Seewölfe 105 1
Roy Palmer 1.
Auf dem schwarzen Schiff von Siri-Tong standen plötzlich alle Zeichen auf Sturm. Flanagan...
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Roy Palmer 1.
Auf dem schwarzen Schiff von Siri-Tong standen plötzlich alle Zeichen auf Sturm. Flanagan hockte wie erstarrt da. Sein Gesicht hatte sich zu einer widerwilligen Grimasse verzogen. Als er die Fassung halbwegs wiedererlangte, stieß er zunächst einen ächzenden Laut und dann eine lästerliche Verwünschung aus. Haßerfüllt blickte er zu Rod Bennet. Bennet war um die Vierzig, dick und ziemlich träge. Links auf dem Kopf hatte er keine Haare mehr. Er „borgte“ sie sich immer von rechts und pappte sie mit viel Öl auf seinem Schädel fest. Niemand an Bord rief ihn jemals Rod Bennet, alle nannten ihn Cookie — seiner Hauptaufgabe gemäß. „Du“, sagte Flanagan, „du Ratte, du gemeine Kombüsenratte.“ Der Zwist zwischen den beiden war nie richtig beigelegt worden. Er hatte nur geruht, aber eine Kleinigkeit genügte, um ihn von neuem wie Feuerglut zu schüren. Cookie, der im offenen Kombüsenschott stand und noch voll mit der Essensausteilung beschäftigt war, verhielt. Erstaunt sah er den Landsmann an. Ja, sie waren beide Engländer, hatten aber darüber hinaus nichts gemeinsam. „Was fällt dir ein, mich zu beleidigen, Flanagan?“ fragte Cookie. Während er das sagte, hatte er wirklich keine Ahnung, was Flanagans Wut hervorgerufen hatte, aber er witterte über den Kübel mit dem dampfenden Eintopf weg, daß es mächtigen Verdruß geben würde. „Diesmal bist du dran“, sagte Flanagan. Der Stör, der als nächster mit dem Essenfassen an der Reihe war, wandte sich mit gedämpfter Stimme an Cookie. „Geh nicht darauf ein. Du weißt doch, wie leicht Flanagan auf die Palme geht.“ „Ich weiß nicht, was ich verbrochen haben soll“, sagte Cookie verwirrt. Mit dem streitsüchtigen Flanagan hatte er sich schon ein paarmal in die Wolle gekriegt. Ganz schlimm war es geworden, als sie sich kurz vor dem südlichen Wendekreis und Rio de Janeiro befunden
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hatten — vor dem Orkan. Da war Flanagan durch ein Versehen Cookies Küchenabfall ins Gesicht geflogen — und Flanagan hatte ihn mit dem Messer töten wollen. Er hatte nicht einmal auf Siri-Tong gehört. Dafür war er zu vier Tagen Vorpiek verdonnert worden. Flanagan hatte sich gebeugt. Er war kein Meuterer. Er sah ein, daß die Rote. Korsarin an Bord ihres Schiffes gleich nach dem lieben Gott kam. Sie war der Kapitän, was sie sagte, mußte getan werden und damit basta. Aber sein leicht reizbarer, aufbrausender Charakter blieb. In der Beziehung war er noch ungenießbarer als Hilo, der hellhäutige Neger, den Siri-Tong und Thorfin Njal gleichfalls auf Tobago aufgelesen hatten. Daran konnte auch die Vorpiek, die eine Art Vorhof zur Hölle war, nichts ändern. „Du Ratte”, sagte Flanagan noch einmal. „Das wirst du mir büßen.“ Er saß auf den Stufen des Backbordniederganges, der auf das Vorderkastell hinaufführte. Der Napf mit dem wäßrigen Eintopf ruhte auf seinen Knien. Er hielt ihn mit der einen Hand, in der anderen hatte er den Löffel. Eine Weile hatte er in dem Zeug herumgestochert. Jetzt hob er langsam, geradezu ostentativ den Löffel. „Das ist es also“, murmelte Oleg, der neben dem Stör stand. „Du hast mal wieder einen Teufelsfraß verbrochen, Cookie. Was ist dir diesmal in die Brühe gefallen, he? Eine Kakerlake?“ Cookies Gesicht legte sich in traurige Falten. Es sah aus, als wolle er jeden Augenblick losheulen. Aber das konnte ihn auch nicht retten. Er, der die. Kombüse und Bottlerei des schwarzen Schiffes in Alleinregie betrieb, hatte ohnehin nicht den besten Ruf. Wer wollte da schon zu seiner Verteidigung einspringen? Seine Pfannen waren bekanntlich nicht die saubersten, und an seinen Töpfen klebten meistens die letzten Kohlreste. Lautete nicht seine Devise: An einer Kakerlake in der Suppe ist noch niemand gestorben, außer der Kakerlake? Und
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hatten die Männer ihn nicht schon öfter gepackt, in die Kombüse gezerrt und mit dem Hintern ins Holzkohlefeuer gesetzt — wenn der Fraß allzu miserabel gelungen war? So etwas endete meistens in einer allgemeinen Prügelei in der Kombüse. Cookie war kein Engel, ganz gewiß nicht. Aber wenn’s nach ihm ging, blieb es beim Gebrauch der Fäuste. Flanagan hatte indes andere Ansichten. Wie hypnotisiert blickte Cookie auf Flanagans Löffel. Ein paar Tropfen Brühe fielen in den Napf zurück, aber nicht das war es, was den Schiffskoch so verblüfft starren ließ. Von der Löffelfläche hob sich etwas Großes ab. Es war schlecht zu erkennen: grasgrün, glitschig, fladengroß. Alles in allem sah es verdammt eklig aus. „Hölle und Teufel, was ist denn das für ein Glubber?“ fragte der Stör. Flanagan entgegnete gepreßt: „Das möchte ich auch gern wissen.“ „Moment mal!“ rief jetzt Cookie. „Dafür bin ich nicht verantwortlich. He, Flanagan, du kannst mir nichts am Zeuge flicken, diesmal nicht, denn ich hab das Ding da nicht in den Brei getan!“ „Wer dann?“ fragte Flanagan beinahe sanft. „Wer hat’s hineingeschmuggelt, hm?“ Schweigen breitete sich aus. Zu hören war nur das Rauschen der gegen den Viermaster anrollenden Seen, das Knarren der Blöcke und Rahen, das Pfeifen und Wispern des Windes. Im Osten, also an Backbord des schwarzen Schiffes, segelte die „Isabella VIII.“ auf Parallelkurs, aber der widmete in diesem Augenblick nicht einmal Siri-Tongs Ausguck seine Aufmerksamkeit. Auf dem Viermaster „Eiliger Drache über den Wassern“ hatte alles nur noch Augen für die beiden Zankhähne. Flanagan hob den Löffel noch ein Stück höher. Dann bewegte er ihn sehr vorsichtig nach rechts, so, als könne er durch eine unbedachte Geste etwas zerstören, als handle es sich bei dem widerwärtigen Objekt um etwas Wertvolles.
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Unversehens zuckte sein Arm wieder vor. Die gelee-ähnliche Masse schoß vom Löffel, torkelte durch die Luft und erreichte Cookie, bevor dieser reagieren konnte. Mitten ins Gesicht kriegte er den Glubber. Cookie taumelte zurück, stieß gegen das Kombüsenschott und setzte sich auf seinen Achtersteven. Das gab einen dumpfen Laut, der bis zum Achterdeck zu hören war. Juan, Siri-Tongs Bootsmann, begann zu lachen. Außer ihm lachte aber keiner, denn Flanagan hatte Napf und Löffel weggestellt und sein Messer gezückt. Er erhob sich. Mit schleichenden Schritten verließ er den Niedergang und wandte sich der Kombüse zu. „Hört auf“, sagte Barry Winston. „Ihr seid jetzt quitt, Flanagan. Cookie hat dir Abfall ins Gesicht geschüttet, und jetzt hast du’s ihm heimgezahlt. Was willst du also noch?“ „Verhindern, daß er jemals wieder was Ähnliches ausheckt“, sagte Flanagan. Er hob das Messer. Die lange, scharfe Klinge blinkte matt. Cookie sah ihn anrücken und stieß einen entsetzten Laut aus. „Das kannst du doch nicht tun! Bist du des Teufels?“ Mit der Rechten tastete er dabei schon nach einem seiner großen Küchenmesser. „Laß den Unsinn“, mahnte Juan, der Bootsmann. Er war plötzlich stockernst. „Du weißt, daß du Ärger kriegst, Flanagan.“ „Mit dir, Juan?“ „Nein, nicht mit mir.“ „Dann geh aus dem Weg.“ Juan zauderte noch, da wehte vom Achterdeck eine helle, scharfe Stimme herüber. „Flanagan!“ Der Ausruf seines Namens genügte, Flanagan zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Er verhielt. Noch hatte er sein Messer stoßbereit erhoben, doch in seinem Geist arbeitete es heftig. In diesem Moment gelang es ihm plötzlich doch, sich zu bezwingen und für und wider der Sache abzuwägen.
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„Flanagan, steck das Messer weg und setz dich hin!“ Siri-Tong stand an der Querbalustrade des Achterdecks, hielt die Arme vor der roten Bluse verschränkt und sandte zornige Blicke zu dem Engländer hinüber. Ihr schönes, rassiges Gesicht hatte sich zu einer frostigen, starren Miene verzogen. Sie konnte weich sein, aber sie verstand es auch, mit eiserner Hand durchzugreifen und auf ihrem Schiff für Ordnung zu sorgen. Sie war eine Frau, die eine Meute wüster Kerle an der Kandare hielt und zu bändigen wußte - eine erstaunliche Frau, mit der sich keiner anlegen wollte. Auch Flanagan nicht. Er dachte an die Vorpiek, dieses finstere und stinkende Loch, dachte auch an die Neunschwänzige, ans Kielholen und an die Rahnock, an der man gelegentlich Aufmüpfige aufzuhängen pflegte. Er drehte sich um, schob das Messer in den Gurt und ging zu seinem Platz zurück.’ Für Siri-Tong war der Fall damit erledigt. Nur Thorfin Njal, Miteigner und Steuermann des schwarzen Seglers, war in der Zwischenzeit über die Kuhl zum Vordeck geschritten und trat jetzt zu Cookie in das offene Kombüsenschott. Cookie rappelte sich auf und hielt das fladengroße Stück Glubber anklagend vor sich hin. „Was ist denn das?“ fragte der Wikinger. Cookie schüttelte nur den Kopf, aber Juan antwortete: „Ein Stück von dem Riesenseetang, den wir gestern aufgefischt haben.“ „Tang?“ sagte Thorfin Njal nachdenklich. „Wie konnte der in den Eintopf geraten? Wir hatten ihn doch gleich wieder in die See zurückbefördert.“ „Keiner hat ihn in die Kübel schmeißen können“, beteuerte Cookie. „Ich hab aufgepaßt. Ich schwör’s dir, Wikinger.“ „Schon gut. Jemand muß ein Stück abgeschnitten und in Flanagans Napf geworfen haben, ohne daß der es merkte. Als dann der Brei dazugetan wurde, schwamm das Ding plötzlich oben.“ „Ja, so muß es gewesen sein“, sagte Juan.
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Thorfin Njal blickte zu den Männern, die sich zur Essensausgabe um den großen Kübel geschart hatten. Er sagte kein Wort, nur seine Augen drückten aus, was er verlangte. Und so war es denn Mike Kaibuk, der ein Stück vortrat. „Ich bin’s gewesen. Ich hab Flanagan, diesem ewig gereizten Stier, mal einen Streich spielen wollen.“ „Auf Cookies Kosten“, erwiderte der Wikinger grimmig. „Wobei jeder weiß, daß ein Streit zwischen Flanagan und unserem Koch tödlich enden kann.“ Er schob sich aus dem Schott und stellte sich ganz dicht vor Mike Kaibuk hin. Mike war ein dunkelhaariger Typ mit braunen Augen. schmächtig, flink und verschlagen. Er prahlte gern, riß das Maul auf und heckte allerlei bedenklichen Schabernack aus, aber immer auf Kosten anderer. „Mike“, sagte Thorfin Njal, „such dir einen anderen für deine Streiche aus, ja? Laß Flanagan in Ruhe. Wir wollen keine Messerstechereien, keinen Mord und Totschlag. Wenn du’s nicht kapierst, ramme ich dir ein bißchen Vernunft in den Schädel -hiermit.“ Er hob seine rechte Faust. Sie war so groß wie eine Ankerklüse, und man sagte von ihr, daß Thorfin Njal, dieser Koloß von einem Kerl, damit unzweifelhaft jemanden ungespitzt durch die Decksplanken hämmern könne. „Kapiert“, sagte Mike Kaibuk rasch. „In Ordnung, Sir.“ Der Wikinger gab einen grollenden Laut von sich. Er nahm das Stück Tang aus Cookies Hand und schleuderte es in hohem Bogen außenbords. * „Auf treibenden Tang achten“, sagte Hasard zu dem jungen Dan O’Flynn. „In diesem Meeresbereich wimmelt es geradezu davon.“ „Wie in der Sargasso-See?“ fragte Dan zurück. „Teufel, das hat uns gerade noch gefehlt. Wir wollen doch endlich um Kap Horn herum und nicht dauernd aufgehalten
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werden. Fehlt bloß noch, daß wir in eine Kalme geraten.“ „Halt die Luft an und mal den Teufel nicht an die Wand.“ Hasard blickte zu den Segeln hoch, überprüfte den Stand der Flögel. „Noch haben wir den steifen Nordwest, und ich hoffe, er dauert noch eine Weile an. Der bläst von Afrikas Küsten herüber, mußt du wissen.“ Dan schaute seinen Kapitän zweifelnd an. „Wie kann denn der aus Afrika stammen, wenn er aus Nordwesten kommt?“ „Ganz einfach. Er drückt nördlich des Wendekreises als Südost-Passat quer über den Atlantik gegen den neuen Kontinent an, beschreibt an der Gebirgsbarriere eine Wende und dreht so, aus Nordwesten blasend, wieder aufs Meer ab. Auf diese Weise umkreist er ein Schönwettergebiet, das um diese Jahreszeit über dem Atlantik stehen dürfte.“ „Mann“, sagte Dan. „Das habe ich nicht gewußt. Aber der Wind kann auch in den Pampero umschlagen, oder?“ „Hier doch nicht mehr“, sagte Hasard verärgert. „Los, schieb ab in den Großmars.“ Dan, der kurz aufs Hauptdeck abgeentert war, um Hasards Anweisungen entgegenzunehmen und Essen zu fassen, enterte wieder in den Leewanten auf und setzte sich zu dem Schimpansen Arwenack auf seinen luftigen Posten zurück. Von hier aus würde er jedes fremde Schiff, jede bedrohliche Wetterfront, jede Veränderung rechtzeitig melden, denn bekanntlich hatte er ja die schärfsten Augen an Bord der „Isabella“. Hasard ging ins Ruderhaus, sprach kurz mit dem Rudergänger Pete Ballie, kontrollierte den Kompaß und beschäftigte sich mit seinen Navigationsinstrumenten. Kurz darauf hielt er mit Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Old O’Flynn, Edwin Carberry und Smoky eine Lagebesprechung auf dem Achterdeck ab. Der kühle Wind zerzauste seine schwarzen Haare, als er sich ganz achtern an die Heckreling stellte und zum schwarzen Segler hinüberschaute. Er konnte Siri-Tong nirgends auf Oberdeck entdecken,
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wahrscheinlich hatte sie ihre Kapitänskammer im Achterkastell aufgesucht. Neben dem Rudergänger stand drüben Thorfin Njal am Kolderstock und paßte auf, daß der Kurs und die Parallel-Position zur „Isabella“ beibehalten wurden. So rauschten beide Schiffe nebeneinander durch die bewegte See und nutzten den Wind, der von raumschots einfiel. „Drüben hat es wieder Streit gegeben“, sagte der alte O’Flynn. „Flanagan wollte mal wieder tobsüchtig werden, wenn mich nicht alles täuscht.“ „Immer dieser Flanagan“, sagte der Profos. „So einer würde sich bei mir nicht lange halten - oder er würde kuschen.“ „Stimmt“, sagte Hasard. „Was war denn dieses Mal los?“ „Nichts Ernstes“, erwiderte Dans Vater. „Es ging um’s Essen, und dann hat der Wikinger was über die Bordwand gefeuert. Sah aus wie ein Stück Tang.“ „Wir müssen uns vor diesem Zeug höllisch in acht nehmen.“ Hasard wies mit einer ausschweifenden Gebärde auf die See. „Wir befinden uns jetzt auf dem Scheitelpunkt zwischen dem 45. und 50. Grad südlicher Breite - das ist auf dieser Seite der Welt die Hauptzone des treibenden Tangs.“ „Wird schon schiefgehen“, meinte Carberry. „Aber so wie damals in der Sargasso-See lassen wir uns nicht ‘reinlegen, oder?“ „Hör auf damit“, sagte der Seewolf. „Ich will nicht, daß ihr immer wieder die alten Geschichten aufwärmt, vor allem, was Spuk und Jonas-Gerüchte betrifft.“ „Aye, aye, Sir.“ „Wenn wir weiterhin Glück mit dem Wind haben, müßten wir in spätestens einer Woche den südlichsten Zipfel der Neuen Welt erreicht haben. Bis dorthin sind es noch rund 400 Seemeilen. Bei einem Etmal von über hundert Meilen pro Tag müßten wir es eigentlich eher schaffen, aber ich will nicht zu optimistisch rechnen.“ „Da wären noch die Ausläufer der Westwind-Trift und die anderen widrigen
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Strömungen, auf die wir bald stoßen“, sagte Ben Brighton. „Sehr richtig. Wir tun also gut daran, einen gewissen Zeitverlust mit ins Kalkül einzubeziehen“, entgegnete der Seewolf. „Ganz zu schweigen von Flauten oder Stürmen, auf die wir jederzeit vorbereitet sein müssen.“ „Es gibt hier in der Nähe eine größere Inselgruppe, wenn mich nicht alles täuscht“, sagte Ferris Tucker. Der rothaarige Riese wies mit der ausgestreckten Hand nach Südosten. „Dort irgendwo. Laufen wir die noch -an?“ „Nur, wenn wir noch Proviant fassen müssen. Aber es wäre ein Umweg, außerdem haben die Inseln uns nicht viel zu bieten. Sie sind unwirtlich, kahl, und ich bin nicht einmal sicher, daß es dort Trinkwasser gibt.“ „Ich habe vorhin mit dem Kutscher gesprochen“, sagte Big Old Shane. „Er meint, es wäre nicht schlecht, wenn wir den Bestand der Vorratskammern vor dem Runden von Kap Horn ein wenig auffrischen könnten. Wenn nicht, müssen wir uns gleich anschließend an der Westküste der Neuen Welt nach Eßbarem und Trinkwasser umsehen. Wie es drüben auf dem schwarzen Schiff aussieht, weiß ich nicht.“ „Wir können ja Tang auffischen“, sagte der alte O’Flynn mit spöttischem Grinsen. „Ich hab mal gehört, das Zeug soll man futtern können. In der Not frißt der Teufel Fliegen.“ „Na schön, wir werden für dieses Problem schon eine Lösung finden“, meinte Hasard. „Ich muß die Entscheidung mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Wenn wir Verzögerungen kriegen, kann ich nicht umhin, nach Proviant und Wasser zu suchen.“ Er trat an die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß zum Hauptdeck hin bildete. Sein Blick schweifte über die arbeitenden Männer auf der Kuhl und der Back hinweg voraus. Von jetzt ab wurden die Naturgewalten immer unberechenbarer. Er war schon einmal hier gewesen, mit Francis Drake. Das lag nun schon fast
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sechs Jahre zurück. Damals war alles anders gewesen. Er konnte sich in seiner Beurteilung der Lage nicht auf die Gegebenheiten der damaligen Zeit verlassen. Die Fähigkeit, sich schnell auf jede Laune der Elemente einstellen zu können, war eine der unabdingbaren Voraussetzungen, die seine Aufgabe erforderte. Und wenn es ganz dick kam? Wenn sich Barrieren vor ihm auftürmten, die er nicht durchdringen konnte? Umkehren? Aufgeben? Niemals. Was er sich in den Kopf gesetzt hatte, blieb bestehen. Er wollte in den Großen Ozean vorstoßen - wie schon einmal -, diesmal aber nicht an der Westküste bis hinauf nach Panama segeln, sondern den Ozean überqueren, um bis nach China und zum Rest des geheimnisvollen Asiens zu gelangen. Daran hatten auch die jüngsten Ereignisse nichts zu ändern vermocht. Das Abenteuer auf der Insel vor Bahia, die TreibsandFalle und das Gefecht mit der Bande des Alfiero Leon, die Geschehnisse am Rio de la Plata — all das waren nur Geschehnisse, die einen Philip Hasard Killigrew nicht von seinen ursprünglichen Plänen abbringen konnten. „Weiter“, murmelte er vorsichtig. „Ich will deine Heimat kennenlernen, Siri-Tong. Und ich werde es schaffen, auch wenn du immer noch nicht ganz damit einverstanden bist.“ Bis in die Nacht hinein segelten die beiden Schiffe einen beständigen, strammen Törn. Bei Dunkelheit drehte der Wind von Nordwest auf West. Die „Isabella“ und der schwarze Segler segelten halbwinds, auf Backbordbug liegend, weiter nach Süden. Die Stimmung auf beiden Schiffen war zuversichtlich und gut — bis zum Morgengrauen. Plötzlich änderte sich die gesamte Lage, und der Seewolf hatte allen Grund, sich zu sorgen. 2. Die See war am frühen Morgen von milchig-grüner Färbung und lag wie eine
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gigantische Platte da. Die Dünung hatte immer mehr nachgelassen, der Wind schlief fast völlig ein. Bleigrau spannte sich der bewölkte Himmel über den Schiffen. Sie liefen nur noch wenig Fahrt voraus, denn inzwischen drückten auch die von Ben Brighton erwähnten Strömungen gegen sie an. „Bald treten wir auf der Stelle“, sagte Ferris Tucker. „Himmel, ist das ein verfluchter Mist hier.“ „Was sollen wir tun?“ erwiderte der alte O’Flynn. „Bloß dastehen und uns in der Nase bohren?“ Hasard beobachtete aus schmalen Augen, wie seine „Isabella“ mehr und mehr an Fahrt verlor. Er stand mit der Körperseite gegen das Steuerbordschanzkleid des Achterdecks gelehnt und schaute an der Bordwand entlang. Die Bugwelle schrumpfte und hatte keinen weißen Bart mehr. Ein Blick nach oben: Die Segel hingen Wie schlaffe Bettlaken an den Rahen. „Zum Verrücktwerden“, sagte Hasard leise. „Notfalls müssen wir die Beiboote abfieren und die Schiffe in Schlepp nehmen. Aber damit warten wir noch.“ „Deck!“ schrie Dan O’Flynn plötzlich aus dem Hauptmars. „Achtung, da ist er, der verfluchte Riesentang! Er treibt von Süden mit der Strömung auf uns zu!“ „Verdammt“, sagte der Seewolf. Er nahm den Kieker, zog ihn auseinander und blickte zum schwarzen Schiff hinüber. Siri-Tongs Ausguck schien den Tang noch nicht bemerkt zu haben, jedenfalls saß er ganz ruhig im Mars und traf keine Anstalten, die Decksmannschaft auf irgendetwas hinzuweisen. „Dan!“ rief Hasard. „Signalisiere der Roten Korsarin, was da auf uns zuschwimmt!“ „Aye, aye, Sir !“ Hasard wandte sich seinen Männern auf Deck zu. „Los, wir fallen ab und nutzen den letzten Windhauch aus, um dem Tang auszuweichen. Es kann sich um ein paar Einzelstücke handeln, wie sie vorgestern vorbeigetrieben sind. Aber genauso gut kann es eins jener Riesenbeete sein, die ein
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Segelschiff gefangen zu setzen vermögen. Los, Pete, abfallen! Ed !“ „Aye, aye, Sir, abfallen!“ brüllte der Profos. „Ihr Stinkstiefel, ihr faulen Säcke, an die Brassen und Schoten! Schrickt weg die verfluchten Tampen, wird’s bald!“ Wenig später sah auch Hasard durch sein Spektiv, was von Süden auf sie zutrieb. Nein, das waren keine einzelnen Tangblätter, wie er anfangs noch gehofft hatte. Das war ein Meer im Meer, eine gewaltige Fläche von grasgrünen Gewächsen, die sich wie Riesenaale ineinanderund durcheinander schlängelten. Sie waren imstande, ein Boot samt Besatzung in die Tiefe zuzerren. Sie umschlossen Schiffe, setzten ihre Ruderblätter außer Betrieb und hielten sie das vor allen Dingen im Sargassomeer - für die Ewigkeit fest. Unaufhaltsam rückte das Unheil auf sie zu. Hasard warf wieder einen Blick zum schwarzen Segler hinüber. Während die „Isabella“ bereits den Kurs wechselte und direkt vor den lauen Wind ging, schallten jetzt erst die entsprechenden Befehle über das Deck des Viermasters. Zu spät begann die Rote Korsarin mit dem Manöver. „Siri-Tong, beeilt euch!“ schrie Hasard zu ihr hinüber, aber er war sich dabei auch im klaren, daß er ihr nicht helfen konnte. Auch Dan signalisierte aufgeregt aus dem Großmars, um die Rote Korsarin zu schnellerem Handeln zu bewegen, aber das nutzte ebenso wenig. Siri-Tong tat, was in ihren Kräften stand. Und es lag weder an ihr noch an ihrer Mannschaft, daß sie nur mit geradezu lähmender Langsamkeit abfiel - bei den miserablen Windverhältnissen kriegte sie ihr großes 500-Tonnen-Schiff einfach nicht schneller herum. Hasard spielte mit dem Gedanken, auch die letzte Fahrt aus dem Schiff zu nehmen und auf den schwarzen Segler zu warten. Aber was erreichte er damit? Die Antwort auf diese Frage erhielt er bald. Hätte er die Segel aufgeien lassen, dann hätten sie im Handumdrehen beide festgesteckt. So aber entzog sich die
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„Isabella“ gerade noch mit knapper Not dem herantreibenden Tang. Siri-Tong mußte mit zusammengepreßten Lippen und geballten Händen zusehen, wie die schlüpfrige Masse ihr Schiff umhüllte. Das Zeug schien sich an den Bordwänden festzuklammern und festzusaugen. Es brachte das Schiff zum Stoppen. Entsetzt sahen der Boston-Mann, Juan, die fünf Wikinger und die anderen Besatzungsmitglieder auf das treibende Geschlängel, das sich da rund um ihren Segler abspielte. Cookie zog sich vorsichtshalber aus Flanagans Nähe zurück, weil er befürchtete, der Mann könne ihm auch hierfür die Schuld in die Schuhe schieben. Als der Riesentang sich schmatzend um das Ruderblatt des schwarzen Schiffes legte, war es endgültig aus mit der Manövrierfähigkeit. „Bei Odin!“ brüllte Thorfin Njal. „Aus diesem Schlamassel kommen wir vorerst nicht wieder ‘raus!“ „Wir müssen ein Loch in das Zeug schießen!“ schrie Juan. „Das muß irgendwie zu drehen sein!“ „Wir könnten unsere Brandsätze in den Tang feuern“, entgegnete Siri-Tong. „Aber sie müßten sehr tief angesetzt werden und dicht neben oder vor dem Schiff einschlagen. Wir könnten uns selbst gefährden. Nein, warten wir noch.“ Arne schaute plötzlich auf und stieß einen verblüfften Laut aus. Er befeuchtete rasch einen Finger, streckte ihn hoch in die Luft und wies dann auf die Takelage. „Da kann man doch verrückt werden! Der Wind bläst immer noch aus Westen, aber er hat wieder zugenommen. Und wir hocken hier im Tang und haben nichts davon.“ Es stimmte, der Wind hatte aufgefrischt und schob die „Isabella“ rascher vor sich her. Sie beschleunigte zusehends. Hasard konnte sich darüber aber nicht recht freuen. . Er schaute wieder zum schwarzen Schiff und sagte: „Teufel, sie bewegen sich auch, aber der Tang haftet an ihnen und schleift mit. Das sieht ja fast wie Hexerei aus.“
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Er wandte sich um. Nur Ben Brighton befand sich dicht hinter ihm und hatte seine Worte gehört. Darüber war Hasard froh. Ben war kein sehr abergläubischer Mann. Die anderen aber hätten allein das Wort Hexerei wieder mit ihren Unkereien und Spökenkiekereien interpretieren können. „Anluven“, befahl der Seewolf. „Ruder Backbord, wir gehen auf Nordkurs und dann über Stag — wir umkreisen den schwarzen Segler!“ Und so umrundete die „Isabella VIII.“ den Viermaster wie ein großes Tier, das seinem Artgenossen helfen möchte und es doch nicht kann. Beide Schiffe wurden dabei vom Wind immer weiter nach Osten gedrückt. Das Tangfeld hatte riesige Ausmaße. Hasard konnte nicht einmal auf Rufweite an das schwarze Schiff heran. Wagte er sich zu dicht an die glitschigen grünen Gebilde, dann riskierte er, ebenfalls gepackt zu werden. „Wir müssen was unternehmen“, sagte er zu Ben Brighton. „Wenn wir das schwarze Schiff einfach so treiben lassen und darauf hoffen, daß eine günstige Gegendrift den Tang wieder davonträgt, besteht die Gefahr, daß Siri-Tong irgendwo aufläuft. Die Inseln sind nach meinen Berechnungen nicht mehr fern.“ „Was tun wir also?“ erwiderte Ben Brighton. „Können wir nicht ein Tau zum schwarzen Segler hinüberbefördern — etwa so wie in der Treibsand-Lagune? Wenn Big Old Shane präzise zielt, dürfte durch den Pfeil, der die Leine trägt, drüben auf dem Viermaster keiner verletzt werden.“ „Ben, die Entfernung ist zu groß für einen solchen Schuß.“ „So ein Mist aber auch.“ „Also“, sagte jetzt Ferris Tucker zum Seewolf, „ich habe doch diese Handbomben gebastelt — Flaschen, die mit Nägeln, Blei und Pulver gefüllt sind. Damit könnten wir eine Bresche in den verfluchten Tang treiben.“ „Ich glaube, das hat wenig Zweck“, erwiderte Hasard. „Genauso gut kannst du
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versuchen, ein Feuer auszuspucken. Wo du ein Loch in den Tang sprengst, schließt sich die Lücke in Sekundenschnelle Wieder.“ „Aber wir könnten es doch wenigstens probieren“, sagte der rothaarige Riese beharrlich. „Ja. Ich schätze, es ist unsere einzige Möglichkeit.“ „Gut, ich hole die Flaschen“, sagte Ferris. In diesem Augenblick meldete sich wieder Dan O’Flynn aus dem Großmars. „Männer, die Augen nach Westen. Wale! He, ho, ich krieg zuviel, das ist eine ganze Schule!“ Sie befanden sich inzwischen wieder an der südlichen Flanke des RiesentangFeldes, segelten also mit achterlichem Wind nach Osten. Hasard verließ das Achterdeck und lief mit seinem Spektiv über die - Kuhl zur Back, um einen besseren Ausblick zu haben. Er klomm den Steuerbordniedergang hoch, stellte sich neben Smoky und Al Conroy ganz vorn an die Balustrade und spähte durch die Optik. Es war eins der gewaltigsten Schauspiele, dem ein Mensch beiwohnen konnte, vergleichbar vielleicht nur mit einem Seebeben oder der Geburt einer Vulkaninsel. Schätzungsweise zwei Seemeilen vor den beiden Schiff en brach die See an mehreren Stellen auf, als müsse sie Blähungen entlassen. Das gischtete und sprudelte, das schäumte und brodelte, und dann schnellten zunächst zwei Riesenleiber mit urwüchsiger Kraft aus den Fluten hervor und gleich darauf noch einer. Ja, sie vermochten sich bis in die Luft hinauszukatapultieren. Danach tauchten sie kopf über wieder ein, ein gewaltiger Hieb mit der Schwanzfluke noch, und jeder von ihnen verschwand in den Tiefen, um seinen Artgenossen Platz für den nächsten akrobatischen Salto zu schaffen. „Das ist ja phantastisch“, sagte Hasard. „Kaum zu glauben“, pflichtete Smoky ihm bei. Er stand links neben ihm und hatte ebenfalls das Fernrohr ans Auge gehoben. „Ich habe schon ein paarmal Wale beobachtet, aber so herrliche Sprünge habe ich noch nicht gesehen.“
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„Hasard, wie viele hast du gezählt?“ rief Dan von oben. Er hatte sich aufgerichtet und blickte angestrengt durch den Kieker. „Fünf, sechs, Mann, ich verliere den Überblick!“ „Es sind mehr als zehn Tiere“, antwortete der Seewolf. „Und zwar Humpbacks, Buckelwale. Ihr Anführer scheint der größte von allen zu sein — der, der die kühnsten Sprünge ausführt. Ja, er muß der Leitbulle sein.“ „Wir halten genau auf sie zu“, sagte Al Conroy. „Ja.“ Hasard war fasziniert. Er konnte sich nicht satt sehen an dem Getummel und der Ausgelassenheit der gewaltigen Tiere. „Buckelwale sind die Artisten unter den Walen. Sie werden nicht so groß und schwer wie die Blau- und Pottwale, aber sie leisten ganz Erstaunliches — wie diese Sprünge über die Wasseroberfläche hinaus. Sie tragen Höcker auf dem Kopf, haben einen schwarzen Rücken, einen weißen Bauch und lange Brustflossen, die beim Jumpen wie Windmühlenflügel rotieren.“ „Wie du das alles weißt“, sagte Smoky. „Was meinst .du, wie lang ist das Leittier wohl?“ „Fünfzehn Yards oder noch länger.“ „Warum jagen wir ihn nicht?“ Hasard setzte das Spektiv ab und sah seinen Decksältesten verwundert an. „Jagen? Wie kommst du darauf?“ „Wir könnten doch Fleisch-Nachschub gebrauchen. Walfleisch soll wie Rind schmecken, hab ich gehört.“ „Das ist auch so“, entgegnete Hasard. „Aber ich hätte nie ernsthaft daran gedacht, so einen Brocken zu erlegen und dann hier auf dem Deck der ‚Isabella’ auszuweiden. Erstens sind wir keine Fachleute auf dem Gebiet, Smoky. Zweitens liegt es mir irgendwie nicht, einen Wal zu töten. Sie sollen kluge Burschen sein, diese Giganten, und ich habe Respekt vor ihnen.“ „Das heißt, wir lassen die Schule in Ruhe?“ „Ja.“ Smoky bedauerte das. Hasard konnte seinem Gesichtsausdruck deutlich das
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Jagdfieber entnehmen, das ihn gepackt hatte. Er konnte es ihm nicht verübeln. Der Wunsch, ein großes Tier zu besiegen, war als Instinkt in jedem Menschen verwurzelt. Und je größer das Wesen war, desto mächtiger wurde dieses Bestreben. „Ho!“ brüllte Dan O’Flynn unvermittelt wieder los. „Wir kriegen noch mehr Besuch. Sieh mal zur südöstlichen Kimm, Hasard!“ Hasard folgte der Aufforderung. Wenig später hatte er den „Besuch“ entdeckt. Es waren zwei große Schiffe, und zweifellos hatten ihre Besatzungen auch die „Isabella“ und das schwarze Schiff bereits gesichtet. * Siri-Tongs Viermaster war durch den Tang behindert und lief kaum Fahrt, während die „Isabella“ inzwischen an dem Tangfeld vorbeigesegelt war, das äußere östliche Ende erreichte und unter Hasards Kommando wieder anluvte. Er kehrte auf das Achterdeck zurück und beobachtete von hier aus unausgesetzt die fremden Segler. Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane und Old O’Flynn hatten sich zu ihm gesellt. „Kriegsschiffe“, sagte der Seewolf, ohne das Spektiv abzusetzen. „Und ich will einen Besen fressen, wenn es nicht Spanier sind. Sie kreuzen, mal einen Schlag nach Norden, dann wieder einen nach Süden. Zwei Schritte vor, einen zurück.“ „Ich kann ihre Flaggen erkennen!“ rief Dan O’Flynn. „Es sind Dons!“ „Na bitte“, sagte Hasard grimmig. „Entweder haben sie uns schon erkannt oder sie kommen, um uns zu kontrollieren. Ausweichen können wir ihnen nicht. Wir dürfen den schwarzen Segler nicht im Stich lassen.“ „Wäre doch gelacht, wenn wir vor denen auskneifen würden“, sagte der alte O’Flynn. „Was bilden die sich eigentlich ein?“ Hasard ließ den Kieker immer noch nicht sinken. „Ich an deiner Stelle würde nicht so selbstherrlich und vorschnell in meinem
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Urteil sein. Donegal, das sind zwei bestens armierte Kriegsschiffe. Ich kann ihre Stückpforten noch nicht zählen, aber ich nehme an, jedes trägt mindestens zwanzig Geschütze.“ „Meinst du, die putzen wir nicht weg?“ „Ich meine, daß Siri-Tong gehandikapt und kaum gefechtsfähig ist. Wir stehen dem Gegner allein gegenüber, falls wir kämpfen müssen.“ „Tja“, sagte Old O’Flynn, und das klang schon gar nicht mehr so überzeugt. „Wir könnten uns als Spanier ausgeben“, schlug Shane vor. „Ich weiß, das schwarze Schiff läßt sich schlecht tarnen, es verrät uns. Aber wenn die Rote Korsarin alle blonden, nordischen Typen unter Deck versteckt, könnte es klappen. Die Dons werden in erster Linie mit uns palavern, an den Viermaster kommen sie wegen des Tangs nicht heran. So werden sie also gar keine Gelegenheit finden, unsere Freunde als Piraten zu entlarven.“ „Stimmt, und wir haben uns ja schon öfter als Spanier ausgegeben - mit Erfolg“, sagte Ben Brighton. „Warum sollte es nicht auch dieses Mal hinhauen?“ „Also gut, wir versuchen es“, erwiderte Hasard. „Alle blonden Männer verstecken sich. Pete, Stenmark, das gilt in erster Linie für euch! Ferris, auch du mit deinem roten Schopf verziehst dich am besten unter Deck. Dan, du bleibst im Großmars, zeigst dich nach Möglichkeit aber nicht, verstanden?“ „Aye, aye!“ Dan O’Flynn setzte sich hin. Arwenack tat das gleiche, und damit waren sie hinter der Segeltuchverkleidung ihres luftigen Postens verschwunden. „Ed“, sagte Hasard vom–Achterdeck aus zu seinem Profos. „Paß auf, wenn du die Kommandos auf Spanisch erteilst. Du weißt ja, daß du noch einen starken englischen Akzent hast. Und achte auf Sir John. Daß er sich bloß nicht verplappert.“ „In Ordnung, Sir“, erwiderte Carberry. Er grinste, pflückte sich Sir John, den roten Aracanga, von der Schulter und stopfte ihn sich einfach in die Tasche. Sir John beherrschte die gesalzensten und längsten Carberry-Flüche, aber nur auf Englisch.
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„Heißt Flagge“, ordnete Hasard an. „Nehmt die schönste, die wir an Bord haben - die des spanischen Königs mit den Wappenzeichen von Kastilien und Leon. Damit werden wir genügend Eindruck schinden.“ Während sie weiter an dem Tangfeld entlangsegelten und alle erforderlichen Vorbereitungen für das Täuschungsmanöver trafen, hielt Hasard wieder Umschau. Auf dem schwarzen Schiff war Unruhe eingetreten_ Siri-Tong und ihren Männern waren die beiden spanischen Kriegsschiffe natürlich auch nicht entgangen. Da die Schiffe mit ihren langwierigen Kreuzschlägen langsam, aber beständig auf sie zuzuhalten schienen, zerbrach sich auch die Korsarin den Kopf darüber, was wohl am besten zu tun sei. Hasard ließ ihr signalisieren und teilte ihr in groben Zügen seinen Plan mit. Danach spähte er wieder zu den Spaniern. Der Wind hatte noch etwas zugenommen und blies jetzt frisch bis handig aus Westen. Die beiden Feindsegler hatten den Kurs gewechselt und segelten jetzt einen Kreuzschlag nach Süden. Dabei geriet die Walschule praktisch zwischen beide Parteien. Die Tiere ließen sich durch die Schiffe jedoch nicht stören, sie vollführten weiterhin ihre kühnen Sprünge. Vielleicht waren sie noch nie in ihrem Leben einem menschlichen Wesen begegnet. „Muttertiere mit Kälbern und den dazugehörigen Ammen“, sagte Hasard zu seinem Bootsmann und Ersten Offizier. „Und der Anführer wacht über sie alle. Ich nehme an, sie kommen aus den kalten, südlichen Zonen und ziehen in wärmere Gefilde, damit die Weibchen in Ruhe und Geborgenheit ihre Jungen zur Welt bringen können.“ „Hasard.“ Ben Brighton wies zu den fremden Schiffen hinüber. „Ich habe eben die Stückpforten gezählt. Es sind fünfzehn an jeder Schiffsseite.“ „Dreißig Geschütze also auf jedem Schiff“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Und jeder wiegt gut und gern seine 600 Tonnen. Das sind harte Brocken, Ben. Ich hoffe
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nur, sie fallen auf unseren Trick herein wie all die anderen Dons, die wir bisher damit hereingelegt haben.“ „Das Führungsschiff signalisiert uns!“ rief der junge O’Flynn über ihren Köpfen - auf Spanisch, der Vorsicht halber, denn die Spanier waren inzwischen auf weniger als eine Meile Distanz heran. Der Wind trug ihnen den Schall entgegen. „Wir sollen uns zu erkennen geben!“ „Hat der Tomaten auf den Augen?“ knurrte Old O’Flynn. „Sieht der unsere schöne weiße Spanier-Fahne nicht?“ „Dahinter steckt was anderes“, meinte Hasard. „Verdammt noch mal, wir haben es mit einem ganz Mißtrauischen zu tun. He, Dan!“ „Ich höre!“ „Signalisiere dem Kommandanten des Flaggschiffes da drüben, wir hätten unsere Nationalitätszeichen bereits gehißt - und außerdem heiße Don Diego de Almirante, der Kapitän dieses Schiffes, ihn herzlich willkommen.“ Er sprach jetzt ebenfalls spanisch - vorsichtshalber. „Diego de Almirante?“ wiederholte Shane gedämpft. „Wo hast du denn den Namen her?“ „Er ist mir eben eingefallen“, erwiderte der Seewolf. Dan tat, was Hasard ihm aufgetragen hatte, und in derselben Zeit gingen die spanischen Kriegssegler wieder über Stag, um einen neuen Kreuzschlag nach Norden zu fahren. Sie zogen dicht an der Walschule vorbei. Die Tiere verlagerten ihren Platz ein wenig näher zur „Isabella“ hin. Allmählich gerieten sie in eine Art Kessel zwischen den beiden so unterschiedlichen Verbänden. Dan war mit dem Signalisieren fertig. Hasard wartete auf die Antwort der Spanier. Er lief mit seiner „Isabella“ immer noch am Ostrand des Tangfeldes entlang, hatte also Parallelkurs zu den Gegnern. Plötzlich luvte drüben das Führungsschiff an. Hasard beobachtete es deutlich durch das Spektiv. Überlegend kaute er auf der Unterlippe. Was hatte der fremde Kommandant vor?
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„Sollten wir nicht doch lieber gefechtsklar machen?“ sagte der alte O’Flynn. „Das muß die Burschen noch argwöhnischer stimmen“, erwiderte Ben Brighton. „Wenn sie dichter heransegeln, sehen sie unsere schußbereiten Kanonen und wissen, was wir mit dem ,herzlichen Empfang’ in Wirklichkeit meinen.“ „Hölle und Teufel, das ist auch wieder wahr.“ Hasard sah als erster drüben bei dem Flaggschiff eine weiße Qualmwolke hochpuffen. „Deckung!“ rief er. „Los, hinlegen, verdammt noch mal!“ Erst jetzt erreichte der Geschützdonner ihre Ohren. Sie ließen sich auf die Decksplanken fallen, auf der „Isabella“ wie auf dem schwarzen Schiff. Die feindliche Kugel heulte heran, schlug seitlich versetzt in Bugnähe der „Isabella“ in den Riesenseetang und jagte eine baumhohe Fontäne in die Luft. Als sie wieder in sich zusammenfiel, richtete der Seewolf sich auf. „Der Don hat uns durchschaut!“ schrie er. „Wie, das weiß ich nicht, aber wir können ihn nicht hinters Licht führen. Schiff klar zum Gefecht, Ed, und dann vertauscht ihr die spanische Fahne mit unserer Flagge!“ 3. Keinem der Seewölfe war klar, wie die Spanier auf Anhieb die Maskierung aufgedeckt hatten, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Jetzt galt nur noch eins: schnell zu sein und dem Feind die Zähne zu zeigen, bevor er selbst entscheidende Vorteile erreichte. Wieder wechselten die Spanier ihren Kurs. Sie gingen über Stag und rückten dann halbwinds von Norden an. Die Wale waren durch den Geschützböller erschreckt worden. Sie schwammen verwirrt auf und ab und sprangen nicht mehr, sondern peitschten nur noch mit ihren mächtigen Schwanzflossen das Wasser. Sie nahmen vor den heranrauschenden Kriegsschiffen Reißaus und gerieten mehr und mehr in die Nähe der „Isabella“.
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Im Stakkato trappelten auf der „Isabella“ die nackten Fußsohlen über das Oberdeck. Rumpelnd rollten die schweren 17-Pfünder auf den Hartholzrädern ihrer Lafetten aus. Auf der. Back und dem Achterdeck wurden auch die Drehbassen geladen. Der Kutscher streute Sand auf den Planken aus, damit die Geschützführer einen sicheren Stand hatten. Bill, der Schiffsjunge, holte in Kübeln und Pützen Seewasser von außenbords herauf und stellte sie zum Befeuchten der Wischer bereit. Matt Davies holte die spanische Flagge aus dem Groß topp, und dann flog der „White Ensign“ mit dem Georgskreuz auf weißem Grund hoch. Hasard blickte zu dem spanischen Führungsschiff und murmelte: „Verdammt, ihr habt es gewollt. Kämpfen wir also. Bis zum Letzten, wenn es sein muß.“ Ein rascher Blick zum schwarzen Segler noch, und er wußte, daß auch Siri-Tong klar zum Gefecht war. Hasard nahm grimmig Aufstellung an der Querbalustrade des Achterdecks, dann tönten seine Befehle über Deck. Er ließ noch weiter anluven, so weit, wie es ging. Die „Isabella“ drehte sich mit dem Vorschiff fast ganz in den Wind. Ihre Segel drohten zu killen. In dieser riskanten Position präsentierte der Seewolf den Spaniern seine Steuerbordbatterie. „Wartet“, sagte er zu seinen Männern. „Wir wollen erst mal sehen, wie sie ihre Attacke zu führen gedenken, die feinen Dons.“ Darüber ließen die Gegner ihn nicht lange im Ungewissen. Ihr Kommandant ließ sein Schiff leicht abfallen und nahm Kurs nach Südosten. Der Kapitän auf dem zweiten Segler folgte seinem Beispiel. Beide zeigten Hasard nun ihre imposanten Steuerbordbreitseiten mit den insgesamt dreißig offenen, gähnenden Stückpforten, aus denen die Mündungen großkalibriger Geschütze drohend hervorlugten. Der spanische Kommandant übernahm die Offensive. Es bedurfte keiner Aktion des Seewolfes, allein die Flagge der englischen Flotte war Herausforderung genug. Das
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Führungsschiff der Spanier eröffnete das Gefecht mit einer vollen Breitseite. Weiße Kränze, von Feuerzungen durchstoßen, bildeten sich vor den Kanonenrohren, und der fünfzehnfache Donner wälzte sich todbringend auf die „Isabella“ zu. „Hinlegen!“ schrie der Seewolf wieder. Aber die Crew, Arwenack und Sir John mit einbezogen, befand sich bereits in voller Deckung. Platt auf die Planken hatten sie sich geworfen, in den Sand, den der Kutscher ausgestreut hatte, hinters Schanzkleid, neben die Geschütze, neben die flachen Bronzebecken, in denen die Holzkohlenfeuer zum Anzünden der Lunten glommen. Der Tod galoppierte auf seinem Streitroß heran. Hohnlachend hieb er mit fünfzehn Fäusten zu. Dumpfe Schläge im Wasser kündeten davon, daß einige Kugeln zu kurz angesetzt waren. Sie rasten vor der Bordwand der „Isabella“ in die Fluten und hatten dank der enormen Bremswirkung des Wassers nicht mehr die erforderliche Kraft und Zielgenauigkeit, um unterhalb der Wasserlinie Lecks in das Schiff reißen zu können. Andere Geschosse jedoch fetzten der „Isabella“ die Blinde unter dem Bugspriet kaputt, brannten ihr Löcher in die Fock und ins Großmarssegel. Sie rasten flach übers Oberdeck, rasierten eine Nagelbank weg und knacksten den Besanmast an. Gleichzeitig bauten sich an der Steuerbordseite der Galeone jene Wassertürme auf, die durch die zu kurz gefeuerten Kugeln gebildet worden waren. Das Naß sprühte gegen die „Isabella“ und benetzte die fluchenden Männer. Als die Fontänen in sich zusammenstürzten, spähte der Seewolf über die Handleiste des Schanzkleides. „Zu voreilig, Don Felipe“, stieß er zornig aus. „Zu hastig gezielt und geschossen – verletzt hast du keinen von uns.“ Plötzlich verharrte er wie erstarrt. Im Zentrum zwischen den beiden feindlichen Parteien zeichnete sich eine breite rote Spur im Wasser ab. Sie dehnte sich immer mehr aus und zog eine gewundene Bahn. Blut!
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Ein schwarzer Rücken hob sich für Sekunden über die Wasseroberfläche. Da war eine schwerfällige, wälzende Bewegung, Flossen zeigten sich für kurze Zeit, und Hasard glaubte einen tiefen, klagenden Laut aus den Tiefen zu vernehmen. „Mein Gott“, flüsterte er. Die Wale! Einer von ihnen war von einer Kugel des spanischen Schiffes verletzt worden. Er zog sich in die schützende Tiefe des Meeres zurück. Seine Artgenossen begleiteten ihn. Unter den roten Blutschleiern hob sich in den Fluten noch etwas Schemenhaftes ab, dann war auch dieser graue Spuk verschwunden. „Hasard“, stieß Ben Brighton hervor. „Allmächtiger – auf was warten wir noch?“ Dem Seewolf erschien es, als erwache er aus einer Trance. Er richtete sich auf. Plötzlich war sein Gesicht so hart wie gemeißelter Granit, er winkte seinem Profos knapp zu, und Carberry brüllte: „Feuer!“ Nur acht 17-Pfünder-Culverinen auf der Steuerbordseite hatten sie den Spaniern entgegenzusetzen. Aber dennoch hatten sie einen Vorteil auf ihrer Seite: die überlangen Rohre der Geschütze. Damit ließ sich besser zielen und wirkungsvoller auf Distanz schießen, als die Spanier es getan hatten. Unter der Wucht des Rückstoßes krängte die „Isabella“ nach Backbord. Fast gleichzeitig donnerten die Drehbassen los und entließen ihre massive Ladung. Der zweite Spanier schickte sich an, aufzurücken und ebenfalls seine Breitseite abzugeben, aber Hasard kam ihm zuvor. Das Gros der 17-Pfünder-Kugeln prasselte auf dieses zweite Schiff zu und hackte Löcher und tiefe Breschen in seine Bordwand. Zwei Kugeln erreichten noch das Führungsschiff. Hasard sah durch seinen Kieker, wie Splitter vom Heck hochwirbelten. Mittendrin segelte die eiserne Hecklaterne davon, die das erhabene Hinterteil des Seglers geziert hatte.
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Plötzlich war drüben der Teufel los. Die Spanier hatten sich zu sehr auf ihre überragende Armierung verlassen. Schön, sie hatten zwei Dreimast-Geleonen von je 600 Tonnen, Festungen zur See, gegen die sich sogar noch das schwarze Schiff mit seinen 500 Tonnen bescheiden ausnahm. Aber auch solche „dicken Johnnys“, wie Dan O’Flynn sie nannte, waren nicht unerschütterlich. „Anluven!“ schrie Hasard. „Wir gehen über Stag und nehmen südlichen Kurs!“ „Aye, aye, Sir“, röhrte Carberrys Organ zurück. Der zweite Don schoß, aber zu diesem Zeitpunkt bot die „Isabella“ ihm bereits ihr Heck und somit die geringste Angriffsfläche dar. Da nutzte es auch nichts, daß der Spanier wieder anluvte und seine Position zu verbessern trachtete. Er schoß aus allen Rohren der Steuerbordbatterie, aber nur eine Kugel schrammte hart über die Heckreling der „Isabella“ weg. Alle anderen stoben wirkungslos ins Wasser. Die Fontänen rahmten Hasards Schiff ein und ließen es in einen Gischtschleier tauchen. Hasard warf einen prüfenden Blick zu „Eiliger Drache über den Wassern“. SiriTong und ihre Männer waren nach wie vor von dem vertrackten Tang eingekeilt, aber sie warteten auf ihre Gelegenheit. Manövrierunfähig lagen sie mit ihrem Schiff vor dem Wind. Nur, wenn einer der Feinde ihnen vor die Kanonen geriet, konnten sie das Feuer eröffnen. Und genau dieses Ziel verfolgte Hasard. Er entfernte sich von dem Riesentangfeld und vollzog jetzt rund eine Drittel Meile nördlich seines Randes sein Manöver. Seine Männer arbeiteten hart und verbissen. Carberry fluchte wie der Leibhaftige höchstpersönlich, Sir John zeterte, und mit dieser Begleitung zog die „Isabella“ ihr Vorschiff durch den Westwind. Sie fiel weiter ab und lief schließlich mit halbem Wind nach Süden ab. Somit schaffte sie es, hart am westlichen Saum des Kelpfeldes vorbeizusegeln.
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Der spanische Kommandant auf der ersten Galeone war kein Dummkopf. Er hatte Hasards Vorhaben im Ansatz erkannt. Entsprechend richtete er jetzt seine Taktik aus. Er signalisierte seinem Begleiter. Die beiden Galeonen trennten sich. Die erste lief nach Süden ab, die zweite luvte ganz hart an und folgte dem Seewolf. Sie wollte es ihm gleichtun und in Luv an dem Viermaster der Roten Korsarin und dem treibenden Tang vorbeiziehen. Hasard grinste plötzlich. „Großartig“, sagte er. „Das Flaggschiff wird weiter südlich über Stag gehen und uns den Weg verbauen. Dann sitzen wir in der Zwickmühle, weil wir den anderen Burschen im Nacken haben.“ Ferris Tucker, der sich gerade um den Besanmast bemühte, rief zurück: „Ich verstehe nicht, wie du da lachen kannst. Noch haben wir nichts gewonnen - und wir haben alles zu verlieren.“ „Auf der zweiten Galeone sind die Leute verunsichert und nervös“, erwiderte Hasard. „Das müssen wir ausnutzen. Ich hoffe, Siri-Tong schaltet. He, Ferris, was ist mit unserem Besanmast?“ „Er hat einen Knacks weg. Aber wenn ich zusätzliche Haltetaue anschlage und am Schanzkleid belege, bricht er uns schon nicht weg.“ „Dann tu das!“ rief Hasard. „Später versuchen wir, ihn zu reparieren -wenn wir dann überhaupt noch die Gelegenheit dazu haben.“ Hart knüppelte er sein Schiff an dem Tangfeld vorbei. Er fragte sich dabei immer wieder, ob der Kapitän des zweiten spanischen Kriegsschiffes das auch schaffen würde. Für Minuten ruhte das Gefecht. Es war eine atemberaubende, knisternde Feuerstille, in der alle Beteiligten genau wußten, mit welcher Gewalt der Kampf jeden Augenblick wieder entbrennen konnte. Hasard fragte sich noch etwas. Die Wale sie waren mit ihrem verletzten Artgenossen verschwunden und ließen sich nicht mehr blicken. Die Angst und das Entsetzen
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mußten ihnen tief in die Knochen gefahren sein. Trotzdem wurde er die dumpfe Ahnung nicht los, die Buckelwale nicht zum letztenmal gesehen zu haben. * „Ganz ruhig, Männer“, sagte der BostonMann. Er kauerte hinter einem der großen Geschütze der Backbordseite und wartete. Er bemühte sich, so ruhig und regelmäßig wie möglich zu atmen. Das war keine einfache Sache, denn eine Art Fieber hatte die Männer der Roten Korsarin gepackt. Sie konnten es kaum erwarten, mit in den Kampf einzugreifen. Längst hätten sie es getan, wenn der Tang nicht gewesen wäre, der sie lahmlegte. Der verdammte Tang war das größte Verhängnis, das ihnen hatte widerfahren können, sie verfluchten ihn bis in die tiefsten Höllenschlünde. Die Rote Korsarin stand auf der Kuhl und blickte aus schmalen Augenschlitzen zu dem zweiten spanischen Dreimaster. „Wartet“, sagte sie immer wieder. „Werdet bloß nicht zappelig. Ihr zündet erst, wenn ich den Befehl dazu gebe. Wartet.“ Zwölf Geschütze unbestimmbaren Kalibers trug der schwarze Segler auf der Backbordseite, und weitere zwölf waren es auf der Steuerbordseite. Einstufen ließen sie sich ihrer Größe und der Bohrung der Rohre nach als 25-Pfünder. Allein diese schweren Geschütze machten das schwarze Schiff zu einer wehrhaften Bastion, aber damit nicht genug. Statt der Drehbassen, die die „Isabella“ führte, verfügte „Eiliger Drache über den Wassern“ über verankerte bronzene Gestelle im Vorund Achterkastell, die durch verschließbare Luken die sogenannten „Brandsätze“ abfeuern konnten. Diese Waffen, die im fernen China erdacht und hergestellt worden waren, schossen weiter und waren treffsicherer als alle herkömmlichen Kanonen. Der Spanier schob sich allmählich in das Schußfeld der Backbord-Kanonen. Er hatte seine Rahsegel so dicht wie möglich geholt
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und rauschte, auf Backbordbug liegend, mit Steuerbordhalsen beinahe im rechten Winkel auf das Tangfeld zu. „Haltet die Luft an“, raunte Juan. Er hockte gleich neben dem Boston-Mann. „Es wird ernst.“ „Mir juckt’s in den Fingern“, sagte Pedro Ortiz, der mit seinem portugiesischen Landsmann Diego Valeras ebenfalls zu den Geschützführern der Backbordbatterie gehörte. Auch die vier Wikinger Eike, Arne, Oleg und der Stör gehörten zu dieser Gruppe. Sie waren für die am weitesten nach achtern versetzten Kanonen zuständig. Thorfin Njal stand hinter ihnen. „Daß mir keiner zu früh feuert“, sagte er. „Durch unbedachtes Handeln können wir alles aufs Spiel setzen, verstanden, ihr Stinte?“ „Verstanden, ihr Stinte“, murmelte der Stör. Er hatte die einzigartige Angewohnheit, immer die letzten Worte seines Anführers nachzusprechen. „Ich hau dir was aufs Haupt, wenn du nicht das Maul hältst“, knurrte Thorfin Njal. „Weiter“, sagte Siri-Tong, ohne den Blick von dem spanischen Kriegssegler zu nehmen. „Los, noch näher heran, nur ein Stückchen noch, ja, so ist’s gut ...“ Vielleicht rechnete der Kapitän der Galeone nicht damit, daß auch dieses seltsame schwarze Schiff in das Gefecht eingriff. Vielleicht verschätzte er sich auch in der Reichweite der Geschütze. Jedenfalls glaubte er wohl, unbeschadet an dem Viermaster vorbeilaufen zu können. Wie sehr er sich getäuscht hatte! Er befand sich im Mittelbereich von SiriTongs zwölf Backbordgeschützen. Siri-Tong stand leicht vorgebeugt da, hielt die Fäuste in die Seiten gestemmt und sagte: „Feuer!“ Die Männer senkten die längst glimmenden Lunten auf die Zündlöcher der Kanonen. Knisternd fraß sich die Glut durch die Zündkanäle auf das trockene Zündkraut. Grollend spien die Geschütze ihre Ladungen aus, rumpelten zurück und rammten mit den Lafetten und Bodenstücken in die Brooktaue, die den Rückstoß aufhielten. Die Decksplanken
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vibrierten, die Männer grölten und ballten die Hände. Schwarze und graugelbe Schwaden Pulverrauch breiteten sich fett zwischen ihnen aus. Drüben krachte und knirschte es, drüben schrien viele Männer gleichzeitig auf. Der spanischen Galeone knickte es unter anderem den Bugspriet mit der Blinde und einen Teil des Fockmastes weg, aber das war bei weitem nicht alles. Das Schlimmste war auf dem Oberdeck angerichtet: Die Verwundeten wälzten sich neben den Toten. Männer krochen zum Schanzkleid, Männer warfen sich zu spät, viel zu spät in Deckung, und wer noch aufrecht gehen konnte, lief quer über das Deck zum Kapitän und seinen Offizieren, die sinnlose Befehle brüllten. Die Galeone fiel etwas ab, kam aber nur sehr träge herum. Das Gebrüll nahm nicht ab, der Kapitän drüben fand kaum noch jemanden, den er an die Geschütze der Steuerbordbatterie hetzen konnte. Gleichzeitig fing der Dreimaster an, nach Backbord zu krängen. „Hurra!“ schrie Juan. „Treffer auf der ganzen Linie - und ein Ding haben wir dem Hund auch unterhalb der Wasserlinie verpaßt!“ Wenig später feuerte der Spanier seine Geschützladungen auf die „Isabella“ ab. Sie rückte in seine Zielrichtung, während er abfiel und herumschwenkte. Er schoß blindlings auf den ersten Gegner, der sich seinen Rohren stellte. Der Seewolf ließ die Drehbassen des Achterdecks sprechen. Beide Kugeln saßen. Sie rafften zwei, drei Spanier vom Vordeck der Galeone und zerstörten die Kampfmoral beim Feind völlig. Siri-Tong war ins Achterkastell ihres Schiffes geeilt. Plötzlich flog mit einem Knall die Luke des einen Heckgeschützes auf. Der Spanier war inzwischen so weit am Rand des Tangfeldes entlanggefahren, daß sie ihn mit einem Brandsatz erreichen konnte. Siri-Tong fackelte nicht lange, sie zündete das Geschütz. Zischend fuhr die Rakete in den grauen Tag hinaus. Sie zuckte auf die
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Galeone zu, traf und fräste eine leuchtende Spur quer übers Oberdeck. Die spanische Galeone stand im Nu in hellen Flammen. Sie krängte, war weitgehend kampf- und manövrierunfähig - und dann lief sie auch noch in den Riesenseetang. 4. Hasard lachte wild auf, als seine Crew und die Siri-Tong-Piraten in Freudengebrüll ausbrachen. Das Johlen seiner Mannschaft gellte in seinen Ohren, und der Westwind konnte auch das Jubeln vom Viermaster nicht ganz forttragen. Der zweite Spanier war schachmatt gesetzt. Er hatte vier Beiboote, und die fierten die überlebenden jetzt in aller Eile ab. Das Feuer, das Siri-Tongs Brandsatz entfacht hatte, breitete sich weiter und weiter aus. Es griff nach den Masten und der Takelage, und es würde auch die Pulverkammern erreichen. Außerdem sank der Dreimaster -wegen seines Lecks unter der Wasserlinie. Auch der Kapitän konnte nichts Klügeres tun, als sein Heil in der Flucht zu suchen. Hasard glaubte, ganz in der Nähe des lodernden Kriegsschiffes plötzlich wieder einen der dunklen Gigantenrücken aus dem Wasser aufragen zu sehen. Aber er konnte sich dieser Beobachtung nicht länger widmen. Er mußte auf den ersten Spanier achten, wenn er nicht den Überblick verlieren wollte. Die „Isabella“ segelte mit unverändertem Kurs haarscharf am Westsaum des riesigen Tangfeldes entlang. Der Wind wollte sie in den schmatzenden Tang drücken, aber davor hatte der liebe Gott die seemännische Tüchtigkeit der Seewölfe gestellt. Sie brachten es fertig, ihr Schiff an dem tückischen Zeug vorbeizulavieren. Und das Führungsschiff des Gegners? Der Kommandant hatte den Tang passiert, lief ein Stück nach Süden ab und luvte nun mächtig an. Ja, er ging wieder über Stag, nahm Kurs nach Norden und hielt direkt auf die „Isabella“ zu.
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„Der hat Courage, das muß man ihm lassen“, sagte der Seewolf. „Er glaubt immer noch, es schaffen zu können. Hinzu kommt der Haß, den er auf uns hat. Al und Smoky, versucht, ihm den Bugspriet wegzuschießen, wenn er nahe genug heran ist!“ Den letzten Satz rief er zur Back hinüber. „Aye, aye, Sir!“ schrie Smoky zurück. Er und Al hantierten sofort an den vorderen Drehbassen. Sie justierten sie sorgfältig und schraubten sie in ihren Drehlafetten fest. Sie würden über die zerfetzte Blinde weg genau auf den Vorsteven des Gegners feuern. „Shane, Batuti!“ rief Hasard. „Los, in den Haupt- und Vormars mit euch, jetzt seid ihr dran!“ Kurze Zeit später böllerten als erstes die beiden Drehbassen los. Smoky und Al boxten sich gegenseitig an die Schultern, als dem Spanier tatsächlich der halbe Bugspriet wegknickte. Seine Blinde ging baden, riß ab und wurde fortgespült. Der spanische Kommandant ließ sein Schiff plötzlich abfallen, um das Feuer durch die Backbordbatterie erwidern zu können. Er tat es auch, aber in seine wütende Erwiderung fiel das Krachen und Donnern der Geschütze des Viermasters. Siri-Tong spielte die komplette Steuerbord-Breitseite aus, und anschließend schickte sie auch noch einen Brandsatz zu dem Spanier hinüber. Hasard dirigierte sein Schiff am Tangfeld vorbei, ließ ebenfalls abfallen und befand sich nun an der Südseite des Beetes. Er wartete darauf, seine SteuerbordCulverinen einsetzen zu können. Die feindlichen Kugeln rissen wieder Wasserfontänen hoch, teils vor der „Isabella“, teils mitten im Tang. Nur zwei oder drei Geschosse rasten bedenklich nahe über das Oberdeck. Eine trieb eine Scharte ins Steuerbordschanzkleid. Matt Davies lag genau darunter und kriegte einen Hagel von Splittern auf den Rücken. Er drückte sich so platt wie eine Flunder an Deck und schickte im stillen ein Gebet zum Himmel.
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Zischend flogen Shanes und Batutis Brandpfeile zu der spanischen Galeone hinüber. Der graubärtige Riese und der schwarze Goliath standen breitbeinig im Groß- und Vormars und sandten die Pfeile von ihren Bogensehnen. Plötzlich stand auch das Rigg des Führungsschiffes in Flammen. Der Kommandant schrie, daß es bis zur „Isabella“ und zum schwarzen Schiff tönte. Seine Männer hatten alle Hände voll zu tun, den Brand unter Kontrolle zu bringen und zu löschen. Die Galeone lag platt vor dem Wind und segelte am Riesentang entlang. Ihre Besatzung hatte weder Zeit noch Lust, den Kampf mit dem Feind neu aufzunehmen. Hasard folgte ihm, er wollte ihm auf den Fersen bleiben, sein Handeln kontrollieren, ihn schließlich ganz fortjagen. Während sie den Tang umrundeten, schaute der Seewolf auch wieder zu der zweiten spanischen Galeone hinüber. Sie stand in hellen Flammen, es gab keine Rettung mehr für sie. Es war ein Sonderfall, daß sie über vier Beiboote verfügte, gewöhnlich hatte jedes Segelschiff nur zwei. Die Boote - Jollen waren nicht besonders groß, aber sie boten den Männern, die sie zu Wasser gelassen hat- ten und jetzt in aller Eile abenterten und lospullten, genügend Platz. „Sie türmen wie die Ratten“, sagte Ferris Tucker zu seinem Kapitän. „Was unternehmen wir? Lassen wir sie laufen?“ „Ja. Es sei denn, das Flaggschiff greift uns wieder an. Dann kämpfen wir bis zum Letzten, und wenn die Überlebenden der zweiten Galeone zwischen die Fronten geraten, kann ich keine Rücksicht auf sie nehmen“, entgegnete Hasard. „Ich glaube, die haben die Nase voll“, meinte Ferris. „Wie ist es um die ‚Isabella’ bestellt, Ferris?“ „Sie ist ramponiert, aber noch voll seetüchtig und manövrierfähig.“ „Gut.“ Ben Brighton sagte: „Eins ist mir immer noch nicht klar. Wie konnten die Dons so sicher sein, daß wir keine Landsmänner
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von ihnen sind? Ob der Anblick des schwarzen Seglers sie stutzig gemacht hat?“ „Das glaube ich nicht“, erwiderte der Seewolf. „Wie schon gesagt: Ich bin der Meinung, es steckt noch mehr dahinter als der bloße Argwohn der Spanier. Ich hoffe, wir kriegen es noch heraus.“ Er drehte sich um, sah auf die Kuhl hinunter und kriegte zu sehen, wie der Kutscher Matt Davies ein paar Holzsplitter aus dem Rücken und dem verlängerten Rücken puhlte. „O verdammt!“ rief Matt. „Himmel, Arsch und Zwirn!“ „Das magst du wohl sagen“, entgegnete der Kutscher, Koch und Feldscher an Bord der „Isabella“. Er entfernte soeben mit viel Geschick einen besonders großen Span aus dem von Matt zitierten Körperteil. Die ihm angeborene Würde verlor er dabei nicht. Nur Matt wetterte Zeter und Mordio. Carberry baute sich vor ihm auf. Er stand mit abgespreizten Beinen, balancierte die Schiffsbewegungen aus und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Was soll das Geflenne, Mister Davies? Bist du unter die Waschweiber gegangen?“ „Ich -nein, zum Teufel.“ „Was schreist du dann?“ „Es tut so weh, Kreuzverdammich ...“ „Wenn du nicht die Luke hältst, kannst du gleich im Kabelgatt jammern“, knurrte der Profos. Matt verstummte, und Carberry wandte sich der Back zu. „He, Smoky, alles in Ordnung da oben? Keine Verletzten?“ „Keine. Und bei dir?“ „Außer Matt Davies hat keiner was abgekriegt.“ Sir John kletterte endlich wieder aus Carberrys Tasche hervor, hüpfte auf dessen Schulter und krächzte: „Himmelarschverdammtundsatanselement nochmal.“ „Da, seht doch“, sagte Ben Brighton plötzlich. Er stand an der lädierten Heckreling und wies über den Tang weg zu dem lodernden Dreimaster der Spanier. Eines der Beiboote war im Riesentang steckengeblieben. Jetzt bewahrheitete sich,
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was schon der Seewolf über den Tang gesagt hatte: er vermochte Boote in die Tiefe zu zerren. Die Jolle war schon halb untergegangen. Die Spanier schrien um Hilfe. Wären ihre Kameraden nicht auf sie losgepullt, dann hätten diese Männer ein schreckliches Ende gefunden. „Teufelszeug, dieser Tang“, sagte Old O’Flynn. „Wie soll sich Siri-Tong bloß daraus befreien?“ „Das wird sich finden“, erwiderte Hasard. „Soweit sind wir noch nicht.“ Er sprach nicht weiter, nahm nur plötzlich seinen Kieker zur Hand und zog ihn auseinander. Im zuckenden Lichtschein, den die Feuersbrunst der zweiten Galeone auf die Wasserfläche warf, glaubte er wieder etwas gesehen zu haben — einen riesigen schwarzen Rücken. Als er durch die Optik blickte, hielt er unwillkürlich den Atem an. Zu dem einen Rücken hatte sich ein zweiter gesellt, und beide steuerten aus nördlicher Richtung genau auf das brennende spanische Schiff zu. Die drei Beiboote der Galeone hatten sich inzwischen ein Stück in Richtung Küste abgesetzt und änderten nun ihren Kurs. Die Männer auf ihren Duchten pullten nach Nordosten. Sie wollten um jeden Preis der drohenden Explosion entgehen, wollten sich aber auch außer Reich-weiter der feindlichen Geschütze mit ihrem Führungsschiff treffen. „Die Wale“, sagte Hasard. „Seht ihr sie? Dan!“ „Was ist?“ rief der junge Mann aus dem Großmars. „Die Buckelwale — verdammt, träume ich denn?“ „Nein, ich sehe sie auch! Es sind zwei, und ich glaube, der Große ist auch dabei — der Leitbulle der Schule!“ „Himmel“, stieß Hasard hervor. „Sie schwimmen genau in ihr Verderben und ahnen es nicht.“ „Was haben die Viecher da auch zu suchen?“ sagte der alte O’Flynn. „Sie sollen sich doch von den Menschen fernhalten.“
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„Sie suchen Vergeltung.“ „Was sagst du da, Hasard?“ „Sie wollen ihren angeschossenen Artgenossen rächen. Vielleicht hat es ein Muttertier getroffen, vielleicht sogar ein Kalb. Kann sein, daß es inzwischen gestorben ist — und jetzt greifen die Männchen die Spanier an.“ Der wackere alte Donegal Daniel O’Flynn blickte den Seewolf an, als spräche dieser im Fieber. „Sag mal, hör ich richtig? Ist dir nicht gut?“ „Laß nur“, sagte Hasard. „Du wirst schon sehen, was sich aus diesem Zwischenfall noch ergibt.“ Plötzlich bäumte sich die Galeone im Tang auf. Ein Lichtblitz schoß aus ihrem Inneren und stob unter heftiger Rauchentwicklung himmelan. Das Grollen und Wummern der Explosion rollte heran, die Druckwelle brachte die anderen drei Schiffe leicht ins Schlingern. Eine fette schwarze Rauchwolke stand über dem Ort des Unglücks. Trümmerteile wirbelten bis zu den flüchtenden Spaniern in den Beibooten. Sie pullten um ihr Leben und schafften es, sich aus der Gefahrenzone zu bringen. Das, was von der Galeone noch übriggeblieben war, sank und riß den Tang schlürfend mit sich in die Tiefe. Hasard spähte wieder durch das Spektiv. Und auch diesmal sah er eine breite Blutspur im Wasser. Gleich darauf schob sich etwas Weißliches an die Wasseroberfläche - der Bauch eines zu Tode verwundeten Wales. Die langen Brustflossen ragten aus den Fluten auf und schlugen verzweifelt. Hasard stellte fest, daß es sich um den kleineren der beiden Buckelwale handelte. Er glaubte, auch dieses Mal einen langgezogenen, urweltlichen Schrei zu vernehmen. Etwas rieselte ihm kalt über den Rücken. „Ich hab’s ja gewußt“, sagte er. „Verdammt noch mal, ich möchte jetzt nicht in der Haut der Spanier stecken.“ *
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Siri-Tong schaute zu den drei spanischen Booten, die wie verrückt auf den durch die Explosion erzeugten Wellen tanzten, aber nicht kenterten. Der Druck, der bei der Detonation der Pulverkammer sowohl über als auch unter Wasser entstanden war, hatte den einen Buckelwal erwischt, der sich zu weit herangewagt hatte. Die Rote Korsarin sah sein Blut, sah seinen weißen Bauch aufragen, und er tat ihr leid. Aber sie registrierte auch noch etwas anderes. Die Überreste der Galeone zogen im Sinken den Tang mit in die Tiefe, und plötzlich bewegte sich auch „Eiliger Drache über den Wassern“. Gegen den Wind! „Der Tang schleift uns auf die Explosionsstelle zu!“ rief Siri-Tong. „Wir müssen uns endlich von ihm losreißen! Juan, Boston-Mann - an die Geschütze im Achterkastell! Jetzt zwei Brandsätze in das elende Zeug, vielleicht können wir es damit doch zerteilen.“ „Ja, Madame“, erwiderte Juan. Aber Thorfin Njal hatte einen anderen Vorschlag. Er hielt plötzlich zwei gedrungene Flaschen in den mächtigen Händen. „Siri-Tong, diese Granaten hier haben wir nach den Anweisungen von Ferris Tucker hergestellt. Ich denke, wir sollten sie ausprobieren, ehe wir die Brandsätze verwenden. Die erlöschen im Wasser ja doch sofort.“ „Diese Flaschen nicht?“ fragte sie verwundert. „Nein.“ „Das glaube ich nicht.“ „Warte ab.“ Thorfin Njal trat ganz nach achtern ans Schanzkleid des schwarzen Schiffes. Er ließ sich neben einem Kohlebecken nieder, das der Stör angeschleppt hatte, stieß die Luntenenden in die Glut, richtete sich wieder auf und wartete kaltblütig, bis die Zündschnüre auf mehr als die Hälfte heruntergebrannt waren. „Wahnsinn“, sagte Siri-Tong. „Ich weiß ja, daß Hasards rothaariger Zimmermann gern experimentiert und mit seinen Flaschenbomben Aufsehen erregt hat, aber
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du solltest die Finger davon lassen, Thorfin.“ „Ho!“ rief der Koloß lachend. „Es ist viel Pulver in den Flaschen drin -und wenig gehacktes Blei. Siehst du, wie sich die Glut durch die Korken frißt? Sie wird auch im Flascheninneren weiterwandern.“ „Wikinger!“ schrie die Rote Korsarin. „Willst du uns alle in die Luft jagen?“ „Nein, das hab ich nicht vor“, sagte der Nordmann und grinste. Er schleuderte die Flaschen weg. Sie segelten im Bogen außenbords, klatschten auf den Tang und verschwanden mit leisem Gluckern im Wasser zwischen den aalgleichen Strängen des Riesentanges. „Feierabend“, sagte Juan. „Das Luntenfeuer ist natürlich erstickt.“ „Irrtum”, erwiderte Arne. „Gleich geht’s los!“ rief Oleg. Der Tang stob plötzlich hoch. Gleichzeitig war ein Grollen im Wasser, als gebe es ein Seebeben. Die grünen Stränge wirbelten beinahe bis zur Höhe der Masttoppen hoch und fielen wieder zurück ins Wasser. Einige klatschten auf das Achterdeck des schwarzen Schiffes. Thorfin Njal schob sich seinen Kupferhelm tiefer in die Stirn, lachte und rief: „Los, mehr Flaschen her! Arne, Eike — nun lauft schon, ihr gepökelten Heringe! Bei Odin, ist das ein Fest!“ Ein Ruck lief durch das Schiff. Siri-Tong stürzte an die Heckreling, beugte sich nach außen und sah, daß eine Bresche in dem Tangteppich klaffte. „Wir sind frei!“ schrie sie. „Thorfin, du Teufelskerl! Juan, Boston-Mann, laßt Vollzeug setzen!“ Sekunden später blähten sich die schwarzen Segel vor dem Westwind und drückten das Schiff vor sich her. Große Tangfladen umlagerten noch den Rumpf, aber nach und nach lösten sie sich und trieben davon. Die letzte Masse hielt sich vor dem Bug des Viermasters, aber Eike und Arne bewaffneten sich mit Piken, liefen nach vorn auf die Galionsplattform und stachen auf das Zeug ein, bis es zu den Seiten wegschwappte.
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„Wenn wir die Granaten doch schon eher gebastelt hätten“, sagte Thorfin Njal zu seinen Landsleuten Oleg und Stör. „Aber mir ist das erst während des Gefechts eingefallen. He, die restlichen Flaschen brauchen wir nicht mehr. Stör, du kannst sie wieder wegtragen. Heb sie gut auf, verstanden? Wahrscheinlich können wir sie demnächst wieder gut gebrauchen.“ Das schwarze Schiff segelte fast auf einer Höhe mit der „Isabella“. Beide Schiffe bildeten jetzt eine drohende Einheit, die sich auf den angeschlagenen ersten Spanier zuschob und ihm den letzten Funken Mut raubte. „Der Don signalisiert uns mit Fahnen!“ rief Mike Kaibuk, der gerade als Ausguck im Hauptmars des schwarzen Schiffes hockte. „Madame er kapituliert!“ „Ausgezeichnet“, sagte die Rote Korsarin. „Was anderes bleibt ihm auch nicht übrig.“ „Entern wir?“ fragte Juan. Sie schüttelte den Kopf. „Bei dem gibt es nichts zu holen, das ist ein Kriegssegler ohne Ladung. Nein, wir lassen ihn ziehen.“ Die spanische Galeone luvte nach Backbord an und nahm Kurs auf Norden. Sie steuerte jetzt hart am Wind im spitzen Winkel auf die drei Rettungsboote der gesunkenen Galeone zu, um die Überlebenden übernehmen zu können. Cookie war einer der wenigen, die am Backbordschanzkleid der Kuhl standen und nicht zu dem spanischen Flaggschiff und der „Isabella“, sondern zu den Jollen schauten. Plötzlich hob er seinen kurzen Arm und rief: „Da! Seht doch! Was in aller Welt ist das? Das — das geht doch nicht mit rechten Dingen zu!“ 5. Eins der drei Boote erzitterte unversehens. Seine Insassen schrien auf. Einer ließ den Riemen los, er rutschte aus der Dolle und dümpelte im Wasser davon. Ein anderer kippte bei dem Stoß vornüber und geriet mit seinem Vordermann ins Gehege. „Al diablo!“ schrie ein dritter. „Was, zum Teufel, geht hier vor?“
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Weiter gelangte er nicht, denn dicht vor. dem Bug schob sich etwas Grauschwarzes, Großes aus dem Wasser. Im ersten Augenblick mutete es wie ein blank und rund gewetzter Felsen an, aber dann entpuppte es sich als das, was es wirklich war. Der Wal! Er stieß hoch, wälzte sich halb im Wasser, halb außerhalb in einer Vorwärtsdrehung und riß zum Schluß seine gewaltige Schwanzflosse hoch. Wie eine gigantische Fliegenklappe hieb sie auf die See. Es knallte, Wasser spritzte nach allen Seiten, die Boote schaukelten wie Nußschalen. Das kolossale Tier verschwand wieder. „Santa Maria“, stammelte ein Mann des ersten Bootes. „Er hat uns gerammt, und jetzt taucht er, um zu einem neuen, schlimmeren Stoß auszuholen. Heilige Mutter Gottes, bewahre uns davor.“ „Dios“, stieß der, der den Riemen verloren hatte, immer wieder hervor. „O Gott, allmächtiger Gott.“ „Pullt!“ schrie ein auf der Achterducht sitzender Offizier. „Legt euch ins Zeug, wir müssen das Flaggschiff erreichen!“ Und sie pullten - so schnell, wie sie es noch nie in ihrem Leben getan hatten. Im zweiten Boot saß der Kapitän. Auch er feuerte seine Männer durch Befehle und Flüche an, und in der dritten, letzten Jolle brüllte ein -am Arm verletzter Steuermann: „Ich lasse jeden auspeitschen, der nicht sein Letztes gibt!“ Sie konnten sich nicht erklären, was geschah, aber sie hatten die Gefahr in ihrem vollen Ausmaß erkannt. Das Führungsschiff drehte bei, um sie an Bord zu nehmen. Die Distanz war nicht mehr groß, nur noch etwa eine Kabellänge trennte die Boote von der Galeone. Aber niemals würde der Kommandant imstande sein, seinen Landsleuten und Kampfgefährten zu helfen. „Er kommt“, sagte ein Mann in der ersten Jolle. „Ich spüre, daß er kommt, Madre di Dios, ich fühle es.“ „Sei still!“ fuhr ihn der Offizier an. „Halt deinen Mund, ich befehle es dir!“
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Die anderen bekreuzigten sich. Einen Augenblick später klammerten sie sich an den Duchten und am Dollbord fest, denn die See unter ihnen blähte sich von neuem auf. Und dann erfolgte der Rammstoß! Er traf sie dieses Mal mit voller Wucht. Das Boot wurde hochgehoben und aus dem Wasser katapultiert. Die Spanier schrien in Todesangst. Sie wirbelten aus der Jolle, landeten in den Fluten, und zwei von ihnen traf das Dollbord des Bootes ins Kreuz, als es wieder in seinem Element landete. Es hatte sich in der Luft gedreht und lag jetzt kieloben. Die beiden getroffenen Männer regten sich nicht mehr. Langsam gingen sie unter. Die übrigen schwammen keuchend auf die zwei Boote zu, die ihnen jetzt noch geblieben waren. Hinter ihnen schob sich die Schwanzfluke des Buckelwals aus dem Wasser. Noch einmal hieb sie zu, prallte platt auf die Meeresoberfläche - und fand ein neues Opfer. Brüllend versank der Mann. Mit leisem Rauschen zog sich die riesige Flosse in die Tiefe zurück. Keiner glaubte daran, daß der Mörderwal jetzt von den Schiffbrüchigen abließ - auch nicht der Kommandant des Flaggschiffes. Er hatte die Backbordgeschütze auf das zornige Tier richten lassen. Aber erstens war der Wal ein zu bewegliches Ziel, um einen sicheren Schuß anbringen zu können. Und zweitens riskierte der Kommandant, die Überlebenden der zweiten Galeone umzubringen, wenn er einfach losfeuerte. * Hasard hatte seinen Entschluß gefaßt. Er hatte die „Isabella“ anluven lassen, drehte sie jetzt fast ganz in den Wind und nahm so Fahrt aus dem Schiff. „Segel aufgeien!“ ordnete er an. „Ben, wir fieren ein Boot ab. Dalli, dalli, wir dürfen keine Zeit verlieren. Shane, Batuti - ihr entert mit mir ab. Nehmt Pfeil und Bogen mit. Ferris, du kommst auch mit. Vergiß deine Flaschengranaten nicht. Al, dich
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brauche ich als Scharfschützen mit der Muskete.“ „Was hast du vor?“ fragte Old O’Flynn verdutzt. „Willst du dich da einmischen? Was geht uns das an?“ „Ich habe nichts gegen den Wal, aber jetzt geht er zu weit“, antwortete der Seewolf. „Himmel“, stöhnte Dans Vater. „Du tust ja wirklich so, als sei dieser idiotische Wal ein Mensch.“ „Oder etwas Vergleichbares“, sagte Hasard ruhig. „Ben, wie weit seid ihr mit dem Boot?“ „Abgefiert. Ihr könnt an der Jakobsleiter abentern.“ „Dan!“ schrie Hasard zum Großmars hinauf. „Gib Siri-Tong zu verstehen, sie soll achtern an uns vorbeilaufen und dann allmählich stoppen. Sie soll zusehen, daß sie uns im Boot nicht in die Quere gerät!“ „Aye, aye, Sir!“ „Sir!“ rief Carberry. „Ich melde mich freiwillig. Ich bitte, an dem Unternehmen teilnehmen zu dürfen.“ „Ich auch“, sagte Matt Davies. Nach ihm reckten auch die übrigen Mitglieder der Crew die Arme. Gary Andrews drängte sich vor, Blacky hob die Hand, Smoky ebenfalls, die anderen redeten aufgeregt durcheinander. Hasard eilte auf die Kuhl hinunter, kletterte aufs Steuerbordschanzkleid und rief dabei: „Also schön, Ed, dich nehme ich mit, sonst aber keinen. Schnapp dir eine Pike und eine Blunderbüchse.“ Sekunden darauf pullten sie mit dem Beiboot von der Bordwand der „Isabella“ los. Die Distanz, die sie von den schwimmenden Spaniern und der Führungsgaleone trennte, war nicht sonderlich groß. Höchstens eine Kabellänge betrug sie. „Ich rechne mir Chancen aus, den Wal ablenken zu können“, sagte der Seewolf. „Schiffe wagt er nicht anzugreifen, wohl aber Boote, das haben wir ja gesehen. Es ist der riesige Bursche, der sich an der Spitze der Schule befand.“ „Ich begreife nicht, wieso wir den Dons helfen“, entgegnete Big Old Shane. „Du bist der Kapitän, Hasard, und wir folgen
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dir durch dick und dünn. Aber eigentlich sollten die verfluchten Philipps zusehen, wie sie klarkommen.“ „Sie haben kapituliert. Und sie sind praktisch wehrlos gegen den Wal.“ Hasard richtete sich von der Heckducht des Bootes auf und blickte angestrengt voraus. „Die Schiffbrüchigen haben es fast geschafft. Die beiden letzten Boote haben die Schwimmer aufgenommen, und jetzt pullen alle zusammen wie verrückt.“ „Vielleicht hat der Wal sich bereits zurückgezogen“, sagte Ed Carberry. Hasard schaute kurz zu ihm. „Kaum. Er ist wütend und will die Herde schützen. Natürlich haben die Spanier nicht absichtlich in die Schule gefeuert, und auch das Ergebnis der Explosion konnten sie nicht voraussehen.“ „Ich begreife dich nicht ganz“, erwiderte Ferris Tucker. „Aber ich kapiere es schon noch.“ „Pullen“, sagte Carberry barsch. „Pullen und nicht labern.“ Der Tang hatte sich weitgehend verzogen und stellte keine Gefahr mehr dar. Nur ein paar Streifen schlugen noch gegen das Boot der „Isabella“, als die Seewölfe sich fast auf der Höhe der Explosionsstelle befanden. Hasard sah auf den Kadaver des Wales, der mit dem Bauch nach oben zwischen den Schiffstrümmern trieb. Er hatte das unbestimmte Gefühl, der Artgenosse würde gleich wieder erscheinen, hier, neben dem toten Tier, und dann zu den Spaniern zurückkehren und erneut zuschlagen. Merkwürdig, er glaubte, sich in die Gedankenwelt des Buckelwales versetzen zu können. Der Gigant betrauerte seinen verendeten Gefährten, er schwamm immer wieder zu ihm zurück, sah nach, ob auch wirklich kein Leben mehr in ihm steckte, und speicherte neuen Haß gegen die zweibeinigen Störenfriede. Sie hatten ihm und den Seinen das Grauen gebracht. Er wollte sie töten, alle Menschen vertreiben, jedes Boot angreifen, das ihm über den Weg lief.
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So leicht half Hasard keinem Spanier aus der Patsche. Immerhin hatte er ihnen schon seit langem seinen ganz privaten Krieg erklärt, der allmählich nun zu einer Angelegenheit von politischer Bedeutung wurde. Aber deswegen war er noch lange kein blinder Fanatiker, der um jeden Preis das vollkommene Massaker forderte und das Blut des Erzfeindes fließen sehen wollte. Kämpfen — aber nur, wenn auch der Gegner eine reelle Chance hatte. Ein Korsar unterschied sich durch seine edelmütige und faire Haltung von den meisten anderen Freibeutern, zum Beispiel auch von gewissen Typen an Bord des schwarzen Schiffes, die das noch nicht begriffen hatten. „Da!“ sagte Carberry jäh. „Da ist er!“ Tatsächlich, mit beinahe sanftem Rauschen glitt der riesige Buckelwal an seinem ausblutenden Artgenossen vorbei. Er schob sich vor Hasards Boot dahin und schien die heranpullenden Seewölfe noch nicht bemerkt zu haben. Ein Laut drang aus der Tiefe herauf, Ausdruck unsagbaren Leids. Hasard spürte wieder den eisigen Schauer auf seinem Rücken. Was war das? Hatten diese Tiere etwas Ähnliches wie eine Sprache? „Es stimmt, er hält wieder auf die Schiffbrüchigen zu“, stellte Al Conroy fest. „Gleich taucht er unter, und dann ist er bei ihnen, ehe sie mit den Booten die Galeone erreichen. Er ist verdammt schnell.“ „Al.“ Hasard stand aufrecht, die Ruderpinne hatte er zwischen den Beinen. „Du gibst einen Schuß auf ihn ab. Über seinen Rücken weg, verstanden? Beeil dich.“ „Ja, Sir.“ Al Conroy legte sofort mit der Muskete auf das vor ihnen schwimmende Tier an. Er zielte sorgfältig und drückte ab. Das Steinschloß versprühte Funken, donnernd brach der Schuß. Haarscharf strich die Bleikugel über die Speckschwarte des Kolosses weg. Das Rauschen, das seine Bewegung begleitete, ebbte plötzlich ab. Langsam versank der schwarze Rücken in den Fluten. Etwa achthundert Zentner
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Lebendgewicht schwammen völlig lautlos unter der Meeresoberfläche und gingen auf Tiefe. „Hat er das nun gemerkt oder nicht?“ fragte Big Old Shane. „Wal sagt gleich Bescheid“, meinte Batuti. Es klang komisch, wie er das in seinem holprigen Englisch ausdrückte, aber keiner konnte in diesem Augenblick darüber lachen. Hasard setzte sich wieder auf die Heckducht. Totenstille lastete mit einem Mal über dem Boot. Er sah seine Männer an, stumm, abwartend, auf alles gefaßt. Sie fixierten ihn. Nur Batutis Augen glitten in ihren Höhlen hin und her und suchten die Konturen des unheimlichen Riesen im Wasser. Das Boot schwankte ein wenig. Kaum merklich. Hasard legte die Hände aufs Dollbord. „Festhalten. Er stößt von unten hoch.“ Das Tanzen des Bootes nahm noch ein bißchen zu, und dann erfolgte der Stoß. Er fuhr durch den kleinen Bootsrumpf, ließ ihn knacken und setzte sich durch die Leiber der Männer fort. Al Conroy hatte die Muskete weggelegt, er klammerte sich wie die anderen mit beiden Händen fest. Hasard konnte von Glück sagen, daß er sich wieder auf die Ducht gehockt hatte. Andernfalls wäre er jetzt außenbords geschleudert worden. Das Boot taumelte und schlingerte wie wildgeworden. Von der „Isabella“ und dem schwarzen Segler tönten aufgeregte Rufe herüber. Auch die Spanier mußten auf Hasards tollkühnes Unternehmen aufmerksam geworden sein. Aber ob sie herüberspähten – die sechs Männer im Boot vergeudeten keinen Gedanken daran und hatten auch keine Gelegenheit, zu der spanischen Galeone zu schauen. Der Walleib schabte am Bootsrumpf, hart, schartig, wie ein Reibeisen. „Er rollt sich unter uns ab!“ schrie Hasard. „Paßt auf, Männer! Haltet euch bereit!“ Wie durch ein Wunder schlug das Boot nicht quer. Während die Seewölfe sich noch mit aller Macht festklammerten, nahm das Scharren und Rumpeln unter
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ihnen plötzlich ab. Etwas laschte riesig und dunkel an Backbord neben ihnen hoch. Es war die Schwanzfluke des Wales. Sie richtete sich steil auf und holte aus, um das Boot zu zerschmettern. „Ed!“ rief Hasard. „Die Pike!“ Der Profos reagierte gedankenschnell. Er warf ihm den Spieß so zu, daß Hasard ihn bequem auffangen konnte. Hasard packte zu, drehte die Pike und schleuderte sie in die enorme Flosse des Wales. Er traf. Die Waffe wippte auf und ab, die Fluke schien zu verharren. „Shane!“ Hasards Ruf aktivierte den graubärtigen Riesen. Rasch legte er einen Pfeil an die Bogensehne, spannte und schoß. Der Pfeil fuhr neben der Pike in die Flosse. Die anderen Männer pullten, so schnell sie konnten und brachten das Boot aus der Reichweite der mörderischen Gigantenwaffe. Hasard hatte die Ruderpinne wieder gepackt und drückte sie jetzt herum. Das Boot beschrieb eine Schleife. Und immer noch ragte die düstere Flosse aus den Fluten hoch. Sie zuckte ein paarmal unwillig, dann hieb sie zu, schwang aufs Wasser nieder und schleuderte die Pike von sich. Der Pfeil blieb jedoch stecken. Er verschwand mit dem Spuk unter Wasser. Dann war wieder völlige Stille, kein Mensch vermochte den Wal zu hören, geschweige denn zu sehen, wohin er sich wandte. „Schneller“, sagte Hasard. „Verdammt, jetzt geht’s um unsere Haut.“ Sie legten sich in die Riemen, daß ihnen der Schweiß auf die Gesichter trat. Die Wende war vollendet. Hasard steuerte jetzt genau auf die „Isabella“ zu. Das schwarze Schiff konnte er nicht sehen, es befand sich für ihn im toten Blickwinkel hinter seiner Galeone. Er schaute kurz zurück zu den Spaniern. Sie hatten sich alle an Bord ihrer Führungsgaleone begeben, hievten die Beiboote auf und trafen Anstalten, sich davonzustehlen. Kaum hatten die Boote das Wasser verlassen, ließ der Kommandant auch schon wieder die Segel
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setzen und Kurs nach Nordosten nehmen. Fort, nur fort von der Stätte des Schreckens. „Der Zweck der Übung ist erreicht“, sagte Hasard kaltblütig. „Jetzt brauchen wir bloß noch auf unsere gute alte Lady Isabella zu jumpen, und der Wal kann uns mal.“ „Wäre blöd, sich für die Dons zu opfern“, erwiderte Ferris Tucker. „Nie im Leben bauen die uns ein Denkmal.“ Er wollte noch etwas hinzufügen, wurde aber durch den gewaltigen Ruck unterbrochen, der jählings wieder durch das Boot lief. Carberry fluchte los. Sir John, der bis dahin friedlich unter seiner Jacke geschlummert hatte, erschien jetzt, schimpfte und flatterte entsetzt auf. Erst jetzt schien ihm bewußt zu werden, daß auch sein Papageiendasein mit auf dem Spiel stand. „Weiterpullen, nicht aussetzen“, sagte Hasard. Er war blaß um die Nasenspitze geworden. „Wenn er uns aus dem Kahn wirft, schwimmen wir, kapiert? Los, es ist nicht mehr weit zur ,Isabella’. Laßt euch bloß nicht einfallen,. jetzt schlappzumachen!“ Wieder schleifte und raspelte es unter dem Rumpf. Die Haut des Wales war wie Sandpapier, sie ritzte die Planken auf. Plötzlich drang Wasser ein. Sprudelnd füllte sich der Bootsraum unter den Duchten. Im Nu hockten die Männer bis zu den Stiefelschäften im Naß. „Batuti!“ rief Hasard. Der Gambia-Neger beugte sich so weit übers Dollbord, daß er kaum noch die Balance halten konnte und jagte einen seiner langen Pfeile in die Speckschicht des Mörderwales. Zuerst sah es so aus, als wollte der graue Gigant überhaupt nicht reagieren. Spürte er den Pfeil nicht? „Pullen!“ schrie der Profos. „Keine Maulaffen feilhalten, ihr Satansbraten, sonst saufen wir ab. O Hölle und Teufel, euch hat doch der Esel im Galopp verloren!“ So ging das weiter, obwohl Shane, Batuti, Ferris und Al Conroy bereits ihr Äußerstes gaben und nicht schneller pullen konnten.
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Aber Carberry mußte sich irgendwie Luft verschaffen. Anders konnte er das Ungeheuerliche, das hier seinen Lauf nahm, nicht verkraften. „Er läßt von uns ab“, sagte Hasard. Tatsächlich - der Buckelwal zog sich wieder tiefer in sein Element zurück, diesmal, ohne die imposante Schwanzflosse zu zeigen. Und der Abstand zur „Isabella“ schrumpfte zusehends. „Wir schaffen es“, sagte der Seewolf. „Hierher!“ brüllten die Männer der „Isabella“ im Chor. „Los, wir helfen euch!“ Sie hatten Musketen, Arkebusen und Tromblons in den Fäusten, aber damit konnten sie nichts ausrichten. Sie riskierten es, die eigenen Kameraden und ihren Kapitän zu verletzen. Eine zweite Jakobsleiter baumelte an der Bordwand des Schiffes. Ben Brighton war daran abgeentert und hielt eine Wurfleine bereit, um den Männern im Boot Unterstützung zu leisten. Das Boot füllte sich mehr und mehr mit Wasser. Es verlor an Fahrt. „Er kommt wieder!“ schrie Al Conroy plötzlich. „Ed“, sagte Hasard. Carberry ließ den Riemen los, schwang hoch und klaubte dabei die Blunderbüchse mit der trichterförmigen Mündung auf. „Aye, aye!“ brüllte er. „Über den Hund hinweg – oder direkt auf ihn, Sir?“ Hasard hatte keine Wahl. Im Extremfall mußte er auch zu extremen Mitteln greifen. „Ziel auf ihn, Ed!“ „Ducken, Sir!“ Hasard glitt von der Heckducht, bückte sich und kauerte im gurgelnden Wasser. Der Profos stieg über die vorletzte Ducht, legte an, kniff ein Auge zu, stieß einen Fluch aus und krümmte den Zeigefinger um den Abzug. Blaffend spuckte die Blunderbüchse ihre Ladung aus. Gehacktes Blei – es stob in die mächtige Speckschwarte des Gegners, der diesmal von achtern nahte. Der Rest lief in Gedankenschnelle ab. Hasard und seine fünf Männer erreichten die Bordwand der „Isabella“. Al Conroy nahm die von Ben Brighton geworfene
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Leine entgegen und zerrte daran. Schwerfällig rauschte das Boot längsseits, das Wasser stand bereits bis zu den Duchten. Die Seewölfe enterten in fliegender Hast die erste Jakobsleiter hoch. Hasard als letzter. Er belegte rasch noch die Weißtaue, mit denen das Boot hochgehievt werden sollte, dann sprang er aus knietiefem Wasser auf die Jakobsleiter. Der Wal hatte getaucht. Er schoß unter dem Beiboot durch. Hasard spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Er klammerte sich fest und schrie: „Festhalten!“ Ferris, Batuti und Al Conroy befanden sich bereits auf der Kuhl, Shane und der Profos hingen noch über dem Seewolf an der Bordwand. Auch Ben Brighton hatte den Aufstieg auf der zweiten Jakobsleiter noch nicht bewältigt. Der Rammstoß hatte fast explosionsartige Wirkung. Der Dreimaster bebte im Wasser, auf dem Deck mußten sich die Männer festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren Die „Isabella“ krängte dabei leicht nach Steuerbord. Die Jakobsleitern schwangen von der Bordwand weg und dann wieder zurück. Hart schlugen die Körper der vier Männer gegen das Holz. Hasard hatte ein Bein vorgestreckt, um den Aufprall abzudämpfen. Es bewahrte ihn davor, sich den Kopf einzurammen. Einen Augenblick befürchtete er, einer seiner Männer könne den Halt verlieren und ins Wasser stürzen. Aber Shane, Carberry und Ben krallten sich fest und rutschen nicht ab. „Dem Himmel sei Dank“, sagte der Seewolf. Er legte den Kopf in den Nacken und rief: „Los, schnell an Deck, ehe der Bursche von neuem auftaucht!“ Als er als letzter auf die Kuhl flankte, wandte er sich sofort an Ferris Tucker. „Halte deine Flaschengranaten bereit. Eigentlich hatte ich nicht vor, zu diesem Mittel zu greifen. Aber wenn der Wal zu dreist wird, muß ich ihm einen Denkzettel verpassen.“ 6.
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Aber der Wal kehrte nicht zurück. Sie konnten ohne Störungen das Beiboot hochhieven - ein triefendes Etwas, das erst einmal lenz werden mußte, bevor sie es in den Klampen festlaschten. Hasard signalisierte Siri-Tong, sie solle zu einer kurzen Lagebesprechung herüberkommen. Während das Beiboot des schwarzen Seglers herüberglitt, schaute er dem davonziehenden Spanier nach. Der wandte sich nach Nordwesten und war soweit noch intakt, daß er die nächste Siedlung an der Küste erreichen konnte. Dem Kommandanten und seinen Leuten saß der Schreck bestimmt noch in allen Gliedern. Sie würden Fürchterliches zu berichten wissen, wenn sie auf dem Festland anlangten. Sie hatten einen Feind der spanischen Krone stellen wollen, hatten sich leichtes Spiel erhofft, und dann war plötzlich alles, aber auch alles gegen sie gewesen. Das Beiboot mit Siri-Tong schor an Backbord der „Isabella“ längsseits. Kaum war die schöne Frau an Bord, fragte sie den Seewolf: „Warum hast du die Aufmerksamkeit des Wales auf dich gelenkt? Du und deine fünf Männer, ihr hättet dabei draufgehen können!“ Er sah ihr in die Mandelaugen. „Ich kann es dir auch nicht richtig erklären. Irgendwie habe ich mich gezwungen gefühlt, mich ihm zu stellen. Außerdem lief es mir gegen den Strich, daß er über die Schiffbrüchigen herfiel. Sie hatten keine Waffe. Sie konnten sich nicht gegen ihn wehren.“ Sie lächelte knapp. „Wie dem auch sei, ich bin froh, daß ihr wieder heil an Bord seid.“ Sie ließ ihren Blick schweifen. „Was machen wir jetzt? So, wie die ‚Isabella’ zugerichtet ist, können wir unmöglich unseren Kurs fortsetzen.“ „Darüber wollte ich mit dir sprechen“, erwiderte er. „Komm, wir werfen einen Blick auf die Seekarten.“ Etwas später, in der Kapitänskammer des Achterkastells, stellten sie nach einigen Berechnungen fest, daß es zu der östlich liegenden Inselgruppe nicht mehr weit war.
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„Wir segeln hin“, sagte der Seewolf. „Der Westwind ist günstig. Wir müßten es bis heute abend schaffen, wenn wir nicht wieder in einer Flaute oder im Tang hängenbleiben.“ * Der Westwind schlief nicht ein und drehte auch nicht, und so tauchte noch vor Einbruch der Abenddämmerung Land vor ihnen auf. „Inseln!“ rief Dan O’Flynn aus dem Großmars. „Steuerbord voraus!“ „Ausgezeichnet“, sagte Hasard zu seinen Männern auf dem Achterdeck. „Wir suchen uns eine geschützte Bucht, ankern und bessern die Schäden aus.“ Während der Fahrt hatte er Inspektion gehalten. Glücklicherweise hatte ihnen der Unterwasser-Rammstoß des Buckelwals kein Leck zugefügt. So stark, daß es ein Schiff zum Sinken bringen konnte, war ein solches Tier nun auch wieder nicht. Außer dem lecken Beiboot waren folgende Beschädigungen zu verzeichnen: Die Blinde war zerfetzt, und auch die Fock und das Großmarssegel hatten im Gefecht arg gelitten. Außerdem mußten eine weggerissene Nagelbank ersetzt, der Besanmast repariert sowie die Heckreling und das Steuerbordschanzkleid der Kuhl ausgebessert werden. Es war schon ein kleines Wunder, daß die „Isabella“ dennoch manövrierfähig war. Hasard hatte anfänglich mit dem Gedanken gespielt, den Walbullen mitzuschleppen, der bei der Explosion der spanischen Galeone getötet worden war. Sie hätten das Tier auf den Inseln ausweiden können und damit frischen Proviant an Bord gehabt. Aber er hatte den Plan rasch wieder verworfen. Der Kadaver lockte nur den großen Walbullen hinter ihnen her. Außerdem rechnete Hasard damit, daß es auf dem Archipel jagdbares Wild gab — wenn schon keine Bodenfauna, so doch sicherlich Vögel. Vielleicht große Enten oder Gänse. Hasard begab sich auf das Vordeck und schaute durch den Kieker zu den Inseln.
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Aufgrund seiner Karten wußte er, daß es sich um die nordwestlichen Ausläufer eines großen Archipels handeln mußte. Zwei dieser Inseln hoben sich als schwarze Buckel vor ihnen aus der See. Schwarze Buckel — wieder mußte Hasard an den Wal denken. Fast ärgerlich verdrängte er seine Grübeleien. Er konzentrierte sich auf seine Beobachtungen. Noch vor der Dämmerung erreichten sie an der ihnen nächstgelegenen Insel eine geschützte Bucht, die groß genug war, um beiden Schiffen Platz zu bieten. „Smoky“, sagte Hasard. „Lote die Wassertiefe aus, wenn wir uns der Einfahrt nähern.“ „Geht klar.“ Der Seewolf drehte sich zu seiner Mannschaft um. „Wir nehmen bis auf das Großmarssegel alles an Zeug weg, was uns noch geblieben ist, und lavieren vor SiriTong in die Bucht.“ Kurz darauf tasteten sie sich in die Bucht. Sie war von schroffen, abgeflachten Hängen gesäumt. Der Bewuchs nahm sich im Spektiv sehr dürftig aus. Es schien nur niedrige, struppige Büsche zu geben, keine Bäume. Hasard glaubte nicht daran, daß es hier Treibsand gab, aber er wollte —eingedenk seiner letzten bitteren Erfahrungen — nicht schon wieder böse Überraschungen erleben. Schließlich stand es fest: Die Bucht war an allen Seiten einwandfrei und bot einen idealen Ankerplatz. Sogar bis dicht unters Ufer konnten sie sich wagen. Es fiel steil ins Wasser ab. „Sehr gut“, sagte Hasard. „Wir befinden uns in einem natürlichen Hafenbecken. Hier können wir uns unserer tapferen Lady in aller Ruhe widmen.“ Er lächelte und strich mit der Hand fast zärtlich über die Handleiste der Querbalustrade auf der Back. „Großmarssegel aufgeien!“ befahl der Profos. „Fallen Anker!“ „Fallen Anker!“ tönte es auch vom schwarzen Schiff herüber. Hasard stieg auf die Kuhl hinunter.
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„Bevor es dunkel wird, will ich noch einen Erkundungsgang über die Insel unternehmen“, sagte er. „Wir fieren das intakte Boot ab. Ben, ich möchte dich dabeihaben. Ferris, du hast während unserer Abwesenheit das Kommando auf dem Schiff und leitest die ersten Reparaturen ein, solange es noch hell ist.“ Der rothaarige Schiffszimmermann stand mit verschränkten Armen da und sagte: „Aye, aye, Sir.“ „Gary Andrews, Matt Davies, Kutscher, Jeff Bowie und Bob Grey, ihr seid mit von der Partie.“ Hasard ging zum Schanzkleid. Das Boot wurde bereits von Batuti und Blacky von seinen Zurrings befreit, dann ausgeschwenkt und abgefiert. „Nehmt genügend Waffen und Munition mit“, fügte der Seewolf noch hinzu. „Es könnte sein, daß wir etwas zu jagen finden. Außerdem kann man ja nie wissen, auf wen man trifft.“ Etwas später pullten sie an Land. Auch Siri-Tong hatte ein Beiboot zu Wasser gelassen.. Sie saß mit dem Wikinger, dem Boston-Mann, Juan sowie Barry Winston, Jonny und Hilo darin. Die beiden Trupps trafen sich an Land und sprachen sich miteinander ab. „Wir trennen uns und marschieren in zwei Richtungen“, sagte Hasard. „Die Bucht befindet sich im Süden der Insel. Ich schlage vor, wir Männer der ‚Isabella’ gehen nach Westen, ihr wendet euch nach Osten. Im Norden stoßen wir dann wieder aufeinander.“ „Gut, einverstanden“, sagte Siri-Tong. „Vorwärts, Männer, wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Hasard leitete seinen kleinen Trupp also nach Westen - über die schroffen Hänge, die das Ufer säumten, zwischen knorrigen Büschen hindurch in eine baumlose, von sanften Wellentälern durchsetzte Landschaft. Der Wind blies rauh über sie weg. Selten hatte Hasard etwas Unwirtlicheres und Trostloseres gesehen. Heide- und Moorflächen, das war das einzige, was die Insel zu bieten hatte.
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„Fein“, sagte der Kutscher ironisch. „Hier laßt uns verweilen. Wie die Vegetation wohl auf den anderen Inseln ist?“ „Da würde ich mich keinen großen Hoffnungen hingeben“, erwiderte Hasard. „Wahrscheinlich ist das Land überall gleich. Einen Vorteil hat es jedoch: Hier hält es keiner lange aus. Damit gibt es nur noch eine geringe Wahrscheinlichkeit, irgendwo auf Menschen zu stoßen.“ „Die Dons lassen sich überall nieder“, sagte Matt Davies mißtrauisch. „Wir wissen doch, wozu diese Kerle fähig sind.“ „Aber hier gibt es nichts für sie zu holen“, widersprach Bob Grey. „Höchstens auf Piraten könnten wir stoßen. Ist es nicht drin, daß sie hier irgendwo einen Schlupfwinkel haben?“ „Denkbar ist alles“, erwiderte Hasard. „Aber die Inseln liegen zu weit von den Schiffahrtsrouten der Spanier entfernt. Die Freibeuter müßten immer weit segeln, um eine Galeone zu kapern oder eine Siedlung zu überfallen. Dennoch müssen wir jederzeit mit allem rechnen.“ Eine Weile darauf schritten sie wieder dicht am Ufer dahin. Sie befanden sich jetzt auf der Kuppe eines Hügels und konnten sowohl das Binnenland als auch die Küste überblicken. Die Dämmerung warf ihre Schleier immer tiefer und drohte ganz mit der nahenden Nacht zu verschmelzen. Aber das Licht reichte noch aus, um etwaige Gefahren zu erkennen. „Da liegt was“, sagte Gary Andrews plötzlich. Hasard blickte in die angegebene Richtung und entdeckte ebenfalls das, was Gary Andrews gesehen hatte. „Schiffstrümmer“, sagte er. „Gehen wir hinunter und sehen wir sie uns genauer an.“ * Die Trümmerteile waren weit aufs Land geworfen worden: Vielleicht war eine Springflut die Ursache dafür gewesen. Rasch hatte der Seewolf sie untersucht. Sie lagen nicht weit voneinander entfernt auf
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dem Hang verstreut - Überbleibsel einer einstigen Katastrophe. „Wer weiß, wie lange der Untergang dieses Schiffes schon zurückliegt“, murmelte der Kutscher. „Wer mag das gewesen sein? Wie konnte das passieren?“ „Ein großes Schiff war das nicht“, sagte Ben Brighton. „Aber dem Holz nach und der Art, wie die Planken verklinkert sind, muß es sehr robust gewesen sein.“ Hasard hielt eine morsche Planke hoch. „Hier steht noch der Name eingebrannt. Kommt doch mal her.“ Sie scharten sich um ihn, und im matten Licht entzifferte er, was da in groben Lettern geschrieben stand: „RI-BAL-TA.“ „Ein Don“, sagte Matt Davies sofort. „Das wissen wir nicht“, erwiderte der Seewolf. „Es kann auch ein Italiener gewesen sein, ein Korse, oder vielleicht ein Portugiese. Über seine Herkunft können wir nur rätseln.“ „Ribalta“, wiederholte Ben. „Ob es da wohl Überlebende gegeben hat?“ „Wenn, dann haben sie hier nicht lange überlebt“, erwiderte der Kutscher. „Hier gibt es doch kaum was zu beißen. Und wahrscheinlich nicht mal Wasser.“ „Gehen wir weiter.“ Hasard richtete sich auf und nahm seine Muskete zur Hand. „Seien wir auf der Hut.“ Sie wanderten zügig am Südufer entlang, bogen dann, dem Verlauf der Küste folgend, nach Norden ab und untersuchten die Westküste. Der Mond war jetzt eine blasse Scheibe am Firmament. Manchmal wurde er durch Wolkenbänke verdeckt, aber je später es wurde, desto mehr schwand die Bewölkung. Es würde eine sternklare Nacht werden. „Halt!“. zischte Hasard plötzlich. „Deckung!“ Augenblicklich sanken die Männer zu Boden. Hasard befand sich an ihrer Spitze, er gab ihnen durch Gesten zu verstehen, was zu tun war. Vorsichtig robbten sie weiter voran, verharrten wieder und spähten über die flache Kuppe eines karstigen Hügels.
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Dort, unter ihnen, hatte das Ufer einen kleinen Einschnitt. Als Bucht war das kaum zu bezeichnen. Diese Verformung des Küstensaums war es auch nicht, die den Seewolf hatte stutzig werden lassen. Es war das, was in dem Einschnitt lag! „Das kann doch nicht wahr sein“, raunte Ben Brighton. „Das ist ja der Wal.“ Wirklich hob sich unten aus dem Flachwasser ein gigantischer Leib ab. Er lag reglos und glänzte im fahlen Mondlicht – es steckte kein Leben mehr in ihm. „Bis hierher ist der getrieben“, flüsterte der Kutscher. „Aber welcher ist es?“ „Der erste, der von den Spaniern im Gefecht getötet wurde“, erwiderte Hasard gedämpft. „Ich erkenne es an seinem Umfang. Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht damit, daß das Tier auf dieser Insel angeschwemmt wird.“ „Wir können ja hinuntersteigen und ihn genauer untersuchen“, sagte Ben. „Er ist tot und für keinen mehr gefährlich.“ „Warte noch.“ Hasard nahm den Blick nicht von dem mächtigen Wesen. Seine Augen waren schmal und voller Mißtrauen. „Da ist noch etwas. Ich habe eben eine Bewegung gesehen. Rührt euch nicht vom Fleck.“ Ben Brighton lag rechts neben ihm und hielt ebenfalls scharf Ausschau. Ja, jetzt gewahrte auch er eine schwache Bewegung neben dem Riesenleib. Unwillkürlich hielt er die Luft an. Er legte den Daumen auf den Hahn seiner Radschloßpistole und spannte ihn langsam. Auch die anderen Seewölfe hielten ihre Waffen bereit. Nach und nach gewann jeder von ihnen eine günstige Blickposition - und alle verfolgten sie dann, wie die Konturen dort unten zu einer menschlichen Gestalt wurden. „Ich krieg zuviel“, zischelte Matt Davies. „Still!“ stieß der Kutscher unterdrückt hervor. „Das ist ja ein Mädchen“, wisperte Gary Andrews fassungslos. Und doch war es keine Halluzination. Ein gertenschlankes Mädchen mit langen Haaren, barfuß und mit irgendwelchen Fellen bekleidet, pirschte um den toten
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Wal herum. Hier und da betastete sie ihn. Es waren prüfende Gesten, aber Hasard las auch Ehrfurcht und eine Portion Angst darin. Im Wasser vor dem buchtartigen Einschnitt rührte sich unvermittelt auch etwas. Sofort zuckte das Mädchen zusammen. Der. Seewolf blickte zur See. Seine Miene war plötzlich wie versteinert. „Da spukt was ‘rum“, raunte Matt Davies. „Was ist das - Tang?“ sagte Bob Grey leise. Ben Brighton und die anderen äußerten überhaupt nichts, denn sie hatten schon begriffen, was sich da in den Fluten tat. Der große Wal war wieder da. Er schwamm dicht an dem toten Koloß vorbei, tauchte kurz auf, stieß dann kopfunter und hob zum Abschluß einen Teil seiner Schwanzfluke aus dem Wasser. Hasard holte tief Luft. Er glaubte, Shanes Pfeil in der Flosse gesehen zu haben. In seiner Bewegungsfähigkeit schien ihn das nicht zu behindern. Und auch Batutis Pfeil und die Schrotladung aus Carberrys Blunderbüchse schien er längst verdaut zu haben. Mit leisem Rauschen, fast elegant verschwand die Fluke wieder in der See. Das Mädchen hatte den Koloß ebenfalls beobachtet. Sie wich ein Stück zurück, drehte sich dann um und rannte landeinwärts, in Richtung Nordufer. „Fragen wir sie mal, ob sie was Genaueres über die Angriffslust von Walen weiß“, sagte Hasard mit grimmiger Miene. Er erhob sich und lief dem Mädchen nach. Er verließ den Hügel und hetzte an dem Hang entlang, der genau auf den Walkadaver hinunterführte. Wieder konstatierte er etwas Merkwürdiges. Seetang hatte sich am Ufer angesammelt. Er umlagerte mit Fächeln und kaum wahrnehmbarem Schmatzen das tote Tier. Tang. Er schien überall dort zu sein, wo der Tod und die Verdammnis lauerten. Hasard spurtete mit kurzen, federnden Sätzen dahin. Es schien keine große Schwierigkeit zu sein, das fremde Mädchen einzuholen. Rasch verringerte sich der Abstand zwischen ihnen.
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Ben, Gary, Matt, der Kutscher, Jeff und Bob waren ausgeschwärmt und versuchten, dem Mädchen den Weg abzuschneiden. Hasard war sich aber im klaren darüber, daß sie es falsch auslegen konnte. Deshalb rief er: „He, Mädchen, bleib stehen! He!“ Hatte er sich wirklich eingebildet, sie würde abstoppen? Sie tat genau das Gegenteil. Sie warf den Kopf herum, ihre dunkelblonden Haare wirbelten. Sie stieß einen Schreckenslaut aus, drehte sich wieder um und lief noch schneller. Jetzt mußte Hasard sich anstrengen, um nicht von ihr abgehängt zu werden. Sie hatte die Leichtfüßigkeit und Schnelligkeit einer Gazelle. Aber in einer buschbestandenen Senke kriegte er sie dann doch zu fassen. Er war neben. ihr und griff nach ihrem Arm. Geistesgegenwärtig schlug sie einen Haken nach links. Sie stieß ein paar Worte in einer fremden, seltsamen Sprache aus ganz bestimmt keine Freundlichkeiten, sondern Verwünschungen, von denen der Seewolf lediglich etwas wie „Diablo“ und „Infierno“ verstand. Er sprang ihr nach. Sie stolperte, und diesmal konnte er sie festhalten. „Also gut“, sagte er auf spanisch, „Ich soll zum Teufel in die Hölle gehen, aber vorher werden wir uns ein bißchen unterhalten, einverstanden?“ Sie schrie, trat nach seinem Schienbein und biß ihn in den Unterarm. Für einen Augenblick war er unachtsam. Das nutzte sie aus. Sie ließ sich fallen, riß sich dabei los und rollte sich mit katzenhafter Gewandtheit ab. Plötzlich hielt sie einen Stein in der Faust. Hasard konnte kaum noch rechtzeitig ausweichen, so flink schleuderte sie ihn. Der Brocken hatte die Größe einer Carberry-Faust. Hätte er ihn an den Kopf bekommen, wäre er zweifellos bewußtlos zu Boden gesunken. Langsam wurde er wütend. „Jetzt ist’s aber genug“, sagte er. Immer noch auf spanisch. „Ich will dir nichts Böses tun. Mein Ehrenwort.“ Er schritt entschlossen auf sie zu. „Ich will dich nur
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fragen, was du über den Wal weißt -und was du hier tust.“ Sie wich zurück, beschimpfte ihn wieder, verhielt plötzlich und riß eine Handvoll Erde hoch. Auch die flog genau auf Hasards Gesicht zu, aber er ließ sich im selben Moment fallen, stieß sich mit den Füßen vorn Boden ab — und landete auf dem Mädchen. Er fing seinen Aufprall mit allen vieren ab, dann verlagerte er sein Körpergewicht und ließ sich vorgleiten. Das Mädchen versuchte, von ihm wegzukriechen, aber er packte ihre Arme und ließ sie diesmal nicht wieder los. Zornig trampelte sie ihm gegen die Knie. Als er sich aber aufrichtete und auch sie auf die Beine stellte, hörte sie mit dem Zappeln auf. „Also gut“, keuchte sie. „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber ich schwöre dir eins. Du wirst keinen Spaß dabei haben.“ Er grinste. „Da liegst du aber völlig falsch. Ich gehöre nicht zu den Kerlen, die mit Gewalt über Mädchen herfallen.“ „Ich weiß, wer du bist“, schrie sie ihn an. „Mir machst du nichts vor!“ „So? Wer bin ich denn?“ „Einer von diesen verfluchten Piraten!“ Hasard drehte sich zu seinen Männern um. Sie hatten sich hinter ihm versammelt und den ergötzlichen Zweikampf aus nächster Nähe verfolgt. „Ich glaube, hier liegt irgendwie ein Mißverständnis vor“, sagte er zu ihnen. „Was meint ihr?“ „Ja“, erwiderte Ben ruhig. „Das Mädchen verwechselt uns mit jemandem.“ Er sagte das auf spanisch, damit auch diese Kratzbürste ihn verstehen konnte. „Verwechseln?“ rief sie. „Daß ich nicht lache! Die Piraten, die diese Inseln verunsichern, stammen aus einem der nördlichen Länder der Alten Welt — und ihr sprecht die gleiche Sprache! Jetzt tarnt ihr euch nur und wollt mich mit einem Trick hereinlegen.“ „Komm“, sagte Hasard. „Ich zeige dir unsere Schiffe, vielleicht begreifst du dann, daß du uns mit deinen Verdächtigungen unrecht tust.“
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Er zog sie an der Hand mit sich. Sie mußte ihm folgen, ob sie nun wollte oder nicht. Etwas später standen sie auf einer Hügelkuppe, von der aus man die südliche Bucht voll im Blick hatte und das schwarze Schiff und die „Isabella“ vor Anker sah. „Dios“, sagte das Mädchen. „Das —ich kenne die Schiffe der Piraten, aber diese hier — sind ganz anders. Aber—wer seid ihr dann?“ Hasard erklärte es ihr. Seine Männer umstanden sie beide, während er sprach, und dann erschienen auch Siri-Tong und ihre sechs Leute: Sie waren durch die Schreie des Mädchens angelockt worden. Die Rote Korsarin trat in den Kreis, zog erstaunt die Augenbrauen hoch und fragte sehr kühl: „Nanu, wer ist das?“ Hasard war am Ende seiner Erläuterungen angelangt. „Wir, sind keine blindwütigen Schlagetots“, sagte er. „Du kannst Vertrauen zu uns haben. Verrätst du uns jetzt deinen Namen?“ „Ja. Ich heiße Severa.“ „Spanierin?“ fragte Matt Davies. „Baskin.“ „Aha, daher der Dialekt“, sagte Ben Brighton. „Nun sprich doch schon. Was hat dich hierher verschlagen? Hast du zu der ,Ribalta` gehört? Du brauchst doch sicher Hilfe.“ „Ja“, erwiderte sie bekümmert. „Ich — ich will euch glauben. Kommt, ich führe euch.“ 7. Hasard sandte Bob Grey als Boten zur Bucht, er sollte Ferris Tucker und die anderen über das unterrichten, was geschehen war. Andernfalls machte Ferris sich unnötige Sorgen. Severa geleitete die zwölf Männer und die Rote Korsarin ins Inselinnere. Mit traumhafter Sicherheit fand sie auch im Dunkeln den Platz, an dem sie sich offenbar häuslich niedergelassen hatte. Es handelte sich dabei um eine Senke, deren Nordseite steil und felsig aufragte. Hinter einer Reihe von Büschen lag hier eine
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Höhlenöffnung verborgen. Hasard und seine Freunde sahen den Einlaß erst, als das Mädchen sich bückte und die Zweige mit den Händen teilte. Siri-Tong trat hinter den Seewolf. „Vorsicht“, raunte sie. „Das könnte eine Falle sein. Vergiß nicht, daß sie als Baskin zum spanischen Königreich gehört.“ Hasard lächelte nur. Daß Sevara ein Köder für sie war, konnte er nun wirklich nicht glauben. Aber etwas anderes war ihm klar: Siri-Tong plagte die Eifersucht. Sie hatte gesehen, wie er die Hand des Mädchens gehalten hatte. Sofort hatte sie das Mädchen als Rivalin angesehen, aber das würde sie niemals offen zugeben. In der Höhle war es stockfinster, und man konnte nur gebückt darin gehen. „Bei Odin“, sagte Thorfin Njal, als er kurz hineingelugt hatte. „Hat denn keiner eine Fackel bei sich?“ „Doch, ich“, entgegnete Barry Winston. Sie entfachten die Fackel und schritten hinter Severa in das Felsenloch. Die Flamme zuckte. Sie kräuselte blakende Rauchschwaden zur Höhlendecke hoch und warf einen unsteten Schein auf den Bewohner, der ganz am Ende kauerte. Ein bis auf die Knochen abgemagerter Mann mit grauem Haar, langem Bart und eingefallenen Zügen war das. Er sah wie ein Greis aus, aber dennoch ließ sich sein Alter schwer bestimmen. Mit anderen Worten: Er sah wie Siebzig aus, mochte aber ebenso gut erst Fünfzig sein. Das Schicksal konnte einen Menschen vorzeitig altern lassen. Er trug Fellkleidung wie das Mädchen. Hasard stellte in diesem Augenblick fest, daß es sich um Robbenfelle handeln mußte. Robben kamen in diesen Breiten und auf diesen Inseln vor. Sie mußten sie erlegt haben, um sich Nahrung und wärmende Hüllen zu verschaffen. Der Mann musterte sie aus kleinen, stumpf blickenden Augen. Vor ihm flackerten die Reste eines kleinen Feuers. In seiner ganzen Haltung war etwas Apathisches, unsagbar Erschöpftes. Er bewegte kaum die Lippen, als er sprach.
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„Severa — es ist also soweit.“ Er bediente sich des Spanischen, nicht des Dialektes, den sie bei ihrer Begegnung mit dem Seewolf gebraucht hatte. Sie schüttelte den Kopf. „Das habe ich zuerst auch gedacht. Aber diese Leute hier sagen, sie hätten nicht vor, uns zu mißhandeln und zu töten.“ „Du bist noch ein halbes Kind“, murmelte er. „Du kennst die Tücken der Welt nicht. Welche Sprache sprechen sie?“ „Englisch, aber sie können auch Spanisch.“ Sofort begann der Alte, in dem eigentümlichen Dialekt der Basken auf sie einzureden, damit Hasard und seine Männer es nicht verstanden. „Vater!“ rief Severa. Hasard schaute erstaunt auf die beiden. Vater und Tochter! Er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit in ihren Zügen feststellen können. Die Schrecken der Vergangenheit mußten den Alten wirklich schwer gezeichnet haben. Anders konnte es nicht sein. Hasard trat zu Severa. ,,Wie heißt dein Vater?“ „Euzko Guerazi. Er will mir nicht glauben.“ „Laß mich mit ihm reden.“ Hasard kniete sich vor den Alten hin und redete eine Weile sanft und beruhigend auf ihn ein. Ja, er gab zu, ein Engländer und Feind der Spanier zu sein, und verheimlichte nichts. Aber so, wie er dem Basken darlegte, wer er war und was er tat, leuchtete auch diesem am Ende ein, daß er keine Angst zu haben brauchte. „Korsaren“, flüsterte er. „Was hat euch hierher verschlagen, in diese Öde? Ich lese in deinen Augen, daß du gut bist, Seewolf. Verzeih, wenn ich an dir gezweifelt habe. Ich habe die Höhle schon seit langem nicht mehr verlassen. Bin zu schwach dazu. Aber Severa, sie hat mehrmals Piratenschiffe beobachtet. Gestern hat es einen großen Kampf gegeben.“ „Zwischen Piraten und Spaniern?“ fragte Hasard verblüfft. „Ja.“ „Wie ging er aus?“
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„Drei Schiffe wurden von den Piraten versenkt“, sagte Severa. „Ich habe es vom höchsten Punkt der Insel aus verfolgt. Das meiste von dem Kampf spielte sich in dem Sund zwischen unserer und der Nachbarinsel ab, also konnte ich jede Einzelheit genau sehen. Den Spaniern blieben am Ende nur zwei Galeonen — das Flaggschiff und ein zweiter Dreimaster. Die Piraten zogen sich zurück und verschwanden in einem plötzlich aufziehenden Sturm.“ „Warum nahmen sie es nicht auch mit den beiden arideren Dons auf?“ wollte Matt Davies wissen. „Äh, ich meine —mit den Spaniern?“ Severa antwortete: „Die Piraten hatten auch schon einiges eingesteckt. Und die übriggebliebenen Galeonen der Spanier waren die größten und am besten armierten, während die, die die Piraten aus der Flanke ihres Verbandes gerissen hatten, höchstens die Hälfte der Geschütze aufzuweisen hatten.“ „Die Spanier hätten also doch noch siegen können, und sie setzten ihre erbitterte Suche nach dem Todfeind fort“, sagte Hasard. „Jetzt wird mir einiges klar ...“ „O’Lear“, murmelte der alte Euzko. „Ich sage, es ist der Ire. Nach deinen Beschreibungen, Severa, kann nur er der Anführer der Piraten sein, dieser rothaarige Teufel. Ich kenne ihn von früher.“ Hasard schaute nachdenklich zu dem Mädchen. „Warum hast du die Spanier nicht auf dich aufmerksam gemacht? Sie hätten euch von der Insel holen können. Ihr seid doch Schiffbrüchige der ,Ribalta`, oder?“ „Ja, das sind wir. Aber ich konnte den Männern der spanischen Kriegsschiffe kein Zeichen geben. Die Piraten hätten es ebenfalls beobachtet. Ich hatte Angst, sie würden vor unseren Landsleuten auf die Insel kommen. Später beim Sturm, der die gegnerischen Parteien auseinandertrieb, konnten die Spanier mich dann nicht mehr sehen.“ „O’Lear, nicht wahr?“ Hasard rieb sich das Kinn. „Es gibt viele Iren dieses Namens, aber von einem Piratenführer, der so heißt
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und sich in diesen Gefilden herumtreibt, habe ich noch nichts gehört.“ „Du wirst ihn kennenlernen“, sagte der Alte. „Vielleicht hat er dich schon gesichtet.“ Hasard drehte sich um. „Ein Mann muß zu den Schiffen laufen. Ferris soll die Posten an Land verdoppeln, auch die Ankerwachen auf beiden Schiffen müssen verstärkt werden.“ „Juan“, sagte die Rote Korsarin. „Du übernimmst das.“ Nachdem Juan die Höhle verlassen hatte, richtete Hasard eine Frage an Severa Guerazi, die ihm plötzlich eingefallen war: „Hat dieser O’Lear die Angewohnheit, sich als Spanier zu tarnen und so seine Gegner hereinzulegen?“ „Ja. Woher weißt du das?“ erwiderte sie verblüfft. „Ich habe es mir gedacht. Deswegen also reagierte der spanische Kommandant von dem Flaggschiff überhaupt nicht auf unser Täuschungsmanöver.“ „Wovon sprichst du?“ „Eins nach dem anderen“, sagte Hasard. „Zuerst will ich hören, was euch zugestoßen ist. Wieso verunglückte euer Schiff?“ Da berichtete der Alte: „Wir Basken sind schon seit fünfhundert Jahren Walfänger. Eines Tages faßten ich und andere meiner Zunft den Plan, in die Neue Welt aufzubrechen und unsere Beute bis in ihre Heimatgründe zu verfolgen. Wir fuhren mit fünf Schiffen los, mit Zweimastern. Ich nahm meine Tochter Severa und meinen Sohn Sirio mit, denn zu Hause konnte ich sie nicht lassen. Meine Frau war vor wenigen Monaten gestorben. Ich wußte nicht, wohin mit den Geschwistern.“ Hasard gab dem Kutscher einen Wink. Während der Alte sprach, untersuchte der Kutscher ihn eingehend. „Ich war der Kapitän, der Anführer unserer Flotte kleiner Schiffe“, fuhr Euzko Guerazi fort. „Auf vielen Umwegen gelangten wir hierher - zu den Inseln. Das war vor zehn Monaten oder noch früher, ich weiß es nicht mehr genau. Wir jagten Wale, töteten sie und werteten sie aus. Drei Schiffe
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kehrten mit der Ausbeute in die Heimat zurück. Zwei Wochen verstrichen, drei ich erinnere mich nicht genau. Als Führer der anderen beiden Besatzungen wartete ich hier, auf den ungastlichen Inseln, auf eine neue Gelegenheit. Und sie kam. Eine Schule Buckelwale tauchte auf. Wieder jagten wir - und scheiterten. Unsere Schiffe wurden zerschmettert,. alle getötet, auch Sirio, alle - bis auf Severa und mich. Mit ein paar Trümmern der ,Ribalta` trieben wir auf das Ufer.“ Die Erinnerung an das furchtbare Ereignis überwältigte ihn. Er verstummte. Severa beendete leise die Schilderung: „Monatelang schlugen wir uns durch. Wir konnten ein paar Proviantbehälter bergen und den Inhalt trocknen. Auch ein Gewehr und Munition trieben an. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das alles getrocknet war, aber endlich konnte ich auf die Jagd gehen. Ich erlegte Robben, Wildgänse, Enten und andere Tiere. Ich fand eine kleine Trinkwasserquelle. Wir hatten Feuersteine und Feuerstahl und die Höhle als Unterschlupf. Wir durften auf Rettung hoffen. Aber nach und nach gingen uns die Vorräte aus, und auch die Munition wurde knapp - und kein Schiff erschien, um uns aufzunehmen. Hinzu kam die Angst vor den Piraten. Der Ire Brian O’Lear und seine Kumpane sind vor etwa zwei Monaten hier aufgetaucht. Wir nehmen an, daß sie auf einer der großen Nachbarinseln einen Schlupfwinkel haben. Einmal landeten sie auch auf unserem Eiland, aber wir konnten uns in unserer Höhle vor ihnen verstecken. Sie haben uns nicht entdeckt. Heute mittag wurde dann die Walkuh angeschwemmt. Ich suchte den ganzen Tag über nach einer Möglichkeit, sie auszuweiden. Nur habe ich keine geeigneten Geräte.“ „Das Tier am Nordwestufer ist ein weiblicher Wal?“ fragte Ben Brighton. „Ja. Ich weiß nicht, wie sie ums Leben gekommen ist. Aber sie kann uns vor dem Verhungern bewahren.“ „Zerbrich dir um eure Verpflegung nicht mehr den Kopf“, sagte Hasard. „Wir sind ja jetzt da. Sagt mir nur das eine. Wie
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konntet ihr mit euren beiden Schiffen verunglücken, wenn ihr so erfahrene Walfänger wart?“ Bei seinen letzten Worten blickte er wieder den alten Euzko an. Euzko hustete. Der Kutscher richtete sich von ihm auf, trat zu seinen Kameraden zurück und sagte zu Hasard: „Erschöpft und unterernährt, das ist alles. Wenn wir ihn richtig aufpäppeln, ist er bald wieder auf dem Damm.“ „Der Mörder“, flüsterte der Baske. „Er hat uns vernichtet und uns alle zum Teufel gejagt - er. Er hat meinen Sohn getötet, und er hätte auch Severa und mich erledigt, wenn uns nicht eine glückliche Fügung davor bewahrt hätte.“ „Vater“, sagte das Mädchen. „Ich glaube, ich habe ihn vorhin wiedergesehen. Er hält Totenwache bei der Walkuh. Ich bin vor ihm weggelaufen.“ Hasard spürte wieder den eisigen Schauer auf seinem Rücken. „Ich glaube, es ist an der Zeit, daß auch ich meine Geschichte erzähle. Wenn ich mich nicht täusche, sprecht ihr doch von dem riesigen Buckelwal, oder?“ Euzko Guerazi hustete erregt, dann stieß er hervor: „Er! El Asesino - der Mörder! Der Wal, der Menschen angreift und umbringt!“ * Am nächsten Tag wurde - nach einer ruhigen, sternklaren Nacht - an Bord der „Isabella“ hart gearbeitet. Ferris Tucker und Will Thorne, der Segelmacher, leiteten die Reparaturen und packten auch selbst kräftig mit zu. Hasard trat zu Ferris, als er gerade mit Matt Davies, Al Conroy und Bill, dem Schiffsjungen, am Besanmast schuftete. „Ferris, was meinst du, schafft ihr es bis morgen?“ „Wenn alles glattgeht, sind wir schon heute abend fertig“, erwiderte der rothaarige Riese. „Wir tun, was wir können.“ „Gut. Morgen kümmern wir uns dann um die Walkuh.“ „Weißt du denn, wie man das anstellt?“
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„Der Baske hat mir erklärt, wie man so ein Tier fachmännisch ausweidet“, erwiderte der Seewolf. „Und Severa wird uns auch mit Rat und Tat helfen.“ „Na, dann kann ja nichts schiefgehen“, erklärte Ferris Tucker. Aber sehr überzeugt war er nicht. Schuster, bleib bei deinen Leisten, sagte er sich. Hasard überzeugte sich durch einen Rundblick, daß kein Verdruß in Sicht war. Sechs Wachtposten lösten sich schichtweise am Ufer der Bucht ab. Vier weitere kontrollierten die strategischen Punkte der Insel - vorwiegend Siri-TongLeute. Die Ausgucks auf beiden Schiffen hielten ständig die Augen offen. Aber vorläufig änderte sich weder die Wetterlage, noch ließen sich O’Lear und seine wüsten Kerle blicken. Auch der Wal hatte sich bisher nicht wieder gezeigt. Siri-Tong befand sich zur Zeit auf „Eiliger Drache über den Wassern“, um neue Wachen für die Nacht einzuteilen. Euzko Guerazi und seine Tochter waren auf Hasards Anordnung hin auf die „Isabella“ gebracht worden. Sie hatten zwei Kammern im Achterkastell erhalten, und der Kutscher kümmerte sich um den alten Mann. Tief in seine Gedanken verstrickt, suchte Hasard die Kapitänskammer auf. Er betrachtete die Ausrüstungsgegenstände des Walfängers, die sie aus der Höhle herübergeschafft und hier deponiert hatten: Handharpunen, Lanzen und ein Faß mit 150 Yards exakt aufgeschlossenen Tauwerks. Er vernahm ein Geräusch und blickte auf. In der offenen Tür stand der Kutscher. Sein Gesicht war ernst und verhieß Bedenkliches. „Kann ich mal einen Augenblick mit dir sprechen?“ fragte er. „Komm ‘rein und schließ die Tür.“ Hasard nahm auf einem Holzgestühl Platz. „Setz dich. Was ist los?“ Der Kutscher lehnte durch eine Geste dankend ab. Er blieb stehen. „Der Baske — ich habe heute nacht nur einen Befund ausgesprochen, um den Alten und vor allen
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Dingen das Mädchen nicht zu erschrecken. Aber die Wahrheit lautet anders.“ Hasard nickte. „Das habe ich mir schon gedacht. Warte, bevor du weitersprichst. Wo ist Severa?“ „Draußen bei Dan O’Flynn.“ „Bei Dan?“ „Gary Andrews hat Dan im Großmars abgelöst. Dan scheint in das Mädchen verschossen zu sein, jedenfalls sitzen sie allein auf dem Vordeck und unterhalten sich.“ Der Kutscher rieb sich die Nase, es war eine Verlegenheitsgeste. „Ich, äh — ich will das nicht gesagt haben. Ich bin kein Klatschmaul. Ich meine, wegen der Borddisziplin ist es natürlich nicht zu verantworten, dass ...“ „Schon gut. Hauptsache, das Mädchen kann uns nicht hören. Sag mir jetzt, wie es tatsächlich um Euzko Guerazi bestellt ist.“ „Sehr schlecht. Er hat die Schwindsucht.“ „Verdammt ...“ Der Kutscher versetzte sich einen Ruck. „Es gibt keine Hoffnung mehr für ihn. Ich kann Himmel und Hölle in Bewegung setzen, es hat alles keinen Sinn mehr. Zu spät. Der arme Teufel hat nicht mehr lange zu leben.“ Hasards Miene war hart und unbeweglich. „Wie lange noch?“ „Höchstens eine Woche. Vielleicht auch nur noch ein paar Tage“, erwiderte der Kutscher. „Das läßt sich schlecht sagen.“ „Ja. Du läßt ihm alles zukommen, wonach der verlangt. Ihr lest ihm jeden Wunsch von den Lippen ab, verstanden?“ Hasard stand auf. „Er soll wissen, daß wir seine Freunde sind und es auch für ihn noch so etwas wie Geborgenheit gibt. Er soll in Frieden sterben.“ Der Kutscher nickte. Bekümmert drehte er sich um und ging. Euzko Guerazi war keiner von ihnen, aber dennoch setzte ihm die bittere Realität zu. Alle an Bord der „Isabella“ hatten den Basken bereits ins Herz geschlossen. Er war ein aufrichtiger Mann, durch und durch ehrlich und so ganz anders als die durchtriebenen, ränkesüchtigen Spanier, die in der Neuen Welt soviel Gold und Silber wie möglich einzuheimsen versuchten.
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Wenig später, als der Seewolf wieder auf Oberdeck zurückkehren wollte, hörte er Euzko Guerazi seinen Namen rufen. Er verhielt seinen Schritt, wandte sich im Gang nach links und betrat die Kammer des todkranken Mannes. Der Kutscher räumte gerade ein paar leere Essensnäpfe ab. Als Hasard sich auf dem Rand von Euzkos Koje niederließ, verließ er die Kammer. „Seewolf“, sagte der Alte mit brüchiger Stimme. „Severa ist gerade nicht da. Ich habe sie auf das Oberdeck geschickt. Sie soll jetzt, da wir uns in guten Händen befinden, nicht mehr die ganze Zeit am Lager eines sterbenden Mannes verbringen.“ „Was sagst du denn da?“ Hasard blickte ihm fest in die fiebrigen Augen. „Du wirst noch hundert Jahre alt, Freund.“ Euzko brachte ein Lächeln zustande. „Du brauchst mir nichts vor zu erzählen, ich weiß, wie es um mich bestellt ist. Mit mir geht es bald zu Ende. Ich spüre das.“ Plötzlich richtete er sich auf. „Du mußt mir einen letzten Wunsch erfüllen. Ich bitte dich darum. EI Asesino - du mußt ihn töten.“ „Kannst du deinen Haß nicht begraben?“ fragte Hasard ruhig. „Es hat doch keinen Sinn, nach Vergeltung zu suchen. Außerdem - El Asesino ist ein Tier, kein Mensch, vergiß das nicht.“ Ein erregtes, fast leidenschaftliches Feuer war in den Augen des Basken. „Nein. Du selbst weißt, daß El Asesino der Klügste und Gerissenste unter den Giganten der Tiefsee ist. Er kann sich mit einem Menschen messen. Und noch etwas. Seine Wut richtet sich inzwischen auch auf dich, weil du ihn angegriffen hast. Er wird weiter nach dir suchen. Er verlangt, daß du dich ihm stellst. Und wenn du es nicht tust, wird er bis an sein Lebensende Booten auflauern, sie zertrümmern, Unheil anrichten -unter Spaniern, Engländern und anderen Seeleuten. Sogar kleine Schiffe vermag er zu vernichten, das siehst du ja an meinem Schicksal.“ Er griff nach Hasards Arm. „Tu es für mich - und für meinen Sohn Sirio. Ich habe
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Hunderte von Walen erlegt, aber jetzt fühle ich mich zu alt und zu schwach, um es noch mit El Asesino aufzunehmen. Ich würde es sonst selbst tun.“ Hasard überlegte eine Weile, dann sagte er: „Also gut. Ich sehe die Notwendigkeit eines solchen Unternehmens ein. Und ich will dir diesen letzten Gefallen tun.“ „Danke.“ Der Alte seufzte und ließ sich wieder zurücksinken. „Hör mir gut zu. Du hast doch die Ausrüstungsgegenstände, die von meinem Walfänger ,Ribalta` geblieben sind, aus der Höhle hierherbringen lassen. Ich werde dir jetzt erklären, wie du El Asesino bezwingen kannst.“ „Seit gestern abend ist er nicht wieder aufgetaucht“, sagte Hasard. „Keiner der Posten hat ihn gesichtet.“ „Er kommt wieder, verlaß dich drauf“, flüsterte Euzko Guerazi. „Er wird eine Dampfwolke über die See blasen und auf dich warten. Ich kenne ihn.“ Hasard nickte. „Gut. Wir werden sehen. Ich hole jetzt die Harpune, die Lanzen und das Seil, damit du mir erklären kannst, was ich zu tun habe.“ Als er aufstand, hob der Baske seine hagere Hand. „Warte noch. Etwas anderes. O’Lear - er ist genauso gefährlich wie der Mörderwal. Einmal landeten wir auf Barbados, das war, bevor wir uns auf die Reise zum Äquator und hierher, zu den Inseln, begaben. Wir warteten dort oben in der Karibik auf Wale. Sie ziehen sich, wenn die kalte Jahreszeit beginnt, auf beiden Seiten der Welt vor den Massen der eisigen Meere zurück und suchen wärmere Gefilde auf, in denen die Muttertiere auch ihre Jungen gebären. Bevor die Wale erschienen, traf O’Lear mit seinen Kerlen ein. Damals hatte er nur ein Schiff, aber er und seine Spießgesellen waren so gut bewaffnet, daß sie uns hätten vernichten können. Aber ich konnte Severa vor ihnen verstecken. Und als sie dann sahen, daß es bei uns nichts zu holen gab, segelten sie wieder davon. An unseren WalfängerWaffen waren sie nicht interessiert.“ „Warum hat er sich auf diesen Archipel zurückgezogen?“ fragte Hasard. „Vielleicht sind die Spanier zur Zeit
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besonders wütend auf ihn. Sie hetzen ihn. Das Flaggschiff des Kriegsverbandes hat sich retten können, sagtest du. Sein Kommandant wird mit einem neuen Verband zurückkehren, aber wenn O’Lear ein gutes Versteck hat, wird ihn keiner finden.” „Ich passe auf“, entgegnete Hasard. „Es ist nicht das erstemal, daß ich mit solchem Gesindel zu tun habe.“ 8. Am Abend hatte Ferris Tucker es tatsächlich geschafft. Die „Isabella“ war wiederhergestellt. Sie hatte eine neue Blinde, die zerfetzten Segel waren ersetzt oder ausgebessert worden, und auch der Besanmast war wieder intakt. Auf dem Oberdeck gab es jetzt eine neue Nagelbank, und auch das Schanzkleid und das lecke Beiboot waren repariert. Todmüde sanken Ferris, Will Thorne und ihre Helfer in die Kojen. An Deck befanden sich jetzt nur noch vier Wachen einschließlich Dan O’Flynn, der wieder seinen Posten im Hauptmars übernommen hatte. Wach waren außerdem nur noch Severa Guerazi, die in diesem Moment auf nackten Sohlen das Achterkastell verließ, und Hasard und Siri-Tong in der Kapitänskammer der Galeone. Siri-Tong war am Nachmittag auf die „Isabella“ zurückgekehrt. Anfangs hatte sie das Mädchen mit den dunkelblonden Haaren noch argwöhnisch beobachtet. Sie war eifersüchtig, obwohl auch sie natürlich bereit war, den beiden Basken zu helfen. Sie schwankte zwischen zwei Gefühlen: einer Art mütterlichem Bestreben, Severa unter ihre schützenden Fittiche zu nehmen, und der kühlen Zurückhaltung gegenüber der „Rivalin“. Dann aber hatte sich gezeigt, daß Severa nicht nur Freundschaft mit dem Schimpansen Arwenack und dem Papagei Sir John geschlossen hatte. Sie empfand auch Zuneigung für Dan O’Flynn. Und wie es schien, war auch Dan „bis über beide Ohren in die verschossen“, wie Carberry
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der Roten Korsarin vertraulich mitgeteilt hatte. Severa war also keine Gefahr mehr, was den Seewolf betraf. Siri-Tong hatte ihre Reserviertheit aufgegeben. Sie hatte Severa sogar eine ihrer Hosen und eine Bluse verschafft, so daß das Mädchen nicht mehr in den Robbenfellen herumzulaufen brauchte. Severa drückte sich an den Deckswachen vorbei, kletterte in die Backbordhauptwanten und stieg in den Webeleinen hoch. Carberry lag zu dieser Stunde auch auf dem Ohr. Er, der Inbegriff der Disziplin an Bord, hätte wahrscheinlich gemeckert, aber Al Conroy, Gary Andrews und Luke Morgan, die die Deckswache schoben, drückten grinsend beide Augen zu. Dan staunte nicht schlecht, als das Mädchen zu ihm in den Großmars stieg. Arwenack kratzte sich verwundert am Kopf. In der illustren Versammlung hätte eigentlich nur noch Sir John gefehlt. Aber der Aracanga vertrug sich mit dem Schimpansen nur, wenn die Seewölfe im dicksten Gefecht lagen oder einen Sturm abritten. Severa kraulte Arwenack den Kopf und ließ sich neben Dan nieder. Arwenack verdrehte verzückt die Augen und gab einen leisen Seufzer von sich. „Das ist aber unvorsichtig von dir“, sagte Dan in seinem astreinen Spanisch. „Du hättest fallen und dir weh tun können.“ Sie lächelte. „Aber nein. Ich kenne mich auf Schiffen aus. Hast du vergessen, daß ich auf einem Walfänger gefahren bin?“ „Nein, nur ...“ Dan verstummte. „Ich möchte dir ein bißchen Gesellschaft leisten“, sagte sie. „Und dabei können wir unser Gespräch von heute morgen fortsetzen. Du hast doch nichts dagegen, oder?“ „Ich?“ Dan wurde richtig verlegen. „Nein, natürlich nicht. Wir müssen nur aufpassen, daß der Profos uns nicht ertappt.“ Er grinste plötzlich. „Aber was kümmert mich Carberry! Für dich - für dich würde ich noch viel mehr tun, als mich mit dem herumzuraufen.“
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„Was denn zum Beispiel?“ „Ich, äh, den Wal jagen, beispielsweise.“ Sie griff nach seinem Arm und lehnte sich gegen ihn. „Ach, Dan, das verlange ich ja gar nicht von dir.“ „Ich würde es auch mit O’Lear und seinen Piraten aufnehmen, wenn es darauf ankäme“, flüsterte er. „Du kennst mich bloß noch nicht richtig. Für dich könnte ich die Welt auseinandernehmen.“ „Ach, Dan“, hauchte sie wieder. Arwenack verschwand. Er hatte festgestellt, daß seine Knabbervorräte zu Ende gegangen waren. Rasch turnte er nach unten. Der Augenblick war günstig, der Kutscher schlummerte und hatte das Kombüsenschott nicht zugeriegelt. Arwenack schlüpfte in die Kombüse und träumte schon von Rosinen, Kokosnüssen und Bananen., Dan nutzte das aus. Der Schimpanse war ihm zwar nicht lästig, aber irgendwie störte er jetzt doch. Dan beugte sich ganz nah zu Severa, hielt sie umschlungen und drückte ihr einen Kuß auf. Sie wehrte sich nicht dagegen, im Gegenteil, sie erwiderte den Kuß. Als sie sich voneinander trennten, sagte sie gedämpft: „Madre de Dios, ich glaube, ich liebe dich, Dan O’Flynn.“ „Ich dich auch.“ Plötzlich wurde sie ernst. „Dan! Wie vielen Mädchen hast du das schon gesagt?“ „Keiner. Ich schwör’s dir.“ „Ich bin die erste, die du küßt?“ Dan war eine ehrliche Haut, das Lügen war ihm schon immer schwergefallen. „Das - das habe ich nicht gesagt“, erwiderte er. Ihre Augen funkelten, sie war ein temperamentvolles Wesen. Aber, ehe sie reagieren konnte, hatte Dan sich aufgerichtet und bedeutete ihr durch eine Geste, sich mucksmäuschenstill zu verhalten. Ja, er war verliebt und schwebte auf rosaroten Wolken im Siebenten Himmel. Deswegen vergaß er aber nicht seine Pflicht. Der Dienst im Großmars hatte seine Sinne so geschärft, daß er auch die
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kleinste Veränderung auf See sofort wahrnahm. Selbst in der Nacht. Seine dumpfe Ahnung verdichtete sich zur Gewißheit. Vor der Bucht regte sich etwas. Etwas Dunkles, Ausladendes, Schemenhaftes. „Severa”, raunte Dan. „Du mußt sofort abentern und die Wachen auf Deck und den Seewolf verständigen. Sag ihnen, wir kriegen Besuch. Ein Schiff läuft die Bucht an.“ „Dan — ich sehe es nicht.“ „Man sagt, Donegal Daniel O’Flynn habe die schärfsten Augen an Bord der ‚Isabella— erwiderte er. „Das stimmt auch. Beeil dich, Severa, sonst gibt es Ärger für uns.“ Sie hauchte ihm noch einen Kuß auf die Wange, dann war sie über die Segeltuchverkleidung des Großmarses nach unten verschwunden. Sie begriff, daß sie sich so leise wie möglich verhalten mußte. Dan hätte auch pfeifen können, um die Wache zu verständigen, aber das hätten die Männer auf dem fremden Schiff vernommen, und sie wären gewarnt gewesen. In dieser Nacht wurden also gleich zwei Schäferstündchen unterbrochen: Siri-Tong umarmte gerade den Seewolf, als Severa gegen die Tür der Kapitänskammer pochte und Meldung erstattete. Danach lief alles in Sekundenschnelle und beinahe lautlos ab. Noch bevor die Wachtposten am Ufer der Bucht das fremde Schiff gesichtet hatten, war die „Isabella“ ankerauf gegangen und glitt auf die Ausfahrt zu. Hastig rappelten sich die Männer von den Kojen auf, eilten auf Oberdeck und pirschten sich zu ihren Gefechtsstationen. Hasard untersagte es seinem Profos diesmal ausdrücklich, auch nur einen Fluch auszustoßen. Sir John landete wieder mal in der ProfosHosentasche, damit er den Schnabel hielt. Siri-Tong pullte in ihrem Beiboot zum schwarzen Schiff und sorgte dafür, daß auch der Viermaster auslief. Die „Isabella“ passierte den Eingang zur Bucht. Severa war neben dem Seewolf, sie standen beide auf der Back und konnten
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das fremde Schiff im Mondlicht erkennen. Es entpuppte sich als Dreimast-Galeone. Sie hatte nur das Großsegel und die Fock gesetzt und hielt am jetzt aus Südwest wehenden Wind genau auf sie zu. „O’Lear“, flüsterte Severa. „Ich würde ihn unter Tausenden wiedererkennen. Das ist sein Flaggschiff.“ „Geh zu deinem Vater“, raunte Hasard. „Was jetzt geschieht, ist nichts für dich. Laß dich nicht hier, oben sehen, Severa, bis alles vorbei ist. Das ist ein Befehl.“ Sie eilte davon. Der Seewolf blickte unverwandt zu dem Gegner und sah, wie jetzt die spanische Fahne im Groß topp erschien. Unwillkürlich mußte er grinsen. Glaubte O’Lear, er habe einen Don vor sich? Es konnte sein. Der Ire luvte an und nahm Fahrt aus dem Schiff, als wolle er sich zu einem friedlichen Plausch mit der „Isabella“ treffen. Aber aus den offenen Stückpforten der Galeone gähnten den Seewölfen die Geschützmündungen entgegen. Keine zwei Kabellängen trennten die Parteien. O’Lear erschien allein, er glaubte, leichtes Spiel zu haben. Es war eine riesengroße Dreistigkeit. Hasard gab seinen Leuten ein Zeichen. Er ließ nicht beidrehen, sondern abfallen, und segelte dem Piraten mit Backstagswind davon. So gab er Siri-Tong die Gelegenheit, ebenfalls die Bucht zu verlassen. Und Brian O’Lear feuerte, um seine Beute nicht entwischen zu lassen. Er fiel wieder ab, zeigte Hasard die Steuerbordbreitseite und ließ sie zünden. So rasch er seine Maske fallenließ und sein wahres Gesicht entblößte, so schnell zeigte auch der Seewolf die Zähne — er gab den Feuerbefehl, als O’Lears Kugeln heranorgelten. Die Salve der Piraten verfehlte die „Isabella“ völlig. Einige Kugeln stoben in die See, andere rasten bis zum Land und hämmerten Löcher in die Felsen. Nachts ein bewegliches Ziel zu treffen, war keine einfache Sache, schon gar nicht, wenn das Ziel so flink war wie die „Isabella“.
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Hasard hatte anluven müssen, um den Gegner mit seinen Kugeln zu erreichen. Krachen und Splittern verkündeten, daß zumindest ein paar Treffer zu verzeichnen waren. „Hart an den Wind!“ rief er. „Wir rauschen an ihm vorbei, gehen über Stag, laufen wieder die Inseln an und geben ihm unsere Backbordbreitseite zu schmecken!“ Shane und Batuti waren in den Wanten aufgeentert und begannen ihr bewährtes Zielschießen auf den Gegner. Ferris Tucker und Ben Brighton feuerten die Drehbassen des Achterkastells ab. Von Land aus schossen Siri-Tongs Wachtposten mit Musketen und Arkebusen auf die Piraten - und dann erschien groß und wuchtig auch das schwärze Schiff in der Buchteinfahrt. Kaum hatte „Eiliger Drache über den Wassern“ das offene Wasser erreicht, nahm auch er Ostkurs und ließ die Geschütze sprechen. O’Lear befand sich im Kreuzfeuer. Er war in die Falle getappt, und nur ein einziger Entschluß konnte ihn aus dem grollenden Inferno befreien und vor dem Allerschlimmsten bewahren. Der Rückzug. Hasard beobachtete, wie auf der Galeone Vollzeug gesetzt wurde. Mit Backbordhalsen nahm sie wieder Fahrt auf und strich am Südufer der Insel entlang. O’Lear riskierte, auf Legerwall gedrückt zu werden; sein Manöver war halsbrecherisch. Aber er hatte keine andere Wahl. Zum Schuß gelangte er nicht mehr, es blieb bei der einzigen Steuerbordbreitseite, die er abgegeben hatte. „Hart an den Wind mit Kurs Nordwesten“, befahl der Seewolf. „Wir folgen ihm. Er soll nicht glauben, daß er so glimpflich davonkommt.“ Es wurde eine erregende Jagd. Siri-Tong blieb als Wächter bei der Bucht zurück. Hasard hetzte O’Lear rund um die Insel und schließlich durch tückische Passagen bis auf drei, vier Meilen mitten in den Archipel.
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Doch der Ire hatte bereits etwas Vorsprung gewonnen, und außerdem kannte er sich besser aus als der Seewolf. Als zuletzt dann noch eine Wolkenbank den Mond verdeckte, gelang es den Piraten, in der Nacht unterzutauchen. „So ein Mist aber auch“, wetterte Ben Brighton. „Es wäre besser gewesen, diesen Hund zu versenken.“ „Genau das finde ich auch“, erwiderte Hasard. „Er wird versuchen, uns erneut an die Kehle zu gehen. Wir müssen auf der Hut sein. Ein Kerl wie der gibt nicht auf. Er hat uns bestimmt bittere Rache geschworen.“ 9. Vorläufig aber zeigten sich die Piraten nicht. Der Rest der Nacht verlief ruhig. Dennoch: Hasard und Siri-Tong verstärkten die Wachen noch mehr und hielten ihre Schiffe ständig gefechtsbereit. Am Morgen war der Himmel wolkenlos und von intensivem Blau. Die Sonne wärmte die Oberdecks der Schiffe, sie setzte den Wellen glitzernde Kronen auf und besserte auch die Allgemeinstimmung der beiden Frauen und der Männer. Hasard schickte Dan O’Flynn, Gary Andrews und Al Conroy auf die Nachbarinsel hinüber, sie sollten den höchstgelegenen Punkt aufsuchen. Sein zweites Beiboot rüstete er mit den Waffen des Walfängers aus, dann begab er sich an Bord und suchte Shane, Batuti, Blacky, Smoky, Luke Morgan und den Schweden Stenmark als Begleiter aus. Siri-Tong und Severa durften nicht mitkommen, er hatte es sich ausdrücklich verbeten, obwohl sie ihn gedrängt hatten. Die beiden Beiboote des schwarzen Seglers, die mit z dem Unternehmen ausliefen, wurden ebenfalls voll bemannt und mit Waffen versehen. In dem ersten saßen Thorfin Njal, seine vier Wikinger, Juan und der Boston-Mann. Das zweite wurde von Bill the Deadhead, Muddi, Mike Kaibuk, Tammy,
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Missjöh Buveur sowie den beiden Portugiesen Pedro Ortiz und Diego Valeras vorangepullt. Den Wal von den Booten aus zu jagen, war nach Euzko Guerazis Schilderungen die einzige Möglichkeit, ihn wirklich zur Strecke zu bringen. Segelschiffe waren dafür zu unbeweglich, zu groß und zu hoch. Natürlich bestand bei den Booten die Gefahr, daß sie von dem Wal angegriffen und zerschmettert wurden. Aber dieses Risiko mußte der Seewolf eingehen. Einen bequemen Weg, El Asesino zur Strecke zu bringen, gab es nun einmal nicht. „Ihr wißt, was uns passieren kann“, sagte Hasard zu seinen Männern. „Der Wal ist schlau. Wir haben den Beweis dafür ja schon erlebt.“ „Ja“, erwiderte Big Old Shane. „Aber es ist der letzte Wunsch des Basken, den Wal zu töten, und wir a haben uns freiwillig zu der Jagd gemeldet.“ Daß Severas Vater an der Schwindsucht litt, hatte sich inzwischen bei der Crew herumgesprochen¬. Hasard hatte es nicht verheimlichen können und wollen. Nur Severa durfte nichts erfahren. Sie liebte ihren Vater über alles, es würde ein harter Schlag für sie sein, wenn er die Augen für immer schloß. „Vielleicht zeigt sich El Asesino überhaupt nicht“, meinte Blacky. „Unsere Posten auf der Insel haben ihn weder gestern noch während der Nacht bei dem toten Muttertier entdecken können. Er scheint die Totenwache aufgegeben zu haben.“ Hasard blickte durch das Spektiv. Sie hatten die Bucht verlassen, pullten nach Südosten und begaben sich in den Sund zwischen ihrem Eiland und der Nachbarinsel. Dan, Gary und Al hatten die höchste Erhebung der zweiten Insel erreicht, er konnte sie als kleine dunkle Punkte erkennen. „Euzko ist sicher, daß El Asesino heute erscheint“, sagte Hasard. „Deswegen wollte ich unbedingt mit den Booten auslaufen. Der Alte täuscht sich nicht.“ „Aber er kann doch nicht hellsehen“, sagte Smoky.
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„Das nicht. Nur die Gewohnheiten von El Asesino kennt er. Der Wal ist hartnäckig. Er läßt nicht von uns ab. Und bei dem schönen Wetter heute begibt er sich öfter als gewöhnlich an die Wasseroberfläche. Er wird seine Dampfwolke blasen und sich zum Duell stellen.“ Stenmark zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Wie überzeugt du bist. Überschätzen wir diesen Buckelwal nicht alle ein bißchen?“ „Kaum“, erwiderte Hasard. „Ihr alle wißt, daß ich nicht zu Übertreibungen neige. Die Fakten werden bald bestätigen, wie zutreffend Euzko Guerazis und meine Voraussage sind.“ Die Ausguckposten auf den höchsten Punkten der beiden Inseln — auf der einen Seite Dan, Gary und Al, auf der anderen Siri-Tongs Männer -hatten Bleiglasscherben dabei, mit denen sie Blinkzeichen geben sollten, sobald sich der Buckelwal zeigte. Die Geduld der Jäger wurde auf eine zähe Probe gestellt. Bis zur Mittagsstunde ereignete sich nichts Nennenswertes, nur ein paarmal zogen Tangfelder an den Booten vorbei. Der Seewolf und seine Männer erachten sich jedesmal außer Reichweite des tückischen Tangs - kein Boot verhedderte sich darin. Hasard kehrte nicht in die Bucht zurück. Er verharrte mit seinem Boot auf See. Er wollte bereit sein, wenn El Asesino doch noch erschien. Thorfin Njal und die anderen Männer der Roten Korsarin in den Beibooten des schwarzen Schiffes folgten seinem Beispiel. Hartnäckig verweilten sie und pullten langsam immer wieder um die Inseln herum. Etwa zwei Glasen nach der Mittagsstunde war es soweit. Hasard richtete sich auf. Ein Lichtreflex stach in seine Augen. Er blickte zu Dans, Garys und Als Standort auf der Nachbarinsel. Von dort aus wurde das Signal gegeben. „Dan blinkt“, sagte er. „Das bedeutet, El Asesino befindet sich auf der anderen Seite der Insel. Los, pullen wir hin!“
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Sie brauchten die südlich versetzt liegende Nachbarinsel nicht ganz zu runden. Als sie ihr westliches Ufer fast erreicht hatten und noch die „Isabella“ in ihrem Rücken in der Bucht sehen konnten, erblickten sie die Wolke, die aus der See aufstieg. „Da ist er ja“, sagte Shane. „Scheint sich verdammt wohl zu fühlen, der Bruder.“ Hasard antwortete nicht. Er schaute nur fasziniert auf die Erscheinung. Hunderte von Gallonen Luft preßte der Wal aus seinen Lungen. Er lag dabei ruhig im Wasser und bewegte sich nicht. War es El Asesino? Für Minuten wurde der Seewolf von Zweifeln geplagt. Was war, wenn er sich täuschte? Der Wal selbst verschaffte ihm Gewißheit. Er tauchte, und dabei erhielten die anrückenden Männer nicht nur einen Eindruck von seinem Umfang und seiner Länge, sie sahen auch den Pfeil, der immer noch in seiner Schwanzfluke steckte. „Also doch“, sagte Hasard. „El Asesino fordert uns heraus.“ Er sah zu den Booten des schwarzen Schiffes zurück. Sie folgten ihm, und Thorfin Njal ließ sie ein wenig zu den Seiten staffeln, um den Wal in die Zange zu nehmen. . Hasard drehte sich wieder nach vorn und sah auf die Stelle, an der der Wal verschwunden war. Wellenringe liefen dort auseinander und glätteten sich rasch. Der Gigant war unsichtbar und gab ihnen ein Rätsel auf: wo steckte er? Wo würde er wieder auftauchen? „Weiterpullen“, sagte Hasard. „Wir lassen uns nicht irritieren. Haltet eure Schußwaffen bereit, benutzt sie aber nur, wenn ich euch den Befehl dazu gebe.“ Er arretierte die Ruderpinne, und stieg zwischen seinen Männern hindurch über die Duchten nach vorn. Im Bug des Bootes lagerten seine Hilfsmittel: Harpune, Lanzen, das Tau im Faß. Er wollte fair kämpfen. El Asesino sollte eine Chance haben. Auf ihn zu schießen wäre denn doch zu einfach gewesen. Nur in einem Fall würde Hasard rücksichtslos Musketen, Tromblons, Flaschengranaten und Brandsätze benutzen: Wenn einer seiner Männer in unmittelbare
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Lebensgefahr geriet. Er hatte nicht das Recht, ihr Leben leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Ein feines Rauschen wehte heran und schwoll an. Hasard spürte, wie ihn das Jagdfieber packte. Er spähte nach allen Seiten, konnte den Riesen aber nirgends entdecken. Wohl aber sah er plötzlich eine Woge, die von Westen auf sie zuglitt. „Er kommt!“ rief Stenmark. „Er nimmt uns auf die Hörner.“ „Warte es ab“, sagte Big Old Shane rauh. „Noch ist es nicht soweit.“ Er pullte aber auch nur noch mit einer Hand, die andere schloß er um seinen Bogen, bereit, ihn jeden Augenblick hochzureißen. Angst empfand er nicht - wohl aber Respekt vor dem mächtigen Gegner. Hasard stand aufrecht im Bug. Er hatte die Harpune zur Hand genommen. Ihre Eisenspitze war mit einem dünnen Holzstift blockiert. Bohrte sie sich in den Wal, brach der Holzkeil, und die Harpune wurde zum Widerhaken. Die Welle brach auf, El Asesinos schwarzer Rücken schob sich über die Wasserfläche hinaus. Er hielt genau auf das Boot zu. „Schneller“, sagte Smoky. „Verdammt, wir wollen doch nicht ‘rausgeschleudert werden wie die Spanier.“ El Asesino korrigierte seinen Kurs und beschrieb eine Kurve. Sie konnten pullen, so emsig sie wollten, er schien sie im Auge zu behalten. Er saß ihnen auf den Fersen und holte erschreckend schnell auf. Luke Morgan war blaß geworden. „Also schön, Leute, sprechen wir vorsichtshalber unser letztes Gebet. Man weiß nie, wozu das gut ist.“ Es sollte unbeschwert, gelassen klingen, und doch spürten alle Lukes nervliche Anspannung. Hasard wurde innerlich erstaunlich ruhig. Jetzt, kurz vor dem Jagdbeginn, hatte er sich völlig in der Gewalt. Es war die Macht der Selbstbeherrschung, der Urinstinkt des Jägers. Unversehens verschwand der Walrücken wieder. El Asesino tauchte. Er zog unter ihrem Bootskiel durch, die Woge hob sie
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sanft hoch -und in diesem Augenblick hielten sie die Luft an. „Er ist vorbei“, sagte Hasard. Luke Morgan stieß pfeifend die Atemluft aus. „O verdammt“, sagte er. „Was macht der bloß? Will er uns zum Narren halten?“ Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Vielleicht glaubt er, er kann uns reizen und verunsichern. Er hat sich eine Taktik zurechtgelegt. Wir sprechen von jetzt an kein Wort mehr. Und setzt die Riemen so leise wie möglich ein.“ Noch als er die letzten Worte sprach, sah er El Asesino wieder emporgleiten. Schätzungsweise eine halbe Kabellänge weiter südlich verharrte der Gigant jetzt im Meer. Und wieder blies er seine Dampfwolke hoch. Hasards Männer pullten. Leise schob sich das Boot auf das Wild zu. Hasard orientierte sich an der Form des Walrückens, er war sicher, daß El Asesino ihnen die Schwanzfluke zuwandte und den Schädel nach Süden gestreckt hielt. Sie pirschten sich also von hinten an ihn heran. Noch ahnte er nicht, daß die Seewölfe bereits wieder hart an ihm dran waren. Jetzt zahlte sich aus, was Euzko Guerazi an Wissen auf den Seewolf übertragen hatte: Ein Wal war außerordentlich geräuschempfindlich. Wollte man ihn überlisten, mußte man lautlos arbeiten. Kein Plätschern, kein Knarren der Bootsplanken, nichts durfte ihn warnen. Hasard hielt die Harpune mit beiden Fäusten. Die Distanz verringerte sich. Nur noch wenige Yards, er glaubte, El Asesino schnaufen zu hören. Durch eine Gebärde bedeutete er seinen sechs Männern, mit dem Pullen auszusetzen. Sie stemmten die Riemen hoch. Das Boot glitt dahin und glich einem Wasservogel, der die Flügel ausgebreitet hält. Hasard schloß die Augen, öffnete sie wieder und sah den schwarzen Walrücken längsseits seines Bootes rutschen. El Asesino schien ihn jetzt doch bemerkt zu haben. Er bewegte sich. Hasard zögerte nicht mehr.
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Bevor das riesige Tier untertauchen konnte, schleuderte er die Harpune. Er warf sie mit aller Macht und legte seine ganze Kraft in die Bewegung. Und er hatte seine Lektion gut gelernt. Er hatte nicht nur begriffen, was der Baske ihm auseinandergesetzt hatte, er hatte auch mit der Harpune und den Lanzen geübt, um sicher im Wurf zu sein. Die Harpune traf. Tief drang sie in El Asesinos glänzende Speckhaut ein. * El Asesino begann mit den Brust- und der Schwanzflosse zu schlagen. Der Holzstift der Harpunenspitze war gebrochen, die Widerhaken verhinderten, daß sich die Waffe wieder aus dem Speck löste. Das Boot begann zu tanzen. Die Männer klammerten sich fest. Hasard suchte auch nach Halt, aber seine freie Hand tastete schon nach der widerhakenbewehrten Lanze, die er als nächstes einsetzen würde. Ein Knall zerhieb die atemlose Stille, Dampf stob hoch, Gischt hüllte die Männer ein — El Asesino blies wieder. Es war eine empörte, haßerfüllte Reaktion. Er hatte begriffen, daß er den Gegner unterschätzt hatte. Er ging auf Tiefe. Das Seil, mit dem die Harpune verbunden war, rollte sich zischend aus dem Faß. Hundertundfünfzig Yards Tau! El Asesino tauchte kopfunter, er schien fast senkrecht in die Tiefe zu stoßen. Plötzlich hob sich seine riesige Schwanzfluke aus den Fluten — direkt neben dem Boot. Er hatte den Pfeil jetzt doch abgeschüttelt. Die Flosse ragte drohend hoch, verdeckte die Sonne und warf einen Todesschatten über das Boot. „Hinlegen!“ schrie Hasard. Sie ließen die Riemen los und drückten sich gerade noch rechtzeitig genug zwischen die Duchten. Die Fluke zuckte auf sie nieder. Platt knallte sie auf das Boot. Es knackte und knirschte, jemand fluchte. Hasard glaubte, von einem Pferd in den Rücken getreten worden zu sein.
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Das Boot schaukelte wie verrückt und drohte zu kentern. El Asesinos Fluke zog sich vom Dollbord zurück und folgte der Bewegung seines Körpers. Sie tauchte ein und verschwand. Hasard packte instinktiv das Faß, aus dem das Harpunentau mit immer größerer Geschwindigkeit abrollte. Die Wellen glätteten sich wieder, das Rollen und Schlingern des Bootes wurde schwächer. „Na, Gott sei Dank“, sagte Blacky. „Das hätte schiefgehen können. Ich dachte, er zerschmettert uns.“ „Haltet euch fest!“ rief Hasard ihnen zu. „Glaubt bloß nicht, daß es vorbei ist.“ Der Wal tauchte tiefer und tiefer. Das Fäßchen mit dem Tau stand unter der Bugducht festgeklemmt, aber Hasard stemmte sich trotzdem dagegen, weil ihm etwas schwante. Der Wal war gerissen, eine einzige Harpune genügte nicht, um seinen Widerstand zu brechen. Euzko Guerazis Worte hallten in Hasards Geist wider, er hatte sie sich unauslöschlich eingeprägt. Plötzlich lief ein Ruck durch das Boot. Das Tau war an seinem Ende angelangt. Das Boot setzte sich in Fahrt, gleichzeitig senkte sich sein Bug. Nein, der Wal schleppte sie nicht nur fort - er wollte sie jämmerlich ersaufen lassen. „Ihr laßt euch von den anderen Booten aufnehmen!“ schrie Hasard seinen Männern zu. „Kümmert euch nicht darum, was ich tue!“ Der Bug tauchte unter, das Boot nahm Wasser über. „Du mußt das Tau kappen!“ brüllte Big Old Shane. „Es bleibt dir nichts anderes übrig, Hasard!“ „Niemals!“ Hasard hielt das Faß mit der Linken, in der Rechten hatte er eine Lanze. Das Tauende war sehr gut auf dem Boden des Behälters befestigt, es würde sich nicht lösen. Der Bug sackte ganz nach unten weg, und in diesem Augenblick setzte die Bremswirkung des Seewassers ein. Das Boot richtete sich mit dem Heck auf und
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überschlug sich. Die Männer stürzten in die Fluten. Hasard konnte gerade noch tief Luft holen, dann rutschte das Fäßchen unter der Ducht hervor, und er wurde unter dem Beiboot weggerissen. El Asesino zerrte ihn an dem Tau mit sich in die Tiefe! Der Himmel entschwand, es wurde dunkel über Hasard. Unter ihm war nichts als die blauschwarze Finsternis, in der undeutlich die Konturen des Giganten zu erkennen waren. Wie weit würde El Asesino tauchen? Wie lange hielt er, Hasard, das aus? Er fragte sich, ob die Harpune den richtigen Punkt des Walleibes getroffen hatte. Wurde El Asesino denn überhaupt nicht geschwächt? Hasard sah etwas Blaßrotes an sich vorbeigleiten. Blut. Eine breite Spur zog sich jetzt durch die Unterwasserregion und stieg an die Oberfläche. Er durfte hoffen. Einmal mußte El Asesinos Reise zu Ende sein. Bald würde er erschöpft auf tauchen, blasen und Luft schnappen. Bald - aber wann? Es konnte zu spät für Hasard sein. Dreißig, maximal vierzig Yards tief konnte er sich schleppen lassen. Das war bereits sehr tief für einen Menschen, fast zuviel, der Wasserdruck wuchs dort ins Unerträgliche. Wer sich tiefer hinunterwagte, verlor die Besinnung. Hinzu kam der Luftmangel. Er spürte jetzt, wie die Vorräte aus seinen Lungen wichen und das erste feine Stechen einsetzte. Bald würde er das Gefühl haben, daß sein Brustkasten berste. Bald. Warum tauchte El Asesino nicht auf? Wollte er etwa Selbstmord begehen? Euzko Guerazi hatte erzählt, Wale könnten bis in tausend Yards Tiefe tauchen. Er hatte das natürlich nie messen können, aber in den Magenhöhlen der von ihm erlegten Tiere hatte er manchmal Getier gefunden, das nur in solchen Tiefen lebte. Wenn El Asesino die Tiefsee aufsuchte, war es aus. Dann mußte der Seewolf das Tau loslassen und aufgeben, wollte er nicht selbst vernichtet werden. Aber unverhofft trat die Wende ein.
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Der starke Zug im Tau ließ nach. Hasard sah den Schatten unter sich größer werden, er schob sich unter ihm dahin und stieg allmählich auf. Deutlich schälten sich die Konturen der Riesenkreatur aus den Fluten hervor. Hasards Lungen schmerzten. In seinen Ohren dröhnte es. Vor seinen Augen wurde es schwarz und dann wieder hell, und danach begann es auch in seinem Kopf zu stechen. Der Druck im Inneren seines Oberkörpers wurde unerträglich. El Asesino schwamm höher und höher. Wie eine gewaltige Fahne zog er die Blutspur hinter sich her. Der Seewolf hielt das lasch gewordene Tau und die Lanze nach wie vor umklammert. Er gewann Auftrieb und gewahrte plötzlich wieder das Licht der Sonne über sich. Dann das Auftauchen! Er riß den Mund auf und holte japsend Luft. Rasselnd ging sein Atem. Das Stechen und Pressen in Kopf und Brust schwanden, es war einer der schönsten Augenblicke des Daseins, das Gefühl, von neuem geboren zu werden. Dem Tod von der Schippe gesprungen, dachte Hasard, Hölle und Teufel, er hat dich wieder mal nicht haben wollen. Er schaute sich um. Weit hinter ihm waren die Männer in den Booten. Thorfin Njal und seine Gefährten hatten Shane, Batuti, Blacky, Smoky, Luke und Stenmark aufgefischt. Das Beiboot der „Isabella“ lag kieloben etwa eine Viertelmeile entfernt. El Asesino hatte ihn, Hasard, nach Süden geschleppt. Ein Ruf ertönte von den Booten. Der Boston-Mann hatte ihn ausgestoßen. Er hatte Hasard als erster gesichtet und wies aufgeregt auf ihn. Sofort setzten sich beide Boote in Bewegung. Hasard blickte zu dem Buckelwal. Genau hundertundfünfzig Yards entfernt lag er, denn hundertundfünfzig Yards maß das Tau. Der schwarze Rücken ragte wie ein blanker Felsen auf. Es sah so aus, als döse El Asesino. Hasard klemmte sich die Lanze Unter einen Arm und hangelte mit beiden Händen an dem Tau entlang. Er sah die
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Blutspur im Wasser. El Asesino verlor jetzt sehr viel davon. Er begann wieder zu blasen, aber in der Gischtwolke war mit einemmal eine rosa Beifärbung. Hasard hatte die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Langsam, aber unaufhaltsam schob er sich auf den Gegner zu. Plötzlich drehte sich El Asesino in einem jähen Aufwallen seiner Wut um, tauchte und schoß auf den Seewolf zu. Er durchstieß die Blutbahn, die er gezogen hatte, und schickte sich an, seinen Feind im Frontalangriff zu erledigen. Hasard schnappte Luft und tauchte ebenfalls. Es war die einzige Möglichkeit, sich dem Wal zu stellen. Er mußte aufpassen, daß sich das Tau nicht um ihn wickelte. Es hätte ihn erwürgen und zerquetschen können. El Asesino war ein schwarzer Berg, der flossenschlagend durch die Wasserwand brach. Sein Maul klaffte auf. Er wollte Hasard verschlingen. Er hatte Zähne, mit denen er einen Menschen mühelos zermalmen konnte. Hasard schwamm noch tiefer und zerrte das Tau mit. El Asesino schien blind zu sein, er sah nichts mehr durch den dunkelroten Schleier, der ihn umhüllte. Schnurgerade jagte er auf den Platz zu, an dem sich der Zweibeiner eben noch befunden hatte. Hasard sah den weißen Bauch dicht über sich dahinziehen und stieß mit der Lanze zu. Wieder glaubte er die unheimlichen Laute des Tieres zu vernehmen. El Asesino rauschte über ihn weg und nahm die in seinem Leib steckende Lanze mit. Hasard glaubte, er würde ihn jetzt wieder an dem Tau mitreißen, aber er täuschte sich. El Asesino verharrte im Wasser. Seine Fluke bewegte sich nach unten, griff unter das Tau, hob es ein bißchen an - dann schnellte sie mit aller Macht nach oben. Hasard wurde an dem Tau in Richtung Wasseroberfläche katapultiert. Ein Ruck durchlief seinen Körper, er dachte, ihm würden die Arme ausgerissen.
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Ganz unversehens durchstieß er das Wasser und segelte in die Luft hoch. Sobald sich das Tau erneut straffte, würde ihn ein noch größerer Ruck treffen, ein Schlag, der ihm das Genick brechen konnte. Ein vielstimmiger Schrei gellte über das Wasser. Die Seewölfe, die Siri-Tong-Männer, die auf den Inseln Postierten und auf den Schiffen Verbliebenen -sie alle wohnten seinem unglaublichen Höhenflug bei. Hasard ließ das Tau los. Er wirbelte um die Körperachse, breitete aber die Arme und Beine aus. Einigermaßen glimpflich landete er wieder in der See. Er tauchte ein, schob sich wieder hoch und winkte den Freunden zu. Thorfin Njal war als erster mit seinem Boot zur Stelle. Er streckte seine riesige Pranke aus und zog den Seewolf an Bord. „Bei allen Göttern“, sagte er. „Das ist das Haarsträubendste, das ich je erlebt habe.“ Hasard antwortete nicht, sein Blick suchte den Wal. Keine hundert Yards entfernt lag er schwer im Wasser. Hasard sah das Blut, das rings um den kolossalen Leib trieb, und er hatte plötzlich nur noch den einen Wunsch, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. „Pullen wir hin“, sagte er. „Gebt mir eine Lanze.“ Kurz darauf sprang er vom Boot auf den dunklen Walkörper und versetzte ihm den Fangstoß. Es begann unter ihm zu zucken und zu vibrieren, schleunigst kehrte er auf das Boot zurück. Die Männer legten sich in die Riemen. Shane und Batuti sprangen von den Duchten hoch und feuerten ihre Pfeile auf El Asesino ab. Hasard gab das Zeichen. Es durfte auch mit den Flinten geschossen werden. Seewölfe und Siri-Tong-Piraten legten auf den Giganten an. Sie umkreisten ihn in den beiden verbliebenen Booten. Aber bald sahen sie, daß dieser letzte Einsatz nicht mehr nötig war. El Asesino starb: Es war ein verhaltenes, undramatisches Überwechseln vom Leben zum Tod, fast ein Einschlummern.
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„Er hat die Flagge gestrichen“, sagte Big Old Shane beeindruckt. „Himmel, er hat uns bewiesen, daß nicht nur ein Mensch heldenhaft untergehen kann. Ich kann nicht anders - ich muß ihn bewundern.“ „Mir geht es genauso“, sagte Hasard leise. 10. Am Nachmittag schleppten sie El Asesino. in die Ankerbucht der Schiffe und holten auch das tote Muttertier von der Westseite der Insel. Im Dunkelwerden begannen sie mit dem Ausweiden der beiden Tiere. Sie hatten sie halb aufs Ufer gezogen, standen bis zu den Hüften im Wasser und arbeiteten mit Äxten, Sägen und Messern. Hasard hatte Euzko Guerazi aus seiner Kammer auf Deck holen lassen. Solange es noch warm war, konnte der Baske die Arbeit der Männer verfolgen. „Ich wußte es“, sagte er immer wieder. „Es gibt nur einen, der El Asesino besiegen konnte - dich, Seewolf. Ich wußte es. Oh, wie froh ich bin.“ Hasard stand neben ihm, erwiderte aber nichts. Er hatte es geschafft. Sicher, eines gewissen Triumphgefühls konnte auch er sich nicht erwehren. Gleichzeitig tat ihm der Wal aber auch leid. Er hatte dem todkranken Basken einen letzten Wunsch erfüllt. Aber sicherlich würde er einen Wal nur wieder erlegen, wenn er absolut keinen anderen Weg sah. Er war kein geborener Walfänger. Irgendwie spürte er, daß diese mächtigen Tiere eines Tages als Rasse vom Aussterben bedroht sein würden, daß es nicht gut war, sie zu jagen. „Wo ist Severa?“ fragte Euzko Guerazi. „Sie unternimmt einen Spaziergang mit Siri-Tong.“ Der Alte nickte. „Ich weiß. Severa kann dieses Schlachten nicht mitansehen. Sie hat es noch nie gekonnt. Sie hätte auch niemals allein das Muttertier ausweiden können.“ Hasard wandte den Kopf und sah zu Dan O’Flynn hoch. Der junge Mann befand sich auf seinem Ausguckposten im Hauptmars. Sicherlich hatte er verstanden, was sie gesprochen hatten. Er war zutiefst
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betrübt, daß er das Mädchen nicht begleiten konnte, man konnte es seiner Miene entnehmen. Aber noch etwas sah Hasard in Dans Zügen. Irgendwie schien auch er ganz froh darüber zu sein, daß Severa keine kaltblütige Waljägerin war. So etwas paßte nicht zu einem hübschen Mädchen. * Flanagan schob Wache an der Nordseite der Insel. Er hatte die Aufgabe, fortwährend zu patrouillieren und die See scharf im Auge zu behalten. Erst gegen Morgen würde er abgelöst werden. SiriTong hatte mittags die Schichten neu eingeteilt, und da war ihm diese verdammte Nachtwache zugefallen. Die ganze Nacht lang auf einsamem Posten! Er fluchte leise vor sich hin und spuckte aus. Er hielt es für eine Ungerechtigkeit, immer wieder zum Wachdienst herangezogen zu werden. Aber niemals hätte er es gewagt, offen dagegen zu protestieren. Er hatte ja gelernt, wie wild die Rote Korsarin werden konnte, wenn man ihr nicht gehorchte. Von Land her drangen Wortfetzen herüber. Eine Frauenstimme — sie gehörte SiriTong. Flanagan schloß daraus, daß die Korsarin einen Kontrollgang unternahm. Soll sie doch, dachte er, mir kann sie nichts anhängen, ich penne nicht und bin hellwach. Die Bewegung, die dicht unter Land im Wasser war, registrierte er nicht. Er nahm sie auch nicht zur Kenntnis, als sie durch die Brandung zog und sich allmählich dem Ufer näherte. Immer wieder war er durch den treibenden Riesentang irritiert worden. Er hatte aufgehört, auf jedes Ding zu achten, das an ihm vorbeiglitt. Der Tang konnte einen auf die Dauer verrückt werden lassen. Flanagan reagierte erst, als er sich umwandte und den Schatten neben sich hochwachsen sah. Er stieß einen empörten Laut aus und wollte zur Pistole greifen
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oder wenigstens zum Messer. Doch das schaffte er nicht mehr. Etwas zuckte von schräg unten auf ihn zu. Er spürte es plötzlich im Körper und fühlte auch den Schmerz, der sich in ihn hineinfraß. Eine Hand legte sich auf seinen Mund und dämpfte seinen entsetzten Ruf zum Röcheln. Eine schwarze Glocke schien sich über ihm auszustülpen, und die Nacht fraß alles, die Wahrnehmung, die Schmerzen, die Probleme dieser Welt. Der lautlose Angreifer ließ Flanagans Leiche zu Boden sinken. Er riß ihm die Mütze vom Kopf und setzte sie sich auf. Zwei andere Schatten waren geduckt neben ihm. Sie packten den reglosen Körper, schleiften ihn fort und kauerten sich dicht neben ihm an den Hang. Noch zwei Gestalten lösten sich aus der Brandung, gefolgt von zwei anderen. Sieben Männer befanden sich am Nordufer der Insel - wilde Kerle mit struppigen Bärten, muskelbepackten, triefenden Leibern und haßblitzenden Augen. Ihre Schiffe lagen draußen in der Nacht, so weit entfernt, daß kein Wachtposten sie sichten konnte. Schwimmend hatten sie sich der Insel genähert, die Messer zwischen den Zähnen. Brian O’Lears Messer hatte Flanagan getötet. O’Lear stand mit verschränkten Armen da und hielt den Blick seewärts gewandt, er trug Flanagans Mütze zur Tarnung. Auch der Pirat hat die Frauenstimme vom Inselinneren her vernommen. Jetzt wartete er geduldig, während sich seine sechs Begleiter am Hang postierten und mit der Finsternis verschmolzen. O’Lear, ein rothaariger Bulle von Mann mit grauen Augen, einem dichten Bartgestrüpp und dünnen, grausamen Lippen - O’Lear war von kaltem Haß auf den Seewolf und seine Männer erfüllt. Aber deswegen verlor er seine Geduld nicht. Er harrte aus. Das zahlte sich aus. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie sich die Gestalt der Frau näherte. Sie trug weißleinene Schifferhosen, eine halboffene, rote Bluse und führte das
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seltsame Schiff mit den schwarzen Segeln. O’Lear hatte es bei seinem nächtlichen Angriff sehr wohl betrachtet und diese schwarzhaarige Frau auf dem Achterdeck stehen sehen. Auch ihr hatte er Rache geschworen. Aber Siri-Tong war nicht allein. Neben ihr schritt ein zweites Frauenzimmer, gertenschlank, blutjung, hübsch, mit langen Haaren. O’Lears Lippen verzogen sich zu einem hämischen Grinsen. Das, was hier seinen Lauf nahm, war besser, als er sich zu erträumen gewagt hatte. „Flanagan“, sagte die Rote Korsarin im Nähertreten. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst am Ufer auf und ab marschieren? Du stehst da wie ein Ölgötze. Ist das eine Art, meine Befehle zu befolgen?“ Englisch! O’Lear hätte vor Überraschung fast einen Ruf ausgestoßen. War denn das zu fassen? Er hatte diese Leute für Spanier gehalten. „Nein, Ma’am“, erwiderte er. „Flanagan, mit dir bin ich nicht zufrieden“, sagte sie aufgebracht. „Ich postiere hier noch einen zweiten Mann, der nicht nur das Ufer, sondern auch dich kontrolliert. Was, glaubst du, passiert, wenn die Piraten zurückkehren und beispielsweise am Nordwestufer landen? Die siehst du ja nicht einmal ...“ Den Rest des Satzes verschluckte sie. Sie war neben dem Mann, und jetzt wirbelte er herum und zeigte ihr sein Gesicht. SiriTong stieß einen zornigen, hellen Laut aus. Severa wich entsetzt zurück. O’Lear packte Siri-Tongs Arme. „Komm her, du Hure, auf dich hab ich gewartet. Du bist genau das richtige Weibsbild für mich, und deine Freunde werden einiges springen lassen, wenn sie dich wiederhaben wollen.“ „O’Lear!“ schrie Severa, dann noch einmal aus Leibeskräften: „Der Teufel O’Lear ist da!“ Sie fing sich, sprang wieder vor und versuchte, der Roten Korsarin zu helfen. „Lauf weg!“ schrie Siri-Tong sie an. „Ich werde schon allein mit diesen Dreckskerlen fertig.“ Sie wand sich unter dem Griff des Iren, aber ihr entgingen auch
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nicht die Gestalten, die sich jetzt vom Hang gelöst hatten und auf sie zuliefen. Siri-Tong trat dem Iren gegen das Schienbein, riß eine Hand los und zog sie ihm wie eine Tatze durchs Gesicht. Er heulte auf. Sie wich zurück und zückte ihre Pistole. O’Lear ließ sich fallen. Der Schuß pfiff über ihn weg, stach eine grellgelbe Feuerlanze in die Nacht und fuhr einem seiner Kumpane in die Brust. Mit einem gurgelnden Aufschrei sank der Mann zu Boden. „Lauf weg!“ fuhr Siri-Tong das BaskenMädchen an. „Beeil dich! Alarmiere die anderen!“ „Ich lasse dich nicht allein“, schluchzte Severa. O’Lear hatte sich wieder aufgerappelt. Wutentbrannt warf er sich auf die Frauen. Diesmal kriegte er Severa zu fassen. Er schlug ihr mit der Hand ins Gesicht, hielt sie brutal fest, zerrte sie mit sich und zog Ach zur Brandung hin zurück. Siri-Tong wollte ihnen nachstürmen, doch jetzt waren die anderen fünf Piraten heran. Fluchend rückten sie auf sie zu. Sie zog ihren Degen. „Zurück, ihr Hunde“, zischte sie. „Verschwindet, wenn euch euer Leben lieb ist.“ „Schieß sie nieder, Maccallion“, sagte der eine. „Nein“, erwiderte der mit Maccallion angesprochene Kerl. „O’Lear will sie lebend haben. Wir brauchen sie als Geisel gegen die anderen.“ Siri-Tong setzte sich erbittert gegen ihre Messer und Säbel zur Wehr, aber sie konnte sich nicht behaupten. Immer weiter drängten sie sie zurück. Sie stolperte rückwärts den Hang hinauf, focht erbittert und sah, wie die Kerle versuchten, sie einzukreisen. Aber vom Inselinneren her erschallten plötzlich Rufe. „Hasard“, keuchte die Rote Korsarin. „Mein Gott, warum kommst du nicht?“ Sie wich aus, bewegte sich zurück, warf sich dann ganz herum und flüchtete, bevor die Kerle sie packen konnten. Sie wußte, daß sie Severa nicht im Stich lassen durfte,
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aber sie mußte auch ihre Leute alarmieren. Der Schuß hatte sie in Aufruhr versetzt, aber sie wußten nicht genau, wohin sie sich zu wenden hatten. „Hasard!“ schrie sie. Gestalten erschienen auf den Hügelkuppen. Jemand feuerte in die Luft, und der Mündungsblitz erhellte für einen Sekundenbruchteil die Front der herbeieilenden Männer. Es waren zehn, zwölf, immer mehr - die Piraten drehten sich unvermittelt um und stürmten zum Nordufer zurück. Der Seewolf hetzte seinen Männern voraus. Sie hatten ihre Werkzeuge fallen und die beiden Wale im Stich gelassen, als der Schuß erklungen war. Keiner hatte bezweifelt, daß der Pistolenschuß Unheil zu bedeuten hatte. O’Lear und seine Kumpane traten den Rückzug an. Sie hatten Severa und konnten sie schon jetzt als Faustpfand verwenden, aber sie sahen sich einer überwältigenden Streitmacht gegenüber und fürchteten eine Befreiungsaktion. Brian O’Lear zog es vor, erst einmal das Mädchen fortzubringen. Er drängte sie ins Wasser und zwang sie mit dem Messer, zu schwimmen. Die Flucht gelang im Schutz der Nacht. Hasard konnte einen der Piraten durch einen Degenhieb niederstrecken, aber die anderen waren bereits im Wasser. Hasard wollte sich die Kleider vom Leib reißen und ihnen nachschwimmen, aber in diesem Moment ertönte die brüllende Stimme des Iren. „Ihr Hunde! Wagt euch nicht ins Wasser! Sonst schneide ich dem Weibsbild die Gurgel durch.“ Hasard hatte keinen Zweifel daran, daß der Kerl die Drohung wahrmachen würde. „Zurück zu den Schiffen“, stieß er hervor. „Sie schwimmen zu ihrer Galeone. Vielleicht liegt der ganze Piratenverband draußen vor der Insel. Wir müssen ihnen nachstellen.“ Sie hetzten an den beiden toten Piraten vorbei, vorbei auch an Flanagans Leiche, und liefen, so schnell sie konnten, zur
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Ankerbucht. An Bord der „Isabella“ stürzte Dan O’Flynn als erster auf den Seewolf zu. „Severa!“ rief er. „Wo ist sie? Was ist mit ihr geschehen? Siri-Tong - sie war doch mit dir zusammen!“ „Reiß dich zusammen!“ fuhr Hasard ihn an. „Es ist ein verdammtes Unglück passiert, aber sie lebt und ist nicht verletzt.“ „Verdammt, sag mir die Wahrheit!“ schrie Dan. Der Kutscher stand plötzlich neben ihnen und sagte: „Hasard, was immer auch geschehen ist, der alte Mann möchte mit dir reden. Er - ich glaube, es geht mit ihm zu Ende.“ „Wir gehen ankerauf“, sagte Hasard zu seinen Männern. „Los, beeilt euch, wir müssen die Piraten packen. Um keinen Preis dürfen sie uns entwischen. Ich versuche, Euzko die Entführung seiner Tochter zu verheimlichen. Er darf es nicht erfahren.“ Sie hatten den Basken wieder in seine Kammer gebracht, weil es auf Deck zu kalt für ihn geworden war. Hasard fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, atmete ein paarmal tief durch und betrat dann das Achterkastell. Er mußte sich sehr zusammennehmen, um dem alten Mann nicht seinen wahren inneren Zustand zu zeigen. „Seewolf“, sagte der Alte. „Was ist geschehen?“ „Die Piraten haben wieder angegriffen, aber wir haben sie zurückgeschlagen.“ „Gut so. O’Lear kann dich nicht besiegen. An El Asesinos Bezwinger wird er sich die Zähne ausbeißen. Gut so.“ Die Augen in dem eingefallenen Gesicht schillerten fiebrig. „Rufe jetzt auch Severa. Ich fühle, daß ich abdanken muß. Ich will euch beide an meiner Seite haben, wenn – die Reise – beginnt ...“ „Ja“, erwiderte Hasard. „Sofort. Warte, ich hole sie.“ Er verließ die Kammer, stand auf dem Gang und wußte nicht, was er tun sollte. Niemals durfte er den Basken in seiner Todesstunde mit diesem Schmerz belasten.
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Er mußte friedlich aus dem Diesseits scheiden. Er gab sich einen Ruck, drehte sich um und kehrte in die Kammer zurück, um Euzko Guerazi mit einer Ausrede zu vertrösten.
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Seine Gedanken jagten sich. Er stellte sich dicht vor die Koje hin. „Euzko ...“ Der Baske antwortete nicht mehr. Er hatte die Reise über die düstere Schwelle bereits angetreten.
ENDE