Giganten aus der Ewigkeit Manly Wade Wellman Namenloses Grauen überfällt die Erde Zukunftsroman
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Giganten aus der Ewigkeit Manly Wade Wellman Namenloses Grauen überfällt die Erde Zukunftsroman
UTOPIA‐Großband 117 Aus dem Amerikanischen übersetzt GIANTS OF ETERNITY BY MANLY WADE WELLMAN Copyright Th. Bouregy as Co, New York Ein deutscher Erstdruck
Personenverzeichnis Oliver Norfleet Er hatte sich, die Aufgabe gestellt, das Geheimnis des Lebens zu ergründen. Eine überraschende Invasion aus dem Weltall bringt ihm den ersehnten Erfolg. Caris Bridge Die hübsche Tochter eines bekannten Wissenschaftlers, die an Olivers Seite den Kampf gegen das drohende Unheil aus dem Weltraum aufnimmt. Spencer Poge Olivers Freund und Mitarbeiter. Doch Machthunger treibt ihn schließlich in die Arme des grünen Befalls, der die Erde bedroht. Louis Pasteur (1822 – 1895) Charles Darwin Die Giganten aus der Ewigkeit (1809 – 1882) Sir Isaac Newton (1642 – 1727) Thomas Alva Edison (1847 – 1931) Marie Curie (1867 – 1934) Vorwort Es ist eine bekannte Erscheinung, daß die beiden Hälften eines halbierten Regenwurmes weiterleben und daß aus jeder Hälfte ein neuer Wurm entsteht. Solche
Regenerationsvorgänge können wir auch beim Menschen feststellen. Allerdings wächst uns zum Beispiel kein amputierter Finger mehr mach, aber unsere Haut, unsere Haare, unser Zellgewebe regenerieren sich laufend. Archäologen sind mit Hilfe der heutigen Technik und Wissenschaft in der Lage, zum Beispiel auf elektrolytischem Wege verrostete Metallgegenstände aus Funden und Ausgrabungen wieder auf ihre vor Hunderten von Jahren besessene Form zu bringen. Sollte es also nicht möglich sein, auch längst verstorbene Menschen wieder zum Leben zu erwecken? Die Gefahr aus dem All Die Schwierigkeiten begannen, als ein großer Meteor im mittleren Westen der Vereinigten Staaten niederging. Wer zufällig in die Richtung sah, konnte einen purpurroten Feuerstreifen am Himmel erkennen, der bald wieder verlöschte. Diesen Anblick hatte mancher schon erlebt, wenn einer der russischen oder amerikanischen künstlichen Satelliten wieder in die Erdatmosphäre eintauchte und verglühte. Der Farmer Shanklin, der in der Nähe von Ingalls im Staate Kansas lebte, wunderte sich darüber, daß der Tümpel auf der Weide seiner Ranch in der Abendsonne so ungewöhnlich grün schimmerte. Er schüttelte den Kopf, ging aber dann wieder ins Farmhaus zurück, um sich in seine Lieblingslektüre, den Almanach für die Landwirtschaft, zu vertiefen. Seine Frau weichte gerade Bohnen ein, die sie am nächsten Tag als Mittagessen zugleich mit einer großen Hammelkeule auf den Tisch bringen wollte. „Hör’ bloß mal, Pa!“ sagte sie plötzlich, und Shanklin wandte ein wettergegerbtes Ohr in die Richtung der offenstehenden Hintertür, durch die man in die schnell hereinbrechende Dunkelheit hinaussehen konnte. „Klang, als ob eine Kuh brüllte“, murmelte er geistesabwesend und blätterte eine Seite um. „Jetzt hat sie aufgehört“, sagte Mrs. Shanklin und warf eine Handvoll Bohnen in den Topf. „Aber hör’ nur, jetzt brüllt die andere auch.“ Shanklin blickte auf. „Joe!“ rief er. Ein halbwüchsiger Bursche schob sich durch die Vordertür. „Was ist los?“ fragte der hoffnungsvolle Sprößling. „Spring mal runter zur Weide und schau nach, was die blöden Viecher zu brüllen haben.“ Joe ging los. Shanklin blätterte wieder eine Seite um und brummte vor sich hin. Er war so wohltuend müde nach der Tagesarbeit. Die Minuten vergingen, aber draußen rührte sich nichts mehr. Mrs. Shanklin war mit ihren Bohnen fertig. „Ist Joe noch immer nicht wieder da, Pa?“ fragte sie und steckte den Kopf durch die Küchentür herein. „Nee. Die jungen Kerle von heutzutage werden immer pomadiger. Als ich so alt war, flitzte ich nur so durch die Gegend.“ Der Farmer quälte sich aus seinem Stuhl hoch
und ging zur Hintertür. „Joe!“ rief er. Keine Antwort. „Das ist merkwürdig“, sagte die Mutter. Shanklin brummte verwundert und trat auf die hintere Veranda hinaus. Es war inzwischen fast völlig dunkel geworden, und beinahe wäre er über den verstörten Schäferhund gefallen, der sich zitternd unter die Veranda verkrochen hatte. Der Hund schnüffelte nach dem Stall hin und winselte langgedehnt und kläglich. „Was hast du denn, Gruff?“ sprach Shanklin beruhigend auf den Hund ein. Er blickte angestrengt in die Dunkelheit hinaus. Die Umzäunung der Weide konnte er noch erkennen. Dann trat er ins Haus zurück und holte eine starke Stablampe, die er von einem Haken an der Wand nahm. „Was mag da draußen bloß los sein?“ fragte seine Frau, der die Geschichte inzwischen unheimlich vorkam. Aber Shanklin hatte sich schon aufgemacht und ging den Weg zur Weide entlang. Gruff, der Schäferhund, folgte ihm zögernd. Das Tor der Umzäunung stand offen, und Shanklin fluchte über die Nachlässigkeit seines Sohnes. Dann trat er einen Schritt vor, wobei er gleichzeitig die Stablampe aufleuchten ließ. Shanklin war ein abgehärteter Westler, den nichts so leicht aus der Ruhe brachte, aber jetzt schrie er entsetzt auf. Vor ihm dehnte sich ein grünschillernder Sumpf aus, der von gespenstischem Leben erfüllt zu sein schien. Schwer und zäh wie Sirup erstreckte sich die Oberfläche der Substanz über den Boden, und dabei dehnte und wand sie sich, und Shanklin glaubte außerdem noch ein dumpfes Brodeln zu vernehmen, wie Wasser, wenn es gerade zu kochen beginnt. Aus der zähen Masse ragten drei halbrunde Erhebungen. Diese Erhebungen waren der Grund für Shanklins Entsetzensschrei gewesen. Die zwei größten davon besaßen nämlich die Form seiner beiden Kühe und lagen dicht beieinander, während die dritte Erhebung gerade vor seinen Füßen die unverkennbaren Umrisse einer menschlichen Gestalt zeigte. So mochte ein Mensch aussehen, der, von einem Schneesturm überrascht, am Wegrand entkräftet zusammengesunken war. Und jetzt – Shanklin schauderte, und sein Geist weigerte sich, den fürchterlichen Tatbestand aufzunehmen, Joe, sein armer Joe, lebte er vielleicht noch unter der seltsamen Decke, die ihn verhüllte? Shanklin beugte sich vor und ergriff die Schulter, die, wie der ganze Körper, mit der merkwürdigen, grünen schleimigen Masse überzogen war. Wieder schrie er auf, aber diesmal in Todesnot. Ein rasender Schmerz bohrte sich in seinen Arm, der wie unter einem elektrischen Schlag zusammenzuckte. Nochmals versuchte er aufzuschreien, aber seine Kehle verkrampfte sich. Wie ein gefällter Baum stürzte er vornüber. „Pa!“ Mrs. Shanklin kam herbeigestürzt. „Pa!“ Dann sah sie das Unglaubliche. Ohnmächtig sank sie zusammen. Und der Tod kroch langsam vorwärts.
* Erst am nächsten Morgen entdeckten die Nachbarn, welch schrecklichen Besuch die Erde aus dem Weltenraum erhalten hatte. Der Meteor war in Shanklins Teich gestürzt und gewachsen, bis er schließlich Shanklins Kühe, Shanklin selbst nebst Frau und Sohn und alles übrige verschlungen und mit einem grünen Leichentuch überzogen hatte. Die Morgensonne beschien einen riesigen grünen Fleck, der Shanklins Farm mit allen Nebengebäuden bedeckte, als ob das ganze Anwesen mit einem Löscher aufgesaugt worden wäre. Hier und da deuteten Erhebungen den Standort der Gebäude an, aber sonst war alles in dem gefährlichen leuchtendgrünen Schleim eingehüllt. Der einzige Überlebende war Gruff, der Schäferhund, der sich verkrochen hatte und in der Ferne kläglich winselte. Als die Nachbarn herbeiströmten, um die grüne Neuigkeit anzustarren, konnten sie sehen, wie der Schleim sich langsam, Zentimeter um Zentimeter, vorarbeitete. In der Stunde mochten es zwanzig bis dreißig Zentimeter sein. Jemand rief den Sheriff von Gray County an. Im Gefahrenfall wußte er bestimmt, was zu tun war. Ein anderer holte den Grundstücksmakler von Gray County, James Hilbein. Sie kamen beide, starrten den grünen Schleim verständnislos an und wußten nicht, was sie tun sollten. Dann fuhren sie nach Ingall und ließen eine Menge zusammenhangloser Telegramme los, die an den Kommandanten der Garnison in Topeka gerichtet waren. Der Tag schritt vor und der grüne Tod ebenfalls. Er arbeitete sich an die Weide von Shanklins Nachbarn heran und schluckte sie. Bevor Hilfe herbeikommen konnte, waren drei Maulesel unter der schleimigen Decke verschwunden. Wie ein wucherndes Geschwür breitete sich der grüne Fleck aus. Die Beobachter, die das Schicksal der Maultiere mit angesehen hatten, packte das Entsetzen. Jetzt wußten sie, was mit Shanklin, seiner Frau und seinem Sohn geschehen war. In der folgenden Nacht hielt ein Schwarm von Farmern mit ihren Söhnen am Rande des grünen Geschwürs Wache, während ihre Angehörigen mit den Autos in das benachbarte Ingall fuhren. Ja, sogar bis in die Kreisstadt Cimarron floh die verängstigte Landbevölkerung. Während der ganzen Nacht mußten die Farmer Schritt für Schritt zurückweichen, wodurch die das Geschwür umgebende Beobachtungskette immer dünner wurde. Nur vereinzelte Rufe hielten die Verbindung zwischen den Wachposten aufrecht. Ein Liebespärchen hatte sein Auto neben der Straße zwischen einigen Bäumen abgestellt. Sie dachten bestimmt nicht einmal im Traum an bevorstehendes Unheil, bis plötzlich mit ohrenbetäubendem Knall alle vier Reifen wie auf einem Schlag platzten. Dann blickten sie sich um. Der Straßenstaub hatte sich in eine dunkelgrüne Masse verwandelt. Als sie die Scheinwerfer einschalteten, sahen sie, daß sie von einer seltsamen zähen Schmiere völlig umgeben waren. Der grüne Tod hatte sich unter dem Auto ausgebreitet und sie vom sicheren Land abgeschnitten. Jetzt schlüpfte er schon die Kotflügel empor. „Was kommt denn da rangekrochen?“ fragte der junge Bursche und stieg aus dem Auto.
Sein schmerzgepeinigter Aufschrei in Todesnot, der Sturz seines gelähmten Körpers in die morastige Masse ließ seine Begleiterin in ihrem Sitz erstarren. Sie wartete dort völlig hilflos, während der grüne Tod immer höher kletterte und schließlich in den Wagen hineinfloß. Dann fing sie an zu schreien. Sie rief um Hilfe, sie brüllte in wahnsinnigem Schrecken, und schließlich ging ihr Geschrei in irres Gelächter über. Einige der wachestehenden Farmer kamen auf das Geschrei hin herangelaufen, konnten es aber nicht wagen, ihr zu helfen. Sie mußten untätig zuhören, bis das Schreien und irre Lachen schließlich unvermittelt verstummte. Wieder zogen sie sich ein Stück zurück… Am Morgen des zweiten Tages hatte das befallene Gebiet eine Ausdehnung von nahezu schon einem Kilometer im Durchmesser. Die Erhebungen in der Mitte, die Shanklins Farmhaus und die Scheune andeuteten, waren schon längst zusammengesunken und offenbar auf seltsame Weise aufgelöst worden. Der grüne Tod schien einen ungesunden Appetit zu entwickeln. Auch konnte man keinen der Bäume mehr erkennen, unter denen das Liebespaar seinen Wagen geparkt hatte, und sogar der Wagen selbst war verschwunden. Eine wenige natürliche Bodenerhebungen waren unverändert. Ein Trupp Soldaten war eingetroffen, aber er konnte auch nichts weiter unternehmen, als die Neugierigen zurückzuhalten. Geologen kamen aus Topeka, und besprachen sich mit den Stadtvätern von Ingall sowie mit dem Grundstücksmakler Hilbein. Sie hatten den wunderbaren Einfall, das tödliche Gewucher mit einem sterilen Graben einzudämmen, etwa wie man ein Präriefeuer bekämpft. Der Graben konnte den Vormarsch des grünen Todes allerdings nicht aufhalten, zumindest wurde er jedoch etwas verlangsamt. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Befall ausbreitete, wurde beträchtlich herabgesetzt. Zwei Stunden vergingen, bis der Rand des grünen Flecks langsam die außenliegende Wand des dreißig Zentimeter breiten Grabens hochkletterte. Da kam man auf eine neue Idee. Mit Hilfe von verspritztem Benzin wurde das Gras in der Umgebung des befallenen Gebiets angezündet und es gelang dadurch tatsächlich, die Ausbreitungsgeschwindigkeit auf zwanzig Zentimeter pro Stunde zurückzuschrauben, wie Hilbein mit der Uhr in der zitternden Hand feststellte. Ein Hoffnungsflämmchen flackerte auf. Am Morgen des dritten Tages grub man einen weiten Graben, als der grüne Schleim schon nahezu ein Gebiet von zwei Kilometern im Durchmesser bedeckte. Dieser Graben wurde mit einem brennbaren Öl gefüllt, das man dann anzündete. Die Offiziere, die Bodensachverständigen und die Farmer lauerten gespannt auf die Wirkung. Ihre Gesichter waren durch die schlaflosen Nächte bleich und angespannt, und sie sahen, wie der grüne Rand sich langsam und stetig vorwärtsschob. Die Masse erreichte den Grabenrand an einer Stelle und floß hinein. Das Feuer würde jetzt seine Kräfte mit dem neuen Feind messen. Es dauerte jedoch nur einen Augenblick, dann war der Kampf vorbei. Die Berührung mit dem feuchten Schleim ließ die Flamme verlöschen, wo sie auf den grünen Tod traf. Dann unterwanderte er die brennende Ölschicht, wobei ihm offenbar das Öl als
Nahrung ganz recht war. Das Ergebnis war entmutigend. Die Flammen erloschen bald, weil ihnen das notwendige Öl ausging. Die seltsame Wucherung füllte den Graben aus und fuhr fort, sich immer weiter auszudehnen. * Die Zeitungen brachten das Ergebnis in fetten Schlagzeilen, und die Rundfunk‐ sowie Fernsehstationen überschlugen sich in ihren Kommentaren. Alle möglichen kommunalen und staatlichen Behörden wurden mobilisiert, um die Lage zu meistern. Einige Kompanien motorisierter Infanterie wurden eilig herangeholt und patrouillierten am Rande des befallenen Gebietes. Gruppen anerkannter Wissenschaftler gaben ihre Meinung zum besten. Hier und da waren sie sogar ausnahmsweise einer Meinung über gewisse Tatsachen, die mit dem grünen Befall zusammenhingen. Den meisten Appetit schien er zu entwickeln, wenn er tierische oder pflanzliche Stoffe vorfand. Steine, Erde und sonstige Mineralien wurden bedeutend schlechter verdaut. Mit Feuer vorbehandeltes Erdreich schien die beste Hemmwirkung zu haben, aber es gab nichts, was das Weiterfressen vollständig zum Stillstand brachte. Am vierten Tag hatten die Nachrichten aus Ingall einen derartigen Umfang angenommen, daß Oliver Norfleet sich aufmachte… Die ersten Abwehrvorbereitungen Jemand hatte einmal gesagt, daß Oliver Norfleet schon vor seiner Geburt zum Wissenschaftler bestimmt war. Wenn man dieser erstaunlichen Bemerkung auf den Grund ging, so konnte man feststellen, daß er einem ehrbaren Geschlecht von Landärzten entstammte. Sein Vater war einer der tüchtigsten und beliebtesten Ärzte in Water Oak, North Carolina. Auch gab er sich redliche Mühe, in seinem Sohn die Liebe zum Arztberuf zu wecken. Oliver scheint deshalb auch in seiner Jugend mehr mit Mikroskop und Aquarium, als mit Zündplättchenpistolen und Spielzeugautos zu tun gehabt zu haben. Seine Mutter starb, als er gerade auf das Gymnasium in Water Oak kam. Dort erwarb er sich bald den Ruhm als bester Schüler seiner Klasse in Biologie, Physik und Chemie. Darüber hinaus spielte er während der letzten zwei Jahre seiner Schulzeit in der Fußballmannschaft der Schule als Verteidiger. Anschließend erhielt er ein Stipendium, um seine Studien auf der Universität von North Carolina fortzusetzen und zeigte auch dort reges Interesse für nicht wissenschaftliche Tätigkeiten. Er bestand jedoch seine Diplomprüfung so hervorragend, daß man ihm im Anschluß daran sogar eine Lehrtätigkeit als Dozent anbot, wobei er in Ruhe seine Doktorarbeit hätte machen können. Er ging statt dessen nach Missouri, wo eine neue Fakultät der dortigen Universität begründet worden war. In zwei Jahren hatte er seine Doktorarbeit hinter sich gebracht und nebenbei noch eine ganze Menge von Artikeln in den verschiedensten
wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht. Ganz augenscheinlich steuerte er auf eine Professur zu, aber sein Vater starb gerade zu dieser Zeit und hinterließ ihm ein beträchtliches Vermögen. Ein Studienfreund, Spencer Poge, bewohnte ein eigenes kleines Haus in Kansas City. Dort hatte er ein Laboratorium eingerichtet. Er lud Northfleet ein, an seinen Forschungen teilzunehmen, und Norfleet war einverstanden. Als Teilhaber stieg er mit fünfzig Prozent ein, und seitdem arbeiteten die zwei zusammen. Die natürliche Begabung der beiden bildete eine wertvolle Voraussetzung für ihre Forschungen. Poge war der leichtlebigere von beiden Partnern, aber Norfleet besaß die Zielstrebigkeit und den Spürsinn des geborenen Wissenschaftlers. Beide hatten sich zum Ziel gesetzt, eines Tages das Geheimnis der lebenden Substanz zu ergründen, gaben sich aber keiner Illusion über die Größe des gesteckten Ziels hin. Als die beiden an jenem vierten Tag nach Ingalls fuhren, hatte der grüne Tod Shanklins Farm vollständig überflutet und schon auf den benachbarten Farmen Fuß gefaßt. Ein Feuergraben war ohne Wirkung geblieben, ein Wassergraben ebenfalls. Ferner hatte man noch einen mit Teer verschmierten Zaun errichtet, aber dieser hatte offenbar eher appetitanregend gewirkt. Nun unterhielten sich die aufgeregten Wissenschaftler darüber, ob Beton, Glas oder Eisen ein mehr Erfolg versprechender Grundstoff für ein Bollwerk gegen den grünen Tod seien. Mengen von Neugierigen säumten das befallene Gelände, in dessen Matte ein grüner Schein über dem Boden zu sehen war. Norfleet schwang sich aus seinem Kombiwagen und begab sich so nahe wie möglich an die vordringende zähe Masse. Die Kappen seiner Schuhe waren höchstens fünfzehn Zentimeter davon entfernt. Das war ungefähr die Entfernung, die der grüne Tod in einer Stunde über verbrannter Erde zurücklegte. Norfleet war eine ruhige und unauffällige Natur. Er war mittelgroß und hatte lediglich als ins Auge fallendes Merkmal einen dichten Wuschel rötlicher Haare. Seine gerade Nase war durch einen zu hitzigen Zusammenprall im Verlaufe eines Fußballspiels etwas auf die Seite gebogen. Der Mund deutete auf Sinn für Humor hin, verriet aber selten Gemütsbewegung oder Unruhe. Das beste an Norfleet waren seine ruhigen, grauen Augen. Er trug die lässige Eleganz eines Menschen zur Schau, der genügend Geld besitzt, um sich angenehm durchs Leben zu schlängeln. Im übrigen sah er bedeutend älter aus als fünfundzwanzig, obwohl er erst im vergangenen Januar dieses Alter erreicht hatte. Das Verderben, das zu seinen Füßen gärte und quoll, schien ihm wie eine teuflische Flut aus grüner Lava. Als Norfleet jedoch seine Hand darüber hielt, konnte er keine aufsteigende Wärme spüren. Wie eine sämige Haferflockensuppe bewegte sich der Schlamm träge vorwärts – und, so weit er sehen konnte, schien er in einem bestimmten Rhythmus zu pulsieren. Nahe am Rand sah der Teufelsschlamm fast schwarz aus, als ob er die darunterliegende Erde verdaute. Als aber Norfleet seinen Blick in Richtung auf das Zentrum schweifen ließ, konnte er sehen, daß dort der unheimliche Schleim eine hellere und grünlich scheinende Farbe annahm. Norfleet ließ seinen Blick prüfend
und abschätzend über das infizierte Gebiet wandern. Schließlich grub er aus seiner Manteltasche die Reste eines belegten Brotes aus und streute die Krümel in unmittelbare Nähe des herannahenden grünen Randes. Eine grüne Zunge streckte sich dem Brotrest entgegen, und innerhalb weniger Sekunden hatte die Masse sich das Brot einverleibt. Die Lider von Norfleets grauen Augen verengten sich. Er überlegte sich die Folgerungen, die sich aus diesem Experiment ergaben. Als nächstes legte er ein Stück des Butterbrotpapiers auf den Boden, und. zwar so, daß eine Ecke davon den grünen Rand berührte. Wieder schlängelte sich der zähe Brei an dieser Stelle schneller vorwärts, aber nicht so schnell wie bei dem vorhergehenden Experiment mit dem Brot. Norfleet prüfte die Geschwindigkeit mit dem Sekundenzeiger seiner Armbanduhr. Dann wanderten seine Augen zum Erdreich zurück, und mit einem kurzen erschreckten Aufschrei sprang er zurück. Von der Seite hatte sich ein schlangengleicher Fühler vorgearbeitet und war nur noch einen Zentimeter von seiner Fußspitze entfernt. Dabei hätte die Substanz nach seiner vorhergehenden Berechnung mindestens eine Stunde für diese Strecke benötigt, wenn das Wachstum normal erfolgt wäre. Norfleet schauderte und wandte sich dann Poge zu, der vom Kombiwagen herangeschlendert kam. Poge war groß und hager. Außerdem besaß er schmale Schultern. Dies versuchte er durch teure Kleidung wettzumachen. Augen und Zähne glänzten. Er war ein Jahr älter als Norfleet. „Das Zeug ist lebendig“, sagte Norfleet. „Quatsch“, gab Poge zurück, aber trotzdem starrte er interessiert auf das Gebräu zu seinen Füßen. „Es ist lebendig“, sagte Norfleet wieder. „Es wächst, frißt und verwandelt jedes Stückchen Materie in sein eigenes Gewebe.“ „Du bist ja schnell mit einer Theorie zur Hand“, erwiderte Poge spitz. „Es scheint am besten durch organische Substanz zu wachsen“, fuhr Norfleet fort, „Öl, Holz, Fleisch…“ „Feuer frißt auch alles“, erinnerte ihn Poge. „Aber Feuer lebt nicht.“ „Das Feuer hat aber keine Ahnung, daß ich gut schmecke“, sagte Norfleet. „Doch dieses Teufelszeug wußte das. Es sprang mich an.“ „Und ich sah das!“ Beide Männer drehten sich wie auf Kommando um, um sich nach der neuen Stimme umzusehen. Sie war hell und frisch und kam aus einem weiblichen Mund. Hinter dem Kombiwagen tauchte ein rosiges Gesicht auf. Zwei große Augen blickten über einer Stubsnase frohgelaunt in die Welt, und über all dem wölbte sich ein Schopf lockiger schwarzer Haare. Das Mädchen war zierlich und klein, und gerade in diesem Augenblick schien ihr Körper besonders angespannt zu sein. „Ich heiße Caris Bridge und bin nebenbei Doktor“, stellte sie sich vor. „Wollte mir mal das Zeug aus der Nähe betrachten, das uns so ungebeten aus dem Weltraum besucht.“ „Haben Sie Angst?“ bohrte Poge. „Keine Spur. Bin bloß neugierig. Geheimnisse sind mir zuwider.“
„Ich werde auch alles hassen, was Sie nicht leiden mögen“, gab Poge galant zurück. „Welchen Doktortitel haben Sie denn, Miß Bridge?“ „Theoretische Physik“, gab sie zurück. Der Blick ihrer dunklen Augen blieb auf Norfleet ruhen. „Sie hätte es vorhin beinahe erwischt.“ „Schlauberger fallen immer rein“, meinte Poge gemütvoll und lachte, aber Dr. Bridge schüttelte ihren Lockenkopf. „Ach was! Ihr Freund hat Grütze im Kopf, mehr als alle Opfer, die der grüne Fraß bisher erwischt hat. Und außerdem sieht er nicht wie ein Narr aus.“ Sie wandte sich jetzt unmittelbar an Norfleet. „Sie machten doch gerade einige Versuche, nicht wahr?“ „Nur ganz oberflächliche“, sagte Norfleet. Er berichtete kurz über sein Experiment mit dem Butterbrot, dem Einwickelpapier, und gab seine Meinung über die Bedeutung dieser Versuche zum besten. Sie hörte ihm aufmerksam zu und nickte bei jeder Schlußfolgerung, die er zog. „Sie scheinen auch wissenschaftlich vorbelastet zu sein?“ fragte sie. „Wir beide sind es“, mischte sich rasch Poge ein, bevor Norfleet antworten konnte. „Ich heiße Spencer Poge, und das ist Oliver Norfleet. In Kansas City haben wir einige Versuchsreihen über Biochemie und verwandte Gebiete laufen…“ „Die Namen kommen mir doch irgendwie bekannt vor“, meinte Miß Bridge. „Haben Sie nicht eine Auszeichnung erhalten, Mr. Norfleet?“ „Wir beide bekamen sie zu gleichen Teilen“, sagte Poge. „Und seitdem haben wir immer noch nicht ausgeknobelt, wem sie eigentlich zusteht.“ „Wir wär’s mit einer schönen Aufgabe?“ fragte das Mädchen. Beide starrten sie verwundert an. „Was für eine Aufgabe?“ fragte Norfleet. „Na, hier über dieses Zeugs da.“ Sie wedelte mit lässiger Geste über die langsam brodelnde grüne Masse des unheimlichen Schlamms. „Wenn Sie diesem Geheimnis auf die Spur kommen wollen, ich kann Ihnen dazu verhelfen. Ich bin nämlich vom dafür eigens eingesetzten Experimentalausschuß.“ Wieder schauten beide Männer sie ungläubig an. „Sie heißen Caris Bridge?“ sagte Norfleet ruhig. „Dann…“ „Sie ahnen es schon“, sagte sie lächelnd. „Mein Vater ist Dr. York Bridge. Er wurde zum Vorsitzenden gewählt. Weil er keinen Sohn hatte, mußte ich in den schwer verdaulichen Apfel wissenschaftlicher Erziehung beißen. Und so bin ich nun per Flugzeug hier eingetroffen und habe alle Vollmachten, die notwendig sind, dieser Plage zu Leibe zu gehen. Ich beabsichtige, eine Beobachtungsstelle einzurichten und mir einige brauchbare Mitarbeiter dafür zu suchen. Wie war’s?“ „Einen Moment“, meinte Norfleet zögernd. „Wir besitzen noch nicht viel Erfahrung. In Kansas City haben wir uns zwar ein Laboratorium für unsere Versuche eingerichtet, aber wir stehen erst am Anfang. Außerdem sind wir nicht gerade mit Geldmitteln gesegnet, und…“ „Aber wir werden die Arbeit mit Freuden annehmen und etwas finden, was den grünen Freßsack auffrißt“, warf Poge augenzwinkernd ein. „Sie sind mir beide durch Ihre Veröffentlichungen bekannt“, meinte Miß Bridge.
„Der Ausschuß wird sicherlich einverstanden sein, wenn ich Sie für die Arbeit an diesem Problem verpflichte. Ich habe schon zu viel Zeit mit allen möglichen Wichtigtuern vertrödelt, die einem Geheimformeln verkaufen wollten, die nicht das Papier wert waren, auf dem sie standen. Und wie steht es mit der Bezahlung?“ „Ich denke, wir sollten bekommen, was wir wert sind“, meinte Norfleet, bevor Poge eine Summe nennen konnte. * Die drei fuhren nach Ingalls zurück. Caris Bridge gab ein Telegramm nach Washington auf. Während sie auf Antwort warteten, aßen sie hastig einige Brote und spülten sie mit Kaffee hinunter. Dabei horchte Miß Bridge beide aus, wobei sie sich aber meistens an Norfleet wandte, während Poge nur durch eine gelegentliche Grimasse sein Mißfallen darüber ausdrücken konnte, daß er so offensichtlich ignoriert wurde. „Es ist nicht unbedingt gesagt, daß man dem Zeug unbedingt Intelligenz zuschreiben muß, wenn es eine Art Fangarme ausstreckt“, warf Poge protestierend ein. „Eine Pflanze reckt sich auch nach dem Licht oder sucht sich einen Stock, an dem sie sich emporranken kann.“ „Ich halbe nicht behauptet, daß der Schlamm Intelligenz besitzt“, entgegnete Norfleet. „Ich sage nur, daß er etwas Lebendiges ist. Er reagiert auf Reize, und das ist eine typische Eigenschaft organischen Lebens.“ „Das stimmt“, nickte Caris Bridge und beugte sich wieder über ihre Kaffeetasse. „Das gebe ich zu“, pflichtete ebenfalls Poge bei. Die Telegrammantwort traf nach einiger Zeit aus Washington ein, und ein Mann brachte sie innen aus dem Postamt herüber. Sie ermächtigte Caris Bridge, die beiden Assistenten probeweise anzustellen, und zwar als unabhängige Wissenschaftler. Sie selbst sollte die Verbindung zwischen ihnen, dem befallenen Gebiet und dem Sitz des Ausschusses in Washington herstellen und aufrechterhalten. Sie sollten eine von mehreren Forschungsgruppen bilden, die eingesetzt worden waren, um die beste Methode ausfindig zu machen, wie man dem grünen Tod zu Leibe gehen konnte. Das Herz des grünen Todes Norfleet übernahm stillschweigend die Leitung. Poge fuhr mit dem Kombiwagen nach Kansas City, ein von Caris Bridge ausgestellter Scheck knisterte in seiner Brusttasche. Damit sollte er verschiedene Einrichtungsgegenstände für ihr Laboratorium einkaufen. Nachdem Poge losgefahren war, stellte Norfleet seine bisherigen Beobachtungsnotizen zusammen. Er benutzte dazu einige Papierservietten, die es auf dem Tisch der kleinen Gastwirtschaft in genügender Menge gab. Anschließend fuhr er mit Caris Bridge zum Rand des befallenen Gebietes. Dort fragte er alle möglichen
Leute über ihre Beobachtungen von dem Verhalten des grünen Schlammes aus. Einige Tatsachen waren allen Beobachtern als besonders bemerkenswert aufgefallen. Die grüne Masse verschlang und verdaute buchstäblich alles, jedoch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Glas stellte ein ziemliches Hindernis dar, ebenfalls verschiedene Säuren. Trotzdem bildete keins davon eine echte Schranke. Gras war willkommene Nahrung, Lehm wurde ebenfalls verdaut. Organische Substanzen wurden am schnellsten vertilgt, wobei es keine Rolle spielte, ob sie noch lebten oder schon abgestorben waren. Sand, Kies und Ton wurden nur zögernd geschluckt. Tierisches Gewebe hingegen war offenbar eine Delikatesse, wenn man die Schnelligkeit betrachtete, mit der Tierkadaver verschwanden. Tierisches Gewebe… Norfleet stellte Versuche in dieser Richtung an. Für fünf Dollar schickte er einen jungen Burschen los, der ihm mit einer Schrotflinte einige wilde Kaninchen erlegen sollte. Die Kadaver legte er längs des Randes aus, aber so, daß er sie alle beobachten konnte. Der grüne Schleim erreichte sie fast an allen Stellen gleichzeitig. In Sekundenschnelle hatte er sie geschluckt, und ebenso viele Ausläufer wie vorher Tierkadaver ragten aus dem sonst gleichmäßigen Rand hervor. Caris Bridge hatte ebenfalls das Experiment mit Spannung verfolgt. „Es hat nicht mal zehn Sekunden gedauert“, sagte sie zu Norfleet. „Fleisch scheint ihm am besten zu bekommen. Sie haben ganz richtig vermutet.“ Die Lider von Norfleets lebhaften Augen verengten sich. Wenn der Schlamm sich weiter so ausbreitete, würde er bald das Städtchen Ingalls erreicht haben, überlegte er. Nach der Zerstörung von Ingalls würde der grüne Tod weiter wachsen und sich ausdehnen, und niemand konnte ihn mehr unter Kontrolle halten. Kansas City selbst käme in drei Monaten an die Reihe. Dann würde sich der grüne Schlamm weiterfressen, westlich zu den Rocky Mountains und östlich bis zum Missouri. Das dauerte vielleicht sechs Monate. Und dann… Immer mehr grauenhafte Bilder drängten sich vor sein geistiges Auge. „Ich muß unbedingt eine Eisenhandlung finden, Caris“, sagte er. „Kommen Sie mit?“ In Ingalls kaufte Norfleet allen möglichen Krimkrams ein. Dann kehrten sie zum befallenen Gebiet zurück und legten die gekauften Gegenstände und Proben in der Nähe des Randes nieder. Caris Bridge hielt die Ergebnisse in ihrem Notizbuch fest. „Glas schmeckt ihm nicht, ebenfalls konzentrierte Säure“, sinnierte Norfleet laut vor sich hin, „aber das genügt nicht. Etwas Bewegliches, Biegsames, vielleicht…“ „Die Asbestabfälle waren auch ganz schön widerstandsfähig“, warf Caris ein. „Asbest ist biegsam. Aber, was haben Sie vor?“ „Donnerwetter, die Idee ist gut. Asbest ist das richtige Mittel“, sagte er. „Damit geht es.“ „Was geht?“ „Ich gehe hinein, und zwar mitten in das befallene Gebiet!“ Sie wollte gerade einen Schreckensschrei ausstoßen, aber Norfleet hob beruhigend die Hand. „Nur keine Sorge. Es kann und muß gemacht werden. Sie haben uns angestellt, damit wir dieser grünen Gefahr den Garaus machen, und dieser Versuch gehört eben dazu.“
„Schön“, stotterte sie erregt, „aber es ist kein angenehmer Gedanke, Sie da draußen von Gefahren umgeben zu sehen, von denen wir noch keine richtige Vorstellung haben…“ „Immer schön wissenschaftlich bleiben, Caris“, beruhigte er sie lächelnd. „Jetzt wollen wir erst mal ein Paar hohe Stiefel auftreiben, wie Entenjäger sie zu tragen pflegen.“ Der Sheriff von Ingalls hatte das, was sie suchten. Er war froh, sie zu einem annehmbaren Preis loszuschlagen. Dann kaufte Norfleet noch einige Meter Asbestgeflecht. Schließlich breitete er alles auf dem Boden von Caris’ provisorischem Hauptquartier aus. „Können Sie die Stiefel mit dem Asbestgewebe überziehen?“ „Und was für Nähgarn nehmen wir dazu?“ fragte sie ihn prompt. „Baumwolle, Wolle, Nylon, Seide, all das besteht aus organischen Grundstoffen und reizt ganz besonders den Appetit unseres Feindes. Er würde die Nähte zerstören, und schon wäre es mit den schönen Stiefeln Essig.“ „Heißen Sie eigentlich Caris oder Cassandra, weil Sie dauernd so unken müssen?“ hänselte er sie und zog ein kleines Paket aus der Tasche. „Das hier ist ein bei niedriger Temperatur schmelzendes Glaspulver, womit wir das Asbest kleben werden. Einfach erhitzen, und schon pappt die Geschichte!“ Sie arbeiteten bis Mitternacht. Die Stiefel waren zwar unförmig, erfüllten jedoch bestimmt ihren Zweck. Norfleet zog sie an und machte einige zögernde Schritte. Es ging ganz gut. Sie saßen bequem, obwohl sie ihm bis an die Hüften reichten. „Meinen Sie, daß die Dinger dem Schleim widerstehen?“ wollte Caris wissen. Norfleet schüttelte den Kopf. „Bis jetzt haben wir noch nichts gefunden, was dem grünen Schleim wirklich hundertprozentig widersteht. Aber sie werden dem Zeug zumindest für eine Weile standhalten. Morgen werden wir einen kleinen Versuch in dieser Richtung unternehmen.“ „Spencer Poge hat wirklich recht“, jammerte sie. „Sie sind ein ganz leichtfertiger Bursche, der blind in sein Unglück rennt, obwohl jeder sieht, daß das eine Katastrophe geben muß.“ „Vielleicht haben die Dummen diesmal Glück“, lachte er. „Also, gute Nacht! Versuchen Sie auch, einige Stunden zu schlafen.“ „Ich kann bestimmt keine Sekunde ein Auge zu tun“, bockte sie, als er mit den Stiefeln zur Tür hinausmarschierte. Am anderen Morgen sah sie bleich und abgespannt aus, als sie sich am Frühstückstisch trafen. Es gab heißen Kaffee und Butterbrötchen. Dann eilten beide wieder zu dem abgesperrten Gebiet, wo der grüne Schlamm sich langsam vorwärtsarbeitete. Die Morgensonne brannte schon heiß hernieder, und Norfleet konnte deutlich sehen, wie der äußere Rand sich in der Farbe vom Zentrum unterschied. Der Rand war dunkelgrün, ja sogar schwärzlich, während der mittlere Teil in leuchtendem Giftgrün erstrahlte. Und über der Mitte konnte man wieder den fahlgrünen Widerschein erkennen, der ihm schon das erste Mal aufgefallen war. So früh waren nur die
Wachen schon auf dem Posten und starrten finster auf die grüne Fläche vor ihren Augen. „Sind Sie sicher, daß Sie keine Dummheit begehen?“ wollte Caris nochmals eindringlich von ihm wissen. „Ich weiß ganz genau, was für ein Risiko ich eingehe“, antwortete Norfleet und zog einen Schaftstiefel an. „Hören Sie bloß mit dem Gejammere auf. Damit kann man kein einziges wissenschaftliches Problem lösen.“ „Aber, wenn was schiefgeht…“ „Dann setzen Sie sich eben mit Ihrem Ausschuß in Verbindung und melden Sie, daß eine Planstelle wieder frei ist.“ Sie sah angstvoll zu, wie er den anderen Stiefel anzog und die Haltegurte um den Leib band. Dann nahm er einen dicken Glasstab in die Hand, der in einem Laden als Vorhangstange gedient hatte. Er war einen Meter fünfzig lang, und etwa zwei Zentimeter stark. „Sie können mir ja von hier aus zuschauen“, schlug er Caris vor. „Ich werde bald zurück sein.“ „Das bezweifle ich“, schluckte sie, als er sich aufmachte. Er näherte sich der Grenzlinie und tauchte als erstes vorsichtig den Glasstab in die unheimliche Masse. Sie schien geringfügig nachzugeben, aber sicher würde sie sein Körpergewicht tragen. Er trat einen Schritt vor. Unter seinen Füßen gab der grüne Schlamm nach, so daß er bis zu den Knöcheln einsank. Er wagte einen weiteren Schritt. Vorsichtig arbeitete er sich vorwärts, denn der Grund war gefährlich schlüpfrig. Er durfte keinesfalls das Gleichgewicht verlieren. Sein Stock tauchte bedeutend tiefer in die grüne Masse ein. Etwa ein Dutzend Schritte hatte er schon zurückgelegt. Hinter sich hörte er aufgeregtes Stimmengewirr. Offenbar versuchte Caris, den erstaunten Zuhörern sein Experiment zu erläutern. Er schaute jedoch nicht zurück. Es gab keinen Grund dafür, und außerdem hatte er auch keine Zeit dazu. Langsam, aber stetig kämpfte er sich zum Mittelpunkt des befallenen Gebiets vor. Die Eigenschaften der Masse änderten sich, je weiter er vordrang. Nach der Mitte zu wurde sie fester, und auch die Farbe änderte sich. Das Grün wurde zusehends heller und zeigte keinerlei Körnung auf der Oberfläche. Die Masse bewegte sich auch hier noch, aber nicht wie Treibsand oder langsam kochende Haferflocken, sondern eher wie ein lebendig pulsierendes Wesen, dessen Bewegung sich vom. Zentrum nach außen fortpflanzte, als ob ein riesiges Herz in der Mitte dieses ganze Gebiet mit Lebenskraft erfüllte. Norfleet kämpfte seine Nervosität nieder. Er ging jetzt schneller, wobei er aber immer das Gebiet vor sich mit dem Glasstock abtastete. Zusehends näherte er sich dem Zentrum. Er hatte nahezu den Mittelpunkt erreicht und wagte einen verstohlenen Blick hinter sich. Die zurückgelegte Entfernung schien ihm von hier aus größer als die tatsächlichen achthundert Meter. Sollte sich in der Zwischenzeit die grüne Masse noch weiter ausgedehnt haben? Er schüttelte den Gedanken ab; jetzt war keine Zeit für müßige Betrachtungen. Er war hier, um die Eigenschaften dieser parasitären
Masse zu untersuchen, alles andere mußte zurücktreten. Hier im Zentrum mußte auch der Kern des Geheimnisses sitzen, denn dieser Teil war von außen gekommen und auf die Erde gestürzt. Eine scharfe Kerbe zog sich um ein Gebiet von etwa drei Metern Durchmesser, welches intensiv grün glühte, wie eine Signallampe. Der grüne Schein teilte sich der umgebenden Luft mit, so daß es aussah, als ob über dem Ganzen ein leicht grünlicher Nebel hing. Norfleet konnte fast einen Eid ablegen, daß das Zeug innerlich glühte und schimmerte, aber er war doch nicht völlig sicher. Hier war einst der Hof des Farmers Shanklin gewesen, mit Ställen, Koppeln und Geräten. Jetzt war das Land so eben wie eine Tanzfläche, wenn man von dem phosphoreszierenden Teil in der Mitte absah, der einer überdimensionalen schimmernden Melone glich. „Der Meteorit“, sagte Norfleet halblaut vor sich hin. Zweifellos stimmte das, wenn es auch vielleicht nur der übriggebliebene Teil war. Sein Instinkt warnte ihn, in diesen letzten Bereich einzudringen. Er trat mit einem grüngefärbten Fuß bis unmittelbar an die Kerbe, beugte sich über den Rand und stocherte mit seinem Glasstab in das Zentrum. Er hielt ihn in der linken Hand und tastete die Beschaffenheit der Masse im Zentrum damit ab. Irgend etwas schien plötzlich zu schwirren oder zu summen. Eine grüne Zunge schlängelte sich schnell wie der Blitz an dem Stock entlang! Es kam ihm wie der Ansprang eines wilden Tieres vor. Norfleet ließ den Stab fallen, keine Sekunde zu früh. Aber doch nicht früh genug. Ein Tropfen oder Funken des giftiggrünen Angreifers hatte die Spitze seines linken Zeigefingers erreicht. Die Stelle brannte höllisch und wurde dann rasch taub. Norfleet taumelte zurück und wäre beinahe hingefallen, weil ihn der betäubende Schmerz mit Macht überfiel. Er faßte sich aber sofort. Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit! Er holte schnell sein scharfes Klappmesser aus der Hosentasche und öffnete es mit den Zähnen. Ein rascher, kräftig geführter Schnitt trennte die Kuppe des linken Zeigefingers ab. Die Wunde blutete stark. Er schritt vorsichtig rückwärts, um aus der Nähe des angriffslustig glühenden Herzstücks zu kommen und band dabei kunstgerecht das Taschentuch als blutstillenden Wundverband um seine Hand. Er hatte gerade noch zur rechten Zeit kaltblütig zugepackt und sich damit selbst gerettet. Der fressende Angreifer saß nicht mehr an seinem Finger, um seinen verderblichen Einfluß geltend zu machen. Norfleet drehte sich um und ging zurück, wobei er jetzt mehr als vorher auf sein Gleichgewicht zu achten hatte, weil er seinen Stock nicht mehr besaß. Dabei mußte er seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht in einen panikartigen Trab zu verfallen. Ohne den Stab konnte das seinen sofortigen Tod bedeuten. Zweimal wäre er trotz aller Vorsicht beinahe gestürzt, und ein halbes dutzendmal schlitterten seine Asbestschuhe auf dem schmierigen Untergrund dahin, ehe er wieder sicher stehen konnte. Es schien ihm endlos lange her zu sein, seit er auf solidem, festem Boden gestanden hatte. Er bemerkte die riesige Menschenmenge, die am Rande wartete und
seine Expedition gespannt verfolgte. Ein Narr schien sein wagemutiges Unternehmen nachahmen zu wollen; aber nein, die Gestalt verhielt unmittelbar am Rand des infizierten Gebiete. Es war die schmale Gestalt von Caris Bridge. Sie hielt zwei Wellblechtafeln in den Händen und warf sie in seine Richtung. Mit zitternden Knien erreichte er sie und verschnaufte. Caris sprang auch auf das Blech. „Was bedeutet das?“ fragte sie und zeigte auf eine Stelle seines Schaffstiefels. Dort schimmerte ein roter Fleck, der noch unverkennbar die Umrisse seiner Fingerkuppe zeigte. „Das war mal ein Stück von mir“, versuchte Norfleet zu scherzen, wobei er aber nach Selbstbeherrschung rang. Und das Grüne darauf ist ein Teil vom Herzstück des grünen Todes. „Warte!“ Aus ihrer Handtasche holte sie eine dickwandige Glasflasche hervor und ließ das befallene Fingerstück darin verschwinden. Dann verschloß sie die Flasche mit einem geschliffenen Porzelanstöpsel. Durch das Glas konnte man den langsam pulsierenden grünen Widerschein erkennen. Norfleet band die Schaftstiefel los, deren Unterteil schon stark vom grünen Schleim angegriffen war. Mit einem kühnen Schwung schleuderte er sie in den grünen Brei, der bald über ihnen zusammenfloß. Cards nahm ihn bei der verbundenen Hand und führte ihn zum sicheren, vom Feuer verbrannten, Erdboden. Sprachlose Zuhörer lauschten seiner Geschichte, die er stockend erzählte. „Donnerwetter, da gehören Nerven dazu, die eigene Fingerkuppe abzuschneiden“, meinte einer der Umstehenden zu Cams. „Die hat er“, gab sie stolz zurück. Dann wanderten ihre schwarzen Augen zurück zu Norfleet. „Gott sei Dank, daß Sie davongekommen sind“, sagte sie erleichtert, und ein warmer Ton schwang in ihrer Stimme. Ein erstaunliches Experiment Sie flogen nach Kansas City, wo sie gegen Mittag ankamen. Poge holte sie am Flughafen ab und fuhr mit innen zu seinem alten Haus, in dem er und Norfleet experimentierten. Poge hatte allerlei neue Ausrüstungsgegenstände eingekauft und in das Labor im Kellergeschoß gebracht. Norfleet und Caris Bridge halfen ihm bei den letzten Handgriffen. Als alles am richtigen Platz in dem großen betonierten Kellergewölbe stand, setzten sie sich zwischen den Labortischen zu einer ersten Besprechung zusammen. „Also, wie geht es weiter?“ wollte Poge wissen. „Hiermit“, sagte Caris Bridge und brachte die Glasflasche hervor, in der es grün glühte. Poge staunte. Norfleet atmete tief ein und streckte seine unverletzte Hand aus. „Das ist ein Teil des Herzstückes des grünen Schleims“, sagte er. „Er hatte Appetit
auf meinen Finger. War das Stück wirklich so groß?“ „Am Anfang nicht“, entgegnete Caris. „Aber innerhalb vierzig Minuten fraß sich unser Fang durch die erste Glasflasche, und ich mußte eine größere holen. Das wiederholte sich, so daß das Zeug sich bis jetzt mindestens schon durch einen Zentimeter Glas im ganzen gefressen hat.“ „Das ist vergleichsweise wenig, wenn man bedenkt, wie es sich über manche organische Substanzen hermacht“, bemerkte Norfleet. „Schau, Spencer, wie dunkel der äußere Teil ist. Aber der Mittelteil glüht genauso wie das Zentrum des Originalkerns.“ Poge beugte sich nieder, um die Flasche genau betrachten zu können. „Ich nehme an, daß es bei seiner Ausbreitung immer schwächer wird“, sagte er langsam. „Die ursprüngliche Materie dieses Stoffes muß das tödlichste Gift sein, das wir bis jetzt kennengelernt haben.“ „Man kann Gift dazu sagen“, entgegnete Norfleet, „aber genauso kann man es Leben nennen. Wie ein Krebs zügellos wucherndes Leben ist, das sich unkontrolliert ausbreitet und keinem Impuls gehorcht als dem, sich auszubreiten und alles zu verschlingen.“ Er wandte sich an Caris. „Jetzt könnte man dem Ausschuß schon einen Bericht schicken.“ Sie hatte die Flasche auf einen Labortisch gestellt und betrachtete eine Glasschüssel, die mit einer farblosen Flüssigkeit gefüllt war. Am Boden hatte sich ein kleiner Haufen grünlichen Breis abgesetzt. „Was ist denn das?“ fragte sie. „Das sind abgestorbene Kulturen von Einzellern“, antwortete Poge. „Damit hat Norfleet herumexperimentiert. Erst züchtete er eine wimmelnde Überfülle heran, und dann beförderte er alle wieder ins Jenseits, indem er sie abkochte. Dauernd versucht er, sie anschließend wieder zum Leben zu erwecken, aber bis jetzt hat er damit kein Glück gehabt.“ „Eines Tages wird es mir schon gelingen“, gab Norfleet zurück. „Ich muß nur entsprechend viel Gehirnschmalz in meine Überlegungen stecken, bevor ich…“ „Kann ich mal ein Messer oder so was Ähnliches haben?“ fragte Caris, und Norfleet zog das Taschenmesser hervor, mit dem er seine Fingerspitze amputiert hatte. Caris ließ es aufschnappen und fischte eine Messerspitze von der toten Protozoenkultur heraus. Dann nahm sie eine Objektträgerplatte, ließ einen Tropfen destilliertes Wasser darauf fallen, gab die Protozoenkultur dazu und schob das Ganze unter ein bereitstellendes Mikroskop. Poge beeilte sich, die Lampe einzuschalten, damit sie die Kultur besser beobachten konnten. „Na, wie sehen die kleinen Leichen aus?“ fragte er höflich. „Friedlich?“ „Sie sehen wirklich friedlich aus, wie man das von toten Wesen erwarten sollte“, entgegnete Caris, wobei sie aufmerksam durch das Okular des Mikroskops schaute. „Ernst und würdevoll. Einen Moment mal! Sie sind ja gar nicht tot!“ „Was?“ rief Norfleet und sprang auf. „Sie sind nicht tot, wie ich schon sagte. Ein Strudeltierchen zappelt, jetzt wackelt es wie ein Pumpenschwengel. Und hier wacht eine Amöbe auf und beginnt ihre Scheinfüßchen auszustrecken.“ „Du hast deine Versuchstierchen nicht genügend gesotten, Oliver“, lachte Poge.
„Kann ich mal sehen?“ Norfleet setzte sich an das Mikroskop und schaute hindurch. Sein jungenhaftes Gesicht wurde ernst. Er bückte verblüfft auf. „Sie sind alle gesund und wohlauf“, gab er erstaunt zu. Jetzt schaute Poge durch das Okular. „Sieht aus wie eine Massenversammlung zum Erntedankfest“, kicherte er. „Vielleicht hast du ihnen aus Versehen was Appetitanregendes gegeben, anstatt sie zu kochen.“ Norfleet schüttelte den Kopf. Mit dem Zeigefinger rieb er seine schiefe Nase. „Sie waren alle bestimmt zwei Tage lang tot“, sagte er mit Überzeugung. „Sie gingen schon in Verwesung über.“ Er zog ein zweites Mikroskop heran und fischte mit einer feinen Drahtschlinge eine kleine Probe der Kultur heraus, die er auf einen zweiten Objektträger fließen ließ. Er betrachtete die Probe sorgfältig. „Kommt mal her und schaut euch das an, bevor ihr euch über mich krank lacht“, lud er die beiden ein. „Diese kleinen Viecher sind mausetot.“ Und das stimmte. Page schaute durch das Okular und mußte es zugeben. Caris überprüfte ebenfalls den zweiten Objektträger. Die drei jugendlichen Gesichter zeigten alle den gleichen Ausdruck ungläubigen Staunens. „Ich habe meine Probe aber derselben Kultur entnommen“, protestierte Caris. „Und auf dieselbe Weise.“ „Nein“, sagte Norfleet plötzlich. „Das stimmt nicht.“ Er griff nach dem Taschenmesser. „Damit haben Sie es rausgefischt, nicht wahr?“ „Wieso, ja, natürlich.“ „Na, dann machen wir eben noch einen Versuch.“ Er holte mit dem Taschenmesser ein weiteres Tröpfchen der grünlich‐schleimigen Substanz heraus und legte es unter das erste Mikroskop. „Heiliger Josef, die Tierchen wachen ebenfalls auf“, rief er nach einem kurzen Moment. „Schaut bloß mal, wie das zu wimmeln anfängt.“ Er winkte seine Freunde mit der bandagierten Hand heran. Beide überprüften die Probe und mußten seinen Befund bestätigen. „Jetzt heißt es scharf kombinieren“, sagte Poge. „Beim ersten und dritten Male benutzten wir das Messer, und im zweiten Fall einen sterilen Draht, um die Infusorien auf den Objektträger zu legen. Vielleicht waren auf dem Messer noch ein paar lebende Einzeller.“ „Na, dann wollen wir das Messer ebenfalls sterilisieren“, sagte Norfleet und begann, das Messer in einem Topf auszukochen. „Bis es fertig ist, können wir in der Zwischenzeit noch einige andere Versuche anstellen.“ „Wobei wir dieselbe abgestorbene Kultur benutzen“, schlug Poge vor. „Vielleicht kommen wir so am schnellsten diesen Zufälligkeiten auf die Spur.“ „Die drei Proben stammten doch aus demselben Tümpel?“ warf Caris ein. „Was heißt hier derselbe Tümpel? Trotzdem brauchen sie nicht Identisch zu sein. Alle die vielen Einzelwesen in der Natur führen doch jedes für sich ein unabhängiges Leben und weisen gegenüber ihren Artgenossen deutliche Unterschiede auf. Auch bei Zwillingen gibt es Unterscheidungsmerkmale. Allerdings wären Olivier und ich schon zufrieden, wenn Sie eine Zwillingsschwester hätten, dann könnten wir jeder eine von euch beschlagnahmen.“
Caris lachte. „Leider bin ich nur in einem Exemplar vorhanden.“ „Übrigens, wie wäre es, wenn wir uns in Zukunft duzen würden? Wenn wir nun schon mal so eine verschworene Arbeitsgemeinschaft sind?“ „Angenommen!“ sagten beide Männer wie aus einem Mund. „Übrigens ist das gar nicht so sicher, ob du nur eine einmalige Ausgabe bist“, nickte Norfleet. „Nach der Nullkreistheorie…“ „Die Null ist immer dein Standpunkt bei dieser Debatte“, brummte Poge, wobei ex ein Skalpell in die Protozoenkultur tauchte. „Keinen Streit, bitte“, sagte Caris. „Spencer und ich haben uns während der ganzen Studienzeit gestritten“, versicherte ihr Norfleet. „Und so wird es wohl bleiben.“ Dabei schob er eine neue Objektscheibe unter das Mikroskop. „Tot wie eine Sofapuppe, hier, ihr könnt euch davon überzeugen.“ „Jetzt will er es uns aber zeigen“, sagte Poge zu Caris, wobei er sich vor das Mikroskop setzte. „Na schön, ich nehme immer einen anderen Standpunkt ein als er, weil er alles durch eine verzerrte Brille sieht. Mir bleibt ja nichts weiter übrig.“ „Doch! Beispielsweise mehr zu arbeiten und weniger zu schwafeln“, gab sie zurück. „Also entschuldigt mich, meine Herren. Ich muß nämlich den grünen Schleim in ein neues Glas füllen, bevor er das vorhergehende restlos durchgefressen hat. Das gäbe eine schöne Überraschung, wenn wir da nicht aufpaßten!“ „Und ich merke, daß mein Messer in dem. brodelnden See liegt“, sagte Norfleet und nahm eine Zange, um das Messer aus dem Topf mit kochendem Wasser zu nehmen. „Jetzt geht es erst richtig los!“ Es war Mitternacht geworden, als sich die drei wieder zusammensetzten, um ihre Ergebnisse zu besprechen. Sie waren schon ziemlich müde, aber trotzdem hielt sie das verblüffende Ergebnis der verschiedenen Versuchsreihen munter. Zweihundertundachtzig verschiedene Arten von Einzellern waren dabei untersucht worden. Hundertvierundvierzig waren zweifellos tot und blieben tot, während die anderen hundertundvierzig sich ihres Lebens freuten. Der einzige Unterschied in der Behandlung der beiden Gruppen bestand darin, daß die eine Gruppe mit einem sterilen Draht auf die Objektträger gebracht worden war, während die andere Norfleets sterilisiertes Messer berührt hatten. „Es muß das Messer sein, das die Toten zum Leben erweckt“, urteilte Poge abschließend über die Ergebnisse und starrte auf das Messer mit den merkwürdigen Eigenschaften. Norfleet hielt das Messer in seiner unverletzten rechten Hand, und alle drei beugten sich jetzt unter der hellen Deckenbeleuchtung darüber, um festzustellen, ob daran etwas Besonderes zu sehen wäre. Ein langer Labortisch neben ihnen enthielt einen Stapel Schreibblätter mit hastig hingekritzelten Notizen, eine Menge Glasscheiben mit verschmierten Probehäufchen, Bunsenbrenner und andere Experimentiergerätschaften. „Bis jetzt hat noch niemand einen wichtigen Umstand in Verbindung mit dem Messer erwähnt“, sagte Norfleet. „Carls, ich meine die Geschichte mit dem Messer heute morgen.“
„Ach ja. Du hast den grünen Befall mitsamt deiner Fingerkuppe damit abgeschnitten.“ „Stimmt genau. Meine Fingerspitze, auf der ein kleines Pünktchen der Kernsubstanz unseres unheimlichen Parasiten saß. Konzentrierte Lebenskraft, sozusagen.“ „Aber diese Lebenskraft hat tödliche Eigenschaften“, warf Poge unwirsch ein. „Sie frißt alles auf und bringt die Dinge nicht wieder zum Leben zurück. Wir haben doch alle mit eigenen Augen gesehen, was das Zeug für Unheil anrichtet. Und im übrigen hat das Messer ja den Befall nicht berührt, sonst wäre es ja ebenfalls angeknabbert.“ „Direkt nicht. Ich schnitt die Fingerkuppe an einer Stelle ab, wo der grüne Fraß noch nicht hingekommen war. Ich habe bestimmt nicht länger als eine Sekunde zu dem Schnitt gebraucht. Versteht ihr das?“ „Ich nicht ganz“, gestand Caris. „Ich bin einfach zu müde und kann nicht mehr klar denken.“ „Ich glaube, ich kapiere es allmählich“, sagte Poge langsam. Norfleet hielt das Messer empor. „Metall, wie dieses hier, ändert die Eigenschaften des grünen Schleims. Fleisch hingegen, wie das meines Fingers, reizt ihn, er packt zu und wächst. Jede Substanz wirkt verschieden auf ihn und umgekehrt.“ „Der grüne Schleim hat aber das Messer nach deinen eigenen Worten nicht erreicht“, erinnerte ihn Caris. „Er war schon sehr nahe ran, aber immerhin bestand noch ein gewisser Abstand, das stimmt. Jedoch während der Amputation muß das Messer gewisse Eigenschaften angenommen haben, die in der grünen Kernsubtanz enthalten waren.“ „Und etwas davon ist sogar in der Flasche dort eingefangen.“ Norfleet steckte das Taschenmesser ein. „Ich denke, Spencer, die Zeit ist vorüber, wo ich ergebnislos über meinen Experimenten brütete, Leben wiederherzustellen.“ Er lächelte geheimnisvoll. „Die Lebenskraft ist hier in diesem Laboratorium eingefangen. Sie kann in eine kontrollierbare Abart umgewandelt werden, und zwar direkt aus der Kernsubstanz selbst. Wir können damit die Toten auferwecken.“ Caris setzte sich hin und stützte den Kopf in ihre Hand. „Schau mal, sie ist todmüde“, sagte Poge und gähnte selbst ausgiebig. „Caris, ich habe oben schon ein Zimmer für dich zurechtgemacht. Ich selbst bin euch restlos fertig.“ „Haut man ruhig ab, ihr beiden“, brummte Norfleet. „Ich bleibe noch ein bißchen auf. Erst denken – dann arbeiten. Also, bis morgen,“ Gefährliche Versuche Zwei Tage später standen die drei dichtgedrängt am größten Labortisch im Keller, den sich die beiden Männer seinerzeit als Labor eingerichtet hatten, Norfleet wirkte bleich und übernächtig, Caris still und ernst. Poge legte eine krampfhafte Munterkeit an den Tag. Norfleet setzte ein Becherglas sorgfältig nieder. Darin lag ein kleines
Häufchen lockerer Asche. Über das Becherglas hatte er eine dünne, aber luftdichte Gummimembrane gespannt. Caris schrieb an ihrem Bericht für den Ausschuß: … wir haben ferner festgestellt, daß der grüne Befall durch lange und intensive Hitzeeinwirkung in seinem Wachstum gehemmt, wenn nicht sogar völlig zerstört werden kann. Jedoch sind die praktischen Möglichkeiten, ein Feuer von derartiger Hitzeausstrahlung in großem Maßstabe zu unterhalten… Ihre Hand glitt schnell dahin, als sie die Sätze niederschrieb. Sie unterdrückte mühsam ein Schluchzen. „Nimm’s nicht so schwier, Caris“, redete Poge dem Mädchen zu. „Das ist doch bloß die Asche einer kleinen weißen Maus, die den Opfertod für die Wissenschaft sterben mußte.“ „Ich weiß“, schluckte sie, und ihr Lockenkopf zitterte. „Aber das Mäuschen war so niedlich – und es schrie so jämmerlich, aus Oliver das Skalpell ansetzte.“ „Und ich dachte immer, du wärest durch deine Ausbildung gegenüber solchen Dingen abgehärtet“, lachte Poge. „Mir hat es bestimmt auch keinen Spaß gemacht, das kleine Ding zu verletzen“, mischte sich Norfleet ein. „Aber solche Experimente sind leider unumgänglich. Erst eine schnelle Berührung mit der Kernsubstanz des grünen Schleims, dann rasch die Stelle weggeschnitten und den Rest der Körperflüssigkeit aufgefangen. Könnte so was wie ein Serum geben, wenn wir Glück haben.“ Er legte eine Injektionsspritze neben den Becher. „Immerhin haben wir die Maus dann sofort betäubt und schmerzlos verbrannt. Unsere kleine Maus ist ein Märtyrer der Wissenschaft, aber sie wird es sicherlich gut überstehen,“ „Glaubst du?“ fragte Poge. „Sicherlich, Caris, kannst du mitschreiben? Also schön. Hier haben wir die sterblichen Überreste einer Maus in Form von einem Aschehäufchen in einem luftdicht verschlossenen Becherglas. Außerdem ist hier das Serum, das durch Berühren mit der Kernsubstanz des grünen Schleims gewonnen wurde. Es ist nur eine ganz geringe Menge und noch dazu in verdünnter Lösung, aber im Prinzip müßten hier die gleichen Verhältnisse vorliegen wie beim Messer, das die toten Einzeller durch bloßes Berühren wieder zum Leben erweckte.“ „Soweit habe ich folgen können“, warf Caris ein, die eifrig schrieb. „Wir bringen nun das Serum mit der Asche zusammen, und zwar so.“ Norfleet durchstach mit der Nadel der Injektionsspritze sorgfältig die Gummimembran über dem Becherglas und ließ vorsichtig einen grüngefärbten Tropfen auf die Asche fallen. Ein zweiter und dritter Tropfen folgten). Sie schienen zu verdampfen, als sie auf das graue Häufchen trafen, und die gespannten Beobachter glaubten, kleine grüne Nebelfäden aufsteigen zu sehen. Caris rückte näher heran, um alles genau mitanzusehen. „Hm, sieht wie ein Teufelscocktail aus“, sagte Page nach einigen Augenblicken. „Wie stellst du dir den weiteren Werdegang vor? Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, all das hast du ja bei der Verbrennung dem Körpergewebe der Maus entzogen und in die Luft gejagt“
„Diese Elemente befinden sich auch in genügendem Maße in der Luft, die uns umgibt“, gab Cards zurück. „Aber die Luft können wir nicht einfach reinlassen’“, erinnerte sie Poge. „Das Lebensserum wird dann verfliegen, wie wir gestern zu unserem Leidwesen feststellen mußten. Die Wasserkäfer haben wir dadurch restlos verpfuscht. Das war eine schöne Schweinerei.“ „Ich denke leider immer noch sehr lebhaft daran“, sagte Norfleet, „aber heute wird mir das nicht noch mal passieren.“ Er ergriff eine gläserne Luftpumpe, die ebenfalls eine spitze Düse besaß. Er steckte die Düse durch die Gummimembran und fing an, Luft in das Becherglas zu pumpen. Im Glas selbst konnte man durch die grünen, wirbelnden Schwaden nichts erkennen. „Da muß doch ein Loch irgendwo sein“, sagte Poge nach einem Augenblick angespannten Beobachtens. „Die Gummimembran müßte sich doch aufwölben, wenn man die Luftmenge bedenkt, die du inzwischen hineingepumpt hast, Oliver.“ „Da gibt es aber kein Loch“, versicherte ihm Norfleet. „Die Bestandteile der Luft fügen sich vielmehr zu einem festen Körper zusammen.“ „Kann sein“, brummte Poge. „Mußt du denn immer unsere Arbeit lächerlich machen?“ fuhr ihn Caris an. „Hast du vielleicht keine Lust mehr, die Erde von diesem verhängnisvollen Parasiten zu befreien?“ „Aber selbstverständlich möchte ich das sehr gern, Caris“, sagte Poge ernsthaft, „aber ich kann, ehrlich gesagt, Olivers Hokus‐Pokus nicht mehr folgen. All diese Theorien, wie man das Leben wiederherstellen kann…“ „Du hast nie im Ernst daran gedacht, daß so was möglich sein könnte“, blitzte ihn Caris an. „Und jetzt bist du plötzlich eifersüchtig, weil es ganz so aussieht, als ob er schließlich doch Erfolg haben sollte.“ „Wollen wir erst mal abwarten, ob es ihm auch bei anderen Lebewesen gelingt, nicht nur bei Protozoen, von denen wir noch nicht einmal genau wissen, ob sie überhaupt wirklich tot gewesen sind“, gab Poge gereizt zurück. „Du brauchst nicht länger zu warten, Spencer“, sagte plötzlich Norfleet aufgeregt. „Während ihr beiden euch streiten mußtet – da, schaut mal her!“ Er löste Luftpumpe und Injektionsnadel vom Becher und rückte ihn ins Licht. Jetzt konnte man den Inhalt deutlich sehen. Eine lebendige Maus rannte munter darin herum. Caris schrie überrascht auf, „Du hast es geschafft! Und sogar der Schnitt von vorhin ist verheilt!“ Poge nahm den Becher in die Hand und studierte das kleine Lebewesen. Dann blickte er Norfleet gedankenvoll an. „Oliver, hast du auch keinen Taschenspielertrick angewendet? Etwa eine lebende Maus reingeschmuggelt, während Caris und ich debattierten?“ „Na klar, Spencer, was denn sonst?“ lachte Norfleet. „Ich gebe mir Mühe, dieser Plage zu Leibe zu gehen und kriege den Nobelpreis zu guter Letzt für einen schäbigen Taschenspielertrick. Ich hätte tatsächlich doch lieber zuvor meine Ärmel aufkrempeln sollen.“
Er ergriff die Maus und gab sie in ihren kleinen Käfig zurück. „Du hast wieder mal gewonnen, Oliver“, sagte Page schließlich. „Bin stolz, diesem Team anzugehören, und so weiter.“ Er schüttelte Norfleet die Hand. „Und nun? Was weiter?“ „Und nun werde ich mich erst mal rasieren“, sagte Norfleet und kratzte sich geräuschvoll das Kann. „Ich habe mich um diese Stoppeln seit unserer Rückkehr von Ingalls nicht gekümmert, und ich bezweifle, daß mir der Urwald steht.“ „Und ich werde schleunigst meinen Bericht fertigschreiben und zur Post geben“, sagte Caris. „Dann laßt mich hier allein“, teilte ihnen Poge mit. „Ich möchte gern noch ein oder zwei Versuche anstellen, die ich mir zurechtgelegt habe. Wenn ihr wieder zurückkommt, könnt ihr womöglich schon einem menschlichen Wesen zur Auferstehung verhelfen.“ „Du alberner Kerl“, lächelte Caris versöhnlich, und ihre gute Laune strahlte wieder aus ihnen Augen. Sie stieg die Kellertreppe empor und Norfleet folgte ihr, um seinen Bart zu schaben. Caris setzte sich an einen Tisch im Wohnzimmer und begann, den letzten Abschnitt ihres Berichts zu schreiben. … Ich kann Oliver Norfleet nur wärmstens empfehlen. Die bisher gezeigte Arbeitsleistung gibt zu berechtigten Hoffnungen Anlaß. Er besitzt einen scharfen Verstand, ist unermüdlich und wagemutig. Sein Kollege, Spencer Poge, zeigt erfolgversprechende Ansätze, doch kann über ihn noch kein sicheres Urteil gefällt werden… * Poge wartete in dem Keller, bis die Tür hinter den beiden ins Schloß fiel. Dann machte er sich an die Arbeit. Auf dem großen Arbeitstisch stand die Flasche mit dem grünen Schleim. Es war nicht mehr so viel wie vorher, weil durch große Hitze, die man mit Hilfe eines Schneidbrenners erzeugt hatte, ein Teil in den vorangegangenen Versuchsreihen vernichtet worden war. Poge wollte nun einige neue Versuche ausführen. Norfleet schien seine eigentliche Aufgabe völlig vergessen zu haben, zumindest kam es Poge so vor. Oliver Norfleet, der Phantast, der unwirklichen Zukunftsträumen nachjagte! Wie man das Leben kontrollierte, und sogar Leben wiederherstellen konnte… Er hatte sein Ziel zäh verfolgt, bis sich schließlich der Erfolg eingestellt hatte. Damit war das Projekt aus dem Bereich der Phantasie in das Gebiet der Wirklichkeit gerückt. Na schön, dem Angeber werd ich’s zeigen! Norfleet hatte offenbar völlig vergessen, daß ihre eigentliche Aufgabe darin bestand, ein wirksames Gegenmittel gegen den grünen Tod zu finden. Hier konnte Poge seine Fähigkeiten beweisen, vielleicht hatte er auf diesem Gebiet Erfolg. Feuer war gewiß eine wirksame Abwehrwaffe, die man gegen den Parasiten anwenden konnte, der begierig einen ganzen Planeten verschlingen wollte. Aber es gab noch heißere Dinge als gewöhnliches Feuer. Poge selbst hatte auf diesem Gebiet schon gearbeitet und einen Temperaturstrahler konstruiert, der die bisherigen
Gebläsebrenner restlos in den Schatten stellte. Poge ging an einen Wandschrank, öffnete ihn und holte sein letztes Versuchsmodell heraus. Die Speidüse war nahezu einen Meter lang und aus der widerstandsfähigsten Metallegierung hergestellt, die es gab. Der Apparat selbst war auf einer kleinen Lafette montiert, so daß er gewisse Ähnlichkeit mit einer Kanone besaß. Die Rückseite besaß keinerlei Anschluß, vielmehr befand sich dort ein Kasten aus grauem Metall, etwa so groß wie ein Teekessel, in dessen Rückwand verschiedene Instrumente eingelassen waren. Auch ragten einige Bedienungsknöpfe heraus. Aus dem Kasten selbst war ein stetiges, dumpfes Brummen zu hören. Kurz gesagt, es befand sich darin ein kleiner Atomreaktor, dessen Energie in Wärme umgewandelt wurde: Pages eigene Konstruktion. Wenn das Modell ausgereift war, würde es einmal sämtliche Brenn‐ und Glühvorrichtungen herkömmlicher Bauart weit in den Schatten stellen. Die Hitzegrade zerstörten einfach jede Substanz, die in den Bereich des Strahlers kam. Auch den grünen Schleim. Vorsichtig drehte er einen der Bedienungsknöpfe, wobei er auf das ansteigende Summen innerhalb des Gerätes achtete. Dabei kontrollierte er die angezeigte Temperatur auf dem entsprechenden Instrument. Obgleich er die Apparatur entwickelt hatte, mußte er trotzdem höllisch aufpassen, denn sie hatte noch ihre Mucken, die er noch nicht gänzlich beseitigen konnte. Sie konnte aber einmal die entscheidende Waffe im Kampf gegen die furchtbare Plage werden. Es klopfte, und die Stimme Norfleets sagte, als ob er von Poges Gedanken herbeigerufen worden wäre: „Spencer? Laß mich rein, ja?“ „Nur einen Augenblick, Oliver.“ Poge wollte seinen Atomflammenwerfer noch einige Zeit geheimhalten. „Ich will nur etwas aufräumen.“ „Ich kann dir ja dabei hellen“, sagte Norfleet und rüttelte an der Tür. Poge stand immer noch mit dem Gesicht zur Tür und versuchte dabei, den Apparat schnell abzustellen. Er drehte am Bedienungsknopf, aber in der falschen Richtung. Norfleet hörte plötzlich ein metallisch aufschrillendes Heulen, das immer höher stieg und dazwischen Poge, der entsetzt aufbrüllte. Dann leuchtete ein greller Blitz auf, dem eine Detonationswelle folgte, die das Haus in den Grundfesten erschütterte. Die Tür flog Norfleet in Stücken entgegen. Norfleet wandte sich geistesgegenwärtig ab und vermied so, daß sein Gesicht verletzt wurde. Er schüttelte den Kopf und stürmte durch die Türöffnung, die jetzt kein Hindernis mehr darstellte. In der Mitte des Raumes sah er einen Apparat stehen, dessen Reste noch qualmten. Das und die Tür waren die einzigen sichtbaren Spuren der Explosion – ach ja, und dann die eigentümlich verbrannte Form, die auf dem Boden lag. Das war Poge, der einen Augenblick vorher noch mit ihm gesprochen hatte. Norfleet blieb wie gelähmt stehen und dachte einen endlosen Augenblick nach. Dann schritt er langsam, weiter in das Laboratorium hinein. Er zwang sich zu größter Ruhe, zu wissenschaftlicher Selbstzucht, denn nur so konnte er an sein Vorhaben gehen. Zuerst knipste er die starke Deckenlampe an, die den ganzen Raum im grelles Licht tauchte. Dann untersuchte er kniend die stille Gestalt, die da vor ihm lag. Danach schob er behutsam die zerstörte Apparatur beiseite. Er stand auf und dachte
wiederum angestrengt nach. Schließlich ging er an die Regale, die die verschiedenen Laborgeräte enthielten und holte einige Sachen herunter. Sein Gesicht war konzentriert und zeigte den Ausdruck stärkster Anspannung. Als Caris von ihrem Gang zum Briefkasten zurückkehrte, fand sie Norfleet bei der Arbeit. Über den Überbleibseln errichtete er ein längliches Gehäuse aus Glasplatten, so daß das Ganze wie ein umgekehrtes großes Aquarium aussah. „Du schaust besser nicht her“, warnte er sie, als sie in der zerstörten Tür auftauchte. „Was ist denn passiert?“ Hastig erzählte er ihr den ganzen Vorgang, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Als er fertig war, ging sie zum Labortisch. Dort lag eine große Injektionsspritze. „Ich weiß, was du vorhast“, sagte sie plötzlich. Norfleet dichtete gerade die Stoßstellen des gläsernen Gehäuses mit Glaserkitt ab. „Ich habe bereits angefangen“, entgegnete er kurz. „Aber wirst du es schaffen?“ stammelte sie, „das ist doch ein unerhörtes Wagnis.“ Er antwortete nicht und wandte sich einem anderen Gerät zu, das eine elektrische Anschlußschnur besaß. Es war ein kleiner Luftkompressor. Den Druckschlauch schob er durch eine Spalte des Gehäuses. „Steck bitte den Stecker rein“, rief er Carls zu. Dabei nahm er die große zylindrische Spritze vom Labortisch und schob ihre Düse durch eine andere Spalte des handgefertigten Sarges. Beide Öffnungen dichtete er anschließend rund herum sorgfältig mit Glaserkitt ab. „Hier drin ist noch etwas Gas, das von dem Kern des grünen Schleims stammt“, sagte er. „Aha, ich verstehe“, antwortete Caris. Norfleet wartete, bis der Kompressor lief, und drückte dann den Kolben der Spritze langsam nieder. Darauf bückte er sich, um die Vorgänge in dem Kasten besser verfolgen zu können. Eine grüne Wolke verteilte sich langsam über den abgeschlossenen Raum, und bald konnte man die furchtbar zugerichteten Überreste von Poge nicht mehr sehen. Caris war froh darüber, aber Norfleet preßte sein Gesicht an die Glaswand, um. möglichst viele Einzelheiten zu erkennen. Seine Augen glänzten fiebrig, waren aber scharf und konzentriert auf die Vorgänge in dem sargähnlichen Kasten gerichtet. „Wenn ich nur richtig sehen könnte“, brummte er, „dann könnte ich mir eine klarere Vorstellung machen, wie die Reaktionsvorgänge da drin verlaufen.“ „Na, und?“ „Ich möchte sehen, wie sich jedes Molekül wieder an seinen richtigen Platz begibt, alles nach einem Schema, das die Substanz aus den Überresten des zerstörten organischen Gewebes rekonstruiert. So etwa, wie ein Professor aus dem Knochen eines Dinosauriers auf dessen ganze Konstitution schließen kann.“ Er lächelte matt. „Wie können wir überhaupt wissen…“ „Wir wissen gar nichts. Wir können lediglich versuchen, etwas herauszufinden. Die Natur belauschen. Die Natur bringt die tollsten Dinge fertig, wenn man ihr Gelegenheit dazu gibt.“ „Aber – wenn was schiefgeht?“
„Wenn du mit dieser Möglichkeit rechnest, dann geh lieber schleunigst nach oben.“ „Und du?“ „Ich bleibe hier.“ Sein Gesicht war zu einer steinernen Maske erstarrt, und die Worte kamen zwischen weißen, verkniffenen Lippen hervor. „Schau, da kommt was raus“, flüsterte Cards und zeigte auf eine Stelle des Kastens. Norfleet dichtete dies Leck schnell mit einer Handvoll Glaserkitt ab. „Und nun, was weiter?“ fragte Caris. „Aufpassen und beobachten“, befahl er, wobei Caris nicht wußte, ob er zu ihr oder nur vor sich hin gesprochen hatte. Der grün gefärbte Dampf schien dichter und dunkler zu werden… „Du kannst die Leistung des Kompressors noch etwas erhöhen“, flüsterte Norfleet verhalten. „Wir müssen von allen Elementen genügend hineinpumpen. So ist’s richtig. Jetzt etwas langsamer, sonst wird der Druck zu hoch. Hm…“ „Was?“ murmelte Caris, die auf die Knie gesunken war und fassungslos zuschaute. Der Dampf setzte sich langsam und nahm immer bestimmtere Formen an, je mehr er sich zu Boden senkte. Schließlich konnten beide eine nebelhafte Kontur erkennen, die die Farbe grüner Watte und auch ihr lockeres Aussehen besaß. Zusehends wurden aber die Umrisse immer fester, und schließlich konnte man scharf begrenzte Konturen erkennen. Norfleet stellte den Zufluß des grünen Gases ab. „Stell den Kompressor auch ab, wir brauchen keine Luft mehr“, befahl er dann und erhob sich schwerfällig. „Wir haben alles getan, was in unserer Macht steht.“ „Klappt es?“ fragte das Mädchen zitternd. „Schau nur“, sagte Norfleet, und sie blickten beide angespannt auf das Schauspiel vor sich. Der Dampf wurde jetzt farblos und löste sich auf. Er kroch zusehends in die Teile des leblosen Körpers. Bloß – jetzt war es kein entseeltes Wesen mehr, es war Spencer Poge. Caris schnappte mach Luft. „Er atmet“, stammelte sie bebend. „Hilf mir, die obere Glasplatte abzuheben“, sagte Norfleet, dessen Hände jetzt vor verhaltener Spannung zitterten und ihm kaum noch gehorchten. Caris Bridge ging es ebenso. Trotzdem hoben sie mit vereinten Kräften die schwere Glasplatte hoch, wobei der Glaserkitt teilweise abfiel, und stellten sie zur Seifte. Die Luft innerhalb des Kastens war jetzt klar und farblos. Poge lag auf dem Boden, seine Kleidung hing in verbrannten Fetzen an ihm herab, aber durch die Fetzen schimmerte rosiges lebendes Fleisch. Eine Hand bewegte sich. Poge setzte stich verschlafen auf. Sein Kopf tauchte über dem Rand des Kastens auf. Seine Oberlippe zog sich zu einem ziemlich dämlichen Grinsen auseinander. „Das ging verflucht nahe vorbei“, sagte er und lachte wiehernd. „Die Klamotten sind hin, aber nicht ein Kratzer am ganzen Leibe! Ich hätte wirklich verdient, daß mein blöder Kopf glattweg aus dem Fenster geflogen wäre.“ Caris Bridge wandte sich ab. Sie kämpfte einen hysterischen Anfall nieder. Aber Norfleet blickte Poge unbewegt an. „Caris“, sagte er schließlich, „ich möchte gern
wissen, ob du jetzt nicht Lust hast, noch einem zweiten Bericht an deinen Ausschuß zu schicken?“ Er hielt Poge die Hand hin, der sie erfaßte und aufstand. Leichtfüßig sprang er aus dem Glaskasten. Er betrachtete verwundert den improvisierten Sarkophag und runzelte die Stirn. „Bericht?“ wiederholte er verständnislos. „Was für einen Bericht?“ „Ich geh gleich und setz ihn auf“, sagte Caris mit kaum vernehmbarer Stimme. „Ich werde melden, daß das Experiment ein voller Erfolg war.“ Sie wankte davon. „Nein“, rief Norfleet hinter ihr her. „Schreib, daß die Versuche gerade erst begonnen haben.“ Poge faßte nach einem Fetzen seines Anzugs. Er fiel als staubige Asche zu Beden. Gespenstisch gellte seine Stimme durch den Raum. „Herrgott, was ist mit mir geschehen?“ Eine entscheidende Sitzung Vierzehn Männer saßen um einen langen Konferenztisch in einem Hotel in der Bundeshauptstadt Washington. Ein weiterer Mann stand am Kopfende des Tisches. Er war jung und besaß ein ausgeprägtes Kinn. Außerdem war seine Nase leicht verbogen, doch seine Augen blickten klar und wachsam in die Welt. Er hielt eine Menge Notizblätter in der linken Hand. Der Zeigefinger dieser Hand war verbunden. Er hatte gerade seinen Vortrag beendet. Die einzige Person, die seinen Worten Glauben zu schenken schien, war ein schwarzhaariges junges Mädchen, das an der Wand hinter ihm auf einem Stuhl saß. Die vierzehn Männer hatten dem jungen Mann ruhig und aufmerksam zugehört. Mindestens die Hälfte von ihnen waren bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, deren Porträts schon öfters im Zusammenhang mit politischen Ereignissen in den Tageszeitungen erschienen waren. Das waren die Mitglieder des Experimentalausschusses, den die Regierung vor einem Jahr ins Leben gerufen hatte, um brennende wissenschaftliche Probleme ohne bürokratische Hemmnisse anzufassen und womöglich zu lösen. Der grüne Schleim war die erste wirklich große Aufgabe, an der sich beweisen mußte, ob der Ausschuß erfolgreich wirken konnte. Dr. York Bridge war der Vorsitzende des Ausschusses. Seine massige Gestalt mit dem zottigen Haupthaar verriet den Individualisten. Er wandte sich jetzt an den jungen Mann. „Mr. Norfleet“, sagte er, „nur die Beteuerungen meiner Tochter veranlassen mich, den Inhalt des an uns gesandten Telegramms ernst zu nehmen. Aus diesem Grund wurden Sie gebeten, hierher zu fliegen und uns einen persönlichen Bericht über Ihre Arbeit zu geben. Ihre Angaben bedürfen dringend der mündlichen Erläuterung, denn sie sind zu phantastisch, um einfach hingenommen zu werden. Doch hat Ihr Vortrag leider keine Klarheit gebracht, sondern uns alle noch mehr verwirrt.“ Norfleets Miene verdüsterte sich. „Ich kann nur bei allem, was mir heilig ist,
schwören, daß…“ „Wir müssen zugeben, daß es Ihnen nach den vorliegenden Tatsachen tatsächlich gelungen ist, Lebensfunktionen abgestorbener Gewebe wiederherzustellen, aber Ihre erste Nachricht bezog sich auf Lebewesen, die nur kurze Zeit tot waren. Jetzt behaupten Sie aber, daß Ihnen das auch möglich ist, wenn Sie nur ein paar verwitterte Knochen zur Verfügung haben?“ „Darf ich dazu etwas sagen?“ fragte Caris Bridge über Norfleets Schulter hinweg. „Ich habe das letzte Experiment miterlebt, und es standen wirklich für den Versuch nur noch ein paar verkohlte Überreste von Mr. Poge zur Verfügung.“ Norfleets Gesicht entspannte sich. „Darf ich noch einmal meine grundsätzliche Theorie zusammenfassen?“ sagte er. „Innerhalb von sieben Jahren regeneriert sich der menschliche Körper vollständig…“ „Und ich habe schon vorhin dagegen eingewendet“, unterbrach ihn ein blonder Mann mit Braue, „daß das kein völlig neuer Körper ist, sondern vielmehr derselbe, der langsam Schritt für Schritt in seinem Zellgewebe erneuert worden ist.“ „Auf jeden Fall aber erneuert, und allein darauf kommt’s an“, fuhr Norfleet hartnäckig fort. „Der natürliche Vorgang erfolgt schrittweise, ist aber nichtsdestoweniger vollständig. Beispielsweise besteht ein junger Mann von zwanzig Jahren nicht aus denselben Molekülen, aus denen er sich zusammensetzte, als er ein Junge von vierzehn Jahren war.“ „Das ist doch natürliches Wachstum und der damit verbundene Stoffwechsel.“ „Zugegeben, Sir“, nickte Norfleet. „Ich versuche aber, durch meine Darlegungen klarzumachen, daß es weniger auf die Substanz ankommt, wenn man von einem bestimmten Wesen spricht, sondern auf das zugrundeliegende Schema, oder wie man es auch immer nennen mag. Seele, Persönlichkeit, Selbstbewußtsein sind Dinge, die wir nicht näher definieren können. Dieses unbekannte Etwas sorgt aber dafür, daß die richtigen Moleküle, an die vorbestimmte Stelle gebracht, einen ganz bestimmten Menschen darstellen, und nicht einen x‐beliebigen anderen.“ „Albernes Geschwätz!“ explodierte ein kleiner, nachlässig gekleideter Mann mit einer Knollennase. „Lassen Sie unseren jungen Mann doch fortfahren“, mischte sich eine neue Stimme ein. Es war ein dünner, schüchtern aussehender Mann mit einer mächtigen Mähne grauen Haares und einem ebensolchen Schnurrbart. Sein Gesicht trug tiefeingegrabene Linien, und seine Worte verrieten den Ausländer. Seit dem Tod Albert Einsteins wurde er von der wissenschaftlichen Welt zu den größten lebenden Wissenschaftlern und Philosophen gezählt. „Stimmen wir mit ihm überein, daß er dem Tod tatsächlich auf recht erfolgreiche Weise zu Leibe gegangen ist“, fuhr die Stimme des alten Herrn leise fort. „Natürlich wirkt alles Neue auf den überraschten Betrachter albern und unverständlich, aber lassen wir doch unseren jungen Freund mit seiner Beweisführung fortfahren. Ich möchte jedenfalls für meine Person die Bemerkung machen“ – hier wurde die Stämme noch leiser –, „daß meine Meinung sich ganz mit den bisher vorgebrachten Gesichtspunkten deckt.“
Die anderen Komiteemitglieder schienen sich steif aufzusetzen. Dem Einfluß dieser kraftvollen Persönlichkeit, die hier so unmißverständlich Partei nahm, konnte man sich nur schwer entziehen und brachte die Proteste zum Schweigen. Norfleet lächelte erleichtert und faßte zusammen: „Die Verbindung, die wir aus der Kernsubstenz des Meteoriten gewinnen konnten, jenes grünlich gefärbte Gas, benötigt relativ wenig Substanz eines toten Wesens, um daraus den ursprünglichen Körper wieder aufzubauen. Meine Versuche erstreckten sich auf vollständige, ausgetrocknete tote Körper, auf zerstörtes Gewebe und auch auf einzelne Körperteile. In jedem Fall ist es mir gelungen, die ursprüngliche Lebensform wieder vollständig herzustellen. Ein wenig Asche des toten Lebewesens, ein Knochen oder zwei genügen dem Lebensgas, wie ich die Verbindung nennen mochte, das ursprüngliche Schema wiederherzustellen, nämlich das einstige Individuum mit alten seinen persönlichen Eigenschaften und Eigenheiten. Zusätzlich, zu dem Überrest des Körpers braucht man nur die Elemente, aus denen sich organische Materie aufbaut und die durchweg in der uns umgebenden. Luft enthalten sind – Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff.“ Der große alte Philosoph hob eine Hand, aus der die Adern heraustraten und strich sich über den Schnurrbart. „Ich möchte vorschlagen, daß die Ausführungen unseres jungen Freundes zumindest einen Versuch wert sind.“ „Wird er Erfolg haben?“ fragte Dr. Bridge ziemlich kläglich. „Wer kann das sagen? Aber was haben wir bisher mit anderen Methoden für Erfolge errungen? In die Luft sprengen? Die Fragmente des grünen Befalls sind in die Luft geflogen und haben beim Niederfall die Sprengmeister zerfressen, die mit Entsetzensschreien auf den Lippen starben. Mauern werden von ihm erklettert. Feuer wird erstickt. Graben werden ausgefüllt und einfach Übergängen. Wir brauchen bessere Methoden und kühnere Geister, um mit dieser furchtbaren Plage fertig zu werden.“ „Aber welche kühnen Geister?“ warf der junge blonde Mann mit der Brille ein. „Sie sind dafür, in die Vergangenheit zu greifen, um sich diese dienstbar zu machen? Aber damals war die Wissenschaft noch ein kleines, relativ einfaches Gebiet, ja, man hatte noch nacht einmal einen Namen dafür…“ „Damals hieß die Wissenschaft noch Philosophie“, warf die leise Stimme mit dem fremdländischen Akzent ein. „Damals bekannten sich die größten Denker noch zu dem Gedanken einer alles umfassenden Wissenschaft, die nacht nur Physik und Chemie, sondern Seele und Geist und alles Sonstige umfaßte. Die Welt ist nicht nur breit, sondern auch tief. Rufen wir die Philosophen der Vergangenheit mit ihrem Streben nach Allumfassenheit wieder zurück.“ „Sir“, sagte Norfleet plötzlich, „ich danke Ihnen für Ihre Worte.“ Die alte gebrechliche Gestalt erhob sich von ihrem Stuhl und die geäderten Hände klammerten sich an der Tischplatte fest. „Soweit ich für meine Person Einfluß nehmen, kann, befürworte ich uneingeschränkt die Idee unseres jungen Freundes. Lassen wir Mr. Norfleet größere Geistesgiganten aus die von heutzutage den Kampf geigen die grüne Gefahr aufnehmen!“ „Ein Gigant, der aus der Ewigkeit zurückkehrt“, fuhr der Sprecher fort. „Wir
brauchen Tapferkeit, Menschlichkeit, Geistesschärfe. Unsere Empfehlung würde uns den Zutritt zu dem Grab gestatten. Aber welches kommt in Frage?“ Beklommenes Schweigen lastete über dem Raum. „Das Ganze ist ein Vorschlag“, sagte Dr. Bridge. „Was aber ist die Absicht des Komitees? Wer dafür stimmen will…“ Alle schlossen sich jetzt den vorgetragenen Ideen an, es gab keine Gegenstimme. „Dann wäre noch die Frage zu klären, wer es sein soll“, fuhr Dr. Bridge fort. „Welcher Gelehrte aus versunkener Zeit?“ „Galilei!“ schrie der kleine dürre Mann mit der Knollennase. „Da Vinci“, sagte der blonde Mann mit der Brille. Aber der grauhaarige Philosoph sah Norfleet abwägend an. „Ich glaube, junger Mann, Sie hätten gern zu diesem Problem einen Vorschlag gemacht.“ Norfleet zeigte seine Notizen vor. „Ich habe schon einige Vorschläge hier niedergeschrieben, Sir, da unten am Ende des Berichts.“ Der andere nahm das Blatt, las es und lächelte dann. Dr. Bridge räusperte sich. „Ich muß wirklich sagen, daß Mr. Norfleet seinen Bericht so vollständig wie möglich abgefaßt hat. Wenn er uns jetzt eine Weile ungestört lassen will, glaube ich, daß wir zu einer allseitig befriedigenden Lösung gelangen können.“ Norfleet verbeugte sich und verließ den Raum. Hinter ihm erklangen Schritte. Er drehte sich um, und Caris ergriff seine Hand. „Ich hoffte, wir würden Papa sofort auf unsere Seite bringen“, seufzte sie. „Er ist der Vorsitzende, er muß die Meinung aller Ausschußmitglieder zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen. Wie war’s mit einem Likör oder sonstwas Alkoholischem?“ „Ich könnte jetzt einen Liter davon vertragen.“ „Na, sagen wir halb so viel, aber gehen wir doch in die Bar hinunter.“ In der Bar wurden sie nach, vierzig Minuten von einem Pagen hochgeschreckt. Der Ausschuß wollte sie wiedersehen. Im Konferenzzimmer stand diesmal der bekannte Wissenschaftler am Kopfende des Tisches. Er lächelte, als Norfleet und Caris eintraten. „Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir Ihnen einen Versuch gestatten werden“, begann er ohne Umschweife. „An wem sollen wir den Versuch vornehmen?“ fragte Norfleet gespannt. „Sie können selbst wählen.“ Der alte Mann gab ihm seine Notizen zurück. „Ich war über Ihre Auswahl sehr erfreut. Das ist wirklich eine glückliche Kombination der höchsten menschlichen Gaben, wie Unternehmungsgeist, Menschlichkeit, wissenschaftliches Denken und Anpassungsfähigkeit.“ Norfleet verbeugte sich. Seine Hand zitterte, als er die Notizen entgegennahm. Ihm versagte die Stimme, so daß er nicht antworten konnte. „Sie werden sich sofort nach Paris begeben“, wies ihn Dr. Bridge an. „Wir lassen Plätze auf dem nächsten Stratocruiser belegen, damit Sie und Caris unverzüglich an Ihre Arbeit gehen können. Während Sie unterwegs sind, müssen wir telegraphisch den schwierigsten und delikatesten Teil des Projekts in Angriff nehmen, nämlich uns die Genehmigung zur Öffnung der Gruft geben lassen.“
„Die geheiligte Ruhestätte von Frankreichs größtem Gelehrten“, sagte der alte Mann mit der grauen Mähne. Giganten aus der Ewigkeit In der Rue Dutot im Herzen von Paris beleuchtete eine abgedunkelte Taschenlampe die Gesichter zweier nervöser Menschen, die soeben aus Amerika eingetroffen waren und in einer altertümlichen Gruft standen. „Ich hoffe, es klappt alles, Oliver“, sagte Caris Bridge ernst und packte dabei einen Instrumentenkasten mit verschiedenen Geräten aus. Außerdem nahm sie aus einem anderen Beutel eine Thermosflasche, einen gefütterten Morgenmantel sowie ein Paar Pantoffeln. „War dieser Mann, der mit uns gesprochen hat, der Direktor, oder wie sagt man hierzulande? Ich wünschte, ich würde die französische Sprache besser beherrschen, aber er schien mir nicht sonderlich von unserem Vorhaben begeistert…“ Sie schüttelte sich bei dem Gedanken. „Ich habe ihn ganz gut verstanden“, gab Norfleet zurück. „Und was sagte er?“ „Weiter nichts, als daß er uns persönlich die Hälse umdreht, wenn unser Versuch sich nur als übler Scherz herausstellte. Und er machte ein Gesicht, als ob er es ernst meinte.“ „Ach, du lieber Gott!“ rief Caris erschrocken aus. Norfleet packte inzwischen die anderen Geräte aus. Einen Luftkompressor, einen Glasbehälter mit dem grünen Lebensgas, der diesmal einen Verschluß mit einem Druckmesser besaß. „Bald werden wir soweit sein. Immerhin frißt sich jetzt unser grüner Feind seit fünfzehn Tagen unaufhaltsam vorwärts, und wir müssen Erfolge aufweisen können. In den Zeitungen stand, daß die vom grünen Schleim befallene Fläche inzwischen schon auf viertausend Quadratkilometer angewachsen ist.“ Er trug das Gerät an den großen Sarkophag heran, der inmitten der Gruft ruhte und undeutlich im Schein der schwachen Beleuchtung zu erkennen war. Mit einer Bohrmaschine begann er sorgfältig eine Ecke des Sarkophags anzubohren, in dem seit dem Jahre 1885 die Gebeine des großen Gelehrten ungestört ruhten. „Der Tod muß eine tolle Erfahrung sein“, bemerkte er, als er einen Augenblick verschnaufte. „Und das Lebensgas hat auch für den Geist positive Wirkungen. Denk nur, wie Poge sich seit seiner Wiedererweckung gibt. Der Fortschritt ist doch erstaunlich.“ „Ich gebe zu, daß das der Fall ist. Aus diesem Grund konnten wir ihn ja auch unbesorgt allein in Kansas City lassen. Er kapiert jetzt schneller und arbeitet reibungsloser mit uns zusammen.“ Norfleet warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. „Du bist nicht gerade gut auf Poge zu sprechen, was?“
Sie gab keine Antwort und schaute zu Boden. Norfleets Bohrer war inzwischen durch die Seitenwand gefahren. Er zog ihn heraus, um eine lange dünne Kanüle in das gebohrte Loch einzuführen. Drumherum schmierte er Glaserkitt, um die Wandung des Loches gegen die Kanüle hin abzudichten. Dann nahm er sich eine andere Ecke des Sarkophags vor und bohrte ein zweites Loch. Dort wurde jetzt der Luftkompressor angeschlossen. Schließlich probierte Norfleet noch, ob er den Deckel heben könnte und fand, daß er durchaus leicht von seinem Platz zu bewegen war. Anschließend stellte er Kompressor und die Verbindungsleitung von der Flasche mit dem grünen Gas zum Sarkophag an. „Paß auf, daß der Kompressor die Drehzahl nicht ändert“, wies er Caris an, „Ich möchte nicht, daß der Deckel durch den Luftdruck an die Decke gepfeffert wird. Gerade soviel, daß sich das Gewebe langsam aus den Bestandteilen der Luft aufbauen kann.“ Er schaute auf seine Armbanduhr und zählte die Sekunden, die träge vorbeirannen. Schließlich sagte er: „Stell bitte den Kompressor ab, Caris.“ Sie tat es, und er drehte den Hahn zu, der die Zufuhr des Lebensgases regulierte. „So, jetzt komm und hilf mir.“ Zusammen hoben sie den schweren Deckel hoch und starrten in das Dunkel innerhalb eines Sarkophags hinab. Ein dumpfes Geräusch drang zu ihnen herauf. „Monsieur“, rief Norfleet, dessen Stimme trotz aller Selbstbeherrschung zitterte. Dann nahm er seine französischen Sprachkenntnisse zusammen. „Verzeihen Sie, wir haben in einem Augenblick der tödlichsten Gefahr, der sich unser Planet gegenübersieht…“ Eine dunkle Gestalt, die einen altmodischen Gehrock trug, setzte sich im Sarg auf. Ein lebhaftes Gesicht mit einem schwarzen Schnurrbart schaute über den Rand und zwei funkelnde graue Augen blickten Norfleet an. „Sie sind Ausländer, nicht wahr?“ drang eine langsame Frage aus dem Sarg. „Vous etes Anglais…“ „Amerikaner“, sagte Gazas. „Aha.“ Die Gestalt sprach jetzt in gebrochenem Englisch weiter: „Nehmen Sie es nicht so tragisch, daß Sie mach aufgeweckt haben. Heute fühle ich mich wirklich einmal wohl!“ Er reckte die Arme. „Tiens! Die Lähmung meiner linken Seite ist verschwunden. Donnerwetter.“ Caris hatte die Thermosflasche geöffnet und goß heiße Milch in eine Tasse. „Trinken Sie dies hier, Monsieur“, sagte sie. „Daran werden Sie sich noch besser fühlen.“ Er nahm die Tasse und trank einen Schluck. Seine Zähme glänzten. „Tausend Dank“, sagte er höflich. „Ich erinnere mich noch als letztes, daß ich zu schwach wurde, um auch nur Milch zu mir zu nehmen.“ Er trank nochmals. „Schmeckt ausgezeichnet“, lobte er. „Aber ist sie auch rein? Nicht gesundheitsschädlich?“ „Natürlich ist sie rein“, antwortete ihm Caris. „Sie ist pasteurisiert.“ Louis Pasteur, der große französische Physiologe, ließ erstaunt die Tasse fallen. *
Die nächste Nacht in London. Wieder eine ehrwürdige Gruft unter der Westminster Abbey. Diesmal drei Personen, die wispernd beratschlagen… „Hier ist der Sarg“, sagte Norfleet. „Ist der Bohrer bereit? Hierher, bitte. Danke. Nun der Kompressor und der Behälter mit dem Gas.“ Nach und nach reichte Pasteur ihm die verschiedenen Gegenstände. „Es war Ihr Wunsch, diesen großen Geist für unsere Arbeit heranzuziehen“, erinnerte ihn Norfleet. „Mais oui – aber ja.“ Er betrachtete ehrfürchtig die Inschrift auf Darwins Grabstätte. Norfleet beendete seine Vorbereitungen. Dann trat der Luftkompressor in Tätigkeit… Charles Darwin saß auf seinem eigenen Grab in einen Morgenrock eingehüllt, den seine Besucher mitgebracht hatten. Er war ein großer, magerer Mann mit Storchenfüßen und einem mächtigen Schädel. Er schien, wie Pasteur, als Mann, im besten Alter wiederauferstanden zu sein, denn er sah nicht wie ein Greis kurz vor dem Tod aus. Sein langer Bart war schwarz. Dankbar genoß er den heißen Tee und die Butterbrötchen, die ihm Caris reichte. Dabei lauschte er angestrengt den Erklärungen, die ihm seine Besucher über das erstaunliche Experiment gaben. Langsam zeigte sich Verständnis auf seinen verwunderten Gesichtszügen. „Irgendwie muß ich mich mit diesen unglaublichen Tatsachen abfinden, von denen die erstaunlichste meine Auferstehung ist“, faßte er schließlich seine Eindrücke zusammen. „Und nun bleibt mir einfach nichts anderes übrig, als an dem anderen Teil des Planes mitzuarbeiten, so gut ich kann obwohl ich nicht weiß, ob ich mich nützlich machen werde. Dieses neue Zeitalter mit seinem Tempo und seiner Zivilisation…“ „Aber, Mr. Darwin, Sie werden uns doch helfen?“ bat Norfleet „Gegen den grünen Schleim, nicht wahr?“ „Aber natürlich“, versicherte ihm Darwin in beruhigendem Ton. Das zerfurchte Gesicht hob sich selbstbewußt, und Darwin schaute Norfleet zuversichtlich an. „Warum bin ich in der Westminster Abbey begraben worden?“ fragte er. „Für diese Ehre bestand doch gar kein Grund.“ „Aber, Mr. Darwin!“ protestierte Caris. „Warum haben Sie nicht jenen großen Mann ins Leben zurückgerufen, dessen Name ich dort auf jenem Sarg erkennen kann?“ fragte Sir Charles Darwin mit lauter Stimme, wobei er ins Dunkle zeigte. Norfleet ließ den Strahl seiner Stablampe dahinschweifen. „Sir Isaac Newton“, las er und erschauerte. Darwin freute sich, als er das Erstaunen der drei Personen bemerkte. Er grinste diabolisch. „Newton versuchte wirklich zu ergründen, was den Weltenlauf bestimmt. Er verstand mehr von allen Problemen, die es auf der Welt gibt, als ich“, sagte er. „Vor allem besitzt er bestimmt die Kenntnisse, die man als Grundlage für die Bekämpfung der furchtbaren Plage so nötig braucht. Mr. Norfleet, haben Sie noch etwas von Ihrem Wundergas in dem Behälter?“ „Ein wenig“, gab Norfleet zur Antwort. „Für eine Wiedererweckung könnte es noch
reichen.“ „Also, worauf warten wir noch?“ Pasteur lachte auf und schlug die Hände beifällig zusammen. „Bravo! Also, los geht’s! Hier bringe ich den Bohrer persönlich.“ Der Arm des grünen Todes Es war ein warmer Abend, als vier Männer im Speisezimmer eines alten Hauses am Stadtrand von Kansas City saßen, das früher Poge und Norfleet als wissenschaftliches Hauptquartier gedient hatte. Norfleet blickte die Tafel hinunter, wo einige würdige Herren in moderner, aber konservativer Kleidung saßen. Nur die Barte von Pasteur und Darwin zeigten an, daß mit diesen Männern etwas Besonderes los war. Newton trug keine Perücke mehr, die zu seiner Zeit als modern galt, und zeigte statt dessen nur einen stachelborstrigen Kopf, der aber seiner mächtigen Gestalt keinen Abbruch tat. Poge und Caris fehlten. Sie waren auf einer Erkundungsfahrt in die Gegend gefahren, in der der grüne Tod wütete. Ingalls und auch die nächste Stadt, Dodge City, waren schon Opfer des unersättlichen Feindes geworden. Farmer, die die Warnungen nicht beachteten, hatten Ihre Wohnungen nicht mehr verlassen können und waren ein Opfer der Plage geworden. Die Ernte war gleichermaßen vertilgt worden. Äcker und Gärten existierten nicht mehr. Und trotzdem herrschte an der Tafelrunde ein gedämpfter Optimismus. „Wir brauchen noch jemand, der unsere Gedanken auch rasch und geschickt in die Tat umsetzen kann“, meinte Sir Isaac Newton. „Das ist richtig“, stimmte ihm Louis Pasteur, der kleine Franzose, zu. Auch Darwin nickte zustimmend. „Aber wer käme dafür in Frage?“ meinte Norfleet stirnrunzelnd. „Nun, mein junger Freund“, entgegnete Sir Isaac, „ich hatte Gelegenheit, ein wenig in Ihrer Bibliothek zu stöbern. Des öfteren wurde dort ein Amerikaner erwähnt, der die kniffligsten Apparate konstruiert hat und deshalb weltberühmt wurde.“ „Thomas Alva Edison vielleicht?“ fragte Norfleet nach einigen Augenblicken angestrengten Nachdenkens. „Edison? Ich glaube, so hieß er“, antwortete Newton. „Edison ist für das hier verantwortlich“, strahlte Norfleet und zeigte auf die elektrische Glühbirne zu ihren Häupten. „Für die Grundlagen der Musikübertragung, das Radio und für vieles andere auch noch, hauptsächlich was mit elektrischer Kraft zusammenhängt.“ „Klingt so, als ob wir den fähigen, mechanisch begabten Menschen gefunden hätten, den wir für unsere weiteren Arbeiten brauchen“, meinte Darwin. „Also telegraphieren wir, wenn sich kein Einspruch erhebt“, meinte Norfleet. „Übrigens, der Telegraph – der stammt auch von ihm.“
* Die Mitglieder des Experimentierkomitees konnten infolge Zeitmangels die vier zum Leben erweckten wissenschaftlichen Heroen nicht gebührend empfangen. Aber als sie sich von ihrem Erstaunen erholt hatten, wurden alle Maßnahmen getroffen, um die seltsame Arbeitsgruppe mit allen Ausrüstungsgegenständen, zu versehen, die sie für ihre Arbeit brauchten. Gleichzeitig versuchten sie, ein System in die Forschungsarbeiten zu bringen, denn daran haperte es am meisten. All die verschiedenen Gruppen, die von Staats wegen gebildet worden waren, um den grünen Befall zu bekämpfen, hatten zum Teil gleichlautende, zum größten Teil aber völlig entgegengesetzte Ansichten darüber, was man gegen diese nationale Gefahr unternehmen müsse. Die Folge davon war ein sehr schlechter Wirkungsgrad, der in schreiendem Gegensatz zu den aufgewendeten Mitteln stand. Pioniere der Armee mußten ihr Lehrgeld bezahlen, als sie mit Dynamit und Feuer dem grünen Schleim ergebnislos zu Leibe gingen. Buchstäblich nichts vermochte bis jetzt das Vordringen, der unheimlichen Masse ernsthaft aufzuhalten. Es war tödlich, wenn man dem grünen Schlamm zu nahe kam. Mancher Soldat hatte diesen Leichtsinn mit seinem Leben bezahlt. Ein rasches Vorschnellen der Masse an einem Punkt, ein Aufschrei – und schon hatte der Feind ein neues Opfer gefunden. Sogar Flugzeuge wagten sich nach diesen Erfahrungen nicht mehr genügend tief herunter, weil sie Angst hatten, in die unberechenbaren Fänge der unbekannten Substanz zu geraten. Aus verständlichen Gründen wurde die Welt über die vier aus der Vergangenheit zurückgekehrten Gelehrten im dunkeln gelassen. Man konnte jetzt kein Geschrei gebrauchen, das von der eigentlichen Aufgabe ablenkte. Nur ein eng begrenzter Stab von Mitarbeitern war in das verblüffende Geheimnis eingeweiht worden. Die chemische und biologische Seite des Abwehrkampfes übertrug man Louis Pasteur, der nicht nur die Aufstellung der entsprechenden Apparate im Kellerlabor des alten Hauses in Kansas City überwachte, sondern der auch darüber hinaus noch sein eigenes Schlafzimmer mit allen möglichen Apparaten vollstopfte, so daß er sich gerade mit knapper Not zu seinem Bett durchzwängen konnte. Er begann gleichzeitig mit zwölf verschiedenen Möglichkeiten, die Substanz des grünen Schleims zu analysieren und somit einen Weg zu seiner Zerstörung zu finden. Darwin bestellte sich einen Berg von Büchern über alle mit dem Geheimnis des Lebens zusammenhängenden Fragen und erhielt in kürzester Zeit an die tausend dickleibige Wälzer zugestellt. Er verschwand in seinem Zimmer und begann, sich durch die Fortschritte durchzuwühlen, die dieser Zweig der Wissenschaft seit jener Zeit gemacht hatte, da er sie erstmalig begründete. Edison hatte den Dachboden des hinter dem Haus liegenden Wirtschaftsgebäudes mit Beschlag belegt, wo er seine mechanische Werkstatt mit Bienenfleiß installierte. Zuerst machte er sich daran, das Atomgebläse von Poge wieder instand zu setzen, denn die infernalischen Hitzegrade, die man damit erzeugen konnte, hatten bewiesen, daß der grüne Schleim zu zerstören war. Vielleicht konnte man das Gerät
noch wirkungsvoller weiterentwickeln. Edison büffelte auch in den Fachbüchern, die in reichlichem Maße zur Verfügung standen. Er schlief, wie früher, nur vier Stunden am Tag, den Rest brachte er mit immer neuen Experimenten zu. Sir Isaac Newton hatte darauf bestanden, den kleinsten Schlafraum zu beziehen. Mit ihm zog gleichzeitig eine wohlgefüllte Bibliothek astronomischer Fachliteratur ein. Er verschlang mit größtem Interesse die Arbeiten von Einstein, der ja Newtons grundlegende Theorien weiterentwickelt hatte. Jeans, Eddington, Bondie und andere trugen ebenfalls durch ihre Werke zur Aufpolierung seines Wissens bei. Und der große Geist saugte ohne allzu große Mühe den gewaltigen Wissenschaftskomplex in sich auf, so daß seine Gefährten jeden Tag mehr über die zusehends wachsenden Fortschritte staunten. Norfleet teilte ihnen mit, daß er Caris und Poge an der Grenze des grünen Befalls treffen wolle. Die Versammelten baten ihn einstimmig, die Fahrt mitmachen zu dürfen und belegten die Sitze in dem alten Kombiwagen. Als sie an Ort und Stelle ankamen, mußten sie feststellen, daß mittlerweile der grüne Schleim, nahezu einen ganzen Landkreis befallen hatte. Sie stiegen aus und betraten den vorsorglich verbrannten Boden, argwöhnisch von zwei Wachposten in der Nähe beäugt. Sie befanden sich westlich von Hutchinson, Kansas, und niemand war weiter zu sehen. Der Blick konnte hier ungehindert über die Landschaft schweifen. Aber was für ein Anblick! Nichts als eine grüne Fläche in verschiedenen Farbabstufungen, die sich nahezu eben bis an den Horizont erstreckte. Allerdings ragten hier und da noch einige kleine Erhebungen hervor, die offenbar die Reste von Bauwerken waren. Aber bald würden auch sie von dem alles verschlingenden. Parasiten so eingeebnet sein wie die Umgebung. „Gott, was für ein Anblick“, knurrte Darwin. „Abgesehen von der Farbe könnte es der Fußboden der Hölle sein.“ „Jetzt möchte ich gern von unserem jungen Freund Norfleet wissen, wie er dieses feindliche Gebiet für uns erforschen will“, fragte Sir Isaac Newton. „Mit dem Hubschrauber natürlich“, gab Norfleet zurück. „Und hier kommt er auch schon.“ Ein Hubschrauber war dröhnend in Sicht gekommen. Er flog auf sie zu, verhielt über ihnen und senkte sich dann langsam herab. Nicht weit von ihnen berührte er den Boden, und Caris, in Hosen und Bluse, sowie Poge sprangen heraus. „Hast du eigenhändig diesen fliegenden Ventilator gesteuert?“ fragte Norfleet seinen Freund. „Na klar, wer denn sonst?“ lachte Poge. „Ich weiß nicht, seitdem ich das Lebensgas inhaliert habe, lerne ich neue Dinge in Nullkommanix. Auch diese fliegende Windmühle macht mir keine Schwierigkeiten. Innerhalb eines Tages habe ich dem Fluglehrer praktisch alles abgeguckt, und du siehst ja selbst, daß ich mich mit meinen Flugkünsten durchaus sehen lassen kann. Der Pilot sagt jedenfalls, daß ich die Maschine tadellos beherrsche. So, nun wird es aber Zeit, daß ich mich wieder an meine Atomfeuerspritze mache, die mir damals um die Ohren geflogen ist.“ „Die ist schon längst wieder repariert, Mr. Poge“, gab Edison ihm zur Antwort. Poge war sprachlos. „Aber diese Apparatur…“
„So gut wie neu, ja sogar noch besser“, versicherte ihm Edison ernsthaft. „Ich habe noch einige kleine Verbesserungen eingebaut.“ Poge wollte empört protestieren, und Norfleet konnte es ihm nachfühlen, denn das Gerät war Poges ureigenstes Werk, worauf er mächtig stolz war. Norfleet lenkte ihm aber rasch ab, indem er sagte: „Ich gratuliere dir, daß du das Flugzeug steuern kannst. Ich brachte einige Anzüge mit, die uns vor dem grünen Befall kurzzeitig schützen, falls wir doch wider Erwarten abstürzen sollten.“ „Kommt gar nicht in Frage“, gab Poge großspurig an, der darin einen Zweifel an seinen Fähigkeiten vermutete. „Nur für alle Fälle, hab ich gesagt“, schnitt ihm Norfleet jeden weiteren Einwand ab. Dann zog er ein Bündel unförmiger Kleidungsstücke aus dem Kombiwagen. „Caris, willst du die Herren nach Hutchinson zurückfahren? Wir werden euch dann später dort wieder treffen.“ Darwin protestierte, weil er den Weg somit umsonst gemacht hatte. „Wir können nur zulassen, daß Sie den Befall beobachten, aber wir werden der gemeinsamen Aufgabe einen schlechten Dienst erweisen, wenn Sie sich leichtfertig in Gefahr begäben. Das nützt niemandem, und Sie werden das sicherlich verstehen. Außerdem ist für alle unmöglich Platz in dem Hubschrauber.“ „Für mach wäre noch Platz drin“, bettelte Caris. „Wir haben aber nur zwei Schutzanzüge“, wehrte Norfleet ab. Poge hatte bereits seine langen Beine in die Kombination gezwängt, die aus einer wollartigen Faser hergestellt war. „Wenn du mit mir über diesen riesigen Farbklecks fliegen willst, dann mach’n bißchen fix. Ich bin schon fast soweit. Was ist das für ein komischer Anzug, den ich jetzt anziehe?“ „Meine Erfindung“, meinte Edison. „Glasfaser, durch chemische Behandlung mit verschiedenen Säuren elastisch gemacht…“ Schließlich fügten sich alle Norfleets dringender Bitte. Er und Poge kletterten in den Hubschrauber, der sie über das befallene Gelände tragen sollte, die anderen setzten sich in den Kombiwagen und wurden von Caris in die benachbarte Stadt Hutchinson gefahren. Die rotierenden Flügel führten Poge und Norfleet bald immer höher dem blauen Himmel entgegen. Sie beschrieben einen eleganten Bogen und näherten sich, stetig sinkend, dem Gebiet der Plage, über das sie langsam dahinstrichen. Norfleet betrachtete angespannt die trostlose Landschaft unter sich, die von einem verrückten Maler angepinselt zu sein schien, denn er hatte offenbar nur neunundneunzig verschiedene Schattierungen von Grün in seinem Farbkasten gehabt. „Wie groß ist das befallene Gebiet jetzt?“ schrie Norfleet Poge ins Ohr. „Schätzungsweise neunzig Kilometer im Durchmesser“, gab Poge zurück. „Gray County, Kansas, ist schon verschluckt, Garden City ist kein Garten mehr, und Dodge City, der Tummelplatz der Cowboys, ist nicht mehr zu sehen. Südlich von uns haben sich die verstörten Farmer schon bis nach Oklahoma zurückgezogen und in den anderen Richtungen der Himmelsrose ist es auch nicht viel anders.“ „Oklahoma wird auch bald erreicht sein“, brütete Norfleet dumpf vor sich hin. „Im
Westen geht es auf Colorado zu, im Norden auf Nebraska.“ Er schaute nach unten. „Warum zittert die Masse so?“ „Das Zeug pulsiert“, gab Poge zurück. „Weißt du noch? Wir haben doch damals geprüft, ob das Zeug heiß war. Nichts dergleichen. Vulkanasche Tätigkeit scheidet aus.“ „Hast du’s mal mit einem Geigerzähler versucht?“ fragte Norfleet. „Die Air Force hat das schon besorgt. Kein Ausschlag, der das übliche Maß übersteigt. Worauf willst du hinaus?“ Norfleet schwieg. In der grünen Wüste, wo jedes bißchen Substanz in diese schreckliche neue Materie, in dieses Pseudogewebe, verwandelt worden war, sah er einen seltsamen,, auffallenden dunklen Punkt. „Geh mal ein bißchen tiefer“, wies er Poge an. Der Hubschrauber gehorchte Poges Steuerbefehl, kreiste nochmals und sank nach unten. Norfleet öffnete das gläserne Seitenfenster der Kabine und beugte sich soweit hinaus, als er es nur wagen konnte. Mit einer Hand hielt er sich fest, mit der anderen angelte er nach einem Feldstecher. Er setzte das Glas an. Die dunklen Objekte waren unverkennbar Büsche, die im Takt des alles beherrschenden Pulsschlages vibrierten. Braune Busche, denen Farbschattierungen, bis ins Grün reichten. Sollte eine Pflanzenart tatsächlich der Vernichtung widerstanden und sich auf ihre Weise dem Feind angepaßt haben? Die ursprüngliche Form war erhalten geblieben und war nicht der öden Ebene gewichen, nur die Farbe hatte sich etwas geändert. Norfleet versuchte, die Wichtigkeit einer solchen Entdeckung abzuschätzen. Hatte hier der grüne Schleim nur eine Teiländerung bewirkt? Lebte die Pflanze jetzt unter den neuen Bedingungen vielleicht noch kräftiger weiter? Alles Fragen, die nicht sofort zu beantworten waren. „Ich wünschte, wir hätten eine Kamera dabei“, murmelte er. „Wir werden das nächste Mal eine mitnehmen“, tröstete ihn Poge. „Dafür habe ich aber eine Maschinenpistole auf dem Rücksitz liegen. Für alle Fälle.“ Norfleet schloß das Fenster wieder, drehte sich um, sah die Pistole und streichelte sie. „Na, denn man weiter vorwärts“, sagte er. Sie glitten im Tiefflug über das befallene Gebiet. Schier endlos schien sich die grüne Ebene zu dehnen. Doch dann sahen sie eine neue eigenartige Unterbrechung des eintönigen Anblicks. Ein Fluß, der violett schimmerte, dessen Farbe sich aber manchmal zu einem schillernden Grün veränderte. Wiederum ließ Poge auf Norfleets Anweisung den Hubschrauber etwas tiefer absinken. Die Flüssigkeit kam aus einer trichterförmigen Quelle, die von zwei Hügeln flankiert war. Während seines Laufes konnte man aus der Flüssigkeit deutlich Blasen aufsteigen sehen. Danach überflogen sie wieder Buschwerk und sogar einzelne niedrige Bäume, die alle die seltsame Veränderung durchgemacht hatten. Lange bange Minuten verstrichen. Sie näherten sich einer Stelle, die durch ihr grünes Glühen auffiel. Das mußte der Ursprung der Infektion sein, zu der Norfleet damals zu Fuß vorgedrungen war. „So, hier flieg mal so langsam wie möglich und zieh ein paar saubere Kreise“, befahl Norfleet. „Diese Gegend müssen wir uns ganz genau ansehen. Das ist sozusagen das
Hauptquartier der feindlichen Invasionsmacht. Schau mal, so eben ist dieses Gebiet gar nicht, und dazu pulsiert es nicht in dem allgemein sichtbaren Rhythmus.“ Man konnte tatsächlich aus der Bewegung der Masse auf eine gewisse Aufgeregtheit schließen, obwohl man natürlich nicht wußte, ob der Vergleich zulässig war. Trotzdem schien das Schlängeln und Zucken etwas Unheilvolles anzudeuten, obwohl dieser Eindruck mehr einem Gefühl als einer exakten Schlußfolgerung entsprang. Poge ging auf zwanzig Meter herunter und ließ dann den Hubschrauber mit heulendem Motor wieder himmelwärts schießen. „Noch mal“, sagte Norfleet. „Da in der Mitte ist eine flache Erhebung, die muß ich mir genau ansehen.“ Aber der Hügel war nicht mehr flach, als sie sich wieder dem Zentrum näherten. Er hob sich witternd, aus ob er Verstand besaß. Man konnte ihn mit einem riesigen Polypen vergleichen, einer Hydra oder auch Seeanemone ähnlich. Nur mußte man sich diese Gebilde des Meeresbodens tausendmal vergrößert vorstellen. Es besaß einen dicken, fleischigen Stamm, wie der frischgeschlachtete Körper eines stämmigen Riesentieres, und es dehnte sich schnell und unaufhaltsam nach oben aus. Oben wurde der Stamm durch eine Krone abgeschlossen, aus der ein Büschel peitschenartiger Fäden herausragte. „Mensch, das Ding lebt“, sagte Norfleet rauh. „Es bewegt sich und tastet sich vorwärts. Wie nahe kannst du rankommen, Spencer?“ „So nahe.“ Poge ließ den Hubschrauber so langsam wie einen Eimer in einen Brunnen sinken. Fünfzehn Meter schwebten sie jetzt über dem grotesken, sich windenden Auswuchs, dann sanken sie noch eine Kleinigkeit… Wie eine Schlange schnellte es sich ihnen entgegen. Norfleet hörte Poges erschreckten Schrei und fühlte, wie der Hubschrauber einen Satz machte, als ob er auf eigene Faust das Weite suchen wollte. Dann schwankte er schwerfällig hin und her und verharrte schließlich zitternd an derselben Stelle. Norfleet hatte den undeutlichen Eindruck einer riesigen Hand, die den Hubschrauber mit vielen Fingern in ihrer zerfressenden Faust hielt und aus deren Innenfläche ihn völlig unsinnigerweise ein Auge oder eine sonstige Öffnung anstarrte, die es bei normalen organischen Wesen nicht gab. Der Griff zertrümmerte das Glas um ihn herum und schien sich über ihm zu schließen. Norfleet langte nach der Maschinenpistole, wußte aber nicht recht, wie er dem Angriff begegnen sollte. Dann verlor er das Gleichgewicht, denn der Hubschrauber machte eine drehende Bewegung und Norfleet stürzte haltlos nach unten. Da der Hubschrauber durch den mächtigen Zug nach unten nur noch wenige Meter über der grünen Fläche schwebte, gelang es Norfleet, mit einer instinktiven katzengleichen Anstrengung auf den Füßen zu landen, wenn er auch dabei das Gefühl hatte, als ob ihm alle Sehnen in den Fersen rissen. Er machte einige taumelnde Schritte, um das Gleichgewicht zu behalten, wobei er aber um ein Haar durch die weiche Klebrigkeit des Bodens in die Knie gegangen wäre. Ihm kam er wie grüner Straßenteer vor. Als Norfleet sich gefangen hatte, rannte er etwa zwanzig
Schritte, bemerkte dann das dunklere Gebiet, das den kalt glühenden Kern umgab und zwang sich, ruhiger zu laufen. Er riskierte sogar eine kurze Verschnaufpause und blickte zurück. Langsam sank der stämmige Schaft mit seinen Greifgeißeln, in denen der Hubschrauber hing, auf den Boden zurück, der in kaltem Feuer grün glühte. Norfleet konnte nicht erkennen, ob sich das Gebilde in eine Spalte zurückzog, oder einfach wieder mit der Umgebung verschmolz. Seine Aufmerksamkeit wurde aber von einem anderen Ereignis angezogen. Er sah Poge, der inmitten der zertrümmerten Kabine verzweifelt kämpfte und wilde Schreie ausstieß. Dann verdeckten aber einige der peitschenartigen Greiforgane die Sicht und Norfleet konnte den letzten Akt das Dramas nicht mehr sehen. Norfleet hielt die Maschinenpistole immer noch in den verkrampften Händen. Er feuerte einen Feuerstoß in Richtung auf das Ungeheuer, konnte aber keine Wirkung feststellen. Die gesamte Masse versank vor seinen Augen einschließlich des Hubschraubers. Das Herz des Parasiten aus einer anderen Welt lag wieder ruhig und glatt da, als wäre nichts geschehen. Grüne Spukgestalten greifen an Norfleets erster Impuls entsprang seiner Kühnheit, und nicht der Vernunft. Er wäre am liebsten an die Stelle des Unglücks zurückgestürzt und hätte Poge mit seinen eigenen Händen aus der schrecklichen Umklammerung befreit. Aber bald gewann die Vernunft die Oberhand, denn dieser Versuch wäre glatter Selbstmord gewesen. Durch Zufall war er auf der Nordseite des Mittelstückes gelandet, und so machte er sich in nördlicher Richtung auf, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Der Unterschied mochte zwar nur hundert Meter betragen, aber unter Umständen konnte ein einziger Meter entscheidend sein. Fünfzig Kilometer Weg – ein sicher hoffnungsloses Unterfangen! Acht Stunden bei schnellster Gangart, und das, eingepfercht in diesen Glasfaseranzug, in dem er bei diesem Lauf vor Hitze umkommen würde. Dabei der glitschige Boden! Gott sei Dank war Caris Bridge nicht mit im Hubschrauber gewesen. Seine suchenden Augen schweiften in der Runde, als er sich vorwärts arbeitete. Hier mußte Ingalls einst gelegen haben, aber nichts mehr war davon zu erkennen. Auch die Hügel waren verschwunden, nur das pulsierende Heben und Senken der Oberfläche bildete kleine Unebenheiten in der sonst glatten Oberfläche. Ihm schien es wie der ferne Schlag einer großen dröhnenden Trommel. Während er so schnell wie möglich ausschritt, konnte er die Beschaffenheit des Bodens studieren. An manchen Stellen erschien er elastisch, an anderen hatte er eine mehr hornige und harte Oberfläche. Er strauchelte. Er mußte unbedingt eine Ruhepause einlegen, sonst würde er es niemals schaffen. Er zwang sich dazu, wobei er die Füße weit spreizte und sich sehnlichst ein Fleckchen wünschte, auf das er sich setzen könnte. Er schaute auf seine
Füße hinunter. Wie ein Maler kam er sich vor, denn der grüne Schleim hatte den unteren Teil seines Schutzanzuges giftgrün gefärbt. Irgend etwas beobachtete ihn… Norfleet fuhr herum, die Maschinenpistole im Anschlag. Nichts bewegte sich. Etwa ein Dutzend Schritte entfernt wuchs so was wie eine Blume aus dem Boden hervor. Sie war groß und mochte an ihrer breitesten Stelle einen Durchmesser von einem Meter haben. Eine neue Manifestation der Lebenskraft, die in dem grünen Schleim steckte, dachte Norfleet. Instinktiv wollte er davonrennen, aber er kämpfte das Gefühl der Panik nieder. Wenn er den Kopf verlor, waren seine Chancen praktisch Null. Er lief in gemäßigtem Tempo weiter. Wieder hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden, und er schaute sich ein zweites Mal um. Die Blume war ihm gefolgt und jetzt sogar vier Meter näher an ihm herangekommen. Und sie sah etwas anders aus. Nicht mehr wie eine Blume, sondern eher wie eine riesige Spinne mit gekrümmten dünnen Füßen. Norfleet wich unwillkürlich zurück. Vorsicht! Gefahr! Sein Instinkt rief ihm diese Warnungen zu, und er drehte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite. Ein anderes Gebilde hatte sich hinter ihm aus dem sumpfigen Untergrund erhoben. Ein ungefüger Koloß, der auf zwei Säulen stand und an einen primitiven Schneemann, aber aus grünem Schnee, erinnerte. Und das Monstrum bewegte sich auf ihn zu! Von der anderen Seite näherte sich ihm das spinnenartige Gewächs ebenfalls. Norfleet riß die Maschinenpistole hoch, verfehlte aber das Spinnenungetüm. Als die zweibeinige Gestalt auf ihn zuwatschelte, schlug er mit seiner behandschuhten rechten Faust zu. Das schwabblige Gebilde verlor das Gleichgewicht, fiel schwerfällig nach hinten über und verschmolz mit dem grünen Boden, aus dem es emporgewachsen war. Und Norfleet rannte weiter. Dabei sah er den grünen Fleck, der auf seinem Handschuh zurückgeblieben war. Der Widerstandskraft der Handschuhe durfte man nicht zuviel zumuten. Deshalb riß er mit der anderen Hand an der Naht, wo Pasteurs Schneidbrenner die glaswollähnliche Substanz des Handschuhs mit dem übrigen Anzug verschweißt hatte. Bald zeigten sich Risse, und mit einem, einzigen mächtigen Schwung beförderte er den infizierten Teil des Schutzanzuges ins Weite. Er riskierte einen Blick nach rückwärts. Das spinnenähnliche Vieh hielt mit ihm Schritt, schien sogar noch etwas an Boden gewonnen zu haben. Das menschenähnliche Monstrum, das er niedergeschlagen hatte, war aufgestanden und stolperte ihm ebenfalls nach. Weiter zurück schien sich eine ganze Serie eigenartiger Gebilde an seine Verfolgung zu machen. Norfleet lief um sein Leben. War das vor ihm ein Dickicht? Aber Pflanzen bewegen sich doch nicht, sie haben keine Öffnungen, die wie Münder, Nasen oder Augen aussehen. Rechts von ihm tauchte ein langsam emporwachsender Wald auf, dessen dürre Stämme sich nach
ihm hinbogen und auf ihn zukamen. Norfleet schlug einen Haken und rannte weiter. Er wich zwei herannahenden Scharen verrückt aussehender Gewächse aus und nahm die ursprüngliche Richtung wieder auf. Die Ohren sausten ihm, oder waren das Geräusche, die das befallene Land mit seinen seltsamen Auswüchsen von sich gab? Ihm kam es vor, als ob sich ihm tausend feindliche Gestalten konzentrisch näherten, aber durch die Anstrengungen konnte er schon nicht mehr klar denken. Bizarre Figuren, die Schrecken und Entsetzen verbreitend auf ihn eindrangen. Und der Lärm wurde immer lauter, dröhnender. Er riß die Augen von der Umgebung los und blickte nach oben. Jetzt war er bestimmt verrückt geworden. Über ihm schwebte ein Hubschrauber, der rasch auf ihn zu sank. Wie seltsam, er war nicht grün, sondern glänzte metallisch und silbern. „Verrückt!“ sprach er nochmals laut zu sich selbst. Aber der Hubschrauber war jetzt so nahe, daß er die hundert Einzelheiten des Flugapparates erkennen konnte. Und da flog ihm eine Strickleiter entgegen, die einladend vor seiner Nase baumelte. Halb betäubt und entkräftet schob er seine Arme über die unterste Sprosse und klammerte sich fest. Er fühlte, wie seine Füße aus dem Morast gezogen wurden und wie er höher schwebte. Dann klammerte sich etwas an seine Beine, und er hätte beinahe den Halt verloren und wäre zurückgestürzt. Aber mit einer ruckartigen Bewegung des freien Beines machte er sich los und konnte sich wieder fester an die Strickleiter klammern. Der Hubschrauber gab Gas und gewann an Höhe. Untier ihm bildete sich ein zischender kochender Hexensabbath, und Norfleet zwang sich, nicht in dieses tobende Inferno zu sehen. Wie ein Ertrinkender hing er an der rettenden Strickleiter. Dann kehrte allmählich die Kraft in seinen erschöpften Körper zurück. Er löste die Verschlüsse seines Schutzanzuges, und nach einigen vergeblichen Versuchen konnte er den Glaswollpanzer mit den grüngefärbten Stiefeln abstreifen. Dann kletterte er Sprosse für Sprosse nach oben, wobei er gegen eine Ohnmacht ankämpfen mußte. „Alles in Ordnung?“ tönte es von oben herab. „Ja, ja“, keuchte er. „Aber bloß schnell weg von hier.“ Der Wind peitschte ihm ins Gesicht und schleuderte ihn hin und her. Der Hubschrauber beschleunigte seine Fahrt. Schließlich ließ die rasende Jagd nach, und er konnte voraus die braune Fläche der alten Mutter Erde erkennen. Der Boden kam näher, und bald konnte er die Leiter loslassen. Er stand zitternd da und kämpfte gegen den unsinnigen Wunsch, sich auf den Boden zu werfen, ihn zu umfassen und nie mehr loszulassen. Der Hubschrauber war inzwischen auch neben ihm gelandet und Caris Bridge sprang heraus. „Na, du scheinst es ja ganz gut überstanden zu haben“, sagte sie. „Ich mußte einfach zurück, mit oder ohne Befehl.“ Er starrte sie benommen an. „Wie…“ begann er. „Sagten wir, es war frauliche Intuition oder so was Ähnliches. Ist ja egal. Jedenfalls nahm ich schnellstens einen zweiten Hubschrauber und kam hierher. Gerade im
richtigen Augenblick.“ Edison war inzwischen auch herausgeklettert. „Wir entdeckten Sie da unten, wie Sie von allen möglichen Figuren umschwärmt wurden, und entschlossen uns, sofort zu handeln. Ich warf die Strickleiter heraus, wir gingen tiefer, und den Rest wissen Sie ja selbst.“ „Übrigens, wo ist Poge geblieben?“ mischte sich Caris Bridge wieder ins Gespräch. Mit stockender Stimme berichtete Norfleet von den letzten Ereignissen. „Wir überflogen kurz nach Ihnen das Kerngebiet“, erzählte Edison, „und konnten sehen, wie von dort pilzähnliche Auswüchse sich auf die Verfolgung machten. Alles schwärmte in Ihrer Richtung aus. Pilze, die laufen konnten!“ Edison schüttelte verwundert den Kopf. „Was mag das alles nur bedeuten?“ fragte Caris schaudernd. „Wir wollen noch etwas warten, bevor wir uns darüber unterhalten“, sagte Norfleet. „Übrigens, da scheint ja noch etwas von dem grünen Zeug an diesem Fetzen meines Schutzanzuges zu hängen“, fuhr er fort, wobei er auf einen kleinen grün glühenden Fleck auf einem Stück Glaswolle zeigte. Sofort holte Caris eine Flasche herbei. „Das muß aus dem Kerngebiet stammen. Das heben wir auf – damit können wir Lebensgas herstellen.“ * Sie waren wieder nach Kansas City zurückgekehrt und saßen auf der kühlen schattigen Veranda. Sie versuchten sich von den Gedanken an Poges furchtbares Schicksal abzulenken. Das einzige Lichtblick war Edisons Mitteilung, daß er einen Erfolg zu verzeichnen und ein wirksames Mittel gegen den grünen Tod gefunden hatte. Doch erst die praktische Erprobung in großem Stil würde über den Wert der Erfindung entscheiden. Oliver Norfleets letzte Auseinandersetzung mit dem grünen Schleim hatte nicht mit einem Sieg geendet. Immerhin, einer von ihnen war optimistisch genug, den Vorschlag zu machen, zum Gegenangriff überzugehen. Es war schwer zu sagen, wer die Idee zuerst gehabt hatte. Irgendwie beschäftigten sich die Gedanken aller Männer mit diesem Problem. Sie hatten sich bei ihrer Arbeit gegenseitig angeregt und befruchtet. Letzten Endes war die Suche nach dem ersten Lichtblitz auch mehr oder minder nur ein unwichtiger Streit um des Kaisers Bart. Kurz und gut, das Ergebnis war eine unglaublich stark ätzende Säure, die erst im Moment des Ausgießens aus mehreren Substanzen gebildet wurde. Sie konnte zwar die seltsame Masse nicht zerstören, sie jedoch daran hindern, gesunden Boden anzugreifen. Und das war zweifellos ein Erfolg. Edison hatte schon zu diesem Zweck einen Sprengwagen mit einer verzwickten Düsenkonstruktion entworfen. Diese Düsenwagen würden das infizierte Gebiet umkreisen und durch dauernde Säureberieselung dafür sorgen, daß sich der grüne Schleim nicht weiter ausdehnte. Bald wurden die Sprengwagen mit den großen Tante durch Sonderauftrag der
Regierung in Tag‐ und Nachtschichten fertiggestellt, und nach wenigen Tagen erfolgte der erste Großeinsatz. Die Wagen wurden rings um das befallene Gebiet verteilt, und jeder erhielt einen bestimmten Sektor zugewiesen. Fünfundzwanzig Säurewerfer sollten den Kampf aufnehmen. Pünktlich zur gleichen Minute fingen die Wagen mit ihrer Fahrt an, spien Säure und mahlten ihren Weg längs des giftgrünen Gebietes, das die Welt zu verschlingen drohte. Die Armee hatte mit ihrem Personal diese Aufgabe übernommen. Alles in allem waren Zwölftausend Mann bei diesem Vorhaben eingesetzt, denn der Nachschub an Säure, Ersatzteilen, Ablösungsmannschaften und vieles andere mußte reibungslos funktionieren. Norfleet war mit Cards Bridge und den vier Wissenschaftlern mit dem Kombiwagen hinausgefahren, um die Säurewerfer bei der Arbeit zu beobachten. Sie sahen, wie ein Wagen schwerfällig dahinrumpelte und seinen Säurestrahl seitlich auf den Boden spie. Der grüne Schleim wälzte sich heran, kam aber nicht weiter vorwärts. „Trotzdem ist das kein Sieg“, meinte Edison nachdenklich. „Nur ein Waffenstillstand, weiter nichts.“ Nachdem sie wieder nach Kansas City zurückgekehrt waren, stellte Norfleet aus der Kernsubstanz eine neue Menge des wichtigen Lebensgases her. Er berichtete dem Experimentalausschuß über diese Neuigkeit und äußerte dann gleichzeitig gewisse Wünsche bezüglich einer Gruft in einer kleinen Stadt in Frankreich. Innerhalb kürzester Zeit erhielt Norfleet einen Behälter mit vermoderten Knochen, die man sorgfältig einem Grab auf dem Friedhof der Stadt Sceaux entnommen hatte. Norfleet war an diesem Tag zu einer Inspektionsreise an den westlichen Rand des befallenen Gebiets gefahren, um seine Forschungsgruppe bei einer Konferenz zu vertreten. Er kam mit Armeeoffizieren in einem schnell aufgeschlagenen Zelt zusammen. Dabei platzte ein atemloser Kurier herein. Er meldete, daß im nördlichen Sektor zwei Sprengwagen vom grünen Schleim überwältigt worden waren, und ein dritter nur mit knapper Not dem gleichen Schicksal entgangen war. Von der Besatzung dieses Wagens stammte auch der Bericht. Sie setzte sich aus alten erfahrenen Kraftfahrern und der Bedienungsmannschaft zusammen. Der Fahrer hatte schon zwanzig Jahre im Dienste bei der motorisierten Artillerie hinter sich und kannte seine Aufgabe. Dann waren noch zwei Soldaten des Chemiebataillons auf dem Wagen, die die Säuredüsen überwachten und schließlich noch ein Sergeant, der den Mischvorgang und die Fahrroute überwachte und Kommandant des Wagens war. Sie hatten die Nachtwache, die von 23 Uhr bis früh 7 Uhr dauerte, und das schon eine Woche lang. Die Spannung des neuartigen Einsatzes war schon einer gewissen Gewöhnung gewichen, und das Gefühl der Gefahr hatte gleichermaßen nachgelassen. Die Säure war so zuverlässig, daß der grüne Schleim während der ganzen Woche nicht einen Zentimeter an Boden gewinnen konnte. Der Lastwagen hatte im Laufe seines Einsatzes tiefe Furchen in den weichen Ackerboden gewühlt und fuhr wie in Geleisen dahin. Dadurch war die Fahrt für den Fahrer kein Kunststück, und selbst bei mondloser Nacht ging die Fahrt reibungslos vor sich. Auch die Bedienung der Düsen erfolgte nach derselben Routine mit
schlafwandlerischer Sicherheit, so daß auch von dieser Seite her die Aufmerksamkeit nicht zu groß zu sein brauchte. Alles war gut gegangen bis zu jener Nacht. Als die Morgendämmerung sich im Osten zeigte, sollte die Wache ihre letzte Fahrt machen und dann abgelöst werden. Die Sicht war nicht besonders gut, aber grobe Umrisse konnte man schon erkennen. Der Fahrer fuhr die zehn Kilometer lange Strecke geruhsam dahin, schaute auf den gefurchten Weg, der sich vor ihm im Licht der Wagenscheinwerfer dehnte und dachte nichts Besonderes dabei. Die Umkehrschleife näherte sich. Nach der Wende stoppte das Fahrzeug einen Augenblick, weil die Sprühdüsen nach der anderen Seite gerichtet werden mußten. Eine leichte Brise hatte sich erhoben, die aus der Richtung des befallenen Gebietes kam, und das war der Grund für die Neueinstellung. Sonst konnte es leicht geschehen, daß die scharfe Säure gegen das Untergestell des Tankwagens spritzte. Der Fahrer schaltete die Scheinwerfer aus, solange das Fahrzeug stand. Als der Sergeant mit der Justierung fertig war, gab er den Befehl zur Weiterfahrt. Und gerade in diesem Augenblick vernahm man von dem befallenen Gebiet unheimliche wispernde und zischende Geräusche, die aber sogleich von dem aufdröhnenden Motor übertönt wurden. Immerhin genügten sie, um den Sergeanten argwöhnisch zu machen, denn dort draußen konnte doch nichts existieren. Er schaltete kurzerhand seine starke Stablampe ein und leuchtete in die Richtung des befallenen Gebietes. Diese Vorsichtsmaßnahme rettete ihm und seinen Kameraden das Leben. Dort draußen bewegten sich Schemen, unbestimmte dunkle Silhouetten, einige wie große runde Schatten, andere wie nasse, dunkel glühende grüne Schlammsäulen. Sie umfaßten alle Größen, manche waren klein wie Schoßhunde, andere groß wie aufrechtstehende Elefanten. Alle sahen so entsetzlich unnatürlich und fremd aus, daß die Soldaten wie aus einem Mund einen fürchterlichen Entsetzensschrei ausstießen. Keinen von ihnen hatte je solche bizarren Gestalten gesehen, riesige Affen mit fürchterlich verrenkten Gliedmaßen, grobe Andeutungen von Spinnen oder Krebsen, desgleichen Raupen und Schlangen. Und trotz der Ähnlichkeit dennoch fremdartig und unwirklich, wie Höllenausgeburten, wie die Phantasien eines Fieberkranken, die Wirklichkeit geworden waren. Kurz gesagt, das war eine Sammlung jener Gestalten, die Norfleet bei seiner Flucht aus dem Zentrum des befallenen Gebietes erlebt hatte. Seine Beschreibung war aber nicht über den kleinen Kreis seiner Forschungsgruppe hinausgedrungen. Und jetzt stürmten die Gestalten an die Grenzen ihres Gebietes, um von dort aus zum Angriff überzugehen und durchzubrechen. „Los, alles an Säure raus, was rausgeht!“ brüllte der Sergeant, und die zwei Soldaten drückten die Ventile nieder, die die verschiedenen Grundstoffe für die Säure freigaben. Ein nebliger Vorhang versprühender ätzender Flüssigkeit legte sich zwischen den Wagen und die angreifenden Alptraumgestalten. Die heranstürmende Schar strauchelte zwar, löste sich aber nicht auf, sondern stapfte durch den Säureregen unbeirrt vorwärts. Sie kamen über den Rand heraus und schickten sich an, den Lastwagen einzukreisen. Mit dem Instinkt des alten Soldaten mußte der Fahrer das Unheil gewittert haben. Er
tat das einzig Richtige, ohne zu überlegen. Er raste mit dem Wagen los, rumpelte über das freie Feld ohne Rücksicht auf Reifen und Karosserie und legte so in kürzester Zeit einen Zwischenraum von einem Kilometer zwischen das Fahrzeug und die unheimlichen, tödlichen Spukgestalten. Die Angreifer folgten ihnen nicht. Die Patrouille machte eine rüttelnde Fahrt über freies Feld, aber sie kamen lebend davon. Von den zwei anderen Tankwagen entdeckte man keine Spur. Sie hatte der grüne Schleim vermutlich verschlungen. Die Sonne ging über einer Landschaft auf, die von dem grausigen nächtlichen Kampf keinerlei Spuren erkennen ließ. Die Menschheit scheint machtlos zu sein Im strahlenden Morgensonnenschein waren an der Unglücksstelle einige Säurewerfer der Armee aufgefahren, die die wie eine grüne Zunge weit ins Land hineinragende Durchbruchsstelle mit Strömen von Säure eindämmten. Auf dem befallenen Gebiet sah man die unförmigen Gestalten immer noch hin und her stapfen, so, als ob sie das neu eroberte Gelände wie ein Spähtrupp abtasteten. „Wir werden bald wieder alle Hände voll zu tun haben“, murmelte ein junger Stabsoffizier. „Für dieses Geschwätz liegt kein Grund mehr vor“, wies ihn ein vierschrötiger Brigadegeneral zurecht, der die Operation leitete. Er hatte den Helm abgenommen, und seine kurzen grauen Haaren sahen wie Stahlwolle aus. „Schauen Sie mal dahinaus, Mr. Norfleet. Dieses Viehzeug war vor ein paar Stunden hinter uns her, und wir mußten um unser Leben laufen. Jetzt bleiben sie aber auf ihrem Gebiet. Mir scheint, als ob sie es nicht sehr weit und auch nicht sehr lange verlassen könnten.“ „Ich denke, sie müssen in Verbindung mit der Lebenskraft der Ursprungssubstanz bleiben, woher sie auch ihre Kraft beziehen. In Wirklichkeit sind die ja ein Teil davon und können vermutlich nur durch ganz erhebliche Anstrengungen selbständige Leistungen vollbringen.“ „Klingt ganz glaubwürdig“, meinte der jüngere Stabsoffizier. „Mit dem Urteil wollen wir noch etwas warten“, mischte sich der Brigadegeneral ein. „Das hier ist für mich eine Mischung von Krieg und Alpdrücken, kein harmloses Manöver.“ Er starrte düster auf die Einsatzwagen, die ihre Säurestrahler auf die vorspringende Ecke des grünen Schleims richteten. „Mehr können wir vorläufig nicht tun“, wandte er sich dann an Norfleet. „Ich lasse den Säureausstoß verdoppeln, das müßte eigentlich auch die beweglichen Burschen von der Gegenseite von weiteren Vorstößen abhalten.“ Er reckte seine massigen Schultern. „Ich schaue ihnen schon seit einer Stunde zu, und sie sind immer noch genauso scheußlich wie am Anfang.“ Norfleet konnte nur beipflichten. „Hallo, Leutnant“, bellte der Brigadegeneral einem Ordonnanzoffizier zu. „Geben Sie sofort eine Anforderung für mehr Säure, Wagen und Mannschaften durch.
Nehmen Sie den Jeep und sehen Sie zu, daß Sie die Meldung auf schnellstem Wege ins Pentagon in Washington durchkriegen. Hier muß unverzüglich was passieren.“ „Yes, Sir.“ Der Leutnant rauschte davon. Der Offizier starrte wieder düster auf die endlose grüne Fläche vor sich. „Sie sind doch so was wie ein Experte, Mr. Norfleet“, wandte er sich an den jungen Wissenschaftler. „Wie denken Sie über die neue Taktik unseres Angreifers?“ „Ja, ich bin der Ansicht, der grüne Befall ist aus dem Stadium heraus, wo er einfach die vorgefundene Materie in eigenes Gewebe verwandelt“, sagte er, wobei seine grauen Augen über die weite Fläche schweiften. „Jetzt geht der Parasit zum aktiven Angriff gegen uns über.“ „Zum Teufel, klingt leider einleuchtend“, polterte der General und stülpte sich den Helm wieder auf den Schädel. „Man sieht ja förmlich, wie sie nach einem Angriff lechzen. Die Brut ist kriegslüstern, und ich habe das Gefühl, daß bald der Krieg an allen Fronten losbricht, sozusagen.“ „Scheint mir auch so, General“, pflichtete Norfleet bei. „Und dabei muß ich denken, daß dazu doch eine gewisse zentral gelegene Intelligenz notwendig ist, um das alles zu steuern.“ „Bei Gott! Das trifft den Nagel auf den Kopf. Norfleet, Sie müßten zur Armee gehören.“ Norfleet lächelte flüchtig. „Ich nehme an, das war als Kompliment gemeint.“ „Wir brauchen gerade jetzt findige Köpfe, das wissen Sie nur selbst gut genug. Ich habe schon einige Einsätze hinter mir, die sich sehen lassen können. Aber das hier übertrifft einfach alles.“ Er spuckte grimmig aus. Dann fuhr er fort: „Schön, das hier ist meine Aufgabe, aber wenn wir mit dem grünen Schleim einmal fertig sind, dann bin ich’s auch und verschwinde schleunigst in einem Heim für alte Soldaten.“ „Eine Tatsache zumindest ist nicht ungünstig. Die Ungeheuer können nicht weite Strecken vorstoßen, wenn sie nicht die infizierte Erde unter sich haben. Das gibt uns eine gewisse Sicherheit. Und nachts müssen eben Scheinwerfer aufgestellt werden.“ „Wird sofort veranlaßt. Und dann müssen Funksprechgeräte her und Reservemannschaften mit Säurewagen. Wenn nachts ein Hilferuf über Funk kommt, dann nix wie ran und Säure auf die Brüder, und wenn wir das Zeug in Strömen verspritzen müssen.“ Er schaute Norfleet herausfordernd und trotzig an, so, als ob er sich mit seinen Worten selbst Mut machen wollte. Ein Sergeant kam heran, hinter ihm ein Leutnant in Fliegeruniform. „Sir“, meldete der Sergeant, „dieser Offizier ist gerade von einem Erkundungsflug zurückgekehrt.“ Der Flieger legte die Hand an die Mütze. Der General grinste sarkastisch, wobei er die Zähne aber fest zusammengebissen ließ. Dann fragte er: „Erkundungsflug, mein Junge? Na schön, fliegender Holländer, was haben Sie uns zu melden?“ „Wir waren zu zweit, als wir zu dem befohlenen Flug starteten, Captain Connor und ich, wobei einer hinter dem anderen flog. Captain Connor war ein ganzes Stück voraus, und zwar bei einer Stelle, die von hellgrünen Bändern durchzogen ist. Er
sagte mir über Funk, daß er diese Stelle näher beobachten wollte, und ging tiefer. Ich flog höher und schaute ihm von oben zu.“ Der General schüttelte den Kopf. „Klingt ja sehr spannend. Das soll mir aber Captain Connor besser selber berichten.“ „Geht nicht“, sagte der Luftwaffenoffizier stockend. „Warum nicht, zum Donnerwetter?“ „Irgendwas schnellte vom Boden herauf und riß die Maschine nach unten.“ Der junge Offizier schwieg und kniff verkrampft seine bebenden Lippen zusammen. „Hm, verstehe. Und dann?“ „Ich drehte eine Schleife, er war aber nicht mehr da, einfach verschluckt. Wie vom Erdboden verschwunden.“ „Und dann sind Sie mit dem Herz in den Hosen schleunigst abgesaust?“ fragte der General grimmig. „Sir, ich kam her, um den Vorfall zu melden. Anschließend werde ich sofort wieder in das Gebiet fliegen, wo der Absturz erfolgte.“ „Das werden Sie nicht!“ bellte der General. „Sir, ich erhalte meine Befehle vom Luftwaffenkommando…“ „Jetzt aber von mir. Keine Widerrede! Ich muß doch den Herrschaften dahinten mal beibringen, daß man nicht gemütlich einen nach dem anderen ins Feuer schicken kann. Höchste Zeit, daß mal ‚n bißchen Zug in die Sache kommt, mit schlafmützigen Befehlen vom grünen Tisch kommen wir nicht weiter.“ * Oliver Norfleet fuhr sehr ernüchtert nach Kansas City zurück. Das Problem, dem er sich gegenübersah, wurde von Stunde zu Stunde größer, komplizierter und schwieriger lösbar. Die Armee konnte nichts weiter tun, als das befallene Gebiet zu bewachen und zu verhüten, daß es sich weiter ausdehnte. Darwin hatte gezeigt, wie schnell Evolutionen, Entwicklungen einer neuen Art, verlaufen können, wenn nur der nötige Zwang zur Selbsterhaltung dahintersteht. Das traf auf den grünen Schleim und die Menschheit gleichermaßen zu. Wer würde überleben? An der Tür des alten Hauses, das ihnen als Hauptquartier diente, traf er Edison. „Frohe Botschaft!“ zwinkerte ihm dieser zu. „Freut mich zu hören. Da draußen sieht es dafür um so schlimmer aus. Was gibt es Gutes?“ „Sie werden gleich sehen.“ Edison ging ihm voran und führte ihn in das Wohnzimmer. Dort saß eine junge bleiche Frau in einem Schaukelstuhl und schaute ihn unter einem blonden Haarschopf forschend an. „Hier, Madame, ist der vielversprechende junge Mann, von dem wir schon erzählt haben“, stellte Edison Norfleet vor. „Und das hier“, fuhr er fort, „ist Madame Curie, die Entdeckerin des Radiums, die uns in unserem Kampf gegen den grünen Befall beistehen wird.“ Sie nickte den beiden lächelnd zu.
Nachdem Norfleet alle Anwesenden begrüßt hatte und sich einigermaßen von seinem Erstaunen erholt hatte, ergriff Madame Curie das Wort. „Soweit ich bisher dem Problem folgen konnte, scheint mir ein Gesichtspunkt noch nicht untersucht worden zu sein, den ich für sehr wichtig halte. Wir sehen wohl den Fortschritt der fürchterlichen Infektion auf der Oberfläche unserer guten Mutter Erde, wie steht es aber damit unter dem sichtbaren Teil, dort, wo wir nichts mehr beobachten können? Bildet der Befall nur ein äußeres Geschwür, oder frißt sich der Feind auch genauso in die Tiefe?“ „Wenn ich daran denke, bekomme ich Gänsehaut“, sagte Caris. Sie mußten aber alle dem Gedanken Madame Curies beipflichten, wußten aber nicht, wie sie diese Frage klären sollten. Inzwischen war es dunkel geworden, und Newton bat alle, mit ihm auf das Dach zu kommen, da er ihnen was zu zeigen hätte. „Sie werden etwas sehen“, sagte er, „das wird Ihre Herzen und auch Ihren Verstand in höchste Aufregung und Verwunderung versetzen.“ Sie folgten ihm die Treppe hinauf. Die Planeten‐Pest Eine komplizierte Apparatur, die entfernt an eine übergroße Fernsehkamera erinnerte, war auf dem Dach montiert. Einige Kabel liefen in das Haus hinunter, während sich an dem Apparat verschiedene Einstellskalen und Anzeigeinstrumente befanden. „Dies ist ein Elektronen‐Teleskop, das ich in gemeinsamer Arbeit mit Mr. Edison konstruiert habe“, sagte Sir Isaac Newton stolz, wobei er auf die komplizierte Apparatur zeigte, die im Dämmerlicht geheimnisvoll glänzte. Edison hatte inzwischen verschiedene Einstellknöpfe betätigt, durch ein Okular geschaut, und war dann zurückgetreten. Neben dem Okular befand sich ein Bildschirm, der jedoch noch dunkel war. „Wir können mit diesem Elektronen‐Teleskop jedes Gestirn praktisch beliebig nahe heranholen“, erklärte Edison die Wirkungsweise. „Um das empfangene Bild einem größeren Personenkreis sichtbar zu machen, habe ich es mit der Kathodenstrahlröhre eines Fernsehempfängers gekoppelt, auf der wir das Bild gemeinsam betrachten können.“ Er legte einen Hebel um. Auf dem Bildschirm erschien das helle, scharfe Bild eines Planeten. „Das ist Jupiter, der uns natürlich keinerlei Empfangsschwierigkeiten macht, weil er so groß ist“, erklärte Newton. Alle drängten sich um den Bildschirm, um das Gestirn näher zu betrachten. „Donnerwetter!“ entfuhr es Pasteur. „Hier kann man sehen, wie ein Jupiter‐Trabant gerade vor der Planetenscheibe vorüberzieht. Unglaublich, wie klar und deutlich das Bild ist.“ Sir Isaac Newton drehte an einem Einstellknopf. Dadurch rückte eine bestimmte Stelle des Planeten immer näher ins Gesichtsfeld.
„Das ist jetzt der bekannte rote Fleck“, erklärte er. „Schauen Sie genau hin. Was denken Sie, wenn Sie den Fleck sehen? Woran erinnert er Sie?“ Als niemand antwortete, erklärte er weiter: „Stellen Sie sich vor, dieser Fleck sähe grün aus.“ Jetzt hatten die Umstehenden verstanden und nickten. „Jawohl, so muß der grüne Befall aus der Ferne aussehen. Der Farbunterschied ist durch die Eigenschaften der beiden Planeten bedingt. Was ist aber sonst noch an dem Bild auffällig?“ Norfleet starrte angespannt auf das gestochen scharfe Bild und konzentrierte seine Gedanken. „Der rote Fleck scheint aus fester Materie zu bestehen“, meinte er schließlich. „Fester zumindest als die Wolkenfelder, die als gemusterte Streifen links und rechts an ihm vorbeiziehen“, sagte Darwin. „Und das andere Gebiet schimmert in den verschiedensten Farben im Gegensatz zum roten Fleck. Gase werden von ihm also augenscheinlich nicht beeinflußt, wie wir ja auch an unserer Luft bisher feststellen konnten.“ „Sie nehmen also an, daß der Planet Jupiter auch am Geschwür des Befalls leidet?“ fragte Madame Curie. „Ich bin sicher, daß das der Fall ist. So sicher, wie ein Wissenschaftler überhaupt einer Sache sein kann“, sagte Newton. Dann schaltete er das Gerät aus. „Der große rote Fleck ist nicht die befallene Stelle, sondern ein Überbleibsel der festen Masse des Planeten, die durch den Befall zerfressen wurde und innerhalb der wogenden Gaswolken nur noch einen kleinen Rest bildet.“ „Wenn das so ist, dann kann ich nur bedauern, daß wir durch Ihr Teleskop die Einzelheiten nicht besser erkennen können“, sagte Darwin. „Vielleicht können wir das doch – gewissermaßen…“, entgegnete Newton geheimnisvoll. Dabei änderte er die Richtung des Teleskops und machte sich wieder an der Einstellung zu schaffen. Diesmal zielte er auf einen rötlich glimmenden Stern, der auch mit bloßem Auge deutlich zu sehen war. „Heute werden Sie noch genügend rote Farbe zu sehen bekommen“, fügte er hinzu. „Mars!“ rief Caris. „Sie meinen bestimmt Mars?“ „Ich fürchte, daß Sie recht haben“, sagte Newton mit althergebrachter Höflichkeit. Wieder leuchtete der Bildschirm auf, und im Blickfeld erschien eine leuchtende Orange, die von feinen Linien durchzogen war. „Schauen Sie nur“, rief Edison und zeigte auf die Linien. „Der skeptische Jeans sollte jetzt hier sein! Dann könnten wir ihn mit der Nase auf die Kanäle stupfen, deren Vorhandensein er immer so bezweifelte.“ „Nun, aber sind das auch wirklich richtige Kanäle?“ wandte Newton ein, der immer noch weiter an den Einstellknöpfen drehte. Der Mars schwoll riesig an und schien auf den Beschauer zuzurasen. Norfleet beugte sich vor, um ja keine Einzelheit zu versäumen und zog die hingerissene Caris mit sich. Jetzt war der Mars scheinbar so nahe wie der Mond, und immer noch wurde der Planet größer. „Das ist unsere stärkste Vergrößerung“, sagte Sir Isaac Newton und nahm seine Hand vom Einstellknopf. „Zehn Kilometer der Marsoberfläche in Natur entsprechen
einem Zentimeter auf dem Bildschirm. Norfleet, Sie haben wohl die meiste Erfahrung mit dem grünen Schleim, was meinen Sie zu diesem Anblick?“ Norfleet sah, daß der Mars keine Wüste war. Das Rot war die Farbe des schrecklichen Befalls, der auch die Erde angegriffen hatte. Die ganze Landschaft machte den Eindruck einer einzigen riesigen rötlichen Sumpflandschaft. Keine Berge, keine scharfen Erhebungen waren zu sehen. Und trotzdem bestand eine auffällige Unregelmäßigkeit, die man aber erst nach einer Weile bemerkte. Caris erkannte sie als erste. „Da sind Punkte, die sich wie Käfer hin und her bewegen, wenn man scharf hinsieht“, sagte sie. „Da muß was leben, aber Käfer können das nicht sein, die sind nicht so groß.“ Norfleet meinte: „Kann schon etwas Käferähnliches sein, aber die müßten dann so groß wie Elefanten sein.“ „Viel größer“, sagte Edison. „Diese Lebewesen müssen so groß wie ein Walfisch sein.“ „Das Zeitalter der Dinosaurier ist vielleicht dort erst angebrochen“, meinte Darwin. „Sie müssen sich ungeheuer schnell bewegen, wie es scheint. Das ist auch bei der gelingen Anziehungskraft des Mars sehr gut möglich.“ Man konnte auch die Scheinvegetation des roten Befalls erkennen, die sich durch verschieden rot gefärbte kleinere Flächen bemerkbar machte. Und von dem Ende eines solchen Gebietes zog sich eine dünne grünliche Ader durch die Landschaft. „Ein Kanal?“ fragte Madame Curie tastend. „Kaum“, sagte Edison. „Vielleicht eine Schicht besonders widerstandsfähigen Gesteins, das sich als Falte oder Hügelkamm durch den alles nivellierenden Schlamm des roten Befalls zieht. Jedenfalls keine wirklichen Kanäle mit Wasser und normaler Vegetation.“ „Wir stellen das Gerät jetzt besser ab“, meinte Newton. „Mein Freund Edison hat mir gesagt, daß man es nur einige Minuten hintereinander eingeschaltet lassen kann, sonst geht sein Dachboden da drüben mit der Kraftstation in Rauch und Flammen auf. Und das wäre ein höchst unerwünschter Nebeneffekt unserer interessanten Marsbetrachtung.“ Sie schauten sich alle betroffen an. Sie mußten das Gesehene erst verdauen. „Sie sehen, die Erde ist nicht allein in ihrem Todeskampf“, sagte Newton. „Das Unglück hat andere Welten auch schon erfaßt. Und jetzt sind wir dran.“ Pasteur taumelte plötzlich und wäre um ein Haar über den niedrigen Rand des Daches gefallen. Nur Darwins schneller Griff bewahrte ihn davor. „So was Dummes“, entschuldigte sich der Franzose unsicher. „Einen Augenblick fürchtete ich, daß die Lähmung wiederkehrte.“ Sie trugen ihn die Treppe hinunter, und Newton legte ihn vorsichtig auf die Couch im Wohnzimmer. Es war keine Lähmung gewesen, denn Pasteur konnte den linken Arm bewegen, dar ihm früher so viel Schwierigkeiten bereitet hatte. Trotzdem fühlte er sich schwach, krank und benommen. Norfleet holte ihm etwas Whisky. Das half, und nach einigen Minuten setzte er sich auf. „Es war nichts weiter“, sagte er. „Ein Schwindelanfall, der schon vorüber ist.“ Aber Madame Curie warf ihm aus ihren blauen Augen einen verstehenden Blick zu.
Sie ahnte die grimmige Wahrheit. * Am folgenden Tage fühlte sich Pasteur wieder bedeutend wohler und zog sich in sein Labor zurück, aber Marie Curies Gesicht trug seitdem einen sorgenvollen Ausdruck. In einer stillen Minute teilte sie ihre Befürchtungen Norfleet mit. „Ich glaube, daß uns das Leben nur auf eine bestimmte Zeitspanne zurückgegeben wurde“, meinte sie. „Irgendwie hat das Lebensgas uns doch verwandelt, so daß wir anders sind. Das Wunder wird eines schönen Tages vorbei sein. Das regenerierte Gewebe wird zerfallen, und von uns bleiben nur Staub und Asche übrig. Pasteur wurde zuerst erweckt, er wird auch als erster wieder von uns gehen.“ Norfleet versuchte, ihr die trüben Ahnungen auszureden, aber im Innern fühlte er, daß sie wohl recht hatte. Doch jetzt durfte das noch nicht geschehen. Es wäre verhängnisvoll. Er verließ Madame Curie und ging zum Wirtschaftsgebäude hinüber, wo Edison so ziemlich jeden freien Quadratmeter mit seinen Geräten, Apparaten und Drähten bedeckt hatte. Edison stand in der Mitte des Raumes, mit einem ölbefleckten Arbeitsanzug bekleidet, und Newton hatte eine Segeltuchschürze umgebunden. Sie setzten einen Apparat zusammen, der entfernt an ein überdachtes Ruderboot aus Aluminium erinnerte. „Ich hätte meinen Hut verwettet, daß das verfluchte Ding keine Panne kennt“, grollte Edison ärgerlich. „Gestern ging es noch wie geschmiert, und heute bockt es ohne erkennbaren Grund.“ „Es gibt eine andere Arbeit, die wichtiger ist“, teilte Norfleet den beiden mit. Dann besprach er mit ihnen die Einzelheiten. Edison sauste denn auch sofort los und brachte den verbesserten tragbaren Flammenwerfer mit der Atombrennkammer herbei. Dieser funktionierte sofort, ganz im Gegensatz zu dem widerspenstigen Apparat, den sie vorher in Händen gehabt hatten. „Jetzt möchte ich bloß noch wissen, warum das andere verdammte Stück nicht geht“, sagte Edison und schüttelte den Kopf. Pasteur kam herein. „So was Komisches“, sagte er, und hielt ein Becherglas in der Hand. „Gestern habe ich an einer neuen Säure probiert, die noch stärker als das bisherige Abwehrmittel sein sollte. Und sehen Sie, was daraus über Nacht geworden ist.“ Er schüttete sich die dunkelgrüne Flüssigkeit über die Hand, und ohne Einwirkung tropfte sie zu Boden. „Ich habe aber noch eine andere Überraschung, die erfreulicher ist als diese unverständliche Veränderung der Säure. Oder sollte das vielleicht ein Sabotageakt sein? Nun, das andere ist jetzt wichtiger.“ Damit führte er Newton und Edison aus dem Wirtschaftsgebäude und zeigte ihnen draußen ein paar hüfthohe Schaftstiefel aus Glasfaser.
„Die sind jetzt verbessert“, begann er schmunzelnd. „In der Sohle habe ich einige Löcher vorgesehen, durch die die Einzelsubstanzen unserer Abwehrsäure treten. Sie vereinigen sich darunter und verhindern so, daß der grüne Schleim die Stiefel anknabbert. Dadurch kann man praktisch unbegrenzt, jedenfalls solange die Säure reicht, auf der schlüpfrigen Oberfläche des gefährlichen Schlamms herummarschieren, ohne befürchten zu müssen, daß die Stiefel sich allmählich auflösen.“ „Wirklich eine tolle Konstruktion“, lobte ihn Norfleet voller Bewunderung. Edison war gleicher Ansicht. „Dagegen komme ich mir wie ein Pfuscher vor“, sagte er anerkennend. Norfleet verließ die Gruppe und dachte nach, wie er die neuen Erfindungen am besten einsetzen könnte. Dann ging er noch einmal in das Wirtschaftsgebäude und betrachtete gedankenvoll die Apparate, an denen Edison arbeitete. Ein Plan reifte in seinem Hirn. Er kehrte ins Haus zurück. Caris schrieb im Wohnzimmer. Er wollte ihr beim Eintreten seinen Plan auseinandersetzen, überlegte es sich aber anders und ging in die Küche. Dort nahm er ein Stück Papier und einen Bleistift und schrieb nach kurzem Nachdenken folgende Zeilen: „Ich muß etwas ganz allein herausfinden. Niemand braucht meinetwegen sein Leben zu riskieren. Ich habe das Gefühl, daß ich wieder heil zurückkommen werde und dabei wichtige Ergebnisse mitbringen kann. Euch allen alles Gute…“ Er hielt inne und lauschte nach draußen, wo Caris leise vor sich hin summte. Dann setzte er impulsiv einen Abschiedsgruß unter die wenigen Zeilen. „Und Du, liebe Caris, vergiß mich nicht…“ Er unterschrieb, faltete den Zettel zusammen und legte ihn auf den Küchentisch. Dann ging ex wieder hinaus, wobei ihn die beschäftigten Männer gar nicht weiter beachteten. Er stieg in den Kombiwagen… Nachdem er den ganzen Tag in westlicher Richtung gefahren war, erreichte er die Stadt Kingsley, die nicht mehr als fünfzehn Kilometer von dem befallenen Gebiet entfernt war. Dort aß er zu Abend und verbrachte eine schlaflose Nacht. Am Morgen fuhr er zu einer Tankstelle. „Tanken Sie den Wagen auf und behalten Sie ihn hier, bis ich zurückkomme.“ „Wird besorgt, Sir. Und was ist, wenn das verdammte grüne Zeug hierherkommt?“ fragte der Tankwart. „Dann fahren Sie mit meinem Wagen los, ich hole Sie schon irgendwo ein, So, und was haben Sie für Gebrauchtwagen anzubieten? Aber das billigste Vehikel, was Sie da drüben in Ihrer Garage haben.“ „Na ja, ich hab da einen alten Chevrolet, aber der ist mindestens schon aus vierter Hand. Für siebzig Dollar können Sie ihn haben.“ Sie gingen hinüber. Norfleet betrachtete sich den Schlitten. „Sechzig“, sagte er. „Gemacht.“ Norfleet warf die Stiefel und den Brenner in den Wagen und fuhr los. Bald hatte er den Streifen verbrannter Prärieerde erreicht, der sich rings um das befallene Gebiet zog. Ein Lastwagen mit einigen Soldaten war in der Nähe abgestellt.
Einer von ihnen sprang heraus und hielt Norfleet an. „Wohin geht’s denn mit der ollen Kiste, Freundchen?“ fragte er barsch. „Wachtmeister!“ brüllte er über die Schulter. Ein Unteroffizier kam angetrabt. „Ich kenn Sie doch“, sagte er. „Sie sind doch einer von den Gelehrten, nicht?“ „Stimmt“, sagte Norfleet erleichtert. „Ich habe meinen Passierschein hier in der Tasche, der mir den Zutritt zu dem befallenen Gebiet erlaubt.“ „Geht schon in Ordnung“, wies der Wachtmeister den Posten an, der sogleich den Weg freigab. Norfleet ließ den Wagen weiterrollen, dem grünen Schleim entgegen. „Aufgepaßt, Sie kommen dem verfluchten Teufelszeug zu nahe!“ rief hinter ihm der Unteroffizier. Aber Norfleet holperte rücksichtslos über die Furchen, die die Tankwagen in den Prärieboden gegraben hatten. Er gab Gas, und nach wenigen holpernden Sätzen des klapprigen Fahrzeugs befand er sich auf dem schlüpfrigen Boden des befallenen Gebiets. Die Rufe der Soldaten verloren sich rasch in der Ferne. Er schaute zurück. Hinter ihm lag die vertraute Welt, jetzt aber erstreckte sich rings um ihn der grüne Schleim. Die Fahrt ging flott voran. Zwar hatte er das Gefühl, über einen nach dem Regen aufgeweichten Fahrweg zu rollen, aber er kam rasch vorwärts. Der erste Reifen platzte nach zehn Kilometern, die anderen einige Minuten darauf. Die Stahlfelgen versahen aber weiterhin ihren Dienst, und auf ihnen fuhr Norfleet unaufhaltsam vorwärts. Bei der schlüpfrigen Oberfläche merkte er den Unterschied kaum. Er kam an flachen runden Hügeln vorbei, die mit jenen seltsamen Pflanzen bestanden waren, die ihn entfernt an Büsche und Bäume erinnerten. Dann mußte er durch einen Hohlweg, wo ihm von oben zwei unheimliche grüne Köpfe nachstarrten. Und dann entdeckte er Objekte, die sich bewegten. Die Gestalten schoben sich von der Seite her zwischen ihn und den Rand des befallenen Gebiets. Unbeirrt setzte er seine Fahrt in Richtung auf den Zentralkern fort, dorthin, wo Poge seinen Blicken entschwunden war. Eine Stunde war vergangen, und er hatte gute fünfzig Kilometer zurückgelegt, als die angefressenen Felgen den Dienst versagten. Norfleet zog im Sitzen die Schaftstiefel an, die Pasteur konstruiert hatte. Sie waren elastisch genug, um sich seinen Beinen fest anzuschmiegen. Er ergriff den Atomgebläsebrenner und betrat die grüne Sumpflandschaft. Hinter ihm bewegte sich eine Linie bizarrer Figuren, die auch auf große Entfernung unheimlich genug aussahen. Sie folgten ihm und versuchten, ihn allmählich einzukreisen. Er marschierte auf das Zentrum des Gebietes zu. Was hatte Pasteur gesagt? Mit den Stiefeln konnte man glatt über den grünen Sumpf bis zu anderen Seite gehen. Die dicken Sohlen fühlten sich wie Schwämme an und ließen ihn fast gar nicht in den Schlamm einsinken. Und als er die Füße bei jedem Schritt heraushob, waren die unteren Teile völlig frei von der grünen Farbe des gefräßigen Parasiten. Die Säure tat ihre Pflicht. Und sollten seine Verfolger näher kommen und unangenehm werden, hatte er in dem Hitzestrahler eine Waffe, die auch diese Gefahr abwenden würde.
Er hielt den langen Lauf des Brenners wie ein Gewehr in der Armbeuge. Unermüdlich stapfte Norfleet seinem Ziel, dem grünen strahlenden Kern, zu. Gefangener des grünen Schleimes Während seines Marsches durchdachte Norfleet noch einmal die Gesichtspunkte, die ihn zu diesem wahnwitzigen Unternehmen veranlaßt hatten. Poge war ja mit Hilfe des aus dem grünen Schleim gewonnenen Lebensgases wieder zum Leben erweckt worden. Vielleicht wirkte das wie ein Gegengift, so daß er trotz des Absturzes noch am Leben war. Und das wollte Norfleet nachprüfen. Unermüdlich schritt er aus, wobei er die Sonne als Orientierungspunkt benutzte. Dabei bemühte er sich jedoch, auf flachem Gelände zu bleiben, denn irgendwann mußte er einmal mit dem Angriff der unheimlichen Gestalten rechnen, und da war es besser, klare Sicht zu haben. Das Gefühl, von allen Seiten beobachtet zu werden, verließ ihn nicht, verstärkte sich im Gegenteil noch von Minute zu Minute. Ein Zusammenstoß mußte einmal unvermeidlicherweise kommen. Und da war es schon soweit. Norfleet ging den Rand eines seichten Grabens entlang, der früher einmal das Bett eines Flusses gewesen sein mochte. Hinter einer Gruppe großer pilzähnlicher Gewächse erhob sich eine unförmige grüne Gestalt und kam auf ihn zu. Norfleet schaute dem Angreifer kaltblütig entgegen und verhielt seine Schritte. Das bedrohliche Gebilde kam auf vier ungeschlachten Beinstümpfen daher, über denen sich ein ebenso unförmiger Leib wölbte. Es war größer als Norfleet. Aus dem tonnenförmigen Leib ragten seitlich widerliche Greifarme mit klauenartigen Verlängerungen heraus, die wie die Fangarme einer Gottesanbeterin zum blitzartigen Zupacken erhoben waren. Einen Kopf konnte Norfleet nicht erkennen. Mit kühler Überlegung brachte er den Hitzestrahler in Anschlag. Er riß den Abzug durch. Ein hell glänzender Flammenstrahl schoß aus der Mündung und schnitt wie eine Peitschenschnur durch das scheußliche Ungetüm. Der obere Teil wurde wie mit einem Rasiermesser von dem Rest getrennt. Dann stürzten beide Hälften zuckend zu Boden. Norfleet schlug einen weiten Bogen um den gefallenen Feind. Ein Blick zurück zeigte ihm, daß einige seiner Verfolger bei dem gestürzten Gebilde stehengeblieben. Sie schienen nicht begeistert von dem Anblick zu sein, denn sie nahmen nur zögernd seine Verfolgung wieder auf. Um so besser für ihn. Vor ihm zeigte sich jetzt eine andere Landschaft als bei seinem früheren Marsch. Das Gelände war gegliedert, und alle möglichen Erhebungen, die man für seltsame Pflanzen halten konnte, belebten den früher so gleichförmigen Boden. Da gab es Büsche mit grünen fleischigen Blättern, und einmal mußte er sogar eine Weile über Präriegras marschieren, daß sich wurmartig träge unter seinen Füßen bewegte. Ihm wurde übel, und nur mit Anspannung aller Willenskraft hielt er sich aufrecht. Das Zeug sah wie ein Riesenteppich von grünen Fingern aus, die sich in seltsamen Verrenkungen bewegten. Er bildete sich ein, daß diese Finger nach ihm griffen und
wurde bei dem ekelerregenden Anblick beinahe von Panik ergriffen. Mit dem Strahler bahnte er sich einen Weg durch die Gewächse und erreichte endlich nach einem Kilometer eine Anhöhe, die frei von diesen widerlichen Gebilden war. Auf der anderen Seite atmete er auf, denn dort war nichts mehr von dem sich bewegenden Gras zu sehen. Plötzlich hörte er den Gesang. Er mußte schon lange zu hören gewesen sein, aber erst jetzt war die Lautstärke so gestiegen, daß er sie bewußt vernahm. Die Schwingungen machten sich auch weniger durch das Gehör bemerkbar, nein, vielmehr schien sein Körper mit jeder Faser diese Töne aufzunehmen, so, als ob das ganze Gelände im Rhythmus der Melodie vibrierte. Wieder riskierte Norfleet einen Blick zurück. Die verfolgende Armee war angewachsen und auch näher an ihn herangekommen. Die unmöglichsten Gestalten und Figuren befanden sich darunter. Einen Augenblick dachte er daran, gleich an Ort und Stelle den Kampf aufzunehmen. Aber dann marschierte er wieder vorwärts, einem scharf begrenzten Gegenstand zu, der sich im Kerngebiet des grünen Schleims befinden mußte, früher aber noch nicht da gewesen war. Als er näher kam, stellte er fest, daß es ein Haus oder ein großer Schuppen war. Eine Tür in der ihm zugewandten Seite stand offen. Eine Falle? Norfleet machte eine Pause und drehte sich nach seinen Verfolgern um, die nun schnell auf ihm zukamen. Sie bildeten einen Halbkreis, dessen Radius immer kleiner wurde. Norfleet stellte sich breitbeinig hin und hob seinen Hitzestrahler. Dann ertönte hinter ihm plötzlich ein schriller Pfiff. Sofort hörten die Angriffsvorbereitungen der grotesken Armee auf. Die Gestalten erstarrten in den unmöglichsten Verrenkungen wie eine Gruppe surrealistischer Statuen. Das verhaltene Summen erstarrte. Die bedrohliche Situation schien wenige Schritte von ihm entfernt abgewendet worden zu sein. Dann lachte jemand hinter ihm. „Oliver! Du kommst mir wie der Vater vor, der nach dem verlorenen Sohn sucht!“ Norfleet wirbelte herum, so daß er beinahe ausglitt und hinfiel. Seine Ahnung war richtig gewesen. In der Tür stand Poge und blickte ihn belustigt an. Norfleet vergaß völlig die verrückte Umgebung und die unheimlichen Gestalten, die ihn verfolgt hatten, um ihn zu überwältigen. Poge jetzt tatsächlich vorzufinden, war für ihn doch ein größerer Schock, als er gedacht hatte, wenn er auch schon mit der Möglichkeit gerechnet hatte. Poge lehnte sich lässig an den Türrahmen. „Was hast du denn da für eine Feuerspritze?“ fragte er interessiert. „Sieht aus wie ein Hitzestrahler.“ Er kam jetzt heraus, wobei seine Füße ohne jedes Schuhwerk waren. Der grüne Schleim konnte ihm offensichtlich nichts anhaben. „Besser, du gibst mir das Ding“, sagte er und nahm Norfleet den Hitzestrahler aus
der Hand, wobei er ihn gleichzeitig sorgfältig untersuchte. „Atombrennkammer, nicht wahr?“ wollte er wissen. „Wer hat das gemacht?“ „Edison“, versetzte Norfleet kurz, der endlich seine Sprache wiedergefunden hatte. „Spencer, du lebst, daß ist ja fein. Bist du gefangen? Komm, wir werden uns den Weg nach draußen schon freikämpfen.“ „Ich bin aber gar kein Gefangener“, gab Poge zurück. „Mit mir ist alles in Ordnung. Komm mit herein.“ Norfleet war noch immer wie benommen und folgte ihm, ohne viel zu überlegen. Im Innern war das Haus ebenso grün gefärbt wie draußen, wenn auch der Boden hart war, wie Norfleet sogar noch durch seine schwammigen Sohlen fühlen konnte. Der Raum war lang, ohne Fenster, und enthielt nur einen Arbeitstisch, der etwas dunkler in seiner Tönung war, als Wände und Fußboden des kahlen Raumes. „Faß ja nichts an“, warnte ihn Poge. „Das hier ist alles aus abgewandelter Substanz des grünen Schleims hergestellt. Trotzdem kann das Zeug immer noch Appetit auf noch nicht wiederaufgebaute Materie haben. Wie hast du deine Füße vor dem grünen Schleim geschützt?“ „Säurekanäle, die die Abwehrsäure unmittelbar durch Zusammenfließen unter der Sohle herstellen. Jetzt aber erzähl mir mal schleunigst, was du hier…“ „Einen Moment mal“, sagte Poge und hob die Hand. „Vielleicht erzähl ich dir besser gleich, was los ist. Das hier ist jedenfalls mein Haus. Und ich kann tun und lassen, was ich will.“ „Das verstehe ich nicht. Du bist unverletzlich dem grünen Schleim gegenüber? Du bist kein Gefangener? Worauf warten wir also noch? Komm, gehen wir sofort los, wieder zum unzerstörten Land zurück. Dort wollen wir deine Rettung gebührend feiern.“ Er wandte sich um und ging auf die Tür zu. „Warte!“ rief Poge hastig. „Bleib hier!“ Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Vor der Tür entstand Bewegung. Die unheimliche Gestalten schickten sich an, ihm den Rückweg zu versperren. Eine bizarre Gestalt schob sich durch die Tür und näherte sich Norfleet unheildrohend. Poge schnalzte mit den Fingern, und die Gestalt hielt inne. „Wenn es dich berührt, würdest du vom grünen Schleim verschlungen werden“, warnte ihn Poge. „Verhalte dich also ruhig, bis ich dir meine Pläne und Absichten auseinandergesetzt habe.“ „Na schön“, sagte Norfleet. Poge kam an seine Seite und schaute das Monstrum an, das zur Tür hereingekommen war. Es drehte sich um und stapfte schwerfällig wieder hinaus. „Was war das für ein Gebilde?“ fragte Norfleet. „Nur ein Freund, sozusagen.“ Norfleet schaute ihn scharf an, und Poge lächelte. „Ich bin keineswegs verrückt. Ich habe nie meine fünf Sinne besser beisammen gehabt als jetzt. Wenn ich sage, das war einer meiner Freunde, so ist das nicht ganz richtig. Ich beherrsche nämlich diese Wesen und kann ihnen jeden Befehl erteilen, den ich will.“ „Was sagst du da?“ fragte Norfleet verblüfft.
„Ja, ich weiß selbst nicht, wie ich es dir erklären soll. Als ich mit dem Hubschrauber abstürzte, versammelten sich die ganzen Gestalten um mich herum, griffen mich aber nicht an. Sie nahmen mich sozusagen auf.“ „Sie dachten, du wärest einer von ihnen?“ fragte Norfleet erschreckt. Wieder schüttelte Poge den Kopf. „Das ist nicht ganz richtig. Aber sie schienen sich auf meine Gedanken einstellen zu können. Offenbar telepathisch begabt oder so was. Sie brauchten jemanden, der sie anführte. Und als ich dachte, sie müßten sich von mir zurückziehen, taten sie es. So merkte ich, daß ich sie ganz nach meinem Wunsch lenken konnte. Offenbar fehlte ihnen bisher ein lenkender Geist. Ich füllte diese Lücke aus, und damit hatte ich Gewalt über sie.“ An der Tür entstand wieder ein Geräusch. Diesmal kam ein kartoffelähnliches kalbsgroßes Ungetüm hereingestampft, das eine grüne Möhre in einer klauenähnlichen Hand hielt. „Siehst du, reine Willenskraft“, bemerkte Poge. „Ich habe Hunger, und schon kriege ich was zu essen.“ Er nahm die Wurzel und fing an, daran zu knabbern. „Ich würde dir ja gern was davon abgeben, schmeckt nämlich prima“, setzte er hinzu. „Aber dann könnte es höchstens passieren, daß die Möhre dich auffrißt anstatt umgekehrt.“ Er kicherte. Norfleet hielt den Atem an. „So, du bist also gewissermaßen der Boß hier?“ „Boß? Das klingt ja gerade, als ob hier eine Gangsterbande ihr Hauptquartier hätte. Nenn mich doch einfach den Herrscher. Ich herrsche hier Kraft meines Willens über eine ganz schöne Menge der verschiedenartigsten Lebewesen.“ „Na schön, du bist hier der Herrscher. Und ich bin auch hier. Was geschieht mit mir?“ „Ich schlage vor, daß sollst du selbst entscheiden“, entgegnete ihm Poge, mit vollem Mund kauend. „Spencer“, bat Ihn Norfleet. „Laß doch den Unsinn. Komm mit zurück und vergiß den ganzen Blödsinn.“ „Ich gehe nicht zurück“, sagte Poge. „Ich bleibe hier, denn ich fühle mich hier wohl und glücklich.“ „Glücklich?“ „Ich bin vermutlich unsterblich. Ich bin gesünder, als ich jemals zuvor war. Diese Dinger tun alles für mich, was ich nur will. Sie haben das Haus gebaut und jetzt sind sie sogar dabei, mir ein Laboratorium einzurichten. Diese Kraft drängt unaufhaltsam vorwärts und wird doch letzten Endes die Erde überwältigen.“ „Quatsch!“ Poge warf die Reste der Wurzel in eine Ecke. Er wog den Hitzestrahler mit beiden Händen und schaute Norfleet abwägend an. „Vorsicht mit deinen Aussprüchen, Oliver. Schau dir lieber erst mal mein Laboratorium an.“ Es klang weniger wie eine Bitte als ein Befehl, der durch den Hitzestrahler außerdem noch Nachdruck erhielt. Norfleet folgte ihm deshalb in einen anderen Raum, der mit einer Vielzahl von Geräten vollgepfropft war. Trotzdem war ihnen allen eine Eigenschaft gemeinsam. Ihre Farbe war in jedem Falle grün, wenn auch in
verschiedensten Abstufungen und Schattierungen. Poge legte den Hitzestrahler auf ein schmales Wandbrett. „Hoffentlich frißt das Brett das Metall nicht auf“, sagte er. „Ich muß unbedingt einen Neutralisationseffekt ausknobeln, damit ich diese Sorge los bin, vor allem auch, damit du dich unbesorgt hier bewegen kannst.“ Norfleet vermied eine Antwort. Seine Augen tasteten die Apparaturen eine nach der anderen ab. Poge beobachtete ihn scharf. „Ich beabsichtige, meinen Herrschaftsbereich weiter auszudehnen, und das werde ich auch tun. Du scheinst nicht davon begeistert?“ „Nein“, sagte Norfleet, „Ich kann dich nicht verstehen. Wozu der wahnwitzige Machthunger? Du lädst mich als deinen Gast ein und behandelst mich wie einen Gefangenen. Es wird für dich nicht gut sein, wenn ich davon bei meiner Rückkehr berichte.“ „Da muß ich dich berichtigen“, lächelte Poge. „Du wirst keine Gelegenheit halben, irgend jemand da draußen davon zu erzählen, Oliver, ich möchte, daß du bei mir bleibst.“ „Das ist dein frommer Wunsch, aber ohne mich. Ich gehe.“ „Ist das dein letztes Wort? Denk daran, ich bin auf der Seite des Gewinners.“ Vielleicht hat Poge in diesem Punkte sogar recht, dachte Norfleet bekümmert. Der grüne Schleim war bisher der unbestrittene Sieger, das konnte niemand leugnen. Staatliche Stellen, wissenschaftliche Institute, die vereinigten Streitkräfte, alle waren bisher ohne wirksames Gegenmittel Schritt für Schritt vor dem schlammigen Feind zurückgewichen. Poge hatte sich das offenbar schon alles ausgerechnet und wußte, daß der Sieg ihm gehören würde. Poge starrte Norfleet an, der die Möglichkeiten blitzartig in seinen Gedanken gegeneinander abwog. „Die Erde wird bald von der Menschheit befreit sein“, sagte er. „Ich tu dir wirklich einen großen Gefallen.“ „Behalt deine Gefälligkeiten für dich“, explodierte Norfleet. „Du denkst, ich schließe mich deinem Klub der Abnormitäten und Scheußlichkeiten an?“ „Das kannst du nicht sagen“, entgegnete Poge. „Auch ich bringe hier und da gestorbene Lebewesen genau wie du ins Leben zurück. Nur habe ich natürlich nicht immer die glückliche Hand wie du bei der Auswahl meiner Objekte. Die Dorffriedhöfe in der Umgegend sind keineswegs voller berühmter Toter, wie du sie erweckt hast. Du wunderst dich, warum Edisons Atomflugzeug nicht funktionierte? Ich schickte einige der wiedererweckten Burschen heimlich hinaus, und sie sorgten dafür, daß die Kiste nicht aufstieg. Sie können ja auf das nichtbefallene Gelände, wie auch ich mich darauf bewegen kann. Und all das geschieht genau nach meinem Willen. Das Gefühl der Macht ist was wert!“ „Und mich willst du auch auf Vordermann bringen, was?“ fragte Norfleet scharf. „Ja. Aber bei deinen werten Mitkämpfern mach ich nicht so viel Ruß. Sie müssen in ihre Gräber zurück, woher sie gekommen sind. Und, glaube mir, ich mach nicht viele Umstände. Schließlich war es nicht meine Idee, sie zur Hilfe herbeizurufen. Und wenn ich mein Ziel erreicht habe, wären sie mir höchstens lästig. Ich brauche sie nicht.“
„So, du fühlst dich also schon als Herrscher der Welt?“ wiederholte Norfleet. „Kommt mir wie eine Szene aus einem alten Gangsterfilm vor.“ „Nimm doch deinen Grips zusammen“, knurrte Page. „Würden sie mir auch nur die geringste Chance geben, wenn sie was zu sagen hätten? Sie brauchen den Kontakt mit der Kernsubstanz von Zeit zu Zeit, um weiterleben zu können. Ich brauche sie gar nicht zu töten. Sie sterben von allein. So ist das.“ Norfleet wandte sich um und schritt zur Tür, durch die sie gekommen waren, und die in den Hauptraum führte. Poges Pfiff schrillte ihm in den Ohren. Sofort erschien etwas innerhalb der Türrahmens und verwehrte ihm den Ausgang. Das Etwas sah wie ein frischrasierter grüner Bär aus, der sich täppisch auf den Hinterbeinen aufrichtete. Aus seinem fleischigen Gesicht starrte ihn ein einziges großes Auge an. „Du kannst nicht abhauen, Oliver“, sagte Poge, der an seine Seite getreten war. „Du mußt schon mit meiner Gastfreundschaft vorliebnehmen.“ Der grünen Hölle entronnen Poge schnalzte mit den Fingern, und die Kreatur zog sich wieder zurück. Andere Gestalten wurden hinter ihr sichtbar. „Was kann ich nur tun, damit du freiwillig hierbleibt?“ sinnierte Pope, augenscheinlich bekümmert. „Wie war’s, wenn ich dir Caris Bridge besorgte? Natürlich muß ich sie erst töten, und dann wiedererwecken, damit ihr der grüne Schleim nichts anhaben kann. Genauso, wie ich dich auch umbringen muß, so daß du dich hier anschließend nach der Wiedererweckung ungehindert wie ich bewegen kannst. Würde dich das glücklicher machen, Oliver?“ „Laß mich nachdenken, Spencer.“ Norfleet stand still und mimte den Grübelnden. Dann tat er einen Sprung nach der Tür und schlug sie mit einem Stoß seiner Stiefel zu, wobei der Riegel herunterfiel und sie versperrte. Poge und er waren allein im Laboratorium. Das Summen draußen schwoll an, und ein unverkennbarer zorniger Unterton war aus dem Geräusch herauszuhören. Poge stieß einen Fluch aus. „Was hast du vor, Oliver?“ fragte er befehlend. „Ich dachte, wir beide sind Freunde und marschieren gemeinsam durch dick und dünn?“ „Wir marschieren nicht zusammen, aber wir können miteinander kämpfen“, sagte Norfleet verbissen mit weißem Gesicht. Poge starrte nach der Tür, vor der Norfleet stand. Dann kam Norfleet mit erhobenen Fäusten auf ihn zu. Poge ging in Abwehrstellung. Einen Augenblick später prasselten die Schläge von beiden Seiten. Norfleet mußte dabei höllisch aufpassen, damit er nicht einen der vielen Gegenstände berührte, die in dem Laboratorium herumstanden. Die winzigste Berührung konnte seinen Tod bedeuten. Beide bemühten sich, fair zu boxen, wobei aber jeder auf eine schwache Stelle des
Gegners lauerte. Norfleet brachte einen rechten Geraden durch und landete auf Poges Nase, die sofort anschwoll. Ein linker Schwinger erwischte Poge einige Augenblicke später hinter dem rechten Ohr. In dem Schlag steckte einiges, und Poge fing an zu taumeln. Seine eigenen Schläge prasselten ungezielt ins Leere. Norfleet durchbrach wieder Poges Deckung und verpaßte ihm einen rechten Aufwärtshaken genau auf die Kinnspitze. Poges Kopf flog zurück, und er schrie wutentbrannt und schmerzgepeinigt auf. Norfleet lächelte fiebrig. Er war zwar der leichtere von beiden, befand sich aber in besserer Kondition. Außerdem verspürte er einen mörderischen Zorn in sich. Poge war aber noch nicht geschlagen. Er machte einige Finten, sprang dann plötzlich um Norfleet herum und war schon an der Tür. Er steckte zwei Finger in seinen angeschlagenen, blutenden Mund und rief mit einem Pfiff seine ungeschlachten Helfer herbei. Aber ehe er den Sperriegel hochheben konnte, war Norfleet hinter ihm und drückte seine Hand mit eisernem Griff herunter. Dann riß er ihn von der Tür weg. Ein schwerer Stoß erschütterte die Tür, sie hielt jedoch stand. „Oliver, ich bring dich um“, zischte Poge haßerfüllt. „Kann sein“, sagte Norfleet gelassen und landete wieder einen Schwinger. Poge kam mit einem linken Geraden durch seine Deckung, doch er konnte dem Schlag mit einer Kopfbewegung das meiste von seiner Wucht nehmen. Er konterte mit einer linken Geraden und zog dann die Rechte nach, die Poge über dem Herz traf. Als die kräftige Gestalt schwankte, kam Norfleet mit einem Wirbel von Leberhaken hinterher. Poge stöhnte, und klappte zusammen. Norfleet brachte nochmals einen soliden Aufwärtshaken an. Er zeigte Wirkung, denn Poge stolperte schwerfällig zurück und ging zu Boden. Die Tür erbebte unter den zahlreichen wilden Stößen, und das drohende Summen und Brausen wurde lauter. „Hoch mit dir, du schäbiger Kerl!“ preßte Norfleet hervor. „Ich bin mit dir noch lange nicht fertig!“ Poge rappelte sich benommen auf und versuchte instinktiv, Norfleets nächste Rechte abzuwehren. Die nachfolgende linke Gerade schickte ihn quer durch den Raum. Er brach über dem Labortisch zusammen, hing dort einen Augenblick und rutschte dann auf seine Knie hinunter. Mit einer Hand griff er in eine grüne Paste, die in einer offenen Schale war. Norfleet trat zurück, und Poge richtete sich zuckend auf. „Noch eine Bewegung, und du kriegst das hier genau ins Gesicht. Innerhalb dreißig Sekunden hat es dich bis auf die Knochen durchgefressen.“ „Na, schmeiß schon“, höhnte Norfleet und duckte sich. Die grüne Masse flog harmlos über seinen Kopf hinweg und platschte an die Wand hinter seinem Rücken. Norfleet stürzte sich wieder auf Poge und schickte ihn zu Boden. Er stöhnte schmerz‐ und haßerfüllt, doch diesmal war er rasch wieder auf den Beinen und stürzte zur Tür. Norfleet sprang ihm nach, aber nicht schnell genug. Poge schob den Riegel hoch, und die Tür flog auf. Riesige Gestalten drängten sich in das Labor. Instinktiv blieb Norfleet stehen und
rührte sich nicht. Poge war wieder Herr der Situation. „Nun, du Klugschnacker“, höhnte er, wobei er sich die Finger ableckte, an dienen noch etwas von der grünen Substanz hang. „Machst du mit, oder nacht?“ „Oder nicht!“ sagte Norfleet fest, wobei seine grauen Augen die Monstergestalten keinen Augenblick aus den Augen ließen. „Ich gebe dir zehn Sekunden, um es dir noch mal zu überlegen“, sagte Poge. Norfleet spannte seine Muskeln so stark an, wie er nur konnte. Er wußte, daß auf dem Wandbrett der Hitzestrahler lag. Wenn er die Entfernung mit einem kühnen Sprung überwand, konnte sich das Blatt noch zu seinen Gunsten wenden. Er vermochte damit die Ungeheuer aufzulösen, konnte sich Poge vom Leibe hallten, ja, ihm womöglich unschädlich machen. „Was ist, wenn ich mich ergebe?“ fragte Norfleet. „Ich werde dich auf alle Fälle erst einmal töten müssen. Na klar, erst wenn ich dich dann wiederbelebe, kann dir doch der grüne Schleim nichts mehr anhaben, und du gehörst mit Leib und Seele zu uns.“ Norfleet sprang los. Er erreichte das Wandbrett, aber der Strahler war weg. „Suchst du was, Oliver?“ höhnte Poge. „Das vielleicht?“ Er brachte hinter seinem Rücken den Hitzestrahler zum Vorschein. Poge hob ihn langsam hoch und drückte ab. Norfleet warf sich zur Seite. Eine Schockwelle ließ ihn taumeln. Er sah Sterne vor seinen Augen tanzen. Er stürzte nach vorn, und Poge fing seinen zusammensackenden Körper auf. * Nach langer Zeit kehrte Norfleet das Bewußtsein zurück. Zuerst stellte er fest, daß er lebte, daran, daß er flach lag, und schließlich, daß er seine Glieder nicht bewegen konnte. Poge hatte ihn mit dem Strahler nicht getroffen. Er mußte von der Druckwelle lediglich betäubt worden sein. „Er wacht auf“, hörte er eine entfernte Stimme sagen. „Bist du das, Spencer?“ fragte er mit schwerer Zunge. Ein Freudenschrei ertönte. Norfleet öffnete mühsam die geschwollenen Augen. Er lag in einem verdunkelten Zimmer. Über ihn beugte sich das altvertraute Gesicht Louis Pasteurs. „Monsieur Pasteur“, lächelte Norfleet schwach. „Parbleu! Er erkennt mich“, rief Pasteur freudig aus. „Kommt nur heran, Oliver ist wieder einer der Unseren!“ Norfleet setzte sich auf und wehrte die stürmischen Glückwünsche der Mitglieder seiner kleinen Forschungsgruppe verlegen, aber freudestrahlend ab, Caris Bridge jedoch schaute er leuchtend in die Augen. „Wie kam ich raus?“ wollte er wissen. „Poge hatte mich gerade erwischt…“ „Ach was, wir haben Sie jedenfalls rausgekriegt“, schmunzelte Edison. „Das Flugzeug mit Atombrennkammerantrieb war die Grundlage der
Rettungsexpedition.“ „Aber Poge brachte mich doch um. Und nun lebe ich weiter, jedoch mit dieser Fraßsubstanz in mir.“ Er stützte den schmerzenden Kopf in seine Hände. „Ich gehöre jetzt auch zu den Verfluchten…“ „Verflucht?“ wiederholte eine sanfte Stimme. Marie Curie hatte den Raum betreten. Ihre Hand berührte zart seinen angeschlagenen Kopf. „Dann sind wir also genauso verflucht wie Sie“, sagte sie. „Entschuldigung“, stöhnte er. „Es ist aber die Wahrheit!“ Wenn Poge ihn erst getötet und dann wiedererweckt hatte, war er ein Ausgestoßener, ein Verdammter, wie sie alle hier, mit Ausnahme von Caris. Um den grünen Schleim gänzlich zu zerstören, mußten sie sich am Ende selbst vernichten, anders ging es nicht. Als er mit seinen Gedanken im reinen war, fühlte er sich erleichtert. Nur nicht sich selbst was vormachen. Trotzdem besaßen sie alle einen klaren Kopf und waren entschlossen, den grünen Schleim bis zum letzten Atemzug zu bekämpfen. Warum also er nicht auch? Caris kam mit einem Glas in der Hand in den Raum zurück, den sie kurz zuvor verlassen hatte. „Trotz all deiner Gedanken kann ein Glas Saft nicht schaden“, lächelte sie ihn an. „Willkommen im Klub der Toten.“ Norfleet trank. Bald fühlte er sich frischer. Die anderen verließen ihn wieder. Er lag da und dachte nach. Was sollte nun werden? Norfleet schlief ein. Als er wieder erwachte, war es Nacht, aber Caris saß auf einem Stuhl neben seinem Bett und las in einem Buch. „Caris, wirst du mich nicht vergessen, auch, wenn ich einmal nicht mehr sein werde?“ fragte er stockend. „Niemals!“ lächelte sie und küßte ihn auf den Mund. „Zeit, daß ich mich von meinem Lager hochquäle und wir zum Abendessen hinuntergehen“, meinte Norfleet. „Sonst kommen wir noch ins Gerede.“ Er zog seinen Morgenrock über, und sie wandten sich der Tür zu. „He, ihr zwei, nicht so schnell!“ Die neue Stimme, rauh und ungebildet, kam vom Fenster her, durch das sich eine massige, verwilderte Gestalt in zerrissener Kleidung schob. In einer Hand Welt sie einen Parfümzerstäuber, der eine grün schimmernde Flüssigkeit enthielt. „Keine Bewegung, oder ihr kriegt was von dem Zeug hier in die Visage!“ sagte der Eindringling brutal. Norfleet stand stall. Auch Caris bewegte sich nicht. Sie hatte ihren Arm auf den seinen gelegt. Norfleet schaute den ungebetenen Gast mehr belustigt als erschrocken an. „Was wollen Sie hier?“ fragte er, nur um etwas au sagen. Dabei versuchte er, seiner Stimme einen möglichst unschuldigen Tonfall zu geben. „Siehst du hier das kleine Spielzeug, Freundchen?“ fragte das Individuum hämisch. „Es ist bis an die süße kleine Schnauze mit Kernsubstanz gefüllt, und wenn ich hier drauf drücke…“ „Also, einen Moment mal“, unterbrach ihn Norfleet. „Ich nehme an, Sie sind eines
der Subjekte, die Poge wieder zum Leben erweckt hat. Sie sind aber auch kein besonders anziehendes Versuchsobjekt. Wissen Sie aber, wer ich bin?“ „Klar, du bist der Oliver Norfleet, der immer so schaurig angibt.“ „Dann müßten Sie auch wissen, daß mir der grüne Schleim nichts anhaben kann, weil ich schon einmal tot war und durch das Zeug wieder lebendig wurde.“ „Du bist ja bekloppt!“ „Es ist die reine Wahrheit“, entgegnete Norfleet ungerührt. „Hat Poge das nacht Ihnen selbst gesagt? Vielleicht besitzen Sie nicht sein Vertrauen. Das Zeug in dem albernen Zerstäuber stört mich nicht mehr als Kölnisch Wasser. Es wird wohl das beste sein, es Ihnen wegzunehmen.“ „Keinen Schritt näher!“ knurrte der andere tückisch. „Okay, kann sein, daß es stimmt, was Sie sagen. Wie ist es aber mit der jungen Lady? Die verträgt sicherlich nicht das Zeug, oder?“ „Caris, laß mich los!“ sagte Norfleet und versuchte, sich frei zu machen. Sie hielt ihn aber fest. „So ist’s richtig. Bleibt nur schön beieinander. Sonst frißt dieses Zeug das hübsche Köpfchen einfach weg, und zwar so schnell, daß man in der Zeit nicht mal zwei und zwei zusammenzählen kann.“ Das hagere Gesicht wurde jetzt ernst. „Ich habe nicht den ganzen weiten Weg zurückgelegt, um hier blöd zu quatschen. Ich habe einen Spezialauftrag, und den werde ich auch ausführen.“ „Und das wäre?“ „Hier sind doch eine ganze Menge von Aufzeichnungen, die ihr bei euren Versuchen gemacht habt, nicht wahr?“ Niemand antwortete. „Na, wird’s bald?“ „Warum sollte ich das Ihnen auf die Nase binden?“ „Na ja, dann weiß ich ja wenigstens, daß die Aufzeichnungen hier sind. Poge hat mir befohlen, den ganzen Quatsch zu verbrennen, und das werde ich auch tun. Er mag den Bienenfleiß gar nicht, den Sie hier entwickeln. Für diesen Zweck werde ich Sie erst einmal schön zu einem Paket verschnüren, damit Sie keinen Unsinn machen.“ „Das würden Sie nie schaffen, und dazu noch ungeschoren davonkommen“, gab Norfleet ärgerlich zurück. „Keine Widerrede mehr!“ sagte das Individuum. „Das Zeug wird verbrannt, und niemand wird mich daran hindern.“ „So, so, meinen Sie, junger Freund?“ tönte eine kräftige Baßstimme von der Tür her. Sir Isaac Newton hatte sie von draußen geöffnet und füllte nahezu den ganzen Türrahmen aus. Der Eindringling stieß einen Fluch aus und spritzte Newton eine Ladung der grünen Flüssigkeit ins Gesicht. Newton blieb ungerührt stehen und kümmerte sich nicht darum. Schon hatte aber Norfleet den Burschen von hinten an den Armen erfaßt und ihm den Zerstäuber mit eisernem Griff entwunden. Dann zog er ihm die Füße unter dem Körper weg, so daß er schwer zu Boden stürzte. Im Nu kniete er auf ihm. „Bist du verletzt, Oliver?“ fragte Caris ängstlich. „Oder Sie, Sir Isaac?“
„Nein, nein, keiner von uns“, versicherte ihr Newton. „Für mich ist das Zeug die reinste Erfrischung, nicht wahr, Oliver?“ Oliver nickte. „Nur um meine Halsbinde ist es schade. Verehrtes Fräulein, würden Sie bitte Feuer im Kamin machen? Die Binde muß sofort verbrannt werden, damit kein Unheil entsteht.“ Caris folgte seinen Anweisungen, und bald flammte der Stoff auf und verwandelte sich in Rauch und Asche. „Zu schade, daß wir Poge unschädlich machen müssen“, meinte Newton, der inzwischen interessiert die kleine Zerstäuberspritze betrachtete. „Unser Freund da draußen hat tatsächlich außergewöhnliche konstruktive Fähigkeiten, finden Sie nicht auch, Oliver?“ Norfleet sagte nichts. Er hatte damit zu tun, den aufsässigen Kerl unter seinem Knie unter Kontrolle zu halten. Minuten später trafen Edison und Darwin ein. Sie beratschlagten mit Newton, was man mit dem Schurken machen sollte. „Am besten legen wir ihn lebendig wieder in ein Grab“, schlug Edison ungerührt vor, und Newton sowie Darwin pflichteten ihm bei. Norfleet war sprachlos über so viel Gefühlsroheit. Waren das wirklich noch die Elitemenschen, zu denen er immer emporgesehen hatte? „Das würdet ihr nicht wagen, ihr Dreckskerle!“ tobte der Gefangene. „Von mir kriegt Ihr trotzdem nichts raus, und Poge, der mich schickte, ist weit weg. Fangt ihn doch, ihr Stümper, anstatt hier groß anzugeben.“ Norfleet wollte sich einmischen, da ihm der Vorschlag Edisons barbarisch vorkam, aber Sir Isaac hatte schon seinen Gesichtsausdruck bemerkt und zwinkerte ihm jetzt zu. Bald war eine Kiste herbeigeschafft und der Gefangene trotz heftigen Sträubens darin eingezwängt. „Luft kann er ruhig kriegen“, meinte Darwin mit dem rührigsten Gesicht der Welt. „Aber ob sein Magen von der Fastenzeit sehr begeistert sein wird, möchte ich bezweifeln.“ Der Gefangene tobte unentwegt und fing schließlich an zu winseln und zu schluchzen. „Laßt mich hier raus“, bettelte er. „Ich werde alle Fragen beantworten.“ Seine Widerstandskraft war gebrochen. Norfleet atmete erleichtert auf. Die unmenschliche Drohung war nur eine Kriegslist gewesen. „Nun raus mit der Sprache, Freundchen“, sagte Edison, und der Gefangene sprach. Er hieß Leeford, Hub Leeford und war mit neun anderen Toten von Poge wieder zum Leben erweckt worden. Außer ihm waren es noch vier Männer und fünf Frauen. Sie verehrten Poge wegen dieser Leistung mit fanatischer Begeisterung, denn infolge ihrer Beschränktheit mußte ihnen seine Tat als Wunder erscheinen. Sie folgten aus diesem Grunde auch seinen Anordnungen aufs Wort und hatten sich bald in Marsch gesetzt, um für ihn verschiedene Spionage‐ und Sabotageaufträge auszuführen. Sie lebten außerhalb des infizierten Gebietes und hatten ihr Hauptquartier in zwei alten
Wohnwagen aufgeschlagen, die auf einem Campingplatz in Wichita abgestellt waren. Poge, so schien es, war hauptsächlich an Landkarten und ähnlichen Gebietsangaben interessiert. Vor allem wollte er genaue Ortsangaben über Flüsse, Seen und Moraste erfahren. Die neun hatten Anweisung, äußerst sorgfältig mit ihren Fraßzerstäubern umzugehen und sie nur im äußersten Notfall zu gebrauchen. Offenbar wollte er erst zu einem späteren Zeitpunkt schlagartig die Infektion an verschiedenen Stellen durch neue Herde vorwärtstreiben, gegen die es dann keine Rettung mehr gab. Ein satanischer Plan, der gelingen mußte, wenn man nicht sofort etwas dagegen unternahm. Die Geschichte kam so überstürzt und unzusammenhängend aus dem verschüchterten Burschen heraus, daß sie wirklich nur wahr sein konnte. Zum Lügen hatte der kein Talent. „Vielleicht wollte Poge den grünen Fraß in diese abgelegenen Seen irgendwie schießen“, meinte Edison gedankenvoll. „Dann konnte von dort das Unheil seinen unaufhaltsamen Lauf nehmen.“ „Sehr wahrscheinlich“, pflichtete ihm Darwin bei. „Wir müssen sofort nach Wichita, das Agentennest ausheben!“ „Wir müssen Pasteur davon verständigen“, meinte Sir Isaac. „Unser feiner Besucher wird inzwischen in den Keller gesperrt und dort schön ruhig den Verlauf der Ereignisse abwarten. Caris wird ihn einstweilen bewachen, bis wir wieder zurück sind. Sie wird schon ihren Mann stellen.“ „Ich tanke den Kombiwagen sofort nach dem Abendessen auf“, meinte Norfleet eifrig. „Wir fahren die Nacht durch und werden morgen früh dort eintreffen. Angriff bei Morgengrauen. Pasteur, Edison, Newton, Darwin…“ „Einen Moment“, sagte Darwin, wobei seine Stimme merkwürdig gepreßt klang. Alle schauten erstaunt zu ihm hm. „Vielleicht werde ich nicht an der Fahrt teilnehmen können“, seufzte er. „Warum nacht?“ fragte Norfleet, aber dann wußten sie alle plötzlich die Antwort. Darwin wurde bleich. Einen Moment später war er weiß wie ein Leinentuch. Dann wurde er durchsichtig wie eine Milchglasscheibe, ein Geist, der in ihrer Mitte stand und zusehends unsichtbar wurde. „Meine Zeit ist abgelaufen“, kam Darwins Stimme kaum noch vernehmbar zu dien Umstehenden. „Die Lebenskraft hat sich erschöpft. Ich…“ Er sprach nicht mehr. „Es ist also wahr“, sagte Newton. „Ja“, stimmte Edison bei. „Pasteur hatte Glück. Er erwischte etwas von der Kernsubstanz ins Gesicht, als das Geschoß unserem Flugzeug nachsauste. Sie wissen schon, damals bei der Rettungsaktion für Norfleet. Der arme Charlie hatte keinen direkten Kontakt mit der Substanz. Und nun…“ Nur ein ganz schwaches Abbild, wie eine verblaßte Fotografie, hing zwischen ihnen in der Luft. Darwin lächelte wissend, eine magere Hand winkte abschiednehmend. Dann war es vorbei. Die Kleidungsstücke, die Darwin getragen hatte, lagen leer auf dem Boden.
Norfleet zitterte, und seine Mundwinkel zuckten. Edison klopfte ihm auf die Schulter. „Nur ruhig Blut, Oliver“, redete er ihm zu. „Das ist ganz natürlich, und er hat jetzt seinen Frieden wieder.“ „Du siehst ganz grün aus, du liederlicher Lump!“ polterte Newton den verdatterten Hub Leeford an, der Zeuge des geisterhaften Abschieds geworden war. „So geht es dir auch, mein Lieber, aber er war ein tapferer Mann, während du nur schmutzige Gedanken in deinem Hirn hegst.“ „Haben Sie ihn noch einmal winken sehen?“ fragte Edison Norfleet. „Er fühlte, daß er getan hatte, was er konnte, und daß er sich auf uns verlassen konnte. Er glaubte daran, daß wir die Arbeit ohne ihn beenden würden. Er schied froh und zufrieden von uns.“ „Ja, und ohne Leiden“, fügte Newton hinzu. „Das Werk wird vollendet werden, wir dürfen ihn nicht enttäuschen.“ Spione werden ausgeräuchert Der Musterpark von Tidy Grove war weder ein Muster noch ein Park, vielmehr ein dürftiges Gehölz, das sich um einen Tümpel schlängelte, der in den Prospekten großartig als See bezeichnet wurde. Der dort angelegte Campingplatz sah an jenem Morgen, an dem Norfleet und seine Mitarbeiter eintrafen, ziemlich verlassen aus. Der Kombiwagen hielt an, und alle stiegen aus. Norfleet und Edison trugen Revolver mit Schalldämpfern. Sir Isaac Newton, malerisch wie ein alter Westler gekleidet, trug einen Kavalleriesäbel, der noch aus dem Bürgerkrieg stammte. Er hatte über dem Kamin in ihrem Haus in Kansas City gehangen, und Newton war mit wahrer Begeisterung darangegangen, das Ungetüm rasiermesserscharf zu schleifen. Pasteur war mit einer doppelläufigen Schrotflinte bewaffnet, die früher Poge gehört hatte. „Hier sind nur zwei Wohnwagen“, sagte Norfleet, dessen Augen auf zwei Fahrzeuge gerichtet waren, die im Hintergrund des Platzes standen, wo er von Trauerweiden nach dem See zu begrenzt wurde. Norfleet und Edison zogen ihre Revolver. Ein pummeliges junges Frauenzimmer kam von irgendwoher auf sie zu. Ihr Haar hing unordentlich um ihren Kopf und das Gesicht selbst bedurfte dringend einer Säuberung. In einer Hand hielt sie einen blauen Plastikbecher. „He“, rief sie überrascht und etwas nervös aus, „wozu brauchen Sie die ganze Artillerie?“ „Wir proben für Filmaufnahmen“, entgegnete Norfleet sofort. „Und wo wäre dann Ihre Kamera?“ Ihre aufgerissenen blauen Augen zeigten immer noch unverhohlenen Argwohn. Sie sah genau wie eine jener Frauen aus, die beim geringsten Anlaß gellend nach der Polizei schreien. Das fehlte gerade noch.
„Das ist nur eine allererste Probe, für die man keine Kamera braucht“, erklärte Norfleet hastig, wobei er sich Mühe gab, das etwas zu dick geratene weibliche Wesen möglichst schmachtend anzusehen, „Sie wissen, junge Frau, daß Sie ebenfalls ein photogener Typ sind. Wollen Sie nicht selbst vielleicht eine kleine Nebenrolle in unserem Stück spielen?“ „Sie meinen, ich bin dazu geeignet?“ fragte sie interessiert, aber immer noch frostig. „Jedermann kann mit etwas Hilfe in einem Film mitwirken“, versicherte ihr Norfleet lebhaft. Dann nahm er aus einer seiner Taschen einen Zehndollarschein. „Hier ist ein kleiner Vorschuß. Wenn die Sonne dann herauskommt und unser Kamerawagen eingetroffen ist, werden wir Sie brauchen. Halten Sie uns jetzt aber nicht weiter auf. Wir müssen die Szenen im groben durcharbeiten, sonst klappt dann der Spielplan nicht.“ Sie nahm das Geld und verstaute es in ihrem Blusenausschnitt. Ihre weitgeöffneten Augen fielen auf Edison und verengten sich plötzlich. „Sagen Sie, Mister, ich hab Sie doch schon früher irgendwo gesehen“, verkündete sie. „Im Film.“ „Ich hoffe sehr, meine Liebe“, entgegnete Edison geistesgegenwärtig. „Immerhin bin ich Schauspieler.“ „Sie sehen aber eher wie Thomas Alva Edison aus“, beharrte sie. Norfleets Herz sank in die Hosen, aber Edison verbeugte sich galant. „Ich nehme das als Kompliment“, sagte er. „Sie verstehen, ich habe einige Stunden für meine Maske gebraucht, denn ich spiele die Rolle Edisons in diesem Film.“ Schließlich wurden sie die Frau los und konnten sich den Wohnwagen nähern. „Die Frauen werden in dem einen wohnen, die Männer im anderen“, murmelte Edison. „Aber welcher ist welcher?“ „Wir müssen beide zugleich überfallen“, entgegnete Norfleet. „Und wenn sie sich wehren…“, begann Edison. „Na, wenn schon. Sie haben bestimmt nur Zerstäuber mit grüner Kernsubstanz, die uns ja nichts anhaben kann. Also, keine Bedenken!“ „Ich bin bereit“, meldete sich Pasteur mit solcher Lautstärke, daß es fast bis zu den Wohnwagen zu hören war. „Mein Vater diente unter Napoleon, ein Ritter der Ehrenlegion!“ Seine Hände umklammerten das Gewehr fester. „Sie und Sir Isaac nehmen sich den linken Wohnwagen vor“, sagte Norfleet zu Edison. „Monsieur Pasteur und ich werden den anderen durchsuchen.“ Sie gingen paarweise auf die Wagen zu. Pasteur, der einen Schritt vor Norfleet ging, riß die Tür auf und steckte die Mündung seiner Schrotflinte in die Öffnung. Im Inneren standen vier junge Frauen, alle mehr oder weniger bekleidet. Sie schauten nur erschreckt, aber keineswegs gefährlich aus. „Wir sind Streifenbeamte der Polizei“, sagte Norfleet. „Bleiben Sie im Wagen und rühren Sie sich nicht. Draußen kann es gleich eine kleine Knallerei geben.“ Er warf die Tür wieder zu, und er und Pasteur wandten sich dem zweiten Wohnwagen zu, aus dem schon Flüche und Schreie drangen. Edison hatte ebenfalls dort die Tür aufgerissen, wurde jedoch gleich von einem riesigen Mann überrannt, der ganz nach einem ehemaligen Freistilringer aussah. Aber Newton war zur Stelle.
Seine Faust zuckte hoch, und der Angreifer stürzte schwer zu Boden. Ein kleinerer Mann rannte herzu, der einen Zerstäuber in der Hand hielt. Das war das Spielzeug, das sie schon von dem Einbrecher in Kansas City her kannten. Pasteur legte an und jagte den Kerl mit einem Schuß wieder zurück in den Wohnwagen. „Es müssen aber noch zwei Männer irgendwo stecken“, rief Edison aufgeregt. „Aufgepaßt! Dort rennen sie!“ Zwei Männer waren aus einem der runden Fenster gesprungen und rannten auf das morastige Wasser des Sees zu. Norfleet und Edison feuerten zur gleichen Zeit. Einer der Männer stürzte, und der andere ließ sich schwerfällig ins Wasser fallen. Er kam nicht wieder hoch. „Wahrscheinlich ist er Nichtschwimmer“, meinte Pasteur. „Warum reißt er auch aus. – Achtung, Gefahr!“ Die plumpe blonde Frau rannte mit wutverzerrtem Gesucht auf die beiden los, einen Zerstäuber in der Hand haltend. Norfleet war ihr am nächsten. Pasteur sprang jedoch vor seinen Schützling, und die Ladung ging ihm ins Gesicht. Da stürzte auch die blonde Furie unter einem wohlgezielten Hieb Sir Isaacs zu Boden. „Der Teufel soll mich holen“, meinte Newton trocken. „Das ging nahe vorbei! Dabei hatte ich gar nicht bemerkt, daß es eine Frau war.“ „Es mußte sein, Sir Isaac“, sagte Pasteur. „Die Frau war bestimmt der Wachposten, schaltete aber zu langsam, um die anderen zu warnen. Jetzt ist jedenfalls die Gefahr vorbei. Wir sind Herren der Lage.“ Edison hatte inzwischen die verstreuten Zerstäuber mit der grünen Kernsubstanz eingesammelt und sie mit dem Hitzestrahler vergast. „Die richten keinen Schaden mehr an“, meinte er aufatmend und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Sehen Sie!“ rief Norfleet plötzlich. „Die blonde Frau! Sie verschwindet zusehends, wie Darwin gestern.“ Es stimmte. Ihr Körper wurde immer blasser, dann durchsichtig, und war nach wenigen Minuten verschwunden. Nur die Kleidung lag verstreut am Boden und erinnerte noch an sie. „Der Tod beschleunigt offenbar die Auflösung“, meinte Edison unerschüttert. „Schauen wir auf alle Fälle noch einmal in den Wohnwagen.“ Auch drinnen waren die Körper verschwunden und nur Kleidungsstücke zeigten, wo sie gelegen hatten. „Immerhin ist es ganz gut, daß hierbei keine Leichen zurückbleiben, die langatmige Erklärungen in irgendeinem Polizeirevier notwendig gemacht hätten“, meinte Norfleet erleichtert. „Was ist das für ein Bildschirm hier an der Wand?“ fragte Edison. Im gleichen Augenblick leuchtete er auf, und man konnte den Kopf Poges erkennen. „Spencer Poge“, japste Norfleet fassungslos. Die Augen auf dem Bildschirm begegneten den seinen. „Ja, Oliver“, sagten seine Lippen. „Ich bin’s. Das ist ein Sende‐ und Empfangsgerät, eigener Konstruktion. Fabelhaft, was?“ „Wir haben gerade deinen Sauladen hier ein bißchen aufgeräumt“, sagte Norfleet zu
dem Bild. „Gratuliere. Nur schade, daß es dir nichts nützen wird.“ „Sparen Sie sich Ihren Hohn“, mischte sich Edison ein. „Ihre Spione sind entweder tot oder unschädlich gemacht.“ Poge nickte. „Ich weiß. Ich beobachtete alles durch dieses Gerät. Wenn Sie über die Pläne meiner Agenten Genaueres wissen wollen, brauchen Sie nur auf jenen Tisch zu schauen. Dort sind einige Pläne. Aber vielleicht interessiert Sie ein Blick auf meine Werkstätten noch mehr als das.“ Das Bild erlosch und zeigte alsbald eine Blockhütte, um die greuliche Gestalten geschäftig hin und her hasteten. „Das ist mein Laborgebäude“, konnte man Poges Stimme vernehmen. „Und meine Freunde“, fuhr er fort. „Unermüdlich, intelligent und gehorsam. Sie lernen in Tagen, wozu ein normaler Mensch Jahre und Jahrzehnte braucht. Paßt auf!“ Jetzt zeigte der Bildschirm einten Geländeabschnitt, auf dem, wie auf dem Kasernenhof, Gruppen der grauenhaften Gestalten zusammenstanden, und alle waren mit Schußwaffen ausgerüstet, die zweifellos aus eigener Fertigung stammten. Eine scheußliche Armee war dort augenscheinlich im Entstehen begriffen. „Na, wie gefällt euch das?“ tönte die hämische Stimme aus dem Lautsprecher. „Nicht besonders“, gab Edison trocken zurück. „Sie leiden ganz schön an Selbstüberheblichkeit, und Hochmut kommt vor dem Fall, das ist ein altes Sprichwort. Sie sind fix und fertig, wenn Sie meine Meinung wissen wollen.“ „Fertig, allerdings.“ Poges wuterfülltes Gesicht erschien wieder auf dem Bildschirm. „Genau in sechs Tagen wird die Hölle losbrechen, darauf könnt ihr Gift nehmen. Dann werden neue Gebiete durch meine Hufe verseucht werden, der grüne Schleim wird nicht mehr aufzuhalten sein, und ich werde zum allumfassenden Beherrscher! Besser, Sie beten die letzten Tage, denn in sechs Tagen ist es aus mit Ihnen. Dann trete ich meinen Siegeszug an!“ Der Bildschirm erlosch. Edison und Norfleet schauten sich an. „Wenn man sich durch die häufige Einwirkung der grünen Kernsubstanz so im Charakter wandelt, dann bin ich froh, daß ich nicht noch mal mit dem Zeug in Berührung gekommen bin“, sagte Norfleet dumpf. „Da ist es schon besser, bald zu sterben, als diese Wandlung durchzumachen.“ Edison lächelte ihn beruhigend an. „So ist’s richtig, Oliver. Trotzdem wollen wir sehen, was die anderen treiben.“ Sie gingen zur Tür, Pasteur kam ihnen entgegen. „Die Frauen haben sich ergeben“, berichtete er. „Wo ist Newton?“ fragte Norfleet besorgt. Pasteur zeigte stumm auf ein Häuflein Kleidungsstücke. Daneben lag ein altertümlicher Säbel. „Er verschwand vor meinen Augen, als Sie beide im Wagen waren“, sagte Pasteur traurig. „Die Berührung mit der Kernsubstanz hat ihn gestern nur für kurze Zeit wieder belebt. Nun ist er für immer gegangen.“ „Warum haben Sie uns nicht gerufen?“ fragte Edison mit erstickter Stimme. „Er hielt mich fest, damit ich seine letzten Anweisungen abhörte.“ Pasteur nahm
einen Zettel aus seiner Tasche. „Mit diesen Notizen siegen wir vielleicht doch noch im Kampf mit unserem unerbittlichen Feind.“ „Ach, wir haben ja immer noch keine wirksame Waffe“, stöhnte Norfleet verzweifelt. „Und jetzt ist auch Sir Isaac gegangen. Was soll bloß werden?“ „Vielleicht ist unsere Lage gar nicht so aussichtslos, junger Freund“, meinte Edison bedächtig. „Wir haben nämlich in den letzten Tagen allerlei fertiggestellt, wovon Sie noch kenne Ahnung haben. Die Waffe ist schon geschmiedet, die den grünen Schleim endgültig bezwingen wird!“ * Die Gefangenen wurden unter strengen Geheimhaltungsmaßnahmen an die Polizei ausgeliefert. Anschießend versammelten sich die restlichen Mitglieder der Forschungsgruppe auf der geräumigen Veranda des alten Hauses in Kansas City, ihrem Hauptquartier. Caris brauchte nur noch fünf Teetassen zu füllen, und das machte sie traurig und niedergeschlagen. Ihr fehlten Darwin und Sir Isaac sehr. Auch Marie Curie war still und ernst. „Unsere Reihen lichten sich“, sinnierte Pasteur in seine Teetasse. „Parbleu, zwei sind in zwei Tagen dahingegangen.“ „Ja, aber fünf leben noch!“ erinnerte Madame Curie. „Trotzdem sollten unsere letzten Stunden nicht die schlechtesten sein.“. „Edison“, sagte Norfleet, „Sie versprachen mir draußen bei dem Angriff auf die Wohnwagen, daß Sie mir nach unserer Rückkehr Näheres über das große Projekt verraten würden, an dem Sie mit Newton gearbeitet haben. Sind Sie jetzt damit fertig?“ „Aber natürlich, und Pasteur sowie Madame Curie haben auch einen beträchtlichen Teil zu dem Gelingen dieses Planes beigetragen. Wir kamen zu dem Ergebnis, es gibt nur einen Weg, dieses Geschwür im Leibe unserer Mutter Erde loszuwerden.“ „Ja, und was ist das?“ fragte Caris neugierig. „Man muß das Geschwür herausschneiden.“ Norfleet wußte damit nichts anzufangen. „Schön, aber wie? Das Geschwür hat einen Durchmesser von fünfzig Kilometern und erstreckt sich sicherlich auch in die Tiefe…“ „Es ist nicht ganz so schlimm, wie es aussieht“, mischte sich Pasteur beruhigend ein. „Darwin hat auf diesen Teil zahlreiche Untersuchungen verwandt. Der grüne Befall hält sich lieber an die Oberfläche. Totes Gestein schmeckt ihm nicht besonders.“ Norfleet fühlte sich trotzdem immer noch unbehaglich. „So eine Riesenfläche aber auszuschälen ist doch einfach nicht möglich!“ wandte er ein. „Und wohin damit? Das übersteigt doch unsere Kräfte!“ „Keineswegs“, sagte Edison zuversichtlich. „Unser Plan ist folgender: Ein Geschwür beseitigt man, indem man es aus dem gesunden Gewebe restlos herausschneidet und dann entfernt. Wir müssen ebenso, allerdings in einem gigantischen Ausmaß, verfahren. Damit stimmen Sie doch erst einmal überein?“
„Allerdings“, gab Norfleet zu. „Behalten Sie diesen Gesichtspunkt im Auge“, fuhr Edison fort. „In diesem Maßstab wird aber solch eine Operation eine technische Großtat, die nichts mehr mit Medizin zu tun hat. Mit Arbeitskräften und Räumbaggern ist da selbstverständlich nichts auszurichten. Während Sie, mein junger Freund, mit den Säuretankwagen zu tun hatten, sind wir auch nicht müßig gewesen. Wir haben ein Fluggerät konstruiert, das beliebig hoch fliegen kann.“ „So eins wie das, mit dem Sie mich aus Poges Händen befreiten?“ fragte Norfleet. „Aber nein, das war nur ein kleines Model jenes Raumschiffes, das wir für die kosmische Operation benötigen. Das Raumschiff selbst ist inzwischen in der Marinewerft in der Nähe von Fort Riley nach unseren Angaben im Rekordtempo gebaut worden.“ Edison entfaltete einige Blaupausen. „So sieht das Ding aus.“ Norfleet erkannte auf der Zeichnung den spitzen Körper eines Ultraschallflugzeuges von riesigen Ausmaßen, das seine Antriebsenergie aus einer Atombrennkammer bezog. Zwei große Räume im Bug des Flugzeuges waren für verschiedene Apparaturen freigehalten, deren Zweck ihm vorläufig noch unverständlich war. Norfleet las die verschiedenen Angaben: Strahlenfilter, Vorratstank, Reflektor, und schüttelte nur verwundert den Kopf. Er verstand nichts. „Ich werde es Ihnen an Hand der Zeichnung erklären“, erbot sich Edison. „Dieses Schiff enthält eine Schneidevorrichtung, die nicht stumpf werden kann; mit einem Wort: Neutronium.“ „Neutronium?“ fragte Caris und beugte sich vor. „Aber das könnte doch von keinem Flugzeug transportiert werden, so unglaublich schwer ist das. Ein einziges Massengramm wiegt mehr als…“ „Wir haben ja auch nicht behauptet, daß wir es transportieren“, entgegnete Edison. „Wir stellen es da oben bloß her. Schauen Sie. Hier wird gewöhnliche Luft angesaugt, mit Energiestrahlung besonderer Art behandelt, die auf Sir Isaacs Ideen zurückgeht, und schließlich ihrer Elektronenhülle beraubt und komprimiert.“ „Die Kernladungen müßten ja neutralisiert werden, wenn man Neutronium herstellen will“, meinte Norfleet, immer noch zweifelnd. „Genau das machen wir“, sagte Edison. „Dann fällt das Neutronium durch seine eigene Schwere schleunigst nach unten wie Wasser aus einem Sprengwagen. Währenddessen umkreist das Flugzeug das infizierte Gebiet und schneidet so durch das fallende Neutronium das befallene Gebiet restlos von der übrigen Erde ab. Selbst das härteste Gestein ist gegenüber dem Neutronium weich wie Käse.“ Norfleet saß stumm da und ließ die Idee in sich eindringen. „Wenn wir damit fertig sind“, spann Pasteur den Faden weiter, „beginnen wir mit dem zweiten Teil der Aktion. Hier, diese Räume in dem Flugzeug, enthalten die Apparate, um Antigravitation zu erzeugen, also die Schwerkraft der Erde für ein bestimmtes, darunter liegendes Gebiet aufzuheben.“ Norfleet schüttelte den Kopf in fassungslosem Staunen. In dieser kurzen Zeit hatten seine Mitarbeiter Enormes geleistet. Diese konzentrierte Arbeitsleistung war offenbar auch der Einwirkung des Lebensgases zu verdanken. „Das ist mir einfach zu hoch“, meinte er bewundernd.
„Ich will noch mal mit ganz einfachen Worten den weiterein Verlauf erklären“, fuhr Pasteur fort. „Das Antigravitationsfeld wird genau auf das ausgeschnittene Stück befallene Erde gerichtet. Dadurch wird ausgerechnet dieses Stück vollkommen schwerelos. Als Folge davon wird es, da es nicht mehr mit seiner Umgebung fest verzahnt ist, durch die Zentrifugalkraft der Erde, die ja durch die dauernde Drehbewegung immer vorhanden ist, aus dem gesunden, umgebenden Boden gerissen.“ „Und was passiert dann?“ fragte Norfleet, dem allmählich der Plan klar wurde. „Es gibt nur eine Möglichkeit für das, was jetzt passiert. Die rotierende Erde schleudert das infizierte Stück von sich wie einen schmutzigen Lappen.“ „Allerdings nicht alles bis zum Erdzentrum hin“, fügte Edison hinzu. „Der metallische Erdkern und die tiefliegenden Gesteinskrusten aus harten Felsen widerstehen dieser Kraft. Nur das verwandelte, zersetzte Erdreich wird hinausgeschleudert, da ihr die Bindungskraft an die Umgebung fehlt. Der grüne Schleim aber fliegt hinaus ins Weltall, ballt sich dort infolge der eigenen Schwerkraft zu einer Kugel zusammen und wird als neuer kleiner Mond mit einem Durchmesser von dreißig Kilometern die Erde umkreisen, unschädlich für uns, und begierig sich selbst verschlingend.“ Norfleet schaute zufällig auf den Hof hinaus, wobei er eine Bewegung unter den kurzen Büschen am Rande wahrzunehmen glaubte. Er versuchte aufzuspringen, aber Pasteur hielt ihn am Handgelenk nieder. „Und nun“, sagte Edison, wobei er seine Stimme plötzlich laut und deutlich erklingen ließ, „müssen wir den Zeitpunkt für unsere Aktion ansetzen.“ Norfleet schaute noch immer nach draußen. Irgend jemand machte sich dort zu schaffen. Ein Lauscher? Aber Pasteur raunte ihm zu: „Ja keinen Laut, um Gottes willen!“ „Poge hat geprahlt, daß er seinen großen Coup in sechs Tagen starten will“, fuhr Edison mit lauter Stimme fort. „Aus diesem Grund werden wir ihm zuvorkommen und in fünf Tagen unseren Plan abrollen lassen.“ Ganz bestimmt konnte Edisons dröhnende Stimme bis hinüber zum Wirtschaftsgebäude gehört werden. Norfleet zersprang schier vor Besorgnis, aber Pasteur hielt ihn eisern fest. „Sprich und beweg dich nicht, junger Freund“, zischte er unterdrückt hervor. Auch Madame Curie warf ihm beschwörende Blicke zu, die ihn an seinen Sitz bannten. „Also, bei Tagesanbruch in fünf Tagen“, setzte Edison seine Ansprache fort, „zerstören wir diese furchtbare grüne Plage, und Poge mit ihr. Kurz vorher werden die Wachposten sowie die Säuretankwagen zurückgezogen, damit niemand dabei verletzt wird. Natürlich darf Poge nichts von der Zurücknahme der Streitkräfte erfahren. Und dann – ich wiederhole nochmals: am Morgen des fünften Tages von heute schlagen wir los und werden den Sieg an uns reißen, noch ehe er mit seinen eigenen Maßnahmen beginnen kann.“ Jetzt rannte eine gebückte Gestalt am Wirtschaftsgebäude entlang und verschwand um die Ecke. „Gott sei Dank“, atmete Madame Curie erleichtert auf. „Er ist heil und auf und
davon. Alles geht nun in Ordnung.“ Pasteur ließ Norfleet los, der jetzt von seinem Stuhl aufsprang. „Sind Sie alle verrückt geworden? Das war ein Spion, der uns im Auftrag von Poge belauscht hat, und jetzt ist er mit unserem Plan getürmt!“ Edison und Pasteur drückten ihn wieder in den Stuhl zurück. „Nur ruhig Blut, junger Freund“, sagte Edison, verschmitzt lächelnd. „Der Spion sollte unseren Plan schon mitkriegen. Das Dumme ist bloß, daß nun Poge einen Tag vor uns losschlagen wird…“ „Ja, ja, das ist reiner Irrsinn, ihn das wissen zu lassen“, knirschte Norfleet. „Na, sagen wir, es ist halb so schlimm“, fuhr diesmal Pasteur fort, „denn wir starten nämlich schon in drei Tagen, genau vierundzwanzig Stunden eher, als Poge bereit ist!“ Eine gigantische Operation Der Morgen des dritten Tages graute heran. Inmitten von felsigen Bergen, die mit dürrem Gras, gelegentlichen Büschen und magerem Strauchwerk bewachsen waren, stand eine riesige, verwahrlost aussehende Halle, die früher der Luftwaffe als Hangar für Schleppflugzeuge gedient hatte, die man von den umliegenden Bergen probeweise ins Tal fliegen ließ, um Erfahrung mit ihrer Verwendung im Krieg zu sammeln. Aus dieser Halle hatte das Bodenpersonal den gewaltigen Bewohner herausgeschleppt, der jetzt majestätisch in der Sonne glänzte. Ein enormes Flugzeug, das aber in seiner Form eher an einen Zeppelin als an einen Düsenbomber erinnerte. Es mochte siebzig Meter lang sein und einen Durchmesser von dreizehn Metern haben, Unterseite und beide Enden waren mit Düsen verschiedener Größe bestückt. In einer Seite in der Nähe des Bugs befand sich eine Luke, die nur bei scharfem Hinsehen aus solche zu erkennen war. Das Bodenpersonal hatte sich wieder zurückgezogen, und nur noch fünf Personen standen bei dem mit Atomkraft angetriebenen Flugzeug, drei Männer und zwei Frauen. Madame Curie hob eine Hand in die Höhe. Ihre ernste Stimme klang durch den klaren Morgen: „Und in diesem Augenblick taufe ich dich Tangente.“ Sie schaute die anderen an. „Thomas, Louis, ist alles fertig?“ „Hoffentlich“, brummte Edison, dessen belegte Stimme deutlich seine Erschöpfung erkennen ließ. Sein Gesicht war bleich geworden. Norfleet kam zu ihm, aber Edison machte eine beruhigende Handbewegung. „Ich bin schon in Ordnung“, sagte er fest. „Keine Bange, Oliver. Louis und ich möchten uns trotzdem entschuldigen, da wir jetzt gehen.“ „Sie können nicht beide gehen, gerade jetzt…“, stammelte Norfleet verstört. „Nicht im gleichen Augenblick, Tom!“ „Aber ja“, versicherte ihm Pasteur und legte eine Hand auf Edisons breite Schulter.
„Tom fühlte die beginnende Schwäche schon gestern. Ich war stärker, weil ich durch die letzte Ladung noch Kräfte gesammelt hatte. Ich gab ihm etwas von meinem Blut, eine simple Transfusion, für mich eine Kleinigkeit. Dadurch haben wir unsere letzten Stunden gleichmäßig verteilt und so“, – er lächelte – „gehen wir nun gemeinsam den letzten Weg.“ Caris hatte das alles fassungslos mit angehört und fing jetzt an zu schluchzen. „Gibt es denn gar nichts, damit ihr noch bei uns bleiben könnt?“ stieß sie unter Tränen hervor. „Nein, nichts kann uns aufhalten“, sagte Pasteur wehmütig. „Bringt ihr beiden unser Werk zu einem erfolgreichen Ende! Wir schauen zu, von da oben.“ Beide, Pasteur und Edison, waren bei diesen Worten zusehends durchsichtiger geworden. Norfleet hob die Hände und klammerte sich an den kleinen Franzosen, als versuchte er ihn mit seinen Händen dazubehalten. „Das ist doch unvernünftig. Ich müßte eigentlich doch eher dran sein. Sie sind so viel besser und gütiger, warum können Sie unsere Arbeit nicht vollenden?“ Pasteur schaute ihn mit warmen Augen an, die aus einem geisterhaften Gesicht hervorschauten. Seine zitternde Hand hielt einen versiegelten Briefumschlag, den er jetzt Norfleet reichte, „Das ist für dich, lieber Freund“, flüsterte er schwach. „Wenn du Zeit hast, lies, was ich geschrieben habe…“ Er wurde jetzt so schwach wie Nebel, obwohl sein Gesicht nur wenige Zentimeter von Norfleet entfernt war. Verzweifelt versuchte Norfleet Pasteur zu umklammern, aber der Körper schmolz in seinen Armen dahin. Über Norfleets erhobenen Ellbogen fiel ein leerer Rock. „Edison ist auch gegangen“, sagte Caris schluchzend. Norfleets schaute Madame Curie an. Sein Gesicht war bleich und zeigte seine Erschütterung, aber seine Augen blickten wieder lebendig und zielbewußt. „Auch wir haben vielleicht nicht mehr viel Zeit“, sagte er, wobei er sich zwang, mit fester Stimme zu sprechen. „Ob war beide das Flugzeug manövrieren können?“ „Ja, Thomas Edison hat es doch gesagt“, gab sie zuversichtlich zur Antwort. „Wir haben unsere Anweisungen, und außerdem bringen wir noch Mut und Selbstvertrauen mit. Das müßte eigentlich reichen.“ „Dann kommen Sie.“ Er öffnete die Einstiegluke. Caris Bridge wollte mit einsteigen, aber Norfleet verwehrte ihr den Eintritt „Du bleibst hier.“ Das Mädchen weinte laut auf und versuchte, sich den Eingang zu erzwingen. Er zog sie einige Schnitte vom Flugzeug weg. „Versuch doch zu verstehen, Caris. Meine Tage sind gezählt, vielleicht sogar meine Stunden. Madame Curie geht es ebenso. Wir müssen einfach diesen verzweifelten Einsatz wagen. Du aber hast noch einen langen Lebensweg vor dir. Wenn etwas schief geht, kannst du unsere Arbeit fortsetzen.“ Sie klammerte sich krampfhaft an ihn, wobei ihre dunklen Haare seine Wange streiften. Ihr tränenüberströmtes Gesicht wandte sich ihm zu. „Sag das nicht, Oliver“, bettelte sie. „Auch für dich gibt es noch so viel zu tun. Stirb nicht.“
„Darauf habe ich keinen Einfluß“, sagte er. „Bitte nicht“, weinte sie. „Wenn du mich verläßt, stürze ich mich in den grünen Sumpf!“ Er schüttelte sie heftig, um sie wieder zur Vernunft zu bringen. „Du wirst nichts dergleichen tun“, schalt er sie. „Du wirst leben und weiterkämpfen, wo ich aufhören mußte, verstanden?“ Sie sah ihn an, als ob sie seiner jetzt erst bewußt geworden wäre. Dann küßten sie sich. „Ich bin bereit“, rief Madame Curie aus dem Schiff. Norfleet stieg ebenfalls ein. Es muß bezweifelt werden, daß der erste Start des mit Atomkraft angetriebenen Flugzeuges Tangente besonderes Interesse hervorrief. Der Hangar stand auf einem Gelände, das für militärische Zwecke besonders bestimmt war. Ringsum war es gegen gelegentliche Besucher durch Zäune völlig abgeriegelt. Und in der Luft konnte man das Flugzeug infolge der großen Höhe kaum von einem der vielen Flugzeugtypen unterscheiden, die heutzutage die Lufthülle der Erde durchschwärmten. Im Kommandoraum des Flugzeuges hantierte Norfleet an einem Bedienungspult, das verzweifelte Ähnlichkeit mit der Tastatur einer Kinoorgel besaß. Jede Taste und jeder Druckknopf war mit einer Nummer versehen. Vor ihm lag ein großes Blatt Papier, auf dem eine Nummernfolge mit genauen Zeitangaben aufgezeichnet war. „Es ist ganz einfach“, sagte Madame Curie zu ihm, die einen großen Fernsehbildschirm betrachtete. „Sie müssen nur das vorgezeichnete Navigationsprogramm entsprechend der Codierung ablaufen lassen, dann kann nichts schief gehen.“ „Ich hatte erst ziemliche Bedenken bis zu dem Moment, da ich merkte, wie einfach sie die Bedienung gehalten haben“, bekannte Norfleet. „Ein Kind versteht sogar diese Anleitung.“ „Die Wissenschaft hat die Aufgabe, alles verständlich zu machen und zu vereinfachen“, gab ihm Madame Curie zurück. Sie schob das blonde Haar aus dem Gesicht, als sie sich jetzt anschickte, die Bedienungsknöpfe des Fernsehbildschirmes einzustellen. „Voila, ich bin fertig. Können Sie mal einen Augenblick hersehen?“ Norfleet betätigte erst die erste Serie von Hebeln und Knöpfen, um das Flugzeug zu starten. Dann wandte er sich um und sah nach dem Bildschirm. Er sah ein Stück hügelige Landschaft aus der Vogelperspektive und, darüberschwebend, ein zigarrenförmiges Flugobjekt, das silbern im Licht der Morgensonne glänzte. „Nanu, sehen wir uns selbst?“ fragte Norfleet. „Ja. Der Blickpunkt liegt über uns und erleichtert uns die Navigation beträchtlich. Auch den Blickpunkt selbst können wir verschieben, ihn weiter weg oder näher heran wandern lassen, je nachdem es unsere physikalische Lage erfordert.“ Norfleet schaute nach der Uhr und drückte jetzt die zweite Kombination von Tasten und Hebeln, wie ihm es das Funktionsprogramm vorschrieb. Dabei arbeitete er gewandt, aber doch vorsichtig. Die Atommotoren vibrierten unter dem neuen
Fahrtkommando, und das Flugzeug änderte zusehends Höhe und Fahrtrichtung. „Sehen Sie“, sagte seine Gefährtin. „Unser Ziel kommt in Sicht.“ Wieder warf er einen kurzen Blick auf den Bildschirm. Es zeigte fern am Horizont eine bösartig glühende grüne Linie. Es war der grüne Schleim. Wieder betätigte er neue Knöpfe und Tasten. Das Videobild zeigte, wie sie jetzt abermals den Kurs änderten und entlang der Grenze des befallenen Gebietes flogen, von denen sich heimlich und unbeobachtet die Posten und Tankwagen zurückgezogen hatten. „Sind wir genau in Position?“ fragte er Madame Curie. „Warten Sie… Ja. Jetzt können wir das Neutronium ausfallen lassen.“ Sie zog einen beschrifteten Hebel nieder, und Norfleet hörte, wie sich andere Maschinen in das Dröhnen der Atommotoren mischten. Ab und zu konnte er einen Blick auf den Bildschirm werfen und sehen, wie sie genau an der Grenze des grünen Befalls entlangflogen. „Ich kann aber kein ausfallendes Neutronium sehen“, sagte Norfleet nach einer Weile. Madame Curie schüttelte den Kopf. „Neutronium ist durchsichtig“, sagte sie. „Aber es fällt. Sehen Sie nach unten.“ Der Schirm zeigte ihm den wohlvertrauten Anblick der verbrannten Erde rings um das grüne Gebiet. Hinter ihnen aber zog sich darin eine scharfbegrenzte schwarze Linie her. „Wir schneiden jetzt das Zeug aus dem umgebenden Boden heraus“, sagte die ruhige Stimme neben ihm. „Nein, nicht die Geschwindigkeit erhöhen. Das Neutronium muß sich ohne jede Lücke durch das Erdreich fressen.“ Norfleet konnte sich darauf verlassen, daß das Flugzeug den befohlenen Kurs einhalten würde und wandte jetzt seine Aufmerksamkeit völlig dem Fernsehbildschirm zu. Gleichmäßig zogen sie ihre Bahn und hinter ihnen pflügte das Neutronium eine scharfe Furche, die tief und tiefer drang. Norfleet stellte sich vor, wie diese unvorstellbar schweren Materieteilchen auf die Erde auffielen und infolge ihres Gewichtes durch alle Materie hindurchsanken, so, als ob sie nur dünnes Gas wäre. Tiefer und Tiefer würde das Neutronium fallen, und erst im Mittelpunkt der Erde konnte es zum Stillstand kommen. Dort, wo die Erde immer noch ihre Geheimnisse jedem menschlichen Zugriff verborgen hielt. Eine Stunde verging. Eine zweite folgte. „Wir sind wieder an unserem Ausgangspunkt angekommen“, sagte Madame Curie. Es stimmte. Voraus erschien wieder der schwarze Streifen, der von dem Neutronium stammte. Marie Curie stellte das Neutroniumaggregat ab. Das Gedröhn der Maschinen verstummte. „Nun müssen wir zum Zentrum fliegen“, sagte sie zu Norfleet, und er begann, die nächste Serie von Tasten und Hebeln zu bedienen. Das Flugzeug zog steil empor und gewann rasend an Höhe. Bald war es jedem zufälligen Beobachter entschwunden, der es womöglich gesehen hatte. Als es fünfzig Kilometer Höhe erreicht hatte, löste er ein neues Flugmanöver aus. Jetzt blieb das Flugzeug still an einem Ort stehen, der genau mit dem Mittelpunkt des befallenen
Gebiets zusammenfiel. Durch ein starr eingebautes Zielgerät mit Fadenkreuz kontrollierte Madame Curie die exakte Position, nach dem kleine Korrekturen von Norfleet nach ihrer Anweisung vorgenommen worden waren. „Gut“, sagte Marie Curie. „Ich richte jetzt das Antigravitationsfeld aus.“ Dabei bewegte sie eine Maske in ihrem Zielgerät so lange, bis sie mit dem grünen Fleck auf der Erdoberfläche in den Umrissen übereinstimmte. Norfleet hatte das Manöver durch ein zweites Okular überwacht. Jetzt rief er aus: „Langsam, so können wir es lassen!“ „Gut“, antwortete sie und griff nach einem anderen Schalter. „Beobachten Sie bitte den Bildschirm.“ Auf dem Bildschirm konnte man das Flugzeug von oben sehen, wie es einen bläulich strahlenden Kegel nach unten schickte, der mit den Umrissen der Maske im Zielgerät übereinstimmte. „Die Antigrav‐Strahlen?“ fragte er. „Ja. Sie überdecken jetzt genau das infizierte Land.“ All das konnte Norfleet genau auf dem Bildschirm verfolgen. Die Erde mußte jetzt unten unter dem Ansturm der Strahlen beben und in ihren Grundfesten wanken. Und dann sah man ein schattenhaftes riesiges Gebilde wie brodelndes Wasser nach oben schießen. Norfleet speicherte die letzten Befehle in das Kommandopult ein. Jetzt flog das Flugzeug tangential von der Erde weg und hinter ihm flog ein riesiger Klumpen, der infolge seiner Schwerelosigkeit immer höher und höher stieg. „Schauen Sie zur Erde hinunter“, rief Madame Curie ihm zu. „Die schwarze Fläche auf der Erde ist das ungeheure Loch, das wir in den Boden gerissen haben. Dort saß der grüne Befall. Wir haben das Geschwür entfernt!“ „Und fliegen wir jetzt in dien Weltraum hinein?“ fragte Norfleet. Der Gedanke ließ ihn nicht erschauern. Er hatte mit dem Leben abgeschlossen. Ihre bleichen Lippen lächelten jedoch, und sie schüttelte ihren blonden Lockenkopf. „Nur das Schiff fliegt weiter, uns braucht man nicht mehr. Wir kehren zur Erde zurück.“ Sie legte einen Schalthebel um. Ein schüttelnder Schlag durchfuhr Norfleet. Er verlor scheinbar sein Gewicht und taumelte schwerelos in der Kabine hin und her. Er beruhigte sich rasch wieder. „Ich habe die Kabine vom Flugzeug getrennt“, sagte Madame Curie. „Wir fallen auf die Erde zu, und bald wird ein Fallschirm den letzten Teil unserer Reise übernehmen. Nicht mehr lange, und wir werden auf einer Erde landen, die frei von dem furchtbaren Parasiten ist, der sie zu vernichten drohte.“ Seine Aufgabe war also erfüllt, erfolgreich beendet. Als er mit der Hand in die Hosentasche fuhr, stieß er auf den Briefumschlag, den ihm Pasteur gegeben hatte. Er holte ihn heraus und riß ihn auf. Er glättete den Briefbogen und begann zu lesen. „Oliver Norfleet, mein lieber Freund! Wenn Sie diesen Brief öffnen, hoffe ich, daß wir in diesem Augenblick gesiegt haben. Wenn ich auch den Brief vor dem Start des Flugzeuges schrieb, glaube ich doch fest daran, daß
unserer gerechten Sache kein Mißerfolg beschieden sein kann. Jetzt ist auch der Zeitpunkt gekommen, zu dem ich ein Geheimnis lüften will, über das wir Sie immer im Unklaren gelassen haben, damit Sie mit größerer Gelassenheit Ihre Aufgaben erfüllen konnten. Spencer Poge tötete Sie nicht, obwohl wir Ihrer Meinung darüber nicht entgegentraten. Ihr Leben verdanken Sie keinesfalls der Lebenskraft der grünen Kernsubstanz. Darwin und ich erreichten Poges Bollwerk und entrissen Sie seinen Armen. Sie können höchstens einige Sekunden bewußtlos gewesen sein. Dann hielten wir die finsteren Gestalten mit Säure in gehöriger Entfernung und machten uns mit dem Hubschrauber auf und davon. Durch den vorbeizischenden Strahl hatten Sie zwar einen schweren Schock erlitten, aber der Schädel war nicht verletzt. Nach zwei Tagen schweren Fiebers erwachten Sie wieder. Im Fieber redeten Sie immer davon, wie wichtig der grüne Schleim für uns wäre, damit wir am Leben blieben, und um diese Gewissenskonflikte zu umgehen, machten wir Ihnen weis, daß Sie unser Schicksal teilen würden. Sie wissen, daß uns das gelang, allerdings mußten wir bei der Attacke auf die Wohnwagen aufpassen, daß Sie nichts von dem Zeug aus den Zerstäubern abbekamen, sonst wäre es um Sie geschehen gewesen. Sie werden also unbeschwert als normaler Mensch noch Ihre Lebensspanne durchmessen können. Genießen Sie dieses Leben, arbeiten Sie hart und denken Säe manchmal ein wenig an uns, die wir Sie alle gemocht haben, Newton, Darwin, Edison, Marie Curie und Ihr Freund Louis Pasteur.“ Norfleet beendete die Lektüre und starrte dann stumm und gedankenverloren vor sich hin. Währenddessen schwebte die Kabine langsam dem Erdboden entgegen. Jemand berührte leicht seinen Arm. Es war Marie Curie. „Alles Gute!“ hauchte sie leise, dann wurde auch sie durchsichtig und entschwand, wobei ihr letztes Lächeln noch eine Weile im Raum hängen zu bleiben schien. Er schaute sich um. Marie Curie war gegangen. Norfleet stand allein in der Kabine, allein mit der Last des Sieges beladen. Ihm schien die Verantwortung riesenschwer, die er jetzt tragen mußte, und er mußte die Tränen verbissen zurückkämpfen, die ihm das erste Mal seit seiner Kindheit in die Augen stiegen. Aber war er wirklich allein? Vielleicht war es nur seine überhitzte Phantasie, aber er fühlte, daß sie alle um ihn herum waren, wenn er sie auch nicht sehen konnte. Er sah sie im Geiste um sich herumstehen, der alte Darwin, sich mit der Hand an seinem Bart zupfend, der kleine bewegliche Franzose Louis Pasteur, der seinen glänzenden Geist häufig für kleine Scherze benutzte, dann Edison, der seine buschigen Augenbrauen zusammenzog, wenn er über einem Problem brütete, Sir Isaac Newton, der Edelmann aus dem glücklichen alten England, dessen Höflichkeit und Ritterlichkeit auch heute nicht ihren Eindruck verfehlten, und schließlich Marie Curie, die ihn als letzte verlassen hatte. Sie alle würde er nie vergessen können. Er spürte, daß sie ihn wie gute Geister umgaben und ihn leiteten… Der Fernsehempfänger arbeitete noch. Auf ihm konnte er die entgegenstürzende Erde erkennen. Er näherte sich einer flachen Ebene, die prärieähnlichen Charakter besaß. Am Horizont sah man eine riesige schwärzliche Grube, das mußte das Gebiet
sein, wo der grüne Schleim die Erde befallen hatte. Jetzt mußte es eine entsetzliche wüste Schlucht sein, aber die Jahre würden die Hänge ebnen, Gras würde wachsen, und allmählich würde auch wieder dieses Gebiet liebliche Züge annehmen, wenn auch darüber noch Jahrzehnte vergehen mochten. Aber noch Jahrhunderte würde dieses Loch ein Mahnzeichen sein, das an die Zeit erinnerte, da die Erde bald zugrunde gegangen wäre. Er drehte den Fernsehempfänger himmelwärts. Dort konnte man deutlich einen kleinen grünen Ball sehen – den Satelliten der Erde, der aus dem infizierten Gebiet bestand. Gleichzeitig war es der Aufenthaltsort von Spencer Poge, natürlich nur, wenn er noch lebte. Es war gar nicht so unwahrscheinlich, daß Poge diese Gewaltkur überstanden hatte. Die chemischen Fähigkeiten der grünen Substanz waren enorm. Vielleicht hatte sie eine atembare Gashülle ausgeschieden, wer kannte das wissen? Aber Poges Zukunft konnte der Erde keinen Schaden mehr bringen, die ihn davongeschleudert hatte. Norfleet dachte an die Flut von Interviews und Konferenzen, die er über sich ergehen lassen würde. Und dann dachte er an Caris. Sie wartete auf ihn in Fort Riley, wobei sie sicher zwischen Furcht und Hoffnung hin und her gerissen wurde. Jetzt würden sie Zeit haben, über die Zukunft zu reden, die nun rosiger als noch vor wenigen Stunden aussah. Die Kabine setzte auf. Norfleet atmete befreit auf und kletterte hinaus. ENDE