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Georg Eichliolz
Gleichnisse
der
Evangelien Form Überlieferung Auslegung Neukirchener Verlag
Georg Eichholz Gleic...
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Georg Eichliolz
Gleichnisse
der
Evangelien Form Überlieferung Auslegung Neukirchener Verlag
Georg Eichholz Gleichnisse der Evangelien Form, überlieferung, Auslegung
Neukirchener Verlag
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Eichholz, Georg: Gleichnisse der Evangelien: Form, Überlieferung, Auslegung / Georg Eichholz. - 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1984. ISBN 3-7887-0280-X
© 1971 - 4. Auflage 1984 Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins GmbH, Neukirchen-Vluyn Alle Rechte vorbehalten Umschlag: Kurt Wolff, Düsseldorf Gesamtherstellung: Breklumer Druckerei Manfred Siegel Printed in Germany - ISBN 3~7887 -0280-X
Vorwort
Dieses Buch hat einen fest umrissenen Rahmen: es gilt der Auslegung synoptischer Gleichnisse. Es kann zwar nicht auf Vollständigkeit aus sein, nimmt aber die methodischen Probleme in einer bestimmten Zuspitzung auf und verklammert ständig Hermeneutik und Exegese. Es ist um eine weitgespannte Arbeitsgemeinschaft mit der bisherigen Gleknnisforsdmng bemüht und bewegt sich in einem oft kritischen Gespräch mit anderen hermeneutischen Ansätzen, wennschon die Kritik aus Gründen in der Regel implizit erfolgt. Denn eine Auslegung muß für sich selbst sprechen und sich insofern selbst verteidigen. An der Auslegung ist eine Hermeneutik zu messen, nicht aber die Auslegung an der Hermeneutik, wenn ich mir diese fast änigmatische Abbreviatur vorweg erlauben darf. So muß offenbar Hermeneutik immer in Bewegung bleiben. Die Selbstverständlichkeit, mit der gegenwärtig die existentiale Interpretation fast überall als allein möglich und deshalb das »Existenzverständnis« der Gleichnisse als ihr »übersetzbarer Inhalt« angesehen wird, kann ich nicht bejahen. Die Einengung oder auch: die Akzentveränderung, die damit den neutestamentlichen Texten widerfährt, scheint mir zu deutlich, gerade auch, wenn uns die Frage nicht losläßt, wie wir heute von Gott reden sollen. Ich hoffe auf die kritische Erprobung der hier versuchten Auslegung der Gleichnisse in der sonntäglichen Verkündigung und in der kirchlichen Unterweisung, wenn ich auch homiletische und katechetische Folgerungen nur gelegentlich andeuten konnte und mich auf meine Aufgabe als Exeget beschränken mußte. Diesem Buch gehen einige Vorarbeiten voraus. Ich nenne nur meine Studie »Das Gleichnis als Spiel« (EvTh
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Vorwort
1961 309-)26, jetzt in: Tradition und Interpretation, Theologische Bücherei 29 1965 57-77) sowie meine »Einführung in die Gleichnisse« (Biblische Studien Heft )7 196)). Vor allem waren die Gleichnisse vielfach Gegenstand meiner Vorlesungen und Seminare, zuerst in einem Vorsemester im Herbst 1945 und zuletzt im Sommersemester 1970. Ich habe es gewagt, den exegetischen Arbeiten auch eine Predigt beizufügen, die ich in einem Semesterschlußgottesdienst der Kirchlichen Hochschule Wuppertal am 2). Juli 1967 über das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus gehalten habe, um den nahen Zusammenhang anzudeuten, in dem sich für mich Exegese und Verkündigung befinden. Ich habe für wertvollste Hilfe bei der Korrektur Herrn Pastor CarlErnst Kattwinkel und seiner Frau Annerose sowie meinem früheren Assistenten, Herrn Horst Leske, zu danken. Herr Leske hat darüber hinaus auch die Register am Schluß erstellt und damit das Buch übersichtlicher und handlicher gemacht.
Wuppertal-Barmen
Georg Eichholz
Inhalt
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Einführung
11 17 )9
Einleitung Sprache und Struktur der Gleichnisse Überlieferungs geschichte der Gleichnisse
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Auslegung
55 Von den beiden Schuldnern (Luk. 7, )6-50 : 41-4)) 65 Vom Säemann (Mark. 4, 1-9. 14-20) 85 Von den Arbeitern im Weinberg (Matth. 20, 1-16a) 109 Vom Schatz und von der Perle (Matth. 1),44-46) 126 Vom großen Abendmahl (Luk. 14, 16-24) und Von der königlichen Hochzeit (Matth. 22,1-14) 148 Vom bannherzigen Samariter (Luk. 10, 25-)7) 179 Vom reichen Kornbauern (Luk. 12,1)-21) 192 Vom Bauen und vom Kriegführen (Luk. 14, 28-)2) 200 Vom verlorenen Sohn (Luk. 15, 11-)2) 221 Vom reichen Mann und annen Lazarus (Luk. 16, 19-)1)
229 2)2 2) 7
Bibelstellenregister Namenregister Sachregister
Einführung
Einleitung
:1. Was in diesem Buch versucht werden soll, könnte man eine kleine Methodenlehre der Gleichnisauslegung nennen. Deshalb werden nicht nur Gleichnisse (aus allen drei synoptischen Evangelien) ausführlicher ausgelegt, sondern zugleich grundsätzliche Fragen besprochen, wie sie sich für jeden Ausleger Gleichnis um Gleichnis wiederholen. Dabei ist mit den grundsätzlichen Fragen zu beginnen, wenn freilich auch von Anfang an im Vorgriff einzelne Gleichnisse zur Illustration heranzuziehen sind, weil alle methodischen Einsichten an Hand der Texte gewonnen werden sollen. So nähern wir uns den Gleichnissen nicht mit vorformuHerten Auslegungsregeln. Auslegungsregeln können uns nur in der Begegnung mit den Texten selbst zufallen, in unaufhörlichem Achten auf die Struktur und die überlieferungsgeschichte der Gleichnisse. Auslegungsregeln müssen kontrollierbar sein. Was methodologisch gelten soll, muß im Umgang mit den Texten erfahren und begründet werden. Alle Abstraktheit ist nach Möglichkeit zu vermeiden, nicht nur aus didaktismen, sondern mehr noch aus hermeneutischen Gründen. Das bedeutet sofort, daß die Grenze zwischen methodischer Einführung und Einzelexegese nicht streng gezogen werden kann. Auch die Auslegung der Gleichnisse wird immer wieder auf die methodischen Vorüberlegungen zurückgreifen müssen - oder noch besser: sie wird von sich aus immer wieder zu Grundeinsimten der Auslegung vorstoßen müssen. Beides gehört untrennbar zusammen und greift ineinander. Die Auslegung darf nicht von vorgefaßten hermeneutischen Sätzen her überfremdet werden. Eine den Gleichnissen angemessene Hermeneutik muß sim im Vollzug der Auslegung erst ergeben und kann den Texten gegenüber nur eine dienende Funktion haben.
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Einleitung
Gelegentliche überschneidungen sind bei diesem Ansatz nicht vermeidbar. Sie sind vielmehr, genau genommen, sinngemäß. Sie verraten den engen Zusammenhang von methodischen Regeln und Auslegungsversuchen, wie er in der Linie dieses Buches liegt. Einige Fragen liegen von vornherein nahe. Weshalb greift Jesus so oft zum Gleichnis? Bedeutet das Gleichnis, sofern es die Sprache der Bilder spricht, eine Verschlüsselung der Botschaft? Oder ist beim Gleichnis vielmehr alles darauf angelegt, daß der Hörer die Botschaft verstehen soll: kommt sie ihm in besonderer Eindrücklichkeit und Unmittelbarkeit nahe, erfährt sie eine Zuspitzung gerade für ihn? Allgemein gefragt: Welche Rolle spielt der Hörer für das Gleichnis? Es wird sich zeigen, daß er nie wegzudenken ist - daß das Gleichnis Zug um Zug um seinetwillen erzählt ist, ja, daß er nicht selten selbst im Gleichnis vorkommt. Er soll sich im Gleichnis selbst entdecken, und auf diese Entdeckung kommt es an. Aber was drückt sich darin aus? über die Zuordnung von Gleichnis und Hörer werden wir besonders nachzudenken haben. Diese Zuordnung wird sich geradezu als Schlüssel zum Verständnis der Struktur der Gleichnisse erweisen. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage wichtig, was für eine Welt uns in den Gleichnissen begegnet. Sie ist vielfältig genug. Mit Rudolf Bultmann läßt sich sagen: »Der Stoff der Bildworte, Gleichnisse, Parabeln usw. umspannt einen weiten Kreis: das Haus und seine Bewohner, zumal Vater und Sohn; seine alltäglichen Vorgänge wie das Salzen der Speise und das Kneten des Teigs, das Flicken des Kleides und das Füllen des Weines; das Lichtanzünden am Abend und das Suchen nach dem verlorenen Groschen. Ferner das Spiel der Kinder wie das Treiben der Erwachsenen; Saat und Ernte, Viehzucht und Fischfang, Arbeit und Fest, Unternehmungen, Prozesse und Kriege. So treten auf Reiche und Arme, Gläubiger und Schuldner, Herren und Sklaven, König und Kaufmann, Richter und Klienten, Pharisäer und Zöllner, Juden und Samariter ... « (Geschichte der synoptischen Tradition 19)1 2 217 f). Diese Welt trägt, wie noch näher zu sehen ist, palästinisches Gepräge. Sie ist die Welt des ursprünglichen Hörers: seine eigenste Welt. 2.
). Bei näherem Zusehen zeigt sich schnell, daß der Begriff »Gleichnis« eine Art Sammelbegriff ist, der verschiedene Formen zusammenfaßt.
Einleitung
1)
Eine weite Skala verläuft vom kurzen Bildwort und Vergleich über das eigentliche Gleichnis und die sogenannte Parabel bis hin zur Beispielerzählung. Immer geht es um eine bildhafte Form der Aussage. Mit der Allegorie kämen wir freilich an eine Grenze. Darüber ist noch zu sprechen. Joachim Jeremias polemisiert nicht ohne Grund gegen eine Einteilung der Gleichnisse in verschiedene Kategorien, weil der hebräische und aramäische Begriff für Gleichnis (maschal-mathla) alle schon genannten Kategorien umfaßt, ja noch weitere Bedeutungen in sich birgt, so Fabel, Sprichwort und Rätselrede (wie auch das griechische Wort für Gleichnis - parabole - einen weitgefaßten Sinn hat). Vor allem ist zu verstehen, daß »die Übergänge zwischen den verschiedenen Formen der Bildersprache ... fließend« sind - eine Einsicht, in der sich etwa Rudolf Bultmann, Nüs Alstrup Dahl und Friedrich Hauck (bis in die Formulierung hinein) begegnen. Der Untersdried kann gelegentlich einfach in der »Ausführlichkeit« begründet sein, »mit der das Bild gestaltet ist« (Rudolf Bultmann aaO 184). Die größere oder geringere Ausführlichkeit kann aber keinen entscheidenden Maßstab abgeben. Deshalb kann »Knappheit der Darstellung« bei Gleichnissen kaum als Kriterium für die Ursprünglichkeit einer Fassung verwandt werden (anders Hans G. Klemm, Die Gleichnisauslegung Ad. Jülichers im Bannkreis der Fabeltheorie Lessings, ZNW 1969 153-174 - eine sorgfältige Studie, auf die ich hinweisen möchte). So werden wir darauf verzichten, vorweg eine Definition des Gleichnisses zu versuchen, bei der wir Gefahr liefen, die weite Bedeutungsspanne des Begriffs einzuengen. »Man darf nicht alles über einen Kamm scheren«, hat Julius Wellhausen seinerzeit gegenüber einer Definition, die ihm zu schematisch und unelastisch vorkam, erklärt (Das Evangelium Marci 19092 29). Wir werden ohnedies guttun, die methodischen Vorbemerkungen knapp zu halten. 4. Wählen wir unter den Vorfragen aus, so scheint es mir unumgänglich zu sein, das Problem der Sprache der Gleichnisse aufzugreifen. Wir werden sorgfältig zu fragen haben, worin Möglichkeit und Grenze der Sprache des Gleichnisses liegen. So wird sich bald zeigen, daß es nur sehr vorläufig das Besondere des synoptischen Gleichnisses trifft, wenn man sagt, daß es die »Sprache der Bilder« spricht. Wir werden diese Formel überholen müssen. Sieht man in der Sprache der Bilder schon das Ent-
Einleitung
scheidende, so ist die Abgrenzung von Gleichnis und Allegorie nur noch schwer vollziehbar. Eben diese Abgrenzung ist aber (seit Adolf !ülichers großem Werk über die Gleichnisse) wichtig und darf nicht mehr verloren gehen. Wo aber verläuft hier die wahre Grenzlinie? Denn die Sprache der Bilder spricht auch die Allegorie. Die Allegorie spricht sie freilich anders als das Gleichnis. Die Allegorie - chiffriert die gängige Sprache in eine Art Chiffresprache und verlangt deshalb ein Dechiffrierverfahren! Bekanntlich spricht man von der »Pointe« des Gleichnisses als dem »Punkt«, der für die Aussage des Gleichnisses entscheidend ist. Das ist in der Abwehr einer allegorischen Interpretation formuliert. Verrät sich die Pointe vielleicht schon formal? Das wäre methodisch bedeutsam. Ich denke, daß diese Frage zu bejahen ist, und deshalb wird alle Sorgfalt, die wir auf die Form der Gleichnisse verwenden, weit davon entfernt sein, nur eine formale Bemühung zu sein. Ich möchte das schon hier betonen. Nur sehr von außen gesehen, könnte es so scheinen, als ob das Problem der Form vom Inhalt ablösbar wäre. Aber eben der Inhalt hat in aller Sprache eine Form, besser gesagt: seine Form, nämlich die dem Inhalt gemäße Form. 5. Zu den Vorfragen möchte ich noch ein weiteres Problem rechnen, das ich mit dem Stidlwort der Überlieferungs geschichte umschreibe. Wir betreten damit das Feld der historischen Problematik. Jeder weiß, daß es Gleichnisse gibt, die in den synoptischen Evangelien mehrfach vorkommen. Schon ein flüchtiger Vergleich läßt erkennen, daß dabei bedeutsame Abweichungen möglich sind - im Umfang, in der Adresse, in den Akzenten und zugleich im theologischen Zuschnitt, in der durchgehenden theologischen Profilierung. Ein Beispiel vorweg zur Illustration. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf geht bei Lukas an die Adresse der Gegner Jesu und rechtfertigt seine Freudenbotschaft vor ihren Kritikern, vor den Pharisäern und Schriftgelehrten, die Jesus zum Vorwurf machen, daß er sich mit den fraglichsten Figuren der jüdischen Gesellschaft an einen Tisch setzt, daß er »Sünder annimmt« (Luk. 1.5, 1.-2). Wir haben noch etwas betonter als Luther zu übersetzen: »Warum nimmt dieser Sünder (in seinem Haus) auf und gewährt ihnen Tischgemeinschaft?« (Joachim Jeremias). Nach Meinung der Kritiker wäre allein äußerste Distanz angebracht, nicht aber die Nähe der Tischgemeinschaft. Tischgemeinschaft ist als
Einleitung
solche Ausdruck für eine Nähe, was wir uns erst wieder sagen lassen müssen. Wir achten darauf, daß die Freudenbotschaft hier nicht nur ein Wort ist, das Jesus verkündigt, daß die Freudenbotschaft vielmehr gleimsam vollzogen und in die Wirklichkeit des gelebten Lebens übersetzt wird. Sie gewinnt Gestalt im Greifbaren und Alltäglichen. Sie stößt in die Öffentlichkeit vor und hat weitgreifende Folgen für das Miteinander der Menschen. Was bei Jesus Vergebung heißt, kann zuletzt nur begriffen werden, wenn man sieht: sie geschieht, heute und hier, in höchster Konkretheit. Und eben darauf bezieht sich der Protest der Pharisäer und Schriftgelehrten - oder tragenden Schichten Israels, wie man sagen kann. Sie erweisen sich als hellhörig. Wir halten zunächst nur fest, daß das Gleichnis eine deutliche Adresse hat und daß mit dieser Adresse seine Zuspitzung zusammenhängt. Bei Matthäus kommt das gleiche Gleichnis im sogenannten Gemeindekapitel (Matth. 18) vor, erweist sich mithin vom Rahmen her als an die Jünger gerichtet und wird zur Anweisung an die Gemeinde, sich als Bruderschaft zu bewähren und allen Gefährdeten und Bedrohten nachzugehen (Matth. 18, 12-14). Geht die Gemeinde nicht mehr den Gefährdeten und Bedrohten in der Entschlossenheit der Liebe nach, so gerät sie selbst in Gefahr: in die Gefahr, zu vergessen, daß sie nur in solchem Nachgehen Gemeinde sein kann, weil sie so ihren eigenen Ursprung bezeugt. Das ist wichtig für das Kirchenverständnis des ersten Evangelisten. Wir haben hier noch nicht exegetisch weiterzufragen. Aber das Problem zeichnet sich schon ab. Wir haben für dasselbe Gleichnis zwei verschiedene Adressen. Welche Adresse ist ursprünglich? Die Gegner- oder die Jüngeradresse? Ist der offensichtliche Adressenwechsel verstehbar und erklärbar? Was hat sich hier in der Überlieferungsgeschichte der Gleichnisse zugetragen? Der Vorgang des Adressenwechsels als solmer ist unbestreitbar, und die damit gegebene Umformung und Umprofilierung beginnen wir vielleicht schon zu ahnen. Sie darf nicht verwischt werden, sondern ist so sorgfältig wie möglich zu erfassen, gerade wenn wir begreifen wollen, was Überlieferungsgeschichte heißt. Wir können vorläufig auch sagen, daß wir (selbstverständlich in einem begrenzten Ausschnitt) auf den bewegenden Sachverhalt von Freiheit und Gebundenheit in der synoptischen Überlieferung stoßen. W~s birgt dieser historische Sachverhalt - theologisch in sich? Wir befinden uns mit dieser Frage zugleidl in der Nähe der heute vielfach neu gestellten Frage nach
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Einleitung
dem »historischen Jesus«, wenn das auch ein eigenes Thema ist, auf das wir nicht nebenher zu sprechen kommen können. Ich muß es bei dieser Andeutung der Probleme lassen, auf die wir nun zugehen. Schon im Vorfeld der eigentlichen Auslegung werden wir, wie angekündigt, ständig zu Illustrationen greifen, ständig die Gleichnisse selbst heranziehen.
Sprache und Struktur der Gleichnisse
Unsere Überschrift greift weit und geht, wie sofort deutlich werden wird, über eine nur technische Problematik hinaus. Sie begreift die Frage in sich, wie es zum Gleichnis als einer besonderen Form der Sprache kommt. Geht es uns um das Gleichnis als eine Möglichkeit der Sprache, so geht es uns um nicht weniger als um einen Zugang gerade zum Inhalt der synoptischen Gleichnisse. 1. Ich nannte es eine erst vorläufige Einsicht,wenn man sagt, daß das Gleichnis die »Sprache der Bilder« spricht. Sicher ist diese Formulierung nicht einfach falsch. Ich entnehme dem Artikel: Bildersprache von Alfred Stuiber im Reallexikon für Antike und Christentum folgende sprachgeschichtliche Beobachtung: »Die Sprache bezeichnet primär Verhältnisse des sinnlich wahrnehmbaren Bereichs; für den sinnlich nicht zugänglichen Bezirk muß sich die Sprache einer bildhaften Ausdrucksweise bedienen, also ursprünglich vollständig Bildersprache sein. Die Sprachentwicklung läßt aber das Bildhafte vieler Ausdrucksweisen nicht mehr zum Bewußtsein kommen; viele selbst offenkundige Metaphern werden so konventionell, daß sie kaum noch als übertragene Redeweise empfunden werden (abgeblaßte Metaphern)« (RAC II Sp. 341). Was ist eine Metapher? Eine Metapher ist »eine Art abgekürztes Gleichnis, das sich formal auf die Form so-wie zurückführen läßt«. Spricht Homer von Hektor als von einem »Löwen«, so wird Hektor mit einem Löwen verglichen, so wird das Bild vom Löwen auf Hektor übertragen - »übertragen« ist selbst eine Metapher, so geläufig, daß wir den metaphorischen Charakter dieser Wendung gar nicht mehr empfinden. Ich nehme einige Sätze des
Sprache und Struktur
Philosophen Kar! Löwith auf, die in einem Beitrag Löwiths zum Theologentag von 1958 enthalten sind: »Kann man überhaupt sprechen, ohne in Metaphern zu reden? ... Nicht nur die dichterische Sprache, auch die alltägliche Umgangssprache, desgleichen die Sprache der Wissenschaft, der Philosophie und der Theologie, sind nicht nur voller Metaphern, sondern die ganze Sprache ist metaphorisch. Jean Paul, der selbst ein ausgezeichneter Dichter der Metapher ist, hat einmal gesagt, die Sprache sei ... >ein Wörterbuch vergilbter Metaphern< - was wiederum eine Metapher zweiten Grades ist, denn weder vergilben Worte wie grüne Blätter noch ist das Vergilben von Laub eine bloße Verfärbung ins Gelbe. Doch spielt das eine auf das andere an, im Spiel der Worte« (Die Sprache als Vermittler von Mensch und Welt, in: Das Problem der Sprache in Theologie und Kirche 1959 )6 ff). Und Löwith zieht, nach seiner »Erklärung« dessen, was Metapher heißt, die Bilanz: »Auch alles, was wir über die Metapher sagten, bestand, etwas >näher besehen<, aus lauter Metaphern« (aaO 51). Ich habe das einleitend bemerkt, weil wir von der Bildhaftigkeit der Sprache im allgemeinen zu unserem besonderen Problem vorstoßen können. Weil alle Sprachen von Haus aus bildhaft sind (wie übrigens auch die Schriften von Haus aus Bilderschriften sind!), ist Bildhaftigkeit der Sprache sozusagen mitgegeben und das Gleichnis als Sprache der Bilder dem Ursprung der Sprache nahe. Soviel wird schon deutlich sein, daß das Gleichnis in der Tat ein Problem der Sprache ist. Aber nun muß für das synoptische Gleichnis präzisiert werden, inwiefern es die Sprache der Bilder spricht. 2. Wir orientieren uns an einem Beispiel und greifen dazu das Gleichnis vom großen Schuldner auf (Matth. 18, 2)-35). »Deshalb verhält es sich mit (dem Kommen) der Königsherrschaft der
Himmel wie mit einem menschlichen König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. Als er aber anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war zehntausend Talente schuldig. Weil er jedoch nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, daß er und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, verkauft und die Zahlung geleistet würde. Der Knecht warf sich nun vor ihm zu Boden und sagte: Habe Geduld mit mir, und ich will dir alles bezahlen. Da hatte der Herr Erbarmen mit jenem Knecht und gab ihn frei, und die Schuld erließ er ihm. Als aber die-
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ser Knecht hinausging, stieß er auf einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denare schuldig war, und er packte ihn und suchte ihm die Gurgel zuzuschnüren und sagte: Bezahle, was du schuldig bist. Da warf sich sein Mitknecht nieder und bat ihn: Habe Geduld mit mir, so will ich dir bezahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging hin und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis' er die Schuld bezahlt hätte. Als nun seine Mitknechte sahen, was geschehen war, wurden sie sehr traurig (im Sinn von: betroffen, empört) und kamen und berichteten ihrem Herrn alles, was vorgegangen war. Da ließ sein Herr ihn zu sich kommen und sagte zu ihm: Du böser Knecht, jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest. Hättest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmen sollen, wie ich mich deiner erbarmt habe? Und im Zorn übergab ihn sein Herr den Folterknechten, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war. So wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht vergebt, ein jeder seinem Bruder, von ganzem Herzen.« 3. Wir beginnen mit einigen Beobachtungen. In der Gleichnisauslegung hat man sich daran gewöhnt, von einer Bild- und einer Sachhälfte zu sprechen. Man fragt heute, ob diese Unterscheidung sachgemäß ist. Sie behält aber einen begrenzten Sinn. Bei unserem Gleichnis bringt der Schluß die in der Bildhälfte gemeinte Sache zur Sprache: »So wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht vergebt, ein jeder seinem Bruder, von ganzem Herzen.« Ein solcher Schluß findet sich nicht regelmäßig. Er kann sich erübrigen. Auch bei unserem Gleichnis könnte der Schluß fehlen, ohne daß ein Zweifel an der Pointe entstünde. Andererseits kann ein Gleichnis, das uns rahmenlos und ohne interpretierenden Schluß überliefert ist, zum »Rätsel« werden (vg!. Friedrich Hauck, ThW V 753). Wir gehen hier nicht näher auf das allgemeine Problem des Gleichnisschlusses ein. Wichtiger ist zunächst eine Einsicht, die sich auf die Bildhälfte bezieht. Die Bildhälfte bringt eigentlich kein Bild, eher eine Folge von Bildern, besser noch: den Ablauf eines Geschehens von geradezu dramatischer Spannung. Und damit setzt die Korrektur der Formel ein, nach der das Gleichnis die Sprache der Bilder spricht. Zutreffender scheint es mir zu sein, wenn man sagt: das synoptische Gleichnis hat das Gefälle einer Gesdlichte. Zwar begegnen innerhalb der Gleichnisgeschichten stehende Metaphern, wie hier der König, der auch im rabbinischen Gleichnis als
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Metapher für Gott steht, so daß das Gleichnis sofort durchsichtig wird. Aber das Gleichnis selbst hat die Form einer Geschichte, und oft genug (oder immer) ist die Geschichte mit hoher Spannung geladen. Weshalb ist das so? Ich würde meinen, darin drückt sich aus, daß die Sache, die zur Sprache kommt, primär ein Geschehen ist - weil Gott in der Verkündigung Jesu immer der handelnde Gott ist und weil der Mensch in ihr zum Handeln gerufen wird. In unserem Gleichnis geht es offenbar um beides zugleich. Gottes Handeln wartet auf eine Entsprechung seitens des Menschen. Begegnet Gott dem Menschen (in der ersten Szene des Gleichnisses) in unbegreiflicher Güte, im Wunder seiner Vergebung, so soll der Mensch solchem Wunder entsprechen, indem auch er seinem Bruder die Schuld erläßt, auch wenn es, gemessen am Maßstab seiner eigenen Schuld, eine Lappalie ist, die hier Schuld heißt. Die Proportionen sind alles andere als zufällig. Die Schuldsumme des vor den König gerufenen Knechtes sprengt alle geläufigen Maße. 100 Millionen Denare lassen sich nur noch als Schuld eines »Satrapen« oder eines Statthalters denken (also eines sehr hohen königlichen Beamten), »der den Steuerertrag seiner Provinz schuldig geblieben ist« (Joachim Jeremias, Die Gleichnisse Jesu 19564 176). Wir geraten mit dieser Summe in eine Größenordnung, neben der 100 Denare nicht des Nennens wert sind. Es handelt sich 'genau um das, was wir eine astronomische Ziffer nennen. Ich sage, die Proportionen sind nicht zufällig. Freilich ist »das Verhältnis der beiden Summen ... in einer Ziffer kaum auszudrücken«. Würden wir nachrechnen, so ergäbe das, in runde Zahlen übertragen, etwa das Verhältnis von 1 000000. Aber »es soll offenbar gesagt werden, daß unsere Verschu~ dung gegenüber Gott unendlich viel größer ist, als je die Verschuldudg eines anderen Menschen gegen uns sein kann ... « (J. Schniewind, Das Evangelium nach Matt~äus 19371 196). Wir achten auf die Formulierung: »es soll gesagt werden«. Das heißt doch, federführend ist das, was gesagt werden soll. Vermutlich haben wir schon hier (wie so oft in den Gleidlni~sen) davon zu reden, daß die Sache sich in das Gleichnis hineinzeichnet und daß von daher der Rahmen des Alltäglichen deutlich gesprengt wird. Wenn Gott dem Menschen vergibt, dann handelt es sich um ein Geschehen, für das alle Analogien letztlich fehlen. Das Gleichnis bringt das so zur Sprache, daß es in seiner Bildhälfte an eine Grenze gerät: daß es eine Szene formt, die kaum gängig ist. Das heißt aber gerade, daß die Szene nicht einfach überspitzt genannt werden darf, sondern in
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ihren Dimensionen, die nur zu einer Ausnahmesituation passen, gewollt ist. Darf man sagen: eben die Sprache gerät hier an eine Grenze? Wir haben davon gesprochen, es gehe in unserem Gleichnis um eine Entsprechung zwischen dem v"ergebenden Handeln Gottes und der Vergebung zwischen Mensch und Mensch. Daran ist festzuhalten, auch wenn hier die Entsprechung gerade ausbleibt. Man kann doch nur sagen, daß das erwartete Gefälle des Geschehens jäh abbricht. Die Gleichnisgeschichte ist so erzählt, daß von der ersten Szene her alles auf ein Echo drängt, auf ein Echo, in dem ein Widerschein des Wunders der Vergebung aufleuchtet, von dem der große Schuldner Mensch gerade herkommt. En miniature, zeichenhaft, sollte sich spiegeln, was sich eben zutrug. Die Szenen sind doch offenbar als unmittelbar aufeinander folgend zu denken. Daß es nicht zu einem Echo kommt, ist nach der Intention des Gleichnisses nicht tragbar, und eben die Untragbarkeit wird so deutlich wie möglich hervorgehoben. Die beiden ersten Szenen sind, bei allem Abstand, insofern parallelisiert, als es zu fast den gleichen Worten des jeweiligen Schuldners kommt, und die Wiederholung macht den Vorgang besonders eindrücklich: »Habe Geduld mit mir, :und ich werde dir bezahlen!« (Vers 26 und Vers 29). Dem großen Schuldner müßten bei den Worten seines Mitknechts s~ine eigenen Worte einfallen. Julius Schniewind unterstreicht: »Hier bleibt die Erzählung nahe beim Leben: Der Geängstete verspricht alles« (aaO 196). »Er müßte wissen, daß er nicht wirklich durchkommt, aber er greift in seiner bedrängten Lage nach einem Strohhalm« (Dan O. Via, Die Gleichnisse Jesu 1970 1)5. Zur Unbezahlbarkeit der geschuldeten Summe vergleiche aaO 1)6 Anm. 68a. Wir haben für unsere runden Zahlen übrigens die Berechnung von Joamim Jeremias vorausgesetzt). Einer Summe von 100 Millionen Denaren gegenüber erscheint alles Versprechen sinnlos, während es bei 100 Denaren angebracht ist. Aber das steigert die Untragbarkeit des Verhaltens des großen Schuldners nur. Untragbar ist auch, wenn man so sagen darf, die Vergeßlichkeit, in der der Schuldner schon nicht mehr weiß, was ihm eben erst widerfuhr und was sein eigenes Handeln leiten müßte. Doch das Gleichnis will sagen: Das eben ist (nicht etwa dieser einmalige Schuft von Schuldner, sondern) der Mensch. Diese Vergeßlich.keit ist sein befremdliches Signum. Die Untragbarkeit der Szene zwischen dem großen Schuldner und seinem Mitknecht wird durch die Szene der Empörung der Mitknechte unterstrichen,
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die folgt. über sie wird freilich im Gleichnis nur knapp berichtet, ohne daß sie in Rede und Gegenrede vorgeführt würde. Und sie findet ihre eigentliche Antwort in der Schlußszene des Gleichnisses, in der es zum Entzug der dem großen Schuldner in der ersten Szene gewährten Vergebung kommt. Der große Schuldner streicht die empfangene Vergebung insofern selbst durch, als er, wie er zeigt, sein Leben nicht von ihr regiert sein lassen will- entzieht er doch die Vergebung bzw. ihr Echo seinem Bruder. Sähe er in der Vergebung den Grund seiner Existenz, so müßte er selbst zur Vergebung bereit sein. Man kann mit Dan O. Via formulieren: »Nicht unsere Vergebung für andere gewinnt Gottes Vergebung für uns; vielmehr überträgt uns seine Vergebung die Fähigkeit zu vergeben« (aaO 1)6 f). So ist die Gleichnisgeschichte in sich geschlossen, greift doch die letzte Szene auf die erste zurück. Und es wird deutlich, daß die erste Szene das ganze Gleichnis beherrscht. Zur szenischen Gliederung des Gleichnisses vergleiche auch F. H. Breukelman, Das Gleichnis vom Schalksknecht, in: Parrhesia 1966 261-287. 4. Wir haben erst begonnen, das Gleichnis vom großen Schuldner in dem, was es sagen will, zu verstehen. Eins hat sich uns schon ergeben: daß die Bildhälfte in einer Geschichte besteht, die szenenhaft vor uns abläuft, und daß sich darin ausspricht, daß es in der Sachhälfte um ein Geschehen geht. Nils Alstrup Dahl hat in seinem Artikel in »Religion in Geschichte und Gegenwart« betont, im Neuen Testament werde das Wort Gleichnis im allgemeinen »nur verwendet, wo eine Geschehnisfolge bildhaft geschildert wird« (RGG3II Sp. 1617). Die Frage muß für uns sein, ob mit dieser Formulierung überall durchzukommen ist. Denkt man etwa an das lukanische Sondergut, so dürfte es naheliegen, die Frage zu bejahen. Ich erinnere nur an das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Luk. 15, 11-)2). Wieder ist ein unerhörtes Geschehen eingefangen, und zwar in einer Geschichte, in der Geschichte des Sohnes, der sein Zuhause verläßt, sich in der Fremde herumtreibt und dann zurückkehrt. Die beherrschende Figur ist ohne Zweifel der Vater. Vergleichbar der figur der Königin im Schachspiel, die wie keine andere Figur sonst das ganze Brett beherrscht. Die Erinnerung an den Vater ruft den verlorenen Sohn nach Hause zurück: »Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im überfluß, ich aber komme hier vor Hunger um. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen . . .« (Luk. 15, 17 f). Das ist
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wichtig für das Verständnis der Umkehr I Oder man denke an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. 10, ,30-)7). Alles läuft darauf hinaus, daß Nächstenliebe geschehen will, ja auch der Nächste selbst fällt mir in der Begegnung mit ihm zu. Es geschieht mir, daß er mir über den Weg kommt. Ich kann ihn nicht konstruieren und nicht im voraus wissen, wer er ist. Der Ruf zur Nächstenschaft ereignet sich konkret in der Begegnung mit dem Nächsten. Ein Geschehen hoher Spannung enthält aber auch das Gleichnis vom Säemann, wiewohl die Geschichte, weil in ihr kein Wort gesprochen wird, eine Art Pantomime heißen könnte (Mark. 4, ) ff und Parallelen). Unablässig geht der Säemann seinen Gang über den Acker und wirft den Samen aufs Land. Unablässig - aber nichts in der Welt scheint so bedroht wie der Same, sobald er seine Hand verlassen hat. Das Gleichnis »ist uns nur allzu vertraut, so daß das Auffällige ... uns kaum noch bewußt wird«, bemerkt Julius Schniewind nicht ohne Grund. Was ist das Auffällige? Schniewind sieht es darin, »wie hier der Mißerfolg der Saat dreimal beschrieben und der Erfolg nur knapp umzeichnet wird« (Das Evangelium nach Markus 19494 74). Man kann doch Wurf um Wurf nur mit der Frage begleiten, ob noch etwas aufgeht ... bis zuletzt (erst zuletzt!) das gute Land überreich Frucht trägt. Ich denke, daß unsere Beobachtung aber auch noch auf so knappe Gleichnisse wie die vom Schatz im Acker und von der köstlichen Perle bezogen werden kann (Matth. 1),44-46). So knapp sie erzählt sind, so sind doch auch sie von dem Atem höchst spannenden Geschehens erfüllt, was sich sofort zeigt, wenn man sie nachzuerzählen versucht. Und damit berühren wir eine Kontrollmöglichkeit unseres Ansatzes. Alle Gleichnisse wollen letztlich als Geschichten erzählt werden! Ich würde von der Bildhälfte der beiden ebengenannten Gleichnisse statt allgemein als von »Bildern« lieber pointiert als von »Kurzgeschichten« sprechen .. So verhält es sich, wenn ein Mensch der Königsherrschaft der Himmel begegnet: wie wenn ein Landarbeiter unerwartet einen Schatz im Acker entdeckt oder wie wenn ein Perlenhändler unvermutet die Perle findet, die alle Perlen in Schatten stellt, die er hat - und wie beide dann, um ihres unvergleichlichen Fundes habhaft zu werden, alles verkaufen, was sie haben. Ist das nicht das Modell der Jüngerschaft? Was alle Gleichnisse verbindet, besteht darin, daß sie erzählt werden wollen, daß ihre Wahrheit in einem Geschehen besteht. Auch die Freudenbotschaft (und das
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gehört charakteristisch zu ihr) läßt sich nur erzählen, und darin spiegelt sich, daß es ein Geschehen ist, das sie verkündigt. Das ganze Neue Testament kommt von einer geschehenen Geschichte her, die es erzählend verkündigt und verkündigend erzählt. Ich würde meinen, daß selbst den Bildworten noch der Charakter des Geschehens anhaftet, etwa den Bildworten vom Salz und vom Licht (Matth. 5, 1.3 ff). Meinen sie doch einen Vorgang: das Salz, das salzt, und das Licht, das leuchtet. Ein Salz, das nicht mehr salzt (das seine Funktion als Salz nicht mehr erfüllt), kann man wegwerfen, ist ein Widerspruch in sich selbst, wie ein Licht, das nicht mehr leuchtet. Ist doch hier die Funktion der Jünger bildhaft umrissen: der Jünger, die in ein Geschehen hineingerissen sind, in das Geschehen der Zeugenschaft. Statisch ist hier nichts. 5. Wir kehren zu unserem ersten Gleichnismodell zurück, zum Gleichnis vom großen Schuldner. Wir haben bei unserer vorläufigen Analyse von einerSzenenfolge gesprochen, in der die Gleichnisgeschichte abläuft. Die Szenen lassen sich in ihrer Folge numerieren (was man tun sollte, um der Gliederung des Gleichnisses innezuwerden). Szenenanfang und Szenenschluß sind durch das Kommen und Gehen der Figuren der Szenen markiert. Solche szenische Gliederung ist für viele Gleichnisse charakteristisch, auch wenn die Szenen nicht immer so deutlich voneinander abgegrenzt sind. Aber man denke nur an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. 1.0, 30-37). Nur ganz knapp wird die Exposition der Geschichte umrissen, der Überfall auf der einsamen Wegstrecke zwischen Jerusalem und Jericho. Die Szenerie ist für jeden sprechend, der die Weg.. strecke kennt, und sie ist wichtig für das, was folgt. Die Szenerie unterstreicht die Hilflosigkeit des Überfallenen, sein unbezweifelbares Angewiesensein auf die Hilfsbereitschaft der Vorüberkommenden. Wir sind auf der Straße von Jerusalem nach Jericho in der Wildnis der Wüste Juda, in der weit und breit kein Haus zu sehen ist. Und nun setzt die Szenen/olge ein. Zuerst sieht sich ein Priester mit dem Mann auf der Straße konfrontiert: »Zufällig aber ging ein Priester jene Straße hinab; und er sah ihn und ging vorüber.« Gleich darauf wiederholt sich die erste Szene: »Ebenso kam auch ein Levit an den Ort, sah ihn und ging vorüber.« Wir beachten, wie mit sparsamsten Worten umrissen wird, worauf es ankommt: die Begegnung. Monoton heißt es beide Male: Er sah
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ihn und ging 'Vorüber. Gerade die Knappheit ist so beredt wie möglich. Sie hält fest, daß Priester wie Levit mit dem Überfallenen konfrontiert waren, aber die Nächstenschaft 'Verweigerten. Man fürchtet fast, solche Verweigerung der Nächstenschaft könnte sich bei jeder Begegnung wiederholen. Aber die bedrängende Gleichförmigkeit der beiden ersten Szenen endet. Die Erzählung gewinnt mit einem Mal eine überraschende Breite. Beinahe jeder Handgriff wird beschrieben. Der Samariter greift zu und hilft und nutzt dabei alle Möglichkeiten aus, die er hat. Wir heben hier nur die Szenenfolge als solche heraus. Die beiden ersten Szenen und die dritte Szene verhalten sich gegensätzlich zueinander i sie sind Kontrastszenen, und der Kontrast dient der Aussage. Formgeschichtlich wäre vom Gesetz der Dreizahl bzw. vom Gesetz der Wiederholung und des Achtergewichts zu sprechen. Ich komme noch darauf zurück. Vor der Folie verweigerter Nächstenschaft hebt sich die hilfreiche Tat des Samariters ab, wobei noch hinzukommt, daß er dem Überfallenen, der doch als Jude zu denken ist, kaum näher war als Priester und Levit. Damit, daß er eher helfen würde, war nicht zu rechnen. Im Gegenteil. Das Verhältnis zwischen den Juden und den Gliedern der samaritanischen Gemeinschaft war durch eine lange Vorgeschichte belastet. Aber »den Samariter setzte Jesus in das Gleichnis, um die Formel Nächster aus ihrer Erstarrung herauszuholen und beweglich zu machen« (Adolf Schlatter, Das Evangelium des Lukas 1.9.31. 286). Diese weitere Illustration könnte genügen. Ich erinnere nur noch an das Gleichnis vom großen Abendmahl (Luk. 1.4, 1.6-24). Die szenische Gliederung ist wieder offensichtlich. Auf die Exposition folgt die Szenengruppe, in der sich die zuerst geladenen Gäste einer nach dem anderen entschuldigen. Diese Szenen gehören als Varianten zusammen und können zu einer einzigen Szene I zusammengefaßt werden (was auch bei den bei den ersten Szenen im Gleichnis vom barmherzigen Samariter möglich ist). Erst nach einer Zäsur läuft die Geschichte weiter, ergeht die Einladung erneut: in Szene 11 an die Armen, Krüppel, Lahmen und Blinden, in Szene III an die Landstreicher vor den Toren der Stadt. So ergibt sich ein fortwährender Szenenwechsel. Szenenhaft gegliedert ist aber auch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matth. 20, 1.-1.6) oder vom ungerechten Verwalter (Luk. 1.6, 1. ff).
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6. Vielleicht klingt es gewagt, wenn ich die Folgerung ziehe: Die synoptischen Gleichnisse haben weithin die Form eines Spiels. Aber wir haben kaum zufällig von Szenenfolgen sprechen können und waren damit schon im Vokabular des Spiels. Wir verwandten den Begriff der Exposition, wie wir (beim Gleichnis vom barmherzigen Samariter) die Szenerie hervorhoben, die für die Szenenfolge nicht gleichgültig ist. Wir können das Vokabular noch erweitern. Das Spiel kennt tragende Rollen und Nebenrollen. Für die handelnden Figuren der Gleichnisse gilt oft genug, daß sie in direkter Rede eingeführt werden, wobei neben dem Dialog auch der Monolog zur Verfügung steht. In solcher direkten Rede charakterisieren sich die Figuren indirekt selbst. Im Monolog sprechen sie nicht dies oder das, sondern eben sich selbst aus, ihr Innnerstes, ihre verschwiegensten Gedanken, in frappierender Offenheit. So etwa der ungerechte Verwalter von Luk. 16, 1 ff: »Was soll ich tun, da mein Herr mir die Verwaltung nimmt? Graben kann ich nicht; zu betteln schäme ich mich. Ich weiß, was ich tue ... « - und nun skizziert er seinen Plan, von dem er sich einen Ausweg aus seiner verfahrenen Situation verspricht. In den Monologen werden alle Masken abgeworfen, so etwa auch im Gleichnis von der bittenden Witwe (Luk. 18, 1 ff). In diesem Gleichnis scheint der Richter auf alles Recht zu pfeifen und der Witwe ihr Recht nur zu verschaffen, weil er sie loswerden will. Was für eine Moral für einen Richter, der doch der Anwalt des Rechtes sein müßte, einerlei, wer der Kläger ist! Im Monolog dieses Richters entsteht ein Selbstporträt, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt. Hier kommt alles an den Tag, was an diesem Richter bedenklich ist. So spielen die Figuren in den Gleichnissen jeweils ihre Rolle, die Rolle, die ihnen im Ablauf des Geschehens zugewiesen ist. Die formgeschichtliche Forschung hat bei den Gleichnissen eine Reihe von Gesetzen der Erzählung beobachtet, die sich zu unserem Ansatz fügen. Sie hat sich dabei die Vorarbeit der Sagenforschung zunutze gemacht. Überraschend ist nämlich, daß sich über der Analyse volkstümlicher Erzählformen ganz bestimmte »Gesetze« des Erzählens ergaben, die sich ohne weiteres auf die formale Struktur der synoptischen Gleichnisse übertragen ließen. So hat Axel Olrik in einer Studie: Epische Gesetze der Volksdichtung (Zeitschrift für deutsches Altertum 1909 1-12) von »formelhaften Regeln« gesprochen, die in einer erstaunlichen geographischen wie historischen Breite Anwendung finden bzw. aufweisbar
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sind. Olrik erwähnt (ohne sich übrigens mit einer Silbe auf die neutestamentlichen Gleichnisse zu beziehen!) das Gesetz der Wiederholung, der Dreizahl, der szenischen Zweiheit, des Achtergewichts, der Einsträngigkeit, der Schematisierung ... lauter Stichworte, die von der formgeschichtlichen Forschung für die Exegese der Gleichnisse übernommen wurden. Auch für die Gleichnisse gilt das Gesetz der sparsamen Figurenverwendung. Die Dreizahl wird nie überschritten (Olrik nennt sie eine »rücksichtslose Stilisierung des Lebens« aaO 4). Ich darf hier auf Beispiele verzichten und dazu einladen, die Prob~ aufs Exempel selbst zu machen. Selbstverständlich sind bei dieser Regel Figurengruppen zusammenzunehmen und Statistenrollen (wie die Dienerfiguren im Gleichnis vom verlorenen Sohn) nicht mitzurechnen. Wichtig ist auch, daß jede Gleichnisgeschichte aus einer bestimmten Perspektive heraus erzählt ist. Eben das meint das Gesetz der Einsträngigkeit. So ist z p ,bs Gleichnis vom verlorenen Sohn aus der Perspektive des \ttr10icnen Sohnes gesehen, wie wichtig auch die Figur des älteren Bruders ist. Aber der ältere Bruder protestiert doch gerade gegen seinen jüngeren Bruder bzw. gegen den Vater, der ihn wieder als seinen Sohn aufnimmt und mit allen Zeichen seiner Gunst übp.rsmüttet, mit der väterlichen Umarmung und mit dem Kuß der Vergebung, mit dem Siegelring und den Schuhen, mit dem Festgewand und dem festlichen Mahl. Nichts fehlt, was zu den Insignien der Würde des Sohnes gehört. So haftet der Faden der Erzählung am jüngeren Bruder. Übrigens verwendet das Spiel jeweils soviel Figuren, wie für die Gleichnisgeschichte erforderlich sind. Schon von hier aus erklärt sich vermutlich das Fehlen der Mutter im Gleichnis vom verlorenen Sohn (die bei Andre Gide durchaus am Geschehen beteiligt ist), wenn man davon absieht, daß sich in der beherrschenden Gestalt des Vaters die Rolle des Vaters in der antiken Familie spiegelt. Ich möchte noch anmerken, daß es kaum Zufall ist, wenn Gleichnisse sich in der Tat »spielen« lassen, etwa als Laienspiele. Sie legen eine Inszenierung oft geradezu nahe: sind sie doch selbst um ihrer Aussage willen inszeniert zu nennen. Daß es eine besondere Hilfe zum Verstehen der Gleichnisse werden kann, wenn man sie im Unterricht mit Kindern spielt, brauche ich fast nicht eigens zu sagen. Spiel und Verstehen greifen ineinander. Ich halte es für naheliegend, daß Kinder ein Gleichnis besser zu begreifen begin-
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nen, wenn sie es mit verteilten Rollen spielen sollen und dabei überlegen müssen, was z. B. die Rolle des verlorenen Sohnes ausmacht. Dabei dürfte es gelingen, vom Schema abzukommen, das vielleicht schon ein Kind mitbringt, wenn es das Gleichnis in unbedachter Schwarzweißmalerei erzählt bekam. Jede Übertreibung und Vergröberung ist zu vermeiden! Auch und vor allem beim älteren Bruder des verlorenen Sohnes. Bei behutsamer Spielanleitung kann (»spielerisch«) der Sinn des Gleichnisses deutlich werden, der nicht einfach vordergründig auf der Hand liegt, sondern in der Besinnung auf das Ganze des Gleichnisses erfaßt sein will. Auch das Gespräch der Spieler untereinander kann dazu helfen, die einzelnen Rollen schärfer zu profilieren. Ich kann es bei dieser Anregung lassen, denke aber, daß der Hinweis auf den Spielcharakter der Gleichnisse zum Experimentieren im spielhaften Verstehen ermuntert. Vielleicht lassen sich die im Christian Kaiser-Verlag erschienenen» Spiele der Zeit« mit Nutzen verwenden, wenn man ein Spiel einüben will. Bei diesen Spielen begegnen wir mehr als einmal den Gleichnissen der Evangelien. 7. Unsere Analyse des Spielcharakters der Gleichnisse bliebe aber ein Fragment, wenn wir nicht noch unterstrichen, was wir nicht umhin konnten, schon anzudeuten: daß die Gleichnisgeschichte mit ihren Szenen und Figuren, Wiederholungen und Kontrasten . . . bewußt geformt ist. Sie soll, wie wir längst gesehen haben, etwas sagen, und sie sagt es in ihrer Sprache: in der Sprache eines Geschehens bzw. einer Geschehnisfolge. Würde man diesen Sachverhalt so umschreiben, daß in den Gleichnissen »ein Griff in den menschlichen Alltag erfolgt«, so könnte undeutlich werden, daß dieser Griff von der intendierten Aussage her gesteuert wird, nicht aber der Alltag einfach nur übernommen wird. Vielmehr wird eine Szene bzw. Szenenfolge gewählt, die gleichnishaft etwas sagen kann. Dabei bleibt, was für die Deutung wichtig ist, die Sachebene und die Bildebene unterschieden. »Sowohl auf der Bild- wie auf der Sachseite können Überschüsse vorhanden sein, die sich nicht decken und vergleichen lassen, ein Umstand, der das Verständnis von Gleichnissen oft erschwert« (Alfred Stuiber, Reallexikon für Antike und Christentum II Sp. 342). Und zugleich »darf nicht vergessen werden, daß alle Schilderungen wie ein Transparent sind, das erst, wenn das Licht dahinter gestellt wird, sein Bild zeigt: Nur von der gemeinten Sache her, nur von der Gottesbe-
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ziehung her will alles, was das Gleichnis erzählt, verstanden sein« Oulius Schniewind, Das Gleichnis vom verlorenen Sohn,,1940 17 f). Adolf Schlatter hat als Exeget die Freiheit der Formung bei den Gleichnissen besonders unterstrichen. So läßt er Jesus die Gleichnisgeschichte vom barmherzigen Samariter »erfinden« und die Figuren der Geschichte so »konstruieren«, »daß unzweideutig sichtbar wird, was jetzt Liebe sei« (Das Evangelium des Lukas 285 f). Federführend ist das, was gesagt werden soll, wie wir schon an Hand von Matth. 18, 23-35 bemerkten. Joachim Jeremias läßt Jesus dagegen gern an eine gerade geschehene Geschichte anknüpfen, so auch Luk. 10,30-37 (aaO 170). Schlatter erkennt weiter, daß der Kontrast als Mittel der Gestaltung verwandt wird, wie er auch beobachtet, daß Karikaturen vermieden werden (die die Möglichkeit gäben, daß der Hörer sich von dem, was im Spiel geschieht, absetzen könnte). So ist der reiche Kornbauer im Gleichnis von Luk. 12,13 ff nicht als Geizkragen oder Wucherer beschrieben, sondern als ein Bauer, der vernünftig plant, wie jeder andere auch planen würde. Man ist versucht, von einer überlegten Vorratswirtschaft zu sprechen. Ähnliches ist auch vom reichen Mann im Gleichnis von Luk. 16, 19-31 zu sagen. Die Charakteristik wird mit ein paar Strichen gegeben: »er kleidete sich in Purpur und feines Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden«. Schlatter bemerkt dazu: »Kein anderer Vorwurf fällt auf den Reichen ... jedes weitere Wort hätte die Schlagkraft des Gleichnisses nur geschwächt« (aaO 375). Wir werden als Exegeten die Grenze, die das Gleichnis selbst wahrt, so sorgfältig wie nur möglich zu respektieren haben. Mit einer unsachgemäßen Ausmalung könnten wir das ganze Gleichnis verzeichnen und um die ihm eigene Treffsicherheit bringen. Die vermeintlich nur »etwas kräftigeren Farben« könnten die Weite der Aussage des Gleichnisses einengen. Ob das Ausmalen der Erhellung dient oder nicht, kann nur von der Aussagelinie des Gleichnisses her entschieden werden. Martin Dibelius hat, was die Fabel der Gleichnisse angeht, vier Möglichkeiten nebeneinander genannt, und es ist für unseren Zusammenhang aufschlußreich, daß er dabei Regelmäßiges und Typisches, Außerordentliches und Konstruiertes zusammenstellt. In dieser Liste kommt es zu einer zunehmenden Entfernung vom Gängigen und Alltäglichen. In abgekürzter Formulierung läßt sich sagen: Das Regelmäßige geschieht immer, das Typische häufig; das Außerordentliche ist einmalig - und
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das Konstruierte nähert sich einem Grenzfall, insofern wir auf »unwahrscheinliche Vorgänge« stoßen, »die dem Lehrzweck zulieb erfunden sind« (Die Formgeschichte des Evangeliums, 19JJ 2 252). Ich kann es mir ersparen, eigens darauf einzugehen, wie der Begriff des Konstruierten bei Martin Dibelius von Adolf Schlatters Wendung (vom Konstruiertsein der Figuren im Gleichnis vom barmherzigen Samariter) abzuheben ist. Die Differenz dürfte auf der Hand liegen. Aber das Element der Formung ist beide Male betont; es dürfte bei Schlatter umfassender gemeint sein als bei Martin Dibelius. Selbstverständlich treffen die in der Forschung etwa von Rudölf Bultmann oder Charles Harold Dodd gemachten Beobachtungen zu, daß sich in der Welt der 'Gleichnisse - die Welt des Hörers von damals spiegelt. Das verdichtet sich bei Charles Harold Dodd zu der Formel, daß in den Gleichnissen »ein einmalig vollständiges und überzeugendes Bild des Lebens in einer kleinen Provinzstadt (entsteht), wahrscheinlich ein vollständigeres Bild vom petit-bourgeois und. vom bäuerlichen Leben, als wir es für irgendeine andere Provinz des Imperium Romanum besitzen, mit Ausnahme von Ägypten, wo uns die Papyri zu Hilfe kommen« (The Parables of the Kingdom 21). Adolf Deißmann hat die Papyri zu Hilfe genommen und von ihnen her die Welt der Gleichnisse zu erhellen vermocht (Licht vom Osten 192J4). Das palästinische Lokalkolorit der Gleichnisse ist immer wieder beobachtet worden; Rudolf Bultmann spricht von der (palästinischen) »Bodenständigkeit der Gleichnisüberlieferung« (Rudolf Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition 19J1 218). Aber darüber darf nicht verwischt werden, was wir zu begreifen anfangen: daß das, was gesagt werden soll, federführend ist. Oder mit einer Formulierung von Günther Bornkamm: »Mitten in diese so vertraute Wirklichkeit des Lebens (wird) die gar nicht vertraute und alltägliche Wirklichkeit der Herrschaft Gottes hineingeschrieben. Diese Schrift zu lesen ist allerdings nicht jedermanns Sache und nicht schon jedem beschieden, der sich in dieser alltäglichen Welt auskennt« (Jesus von Nazareth 195 6 64). Julius Schniewind hat im Anschluß an Johannes Weiß gelegentlich von der »Form der Groteske« sprechen können (Das Evangelium nach Markus 77), und zwar dann, wenn das Bild »absichtlich so gewählt (wird), daß der Hörer aufhorchen, wohl gar sich empören soll ... und dies, weil es um ein Unerhörtes geht« (aaO 77). Schniewind nennt hier etwa als Beispiele das Gleichnis von der bittenden Witwe (Luk. 18, 1 ff) oder das
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Gleichnis vom ungerechten Verwalter (Luk. 16, 1 ff). In unserer Terminologie hieß das bisher schon, daß das Gleichnis in der Bildebene an eine Grenze gerät und daß sich gerade damit der Vorrang der Sache vor dem Bild oder, wie man auch sagen könnte, die Grenze des Sagbaren verrät. Bei dem Stichwort von der Grenze des Sagbaren möchte ich andeuten, daß die Grenze des Sagbaren nicht nur hier erscheint. Nach einem Satz von Ernst Fuchs ist es das Besondere des Mythos, daß er im Unterschied zum Logos zum »Unsäglichen« vordringt und das Wissen um das Unsägliche wachhält.. Eduard Bueß spricht vom Mythos als dem Erkennen des Unerkennbaren. Ich würde hier lieber vom Sagen des Unsagbaren sprechen. Auch der Mythos ist ... eine Form des Sagens. Die Bedeutungsspanne des griechischen Wortes Mythos ist bekanntlich weit. Sie umfaßt den Sinn von: Gedanke - Meinung - Aussage - Antwort Rede - Gespräch - Geschichte - Erzählung - Sage - Legende - Mythos (vgl. Gustav Stählin, ThW IV 773 ff). Ich kann darauf hier nicht näher eingehen, möchte aber daran erinnern, daß im Neuen Testament die Sprache des Mythos nur gebrochen gesprochen werden kann, wenn sie zur Sprache des Zeugen werden soll. Gilt es etwa für die Sprache der Zeugen schlechthin, daß sie an die Grenze des Sagbaren gelangt, und verbirgt sich darin das besondere theologische Sprachproblem? 8. Wir müssen noch einmal aufnehmen, was wir vorhin schon andeuteten, daß sich in den Gleichnissen die Welt des Hörers von damals spiegelt. Das gilt in einem überraschenden Umfang, wie hier nicht im einzelnen gezeigt werden kann. Ich erinnere an die Formulierung von Charles Harold Dodd. Dieser Vorgang bedeutet auch, daß das Gleichnis auf den Hörer zugeschnitten und seine Sprache zu sprechen bemüht ist, die Sprache der ihm vertrauten Welt. Aber das Zugeschnittensein des Gleichnisses auf den Hörer gilt nicht nur in diesem Sinn. Wir haben noch sehr viel grundsätzlicher und umfassender zu sagen, daß das Gleichnis, und zwar von Haus aus, adressiert ist: daß es Anrede an den Hörer ist. Der Anredecharakter kann sich darin aussprechen, daß das Gleichnis die Form einer Frage an den Hörer hat. Heinrich Greeven hat an Hand des mehrfach zu findenden Gleichnisanfangs : »Wer unter euch ... ?« von »Frage-Gleichnissen« gesprochen (Jahrbuch der· Theologischen Schule Bethel, 1952 86 ff). Ein ~solches Frage-Gleichnis ist z. B. das Gleichnis vom bittenden Freund Luk. 11, 5-8. Ich zitiere das Gleichnis
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und bemerke, daß es zu seinem Verständnis wichtig ist, Vers 5-7 als einen einzigen Satzzusammenhang zu fassen: »Wer unter euch hätte einen Freund und käme zu ihm um Mitternacht
und spräche zu ihm: Freund, leih mir drei Brote, denn ein Freund von mir ist von der Reise zu mir gekommen, und ich habe ihm nichts vorzusetzen ... - und jener würde von drinnen her antworten: Mache mir keine Umstände. Längst ist die Tür verschlossen, und die Kinder sind so wie ich zu Bett, und ich kann nicht aufstehen und es dir geben . .. 1« Ich untet:breche hier die Übersetzung und lasse Vers 8 erst etwas später folgen, weil nach Vers 7 eine Zäsur vorliegt, die nicht verwischt werden darf. Denn Vers 5-7 warten (als Frage) auf eine Antwort, die der gefragte Hörer selbst geben soll. Welche Antwort wird erwartet und dem Hörer nahegelegt? Er wird auf eine Situation angeredet, die sich so oder ähnlich in seinem eigenen Leben zutragen kann. Auch wir haben keine Mühe, die vorausgesetzte Situation in unser Leben zu übersetzen. Es bedarf nicht erst einer Entmythologisierung, wie es ihrer bei den Gleichnissen auch sonst nicht bedarf. Das liegt an der Sprache der Gleichnisse! Wir vergegenwärtigen uns das Gleichnis noch einmal ganz knapp: Da bekommt einer noch spät abends einen Freund zu Besuch, der den Tag über unterwegs war. Zu seiner peinlichen Verlegenheit muß er entdekken, daß er nichts im Haus hat, was er dem müden und hungrigen Gast vorsetzen könnte. Ihm fällt kein anderer Ausweg ein als der: sich noch zu mitternächtlicher Stunde zu einem benachbarten Freund auf den Weg zu machen, um ihn um etwas Brot für seinen späten Gast zu bitten. Der Haken ist nur der, daß der Nachbar schon schläft und seine Haustür verriegelt hat. Und nun warten wir gespannt, was geschehen wird. Wir erleben das Anklopfen an verschlossener Tür, das Rufen von draußen nach drinnen und das Echo von drinnen her. Wird das das Echo sein, daß der aus dem Schlaf Geklopfte dem bittenden Freund erklärt: Laß mich schlafen! Ich liege schon zu Bett und kann nicht mehr aufstehen. Du hättest früher kommen müssen. Sieh zu, wie du an dein Brot kommst! ... Ich denke, es ist deutlich: eben mit dieser Antwort ist nach aller Regel nicht zu rechnen. Sie ist kaum vorstellbar. Das Verständnis des Gleichnisses hat, wie Joachim Jeremias gezeigt hat, geradezu davon auszugehen, daß die Frageform: »Wer unter euch ... ?« im Neuen Testament »regelmäßig Fragesätze einleitet, auf die eine emphatische Antwort: Unmöglich! ... erwartet wird« (137). Und Joachim Jeremias dürfte auch darin recht ha-
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ben, daß er an die Selbstverständlichkeit und Großzügigkeit morgenländischer Gastlichkeit erinnert als an eine Voraussetzung, die bei diesem Gleichnis bedacht sei~ will und ihm erst »seine volle Schärfe« gibt (1)8). Aber wenn das Unmögliche und Unvorstellbare doch geschähe? Wenn der Freund hinter verschlossener Tür sich doch nicht bereit fände zu helfen? Wenn er ganz einfach seine Ruhe haben möchte, einerlei, wer etwas von ihm will? Steht nicht in dieser Welt Freundschaft leider manchmal nur auf dem Papier, zumal wenn sie einigen Belastungsproben ausgesetzt wird? »Freunde in der Not gehen hundert auf ein Loti« Ich brauche das nicht weiter auszumalen. Aber eben hier setzt der letzte Vers des Gleichnisses ein. Was geschieht, wenn aller Appell an die Freundschaft sich als vergeblich erweist und kein Echo findet? Vers 8 nimmt diese Möglichkeit auf:
»Ich sage euch: Selbst wenn er nicht aufsteht und ihm gibt, weil er sein Freund ist - so steht er doch auf wegen seiner Zudringlichkeit und gibt ihm, soviel er braucht!« Wir beachten, daß das Gleichnis völlig realistisch bleibt. Es setzt (hier wie sonst) sehr nüchtern diese unsere Welt voraus, wie sie ist. Und in dieser Welt können alle Bindungen brüchig werden. Man müßte einmal die Welt, die sich in den Gleichnissen spiegelt, daraufhin studieren, wie sehr sie - von aller Idealisierung und Überhöhung weit entfernt - die Welt des Menschen in realistischer Sicht ist, wie hier der Mensch in seiner ungeschminkten Menschlichkeit an den Tag kommt. Ich kann dieses Thema hier nicht weiter verfolgen. Soviel ist sicher, daß unser Gleichnis nicht von Konstruktionen lebt, auch nicht von einer Konstruktion der Freundschaft. Aber es hält daran fest, daß die von der Not diktierte beharrliche Bitte auch in dieser unserer Welt nicht umsonst ist, daß solche Bitte auch dann etwas erreicht, wenn die Freundschaft so hieb- und stichfest nicht ist. Man könnte sich einen Monolog denken, der im Gleichnis nicht enthalten ist, etwa in dem Stil: »Wenn ich in dieser Nacht noch zu meinem Sdllaf kommen will, stehe ich lieber gleich auf und rücke das Brot heraus. Sonst hört der da vor der Tür doch nicht auf zu klopfeni« Das Gleichnis will im Lukaszusammenhang Mut machen, Mut zur Bitte Gott gegenüber. So entspricht es den Sprüdlen, die Lukas folgen läßt: »Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so findet ihr; klopft an, so wird euch aufgetan. Denn jeder Bittende empfängt, und der Suchende
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findet, und dem Anklopfenden wird aufgetan« (Luk. 11, 9-10). In den synoptismen Evangelien läßt gerade der Kontext oft erkennen, wie der Evangelist selbst ein Gleichnis, ein Wort, eine Geschichte verstanden und ausgelegt hat. So ist hier der Sinn, den Lukas mit dem Gleichnis vom bittenden Freund verband, an den unmittelbar folgenden Worten für uns ablesbar, mit denen er es zusammengestellt hat. Das Gleichnis meint den Schluß vom Kleineren zum Größeren. Die Szene aus dem Alltag ist nur Folie für das, was vor Gott gilt. Wenn schon in dieser Welt eine Bitte von Mensch zu Mensch nicht für nichts geschieht und nicht im Wind verhallt - um wieviel mehr wird Gott hören, wenn der Mensch ihn in seiner Verlegenheit anruft. Noch eine kleine Anmerkung. Bei den anderen Frage-Gleichnissen, die Heinrich Greeven nennt (so noch Matth. 7,9-11 bzw. Luk. 11, 11-1); Matth. 12, 11 bzw. Luk. 14, 5; Luk. 17, 7-10 und Luk. 15, 4-10 vgl. Matth. 18, 12-14), gilt übrigens, daß der mit der Frage »Angeredete ... im Gleichnis jedesmal die Stelle (einnimmt), die auf der Sachseite Gott zukommt ... Eine Ausnahme bildet nur das Gleichnis vom bittenden Freund. Hier ist nicht der Gewährende, sondern der Bittende angeredet ... « Aber eben diese Abweichung vom sonst geltenden Schema läßt Greeven fragen, ob nicht »hinter dem heutigen Lukastext eine ursprüngliche Gestalt des Gleichnisses steht, in der der Angeredete selbst der schließlich Gewährende war«. Dazu braucht, wie er meint, im gegenwärtigen Lukastext nur eine geringfügige Versdziebung vorgenommen zu werden. Wenn man den Anfang des Gleichnisses ändern würde: »Wer unter euch hätte einen Freund und er (nämlich der Freund!) käme um Mitternacht zu ihm ... « (Subjekt bleibt nach dieser Korrektur nicht das »Wer von euch«, mit dem der Satz beginnt, sondern Subjekt für das Folgende wird der »Freund«) - »so vertauschen sich mühelos die beiden Rollen für den ganzen Rest des Gleichnisses« (91). Übrigens ist das auch das Verständnis von Joachim Jeremias (1)8). Ich darf bemerken, daß die Intention, die wir hier verfolgen, durch diese (erwägenswerte) Akzentverschiebung in ihrem Ansatz nicht getroffen wird (daß ein Gleichnis die Form einer Frage an den Hörer haben kann). Wir haben Luk. 11, 5-8 parallel zu Luk. 18, 1-8 verstanden und könnten damit die Vermutung verbinden, daß beide Gleichnisse ursprünglich als ein Doppelgleichnis zusammengehört haben. Das hat schon Adolf }ülicher überlegt. In der letzten größeren Arbeit zu Luk. 18, 1-8 (Gerhard Delling ZNW 1962
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1 ff) wird das freilich bestritten; nach Delling liegt hier kein Doppelgleichnis vor. Was sich schon hier ergibt, ist dies, daß das Frage-Gleichnis den Hörer auf seine Welt hin anspricht - und insofern formt hier der Hörer das Gleichnis mit, wird seine Welt für ihn selbst zum Gleichnis.
9. Der Hörer kann aber noch in einer anderen Weise das Gleichnis mitformen. Eine der Figuren des Gleichnisses kann so auf ihn zugeschnitten sein, daß er sich in ihr selbst begegnet. Damit wäre der Begriff des FrageGleichnisses erweitert. Ich versuche das zu zeigen. Wenn wir an das Gleichnis vom reichen Kornbauern denken (Luk. 12, 16-21), so ließe sich sagen: Die Figur des reichen Kornbauern kommt so auf den Hörer zu, daß er sich gefragt sieht, ob diese Gleichnisfigur nicht ... ein (gleichnishaftes!) Porträt seiner selbst ist, gerade in der so selbstverständlichen Prämisse, die für den Horizont dieses Bauern charakteristisch ist, daß die gefüllte Scheune das Leben für Jahre garantiere~ soll. Aber ist das etwa nur der Horizont des Bauern? Denkt nicht der Mensch als solcher von Haus aus so? Ich kann dabei von der Frage absehen, ob die gegenwärtige Einleitung des Gleichnisses in Luk. 12, 13-15 ursprünglich zu diesem Gleichnis hinzugehört (was etwa von Rudolf Bultmann und von Joachim Jeremias bezweifelt wird). Immer wird die Gleichnisfigur des reichen Kornbauern eine typische Figur sein, ein Modell des Menschen, der sich auf vermeintliche Garantien seines Lebens verläßt und nicht mehr bedenkt, daß sein Leben an einem Faden hängt - an dem Faden der Güte Gottes, der sein Feld gut tragen läßt oder ihn in seinem Beruf Erfolg haben läßt und ihn so mit dem beschenkt, was er zum Leben braucht. Eben die Fülle der Ernte bzw. des Reichtums und Erfolges läßt ihn Gottes Hand in allem verkennen als das, was ihn allein trägt. Wir können von hier aus begreifen, weshalb die Bibel den Reichtum als Gefährdung des Menschen verstehen kann, was uns, von unserem Vorverständnis her, zunächst völlig paradox vorkommen mag. Hier ist neben dem lukanischen Evangelium (vgl. etwa nur 16, 19-31; 19, 1 ff) vor allem der Jakobusbrief mit seiner Sicht des Reichtums zu nennen (vgl. 1, 9-11 ; 2, 1-13; 4, 13-1 7; 5, 1-6).
Gerade als überreich Beschenkter wird der reiche Kornbauer zum Versuchten, begegnet ihm die Versuchung, sich an die gefüllten Scheunen zu
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halten und 50, an Gott vorbei, nach vermeintlichen Sicherungen seines Lebens zu greifen. Herr seines Lebens ist allein Gott, das will das Gleichnis sagen. Und das gilt über die Modellsituation des Kornbauern hinaus für jeden Menschen. Solche Begegnung des Hörers mit sich selbst geschieht aber auch im Gleichnis vom großen Schuldner (Matth. 18, 2.3-.35). Wir brauchen uns nur zu erinnern. An Hand der Gleichnisgeschichte entdeckten wir, daß der Schuldner in Großformat offenbar nicht dieser oder jener ist, sondern der Mensch. In seiner Rolle finden wir uns wieder, vielleicht so, wie'wir uns selbst noch nicht kennen, wie uns das Gleichnis erst an den Tag bringt - so daß wir erst im Lauf der Szenenfolge zunehmend getroffen sind. Wir sind getroffen durch die erste Szene, aber auch durch die zweite Szene, nach der unsere Bereitschaft zur Vergebung unserem Nächsten gegenüber so beschämend gering ist: »getroffen« im Doppelsinn des Wortes, betroffen - und getroffen bis zur äußersten Porträtähnlichkeit. Das Gleichnis macht uns unsere eigene klägliche Rolle erst bewußt, indem es uns mit dem großen Schuldner konfrontiert. Geht uns ein solches Bezogensein des Gleichnisses auf den Hörer an unserem Beispiel auf, so werden wir diesen Zug noch in anderen Gleichnissen entdecken. Wir geben nur ein paar Hinweise. Sind nicht auch Priester und Levit im Gleichnis vom barmherzigen Samariter alles andere als zufällig gewählt? Betreten sie die Szene nicht vermutlich als eine Art Konterfei des ursprünglichen Hörers: des Juden, der die Tora kennt und doch nicht mehr weiß, was die Tora von ihm will? Sind die Arbeiter im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matth. 20, 1-16), sofern sie gegen die Güte des Herrn des Weinbergs protestieren, nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit Doppelgänger der ursprünglichen Hörer des Gleichnisses in Gestalt der Kritiker der Freudenbotschaft: der Pharisäer, wie Joachim Jeremias (im Anschluß an Charles Harold Dodd) annimmt? So trifft auf mehr als ein Gleichnis zu, daß es mich mir selbst begegnen läßt, so daß ich doppelt existiere - als eine der Figuren des Gleichnisses und als ich selbst. Das Adr~ssiertsein des Gleichnisses, das immer gilt, bekommt hier eine besondere Unausweichlichkeit, der ich mich nicht entziehen kann. Um noch ein Beispiel zu nennen: Der ältere Bruder im Gleichnis vom verlorenen Sohn spielt offenbar genau die Rolle des mit dem Gleichnis angesprochenen Hörers, des typischen Pharisäers. So spielt sich die Geschichte des Hörers selbst im Spiel vor ihm ab, so be-
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kommt das Spiel in der Figurenwahl und Figurengestaltung einen provozierenden Charakter. Der Hörer wird aus dem Zuschauer zum höchst Beteiligten. Aller gemessene Abstand vom Geschehen des Spiels wird ihm verwehrt, weil das Geschehen auf ihn zukommt. Das Gleichnis provoziert mich: es greift nach mir, es ruft mich (den Zuschauer) nach vorn. Es zeigt mich mir selbst. Man kann hier - ein Stück weit - an Shakespeares Hamlet denken, an das »Spiel im Spiel«, zu dem es im Verlauf der Handlung kommt. Shakespeare nimmt dabei ein schon vor ihm bekanntes Spielelement auf. Die Shakespeare-Historiker verweisen auf Kyds Spanische Tragödie, vgl. die Hamletausgabe des Verlages Dieterich 1941 XXXII bzw. 400. ff. Hamlet bringt eine Schauspielertruppe dazu, in ein Schauspiel, das am Hof des Dänenkönigs aufgeführt werden soll, einen von ihm selbst verfaßten Text von »zwölf bis sechzehn Zeilen« einzuschieben, mit dem er den König bis ins Innerste treffen will. Der Einschub wird freilich umfänglicher, als es zunächst erscheint. Der König soll im Spiel- sich selbst begegnen, seiner eigenen schlimmen Tat, der Ermordung von Hamlets Vater. »Das Schauspiel sei die Schlinge, in die den König sein Gewissen bringe«. Und so wird es inszeniert, erst pantomimisch, dann dialogisch. Das Ganze scheint eine ferne Historie wiederzugeben, aber Hamlet hat dem Ganzen eine unentrinnbare Spitze gegeben, wenn Hamlet auch dem König gegenüber versichert: »Aber was tuts? Eure Majestät und uns, die wir ein freies Gewissen haben, trifft es nicht ... « Während Hamlet Ophelia noch zuflüstert: »Die Geschichte ist vorhanden und in auserlesenem Italienisch geschrieben (the story is extant and written in very choice Italian)« - springt der König, tief beunruhigt, auf. Er weiß sich durchschaut. Selbstverständlich ist bei Shakespeare alles anders als beim biblischen Gleichnis. Hamlet macht mit dem Spiel im Spiel ein Experiment. Ihm fehlt, bei allem Verdacht, noch die letzte Sicherheit. »Ich will Grund, der sichrer ist«. Im Gleichnis vollzieht sich die Apokalypse des Menschen, Gnade und Gericht. Bekanntlich bleibt der Schluß der Gleichnisgeschichte vom verlorenen Sohn offen. Ob es dem Vater gelingt, die Distanz des älteren Bruders dem jüngeren (und ihm, dem Vater) gegenüber zu überwinden, ob er ihn zuletzt doch noch an den Tisch der Freude zu holen vermag, das wird nicht mehr gesagt. Weshalb? Ich denke, darüber wird im Gleichnis das
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letzte Wort noch nicht gesprochen (noch wirbt der Vater um den älteren Bruder), weil Jesus den Hörer als den Kritiker seiner Freudenbotschaft noch zu gewinnen sucht. Jesus hat nach dem lukanischen Evangelium die Pharisäer nicht abgeschrieben, sondern auch sie mit seiner Botschaft gesucht, wie der Vater im Gleichnis den älteren Bruder sucht. Ich verweise auf die noch folgende Auslegung von Luk. 7, )6-50. So können wir zusammenfassen, daß das synoptische Gleichnis sich vorläufig von seiner Sprache her als Zuspruch der Botschaft Jesu an den Hörer verstehen läßt, als Verkündigung des Geschehens, das in der Mitte alles dessen steht, was Jesus sagt: des Kommens des Reiches, des Kommens Gottes selbst. »Kehrt um, denn das Reich der Him11J.el steht vor der Tür!« Dabei ging uns zunehmend auf, wie sehr das Gleichnis den Hörer» bedenkt«, wie sehr es gerade ihm gilt, wie sehr es für ihn »inszeniert« ist. Der Hörer gehört zum Gleichnis so zwingend hinzu, daß man sagen kann: er gehört zur Struktur des Gleichnisses. Dann kann es nicht überraschen, daß der Hörer in einer Reihe von Gleichnissen selbst vorkommt, daß er im Gleichnis sich selbst begegnet. Die Sprache der Gleichnisse verstehen bedeutet deshalb auch: sie als Sprache für den Hörer zu verstehen.
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:1. Ich greife zu einem abgekürzten Verfahren, indem ich an das anknüpfe, was wir schon erkannten. Es ergab sich uns, daß der Hörer zum Gleichnis hinzugehört. Immer wieder hatten wir zu begreifen, daß das Gleichnis von Haus aus adressiert ist. Daß ein Gleichnis adressenlos wäre, ist von der Struktur her sozusagen nicht denkbar. Aber nun entsteht sofort die Frage, wie es sich damit verträgt, daß es im Lauf der Überlieferung zu einem Wechsel der Adresse kommen konnte, wie wir schon andeuteten. Wird damit unser Ansatz nicht fraglich oder gar aufgehoben? Sollten wir die Bedeutung der Einsicht, daß das Gleichnis auf den Hörer zugeschnitten ist, übertrieben haben? Es wird deutlich sein, daß mit dieser Problematik ein neues Kapitel beginnt, das freilich mit dem bisher skizzierten Sachverhalt engstens verbunden ist. Wir erinnern uns an das Beispiel, das wir noch innerhalb unserer einleitenden Vorbemerkungen brachten und an das wir uns der Einfachheit halber auch hier halten, an das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Wir finden es sowohl in Luk. :15, 4-7 wie in Matth. :18, :12-:14 unzweifelhaft als dasselbe Gleichnis, aber in sehr verschiedener Rahmung. Hat es bei Lukas eine Gegneradresse, so hat es bei Matthäus eine Jüngeradresse. Müssen wir nicht fragen, wie es möglich ist, daß sich die Gegneradresse in der Überlieferungsgeschichte verlor und zur Jüngeradresse verschob, wenn man einmal so formulieren darf, unter der Voraussetzung, daß die bei Lukas zu findende Adresse als die ursprüngliche anzusehen ist? Daß wir damit vor einem sehr elementaren Problem stehen, brauche ich nicht zu unterstreichen. Ich möchte gleich hinzufügen, daß unser Modellbeispiel, was den
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Adressenwechsel angeht, nicht als vereinzelt bezeichnet werden kann, wenn auch Friedrich Hauck den Vorgang des Wechsels von der Gegnerzur Jüngeradresse als nur gelegentlichen Vorgang zu verstehen scheint (ThW V 751). Joachim Jeremias, dem Hauck folgt, spricht vielmehr vom »häufigen Vorgang des Wechsels der Hörerschaft« (aaO 23), von einer »großen Zahl« der Fälle (28) und bemerkt abschließend, »daß sich die Tendenz, zur Menge gesprochene Gleichnisse zu Jüngergleichnissen zu machen, in sämtlichen synoptischen Traditionsschichten findet und mithin schon in sehr. früher Zeit eingesetzt haben muß«. So wird man von einem typischen Vorgang sprechen können. Und Jeremias macht die Gegenprobe. Der umgekehrte Vorgang, »daß ein Jüngergleichnis als Wort an die Menge berichtet wird«, läßt sich seines Wissens nicht nachweisen (31). Eher bleibt ein ursprüngliches Jüngergleichnis auch später Jüngergleichnis, wie sich vielleicht vom Gleichnis vom Säemann (Mark. 4, 3-9) im Verhältnis zu seiner Deutung (Mark. 4, 14-20) sagen läßt. So haben wir, was den Wechsel von einer Gegner- zu einer Jüngeradresse angeht, geradezu ein Gesetz der Umformung der Tradition vor uns. Eben deshalb, weil es sich hier um einen typischen Sachverhalt handelt, der sich in der überlieferungsgeschichte immer wieder zugetragen hat, wenden wir uns dem damit gegebenen Problem schon hier zu, weil es uns sonst Gleichnis um Gleichnis begegnen würde, ohne daß wir jeweils in der gebotenen Grundsätzlichkeit darauf eingehen könnten. Wir können das Gewicht der hier anvisierten Frage nicht verringern; wir müssen es vielmehr noch weiter verdeutlichen. Wir sprachen schon bei unserem ersten Hinweis auf unser Modellgleichnis (vom verlorenen Schaf) davon, daß bei ihm (von Lukas zu Matthäus) nicht nur seine Adresse wechselt, sondern auch sein Akzent. Das gilt es nun noch etwas näher zu präzisieren. Bei Lukas (15, 4-7) fällt aller Akzent auf die Freude des Hirten, der sein verlorenes Schaf gesucht und gefunden hat und nun mit seiner Freude seine Freunde und Nachbarn ansteckt, vielleicht, wie Joachim Jeremias es für möglich hält, zu einem Fest einlädt: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war! Im Gleichnis vom verlorenen Sohn, Luk. 15, 11-32, wird eindeutig ein Fest gefeiert. Adolf ,ülicher hat bemerkt, daß der Hirte mit hundert Schafen kein reicher Mann sei, wie auch in dem folgenden Gleichnis (von der verlorenen Drachme) kleine Verhältnisse vorausgesetzt seien. 2.
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»Wir verlassen nirgends den Boden der Dörfer und Kleinstädte von Galiläa« (aaO )17). Das ist auch als Hinweis auf die soziologische Zusammensetzung der Hörerschicht der Gleichnisse verwertbar. Aber eben, wenn der Hirte nicht mehr als hundert Schafe besitzt, ist seine Freude nur um so begreiflicher. Der Akzent der Freude wiederholt sich in den beiden anderen Gleichnissen des gleichen Lukaskapitels. Wir sprachen schon davon, wie der Vater den älteren Bruder an den Tisch der Freude zu holel} bemüht ist, wie er ihm »zuredet« und ihn gewinnen will: »Aber man mußte doch fröhlich sein und sich freuen ... « (Luk. 15, ):1). Gerade die Parallelität der Gleichnisse von Luk. 15 prägt übrigens den Akzent besonders eindrücklich ein, wie auch sonst von Doppelgleichnissen gilt, daß das zweite Gleichnis den Akzent des ersten erneut einschärft. Offenbar weist uns die Parallelität bei Doppelgleichnissen primär an, den sie verbindenden einheitlichen Akzent zu erkennen, während wir auf die Differenzierungen weniger zu achten haben, als wir es gewohnt sind. So ist der gemeinsame Nenner nicht zu verkennen, der die Gleichnisse für Lukas miteinander verknüpft und deshalb betont ist: die Freude des Findens. Ist das lukanische Gleichnis vom Akzent der Freude erfüllt, so weist die Freude des Hirten in der Sprache des Gleichnisses über sich hinaus auf Gottes Freude. »Ich sage euch: So wird im Himmel Freude sein über einen Sünder, der umkehrt - mehr als über neunundneunzig, die der Umkehr nicht bedürfen!« Jesus beruft sich auf Gottes Freude. Und das heißt: Was sich in der Zuwendung Jesu zu den Verlorenen ereignet, ist Gottes Zuwendung zu ihnen. In seinem Handeln vollzieht sich Gottes Handeln, bezeugt er Gottes Handeln. ). Vergleicht man Matth. 18,12-14 mit Luk. 15,4-7, so fällt sofort auf, daß die Adressatenschaft sich verschoben hat. Im Rahmen von Matth. 18 ist das Gleichnis zur /üngerbelehrung geworden, wie das ganze Kapitel von Anfang bis zu Ende Jüngerbelehrung ist. Wir haben es mit einer der thematisch in sich geschlossenen Kompositionen des ersten Evangelisten zu tun. Dabei hat Matthäus den »Gemeindekatechismus« von Mark. 9, ))-5° verwandt und erweitert und »die Stichwort-Anordnung des Markus ersetzt durch einen inhaltlich geordneten Aufbau, der von Spruch zu Spruch weiterführt« (Julius Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus 190 f). Literarkritische Einzelheiten kann ich hier übergehen. Das
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aber ist für unseren Problemzusammenhang wichtig, daß das Gleichnis vom verlorenen Schaf bei Matthäus gänzlich in die Thematik von Matth. 18 hineingenommen ist, daß es zur Jüngerregel geworden ist. Und als Jünger- und Gemeinderegel ruft es dazu, niemanden verloren zu geben oder abzuschreiben, sondern einem jeden bis zum äußersten nachzugehen, in letzter Verantwortung und Treue oder, wie Adolf Schlatter sagt, im »Ernst der Liebe« (Der Evangelist Matthäus 552). pie Konsequenz, die aus dem Gleichnis bei Matthäus gezogen sein will, ist im Schlußsatz formuliert: »So will Gott nicht, daß auch nur einer der Allergeringsten verloren gehe« (Matth. 18, 14 in der Übersetzung von Joachim Jeremias). Unter den »Allergeringsten« werden die Jünger zu verstehen sein. Die Jünger sind als die »Schwachen und Niedrigen« gesehen (vgl. Gerhard 'Barth, Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus, in: G. Bornkamm, G. Barth, H. J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium 19601 114 f). Übrigens wäre von hier aus umfassend nach dem Jüngerbild des ersten Evangelisten zu fragen. Sicher sind die Jünger nicht als Heldenfiguren gedacht. Auch der nicht, der den Namen »Der Fels« erhält (Petrus). So zeigt sich: »Der Akzent liegt nicht wie bei Lukas auf der Freude des Hirten, sondern auf der Vorbildlichkeit seines Suchens«, wie J. Jeremias knapp formuliert (29). Elementar schärft das Matthäuskapitel ein, daß die Gemeinde als Bruderschaft von der Vergebung lebt, wie wir schon an Hand des Gleichnisses vom großen Schuldner (Matth. 18, 23-35) sehen konnten. Sollte das ohne Zusammenhang mit dem Akzent unseres Gleichnisses sein? Eine Gemeinde, die weiß, daß sie von der Vergebung Gottes herkommt und deshalb zur Vergebung berufen ist, kann sich nicht auf sich selbst zurückziehen, sondern wird auf der Suche nach allen Bedrohten und Gefährdeten bleiben müssen. Dürfen wir sagen, sie wird, in diesem Sinn, missionarisch sein? Sie wird sich nicht damit abfinden, daß das Gros der Gemeinde noch beieinander ist. Fände sie sich damit ab, so widerspräche sie ihrem Ursprung und hätte ihren Auftrag vergessen. Sie ließe es an der Hirtenverantwortung fehlen. Wie aber lernt sie, von der Vergebung zu leben? Sie lernt es nicht, wenn sie fragt, wie die Jünger zu Beginn von Matth. 18 fragen: »Wer ist wohl der Größte im Reich der Himmel?« Sie lernt es nur, wenn sie von solcher Frage loskommt, umkehrt und wie ein Kind wird (18,3): wenn sie sich zu ihrer Kleinheit und Geringheit bekennt.
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4. Was sich von Lukas zu Matthäus ändert, ist nicht nur die Adresse, sondern darüber hinaus der Akzent des Gleichnisses. Der Akzent aber fügt sich zu der theologischen Leitlinie des Gemeindekapitels, das Matthäus geformt hat, und zu der Sicht, die Matthäus vom Jünger hat. Das Gleichnis spricht im neuen Zusammenhang neu - und anders als bei Lukas. Ähnliches ließe sich an Hand der Gleichnisse auch sonst zeigen. Wir können in den Evangelien beobachten, daß die Gleichnisse nicht nur überliefert, sondern zugleich ausgelegt werden, daß ihre Aussagelinie sich zum theologischen Zuschnitt des jeweiligen Evangeliums fügt. So ist bei Matthäus das Gleichnis, das wir bei Lukas als Gleichnis vom großen Abendmahl kennen (Luk. 14, 16-24), mit einem Akzent versehen, der einer durchgehenden theologischen Linie des Matthäusevangeliums entspricht (Gleichnis von der königlichen Hochzeit, Matth. 22, 1-14). Wir verweisen auf unsere Auslegung und deuten deshalb hier nur kurz an: Der Sonderzug des Matthäusgleichnisses (vom hochzeitlichen Kleid) verwehrt der Gemeinde alle Sicherheit, in der sie des Gehorsams der Umkehr überhoben wäre. Auch der Jüngerschaft Jesu gilt das kommende Gericht. Das ist, wie Günther Bornkamm mit Recht sagt, ein charakteristisch matthäischer Gedanke (aaO 18). 5. Joachim Jeremias hat in seinem Buch über die Gleichnisse Problematik und Sinn der Gleichnisforschung so zusammengefaßt: »Wir kennen die Gleichnisse nur in der Form, die ihnen die Urkirche gegeben hat, und stehen daher vor der Frage, ihre ursprüngliche Gestalt, so weit wir können, zurückzugewinnen« (96). Joachim Jeremias trifft sich in dieser Sicht des Sachverhaltes wie in dieser Intention der Aufgabe der Forschung weitgehend mit Adolf Jülicher, wie ich hervorheben möchte - der konservative Exeget der Gegenwart mit dem liberalen Forscher, dessen großes Werk über die Gleichnisse in zwei Bänden noch vor der Jahrhundertwende erschien. Ich unterstreiche schon hier, daß eine solche Sicht und Intention weder bei Jülicher noch bei Jeremias als Ausdruck einer Skepsis gedacht ist. Von beiden wird nur ein faktischer Sachverhalt festgehalten. Der Formulierung von Joachim Jeremias kann nur entnommen werden, daß wir die Gleichnisse gegenwärtig kaum noch in ihrer ursprünglichen Gestalt haben, will Jeremias sie doch, »soweit wir können, zurückgewinnen«. Was sich hier äußert, ist nicht Skepsis, sondern die Zurückhaltung und Vorsicht des Historikers, der weiß, daß die gestellte
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Aufgabe nicht leicht zu lösen ist. So hieß es aber auch schon bei Adolf Jülicher: »Die Parabeln der Evangelien sind den von Jesus gesprochenen nicht unbedingt gleichzusetzen«. Und /ülicher sprach, schon vor Jeremias, davon, daß die Gleichnisse in der Geschichte ihrer Überlieferung »übersetzt, versetzt und innerlich umgesetzt worden« sind. Die Variabilität der Gleichnisse, die nicht nur einmal in den Evangelien vorkommen, sondern mehrfach begegnen, ist von Jülicher deutlich gesehen worden: »Nicht nur der Ausdruck wechselt, sondern die Anschauung, die Ausführung, die Veranlassung, die Deutung, gleichviel ob sie durch den Zusammenhang oder ausdrücklich gegeben wird; das geht soweit, daß man von einem lucanischen Parabelton im Gegensatz zum matthäischen sprechen kann. Was ein Evangelist als Parabel giebt, giebt ein anderer frag-mentarisch als Vergleich; Züge, die dem einen das Wichtigste sind, un-: terdrückt der andre« (2. 11). Man kann doch nur sagen: Bei Jülicher erscheinen die Probleme und Vorgänge der Überlieferungsgeschichte schon erstaunlich vollständig. Diese Sicht dehnte Jülicher auch auf Gleichnisse aus, die wir nur als Sondergut kennen und deren (mögliche) Veränderungen in der überlieferungsgeschichte nicht an Hand eines synoptischen Vergleichs kontrollierbar sind. Jülicher kann, selbstverständlich, nur annehmen, daß auch für sie eine ähnliche Variabilität gilt. Wie sollte ein anderer Schluß methodisch zulässig sein? Ich denke nicht daran zu verwischen, was Joachim Jeremias von Adolf Jülicher trennt. Jeremias stimmt zwar Jülicher zu, wenn er Gleichnis und Allegorie unterscheidet und eine allegorische Auslegung der Gleichnisse als nicht sachgemäß ablehnt. Ich kommentiere die beiden Begriffe ganz knapp: Gleichnis und Allegorie heben sich so voneinander ab, daß das Gleichnis die Form einer Geschichte hat, die erzählt wird und auf einen entscheidenden Punkt des Vergleichs zueilt, auf das eine tertium comparationis, während die Allegorie die eigentliche Aussage Zug um Zug verschlüsselt und deshalb Zug um Zug gedeutet sein will. Jülicher hat erkannt, daß die synoptischen Gleichnisse von Haus aus nur Gleichnisse und nicht Allegorien sind - daß sie deshalb auch nicht allegorisch ausgelegt werden dürfen, auch wenn allegorische Auslegung schon im Neuen Testament beginnt und von der alten Kirche an führend wird. Jeremias möchte in diesem Zusammenhang nur eine Einseitigkeit Jülichers korrigieren: Jeremias macht geltend, daß die spätjüdische Apokalyptik wie die rabbinische Literatur auch die Allegorie kenne. Aber Jülichers Ver-
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dienst, »definitiv mit der allegorischen Auslegung (der Gleichnisse) gebrochen zu haben«, bleibt deshalb doch gültig und Jülichers Werk »schlichtweg grundlegend«. Dennoch hält Jeremias das alles nur für eine» Vorarbeit«, schärfer: für »die halbe Arbeit«. Denn Jeremias bestreitet nicht weniger als das Ergebnis der Exegese Jülichers. Jülicher hat - so Jeremias - die Gleichnisse im Sinn wahrer religiöser Humanität verstanden. Jesus wird zum Weisheitslehrer, der »ethische Maximen ... einprägte«, aber von der eschatologischen Aussage der Gleichnisse »bleibt nichts erhalten« (12 f). Ich zitiere nur ein Beispiel. Was ist der Sinn des Gleichnisses von den anvertrauten Talenten (Matth. 25, 14-30) bei Jülicher7 Jülicher a~twortet: »Lohn giebt es nur für Leistungen ... « (495). Überraschend, daß der kühne Vorstoß gegen jahrhundertelange Traditionen bei Jülicher selbst wieder so früh abbricht und den Grenzen der eigenen Gegenwart verhaftet bleibt. Soll man sagen: Bei aller Zustimmung im Methodischen bleibt die Differenz in der Exegese selbst 7 Aber »Motive« der »Umformung« (ein entscheidendes Stichwort bei Joachim Jeremias) werden schon von Adolf Jülicher erfragt. Und damit sind wir wieder bei der Nähe zwischen Jeremias und Jülicher, Jülicher und Jeremias. Solche Motive lassen sich, wie Jülicher meint, »meistens ziemlich bestimmt vermuten, es sind ebenso oft bewußte wie unbewußte und zufällige; die heutige Gestalt der Jesusparabeln nötigt uns als Koeffizienten für ihre Entstehung eine dem Überlieferungs stoff gegenüber nicht sklavisch gebundene, sondern frei weiterbildende Thätigkeit der Evangelisten und schon ihrer Vorgänger ... anzuerkennen« (9). Was Jülicher hier meint, hat die liberale Forschung mit dem Begriff der »Gemeindebildung« bezeichnet. Immer wieder stieß sie in den Evangelien auf »Gemeindebildung«. Inzwischen ist dieser Koeffizient unübersehbar geworden. Joachim Jeremias hat eine ganze Reihe von »Gesetzen der Umformung« erarbeitet, wie sie im Lauf der Überlieferungsgeschichte wirksam geworden sind, wozu etwa die Verschiebung des Akzentes eines ursprünglich eschatologisch gemeinten Gleichnisses zur Paränese oder die Einzeichnung der konkreten Situation, in der sich die Urkirche befand, in die Gleichnisse oder die nachträgliche allegorische Ausdeutung eines von Haus aus nicht allegorisdlen Gleichnisses gehören (96 f). Allegorisierung erweist sich dabei als Paränetisierung.
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6. Eine Nähe zwischen Jeremias und Jülicher zeigt sich auch noch darin, daß für beide die Konsequenz ihrer kritischen Bemühung um die synoptischen Gleichnisse ... im Versuch der Rückkehr zu ihrer ursprünglichen Form besteht, soweit das nur möglich ist. Die Intention von Joachim Jeremias ist bekannt. Es geht ihm um die ipsissima vox Jesu, bis ins Sprachliche hinein. Denn »niemand als der Menschensohn selbst ... kann unserer Verkündigung Vollmacht geben« () vg!. 97; vg!. ferner den Beitrag von Joachim Jeremias in dem Sammelband: Der historische Jesus und der kerygmatische Christus 1960 25). Daß das »historische Interesse an der ipsissima vox Jesu ... nicht nur methodisch, sondern auch sachlich die leitende Fragestellung« bei Joachim Jeremias ist, betont auch Eberhard jüngel (Paulus und Jesus 19642 119). Das ist die immer wieder ausgesprochene Absicht: »die älteste erreichbare Gestalt der Gleichnisverkündigung Jesuzu erarbeiten« (}. Jeremias aaO )). Muß deshalb nicht im Sinn von Jeremias formuliert werden, daß die Gesetze der Umformung, wenn sie erkannt sind, die Geschichte der Überlieferung sozusagen rückgängig zu machen helfen können und helfen sollen? Die Überlieferungsgeschichte wird revidiert. Aber der Rang, der dem ursprünglichen Wort Jesu zukommt, ist auch bei jülicher offensichtlich. Ihren» Wert« haben die Parabeln auch für Jülicher doch nur, sofern sie Zeugnisse Jesu selbst sind - nicht aber, sofern sie Zeugnisse der Gemeinde sind. So »müssen wir möglichst die Zuthaten der Tradition erst abschälen«. Ich bemerkte schon, daß weder bei Jülicher noch bei Jeremias von einer Skepsis die Rede sein kann, als ob die Urform der Gleichnisse unerreichbar wäre. Ich kann mich kurz fassen. »Fast ohne Ausnahme haben (die Gleichnisse) einen echten, auf Jesus selber zurückgehenden Kern«, erklärt Jülicher. So haben sie eine »relative Authentie«. Die Parabel glaubt Jülicher »als das Echteste in der Tradition von Jesu und als das Durchsichtigste und Klarste von allem zu erkennen ... Was und wie Jesus gelehrt hat, wird hier am getreuesten offenbar« (11. 150 vg!. 24). Die superlativen Wendungen überraschen vielleicht. Aber auch für Joachim Jeremias »haben wir es mit besonders treuer Überlieferung zu tun, stehen (wir) in unmittelbarer Nähe Jesu, wenn wir die Gleichnisse lesen«. Dabei spielt gerade auch die Gleichnis/orm eine Rolle, sofern Bilder einprägsamer sind als »abstrakter Stoff«, und diese Einprägsamkeit der
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Zuverlässigkeit der Überlieferung zugutekommt. Jeremias erkennt in den Gleichnissen »ein Stück Urgestein der Überlieferung« (5 f). Diese Sicht wird nicht nur von Jülicher und Jeremias vertreten; auch der norwegische Neutestamentler Nils Alstrup Dahl kann als Ergebnis der Forschung formulieren: »Im allgemeinen besteht . . . darüber Einigkeit, daß der Grundbestand der Gleichnisse zu den am zuverlässigsten überlieferten Worten Jesu gehört« (RGG3 II Sp. 1618). Und auch der Bultmannschüler ~ans Conzelmann sieht durch Beobachtungen an der Form »vor allem die Echtheit des Kernbestandes der Gleichnisse« gesidlert. »Dieser hebt sich durch Stil (Erzählungsform, Bildmaterial) wie Gedanken klar von allen jüdischen Parallelen ab und spiegelt ein scharf profiliertes S'elbstbewußtsein ... « (RGG3 III Sp. 62}, vg!. auch Hans Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments 1967 126). 7. Mir liegt nicht an einem vollständigen Referat über Jülicher und Jeremias. Deshalb breche ich hier ab, um auf das Problem von Tradition und Interpretation zurückzukommen. Man kann nicht sagen, daß das Phänomen der Überlieferungsgeschichte bei Jülicher und erst recht bei Jeremias nicht gesehen wäre. Es ist in seinen Fakten ohne Zweifel im Blick. Aber eine theologische Relevanz kommt ihm kaum zu. Relevanz hat allein die Urform des Gleichnisses, soweit sie erreichbar ist - muß man nicht sagen: das Wort des historischen Jesus, zu dem zurückzukehren ist? Alle Überlieferung ist daneben sekundär. Das ist im Horizont historischen Fragens naheliegend und verständlich. Der Exeget wird als Historiker, der er immer auch ist, nicht umhin können, hier eine Aufgabe zu erkennen. Aber es bleibt zu fragen: Kommt der Vorgang der Überlieferung so zu seinem Recht? Ich formuliere absichtlich: zu seinem Recht! Wir haben zu begreifen, daß sich Tradition und Interpretation in der Überlieferungsgeschichte unaufhörlich vollzogen haben, daß Tradition nie anders als in der Form von Interpretation weitergegeben oder, wie sachnäher zu sagen ist, bezeugt worden ist. Die synoptische Überlieferung ist auf der ganzen Linie zeugenhafte Überlieferung, in der das Wort von gestern (die Tradition) heute für die Gegenwart gehört und auf die Gegenwart bezogen wird: als gegenwärtiges Wort interpretiert wird. Das ist mehr als ein nur formaler Vorgang. Verbirgt sich doch in solcher Interpretation, daß der Herr, der hier bezeugt wird, nicht zu einer Gestalt der Ver-
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gangenheit werden kann, sondern der Herr der Gegenwart ist: der Herr, der der Tradition immer schon vorauf ist. Das ist z. B. auch bei Paulus nicht anders, wenn man seinen Umgang mit der Tradition erfragt. Die Tradition, von der wir sprechen, ließ sich nicht archivarisch registrieren; sie verlangte, in jeder Gegenwart neu verantwortet zu werden. Sie blieb präsent. Das ist, wenn man das Stichwort Tradition bedenkt, nicht selbstverständlich. Deshalb muß hier vom Inhalt (bzw. vom Gegenstand) der überlieferung her gedacht werden. Günther Bornkamm kann deshalb formulieren: »Weil Jesus Christus nicht eine Gestalt der Vergangenheit ist und also ins Museum gehört, kann es für die urchristliche Überlieferung von ihm auch nicht ein Archiv geben, in dem sie gehütet wird« (Die Sturmstillung im Matthäus-Evangelium, in: Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium :1960 48). Deshalb darf die Überlieferungsgeschichte nicht zur Verlegenheit werden, sondern will als Versuch immer neuer Interpretation aufgenommen und bejaht werden - in der Einsicht, daß Überlieferung (diese Überlieferung!) anders als so nicht erfolgen konnte. Überlieferungsgeschichte erweist sich so als Interpretationsgeschichte. Interpretationsgeschichte zeigt sich dabei als ein übergreifender Begriff, der schon für die mündliche Überlieferung gilt, aber nicht weniger auch das umfaßt, was gegenwärtig Redaktionsgeschichte genannt wird. Vg1. übrigens Erhardt Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums :1970. Güttgemanns erkennt im forschungsgeschichtlichen Ablauf von Formgeschichte und Redaktionsgeschichte einen »notwendigen Pendelschlag« und möchte ihn als eine »Akzentverschiebung« werten (7:1 f). Die Zäsur, die Güttgemanns mit dem Übergang von der Mündlichkeit der Tradition zur Schriftlichkeit gegeben sieht, ist in unserem Problemzusammenhang nicht näher zu erwägen, was nicht heißt, daß wir sie verkennen. Man kann den ganzen Sachverhalt, den wir hier zu umschreiben und zu begreifen haben, auch als den Vorgang immer wieder unumgänglicher und gebotener Übersetzung verstehen, wobei Übersetzung umfassend gemeint ist und über das rein sprachliche Moment weit hinausgreift. Ich brauche kaum hinzuzufügen, daß Übersetzung, so gefaßt, m~t der Übersetzung, wie sie uns schon bei den Evangelisten begegnet, nicht beendet sein kann, sondern in jeder Auslegung weiterläuft und die Aufgabe der Verkündigung bis heute umgreift. Die Formulierung kann nicht rätsel-
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haft sein, die ich in diesem Kontext wage: daß alle Theologie immer und entscheidend übersetzung ist, sich als Übersetzung zu begreifen hat: als Verantwortul1:g der Tradition vor der Gegenwart. 8. Was wir hier andeuten, heißt aber auch, daß die Tradition, die immer wieder nach Übersetzung ruft, immer schon Zeugnis war - anders gesagt: immer schon kerygmatischen Charakter hatte. Martin Dibelius hat nicht zufällig unterstrichen, daß es »keine Tradition über Jesus gegeben (hätte), wenn es keine Predigt über Jesus gegeben hätte« (Martin Dibelius, Botschaft und Geschichte I )18). Dieser Zusammenhang von Predigt und Tradition ist aber auch so formulierbar, daß die Tradition immer schon den Sinn von Verkündigung hatte, Verkündigung war. Sagen wir aber nicht, wenn wir Predigt sagen, sofort: Gemeinde? Und wird so die Überlieferung nicht als solche - zur Stimme der Gemeinde? Günther Bornkamm hat in einer Auslegung von Matth. 25, 1-1) bemerkt, daß »an diesem Texte deutlich (wird), daß das Wort Jesu an seine Gemeinde sich niemals auf den Umkreis der ipsissima verba des historischen Jesus begrenzen läßt, sondern das Wort des Erhöhten mit umschließt, je und je hineingesprochen in eine neue Situation ... « (Die Verzögerung der Parusie, in: In memoriam Ernst Lohmeyer 1951 126). Das in der liberalen Forschung in aller Regel kritisch verwandte Stichwort der »Gemeindebildung« gerät im Kontext solcher Einsichten in einen neuen Interpretationszusammenhang und bekommt, wie Günther Bornkamm sagt, einen »eminent positiven Sinn« (aaO 126). Sind die Evangelien, so gesehen, nicht Rechtens Gemeindebildung, und zwar historisch Rechtens wie theologisch Rechtens? Das Wort des historischen Jesus haben wir nur im Wort seiner Zeugen und insofern nicht als »historisches« Wort. Das ist, wie wir zu begreifen beginnen, nicht zu umgehen. Das kann von der Sache her nicht anders sein und kann auch nicht verlegen übergangen werden. Es ist vielmehr in seinem Sinn zu erfragen. Die SchlüsseIformel kann nur lauten: Die ipsissima vox begegnet uns als viva vox. Das ist zur Frage nach dem historischen Jesus zu bedenken, wie sie unter uns neu in Bewegung geraten ist, nachdem sie mit der formgeschichtlichen Forschung an ein Ende gelangt zu sein schien. Das Thema ist zu vielschichtig und in seinen Konsequenzen zu umfassend, als daß wir es hier aufnehmen könnten. Aber soviel soll gesagt sein, daß das Problem der Gleichnisauslegung
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mit der Frage nach dem historischen Jesus zusammenhängt, daß es sich mit ihm trifft. Und zwar auch so und entscheidend so, daß die ipsissima vox . . . in den Gleichnissen der Evangelien als viva vox bezeugt wird. Damit erhellt sich gerade auch das Phänomen des Adresssenwechsels, das (historisch gesehen) als problematisch erscheinen könnte: es erhellt sich als legitim, sofern es darum geht, das Wort des historischen Jesus als das Wort des Gegenwärtigen zu hören. Dafür läßt sich auch sagen: Die historischen Gegner sind in ihrer historischen Kontur vergangen, aber das Wort ... adressiert sich neu, weil ihm von seinem Sprecher her Gegenwärtigkeit zukommt. 9. Ernst Käsemann hat Joachim Jeremias gegenüber kritisch geltend gemacht, daß er gegen den Strom der neutestamentlichen Überlieferung und sein Gefälle anschwimme (Sackgassen im Streit um den historischen Jesus, in: Exegetische Versuche und Besinnungen II 1964 34). Verstehe ich Käsemann recht, so fragt er Jeremias, ob er hinreichend respektiert, daß das Neue Testament »die Jesusüberlieferung nur in Gestalt' und Überarbeitung ihres Christuszeugnisses darbietet«. Dieser historische Sachverhalt ist theologisch zu begreifen und zu. bejahen. Er verwehrt eine Historisierung des Evangeliums. Jeremias möchte innerhalb der neutestamentlichen Überlieferung die Didache der Jesustradition vom Kerygma der Urkirche abheben und die Didache dem Kerygma vorordnen, während Käsemann eine solche Vorordnung im Neuen Testament nicht wahrnehmen kann, vielmehr dem Kerygma den Primat eingeräumt sieht. Wir haben grundsätzlich - synoptisch wie paulinisch - nur Kerygma. Die Möglichkeiten historischer Erkenntnis muß Käsemann bei Jeremias für überfordert halten, wenn der »Menschensohn . . . mit den Methoden der historischen Kritik aus der ihn verhüllenden Schicht der Gemeindetradition wieder entdeckt« werden soll. Käsemanns Fragen haben im Kontext seines Ansatzes deshalb besonderes Gewicht, weil Käsemann sich gleichzeitig gegen Rudolf Bultmanns hermeneutische Prämissen abgrenzt. Käsemann kann nicht vorgeworfen werden, daß er das Problem der Relevanz des Historischen übersähe und nur von der Relevanz des Kerygmatischen zu reden wisse. Vielmehr dürfte er des Problems des Historischen wieder ansichtig geworden sein. Die Frage ist offenbar, wie von der Relevanz des Historischen ... theologisch recht zu reden ist. 10. Selbstverständlich kann ich das alles - sozusagen im Vorgespräch
Oberlieferungsgeschichte
zur Auslegung der Gleichnisse selbst - nur andeuten bzw. als Problem ansagen. Wir werden dem Überlieferungsproblem der Gleichnisse immer wieder konfrontiert sein und werden die Überlieferungsgeschichte in ihrem »Gefälle«, wie Ernst Käsemann charakteristisch formuliert, zu verstehen suchen müssen. Sie ist, wenn man will, Auslegungsgeschichte. Sie ist es als solche und sie ist es, wie wir schon sagten, unaufhörlich. Vielleicht kann sie uns, als Auslegungsgeschichte, im Hören auf die Tradition einüben und uns nach dem Zusammenhang von Tradition und Interpretation zu fragen zwingen. Klaus Koch ist in seinem Buch: »Was ist Formgeschichte?« (1964) auf das Problem gestoßen, welche Stufe der Überlieferung als verbindlich und damit als kanonisch zu gelten habe, wenn wir es mit einem Text »mit längerer Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte« zu tun haben. »Was ist bei einem Gleichnis Jesu z. B. kanonisch: Was Jesus selbst gemeint hat oder die Auffassung der Urgemeinde oder die Deutung des Matthäus? Natürlich legt sich zunächst die Antwort nahe: was der Herr selbst sagen wollte, also die Urgestalt. Abgesehen davon, daß das Gleichnis dann eigentlich aus dem Griechischen ins Aramäische rückübersetzt werden müßte, um den ursprünglichen Sinn eindeutig zu erheben - wie wenig Theologen sind dazu in der Lage I -, schließt ein solches Vorgehen nicht in sich, daß die Wirkungen des Heiligen Geistes in der nachösterlichen Gemeinde übergangen werden? Ist der Wandel der Auffassung nicht weithin von den Erfahrungen der Gemeinde unter der Leitung des nachösterlichen Kyrios bestimmt worden? So erscheint es eher angemessen, die Endgestalt der Überlieferungen als ausschlaggebend anzusehen. Jedoch, auch das bereitet öfter Schwierigkeiten. Im Pentateuch - um ein alttestamentliches Beispiel herauszugreifen - ist die Endredaktion nur sehr sporadisch zu greifen und über ihre Auffassung des Stoffes wenig Sicheres auszumachen, während wir das Anliegen früherer Stufen, wie etwa der jahwistischen oder priesterschriftlichen, verhältnismäßig klar erkennen. Ist es nicht sinnvoller, sich an diese zu halten? M. E. läßt sich in dieser Hinsicht überhaupt keine bindende Regel aufstellen ... « (aaO 111). Ich möchte davon sprechen, daß die Überlieferungsgeschichte uns als Auslegungsgeschichte dazu einlädt, uns an Hand von Beispielen des Hörens (und Auslegens) selbst im Hören und Auslegen einzuüben. Was hier nämlich zu sehen ist, ist dies: daß in der Überlieferungsgeschichte -
Gberlieferungsgeschidzte
Geschichte vorliegt, Geschichte, die nicht immer wieder von vorn einsetzt, sondern an die bisherige Geschichte anknüpft. Wenn der Glaube an Jesus nicht erst einer späteren Schicht der Überlieferung zuzuweisen ist, sondern als Ursprung und Veranlassung der Überlieferung selbst angesehen werden muß (Martin Dibelius) - so bleibt dieser Ursprung spürbar und gültig, so ist Überlieferungs geschichte als Auslegungsgeschichte der Versuch der Auslegung der Gestalt und Geschichte Jesu, so daß Gestalt und Geschichte Jesu Kriterium des Kerygmas werden und bleiben. Das ist eine Einsicht, die wiederum Ernst Käseman.n Bultmann gegenüber unterstrichen hat. So erklärt sich »beides, was die urchristliche Tradition kennzeichnet, ihr offenkundiges Bemühen um die Gewissenhaftigkeit und Treue der Überlieferung von Jesus, aber zugleich die eigentümliche Freiheit, mit der diese Überlieferung sich im einzelnen abwandelt« (Günther Bornkamm, Die SturmstiIlung im Matthäusevangelium aaO 48). In diesen Problemzusammenhang gehört auch der betonte Hinweis von Ernst Käsemann auf die Korrektur der mündlichen Überlieferung durch die späte Form der Evangelien (aaO 65). Innerhalb der Evangelien aber ist zu sehen, daß es keine Tradition ohne Interpretation gibt, daß aber die Interpretation zugleich an die Tradition gebunden bleibt (vg!. H. J. Helds Analysen zu den Wundergeschichten bei Markus und Matthäus, :n: Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium 19601 286). Wir können auch sagen: Der Begriff der Interpretation setzt immer einen »Text« voraus, der interpretiert wird. Interpretation meint einen Vorgang in der überlieferungs geschichte, der nie voraussetzungslos ist, sondern immer Tradition für die Gegenwart bezeugt. Was mir nicht möglich zu sein scheint, ist ein Fragehorizont, der die kerygmatische Intention der Überlieferungsgeschichte historisch hinterfragen möchte. Damit käme die Überlieferungsgeschichte in ihrem Gefälle nicht zu ihrem Recht, auch nicht, wie ich meinen würde, historisch zu ihrem Recht. Kerygmatisches und Historisches ist nicht einfach auseinanderdividierbar, weil diese Historie uns nur als Kerygma begegnet, nur als Kerygma sagbar ist. Aber die Relevanz des Historischen für die Theologie ist das gegenwärtig von uns immer noch nicht bewältigte Problem, wenn wir uns auch von voreiligen Vereinfachungen und problematischen Alternativen langsam und zögernd zu lösen beginnen.
Auslegung
Das Gleichnis von den heiden Schuldnern (Luk. 7,3 6 -5°: 41 -43)
»Einer aber der Pharisäer bat ihn zu sich zum Essen. Und er ging in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. Und siehe, eine Frau, eine Sünderin, die in der Stadt war und erfahren hatte, daß er im Haus des Pharisäers zu Tisch war, brachte ein Alabastergefäß voll 5alböl, stellte sich hinten zu seinen Füßen und weinte, machte sich daran, mit ihren Tränen seine Füße zu netzen, und wischte sie mit den Haaren ihres Hauptes ab und küßte seine Füße und salbte sie mit dem Salböl. Als das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst: Wäre dieser ein Prophet, so müßte er erkennen, wer und was für eine die Frau ist, die ihn anrührt - daß sie eine Sünderin ist. Und !esus nahm das Wort und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sagte: Sprich, Meister. Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner. Der eine schuldete ihm fünfhundert Denare und der andere fünfzig. Da sie es nicht zurückgeben konnten, schenkte er es beiden. Welcher von ihnen nun wird ihn am meisten lieben? Simon gab zur Antwort: Ich nehme an, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Zutreffend hast du geurteilt. Und zu der Frau gewandt, sprach er zu Simon: Du siehst diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, du hast mir kein Wasser für die Füße gegeben; sie aber hat mit ihren Tränen meine Füße genetzt und mit ihren Haaren sie abgewischt. Du hast mir keinen Kuß gegeben; sie aber hat, seit ich eintrat, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mir das Haupt nicht mit öl gesalbt; sie aber hat mir die Füße mit Salböl gesalbt. Darum sage ich dir: Vergeben sind ihre vielen Sünden, weil sie viel geliebt hat; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.
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Und er sprach zu ihr: Vergeben sind deine Sünden. Und die Tischgenossen fingen an, bei sich zu sagen: Wer ist der, daß er sogar Sünden vergibt? Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dich gerettet, geh im Frieden!« Adolf Jülicher hat seine Auslegung dieses Gleichnisses (das bei ihm die nicht ganz begründete Überschrift: »Der Wucherer und die zwei Schuldner« trägt) mit folgenden Worten eingeleitet: »Es ist eine der kleinsten Parabeln ... , aber sie hängt mit einer umfänglichen Geschichte so fest zusammen, daß sie nur als ein Bestandteil von dieser verstanden und gewürdigt werden kann« (290). Und ähnlich hat Günther Bornkamm davon sprechen können, daß von diesem Gleichnis aus alle Einzelheiten, Gestalten und Vorgänge (in der Geschichte) ihr Licht empfangen und daß das Gleichnis »den Skopus der ganzen Geschichte (enthält)« (Göttinger Predigtmeditationen 1947 I 4/)8-)9). So eng miteinander verflochten scheinen das Gleichnis und die Geschichte, in der es vorkommt, zu sein, daß sie voneinander unlösbar sind. Mehr noch: das Gleichnis scheint geradezu ein Element der Geschichte zu sein, ganz und gar hineinverwoben in das Geschehen der Begegnung zwischen Jesus und dem Pharisäer Simon, konkreteste Anrede. Ich brauche kaum hervorzuheben, wie weitgehend sich unsere bisherigen Beobachtungen zu den Gleichnissen hier erneut machen lassen. Man könnte von einem Frage-Gleichnis sprechen, das den Pharisäer Simon gezielt trifft, ohne daß er selbst von vornherein schon wüßte, wie sehr es auf ihn zutrifft wiewohl er die an ihn gerichtete Frage zutreffend beantworten kann, beantworten muß. Er hat sich in einer der Figuren des Gleichnisses selbst zu entdecken - und hat zugleich (vom Gleichnis her) neben sich ... die von ihm bisher nur in äußerster Distanz gesehene Frau zu entdecken, rückt das Gleichnis ihn doch in die Nähe der Frau. Eine Entdeckung nach der anderen wartet auf ihn. Das Gleichnis überfällt ihn in der Sicherheit seiner bisherigen Sicht (Sicht seiner selbst und Sicht der Frau) und wird zum Schlüssel des Verstehens: schlüsselt Simon sich selbst auf, wie es ihm die Frau in ihrem ihm rätselhaften Tun aufschlüsselt. Zwar ist das Gleichnis von größter Knappheit, aber über die Pointe scheint kein Zweifel ~öglich zu sein. Leben heißt ... Leben von der Vergebung. Vergebung ist der Grund der Existenz. Es wird schon deutlich geworden sein, wie sehr unsere voraufgegan:1.
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gene Analyse der Sprache des Gleichnisses auch auf dieses Gleichnis bezogen werden kann. »Jesus nahm das Wort und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen! ... « (Vers 40). Was Jesus »sagen will«, sagt er im Gleichnis. Verrschlüsselt Jesus das, was er sagen will, wenn er es gleichnishaft sagt? Wir haben eben vielmehr von einem Schlüssel des Verstehens gesprochen. Das Gleichnis ist gerade der Weg, der den Hörer zum Verstehen bringen will. Das Gleichnis bedient sich in seiner Sprache des menschlichen Alltags, um dem Hörer etwas zu sagen. Es greift zu seiner ihm vertrauten Welt, um ihm zu sagen, was ihm alles andere als vertraut ist; wie gerade Simon zeigt. Im Alltägl~chen seiner Welt begegnet ihm überraschend das ihm Verborgene, im Bekannten das ihm vorerst Unbekannte. Ich würde aber gerade nicht mit Charles Harold Dodd von »an inward allinity (between the natural order and the spiritual order)« sprechen, wobei der Begriff der allinity den der analogy (der Begriff der Verwandtschaft den der Ähnlichkeit) überbieten soll (The Parables 01 the Kingdom 21 f) - als ob das Geheimnis des Reiches sozusagen am Boden der Welt läge und nur aufgehoben zu werden brauchte! Nennen wir die Geschichte von der großen Sünderln den Rahmen des Gleichnisses, so ist zu sagen, daß sich Gleichnis und Rahmen zu entsprechen scheinen. Das würde selbst dann gelten, wenn der Rahmen vom Evangelisten aus dem Gleichnis erst erschlossen wäre, wenn er die Gleichnisfiguren von sich aus in Figuren einer Geschichte übersetzt und so die Geschichte (als »szenische Einkleidung«) »hinzukomponiert« hätte, was Rudolf Bultmann annehmen möchte (aaO 20). Unser Ansatz würde als solcher nicht problematisch werden, wenn man das Gleichnis für primär und die das Gleichnis rahmende Geschichte für sekundär halten würde: unser Ansatz, der die Bezogenheit von Gleichnis und Rahmen, von Gleichnis und Adresse betont hat. 2. Auf die Frage des Verhältnisses der Geschichte von Luk. 7, ,36-50 zu der Geschichte von der Salbung in Bethanien Mark. 14, ,3-9 bzw. Matth. 26, 6-1,3 bzw. Joh. 12, 1-8 möchte ich nur kurz eingehen. Die Berührungen wie die Verschiedenheiten sind in der Exegese oft hervorgehoben worden; ich kann hier auf Jülicher und Klostermann verweisen. Das Urteil der Exegeten ist nicht einhellig. Wegen der tiefgreifenden Unterschiede scheint es mir (mit Jülicher, Karl Ludwig Schmidt und Schnie-
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wind gegen Bultrnann und Klostermann) fraglich, ob man bei Lukas die gleiche Geschichte wie bei Markus und Matthäus finden kann. Man könnte aber mit einem Abfärben einzelner Züge der bethanischen Salbungsgeschichte auf unsere Geschichte rechnen. Daß Lukas die Salbungsgeschichte von Mark. :14, 3-9 als verwandt empfand, dürfte sich darin aussprechen, daß er sie im Rahmen der Passionsgeschichte wegläßt. Karl Ludwig Schmidt vermutet: weil er »von zwei ähnlichen Geschichten nur eine hat bringen wollen«, nicht aber, weil er »beide Erzählungen miteinander identifiziert« hätte (Der Rahmen der Geschichte Jesu, :19:19 :1:19; vgl. Jülicher 3°:1; anders Klostermann, Lukas 92). Ich würde deshalb auch den Zusammenhang von Gleichnis und Geschichte, Geschichte und Gleichnis traditionsgeschichtlich nicht aufheben wollen. In Luk. 7, 48-50 mag im besonderen die Hand des Lukas zu erkennen sein (mit Jülicher, Bultmann und Klostermann) . Die Geschichte erhält hier noch einen betonten Abschluß. Dabei fällt der Akzent auf den Glauben. 3. Die Auslegung, der wir uns nun zuwenden, stößt gleich zu Anfang der Perikope auf eine lukanische Eigenart, die kurz zu berühren ist. Der szenische Rahmen der Geschichte ist dadurch gegeben, daß Jesus Gast im Haus eines Pharisäers ist, wozu es bei Lukas (und nur bei Lukas!) noch zwei Parallelen gibt: Luk. :1:1,37-52 und :14, :1-24. Die Berührung mit der Markusgeschichte, die sich nach Mark. :14, 3 im »Haus Simons des Aussätzigen« zuträgt, dürfte hier nicht mehr als den Namen Simon betreffen. Der Simon der Markusgeschichtekommt in der Geschichte selbst nicht weiter vor; vielleicht hat sein Name nur die Funktion,'das Haus als solches zu bezeichnen und von anderen Häusern des Dorfes Bethanien zu unterscheiden (so wie bei uns ein Haus zur Kennzeichnung eine Hausnummer trägt). Der Zusatz: »der Aussätzige« unterscheidet Simon von anderen Trägern des nicht seltenen Namens Simon. »Haus Simons des Aussätzigen« braucht nicht mehr zu sagen, als daß das Haus einem Simon gehört (oder gehörte !), der aussätzig wurde. Er ist nicht als Pharisäer gekennzeichnet. Dagegen ist es für die Lukasgeschichte wesentlich, daß ihr Simon Pharisäer ist: Glied der pharisäischen Bewegung, die bekanntlich eine Laienbewegung (vornehmlich aus Bauern, Kaufleuten und Handwerkern) war, die von Schriftgelehrten geführt wurde - eine fest umgrenzte, geschlossene Gemeinschaft.
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Unsere Geschichte hält mit der Einladung eines Pharisäers an Jesus die noch offene Situation zwischen der pharisäischen Bewegung und Jesus fest - ebenso die Offenheit Jesu für die pharisäische Bewegung. Er nimmt die Einladung an und »wirbt« um die Pharisäer, wie Schlatter einmal zu Luk. :15 formuliert (Das Evangelium des Lukas 353). Die Tür ist noch nicht ins Schloß gefallen. Jesus selbst hält sie vielmehr offen (wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn den älteren Bruder an den Tisch der Freude zu holen bemüht ist und die offene Situation zum Schluß dieses Gleichnisses die Offenheit der historischen Situation spiegeln dürfte). Das ist wichtig als Korrektur eines zu schematischen Bil~s, das wir vielleicht haben - als ob hier von allem Anfang an und auf der ganzen Linie nur Gegnerschaft gewesen wäre. Unsere landläufige Vorstellung vom Pharisäismus bedarf ohnedies der Korrektur. Daß freilich die Begegnung der pharisäischen Bewegung mit Jesus - sie selbst vor eine äußerste Frage stellt, ist gerade auch in unserer Geschichte mit Händen zu greifen. 4. Ist in Vers 36 der szenische Rahmen knapp skizziert, so setzt mit Vers 37 sofort das Geschehen ein, das die Spannung der Geschichte mit sich bringt. Eine Frau betritt die Szene. Sie stammt aus der Stadt, in der auch Simon wohnt. Sie wird als »Sünderin« (hamartolos) charakterisiert. Was besagt diese Charakteristik? In den Kommentaren wird sie in der Regel zu schnell in Richtung auf eine »stadtbekannte Dirne« verstanden (wie Friedrich pfäfflin geradezu übersetzt). So etwa von Jülicher, Klostermann, Hauck, J. Jeremias, Wilhelm Michaelis und Karl Heinr. Rengstorf (ThW unter Hinweis auf Strack-Billerbeck II :(62). Aber Schlatters Warnung vor allzu eiligen Schlüssen wird zu beachten sein, zumal sie in einen Begründungszusammenhang gehört, der nicht unwichtig ist. Die spezielle Bedeutung Dirne braucht hier mit hamartolos nicht gegeben zu sein; gemeint sein kann auch allgemeiner eine Frau, die dem pharisäischen Kanon nicht entsprach, bzw. eine Frau, deren Mann einen Beruf hatte, der als verdächtig galt, weil er mit der Tora in Konflikt zu bringen pflegte. Für Schlatter ist es »für die inwendige Haltung des Erzählers nicht ohne Bedeutung, daß er uns raten läßt, wie die Frau sich schuldig gemacht habe. Es zeigt sich auch hier, wie in den anderen Beschreibungen der Bußfertigen, daß er die Buße nicht als Enthüllung des Bösen verstand« (Das Evangelium des Lukas 259).
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Wir sollten hier nicht mehr wissen wollen, als der Text selbst sagt, und der Text wird hier nicht konkreter, als die im allgemeinen bleibende Charakteristik »Sünderin« es ist. Wir bekommen eben keine Skandalgeschichte zu hören. Die konkrete Schuld der Frau ist sowenig zu erschließen wie übrigens ihr Name (Die katholische Kirche wagt hier manchmal die Gleichsetzung der Frauen von Luk. 7, 36-50, Mark. 14, 3-9 und Joh. 12,1 ff: Maria Magdalena als Schwester des Lazarus). Und auch topographisch und chronologisch läßt sich nichts Näheres sagen: »In irgendeiner Stadt zu einer nicht fixierbaren Zeit ist das alles vorgefallen« (Kar! Ludwig Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu 119)' Mark. 14, 3-9 haftet an Bethanien! 5. Eins ist freilich nicht so verwunderlich, wie wir als Abendländer annehmen (und was der Frau bei Augustin die Bemerkung: pia impudentia eintrug): daß hier eine fremde Frau von der Straße her ins Haus kommt. Das entspricht orientalischen Möglichkeiten bei einem Gastmahl bis heute, wie schon Jülicher hervorhob (291). Vgl. auch K. L. Schmidt aaO 119 und Fr. Hauck, Das Evangelium des Lukas 1934 102. Was aber den Rahmen des Üblichen bei weitem sprengt, ist der Vorgang der Salbung, so wie er, nicht zufällig, in großer Breite beschrieben wird und wie er nachher (in Vers 44-46) in ausführlicher Wiederholung aufgegriffen und mit dem Verhalten Simons bei der Begrüßung des Gastes kontrastiert wird. Eben im Kontrast zu Simon ist das, was die Frau tut, 'eine schlechterdings überschwengliche Geste. Sie vergißt, scheint es, ihre Umgebung völlig: die betretenen, kritischen oder auch spöttischen Blicke deI von ihr abrückenden »besseren Gesellschaft«. Der Gegensatz reicht hier offenbar bis ins Soziologische. Zur Überschwenglichkeit der Geste der Frau gehört auch die Kostbarkeit des Materials, das sie bei der Salbung verwendet. Das Salböl ist ein teurer Importartikel. Und das Alabastergefäß gehört in den frühen Zeiten »zu den Luxusartikeln der Herrenschicht« (in der Mittel- und Spätbronzezeit, 2000-1200 vor Chr.). In der hellenistischen Zeit freilich gilt »jedes henkellose Salbgefäß gleich welchen Materials als Alabastron«. Und man kann an - »Glasfläschchen« denken, »die man zum Öffnen am Halse abbrach« (Glas als Werkstoff!), vgl. Kurt Galling, Biblisches Reallexikon 7 ff. 6. Simon porträtiert sich in Vers 39 selbst, in seinem heimlichen Monolog. Er bleibt in seiner Haltung reserviert, er greift nicht ein. Aber er
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macht hier, wie er meint, die Probe aufs Exempel. Jesus mag ein beachtlicher Lehrer (didaskalos) sein - ein Prophet (prophetes) ist er nicht. Die Anrede »Lehrer« (Vers 40) enthält Respekt, wie doch die Einladung als solche auch. Aber das hält sich in Grenzen. Wäre er ein Prophet: er würde, erwartet Simon, der Frau prophetisch ihr ganzes verpfuschtes Leben auf den Kopf zusagen. Lassen sich die Prämissen seines Monologs noch weiter erhellen? Simon erweist sich als ein Mann, der feste Maßstäbe hat. Seine Welt ist eine sorgsam gehütete Welt. Schlatter hat an der pharisäischen Bewegung ihre Akribie hervorgehoben: die Pünktlichkeit, Exaktheit und Präzision, mit der sie in der Linie der Tradition die Torazu erfüllen bemüht war. Daraus sieht Schlatter ihre kasuistische Ethik entspringen. Der Pharisäismus als Bewegung war darauf aus, den »Rest« Israels zu sammeln (vgl. J. Jeremias, Der Gedanke des »Heiligen Restes« im Spätjudentum und in der Verkündigung Jesu ZNW 1949 184 ff). Der Simon unserer Geschichte setzt offenbar voraus, daß auch Jesus grundsätzlich nicht anders denkt als er - daß er der Frau gegenüber auf Distanz halten würde . .. wenn er nUT wüßte, wen er hier vor sich hat. Bis Jesus das Wort ergreift, ist Simon in seinem Denken nicht erschüttert, lebt er in seiner Welt als einer unerschütterten Welt. 7. Hier setzt das Gleichnis ein, mit dem Jesus - Simon »etwas zu sagen« hat. Das Gleichnis geht Simon gleich zwei/ach an. Es deutet ihm das Verhalten der Frau und es deutet ihm - sein eigenes Verhalten, wobei sich zeigt, daß seine Sicht der Frau die Konsequenz der Sicht s~iner selbst ist ... daß seine Distanz ihr gegenüber mit seinem Selbstverständnis zusammengehört. Sein Selbstverständnis aber läuft zuletzt auf eine Verkennung des Grundes seiner Existenz hinaus. Er versteht sich selbst nicht. Wir gehen beiden Linien kurz nach. Das von außen gesehen rätselhafte, überschwengliche Verhalten der Frau hat nach dem Gleichnis seinen Ursprung im Wunder erfahrener Vergebung. Es ist eine Äußerung der Dankbarkeit. Der Schlüssel zum Tun der Frau ist in der Gestalt des großen Schuldners gegeben, dem der Geldverleiher, als er nicht zahlen konnte, seine Schuld großzügig strich. Man kann Klostermann nur zustimmen, der von diesem. Geldverleiher als einem »weißen Raben« spricht (93). Dieser Akzent will festgehalten sein. Der Geldverleiher ist
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offenbar eine Ausnahmefigur . Man mag sich das illustrieren, indem man sich fragt, was geschähe, wenn seine Großzügigkeit sich herumspräche. Sonst wird »in Geldsachen kein Spaß verstanden« und muß »auf Heller und Pfennig bezahlt werden«. Hier aber verzichtet einer, der dazu noch vom Geldverleihen lebt, auf Rückzahlung der geliehenen Summe! Es ist wieder so, wie es immer in den Gleichnissen ist: daß federführend ist, was gesagt werden soll. Und dabei sprengt das unbegreifliche Wunder der Vergebung, das zur Sprache kommen soll, den Rahmen des menschlichen Alltags, geschieht hier etwas, was alles andere als gang und gäbe ist. So aber ist das rätselhafte Tun der Frau erklärt, über das Simon nur den Kopf schütteln kann. Eben der Simon ve~borgene Grund für ihre ganze Überschwenglichkeit rechtfertigt sie in ihrem Tun. Was sich in solcher Geste der Freude und Dankbarkeit spiegelt, ist die Freudenbotschaft: die Freudenbotschaft im Vollzug, in ihrem konkreten Hereinbrechen in ein Menschenleben. 8. üb Simon hier verstehen kann? Das Gleichnis mutet ihm noch mehr zu. Es mutet ihm zu, seine Distanz der Frau gegenüber aufzugeben, weil auch für ihn keine andere Kategorie bleibt als die Kategorie des Schuldners. Der Geldverleiher hat nicht nur einen, sondern zwei Schuldner. Ginge es nur um die Frau, so genügte eine Gleichnisgeschichte, in der ein einziger Schuldner vorkäme. Was soll der zweite Schuldner? Ist er überflüssig? Weil die Figurenzahl bei den Gleichnissen wie die ganze Gleichnisgeschichte mit dem zusammenhängt, was das Gleichnis sagen soll, kann die Zweizahl kaum zufällig sein. Und die Deutung des Gleichnisses im weiteren Verlauf der Geschichte bringt ein Mehr (und ein Weniger) an Liebe in Zusammenhang mit einem Mehr (und einem Weniger) an Schuld, die jeweils gestrichen ist. Simons Verhalten hebt sich in spürbarem Kontrast vom überschwenglichen Verhalten der Frau ab. »Vergeben sind ihre vielen Sünden ... weil sie viel geliebt hat« (Vers 47). Damit wird an dem Zeichen ihrer Dankbarkeit, ihrer sich nicht genug tun könnenden Liebe, abgelesen, was ihr verborgener Grund ist. Die Vergebung ist der Grund der Dankbarkeit - nicht umgekehrt die dankbare Liebe der Grund der Vergebung. Man spricht in der Auslegung von der Liebe als dem Erkenntnisgrund (nicht aber Realgrund) der Vergebung. Aber Simons Verhalten seinem Gast gegenüber bleibt, gemessen am Verhalten der Frau, im Rahmen des Gängigen und ist auch der kleinsten Geste bar, die darüber hinausginge.
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Das Gleichnis nimmt mit anderen Worten die Menschen der Geschichte in den Figuren seiner Geschichte auf und läßt Simon verstehen, worin alles seinen Grund hat. Festzuhalten ist, daß Simon der Adressat ist. An ihn ist die Deutung des Verhaltens der Frau adressiert. An ihn ist aber auch die heimliche Frage adressiert, wovon er selbst denn lebt, wenn die Frau nur von der Vergebung leben kann. Diese Frage ist damit gegeben, daß das Gleichnis nur eine einzige Kategorie vorsieht, die Kategorie des Schuldners. Sollte auch Simon - nur von der Vergebung leben können? 9. Eins freilich darf nicht verwischt werden, weil es das GleichnJs selbst nicht verwischt: daß hier keine Gleichmacherei vorliegt. Das hat unter den Exegeten vor allem Adolf Schlatter entschlossen betont. Schuld und Schuld bleiben unterschieden, und darin dürfte liegen, daß es nicht einerlei ist, was für ein Leben man führt: ob es ein Leben ist, das in der Zucht der Gebote gelebt wird - oder ob das Gegenteil gilt. Simon hat vor der Frau den Vorzug eines durch die Gebote Gottes vor der Zügellosigkeit bewahrten und behüteten Lebens. Simon hat, was. immer man sonst über ihn sagen mag, objektiv zu danken für solche Bewahrung und Behütung, wie der Dank des Pharisäers im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Luk. 18, 9-14) objektiv begründet ist, nur zu begründet ist. Wieder müssen wir uns vor einer Karikatur des Pharisäers hüten. Aber nun ist es offenbar dieser Vorsprung (wie im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner!), der Simon verkennen läßt, was der Grund seiner Existenz ist. Er müßte einsehen, daß er nicht von diesem Vorsprung leben kann: daß die allen Vorsprung überholende Wirklichkeit auch für ihn die Wirklichkeit der Vergebung ist. Gerade sein Vorsprung wird für ihn - paradox - zur Gefährdung. Er begreift die elementaren Proportionen des Lebens des Menschen vor Gott nicht mehr und kündigt deshalb auch die Solidarität, die alle Schuldner miteinander verbindet. Die Frau aber hat - und das ist eine unerhörte Wendung und Umkehrung - ihm gegenüber den Vorsprung, eindeutig zu wissen, daß sie nur von der Vergebung leben kann. Ihre Schuld ist vor ihr und vor aller Welt am Tage. Sie ist mit ihrer Einsicht dem Geheimnis der Existenz des Menschen vor Gott nahe - während Simon ihm fern ist. So sind zuletzt - zwei Welten miteinander konfrontiert. Simon lebt in der Welt »seiner eigenen, der menschlichen, der aktiven, der moralischen, gesellschaftlichen Gerechtigkeit ... (Die Frau) aber lebt in der Welt Gottes, wie sie
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durch Jesus und seine Verkündigung für sie aufgetan ist« (Hans Joachim Iwand). Gerade der »fromme« Pharisäer exerziert ihr vor, daß für sie in seiner Welt kein Raum ist: er läßt sie fallen. Schlatter gibt die Grenze des Pharisäismus einmal so an: daß er »nicht vergeben kann« (Das Evangelium des Lukas 357). Und das macht seine Welt sozusagen unbeweglich, unrevidierbar. Die Frau hat in der Welt der bürgerlichen Gesellschaft keine Existenzmöglichkeit - auch nicht in der Welt der kirchlidlen Gesellschaft, wie man sagen möchte. Und man möchte fragen, ob etwa die kirchliche Gesellschaft immer an der Lektion der Freudenbotschaft (wenn sie in die Wirklichkeit des gelebten Lebens übersetzt w.erden soll!) so schwer zu lernen hat wie Simon. Das Einzige, was die Frau hält, ist der Zuspruch Jesu, der Kredit der Vergebung, das königliche Ja, das Jesus ihr gewährt. Und das ist die einzige Möglichkeit der Existenz des Menschen vor Gott. So begegnet uns im Gleichnis und in der Geschichte einheidich die Radikalität der Freudenbotschaft.
Das Gleichnis vom Säemann (Mark. 4, 1-9· 14- 2 0)
»Und wieder begann er, am Meer zu lehren. Und es sammelte sich eine sehr große Menge um ihn. Deshalb stieg er in ein Boot und ließ sich nieder, umgeben vom Meer, während sich die ganze Menge am Ufer auf dem Land befand. Und er lehrte sie vieles in Form von Gleichnissen. Und er sprach zu ihnen, als er sie lehrte: Hört zu! Siehe, es ging ein Säemann aus, zu säen. Und beim Säen fiel einiges auf den Weg, und die Vögel kamen und pickten es auf. Anderes fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Ackerkrume hatte, und es ging sofort auf, weil es keine tiefe Erde hatte. Als dann die Sonne aufging, wurde es (von der Glut) verbrannt, und weil es nicht (genug) Wurzel hatte, vertrocknete es. Wieder anderes fiel zwischen die Dornen, und die Dornen gingen auf und erstickten es, und es brachte keine Frucht. Anderes endlich fiel auf gutes Land, ging auf, wuchs und brachte Frucht. Und es trug dreißigfach und sechzigfach und hundertfach. Und er sagte: Wer Ohren hat, zu hören, der höre! Der Säemann sät das Wort. Die auf dem Weg aber sind die, bei denen das Wort gesät wird, und wenn sie es hören, kommt sofort der Satan und nimmt das Wort weg, das in sie gesät ist. Und entsprechend sind die auf das Felsige Gesäten die, die das Wort sofort mit Freuden aufnehmen, wenn sie es hören, aber sie schlagen nicht Wurzel, sondern sznd Menschen des Augenblicks. Nachher, wenn es um des Wortes willen zu Druck oder Verfolgung kommt, nehmen sie sofort Anstoß. Und andere sind die unter die Dornen Gesäten. Das sind die, die das Wort hören, aber die Sorgen der Welt und die verführerische Macht des Reichtums und die sonstigen begehrlichen Wünsche dringen (in sie) ein und er-
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sticken das Wort, und es bleibt ohne Frucht. Und die auf das gute Land Gesäten sind die, die das Wort hören und es aufnehmen und Frucht tragen, dreißigfach und sechzigfach und hundertfach.« Das Gleichnis vom Säemann kommt bei allen drei Synoptikern vor, und die verschiedenen Fassungen des Gleichnisses weichen relativ wenig voneinander ab. Zu eigentlichen Sinnvarianten kommt es nicht. Die Seeszenerie, die Markus voraufschickt - ob ihm vorgegeben (Rudolf Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition 19312 )66) oder ihm selbst zuzuschreiben (W. Marxsen, Redaktionsgeschichtliche Erklärung der sogenannten Parabeltheorie des Markus ZThK 1955 262) -, ist bei Matthäus übernommen, bei Lukas aber nicht. Lukas ist im allgemeinen etwas knapper. Erscheint der Ertrag der Ernte bei Markus in aufsteigender und bei Matthäus in absteigender Reihe: dreißig-, sechzig-, hundertfältig / hundert-, sechzig-, dreißigfältig, so spricht Lukas nur von einem hundertfachen Ertrag. Man mag mit Wolfgang Schrage sagen, daß sich »die drei synoptischen Gleichnisformen nicht sehr wesentlich unterscheiden« (Das Verhältnis des Thomas-Evangeliums zur synoptischen Tradition und zu den koptischen Evangelienübersetzungen 1964 44) und mit Adolf Schlatter die Veränderungen, die Lukas gegenüber Markus vornimmt, für »gering« halten (Das Evangelium des Lukas 1931 76). Schlatter erkennt bei Lukas sprachlich oft eine »Hellenisierung des Ausdrucks« (75). Jacques Dupo,nt sieht die lukcmische Version mit einem besonderen Akzent versehen. Wir hoben schon hervor: die Seeszenerie entfällt bei Lukas und der Schluß des Gleichnisses ist knapper gehalten. Aber nach Dupont ist eine couleur originale (eine eigene Färbung) bei Lukas erkennbar, wenn man auf die themes essentiels achtet, sur lesguels Lue insiste (auf die wesentlichen Themen, die Lukas besonders betont). Sie werden in Luk. 8, 1) faßbar. Nur Lukas hat hier die Begriffe pisteuein und peirasmos, wie nur er in 8, 15 von hypomone spricht. So gilt, la foi et la eonstanee dans I' epreuve lui sont partieuliers (Der Glaube und die Standhaftigkeit in der Versuchung sind für ihn charakteristisch): Jacques Dupont, La Parabole du Semeur dans la version de Lue (Festschrift für Ernst Haenchen 1964 97-108.108). Zur Seeszenerie ist zu sagen, daß sie keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Gleichnisses zeigt (wie etwa im Gleichnis vom barmherzigen 1.
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Samariter der Weg von Jerusalem nach Jericho zum Ortskolorit des Gleichnisses gehört und deshalb nach Schlatter ursprünglich einen Jerusalemer Rabbi zum Adressaten gehabt haben könnte (wie das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner das Jerusalemer Orts kolorit voraussetzt, Luk. 10, )0-)7 und 18, 9-14). Das dürften die beiden einzigen Gleichnisse sein, die in ihrer Szenerie ortsgebunden sind, während die »Seeszenerie des Markus« bei Lukas wegfallen kann, ohne daß das Verständnis des Gleichnisses darunter leidet (Karl Ludwig Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu 1919 129). Eine »unmittelbare Beziehung zur Landschaft« ist bei unserem Gleichnis auch nach Wilhelm Michaelis nicht gegeben (Es ging ein Säemann aus, zu säen 19)8 2)). Daß das Meer bei Markus eine »mythische Größe« sei und zur »Epiphanie Jesu« gehöre (wie Johannes Schreiber meint), vermag ich nicht wahrzunehmen. »Seine (Jesu) Lehre am Meer wird durch seinen Aufenthalt am Meer und auf dem Meer verbürgt und damit für die Kirche verbindlich« (Theologie des Vertrauens 1967 204 ff. 209). Ich füge die Parallele aus dem Thomas-Evangelium (Logion 9) gleich an:
»Jesus sprach: Siehe, der Säemann kam heraus. Er füllte seine Hand, er warf. Einige (Körner) fielen auf den Weg. Es kamen die Vögel, pickten sie auf. Andere fielen auf den Fels und sandten nicht Wurzeln in die Erde hinab und trieben nicht Ahren in die Höhe. Und andere fielen auf die Dornen. Sie erstickten den Samen, und der Wurm fraß sie. Und andere fielen auf das gute Land, und es brachte gute Frucht hervor. Es brachte sechzigfach und hundertzwanzigfach« (Qbersetzung von Ernst Haenchen). Im Grundriß bleibt die Fassung des Thomas-Evangeliums (das nur das Gleichnis enthält) mit den synoptischen Texten verwandt. Joachim leremias sieht in den Änderungen, die im Thomas-Evangelium vorliegen, nur »Ausschmückungen« (Die Gleichnisse Jesu 19626 24)' Auch Wolfgang Schrage möchte die von den Synoptikern »abweichenden Züge« nur als »sekundäre Ausmalung« werten (Das Verhältnis des Thomas-Evangeliums zur synoptischen Tradition und zu den koptischen Evangelienübersetzungen 1964 42-48). Im übrigen ist die Antwort auf die Frage, wie das Gleichnis im Rahmen des Thomas-Evangeliums zu interpretieren ist, nicht leicht. Verrät sich eine typisch gnostische Kontur 7 Auch Schrage verbleibt im Fragen nach der Antwort, wenn er auch äu-
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ßert, daß das gute Land »den Gnostiker symbolisieren« solle, womit für Schrage gegeben ist, daß das Thomas-Evangelium nicht auf eine den Synoptikern gegenüber ältere Tradition zurückgreift, vielmehr das Gleichnis schon im Thomas-Evangelium an der sekundären Verschiebung ins Psychologische und Paränetische teilhat (eine Verschiebung, wie sie Joachim Jeremias für die Interpretation der Deutung im Verhältnis zum Gleichnis beobachtet). Aber eindeutig gnostische Elemente sind auch für Schrage schwer erkennbar. Damit, daß »die veränderten Zahlenangaben mit bestimmten Äonenspekulationen in Verbindung stehen«, ist »kaum ernsthaft zu rechnen« (aaO 47 15 48). Bringt nur der Gnostiker Frucht, so ist er es, der» Wurzeln hinab in die Erde (sendet)« und »Ähren in die Höhe treibt«. Ich beginne mit dem Gleichnis und sehe von der Deutung, die in Mark. 4, 1.4-20 folgt, zunächst ab. Das ist freilich nicht ganz einfach, denn diese Deutung ist uns so geläufig, daß wir sie von vornherein wie selbstverständlich mithören. In der homiletischen Verwendung gehen in der Regel Gleichnis und Deutung unmerklich ineinander über: es wird über die Deutung gepredigt (so auch z. B. von Helmut Thielicke in seinem Band: Das Bilderbuch Gottes 1.957). Aber die Deutung ist selbst schoneine frühe Predigt über den Text des Gleichnisses, wie sich uns noch ergeben wird, eine Predigt, die einer jüngeren Überlieferungs schicht als das Gleichnis angehört. Wird über die Deutung gepredigt, so wird über eine Predigt (über den Text des Gleichnisses) gepredigt! So stoßen wir schon im ältesten Evangelium auf das Problem von Tradition und Interpretation, ohne das die synoptische Überlieferung nicht zu denken ist. Die in den synoptischen Evangelien aufgenommenen Traditionen können ganze Traditionsschichten durchlaufen, wennschon ihre Vorgeschichte nicht immer erfaßbar ist. Daß das Gleichnis und die Deutung überlieferungsgeschichtlich voneinander abzuheben sind, ist längst gesehen. Ich nenne von früheren Exegeten nur etwa Johannes Weiß, der die Deutung einer späteren Gemeindetheologie zuwies. Was in der Deutung gesagt sei, sei zwar »aus der Erfahrung geschöpft und immer wieder an der Erfahrung zu erproben«. Johannes Weiß spricht von der Deutung als einer trefflichen und geistvollen Auslegung. Das Gleichnis selbst aber fordere gar keine Auslegung, und die Auslegung, wie sie in der Deutung vorliege, sei (bei al2.
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ler Anerkennung, die Johannes Weiß ihr zuteil werden läßt) doch »keineswegs die einzig mögliche und notwendige« (Die Schriften des Neuen Testamentes 19072 112 f). Aber auch für Julius Wellhausen war in der Deutung die Situation der Gemeinde vorausgesetzt (Das Evangelium Marci 19092 )2). Ähnlich entschied sich auch sChon Kar! Ludwig Schmidt: »Die allegorisierende Deutung . . . erscheint jünger als die Gleichniserzählung selbst« (aaO 1)2). ). Das Gleichnis ist in seinem Aufriß durchsichtig. Man möchte von einer szenisch gegliederten Pantomime sprechen. Nur .der eine Säemann betritt die Szene, ohne ein Wort zu sagen, während in den synoptischen Gleichnissen sonst Menschen im Dialog oder Monolog das Wort nehmen, mithin mehrere Figuren vorkommen, die >Sprechrollen< haben. Aber diese (betont figurenarme) Form wiederholt sich, was wichtig ist, innerhalb von Mark. 4 im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mark. 4, 26-29) - wie .auch im Gleichnis vom Senfkorn (Mark. 4, )0-)2), mit dem Unterschied, daß im letzten Gleichnis jede menschliche Figur fehlt. Das dürfte aber fast zufällig sein, weil der fehlende Säemann (beim Gleichnis vom Senfkorn) in den Parallelen bei Matthäus und Lukas wieder begegnet und das Senfkorn seinem »Acker« (Matthäus) oder seinem »Garten« (Lukas) anvertraut. Die Struktur des Gleichnisses wird davon nicht berührt. Es legt sich aber die Frage nahe, ob der Säemann jeweils und so auch in unserem Gleichnis (Mark. 4, )-9) eine entscheidende Rolle spielt. Er bleibt, worauf ich schon hier verweise, in der Deutung des Gleichnisses in Mark. 4, 14-20 ungedeutet (was schon Adolf Schlatter hervorhob: Markus. Der Evangelist für die Griechen 19)5 95). In der Linie unserer Erwägungen liegt es, wenn Eugen Biser von der »peripheren Gestalt« des Säemanns spricht (Die Gleichnisse Jesu 1965 511 i zur Sache vgl. ferner Eta Linnemann 19611 120. 175 2 und Ernst Haenchen aaO 16), aber auch Birger Gerhardsson, The Parable of the Sower NTS 14 1968 175. 180). Das könnte heißen, daß nicht der Säemann, sondern . . . allein der Vorgang des Säens akzentuiert ist, und zwar in allen drei Saatgleichnissen von Mark. 4. So können wir schon hier die Kontrollfrage aufwerfen: Welche überschrift fügt sich zu unserem Gleichnis? Das Gleichnis - vom Säemann? Oder etwas korrigiert: vom »unverzagten Säemann« 0. Jeremias 1)0)7 Oder eher: vom »ungesicherten Säemann« (Ernst Fuchs, Hermeneutik 1954 224)7 Vom »ge-
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plagten Bauern« (Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Markus 1967 48)? Oder vielleicht: vom viererlei Acker (in der Linie oft geübter Interpretation, die Wolfgang Schrage übrigens schon, gnostisch akzentuiert, für das Thomas-Evangelium vermuten möchte, aaO 47 15)? Oder: »von der Aussaat« (Eugen Biser aaO 51)? Oder: vom »verschiedenen Schicksal der Saat« (Ernst Haenchen 10))? »Gott fragt nicht nach Rentabilität« (Johannes Kuhn, Das Neue Testament für Menschen unserer Zeit 1964 1) 2)? Oder trifft das alles den ursprünglichen Sinn des Gleichnisses nicht? Bleibt das Gleichnis so immer noch zu sehr im Schatten der Deutung? Wir werden sorgsam zu fragen haben, wenn wir der ursprünglichen Pointe des Gleichnisses auf die Spur kommen wollen. Ist die Figur des Säemanns unbetont, so ist um so mehr die Szenenfolge betont. Präziser gesagt: Ein Geschehen läuft hier gleichnishaft ab, wie das für die synoptischen Gleichnisse durchgängig gilt. Gleichnisse sind keine stehenden Bilder, sondern >Geschichten<. Der größeren oder geringeren Ausführlichkeit, mit der ein Gleichnis erzählt ist, kommt kaum eine tiefergreifende Bedeutung zu. Daß Gleichnisse im Lauf der Überlieferungsgeschichte >kürzer< wurden, wird vorgekommen sein. So hat z. B. Paul Gaechter S. J. zu den beiden Gleichnissen vom Schatz im Acker und von der kostbaren Perle bemerkt: »Schon in der frühesten Tradition wurden die beiden Parabelerzählungen auf ihr Skelett reduziert« ~Kommentar zu Matthäus 1962 457). Ausgesprochene Kurzgeschichten liegen z. B. auch in Luk. 14, 28-)0. )1-)2 vor (Vom Bauen und vom Kriegführen). Knapp bleibt der Stil fast immer. Eine relative Breite innerhalb eines Gleichnisses pflegt die Pointe des Gleichnisses zu signalisieren. Erzählt man ein Gleichnis nach, so ist für alles (homiletische oder katechetische) Ausmalen zu bedenken, daß die Pointe nicht verfehlt werden darf, daß alles Ausmalen textnah bleiben muß und nicht beliebigen novellistischen Einfällen verfallen darf. So dürfte doch Andre Gides Erweiterung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn um die Gestalt eines dritten (jüngeren) Bruders, der nach der Rückkehr des verlorenen Sohnes mit dessen Zustimmung das Zuhause verläßt - ein novellistischer Einfall sein, der die Pointe völlig verbiegt (»Du nimmst alle meine Hoffnungen mit dir ... Mögest du nie wiederkommen ... «). Der Eindruck, der beim Gleichnis vom Säemann zunächst entsteht, ist kaum verwischbar : daß die Mühe des Säemanns dreimal nacheinander vergeblich ist - handelt es sich doch dreimal um Varianten des Mißer-
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folgs. Was auf den Weg fällt, was auf den Fels fällt, was unter die Dornen fällt - ist umsonst gesät. Das ist der beschwerende >Refrain<. Ernst Fuchs meint: »Die Ausfälle bei der Saat werden erst in der Deutung hervorgehoben« (Zur Frage nach dem historischen Jesus 19652 348). Das scheint mir nicht zuzutreffen. Die Ausfälle gehören zur Aussage des Gleichnisses selbst. Das alles ist mit hoher Plastik erzählt. Die drei Würfe sind nicht (allegorisch) auszudeuten, sowenig wie z. B. die drei Varianten der Absage der Einladung im Gleichnis vom großen Abendmahl (Luk. 14, 18-20). Sie addieren sich in ihrer (erzählungs technisch zu verstehenden) Dreizahl zu einer bedrängenden Bilanz. Wie ein Wunder nimmt sich der Schluß aus - der Schluß, der das ganze Gleichnis >trägt<: daß auch Saat auf guten Boden fällt, aufgeht, wächst, Frucht bringt, Frucht, die alle Erwartung übersteigt (vgl. Eduard Lohse, Die Gottesherrschaft in den Gleichnissen Jesu, EvTh 1958 150). Das ist das von Rudolf Bultmann und Martin Dibelius von Axel 01rik übernommene Gesetz des >Achtergewichts< : »das Wichtigste wird zuletzt geschildert« (Rudolf Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition 207). 4. Daß bei unserem Gleichnis gefragt wird, ob es, verglichen mit palästinischer Bodenkultur, wirklichkeitsnah sei, ist begreiflich. Julius Schniewind hat diese Frage verneint und das Gleichnis als Groteske verstanden. »Auch in Palästina wäre ein Bauer, der dreiviertel seiner Saat verlorengehen ließe, grotesk. Aber vielleicht hat Jesus dies Groteske gerade gemeint? !« (Das Evangelium nach Markus 74). Ich will gleich sagen, daß Schniewinds Sicht nicht von vornherein abgewiesen werden kann. Unter den synoptischen Gleichnissen dürfte es in der Tat Grotesken geben. Jülichers Tendenz ist offenbar nicht ganz bejahbar: »Seine Gleichnisse berufen sich nur auf Altbekanntes und Unbestreitbares, seine Fabeln malen uns Bilder aus dem Leben so deutlich und so treu hin, daß wir kaum merken, wie es nur Bilder sind, und seine Beispielerzählungen halten sich streng auf dem Boden der Wirklichkeit« (aaO 162; vgl. den ganzen Zusammenhang). Man muß dabei freilich Jülichers Akzent (gegen alle allegorisierende Auslegung) heraushören. Aber seine Formulierung geht zu weit (nicht seine Intention). Ich möchte dagegen, auf der Linie der überlegungen von Julius Schniewind, meinen: Oft genug gerät ein Gleichnis in seiner sogenannten Bildhälfte an den Rand des Alltäglichen.
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Wer kann z. B. in dem Bankier von Luk. 7, 4:1-43 eine gängige Figur sehen, wenn er dem einen Schuldner 50 und dem anderen gar 500 Denare schenkt (nicht stundet!). Seine Bank ginge morgen bankerott. Immer ist bei den Gleichnissen federführend, was gesagt werden soll. Was gesagt werden soll, stammt aber nicht aus dem Alltag der Welt und entspricht deshalb auch nicht ohne weiteres dem Alltag der Welt. Das ist dann mit Händen zu greifen, wenn es im Rahmen eines Gleichnisses zum ausdrücklichen Protest gegen das kommt, was geschieht - so z. B. im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg oder im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Matth. 20, :1-:16 und Luk. :15, :1:1-)2). Selbstverständliches sagen die Gleichnisse nie. Das lassen höchstens wir Ausleger sie sagen. Und man muß diesem Sachverhalt (mit Günther Bornkamm) entnehmen: »Mitten in diese so vertraute und alltägliche Wirklichkeit des Lebens (wird) die gar nicht vertraute und alltägliche Wirklichkeit der Herrschaft Gottes hineingeschrieben. Diese Schrift zu lesen ist übrigens nicht jedermanns Sache und nicht schon jedem beschieden, der sich in dieser alltäglichen Welt auskennt« (Jesus von Nazareth :1956 64). Das heißt in knapper Formel: Nur mit Vorsicht läßt sich das Gleichnis als >Griff in den Alltag< verstehen.
5. Aber es fragt sich, ob Schniewinds Ansatz für unser Gleichnis gilt. Ich ziehe den Auslegungsversuch vor, der etwa von Gustaf Dalman, Wilhelm Michaelis und Joachim Jeremias vertreten und begründet ist (und auch von Ernst Haenchen und Eduard Schweizer aufgenommen worden ist): daß das Gleichnis Zug um Zug dem »Regelfall des Säens« entspricht. Vorausgesetzt ist dabei eine Saattechnik, bei der gesät wird, bevor man pflügt. Aber es bedarf des Details: »Der Säemann schreitet ... über das ungepflügte Stoppelfeld; nun wird begreiflich, warum er auf den Weg sät: absichtlich besät er den Weg, den wohl die Dorfbewohner über das Stoppelfeld getreten haben, weil er mit eingepflügt werden soll. Absichtlich sät er auf die Dornen, die verdorrt auf dem Brachfeld stehen, weil auch sie mit umgepflügt werden sollen. Und daß Saatkörner auf das Felsige fallen, kann jetzt nicht mehr überraschen: die Kalkfelsen sind von dünner Ackerkruste bedeckt und heben sich kaum oder gar nicht vom Stoppelfeld ab, bevor die Pflugschar knirschend gegen sie stößt« (Joachim Jeremias aaO 5 f). Jeremias hat seine Auslegung in den New Testament Studies :1) :1966/67 bedeutsam ergänzt und erneut belegt: Palä-
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stinakundliches zum Gleichnis vom Säemann (48-5)). Ich denke, gerade die Einzelzüge unseres Gleichnisses werden so erhellt, ohne daß auch nur entfernt eine allegorische Deutung entstünde. Was sich zeigt, ist dies: »daß nicht ein nachlässiges oder ungeschicktes Säen des Landmannes vorausgesetzt ist, bei dem Saatgut vergeudet wird, sondern der für Palästina normale Vorgang des Säens« (aaO 52). Daß bei solchem Saatverfahren Risiken gegeben sind, ist selbstverständlich zu sagen - wenn man nicht lieber von den in der Bildhälfte gerade betonten Risiken sprechen will. Denn risikolos kann nicht gesät werden. Den Acker ohne Dornen und Steine gibt der palästinische Boden nicht her! Darf man noch sagen: Das ist der Gen. ) >zugesagte< Acker? Der Acker Adams? »Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen« (Gen. ), 17-18). Das ist der wirkliche Acker Palästinas! Ähnlich hat sich Wilhelm Michaelis für den Regelfall als Voraussetzung des Gleichnisses eingesetzt. Die Einzelheiten sind keine gewaltsame Konstruktion, sondern »getreue Wiedergabe wirklicher Verhältnisse, wie jedermann damals sie kannte und bestätigen mußte«. Michaelis bezieht sich dabei auf die Bodenbeschaffenheit: auf das galiläische Bergland, auf den Gebirgskessel von Nazareth und auf die Gegend am See von Tiberias ... auf die schmalen Feldfluren, »die unter unendlicher Mühe bestellt werden müssen, wo die Disteln übermannshoch emporschießen und anderes Unkraut sich fast unausrottbar breit macht« - im Unterschied etwa zur reichen und fruchtbaren Ebene /esreel, für die andere Bedingungen gelten (aaO 27). Und daß es so beim Säen zugeht, bekommt bei diesem Ansatz spürbar die Kraft eines Argumentes: Ihr wißt doch, wie das ist . .. mit wieviel Faktoren ein Bauer bei der Saat rechnen muß, die das Aufgehen und Fruchttragen der Saat erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Die Risiken sind unaufhebbar. Aber nun ist zu beachten, daß wir eben so im Rahmen möglicher Erfahrung bleiben. Es ist kaum unwichtig, daß wir auch bei den bei den anderen Gleichnissen von Mark. 4 (Selbstwachsende Saat und Senfkorn) im Rahmen möglicher Erfahrung bleiben. Auch bei ihnen kann von grotesken Elementen nicht gesprochen werden. Die auffällige Parallelität in der Struktur innerhalb der» Trilogie« der Saatgleichnisse (Adolf Jülicher aaO 580) legt, wie ich meine, die Auslegungslinie von Dalman-Michaelis-Jeremias nahe. Die Nachbargleichnisse stel-
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len sich als wichtiger Kontext für unser Gleichnis heraus. Auch Martin Dibelius nennt als Parallelen unseres Gleichnisses »die Gleichnisse vom Senfkorn und Sauerteig«, von denen das vom Sauerteig nicht bei Markus, aber bei Matthäus und Lukas vorkommt (Die Formgeschichte des Evangeliums 19))2 257). Immer handelt es sich um Wachstumsgleichnisse, wie Charles Harold Dodd sie genannt hat (The Parables of the Kingdom 19)5119467 175 ff). Ich füge die Übersetzung der Gleichnisse hier an: »Mit der Herrschaft Gottes verhält es sich, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft, und er schläft und steht auf, Nacht und Tag. Und der Same sproßt und wird groß, er weiß selbst nicht wie. Von sdbst bringt das Land Frucht, erst Halm, dann Ahre, dann den vollen Weizen in der Ahre. Wenn aber die Frucht es zuläßt, dann >schickt er die Sichel, denn die Ernte ist da<. Wie verhält es sich mit der Herrschaft Gottes oder welches Gleichnis sollen wir für sie wählen? Es verhält sich mit ihr wie mit einem Senfkorn, das, wenn es aufs Land gesät wird, kleiner ist als alle Samenarten auf Erden, und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alles, was im Garten wächst, und treibt mächtige Zweige, so daß die Vögel des Himmels unter seinem Schatten nisten können.« Ich denke, daß die Parallelität in der Struktur dieser Gleichnisse auf der Hand liegt. Sie dürften aber auch in dem, was sie sagen wollen, einheitlich zu interpretieren sein. Kar! Georg Kuhn hat zum Akzent des Senfkorn- und des Sauerteiggleichnisses (Matth. 1), )1-))) bemerkt, daß ihre Pointe lautet: »Was jetzt geschieht, bricht durch als das Kommende« (ZThK 1952 220). 6. Aber was ist der Sinn unseres Gleichnisses? »Das Gleichnis ... gibt sich so einfach und klar, daß Schwierigkeiten des Verständnisses überhaupt nicht vorliegen« - konnte Johannes Weiß noch sagen und den Sinn des Gleichnisses im »Glauben an einen Erfolg unserer Arbeit« sehen, wobei Johannes Weiß an den Erfolg jeglicher Arbeit dachte (aaO 109). Aber diese Auslegung dürfte heute kein Exeget mehr vertreten. Der Erfolg jeglicher Arbeit - das ist für uns ein längst problematisch gewordenes Pathos. Wie wäre es auch zu begründen? Daß es unbegründbar ist, hätte sich schon früh aus dem unüberbietbar nüchternen Text des Koheletbuches lernen lassen: »Alles ist ja nichtig und ein Haschen nach
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Wind. Verhaßt wurde mir all mein Mühen, womit ich mich abmühe unter der Sonne. Muß ich es doch einem anderen, der nach mir kommt, überlassen. Und wer weiß, ob es ein Weiser oder ein Tor sein wird? Und doch wird er schalten und walten mit allem, wofür ich Mühe und Weisheit aufwandte unter der Sonne. Auch das ist nichtig. Und so kam ich dazu, an allem zu verzweifeln, worum ich mich abgemüht hatte unter der Sonne ... Denn was hat der Mensch von all dem Mühen und Streben, womit er sich abmüht unter der Sonne? Sein Leben' lang hat er nur Schmerzen und Verdruß, auch bei Nacht hat sein Herz keine Ruhe ... « (so Koh. 2, :17b-20. 22-2)a.b). Rudolf Bultmann hat, was die Möglidlkeit der Auslegung unseres Gleichnisses angeht, grundsätzlich seine Skepsis geäußert. Wie bei vielen Gleichnissen, sei auch bei unserem »der ursprüngliche Sinn unerkennbar geworden« (aaO 2:16). Ähnlich urteilt Erich Gräßer (Das Problem der Parusieverzögerung :1957 :14) f). Eta Linnemann verzichtet deshalb auf jede Auslegung (Gleichnisse Jesu :196:1 :12). :175 15). Diese Vorsicht macht nachdenklich. Weiterzukommen wäre nur, wenn wir es wagen könnten, die Nachbargleichnisse mitreden zu lassen. Ich muß dabei das Tastende unseres Auslegungsversuchs betonen. Schon Adolf Schlatter hat die von uns berührte Parallelität der Nachbargleichnisse unterstrichen (aaO :106). Das dürfte uns auf die Spur des Verständnisses bringen, das Markus selbst oder noch eher schon die von ihm aufgenommene Tradition hatte. Weiter zurückzugreifen scheint kaum möglich zu sein (vgl. auch Jülicher aaO 5:14 f). Dabei wäre (mit Ernst Haenchen) vorausgesetzt, daß die drei Gleichnisse schon in der mündlichen Tradition aufeinander folgten (aaO :16:1 2). Das ist aber auch die Annahme von Joachim Jeremias (aaO :105). Was die Gleichnisse von Mark. 4 verbindet, ist ihre Struktur. Sie sind Wachstumsgleichnisse. Und immer haftet die Pointe an dem Kontrast zwischen Anfang und Ende: an dem Kontrast, der nicht im Sinn einer allmählichen, unaufhaltsamen Entwicklung aufgelöst werden darf, wie man es lange tat. Dann wäre hier nur ein (zudem problematisches) Gesetz der Geschichte, aller Geschichte, formuliert. Etwa: daß alles in der Welt sich aus kleinen Anfängen entwickelt und daß aller Anfang schwer ist. Rudolf Bultmann hat einer solchen Sicht gegenüber mit Recht betont, daß» Wachstum und Reifen der Saat« ... als »etwas Wunderbares« zu verstehen sei und so zum Gleichnis der Gottesherrschaft als des» Wunderbaren schlechthin« würde (Jesus :1926 )6).
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Akzentuiert ist zu deutlich der Kontrast zwischen dem unscheinbar geringen, ja verborgenen Anfang und dem unbegreiflich großen, ja überwältigenden Ende. Was dazwischen liegt, bleibt unerwähnt. Besonders deutlich wird das im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mark. 4, 26-29). Die Gleichnisse wollen in ihrer Aussage ganz und gar perspektivisch verstanden werden. Was in der Gegenwart geschieht, verbirgt die Zukunft sub contraria specie, birgt sie aber in sich. Was unser Gleichnis zusagt, ist Gottes alle Geringheit der Gegenwart überholendes eschatologisches Handeln. In diesem Sinn wird der Rhythmus von Saat und Ernte zum Gleichnis für den Rhythmus des kommenden Reiches. Der Rhythmus von Saat und Ernte hat sich dem palästinischen Bauern tief eingeprägt. In Geser ist 1908 auf einer kleinen Kalksteintafel ein alter Bauernkalender gefunden worden, der die in den einzelnen Monaten anfallenden Feldarbeiten nennt: »Der Monat für das Einheimsen. Der Monat für die Saat. Der Monat für die Spätsaat. Der Monat für das Flachshacken. Der Monat für die Gerstenernte. Der Monat für die Ernte alles übrigen. Der Monat für den Rebenschnitt. Der Monat für die Obsternte« ... Dieser landwirtschaftliche Kalender dürfte ins 10. Jahrhundert vor Christus gehören. Man muß freilich begreifen, daß der Rhythmus von Saat und Ernte (eben der Rhythmus des zweigeteilten Jahres, wie der Palästiner es kennt) biblisch Gottes Garantie für den Menschen ist: »Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht« (Gen. 8, 22). Was aus dieser Garantie herauszuhören ist, ist nicht ein biologisches Gesetz. Das wäre (biblisch!) eine Abstraktion. Von Gott selbst wäre dabei abstrahiert. Gottes schöpferliche Güte wäre vergessen, während das Gleichnis, wenn es von Saat und Ernte spricht, an Gottes unbegreifliche Güte erinnert, von Gottes Güte her argumentiert, in der er als der Schöpfer die Welt in seinen Händen hält. Das Handeln Gottes des Schöpfers wird zum Gleichnis seines eschatologischen Handeins. 7. Für das Verständnis des Gleichnisses ist die Erinnerung an den Rhythmus von Saat und Ernte als Zusage Gottes entscheidend. Dabei hängt alles an der biblischen Sicht der Dinge. Ich verdeutliche das noch an Hand einiger Sätze Gerhard von Rads, die er im Zusammenhang der Frage nach dem Weltbild Israels formuliert hat: »Weil ... die Welt für Israel
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als Schöpfung von Gott umgriffen und durchwaltet war, konnte die Welt nie als etwas für sich selbst Existentes, das auch nur einen Augenblick abgesehen von Gott zu verstehen war, angeschaut werden«. Der Begriff der »Natur«, wie wir ihn verwenden (man braucht nur an den unter uns gängigen Sprachgebrauch zu denken, nach dem z. B. >die Natur sich selbst hilft<), erscheint von Rad ungeeignet, wenn die biblische Aussage umschrieben werden soll. Denn er legt die »Vorstellung von etwas statisch für sich Seiendem, für sich Funktionierendem« nahe. Wir müssen vielmehr versuchen, »die Welt in Sicht zu bekommen, die etwa der 104. Psalm im Auge hat, eine Welt, unablässig der Fristung durch Gott bedürftig und teilhaftig ... Diese Welt war vermutlich etwas viel Abgründigeres, als die, die wir in unserem Naturbegriff unterzubringen gewöhnt sind, und war nur im Blick auf ihren Schöpfer und sein Walten zu verstehen und zu bestehen. Es war Israels Glaube, der es ermächtigt hat, die Welt als Welt zu verstehen« (Aspekte alttestamentlichen Weltverständnisses EvTh 1964 57 ff. 6]). Irh verweise zur Sache auch auf Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments II 1965 445 und Hans-Joachim Kraus, Der lebendige Gott EvTh 1967 169-200. Wenn der Rhythmus von Saat und Ernte im Gleichnis vom Säemann zum Gleichnis für den Rhythmus des kommend~n Reiches wird, so knüpft die Verheißung des kommenden Reiches an Gottes schöpferliche Güte an, so verknüpft das Gleichnis Gottes Handeln mit Gottes Handeln. Gottes Handeln hat seine Analogie in Gottes Handeln. Als Ausdruck der unbegreiflichen Güte des Schöpfers, der sich des Menschen annimmt, erscheint auch in der Bergpredigt Gottes Handeln, der »seine Sonne aufgehen (läßt) über Böse und Gute und regnen (läßt) über Gerechte und Ungerechte« (Matth. 5, 45). Bei Sonne und Regen ist an das Wachsen des Korns auf dem Acker zu denken, das allein Gott schenkt, kurz gesagt: an das tägliche Brot, das aus Gottes Hand kommt. Der Sinn unseres Gleichnisses hängt an einem Credosatz : Gottes Handeln ist in Gottes Handeln begründet. Gottes Handeln hat an Gottes Handeln sein Gleichnis. So lebt die übergroße Verheißung, die das Gleichnis verkündigt, vom Wissen um das, was der Schöpfer vermag. Schöpfung und Eschatologie gehören zusammen. Der Gott, der Himmel und Erde erschafft und erhält, schafft auch den neuen Himmel und die neue Erde. Verblaßt das Wissen um den Schöpfer, so verblaßt auch die Eschatologie. Die Gottesfrage ist die Frage nach dem, was Gott vermag.
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8. Wer ist der Adressat des Gleichnisses? Die (in den Evangelien keineswegs diskreditierten) Massen des Volkes oder der Jüngerkreis? Oder vorerst heide? Orientieren wir uns am Gleichnis selbst, so scheint doch die zweifelnde oder verzweifelnde Frage angesprochen zu sein, die uns auch als Frage Johannes des Täufers begegnet (Matth. 11, 2-6), die Frage der Anfechtung, die angesichts der Geringheit der Anfänge entsteht: »Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?« Das ist eine radikale Frage. Sie setzt, was gesehen werden muß, einen eschatologischen Horizont voraus, einen ausgesprochenen Horizont äußerster Erwartung: Erwartung der neuen Welt Gottes. Insofern ist die Frage der Anfechtung - nicht die Frage eines Außenseiters, sondern die Frage des höchst Betroffenen, die sachgemäße Frage des Wissenden. Sie stammt, wie begriffen werden muß, aus nächster Nähe. Die Frage wird schnell zu einer ganzen Kette von Fragen: Ist die Welt nicht nach wie vor die alte? Hat sich etwas verändert? Wann bricht Gottes Tag an? Jesus deutet die Chiffren der Geringheit der Anfänge als Chiffren des kommenden Reiches. Im verkennbar Geringen verbirgt sich schon jetzt Gottes kommender Tag. Aber mit den drei Varianten des Mißerfolgs öffnet sich das Gleichnis der Frage der Anfechtung, nimmt es die Anfechtung auf, überspielt es sie nicht, geht es auf sie ein. Das darf nicht verwischt werden. Ist das erkannt, so ist nun auch noch zu betonen: So sehr der Kontrast den Akzent hat, so wenig darf der Zusammenhang von Anfang und Ende, Gegenwart und Zukunft verlorengehen. Darauf hat Günther Bornkamm, in Abwehr einer Überbetonung der Paradoxie des Kontrastes von Anfang und Ende, mit Recht aufmerksam gemacht: »Denn Anfang und Ende, so wunderbar und unbegreiflich es auch sein mag, stehen zueinander in einer sehr bestimmten Beziehung. Aus dem Anfang wird das Ende, aus dem Korn die Frucht, aus der Saat die Ernte«. Günther Bornkamm trifft sich hier mit Nils Alstrup Dahl, der für die Auslegung der Wachstums gleichnisse ebenfalls den Zusammenhang von Anfang und Ende betont (Nils Alstrup Dahl, The Parahles of Growth, in: Studia Theologica 1951 1]2 ff). Auch für Ernst Fuchs sind Gegenwart und Zukunft »in einem festen Zusammenhang« zu denken, »der gleichzeitig die klare Unterscheidung von Gegenwart und Zukunft ermöglicht« (Zur Frage nach dem historischen Jesus 1960 ]44). Eben damit kommt die Bildhaftigkeit der Gleichnisse von Mark. 4
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zum Zuge. Und die in allen drei Gleichnissen anvisierten Anfänge bekommen in ihrer Unscheinbarkeit, Verborgenheit und Kleinheit so Gewicht, sind sie doch so voller Ansage des Kommenden, voller Verheißung des Zukünftigen. Zusammenfassend läßt sich mit Günther Bornkamm sagen: »So ist der Anbruch der Herrschaft Gottes ein unscheinbares Geschehen in dieser Zeit und Welt. Es setzt in dieser Zeit und Welt Zeit und Welt ein Ende« (Jesus von Nazareth 195 6 67). 9. Wie verhält sich dazu die Deutung? Sie nimmt den Indikativ der Zusage auf ... im Imperativ der Mahnung. Denn wir entdecken: Die Deutung ist von vornherein und auf der ganzen Linie in eindrücklicher Geschlossenheit - der Problematik des Hörens zugewandt. Nichts in dieser Welt erscheint so umfassend gefährdet und so vielfältig bedroht zu sein wie das Hören des Menschen auf das Wort. Viermal unterstreicht der Text, daß sein Thema der Hörer ist: Mark. 4, 15. 16. 18. 20. Erst der Hörer und nur der Hörer gerät in die Gefahrenzone hinein, die hier anvisiert ist. Deshalb werden grundsätzlich nicht Typen des Weltmenschen entworfen, der hörunwillig und zugeknöpft ist (wie wir ihn uns oft zurechtlegen und konstruieren), sondern der Mensch in der Begegnung mit dem Wort wird beschrieben, mithin der vom Wort erreichte Mensch, der Mensch in der Kirche, im Risiko seiner Existenz, in der Gefahr seiner Weltverfallenheit. Die Chance des Menschen beginnt in der Begegnung mit dem Wort. Oder anders formuliert: Das Wort in der Begegnung mit dem Menschen bringt die Möglichkeit des Glaubens mit sich, birgt die Möglichkeit des Glaubens in sich - ist das Angebot des Glaubens. Von der Möglichkeit des Glaubens ist nicht abstrakt zu reden, sondern angesichts der Begegnung des Menschen mit dem Wort. Die immer wieder (zuschauerhaft?) gestellte Frage: ob der Mensch glauben könne - ist eine ausweglose Frage. Sie hält sich soz. im Niemandsland auf. Sie nimmt den Ernstfall nicht auf, der in der Begegnung mit dem Wort gegeben ist. Und nun wird im einzelnen Zug um Zug gedeutet. Das verrät den Stil der Allegorie, der im Gleichnis nicht angelegt ist. Ernst Fuchs scheint zu zögern, wenn er die Deutung nur eine »fast allegorische Deutung« nennt (Hermeneutik 213. 225). Für Ernst Haenchen ist die »allegorischmoralische Deutung ... anthropologisch«, weil es in ihr um den Menschen und sein Verhalten gehe, und er faßt zusammen: »Was hier ge-
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fordert wird, das ist das praktische Christentum ... Es kommt auf praktische Bewährung an« (aaO 169 f). Aber diese Auslegung der Deutung dürfte doch zu sehr im allgemeinen verbleiben und der von uns schon gesehenen Thematik (des Hörens) nicht gerecht werden, so richtig es ist, daß es um die Bewährung der Existenz des Christen vor dem Wort geht. Ich begnüge mich mit einer knappen Umschreibung der einzelnen Aussagen der Deutung. Da fällt einiges auf den Weg, und die Vögel kamen und pickten es auf. Daß das Wort - an der Oberfläche bleibt und nicht in den Menschen eindringt, scheint auf den oberflächlichen Menschen zu weisen. Ihn gibt es selbstverständlich nur zu oft: den unkonzentrierten Menschen, der seine Gedanken nicht fünf Minuten bei der Sache haben kann, im Handumdrehen anderswo ist, ständig ablenkbar ist. Oder in anderer Formel: Der Mensch erscheint als der zusammenhanglose Mensch. Er gleicht zum Verwechseln dem >modernen< Menschen, wie wir ihn analysieren zu können und dann begriffen zu haben meinen. Aber er genügt der Dimension nicht, die sich in der Deutung allegorisch abgründig auftut: daß der Gegenspieler Gottes auf der Szene erscheint und dem Hörer das Wort aus dem Kopf schlägt. Der Begriff des oberflächlichen Menschen bleibt - zu oberflächlich. Seine Gefährdung gehört noch einer anderen Ebene an. Man wird an Luthers Rede vom Wort als dem »armen Windlicht Gottes« erinnert, das der Teufel »alle Stunde« ausblasen möchte (WA 50 476). So versteht die Deutung die Eröffnungsszene (4,15). Die Überraschung geht weiter: Selbst wenn das Wort »mit Freuden aufgenommen« wird, bedeutet das keinerlei Garantie, daß es zur Frucht kommt, auch wenn wir das, voreilig, schon als Erfolg buchen. Es ist auch nicht nichts. Aber eine solche Bilanz wäre verfrüht - wie alle optimistischen christlichen Bilanzen? Die Deutung ist uns im Wissen um das Gefährdetsein des Hörers immer noch vorauf. Erst die Probe der Bewährung entscheidet, gibt es doch den Menschen des Kairos, den Menschen des Augenblicks - der ansprechbar, entflammbar, begeisterungsfähig ist, aber keinem Druck standhält. Die Deutung enthält die Prognose, daß der Druck der Welt nicht ausbleibt. Glaube ohne Anfechtung - das kommt nicht vor. Dieser Satz impliziert als Einsicht, daß Anfechtung den Glauben voraussetzt. Nur der Glaube kann angefochten werden. Aber, sagt die Deutung, der Glaube wird gewiß angefochten. Wieder bestätigt sich der Ansatz unserer Auslegung der Deutung, daß die Deutung sich der Problematik des Hörens zuwendet
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(4, 16-1 7). Endlich haftet am Menschen wie sein Schatten die Sorge, die ihn dem Wort gegenüber verschlossen macht, weil sie ihn >beherrscht<. In der Sorge sorgt der Mensch sich um sich selbst und gerät vor die Alternative: sich weiter um sich selbst zu sorgen oder zu begreifen, daß Gott für ihn sorgt und er selbst für sich nicht aufkommen kann. Neben der' Sorge nennt die Deutung die blendende-verblendende Macht des Geldes und den nicht zu bändigenden Lebenshunger des Menschen, seine tausend Wünsche, die ihn zu vermeintlichen Realitäten greifen lassen, die sich als illusionär erweisen. Sie halten nicht, was sie versprechen. Nennt die Deutung hier drei das Hören gefährdende Faktoren nebeneinander, so hängen diese Faktoren doch, wie man sofort verstehen wird, untereinander zusammen, bezeichnen miteinander ein Feld der Gefährdung: ein Koordinatennetz, in dem der Hörer existiert. Man kann diese drei genannten Faktoren, wie es scheint, fast nur zusammen zur Sprache bringen, so sehr sind sie sachlich miteinander verknüpft. Soll man sagen: Sie treffen sich in einem Existenzverständnis bzw. sie umschreiben ein Existenzverständnis, das uns nur zu vertraut ist (vgl. Matth. 6, 19)4)? Aber dies Existenzverständnis, wenn wir es in der Konfrontation mit dem Wort festhalten, erschwert offensichtlich das Hören des Wortes, das für uns allein hilfreiche Annehmen und Festhalten des Wortes (4, 18-20). Was sich in der Deutung vollzieht, ist eine abgründige Apokalypse des Menschen als des Hörers des Wortes, die nicht durch Psychologismen ersetzt werden darf. Denn es geht nidlt um eine allgemeine Interpretation der menschlichen Existenz und insofern nicht um Hörertypen, die dank ihrer vorgeprägten menschlichen Art scheitern - wenn auch von Hörertypen von Johannes Weiß bis zu Ernst Haenchen oft genug die Rede ist. Auch Birger Gerhardsson spricht von Typen bzw. von Gruppen (aaO 175. 180. 18)). Es g~ht, wie ich meine, um prophetische Erhellung der Existenz des Menschen vor dem Wort. Alle Psychologismen bleiben vor dem Horizont der Deutung zurück. Gemessen an ihm, sind sie vordergründig, trotz ihrer oder wegen ihrer Beschwörung eines Innenaspekts. Ich denke, es ist ersichtlich, daß in der Deutung der Akzent, den das Gleichnis hat, sich verschiebt. Das Gleichnis wird in der Deu~ng Wort für Wort zur Mahnung, die das Wagnis des Hörens einschärft und zum wachen Hören ruft. Daß es über dem Hören zur Frucht kommt, erscheint auch hier - man kann es nicht anders sagen - als fast nicht zu erwar-
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tendes Wunder. Aber das Wunder geschieht. So ist auch die Deutung nicht ohne Zusage, nicht ohne Verheißung. Noch einmal überschreitet die Deutung die Grenzen unserer Vordergründigkeit. Ich würde deshalb auch nicht sagen, die Deutung unternähme eine existentiale Interpretation des Gleichnisses, so sehr die Deutung das Problem der Existenz des Menschen (vor dem Wort!) umfaßt. Ich möchte hier anmerken, daß die von mir schon genannte Auslegung des Gleichnisses und der Deutung von Birger Gerhardsson die von uns respektierte überlieferungs geschichtliche Problematik nicht gelten läßt. Gerhardsson hält Gleichnis und Deutung für so konform, daß entweder Gleichnis wie Deutung von Jesus stammen - oder Gleichnis wie Deutung sekundär sind (wobei Gerhardsson selbst mit einer genuinen JesusTradition rechnet). Gerhardsson begründet seine Interpretation damit, daß im Gleichnis und in der Deutung als Folie das spätjüdische Bekenntnis des Schema (Höre, Israel) zu erkennen sei (Text von Deut. 6, 4-9; 1.1., 1.3-21. und Num. 1.5, 37-41.), und zwar in seiner schriftgelehrten (pharisäischen) Auslegung (aaO 1.87. 1.91.). Gerhardsson nennt das the scribal pattern (1.83. 1.87). Das Schema, das zum Leitfaden schon des Gleichnisses wird, spricht bekanntlich von der Liebe zu Gott »von ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit allem Vermögen«. Damit ist die Ganzheit der Liebe zu Gott gefordert, und eben diesen drei Stichworten folgen die drei ersten Szenen des Gleichnisses, sofern sie eine dreifache Gefährdung des Empfängers des Wortes umschreiben. Von daher begreift sich der Akzent, der (besonders deutlich bei Matthäus aaO 1.66) auf das Hören und auf den Hörer fällt. Genau genommen ist deshalb das Ursprüngliche nach Gerhardsson nicht das Gleichnis, sondern das Thema, das in der Deutung entfaltet wird (aaO 1.87). Das Gleichnis ist mithin von vornherein auf die Deutung hin entworfen (aaO 1.91.). Ich brauche nicht zu begründen, daß ich von dieser Auslegung nicht überzeugt bin. Bleibt nicht wieder das Gleichnis gänzlich im Schatten der Deutung? Gerhardssons Erklärung der sprachlichen Differenz zwischen Gleichnis und Deutung kann ich nur für problematisch halten: daß nämlich die frühe Kirche (und schon Jesus) die alte jüdische didaktische Tradition (the ancient Jewish didactic tradition) in ihrer Begrifflichkeit übernommen hätten und daß sich so die sprachliche Eigenart der Deutung schon ergäbe, wenn auch Gerhardsson sieht, daß »die Deutung eine Reihe von Begriffen und Ausdrücken enthält, die in den 'anderen Jesus-
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worten nicht zu finden sind, aber typisch für den didaktischen Stil der frühen Kirche sind« (aaO 190 f). Ich wage noch einige Sätze. Die Deutung bewegt sich in einer Freiheit des Hörens auf den Text des Gleichnisses, zu der es in der ganzen synoptischen Tradition ständig kommt. Erschöpft sich das, was hier zu beobachten ist, in dem, was man die Beweglichkeit und Lebendigkeit der Überlieferung nennen könnte? Ist zumal das Gleichnis »ein Zeichen dessen, was sich selber noch ein Zeichen ist, das soll heißen: was in den Objekten selber noch nicht sich enthüllt, mit sich ganz identifiziert, ohne Rest realisiert ist«, wie Ernst Bloch einmal grundsätzlich zum Gleichnis bemerkt (Tübinger Einleitung in die Philosophie 1964 2 147)7 Weist das Gleichnis schon als solches über sich hinaus? 10.
Ich denke, daß sich im Vorgang der Überlieferung spiegelt, daß der Herr, den die Tradition bezeugt, nicht nur in der Vergangenheit geredet hat, sondern gegenwärtig redet, weil er der gegenwärtige Herr ist. Die Verklammerung von Tradition und Interpretation hat deshalb ihre Voraussetzung in der Christologie. Die Geschichte des Hörens auf das Gleichnis bricht nicht mit den ersten Hörern ab, sondern geht in der Überlieferung weiter. Wir deuteten schon an: Der historische Jesus ist eine Abstraktion, deren sich die Evangelisten nicht schuldig gemacht haben. Der historische Jesus ist für sie der gegenwärtige. So hören die Tradenten der Überlieferung in der Tradition das Wort des Herrn der Gegenwart, so übersetzen sie dIe Tradition für die Gegenwart, in die Gegenwart. Sie können nicht anders. So spitzt sich der Indikativ des Gleichnisses vom Säemann ... in der Deutung zum Imperativ der Mahnung zu. Analoges hat sich immer wieder vollzogen. Der Indikativ wird paränetisch zugespitzt. Indikativ und Imperativ können sich untrennbar verknüpfen. Dem Indikativ entsprid1t ein Imperativ, dem Indikativ entspringt ein Imperativ. Es kann kaum verwundern, daß eine sorgfältige Analyse der sprachlichen Eigenheiten der Deutung dazu führt, die Deutung einer erst jüngeren Überlieferungs schicht zuzuweisen, als sie für das Gleichnis gilt: der Zeit der Urkirche. Das hat in vorbildlicher Sorgfalt Joachim Jeremias in seinem Buch über die Gleichnisse getan, und ich kann mich hier darauf beziehen (aaO 56). Das gleiche Faktum aber ergab sich uns ungewollt
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an Hand unserer Auslegung. Beobachtungen zur sprachlichen Form und zum Inhalt treffen sich hier. Ich fasse zusammen. Die Deutung ist frühe Auslegung des Textes des Gleichnisses. Martin Dibelius hält die Deutung für so früh, »daß man das Gleichnis kaum ohne die Deutung in der Tradition denken kann; als der Text in Umlauf kam, wurde er paränetisch brauchbar gemacht« (Die Formgeschichte des Evangeliums :1933 2 258). Der Evangelist und vor ihm schon die Tradition, die er aufnahm, haben die Deutung Jesus selbst zugeschrieben. Sie hörten sie als sein Wort, enthält doch die Deutung, was das Gleichnis für ihr Hören vorab den Jüngern, vorab der Gemeinde sagt ... was der Sprecher des Gleichnisses ihnen selbst sagt. Die Evangelien sind deshalb, so wie wir sie haben, schon Zeugen der Geschichte des frühen Hörens auf die Jesusüberlieferung, Zeugen früher Erfahrungen im Umgang mit den Texten der Tradition. Die ganze Gleichnisüberlieferung läßt, bewegend genug, erkennen, daß Tradieren der Gleichnisse hieß: die Gleichnisse, wie immer sie ursprünglich adressiert waren, als an die eigene Adresse gerichtet zu verstehen, sie als Wort Jesu an die Gemeinde der Gegenwart zu nehmen - je der Gegenwart, jeder Gegenwart. Gerade so birgt die Überlieferung zugleich unabweisbar den Impuls in sich, sie weiterzugeben. Weitergeben heißt: sie zeugen haft weitergeben. Die biblischen Texte, als Predigt verstanden, rufen zur Predigt auf. D&s ist die primäre Begründung der Predigt. Die Verkündigung entspringt der Verkündigung.
Das Gleichnis von den Arbeitern 1m Weinberg (Matth. 20, 1-16a)
»Denn mit der Herrschaft der Himmel verhält es sich wie mit einem Hausherrn, der in der ersten Frühe ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Und er kam mit den Arbeitern überein auf der Grundlage eines Denars pro Tag und schickte sie in seinen Weinberg. Und um die dritte Stunde ging er aus und sah andere arbeitslos auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht auch ihr in den Weinberg, und was recht ist, will ich euch geben. Und sie gingen hin. Wieder ging er aus um die sechste und neunte Stunde und tat genauso. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere da stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag ohne Arbeit? Sie sagten zu ihm: Niemand hat uns angeworben. Er sprach zu ihnen: Geht auch ihr in den Weinberg. Als es aber Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Rufe die Arbeiter und zahle den Lohn aus, angefangen von den Letzten bis zu den Ersten. Und die um die elfte Stunde (Angeworbenen) kamen und erhielten je einen Denar. Und die Ersten kamen und meinten, sie würden mehr erhalten. Und auch sie erhielten pro Kopf (nur) den einen (gleichen) Denar. Als sie ihn aber erhielten, protestierten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet ... und du hast sie uns gleichgemacht, die wir (doch) des Tages Last und Hitze getragen haben. Er aber antwortete einem von ihnen und sagte: Mein Freund, ich tue dir kein Unrecht. Bist du nicht um einen Denar mit mir übereingekommen? Nimm das Deine und geh. Ich will aber diesem Letzten (dasselbe) geben wie auch dir. Darf ich nicht mit dem, was mir gehört (auf meinem Grund und Boden: loachim
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Jeremias), tun, was ich will? Oder ist dein Auge neidisch, weil ich gütig bin? So werden die Letzten Erste und die Ersten Letzte sein.« Ich frage noch nicht nach dem Kontext, den das Gleichnis bei Matthäus hat und der das Verständnis erkennen läßt, das Matthäus mit dem Gleichnis verband. Das wird sich, wie ich denke, im Verlauf der Bemühung um den Sinn des Gleichnisses rechtfertigen. Ich setze mit der Auslegung des Gleichnisses selbst ein und wende mich zunächst den szenischen Voraussetzungen zu, in denen die Gleichnisgeschichte abläuft. Der redaktionelle Rahmen, den der Evangelist geschaffen hat, indem er das Gleichnis in den Markusfaden einfügte, wird" erst später zu bedenken sein. Diese Einfügung wirft besondere überlieferungsgeschichtliche Probleme auf, auf die noch eigens zurückzukommen sein wird. Alles, was in der Bildebene geschieht, ist unverkennbar in den Rhythmus eines palästinischen Arbeitstages eingespannt. Der Arbeitstag beginnt um 6 Uhr morgens mit dem Sonnenaufgang und endet um 6 Uhr nachmittags mit dem Sonnenuntergang. »Die Arbeitszeit währt vom Aufstrahlen der Sonne bis zum Aufgang der Sterne«, sagt ein Mischnatraktat (vgl. Erich Klostermann, Das Matthäusevangelium 19 2 72 159 bzw. Strack-Billerbeck I 830). Der gleiche Rhythmus des Tages spiegelt sich in Psalm 1:04,22-23: Wenn die Sonne aufstrahlt, »geht der Mensch aus zu seiner Arbeit, zu seinem Tagewerk bis zum Abend«. Man kann doch nur verstehen: Der Tag ist zur Arbeit da. Anders gesagt: Arbeit gehört zum Menschen. Ihm fällt, was er zum Leben braucht, nicht ohne weiteres zu. Das heißt noch lange nicht, daß er, biblisch gesehen, von seiner Arbeit lebte - als ob nicht alles daran hinge, daß Gott das Korn wachsen und reifen läßt und dem Menschen das Leben schenkt. Aber das hebt nicht auf, daß die Arbeit, biblisch gesprochen, typisch menschlich ist, ohne daß es zu einem Pathos der Arbeit käme. Die Arbeit wird, von der Genesis bis zu Kohelet, in ihrer Mühsal realistisch gesehen. Das ist auch im Neuen Testament nicht anders. Das Modell der Vögel des Himmels und der Lilien auf dem Feld, das wir von der Bergpredigt her kennen, ist nicht so auf den Menschen übertragbar, daß auch er nicht zu säen und zu ernten und in Scheunen zu sammeln (bzw. nicht zu arbeiten und nicht zu spinnen) brauchte (Matth. 6, 2534; vgl. meine Auslegung der Bergpredigt, Biblische Studien 46 1:9702 1:42 ff). Die zuletzt zitierten Vokabeln (arbeiten und spinnen) nennen je"1.
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weils typische Männer- und typische Frauenarbeit. Aber auch an Paulus ist zu denken. Er läßt die Thessalonicher wissen: »Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen«, was vermutlich ursprünglich eine Handwerlcerregel ist, zu der Varianten auch sonst vorkommen (vgl. Adolf Deiß-· mann, Licht vom Osten 19234 266 und Martin Dibelius, An die Thessalonicher I. II 19252 46 f). Paulus verweist in beiden Thessalonicherbriefen auf sein eigenes Beispiel, daß er »schaffend bei Tag und Nacht« sich sein Brot mit harter Arbeit verdient hat, wiewohl er von der Gemeinde für seinen Dienst Gehalt hätte erwarten können. Und er betont, daß er darauf hätte Anspruch machen können: »nicht als ob wir: kein Recht dazu hätten«. Aber Paulus wollte das nicht, »um uns euch als Beispiel zu geben, damit ihr uns nachfolgtet« (2. Thess. 3, 8-10). »Derb werden von dem Tag und Nacht arbeitenden Manne, der selbst kein geschenktes Brot gegessen hat, die frommen Faulenzer von Thessalonich angefahren«: so formuliert Deißmann (Paulus 19252 40 f). Kein Zweifel, daß der Mensch arbeiten soll, aber er soll zugleich wissen, daß er nicht von seiner Arbeit lebt, weil sein Leben selbst Geschenk ist und so von der Güte Gottes umgriffen ist, der für ihn sorgt. baß unser Leben von der Güte Gottes um griffen ist, das ist ein Satz, der nicht an eine längst vergangene Wirtschaftsstruktur gebunden ist, sondern ein Satz, der von bleibender Gültigkeit ist, wenn sich auch die Arbeitswelt des Menschen inzwischen beträchtlich verändert hat und noch weiter verändern wird. Die biblischen Texte wären nicht begriffen, wenn wir nicht heraushörten, was sie in der immer wieder veränderten Struktur der Arbeitswelt - unverändert sagten. Im Abstand von drei Stunden begibt sich der Herr des Weinbergs, um Arbeiter anzuwerben, zum Markt, »wo sich damals wohl Angebot und Nachfrage in diesen Dingen regelten« (Adolf Jülicher aaO 460). Das geschieht zuletzt noch einmal kurz vor Toresschluß, ehe der Tag ganz zur Neige geht. Der Rhythmus des Tages prägt sich ein, teilt sich dem Hörer des Gleichnisses mit. Arbeitsstunde ist nicht gleich Arbeitsstunde. Das muß man den Worten der protestierenden Arbeiter entnehmen, die des Tages Last und Hitze getragen haben und so deutlich machen, was der Arbeitstag für sie in sich barg - im Unterschied zu denen, die sich erst in letzter Stunde einfanden. Wieder wird palästini~ches Kolorit sichtbar. Ein Kommen und Gehen füllt den Tag aus. Verben der Bewegung markieren Szene um Szene: ausgehen, weggehen, hingehen. Dabei lassen
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sich freilich die Einzelszenen der Anwerbung der Arbeiter (20, 1-7) zu einer Szene zusammenfassen, ähnlich wie sonst bei szenisch gegliederten Gleichnissen Wiederholungen von Szenen zusammengehören (vgl. z. B. Luk. 14, 18-20 oder Luk. 16, 5-7: sowohl die Szenen der Absage der Einladung wie die Szenen der Korrektur der Pachtverträge sind als Varianten zusammenzunehmen). Man könnte, da die eigentliche Zäsur zwischen 20, 7 und 20, 8 liegt, 20, 1-7 auch als Exposition des Ganzen ansehen. Ist die Szene in der Morgenfrühe breit geschildert, so nimmt die Ausführlichkeit immer mehr ab, wenn es erneut zu dem gleichen Vorgang kommt. Ich möchte das zur Erzählungstechnik rechnen, nicht aber sagen, daß in 20, 5 »die Urform verkürzend bearbeitet« ist (so Paul Gaechter, Das Matthäusevangelium 1964 634). So ist auch die Absprache über den Lohn nur zu Anfang in aller Vollständigkeit beschrieben, übrigens in der Terminologie arbeitsrechtlichen Übereinkommens: »Er kam mit den Arbeitern überein auf der Grundlage eines Denars pro Tag« (20,2). Auf diese Terminologie wird in 20, 13 noch einmal zurückgegriffen. Das hier verwandte griechische Verb kommt im Sinn einer geschäftlichen Abmachung oft in den Papyri vor. Günther Bornkamm unterstreicht mit Recht: »Alle Formalitäten ... werden erfüllt und mit aller Sorgfalt geschildert« (Der Lohngedanke im Neuen Testament, Gesammelte Aufsätze II 81). Paul Gaechter möchte freilich annehmen, schon in der frühen Begegnung mit den »Ersten« habe der Herr des Weinbergs eine »Belohnung aus Güte« angeboten. Er sei aber »abgewiesen« worden und habe erst dann einen regelrechten Arbeitskontrakt abgeschlossen. Das würde bedeuten, daß die arbeitsrechtliche Terminologie des Gleichnisses, die wir beachteten, nicht so betont genommen werden dürfte, weil ihr die Ursprünglichkeit abginge. Gaechter meint, es könne dem Weinbergbesitzer nicht »entsprochen haben, zuerst rein kaufmännisch, aber dann den ganzen Tag über unkaufmännisch vorzugehen« (aaO 634). Ich halte diese Korrektur des Gleichnistextes nicht für überzeugend, zumal bei ihr die Folie verlorenginge, vor der sich die Schlußszene des Gleichnisses gegenwärtig abhebt (vgl. Günther Bornkamm aaO 82). Die ganze Gleichnisgeschichte wäre verändert und die Pointe verwischt. Man kann auch überlegen, ob nicht in der Wiederholung der Szenen der Anwerbung, die ohne eine präzise Abmachung über den Lohn erzählt wird, ein Moment der Spannung enthalten ist - ein Moment der Spannung, weil noch offen bleibt,
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welchen Lohn die erst später mit der Arbeit Beginnenden faktisch bekommen, wennschon ihnen ein Lohn nach Recht und Billigkeit zugesagt wird (20,4). Neben dem Rhythmus des palästinischen Arbeitstages ist deshalb auch vom Horizont des Lohnes zu sprechen, der das Gleichnis kennzeichnet. Nicht nur in dem Sinn, daß von Anfang an in aller Selbstverständlichkeit, als ob hier kein Problem entstehen könnte, vom Lohn gesprochen wird, sondern auch in dem Sinn, daß das ganze Gleichnis auf die Szene der Lohnauszahlung am Abend zuläuft. Wenn man zuletzt auch sagen wird, daß das Gleichnis alles Lohndenken schachmatt setzt: alles Lohndenken, das sich Gottes Handeln nach dem Schema menschlicher Lohnzahlung vorstellen möchte - so kann doch nicht übersehen werden, daß der Horizont des Lohnes im Gleichnis nicht einfach aufgehoben wird. Daß jemand ohne Lohn bliebe, ist nicht vorgesehen. Das Maß dessen, was »recht und billig« ist, spielt eine Rolle (20,4 vgl. 20,13), wenn auch der Herr des Weinbergs in seiner Güte über das hinausgeht, was nach dem dikaion gefordert wäre. Offensichtlich muß zwischen dikaios und agathos unterschieden werden, wie wir es hier an Hand des Gleichnisses versuchen. Zur Differenzierung der Begriffe vergleiche auch Paulus: Röm. 5, 6-7. »Einen Widerspruch zwischen der Güte und dem Rechte gibt es (bei Paulus) nicht; aber das, was der Gütige tut, geht über die Rechtspflicht hinaus«. So hebt Adolf Schlatter die beiden Begriffe voneinander ab, und das dürfte unserem Verständnis von Matth. 20 parallel sein (Gottes Gerechtigkeit 181). Vielleicht läßt sich formulieren: Der Rhythmus des Arbeitstages und der Horizont des Lohnes verbinden sich in der Bildebene, weil der Arbeiter von diesem Lohn leben muß, der nicht zufällig nach dem Arbeitstarif von damals dem Tagessatz für einen Landarbeiter entsprach (vgl. StrackBillerbeck). Schon Calvin vermutete übrigens in dem Denar den »herkömmlichen Tageslohn« (in seiner Evangelienharmonie). Deshalb treffen Überlegungen, ob der Lohn nicht zu gering bemessen sei, den Sachverhalt nicht. Wir bewegen uns vielmehr im Rahmen des Gängigen. Es wird vor allem die Kaufkraft des Denars von damals zu bedenken sein. Ein Denar hatte den Wert von 24 italischen As, und die Gasthäuser in Oberitalien berechneten um 140 v. Chr. als Tagessatz pro Kopf 1/2 Aß (Polybius 11 15, 6, nach Theodor Zahn, Das Ev~ngelium des Lucas 1920 433 12 ; vgl. Das Evangelium des Matthäus 1922 41048).
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Daß Gottes gütiges Handeln mit dem großzügigen Handeln des Herrn im Gleichnis verglichen wird (großzügig, weil alle den einen Denar bekommen!), mag überraschen. Aber eben auch von Gottes Güte lebt der Mensch: menschliche Existenz kann nur im Zeichen der Güte Gottes gefristet, im Horizont der Güte Gottes verstanden werden. So vertritt der Denar, wenn man will, die Realität, von der wir allein leben können so vertritt, nur vorläufig paradox, der Lohn die Gnade. Auf allen Lohn verzichten wollen hieße: weder die Bildebene noch die Sachebene des Gleichnisses verstanden zu haben. Die »merkliche Befangenheit«, in der wir uns dem neutestamentlichen Reden vom Lohn gegenüber befinden, dürfte Günther Bornkamm zutreffend mit dem Pflichtbegriff Kants in Verbindung bringen, von dem unser Vorverständnis bestimmt ist: Pflichtdenken verträgt sich nicht mit Lohndenken. Aber das neutestamentliche Reden vom Lohn ist nicht als Lohndenken zu verstehen. 2. Wir sind von der Analyse der szenischen Voraussetzungen aus schon zu Einsichten inhaltlicher Art gelangt. Form und Inhalt sind engstens verknüpft, vielmehr gehört die Form zum Inhalt hinzu. Daß im Gleichnis alles auf die Szene am Abend zuläuft, ergab sich uns schon. Diese Szene umfaßt Matth. 20, 8-15 und enthält die Anweisung an den Verwalter, den Lohn auszuzahlen. Daß jeder den einen und gleichen Denar erhält, kommt freilich erst im Lauf der spannunggeladenen Schlußszene selbst heraus. Die Szene ist vor allem durch den Protest der Ersten gegen die Letzten wie durch die Antwort des Herrn des Weinbergs auf den Protest gekennzeichnet. Die Breite der Schilderung, zu der es hier kommt, verrät schon formal, daß wir hier auf die Pointe des Ganzen stoßen. Eugen Biser spricht deshalb mit Recht von dem »Kernstück des Ganzen, wo alles Geltende unversehens in Brüche zu gehen ... scheint« (Die Gleichnisse Jesu 1965 85). ]ülicher erkennt in dem »Anfangen bei den Letzten« einen »Nebenzug«, der nur »indirekt« von Wichtigkeit sei, »weil auf diese Weise die Ersten Zeugen der überaus gnädigen Entlohnung ihrer Kameraden wurden, andernfalls wären sie möglicherweise mit ihrem Verdienst sogleich nach Hause geeilt und hätten nur durch Hörensagen später einmal davon erfahren, daß neulich eine Stunde Arbeit so hoch wie sechs und zwölf bezahlt worden war ... « (aaO 462). So geht es einfach um das Dabeisein der Ersten. Die gleiche naheliegende
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Antwort gibt z. B. auch Jean Duplacy, Le maUre genereux et les ouvriers egolstes (in: Bible et vie Chretienne 44, 1962 19). Ernst Fuchs spricht in diesem Sinn von einem »sozusagen dramaturgischen Kunstgriff« (Zur Frage nach dem historischen Jesus 1960 220). So hat das Vorziehen der Letzten keine eigentliche Bedeutung für den Inhalt des Gleichnisgeschehens. Es ist erzählungstechnisch begründet (vg!. zu diesen Erwägungen: Georg Eichholz, Das Gleichnis als Spiel EvTh 1961, jetzt in: Tradition und Interpretation ThB 29, 1965 57-77). Jülicher scheiIit mir auch Grund zu haben zu betonen, daß die Gleichnisgeschichte mit 20, 1.0 hätte zu Ende sein können, »wenn nicht dem Erzähler daran läge, (das) auffallende Verfahren des Hausherrn noch ausdrücklich in Rede und Gegenrede zwischen ihm und den durch ihn enttäuschten Ersten rechtfertigen zu lassen; in der Sache wird von 11 an nichts mehr geändert« (aaO 4 63). Diese »Rechtfertigung« ist die eigentliche Mitte des Ganzen, wie sich noch zeigen wird. In ihr erklärt der Herr des Weinbergs authentisch, was ihn zu seinem überraschenden Handeln bewogen hat. Der Protest entzündet sich an der Zahlung des einen und gleichen Denars an alle. »Laut schimpfend« (Joachim Jeremias, Die Gleichnisse Jesu 19626 137) äußern sich die Ersten, die sich degradiert vorkommen, weil sie keinen Sonderlohn empfangen. Sie haben sich eine angemessene Zulage ausgerechnet. Ihre empörte Beschwerde beginnt höchst charakteristisch: »Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet ... « Wären »diese Letzten« nicht, so könnten sie keinen Vorwurf vorbringen. »Mit ihrem Denar in der Tasche wären sie höchst vergnügt und zufrieden nach Hause gegangen« (Josef Blinzler, Gottes schenkende Güte: Matth. 20, 1-16, in: Bibel und Liturgie 1.963/64 234). Aber verglichen mit diesen Letzten meinen sie mehr verdient zu haben. Das ist für sie das Unrecht: »Du hast sie uns gleichgemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben«. Soll man sagen: Der Protest formuliert, was jeder von Haus aus denkt? Spricht er nicht einfach die öffentliche Meinung aus und nimmt nur im Namen aller die Sache in die Hand? Wirft er sich nicht den Mantel des Rechtes um? Oder kommt hier in der Tat das Recht zu Wort? Deshalb ist doch zu fragen, ob der Protest nicht so begreiflich wie möglich ist. Ist er nicht von vornherein einleuchtend und scheint er nicht alle Logik für sich zu haben? Ist der Protest im Pathos ehrlicher Arbeit begründet, die sich den Tag sauer werden läßt - während die anderen Drückeberger und Nichtstuer sind, mit denen man, wenn man auf
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sich hält, nicht in einem Atem genannt werden will? Ich bemerke, daß innerhalb der Exposition kein Wort des Tadels über die »Letzten« fällt. Sie werden, wie mir scheint, objektiv als Leute beschrieben, die bisher keine Arbeit fanden. Diskreditiert werden sie erst gegen Ende des Gleichnisses in den Worten der Ersten, die sich in ihrem Recht verkürzt vorkommen, wenn sie nicht besser als die Letzten behandelt werden - die nach ihrem Urteil ihren Denar offenbar nicht verdient haben. Daß sich in dieser Welt immer jeder - jedem anderen gegenüber benachteiligt vorkommt, gilt selbstverständlich, gehört aber auf ein anderes Blatt. Ihre Spitze hat die Gleichnisgeschichte, die in ihrem Sinn vielleicht längst durchsichtig ist, in den Schlußworten, in denen der Herr des Weinbergs sein befremdliches Verfahren rechtfertigt. Er greift einen der Protestierenden heraus. »Es mag der Hauptschreier sein« (Wilhelm Michaelis, Das hochzeitliche Kleid 1939 121). Die Anrede hetaire: Mein Freund, mein Lieber - hat nach Walter Bauer allgemeinen Charakter und wendet sich »an jemanden, dessen Namen man nicht weiß«. Dazu könne sich als Parallele Matth. 22, 12 fügen (Anrede an den Mann, der kein hochzeitliches Kleid anhat) - während hetaire als Anrede an Judas Matth. 26, 50 zeigt, daß immer auch eine Komponente der Beziehung mitschwingt. Karl Heinrich Rengstorf möchte deshalb, »ohne in das Wort zuviel hineinlegen zu wollen, ... doch sagen ... , daß es in allen drei Fällen mehr ist als eine bloße Form, daß es vielmehr in jedem von ihnen eine beide Teile bindende Beziehung zwischen dem Redenden und dem Angeredeten hervorhebt ... « (hetaire kommt im Neuen Testament nur bei Matthäus vor, vg!. ThW 11 698). So wäre hier an die bindende Beziehung zwischen dem Arbeitsherrn und dem Arbeiter zu denken: an die für beide verbindliche Absprache. Der Herr des Weinbergs erklärt dem Angeredeten: Ich tue dir kein Unrecht (Adolf Jülicher löst die litotes auf in: »Ich verfahre mit dir nach strengstem Recht« - aaO 464). Ich habe nicht gegen unsere Abmachung verstoßen, der du doch selbst zugestimmt hast bzw. die du doch mit mir getroffen hast (synephonesas moi ist - in charakteristischer Variante zu 20, 2 - zu lesen, nicht, was sich als gelegentliche und an 20, 2 angeglichene Lesart findet: synephonesa soi). Ich habe unantastbar gehandelt. Aber ich will diesem Letzten den gleichen Denar zahlen wie auch dir. Man kann nur ergänzen: Denn so entspricht es der Regel meiner Güte. Und außerdem gilt, daß der Letzte den Denar braucht, wenn er und seine Familie nicht hungern sol-
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len. Kann doch der Letzte nur als armer Schlucker gedacht sein (wie der Landarbeiter von Matth. :1), 44), der keine großen Sprünge machen kann ... der vielmehr vom Tageslohn lebt. Die Frage, ob der Letzte durch seine eigene Schuld erst so spät Arbeit fand - ob der Satz: »Uns hat niemand angeworben ... « begründete Entschuldigung oder lahme Ausflucht war -, wird in den Schlußworten übergangen und nicht berührt. Die uns vielleicht wichtige Frage spielt, wenn ich recht sehe, keine Rolle und kann uns deshalb auch in der Auslegung nicht beschäftigen. Wir haben nicht zu überlegen, ob etwa im Gleichnisschluß eine besondere Arbeitswilligkeit der Letzten honoriert wird. Das schon deshalb nicht, weil hier auch sehr anders argumentiert werden könnte. Von den Arbeitseifrigsten wäre vorauszusetzen, daß sie sich schon in aller Frühe um Arbeit bemühten. Ich denke: Die Letzten werden weder mit einem heimlichen Minus noch mit einem heimlichen Plus versehen. Beides würde ich für eine unzulässige Eintragung halten, die den eigentlichen Akzent verwischt (vgl. dazu auch Kar! Heinrich Rengstorf, Die Frage des gerechten Lohnes in der Verkündigung Jesu, in: Kar! Arnold-Festschrift :1955 :149). Zu Akzentverschiebungen kann es gerade bei der Exegese unseres Gleichnisses im Handumdrehen kommen, wie die Auslegungsgeschichte zeigt. Und so wird der Protest, der im Namen des Rechtes erhoben wird, demaskiert. Sein verschwiegenes Motiv macht ihn fraglich. Er gönnt dem anderen nicht, daß dieser Herr ihn in seiner Güte beschenkt. Er nimmt ihm das Recht, das'Gott ihm gerade gewährt. Auf einen anderen Rechtstitel kann »dieser Letzte« sich freilich nicht berufen als auf den Rechtstitel - der Güte, nach der es diesem Herrn gefällt, so zu handeln. Man kann hier nur paradox formulieren, denn dieser Rechtstitel ist gerade kein Rechtstitel mehr. ). Ich würde fast sagen wollen: Das Gleichnis ist in seinem Sinn so durchsichtig wie nur möglich. Jülicher sprach von ihm als von einem »evangelium in nuce« (aaO 47:1). Das ist eine gute Formulierung. Aber nun ist es eben das Evangelium, das im Gleichnis mit Protest quittiert wird, wie das Evangelium es ist, das im Gleichnis gegenüber diesem Protest gerechtfertigt wird. Dieser Protest darf nicht verwischt werden, unterstreicht er doch, worauf es ankommt - gerade indem er ausspricht, was jeder von Haus aus denkt. Was jeder von Haus aus denkt ... ist
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nicht das, was das Evangelium sagt. Was das Evangelium sagt, ist keine Selbstverständlichkeit. Sagt es aus, wie Gott handelt, so ist Gottes Handeln die große Überraschung für den Menschen. Wenn Gott in der Sprache des Menschen nicht aussagbar sein sollte, so könnte das gerade theologisch begriffen werden müssen und ein Ja finden. Der biblische Gott könnte in der Tat in der Sprache des Menschen von Haus aus nicht vorkommen, im Horizont des menschlichen Vorverständnisses nicht vorgesehen sein. Das Evangelium ist das Unerwartbare, wie, etwas anders akzentuiert, auch an Hand von Matth. 1), 44-46 an den Tag kommt. Der Protest ist geradezu das Signum, daß Gottes Handeln nicht unseren Vorstellungen von Gott entspricht: daß Gottes Handeln sein Maß nur an sich selbst hat. Das illustriert die turbulente Szene, zu der es im Gleichnis kommt. Begreiflich ist der Protest, der sich über die Unbegreiflichkeit des Herrn des Weinbergs in aller Förmlichkeit und mit allem Pathos beschwert. So entspricht die Gleichnisgeschichte offensichtlich nicht einfach dem Alltag des Menschen, weder in der Antike noch heute, noch je. Man kann doch nur, wie so oft bei den synoptischen Gleichnissen, sagen, daß in den Szenen, die aufgegriffen werden, die Grenze des Alltags erreicht wird weil die Sache, die zur Sprache kommen soll, den Alltag des Menschen weit überbietet. Federführend ist die Sache, die sich in die Bildebene der Gleichnisse hineinzeichnet. Und von der Sache her wird die Gleichnisgeschichte geformt. Dieser Grundsatz der Gleichnisauslegung bestätigt sich auch hier. Die Sache ist sozusagen vorgängig und ist auf der Suche nach der Geschichte, in der sie sich sagen läßt, wobei deutlich ist, daß Sachebene und Bildebene engstens verbunden sind, daß eine Isolierung beider Ebenen nicht möglich ist, was auch bedeutet, daß die in der Bildebene enthaltene Fabel nicht ohne weiteres weitergedacht werden kann und mit selbständig gezogenen Konsequenzen belastet werden darf. Der im Gleichnis ausgesprochene Protest gegen das Handeln des Herrn des Weinbergs macht freilich auch die These von Johannes Baptista Bauer unwahrscheinlich, daß der Herr des Weinbergs rechtlich verpflichtet gewesen sei, auch den Kurzarbeitern den vollen Lohn zu zahlen, weil es Stundenlohn nicht gegeben habe. Nach Bauer besteht ein Rechtsanspruch der Kurzarbeiter auf den gleichen Lohn, den die Ganztagsarbeiter erhalten. Bauer bezieht sich auf einen Mischnatraktat, der aber nur vom Termin der Lohnzahlung und nicht von der Höhe des gezahlten
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Lohnes sprechen dürfte, wenn er festlegt, daß der »für einige Stunden gemietete (Arbeiter) seinen Lohn den ganzen folgenden Tag hindurch oder die ganze folgende Nacht hindurch einfordert (je nachdem er für die Tageszeit oder für die Nachtzeit gemietet war)« (Strack-Billerbeck I 832). Bauer meint auch geltend machen zu können, daß nach römischem Recht Arbeitsverträge »für einige Stunden« nicht vorkamen. Das Mindestmaß von Arbeitszeit für Verträge habe einen Arbeitstag betragen. Das Gleichnis entspricht deshalb nach Bauer einer Rechtsordnung (J 0hannes Baptista Bauer, Gnadenlohn oder Tageslohn, in: Biblica 1961 224-228). Aber ich meine, daß das Gleichnis dieser These selbst widerspricht, sofern es den Protest der Ganztagsarbeiter enthält und betont zur Geltung kommen läßt, den Protest, der nicht denkbar wäre, wenn der Herr des Weinbergs nicht anders hätte handeln können, als er handelt. Der Protest ist, was die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen von damals angeht, offensichtlich nicht einfach aus der Luft gegriffen. Vielmehr werden sich auch in unserem Gleichnis die Rechtsverhältnisse spiegeln, wie sie damals bestanden, was auch für eine talmudische Parallele gelten dürfte, auf die ich noch zu sprechen komme. Der Protest kann deshalb, wie wir schon sagten, nur deutlich machen, daß das Handeln des Herrn des Weinbergs den Rahmen des Alltags verläßt und die Regeln des Alltags überschreitet. In die Bildebene zeichnet sich ein, was gesagt werden soll, und eben deshalb ist die Bildebene nicht in sich selbständig. Man kann darum dem Gleichnis auch keine Richtlinien zur Lohnpolitik entnehmen (und das Gleichnis etwa zum Problem eines gerechten Mindestlohnes oder einer christlichen Tarifordnung heranziehen). Ebenso wird jede allegorische Auslegung zu vermeiden sein, wozu doch auch noch die Deutung des Rufes in den Weinberg im Sinn des Berufenseins des Menschen zur Arbeit für Gott gehören dürfte, so sehr es biblisch ist, daß der Mensch mit allem, was er hat, Gott gehört und Gott zu dienen hat. Wir haben zu Beginn unserer Auslegung nach den szenischen Voraussetzungen unseres Gleichnisses gefragt und vom Rhythmus des palästinischen Arbeitstages gesprochen, der sich uns hier mitteile: von 6 Uhr früh bis 6 Uhr nachmittags wird gearbeitet. Wir haben diesen Rahmen zum palästinischen Kolorit des Gleichnisses gerechnet. Und wir haben hinzugefügt, daß Arbeit biblisch ein typisch menschliches Verhalten sei.
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Damit haben wir nicht allegorisch ausgelegt, sondern nur eine Randbemerkung zum Geschehen in der Bildebene gemacht. Die Grenze zwischen Exegese und Allegorese wurde gewahrt. 4. Aber wem gilt das Gleichnis? Wer ist mit der Rolle der protestierenden Arbeiter - anvisiert, wenn diese Rolle dem ursprünglichen Hörer, wie doch nach aller Regel zu vermuten sein wird, auf den Leib geschrieben ist? Das ist doch der Vorgang in mehr als einem Gleichnis, daß eine der Figuren in der Bildebene dem Hörer so nahe kommt, daß man sagen muß: sie übernimmt die Rolle des Hörers, sie spielt den Hörer. Wir können auch fragen: Kommt ein analoger Protest auch- sonst in Gleichnissen vor? Eine Parallele liegt so nahe, daß sie, wie ich meine, als solche überzeugt: der Protest des älteren Bruders im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Luk. 15,11-)2). Als der ältere Bruder hört, daß der verlorene Sohn zurückgekehrt und vom Vater mit allen Zeichen der Freude wieder aufgenommen worden ist, kommt der Unmut über ihn. Er kann nicht begreifen, was sich hier begibt. Sein Vater ist ihm ein einziges Rätsel, wird ihm zu einem einzigen Rätsel. Für ihn bricht das Gefüge seiner bisherigen Welt zusammen. Und so ist sein Widerspruch elementar. Als der Vater den Tisch der festlichen Freude verläßt, um den älteren Bruder einzuladen - um ihm zuzureden (wie es im griechischen Text heißt), sich doch auch an den Tisch der Freude zu setzen -, da bricht es aus ihm heraus: »Siehe, so viele Jahre diene ich dir wie ein Sklave und habe niemals ein Gebot von dir übertreten. Aber niemals hast du mir (auch nur) einen Bock gegeben, damit ich mit meinen Freunden fröhlich sein könnte. Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Vermögen im Umgang mit Dirnen vertan hat, hast du ihm das Mastkalb geschlachtet.« Der Vater antwortet auf die bittere Anklage: »Mein liebes Kind, du bist allezeit bei mir, und alles Meine ist dein. Du müßtest jubeln und dich freuen. Denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden« (Luk. 15, 29-)2). Die Parallele spricht für sich selbst. Selbstverständlich hat sie, als Parallele ihre Grenzen. Aber daß sie weit greift, ist unverkennbar. Der Protest ist so verwandt, daß man sagen möchte: Der ältere Bruder ist ein genauer Doppelgänger der Arbeiter, die mit dem Herrn des Weinbergs nicht einverstanden sind, weil sie die Regel seines Handeins nicht begreifen. Der Protest entzündet sich hier wie dort an der Güte, die jeweils der
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Schlüssel des Geschehens ist - präziser: als Schlüssel des Geschehens von der Schlüsselfigur selbst zur Sprache gebracht wird. Niemand begreift hier offenbar von sich aus, wenn ihm nicht die unvergleichlich souverän und königlich handelnde Schlüsselfigur zum Begreifen verhilft. Sie erklärt jeweils das Gesetz ihres Handeins. Ich verzichte auf alle Einzelheiten und begnüge mich mit dem Entscheidenden. Das Entscheidende ist das Handeln des Herrn des Weinbergs, das Handeln des so unbegreiflich gütigen Vaters. Ich denke, daß da:z;u auch noch gehört, daß beide Gleichnisse zum Schluß die Tür offen lassen. Sie nehmen die Antwort, die der von der Schlüsselfigur Angeredete geben wird, noch nicht vorweg. Die Antwort bleibt offen. Beide Gleichnisse enden mit der Erklärung des für den jeweiligen Adressaten so befremdlichen Handeins - des Herrn des Weinbergs, des Vaters. Die Erklärung kann doch nur dazu einladen, den Protest aufzugeben und das zunächst so unbegreifliche Handeln doch zu begreifen. Die Erklärung des Vaters an den älteren Bruder kann nicht als Abweisung, sondern nur als Werbung um ihn verstanden werden: als äußerste Werbung. Die entsprechende Erklärung des Herrn des Wein- ' bergs ist, wie ich denke, ähnlich zu verstehen. Beide Male wird freilich zugleich auch unaufhaltbar und bedrängend die Frage wach, ob der Protest, wenn er nach wie vor festgehalten wird, nicht das Zeichen der Ferne zum Handeln der Schlüsselfigur ist: das Zeichen einer Ferne, die Erste zu Letzten macht. Die Nähe der beiden Texte ist längst gesehen. Schon Adolf !ülicher meinte, Lukas habe sein Sondergut-Gleichnis als Ersatz für Matth. 20 betrachtet (aaO 468). Johannes Weiß unterstrich »eine gewisse Verwandtschaft« beider Gleichnisse, »nicht nur im Gedanken, sondern auch in der Form« (Die Schriften des Neuen Testaments 19072 )59). Ebenso erkennt Herbert Preisker im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg »gleichsam die Matthäus-Parallele ... zu Lukas 15, 11 ff<<: Es verkündigt »die Größe der schenkenden Liebe Gottes« (ThW IV 72)). Die nahe Verwandtschaft beider Texte hat Günther Bornkamm in seiner schon zitierten Studie besonders überzeugend hervorgehoben und im einzelnen gezeigt (aaO 82). Daß bei diesem Vergleich der Lukastext nur als Sachparallele zu verstehen ist, nicht aber angenommen werden kann, daß Lukas das Gleichnis von Matth. 20 gekannt hat (was die Formulierung Jülichers nahezulegen scheint), brauche ich nur am Rand zu betonen. Dazu
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ist etwa die Einleitung in das Neue Testament von Jülicher-Fascher selbst zu vergleichen (19317 349 ff), wie die Einleitungen von Feine-BehmKümmel (1963 32 f) und von Marxsen (1963 106). Wir werden uns Matthäus und Lukas unabhängig voneinander zu denken haben. Marxsen kann formulieren: »Die Frage, ob Matthäus das Lukasevangelium oder Lukas das Matthäusevangelium gekannt hat, kann eindeutig negativ beantwortet werden.« Aber das Recht, die beiden Gleichnisse in der Sache zu vergleichen, wird davon nicht berührt. Die Spur, auf dIe uns die Parallele bei Lukas führt, liegt auf der Hand: Im Protest der Arbeiter spiegelt sich der Protest der Kritiker der Freudenbotschaft, die Jesu Zuwendung zu den Letzten nicht bejahen können Jesu Zuwendung zu den Zöllnern und Sündern, mit denen sie selbst, die Kritiker, sich nicht an einem Tisch treffen können, zu denen sie vielmehr ausgesprochen Distanz halten. »Du hast sie uns gleichgemacht«: das ist (vorläufig oder endgültig?) die Formel der Ablehnung. Jesus überschreitet für ihre Sicht die von ihnen sorgsam gewahrten Grenzen. Er setzt sich mit Leuten an einen Tisch, die nach ihrer Meinung nicht an diesen Tisch gehören. Die Tischgemeinschaft Jesu ist als Konsequenz der Freudenbotschaft zu verstehen, als das im Alltag, im konkreten Miteinander gesprochene, vollzogene Ja der Vergebung. Die Tischgemeinschaft Jesu mit den Zöllnern und Sündern ist nach Luk. 15, 1-2 doch offenbar auch der historische Horizont für das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Und die Tischgemeinschaft wird hüben und drüben, von den Zöllnern und Sündern wie von den Pharisäern und Schriftgelehrten, als Zeichen der Nähe, als Zeichen umfassender Gemeinschaft verstanden. Schon ]ülicher wollte als ursprünglichen Hörerkreis des Gleichnisses die Pharisäer annehmen (aaO 466). Erich Klostermann sah als wahrscheinlich an, daß durch das Gleichnis »den Pharisäern gegenüber gerechtfertigt werden (sollte), daß Jesus Zöllnern und Huren die Tür des Gottesreichs öffnet« (Das Matthäusevangelium 19272 159). Auch Wilhelm Michaelis hat in dieser Richtung ausgelegt (Das hochzeitliche Kleid 1939 104-138), aber auch der katholische Exeget Johannes Baptista Bauer (in: Biblica 1961 224-228), dessen Analyse der rechtlichen Voraussetzungen des Gleichnisses uns nicht übernehmbar erschien. Joachim ]eremias hat die Annahme dieser ursprünglichen Gegneradresse entsdllossen vertreten und begründet. Sie scheint mir zwingend zu sein.
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5. Man kann sich den Akzent des Gleichnisses besonders im Vergleich mit einer talmudischen Parallele verdeutlichen, die schon Jülicher heranzog. Das Cleichnis findet sich in einer Trauerrede für einen früh verstorbenen Rabbi. Ich zitiere den Text nach Strack-Billerbeck IV 49]: »Es verhält sich wie mit einem König, der viele Arbeiter mietete. Es war aber dort ein Arbeiter, der sich durch seine Arbeit ~beraus verdient machte. Was tat der König? Er nahm ihn fort und erging sich mit ihm auf langen und kurzen Wegen. Zur Abendzeit kamen jene Arbeiter, um ihren Lohn zu empfangen. Er gab ihm mit diesen seinen Lohn voll. Da murrten .die Arbeiter und sagten: Wir haben den ganzen Tag gearbeitet, und dieser hat nur zwei Stunden gearbeitet, und er hat ihm seinen Lohn mit uns voll gegeben! Der König sprach zu ihnen: Dieser hat in zwei Stunden mehr gearbeitet, als ihr den ganzen Tag hindurch gearbeitet habt.« Was will das Gleichnis sagen? Die Trauerrede spricht es im Schlußsatz aus: »So hat Rabbi Bun ben Chijja in den achtundzwanzig Jahren (seines Lebens) in der Tora gearbeitet, was ein tüchtiger Schüler nicht in hundert Jahren lernen kann.« Daß hier von einer Parallele gesprochen werden muß, bedarf keiner Begründung. Joachim /eremias kann die Fülle der Beziehungen zwischen dem Text bei Matthäus und im Talmud nicht für zufällig halten. Ihm scheint der Rabbi, der die Trauerrede hielt, das Jesusgleichnis gekannt zu haben~ »vielleicht ohne zu wissen, von wem es stammte« (aaO 1]8). Wenn sich das auch nicht mit Sicherheit sagen läßt (wennschon die talmudische Fassung sekundär wirkt), so ändert das nichts daran, daß der Stoff bzw. das Bildmaterial überraschend verwandt ist. Der Akzent beider Gleichnisse ist freilich so verschieden wie nur denkbar. Das Gleichnis verkündigt bei Matthäus die unbegreifliche Güte Gottes, die alles Lohndenken aufhebt. Wollte man Gottes Handeln, das das Lohnschema durchbricht, nachträglich rational einsichtig machen, so wäre das Entscheidende verkannt bzw. wegerklärt. Im talmudischen Gleichnis aber wird erklärt, regelrecht erklärt, weshalb der volle Lohn auch dem zufällt, der nur zwei Stunden gearbeitet hat. Er hat in den zwei Stunden mehr geleistet als die anderen Arbeiter den ganzen Tag über. Damit hat sich die Pointe des Gleichnisses gegenüber Matthäus völlig verschoben, ja bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die Regel des Handeins Gottes (auch im talmudischen Gleichnis geht es um die Erkenntnis des Handeins Gottes!) ist nicht mehr die Regel seiner Barmherzigkeit, die alles Nachrechnen ver-
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wehrt, sondern eine nach dem Lohnschema begreifliche Regel. Die ursprünglichen Hörer des Gleichnisses bei Matthäus werden vor das Wunder der Güte Gottes gestellt, das für menschliches Rechnen unerreichbar bleib't. Im talmudischen Gleichnis wird dagegen gerade der Horizont des Lo~schemas festgehalten. Die protestierenden Arbeiter haben nur sozusagen zu mechanisch bzw. zu vordergründig gerechnet. Der Maßstab, den sie handhabten, war zu quantitativ. Aber letztlich behalten sie doch recht. Das Beispiel zeigt, daß bei einem Vergleich zwischen zwei Texten die Berührung im >Stoff< von nur relativer Bedeutung sein kann, während alles an den Akzenten hängt, mit denen der >Stoff< verseh.en wird. Erst mit den Akzenten beginnt das eigentliche Problem, denn nach den Akzenten fragen heißt: nach der jeweils intendierten Aussage der Texte fragen. So blitzt gerade im Vergleich der bei den Fassungen der evangelische Akzent des Gleichnisses bei Matthäus auf, das Jülicher das »evangelium in nuce« nannte. 6. Wir wenden uns nun - nun erst - dem Kontext zu, den das Gleichnis bei Matthäus hat. Dazu ist etwas weiter auszuholen. Sofort ist zu erkennen, daß das Gleichnis, dem wir als ursprüngliche Adresse eine Gegneradresse entnommen haben, von Matthäus umadressiert ist. Aus der Gegneradresse ist eine ]üngeradresse geworden. Dieser Adressenwechsel mag sich freilich längst im Lauf der Überlieferungsgeschichte vollzogen h.aben und von Matthäus schon übernommen sein. Wie man sich hier auch entscheidet - gleichzeitig wird zum Adressenwechsel (und zu der damit verbundenen Verschiebung im Akzent der Aussage des Gleichnisses) überraschend noch ein weiteres zu bemerken sein: Adressen- und Akzentwechsel sind der theologischen Kontur des Matthäusevangeliums höchst konform. Das Gleichnis ist im Rahmen des ersten Evangeliums Element der Verkündigung und der Theologie des ersten Evangelisten geworden. Günther Bornkamm möchte, in Korrektur einer Überbetonung der Sammlerfunktion des Evangelisten, durchaus »eine individuelle Gestalt der urchristlichen LiteraturgeschiChte« in Matthäus erkennen, »auch wenn man auf Namenjägerei und biographisches Nachspüren verzichten will« (Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium 1960 46). Der erste Evangelist ist gerade theologisch als eine »individuelle Gestalt« zu sehen. Das dürfte sich auch bei unserem Gleichnis im Verhältnis von Tradition und Interpretation beispielhaft zeigen.
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Der Vorgang ist von äußerstem Gewicht. Die Traditionsgeschichte ist zugleich Interpretationsgeschichte. Sie tradiert offenbar nicht einfach die historischen Adressen und Fronten, sondern hört die tradierten Texte neu. Anders gesagt: Die überlieferungsgeschichte läßt die tradierten Texte nicht historisch werden, sondern erfaßt ihre Gegenwärtigkeit. Aber das sind nur erst andeutende Formulierungen. Sie werden noch zu präzisieren sein. Wir beginnen mit Beobachtungen am Text: am Kontext des Matthäusevangeliums. Matthäus hat das Gleichnis in den Markusfaden eingefügt, dem er hier folgt. Deutlich unterbricht das Gleichnis den Markuszusammenhang, der bis Matth. 1.9, 30 par. Mark. 10, 31 reicht und in Matth. 20, 1.7 par. Mark. 10, 32 weiterläuft. Matthäus hat wie Markus die Geschichte vom Reichen gebracht, ebenso auch die bei Markus folgende Spruchkette. Thematisch geht es um die Jüngernachfolge, die Matthäus in seinem Evangelium mehr als einmal aufgreift. Die Spruchkette schließt mit dem Logion von Mark. 1.0, 31. par. Matth. 1.9, 30: »Viele Erste werden Letzte und Letzte Erste sein«. Das ist das Stichwort, das Matthäus verarilaßt hat, das Gleichnis-Sondergut von den Arbeitern im Weinberg hier einzuflechten. Das zeigt das »Denn« in Matth. 20, 1. sowie die Wiederholung des Logions von Mark. 1.0,31. par. Matth. 1.9,3° in Matth. 20, 1.6a. Das Logion begegnet dabei in leiser Variation (antithetisch parallel geformt) und wird mit »so« eingeleitet: »So werden die Letzten Erste und die Ersten Letzte sein«. Das verrät die Intention des Matthäus. Das Gleichnis ist für ihn eine ausgezeichnete Illustration des Logions. Matthäus hat »offenbar 1.9, 30 durch 20, 1.1.-1.5 erläutern wollen«, wie Erich Klostermann sachgemäß sagt (aaO 1.59). Matthäus könnte dabei auch von dem Vorkommen der Gegensatzbegriffe Erste/Letzte im Gleichnistext bestimmt gewesen sein, so daß eine Stichwortverknüpfung vorläge (vgl. 20, 8. 1.0. 1.2. 1.4). Aber ich möchte dieses Moment (der Stichwortverknüpfung) nur sekundär gelten lassen, weil ich meine, daß es primär die Aussage des Gleichnisses selbst war, wie Matthäus es hörte, die ihn bewog, das Gleichnis hier einzuschalten. Eberhard Jüngel hat zur Adresse des Gleichnisses bemerkt, d.aß es »müßig« sei, »darüber zu streiten, ob Jesus mit der Parabel die Jünger ... oder die Pharisäer ... beschämen« wollte. Es gelte in seiner Aussage beiden, und so müsse man, wollte man so fragen, mit Julius Schniewind sagen: Die Parabel »trifft ebenso wie den Stolz bevorzugter Jesus-Jünger
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den Hochmut des Pharisäers, der sich über die anderen erhebt« (Paulus und Jesus 19642 168 3). Das ist in der Sache zutreffend, hebt aber nicht auf, daß mit dem Adressenproblem ein überlieferungsgeschichtlicher Vorgang verknüpft ist - oder besser: daß sich das Adressenproblem allein im Vorgang der Überlieferungsgeschichte erhellt. Gleichgültig kann deshalb die Frage nach der Adresse nicht sein. Daß das Gleichnis bei Matthäus umadressiert ist, das ist der Sachverhalt, den wir dem Kontext des Gleichnisses bei Matthäus entnommen haben. Und diesem Sachverhalt haben wir gerecht zu werden. Er will nicht nur notiert, sondern vor allem verstanden werden. Das überlieferungsgeschichtliche Problem scheint auch bei Peter Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus 1965 247 f, übergangen zu sein. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einige Sätze aus einer Predigt Luthers über unser Gleichnis zitieren. Luther legt das Gleichnis auf eine umfassende Adressatenschaft hin aus:
»So ist nu dis die summa dis es Euangelions: Keyn mensch ist so hoch noch wird so hoch komen, der nicht zu furchten habe, er werde der aller nydrigst. Widderumb, niemand ligt so tie/J gefallen odder mag so tie/J fallen, dem nicht zu ho/Jen sey, er müge der höhest werden. Weyl hie alle verdienst au/Jgehoben und alleyne Gottes guete gepreyset wird und beschlossen ist festiglich: Der erste soll der letzte, und der letzte der erste seyn. !]amit, das er spricht: Der erste soll der letzte seyn, nimpt er dir alle vermessenheit und verbeut dyr, das du dich über keyne hure erhebest, wenn du gleych Abraham, David, Petrus odder Paulus werest. Da mit aber, das er spricht: Der letzte soll der erste seyn, weret er dyr alle verzwey/Jelung und verbeut dyr, das du dich unter keynen heyligen wer/Jest, Wenn du auch Pilatus, Herodes, Sodom und Gomorra werest. Denn gleich wie wyr keyne ursache haben uns zu vermessen, so haben wyr auch keyne ursache zu verzwei/Jeln, sondern die mittel strasse wird durch dis Euangelion befestigt und bewaret, das man nicht nach dem pfennige sehe, sondern au/J die guete des haus vaters, wilche gleich und eynerley ist uber hohe und nydrige, uber ersten und letzten, uber heyligen und sünder. Und sich der selben keyner mehr rhümen odder trösten odder vermessen kan denn der ander« (WA 17, 2 140-141). Ich brauche nicht zu sagen, daß unsere Auslegung Luthers Predigt in ihrer reformatorischen Radikalität aufnehmen kann. In der Intention der Auslegung besteht deshalb keine Differenz. Wir können nur das über-
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lieferungs geschichtliche Problem nicht umgehen, dem wir begegnet sind und das uns die Frage der Adressatenschaft historisch differenzierter sehen läßt. Es beiseitezuschieben hieße, sich den bewegenden Vorgang verbergen, der sich in Gestalt der Interpretation der Tradition vollzogen hat und den Wechsel von Adresse und Akzent begreifbar macht: historisch wie gerade auch theologisch begreifbar macht. Wir können auch sagen: Daß die Adressatenschaft bei Matthäus über den ursprünglichen Hörerkreis hinausgreift, daß die Gegneradresse sich zur Jüngeradresse wandelt - darin spricht sich der Umgang mit der Tradition aus, wie Matthäus ihn übt. Matthäus wendet die Tradition kritisch an, kritisch gegenüber seiner Kirchel Tradition bestätigt mithin nicht einfach die Gegenwart, eher korrigiert sie die Gegenwart. Oder, anders formuliert: Im überlieferungsgeschichtlichen Vorgang spiegelt sich, daß der Sprecher des Gleichnisses, der sich in historischer Stunde den Kritikern der Freudenbotschaft zuwandte (ich betone: zuwandte!), zugleich der Herr der Gegenwart ist und sich als solcher seiner Kirche zuwendet. 7. So ist zu fragen: Was sagt das Gleichnis bei Matthäus? Darauf dürfte eben vom Kontext her zu antworten sein. Das Logion von Matth. 19, 30 par. Mark. 10, 31 ist nach Julius Schniewind möglicherweise von Haus aus ein »Sprichwort« und sagt als solches etwa: »Wie wandelt sich menschliches Geschick!« (Das Evangelium nach Markus :139). Schniewind vergleicht Mark. 4, 25: »Wer da hat, dem wird gegeben werden; und wer nicht hat: auch was er hat, wird ihm genommen werden.« Schniewind meint, auch hier könne es sich um ein ursprüngliches Sprichwort handeln, stoßen wir doch auf »eine Lebensregel, die im Alltag zweifellos gilt« - deren Gültigkeit aber nicht auf den Alltag begrenzt ist (aaO 80). übrigens vermutet auch Eduard Schweizer, Mark. 4, 25 könnte einmal »ein resigniertes Sprichwort gewesen s~i ... das von Jesus oder der Gemeinde in einem neuen Sinn aufgenommen worden wäre« (Das Evangelium nach Markus 1967 55). Trifft Schniewinds Vermutung zu, unser Logion Matth. 19, 30 habe Sprichwortcharakter, so liegt nahe, daß es vielfach verwendbar war und daß nach seinem jeweils konkreten Sinn immer erst zu fragen ist. Man wird Logion und Gleichnis bei Matthäus, weil Matthäus beide in einen nahen Zu~ammenhang gebracht hat, sich gegenseitig erhellen lassen, so
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daß das Logion etwa sagt: »Die Rollen der Ersten und Letzten können sich ... vertauschen« (Julius Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus 201 vgl. 202). Alles kann sich umkehren. Das Logion hätte bei Matthäus einen warnenden Sinn. Der Jünger darf keiner Selbstsicherheit verfallen. Julius Schniewind hat bekanntlich gern Luthers Unterscheidung von verfehlter securitas und gebotener certitudo übernommen. Hier wäre vor der Gefahr der securitas gewarnt. Adolf Schlatter hat in seiner Auslegung eingeschärft: »Der Fall des Ersten, der ihn zu den Letz-, ten führt, und der Aufstieg des Letzten, der ihn zum Ersten macht, wird von Jesus nicht nur als möglich beschrieben, sondern als ein sicher eintretender Vorgang dargestellt ... « Wie aber wird ein Erster ein Letzter und ein Letzter ein Erster? Wie kommt es zu dieser radikalsten Veränderung? Für Schlatter kommt es zu ihr in der Begegnung mit der Wirklichkeit der Gnade, wie das Gleichnis sie verkündigt. Die Wirklichkeit der Gnade macht aus einem Letzten einen Ersten, weil dem Letzten die Gnade widerfährt. Und die Auflehnung gegen diese Wirklichkeit »stellt auch solche, die mehr als die anderen begnadigt waren, zu den Letzten« ... »Nur der wird groß sein im Himmelreich, der sich zu den Kleinen hält, nur der ein Erster bleiben, der sich zu den Letzten stellt, nur der die Gnade empfangen, der sie auch den anderen gönnt« (Der Evangelist Matthäus 1929 585 f; Erläuterungen 119284 305). Gerhard Barth hat in seiner Studie über das »Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus« (in: Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium 1960) das Logion von 19, 30 auch auf 19,27 bezogen, auf die Frage des Petrus: »Siehe, wir haben alles verlassen und sind ~ir gefolgt. Was wird uns dafür?« Jesus weist Petrus nicht etwa ab, wie wir denken könnten. Das zeigt der unmittelbar folgende Zusammenhang von Matth. 19, 28-29. Petrus darf vielmehr die Verheißung hören, daß allem Verlassen und Hergeben ein vielfältiges Empfangen entsprechen wird. Der Jünger wird nicht mit leeren Händen ausgehen. Aber Jesus verbindet mit der bejahenden Antwort die Warnung. Das» Was wird uns dafür?« ist im Matthäustext Zusatz über Markus hinaus und »kennzeichnet (für Gerhard Barth) die Lohnsucht der Jünger, vor der gewarnt wird«. Selbstverständlich will Matthäus zugleich »19,3° nach 20, 1-15 verstanden wissen« (aaO 112). Die Ersten können »durch ihr Pochen auf ihr Verdienst ... sich um den Anteil an der Freude und die Erfahrung der Güte des Herrn« bringen (Günther Bornkamm, Der Lohngedanke
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im Neuen Testament, in: Gesammelte Aufsätze II 8)). Immer deutlicher zeichnet sich der jüngerkritische Akzent ab, der für das Verständnis des Gleichnisses bei Matthäus gilt. So kann ich auf die Analyse von Matth. 20, 17-28 verzichten. Auch der auf unser Gleichnis folgende Kontext geht an die Adresse der Jünger. Ich zitiere nur Matth. 20, 27: »Wer unter euch der Erste sein will, sei euer Knecht ... « Zum Kontextproblem verweise ich auf Jean Duplacy aaO 26 ff: »11 semble bien que la serie des pericopes (19, 27-20, ~8) dans laquelle Matthieu insere la parabole
forme un ensemble dont la clef est fournie par le dernier episode: l'üici.;. dent des fils deZebedee (20, 20-28).« (»Es scheint, daß die Folge der Perikopen, in die Matthäus das Gleichnis einfügt, ein Ganzes bildet, dessen Schlüssel die letzte Episode liefert: der Zwischenfall mit den Söhnen des Zebedäus.«) 8. Kann man die Kühnheit verkennen, die sich in einem solchen Adressen- und Akzentwech~el ausspricht? Und kann man sich solcher Kühnheit gegenüber anders verhalten, als daß man sie, wenn man sie begriffen hat, bejaht: daß man sie geradezu als vorbildlich gelten lassen muß? Die Kühnheit erweist sich, wenn man näher zusieht, als Gehorsam: als gehorsame Entschlossenheit, das Gleichnis konkret zur eigenen Kirche reden zu lassen. Adolf Jülicher hat freilich Matthäus kritisiert. Aber er hat nicht gesehen, daß Matthäus das Gleichnis auf die Jünger bezogen hat. Und das ist gerade das Erstaunliche. Jülicher möchte in den Ersten, die zu Letzten werden, vielmehr die Frommen Israels erkennen (vgl. aaO 469). Das dürfte nicht zutreffen. Matthäus adressiert im Sinn einer/ Jüngeradresse um. Das ist übrigens auch die Sicht von Josef Blinzler. Er erkennt darin, daß »die Parabel bei Matthäus als an die Adresse der Jünger gerichtet erscheint«, das »Ergebnis der Redaktionsarbeit des Evangelisten«. Er bemerkt aber dann nur: »daß damit der ursprüngliche Sinn der Parabel nicht getroffen ist, bedarf kaum eines Beweises« (aaO 229. 2)7). Ich widerspreche Blinzler nicht, meine aber, daß seine Bemerkung zu sehr im Negativen verbleibt und zu wenig der Intention des Matthäus gerecht wird. Diese Intention des Matthäus ist aber gerade unser betontes Problem. Matthäus läßt nicht die historischen Adressaten, auf die das Gleichnis einmal zugeschnitten war, nach ihrem Verständnis des Handeins Gottes gefragt sein - nach· ihrem Verständnis der Freudenbotschaft, wie Jesus
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sie verkündigt hat und wie sie Jesu Verhalten zu den »Letzten« bestimmt hat. Matthäus adressiert das Gleichnis an die Jünger, um sie zu fragen, ob sie wohl wissen, daß auch sie aus Ersten zu Letzten werden können, daß auch für sie nur die Regel der Gnade gilt. Das verbindende Element (zwischen Tradition und Interpretation) ist zum Greifen deutlich. Man könnte sagen, daß die »Ersten« immer die besonders Gefährdeten sind. Gerade ihr Vorsprung vor den Letzten gefährdet sie, wenn sie ihren Vorsprung als Verdienst verstehen und so ihr radikales Angewiesensein auf die Gnade verkennen. Das Blatt kann sich wenden. Mit dürren Worten gesagt: Der Jünger kann Pharisäer werden. Die Lektion, daß Gottes Handeln allein im Zeichen seiner immer unverdienbaren und immer nur in königlicher Freiheit gewährten Gnade begreifbar ist - diese Lektion, die den Pharisäern und Schriftgelehrten so schwer fiel, ist auch für die Jünger, auch für die Gemeinde, die eigentliche und bleibende Lektion. Man kann sie, wie es scheint, nie einmal für immer begriffen haben. Man lernt an dieser Lektion nicht aus. Die Kirche kann, so überraschend sich das anhört, die Grundregel ihrer Existenz vergessen. Dazu ist Röm. 9-11 eine nahe Sachparallele, weil Röm. 9-11 an die Adresse der Vermessenheit einer >Völkerkirche< gehen dürfte, die Israel abgeschrieben hat und eben damit deutlich macht, daß sie selbst den Ursprung und Grund ihrer Existenz vergißt - den Ursprung und Grund ihrer Existenz, der kein anderer sein kann, als er der Israels je war: Israel und die Kirche können nur von der erwählenden Gnade Gottes gehalten sein. Das ist der Akzent schon von Röm. 9, 1-29, der von vornherein auch kirchenkritisch ist (und nicht etwa primär israelkritisch zu verstehen ist, so gewiß er auch israelkritisch sein dürfte). Israel und die Kirche sind in dem einzigen Kontinuum verbunden, das hier gilt: im Kontinuum der erwählenden Gnade, angesichts derer die Kirche mit Israel nur solidarisch sein kann. Ist die Kirche Institution oder Ereignis 7 Diese Frage ist, wenn sie als Alternative gefaßt ist, nicht beantwortbar. Die Kirche kann nur das Ereignis in der Gnade sein, in der Gott der Kirche immer schon vorauf ist. So zeigt sich bei Matthäus ein Umgang mit der Tradition, bei dem die Tradition nicht kritisch nach außen hin verwandt wird, sondern die Tradition sich kritisch nach innen wendet, zur Selbstkritik anleitet. Das ist das Ende eines jeden privileghaften Denkens. Matthäus wird kirchenkritisch, als ob er fürchten müßte, seine eigene Kirche könnte in neuer
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Form ... die Selbstsicherheit der Pharisäer und Schriftgelehrten wiederholen. Sie würde dann, mit Matthäus zu reden, ein Licht, das nicht leuchtet, und ein Salz, das nicht salzt. Gegen diese Gefahr ist die Kirche nie gesichert. 9. Wir fragen zuletzt, ob diese Auslegung sich zur theologischen Kontur des Matthäusevangeliums fügt - ob der von uns gesehene Akzent im Rahmen des ersten Evangeliums nur vereinzelt vorkommt oder ob er Parallelen hat. Wir fragen mithin nach dem theologischen Kontext unseres Gleichnisses bei Matthäus. Wir kontrollieren unsere vorweg gewagte These, daß unser Gleichnis sich (gerade mit seinem Adressen- und Akzentwechsel) als mit der theologischen Kontur des Matthäusevangeliums verwandt erweist. Das Problem greift freilich weiter als daß wir es erschöpfend aufnehmen könnten. Wir müssen uns mit Hinweisen begnügen. Vielleicht liegt es nahe, bei unserer Kontrollfrage vor allem an die Gleichnisse des Matthäus zu denken. Da ist das Gleichnis vom hochzeitlichen Kleid (Matth. 22, 1.-1.4). Ich wende mich nur dem »Epilog« zu, wie Eugen Biser die Schluß szene nennt, die Szene mit dem Mann, der kein hochzeitliches Kleid anhat (aaO 9:1). Kann man zweifeln, daß mit dieser Szene das ganze Gleichnis eine kritische Zuspitzung erfährt? Eugen Biser möchte verstehen, daß diese Szene die Funktion hat, »jede voreilig abgeleitete Heilssicherheit zu erschüttern«. Die Parabel schildere zunächst d~e Verwerfung der Erstgeladenen, gehe aber in der Schlußszene »darauf aus, nun auch noch die Gefährdung der ... >Letzten< darzutun, um alle, die sich unbedenklich mit ihnen identifizierten, in >Furcht und Zittern< zu versetzen« (aaO 9:1). Mir scheint, daß dieser Akzent, sachlich gesehen, durchaus mit dem Matthäusakzent des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg vergleichbar ist. Matthäus warnt vor jeder Selbstverständlichkeit der Jüngerexistenz, vor jeder Vorwegnahme des Urteils des Richters des Jüngsten Tages. Ihm kann nicht vorgegriffen werden. Das Urteil bleibt das Recht des Richters selbst. Daß es keine Prolepse des Urteils des Richters geben kann, sagt aber offenbar auch das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Matth. 25,1.-1.3). Das Bedrängende der Aussage dieses Gleichnisses besteht darin, daß die kritische Warnung sich wieder an die eigene Kirche richtet - daß der Riß, der im eschatologischen Gericht an den Tag kommt, mitten durch
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die Gemeinde selbst hindurch geht. Daß die klugen und törichten Jungfräuen »die Jüngerschaft versinnbildlichen«, wird deshalb mit Günther Bornkamm zu sagen sein (Die Verzögerung der Parusie, in: In memoriam Ernst Lohmeyer 1951 122). Was verlangt ist, ist die ganze Bereitschaft. Dafür kann, möchte man verstehen, keiner von sich aus garantieren. Vielmehr gilt (ich zitiere Matth. 7, 21-23): »Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Reich der Himmel kommen, sondern wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut. Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen prophetisch geredet und in deinem Namen Dämonen verjagt und in deinem Namen große Taten getan? Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt. >Weicht von mir, die ihr begeht, was gegen die Tora ist<.« Georg Strecker dürfte mit Recht unterstrichen haben, daß wir uns mit Matth. 7, 21-23 im Rahmen von Gemeindeparänese befinden (Der Weg der Gerechtigkeit 1962 137 4). Daß die Gemeinde, die dem Wunder der Vergebung begegnet ist, dieses Wunder im täglichen Leben, im Miteinander von Bruder und Bruder, immer wieder zu vergessen in Gefahr ist (und deshalb immer wieder an dieses Wunder als an den Grund ihrer Existenz erinnert werden muß) - das sagt in unüberhörbarer Eindringlichkeit das Gleichnis vom großen SchUldner (Matth. 18, 23-35). Auch die Rede vom Weltgericht (Matth. 25, 3:1-46) läßt nach Günther Bornkamm erkennen, daß »die Jüngerschaft Jesu nicht schon die Schar der Auserwählten ist, sondern vorerst die Schar der >Gerufenen< ist«. Das fehllose ·und unantastbare Urteil ist in der Hand des Kyrios selbst (Enderwartung und Kirche, in: überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium :1960 21). Ich b.reche ab, meine aber, daß die als Parallelen zitierten Texte zeigen, daß unsere Auslegung des Gleichnisses von Matth. 20, :1-:16a sich mit ihrem jüngerkritischen Akzent im Rahmen der Theologie des ersten Evangeliums hält - mehr noch: daß eben dieser jüngerkritische Akzent für diese Theologie geradezu kennzeichnend ist.
Das Gleichnis vom Schatz und von der Perle (Matth. 13, 44-46)
»Es verhält sich mit der Herrschaft der Himmel wie mit einem Schatz, der in einem Acker verborgen war. Jemand fand ihn und verbarg ihn wieder. Und in seiner Freude ging er hin, verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker. Wiederum verhält es sich mil: der Herrschaft der Himmel wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders kostbare Perle fand, ging er hin, verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.« 1. Wir fragen zunächst, ob die beiden Gleichnisse von Haus aus als Doppelgleichnis zusammengehörten oder ob sie ursprünglich Einzelgleich-
nisse waren und erst von Matthäus in seinem Gleichniskapitel Matth. 13 literarisch verknüpft wurden, weil sie ihm in der Pointe benachbart vorkamen. Beide Möglichkeiten sind denkbar. Denkbar wäre auch, daß sie schon im Lauf der mündlichen Überlieferungsgeschichte miteinander verbunden wurden. Adolf Jülicher sprach wie selbstverständlich von einem Parabelpaar (aaO 581. 585), und auch Adolf Schlatter sah beide Gleichnisse als zusammengehörig an (Der Evangelist Matthäus 446 f). Julius Schniewind hielt beide Gleichnisse für verwandt (Das Evangelium nach Matthäus 167). Wilhelm Michaelis ging soweit, daß er sie auch dann »mit Sicherheit« als ein Gleichnispaar ansprechen wollte, »wenn sie nicht bei Matthäus nebeneinander stünden. Die Übereinstimmung ist so groß, daß sie Absicht sein muß ... Im ersten Gleichnis handelt es sich um einen Schatz, im zweiten um eine kostbare Perle, also in beiden Fällen um etwas überaus Wertvolles. Alle anderen Züge, in denen die Gleichnisse
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auseinander gehen, können nur von untergeordneter Bedeutung für das Ganze sein« (Es ging ein Säemann aus, zu säen 19)8 101). Die Frage. ist nicht unwichtig für die Auslegung der Gleichnisse, wie sofort deutlich sein wird. Denn wenn wir ein Doppelgleichnis vor uns haben, trifft die Konsequenz von Wilhelm Michaelis zu: daß die Übereinstimmung wichtiger ist als die Differenz, weil beide Gleichnisse sich in der Pointe treffen. Das allein entspricht der Struktur, wie sie Doppelgleichnisse kennzeichnet. Rudolf Bultmann hat das Doppelgleichnis so definiert, daß »neben ein vollständiges Gleichnis ein neues tritt, das, parallel gebaut, denselben Satz an einem rieuen Stoff entwickelt . . . Doppelgliedrigkeit ist ein altes und verbreitetes Mittel der Gleichniskunst« (Geschichte der synoptischen Tradition 210). Dieser Definition kann man nur zustimmen. Entscheidend ist, daß bei einem Doppelgleichnis zwei verschiedene Vorgänge gleichnishaft aufgegriffen sind, aber daß jeweils dieselbe Pointe beabsichtigt ist, so daß ein Gleichnis das andere stützt. Der Spielraum in der Bildebene gehört deshalb gerade zur Sache, ohne daß er eine Variante in der Pointe ergäbe. Was erfragt werden muß, ist mithin die Parallelität in der Aussage. Ich grenze ab: Liegt nur ein antithetischer Parallelismus vor, wie z. B. beim Gleichnis vom Hausbau (Matth. 7, 24-27 // Luk. 6,47-49), so handelt es sich nicht um ein Doppelgleichnis, weil trotz der Antithetik der Bildrahmen erhalten bleibt: der Hausbau - auch wenn das Fundament so verschieden wie Fels und Sand ist. Die Entschlossenheit, mit der Wilhelm Michaelis den Doppelgleichnischarakter unserer Gleichnisse (vom Schatz und von der Perle) vertritt, ist von der synoptischen Überlieferungsgeschichte her freilich kaum begründbar. Daß Gleichnisse als miteinander verwandt erscheinen, kann das Urteil noch nicht begründen, sie seien von Haus aus als Doppelgleichnis gedacht. Als Urelemente der Überlieferung haben die kleinsten Einheiten zu gelten. Und so ist damit zu rechnen, daß a1!ch unsere beiden Gleichnisse erst sekundär zueinander gefunden haben. Die Tendenz, bei den Synoptikern Doppelgleichnisse zu entdecken, ist in der gegenwärtigen Forschung rückläufig. Rudolf Bultmann nennt als Beispiel für ein Doppelgleici.~nis Luk. 14, 28-)2 (Vom Bauen und vom Kriegführen), läßt es aber unwahrscheinlich sein, daß unsere Gleichnisse »ursprünglich zusammengehörten«, weil die Einleitungsformel des zweiten Gleichnisses Matth. 1.), 45 »stark gegen 1.), 44 abgesetzt« sei, so daß die Mög-
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lichkeit eines »späteren Zusatzes« überlegt werden müsse (aaO 187. 211). Bultmann meint, bei Doppelgleichnissen grundsätzlich »zurückhaltend urteilen« zu müssen. Daß Gleichnisse »erst sekundär zusammengewachsen« sein können, betont auch Joachim Jeremias, der übrigens auch nur in den beiden Gleichnissen von Luk. 14, 28-)2 unproblematisch ein Doppelgleichnis erkennen kann (aaO 91). Wir bewegen uns im Feld der Möglichkeiten. Selbstverständlich können Senfkorn und Sauerteig, Verlorenes Schaf und Verlorene Drachme - ja selbst Bittender Freund und Bittende Witwe (Luk. 11,5-8 und Luk. 18,1-8) von Haus aus ein Doppelgleichnis gewesen sein. übrigens wäre die handelnde Figur jeweils einmal ein Mann, das andere Mal eine Frau: sollte das zufällig sein? Adolf Schlatter hält diesen Zug z. B. im Blick auf die Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig sowie vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme für »schwerlich bedeutungslos«. Schlatter sieht dadurch unterstrichen: »So denkt und handelt der Mensch, sei er Mann oder Frau« (Das Evangelium des Lukas )47). Die argumentative Kraft der Aussage nimmt mithin zu. Von Luk. 11,5-8 und Lule 18,1-8 wäre dann zu sagen, daß sie sich im Lauf der Überlieferungsgeschichte voneinander getrennt hätten. »Partnerverlust« (wie Joachim Jeremias diesen Vorgang nennt aaO 90) kann vorkommen. Beim Bittenden Freund und bei der Bittenden Witwe wäre ein Doppelgleichnis zu vermuten, wenn der Akzent beider Gleichnisse sich insofern als parallel ansehen ließe, als die Bitte beide Male vergleichbar erschwert erschiene: angesichts des Freundes, der sich auf die Freundschaft (vielleicht) nicht ohne weiteres anreden läßt, und angesichts des Richters, der nicht ohne weiteres vom Willen zum Recht bestimmt ist, wie er in seinem Monolog nur zu deutlich kundtut. Immer muß ein Widerstand überwunden werden. Und beide Gleichnisse liefen auf einen Schluß a minore ad maius hinaus: Wennschon der Freund sich der Dringlichkeit der Bitte öffnet, so unbequem sie ihm ist, und wennschon der Richter zuletzt nachgibt, wenn auch nur gezwungen ... um wieviel mehr wird Gott sich als Helfer erweisen (vgl. Joachim Jeremias aaO 159). Immerhin findet Jeremias hier »fastei:rl Doppelgleichnis« (aaO 157). Nur muß die Bilanz so gezogen werden, daß Sicherheit kaum zu gewinnen ist. Ich würde auch bei den Gleichnissen vom Schatz und von der Perle offenlassen, ob nicht erst Matthäus sie zu Nachbargleichnissen machte, weil sie sich für ihn in der Pointe, bei aller Verschiedenheit ihrer »Stoffe«, trafen.
1.1.2
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Daß bei unseren Gleichnissen ein Doppelgleichnis vorläge, hat Otto Glombitza bezweifelt (Der Perlenkaufmann NTS 7, 1.960/61.). Das Gleichnis von der Perle sei »zu Unrecht in den Schatten von Vers 44 geraten« und würde nur um der redaktionellen Zusammenordnung willen als Parallelbildung behandelt. Aber dabei bleibt für Glombitza der Sinn der literarischen Komposition unverstanden. Otto Glombitza verweist übrigens darauf, daß die beiden Gleichnisse im koptischen Thomas-Evangelium nicht unmittelbar verbunden sind. Aber ich denke, daß das nur begrenzt als Argument gelten kann. Ich sehe nicht, wie sich aus der Reihenfolge im Thomas-Evangelium zwingende Schlüsse zur überlieferungsgeschichte ziehen lassen. Hat das Thomas-Evangelium überhaupt eine eigentliche Ordnung, muß nicht einfach von einer Sammlung von »lose, oft durch Stichwortverbindung aneinandergereihten Jesusworten« gesprochen werden (so Oscar Cullmann RGG3 VI 865, vgl. die sehr ähnliche Charakteristik von Henri-Charles Puech bei Hennecke-Schneemelcher I 1.959 207), die gnostisch gefärbt bzw. interpretiert sind, so daß sie ein - gnostisches Evangelium enthalten 7 Das Problem von Tradition und Interpretation gibt es auch gnostischI Wolfgang Schrage macht geltend, daß dem Gleichnis von der Perle im Thomas-Evangelium der Spruch folgt: »Sucht auch ihr für Euch nach dem Schatz . .. « und entnimmt dem vielmehr, daß auch in der Tradition des Thomas-Evangeliums unsere Gleichnisse »ebenfalls ursprünglich .einmal aufeinander folgten, so daß sich Suchen und Schatz leicht miteinander verbinden konnten« (aaO 1.57). Mit Schlußfolgerungen muß man hier offenbar behutsam sein. Auf die Paralleltexte zum Gleichnis vom Schatz und von der Perle im ThomasEvangelium, die bedeutsame Varianten enthalten, komme ich noch zurück, zumal hier die Frage zu beantworten ist, ob das Gleichnis von der Perle im Thomas-Evangelium nicht in einer Fassung begegnet, die Matthäus gegenüber ursprünglicher ist (wie Claus-Hunno Hunzinger und Joachim Jeremias annehmen und begründen möchten). Otto Glombitza meint, das Gleichnis von der Perle von dem vom Schatz im Acker abheben zu sollen und gelangt dadurch zu einem unerwartet neuen Verständnis. Er sieht im Handeln des Perlenkaufmanns nicht das Handeln des Menschen (wie es der Mensch ist, der im Gleichnis vom Schatz den Fund seines Lebens macht), sondern das Handeln Gottes gleichnishaft abgebildet. Ich zitiere Glombitza: »Gott ist immer auf einen besonders wertvollen Besitz aus - für einen besonders großen und wertvollen Besitz hat er einmal alles hingegeben«. Mit der Perle, die hellenistisch Bildwort für ein geliebtes Kind sein kann (vgl. Friedrich Hauck ThW IV 4767), ist im Perlengleichnis der von Gott geliebte Mensch gemeint (aaO 1.53 f). Trifft Glombitzas Auslegung zu, dann entfällt jede Parallelität der beiden Gleichnisse. Sie kann auch von Matthäus nicht beabsichtigt sein. Vielmehr nimmt Glombitza zu unserem Gleichnis das Gleichnis vom Schleppnetz (Matth. 1.3,47-50) noch hinzu und meint in der Folge der Dreizahl der Gleichnisse den Faden entdecken zu können, der für die »kompositorische Leistung des Evangelisten« federführend war. Ich gebe Glombitza noch einmal das Wort, wenn ich auch seinen Auslegungsversuch nicht für wahrscheinlich halte: »1.. Gottes Reich ist einmal in die Welt eingegangen und wäre in ihr zu finden; aber dieser Fund fällt dem Menschen zu, Bemühungen darum sind vergeblich. Wem aber dieser Fund zugefallen ist, der kann für ihn alles hingeben, weil er dadurch so reich geworden ist, daß jedes andere Besitztum darüber seinen Wert verliert (Gleichnis vom Schatz). 2. Gottes Reich ist ständige Bemühung um den Menschen. Gott hat den Menschen so lieb, daß er ein für alle Mal in Jesus Christus die entscheidende Tat getan hat (Gleichnis von der Perle). 3. Gottes Reich sucht alle Menschen zu umschließen, aber nur diejenigen werden seine Glieder bleiben, die seiner würdig sind« (Gleichnis vom
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:1.:1.3
Schleppnetz). Ich wehre mich nicht dagegen, bei Matthäustexten nach dem kompositorischen Element und dem von Matthäus damit verbundenen Sinn zu fragen. Man braucht nur an die Bergpredigt zu denken, um einen Eindruck vom Gewicht des Kompositorischen bei Matthäus zu bekommen. Aber ich meine, der von Glombitza angegebenen Spur innerhalb von Matth. 1) aus mehl' als- einem Grund nicht folgen zu können. Vgl. zur Kritik an Glombitza auch die wichtige Studie von Jacques Dupont, Les Paraboles du Tresor et de la Perle NTS 14 (1967/68) 408-418. 409".
2. Ich frage sofort nach der Pointe der Gleichnisse. Für Matthäus scheint sie, wie ich entgegen der Auslegung von Glombitza annehmen möchte, bei beiden Gleichnissen parallel gesehen zu sein, auch wenn zu sagen wäre, daß sie nicht ursprünglich ein Doppelgleichnis waren. Darauf dürfte schon der parallele Schluß beider Gleichnisse hinweisen, der sich refrainartig wiederholt: »Er verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker ... er verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie (die Perle)«: Matth. :1.3, 44. 46. Claus-Hunno Hunzinger meint, der Refrain sei in :1.3, 46 von :1.3, 44 her »eingedrungen«. Sollte es so sein, so könnte das gerade dafür sprechen, daß Matthäus die Gleichnisse als Parallelen verstand bzw. daß er sie parallelisierte und im Refrain anglich. Aber welcher Akzent ist mit dem Refrain gesetzt? Julius Schniewind faßt den gemeinsamen Akzent beider Gleichnisse so zusammen: »Die Bilder unserer Gleichnisse . . . beschreiben die Preisgabe des ganzen Lebens und Seins, die zur Jüngerschaft gehört« (Das Evangelium nach Matthäus :1.69). Auch nach Adolf Schlatter verlangt Jesus von den Jüngern »das vollständige Opfer, die auf alles, sogar auf das Leben verzichtende Entsagung« (Der Evangelist Matthäus 446). Nach Rudolf Bultmann ist »der Mensch ... vor das große Entweder/Oder gestellt, ob er sich für die Gottesherrschaft entscheiden und dann ihr alles zum Opfer bringen will« (Jesus :1.926 3:1.). Ich zitiere in dieser Auswahl noch Wilhelm Wilkens, der in seiner Studie: Die Redaktion des Gleichniskapitels Markus 4 durch Matthäus (ThZ :1.964 3°5-327) ebenfalls die Frage nach der Pointe unserer Gleichnisse aufnimmt und mit Eta Linnemann vom »ganzen Einsatz« sprechen möchte, um den es bei Matthäus gehe. Wilkens argumentiert von der Komposition von Matth. :1.3 her und sieht Matth. :1.3,4446 nicht zufällig von Matth. :1.3,36-43 (Deutung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen) und Matth. :1.3, 47-50 (Gleichnis vom Schleppnetz) gerahmt. Er entnimmt diesem Rahmen, daß Matthäus die Gleichnisse vom Schatz und von der Perle unter dem Vorzeichen »des
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letzten Gerichts, das auch vor dem Jünger nicht haltmacht«, interpretiert. Thema der Gleichnisse ist so »die völlige Hingabe des Jüngers in der Erkenntnis der Größe des Himmelreichs und im Hinblick auf das endzeitliche Gericht. Das Doppelgleichnis liegt also genau in der Linie der matthäischen Paränese, den Willen Gottes zu tun« (aaO )2)). Ich denke, daß dieser (bei aller Variation im einzelnen) weithin einheitlichen Auslegung kaum widersprochen werden kann, zum al wenn man nach dem Verständnis fragt, das eben Matthäus mit den' beiden Gleichnissen verband. Gerade der Hinweis auf den Kontext ist hier wichtig und hat schlüsselhafte Bedeutung. Wilkens beruft sich dabei übrigens auf Günther Bornkamm (Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium, ursprünglich erschienen in den Studies in Honour Charles Harold Dodd, überarbeitet in: Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium 1960 17 4). Der Rückgriff auf die Komposition erscheint mir bei Günther Bornkamm und Wilhelm Wilkens einleuchtender als bei Glombitza zu erfolgen, wie auch die von Wilkens angedeutete» Linie der matthäischen Paränese« zutreffen wird. Ich erinnere nur dar an, wie sich das Gleichnis vom großen Abendmahl (Luk. 14, 16-24) bei Matthäus im Gleichnis von der königlichen Hochzeit (Matth. 22, 1-14) durch den Sonderzug vom hochzeitlichen Kleid (22, 11-14) im Akzent verschiebt und zum ganzen Gehorsam ruft. Gerade auch dem Jünger ist alle Sicherheit verwehrt. Ich streife das hier nur, weil ich auf den gleichen Problemzusammenhang an Hand von Matth. 20, 1-16a schon zu sprechen kam. Ich habe mit dem letzten Hinweis den Rahmen des engeren Kontextes überschritten und mich auf den Rahmen der Theologie des Matthäus bezogen. Selbstverständlich ist auch an den thematischen Zusammenhang von Matth. 8; 18-27 zu denken: an das Thema der Nachfolge - von dem auch die Geschichte der SturmstillWlg geprägt erscheint. Man wird bei dieser Auslegung festzuhalten haben, daß jüngerschaft sich bei Matthäus von der Gnade der Berufung herleitet. Das Modell der JüngerberufWlg (Matth. 4, 18-22 // Mark. 1,16-20) bleibt gültig. Der »Refrain« in unseren beiden Gleichnissen erinnert· geradezu an die Schlußzeile in den Geschichten von der Berufung der Jünger. Das souveräne Wort Jesu allein macht Jüngerschaft möglich: »Kommt her, mir nach, so will ich es machen, daß ihr Menschenfischer werdet« (Matth. 4, 19)· Dem Jünger bleibt nur der fraglose Gehorsam. Eben in seinem fraglosen Gehorsam spiegelt sich die Qberlegenheit des Rufes, der ihn
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trifft, des Rufes, der den Sinn der Erwählung hat. Es wird auch kaum zufällig sein, daß bei Matthäus die Geschichte von der Berufung der Jünger unmittelbar der Bergpredigt voraufgeht (vgl. Julius Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus )4). Der Jünger wird zum Gehorsam verpflichtet, wie er, wenn er »alle Völker zu Jüngern macht«, sie »alles halten lehren« soll, was Jesus seinen Jüngern »befohlen« hat (Matth. 28, 19-20). Das alles fügt sich in unseren Zusammenhang. Bei dem Halten der Gebote Jesu ist doch sicher auch an die Bergpredigt zu denken. Jesu Lehre hat »bei Matthäus vor anderen Evangelien den Charakter des Gebotes« (Julius Schniewind aaO 27), vgl. Günther Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische, in: Zeit und Geschichte, Bultmannfestschrift 1964 171 ff). Halte die Gebote! - heißt es im Rahmen der Geschichte vom reichen Jüngling bei Matthäus (Matth. 19, 17) I ). Ich habe aber über das bisher Gesagte hinaus die Frage, ob beide GI~ichnisse nicht noch einen Akzent in sich enthalten, der nicht überhört werden darf, auch wenn er nur in einem der Gleichnisse expressis verbis vorkommt. Ich meine den Akzent, der sich in 1), 44 ausspricht: der Landarbeiter geht »in seiner Freude« hin und verkauft alles, was er hat. Dieser Akzent ist etwa von Joachim Jeremias, aber auch von Eberhard Jüngel in seiner Bedeutung erkannt. Er dürfte für das, was mit den Gleichnissen gesagt werden soll, charakteristisch sein. Ich skizziere dazu noch einmal ganz knapp die Bildhälfte. Ich möchte verdeutlichen, wie sehr dieser Akzent Element unserer Gleichnisse ist. Mit der Herrschaft der Himmel verhält es sich - wie mit einem Geschehen im Alltag. Alltaghaft sind die beiden szenisch pointierten Geschichten vom Fund des Landarbeiters und vom Fund des Perlenhändlers. So etwas kann sich begeben. Freilich: Ganz alltäglich ist weder der Fund des einen noch der des anderen. Beide Geschichten haben vielmehr von ferne etwas von dem Atem, der an den Fahrten der großen Entdekker haftet. Sie berichten von einer großen Stunde im Leben zweier Menschen, die sich als regelrechte Glückspilze erweisen. Das ist es, was sie miteinander verbindet, mögen sie voneinander so verschieden sein wie nur immer. Die Varianten (im Zuschnitt, im Format der beiden handelnden Figuren) - ändern daran nichts. Dans un cas comme dans l'autre, il s' agit de ce qu' on peut appeler un heureux hasard. La joie qu' eprouve l' ouvrier ne veut que traduire cette impression. Nous avons affaire cl
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deux hommes qui viennent de faire une decouverte qui represente la chance de leur vie; le reste n' est la que POUT le pittoresque du recit (Im einen Fall wie im anderen handelt es sich um das, was man einen glücklichen Zufall nennen kann. Die Freude, die der Arbeiter empfindet, will nichts anderes als diesen Eindruck wiedergeben. Wir haben es mit zwei Menschen zu tun, die von einer Entdeckung herkommen, die die Chance ihres Lebens darstellt; was übrigbleibt, dient nur der Farbigkeit der Erzählung: Jacques Dupont aaO 414). Da betritt der arme Schlucker, der sein Brot mit harter Tagelöhnerarbeit verdient, die Szene. So muß man ihn sich doch vorstellen. Denn der Acker gehört ihm nicht. Deshalb muß er seine ganze Habe, so gering sie sein mag, zu Geld machen, um den Acker erwerben zu können (so verstand schon Adolf Jülicher den Text aaO 582). Er stößt beim Pflügen des Ackers auf einen Schatz - auf einen Krug mit Münzen vielleicht (wie z. B. jemand in der Siedlung von Qumran einen Schatz von 580 tyrischen Silbermünzen unter einer Türschwelle in Sicherheit gebracht hat, ohne ihn später wieder an sich nehmen zu können, so daß der Schatz, inzwischen völlig vergessen, erst bei den Ausgrabungen unter Roland de Vaux ans Tageslicht kam. Nach de Vaux hat übrigens ein Dieb seine Beute hier versteckt, als die Siedlung von Qumran vorübergehend verlassen war. Als der Dieb zurückkehrte, um sich seines Schatzes zu bemächtiöen, war die Siedlung wieder bewohnt!). Daß das Vergraben von Schätzen in Palästina gang und gäbe war, kann man auch dem Gleichnis von den anvertrauten Talenten (bei Matthäus und Lukas) entnehmen (vgI. Matth. 25, 18. 25). Andere Möglichkeiten gab es nicht. Das Vergraben bot eine relative Chance der Sicherheit, die größer war, als sie es beim Verstecken im Haus sein konnte, das jederzeit Dieben zugänglich blieb (vgI. Matth. 6, 19). Es bedarf keiner besonderen Vorstellungs gabe, sich auszumalen, was im Herzen des Landarbeiters (wie er im Gleichnis gedacht ist) vor sich ging, als er begriff, was ihm zugefallen war. Und schnell ist der Schluß erzählt. Er verwandelt alles, was er hat, in Geld, kauft den Acker und gelangt so zu seinem Schatz. In den griechischen Wendungen von Matth. 1), 44 (In seiner Freude ging er hin, verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker) liegen Praesentia historica vor, die »in lebhaft vergegenwärtigender Erzählung den Indikativ des Aorist ersetzen« können (BI. Debr. )21). Man kann in der deutschen Übersetzung das Präsens
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(Weizsäcker) oder das Imperfekt (Klostermann) wählen. Die Praesentia historica sind bei Matthäus so selten, daß Joachim Jeremias ihnen entnimmt, »daß die Formulierung des Gleichnisses hier älter ist als Matthäus« (aaO 1'98). Wir stoßen mithin auf eine ältere vormatthäische Überlieferungs schicht. Wieder erweist sich das überlieferungsgeschichtliche Moment als zum Verständnis des Textes unentbehrlich. Ob das Ansichnehmen des Schatzes beim Landarbeiter juristisch ganz mit rechten Dingen zugegangen ist? Oder, wenn schon juristisch, ob auch moralisch? Soll man von »herrenlosem Gut« reden, weil niemand mehr wußte, wer den Schatz im Acker vergraben hatte? Die rabbinischen Geschichten bei Strack-Billerbeck 1674 helfen hier nicht weiter, weil sie voraussetzen, daß der Acker dem Finder schon vorher gehört. »Über die Rechtslage wird nicht reflektiert; es wird geschildert, wie der Durchschnittsmensch handelt. Immerhin ist nicht unwichtig, daß er den Fund . . . nicht einfach an sich nimmt, sondern formalrechtlich korrekt handelt« (Joachim Jeremias 197)' Viel mehr wird sich zu dem Problem nicht sagen lassen. »über die Rechtslage wird nicht reflektiert«! Julius Schniewind überlegt, ob das Gleichnis nicht »zu den >Grotesken< gehören (könnte). Noch Einer, der unrecht handelt (vgl. Luk. 16,1 ff!), kann euch lehren, wie es um Gottes Herrschaft bestellt ist. Was wendet Einer auf, der einen Schatz findet, ihn zu sichern! Und daß es bei Geld und Gut hier in diesem Weltlauf nicht ohne Unrecht zugeht (Luk. 16,9), wer weiß das nicht?« (aaO 168). Aber ich meine, daß die Gleichnisgeschichte nur den gänzlich unverhofften Glücksfall akzentuieren will. Dazu ist alles inszeniert. Und so etwas kommt vor, bis heute, wenn auch selten genug, und füllt die Spalten der Zeitungen, erregt die Köpfe. Geschichten von vergrabenen Schätzen in seiner Heimat in Mecklenburg-Schwerin haben Heinrich Schliemann als kleinen Jungen beschäftigt und ihm frühe Ausgräberträume eingetragen - so daß er selbst autobiographisch bemerkt hat, daß »sozusagen Hacke und Schaufel für die Ausgrabung Trojas und der Königsgräber von Mykenä schon in dem kleinen deutschen Dorfe geschmiedet und geschärft (wurden), in dem ich acht Jahre meiner ersten Jugend verbrachte« (Heinrich Schliemann, Selbstbiographie 19446 7). Adolf Schlatter hat Jesus bekanntlich »Geschichten erfinden« lassen (Das Evangelium des Lukas 1931 285). Und so wird man diese Fundgeschichte um der Pointe willen erfunden sein lassen: so geht es zu, wenn ein Mensch mit Gottes Herrschaft zu tun bekommt ... Das ist nur ver-
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gleichbar solchen glückhaften Fundgeschichten, in denen ein Mensch den Fund seines Lebens macht, der für ihn mit einem Schlage alles ändert. Daß der Landarbeiter »in seiner Freude« hingeht und »alles, was er hat, verkauft«, entspricht dem Horizont der Kurzgeschichte, die hier gleichnishaft aufgegriffen ist. Würde der Hinweis auf die Freude, die den Landarbeiter überfällt, fehlen, so würde er doch dem Sinn nach zu ergänzen sein. Er fügt sich in das Gefälle des Geschehens, besser: das Gefälle des Geschehens fordert ihn. Was den Landarbeiter erfüllt, ist die übergroße Freude, die mit seiner Entdeckung über ihn kommt. Sollte dieses Vorzeichen seines HandeIns nach dem Kontext von Matth. :1) für Matthäus selbst unbetont bleiben, weil für ihn aller Akzent auf die ganze Hingabe fällt, so hebt das nicht auf, daß das Gleichnis von Haus aus dieses Vorzeichen hat. Akzentverschiebungen sind innerhalb der synoptischen Überlieferung keine Seltenheit. Eher ist zu sagen, daß sie sich von selbst ergeben. Sie ergeben sich von dem her, was die Gleichnisse im jeweiligen Textzusammenhang sagen bzw. sagen sollen. Daß es - im Zeichen der Freude I - dazu kommt, daß nicht weniger als die ganze Habe hergegeben wird, damit der Schatz in die Hände des Finders übergehen kann - das bleibt dabei nach wie vor Element der Aussage des Gleichnisses. Wenn wir das Element der Freude betonen, weil es dem Gleichnis schon von seinem eigenen Gefälle her anhaftet, so hören wir es sagen, was es, unbeschadet des Rahmens bei Matthäus, immer noch enthält. So löst sich, wie ich denke, die Spannung innerhalb der verschiedenen Ansätze der Auslegung. So ist Joachim Jeremias zuzustimmen, wenn er interpretiert: »Wenn die große, alles Maß übersteigende Freude einen Menschen faßt, dann reißt sie ihn fort, erfaßt sie das Innerste . . . Alles verblaßt vor dem Glanz des Gefundenen« (aaO :(99). Wilhelm Wilkens widerspricht Jeremias und seiner Betonung des Moments der Freude, das Jeremias das Entscheidende im »Überwältigtwerden« -.durch die Größe des Fundes sehen läßt. »An dieser Stelle liegt der Skopus des Gleichnisses sicher nicht« (Wilhelm Wilkens aaO :(2)). Aber das dürfte doch gerade so nur - von der matthäisehen Interpretation des Gleichnisses gelten. Eberhard Jüngel macht Bultmanns Auslegung gegenüber in bedeutsamer Abgrenzung geltend: »Wer von der Freude über solch einen Schatz bewegt ist, braucht sich nicht mehr zu entscheiden.· Die Entscheidung ist schon gefallen. Der Fund hat sie dem Finder abgenommen«
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(Paulus und Jesus 1964 14)). Ähnlich hat auch Ernst Fuchs dem Gleichnis el'ltnommen: »Nur der Fund und seine Folgen sind entscheidend, nämlich das Eine, daß der Fund den Menschen >ganz< erfaßt« (Das Zeitverständnis Jesu, in dem Band: Zur Frage nach dem historischen Jesus 19602 3)2 f). Eben das gilt, wenn man primär vom Gleichnis selbst und nicht vom Rahmen bei Matthäus ausgeht. Ich bemerke noch, daß man den Landarbeiter nicht zum Phantasten machen darf, wenn er seine ganze Habe aus der Hand gibt (sowenig man das beim Perlenkaufmann darf, wie wir noch sehen werden). Daß er ein Phantast wäre; das kann nur der Zuschauer meinen, der nicht mitbekommen hat, was sich hier eigentlich zuträgt. In Wirklichkeit handelt er höchst vernünftig, einzig vernünftig. Seine Transaktion hat in jedem Sinn Hand und Fuß. Was ihn beflügelt und den nächsten Tag kaum abwarten läßt, ist die Freude, in der er weiß, was er tut. 4. »Das Gleichnis von der Perle ist von derselben Pointe her entworfen« (Eberhard Jüngel aaO 144). Zunächst scheint sich das zweite Gleichnis vom ersten in manchem abzuheben. Bei näherem Zusehen zeigt sich jedoch, daß die Abweichungen (ich denke, samt und sonders) - mit dem anderen Gleichnismodell gegeben sind. Gehört der Landarbeiter sichtlich in kleine Verhältnisse, so betreibt der Perlenkaufmann seinen Handel in großem Stil. Er ist nach der griechischen Vokabel im Text als Großhändler bezeichnet (im Unterschied zum Kleinkaufmann, zum Krämer). Großhändler begegnen Jak. 4, 1) in ihrem Geschäftsgebaren und Pläneschmieden: »Heute oder morgen wollen wir in die und die Stadt ziehen und wollen dort Handel treiben und Gewinn machen«. So mag man sich auch den Perlenhändler, auf der Suche nach Perlen, ständig unterwegs denken: unterwegs zu den Basaren, in denen sie gehandelt wurden. Man denke etwa daran, daß ein phrygischer Kaufmann (nach seiner Grabinschrift) im 2. Jhdt. die Reise von Phrygien nach Rom nicht weniger als 72mal gemacht hat (Adolf von Harnack, Mission und Ausbreitung des Christentums I 19244 25 1) - um sich die Möglichkeiten des Handels und Verkehrs im Imperium Romanum zu verdeutlichen. Perlen wurden »vor allem im Roten Meer, im Persischen Golf und im Indischen Ozean von Taumern gefischt und zu Schmuck, namentlich zu Halsketten, verarbeitet« (Joachim Jeremias aaO 198). Kostbare Exemplare von Perlen konnten einen fast sagenhaften Kurswert haben (vgl. Friedrich Hauck ThW
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IV 475 ff). Eine Perle im Besitz Kleopatras soll nach Plinius d. Ä. den Weft von 20 Millionen Mark gehabt haben! Und heute? »Schottlands einz~ger Berufsperlenfischer, Bill Berneth, hat eine Perle mit einem Durchmesser von 1,27 cm und einem Gewicht von 8,6 Karat im Flußbett des Tay gefunden. Die Juwelierfirma, die die Perle angekauft hat, bezeichnete den Fund als >praktisch unbezahlbar<<< (FAZ 19. 8. 67). Gern hat man eine Differenz darin gesehen, daß der Landarbeiter seinen Schatz sozusagen ohne sein Zutun findet, daß er ihm einfach ;,ufällt während der Perlenkaufmann seine Perle ausdrücklich gesucht habe (vg!. etwa Theodor Zahn, Das Evangelium des Matthäus 19224 500). Das trifft zwar zu, hat aber keinen Akzent. Wer Perlen verkaufen will, muß eben unentwegt auf der Suche sein. Das gehört zu seinem Beruf. Joachim Jeremias betont zu Remt: »Die Gleichnisdoppelung beruht nicht auf der Art des Findens, sondern auf dem Gegensatzpaar arm/reich« (aaO 199). Anzunehmen, daß es sich um einen Sammler handele, der sich aus liebhaberei eine Perlenkollektion zulegt, scheint mir im Text nicht begründet zu sein. Er ist als Fachhändler gedacht, der etwas von Perlen versteht und deshalb sofort zugreift, als er »eine besonders wertvolle Perle« findet, die allen Perlen überlegen ist, die ihm bisher je begegneten. Die griechische Wendung ist nicht im Sinn der »einen kostbaren Perle« zu übersetzen, weil hier ein häufiger Aramaismus für den unbestimmten Artikel vorliegt (vg!. die zahlreichen synoptischen Parallelen bei Joachim Jeremias aaO 198). übrigens würde die »eine kostbare Perle« - ins Märchen gehören. Nach dem Text »findet« auch der Perlenhändler das seltene Stück, wie der Landarbeiter seinen Schatz »findet«. Die Parallelität im Ausdruck halte ich' auch dann für angebracht, wenn ich mir selbstverständlich vorstelle, daß der Perlenhändler >systematisch< auf der Suche nach »guten« Perlen war. Denn das Moment des glückhaften Findens gilt auch für ihn. La decouverte est fortuite et inesperee pour lui, macht Dupont mit Recht geltend (aaO 4094). Man wird als Ausleger über die Pointe nicht hinausgehen dürfen. Es geht um dieses eine tertium comparationis. Man darf den Faden, den die Bildebene enthält, nicht unbegrenzt weiterspinnen : die Bildebene wird vielmehr durch die Sachaussage begrenzt bzw. Bildebene und Sachaussage sind nicht trennbar. Deshalb kann man auch die Bildebene nie für sich selbst nehmen, als ob sie für sich etwas zu sagen hätte ... Wir deu-
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teten schon an, daß das gerade auch bei allem (ausmalenden) Nacherzählen der Gleichnisse zu bedenken ist. So sind Spekulationen zu unterlassen, die überlegen möchten: was aus dem Perlenladen wird, wenn nur noch ein einziges exquisites Exemplar feil ist ... Den Akzent hat allein der glückhafte Griff, der sich selbst rechtfertigt. 5. Erst jetzt wenden wir uns den Paralleltexten im Thomas-Evangelium zu. 'Ich zitiere zunächst den koptischen Text in der übersetzung von Ernst Haenchen: (109) »Iesus sprach: Das Reich gleicht einem Mann, der auf seinem Acker einen (verborgenen) Schatz hat, von dem (er) nicht weiß. Und (nach) seinem Tode ließ er den Schatz seinem (Sohn. Der) Sohn wußte nicht (davon). Er nahm jenen Acker; er verkaufte ihn. Und der, welcher ihn gekauft hatte, kam. Beim Pflügen (fand er) den Schatz. Er begann, Geld zu geben auf Zinsen denen, die er wollte. (110) Jesus sprach: Wer die Welt gefunden hat und reich geworden ist, soll auf die Welt verzichten. (76a) lesus sprach: Das Reich des Vaters gleicht einem Kaufmann, der eine Warenladung hatte (und) eine Perle fand. Der kluge Kaufmann verkaufte die Warenladung; er kaufte sich einzig die Perle. (76b) Sucht auch ihr für euch nach dem Schatz, der nicht vergeht . .. « 6. Die Parallele zum Gleichnis vom Schatz im Acker weicht von der Matthäus-Fassung beträchtlich ab und ist um die in der Matthäus-Fassung intendierte Pointe gekommen. »Das Gleichnis macht in keiner Weise den Eindruck der Ursprünglichkeit gegenüber Matthäus«: diesem Urteil Wolfgang Schrages kann man sich nur anschließen (aaO 197). Aber was will das Gleichnis im >gnostischen< Evangelium sagen: daß eine Gelegenheit unwiderruflich verpaßt ist, wie Joachim Jeremias interpretiert, der sich dabei auf eine rabbinische Parallele bezieht, die den Text des Thomas-Evangeliums beeinflußt habe (aaO 29)? Aber was hieße das? Daß das Gleichnis im Thomas-Evangelium in einer schon >zersagten< Form begegnet, stellt auch Ernst Haenchen fest. Ober dem Zersagen wurde der Sinn fraglich bzw. wandelte sich der Sinn. Haenchen versucht eine Auslegung im Horizont gnostischen Denkens, die ich für naheliegend und einleuchtend halte: »Diese Fassung ... illustrierte für (die) Gnostiker die Wahrheit, daß die meisten Menschen gar nicht ahnen,
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welcher Schatz in ihnen angelegt ist, und daß darum nicht jeder diesen Schatz in seinem Acker findet«. Dieser Schatz ist das eigentliche Selbst des Menschen, das seiner himmlischen Abkunft entstammt (Die Botschaft des Thomas-Evangeliums 1961 47). Diesem Versuch einer Deutung stimmt auch Wolfgang Schrage zu (aaO 198 f). Eine besondere Betonung kommt in der Fassung des Thomas-Evangeliums dem Faktum zu, daß weder der Vater noch der Sohn, noch zunächst der Käufer wissen, was der Acker in sich birgt. Das rechtliche Problem entsteht hier übrigens nicht. Akzentuiert ist das Verborgensein des Schatzes, von dem man »nicht weiß«. Wir befinden uns, wenn dieses Verständnis zutrifft, gänzlich im Zusammenhang gnostischen Denkens. »Die Erhabenheit des Menschen ist nicht offenbar, sondern ist im Verborgenen«; diese Parallele aus dem Evangelium des Philippus (58) ,das in dem gleichen Codex enthalten ist, in dem sich auch das Thomas-Evangelium befindet, wird von Wolfgang Schrage mit Recht als besonders sinnverwandt empfunden. Die Würde des Menschen ist verkennbar, auch von ihm selbst verkennbar. Es bedarf des »Rufes«, um ihn daran zu erinnern (vgl. Hans Jonas, Gnosis und spätantiker Geist I 1934 120 ff). Das gnostische Evangelium kennt, wie hier deutlich wird, keine Geschichte. Übrigens enthält auch das Thomas-Evangelium fast nur Sprüche und kaum eine Erzählung, was doch für den gnostischen Charakter dieses Textes bedeutungsvoll sein könnte. Sind die Sprüche nicht widerstandsloser gegen eine gnostische Interpretation? Vgl. Henri-Charles Puech bei HenneckeSchneemelcher I 1959 203. 7. Nicht so einfach scheinen die Dinge bei der Parallele zum Gleichnis von der Perle zu liegen. Claus-Hunno Hunzinger und Joachim Jeremias haben der Fassung des Thomas-Evangeliums den Vorzug vor dem Matthäustext gegeben. Hunzinger meint, beim Thomas-Evangelium mehr als einmal mit einem »besonderen, von den synoptischen Evangelien unabhängigen Traditionsstrang« rechnen zu können, der der synoptischen Tradition »im Prinzip ebenbürtig, ja streckenweise überlegen« sei. Läßt das Thomas-Evangelium den Kaufmann (der hier kein eigentlicher Perlenhändler ist) seine Handelsware gegen die Perle tauschen, so zieht Hunzinger diese Variante vor. »Der Vorgang ist offenbar so vorgestellt, daß der Kaufmann sich auf einer Einkaufsreise befindet und bereits allerlei Ware eingekauft hat, als ihm die Perle zu Gesicht kommt. Da gibt
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es für ihn kein Überlegen - er stößt alle übrige Ware wieder ab, um diese eine Perle erwerben zu können, die sein größtes Geschäft sein wird. So handelt ein geschäftstüchtiger Kaufmann ... Demgegenüber ist die Fassung in Matth. 1.),46 weniger einleuchtend: all sein Hab und Gut zu verkaufen, geht durchaus über das hinaus, was ein verständiger Kaufmann tut; der Zug wirkt übertrieben und dadurch gerade nicht überzeugend«. Und Hunzinger gelangt zu dem Schluß, daß sich in der Fassung des Thomas-Evangeliums »ein ursprüngliches Element erhalten hat, das in Matth. 1.), 46 bereits verlorengegangen ist« (Unbekannte Gleichnisse Jesu aus dem Thomas-Evangelium, in: Judentum, Urchristentum, Kirche. Festschrift für Joachim Jeremias 1.960 209 ff. 21.0. 21.9 f). Hunzinger hat die Zustimmung von Joachim Jeremias gefunden, der übrigens auch die Verwandlung des Kaufmanns in einen Perlenhändler bei Matthäus (so muß man im Sinn von Jeremias formulieren) für »sicher sekundär« hält, »weil dadurch das Überraschungsmoment vorweggenommen wird« (aaO 1.98). Ich frage mich freilich, ob die referierten Argumente zwingend sind. Daß mit der Einführung des Kaufmanns als Perlenhändler bei Matthäus »das Überraschungsmoment vorweggenommen« und mithin die Logik der Erzählung verletzt wäre, trifft kaum zu. Die Überraschung gilt der Entdeckung der »besonders kostbaren Perle«. Diese besonders kostbare Perle kann aber nur der Fachmann als solche würdigen. Das Oberraschungsmoment gehört in den Horizont gerade des Perlenhändlers! Adolf ]ülicher hat seinerzeit formuliert: »Ein Mann, der nicht Perlen sucht, also ihren Wert nicht kennt, wird auch für die gefundene nicht viel ausgeben« (aaO 584). Diese Einsicht Jülichers trifft die Sache. Wir brauchen im Rahmen der Gleichnis-Kurzgeschichte den Experten, wenn die Geschichte Sinn haben soll. Streicht man den Perlenkaufmann als handelnde Figur und ersetzt ihn durch einen Warenhändler, so ist darin keine Verbesserung zu sehen. In Perlen muß man sich auskennen. An diesen Sachverhalt hat Wolfgang Schrage im Zusammenhang mit dem Argument, das Joachim Jeremias geltend macht, mit Recht erinnert (aaO 1.565). Hunzingers Tendenz, die Gleichnisgeschichte so plausibel wie möglich zu machen bzw. der höheren Plausibilität der Fassung des Thomas-Evangeliums den Vorrang einzuräumen, scheint mir, auch abgesehen davon, daß die von ihm behauptete größere Plausibilität nicht vorliegt, grundsätzlich nicht bejahbar zu sein. Denn zu oft wird in den syn-
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optischen Gleichnissen der Rand des Alltäglichen erreicht. Gegen Hunzingers Kritik, all sein Hab und Gut zu verkaufen (so der Refrain bei Matthäus), »sei unüblich und übertrieben«, wendet Schrage deshalb ein: »Als ob es nicht im Skopus des Gleichnisses ... gerade darum ginge, das Unübliche zu tun, tatsächlich alles andere einzusetzen ... Das aber war kaum besser als durch das drastische hyperbolische >alles< zum Ausdruck zu bringen« (aaO 1.56). Wenn ich mich für den Perlenhändler als sinnvolle Gleichnisfigur einsetze, so ist mein Argument nicht die größere Plausibilität der Geschichte im Sinn Hunzingers, sondern allein die Überlegung, daß der Perlenhändler besser in die Geschichte paßt: daß die Geschichte ihn, wenn sie schlüssig sein soll, fordert. Zur Kritik an Hunzinger vgl. auch R. Schippers, The Mashal-character of the Parable of the Pearl, in: Studia Evangelica II 1.964 236 ff. Ich kann deshalb nicht dafür sein, den Matthäustext nach dem Thomas-Evangelium zu korrigieren, zumal das Thomas-Evangelium, wenn nicht alles täuscht, den Matthäustext voraussetzt, wie mir mit Wolfgang Schrage wahrscheinlich zu sein scheint. Fragen wir nach dem Sinn des Gleichnisses im gnostischen Kontext, so ist offenbar ähnlich wie zum Gleichnis vom Schatz im Acker zu formulieren. »Schatz und Perle meinen ja für Th ein und dasselbe« (Schrage 1.57). Immer geht es um das eigentliche Selbst des Menschen, das ihm zu suchen aufgegeben ist. Schrage verweist auf einen mandäischen Text, der inhaltlich verwandt ist: »... Zur ganzen Welt und ihren Werken habe ich kein Vertrauen in der Welt. Nur nach meiner Seele gehe ich (suchend) umher, die mir Generationen und Welten wert ist. Ich ging hin und fand meine Seele; wozu sollen mir alle Welten?« (Ginza, übersetzt von Mark Lidzbarski 1.925 390 f). Vgl. zur Gnosis auch das Perlenlied aus den Thomasakten (z. B. bei Hennecke-Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen II 1.964 349 ff). Der Ruf der Gnosis erinnert den Menschen an den unverlierbaren Adel, der in seiner himmlischen Herkunft besteht: »Erhebe dich und steh auf von deinem Schlafe . . . Erinnere dich, daß du von königlichem Geschlechte bist ... Erinnere dich der Perle« (vgl. Alfred Adam, Die Psalmen des Thomas ... 1.959 51.). 8. Ich fasse ganz knapp zusammen, was sich uns als Exegese ergab. Wer mit Gottes kommendem Reich zu tun bekommt, erfährt die größte Überraschung seines Lebens. Entdeckergeschichten müssen herhalten, wenn
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nach Vergleichbarem gefragt wird. Das Evangelium bleibt, recht verstanden, die größte Neuigkeit, die es nur geben kann. Darin begegnen sich beide Modelle. Sie beschreiben glückhafte Vorgänge, wie sie sich nicht alle Tage zutragen, wie sie vielmehr aU"sdein gängigen Alltag des Landarbeiters wie des Perlenkaufmanns herausfallen. Makarismen sind bekanntlich Gratulationsformeln. Zum profanen Makarismus gehört das gratulationsfähige Ereignis. So kann man auch dem Landarbeiter und dem Perlenhändler nur gratulieren. Sie wissen es selbst nicht anders; als daß ihnen etwas widerfahren ist, was sie nicht erwarten konnten und was sie sich nicht selbst zuguteschreiben können. Das Evangelium von Gottes kommendem Reich bleibt das Unerwartbare. So sehr durchbricht es allen Menschenalltag, daß es schon in der Sprache der Gleichnisse als die Grenze des Alltags zur Sprache kommt. 9. Ich habe zum Schluß die Frage, ob es denkbar wäre, unsere Gleichnisse in der Verkündigung so nachzuerzählen, daß (»verfremdend«) mit der Geschichte als solcher begonnen würde und erst zuletzt gesagt würde: So ist das auch mit dem Himmelreich ... ! Die Frage ist ja gerade: Was ist das, das Himmelreich? Was ist es um die Begegnung mit ihm? Muß diese Frage nicht immer neu beantwortet werden, damit das unbegreiflich Neue nicht verlorengeht und in einem so gängig gewordenen Vokabular sich eher verbirgt als ausgesprochen wird? Die >Profanität< der Gleichnisgeschichten darf dabei nicht stören, begegnet doch das tertium comparationis zunächst als Pointe in der Ebene der Profanität, freilich von der Intention der Aussage des Gleichnisses her in die Profanität der Welt hineingezeichnet. Die Gleichnisgeschichte vom Säemann setzt in Matth. 1.) auch ohne Schlüssel, einfach als Geschichte, ein, wie etwa auch die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter oder vom verlorenen Sohn einfach als Geschichte einsetzen. Bei einem solchen Nacherzählen müßte freilich alles auf die entscheidende Szene zulaufen: auf die Szene der Entdeckung, die von der Freude begleitet ist, die alles überstrahlt. Ich gestehe, daß das ein Wagnis wäre. Vielleicht aber könnte es bei einem solchen Versuch, in die Schule der Sprache zu gehen, die die Gleichnisse sprechen, besser als sonst gelingen, von dem zu reden, wovon die Gleichnisse reden wollen: von der grenzenlosen Überraschung und von dem unvergleichbaren Fund als den gleichnishaften Chiffren für die Begegnung des Menschen mit dem Evangelium vom Reich ...
Das Gleichnis vom großen Abendmahl (Luk. 14, 16-24) und von der königlichen Hochzeit (Matth. 22, 1-14)
Luk. 1.4, 1.6-24: »Ein Mensch wollte ein großes Mahl geben und lud viele dazu ein und sandte seinen Knecht aus, zur Stunde des Abendmahls den geladenen Gästen zu sagen: Kommt, denn es ist längst bereit. Und sie begannen, sich auf einmal alle zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft, und ich muß notwendig hingehen, ihn zu besehen; ich bitte dich, nimm mich für entschuldigt. Und ein anderer sagte: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und gehe (gerade), sie zu erproben; ich bitte dich, nimm mich für entschuldigt. Und ein anderer s~gte: Ich habe ganz kürzlich geheiratet, und deshalb kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam zurück und meldete dies seinem Herrn. Da ward der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sagte: Herr, es ist geschehen, was du befohlen ·hast, und es ist noch Raum. Und der Herr sprach zum Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll wird. Ich sage euch aber, keiner von jenen Männern, die geladen waren, wird von meinem Mahl kosten.« Matth. 22, 1.-1.4: »Es verhält sich mit der Königsherrschaft der Himmel wie mit einem menschlichen König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. Und er sandte seine Knechte aus, die Eingeladenen zur Hochzeit zu rufen; aber sie wollten nicht kommen. Wieder sandte er andere Knechte aus mit dem Auftrag: Sagt den Eingeladenen: Seht, ich habe
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mein Mahl gerüstet, meine Ochsen und meine Mastkälber sind geschlachtet, und alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! Sie aber kümmerten sich nicht darum und gingen weg, der eine auf seinen Acker, der andere zu seinem Geschäft. Die übrigen aber griffen seine Knechte, ließen ihren Mutwillen an ihnen aus und sdllugen sie tot. Der König aber ward zornig und ließ seine Truppen marschieren und brachte jene Mörder um und ließ ihre Stadt in Flammen aufgehen. Darauf sagte er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist bereit, aber die Geladenen waren nicht würdig. So geht nun hinaus bis an die Enden der Straßen (bis dahin, wo die Straßen der Stadt in die Überlandwege übergehen, vgl. Wilh. Michaelis ThW V 69) und ladet zur Hochzeit, wen immer ihr findet. Und die Knechte gingen aus auf die Straßen und brachten zusammen alle, die sie fanden, Böse und Gute, und der Hochzeitssaal füllte sich mit Gästen. Als aber der König hereinkam, um die Gäste zu besehen, sah er da einen Menschen, der kein hochzeitliches Gewand trug. Und er sprach zu ihm: (Mein) Lieber, wie (loach. Jeremias möchte übersetzen: »mit welchem Recht«) kamst du hierher, hast du doch kein hochzeitliches Gewand? Der aber verstummte. Darauf sagte der König zu seinen Dienern: Packt ihn an Händen und Füßen und werft ihn hinaus in die Finsternis draußen, dort wird Heulen und Zähneknirschen sein. Denn viele sind geladen, wenige aber erwählt.« 1. Das Problem der Überlieferungsgeschichte : Wenn man den Lukasund Matthäustext miteinander vergleicht, dann springen sofort bedeutsame Unterschiede heraus. Wir heben vorläufig nur einige heraus. Aus dem vornehmen und reichen privaten Gastgeber bei Lukas, der Gäste an seine abendliche Tafel lädt, ist bei Matthäus ein König geworden, der zur Hochzeit seines Sohnes einlädt. Man mag beim Vergleich mit Lukas von »grellen Zügen« bei Matthäus sprechen, die er über Lukas hinaus hat (Günther Bornkamm, Jesus von Nazareth 15), und daran denken, daß die Knechte, die im Namen des Königs die Einladung überbringen, nicht nur abgewiesen, sondern mißhandelt und umgebracht werden - und der König darauf als Gegenmaßnahme seine Truppen marschieren und die Stadt der undankbaren Gäste in Flammen aufgehen läßt. (Wird man hier nicht - trotz der Gegenargumente von K. H. Rengstorf, über die nom zu sprechen sein wird - sofort an die über Jerusalem
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im Jahr 70 hereingebrochene Katastrophe erinnert 7) Vor allem fällt bei Matthäus als Sonderzug gegenüber Lukas der Schluß auf, die Szene mit dem Gast, der kein hochzeitliches Kleid trägt - eine Szene, die für die Matthäusfassung so charakteristisch ist, daß das Gleichnis gelegentlich von ihr her seine Überschrift erhält. Die zahlreichen und gewichtigen Unterschiede heben aber kaum auf, daß es sich beide Male um dasselbe Gleichnis handelt. Und so stoßen wir wieder auf das überlieferungs geschichtliche Problem, das uns schon in der Einführung begegnete, an Hand unseres Modellgleichnisses von Luk. 15, 3-7 bzw. Matth. 18, 12-14. Freilich, bei diesem Gleichnis war es mehr der Rahmen, dessen Verschiedenheit uns auffiel, und vor allem von der Verschiedenheit des Rahmens her kamen wir darauf, daß Zuschnitt und Akzent des Gleichnisses sich von Lukas zu Matthäus verschoben. Hier aber, im Verhältnis von Luk. 14 zu Matth. 22, greift die Verschiedenheit auf die ganze Gestalt des Gleichnisses über, greift die Verschiedenheit so weit, daß man bezweifeln konnte, daß wir es noch mit demselben Gleichnis zu tun haben. So etwa Theodor Zahn, der sich dabei auf die veränderte chronologische und topographische Einordnung in den jeweiligen Zusammenhang (bei Lukas und Matthäus) berief, ein Argument, das kaum gilt, von der heutigen Sicht des »Rahmens der Geschichte Jesu« (Karl Ludwig Schmidt) her geurteilt. Aber auch Zahn sprach von einer Ähnlichkeit beider Gleichnisse. Wir werden vielmehr sagen: Daß es sich beide Male um dasselbe Gleichnis handelt, ist festzuhalten, wieweit sich auch beide Fassungen im Lauf der Überlieferungs geschichte voneinander entfernt haben - so daß es fraglich sein mag, ob eine Rekonstruktion einer »gemeinsamen Urform« (Klostermann Matth. 173) gelingen kann. In der neueren Forschung hat sich schon Adolf Jülicher entschlossen dafür eingesetzt, daß kaum etwas in der Evangelienkritik sicherer sei, »als daß Matth. 22 nur eine andere Rezension der Parabel Luk. 14, 16 ff darstellt, vielleicht unter Verwendung von anderweiten, bei Lukas nicht benutzten Stoffen, aber ganz in der Art des Matthäus gehalten, wie wiederum gewisse Sonderzüge in Luk. 14 unverkennbar den Charakter dieses Evangelisten tragen« (407). Und auch Schlatters Urteil lautet rund: »Daß dieses Gleichnis (Luk. 14, 16 ff) mit dem identisch ist, das Matth. erzählt ... ist sofort sichtbar« (Das Evangelium des Lukas 336). Ebenso urteilen Joachim Jeremias und Günther Bornkamm. Man wird jedoch an literarisch von-
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einander unabhängige Erzählungsvarianten zu denken haben, zumal weder Matthäus Lukas noch Lukas Matthäus gekannt zu haben scheint. Wir kommen auf das traditionsgeschichtliche Problem der Umformung später noch einmal zurück. Unsere erste Aufgabe wird darin bestehen müssen, die Abweichungen in der Kontur der Gleichnisse möglichst sorgsam zu erfassen. Alle voreilige Angleichung bzw. Harmonisierung wird zu unterbleiben haben, wenn wir nicht undeutlich machen wollen, was hier gerade erneut zu verstehen ist: das Problem der Überlieferungs geschichte.
Das lukanische Gleichnis: Wir haben schon früher gesehen, daß die Gleichnisgeschichte deutlich in einer Szenen/alge verläuft, wobei der Szenenwechsel durch das Kommen und Gehen des Knechtes gegeben ist, der im Gleichnis von Anfang bis zu Ende vorkommt. Die Gleichnisgeschichte hält sich zunächst durchaus im Rahmen des Gängigen, insofern ein festliches Mahl beschrieben wird. Eine doppelte Einladung ergeht, was dem Brauch der Vornehmen von Jerusalem entsprach. Eine Voreinladung geht vorauf, noch ohne Nennung einer bestimmten Zeit; ihr folgt die eigentliche Einladung mit der Ansage der genauen Stunde. »Keiner ging zu einem Gastinahl, bevor er nicht zweimal gerufen war« (Str. B. I 880). Die Voreinladung verpflichtet die geladenen Gäste, sich auf das Mahl zu rüsten und sich für die Ansage der Stunde bereit zu halten. Das ist zum Verständnis der Exposition des Gleichnisses, wie sofort einleuchten wird, wichtig, wie auch für den Ablauf von Szene 1. In der doppelten Einladung liegt mithin kein »allegorischer« Zug, und sie findet sich als Voraussetzung bei Lukas wie Matthäus (vgl. J. Jeremias 57). Wir haben schon von der Möglichkeit gesprochen, die drei Entschuldigungsszenen von Luk. 14, 18-20 zu einer Szenengruppe I zusammenzufassen. Man kann angesichts der allgemeinen Absage nur von einer Überraschung sprechen - so begründet die Absage auch jeweils erscheinen könnte. Denn daß sich die Stunde des Beginns des Abendmahls gerade mit der Stunde der Überprüfung des Ertrags des Ackers und der Arbeitsleistung der Zugochsen überschneidet, scheint begreiflich, war doch für beides die Zeit nach der eigentlichen Tagesarbeit und vor Feierabend die gegebene Spanne des Tages (vgl. Eta Linnemann, Gleichnisse Jesu 1961 94). Und daß man bei einem solchen Kauf (ehe man ihn endgültig abschloß) eine Besichtigung vorzunehmen nur gut tat, liegt so 2.
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nahe wie möglich. Insofern greift eins ohne weiteres ins andere. Aber das hebt doch kaum das Befremdliche auf, daß die schon geladenen Gäste im Konflikt zwischen der Einladung und ihrem eigenen Vorhaben - dies ihr Vorhaben für wichtiger halten als die Einladung und deshalb die Einladung ausschlagen. (Daß ihre Antwort an den Knecht so zu verstehen wäre, daß sie später doch noch kommen möchten und nur nicht pünktlich sein können, wie Eta Linnemann hier deuten will, scheint mir der Text nicht zu sagen - so wenig wie ich Eta Linnemann darin folge, daß der Gastgeber mit der »schnell« geschehenden Einladung anderer Gäste den später noch eintreffenden ursprünglichen Gästen demonstrieren wolle, daß sie nun zu spät kommen, womit die Parabel den »Charakter eines Schelmenstückes« erhalte. Kritisch gegenüber Eta Linnemann äußert sich auch Dan O. Via aaO, Exkurs zum Gleichnis vom großen Abendmahl 170. Die Aussage des Textes dürfte sich auch nicht darin erschöpfen, daß die Entscheidung des Menschen unaufschiebbar ist und deshalb jetzt geschehen muß. Der Akzent, der auf die Gnade der Einladung fällt, darf seinen Rang nicht verlieren). So zeidmet sich in der Szenengruppe I in Varianten immer wieder dies ab: daß es die Vordringlichkeiten des Tages sind, die zur Absage der Einladung führen. Man wird dabei vielleicht Jülichers Beobachtung aufnehmen können, der zum Stil hervorhebt, daß der Ton allmählich weniger höflich wird: »Echo ananken sagt der Erste, einfach poreuomai, also eine bloße Berufung auf seinen Willen setzt der Zweite, der Dritte vollends kurz, fast grob: Ein Weib habe ich geheiratet und kann deshalb nicht kommen; kein Wort der Bitte scheint ihm vonnöten« (412). Es ist der Horizont der typischen Welt einer Kleinstadt, dem wir hier begegnen. Die Vordringlichkeiten des Tages lassen die Gäste ... keine Zeit für die Einladung haben. Daß der Mensch keine Zeit hat, ist offenbar ein Phänomen, das zum Menschen gehört, sobald er von der Sorge um sein Durchkommen erfüllt ist. Die Gäste sind mit den Fragen ihrer Existenz vollauf beschäftigt, und die drei Entschuldigungsgründe haben für sie den Rang elementarer, selbstverständlicher Argumente. Verschiebbar scheint hier nichts zu sein. Übrigens braucht deshalb der dritte Gast, der kürzlich geheiratet hat, nicht unhöflicher als die beiden anderen zu sein, wenn er die Entschuldigungsformel wegläßt. Er könnte eben seinen Grund einfach für Entschuldigung genug und für elementarer als die Gründe der anderen halten, so daß die Formel hier fehlen kann. Selbst-
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verständlich kann man auch sagen: die erneute Wiederholung erübrigt sich erzählungs technisch. Die Grundfrage der Auslegung von Szene I dürfte sein, ob wir die drei Entschuldigungen einfach innerhalb der Bildebene zu begreifen haben (so etwa Wilhelm Michaelis) - oder ob sie über die. Bildebene hinausreichen und auf das Verhaftetsein der ursprünglichen Hörer (der Pharisäer) an die Dinge des Alltags hinweisen sollen: der Pharisäer, die wie die anderen an den Dingen dieser Welt hängen und deshalb die Botschaft Jesu ablehnen (wie Adolf Schlatter auslegt, Das Evangelium des Lukas ))8). Es ginge dann bei den Pharisäern um eine Mischung von Frömmigkeit und Weltlichkeit. Ich würde hier eher mit Wilhelm Michaelis meinen, daß nur das Nein zur Einladung als solches im Rahmen der Bildebene den Akzent hat und deshalb im einzelnen nicht auszudeuten ist. Freilich wird in einem Punkt doch die Ebene des Alltäglichen verlassen: in der dreifachen Ablehnung der Einladung, die das ausnahmslose Nein aller geladenen Gäste aussagt. Adolf Jülicher hat mit Recht betont, daß ein Konflikt zwischen einem Gastgeber und seinen Gästen »in dieser Ausdehnung die Unwahrscheinlichkeit selber ist, wenn ein gewöhnlicher Hausherr mit Freunden und Nachbarn zu thun hat ... Der Konflikt ist dagegen nicht blos möglich, sondern wirklich, wenn Gott das Mahl veranstaltet.« Das heißt, daß Lukas bei dem Gastgeber von vornherein »schon an Gott denkt« (413). . Bedeutet das nun, daß bei Lukas in dieser Szene doch schon ein allegorisches Element zu erkennen ist? Ich denke: nein. Was hier spürbar wird, ist vielmehr die Grenze des Alltags. Was sich im Verhältnis zwischen den Menschen und Gott zuträgt, läßt sich in der Bildebene des Gleichnisses nur so sagen, daß eine unwahrscheinliche Szene entsteht: wobei die Sache selbst in die Bildhälfte hineinragt, wie wir schon früher einmal formulierten. Die folgende Szene (11) umfaßt Vers 21. Der Knecht kommt zu seinem Herrn zurück und berichtet zunächst. Solche Berichtszenen finden sich auch sonst in den Gleichnissen. Sie liegen erzählungstechnisch nahe. Sie ersetzen die Wiederholung; vgl. Matth. 18, 21 ff. Wichtig ist, wie der Bericht beantwortet wird: Der Gastgeber zürnt, begreiflicherweise, über das Echo, das seine Einladung gefunden hat. Aber die Gleichnisgeschichte ist damit noch nicht zu Ende. Der Gastgeber beantwortet das Nein der zuerst geladenen Gäste mit einer erneuten Einladung, diesmal an die Ar-
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men, Krüppel, Lahmen und Blinden der Stadt. Sie werden in den Rang von Gästen erhoben, wiewohl sie arme Schlucker sind, sind Krüppel, Blinde und Lahme doch »im Orient eo ipso Bettler« (Joachim Jeremias 111). Eine überraschende Tischgesellschaft, zu deren Zusammensetzung man Luk. 14, 12-14 vergleichen muß:
»Er sprach aber auch zu dem, der ihn geladen hatte: Wenn du ein Frühstück oder ein Mahl gibst, 50 bitte nicht deine Freunde noch deine Brüder, noch deine Verwandten, noch reiche Nachbarn, damit nicht auch sie dich wieder einladen und du (50) deine Vergeltung bekommst. Sondern, wenn du eine Gesellschaft gibst, so lade Arme, Krüppel, Lahme (und) Blinde; dann wirst du selig sein, daß sie dir nicht vergelten können, denn es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten« (Übersetzung von Erich Klostermann). Ich weise nur eben darauf hin, daß wir in Luk. 14, 1-24 eine zusammenhängende Komposition des Lukas vor uns haben, deren szenischer Rahmen ein Gastmahl im Haus eines führenden Pharisäers ist (14, 1). Joachün Jeremias sieht in Luk. 14, 12-14 eine sekundäre paränetische Umformung des Gleichnisses von Luk. 14, 16-24, sozusagen eine »Anwendung« des Gleichnisses (34. 90). Wir beachten in unserem Zusammenhang nur die Nähe von Vers 21 zu Vers 13. Daß hier dieselben Stichworte vorkommen, ist kaum zufällig, und beide Verse erhellen einanderl Wir sehen sofort, daß die Tischgesellschaft in II (Vers 21) von der in I (Vers 18-20) vorgesehenen deutlich absticht. Es handelt sich nicht um die ehrenwerten Bürger der Stadt, die wichtige geschäftliche Verhandlungen abzuschließen haben bzw. eben geheiratet haben, sondern um eine Bettlergesellschaft. Denn darauf liegt doch der Akzent in Luk. 14, 12-14, daß der Gastgeber, wenn er »eine Gesellschaft gibt«, lauter Habenichtse einladen soll, die nicht die Möglichkeit haben, sieh zu revanchieren. Der Gastgeber bittet sonst seine Freunde, seine nähere und weitere Verwandtschaft, seine reichen Nachbarn. Das ist ihm selbstverständlich. Die Gäste, die er in der Regel einlädt, gehören zu »seinem Kreis«, wie man nicht ohne Grund zu sagen pflegt. Zu seinem Kreis gehört aber die Gesellschaft, die er nach dem Wort Jesu einladen soll, gerade nicht. Und doch hinge für ihn alles daran, daß sie seine Gäste würden, daß er über »seinen Kreis« hinauskäme und - dürfen wir so sagen? - sein Haus für Lazarus öffnete. Auch der reiche Mann von Luk. 16, 19-31 wird nicht allein an seiner reich besetzten Tafel gesessen haben. Weshalb
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sollen wir ihn uns als Einspänner vorstellen? Wird er nicht von einer Fülle von Freunden umgeben gewesen sein, die ihm gern Gesellschaft leisteten? Nur daß es nicht um die Fülle seiner Freunde ging, sondern um den einen armen Lazarus vor seiner Tür! Sören Kierkegaard hat in seinen Meditationen über das »Leben und Walten der Liebe« (1847) zu dem Text von Luk. 14, 12-14 folgende Sätze geschrieben, die den entscheidenden Akzent in einem fingierten Dialog zwischen dem Gastgeber und einem seiner Freunde sehr eindrücklich werden lassen:
»Denke dir einen Menschen, der ein Gastmcihl veranstaltete, und dazu Lahme, Blinde, Krüppel, Bettler einlud: es sei ferne von mir, etwas anderes von der Welt zu glauben als daß sie es doch schön fände, wenn auch sonderbar. Denke dir aber, dieser Mann, der das Gastmahl veranstaltet, hätte einen Freund, zu dem er sagte: Gestern hatte ich ein großes Gastmahl . .. nicht wahr, dann würde der Freund vor allem sich verwundern, daß er nicht unter den Geladenen war. Wenn er dann hören würde, wer die Eingeladenen gewesen: es sei ferne von mir, daß ich von dem Freund etwas anderes denke als daß er es doch schön fände, wenn auch etwas sonderbar. Doch verwundern würde er sich und würde vielleicht sagen: Das ist doch ein eigentümlicher Sprachgebrauch, eine solche Versammlung ein Gastmahl zu heißen! Ein Gastmahl, wo die Freunde nicht dabei sind! Ein Gastmahl, wo es sich nicht um die Trefflichkeit der Weine, um die auserlesene Gesellschaft, um die Anzahl der an der Tafel aufwartenden Diener handelt! Das soll ein Gastmahl sein! ... Das heißt: der Freund würde meinen, eine derartige Abspeisung sollte man ein Liebeswerk ntfnnen, nicht aber ein Gastmahl. Denn wie gut auch das Mahl war, welches sie bekamen, ob es auch nicht bloß wie das aus der Sup'penanstalt kräftig und wohlschmeckend war, sondern wirklich ausgesucht und kostbar - ja ob sie auch zehn Sorten Wein bekamen: die Gesellschaft selbst, das Arrangement des Ganzen, ein gewisser nicht auszudrückender Mangel an der Sache, erlaubt nicht, daß man so etwas ein Gastmahl nenne. Es ist gegen den Sprachgebrauch, der nun einmal einen Unterschied macht. Gesetzt nun, jener Mann, der das Gastmahl gegeben hatte, antwortete: Ich glaubte doch, ich hätte den Sprachgebrauch auf meiner Seite! Lesen wir nicht im Evangelium des Lukas (14, 12. 13) die Worte Christi: Wenn du das Mittag- oder Abendessen hältst, so lade nicht deine Freunde, auch nicht deine Brüder, auch nicht deine Anverwandten,
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au.ch nicht reiche Nachbarn, auf daß sie nicht dich wieder laden und es dir vergolten werde. Wenn du aber ein Gastmahl veranstaltest, so lade Ar:me, Krüppel, Lahme und Blinde! Hier ist ja nicht bloß das Wort Gastmahl ganz nach dem Sprachgebrauch gebraucht, sondern es wird im Anfang sogar ein minder festlicher Ausdruck gebraucht, Mittag- oder Abendessen, und erst wenn es sich um die Einladung der Armen und Krüppel handelt, erst dann wird das Wort Gastmahl gebraucht. Scheint es dir nicht, als wollte Christus andeuten, da/1 die Einladung -der Armen und Krüppel nicht bloß unsere Pflicht sei, sondern zugleich etwas weit Feierlidteres als mittags oder abends mit Freunden und Verwandten und reichen Nachbarn zu speisen? daß man dies letztere nicht ein Gastmahl heißen dürfe, da erst die Armen einladen heiße ein Gastmahl halten? Aber ich sehe wohl ein, unser Sprachgebrauch ist verschieden; denn durch den allgemeinen Sprachgebrauch ist schon fest vorgeschrieben, wer zu einem Gastmahl geladen werden soll: Freunde, Brüder, Verwandte, reiche Nachbarn, welche es wettmachen können. Die christliche Gleichheit aber und ihr Sprachgebrauch nimmt es genau; sie fordert nicht bloß, daß du die Armen speisen sollst, sondern auch daß du das ein Gastmahl heißest ... Oh, mein Lieber, dünkt dich, das Vorstehende sei nur ein Wortstreit um den Gebrauch des Ausdrucks Gastmahl? Oder siehst du nicht, daß der Streit sich um die Nächstenliebe dreht? Denn wer die Armen speist, aber doch nicht so viel über sich vermag, daß er diese Speisung ein Gastmahl nennt, sieht in den Armen und Geringen nur die Ar, men und Geringen; wer das als ein Gastmahl veranstaltet, sieht in dem Armen und Geringen den Nächsten, wie lächerlich dies auch in den Augen ~er Welt scheinen mag . .. « (übersetzung von Christoph Schrempf 19 2 4 87 ff)· Aber wir kehren zum Gleichnis vom großen Abendmahl zurück. Auch das ist im Zusammenhang des Gleichnisses offenbar zu betonen: Der Gastgeber kommt zu Gästen, auch wenn die zuerst Geladenen nicht kommen. Und das setzt sich in Szene III (Vers 22-2)) so fort, daß der Knecht, nach erneutem Bericht über die Ausführung des ihm erteilten Auftrags, noch einmallosgeschickt wird, weil »(immer) noch Raum da ist«. Sein letzter Auftrag führt ihn über die Grenzen der Stadt hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune (man wird bei den Zäunen an die Umfriedungen der Weinberge außerhalb der Stadt zu denken haben). Solche »Gäste« können über eine »Einladung« offenbar nur selbst ver-
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wundert sein und müssen deshalb freundlich »genötigt« werden. überdies wahren sie die »morgenländische Höflichkeit« und sträuben sich zunächst zu kommen, wie Joachim Jeremias unterstreicht (111). So bleibt das Paradoxe der Tischgesellschaft von Szene 11 in Szene 111 erhalten, das Paradoxe einer überraschenden, ungewohnten Tischgesellschaft - einer Tischgesellschaft von lauter Lazarussen, wobei die Stadtarmen und die Landstreicher (Joachim Jeremias 38), die kein Dach über dem Kopf haben, einander beinahe verwandt erscheinen. Ich habe mich auf den von W. Salm, Beiträge zur Gleichnisforschung, entdeckten und von J. Jeremias aufgegriffenen rabbinischen Text vom reichen Zöllner Bar Ma'jan (j. Sanh. 6, 23c) hier nicht bezogen, weil ich der Erhellung nicht sicher bin, die dabei für die Exegese zu gewinnen ist.
3. Die Deutung des lukanischen Gleichnisses: Die Frage wartet längst, was das Gleichnis sagen will. Eine betonte Zäsur liegt zwischen Szene I und Szene 11, während Szene 11 und Szene 111 enger zueinandergehören dürften. Wer sind die zuerst geladenen Gäste, die alle »auf einmal« die Einladung mit einer Absage quittieren, wiewohl sie schon von der Einladung wußten? Man kann doch nur verstehen: Gemeint sind die ursprünglichen Hörer des Gleichnisses, die Frommen Israels, die, als Gottes Einladung die Stunde des Mahls ansagt: Kommt, es ist bereit! - nicht bereit sind. So entsteht die Dissonanz zu Vers 15! Der Makarismus von Vers 15 sagt die Wahrheit - aber wer wird an Gottes Tafel zu finden sein? ... In der »Stunde des Abendmahls« entschuldigen sich die zuerst geladenen Gäste. Sie sagen ab. Sie versagen sich der Freudenbotschaft Jesu. Ich würde bei diesem Sinn von Szene I bleiben, wobei der Kontrast erfaßt sein will, daß es gerade die Freudenbotschaft ist, die bei den geladenen Gästen kein Echo findet. Das ist im lukanischen Evangelium immer wieder hervorgehoben. Der Konflikt entsteht an der Freudenbotschaft. In der Stunde, in der Gottes Einladung Israel erreicht, findet Israel das Ja nicht: Israel in seinen führenden Schichten - während die Zöllner und Sünder den Weg der Umkehr gehen. Das ist die »Umgruppierung«, von der die Evangelien erfüllt sind. Ich erinnere an Matth. 21, 31: »Amen, ich sage euch, die Zöllner und die Dirnen kommen vor euch iris Reich Gottes. « Das ist das abgründige Rätsel, daß der Zöllner (im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner Luk. 18, 9-14) gerechtfertigt
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in sein Haus geht, jener (der Pharisäer) nicht: daß der Zöllner im Bekenntnis seiner Schuld der Gnade Gottes näher ist als der seiner Sache sichere Pharisäer. Es begegnet uns im Gleichnis vom großen Abendmahl das gleiche Geheimnis, dem wir auch im Gleichnis von Luk. 7, 41-4) nahe waren: daß der Vorzug des Pharisäers zur Gefährdung für ihn wird, daß sein Vorsprung vor den Zöllnern und Sündern ihn verkennen läßt, daß auch er nur vom Wunder der Gnade leben kann. Die Gäste, die zuerst geladen sind, verkennen die Gnade der Stunde der Einladung. Daß der Gastgeber im Gleichnis zürnt, ist doch als durchsichtiger Hinweis auf den Zorn Gottes zu verstehen, auf den »heiligen Zorn des verschmähten Erbarmens und der verletzten Liebe« (Gustav Stählin ThW V 429). Solcher Zorn befindet sich nicht im Widerspruch zur Güte Gottes, ist er doch die Antwort auf die Ablehnung der Güte, besagt er doch, daß es nur eine Möglichkeit des Lebens vor Gott gibt: das Leben von seiner Güte und Barmherzigkeit. Was uns das Gleichnis einprägt und verkündigt, ist das Wunder der Gnade der Einladung. Man kann auch sagen: Es geht um die Souveränität und Majestät der Barmherzigkeit Gottes. Gottes Barmherzigkeit kann verscherzt werden, was auch der Schlußvers (Vers 24) ausspricht. Man kann mit Gottes Barmherzigkeit nicht spielen. Das ist der - Ernst der Gnade bzw. das Gericht der Gnade! Und Gottes Tisch bleibt nicht leer, wenn die zuerst geladenen Gäste sich der Einladung versagen. Seine Einladung wird gehört und angenommen von den Stadtarmen, von den Habenichtsen, von den Zöllnern und Sündern - und in Szene III von den Landstreichern außerhalb der Stadt, auf den Landstraßen der Welt, wobei doch nur an die Menschen der Völkerwelt gedacht sein kann (mit Joachim Jeremias )8). Erich Klostermann sieht Lukas das Gleichnis hier »allegorisch« verstehen (151) daß Lukas in Szene 111 über Israel hinaus· die Völkerwelt anvisiert sein läßt, kann nicht fraglich sein. In der Gemeinde der Verlorenen kommt es zur Solidarität. »Wäre die Gemeinde der Heiligen nicht eine Versammlung solcher lahmen Krüppel und heruntergekommenen Landstreicher, so wäre die Ekklesia, die Tisch- und Hausgenossenschaft Gottes, nicht das reine Gnadenwunder, das sie ist« (Peter Brunner in einer Meditation über unser Gleichnis). Daß die Einladung nicht an ein Anrecht oder Vorrecht geknüpft ist, wird hier daran deutlich, daß sie »an keine Bedingung gebunden ist, sondern von allem absieht, was die Geladenen durch sich selbst sind« (Schlatter, Das Evangelium des Lukas ))8). Das Gleichnis
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verkündigt die Regel der Barmherzigkeit des HandeIns Gottes, die als Regel der Barmherzigkeit keine Begrenzung erfährt und deshalb auch über die Grenzen Isra,els hinaus greift. Daß die V älkerwelt in Szene III einbezogen ist, läßt erkennen, daß das Gleichnis bei Lukas die Missionssituation der Kirche aufnimmt. Der Knecht ist unermüdlich unterwegs. Er ist (als Gleichnisfigur) der Träger der Einladung Gottes - er kann nur dem ihm gewordenen Auftrag nachkommen. Sein Ruf, der zuletzt zum Ruf an jedermann wird, ist nicht seine private Sache, stammt nicht aus seiner eigenen Initiative, sondern ist streng sein Gehorsam ~ Gehorsam gegenüber dem Befehl seines Herrn. Man muß doch sagen: Im Modell des Knechtes begegnet uns zuletzt Sinn und Dringlichkeit der missionarischen Verkündigung, die nicht in der Initiative der Kirche, sondern im Befehl des Herrn der Kirche begründet ist. Zu deutlich wird das Geschehen, das im Gleichnis vor uns abläuft, durch den ständig neuen Auftrag des Herrn des Knechtes in Gang gehalten und weitergeführt. Im grenzenlosen Auftrag spiegelt sich die grenzenlose Barmherzigkeit des Herrn. Das Gleichnis nimmt uns so in eine umfassende Perspektive hinein, in eine Perspektive, die nicht weniger als die Welt umfaßt. Das Geschehen, das Szene III meint, ist offenbar noch nicht abgeschlossen. Der Knecht kann noch nicht die Erfüllung des Auftrags berichten. Aber gerade das entspricht der Grenzenlosigkeit seines Auftrags, der jedermann gilt, wie der Unabgeschlossenheit der Geschichte, in der der Auftrag erfüllt sein -
will. 4. Die Matthäusfassung: Wir haben schon die Unterschiede der Lukasund Matthäusfassung gestreift. Wir müssen aber die Frage nach dem Matthäusprofil des Gleichnisses noch einmal eigens aufnehmen. Daß bei Matthäus eine Allegorisierung (über die Ansätze zur Allegorie bei Lukas hinaus) vorliegt (J. Jeremias), legt sich nahe. Der ganze Rahmen des Geschehens ist verändert, insofern vom König, vom Königssohn und von der Hochzeit gesprochen wird: Bilder für Gott, den Messias und die messianische Freudenzeit. »Zug um Zug will hier gedeutet und verstanden sein« (G. Bornkamm 16). Wird auch hier die Sprache der Bilder gesprochen, so gelten für diese Sprache andere Gesetze als beim Gleichnis. Dazu fügt sich, daß aus dem einen Knecht bei Lukas - viele Knechte geworden sind und daß die Knechte bei der Erfüllung ihres Auftrags nicht
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nur ein Nein zu hören bekommen, sondern die Erfüllung mit schimpflicher Behandlung, ja mit dem Leben bezahlen müssen. Wird hier nicht die bei Lukas. weithin innegehaltene Bildebene deutlich verlassen? Wir können daran denken, daß die Herrenwort-Überlieferung, die der erste Evangelist in sein Evangelium aufnahm, immer wieder auf die Situation der Verfolgung zu sprechen kommt: daß sich im Matthäusevangelium die Situation einer Märtyrerkirche abzeichnet (vgl. Schniewind Matth. Ein!. 204). In der Herrenwortüberlieferung »weht uns der Geist der ersten Zeugen an«, hat J. Wellhausen gesagt. Vor allem aber ist der allegorische Charakter der Matthäusfassung in dem zu erkennen, was über die Stadt gesagt wird. Daß der König seine Truppen marschieren und die Mörder umbringen läßt und zuletzt ihre Stadt den Flammen überantwortet - das wäre im Lukasrahmen nicht möglich, läßt uns aber bei Matthäus erneut an ein Hineintragen der geschichtlichen Wirklichkeit denken: »Matthäus schreibt hier unter dem unmittelbaren Eindruck dessen, was sich begeben hat«, wie J. Schniewind knapp sagt (21.4). In das Gleichnis ist bei Matthäus der Ablauf der Geschichte ... bis zur Katastrophe Jerusalems im Jahre 70 hineingezeichnet. Wie kann man anders verstehen? Karl Heinrich Rengstorf (Die Stadt der Mörder, in: Judentum, Urchristentum, Kirche 1.960 1.06-1.29) hat gemeint, einer solchen Auslegung widersprechen zu müssen, weil in der Zerstörung der Stadt (bis zur Verbrennung der Häuser mit Feuer) ein »aus dem alten Orient stammender und bis in das nachbiblische Judentum erhaltener Topos« vorläge, der mit einer Fülle von literarischen Beispielen belegbar sei - ohne daß hier eine konkrete geschichtliche Erinnerung eine Rolle spielen müsse. Daß das Stichwort »Zerstörung einer Stadt« in den Kriegsannalen antiker Herrscher zu typischen Schilderungen führte, eben zu einem literarischen Topos, dafür kann man an Hand der von Rengstorf "Zitierten Texte offen sein. (Vg1. die assyrischen Kriegsannalen, z. B. über die Zerstörung und Verbrennung von Karkar. Hier mag man von stereotyper Darstellung sprechen. Ich verweise auf Hugo Greßmann, Altorientalische Texte, 1.9262; dort die assyrischen Berichte über die Zerstörung Karkars, 853 unter Salmanassar 111. und 720 unter Sargon.) Aber deshalb braucht doch in Matth. 22,7 nicht der Bezug auf die Zerstörung Jerusalems wegzufallen, wenn dabei auch ein gängiger Topos genutzt wäre (so auch Victor Hasler, Die königliche Hochzeit, Matth. 22, 1.-4, In ThZ 1.962
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3441 ; vgl. auch Ernst Haenchen, Die Botschaft des Thomas-Evangeliums 1961 5668, und Georg Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit 1962 35 7). Halten wir hier in unserer Analyse inne, so zeigt sich, daß Matthäus im Vergleich zu Lukas sowohl knapper wie ausführlicher ist. Was wir bisher an Abweichungen hervorhoben, bezieht sich auf einen Textumfang, der der Szene I bei Lukas entspricht. Es geht um die zuerst geladenen Gäste. Die bei Lukas breiter gegebene Folge von Entschuldigungen (die lukanischen Sprachgebrauch verraten: J. Jeremias 60 1) ist bei Matthäus in knappem Bericht zu finden. Man kann an eine rabbinische Parallele denken, auf die wir nachher für den Schluß unseres Gleichnisses noch einmal zurückkommen müssen, in der es in einem weithin parallelen Mahlgleichnis von einer Gruppe von Gästen heißt: »Da ging der Kalkanstreicher zu seinem Kalk, der Töpfer zu seinem Lehm, der Schmied zu seiner Kohle, der Walker nach seinem Waschhaus« (Str. B. I 878). Die Parallele ist auffällig. Eine Gruppe von Gästen läßt sich durch die Einladung von ihrer täglichen Arbeit in nichts abbringen. Ich möchte hier gleich noch eine weitere Parallele nennen, die im Text des Thomasevangeliums vorkommt und fast nur die Entschuldigungsszenen, und zwar erweitert, enthält. Ich muß darauf verzichten, auf die Frage nach der Beziehung des Thomasevangeliums zur synoptischen Überlieferung umfassender einzugehen. Ich verweise auf Wolfgang Schrage aaO 133 ff und auf Ernst Haenchen, Die Botschaft des ThomasEvangeliums 1961. Das Thomasevangelium ist um 1945 bei Nag-Hammadi (in Oberägypten) gefunden, im Zusammenhang mit dem Fund einer koptisch-gnostischen Bibliothek (vgl. Henrich-Charles Puech, in: Hennecke~Schneemelcher I 1959 202. 210 f).
»Jesus sprach: Ein Mann hatte Gäste. Und als er bereitet hatte das Mahl, sandte er seinen Knecht, damit er die Gäste einlade. Er ging zu dem ersten. Er sagte zu ihm: Mein Herr lädt dich ein. Er sagte: Ich habe Geld(forderungen) an Kaufleute. Sie kommen zu mir am Abend. Ich werde gehen und ihnen Aufträge geben. Ich entschuldige mich für das Mahl. - Er ging zu einem anderen. Er sagte zu ihm: Mein Herr hat dich eingeladen. Er sagte zu ihm: Ich habe ein Haus gekauft, und man bittet mich für einen Tag. Ich werde keine Zeit haben. Er kam zu einem anderen; er sagte zu ihm: Mein Herr lädt dich ein. Er sagte zu ihm: Mein Freund wird heiraten, und ich werde ein Mahl geben. Ich werde nicht kommen können. Ich entschuldige mich für das Mahl. Er kam zu einem
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anderen. Er sagte zu ihm: Mein Herr lädt dich ein. Er sagte zu ihm: Ich habe ein Gut gekauft; ich gehe den Pachtzins holen. Ich werde nicht kommen können. Der Knecht ging. Er sagte seinem Herrn: Die, welche du zum Mahl geladen hast, lassen sich entschuldigen. Der Herr sagte zu seinem Knecht: Gehe hinaus auf die Straßen; die, welche du finden wirst, bringe sie, damit sie das Mahl einnehmen. Die Käufer und die Kaufleute (werden) nicht hinein(gehen) in die Orte meines Vaters« (Übersetzung von Ernst Haenchen 26). Die Parallelen werden für sich selbst sprechen ·und bedürfen deshalb keines näheren Kommentars. Das Gleichnis ist im gnostischen Zusammenhang - gnostisch zu interpretieren. Der Mensch ist verstrickt in die Gesellschaft und das Erwerbsleben. »Darum folgt er dem Ruf ins Reich nicht, das hier mit dem Gastmahl gemeint ist« (Haenchen 56). Das Reich aber ist das Reich des Geistes, dem der Mensch angehört, sofern er Geist ist: geht es doch um das Zurückfinden zum letztlich unverlorenen Ursprung, um den Aufbruch in das Zuhause, an das der Ruf erinnert. Dagegen ist das Geschick der Knechte und das Geschick der Gäste bei Matthäus sehr viel ausführlicher als bei Lukas zur Sprache gebracht. J. Jeremias spricht hier, unter Einbeziehung des Schlusses des MatthäusGleichnisses, geradezu von einem »Abriß der Heilsgeschichte vom Auftreten der Propheten des Alten Bundes über die Zerstörung Jerusalems bis zum Jüngsten Gericht«, zu dem das Gleichnis »durch allegorisierende Ausdeutung« ausgestaltet sei (58). Wir konnten nicht umhin, die Deutung der Verse 1-7 schon zu bedenken. Ich füge nur noch an, daß in der Aufnahme der Zerstörung Jerusalems in den »Abriß der Heilsgeschichte« offenbar prophetische Deutung der Geschichte Israels vorliegt. Man braucht nur zu präzisieren, was hier gesagt wird, um die Kühnheit der Aussage zu begreifen: Die römischen Legionen, die gegen Jerusalem marschierten, sind in Gottes Auftrag marschiert! Aber eine ähnliche Deutung geschichtlichen Geschehens kann in der Bibel bekanntlich immer wieder vollzogen werden. Geschieht nichts in der Geschichte ohne Gottes Willen, so kann er sich auch der Legionen Vespasians bedienen, um an Israel zu handeln, so kann er mitten im geschichtlichen Geschehen seine apokalyptischen Reiter über die Erde reiten lassen (lassen die apokalyptischen Reiter doch nur die apokalyptische Dimension des realen geschichtlichen Geschehens erkennen), um die Welt zur Umkehr zu rufen (Apok. 6) - so ist aber auch der König von Assyrien trotz seiner Hybris
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zugleich Gottes Werkzeug (Jes. 10). Übernehmbar ist eine solche Deutung nur in der Beugung unter den Herrn der Geschichte, ist sie doch Prophetie! Wir kehren zum Vergleich der Matthäusfassung mit Lukas zurück. Szene II bei Lukas (die Einladung an die Armen, Krüppel, Blinden und Lahmen) findet bei Matthäus keine Entsprechung. Dagegen berühren sich Szene III bei Lukas und Szene II bei Matthäus: 22, 8-10. Auch bei Matthäus dürfte an die Völkerwelt gedacht sein. Der Sonderzug aber, den Matthäus zum Schluß (in Vers 11 bis 1)) bringt, hat wieder keine Parallele bei Lukas, und er ist zugleich für die Matthäusfassung so charakteristisch, daß er dem ganzen Gleichnis sein eigentliches Profil verleiht. Was ist der Sinn der Szene mit dem Gast, der kein hochzeitliches Gewand trägt? Man hat in der Geschichte der Auslegung an eine Sitte gedacht, nach der jedem Gast an der königlichen Tafel ein Festgewand für die Teilnahme angeboten worden sei - dieser Mann habe es zurückgewiesen. Aber das steht nicht im Text. Und darüber hinaus ist zu sagen: »Bestehen und Tragweite« einer solchen Sitte ist »umstritten« (J. Schniewind, vgl. auch J. Jeremias )9). Man hat so versucht, das Gleichnis bei Matthäus - von Paulus her zu deuten, und in. dem als Geschenk angebotenen Festgewand (reformatorisch) die geschenkte Gerechtigkeit, die iustitia aliena, finden wollen. Mari mag dazu etwa J. A. Bengel vergleichen, der erklärt: Haec vestis est iustitia Christi (Dies Kleid ist die Gerechtigkeit Christi). Aber Adolf Schlatter hat scharf widersprochen: »Wird die Erzählung des Matthäus dadurch erweitert, daß der König allen auch ein Festgewand angeboten habe, so schafft man ein neues Gleichnis, das aber in einer anderen Ethik wurzelt als der des Matthäus« (Der Evangelist Matthäus 6)9-640). Ich denke, daß wir uns dieser Kritik Schlatters nur öffnen können. Wir haben als Exegeten keine Harmonisierung von Paulus und Matthäus vorzunehmen. Wir verwischen dann nur die Matthäus-Kontur, die es doch gerade zu erfassen gilt. Eben die Differenzierungen sind wichtig. Man kann auch die Theologie der Tora bei Matthäus und Paulus nicht gleichsetzen, sondern muß den jeweils eigenen Akzent heraushören. Was aber bedeutet dann die Sonderszene des Matthäus-Gleichnisses? Ich denke, es ist hilfreich, das rabbinische Mahlgleichnis, an das ich schon erinnerte (Str. B. I 878: Midr. Qoh. 9,8), hier noch einmal im Auszug zu zitieren:
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»Gleich einem König, der ein Gastmahl veranstaltete und (Gäste) einlud. Er sprach: Geht . .. säubert euch, salbt euch, wascht eure Kleider und bereitet euch zum Gastmahl! Er setzte ihnen aber keine bestimmte Zeit fest. Die Klugen gingen am Eingang des Palastes auf und ab. Sie sagten: Sollte der Palast des Königs an irgend etwas Mangel haben? Die Törichten aber bekümmerten sich nicht um das Wort des Königs. Sie sprachen: Schließlich werden wir vom Gastmahl des Königs doch etwas merken! Gibt es denn irgendein Gastmahl ohne Mühe und Festsetzung der Tischordnung? Da ging der Kalkanstreicher zu seinem Kalk, der Töpfer zu seinem Lehm, der Schmied zu seiner Kohle, der Walker nach seinem Waschhaus. Plötzlich befahl der König, alle sollten zum Mahl kommen. Man trieb sie zur Eile an ... « (Und entsprechend ihrer Klugheit oder Torheit kamen die Gäste gerüstet oder ungerüstet.) »Da freute sich der König über die Klugen . .. über die Törichten aber zürnte er.« Die Törichten gehen mit leeren Händen aus und müssen zusehen, wie die Klugen an der königlichen Tafel teilnehmen. Eine Anmerkung mag hinzugefügt sein. Sowohl bei Matthäus wie im rabbinischen Gleichnis ist der Rahmen der Einladung königlich-großzügig. In der Antike konnte es gelegentlich zu Einladungen in ganz großem Stil kommen, so z. B. einmal bei Assurnassirpal 11. (884-859), der zur Einweihung der wiederaufgebauten Stadt Kalach (am Tigris, zwischen Ninive und Assur) ein großes Fest für fast 70000 Menschen aus allen Teilen des Reiches bis hin nach Tyrus und Sidon gab. »Zehn Tage lang speiste ich die Geladenen aus allen Ländern und Kalach, tränkte sie, badete sie, salbte sie, tat ihnen Ehre an und entließ sie gesund und freudig in ihre Länder« (Wolfram von Soden, Der Nahe Osten im Altertum, in: Propyläen-Weltgeschichte 11 1962 80 f). Man wird diese Annalennotiz beachten, wenn man auch die genannte Zahl von 70000 kaum unbesehen übernehmen wird. Im rabbinischen Mahlgleichnis stoßen wir wieder auf eine» Voreinladung«. Die klugen Gäste halten sich auf Grund der Voreinladung von vornherein bereit. Für sie läuft der Alltag nicht einfach weiter, als ob nichts geschehen wäre. Sie nehmen die Einladung ernst und waschen sich und ihre Kleider. Das hochzeitliche Kleid ist das für die Hochzeit hergerichtete Kleid, und das Matthäus-Gleichnis wird hier in einer Analogie zum rabbinischen Mahlgleichnis zu interpretieren sein. Der Sonderzug des Matthäustextes legt den Finger darauf, daß die Einladung, die jeder-
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mann gilt, auch jedermann verpflichtet. Dan O. Via unterstreicht: »Ein angemessenes Hochzeitskleid heißt nicht ein besonders festliches Gewand, sondern saubere Kleidung« (aaO 125). Die Kirchenväter haben eine Fülle von Antworten gegeben, um den Sinn des hochzeitlichen Kleides zu umschreiben. Gregorius sprach von der Liebe, Hilarius vom heiligen Geist, Hieronymus von den Werken. Bengel, den wir schon zitierten, befindet sich mit seiner Auslegung in der Nähe Luthers: »Der Glaube an Christus zieht Christus an; das hochzeytt kleydt ist Christus« (WA 10 III 413) - eine Exegese, die sich schon bei Origenes findet. Man kann diese (hier nur angedeutete) Fülle von Deutungen verstehen, wird aber gleichzeitig sehen, daß es zuletzt um eine einfache Linie geht: um die Linie einer Entsprechung zur Einladung im Leben des geladenen Gastes, im Leben des Christen. Es kann für den, der die Einladung empfangen hat, nicht alles beim alten bleiben. Vielmehr gilt für ihn, daß die Ehre und Freude, die auf ihn wartet, ihn schon jetzt erfüllt und bestimmt: daß sein Leben schon jetzt im Zeichen des Kommenden steht. Joachim Jeremias hat gesehen, daß diese Profilierung des MatthäusGleichnisses mit dem Adressenwechsel zusammenhängt (39). Wieder ist von Lukas zu Matthäus aus der Gegneradresse eine jüngeradresse geworden. Das Gleichnis wendet sich nicht nur kritisch gegen Israel: es wendet sich auch kritisch nach innen, und das dürfte für die Haltung des Evangelisten charakteristisch sein. Die Tradition wird nicht einseitig gehört und zu einer Selbstrechtfertigung verwandt. Sie wird in wacher Verantwortung auch auf die eigene Situation kritisch bezogen. Das Gleichnis warnt mit anderen Worten auch die Kirche, für die Matthäus sein Evangelium schreibt: vor einer Sicherheit, in der sie nicht mehr um die Frage wüßte, die mit der Schluß szene des Matthäus-Gleichnisses gegeben und in der Schlußsentenz (Vers 14) enthalten ist. »Die im Gleichnis vom Hochzeitsmahl dargestellte, geschehene und erfolgte Entscheidung« wird zuletzt »überraschend in Richtung auf die noch ausstehende Zukunft des Gerichtes wieder geöffnet«. Es zeigt sich, daß »auch der Jüngerschaft Jesu das kommende Gericht gilt« (G. Bornkamm, Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium, in: Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium 1960 40. 18). Darf man sagen: Die Sorge des Evangelisten gilt der Möglichkeit, daß es in der Kirche zu einer neuen Form von Sicherheit kommen könnte, die nicht weniger be-
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denklich wäre als jede andere? Ich brauche nur anzudeuten, daß sich hier das Kirchenverständnis des ersten Evangelisten ausspricht, weshalb man fragen wird, ob dieser Zug nicht von Matthäus eingefügt ist, zum al in Vers 11-1) Spracheigentümlichkeiten des ersten Evangelisten begegnen (vgl. Gerhard Barth im eben zitierten Sammelband 55 7). J. Jeremias spricht von einem Verschmelzen zweier Gleichnisse zu einer Einheit, das sich hier vollzogen habe. Im Schluß der Matthäusfassung (bzw. schon am Anfang) wäre dann ein »von Haus aus selbständiges Gleichnis« aufgenommen (79. )9)' Aber mit Sicherheit wird sich das nicht sagen lassen, weil in der rabbinischen Parallele der Grundriß des Matthäustextes weithin schon begegnet und gerade das Moment des hochzeitlichen Kleides schon vorkommt, wenngleich selbstverständlich ohne die allegorische Erweiterung in Szene I und ohne Szene II (8-10). Und Szene III erscheint nur, wenn man von Lukas herkommt, als eine zusätzliche Szene (vgl. zur Datierung der rabbinischen Parallele J. Jeremias 155 2). Wichtiger als diese traditions geschichtliche Einzelfrage ist die schon deutlich werdende Nähe des Matthäusakzents zu einer im ersten Evangelium auch sonst erkennbaren theologischen Linie. Ich erinnere nur an Matth. ), 7-10 (Johannes der Täufer ruft zur Frucht, die der Umkehr entspricht - gegenüber einer Berufung auf Abraham bzw. gegenüber einem Pochen auf ein Erwählungsprivileg), an Matth. 7, 21-2) (Die Berufung auf den Richter des Jüngsten Tages kann seiner Entscheidung nicht vorgreifen: »Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Reich der Himmel kommen, sondern wer den Willen meines Vaters in den' Himmeln tut . . .«; die kritische Frage bleibt auch an den engsten Kreis gerichtet). Aber auch in den Gleichnissen von Matth. 1): Fischnetz und Unkraut unter dem Weizen findet sich die Warnung vor falscher Sicherheit (wobei sprachlich wieder die Hand des ersten Evangelisten erkennbar ist, vgl. J. Jeremias 69 ff). In der Reihe des Gleichnis-Sondergutes bei Matthäus ist noch das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Matth. 25, 1-1)) zu nennen, das unüberhörbar den Ruf zu wacher Bereitschaft enthält und mit dem Ernst seines Ausgangs die christliche Gemeinde selbst warnt. Immer ist zu sehen, daß der warnende Ernst alle Sicherheit im Sinn einer securitas verwehrt und zum ganzen Gehorsam mahnt. So gehört das Gleichnis von der königlichen Hochzeit bei Matthäus in eine paränetische Grundlinie des ganzen Matthäus-Evangeliums hinein, erweist sich mit anderen Worten in seiner Profilierung als ein Element
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der Verkündigung gerade dieses Evangeliums. Die empfangene Einladung verpflichtet. Sie geht den geladenen Gast bis in seinen Alltag hinein an. Sie wirft ihr Licht schon voraus. Das bedeutet nicht, daß der paränetische Akzent der rabbinischen Parallele (der auf die Umkehr fällt) in seinem spätjüdisch-theologischen Zuschnitt einfach übernommen wäre, wogegen J. Jeremias sich mit Recht wendet, wenn er betont, man werde »zwischen der rabbinischen Antwort und der des Evangeliums unterscheiden müssen« (155). Im neuen Zusammenhang spricht der Gleichniszug neu, ist die Einladung und die Weisung an den Gast neu verklammert: verklammert im Sinn des Sichausrichtens auf die Ehre und Freude der Teilnahme an der königlichen Hochzeit. Der Freudencharakter der Einladung darf nicht verlorengehen, den Luther hervorgehoben hat: »Er malets mit schoner farb und nennets ein hochzeit, das ist: nicht ein erbeit zeit, sed freudenzeit, da schickt man sich, singt, pfeift, ißt, trinckt, ist frolich, sonst hieße es kein hochzeit ... Sie doeet Euangelium esse ein libliche, froliche Predigt, et sey ein: recht frolich hochzeit« (WA 37, 550 bis 551). Und auch J. Schniewinds Einsicht wird nicht vergessen werden dürfen, daß im Neuen Testament Umkehr im Zeichen der Freude geschieht, ja selbst zur Freude wird, weshalb für ihn das Hochzeitskleid als» Wort für eine alles überstrahlende Freude« zu verstehen ist (Matth. 215). 5. Eine kurze Erwägung soll unsere Auslegung beschließen. Eine Urform des Gleichnisses ist nur schwer zu rekonstruieren. Man kann kaum daran denken, sie auf dem Weg eines »Subtraktionsverfahrens« zu gewinnen. Subtraktionsverfahren hieße, daß man alle Sonderzüge bei Lukas und Matthäus subtrahierte und den verbleibenden Rest als die ursprüngliche und von keiner Umformung berührte Gestalt des Gleichnisses ansähe. Die Vorstellung vom Vorgang der Oberlieferungsgeschichte, die wir bei einem solchen Verfahren verrieten, könnte man zu mechanisch nennen. Sie widerspräche Beobachtungen, die wir inzwischen -schon gemacht haben, haben wir doch gesehen, daß sich bei Matthäus eine Profilierung zeigt, die das Gleichnis theologisch im Sinn einer paränetischen Grundlinie des ganzen Evangeliums prägt. üb diese Prägung auf den Evangelisten selbst zurückgeht oder schon in der ihm voraufgehenden Überlieferung oder in der »Schule des Matthäus« (Krister Stendahl, The School of St. Matthew 1954) erfolgt ist, ist dabei nicht entscheidend.
Vom großen Abendmahl
Wichtig ist nur, daß die Prägung sich auf das Ganze des Gleichnisses bezieht und sich nicht auf Einzelzüge beschränkt. Wollte man subtrahieren - und bei Lukas Szene II (Vers 2:1) und bei Matthäus Szene III (Vers :1:1-:13) als Zusatz streichen -, so spränge als paralleler Grundriß und vorläufige Urform heraus: Lukas Szene I und III .(:16-20 und 22-24) bzw. Matthäus Szene I und II (:1-7 und 8-:10). Es wären dann weiter die allegorisierenden Züge in Szene I bei Matthäus als spätere Interpretamente zu subtrahieren. Aber hier haben wir noch einmal mit einer Frage einzusetzen. Joachim Jeremias hat darauf hingewiesen, daß das Gleichnis bei Lukas und Matthäus (bei Lukas Szene 111, bei Matthäus Szene 11) zum Missionsbefehl ausgestaltet sei - »ausgestaltet«, weil diese Umformung zwar früh erfolgt sei, »aber trotzdem schwerlich den ursprünglichen Sinn« treffe. Der ursprüngliche Sinn wird von J. Jeremias im Zusammenhang mit der ursprünglichen Adresse (an die Kritiker und Gegner Jesu) als Rechtfertigung der Freudenbotschaft verstanden. Die ursprünglichen Hörer sind selbst die zuerst geladenen Gäste, die Gottes Einladung ausschlagen. Aber Gottes Tisch wird deshalb nicht leer bleiben. Die Zöllner und Sünder nehmen die Einladung an (37 f). Folgt man J. Jeremias (mir scheint seine überlegung begründet), so wird der Versuch, die Urform auf dem Weg über eine Subtraktion zu erreichen, noch problematischer, aber der Sachverhalt selbst einfacher und zugleich bewegter, lebendiger und so begreiflicher, durchsichtiger. Wir müssen nur noch auf das Stichwort der Missionssituation der Urkirche zurückkommen. Daß bei Lukas das Gleichnis auf einen Missionsbefehl hinausläuft, haben wir schon bei der Analyse gesehen. Daß das aber auch für Matthäus gilt, wird sich nicht bestreiten lassen. Man wird darüber hinaus sagen können, daß hier neben der Linie von Matth. 28, :19 (Deshalb geht hin und macht zu Jüngern alle Völker. ,'.) die von Matth. 28, 20 erkennbar wird, nach der es um das »Bewahren alles dessen« geht, »was ich euch geboten habe«. Eben die Paränese ist in den Missionsbefehl hineingenommen. Und das ist wieder ein Zeichen dafür, wie sehr das Matthäusevangelium eine Einheit ist. Wird das Gleichnis aber bei Lukas wie bei Matthäus als Missionsbe~ fehl verstanden, dann liegt hier schon zurück, was man mit Heinrich Schlier die »Entscheidung für die Völkermission in der Urchristenheit« nennen kann, im Sinn einer der Urkirche sozusagen Schritt für Schritt
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von ihr@m Herrn abgerungenen und ihr nicht etwa von vornherein selbstverständlichen Entscheidung. J. Jeremias hat in seiner Schrift: Jesu Verheißung für die Völker (1956) die Einsichten Schliers übernommen und weitergeführt, wie das auch von Johan:nes Blauw (Gottes Werk in dieser Welt 1961) zu sagen ist. Jesus hat in seine Verkündigung die Völkerwelt in der Weise der alttestamentlichen Verheißung einbezogen, nach der die Völkerwelt in der eschatologischen Stunde ... zu Israel hinzukommen wird (vgl. auch Gerhard von Rad, Die Stadt auf dem Berge, EvTh 8 1948/49,439-447). So iS,t doch das Logion von Matth. 8, 11 zu verstehen: »Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob zu Tisch sitzen im Reich der Himmel.« In diesem Zusammenhang ist nicht unwichtig zu sehen, daß das Matthäusevangelium noch die Weisung an die Jünger festhält: »Zieht nicht zu den Völkern und betretet nicht die Provinz Samaria; geht vielmehr zu den verlorenen Schafen vom Haus Israel« (Matth. 10, 5-6). Man mag auch die Geschichte von der Kanaanäerin Matth. 15, 21-28 vergleichen, die doch auch von einem (noch erst vereinzelten, zeichenhaften) »Hinzukommen« der Kanaanäerin zu Israel als dem Volk der Erwählung spricht: die Frau sagt ausdrücklich Ja zum Geheimnis der Erwählung Israels. Albrecht Alt hat übrigens in seiner Studie über die »Stätten des Wirkens Jesu in Galiläa« betont, daß wir keinen Anhalt dafür hätten, daß Jesus jemals die Grenzen des jüdischen Volkstums überschritten habe. Davon hebt sich der Schluß von Matth. 28 spürbar ab. Aber in diesem Schluß begegnet uns der Befehl des auferstandenen Kyrios, was nicht verwischt w~rden darf. Die Stunde der Mission (im Sinn des Vorstoßens der Botschaft und der Boten in die Völkerwelt) ist eine eigene und neue Stunde. Diese Stunde zeichnet sich in beiden Fassungen unseres Gleichnisses schon ab. So begegnet uns erneut ein Beispiel dafür, daß die Urkirche zugleich interpretierte, was sie tradierte - daß die Spuren ihres Hörens für uns erkennbar sind. »Die überlieferung gibt nicht eigentlich (Jesu) einst gesprochenes Wort wieder und weiter, sondern sie ist sein Wort heute« (G. Bornkamm, Jesus von Nazareth 195 6 15).
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. 10, 25-37)
»Und siehe, ein Lehrer der Tora stand auf, ihn zu versuchen, und sagte: Lehrer, was muß ich tun, um ein Erbe des ewigen Lebens zu werden? Der aber sprach zu ihm: Was steht in der Tora geschrieben? Wie liesest du? Er gab zur Antwort: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deiner ganzen Vernunft und deinen Nächsten wie dich selbst. Er sprach zu ihm: Richtig hast du geantwortet; das tue, so wirst du leben. Der aber wollte sich selbst rechtfertigen und sagte zu / esus: Und wer ist mein Nächster? /esus nahm das Wort und sprach: Ein Mann ging von /erusalem nach /ericho hinab und fiel unter Räuber, die zogen ihn aus und schlugen ihn, ließen ihn halbtot liegen und machten sich davon. Es traf sich aber, daß ein Priester jene Straße hinabging; der sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam auch ein Levit an die Stelle; der sah ihn und ging voruber. Ein Samariter aber, der unterwegs war, kam in seine Nähe, sah ihn und erbarmte sich, ging auf ihn zu, goß öl und Wein auf seine Wunden und verband ihn. Dann setzte er ihn auf sein Reittier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Und am anderen Morgen zog er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Pflege ihn, und was du außerdem noch aufwendest, werde ich dir auf meinem Rückweg ersetzen. Wer von diesen dreien, meinst du, ist dem, der unter die Räuber fiel, der Nächste geworden? Er sprach: Der, der die Barmherzigkeit an ihm tat. /esus aber sprach zu ihm: Geh hin und tue desgleichen.«
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Wir haben im Gleichnis vom barmherzigen Samariter eine der sog. Beispielerzählungen vor uns, für die charakteristisch ist, daß sie nicht Gottes Handeln an dem, was ein Mensch tut, gleichnishaft verdeutlichen, sondern am Modell menschlichen Handeins zeigen, was der Mensch zu tun hat. Ein Einzelfall wird zum Modellfall. Es bedarf nicht erst der Übersetzung aus einer _Bildhälfte in eine Sachhälfte. Die Erzählung bringt sofort die Sache selbst zur Sprache. Sie hat nicht nur paränetischen Zuschnitt - sie ist Paränese. Sie ist »veranschaulichte Ethik«, wie Schlatter knapp formuliert. Zu den Beispielerzählungen rechnet Adolf Jülicher noch drei weitere lukanische Gleichnisse: Luk. 12, 16-21; 16, 19-31. und 1.8, 9-1.4; Schlatter nimmt noch Luk. 16,1. ff hinzu. Selbstverständlich wird auch in den Beispielerzählungen »Gottes Wllle und Werk enthüllt. Aber den Stoff dieser Geschichten gibt das, was die Menschen tun« (Adolf Schlatter, Das Evangelium des Lukas 285). So begegnet uns in der Beispielerzählung in besonderer Direktheit die Frage nach unserem Handeln, im Sinn der Weisung oder der Warnung. Der Appell springt aus der Geschichte unmittelbar und unabweisbar heraus. »Geh hin und tue desgleichen« (Vers 37). Würden wir von diesem Adressiertsein an uns absehen, hätten wir dem Gleichnis die' Spitze abgebrochen. 1.
Dabei kann gleich unterstrichen werden, daß der Akzent in unserem Text immer wieder auf das Tun fällt. Schon die Frage des Toralehrers zu Anfang gilt dem gebotenen Tun: Was muß ich tun, um ein Erbe des ewigen Lebens zu werden? Das Doppelgebot gebietet u.mfassend ein Tun, worauf Vers 28 zurückgreift: Das tue, so wirst du lebenl Und das Gleichnis spricht in allen Einzelszenen vom Tun: auch wenn Nächstenschaft verweigert wird, war sie gefordert. In unserem Gleichnis stoßen wir auf ein Modell der Nächstenschaft. Nächstenschaft kommt hier in der Begegnung zustande. Was das heißt, werden wir noch näher zu verstehen haben. Aber das ist von vornherein zu sehen: daß Nächstenschaft ... Nachbarschaft meint, Nachbarschaft voraussetzt und zur Nachbarschaft verbindet - daß hier zwei Menschen in nächste Beziehung zueinander geraten und aneinander gewiesen sind, daß der eine nicht ohne den anderen sein kann. Deshalb kommt hier Menschlichkeit als Mitmenschlichkeit zur Sprache. Die Frage des Toralehrers gilt dem Nächsten: »Wer ist denn mein Nächster?« (Vers 29). Wir werden das überlieferungsgeschichtliChe Pro-
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blem aufzunehmen haben, wie das einleitende Gespräch (Vers 25-29) und das Gleichnis (Vers 30-37) zueinander gehören: ob Einleitung und Gleichnis als ursprünglich verbunden anzusehen sind oder ob sie erst im Lauf der überlieferungsgeschidlte (vielleicht durch den Evangelisten, vielleicht schon vor ihm) zusammengefügt sind. Aber wie man sich hier auch entscheidet: »Mag (die Gleichniserzählung) vorher >frei umgelaufen< sein - was anders hätte ihr Thema sein können als: >Wer ist denn mein Nächster?<<<, meint Heinrich Greeven fragen zu können (ThW VI 31.5). So wird die Frage des Toralehrers auch unsere Frage ... werden müssen, wenn sie es nicht längst schon ist. Oder ist es selbstverständlich, daß wir wissen, wer unser Nächster ist? Aber worin besteht die Antwort, die das Gleichnis auf diese Frage gibt? Läuft sie darauf hinaus: »Was der Nächste ist, kann man nicht definieren, man kann es nur sein« (Heinrich Greeven ThW VI 31.6)7 Soviel scheint deutlich, daß alle Formelhaftigkeit hier endet. Daß in der entscheidenden Szene gerade ein Samariter und ein ,ude miteinander konfrontiert werden, kann nicht gleichgültig sein und dient nach Schlatter dazu, die Formel Nächster »beweglich zu machen« (286). Die oft genug vertretene Meinung, Jesus habe hier nur alle (jüdischen) Begrenzungen aufheben wollen und jeden Menschen für uns zum Nächsten gemacht (und darin liege die Pointe des Gleichnisses) - dürfte sich als zu kurzschlüssig erweisen. Martin Dibelius hat dazu in einer Arbeit über »Das soziale Motiv im Neuen Testament« (in: Botschaft und Geschichte I 1.97) bemerkt: der (jüdische) Begriff des Nächsten werde im Evangelium »nicht einfach erweitert, sondern ... völlig zersprengt . .. Das Nächstenverhältnis ist immer dort gegeben, wo jemand auf die Hilfe dessen angewiesen ist, der vorüberzieht. Es tritt also gerade in dieser G~staltung des Nächstenbegriffes die Aktualität der evangelischen Forderung in die Erscheinung, jene Aktualität, die nicht fragt, wem man immer zu helfen und wem man die Hilfe immer zu versagen hat, sondern die weiß, wem gerade ich, gerade jetzt, unter diesen Umständen zu helfen aufgerufen bin, heute und hier - morgen kann die Lage völlig anders sein. Die Nächstenliebe hat also im Evangelium aufgehört, mit einer statischen Abgrenzung des Objektes verbunden 2;U sein.« Soll man verstehen: Der Augenblick tritt in sein Recht: der Augenblick, über den ich nicht im voraus verfüge, sondern der mich unvorhergesehen fordert, ihn in dem ich aber den Nächsten zugewiesen bekomme, so daß nicht
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definiere, sondern Gott ihn mir definiert, indem er - ihn mir begegnen läßt? Damit stehen wir vor der Aufgabe der Exegese.
2. Wir setzen mit dem einleitenden Gespräch (25-29) ein und nehmen die synoptischen Parallelen hinzu, um im Vergleich mit Matthäus und Markus die besondere Linie des lukanischen Textes zu erkennen. (Matth. 22,34-40:) »Als die Pharisäer aber hörten, daß er die Saddu-
zäer zum Schweigen gebracht hatte, versammelten sie sich, und einer von ihnen, ein Toralehrer, fragte ihn, um ihn zu versuchen: Lehrer, welches Gebot ist das größte in der Tora? Der aber sprach zu ihm: Du sollst lieben den Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Vernunft. Das ist das größte und erste Gebot. Das zweite ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.« (Mark. 12, 28-34:) »Und einer der Schriftgelehrten kam hinzu, der gehört hatte, wie sie miteinander stritten. Weil er wußte, daß er ihnen treffend geantwortet hatte, fragte er ihn: Was für ein Gebot ist das erste von allen? /esus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott ist ein einziger Herr, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele und deiner ganzen Vernunft und deiner ganzen Kraft. Das zweite ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ein anderes Gebot, das größer wäre als diese, gibt es nicJzt. Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Treffend, Lehrer, der Wahrheit entsprechend hast du gesagt: >Er ist der einzige, und es ist kein anderer außer ihm, und mit dem ganzen Herzen und dem ganzen Verstand und der ganzen Kraft ihn lieben und den Nächsten lieben wie sich selbst< - das ist mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer. Und als Jesus sah, daß er verständig geantwortet hatte, sprach er zu ihm: Du bist nicht weit von Gottes Herrschaft entfernt. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.« ). Beim Vergleich fällt ein Unterschied sogleich auf: ,daß bei Matthäus und Markus Jesus selbst auf die an ihn gerichtete Frage antwortet, während bei Lukas Jesus die Gegenfrage stellt und so die Frage an den Tora-
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lehrer zurückgibt: »Was steht in der Tora geschrieben? Wie liesest du da?« Man könnte diese Gegenfrage abrupt nennen. Sie fragt den Toralehrer nach dem, was die Tora zu seiner Frage sagt - wenn man nicht gleich weiter zuspitzen will: Jesus ruft ihn mit ihr zur Schrift und ihrer längst gegebenen, verbindlichen Weisung zurück. Eine paradoxe Situation für einen Lehrer der Tora! Hat er erwartet, daß Jesus die Tora beiseiteschieben würde? Aber gerade Jesus behaftet ihn bei der Tora. Und es kommt - Matthäus und Markus gegenüber - zu der Überraschung, daß der Toralehrer die Gegenfrage aufnimmt und selbst mit dem Doppelgebot antwortet, mit anderen Worten, seine eigene anfängliche Frage zu beantworten fähig ist. Er kennt seinen Text. Aber die Überraschung geht weiter. Der Toralehrer gibt sich bei Lukas mit der von ihm selbst gegebenen Antwort nicht zufrieden. Sagt ihm diese ihm bekannte Antwort nichts? So fragt er in Vers 29: Wer ist denn mein Nächster? - als ob das Doppelgebot für ihn keine Antwort wäre oder doch die Frage nach dem Nächsten noch offen ließe. Dabei hat Jesus seine Antwort mit einem runden Ja als sachgemäß und auch für ihn gültig bestätigt: Das tue, so wirst du leben! Dieser schnell beobachtbare, aber sehr abgründige und problemgeladene Sachverhalt birgt mehr als eine Frage in sich. Wir sehen zunächst noch etwas genauer zu. Die Frage des Toralehrers hat bei Lukas einen etwas anderen Wortlaut als die parallele Frage bei Matthäus und Markus. Sie wird aber sachlich kaum anders gemeint sein. Hat Lukas sie nur in eine Form übersetzt, in der sie sofort für einen Leser verständlich war, der nicht von der Tora herkam: »Was muß ich tun, um ein Erbe des ewigen Lebens zu werden?« Das ist bei Lukas wörtlich parallel mit der Frage des reichen Jünglings in Luk. :18, :18. Man hat daran gedacht, die Frage bei Lukas (gegenüber der bei Matthäus und Markus) als praktisch-konkret gemeint abheben zu können, während sie bei Matthäus und Markus einen mehr theoretisch-abstrakten Zuschnitt habe. Aber davon kann kaum die Rede sein. Eine solche Unterscheidung wäre doch wohl als eingetragen zu bezeichnen. Denn wenn die Frage bei Matthäus lautet: Welches Gebot ist das größte in der Tora? und bei Markus: Welches Gebot hat Vorrang vor allen anderen? - so ist auch hier nach der Mitte der Tora gefragt, im Sinn einer Grundlinie aller ihrer Weisungen, im Sinn einer Grundregel des Lebens. Abstrakt ist das nicht gemeint. Zu dieser Frage ist zu sagen, daß
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sie, wie sie bei Matthäus und Markus vorkommt, historisches Kolorit trägt, daß sie ihre historischen Parallelen hat - wovon ein Blick in die bei Strack-Billerbeck gesammelten Texte überzeugt. Die mit der Frage berührte Problematik ist mit anderen Worteit."dein palästinischen wie dem hellenistischen Judentum nicht fremd gewesen. Eine verwandte rabbinische Frage lautet: »Welches ist das Gebot, das alle übrigen Gebote aufwiegt?« (Str. B. I 904). Es geht um die grundlegende Norm, in der sich die ganze Tora mit der Fülle ihrer Gebote und Verbote zusammenfassen läßt - zählte. man doch 248 Gebote und 365 Verbote (vgl. Str. B. I 900-901). Die Frage nach einem einheitlichen Nenner ist hier begreiflich genug. Übrigens heißt es bei Matthäus wörtlich: Welches Gebot ist groß in der Tora? Wir haben übersetzt, als ob im Text der Superlativ stünde. Dazu führt Schlatters Beobachtung: »Dieses >groß< hat für einen Palästiner größeres Gewicht als ein Superlativ; denn neben >dem großen Gebot< sind die anderen alle nicht nur weniger groß, sondern klein. Gefragt wird also nach demjenigen Gebot, dessen Wichtigkeit alle anderen übertrifft, so daß es das Verhältnis des Menschen zu Gott bestimmt« (Der Evangelist Markus 227). Deshalb wird vom Doppelgebot bei Matthäus gesagt( an ihm »hänge die ganze Tora und die Propheten« - »wie eine Tür in den Angeln« (Walter Bauer). Das Doppelgebot ist wie ein Haken, an den alle übrigen Weisungen der Tora gehängt werden können, und dieser Haken ist tragfähig. Das Doppelgebot ist in der Tat ihr Grundsinn.
4. Das Doppelgebot: Das Doppelgebot ist Doppelzitat aus Deut. 6,5 und Lev. 19, 18. Beide Zitate sind am engsten bei Lukas miteinander verklammert, weil hier das Verb (Du sollst lieben) nicht wiederholt wird. Das Doppelgebot ist mit anderen Worten als Zusammenfassung der Tora ... der Tora selbst entnommen und mit ihren eigenen Worten formuliert. So textnah bleibt es! Die rabbinischen Parallelen, auf die wir zum historischen Horizont der Frage nach der Mitte der Tora hinwiesen, nehmen in ihrem Versuch einer' Antwort nicht einfach das Doppelgebot vorweg, wenn man' vielleicht auch von Vorformen sprechen kann. So konnte etwa Rabbi Akiba sagen: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; das ist ein großer, allgemeiner Grundsatz in der Tora.« Von Rabbi Hillel wird erzählt, daß ein Nicht jude mit der Bitte zu ihm kam,
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ihn die ganze Tora zu lehren, während er auf einem Fuß stehe. Er begehrt einen kurzen Unterricht. Darauf habe der Rabbi ihm geantwortet: »Was' dir unlieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora, das andere ist ihre Auslegung« (5tr. B. 1357. 907). Ein anderer Rabbi, der strengere 5chammai, hatte sich auf die gleiche Frage nicht einlassen wollen. Man nennt eine solche Formulierung, wie wir sie bei Hillel finden, die »goldene Regel«. Sie begegnet uns bei Hillel in negativer Fassung. Sie war im Judentum weit verbreitet, in der Weisheitslehre und in der Apokalyptik, in palästinischer und in hellenistischer Tradition. In der Bergpredigt begegnen wir ihr in positiver Fassung (Matth. 7, 12) - aber »auch für die bejahende Form gibt es Belege .aus dem damaligen Judentum« (Julius Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus 97). Die Analogie zum Doppelgebot kann so weit gehen, daß die goldene Regel auch in Verbindung mit der Forderung der Gottesliebe vorkommt. Eine besondere Nähe zum lukanischen Text haben in manchem die Testamente der zwölf Patriarchen (eine jüdische Schrift vom Ende des zweiten Jahrhunderts v. ehr., die später christlich überarbeitet ist). Der Horizont des Doppelgebotes ist doch z. B. in Test. Issach. 5, 2 gegeben: »Liebt den Herrn und euren Nächsten, erbarmt euch des Armen und Schwachen.« Otto Michel meint zusammenfassen zu können: »Die goldene Regel hat offenbar im Judentum und Urchristentum als Erklärung und Umschreibung des Liebesgebotes gedient ... Der Formalismus der goldenen Regel ist nichts anderes als eine Verhüllung des Liebesgebotes selbst« (Otto Michel, Das Gebot der Nächstenliebe in der Verkündigung Jesu, in: Zur sozialen Entscheidung 1947 53-101.71). Und Sf) wird man von den jüdischen Texten her die Möglichkeit nicht abweisen können, daß bereits ein jüdischer Theologe mit dem Doppelgebot antworten konnte - und deshalb die lukanische Fassung nicht als einen Anachronismus verstehen, Anachronismus in dem Sinn, daß hier eine spätere (erst christliche) Möglichkeit ins Judentum zurückdatiert wäre. Das hebt nicht auf, daß man (mit Otto Michel) sagen kann: »Auch wenn die Zusammenstellung im Judentum möglich ist, so ist sie doch für Jesus bezeichnend. Für Jesus gehört die Gottesliebe mit der Nächstenliebe unauflöslich zusammen, so daß ein Auseinanderfallen beider nkht möglich ist« (69). 5. Matthäus und Markus: Der Eindruck, daß die lukanische Fassung den
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parallelen Texten bei Matthäus und Markus gegenüber völlig isoliert wäre, verliert sich übrigens bei einem näheren Vergleich immer mehr, wenn auch die jeweils verschiedene Profilierung nicht verwischt werden darf. Bei Matthäus freilich fehlt jedes Echo auf die Antwort, die Jesus hier selbst gibt. Wie haben wir das zu verstehen? Wird in der Matthäusfassung nur der Gegensatz zum Partner hin aufgerissen, so daß das Doppelgebot Jesus nicht mit dem Judentum eint, sondern von ihm trennt, wie Günther Bornkamm auslegen möchte (Das Doppelgebot der Liebe, in: Neutestamentliche Studien für Rudolf Bultmann, 1954 93)7 Oder ist Schlatters Deutung zutreffender? Schlatter entnimmt dem fehlenden Echo: »Der Rabbi hatte keinen Anlaß zur Einrede. Dem so gedeuteten Gesetz stimmte jeder Fromme zu« (Der Evangelist Matth. 657). Man müßte dann die einleitende Wendung, daß der Toralehrer Jesus mit seiner Frage »versuchen« will (22, 35), dahin verstehen, daß der jüdische Theologe Jesus an einem besonders kritischen Punkt befragen und »prüfen« möchte, »wie er sich zum Gesetz verhalte«. Schlatter sieht für die rabbinische Theologie »Grund genug«, von ihren Voraussetzungen her so zu fragen. Jesus aber wiederholt s~in »vorbehaltloses Bekenntnis zur Schrift«. Er sagt ja zur Tora, »ohne daß er seine Freiheit irgendwie verschleierte« (655 ff). Ich denke, daß man Schlatters Deutung ernsthaft zu hören hat. Man kann dann knapp sagen: Eine Feme zwischen Jesus und der jüdischen Theologie - braucht hier nicht zu entstehen. Im Markustext ist die Nähe des schriftgelehrten Partners zu Jesus unzweifelhaft betont, und man könnte deshalb den Markustext als Brücke zwischen Matthäu5 und Lukas ansehen, was die Möglichkeit der Einsicht der .schriftgelehrten Theologie in die Zusammenfassung der Tora im Doppelgebot angeht. Ich ziehe hier keine überlieferungsgeschichtliche linie. überlieferungsgeschichtlich würde sich fragen lassen, ob nicht Lukas »die relativ älteste Gestalt der überlieferung bewahrt hat« (G. Bornkamm 93). Ich nehme nur die Frage noch einmal auf, wieweit die Zusammenfassung der Tora der jüdischen Theologie naheliegen konnte und
zugänglich war. Denn wenn es bei :tv1atthäus zu keinem Widerspruch gegen das Doppelgebot als Summe der Tora kommt, so entsteht in der Markusfassung eine überraschende (um nicht zu sagen: singuläre) Nähe zwischen Jesus und dem Schriftgelehrten. Sie beginnt damit, daß der Schriftgelehrte Jesus schon vorher »treffend« antworten hört (Vers 28). Mit dem gleichen
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Wort »treffend« bejaht er aber auch die Antwort, die Jesus ihm selbst gibt (Vers )2). In der Markusfassung fällt das Vorzeichen weg, das sowohl bei Matthäus wie Lukas zu finden ist: daß der Gesp,rächspartner Jesus mit seiner Frage »versuchen« will, das auch, wenn man es als »prüfen« faßt, eine Distanz enthält. Und der Schriftgelehrte tut bei Markus etwas, was ohne Parallele bei Matthäus und Lukas ist und auf der gleichen, sich schon abzeichnenden Linie liegt: Er wiederholt die Antwort Jesu und erweitert sie noch von sich aus um einen eigenen Akzent (Vers )2-))). So läßt sich der Eindruck nur (mit Schniewind) so wiedergeben: daß der Schriftgelehrte »freudig zustimmt« und' daß ihm Jesu Antwort nicht fremdartig ist (Das Evangelium nach Markus 1.60). Und über das alles hinaus unterstreicht Jesus selbst die bewegende Nähe, die hier gilt: Du bist nicht weit von Gottes Herrschaft entfernt (Vers )4). Alle genannten Züge fügen sich zu einer höchst einheitlichen Kontur zusammen. In unseren Sätzen ist noch nicht enthalten, was den Markustext weiter charakterisiert, und zwar wieder im Sinn einer den ganzen Text prägenden Kontur. Ich meine die von Adolf Schlatter, Otto Michel und Günther Bomkamm schon wahrgenommene Hellenisierung. G. Bornkamm erkennt in dem Schriftgelehrten bei Markus den »Sprecher« des hellenistischen Judentums (85). So erscheint nur bei Markus zu Beginn der Antwort Jesu die Eingangsformel des Schema Jisrael (Deut. 6, 4), das von jedem frommen Juden täglich morgens und abends gebetet wurde. Die Antwort des Schriftgelehrten nimmt auch diese Formel bestätigend auf. Damit »wird dem >monotheistischen< Bekenntnis eine eigene, starke Betonung gegeben«, von der zu sagen ist, daß das Schema Jisrael sie »erst im Diaspora-Judentum . .. erhalten konnte«. Hier wird das Schema jisrael zum Credo Israels in einer polytheistischen Umwelt. Wir befinden uns im hellenistischen Raum. Markus ist »der Evangelist für die Griechen« (Schlatter)! Hellenistisch-jüdischen Horizont aber verrät auch der zusätzliche Akzent, der das Liebesgebot allen kultischen Opfern überordnet. Dazu ist die Spiritualisierung der Kultusbegriffe im hellenistischen Judentum zu vergleichen. Dieser Profilierung läuft endlich auch der Sprachschatz unserer Perikope parallel, für den eine Häufung von >Vernunftbegriffen< kennzeichnend ist. Als Beispiel dafür nenne ich das nur hier vorkommende nounechös: das Lob der >verständigen< Antwort des Schriftgelehrten (Vers )4).
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Das alles bringt G. Bornkamm zu dem Schluß: »Der Jude ... mit dem von ihm ausgesprochenen geläuterten Verständnis des Gesetzes steht an der Schwelle des von Jesus verkündeten Reiches Gottes.« Und dem entspricht Vers 34b, der unterstreicht: »Hier ist eine letzte Wahrheit ausgesprochen, über die hinaus es nichts mehr zu fragen und zu sagen gibt.« Jesu boppelgebot trifft sich mit dem legitim jüdischen Verständnis der Tora. Muß man die Bilanz nicht in der Tat so oder ähnlich ziehen, wenn man sie auch erstaunlich finden mag? Dabei kann man überlegen, ob diese Profilierung nicht schon vor Markus begann (vgl. G. Bornkamm
90 ff).
6. Die Verknüpfung von Einleitung und Gleichnis bei Lukas: Wir begreifen inzwischen die Formulierung, daß sich der Markustext als Brücke von Matthäus zu Lukas liest. Sie bezieht sich darauf, daß bei Lukas der Toralehrer selbst mit dem Doppelgebot antwortet und damit die Nähe des Toralehrers zum Doppelgebot zuzunehmen scheint. ·Aber nun geht es bei Lukas unerwartet so weiter, daß eine Ferne zwischen Jesus und dem Toralehrer trotz der zutreffend gegebenen Antwort sichtbar wird. Insofern ist gerade die sachliche Nähe, die der Markustext zur Sprache bringt ... singulär zu nennen und bei Lukas kaum größer, sondern eher geringer. Denn bei Lukas fragt der Toralehrer nach seiner von ihm selbst gegebenen Antwort immer noch, wie wenn das Doppelgebot ihm keine Hilfe wäre: Und wer ist mein Nächster? (Vers 29) Was kann der Sinn seiner Frage sein? Das einleitende Gespräch läßt sich zunächst nur als in sich gerundet begreifen. Es endet nach Schlatter so, »daß in der Frage, was das Gesetz verlange, zwischen Jesus und dem Rabbi keine Trennung entsteht«. Endet es damit nicht als solches? Schon formal nimmt Vers 28 doch Vers 25 wieder auf. Das Doppelgebot ist auch für Jesus die gültige Antwort auf die anfängliche Frage des Toralehrers. Man wird unwillkürlich an die Antwort Jesu an den reichen Jüngling, wie ·sie bei Matthäus gegeben wird, erinnert: Halte die Gebote! (Matth. 19, 17.) Daß der synoptische Jesus zum Halten der Gebote und zum Gehorsam gegen die Schrift ruft, gilt auf der ganzen Linie und haben wir als den Sinn der Gegenfrage an den Toralehrer in Vers 26 schon erkannt. Ich möchte hier übrigens auch auf die Arbeit von Walther Zimmerli verweisen: Die Frage des Reichen nach dem ewigen Leben, EvTh 19 1959 90 ff. Daß der
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synoptische Jesus Menschen in seine Nachfolge beruft, geschieht nicht im Widerspruch zu den Geboten der Tora, schiebt die Tora nicht beiseite. Vielmehr wird die Tora gerade in seiner Nachfolge erfüllt. Man kann nicht eins ge'gen das andere ausspielen, wenn nicht alles schief werden soll. Gerade hier ist die Arbeit von Walther Zimmerli hilfreich. Das souveräne »Ich aber sage euch« der Bergpredigt ist für Matthäus sicher nicht als Aufhebung, sondern als Erfüllung der Tora zu verstehen, wie Matth. 5, 17-20 deutlich zeigt. Das Thema »Paulus und die Tora« können wir hier nicht aufnehmen, vgI. aber Röm. 3, 31; Röm. 8, 4 und Röm. 13, 8-10. Paulus ist - kein Antinomist! (vgI. meine Auslegung der Bergpredigt, BibI. Studien 46 19702). Die Frage aber wird immer unabweisbarer, was in Ltik. 10 den Riß im Gespräch entstehen läßt. Ist mit Adolf Schlatter zu antworten, »daß nicht die Auslegung des Gesetzes den Rabbi von Jesus trennte, sondern das Handeln« (Das Evangelium des Lukas 284)? Und ist das ~it der Linie von Matth. 23 parallel, nach der das Trennende nach Schlatters Sicht wieder nicht in der Auslegung der Tora, sondern im Handeln zu suchen ist? Man kann die Frage nach dem Sinn von Vers 29 zunächst literarkritisch zu lösen versuchen. Man nimmt dann die Frage des Toralehrers als die von Lukas (oder schon von der ihnl. voraufgehenden Tradition) geschaffene literarische Klammer zwischen dem einleitenden Gespräch und dem Gleichnis. Dann wäre die Frage nicht weiter zu befrachten, sondern wäre nichts als eine knappe Überleitung zum Gleichnis. Man kann das mit dem Urteil von Heinrich Greeven verbinden, daß Lukas dem Gleichnis »sachlich die richtige Stelle angewiesen« habe (ThW VI 315), oder mit Helmut Gollwitzer in der Zusammenfügung beider ursprünglich selbständigen Überlieferungselemente eine »großartige Erkenntnis« entdecken, »die auf ein tiefes Verstehen des Evangeliums von Jesus und der Predigt Jesu schließen läßt« (Das Gleichnis vom bannherzigen Samariter, Biblische Studien Heft 341962 43). So oder so wäre »durch die Verbindung beider Stücke ein Ganzes entstanden, das den ursprünglichen Sinn des Doppelgebotes Jesu und damit sein Verständnis dessen, was >der Nächste< bedeutet, in unvergleichlicher Weise zum Ausdruck bringt« (G. Bornkamm 93). Schon Julius Wellhausen hat zwischen Gespräch und Gleichnis eine Naht vermutet. Und R. Bultmann hat die erst nachträgliche Verklammerung durch die noch spürbare Pointendifferenz zwischen Gespräch und
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Gleichnis bestätigt gesehen. Der Einleitung (Vers 25-29) entsprechend müßte die Antwort auf die Frage nach dem Nächsten lauten: der überfallenel Aber Frage und Antwort im Gleichnis (Vers 36-37) weichen nach Bultmann von diesem Ansatz ab, und zwar, weil Lukas das schon vorgeformte Gleichnis übernahm: Wer von diesen Dreien ... ist dem, der unter die Räuber fiel, der Nächste geworden? ... Der die Barmherzigkeit an ihm tat! Ich denke, daß hier in der Tat eine Verknüpfung zweier ursprünglich selbständiger Traditionsstücke vorliegt.
7. Der Sinn der Frage des Toralehrers: Offen bleibt freilich auch dann (wenn man hier lukanische - oder vorlukanische? - Komposition vermutet), wie Lukas die von ihm als Verklammerung eingefügte Frage: Und wer ist mein Nächster? (Vers 29) ... verstand. Der literarkritische Lösungsversuch löst das Problem des Textes nur in Grenzenl Weshalb läßt er den Toralehrer weiterfragen, wenn doch das Doppelgebot auf den Nächsten schon hinwies und ihm alle Liebe zuzuwenden befahl? Ist der Nächste im Doppelgebot nicht in einen übergreifenden Zusammenhang hineingenommen? Bezeugt das Doppelgebot nicht den Ring der Liebe: Gottes Liebe zu uns, von der wir schon herkommen und die wir mit der Liebe zu Gott wie mit der Liebe zu unserem Nächsten nur beantworten? Umschreibt mit anderen Worten nicht gerade der Zusammenhang des Doppelgebotes Sinn und Rang des Nächsten für mich? Vgl. Gerhard von Rad, Deuteronomium-Studien, 1947. Wird hier der Nächste nicht in der Tat interpretiert bzw. definiert - durch den Textzusammenhang, in dem er erscheint? Sind dem Toralehrer die Zusammenhänge abhanden gekommen? Inwiefern kann der Nächste noch ein Problem sein? Adolf ]ülicher sah in der Frage des Toralehrers das Zeichen, daß die Nähe zwischen dem jüdischen Theologen und Jesus im Vordergründigen bleibe. Er habe das Gebot der Nächstenliebe nur geplappert, »aber er wußte gar nicht, um was es sich handle - deshalb die Frage ... , die nach Lukas ein unbewußtes Einge~tändnis der absoluten Ignoranz in dem wichtigsten Punkte ist« (596). Dann erwiese sich die Schriftnähe des jüdischen Theologen sachlich als Schriftferne, dann verbände sich genaueste Kenntnis des Bibeltextes mit befremdlichster Unkenntnis seines eigentlichen Inhaltes: dann wäre hier Theologie, die ihre Sachfremdheit nur zu deutlich verraten würde. Eine geradezu erregende Möglichkeit der Deutung, wie nicht verschwiegen werden kann. Erregend vor allem,
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wenn wir sie nicht polemisch gegen den jüdischen Theologen verwenden, sondern als Frage an uns selbst hören. Das könnte einem Theologen zustoßen: daß seine Schriftnähe nur vermeintliche Nähe wäre, daß er an ihrer Mitte vorüberginge, daß sie aufgehört hätte, zu ihm zu reden wie es Israels Theologen widerfahren konnte~ daß sie mit der Schrift in der Hand den Erfüller der Schrift verkannten. Muß man dazu nicht sagen: Jülicher eröffnet mit seiner Auslegung eine alarmierende Perspektive, sofern sie eine Gefahr nennt, von der jeder Ausleger bedroht ist? Man kann die Frage des Toralehrers aber, sehr anders, auch so verstehen, daß er den Sinn des Doppelgebotes nur zu gut begriffen hat, aber noch eine Art Aufschub sucht. Die Frage zeigt ihn dann bemüht, sich zu distanzieren, während nur noch der schlichte, kompromißlose Gehorsam bleibt. So etwa hat G. Bornkamm ausgelegt: »Er (der Toralehrer) versucht zu einem Problem zu machen, was doch kein Problem theoretischen Erörterns sein kann, um so vor der andringenden Gewalt der ihm geltenden Forderung einen letzten Abstand zu gewinnen, den es niemals geben kann« (Jesus von Nazareth 107). Auch für Kierkegaard läßt der Schriftgelehrte »es zweifelhaft sein, wer der Nächste ist - um ihn sich vom Leibe zu halten«, geht es doch mit anderen Worten geradezu um eine »Ausflucht«. Man muß sich dazu, noch einmal mit Kierkegaard, verdeutlichen, wie die Formulierung des Gebotes, den Nächsten zu lieben »wie mich selbst«, mich in der Tat stellt. »Soll man den Nächsten lieben wie sich selbst, so dreht das Gebot wie
mit einem Dietrich das Schloß der Selbstliebe auf und entreißt sie dem Menschen. Wäre das Gebot der Nächstenliebe anders ausgedrückt als durch das Wörtlein wie dich selbst, das so leicht zu handhaben ist und doch die Spannkraft der Ewigkeit hat, so könnte das Gebot die Selbstliebe nicht so bemeistern. Dies wie dich selbst läßt sich nicht drehen und deuteln; mit der Schärfe der Ewigkeit richtend, dringt es in den innersten Schlupfwinkel ein, wo ein Mensch sich selbst liebt; es läßt der Selbstliebe nicht die leiseste Entschuldigung übrig, nicht die mindeste Ausflucht offen. Wie wunderbar! Man könnte ja lange und scharfsinnige Reden darüber halten, wie ein Mensch seinen Nächsten lieben solle, und immer würde die Selbstliebe noch Entschuldigungen und Ausflüchte vorzubringen wissen, weil die Sache doch nicht ganz erschöpft, ein Fall übergangen, ein Punkt nicht genau oder bindend genug ausgedrückt und beschrieben wäre. Aber dieses wie dich selbst - ja kein Ringer kann seinen
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Gegner so fest, so unentrinnbar umklammern, wie dies Gebot die Selbstliebe umklammert« (Leben und Walten der Liebe). Um gleich darauf zurückzukommen: Selbstverständlich wird die Selbstliebe des Menschen, meine Selbstliebe, hier schachmatt gesetzt und nicht etwa - bejaht, wie Augustin und Thomas von Aquino verstanden. Entscheidend ist gerade, daß mein Nächster - den Rang meiner selbst für mich bekommt und damit zur entscheidenden Figur in meinem Leben wird: zum unübersehbaren Partner meiner Existenz. Wird mir geboten, daß ich meinen Nächsten »wie mich selbst« lieben soll, so »wird keineswegs vorausgesetzt, daß man sich selbst lieben soll, sondern die. Rücksicht auf das, was man selbst wünscht oder fürchtet, wird zur Hilfe gerufen für das Gebot, das dem anderen gilt« (Dtto MicheI6J). Daß ich mich liebe (nicht lieben soll!), ist der selbstverständliche Kurs, den ich von Haus aus steuere - aber eben dieser Kurs der Selbstliebe soll zu gunsten meines Nächsten abgebrochen werden. Halte ich an dem Kurs der Selbstliebe fest, so kann ich dem Nächsten nicht begegnen, so bleibt der Nächste nur eine Randfigur in meinem Leben. Unser Problem ist aber immer noch die Deutung der Frage des Toralehrers. Weshalb fragt er? Die Antworten, die in der Auslegungsgeschichte gegeben worden sind, sind noch nicht erschöpft. Wird uns der Toralehrer, je länger wir uns bemühen, ihn zu verstehen, etwa immer rätselhafter? Vielleicht kommen wir einen Schritt weiter, wenn wir auf eine Zwischenbemerkung des Evangelisten achten, die von uns bisher noch nicht berührt ist. Lukas läßt den Toralehrer fragen, »weil er sich selbst rechtfertigen wollte« (Vers 29). Bei dieser Wendung könnte uns Paulus einfallen, sein Ringen mit der jüdischen Theologie, sein Protest gegen jede Form der Selbstrechtfertigung des Menschen. Für. Paulus ist der Versuch des Menschen, vor Gott auf Grund seiner e~genen Leistung zu existieren, ein illusionärer Versuch, der nicht gelingen kann, weil er verkennt, daß allein Gott den Menschen in Jesus Christus redttfertigt, im Ereignis seiner Zuwendung zum Menschen. Aber schon Adolf Jülicher hat einer solchen Auslegung des Lukastextes von Paulus her widersprochen. Verzichten wir auf eine fragliche Anleihe bei Paulus, so könnte die Wendung einen begrenzteren Sinn haben und besagen, daß der Toralehrer seine anfängliche Frage »rechtfertigen« will. Er kann nicht zuge-
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ben, <:laß das Doppelgebot (da~ ihm bekannt ist) schon alle Fragen löst. Vielmehr bleibt die Frage, wer denn nun konkret mein Nächster ist. So will er nicht als unnütz Fragender erscheinen. »Wir können uns das Gespräch als vor Zeugen geführt vorstellen. _Der Gesetzeslehrer hatte es darauf abgesehen, sich vor diesen Zeugen als großer Mann zu erweisen und Jesus in Verlegenheit zu bringen. Nun ist er gescheitert. Er macht aber den Versuch, zu rechtfertigen, warum er trotz seiner Kenntnis des Doppelgebotes der Liebe noch gefragt hat« (Karl Bornhäuser). Dann gäbe der Toralehrer mit der erneuten Frage das Heft noch nicht aus der Hand. 'Er würde mit Betonung darauf verweisen, daß das alles nicht so einfach ist, daß es hier noch ernsthafte Probleme genug gibt. Gerade wer die Sache durchdenkt und nicht unzulässig vereinfacht, hat hier noch Fragen. Will der Toralehrer etwa sagen: Sobald ich das Gebot der Nächstenliebe in die Wirklichkeit übersetzen will, werde ich unsicher. Meine Verlegenheit besteht darin, daß ich nicht weiß, wen ich als meinen Nächsten anzusehen habe: wo meine (im Grundsatz längst bejahte) Verpflichtung beginnt und wo sie endet. Ich bitte um eine möglichst genaue Umgrenzung des Begriffs, damit ich übersehe, woran ich bin! Wir wären dann übrigens wieder ... bei einem historischen Problem des Judentums der Zeit. Und das wäre offenbar ein Vorzug dieser Deutung. n'ie Frage wäre nicht konstruiert, sondern würde in den Fragehorizont der rabbinischen Theologie passen, der es um die Reichweite des N ächstenbegriffs ging. Umfaßt der Begriff den Volksgenossen oder geht er darüber hinaus? Reicht er so weit, daß er den Menschen schlechthin zum Nächsten macht? Wir können die Diskussion im späten Judentum hier nicht aufnehmen (vgl. Joh. Fichtner, Der Begriff des Nächsten im Alten Testament mit einem Ausblick auf Spätjudentum und Neues Testament, Jahrbuch der Theologischen Schule BetheI1955). Fichtner beobachtet sowohl Einengung wie Ausweitung des Begriffs im Judentum der vorchristlichen Zeit. Die Möglichkeit zur Weitung des Begriffs ist gegeben - bis zur umfassendsten Deutung auf jeden Menschen. Und diese Möglichkeit begegnet schon im vorchristlichen Judentum (und hellenistisches und palästinisches Judentum treffen sich hier), wie sie im gegenwärtigen Judentum begegnet. So heißt es bei dem jüdischen Theologen Leo Baeck: »Wer immer Menschenantlitz trägt, hat als unser Nächster ein Anrecht auf unseren Beistand, unsere Barmherzigkeit ... Ein Mensch sein bedeutet, für jeden ein Mitmensch sein.« Fichtner sieht den Ansatz zu die-
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sem Verständnis des Nächsten im Schöpfungsglauben gegeben (vgl.auch ThW VI )1)). Schon die Wahl des »sehr weiten, alle Menschen ... umfassenden Wortes ho plesion (als Übersetzungsvokabel für das hebräische Äquivalent) im hellenistischen Judentum ist nicht von ungefähr erfolgt« (Flchtner 46). Die Vokabel ist ein substantiviertes Adverb, das als solches »nahe, benachbart« heißt und den »Nebenmann« in der Schule oder im Heer bzw. den »Nachbarn« bezeichnen kann. Wir achten auf die räumliche Komponente, die der Begriff enthält. Von hier aus ist der Nächste, was immer sonst zu sagen ist, eine - nahe Gestalt. Der Begriff eignet sich nicht, den Nächsten in unbestimmter Ferne zu suchen und ihn so umrißlos wie möglich zu lassen, sondern weist auf eine Beziehung hin, in der ich mich ihm gegenüber vorfinde. Der biblische Begriff bringt mich mithin schon vom Sprachlichen her in seine Nähe. Ich denke, wir können unsere Überlegungen hier - unmittelbar vor Beginn des Gleichnisses - abbrechen, um uns der Antwort zuzuwenden, die das Gleichnis gibt. Wie definiert das Gleichnis den Nächsten? Oder ist er nicht definierbar, in dem Sinn, daß ich eine Formel in die Hand bekomme? Sollte sich der Ansatz der Frage des Toralehrers als unzureichend erweisen? Zeigt sich die Freiheit und Überlegenheit Jesu darin, daß er den Horizont deI;" Frage als solchen sprengt? Noch dürfte der Toralehrer, wie seine Frage in Vers 29 zeigt, in seinen Voraussetzungen unerschüttert sein.
8. Das Gleichnis, Szene I Luk. 1.0,30-32: Wir haben in unserer Einführung schon davon gesprochen, daß die Gleichnisgeschichte in einer Szenenfolge verläuft und Szene um Szene eine Begegnung festhält. Wir brauchen das nicht zu wiederholen. Auch von der Bedeutsamkeit der gewählten Szenerie haben wir schon gesprochen. Wir befinden uns auf der )7 km langen Straße von Jerusalem nach Jericho, die auf dieser Strecke rund 1000 m fällt. Das ist ein sehr einfaches Rechenexempel. Jerusalem liegt rund 750 m über, Jericho 250 m unter dem Meeresspiegel. Von besonderer Wichtigkeit ist dies: Jeder, der des Weges kommt, sieht den Überfallenen auf der Straße liegen. Der Überfallene ist ihm im wörtlichen Sinn »in den Weg gelegt«. Er muß, will er ihn links liegen lassen, schon einen Bogen um ihn herum machen. Das Modell der Nächstenschaft, das uns in dieser Geschichte begegnet, ist so sprechend wie möglich. Spricht
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es nicht aus, daß jeweils zwei Menschen unerwartet zueinander in Beziehung geraten? G. Bornkamm hat hervorgehoben, daß die ganze Gleichnisgeschichte aus der Sicht des Überfallenen heraus erzählt ist. Sie »setzt bei dem unter die Räuber Gefallenen ein und zwingt den Hörenden, sich an seine Stelle zu setzen. An seinen Platz versetzt, erlebt der Hörende das Herankommen und Vorübergehen der ersten beiden mit, und jeder merkt, wie wenig es dem Elenden hilft, ob sie nicht vielleicht gute Gründe für ihr eiliges Weitergehen haben und ihr Verhalten entschuldigt und gerechtfertigt ist. An den Platz des Zerschlagenen versetzt, erlebt der Hörende auch das Nahen des Samariters, von dem der Jude hier am Weg nach allen geläufigen Begriffen nichts zu erwarten hat. Aber - erstaunlich - ihn packt das Erbarmen, und er hilft ... « (Jesus von Nazareth 103). Man muß doch in der Sicht, aus der heraus die Gleichnisgeschichte erzählt ist, mehr als ein nur formales Element erkennen. Man wird von ihr zugleich inhaltlich als von der Perspektive der Geschichte sprechen können. Sie prägt dem Hörer ein, wie sehr der Überfallene auf Hilfe wartet, um Hilfe schreit - auch wenn er so zerschlagen ist, daß er keinen Laut mehr über seine Lippen bringen kam;l. Seine Not kann niemandem, der vorüberkommt, verborgen bleiben. Ebenso ist am Tage, daß er sich, so wie er dran ist, selbst nicht helfen kann. Erinnert er an die Gestalt des armen Lazarus, der vor der Tür des reichen Mannes liegt, so ist er ein potenzierter Lazarus. Er leidet nicht nur Hunger. Es geht um sein Leben. So ist sein Angewiesensein auf Hilfe von zwingender Eindeutigkeit und größter Dringlichkeit. Um so bedrängender ist der knappe Bericht, wie er zweimal gegeben wird: Er sah ihn - und ging vorüber. Wäre uns das Gleichnis nicht so geläufig, so müßten wir bei dem Stichwort: »Er sah ihn« ... förmlich aufatmen. Jetzt wird endlich geschehen, was geschehen muß: jetzt wird hilfreich zugepackt! Daß hier nur eins in Frage kommt, nämlich sofortige, alle Möglichkeiten der Hilfe ausnutzende Bereitschaft - darüber ist doch kein Wort zu verlieren! Aber die Hoffnung wandelt sich in bittere Enttäuschung. Weder der Priester noch der Levit entsprechen der Erwartung des Mannes auf der Straße bzw. des Hörers des Gleichnisses. Sie gehen vorüber, und der Mann bleibt nach wie vor sich selbst überlassen. Ich komme darauf zurück, daß bei jeder Begegnung das »Sehen« des Mannes auf der Straße betont ist. Dieses Sehen ist offenbar konstitutiv,
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weil es festhält, daß hier zwei Menschen miteinander konfrontiert waren. Diese Konfrontation schloß die Berufung zur Nächstenschaft in sich; wird die Hilfe verweigert, so war die Berufung zum Helfer deshalb nicht weniger gegeben. Nächstenschaft kann verweigert werden. Aber daß sie gefordert war, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Das ist ein Stück geschehener Geschichte, für die charakteristisch ist, daß sie nicht rückgängig gemacht werden kann. Trifft mich der Auftrag, so bleibt er an mir haften, auch wenn ich dem Auftrag davonlaufe. Ich blei,.. be beladen mit der Schuld, daß ich mich meinem Nächsten versagte, wo doch gerade ich es war, der sein Nächster werden sollte. Ich kann weder darauf verweisen, daß ein anderer auch nicht half, noch darauf, daß zuletzt noch einer einsprang, für mich einsprang. Die Verantwortung der Nächstenschaft ist unabnehmbar. Zum Moment des Sehens läßt sich noch auf Matth. 25, ,31-46 verweisen. Vor dem Richter des Jüngsten Tages kann sich keiner darauf zurückziehen, daß er »nichts gesehen habe«. Hungernde genug haben alle gesehen. Die erstaunte Frage derer zur Rechten wie derer zur Linken ist vielmehr: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen? Den Ton hat hier das »dich«, nicht das »wann« oder da~ »gesehen haben«. Denn nicht das Sehen als solches, sondern das Sehen des Richters des Jüngsten Tages in seinen geringsten Brüdern ist das Geheimnis, um das es geht: daß der Richter des Jüngsten Tages sich mit der Not seiner geringsten Brüder beladen hat. Oder können sich die beiden ersten Figuren der Gleichnisgeschichte darauf berufen, daß sie nur zufällig des Weges kamen, wie es zu Anfang von Vers ,31 heißt? Entbindet sie das Zufällige der Begegnung von der Verpflichtung, dem Mann auf der Straße zu helfen? Geht er sie nichts an, weil er ein »wildfremder Mensch« ist - und weil dann »jeder kommen könnte«, um sie zu beanspruchen? Ich denke, es gehört in der Tat zu der überraschung, die uns das Gleichnis bereitet: daß der Nächste für uns eine zufällige Gestalt ist. Immerhin ist das bei Lukas nicht singulär. Man vergleiche etwa Luk. 14, 12-14 oder 16, 19-,31. Daß der Nächste für uns eine zufällige Gestalt ist, kann nicht heißen, daß wir ihm nicht verpflichtet wären. Der zufällige Charakter des Nächsten bedeutet vielmehr, daß er ... uns zufällt, wenn wir dieses Wortspiel wagen dürfen, um die Zufälligkeit der Begegnung für uns sachgemäß zu übersetzen. Das ist es gerade, daß ich mir den Nächsten nicht aussuchen
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kann, daß ich nicht im voraus weiß, wie er heißt und wie er aussiehtdaß er, für mich unvorhersehbar, mir über den Weg kommt. Ich kann ihn nicht einpla:t;len, wie ich sonst alles einplanen kann oder doch einplanen möchte. Und er kommt nicht in meinen Erwartungen vor, sondern begegnet mir als Wirklichkeit - ja er ruft mich aus meinen Erwartungen; aus meiner gedachten Welt in die Wirklichkeit hinein. Deshalb habe ich keinerlei Möglichkeit, ihn vorher festzulegen. Und alles, was das Gleichnis hier sagt, hebt den Ansatz der Frage des Schriftgelehrten auf, nach dem er auf eine Definition des Nächsten aus ist, auf eine Begrenzung seiner Verpflichtung - wenn das der Sinn seiner Frage war. Jede Begrenzung widerspricht dem Geheimnis des Nächsten, daß er mir zufällt - daß Gott ihn mir zuweist. Aber damit zeichnet sich nur in einem ersten Umriß ab, was das Gleichnis als Antwort Jesu an den Schriftgelehrten enthält. Ich möchte eine Frage nicht übergehen, die in der neue ren Auslegung des Gleichnisses eine Rolle gespielt hat. Man hat überlegt, ob Priester und Levit, gerade von ihren Voraussetzungen her, nicht gute Gründe für ihr Vorübergeh~n gehabt haben könnten. So hat Karl Bornhäuser (Studien zum Sondergut des Lukas 1934 69 ff) an theologische Bedenken gedacht, die Priester und Levit davon abgebracht hätten, zu helfen. War nicht das Geschick, das den überfallenen getroffen hatte, nur zu verstehen, wenn man mehr als das vordergründige Geschehen sah: wenn man in allem Gottes Hand als entscheidenden Faktor begriff? Mußte man nicht theologisch, statt von einer Räubergeschichte zu sprechen, von Gottes Gericht reden - und war es dann nicht verwehrt, in Gottes Gericht sozusagen einzugreifen, mußte man Gottes Hand nicht respektieren? Oder war es die Rücksicht auf den kultischen Dienst, die sie davon zurückhielt, den Mann auf der Straße anzurühren, der im Sterben liegen konnte? Mußten sie die kultische Reinheit wahren? (vgl. auch J. Jeremias 170 ). Aber ich meine, daß solche Erwägungen sich zum Gleichnis selbst kaum fügen. Will man einen Grund für ihr Vorübergehen nennen, so liegt es näher, mit K. H. Rengstorf an ihre »Sorge um das eigene Leben« zu denken - ein Grund, der dann auch für den Samariter hätte gelten können, nur daß er sich von ihm nicht bestimmen ließ. Das Gleichnis nennt keine Gründe. Ich würde sagen: nicht deshalb, weil es in einer 501-
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chen Situation keine Gründe gäbe ... weil wir in ihr nicht tausend Gründe hätten oder eilig erfänden, um uns aus dem Staub zu machen. Es ist offenbar nicht geraten, hier länger zu verweilen. Dazu bedarf es keiner langen und breiten Analyse der Lage. Abet da~ Gleichnis Jesu hält alle Gründe, so naheliegend sie sind, für nicht stichhaltig. Es hat die Hilflosigkeit des Mannes auf der Straße so eindrücklich gezeichnet, daß sie für sich selbst spricht, so daß trotz aller Gefährlichkeit der Situation der Ruf ergeht. Ich meine, daß bei allem Kontrast zur folgenden Szene doCh die Vergleichbarkeit _aller Drei gemeint sein muß, Vergleichbarkeit gerade auch, was das Risiko angeht, das sie auf sich nehmen müssen. Muß man nicht noch weiter gehen und sagen, daß der Samariter noch ein viel größeres Risiko einging? Er ist, »nach allem, was von ihm erzählt wird, ein begüterter Mann« (W. Michaelis). Man muß ihn sich doch als Kaufmann vorstellen, »der auf einem Esel oder Maultier seine Waren mit sich führte, auf einem zweiten selbst ritt«, wie J. Jeremias aus der Wendung vom »eigenen Reittier« des Samariters zu folgern für möglich hält (171). Das Gespräch mit dem Wirt, den der Samariter zu kennen scheint, könnte voraussetzen, daß er sich auf gewohnter Reiseroute befindet. Die »Herberge« ist nach Gustaf Dalman in Jericho zu suchen, nicht etwa an der .Adummimsteige zwischen Jerusalem und Jericho (Orte und Wege Jesu 19212 207 f) - und nicht in Samarien, wie Hermann Binder annehmen möchte (Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, in: ThZ 1959 176 ff 192). So hat der Samariter eher mehr zu verlieren als die beiden anderen, und so lohnte sich ein zweiter Überfall für die noch in der Nähe vermutbaren Räuber gerade bei ihm. Deshalb scheint es mir der Intention des Gleichnisses nicht zu entsprechen, bei den beiden ersten Figuren nach noch so guten Gründen für ihr Vorübergehen zu suchen. Gründe konnten sie alle haben, mehr als genug, wenn man will. Aber alle diese Gründe gelten für das Gleichnis offenbar nicht. Alle Gründe kommen in ein problematisches Licht. Leonhard Ragaz hat als Ausleger dieses GleiChnisses in Priester und Levit die Vertreter einer Kirche gesehen, die sich gegenüber den dringlichen Nöten des Lebens passiv verhält und einer gefährlichen Zweigleisigkeit verfällt. Seine Auslegung wird zu einer leidenschaftlichen Anklage: »Der Priester liest sein Brevier. Er hat mit theologischen und kirchlichen Problemen zu tun. Der Mann da am Wege - was ist er dagegen? Auch wußte er gar nicht, wie er sich seiner annehmen sollte. An so etwas ist er
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nicht gewöhnt, das versteht er nicht. Ohnehin ist ja das innere Leben die Hauptsache. Daß da ein Mann halbtot am Wege liegt, das gehört ja zum Bestand der Welt. Die Welt, besonders Politik und Geschäft, haben nun einmal, auch nach Gottes Willen, ihre >Eigengesetzlichkeit<.« (Die Gleichnisse Jesu 1944 101 f). Diese Sätze von Leonhard Ragaz sprechen für sich selbst. Schon Rembrandt läßt auf einer seiner Darstellungen des Gleichnisses den Leviten lesend vorübergehen (vgl. H. Gollwitzer 108 29)!
9. Das Gleichnis, Szene II Luk. 70, 33-35: Wir haben eben schon ein wenig auf die entscheidende Szene des Gleichnisses vorgegriffen. In ihr ereignet sich, was vorher verweigert wurde: Nächstenschaft. Eine Steigerung entsteht nicht nur von daher, daß das Risiko für den Helfer zugenommen hat. Sie ergibt sich noch mehr, wenn man bedenkt, daß sich das Gegenüber verändert: daß ein Samariter die Szene betritt. Der Mann auf der Straße ist meines Erachtens sicher als Jude gedacht, auch wenn das nicht eigens gesagt wird. Deshalb waren ihm übrigens Priester und Levit von der gemeinsamen Zugehörigkeit zum jüdischen Volk her von Haus aus nahe; sie verletzten ihm gegenüber das Gebot der Nächstenliebe »sogar nach der engherzigsten Auslegung« (Theodor Zahn). Zwischen Juden und Samaritern dagegen bestand eine (in den Tagen Jesu noch verschärfte) Spannung, die eine lange Vorgeschichte hatte und schon zu Beginn der hellenistischen Zeit zur Trennung der Samariter (bzw. »Samaritaner«) von der Jerusalemer Kultgemeinde geführt hatte. Wir können zur Illustration z. B. an die Geschichte von der Samariterin am Jakobsbrunnen denken (Joh. 4). In einem rabbinischen Text heißt es von den Samaritanern, wiewohl ihr Schriftkanon gerade die Tora (und nur sie) enthielt: »Sie haben kein Gebot, auch nicht Reste eines Gebotes, und sind daher verdächtig« (vgl. J. Jeremias ThW VII 91). Einen schmalen Restbestand der Sondergemeinschaft der Samaritaner gibt es bis heute, wenn die Samaritaner inzwischen auch »zu einem geschichtlichen Kuriosum geworden« sind (so Martin Noth, Geschichte Israels 195 0 3 0 9). Das alles heißt: Von dem Samariter konnte sich der Jude am allerwenigsten Hilfe versprechen. Das dürfte (trotz Hermann Binder 155 f) ein gewollter Akzent des Gleichnisses sein. Wollten wir das im Gleichnis ge~einte Gegenüber in eine Situation von heute übersetzen, so müßten wir diese Geschichte vor Juden in Palästina so erzählen: Ein Araber aber,
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der unterwegs war, kam in seine Nähe ... ! Oder vor Arabern: Ein Jude aber kam in seine Nähe ... , wobei dann der Überfallene ein Araber sein müßte! Wjr müßten, um die Pointe für den Horizont des Hörers zu übersetzen, immer gerade den zum Helfer werden lassen, dem der Überfallene eine solche Rolle nach aller Erfahrung nicht zutrauen würde: in einer politisch gespannten Welt gerade den politischen Gegner, der ideologisch als Gegner festgelegt ist, im Schwarz-Weiß-Schema des ideologischen Gegensatzes. Ich denke, hier genügt die Übersetzungsanweisung. Der ideologisch gefaßte Gegner verliert für uns alle Bewegungsfreiheit. Er muß sich sozusagen nach der ihm zugewiesenen Rolle bewegen. Nächstenschaft begibt sich in unserem Gleichnis zwischen solchen, die von ihren Voraussetzungen her nichts miteinander verbindet, sondern eher alles voneinander trennt. Nächstenschaft wagt sich hinüber über alle Barrieren, die unsere Traditionen und Konventionen geschaffen und unübersteigbar gemacht haben. Nächstenschaft kann die verfestigten Grenzen nicht respektieren, an denen wir haltmachen. Weshalb? Nächstenschaft sieht die Not des anderen und weiß sich zum Eingreifen und Zupacken berufen, und alle Suspektheit des Samariters (in den Augen eines Juden) verfliegt zu nichts, nun er (und er allein) zum Helfer wird. Die Stunde der Nächstenschaft ist deshalb die Stunde der Freiheit, in der Grenzen überschritten werden und Schlagbäume fallen, die uns sonst den Weg zueinander nicht finden lassen. Sie ist die Stunde der Menschlichkeit, in der alle Vorurteile zerbrechen, weil die Not des anderen es gebieterisch fordert. Das Etikett, mit dem der andere für uns belastet ist und das ihn uns als Menschen verdeckt, verliert seine verhängnisvolle Bedeutung. Es stempelt ihn nicht mehr ab. Er bekommt den Rang zurück, den er von Gott her für mich hat: den Rang des Mitmenschen oder, wie das Gebot der Nächstenliebe es in unüberbietbarer Kürze und in immer deutlicher werdender Tragweite sagt: er erhält den Rang meiner selbst. Nächstenschaft heißt in ihrem Ereignis: Entdeckung des Mit-
menschen! Weit davon entfernt, nur eine Randfigur in meinem Leben zu sein, rückt der Nächste in meine Nähe, beginne ich, mein Leben mit ihm zu teilen. Ich denke, daß das noch mehr meint als die vielleicht noch zu blasse Wendung vom Aufgeben der Ichhaftigkeit unseres Lebens. Man muß verstehen, wie alle Formeln, mit denen wir die Nächstenschaft umschreiben, höchst einfache Formeln sind - wie hier das Selbstverständliche und
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Naheliegende wieder zur lange vergessenen Geltung kommt. Das, was längst schon und immer hätte gelten sollen, begibt sich im Ereignis der Nächstenschaft. Oder ist das, was uns im Modell des Gleichnisses begegnet, eine Ausnahmesituation, von der zu sage~ ist, daß in ihr alles überspitzt ist und daß ihr deshalb für den Alltag nichts zu entnehmen ist? Ich denke nicht. Das Gleichnis stößt uns vielmehr darauf, wie wir als Menschen aufeinander angewiesen sind, auch wenn wir es uns noch so oft verbergen: daß Nächstenschaft zu unserer Existenz gehort. Das kommt hier an den Tag, an Hand eines besonders sprechenden Beispiels. Die Modellszene des Gleichnisses legt die Grundwirklichkeit des Menschseins in erregender Weise frei. Keiner kann ohne den anderen sein. Ich meine nicht nur, daß der Mann auf der Straße nicht ohne den Samariter sein kann - daß er den Samariter »zum Leben braucht«. Das bedarf keines Kommentars. Ich meine, daß auch der Samariter - den Mann auf der Straße braucht, daß auch er ohne ihn nicht sein kann, so sehr es so aussieht, als ob er für ihn nichts als eine Belastung wäre ... als ob er »nichts von ihm hätte«. Ich denke, daß es nach dem Gleichnis zur Menschlichkeit des menschlichen Lebens gehört, daß es mit dem Nächsten zusammen gelebt wird - so wie dieser Samariter sich des Mannes auf der Straße annimmt, die Gefahr mit ihm teilt und ihm nahe bleibt, bis er ihn unter das sichere Dach der Herberge gebracht hat. Wir haben schon in der Einführung auf die Ausführlichkeit und überraschende Breite der Szene der Hilfe in unserem Gleichnis geachtet. Beinahe jeder Handgriff wird beschrieben. Aber kein Wort ist überflüssig. Jedes Wort malt aus und jedes Wort läßt uns begreifen, was Nächstenschaft ist: den anderen zu lieben, wie wir uns selbst lieben. Eben uns selbst geht dieser Vorgang an. Wir sind hier in der Mitte unserer Existenz betroffen. Der Mitmensch in der Rolle des Mannes auf der Straße - beschenkt uns damit, daß wir von uns selbst abgebracht werden, von uns selbst loskommen und aufhören, uns nur um uns selbst zu bewegen. In ihm beruft uns Gott zur Liebe - zu einer Liebe, die nicht neben unserem Leben her läuft, sondern uns selbst mitnimmt, zum Nächsten mitnimmt. Man kann den »Eingriff« des Nächsten in mein Leben kaum grundsätzlich genug verstehen. Franz J. Leenhardt hat in seinem Versuch der Exegese unseres Gleichnisses sehr zu Recht unterstrichen: »(Der Samariter) hat gedacht und gehandelt nicht nach dem, was er war, nach seinem Sein und Haben, sondern nach dem,
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was der andere war. Er ist ein anderer Mensch geworden, weil er der andere geworden ist« (Das Zitat bei H. Gollwitzer 102). Wir haben eben das Schlüsselwort ausgesprochen, das iIl). Gleichnis selbst nicht vorkommt, um das aber das ganze Gleichnis kreist: das Wort Liebe. Was heißt Liebe im Sinn des Gleichnisses? Der Samariter »tut alles Erdenkliche für den Überfallenen« (Erich Klostermann) . Wir haben zu sehen, daß »alles Erdenkliche« im Ausnutzen aller gegebenen Möglichkeiten besteht und nicht auf ein Verlassen der »nüchternen Fassung des Liebesgebotes« hinausläuft. »Von einem Heroismus, der nach schwer zu Erreichendem strebt, wird nicht gesprochen, sondern davon, daß der Samariter das bei der Hand hat, was hier hilft, und weil er dies nicht nur hat, sondern auch braucht, ist er für den Gefährdeten der Nächste und seine Tat die Erfüllung des Gebots« (Adolf Schlatter, Das Evangelium des Lukas 287). Was Schlatter hier sagt, ist wichtig, weil gerade so der Anruf, der uns hier trifft, seine Konkretheit behält - ich meine: seine mich treffende Unausweichlichkeit und Verbindlichkeit. Ich kann nicht sagen, daß ich überfordert wäre. Ich habe keine Möglichkeit, den Anspruch des Gebotes illusorisch zu nennen. Es behaftet mich bei meinen Möglichkeiten. Ich werde angegangen - mich selbst für meinen Nächsten einzusetzen, mich selbst mit dem, was ich habe und vermag. Ich bin hier gerade mit dem, was ich bin, gefordert. Der Kirchenvater Johannes Chrysostomus hat in einer Auslegung von Matth. 25, 31-46 hervorgehoben: »Beherzige, wie leicht die Forderungen des Herrn sind. Er spricht nicht: Ich war gefangen, und ihr habt mich nicht befreit; ich war krank, und ihr habt mich nicht geheilt; sondern: Ihr habt mich nicht gepflegt, und ihr habt mich nicht besucht.« Man muß die Stoßrichtung dieser Sätze verstehen. Sie wollen uns die Entschuldigung nehmen, die wir zur Hand h~ben könnten: daß wir, gemessen an dem, was »eigentlich geschehen müßte«, nur begrenzte Möglichkeiten haben. Eben unsere begrenzten Möglichkeiten sollen wir zur Verfügung stellen; und wer seine Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen bereit ist, entdeckt - Möglichkeiten über Möglichkei ten. Denn die Liebe ist erfinderisch. Sie kapituliert nicht bei der ersten Schwierigkeit, um im Ernstfall lieber - nichts zu tun, weil alles »doch nur ein Tropfen auf einen heißen Stein wäre«. Sie entfaltet Initiative. Sie hat die Fähigkeit, zu improvisieren. Sie wird nicht im Handumdrehen müde. Sie ist nicht an die gewohnten Geleise gebunden. Sie wagt etwas
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Außerordentliches. Sie geht auf den anderen 'ein. Sie ist das »Ende der Kasuistik« (Schlatter, Das Evangelium des Lukas 287). Und das alles, weil sie ihr Gesetz in der Zuwendung zum anderen hat" weil sie den Nächsten nach der Regel liebt, nach der er den Rang meiner selbst bekommt. Das kann nach dem Gleichnis auch so gesagt werden: Solche Liebe schiebt den Nächsten nicht ab, sondern ist ihm verbunden und bleibt ihm verbunden. Haben wir eben gesagt, daß den Samariter und den Juden nichts miteinander verbindet, so müssen wir nun sagen, daß die Nächstenschaft sie mehr miteinander verbindet, als alles andere sie trennen kann. Die Liebe ist nicht darauf aus, den Nächsten so schnell wie möglich an einen Dritten abzugeben. Der Samariter kommt für ihn auf - bis zur Hotelrechnung, die er für ihn übernimmt, weil der Überfallene keinen Groschen mehr in der Tasche hat. Er greift in seine eigene Tasche und verpflichtet sich darüber hinaus, für alle weiteren Kosten geradezustehen. Ist ihm der Nächste zugefallen - so nimmt er sich seiner an: so nimmt er ihn als Nächsten an. Die zwei gehen ihren Weg nun gemeinsam, solange es nötig ist. Der Nächste ist das Ende des nur privaten Zuschnitts meines Lebens - nach dem ich nur für mich selbst aufkomme und an mich selbst denke. Nächstenschaft hat Konsequenzen. Nächstenschaft verändert das bisherige Konzept meines Lebens. Nächstenschaft befreit mich von mir selbst. Nächstenschaft macht den Nächsten zum Partner meiner Existenz. Im Horizont der Nächstenschaft verstehe ich mein Leben neu. 10. Die Verklammerung von Einleitung und Gleichnis: Wir haben das .hier gemeinte Problem schon (unter 7) vorläufig berührt. Wir müssen aber nach der Exegese des Gleichnisses noch einmal fragen, wie sich die Antwort des Gleichnisses zur Frage des Toralehrers in Vers 29 verhält. Ist der Nächste nun definiert? Wenn er definiert ist, so doch in dem Sinn, daß der Ansatz der Frage überholt ist, wenn dieser Ansatz nach einer Begrenzung des Nächsten gefragt haben sollte. Aber auch das kann nicht schon die Antwort des Gleichnisses sein, daß alle Begrenzung des Nächsten fällt und jeder Mitmensch mein Nächster ist. Dann läge hier nur eine Radikalisierung einer Sicht vor, die schon dem Judentum möglich war. Wir haben in unserer Auslegung schon gesehen, daß Nächstenschaft entscheidend Sache der Begegnung ist - daß Nächstenschaft meine
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Offenheit für den anderen meint. Das Gleichnis ist von daher die Einladung zur Nächstenschaft. Es lädt ein, zu fragen: Wem kann ich zum Nächsten werden? Mein Leben gerät in Bewegung ... zum Nächsten hin. Der Nächste gehört zu meinem Leben hinzu, in mein Leben hinein. Das prägt mein Leben im Ansatz um. Was uns im Gleichnis begegnet ist, läßt sich aber auch so sagen: daß Nächstenschaft das Ereignis der Liebe ist - und daß die Liebe es ist, die keine Begrenzung zuläßt. Von der Liebe her kommt der Nächste in Sicht, wird der Nächste nicht umgangen, sondern gesucht. Die Wirklichkeit der Liebe ist der Grund für alles und der Schlüssel zu allem, was in der Geschichte des Gleichnisses geschieht. Der Samariter weiß, was Nächstenschaft ist, weil er weiß, was Liebe ist. »Wer von diesen dreien, meinst du, ist dem, der unter die Räuber fiel, der Nächste geworden? Er sprach: Der, der die Barmherzigkeit an ihm tat. Jesus aber sprach zu ihm: Geh hin und tue desgleichen« (Vers )6-)7). Was brauchen wir mehr zu wissen? Das Modell des Gleichnisses ist Antwort genug. Geht das Gleichnis mit einem knappen Dialog zu Ende, so deshalb, weil alles gesagt ist und alles für sich selbst spricht. Der Nächste ist der, der die Barmherzigkeit an ihm tat: das ist die erhellende Einsicht, die keineswegs tautologische Aussage. Daß der Toralehrer vielleicht vermeiden möchte, den Samariter bei seinem Namen zu nennen 0. Jeremias 172) und deshalb lieber eine Umschreibung wählt, ändert nichts daran, daß er mit dieser Umschreibung die Sache trifft. Wer weiß, was Barmherzigkeit ist, fragt, wann und wo er den Mitmenschen trifft bzw. wann und wo ihm der Mitmensch zufällt, demgegenüber er sich als Nächster bewähren kann. Er ist, könnte man sagen, im Aufbruch zum Nächsten. Er geht auf den Nächsten zu, wie es der barmherzige Samariter im Gleichnis tut. In einer nächstenlosen Existenz könnte nur alles verkannt werden: nicht nur, wer der Nächste ist, sondern auch, wer ich selbst bin - wobei die Reihenfolge umkehrbar ist. Es würde verkannt, daß Gott mir den Nächsten zugesellt - daß Menschsein : Leben in der Nächstenschaft heißt. Es würde verkannt, daß ich zum Zeugen der Barmherzigkeit berufen bin. Längst dürfte deutlich sein, daß es um die Mitte der Freudenbotschaft geht, die im Ruf der Nächstenschaft auf mich zukommt. Ich begreife mein Leben als Geschenk mit allem, was ich bin und habe, und als Geschenk von Gottes Hand gehört es nicht nur mir, sondern auch meinem Nächsten, lebe ich mit meinem Nächsten zusammen von der Güte Gottes.
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So korrigiert die Antwort Jesu die Frage des Toralehrers. Wir haben schon vorhin das Problem der Pointendifferenz angedeutet, das im Verhältnis von Vers 29 zu Vers ]6 gegeben zu sein scheint. Otto Michel möchte sagen: »Ein Sprung im Gedankengang ist unverkennbar ... Der Begriff des Nächsten wird nicht mehr als Objekt gefaßt, sondern er wird zum Subjekt des Geschehnisses« (7])' Ähnlich ist es nach der Formulierung Adolf Jülichers: »Der Mann fragt, wen soll ich als Nächsten lieben? Und Jesus antwortet ihm in der Form einer halb rhetorischen Frage: wer hat in jener Geschichte als Nächster geliebt?« Jülicher spricht von einer hier vorliegenden »Inkongruenz« (594 f). Auch G. Bornkamm läßt aus der Frage: Wer ist mein Nächster? - in der Antwort Jesu die »andere« werden: Wem bin ich der Nächste? (Jesus von Nazareth 104)' Oder geht die Korrektur noch weiter, die in Vers ]6 gegenüber Vers 29 enthalten ist? Kar! Barth, dem Helmut Gollwitzer gefolgt ist, hat die Umkehrung der Frage darin gesehen, daß der Nächste an Hand von Vers ]6 nicht der hilflose Mann auf der Straße, sondern der Samariter . .. als der Helfer sei, daß der Nächste überraschend als der Helfer begegne. Das sei die dem Toralehrer fremde und ihm von Jesus erst eröffnete Wirklichkeit des Nächsten. Er habe ihn sozusagen immer in der falschen Richtung gesucht und deshalb an ihm vorbeigefragt. Damit wird, ebenso unvermutet, der Mann auf der Straße zum Spiegelbild des Toralehrers.
Alle Rollen werden vertauscht. Daß das Gleichnis eine Korrektur der Frage des Toralehrers und seines Ansatzes bedeutet, haben auch wir in unserer Auslegung mehrfach betont. Und wir haben in der Verschiebung von der Frage von Vers 29 zu der Frage von Vers ]6 nicht nur eine »formale Inkonzinnität« (J. Jeremias 17]) gesehen, sondern den Hinweis auf eine inhaltliche Differenz gefunden. Ob sich aber der Begriff des Nächsten bis zur Vertauschung der Rollen im Sinn von Kar! Barth verwandelt? Ich denke, daß wir das Wahrheitsmoment dieser Auslegung, das unabweisbar ist, in unserer Exegese aufgenommen haben, wenn wir Nächstenschaft grundsätzlich als zweiseitig verstanden haben und im Ereignis der Begegnung gerade die zwei, den Samariter und den Juden auf der Straße, zueinander geführt sahen, so daß keiner ohne den anderen sein kann, vielmehr einer mit dem anderen (und nur mit ihm zusammen) seinen Weg weitergeht, solange es die Stunde der Nächstenschaft fordert ,und schenkt - weil Menschsein heißt: in der Nächstensdlaft leben. Die Zweigleisigkeit ist
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im Gleichnis doch gerade auch durch die Schlußbemerkung von Vers 37 hervorgehoben, nach der der Toralehrer mit der Weisung entlassen wird: Geh hin und tue desgleichen! Diese Schlußwendung beruft ihn in die Nächstenschaft als die Form der Existenz, in der er allein dem Doppelgebot entsprechen kann, in der er allein der Zeuge der Barmherzigkeit sein kann. Nächstenschaft als Grundform der menschlichen Existenz bezeugt die Summe der Schrift: die unbegrenzbare Liebe als Echo der Liebe Gottes zu uns. So ist der Nächste - in unsere Existenz einbezogen, so teilen wir unsere Existenz mit ihm.
Das Problem der allegorischen Auslegung: Ich möchte der Exegese des Gleichnisses noch ein paar Sätze zur Frage der allegorischen Auslegung folgen lassen, weil sich am Beispiel unseres Textes vielleicht besonders gut deutlich machen läßt, was Allegorisierung heißt und worin ihre Problematik besteht. Wir sahen in unserer Auslegung keinen Anlaß, den Rahmen der Bildebene zu verlassen und die einzelnen Züge als »Chiffren« für einen in ihnen verborgenen »tieferen« Sinn zu verstehen. Eben das aber ist in der Auslegungsgeschichte unseres Gleichnisses in einer von der alexandrinischen Exegese über die Reformatoren bis zu Jülicher reichenden Tradition in hohem Maß geschehen. Jülicher hat hier, gerade methodisch, einen kritischen Schlußstrich gezogen. Wir beginnen nicht mit einer Definition der Allegorie bzw. der allegorischen Auslegung, sondern mit einem Beispiel, und lassen die Definition folgen. Wir greifen zu Luthers Auslegung unseres Textes (vgl. dazu: Karl Holl, Luthers Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst 1920, in: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte I 1932 544-582; Gerhard Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik 1942, vor allem S. 496 ff, Walther von Loewenich, Luther als Ausleger der Synoptiker 1954, vor allein 44 ff). Luther hat die allegorische Auslegung weitgehend preisgegeben. Aber daß er sie auf der ganzen Linie aufgegeben hätte, wäre eine vereinfachende Formulierung. Ebeling meint auf Grund umfassender Vergleiche sagen zu können, daß »die immer wieder zu Luthers Lebzeiten und unter Luthers Augen neu aufgelegten von ihm bearbeiteten Teile der Kirchenpostille vielmehr zeigen, daß Luther ... Allegorese bis zuletzt für grundsätzlich möglich hielt«. Und »an keiner einzigen Stelle rückt Luther ausdrücklich von früher selbst geübter Allegorese ab, weil sie als Allegorese 11.
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grundsätzlich zu verwerfen sei« (88). Luther hat »zuchtvoll« allegorisch ausgelegt (183). Dabei gehört Luther mit seiner Exegese des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter deutlich in eine längst vorhandene Tradition allegorischer Auslegung hinein, in der ein Auslegungstypus geschaffen ist, »der zwar in gewissen Grenzen dem einzelnen Ausleger einen ?pielraum läßt, der aber für alle ohne Ausnahme einen festen Rahmen darstellt« (496). Was unser Textbeispiel angeht, so ist Luthers Abhängigkeit von der Tradition hier freilich von einer einmaligen Treue bis ins einzelne (170). Ich folge im folgenden den Skizzen, wie sie Ebeling und von Loewenich gegeben haben. Der barmherzige Samariter ist »für Luther durch-weg nicht ein beliebiges Beispiel, sondern niemand anders als Jesus Christus selbst ... , welcher allein das Doppelgebot der Liebe erfüllt hat. So ist in der Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter für Luther die ganze Heilsgeschichte abgemalt: Ein Mensch (d. h. Adam) fällt unter die Räuber (= Sündenfall und seine Folgen). Priester und Levit (= verschiedene Stufen der alttestamentlichen Heilsgeschichte) helfen ihm nicht. Der Samariter ( = Christus) erfüllt ungebeten das Doppelgebot der Liebe und nimmt sich des Halbtoten an, behandelt ihn mit 01 (= Gnade) und Wein (= Kreuz und Leiden), lädt ihn auf sein Tier (d. h. auf sich selbst als das Opfertier), trägt ihn in die Herberge (= Kirche), überläßt ihn der Pflege des Wirtes (= die Prediger) und hinterläßt dazu vor seinem Weggehen (= Himmelfahrt) zwei Groschen (= Altes Testament und Neues Testament) samt der Verheißung seiner Rückkehr (= Wiederkunft). Innerhalb dieser in wechselnder Ausführlichkeit sich wiederholenden, bis 1537 festzustellenden Allegorese findet sich nur an einem Punkt Ansatz zur Kritik. Die Auslegung von Vers 35b auf die opera supererogationis wird leidenschaftlich bestritten zugunsten der Deutung, daß das >Übermaß< nichts sei als die Verkündigung, als Jesus Christus selbst. Also eine Kritik, die nicht von hermeneutischen, sondern von dogmatischen Erwägungen ausgeht« (Ebeling 76 f). Luther meint freilich, daß die Deutung auf die opera supererogationis (auf Werke, die über das vom Gesetz Geforderte hinausgehen) »schon nach den Regeln der Allegorese abzulehnen« ist. »Die geistliche Deutung muß sich auf die Lehre, nicht auf die Werke ... richten« (von Loewenich 46). Dieses Beispiel allegorischer Exegese wird (mitsamt der in ihr enthaltenen Kritik an der Tradition, die kaum Kritik an der Allegorese als sol-
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cher heißep kann) als Illustration für sich selbst sprechen. Alle Einzelzüge sind im Sinn einer metaphora continua gedeutet, und die Problematik einer solchen Auslegung liegt auf der Hand. Wir sagten schon, daß diese Auslegungstradition weit zurückreicht. Daß der Mann, der von Jerusalem nach Jericho geht, der Mensch schlechthin ist, »Adam«, ist früheste Exegese. Ipse Adam intelligitur in genere humano - sagt schon Augustin; ihm folgt wörtlich die Glossa ordinaria, aber schon vor Augustin sagt ein alexandrinischer Presbyter das gleiche. Ich muß für alle Einzelheiten auf die instruktive Übersicht bei Ebeling 496 ff verweisen. Wir fragen nur noch: Was ist das Entscheidende der allegorischen Auslegung? Und wir können noch einmal eine Formulierung von Ebeling zitieren, die ausgezeichnet die Sache trifft: »Allegorische Auslegung ist die Deutung eines Textes unter der Voraussetzung, daß er unter dem, was er von sich aus sagt, offensichtlich etwas anderes verbirgt, was einer von anderswoher kommenden Deutung bedarf, und zwar in der Weise, daß die eigentlichen Worte und Glieder des Textes mehr oder weniger vollständig in vergleichender Übertragung durch Begriffe ersetzt werden, die einem dem Wortlaut des Textes fremden, von ihm unabhängigen Sinnzusammenhang angehören« (48). Es mag hinzugefügt sein, daß dieser »fremde« Sinnzusammenhang insofern nicht willkürlich ist, als er in der Anleihe bei einem theologischen Gesamtverständnis der Schrift besteht (von hier aus könnte man von einem relativen Recht der allegorischen Auslegung sprechen!), aber gerade so doch zu einer Einlegung in den konkreten Text führt, zu einem Verwischen der konkreten Textaussagen. Und deshalb ist dieser Weg für die Exegese nicht gangbar. Die Breite, in der in Luthers Jahrhundert allegorisch ausgelegt wird, läßt sich auch daran zeigen, daß auch Erasmus die Parabeln noch als Allegorien behandelt. Im Unterschied dazu ist Calvin für Jülicher »der größte Parabelexeget der ersten sechzehn Jahrhunderte«. Calvin hat bemerkenswert Distanz zur allegorischen Auslegung gehalten. Er hat zu unserem Gleichnis bemerken können, man habe hier »eine sinnbildliche Darstellung des Zustandes der Menschheit nach Adams Fall gefunden, und sehr beliebt ist die Meinung, der Samariter sei Christus, der Wein und das 01, die in die Wunde gegossen werden, seien Buße und die Verheißung der Gnade, mit denen er uns heilt, und der Wirt sei die Kirche. Alles derartige ist törichte Spielerei ... « Die allegorische Auslegung verkennt gerade das besondere Sprachpro-
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blem des Gleichnisses und verschiebt es. Die allegorische Übersetzung bleibt nicht ... beim Text! Sie ist auch nicht zu freie Übersetzung, sondern sie trägt ein. Sie respektiert gerade bei unserem Gleichnis nicht, daß die Beispielerzählung solcher allegorischen Deutung am allerwenigsten
bedarf·
Das Gleichnis vom reichen Kornbauern (Luk. 12, 13 - 21)
»Es sagte aber ein Mann aus dem Volk zu ihm: Lehrer, sag doch meinem Bruder, daß er das Erbe mit mir teilen soll! Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbverteiler über euch gesetzt? Er sprach aber zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor jeder Form von Habsucht. Denn keiner lebt davon, daß ihm Hab und Gut im Überfluß zur Verfügung stehen. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Eines reichen Mannes Ländereien trugen gut. Und er überlegte bei sich: Was soll ich machen? Ich habe keinen Raum, meine Erträge unterzubringen. Und er sprach: Das will ich tun: Ich will meine Speicher abreißen und größere bauen. In ihnen kann ich dann mein ganzes Getreide und mein ganzes Gut unterbringen. Und ich kann zu mir sagen: Du hast reichen Vorrat auf viele Jahre. Ruh dich aus, iß, trink, freue dich deines Lebens. Gott aber sprach zu ihm: Du Tor! Diese Nacht fordert man dein Leben von dir. Wem wird dann gehören, was du erworben hast? So geht es dem, der Schätze sammelt für sich und nicht reich ist bei Gott.« 1. Lukas hat dem Gleichnis als Rahmen eine Einleitung voraufgeschickt, die, wie das Gleichnis selbst, zu seinem Sondergut gehört. Diese Einleitung besteht in einem Gespräch, in einem knappen Dialog. Ein Mann aus dem Volk kommt zu Jesus und bittet ihn, er möge ihm in seinem Rechtsstreit mit seinem Bruder zu seinem Recht verhelfen. Denkt er Jesus die Funktion eines Rechtsanwalts zu, wie die Theologen Israels als Kenner der Tora zugleich in juristischen Dingen angegangen wurden? Von Johannes Weiß bis zu Joachim Jeremias versteht man die Bitte als
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Zeichen des Respekts, den das Volk Jesus entgegenbringt. Die Bitte dürfte voraussetzen, daß der Bruder, der nicht zur Teilung des Erbes bereit scheint, der ältere von beiden ist. Ihm fiel (nach Walter Grundmann) »Grund und Boden und zwei Drittel des Vermögens« zu (vgl. Deut. 21, 17). Er möchte das Erbe beisammenhalten und ist deshalb nicht willens, dein jüngeren Bruder seinen Anteil auszuzahlen. »Wir nehmen an, daß es sich . . . um bäuerliche Verhältnisse handelt. Dadurch wird alles veranschaulicht und leicht verständlich« (Karl Bornhäuser, Studien zum Sondergut des Lukas 19.34 81). Die bei den Brüder sind, wird man verstehen können, von der Sorge um ihre Existenz bestimmt, der eine nüht weniger als der andere, und jeder von ihnen nicht anders als von Haus aus jeder Mensch. Vielleicht vertrug der begrenzte bäuerliche Besitz nach der Meinung des Älteren den Substanzverlust nicht, der mit der Abfindung des Jüngeren gegeben gewesen wäre. Der Jüngere aber pocht auf sein Recht, weil auch ihn die Sorge um seine Existenz umtreibt. Man mag dabei mit Wilhelm Michaelis zusätzlich vermuten, daß die Rechtslage nicht eindeutig war, weil es sonst der Anrufung eines Dritten nicht bedurft hätte (Das hochzeitliche Kleid 19.39 2.30 f). Jesus nimmt sich der Bitte des Jüngeren nicht an, weil er zu dem ihm zugedachten Auftrag, als Rechtsanwalt zu fungieren, nicht Ja sagen kann. Das ist nicht seine Sache. Weshalb Jesus sich der Bitte verweigert, das sa3t das von Lukas als Einleitung zum Gespräch verwandte fragmenthafte knappe Gespräch kaum direkt. Man wird aber fragen können, wie Lukas das Nein Jesu verstand, und sich dazu an den lukanischen Zusammenhang zu halten haben. Denn eben dieser Zusammenhang muß als indirekte Antwort gelten. Der lukanische Überleitungs satz Luk. 12, 15 läßt Jesus vor jeder Form von pleonexia warnen. Das ist das Stichwort. pleonexia meint nach dem unmittelbaren Wortsinn ein »Mehrhaben-wollen« (als man hat). Lukas sieht den Zusam~enhang zwischen dem von ihm vorgeschalteten Gespräch und dem Gleic9-~is, wenn wir beide Texte in seinem Sinn verbinden, offenbar so, daß der Mann aus dem Volk mit seiner Bitte die problematische Tendenz des Mehr-habenwo lIens verrät. Sie ist es, die ihn veranlaßt, sein Recht am elterlichen Erbe zu verfechten. Sorgt sich der Mensch um seine Existenz, so ist diese Sorge von Haus aus immer unbegrenzt. Das Gleichnis illustriert, weshalb diese Tendenz den, der die Bitte ausspricht, im Letzten gefährdet. Mehr als einmal wendet sich das Lukasevangelium der Problematik des
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Geldes bzw. der Macht des Reichtums in der Hand des Menschen zu. Alles kommt dabei darauf an, die Perspektive zu erfassen, nach der die Macht des Reichtums zu einer den Menschen gefährdenden Macht wird. Ich habe damit unseren Text Luk. :12, :1.3-2:1 als eine lukanische Komposition verstanden, ähnlich wie ich auch den Text von Luk. :10, 25-.37 als lukanische Komposition ansehen möchte. In Luk. :10 folgen aufeinander: das Vorgespräch zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter :10, 25-28, die lukanische Überleitung :10,29 und das Gleichnis :10, .30-.37. Das Vorgespräch ist eine Variante der Paralleltexte zur Frage nach dem höchsten Gebot, während das Gleichnis lukanisches Sondergut ist. Die Struktur der Komposition von Luk. :10, 25-.37 und Luk. 1.2, 1..3-2:1 ist überraschend verwandt. Luk. :12, 1.5 ist im Sinn unserer Analyse lukanische Redaktion, die den einleitenden Dialog mit dem Gleichnis verknüpft und zugleich den thematischen Leitfaden nennt, der Lukas beide Texte als aufeinander beziehbar erscheinen ließ. Ich kann schon hier anfügen, daß auch Luk. 1.2, 2:1 als redaktionell anzusehen sein wird. Auch in Luk. 1.2, 2:1 spiegelt sich das lukanische Verständnis des Gleichnisses bzw. das Ganze des Zusammenhangs. Hier geht es, gegenüber dem verfehlten Sammeln von Schätzen, um den wahren Reichtum, der als Reichtum bei Gott verstanden wird. Eine weitere Schlüsselrolle (zum Erfassen der lukanischen Interpretation der Tradition) dürfte dem unmittelbar folgenden Kontext (Luk. 1.2, 22-.31.) zukommen, wovon noch zu sprechen sein wird. Zwischen Luk. :12, :12 und 1.2, 1..3 verläuft eine thematische Zäsur. Man kann deshalb auch sagen, daß Luk. :12, 1..3-2:1 eine Art Kopfstück zu :12, 22-.3:1 ist. Daß Dialog und Gleichnis ursprünglich selbständige Traditionselemente waren, hat auch Rudolf Bultmann in seiner Geschichte der synoptischen Tradition vertreten (aaO :19.3. 208). Ihm ist z. B. Friedrich Hauck gefolgt (Das Evangelium des Lukas 1.9.34 1.67). Auch Joachim Jeremias nimmt gegenwärtig an, daß der Dialog Luk. 1.2, 1..3-:14 »ursprünglich nicht zu dem Gleichnis (gehört)« hat (aaO :19626 :(65). Wir wenden uns den Parallelen im Thomasevangelium zu: (7 2 ) »(Ein Mann sagte) zu ihm: Sage meinen Brüdern, daß sie die Sachen meines Vaters teilen sollen mit mir. Er sagte zu ihm: Mann, wer hat mich zum Verteiler (Teiler) gemacht! Er wandte sich zu seinen Jüngern (und) sprach zu ihnen: Bin ich etwa ein Verteiler (Teiler)?« 2.
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(63) »Jesus sprach: Es war ein reicher Mann, der viele Güter hatte. Er sprach: Ich werde meine Güter gebrauchen, um zu säen und zu ernten, zu pflanzen und meine Scheunen zu füllen mit Frucht, damit ich nicht an etwas Mangel leide. Das ist es, was er dachte in seinem Herzen. Und in jener Nacht starb er. Wer Ohren hat, möge hören!« Zu diesen Parallelen ist offenbar zu sagen, daß sie kaum eine Lukas gegenüber ursprüngliche und deshalb überlegene Fassung bieten. Daß die Parallele zu dem von Lukas als Einleitung zum Gleichnis verwandten Dialog nur den Text von Luk. 1.2, 1.3-1.4 begleitet, nicht aber Luk. 1.2, 1.5, könnte unsere Analyse bestätigen, die mit dem redaktionellen Charakter von Luk. 1.2, 1.5 rechnete. »Fraglos sekundär ist ... der Ersatz von kleronomia durch >die Sachen meines Vaters<, was hier gnostischer klingt«, wie denn auch die »Ablehnung Jesu, sich in weltliche Angelegenheiten, Interessen und Konflikte einzulassen, der Gnosis entgegenkam ... Das, was zum Kosmos gehört, kann nicht die Sache des Offenbarers sein« (Wolfgang Schrage aaO 1.52). Deshalb scheint auch die Wiederholung der Absage an den Bittsteller (in der zusätzlichen Frage an die Jünger: »Bin ich etwa ein Verteiler?«) nur unterstreichen zu sollen, was in der Linie der gnostischen Interpretation der Tradition lag. Übrigens dürfte der gnostische Akzent, der die Welt abwertet und allein das innere Reich gelten läßt, uns davor warnen, Jesus auch im lukanischen Zusammenhang - gnostisch zu verstehen: als ob ihm alle weltlichen Dinge gleichgültig wären, als ob er uns, spiritualistisch, zum Rückzug von der Welt auffordere. Es könnte sein, daß unsere Verkündigung mehr gnostische (und auch stoische!) Elemente enthält, als ihr bewußt ist. Die Thomas-Parallele zum Gleichnis selbst sagt kaum noch aus, was das lukanische Gleichnis sagt, so daß Wolfgang Schrage fragt: »Ob das Gleichnis bereits so >zersagt< worden ist?« (aaO 1.31.). Es ist, wie Joachim Jeremias zu Recht sagt, »stark verkürzt« (aaO 1.65). Aus dem reichen Kornbauern ist ein »reicher Mann, der viele Güter hatte«, geworden, der überlegt, wie er seine Habe nutzt, »damit ich nicht an etwas Mangel leide«. Die lukanische Fassung ist im Thomas-Evangelium nur noch verblaßt zu erkennen und die Pointe nicht mehr sicher angebbar. Auffallend ist, daß in der gnostischen Fassung auf den Monolog des reichen Mannes der Satz folgt: »Das ist es, was er in seinem Herzen dachte« - offenbar, weil noch einmal eingeschärft werden soll, was den reichen Mann bewegt. Dann heißt es abrupt: »Und in jener Nacht starb er«. Ich neige
Vom reichen Kornbauern
nicht der Deutung Schrages im Sinn einer positiv gemeinten Allegorie zu, sondern eher seinem Vorschlag, das Gleichnis als Warnruf an die Gnostiker zu verstehen. »Das lapidare >Und in jener Nacht starb er< durchkreuzt alles Planen des an den Reichtum der Welt gebundenen und von ihm geblendeten Mannes« (aaO :1:33). Nach dem Warnruf hat der Mensch das wahre Leben nicht entdeckt, das er in sich selbst hätte finden können: immer nur in sich selbst, nicht aber in der Welt. In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf eine Parallele zu unserem Gleichnis hinweisen, die Wilhelm Bousset in den Märchen aus Tausendundeiner Nacht fand. Sie geht möglicherweise auf eine jüdische Legende zurück. Ein König wird vom Todesengel geholt, während er, üppig tafelnd, zu sich selbst spricht: »Du hast Dir alles Gute der Welt aufgehäuft, und nun gib Dich ihm hin und laß Dir diese Schätze gut schmekken in langem Leben und reichem Glück« (vgl. Rudolf Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition 22:1:). Daß die Texte sich ber~ren, ist deutlich. Und das läßt fragen, ob unser Gleichnis, was seinen Stoff angeht, schon eine Vorgeschichte hat - eine Frage, die nicht nur für dieses Gleichnis aufzuwerfen ist (vgl. Rudolf Bultmann aaO 22:1:). 3. Was uns primär aufgegeben ist, ist das Erfassen der Kontur des lukanischen Gleichnisses. Die Exposition ist ganz knapp gegeben: »Eines reichen Mannes Ländereien trugen gut«. Man wird doch, mit Joachim /eremias, an einen Großgrundbesitzer zu denken haben, der einer überdurchschnittlichen Ernte entgegensieht. Die Frucht steht »noch auf dem Halm« (Adolf Jülicher 609). Das heißt: Noch kann er überlegen, wie er mit der zu erwartenden Rekordernte sachgemäß verfahren soll. Eben in dieser verantwortlichen Überlegung treffen wir ihn an. Es geht um das Selbstverständlichste von der Welt, wie ich meine, und deshalb darf hier nichts eingetragen werden, was der Text nicht enthält. Wirwerden Zeugen des Monologs auf offener Szene und können so an den Perspektiven und Planungen des reichen Mannes teilnehmen. Er weiß nicht,"überrascht durch den Mengenrekord, was er machen soll (eine Verlegenheit, zu der es in ähnlicher Lage immer und überall kommen kann). Daß die Speicher der Ernte nicht gewachsen sind, begründet seine Frage, was er machen soll, »mehr für die Leser als für sich selber«, wie Jülicher sagt (609). Formal kann der Monolog des Verwalters im Gleichnis von Luk. :1:6, :1:-8 verglichen werden, der ebenfalls mit der Frage: Was soll ich machen? be-
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ginnt und dem dann ein Einfall kommt, wie er die Situation meistem kann: »Ich weiß, was ich tue«. Der Monolog als szenisches Mittel begegnet auch in den Gleichnissen von Luk. 1.8, 1.-8 und Luk. 1.'8,9-1.4. Auch der ungerechte Richter porträtiert sich selbst, wie auch der Pharisäer und Zöllner in ihr Inneres hineinsehen lassen. Aber auch der Verlorene Sohn macht uns durch seinen Monolog zu Zeugen seiner Umkehr (Luk. 1.5, 1.1.-32). Monologe lassen nicht nur den Menschen »sich aussprechen« (und sagen, was er sonst nur denkt, höchstens denkt). Monologe können den Menschen auch sich selbst aussprechen lassen, so daß er sich selbst zur Sprache bringt. Er spricht dann nicht nur dies oder das aus, was ihn gerade bewegt. Er spricht vielmehr prägnant »sich selbst« aus, er verrät den unbemäntelten Kurs seines Inneren, die Formel seiner Existenz. Man denke etwa an die Offenheit, in der der Richter im Gleichnis von Luk. 1.8,1.-8 von sich sagt: »Wenn ich auch Gott nicht fürchte und auch nach keinem Menschen etwas frage ... « (1.8,4). Der reiche Kornbauer spricht aus, wie er denkt und wie er zu seinem Entschluß kommt. Er will ganz einfach größere Speicher bauen, um der anfallenden Ernte gerecht zu werden. Man muß dazu bemerken, was Schlatter hervorgehoben hat: »Die überall übliche Methode zu wirtschaften ist hier absichtlich so dargestellt, wie sie allen als verständig und nützlich erscheint . . . Von Geiz, Wucher und dergleichen wird nicht gesprochen.« »Ein Bauer, der mit seiner Ernte nicht so verfährt wie der von Jesus Beschriebene ... wird von seiner Frau, seinen Kindern, seinem Dorf gescholten und verachtet werden; es ist nach ihrem Urteil seine Pflicht, seine Ernte in seinen Scheunen aufzusparen« (Adolf Schlatter, Das Evangelium des Lukas 1.931. 1.1.0. 343). Mit anderen Worten: Es .wird jeder Zug ferngehalten, der von übertriebener Grellheit wäre und einer Karikatur gliche ... weil er uns möglich machte, Uns von der Gleichnisfigur des reichen Kornbauern im Handumdrehen zu distanzieren. So fehlt jeder Zug, der den reichen Kornbauern von vornherein belastete. Der Mann betreibt, wird man sagen müssen, sorgsame, vorbildliche Vorratswirtschaft. Daß er in allem nur an sich selbst denkt und deshalb ein Egoist wäre, wie er im Buche steht, spricht der Text nicht aus, mindestens nicht expressis verbis. Der Monolog dürfte deshalb nur als technisches Mittel zu nehmen sein, nicht aber, wie Adolf Schlatter verstehen möchte, schon inhaltlich zu befrachten sein: »Vor seinem Blick steht niemand als er selbst« (aaO 31.1.). Und das bedeutet auch, daß eine andere Form der
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Mitteilung als das Selbstgespräch nicht denkbar ist, daß der Monolog vielmehr die gegebene Möglichkeit ist. 4. So entsteht die Frage, worin der reiche Kornbauer sich verfehlt: was als Fehler in seinem Denken und Handeln zu erkennen ist. Denn daß er, der kluge Mann, der so sorgfältig handelt, von Grund auf verfehlt denkt - darauf läuft das Gleichnis hinaus, und das springt uns in der Anrede Gottes an ihn entgegen: Du Tor! Damit bekommt der ganze Monolog ein unerwartetes Vorzeichen. Und damit befinden wir uns unversehens vor dem eigentlichen Problem der Auslegung unseres Gleichnisses. Alle anderen Fragen, die hier aufgeworfen werden könnten, sind demgegenüber zweitrangig. Wir haben uns bemüht, alle karikaturhaften Züge vom reichen Kornbauern fernzuhalten, weil wir sie als Alibi verwenden könnten, um dem Vorwurf nicht zu verfallen, der ihn trifft. So aber geraten wir ins Fragen, weshalb er nach dem Wortlaut des Gleichnisses ein Tor ist. Sollen wir seine Torheit im Entwurf seiner Zukunft sehen: daß er sich an der ihm zugefallenen Ernte freuen will und seinen Tisch auf Jahre hinaus mit allem Guten und Köstlichen gedeckt sieht, so daß er nach Herzenslust zulangen kann? Anders gefragt: Ist etwa Lebensfreude als solche biblisch verwehrt? Die Begriffe, die im Gleichnis vorkommen: Ruh dich aus, iß, trink, freu dich deines Lebenssind schon nach Jülicher als solche unverfänglich. »Es soll nur mit ein paar Zügen angedeutet werden, worauf (der reiche Kornbauer) sich im Angesicht seines Reichtums freut« (611). Oder sollte so etwas wie Freude am Gegebenen biblisch nicht legitim sein? Hat das Pathos der Arbeit, das für uns kennzeichnend ist, hier einen Vorsprung? Sind wir nicht längst der Problematik innegeworden, die unseren Parolen anhaftet: »Rast ich, so rost ich« ? »Es gibt nichts Besseres für den Menschen, als daß er esse und trinke und sich gütlich tue bei seiner Mühsal« - kann Kohelet sagen (2, 24 vgl. ), 1) 5, 17 8, 15). Und ich zitiere Kohelet gleich noch einmal:" »Geh, iß mit Freuden dein Brot und trink deinen Wein mit fröhlichem Herzen; denn iängst hat Gott dein Tun gebilligt. Trage allezeit weiße Kleider und laß deinem Haupte das öl nicht mangeln. Genieße das Leben mit der geliebten Frau alle die Tage des flüchtigen Daseins, das dir verliehen ist unter der Sonne. Denn das ist dein Teil am Leben und für die Mühe, womit du dich abmühst unter der Sonne« (9, 7-9). Lebensfreude ist biblisch
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nicht verwehrt. »Man kennt ... Jesus schlecht, wenn man meint, er könnte das nicht auch gesagt haben. Es liegt durchaus auf seiner Linie. Wer durch die enge Pforte der kritischen Negation hindurchgegangen ist - es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel-, der darf und muß dann wieder so reden«, hat der frühe Kar! Barth zu dem zuletzt von uns zitierten Kohelettext einmal bemerkt (1.91.9, vgl. Das Wort Gottes und die Theologie 1.9293 52). Aber kann Kohelet als Parallele zum Monolog des reichen Kornbauern herangezogen werden? Ich denke, trotz der gelegentlichen Nähe des Vokabulars, zuletzt doch nicht. Eher kann uns Kohelet helfen, das Charakteristische des Monologs in unserem Gleichnis präziser 'zu erkennen. Denn die Sätze Kohelets dür~ fen nicht aus ihrem Zusammenhang gerissen werden. Es sind Sätze, in denen sich Kohelet - »über dem Abgrund der Verzweiflung gehalten« sieht, wie Gerhard von Rad formuliert. Und das ist für ihr Verständnis entscheidend. Sie sind nicht begreifbar und nicht denkbar ohne den ständigen Hinweis auf Gott als den, der dem Menschen das schenkt, wovon hier immer die Rede ist: die Freude. Denn diese Freude ist in der Welt, wie sie ist, keine Selbstverständlichkeit. Sie kann dem Menschen nur von Gott her zufallen. Der Mensch kann sie sich nicht einfach nehmen. Sie ist eine rare Möglichkeit, gerade nach Kohelet, sie ist wie ein Wunder. Nur das dürfte der Erfahrung entsprechen, die Kohelet gemacht hat. Kohelet ruft »zur Selbstbescheidung«, sagt Kurt Galling (Das Rätsel der Zeit ZThK 1.961. 1.)). So ist der Horizont festzuhalten, in den das Lob der Freude bei Kohelet gehört: Freude ist Gottes Gabe an den Menschen, mitten in einer Welt, deren Unsicherheit einzuschärfen Kohelet sich nicht erschöpfen kann. Eben in dem von uns zitierten Text ist unüberhörbar von der Mühe die Rede, von der die Welt erfüllt ist und die dem Menschen in seinem Leben nicht erspart bleibt. Das ist der Realismus der biblischen Sicht des Menschen, Adams auf seinem Acker, auf dem Dornen und Disteln wachsenl Man kann diese Aussagen der biblischen Texte nicht übermalen. Ich gebe Gerhard von Rad noch einmal das-Wort: »Unsicher ist der Reichtum, unsicher ist das Gerechtsein, unsicher ist vor allem alles, was kommt, die Zukunft; sicher ist nur der Tod, der auf alle wartet ... « Das ist die Sprache des Kohelet, die sein Buch zu einer skeptischen Randbemerkung zur weisheitlichen Überlieferung macht (von Rad, Theologie des Alten Testaments I 45) ff) ... ohne daß man bei Kohelet von eigentlicher Skepsis reden könnte. Die Skepsis ist nicht sein
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Credo. Wenn das die Sprache Kohelets ist, dann sind seine Sätze eben
keine Parallele zum Monolog des reichen Kornbauern, in dem gerade der Tod übersehen ist. Der Monolog in unserem Gleichnis verrät kein Wissen um den Tod. Von daher ist von ihm zu sagen, daß er an der Oberfläche haftet und den Dingen nicht auf den Grund geht. Was wir damit formulieren, ist mehr als eine moralische Kategorie. 5. Daß das Übersehen des Todes sich als entscheidender Fehler im Denken des reichen Kornbauern erweist, kann nicht zweifelhaft sein. Seine unbestreitbare Klugheit hat eine handgreifliche Grenze, und diese Grenze macht seine Klugheit zur Torheit. Wir können auch so differenzieren: Seine Klugheit ist nicht Weisheit. Weisheit brächte ihn davon ab, so sehr dem Vordergründigen zu verfallen, wie er es tut. Aber wir müssen offenbar noch genauer fragen: Worin besteht seine Torheit? Besteht sie darin, daß er die Vergänglichkeit der Welt verkennt, daß er sich die Flüchtigkeit des menschlichen Lebens verbirgt? Wäre damit die Einsicht erreicht, um die es ginge? Oder bliebe das immer noch zu blaß und zu allgemein? Weiß das nicht in irgend einem Umriß jeder? Von der Vergänglichkeit der Dinge kann doch auch säkular gesprochen werden. Das zeigt schon altägyptische Weisheit, das zeigt auch die spätjüdische Sapientia Salomonis (Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus, nach der Datierung von Johannes Fichtner RGG3), die das Porträt des Säkularismus ihrer Zeit entwirft. Sie läßt den Säkularismus sich in den Worten aussprechen: »Unser Leben geht vorüber wie die Spur einer Wolke, und wie ein Nebel wird es sich verflüchtigen ... Eines Schattens Vorüberziehen ist unsere Lebenszeit« (2, 4b. 5a). Ich wiederhole: das ist schon säkular erreichbar. Die Konsequenz, die sich aus dieser Sicht ergibt, sieht freilidt verschieden aus. Sie kann auf eine abgründige Traurigkeit hinauslaufen, auf einen unaufhaltbaren Weltschmerz, auf einen ausgesprochenen Nihilismus. Sie kann aber auch, nach der Sapientia Salomonis, das betonte Auskosten der Stunde bedeuten, das Leben im Augenblick, den Griff nach allem und jedem. Pessimismus verbindet sich mit Ausgelassenheit. So wäre mit der Formel: »Vergänglichkeit des Lebens« noch nicht umschrieben, was der reiche Kornbauer wissen sollte. Das Problem wird immer unausweichlicher: Was für eine Einsicht wäre, dem reichen Kornbauern vermittelt, wenn er den Tod in Wahrheit bedächte? Wäre es nur die Vergänglichkeit der Welt, auf die er stieße, so
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könnte er - nach der Sapientia Salomonis, aber nicht nur nach der Sapientia Salomonis - immer noch in seiner Torheit befangen bleiben, immer noch der eigentlichen Einsicht fern sein: ob seine Sache das Hocken am Rande des Nichts wäre oder ob er sich überschäumender Lust hingäbe. 6. Unsere Frage spitzt sich zu. Was sagt die Chiffre des Todes dem Menschen biblisch? Etwa das, was die Psalmen sagen? »Tue mir kund, Herr, mein Ende, und welches das Maß meiner Tage sei, daß ich erkenne, wie vergänglich ich bin. Sieh, nur handbreit hast du meine Tage gemacht und meine Lebenszeit ist wie nichts vor dir. Ja, ein Hauch nur ist alles, was Mensch heißt. Nur wie ein Schatten geht der Mensch einher, macht Lärm um ein Nichts, speichert auf und weiß nicht, wer es einheimst. Und nun, worauf steht meine Hoffnung, Herr? Meine Hoffnung, sie steht zu dir ... Höre mein Gebet, Herr, vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen, denn ich bin ein Gast bei dir, ein Beisasse wie alle meine Väter« (Ps. 39, 5-8. 13). In diesen Psalmversen wird der Tod bedacht, wird der Mensch angesichts des Todes weise. Von daher die Bitte: »Unsere Tage zu zählen das lehre uns, damit wir einbringen ein weises Herz« (Ps. 90, 12 vgl. zur Übersetzung H.-J. Kraus, Psalmen I 627). Aber ist nicht sofort zu sagen: Was der Mensch hier begreift, geht über das Begreifen des Todes hinaus! Er begreift vielmehr sein Leben, sein Leben in seiner wahren Wirklichkeit, in seinem Ausgeliefertsein an Gott. Hans-Joachim Kraus bemerkt in seinem Psalmenkommentar zu den Begriffen Gast und Beisasse (Ps. 39, 13): »Die beiden Begriffe erinnern daran, daß Jahwe dem flüchtigen, fremden Leben gnädig einen Aufenthalt gewährt hat« (I 302 f). In unserem Gleichnis unterbricht Gott selbst den Monolog des reichen Kornbauern; vom Horizont des Kornbauern her gesehen: jäh und unerwartet. Man kann doch nur sagen: Gott selbst hält ihm den Tod vor. Auch die Wendung: »Diese Nacht fordert man dein Leben von dir« -läßt Gott selbst das Leben von ihm fordern, weil hier eine Formel vorliegt, die den Gottesnamen vermeidet, aber meint (vgl. Strack-Billerbeck, Wilhelm Michaelis 235 und Joachim Jeremias 165). Daß der Reiche den Tod nicht bedacht hat, heißt deshalb zugleich, daß er Gott nicht bedacht hat - Gott, der die Sprache des Todes spricht ... weil er der Herr des Lebens ist, der »Herr über Leben und Tod« (Rudolf
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Bultmann zu Lul<. 12, 20 ThW II 863). Das dürften die entscheidenden Stichworte sein. Gott spricht hier die Sprache des Todes - wie der Tod im Auftrag Gottes kommt, wie im Tod Gott dem Menschen begegnet. Das wissen die Psalmen, das ist auch die Einsicht des Psalms des Hiskia (Jes. 38, 10 ff). An der Grenze des Lebens zeigt sich, daß der Mensch es zeit seines Lebens immer mit Gott zu tun hat, daß sein eigentliches Gegenüber immer Gott ist, der Herr seines Lebens. Der Hiskiapsalm sieht das Leben in der Hand Gottes: »Meine Hütte ist abgebrochen und zusammengerollt wie ein Hirtenzelt. Ausgewoben habe ich mein Leben wie ein Weber, vom Gestell schneidet er mich ab. Tag und Nacht gabst du mich preis ... « (Jes. 38, 12). (Zur Übersetzung und zur Exegese verweise ich auf Joachim Begrich, Der Psalm des Hiskia 1926). Angesichts des Todes wird hier das Leben begriffen, angesichts Gottes wird menschliche Existenz begriffen (vgl. zum Thema Tod und menschliche Existenz die Studie von Gerhard Sauter, Die Zeit des Todes EvTh 1965 623 bis 643)· 7. Und so konkretisiert sich die Aussage unseres Gleichnisses. Es wird zur Antwort auf die Frage: Wovon lebt der Mensch? Wir müssen zuletzt die Thematik erfassen, die Lukas nach dem Kontext (Luk. 12, 2231) mit dem Gleichnis verbindet. Das ist die Thematik des Reichtums, im Sinn der Problematik des Reichtums. Denn offensichtlich hat die Kennzeichnung des Kornbauern als eines »reichen Mannes« für Lukas betontes Gewicht. Daß ein Mensch »reich« ist, ist bei Lukas nie eine belanglose Notiz, sondern deutet immer eine Gefährdung des Menschen an (Luk. 1,51 6, 24 16, 19-31 19, 1-10). D.as Lukas-Evangelium weiß um das Risiko des Reichseins im Sinn eines realen Risikos. Bringt doch der Reichtum dem Menschen bei, daß sein Leben gesichert ist. Der Reichtum, der dem reichen Kornbauern in seinem Monolog wie eine verläßliche Garantie seines Lebens »auf viele Jahre« vorkommt, kann nicht leisten, was er verspricht. Er kann sein Leben nicht einmal für eine Stunde garantieren. Sein Leben garantieren kann nur der, der es geschenkt hat und dem es gehört. Und so ist zu sagen, daß der Reichtum dem Kornbauern den Geschenkcharakter seines Lebens verbirgt, daß sein Reichtum ihn »an der Wirklichkeit vorbei« leben läßt (Karl Heinrich Rengstorf, Das Evangelium nach Lukas 1937 143). In seinem Monolog offenbart der reiche Kornbauer, daß er den
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wahren Grund seines Lebens verkennt und daß er sich an brüchige Garantien hält. 8. Joachim /eremias sieht in unserem Gleichnis ein »eschatologisches Gleichnis«, das davor warnt, in eschatologischer Stunde, angesichts des bevorstehenden Gerichtes, auf das Zusammenraffen von Hab und Gut bedacht zu sein (165). Das hört sich zunächst überraschend an, trifft sich aber mit dem parallelen Akzent, den der /akobusbrief in dieser Sache kennt, wie Lukas und der Verfasser des Jalwbusbriefes sich ohnedies thematisch berühren, wenn es um das Thema des Reichtums geht. Im kann das hier nur noch andeuten. Ich beziehe mich etwa auf den Zusammenhang von Jak. 4, 13 - 5, 6. Der kritische Akzent, der Jak. 5,.1-6 zum Stil und Handeln der Reichen gesetzt wird, meint in der Tat ihr sinnloses Sammeln von Schätzen »in den letzten Tagen«: ihr unbekümmertes Leben im Überfluß, während diese Welt dem Gericht entgegengeht. Einzelheiten sind im Text des Jakobusbriefs nachzulesen. Der Ton liegt doch offenbar auf dem ungenutzten Reichtum: auf dem Verkommen der in Truhen gehorteten Kleider und auf dem Verrosten der Metalle, weil sie für nichts und niemand gespeichert werden, während sie anderen dienen könnten. Ebenso aber ist Jak. 4, 13-17 parallel, worauf schon Martin Dibelius als Ausleger des Jakobusbriefs hingewiesen hat (Der Brief des Jakobus 1921 214). In Jak. 4, 13 ist der Monolog des reichen Kornbauern sozusagen in die Sprache der Großhändler übersetzt. Dem vorgreifenden Planen der Großhändler wird in Jak. 4, 14 entgegengehalten: »Ihr wißt nicht, was es morgen mit eurem Leben sein wird. Ein Dampf seid ihr, der für eine Weile zu sehen ist und dann unsichtbar wird.« -Es ist elementarste Wahrheit, Lebenswahrheit und Lebenseinsicht, die den Großhändlern abgeht: die gleiche elementarste Wahrheit, die der reime Kornbauer verkennt. Kein Mensch verfügt über sein Leben, weil allein Gott darüber verfügt. Und im Verkennen dieser Einsicht erweisen sich die sogenannten Realisten des Lebens - als unrealistisch, weil sie das Realste übersehen, was ihr Leben trägt und hält. Das ist das Wunder der Güte Gottes. Sie greifen daneben, sie leben »an der Wirklichkeit vorbei« (Rengstorf 143). Das ist das Gefährliche, das ihr Leben kennzeichnet. Das ist aber auch in unüberhörbarer Eindringlichkeit die Aussage, die der Text enthält, der bei Lukas unmittelbar folgt, die lukanische Par··
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allele zu ~atth. 6, 25-33. Alles Sichsorgen des Menschen wird konfrontiert mit Gottes unvergleichlichem Sorgen für den Menschen. Im Horizont dieses Zusammenhangs erscheint die Torheit des reichen Kornbauern als die Torheit des Menschen, der im Sorgen für sich selbst sich übernimmt, sich vermißt zu tun, was er nie vermag: für sich selbst aufzukommen. Was in unserem Gleichnis zur Sprache kommt, ist von hier aus in der Tat das Problem der menschlichen Existenz: das Problem des Menschen in seinem Widerspruch zum Evangelium, an das er sich allein halten kann und das ihn allein hält.
Das Doppelgleichnis vom Bauen und vom Kriegführen (Luk. 14, 28-32)
»Denn wer unter euch, der ein Wirtschaftsgebäude bauen will, setzt sich nicht erst hin und berechnet die Kosten, ob er (genug) zur Ausführung hat? Damit nicht, wenn er das Fundament gelegt hat und (das Ganze) nicht zu vollenden vermag, alle Zuschauer anfangen, über ihn zu spotten und zu sagen: Dieser Mann hat angefangen zu bauen und vermochte es nicht zu vollenden. Oder welcher König, der seine Truppen marschieren läßt, um Krieg gegen einen anderen König zu führen, setzt sich nicht erst hin und berät, ob er in der Lage ist, mit (seinen) Zehntausend dem entgegenzutreten, der mit Zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Ist er nicht in der Lage, so schickt er, solange der andere noch fern ist, eine Gesandtschaft zu ihm und wirbt um Frieden.« 1. Die synoptischen Nachfolgetexte sind nicht uniform. Ihre Akzente sind zu unterscheiden. Bei der Geschichte der Berufung der ersten Jünger (Mark. 1, 16-20) dürfte das souveräne Handeln /esu den Ton haben: »Kommt her, mir nach, so will ich es machen, daß ihr Menschenfischer werdet« (Mark. 1, 17). Nachfolge gründet in dem überlegenen Ruf Jesu, in seiner erwählenden Zuwendung. Martin Dibelius hat begreiflicherweise gezögert, auf den Markustext den Begriff der »Erzählung« anzuwenden, »denn es fehlen alle Umstände einer Schürzung des Knotens, der dann mit der Pointe gelöst werden könnte« (Die Formgeschichte des Evangeliums 1933 2 108). Die Perikope ist in einem so hohen Maß stilisiert, daß sie fast rätselhaft geworden ist. »Die Aufforderung zündet wie ein Blitz. Mit einem Schlag werden die vier Fischer aus ihrem Gewerbe, dem sie eben obliegen, von einem am See auftauchenden Unbe-
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kannten h.erausgerissen. Die Sache wird sich in Wahrheit wohl etwas anders zugetragen haben . . . « (Julius Wellhausen, Das Evangelium Marci 1909 8). Man wird zu verstehen haben, daß der Entschluß der Jünger, Jesus zu folgen, bei Markus ganz und gar im Schatten der Gnade der Berufung steht, die ihnen Widerfährt, und daß aller Akzent auf dem liegt, was Jesus hier tut, der auf Petrus und Andreas, auf Jakobus und Johannes herrenmäßig zugeht und sie in unvergleichlicher Vollmacht zu seinen Jüngern macht. Alles andere wird abgeblendet. »Alle Einzelheiten, Zeit, Ort, nähere Umstände sind weggelassen ... Wie in einem Holzschnitt ist ... nur das gezeigt, was wirklich entscheidend ist« (Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Markus 1967 25). Ich habe das voraufgeschickt, weil das lukanische Doppelgleichnis vor dieser Folie in seinem eigenen Akzent deutlicher wird. Denn in Luk. 14, 28-32 bekommt nach dem lukanischen Kontext die Entscheidung dessen, der Jesu Jünger werden will, unverkennbar Gewicht, und zwar als Entscheidung, die »erst« überlegt sein will. Zweimal begegnet dieses Stichwort im Text (14, 28. 31). Kann zweifelhaft sein, daß wir es hier mit der besonderen Pointe der Nachfolge zu tun haben, die in Luk. 14 geltend gemacht wird? Jesus will keine unbedachte Nachfolge, bei der die Konsequenzen nicht bedacht würden, die sie impliziert. Jesus verwehrt Illusionen. Helmut Gollwitzer hat geradezu von der »Schroffheit« gesprochen, mit der Jesus hier die» Bedingungen der Jüngerschaft« einschärfe, von der Schroffheit, mit der er das Volk, das ihn umdrängt, eher abschrecke als einlade. Eine »erschütternde Schroffheit« fand aber auch schon Adolf Jülicher in unserem Text. Und bei der Auslegung der verwandten Verse von Matth. 8,18 bis 22 spricht auch Julius Schniewind von »Schroffheit« und von »abweisendem Ernst« (Das Evangelium nach Matthäus 1937 109). Auch Rudolf Bultmann hat in Umschreibung unserer Gleichnisse sagen können: »Das einladende Wort der Verkündigung ist zugleich ein abschreckendes« (Jesus 1926 33). Es dürfte kaum Zufall sein, daß so verschiedene Exegeten zu den gleichen Vokabeln gegriffen haben, wenn sie zum Ausdruck bringen wollten, was die Texte sagen. Ich wende mich zunächst den beiden Gleichnissen zu. Sie sind lukanisches Sondergut und gehören offenbar ursprünglich (als Doppelgleichnis ) zusammen. Deshalb ist bei ihnen nicht primär zu fragen, wie sie 2.
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sich votteinander abheben, sondern vielmehr, worin das ihnen gemeinsame tertium comparationis besteht. Können wir uns vielleicht jeden Kommentar sparen, weil sie »einer Erklärung nicht bedürftig sind«, wie Joh~nnes Weiß .feststellte und auf jede Einzelauslegung verzichtete (Die Schriften des Neuen Testaments 19072 48o)? Auch Adolf Jülicher, der jeder Vokabel des Textes in vorbildlicher Sorgfalt nachgegangen ist, hielt unser Doppelgleichnis in seiner »Schlichtheit und Durchsichtigkeit« (aaO 202) für unübertroffen. So können wir uns knapp fassen. Zu einer Breite der Erzählung kommt es bei beiden Gleichnissen nicht. Sie werden jeweils mit einer Frage eingeleitet (im Sinn der Frage-Gleichnisse, wie Heinrich Greeven Gleichnisse mit dem typischen Anfang: »Wer unter euch ... « zu benennen vorgeschlagen hat), und diese Frage legt als Antwort von vornherein ein Ja nahe: Ja, so wird es jeder macheri I Es handelt sich, könnte man sagen, um Kurzgeschichten, die nur eine einzige Szene skizzieren: eine Szene der Überlegung. Alle Kurzgeschichten lassen sich bekanntlich ausmalen, nur kommt es immer darauf an, daß die Pointe dabei gewahrt wird und sich nicht verschiebt. Joachim Jeremias unterscheidet beide Gleichnisse sozusagen nach ihrem Format: Jesus wählt für das, was er sagen will, ein »kleines« und ein »großes« Beispiel. Beim ersten Gleichnis greift Jesus ein Beispiel aus der unmittelbaren Lebenserfahrung des Hörers auf. Da will einer bauen, einen Wachtturm im Weinberg, wie man pyrgos in Mark. 12, 1 zu verstehen haben wird, oder noch eher ein größeres Wirtschaftsgebäude, weil es sich nach allem um eine beträchtliche finanzielle Ausgabe handelt (Wilhelm Michaelis ThW VI 956). Wer so etwas vorhat, muß sich vorher, ehe er noch mit dem Fundament beginnt, über die Kosten klar werden. Bauen kostet Geld. Mag sein, daß wir nur zu gern Pläne machen, daß wir immer Architekten von Luftschlössern sind, unser Leben lang. Aber das Gleichnis bewegt sich in der Ebene äußerster Nüchternheit. Hier wird mit dem Rechenstift gearbeitet, hier werden Kolonnen addiert. Hier wird nicht drauflos gewirtschaftet, sondern sorgfältig Summe um Summe kontrolliert und realistisch nach der Deckung gefragt. Ich meine, man muß in der Auslegung diesem nüchternen Atem des Gleichnisses entsprechen, gerade weil das Gleichnis selbst mit dem möglichen Leidüsinn eines Bauherrn rechnet, der zu spät darauf stößt, daß der Bau ihn überfordert. Hat er es versäumt, beizeiten die Finanzierung zu bedenken, so muß er sich den Spott gefallen lassen: »Dieser Mann fing an zu bauen
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und vermochte es nicht zu vollenden.« Die Pointe besteht in dem nur zu begründeten Rat: Überlege die Konsequenzen vorherl Traumer sind hier nicht zu gebrauchen. Auch das zweite Gleichnis umfaßt nur eine einzige Szene. Diese Szene spielt im militärischen Hauptquartier eines der großen oder kleinen Herren von damals, der sich einem Angriff auf sein Land gegenübersieht. Wir haben doch wohl zu verstehen, daß die Truppen des Gegners sich schon in Marsd'l gesetzt haben (vgl. Vers 31b). Insofern ist dem Angegriffenen das Gesetz des Handeins entrissen. Was soll er tun? Soll er einfad1 zum Gegenangriff übergehen? Offenbar nicht: »erst« muß er sich mit seinen Generalen beraten und in aller Nüchternheit die Frage nach dem militärischen Potential aufwerfen, über das er verfügt. Ist er dem Gegner zahlenmäßig gewachsen? Wieder tritt der Rechenstift in Funktion. Und das kann bedeuten, daß es geraten ist, statt von aller militärischen Vernunft verlassen drauflos zu marschieren, lieber den Weg der Diplomatie zu gehen und Verhandlungen einzufädeln. Joachim /eremias möchte die entsprechende griechische Wendung in 14, 32: erotan ta pros eirenen unter Berufung auf Werner Foerster (ThW 11 410) im Sinn der Unterwerfung auf Gnade und Ungnade interpretieren, während Adolf /ülicher an das Einhandeln von Friedensbedingungen denkt (Gleichnisreden 205). Jülichers Auslegung scheint mir näher zu liegen. Denn seine Deutung läßt für den klug und besonnen Handelnden eine Chance offen, was sich gut in den Kontext bzw. in die Intention der Gleichnisgeschichte fügt. Unbeschadet dieser Auslegungsdifferenz ist die Pointe eindeutig: Vorher müssen die Konsequenzen erwogen werden. Ab~nteurer sind in der Nachfolge nicht gefragt. Ich möchte hier noch einen Text zitieren, der eine frappante Parallele zum Horizont der Überlegung in unserem Gleichnis darstellen dürfte: einen Mobilisierungsplan für Israel. Er ist in einer Rolle enthalten, die erst während des Sechstagekrieges von 1967 bekannt geworden ist und vorläufig auf spätestens 50 v. ehr. datiert wird. Sie ist von einem geschulten Schreiber in Qumran geschrieben. Ich verdanke meine Kenntnis einem Artikel von Yigael Yadin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. August 1968 (Yigael Yadin war Generalstabschef der israelischen Armee und ist gegenwärtig Professor für Archäologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem). »Sobald der König die Gefahr eines 'Feindes, der alles, was Israel gehört, nehmen will« wittert, soll er
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ein Zehntel der Streitkräfte des Volks mobilisieren. Sollte die feindliche Streitkraft groß sein, muß ein Fünftel der Armee einberufen werden. Sollte der Feind »mit seinem König, seinem Streitwagen und einem zahlreichen Heer« kommen, muß ein Drittel einberufen werden; zwei Drittel sollen im Lande bleiben, um seine Grenzen und Städte zu beschützen, »um einen feindlichen Einfall zu verhindern«. Wenn es sich jedoch um einen »heftigen Kampf« handelt, soll der König seine halbe Armee mobilisieren, während die andere Hälfte in den Städten bleiben soll, Ui1" sie zu verteidigen. Yigael Yadin bemerkt dazu: »Die Bedeutung dieser Passagen liegt darin, daß sie die realen politischen und historischen Probleme, denen das antike Israel zur Zeit der Niederschrift der Rolle gegenüberstand, widerspiegeln. Die Gebote unterscheiden sich wesentlich von denen, die in der Rolle >des Krieges der Söhne des Lichtes gegen die Söhne der Finsternis< zu finden sind. Die letzteren betreffen ausschließlich den Angriffskrieg der Guten gegen die Schlechten, während wir es hier mit einem Verteidigungskrieg gegen einen unbekannten Feind zu tun haben«. Die von Yigael Yadin zum Vergleich genannte Rolle >des Krieges der Söhne des Lichtes gegen die Söhne der Finsternis< gehört zu den Qumranfunden und führt die Bezeichnung 1. QM (Text und Übersetzung in: Die Texte aus Qumran, herausgegeben von Eduard Lohse 1.964 1.77-225). Es geht mir hier nur darum, daß mir die Problematik verwandt zu sein scheint, die in unserem Gleichnis wie in dem zitierten Text erkennbar wird. Und insofern ist die Parallele wichtig, zumal sie auch zeitlich in die Nähe des Gleichnisses gehört. Ich meine, daß auch bei unserem Gleichnis eine Situation gegeben ist, in der ein Angriff unmittelbar bevorsteht und die Frage nur lauten kann, wie dem Angriff zu begegnen ist. Selbstverständlich ist hier, wie auch sonst bei Gleichnissen zu sagen, daß die Bildhälfte des Gleichnisses nicht isoliert genommen werden darf, daß die Bildhälfte nicht von der mit ihr intendierten eigentlichen Aussage getrennt werden darf, weil damit die Struktur des Gleichnisses verkannt wäre. So ist dem Aufgreifen der Situation des Krieges nicht entfernt eine Rechtfertigung des Krieges zu entnehmen. Jesus bringt in seinen Gleichnissen freilich immer wieder die Welt zur Sprache, wie sie ist, die Welt in ihrer ungeschminkten Wirklichkeit. Aber damit wird die Wirklichkeit, wie sie ist, nicht bejaht, sowenig das etwa beim-Gleichnis
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vom ungerechten Verwalter (Luk. 16, 1 ff) von den geschäftlichen Praktiken des Verwalters gesagt werden kann. Deshalb sind aus unserem Gleichnis keine Schlüsse zur politischen Ethik zu ziehen. Methodisch möglich ist nur die Frage nach der Pointe, die sich in der Bildhälfte abzeichnet und von der Sinnhälfte des Gleichnisses her gewollt ist. Das Gleichnis ist eine Sinneinheit. 3. Wir wenden uns dem Kontext der Gleichnisse zu. Lukas hat sie in den Rahmen eingefügt, dessen Thematik zunächst in den einleitenden Versen 14, 25-27 erscheint: Thematik der Jüngerschaft. Für Lukas trifft sich offenbar die Pointe der Gleichnisse mit dem Akzent der Nachfolgesprüche. Konzentrieren sich die Gleichnisse auf eine einzige Szene der Überlegung und warnen sie vor unbedachtem Handeln, so bringen auch die Nachfolgeworte zur Sprache, was es »kostet«, Jesus als Jünger zu folgen. Jüngerschaft kann nicht die Sache des Experiments oder des Abenteuers sein, Jüngerschaft verlangt Außerstes. Die Schlußzeile (14, 33) zieht die Summe: »So kann keiner von euch, der nicht allem entsagt, was er hat, mein Jünger sein.« Das wird in 14, 25-27 am Verhältnis des Jüngers zu den Bindungen illustriert, in denen er sich vorfindet: zu den Bindungen an Vater und Mutter, an Brüder und Schwestern, an Frau und Kinder. Das ist das Koordinatennetz der Beziehungen, in denen sich menschliches Leben vor allem abspielt. Wichtigste soziologische Strukturen sind genannt. Nachfolge heißt, wie Dietrich Bonhoeffer das zu übersetzen versucht hat, daß Jesus zwischen uns steht, zwischen mir und meinem Nächsten, zwischen mir und meinen mir gegebenen Partnern, Verwandten, Freunden, Kameraden ... So aber gibt es keine »Unmittelbarkeiten« mehr, die uns selbstverständlich beanspruchen könnten. Und zwar deshalb nicht, weil in der Nachfolge Jesus unser Herr wird, dem wir mit allem, was wir sind und haben, gehören. Das bedeutet nicht die Irrelevanz dieser Bindungen, aber es heißt, daß die Nachfolge uns in Konflikte bringen kann, in denen wir bewähren müssen, daß wir Jesus gehören - daß die Bindung an ihn Vorrang vor jeder anderen Bindung hat. Die Nachfolge kann uns unsere Beziehungen kosten. Ich denke, daß ich das hier nicht weiter auszuführen brauche. Ich möchte aber die Zuspitzung noch unterstreichen, die darin besteht, daß die nach dem Text entscheidende Bindung, die Bindung an Jesus, auch unser Gebundensein an uns selbst berührt. Was nach Luk. 14, 26
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von uns gefordert ist, ist auch das Nein zu uns selbst. Gehören wir Jesus, so folgt daraus, daß wir nicht mehr uns selbst gehören. Vielleicht klingt das zu gewohnt. Deshalb wiederhole ich es mit einer kleinen Abwandlung. Daß Jesus unser Herr ist, hat die Konsequenz, daß wir nicht mehr - auf uns selbst hören. Dabei ist doch das, was uns kennzeichnet, dies: daß wir zuerst und zuletzt auf uns selbst hören, daß uns nichts so nahe ist wie wir selbst, daß wir in einem ständigen Monolog mit uns selbst begriffen sind. Wir sind uns selbst letzte Instanz. In der Schule der Nachfolge aber endet dieser so selbstverständliche Monolog. Wir erfahren, daß ein anderer der Herr unseres Lebens ist. In der Sprache der Nachfolgesprüche heißt das bei Lukas (wie bei Markus und Matthäus): »Wenn jemand mit mir gehen will, so verleugne er sich selbst . .. « (Luk. 9, 2)). Julius Schniewind hat das einmal höchst eindrücklich von der Geschichte der Verleugnung des Petrus her ausgelegt. Der bedrängte und angefochtene Petrus, der sich zu Jesus bekennen soll, sich aber auf seine Beziehung zu Jesus nicht ansprechen lassen und in die Anonymität fliehen will, stößt die Worte heraus: »Ich kenne diesen Menschen nicht« (Mark. 14, 71). Ist der Schluß nicht zwingend: Sich selbst verleugnen, heißt, von sich selbst sagen: Ich kenne diesen Menschen nicht ... heißt, sich selbst nicht kennen, von sich selbst keine Notiz nehmen, während wir doch uns selbst in allem befragen, mitreden lassen, mitentscheiden lassen. Nachfolge ~kostet( offenbar dieses so selbstverständliche Mitspracherecht, Einspracherecht, Entscheidungsrecht. Nachfolge meint ein Entweder/ Oder: Entweder verfügen wir selbst über unser Leben, über das, was wir sind und haben (weil wir nicht davon abzubringen sind, zu meinen, wir müßten für uns selbst aufkommen) - oder Jesus wird unser Herr und nimmt unser Leben in seine Hand. Anders als im Zeichen dieses Entweder/Oder ist Jesus nicht zu verstehen und ist das Evangelium nicht zu haben. 4. So geht es in unserem Text um die Konsequenzen der Nachfolge. Hebt das, was der Text dazu einschärft, etwa auf, daß Jüngerschaft Sache der Erwählung ist, wie wir zu Anfang an Hand der Jüngerberufungen gesagt haben? Verblaßt hier das Gleichnis der Gnade? Haben wir es mit einem Sonderzug der lukanischen. Jüngerethik zu tun, und ist dieser lukanische Akzent zu den Zügen zu rechnen, »die das Evangelium von der unmittelbaren Nähe des Gottesreiches moralisieren, rationalisieren« und
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so die ursprüngliche eschatologische Aussage »in die einem späteren Zeitalter angemessene frühkatholische Theologie umbiegen«? Josef B. Soucek, der vorübergehend so fragt, warnt doch davor, diese Frage »voreilig bejahend« zu beantworten (Göttinger Predigtmeditatio_~_en 1959 184). Wir haben im Grunde schon angedeutet, daß es kaum möglich ist, von einem betont nur lukanischen Akzent zu sprechen. Jesus fragt auch bei Matthäus Menschen, die ihm nachfolgen wollen, ob sie die Konsequenzen überlegt haben. Überraschend, vielleicht bestürzend, gilt seine Frage gerade auch angesichts einer ausgesprochenen Bereitschaft, die keine Vorbehalte zu kennen scheint: »Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst« (Luk. 9,57 f ist mit Matth. 8,19 f wörtlich parallel). Sind nicht in aller Regel die Vorbehalte das Problem? Hier aber scheint gewußt zu sein, daß Nachfolge Sache des Gehorsams ist und daß deshalb nicht im voraus festgelegt werden kann, zu was für Schritten es in der Nachfolge kommt. Dennoch hört sich die Antwort Jesu (bei Matthäus und bei Lukas) wie eine Gegenfrage an: »Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn dagegen hat nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann.« Ich spreche von einer Gegenfrage, denn Jesus dürfte fragen: Weißt du auch, was du versprichst? Jesus verweist auf seinen Weg. Ich denke, wir haben zu verstehen, daß Nachfolge, wie ein Mensch sie sich vornehmen kann und wagen will, noch nicht die Nachfolge ist, die Jesus von ihm fordert. Womit wir deshalb hier (und in allen Nachfolgeworten) konfrontiert werden, das ist das Geheimnis der Gestalt und des Weges lesu selbst, das ist das Geheimnis, das ihn unverwechselbar macht und verwehrt, daß Jesus von uns zu einer Chiffre für unsere eigenen, noch so hoch gegriffenen Ideale gemacht wird. Die Verwechslung liegt offenbar immer nahe. Alle Nachfolgeworte aber spiegeln dieses sein Geheimnis. Wir können auch sagen: Die Nachfolge gilt lesus selbst, nicht einer Sache, und wäre sie die beste von der Welt. Das ist die Einsicht, auf die alle Paradoxien der Jüngersprüche zulaufen. Deshalb widersprechen sich auch die Akzente nicht: die Akzente souveräner Erwählung und äußerster Forderung. »Jüngerschaft bedeutet Entscheidung, lesu Entscheidung über bestimmte Menschen, aber dann nicht minder auch ihre Entscheidung für ihn ... (Günther Bornkamm, Jesus von Nazareth 1956 135). So begegnen uns in unserem Text unaufhebbare Elemente der Nachfolge.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Luk. 15, 11-3 2 )
»Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngere von ihnen sprach zum Vater: Vater, gib mir den Anteil am Vermögen, der mir zukommt. Da teilte er das Vermögen unter sie. Und wenige Tage später machte der jüngere (Sohn) alles zu Geld und wanderte aus, in ein weit entlegenes Land (chöra makra ist »geläufiger jüdischer Ausdruck für Übersee«: Friedrich Hauck 1.99; Belege bei Strack-Billerbeck II 1.1.2 f). Dort verschwendete er sein Vermögen in einem liederlichen Leben (asötös ist »längst eingebürgert . .. für eine schwelgerische, verschwenderische Lebenshaltung«: Adolf /ülicher aaO 341.). Als er aber alles vertan hatte, kam es in jenem Land zu einer schweren Hungersnot, und er begann, Mangel zu leiden. Und er ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes. Der schickte ihn auf seine Felder, Schweine zu hüten. Und er hätte sich am liebsten den Bauch vollgeschlagen mit den /ohannisbrotschoten, mit denen die Schweine gefüttert wurden (J. /eremias aaO 1.29) - aber niemand gab (sie) ihm. Er aber ging in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluß, ich aber komme hier vor Hunger um. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Halte mich wie einen deiner Tagelöhner. Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch weit weg war, sah ihn sein Vater, wurde von Erbarmen erfaßt, lief (ihm entgegen), fiel ihm um den Hals und küßte ihn. Der Sohn sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Aber
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der Vater sprach zu seinen Knechten: Schnell! Bringt das Festgewand und zieht es ihm an, gebt ihm einen Ring an die Hand und Schuhe für die Füße. Holt das Ma,stkalb und schlachtet es. Wir wollen essen und guter Dinge sein. Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie begannen, guter Dinge zu sein. Sein älterer Sohn aber war auf dem Felde. Als er auf dem Heimweg in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Reigentanz. Und er rief einen von den Knechten heran und wünschte zu erfahren, was das wäre. Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund zurück hat. Ihn aber packte der Zorn, und er wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm zu. Er aber gab dem Vater zur Antwort: Siehe, so viele Jahre diene ich dir wie ein Sklave und habe niemals ein Gebot von dir übertreten. Aber niemals hast du mir (auch nur) einen Bock gegeben, damit ich mit meinen Freunden fröhlich sein könnte. Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Vermögen im Umgang mit Dirnen vertan hat, da hast du ihm das Mastkalb geschlachtet. Der aber sprach zu ihm: Mein liebes Kind, du bist allezeit bei mir, und alles Meine ist dein. Du müßtest jubeln und dich freuen. Denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden.« 1. Zu Anfang des Gleichnisses wird in großer Knappheit erzählt, daß von zwei Söhnen eines Vaters der jüngere sich seinen Anteil am väterlichen Erbe auszahlen läßt und daß er mit seiner ganzen Habe »wenige Tage später« nach übersee aufbricht. Wie es bei dem jüngeren Sohn zum Verlassen des väterlichen Hofes kam, läßt sich nur vermuten. »Gründe werden nicht angegeben« (Karl Heinrich Rengstorf, Die Re-Investitur des Verlorenen Sohnes in der Gleichniserzählung Jesu Luk: 15, 11-32 1967 15). Will er sich eine Existenz in übersee schaffen? Und will er dabei späteren Verlegenheiten entgehen, zu denen es kommen-könnte, wenn der Vater nicht mehr lebt und er neben oder unter dem älteren Bruder auf dem Hof arbeiten müßte? Man könnte dabei an das Gleichnis von Luk. 12, 13-21 denken, das vorauszusetzen scheint, daß ein jüngerer 'Bruder vergeblich darauf wartet, daß ihm sein Erbe ausgezahlt wird. Auswanderung war offenbar der gegebene Weg, sich selbständig zu machen, wozu zu bedenken ist, daß die begrenzten wirtschaftlichen Mög-
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lichkeiten Palästinas von vornherein viele zwang, sich außerhalb Palästinas eine Existenz zu suchen. Joachim /eremias spricht von den »verlockend günstigen Lebensbedingungen in den großen Handelsstädten der Levante« und verweist auf die Statistik, die schon Adolf von Harnack errechnete. »Juden gab es in den meisten, jedenfalls in allen am Mi~elmeer und in dessen Umgebung gelegenen Provinzen des römischen Reichs sowie am schwarzen und kaspischen Meere, östlich über Syrien hinaus in kompakten Massen in Mesopotamien, Babylonien und Medien« (Mission und Ausbreitung des Christentums I 19244 5). Adolf Deißmanns Karte der Paulusmission deckt sich mit der Karte der Auslandsjudenschaft. Überraschend ist die zahlenmäßige Verbreitung: Die Auslandsjudenschaft betrug ein Vielfaches der jüdischen Bevölkerung in Palästina selbst. über vier Millionen standen höchstens einer halben Million gegenüber (Joachim Jeremi~s aaO 129). Das aber heißt: Man kann den Aufbruch nach übersee nicht etwa ohne weiteres zusätzlich belasten - als ob der jüngere Sohn es darauf angelegt hätte, sich so smnell wie möglich unerreichbar zu machen, um jeder väterlichen Kontrolle zu entgehen. Die Suche nach einer Existenz in Übersee konnte für ihn einfach eine naheliegende Lösung sein. Ich berühre das, weil zu fragen ist, ob der jüngere Sohn nicht sehr begreiflich handelt, wenn er die Verhältnisse zu Hause mit dem Wagnis der Fremde vertauscht. Sich das Erbe auszahlen lassen und nach Übersee aufbrechen: »das haben viele junge Söhne getan, ja, tun müssen«, hat Karl Bornhäuser bemerkt. Was zu Anfang des Gleichnisses geschieht, kann deshalb nach Bornhäuser nicht schon mit einem negativen Vorzeimen versehen werden. »Eher könnte der Vater sich darüber freuen, daß sein jüngerer Sohn Selbständigkeitstrieb zeigt und Wagemut« (Studien zum Sondergut des Lukas 1934 109). »Auswanderung war an der Tagesordnung«, kann Eta Linnemann im Rahmen einer ähnlichen Sicht sagen (aaO 1961181). Daß das Verlangen des jüngeren Sohnes »noch kein Unrecht bedeutet, scheint indirekt aus Sir. 30, 28 ff hervorzugehen«, war smon die Meinung von Erich Klostermann (Das Lukasevangelium 19292 157). Der Sirachtext warnt freilich die Väter vor vorzeitiger Verteilung des Erbes. Vor Erich Klostermann befand sich Johannes Weiß in seiner Auslegung auf der gleichen Spur. Theodor Zahn ist ebenfalls dieser Auslegungslinie zuzurechnen (Das Evangelium des Lucas 19203.4 56o: Die
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Bitte des Jüngeren verrät als solche keine Unehrerbietigkeit dem Vater gegenüber). Auch Adolf Jülicher hat sich gegen eine Interpretation des Gleichnisanfangs gewehrt, die den Jüngeren sofort belastet. »Durch den Vokativ pater bekommt der Imperativ aos moi ... den Charakter der Bitte, pater klingt so herzlich wie das teknon 31.« (aaO 338). Eberhard Jüngel beruft sich auf Jülicher, wenn auch er meint, daß ein negativer Akzent auf den Weg und die Geschichte des jüngeren Sohnes erst fällt, als er sein Hab und Gut in einem liederlichen Leben verschwendet (aaO 1.61.). Wilhelm Michaelis entwirft vom jüngeren Sohn das Porträt eines >strebsamen jungen Bauernsohnes, der Unternehmungsgeist besitzt und sich zutraut, daß er es auswärts zu etwas bringen werde<. So zieht er »mit Billigung seines Vaters in die Ferne«, als ein Junge, auf den der Vater stolz ist (Es ging ein Sämann aus zu säen 1.938 260). Daß die Zäsur im Leben des verlorenen Sohnes schon früher liegt, daß sie schon mit seinem Drängen auf Abfindung und seinem eiligen Aufbruch von Zuhause gegeben ist - ist in der Exegese neben dem eben skizzierten Verständnis von so gewichtigen Auslegern wie Adolf Schlatter und Julius Schniewind vertreten worden. Für Adolf Schlatter konnte es »innerhalb der bäuerlichen Gemeinschaft, wie Jesus sie vor sich hatte, keine selbständige Verwaltung des Erbes durch den Sohn geben ... Verlangte er sie, so trat er eben damit aus der Gemeinschaft aus und sagte dem Vater den Gehorsam auf ... « (Das Evangelium des Lukas 1.931. 355). Das würde das bisherige Bild entscheidend verändern. Nicht weniger entschlossen hat JuHus Schniewind im Verhalten des jüngeren Sohnes von Anfang an den »Bruch der Liebe und Treue« dem Vater gegenüber gesehen (Das Gleichnis vom verlorenen Sohn 1. 940 1. 9). Man wird zu erwägen haben, ob für diese Auslegung etwa das Ganze des Gleichnisses spricht. Aber es könnte auch sein, daß bei Schlatter und Schniewind die Transparenz des Gleichnisses, in der die Bildebene auf die Sachebene· hin durchsichtig wird, zu früh die Auslegung bestimmt. Bei der Frage nach der Schuld des verlorenen Sohnes, von der nach dem Gleichnis - auf Grund der Worte des verlorenen Sohnes selbst - ohne Zweifel zu reden ist, könnte die Schuld nicht schon im Aufbruch des Sohnes als solchem, sondern erst in seinem verpfuschten Leben im Ausland zu sehen sein. Sein verfehltes Leben läßt das väterliche Erbe in Kürze zu nichts zerrinnen und den Sohn als unverantwortlichen Bankerotteur erscheinen. Das Verlassen des väterlichen Hauses brauchte nicht schon schuld-
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haft zu sein. Und es könnten überlegungen unterbleiben, wie es zu verstehen ist,. daß der Vater das Abbrechen aller Beziehungen und Bindungen wortlos geschehen läßt. Wäre nicht zu erwarten, daß der Vater dem Sohn schon sein Drängen auf Auszahlung des Erbes vorhalten würde, wenn er es nicht billigen könnte? Daß- das nicht geschieht, kann doch kaum mit der Zurückhaltung des Vaters erklärt werden, der seinem Sohn die Freiheit läßt, seinen von ihm selbst gewählten Weg zu gehen. Deshalb fragen wir, ob das Geschehen in der Bildebene nicht zunächst im Horizont menschlicher Möglichkeiten und Initiativen zu begreifen ist, zumal das Gleichnis (in s_einer Bildebene!) die Ebene des Himmels und des Vaters zweierlei sein läßt (Vater, ich habe gesündigt gegen den Hiinmel und vor dir«: 15, 18. 21). Besteht nicht die Gefahr einer allegorischen Auslegung des Gleichnisses, wenn man schon im Weggang des verlorenen Sohnes aus dem Vaterhaus seine eigentliche Sünde sieht? Ist dann die im Gleichnis festgehaltene zweifache Ebene nicht allegorisch überholt? Das ist auch die Sicht von Eberhard Jüngel (aaO 161 3). 2. Die Rechtslage muß offenbar so gedacht werden, daß die "erbetene Abfindung möglich war. Teilt der Vater sein Vermögen unter die beiden Söhne, so verliert der abgefundene jüngere Sohn jeden weiteren Anspruch, während der ältere, dem der doppelte Anteil zustand, auf dem Hof bleibt, ohne schon das Verfügungsrecht zu haben. »Der ältere blieb als Gutserbe naturgemäß auf der Scholle« (Adolf Jülicher aaO 338). Aber noch verwaltet der Vater den Hof, wie sich in allem zeigt. Er hat sich noch nicht zurückgezogen. Der Vater scheint für sparsame Wirtschaft zu sein. Das könnte sich in den Worten des älteren Sohnes spiegeln, der dem Vater den Vorwurf macht, daß er ihn knapp gehalten habe: »Niemals hast du mir (auch nur) einen Bock gegeben, damit ich mit meinen Freunden fröhlich sein könnte«. Das hebt sich für den älteren Bruder von der unbegreiflichen Großzügigkeit des Vaters ab, die der jüngere Bruder erfahren darf, als er zurückkommt: »Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Vermögen im Umgang mit Dirnen vertan hat, hast du ihm das Mastkalb schlachten lassen«. Das Recht des älteren Bruders spricht freilich der Vater selbst solenn aus: »Mein liebes Kind, du bist allezeit bei mir, und alles Meine ist dein«. Seine Sparsamkeit und seine Großzügigkeit widersprechen sich offenbar nicht, wiewohl seine Sparsamkeit zur überraschenden Folie für solche Großzügigkeit wird.
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Die Großzügigkeit ist für den Vater, recht verstanden, eine Selbstverständlichkeit. Sie unterstreicht das Außerordentliche, das sich mit der Rückkehr des Verlorenen ereignet: »Du müßtest jubeln und dich freuen«. Etwas anderes kommt nicht in Frage! übrigens könnte man sagen, daß die Sparsamkeit des Vaters - zuletzt gerade auch dem älteren Bruder zugutekommt, sofern der sparsame Umgang mit allem, was zum Hof gehört, die Konsequenz hat, daß dem älteren Bruder als dem künftigen Besitzer das Vermögen ungeschmälert erhalten bleibt. Aber das ist nur eine sekundäre Erwägung. ). Das Gleichnis spielt »nach seinem Wortlaut in einem gehobenen bürgerlichen Milieu«, stellt Karl Heinrich Rengstorf fest (aaO 55). Rengstorf erkennt im Gleichnis »großbürgerliche und patriarchalische Verhältnisse« (60). Den Eindruck eines gutsituierten Gutsbesitzers kann man der zahlreichen Dienerschaft entnehmen. »Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluß«, erinnert sich der verlorene Sohn in der Fremde. Rengstorf unterscheidet zwei Arten von Sklaven. »Haussklaven, denen die Obsorge für die Kleidung und für die Wäsche des Hauses obliegt; unter ihnen ist auch der mit besonderem Vertrauen bedachte Sklave, der Zugang zu dem Ring besitzt, den der zurückgekehrte Sohn erhalten soll ... « Andere Sklaven haben »die Arbeit auf dem Hof und in den Ställen zu tun, aber auch Hilfsdienste für die Küche zu leisten« (18). Den älteren Bruder, den künftigen Erben, mag man sich als die rechte Hand des Vaters denken. Daß ihm eine Sonderstellung zukommt, macht das Wort des Vaters an ihn deutlich (15, )1). Damit ist" wenn nicht alles täuscht, ein verhältnismäßig großer Rahmen gegeben. Martin Dibelius sah freilich kleinbäuerliche Verhältnisse gezeichnet, weil der Vater die Sklaven anweist, >das< Mastkalb für die festliche Tafel zu verwenden. Aber >das< Mastkalb meint das für besondere Anlässe jederzeit bereitgehaltene Mastkalb (Joachim Jeremias aaO 1)0), so daß das Stichwort (Luk. 15, 2). 27. )0) nicht als Indiz für einen schmalen Zuschnitt des Milieus gelten kann. Das Mastkalb spielt übrigens, wie das dreifache Vorkommen im Text zeigt, eine bedeutsame illustrative Rolle. Martin Dibelius hat, was kleinbäuerliche Verhältnisse angeht, neben unserem Gleichnis das Gleichnis vom Knechtslohn (Luk. 17, 7-10) genannt, in dem ein Bauer vorkommt, der für die Landwirtschaft wie für die Hauswirtschaft nur einen einzigen Knecht zur Verfügung hat
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(Die Formgeschichte des Evangeliums 1933 2 253 1). Aber in Luk. 17, 7-10 handelt es sich doch offenbar um bescheidenere Verhältnisse als in unserem Gleichnis. Mir scheint Karl Heinrich Rengstorf hier richtiger zu urteilen. Er ist übrigens über das Gesagte hinaus der Meinung, daß dem Vater in unserem Gleichnis »unverkennbar gewisse königliche Züge« anhaften, was bei ihm im wörtlichen und nicht im übertragenen Sinn zu verstehen ist (51). Aber das Problem, das damit gegeben ist, müssen wir vorläufig noch verschieben. 4. Wir kehren nach diesen Exkursen (zur Rechtslage und zum Milieu) zum Faden der Erzählung zurück. Mit ein paar Strichen wird die Existenz des jüngeren Sohnes im Ausland gezeichnet. Im Handumdrehen ist das Vermögen vertan und der Impetus des Aufbruchs verbraucht. Das Geld ist ausgegeben und das Leben im großen Stil vorüber. Da zudem eine Hungersnot ausbricht, muß sich der jüngere Sohn, der eben noch aus dem Vollen schöpfen und sich leisten konnte, was er wollte, Arbeit suchen und mit der geringsten Tätigkeit zufrieden sein, die er findet. Er verdingt sich als Schweinehirt, was für ihn als Juden besonders beschämend war und als Ausdruck seiner schweren Notlage gelten muß. Er kann nur das erste beste Angebot ergreifen, muß aber erleben, daß er sich nicht einmal mit den Johannisbrotschoten »den Bauch vollschlagen« kann, die an die Schweine verfüttert werden. »Der derbe Ausdruck ist in vielen Handschriften beseitigt« (Joachim Jeremias aaO 129). Das gemisai ten koilian autou ist durch ein chortasthenai ersetzt, was trotz der Bezeugung durch den Sinaiticus, Vaticanus und Bezae Cantabrigiensis kaum ursprünglich sein dürfte. Man muß offenbar verstehen, daß er in seiner äußersten Not mit dem Schweinefutter vorlieb genommen hätte, wenn er es nur bekommen hätte. Johannisbrot war eßbar. So hat Rabbi Chanina ben Dosa mit Johannisbrotschoten sein Leben gefristet. Ein Rabbi um 320 hat erklärt: »Wenn die Israeliten Johannisbrot (infolge Armut) nötig haben, dann tun sie Buße« (Midrasch Leviticus Rabba 35 [132C] Strack-Billerbeck 11 214). Unser Gleichnis läßt hier deutlich palästinisches Kolorit erkennen (vgl. Adolf Schlatter, Das Evangelium des Lukas 193 1 358). In der Stunde des völligen Verlassenseins muß der verlorene Sohn an seinen Vater denken: an den Kontrast zwischen einst und jetzt, an
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den Kontrast zwischen dem Geborgensein zuhause und dem gegenwärtigen Hungerleben in der Fremde. In einem Monolog zieht er den Schlußstrich unter seine verfehlte Existenz und entschließt sich zur Rückkehr: »Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen«. Sein Entschluß läßt ihn sich vorstellen, was geschieht, wenn er dem Vater begegnet. Sein Entschluß beflügelt ihn und läßt ihn die Worte überlegen, die er dann sprechen wird: »Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Halte mich wie einen deiner Tagelöhner.« Er kann es sich nicht ersparen, seine Schuld zu bekennen. Jeder Versuch, sie zu bemänteln, sollte er an ihn gedacht haben, ist aufgegeben. Nur noch das offene Aussprechen der Schuld ist möglich - nicht in dem Sinn, daß nur das noch eine Chance für ihn hätte, die er nutzen muß (als eine conditio sine qua non, um die er nicht herumkommt) ... sondern in dem Sinn, daß er etwas anderes, nachdem die Einsicht in seine Schuld über ihn gekommen ist, nicht mehr vermag. Daß er seine Schuld bekennt, ist das Indiz seiner Umkehr. Die Stunde der Begegnung ist die Stunde der gänzlichen Offenheit. 5. Die Begegnung mit dem Vater wird für den verlorenen Sohn zu einer einzigen Überraschung. Er hätte sich fragen können, ob der Vater ihn anhören und mit seiner Bitte zu Wort kommen lassen würde. Zuviel belastende Dinge sind geschehen, als daß er das für selbstverständlich halten könnte. Heißt das, daß der verlorene Sohn ein äußerstes Risiko auf sich nimmt: daß er damit rechnen muß, abgewiesen zu werden? Ich denke, daß es dem Duktus der Erzählung entspricht zu sagen, daß der verlorene Sohn im Zeichen der Umkehr keine Wahl mehr hat, daß er nur noch zum Vater hin unterwegs sein kann. Alles andere ist ein Irrealis geworden. Seine Zukunft liegt in den Händen des Vaters. Aber der Vater nimmt dem Sohn alle Verlegenheit im voraus. Fast nimmt er ihm das erste Wort ab, das ihm besonders schwer fallen könnte - weil er ihm im Zeichen seines Erbarmens entgegeneilt, sobald er ihn nur entdeckt hat, »als er noch weit weg war«. Wir brauchen nicht zwischen den Zeilen zu lesen. Die Zeilen sind beredt genug und berichten von lauter Gesten des Vaters, die in der Unmittelbarkeit ihrer Sprache ergreifen. Der Vater »fiel ihm um den Hals und küßte ihn«. Ehe der Sohn eine Silbe sagen kann, handelt der Vater. »Der Kuß kommt vor der Buße«, hat Helmut Gollwitzer als Ausleger unseres Gleichnisses text-
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nah unterstrichen (Das Leben der Versöhnung, Biblische Studien :14 1957 )6). Der Kuß kommt vor dem Bekenntnis der Schuld! Der Vater erkennt in der Rückkehr die Umkehr. Das ist das überwältigende Entgegenkommen, das unerwartete Zuvorkommen des Vaters. Das bedeutet, daß der entscheidende Schritt, das eigentliche Ereignis, sich in der Initiative des Vaters vollzieht - der gegenüber verblaßt, was der verlorene Sohn selbst tut, so gewiß es zum Ganzen hinzugehört. Und wir beobachten: Als der verlorene Sohn zu sprechen beginnt, wie er es sich in seinem Monolog in der Fremde vorgenommen hat, unterbricht ihn sein Vater. Und zwar unterbricht er ihn, ehe er noch aussprechen kann, daß nun für ihn nur noch eine Tagelöhnerexistenz denkbar ist. So läßt der Vater ihn mit seiner Bitte nicht zu Wort kommen. Aber das ist deshalb so, weil das Handeln des Vaters die Bitte des Sohnes, ohne daß sie ausgesprochen ist,
weit überholt. Denn alle Anweisungen, die der Vater seinen Knechten gibt, haben miteinander den einen Sinn, den verlorenen Sohn wieder zum Sohn des Hauses zu machen, mit allen Konsequenzen. Adolf Jülicher hat einen etwas anderen Schluß gezogen: Der verlorene Sohn habe seine Bitte nicht mehr vorgebracht, weil er, durch den Empfang beschämt, ganz unfähig gewesen sei, »Wünsche für seine Zukunft zu äußern«, weshalb er »mit einem unbedingten Eingeständnis seiner Schuld schließen« mußte (aaO )50). Aber das braucht sich mit unserer Auslegung in der Sache nicht zu stoßen. 6. Karl Heinrich Rengstorf hat in seiner Studie über die »Re-Investitur des verlorenen Sohnes« in allen Einzelheiten der väterlichen Anweisung an die Knechte Elemente eines einheitlichen Rechtsakts erkennen wollen, der die solenne Wiedereinsetzung des verlorenen Sohnes in das Sohnesrecht zur Folge habe: die Verleihung des Gewandes, die Begabung mit dem Siegelring und das Anlegen der Schuhe. Man würde nach Rengstorf jeden dieser Vorgänge verkennen und so auch den Sinn der Szene im ganzen verfehlen, wenn man alles nur als Zeichen einer betont freundlichen Begrüßung verstünde - wenn man etwa das Gewand nur damit in Zusammenhang brächte, daß der Heimkehrer, zerlumpt, wie man ihn sich denken muß (und wie ihn Rembrandt etwa auf seiner Radierung von :(6)6 dargestellt hat), anders als festlich gekleidet beim Fest der Freude, das der Vater inszeniert, nicht erscheinen konnte. So naheliegend
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ein solches Verständnis auch sein könnte, so wenig reicht doch nach Rengstorf eine solche Interpretation aus. Der Begriff des Ehrengastes bleibt nach, Rengstorf zu allgemein und zu unpräzise. Das Gewand ist vielmehr als Rechtssymbol zu nehmen. Das »erste -Gewand« (wie Rengstorf die griechische Wendung pröte stole wörtlich übersetzen möchte) ist nicht, viel zu ungenau, als besonders kostbares Gewand zu verstehen, sondern meint das Kleid, das der verlorene Sohn »zurückließ, als er das Haus verließ, in dem er Sohnesstellung und Sohnesrecht besaß«. Es ist mit anderen Worten das Signum seines Sohnseins. prötos ist im Sinn von proteros gebra~cht und hat zeitliche Bedeutung. Auch die Bezeichnung des Gewandes als stole gibt ihm »den Charakter eines förmlichen Insigniums«. Wird dem verlorenen Sohn dieses Gewand wieder zugesprochen, so ist damit die Re-Investitur vollzogen. In diesen Kontext gehört nach Rengstorf auch die Begabung mit dem Siegelring. Mit dem Siegelring wird nämlich »Macht übertragen, und zwar erhält der zurückgekommene Sohn, wenn er auf Weisung des Vaters mit einem Ring ausgestattet wird, Anteil an der väterlichen Macht und kommt so zu einem Status, der ihn befähigt, selbst Befehle zu geben«. Man kann vielleicht das Siegelrecht mit dem Unterschriftsrecht vergleichen: der Inhaber kann rechtsverbindliche Verträge abschließen und untersiegeln. Endlich muß auch das Anlegen der Schuhe in Analogie zu den bisher beschriebenen Akten der Wiedereinsetzung in die Sohnschaft verstanden werden. Beim »Schuhsymbol« geht es »um die Bekundung von Besitzrecht, besonders hinsichtlich Grund und Boden«, mithin um »Verfügungsgewalt«. Dieser dritte Akt kennzeichnet deshalb nicht, wie man oft versteht, den freien Mann im Unterschied zum Sklaven, sondern zielt präzise auf die Rechtsstellung, die der verlorene Sohn dank der Güte des Vaters wieder einnimmt. Bei dieser Auslegung wird auch begreiflich, weshalb schon im Monolog des Sohnes in der Fremde seine Rechtsstellung eine Rolle spielt: daß er in seiner eigenen Sicht sein Sohnesrecht verscherzt hat. Es konnte ihm nicht mehr zustehen, weil er selbst es aufgegeben hatte. Allein die souveräne Güte des Vaters konnte ihm die Rechte eines Sohnes wieder verleihen, als ob er sie nie verloren hätte. Ich denke, daß Rengstorf jedenfalls darin zuzustimmen ist, daß an dem rechtlichen Charakter des Vorgangs nicht gezweifelt werden kann. Unbestreitbar ist Rengstorfs Exegese von hoher Geschlossenheit. Sie
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kann Ansätze aufnehmen, zu denen es in der Auslegungsgeschichte des Gleichnisses auch sonst schon kam. Rengstorf selbst nennt in diesem Zu'sammenhang den Namen von Joachim Jeremias (aaO 17). Rengstorf mödtte, was nodt nachzutragen ist, audt das Geschehen am Anfang des Gleidtnisses von einem Rechtsbrauch her deuten. Dabei ist nidtt an die von uns berührte erbrechtlidte Problematik zu denken. Rengstorf möchte aber den Abschied des verlorenen Sohnes vom Elternhaus mit einem spät jüdischen Rechtsinstitut in Verbindung bringen, das den Sinn hat, die »Trennung« zwisdten einer Sippengemeinsdtaft und einem Sippenglied zu vollziehen, das die Sippe verläßt. Wer die Sippe verläßt, ist für die Sippe nid}t mehr existent. Ein Toseftatext legt fest, daß »ein Sohn, der geteilt hat, wie irgendeiner von allen anderen Menschen ist« (Baba batra 11 5), was näher so zu kommentieren ist, daß er »wie ein beliebiger Mensch (ist), mit dem man nichts weiter zu tun hat«. Der Toseftatext dürfte sidt gerade auf eine »von einem Sohn verlangte und ihm gewährte Abfindung« beziehen. Eben diese Abfindung impliziert die »Aufhebung des Sohnesverhältnisses« (aaO 21. ff). Wenn Rengstorfs Vermutung zutrifft, dann entspräche dem öffentlidten Charakter der Re-Investitur in der Mitte der Gleidtnisgesdtidtte - der in der Öffentlidtkeit vollzogene Akt der »Trennung« zu Anfang. Die Re-Investitur begibt sidt vor aller Öffentlidtkeit, vor der Öffentlidtkeit, in der ihre rechtlichen Konsequenzen respektiert werden sollen und Geltung bekommen: vor der Öffentlidtkeit der Hofgemeinschaft.
7. Rengstorf hat für seine Interpretation Belege beigebracht, die der höfischen Welt des Vorderen Orients entstammen. Ihm scheint dabei, daß das Gleichnis in sich eine gewisse Diskrepanz erkennen lasse, insofern eine Reihe von wichtigen Einzelzügen dieses Gleichnisses, das nach seinem Wortlaut in einem gehobenen bürgerlichen Müieu spielt, sich erst dann in ihrer ganzen Bedeutung enthüllen, wenn man sie von Vorstellungen und Riten her beleuchtet, die sich an orientalischen Höfen nachweisen lassen und hier gerade in Verbindung mit Investiturakten begegnen (aaO 55 f). Ich muß zu diesen Belegen auf Rengstorfs Studie verweisen. Rengstorf verknüpft mit dieser Diskrepanz »Erwägungen zur Herkunft des Erzählungsstoffs«. Auf der Suche nach der Vorgeschichte des Gleichnisses meint Rengstorf im Perlenlied der Thomasakten eine Parallele gefunden zu haben (Text und Kommentar bei HenneckeSchneemelcher II 1.964). »Die Übereinstimmungen sind so charakteristisch und greifen zugleich so weit, daß von einer nur zufälligen Berührung nicht die Rede sein darf. Vielmehr muß ernstlich damit gerechnet werden, daß die nicht zu leugnende Verwandtschaft auf Teilhabe an einer gemeinsamen Vorlage beruht« (aaO 57 f). Rengstorf erinnert daran, daß in beiden Texten zwei Söhne vorkommen, von denen der ältere zuhause bleibt, während der jüngere in die Fremde aufbricht. Auch im Per-
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lenlied spielt das »Gewand«, das der jüngere Sohn zuhause zurückläßt und nach der Rückkehr wieder empfängt, eine entscheidende Rolle. Und »hier wie dort steht am Ende die Freude des Vaters« (aaO 59). Aber ich meine, daß neben den parallelen Zügen doch auch bedeutsame Abweichungen zu erkennen sind. Vor allem handelt es sich beim Perlenlied um einen mythologischen Text, der nur gnostisch interpretiert werden kann, während im Lukasgleichnis jeder mythologische Bezug fehlt. Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß die Berührungen auf eine gemeinsame Vorlage zurückgreifen. Aber das Problem spitzt sich auf die Frage zu, wieweit das Gemeinsame nach der Verzweigung innerhalb der Traditionsgeschichte des Stoffes noch reicht. Wir sind im Perlenlied in einer anderen Welt als im Lukasgleichnis. Weiter ist kritisch zu sagen, daß die Texte sich in ihrer eigentlichen Aussage kaum noch berühren, wenn sie auch im Stoff verwandte Züge zeigen. Die Verwandtschaft verblaßt vor der Differenz der Aussage. Das Ganze ist jeweils so sehr anders akzentuiert, daß auch Rengstorf beim Lukasgleichnis zuletzt doch von einer originalen Konzeption spricht, »die lediglich mit Hilfe eines überkommenen Stoffes veranschaulicht wird« (aaO 61). So möchte Rengstorf das Gleichnis »als solches nicht ohne durchschlagende innere Gründe Jesus absprechen, der für die Überlieferung sein Autor ist« (aaO 62). Daß Rengstorfs Belege für die Re-Investitur aus der höfischen Welt des alten Vorderen Orients genommen sind, läßt darüber hinaus fragen, ob sie ohne weiteres in das gehobene bürgerliche Milieu übertragbar sind, in dem sich das Gleichnis bei Lukas nach Rengstorfs eigener Formulierung bewegt. Sollten aber nur noch Reminiszenzen an einen früheren höfischen Rahmen vorliegen, so könnte das bedeuten, daß höfische Vorgänge nur begrenzt im Rahmen der Exegese unseres Gleichnisses herangezogen werden können. Die von Rengstorf beobachtete Diskrepanz hat offenbar ihre Konsequenz. Deshalb wäre offen zu lassen, ob die Verleihung des Gewandes ,von Rengstorf nicht überinterpretiert ist und deshalb die frühere Auslegung (im Sinne eines Festgewandes) nicht nach wie vor erwägbar bleibt. Ich habe Rengstorfs Auslegung ausführlich skizziert, weil sie als ein Ganzes gewertet sein will. Ihre hohe Konsequenz haben wir anerkannt. Aber das heißt nicht, daß nicht trotz der Konsequenz, vielleicht auch wegen der Konsequenz, Fragen bleiben.
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8. Wir haben längst gesehen, daß in unserem Gleichnis, ähnlich wie beim Gleichnis von Matth. 20, 1-16a, alles Geschehen der Schlußszene entgegenläuft: der spannunghaften Bemühung des Vaters um den älteren Sohn. Die Parallelität der Struktur haben wir schon eingehend hervorgehoben. Der ältere Sohn schließt sich von allem aus. Anders betont: er schließt sich selbst von allem aus. Als er von der Arbeit nach Hause kommt, bringt er in Erfahrung, was sich zugetragen hat. Er kann sich nur distanzieren - distanzieren von dem überschwenglichen Empfang, von dem vom Vater inszenierten Fest der Freude. Das alles kommt seinem Bruder, wie er meint, nicht zu, nicht mehr zu. Daß etwas, was einmal geschehen ist, rückgängig gemacht werden könnte - besser: daß es so etwas wie Vergebung gäbe -, das ist in seiner Welt, in der er lebt, wie es scheint, nicht vorgesehen. Er vermag von dem Zurückgekehrten nicht einmal mehr als von seinem Bruder zu sprechen, als ob er es, nachdem er Schiffbruch erlitten hat, nicht mehr wäre. Deshalb heißt es im Gespräch mit dem Vater: »... dieser dein Sohn« - was der Vater in seiner beide Söhne umfassenden Liebe korrigiert: »Denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden«. Hat es Bedeutung, daß der ältere Sohn die Vateranrede unterläßt? Wird daran sichtbar, wie fern er dem Vater steht, wie Walter Grundmann verstehen möchte (Das Evangelium nach Lukas 1961 315)? Der Vater entläßt den älteren Sohn nicht: er entläßt ihn nicht in seine Distanz, er entläßt ihn nicht aus seiner Liebe. Er möchte ihn in seinem Widerspruch überwinden und ihn seinem väterlichen Handeln zustimmen sehen, das das Handeln der Liebe ist - das der Vater ihm als das Handeln seiner Liebe erklärt. Versteht der ältere Sohn die Sprache der Liebe nicht? Darauf läuft alles hinaus. Sollte der ältere Sohn, der immer zuhause war, dem Vater inzwischen ferner sein als sein jüng~rer Bruder, der aus aller Ferne zurückgekehrt ist und seine ursprüngliche Nähe zum Vater zurückgewann, weil der Vater die Spanne der Ferne in seiner Güte überbrückte? Entscheidungsschwer ist diese Frage, mit der das Gleichnis schließt, ohne daß sie beantwortet würde. Bliebe es beim Nein des älteren Sohnes, so scheiterte er an dem königlich gütigen Handeln des Vaters, das der Vater selbst als das Handeln seiner Liebe zu begreifen ihn nur einladen kann. Das aber heißt, daß der ältere Sohn sich durch den Vater mit seinem jüngeren Bruder konfrontiert sieht. Das Verhältnis des älteren Sohnes
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zu seinem Vater kann nicht zurechtkommen, wenn sein Verhältnis zu seinem Bruder nicht zurechtkommt. Sein Ja zum Vater wäre zugleich das Ja zu seinem Bruder. Denn es wäre das Ja zur Freude des Vaters. Fände er den Weg zur festlichen Tafel, die der Vater decken ließ, so ginge die väterliche Freude auf. ihn über und er wäre mit seinem Bruder am Tisch des Vaters vereint. 9. So ist die Schlußszene des Gleichnisses ganz und gar von der Szene in der Mitte her überschattet oder besser überstrahlt. So ist die Schlußszene nur die Spitze, in die das Geschehen in der Mitte des Gleichnisses ausläuft, auf den älteren Bruder zuläuft . .. weil alles am Handeln des Vaters hängt. Das Gleichnis hat seine Einheit zuletzt darin, daß es zur Einladung an den Tisch der Freude des Vaters wird: »Du müßtest jubeln und dich freuen. Denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden« (Luk. 15, 32). So könnte das Gleichnis die Überschrift tragen: Die Freude des Vaters. Freude ist das Stichwort, das unser Gleichnis mit den beiden vorhergehenden Gleichnissen in Luk. 15 verbindet. Die Freude auf Erden wird zum Gleichnis der Freude im Himmel, zum Gleichnis der Freude Gottes. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf und das Gleichnis von der verlorenen Drachme enden mit dem Aufruf zur Freude, zur Mitfreude an Freunde und Nachbarn (Luk. 15, 6. 9), und der Freude auf Erden entspricht Gottes Freude im Himmel. In unserem Gleichnis wird das Stichwort »Freude« in 15, 32 »ausdrücklich aufgenommen ... , nachdem es schon durch die Verse 23. 26 vorbereitet war« (Karl Heinrich Rengstorf aaO 66). So vertritt die Freude des Vaters im Gleichnis gleichnishaft die Freude Gottes, der sich über die Umkehr des Menschen freut. So bekommt Gottes Freude ihr Gleichnis in der überschwenglichen Freude des irdischen Vaters, der seinen verlorenen Sohn gesund zurück hat. Wird der irdische Vater transparent für den himmlischen Vater, so wird aus dem Gleichnis doch keine Allegorie. Wir erinnerten schon daran, daß im Gleichnis selbst der Unterschied zwischen dem himmlischen und dem irdischen Vater erhalten bleibt. Die Grenze zwischen Gleichnis und Allegorie bleibt sorgsam gewahrt, was für die Exegese ständig beachtet sein will.
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10. Wir fragen erst jetzt nach der Einheitlichkeit des Textes. Adolf /ülieher hat zu Luk. 15, 24 bemerkt: »Hier könnte die Parabel schließen, wenn sie nur Parallele zu 15, 4-6 und 8 f sein wollte, eine Anwendung wie 7 und 10 würden wir nun leicht selber ergänzen. Aber es folgt noch ein zweiter Teil, der nicht zufällig ebenso wie der erste endet 24C-32« (aaO 353). Damit ist das Problem vorläufig formuliert. Ist nicht Luk. 15, 11-24 in sich gerundet zu nennen und für sich be greifbar? Mit dem Wiederfinden des Verlorenen haben doch auch die Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme ihre Pointe erreicht, genauer mit dem Wiederfinden und der Freude über das Wiederfinden. Joachim Jeremias überlegt, ob nicht auch bei dem synkalei in 15, 6 und 15, 9 an einen festlichen Ausklang der Geschichte zu denken sei, wenn auch jeweils in einem verschiedenen Zuschnitt (aaO 134). Käme der festliche Ausklang hinzu, so wäre die Parallelität noch größer. Josef Blinzler hat sagen können: »Wenn die Parabel mit Vers 24 schließen würde, würde niemand etwas vermissen«, und er folgert daraus, daß das Entscheidende schon in Luk. 15, 11-24 enthalten sein müsse (Bibel und Liturgie 1963/ 64 25). Sollte deshalb in Luk. 15, 25-32 ein sekundärer Nachtrag vorliegen, der als ein von Lukas oder schon von einem Vorgänger angefügter Zusatz anzusehen ist und ursprünglich nicht zu der Parabel von Luk. 15, 11-24 gehört hat? Oder ist in Luk. 15, 25-32 nur die auch für Luk. 15,3-7. 8-10 vorauszusetzende Adresse expliziter gemacht und in das Gleichnis einbezogen - was die Struktur aller drei Gleichnisse von Luk. 15 erneut einander angliche? Eduard Schweizer hat im Rahmen einer sprachlichen Analyse von Luk. 15, 11-32 an Hand des »unlukanischen« bzw. »semitischen Vokabulars« der ersten Hälfte des Gleichnisses (15, 11-24; genauer der Verse 12. 13b. 15. 16) annehmen wollen, daß Lukas für die erste Hälfte eine Quelle verwertet und sprachlich-stilistisch überarbeitet habe: eine Quelle, zu der in der Sammlung von Strack-Billerbeck »reiche jüdische Sachparallelen« zu finden seien, »während diese sonst fast ganz fehlen« (vgl. Strack-Billerbeck 11 216). Sie begleiten nach Schweizer nur den Text der ersten Hälfte des Gleichnisses. Eduard Schweizer wagt es, die Vorlage zu rekonstruieren. Er rechnet mit der Möglichkeit, daß sie »einen düsteren Schluß« gehabt habe (was Schweizer aber nachher korrigiert hat). Der ältere Bruder kommt in dieser Rekonstruktion nicht vor. Lukas hat ihn erst hineingebracht. Das Geschehen spielt sich zwischen zwei Figuren ab,
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zwischen dem Vater und dem verlorenen Sohn. Joachim Jeremias hat Eduard Schweizer widersprochen und geltend gemacht, daß das ganze Gleichnis »mit Semitismen durchsetzt« sei, so daß ihm auch als ganzem eine semitische Quelle zugrunde liege. So ist Luk. 15, 25-32 nicht gegenüber 15, 11-24 abzugrenzen - übrigens auch deshalb nicht, weil »wir erst hier den konkreten Anlaß erkennen, aus dem das Gleichnis gesprochen wurde: es ist zu Menschen gesagt, die aufs tiefste dadurch verletzt sind, daß Unwürdigen Gottes Gnade zugesprochen wird«. Eduard 5 chweizer meint in seiner Antwort an Joachim Jeremias daran festhalten zu sollen, daß der zweite Teil des Gleichnisses als lukanische Redaktion anzusehen sei (wie das auch von der Rahmenangabe Luk. 15,1-2 gelte). Es sei wahrscheinlich, daß Lukas »das ursprüngliche Gleichnis den beiden vorhergehenden und zugleich seinem Schema von 15, 1-2 angepaßt« habe (Eduard Schweizer, Zur Frage der Lukasquellen, Analyse von Luk. 15, 11-32, in: ThZ 1948 569-571; Joachim Jeremias, Zum Gleichnis vom verlorenen Sohn Luk. 15, 11-32, und Eduard Schweizer, Antwort, in: ThZ 1949 228-233). Man wird Eduard Schweizers Versuch, einer Vorgeschichte des Gleichnisstoffes auf die Spur zu kommen, nicht a limine abweisen können. Die Frage ist nur, ob er unserem Gleichnis angemessen ist, und vor allem: ob eine Naht innerhalb des Gleichnisses nachweisbar ist. Schon Adolf Jülicher, von dem wir uns das Problem vorläufig formulieren ließen, hat zu einer Au/teilung von Luk. 15, 11-32 (in eine echte erste und sekundäre zweite Hälfte) - bereits vor Joachim Jeremias - bemerkt, daß »die Gleichartigkeit des Tones in beiden Teilen, wo die semitische Sprachfarbe an Lukas als Verfasser kaum zu denken« erlaube, gegen sie spräche. So plädiert Jülicher für die einheitlich ge faßte Parabel, deren Einheitlichkeit er inhaltlich so angeben möchte: »Zu 11-24, die Gottes Sünderliebe in ihrer Grenzenlosigkeit beschreiben, bietet 25-32 eine Ergänzung, indem das Besduiebene nun auch verteidigt wird« (aaO 361). Das ist vielleicht noch etwas blaß formuliert. Aber auch Josef Blinzler hat nicht die Konsequenz einer Aufteilung des Gleichnisses gezogen, sondern auf das Vorkommen des älteren Bruders schon zu Anfang des Gleichnisses hingewiesen - »was unverständlidt wäre, wenn dieser gar keine Rolle in der Geschichte spielen sollte« (ähnlich argumentiert Dan O. Via aaO 156). Eduard Schweizer hat den älteren Bruder deshalb in der von ihm postulierten Vorlage streichen müssen! Blinzler hat auch
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gemeint, man dürfe nicht sagen, daß in der zweiten Hälfte »ein neues Thema behandelt werde« (aaO 26 f). Rudolf Bultmann hat das Problem der Einheitlichkeit in einer knappen Zusammenfassung umrissen und beantwortet. Er meint, man könne fragen, »ob in der Parabel vom verlorenen Sohn der zweite Teil Luk. :1.5, 25-32 eine sekundäre Erweiterung des ersten Teiles Vers :1.:1.-24 ist. Ist die Absicht des Erzählers, Gottes Vatergüte, die der sich selbst verurteilenden Reue bedingungslos verzeiht, anschaulich zu machen, nicht mit Vers 24 erreicht? Wird nicht in Vers 25-32 die Pointe verschoben, indem Gottes Vergebung gegen den Vorwurf der Ungerechtigkeit verteidigt wird? Indessen ist Vers 25-32 ja nicht eine allegorisierende Weiterspinnung, sondern bleibt formal völlig im Rahmen der Parabel. Aber auch sachlich wird durch den zweiten Teil der Blick in Wahrheit nicht abgelenkt, sondern durch das Gegenbild wird in Vers 25-32 gerade der paradoxe Charakter der Vergebung Gottes deutlich gemacht. Diese Parabel gehört also mit jenen anderen zusammen, in denen zwei Typen einander gegenübergestellt werden, wie sie denn in Matth. 2:1., 28-3:1. ihre sachliche Parallele hat, so daß man gut täte, Luk. :1.5, :1.:1.-32 als die Parabel von >den verlorenen Söhnen< zu bezeichnen. Man kann nur erwägen, ob der erste Teil ursprünglich knapper erzählt gewesen ist« (Geschichte der synoptischen Tradition 2:1.2). Ich denke, daß diesen Überlegungen Bultmanns, sofern sie die ursprüngliche Einheitlichkeit des Gleichnisses eher für gegeben halten als eine nachträgliche Ergänzung von :1.5, :1.:1.-24 durch :1.5, 25-32, zuzustimmen ist (vg!. auch Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus 160). Die Frage freilich, wie die beiden Teile von Luk. :1.5, :1.1-32 zueinander gehören, muß noch eigens aufgenommen werden, denn von der Antwort auf diese Frage dürfte viel für das Verständnis des Gleichnisses abhängen. Vor allem muß die Funktion der zweiten Hälfte des Gleichnisses erhellt werden. 1:1.. Es wird deutlich sein, daß diese Frage sich mit der anderen nach der Adresse des Gleichnisses trifft. Joachim Jeremias versteht das Gleichnis als zweigipflig. Es schildert »nicht nur die Heimkehr des jüngeren Sohnes, sondern auch den Protest des älteren Sohnes, und die Zweiteilung wird dadurch unterstrichen, daß jeder der beiden Teile fast refrainartig mit demselben Logion schließt (:1.5, 24. 32)«. Der zweite Teil »hält sich
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sprachlich und sachlich völlig im Rahmen der Erzählung, ohne zu allegorisieren oder die Aussage zu verschieben«. Zweigipfligkeit bedeutet aber wie immer, daß der zweite Gipfel den eigentlichen Akzent hat. Mithin ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn »primär nicht Verkündigung der Frohbotschaft an die Armen, sondern Rechtfertigung der Frohbotschaft gegenüber ihren Kritikern« (aaO 131). Ich möchte in der Frage der Adresse zunächst von der von Lukas in 15, 1-2 angegebenen Adresse absehen. Ist sie redaktionell, so kann sie immer noch in der Sache zutreffen: so kann Lukas sie aus den Gleichnissen, die er in Luk. 15 zu einer einheitlichen Komposition zusammengefügt hat (Jülicher spricht hier wieder wie bei den Saatgleichnissen von Mark. 4 von einer» Trilogie« 333), sachgemäß erschlossen haben. Ist sie nicht auch für uns erschließbar? Ich meine, daß dem Gleichnis seine Adresse entnommen werden kann, die ihm immer noch anhaftet. Kann man verkennen, daß die Gestalt des älteren Bruders alles andere als zufällig ist, daß sie noch nicht erklärt ist, wenn man auf die häufige Dreizahl der Figuren bei Gleichnissen verweist? übernimmt der ältere Bruder nicht eine >Rolle im Spiel<, die nicht wegzudenken ist? Ich kann mich knapp fassen, weil wir das Problem schon bei der Analyse des Gleichnisses von Matth. 20, 1-16a berührt haben. Betritt mit dem älteren Bruder nicht der Kritiker des väterlichen Handeins die Szene, der Kritiker, der das Handeln des Vaters nicht bejahen kann? Er kann sich nur daran stoßen, daß der Vater den Verlorenen, weit davop entfernt, ihn kurzerhand abzuweisen oder ihm sein verpfuschtes Leben in aller Strenge vorzuhalten, in unbegreiflicher Liebe aufnimmt und den Tag der Rückkehr als Freudentag begeht. Der ältere Bruder kann nur denken: hier ist das Tischtuch ein für allemal zerschnitten. Ich frage: Ist mit der Gestalt des älteren Bruders nicht der Kritiker der Freudenbotschaft porträtiert, der Jesus sein Verhalten zu den Verlorenen vorwirft: seine 'Fischgemeinschaft mit den »Zöllnern und Sündern«, die im Zeichen der Vergebung zu verstehen ist? Plädiert er für Distanz, so wiederholt er doch' die typische Distanz der Schriftgelehrten und Pharisäer ... Das hieße, daß der ältere Bruder in dem als Spiel zu nehmenden Gleichnis die Rolle des Kritikers spielte - und daß so das Spiel unmittelbar Gegenwart würde. Das Spiel wird Gegenwart: es bekommt einen Ernst, der unverkennbar ist. Das Gleichnis als Spiel provoziert den Hörer mit der Frage, ob er sich nicht in der Gestalt des älteren Bruders selbst
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wiedererkennen kann, wiedererkennen muß - ob ihm diese Rolle nicht auf den Leib zugeschnitten ist. Der Hörer begegnet im Spiel sich selbst. Dabei ist selbstverständlich mit einer Weiträumigkeit der Spielfigur zu rechnen: das Auf-den-Leib-Zugeschnitten-sein darf nicht zu eng gefaßt werden (vgl. auch die Figur des reichen Kornbauern). Weil der Hörer sich selbst begegnet, kann er nicht mehr Zuschauer bleiben. Die Provokation ruft ihn aus seiner Zuschauerexistenz heraus nach vorn. So sind beide Hälften des Gleichnisses dadurch zusammengehalten, daß in der ersten Hälfte des Gleichnisses das Geschehen der Freudenbotschaft in einer gleichnishaften Geschichte (ohne jede Spur von Allegorie!) abläuft, während in der zweiten Hälfte der angeredete Hörer sich selbst im Spiel vorfindet: sich von einer der Figuren des Spiels gefragt sieht, ob er nicht die Rolle des älteren Bruders in der Tat spielt. Ist doch der ältere Bruder im Gleichnis selbst gefragt, ob er bei seiner Distanz bleiben will oder den Weg zum Tisch des Vaters findet. Die Antwort bleibt im Spiel, höchst bedeutsam, offen! Die Voraussetzung, die wir bei dieser Interpretation des Zusammenhangs von Luk. 15, 11-24 und Luk. 15, 25-32 machen, besteht darin, daß es zur Struktur des Gleichnisses gehört, einen Hörer zu haben, dem es gilt, daß es insofern seinen Hörer hat und daß dieser Hörer im Gleichnis als eine der Figuren des Spiels vorkommen kann. Ist das nicht ähnlich auch beim Gleichnis vom großen Schuldner in Matth. 18, 23-35? Ist das Verhalten des großen Schuldners nicht das typische Verhalten des Menschen, nein: des Christen, der von Gottes Vergebung herkommt, aber seinem Mitknecht (lies: Mitchristen) nicht einmal eine Lappalie vergeben kann? Das Wort Vergebung scheint fast inkongruent zu sein, wenn man die Szene en miniature an der großen Szene der Eröffnung des Gleichnisses mißt. Dennoch gehört es offenbar hierhin. Was wir einander vergeben, hält den Vergleich mit der Vergebung Gottes, die wir erfahren dürfen, nicht aus. Das hebt nicht auf, daß solche Vergebung geschehen muß, daß in unserer Vergebung im menschlichen Miteinander Gottes Vergebung bezeugt sein will und daß sich daran zeigen soll, daß wir selbst von Gottes Vergebung leben! Ist die enttäuschende und beschwerende Rolle, die der große Schuldner spielt, nicht eine einzige Frage an jeden Christen, ob er sie nicht selbst auch immer wieder spielt: ob er nicht auch bei jeder Gelegenheit, jeder Großzügigkeit bar, auf dem Bezahlen der »Schuld des anderen« auf Heller und Pfennig be-
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steht? Ein Porträt des Hörers wird entworfen und zur Frage an den Hörer, so aber, daß der Hörer sich in einer der Figuren des Spiels selbst begegnet. Dabei bleibt, wie ich wiederhole, die Figur im Spiel die offene Frage an mich - zugespitzt beim Gleichnis vom verlorenen Sohn, wo der ältere Bruder eben der vom Vater Gefragte, der vom Vater Eingeladene, der vom Vater Umworbene ist. Die Antwort bleibt freilich offen, weü das Gleichnis in die Geschichte der Begegnung- Jesu mit der pharisäischen Bewegung gehört, in eine Geschichte, die für den Evangelisten in der Mitte seines Evangeliums offenbar noch unabgeschlossen ist. Dazu ist auch anzumerken, daß es allein im Lukasevangelium zu Begegnungen zwischen Jesus und Pharisäern im Haus eines Pharisäers kommt. Daß bei dieser Exegese des Gleichnisses vom verlorenen Sohn alles auf die Schlußszene zuläuft, ist deutlich. Und eben in der Schlußszene kommt der Hörer »ins Spiel«. Muß man deshalb nicht verstehen, daß das ganze Gleichnis um des älteren Bruders willen inszeniert ist? Die Einheitlichkeit des Gleichnisses ist vom Schluß her zu begreifen. Es wird so auf der ganzen Linie zur Anrede. Es wird, könnte man sagen, statt aus zwei unverbundenen Sätzen zu bestehen, faktisch zu einem einzigen >Satz<. Ihm eignet eine Unabweisbarkeit, weü der ältere Bruder ... den Hörer unabweisbar vertritt. (Ein anderes Verständnis hat Dan O. Via, der das »Hauptinteresse der Geschichte als ganzer in der Erlösung des verlorenen Sohnes« sehen will aaO 156). 12. Aber nun ist zu sehen, daß weder der jüngere noch der ältere Bruder die eigentlich beherrschende Figur des Gleichnisses ist, wenn auch zu sagen ist, daß das ganze Gleichnis aus der Perspektive des jüngeren Bruders erzählt ist und daß sich im älteren Bruder der Adressat des Gleichnisses verbirgt bzw. verrät. Beherrschend ist die Figur des Vaters, dessen Handeln die Mitte des Geschehens ausmacht. Schon Rudolf Bultmann gelangte in seinen Überlegungen zu unserem Gleichnis zu einer Korrektur der gängigen Überschrift: Gleichnis vom verlorenen Sohn; und schlug vor, »Luk. 15, 11-32 als die Parabel von >den verlorenen Söhnen< zu bezeichnen« (aaO 212). Sicher trifft das den Sinn besser. Aber ist das Thema des Gleichnisses nicht noch eher die unbegreifliche Güte des Vaters? Das Handeln des Vaters verklammert beide Hälften, die nun nicht mehr zwei Hälften sind, sondern Elemente des einen Ganzen des Gleichnisses. Der Vater kommt Szene um Szene vor. Selbst in
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der Szene der Einsamkeit des verlorenen Sohnes, in der Ferne vom Vater, spielt der Vater noch eine Rolle, besser: die entscheidende Rolle. Denn den verlorenen Sohn überkommt die Erinnerung an den Vater. Diese Erinnerung an den Vater ist es, die ihn zurückruft. Ich denke nicht, daß damit zuviel gesagt ist. Das Kennzeichen dieses Vaters ist sein Entgegenkommen. Er kommt dem jüngeren Sohn entgegen, nein, er »läuft« ihm entgegen, als er seiner nur ansichtig wird. »Das ist für einen betagten Orientalen ganz ungewöhnlich und unter seiner Würde, selbst dann, wenn er es noch so eilig hat«. Will man diesen Zug in der Beredtheit seiner Sprache verstehen, dann muß dieser Kommentar von Joachim Jeremias bedacht werden (aaO 1)0). Der Vater kommt aber auch dem älteren Sohn entgegen. Nicht nur in dem Sinn, daß er ihm immer schon entgegenkam: »Alles Meine ist dein«, sondern betont auch in dem Sinn, daß er um seinetwillen die festliche Tafel verläßt, um ihn, der zögert und beiseite steht, einzuladen: »Sein Vater aber kam heraus und redete ihm zu« (parekalei auton 15, 28). So ist es ein doppeltes Entgegenkommen des Vaters, das das Gleichnis zur Sprache bringt, und in diesem doppelten Entgegenkommen hat es seine innere Einheit. Immer wieder hängt alles an der entscheidenden Initiative des Vaters. Selbstverständlich ist auch von der Initiative des jüngeren Bruders zu reden. Man könnte sagen wollen: Er bringt die ganze Geschichte ins Rollen. Er bricht auf in die Ferne. Er lernt das Leben kennen. Er gerät an den Rand des' Abgrunds. Aber er faßt sich ein Herz und geht den langen Weg zurück, den Weg zum Vater. Er spricht seine Schuld aus. Das ist nicht nichts. Aber was ist diese Initiative - gemessen an der Initiative des Vaters, der in der Szene der Rückkehr die Geschichte der Schuld des verlorenen Sohnes durchstreicht, als hätte nie etwas zwischen ihm und seinem Sohn gestanden? Selbstverständlich gilt auch von dem älteren Bruder, daß er in der Szene der Rückkehr des Verlorenen die Initiative der Distanz ergreift, die Tür ins Schloß wirft oder doch zu werfen droht. Man kann dem nur entnehmen, daß alle Figuren miteinander höchst lebendige Figuren sind. Sie füllen ihre Rolle aus. Aber die beherrschende Figur ist und bleibt der Vater mit seinem unvergleichlich souveränen Handeln.
Das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Luk. 1.6, 19-31) Eine Predigt
»Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und feines Leinen und genoß sein Leben alle Tage. Ein Armer aber namens Lazarus lag voller Schwären vor seinem Eingangstor und hätte sich gern von dem Abfall vom Tisch des Reichen gesättigt. Noch dazu kamen die Hunde und leckten seine Schwären. Es begab sich aber, daß der Arme starb und von den Engeln in Abrahams Schoß getragen wurde. Es starb aber auch der Reiche und wurde begraben. Und als er in der Unterwelt seine Augen aufhob, in Qualen leidend, sah er Abraham von weitem und Lazarus in seinem Schoß. Und er rief laut: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, daß er seine Fingerspitze in Wasser tauche und mir die Zunge kühle, denn ich leide Schmerzen in dieser Feuer{lamme. Abraham aber sprach Kind, gedenke doch, daß du dein Gutes in deinem Leben bekommen hast und Lazarus entsprechend das Böse. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest Schmerzen. Und zu alledem: zwischen uns und euch besteht eine große Kluft, damit die von hier zu euch hinüber wollen, es nicht können, noch die von dort zu uns herüber kommen. Er sagte: Dann bitte ich dich, Vater, daß du ihn in das Haus meines Vaters schickst, denn ich habe fünf Brüder, damit er sie beschwöre, daß sie nicht auch an diesen Ort der Qual kommen. Abraham aber sprach: Sie haben Mose und die Propheten. Sie mögen auf sie hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren. Er aber sprach zu ihm: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, so werden sie sich auch nicht bewegen lassen, wenn einer von den Toten aufstünde.«
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»Es war aber ein reicher Mann ... Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür ... « Das ist die einprägsame Szene, mit der das Gleichnis beginnt und sofort nach uns greift, wenn wir auch vielleicht zunächst nur soviel verstehen, daß diese Geschichte sich überall, immer schon und heute noch abspielt. Daß Ähnliches in einem altägyptischen Märchen und in jüdischer Legende erzählt wird, kann gar nicht überraschen. Denn nimmt das Gleichnis nicht einfach ein Stück Wirklichkeit auf, Wirklichkeit unseres Lebens? Beschreibt es diese Wirklichkeit nicht, wie wir alle sie kennen, nur mit ein paar Strichen, aber äußerst sprechend, ohne jede Retusche, während wir die Wirklichkeit vielleicht lieber etwas retuschieren möchten? Leben wir nicht in einer Welt schwer überbrückbarer Spannungen, handgreiflicher Verschiedenheiten zwischen Mensch und Mensch, härtester Kontraste - im kleinen wie im großen? Sehen wir etwas genauer zu und versuchen wir, schon ein wenig zu übersetzen. Ich brauche kaum zu sagen, daß die Sprache unseres Textes - die Sprache der Gleichnisse ist und daß das heißt, daß alles miteinander gleichnishaft zu nehmen ist, Szene und Figuren - wie deshalb alles in seiner Weiträumigkeit zu belassen ist. Die Tür darf nicht zu früh ins Schloß fallen. Ich kann auch sagen: Wir haben sie offen zu halten. Aber es wird auch keiner von uns daran denken, so schnell zu erklären: Der reiche Mann - das bin ich doch nicht. Ich verfüge nicht über sein mutmaßliches Konto, und so paßt mir dieser Rock nicht. Ich verbringe mein Leben nicht in seinem Stil- nicht »mit Nichtstun« (Wilhelm Michaelis) ... oder wie man sich ihn, vielleicht immer in leiser Karikatur, vorstellen mag. Verbände uns nichts mit dem reichen Mann, so verbände uns auch nichts mit Lazarus. Keiner von uns muß wie der Lazarus des Gleichnisses s~in Leben fristen. So ginge uns die ganze Geschichte nichts an. Aber ich setze voraus: So kurzschlüssig werden wir uns von dieser Geschichte und ihren Figuren nicht absetzen wollen. Das Gleichnis umfaßt uns immer noch, auch wenn unser Lebenszuschnitt zwischen den Extremen liegt, denen wir im Gleichnis begegnen ... irgendwo dazwischen. Darauf kommt es diesmal so genau nicht an. Denn das kommt doch vor und das kennen wir alle: Dem einen fällt alles zu. Er ist beneidenswert begabt. Er braucht sich nicht mühsam durchzusetzen: im Studium, im Leben. Was er unternimmt, gelingt ihm, meist schon im ersten Griff. Er bringt es zu etwas. Er erlebt Erfolg um Erfolg. Aber das ist nur der äußere Rahmen. Hand in Hand damit geht 1.
und armen Lazarus
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das andere. Er findet überall offene Türen, ist ein gern gesehener Gast, hat jedermann zum Freund. Kontakte sind für ihn kein Problem, wenn er nur will. Alle respektieren ihn. Die Last des Alleinseins kennt er nicht. Er ist ein GlÜckspil~. Dem anderen aber gerät so gut wie nichts. Er eckt überall an. Was er probiert, geht schief. Er findet sich immer wieder in Verlegenheiten und Engpässen. Er kann sich kaum über Wasser halten. Er ist ein Pechvogel. Ich erinnere an die Sprichwortweisheit, die wir aus der Bibel kennen (und die in ihr als Wort Jesu überliefert ist): »Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht hat: auch was er hat, wird ihm genommen werden« (Mark. 4, 25). Ist das nicht wahr, und kann man das nicht über unsere Szene setzen? Eduard Schweizer hat diese Sprichwortweisheit kurzerhand auf die Formel gebracht: »Der Reiche wird immer reicher, der arme Teufel geht zugrunde.« Das ist bitter genug. Was ist bitter genug? Das Leben, wie wir es kennen, mit seinen Gegensätzen, mit seinen unverwischbaren Härten. Der arme Lazarus kann vermutlich nichts dazu, daß ihm nur die Rolle des Bettlers an der Tür des reichen Mannes bleibt, daß er sich nur kümmerlich durchschlagen kann und den Hunger nie loswird. Er kann sich sein Brot nicht selbst verdienen, sondern ist auf das Mitleid der anderen angewiesen. Offenbar ist er ge-lähmt und kann sich kaum bewegen. Dazu ist sein Leib mit Schwären bedeckt. Und er kann sich nicht einmal der Gassenhunde erwehren, die seine Schwären belecken. Ein Steckbrief des Elends. Jedes weitere Wort kann ich mir ersparen. Informationen zum Thema Lazarus? Sie stehen, aus aller Welt, reichlich zur Verfügung. Ich setze sie voraus. 2. Oder sind doch weitere Informationen erforderlich? Informationen darüber, wer Lazarus eigentlich ist? Und wer der reiche Mann ist? Und was sie miteinander zu tun haben? Wir haben verstanden: Das Gleichnis fängt ein Stück Wirklichkeit ein, Wirklichkeit unserer menschlichen Existenz. Wir sind eingespannt in ein hartes Gefüge. Aber was das Gleichnis uns eigentlich sagen will, ist damit noch nicht gesagt ... so entscheidend es ist, daß es sich an die Wirklichkeit hält, daß es uns in unserer Wirklichkeit aufsucht. Auf die erste Szene des Gleichnisses folgt eine zweite. Man wird an eine Rabbinengeschichte erinnert. Der fieberkranke Sohn des Rabbi Jehoschua ben Levi hat einen Traum. Als er aus seinen Fieberträumen wieder zu sich kommt, fragt ihn sein Vater: Was hast du gesehen? Er ant-
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Vom reichen Mann
wortet: Eine umgekehrte Welt habe ich gesehen, die Oberen zuunterst und die Untersten zuoberst. Der Vater spricht: Mein Kind, eine wahre Welt hast du gesehen! So ist auch in der zweiten Szene unseres Gleichnisses alles wie vertauscht. Was oben war, ist unten, und was unten war, ist oben. Wenn das die wahre Welt ist - gerät dann nicht die ganze erste Szene ins Zeichen der Vorläufigkeit? Wird nicht die Welt, in der wir leben, zu einem abbruchreifen Haus? Anders gefragt, von der Hoffnung beflügelt gefragt: Wartet das, was wir die Wirklichkeit nennen, nicht auf eine große Veränderung, auf eine Umwertung aller Werte? Kann man es anders sagen: In der zweiten Szene ist der reiche Mann ein armer Lazarus geworden - ärmer als Lazarus je war -, und der arme Lazarus ist unbegreiflich reich, in höchsten Ehren, in Abrahams' Schoß. Wieder sind beide auf Sichtweite miteinander konfrontiert, wie das schon in der ersten Szene war. Auf diese Sichtweite kommt etwas an, kommt es entscheidend an. Und der reiche Mann möchte, daß Lazarus zu ihm herüber käme und ihm einen Dienst der Liebe täte - man kann doch nur sagen: einen ganz kleinen Dienst. Der reiche Mann wendet sich mit seiner flehentlichen Bitte an den Vater Abraham. Aber der Vater Abraham kann der Bitte nicht entsprechen. Ich kann in meiner Auslegung nicht alles aufgreifen; ich möchte nur die erste Szene von der zweiten her ein wenig erhellen. Was dabei herauskommt, ist bewegend genug. Alles andere muß ich für diesmal ausklammern. Und ich kann auch dann nicht erschöpfen, was der Text uns zu sagen hat. 3. In der ersten Szene wäre es für den reichen Mann ein Kinderspiel gewesen, den armen Lazarus in seine Nähe zu bitten, den Gelähmten an seinen Tisch holen zu lassen. Lazarus hätte sich das nicht erst dreimal sagen lassen und hätte sich das nicht lange zu überlegen brauchen. Aber in der ersten Szene (es fällt uns vielleicht erst jetzt auf!) geschieht buchstäblich nichts. Es geschieht nichts - während gleichzeitig alles darauf angelegt ist, daß etwas geschehen müßte. Ist unser Leben eine Serie von ungenutzten Gelegenheiten, von verweigerter Hilfe? Ist die erste Szene eine einzige vielsagende Illustration zu unserer so oft bewährten Schwerhörigkeit? »Es war aber ein reicher Mann ... Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür ... « Dabei bleibt es, bei diesem Einanderkonfrontiertsein, bei dem der arme Lazarus, so wie er vor der Tür des reichen Mannes liegt, zu einer einzigen schreienden Bitte an den reichen
und armen Lazarus
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Mann wird - wiewohl er gar nicht schreit, lärmt, Demonstrationen und Revolutionen anzettelt. Er ist, so wie er ist, in seiner Existenz als solcher, die Bitte selbst: Übersieh mich nicht, nimm dich meiner an, ich kann mir selbst nicht helfen. Das gilt von ihm genau so wie von dem Mann, der auf der Straße zwischen Jerusalem und Jericho liegt. Konfrontiert sind sie alle mit ihm, sehen können sie alle ihn, seine Bitte gewordene hilflose Existenz geht sie alle an, den Priester, den Levit, übrigens bewaffnet mit »Mose und den Propheten«! Aber der reiche Mann versteht offenbar die Sprache des armen Lazarus nicht. Alle reichen Leute verstehen diese Sprache nicht. Daß sie sie nicht verstehen - das kennzeichnet sie. Sollte es auch uns kennzeichnen? So sicher der arme Lazarus sich ohne den reichen Mann nicht helfen kann, so sicher er auf die Brocken, die von seinem Tisch fallen, angewiesen ist: so sicher scheint der reiche Mann ohne ihn auskommen zu können. Wer sollte ihm das auch beibringen: Du kannst ohne Lazarus nicht leben? Müßte er darüber nicht den Kopf schütteln und sagen: Umgekehrt wird ein Schuh darausl Er hat doch alles, was er braucht, in Hülle und Fülle. Ihm geht nichts ab. 4. Aber nun sagt das Gleichnis offenbar, was der reiche Mann nicht begreift: Du kannst ohne Lazarus nicht leben. Keiner kann ohne den Lazarus, der vor seiner Tür liegt, leben. Der reiche Mann scheitert an Lazarus. Das müssen wir noch genauer sehen. Denn noch hört sich das wie ein Rätsel an. Und noch präziser müssen wir erfassen, wer Lazarus ist. Lazarus ist der, dem wir in unserem Leben, in unserer sogenannten Lebensgemeinschaft hier auf der Hardt, konfrontiert sind, der aber am Rand bleibt, am Rand unseres täglichen vielbeschäftigten Lebens, dem wir uns nicht besonders zuwenden und für den wir wenig oder gar keine Zeit haben. Das ist seine genaue Definition, seine unserem Gleichnis nachgesprochene Definition: Lazarus ist der, den wir in unser Leben nicht hineinlassen, obwohl er nur darauf wartet und obwohl es für uns nur um ihn ginge, gerade um ihn. Ich denke an die Lesung zu Anfang dieses Gottesdienstes (Luk. 14, 12-14). Sie kommt mir wie ein Schlüssel vor, wie eine unentbehrliche Verstehenshilfe. Ich übersetze sofort. Wir haben Kameraden. Das ist die Chance der Kirchlichen Hochschule. Wir sind zu vielen, die an einem Strick ziehen, uns an der gleichen Aufgabe versuchen. Spätestens nach einem Semester, denke ich, haben wir alle begriffen, daß Theologiestu-
Vom reichen Mann
dium eine Sache ist, bei der sich noch jeder übernimmt. Ich meine nicht das Sprachenlernen. Aber ich meine die Theologie selbst. Und dann ist es eine Hilfe, zu sehen, wie es den anderen ebenso geht, daß auch sie ihre Verlegenheiten haben, daß die begonnene Aufgabe nur immer größer wird. Und wir gewinnen, hoffe ich, Freunde, mit denen wir uns >verstehen<, die uns im Einanderverstehen zu uns selbst finden lassen. Das geht über Kameradschaft weit hinaus. Das ist Geschenk, seltenes Geschenk: solches Einanderverstehen, das Freundschaft heißt und uns >über alles sprechen< läßt: eine permanente Einladung zum nahen Austausch. Aber nun sagt der Text von Luk. 14, 12-14 das Überraschende, ja Bestürzende (und wer wollte hier sein Erschrecken verbergen): Zuletzt kommt es in unserem Leben nicht auf unsere Kameraden und Freunde an, und weiter nicht auf unsere nähere und weitere Verwandtschaft und Bekanntschaft. Es kommt auf alle, mit denen wir sowieso zusammen sind, nicht an - nicht auf den >Kreis<, in dem wir alle uns wie selbstverständlich begegnen und bewegen. Ich füge ein: Das hat seine begreiflichen Gründe. Das unterliegt einer naheliegenden Spielregel. Oder sagen wir: Das hat seine Automatik. Ich kann das und brauche das jetzt nicht zu entfalten. Das wird auch nicht etwa als solches schlecht gemacht. Auch der reiche Mann, denke ich mir, hat sich nicht mit sich selbst allein an seiner Tafel befunden und es sich schmecken lassen. Wie hätte es ihm dann geschmeckt? Wie sollte er nicht seine Kameraden und Freunde gehabt haben (nicht nur so etwas wie Zechkumpane, wie wir vielleicht, vergröbernd, denken!) -: nein: er hatte Freunde und Gefährten, mit denen er seine Feste beging: das rauschende Fest seines Lebens. Aber angesichts der unerhörten Zuspitzung, zu der es in Luk. 14, 12 bis 14 und in unserem Gleichnis kommt, haben wir uns sagen zu lassen: Zuletzt kommt es für den reichen Mann allein auf Lazarus an, auf Lazarus, der zu den Gefährten seines und unseres Lebens wie selbstverständlich nicht gehört. Das ist die Information über Lazarus, die wir brauchen. Lazarus ist der, mit dem wir in Sichtweite konfrontiert sind, zu dem wir aber den Weg nicht finden, weil wir ihn nicht brauchen, nicht zu brauchen meinen. Lazarus ist, möchte man sagen, von äußerstem Rang. Mit diesem Rang hängt sein Anspruch zusammen. Sein Anspruch besteht darin, daß wir ihn in unser Leben hineinlassen, daß wir unser Leben mit ihm teilen. Wir nehmen ihn, wiewohl auf Sichtweite mit ihm konfrontiert, nur am Rande wahr - wir machen ihn zu einer Randfigur. Aber
und armen Lazarus
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wir sollen ihn in unsere nächste Nähe holen. Wir sollen ihm zum Bruder werden. Weniger dürfen wir ihm nicht anbieten. Mit weniger können wir ihm nicht gerecht werden. Er sagt das alles freilich nicht, er fordert das nicht. Er ist, wie wir schon begriffen, kein Schreier. Aber /esus verleiht ihm seinen äußersten Rang. Jesus läßt ihn über unser Leben entscheiden. Deshalb sagt Jesus uns: Ladet ihn ein, ihn mit Vorrang vor allen anderen, ihn, den ihr bei jeder Einladung vergeßt. 5. Ich sage nun kaum noch etwas Überraschendes, wenn ich sage: Wir kennen Lazarus. Lazarus lebt unter uns. Auf Sichtweite. Das alles hängt zusammen. Ich zeige nicht mit dem Finger auf ihn. Ich kann es nicht. Vielleicht sind wir alle füreinander in einem bestimmten Sinn: Lazarus, wie wir in einem anderen Sinn alle füreinander: der reiche Mann sind. Daß es gewagt ist, das so zu sagen, liegt auf der Hand. Die Konturen könnten sich verwischen. Deshalb halten wir uns an unsere Definition, die nicht als Formel zu verstehen ist. Lazarus ist der, ohne den und an dem vorbei wir unser Leben leben. Es könnte sein, daß jeder von uns seinen Lazarus vor seiner Tür hat: Es wird so sein. Auch deshalb kann ich ihn hier nicht mit Namen nennen. Du weißt, was sich vor deiner Tür abspielt. Aber wir müssen auf der Suche nach ihm sein: immer im Aufbruch zu ihm hin. Wir brauchen ihn nur in der Vordergründigkeit, in der Zerstreutheit, in der Unbelehrbarkeit und Ungewarntheit unseres Lebens nicht. In Wirklichkeit können wir ohne ihn nicht leben. Weshalb nicht? Ich kann das nur noch andeuten. Ich habe es auch in allem, was ich sagte, immer schon gesagt. Es wäre auch vielfältig zu sagen. Aber entscheidend ist zu sehen, daß Lazarus der ist, dessen Gott sich annimmt, der biblische Gott. Das ist sein verborgener äußerster Rang. Was sagen denn »Mose und die Propheten«, um deren Gehörtwerden es in unserem Gleichnis zuletzt geht? Was sagt uns die Bibel auf jeder Seite? Daß Gott der Gott des armen Lazarus ist, daß er immer im Zeichen seiner Barmherzigkeit handelt, in der er Lazarus aus dem Staub aufhebt. »Die Hungrigen füllt er mit Gütern und die Reichen schickt er leer weg«, heißt es im Magnificat. Ist das befremdlich? Wenn es befremdlich ist, dann ist der biblische Gott befremdlich. Dann müssen wir den biblischen Gott besser kennenlernen. Dazu sind wir Theologen ... Der biblische Gott ist mit Lazarus verbündet und bei Lazarus zu finden, auch für uns, und deshalb will Gott uns an der Seite des Lazarus finden. So will das, was das
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Vom reichen Mann
Gleichnis sagt, ganz und gar im Zeichen des Evangeliums verstanden werden: im Zeichen des Gottes, der der Gott des Lazarus ist. 6. Lazarus ist der, der sich selbst nicht helfen kann. Als dieser Lazarus ist er für uns der uns unentbehrliche Helfer. Er ist es, der uns die Wahrheit sagt, die Wahrheit über unser Leben. In allen seinen Varianten (Varianten seiner Verlegenheit, Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit) erschüttert er uns in der Rolle des reichen Mannes, in der wir immer wieder anzutreffen sind und in der wir uns selbst helfen können. Das ist es, was er uns hilfreich nahelegt: daß es mit dieser Rolle nichts ist - daß 'sie nur eine Maske ist, hinter der sich in Wahrheit das Gegenteil verbirgt, auch wenn wir es noch nicht wissen. Vielleicht fürchten wir Lazarus deshalb und machen in aller Regel einen Bogen um ihn herum. Er macht unseren Illusionen ein Ende, unseren Illusionen, in denen wir leben und die wir lieben. Luther hat in einer Predigt über unseren Text die kühnen Worte gesagt, die ein Student so mitgeschrieben hat: Conclusum ergo, ut fias Lazarus vel damnaberis. Neminem angeli ducent ad celos, nisi sit Lazarus (WA 17, 208: Es ist also beschlossen, daß du Lazarus werden mußt oder du wirst verworfen werden. Niemanden werden die Engel in den Himmel geleiten, wenn er nicht Lazarus ist). Das sind äußerste Sätze, äußerste Sätze im Aussprechen der Wahrheit unserer Existenz. Sagt Lazarus uns das, dann ist uns geholfen. Und dann können wir zusammen mit Lazarus Gottes Güte loben. üb wir anders als zusammen mit Lazarus Gottes Güte je loben können?
Bibelstellenregister
Genesis
3,17 f 8,22
73 76
Leviticus
19,18
:153
Numeri
15,37-41
82
Deuteronomium
6,4-9 6,4 6,5 11,13-2:1 21,17
82 15 6 153 82 18o
Psalmen
39,5-8 39,13 90,12 1°4 1°4,22 f
188 188 188 77 86
Kohelet
2,17b- 2O
75
2,22 f 2,24 3,13 5,17 8,15 9,7-9 Jesaja :10 38, 10 ff Matthäus 3,7-10 4,18-22 4,19 5,13 ff 5,17-20 5,45 6,19-34 6,19 6,25-34 7,9-11 7,12 7,21-23 7,24-27 8, 1:1 8,18-22
75 185 185 185 185 185 f 141 189 144 114 1:14 24 15 8 77 81 116 86·:19:1 34 154 108.144 :1:10 147 :193
Bibelstellen
2)0 8,18-27 114 8,19 f 199 10,5 f 147 11,2-6 78 12,11 )4 1),24-)0 7° I), )1-)) 74 11) 1),)6-4) 2). 94. bes. 109 ff 1),44-46 9). 110. 112 f. 115 f 1),44 110 1),45 11) 1),46 112 f 1),47-5° '15,21-28 147 '18,) 42 18,12-14 bes. 15· )4· )9· 41 . 128 18,14 42 18, 21 ff 1)1 bes. 18 ff. 29. )6. 18,2)-)5 42.108.218 21 18,26 21 18,29 115. 157 19,17 19,27 1°4 101.10) f 19,)0 19,28 f 1°4 20,1-16 25· )6. 72. bes. 85 H. 212. 217 20,17-28 1°5 20,20-28 1°5 20,27 1°5 21,28-)1 216 21, )1 1)5 22,1-14 4). 107· 114· 126 ff. bes. 1)7 ff 22,1-7 146
22,11-14 22,12 22,)4-4° 25, I-I) 25,18 25,25 25,)1-46 26,6-1) 26,5 0 28, 19 f 28,19 28,20
114 92 15 1 49. 1°7. 1 44 116 116 108. 165. 1 71 57 92 1 115. 47 146 146
Markus 1,16-20 1,17 4,1-9. 14-20 4,)-9 4,) ff 4,14-20 4,26- 29 4,25 4,)0-)2 9, ))-5° 10,)1 12,1 12,28-)4 14,)-9 14,71
1'14. 1 9 2 19 2 bes. 65 ff 4° 2) 40.80 ff 69.76 10).22) 69·74 41 101.10) 194 151 57 f. 60 19 8
Lukas 1,51 6,24 6,47-49 7, )6-5° 7,41-4) 8,1)
189 189 110 )8. bes. 55 ff bes. 55 ff. 7 2 . 1)6 66
Bibelstellen
8,15 9,23 9,57 f 10, 22 10, 25-37 10,25-29 10,3 0-37 11,5-8 11, 9 f 11, 11-13 11,37-5 2 12, 13-21 12,13-15 12, 16-21 12, 22-31 13, 13 f 13,18 f 14,1-24 14,5-7 14,5 14, 12-1 4 14,16-24
23 1 66 198 199 155 bes. 148 ff. 181 181 bes. 24 f. 29· 3 6 . 67. 181 bes. 31 ff. 111 34 34 58 29. bes. 179 ff. 201 35 35. 1 49 181.. 189 181 f 74 5 8 . 13 2 88 34 132 f. 165. 225 f 25· 43· 114· bes. 126 ff 71.. 88 197 110. bes. 192 ff
14,18-20 14, 26 14,28-32 14,28-3° 7° 14,31 f 7° 15, 1-2 14.9 8 . 21 7 15,3-7 39 f. 128 15,4-10 34 15,4-7 14 f. 41 21 4 15,4-6 15,8 f 21 4 15, 11-3 2 22. 3 6. 40. 59· 70. 72. bes. 96 f. 184. bes. 200 ff
22 15, 17 f 15,3 1 41 16,1-8 25 f. 31.. 117· 149· 183 16,9 117 2 16, 19-31 29· 35· 13 . 149· 165.189. bes. 221 ff 17,7-10 34.2°5 f 18, 1-8 26.29.34.111.184 18 4 18,4 18 18,9-1 4 63· 67. 135. 1 49. 4 18,18 15 2 19, 1-10 35. 189
Johannes 4 12, 1-8
168 57. 60
Römer 3,3 1 5,6 f 8,4 9-11 9,1- 29 13, 8-10 2.
15 8 89 15 8 106 106 15 8
Thessalonicher
3,8-10
87
Jakobus 1, 9-11 2, 1-13 4,13-1 7 4,13 5,1-6
35 35 35. 1 9° 119 35. 1 9°
Apokalypse 6
14°
Namenregister
Adam, Alfred 124 Alt, Albrecht 147 Augustin 161. 177 Baeck, Leo 162 Barth, Gerhard 42. 104. 144 Barth, Karl 174. 186 Bauer, Johannes Baptista bes. 94 f. 98 Bauer, Walter 92. 153 Begrich, Joachim 189 Bengel, Johann Albrecht 141. 143 Binder, Hermann 167 f Biser, Eugen 69 f. 90. 107 Blauw, Johannes 147 Blinzler, Josef 91. 214 f Bloch, Ernst 83 Bonhoeffer, Dietrich 197 Bornhäuser, Kar! 162. 166. 180. 202 Bornkamm, Günther 30. 43. 48 f. 52. 56. 72. 78 f. 88. 90. 97. 100. 1°4.108. 114 f . 127f.137· 143. 147· 155 ff . 160. 164. 174· 199 Bousset, Wilhelm 183 Breukelman, Frans H. 22 Brunner, Peter 136 Bueß, Eduard 31 Bultmann, Rudolf 12 f. 30. 34. 50. 52. 57 f. 66. 71 . 75. 110 f. 113· 118. 158f. 181. 183. 188. 193. 216. 21 9
Namen
233
Calvin, Johannes 89· 177 Chrysostomus, Johannes 171 Conzelmann, Hans 47 Cullmann, Oscar 112 Dahl, Nils Alstrup 13. 22. 47. 78 Dalman, Gustaf 72 f. 167 Deißmann, Adolf 3°.87.202 Delling, Gerhard 34 f Dibelius, Martin 29 f. 49. 52. 71. 74. 84. 87. 150. 190. 19 2. 205 Dodd, Charles Harold 30 f. 3 6. 57· 74 Duplacy, Jean 91. 105 Dupont, Jacques 66. 113. 116. 120 Ebeling, Gerhard Erasmus 177
175 ff
Fichtner, Johannes 162 f. 187 Foerster, Werner 195 Fuchs, Ernst 31. 69. 71. 78 f. 91. 119 Gaechter, Paul 70. bes. 88 Galling, Kurt 60. 186 Gerhardsson, Birger 69. bes. 81 f Gide, Andre 27. 70 Glombitza, Otto 112 ff Gollwitzer, Helmut 158. 168. 174. 193. 207 Gräßer, Erich 75 Greeven, Heinrich 3 1 . 34. 150. 15 8 . 194 Gregorius 143 Grundmann, Walter 180. 212 Güttgemanns, Erhardt 48 Haenchen, Ernst 69 f. 72. 75. 79. 81. 121. 139 f von Harnack, Adolf 119.202 Hasler, Victor 138 Hauck, Friedrich 13. 19. 40. 59 f. 112. 119. 181
Namen
234
Held, Heinz Joachim 52 Hieronymus 1.43 Hilarius 1.43 Holl, Karl 1. 75 Hunzinger, Claus-Hunno Iwand, Hans Joachim
1.1.2 f. 1.22 ff
64
1.3 f. 20 f. 29. 3 2 . 34 f. 40. 42. bes. 43 ff. 50. 59. 2 61.. 67 ff. 7 f. 75. 83. 91.. 98 f. 1.1.1. f. 1.1.5. 1.1.7 ff. 1.21. ff. 1.28 f. 1.32. 1.35 ff. 1.39 f. 1.43 ff. bes. 1.46. 1.66 ff. 1.73 f. 1.79. 1.81. ff. 1.88. 1.90. 1.94 f. 202. 205 f. 21.0. 21.5 f. 220 Jonas, Hans 1.22 Jülicher, Adolf 1.4· 34. 40. bes. 43 ff. 56 ff. 60. 71.. 73· 75. 87· 90 ff. 97 ff. 1.09· 1.1.6. 1.23. 1.28. 1.30 f. 1.49. 1.59 ff. 1.74 ff. 1.83. 1.93 ff. 203 f. 208. 21.4 f. 21.7 Jüngel, Eberhard 46. bes. 1.01. f. 1.1.5. 1.1.8 f. 203 f. 21.6
Jeremias, Joachim
Käsemann, Ernst 50 ff Kierkegaard, Sören 1.33 f. 1.60 f Klemm, Hans G. 1.3 Klostermann, Erich 57 ff. 61.. 86. 98. 1.01.. 1.1.7. 1.28. 1.36. 1.71.. 202 Koch, Klaus 51. Kraus, Hans-JoadUm 77. 1.88 Kuhn, Johannes 70 Kuhn, Karl Georg 74 Kümmel, Werner Georg 98 Leenhardt, Franz J. 1. 70 Linnemann, Eta 69. 75. 1.1.3. 1.29 f. 202 Lohse, Eduard 71. von Loewenich, Walther 1.75 f Löwith, Karl 1.8 Luther, Martin 80. 1.02. 1.04. 1.43. 1.45. 1.75 ff. 228 Marxsen, Willi 66.98 Michaelis, Wilhelm 59. 67. 72 f. 92. 98. 1.09 f. 1.31.. 1.67. 1.80. 1.88. 1.94. 2°3. 222
Namen
235
Michel, Otto
:154. :15 6 . :16:1. :174
Noth, Martin
:168
Olrik, Axel 26 f. 7:1 Origenes :143 Pfäfflin, Frieclrich 59 Preisker, Herbert 97 Puech, Henri-Charles :1:12. :122. :139 von Rad, Gerhard 76 f. :147. :159. :186 Ragaz, Leonhard :167 f Rengstorf, Karl Heinrich 59. 92 f. :127. :138. :166. :189 ff. 20:1. 205 f. bes. 208 ff. 2:13 Salm, W. :135 Sauter, Gerhard :189 Schippers, Reinier :124 Schlatter, Adolf 25. 29 f. 4 2. 59. 6:1. 63 f. 66 f. 69. 75. 89. :104. :109. :1:11. :1:13. :1:17. :128. :13:1. :13 6 . :14:1. :149. :153. :155. :15 6ff. :17:1f. :184. 2°3. 206 Schlier, Heinrich :146 f Sdunidt, Karl Ludwig 57 f. 60. 67. 69. :128 Schniewind, Julius 20 f. 23. 29 f. 4:1. 57. 7:1 f. :10:1. :103 f. :109· :1:13. :1:15.:1:17.:13 8 .:14:1.:145.:154. :15 6 . :193.:19 8 . 2°3 Schrage, Wolfgang 66 ff. 70. :1:12. :12:1 ff. :139. :182 f Schreiber, Johannes 67 Smweizer, Eduard 70. 72. :103. :193. 2:14 f. 223 Shakespeare, William 37 von Soden, Wolfram :142 Soucek, Josef B. :199 Stählin, Gustav 3:1. :136 Stendahl, Krister :145 Strack, H. L. - Billerbeck, P. 86. 89. 95. 99. :1:17· :129. :139. :14:1. :153 f. 188.206. 214 Strecker, Georg :108. :139
Namen
Stuiber, Alfred 17.28 Stuhlmacher, Peter 102 ThieHcke, Helmut 68 Thomas von Aquino 161 Via, Dan Ouo
21 f. 1)0. 14). 215. 219
Weiß, Johannes )0. 68 f. 74. 81. 97. 179. 194. 202 Weizsäcker, earl 117 Wellhausen, JuHus I). 69. 1)8. 158. 19) Wilkens, Wilhelm 11) f. 118 Zahn, Theodor 89. 120. 128. 168. 202 Zimmerli, Walther 157 f
Sachregister
Adresse, Adressat (der Gleichnisse) :14. 78 f. 84. 96. bes. :10:1 f. :135. :149. 2:14 ff - Anredecharakter 3:1· 35 ff. 39· 79 - Hörer, Welt des Hörers :12.3° f. 35 ff. 57. 2:18 - vgl. Tradition und Interpretation Allegorie :13 f. 44. 79. bes. :175 ff. 204. 2:13 - vgl. Tradition und Interpretation Beispielerzählung Bildwort :13. 24
:13. :149 ff
Freudenbotschaft (Evangelium) :14 f. 23. 62. 64· 93· :135· 173 - Kritik, Protest 37 f. 93 ff. 9 8. :19:1. 2:14 - Tischgemeinschaft 98 - Vergebung (als Grund der Existenz) 22.56.62 Gesetze der Erzählung 25 ff. 7:1 Gleichnis - Doppelgleichnis 34 f. 4:1. :109 ff. :193 - Fragegleichnis 3:1 ff. 56. :194 - als Sammelbegriff :12 f - Wachstums gleichnis 74 f - vgl. Adresse; Sprache und Struktur; Tradition und Interpretation
Sachen
2)8
Interpretation, existentiale 5. 79. - Entmythologisierung ) 2
82
Jesus, historischer 1.5 f. 47 ff. 8) - ipsissima vox 46. 49 - Jesus als der gegenwärtige Herr (viva vox) - vgl. Tradition und Interpretation Jüngerschaft - Bedingungen der Jüngerschaft 1.9). 1.97 - Modell der Jüngerschaft 2).1.1.4 - Nachfolge 1.9). 1.99 - Zeugenschaft 24
47 ff. 8) f. 1.0)
Lohngedanke (Lohndenken) 89 ff. 94 f. 99 f - Pflichtbegriff Kants 90 Lukas-Evangelium 58. 66 - Missionssituation 1.)7. 1.46 - Reichtum als Gefährdung )5. 1.80 f. 1.89 Matthäus-Evangelium - Jünger-, Gemeinderegel 42 f. 1.01. f - jünger-(kirchen-)kritischer Akzent 1.07 f. 1.4) - Theologie der Tora 1. 58 Mythos )1. Nächstenschaft
25. 1.49 ff. 1.65. 1. 69. 1.7) f. 225 ff
Parabel 1.). 44 Paulus 87. 89. 1.61. - kirchenkritischer Akzent 1.06 - Tradition und Interpretation 48 Sprache und Struktur der Gleichnisse - Bildhälfte, Sachhälfte 1.9. 22 f. 28. 89 f. 94. 1.1.0. 1.20. 1.96. 20) - Gleichnis als Geschichte (Geschehenscharakter) 20. 22 ff. 28. 70 - Gleichnis als Spiel 26 ff - Grenze des Sagbaren )1.. 71.. 1.)1.
Sachen
-
239
Kontrastierung 25. 29.60.75. 206 f Metapher 17 ff Pantomime 23.69 Rahmen des Alltäglichen 20.71 ff. 89. 115. 125. 130. 204. 223 Rand (Grenze) des Alltäglichen 94 f. 124 f. 131. 170 Schluß(szene) 37. 71. 90. 212 f Sprache der Bilder 12 f. 17 ff Szenenfolge (szenische Gliederung) 24 ff. 36. 70. 86. 163 tertium comparationis 44.120.125. 194 Vorrang der Sache 20.31.197
Thomas-Evangelium - gnostische Interpretation 67 f. 70. 121 f. 140. 182 f - Logien: 9 67 f 63 182 64 139 f 72 181 f 76 121 109 121 110 121 - Ursprünglichkeit der Tradition 68. 122 f. 182 - zersagte Überlieferung 121. 182 Tradition und Interpretation (Überlieferungsgeschichte) 14. bes. 39 ff. 43.47 ff. 68. bes. 83. 100 f. 12 7 ff. 147 - Adressenwechsel (Gegner-, Jüngeradresse) 15. 39 f. 41. 100 f. 143 - Akzentwechsel 40 ff. 81. 100 f. 118 - allegorische Auslegung 44. 71. 73· 79· 95· 137 f - Freiheit des Hörens 8. 83 - Gemeindebildung 45· 49 - Gesetze der Umformung 45 f - Paränetisierung 45.81. 83 f. 13 2 . 144 - Relevanz des Historischen 50 ff - Tradition als Zeugnis 49 f - ursprüngliche Gestalt der Gleichnisse 43 f. 46 ff Vergleich
13· 44