Heißer Sommer in Alaska
Julianna Morris
Bianca 1272 - 17/ 1-01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almut k.
1...
11 downloads
768 Views
586KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Heißer Sommer in Alaska
Julianna Morris
Bianca 1272 - 17/ 1-01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almut k.
1. KAPITEL
„Ich bin spät dran!" schimpfte Michael Fitzpatrick, als er mit quietschenden Keifen in seinem Dodge Dakota auf das Flugfeld von Kachelak fuhr. In der Ferne sah man eine kleine Cessna stehen, in deren Schatten zwei Personen standen. Mike schmunzelte. Sein Kollege, Pilot Donovan Masters, flirtete ganz offensichtlich mit seiner Gesprächspartnerin. Mike musste seine Schwester unbedingt davor warnen, dass Donovan ein notorischer Charmeur war! „Hallo, Schwesterherz!" rief er, nachdem er ausgestiegen war und auf sie zueilte. „Tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe, ich wurde aufgehalten." Erst kurz bevor er ganz herangekommen war, sah er, dass die Frau gar nicht seine Schwester, sondern kleiner war, und dass sie kastanienbraunes Haar hatte. „Hallo", begrüßte sie ihn, als er sich näherte. „Überraschung! Ich bin es, Callie." Callie Webster? Mike schüttelte den Kopf. Was machte denn die in Alaska? Er ging um den Flügel der Cessna herum. „Oh. Callie", sagte er verwirrt. Unwillkürlich schaute er auf ihr Dekollete, das von schmalen roten Stoffträgern eingerahmt war, was die üppigen Kurven besonders betonte. „Ja." Sie löste sich von dem Flugzeugflügel, an den sie sich gelehnt hatte, und begrüßte Mike mit einer Umarmung. „Schön, dich wieder zu sehen. Meine Güte, ist das lange her!" Er umarmte sie ebenfalls, ließ die Arme aber gleich wieder sinken und musterte sie kritisch. „Wieso bist du so luftig angezogen?" Dabei ging ihn das doch gar nichts an! „So warm ist es hier ja wohl nicht, oder?" „Wir haben schließlich Sommer." Callie zuckte mit den Schultern. Mike war nicht der Einzige, der auf Callies Busen starrte, Do novan tat es ebenfalls. Mike biss sich auf die Lippen. Geschäftspartner oder nicht, Donovan sollte sich in Acht nehmen! Callie und seine Schwester waren Freundinnen von klein auf, und Mike fühlte sich für sie genauso verantwortlich wie für Elaine. Er zog sein Flanellhemd aus und reichte es Callie. „Hier, sonst wirst du von Mücken zerfressen." „Danke", sagte sie und legte es sich über den Arm, „aber mich beißt nie etwas." Er sah sie mit schmalen Augen an. „Callie, bei uns gibt es mehr als fünfundzwanzig verschiedene Sorten Mücken. Zieh das verdammte Ding an." „Na, hör mal", entgegnete sie leicht empört, „das ist ja höflich, du hast noch nicht mal Guten Tag gesagt." „Guten Tag! Wieso bist du überhaupt hier?" Callie sah Donovan. „Mike und ich sind zusammen aufge wachsen", sagte sie erklärend zu ihm. „Er ist so etwas wie ein Bruder für mich. Da freut er sich nicht so, mich zu sehen." Donovan lächelte amüsiert. „Achten Sie einfach nicht darauf. Ich bin entzückt, und jeder andere bestimmt ebenfalls. Mike zählt nicht." „Sie sind wirklich lieb", sagte Callie freundlich, und ihr Grübchen war zu sehen. „Natürlich", murmelte Mike. „Lieb" hätte er seinen Partner wirklich nicht genannt, besonders wenn es um Frauen unter neunzig ging. Was Callie anbetraf ... Er schaute sie wieder an und konnte noch immer nicht fassen, was er da sah. Es war nicht nur ihre Kleidung, sondern vor allem ihre Art, so selbstbewusst und sexy! Sein Hemd hatte sie noch immer nicht angezogen. Es war schon lange her, dass er Callie Webster gesehen hatte. Und zwar war das auf einem seiner seltenen Besuche zu Hause in Washington gewesen. Wie immer an Weihnachten war die gesamte Familie zur Mitternachtsmesse gegangen. Callie hatte in einem festlichen Chorgewand Orgel gespielt, das lange Haar war zu einem Zopf gebunden - ganz die klassische Pfarrerstochter.
Nach dem Gottesdienst hatte er sie begrüßt, sie kurz umarmt - und sie sofort wieder vergessen. Schließlich war sie die Freundin seiner kleinen Schwester. Die beiden waren als Kinder ziemlich nervig gewesen, und die Tatsache, dass er mit Elaine, seitdem sie erwachsen waren, besser auskam, änderte nicht viel. „Callie", fragte Mike, der die Situation endlich wieder in den Griff bekommen wollte, „wo ist denn Elaine?" „Ach", Callie machte eine Handbewegung, „sie hatte ja angeboten, diesen Sommer für euch zu arbeiten, ist aber schrecklich beschäftigt und kann nicht einfach irgendwo aufhören und woanders weitermachen." „Ich weiß, aber ..." „Und da ich diesen Sommer keine besonderen Pläne hatte, hat sie mich gebeten, ihren Platz einzunehmen", fuhr Callie unbeirrt fort. „Ach so." Mikes Gesichtsausdruck schien sie zum Widerspruch zu reizen. „Keine Sorge, ich bin durchaus in der Lage, die Organisation eines Büros zu übernehmen." „Bestimmt", meinte er höflich, „aber Kirchenarbeit ist nicht unbedingt das Gleiche wie mit Kunden umzugehen, Transportaufträge zu übernehmen, Flugpläne zu koordinieren und Prioritäten festzulegen." „Ich betrachte es als Herausforderung." Callie warf den Kopf zurück, so dass ihre Haare durcheinander wirbelten. Ihr schulterlanges Haar bedeckte die nackten Schultern, und einige Strähnen lagen direkt auf ihrer Brust. Mike stöhnte innerlich. Dabei - was ging ihn Callie Websters Körper an? Sie war eine nette junge Frau, die sich um ihren Vater kümmerte und in der Sonntagsschule unterrichtete. So eine war sicher nicht fähig, mit harten Geschäftsleuten zu verhandeln und mit anderen Unwägbarkeiten im Flugtransportwesen umzuge hen. Außerdem war es nicht leicht, in Alaska zu leben, selbst im Sommer nicht. Vermutlich würde er sich die meiste Zeit um sie kümmern müssen! Mike versuchte, sich daran zu erinnern, was Elaine über Callies zurückgezogenes Leben in Crockett erzählt hatte. „Aber was macht denn dein Vater? Ich weiß, dass er auf deine Hilfe angewiesen ist und vermutlich allein gar nicht klarkommt, auch nicht bei der Kirchenarbeit." „Pop geht es gut. Und die Kirche hat endlich Geld genug für eine Renovierung. Bei all dem Gipsstaub und dem Baulärm werden die mich nicht mal vermissen." Außerdem habe ich gar nicht vor, wieder dorthin zurückzukehren, fügte Callie in Gedanken hinzu. Dass sie plante, in Alaska zu bleiben, durfte sie Mike jedoch auf keinen Fall sagen. Wenn er wüsste, dass sie vorhatte, sich zu verheiraten, würde er das garantiert verhindern. Auch wenn sie damit nicht die Wahr heit sagte. Sollten ihre Reize bei ihm nicht landen, würde sie schon jemand anders finden. Sie war es leid, die stille, pflichtbewusste Pfarrerstochter zu sein, die sich so verhielt, wie jeder es von ihr erwartete. Callie Webster würde von nun an jemand anders sein: kühn, geheimnisvoll, wagemutig. Eben eine Frau, die klare Vorstellungen hatte von dem, was sie wollte, und die alles unternehmen würde, um das zu erreichen! Jeder wusste, dass es in Alaska von Junggesellen nur so wimmelte. Ein idealer Platz, um sein Image zu ändern. Mike würde kaum merken, wie ihm geschah. „Ich denke, es wird ausgezeichnet klappen mit Callie", meinte Donovan freundlich. „Das kann ich mir vorstellen", murmelte Mike. „Vielen Dank", sagte Callie zu Donovan, die Mike nun igno rierte. „Wir werden sicher prima miteinander auskommen. Ich bin froh, dass Sie mich in Anchorage abgeholt haben. Mike hätte mich bestimmt am Flughafen stehen lassen." „Gern geschehen, Ma'am." „Hör mal, Callie, das funktioniert so nicht", unterbrach Mike sie. „In Kachelak
kannst du nicht bleiben. Die Hotels sind zu teuer, und Mietwohnungen gibt es nicht." Callie schaute unschuldig drein. „Aber Elaine hätte doch auch bei dir gewohnt, oder?" „Ja, schon, na ja, das war ursprünglich der Plan, aber du bist schließlich nicht Elaine." Hoffentlich vergisst du das nicht, Freundchen, dachte sie. Callie hatte nicht vor, sich wie eine kleine Schwester von ihm behandeln zu lassen. Nicht mehr jedenfalls. „Das verstehe ich nicht, ich würde doch nicht stören." „Darum geht es n..." „Sie können bei mir wohnen", bot Donovan schnell an und legte den Arm um Callies Taille. Und Callie wusste, dass Donovan ahnte, worauf sie es abgesehen hatte, nämlich auf Mr. Fitzpatrick. Genauer gesagt, auf einen Trauschein mit ihm. Er schien das gutzuheißen, was nur bedeutete, dass überzeugte Junggesellen nichts gegen eine Ehe hatten - jedenfalls bei anderen. „Ausgezeichnete Lösung." Callie lachte innerlich, denn Mike schien kurz davor zu explodieren. „Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht störe?" „Kein bisschen", versicherte Donovan, „es wird mir ein Vergnügen sein." „Das wird es nicht", fuhr Mike dazwischen. „Sie wohnt bei mir." Donovan legte den Kopf schief. „Nun sieh mal einer an! Erst wolltest du Callie nicht. Und nun willst du ihr auf einmal nicht das Gefühl geben, unwillkommen zu sein, nachdem sie den ganzen Weg gemacht hat, nur um uns zu helfen." „Es ist ja nicht so, dass ich sie nicht will", sagte Mike so ärgerlich, dass er Callie schon beinahe wieder Leid tat. „Wir brauchen sie ja dringend." Obgleich das keineswegs romantisch klang, erfüllte es Callie mit Freude. Sie hatte einige Beziehungen gehabt - aber eigentlich nur, um Mike zu vergessen. Vor langer Zeit war sie sogar mal verlobt gewesen, aber mehr aus Freundschaft und nicht aus Liebe. Und wenn Keith nicht bei einem Autounfall ums Leben gekommen wäre, hätte sie mit ihm vermutlich eine gute Ehe ge führt. Einen Moment lang dämpfte die Erinnerung Callies Freude. Sie hatte Keith wirklich gemocht, auch wenn es kein bisschen geknistert hatte. Ganz anders als bei Mike - bei dem einen und einzigen Mal, als er sie geküsst hatte. Du liebe Güte! Das war am Abend seines Schulabschlussfestes gewesen, und er war so betrunken gewesen, dass er sich vermutlich gar nicht mehr daran erinnerte! Callie verdrängte die Gedanken und wappnete sich für das Hier und Jetzt. Vamps ließen sich durch nichts ablenken, sie handelten - und bekamen, was sie wollten. „Danke für dein Angebot", sagte sie lässig, „aber ich denke, ich wohne besser bei Donovan." „Das wirst du nicht tun." Mikes Augen blitzten aufgebracht. „Ich bin für dich verantwortlich. Wo ist dein Gepäck?" „Das ist noch in der Maschine." Indem er etwas vor sich hin murmelte, holte Mike die drei Koffer, die sie mitgebracht hatte, und trug sie zu seinem Wagen. „Das ist ja nett", sagte Callie mehr zu sich. „Ich hoffe, er erinnert sich daran, dass ich zu dem Gepäck gehöre." Donovan lachte leise. „Der Arme. Er hat keine Chance, wie?" „Ich weiß gar nicht, wovon Sie sprechen, Mr. Masters." „Natürlich nicht." Sie sahen zu, wie Mike die Koffer mit mehr Schwung als nötig auf dem Rücksitz des Dakota verstaute, die Tür zuwarf, sich an den Kühler lehnte und ungeduldig mit dem Fuß klopfte. Worauf habe ich mich da nur eingelassen, dachte Callie besorgt.
Michael Fitzpatrick war kein Junge mehr. Seine Muskeln waren das Resultat von harter Arbeit. Sein Haar war zwar noch braun, aber man konnte scho n einige silbrige Strähnen darin entdecken. Eigentlich war er ihr völlig fremd. Sie waren zwar zusammen aufgewachsen, doch die Jahre, die sie sich nicht gesehen hatten, hatten viel verändert. Sie war inzwischen einunddreißig. Auch kein Kind mehr. Mike war vierunddreißig. Für ihn wurde es ebenfalls Zeit, eine Familie zu gründen. Callie wollte herausfinden, ob sie die beiden Hälften eines Ganzen sein konnten. Aber es war eine Sache, von einem Jungen zu träumen, für den man immer geschwärmt hatte, und eine andere herauszufinden, ob man auch den Mann noch liebte, der er inzwischen geworden war. Bis sie dreißig wurde, war Callie das nicht so dringend erschienen. Dann hatte sie sich allmählich vorgestellt, den Rest ihres Lebens allein zu verbringen. Ohne Kinder. Ohne Mann. Ohne Mike. Und als sich das mit der Reise nach Alaska plötzlich ergab, hatte sie die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, „Wird schon schief gehen", murmelte sie, straffte die Schultern und machte ein paar Schritte auf den Wagen zu. „Sie können immer noch bei mir wohnen", bot Donovan an. „Mit getrennten Betten?" scherzte sie. Bei Donovan Masters war sie locker, in Mikes Gegenwart dagegen ... Liebe und körperliche Anziehung machten Beziehungen eindeutig kompliziert! „Nur, wenn Sie darauf bestehen." Callie lachte und ging weiter. Als Mike sah, wie Callie mit Donovan lachte und flirtete, ballte er die Hände zu Fäusten. Es ging ihn ja nichts an, wenn sie sich die Finger verbrennen wollte, aber er musste sie trotzdem warnen, genauso wie er Elaine gewarnt hätte. „Bis heute Abend!" rief sie Donovan zu und winkte fröhlich. „Um Punkt sechs. Sie brauchen nichts Besonderes anzuzie hen, es sei denn, Sie bestehen darauf", antwortete Donovan augenzwinkernd. Mike grummelte vor sich hin. War Callie etwa mit Donovan verabredet? „Gehst du mit ihm aus? Ich dachte, du wolltest dich im Büro nützlich machen", sagte er, sobald sie den Wagen erreicht hatten. „Uns aushelfen. Unsere Büroangestellte bekommt ein Kind. Sie kann also nicht kommen." „Ja." Callie lächelte einschmeichelnd. „Ja, was?" „Ja, ich bin gekommen, um euch auszuhelfen. Aber das ist doch wohl kein Vierundzwanzigstundenjob. Neben dem Papierkram kann ich auch ein bisschen Privatleben haben, oder?" Mike seufzte. Beide wussten, dass es bei „Triple M" nicht nur Papierkram gab. Aber sie gab es ihm zurück, dass er an ihren Fähigkeiten gezweifelt hatte. Na ja, immerhin war sie bestimmt besser als nichts. Seitdem Delia nicht mehr da war, herrschte im Büro ein heilloses Durcheinander, und nun hatte Delia auch noch angedeutet, dass sie womöglich gar nicht mehr zurückkommen würde. Das brachten Schwangerschaften wohl so mit sich. Dann wollten die Frauen nur noch zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern, egal, wie verzweifelt die Männer waren, die sie da hängen ließen. Vielleicht wäre es anderswo weniger schlimm, aber an einem Ort wie Kachelak ... Das war einer der Nachteile daran, dass sie ihr Hauptquartier nicht in der Nähe größerer Städte wie Fairbanks oder Anchorage eingerichtet hatten. „Schon gut", lenkte Mike ein, während er Callie die Autotür öffnete. „Ich wollte dich nur vor Donovan warnen. Der ist überzeugter Junggeselle." „Tatsächlich?" Mike stieg auf der Fahrerseite ein. „Das ist kein Witz, Callie. Donovan ist wirklich
nett, aber sobald er glaubt, dass eine Be ziehung fester wird, ist er auf und davon." „Ah ja?" Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wer sagt dir denn, dass ich nicht als Erste gehe?" Mike, der sich gerade anschnallte, staunte. Callie hörte sich an, als hätte sie dauernd Affären! Dabei wusste er doch, dass es nicht stimmte. Das heißt, er war sich dessen ziemlich sicher. In der Kleinstadt Crockett würde man es bestimmt nicht akzeptieren, wenn die Tochter des Pfarrers dauernd neue Beziehungen hatte. Außerdem war sie gar nicht so ein Typ Frau. Und genau das sagte er ihr. „Was hast du gesagt?" fragte Callie mit blitzenden Augen. „Ich sagte, du seist nicht der Typ Frau ..." „Ich weiß, was du gesagt hast", unterbrach sie ihn. „Nur zu deiner Informatio n: Es gibt eine Menge Männer, die an mir interessiert sind. Du beleidigst mich! Bloß weil mein Vater Pfarrer ist, heißt es noch lange nicht, dass es für mich keine Romanzen gibt." „Ich sage ja nicht, dass du nicht attraktiv bist", versuchte Mike, sie zu beruhigen. Ihr Blick bewies, dass sie kein Stück besänftigt war. „Du bist ja sehr nett." „Nett? Das reicht. Ich werde bei Donovan wohnen. Niemand nennt mich nett!" Mike atmete tief durch. „Das war ein Kompliment! Und du wirst nicht bei Donovan wohnen." „Schönes Kompliment! Was würdest du dazu sagen, wenn ich dich nur als nett bezeichnete?" Die Frage saß. Es würde einen Mann ziemlich treffen, wenn er nett genannt wurde. Nett hieß so viel wie langweilig. Und wenn eine Frau einen Mann nett fand, bedeutete das eine Art Todesstoß. Ein Mann wollte lieber gefährlich sein. Oder sogar schlecht. Aber keinesfalls nett! Nie hätte er gedacht, dass eine Frau ähnlich auf so etwas reagieren würde. Schon gar nicht Callie. „Also gut, du bist nicht nett." Verflixt, das klang auch komisch. Mike konnte sich schon vorstellen, was sie auf seinen Versuch, sich zu entschuldigen, sagen würde. „Vielen Dank." Im Gegensatz zu dem, was er erwartet hatte, klang das tatsächlich erfreut. Mike rollte mit den Augen. Frauen! Da waren ihm seine Flugzeuge und der misstrauische Elch, der in der Nähe seines Hauses weidete, doch lieber. „Willst du mir nicht erst mal das Büro zeigen?" schlug Callie vor, als er den Motor anstellte. „Es ist hier in der Nähe, oder?" Sie gähnte, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Mike überlegte. Sie brauchten wirklich jemanden, der im Büro sein würde. Und sei es nur, um Telefonanrufe entgegenzunehmen. Aber Callie war morgens um halb zwei Uhr in der Frühe abgeflogen, so dass man nicht von ihr erwarten konnte, dass sie gleich mit der Arbeit anfing. Andererseits könnte er das Unausweichliche auf diese Weise noch ein bisschen hinausschieben. Seltsames Gefühl, sich vorzustellen, dass sie bei ihm wohnen würde! Das roch nach Katastrophe. „Das Büro zeige ich dir morgen. Du brauchst sicher erst mal ein bisschen Schlaf." Vor deiner Verabredung, fügte er im Geiste hinzu. Der Gedanke störte ihn richtig! Donovan sollte sich nicht gleich an die neue Mitarbeiterin heranschmeißen! Mitarbeiterin? Ja, als solche könnte er Callie behandeln. Auch wenn sie es nicht wirklich war. Denn im Grunde tat sie ihrer Freundin Elaine einen Gefallen. Und damit wiederum tat sie ihm einen Gefallen. Irgendwie gefiel ihm das alles nicht. „Callie?" Sie öffnete die Augen. „Ja?" „Wieso habt ihr mich eigentlich nicht angerufen und mir mitgeteilt, dass du statt Elaine kommst?"
„Das hat sich erst in letzter Minute entschieden. Außerdem", sie lächelte schläfrig, „dachten wir, dass du dich aufregen und Nein sagen würdest." „Natürlich hätte ich Nein gesagt", grummelte Mike vor sich hin. Den Braten, dass Elaine versuchte, ihn mit Callie zusammenzubringen, hätte er gleich gerochen. Allein der Gedanke! Er wollte nicht heiraten! Schließlich war er die meiste Zeit nicht zu Hause, flog Warenladungen oder Touristen im Land herum und hatte ein schönes, freies Leben. Genau das, was er wollte. Keine Ehefrau, die herumquengelte, wieso er nicht zu Hause war, wenn es einen Rohrbruch gab oder die Kinder Masern bekamen. Mike stellte den Motor ab. „Callie, ich habe das komische Gefühl, Elaine will uns miteinander verkuppeln." Callie lächelte. „Natürlich versucht sie das, aber mach dir deswegen keine Sorgen. Ich werde dir aus dem Weg gehen und du mir." „Dann willst du also nicht ..." Mike wusste nicht, wie er die Frage formulieren sollte. „Schon möglich, dass ich mir einen Ehemann suchen will", sagte sie nachdenklich, „aber du brauchst keine Angst zu haben." Sie gähnte wieder und kuschelte sich in den Sitz, wobei Mike an jeden Zentimeter nackter Haut von ihr erinnert wurde. „Elaine kann Pläne schmieden, wie sie will, das heißt ja nicht, dass wir da mitmachen müssen. Wir beide? Nein, der Gedanke ist wirklich absurd." Mike zog die Brauen zusammen. Alles, was Callie da sagte, hätte ihn beruhigen können. Das tat es aber nicht. „Wieso absurd?" Callie lachte leise und zog die Beine an. „Ich weiß nicht, du bist viel zu groß für mich, das sieht doch lächerlich aus. Außerdem kennen wir uns schon ewig. Da knistert nichts mehr." Ihr Lächeln irritierte ihn. Wie konnte sie so etwas sagen? Sie hatten sich in den letzten Jahren ja kaum gesehen! Es hatte ja gar keine Gelegenheit zum Knistern gegeben! Nicht dass er daran interessiert war. Er war einfach neugierig, theoretisch. Neugierig, wie Männer nun mal waren. Keiner mochte von einer Frau abgelehnt werden, egal von welcher! Callie schüttelte sich und setzte sich auf. „Nun da das geregelt ist, frage ich mich ... Es hörte sich vorhin so an, als würde ich überhaupt keine Freizeit haben. Aber das ist doch kein Siebentagejob, oder?" „Äh, nein. Wenn es keinen Notfall gibt, hast du die normalen Bürostunden, eine Fünftagewoche und zwei Tage frei." „Ah, gut. Ich möchte mir nämlich auch die Gegend etwas ansehen, vielleicht sogar auf einen Eisberg klettern. Ich habe gehört, dass hier in der Gegend viele Ausflüge gemacht werden. Meinst du, ich könnte Grizzlybären sehen? Ich würde auch liebend gern mal einen Eisbären in freier Natur sehen, aber die gibt es vermutlich nur direkt in Polnähe, oder?" Auf einmal wurde Mike wieder nervös. Wieso war seine Schwester bloß nicht gekommen? Die interessierte sich nicht für Bären und war oft genug in Alaska gewesen, um Besichtigungstouren nicht mehr allzu wichtig zu finden. „Du solltest auf keinen Fall allein herumlaufen", warnte er. „Das ist gefährlich." „Das habe ich auch nicht vor." Mike seufzte. „Ich habe für so etwas keine Zeit, Callie." „Kein Problem. An dich habe ich auch gar nicht gedacht." Das klingt richtig abweisend, dachte Mike fast beleidigt. Er startete den Motor und schaute kurz zu ihr hinüber. Obgleich sie sichtlich müde war, blickte sie interessiert in die Landschaft, als er auf eine kiesbestreute Straße in Richtung Stadt einbog. Er räusperte sich. Was sollte es, das war doch schließlich immer noch die gute alte
Callie, auch wenn sie im Moment wie eine Strandschönheit aus Kalifornien aussah. „Wir haben hier keine Wanderclubs, Callie, und die offiziellen Touren sind ziemlich teuer." „Die brauche ich auch nicht." Sie lächelte milde. „Donovan nimmt mich mit in den Kenai-Wildpark, und ..." „Heute Abend?" unterbrach Mike sie und bremste scharf. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder? Wir haben hier länger Ta geslicht als anderswo, aber das ist ziemlich weit, und so spät solltet ihr nicht mehr dorthin fahren." „Natürlich nicht", entgegnete Callie geduldig. „Wir machen das an dem ersten Tag, an dem wir beide Zeit haben. Heute Abend gehen wir nur essen." Mike schimpfte leise etwas vor sich hin. Besorgt legte sie ihm eine Hand auf den Arm. „Ist dir nicht gut?" „Doch, doch." „Na, prima. Übrigens sagte Travis Black, dass er gern wandert und mich überallhin begleiten würde. Aber vielleicht hat er das nur aus Höflichkeit gesagt." Noch jemand! dachte Mike säuerlich. Allerdings war Travis immerhin ein erfahrener Führer. „Woher kennst du denn den?" „Nur per Funk. Er bat Donovan, mich zu beschreiben, und als Donovan dann sagte, ich hätte Hasenzähne und sei faltig wie ein Walross, bot Travis sofort seine Dienste an. Ich glaube allerdings, dass er das mit den Zähnen nicht recht geglaubt hat." Das hätte ich auch nicht getan, ging es Mike durch den Kopf. Donovan verteidigte nur seine Beute. Ein Blick auf Callies luftiges Oberteil, und man konnte einen völlig falschen Eindruck von ihr bekommen! Mike hatte natürlich keinen Einfluss auf das Privatleben seiner Kollegen, aber was Travis betraf, so würde er, Michael Fitzpatrick höchstpersönlich, dafür sorgen, dass der nicht zur selben Zeit frei hatte wie Callie! Noch war Travis nämlich nicht sein Partner. „Ross McCoy hat mir angeboten, mich über die Prince-William-Bucht zu fliegen, so dass wir auf den Worthington-Eisberg klettern können. Das wird vermutlich ein Zweitagetrip werden", überlegte Callie laut. „Er sagte, er kennt einen hübschen Platz, so dass wir in Valdez übernachten können." „Ach, tatsächlich?" Mike hatte das Gefühl, sein Kragen wäre zu eng, dabei trug er nur ein T-Shirt. „Wann hast du denn mit Ross gesprochen? Auch über Funk?" Ross war sein anderer Geschäftspartner. Ein prima Typ, aber nichts für ein Heimchen wie Callie. Außerdem hatte der seit seiner Scheidung mit Frauen nichts mehr am Hut und war bestimmt nicht daran interessiert, wieder zu heiraten. Callie biss sich auf die Lippen, um nicht zu lachen. Der arme Mike, er wirkte alles andere als glücklich. „Ich habe Ross in Anchorage getroffen, als er gerade eine Ladung Frischgemüse für Nome in Empfang nahm. Ich mag ihn. Er ist wirklich charmant." „Ist mir noch gar nicht aufgefallen." „Das liegt daran, dass du keine Frau bist. Er meinte, ich könnte bei einem seiner Trips zum Polarkreis mitkommen, und wir würden vielleicht sogar auf einer Eisscholle landen, so dass ich Fotos von Eisbären machen kann." „Na, großartig, dann ist ja schon alles geregelt", bemerkte Mike missmutig, und Callie verkniff sich erneut ein Lächeln. „Ja, es wird sicher wunderbar. Zumindest Donovan, Ross und Travis scheinen sich darüber zu freuen, dass ich hier bin - ganz im Gegensatz zu dir." „Die versprechen sich davon eben so einiges. Und auch, dass ich nichts dagegen unternehme, da du ja nicht meine Schwester bist." Callie, der durchaus bewusst war, dass Mike sie beobachtete, streckte sich genüsslich. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich richtig fraulich und sexy. „Du machst dir zu viele Sorgen. Die bekommen nichts, was ich nicht bereit bin,
ihnen zu geben." „Ach, und was wäre das?" Callie überlegte einen Moment. „Genug, Mike, genug." „Ich verstehe." Seinem verbissenen Gesicht nach zu schließen schien ihm ihre Antwort nicht zu gefallen. Was ihr wiederum umso besser gefiel.
2. KAPITEL Genug? Was meinte sie wohl damit? Wenn Mike an Callies verführerisches Lächeln dachte, fürchtete er zu wissen, was sie damit meinte. Sie war nicht gekommen, um ihn sich als Ehemann zu schnappen, sondern, um ihre Flügel auszubreiten! Verständlich! Bislang war ihm nie so richtig aufgefallen, dass Callie ausgesprochen attraktiv war. Gut dreißig Jahre in Crockett als „die Tochter des Pfarrers" zu leben war bestimmt frustrierend genug. Na schön, das hieß also, dass er den Sommer damit verbringen würde, Callie vor Dingen zu bewahren, von denen er wusste, dass sie sie später bereuen würde. Er müsste sie beschützen. Das war schon in Crockett so gewesen. Selbst die forschesten Jungs hatten sich in der Nähe der Tochter von Pastor Webster immer vorgesehen, nicht allzu vorlaut zu sein. Dabei hatte Callie nie als „heilig" gelten wollen! Mike müsste grinsen, wenn er an damals dachte. Ihm war es genauso gegangen. In ihrer Gege nwart hatte er ebenfalls seine Sprache gemäßigt und aufgepasst, dass niemand ihr zu nahe trat, womit sie in die Kategorie der kleinen Schwester rutschte, die man zwar beschützte, aber das nicht unbedingt begeistert. Er könnte Elaine dafür erwürgen, dass sie ihm das jetzt antat! Kaum war er zu Hause gewesen, hatte er sie angerufen und sie zur Rede gestellt. Sie hatte jedoch nur unschuldig gesagt: „Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst, Callie tut uns beiden einen Gefallen. Gleichzeitig gibt ihr das die Möglichkeit, Alaska kennen zu lernen." Einen Gefallen? Seine kleine Schwester versuchte, ihn zu verkuppeln, und das missfiel Mike. Für Callie war es natürlich ganz schön, mal aus Crockett herauszukommen. Vermutlich hatte sie sonst wenig Gelegenheit zu reisen. Seufzend fuhr Mike mit der Arbeit fort. Bevor er losgefahren war, um Elaine abzuholen, war er gerade noch dabei gewesen, den Feuerholzvorrat für den nächsten Winter zu hacken. Stattdessen war Callie gekommen. Er wäre selbst nach Anchorage geflogen, aber Donovan kam von einer Tour nach Fairbanks zurück, da bot es sich an, dass er sie abholte. Nun wünschte er, er hätte es getan, dann hätte er Callie gleich zurückschicken und in eine Maschine nach Seattle setzen können. Stattdessen war sie nun hier und machte gerade Siesta in seinem Haus. Mike stellte ein Holzstück auf den Hackblock und hob die Axt. Um in Alaska durch den Winter zu kommen, brauchte man eine Menge Feuerholz, obgleich es hier in Kachelak nicht ganz so kalt war wie weiter nördlich. Rums! Das Stück zerbarst in zwei Teile, von denen das eine immer noch zu groß für den Kamin war. Er stellte es wieder in Position. Wenn seine anderen Probleme doch auch so einfach zu lösen wären! Callie einfach nach Seattle zurückschicken? Nein, das ging nicht. Zumal es so gut wie unmöglich war, eine andere Bürokraft zu finden. Kachelak war ein schöner Ort, aber es gab nicht viele Einwohner, und die hatten schon selbst genug zu tun. In so kalten Regionen blühte der Individualismus. Mike hatte spaßeshalber vorgeschlagen, dass doch einer seiner Partner sich mit ihr verheiraten und damit das Problem lösen könnte. Die hatten das aber nicht lustig gefunden, da sie von der Ehe genauso wenig hielten wie er selbst. Er ließ die Axt aufs Holz krachen. Rumms! Das Holz zerbrach sauber in zwei Teile. Mike warf die Stücke auf einen Haufen und legte ein weiteres auf den Block. Er machte erst eine kleine Kerbe und tat dann den ersten Schlag. Die körperliche Anstrengung des Holzhackens half ihm meis tens, die Gedanken zu sammeln. Heute Nachmittag nützte es wenig. Callie Webster im engen Oberteil. Nicht gerade toll, so etwas im Haus zu haben! Eine Schwester war etwas völlig anderes als eine Frau, die nicht mit einem
verwandt war. Nun müsste er aufpassen, was er sagte, die Klobrille runterklappen und morgens freundlich sein. Mike war ein Morgenmuffel. Lieber flog er durch einen Eissturm, als dass er mit jemandem vor zehn Uhr morgens sprach. Andererseits machte Callie vielleicht guten Kaffee. Sie gehörte zu dieser unbegreiflichen Sorte Mensch, die schon bei Dämmerung wach wurden und es wunderbar fanden. Und Elaine hatte gesagt, sie sei eine gute Köchin und eine ihrer Spezialitäten seien Pfannkuchen mit Karamellsoße und Pekannüssen. Das hörte sich äußerst lecker an. Abends würden sie sicher noch besser schmecken als zum Frühstück. Vielleicht war es doch nicht so schrecklich, Callie im Haus zu haben. In letzter Zeit nervte es ihn mehr und mehr zu kochen. Callie trat von ihrem Zimmer aus in den Garten und atmete tief durch. Die Luft war frisch, es roch nach Meer und Temlock-Tannen. Kurz nachdem sie angekommen waren, war Mike nach draußen gegangen und hatte etwas davon gemurmelt, dass sie ja einen Nachmittagsschlaf machen könnte. Vom Küchenfenster aus hatte sie gesehen, wie er Holz hackte. Gut sah das aus, so kraftvoll und männlich ... Die Muskeln bewegten sich, seine Haut glänzte verschwitzt. Sie hörte noch immer die dumpfen Schläge, wenn die Axt niedersauste. Callie seufzte unwillkürlich. Sehnsuchtsvoll. Nicht daran denken, ermahnte sie sich. So ein Unsinn. Als könnte sie an etwas anderes denken! Eigentlich sollte sie schlafen, aber ihre Gedanken waren viel zu aufgewühlt. Und ihr Körper ebenfalls. Sie erschauerte. Bei Mike war das immer so. Er weckte die merkwürdigsten Gefühle in ihr, brachte sie durcheinander. Immer schon hatte sie andere Männer mit ihm verglichen, aber die waren dabei eher schlecht weggekommen. „Mach doch deine Augen auf, Michael Fitzpatrick", flüsterte sie, „du bist nie mehr richtig zurückgekommen, also bin ich zu dir gekommen." Endlich. Endlich hatte sich alles perfekt zusammengefügt: die Absicht, das Motiv und die Gelegenheit. Und eine Prise Mut, denn Callie war mit der traditionellen Vorstellung aufgewachsen, dass eine Frau keinen Mann eroberte, sondern bescheiden darauf wartete, bis er sie bemerkte. Die Blying-Bucht, an der das Haus hoch oben über dem Wasser stand, ziemlich weit von der Stadt entfernt, lag schimmernd da. Es war ein wunderschöner Platz, das Haus alt und solide gebaut, mit mindestens fünf Zimmern. Perfekt geeignet für eine Familie. Lächelnd lehnte Callie sich ans Geländer. Die kühle Luft streifte ihre Arme sowie den nackten Bauch und ließ sie daran denken; wie Mike auf ihre provokative Kleidung reagiert hatte. „Das geschieht ihm recht", murmelte sie. Es wurde Zeit, dass er sie endlich als Frau sah - auch wenn das enge Oberteil vielleicht ein bisschen übertrieben war. Sie war selbst fast erschrocken, als sie es gekauft hatte. Es war kaum größer als ein Bikini-Top. Eigentlich hatte sie erwartet, dass sie, sobald sie damit in die Öffentlichkeit trat, schamvoll erröten würde. Aber darin hatte sie sich geirrt. Das plötzliche Interesse der Männer war die verlegenen Momente durchaus wert gewesen! Nicht dass sie sich nun immer so kleiden würde, aber ab und zu vielleicht. Warum nicht? Es hatte lange gedauert, bis sie diesen Punkt erreicht hatte. Jahrelang war sie das nette Mädchen von nebenan gewesen, das Schuldgefühle hatte, weil es Keith nicht so liebte, wie er es verdient hatte. Dann geriet sie in die Rolle der trauernden Beinahe-Witwe und kehrte nach Hause zurück, um sich um ihren Vater zu
kümmern, weil sie sonst kein richtiges Lebensziel hatte. Ihr Kummer war echt gewesen, aber nicht so tief, wie Familie und Freunde es erwartet hatten. Callie gähnte herzhaft und ging ins Zimmer zurück, um sich das große, bequeme Bett anzuschauen. Vielleicht sollte sie wirklich versuchen, etwas zu schlafen. Schon um für ihre Verabredung mit Donovan frisch auszusehen. Mike musste ja nicht wissen, dass sie alles andere im Kopf hatte, als sich mit seinen Partnern von „Triple M Transit" zu vergnügen. Na ja, ihren Spaß würde sie bestimmt haben! Die beiden waren ausgesprochen nette Jungs. Sonst hätte Mike sie bestimmt nicht zu seinen Partnern gemacht. Aber nur er war der Grund, warum sie nach Alaska gekommen war. Und ihre Gedanken kreisten vorwiegend um das, was Elaine und sie gemeinsam geplant hatten. Was vor allem aber ihr Gefühl ihr befahl. Erst am späten Nachmittag ließ Mike die Axt im Block stecken und beschloss, dass es genug sei. Im Sommer war es in Kachelak gerade mal angenehm milde, doch von der stundenlangen Arbeit war er schweißgebadet. Er ging in die Küche, holte aus dem Kühlschrank eine Flasche Eistee und nahm einen großen Schluck. Dann steckte er seinen Kopf unter den Wasserhahn. Kalt und erfrischend. Schließlich wusch er sich den Oberkörper. „Mike?" Erschrocken fuhr er hoch, stieß sich den Kopf am Rand des Waschbeckens und fluchte leise. Du liebe Güte, beinahe hätte er seinen Gast vergessen. Im selben Augenblick stand das Bild weiblicher Kurven, die durch ein feuerrotes Top noch betont wurden, vor seinem inneren Auge. Na ja, vergessen hatte er sie wohl kaum, aber es fiel ihm noch schwer, die Erinnerung an die Callie von früher mit der Callie von jetzt in Einklang zu bringen. Ihre Kleidung hatte ihn schockiert, aber die Umarmung war ganz Callie gewesen, das Mädchen, das wohl das warmherzigste und liebevollste der gesamten Westküste war. Dama ls hatte er sie allerdings eher etwas brav gefunden und viel zu lieb. Heute sah er das anders. „Mike?" rief sie erneut. „Bist du da?" „In der Küche!" Er stellte das Wasser ab, wischte sich das Gesicht mit einem Handtuch ab und drehte sich um. Callie stand ein paar Meter von ihm entfernt im Sonnenlicht. „Meine Güte, was hast du denn an?" fragte er unfreundlich und hatte ganz vergessen, dass er sich ihr gegenüber zurückhalten wollte. „Ein Kleid." „Das ist doch kein Kleid, das ist schon wieder so ein knappes Etwas!" Er warf das Handtuch auf den Tresen. Callie strich mit der Hand über das enge schwarze Strickkleid, das die Schultern frei ließ, kniekurz war und ihre schlanken Beine in dunklen Strumpfhosen ausgezeichnet zur Geltung kommen ließ. Außerdem schien es sich - genau wie das rote Top - ohne Träger zu halten. „Du übertreibst", widersprach Callie, die sich nicht von seinem mürrischen Gesicht beeindrucken ließ, „das ist ein sehr modisches Kleid." „Zieh es aus." Callie zog die Brauen hoch. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Donovan sagte, ich brauchte mich nicht fein zu machen, aber ich möchte doch zumindest irgendetwas anhaben, wenn er mich abholt. Sonst bekommt er noch einen falschen Eindruck." „Ich ..." Zu seiner Verwunderung wurde Mike ganz verlegen. „Das meinte ich nicht. Ich wollte nur sagen, dass du dir lieber etwas anderes anziehen solltest." „Wieso?"
Was für eine dumme Frage. Sein Blick glitt über das schwarze Etwas. Das Material war so weich, dass es sich um alle Formen schmiegte und man ahnen konnte, dass Callie nichts als eine Strumpfhose darunter trug. Keinen BH, keinen Slip. Mike wurde heiß. Callie schien keine Antwort zu erwarten, sondern öffnete den Kühlschrank und schaute hinein. Mike stellte sich gleich vor, was er zu sehen bekäme, wenn sie sich noch ein wenig mehr nach vorn beugen würde. Oder was Donovan zu sehen bekäme, vielleicht sogar zu berühren! Verdammt noch mal, er drehte allmählich durch, und das war allein Callies Schuld! Das war ja, als hätte man ihm einen Sprengsatz zur Aufsicht überreicht! Wieso waren ihre Brüder nicht da, die ihre Tugend bewachten? Das war doch schließlich nicht seine Aufgabe! „Ist es dir recht, wenn ich mir etwas Milch nehme?" fragte Callie, die sich mit einer Milchtüte in der Hand wieder aufrichtete. „Natürlich, aber nur, wenn du dir etwas Anständiges anziehst." „Das hier ist anständig", entgegnete Callie kühl. „Es ist billig", schimpfte Mike. „Du engstirniger Chauvi!" rief Callie jetzt empört. „Wenn du dich mit einer Frau träfest, wäre es dir sicher recht, wenn sie so gekleidet wäre, nur bei mir nicht! Was für eine Doppelmoral! Ich lasse mir aber keine Vorschriften machen, weder von dir noch von jemand anders." Mike bereute seine scharfen Worte schon. Eigentlich war es unter seiner Würde, eine Frau wegen ihrer Kleidung zu beleidigen. Und Callie sah keineswegs billig aus, genau das war das Problem. Mit ihrem vollen braunen Haar und ihrer cremigen Haut sah sie geradezu traumhaft aus! Elegant und verführerisch zugleich, eine Kombination, bei der er ziemlich unruhig wurde. „Entschuldige", murmelte er. „Ich meinte es nicht so. Aber dein Vater..." „Ich bin einunddreißig, Mike", sagte Callie, „und kein Kind mehr. Meinem Vater würde es nicht einfallen, mir vorzuschreiben, wie ich angezogen zu sein habe." „Ja, aber ..." Callies hohe Hacken klickten auf dem Boden, als sie zu einem Hängeschrank ging, dem sie ein Glas entnahm. Sie versuchte, ruhig zu bleiben, und dachte über den Plan nach, den sie zusammen mit Elaine ausgeheckt hatte. Den Plan, sich mit Mike Fitzpatrick zu verheiraten. Im Moment wäre es ihr egal gewesen, wenn er von der Erdoberfläche verschwände und sie ihn nie wieder sehen würde! Billig! Also wirklich! Das war ein starkes Stück! Er hatte wohl ganz vergessen, dass sie noch wusste, welche Art Mädchen er damals in der High School getroffen hatte. Gut, Jungs im Teenageralter interessierten sich selten für „brave" Mädchen, und soweit sie wusste, ha tte sich sein Geschmack seitdem verbessert, aber darum ging es nicht. Selbst wenn sie splitternackt herumliefe, wäre sie damit noch längst nicht billig! Das hing schließlich von der jeweiligen Person ab. „Nur zu deiner Information", begann sie zu erzählen und goss sich dabei etwas Milch ein, „Elaine hat fast das gleiche Kleid. Ihres ist königsblau. Sie hat es vor zwei Jahren zum fünfunddreißigsten Hochzeitstag eurer Eltern getragen, und ich kann mich nicht erinnern, dass du sie damals angebrüllt hättest, sie sehe billig aus!" „Das weiß ich nicht mehr." Man sah ihm an, dass er log. „Ach, wirklich nicht?" fragte Callie. „Du fandest damals, dass sie toll aussähe. Auch mein Vater fand sie bezaubernd. Du scheinst ja schärfer zu urteilen als er." „Ich sagte schon, dass es mir Leid tut", murmelte Mike. „Du brauchst nicht darauf herumzureiten."
Aber Callie hatte durchaus die Absicht, darauf herumzureiten. Mike schien entschlossen zu sein, sie noch immer als die „Pfarrerstochter" zu sehen und nicht als Frau. Dass sie unmissverständlich fraulich gekleidet war, passte offenbar nicht in das Bild, das er von ihr hatte. Und alle anderen in Crockett genauso. Bevor er die wahre Callie sah, würde es wohl noch ein weiter Weg sein. Sie nahm einen Schluck Milch. „Ich möchte nur, dass die Dinge zwischen uns klar sind." „Was heißt das?" Mike verschränkte die Arme und schaute Callie düster an. Seine nackten Schultern waren aufregend breit, sein Oberkörper braun gebrannt. Die dunklen Brusthaare verjüngten sich bis zum Hosenb und zu einer feinen Linie. Callie wendete den Blick vorsichtshalber ab und stellte das Glas auf die Arbeitsfläche. „Du bist nicht mein Bruder, Mike, und ich brauche schon lange keinen Bewacher mehr." An seinem nervösen Blick sah man, dass sie ihn getroffen hatte. Solange er sich „brüderlich" über ihre Kleidung aufregen konnte, war er sicher. Solange musste er niemand anderes in ihr sehen als die Freundin seiner Schwester, „die Pfarrerstochter", von der man ein bestimmtes Auftreten erwartete. Verdammter Mist. Mike war nun schon seit sechzehn Jahren von Crockett weg und hatte noch immer dieselben Vorstellungen wie die neunzigjährige Witwe, die jeden Sonntag in derselben Kirchenbank saß! Das hier würde schwieriger werden, als sie gedacht hatte. Der Gedanke verunsicherte Callie. Plötzlich hörte man einen Wagen den Hügel heraufkommen. Callie holte tief Luft. „Das muss Donovan sein. Ich treffe ihn am Besten draußen." „Ah, ja.“ „Warte nicht auf mich." „Ganz bestimmt nicht", entgegnete er wütend. „Na ja, dann bis morgen." „Wann auch immer." Mike schaute Callie nach, als sie ging. Ihm war, als würde man ihm den Boden unter den Füßen wegziehen. Die Frau, die da gerade wegging, kam ihm ganz fremd vor in ihrem schwarzen Kleid, ihren hochhackigen Pumps und mit dem Duft eines teuren Parfüms. Ihre Beine konnten gar nicht so lang sein, wie sie wirkten, Callie reichte ihm ja nicht mal bis zu den Schultern. Sie hatte eine wundervolle Figur, lebhafte grüne Augen und küssenswerte Lippen. Eine Fremde. „Oh, Himmel, ich verliere", murmelte Mike. Zum ersten Mal in seinem Leben brauchte er wirklich einen Drink. Er überlegte, ob er Alkohol im Haus hatte, aber da er selten etwas trank, wusste er es nicht. In der Küche fand er nichts. Auch nicht im Kühlschrank. Nicht mal ein Bier. Wütend warf er die Tür zu. Ihm fiel ein, wie Callie sich nach vorn gebeugt und ihr Anblick ihm den Atem verschlagen hatte. Eilig trat er einen Schritt zurück. Ach ja, er hatte doch noch eine Flasche edlen Scotch, den Ross ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Eine Schande, sich mit so feinem Whisky zu betrinken, aber egal, das brauchte er jetzt einfach. Das letzte Mal, dass er betrunken gewesen war, war nach der College-Prüfung gewesen. Der allerletzten. Als die Freiheit von den Büchern winkte. Irgendwann später an dem Abend hatte er das heißeste Mädchen der Erde geküsst. Er wusste nicht mehr, wie sie hieß, wie sie aussah oder woher sie kam, aber er erinnerte sich noch deutlich an den Kuss. Deshalb hatte er sich seitdem nie wieder betrunken. Da waren zu viele Fragen
offen geblieben. Zum Beispiel, ob das Mädchen wirklich so toll war, wie er es sich ausgemalt hatte, oder ob das nur eine alkoholbedingte Fantasie gewesen war. Eine Traumfrau und ein fantastischer Kuss. Mike setzte sich im Wohnzimmer aufs Sofa und goss sich einen Whisky ein. Er würde nicht auf Callie warten, sondern einen guten Drink genießen und die schöne Aussicht über die Bucht. Für den Blick hatte er eine Menge Geld hingelegt, also hatte er das Recht, ihn so oft zu haben, wie er wollte. Callie schien übrigens von seinem Haus ziemlich beeindruckt gewesen zu sein. Er kniff die Augen zusammen. Sie hatte zwar deutlich gemacht, dass sie keinen Beschützer brauchte, aber wenn sie heulend nach Hause käme, würde er Donovan doch eine verpassen! Stunden später war Mike noch immer dabei, nicht auf sie zu warten. Die Sonne war kurz nach zweiundzwanzig Uhr untergegangen. Die Sonnenwende hatten sie noch nicht erreicht, aber es würde nicht mehr lange dauern. Mike gähnte genüsslich und merkte, dass er todmüde war. In letzter Zeit hatten sie dauernd Doppelschichten eingelegt, da sie sich gleichzeitig ums Büro, um das Management und um die Flüge kümmern mussten. „Mike, wieso sitzt du denn im Dunkeln?" fragte Callie plötzlich hinter ihm. Erschrocken fuhr er auf. Er war eingeschlafen und hatte sie nicht zurückkommen gehört. Er hob die Flasche und schaute sie an. Noch fast voll. Er hatte nur zwei Drinks genommen, dennoch war ihm der Alkohol auf leeren Magen sofort zu Kopf gestiegen. „Ich genieße nur die Aussicht, Süße." „Im Dunkeln?" Mike bewegte sich, um den Kopf wieder klar zu bekommen, aber der machte nicht mit. „Ich tue es auf meine Art, und du tust, was du willst. Das hast du doch gesagt, oder?" „Eigentlich ... habe ich gesagt, dass wir uns am Besten aus dem Weg gehen sollten." Callie knipste eine kleine Tischlampe an und seufzte. Obgleich sie nicht sehr hell war, schien ihr Licht Mike zu blenden. Dennoch bemerkte er den fröhlichen Ausdruck in ihren Augen und ihr zerzaustes Haar. Aber da sie nicht weinte, musste er Donovan nun doch nicht umbringen. Auch wenn er es gern getan hätte. Callie hatte ihn in einen seltsamen Zustand versetzt. Aber das taten Frauen schon seit Tausenden von Jahren mit Männern. Wieso sollte es jetzt anders sein. „Mach das Licht aus", befahl er. Und zu seiner Verwunderung gehorchte sie. „Du hast wohl ein bisschen getrunken, was?" fragte sie. „Nur ganz wenig. Und das ist guter Scotch, nicht irgendein Gesöff", verteidigte er sich unnötigerweise. „Ich bin nur müde." „Ah ja. Elaine sagte mir, dass du fast nie trinkst." Hatte seine Schwester ihr das einfach so erzählt, oder hatte Callie es von ihr wissen wollen? Irgendwie gefiel Mike die Vorstellung, dass Callie sich über ihn erkundigt hatte. Schließlich war sie immer eine nette Person gewesen. Nett? Nein, er zog die Stirn kraus, das würde ihr nicht gefallen. „Hattest du einen schönen Abend?" fragte er so sachlich wie möglich. „Ja, prima." Callie setzte sich auf das eine Ende des Sofas und zog die Füße unter sich. „Das Nordlicht war wunderschön. Do novan sagt, es sei zu dieser Jahreszeit eher ungewöhnlich, darum hat er mich mit ins Flugzeug genommen, damit ich es von oben besser sehen konnte. Wir haben die Fenster geöffnet, und der Wind wehte herein ... es war unglaublich." Sie lachte und schüttelte dabei die Haare. „Ich bin ganz zerzaust, aber das war es wert." Mike ging es gleich besser. Donovan hatte seine Hände also in Schach gehalten. „Ich hoffe, du hattest wenigstens eine Jacke an, da oben wird es ziemlich kalt." Er gähnte erneut, ihm fielen fast die Augen zu.
„Keine Sorge, ich kriege schon keine Lungenentzündung und falle als eure Mitarbeiterin aus." Die leichte Schärfe, die aus ihren Worten klang, zeigte, dass ihre vorherige Diskussion sie doch geärgert hatte. „Ich bin nicht beunruhigt, du hilfst ja nur aus." Callie schaute Mike wütend an. Er war benebelt und freundlich gewesen, und sie war schon beinahe bereit, ihm dieses „billig" zu verzeihen. Aber nun nannte er sie eine „Aushilfe"! Wieso sah er sie nicht als begehrenswerte Frau? Vielleicht sollte sie sich ihm an den Hals werfen, ihn besinnungslos küssen? Nein, das war zu plump und würde alles verderben. Oder aufstehen und auf ihren hohen Hacken ausrutschen? Auf ihn drauffallen und sehen, was dann passieren würde? Ja, das wäre eine Möglichkeit. Callie streckte sich. „Es ist schon spät, ich gehe besser schlafen, damit ich morgen früh anfangen kann zu arbeiten. Donovan sagte, im Büro herrsche ein schreckliches Durcheinander." „Hm, hmm." Mike hörte sich total schläfrig an, aber als Callie ihm die Hand aufs Knie legte, um sich abzustützen, riss er die Augen auf. „Oh!", lachte sie, „entschuldige, ich wusste nicht, wie tief die Couch ist." Damit ihr „Sturz" glaubhaft aussah, verdrehte Callie ihr Fußgelenk, während sie über Mike stolperte und auf ihn fiel - und stieß einen echten Schmerzensschrei aus. Das tat wirklich weh! sagte sie zu sich selbst, ich hoffe, das war es wert. Besorgt sah Mike sie an. „Alles in Ordnung?" „Oh, ja, lediglich meine Würde ist dahin." Er lachte leise. Callie wurde es heiß. Meine Güte, wie lächerlich. Kaum geriet sie in die Nähe dieses Mannes, reagierte sie körperlich auf ihn! Sie war doch keine liebeshungrige alte Jungfer! Aber genauso kam sie sich vor. Als Mike sie an der Taille packte, so dass sie direkt auf ihm lag, hielt Callie die Luft an. Dabei wollte er sie sicher nur stützen und ihr galant aufhelfen. „Oh, verdammt", murmelte sie, so dass er es aber nicht hörte. Da sie allerdings nicht gerade oft fluchte, und wenn, dann wirklich nur aus gutem Grund, wurde Callie bewusst, wie enttäuscht sie war. Als Mikes jetzt mit seinen kräftigen Händen ihr Hinterteil umrundete, fest und sanft zugleich, sagte sie lieber nichts mehr. Sie wollte gar nicht, dass sein Kopf wieder klar wurde. Schon bei dem Gedanken daran, dass er spürbar erregt war, wurde ihr ganz anders. Seine Hände drängten sich weiter nach oben. Callie hielt ganz still, besonders als er ihr Gesicht streichelte, mit den Fingern durch ihr Haar fuhr und sie an sich zog, um sie zu küssen. „Du lieber Himmel.", Callies Stöhnen verlor sich an seinen Lippen. Sie hatte das Gefühl, in der Mischung von Mike und Scotch selig zu ertrinken. Danach hatte sie sich so unendlich lange gesehnt! Selbst wenn es ihr eine ganze Zeit gelang, Mike aus ihren Gedanken zu verbannen - das war es, wovon sie so lange geträumt hatte ... Breitbeinig lag sie über Mike und fuhr mit der Zunge über seinen Mund - eine erotische Einladung dazu, den Kuss zu vertiefen, ein instinktives sehnsüchtiges Handeln. Und er reagierte darauf, indem er über ihren festen Po streichelte und mit seiner Zunge ihren Mund eroberte. Langsam forderte er sie zu einem immer erregenderen Spiel heraus. Sie waren wie Samt und Seide, gegensätzlich und doch wie füreinander gemacht. Callie zitterte nun so sehr, dass sie sich von ihm löste und ihren Kopf auf seine Brust legte. Sie konnte nicht mehr denken, nur noch fühlen und schmecken. Fühlen. Seine Arme, seinen Nacken, die Muskeln. Schmecken. Die leicht salzige Haut. Als sie mit den Fingern über seinen Oberkörper fuhr, spürte sie, wie er
erschauerte. Das war nicht ihr Bedürfnis allein, es war das gegenseitige Begehren zweier Menschen, die wunderbar zueinander passten. Plötzlich hörte sie ... es schnarchen. Wie bitte? War Mike tatsächlich eingeschlafen? Am liebsten hätte sie ihn geschlagen. Sie war von Leidenschaft erfüllt - und er schlief ein! Dieser Idiot! Wie konnte er in der Umarmung mit ihr einschla fen! Nachdem sie ihn im Geiste mit jedem Schimpfwort bedacht hatte, das ihr einfiel, glitt Callie zu Boden und blieb dort sitzen. Morgen früh würde sie froh sein, dass nichts passiert war, aber der war noch nicht da, und im Augenblick war sie einfach nur gekränkt. Unerwiderte Liebe war schlimm genug, aber unerwiderte Leidenschaft war eine körperliche Folter! Dabei geschah ihr das sicher recht, das hatte sie oft genug anderen angetan ... Nun wünschte sie sich, sie hätte mehr Verständnis für die gehabt. Mike würde sich vermutlich gar nicht an diesen KUSS erinnern. Er war schon von so vielen Frauen geküsst worden, was machte da eine mehr aus. Die Nordlichter flackerten noch und zogen rosafarbene Bä nder über den Himmel. Kein Wunder, dass Mike Alaska so liebte. Wenn sie die Gelegenheit dazu bekam, es kennen zu lernen, würde es ihr vermutlich genauso gehen. Callie nickte. Das würde sie schon schaffen. Nicht umsonst hatte sie gelernt, sich um ihre Familie zu kümmern. Diese Fähigkeit musste doch zu irgendetwas gut sein. Zum Beispiel dazu, Mike um den kleinen Finger zu wickeln. Sie seufzte tief auf. Mike würde nicht leicht zu gewinnen sein. Schon morgen war er garantiert wieder in der Defensive, und sie musste sich erneut bemühen, die zu durchbrechen. Gleichzeitig musste sie zusehen, dass sie selbst nicht allzu sehr in Mitleidenschaft geriet. Vielleicht gelang es ihr nicht, aber sie würde es Michael Fitzpatrick nicht leicht machen. Vielleicht würde er doch noch sein Herz entdecken - für das Mädchen, das er damals zurückgelassen hatte.
3. KAPITEL
Ihm tat der Nacken weh. Mike öffnete die brennenden Augen und schaute sich um. Wo war er nur? Ach ja, nicht in seinem Bett, sondern im Wohnzimmer. Aber irgendetwas war falsch. Oh, je, er war mitten im Gespräch mit Callie eingeschlafen! Da war noch irgendwas anderes, eine vage Erinnerung daran, dass Callie gestürzt und auf ihm gelandet war. Das lag garantiert an diesen idiotischen hochhackigen Pumps, die sie trug. Kein Wunder. Auch wenn die ihre Beine endlos lang wirken ließen ... Erstaunlich, was Kleidung ausmachen konnte. Mike hob den Kopf und schnüffelte. Über ihn war eine Decke gebreitet, aber es duftete nicht nach Karamell-Pekan-Pfannku-chen. Oder Kaffee, Speck oder irgendetwas anderem Leckeren aus der Küche. Na, wunderbar, da hatte er nicht nur schlecht geschlafen, sondern musste sich seinen Kaffee auch noch selbst machen. „Callie?" Stille. Er rappelte sich mühsam auf und ging in die Küche. Er brauchte eine Dusche, eine Zahnbürste und mindestens zwei Aspirin. Aber vor allem Kaffee. Für einen guten Kaffee hätte er jetzt sonst was getan. „Hallo, Callie?" Die Küche war makellos. Auf der Arbeitsfläche lag nur ein weißer Zettel, von einer leeren Flasche beschwert. Er nahm ihn auf und las: Mike, ROSS holt mich ab. Er leiht mir einen Geländewagen, so dass ich mein eigenes Transportmittel habe. Nett von ihm, nicht? Ich hoffe, es geht dir besser. Callie. Erst Donovan und nun Ross. Mike zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Mülleimer. Wenn es nach denen ging, würde er Callie gar nicht mehr zu sehen bekommen, wie? Auch Travis durfte er nicht vergessen. Das war der Kletterspezialist, der Callie überallhin folgen würde. Von drei Männern gleichzeitig begehrt zu werden musste ja ein Hoch für ihr Selbstbewusstsein sein! Aber der alte Mike Fitzpatrick, der gerade schlaff herumhing, würde schon dafür sorgen, dass keiner von denen sie einfing! Verdammte Elaine. In deren Leben würde er sich nie einmischen! Zumindest nicht so direkt. Da gab es nur diesen Schwachkopf, mit dem sie sich während der Zeit auf dem College getroffen und den er verscheucht hatte, aber das trug sie ihm doch wohl nicht mehr nach, oder? Na gut, der Bursche hatte es nun mit irgend so einem Computerkram ziemlich weit gebracht und war sieben oder acht Stellen vor dem Komma wert. Na und? Mike rieb sich das Gesicht und machte sich in der Mikrowelle einen Kaffee heiß. Ein Toast mit Erdnussbutter musste als Frühstück reichen, schließlich war er nichts anderes gewöhnt. Nachdem er geduscht und zwei Kopfschmerztabletten genommen hatte, fühlte der Morgen sich schon frischer an. Vielleicht würde er zum Flughafen fahren und Callie zum Mittagessen einladen. Aber als er auf die Uhr schaute, vertagte er das lieber bis zum Abendessen. Das wäre schon deshalb besser, weil er nicht gerade charmant gewesen war, als sie angekommen war. Vielleicht würden ein paar wohlgesetzte Worte für sie als Warnung reichen. Schließlich konnte er seinen Partnern und Angestellten doch trauen, oder? „Ich schaue mal auf den Flugplan und melde mich später wieder bei Ihnen", sagte Callie gerade ins Telefon. Dann legte sie wieder auf.
Die Arbeit war genau das Richtige für sie. Das Büro war nicht nur in Unordnung, es war ein totales Chaos. Sie blickte sich um und sah gleich, was als Nächstes drankommen musste. Sowohl ROSS als auch Donovan hatten gesagt, sie hätte freie Bahn für alles. Aber da musste fast ein Bulldozer her. Diejenige, die sich vorher um das Büro gekümmert hatte, musste eine höhere Toleranzschwelle für Unordnung haben als Callie. Eine uralte Schreibmaschine, eine Rechenmaschine, leere 01-kännchen, Maschinenteile, Auftragspapiere, Quittungen alles durcheinander. In einem Karton befand sich ein neuer Computer, darauf lagen Zeitschriften mit einschlägigen Pin- up-Fotos. Die waren inzwischen von Ross und Donovan hastig weggeräumt worden. Beide hatten dabei etwas davon gemurmelt, dass Männer in der Wildnis so etwas brauchten. Meine Güte, glaubten sie, dass Callie so etwas nicht kannte? Männer waren wirklich naiv. Hoffentlich verbreitete Mike nicht, dass sie die Tochter eines Pfarrers war! Dann wurde sie immer gleich ganz anders behandelt, so, als wolle sie ins Kloster und habe Anrecht auf einen Heiligenschein. Völliger Quatsch! Als sie draußen Mikes blauen Dodge Dakota vorfahren sah, erhellte das ihre Stimmung deutlich. Es wurde ja auch Zeit, dass er mal auftauchte, sie war schließlich schon seit sieben Uhr morgens an der Arbeit. „Guten Morgen." „Bist du es, Mike?" Callie beugte sich über den Schreibtisch und kritzelte eilig etwas auf einen Notizblock. Schließlich sollte er nicht denken, dass sie auf ihn gewartet hatte und womöglich darüber nachdachte, ob er sich an einen bestimmten heißen Kuss erinnerte. „Natürlich bin ich das. Wen hast du denn erwartet?" „Wie fühlst du dich?" Sie schaute ihn unauffällig an. „Du hast fest geschlafen, als ich heute Morgen das Haus verließ." „Geschlafen? Ich war wohl eher ohnmächtig." Mike grinste. „Ehrlich gesagt ist das nicht gerade typisch für mich. Ich hatte nur zwei Gläser, aber die sind mir wohl auf leeren Magen nicht gut bekommen." „Kann ich mir denken." Callie war gleichzeitig enttäuscht und erleichtert. Dass Mike so locker daherredete, bedeutete sicher, dass er sich nicht an den Kuss erinnerte. Er setzte sich auf einen Stapel Kartons und schaute sich um. „Das sieht hier ja schon viel besser aus! Ich bin beeindruckt." Das solltest du auch sein! dachte Callie. Sie machte sich keine Illusionen, Mike sah sie nur als Anhängsel ihres Vaters, die eher dazu geeignet war, Wohltätigkeitsveranstaltungen zu organisieren als ein Büro. Er hatte keine Ahnung, dass sie eine kleine, aber erfolgreiche Firma als Unternehmensberaterin aufgebaut hatte. Zu Elaine hatte sie gesagt: Lass es Mike auf die harte Tour he rausfinden. Sie wollte mal sehen, wie sehr er sich verheddern würde. „Ich habe gerade erst angefangen. Aber als ich hier reinkam, ist mir fast das Herz stehen geblieben. Wie kann jemand, der zu Hause ganz ordentlich ist, in seinem Büro so schlampig sein?" Unter seiner Sonnenbräune wurde Mike ein wenig rot. „Die Dinge sind einfach außer Kontrolle geraten. Ohne Delia war es ziemlich schwierig hier." „Offenbar." Callie nahm ein Lineal und benutzte es, um irgendetwas schwarzes Fettiges vom Schreibtisch zu kratzen. „Das hier sieht nach mehr als einem Monat Vernachlässigung aus. Es wird lange dauern, alles in Ordnung zu bringen. Ich hoffe, mir gelingt es überhaupt." Mike nahm das, was Callie abgekratzt hatte, entgegen und beförderte es in den Papierkorb. „Delia nahm es nicht so genau." „Delia muss jawohl ein Engel sein. Ich bin es jedenfalls nicht. Ehrlich gesagt, ich
glaube, sie wurde schwanger, um aus diesem Schlamassel hier herauszukommen." Callie hatte gleich zu Anfang begonnen, überflüssige, verschmutzte und kaputte Gegenstände einfach aus dem Fenster zu werfen. Ross, der sich im Hangar nebenan um das Triebwerk eines Flugzeugs kümmerte, kam gelegentlich vorbei, um die ausrangierten Sachen einzusammeln. Nun räumte sie weiter auf. Mike runzelte die Stirn. „Was ist?" „Du humpelst ja." „Stimmt." Callie zog ein Gesicht. Ihr Fußgelenk war zwar nicht wirklich verletzt, aber es erinnerte sie daran, dass sie vorm Handeln besser nachgedacht hätte. „Ich ... ich bin gestern Abend gestolpert." „Ja, ich erinnere mich vage." Na großartig! Fiel ihm vielleicht auch „vage" ein, dass sie sich geküsst hatten? Allmählich wurde es richtig demütigend! Ein echter Schlag für ihr Selbstbewusstsein. Und das nach nur einem Tag in Alaska! „So etwas passiert eben", bemerkte sie leise. „Ich sollte mir das mal ansehe n", meinte Mike und schob Callie zum Schreibtisch. „Mit so etwas kann man gar nicht vorsichtig genug sein." „Mir geht es gut." Das stimmte allerdings nicht, denn schon bei seiner Berührung wurde ihr ganz anders. Was war mit ihrem Vorsatz, sich von ihm nicht beeindrucken zu lassen? „Ich bin schließlich für dein Wohlergehen verantwortlich." Das klingt eher wie ein besorgter Großonkel, dachte Callie missmutig. Aber sobald sie sich auf den Schreibtischstuhl setzte und ihm den Fuß auf den Schoß setzte, fand sie das nicht mehr. Mike zog ihr die Sandale aus und drehte vorsichtig den Fuß. „Sag, wann es wehtut", sagte er. „Höher", erklärte sie. Aus jüngster Erfahrung wusste sie, dass kalte Duschen überschätzt wurden. Ihre hatte zumindest kein bisschen geholfen. Mist! Warum hatte Mike in den vergangenen zwölf Jahren keinen Bierbauch angesetzt oder unsympathische Angewohnheiten entwickelt! Aber nein ... Trotz seines offensichtlichen Katers war er rasiert und trug ein sauberes Hemd. An seinem Bauch schien kein Gramm Fett zu sein. Dabei war es nicht mal sein Äußeres, das Callie so durcheinander brachte, sondern vor allem sein charmantes, freches Lächeln sowie das Blitzen seiner Augen. Das hatte sich auch nicht verändert! „Callie?" „Es geht schon", behauptete sie. „Außerdem bist du ja kein Arzt." „Nein, aber ich habe einen Erste-Hilfe-Kursus mitgemacht. Verstauchte Fußgelenke sind kein Problem für mich, ich habe sogar schon Babys auf die Welt geholfen." „Was?" staunte Callie, Michael Fitzpatrick, der Mann, der sich immer so über den Fernseharzt Marcus Welby lustig gemacht hatte? Von der Entwicklung hatte Elaine ihr gar nichts erzählt! „In meinem Beruf ist es sinnvoll, so eine Schulung zu machen." „Ich kann es kaum glauben." Als Callie sich vorbeugte, blieb Mikes Blick unwillkürlich an dem Ausschnitt ihres blassgelben Sommerkleides hängen, das wunderbar zu ihrem rötlichen Haar passte. Zögernd wandte er seine Aufmerksamkeit wieder auf Callies Fußgelenk. „Was kannst du kaum glauben?" „Mike, als eure Katze damals Junge bekam, ist dir schlecht ge worden. Wie kommt es denn, dass sich deine Haltung so grundsätzliche geändert hat?" Dass Callie sich ausgerechnet an einen so peinlichen Zwischenfall aus seiner Kindheit erinnern musste ... Mike hoffte, dass sie es nicht bei seinen Kollegen verbreitete, die würden ihn damit sofort aufziehen.
Sanft massierte er Callies Fußgelenk. „Damals war ich ein Teenager", gab er zu bedenken. „Die meisten Orte hier sind nur per Flugzeug zu erreichen. Und selbst wenn ein Arzt erreichbar ist, ein bisschen Übung kann nicht schaden. Donovan und Ross haben beide auch einen Erste-Hilfe-Kurs besucht." „Ah so." Aus Jungen werden Männer, dachte Callie. Sie übernehmen Verantwortung und verändern sich. Mike war wirklich nicht mehr der, der sie damals als Neunzehnjährige geküsst hatte. Vielleicht hatte sich sein Horizont inzwischen so erweitert, dass sie ihm womöglich nicht genug bieten konnte? In ihrem Herzen war sie noch immer die Pfarrerstochter, die höchstens fünfzig Meilen entfernt von zu Hause gelebt hatte. Würde Mike sie je wirklich brauchen? Abgesehen von dem Chaos in seinem Büro wirkte er ausgesprochen unabhängig. Und das Büro der „Triple M" könnte jeder in Ordnung bringen, das musste nicht Callie Webster sein. Nein, so durfte sie nicht denken. Sie schloss einen Moment die Augen, um nachzudenken. Mike war der Einzige, der sie je beeindruckt hatte. Für eine Pfarrerstochter bedeutete es viel, sich um die Öffentlichkeitsarbeit zu kümmern. Das erforderte Selbstvertrauen, Organisationstalent, Gelassenheit, Abwaschgeschick ... ja, bei den Kirchenfesten gab es eine Menge Geschirr! All das hatte sie immer mit Bravour ge meistert. Doch Mike verunsicherte sie ziemlich. Vielleicht mochte sie ihn deshalb so sehr? „An deinem Fußgelenk ist eine Schwellung zu spüren, aber es scheint nicht schlimm zu sein." „Habe ich dir doch gesagt." Beim nächsten Mal würde sie sich ihm einfach an den Hals werfen und sich nicht mehr mit irgendwelchen Tricks aufhalten, die ihr nur ein schmerzendes Fußgelenk einbrachten. Aber erst mal musste sie abwarten. Mike tätschelte ihr lächelnd das Knie. „Vielleicht solltest du gegen die Schwellung etwas nehmen." Sein Lächeln ließ Callie auf Rache sinnen. Sie beugte sich vor, um eine Akte aus der mittleren Schreibtischschublade zu nehmen. Dabei streifte sie scheinbar unabsichtlich mit dem Knie eine sehr persönliche Stelle in Mikes Schoß. Ein Punkt für sie. Kleine Revanche dafür, dass er sie wie ein pausbäckiges kleines Mädchen behandelte. „Gut, dass du hier bist", sagte sie und tat so, als hätte sie sein Zusammenzucken nicht bemerkt. „Ich hätte noch ein paar Fragen hinsichtlich der Firma." „Gern." Mike drückte Callie auf den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, und wich ihr aus, als hätte er sich verbrannt. Dabei fiel er beinahe über einen Stapel Kisten und musste sich an einer Tischkante festhalten. Callie biss sich auf die Unterlippe, um sich das Lachen zu verkneifen. „Was möchtest du wissen?" fragte er, sobald er den Stapel wieder gerichtet hatte. „Ich bin noch nicht sehr weit gekommen, aber ich habe eine Menge einzeln herumfliegender Lieferscheine und Ähnliches ge funden, die nirgendwo hinzugehören scheinen." „Hm, hm." „So wie den hier zum Beispiel." Callie hielt ein schmuddeliges Blatt Papier hoch. Mike nickte, hatte aber offensichtlich keine Absicht, näher zu kommen, um es zu lesen. „Das ist ein Auftrag für drei Kartons Frühstücksfleisch, aber die ,Triple M' schrieb nur eine Rechnung für zwei aus." „Ach so, das. Frühstücksfleisch ist das Einzige, das der alte Austin aß, also haben wir ihm immer einen Karton extra mitgebracht. Er hat uns einen Kredit gegeben, als wir die Firma gründeten, darum versuchten wir öfter, ihm einen Gefallen zu tun."
„Und was ist mit Obst und Gemüse?" wollte Callie wissen. Mike grinste. „Die hat er nicht angerührt." „Und nun ist er tot." „Ja. Aber er wurde von einem Eisbären gefressen." Der Schalk blitzte aus seinen Augen. „Willst du sonst noch etwas wissen?" „Hm." Callie durchblätterte das Magazin, das sie in einen Ordner gesteckt hatte. Es war Zeit für noch ein bisschen mehr Rache. „Sag mal, habt ihr Delias Adresse? Sie hat Lesestoff dagelassen, den sie vermutlich wiederhaben möchte." „Ja, die ist hier irgendwo. Ich wusste gar nicht, dass Delia gern liest. Was ist es denn?" „Och, nur ein ,Playgirl’-Heft." Callie hielt das zerlesene Exemplar hoch und ließ das ausklappbare Großfoto herausfallen. „Also, Callie!" Sie machte ein ganz unschuldiges Gesicht. „Ja?" „Das ist doch nicht... Also wirklich!" Hinter der Tür hörte man ein Stöhnen. Ross McCoy, vermutete Callie. Er hatte wohl hereinkommen wollen, sich dann aber eines Besseren besonnen, als er das Gesprächsthema mitbekam. Kluger Junge, dachte Callie anerkennend. Aufmerksam betrachtete sie das nackte männliche Modell und zuckte mit den Achseln. „Nicht übel. Aber ich mag lieber Männer mit kürzerem Haar. Wobei seine anderen Attribute natürlich einiges wettmachen. Den hier finde ich allerdings viel attraktiver." Sie blätterte in dem Heft zu einem anderen Foto und wedelte damit in der Luft herum. Einen Moment lang glaubte sie, zu weit gegangen zu sein. Sie wollte Mikes Aufmerksamkeit erwecken, nicht allerdings riskie ren, dass er einen Herzanfall bekam. Plötzlich hörte sie unterdrücktes Gelächter, und die Tür wurde geöffnet. „Ich glaube, du verschwindest jetzt lieber, Kumpel", riet Ross seinem Partner Mike. „Manchmal ist ein strategischer Rückzug anzuraten. Und das ist wohl ein solcher Moment." Mike war erneut beim Holzhacken. Einen riesigen Stapel hatte er schon aufgeschichtet. Wenn er so weitermachte, würde das für ein Dutzend Winter reichen! Er konnte noch immer nicht fassen, dass Callie ungeniert ein nacktes männliches Modell vor ihm angesehen und kommentiert hatte, ohne rot zu werden. Seine Callie! Vielleicht waren seine Ansichten altmodisch, aber Mike konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie einen nackten Mann überhaupt schon mal gesehen hatte! Dabei musste er an das amüsierte Glitzern in ihren grünen Augen denken. Callie hatte genau gewusst, was sie bei ihm damit bewirkte! Zumindest teilweise. Mike schwang die Axt heftig, spaltete das Scheit und versenkte die Schneide zu tief im Block. „Verdammt noch mal!" schimpfte er vor sich hin, befreite die Klinge und hob die Axt erneut. Er wusste doch, wie eindeutig er auf Callies Nähe reagierte. Wieso hatte er dann darauf bestanden, ihr Fußgelenk zu untersuchen? Glücklicherweise war sie nicht richtig verletzt, in einem oder zwei Tagen würde der Fuß wieder in Ordnung sein. Als sie aus Versehen seine Weichteile gestreift hatte ... Mike stöhnte auf, während er die Axt schwang, und traf das Holzstück schief. Dabei spürte er ein Dröhnen in seinem Körper. Genug. Er ließ die Axt sinken und rieb sich das Handgelenk. Wenn er so weitermachte, würde er sich noch einen seiner Zehen abhacken! Oder einen wertvolleren Körperteil... Callie hatte ihn erneut aus der Fassung gebracht. Na und? Im vergangenen Jahr hatte er wie ein Mönch gelebt. Kein Wunder also, dass er nun
auf die leisesten Berührungen reagierte. Das hatte nichts zu bedeuten. Die wenigen allein stehenden Frauen, die es in Kachelak gab, suchten einen Ehemann, keine bloße Affäre. Ob einer klein, fett oder riesig und dünn war, egal, Hauptsache, einen Ring am Finger und viele Kinder. Babys! Du liebe Güte, dachten Frauen denn an nichts anderes als an das? „Wieso guckst du so böse drein?" Mike zuckte zusammen und blickte auf. Callie stand da, frisch und lächelnd, in ihrem gelben Sommerkleid. Mike war so in Gedanken gewesen, dass er nicht gehört hatte, wie ein Wagen den Hügel heraufgekommen war. „Trägst du denn nie eine Jacke?" fragte er. Callie zuckte mit den Achseln. „Mir wird nicht so schnell kalt. Vielleicht bin ich zu heißblütig." „Sehr lustig." „Freut mich, dass du es so siehst." „Tu ich gar nicht." „Hu, was für schlechte Laune du hast." Callie hob ihr Haar im Nacken und fuhr sich mit den Fingern durch die seidige Mähne. Mikes Blick folgte dieser aufreizenden Geste. „Tut mir Leid, ich wollte nicht so unfreundlich sein. Ich ... ich habe etwas Kopfweh", behauptete er. Völliger Unsinn, aber damit konnte er immerhin seine Verwirrung ein bisschen erklären. „Noch von gestern Abend." „Schon gut." Callie zuckte mit den nackten Schultern, auf denen nur ein Paar dünne Träger lagen. „Mach dir keine Gedanken um mich, ich habe eine hohe Toleranzschwelle für Kälte. Außerdem finde ich es hier nicht wirklich kalt. Jedenfalls im Moment noch nicht." „Warte den Winter ab." „Im Winter bin ich nicht mehr da." Sie lächelte und drehte sich zum Haus um. Als sie davonging, überdachte Mike sein merkwürdiges Verhalten. Callie war wirklich nett, er dagegen ein ziemlicher Muffkopf, seitdem sie da war. Wieso brachte sie ihn bloß so leicht auf die Palme? Was das Frauenmagazin anbetraf, war es doch nahe liegend, dass sie sich über ihn lustig machen wollte. Elaine hätte sich darüber genauso amüsiert. Mike zweifelte nicht daran, dass seine Schwester ihn als einen ziemlichen Trottel sah. Auch Callie ordnete ihn garantiert in dieselbe Kategorie wie ihre Brüder ein. Eigentlich hätte ihm das egal sein können, aber das war es nicht. Mit gerunzelter Stirn folgte Mike Callie ins Haus. Er fand sie in der Küche. „Wie war es denn im Büro?" wollte er wissen und tat so, als hätte er seine Verlegenheit überwunden. „Ganz gut. Übrigens, ist dieser Computer eigentlich für euch gedacht, oder soll er irgendwohin transportiert werden?" „Nein, das ist unserer. Aber er funktioniert nicht. Auf dem Bildschirm erscheint nichts. Und wenn mal etwas zu sehen ist, begreife ich nicht, was die kleinen Gegenstände darauf sollen." Bildschirmschutz, dachte Callie, und die „kleinen Gegenstände", die Icons, gehörten natürlich zum Programm. Mike und seine Partner hatten sichtlich den Anschluss an die moderne Welt verpasst. Wie konnten drei so intelligente Männer nur so ahnungslos sein? „Ich werde mir den mal anschauen", sagte sie ohne weitere Erklärung. Es konnte nicht schaden, wenn sie wie eine Zauberfrau wirken, das Ding in Gang bringen und eine teure Überprüfung ersparen würde. „Du weißt, wie man mit einem Computer umgeht?" fragte Mike erstaunt. „Natürlich." Callie öffnete die große Einkaufstüte, die sie mitgebracht hatte. „Ich könnte dich zum Essen einladen", schlug er unvermittelt vor.
Callie überlegte. Das war ja immerhin etwas. „Dann brauchst du nicht zu kochen. Ich weiß, du hattest einen schweren Tag, und vermutlich tut dir dein Fuß noch weh. " Sie grub ihre Fingernägel wütend in eine Banane, die sie gerade aus der Tüte holen wollte. Mike hatte sie schon wieder in die Kategorie „nettes-Mädchen-das kochen-kann" gesteckt! Das passte genau zur „netten-Pfarrerstochter-die-wie-eineSchwester- ist". Nun ja, sie konnte tatsächlich kochen, aber das würde Mike noch nicht so bald zu schmecken bekommen! „Mach dir keine Sorgen um mich", meinte Callie leichthin. „Ich werde die Küche nicht oft benutzen, solange ich hier bin." Sie ließ die zermanschte Banane fallen und nahm ein Töpfchen Joghurt aus der Tüte. „Ich brauche nur ein bisschen Platz im Kühlschrank." Enttäuschung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Natür lich. Aber ich habe nichts dagegen, wenn du die Küche benutzen möchtest." „Nein", lehnte Callie kopfschüttelnd ab. „Nett, mir das anzubieten, aber ich habe keine Absicht, dir im Weg zu sein. Ehrlich gesagt, ich ziehe es vor, Obst und Joghurt und so etwas zu essen. Kochen ist anstrengend, und ich möchte meine freie Zeit dazu nutzen, Alaska kennen zu lernen. So lange bleibe ich ja nicht." Mikes Traum von Karamell-Pekan-Pfannkuchen verflüchtigte sich. Und die Aussicht auf frisch gebrühten Kaffee ebenfalls. „Außerdem gehe ich heute Abend mit Ross essen", fügte sie hinzu. „Ach so." Nicht nur würde es keine Pfannkuchen geben, nein, er würde den Abend auch noch damit zubringen, sich Gedanken darüber zu machen, ob ROSS mehr Gentleman sein würde als Donovan! Komisch, vorher hatte er noch nie weiter über deren moralische Einstellung nachgedacht. Sie waren einfach Freunde, die sich ge genseitig respektierten. Pass auf dich auf! rieten sie sich gegenseitig, wenn es mal um Frauen und Kinder ging. „Äh, Callie", begann Mike schließlich, „Ross ist übrigens ge nauso wenig auf eine Ehe aus wie Donovan. Ich möchte nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst, solltest du dir vorstellen, dass sie ..." „Dass sie ehrenwerte Absichten haben?" Callie lächelte. „Mike, du bist so altmodisch. Ich finde es ja süß, wenn du mich beschützen willst, aber ich bin schließlich erwachsen." „Natürlich bist du das, aber du hast immer so abgeschottet ge lebt und weißt sicher nicht, wie Männer hier oben so sind." Er zö gerte. „Es ist hier ziemlich einsam." „Das ist ja gerade das Schöne", erwiderte sie fröhlich. Oh je! Der Kopfschmerz, den er erfunden hatte, entstand gerade wirklich. Jetzt wurde er offenbar für jeden Streich, jede Jugendsünde, die er je begangen hatte, bestraft. „Callie ..." Sie unterbrach ihn lachend. „Hey, mach dir keine Gedanken, Mike! Ich kenne das Leben. Und was das behütete Dasein von Pfarrerskindern angeht, so sehen die genauso viel Gutes und Schlechtes wie andere. Vielleicht sogar mehr, denn was jede Familie für Kummer haben kann, kann genauso gut einen Pastoren treffen." Daran hatte Mike noch gar nicht gedacht. Merkwürdig, seitdem Callie da war, eröffneten sich ihm lauter neue Perspektiven. Bislang war sie immer nur Teil seiner Kindheit gewesen, etwas, das er wie selbstverständlich hinnahm. Wie die Apfeltorte, die seine Mutter buk, oder den Regen im Bundesstaat Washington. Callie war das liebe Mädchen, das bei den Partys seiner Schwester herumkicherte und bei der Beerdigung seines Großvaters stundenlang in der Kirchenküche mitgeholfen hatte. Wie alt war sie da gewesen? Dreizehn? Merkwürdig, selbst in dem Alter hatten Frauen sie schon um ihre Meinung gefragt und sie wie eine Erwachsene behandelt.
War Callie eigentlich je richtig Kind gewesen? Nicht nur eins, das gelegentlich herumkicherte, sondern das sorglos in einer Welt lebte, in der spielen das Wichtigste war? Mike wusste es nicht. Wenn er richtig darüber nachdachte, wusste er überhaupt nichts von ihr. Und wenn er sie so anschaute, erschien sie ihm wie eine Fremde. „Was ist los?" fragte Callie, als sie die Einkaufstüte zusammenlegte und unter der Spüle verstaute. Sie versuchte, seinen Blick zu deuten. „Habe ich Schmieröl im Gesicht? Würde mich nicht wundern. Ich staune noch immer über den Unterschied zwischen deinem Büro und deinem Haus. Du musst irgendwie ein Doppelleben haben." „Ich dachte nur daran, dass es mich freut, dass es dir hier ge fällt." „Ja, dieses Haus ist wunderbar", schwärmte sie, „so geräumig und gemütlich, mit der schönen Veranda, den großen Fenstern und dem herrlichen Blick." Mike räusperte sich. Er versuchte noch immer, seine Gedanken zu ordnen, und ärgerte sich, dass das Erste, was ihm in den Kopf kam, war: Und im Winter braucht man hier nicht mehr mühsam zu heizen. Wie konnte Callie wissen, wie es im Winter in Alaska war? Er hatte das Haus gekauft, ohne genau zu wissen, warum. Im darauffolgenden Sommer hatte er dann mehr Geld als das, was es gekostet hatte, darauf investiert, es auszubauen und zu modernisieren. Dadurch war die Heizung zum Beispiel kein Problem mehr. „Ursprünglich war es nur als Angelhaus geplant", erklärte er. „Hier gab es früher eine Menge kleiner Hütten. Für Gäste." „Ah so. Planst du, das Haus auch euren Kunden als Gästehaus zur Verfügung zu stellen? Für eine Person ist es ja ziemlich groß." Mike hatte das Haus anfangs auch als Geldanlage gesehen. Wenn er jemals vom Transportgeschäft genug hätte, könnte er noch immer von der Vermietung an Freizeitfischer leben. Aber vom Fliegen würde er nie genug bekommen, und Gäste, die zum Fischen dablieben, gab es selbst in den besten Zeiten nicht viele. Es gefiel ihm einfach, hier zu leben. In einem solchen Haus hatte ein Mann Platz genug, sich wohl zu fühlen. „Nein, das ist nur für mich gedacht", sagte er. „Und natürlich die Grizzlybären." „Ach ja." Callie sah auf ihre Uhr. „Ich mache mich wohl besser fertig, bevor ROSS kommt. Ich möchte ihn nicht warten lassen." „Äh ... Callie?" Sie blieb stehen, aber Mike bekam auf einmal kein Wort heraus. In ihrem blassgelben Sommerkleid sah sie aus wie ein exotischer Schmetterling, der die Küche irgendwie heller wirken ließ. Und dann legte er plötzlich eine Hand sanft an ihr Gesicht. „Was ist?" fragte sie mit zitternder Stimme. Er nahm ihren leicht blumigen Duft wahr, und der weckte tief in ihm eine Erinnerung. Vielleicht hatte Callie danach gerochen, als sie am Abend vorher über ihn gestolpert war ... Mike hatte versucht zu rekonstruieren, was geschehen war, nachdem sie von ihrem Treffen mit Donovan zurückgekommen war, aber schon der, Gedanke daran, dass er einen richtigen Blackout gehabt hatte, war ihm peinlich. Er hatte allerdings immer wieder einen Traum gehabt. Einen Traum, in dem die lange verborgene Erinnerung an einen aufregenden Kuss vorgekommen war. Du meine Güte, man hätte doch denken sollen, dass ein Mann, wenn er ein gewisses Alter erreichte, damit auch eine gewisse Reife bekam. Und aufhören würde, von einem heißen Kuss, einem sanften Lachen und von Händen zu fantasieren, die seinen Körper erforscht hatten. Schließlich war eine Beziehung mehr als Sex. Und auf eine feste Bindung war er nicht aus! „Was ist, Mike?"
„Bitte, sei vorsichtig", sagte er. Ihre Haut fühlte sich unter seiner schwieligen Hand wie Seide an. „Ich möchte nicht, dass man dir wehtut." Callie senkte den Blick. Die schwarzen Wimpern bildeten dunkle Halbmonde auf dem hellen Gesicht. „Weil ich so etwas wie deine kleine Schwester bin, nicht?" Schwester? Nein, ganz und gar nicht! Mike wusste nicht recht, was er für Callie empfand, aber brüderlich war es bestimmt nicht! Seine Schwester würde ihn nie so durcheinander bringen, wie Callie es tat! „Lass uns einfach sagen, ich sorge mich um dich, einverstanden?" Callie sah ihn eine Weile an, dann lächelte sie. „Einverstanden."
4. KAPITEL Lass uns einfach sagen, ich sorge mich um dich. Callie hörte einen Augenblick auf, ihr Haar zu bürsten. Nicht gerade eine Erklärung unsterblicher Liebe, aber besser als nichts. Und genug, um zu verhindern, dass sie wieder irgendetwas aus dem Fenster warf. Sie musste weiter versuchen, Mikes Widerstand zu brechen, ihn dazu bringen, sie endlich als richtige Frau zu sehen. Aber gleichzeitig wollte sie, dass er den Wunsch verspürte, sie zu heiraten! Und Michael Fitzpatricks Ansichten über die Ehe waren eindeutig. Ihn einzufangen würde äußerst schwierig sein, denn einer wie Mike brauchte viel Freiheit. „Männer", schnaubte sie verächtlich. Irgendwie kam es ihr vor, als würden die nie wirklich erwachsen. Sie blieben immer kleine Jungs, die heimlich in die Keksdose langten und dann ganz unschuldig taten, wenn man sie dabei erwischte. Doch das gehörte auch zu ihrem Charme. Sie zuckte die Schultern. Elaine sagte immer, dass ein Mann so lange hinter einer Frau her war, bis sie ihn eingefangen hatte. Aber Callie wollte Mike lieber so lange jagen, bis er sie eingefangen hätte! Das Schwierige dabei war, ihn nicht merken zu lassen, dass sie die Jägerin war. Und zu diesem Plan brauchte sie sowohl Ross als auch Dono van. Die beiden waren amüsant, bewunderten sie und gaben ihr das Gefühl, begehrt zu werden. Sie hatten keinerlei Problem mit der Art, wie Callie gekleidet war, und machten ihr beide klar, dass sie sie gerne trösten würden, falls sie ihre Meinung in Bezug auf Mike ändern sollte. Callie legte die Bürste auf die Kommode. Wenn es mit Mike absolut nicht klappte, war es durchaus möglich, dass sie ihre Meinung änderte. Sie hatte nicht vor, ihr Leben damit zuzubringen, nur die nette Pfarrerstochter zu sein. Um Sex ging es gar nicht mal so sehr, sondern darum, ein gleichwertiger Partner zu sein, vom Ehemann ernst genommen zu werden und Anteil an seinen Problemen zu haben. Na ja, um Sex ging es natürlich auch ... Callie ging zum Schrank und nahm ihr Ausgehkleid heraus. Mike machte sich Sorgen darüber, dass ihr kalt wurde? Bei die sem würde er keinen Grund dafür haben, sowohl die Schultern als auch die Arme waren bedeckt. Callie hielt sich das weiche Jerseykleid an, das ihren Körper eng umschmeichelte und ihre Formen hervorragend zur Geltung brachte. Sie zog das gelbe Sommerkleid aus und holte zarte Spitzenunterwäsche aus der Kommode. Sollte sie einen BH tragen? Vielleicht war sie nicht die schönste Frau der Welt, aber sie hatte ihre Pluspunkte! Lächelnd entschied sie, dass ein BH nicht nötig wäre. Der Anblick „ohne" hatte Mike am Abend zuvor schon ziemlich durcheinander gebracht, vielleicht würde es heute wieder funktionieren. Das war der erste Schritt ihres Plans: Mike sollte sie als begehrenswerte Frau sehen. Er würde sich nämlich niemals in eine Frau verlieben, die er nur „nett" fand. Mike nahm einen Schluck Kaffee und konzentrierte sich auf den Papierstapel, der sich auf seinem Schreibtisch häufte, aber er musste dauernd daran denken, dass Callie jetzt duschte und sich für ihre Verabredung zurechtmachte. Nackt konnte er sie sich zum Glück nicht vorstellen, das war der einzige Grund, weshalb seine Gedanken noch einigermaßen sachlich blieben. Es war doch verrückt. Eigentlich könnte er damit zufrieden sein, wie sich hier alles entwickelte. Callie beeinträchtigte sein Leben in keiner Weise. Sie erwartete nicht, ernährt oder unterhalten zu werden, und war so ruhig, dass er ihre Anwesenheit im Haus kaum bemerkte. Ja, die Dinge waren weit besser, als er es bei ihrer Ankunft in Alaska befürchtet
hatte. Perfekt geradezu! Er stellte die Tasse so unsanft ab, dass etwas Kaffee überschwappte, und schimpfte leise. So spät am Abend sollte er ohnehin keinen Kaffee mehr trinken, das machte ihn ganz zitterig. Und Callie hat nichts damit zu tun, wie? rügte er sich selbst. Er seufzte. Na ja, gut, er war auch deshalb nervös, weil er sich dauernd fragte, was Callie wohl als Nächstes tun würde. Obgleich es ihn natürlich nichts anging, das hatte sie ihm deutlich gemacht.. Aber ein Herzanfall war kein Spaß. Und den hatte er beim Anblick ihrer aufregenden Kleidung beinahe erlitten. „Hey, Kumpel!" Ross klopfte an die Hintertür und steckte den Kopf herein. „Ist Callie fertig?" Mike funkelte seinen Partner wütend an. „Woher soll ich das wissen?" Ross zuckte die Achseln. „Hey, beruhige dich. Wir können doch froh sein, dass sie Elaine hier oben den Sommer über vertritt. Nicht, dass ich etwas gegen Elaine hätte, aber Callie ist schon was Besonderes, oder?" Etwas Besonderes ... Ja, allerdings. Wenn Mike auch nicht recht wusste, was genau. „Ich dachte, du hättest mit Frauen nichts mehr am Hut", sagte er. „Ich meine, was Heiraten angeht und so." „Habe ich auch nicht, aber Callie ist eine Klasse für sich." ROSS holte sich mit der Selbstverständlichkeit eines alten Freundes eine Cola aus dem Kühlschrank, öffnete die Dose und nahm einen langen Schluck. „Sie hat übrigens das Problem mit dem alten Pinsky gelöst und die Rechnungen für die letzten beiden Monate abgeschickt", lobte er. „Und du solltest sie mal am Telefon hören - die könnte einen Grizzly aus der Höhle locken. Sie ist wirklich gut in dem Job." „Wie schön." Mike unterschrieb einen Scheck. Zu hören, wie großartig Callie sich im Büro machte, hätte ihn ja freuen können, schließlich war das der Grund, warum sie in Alaska war. Trotzdem fuchste es ihn irgendwie, dass sie sich schon so in sein Leben - und in seine Gedanken geschlichen hatte. „Es ist vielleicht ein bisschen früh, davon zu sprechen, aber vielleicht könnte sie für immer bleiben", meinte Ross weiter. „Du weißt ja, dass Delia gar nicht mehr zurückkommen möchte." Mike riss den Scheck so ungeduldig vom Block ab, dass er nicht mehr zu gebrauchen war. Er zerknüllte ihn und warf ihn in den Papierkorb. „Callie ist nur zur Probe hier", meinte er, „die hat noch keine Ahnung, wie kalt es im Winter in Alaska ist und wie isoliert man hier lebt. Spätestens nach einem Monat wird sie genug haben!" Ross zerdrückte die Coladose und tat sie in den Dosencontainer neben der Tür. „Unsinn, sie ist erwachsen. Außerdem wäre sie vermutlich eine gute Ehefrau." Mike runzelte die Stirn. „Hast du etwa Absichten? Du hast Callie doch gerade erst kennen gelernt. Da kann man doch noch nicht an das große H denken! Außerdem dachte ich, dass Frauen nur darauf aus sind, zum Essen eingeladen zu werden." „Callie ist anders. Ich werde ihr heute Abend allerdings keinen Heiratsantrag machen, wenn du es wissen willst." Ross stieß einen kleinen Pfiff aus. „Aber vielleicht ändere ich meine Meinung ja noch." In diesem Moment kam Callie zur Tür herein. Als Mike sie sah, blieb ihm die Luft weg. Das Kleid wirkte eigentlich ganz züchtig, da es hoch geschlossen war, aber da hörte die Züchtigkeit auch schon auf. Der weiche dunkelblau- grüne Wollstoff betonte ihre Kur ven wie eine zweite Haut. Irgendwie war es sogar noch aufreizender als das schwarze Kleid, das sie zu der Verabredung mit Donovan getragen hatte. Dieses hier brachte einen Mann dazu, sich Möglichkeiten auszudenken, wie man es ihr wohl ausziehen könnte ... „Callie", er räusperte sich, „ich glaube nicht, dass du ..." „Red nicht lange herum", unterbrach Ross ihn. „Miss Webster, Sie sehen einfach
umwerfend aus." Callie lachte. „Vielen Dank. Ich hatte schon Angst, ich sei zu elegant für das Restaurant, aber Mike machte sich Sorgen darüber, dass ich mich erkälten könnte. Darum habe ich mich noch mal umgezogen. Siehst du, Mike, ich bin von oben bis unten bedeckt. Richtig bieder." Mike schluckte. Wer hätte gedacht, dass die brave Callie sich in Delilah verwandeln könnte? Und wenn das Kleid bieder war, dann ... ja dann ... „Cal..." „Bis morgen, Mike", verabschiedete sie sich und tätschelte ihm die Wange. Ihr frecher Blick ärgerte ihn. Miss Webster hatte einen abstrusen Humor entwickelt, wie es schien. „Warte nicht auf mich." „Ich soll nicht ..." Mike biss sich auf die Lippen. „Ich bin gestern Abend auf dem Sofa eingeschlafen, das war alles. Ich habe nicht auf dich gewartet!" Callie schaute ihn nachsichtig an. „Das weiß ich, Mike, es war nur so ein Spruch." Sie schaute zu Ross hinüber. „Hat er immer solche Probleme, Dinge richtig zu verstehen?" Mike ahnte, dass ihr Satz eine Doppelbedeutung hatte, wusste aber nicht, welche. Callie hatte irgendetwas vor. Was konnte das nur sein? Ross räusperte sich. „Ach, ich glaube, Mike ist genauso verwirrt wie wir alle." „Wir? Du meinst Männer im Allgemeinen, nicht?" fragte sie spöttisch. „Ja, genau." Ross grinste. „Auch wenn ich damit unser Geschlecht diffamiere." Callie lachte und schob den Arm unter seinen. „Macht nichts, ein bisschen Diffamierung kann nicht schaden. Außerdem mag ich Männer, die ehrlich sind." Mike sank tiefer in seinen Stuhl und schaute auf den hohen Papierstapel vor sich. Eine dunkle Stimme sagte ihm immer wieder, dass das nicht die gute alte Callie war. Ihren beiden Brüdern war es offenbar völlig egal, was aus ihrer unschuldigen jüngeren Schwester geworden war. Sonst hätten sie niemals zugelassen, dass sie nach Alaska reiste mit einem Koffer voller Kleider, die einen Mann um den Verstand bringen konnten. „Bis morgen, Mike!" rief Callie vergnügt und verließ mit Ross das Haus. „Mmm", murmelte er. Bis morgen? Wie lange dauerte es denn, zu Abend zu essen und wieder nach Hause zu kommen? Kachelak war keine wimmelnde Metropole! Da gab es nur zwei Restaurants, einen Imbiss sowie einen Pizza-Stand. Keinen einzigen Ort, an dem man Stunden bei einem zwölfgängigen Menü verbrachte. Mike rieb sich die schmerzenden Schläfen. Er brauchte vor allem einen guten Nachtschlaf, das war alles. Einen, der nicht von Scotch und erotischen Träumen umnebelt war und nicht auf einer unbequemen Couch stattfand. Er musste sich um Callie keine Sorgen machen, schließlich war sie eine erwachsene Frau, die sich um sich selbst kümmern konnte. Wirklich? Ja, ganz bestimmt. Dass sie äußerst sexy aussah, hatte nichts zu bedeuten. Dennoch blieb sie die Tochter von Pastor Webster, das nette Mädchen von nebenan, auch wenn ihr das nicht zu gefallen schien. Es war einfach unsinnig, für so eine Frau aufgeheizte Gefühle zu haben, besonders dann nicht, wenn sie bei ihm wohnte und er die Verantwortung für sie hatte. Er rieb sich den Nacken und starrte an die Zimmerdecke. Hier waren die Balken, die überall im Haus waren, dunkler als woanders. Frauen hatten es lieber he ll und freundlich. Callie würde sie vermutlich blassgelb streichen, oder lachsfarben, irgendetwas, um den Winter zu überlisten. Kalter Schweiß brach ihm aus. Callie?
Callie würde den Winter nicht in Alaska verbringen! Und er würde sein Haus nicht ihr zuliebe verändern! Im Herbst würde er sie in eine Maschine nach Washington setzen und dieses ganze nervige Durcheinander vergessen. Trotzdem. Mike schaute sich um und versuchte, den Raum mit den Augen einer Frau zu sehen. Da er nicht kochen konnte, hatte er den Küchenbereich vernachlässigt, als er das Haus modernisierte. Der musste mal umgestaltet werden. Schon weil dadurch der Kaufwert des Hauses entschieden steigen würde. Und Blassgelb würde sich hier drin sicher recht gut machen. Besonders im langen Winter. Aber das war eine rein geschäftliche Entscheidung, die nichts mit Callie zu tun hatte. Callie, die Ross am Tisch gegenübersaß, nahm noch einen Löffel von ihrem Dessert. Ross war wirklich wahnsinnig nett. Und - im Gegensatz zu Mike - tat er sein Bestes, Callie den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Bei Mike hatte sie das Gefühl, dass er sie am liebsten in die nächste Maschine nach Hause setzen würde. Kaum dachte sie daran, wurde ihre Laune sichtlich schlechter. Würde es jemals etwas mit ihm werden, oder würde sie noch als alte Dame versuchen, ihn dazu zu bringen, dass er sie überhaupt als Frau wahrnahm? „Ross, erklär mir doch mal, warum gebt ihr beiden, Donovan und du, euch Mühe, dass ich mit Mike klarkomme?" fragte sie. „Ich dachte, überzeugte Junggesellen würden immer zusammenhalten." In Ross' Augen blitzte es übermütig. „Weil du perfekt für ihn bist, darum. Zu beobachten, wie er sich durch den Sommer quälen wird, ist das Unterhaltsamste, was wir seit langem hatten." Callie zog. die Nase kraus. „Ich hoffe, es dauert nicht den ganzen Sommer." „Wird es auch nicht. Aber wenn es ganz schlimm kommt - du kannst auch den Winter über bleiben. Du machst es prima im Büro und bist so dekorativ wie tüchtig." Callie warf die Serviette nach ihm. „Hey, was für eine chauvinistische Einstellung." „Na ja, das liegt an der Gegend. Dieser Bundesstaat ist nicht gerade der fortschrittlichste." „Hmm." Callie konzentrierte sich auf den Espresso und dachte an das, was Ross gesagt hatte. Darüber musste sie noch nachdenken. Das, was sie bisher von Alaska gesehen hatte, gefiel ihr, aber es war ganz anders als Washington. Wenn sie hier leben wollte, würde sie sich an vieles Neues gewöhnen müssen. Wenn. Sosehr sie sich auch bemühte, optimistisch zu sein, überfielen sie doch immer wieder Zweifel. Eigentlich war sie total erstaunt darüber, dass sie sich überhaupt hierher gewagt hatte! Es war eine spontane Entscheidung gewesen, aber da ihre biologische Uhr allmählich tickte und sie nicht noch ein Jahr verplempern wollte, hatte sie die Gelegenheit ergriffen. Im Sommer fühlte sie sich immer am einsamsten. Dann waren ihre Freunde mit ihren Familien beschäftigt und in den Schulferien verreist. Sie versuchten zwar, sie mit einzubeziehen, und Callie hatte auch schon an die Adoption eines Kindes gedacht, aber was sie wirklich wollte, war Mike. Und nur von und mit ihm konnte sie sich auch ein Kind vorstellen. Sie hatte sogar daran gedacht, sich einfach von ihm schwängern zu lassen, ohne Versprechen und ohne Verpflichtung. Das wäre keine tolle Lösung, aber dann hätte sie wenigstens einen Teil von dem, was sie wirklich wollte. „Alles in Ordnung, Callie? Du siehst irgendwie unglücklich aus." Erschrocken schaute sie auf. „Ich ... habe gerade nachgedacht." „Über Mike?" Über wen sonst? Sie zog mit dem Fingernagel eine Spur über die Tischdecke. „Er hat sich über die Jahre ziemlich verändert. Ich frage mich, wie ihr darauf
kommt, dass Mike und ich zusammenpassen." Ross lächelte. „Reiner Instinkt. Weißt du eigentlich, dass er Fotos von dir hat? Eins mit Elaine. Ich fragte ihn mal, da sagte er, du seist ein sehr nettes Mädchen. Dabei hatte er so einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, der einem zeigte, dass er dich sehr mag." „Mädchen?" Diese Bezeichnung ärgerte und freute Callie zugleich. „Typisch Mike. Er weigert sich, mich als erwachsene Frau zu sehen." „Ach", Ross schüttelte lächelnd den Kopf, „darüber würde ich mir keine Gedanken machen. Ich kenne Mike. Sein Verstand sagt ihm, du seist noch ein Mädchen, sein Körper das Gegenteil. Gedulde dich noch ein paar Tage, dann wird er vor Begierde nur so hecheln." Was für eine köstliche Vorstellung, dachte Callie amüsiert. Und wie viele Möglichkeiten es dann gab, ihn sich besser fühlen zu lassen ... „Callie?" Ross wirkte auf einmal ernst. „Ja?" „Selbst wenn es nicht klappen sollte - Alaska braucht dringend Frauen wie dich. Zufällig gefällst du mir selbst ausgesprochen gut." Die Wärme in seinem Blick machte Callie ganz verlegen. In Mikes Partnern hatte sie erstaunlich gute Freunde gefunden. Die Gefühle, die sie mehr und mehr für Mike entwickelte, hatten allerdings nichts mehr mit oberflächlicher Schwärmerei zu tun. Auch wenn Mike nicht in sie verliebt war, so empfand sie es doch beruhigend, dass er sie über all die Jahre nicht völlig vergessen hatte. Zehn Tage später. Callie schaute auf die Uhr, dann schob sie eilig eine Kundenkartei wieder in den Ordner zurück. Es war kurz nach sieben Uhr morgens. ROSS McCoy hatte einen Transport in den Polarkreis zu erledigen und Callie gefragt, ob sie mitkommen wolle. Sie könnten dort übernachten und am Sonntag zurückfliegen. Callie schmunzelte, wenn sie an die Reaktion von Mike auf ihren kleinen Ausflug dachte. Die war nämlich so, als hätte sie geplant, nackt mit dem Fallschirm über dem New Yorker Times Square abzuspringen. „Auf keinen Fall! Du fliegst nirgendwohin. Was würde dein Vater dazu sagen?" „Der würde sagen: Viel Spaß! Und lass dich nicht von einem Eisbären fressen. Väter pflegen sich leicht Sorgen über hungrige Eisbären zu machen." „Sehr lustig." Mike war wütend davongegangen, eine Stunde später wiedergekommen und hatte erneut heftig argumentiert. Für jemanden, der eine Firma mit ROSS und Donovan gegründet hatte, traute er den beiden nicht gerade besonders! Allerdings hatte Callie Mike unterschlagen, dass sie und Ross in getrennten Hotelzimmern übernachten würden. Mikes Stimmung wurde immer gereizter. Ihr Lächeln erstarb, als sie an einen albernen Streit mit Do novan dachte, den er am Vortag vom Zaun gebrochen hatte. Sie wollte die drei Männer keinesfalls entzweien! Donovan und ROSS beruhigten sie immer wieder, sie solle sich keine Sorgen machen. Mike würde irgendwann schon den Kopf klar kriegen und begreifen, was mit ihm los sei. Vielleicht. Aber ein gutes Gefühl hatte Callie nicht dabei. Bei anderen pflegte sie oft zu vermitteln. Deshalb fand sie den Gedanken, dieses Mal selbst der Auslöser für Spannungen zu sein, äußerst unbehaglich. Seufzend überflog sie die Karteikarte eines Kunden. „Callie?" Das war Mike. Sie seufzte. Mike zu lieben und mit ihm zu tun zu haben waren zwei ganz
verschiedene Dinge. Hoffte er tatsächlich, ihr den Plan, Ross zu begleiten, auszureden? Und überhaupt, wo blieb Ross eigentlich? Sie hätten schon vor einer Stunde fliegen sollen. „Was ist?" Mike stand in der Tür. Er trug schwarze Jeans und ein schwarzes Hemd, war unrasiert und sah so sexy aus, dass Callie ganz schwindelig wurde. Auf niemanden sonst reagierte sie derart stark wie auf ihn! Eine Schande, Ross und Donovan waren wirklich nette Jungs. Wieso musste sie sich ausgerechnet in einen Mann verlieben, der in ihr eine Mischung aus Kind und Nonne sah? „Äh ..." Mike rieb sich das Kinn. Er war sichtlich verlegen. „Ross hat zu Hause angerufen, kurz nachdem du weg warst. Es geht ihm nicht gut, er kann heute nicht fliegen." „Ich verstehe." Callie sah ihn eindringlich an. Wenn Ross wirklich Kopfschmerzen hatte, tat es ihr Leid. Aber wenn Mike mit der Änderung der Pläne zu tun hatte, dann würde sie ihn sich schon noch vorknöpfen! Zum Glück hatte sie einen Ausweichplan für den Notfall. „Er ... er lässt sich entschuldigen." Callie schloss die Aktenschublade und zuckte mit den Schultern. „Schon gut. Es tut mir Leid, dass er krank ist. Ich werde Donovan anrufen und ihm sagen, dass wir dann doch ins Kenai-Wildlife-Reservat fliegen können. Er lud mich dorthin ein, kurz nachdem ich Ross' Einladung angenommen hatte, und war ziemlich enttäuscht, dass ich absagte. Vielleicht können wir da eine Nacht zelten. Er sagte, er hätte für so etwas alles Nötige parat." „Nein!" Mike stürzte sich förmlich auf den Telefonhörer, den Callie schon in der Hand hatte, und legte ihn wieder auf die Gabel. „Ich könnte ... ich könnte das selbst übernehmen." „Aber du hast doch keine Zeit für Ausflüge, hast du gesagt." Um Mikes Lippen zuckte es. Callie musste sich das Lachen verkneifen, aber als Vamp durfte man nicht nett sein, wenn man etwas erreichen wollte. „Nicht nach Kenai", sagte er und bemühte sich offensichtlich um Gelassenheit. „Aber wir könnten zum Polarkreis fliegen, so wie du es wolltest." „Ah, ja?" Callie tat ziemlich desinteressiert, obgleich ihr das Herz klopfte und sie sich anstrengen musste, nicht gleich ,Ja, gern!' zubrüllen. „Du hast hier großartige Arbeit geleistet, sogar am Wochenende geschuftet, und endlich werden die Außenstände beglichen. Du verdienst also eine Besichtigungstour, und das würde ich gern selbst übernehmen." Mike wollte sie auf eine Besichtigungstour mitnehmen! Der vorsichtige Teil in Callie riet ihr, die Hoffnungen nicht allzu hoch zu schrauben, aber der temperamentvolle vollführte in ihrem Inneren bereits einen Freudentanz. Der Teil hatte allerdings schon bei ihrer Ankunft getanzt, als sie bemerkte, wie Mike ihr rotes Oberteil angestarrt hatte. Ein Mann reagierte doch nicht so stark auf ein bisschen entblößte Haut, wenn er nicht ein winziges Bisschen interessiert war, oder? „Ich weiß nicht recht ..." murmelte sie und bemühte sich darum, zögerlich zu klingen. „Es kommt mir nicht gerade nett vor, Donovan nicht anzurufen. Er hat mich schließlich zuerst ge fragt." „Vergiss Donovan." Mike wirkte so mürrisch, dass Gallies Stimmung stieg. Am Anfang hatte sie sich nur mit seinen Partnern verabredet, um Mike von ihrem wirklichen Ziel, nämlich warum sie nach Alaska gekommen war, abzulenken und um ihn eifersüchtig zu machen. Wenn sie mit anderen ausging, konnte er ja nicht ahnen, dass sie es eigentlich auf ihn abgesehen hatte. Selbst wenn er nicht eifersüchtig war, so hatten ihn ihre Verabredungen anscheinend doch dazu gebracht, sie aus einer neuen Perspektive zu sehen - als Frau.
Zumindest schien es so zu sein. Bei Mike wusste man allerdings nie so genau. „Äh, hast du denn nicht zu tun?" fragte sie. „Nein." Ein jungenhaftes Lächeln umspielte seinen Mund. „Komm schon, Callie, das wird sicher nett. Wir haben noch nie etwas zusammen unternommen, nicht mal, als wir noch Kinder waren. Eigentlich", er sah auf einmal nachdenklich drein, „kennen wir uns gar nicht richtig. Das können wir jetzt ein wenig nachholen." Gewonnen! jubelte es in Callie. Vielleicht hörte er endlich auf, in ihr den Typ süßeaber-nervige-kleine-Schwester zu sehen. „Immerhin weißt du, dass ich kein Silberbesteck klaue", scherzte sie. „Stimmt." Zu ihrer Überraschung strich Mike ihr plötzlich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Seine rauen Hände verfingen sich allerdings darin, so dass er ein bisschen hilflos wirkte. Er war ihr so nahe, dass Callie seine Wärme spürte. Sie hatte sofort das Bedürfnis, sich an ihn zu kuscheln und den Kopf an seiner Brust zu bergen. Aber das tat sie natürlich nicht, sondern half ihm, mit zitternden Händen, die Finger aus ihrem Haar zu befreien. „Tut mir Leid", murmelte er. „Sch...schon gut." Hoffentlich bemerkte Mike nicht, dass ihre Brustspitzen sich verhärtet hatten. „Ich habe Sachen für eine Übernachtung eingepackt", erklärte Mike mit heiserer Stimme. „Ross sagte, er hätte in Barrow Zimmer reserviert." „Ja, es ist offenbar zu weit für einen Tagestrip." „Das stimmt." Mike machte eilig einen Schritt zurück. Callie dachte bestimmt, er wolle mit ihr anbändeln. Und war es so? Seine ganzen Vorstellungen waren über den Haufen geworfen. Wieso war Callie nicht einfach nur die nette Pastorentochter? Die hätte ihn nicht so durcheinander gebracht, sondern ihm morgens Kaffee gemacht und Karamell-Pekan-Pfannkuchen. Er räusperte sich, um wieder sprechen zu können. Hoffentlich schaute Callie nicht an ihm herunter, denn wenn sie bemerkte, was die Berührung bei ihm ausgelöst hatte, wäre ihm das schrecklich peinlich. Das war ihm seit fünfzehn Jahren nicht mehr passiert! „Ich, äh, ich muss mal eben die Piper Comanche kontrollieren", sagte er und eilte davon. „Ross sollte eine Ladung mit nach Kotzebue nehmen. Wir hatten vor, erst eine der kleineren Maschinen nach Anchorage zu nehmen und von dort aus das Transportflugzeug!" rief Callie ihm hinterher. Mike blickte über die Schulter zurück. „Das wurde geändert. Ich habe Travis Black gebeten, den Transport zu übernehmen. Er ist schon unterwegs." „Ach so." Callie nahm den Einsatzplan vom Schreibtisch und überflog ihn. „Dabei hat Travis dieses Wochenende doch frei." Mike nahm seine Jacke vom Haken der Garderobe und warf sie sich über den Arm, froh, sich damit etwas bedecken zu können. „Travis hat nichts dagegen, mal einen Extraflug zu machen, und dann hast du mehr Zeit, dir Point Barrow anzusehen. Außerdem fliegt es sich viel besser in der Piper Comanche, die ist wendiger als die Transportmaschinen." „Kann ich mir vorstellen. Bist du sicher, dass es keine Proble me gibt?" Natürlich gab es Probleme, aber das war ihm egal, und Travis ebenfalls. Alles neu zu organisieren und mehrere Maschinen einzusetzen erforderte schon Aufwand. Das war genauso ein Problem wie Callie selbst, von dem Augenblick an, als sie in Alaska angekommen war. Andererseits hätte er so Gelegenheit, mal ernsthaft mit ihr zu reden. Sie würden einige Stunden zusammen fliegen und könnten über alles in Ruhe sprechen. Dann
könnte er sie davon überzeugen, dass Ross und Donovan wunderbare Freunde waren, aber als überzeugte Junggesellen nicht gerade der Typ Mann, mit dem sie ausgehen sollte. Allerdings war ihm generell die Vorstellung, dass Callie mit jemandem ausging, nicht sehr sympathisch. Und darüber dachte er lieber nicht genauer nach. „Mike?" hakte Callie nach. „Äh, keine Sorge", sagte er fröhlich, „ich habe an alles gedacht. Wir haben uns beide ein erholsames Wochenende verdient." Das Lächeln, mit dem sie ihn bedachte, weckte gleich wieder sein Misstrauen. „Also gut", stimmte sie zu, „wenn du meinst."
5. KAPITEL
„Da, in Richtung Norden, siehst du? Das ist der Fluss Tanana", erklärte Mike und zeigte auf ein silbriges Band, das sich unter ihnen durchs Land schlängelte. Er ging in Schräglage, um Callie einen besseren Ausblick zu verschaffen. „Und der Nenana ist da drüben." „Da findet die Eis-Classic statt, die Verlosung, die du gewonnen hast?" „Genau. Es hätte viel länger gedauert, die ,Triple M' zu gründen, wenn wir nicht darauf gewettet hätten, wann das Eis aufbricht. Unsere Ersparnisse, das Geld, das wir bei der Verlosung gewonnen haben, und der Kredit von dem alten Jackson reichten dann, um unser erstes Transportflugzeug zu kaufen." Mike nahm den Kurs wieder auf und spähte aus dem Augenwinkel zu Callie hinüber. Sie schien glücklich und entspannt zu sein. Vielleicht war es der richtige Moment, ihr zu erklären, dass Ross und Donovan nichts für sie waren. Wann immer er das Thema anschneiden wollte, hatte Callie es verhindert, aber jetzt waren sie sozusagen im Urlaub und ganz entspannt. Mike fingerte ein wenig an den Instrumenten herum und räusperte sich. „Seitdem du in Alaska bist, hattest du schon reichlich zu tun, nic ht?" Er fixierte einen Punkt am Horizont. „Ja, aber es gefällt mir hier sehr gut", antwortete Callie lächelnd. Mike fühlte sich auf einmal unbehaglich. Er hatte sich nie leidenschaftlich für eine Frau interessiert, hatte auch als Teenager keine Schwärmereien erlebt oder als Jugendlicher heiße Affären gehabt. Die Frauen, mit denen er ausgegangen war, hatten das Gleiche gesucht wie er: eine unkomplizierte, unverbindliche Be ziehung. Wie kam es nur, dass er sich nach all den Jahren plötzlich wie ein unreifer Jüngling vorkam? Er schaute aus dem Cockpitfenster. Seine Gefühle für Callie Webster waren sehr gemischt. Innerhalb von zwei Wochen war sie in sein Haus gezogen, hatte sich gründlich eingearbeitet, und obendrein sah sie so sexy aus, dass ihm sozusagen das Wasser im Munde zusammenlief. Wenn er nicht aufpasste, würde er sich noch richtig verlieben! Am Besten er dachte gar nicht daran. Guter Rat. Einerseits wollte er Callie davor warnen, sich mit diesen überzeugten Junggesellen einzulassen, und gleichzeitig dachte er selbst dauernd daran, wie es wohl wäre, Callie auszuziehen ... Mit ihm wäre sie also keineswegs besser dran als mit seinen Partnern! Er räusperte sich erneut. „Der neue Plan, den du aufgestellt hast, ist prima. Außerdem hast du diverse Leute dazu gebracht, ihre Rechnungen zu bezahlen, von denen wir kaum noch hofften, je einen Pfennig zu sehen." Als Callie sich in ihrem Sitz bewegte, musste Mike sofort an ihre schmalen Hüften und ihren knackigen Busen denken. „Ganz gut für eine Pfarrerstochter, nic ht? Meine Erfahrungen aus der Kirchenarbeit sind nützlicher, als du erwartet hast, nicht?" „Ach, Callie", protestierte Mike, „das wirst du mir doch nicht den ganzen Sommer lang unter die Nase reiben, oder? Ich gebe ja zu, dass ich mich geirrt habe." Geirrt, dachte Callie. Ganz richtig. Über eine Menge Dinge! „Ehrlich gesagt, ich bin normalerweise in der Management-Beratung tätig", gab sie schließlich zu, „und habe schon mit einer Reihe von Firmen gearbeitet. Das waren zwar keine Luftlinien, aber alles Mögliche von Restaurants bis hin zu großen Firmen in Seattle." „Nimmst du mich auf den Arm?" „Nein. Ich habe mein eigenes Unternehmen: ,Callies Konzepte'." „Ach so." Mike runzelte die Stirn, und er schwieg eine Weile, um das zu verdauen. „Dann muss es für dich ziemlich schwierig gewesen sein, das für einige Monate
aufzugeben", sagte er schließlich erstaunt „Nicht unbedingt. Ich brauchte eine Abwechslung. Außerdem habe ich eine tüchtige Assistentin, die die Geschäfte für mich weiterführt." „Aber Ferien sind das ja nicht unbedingt", wandte Mike ein. Callie war Management-Beraterin? staunte er. Sie hatte ihr eigenes Unternehmen? Seit wann denn das? Seine Schwester sprach gelegentlich über sie, aber davon hatte sie nie etwas erwähnt. Es passte gar nicht zu dem Bild, das er von Callie hatte -die Pfarrerstochter aus der Kleinstadt, die in der Kirche ihres Vaters die Orgel spielte. Na ja, es gab ja so einiges, was nicht mehr in dieses Bild passte! „Mach dir keine Gedanken", beruhigte Callie ihn. „Ich weiß ge nau, was ich tue." Mike rieb sich den Nacken, um die verspannten Muskeln zu lockern. Was immer er für Vorstellungen von Callie hatte, sie zerstörte sie alle! Und noch immer hatte er ROSS und Donovan nicht ins Gespräch gebracht. „Äh, tut mir Leid, dass Ross dich heute nicht mit auf die Tour nehmen konnte." Callie schnaubte kurz. „Ach was, das tut dir kein bisschen Leid." Sie hatte natürlich Recht. Die Vorstellung, dass seine Partner sich an sie heranmachten, gefiel ihm ganz und gar nicht. Und seine Gründe dafür wurden ihm immer unbegreiflicher. Mike dachte an die „guten alten Tage", an die Zeit, bevor Callie gekommen war und ihn in einen unvernünftigen, liebestollen Idioten verwandelt hatte, dessen Verstand in die Hose gerutscht zu sein schien. „Weißt du, ich möchte nur nicht..." „Bitte, keine Lektionen mehr darüber, dass ich mich bei deinen Freunden vorsehen und mir keine falschen Hoffnungen machen soll", unterbrach sie ihn. „Ich hatte gedacht, du wolltest dieses Wochenende ganz unbelastet und ohne Hintergedanken mit mir verbringen. Ich hätte wohl doch Donovan anrufen und mit ihm nach Kenai fliegen sollen." Mike stöhnte. Er hatte gar nichts davon gesagt, dass Callie sich vorsehen sollte, aber sie hatte wohl seine Gedanken gelesen. Das tat sie öfters in letzter Zeit. Wie unangenehm. Hoffentlich ahnte sie nicht auch, dass er dauernd daran dachte, wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen ... Er versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen. Unsinn, wieso sollte sie das ahnen? Das Funkgerät lenkte ihn ab, und er tauschte sich einen Moment lang mit dem Fluglotsen in Fairbanks aus. Obgleich die Piper Comanche es, ohne aufzutanken, bis nach Point Barrow schaffen konnte, zog Mike es vor, mit einem vollen Tank in den Polarkreis zu fliegen. Die Sicherheit ging vor. „Wir werden in Fairbanks zwischenlanden und tanken", erklärte er auf Callies fragenden Blick hin. Das war ihr recht. Sie ärgerte sich noch ein bisschen über Mike, aber sie wusste ja, dass ihr Männerfang-Projekt nicht leicht sein würde. Außerdem hatte der Ausflug gerade erst begonnen. Solange sie zusammen wären, war alles gut. Sie mussten eigent lich nicht einmal nach Barrow fliegen. Bestimmt hätte sie später noch genug Zeit, Eisbären zu sehen nach ihrer Hochzeit. „Dauert es lange?" fragte sie, als sie im den Sinkflug begannen. „Nein, das geht ziemlich schnell. Die haben Routine darin, denn dort gehen eine Menge kleiner Maschinen hinunter. Alaska ist ein Bundesstaat, in dem das Flugzeug das häufigste Transportmittel ist." Wie Mike es vorhergesagt hatte, dauerte die Zwischenlandung nur kurz, und nach dem erneuten Start lehnte Callie sich wieder bequem zurück. Die Berge kamen immer näher. Mike runzelte die Stirn. „Stimmt irgendetwas nicht?" fragte Callie. Er machte sich am Armaturenbrett zu schaffen. „Es ist vermutlich nichts weiter.
Vielleicht stimmt der Temperaturanzeiger nicht." „Ist es was Ernstes?" fragte Callie nervös. Mike lächelte beruhigend. „Nein, aber um kein Risiko einzuge hen, fliege ich noch einmal zurück und lasse den Motor überprüfen. So etwas kommt häufig vor." Callie beobachtete Mike, der gelassen die Instrumente bediente, und versuchte, sich keine Sorgen zu machen. Er war ein guter Pilot. Laut Donovan konnte er unbeschadet durch einen Orkan fliegen. „Alles in Ordnung, Callie", sagte Mike beruhigend, der wieder in den Sinkflug ging. „Du kannst dich entspannen." Er legte kurz eine Hand auf ihre verkrampften Hände. „Ah ja." Callie bemerkte, dass ihre Knöchel schon weiß hervortraten. Sie lachte verlegen. „Ich vertraue dir." „Schon gut", meinte er. „Schließlich bist du nicht ans Fliegen gewöhnt. Ich garantiere dir, dass es reine Vorsicht ist. Bald werden wir wieder in den Brooks-Bergen sein. Ich möchte nur nicht riskieren, dass irgendetwas schief läuft. Selbst im Sommer ist die Gegend nicht gerade einladend." „Das glaube ich." Mike lächelte. „Vergiss nicht, dass ich ein Fitzpatrick bin. Das heißt, ich habe das Glück und den Charme der Iren, die beschüt zen mich." Callie lachte nervös. „Charme kann einen nicht beschützen." „Na ja, zu irgendwas muss er doch gut sein." Er ist gut dazu, Frauen zu verführen, dachte Callie. Aber sein Scherzen löste zumindest die Spannung. Dennoch sprach sie ein innerliches Dankgebet, als die Comanche unbeschadet aufsetzte. Aus dem Gebäude am Ende des Rollfelds trat ein alter Mann. Gemächlich kam er auf die Maschine zu, während Mike den Motor ausstellte. „Irgendwelche Probleme?" fragte der Mann, der einen Zahnstocher aus dem Mund nahm. Sein Gesicht war vom Wetter gegerbt. „Es wird nicht lange dauern, ich möchte nur kurz das Triebwerk überprüfen", erklärte Mike. „Die Temperatur erscheint mir ein wenig zu hoch." Der Mann nickte, ging genauso gemächlich wieder zurück und verschwand im Gebäude. Callie schmunzelte. „Das ist sicher einer der einsamen Junggesellen hier, von denen du mir erzählt und vor denen du mich gewarnt hast, wie? Ich muss mich offensichtlich beeilen, um von dem nicht eingefangen zu werden." „Das ist Curdgeon Post, ein alter Sauertopf, der sich weigert, ins Altenheim von Fairbanks zu gehen. Ein sturer Typ, der fünfzig Jahre damit zugebracht hat, im Yukon nach Gold zu suchen, und nun hier gelandet ist." „Allein?" „Ja, allein." Callie schaute das trostlose Haus an und erschauerte. Sie befanden sich bereits im Polarkreis, und sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie es wohl war, hier den Winter zu verbringen. „Vielleicht hat er nicht das Richtige gesucht." „Wonach hätte er denn suchen sollen?" Nach Liebe, dachte sie, sagte das aber besser nicht. Mike schien noch nicht reif genug für die Vorstellung zu sein, dass Liebe das Wichtigste im Leben war. Als Mike aus der Maschine kletterte, folgte Callie ihm. Sie war froh, sich mal strecken zu können. Die Landebahn lag am Fuß der Berge, die sich im Norden erhoben. Auf ihre herbe Art war die Landschaft schön. Die Tundra wies grüne und graue Schattierungen auf, die fernen Berge schimmerten grauweiß. „Ich vertrete mir ein bisschen die Beine", erklärte Callie. „Verlauf dich nicht", murmelte Mike, der sich über den Motor gebeugt hatte. Wohin soll man hier schon gehen? dachte Callie. Es gab weder Straßen noch Häuser außer dem einsamen Gebäude mit dem einsamen Mann darin.
An der Tür des Hauses zögerte sie einen Moment, dann klopfte sie. Nach ziemlich langer Zeit öffnete Curdgeon Post die Tür. „Gehen Sie weg", grummelte der alte Mann mürrisch. Callie trat sich die Füße ab und wies in die Umgebung. „Man kann hier nirgendwo hingehen. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich einen Moment hereinkomme, während Mike den Motor überprüft?" Der alte Mann zwinkerte erstaunt. „Wieso das?" Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen, dachte Callie, aber Curdgeon erinnerte sie an einen Mann, den sie von früher kannte und der auch immer allein gelebt hatte. Es musste schrecklich sein, keine Angehörigen zu haben. Sie nahm ihren Mut zusammen und lächelte. „Ich möchte Ihnen nur einen Besuch machen, Mr. Post. Sie wissen bestimmt eine Menge über Alaska, das Sie mir erzählen könnten." „Sie leben nicht hier im Norden?" Callie schaute kurz zu Mike hinüber. „Nein, noch nicht." „Hmm. Ich habe keine Zeit, gehen Sie lieber." Er wollte schon die Tür zumachen, aber Callie hinderte ihn daran. „Tut mir Leid, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Calliope Webster, aber jeder nennt mich Callie." Der alte Mann verzog die Lippen unter seinem weißen Bart. „Calliope?" „Ja, schrecklich, nicht wahr?" „Nein, finde ich nicht." Auf einmal ergriff er Callies Hand und schüttelte sie. „Ich habe noch nie eine Frau kennen gelernt, die Calliope hieß." „Und ich niemanden, der Curdgeon heißt." „Äh ..." Er legte den Finger an seine Lippen und schaute sich vorsichtig um, als könne ihn jemand hören. „In Wirklichkeit heiße ich Enoch", flüsterte er. Der Name war eigentlich nicht seltsam, aber bei diesem alten Kauz hörte er sich sehr merkwürdig an. „Ach, und wieso nennt Sie dann jedermann Curdgeon?" „So heiße ich seit fünfzig Jahren. Sie sagten immer: „Du bist ein blöder alter Curdgeon, ein Quarkbüdel, Post, und dann hieß ich nur noch so." Callie biss sich auf die Lippen, um nicht zu lachen. Dabei war das eigentlich eher traurig, denn der alte Mann schien trotz seiner knurrigen Art sehr nett zu sein. „Also, ich würde Sie lieber Enoch nennen, wenn Ihnen das recht ist." „Das können Sie ruhig, aber nur, wenn Sie's keinem anderen erzählen. Ich habe einen frisch gebrühten Kaffee auf dem Herd, Calliope, wollen Sie 'ne Tasse?" Callie nickte und folgte ihm nach drinnen. „Ja, gern." Mike überprüfte sorgfältig die Leitung der Treibstoffzufuhr und regulierte noch einiges anderes. Der Motor war in Ordnung, aber er wollte keinerlei Risiko eingehen, wenn er Callie dabei hatte. Er hatte erwartet, dass sie daneben stehen und lauter Fragen stellen würde, hatte sie aber seit mindestens zwanzig Minuten nicht mehr gesehen. Er richtete sich auf und schaute über das Flugfeld. Von Callie keine Spur. Stirnrunzelnd schloss er die Motorhaube. Da Curdgeon Post der Inbegriff der Ungastlichkeit war, konnte sie nicht gut bei dem sein. Mike ging um das Flugzeug herum und schaute sich nach allen Seiten um. „Merkwürdig", murmelte er und warf sogar einen Blick in die Ladeluke, falls Callie es sich hatte einfallen lassen, dort hineinzuklettern. Der einzige Ort, wo sie sein konnte, war also im Haus von Curdgeon. Aber der war für seine muffelige Art berüchtigt. Vor Jahren hatte Mike ihm mal einen Job in Anchorage angeboten, um ihn in ein milderes Klima zu locken, aber Curdgeon hatte dieses „Almosen" abgelehnt. Mike ging auf das niedrige Gebäude zu, in dem der alte Mann wohnte. Er staunte, als er von drinnen Callies silbernes Lachen hörte und das tiefe amüsierte Brummen
das Alten. Wenn sie es geschafft hatte, den zum Lachen zu bringen, war das einen Eintrag ins Geschichtsbuch wert. „Callie?" rief Mike und klopfte an die Tür. „Es ist alles okay, wir können weiter!" Die Tür wurde geöffnet, und Curdgeon schaute ihn finster an. „Du solltest das gründlich machen, Junge. Du nimmst Calliope nicht mit, wenn die geringste Unsicherheit besteht." Mike sah ihn verblüfft an. „Keine Sorge, die besteht nicht." „Ihr solltet lieber hier übernachten, wenn du nicht ganz sicher bist." Einsamkeit war aus den Worten zu hören. Callie hatte offenbar eine besondere Seite in ihm berührt. „Ich bin ganz sicher. Mit Callie zusammen würde ich kein Risiko eingehen." „Hmm." Curdgeon schlurfte wieder zu dem Stuhl am Herd und tätschelte Callie den Arm, als er an ihr vorbeiging. „Ihr Mann ist da." Sie stellte die Tasse auf einen kle inen Tisch. „Vielen Dank für den Kaffee." „Keine Ursache." Callie winkte Mike heran und zeigte auf das Funkgerät. „Wir können eine Frequenz in Kachelak bekommen, nicht? Curdgeon und ich würden gern mal miteinander klönen. Er will mir die richtigen Codes beibringen und die Sprache, die man beim Funken spricht." Mike war überrascht. Es kam ihm schon komisch vor, als Callies Mann bezeichnet zu werden, und dann noch das! „Nicht nötig, das können wir selbst machen." Callie lächelte und drückte ihm unauffällig den Ellbogen in die Seite. „Du hast für so was doch keine Zeit, nicht?" „Ja, stimmt." Jetzt begriff er. Da sie ein Funkgerät durchaus bedienen konnte, war das nur eine Ausrede, um mit dem alten Mann in Kontakt zu bleiben. Sie schien den Alten trotz seiner ruppigen Art zu mögen. Das war typisch für Callie. Sie interessierte sich einfach für Menschen und hatte ein großes Herz. „Wir sollten jetzt gehen", meinte er. „Es ist noch ziemlich weit bis Point Barrow." „Na gut. Ich werde Ihnen die Kekse schicken, sobald ich dazu komme", versprach Callie ihrem Gastgeber. „Das wäre nett", meinte Curdgeon. „Du willst also mal backen?" fragte Mike und ärgerte sich über den hoffnungsvollen Ton in seiner Stimme. Das hörte sich ja gerade so an, als sei er mit seinem Junggesellendasein nicht zufrieden! Dabei liebte er es. Da brauchte man sich nicht über eine nörgelnde Ehefrau zu ärgern. „Keine Sorge, ich werde deine Küche nicht in Unordnung bringen", versicherte Callie ihm, bevor er sagen konnte, das ihm das nichts ausmachen würde. „Ich habe schon mit Donovan abge macht, dass ich es bei ihm mache. Dafür bekommt er auch welche ab." Na wunderbar, dachte Mike wütend. Seine Partner schmissen sich an sie heran, als sei sie die einzige Frau auf Erden, und dann bekamen sie auch noch Kekse dafür! Das war ungerecht, schließlich war Callie seine Freundin und nicht ihre. Na ja, genau genommen war sie Elaines Freundin, aber schließlich war sie nur nach Alaska gekommen, weil sie seine Familie kannte. Ich sollte mehr Zeit mit ihr verbringen, dachte er. Ach ja? Dabei wolltest du sie doch gerade nach Washington zurückschicken! Und außerdem hast du immer gesagt, du hättest keine Zeit für sie. Halt den Mund, befahl Mike seiner inneren Stimme. Es half nicht, ehrlich mit sich zu sein, es war viel leic hter, im Widerspruch mit sich zu liegen. Callie verabschiedete sich von Curdgeon und folgte Mike nach draußen. „Was war denn mit der Maschine nicht in Ordnung?" fragte sie, sobald sie außer Hörweite waren.
„Nichts weiter, die Benzinzufuhr war ein bisschen verstopft." „Aha." Das klang so merkwürdig, dass Mike nachhakte. „Was meinst du mit ,aha'?" „Nichts weiter." Callie lachte leise. „Ist das die Polar- Version von ,kein Benzin mehr'?" „Also, hör mal!" Mike runzelte die Stirn. „Das habe ich nicht absichtlich gemacht! Ich bin doch kein Teenie, der eine Ausrede dafür sucht, mit einem Mädchen irgendwo allein zu sein." „Keine Sorge, ich sag's auch niemandem weiter." „Callie, also wirklich!" Lachend ging sie voran und kletterte ins Flugzeug. „Was ist denn?" „Ich hole mir meine Jacke, es ist ziemlich kalt." Als sein Blick auf ihren runden Po fiel, wurde es Mike eher zu heiß. „Äh, du hast ja den alten Curdgeon ordentlich aus der Reserve gelockt." „Er ist richtig süß. Außen eine raue Schale, aber innen weich wie Butter." „Du bist die Einzige, die das so sieht." Mike fuhr sich mit dem Finger unter den Kragen. Wieso brauchte Callie so lange? „Bist du sicher, dass du eine Jacke mitgenommen hast? Komm, nimm einfach meine." „Natürlich habe ich eine mitgebracht!" entgegnete sie und wühlte in ihrem Köfferchen herum. Mike konnte den Blick nicht von ihrem Hinterteil lassen. Er zählte bis zehn. „Callie, was unseren Plan angeht, so habe ich nichts ... Der Temperaturanzeiger funktionierte wirklich nicht richtig, und dann legt man besser eine Zwischenlandung ein." „Na klar, das sagen alle." Mike stieg neben ihr ein und packte sie am Arm. „Ich bin aber nicht alle." Callie schaute Mike an. „Wenn du meinst." „Du ... du bist unmöglich", grummelte er. „Meinst du?" Mit einer schnellen Bewegung zog er sie an sich. „Ich wüsste gern, was dir durch den Kopf geht", raunte er. „Nichts ... Besonderes." „Das würde ich gern glauben." Er umschmiegte ihr Gesicht und legte ihr die andere Hand an die Hüfte. Callie klopfte das Herz augenblicklich bis zum Hals. Vermutlich der Kaffee, dachte sie. Der war stark und schwarz gewesen, kein Wunder, dass er Wirkung zeigte. Mikes Blick hing an ihren Lippen, über die sie nervös mit der Zunge fuhr. Er stöhnte und strich mit dem Daumen zärtlich darüber. „Samtweich", sagte er leise. Callie spürte seinen warmen Atem, bevor er sie küsste. Sie hielt die Luft an. Dieses Mal war es anders als beim ersten Mal. Mike war weder betrunken noch halb eingeschlafen. Die zarte Berührung sandte heiße Ströme durch ihren Körper. Am liebsten hätte sie diesen Moment in der Erinnerung festgehalten, aber dazu war ihr viel zu schwindelig. „Öffne die Lippen", flüsterte er und knabberte an ihrer Unterlippe. Callie sehnte sich nach mehr, dachte aber gleichzeitig, dass es dafür noch zu früh war. Ihr ganzes Leben lang war sie geduldig gewesen, und nun, da sie die Geduld am meisten brauchte, schien diese Tugend sie zu verlassen. Mike schaute sie mit seinen dunklen Augen erwartungsvoll an. Als sie seufzend die Lippen öffnete, lächelte er beinahe triumphierend. „So, ja, meine Süße ..." Der Geschmack von Pfefferminz und Kaffee vermischte sich, als er mit seiner Zunge
ihre umschlang. Wie eine nahtlose Verbindung, die alle möglichen Versprechen enthielt. Callie fühlte sich wie von heißen Wellen überschwemmt. Jeder Zentimeter ihrer Haut reagierte auf seine Berührung, und sie erlag ihm von Sekunde zu Sekunde mehr. Die Welt drehte sich, denn Mike gelang es, in dem engen Flugzeug in eine liegende Position zu kommen, ohne Callie loszulassen. Unwillkürlich schmiegte sie sich an ihn. Sie war unfähig aufzuhören, genauso wie sie nicht hätte aufhören können, ihn zu lieben. „Oh, Callie, was mache ich denn nur ..." Oh ja, sie wollte ihren Namen hören, wissen, dass ihm ganz bewusst war, dass er sie in den Armen hielt. Vielleicht gehörten die Küsse von früher zu einer namenlosen Person, aber dieser galt ihr allein! Ihre Beine umschlangen sich, und Callie stöhnte, sosehr genoss sie es, seinen festen, muskulösen Körper an ihrem zu spüren. Vom Zentrum ihres Unterleibs aus breitete sich ein sehnsuchtsvolles Ziehen aus, das nach Erlösung verlangte. Unwillkürlich begann sie, nach den Knöpfen seines Hemdes zu tasten. Sie hatte so lange gewartet, wollte Mike ganz, jeden Zentimeter seines Körpers. Als die Knöpfe seines Hemdes aufgingen, ließ sie ihre Hand über sein weiches dunkles Brusthaar gleiten. „Ich muss aufhören", murmelte Mike, aber das hielt ihn nicht davon ab, ihr das T-Shirt hochzuziehen, eine Reihe kleiner Küsse über ihr Kinn, ihre Halsgrube zu ziehen und die festen Spitzen ihrer Brüste - noch immer von Seide bedeckt - mit feuchten Strichen seiner Zunge zu liebkosen. Callie bewegte sich nur wenig, aber schon hatte er die Haken des BHs gelöst und zog ihn herunter. Gestöhnte und geflüsterte Küsse regneten auf ihre erhitzte Haut, und sie bog sich ihm entgegen, als er eine der harten Knospen zwischen seine Lippen nahm und die andere mit den Fingern erregte. In ihrem Unterleib zog es sich so vor Verlangen zusammen, dass sie nach Luft schnappte. „Ich muss träumen", flüsterte sie mehr zu sich selbst als zu dem Mann, der sie so intim berührte. Mike hielt kurz und überrascht inne. „Du träumst?" „Schon gut", flüsterte Callie. „Ich sollte nicht ... ich muss aufhören", stöhnte er wieder und atmete stoßweise. Nein, noch nicht! dachte sie flehend. Callie packte seine Schultern. Wie kräftig sie sich anfühlten ... Wenn sie es nicht schaffte, dass Mike sich in sie verliebte, konnte es das letzte Mal sein, dass sie ihn so berührte. Ihr wurde jeden Moment bewusster, welches Risiko sie eingegangen war. Sie verliebte sich immer mehr in ihn! „Callie ..." „Ja? Es ist alles in Ordnung." In Ordnung? dachte Mike, nein, das war es nicht. Er hatte das Gefühl, vor Verlangen gleich zu explodieren. Er hatte die Verantwortung für Callie, sie verstand doch nichts von Männern. Dabei schmeckte sie so süß, dass er nicht umhin konnte, ihre Knospen noch einmal zu kosten und dann wieder in die samtige Tiefe ihres Mundes zu tauchen. Und sie verschmolz mit ihm, nachgiebig wie heißblütig. Es ist doch Callie! protestierte eine Stimme in seinem Inneren, aber er konnte nicht von ihr lassen. Noch nicht. Callie hatte Recht, es musste alles ein Traum sein, weich und duftig und voller Verheißung. Den hatte er schon lange geträumt, aber jetzt wurde es ihm erst bewusst. Er griff in ihr Haar und genoss das Gefühl der schweren, weichen Strähnen. Wie wäre es wohl in einem richtigen Bett mit ihr? Oh ja, die seidige Mähne würde
über ihn fallen und ihn bedecken. „Wie schön, dass du sie nicht abgeschnitten hast", murmelte er. Beinahe hätte Mike alles um sich herum vergessen, aber plötzlich drang kalte Luft durch die offene Flugzeugtür. Callie, deren Brustspitzen hart und durch die Feuchtigkeit, die seine Zunge auf ihnen hinterlassen hatte, empfindlich waren, erschauerte. Als hätte ihn eine Geisterhand an der Schulter gepackt und ihn weggerissen, fuhr Mike auf und starrte auf Callie hinunter. „Callie ..." Ihr rotbraunes Haar lag ausgebreitet da und war ganz zerzaust. Ihre Lippen waren rot und von den Küssen ein wenig geschwollen, die zarten Brustspitzen noch aufgerichtet von den Liebkosungen, und in ihrem Blick lag tiefe Leidenschaft. Zum ersten Mal seit Jahren errötete Mike. „Es tut mir Leid", sagte er mit einer Stimme, die ihm selbst ganz fremd klang. „Was tut dir Leid?" fragte Callie. Ihre sanfte Frage ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. Oder dem von Callie. Er hatte beinahe mit ihr geschlafen! Mitten zwischen Koffern und anderen Sachen. Wie die Sardinen lagen sie da in dem Frachtraum eines Flugzeugs! Ein Erste-Hilfe-Kasten drückte ihm in die Hüfte, und Callie, die den Werkzeugkoffer an der Schulter spüren musste, lag auch nicht gerade bequem. Noch vor einer Minute war all das gleichgültig gewesen, nun stöhnte Mike entsetzt auf. Seit der Schulzeit war er nicht mehr so unbeherrscht gewesen! Die meisten Frauen wären entsetzt gewesen über eine n solchen Mangel an Sensibilität, aber Callie nicht. Sie wollte nur wissen, was ihm Leid tat! Mike wandte den Blick von ihren verführerischen Brüsten ab. „Ich ... ich habe dich nicht mitgenommen, um das hier ... um dich zu ..." Er brachte es einfach nicht fertig zu sagen: um dich zu verführen. Callie war nicht die Sorte Frau, die man verführte. Er schaute wieder auf sie hinunter. Sie lag noch immer so anmutig da wie vorher, mitten in dem Wust von Sachen, suchte nicht, sich eilig zu bedecken, und errötete auch nicht verlegen. Sie lag einfach da und schaute ihn mit ihren silbrig-grünen Augen zärtlich an. Geheimnisvoll. Verführerisch. Mike riss sich die Jacke von den Schultern und bedeckte sie schnell damit. Callie zog eine Augenbraue hoch und setzte sich auf, ohne dass die Jacke herunterrutschte. „Hast du noch nie den nackten Körper einer Frau gesehen?" „Deinen nicht", murmelte er. Schließlich war Callie nicht irgendjemand, das wusste sie doch ganz genau. „Wir sollten losfliegen. Schon jetzt kommen wir viel später nach Point Barrow, als es geplant war." Callie seufzte, als Mike sich auf den Pilotensitz schwang. Er hatte sie begehrt, wenn auch nur einen Moment lang, das war deutlich gewesen. Und dennoch hatte er das Ganze genauso schnell abgebrochen, wie er es begonnen hatte. Nicht dass sie mit ihm auf Anhieb im voll gepackten Fracht raum eines Flugzeugs schlafen wollte, aber es war enttäuschend, wie schnell er wieder zur Vernunft gekommen war! Soweit sie wusste, hörte ein Mann normalerweise nicht freiwillig auf, wenn es erst mal richtig angefangen hatte. Lag es an ihr? Hatte sie etwas falsch gemacht? Ihm hatte es ge nauso gut gefallen, berührt zu werden! Callie blickte auf ihre Hände und erinnerte sich daran, wie weich seine erhitzte Haut sich angefühlt hatte, seine glatten, flachen Brustwarzen. Als sie die mit den Fingerspitzen umkreist hatte, hatte sie deutlich eine Reaktion darauf gespürt. Oh ja, das hatte ihm gefallen, darauf würde sie ihr Leben verwetten. Männer waren seltsam. Dabei hielten sie Frauen für unvernünftig und schwer zu
durchschauen. „Curdgeon ist noch einmal aus dem Haus gekommen", sagte Mike. „Er will vermutlich wissen, ob wir nun doch hier übernachten wollen." Callie brachte schnell ihre Kleidung in Ordnung. Sie wurde ganz verlegen, als sie sich vorstellte, dass der Alte womöglich gesehen hatte, wie sie sich mit Mike geküsst hatte. Eilig zog sie Mi-kes große Jacke über, kletterte auf ihren Sitz und winkte Enoch zu. „Was'n los? Ich dachte, es sei alles in Ordnung?" fragte er und sah Mike skeptisch an. „Ist es auch." „Stimmt das, Calliope?" „Ja!" bestätigte sie. „Ich habe nur meine Jacke gesucht, und Mike hat mir dabei geholfen." „Na gut. Also, ich warte darauf, dass Sie sich bei mir melden, wie abgemacht." Callie nickte lächelnd. „Ja, gleich am Montagmorgen. Ich möchte noch hören, was mit dem Bären geschah, nachdem Sie ihm mit dem Ast eins übergezogen haben." Curdgeon lachte. „Der hatte nur'n bisschen Kopfweh danach, das war alles." „Was ihm sicher nicht behagt hat. Erzählen Sie mir den Rest per Funk, ja?" Curdgeon nickte und trat zögernd zurück. Als er in sicherem Abstand war, stellte Mike den Motor an. Er wendete die Maschine, fuhr los und hob ab. Seine Miene war steinern. Callie wusste nicht, wie sie das deuten sollte. Sie machte sich keine Gedanken über den KUSS oder versuchte zu erklären, wieso sie den so intensiv erwidert hatte, obgleich sie angeblich an Donovan Masters oder ROSS McCoy interessiert war ... Natürlich wäre es klüger gewesen, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Wenn sie so weitermachte, würde Mike sie noch persönlich nach Washington zurückfliegen! Callie seufzte. Wieso hatte sie nur dauernd das Gefühl, einen Schritt vorwärts und dann wieder drei Schritte zurück zu machen?
6. KAPITEL
Der Flug über dem Brooks Range verlief schweigend. Mike wirkte irgendwie verschlossen. Callie hielt lieber den Mund und schaute sich die öde Landschaft an. Sollte Mike schweigen, so lange er wollte. Wegen des verspäteten Starts und des Zwischenstopps kamen sie erst nach neun Uhr abends in Barrow an. Natürlich war es noch hell. In dieser nördlichen Region ging die Sonne sozusagen im Mai auf und erst im August wieder unter, was vierundachtzig Tage Helligkeit bedeutete. Abgesehen von wenigen Worten bei der Suche nach einem Restaurant sagte Mike nichts weiter. Als sie schließlich im Hotel ankamen, verschwand Callie sofort in ihrem Zimmer. Soll er doch eine gute Nacht haben, schimpfte Callie innerlich, bevor sie sich eine ausgiebige Dusche gönnte. Das heiße Wasser prickelte auf der Haut, löschte aber nicht die Erinnerung an Mikes Berührungen aus. Mike hatte sicher eine Menge, über das er nachdenken musste. Es war nicht so leicht, eine vorgefasste Meinung über eine Frau zu ändern. Doch auch Callie selbst machte sich Gedanken. Ihr ganzes Leben hatte sie als Musterbeispiel des wohlgeratenen Kleinstadtmädchens gegolten. Aber hieß das vielleicht, dass sie keinen Sex-Appeal haben durfte? Sie zog einen Seidenpyjama an, legte sich aufs Bett und trommelte mit den Fingern auf ihrem Bauch herum. Sie waren im neuesten Hotel von Barrow, das Zimmer gefiel ihr. Morgen würde sie vielleicht ihren ersten Eisbären in der freien Natur sehen! Aber eigentlich war das nicht wichtig. Wegen des einen Kusses musste sich ja nichts ändern. Dass er ein Fehler gewesen war, war von Anfang an klar. Nun musste sie sich eine neue Strategie ausdenken. „Callie?" rief Mike leise und klopfte an die Tür ihres Zimmers. „Bist du noch wach?" Sie hätte sich schlafend stellen können, stand aber gleich auf und öffnete. „Ja, was ist denn?" „Äh", Mike rieb sich den Nacken, „ich glaube, wir sollten mal miteinander reden." Callie erzitterte. „Sollten wir damit nicht bis morgen früh warten?" „Nein, ich möchte mich entschuldigen. Ich fühle mich schrecklich, weil das vorhin passiert ist." Callie tat verständnislos. „Passiert? Was denn?" „Spiel nicht die Ahnungslose. Es war nicht richtig, dass ich dich geküsst habe, und es tut mir Leid, dass ich so die Kontrolle verloren habe." „Ah, ich verstehe. Du übernimmst also die Verantwortung für alles." „Ja. Und du hast jeden Grund, wütend auf mich zu sein. Wir sind Freunde, und du solltest mir vertrauen können." Callie hätte am liebsten laut geschrien. Wieso tat Mike so, als hinge alles nur von ihm ab? Sie hatten sich geküsst, basta. Sie waren zwei gesunde Erwachsene, die sich gegenseitig anziehend fanden. Zumindest hoffte sie, dass er sie ebenfalls attraktiv fand. Sie verstand seine Gefühle einfach nicht. „Und was spiele ich für eine Rolle in diesem Drama?" fragte sie scheinbar ruhig. „Ich meine, war ich nur die hilflose Unschuldige, ohne einen Anteil an der ganzen Sache?" „Das habe ich nicht gesagt." Callie verschränkte die Arme. Vielleicht hatte Mike Probleme damit, seine Gefühle zu äußern, aber sie hatte keine Lust, wie ein Kind behandelt zu werden. In ihrem Herzen war sie seit langem mit Mike verheiratet. Deshalb fand sie es auch nicht unmoralisch, mit ihm zu schlafen. Jedenfalls nicht sehr.
Dabei hatten sie sich nur geküsst, und er tat, als sei er über eine Jungfrau hergefallen. „Nur zu deiner Information, Michael Fitzpatrick, ich habe eine gewisse Erfahrung mit Männern. Und ich hätte dich abwehren können, wenn ich es unbedingt gewollt hätte. Ich habe in meinem Leben schon mit den übelsten und feinsten Typen zu tun gehabt." Mike schaute sie überrascht an. „Ich sagte dir doch, dass ich Management-Beraterin bin. Meinst du, das habe ich vom Kirchenbüro in Crockett aus gemacht? Nein, dafür fahre ich in die Großstadt. Und es ist erstaunlich, wie viele Männer glauben, dass im Beraterhonorar auch ein bisschen Sex inklusive ist." Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. „Das ist ja widerlich!" „Ja, das ist es. Aber für jeden dämlichen Mistkerl gibt es auch einen netten Mann, der seine Firma einfach besser führen möchte. Wach auf, Mike, so wie ich es getan habe. Ob es dir nun gefällt oder nicht, zu diesem KUSS gehörten zwei, und du bist dafür nicht mehr verantwortlich als ich." „Callie, ich wollte dir nicht wehtun."
Sie wollte sich umdrehen, aber Mike hielt sie am Arm fest. „Hey, du fühlst
dich ja ganz kalt an, warst du draußen?" fragte sie besorgt. „Nein." Er trat ein und schloss die Tür hinter sich. „Hör mal, ich habe dich nicht gebeten hereinzukommen." „Nun, ich habe dich auch nicht gebeten, bei mir zu wohnen. Trotzdem bist du eingezogen." „Pah! Darauf hast du bestanden, nachdem Donovan mir ein Angebot gemacht hat. Ich kann immer noch zu ihm ziehen, wenn es dir lieber ist." „Nein!" Mike ließ sich in den einzigen Sessel im Zimmer fallen. Seine Haare schienen feucht zu sein. Bevor er zu ihr kam, hatte er offenbar ebenfalls geduscht. Offensichtlich kalt, stellte sie amüsiert fest. „Was willst du, Mike?" „Ich weiß es nicht." Er wirkte plötzlich so niedergeschlagen, dass er ihr beinahe Leid tat. „Ich ..." Callie räusperte sich. „Vielleicht hilft es dir zu wissen, dass ich dich ebenfalls küssen wollte." Er stand wieder auf. „Wieso?" „Warum möchte eine Frau einen Mann wohl küssen. Du bist attraktiv, wir waren mal Freunde ... Du warst anscheinend neugierig und ich auch." Sie setzte sich aufs Bett und lehnte sich zurück. „Es bedeutet nichts, es ist ja auch nichts weiter passiert. Mir fehlt wohl außerdem die Nähe zu jemandem, den ich mag." Sie dachte über das nach, was sie gerade gesagt hatte. Keith war sicher nicht ihr Traummann gewesen, aber sie hatte ihn gemocht und vermisste die Zärtlichkeit, die es zwischen ihnen gegeben hatte. Es gab schließlich viele verschiedene Arten von Liebe. Keith hätte sie glücklich gemacht. Viele Paare hatten weit weniger als das. „An wen denkst du gerade, Callie?" fragte Mike leise.
„An meinen Verlobten."
„Deinen was?"
„Ich war mal verlobt. Vor langer Zeit."
Mikes schockiertes Gesicht hätte Callie eigentlich zum Lachen bringen
können, wenn es andererseits nur nicht so entmutigend gewesen wäre. Er konnte sich wohl gar nicht vorstellen, dass sie jemals heiraten würde oder überhaupt das tat,
was andere Frauen taten! Ein enttäuschtes Gefühl ergriff sie. Manchmal kam es ihr sinnlos vor, ihn dazu bringen zu wollen, dass er sie als etwas anderes als die nette Pfarrerstochter sah. Seitdem sie Crockett verlassen hatte, hatte sie eine Menge Erfahrungen gesammelt, aber das konnte er sich anscheinend nicht vorstellen. „Wann ... Ich meine, was ist passiert?" Callie seufzte. „Er starb bei einem Unfall, wenige Wochen vor der Hochzeit. Ich dachte, Elaine hätte es dir erzählt." Mike krallte die Hände um die Armlehne. Callie verheiratet! Beinahe jedenfalls! Ihr Verlobter umgekommen bei einem Unfall! Er überlegte hastig, ob Elaine das erwähnt hatte und ob er das womöglich vergessen hatte! Obgleich er gerade noch gefröstelt hatte, wurde ihm auf einmal ganz heiß, und er öffnete einen Hemdsknopf. Er hatte eiskalt geduscht, um abgekühlt zu sein, wenn er mit Callie sprechen würde. Wer hätte gedacht, dass das bei ihr gar nichts nützen würde? „Ich habe Keith an der Universität kennen gelernt", erzählte Callie versonnen. „Wir hatten im letzten Semester gemeinsame Vorlesungen und waren dann die ganze Zeit zusammen. Er brachte mich dauernd zum Lachen, und ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass irgendetwas schief gehen könnte. Das passierte dennoch. Aber das Leben geht weiter." Mike hätte Callie gern getröstet, wusste aber nicht, wie. Er fühlte sich ganz hilflos. Callie hätte im umgekehrten Fall sicher sofort gewusst, was zu tun oder zu sagen war. Er wagte nicht, sie zu umarmen. Zumal er nicht garantieren konnte, dass ihn das nicht gleich wieder erregen würde. Aus einer tröstlichen Umarmung konnte schnell etwas anderes werden und zu Komplikationen führen, an die er nicht mal denken mochte. „Ich erinnere mich nicht, eine Einladung zur Hochzeit bekommen zu haben." „Hast du auch nicht", bestätigte Callie. „Damals arbeitetest du an einer Pipeline in Alaska, und niemand wusste, wo du warst." „Ach so." Das war also der Grund, warum er nichts von Callies Verlobung und dem Unfall wusste. Er hatte damals jeden Pfennig für seine zukünftige Firma gespart und sich nur gelegentlich per Telefon zu Hause gemeldet. „Tut mir Leid", sagte er sanft. „Mir auch." Trotz ihres traurigen Ausdrucks hat Callie noch nie hübscher ausgesehen als gerade jetzt, dachte Mike. Der dunkelblaue Seidenpyjama umspielte ihre Figur, das kastanienbraune Haar lag weich auf ihren Schultern. Im Ausschnitt konnte man die cremige Haut sehen. Ihr war sicher bewusst, wie reizvoll sie wirkte, denn sie machte sich nicht die Mühe, einen Morgenrock überzuziehen, sondern lag einfach da. So wie im Flugzeug, nachdem sie sich geküsst hatten. Ganz ihrer Sinnlichkeit bewusst. Eine verführerische Frau. Obgleich er sich nach wie vor gegen den Gedanken wehrte - Callie war eine äußerst begehrenswerte Frau! „Ich gehe wohl besser, damit du schlafen kannst", sagte er heiser. „Wir sehen uns dann morgen früh." „Ja, morgen früh", wiederholte sie, während er zur Tür ging. Als er sich umdrehte, sah er noch, dass sie sich reckte, wodurch die beiden oberen Knöpfe aufsprangen. Noch mal kalt duschen! nahm er sich vor und fragte sich, ob es in Alaska wohl genug Eis gab, um ihn abzukühlen.
Die Tür hatte sich hinter Mike geschlossen, als Callie sich erneut streckte. Wenn sie sich nicht irrte, hatte er gerade einen vollen Blick auf sie werfen können. Einen Blick mit neuen Augen. Vielleicht war der Kuss doch kein Fehler gewesen. Nun, da Mike erlebte, dass sie kein kleines Mädchen mehr war, würde er sich vielleicht in sie verlieben. Sie würden so gut zusammenpassen, nicht nur im Bett! Dennoch, seine Zurückhaltung irritierte sie. Sex war nicht das Wichtigste in einer Partnerschaft, aber doch wichtig genug. Da sie sich gerade in der Mitte ihres Monatszyklus befand, war sie hormonell vielleicht ein bisschen durcheinander. Sie konnte an kaum etwas anderes denken. Zumal die biologische Uhr tickte. Sie wünschte sich ein Kind von Michael Fitzpatrick und war von seiner Zurückhaltung nicht gerade angetan. Im Nebenzimmer hörte sie, wie die Dusche angestellt wurde. Noch mehr Abkühlung? In Barrow hatten selbst im Sommer die Temperaturen selten mehr als einige Plusgrade. Da war das Wasser wirklich kalt! Callie lächelte. Offenbar waren ihre Hormone nicht die einzigen, die verrückt spielten! Mike rollte sich aufs Bett und rieb sich die pochenden Schläfen. Wegen Callie hatte er kaum schlafen können. Wann immer er die Augen schloss, fiel ihm ein, wie sie sich angefühlt und wie sie sich ihm entgegengebogen hatte. Noch im Halbschlaf kamen ihm heiße, sinnliche Fantasien. Es war richtig gewesen aufzuhören, bestätigte Mike sich, egal, wie aufregend schon das Küssen mit Callie gewesen war. Er stand auf, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu kühlen. Ihm fiel der KUSS im College ein. Und der sinnliche Traum, den er gehabt hatte, kurz nachdem Callie in Alaska angekommen war. Du meine Güte, da war alles drin gewesen, nur nicht das Ende, das er sich ersehnte ... Was war nur mit ihm los? Er rieb sich das Gesicht trocken und ging ins Zimmer zurück. Wie Callie ausgesehen hatte, nachdem sie sich mit Donovan getroffen hatte! Die Haare ganz zerzaust , -und die funkelnden Augen! Selbst da hätte er sie gern in die Arme genommen. Aber immer wieder hielt ihn das Bild der braven Pfarrerstochter zurück. In einer Kleinstadt wie Crockett wuchs man mit starken Vorurteilen auf. Wenn er sich damals für Callie Webster interessiert hätte, hätte ihm sein Vater die Hölle heiß gemacht. Das Telefon klingelte. Mike meldete sich. „Ja?" „Bist du schon wach?" Mike lächelte. „Ja, fast noch wach." „Du kannst wohl bei der Helligkeit nicht schlafen, wie? Hast du all die Duschen zur Entspannung genommen?" Die kleine Hexe. Mike wusste nicht, wie viel praktische Erfahrung Callie besaß, aber theoretische offenbar genug. „Woher weißt du, dass es mehrere waren?" Callie lachte. „Dein Zimmer grenzt schließlich an meins, und die Wände sind nicht besonders dick." „Ach so. Dann weißt du ja auch, dass ich allein war." „Machst du sonst viel Lärm, wenn du ... Gesellschaft hast?" Mike unterdrückte ein Stöhnen. Dieses Spiel mochte er nicht spielen, er kannte die Regeln nicht. Und die schien ausschließlich Callie zu bestimmen. Vermutlich flirtete sie bloß mit ihm, weil Donovan und Ross gerade nicht in der Nähe waren. Ein deprimierender Gedanke. „Mike?" „Vergessen wir den ,Lärm', lass uns frühstücken gehen, damit wir losfahren
können, um deine Eisbären anzusehen." „Ich habe schon gefrühstückt. Für dich steht ein Sandwich bereit. Und Kaffee. Ich hoffe, es ist dir recht. Ich bin nämlich seit Stunden auf." „Vielen Dank", sagte Mike. „Treffen wir uns draußen in, sagen wir, zehn Minuten?" „Du könntest doch bei mir frühstücken", schlug sie vor. Die Erinnerung an Callie auf dem Bett ließ Mike lieber schnell Nein sagen. „Feigling." „Ich halte es für klüger." Callie lachte und verabschiedete sich. Mike ging zum Waschbecken zurück, um sich noch mal Wasser ins Gesicht zu spritzen. Hoffentlich würde er diesen Trip heil überstehen! Dabei war Callie doch nichts als eine gute alte Freundin. Allerdings eine, die händeringend einen Ehemann suchte. Auch wenn sie ihn unglaublich erregte, hatte er nicht vor, ihr einen Antrag zu machen! Also musste er sich, wenn er nicht durchdrehen wollte, in Zukunft anders verhalten! Sechs Stunden später. Mike schaute auf die Hö henanzeige und nahm noch einen Schluck Kaffee. Callie saß eingerollt neben ihm und döste trotz des Motorengeräuschs. Kein Wunder, dass sie erschöpft war. Die vorige Nacht hatten sie beide kaum geschlafen, und dass sie tatsächlich Eisbären gesehen hatten, war für sie sehr aufregend gewesen. Sie hatten sogar ein Bärenweibchen mit einem Jungen entdeckt, das auf dem Eis herumtobte. Callies unbändige Lebensfreude gehörte mit zu dem, was Mike an ihr besonders mochte. Selbst als sie noch Kinder waren und sie schon viel Verantwortung bei der Gemeindearbeit hatte, war sie immer fröhlich gewesen und hatte alles positiv gesehen. Daran musste er in letzter Zeit immer wieder denken. Er griff nach hinten, zog eine Decke hervor und legte sie über sie. „Bist du nicht müde?" fragte sie, ohne die Augen zu öffnen. „Ich schaffe es schon. Schlaf weiter." Callie blinzelte. „Ich sollte dir Gesellschaft leisten, damit du wach bleibst." „Ach was, das geht schon. Fliegen ist für mich Routine." Sie schmunzelte verschlafen, ohne die Augen zu öffnen. „Harter Junge, was?" Mike lachte. „Ja, stimmt." Callie gähnte und murmelte noch etwas Unverständliches. Es gefiel Mike, für sie verantwortlich zu sein. Denn meistens war sie ihm zu selbstständig. Wenn er sie vor Donovan und ROSS warnte, ermunterte sie das nur, sich erst recht mit ihnen zu treffen. Er verzog das Gesicht. Hätte er doch nur geschwiegen! Callie mochte es offenbar nicht, wenn er sich einmischte. Dabei war ihm selbst nicht ganz klar, wieso er sie so unbedingt von seinen Partnern fern halten wollte. In Zukunft würde er seinen Mund halten. Schließlich waren es anständige Jungs, die Callie nie zu etwas zwingen würden, was sie nicht wollte. Er legte die Decke enger um sie, im Flugzeug war es kalt. Auch er würde sie nie zu etwas zwingen, was sie nicht wollte. Trotzdem hätte er sie gern noch einmal geküsst... „Ende der Woche bekommen Sie Ihre Lieferung", versicherte Callie einem Kunden freundlich und legte den Hörer wieder auf die Gabel. Nach dem gemeinsamen Wochenende hatte Mike sie anders als vorher behandelt - freundlich, aber distanziert. Ganz im Gegensatz zu vorher, wo er sie oft
begehrlich angeschaut und zwischen ihnen viel Spannung geherrscht hatte. Einen Schritt voraus, drei zurück. Callie schaute auf den Bildschirm und tippte noch etwas ein. Ob es den drei Inhabern nun gefiel oder nicht, sie war dabei, „Triple M Transit" ins Computerzeitalter zu bringen. Sie hatten schon derart expandiert, dass es ein Wunder war, dass die Firma mit ihrem überholten Buchungssystem noch nicht zusammengebrochen war. Aber so macht man das in Alaska, hatten sie erklärt. Ha, ha! Das hatte sicher nichts mit Alaska zu tun, nur mit dem veralteten Denken der drei Partner. Sollte „Triple M Transit" je einer Steuerprüfung unterzogen werden, müssten sie alle nur die Daumen drücken und beten. „Hallo, meine Schöne." Callie schaute auf und lächelte. „Hallo, ROSS. Na, wie geht's deinem Kopf?" „Einigermaßen. Ich bekomme selten Migräne, aber wenn, dann heftig. Tut mir Leid, dass ich nicht mit dir nach Barrow fliegen konnte." „Schon gut, Mike hat mich mitgenommen." ROSS setzte sich ans Ende des Schreibtisches. „Ach ja? Und wie war's?" „Die Beurteilung steht noch aus." Callie nahm einen Stapel Lieferscheine und begann, in die neu eingerichtete Datei Zahlen einzugeben. Auf diese Weise würde man Ausgaben und Profit ge nau erkennen, dazu eine Menge Informationen erhalten, die Mike und seine Jungs immer nur handschriftlich notiert hatten. Um gerecht zu sein, musste sie zugeben, dass sie es auch ohne ihre Hilfe recht gut gemacht hatten. Es war erstaunlich, wie vie le Details sie im Kopf haben mussten, bevor sie sie in das altmodische Buch eingetragen hatten. „Also war es eher nicht so toll?" „Ach was", scherzte Callie, deren Hände über die Tastatur flogen, „wenn ich zu schnell Erfolg hätte, wäre doch eure sommerliche Unterhaltung gleich vorbei." Ross schnippte mit den Fingern. „Stimmt, wie konnte ich das vergessen." Sie lachten beide. In diesem Moment betrat Mike das Büro. Callie reagierte seltsam verlegen. Eilig fügte sie noch ein paar Zahlen in die Liste. Mike sah misstrauisch zwischen Ross und ihr hin und her. Als er sie geküsst hatte, war sie nicht rot geworden! Auch nicht, als sie praktisch oben ohne im Flugzeug dagelegen hatte. Ihm fielen nur zwei Erklärungen für ihre Nervosität ein, und die gefielen ihm alle beide nicht! Entweder hatte sie ein Verhältnis mit Ross, und der hatte ihr gerade einen intimen Vorschlag gemacht. Oder sie fühlte sich in seiner, Mikes, Anwesenheit so unwohl, dass sie merkwürdig reagierte. Die Kaffeetasse wackelte in seiner Hand, und der Kaffee ergoss sich auf den Boden. „Oh je!" „Alles in Ordnung, Mike?" Callie nahm schnell Papierhandtücher und wischte den Kaffee auf. Da es an diesem Tag kühler war, trug sie Jeans und ein Sweatshirt. So wie früher in ihrer Jugend. Aber nach den leidenschaftlichen Küssen und zwei Wochen höchster Aufmerksamkeit konnte Mike nicht mehr das Mädchen von damals in ihr sehen. „Hast du dir die Hand verbrannt?" fragte Callie besorgt. „Nein, ich bin schließlich hart im Nehmen." „Ach was." Sie untersuchte seine Hand genauer. Ihr warmer Atem brannte mehr auf seiner Haut, als der heißeste Kaffee es getan hätte. Ross lächelte mitleidig. Allerdings war nicht ganz klar, wen genau er bemitleidete. Mike schaute ihn düster an, dann sah er wieder zu Callie. In letzter Zeit machte es ihm zu schaffen, dass er sogar ihr Parfüm wahrnahm. Ihr Duft verfolgte ihn bis in seine Träume.
Nachdem er wieder und wieder über den ersten Abend ihres Aufenthaltes bei ihm nachgedacht hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass sie ihn geküsst hatte. Wie mochte es dazu gekommen sein? Alles, was mit Callie zu tun hatte, erschien ihm geheimnisvoll. Dann war es auch egal, wieso sie ihn geküsst hatte. Oder wieso er sie so begehrte, obgleich sie doch nur das nette Mädchen von damals war. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?" fragte sie. „Ich könnte dir vorsichtshalber ein bisschen Brandsalbe draufmachen." Mike räusperte sich. „So heiß war es nicht. Du brauchst mich nicht zu bemuttern, als sei ich eins deiner Sonntagsschulkinder." Callie ließ sofort seine Hand los, machte einen Schritt zurück -und rutschte prompt auf dem feuchten Boden aus. Ross und Mike stürzten herbei, um sie aufzufangen. Dann traten beide zurück und entschuldigten sich. Callie wehrte Mikes hilfreich hingestreckte Hände ab. „Schon gut, Mike, lass das. Ich mag ,Gluckenmütter' genauso wenig wie du." Mike konnte verstehen, dass er Callie in Ruhe lassen sollte. Er nahm Ross am Arm. „Komm, wir gehen." „Sie sagte, du, Freundchen, nicht ich." „Das ist egal." Mike schob seinen Partner durch die Tür hinaus in den Hangar. Eifersucht nagte an ihm. Seine Hilfe wollte Callie nicht, wohl aber die von ROSS! Das war seine eigene Schuld. Wieso war er denn nur so unfreundlich gewesen? Er verstand seine Reaktion nicht. „Musst du dich eigentlich die ganze Zeit wie ein Idiot benehmen?" fauchte ROSS ihn an. „Callie ist prima für die Firma. Sie sollte unbedingt bleiben. Was mich anbetrifft, ich werde alles tun, um sie hier zu halten." Mike fiel der Abend ein, als Ross Callie zum Ausgehen abgeholt hatte. Er hatte damals gesagt, dass Callie garantiert eine wunderbare Ehefrau abgehen würde. Eine Ehefrau! Allein bei dem Gedanken packte ihn erneut heiße Eifersucht. Seinen Freunden konnte er nicht vertrauen! Wenn er ehrlich war, wollte er Callie zwar nicht, wollte aber auch nicht, dass seine Freunde sie eroberten! „Schlag dir das aus dem Kopf", warnte Mike. Ross und Donovan konnten sich gern mit Heiratsgedanken herumtragen, aber nicht im Zusammenhang mit Callie! „Das geht nur Callie und mich etwas an." „Hört schon auf!" rief Donovan von hinten, der dabei war, ein Getriebe zu überprüfen. „Ihr benehmt euch wie kleine Jungs. Ich dachte, du seist zu intelligent, um eine gute Sache kaputt zu machen, Mike, aber da habe ich mich wohl getäuscht." Mike fluchte leise und ging hastig davon. Er hatte einen Übernachtflug nach Kalifornien zu machen, hätte längst abfliegen sollen und war eigentlich nur ins Büro gegangen, um sich zu verabschieden. Und nun war Callie böse mit ihm. Er würde eine Weile weg sein, und ROSS und Donovan blieben in Kachelak! Die hatten erst in drei Tagen wieder einen Auftrag. Das war der Vorteil eines inzwischen erfolgreichen Unternehmens. Nun hatten sie keinen Achtzehnstundentag mehr, sondern zwischendurch mehr Möglichkeit, sich auszuruhen. Auf einmal wünschte Mike, die Firma wäre noch nicht so weit. Dann hätten seine Partner jetzt keine Zeit, sich mit Callie zu beschäftigen. Er dagegen musste eine Gruppe arroganter Geschäftsleute abholen, die viel Geld dafür ausgaben, eine Privatmaschine zu buchen, um sich zum Vergnügen die Wildnis von Alaska anzusehen. Der einzige Trost war, dass sich gleich nach der Ankunft Travis Black, der Wildführer der „Triple M", um sie kümmern würde.
„Bis in ein paar Tagen!" rief Ross. „Ich kümmere mich inzwischen um Callie." Das reichte! Mike ging zu Ross zurück und kna llte ihm den Flugplan in die Hand. „Das wirst du nicht, denn du übernimmst den Auftrag! Wir sehen uns dann in ein paar Tagen. Viel Spaß in Kalifornien." Ross grinste. „Und was ist, wenn ich mich weigere?" Mike wippte auf den Füßen vor und zurück. „Glaub mir, das probierst du besser nicht aus."
7. KAPITEL
Callie nahm einen Lappen aus dem Schrank und legte ihn auf den verschütteten Kaffee. Du brauchst mich nicht zu bemuttern, als sei ich eins deiner Sonntagsschulkinder. Dieser Idiot! Am liebsten hätte sie ihm für diese Bemerkung eine Ohrfeige verpasst. Sie sorgte sich um ihn, aber das war ja wohl nicht schlimm und kein Verbrechen. Noch am Wochenende hatten sie sich leidenschaftlich geküsst, und nun kam er wieder mit der Sonntagsschule! Es war wohl hoffnungslos. Noch immer wütend, wischte Callie jeden Hauch von Feuchtigkeit vom Linoleumboden. Richtig scheußlich sieht der aus, dachte sie, und völlig abgelaufen. Der muss hier raus, entschied sie. Als Nächstes würde sie dafür sorgen, dass das Büro umgestaltet würde. Immerhin war es jetzt wenigstens sauber, auch eine zweite Telefonleitung war installiert, samt Anrufbeantworter. „Callie?" Sie presste die Lippen zusammen und duckte sich hinter den Computer. Im Moment war sie nicht gut auf Mike zu sprechen. Er sollte lieber etwas Abstand von ihr wahren. „Hallo." „Verschwinde!" „Es tut mir Leid." Es war ihr völlig egal, wie oft Mike sich entschuldigen würde. Er war ein gedankenloser Grobian und sollte ruhig etwas leiden. Oder sie erst heiraten und dann leiden. Jede Nacht, im Bett. Sie würde ihn damit foltern, dass sie die aufregendste, unersättlichs te Frau wäre, die er je gehabt hatte. Bei diesem Gedanken musste sie unwillkürlich lächeln. Verdammt, sie schaffte es einfach nicht, ihm böse zu sein, schon gar nicht, wenn er diesen betretenen Ausdruck hatte. „In letzter Zeit muss ich mich anscheinend dauernd für etwas entschuldigen." Er zupfte an einer Strähne ihres Haares. „Es tut mir wirklich Leid. Es war sehr nett von dir, dir darüber Gedanken zu machen, dass ich mich verbrannt haben könnte." „Solltest du nicht auf dem Weg nach Kalifornien sein?" fragte sie statt eines Kommentars. „Ross hat das übernommen. Er startet gerade." Das Dröhnen der Piper Comanche drang durch das offene Fenster. „Das verstehe ich nicht, Ross kann Touristen nicht leiden." „Er wird es schon schaffen." „Du hast ihm das wohl übertragen, oder?" schimpfte Callie. „Nein, wieso, wir sind schließlich Partner. Mit den gleichen Rechten und Pflichten. Wie könnte ich ihn dazu zwingen?" Mike lächelte, aber das überzeugte Callie nicht. Er saß auf der Ecke des Schreibtisches, dem einzigen Platz außerhalb ihres Stuhls. „Ihr braucht hier drinnen übrigens auch mehr Sitzgelegenheiten", bemerkte sie. „Wie haltet ihr überhaupt eure Besprechungen ab?" „Das tun wir hier nicht, wir sitzen dann auf Ölfässern im Hangar." „Kann ich mir vorstellen. Ihr solltet mal an eine Vergrößerung denken. Und das Personal aufstocken. Schließlich seid ihr kein Eine-Maschine-Unternehmen mehr." „Ich weiß. Bislang haben wir es nur geschafft, weil viele Transporte bei normalen Flügen mitlaufen, aber nun, da wir auch im Touristengeschäft sind, ist alles komplizierter." Er legte ihr eine der Strähnen hinters Ohr.
Callie versuchte, normal weiter zu atmen, und konzentrierte sich darauf, Quittungen aus dem Monat April zu ordnen. Hoffentlich merkte Mike nicht, dass ihr das Herz pochte, sobald er in ihrer Nähe war. Sonst könnte sie ihm nicht mehr vorspielen, nicht an ihm interessiert zu sein. Beide schwiegen einen Moment. „Solltet ihr nicht etwas ändern", fragte Callie schließlich. „Eine neue Maschine anschaffen, oder Donovan auch außerhalb des Bundesstaates operieren lassen?" „Meinst du?" Seine Frage wirkte träge, aber sein Blick war es ganz und gar nicht. „Wir haben doch schon darüber gesprochen." Callie nahm einen der wöchentlichen Flugpläne in die Hand, strich Mikes Namen auf dem KalifornienAuftrag durch und schrieb den von Ross darüber. „Im Übrigen: Was immer mit Ross oder Donovan ist, das geht nur mich und sie etwas an. Du kannst jetzt gehen." Sie wies auf die Tür. „Ich habe Wichtigeres zu tun, als herumzusitzen, während du den großen Bruder spielst. Glaubst du eigent lich, dass es etwas ändert, wenn du ROSS nach Kalifornien schickst?" „Nein", gab Mike geknickt zu. Er hatte überhaupt nicht nachgedacht, auch nicht darüber, wieso er auf einmal den Drang verspürt hatte, einem seiner besten Freunde ins Gesicht zu schlagen! Typisch Frau. In deren Gegenwart verwandelte man sich in einen durchgedrehten Wüstling! Dabei wollte er Callie ja gar nicht wirklich. Sie war zwar inzwischen erwachsen und äußerst attraktiv, aber er war nicht der Richtige für sie. Außerdem schien sie genauso viele Probleme damit zu haben, ihn in romantischer Weise zu sehen wie er sie. Bei diesem Gedanken stutzte er allerdings. Callie hatte ihn zwar leidenschaftlich zurückgeküsst, aber meistens behandelte sie ihn trotzdem eher wie einen Bruder. Nicht besonders schmeichelhaft. Er sprang auf. Darüber musste er noch nachdenken. „Hey, warte! Das kannst du wenigstens mit zur Post nehmen", rief Callie ihn zurück. Sie hielt ihm einen Packen Rechnungen hin sowie eine Werbebroschüre, die sie gemeinsam entwickelt hatten. „Ja, natürlich." Mike verließ das Büro. Draußen atmete er tief durch. Was brachte ihn eigentlich so durcheinander? Es musste an diesem Kuss liegen. Dabei war der nicht mal so aufregend gewesen wie der damals im College. Unsinn, du weißt genau, er war wunderbar. Mike rieb sich den Nacken. Also gut, er gab es zu. Auch dass er Lust hatte, Callie noch einmal zu küssen. Und herauszufinden, wieso sie ihn so erregte. Wahrscheinlich lag es daran, dass er nach so langer Zeit ausgehungert war. Oder vielleicht, weil sie so heißblütig war, wie er es sich vorstellte. Egal, er musste darüber nachdenken, wie er damit umgehen sollte. Er hatte sie nicht gerade nett behandelt. Kein Wunder, dass Callie ihm das übel nahm. Es war schon nach vier, als Callie sich an den Lagerraum der Firma machte. Bis dahin hatte sie diesen vernachlässigten Gebäudeteil bewusst erst mal übersehen. Doch als ihr die dritte Maus fast über die Füße lief, beschloss sie, nicht mehr länger zu warten. Sie zog ihr Sweatshirt aus, bahnte sich einen Pfad zwischen Kartons und anderem Krempel hindurch und hoffte, das Mäusenest zu finden, bevor die Maus im Dreck erstickt war. „Hast du Lust, mit mir essen zu gehen?" fragte Donovan eine Stunde später. Callie schüttelte den Kopf und hustete. „Nein, ich brauche ein heißes Bad. Sag mal, werft ihr eigentlich nie etwas weg?" Sie hielt einen Stapel National Geographie-Hefte im Arm, deren obere Seiten von mehreren Mäusegenerationen
zerfressen worden waren. „Man weiß nie, ob man das nicht eines Tages noch mal braucht." „Ah so." „Komm schon, wir gehen zusammen essen, und ..." „liih!" schrie Callie plötzlich, ließ den Stapel Zeitschriften fallen und rieb sich den Arm. Zwei Mäuse rannten an Donovans Füßen vorbei. „Hat dich eine angesprungen?" „Nein, das war ... eine Spinne." Callie untersuchte ihren Arm, ob das Tier vielleicht noch irgendwo an ihr saß. „Wo ist sie hin?" „Lass mich mal sehen", bot Donovan an und warf einen betonten Blick in Richtung Fenster. Mike kam nämlich gerade zurück. Callie schmunzelte. „Ja, gern." Sie reckte sich und gab Donovan einen KUSS auf die Wange. Mikes Partner waren wirklich nett. Sich in einen von ihnen zu verlieben wäre so viel problemloser gewesen. „Zu schade, Süße, wenn du nicht auf einen ganz bestimmten Mann fixiert wärest, wärest du perfekt." Donovan nahm ihre Hand, beugte sich tief darüber und untersuchte sie intensiv. „Callie?" rief Mike wütend. Sie schaute über Donovans breite Schulter zu ihm hin. „Oh, hallo, Mike." „Was ist hier los?" „Wieso, was meinst du?" fragte Donovan lässig. Mike sah seinen Partner wütend an, und Callie stöhnte. Diese Spielchen fielen ihr schwer, ständig stand ihr das Gewissen im Weg. „Mich hat eine Spinne erschreckt, das ist alles. Und Donovan bot sich an nachzuschauen, ob sie noch irgendwo an meinem Körper sitzt." „Ach, und das glaubst du ihm?" „Komisch, mit Mäusen geht sie ganz cool um, aber vor Spinnen hat Callie panische Angst", erklärte Donovan, der eine Spinnwebe von ihrer Schulter fegte. „Ich wünsche dir ein angenehmes heißes Bad, Callie. Wir sehen uns morgen." Bei den Worten „heißes Bad" fuhr Mike zusammen. „Nein, morgen seht ihr euch nicht, dann fahre ich nämlich mit ihr zum Kachelak-Gletscher." Callies Augen wurden schmal. „Michael Fitzpatrick, es wäre nett, wenn du mich erst fragen würdest, bevor du Pläne mit mir machst. Im Übrigen hast du gar keine Zeit." „Hör schon auf, so spröde zu sein", entgegnete er. „Ich habe etwas falsch gemacht, okay? Und das möchte ich wieder gutmachen." „Du brauchst mir keinen Gefallen zu tun. Außerdem kann ich nicht mitten in der Woche einen Tag freinehmen. Ich habe viel zu tun. Jemand muss auch noch da sein für die Annahme von Frachtaufträgen und das Organisieren der Charterflüge." Mike schnippte mit den Fingern. „Das ist einer der Gründe, warum wir uns einen Anrufbeantworter angeschafft haben, damit alles klappt, auch wenn wir nicht im Büro sind. Du hast viel gearbeitet und dir einen freien Tag verdient. Einverstanden, Partner?" Donovan warf Callie einen bedeutsamen Blick zu, während er die zerfledderten Magazine nahm und zur Tür ging. „Was immer du meinst." Mike biss sich auf die Lippen. Donovan schien immerhin einverstanden zu sein. Aber hatte er, Mike, die beiden vorhin bei etwas gestört? „Callie ..." „Ich habe mit dem Saubermachen des Lagerraums begonnen", erklärte sie beiläufig, so als hätte Mike sie nicht bei irgendetwas Wichtigem unterbrochen. „Ich hoffe, dir liegt nichts an den Sachen, die ich hier gefunden habe, denn das meiste davon werde ich wegwerfen." „Das kannst du gern tun. Es war fast alles schon da, als wir das Haus gekauft haben.
Callie, was Donovan und dich betrifft..." „Wie lange ist das her?" Mike seufzte. „Acht Jahre." Sie schüttelte den Kopf. „Und dann sagen Männer immer, Frauen würden alles aufbewahren." Sie nahm den Besen und begann, den Boden zu fegen. Mike räusperte sich. „Ich habe gesehen, wie du Donovan geküsst hast." „So? Dich habe ich auch schon geküsst. Das hat nichts weiter zu sagen." „Oh, doch!" versetzte Mike grimmig. Obgleich er nicht definie ren konnte, was. Liebend gern hätte er mit Callie eine Affäre! Aber sie war nicht die Frau für Affären. „Ich meinte das ernst mit der Klettertour auf den Gletscher", sagte er, während sie schwungvoll den Schmutz auf die Schaufel kehrte. „Ich habe schon ein paar Wanderstiefel ausgeliehen für den Fall, dass du keine hast." „Weißt du denn meine Größe?" „Vierzig. Ich habe Elaine gefragt. Ich habe dir auch neue gekauft, möchte aber nicht, dass du Blasen bekommst, weil sie noch eingelaufen werden müssen." „Oh." Callie senkte den Blick, um nicht zu zeigen, dass sie gerührt war. Einerseits fand Mike Callie äußerst unkompliziert, gleichzeitig verunsicherte sie ihn aber zutiefst. Vielleicht war sie schon immer so undurchschaubar gewesen, und er hatte es nur nie bemerkt. „Wir kennen uns doch seit Ewigkeiten, da verliebt man sich nicht mehr auf den ersten Blick", hatte sie behauptet. Da irrte sie sich aber, es gab schließlich Liebe auf den zweiten Blick! Und dass sie Kindheitsfreunde waren, hieß ja nicht, dass es keine sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen geben konnte! „Also, kommst du mit zum Gletscher?" Callie leerte die Schaufel in den Mülleimer und zuckte mit den Achseln. „Ja, meinetwegen." „Deine Begeisterung überwältigt mich." „Hör mal", sie nahm ihre Hand tasche und die Schlüssel, „nur um es noch mal klarzustellen: Ich kann Alaska auch ohne deine Hilfe kennen lernen. ROSS hat mir schon angeboten, mich zum Gletscher mitzunehmen." „Aha." Mike verschloss das Büro und folgte Callie nach draußen. „Ich denke, Ross wollte mit dir auf eine Zwei-Tage-Tour gehen, um dir den WorthingtonGletscher zu zeigen. Das Komische ist, dass wir einen Gletscher hier haben, der nur wenige Meilen entfernt ist. Er ist nicht so berühmt wie der Worthington oder der Portage, aber dazu muss man nirgendwo übernachten." Callie stieg in den Wagen, den sie sich von Ross geliehen hatte. „Wir könnten in getrennten Zimmern schlafen, so wie in Barrow", bemerkte sie spitz. „Wer hätte gedacht, dass du so altmodisch bist?" Die Bemerkung habe ich wohl verdient, dachte Mike. Egal, altmodisch war sie bestimmt auch, so schnell wurde man seine Erziehung nicht los! Das wusste er doch selbst. Jahrelang hatte er getönt, er wollte weg von Crockett, wo sich alle jung verheirateten und schon „alt" waren, bevor sie dreißig wurden. Und festgelegt. Mike wollte sich auf keinen Fall zu früh festlegen! Und nun stand er da und war empört, dass Ross McCoy die Pfarrerstochter mit auf einen Zwei- Tage-Ausflug zu einer Klettertour am Gletscher mitnehmen wollte. Das bewies, man konnte einen Jungen aus der Kleinstadt herausholen, aber nicht die Kleinstadt aus ihm. Schrecklich! Er schob die Hände in die Taschen. „Ich glaube, ich habe mich ziemlich blöd benommen, als du angekommen bist, aber ich möchte eben nicht, dass dir jemand wehtut." „Ich kann auf mich selbst aufpassen, Mike. Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert! Selbst wenn ich mit Ross schlafen würde, ginge dich das nicht das
Geringste an!" Mike blickte düster drein. Es ging ihm schon gegen den Strich, wenn sie nur theoretisch von dieser Möglichkeit sprach! „Das meinte ich ja auch nicht." „Also, ich fahre jetzt nach Hause." Sie stellte den Motor an. „Es war ein langer Tag." Mike wollte Callie noch zum Essen einladen, aber da war sie schon aus der Parklücke herausgefahren. Er seufzte. Dieser Sommer entwickelte sich nicht, wie er es geplant hatte. Andererseits war es nicht langweilig! Und er war nicht einsam. Er stieg in seinen Wagen. Einsam? Die Einsamkeit Alaskas und die stillen Winter hatten ihm noch nie etwas ausgemacht. Er lebte genauso, wie er es immer gewollt hatte. Curdgeon Post mochte einsam sein, aber nicht Mike Fitzpatrick! Jedenfalls nicht sehr. Der Wecker klingelte um fünf Uhr morgens. Stöhnend stellte Mike ihn aus. So früh aufzustehen war nie leicht, selbst im Sommer nicht, wenn die Sonne schon um drei Uhr aufging. Er holte noch einmal tief Luft, bevor er die Augen öffnete. Kaffee! Der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft. Er zog seine Jeans an und stolperte in die Küche. „Das riecht ja wundervoll." Callie schaute von ihrem Buch auf und verbarg ihr Lächeln. Ein Morgenmensch war Mike wirklich nicht. „Es ist genug da. Und ich habe eine Thermoskanne für unseren Ausflug gefüllt." „Du bist meine Lebensretterin." Mike goss sich eine Tasse ein und nahm einen großen Schluck. „Köstlich!" „Na ja, eben Kaffee." „Das ist eine Beleidigung." Callie beobachtete amüsiert, wie er den Kaffee genoss. Sein, Haar war zerzaust, der Oberkörper nackt, seine schwarzen Jeans saßen eng. Er war ein richtiger Mann! Einer, der perfekt nach Alaska passte mit seiner rauen Wirklichkeit. Sie wusste nicht, wie unterdrückte Gefühle da hineingehörten, aber sie wünschte, darin wäre er etwas lockerer. Viel lockerer. Es war entmutigend. Einerseits gefiel ihr der Mann, der beinahe in einem Flugzeug mit ihr geschlafen hätte und alle Vorsicht, alle Bedenken vergaß. Andererseits wollte sie einen Ehemann, der bei aller Leidenschaft auch zärtlich und liebevoll war. Callie erschauerte. Sie nahm ebenfalls einen Schluck Kaffee. „Möchtest du einen Rest Pizza zum Frühstück?" Sie wies auf einen Karton, der auf dem Tisch stand. „Nein, so früh mag ich noch nichts essen." Callie musste wieder lächeln. Die Pizza hatte Mike am Abend zuvor mitgebracht. Er war ganz lieb, einsichtig und fröhlich gewesen und hatte sie gebeten, mit ihm zu essen. Wenn sie nicht schon in ihn verliebt gewesen wäre, hätte sie sich spätestens dann in ihn verliebt. Wie nervig sein Hang war, sie zu beschützen, so liebevoll war er andererseits. Aber irgendetwas schien ihn daran zu hindern, sie als erwachsene Frau zu sehen und nicht mehr als Callie Webster, die unschuldige Pfarrerstochter. Als sie aufstand, um den Pizzarest in den Kühlschrank zu stellen, berührte Mike ihren Arm. „Lass uns heute mal so tun, als würden wir uns nicht kennen und seien das erste Mal miteinander verabredet, ja?" Oh, das war ja viel versprechend! Callie stellte den Karton noch einmal ab, um nachzudenken. „Ja?" Sein Daumen kreiste um ihr Handgelenk. „Ich habe mir gedacht ..."
Callies Herz ging schneller. „Ich glaube, das ist gefährlich." „Ganz ruhig." Er lächelte verführerisch. „Wir sollten mal vergessen, dass wir uns schon seit unserer Kindheit kennen, und uns nur auf die Gegenwart konzentrieren." „Ach, du meinst, um den wirklichen Michael Fitzpatrick kennen zu lernen? Den tüchtigen Unternehmer, der so intelligent wie dickköpfig ist? Den, der unlogisch ist, unbeherrscht und ..." „Vergiss nicht: attraktiv", warf Mike ein. Callie zog die Augenbrauen hoch. „Ich wollte ‚arrogant' hinzufügen." „Hey, du warst doch diejenige, die mich attraktiv genannt hat. Weißt du das nicht mehr? Neulich im Hotel, als du zugabst, dass du auch Lust hattest, mich zu küssen." Verdammt, sie hatte geahnt, dass sie dieses Geständnis noch einmal bereuen würde. Sie zuckte lässig mit den Schultern. „Na gut, attraktiv. Aber auch arrogant." „Noch etwas?" Sie könnte noch eine ganze Menge hinzufügen, aber so dumm war Callie nicht. Nach ihrem letzten KUSS würde sie sich Mike auf keinen Fall noch ein weiteres Mal an den Hals werfen, es sei denn, er wollte es! Es gab klügere Möglichkeiten zu bekommen, was sie haben wollte. „Also, was noch?" „Na ja, du bist auch ein guter Pilot." Er umschlang ihre Finger mit seinen und zog sie zu sich heran, bis sie auf seinem Schoß saß. „Ich bin froh, dass dir wenigstens irgendetwas an mir gefällt." Die Versuchung, sich in seine Arme zu schmiegen, war groß. Aber Callie hielt sich ganz gerade, um nicht dahinzuschmelzen. Wegen eines kurzen genussvollen Moments durfte sie nicht das große Ganze auf Spiel setzen. „Ich mag dich, Mike. Ich habe dich immer gemocht", gab sie immerhin zu. „Hey, du musst mitspielen. Wir haben uns doch gerade erst kennen gelernt, schon vergessen? Zwei Fremde, die sich verabredet haben." Callie wusste nicht recht, wie weit das Spiel gehen sollte, aber noch erschien es ihr verheißungsvoll. „Also, was hältst du davon?" Sie legte ihm den Arm auf die Schulter und schaute auf ihn hinunter. Seine Wangen waren von dunklen Bartstoppeln bedeckt, außer den Jeans trug er nichts. Den unteren Bereich betrachtete sie lieber nicht allzu genau, aber schon die obere Hälfte war viel versprechend. „Gut, wenn du meinst, ich kann es ja mal versuchen. Also, Fremder, wann fahren wir zum Kachelak-Gletscher?" „Sobald wir angezogen sind. Und zwar warm! Ich möchte nicht, dass du erfrierst." „Kein Problem, dazu bin ich viel zu heißblütig." „Das muss am roten Haar liegen." Mike nahm eine Strähne, wickelte sie sich um den Finger und zog sanft daran. Callie hatte das Gefühl, dass sich etwas geändert hatte. Er war nicht mehr so verunsichert, sondern schien irgendwie entspannter zu sein als vorher. „Mein Haar ist nicht rot", widersprach sie. „Sieht in dem Licht aber so aus." Seine Hand war nur wenig von ihrer Brust entfernt. Eilig stand sie auf und nahm wieder den Pizzakarton. „Den stelle ich besser in den Kühlschrank." „Ja, gut." Mike musste sich von dem Gefühl erholen, das ihn erfasst hatte, als Callie von seinem Schoß geglitten war und dabei einen empfindlichen Körperteil gestreift hatte. Schade, dass sie so schnell aus seiner Reichweite gewesen war. „Kommst du mit, oder möchtest du noch mehr Kaffee?" fragte Callie an der
Tür. „Äh, geh schon voraus. Ich komme in einer Minute nach." Callie verschwand im Flur, und Mike seufzte erleichtert. Ein Mann konnte es leider nicht verbergen, wenn eine Frau ihn erregte. Nicht, dass es Callie verlegen gemacht hätte, zumindest glaubte er das. Vermutlich hätte sie nur eine Braue hochgezogen, geheimnisvoll gelächelt - und ihn damit erst recht verrückt gemacht. Was für eine idiotische Idee, mit Callie irgendwohin zu fahren! Bei einer Frau wie ihr fing man an, an selbst gekochtes Essen und an Kinderwagen zu denken. Und daran, wie man die Babys machte, die dort hineingehörten. Besonders das ging ihm im Augenblick vor allem durch den Kopf. Wenn er nicht aufpasste, würde er noch wie all seine Jugendfreunde aus Crockett in der Ehe landen! Verheiratet. Gebunden. An ein und dieselbe Frau. Für alle Zeiten. Seine Miene verfinsterte sich. Vor allem auch deshalb, weil die Vorstellung nicht mehr ganz so schrecklich war, wie er es immer vermutet hatte.
8. KAPITEL Rumms! „Na, gefä llt's dir noch immer?" Callie lag platt auf dem Eis und blickte hoch. „Ich finde es super! Merkt man das nicht?" Mike bemühte sich, nicht zu lachen, was Callie ihm hoch anrechnete. Er hielt ihr die Hand hin und half ihr wieder auf die Beine. „Hast du dir wehgetan?" „Nein, nein." Callie klopfte sich Schnee von den Jeans. Sie waren übers Eis gewandert, als sie plötzlich ausgerutscht und gestürzt war. Obgleich er relativ klein war, dehnte der Gletscher sich doch zu weit aus, als dass man ihn hätte überblicken können. Und die Kraft, die der gefrorene Fluss ausstrahlte, ließ ein Wort wie „schön" einfach nicht angemessen erscheinen. So verdreht und aufeinander gepresst würde das Eis, das zu einem Berg aufgetürmt und eigenartig ineinander geschoben war, Jahre brauc hen, um sich auch nur Zentimeter voranzubewegen. Callie war zutiefst beeindruckt. Wenn sie und Mike längst tot und begraben und ihre Kinder schon uralt wären, würde es den Gletscher noch immer geben. Das Sonnenlicht streute sein Licht ungleichmäßig über Spalten und Kanten, so dass alles blassblau schimmerte. Callie setzte die Sonnenbrille auf. Nach stundenlangem Herumklettern im grellen Licht verstand sie, wieso Skiläufer schneeblind werden konnten. „Alles in Ordnung?" erkundigte sich Mike, der seinen Rucksack zurechtrückte und Callie den Schal wieder in den Kragen stopfte. „Ja. So kalt finde ich es hier eigentlich gar nicht." „Warte es ab, wenn wir erst mal Stunden herumgewandert sind." „Ah, der Erfahrene. Wie oft kommst du eigentlich hierher?" Mike lächelte. „Selten. Nur, wenn ich eine neugierige Büroangestellte habe, die Gletscher und Eisbären sehen will." Callie krauste die Nase. „Ich weiß, dass du mindestens mit Elaine mal hier oben warst und ein weiteres Mal mit deinen Eltern." „Wenn du eine Fremde wärst, wüsstest du das nicht." „Dann wäre ich überhaupt nicht hier." Sie schaute ihn abschätzend an. „Du bist ja kein zuverlässiger Typ." „Ah, stimmt, trotzdem durfte ich dein Mittagessen tragen." Callie rollte mit den Augen. Sie hatten sich wegen des Rucksacks gestritten, da Mike der Ansicht war, der sei zu schwer für eine Frau. Callie hatte dagegen gehalten, dass er in einer gleichberechtigten Welt nicht alle Lasten allein tragen müsste. Mike hatte gewonnen. Aber nur weil er größer und stärker war und längere Arme hatte. Beinahe hätte Callie gewonnen, denn Mike hatte sie so gegen den Dakota gedrängt, dass er ganz dicht vor ihr stand. Zu seiner Überraschung hatte sie sich nicht gewehrt, sondern sich an ihn geschmiegt - und sich über das Ergebnis gefreut. Was spielten in einem solchen Moment schon Emanzipation und das Tragen eines Rucksacks für eine Rolle? Trotzdem hatte Mike sie nicht geküsst. Vermutlich weil gerade vier Teenager vorbeigekommen waren, die ihn durch Pfiffe und spöttischen Applaus nervös gemacht hatten. Leider. Aber die Zeit war noch nicht reif für einen weiteren KUSS. Callie würde geduldig abwarten. „Kein Kommentar?" Mikes Gesichtsausdruck zeigte, dass er sich ebenfalls an
den Zwischenfall erinnerte. Sie zuckte mit den Achs eln und richtete noch einmal die Sonnenbrille. „Wenn du unbedingt so ein altmodisches männliches Wesen sein willst, warum sollte ich dir das Vergnügen nehmen?" „Es gefällt mir, wenn ich von dir mit Komplimenten überhäuft werde." „Wenn du das für ein Kompliment hältst ... Komm, lass uns weitergehen." Mike blieb dicht hinter ihr und half Callie über schwierige Stellen hinweg, wann immer sie Hilfe zu benötigen schien. Auch wenn sie die nicht brauchte, so fand sie es doch ganz nett, dass er sich so fürsorglich um sie bemühte, besonders, wenn es dabei zu körperlichem Kontakt kam. Was die Kälte anging, so wurde ihr beim Aufsteigen eher heiß. Sie zog den Reißverschluss ihrer Daunenjacke auf, auf der Mike bestanden hatte. Darunter trug sie ein dickes Sweatshirt, das allein schon gereicht hätte. Wenn Mike jemals diesen Widerwillen gegen Heirat und Familie überwand, würde er sich als Vater vermutlich ständig Sorgen um seine Kinder machen. Bei dem Gedanken musste sie lächeln. „Lass uns da drüben essen", schlug Mike eine Stunde später vor und wies auf einen Platz, der durch die Verwerfungen und hoch aufragenden Eisspitzen wie ein Märchenschloss wirkte. Da könnten sie im Schatten essen, wo das Sonnenlicht nicht so grell war. Außerdem wären sie ungestört, obgleich ohnehin nur wenige Leute hier oben waren. „Sieht gut aus", stimmte Callie zu, die etwas atemlos war. Mike schaute unauffällig zu ihr hin. Hinkte sie ein wenig, oder lag es am unebenen Untergrund? Sie war der Typ, der sogar mit einem gebrochenen Bein weitergehen würde. Dabei nannte sie ihn dickköpfig! Darin nahmen sie sich wohl beide nichts. „Bis zum Gipfel schaffen wir es nicht", sagte er und nahm Callies Arm. „Das ist zu weit, und wir sind dafür nicht richtig ausgerüstet. Nach dem Essen sollten wir uns auf den Rückweg machen." „Hmm." Ihre Wangen waren rosig angehaucht. „Hey, deine Jacke ist offen." „Weiß ich." „Callie, Unterkühlung ist kein Spaß." „Mike, ich schwitze. Ich bin im regenreichen Bundesstaat Washington aufgewachsen, nicht in den Tropen. Du hast darauf bestanden, dass ich wie für den Mount Everest gekleidet bin. Die Sonne scheint, es ist ziemlich warm, und mir ist heiß." Sie zog die Jacke aus und warf sie ihm zu. „Du wolltest doch die Sachen tragen, also nimm die auch." Insgeheim musste Mike ihr Recht geben, denn er trug nur ein Flanellhemd plus Weste. Aber er hatte gedacht, dass Callie ja nicht an diese niedrigen Temperaturen gewöhnt war. Sie ging weiter. Mike schaute ihr nach. Was für ein knackiges Hinterteil, dachte er. Sie ha tte wirklich eine aufregende Figur! Er musste daran denken, wie sie sich morgens in der Küche beinahe geküsst hatten. Aber dann hatte Callie sich ihm entzogen, und der Moment war vorbei gewesen. Auf den Gletscher war er mit ihr gestiegen, weil er Callie hier vermutlich küssen könnte, ohne dass dabei alles gleich außer Kontrolle geriet. Küssen wollte er sie unbedingt noch einmal, schon um zu sehen, ob die Fantasie oder die Wirklichkeit besser war. So ein Unsinn! schalt er sich. Na gut, er wollte sie einfach küssen, um Vergleiche ging es ihm wirklich nicht. Auch so wusste er, dass Callie das Aufregendste war, das er je in den Armen gehalten
hatte. Seltsam, denn gleichzeitig war sie lieb und zart. Die Vorstellung, mit ihr zu schlafen, war auch irgendwie respektlos, denn gleichzeitig sah er Callie noch immer im Chorkleid an der Orgel vor sich. Das Bild wurde allerdings allmählich durch die gewagte Kleidung überdeckt, die sie jetzt oft trug. Seufzend holte er sie ein. Er reichte ihr die Jacke. „Du solltest dich beim Essen darauf setzen. Sonst friert dir das Hinterteil ab", riet er ihr. „Mein Hinterteil geht dich gar nichts an." Mike wackelte mit den Augenbrauen. „Schätzchen, dein Hinterteil geht mich durchaus etwas an." „Hey, ich bin frei und allein stehend. Und worauf ich sitze, ist ja wohl meine Sache." Trotzdem legte sie die Jacke auf die Thermodecke, die Mike ausgebreitet hatte, und sank erleichtert darauf. Mike bemerkte, dass sie sich die Wadenmuskeln knetete und das Gesicht dabei verzog. Er war offenbar zu schnell gegangen. Das lag daran, dass er die sinnlichen Gedanken, die ihn dauernd bei ihrem Anblick überfielen, zu verdrängen hoffte. Sein Körper reagierte auf Callie, als hätte sie gerade ein Striptease hingelegt. Deshalb wäre es äußerst unvernünftig, Callie noch einmal zu küssen. Damit würde alles nur schrecklich kompliziert werden. Er räusperte sich. „Ich hoffe, du magst die Sandwiches, die ich besorgt habe. Du kannst zwischen Putenfleisch und Putenfleisch wählen." „Wenn das so ist, nehme ich Putenfleisch." Callie zog die Handschuhe aus und nahm das angebotene Sandwich. „Ich hätte uns ja einen Lunch zubereiten können." „Etwas kochen?" Mike klatschte dramatisch in die Hände. „Du?" „Soll das etwas bedeuten, oder bist du einfach nur ekelhaft?" Callie wickelte das Sandwich aus und biss hinein. Ein bisschen Mayonnaise quoll hervor und blieb an ihrem Mundwinkel hängen. Sie leckte es mit der Zungenspitze ab. Mike wurde heiß bei dem Anblick. Schnell schaute er woanders hin. „Ja, das ist wohl ein bisschen albern. Aber du hattest gesagt, dass du deine Zeit nicht mit Kochen verschwenden wolltest." „Trotzdem hätte ich uns einen Lunch zubereiten können, das ist ja kein großer Aufwand", entgegnete sie und wunderte sich, dass er sich offensichtlich an jede Kleinigkeit erinnerte, die sie gesagt hatte. „Na ja, so brauchtest du es nicht zu tun." Sein Lächeln war wieder umwerfend. Schon verzieh sie ihm, dass er sie dazu ge zwungen hatte, eine Daunenjacke zu tragen, obgleich ein Sweatshirt gereicht hätte. Callie goss Kaffee aus der Thermosflasche ein, und Mike nahm einen großen Schluck aus dem dampfenden Becher. Er hielt ihn auch ihr hin, aber sie schüttelte den Kopf. Wenn keine öffentliche Toilette in Sicht war, hatten Männer eindeutige Vorteile ... Die Umgebung war eindrucksvoll und schöner als das eleganteste Restaurant. So weit man sehen konnte, nichts als eine weißblau glitzernde Welt, vom saphirblauen Himmel bis zum Eis des Gletschers. „Wieso ist eigentlich nicht alles weiß?" überlegte Callie laut. Mike knabberte gerade an einem Stück Gurke. „Keine Ahnung. Ich glaube, es hat etwas mit der Absorption des Lichts zu tun." Ah ja, dachte Callie, ein Prisma hatte ja auch keine Farbe, spaltete das Licht aber in Regenbogenfarben auf. Nachdem Mike mit dem Essen fertig war, lehnte er sich lässig zurück und schloss die Augen. „Ich weiß, dass wir auf purem Eis sitzen", fragte Callie weiter. „Wie kommt es, dass sich der Boden trotzdem nicht kalt anfühlt?" „Das liegt nur an der Thermodecke. Die nehme ich immer mit. Die glänzende
Seite reflektiert jeden Hauch Wärme." Callie betrachtete die Decke interessiert. Auf der einen Seite war sie schwarz, auf der anderen silbrig glänzend. So ähnlich wie die, die im Erste-Hilfe-Koffer im Auto war. „Hier oben muss man sich bestimmt gut mit Überlebenstechniken auskennen." „Allerdings." Mike öffnete kurz die Augen und schaute Callie an. Sie schien sich dafür zu interessieren, was es hieß, in Alaska zu leben, diesem wunderschönen, aber auch schwierigen Land, wo es enorme Kälte, Eisstürme und Tiere gab, die einen mit einem einzigen Prankenhieb umbringen konnten. Und im Winter nur fünf Stunden Tageslicht. Wenn sie alles wüsste, würde sie bestimmt nicht bleiben. Egal, was ROSS oder Donovan meinten. Plötzlich rieselte es eiskalt in sein Gesicht. Erschrocken öffnete er die Augen. Callie hatte sich mit einer Hand voll Schnee zu ihm gebeugt und lachte. „Du hast wohl gar keinen Respekt vor mir", murrte er. „Oh, ich vergaß, dass du heute den Höhlenmenschen spielst und dafür Respekt erwartest. Ich dachte immer, die brauchten nur eine Keule, ein Stück Fleisch und dann eine Frau. Oder brauchst du vielleicht mehrere?" Sie sah so fröhlich und frisch aus, dass Mike unwillkürlich mit den Fingern ihre Lippen berührte, die trotz der Kälte warm und weich waren. „Keine Antwort?" „Eine zurzeit genügt mir." „Aha." Sie lachte erneut. „Du bist bestimmt wie ein Seemann, der in jeder Stadt eine Braut hat. Es muss anstrengend sein, sie alle auseinander zu halten." „So etwas habe ich nicht." Callie legte ihm den Arm auf die Brust, ihre Hüfte berührte seine. Einen Moment lang konnte Mike sich gar nicht bewegen. Der einzige Körperteil, der funktionierte, war ausgerechnet der unpassendste! Glücklicherweise hatte er Jeans und dicke Unterwäsche an. „Na, ob ich das glauben kann ... Die Mädchen nannten dich früher schließlich Fitzpatrick, den Hengst. Manche behaupteten, du hättest mehrere Adressbücher verbraucht", berichtete sie schelmisch. Nie hätte Mike gedacht, dass Callie seinen Spitznamen aus der High School kannte. Als Teenager war er stolz darauf gewesen, jetzt war ihm das eher peinlich. „Fitzpatrick, der Hengst, bin ich schon lange nicht mehr", sagte er und strich Callie sanft über die Wange. „Vielleicht sollten wir uns lieber auf den Rückweg machen", gab sie mit unsicherer Stimme zu bedenken. Das war ja interessant. Seitdem sie in Alaska war, hatte Callie sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, hatte immer selbstbewusst und kess gewirkt. Es war schön zu wissen, dass auch sie gewisse Unsicherheiten kannte. „Wir haben noch reichlich Zeit." „Im Büro ist viel zu tun. Und der Anrufbeantworter sollte abgehört werden." „Unsinn, heute hast du frei." Callie wollte sich lieber zurückzuziehen, aber Mikes Blick war so verführerisch. „Vorhin hast du dir noch Sorgen wegen der Kälte gemacht." „Nicht, wenn man eine Thermodecke hat." Auf einmal zog Mike sie auf sich und hielt sie zärtlich fest. Er lächelte. „Mike, he, was machst du?" Er drückte sie so an sich, dass es ihren Unterleib heiß durchfuhr. „Ich möchte es noch einmal." „W...was?" „Dich küssen."
Es irritierte Callie, dass sie so stark auf ihn reagierte. Sie hatte das Gefühl, ihr Körper zerflösse förmlich, und fühlte sich unfähig, sich seiner Umarmung zu entziehen. Unter ihren Händen, die auf seinen Brustkorb gepresst waren, spürte sie das Pochen seines Herzens. „Zwei alte Freunde sollten sich doch küssen dürfen, oder?" fragte er und strich über ihren Rücken und ihr festes Hinterteil. Callie kam es plötzlich so vor, als sei die Luft hier oben dünner als anderswo. Das war die einzige Erklärung dafür, dass ihr ganz schwindelig wurde. Sie wollte auf keinen Fall, dass es schon zu weit ginge! Schon deshalb nicht, weil Mike beim letzten Mal so merkwürdig reagiert hatte. „Ich dachte, wir wollten so tun, als seien wir Fremde." „Stimmt. Aber das funktioniert nicht, du hattest Recht." Callie war sich ziemlich sicher, dass sie es allenfalls gedacht hatte. „Das habe ich nicht gesagt." „Egal. Ich habe jedenfalls Lust, dich zu küssen, und das Wäre auch so, wenn wir uns nicht kennen würden. Vielleicht hätte ich es dann sogar schon längst getan." So richtig denken konnte Callie jedoch nicht mehr, denn das, was er mit ihrem Körper machte ... „Mike, oh ..." Nun war ihr alles egal, denn er näherte sich ihr mit geöffneten Lippen. Callie stöhnte leise auf, als sie sich dem Kuss völlig hingab. Sie erwiderte den KUSS und begann gleichzeitig, sein Hemd aufzuknöpfen. Er war nicht der Einzige, der etwas erforschen wollte. Mit gespreizten Beinen lag sie über ihm. Sie spürte deutlich, wie sehr er sie begehrte, und genoss das Gefühl seiner Kraft und seiner Leidenschaft. „Ja, Callie?" Sie zu küssen war unbeschreiblich. Für den Rest seines Lebens würde er jede Frau mit Callie vergleichen. Vielleicht würde er sie später bitter vermissen, aber das war wohl der Preis, den er für diesen herrlichen Moment zahlen musste. Auf einmal zog sie sich von ihm zurück. Spielerisch fuhr sie mit der Zungenspitze über seine Lippen. „Magst du' das?" flüsterte sie. „Ja. Komm näher, dann mag ich es noch lieber." Sie lachte heiser, gehorchte aber nicht, sondern schob den Kopf weiter hinunter, auf seine nackte Brust. Sie zog sacht an dem weichen Haar, umkreiste die Warzen, erregte sie so, wie er es mit ihren gemacht hatte, und lächelte, als seine Muskeln unwillkürlich zuckten. Mike beobachtete Callie durch die halb geschlossenen Augen. Sie wusste genau, was sie tat, und genoss das Gefühl der weiblichen Macht über ihn. Allein das Bewusstsein, dass es ihm gefiel, erhöhte auch ihr eigenes Vergnügen. Ihre duftige Mähne fiel wie ein wärmender Vorhang inmitten der weißen Gletscherkühle über ihn, als ihre Lippen sich erneut fanden. Mike vergrub seine Finger in der seidigen Fülle, die andere Hand schob er unter ihr T-Shirt. Genießerisch zog er eine Linie über die weiche Haut ihres Rückens. Als Mike den Verschluss ihres BHs öffnete, hielt Callie kurz die Luft an. Ihre Brüste schwollen an, die Spitzen wurden fest und hart. Langsam schob er sich immer höher, bis er mit den Lippen eine der rosigen Knospen erreichte. Erst saugte er ganz sanft daran, dann immer intensiver. Callie durchzog es heiß. Sie sehnte sich danach, Mike auch zu liebkosen, raunte zärtliche Worte und strich lustvoll mit einem Bein über den harten Hügel seines Unterleibes. „Nein", stöhnte Mike auf einmal, kam hoch, drehte Callie he rum und drückte sie mit den Schultern förmlich an den Boden. Er heftete seinen Blick auf ihre entblößten Brüste. Callie fühlte sich unter seinem Blick auf einmal unsicher und versuchte
schnell, sich zu bedecken. „Nein, bitte, Callie, du siehst so schön aus!" flüsterte Mike. Er fuhr mit seiner rauen Hand über eine der rosigen Spitzen, sein Atem ging immer heftiger. Callie stöhnte und bog sich ihm entgegen. Würde sie denn je ge nug davon bekommen? Konnte Mike dieses heiße Verlangen stillen? Noch nie war sie so aufgewühlt gewesen wie jetzt durch ihn. Er saugte an einer Knospe und gab sich ganz der Begierde hin, die ihn durchströmte. Im Augenblick zählte nichts anderes auf der Welt. Erst als er versuchte, Callies Gürtel zu öffnen und sie ihm dabei half, kam er wieder zur Vernunft. Wir sind auf einem Gletscher, schoss es ihm durch den Kopf. Du Dummkopf, du kannst doch nicht mitten in der Wildnis mit ihr schlafen! Es könnten Leute vorbeikommen! Sein Körper quälte ihn mit dem unbändigen Verlangen nach Erlösung, aber Mike rollte sich von Callie herunter und schlug hart aufs Eis. Der Schmerz, der seinen Arm hinaufschoss, war ihm willkommen, er lenkte ihn von der inneren Qual ab. „Mike, was ist? „Lass mich bitte." Schockiert machte Callie sich von ihm los, Tränen brannten in ihren Augen. Es war also wieder passiert! Erst hatte Mike ganz offensichtlich große Lust, mit ihr zu schlafen, und dann brach er es erneut ab! Alle Hoffnung, mit der sie nach Alaska gekommen war, schien zu schwinden. Mike würde sie wohl nie als geeignete Partnerin für sich sehen, sosehr sie sich auch bemühte. „Na schön, wie du willst, es war eben nur ein freundschaftlicher platonischer Kuss. Wie konnte ich nur darauf kommen, dass du mehr willst?" Sie setzte sich auf und schloss ihren BH. Auf keinen Fall würde sie ihm den Triumph gönnen, sie weinen zu sehen, schließlich hatte sie ihren Stolz. Auch wenn der im Moment etwas angeschlagen war. „Callie, bitte, es liegt nicht an dir." Sie rollte sich hastig zur Seite und zog ihr Sweatshirt wieder herunter. Ohne die Thermodecke spürte sie sofort die eisige Unterlage, aber das war nichts im Verhältnis zu der inneren Kälte, die sie empfand. „Meine Güte, wir sind hier mitten auf einem Gletscher", sagte Mike heftig. „Hier könnte uns jeder sehen." Callie schaute sich um. Auf der einen Seite waren die Eisblöcke, in deren Schatten sie gesessen hatten, auch sonst war nichts als grenzenloses Weiß zu sehen und keine Spur eines anderen Lebewesens. „Stimmt", meinte sie spöttisch, „wir befinden uns auf einer Hauptstraße mitten im Feierabendverkehr und riskieren, gestört zu werden." Sie zog die Daunenjacke über, stand auf und machte sich auf den Rückweg. Im Augenblick mochte sie nicht sprechen. Sie wollte Mike am liebsten nicht einmal ansehen. Wenn er auch nur das geringste Gespür für sie hatte, würde er sie jetzt in Ruhe lassen.
9. KAPITEL
Mike erhob sich und lief Callie hinterher. Er packte sie am Handgelenk und wollte sie zwingen, stehen zu bleiben. Alle Freude war aus ihrem Gesicht verschwunden, in den grünen Augen stand dunkler Schmerz. Dabei hatte er wirklich nicht vorgehabt, ihr wehzutun! „Callie, ich hätte damit gar nicht anfangen dürfen, aber ich dachte, hier draußen sei es sicher für mich." „Sicher?" „Na ja, dass ich nicht wieder die Kontrolle verlieren würde." Ihre Lippen wurden zu einem bitteren Strich, und Zorn flammte in ihren Augen auf. „Zum Glück ist ja nichts passiert. Es wäre sicher schrecklich gewesen, mit mir zu schlafen." „Das meine ich nicht! " „Nein? Erzähl mir nicht..." Callie drückte dramatisch die Hand an ihr Herz. „Du bist noch unberührt und hebst dich für die Ehe auf." „Das ist es nicht. Du bist wunderbar, aber du bist..." „Eine Pfarrerstochter", ergänzte sie. „Na ja, das stimmt doch." „Wenn ich Mary Jo Lowry wäre, hä ttest du mit mir geschlafen. Schon im Flugzeug. Oder im Wagen, wo auch immer." Mary Jo? Mike überlegte. Schließlich fiel ihm ein, wer das gewesen war. „Mary Jo Lowry", wiederholte er. „Die war Groupie des Football- Teams und schlief mit jedem, der eine Hose trug. So eine hat doch mit dir nichts zu tun." „Ich bin ebenfalls eine Frau, aber das scheint dir entgangen zu sein." Damit drehte Callie sich um und ging von dannen. Schweren Herzens ging Mike zu dem Rastplatz zurück und sammelte die Sachen ein. Es sollte ihm entgangen sein, dass Callie eine Frau war? Hielt sie ihn für blind? Spürte sie nicht, wie sehr er sie begehrte? Er nahm den Rucksack und schaute den Berg hinunter. In den wenigen Minuten, die er zum Einpacken gebraucht hatte, war Callie schon eine Viertelmeile weit gegangen. Besorgt eilte Mike ihr nach. Sie war so aufgebracht, dass er fürchtete, dass sie nicht auf Unebenheiten oder sonstige Gefahren achten würde, die auf einem Gletscher lauern konnten, Er legte die Hand an den Mund. „Callie!" rief er. „Bitte, bleib stehen!" Das Echo verfing sich im Eis, aber sie reagierte nicht. Mike ging schneller. Für jemanden, der nicht gerade lange Beine hatte, legte sie ein erstaunliches Tempo vor. Das Einzige, was er tun konnte, war, ein Auge auf sie zu haben und zu beten, dass sie nichts Unüberlegtes tat. Du bist ein Idiot, weißt du das eigentlich? dachte er. Doch sein schlechtes Gewissen war im Moment keine große Hilfe. Es machte bei jedem Schritt hö hnischere Bemerkungen. Gleichzeitig fragte er sich, wieso Callie eigentlich nach Alaska gekommen war. Details gingen ihm durch den Kopf. Callie, die eine eigene Firma besaß - offenbar gut gehend, wenn die Fähigkeiten, die sie im Büro bewiesen hatte, ein Hinweis waren. Callie, die selbstbewusst und stark war. Wieso hatte die sich entschlossen, den Sommer in Alaska zu verbringen? Seine Schritte wurden länger. Er wollte eine Antwort. Und mit der Erklärung, dass sie nur mal Ferien woanders machen wollte, würde er sich nicht zufrieden geben. Am Aufstieg zum Gletscher holte er sie ein. Die tiefen Spalten und Brüche im Eis schienen durch das Schmelzwasser, das sich den Weg in die Freiheit bahnte, regelrecht zu singen.
„Callie Webster, rede mit mir, verdammt noch mal!" verlangte er, als er sie erreicht hatte. „Wir haben nichts zu besprechen." „Da oben warst du bereit, mit mir zu schlafen, und wurdest wütend, als ich es abbrach. Was zum Teufel ist los?" Callie stemmte die Hände in die Hüften und schaute ihn mit funkelnden Augen an. „Verdammt noch mal? Zum Teufel? Ist das eine angemessene Ausdrucksweise in Gegenwart einer Pfarrerstochter? Denn nichts anderes bin ich ja wohl für dich!" Mike unterdrückte eine scharfe Antwort. „Ich möchte von dir wissen, warum du überhaupt nach Alaska gekommen bist. Jetzt bitte die Wahrheit!" Ein Gemisch von Gefühlen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Zorn, Zweifel, Trotz. „Also gut, die Wahrheit ist: Ich bin nach Alaska gekommen, um dich zu heiraten. Lustig, wie?" Mike blieb fast der Mund offen stehen, obgleich er schon so eine Ahnung gehabt hatte. „Du bist hergekommen, um ..." „Dich zu überzeugen, dafür zu sorgen, dass du dich in mich verliebst. Muss ich es noch genauer sagen? Du bist ein riesiger Dummkopf, aber ich glaubte nun mal, dich zu lieben. So, und nun kannst du dich totlachen." Ich glaubte, dich zu lieben. Das Wort „Liebe" hatte Mike immer Angst gemacht. Das hieß „für immer", und das wollte er nicht. Das bedeutete, gebunden zu sein, roch nach Gleichförmigkeit, einem Leben, das man in jeder amerikanischen Kleinstadt lebte. Callie lächelte bitter. „Schau nicht so besorgt drein, Mike. Ich habe auch meine Ansprüche. Und jetzt würde ich dich nicht mehr heiraten, auch wenn du der einzige Mann auf Erden wärst." „Wieso, weil ich dich da oben zu sehr respektiert habe?" „Das hat nichts mit Respekt zu tun", sagte sie. „Es ist die Art, wie du mich siehst. Immer nur als Pfarrerstochter. Das bin ich, aber das ist nur ein kleiner Aspekt meiner Person." „Das weiß ich." „Tatsächlich? Ich bin eine Frau mit den gleichen Gefühlen und Bedürfnissen, wie andere Frauen sie haben. Aber wenn du das nicht begreifst - ich finde schon einen anderen, der es tut." „Ich wollte nicht..." „Wenn du auch nur halbwegs der Mann wärst, für den ich dich früher hielt, hätte ich nicht hierher kommen und mich zum Narren machen müssen." „Das hast du nicht getan." „Nein? Überleg doch mal." Mike versuchte, seine Gedanken zu ordnen. „Ich mag dich sehr, das weißt du doch." „Liebst du mich?" fragte Callie direkt. Mike öffnete den Mund, aber die Worte wollten nicht heraus kommen. Liebe? Er wusste nicht, was genau das bedeutete. Und auch nicht, ob er Callie wirklich liebte. Er mochte sie sehr, er begehrte sie unendlich, das ja. Sie war ihm inzwischen ungeheuer wichtig geworden! War fröhlich, temperamentvoll, attraktiv, warmherzig, und schon ihr Anblick ... Aber Liebe? „Vielleicht brauchen wir etwas Zeit, damit sich alles entwickeln kann", schlug er ratlos vor. „Wir haben Zeit genug gehabt, Mike, mehr als dreißig Jahre. Ich glaube nicht, dass noch mehr Zeit etwas ändert." Callie fühlte sich zutiefst gedemütigt, aber die Welt ging nicht davon unter, dass Mike sie eben nicht liebte, und schon gar nicht deshalb, weil er da oben im
Gletscher - oder sonst wo - nicht mit ihr hatte schlafen wollen. Aber sie hatte plötzlich keine Lust mehr zu kämpfen. Sie hatte das Risiko auf sich genommen. Hatte versucht, Mike dazu zu bringen, dass er sie anders sah als in ihrer Jugend und begriff, dass sie eine Menge zu bieten hatte. Und sie hatte verloren. Aber das sollte nicht das Etikett für den Rest ihres Lebens werden. Eine Pfarrerstochter! Sie wusste genug über Männer, die hörten normalerweise nicht auf, wenn eine Sache schon so weit gediehen war. Es lag auch nicht nur daran, wie er es abgebrochen hatte. Mike war offensichtlich nicht verliebt in sie, und das schmerzte sie am meisten. Er war so vernarrt in seine Freiheit, dass er wohl nie erfahren würde, was für Gefühle er eigentlich hatte. Callie schaute sich um. Sie waren von unermesslicher Schönheit umgeben, aber das war auf einmal nicht mehr wichtig. „Ich möchte weg von hier", sagte sie. Als Mike die Hand nach ihr ausstreckte, wich sie zurück. Er ließ den Arm wieder sinken und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Natürlich. Wir haben noch etwa eine Meile bis zum Wagen und können in wenigen Stunden zu Hause sein." Schweigend machten sie sich auf den Weg. Callie hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Zu Hause? Was für ein Witz. Mikes Haus war kein Zuhause. Es war nur ein großes, leeres Gebäude, in dem er sich aufhielt. Als Callie es zuerst gesehen hatte, war sie voller Hoffnung gewesen. Es wäre ein so schöner Ort, dort Kinder großzuziehen. Für ihn allein war dort viel zu viel Platz. Noch zwei Stunden, dachte sie. Dann würde sie ihre Sachen packen und zu Donovan ziehen. Sie wollte nicht dauernd daran erinnert werden, dass sich das Leben oft nicht so entwickelte, wie man es sich erträumt hatte. Als sie bei ihm ankamen, stieg Callie sofort aus. „Warte, wir müssen miteinander reden!" „Das haben wir schon gemacht. Ich muss telefonieren." Schon war sie die Treppe hinaufgeeilt. Mike fluchte innerlich. Es hätte hundert Möglichkeiten gegeben, wie er die Situation oben im Gletscher hätte handhaben können. Viel bessere. Nun musste er immer nur daran denken, wie sehr er Callie begehrt hatte. Und an die erstaunliche Erklärung, die sie ihm für ihr Kommen gegeben hatte. Eine Weile war alles ruhig im Haus, dann hörte Mike plötzlich ein Rumpeln und Räumen. Er seufzte. Er würde es verstehen, wenn sie vor Zorn ihr Zimmer auseinander nahm. Dann wäre ihm sogar wohler. Zwanzig Minuten später kam Callie mit ihren Koffern die Treppe herunter. Mike sprang so hastig auf, dass er beinahe den Stuhl umwarf. „Was soll das? Wohin willst du?" „Das geht dich nichts an." Sie eilte an ihm vorbei und ging hinaus zu dem Wagen, den Ross ihr geliehen hatte. Die Koffer landeten achtlos auf dem Rücksitz, dann nahm sie den Schlüssel aus ihrer Handtasche. „Warte einen Moment!" Mike drehte sich der Kopf. Die schlimmste Vorstellung war auf einmal die, dass Callie zurück nach Washington fliegen würde. Das wollte er nicht! Schon gar nicht, bevor sie sich nicht richtig ausgesprochen hatten. „Du kannst doch nicht einfach ... nach Hause fahren." „Bitte", sie rollte verächtlich mit den Augen, „mach dir keine Sorgen, ich bleibe und mache die Büroarbeit weiter bis zum Ende des Sommers, aber ich ziehe zu Donovan." Mike schluckte. Es gab also noch schlimmere Möglichkeiten als die, dass sie nach Washington zurückflog! Ich bin eine Frau mit den gleichen Gefühlen und Bedürfnissen, wie andere Frauen sie haben. Aber wenn du das nicht begreifst - ich finde schon einen anderen, der es tut.
„Das kannst du doch nicht machen!" „Wirklich nicht?" „Sei doch vernünftig! Du hast mich überrascht, und ich bin damit nicht gut umgegangen. Es tut mir Leid!" „Das spielt jetzt keine Rolle mehr." Mike ballte die Faust. Dabei entdeckte er überrascht, dass seine Hand eine große Schürfwunde aufw ies. Wie war das passiert? Ach ja, auf dem Gletscher. Er hatte wütend aufs Eis geschlagen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Er versuchte, ruhig zu bleiben. „Ich verstehe es nicht ganz, du warst doch mal verlobt und wolltest heiraten. Wie konntest du überhaupt Gefühle für mich entwickeln?" Ein Schatten glitt über Callies Gesicht. „Ich liebte Keith. Er war anständig, großherzig und liebevoll. Wir hätten sicher eine gute Ehe geführt. Aber leider war ich in dich vernarrt. Es wird Zeit, dass ich dieses alberne Gefühl endlich überwinde. Und ich bin dir dankbar für deine Hilfe." „Du warst in mich vernarrt?" fragte Mike ungläubig. Callie presste die Lippen zusammen. Ihr Stolz hatte gesprochen, nicht ihr Herz. Ihr Stolz hatte überhaupt diesen ganzen Streit vo m Zaun gebrochen. Irgendwie musste es nun noch eine Möglichkeit geben, aus diesem Schlamassel herauszukommen, ohne den Rest Selbstachtung zu verlieren. „Darüber gibt es nichts mehr zu sagen. Lass mich bitte vorbei." „Du ziehst nicht zu Donovan!" Callie lächelte giftig. „Du hast mir nichts zu befehlen!" „Allerdings habe ich das!" Mike griff auf den Rücksitz und holte die Koffer wieder heraus. Callie wollte ihn wegschubsen, aber das war ein unmögliches Ansinnen. „Du tust jetzt nichts, was du später bereuen wirst!" „Zu spät, ich bereue längst, dass ich dich je kennen gelernt habe. Und nun lass meine Sachen, wo sie sind." „Nein!" Er trug ihre Koffer zurück zum Haus. „Na gut, dann schlafe ich eben nackt." Callie wollte die Beifahrertür öffnen, als Mike sie an der Taille packte und sie herumriss. „Ich sagte, du ziehst nicht zu Donovan." Er sah aus, als würde er gleich explodieren. „Lass mich in Ruhe, Mike. Ich habe einen Kursus für Selbstverteidigung gemacht und weiß, wo Männer besonders empfind lich sind." Sie sah ihn von oben bis unten an. Mikes Augen verengten sich. „Das wagst du nicht!" „Möchtest du es herausfinden?" Er knirschte mit den Zähnen, ließ sie aber los. Callie stieg in den Wagen und fuhr davon. Im Rückspiegel sah sie noch, wie Mike zum Haus zurückstapfte, in Richtung Hof. Vermutlich, um wieder Holz zu hacken. Sie hatte noch nie jemanden erlebt, der so viel Holz hackte. Sollte er doch. Das ging sie nichts mehr an. Aber sie zitterte. Und als sie einen passenden Platz zum Anhalten fand, stellte sie den Motor aus und blieb erst mal eine Weile sitzen, unfähig, sich zu rühren. „Ich hasse ihn", flüsterte sie. Sie konnte nicht mal weinen. Sie hatte keine Lust mehr darauf, sich um ihn zu bemühen. Nun war er dran. Wenn dieser Dummkopf nicht wusste, was ihm entging, würde sie sich kein Bein mehr ausreißen, es ihm zu zeigen. Am nächsten Tag kam Callie um sechs Uhr morgens ins Büro. Ihre Augen brannten vom Schlafmangel. „Ach du meine Güte, ich habe nicht daran gedacht, dass die Sonne hier so früh aufgeht", stöhnte Donovan, der ihr nach drinnen folgte. „Bist du sicher, dass du heute
nicht freihaben möchtest?" Callie schmunzelte. Waren alle Männer solche Morgenmuffel oder nur die, die in Alaska lebten? Dabei durfte sie sich wirklich nicht beklagen, denn Donovan war sehr nett, hatte ihre Sachen bei Mike abgeholt und ihr sein Gästezimmer zur Verfügung ge stellt. „Du hättest noch im Bett bleiben sollen", meinte sie. „Schließlich brauche ich keinen Babysitter." Donovan sank auf einen der niedrigen Aktenschränke und schüttelte den Kopf. „Nein, wenn Mike auftaucht, möchte ich ihm die Leviten lesen." „Ich ebenfalls", verkündete Ross , der gerade zur Tür hereinkam. „Was machst du denn hier?" staunte Callie. „Du bist doch bestimmt nicht vor Mitternacht aus Kalifornien zurückgekommen." „Es war sogar schon zwei Uhr morgens. Aber ich bin hier, um dir moralische Unterstützung zu geben." „Woher weißt du ..." Callie sprach nicht zu Ende. „Donovan hat es mir erzählt. Ich kann nicht begreifen, dass Mike sich so benimmt. Für einen, der eigentlich intelligent ist, verhält er sich ziemlich dumm." Dumm fand Callie das auch, aber was sollte sie dagegen tun. Vielleicht würden sie sich nicht wieder vertragen. Sie war nach Alaska gekommen mit einer genauen Vorstellung von dem, was sie wollte, aber inzwischen hatte sie ebenso viele Zweifel wie Mike. „Ich habe eine Idee. Wir beide halten ihn fest, während Callie ihm eine verpasst", schlug Donovan vor. „Und dann kommen wir dran. Wie findest du das, Callie?" Ross rieb sich die Hände. „Hört sich großartig an." Donovan hatte sicher schon zehn Mal angeboten, Mike zu verprügeln, und obgleich Callie die Vorstellung gefiel, so wütend war sie nun auch wieder nicht. Ehrlich gesagt fand sie inzwischen, dass sie etwas überreagiert hatte. Aber es war wirklich ziemlich merkwürdig, dass Mike beide intimen Momente abgebrochen hatte. Dann fiel ihr auch noch ein, wie sie sich am Abend ihrer Ankunft geküsst hatten - und er danach eingeschlafen war. Nicht gerade ein Grund, sich als Frau begehrenswert zu fühlen! Bis jetzt hatte sie es damit abgetan, dass Mike erschöpft und betrunken gewesen war. Aber so betrunken nun auch wieder nicht. „Also, was ist, Callie? Du darfst als Erste zuschlagen, und dann machen wir ihn richtig fertig." „Ach, das ist doch Macho-Gehabe", fand Callie. „Ich habe eine bessere Idee." Sie blickte Donovan an. „Sag ihm ja nicht, dass wir nicht zusammen schlafen." Donovan grinste. „Sehr gut. Er soll sich ruhig eine Weile quälen. Aber sobald du es revidieren willst, ist es mir auch recht." „Das merke ich mir." Nun ging es ihr schon besser. Callie setzte die Kaffeemaschine in Gang. Nach wenigen Minuten gingen Ross und Donovan zum Hangar hinüber, behielten Callie allerdings unauffällig unter Beobachtung. Hatten sie etwa Angst, sie würde sich die Pulsadern aufschlitzen? Nein, so etwas käme ihr nie in den Sinn. Mike zu verprügeln erschien ihr sinnvoller, aber das würde sie sich ebenfalls verkneifen. Ab jetzt würde sie Michael Fitzpatrick ignorieren! Es sei denn, sie hätte einen Ring am Finger und den Trauschein auf der Kommode. Er war keinen Gedanken mehr wert. Dieser Mistkerl. Callie öffnete und schloss heftig ein paar Schubladen. Das Rumsen, das es dabei jedes Mal gab, tat ihr gut. Trotzdem gingen ihre Gedanken immer wieder zu Mike zurück. Sie dachte an das, was er getan, oder noch schlimmer: an das, was er nicht getan hatte. Bevor sie ihn
heiratete, müsste sie noch sehr genau über ihn nachdenken, schließlich wollte sie ihr Leben nicht als geistige Gefangene eines anderen verbringen. Das Herumfuhrwerken hatte sie beruhigt, so machte sie sich schließlich an die Büroarbeit. Stunden später fuhr Mike draußen vor, und Callie vertief te sich schnell in das, was auf dem Bildschirm stand, als wäre es unheimlich wichtig. „Callie?" „Ja, was ist?" „Bitte guck mal, ich habe dir etwas mitgebracht." Callie presste die Lippen zusammen und schwenkte den Stuhl herum. Mike stand neben dem Schreibtisch mit einem Strauß Iris in der Hand. Er trug ein weißes Hemd und eine Krawatte, die Haare waren sorgfältig gekämmt, und er sah aus wie ein kleiner Junge, der gekommen war, um sich zu entschuldigen. Ein ziemlich männlicher Junge allerdings. Das Hemd betonte seine breiten Schultern, die engen Jeans zeigten seinen flachen Bauch und die muskulösen Beine in höchst vorteilhafter Weise. Phhhh... Callie wurde ganz warm. Solche Männer waren gefährlich. Sie konnten eine Frau dazu bringen, alle enttäuschenden, Momente sofort wieder zu vergessen! Sie würde sich , beherrschen müssen, um nicht etwas noch Dümmeres zu tun: ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte! Bei dem Gedanken erschauerte sie. Sie legte einen Stift in die Schublade und schob sie krachend zu. „Callie ..." Mike räusperte sich. Er wusste offensichtlich nicht, was er sagen sollte. Dachte er etwa, die paar Blumen würden sie gleich wieder schwach werden lassen? Also wirklich nicht! Bei genauerem Hinsehen entdeckte Callie, dass sein rechtes Auge geschwollen war und sich allmählich verfärbte. Über seiner Braue klebte ein Pflaster und eins auf dem Handrücken. Aha, da war wohl jemand sehr direkt gewesen. „Donovan?" rief sie. Der erschien sogleich. „Ja, mein Schatz?" fragte er grinsend. Callie wies auf Mike. „Hast du das verbrochen?" „Oh, nein! Ich weiß doch genau, wie sehr du diese Art, Probleme zu lösen, verabscheust." Er zwinkerte ihr zu und verschwand wieder. Mike verkniff es sich zu fragen, was wohl zwischen Callie und Donovan war. Seine bisherige Eifersucht war nichts gegen die, die er empfand, seitdem Callie bei Donovan wohnte. „Dann erzähl doch mal, wie du zu diesem Veilchen gekommen bist", forderte sie ihn mit einem Ton auf, als interessierte es sie nicht besonders. „Nichts weiter, ich ... bin gestürzt." „Erzähl mir nicht, du seist betrunken gewesen", sagte Callie verächtlich. „Nein. Callie, hör zu, es tut mir Leid." Mike versuchte, ihrem Blick zu begegnen. „Würdest du bitte mit mir reden?" „Zwischen uns gibt es nichts zu bereden." „Du hast gesagt, du liebst mich." „Es ist unwichtig, was ich gesagt habe", erwiderte sie hastig. Mike hatte geahnt, dass es nicht leicht sein würde. Er hätte vor allem nicht das L-Wort nennen dürfen, zumal er gar nicht recht wusste, was er dazu sagen sollte. „Ah, ich habe dir deine Lieblingsblumen mitgebracht." „Woher weißt du, dass ich Iris besonders mag? Hast du Elaine angerufen?" „Nein, aber als junges Mädchen mochtest du sie immer besonders gern." „Ah ja?" Offenbar glaubte Callie ihm nicht, Mike konnte das gut nachvollziehen. Sie hatte bei fast jedem wichtigen Ereignis seiner Kindheit eine
Rolle gespielt. Dennoch hatte er, seitdem er von Crockett weggezogen war, praktisch jeden Kontakt zu ihr abgebrochen. „Ich habe noch etwas, das du besonders magst. Warte eine Sekunde, ich hole es." Mike ging nach draußen und kam mit einem großen, verschlossenen Korb wieder herein. Innen hörte man es fauchen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, fürchtete Mike in dem Moment, aber nun hatte er das Mitbringsel ja schon angekündigt. Er schloss sorgfältig die Bürotür hinter sich. „Da. Er kann dir bei der Mäuseplage im Lagerraum behilflich sein. Aber sei bitte vorsichtig, ich glaube, er ist etwas schwierig." Callie war eigentlich noch nicht bereit, Mike zu verzeihen, aber als sie den Kater sah, der ihr seine dicke Pfote durch die Gitterstäbe entgegenstreckte, musste sie unwillkürlich lächeln. „Hallo, mein Schöner, na, möchtest du heraus?" „Pass bitte auf", warnte Mike noch mal. „Ich möchte nicht, dass du auch gekratzt wirst." Callie ignorierte seine Warnung und öffnete den Korb. Eine große schwarze Katze sprang heraus und ihr sofort auf den Schoß. Callie streichelte ihr den Nacken. Sofort begann sie zu schnurren und wölbte genüsslich den Rücken. „Also, so was!" staunte Mike. Callie verkniff sich ein Lachen. Nun ahnte sie auch, woher Mike die Hand- und Gesichtsverletzungen hatte. „Wie heißt er?" fragte sie. „Äh, Precious, der Wertvolle. Man kann es kaum glauben. Er musste eigentlich einen weniger feinen Namen haben", meinte Mike mürrisch. „Bekannte von mir haben versucht, ein neues Heim für ihn zu finden. Jetzt weiß ich auch, warum." Callie streichelte den Kopf des Katers, der noch lauter schnurrte. „Du weißt eben nicht, wie man mit Katzen spricht." Das stimmte, dachte Mike, genauso wenig wie mit Pfarrerstöchtern, die sich in Sexbomben verwandelt haben. Damit hatte er keine Erfahrung! Aber auch wenn Callie noch sosehr protestierte, so war sie doch noch immer ein bisschen das Mädchen, das so fröhlich und so lieb gewesen war, als sie Kinder waren. Allerdings gab es ein paar neue Aspekte dazu. Völlig andere! Er hätte blind sein müssen, die nicht zu sehen. „Callie ... bitte, komm zu mir zurück." Die Freude in ihrem Gesicht war wie weggewischt. „Nein, ich fühle mich bei Donovan sehr wohl." Mike seufzte. Eine Katze reichte offenbar nicht, um sie versöhnlich zu stimmen. Irgendwie hatte er einen riesigen Fehler begangen, auch wenn er nicht recht wusste, welchen. Er hatte mitten in einem KUSS aufgehört, aber sonst protestierten Frauen doch immer, dass Männer so unsensibel seien, immer nur an „das Eine" dachten und sie zu sehr bedrängten! Callie setzte Precious zu Boden und warf ihm eine zerknüllte Papierkugel zu, damit er der nachjagen konnte. Auch von hinten sieht sie verdammt sexy aus, dachte Mike seufzend. Er schüttelte den Kopf. Offenbar hatte er tatsächlich nichts anderes als Sex im Kopf! Bei jeder anderen Frau hätte er durch seine Zurückhaltung einen Pluspunkt bekommen und als einfühlsamer, moderner Mann gegolten. Nur bei Callie nicht. Sie war anders. Aber wie konnte er sie verstehen? Wie sie zurückgewinnen? Zurückgewinnen? Wie bei einer Liebesbeziehung, einer Ehe? Er lockerte die Krawatte. Wieso trug er überhaupt eine? Über so etwas lachte Callie vermutlich und fand sie bieder und langweilig! Sie war zwar auch in Crockett aufgewachsen, aber alles andere als langweilig.
Im Gegenteil. Intelligent, sexy, frech und äußerst begehrenswert. Jeder, der sie zur Frau bekam, konnte sich glücklich schätzen. Wenn er es nicht schaffte, dass sie ihm verzieh, würde er sie verlieren. Und sie würde problemlos einen anderen finden! Mike stöhnte. Damit würde er das Beste verlieren, das ihm je begegnet war!
10. KAPITEL
Sechs Tage später fuhr Mike morgens aufs Flugfeld und parkte den Dakota. Die Schläfen schmerzten ihn. Seine bisherigen Versuche, sich wieder mit Callie zu versöhnen, waren erfolglos ge wesen. „Allmählich wird es lächerlich", schimpfte er vor sich hin. Er nahm den frischen Blumenstrauß vom Nebensitz und ging ins Büro. Precious lag lässig hingestreckt auf dem Schreibtisch und putzte sich. Das Schwanzende bewegte sich, als Mike die Blumen neben ihn legte, und er fauchte leise. „Danke gleichfalls, du kleines Ungeheuer." Seine Beziehung zu Precious hatte sich in der vergangenen Woche nicht gebessert. „Rrrrrr." Callie kam aus dem Lagerraum, einen Kanister Motorenöl in der Rechten. Mike nahm ihr den sofort ab. „Der ist viel zu schwer für dich, wieso hast du keinen von uns gebeten, ihn zu holen?" Callie blies sich eine lose Strähne aus dem Gesicht und warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Ich brauche deine Hilfe nicht." „Meine Güte, bist du stur!" schimpfte Mike, der das Öl in den Hangar brachte. „Können wir nicht endlich Waffenstillstand schließen und es ausdiskutieren?" Vor allem verletzter Stolz hinderte Callie daran, mit Mike zu reden. Und wenn er noch ein einziges Mal davon sprechen würde, dass er sie „mochte", würde sie ihm eine Tracht Prügel verabreichen! „Mögen" war nett und freundlich und hatte nichts mit Leidenschaft zu tun. Das interessierte sie nicht! Sie wollte einen Mann, der sie leidenschaftlich liebte! Allerdings glaubte sie, dass Mike sie insgeheim liebte. Aber wen wollte er denn nun? Die Frau in Jeans und Trägeroberteil oder eine Frau; die sexy war? Oder eine, die vor allem eine gute Köchin und Mutter war? Musste sie einen Teil von sich unterdrücken, nur um mit dem Mann zusammen zu sein, den sie liebte? Schwierige Frage. Und sie würde erst mit ihm reden können, wenn sie das herausgefunden hatte. „Reden? Worüber denn?" fragte sie scheinbar beiläufig. „Meine Güte, worüber wohl." Er machte eine wilde Geste und stürmte hinaus. Callie strich über die weichen Blütenblätter der Lilien, die er auf dem Schreibtisch liegen gelassen hatte. Am liebsten hätte sie den Strauß in den Müll geworfen, aber dazu war er viel zu schön. Seufzend ging sie in den Lagerraum zurück. Der Kater folgte ihr. Er hatte ihr schon elf Mäuse und zwei Ratten präsentiert. Lebendige mochte Callie, aber bei toten Mäusen drehte sich ihr der Magen um. „Du solltest dir Mühe geben, mit Mike auszukommen", ermahnte sie den Kater, der schnüffelnd ein paar Kartons in der Ecke untersuchte. „Wenn ich wieder weg bin, bist du auf ihn angewiesen." Precious gab ein scharfes Miauen von sich. „Na ja, von mir aus, mach, was du willst." Mit gekreuzten Beinen setzte sie sich auf den Boden und öffne te einen Karton mit Bildern, den sie vor ein paar Tagen entdeckt hatte. Auf fast allen Fotos waren Mike, Ross und Donovan drauf, bei der Arbeit an der Pipeline oder in den ersten Jahren nach der Gründung der Firma „Triple M Transit". Callie hatte einige davon ausgewählt, die sie rahmen lassen und im Büro aufhängen wollte. Am meisten interessierte sie sich allerdings für die, auf denen Mike zu sehen war. Er hatte sich ziemlich verändert, aber sein Lächeln und das Wilde, Unbezwingbare, das er ausstrahlte, waren geblieben. Vielleicht war es unvernünftig von ihr, von ihm zu erwarten, dass er sie in einem anderen Licht als damals sah.
Vermutlich unmöglich. Precious stieß seinen Kopf gegen sie, und sie kraulte ihm den Nacken. „Ich habe keine Lust, mein Leben lang die unschuldige Callie zu spielen", flüsterte sie. „Mich auf bestimmte Weise zu verhalten und meinen Mann zu schockieren, wenn ich mal ein gewagteres Kleid trage." „Hey, redest du mit dir selbst?" rief Donovan aus dem angrenzenden Büro. „Nein, mit Precious. Mit dem kann man besser reden als mit den meisten Männern." „Au weia, anscheinend war Mike gerade für die tägliche Ration schlechter Laune da." Callie legte die Fotos wieder in den Karton zurück, stand auf und klopfte sich die Jeans ab. „Kaum da, schon wieder weg." „Irgendwann musst du mal mit ihm reden." Callie verkniff sich eine bittere Bemerkung. Mikes Partner waren sehr nett und hilfsbereit, aber dennoch waren es seine Freunde. Sie wollten, dass endlich alles geklärt war. Genau wie Callie selbst. „Ich wette, ihr wärt froh, wenn ich nie nach Alaska gekommen wäre", meinte sie. „Ach, Unsinn." Donovan versuchte, die Blumen in eine alte Kaffeekanne zu stellen, aber zu seiner Erleichterung übernahm Callie das. „Was würden wir ohne dich tun? Curdgeon Post würde uns bei lebendigem Leibe die Haut abziehen, wenn du gingest. Er mag dich sehr." „Ich ihn auch. Er gibt sich so rau, aber eigentlich ist er ganz lieb und romantisch." Donovan lachte. „Übrigens sind Ross und ich der Meinung, dass du Teilhaberin der Firma werden solltest. Dann hättest du einen Grund, hier zu bleiben." „Na, Mike wäre begeistert", sagte Callie skeptisch. Meinte Do novan das ernst? „Du machst Spaß, oder?" „Keineswegs. Es war das erste Mal seit über einer Woche, dass er uns nicht den Kopf abgebissen hat." Callie füllte die Kanne mit Wasser. Ihr war es egal, ob sie Teilhaberin wurde oder nicht. Wenn Mike nichts dagegen hätte -hieße das etwa, dass er sie hier behalten wollte? Da war sie wieder, die Ho ffnung. Jeden Tag verliebte sie sich mehr in Mike, auch wenn sie sich noch sosehr dagegen wehrte. Was für ein Durcheinander! Beide hatten Recht, aber keiner wusste eine Lösung. Mike ließ die Axt niedersausen und spaltete das Holz sauber in zwei Teile. Seitdem Callie in Kachelak aufgetaucht war, hatte er wohl schon eine Million Scheite geschlagen. Doch im Haus hielt er es einfach nicht aus. Es war so still ohne Callie, und dauernd musste er an sie denken. Auch daran, dass sie jetzt bei Donova n war. Er glaubte nicht, dass sie etwas miteinander hatten, aber ein winziger Zweifel blieb. Zumal Callie gesagt hatte, dass sie schon jemanden finden würde, der sie wie eine richtige Frau behandelte! Callie hatte garantiert keine Schlafprobleme. Schon weil Ross und Donovan sie ziemlich auf Trab hielten. Er musste irgendeinen Vorwand finden, um sie zurückzuholen; Ohne sie fühlte er sich in seinem Haus inzwischen nicht mehr richtig wohl. Aber vermutlich würde nicht mal eine richtige Liebeserklärung sie dazu bringen zurückzukommen. Dabei war ihm längst klar, dass sie ihm wichtiger geworden war als jeder andere Mensch der Welt! Mike wusste nicht, wann genau er sich in sie verliebt hatte, aber es war eine Tatsache. Jetzt ging es ihm genau wie jedem anderen, der zu spät gemerkt hatte, was ihm entgangen war.
Als im Haus das Telefon klingelte, ging er hinein. „Hallo?" meldete er sich. „Hallo, Michael, wie geht es dir?" Es war Callies Vater. „Ah, Reverend Webster, guten Tag." „Ist Callie da?" Mike umfasste den Hö rer noch fester. Callie hatte ihrem Vater also nicht erzählt, dass sie inzwischen bei Donovan Masters wohnte. Erwartete sie nun, dass er für sie log? „Tut mir Leid, aber sie macht gerade einen Spaziergang." Mike hielt die Luft an, als rechnete er damit, dass sich ein himmlisches Feuer über ihm entlud. Ein Engel war er nie gewesen, aber einen Pastor hatte er noch nie angelogen. „Na ja, ich hoffe, sie genießt ihre Ferien. Bitte sag ihr doch, sie möchte zurückrufen, sobald sie wieder zu Hause ist." „Natürlich, gern." Mike legte auf und eilte zu seinem Wagen. Er war plötzlich froh darüber, einen Vorwand zu haben, Callie ins Haus zurückzuholen. Vor Donovans Haus hielt er an und stieg aus. Die Abendsonne schien milde. Callie lag in einer Hängematte. Selbst wenn sie ihn hatte kommen hören, so ignorierte sie das. Ihr schlankes Bein hing an der Seite lässig bis zum Boden, und sie schaukelte leicht hin und her. Sie trug wieder das enge knallrote Oberteil vom ersten Tag, eine Hand lag auf ihrem Bauch. Es war ein so hübscher Anblick, dass Mike ihn einen Moment lang bewusst genoss. Dann ging er die Treppe hinauf und blieb neben ihr stehen. „Hallo. Callie, können wir miteinander reden?" Träge öffnete sie die Augen. „Ich bin jetzt nicht im Dienst, sondern habe Feierabend." Ihre Lider schlossen sich wieder. „Im Büro redest du auch nicht mit mir." „So? Du kannst mir ja kündigen." Mike war froh, dass Callie allein zu sein schien. Auf der gesamten Herfahrt hatte er sich schon lauter erotische Szenen zwischen ihr und Donovan vorgestellt. „Wo ist Donovan?" „Keine Ahnung. Wir wohnen zusammen, sonst ni..." „Hör mal!" schimpfte Mike plötzlich los. „Ich werde es nicht zulassen, dass du mit ihm schläfst!" „Ich sagte doch, wir wohnen nur zusammen, sonst nichts", erklärte Callie gelassen. „Aber du hast auch gesagt, du wolltest jemanden finden, der dich wie eine richtige Frau behandelt. Das heißt ja wohl auch, dass du Sex mit ihm hast." „Quatsch!" Callie rollte mit den Augen. „Ross und Donovan sind einfach nur Freunde. Ich kann kaum glauben, wie albern du dich benimmst. Du willst nicht mit mir schlafen, und gleichzeitig kannst du dir nicht vorstellen, dass nicht jeder über mich herfällt." „Ich habe nie gesagt, dass ich nicht mit dir schlafen möchte." „Nein, nicht direkt, aber so ungefähr. Wieso bist du eigentlich hier?" Mike erinnerte sich nun an den Grund, warum er hergekommen war. „Dein Vater hat angerufen. Und ich musste ihn anlügen und habe behauptet, du gingest gerade spazieren. Aber das mache ich nicht noch mal, du kommst jetzt bitte sofort mit mir nach Hause." „Keine Sorge, Dad hat diese wundervolle Eigenschaft, die man Vertrauen nennt. Du könntest es auch mal damit probieren." „Dein Vater würde nicht begreifen, wieso du plötzlich bei Do novan wohnst. Ich begreife es ja auch nicht." „Das liegt daran, dass du so ein Dickkopf bist!" rief sie aufgebracht. „Außerdem ist es mein Leben und meine Entscheidung. Mein Vater würde sich nie einmischen. Du
dagegen benimmst dich wie ein engstirniger Pur itaner." Ihre Anschuldigung machte ihn betroffen, zumal sie Recht hatte. „Du bist völlig verblendet", 'fuhr sie fort. „Du hältst dich für so modern: für einen Mann, der die Kleinstadt verließ und sich einen Namen gemacht hat. Aber schau dich doch um", Callie machte eine Handbewegung über die bewaldete Landschaft hinweg, „damit bist du nur mitten in der Wildnis gelandet." „Ich mag Alaska." „Ich auch. Aber wir sind hier nicht in New York, mit einer U-Bahn und Lichtern und schicken Models an jeder Straßenecke." „Ein Glück!" entfuhr es Mike. „Aber das würde dir doch gefallen!" widersprach Callie. „Nein, das alles will ich nicht." „Na gut. Wenn du irgendwann weißt, was du eigentlich willst, dann sag mir Bescheid. Bis dahin lass mich bitte in Ruhe. Du brauchst dich nicht zu verabschieden." Damit legte Callie sich wieder zurück. Für sie war die Unterhaltung beendet. Sollte Mike doch das Herz einer anderen brechen. Dabei fiel es ihr sehr schwer, seinem sehnsuchtsvollen Blick standzuhalten. Aber Mike hatte nicht gesagt, dass er sie liebte. Er verlangte nur, dass sie zu ihm zurückzog, und das wohl auch nur, damit er ihren Vater nicht noch einmal anlügen müsste. Ha! Mike ging an ihr vorbei in Donovans Haus. Callie verschränkte trotzig die Arme und schaukelte hin und her. Bestimmt wollte er herumschnüffeln, um herauszufinden, ob sie nun im selben Zimmer schlief wie Donovan oder nicht. Er glaubte ihr wohl nicht! Kurz darauf gab es ein dumpfes Geräusch auf der Schwelle. Als Callie sich umdrehte, entdeckte sie ihre Koffer, die neben ihm am Boden standen. Aus ihrer Umhängetasche, deren Reißverschluss er nur flüchtig zugezogen hatte, hing noch der Träger eines ihrer BHs aus Spitze hervor. Wütend sprang sie aus der Hängematte. „Ich sagte dir doch schon, ich gehe nirgendwohin." „Das tust du sehr wohl, sonst muss ich dich über die Schulter werfen und davontragen." „Dann werde ich dir so wehtun, dass du eine Woche lang mit Sopranstimme singst und nicht mehr gerade stehen kannst", drohte Callie. „Bitte, sei doch vernünftig!" „Du hast kein Recht, irgendetwas von mir zu verlangen. Wir sind nicht verheiratet und haben auch nicht vor, es zu tun." Als Mike sie plötzlich in die Arme riss, blieb Callie die Luft weg. Er drängte sie gegen den Türpfeiler. „Das glaubst du", fauchte er wütend. „Du bist doch nach Alaska gekommen, um mich einzufangen, und das ist dir auch gelungen. Bist du nun auch Frau genug, um zu wissen, was du mit mir anfangen sollst?" Das war ein recht dürftiger Antrag, aber Callie klopfte trotzdem das Herz. Einerseits aus Zorn über Mikes ungeschickte Art, andererseits aus Liebe für ihn. Glaubte er, dass sie auf dieses „Frau genug" hereinfallen würde? „Mike, lass mich bitte los." „Nein, Callie." Stöhnend drängte er sich an sie und barg den Kopf in ihrem Haar. Callie spürte seinen festen, warmen Körper. „Bitte, Liebes, ich war ein schrecklicher Dummkopf, das weiß ich jetzt. Aber ich möchte für den Rest meines Lebens nicht mehr ohne dich sein." Callie stiegen Tränen in die Augen, sie legte die Hände an seine Taille. Mike erschauerte unter der Berührung und drängte sich erneut leidenschaftlich gegen sie. Aber Mike hatte Callie schon öfter stark erregt, dann wieder losgelassen und
damit größte Zweifel gesät. Wenn das noch einmal passierte, würde sie es nicht überleben! „Lass mich bitte los!" verlangte sie. „Es darf nicht zu spät sein. Bitte hör mir zu." „Ich habe zugehört. Lass mich nachdenken." Callie löste sich von ihm und trat ein paar Schr itte zurück. Sie war so aufgewühlt, dass sie zitterte. „Sag mir, was ich tun soll, Callie." „Es liegt nicht an dir." „Du hast mir nicht geglaubt, als ich dir das sagte, und jetzt glaube ich es auch nicht mehr." „Es liegt an mir." Callie atmete tief ein und schaute den Hügel hinab in die Ferne, wo man die Blying- Bucht und den Golf von Alaska schimmern sah. Es war wunderschön, und so schön würde es auch im Winter sein, egal wie kalt es war und wie viel Schnee liegen würde - der Inbegriff von Freiheit und Wildnis. Auch deswegen war sie nach Alaska gekommen. Aber inzwischen hatte sie ein paar bittere Lektionen erfahren. Ein Ort war kein Garant für das Glück. Und manchmal half selbst die Liebe nicht, die Probleme zwischen einem Mann und einer Frau zu lösen. „Mein ganzes Leben lang war ich die Pfarrerstochter", flüsterte sie. „Ich tat, was man von mir erwartete, und tat es so, wie man es von einer Pfarrerstochter erwartet. Ich liebe meinen Vater und die Gemeinde. Aber das ist nur ein kleiner Teil von mir, und manchmal habe ich mich schrecklich eingeengt gefühlt." Callie wischte sich eine Träne von der Wange. Mike schaute sie schweigend an. „Dann war ich eine Zeit lang frei. Keith brachte mich zum Lachen und liebte mich sehr. Vielleicht habe ich ihn nicht genauso zurückgeliebt, aber ich mochte ihn sehr und fühlte mich in seiner Gegenwart ausgesprochen wohl." Callie blickte zu Boden und rang nach Worten, um alles zu erklären. „Er verstand alles und liebte mich so, wie ich war." Mikes Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst. „Als Keith starb, kam es mir wie eine Bestrafung dafür vor, dass ich mich nach etwas sehnte, das über Crockett hinausging. Ich fühlte mich schuldig. Aber es verging Zeit, und ich begriff, dass es keine Bestrafung war, sondern nur ein Unfall, ein dummer sinnloser Unfall." Mike hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, wie viel Schmerz er empfinden konnte. Vielleicht weil er noch nie jemanden so geliebt hatte wie Callie. Er konnte nichts anderes tun als zuzuhören. „Ich baute mir ein eigenes Unternehmen auf und versuchte, mein Leben neu zu gestalten." Callie seufzte. „Aber ich war noch immer die Pfarrerstochter, so gab es kein wirkliches Entkommen." „Bis jetzt." Callie lächelte traurig. „Das war keine Flucht, denn in Alaska wartete wieder nur Crockett auf mich. Du hattest die gleichen Erwartungen und dieselbe Vorstellung von mir. Es war nur ein Ortswechsel, keine wirkliche Veränderung." „Aber so braucht es nicht zu bleiben!" rief Mike. „Ich habe wohl nur versucht, mich zu schützen, weil ich es nicht verstand. Hier kannst du frei sein, das können wir gemeinsam erreichen." Er machte einen Schritt auf Callie zu, aber sie wehrte ihn ab. „Ich habe Angst, Mike. Ich liebe dich, aber so kann ich nicht leben." „Das musst du auch nicht", sagte er leise. Callie wischte sich wieder Tränen von der Wange. Es kostete sie viel Mut, nun alles zu erzählen. „Ich habe dich immer geliebt. Zumindest glaubte ich, es sei Liebe. Du weißt es nicht mehr, aber bei deinem Schulabschluss haben wir uns sogar mal geküsst."
Mike erstarrte. Das war also Callie gewesen an jenem Abend! Sie also war die Frau in seinen Träumen gewesen, an die er so oft gedacht hatte! Was für ein Dummkopf war er gewesen, dass er etwas so Bemerkenswertes wie sie einfach nicht richtig wahrgenommen hatte, obgleich es direkt vor ihm war! „Denk darüber nach." Callie wies mit einem gequälten Lächeln auf ihr rotes Oberteil. „Ich bin trotz allem noch immer dieselbe, die gern Kuchen für Kirchenveranstaltungen backt und in der Sonntagsschule unterrichtet. Gleichzeitig bin ich aber auch eine Frau, die verführerische Kleidung trägt, um den Mann zu erregen, den sie liebt." „Ich verstehe nicht recht, ich weiß doch, dass du all das bist." Callie seufzte. „Ich möchte verheiratet sein, Mutter, Partnerin, aber ich möchte nicht, dass du mich nur als Pfarrerstochter siehst, wenn ich neben dir im Bett liege." „Glaube mir, das würde nie passieren!" „Nein? Mike, du hast mittendrin aufgehört: erst im Flugzeug und dann auf dem Gletscher. Du hast gleich am ersten Tag gesagt, ich sei nicht die Art Frau." „Ich wollte dich beschützen!" verteidigte Mike sich. „Aber gleichzeitig begehre ich dich - wenn du nur wüsstest, wie sehr!" „Ha!" Callie sah ihn zornig an. „Du willst mich beschützen, weil du mich für unschuldig und schutzbedürftig hältst", sagte sie verächtlich. „Nein, weil du mir so wichtig bist", versuchte Mike zu erklären. „Auch wenn du es nicht glaubst, so ist es! Ich habe mich mein ganzes Leben lang vor einer engen Beziehung gehütet, weil ich das für eine Falle hielt. Und dann auf einmal warst du da, und ich fand dich hinreißend und wusste genau, dass ich dich nie mehr gehen lassen könnte, wenn ich auch nur einmal mit dir schliefe." Callie sagte nichts, sondern schaute ihn nur bedrückt an. „Ich hatte nicht begriffen, dass eine Ehe keine Falle ist, sondern nur das Alleinsein." Callie biss sich auf die Unterlippe. Mike hatte noch immer nicht gesagt, dass er sie liebte. Sie war das Risiko eingegangen, nach Alaska zu kommen, um den Mann ihrer Träume für sich zu gewinnen, und hatte nicht geahnt, dass es mehr Dinge gab, um die sie sich hätte Sorgen machen müssen als um die Gefahr, mit gebrochenem Herzen zurückzubleiben. „Und was das Unterbrechen unserer Zärtlichkeiten angeht, so bin ich überhaupt nur so weit gegangen, weil ich dich sosehr begehrte." Mike streckte ihr die Hand hin. „Bitte, Liebling, vertraue mir noch einmal. Ich brauche dich." Callie schaute Mike an. Sie könnte ja versuchen, ein gemeinsames Leben mit ihm aufzubauen. Andernfalls hieße es, den Rest ihres Lebens allein zu bleiben. Plötzlich ging Mike auf die Knie. „Ich liebe dich, Callie Webster, und ich wäre der glücklichste Mann auf Erden, wenn du bereit wärest, mich zu heiraten." Liebe. Endlich! Callie musste zugleich lachen und weinen. Sie warf sich in seine Arme. „Du hast ja lange genug gebraucht! Natürlich will ich deine Frau werden!"
11. KAPITEL Mike schaute zu Callie hinüber, die im Wagen neben ihm saß, und lächelte. Morgen würde die Hochzeit in Anchorage stattfinden, zusammen mit seinen Eltern, seiner Schwester und ein paar Freunden. Callies Brüder konnten sich so kurzfristig nicht freimachen, aber Reverend Webster war am Vorabend per Flugzeug angekommen und würde die Trauung vornehmen. Mike konnte sich nicht zurückhalten, sondern murmelte Callie etwas ins Ohr und küsste sie. Sie wusste nicht, wovon ihr schwindeliger wurde - von dem KUSS oder von den Worten. Sie lehnte sich zurück und berührte den kostbaren Brillantring an ihrem Finger. Einen Verlobungsring fand sie unnötig, da sie doch in einer Woche heiraten würden, freute sich aber insgeheim riesig, dass Mike darauf bestanden hatte. Zu einer Hochzeit gehörten für sie Brillanten und ein im Knien vorgebrachter Heiratsantrag... „Wir haben noch gar nicht über unsere Flitterwochen gesprochen", sagte Mike, als der Cadillac beim Flughafen vorfuhr. „Ich dachte, Paris wäre schön. Oder die Cayman-Inseln, da, wo es tropisch warm ist." „Heute ist es hier auch warm, wenn auch nicht gerade tropisch", entgegnete Callie träumerisch. „Hey, ich habe dich nicht nach dem Wetter gefragt, sondern nach dem Ort für unsere Flitterwochen", drängte Mike. „Wohin möchtest du denn gern?" Callie schaute ihn von der Seite an. „Ist es nicht eine schlechte Zeit, überhaupt wegzufahren? Im Sommer hat die ,Triple M' doch am meisten zu tun." Mike strich ihr über die Wange. „Ich finde, wir beiden sind wichtiger als die Firma. Und Donovan und Ross haben gesagt, dass sie während unserer Abwesenheit alles übernehmen. Das würden wir umgekehrt auch tun, wenn sie heirateten." Callie lachte. „Die brauchen sicher eher einen Rollstuhl und Stützstrümpfe, bevor sie das tun." Mike zog Callie lächelnd auf den Schoß. Er genoss ihren Atem an seinem Hals. Sie reagierte immer, kaum dass er sie berührte. Darauf zu warten, endlich mit ihr zu schlafen, war das Schwierigste, dem er sich je ausgesetzt sah. Aber sie wollte es so. „Ah, jetzt weiß ich, wieso du die Limousine bestellt hast", flüsterte sie zwischen den Küssen. „Mmm, ja. Dann habe ich die Hände für Wichtigeres frei." Mike schmiegte seine Hand um ihre Brust und rieb die zarte Spitze mit dem Daumen, so dass sie sich unter der Seide sogleich verhärtete. „Noch eine Nacht", murmelte sie. Noch eine Nacht. Die Worte hallten in ihrem, Inneren wider. Wieso hatte sie nur darauf bestanden, dass sie bis zur Hochzeit keinen Sex haben sollten? Da musste sie nicht ganz bei Sinnen gewesen sein! „Mr. Fitzpatrick?" kam plötzlich die Stimme des Fahrers über die Sprechanlage, so dass sie beide zusammenzuckten. „Wir sind in wenigen Minuten im Hotel." Callie stopfte eilig die Bluse in den Rock und strich sich die Haare glatt. Das Image der Pfarrerstochter wollte sie loswerden, aber den Pfarrer schockieren wollte sie nun auch wieder nicht. James Webster war ein warmherziger, verständnisvoller Gottesmann, aber auch ihr Vater. „Ich glaube, ich halte es kaum noch aus", stöhnte Mike, der den Kopf gegen die Lehne sinken ließ. „Wie gut, dass wir schon ein Zimmer bestellt haben, ich brauche dringend eine kalte Dusche." „Bei mir hilft das nicht."
„Bei Männern wirkt kaltes Wasser." Mike musste trotz seines Unbehagens lächeln. „Wir sind eben anders gebaut als ihr." „Ich weiß." Als die Limousine vor dem Hotel vorfuhr, brachte Mike sich mit großer Anstrengung wieder unter Kontrolle. Er wollte nicht, dass Callies Vater ihm ansah, in welchem Zustand er sich befand. Reverend Webster wartete schon in der Hotelhalle und winkte ihnen zu, sobald sie eintraten. Callie eilte auf ihn zu, fiel ihm in die Arme und brach in Tränen aus. Mike war erschrak. Was war denn los? Hatte sie etwa ihre Meinung über die Hochzeit geändert? „Na, na", beruhigte James Webster seine Tochter, „was ist denn los?" Callie schniefte. „Es tut mir Leid, aber ich bin so glücklich." „Du bist genau wie deine Mutter, die weinte dann auch immer." „Mach dich nicht verrückt, Calliope", sagte eine raue Stimme im Hintergrund, und Callie drehte sich rasch um. „Curdgeon?" Curdgeon Post knetete seinen Filzhut in den Händen. „Dein Mann hat mich eingeladen, ich hoffe, du hast nichts dagegen." Callie strahlte. Noch bevor sie Curdgeon umarmte, gab sie Mike einen schnellen KUSS. „Es freut mich sehr, dass du kommen konntest. Hast du meinen Vater schon kennen gelernt?" „Ja, wir haben uns bereits ein bisschen unterhalten. Für einen Mann im Talar ist er ziemlich vernünftig." „Wunderbar. Also wisst ihr, ich sterbe vor Hunger! Lasst uns erst mal zu Mittag essen." Die Trauung am Nachmittag verlief so reibungslos, als hätte man sie seit Monaten geplant. Vielleicht, weil sie schon so lange davon geträumt hatte, kam Callie alles ganz unwirklich vor. Sie hatte das Gefühl, sich gelegentlich kneifen zu müssen. Sie wiederholte das „Ja" auf die Formel hin, die ihr Vater aus sprach, und schaute dabei tief in Mikes braune Augen. Dann wurde ihr der Ring an den Finger gesteckt. Ein ganz schlichter goldener Reif, denn Callie hatte vor, ihn nie wieder abzulegen. Gleich darauf redeten, lachten und weinten alle durcheinander, so wie es bei Hochzeiten zu sein pflegt. „Ich freue mich ja sosehr", flüsterte Mikes Mutter. „Callie, ich habe in dir schon immer eine Tochter gesehen, und nun ist es offiziell." Callie wischte sich hastig ein paar Tränchen weg, bevor Ross und Donovan ihre Glückwunschküsse loswerden wollten. Mike kamen ihre Umarmungen gleich wieder ein bisschen zu stürmisch vor, aber inzwischen ging er damit besser um als mit ihren früheren harmlosen Flirtversuchen. Dann nahmen alle zusammen im Hotelrestaurant ein festliches Essen ein, und Callie lächelte in zahlreiche Kamerablitzlichter. Viel später trug Mike sie über die Schwelle zu ihrer Suite. „Das wollte ich schon seit Stunden tun!" sagte er und küsste sie in die Halsgrube. „Wenn es nicht unsere Angehörigen gewesen wären, hätte ich ihnen gesagt, sie sollten sich möglichst bald verdrücken." Callie war ein bisschen nervös. Wie ging das überhaupt in einer Hochzeitsnacht? Fielen sie wie liebestolle Kaninchen übereinander her, oder durchliefen Braut und Bräutigam eine Art Ritual, bevor sie sich auszogen? „Müde?" fragte Mike. „Nein ... Na ja, ein bisschen." Sie lachte verlegen und spielte an ihrem Ehering
herum. „Es waren wirklich ve rrückte ..." „Ferien?" beendete er den Satz für sie. „Genau. Ferien." Callie lächelte. Verlegen richtete sie seine Krawatte. Einer von ihnen musste den ersten Schritt tun, aber Callie kam auf einmal alles so künstlich vor, so geplant. Auch die zarte Rose im Knopfloch passte gar nicht zu Mike, der in seinem dunklen Anzug, mit Fliege und weißem Hemd so kraftvoll und männlich wirkte. Die Suite war geräumig und elegant, verfügte über ein Extrabad sowie einen offenen Kamin. „Wie schön", murmelte sie und schaute sich bewundernd um. „Ich wollte die beste Suite für dich." Er legte den Arm um sie und streichelte sie so, dass Callie ganz schwindelig wurde. „Ich ... sollten wir nicht zu Bett gehen?" fragte Callie. „Gute Idee." Mike küsste sie zart. Dann nahm er eine Schachtel vom Schreibtisch und reichte sie ihr. „Ich habe etwas Besonderes zum Anziehen für dich mitgebracht." Das Geschenk war wunderschön eingepackt, in lachsfarbenem Papier und mit einer Spitzenschleife. Trotzdem fürchtete Callie auf einmal, dass Mike womöglich so etwas wie ein altjüngferlich-braves Nachthemd gekauft hatte. Aber er sah sie so verliebt an, dass sie das Geschenk nicht zurückweisen mochte. „Ziehst du es an?" bat Mike. „Ich warte so lange." Callie ging ins Bad schaute auf die Schachtel. Sie konnte sich schon denken, was darin war, bestimmt ein langes, weißes Batisthemd. Früher hätte sie das schön gefunden, aber jetzt nicht mehr! Zögernd öffnete sie den Karton und zog das Seidenpapier auseinander. Als sie es entfernt hatte, förderte sie ein schwarzes Etwas zutage, das bodenlang war, ganz leicht und fast durchsichtig! Ein hoch erotisches Nachthemd und äußerst sexy! Etwas Aufregenderes hätte sie sich nicht vorstellen können. Callie lehnte sich ans Waschbecken und musste lachen. Mike hatte wirklich ihren Geschmack getroffen! Sie lachte? Mike umfasste unwillkürlich den Hals der Champagnerflasche und schaute besorgt zur Badezimmertür. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Als er das Neglige kaufte, war es ihm sehr reizvoll erschienen. Er hatte lange in den feinsten Geschäften herumgesucht und dann etwas gewählt, was er selbst gern an ihr sehen wollte. Eigentlich stellte er sie sich am liebsten nur nackt vor, aber dieses Nachthemd kam dem ziemlich nahe. Damit wollte er Callie auch zeigen, wie sehr er sie begehrte, wie sinnlich und attraktiv er sie fand. Aber vielleicht hätte er doch auf die Verkäuferin hören und etwas Dezenteres kaufen sollen? Nein, schließlich war es ihre Hochzeitsnacht! Womö glich dachte Callie mehr an etwas Romantisches als an so ein schwarzes, durchsichtiges Hemdchen? „Äh, Callie? Du musst es nicht anziehen, wenn du es nicht magst!" Lange würde sie es ohnehin nicht anhaben ... „Ich komme." Als Callie nun wieder zu ihm kam, entglitt Mike beinahe die Champagnerflasche. Das Haar fiel ihr glänzend über die Schultern, das Nachthemd hüllte sie wie feiner schwarzer Nebel ein und entblößte mehr, als dass es verdeckte. Am aufregendsten von allem war jedoch ihr Lächeln. Es war das einer selbstbewussten, verführerischen Frau. Einer Frau, die wusste, was sie wollte, und die es bekommen würde! „Ich glaube, einer von uns hat zu viel an", bemerkte Callie, als sie auf Mike
zuging. „Das muss ich sein", antwortete er mit einem heiseren Lachen. Sie öffnete ihm das Hemd und schob es ihm von den Schultern. Dann zog sie mit den Fingern eine Spur über seinen nackten Oberkörper. Aber bevor sie ihr Ziel erreicht hatte, nahm er ihre Hand. Wenn sie ihn an der Stelle schon jetzt berührte, wäre der Abend schneller vorbei, als es ihm lieb war. „Mike?" Er umschmiegte ihr Gesicht und schaute ihr in die schönen Augen. „Ich liebe dich", sagte er leise, „und möchte dir dafür danken, dass du nach Alaska gekommen bist." „Es war mir ein Vergnügen." Lächelnd hob er sie hoch. „Das Vergnügen kommt erst noch, Mrs. Fitzpatrick", versprach er. Callie zog seinen Kopf zu sich herunter, und ihre Münder trafen sich in einer Liebkosung, die zwischen Liebe und Leidenschaft hin und her schwankte. „Ich habe schon eine Idee für unsere Flitterwochen", sagte Callie dicht am Gesicht ihres Mannes. „Ja?" „Wie kommst du darauf, dass ich dich aus dieser Suite heraus lassen werde?" Mike lachte leise und legte sie aufs Bett. „Na ja, hier gibt es glücklicherweise Zimmerservice." „Also, wozu brauchen wir Paris?"
EPILOG
Mike winkte seiner Frau zu, die die Eingangstreppe herunterkam. Im achten Monat schwanger, bewegte sie sich langsamer als sonst, aber nur weil Mike sie dauernd ermahnte, vorsichtig zu sein. „Die hätte ich mir doch selbst holen können", rügte er, als sie ihm eine Tasse Kaffee reichte. „Ich weiß." Callie küsste ihn. „Haben wir schon genug Feuerholz für den Winter? Es darf uns schließlich nicht ausgehen." „Ich denke, schon." Mike nahm einen Schluck und lachte. Das Feuerholz, das er während der Zeit, in der er um sie warb, ge hackt hatte, reichte für beinahe drei Winter, und Callie liebte es noch immer, ihn damit aufzuziehen. „Hast du Zeit für einen Brunch?" „Mmm, ja." Er legte den Arm um sie, als sie nun gemeinsam ins Haus zurückgingen. Drinnen roch es köstlich nach gebratenem Speck, und Mike atmete genüsslich ein. Seine Frau liebte es, ihn zu verwöhnen. Nach dem späten Flug schlief er erst mal aus, und nun hatte sie ihm sein Lieblingsessen zubereitet. Ihr zweijähriger Sohn saß am Boden und spielte zufrieden mit dem Holzflugzeug, das Großvater Webster ihm zum Geburtstag geschickt hatte. Beim Anblick seiner Mutter winkte er und strahlte sie an. „Er ist ein so hübsches Kind", schwärmte Callie. Mike setzte sich auf einen Stuhl und zog sie auf den Schoß. „Das kommt daher, weil er dir ähnlich sieht." „Du Schmeichler. Du willst nur ein paar Pfannkuchen extra." „Hmm, da hast du Recht", raunte er, und sie lachte. „So sind wir auch zu diesem kleinen Bündel gekommen." Callie klopfte auf ihren Bauch. „Erinnerst du dich?" Oh, jenen frostigen Wintermorgen würde Mike nie vergessen. Callie hatte ihn mit einem Frühstück im Bett überrascht - Karamell-Pekan-Pfannkuchen natürlich - und hatte ihn schamlos verführt. Mike hatte nicht das Geringste dagegen, verführt zu werden, zumal es ihm bei Callie immer wie ein Geschenk vorkam. Von da an war er kein Morgenmuffel mehr. An den Tagen, an denen er früh heraus musste, weckte Callie ihn immer schon eine Stunde früher als sonst - zu einer kleinen gemeinsamen „Morgenübung". Mike lächelte in Gedanken daran, dass er trotz der Extrastunde zu spät gekommen war. „Worüber lachst du?" „Ich dachte gerade an meinen ,Weckdienst'." „Du meinst Tommy? Vergiss nicht, in einem Monat haben wir noch so einen kleinen Schreihals, der dich wecken wird. Vielleicht lachst du dann nicht mehr." Mike streichelte ihren Bauch. „Ich meinte nicht unseren Sohn, sondern meine unersättliche Frau." Callie wollte Mike mit einem strafenden Blick ansehen, aber das gelang ihr nicht. Sie hätte nie gedacht, dass sie ihn noch mehr lieben könnte, als sie es schon immer getan hatte, aber jeder Tag bewies ihr das Gegenteil. Ob sie miteinander redeten, sich liebten oder einfach nur spazieren gingen - jeder Moment mit ihm war etwas Besonderes. „Bist du glücklich, Mrs. Fitzpatrick?" fragte Mike leise an ihrem Ohr. „Ja, sehr." „Gut, dann kannst du nach dem Essen deinem armen Mann ein bisschen Salbe auf die schmerzenden Muskeln reiben. Er hat nämlich eine Menge Holz für den kommenden Winter gehackt." Callie zog eine Braue hoch. „Du hast doch nur eine halbe Stunde lang gehackt." „Dann findest du eben irgendetwas anderes, was wehtut. Ich bin sicher, dass dir
etwas einfällt." Sie streichelte ihn zärtlich. „Ah, ich verstehe, aber damit werden wir warten müssen, bis Tommy seinen Nachmittagsschlaf macht. Das ist der Preis der Elternschaft." Mike stöhnte. „Wenn das so weitergeht, werde ich noch medizinische Hilfe brauchen." „Wie gut, dass du den Arzt vor drei Jahren dazu gebracht hast, die Klinik von Kachelak zu übernehmen. Der arme Mann hatte keine Chance gegen deine Überzeugungskünste." „Ich wollte ja nur, dass er bei Bedarf für dich da ist." Mike strich über Callies Bauch. Mit jedem Tag wurde seine Frau schöner, und er mochte es, den sichtbaren Beweis ihrer Liebe zu berühren. „Ich liebe dich sosehr", flüsterte er ihr ins Ohr, „so unendlich." „Dazu hast du eine ganze Weile gebraucht, Michael Fitzpatrick." Er blickte ihr in die grünen Augen und lächelte. Callie war seine Traumfrau, jetzt und für alle Zeiten. Er hatte das Glück gehabt, dass sein Traum sich als wahr erwies. - ENDE