegwerfende Bewegung, und Howard, der das Gespräch mit wachsendem Interesse verfolgt hatte, rieb sich vergnügt die Hände. Wenn er auch nicht wußte, worauf der Captain hinauswollte, er kannte ihn zur Genüge, um zu wissen, daß er den Engländer nicht grundlos warnte. Wozu sich weiterhin ärgern, dachte Barlow. Durban hat sich verrannt und will sich nicht helfen lassen. Vielleicht ist es aber ganz gut so. Denn nun macht er einen Fehler, der ihn nachdenklich stimmen und vernünftig mit mir reden lassen wird. Und dann kann ich ihn beruhigt sich selbst überlassen und nach Hause fahren. Der Motor brummte sein eintöniges Lied, und Minute um Minute gingen dahin, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Bis der Augenblick kam, da Durban näher an die Windschutzscheibe heranrückte und angestrengt das vor ihm 84
liegende Gelände absuchte. Barlow zog den Bären aus dem Ausschnitt seiner Jacke und sagte an Howard gewandt: »Setz ihn hinten auf den Boden. Beim letzten Umsteigen hätte ich ihn beinahe gequetscht.« Der Kopf des Engländers flog herum. »Wenn Sie beabsichtigen, mich nervös zu machen, weise ich Sie aus dem Cockpit!« »Ich will lediglich dafür sorgen, daß diese Maschine in Deborn-Rock und nicht irgendwo im freien Gelände landet«, erwiderte Barlow betont ruhig. »In Anbetracht unserer geringen Benzinreserve muß ich Sie um siebzehn Uhr zehn bitten, Ihr Kommando niederzulegen. Wir befinden uns dann nämlich nicht über Deborn-Rock, wie Sie vermuten werden, sondern dreißig Meilen vom Platz entfernt. Und zwar querab und nicht in Flugrichtung!« »Reden Sie doch keinen Unsinn!« brauste Durban auf. »Wir liegen genau auf Gegenkurs und ...« »... ich mache darauf aufmerksam, daß Sie es am SealrockSea unterlassen haben, die Windversetzung zu ermitteln!« unterbrach ihn der Captain. »In Europa mag so etwas angehen; da gibt es Straßen und Eisenbahnen, die viele Korrekturmöglichkeiten bieten. Auf unserer Strecke aber gab es nur eine, und die lag am Rand des Sees, den Sie sich nicht näher ansehen wollten!« Durban brauchte Sekunden, bis er etwas erwidern konnte. Dann sagte er: »Das haben Sie sauber hingekriegt! Ich bewundere Ihr psychologisches Talent und räume das Feld. Bilden Sie sich aber nicht ein, daß ich mich geschlagen gebe. Das letzte Wort wird anderswo gesprochen! Wann und wo, das müssen Sie mir überlassen!« Durbans Drohung hatte zur Folge, daß Barlow ihn nicht mehr ernst nahm. »So ein Idiot!« schimpfte er, als er am Abend mit Howard zusammensaß. »Wie ein kleiner Junge kam er mir 85
vor, der da schreit: Warte nur, ich hab’ einen großen Bruder, der dich verhaut!« Der Monteur lachte. »Hauptsache, Sie ärgern sich nicht mehr über ihn.« »So ist das nun auch nicht«, erwiderte der Captain unzufrieden. »Mir setzt die Geschichte mehr zu, als du denkst. Und zwar deinetwegen! Ich gehe jede Wette ein, daß er sich den Sealrock-Sea näher angesehen hätte, wenn die Tanks gefüllt gewesen wären. Unter den gegebenen Umständen aber war er bestrebt, keine Zeit zu verlieren, und – bums, da war es passiert. Die Folge: ich muß hierbleiben und kann nicht zu meiner Frau fahren!« »Ich bin ganz froh darüber«, erwiderte Howard ungerührt. »Piloten, die sich aufs Kreuz legen lassen, benötigen ’ne Amme, sprich Kommandanten!« Barlow schüttelte den Kopf. »Und wenn du tausendmal recht hättest, wir wollen fair bleiben und uns nichts nachsagen lassen. Um aber von etwas anderem zu reden: können wir das Schleudergerät morgen einbauen?« »Jederzeit!« »Dann baue es ein und fordere Trockeneis an.« Als Durban von dieser Anordnung hörte, protestierte er energisch und erklärte, vor dem Einbau des Schleudergerätes zunächst noch einige Orientierungsflüge unternehmen zu wollen. Barlow bedeutete ihm, daß die Arbeit nur einen Tag in Anspruch nehme, und bat ihn, die beabsichtigten Flüge mit der umgerüsteten Maschine durchzuführen, damit diese auf jeden Fall einsatzbereit sei, wenn Wolken gemeldet werden sollten. Der Engländer verschloß sich seinen Argumenten und befahl Howard, keine Umbauarbeiten durchzuführen und das Flugzeug für den nächsten Morgen startklar zu machen. Dem 86
Captain wurde es zuviel. »Unsere Aufgabe ist die großräumige Durchführung von Versuchen, Wolken zum Regnen zu bringen!« rief er erregt. »Alles andere ist Nebensache. Und wenn Sie das nicht einsehen wollen, dann scheren Sie sich nach England zurück! Ich habe keine Lust, mich weiterhin mit Ihnen herumzustreiten.« »Haben Sie mir sonst noch etwas zu sagen?« fragte Durban süffisant. »Nein!« antwortete Barlow wütend. »Dann darf ich mich empfehlen. Good night!« Der Captain ergriff ihn am Ärmel. »So geht das nicht!« Durban schaute auf die Hand, die ihn festhielt. »Was geht so nicht?« »Daß Sie jetzt einfach abhauen! Herrgott, können wir denn nicht vernünftig miteinander reden und forträumen, was sich zwischen uns gestellt hat?« »Bedaure, Ihr Vorschlag kommt zu spät«, erwiderte der Engländer. »Und ich muß Sie nun bitten, mich loszulassen!« Der Captain ließ die Hand sinken. »Wie Sie wollen.« Die zischenden Laute der auf den Wellblechdächern umherjagenden Opossums übertönten noch die ersten Geräusche des anbrechenden Tages, als Howard atemlos an Barlows Bett stürmte und ihn rücksichtlos aus dem Schlaf riß. »Wissen Sie schon das Neueste?« keuchte er. »Durban ist abgehauen!« Der Captain fuhr hoch. »Soll das ein Witz sein?« »Nein! Ich hab’ ihn selbst zur Bahn gehen sehen! Nanu, dachte ich, als ich ihn aus dem Hotel herauskommen sah, den Herrn kennst du doch. Quatsch ihn mal an!« »Und was sagte er?« »Nichts! Luft war ich für ihn! Da habe ich ihm gesagt, er könne mich ... Und hab’ ihm gute Reise gewünscht.« 87
Barlow strich sich die Haare zurück. »Hatte er seine Koffer bei sich?« Der Monteur schlug sich vor die Stirn. »Er war also ohne Gepäck?« »Ja!« »Und ist somit nicht ›abgehauen‹, wie du sagtest, sondern nach Perth gefahren! Du hast dich zu früh gefreut.« Howard blickte verbissen vor sich hin. »Meinen Sie, daß er mit Higgins sprechen will?« »Was denn sonst?« »Dieses Miststück! Aber die Tour werden wir ihm vermasseln! Wofür haben wir das Funksprechgerät! Wenn wir Higgins anrufen und ihm sagen ...« »... welches Miststück Mister Durban ist«, unterbrach ihn Barlow, »dann beweisen wir damit, daß wir ein schlechtes Gewissen haben. Nein, mein Lieber, wir machen etwas ganz anderes: wir bauen das Schleudergerät ein und lassen unseren Freund reden und erzählen, soviel er will.« »Und was ist, wenn sich Higgins auf seine Seite stellt?« »Dann haben wir zwei streitlose Tage gehabt! Machen wir was daraus. Man muß die Feste feiern, wie sie fallen.« Howard sah ein, daß der Captain recht hatte, und geriet in eine ausgelassene Stimmung. »Wissen Sie, was wir machen?« sagte er. »Wenn wir die ›Wolkenspritze‹ ausprobiert haben, laden wir Tania zu einem Probeflug ein!« »Eine glänzende Idee!« erwiderte Barlow. »Stellen Sie sich vor: Sie am ersten Steuer, Tania am zweiten und ich als Heiliger Geist in der Mitte!« Der Captain grinste. »Schade, daß Durban das nicht weiß.« »Warum?« »Dann hätte er einen Punkt mehr auf seiner Liste! Aber nun 88
ran an die Arbeit. Ich komme gleich mit. Wenn wir uns beeilen, sind wir um vier Uhr fertig.« Sir Geoffrey Higgins blickte verwundert auf, als ihm kurz vor Büroschluß gemeldet wurde, daß Mister Durban ihn zu sprechen wünsche. Er wußte sofort, daß etwas Unangenehmes auf ihn zukam, und überlegte fieberhaft, was vorgefallen sein könnte. »Ich lasse bitten«, sagte er nach kurzem Zögern und erhob sich, um den Engländer zu begrüßen. Seine Befürchtungen schwanden jedoch, als der unerwartete Gast in offensichtlich bester Laune in den Raum trat. »Entschuldigen Sie, daß ich unangemeldet bei Ihnen erscheine«, sagte Durban mit weltmännischem Gehabe. »Mein Entschluß, nach Perth zu fahren, kam aber so plötzlich, daß ich Sie nicht mehr verständigen konnte.« »Sie sind mir jederzeit herzlich willkommen«, erwiderte der Leiter der CSIRO. »Haben Sie sich inzwischen eingelebt?« »Sogar ausgezeichnet. In Deborn-Rock ist natürlich alles etwas primitiv, aber damit hatte ich ja gerechnet. Doch darüber später. Darf ich mich zunächst nach dem Befinden Ihrer reizenden Gattin erkundigen?« »Herzlichen Dank! Es geht ihr blendend, und sie spricht noch oft von dem netten Abend, den wir mit Ihnen verbrachten.« »An den denke ich ebenfalls gerne zurück.« Sir Geoffrey Higgins bat ihn, Platz zu nehmen. Durban zog seine Pfeife aus der Tasche. »Sie gestatten?« »Aber, bitte!« »Um auf Deborn-Rock zurückzukommen«, sagte der Engländer, während er seine Pfeife stopfte, »die primitiven Verhältnisse stören mich nicht im geringsten. Im Gegenteil, irgendwie macht mir das Leben dort Spaß, oder besser gesagt: es könnte mir Spaß machen, wenn Barlow und Howard es nicht 89
darauf angelegt hätten, mich fortzuekeln.« Der Leiter der CSIRO sah ihn betroffen an. »Wie soll ich das verstehen?« Durban zündete seine Pfeife an. »Wie ich es sagte. Man versucht, mir das Leben unerträglich zu machen. Anfangs glaubte ich, es handle sich um Dumme-Jungen-Streiche, inzwischen wurde ich aber eines Besseren belehrt. Denn wo Handgreiflichkeiten beginnen, hört der Spaß ja auf.« »Handgreiflichkeiten?« fragte Sir Geoffrey Higgins außer sich. »Ja!« erwiderte Durban und bemühte sich, einen jäh aufsteigenden Ekel vor sich selbst zu unterdrücken, der ihn während der Fahrt nach Perth schon einige Male überfallen hatte und der ihn in diesem Augenblick erneut überkam. Er wußte, daß er sich verrannt hatte, und redete sich ein, nun nicht für sich, sondern für Pamela Barlow zu kämpfen, in die er sich verliebt hatte und die er unter allen Umständen heiraten wollte. »Wenn ich mich gestern abend nicht beherrscht hätte«, fuhr er nach kurzer Pause fort, »läge Captain Barlow jetzt wahrscheinlich im Krankenhaus. Vielleicht auch ich; wir wollen das nicht weiter untersuchen. Auf jeden Fall hielt er mich bereits am Ärmel, und ich möchte Derartiges nicht noch einmal erleben.« Der Leiter der CSIRO faßte sich an den Kopf. »Ist der Kerl denn verrückt geworden?« »Ich weiß es nicht. Vieles deutet aber darauf hin, daß ihm der Aufenthalt bei den Aborigines nicht bekommen ist.« »Das ist ja furchtbar!« stöhnte Sir Higgins. »Und wie ist er dienstlich, ich meine fliegerisch?« »Was soll ich sagen? Er kennt das Land natürlich besser als ich, und ich muß zugeben, daß es ihm gleich beim ersten Flug gelang, mich hineinzulegen. Ich flog über den ausgetrockneten Hampton-River hinweg, woraufhin er sofort die Übertragung 90
des Kommandos forderte.« Der Leiter der CSIRO horchte auf. »Entsprachen Sie seinem Verlangen?« »Was blieb mir anderes übrig. Er begnügte sich jedoch nicht damit, sondern verwies mich aus dem Cockpit!« »Ohne jeden Grund?« »Ein Grund läßt sich immer finden. Mich erregte seine Unkameradschaftlichkeit. Es ist doch hinterhältig, einem zu verschweigen, daß die meisten der hiesigen Flüsse kein Wasser führen.« Sir Geoffrey Higgins blickte nachdenklich vor sich hin. »Und wie ging es weiter?« »Man legte mich ein zweites Mal hinein; nun aber auf eine geradezu verbrecherische Art! Man tankte die Maschine nicht auf und brachte mir das erst zur Kenntnis, als wir uns in der Luft befanden. Die Folge: ich wurde nervös und machte einen Fehler, den ich nicht abstreiten kann. Ich verlangte daraufhin die Durchführung eines weiteren Orientierungsfluges, den Barlow mit der Begründung ablehnte, die Maschine umrüsten zu müssen. Aber nicht genug damit: er griff nach mir und schrie, ich solle mich nach England zurückscheren! So, und nun wissen Sie, warum ich zu Ihnen gekommen bin.« »Nicht ganz«, erwiderte der Leiter der CSIRO bedächtig, da er Barlow zu gut kannte, um glauben zu können, daß er zu verbrecherischen Mitteln greifen und Schlägereien provozieren würde. »Ich bin mir nämlich nicht im klaren darüber, ob Sie sich hilfesuchend oder beschwerdeführend an mich wenden.« »Selbstverständlich beschwerdeführend!« antwortete Durban entrüstet. »Ich soll also nicht den Versuch machen, den zwischen Ihnen und Barlow entbrannten Streit beizulegen?« »Wozu? Feuer und Wasser passen nicht zusammen!« 91
Sir Geoffrey Higgins erhob sich. »Mit anderen Worten: Sie wünschen von Barlow getrennt zu werden.« »Sehr richtig! Und zwar so schnell wie möglich.« »Das ist leichter gesagt als getan, da wir nur über ein Flugzeug verfügen.« »Das ist Ihre und nicht meine Sache. Ich besitze schwarz auf weiß, daß ich der Kommandant jener Maschine bin, und als solcher muß ich im Interesse der Flugsicherheit darauf bestehen, daß Sie Herrn Barlow ...« Er schnippte mit dem Finger. »Sollten Sie sich nicht dazu entschließen können, werde ich Deborn-Rock verlassen und privatisieren. Mein Vertrag hat bekanntlich eine Gültigkeit von drei Jahren, und ich bin überzeugt, daß es manch hübsches Plätzchen gibt, an dem es sich gut leben läßt.« »Zum Beispiel in Adelaide!« entfuhr es dem Leiter der CSIRO, dem Durbans Art die Beherrschung raubte. »Ganz richtig!« erwiderte der Engländer, ohne mit der Wimper zu zucken. »Adelaide ist zweifellos ein reizendes Plätzchen!« Sir Geoffrey Higgins ging auf ihn zu. »Wenn das Ihr wahres Gesicht ist, kann ich verstehen, daß Barlow mit Ihnen nicht fertig wird.« »Wäre es nicht denkbar, daß er mir das neue Gesicht aufgesetzt hat?« »Nein!« antwortete Sir Higgins bestimmt. »Dieses Gesicht haben Sie sich selbst aufgesetzt – Sie und Pamela Barlow!« Durban kniff die Lider zusammen. »Sie brauchen gar nicht so wütend zu schauen«, fuhr der Leiter der CSIRO unbeirrt fort. »Im übertragenen Sinne ist Frau Barlow tatsächlich mitschuldig! Denn sie liebt Sie, und solange Sie Barlow keinen reinen Wein einschenken, tragen Sie ein Schuldgefühl mit sich herum, das Ihnen den klaren Blick raubt 92
und Ihr Wesen verändert. Ich mische mich nicht gerne in anderer Leute Privatangelegenheiten, sehe mich in diesem Falle aber dazu gezwungen, da Sie in erpresserischer Weise von mir verlangen, Ihren Rivalen mit einem Fingerschnippen in die Wüste zu schicken!« Der Engländer sprang auf. »Das ist...« »... die Folge Ihrer zwar erklärbaren, dennoch aber unbegreiflichen Wesensveränderung!« unterbrach ihn Sir Geoffrey Higgins und fügte beinahe flehend hinzu: »Wäre es nicht richtiger, offen mit Barlow zu reden? Ich bin überzeugt, daß eine Aussprache vieles ändern würde.« »Fragt sich nur, in welchem Sinne.« »Befürchten Sie, daß er der Sieger sein könnte?« Durban klopfte seine Pfeife aus. »Davor habe ich nicht die geringste Angst.« »Dann reden Sie doch mit ihm!« »Glauben Sie, ich wollte es nicht schon seit dem Tage, da ich ihn kennenlernte? Ohne Pamelas Zustimmung kann ich es aber nicht. Ich erwarte täglich ihren Bescheid, da ich ihr ausführlich geschrieben und ihr konkrete Vorschläge unterbreitet habe.« Sir Geoffrey Higgins ergriff ihn bei den Armen. »Und da wollen Sie vorher mit ihm brechen? Mir scheint, Sie haben den Kopf verloren und wissen nicht mehr ein noch aus. Wie bei dem Flug, bei dem Sie – wie Sie sagten – nervös wurden und einen Fehler machten, den Sie nicht abstreiten können.« Der Engländer blickte zu Boden. »Möglich, daß Sie recht haben.« »Dann kehren Sie zurück und sorgen Sie dafür, daß wir nicht noch Mord und Totschlag erleben!«
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VI Das gläserne Leuchten des hoch am indigoblauen Himmel stehenden Mondes hatte die Steppe in eine exotische Theaterkulisse verwandelt, als Durban am darauffolgenden Abend nach Deborn-Rock zurückkehrte. Alles schien ohne Schwere zu sein; es gab keine festen Formen mehr, und nur die zu einer hellen Mauer zusammengeschmolzenen Wellblechhäuser warfen Schatten, über die man zu stolpern glaubte. Verschlafen wirkte die Stadt. Doch als der Engländer die Hotelveranda erreichte, blieb er plötzlich erschrocken stehen, da sich eine Gestalt aus dem Schatten löste. Es war Howard, der ihn frech angrinste. »Na, wie war’s in Perth? Haben Sie sich gut erholt?« Durban würdigte ihn keiner Antwort und wollte schon weitergehen, als er erkannte, daß Barlow im Hintergrund der Veranda in einem Schaukelstuhl lag. Neben ihm saß Tania mit dem Koala auf dem Schoß. Kurz entschlossen trat er an den Captain heran und fragte ihn, ob er ihn einen Moment sprechen könne. »Aber natürlich«, antwortete Barlow. »Wollen Sie sich zu uns setzen?« »Ich hätte Sie gerne allein gesprochen.« Der Captain erhob sich. »Gehen wir ein paar Schritte.« Durban nickte, und Howard knurrte unverständliche Worte hinter ihnen her. Barlow schlug die Richtung zum Flugfeld ein. »Ich war in Perth, um mich über Sie und Howard zu beschweren«, sagte der Engländer, als sie eine Weile gegangen waren. 94
»Das habe ich mir gedacht«, erwiderte der Captain. »Ich weiß, daß ich Sie hätte informieren sollen; der Gedanke, nach Perth zu fahren, kam mir jedoch selbst erst in der Nacht und ...« »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, unterbrach ihn Barlow. »Aber es freut mich, daß Sie Ihren Fehler einsehen. Er ist damit weggewischt. Kommen wir zum Hauptthema: worüber haben Sie sich beschwert und wie wurde Ihre Beschwerde aufgenommen?« »Ich schilderte unsere Reibereien.« »Gesehen durch Ihre Brille?« »Gewiß. Ich möchte allerdings bemerken, daß ich den mir am Sealrock-Sea unterlaufenen Fehler eingestand.« »Das ist immerhin etwas. Doch nun weiter.« »Was soll ich viel erzählen. Ich stellte die Forderung: Sie oder ich!« »Und?« »Bin auf Granit gestoßen. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.« Barlow kraulte sich die Haare. »So unerfreulich das Ganze ist, Sie werden verstehen, daß mich das Ergebnis Ihrer Reise befriedigt. Ich frage mich jetzt nur: wie soll es weitergehen? Die Tatsache, daß Sie offen mit mir reden, läßt ja einiges erhoffen. Aber wird der Stachel, der Sie verletzt und nach Perth getrieben hat, nicht weiterhin in Ihnen stecken und Sie vielleicht sogar in erhöhtem Maße quälen, weil Sie sich nicht durchgesetzt haben?« Durban machte eine hilflose Geste. »Ich weiß es nicht, weiß überhaupt manches nicht mehr.« »Wie wäre es, wenn wir alles Zurückliegende über Bord werfen würden?« fragte Barlow. »Könnten Sie es?« 95
»Warum nicht? Wir sollten das Pferd dann aber anders aufzäumen!« »Wie?« »Von vorne, indem wir den Kommandanten zu Grabe tragen und übereinkommen, daß wir abwechselnd auf dem ersten Sitz Platz nehmen. Sie haben Ihre Meriten, ich meine Erfahrungen; schmeißen wir doch beides zusammen und ›knüppeln‹ wir das Flugzeug und nicht uns selber!« Durban blieb stehen. Barlow hielt ihm die Hand hin. Der Engländer zögerte. »Ich muß vorher aber noch den ›Australneger‹ forträumen, mit dem ich Sie zweifellos beleidigte.« Der Captain stieß ihn in die Rippen. »Nicht notwendig. Der ist längst in die Wüste geflüchtet.« Howard war außer sich, als er die beiden Piloten in bester Stimmung zurückkehren sah. »Das kann ja heiter werden«, knurrte er verbissen. »Wenn Himmel und Hölle Hochzeit feiern, gibt’s bekanntlich Mißgeburten!« Barlow lachte. »Eine dieser Gestalten haben wir soeben über Bord geworfen: es gibt keinen Kommandanten mehr!« Der Monteur blickte von einem zum ändern. »Ist das wahr?« »Ja! ›Pamela‹ wird in Zukunft abwechselnd von Mister Durban und von mir geschaukelt!« Dem Engländer war es, als hätte er eine Ohrfeige erhalten. »Stimmt’s?« wandte sich Barlow an ihn. Durban nickte. Sein Gesicht war fahl geworden. Um von diesem Thema abzulenken, zog er seine Pfeife aus der Tasche und sagte: »Ich habe übrigens heute morgen mit dem Chefmeteorologen der Perther Wetterwarte gesprochen. Er sagte mir, daß der ›Höhentemp‹ eine Schichtung zeigt, die vermuten läßt, daß es in den nächsten Tagen über dem 96
Küstengebirge zu starken Wolkenbildungen kommen wird. Ja, er rechnet unter Umständen sogar mit Gewittern.« Der Captain hob abwehrend die Hände. »Nur nichts beschreien! Es wäre zu schön, um wahr zu sein.« Seine Sorge war unbegründet, denn schon am darauffolgenden Nachmittag meldeten die Städte Wagin, Collie und Nannup die ersten Wolken. Barlow fieberte wie ein Rennpferd. Er ließ die Tanks bis zum Überlaufen füllen, kontrollierte den Motor, überwachte das Verzurren der Thermosbehälter und spannte ein kräftiges Seil durch die Kabine, damit Howard, der das Schleudergerät bedienen sollte, auch bei der größten Turbulenz Halt finden konnte. Anschließend prüfte er die Fallschirme, und erst, als alles bis in das Letzte vorbereitet war, legte sich seine Unruhe, und er sagte zu Durban: »So, und nun studieren wir gemeinsam die Karte und entwerfen unseren Schlachtplan, damit wir nur noch einzusteigen brauchen, wenn Sir Geoffrey das Kommando gibt.« Der Engländer zündete seine Pfeife an. »Haben Sie ihn inzwischen gesprochen?« »Ja.« »Und ihm gesagt, daß wir miteinander klargekommen sind?« »Nein«, erwiderte Barlow. »Das möchte ich vorerst noch nicht. Er könnte sonst denken: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.« Durban klopfte ihm auf die Schulter. »Von Ihnen kann man noch was lernen.« Der Captain lachte. »Wenn Sie dieser Meinung sind, möchte ich Sie bitten, mich beim ersten Versuchsflug links sitzen zu lassen. Einverstanden?« »Das ist doch selbstverständlich«, antwortete der Engländer. Was niemand für möglich gehalten hatte, war Wirklichkeit 97
geworden: es gab keine Streitigkeiten mehr. Man einigte sich, ohne viel Worte zu verlieren, und dementsprechend reibungslos verliefen am nächsten Vormittag die letzten Vorbereitungen, nachdem die CSIRO um elf Uhr starke Wolkenbildungen über dem südlichen Teil der Darling-Kette gemeldet hatte. »Seien Sie aber vorsichtig«, hatte der Meteorologe gewarnt. »Wagin und Collie melden Quellungen, die sich zu gefährlichen Gewitterstürmen entwickeln können!« Wenige Minuten später dirigierte Barlow die Fokker an die äußerste Platzgrenze. Vor seiner Brust hing der Koala in einem kleinen Leinensäckchen, das Tania für den Bären genäht hatte. »Alles klar?« fragte er mit einem Blick in die rückwärtige Kabine. Howard, der seines Fallschirmes wegen in einem Spezialsessel sitzen mußte und nicht unmittelbar hinter den Piloten hocken konnte, hob die Hand. Durban tat das gleiche. Der Captain schob den Gashebel vor und drückte das Segment an. Seine Haltung und der Ausdruck seines Gesichtes verrieten äußerste Konzentration. »Kopflastiger!« rief er in das Dröhnen des Motors. Der Engländer betätigte das Trimmrad. »Genug!« Die schwer beladene Maschine rumpelte träge über den Boden und gewann nur langsam an Fahrt. Durban blickte angespannt zum Platzrand hinüber, der in bedenkliche Nähe rückte. Barlow öffnete eine am Gashebel angebrachte Sperre, um den Motor notfalls auf Überdrehzahl bringen zu können. Er tat es völlig ruhig und wurde auch nicht nervös, als die Fokker wie am Boden klebend auf die Platzumrandung zujagte. Aber dann 98
hob er sie plötzlich ab und drückte sie gleich darauf über die Umzäunung hinweg. »Fahrt ist das halbe Leben!« rief er ausgelassen. »Die andere Hälfte ist Angabe!« Der Engländer atmete erleichtert auf und verriegelte die vorsorglich geöffnete Sperre. »Was würden Sie davon halten, wenn wir das Rollfeld erweitern?« »Viel!« antwortete Barlow und ließ das Flugzeug steigen. »Sprechen Sie mit Howard; der freut sich, wenn er Hilfskräfte kommandieren kann.« »Okay!« »Sie können mit den Eintragungen beginnen.« Durban ergriff die Kladde, die er neben sich in den Sitz gesteckt hatte. Dann blickte er auf die Borduhr und notierte: ›Start Deborn-Rock 11 Uhr 37; Besatzung: Barlow, Durban, Howard; Wetterlage: wolkenlos; Bodenwind Südwest 10 mph; Steigflug Kurs 213 Grad; Geschwindigkeit 90 mph.‹ Gewissenhaft und auf die Minute genau trug er von nun an jede Bewegung des Flugzeuges ein, da ihm Barlow beim Studium der Karte gesagt hatte: »Wer sich über Australien zurechtfinden will, muß wie ein Schiffskapitän handeln und ein Bordbuch führen, aus dem er jederzeit ersehen kann, wie lange und mit welcher Geschwindigkeit er diesen und jenen Kurs steuerte.« Der Engländer hatte den Wert derartiger Notierungen sofort erkannt und freute sich schon auf eventuell notwendig werdende Standortbestimmungen. Es gab aber noch etwas anderes, das ihn begeisterte und mitriß: Barlows Art, die Maschine zu steuern. Er saß hinter dem Segment, als wäre er ein Teil des Flugzeuges selbst geworden. Sein leicht vorgebeugter Rücken erinnerte an einen Panther, der zum Sprung ansetzt, und seine Augen leuchteten, als höre er im Dröhnen des Motors die Bässe einer Orgel. 99
Gut eine halbe Stunde ließ er die Maschine steigen, dann drückte er sie an, um mit erhöhter Geschwindigkeit weiterzufliegen. Durban notierte: ›Steigflug 12 Uhr 16 in 10 000 Fuß beendet; Geschwindigkeit 120 mph; Kurs 213 Grad.‹ »Wir überfliegen die Bahnkreuzung Bruce Pock!« rief ihm Barlow zu. »Das gibt uns die Möglichkeit, den Höhenwind zu bestimmen.« Der Engländer trug die errechnete sowie die tatsächlich zurückgelegte Entfernung in die Karte ein, und als er damit fertig war, meldete er: »Mittlerer Höhenwind dreihundert Grad, dreißig Meilen. Neuer Kurs: zweihundertzwanzig!« »Okay!« erwiderte der Captain und leitete eine leichte Kurve ein. »Drüben werden schon die ersten Quellungen sichtbar.« Durban nickte und deutet auf die zerfurchten Gebirgskämme der vor ihnen liegenden Darling-Kette. »Kein ideales Notlandegelände.« Barlow zuckte die Achseln. »Ein Bruch in bewohnter Gegend ist immer noch besser als eine glatte Landung in der Wüste. Ich hatte einen Freund, der in der Nullabor-Ebene herunter mußte. Wir fanden ihn acht Tage später; er war unverletzt, aber – ausgetrocknet!« Der Engländer griff sich an die Kehle. »Schauen Sie sich die Wolkentürme an. Ich glaube, wir werden noch ordentlich steigen müssen.« »Wollen Sie sie von oben ›anschießen‹?« Der Captain schüttelte den Kopf. »Das wäre sinnlos. Wir müssen rein!« »In die Quellungen?« entsetzte sich Durban. »Natürlich. Wenn die Trockeneiskugeln nicht in das Zentrum der Turbulenz gebracht werden, kommen sie nicht richtig zur Wirkung.« 100
Der Engländer machte ein bedenkliches Gesicht. »Dabei können wir unter Umständen aber ganz schön runterpurzeln.« »Darum sagte ich, daß wir wahrscheinlich noch mächtig klettern müssen. Uns könnte sonst plötzlich ein Berg im Wege stehen.« Eine viertel Stunde noch flogen sie in gleichbleibender Höhe, dann ließ Barlow die Maschine steigen, da immer deutlicher wurde, daß die Quellungen gefährliche Formen annahmen. »Steuern wir zunächst mal den linken ›Blumenkohl‹ an«, rief er, als sie sich zwei gewaltigen Wolkentürmen näherten. »Meines Erachtens steht er unmittelbar vor Wagin. Man wird uns also hören und sehen können, wenn wir in ihn eintauchen.« »Ganz schönes Monstrum«, erwiderte Durban. Der Captain blickte in die Tiefe und legte die Maschine in eine Kurve. »Kursunterbrechung dreizehn Uhr zweiundzwanzig! Howard soll sich fertig machen.« Durban notierte die Zeit und gab dem Monteur zu verstehen, das Schleudergerät mit Eis zu füllen. Barlow wies auf einige Wolkenballen, die explosionsartig aus der Quellung herausschossen. »In dem Ding scheint allerhand los zu sein. Wir werden unsere Anschnallgurte ordentlich anziehen müssen.« »Wollen wir uns nicht erst den anderen Turm ansehen?« »Wozu? Dieser steht günstiger. Wagin liegt tatsächlich unmittelbar vor uns. Wenn wir nach Süden ausholen, überfliegen wir die Stadt, und der Beobachter der CSIRO kann uns bis zum Eintauchen verfolgen.« »Also dann ...« Durban schaltete die Heizdüse ein und zog seine und Barlows Gurte strammer. »Hoffentlich kotzt der Koala Ihnen nicht den Laden voll.« Barlow strich über den Kopf des Bären. »Wird schon nicht 101
so schlimm werden. Sehen Sie aber nach, ob Howard seinen Stehgurt eingeklinkt hat; er saust uns sonst nachher durch die Bude.« Durban lachte. »Was ich ihm eigentlich von Herzen gönnen würde.« Der Captain schmunzelte und holte zu einer weiten Schleife aus, um die wie ein Gewittersturm aussehende Quellwolke mit der Sonne im Rücken anfliegen zu können. Der Motor dröhnte metallisch, und der Höhenmesser zeigte 14 000 Fuß, als sie die gewünschte Ausgangsposition erreicht hatten. »Alles klar?« rief Barlow, der das Segment fester umfaßte und die Füße stärker gegen das Seitensteuer stemmte. Durban drehte sich zurück und warf Howard einen fragenden Blick zu. Der Monteur hob die Hand. »Von mir aus kann es losgehen. Ich brauche nur noch die Klappe zu öffnen.« »Dann öffnen Sie sie!« erwiderte der Engländer. »In einer Minute ist es soweit.« Howard feixte und ergriff zwei Hebel. »Halten Sie sich fest, wenn Sie Ihren nächsten Geburtstag erleben wollen.« Er hatte es kaum gesagt, da fegte ein atemberaubender Wind durch die Kabine. Durban preßte die Lippen aufeinander, und Barlow schob den Bären tiefer in das von Tania genähte Säckchen hinein. Und dann blickten sie wie gebannt dem blendendweißen Wolkenturm entgegen, auf dem sich eine seltsame Naturerscheinung abzeichnete: umgeben von einem ›Halo‹, einem in allen Farben des Regenbogens schillernden Kreis, stand der Schatten des eigenen Flugzeuges vor ihnen, der von Sekunde zu Sekunde intensiver wurde und schließlich einer mit einem Heiligenschein umgebenen Silhouette glich, die wie eine entgegenkommende Maschine auf sie losraste. 102
»Man sollte meinen, wir sollten gerammt werden«, rief Barlow, als der Wolkenturm unmittelbar vor ihnen stand. »Weiß Gott!« erwiderte Durban gepreßt. »Aber jetzt aufpassen! Übernehmen Sie den Gashebel!« Der Engländer hob die Hand. »Verstanden!« »Und gegebenenfalls mitknüppeln!« »Okay!« Barlow kniff die Lider zusammen und überprüfte noch einmal die Instrumente. Dann stieß das Flugzeug in die Quellung hinein, und das Licht des Tages erstarb. Schwaden jagten vorbei, die in Sekundenschnelle ihre milchiggraue Farbe verloren und immer schwefliger und dunkler wurden. Die Tragfläche erhielt ihre ersten Stöße. Die Maschine bebte. Die Zeiger pendelten. Und dann war es, als greife eine unsichtbare Faust nach ihnen und schleudere sie in die Höhe. »Gas raus!« schrie der Captain, der auf den Sitz gepreßt wurde, als hätten sich Bleiklumpen an ihn gehängt. Durban drosselte den Motor und ergriff das Segment, da er sah, daß Barlow den auf dem Höhenruder lastenden Druck kaum noch überwinden konnte. »Nicht drücken!« schrie der Captain. »Wir müssen die Tragfläche entlasten!« Die Geschwindigkeit nahm nicht ab, und die Maschine stieg mit acht Metersekunden, obwohl der Motor gedrosselt war. Der Zeiger des Höhenmessers drehte sich unaufhaltsam weiter: 16 000 – 17 000 – 18 000 Fuß! »Wir scheinen das Zentrum erwischt zu haben! Howard soll ›feuern‹!« Durban gab das verabredete Zeichen, und gleich darauf wurde das Heulen des Fahrtwindes vom Rattern des mit Stahlfedern versehenen Schleudergerätes übertönt. 103
»Wenn wir nicht so blödsinnig nach oben sausten, würde ich sagen: es klappt wie am Schnürchen!« rief Barlow mit geröteten Wangen. Er hatte es kaum gerufen, da erhielten sie einen Stoß, daß die Maschine wie die Takelage eines Dreimasters ächzte. »Verdammt!« schrie der Engländer, dem es infolge der plötzlich eingetretenen Schwerelosigkeit nicht sofort gelang, den Gashebel zu erreichen. Barlow bemühte sich vergeblich, das Flugzeug nach den Blindfluggeräten auszurichten. Der Wendezeiger schlug nach rechts und links, die ›Libelle‹ lief ihm davon, der künstliche Horizont kippte, und der Kompaß drehte sich wie ein Kreisel. »Nicht ziehen!« rief er, da er fühlte, daß Durban das Höhenruder betätigen wollte. »Aber wir sinken doch!« »Wir müssen dennoch drücken! Die Strömung reißt ab, wenn wir nicht schneller als die uns umgebenden Luftmassen fallen!« Der Zeiger des Höhenmessers sank beängstigend: 15 000 – 14 000 – 12 000 – 9 000 Fuß! Die Farbe der Wolke wurde blauschwarz. Der Motor dröhnte, Blindfluggeräte überkugelten sich, Nieten und Spanten knarrten, und in der rückwärtigen Kabine ratterte das Schleudergerät, das pausenlos Trockeneiskugeln in die Wolken jagte. Ein erneuter Stoß ließ die Maschine in allen Fugen krachen. Howard verlor den Halt und schlug zu Boden. Durban riß den Gashebel zurück, da sie wieder in die Höhe geworfen wurden. »Wenn ihr nicht fliegen könnt, bleibt doch zu Hause!« brüllte der Monteur. Barlow lachte, obwohl ihm nicht danach zumute war. Er 104
hatte die Turbulenz der Quellwolke unterschätzt und sah im Augenblick keine Möglichkeit, aus ihr herauszukommen. »Die Sache fängt an brenzlig zu werden«, rief der Engländer und wies auf den Höhenmesser. »Wir sind schon wieder fünf zehntausend Fuß hoch; die Tragfläche ist solchen Belastungen nicht gewachsen!« Barlow trat in das Seitensteuer, um ein Kippen des Flugzeuges zu verhindern. »Solange Sie den Gashebel rechtzeitig betätigen, entstehen keine entgegengesetzten Kräfte; wir können bestenfalls aus der Wolke herauspurzeln.« »Sie haben Nerven!« »Unsinn! Ich tu’ nur so, als machte ich mir keine Sorgen.« Durban grinste. »Aufpassen!« rief Barlow. »Der Druck läßt nach!« Der Engländer legte die Hand auf den Gashebel. Die Ruder wurden weich, und ebenso plötzlich, wie die Maschine emporgeschleudert worden war, stürzte sie in die Tiefe. Durban gab Vollgas, und Barlow drückte das Steuer nach vorne. Das Variometer zeigte 8 – 10 – 12 – 14 m/sec Fallen. Der Höhenmesser sank auf 9 000 – 8 000 – 7 000 Fuß. Und die unter ihnen liegenden Berge hatten Höhen von 5 000 Fuß! Die Wolke wurde schwarz und raubte das letzte Tageslicht, als jäh ungeheure Wassermassen gegen die Fenster der Kabine platschten. »Three cheers!« schrie Barlow. »Wir haben gesiegt!« »Noch sitzen wir in der Wolke«, warnte Durban. Der Captain riß den Gashebel zurück und ließ das Flugzeug seitlich abrutschen. »Wetten, daß wir herauskommen !« Der Engländer beschwor ihn, die Maschine wieder gerade zu legen. 105
Barlow schüttelte den Kopf. »Sie können unbesorgt sein; ich habe diese Methode schon des öfteren angewandt.« »Aber die Sicherheitshöhe!« rief Durban verzweifelt. »Denken Sie, daß ich die vergesse? Wenn wir bei fünftausend nicht raus sind, mach’ ich Schluß und gebe Gas.« So fraglich Barlows Methode sein mochte, der Erfolg gab ihm recht: noch bevor sie auf 5 000 Fuß gesunken waren, jagten milchiggraue Wolkenfetzen an ihnen vorbei, und bald darauf ›rutschten‹ sie aus der Quellung heraus. »Na, wie habe ich das gemacht?« fragte er jungenhaft und wies auf einen unter ihnen liegenden Gebirgsrücken. Durban wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Mein Bedarf ist gedeckt.« Barlow nickte. »Meiner auch.« »Dann bin ich beruhigt.« Über eine Woche dauerten diese anstrengenden Flüge, die neben wissenschaftlichen Erkenntnissen, die sie brachten, auch die Männer zueinander führten, die sich zunächst nicht hatten verstehen können. Sogar Howard gab sich redliche Mühe, sein Verhältnis zu Durban zu bessern, dem er es hoch anrechnete, daß er nach dem ersten Wolkenflug unumwunden erklärt hatte, von Barlow noch vieles lernen zu können. Und es war nicht nur bei dieser Erklärung geblieben: Durban hatte Barlow auch inständig gebeten, noch eine Weile in Deborn-Rock zu bleiben. Der Captain hatte sofort zugesagt, und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit, wie sie besser nicht sein konnte. Und jeder freute sich schon auf die Abende, an denen sie viel lachten, wenn sie nicht gerade in Zukunftsplänen schwelgten, die in der Regel zu lebhaften Debatten führten. So auch, als Barlow eines Abends mit einer Zeitung unter dem Arm zu Tisch kam und verschmitzt fragte: »Was würden die Herren von der Gründung einer Luftverkehrsgesellschaft 106
halten, die den Anschluß an die neuerdings geplante englische Linie herstellt, die über Indien und die Südsee bis nach Port Darwin führen soll!« Durban grinste. »Sie meinen, daß wir drei ...?« »Ja!« »Ein löblicher Gedanke, der sich verwirklichen ließe, wenn eine Luftverkehrsgesellschaft nicht allerhand Geld in der Kasse haben müßte. Und das dürfte uns fehlen.« »Das steht noch nicht fest«, erwiderte Barlow und schlug die Zeitung auf. »Wenn wir die Sache richtig anfassen, können wir mit einem Schlage über zehntausend Pfund verfügen und in aller Munde sein. Beides zusammen müßte eigentlich genügen.« Howards Augen glänzten. »Worauf wollen Sie hinaus?« »Auf einen Artikel, den ich soeben gelesen habe. Er lautet: ›Im Interesse der Erschließung Australiens hat die Regierung einen Preis in Höhe von zehntausend Pfund für diejenige Flugbesatzung ausgesetzt, die als erste mit einer normal ausgerüsteten Verkehrsmaschine an einem Tage von Adelaide über Alice Springs nach Port Darwin fliegt und dabei eine dem Gewicht von acht Personen entsprechende Zuladung befördert.‹ – Na, wäre das nichts für uns?« »Und ob!« rief der Monteur. »Unsere Fokker hat zehn Sitze ...« »... und ist mit Zusatztanks ausgerüstet, die ausschreibungsgemäß verboten sind!« unterbrach ihn Durban hastig, da ihn die Vorstellung erschreckte, mit Barlow nach Adelaide fliegen zu sollen. »Das spielt doch keine Rolle«, ereiferte sich Howard. »Die Zusatztanks lassen sich an einem Tage ausbauen.« »Und wem gehört die Maschine?« Barlow nickte. »Da liegt der Hase im Pfeffer! Ich könnte mir 107
aber denken, daß die CS1RO uns den Vogel zur Verfügung stellen würde.« »Unentgeltlich?« »Das natürlich nicht.« »Na, also! Und nun rechnen Sie sich einmal aus, was folgender Spaß kosten würde: Chartergebühr für acht Tage; Versicherung für den Fall, daß etwas passiert; Benzin für rund siebentausend Meilen, also etwa elftausend Liter! Woher wollen Sie das Geld nehmen?« »Von den zehntausend Pfund, die wir verdienen!« rief Howard. Der Engländer lachte. »Darauf wird man sich nicht einlassen. Nein, nein, so schön der Gedanke sein mag, Teilhaber einer Luftverkehrsgesellschaft zu werden, wir wollen auf dem Boden der Tatsachen bleiben.« Der Monteur ergriff das vor ihm liegende Messer, als wollte er Durban umbringen. »Daß Engländer immer so nüchtern sein müssen! Ich möchte nur wissen, wodurch das Empire entstanden ist.« Durban schmunzelte. »Durch nüchterne Überlegungen !« Howard ahnte nicht, daß die leicht hingeworfenen Worte des Engländers am darauffolgenden Nachmittag riesengroß vor ihm stehen und ihn eine Nacht hindurch quälen würden. Es begann damit, daß er zur Bahn fuhr, um fünf von der CSIRO avisierte Thermosbehälter mit Trockeneis abzuholen. Da der Zug Verspätung hatte, suchte er die in einer Wellblechbaracke untergebrachte Poststelle auf und erkundigte sich, ob irgendwelche Sendungen eingegangen seien. Der Beamte reichte ihm ein an Barlow gerichtetes Schreiben und fragte: »Willst du auch die Post für den anderen mitnehmen?« »Das ist doch wohl selbstverständlich«, antwortete er. 108
»Für dich vielleicht, für mich aber noch lange nicht. Genaugenommen dürfte ich dir die für Mister Durban bestimmten Briefe überhaupt nicht geben, weil sie ›Postlagernd‹ adressiert sind!« »Dann behalte sie doch!« »Ach, Quatsch«, erwiderte der Beamte und gab ihm zwei weitere Umschläge, die in Form, Farbe und Art der Beschriftung absolut dem für Barlow bestimmten Brief glichen. »Ich bin ja froh, wenn ich die Dinger los bin.« Verwirrt betrachtete Howard die drei Umschläge, die alle miteinander Pamela Barlows Handschrift zeigten. »Stimmt etwas nicht?« fragte der Postbeamte. »Doch, doch!« sagte der Monteur und schlich wie ein geprügelter Hund davon. Aber kaum hatte er die Wellblechbaracke verlassen, da drehte er die Briefe um: die an Durban gerichteten trugen keinen Absender. Da wußte er plötzlich, warum ihm das Gesicht des Engländers so bekannt vorgekommen war: er hatte dessen Bild in Pamela Barlows Zimmer gesehen! In den nächsten Minuten irrte er umher, ohne zu wissen, was er tat. Er suchte nach einer Erklärung, konnte aber keine finden und setzte sich schließlich in den Wagen, um zum Flugplatz zu fahren. Allein wollte er sein und nüchtern überlegen, was er tun sollte. Nüchtern überlegen, hämmerte es in ihm. Nüchtern überlegen! Wer weiß, was in den Briefen steht und welche Folgen sie haben können. Über eine Stunde lief er über das Flugfeld, dann fuhr er in die Stadt zurück und hielt vor der Hotelveranda, auf der die beiden Piloten friedlich nebeneinander saßen und die Zeitung lasen. Barlow ließ sein Blatt sinken. »Wo hast du gesteckt?« 109
»Ich war noch mal draußen«, antwortete er mürrisch. »Hast du das Trockeneis bekommen?« Howard schüttelte den Kopf. »Der Zug hatte Verspätung.« »Warum bist du dann noch mal rausgefahren?« »Ich hatte vergessen, die Halle abzuschließen.« »Und das soll ich dir glauben?« »Sie können es ja bleiben lassen«, erwiderte der Monteur und suchte sein Zimmer auf. Der Captain schaute hinter ihm her. »Ihm scheint ’ne Laus über die Leber gekrochen zu sein.« »Möglich«, erwiderte Durban, ohne von seiner Zeitung aufzublicken. »Haben Sie gelesen, daß Lindberghs Baby tot aufgefunden wurde?« Barlow nickte und legte die Zeitung zusammen. »Die Sache ist so scheußlich, daß ich nicht daran denken darf.« Durban nahm seine Pfeife aus dem Mund. »Ich war mir von Anfang an im klaren, daß die Erpresser nicht bluffen.« Der Captain erhob sich. »Entschuldigen Sie mich für einen Moment.« Als er zurückkehrte, stand der Monteur im Hoteleingang und schaute verbissen zu Durban hinüber, der nach wie vor die Zeitung studierte. Den Kerl bedrückt doch etwas, dachte Barlow und trat von hinten an ihn heran. »Was ist los mit dir?« Howard drehte sich erschrocken um. »Was soll schon los sein?« Der Captain zog ihn vom Eingang fort. »Ich sehe dir doch an, daß etwas nicht stimmt.« Howard wich seinem Blick aus. »Vielleicht habe ich mir den Magen verkorkst.« »Komm, rede keinen Blödsinn.« 110
»Ich weiß nicht, was Sie wollen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich mich nicht wohl fühle und mich so schnell wie möglich in die Klappe hauen möchte.« »Wenn es so ist ... Ich hatte geglaubt, daß dich etwas bedrückt.« »Tut’s ja auch«, erwiderte der Monteur störrisch. »Ich hab’ unangenehme Post bekommen. Aber darüber kann ich jetzt noch nicht sprechen. Ich muß erst ...« Er schwieg, als hätte er Angst, schon zuviel gesagt zu haben. Barlow hakte sich bei ihm ein. »Du weißt, daß du dich jederzeit an mich wenden kannst.« Dem Monteur wurde es zuviel. »Gehen wir«, sagte er mit spröder Stimme. »Ich muß etwas trinken. Meine Kehle ist wie ausgetrocknet.« In der darauffolgenden Nacht konnte Howard nicht schlafen; pausenlos fragte er sich, ob er das Recht habe, sich in Dinge einzumischen, die ihn nichts angingen. Doch wenn er eben noch den Entschluß gefaßt hatte, die an Durban gerichteten Schreiben zur Post zurückzubringen und alles zu vergessen, dann sagte er sich im nächsten Moment: nein, ich darf nicht feige sein und muß den Captain informieren. Und doch: so entschlossen er in solchen Augenblicken war, er wurde wieder wankend, wenn er an Pamela Barlow dachte, die er sehr schätzte und die nie einen leichtfertigen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Wer weiß, wie die Dinge liegen, sagte er sich. Womöglich kennt sie Durban von London her; sie ist ja in England aufgewachsen. Derartige Überlegungen quälten ihn so sehr, daß er nahe daran war, die an den Engländer adressierten Briefe aufzureißen. Er beherrschte sich aber und flüchtete aus seinem Zimmer, als er spürte, daß die Versuchung zu groß wurde. Die Kühle der Nacht beruhigte ihn und ließ ihn nach endlosem Hin und Her zu der Überzeugung gelangen, daß es das beste sei, 111
offen mit Barlow zu sprechen. Am nächsten Morgen schob er sein Vorhaben jedoch auf den Nachmittag hinaus, da er den Captain erst informieren wollte, wenn feststand, daß dieser nicht mehr fliegen mußte. Er wartete daher bis vier Uhr und fuhr dann zum Hotel, wo er Barlow bat, ihn zum Flugplatz zu begleiten. Der Captain, der in einem Buch gelesen hatte, sah ihn verwundert an. »Ist etwas nicht in Ordnung?« »Wie man es nimmt«, antwortete er ausweichend. Barlow stellte keine weiteren Fragen, da ihm das am Abend zuvor geführte Gespräch einfiel. »Fahren wir«, erwiderte er kurz entschlossen und erhob sich. Eine Weile fuhren sie, ohne ein Wort zu verlieren. Als sie jedoch den zwischen Deborn-Rock und dem Flugplatz gelegenen Eukalyptuswald durchquerten, sagte der Monteur unvermittelt: »Der Zufall hat mir drei Briefe in die Hände gespielt, die ich Ihnen übergeben muß. Was in ihnen steht, weiß ich nicht. Ich weiß nur, wer sie geschrieben hat und an wen sie gerichtet sind.« »Na, und?« Howard griff in die Tasche seines Arbeitsanzuges und zog drei Umschläge hervor, die er wortlos überreichte. Barlow las die Anschriften und erstarrte. »Durban?« murmelte er kaum hörbar. Der Monteur nickte. »Halt den Wagen an!« Howard trat auf die Bremse. Der Captain blickte mit zusammengepreßten Lippen vor sich hin. Seine Gedanken überschlugen sich. Pamela und Durban, dachte er verwirrt. Woher mögen sie sich kennen? Aus Jugendtagen? Aber sie hat doch nie von ihm erzählt! Ob sie ihn beim letzten Besuch Ihrer Eltern ...? 112
Er betrachtete die Rückseite der Briefe und schüttelte den Kopf. An ihn schreibt sie postlagernd und ohne Absender? Ich erhalte einen Brief; er bekommt zwei? Für den Bruchteil einer Sekunde blickte er zu Howard hinüber, der zur Seite schaute. Dann untersuchte er die Poststempel. Zwei Briefe trugen das gleiche Datum. Eines der an Durban gerichteten Schreiben war einen Tag später aufgegeben worden. Ihm schwirrte der Schädel. »Begreifst du das?« fragte er hilflos. Howard hob die Schultern. »Ich stehe vor einem Rätsel. Meine Frau kann Durban doch gar nicht kennen, da er erst seit kurzem in Australien ist.« »Und wie erklären Sie sich die Briefe?« Der Captain strich sich über die Stirn. »Wäre es nicht denkbar, daß er sich wegen unserer anfänglichen Streitereien an sie gewandt hat? Er ist ja auch nach Perth gefahren.« »Möglich. Aber dann müßte Ihre Frau Ihnen etwas darüber geschrieben haben.« »Donnerwetter, ja!« erwiderte Barlow und riß augenblicklich den Umschlag des für ihn bestimmten Briefes auf. Howard stieg aus dem Wagen und trat an einen Strauch heran, um einen Zweig abzubrechen. Dabei blickte er unauffällig zu dem Piloten hinüber, dessen Miene sich zunächst erhellte, dann jedoch ausdruckslos und unergründlich wurde. »Fahr weiter«, wandte sich Barlow an ihn, als er das Schreiben in den Umschlag zurücksteckte. Der Monteur setzte sich hinter das Steuer. »Wohin?« »Das ist mir gleich.« Howard betätigte die Kupplung und ließ den alten Ford anrucken. 113
»Ich bin am Ende mit meinem Latein«, sagte der Captain. »Meine Frau hat mir einen netten Brief geschrieben – einen sehr netten sogar –, erwähnt aber Durban mit keiner Silbe.« »Das habe ich befürchtet«, erwiderte der Monteur. »Seit gestern weiß ich nämlich, warum er mir so bekannt vorkam. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, als ich die Briefe in der Hand hielt: ich habe sein Bild in Adelaide gesehen, als ich Ihre Frau aufsuchte!« Barlow wurde blaß. »In meiner Wohnung?« »Ja!« Er schloß die Augen. Im Geiste sah er seine Frau und dachte: ich weiß, daß ich mich nicht genügend um sie gekümmert habe, weiß ebenfalls, daß sie nicht mehr mit meiner Rückkehr rechnen konnte. Ich muß darum auch für vieles Verständnis haben; ich werde aber niemals begreifen, daß sie mir keinen reinen Wein einschenkt und mich zum Narren hält. Das ist erbärmlich, das ist ... Howard riß ihn aus seinen Gedanken. »Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, wenn ich die Briefe zurückgebracht und geschwiegen hätte.« »Verschon mich mit müßigen Überlegungen«, erwiderte Barlow grob. »Unsere Kameradschaft hat dich gezwungen, sie mir zu geben. Und das ist gut so!« »Und was soll nun werden?« »Woher soll ich das wissen!« antwortete Barlow aufgebracht und preßte die Hände gegen die Schläfen. Der Monteur blickte bedrückt vor sich hin. »Ich wollte, ich könnte Ihnen helfen.« »Kannst du!« fuhr der Captain ihn an. »Indem du mich aussteigen und alleine läßt!« Howard hielt den Wagen an. Barlow reichte ihm die an Durban gerichteten Briefe. »Gib 114
sie ihm. Aber laß dir nichts anmerken!« Der Monteur nickte. »Und nun hau ab. Ich komme zu Fuß zurück.«
VII Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen, und das Zirren der Zikaden erfüllte die abendliche Stille, als Barlow den Eukalyptuswald durchquerte, um zum Hotel zurückzugehen. Das blaue Licht der beginnenden Dämmerung ließ die bleichen Stämme unwirklich erscheinen, vergleichbar mit chinesischen Tuschzeichnungen, die trotz der Genauigkeit ihrer Darstellung den Eindruck einer fremden Welt erwecken. Unwirklich muteten auch die verspäteten Liebesrufe einiger Leierschwänze an, die den blechernen Klang der Kirchenglocke von Deborn-Rock nachahmten. Barlows Wangen brannten, als er die Hotelveranda erreichte und Tania mit denn Bären auf dem Arm neben Durban stehen sah. Er hätte die Malaiin bitten mögen, sein brennendes Gesicht in ihre kühlen Hände zu nehmen. »Ah, da sind Sie ja!« wandte sich der Engländer an ihn. »Wo waren Sie? Wir wollten doch in die ›Pub‹ gehen.« »Ich hatte Kopfschmerzen bekommen und mußte einen Spaziergang machen«, antwortete er ausweichend. Tania schaute besorgt zu ihm hoch. »Ich – etwas habe – das gut für Schmerz. Ich holen.« Er berührte ihren Arm. »Würden Sie es mir auf mein Zimmer bringen?« »Sofort«, erwiderte sie und eilte davon. Durban lachte hinter ihr her. »Sie ist reizend.« Der Captain wandte sich dem Hoteleingang zu. »Ich komme 115
gleich wieder.« »Lassen Sie sich nur Zeit!« Das könnte ihm so passen, dachte Barlow grimmig, als er sein Zimmer aufsuchte. Aber er hat recht: wenn ich mir ›Zeit ließe‹, wäre alles großartig geregelt! Ich hätte dann Tania, er Pamela; ich einen Koala und er einen Sohn! Und zum Zeichen unserer überwältigenden Kameradschaft könnten wir die Fokker ›Pamela-Tania‹ und meinen Doppeldecker ›Bill-Koala‹ nennen. Weiß Gott, das wäre eine Lösung! Er soll sich aber wundern. Auch ich kann mit unsichtbaren Waffen kämpfen. Als er eine halbe Stunde später den Speisesaal aufsuchte, war ihm nicht anzusehen, was in ihm vorging. Er gab sich wie immer, begrüßte diesen und jenen und setzte sich zu Tisch, als habe er einen Bärenhunger. Howard ließ sich ebenfalls nichts anmerken. Im Gegenteil, er bemühte sich sogar, Witze zu machen, konnte es allerdings nicht unterlassen, Durban unversehens in arge Verlegenheit zu bringen. Denn er zog plötzlich zwei Briefe aus seinem Jackett und sagte schuldbewußt: »Verdammt, die hätte ich beinahe vergessen! Der Postmeister hatte sie mir mitgegeben.« Der Engländer sah die länglichen Umschläge und blickte blitzschnell zu Barlow hinüber, der gerade sein Fleisch zerkleinerte. »Danke«, sagte er und steckte die Briefe hastig fort. »Nichts zu danken«, erwiderte Howard. Durban spürte, daß ihm das Blut in den Kopf stieg. Der Captain bemerkte es, sagte jedoch nichts. Eine Weile wurde kein Wort gesprochen. Im Bestreben, das bedrückende Schweigen zu beenden, fragte der Monteur: »Trinken wir nach Tisch ’ne Flasche?« Durban sah Barlow an. »Haben Sie Lust?« »Warum nicht?« antwortete der, da er annahm, daß sich der 116
Engländer vorher noch zurückziehen würde, um die unerwartet erhaltenen Briefe zu lesen. Er wollte wissen, in welche Stimmung sie ihn versetzten. Tatsächlich suchte Durban als erstes sein Zimmer auf. Als er zurückkehrte, war ihm jedoch nicht anzumerken, ob er eine gute oder schlechte Nachricht erhalten hatte. Er war vielleicht etwas nachdenklicher und stiller als sonst, gab sich im übrigen aber wie immer. Was mag Pamela ihm geschrieben haben, fragte er sich verbissen. Liebesbriefe scheinen es nicht gewesen zu sein. Ob ich ihr unrecht tue? Kaum. Sein Bild daheim ... Er zwang sich, nicht weiterzudenken, und nahm sich vor, keinen Entschluß zu fassen, ohne zumindest zwei Nächte geschlafen zu haben. Wenn Barlow auch den Willen hatte, nicht unüberlegt zu handeln, er blieb seinem Vorsatz nicht ganz treu. Jedenfalls leitete er schon am nächsten Morgen Dinge ein, die nicht seiner Art entsprachen und darauf hindeuteten, daß er irgendeinen Plan gefaßt hatte. So suchte er Howard in aller Frühe in dessen Zimmer auf und bat ihn, zum Flugplatz zu fahren, dann zurückzukommen und die Maschine ›unklar‹ zu melden. »Erfinde irgend etwas«, sagte er ihm. »Hauptsache, wir können in den nächsten Tagen nicht starten.« Der Monteur stellte keinerlei Fragen, da ihm der Wunsch des Captains verständlich erschien. Um so erstaunter aber war er, als Barlow ihn wenige Stunden später auf der Fahrt zum Fluggelände anwies, die Fokker gründlich durchzusehen und für einen Langstreckenflug vorzubereiten. »Was haben Sie vor?« fragte er verwundert. »Wirst du schon sehen. Auf alle Fälle hältst du die Klappe, gleichgültig, welche Anweisungen ich noch gebe. Ist das klar?« 117
»Sollte man meinen.« »Okay! Dann mach dich an die Arbeit. Ich werde mich inzwischen an das Funkgerät setzen und mit Higgins sprechen.« »Und wer bedient den Dynamo?« »Mach’ ich selbst!« erwiderte Barlow. »Und ich flehe dich an, jetzt keine blöden Fragen zu stellen. Es gibt Dinge, die man allein erledigen muß.« Howard zuckte die Achseln und machte sich voller Unzufriedenheit an die Arbeit, bei der er jedoch alle naselang zu dem Raum hinüberblickte, in dem Barlow verschwunden war. Es schmerzte ihn, daß der Captain Geheimnisse vor ihm hatte, und Sorge und Neugier trieben ihn schließlich an die Tür des Funkraumes heran. »Sie täuschen sich«, hörte er Barlow sagen. »Für die CSIRO kann der Flug nur von Vorteil sein!« Was Sir Geoffrey Higgins antwortete, konnte er nicht verstehen, da der Lautsprecher die Stimme zu sehr verzerrte. Aber dann sprach der Captain wieder. »Ob geschickt zurechtgelegt oder nicht«, sagte er erregt, »ich bin überzeugt, daß der Präsident zustimmen wird, wenn Sie den Plan befürworten!« Wenn ich nur wüßte, um was es geht, dachte Howard, während der Leiter der CSIRO sprach. »Ach, das ist doch alles längst vorbei!« rief Barlow, der seinen Gesprächspartner offensichtlich unterbrach. »Im Einvernehmen mit Durban darf ich Ihnen sagen, daß wir uns gründlich ausgesprochen und alles beseitigt haben, was zwischen uns stand. Alles! In dieser Hinsicht können Sie völlig unbesorgt sein. Wir haben den Kommandanten zu Grabe getragen und sitzen nun als gleichberechtigte Piloten in der Kabine!« 118
Dem Monteur wurde es unheimlich zumute. Er blufft, sagte er sich und lief zur Maschine zurück. Als Barlow kurz darauf in die Halle zurückkehrte, brannten seine Augen, als wolle er sich auf jemanden stürzen. Howard erkannte sofort, daß etwas Außergewöhnliches geschehen sein mußte, und ging auf ihn zu. Der Captain schlug sich vor die Stirn. »Man sollte es nicht für möglich halten: Higgins weiß, daß meine Frau und Durban ...« »Das ist doch Quatsch!« entfuhr es dem Monteur. »Eben nicht!« schrie Barlow. »Hat er Ihnen das gesagt?« Barlow fuhr mit den Händen durch die Luft. »Wenn er das wenigstens getan hätte! Aber nein, dazu ist er zu feige! Verplappert hat er sich – verplappert wie ein Kind.« Howard sah ihn ratlos an. Der Captain schüttelte sich. »Schluß mit den Widerwärtigkeiten! Wann kann die Maschine startbereit sein, wenn die Zusatztanks vorher noch ausgebaut werden müssen?« »In drei Tagen.« »So lange kann ich nicht warten. Ich fahre in die Stadt und hole Hilfskräfte. Spätestens übermorgen müssen wir starten.« »Wohin?« »Das werde ich dir früh genug sagen.« Der Monteur rieb sich das Kinn. »Sie müssen wissen, was Sie tun. Ich kann nur hoffen, daß der Flug genehmigt ist.« Barlow lachte schneidend. »Noch ist er nicht genehmigt! Aber er wird genehmigt, und wenn ich nach Perth fahren und Higgins in die Schnauze schlagen muß!« Howard fühlte sich nicht mehr wohl in seiner Haut; zu offensichtlich war es, daß Barlow den von ihm geplanten Flug 119
notfalls auch ohne Zustimmung der CSIRO durchführen wollte. Aber nicht nur das bedrückte ihn. Er fühlte sich schuldig an der Entwicklung der Dinge und sagte sich immer wieder: Hätte ich geschwiegen und die verdammten Briefe zurückgegeben, würde alles anders verlaufen sein. Darin hatte er recht. Er ahnte aber nicht, mit welch widerstrebenden Empfindungen der Captain seine Entschlüsse in die Tat umsetzte. Manchmal kam Barlow sich selbst unheimlich vor, besonders wenn er mit Durban plauderte, als seien sie die besten Freunde. Doch was sollte er machen? Er war der Hintergangene, Angegriffene und Beleidigte und konnte im Augenblick nichts anderes tun, als seine Gedanken zu verbergen und mit den gleichen Mitteln zu kämpfen, die sein Rivale gewählt hatte. Dabei hatten sich die Positionen allerdings entscheidend verschoben: er war zum Akteur geworden, und der Engländer wußte nicht, was hinter seinem Rücken gespielt wurde. Denn Barlow sagte ihm lediglich, daß Sir Geoffrey Higgins darum gebeten habe, die Fokker zu einem Langstreckenflug vorzubereiten; nähere Anweisungen und die Bekanntgabe der Flugroute würden aus besonderen Gründen erst in letzter Minute erfolgen. In dieser Hinsicht war Durban leicht zu täuschen, da er den Leiter der CSIRO niemals anrief und das Fluggelände nur aufsuchte, wenn ein Start angesetzt war. Der Captain nutzte den sich daraus ergebenden Vorteil und sprach am nächsten Tag noch mehrere Male mit Higgins, der das von ihm in Vorschlag gebrachte Unternehmen schließlich unter der Bedingung genehmigte, daß die Belange der CSIRO berücksichtigt würden. Diese Zusage machte Barlow nur zu gerne, und um seinen guten Willen zu bekunden, bat er sofort um schnellste Zusendung von zehn Thermosbehältern mit Trockeneis. 120
Sir Geoffrey Higgins war befriedigt. Er wäre jedoch wohl äußerst erstaunt gewesen, wenn er gesehen hätte, daß sich die Malaiin vierundzwanzig Stunden später angelegentlich damit beschäftigte, einen der Trockeneisbehälter mit Eukalyptusblättern für den Koala zu füllen, den Barlow um jeden Preis mitnehmen wollte. Sehr zum Kummer Tanias, die den kleinen Bären am liebsten bei sich behalten hätte. Sie wußte aber, warum er mitfliegen sollte, und war überglücklich, als Barlow ihr auf dem Rückweg zum Hotel eine alte Goldmünze mit dem Bildnis der englischen Königin schenkte. »Ich habe sie von meiner Mutter erhalten«, sagte er ihr. »Und ich möchte, daß sie in guten Händen bleibt.« Mit Tränen in den Augen küßte sie die Münze. »Ich – will hüten – bis Ende von Leben.« Den Abend verbrachte er in einer ausgesprochen melancholischen Stimmung, und oftmals ertappte er sich dabei, daß er seine Umgebung wie ein Mensch betrachtete, der weiß, daß er in ein fernes Land aufbricht, aus dem er nicht zurückkehren wird. Dieses Gefühl verließ ihn auch nicht, als er sich im Morgengrauen des nächsten Tages von Tania verabschiedete, nachdem er Durban erklärt hatte, daß Sir Geoffrey Higgins angerufen und Howard gebeten habe, die Maschine schnellstens startklar zu machen und einen der Piloten an das Funksprechgerät zu holen. »Da ich nicht schlafen konnte und früher als gewöhnlich aufgestanden bin«, hatte er hinzugefügt, »fahre ich schon los und schicke den Wagen sofort zurück.« »Sir Geoffrey scheint nicht mehr recht bei Trost zu sein«, hatte der noch halb verschlafene Engländer geschimpft. »Fragen Sie ihn mal, wann ich frühstücken soll.« »Okay!« hatte Barlow geantwortet. »Vorher werde ich Tania 121
aber bitten, Ihnen eine Henkersmahlzeit zu bereiten. Außerdem soll sie Ihnen einen Korb mit Fressalien mitgeben. Wer weiß, wie lange wir fliegen müssen.« »Machen Sie, was Sie wollen. Hauptsache, Sie sagen dem Higgins gründlich die Meinung.« »Worauf Sie sich verlassen können«, hatte der Captain erwidert und war die Treppe hinabgestiegen, um sich von Tania zu verabschieden. Sie erwartete ihn bereits mit dem Bären auf dem Arm. Er fragte sie, wohin Howard gegangen sei. Sie deutete nach draußen und flüsterte an den Bären gewandt: »Bitte – bald – kommen zurück.« Er wußte, daß die Worte an ihn gerichtet waren, und reichte ihr die Hand. »Alles Gute, Tania!« Sie sah ihn an, als wolle sie sein Bild in sich aufnehmen. »Ich habe Ihnen für vieles zu danken und hoffe, daß wir uns bald wiedersehen.« Ihre mandelförmigen Augen schimmerten feucht, und sie zitterte plötzlich wie ein verängstigtes Kind. Da nahm er ihren Kopf in die Hände und gab ihr einen Kuß. Die Sonne stieg gerade über den Horizont und tauchte die Steppe in ein blutiges Licht, als Howard und Durban den Flugplatz erreichten. Barlow ging ihnen mit schnellen Schritten entgegen. »Wißt ihr, wohin wir zu fliegen haben?« fragte er freudig erregt. »Nach Adelaide und von dort über Alice Springs nach Port Darwin! Die CSIRO will den von der Regierung ausgesetzten Preis in Höhe von zehntausend Pfund erringen!« Der Monteur stieß einen Freudenschrei aus, der jedoch jäh abbrach, da er plötzlich zu erkennen glaubte, was der Captain beabsichtigte. Ach, du lieber Gott, dachte er. Jetzt weiß ich, was er will und warum er die Flugroute nicht eher 122
bekanntgegeben hat: Durban sitzt in der Falle und kann keine Ausrede mehr finden, die ihn davor schützt, mit nach Adelaide zu fliegen. Der Engländer fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen und starrte Barlow an, als hielte dieser eine Pistole auf ihn gerichtet. Der Captain gab sich einen betroffenen Anschein. »Was ist denn los?« fragte er verstimmt. »Wenn man Sie sieht, könnte man meinen, die Pforten der Hölle hätten sich geöffnet.« Durban wußte nicht, was er erwidern sollte. In seinen Ohren klirrte es, als prasselten Scherben auf ihn herab. Howard blickte unsicher von einem zum anderen. Barlow klopfte dem Engländer auf die Schulter. »Langsam sollten Sie wieder zu sich kommen.« »Sie haben gut reden«, erwiderte Durban. »Es ist ja schließlich kein Pappenstiel, zwischen Frühstück und Verdauung zu erfahren, daß man einen Flug durchführen soll, den noch nie jemand machte.« Der Captain lachte. »Ich hab’s zunächst auch nicht fassen können.« »Und wann sollen wir von Adelaide nach Darwin fliegen?« »So bald wie möglich. Wenn wir uns frisch genug fühlen, schon morgen früh.« »Sie meinen in der kommenden Nacht!« »Wieso?« »Wenn ich mich recht erinnere, muß der von der Regierung ausgeschriebene Flug, der immerhin gut fünfzehn Stunden dauern dürfte, an einem Tag durchgeführt werden.« »Ach so. Ja, natürlich«, erwiderte Barlow hölzern. »Dann sollten wir machen, daß wir fortkommen«, sagte der Engländer, der froh war, irgend etwas sagen zu können. »Bis 123
Adelaide sind es mindestens acht Stunden, und ich möchte in der Nacht nicht starten, ohne mich gründlich ausgeschlafen zu haben.« »Und ich lege allergrößten Wert darauf, meine Frau vorher noch zu besuchen!« erwiderte der Captain gereizt. Durban rang die Hände. »Wie konnte ich nur vergessen, daß Ihre Gattin in Adelaide lebt! Wird sie nicht entsetzt sein, wenn Sie nur für ein paar Stunden aufkreuzen?« Verlogener Kerl, dachte Barlow, der den Engländer am liebsten geohrfeigt hätte. Er beherrschte sich jedoch und antwortete: »Bislang war sie immer sehr verständig; ich denke, daß sie es auch dieses Mal sein wird. Zumal ich ihr sagen kann, daß ich nach unserem Flug für einige Monate Urlaub nehmen will.« Durban streckte ihm spontan die Hand entgegen. »Gratuliere! Das freut mich für Sie!« Nun war es an Barlow, verwirrt zu sein. Howard erkannte es und fragte schnell: »Sind wir soweit, daß ich die Halle abschließen kann?« Der Captain nickte und schob den Bären in das Leinensäckchen. Der Engländer zog seine Fliegerkombination an. »Wer setzt sich an das erste Steuer?« »Ich würde vorschlagen, daß wir die Strecke teilen; die erste Hälfte übernehmen Sie, die zweite ich. Von Adelaide aus können wir es dann genauso machen: Sie fliegen bis Alice Springs und ich von dort nach Port Darwin.« »Okay!« erwiderte Durban. Das wäre geklärt, dachte Barlow befriedigt. Über dem Never-Never-Land knüpple ich! Der Flug nach Adelaide wurde in jeder Hinsicht qualvoll, da die Besatzung nicht nur mit zwiespältigen Empfindungen zu 124
kämpfen hatte, sondern sich auch einer unerträglichen Hitze ausgeliefert sah. Man schrieb den 13. Dezember: der Hochsommer hatte seinen Einzug gehalten, und die Sonne glühte, daß man glaubte, den Verstand zu verlieren. Fast fünfzig Grad zeigte das Außenthermometer der Fokker, und Durban konnte keine kühleren Höhen aufsuchen, da er schon in Bodennähe einen Gegenwind von dreißig Meilen ermittelt und sich ausgerechnet hatte, daß sie ihre Benzinreserve verlieren würden, wenn er die Maschine steigen ließe. Qualvoll wurde auch das grelle Licht der flimmernden Wüste, über die sie Stunde um Stunde hinwegdonnerten. Außer dem von Perth nach Adelaide führenden Bahngeleise von annähernd 2000 Kilometer Länge, das über 500 Kilometer weite Strecken absolut gradlinig verläuft und nicht die geringste Krümmung aufweist, war nichts als Sand zu sehen. Es gab weder Bäume noch Sträucher, weder Flüsse noch Wege, weder Tiere noch Menschen, wenn man von den alle paar hundert Meilen in einer Baracke hausenden Bahnarbeitern absah, die jahrein, jahraus in der Einsamkeit leben und so menschenscheu geworden sind, daß sie ihren Urlaub an der Arbeitsstelle verbringen. »Daß die Kerle nicht wahnsinnig werden«, sagte Barlow, als sie eine Baracke überflogen, vor der etwa zehn Arbeiter standen, die ihnen hinauf winkten. »Die meisten sollen etwas ausgefressen haben«, erwiderte der Engländer abfällig. »Schnaps und Wüste sind ihnen lieber als Tütenkleben und Eisengitter. Und was in der Welt geschieht, erfahren sie aus den Zeitungen und Magazinen, die ihnen die Reisenden zuwerfen, wenn der Nullabor-Expreß einmal bei ihnen anhält. Wie Wölfe stürzen sie sich darauf!« Der Captain glaubte nicht richtig zu hören. »Woher wissen Sie das?« fragte er mit zusammengekniffenen Lidern. Durban hätte sich die Haare raufen mögen. »Woher ich das 125
weiß?« antwortete er wie ein Schüler, der seine Lektion nicht gelernt hat. »Das kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich werde es irgendwo gelesen haben.« Er lügt, dachte Barlow. Wer erklärt: wie Wölfe stürzen sie sich darauf, hat es gesehen und nicht gelesen. Er muß die Strecke gefahren sein! Und das bedeutet, daß er in Adelaide war, da es zwischen Perth und Adelaide keine einzige Stadt gibt! »Die Schweinerei wird immer größer«, sagte er wenige Minuten später zu Howard, als er die hintere Kabine aufsuchte, um vor der Ablösung noch etwas zu essen. Der Monteur sah ihn verwundert an. Barlow zog den Bären aus seiner Brusttasche und setzte ihn auf den Boden. »Durban muß in Adelaide gewesen sein.« »Wie kommen Sie darauf?« Der Captain erzählte es ihm. Howard schüttelte den Kopf und zog einen Korb an sich heran, dem er ein Stück Huhn entnahm, das er Barlow reichte. »Langsam bleibt mir der Verstand stehen.« »Mir auch!« Der Monteur wischte sich den Schweiß von der Stirn und öffnete eine Flasche Bier. »Jetzt, wo wir nach Adelaide fliegen, muß er sich doch sagen ...« »Einen Dreck sagt er sich!« unterbrach ihn der Captain erregt. »Wenn er einen Funken Anstand in sich hätte, würde er langst mit mir gesprochen und erklärt haben: Hör zu, so und so ist das!« »Und was hätten Sie dann getan?« »Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall hätte ich für manches mehr Verständnis aufgebracht, als ich es jetzt noch aufbringen kann.« Howard nickte. 126
Barlow nahm einen Schluck Bier und biß in ein Hühnerbein. »Und warum fliegen wir heute nach Adelaide?« »Ich wollte mir Klarheit verschaffen und nicht handeln, ohne meine Frau gehört zu haben.« »Wollte?« »Ja, wollte! Oder glaubst du, ich brauche noch mehr Klarheit, als ich nun schon habe? Wenn Durban in Adelaide gewesen ist, weiß ich genug, und es gibt nichts mehr zu klären. Nur noch zu handeln!« »Und das sieht wie aus?« Barlow warf das Hühnerbein in den Korb zurück und fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Paß auf den Koala auf!« sagte er und erhob sich, um in die Führerkanzel zurückzukehren. Howard strich über das Fell des Bären. »Sogar dich läßt er im Stich! Hätte ich doch bloß die Schnauze gehalten und die verdammten Briefe verbrannt. Passiert jetzt etwas, dann bin ich der Schuldige.« »Platzwechsel«, sagte der Captain, als er sich durch die enge Kabinentür in das Cockpit zwängte. »Die Hälfte der Strecke dürfte hinter uns liegen.« Durban schob seine Brille hoch. »Wir stehen unmittelbar vor der Nullabor-Ebene.« »Okay!« »Bin froh, daß ich meine Augen mal schließen kann. Das grelle Licht macht einen total fertig.« Red nicht soviel, sondern verschwinde, dachte Barlow und rutschte auf den Sitz, den der Engländer frei machte. Eine Weile hörte er den Motor ab und kontrollierte die Instrumente, dann blickte er auf die unter ihnen liegende Wüste, die kaum noch eine Erhebung zeigte und flach wie ein Brett war. Er empfand sie jedoch nicht als eintönig, da er sie 127
mit Gedanken belebte, die ihn vor Ermüdung schützen und von seinen Problemen fortdrängen sollten. Im Geiste sah er die überall in der Ebene zu findenden versteinerten Seemuscheln, die bewiesen, daß unvorstellbare Kräfte den Boden vor unendlichen Zeiten aus dem Meer herausgehoben haben mußten. Dabei dachte er an das rätselhafte Labyrinth der unter der Wüste liegenden Höhlen und Grotten, die groß genug sind, um die höchsten Kirchen der Erde aufnehmen zu können. Tag und Nacht braust in ihnen ein unerklärbarer Wind, der die Nullabor-Ebene mit einem unheimlichen, an das Zischen von Lötkolben erinnernden Getöse erfüllt. Stunde um Stunde zwang er sich, das unter ihm liegende Gelände mit Bildern und Vorstellungen zu beleben, und erst als der Spencer Golf auftauchte, kehrten seine Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Durban, der eine Weile geschlafen hatte, kam wieder nach vorne und erkundigte sich nach der Landezeit. Der Captain wies auf die Borduhr, deren rote Markierung er auf vierzehn Uhr zwölf gestellt hatte. »So früh schon?« fragte der Engländer erstaunt. »Dann hätten wir es ja in weniger als acht Stunden geschafft.« Barlow nickte. »Der Wind hat auf Südwest gedreht.« »Ist ja großartig! Wenn er so bleibt, können wir morgen kühlere Höhen aufsuchen und uns kräftig schieben lassen.« Er kann nicht schnell genug aus Adelaide herauskommen, dachte der Captain. Ich möchte nur wissen, was ihn so sorglos sein läßt. Er muß doch annehmen, daß Pamela mir etwas sagt. Noch eine Stunde hatten sie zu fliegen, eine Stunde, die von qualvollen Fragen erfüllt war. Dann aber lag das von schlesischen und pommerschen Dickschädeln großzügig ausgebaute Adelaide vor ihnen. 128
Barlow drosselte den Motor und kurvte auf den Flugplatz ein. »Wollen Sie die Stadt nicht überfliegen?« fragte Durban enttäuscht, da er sich die weitläufig angelegte Gartenstadt gerne von oben angesehen hätte. »Nein!« erwiderte der Captain. »Ich möchte keine Minute verlieren. Auch Ihretwegen«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu. »Ich habe nämlich ein kleines Attentat auf Sie vor.« Der Engländer hob die Augenbrauen. Barlow nahm den Gashebel weiter zurück und ließ die Maschine sinken. »Ich möchte Sie mit meiner Frau bekannt machen und lade Sie und Howard zu einem Drink ein.« Durban brachte sekundenlang kein Wort über die Lippen. Der Captain, der diese Reaktion erwartet und die Einladung nicht ohne Grund während des Ansetzens zur Landung ausgesprochen hatte, wies auf das zwischen ihnen befindliche Handrad. »Sie können umtrimmen!« Der Engländer blickte geistesabwesend vor sich hin. »He, schwanzlastiger habe ich gesagt!« rief Barlow. Durban fuhr erschrocken zusammen und drehte das Trimmrad zurück. »Noch mehr!« rief der Captain, obwohl der Ausgleich bereits geschaffen war. Er zog es jedoch vor, einen starken Steuerdruck überwinden zu müssen, als dem Rivalen Zeit zum Nachdenken zu lassen. »Genug?« fragte der Engländer. »Jetzt ist es zuviel geworden.« Durban drehte das Rad wieder nach vorne. Der Flugplatz rückte in greifbare Nähe. Bäume jagten unter ihnen dahin. Barlow legte eine Hand an den Gashebel und nahm die 129
Maschine flacher. »Wir kommen zu knapp!« rief der Engländer, da er erkannte, daß die Geschwindigkeit nicht ausreichte, um über die Platzumrandung hinwegzukommen. Das will ich ja, dachte der Captain, der Durban nicht zur Besinnung kommen lassen wollte, und schob den Gashebel vor. Durban atmete erleichtert auf. Barlow hingegen tat weiterhin alles, um dem Engländer jede Möglichkeit zu nehmen, mit ihm über die Einladung zu sprechen. Er setzte die Maschine nicht gleich am Platzrand auf den Boden, sondern zog sie bis fast zur Flugleitung hin, in deren Nähe er den Gashebel erst voll zurücknahm und eine saubere Dreipunktlandung ›baute‹. Und noch bevor Durban sich an ihn wenden konnte, hatte er den Motor abgestellt und winkte alten Freunden entgegen, die in ein Freudengeschrei ausbrachen, als sie ihn erkannten. Minutenlang mußte er sich umarmen lassen, und erst als sich die Wiedersehensfreude gelegt hatte und die große Maschine und der kleine Bär zur Genüge bewundert worden waren, gelang es ihm, sich frei zu machen und Durban vorzustellen. »Und nun habe ich eine Bitte«, sagte er, als der Engländer allen die Hand geschüttelt hatte. »Wir müssen eventuell schon morgen weiterfliegen, und ich möchte daher meine beiden Kameraden noch heute zu einem Drink einladen. Kann uns einer von euch zu meiner Wohnung fahren?« »Das ist doch selbstverständlich!« riefen mehrere der Anwesenden. »Also, wer macht es?« Ein bullig aussehender Pilot hob die Hand. »Ich muß ohnehin nach Mont-Lofty; das ist die gleiche Richtung.« »Na, wunderbar«, erwiderte Barlow. 130
»Ich kann aber nicht mitkommen«, warf Howard hastig ein. Sehr zur Freude Durbans, der augenblicklich erklärte: »Und ich möchte ebenfalls hierbleiben.« Der Captain stemmte die Hände in die Hüfte und sah seine alten Freunde an. »Habt ihr so etwas schon gehört? Da lädt man die Kerle ein und sie sagen einfach: Nein, danke wir wollen nicht!« »Ist doch gar nicht wahr!« erregte sich der Monteur. »Sie wissen genau, daß ich die Maschine fertigmachen muß!« »Dann kommst du eben nach!« erwiderte Barlow und sah den Engländer an. »Und wie lautet Ihre Ausrede?« Durban zog seine Pfeife aus der Tasche. »Muß man nach einer Ausrede suchen, wenn man weiß, wie lange Sie Ihre Familie nicht gesehen haben?« »Ich habe Sie nicht eingeladen, damit Sie sich häuslich bei uns niederlassen, sondern um Sie mit meiner Frau bekannt zu machen.« »Aber das muß doch nicht gleich heute sein«, sagte der Engländer unwillig. »Okay!« erwiderte Barlow eisig. »Wenn Sie mich beleidigen wollen, dann bleiben Sie hier!« »Macht keine Faxen!« mischte sich der bullige Pilot in das Gespräch. »Ich bringe euch jetzt rauf, und die Knochen brecht ihr euch zu Hause. Pamela kann euch dann pflegen, und wir haben eine Maschine, wie wir sie uns wünschen.« Schallendes Gelächter begleitete seine Worte. Der Captain wandte sich an Durban. »Einverstanden?« »Der wird doch überhaupt nicht gefragt!« mischte sich der Australier erneut ein. »Uns geht es um die Fokker; er muß also mitkommen!« Der Engländer konnte reden, was er wollte, er wurde in den Wagen geschoben, der bald darauf durch großzügige 131
Parkanlagen jagte, in denen die Regierungsgebäude, Museen und Kliniken der Stadt errichtet waren. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, und ihm war zumute, als würde er zur Schlachtbank gefahren. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als der Wagen in einen Grüngürtel einbog, den er genau kannte. Nur drei Straßen noch, dachte er verzweifelt und betete zu Gott, daß Pamela Barlow sie vom Fenster aus kommen sehen möge. Aber nicht nur ihm, sondern auch dem Captain klopfte das Herz in der Kehle, als er seinen inmitten von blühenden Blumenbeeten gelegenen Bungalow erblickte, den er fast sieben Monate lang nicht mehr gesehen hatte. »Herzlichen Dank«, sagte er an den Kameraden gewandt, als dieser den Wagen auslaufen ließ. »Willst du nicht doch auf einen Sprung mit reinkommen?« Der Australier schüttelte den Kopf. »So gerne ich es möchte: ich hab’ euch hierhergebracht, damit ihr euch die Schädel einschlagt! Im übrigen wartet meine neue Puppe auf mich. Zucker, sage ich dir!« »Wirst du dich niemals bessern?« »Bei dem Spaß? Ich bin doch kein Idiot!« Die Flachserei des Piloten nahm vieles von der bedrückenden Stimmung, in der sich Barlow und Durban befanden. »Na, wie machen wir es jetzt?« fragte der Captain, als er die Hand auf die Klinke der Gartenpforte legte. »Brechen wir uns gleich oder erst später die Knochen?« »Unter den gegebenen Umständen bin ich für später«, antwortete der Engländer. Barlow zwang sich zu einem Grinsen und öffnete das Tor. »Wie gefällt Ihnen der Kasten?« Durban nickte anerkennend. »Dürfte nicht gerade billig 132
gewesen sein.« »Ich habe den Entwurf geliefert und die Ausführung meinen Schwiegereltern überlassen.« »Kluger Standpunkt.« Der Weg zum Bungalow war mit weißem Kies belegt, der unter ihren Schuhen knirschte. »Sieht aus, als wäre niemand da«, sagte Barlow, als er die Stufen zum Eingang emporstieg und die Glocke betätigte. Der Engländer rückte seine Krawatte zurecht. In der Diele wurde das Geklapper hoher Absätze laut. Sie ist es, dachte Barlow und ratschte mit dem Zeigefinger über die gerillte Haustür. Die Wirkung war frappierend: sekundenlang verhielten die Schritte, und nichts war mehr zu hören. Dann aber ertönte ein Schrei, und die Tür wurde aufgerissen. Durban trat im selben Moment eine Stufe zurück. Pamela Barlow, eine schlanke und elegante Erscheinung, stürzte ihrem Mann entgegen und umarmte und küßte ihn, daß er nicht wußte, wie ihm geschah. Bis sie plötzlich Durban hinter ihm stehen sah, der ihr einen beschwörenden Blick zuwarf. Der Engländer sah ihre geweiteten Augen und wußte, daß alles verloren war, wenn er nicht sofort eingriff. »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle«, sagte er mit einer leichten Verneigung. »Mein Name ist Durban. Ich bin ein Kamerad Ihres Gatten, der unbedingt darauf bestand, mich mit Ihnen bekannt zu machen.« »Ja, das wollte ich!« sagte Barlow, der sich abrupt umwandte. »Sie sind mir nur leider zuvorgekommen.« »Kein Wunder«, erwiderte der Engländer gelassen. »Wenn ich wie Sie empfangen worden wäre, würden Sie mir ebenfalls zuvorgekommen sein.« »Eins zu Null für Sie!« sagte der Captain und sah seine Frau 133
an, die leichenblaß geworden war. »Möchtest du Mr. Durban nicht begrüßen und willkommen heißen?« Sie reichte dem Engländer die Hand. »Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, daß ich im Augenblick nicht weiß, wo mir der Kopf steht.« Er nickte. »Ich habe es vorausgesehen und wollte deshalb auch nicht mitkommen. Aber Ihr Gatte muß sich ja immer durchsetzen.« »Ist das wahr?« fragte sie, um Zeit zu gewinnen. »Derartige Streitfragen soll man nicht im Stehen klären«, antwortete ihr Mann. »Ich bin dafür, daß wir zunächst einmal eintreten.« »Zumal ich schon bald wieder gehen muß«, fügte Durban hinzu. »Womit sein edler Charakter gekennzeichnet wäre«, sagte Barlow und schob seine Frau in eine mit etlichen Propellern geschmückte Diele. »Er will nur einen Drink haben und dann sofort wieder abhauen. Was hältst du davon?« Sie wußte nicht, was sie darauf antworten sollte, und verbarg ihre Unsicherheit hinter der geschickt gestellten Gegenfrage: »Interessiert dich dein Sohn eigentlich nicht mehr?« »Mein Gott!« rief er. »Ich scheine wirklich nicht normal zu sein. Wo steckt der Junge?« »Deine Mutter hat ihn vor drei Tagen nach Melbourne mitgenommen. Wir konnten ja nicht ahnen, daß du kommst. Wenn wir aber heute abend anrufen, wird sie ihn morgen zurückbringen.« Er stampfte unwillig mit dem Fuß auf. »Das ist zu spät.« Sie blieb wie angewurzelt stehen. »Du mußt wieder fort?« Er sah ihr in die Augen, als wollte er auf den Grund ihrer Seele blicken. »Vielleicht schon heute nacht.« »Wie können Sie Ihre Frau so erschrecken!« erregte sich 134
Durban und fügte hastig hinzu: »Wir haben nur noch einen Flug durchzuführen, der ein paar Tage dauert. Anschließend macht Ihr Gatte für einige Monate Urlaub, wie er mir heute morgen sagte!« Sie blickte von einem zum anderen. »Ist das wahr?« »Ja!« antwortete Barlow. »Mix einen Drink auf das Zwei zu Null für Mister Durban.« Sie umarmte ihren Mann. »Ich danke dir!« »Wofür?« »Dumme Frage«, erwiderte sie und gab ihn frei. »Geht in den Garten, da ist es jetzt am kühlsten. Ich komme nach und bringe alles.« Barlow fiel es schwer, sich weiterhin zu verstellen; zu offensichtlich war es, daß weder seine Frau noch Durban gewillt waren, ihm reinen Wein einzuschenken. Wenn er dennoch in der sich selbst auferlegten Rolle verharrte, so einzig und allein, weil er hoffte, daß sich doch noch einer der beiden dazu entschließen würde, das unwürdige Spiel zu beenden. Diese Hoffnung aber wurde von einer winzigen Kleinigkeit begraben, die sich ereignete, als seine Frau in den Garten kam und ein silbernes Tablett mit Gläsern und Flaschen auf den Tisch stellte. Sie sah frischer aus als zuvor und hatte ihr Kleid gegen ein Kostüm gewechselt, das ihre Figur stärker betonte. Doch kaum hatte sie das Tablett abgestellt, da erscholl aus einem Gebüsch ein hyänenhaftes Gelächter. »Ah, Mister Jacko!« sagte Durban ohne jede Verwunderung und drehte sich zurück, um nach dem Vogel zu schauen, der so schaurig lachte. Sein Reagieren verblüffte Barlow, und er wollte ihn gerade fragen, woher er den seines furchtbaren Gelächters wegen ›Jacko‹ –»lachender Eselhengst« – genannten Kookaburra 135
kenne, als er sah, daß seine Frau dem Engländer einen warnenden Blick zuwarf. Durban reagierte sofort. »Der Jacko ist schon ein toller Vogel«, sagte er. »Ich kenne sein Lachen so genau, weil wir einen Pauker hatten, dessen Spezialität es war, Tierstimmen nachzuahmen.« »Dann war Ihr Lehrer noch toller als der Vogel«, erwiderte der Captain, der nahe daran war, die Beherrschung zu verlieren. Er wollte sich jedoch keine Blöße geben und überlegte fieberhaft, wie er sich nunmehr verhalten sollte. Schien es nicht sinnlos, sich mit Menschen auseinanderzusetzen zu wollen, deren Unehrlichkeit und Feigheit erwiesen war? Wie aus weiter Ferne hörte er, daß seine Frau den Engländer fragte, was sie ihm einschenken dürfe. Durban bat um einen Whisky mit Eis. »Und du?« fragte sie ihren Mann. »Juice mit Gin«, antwortete er und schlug sich plötzlich vor die Stirn. »Ich habe ja ganz vergessen ... Entschuldige mich einen Moment. Ich muß Howard anrufen.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist doch immer dasselbe mit dir.« »Schon möglich«, erwiderte er und ging in das Haus, um sich mit der Flugleitung verbinden zu lassen, die er bat, den Monteur an den Apparat zu holen. Es dauerte eine ganze Weile, bis Howard sich meldete. »Was gibt's?« fragte er unwirsch. Barlow dämpfte seine Stimme. »Hör zu, George. Du brauchst nicht mehr zu kommen.« Der Monteur seufzte. »Hast du verstanden?« »Ja.« 136
»Geh zur Wetterwarte und bestell eine Beratung für null Uhr. Und sorge dafür, daß die Lampenreihe aufgestellt wird. Start null Uhr dreißig. Ist das klar?« «Ja.« »Wie weit bist du mit der Maschine?« »Die Ventile sind eingestellt. Ich brauch’ nur noch zu tanken.« »Gut. Schick mir sofort ein Taxi und warte auf mich. Ich bin in einer halben Stunde draußen.« »Ach, du lieber Gott. Haben Sie den Laden hochgehen lassen?« »Idiot!« fuhr ihn Barlow an und legte den Hörer auf die Gabel. Dann straffte er sich und kehrte in den Garten zurück. »Hast du Howard erreicht?« fragte ihn seine Frau unsicher lächelnd, wobei sie an einem Seidentuch herumzupfte. »Ja«, antwortet er. »Und es war verdammt gut, daß ich ihn angerufen habe. Eines der Ventile scheint nicht ganz in Ordnung zu sein. Ich muß schnell mal rausfahren und mir die Sache ansehen.« »Aber, Jeff! Du kannst doch nicht ...« »Bitte, sei vernünftig!« unterbrach er sie. »Aller Voraussicht nach – es hängt nur noch vom Bericht der Wetterwarte ab – müssen wir heute nacht starten. Möchtest du, daß wir dann verunglücken?« »Wie kannst du so etwas sagen!« »Dann laß mich tun, was ich tun muß.« »Kann Mister Durban denn nicht ... ?« »Mister Durban muß schnellstens schlafen, da wir vereinbart haben, daß er den ersten Streckenteil übernimmt.« »Und was macht ihr, wenn das Ventil nicht in Ordnung ist?« »Dann wird der Flug verschoben, und wir bleiben hier, bis 137
wir Ersatz bekommen haben.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn es im Augenblick auch ein schlechter Trost sein mag«, sagte ihr der Engländer, »Sie sollten daran denken, daß wir in spätestens vier Tagen zurück sein werden. Und Sie wissen ja, daß Ihr Gatte dann Urlaub nehmen will!« Barlows Augen waren kalt und glanzlos, als er mit Howard zusammentraf, der die Fokker gerade getankt und im Freien verankert hatte. Es war ihm anzusehen, daß er einen Entschluß gefaßt hatte, mit dem er selbst noch nicht fertig werden konnte. »Hast du die Wetterberatung bekommen?« fragte er mit fremd klingender Stimme. Der Monteur zog ein zusammengefaltetes Blatt aus der Knietasche seines Arbeitsanzuges. »Sieht soweit ganz gut aus.« Der Captain las den Bericht und reichte ihn achtlos zurück. Howard sah ihn fragend an. »Was soll ich damit?« »Ihn Durban geben. Er wohnt in der Stadt und wird kurz vor Mitternacht hier sein, wenn er keinen anderen Bescheid erhält.« »Und wann kommen Sie?« »Ich bleibe gleich hier.« »O je!« erwiderte der Monteur und rieb sein unrasiertes Kinn. »Das kann ja ein hübscher Flug werden.« Barlow machte eine ungehaltene Bewegung. »Verschone mich mit deinen Betrachtungen. Du weißt, was los ist, und es muß dir genügen ...« Er schwieg und wies auf die Maschine. »Ist der Koala versorgt?« »Wenn er will, kann er sich einen Bauch anfressen.« »Dann komm! Wir essen in der Kantine und hauen uns bei der Flugleitung auf die Pritsche.« »Moment«, sagte Howard und hielt ihn zurück. »Wenn ich 138
auch weiß, daß meine Betrachtungen Sie stören, so möchte ich doch fragen, ob Sie es für kameradschaftlich halten, mich einfach in der Luft hängen zu lassen?« Barlow blickte zu Boden und stieß einen Stein fort: »Ich kann jetzt nicht reden. Laß mir Zeit.« »Ich will ja nur wissen, ob es Streit gegeben hat.« Der Captain schüttelte den Kopf. »So weit habe ich es nicht kommen lassen. Meine Frau und Durban ahnen nach wie vor nicht das geringste. Ich habe ihnen vorgeschwindelt, ein Ventil sei nicht ganz in Ordnung.« »Und was sagt Ihre Frau, wenn Sie nicht zurückkommen?« »Ich rufe sie nachher an und behaupte, daß ich hier helfen muß.« »Das ist doch keine Lösung!« »Das weiß ich selber! Im Augenblick kann ich aber nichts anderes machen. Die Schweinerei würde nur noch größer werden, wenn ich jetzt nach Hause gehen und meine Frau ...« Er unterbrach sich und ballte die Hände. »Sprechen wir von etwas anderem.«
VIII Glasklar funkelten die Sterne, und eine beruhigende Stille lag über den Flugplatz von Adelaide, als Barlow und Howard kurz vor Mitternacht die Wellblechbaracke der Flugleitung verließen. Die Luft war kühl, und der Friede der Natur würde vollkommen gewesen sein, wenn ihnen nicht zwei Männer mit einem Handkarren gefolgt wären, auf dem an die dreißig Petroleumlampen standen, die wie Milchkannen schepperten. Die Männer folgten ihnen aber nicht zur Maschine, sondern gingen auf das Landefeld hinaus, wo sie die Laternen in regelmäßigen Abständen in einer geraden Linie aufbauten. 139
Während der Monteur die Verankerungsseile löste und die Abdeckplatte entfernte, kümmerte sich Barlow um den kleinen Bären, der wohlig knurrte, als er ihn in das von Tania genähte Brustsäckchen steckte. Anschließend begab er sich in die Führerkanzel, um den Motor warmlaufen zu lassen. Das magisch-grüne Licht der phosphoreszierenden Instrumente faszinierte ihn und ließ ihn gebannt auf die scharf begrenzten und doch weich und geheimnisvoll schimmernden Zeiger und Skalen blicken. Wie sauber sie aussehen, wenn nicht das Licht des Tages auf sie fällt, dachte er. Kein Staub, keine Kratzer und keine Flecken sind zu entdecken. Sollte es im Leben ähnlich sein? Sind die Dinge, die uns häßlich erscheinen, womöglich nur zu stark beleuchtet? Howards Ruf »Motor frei!« unterbrach seine Überlegungen. Er schaltete die Magnete ein und wiederholte das Kommando. Preßluft zischte und gleich darauf zerrissen dröhnende Explosionen die Ruhe der Nacht und schlugen lange Flammen aus den Auspuffstutzen des Motors, der sie in knapp fünfzehn Flugstunden über ganz Australien hinwegtragen sollte. Barlow kontrollierte die Instrumente und gab sich redliche Mühe, die Gedanken zu verscheuchen, die seit dem abrupten Aufbruch aus seiner Wohnung immer wieder auf ihn einstürmten und ihn nicht hatten schlafen lassen. Aber er empfand keine Müdigkeit – nur Kälte, eisige Kälte. Und sie war es, die ihn bestimmte, sich Durban gegenüber auch weiterhin nichts anmerken zu lassen. Der Monteur steckte seinen Kopf in das Cockpit. »Alles okay?« Barlow nickte und wies auf den Lichtkegel eines Wagens, der sich in schneller Fahrt dem Flugplatz näherte. Howard schnitt eine Grimasse. Der Captain blickte zurück. »Gib ihm gleich den 140
Wetterbericht, damit er ihn vorm Scheinwerfer lesen kann. Im übrigen bleibt alles beim alten, verstanden?« »Hoffentlich nur noch für kurze Zeit.« »Worauf du dich verlassen kannst!« erwiderte Barlow und schob den Gashebel vor. Der Motor heulte auf, und die noch blockierte Maschine schüttelte und bebte, als führe ein Orkan über sie hinweg. Howard kontrollierte die Zündung; die Drehzahl fiel kaum merklich ab. »In Ordnung!« rief er. Der Captain drosselte den Motor und kletterte vom ersten auf den zweiten Führersitz. Wenige Minuten darauf erschien Durban, der Barlow freundlich begrüßte und sich nach dessen Befinden erkundigte. Der Captain bedankte sich und deutete auf die Instrumente. »Ich habe den Steuerkurs bereits eingedreht. Einkalkulierter Wind: dreihundertzehn Grad, zwanzig mph.« »Thank you!« erwiderte Durban und schnallte sich fest. »Die Startbahn wird in ihrer längsten Richtung aufgebaut. Wir haben dann zwar etwas Seitenwind, aber eine fast achthundert Fuß längere Rollstrecke und kein Hindernis in der Abflugschneise.« »Startpunkt erste weiße Lampe?« »Ja. Sie können aber unbesorgt bis zur letzten grünen rollen. Erste rote steht tausend Fuß vorm Platzende.« Durban nickte. »Welche Flughöhe würden Sie wählen?« »Fünftausend. Sollte der angegebene Wind nicht stimmen, dann macht das nichts, da wir uns bei Sonnenaufgang in einem Gebiet mit markanten Gebirgen befinden und unseren Standort leicht feststellen können.« Nüchtern und sachlich wurde Punkt für Punkt besprochen, und als Durban zur vereinbarten Zeit um die letzte grüne 141
Lampe rollte und Vollgas gab, hatten die Piloten außer der Begrüßung noch kein privates Wort miteinander gewechselt. Aber das fiel dem Engländer nicht auf, da er zu beschäftigt war. Und Barlow gab sich ganz dem erregenden Erlebnis des Nachtstartes hin. Er sah das geheimnisvolle Leuchten der Instrumente und deren gespenstisch sich bewegende Zeiger; er blickte über die schnurgerade Reihe der grünen, weißen und roten Laternen, an der das Flugzeug entlangraste; er hörte das metallische Schmettern des auf höchsten Touren laufenden Motors und fühlte das Rumpeln der Räder, das von Sekunde zu Sekunde schwächer wurde, bis der Augenblick kam, da die weiße Lampenreihe endete und rote Lichter auf sie zujagten. Noch einmal erhielt das Flugzeug einen sanften Stoß, dann hob es ab, um in die Finsternis hinauszudonnern, die sich wie ein gähnendes Loch auf tat. »Schwanzlastiger!« rief Durban, nachdem er die Drehzahl verringert hatte. »Steigflug mit drei Metersekunden !« Barlow betätigte das Trimmrad und blickte auf die Skalen der Flugüberwachungsgeräte, die allein noch Auskunft über die Lage der Maschine geben konnten, da sich die Tragfläche der Fokker über und hinter ihnen befand und nicht nach dem Sternenhimmel ausgerichtet werden konnte. Wenn sie nicht abstürzen wollten, mußten sie sich nach den Instrumenten richten und durften sich nicht auf ihr Gefühl verlassen. Das oberste Gesetz des Fluges ohne Erdsicht, alle Empfindungen zu verbannen, sich blindlings den Instrumenten anzuvertrauen und nur zu glauben, was man sieht, ließ Barlow an seine Frau denken, die er im Grunde seines Herzens bedauerte. Ich saß in einer dreckigen Wolke, sagte er sich, mußte also glauben, was ich sah, und verdrängen, was ich empfand: um meiner selbst willen mußte ich gehen. Howard beugte sich in das Cockpit und reichte ihm das 142
Bordbuch und eine Taschenlampe. Der Captain schlug das Buch auf und notierte: ›Adelaide, 14. Dez.; Start: 0 Uhr 31; Besatzung: Durban, Barlow, Howard; Wetterlage: wolkenlos; Bodenwind: Nordwest 20 mph; Luftdruck über NN: 1018 mb; Steigflug: 338 Grad; Geschwindigkeit: 90 mph.‹ Dann löschte er die Lampe und steckte das Bordbuch seitlich in seinen Sessel. Der Motor dröhnte sein monotones Lied und hob sich schemenhaft gegen die Sterne ab, die mit der Maschine zu fliegen schienen. Und die im Dunklen liegende Erde erinnerte an ein schwarzes Ungeheuer, das man fürchtet, ohne es zu sehen. Stunden gingen so dahin, bis im Osten ein schwankendes Licht auftauchte, das sich schnell verstärkte und die Farbe einer Kitschpostkarte annahm, als die Sonne über den Horizont stieg. Eine Weile verglich Barlow die Navigationskarte mit dem unter ihnen liegenden Gelände, dann wies er voraus und sagte: »Wir liegen ziemlich genau auf Kurs. Der Höhenrücken dort drüben ist die Stuart-Kette, und wenn mich nicht alles täuscht, ist die weiter im Nordosten sichtbare weiße Fläche bereits der Anfang vom Eyre-See.« Durban sah ihn verwundert an. »Jetzt sagen Sie bloß noch, daß auch der kein Wasser hat.« »Hat er auch nicht.« »Aber er ist doch mindestens hundert mal fünfzig Meilen groß!« »Was hat die Größe damit zu tun? Wo kein Regen, da kein Wasser. Ein Verdurstender, der an das Ufer des Eyre-Sees stieße, könnte sein Haupt nur in Sand und Salz stecken und mit Ergebung auf den Tod warten. Achten Sie auf die Schienen der Bahn, die wir nachher kreuzen; sie führen mitten durch die östlichen Ausläufer des Sees.« 143
»Dann wollen wir hoffen, daß der Motor nicht verreckt.« »Auf diesem Streckenabschnitt wäre es nicht weiter schlimm; bis Alice Springs gibt es immerhin etliche Farmen und eine Eisenbahn, die wöchentlich fährt. Für uns wird es erst auf der Strecke von Alice Springs nach Port Darwin brenzlig. Da gibt es außer einer schnurgerade verlaufenden Telegrafenleitung nur noch Hitze und Sand. Tausend Meilen weit werden wir keinen einzigen Grashalm zu sehen bekommen.« »Und wer hat die Telegrafenleitung gebaut?« »Strafgefangene, unter der Aufsicht von straf versetzten Beamten und Militärs. Never-Never-Land! Wer es betritt, kommt nicht wieder.« Der Engländer rieb sich die Nase. Barlow schnallte sich los. »Ich werde etwas essen. Wenn Sie wollen, löse ich Sie nachher ab.« »Nicht nötig. Howard soll mir ein Brot und etwas Tee geben.« Zwei Stunden später ließ Durban die Maschine auf 7 000 Fuß steigen, da sich die Sonneneinstrahlung über dem etwa 1600 Meter hohen Musgrave-Gebirge schon unangenehm bemerkbar machte. Immer häufiger mußte er Böen parieren, die das Flugzeug oft in die Höhe oder in die Tiefe sausen ließen. Die ›Schaukelei‹ machte jedoch niemandem etwas aus. Selbst dem Koala nicht, der ein Eukalyptusblatt nach dem anderen fraß und hin und wieder mit der unschuldigsten Miene sein Leinensäckchen ›benetzte‹. »Jetzt wird es mir aber zu dumm!« schimpfte der Captain und band ihn sich vom Hals, als er sah, daß seine Wildlederjacke reichlich naß geworden war. »Wer sich nicht benehmen kann, muß auf dem Boden sitzen.« 144
Der Engländer lachte und gab Howard das Zeichen, nach vorne zu kommen. »Übernehmen Sie das Mistvieh! Es bekleckert sein Herrchen, daß es eine Schande ist!« »Seien Sie vorsichtig!« erwiderte der Monteur. »Es steht nämlich noch lange nicht fest, wer hier das Mistvieh ist!« »Komm, nimm ihn und verschwinde!« sagte Barlow gereizt und nahm seinen Feldstecher, um das vor ihnen liegende Gelände abzusuchen. »Schon was zu sehen?« fragte Durban. »Nur schwach«, antwortete der Captain, ohne das Glas abzusetzen. »Es könnten aber die Mac-Donnel-Ranges sein.« Der Engländer warf einen Blick auf die Borduhr. »Meiner Rechnung nach müßten wir es in einer Stunde und zehn Minuten geschafft haben; das Gebirge muß also bald auftauchen.« Und so war es. Bereits eine Viertelstunde später wurde das mächtige, im Herzen Australiens gelegene Mac-DonnelGebirge sichtbar, dessen Entdecker, von der Steppe zermürbt und vom gleißenden Licht erblindet, auf einer Bahre in die Zivilisation zurückgetragen werden mußte. Und fast auf die Minute genau donnerte die Fokker F VII zur errechneten Zeit über die Hauptstadt Zentralaustraliens hinweg, die vierundzwanzig Einwohner zählte und außer den üblichen Wellblechbaracken über zwei steinerne Häuser, einen Bahnhof, einen Flugplatz und eine im ganzen Land gerühmte ›Badewanne‹ verfügte.* Auf dem Flugplatz, den sie vorsorglich einige Male umkreisten, da er weder abgegrenzt war noch irgendwelche *
In Zentralaustralien, das so groß wie Deutschland ist, lebten 1932 etwa 400 Menschen. Heute zählt Alice Springs 3500 Einwohner, Die Stadt entstand dadurch, daß ein zum Bau der Telegraphenleitung abkommandierter Strafgefangener im Vorland des Gebirges eine glasklare und ständig fließende Quelle fand, der er den Namen seiner ›Braut‹ gab. 145
Markierungen zeigte, stand zu ihrer Verwunderung ein großer Doppeldecker, eine De Havilland DH 9, mit dem Polizeikennzeichen AA-P-17. »Verdammt!« fluchte Durban. »Wir scheinen nicht die einzigen zu sein, die den Versuch machen, die ausgesetzten zehntausend Pfund zu erringen.« Barlow schüttelte den Kopf. »Nur keine Aufregung. Die Ausschreibung verlangt eine Verkehrsmaschine mit mindestens acht Sitzen und einer dementsprechenden Zulassung!« Der Engländer schlug sich vor die Stirn. »Ich Idiot!« »Hauptsache, Sie sehen es ein und bauen eine anständige Landung. Der Boden hier ist knüppelhart.« Wenige Minuten später setzte die Maschine so weich auf, daß die Berührung mit der Erde kaum zu spüren war und im Weiterrollen unterging. Die Hälfte der Strecke von Adelaide nach Port Darwin lag hinter ihnen und war in der hervorragenden Zeit von sieben Stunden und zwölf Minuten bewältigt. Die Besatzung glaubte in einen Backofen zu geraten, als sie das Flugzeug verließ und drei alte offene Wagen auf sich zukommen sah, in denen ein gutes Dutzend verwittert aussehende Männer saßen, die ihnen entgegenwinkten. »O je!« sagte Barlow. »Unsere armen Hände!« Durban, der den Sinn der Worte nicht sofort erfaßte, brauchte nach dem ersten Händedruck um keine Erläuterung mehr zu bitten: seine Hand schmerzte, als wäre sie in einen Schraubstock eingezwängt gewesen. »Seid ihr wahnsinnig?« rief er und vollführte einen wahren Veitstanz. »Ihr zerdrückt mir meine Flosse!« Die Männer lachten und hauten ihm auf den Rücken, als sollte ihm die Lunge aus dem Leib geschlagen werden. Howard sah es mit Vergnügen und klopfte seinerseits 146
einigen Männern auf die Schulter, um ihnen nicht die Hand reichen zu müssen. Seine gute Stimmung war jedoch wie fortgeblasen, als bald darauf ein vierter Wagen mit dem Bürgermeister und einem jungen, sympathischen Polizeioffizier erschien, der sich als der Pilot des Doppeldeckers vorstellte. Der Ortsvorsteher machte eine bedenkliche Miene, als er hörte, wieviel Benzin die Fokker benötigte. »Das ist eine ganze Menge«, sagte er. »Unser Vorrat geht zu Ende, und wir müssen auch für uns etwas behalten.« Der Captain fuhr sich erregt durch die Haare. »Und wir brauchen in drei Tagen nochmals fünfhundert Gallonen!« Der Bürgermeister schüttelte den Kopf. »Daraus wird nichts. Wenn ich Ihnen heute die verlangte Menge gebe, ist praktisch Feierabend. Und zwar für über eine Woche, da der nächste Zug morgen früh in Adelaide abfährt und wir bis dahin keinen Waggon mehr organisieren können.« »Gut, daß Sie das sagen«, mischte sich der Polizeioffizier in das Gespräch. »Unter diesen Umständen muß ich darauf bestehen, daß die Fokker weniger erhält. Ich benötige übermorgen hundertfünfzig Gallonen, die unbedingt für mich reserviert werden müssen.« »Das ist völlig unmöglich!« entrüstete sich Barlow. »Wir befinden uns auf dem von der Regierung ausgeschriebenen Versuchsflug von Adelaide nach Port Darwin !« »Damned!« fluchte Leutnant Shower. »Den möchte ich Ihnen natürlich nicht vermasseln. Andererseits: mein Chef jagt mich in die Wüste, wenn er erfährt, daß ich Ihnen den Sprit überlassen habe.« »Könnten wir nicht sofort telegrafieren und dafür sorgen, daß ein Waggon an den morgen abgehenden Zug angehängt wird?« fragte der Captain. »Der müßte doch spätestens in drei Tagen hier sein!« 147
Der Ortsvorsteher lachte. »Wie Sie sich das vorstellen! Bis Adelaide sind dreizehn Telegrafenstationen zu überbrücken. Wenn ich eine schnelle Verbindung herstellen will, muß ich mich mindestens vier Stunden an die Taste setzen. Meinen Sie, daß ich die Zeit dazu habe? Und glauben Sie, daß die letzte Station einen solchen Wirbel machen könnte, daß das Benzin noch heute zur Bahn geschafft wird? Nie und nimmer, solange Sie kein Minister sind, der Behörden springen lassen kann.« Barlow horchte auf und wandte sich an Howard. »Wofür haben wir die CSIRO! Du bleibst hier und sorgst dafür, daß noch heute ein Waggon an den Zug gehängt wird!« Der Monteur sah aus, als hätte ihn der Schlag getroffen. »Sie wollen ohne mich weiterfliegen?« »Weißt du einen anderen Ausweg? Wenn der Nachschub nicht sichergestellt wird, können wir nicht starten. Es hilft nichts: du mußt hierbleiben und die Sache auf Biegen oder Brechen in Ordnung bringen.« Howard sah ein, daß es keine andere Möglichkeit gab. Es schmerzte ihn aber doch, als er eine Stunde später das Dröhnen der Fokker und Orgeln der De Havilland über sich hinwegziehen hörte. Daß die beiden Maschinen den gleichen Kurs einschlugen, hatte einen besonderen Grund. Leutnant Shower war beauftragt, eine hinter dem Mac-Donnel-Gebirge liegende Farm aufzusuchen, deren Bewohner sich seit über einem Jahr nicht mehr gemeldet hatten. Und da er aus navigatorischen wie Sicherheitsgründen etwa hundert Meilen an der nach Darwin führenden Telegrafenleitung entlangfliegen und dann nach Westen abbiegen wollte, war er mit Barlow übereingekommen, bis zum Wendepunkt zusammen zu bleiben. Gut eine halbe Stunde flogen sie dicht nebeneinander über das faltenreiche und an eine Mondlandschaft erinnernde Gebirge hinweg, dann winkten sie sich noch einmal zu, und 148
Durban notierte: ›9 Uhr 37; begleitende Polizeimaschine AAP-17 dreht ab und geht auf Westkurs; ermittelter Höhenwind: 200 Grad, 35 mph; Außentemperatur 32°; steigen auf 8 000 Fuß; Telegrafenleitung gut sichtbar.‹ Der Captain, der sich den Bären wieder umgebunden hatte, blickte von nun an nur noch gelegentlich in die Tiefe, da das immer eintöniger und flacher werdende Gelände das Licht der Sonne wie ein Spiegel reflektierte. Das Never-Never-Land war erreicht, das tote Herz Australiens, das keinen Schatten kennt. Soweit das Auge reicht, gab es außer Termitenhügeln und einer wie mit dem Lineal gezogenen Telegrafenleitung nur noch glühenden Sand und mörderische Hitze. Der Engländer beobachtete Barlow, der konzentrierter denn je flog. Pausenlos lauschte er auf den Lauf des Motors, und immer wieder kontrollierte er die Überwachungsgeräte, die einen auftretenden Schaden zuerst anzeigen würden. Durban beobachtete ihn aber nicht aus fliegerischem Interesse; dafür kannte er ihn inzwischen zu genau. Er suchte vielmehr herauszufinden, was ihn verändert hatte. Es war ihm nicht entgangen, daß sie seit dem Nachmittag im Hause Barlows kein persönliches Wort mehr gewechselt hatten. Es war ihm allerdings auch bekannt, daß Barlow die Nacht nicht zu Hause verbracht hatte, da er Pamela kurz vor Mitternacht nochmals angerufen und sich mit ihr besprochen hatte. Doch sosehr er Barlows Veränderung zu ergründen versuchte, er fand keine einleuchtende Erklärung, so daß er sich schließlich sagte: ich werde mich täuschen. Wahrscheinlich ist er nur abgespannt. Dennoch blieb ein ungutes Gefühl, und um den Kontakt zu verbessern, fragte er ihn nach zweistündigem Flug, ob er ihm eine Flasche Wasser oder sonst irgend etwas reichen solle. »Nein, danke!« erwiderte der Captain und wies auf seine feuchte Wildlederjacke. »Ich möchte nicht, daß es mir wie dem 149
Koala ergeht.« Durban lachte. Wenig später stieß der Bär plötzlich klägliche Laute aus und versuchte seinen Kopf zu verstecken. Barlow glich im selben Moment einer bis zum Zerreißen gespannten Sehne. »Wir bekommen einen Sandsturm!« schrie er und suchte hastig den Horizont ab, an dem nichts Besonderes zu entdecken war. Sofort riß er die Maschine herum und drehte eine Steilkurve. »Was machen Sie?« rief der Engländer verwirrt. »Feststellen, wo sich der Willy-Willy zusammenbraut! Da im Norden nichts ...« Er brach jäh ab und legte die Maschine gerade. »Sehen Sie die dunkle Färbung dahinten?« »Ja.« »Das ist er! In wenigen Minuten geht es los.« »Gott sei Dank hinter uns!« erwiderte Durban aufatmend. »Sie Greenhorn!« fuhr ihn der Captain an und drehte das Flugzeug auf den Kurs nach Darwin zurück. »Markieren Sie unseren Standort in der Karte, und ziehen Sie von dort aus eine etwa achtzig Meilen entsprechende Linie in Richtung hundertdreißig Grad. Dort liegt der Herd. Sollte der Sandsturm herankommen, wissen wir wenigstens, welche Richtung er nimmt.« »Sie meinen, daß er uns überholen könnte?« »Der kann noch mehr!« antwortete Barlow grimmig und erhöhte die Drehzahl des Motors, um die Maschine steigen zu lassen. »Er kann uns zum Beispiel einkreisen und zur Sau machen. Notieren Sie jede Bewegung, damit wir zurückkoppeln können, wenn wir die Erdsicht verlieren sollten.« Der Bär wimmerte wie ein Baby und wurde immer unruhiger, und Barlow spürte deutlich, daß sich seine Muskeln 150
spannten und das Atmen von Sekunde zu Sekunde schwerer wurde. Durban stand der Schweiß auf der Stirn. Ihm war zumute, als beginne sein Blut zu kochen. Nur mit Mühe gelang es ihm, den Bleistift zu halten und die notwendigen Eintragungen im Bordbuch vorzunehmen, die schon bald einen dramatischen Akzent erhielten. Hatte er um 11 Uhr 42 noch die Bildung eines Sandsturmes in der ermittelten Richtung notiert, so schrieb er um 11 Uhr 46 bereits: ›Flughöhe 9 000 Fuß; Verfärbung des Himmels nun auch im Osten; steigen auf Gipfelhöhe‹. Und um 11 Uhr 48: ›Der Himmel bezieht sich, die Erde ist nicht mehr zu sehen; verlassen Kurs und fliegen 270 Grad; Steigleistung sprunghaft auf 5 m/sec gestiegen; Gefahr, in den Herd zu geraten.‹ »Wäre es nicht richtiger, die Maschine anzudrücken, um mit erhöhter Geschwindigkeit nach Westen zu fliehen?« fragte er, als er die letzte Eintragung vorgenommen hatte. Der Captain schüttelte den Kopf. »Wenn der Willy-Willy uns dann dennoch erreicht, ist es aus. Und zwar endgültig, weil der Vergaser mit der Luft Sand ansaugt, der die Kolben in wenigen Minuten festfressen läßt. Uns bleibt keine Wahl: wir müssen versuchen, den Sandsturm zu überhöhen!« »Und wenn uns das nicht gelingt?« »Dann mache ich kehrt auf der Hinterhand und fliege so lange nach Osten zurück, wie wir jetzt nach Westen fliegen, damit wir in der Nähe der Telegrafenleitung sind, wenn der Motor verreckt.« Es war, als hätte Durban geahnt, daß der Sandsturm sie einholen würde. Denn schon wenige Minuten später wurde es plötzlich dunkel, und die Tragfläche erhielt Stöße, daß sie glaubten, die Maschine würde auseinanderbrechen. »Ich wende auf neunzig Grad!« schrie Barlow. »Wie lange muß ich zurückfliegen?« 151
Der Engländer ergriff die Taschenlampe und verglich seine Eintragungen mit der Borduhr. »Sechs Minuten!« rief er. »Ich sage Bescheid, wenn es soweit ist!« »Okay!« erwiderte der Captain und trat in das Seitensteuer, da er das Flugzeug mit dem Querruder allein nicht mehr in der richtigen Lage halten konnte. Wie ein Blatt wurde es umhergewirbelt. Der ›Pinsel‹ des Wendezeigers pendelte nach rechts und links; die ›Libelle‹ lief ihm davon; die Kompasse drehten sich wie Kreisel, und der künstliche Horizont überkugelte sich. »Und das alles im Dunkeln!« fluchte er, während er sich verzweifelt bemühte, die Maschine wieder geradezulegen. Der Motor heulte auf, da sich das außer Kontrolle geratene Flugzeug jäh auf die Seite legte und abstürzte. Durban riß den Gashebel zurück. Barlow stemmte sich gegen das Seitensteuer und zog das Höhenruder an sich. Der künstliche Horizont legte sich gerade; die Kugel der Libelle kehrte in ihren ›Käfig‹ zurück; die Geschwindigkeit verringerte sich; das Variometer stieg; der Wendezeiger kam in die Mitte. »Na, also«, sagte der Engländer im Bestreben, Barlow zu beruhigen. Der griff wie in Trance nach dem Gashebel. Die Fokker erhielt neue Stöße, und zeitweilig klang es, als würde Sand gegen sie geschleudert. Das geht nicht gut, dachte der Captain, der nicht mehr normal zu steuern, sondern schwere körperliche Arbeit zu leisten hatte. Immer wieder entglitt ihm die Maschine, und er mußte sich bemühen, sie aufzufangen und geradezulegen. Dabei wußte er nicht einmal, in welche Richtung sie flogen, da sich sowohl der Steuerkompaß als auch der zusätzlich eingebaute Schiffskompaß mit irrsinniger Geschwindigkeit 152
drehten. Es kam aber noch schlimmer: aus der Tragfläche züngelten plötzlich blauweiße Flammen, die knatternd umhersprangen und einen unheimlichen Tanz vollführten. »Elmsfeuer!« schrie Durban, der sich duckte, als säße ihm ein Gespenst im Nacken. Barlows Gesicht, das von den zuckenden Flammen zeitweilig erhellt wurde, sah grün aus. »So geht’s nicht weiter«, rief er. »Schlagen Sie den Draufsicht-Kompaß ein und bringen Sie die ›Rose‹ zum Stillstand!« »Das hat doch keinen Zweck!« schrie der Engländer. »Die Dämpfungsflüssigkeit würde sofort auslaufen und wir hätten eine völlig unzuverlässige Anzeige!« »Die immer noch besser als gar keine ist!« brüllte der Captain dagegen. »Los, tun Sie, was ich sagte. Wir müssen zumindest die ungefähre Richtung feststellen!« Durban nahm die Taschenlampe und zertrümmerte die Scheibe des zwischen ihnen liegenden Kompasses. Dann bremste er die rotierende ›Rose‹ ab und entfernte einige Splitter. Die Maschine kippte. Flüssigkeit schwappte aus dem Gehäuse. Barlow korrigierte, so gut er konnte. Der Engländer richtete seine Lampe auf den Kompaß. »Wenn die Anzeige stimmt, fliegen wir genau nach Norden.« »Hoffen wir, daß sie stimmt«, erwiderte der Captain und leitete eine Rechtskurve ein. »Wandert die ›Rose‹?« »Ja!« Er seufzte und erkundigte sich nach der Öltemperatur, da er die Flugüberwachungsinstrumente nicht aus den Augen lassen konnte. »Hundertdreißig Grad!« rief Durban erschrocken. 153
»Verdammte Scheiße!« fluchte Barlow und schaltete kurz entschlossen die Zündung aus. »Die Kolben fressen! Zu retten ist ohnehin nichts mehr. Wir können nur noch dafür sorgen, daß kein Brand entsteht!« Das Dröhnen des Motors erstarb. »Und was ist mit der Telegrafenleitung?« schrie der Engländer. Der Captain wies auf den Höhenmesser, der 7 000 Fuß anzeigte. »Wir verlieren jetzt in der Minute tausend Fuß, können also noch rund sieben Minuten fliegen. Wenn der Sturm uns nicht idiotisch versetzt hat, müßten wir uns dann in der Nähe der Leitung befinden.« »Und werden dort einen bildschönen Bruch fabrizieren!« »Aber wenigstens mit kaltem Motor«, erwiderte Barlow. Der Gleitflug wurde von Sekunde zu Sekunde bedrückender. Kein Wort wurde gesprochen. Wie gebannt blickten die Piloten auf den Zeiger des Höhenmessers, der konstant zurücklief. Gleichzeitig lauschten sie auf den Fahrtwind, der zeitweilig so sandig war, daß die am Rumpf und an der Tragfläche vorbeistreichenden Körner ein Geräusch hervorriefen, das sich wie das harte Ritzen eines Glasschneiders anhörte. Beruhigend aber war es, daß das gespenstisch flackernde Elmsfeuer erlosch und daß auch die gnadenlosen Stöße und wilden Wirbel, die das Flugzeug zu einem Spielball hatten werden lassen, zusehends abnahmen und in eine Böigkeit übergingen, mit der man fertig werden konnte. Die Höhe betrug noch 4 000 Fuß; wenn sie etwas Glück hatten, mußte sich der Steuerkompaß in den noch verbleibenden vier Minuten beruhigen und zum Stillstand kommen. Und dann wußten sie positiv, in welche Richtung sie geflogen waren, und konnten entsprechende Rückschlüsse daraus ziehen. Weiter und weiter glitt das Flugzeug in die Tiefe: 3 500 – 3 000 – 2 500 – 2 000 Fuß! 154
Durban zog Barlows Anschnallgurte strammer. »Danke!« sagte der Captain und gab im nächsten Moment Tiefensteuer, da die Maschine plötzlich an Fahrt verlor. Der Engländer wischte sich über die Stirn. 1 500 Fuß! Nur noch 450 Meter trennten sie von der Erde. Barlow schob das Leinensäckchen mit dem Bären in den Ausschnitt seiner Jacke. Draußen wurden braune Schwaden sichtbar, ein Zeichen dafür, daß das Licht des Tages zurückkehrte. Wie elektrisiert schaltete der Captain die Zündung ein und stellte die Maschine auf den Kopf, um den Propeller durch erhöhten Winddruck in Drehungen zu versetzen. Durban erkannte augenblicklich, daß Barlow den Versuch machen wollte, den Motor anzulassen, um die Maschine bis zur Rückkehr des vollen Tageslichtes in der Luft halten zu können. Im Bestreben, ihn zu unterstützen, betätigte er sofort die Einspritzpumpe, und Sekunden darauf knallten die ersten Explosionen und schlugen lange Flammen aus den Auspuff stutzen. »Hurra!« schrie er, als der Motor auf vollen Touren lief. »Das war ’ne Meisterleistung!« »Hoffentlich hält er noch eine Weile«, rief Barlow. »Achten Sie auf die Temperatur! Ich steige so lange wie möglich.« »Und ich werde dem lieben Gott erzählen, daß wir brave Menschen sind, die das Tageslicht nicht scheuen.« Genau drei Minuten hielt die hoffnungsvolle Stimmung an, dann schüttelte der Motor so stark, daß sie ihn schnellstens wieder stillegen mußten. Eines aber war erreicht: sie flogen nicht mehr in stockfinsterer Nacht, sondern in einer braunen Dämmerung, die hoffen ließ, daß sie die Erde in letzter Minute sehen würden. Auch der Kompaß hatte sich beruhigt und zeigte, daß sie nach 155
Süden flogen. Wenn diese Feststellung auch nicht gerade erfreulich war, so bot sich doch die Möglichkeit, die seit 11 Uhr 54 zurückgelegte Strecke in etwa rekonstruieren zu können. Erneut sank die Fokker und wanderte der Zeiger des Höhenmessers zurück: 2 000 –1 500 – 1 000 Fuß! »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas sehen!« rief Barlow, da er gezwungen war, die Maschine weiterhin nach den Instrumenten auszurichten, und nicht in die Tiefe schauen konnte. »Ich rufe Ihnen die Höhen zu!« »Okay!« erwiderte Durban und blickte angestrengt nach draußen. »Achthundert!« »Noch nichts!« »Siebenhundert! – Sechshundert! – Fünfhundert!« »Immer noch nichts!« Das Herz klopfte ihnen in der Kehle. »Vierhundert!« »Vorsicht!« schrie Durban plötzlich wie in höchster Not und riß im selben Moment das Steuer an sich. Zu spät. Es krachte. Das Flugzeug wurde noch einmal in die Höhe geschleudert, kippte, stellte sich auf den Kopf und schlug berstend auf den Boden. Streben brachen, die Tragfläche knickte, Scherben klirrten, das Instrumentenbrett flog auseinander, und der Motor schob sich in die Kabine. Barlow hörte einen Aufschrei, dann erhielt er einen Schlag gegen die Stirn und verlor die Besinnung. Es war gerade Mittag, als das von Leutnant Shower gesteuerte Polizeiflugzeug AA-P-17 über Alice Springs hinwegorgelte und nach einer kurzen Schleife zur Landung ansetzte. 156
»Der kommt heute aber früh zurück«, sagte der Bürgermeister zu Howard, der am Morseapparat saß und eben den Bescheid erhalten hatte, daß die CSIRO einen Kesselwagen mit Benzin an den am nächsten Morgen in Adelaide abgehenden Zug anhängen lassen werde. »Bleibt er sonst länger weg?« fragte der Monteur. »Normalerweise den ganzen Tag, wenn er Farmen aufsucht, die sich schon lange nicht mehr gemeldet haben. Wollen Sie mit raus fahren? Ich muß ihn abholen.« Howard nickte. Fünf Minuten später erreichten sie den Polizeioffizier, der einen ungeduldigen Eindruck machte und als erstes fragte: »Ist eine Meldung über einen Sandsturm eingegangen?« »Nein«, antwortete der Ortsvorsteher. »Wie kommen Sie darauf?« Leutnant Shower faltete die Karte auseinander. »Um halb elf sah ich von Johnsons Farm aus – der Familie geht’s übrigens gut; sie konnte sich nur nicht melden, weil der Dynamo der Sprechanlage im Eimer ist –, daß sich der Himmel im Nordosten stark verdunkelte. Wir richteten uns sofort auf einen Willy-Willy ein, der aber nicht kam, sondern mit großer Geschwindigkeit nach Nordwesten lief.« »In welcher Entfernung?« fragte Howard schnell. »Schwer zu sagen. Können hundert, aber auch zweihundert Meilen gewesen sein. Auf jeden Fall hat er die Telegrafenleitung gekreuzt!« »Verdammt!« »Hab’ ich mir auch gesagt und bin sofort gestartet, als klar war, daß für mich keine Gefahr mehr bestand. Port Darwin und Adelaide müssen umgehend verständigt werden!« Der Monteur schob den Offizier förmlich in den Wagen hinein. »Kommen Sie, ich morse, daß die Fetzen fliegen!« 157
Der Bürgermeister fuhr so schnell wie möglich zur Telegrafenstation zurück, und bald darauf gab Howard zwei Meldungen durch, die Leutnant Shower diktierte. Das erste Telegramm lautete: ›AA-P-17 an Airport Darwin: Fokker F VII, Kennzeichen VH-ASU, 9 Uhr 12 von Alice Springs nach Darwin gestartet. Errechnete Landezeit etwa 16 Uhr 30. Benzinvorrat für zwei weitere Flugstunden. Sandsturm im ersten Streckendrittel gesichtet. Meldet um 18 Uhr 30 an Station 13 und an Kommandeur der Polizeistaffel Adelaide, ob Fokker gelandet. Ende.‹ Das zweite Telegramm lautete: ›AA-P-17 an Kommandeur der Polizeistaffel Adelaide. Es besteht die Gefahr, daß Fokker F VII, Kennzeichen VH-ASU, auf der Strecke Alice SpringsPort Darwin in einen Sandsturm geraten ist. Da eventuell notwendig werdende Rettungsaktion den Transport großer Benzinmengen nach Alice Springs erforderlich macht, wird um Sicherstellung mehrerer Kesselwagen gebeten, die gegebenenfalls noch an den morgen in Adelaide abgehenden Zug angehängt werden müssen. Airport Darwin gibt spätestens 18 Uhr 30 Nachricht, ob Fokker dort angekommen oder nicht. Ende.‹ Als Barlow wieder zu sich kam, war das Flugzeug in eine dichte Staubwolke gehüllt. Ihm brummte der Schädel, und es verging eine ganze Weile, bis er wußte, wo er sich befand. Im selben Moment aber erinnerte er sich an den Aufschrei, den er als letztes vernommen hatte. Sofort wandte er sich an den Engländer, den er nur schemenhaft sehen konnte. »Sind Sie verletzt?« fragte er und tastete gleichzeitig nach dem Bären, den er mit dem Leinensäckchen in den Ausschnitt seiner Jacke geschoben hatte. Durban stöhnte. »Meine Beine und ein Arm ... Ich glaube, der Motor hat meinen Sitz hochgedrückt und einen Spant in meine Schulter getrieben.« 158
Ach, du lieber Gott, dachte Barlow und sagte hastig: »Machen Sie keinen Versuch, sich zu bewegen, bevor ich nachgesehen habe, was los ist!« »Sie haben gut reden«, erwiderte der Engländer gepreßt. »Ich weiß vor Schmerzen nicht ein noch aus.« Der Captain riß seinen Anschnallgurt auf. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« »Haben Sie denn nichts abbekommen?« »Allem Anschein nach nicht«, antwortete Barlow, während er näher an den Engländer heranrückte, um besser sehen zu können. »Gratuliere!« erwiderte Durban. »Eins zu Null für Sie! Und das angesichts der Tatsache, daß dieses unsere Endrunde sein dürfte.« Der Captain stutzte, verdrängte jedoch augenblicklich alle ihn überfallenden Gedanken. »Ihre Vermutung ist leider richtig«, sagte er bedrückt, als er den Engländer untersucht hatte. »Ihre Beine scheinen gebrochen zu sein, und die untere Strebe des Falltanks sitzt in Ihrer Schulter. Aber das bringe ich schon in Ordnung. Wir haben ja eine komplette Apotheke bei uns.« »Geben Sie mir als erstes Morphium«, bat Durban gequält. Barlow zwängte sich in die hintere Kabine. »Versprechen Sie mir, sich nicht zu bewegen. In drei Minuten haben Sie keine Schmerzen mehr.« Der Engländer preßte die Lippen zusammen und dachte: Ein Wahnsinn. Ausgerechnet der Mann, dem ich in die Quere gekommen bin, muß mir jetzt helfen. Was würde ich geben, wenn ich ... Ein plötzlich einfallender Sonnenstrahl zwang ihn, die Augen zu schließen. »Moment noch!« hörte er den Captain rufen. »Der Kasten ist etwas verklemmt, aber ich habe ihn gleich!« 159
Es dauerte jedoch noch eine ziemliche Zeit, bis Barlow schweißtriefend zurückkehrte und einen Blechbehälter auf seinen Sitz stellte, dem er eine Spritze entnahm, auf die er mit kundigem Griff eine Nadel setzte. Dann nahm er eine Ampulle, deren oberen Teil er abbrach, füllte die Spritze und legte sie in den Kasten zurück. »So, und nun muß Ihre Kleidung dran glauben«, sagte er und ergriff eine Schere, die er kurz entschlossen in Durbans Hose führte, um sie mit zwei beherzten Schnitten aufzuschneiden. »Das machen Sie bestimmt nicht zum erstenmal«, sagte der Engländer mit verzerrtem Gesicht. Barlow nickte und träufelte Äther auf einen Wattebausch, mit dem er die Nadel der Spritze und eine Stelle des freigelegten Oberschenkels säuberte. »Gehört in Australien zur Pilotenausbildung. Ich gebe Ihnen zunächst Tetanus, damit Sie keinen Wundstarrkrampf bekommen. Anschließend Morphium. Wenn die Schmerzen dann nachgelassen haben, decke ich Ihre Wunde ab und säge die verdammte Strebe durch, damit ich Sie aus diesem Brutofen herausschaffen und draußen verarzten kann.« Es war unglaublich, was Barlow in den nächsten Stunden leistete. Er gab dem Engländer die Spritzen und sägte die Strebe ab, an die er nur liegend herankommen konnte; er zog den halb Bewußtlosen millimeterweise aus dem Cockpit und trug ihn ins Freie, wo er ihn auf eine Abdeckplane unter den Rumpf legte; er gab ihm dort eine zweite Morphiumspritze und schnitt die mit einer Klaue versehene Strebe aus der Schulter; er behandelte die klaffende Wunde mit Jod, legte einen ordnungsgemäßen Verband an und schiente die gebrochenen Beine. Als das alles getan war und Durban wie ein Toter im Schatten des Flugzeuges lag, machte er sich daran, sechs Rohre aus dem Rumpf zu sägen, die er in gleichmäßigen Abständen 160
unter der schräg liegenden Tragfläche in den Boden rammte, um eine Plane darüber spannen zu können, die einen zusätzlichen Schutz vor Hitze und Kälte bieten sollte. Denn er wußte, daß sie nun tage-, wenn nicht wochenlang Temperaturschwankungen bis zu 70 Grad überstehen mußten. Keine ruhige Minute gönnte er sich. Nur hin und wieder wischte er sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, trank er einen Schluck Wasser und gab dem apathisch neben Durban hockenden Koala ein Eukalyptusblatt. Dabei konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Er zwang sich jedoch weiterzuarbeiten und sagte sich immer wieder: was du heute nicht schaffst, mußt du morgen in glühender Hitze erledigen. Denn bis morgen hat sich der Sandstaub gelegt, und dann gibt es nichts mehr, was dich vor der Sonne schützen könnte. Er trug die zentnerschweren Trockeneisbehälter aus der Kabine und stellte sie unter den Rumpf, da die Temperatur im Flugzeug fast achtzig Grad betrug und er befürchtete, daß das Eis schmelzen und die Thermosbehälter zum Platzen bringen könnte. Das zufällig mitgenommene Trockeneis kann unsere Rettung sein, dachte er. Denn unser Wasser reicht höchstens für zwei Wochen. Anders beurteilte er die Verpflegung. An Bord befand sich ein Notproviant von drei Wochenrationen; da Howard zurückgeblieben war, reichte der Vorrat für etwa zehn bis elf Tage. Aber diese Tatsache bedrückte ihn nicht allzusehr, da er bei den Aborigines erfahren hatte, daß man wochenlang ohne Nahrung auskommen kann, wenn man genügend zu trinken hat. Sorge bereitete ihm etwas ganz anderes: die Wunde des Mannes, der seine Ehe zerstört hatte. Das Schicksal wählt merkwürdige Wege, dachte er, als er die 161
Trockeneisbehälter nach draußen geschafft hatte und sich schweißtriefend neben Durban setzte, um dessen Puls zu fühlen. Ich möchte wissen, wie er nun mit der Last der Lüge fertig werden will. Wenn ich mir vorstelle, seine Frau hätte in meinen Armen gelegen und ich müßte mich von ihm pflegen lassen ... Aber es kann auch zur Qual werden, Hilfe bringen zu müssen. Denn das Gefühl läßt sich nicht ausschalten, selbst in Augenblicken, in denen man zu keinem Gedanken mehr fähig ist, spürt man das Widerstreben der Hände. Und dann ›ratscht‹ es im Herzen, als würde Leinen zerrissen. Diese widerstrebenden Empfindungen hinderten Barlow aber nicht daran, gewissenhaft wie ein Arzt vorzugehen. Dann holte er sich das Bordbuch des Flugzeuges, in das er alles notierte, was er festgestellt und getan hatte, und anschließend versuchte er den Flugweg zu rekonstruieren, den sie nach der letzten Eintragung genommen hatten. Das Ergebnis war eindeutig: sie konnten sich keinesfalls östlich der Telegrafenleitung befinden, da der Sturm sie nach Westen versetzt haben mußte. Wie weit, das vermochte er nicht zu sagen; er schätzte zwischen 40 bis 60 Meilen. Eines aber wußte er gewiß: daß er nahe daran war, die Besinnung zu verlieren. Und da die Sonne sich bereits dem Horizont näherte und wie eine violette Scheibe im Sanddunst versank, breitete er schnell noch eine Decke über Durban aus und legte sich neben ihn, nachdem er den Koala in das Leinensäckchen gesteckt und unter eine aufgebauschte Plane geschoben hatte. Howard sah um Jahre gealtert aus, als er am Abend mit einem Morsestreifen in der Hand das ›Hotel‹ von Alice Springs aufsuchte, in dem Leutnant Shower und die meisten der vierundzwanzig Einwohner der Stadt an einer Theke standen. Der junge Offizier, der schon ahnte, welche Nachricht er 162
bringen würde, gebot den Anwesenden zu schweigen und nahm den Morsestreifen an sich. »Airport Darwin: Fokker F VII, VH-ASU, arr nil«, las er halblaut. »Heißt das, daß die Maschine gelandet ist?« fragte ein neben ihm stehender zahnloser Farmer. Er schüttelte den Kopf und legte dem Monteur die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie, trinken Sie ein Bier.« Howard zögerte. »Nicht den Mut verlieren! «tröstete ihn Leutnant Shower. »Seien Sie lieber froh, daß uns ein glücklicher Zufall so zeitig alarmierte. In Adelaide wird jetzt bestimmt schon eine Rettungsexpedition zusammengestellt, und spätestens morgen nachmittag trudeln hier die ersten Maschinen ein. Ich möchte wetten, daß die beiden in ein paar Tagen gefunden sind.« »Haben wir damals auch gedacht!« »Das will nichts besagen. Im übrigen garantiere ich Ihnen, daß die Regierung eine Aktion einleiten wird, wie wir sie noch nie erlebt haben. Schon allein, weil Barlow noch in aller Munde ist und seine damalige Rückkehr nach vier Monaten verdammt viel Staub aufgewirbelt hat.« Howard sah ihn vorwurfsvoll an. »Vier Monate und dreizehn Tage war er vermißt! Und kein Aas hat geglaubt, daß er noch lebt. Ich hab’ mir damals den Mund fusselig geredet. Aber wer hört schon auf einen kleinen Monteur? Niemand!« »Sagen Sie das nicht!« erwiderte der Leutnant. »Ich zum Beispiel beherzige alles, was mir mein ›Dreckspatz‹ sagt.« »Und wo ist der?« erkundigte sich Howard. Der Polizeioffizier grinste. »In Adelaide. Ich kann von ihm verlangen, was ich will, nur nicht, daß er mitfliegt. Beim schönsten Wetter kotzt er wie ein Reiher. Er hat schon alles mögliche versucht und ist von Arzt zu Arzt gelaufen: es hilft einfach nichts.« 163
Howard war wie elektrisiert. »Wie wäre es, wenn ich Ihre Maschine ›warte‹ und mit Ihnen fliege? Eine Hand wäscht die andere. Und vier Augen sehen mehr als zwei.« »Abgemacht!« antwortete der Offizier und hielt ihm die Hand hin. Der Monteur schlug ein. »Und Sie werden die Rettungsaktion nicht einfach abbrechen, wenn irgendwer erklärt, Barlow könne nicht mehr leben?« »Ohne weiteres bestimmt nicht. Als Polizeioffizier muß ich mich natürlich nach meinen Befehlen richten.« »Dann hängt der Mist schon wieder am Baum!« Leutnant Shower lachte. »Verlangen Sie nicht den Arm, wenn ich Ihnen die Hand reiche.« Howard gab sich zufrieden, zumal er in seinen kühnsten Träumen nicht an die Möglichkeit gedacht hätte, sich an der Suche beteiligen zu können. Die Welt sah für ihn wieder rosiger aus, und die schlimmsten Ahnungen, die ihn schon befallen hatten, wichen dem festen Glauben, daß ›sein‹ Captain mit der Never-Never-Wüste ebenso fertig werden würde wie mit den Aborigines. Sorge bereitete ihm nur der Gedanke, daß Barlow ausgerechnet mit dem Mann zusammen sein mußte, der seine Ehe und damit sein Glück zerstört hatte. Am nächsten Vormittag aber hatte er andere Sorgen, da Leutnant Shower ihm sagen mußte: »Der Kommandeur der Polizeistaffel kommt persönlich nach Alice Springs, um die Rettungsaktion zu leiten. Stellen Sie sich darauf ein und sorgen Sie dafür, daß Sie einen guten Eindruck machen. Er könnte es mir sonst verbieten, Sie mitzunehmen.« Voller Unruhe sah er daher der Landung des Führungsflugzeuges entgegen, mit dem Colonel Hartog kommen sollte. Darüber hinaus waren die Polizeiflugzeuge AA-P-11 und AA-P-15 sowie fünf Militärmaschinen der 818. Aufklärungsstaffel avisiert, die von einer mit Benzin beladenen 164
Transportmaschine begleitet wurden. So glücklich er über die eingeleiteten Maßnahmen war, das Herz klopfte ihm im Halse, als Leutnant Shower ihn dem dickbauchigen Kommandeur vorstellte, der ihn mißtrauisch musterte. »Ein hübsches Mädchen wäre mir lieber«, sagte der Colonel abfällig. »Tut mir leid, daß ich keinen Busen habe«, erwiderte Howard schlagfertig. »Ansonsten bin ich aber das beste ›Mädchen-für-alles‹, das Sie in Alice Springs finden können.« Der Oberst lachte polternd. »Auf die Schnauze scheinen Sie nicht gefallen zu sein.« »Bestimmt nicht! Sie dürfen mir aber jederzeit in die Schnauze schlagen, wenn ich an der Suche teilnehmen darf.« »Okay!« sagte der Kommandeur. »Von mir aus können Sie mitfliegen. Aber abends müssen Sie mir als Bursche zur Verfügung stehen!« »Ay, ay, Colonel!« rief der Monteur in strammer Haltung. Der Himmel leuchtete kobaltblau, und die Sonne brannte unbarmherzig, als Barlow aus abgrundtiefem Schlaf erwachte und den neben ihm liegenden Engländer stöhnen hörte. »Helfen Sie mir«, flehte Durban. »Ich verdurste und werde wahnsinnig vor Schmerzen.« Der Captain erhob sich augenblicklich und füllte einen griffbereit im Türrahmen des Rumpfes stehenden Becher, den Durban gierig leerte. »Noch etwas«, bat er. »Später«, erwiderte Barlow. »Jetzt gebe ich Ihnen erst einmal eine Spritze. Und das nächstemal dürfen Sie nicht so hastig trinken.« Der Engländer nickte. Sein Gesicht war leichenblaß und seine Augen lagen in tiefen Höhlen. »Mir ist es, als würde ich 165
von innen verbrennen.« »Sie werden Fieber haben«, versuchte ihn der Captain zu trösten, während er die Injektionsspritze füllte. »Das verliert sich aber nach einigen Tagen.« Durban fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Glauben Sie ...?« Er unterbrach sich und unterdrückte einen Schrei. Barlow beeilte sich und streifte Durbans Ärmel zurück. »Ich gebe Ihnen diese Spritze intravenös; die Schmerzen verschwinden dann schneller.« Es dauerte keine Minute, bis sich das Gesicht des Engländers entspannte. Wie erschöpft schloß er die Augen, die einen rätselhaften Glanz bekommen hatten. »Wieviel Ampullen haben wir eigentlich?« »Genügend!« antwortete der Captain. »Mir können Sie ruhig die Wahrheit sagen.« »Es ist die Wahrheit. Wir haben so viel, daß ich Ihnen vierzehn Tage lang alle acht Stunden eine Spritze geben kann.« »Und wann wird man uns frühestens finden können?« Barlow hob die Schultern. »Wenn man heute feststellt, daß wir unser Ziel nicht erreichten, wird spätestens morgen Alarm gegeben. Übermorgen trifft der Zug mit dem Benzin in Alice Springs ein, und da bis dahin auch die ersten Suchmaschinen eintrudeln werden, möchte ich annehmen, daß die Aktion übermorgen gegen Mittag beginnt. Alles Weitere ist Glückssache. Auf acht bis zehn Tage müssen wir uns gefaßt machen. Es hat keinen Zweck, sich Illusionen hinzugeben; das führt nur zu Depressionen.« Der Engländer öffnete die Lider und sah, daß Barlow den Bären streichelte. »Glauben Sie, daß wir gerettet werden?« »Ich hoffe es. Auf jeden Fall wird man alles tun, um uns zu finden. Wir leben ja nicht im Krieg, und in Friedenszeiten werden Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, wenn es gilt, 166
ein Leben zu retten. Übrigens ein Beweis dafür, daß der Mensch von Natur aus gut ist.« Durban blickte gegen die Zeltplane, die Barlow gespannt hatte. »Wenn wir hier herauskommen ...« Der Captain blies in das Fell des Bären. »Wollen Sie dann ein neues Leben beginnen?« »Vielleicht.« »Warum? War Ihr Leben nicht gut?« »Ich weiß es nicht. Es gibt Dinge, die nicht schlecht sind, wenn man sie tut, und die man dann plötzlich doch nicht getan haben möchte.« Barlow erhob sich, um das Gespräch zu beenden. »Sie müssen versuchen zu schlafen«, sagte er. »Ich werde mich auch gleich wieder hinlegen; es ist das Beste, was wir bei dieser Hitze tun können.« Es dauerte nicht lange, bis Durban eingeschlafen war, und Barlow machte sich daran, eine Liste aller Lebensmittel und Medikamente anzufertigen, über die sie verfügten. Anschließend errechnete er, was sie täglich verbrauchen durften, wenn sie zwei Wochen auskommen wollten. Dann trug er eine klobige Signalpistole und einen Karton mit Leuchtmunition unter die Abdeckplane, brachte dem Koala noch einige Eukalyptusblätter und legte sich neben den Engländer, der oftmals unverständliche Worte ausstieß. Das flimmernde und trostlose Bild der Wüste, die von mörderischer Hitze erfüllt war, ließ ihn jedoch so durstig werden, daß er bald darauf wieder aufstand, um etwas Wasser zu trinken. Doch kaum hatte er sich erhoben, da durchfuhr ihn ein entsetzlicher Gedanke. War ich denn total von Sinnen, fragte er sich. Wie konnte ich annehmen, daß sich aus Trockeneis Wasser gewinnen läßt. Trockeneis ist doch nichts anderes als gepreßter 167
Kohlensäureschnee, der an der Luft verdampft und in Kohlendioxyd übergeht! Voller Verzweiflung betrachtete er die zentnerschweren Thermosbehälter, die er am Tage zuvor aus dem Flugzeug getragen und unter den Rumpf gestellt hatte. Ich muß wirklich nicht mehr ganz bei Verstand gewesen sein, dachte er und zog sein Hemd aus, das ihm am Körper klebte. Aber was hilft es? Wir werden unser Wasser stärker als die Nahrung rationieren müssen. So schnell und planvoll die von der australischen Regierung angeordnete Rettungsaktion eingeleitet wurde, so erfolglos verlief sie in den ersten drei Tagen, da die zur Suche eingesetzten Polizei- und Militärmaschinen nur über einen Aktionsradius von sechs Flugstunden verfügten, von denen gut vier für den An- und Abflug benötigt wurden. Für die eigentliche Suche im vermutlichen Unglücksgebiet verblieben somit jeweils nur etwa 90 Minuten, in denen jede Besatzung eine Strecke von höchstens 200 Meilen abfliegen konnte. »Wenn wir nicht selbst in die Wüste gehen, werden wir die Verunglückten niemals finden!« sagte Howard am Abend des dritten Tages. Man gab ihm recht, bedeutete ihm aber, daß es unmöglich sei, mitten in der Wüste ein Zeltlager zu errichten. »Das ist auch gar nicht nötig!« wetterte er dagegen. »Es genügt, wenn zwei Flugstunden von hier entfernt an der Telegrafenleitung ein Benzindepot angelegt wird. Wir können dann vier Stunden suchen, nachtanken und zurückfliegen.« »Macht am Tage acht Flugstunden bei vierzig bis fünfzig Grad Hitze«, bemerkte einer der Militärpiloten. »Na, und?« rief Howard wütend. »Barlow und Durban müssen täglich fünfzehn und mehr Stunden in sechzig Grad aushalten.« »Er hat schon recht«, sagte Leutnant Shower. »So, wie wir 168
jetzt vorgehen, kommen wir nicht weiter. Ich habe mir ausgerechnet, daß wir mindestens fünfzig Tage benötigen, wenn wir das Gebiet in der bisherigen Weise absuchen, und mache daher folgenden Vorschlag: wir erklären uns bereit, eine Woche lang täglich acht Stunden zu fliegen, und bitten den Kommandeur, auf dem zwanzigsten Breitengrad ein Benzindepot anzulegen. Einverstanden?« Die Piloten nickten, und Howard strahlte. »Darf ich die Herren im Namen von Captain Barlow zu einem Bier einladen?« rief er überschwenglich. Ein Oberleutnant der 818. Aufklärungsstaffel stieß ihn in die Seite. »Das haben Sie sauber hingekriegt. Bei der Hitze wird Ihnen keiner einen Korb geben.« Der Monteur grinste. »Wissen Sie, was die Journalisten gestern abend erzählten? Ein Farmer, der dreißig Jahre in Alice Springs lebte, starb und kam in die Hölle. Die Folge: ihm schlotterten die Knie, da er ganz andere Temperaturen gewohnt war. Da ist er zurückgekommen und hat sich seinen Mantel geholt.« Der Oberleutnant ahmte das glucksende Lachen des Polizeikommandeurs nach. Howard verzog das Gesicht. »Erinnern Sie mich nicht an den Dickwanst; er hängt mir schon zum Halse heraus. Von morgens bis abends liegt er auf dem Bett und stöhnt über die Hitze. Ich könnte ihm stundenlang auf den Bauch klatschen.« »Und warum tun Sie es nicht?« »Meinen Sie, ich dürfte dann noch mitfliegen?« Der Offizier klopfte ihm auf die Schulter. »Halten wir die Daumen, daß wir Ihren Captain finden.« Ein Verbündeter mehr, dachte Howard befriedigt, da er sich vorgenommen hatte, jeden Piloten für sich zu gewinnen. Denn bereits der erste Flug hatte ihn erkennen lassen, daß es nicht 169
leicht sein würde, die Vermißten in der unendlichen Weite der Wüste zu finden, und er bangte schon jetzt darum, daß die Suchaktion zu früh abgebrochen werden könnte. Um diese Möglichkeit weitgehend auszuschalten, hatte er vom ersten Tage an falsche Angaben über den in der Fokker verstauten Notproviant gemacht und kaltschnäuzig erklärt, daß sich Barlow und Durban im Notfall vier bis fünf Wochen ernähren könnten. Aber wenn er auch wußte, daß sie sich höchstens vier^ zehn Tage halten konnten, er traute dem Captain das Unmöglichste zu und war der festen Überzeugung, daß er gegebenenfalls zu Fuß zurückkehren würde. Dieser Glaube wurde allerdings schwer erschüttert, als er mit Leutnant Shower zum erstenmal auf dem 20. Breitengrad neben einer Transportmaschine landete, die in aller Eile als ›fliegendes Benzindepot‹ in der Wüste stationiert worden war. Denn kaum hatte er das Flugzeug verlassen, da konnte er vor Hitze keine Luft mehr bekommen. Und wenige Minuten später vollführte er wahre Veitstänze, da die Glut des fast 90 Grad heißen Sandes durch seine Schuhsohlen drang und ihm die Füße zu verbrennen drohte. Keine Viertelstunde dauerte das Betanken des Flugzeuges, aber in dieser Viertelstunde erhielt er einen Begriff von den Qualen, denen die Vermißten ausgesetzt waren – Qualen, die an die Inschrift über Dantes Höllentor erinnerten: Durch mich geht’s ein zur Stätte des Grauens! Laßt mit dem Eintritt alle Hoffnung schwinden! Gnadenlos brannte die Sonne am Himmel, als Durban am Mittag des vierten Tages plötzlich erregt in die Ferne wies und rief: »Sie kommen! Hören Sie, sie kommen!« Barlow, der fast völlig entblößt neben ihm lag, richtete sich auf und beugte sich über ihn. »Ich wollte, Sie hätten recht. Leider aber ...« 170
»Hören Sie denn nicht das Motorengeräusch?« unterbrach ihn der Engländer aufgebracht. »Es muß eine Hörnet sein! Los, schießen Sie Signale!« Der Captain nahm ein Tuch und trocknete das Gesicht des Engländers, der verfallen aussah und einem Toten glich. »Beruhigen Sie sich«, sagte er beinahe väterlich. »Was Sie hören, ist kein Motor, sondern das Summen der Wüste.« Durban schloß die Lider. Seine Augen waren dunkel umrändert, und seine eingefallenen Wangen zeigten eine grünliche Färbung. »Daß ich immer wieder darauf reinfalle«, stöhnte er. »Ich glaube, es geht zu Ende mit mir!« »Unsinn!« erwiderte Barlow. »Sie haben sich blendend gehalten und werden doch nicht den Glauben an sich selbst verlieren, nur weil Ihnen das Vibrieren der erhitzten Luft hin und wieder ein Motorengeräusch vorgaukelt.« Durban öffnete die Augen und sah ihn fragend an. »Warum bemühen Sie sich eigentlich so sehr um mich?« Der Captain zuckte die Achseln. »Ich habe noch nicht darüber nachgedacht. Wahrscheinlich hätte es auch keinen Zweck, weil der Grund nur die Würde des Menschen sein kann.« Der Engländer fuhr sich mit der Zunge über die geplatzten Lippen. »Und was ist des Menschen Würde?« »Das, was aus ihm einen Menschen macht.« »Sie denken an Ehrlichkeit, wechselseitige Hochachtung und so weiter?« »Unter anderem.« Durban seufzte. »Ist schon eine verdammte Bühne, auf die das Schicksal uns geworfen hat.« Barlow nickte und rieb sich den Oberkörper trocken. »Und jetzt, da es darauf ankommt, sich zu bewähren, verlassen mich die Kräfte«, fuhr der Engländer bedrückt fort. 171
»Wissen Sie, manchmal möchte ich, daß mein Herz stehen bliebe. Aber nein, es geht weiter und gibt keine Ruhe. Und dann denke ich und denke ich und finde kein Ende.« Der Captain warf sein Tuch über die Abdeckplane. »Meinen Sie, mir geht es anders?« »Das vielleicht nicht. Aber Sie werden damit fertig.« »Weil ich damit fertig werden will!« »Eben! In Ihnen liegt die Kraft des Willens, und das Wissen um diese Kraft gibt mir den Mut, mit Ihnen zu reden. Ich muß mit Ihnen sprechen, Barlow!« Der sah ihn verwundert an. »Das tun Sie doch schon die ganze Zeit.« »Ich meine es anders. Seit Tagen ringe ich mit mir ... Mich bedrückt etwas, das Sie angeht und das mich nicht mehr zur Ruhe kommen läßt.« Barlow wußte in seiner Überraschung nichts Besseres zu tun, als sein Gesicht abzuwenden. »Es betrifft Sie und Ihre Frau«, fuhr Durban kaum hörbar fort. Der Captain drehte sich zurück und berührte den Arm des Engländers. »Ich will Ihnen behilflich sein. Folgende Dinge sind mir bekannt: daß meine Frau Ihnen zwei Briefe schrieb, die Howard Ihnen übergab, daß Sir Geoffrey Higgins irgend etwas über Ihre Verbindung zu meiner Frau weiß und daß Sie früher schon einmal in Adelaide in meiner Wohnung waren.« »Das wissen Sie?« stammelte Durban verwirrt. »Ja.« Der Engländer sank förmlich zusammen. »Und Sie haben nie mit mir darüber gesprochen?« Barlow glaubte nicht richtig zu hören. »Sie, der Sie mit mir hätten sprechen müssen, stehen auf dem Standpunkt, «daß es meine Aufgabe gewesen wäre, mich an Sie zu wenden?« 172
»Aber nein!« rief Durban gequält. »Das habe ich natürlich nicht sagen wollen. Ich ahnte doch nicht, daß Sie informiert waren, und schwieg dem Wunsch ihrer Frau entsprechend, die selbst mit Ihnen reden wollte!« Der Captain horchte auf. »Was wollte sie mir sagen?« Durban versuchte sich aufzurichten. Barlow hielt ihn zurück. »Geben Sie mir etwas zu trinken«, bat der Engländer. »Ich werde Ihnen alles erzählen.« Barlow erfüllte die Bitte, und dann berichtete Durban seine und Pamelas Geschichte. Er hatte sie vor zwei Jahren in London kennengelernt und heftig mit ihr geflirtet, wie er sagte. Wenn es auch dabei geblieben war, er hatte sich in sie verliebt und ihr des öfteren geschrieben. Mit dem Erfolg, daß auch sie ihm einige Briefe sandte, denen er entnehmen konnte, daß sie sich einsam fühlte. Und dann las er eines Tages in der Zeitung, daß ihr Mann vermißt und die Suche nach ihm eingestellt sei. Sofort bewarb er sich bei der CSIRO, die ihn postwendend engagierte, woraufhin er geradewegs nach Adelaide fuhr und Pamela bat, seine Frau zu werden. Sie willigte ein. Zwei Wochen blieb er bei ihr, dann reiste er mit dem Nullabor-Expreß nach Perth, wo ihm Sir Geoffrey Higgins vierundzwanzig Stunden später mitteilen mußte, daß Barlow völlig unerwartet zurückgekehrt sei. Die Mitteilung traf ihn wie ein Keulenschlag, und er nahm sich vor, mit allen Mitteln um Pamela zu kämpfen. Um seine Position zu festigen, verlangte er vom Leiter der CSIRO, daß er ihn in Barlows Gegenwart als Kommandanten der Fokker F VII bestätigte, und rief dann Pamela an, die er beschwor, in ihrem Entschluß nicht wankend zu werden. Sie wußte nicht mehr ein noch aus, und der Widerstreit ihrer 173
Empfindungen wurde noch größer, als ihr Mann ihr am Telefon erklärte, vorerst nicht nach Adelaide kommen zu können. In diesem Augenblick war sie halb entschlossen, dem glühenden Drängen Durbans nachzugeben. Sie ließ dieses jedoch nicht erkennen und bat sich eine Bedenkzeit aus, die Durban mit täglichen Briefen füllte, in denen er – wie er offen zugab – andeutete, daß ihr Mann intime Beziehungen zu einer Malaiin unterhalte. Barlow, der bis zu diesem Augenblick schweigend zugehört hatte, schlug erregt auf den Boden. »Derartige Lügen haben Sie meiner Frau aufgetischt?« Der Engländer nickte und griff nach dem über der Abdeckplane hängenden Tuch. »Ich kann es selbst nicht mehr begreifen. Aber seien Sie froh, daß ich diese Dummheit begangen habe. Der Schuß erwies sich nämlich als Bumerang! Ihre Frau war entsetzt, nannte meine Briefe schmutzig und eines Mannes unwürdig und teilte mir mit, daß sie nunmehr fest entschlossen sei, bei Ihnen zu bleiben.« Der Captain flog herum. »Ist das wahr?« »Ja! Und im zweiten Brief, den sie mir unmittelbar darauf schrieb, bat sie darum, über nichts mit Ihnen zu sprechen, da sie den Wunsch habe, Ihnen alles selber zu sagen.« Barlow beugte sich über Durban. »Schwören Sie, daß das die Wahrheit ist!« »Wozu schwören?« erwiderte der Engländer mit matter Stimme. »Im Seitenfach meines Koffers sind die Briefe. Sie können sie lesen.« Der Captain ließ sich zurücksinken. »Und ich hab’ das Haus verlassen, weil ich glaubte, Sie und Pamela seien zu feige, mir die Wahrheit zu sagen!« »Und ich dachte, ein Ventil sei beschädigt.« 174
»Ach wo! Das war ebensowenig beschädigt, wie unser Flug von der CSIRO angeordnet wurde. Ich habe ihn betrieben. Hinter Ihrem Rücken habe ich ihn durchgesetzt, um Sie und Pamela unerwartet gegenüberstellen zu können. Mit eigenen Augen wollte ich sehen ...« Er unterbrach sich und schlug sich vor den Kopf. »Hätte ich doch nur den Mund aufgemacht und nicht alles in mich hineingefressen!« Durban atmete schwer. »Sie werden Ihrer Frau nichts nachtragen?« Der Captain machte eine unwillige Bewegung. »Was soll die Frage? Überlegen Sie lieber mit mir, was wir tun könnten, um aus dieser verdammten Wüste herauszukommen.« Der Engländer umklammerte seine Hand. »Sehen Sie eine Möglichkeit?« Barlow machte sich frei und richtete sich auf. »Vielleicht. Ich könnte zum Beispiel versuchen, zur Telegrafenleitung zu gelangen.« »Bei sechzig Grad Hitze?« »Ich müßte des Nachts marschieren.« »Und wo wollen Sie sich über Tag aufhalten?« »Unter einer Zeltplane. Ich schätze, daß ich in einer Nacht fünfzehn bis zwanzig Meilen zurücklegen könnte; wenn wir uns fünfzig Meilen westlich der Leitung befinden, müßte ich sie in der dritten Nacht erreichen.« »Und dann?« »Kappe ich sie, häng’ einen Zettel dran und komme zurück. Die Unterbrechung würde bestimmt sofort bemerkt werden, und ich gehe jede Wette ein, daß man die defekte Stelle innerhalb von vierundzwanzig Stunden findet. Und dann wären wir gerettet!« Durban befeuchtete seine aufgeplatzten Lippen. »Und was ist, wenn wir uns nicht westlich, sondern östlich der Leitung 175
befinden?« »Dann bin ich nach sechs Tagen wieder hier und mache den letzten Versuch, indem ich noch zwei Nächte in umgekehrter Richtung gehe!« »Warum dann nur zwei Nächte?« Barlow wischte dem Engländer den Schweiß vom Gesicht. »Weil unsere Nahrung in zehn Tagen zu Ende geht. Wennschon, dann gehen wir zusammen vor die Hunde.« Durban hielt ihm die Hand hin. »Aber Sie müssen die Signalpistole mitnehmen, damit Sie sich bemerkbar machen können, wenn Sie eine Maschine hören sollten!« »Gute Idee!« erwiderte der Captain und ergriff die gebotene Hand. »Wollen wir auch zusammenbleiben, wenn wir davonkommen sollten?« Die Mundwinkel des Engländers zuckten. »Etwas Besseres hätten Sie mir nicht sagen können, Jeff.« Der erhob sich. »Kopf hoch, Arthur! Wird schon werden.« In den nächsten Stunden war Barlow vollauf beschäftigt. Er achtete nicht auf den Schweiß, der ihm in Strömen über den Körper lief, sondern bereitete alles auf das sorgfältigste für seinen Aufbruch vor. Und dazu gehörte nicht nur, daß er sich aus Anschnallgurten, Draht und einem Stück Zeltplane einen Rucksack anfertigte, er legte Durban auch einen neuen Verband an und zeigte ihm, wie er die Injektionsspritze füllen und die Nadel in seinen Arm einführen mußte. Doch damit war es noch nicht getan: er stellte den Notproviant und das Wasser griffbereit neben den Engländer und sägte vier leichte Rohre aus dem Rumpf der Fokker, die ihm als Streben für die Abdeckplane dienen sollten, unter der er sich tagsüber verkriechen wollte. Anschließend kletterte er in die glühendheiße Führerkanzel und baute den Steuerkompaß aus, der allein eine Gewähr dafür bieten konnte, daß er die 176
einzuschlagende Richtung beibehielt. Über vier Stunden schuftete er wie ein Berserker, dann legte er sich ermattet neben Durban, den er bat, ihn bei Sonnenuntergang zu wecken. Der Engländer machte ein besorgtes Gesicht. »Wäre es nicht vernünftiger, erst morgen aufzubrechen?« »Auf keinen Fall!« erwiderte Barlow. »Und Sie wissen, warum: es geht jetzt um mehr als nur um unser Leben.« Alice Springs glich einem aus dem Erdboden gestampften Heerlager. Außer den vierundzwanzig Einwohnern beherbergte die Stadt siebzehn Piloten und Beobachter, sechs Verwaltungsoffiziere, zwei Ärzte, vierzig Monteure, eine Marketenderei mit fünf Angestellten, drei Telegrafisten, sechzehn Mann Zugpersonal, vier Kraftfahrer und zwölf Journalisten. Und täglich gab es Hunderte von GratisZeitungen, die jede Phase der Rettungsaktion bis in das kleinste schilderten und in denen spaltenlange Mutmaßungen über den körperlichen und seelischen Zustand der Vermißten angestellt wurden. »Das ist ja zum Kotzen!« fluchte Howard, als er nach acht vergeblichen Suchtagen am Abend des 22. Dezembers wie gerädert aus der Polizeimaschine kletterte und ihm eine Zeitung gereicht wurde, deren Überschrift lautete: Bill Barlow wünscht sich seinen Vater vom Weihnachtsmann! Wird sein Wunsch in Erfüllung gehen? Leutnant Shower knüllte das Blatt zusammen. »Kommen Sie«, sagte er. »Es hat keinen Zweck, sich aufzuregen.« Der Monteur schnaubte. »Und der Zubringerwagen ist auch wieder nicht da!« »Na, und? Dann gehen wir eben zu Fuß!« Howard rieb sich die geröteten Lider. »Manchmal erinnern Sie mich verdammt stark an den Captain.« 177
»Herzlichen Dank für das Kompliment. Ich bin nur nicht so zäh wie er.« »Das ist keiner! Aber Sie halten auch ganz schön was aus.« »Nicht mehr als Sie.« Der Monteur zündete sich eine Zigarette an. »Sie wissen genau, daß das nicht stimmt. Aber reden wir von etwas anderem. Sollen wir den Vorschlag machen, das Benzindepot um hundert Meilen nach Norden zu verlegen?« »Auf keinen Fall!« antwortete der Leutnant. »Wir kämen dann auf täglich über neun Flugstunden; da würden die anderen nicht mehr mitmachen. Und ich muß offen gestehen, daß es auch mir zuviel würde. Mir setzen die acht Stunden gerade genug zu.« »Ich weiß«, erwiderte Howard bedrückt. »Auf den Gedanken bin ich auch nur gekommen, weil der Stabsarzt gestern abend dem Dicken sagte, Barlow und Durban könnten sich keinesfalls länger als zehn Tage halten. Ich hätte ihm die Fresse polieren können! Ausgerechnet Ihrem Dickwanst mußte er das sagen! Der wartet doch nur darauf, daß er abhauen kann.« »Wie hat der Chef reagiert?« »›Bin ganz Ihrer Meinung‹, hat er gegrunzt! ›Mit Rücksicht auf den von der Presse veranstalteten Wirbel muß ich die Suchaktion aber ein paar Tage länger laufen lassen.‹« Der Polizeioffizier schob seine Mütze in den Nacken und wies zum Bahnhof hinüber, in den gerade ein Zug mit etlichen Kesselwagen eingelaufen war. »Ich glaube, daß Sie sich unnötige Sorgen machen. Man schafft nicht soviel Benzin hierher, wenn man Schluß machen will. Unabhängig davon ist es ja auch möglich, daß die beiden schon morgen gefunden werden.« »Hoffentlich!« seufzte der Monteur. »Trinken wir zunächst mal unser redlich verdientes Bier; 178
eine trockene Kehle läßt alles dumpf und düster erscheinen.« Howard nickte, verlangsamte aber gleich darauf seine Schritte und stöhnte: »Ich wird’ verrückt! Sehen Sie die Malaiin da drüben?« Der Polizeioffizier blickte in die gewiesene Richtung. »Damned, die ist nicht von schlechten Eltern!« »Das ist ... – He, Tania!« rief er und lief auf die Malaiin zu, die ein Bündel in der Hand hielt und ihm mit geweiteten Augen entgegenblickte. Sie war so erschrocken, daß sie kein Wort hervorbringen konnte. Er ergriff ihre Hand und zog sie in jäher Anwandlung an sich. »Menschenskind, Tania, was machen Sie in Alice Springs? Sind Sie gerade angekommen?« »Ja«, antwortete sie kaum hörbar und schaute unsicher zu dem Offizier hoch, der hinzukam und seinen Namen nannte. »Leutnant Shower ist der Pilot, mit dem ich den Captain suche«, erklärte Howard hastig. Der Offizier reichte ihr die Hand. Sie errötete und blickte zu Boden. »Jetzt müssen Sie uns aber sagen, was Sie hierher getrieben hat«, sagte der Monteur. »Wie lange sind Sie überhaupt gefahren?« »Fünf Tage«, antwortete sie und begann den Knoten ihres Bündels zu lösen. »Ich – gekommen zu bringen – Münze von Mutter Captain.« Howard sah sie fragend an. »Was wollen Sie bringen?« »Gleich«, erwiderte sie und legte ihr Bündel auf den Boden, um es zu öffnen. Als sie es ausgebreitet hatte, entnahm sie ihm einen kleinen Papierballen, den sie behutsam auseinanderfaltete, bis eine Goldmünze mit dem Bildnis der 179
englischen Königin zum Vorschein kam. »Das Captain gegeben mir – zum Abschied. Er gesagt: bekommen von Mutter. Gut gemeint. Nun aber – Captain in Not. Weil Münze von Mutter nicht sein da. Ich darum Ihnen geben. Sie müssen werfen – in Wüste. Dann – Mutter kommen und helfen Captain.« Der Monteur machte ein ratloses Gesicht. »Aber, Tania!« sagte er. »Wir können doch die Münze, die der Captain Ihnen geschenkt hat, nicht in die Wüste werfen!« »Das – einzige Rettung!« erwiderte sie bestimmt. »Unglück gezeigt – ich nicht würdig. Mutter zürnt. Opfer nur helfen kann. Darum – ich gekommen. Bitte – werfen in Wüste. Dann alles gut.« »Tania hat recht!« sagte Leutnant Shower, der erschüttert erkannte, daß die Malaiin um ihres Seelenheiles willen nach Alice Springs gefahren war. »Wir müssen Tanias Wunsch erfüllen.« Sie beugte sich über seine Hand, noch bevor er sie ihr entziehen konnte. »Ich danken. Nun – alles wird gut.« »Ihr Wort in Gottes Ohr!« erwiderte Howard. »Bleibt nur noch die Frage, wo wir Sie unterbringen. Alice Springs ist völlig überlaufen; die meisten hausen in Zelten.« Sie berührte seinen Arm. »Ich schlafen auf Boden. Nicht schlimm. Nur etwas verdienen – ich muß. Für Rückfahrt.« Der Monteur war außer sich. »Sie bringen uns eine Goldmünze und haben nicht einmal ...« »Reden Sie nicht so viel«, unterbrach ihn der Polizeioffizier. »Wir übernehmen die Rückfahrt, und die Sache ist erledigt.« »Das – nie nicht!« sagte Tania hastig. »Ich selbst muß verdienen. Sonst – nicht Opfer!« Howard blickte gottergeben zum Himmel. »Was nun?« Leutnant Shower rieb sich das Kinn. »Könnten wir sie nicht 180
beim Kommandeur unterbringen?« »Bei dem widerlichen Knülch?« »Haben Sie mir nicht gesagt, daß er die Suchaktion nach vierzehn Tagen abbrechen lassen will? Wenn er Tania engagiert, verdient sie ihr Geld, und wir haben eine Verbündete, die ihn beeinflussen kann!« Der Monteur spitzte die Lippen. »Damned, das ist wahr. Aber meinen Sie nicht, daß er ihr gegenüber frech werden könnte?« »Der?« Leutnant Shower lachte schallend. Barlow war kaum wiederzuerkennen, als er am zweiten Morgen seiner Wanderung nach Osten den Rucksack abstreifte. An seinen borkig und blutig gewordenen Lippen hingen Hautfetzen, und sein Gesicht war von Geschwüren und Blasen bedeckt, die ihm ein gespenstisches Aussehen gaben. Mit müder Bewegung nahm er den Koala aus dem Leinensäckchen und setzte ihn auf den Boden. »Beweg dich«, sagte er. »Gleich geht die Sonne auf, und dann wird es wieder so heiß, daß man glaubt, der Verstand bleibe einem stehen.« Wie immer, so sah ihn der kleine Bär auch in dieser Stunde an, als sei er zuhöchst erstaunt darüber, daß es außer ihm noch andere Lebewesen gibt. Dann stieß er seinen üblichen schwachen Seufzer aus und gab schmatzende Laute von sich. »Du mußt dich noch etwas gedulden«, sagte der Captain und öffnete den Rucksack, aus dem vier Rohre herausragten. »Erst müssen wir unser Dach bauen.« Seine Handrücken waren geplatzt, und es bereitete ihm Schmerzen, die Stäbe in den Boden zu drücken. Jedes feste Zugreifen ließ neue Risse entstehen. Die Kälte der Nächte und die Glut der Tage hatten seine Haut spröde wie Papier werden lassen. Die Temperatur sank des Nachts auf minus fünf Grad, und tagsüber herrschte selbst unter der Zeltplane eine schier 181
unerträgliche Hitze von annähernd sechzig Grad. Ihm graute vor den kommenden zwölf Stunden; allein der Gedanke an sie erweckte Schwindelgefühle und rief den Wunsch in ihm wach, einzuschlafen und nicht wieder zu erwachen. Nur mühsam gelang es ihm, die Rohre in den Sand zu schieben und die knapp zwei Meter lange und ein Meter breite Abdeckplane darüber zu spannen. Dann gab er dem Koala eine Handvoll Eukalyptusblätter, verstaute den Kompaß im Rucksack und gönnte sich einen Schluck Wasser und einen Würfel ›Hartbrot‹. Der Bär nahm ein Blatt in die Schnauze und kletterte an einer der vier Stangen hoch. »So ist es brav«, sagte Barlow und schlug das Bordbuch der Fokker auf, das ihm seit der Bruchlandung als Tagebuch diente. Seine Eintragung war nur kurz und lautete: ›20. Dez.: 6. Tag, 2. Nachtmarsch nach Osten. Boden gleichbleibend sandig; höchstens 15 Meilen geschafft, wahrscheinlich weniger. Stellenweise viele Termitenhügel. Sehr müde.‹ Wie ein Feuerball stieg die Sonne über den Horizont, als er das Bordbuch zuklappte. Er blickte zu ihr hinüber, als wollte er sie um Gnade anflehen. Dann raffte er sich auf und zog sich aus. »Komm«, wandte er sich an den Koala, als er unter die Zeltplane kroch. »Du mußt deine Blätter fressen. Später ist es zu heiß!« Der Bär ließ sich in den Sand plumpsen und kletterte erneut an der Stange empor. »Wie du willst«, sagte er und streckte sich aus. »Tu mir nur den Gefallen und stör mich nachher nicht.« Wenige Minuten später war er in einen abgrundtiefen Schlaf gefallen, der jedoch keine drei Stunden andauerte; die 182
unerträgliche Glut der Wüste marterte und weckte ihn. Wie ein Verdurstender griff er nach der Wasserflasche. Die Zunge klebte ihn am Gaumen. Wenn ich doch schlafen könnte, dachte er verzweifelt. Der Koala lag mit geöffneter Schnauze neben ihm und hatte die Füße von sich gestreckt. Barlow schüttete etwas Wasser in einen Dosendeckel und schob ihn vor den Bären, der ihn leer leckte, ohne seine Lage zu verändern. Von Tieren kann man manches lernen, dachte er. Jede Bewegung kostet Kraft und Schweiß. Er drehte sich auf den Bauch und legte den Kopf auf die verschränkten Arme. So weit das Auge reichte, sah er nur Sand, glühenden, flimmernden, blendenden Sand. Und einen Streifen des in unerträglicher Glut vibrierenden Himmels. Schließ die Augen und träume, befahl er sich. Stell dir kantige Berge, weiße Wolken und kühle Schatten vor, oder wandere durch vergangene Zeiten und berausch dich an Bildern, denen nicht das zermürbende Klagen des eigenen Ichs anhaftet, das einem dauernd weismachen will, daß man Unerträgliches erleidet. Das stimmt nicht! Nichts, was einem selber geschieht, ist unerträglich. Stunden lag er so, sich immer wieder beschwörend, wenn übergroße Qualen die Träume zu verdrängen drohten, die er sich vorgaukelte, um über die lähmende Hitze des Tages hinwegzukommen. Aber er spürte sein von Stunde zu Stunde schneller schlagendes Herz, und manchmal dröhnte es in seinen Ohren, als wäre die Wüste von Gongschlägen erfüllt. Vor seinen Augen tanzten bunte Kreise, die Sonne wurde zur schwarzen Scheibe, und Abgründe taten sich auf, aus denen er Rufe aus dem Jenseits zu hören vermeinte. In solchen Augenblicken legte sich ein eiserner Ring um seine Brust und er sah sich vor Richtern stehen, die sich zur Urteilsberatung zurückziehen. 183
Seine Glieder schmerzten, als würden sie von glühenden Nadeln durchbohrt. Das Atmen wurde zum Röcheln. Zwölf Stunden lag er unter der Zeltplane, neun davon im Kampf gegen fünfzig bis sechzig Grad Hitze. Am Abend aber, als sich die Sonne endlich dem Horizont näherte und er sich von den Strapazen des Tages hätte erholen können, mußte er sich zum dritten Nachtmarsch fertigmachen. Beinahe ohne zu denken packte er seinen Rucksack, dann steckte er den Bären wieder in das von Tania genähte Leinensäckchen, nahm den Kompaß und wanderte los. Über den Sandwogen lag das bleiche Licht der beginnenden Nacht, die bald darauf wie ein Tuch vom Himmel fiel. Die einsetzende Kühle und das Funkeln der Sterne erweckte neue Hoffnungen in ihm. Im Geiste sah er seine Frau und seinen Sohn, und er vergegenwärtigte sich, was es bedeuten würde, wenn er sich jetzt in stumpfe Energielosigkeit sinken ließe. Die Vorstellung erschreckte ihn und setzte sich wie ein Gespenst in seinen Nacken. Nur das nicht, sagte er sich und nahm sich vor, den Glauben auch dann nicht zu verlieren, wenn noch härtere Kraftproben von ihm verlangt werden sollten. Und doch: wenn er den unendlichen Sternenhimmel über sich sah und das monotone Schleifen seiner Schuhe hörte, dann fühlte er sich einsam und wurde es so still in ihm, daß er das Summen des eigenen Blutes vernahm. In solchen Augenblicken sehnte er sich nach der Ruhe eines Grabes und wünschte er sich, daß ihm der Kompaß entgleiten und jene Stille über ihn kommen möge, die frei ist vom Lauf der Zeit. Aber dann schalt er sich feige, schwach und unwürdig. Unwürdig seiner Frau und seines Sohnes, die bangend auf ihn warteten; unwürdig des Mannes, der schwerverletzt in der Wüste lag und auf seine Hilfe angewiesen war; unwürdig Howards, der wie kein anderer an ihn glaubte; unwürdig all 184
jener Kameraden, die nach ihm suchten und ihr eigenes Leben in die Waagschale warfen. Wie ein fiebriger Rausch gingen solche Selbstanklagen in ihm auf; sie trieben ihn vorwärts, als hätte er warmen Reisschnaps getrunken, gaben seinen Augen neuen Glanz und legten den Kompaß wieder fest in seine Hand. Stunde um Stunde marschierte er nach Osten. Die Kälte wurde schneidend; er schob das Leinensäckchen mit dem Bären tiefer in den Ausschnitt seiner Wildlederjacke. Seine Wangen brannten und spannten sich schmerzhaft; er achtete nicht darauf. Die Blasen in seinem Gesicht platzten, als würden sie von einem stumpfen Rasiermesser aufgerissen; er biß die Zähne zusammen und ging weiter, weiter, weiter. Bis der Morgen wie ein graues Gespenst über den Horizont lugte und sich weit voraus einige helle Flecken am Horizont zeigten, die wie Häuser aussahen. Sekundenlang stockte ihm das Herz. Dann rannte er, als liefe er um sein Leben. »Gerettet!« schrie er. »Koala, wir sind gerettet!« Ein Glückstaumel erfaßte ihn, dem jedoch eine Ernüchterung folgte, die ihn wie ein Keulenschlag traf. Die Wüste hatte ihn genarrt: nicht Häuser, sondern Felsbrocken lagen vor ihm! Unfähig zu denken, ließ er sich in den Sand sinken; der Marsch nach Osten hatte ein Ende gefunden, wie es schauriger nicht sein konnte. Vergeblich die Strapazen, sinnlos die Leiden, grauenvoll der Gedanke an den Rückmarsch und entsetzlich die Vorstellung, sich womöglich in der Nähe der rettenden Telegrafenleitung zu befinden. Der Gedanke quälte ihn mehr als die Glut des nun folgenden Tages, und immer wieder fragte er sich, ob es nicht richtiger sei, alle Pläne über den Haufen zu werfen und weiter nach Osten zu wandern. Wenigstens eine Nacht noch. Oder eine halbe. Als der Tag aber überstanden war, entschloß er sich zur 185
Rückkehr. Er wollte Durban nicht enttäuschen, der ihn vereinbarungsgemäß nach sechs Nächten zurückerwartete. Leer und ausgehöhlt machte er sich auf den Weg. Zerschunden an Leib und Seele, taumelte er ohne jede Hoffnung durch die Wüste. Das Boot seiner Träume, das ihn tagelang begleitet und geführt hatte, war ihm entglitten. Die Unergründlichkeit des Daseins sprang ihn an. Er sah keinen Sinn mehr in seinem Tun, konnte die Gesichter seiner Frau und seines Sohnes nicht mehr entdecken und hörte immer häufiger das Heulen ferner Stürme, die vom Gelächter schattenhafter Wesen begleitet waren. Hitze und Kälte, Hunger, Durst und übermenschliche Anstrengung hatten seine Sinne in Aufruhr gebracht. Er wußte nicht mehr, daß er des Nachts marschierte und die Tage unter einer Abdeckplane verbrachte; er wußte nur noch, daß er einen Bären besaß, der sich wie ein Kind an ihn schmiegte und seine Pfoten um ihn legte, als wollte er ihn halten. Und der Bär hielt ihn tatsächlich. Denn als seine Kräfte in der sechsten Nacht zu erlahmen drohten, war es das immer intensiver werdende Schmatzen des Koalas, das ihn weiter trieb und nicht zusammenbrechen ließ. »Gedulde dich«, flehte er ihn an. »Ich habe keine Blätter mehr. In ein paar Stunden haben wir es aber geschafft, und dann kannst du fressen, soviel du magst.« Als der Morgen jedoch graute, erkannte er mit Schrecken, daß ihn noch etliche Meilen von der Fokker trennten, deren Silhouette sich im Westen gegen den Himmel abhob. Aber so bestürzt er im ersten Augenblick darüber auch war, die Bestätigung seiner in sechs Nachtmärschen vollbrachten navigatorischen Leistung stärkte sein Selbstvertrauen und gab ihm die Kraft zurück, die ihm die Enttäuschung geraubt hatte. »Keine Sorge«, sagte er dem Koala und streifte schnell seinen Rucksack ab. »Wir werden uns die Abdeckplane überhängen, und dann geht’s los. Wollen doch mal sehen, wer 186
gewinnt: die verdammte Wüste oder der Wille des Menschen.« Mit eiternden Geschwüren im Gesicht und an den Händen, mit klaffenden Lippen und geschwollenen Lidern machte er sich erneut auf den Weg. Dabei dachte er unentwegt an Durban und an die Möglichkeit, doch noch gerettet zu werden. Denn wenn er das Flugzeug erreichte, waren zumindest vier weitere Tage und Nächte gewonnen, in denen sich noch manches ereignen konnte. Diese Hoffnung erhielt jedoch einen harten Dämpfer, als er bald darauf ein Creek durchquerte, das ein vor Jahrtausenden ausgetrockneter Fluß in das Gelände geschnitten hatte. In dem einstigen Flußbett lagen zahllose mattglänzende Steine, die ihn stehenbleiben und verwundert um sich blicken ließen. »Damned!« fluchte er und hob den nächstbesten Brocken auf, der sich wie Metall anfühlte und schwer wie Blei war. Seine Augen weiteten sich. Es gab keinen Zweifel: was er aufgehoben hatte, war Gold, pures Gold! Und wohin er blickte – überall lag Gold, Gold und nochmals Gold! Gewiß, es waren keine Holtermann-Nuggets*, aber alles in allem lagen mindestens zehn, zwanzig, fünfzig oder gar hundert Zentner Gold zu seinen Füßen. Sekundenlang war er wie gelähmt. Angstschweiß trat ihm auf die Stirn. Dann aber schleuderte er den Klumpen in den Sand zurück und lachte so schaurig, daß der Koala zusammenfuhr. »Zehn. Pfund Gold für einen Laib Brot!« schrie er. »Zwanzig Kilo für jeden Liter Wasser! Selig die Armen, denn sie haben Wasser und Brot. Und das Himmelreich dazu!« Doch dann erschauerte er wie an jenem Tage, da die Mutter ihn zum ersten Male in die Kirche geführt und auf den Altar *
Der nach seinem Finder benannte größte Goldklumpen der Erde wog sechs Zentner und wurde im Distrikt Neusüdwales gefunden. Die Kunde von seinem Fund lockte annähernd eine Million Menschen nach Australien. 187
weisend gesagt hatte: »Da wohnt der liebe Gott!« Wie sich ihre Worte lastend auf sein Kinderherz gelegt hatten, so erdrückte ihn nun das Wissen, an einer Stelle zu stehen, die vor ihm noch kein Mensch betreten hatte; das frei umherliegende Gold bewies is. Er bückte sich und nahm eine Handvoll Sand., heißen Sand, den er langsam durch die Finger rieseln ließ. Dann hob er einen Goldklumpen auf, betrachtete ihn kopfschüttelnd und ließ ihn wieder fallen. »Gehen wir«, sagte er zu dem Koala. »Drüben wartet ein Mensch. Ihn nicht zu enttäuschen ist jetzt wichtiger als alles Gold der Erde.« Barlow wuchs über sich selbst hinaus. Trotz der niederschmetternden Erkenntnis, sich in einer Gegend zu befinden, die noch niemand betreten hatte und die somit aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht abgesucht wurde, kämpfte er verbissen um jeden Meter, der ihn noch vom Flugzeug trennte. Wie ein Gespenst sah er aus, als er die Fokker erreichte. Aber seine von angeschwollenen Lidern halb verdeckten Augen waren nicht trübe, sondern glänzten in unverhohlenem Stolz. »Arthur!« rief er mit heiserer Stimme und taumelte auf Durban zu, der regungslos unter der Zeltplane lag. Der Engländer, der sein Kommen nicht bemerkt hatte, versuchte den Kopf zu heben. Seine Augen standen schief, die Lippen waren voller Geschwüre, und seine eingefallenen und von einem struppigen Bart umrahmten Wangen schienen nur noch aus Haut zu bestehen. »Sie?« fragte er kaum hörbar. Barlow ließ sich erschöpft neben ihn sinken. Der Koala gab jämmerliche Laute von sich. »Ich muß ihm schnell etwas zu fressen geben«, sagte der 188
Captain an Durban gewandt. »Die Blätter waren mir ausgegangen.« Der Engländer schaute hinter ihm her, als begreife er nichts mehr. »Daß Sie zurückgekommen sind!« »Haben Sie geglaubt, ich würde mich irgendwo hinlegen und auf ein Wunder warten?« »Kaum«, erwiderte Durban schwer atmend. »Als aber am vierten und fünften Tag kein Flugzeug kam, da wußte ich, daß Sie die Telegrafenleitung nicht erreicht haben. Und da sagte ich mir, daß Sie nicht wiederkommen würden.« Der Captain hockte sich erneut neben ihn. »Ich weiß selbst nicht, wie ich es geschafft habe.« »Und nun?« Barlow legte sich zurück und schloß die Augen. »Werde ich mir – Ihr Einverständnis voraussetzend – eine Spritze geben, damit ich bis heute abend schlafe. Ich kann sonst die nächsten Tage und Nächte nicht durchstehen.« Durban tastete nach seiner Hand. »Wäre es nicht besser, Schluß zu machen?« Dem Captain war es, als habe er einen Schlag in das Gesicht erhalten. »Wie meinen Sie das?« fragte er entsetzt. »Wie ich es sagte«, antwortete der Engländer stöhnend. »Ich bin am Ende meiner Kraft. Ich kann und will nicht mehr.« Barlow keuchte und war nahe daran zu schreien: Glauben Sie, daß ich eine Woche lang gekämpft und gelitten habe, um dann den mühsam errungenen Preis, die Achtung vor mir selber, einer widerwärtigen Angst vor die Füße zu werfen? Er beherrschte sich jedoch und sagte: »Das kann nicht Ihr Ernst sein!« »Doch!« erwiderte der Engländer gequält. »Wenn ich Ihre Pistole gehabt hätte, würde ich mir heute morgen eine Kugel in den Kopf gejagt haben!« 189
Der Captain verlor die Beherrschung. »Das ist feige!« empörte er sich. »Und ein Verrat an all denen, die an uns glauben und nach uns suchen, ist es obendrein!« Durban sah ihn verständnislos an. Seine Lippen bebten. »Sehen Sie denn nicht, daß es mit mir zu Ende geht? Warum also nicht gleich Schluß machen? Ich finde, das ist ehrlicher, als sich Illusionen hinzugeben und seinem Ende entgegenzuzittern.« »Da bin ich aber anderer Meinung«, erwiderte Barlow. »Ebensowenig wie wir unsere Geburt beeinflussen können, dürfen wir Einfluß auf unseren Tod nehmen. Und wenn wir unter den scheußlichsten Umständen krepieren! Im übrigen kann auch im Zittern eine Bewährung liegen; jedenfalls, wenn man dabei den Glauben nicht verliert.« »Den Glauben an was?« »Zum Beispiel an die göttliche Ordnung!« Der Engländer seufzte. »Glauben Sie etwa an Gott?« Barlow strich über das Fell des Bären, der an ihm hochkletterte. »Ich möchte Ihre Frage mit einer Gegenfrage beantworten: Können Sie mir einen Grund nennen, warum ich nicht an Gott glauben sollte?« Durban erwiderte nichts. Der Captain ergriff den Sanitätskasten und präparierte eine Morphiumspritze. »Es tut mir leid, daß ich hart mit Ihnen umgehen mußte. Aber mehr denn je habe ich nun das Verlangen, niemanden im Stich zu lassen: Sie nicht, meine Frau und meinen Sohn nicht, Howard nicht und all jene Menschen nicht, die an uns glauben.« Als Barlow nach zehnstündigem Schlaf erwachte, saß der Koala wie an jenem Tage auf seiner Brust, da er ihn zum ersten Male gesehen hatte. »Nanu«, sagte er noch halb benommen. »Das machst du doch sonst nicht. Willst du Erinnerungen 190
wachrufen?« Der neben ihm liegende Engländer berührte seine Hand. »Ich hab' ihn dahin gesetzt, damit er Sie weckt. Die Sonne ist bereits untergegangen, und ich möchte mich noch ein wenig mit Ihnen unterhalten.« Barlow richtete sich schwerfällig auf. »Ich wollte, ich könnte Ihnen etwas sagen, das Ihnen Kraft und Mut gibt.« Durban hustete trocken. »Das haben Sie schon getan. Ich hatte inzwischen ja genügend Zeit, über unser Gespräch nachzudenken.« »Und sind zu einem positiven Ergebnis gekommen?« »Wie man es nimmt. Auf jeden Fall – und das möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben – werde ich weder Sie noch sonst jemanden enttäuschen.« Barlow reichte ihm die Hand. »Thank you, Arthur! Und – good luck! Wir wollen den Abschied so kurz wie möglich machen.« Durban nickte und drückte die Hand mit letzter Kraft. »Good luck, Jeff!« Die Angst vor einem Gefühlsausbruch ließ sie zurückhaltend und förmlich werden. Später aber, als sie auseinandergegangen waren, bedrückte es jeden, dem anderen nicht noch ein gutes Wort gesagt zu haben. Ganz besonders Barlow, den das leidende Gesicht des Engländers auf Schritt und Tritt verfolgte. Er sah es in der Mondsichel, die langsam über den Himmel zog; er entdeckte es hinter den spärlichen Schatten, die vereinzelte Termitenhügel in den Sand warfen; er fand es zwischen den Sternen, denen das bleiche Licht des Mondes allen Glanz raubte. Die Weite des Raumes war erfüllt von der Hoffnungslosigkeit der Lage, in der sich der Engländer befand. Barlow gab sich keinen Illusionen mehr hin. Er wußte, daß 191
Durban sich im günstigsten Falle noch vier bis fünf Tage halten konnte; er wußte aber auch, daß er die Telegrafenleitung nicht erreichen würde. Zu deutlich hatte ihm das in dem Creek liegende Gold gezeigt, daß sie sich in einem völlig unerforschten und wahrscheinlich weit von der Leitung entfernten Wüstenabschnitt befanden. Der Sandsturm mußte sie in eine Gegend verschlagen haben, die keine Aussicht auf Rettung bot. Wenn er dennoch die Strapazen weiterer Nachtmärsche auf sich nahm, so einfach, weil ihm der Gedanke an eine kampflose Kapitulation unerträglich war. Er lebte und wollte sein Leben erfüllen und keinen Fluch mit über jene Schwelle nehmen, die in ein unwandelbares Dasein führt. Darum marschierte er. Um seiner selbst und um Durbans willen, dem er die Hoffnung nicht rauben wollte, lief er sich die Füße wund und ertrug er die Kälte, die seine ausgetrocknete Haut immer mehr zerstörte. Doch kaum war die Nacht vorüber, da sah er sich erneut der mörderischen Glut des Tages ausgesetzt, die er nur mit Hilfe von Wachträumen überstehen konnte. Es war alles wieder wie auf dem Marsch nach Osten, wenn man davon absah, daß er die Wanderung nach Westen aus einer inneren Verpflichtung und nicht in der echten Hoffnung durchführte, die rettende Telegrafenleitung zu erreichen. Aber das war gut so. Es konnte keine niederschmetternde Enttäuschung mehr geben, da alles klar und einfach geworden war. Außer Luft und Sand, Tag und Nacht, Hitze und Kälte gab es nur noch Leben und Tod. Und doch: auch das Klare und Einfache kennt Wurzelgeflechte, die schwer zu überwinden sind. Barlow bekam sie zu spüren, als er nach der zweiten erfolglosen Nachtwanderung unter seiner Zeltplane lag und dem Bären eines der letzten Eukalyptusblätter gab, die er besaß. Der Koala blickte wie suchend um sich. 192
Barlow nahm ihn auf den Arm und blies in sein seidiges Fell, das weich auseinanderwehte und eine graue Rosette bildete. »Du kannst alles auffressen«, sagte er ihm. »Von nun an brauchst du nie mehr zu hungern.« Der Bär zappelte und machte sich frei, um zu einer der im Boden steckenden Stangen zu tapsen, an der er behäbig hinaufkletterte. Oben angekommen, schnupperte er eine Weile an der Abdeckplane, dann ließ er sich in den Sand fallen und kehrte schmatzend zurück. Der Captain gab ihm ein neues Blatt und erinnerte sich an Tania, die jedes der Blätter gesammelt hatte. Im Geiste sah er ihre mandelförmig geschnittenen Augen, und unwillkürlich fragte er sich: wie würde ihr zumute sein, wenn sie wüßte, was ich beabsichtige und noch heute tun muß. Wahrscheinlich würde sie mich wie eine Löwin anspringen, die um ihr Junges kämpft. Aber was hilft es? Es darf jetzt keine Gefühlsregungen geben, nur noch Entscheidungen, die auch dann getroffen werden müssen, wenn man sich vor ihnen fürchtet und weiß, daß sie trübe sind wie das erbärmliche Licht einer Hafenbar. Der Bär kletterte noch einige Male an der Stange empor, dann legte er sich dicht neben Barlow, der wortlos sein Fell streichelte, bis es Abend wurde und der Rückmarsch zum Flugzeug angetreten werden mußte. Ab heute wird es im Tagebuch kein Datum mehr geben, dachte er, als er den Rucksack gepackt hatte und mit wunden Händen eine kleine Vertiefung in den Sand buddelte. Die Zeit steht von nun an still, und keiner soll das Maß ausloten können, das uns jetzt mißt. Er nahm den Bären und drückte ihn an sich. »Wie lange ist es eigentlich her, seit du damals, als ich mir nach der Bruchlandung die Spritze gegeben hatte, plötzlich vor mir saßest und mich anschautest? Ich glitt wenige Minuten später in das Land der Träume und ließ dich allein. Heute muß es 193
umgekehrt sein.« Der Koala zerrte an dem Leinensäckchen, das Tania genäht hatte. »Das wollte ich eigentlich behalten«, sagte Barlow. »Aber du hast recht: es gehört dir, und darum sollst du darin schlafen.« Er nahm die Leinentasche und schob den Bären behutsam hinein. Dann legte er ihn in die kleine Vertiefung, richtete sich schnell auf und griff in die Tasche. Der Bär sah ihn höchst erstaunt an. Barlow zog die Hand aus der Tasche, und gleich darauf peitschten vier Schüsse durch die hereinbrechende Nacht. Tania liefen die Tränen über die Wangen, als sie am Abend des 26. Dezembers das Quartier des Polizeikommandeurs aufsuchte, der sie wenige Tage zuvor mit Freuden engagiert hatte. Sie kam von Howard, der verzweifelt darüber gewesen war, daß der Kommandant den Befehl gegeben hatte, die erfolglos verlaufene Suchaktion am 28. Dezember abzubrechen. »Nicht einmal ein Restkommando will das Schwein hierlassen!« hatte er geschrien. »Das wäre sinnlos, behauptete dieses Miststück und verschanzt sich hinter idiotischen Experten, die frech behaupten, daß kein Mensch länger als zehn bis zwölf Tage in der Wüste leben könne. Wenn ich so was schon höre! Aber ich weiß ja, warum am achtundzwanzigsten Schluß gemacht werden soll: die hohen Herren wollen Silvester feiern! Nur darum wird die Rettungsaktion abgebrochen!« Die Malaiin hatte ihn voller Entsetzen gefragt, was die Besatzungen der Suchmaschinen dazu sagten. Der Monteur hatte eine wegwerfende Bewegung gemacht. »Zwölf Tage Wüstenschaukelei sind ein verdammter Schlauch. 194
Außer Leutnant Shower und mir gibt es niemanden, der freiwillig weitersuchen würde.« »Und der Colonel – das nicht erlaubt?« »Das ist ja die Sauerei! Dabei steht genügend Benzin zur Verfügung; es brauchten nur einige Depots entlang der Telegrafenleitung errichtet zu werden. Aber das will der Dickwanst nicht. ›Schluß! Aus!‹ hat er mich angebrüllt, als ich ihn bat, Leutnant Shower hierzulassen. Ich hätte ihn umbringen können!« Tania war dicht an ihn herangetreten. »Jetzt ehrlich: kann Captain – noch leben?« »Das kann er noch im nächsten Jahr! Damals ist er erst nach vier Monaten und dreizehn Tagen zurückgekommen!« »Noch eine Frage: junge Leutnant – bereit – zu bleiben?« »Natürlich! Er hat es mir selber gesagt!« »Gut. Dann – ich sprechen mit Colonel.« »Das nützt nichts!« »Vielleicht doch!« hatte die Malaiin erwidert und war mit Tränen in den Augen davongegangen. Das Bild des sterbenden Bären verfolgte Barlow, als er durch die Nacht wanderte, die ihm eng wie eine Gasse zu sein schien. Hinter jeder Erhebung und jedem Schatten sah er unheimliche Gestalten, die ihn klagend anschauten. Er ließ sich aber nicht beirren, sondern folgte dem Zwang der inneren Stimme, die ihn weiter und weiter trieb, bis die einsetzende Dämmerung seinen Marsch zum letztenmal unterbrach. Nur eine Nacht noch trennte ihn von Durban und dem großen Fragezeichen, das dann über ihnen stand. Er selbst hielt es offensichtlich nicht für allzu groß, denn er schrieb an diesem Morgen in das Bordbuch der Fokker: ›Koala ist tot; ich habe ihn erschossen und die Waffe fortgeworfen. Es gibt keine Hintertür mehr, nur noch einen Hauptausgang und 195
eine Freitreppe, über die wir hinabsteigen müssen.‹ Diese Eintragung mißfiel ihm später. Er strich die Silben ›ausgang‹ und ›hinab-‹ und ersetzte sie durch ›-eingang‹ und ›empor-‹. Für ihn war wirklich alles klar und einfach geworden. Sein Weg zur Freitreppe jedoch, über die er zum Haupteingang emporsteigen wollte, war mit Dornen besät, die er erst nach der letzten Nachtwanderung kennenlernen sollte. Und zwar in dem Augenblick, da ihm das erste Licht des Morgens die Silhouette des Flugzeuges zeigte, die sich etwa eine halbe Meile von ihm entfernt gegen den Horizont abhob. Wie aber sah die Maschine aus! Das Blut stockte ihm in den Adern, und er fühlte das Herz in der Kehle klopfen : die Fokker war durchsichtig geworden! Vom Rumpf waren nur die Spanten und Streben zu sehen, von der Tragfläche nur die Spieren und Holme und die dazwischenliegenden Tanks. Die Maschine muß Feuer gefangen haben, schoß es ihm durch den Kopf. Du lieber Gott, dann wird Durban ... Er wagte nicht weiter zu denken und eilte mehr stolpernd als laufend dem Flugzeug entgegen, bis er jäh stehenblieb und keuchend zur Unglücksstelle hinüberblickte. Das aber bedeutete, daß die Maschine nicht gebrannt haben konnte, da die Benzinbehälter dann explodiert wären und alles auseinandergerissen hätten. »Zum Teufel!« fluchte er. »Was mag da geschehen sein? Es muß doch eine Erklärung dafür geben, daß nur noch das Metallgerippe vorhanden ist!« Aber sosehr er sein Hirn auch marterte, er fand die Erklärung erst, als sein Atem ruhiger wurde und er einen schwirrenden Ton vernahm, der ihn entsetzt aufhorchen und über die vor ihm liegende Sandfläche blicken ließ. Und dann wußte er alles, und das Grauen packte ihn: in meterbreiten Bändern fluteten Millionen farbloser Termiten vom Flugzeug kommend in die 196
Wüste zurück. Seine Knie wurden weich. Ekel erfaßte ihn. Er mußte würgen. Seine Gedanken überschlugen sich. Er hatte Angst, weiterzugehen, hundsgemeine, erbärmliche Angst. Denn er hatte Durban die Waffe versagt und den Koala erschossen. Wo aber blieb der Sinn seines Handelns, wenn Termiten ...? Eine ohnmächtige Wut erfaßte ihn und trieb ihn weiter. Wissend wollte er in den Abgrund schauen, der sich vor ihm auf getan hatte. Keine hundert Meter von ihm entfernt flossen die allmählich schmaler und dünner werdenden Bänder der Termiten in das Nichts zurück, aus dem sie gekommen waren. Mit klopfendem Herzen erreichte er den blank genagten Rumpf, neben dem ein bleiches Skelett lag. Der Kopf war vom Nackenwirbel getrennt und zur Seite gerollt. Barlow wandte sich ab, da er den Anblick nicht ertragen konnte. »Mein Gott!« stöhnte er. »Hätte ich ihm doch die Pistole gegeben!« Ohne eigentlich zu wissen, was er tat, griff er nach dem Werkzeugkasten, entnahm ihm ein Stecheisen und kletterte durch das leere Gestänge auf die schräg liegende Tragfläche, wo er einen Tank mit kurzen Stößen durchlöcherte. Dann blickte er unter sich und sah, daß das herabfließende Benzin die noch nicht abgezogenen Termiten nach allen Seiten flüchten ließ. Sofort machte er sich an den zweiten Tank heran, den er ebenfalls aufschlug, und schon wenige Minuten später hatten die Gase des in der Hitze schnell verdampfenden Benzins alle Termiten davongejagt. Und dann entdeckte er etwas, das ihn erleichterte und versöhnte: neben der linken Hand des Skeletts lagen die Injektionsspritze und zwölf aufgebrochene und drei noch geschlossene Morphiumampullen. 197
»Ich danke dem Herrgott, daß er dich rechtzeitig erlöste«, sagte er, als er an die sterblichen Überreste des Engländers herantrat. »Denn – Deus disponit – ›Er‹ führte deine Hand. Du hast niemanden enttäuscht!« Nur kurz verharrte er neben dem Skelett; die unerträglich werdende Glut der Sonne duldete keine Besinnung. Mit hastigen Bewegungen riß er ein Stück Blech vom Vorbau des Flugzeuges, dann kehrte er zu Durbans Gebeinen zurück und bedeckte sie mit Sand, bis ein grabähnlicher Hügel entstanden war, an dessen Kopfende er ein aus zwei Rohren gebildetes Kreuz errichtete. Sein Gesicht glich dabei einer Maske, und seine Hände bluteteten aus ungezählten Wunden. Er bemerkte es erst, als er seine Zeltplane aufspannte, und dachte verwundert: Wie relativ doch alles ist. Die Aufgabe, die sich mir plötzlich gestellt hatte, ließ alle Schmerzen vergessen, und nun, da ich mich nur noch vor der Sonne verkriechen kann, kommen sie zurück, als sollten sie die Leere füllen, die jetzt eintreten muß. Die Vorstellung beschäftigte ihn so sehr, daß er fieberhaft nach einer neuen Aufgabe suchte. Doch wenn er sie auch nicht sogleich fand, die Suche nach ihr ließ ihn schon vieles vergessen; vor allem Durbans Schicksal, das ihn zutiefst erschütterte und zwang, jeden Gedanken an ihn weit von sich zu schieben. Stunden rannen so dahin, und zwischen Wachen und Schlafen, Grübeln und Träumen fragte er sich manchmal, wie wohl das Echo klingen würde, wenn er in sich hineinrufen könnte. Er befürchtete, daß es nicht klar, sondern wie der Hall nächtlicher Schritte sein würde, der hohl gegen Häuserwände schlägt und gebrochen zurückgeworfen wird. Am Spätnachmittag aber sprang er plötzlich auf und betrachtete die im Gerippe der Tragfläche liegenden Benzinbehälter, von denen er zwei durchlöchert hatte. 198
»Das ist die Aufgabe!« sagte er zu sich selber. »Wenn ich sie bewältige, habe ich etwas getan, das mir so leicht keiner nachmachen wird.« Ungeachtet der hoch am Himmel stehenden Sonne schlüpfte er in sein Hemd, dann zog er Hose und Stiefel an und knotete ein Ende der Zeltplane, unter der er gelegen hatte, so zusammen, daß er sie als Sonnenschutz über den Kopf stülpen und über den Rücken herabhängen lassen konnte. Als er damit fertig war, entnahm er dem Werkzeugkasten eine Stahlsäge und einige Schraubenschlüssel und kletterte auf die Tragfläche, wo er die Leitung eines unbeschädigten Tanks durchsägte, um das in dem Behälter noch vorhandene Benzin abfließen zu lassen. Dann setzte er sich mit dem Rücken zur Sonne auf den Holm und begann damit, den Tank auszubauen. Er war jedoch so geschwächt, daß er mit der Arbeit erst fertig wurde, als der Abend bereits dämmerte. Aber er schaffte, was er sich vorgenommen hatte: der fast fünfzig Pfund schwere Benzinbehälter lag am Boden, noch bevor die Nacht hereinbrach. Der Rücken schmerzte ihn, und die Hände bluteten wie nie zuvor: er achtete nicht darauf, sondern packte in aller Eile seinen Rucksack und trat dann noch einmal an Durbans Grab, auf das er seine Armbanduhr legte. »Nimm sie als Symbol«, sagte er. »Auch meine Zeit ist abgelaufen.« Ohne Pathos sprach er die Worte. Dann hängte er sich den Rucksack um, nahm in die rechte Hand den Kompaß, umfaßte mit der Linken den Einfüllstutzen des Tanks und zog ihn wie einen Schlitten hinter sich her. Leutnant Shower und George Howard sahen abgekämpft aus, als sie sich am 17. April, 125 Tage nach dem Start der Fokker F VII, mitten in der Wüste zu ihrem 89. Suchflug fertigmachten. Ihre Gesichter waren von Wind und Sonne 199
.gegerbt und ihre Augen hatten einen Ausdruck bekommen, der erkennen ließ, daß sie mürbe geworden waren und das NeverNever-Land nicht mehr in der Hoffnung absuchten, Barlow oder Durban noch retten zu können. Diese Hoffnung hatten sie längst begraben. Wenn sie dennoch weiterflogen, so in erster Linie, weil ihnen der eindeutige Befehl gegeben worden war, die Suche nicht eher einzustellen, als bis das in Alice Springs und entlang der Telegrafenleitung deponierte Benzin verbraucht oder das vermißte Flugzeug gefunden sei. Nun gut, sie glaubten die Hintergründe der plötzlichen Meinungsänderung des Polizeikommandeurs zu kennen und bemühten sich, das Beste aus dem Befehl zu machen: wenn Barlow und Durban nicht mehr zu retten waren, dann wollten sie wenigstens deren Leichen finden, um aus der Lage der Unfallstelle Rückschlüsse ziehen zu können, die anderen Besatzungen zugute kommen sollten. »Aus der Not müssen wir eine Tugend machen«, hatte der Polizeioffizier zu Howard gesagt, als dieser den Motor der AAP-17 nach dreißig erfolglosen Flügen überholte. »Wenn der Vogel wieder klar ist, werden wir einen Teil des an der Telegrafenleitung lagernden Benzins weiter nach Westen schaffen. Und zwar mindestens hundert bis zweihundert Meilen weit!« »Dann wird die Anflugstrecke aber zu lang!« hatte der Monteur zu bedenken gegeben. »Nicht, wenn wir uns dazu entschließen, einige Nächte draußen zu bleiben. Das können wir natürlich nicht von heute auf morgen, und es muß gründlich vorbereitet werden. Aber wenn wir es machen, dann erreichen wir ein Gebiet, das noch völlig unerforscht ist. Und wer weiß: vielleicht wurden Barlow und Durban dahin verschlagen.« Howard war sofort einverstanden gewesen, und es folgten 200
Wochen und Monate, in denen sie bei jedem Erkundungsflug etwa zehn Gallonen Benzin an drei weit vorgeschobenen Plätzen deponierten, die sie wie trigonometrische Punkte kennzeichneten und ›Hilfsdepot Süd‹, ›Mitte‹ und ›Nord‹ nannten. Es war eine mühsame Arbeit, die sie in aller Stille leisteten, und am 9. April waren sie endlich so weit, daß sie zum erstenmal in der Wüste übernachten konnten. Die Flüge aber, die sie an den beiden darauffolgenden Tagen unternahmen, brachten kein Ergebnis, und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als nach Alice Springs zurückzukehren. Am 16. April flogen sie erneut los: nunmehr zum ›Hilfsdepot Mitte‹, von wo aus sie am 17. April, 125 Tage nach dem Start der Fokker, zu ihrem 89. Suchflug starteten, der jedoch nicht lange dauern sollte. Denn sie waren noch keine halbe Stunde geflogen, da beugte sich der in der offenen Maschine hinter dem Piloten sitzende Monteur plötzlich vor und schrie erregt: »Backbord! Ich glaube ...« der Fahrtwind zerriß seine weiteren Worte. Leutnant Shower blickte nach links und sah in einer Entfernung von knapp zwei Meilen einen dunklen Punkt, den er augenblicklich ansteuerte. Und eine Minute später wußten sie, daß sie das vermißte Flugzeug gefunden hatten. Wie aber sah es aus! Nur das Metallgerippe war noch vorhanden. »Ausgebrannt!« rief der Polizeioffizier über die Schulter zurück, als er die Maschine umflog. Howard starrte entgeistert in die Tiefe. Ihm war es, als sei ihm die Kehle zugeschnürt. Leutnant Shower drosselte den Motor und zog einige Kreise, um eine günstige Landestelle zu finden. Er entdeckte sie, setzte aber erst zur Landung an, nachdem er das ihm geeignet erscheinende Gelände zweimal langsam überflogen und sich 201
vergewissert hatte, daß sich keine Vertiefungen oder Rillen in ihm befanden, die ihnen zum Verhängnis werden konnten. Die Landung gelang, und bald darauf standen sie erschüttert vor einem Grabhügel, auf dem eine Armbanduhr lag. »Es muß Barlow sein«, sagte Howard mit erstickter Stimme und streifte sich die Haube vom Kopf. Der Polizeioffizier tat das gleiche und fragte nach einer Weile: »Ist das seine Uhr?« Der Monteur nickte. Leutnant Shower zog ihn in den Schatten des Vorderbaues der Fokker. »Wir können uns in der Hitze nicht lange aufhalten und müssen schnell überlegen, was wir nun tun sollen. Hier stimmt nämlich etwas nicht.« Howard schaute betreten auf. »Was wollen Sie damit sagen?« »Sehen Sie sich mal das Flugzeug an. Es hat nicht gebrannt, wie ich vermutete!« Der Monteur betrachtete das Gerippe der Fokker. »Damned, Sie haben recht! Alles ist blank und ohne Ruß!« »Eben! Es muß also etwas anderes gewesen sein!« Howard wurde bleich. »Sie meinen Termiten?« Der Polizeioffizier legte ihm die Hand auf die Schulter. »Gibt es eine andere Erklärung? Aber wenn es Termiten waren, dann muß einer der beiden Vermißten hinterher noch einmal hiergewesen sein!« »Wie kommen Sie darauf?« »Schauen Sie sich die Uhr auf dem Grabhügel an. Das noch vorhandene Lederarmband ist weit und breit der einzige nichtmetallische Gegenstand. Die Uhr muß also zu einem späteren Zeitpunkt dorthin gelegt worden sein!« Die Augen des Monteurs flackerten. »Mein Gott, das würde 202
ja bedeuten ...« »Daß Barlow sie dorthin gelegt hat!« unterbrach ihn der Leutnant und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es ist also nicht Barlows, sondern Durbans Grab, und es erhebt sich die Frage: wo ist Barlow geblieben?« Howard umklammerte die Arme des Offiziers. »Glauben Sie, daß er noch leben könnte?« Leutnant Shower schüttelte den Kopf. »Das halte ich für unmöglich.« »Aber er ist doch nicht hier!« »Wahrscheinlich hat er versucht, sich zur Telegrafenleitung durchzuschlagen.« »Moment!« sagte der Monteur und eilte zum Rumpf. »Wenn Ihre Vermutung stimmt, muß der Kompaß ausgebaut sein!« »Gut kombiniert!« rief der Leutnant hinter ihm her und blickte zur Führerkanzel empor. Dabei sah er in das Gerippe der Tragfläche und bemerkte, daß zwei Benzinbehälter etliche Löcher aufwiesen, die offensichtlich mit Gewalt hineingeschlagen waren. Howard schaute über den Rand des Cockpit und rief beinahe triumphierend: »Der Steuerkompaß ist ausgebaut! Wir müssen sofort die Strecke zur Telegrafenleitung absuchen!« Der Polizeioffizier nickte. »Vorher sollten Sie sich die Tanks aber mal ansehen. Zwei von ihnen sind merkwürdigerweise durchlöchert. Können Sie sich das erklären?« Der Monteur betrachtete die frei in der Tragfläche liegenden Behälter und schrie plötzlich: »Da oben ist ja einer ausgebaut!« »Wo?« »Da, wo die Metallschnallen herunterhängen!« »Ich wird’ verrückt!« 203
»Und ich weiß jetzt, daß Barlow irgend etwas Tolles unternommen hat! Was, das mag der liebe Himmel wissen.« »Darüber wollen wir uns lieber im Schatten unterhalten«, rief der Offizier. »Sonst bekommen wir noch einen Sonnenstich!« Howard sprang über den Rand der Führerkanzel. »Wenn ich nur wüßte, warum er den Tank ausgebaut hat!« »Die Frage werden wir nicht beantworten können«, erwiderte der Leutnant. »Bleiben wir bei den Tatsachen, nämlich erstens: einer der Verunglückten fehlt; zweitens: der Kompaß ist ausgebaut; drittens: ein Tank ist nicht mehr vorhanden. Daraus ergibt sich, daß es Fuß- und Schleifspuren geben muß, die die Richtung anzeigen, die der hier fehlende Verunglückte mit dem Tank genommen hat. Diese Richtung zu ermitteln ist unsere erste Aufgabe, die zweite, ihren Kurs zu bestimmen und loszufliegen.« Es dauerte nicht lange, da hatten sie eine verwehte Fuß- und Schleifspur gefunden, die genau nach Osten führte. Sie kehrten daher schnellstens zu ihrer glühend heiß gewordenen Maschine zurück und atmeten erleichtert auf, als ihnen der Fahrtwind wieder um die Nase wehte. Doch noch bevor sie drei Meilen geflogen waren, entdeckten sie einen dunklen, rechteckigen Gegenstand, der nur der aus der Fokker ausgebaute Tank sein konnte. Dieses Mal war es aber nicht so leicht, eine geeignete Landefläche zu finden, da der Benzinbehälter in einem Creek lag, dessen unmittelbare Umgebung dünenartige Erhebungen zeigte. Nach einigem Suchen fanden sie jedoch eine flache Stelle, auf der sie glatt landen konnten. Und bald darauf standen sie schweißtriefend am Rande des Creeks, in dem sie unzählige, in der Sonne schimmernde Steine liegen sahen. »Gold!« rief Leutnant Shower, rannte in den Creek hinein und stürzte sich auf den nächstbesten Brocken, den er in die 204
Luft warf und wieder auffing. »Gold, Gold, Gold!« schrie er wie von Sinnen. Howard ging auf ihn zu, schlug ihm den Klumpen aus der Hand und wies auf den Tank, neben dem ein Skelett lag, an dessen Kopf- und Fußende je zwei Eisenstangen im Boden steckten. Der Offizier erstarrte und streifte seine Haube ab. Der Monteur schluchzte und biß die Zähne zusammen. Leutnant Shower legte seinen Arm um ihn. »Entschuldigen Sie meine Taktlosigkeit; ich muß nicht mehr ganz normal gewesen sein.« »Hier werden bald viele den Verstand verlieren«, erwiderte der Monteur mit heiserer Stimme. »Helfen Sie mir, ihn zuzudecken.« Mit ihren Händen schaufelten sie so lange glühend heißen Sand über das Skelett, bis es nicht mehr zu sehen war. Dann band Howard die vier im Boden steckenden Eisenstäbe zu einem Kreuz zusammen, legte es auf den Grabhügel und sagte: »Ich werde dich jedes Jahr besuchen. Wie ich es fertigbringe, weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich wird es aber nicht einmal schwierig werden, da das Gold hier bestimmt eine Siedlung entstehen lassen wird.« Der Polizeioffizier nickte. »Fragt sich nur, für wie lange. Ein Run ist schnell vorbei; was bleibt, ist eine tote Stadt.« »Dann bin ich wenigstens wieder allein mit ihm«, erwiderte der Monteur. »Sie ahnen ja gar nicht, was er für ein Kerl war! Ich gehe jede Wette ein, daß er den Tank nur hierher geschleppt hat, um seine Familie zu versorgen !« »Sie meinen, er hätte ihn gefüllt?« Howard gab keine Antwort, sondern öffnete den Verschluß des Einfüllstutzens, blickte aber gleich darauf verwundert auf, da er ein dickes Papierbündel gewahrte, das zusammengerollt 205
in das Rohr geschoben war. »Das Bordbuch!« rief er und zog die Rolle hastig aus dem Einfüllstutzen. Es war tatsächlich das Bordbuch der Fokker F VII, dessen fester Einband entfernt worden war, um es zusammenrollen zu können. Und es war in ein Blatt eingewickelt, das den Vermerk trug: ›Diese Aufzeichnungen bitte ich meinem Freund George Howard zu übergeben. Den weiteren Inhalt des Tanks – es dürften etwa 200 Pfund Gold sein – vermache ich meiner Frau Pamela und meinem Sohn Billy, denen ich Briefe geschrieben habe, die sich im unteren Teil des Behälters befinden.‹ Howard war erschüttert und blätterte in den Aufzeichnungen, die der Tote ihm zugedacht hatte. Als er aber die letzte Eintragung sah, schlug er das Buch erschrocken zu. Denn als Abschluß hatte Barlow einen Totenkopf gezeichnet und darunter die Worte gesetzt: ›Das bin ich, Captain Barlow.‹*
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Die Originaleintragung lautet: ›That’s me, Captain B.‹ 206