Klaus Störtebeker Band 3 Gestrandet vor Heiligland von Gloria von Felseneck Er trotzte gewaltigen Stürmen und Gefahren ...
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Klaus Störtebeker Band 3 Gestrandet vor Heiligland von Gloria von Felseneck Er trotzte gewaltigen Stürmen und Gefahren auf hoher See. Wenn eine schöne Frau in Not geriet, konnte er der galanteste Retter sein...
Josef Hitschler war in der letzten Nacht friedlich und im gesegneten Alter von 72 Jahren gestorben. Obwohl dünn wie eine Bohnenstange, hatte er zeitlebens alles in sich hineinstopfen können, was seine drei Frauen und seine Mägde gekocht und gebacken hatten. Kein einziges Pfund hatte er bei dieser Schlemmerei zugenommen und sich kurz vor seinem Ableben noch gebrüstet, kerngesund zu sein. Der Genuss von Gänseleberpastete, gebratenem Ziegenfleisch, eingelegter Ochsenzunge sowie Spanferkel mit Krabben, heruntergespült von zahlreichen Bechern Wein, war dann doch wohl zuviel für seinen Körper gewesen. Der Metzgermeister aus Nassenbach hatte im Anschluss an dieses Festmahl nur den Bauch pflegen und seinen Rausch ausschlafen wollen und war davon nicht wieder erwacht. Seine Familie - vier Kinder aus erster, drei aus zweiter Ehe, deren Familien sowie seine dritte, erst zwanzigjährige Frau - trauerten nicht um ihn, denn der Alte war ein Geizhals und ein Tyrann gewesen. Und doch hatten sie, wie es sich gehörte, den Verstorbenen im Eingangsbereich des Hauses, in der großen Diele, aufgebahrt, hatten Blumen gestreut und Kerzen angezündet, damit Dämonen und böse Geister vertrieben wurden und jedermann von ihm Abschied nehmen konnte. Die Kunde vom Tod des Metzgers verbreitete sich wie ein Lauffeuer und zog auch zahlreiche Leute aus der Nachbarschaft ins Haus. Die meisten waren allerdings nur neugierig, denn Josef Hitschler hatte nicht nur eine Metzgerei besessen, sondern auch ein Gut vor den Toren der Stadt und mehrere Geschäfte. Er galt als sehr vermögend und man wollte doch gar zu gern sehen, in welchem Luxus er gelebt hatte. Man wurde jedoch sehr enttäuscht. Nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass in diesem Haus ein reicher Mann gewohnt hatte. Man kam allerdings auch nur bis in die schlichte Diele, in der es außer dem so sanft Entschlafenen nicht viel zu sehen gab. Der eine oder andere der mitfühlenden Besucher hatte gehofft, er würde von den Hinterbliebenen zu einem kleinen Umtrunk zu Ehren des Metzgers geladen, doch auch hier irrte man sich. Rufus und Max Hitschler, die beiden ältesten Söhne, fanden zwar schöne Worte und schienen genauso wie die übrigen Kinder und Enkel 4
fassungslos zu sein, die Gebote der Gastfreundschaft waren ihnen jedoch vollkommen entfallen. »Wir hätten den Leuten etwas anbieten sollen«, sagte die junge Witwe eben zaghaft. »Als mein Vater gestorben ist, haben wir es so gehalten und...« »So etwas hätte unser seliger Papa bestimmt nicht gewollt«, wurde sie von Rufus mit leiser Stimme unterbrochen. »Du weißt doch, liebe Martha, wie sehr er die Bescheidenheit und Mäßigkeit liebte.« »Natürlich, Rufus«, antwortete sie mit belegter Stimme und setzte in einem Gemisch aus Bitterkeit und Spott hinzu: »Aber du erlaubst doch sicher, dass ich mich jetzt wieder zu meinem Mann setze und von ihm Abschied nehme?« »Das ist dein Recht und deine Pflicht«, säuselte der fünfzigjährige Kaufmann. »Bete nur für das Seelenheil unseres lieben Vaters. Wir werden dich ganz gewiss nicht dabei stören.« Martha erwiderte nichts. Sie stand auf und verließ den Kreis der Familie, die sowieso nicht ihre Familie war. Sie hatte niemanden mehr, der zu ihr gehörte. Der Vater war vor einem guten Jahr gestorben und ihre Mutter hatte vor kurzem wieder geheiratet und war mit ihrem neuen Gemahl nach Franken gezogen. Eine Hilfe war sie ihr ohnehin nie gewesen. Sie hatte immer nur das gemacht, was ihr Mann anordnete und hatte auch nicht aufbegehrt, als dieser das einzige Kind mit einem alten Mann verheiratete. Die junge Frau seufzte leise und setzte sich nun auf einen Schemel, der unmittelbar neben dem Sarg stand. Hier würde ihr Platz bis zur Beisetzung sein - und hier war sie auch meistens allein. Rufus, Max, Meta, Teresa und alle die anderen hielten sich in der zugigen Diele nur selten auf. Sie saßen lieber in der weiträumigen beheizbaren Kemenate und schienen dort zu trauern. Martha glaubte ihnen allen nicht so recht, waren sie doch dem verblichenen Familienoberhaupt im Wesen mehr oder weniger viel zu ähnlich. Josef war ein Despot gewesen, in manchen Stunden jedoch geradezu besessen von ihr, seiner jungen Frau und dann so zugänglich wie selten. Wenn er neben ihr gelegen und ihren Körper gestreichelt hatte, versprach er ihr oft, sie in seinem Testament großzügig zu bedenken, 5
weit über das hinaus, was ihr gemäß Heiratsvertrag zustand. Hoffentlich hat er das nicht gemacht, dachte sie beklommen. Wenn er mich so
bevorzugt haben sollte, dann werde ich hier im Haus die Hölle auf Erden haben. *
Julius Havemann, Advokat und langjähriger Freund des Metzgers, hatte, wie es Brauch war, noch auf dem Friedhof den letzten Willen des Verstorbenen verlesen. Dabei war ihm nicht entgangen, dass die Gesichter seiner Kinder und Kindeskinder trotz der beträchtlichen Hinterlassenschaft immer länger geworden waren. Rufus hatte als ältester Sohn immerhin das Gut und die Metzgerei geerbt, hatte aber die übrigen Geschwister an den Einnahmen zu beteiligen. Es ging niemand leer aus und doch sah es so aus, als würde man den Aufschrei der Empörung nur mühsam unterdrücken können. Der Rechtsgelehrte sah die verkniffenen Mienen, sah die Wut und die echte Fassungslosigkeit und fragte sich, was sich sein alter Freund bei diesem Testament wohl gedacht hatte. Nun, gedacht hatte er wahrscheinlich nicht allzu viel, er hatte wohl eher seine Sinne zu Rate gezogen. Lüstern, wie Josef zeitlebens gewesen war, war er anscheinend mit seiner jungen Frau in dieser Hinsicht so zufrieden gewesen, dass er ihr außer ihrem Witwenerbe noch einen großen Teil seines Vermögens und das Stadthaus, indem er in den letzten Jahren ständig gewohnt hatte, zu ihrer eigenen Verfügung hinterließ. Vielleicht hatte er auch etwas ganz anderes zum Ausdruck bringen wollen. Doch wer wusste das schon? Aber es war in jedem Fall ein teuflisches Erbe und würde der jungen Frau wahrscheinlich nur Unheil bringen. Schließlich kannte er, Julius Havemann, das neue Familienoberhaupt gut genug und wusste, dass dieses rücksichtslos vorgehen würde, wenn es sich benachteiligt fühlte. Aber es war nicht seine Sache, darüber zu richten oder sich einzumischen. Martha stand wie erstarrt da und wagte nicht, Rufus und die anderen anzusehen. Sie, die aus bescheidenen Verhältnissen kam, die in 6
der Ehe mit Josef Hitschler nur demütig und willig hatte sein müssen, war plötzlich reich und demzufolge unabhängig. Ihr gehörte das schöne Fachwerkhaus allein, der gesamte Hausrat, der schöne Schmuck, die Leinenvorräte und die Hälfte des Geldes. Sie spürte die hasserfüllten Blicke ihres ältesten Stiefsohnes - Rufus war der Schlimmste von allen - und hoffte doch, dass er sich mit diesem Testament allmählich abfinden würde. Es blieb den Kindern doch noch genug übrig. Sie hatten alle hier in Nassenbach und Umgebung ihre Häuser und ihr Auskommen. Ihre Hoffnung wurde jedoch schon am gleichen Abend zunichte gemacht, genau in dem Augenblick, als Max Hitschler verständnislos sagte: »Ich verstehe unseren Herrn Vater nicht. Was mag er sich nur dabei gedacht haben, uns - seine Kinder - beim Erbe so zu vernachlässigen?« »Dafür gibt es nur eine einzige Erklärung«, erwiderte Rufus kalt. »Er war von Martha besessen, weil sie ihn verhext hat.« »Onkel Rufus, wisst Ihr eigentlich, was Ihr da sagt?«, rief Teresa, die jüngste Tochter von Max. »Der Großvater war vielleicht nur nicht richtig bei Verstand. Er war ja schon alt und hat nicht mehr gewusst, was er tat.« »Genauso ist es«, bestätigte Rufus Hitschler und blickte jeden einzelnen in der Runde streng an. »Er war nicht bei Sinnen, weil er verzaubert worden ist. Und so etwas kann nur eine Hexe zustande bringen, eine Frau, die mit dem Teufel im Bunde ist. Martha war unserem verehrten Papa scheinbar ergeben, um so an seine Güter und sein Vermögen zu gelangen. Anschließend hat sie den zwar alten, aber völlig gesunden Mann mit ihren Zaubertränken vergiftet. Erinnert euch, Papa hat sich bis zu seinem letzten Tag gesund gefühlt. Und ihr wisst auch, was nun geschehen wird, wenn wir diesem Satansweib nicht Einhalt gebieten.« Die Familienmitglieder, es waren insgesamt über dreißig, waren bestürzt, ängstlich, erschrocken und manche so naiv, dass sie gar nicht begriffen, was Rufus Hitschler eben ausgesprochen hatte. »Was wird denn geschehen?«, hauchte Meta, seine Frau und wurde sehr blass. 7
»Sie wird uns allen schaden, wo sie nur kann. Sie wird die Ernte und die Gartenfrüchte verderben, die Tiere sterben lassen, uns die Pest wünschen und den Teufel über uns bringen. Ihr werdet schon sehen.« »Dieses Weib muss aus dem Haus... sofort!«, kreischte Konstanzia, die älteste von Josefs Töchtern und bekreuzigte sich mehrmals. »Sie ist eine Hexe! Seht doch, sie hat die Zeichen des Satans bereits im Gesicht.« Diese vermeintlichen Zeichen waren rote Flecken, die sich vor Angst und Aufregung auf Marthas Wangen und am Hals gebildet hatten. »Ich... bin doch... keine Hexe«, flüsterte sie mit ersterbender Stimme und blickte alle fassungslos an. »Hexen gibt es doch... gar nicht.« »Natürlich gibt es die«, ereiferte sich Roderich, der mittlere Sohn. »Erst vor wenigen Wochen hat uns der Bischof eindringlich gewarnt, besonders vor Frauen mit einem schwachen Charakter und zügelloser Begierde. Die verfallen dem Teufel am schnellsten. Und du bist auch so eine. Rufus hat recht. Du bist nur unser Verderben und solltest im Gefängnis für deine Sünden büßen.« »Onkel Roderich!«, schrie Teresa aufgebracht. »So etwas könnt Ihr doch nicht wollen. Martha gehört doch zu uns. Und über Großvaters Erbe kann man sich doch einigen.« »Mit so einer Gottesleugnerin macht man keine Geschäfte, meine liebe Nichte«, erwiderte Roderich Hitschler in belehrendem Ton. »Weißt du denn nicht, dass jeder angeklagt werden kann, der eine Hexe nicht ihrer gerechten Strafe zuführt?« Das junge Mädchen sagte nun nichts mehr. Es wandte sich ab und verließ den Raum, während die anderen ohne jedes Mitleid zuschauten, wie Rufus und Max Hitschler die sprachlose und vollkommen verstörte Martha aus dem Zimmer zerrten. Sie sagten auch nichts, als die beiden sich kurz darauf zum Grafen von Brackmühlen fahren ließen, um die Hexe beim ihm, als zuständigem Gerichtsherrn, anzuzeigen. * 8
Teresa war nicht nach Hause gegangen, wie sie es ursprünglich vorgehabt hatte. Nach kurzem Überlegen hatte sie geahnt, wohin man die arme Martha schaffen würde. Der Weinkeller war schon immer der Ort gewesen, wo störrische Familienangehörige, darüber nachzudenken hatten, wer hier der Herr im Haus war und wem sie blinden Gehorsam schuldeten. Bis vor wenigen Tagen war es noch der Großvater gewesen, dessen Herrschaft man anzuerkennen hatte. Jetzt war es Onkel Rufus, den sie insgeheim verachtete, aber auch fürchtete. Sie selbst hatte oft stundenlang in diesem Keller ausharren müssen, wenn sie sich geweigert hatte, die Befehle ihres Großvaters zu befolgen. Sie hatte jedoch bald eine Möglichkeit gefunden, sich die Haft erträglicher zu machen, nämlich einen Zweitschlüssel, den ihr der alte Jakob angefertigt hatte. So hatte sie ihr Gefängnis immer heimlich verlassen können, um zur Küche zu schleichen und sich dort wenigstens eine kleine Mahlzeit zu besorgen. Wie gut, dass sie diesen und inzwischen noch andere Zweitschlüssel immer noch bei sich trug. Niemand wusste, dass sie diese besaß, auch ihr Vater nicht. Hinter einem Holzstapel verborgen, hatte sie vorhin beobachtet, wie Onkel Rufus die völlig gebrochene Martha in den Keller stieß, diesen verschloss und dann mit ihrem Vater wieder ging. Kurz darauf sah sie durch eines der Kellerfenster, wie die beiden wegfuhren. Sie konnte sich denken, wohin. Und sie wusste auch, was die anderen jetzt taten. Statt nach Hause zu gehen, saßen sie wahrscheinlich lamentierend, betend oder ängstlich zusammen und warteten darauf, dass die Schergen des Grafen die Hexe abholten. In den Keller würde so schnell niemand kommen. Man hatte ja Angst und konnte obendrein in Verruf kommen. Zum Glück waren bis zur Burg mehrere Meilen zurückzulegen. Das war gut, weniger gut war, dass ihr noch nicht eingefallen war, wo sie Martha nach ihrer Befreiung verstecken konnte. Im Hause ihres Vaters war das unmöglich. Ja, wenn ihre Mutter noch leben würde, die hätte sicher einen Ausweg gefunden. Doch halt! Sie erinnerte sich plötzlich an Albrecht Warin, den Goldschmied und Juwelier, dessen Anwesen in unmittelbarer Nähe lag. Ihr Vater und Onkel Rufus mochten ihn nicht, 9
weil er sie einmal öffentlich angeprangert hatte, ihr Gesinde außerordentlich schlecht zu behandeln und nicht ausreichend zu entlohnen. Vielleicht besaß dieser Mann auch genug Mut, um Martha zu helfen. Inzwischen war es Abend geworden, ein milder Abend im beginnenden Frühling, der bald seine Dunkelheit über das Land breiten würde. Teresa verließ nun ihr Versteck, nahm sich eine scharfe Feile und eine Säge, die zum Glück hier lagen und eilte zum Weinkeller. Die Tür war schnell aufgeschlossen. Und ebenso schnell war sie bei Martha, die damit begonnen hatte, sich das Gewand zu zerreißen. »Was soll denn das?«, flüsterte Teresa schockiert. »Ich will mich aufhängen. Das ist besser, als unter der Folter oder auf dem Scheiterhaufen zu sterben.« Martha sagte das tonlos und riss einen weiteren Streifen von ihrem Kleid ab. »Lass das! Hilf mir lieber! Wir haben nicht viel Zeit.« Teresa nahm ihr die Stoffstreifen fort, drückte ihr statt dessen die Feile in die Hand und ordnete resolut an: »Wir müssen das Fenster wenigstens soweit kaputt machen, damit es so aussieht, als wärest du geflohen.« »Du willst mir helfen? Warum?« Martha starrte sie an, als wäre sie nicht von dieser Welt. »Weil ich ein Gewissen habe. Und weil du unschuldig bist.« »Man wird dich auch anklagen.« »Wird man nicht, wenn wir uns beeilen. Nun mach schon!« Teresa hatte bereits zwei Holzleisten durchgesägt und ermunterte Martha, endlich die Feile einzusetzen. Nun doch überzeugt, dass es noch Hilfe gab, arbeitete die junge Witwe schnell und gründlich, so dass es nicht lange dauerte, bis man durch das Fenster hätte kriechen können. »So, das reicht.« Teresa legte das Werkzeug wieder dorthin, wo sie es gefunden hatte, nahm dann Martha bei der Hand, verließ mit ihr den Weinkeller und schloss diesen ab. Danach eilten die beiden Frauen durch die Hintertür aus dem Haus. In der Dunkelheit waren sie nur Schatten, die niemand beachtete. * 10
Albrecht Warin hatte vor wenigen Minuten zu Abend gegessen und schlenderte nun durch den Garten, so wie er es oft zu tun pflegte. Er dachte über seine Geschäfte nach und war so in Gedanken versunken, dass er die beiden Frauen erst sah, als sie nur wenige Schritte von ihm entfernt waren. »Jesus... Maria... was wollt Ihr denn?«, stammelte er und starrte Martha und Teresa Hitschler entgeistert an. »Bitte helft uns und habt Erbarmen!«, flehte Teresa leise. »Die Verwandten wollen die Witwe meines Großvaters als Hexe auf den Scheiterhaufen bringen. Versteckt sie, wenn Ihr könnt... bis ich eine Lösung gefunden habe, sie vor diesem Schicksal zu bewahren.« Der Goldschmied blickte in Marthas bleiches Gesicht, er sah Angst, Grauen und Entsetzen darin. Und er sah Teresa, eine junge Frau, die ihm nicht gleichgültig war und die sich jetzt ebenfalls in große Gefahr begeben hatte. »Kommt«, sagte er ruhig zu Martha. »In meinem Haus seid Ihr sicher. Das schwöre ich bei unserem Herrgott. Und Ihr«, er wandte sich nun an Teresa, »Ihr kehrt unverzüglich nach Hause zurück. Und kommt erst wieder, wenn ich Euch ein Zeichen gebe.« Sie blickten sich an - forschend und prüfend. Dann murmelte Teresa: »Ich danke Euch, Albrecht Warin. Ihr seid ein gütiger und aufrechter Mann.« Anschließend umarmte sie Martha und verließ dann den Garten, während Albrecht Warin mit der Witwe zum Haus ging, wo er sie zu seiner Mutter führte und leise zu dieser sagte: »Niemand darf wissen, dass sie hier ist. Es könnte uns alle das Leben kosten.« Die Alte fragte nicht, sie nickte nur zustimmend und wollte die Hand der Geretteten nehmen, um sie zu dem geheimen Raum zu bringen, der sich unmittelbar neben ihrer Schlafkammer befand. In diesem Augenblick brach Martha ohnmächtig zusammen. Sie merkte nicht mehr, wie der Goldschmied sie auf seine Arme nahm und fort trug. Erst viel später, als es ihr etwas besser ging und sie im Bett lag, sagte sie schluchzend zu seiner Mutter: »Ich danke Euch sehr, Euch, Eurem Sohn und Teresa. Glaubt mir, ich bin keine Hexe und will niemandem etwas Böses.« 11
»Das wissen wir doch, junge Frau«, erwiderte Gunde Warin in beruhigendem Tonfall. »Wir kennen doch Rufus Hitschler und seine Sippe.« Teresa kannte ihren Onkel auch und war deshalb zum Haus ihres Vaters gelaufen. Dort holte sie sich aus der Küche ein halbes Brathühnchen, aß es auf und saß nun in ihrer Kammer und tat so, als würde sie in ihrem Gebetbuch lesen. In Wirklichkeit überlegte sie fieberhaft, wie sie Martha auch weiterhin helfen konnte. Ihr war vollkommen klar, dass auf sie selbst auch nicht der geringste Verdacht fallen durfte. Onkel Rufus war ein Fanatiker und würde in seinem Aberglauben und religiösen Wahn auch in der eigenen Nichte eine Teufelin und Hexe sehen. »Hier bist du also.« Tante Elfleda hatte geräuschlos den Raum betreten und blickte sie mahnend an. »Warum bist du nicht bei uns und wartest, bis dein Vater und dein Onkel zurückkommen?« »Ich hatte Hunger und Durst. In Großvaters Haus wird einem ja weder Speise noch Trank angeboten.« »Wie kannst du an so etwas denken, wenn eine Hexe im Haus ist?« »Was hat die Hexe mit meinem Appetit zu tun?«, fragte Teresa schnippisch zurück. »Es mag ja sein, dass ihre Anwesenheit so manchem auf den Magen schlägt, mir jedoch nicht. Deshalb bin ich nach Hause gegangen und habe mir aus der Küche etwas zum Essen geholt.« Elfleda Hitschler, die Frau des jüngsten Sohnes, schaute auf den Teller mit den abgenagten Knochen und schüttelte dann verständnislos den Kopf. Laut sagte sie jedoch: »Es ist besser, du kommst jetzt mit. Es ist wichtig, dass wir alle zugegen sind, wenn die Hexe abgeführt wird.« »Ja, Tante Elfleda.« Teresa erhob sich gehorsam und folgte ihr zum Haus des Großvaters. Da seit Marthas ›Entlarvung‹ inzwischen Stunden vergangen waren, hatte sich die Familienrunde doch ein wenig aufgelöst. Man war hin und her gelaufen und hatte sich notgedrungen auch um das Vieh kümmern müssen, das man in den Ställen zu stehen hatte. 12
Als Rufus und Max jedoch wiederkamen, die Soldaten des Grafen im Schlepptau, waren alle vollzählig in der Diele versammelt. Das neue Familienoberhaupt nickte daraufhin sehr zufrieden vor sich hin. So war es richtig, so musste es sein. Sie hatten vor ihm zu kuschen, hatten demütig und dankbar zu sein, dass er den Besitz der Familie zusammenhielt und nicht eine dahergelaufene Dirne daran beteiligte, eine Ketzerin, die den seligen Vater mit einem Zauberbann belegt und ihn zu bösen Handlungen veranlasst hatte. »Kommt, gehen wir in den Weinkeller. Dort haben wir das Teufelsweib eingesperrt.« Rufus Hitschler, von der Wichtigkeit der eigenen Person überzeugt, marschierte voran, einen Leuchter mit brennenden Kerzen in der Hand. Alle anderen folgten ihm wie eine Herde Lämmer, auch Teresa, der es gut gelang, die Unbefangene zu spielen. »Nun schaut Euch die Hexe an!« Rufus öffnete die Tür zum Weinkeller selbst und machte eine lässige Handbewegung. Doch die vier Soldaten blieben schon nach wenigen Schritten abrupt stehen. »Die Hexe ist geflohen«, erklärte einer von ihnen verärgert. »Seht doch, das Fenster ist zerstört worden.« Rufus konnte es nicht fassen. Er stürzte in den Keller hinein, rannte hin und her, untersuchte jeden Winkel und starrte schließlich aus dem Fenster. »Sie kann durch diese schmale Öffnung doch gar nicht entflohen sein«, krächzte er. »Das ist doch beinahe unmöglich...« »Sie ist eine Hexe, lieber Rufus«, erinnerte ihn Elfleda weinerlich. »Und die können doch alles. Die können auch dicke Holzstäbe mit bloßen Händen durchbrechen und wie Rauch durch schmale Öffnungen kriechen.« »Wir müssen sie finden. Sie kann nicht weit gekommen sein.« »Rede keinen Schwachsinn, Max!«, schrie Rufus unbeherrscht. »Es sind Stunden vergangen, seitdem wir das Weib hier eingesperrt haben. Es kann inzwischen schon längst über alle Berge sein. Habt ihr irgend etwas gesehen?« Damit meinte er die Familie, doch die sah sich betreten an und Elfleda klagte einfältig: »Aber Rufus, du nimmst doch nicht etwa an, dass wir uns in die Nähe dieses Frauenzimmers gewagt haben. Wir müssen doch an unser Seelenheil denken. Außerdem sind wir nicht so stark wie du. Die Hexe hätte uns ja etwas antun können.« 13
»Sie wird zum Habichtsberg geflüchtet sein«, vermutete einer der Soldaten. »Man sagt, dass dort der Hexentanzplatz ist. Oder sie ist auf einem Besen direkt zur Hölle gefahren.« »Mag es sein, wie es will«, meinte ein anderer. »Da sie hier nicht mehr ist, haben wir in diesem Haus nichts mehr verloren. Wir werden in der Umgebung nach ihr suchen. Gebt uns Nachricht, wenn sie hier wieder auftauchen sollte.« »Selbstverständlich«, versicherte Rufus Hitschler den Kriegern. »Gemeinsam wird es uns schon gelingen, das Weib zu fassen.« Die Söldner antworteten nicht. Sie hatten einen langen Tag hinter sich und sehnten sich nach Ruhe und einem deftigen Essen. Mit ihren Rüstungen und ihren Sporen klirrend verließen sie das Haus - und einen wütenden Hausherrn. * »Wer von euch hat das Frauenzimmer befreit?«, schrie Rufus, nachdem die Büttel des Grafen Brackmühlen davon geritten waren. »Einer von euch oder jemand von der Dienerschaft muss es gewesen sein.« Teresa wurde mulmig in der Magengegend, aber sie beruhigte sich sofort wieder, weil Tante Konstanzia heftig und schrill protestierte: »So etwas... müssen wir uns nicht sagen lassen, Rufus. Wie hätten wir der Hexe denn helfen sollen? Wir haben doch keinerlei Schlüsselgewalt. Kaum, dass unser lieber Vater das Zeitliche gesegnet hatte, hast - du - alle Schlüssel an dich genommen. Von diesem Tag an müssen wir dich sogar bitten, die Vorratskammern aufzuschließen, wenn wir ein Stück Schinken essen wollen. Du hast die Schlüssel ja ständig an deinem Rock zu hängen. Und weitere gibt es nicht.« »Du hast kein Recht, uns anzuklagen«, pflichtete Matthes Bornstein seiner Gemahlin bei. »Wenn du jetzt auch unser Familienoberhaupt bist, so darfst du uns noch lange nicht beleidigen. Wir waren die ganze Zeit über zusammen. Von uns hat niemand die Hexe herausgelassen. Vielleicht hast du es selbst gemacht. Du... hast ja die Schlüssel. Vielleicht wolltest du noch ihre Sinnlichkeit spüren, bevor du sie dem Fegefeuer übergibst.« 14
Er war zu weit gegangen mit seinen Anschuldigungen - viel zu weit. Rufus Hitschler war klug genug, um sich das zu sagen. Deshalb erwiderte er begütigend: »Entschuldigt, ich bin verständlicherweise sehr aufgeregt und wollte euch natürlich nicht zu nahe treten. Aber in unser aller Interesse wäre es schon wichtig gewesen, die Hure des Teufels hinter Schloss und Riegel zu wissen.« »Wen Gott strafen will, den erreicht er immer und überall«, antwortete Elfleda nachdrücklich und richtete ihre Augen zur Zimmerdecke, als würde dort der Heiland schweben. »Lasst uns jetzt zur Ruhe gehen. Die letzten Stunden waren qualvoll genug.« Dieser Aufforderung schlossen sich die anderen an, auch Max Hitschler, der meist nichts anderes war, als das Sprachrohr seines Bruders. Im Grunde genommen war es ihm egal, ob man Martha fand. Ihm genügte es, dass sie fort war und dass man ihr Erbe alsbald aufteilen konnte... und er auch einen ordentlichen Batzen davon bekommen würde. Teresa äußerte sich nicht. Wortlos ging sie neben ihrem Vater her, der den ganzen Weg über nichts anderes zu reden wusste, als über Hexen und deren Buhlschaft mit dem Teufel. Rufus hingegen konnte seine Niederlage kaum verkraften und grübelte die ganze Nacht darüber nach, wie Martha aus dem Weinkeller gekommen sein mochte. Zu einer plausiblen Erkenntnis kam er allerdings nicht. * Genauso wie der Frühlingswind über das Land wehte, so drang das Gerücht von der Hexe Martha aus dem Hause Hitschler in alle Dörfer der näheren und ferneren Umgebung. Man flüsterte es sich hinter der vorgehaltenen Hand zu oder erzählte es sich lang und breit bei der Morgensuppe. Einer wusste immer mehr als der andere, aber niemand konnte sagen, wo die böse Frau nun eigentlich geblieben war. Heinrich von Althum hörte davon, als er an einem der nächsten Abende mit seinen Eltern und Geschwistern in der großen Stube vor dem Kaminfeuer saß. Sein Vater hatte diese unerhörte Begebenheit 15
vom Schmied erfahren und der vom Falkner. Das Gerede war groß, aber man war sich einig, dass die Tochter des verstorbenen Kämmerers ganz gewiss keine Hexe war und dass man die Martha mit Sicherheit nur verleumdet hatte. »Ich werde nach ihr suchen«, sagte Heinrich festen Tones, als Franz von Althum seinen Bericht beendet hatte. »Irgendwo muss sie ja sein, wenn sie noch am Leben ist. Und ich werde sie finden, denn sie braucht jetzt jemanden, der zu ihr hält.« »Du bist genauso ein Heißsporn wie Klaus«, klagte seine Mutter. »Welche Folge diese Suche für dich und für uns alle haben könnte, daran denkst du nicht. Die Obrigkeit hat immer recht...« »Ja, auch dann, wenn sie nicht recht hat«, ergänzte Heinrich trocken. »Soll ich deshalb Martha ihrem Schicksal überlassen? Soll ich hier sitzen und nichts tun?« »Natürlich nicht, aber sei vorsichtig«, antwortete sein Vater. »Es sind auch schon Männer beschuldigt worden, ein Hexenmeister zu sein.« Heinrichs Geschwister sahen sich daraufhin erschrocken an, aber sie schwiegen und würden das auch weiterhin tun. Schließlich waren sie alle keine Kleinkinder mehr. Bereits am nächsten Tag ritt der junge Mann nach Nassenbach, aber er erfuhr nichts. Er hatte den Leuten auf der Straße nur zuhören wollen, hatte angenommen, dass der eine oder andere doch etwas wusste oder gesehen hatte. Aber im krassen Gegensatz zu den Dörfern war die Stadt wie im Schweigen erstarrt. Von Martha Hitschler sprach niemand. Es schien so, als hätte es die junge Frau überhaupt nie gegeben. Heinrich war ratlos und wünschte sich, Klaus an seiner Seite zu haben. Der würde ihm jetzt sagen, was man tun konnte, um Martha zu finden. Doch Klaus war weit fort und Gott allein mochte wissen, wann er wieder einmal den Weg in sein Heimatdorf fand. Teresa war inzwischen auch ziemlich ratlos. Ein Tag reihte sich an den anderen, aber das Zeichen, das ihr Albrecht Warin versprochen 16
hatte, wurde nicht gegeben. Ihre Sorge wuchs und sie fragte sich beklommen, was sie nun tun sollte. * Max Hitschler hielt nicht viel von geregelter Arbeit. Für dergleichen hatte er ja auch seine Leute. Und so saß er auch an diesem Vormittag müßig in seinem Kontor und dachte darüber nach, wann sein Bruder Vermögen und Sachwerte der ›Hexe Martha‹ nun unter den bedürftigen Familienmitgliedern verteilen würde. So ganz traute er Rufus nicht, er befürchtete sogar, dass dieser, raffgierig wie er nun einmal war, sich das meiste von Marthas Erbe aneignen würde. Er war noch dabei, Argumente für eine schnelle Verteilung des Erbes zu sammeln, als jemand an die Tür klopfte. Auf diese Weise aus seinen Überlegungen gerissen, rief er ungehalten: »Herein!« »Herr Warin möchte Euch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen«, meldete der Hausdiener beflissen. »So?«, nuschelte Max verblüfft und fügte dann widerwillig hinzu: »Führe den Herrn zu mir!« Der Diener entfernte sich und kam wenige Minuten später mit dem Gast wieder. Er blieb in der Nähe der Tür stehen und wartete offenbar darauf, dass er weitere Befehle bekam. Er bekam keine, sondern nur eine unmissverständliche Handbewegung, die besagte, dass er schleunigst zu verschwinden habe. Nachdem der Diener gegangen war, lehnte sich Max Hitschler in seinem Armstuhl zurück und fragte den vor ihm stehenden jungen Mann lässig: »Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?« Albrecht Warin blickte den wohlgenährten Kaufmann ernst an und antwortete: »Ich bitte Euch um die Hand Eurer Tochter Teresa.« »Ich höre wohl nicht recht.« Hitschler war so entgeistert, dass er sich vorbeugte und eine Hand an die Ohrmuschel legte. »Ihr habt recht gehört. Ich möchte Teresa heiraten«, kam es entschieden zurück. »Seid Ihr denn überhaupt in der Lage, Weib und Kinder zu ernähren?« 17
Der Goldschmied und Juwelier lächelte unergründlich und erwiderte: »Ja, das bin ich. Ihr könnt gern einen Blick in meine Geschäftsbücher werfen und Euch von der Wirtschaftlichkeit meiner Unternehmungen überzeugen.« »So... so«, murmelte Max und sagte schließlich: »Bitte setzt Euch doch. Entschuldigt, dass ich Euch nicht gleich einen Platz angeboten habe... Ich war... äh... zu überrascht, Euch hier zu sehen. Außerdem hat mir meine Tochter nie etwas davon gesagt, dass sie Euch zugetan ist.« »Das kann ich mir denken, denn wir kennen uns nur flüchtig. Aber Eure Tochter gefällt mir ausnehmend gut. Doch bevor ich sie persönlich um ihre Hand bitten kann, ist es meine Pflicht, mit Euch zu reden.« Der junge Mann hatte sich unterdessen auf einen Stuhl gesetzt. Er bedachte den Handelsherrn mit einem kühlen Lächeln und schien davon auszugehen, dass seine Bewerbung Erfolg haben würde. Max Hitschler hatte jedoch mit Teresa anderes im Sinn. Immerhin war sie hübsch, schlank und gesund. Das alles zusammen mochte einem reichen Mann als Mitgift genügen - einem Emporkömmling wie Albrecht Warin sicher nicht. Und zum anderen konnte er sich nicht vorstellen, dass Teresa diesen Mann tatsächlich heiraten wollte. Er hatte doch fast nichts an sich, was den Frauen gefiel. Er war zwar recht groß, aber ziemlich dünn, strohblond und hatte unregelmäßige Gesichtszüge, war also keinesfalls ein schöner Mann. Sie würde seine Werbung ablehnen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Von der abwehrenden Reaktion seiner Tochter überzeugt, lächelte Max Hitschler selbstgefällig und erwiderte gemessen: »Wenn es so ist, wie Ihr sagt, dann will ich Euch gern meinen Segen geben. Es fällt mir zwar schwer, auch meine jüngste Tochter aus dem Haus gehen zu sehen. Aber das ist nun einmal das Leid eines Vaters. Und letzten Endes kommt es auf mich gar nicht an. Ich bin nicht so ein Unhold, der seine Tochter zur Heirat zwingt. Mag Teresa selbst entscheiden, ob sie Euch haben will oder nicht. Ich werde sie umgehend rufen lassen.« Er eilte hinaus, gab dem allgegenwärtigen Diener einen entsprechenden Auftrag und kehrte danach ins Zimmer zurück. Albrecht Warin hatte den Eindruck, als wenn er sich diebisch freute. 18
»Meine Tochter wird bald hier sein«, erklärte Max und setzte sich wieder. »Habt ein wenig Geduld.« »Die werde ich haben. Es geht ja schließlich um mein Glück.« Albrecht erhob sich, um so seine zukünftige Gemahlin zu begrüßen. Teresa betrat kurz darauf den Raum. Sie war blass und musterte ihn besorgt, deutete aber einen Knicks an und fragte anschließend ihren Vater: »Ihr habt mich rufen lassen, Herr Vater. Worum geht es?« »Das wird Herr Warin dir selbst sagen.« Sie schaute ihn verständnislos an, sagte aber nichts, auch nicht, als er seine Werbung vorbrachte. Jetzt war sie jedoch erschrocken und verärgert zugleich. Was dachte er sich eigentlich? Doch sein flammender, eindringlicher Blick erstickte jeden Protest und sie spürte, dass es um viel mehr ging, als nur um den Heiratsantrag. »Ich bin außerordentlich überrascht«, versetzte sie nach einigen tiefen Atemzügen. »Aber Euer Antrag ehrt mich, Albrecht Warin. Doch bevor ich Euch eine bindende Antwort geben kann, würde ich gern mit Euch allein sprechen. Ihr erlaubt es doch, Herr Vater?« »Natürlich. Geh nur mit unserem Nachbarn durch den Garten. Ich werde euch beiden vom Fenster aus zusehen.« »Ich danke Euch.« Teresa knickste erneut und ging anschließend hinaus. Der Goldschmied folgte ihr. * »Ihr geht zu weit«, flüsterte sie ihm verärgert zu, als sie die Treppe hinab gingen. »Ich will Euch nicht heiraten, ich will nur Martha von hier fortschaffen.« »Ich will Euch auch nicht heiraten«, zischte er zurück. »Aber ich kann dieser bedauernswerten Frau nicht allein helfen. Dazu brauche ich Euch. Doch wie soll das gehen, wenn wir uns kaum kennen? Wenn wir jedoch einander versprochen sind, wird niemand etwas dabei finden, wenn Ihr in mein Haus kommt und mit meiner Mutter über die Hochzeit und manches andere beratet.« »Ja, das stimmt«, erwiderte Teresa verlegen und nagte an ihrer Unterlippe. »Wie geht es Martha überhaupt?« 19
»Sie ist noch immer sehr verstört und ziemlich verschlossen. Sie scheint nicht zu glauben, dass eine dauerhafte Rettung möglich ist.« Albrecht lächelte ihr zu, denn sie waren inzwischen im Garten angelangt, wo sie gesehen werden konnten. »Ich habe mir eine solche auch etwas einfacher vorgestellt«, gab Teresa kleinlaut zu. »Inzwischen weiß ich jedoch, dass der Graf wesentlich strenger als sein Vater sein will und sich geschworen hat, jede Hexe auf den Scheiterhaufen zu bringen. Und er hat in dem Bischof einen ergebenen Bundesgenossen, verspricht sich dieser davon doch großzügige finanzielle Unterstützung.« »Ja, eine Hand wäscht die andere«, bestätigte Albrecht bitter. »Der Graf gefällt sich in der Rolle des obersten Richters und der Bischof hat immer etwas zu predigen vor einer andächtigen und verängstigten Gemeinde. Die Leidtragenden aber sind diese armen Frauen, die nichts verbrochen haben, die aber zu Tode gefoltert werden und die Kinder, die dann keine Mutter mehr haben.« »Es sind aber nicht alle Lehnsherren so gemein und herrschsüchtig und auch nicht alle Kirchenfürsten.« »Gott sei Dank nicht«, versetzte Albrecht Warin. »So können wir doch noch Hoffnung haben, dass die Witwe Eures Großvaters woanders ein neues Leben beginnen kann. Doch das schafft sie nicht allein, kann sie gar nicht allein schaffen. Sie braucht einen Beschützer, der...« »Dann solltet Ihr - sie - heiraten... und nicht mir einen Antrag machen«, entfuhr es Teresa unbedacht. Er lächelte und erwiderte nachsichtig: »Eure Verwandte kann hier nicht bleiben. Das ist viel zu gefährlich für sie und für uns alle. Wenn es herauskommt, dass wir ihr geholfen haben, werden wir beide festgenommen, meine Mutter ebenfalls. Deshalb kann ich Martha nicht heiraten, es sei denn, ich ginge auch von hier fort. Aber das will ich nicht. Hier habe ich mein Geschäft und hier hat meine Mutter ihr Zuhause.« »Daran habe ich gar nicht gedacht«, antwortete Teresa beschämt, während sie sich auf eine Bank setzte. Albrecht nahm neben ihr Platz. Er griff nach ihrer Hand und hauchte einen Kuss darauf. Dann sagte er leise: »Bitte, werdet meine Gemahlin. Ich verspreche Euch, dass Ihr es 20
gut bei mir haben werdet - besser vielleicht, als bei Eurem Vater, der sowieso nur das tut, was Euer Onkel anordnet. Ich werde Euch ein liebevoller Gatte sein. Da wisst Ihr, was Ihr habt. Der Gemahl, den Euch Euer Onkel aussuchen wird, kann aber alt, hässlich und despotisch sein. Denkt an Martha. Sie hat einen langen Leidensweg hinter sich und steht jetzt völlig mittellos da.« »Das ist wahr«, erwiderte Teresa sichtlich erschrocken. »Onkel Rufus wird mir einen Mann aussuchen, mit dem er Geschäfte macht und der vor ihm auf allen Vieren rutscht. Deshalb wird mein Vater auch Euren Antrag ablehnen. Er ist seinem Bruder leider sehr ergeben.« Albrecht lächelte verschmitzt. »Er hat uns bereits seinen Segen gegeben... in der Hoffnung, dass Ihr mich nicht haben wollt.« Sie starrte ihn fassungslos an - sekundenlang. Doch dann lachte sie und sagte: »Ihr seid ja ein Schlitzohr, Albrecht Warin.« »Nur in gutem Sinne«, beteuerte er und hielt ihr erneut die Hand hin. Nach kurzem Zögern legte sie die ihre hinein und sagte leise: »Ich will Eure Frau werden, aber ich weiß nicht, ob ich Euch jemals lieben kann.« »Eine gute Freundschaft genügt mir auch. Sie ist mitunter mehr wert, als Liebe und Leidenschaft. Und nun danke ich Euch für Euer Vertrauen und bitte Euch, mit mir zu Eurem Vater zu gehen.« Sie nickte zustimmend und erhob sich. Er stand auch auf und ging dann mit ihr Hand in Hand den Weg entlang, der zum Haus führte. Max Hitschler sah das scheinbare Einvernehmen mit Groll und Unbehagen. Und er wusste, dass er sein Wort nicht mehr zurücknehmen konnte. * Martha hatte die letzten Tage in einer Art Dämmerzustand verbracht. Sie war froh, Kerker und Folter entronnen zu sein, doch für wie lange? Man hielt sie in diesem Hause versteckt, in einer engen Kammer, in die nur wenig Licht fiel. Und außer Gunde Warin sah sie keinen Menschen 21
und fühlte sich trotz allem wie eine Gefangene. Wie sollte ihr Leben nur weitergehen? Das fragte sie sich an diesem Nachmittag auch, wusste aber keinen Ausweg. Allein und ohne Geld war sie vogelfrei und würde bald in die Hände von Wegelagerern fallen. Oder die Häscher des Grafen würden sie doch finden und als Hexe zu ihrem Herrn schleppen. Leise weinend drückte sie ihr Gesicht in die Hände. »Martha!« Der halblaute Ruf schreckte sie auf. Sie nahm die Hände vom Gesicht und schaute auf Teresa, die jetzt zu ihr trat und sie kurz umarmte. »Wie kommst... du hierher?«, stammelte sie. »Haben dein Vater und... Rufus nichts dagegen? Fragen die denn nicht, was du hier zu suchen hast?« »Nein. Ich muss mich ja schließlich mit meiner zukünftigen Schwiegermama - über den Hausstand und die Hochzeit unterhalten. Das verstehen sogar Papa, Onkel Rufus und unsere ehrenwerte Tante Konstanzia.« Teresa hatte sich nun auf eine Bank gesetzt und lächelte ganz aufmunternd. »Das heißt... du willst...?« Martha sprach den Satz nicht zu Ende, weil es ihr zu unwahrscheinlich erschien, dass Teresa den Nachbarn heiraten wollte. Doch dann begriff sie und flüsterte entsetzt: »Tust du das etwa... meinetwegen?« »Ja, auch. Ich muss unbedingt mit dir reden. Aber man würde sofort auf mich aufmerksam werden, wenn ich mich heimlich in dieses Haus schleichen würde.« »Ich hätte mich lieber aufhängen sollen«, schluchzte Martha. »Ich mache dir nur Sorgen und Ärger.« »Machst du nicht. Ich bin nämlich recht zufrieden. Albrecht Warin ist ein netter Mann, der es mir gestattet, so zu leben, wie ich möchte. Er ist mit Sicherheit besser, als der Gemahl, den mir Onkel Rufus aussuchen wird. Doch nun zu dir. Hast du irgendwo Freunde?« Die Witwe schüttelte den Kopf. Ihre Freundin Anna Lietzen hatte geheiratet und wohnte nicht mehr hier und ihr Vater lebte nicht mehr. 22
Sie war ganz allein - verlassen und von Feinden umgeben. Aber - einen Freund gab es vielleicht doch noch: Heinrich von Althum. Es war Jahre her, als er auf einem Fest mit ihr getanzt und ihr später eine Heckenrose ins Haar gesteckt hatte. Im Verlaufe der nächsten Wochen hatten sie sich mehrmals getroffen, bis ihr Vater sie überrascht hatte. Wutentbrannt hatte dieser den unerwünschten Freier vom Hof gejagt und für seine Tochter die Ehe mit Josef Hitschler arrangiert. Seitdem hatte sie Heinrich nicht wieder gesehen. »Du überlegst?« Teresa brachte sich mit diesen beiden Worten in Erinnerung. Martha seufzte leise und wischte sich die Tränen mit dem Hand rücken fort. Dann murmelte sie: »Ich dachte an Heinrich von Althum. Ich wäre so gern seine Frau geworden, doch Papa war dagegen. Er meinte, ein Bauer wäre nichts für mich und könnte mich nicht anständig ernähren. Doch ich glaube, Heinrich hatte mich gern... Ob er aber heute noch mein Freund sein will, das weiß ich nicht. Vielleicht hat er auch längst Frau und Kinder.« »Heinrich von Althum«, wiederholte Teresa nachdenklich. »Das ist doch der, dessen Bruder jetzt zur See fährt, nicht wahr?« »Ja, Klaus hat damals fliehen müssen, weil er ein wenig Nahrung für bettelarme Leute gestohlen hatte. Der Graf wollte ihm die Hand abhacken lassen.« »Ist Heinrich auch so mutig wie sein Bruder?« »Das weiß ich nicht.« Martha zuckte mit den Schultern. »Er wird mich auch nicht mehr wollen. Ich bin eine Witwe und obendrein eine...« »Sag doch so etwas nicht«, wurde sie von Teresa energisch unterbrochen. »Albrecht und ich werden versuchen, mit Heinrich zu sprechen. Vielleicht ist er auf unserer Seite und hilft dir. Albrecht hat nämlich eine gute Idee für deine Zukunft.« »Und die wäre?« »Du musst von hier fort, das geht nicht anders. In einer anderen Gegend, zum Beispiel auf der Insel Kellenhoop, wo es keinen Grafen Kasimir und keinen korrupten Bischof gibt, könntest du ein neues Le23
ben beginnen. Wir müssen nur eine Möglichkeit finden, dich ungesehen dorthin zu bringen.« »Wie soll das gehen?« »Ich weiß es noch nicht«, antwortete Teresa tonlos. »Aber eines weiß ich genau, wir lassen dich nicht im Stich. Und wir werden einen Ausweg finden.« »Danke«, erwiderte Martha und drückte spontan Teresas Hand. * Rufus Hitschler hatte getobt, als Max ihm von Teresas zukünftigem Ehemann berichtet hatte. Er hatte seinen jüngeren Bruder angeschrieen, hatte aber doch nicht gewagt, eine andere Entscheidung zu erzwingen. Die Familie war nach Marthas spurlosem Verschwinden leider immer noch ziemlich argwöhnisch. Und es wurden sogar Stimmen laut, die ihm vorwarfen, allzu hastig und grausam vorgegangen zu sein. Nein, es war besser zu schweigen - und sich das Erbe der Witwe auf die hohe Kante zu legen. Und so hatte er schließlich Max nur frostig erklärt, er möge gefälligst derartige Eigenmächtigkeiten künftig unterlassen. »Natürlich, Rufus«, hatte Max zerknirscht gemurmelt und hatte dann überaus froh die Tür hinter sich geschlossen. Die erste Hürde hatte er genommen, die zweite würde der Heiratsvertrag sein. Doch in den hatte ihm Rufus nun wirklich nicht dreinzureden. Den würde er ganz allein aufsetzen. Das Brautpaar unternahm unterdessen einige Ausfahrten in die nähere Umgebung und kam so auch recht bald zum Hof des Pächters Franz von Althum. »Habt Ihr mal wieder etwas von der Witwe Eures Großvaters gehört?«, fragte Heinrich, als er mit Teresa allein an der Kutsche stand, während Albrecht den Hausherrn in ein Gespräch verwickelt hatte. »Nein«, erwiderte sie vorsichtig, blickte ihn aber so eigentümlich an, dass er heiser sagte: »Ich suche sie schon überall. Man erzählt sich, dass sie eine Hexe wäre, aber geflohen ist, bevor man sie zum Burggefängnis bringen konnte.« 24
»Man erzählt sich viel Unsinn«, versetzte Teresa nachdrücklich. »Martha ist natürlich nicht mit dem Teufel im Bunde, sondern nur das Opfer von... widrigen Umständen. Aber es stimmt, sie ist geflohen.« »Die Arme«, flüsterte er tief betroffen. »Gab es niemanden in Eurer Familie, an den sie sich mit ihrem Kummer wenden konnte?« »Leider nicht. Doch was würdet Ihr tun, wenn Ihr sie finden würdet? Würdet Ihr sie zum Grafen bringen oder in die Hände der Kirche geben?« »Um Gottes Willen - nein. Ich würde versuchen, ihr zu helfen.« »Ihr wollt einer Hexe helfen?«, fragte Albrecht Warin, der eben zu den beiden trat, spöttisch. »Das kann sehr böse für Euch ausgehen.« »Ja, das ist schon möglich«, erwiderte Heinrich fest. »Aber ich würde es trotzdem tun. Die Martha ist ganz bestimmt keine Hexe, sondern nur eine unglückliche Frau. Ich kann jetzt nur sagen: Entweder gehen wir gemeinsam unter, oder wir finden einen Ort, an dem wir beide leben können.« »Auch wenn dieser Ort weit entfernt von Eurem Zuhause sein sollte, wenn Ihr alles verlassen müsstet, was Euch lieb und teuer ist?« »Ja, auch dann, Albrecht Warin.« »Ihr seid sehr mutig. Das gefällt mir. Wir sollten uns daher recht bald mal in einer Schenke treffen und ein paar Becher Wein miteinander trinken. Was meint Ihr dazu?« »Gern«, antwortete Heinrich. »Im ›Weißen Ross‹ gibt es ganz vorzüglichen Wein.« »Sehr gut. Wir sehen uns dann am morgigen Abend zur achten Stunde.« Der Goldschmied nickte dem Sohn des Pächters zu und half anschließend seiner zukünftigen Gemahlin in die Kutsche. Beide winkten ihm noch zu und Heinrich schien es so, als wären die beiden nur seinetwegen gekommen. * Innerlich erregt, äußerlich jedoch gefasst und ruhig, betrat er am nächsten Abend die Schenke. Es war die einzige, die zur Grafschaft Brackmühlen gehörte und war demzufolge gut besucht. Man unterhielt 25
sich laut, trank Bier und Wein und freute sich über die Darbietungen eines Musikanten, der in einer Ecke saß und auf der Drehleier spielte. Heinrich nahm diese Geräuschkulisse kaum wahr. Die ganze Nacht über hatte er gegrübelt und war schließlich zu der Erkenntnis gekommen, dass Albrecht Warin und seine Braut nur gekommen waren, um ihm eine verschlüsselte Botschaft zu übermitteln. Und bei dieser konnte es nur um Martha gehen. Er schlenderte nun in der großen Wirtsstube herum, schaute hierhin und dorthin und setzte sich nach einer Weile an den Tisch, an dem der Goldschmied bereits Platz genommen hatte. Dieser musterte ihn nur flüchtig, fragte jedoch in ruhigem Tonfall: »Wein gefällig?« »O ja.« Heinrich lächelte gezwungen und setzte kurz darauf den Becher an seine Lippen. Er trank gierig, um seinen trocken gewordenen Hals anzufeuchten. »Ich habe gehört«, begann Albrecht Warin, »dass Ihr eine Frau sucht und Euch mit dieser fern von Nassenbach und Brackmühlen ansiedeln wollt. Ist das richtig?« »Mit einer ganz bestimmten Frau schon.« »Das habe ich mir gedacht. Ich habe da einen Verwandten auf der Insel Kellenhoop. Er ist ein freier Bauer und könnte sehr gut einen Knecht und eine Magd gebrauchen.« »Kellenhoop?«, fragte Heinrich verwundert. »Von so einer Insel habe ich noch nie gehört.« »Sie ist nur klein. Dort wohnen nur wenige Leute, die Ziegen, Kühe, Schafe und Schweine halten und Landwirtschaft betreiben. Die Insel gehört dem Herzog von Mecklenburg, aber der war dort noch nie und überlässt die Amtsgeschäfte dem Dorfschulzen. Dieser heißt Wenzel Stolpen und ist ein redlicher Mann, dem seine Arbeit über alles geht und der nichts von Aberglauben und... äh... Hexerei hält. Ihr versteht mich doch wohl?« »Ja... doch. Es muss sehr schön auf dieser Insel sein.« »Das ist wahr. Man fühlt sich dort so frei wie ein Vogel in der Luft. Man kommt allerdings nur selten auf das Festland, denn man muss immer eine tüchtige Strecke bis dorthin rüdern. Ihr würdet ein gutes Boot brauchen, um zu dieser Insel zu gelangen.« Albrecht Warin trank 26
einen großen Schluck Wein und sah sich dabei im Raum um. Da er keine verdächtige Person entdeckte, fügte er scheinbar zusammenhanglos hinzu: »Was soll ich ihr sagen?« Heinrich stutzte nur einen Moment, dann antwortete er fest: »Dass ich sie liebe und mit ihr den Rest meines Lebens verbringen will... auf der Insel Kellenhoop.« »Nun, das freut mich. Als Zeichen meiner Wertschätzung werde ich für Euch und Eure Braut Ringe anfertigen. Ihr heißt Heinrich und sie? Wartet, ich hab's gleich... Sie heißt Meta, nein Martha, nein, so auch nicht. Sie heißt Margarete, nicht wahr?« Heinrich klopfte das Herz bis zum Hals. Er war kaum in der Lage zu sprechen und würgte nur rau hervor: »Margarete.« »Ja, sie heißt Margarete und ist eine junge Witwe«, bestätigte Warin nachdrücklich. »Ihr könnt sie und die Ringe bei mir abholen, wenn Ihr - reisefertig - seid. Sagen wir in drei Tagen?« »Ja«, flüsterte Heinrich und setzte dann fragend hinzu: »Wann genau?« »Kommt am Nachmittag. Dann wird alles hergerichtet sein.« Der junge Mann nickte nur, sprechen konnte er nicht. Ihm war der Hals wie zugeschnürt. Am nächsten Morgen sprach er mit seinen Eltern, sagte ihnen allerdings nicht die ganze Wahrheit, sondern nur, dass er sein Glück fern der Heimat und in fremden Diensten suchen wollte. Franz und Gesche waren traurig, aber sie hielten ihren Ältesten nicht auf. Der Hof war sowieso nicht groß genug, um alle Mäuler zu stopfen. * Teresa sah in dem schlichten braunen Kleid und dem dunklen Mantel recht unförmig aus. Aber sie bewegte sich so anmutig wie immer, als sie am Arm ihres zukünftigen Ehemannes dessen Haus betrat und in der geräumigen Diele seine Mutter begrüßte. »Meine liebe Tochter«, sagte die alte Frau halblaut. »Wie schön, dass Ihr kommen konntet. Stellt Euch vor, gerade heute zittern mir die 27
Hände so sehr, dass ich Euch bitten muss, mir beim Nähen eines neuen Gewandes zu helfen.« »Gern, Frau Mutter.« Teresa zwinkerte Albrecht zu und ging dann mit der Hausfrau zu deren Kemenate, während der junge Mann zu seiner Werkstatt eilte. Unterdessen wartete Martha auf weitere Anweisungen von Gunde Warin. Sie saß auf einer Bank, trug nur Schuhe, Strümpfe und Unterkleider und zitterte heftig, allerdings nicht vor Kälte, sondern vor Angst. Würde alles gut gehen? Würde sie mit Heinrich fliehen können? Oder würde man sie auf den ersten Blick denn erkennen? In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und Teresa kam herein. Sie lächelte zuversichtlich und legte eine Haube, die sie unter ihrem Mantel verborgen hatte, auf den Tisch. Danach begann sie, sich auszuziehen. Sie legte ihre beiden Mäntel ab und schlüpfte aus dem braunen Kleid. Darunter trug sie eines, das fast genauso aussah. Martha, die inzwischen jede Einzelheit des Fluchtplanes kannte, zog sich das Kleid an, das Teresa eben abgelegt hatte, befestigte die Haube und warf den Mantel über. Danach betrachtete sie sich kritisch im Spiegel. »Von weitem mögen wir uns ja ähnlich sehen«, meinte sie verzagt. »Aber aus der Nähe ist es nicht so.« »Aus der Nähe wird dich niemand außer Heinrich betrachten. Sei ohne Sorge.« Teresa strich Martha über die Wange. »Und nun lass dir Glück wünschen. Heinrich ist bereits da und wird dir ganz zufällig auf dem Markt begegnen. Denke daran, du bist Margarete Holldorf und seine Braut. Und ihr seid auf dem Weg zu Verwandten. Doch ich glaube nicht, dass euch jemand anhalten wird. Der Graf ist zum Herzog gefahren und hat einen großen Teil seiner Berittenen mitgenommen. Das erleichtert uns die ganze Sache.« »Wenn die anderen wüssten, was du für mich tust - für eine angebliche Hexe - sie würden dich auch anschwärzen.« »Vielleicht«, gab Teresa nüchtern zu. »Sie wissen es aber nicht. So, hier hast du noch ein wenig Geld. Mehr habe ich leider nicht. Du weißt ja, in unserer Familie werden die Frauen kurz gehalten.« 28
Sie drückte der Witwe einen kleinen Beutel in die Hand und setzte eindringlich hinzu: »Verstecke ihn so gut, dass man ihn nicht findet und dass er nicht verloren gehen kann.« »Das werde ich tun.« Martha befestigte die Bänder des Beutels an ihrem Strumpfband. »Und melde dich, wenn es irgend möglich ist. Es wäre Albrecht und mir eine Freude, zu wissen, dass ihr auf Kellenhoop eine neue Heimat gefunden habt.« »Ja, Teresa. Aber es wird sicher dauern, bis wir eine Nachricht schicken können.« Die beiden jungen Frauen sahen sich an, dann umarmten sie sich. Sie ahnten, dass sie sich nie mehr wieder sehen würden. Und während Teresa in der Kammer blieb, verließ Martha in Begleitung von Gunde Warin das Haus. Nach endlos erscheinenden Tagen spürte sie wieder Sonne und frische Luft um sich - und fürchtete sich doch entsetzlich. Und dann erblickte sie Heinrich. Er stand vor der Werkstatt wie jemand, der sich nicht entschließen kann, ob er nun hineingehen soll oder nicht. In seinen einfachen Leinenkleidern und dem Filzhut mit der Hahnenfeder sah er geradezu ärmlich aus, aber das interessierte Martha nicht. Sie nickte ihm nur zu und ging weiterhin neben der alten Frau her, bis sie den Fischmarkt erreichten. Dort herrschte ein lebhaftes Treiben. Die Händler priesen lautstark ihre Fische an. Man kaufte und verkaufte Vieh und handelte mit Eiern, Käse, Salz und anderen Waren. Vor einem Stand verharrte die Mutter des Goldschmieds, um einen Krug mit Öl zu erwerben. Martha schlenderte unterdessen weiter und bemerkte scheinbar gar nicht, dass sich ein junger Mann zu ihr gesellte. Irgendwann nahm dieser ihre Hand fest in die seine und ging mit ihr zu einem Karren, vor den ein Pferd gespannt war. »Steig auf!«, flüsterte Heinrich. »So kommen wir am schnellsten zum Meer.« * 29
Knapp zwei Stunden später brachte Albrecht Warin seine Braut nach Hause. Niemand wunderte sich darüber, dass das Fräulein an diesem Tag recht lange geblieben war und niemand war aufgefallen, dass die Hausfrau allein vom Fischmarkt zurückgekommen war. Es gab nur einen, der seinem Unmut viele Worte verlieh - Max Hitschler. »Jetzt kommst du erst?«, nörgelte er und wies dann missbilligend auf ihr Kleid. »Hast du kein besseres Gewand? Mit diesem siehst du aus wie eine Bauerndirne. Dein zukünftiger Gemahl muss sich ja schämen, mit dir auszugehen.« »Verzeiht, Herr Vater«, antwortete Teresa scheinbar zerknirscht. »Ich dachte nur, auf dem Fischmarkt wäre so einfache Kleidung besser angebracht, als ein prachtvolles Gewand. Wie leicht hätte ich mir dieses schmutzig machen können.« »Meine Tochter hat nicht zum Fischmarkt zu gehen«, blaffte Max. »Das ist Sache von Knechten und Mägden.« Albrecht nahm den Hochmut seines Schwiegervaters gelassen hin und erwiderte freundlich lächelnd: »Scheltet nicht mit Eurer Tochter. In meinem Hause ist es nun einmal üblich, dass sich die Herrin persönlich von der Frische der Waren überzeugt. Teresa wollte nur lernen und hat deshalb meine Frau Mutter begleitet.« »Wie Ihr meint.« Hitschler nickte dem jungen Mann verweisend zu und ging anschließend mit seiner Tochter ins Haus. Seinen angehenden Schwiegersohn ließ er einfach vor der Tür stehen. »Was findest du nur an diesem Kerl?«, schimpfte er weiter, während er und Teresa die Treppe zum oberen Stockwerk emporstiegen. »Er ist doch nichts weiter als ein besserer Hufschmied und wird dich kaum standesgemäß versorgen können. Ich muss dir das leider immer wieder zu bedenken geben.« »Großvater war früher auch nur ein Metzger. Er hat es aber trotzdem zu Wohlstand und Ansehen gebracht, ein Ansehen, von dem Ihr auch profitiert, Herr Vater.« »Nun ja, mag schon sein«, räumte er ein. »Aber es war trotz allem sehr voreilig, dass du dich für ihn entschieden hast. Gib ihm dein Wort zurück und heirate den Mann, den Onkel Rufus und ich für dich vorgesehen haben.« 30
Teresa, die inzwischen in ihrem Zimmer angekommen war, stutzte und blickte ihren Vater befremdet an. »Welcher Mann soll denn das sein?« »Ludwig Dörenkamp. Du hast sicher schon gehört, dass ihm vor ein paar Wochen die Frau gestorben ist. Er ist zwar nicht mehr der Jüngste, aber er hat eine schöne Brauerei und...« »Nicht mehr der Jüngste?«, warf Teresa ironisch ein. »Der Mann ist älter als Ihr es seid, Vater.« »Das macht doch nichts. Ich werde einen günstigen Heiratsvertrag aushandeln, nach dem du auch als Witwe ein solides Einkommen haben wirst.« »Ihr mögt es gut mit mir meinen, aber eine Verbindung mit so einem alten und reichen Mann ist mir viel zu gefährlich. Da werde ich ja bald um mein Leben fürchten müssen. Nein, nein, da bleibe ich schon lieber bei Albrecht. Der ist noch jung und wird mich ganz sicher nicht so bald zur Witwe machen.« »Ich verstehe dich nicht, Tochter.« Max Hitschler schüttelte verwundert den Kopf. »Aber das ist doch ganz einfach«, antwortete Teresa sachlich. »Ludwig Dörenkamp hat wie unser seliger Großpapa mehrere Kinder. Die werden es sicher nicht begreifen können, wenn eine Fremde ein gutes Erbe bekommt. Und dann wird es mir vermutlich genauso ergehen wie - Martha.« »So wird es dir nicht ergehen. Du bist doch keine Hexe so wie dieses Teufelsweib.« »Das sagt Ihr. Die Kinder des Brauers werden aber etwas ganz anderes sagen. Vielleicht behaupten die dann sogar, sie hätten mich auf einem Besen durch die Luft fliegen sehen, auf alle Fälle hätte ich aber ihren stets so gesunden Vater verhext.« Max Hitschler fehlten nach diesen Argumenten die Worte. Er rang nach Luft und krächzte schließlich giftig: »Du kannst das eine nicht mit dem anderen vergleichen. Aber ich merke schon, du willst deinen armseligen Goldschmied mit dem frechen Mundwerk behalten. Bleibe nur dabei. Dann muss ich dich wenigstens nicht mehr ernähren und kleiden.« 31
»Nein, das müsst Ihr dann nicht mehr. Wenn Ihr meinem Gemahl die Mitgift gezahlt habt, dann seid Ihr mich endgültig los.« Bei dem Wort ›Mitgift‹ wurde Max mulmig in der Magengegend. Über diese Angelegenheit würde er noch mit Rufus sprechen müssen. Und das stellte er sich sehr unangenehm vor. Die Vorwürfe und Tadel seines älteren Bruders schon im Ohr, verließ er wortlos die Kammer. Teresa sah ihm einen Augenblick nach, während ein spöttisches Lächeln ihre Lippen kräuselte. Fein hatten sie sich das ausgedacht... ihr Vater und Onkel Rufus. Was sie da vorhatten, ähnelte schon einem Verkauf. Soweit sie Ludwig Dörenkamp kannte, würde der gern zahlen, nur um eine junge und hübsche Frau in seinem Bett zu haben, so wie seinerzeit der Großvater auch. Nun, den Alten würde sie nicht heiraten müssen, dafür aber Albrecht Warin, den sie eigentlich auch nicht haben wollte. Teresa seufzte laut. Es war besser, die Männer aus ihren Überlegungen zu verbannen. Statt dessen würde sie für Martha und Heinrich beten. * »Martha, mein Liebes«, flüsterte Heinrich, als sie die Stadttore von Nassenbach hinter sich gelassen hatten und in Richtung Ostseeküste fuhren. »Nun sind wir endlich, endlich zusammen. Ich habe schon nicht mehr daran geglaubt.« »Ich auch nicht«, wisperte sie und strich über sein Knie. »Ich habe auch nicht geglaubt, dass du mich noch haben willst. Ich bin ja keine Jungfrau mehr und habe kein Geld, nur die paar Münzen, die mir Teresa vorhin noch geschenkt hat.« »Kommt es darauf an?«, erwiderte er rau und gab sich dann selbst eine Antwort. »Ich denke nicht. Wir haben uns und sind bereit, einen neuen Anfang zu wagen.« »Ja, Heinrich, so soll es sein. Wenn wir nur erst auf der Insel wären, dann würde es mir schon viel besser gehen.« »Wir werden dort noch heute Abend ankommen«, entgegnete er und hielt in diesem Augenblick vor einem abgelegenen Gehöft. Er hob 32
Martha vom Wagen und sagte: »Von hier aus müssen wir zu Fuß gehen. Es ist aber nicht weit.« »Und das Pferd? Soll es hier so einfach stehen bleiben?« »Nein, da hinten kommt schon der Bauer. Pferd und Wagen gehören ihm.« »Dann ist es ja gut.« Martha atmete erleichtert auf und folgte Heinrich dann den sandigen Weg entlang, der direkt zum Strand führte. Sie hatten beide kein Gepäck, nur ein wenig Geld und das, was sie auf dem Leibe trugen. Nach wenigen Minuten war der Platz erreicht, wo Heinrich ein Boot versteckt hatte. Doch bevor er es ins Wasser schob, nahm er Martha in die Arme und küsste sie auf den Mund. Dann fragte er: »Willst du meine Frau werden?« »Ja, ich will«, erwiderte sie und legte ihre Arme um seinen Hals. »Ich wollte immer nur dich, Heinrich und war sehr traurig, als der Vater mich mit Josef Hitschler vermählt hat.« »Ich war auch traurig und habe jeden Tag an dich gedacht. Und ich habe dich gesucht, als man erzählte, dass du von Zuhause fliehen musstest. Aber ich habe dich nicht gefunden.« »Das konntest du ja auch nicht, weil ich die ganze Zeit über im Hause der Warins gewesen bin. Ohne Teresa und diese guten Leute wäre ich heute nicht mehr auf der Welt.« »Gott wird es ihnen lohnen. Doch nun gib mir deine linke Hand.« »Wieso?« »Deshalb.« Er hatte einen kleinen Lederbeutel hervorgeholt und entnahm ihm zwei silberne Ringe. Einen davon streifte er Martha über und bat sie, das gleiche mit ihm zu tun. Sie tat es und sagte dann gerührt: »Nun sind wir schon beinahe Mann und Frau.« »So ist es und nun komm!« Gemeinsam schoben sie das Boot ins Wasser, sprangen hinein und Heinrich griff nach den Rudern. Eine leichte Brise begünstigte die Fahrt und trieb sie voran. Wenn nichts dazwischenkam, würden sie bald auf der Insel sein. Doch die Freude war nur kurz. Sie waren kaum eine Stunde auf dem Meer, als sich das Wetter schlagartig änderte. Die Sonne verkroch sich hinter grauen Wolken, es begann zu regnen und der Wind frischte 33
auf. Binnen weniger Minuten waren sie beide klatschnass, aber noch nicht ernsthaft beunruhigt. Doch der Wind wurde allmählich immer stärker, wurde zum Sturm und trieb immer höhere Wellen vor sich her. Heinrich gelang es kaum noch zu rüdern. »Wir schaffen es nicht mehr bis Kellenhoop«, keuchte er irgendwann und steuerte das Boot mit letzter Kraft zu einer Landzunge, die trotz des Unwetters zu erkennen war. Martha schrie nicht und weinte auch nicht. Sie hatte sich geduckt und klammerte sich an der Bootswand fest, so gut es ging. Bald darauf verlor Heinrich die Gewalt über die Schaluppe. Sie tanzte wie eine Nussschale auf dem Meer, dem Sturm und den Wellen ausgeliefert und wurde schließlich von einer gigantischen Woge an den Strand geschleudert, wo sie zerschellte und liegen blieb. * Goedecke Micheel hatte es sich zur Pflicht und Gewohnheit gemacht, mindestens einmal am Tag das kleine Eiland zu umrunden, um so Feinde rechtzeitig auszumachen. Er nahm zwar nicht an, dass die Söldner des Herrn Wulflam, die noch immer hinter ihm her waren, bis hierher kommen würden. Dieser Schlupfwinkel war noch neu und demzufolge unbekannt. Und bis jetzt hatte er auch noch nichts weiter gesehen als Robben und jede Menge Seevögel. An diesem Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, kniff er jedoch die Augen zusammen und schaute misstrauisch auf das gestrandete Boot und die beiden Menschen, die in der Nähe lagen. Waren das wieder irgendwelche Spione oder einfach nur zwei arme Hunde, die die Wellen hier an Land gespült hatten? Er vermutete letzteres und eilte auf sie zu. Vielleicht lebten sie noch. Mit seinen langen Schritten hatte er die beiden schnell erreicht und kniete alsbald neben einem der Schiffbrüchigen nieder. Es war eine Frau mit langen braunen Haaren, in deren Gesicht noch das Entsetzen und die Angst stand. Aber sie atmete noch. »Hey, junge Frau, kommt zu Euch!« Goedecke schüttelte sie derb und versuchte, sie aufzurichten. Es gelang ihm nicht gleich, aber seine 34
etwas grobe Methode hatte schließlich doch Erfolg. Die Frau bewegte sich und öffnete die Augen. Sie murmelte etwas Unverständliches, dann übergab sie sich keuchend und würgte einen Schwall Wasser hinaus. »Na, ist Euch nun wohler?« Seine Stimme schien nicht bis zu ihr vorzudringen, denn sie beachtete ihn gar nicht, sondern kroch zu ihrem Gefährten und strich ihm über das bleiche Gesicht. »Heinrich«, schluchzte sie verzweifelt. »Heinrich, wach doch auf!« »Lasst mich nachsehen, ob er noch zu retten ist.« Goedecke schob Martha einfach beiseite und begann, den Mann zu untersuchen, schnell, aber gründlich. Dann grinste er. »Ihr beide müsst einen Schutzengel gehabt haben. Euer Heinrich lebt, ist aber völlig entkräftet und wahrscheinlich deshalb ohne Bewusstsein. Genaueres kann Euch nachher mein Arzt sagen.« »Ein Arzt... hier? Man hat uns gesagt, auf Kellenhoop gibt es nur Bauern.« »Ihr seid nicht auf dieser Insel, sondern auf Heiligland.« »O Gott...« Martha starrte ihn erschrocken an und fragte mit flacher Stimme: »Auf Heiligland? Seid Ihr... der Herr hier?« »Hier gibt es keinen Herrn. Ich bin nur ein Seemann, der jetzt Euren Freund zum Arzt bringen wird.« Der mit strammen Muskeln versehene Kapitän der ›Maria Anna‹ hob den immer noch Bewusstlosen hoch, legte ihn sich über die Schulter und stapfte davon. Martha folgte ihm ängstlich und beklommen. Sie wusste nicht, wie lange sie hinter dem großen Mann her gegangen war, dazu war sie viel zu verstört und verwirrt. Sie hoffte nur, dass sich ihrer beider Schicksal doch noch zum Guten wenden würde. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie vor mehreren grob gezimmerten Hütten ankamen. Der Mann betrat die größte von ihnen und legte Heinrich dort auf ein Lager aus Decken und Fellen. Martha sank indessen auf einen Schemel. Dort saß sie zitternd und zagend und wurde von Minute zu Minute ängstlicher, denn die beiden Männer, die jetzt die Hütte betraten, sahen genauso furcht erregend aus wie der Mann, der Heinrich getragen hatte. 35
Seeräuber, schoss es ihr durch den Kopf. Seeräuber, die mir Gewalt antun und aus Heinrich einen Sklaven machen werden. Sie wollte
schreien, brachte aber kein Wort hervor. Und sie verstand kaum, was der große Mann jetzt barsch anordnete: »Holt Kaspar Sarnow und Klaus, aber schnell. Der arme Teufel hier ist völlig am Ende. Und kümmert euch um eine Mahlzeit und Getränke.« »Jawohl, Kapitän«, kam es zweistimmig zurück, bevor die Männer sich wieder entfernten. »Helft mir, ihm Jacke und Hemd auszuziehen!« Die energische Stimme rüttelte Martha auf. Sie erhob sich mühsam und flüsterte ängstlich: »Was - werdet Ihr mit ihm machen?« Goedecke zuckte nur mit den Schultern. »Das muss der Arzt entscheiden.« Dann hob er Heinrichs Oberkörper an, so dass Martha ihn entkleiden konnte. Sie war gerade damit fertig, als zwei andere Männer in die Hütte kamen, der eine schmal und nur mittelgroß, der andere groß, kräftig, blond und bärtig. Und dieser Mann starrte zuerst sie und dann den Kranken an. Und dann sagte er tief erschüttert: »Heinrich.« »Du kennst ihn?« »Ja, Goedecke, er ist mein Bruder und die da«, er wies auf die junge Frau, »ist Martha.« Kaspar Sarnow hatte unterdessen damit begonnen, Heinrich genau zu untersuchen. Er überprüfte den Schlag des Herzens, klopfte die Gliedmaßen ab und atmete erleichtert auf, als der Patient zu sich kam und bestürzt fragte: »Wo... bin ich?« »Du bist bei mir, Heinrich.« Klaus stand vor seinem Bruder und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du bist bei mir«, wiederholte er mit bewegter Stimme. »Und hier bist du vorerst gut aufgehoben.« »Ja«, murmelte Heinrich, den es noch viel Mühe kostete, sich zu konzentrieren. Er runzelte die Stirn, blickte Bruder und Arzt an, schaute dann zu Goedecke und schließlich zu der Frau, die in seiner Nähe stand. »Martha«, flüsterte er, während Tränen über seine Wangen liefen. »Du lebst... Du bist noch immer... bei mir. Es gibt also doch noch einen Gott auf dieser Welt.« 36
»Ach, Heinrich.« Sie kniete an seinem Lager nieder und umarmte ihn behutsam. »Mir ist, als würde ich träumen. Wir haben so viel durchgemacht... und haben hier nun deinen Bruder gefunden. Du hast recht, Gott hat uns beschützt und uns zu ihm geführt. Jetzt glaube ich auch, dass alles wieder gut wird.« Klaus, Goedecke und Kaspar Sarnow blickten sich betreten und verständnislos an. Sie fragten sich, was mit den beiden Gestrandeten vorher geschehen war. * Martha und Heinrich hatten ein wenig gegessen und getrunken, so wie es ihnen der Arzt erlaubt hatte und waren anschließend erschöpft eingeschlafen, während Klaus, Goedecke und die Mannschaft wieder ihrer Arbeit nachgingen. Diese bestand zur Zeit darin, die Schäden am Schiff zu beseitigen, die von den letzten Stürmen und Gefechten stammten. Hier, vor dieser einsamen Insel, konnten sie es unbesorgt tun, denn sie war als Schlupfwinkel für die Freibeuter Ihrer Majestät besonders gut geeignet. Die Küste war nur an wenigen Stellen flach, so dass die Hütten in dem bergigen Gelände von weitem nicht zu erkennen waren. Außerdem war sie unbewohnt und vom Festland weit entfernt. Klaus ging heute jedoch seine Tätigkeit nicht so recht von der Hand, er brach sie nach einer Weile ganz ab und ging zu der Hütte zurück, wo Martha und Heinrich untergebracht worden waren. Dort angekommen, setzte er sich auf eine der primitiven Bänke, die die Zimmerleute angefertigt hatten und betrachtete die beiden, die jetzt nebeneinander lagen wie ein Liebespaar. Und vielleicht waren sie das ja auch. Immerhin trugen sie die gleichen Ringe. »Klaus.« Heinrichs Stimme klang noch sehr matt, aber Störtebeker hörte sie sofort und fragte besorgt: »Wie geht es dir? Brauchst du irgend etwas?« »Ich habe nur Durst.« »Du bekommst gleich etwas.« Klaus half seinem Bruder, sich aufzurichten und gab ihm anschließend einen Krug mit Schiffsbier. 37
Heinrich trank in ganz langen Zügen. Dann stellte er den Krug auf den Fußboden und sagte: »Ich würde gern mit dir sprechen, Klaus, möchte Martha aber nicht stören. Sie hat eine ganz schlimme Zeit hinter sich. Es wäre mir lieber, wir würden nach draußen gehen.« »Ist wohl besser. Komm, stütze dich auf mich.« Er reichte seinem Bruder die Hand, half ihm so beim Aufstehen und ging dann mit ihm vor die Hütte, in deren Nähe eine alte Eiche stand. Sie ließen sich in ihrem Schatten nieder und Klaus bat: »Nun erzähle!« »Wir wollten auf die Insel Kellenhoop«, begann Heinrich und berichtete dann von dem Sturm und von Martha, die er immer noch liebte und von deren Verwandtschaft. »Fast die ganze Sippe, aber besonders Rufus Hitschler ist über Martha hergefallen, hat sie bezichtigt, ein Werkzeug des Teufels und eine Hexe zu sein«, sprach er in bitterem Ton weiter. »Sie haben sie im Weinkeller eingesperrt. Anschließend haben sich Rufus und Max Hitschler auf dem Weg zum Grafen gemacht, um Martha dort anzuzeigen. Und wenn Teresa, die jüngste Tochter von Max nicht Mitleid mit ihr gehabt und sie befreit hätte, dann wäre sie wohl schon längst verbrannt worden.« Klaus stockte sekundenlang der Atem. So war das also gewesen. Worte konnten nicht ausdrücken, was er in diesen Augenblicken fühlte. »Diese miesen Ratten«, stieß er wütend hervor. »Sie haben Martha um ihr Erbe gebracht und haben ihr nicht einmal ihren Witwenteil gelassen. Man sollte sie alle in einen Sack stecken und ins Meer werfen.« »Nun, alle nicht«, korrigierte Heinrich. »Die meisten sind ja nur Mitläufer und reden Rufus zum Munde. Sie sind ja in vielen Dingen von ihm abhängig, genauso wie sie es vorher von dem alten Hitschler waren. Die einzige vernünftige ist allerdings Teresa, die ist sogar mutig. Schließlich hat sie ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Du weißt doch, wer einer Hexe hilft, ist unter Umständen selber dem Satan verfallen.« »Das ist leider so. Über soviel Dummheit kann man nur den Kopf schütteln. Aber es sind nicht Dummheit und Aberglauben allein, die viele arme Frauen in den Tod treiben. Es ist vielmehr die Gier nach Geld und Macht. Es ist ja so leicht, jemanden in Verruf zu bringen und 38
sich anschließend ganz legal dessen Besitz anzueignen. Der Teufel soll sie alle holen!« »Der Teufel holt doch meistens die falschen Leute.« Heinrich lachte bitter auf, fügte dann aber tief aufatmend hinzu: »Aber Martha hat jetzt mich. Wir werden auf Kellenhoop neu beginnen. Dort soll man nicht diesen Hexenwahnsinn betreiben, sondern in Frieden leben und arbeiten können.« »Aber dort seid ihr auch nicht viel mehr als Leibeigene«, erwiderte Klaus nachdenklich. »Oder habt ihr genug Geld, um euch als freie Bauern niederzulassen?« »Unsere Münzen haben zwar Sturm und Wasser überstanden, aber sie reichen natürlich nicht aus.« »Dieser verfluchte Rufus!«, schimpfte Klaus. »Es ist ihm zwar nicht gelungen, Martha auf den Scheiterhaufen zu bringen, ihr Erbe hat er jedoch an sich gerissen. Und niemand gebietet ihm Einhalt, niemand macht etwas dagegen.« »Wer soll das denn tun? Niemand hat soviel Mut und soviel Macht. Vor wem soll Rufus sich denn fürchten?« Klaus lächelte seltsam und entgegnete dann leise: »Doch, einen gibt es, der Rufus Hitschler das Fürchten lehren wird. Und dieser eine bin ich.« »Was hast du vor?«, fragte Heinrich verblüfft. »Ich weiß es noch nicht so ganz genau. Aber eines weiß ich schon jetzt: Rufus und seine Sippschaft werden sich an Marthas Erbe nicht mehr lange erfreuen können.« Ein spöttisches Grinsen begleitete Störtebekers Worte und da wusste Heinrich, dass sein Bruder Rache üben würde. * Im Hause Hitschler saß man erneut beisammen und zwar in dem gleichen großen Raum, in dem Josef Hitschler früher seine Befehle an die Familie weitergegeben hatte. Genau dasselbe tat nun Rufus. Er blickte seine Schäflein streng an und verkündete gebieterisch: »Es ist nun an 39
der Zeit, das Erbe der Hexe sinnvoll zu verwenden und in die richtigen Hände zu bringen.« »Und wenn Martha wiederkommt und beweisen kann, dass sie gar keine Hexe ist?«, fragte Tante Elfleda naiv. »Ich würde noch warten, Rufus. Schließlich hat man nirgends ihre Leiche gefunden.« »Wer zur Hölle gefahren ist, den findet man auch nicht mehr«, mischte sich Max hastig ein und warf seinem Bruder einen beruhigenden Blick zu, der ihm signalisieren sollte, dass er, Max Hitschler, jederzeit treu und ergeben an der Seite des Familienoberhauptes stand. Rufus wusste diesen Blick auch zu würdigen. Er erklärte gemessen: »Sehr richtig. Martha hat sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen und deshalb ist es unsere heilige Pflicht, das ihr vererbte Geld und die Sachwerte einem guten Zweck zuzuführen.« »Wir könnten doch etwas für die Armen spenden«, schlug Teresa listig vor, obwohl sie ganz genau wusste, dass ihr Onkel vor Wut rot anlaufen würde. Sie hatte sich nicht geirrt, was ihr der wütende Blick bewies, den ihr der Onkel zuwarf. Seine Stimme klang jedoch sanft und beherrscht, als er sie belehrte: »Die Armen sind arm, weil sie zu faul zum Arbeiten sind und nichts rechtes gelernt haben. Mit denen habe ich kein Mitleid und es hieße, Perlen vor die Säue werfen, wenn wir unser schönes Geld...« »Marthas Geld«, warf die rebellische Nichte ironisch ein, was die anderen geflissentlich überhörten und Rufus kalt sagen ließ: »Du scheinst überhaupt nichts begriffen zu haben, meine liebe Nichte. Gott hat es so gewollt, dass wir diese Aufgabe übernehmen. Das müsste dir längst klar geworden sein, aber du stehst ja vollkommen im Bann dieses... naseweisen Goldschmieds. Dieser Bursche taugt nicht für dich und darum werden ich und dein Vater ihm sagen, dass du es dir anders überlegt hast. Und danach wirst du die Frau eines älteren wohlhabenden Mannes.« »Ich werde mein Wort nicht brechen und mein Herr Vater auch nicht. Erst vor wenigen Tagen hat er mir gesagt, dass er mich lieber mit einem jüngeren Mann vermählen möchte. So werde ich aller Vor40
aussicht nach nicht so schnell eine Witwe sein. Ich denke, Ihr versteht Euren Bruder, Onkel Rufus.« Matthes Bornstein hüstelte laut, während die übrige Familie betreten schwieg. Und dieses Schweigen sagte mehr als tausend Worte es vermocht hätten, es beunruhigte sogar den selbstherrlichen Rufus, was seinen vor Angst beinahe erstarrten Bruder Max heimlich aufatmen ließ. Aber er dachte verärgert, dass es wirklich Zeit wurde, dass Teresa aus dem Haus kam. Ihr spitzes Mundwerk war ja kaum noch zu ertragen und bescherte ihm das ständige Missfallen seines Bruders. Deshalb nickte er mehrmals zustimmend, als Rufus nun säuerlich sagte: »Natürlich verstehe ich ihn. Jeder Vater will für sein Kind nur das Beste. Und wenn du unbedingt diesen... Krämer heiraten willst, dann nimm ihn in Gottes Namen. Eine große Mitgift kannst du allerdings nicht erwarten. Die würdest du nur bekommen, wenn du einen Mann meiner Wahl heiraten würdest und...« »So nicht, Onkel Rufus!« Teresa sprang auf und stellte sich dicht vor ihn hin. »Albrecht Warin hat bei meinem Vater, wie es sich gehört, um meine Hand angehalten und Papa hat mich ihm versprochen. Das ist doch wohl das Recht des Vaters. Meint Ihr nicht auch?« »Also wirklich, Rufus, jetzt gehst du eindeutig zu weit«, mischte sich Konstanzia aufgebracht ein. »Ich bin zwar das älteste Kind unseres seligen Papa, aber leider nur eine Frau. Aber ich würde das Recht eines Vaters nicht in Frage stellen. Teresa hat die gleiche Summe als Mitgift zu bekommen wie ihre Schwestern auch.« Nun redeten alle durcheinander, was Rufus verärgert mit der Faust auf den Tisch schlagen ließ. »Gebt endlich Ruhe!«, wetterte er. »Ihr habt mich völlig falsch verstanden. Ich wollte Max nur beraten. Wenn er jedoch mit diesem Schwiegersohn zufrieden ist, dann will ich es auch sein und Teresa ihre Mitgift keinesfalls schmälern.« »Vielen Dank, Onkel Rufus, dass Ihr Euer Einverständnis hier vor uns allen erklärt habt«, entgegnete Teresa mit fester Stimme und ging wieder an ihren Platz zurück. Sie hatte die Lider gesenkt, damit niemand den Triumph in ihren Augen erkennen konnte. 41
Rufus Hitschler unterdrückte seinen Zorn auf die Nichte und wandte sich nun wieder dem ursprünglichen Thema zu. »Nachdem wir kurz über Teresas Vermählung und ihre... äh... Mitgift gesprochen haben«, meinte er betont sachlich, »sollten wir jetzt endlich darüber beraten, was mit dem Witwenerbe geschehen soll. Also, ich bin dafür, dass dieses Haus in meinen Besitz übergeht, weil ich, wie du sehr richtig bemerkt hast, meine liebe Konstanzia, jetzt das Oberhaupt dieser Familie bin. Und zum Erhalt dieses Hauses gehört selbstverständlich auch eine gewisse Summe Geld und es wäre auch am besten, wenn der gesamte Hausrat hier verbliebe.« Niemand wagte, etwas dagegen einzuwenden. Sie saßen alle und schauten sich resigniert an, während Rufus die Zeit nutzte und die noch verbleibende Summe errechnete, die er dann durch acht teilte, damit jeder seiner Geschwister den gleichen Anteil bekam. Damit mussten sie zufrieden sein - und sie waren es auch - schweren Herzens und mit saurer Miene. Teresa war die einzige, um deren Mund ein schwaches Lächeln spielte. Sie hatte heute einen Sieg errungen, doch sie war sich nicht sicher, ob der geldgierige Onkel ihr diesen gönnen würde. * »Ich würde so gern einen Spaziergang machen«, sagte Martha leise, als sie eine knappe Woche später allein vor der Hütte standen. Klaus saß mit Goedecke Micheel und einigen Seeleuten zusammen, während die anderen sich irgendwie die Zeit vertrieben. Die Sonne war eben untergegangen, aber es war noch warm und von der See her wehte eine sanfte Brise. Für jemand, der lange in einer engen Kammer hatte hausen müssen, schien die Natur jetzt das größte Geschenk zu sein. »Was meinst du?«, fragte sie Heinrich, als dieser nicht gleich antwortete. »Wenn wir nicht zum Strand gehen, sondern im Schutz des Waldes bleiben, dann habe ich nichts dagegen. Du weißt ja, dass niemand wissen darf, von wem die Insel genutzt wird.« 42
»Ja«, erwiderte sie bedrückt. »Ich weiß, dass Klaus zu den Freibeutern gehört und dass man ihn und seine Leute jagt wie die Hasen. Noch vor wenigen Wochen war ich davon überzeugt, dass alle diese Leute ihr Schicksal frei gewählt haben.« »Und heute glaubst du das nicht mehr?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Manche hatten einfach keine andere Chance, um zu überleben. Vielleicht sind sie in Not geraten und haben ein Brot gestohlen, haben gewagt, ihrem Dienstherrn zu widersprechen oder sind aus Neid und Habgier, so wie ich, angezeigt worden. Man wird sehr schnell aus der Gesellschaft ausgestoßen. Aber ich hatte Glück.« Martha lächelte Heinrich innig zu und griff nach seiner Hand. »Du hältst zu mir, hast sogar meinetwegen deine Heimat aufgegeben und bist jetzt genauso wie ich auf der Suche nach einem neuen Zuhause.« Sie waren inzwischen langsam zum Waldrand gegangen und setzten sich nun ins Gras, das hier reichlich wuchs und mit vielen Blumen durchsetzt war. Und hier sagte Heinrich zuversichtlich: »Wir werden ein neues Zuhause finden. Das verspreche ich dir. Außerdem wird uns Klaus dabei helfen.« »Kann er denn das?«, fragte sie zweifelnd. »Ich denke schon. Er steht immerhin in königlichen Diensten und kennt Gott und die Welt. Hab' Vertrauen, mein Mädchen. Es sind nicht alle Menschen so wie Rufus Hitschler und Kasimir von Brackmühlen. Es gibt auch welche, die sich unserer annehmen werden.« »Das ist wahr.« Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und sagte zusammenhangslos: »Nie hätte ich gedacht, dass du mich noch haben willst.« »Warum sollte ich nicht? Du bist immer noch meine Martha, auch wenn du die Frau von diesem Lustgreis gewesen bist. Er hat nur deinen Körper besessen, aber niemals deine Seele und dein Herz.« »Wenn du es so siehst, dann will ich glücklich und zufrieden sein«, antwortete sie und kuschelte sich an ihn, ganz dicht, so dass sie ihn und sein Verlangen nach ihr spüren konnte. »Heinrich«, flüsterte sie, »bitte zeig mir, wie es ist, mit einem jungen Mann zusammen zu sein. 43
Küss mich und liebe mich, auch wenn uns noch kein Pfarrer getraut hat.« »Ach, die Pfaffen, die können uns gestohlen bleiben«, murmelte er und stand auf, wobei er ihr seine Hand hinhielt und dann hinzufügte: »Komm, lass uns tiefer in den Wald hineingehen. Dort finden wir bestimmt ein gutes Versteck und ein Lager aus Moos.« Sie nahm seine Hand und ließ sich von ihm etwa hundert Meter weiter führen, bis sie eine kleine Senke fanden, die von Buschwerk und hohem Kraut gesäumt wurde. Sie zwängten sich hindurch, atemlos und voller Begehren. Und als Heinrich jetzt Marthas Zöpfe öffnete und dann ihr Kleid, versank die Welt um sie herum und sie waren nur noch zwei Menschen, die sich gegenseitig das Schönste auf Erden schenken wollten - die Liebe. * Dem Mann, mit dem Rufus Hitschler an diesem Abend im Wirtshaus zusammen saß, sah man an, dass seine besten Jahre schon lange vorbei waren. Er war dicklich und faltig und hatte einen kahlen Schädel. Aber seine kleinen wasserblauen Augen schauten noch sehr munter umher und seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen, als Rufus folgendes sagte: »Meine Nichte ist einem anderen Mann versprochen. Das wisst Ihr. Dagegen kann ich leider gar nichts machen. Ich bin nicht ihr Vater und kann ihr demzufolge diesen Mann nicht verbieten. Aber Ihr, Ludwig Dörenkamp, könntet Euch doch eine geeignete Methode einfallen lassen, um diesen dummen Jungen - unschädlich - zu machen.« »Das ist in der Tat... eine gute Idee«, versetzte dieser und zwinkerte seinem Gegenüber verschwörerisch zu. »Es treibt sich ja soviel räuberisches Volk herum, das durchaus auch die Kutsche des Juweliers überfallen könnte. Und wenn dieser dabei sein Leben lassen muss, werde ich seine junge Braut schon zu trösten wissen.« »Aber gewiss. Ihr Vater wird froh sein, wenn sie recht bald einen vermögenden Mann findet, der ihr alle Wünsche erfüllen kann.« Rufus saß anscheinend gedankenverloren da und sagte schließlich mit einem 44
gut gespielten Bedauern in der Stimme: »Teresa ist zwar ein ausgesprochen hübsches Mädchen mit ihren langen honigblonden Haaren, den braunen Augen und einem Mund so zart wie ein Rosenblatt, aber sie ist auch sehr wählerisch, eigenwillig und temperamentvoll. Es wird vieler Worte und kostspieliger Geschenke bedürfen, um sie für Euch zu erwärmen. Leider Gottes ist das Erbe unseres seligen Vaters nicht so groß gewesen, wie ich angenommen habe und deshalb ist es meinem Bruder und mir nicht möglich...« Ludwig Dörenkamp war bei der Aufzählung von Teresas äußeren Vorzügen der Mund wässerig geworden. Er unterbrach Hitschler mit einer lässigen Handbewegung, griff in seine Jacke, holte einen Beutel voller Münzen hervor und schob diesen unauffällig über den Tisch. Dabei erklärte er: »Das möchte reichen, um ein störrisches Täubchen anderen Sinnes zu machen. Kümmert Euch um die holde Nichte, kauft ihr schöne Gewänder, Schmuck und Süßigkeiten - und redet Ihr vor allem den Goldschmied möglichst bald aus. Und sollte Euch das nicht gelingen, dann werde ich mich wohl etwas eingehender mit ihrem zukünftigen Gemahl beschäftigen müssen.« Rufus nahm das Geld und steckte es schnell ein. Schließlich durfte niemand sehen, dass er in einem Wirtshaus Geschäfte machte. Danach grinste er verschlagen und sagte: »Soweit muss es nicht unbedingt kommen, aber falls doch, dann hoffe ich, dass Ihr geeignete Leute habt, die diesen Plan in aller Heimlichkeit ausführen können. Denkt daran, auf Euch darf auch nicht der geringste Schatten fallen. Mein Bruder kann seine Tochter nur einem Ehrenmann geben.« »Aber ja doch. Ich werde die schmutzige Arbeit ganz bestimmt nicht selbst machen.« Der Brauer lachte dröhnend, wobei sein Doppelkinn zitterte und seine kleinen Augen beinahe in den Falten verschwanden, die sich um seine Augen gebildet hatten. Ludwig Dörenkamp war alt und hässlich, was ihm auch genau bewusst war. Es störte ihn jedoch nicht. Ihm genügte es, ein junges Mädchen zu besitzen. Und er war reich genug, um den habgierigen Onkel dieses Mädchens zu bestechen. * 45
Teresa wollte Albrecht Warin nicht heiraten, obwohl er noch jung und durchaus ansehnlich war und in geordneten Verhältnissen lebte. Im stillen gestand sie sich ein, dass sie immer noch von einem schwarzhaarigen Ritter träumte, der sie liebte und sie auf sein Schloss führte. Und dieser Ritter besaß Pferde und Falken und um das Schloss herum ausgedehnte Ländereien mit Wald und Wiesen. So würde sie endlich der Enge und den mitunter üblen Gerüchen der Stadt entfliehen können - und vor allem der eigenen Verwandtschaft. Hier, in Nassenbach, war Onkel Rufus allgegenwärtig, hier hatte er viel zu sagen und seine zahlreichen Zuträger. Auf jeden Fall würde er seine Nase stets und ständig in ihre Angelegenheiten stecken. Aber sie mochte Albrecht, er war hilfsbereit, freundlich und zurückhaltend. Er drängte sich ihr nicht auf und hatte sie noch nie geküsst. Irgendwie gefiel ihr das auch nicht. Ein wenig liebevoller und leidenschaftlicher könnte er schon sein, dachte sie, auch wenn es selbstverständlich keinen Zweck hatte. Seitdem Martha und Heinrich die Stadt verlassen hatten, waren inzwischen acht Tage vergangen, acht Tage, in denen sich Teresa fragte, ob die beiden wohl ihr Ziel erreicht hatten. Immerhin war es mitunter sehr stürmisch gewesen. Und es gab auch noch genug andere Gefahren, an die sie gar nicht zu denken wagte. Sie fragte sich das an diesem Nachmittag auch, während sie Eintragungen in das Hausbuch machte. Ihr Vater hatte seinerzeit nicht viel davon gehalten, dass sie Lesen, Schreiben und Rechnen lernte, hatte jedoch nichts ausrichten können, weil ihre Mutter ihn tüchtig angepfiffen und gesagt hatte, dass eine ungebildete Frau niemals den Haushalt eines vermögenden Mannes führen konnte, sie würde durch ihre Unwissenheit nur sein Hab und Gut verschleudern und ihn an den Bettelstab bringen. Diese Argumente hatten dem knickerigen Max dann auch bald eingeleuchtet. Seitdem führte Teresa das Hausbuch und ließ sich diese Aufgabe auch nicht mehr aus der Hand nehmen. So notierte sie eifrig die Ausgaben für neue Stoffe, Gewürze, Eier und Wein und bemerkte gar nicht, dass ihr Vater das Zimmer betreten hatte. 46
»Zieh dir ein anderes Gewand an!«, befahl er und deutete missbilligend auf ihr einfaches Kleid aus gemustertem Barchent. »Mit diesem Fetzen brauchst du bei Onkel Rufus gar nicht erst aufzutauchen, zumal er einige einflussreiche Gäste zum Abendessen erwartet.« Teresa legte Buch und Feder beiseite, blickte ihren Vater unangenehm überrascht an und fragte: »Heißt das, dass wir beide auch eingeladen sind?« »Genauso ist es, Tochter«, bestätigte Max Hitschler selbstgefällig, denn es kam nicht allzu oft vor, dass sein älterer Bruder ihn oder die anderen Geschwister zum Essen einlud. »Und ich soll mitkommen? Habt Ihr Euch da auch nicht verhört?« »Aber nein. Onkel Rufus hat ausdrücklich um dein Kommen gebeten. Ein hübsches junges Fräulein macht sich gut bei Tisch, hat er gesagt.« Max rieb sich die Hände und dachte voller Vorfreude an die Delikatessen, mit denen Rufus seine Gäste zu bewirten pflegte. Er tat das nicht ohne Grund, aber mit gesättigten Geschäftspartnern, deren Hirn obendrein noch von einem süffigen Wein benebelt war, hatte er sich stets zu seinen Gunsten verständigen können. Max wusste das und Teresa wusste das auch. Aber sie hütete sich, ihren Argwohn dem Vater mitzuteilen. Und vielleicht war es gut, wenn sie mitging. Es war immer von Vorteil, dem Feind ins Auge zu schauen. So konnte man eventuell seine Pläne durchkreuzen. »Ist Albrecht auch eingeladen?« »Warum sollte er?«, sagte Max hochmütig. »Er gehört weder zu Onkel Rufus' Geschäftsleuten noch zur Familie.« »Ach ja, daran habe ich gar nicht gedacht.« Teresa sagte das ziemlich kleinlaut und erhob sich dann. »Aber ich denke, der Herr Vater und Onkel werden mit mir zufrieden sein. Ich werde mein schönstes Kleid anziehen.« Max nickte nur, er hatte allerdings erwartet, dass Teresa seine Begeisterung teilte. Wenn sie sich freute, sah sie nämlich noch schöner aus. Nun, vielleicht besserte sich ihre Stimmung noch. Und als er später mit ihr zum Haus seines Bruders ging, war er der Ansicht, dass sie sich doch auf diesen Abend freute, denn sie war wundervoll gekleidet. Über einem feinen Hemd trug sie einen blau47
seidenen Bliaud, der in der Taille von einem goldbestickten Gürtel zusammengehalten wurde und Ärmel aus weißer Seide hatte. Ihre Zofe hatte ihr blaue Bänder in das Haar geflochten, die einzelnen Strähnen aufgerollt, mit Nadeln festgesteckt und ihr dann einen kranzförmigen Kopfschmuck aufgesetzt, wie ihn Jungfrauen aus besseren Kreisen trugen. »Sämtlichen Männern werden die Augen aus dem Kopf fallen, wenn sie dich sehen«, prophezeite ihr der Vater, während er sie wohlwollend musterte. »Nun, anschauen können sie mich ja, aber sie dürfen nicht vergessen, dass ich bereits versprochen bin.« »Versprochen ist noch nicht vermählt«, entfuhr es Max unbedacht. Er machte seine Tochter damit sehr hellhörig und sie begann zu ahnen, was an diesem Abend eigentlich gespielt werden sollte. Man wollte sie vorführen wie einen Tanzbären und dann dem Meistbietenden versprechen. Oder sie selbst sollte vom Reichtum und der Eleganz der Herren so geblendet werden, dass sie die Verlobung mit Albrecht löste. Flüchtig dachte sie an den Ritter aus ihren Träumen, sagte sich aber, dass die Wirklichkeit ganz anders aussah. Teresa täuschte sich nicht. Die Damen und Herren, die ihr Onkel eingeladen hatte, waren zum überwiegenden Teil im vorgerückten Alter. An jungen Leuten waren nur zwei blassgesichtige Burschen vorhanden, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem schönen und starken Ritter aus ihrer Phantasie hatten und die nur zu ihr hinglotzten, als hätten sie noch nie eine Frau gesehen. Teresa beachtete sie nicht, versuchte jedoch, den eigentlichen Zweck dieser Zusammenkunft herauszubekommen. Und nachdem sie die Gäste lange genug beobachtet hatte, erkannte sie diesen mühelos. Er lag in den begehrlichen Blicken von Ludwig Dörenkamp, einem Mann, der zwar erlesen gekleidet war und kostbare Ringe trug, der aber viel Ähnlichkeit mit einem Hausschwein hatte. Bei diesem Vergleich lächelte sie unwillkürlich. Ihr Lächeln wurde bemerkt - von ihrem Onkel und - vom Hausschwein. Es war unterdessen klammheimlich an ihre Seite gekrochen und erfreute sie nun mit einem längeren Gegrunze. Dumm war Ludwig 48
Dörenkamp nicht, das merkte sie, er war sogar listig und vor allem berechnend. »Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn Ihr mich einmal mit Eurem Herrn Vater besuchen würdet«, sagte er gerade und legte wie unabsichtlich seine feuchte Hand auf ihren Unterarm. »Dann könnte ich Euch mein Haus und meinen Garten zeigen. Außerdem habe ich einige Verbesserungen vornehmen lassen, zum Beispiel ein Badehaus und einen gepflasterten Innenhof. Dort könnt Ihr lustwandeln, ohne dass Euer Gewand schmutzig wird.« »Oh...«, hauchte Teresa, anscheinend überwältigt von soviel Luxus. Sie überließ es dem Brauereibesitzer, sich diese Antwort zu übersetzen. Er tat es in seinem Sinne und wollte nun zu einer weiteren Verherrlichung seiner Besitztümer übergehen, als Tante Elfleda einen schrillen Schrei ausstieß und mit spitzem Finger auf eine Maus wies, die in einer Ecke seelenruhig an einem Stück Käse knabberte. Selbstverständlich konnte auch Teresa den Anblick dieses gefährlichen Tieres nicht ertragen. Sie quietschte aufgeregt und verließ den Speiseraum so schnell sie konnte. Ihr Vater folgte ihr auf dem Fuße und zeterte, als er sie auf dem Gang eingeholt hatte: »Was soll das? Du hast dich doch noch nie vor Mäusen gefürchtet. Und jetzt tust du so, als wärest du einer Ohnmacht nahe.« »Natürlich fürchte ich mich nicht vor so kleinen Tieren«, fauchte Teresa. »Die Maus war aber ein guter Grund, mich von diesem... alten Mann entfernen zu können. Stellt Euch vor, Herr Vater, er hat mich angefasst... und das war ekelhaft.« Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse und jammerte: »Ich kann nicht mit Euch zurückkommen, es geht einfach nicht. Dieser Mann ist widerlich. Habt Ihr das denn nicht bemerkt?« »Nein, er ist reich und dein Onkel nennt ihn einen guten Geschäftsmann.« »Das mag schon sein. Aber ich will mit ihm keine Geschäfte machen. Ich will ihn auch nicht mehr sehen. Erlaubt mir, dass ich mich zurückziehe.« 49
»Das geht nicht. Onkel Rufus wäre dir ernsthaft böse.« Max Hitschler packte seine Tochter am Arm und zog sie mit sich. »Nun komm schon!«, meinte er beschwichtigend. »Es sieht wirklich nicht gut aus, wenn du zu lange fort bleibst. Du kannst dich ja, wenn du magst, zu Tante Elfleda und Tante Konstanzia setzen. Die werden den alten Dörenkamp schon nicht zu dicht an dich heran lassen.« »Ach ja, das ist gut.« Teresa atmete auf und ging dann am Arm ihres Vaters zum Speisezimmer zurück, wo es ihr in den folgenden Stunden recht gut gelang, einem aufdringlichen Borstentier auszuweichen. Als man sich voneinander verabschiedete, war man allgemein zufrieden. Die Gäste, denen Rufus die Rolle der Statisten zugedacht hatte, waren satt und beschwipst. Die Tanten, allen voran Elfleda, hatten auf die Tugend der schönen Nichte geachtet. Teresa hingegen begann zu ahnen, was ihr Onkel mit ihr und Albrecht vorhatte und diese Ahnung machte ihr Angst. Max hingegen war seinem Bruder wie immer gern gefällig und bereute seine Entscheidung, Teresa dem Goldschmied versprochen zu haben. Aber Rufus würde die Sache nun in die Hand nehmen und alles rückgängig machen. Wie er das anstellen wollte, wusste Max nicht und wollte es auch nicht wissen. Ludwig Dörenkamp war allerdings nicht nur zufrieden, er war wie berauscht. Seine Auserwählte, die er bisher nur von weitem gesehen hatte, war so schön, dass er es kaum abwarten konnte, sie zu heiraten und seine Hände über ihren Körper gleiten zu lassen. Der Hausherr lächelte süffisant, nachdem die Gäste gegangen waren. Sein Plan würde gelingen und ihm noch weitere Beutel mit Gold bescheren. * »Ich möchte euch einen Vorschlag machen.« Klaus schlenderte auf seinen Bruder und Martha zu, die vor der Hütte saßen und wie so oft in den letzten Tagen über ihre Zukunft sprachen. Er lächelte über ihre erstaunten Mienen und setzte sich ebenfalls auf die Bank. 50
»Wie würde es euch gefallen«, begann er, »wenn ihr Pächter eines adligen Herrn würdet? Ich kenne nämlich einen solchen. Es handelt sich um einen schwedischen Prinzen, dem ich vor einiger Zeit einen Gefallen getan habe. Carl Magnus von Thurkland hat kürzlich die Ländereien um Livingholm geerbt und da er das Land ja nicht allein bestellen kann, sucht er geeignete Leute, die das für ihn tun, am liebsten solche, die etwas von der Landwirtschaft verstehen.« »Das hört sich zwar sehr gut an«, antwortete Heinrich zögernd, »ist für uns aber unerschwinglich. Die paar Münzen, die wir besitzen, reichen gerade für ein wenig Hausrat.« »Ja, so ist es«, fügte Martha traurig hinzu. »Ja, wenn wir mein Erbteil hätten, dann würde es schon anders aussehen.« »Du wirst dein Erbteil bekommen. Das verspreche ich dir. Und Heinrich bekommt von mir soviel, dass ihr euch ein schönes Haus bauen könnt. Klaus Störtebeker ist ja schließlich kein armer Mann.« »Ja, wenn das so ist.« Heinrich lachte und umarmte vor Freude seine Martha. Diese war jedoch nicht so schnell zu überzeugen und fragte bestürzt: »Wie... willst du denn an mein Erbe... herankommen? Meinst du, Rufus gibt es dir freiwillig?« »Sicher nicht. Aber es gibt immer geeignete Mittel und Wege, um einen Dieb zur Herausgabe der Beute zu veranlassen. Es wäre mir allerdings sehr nützlich, wenn du mir die Örtlichkeit und die Gewohnheiten von Rufus Hitschler im einzelnen erklären würdest.« Klaus blickte Martha verschmitzt grinsend an, bis sie auch lachte und ihm von ihrer ehemaligen Familie und ganz besonders von Rufus, seiner Meta und dem schönen Haus erzählte. »Nun weiß ich Bescheid... und kann bei Gelegenheit unseren Eltern einen Besuch abstatten«, entgegnete Klaus unbekümmert. »Ich werde sie von euch grüßen und anschließend dafür sorgen, dass mich der gute Rufus etwas näher kennen lernt. Aber vorher segeln wir nach Livingholm. Seid ihr damit einverstanden?« »Ja«, erwiderte Heinrich tief bewegt. »Hab' Dank, Bruder. Wir versprechen dir, treue Vasallen des Prinzen von Thurkland zu werden.« 51
* »Ihr seht recht besorgt aus, meine liebe Teresa«, meinte Albrecht Warin stirnrunzelnd. »Fühlt Ihr Euch nicht wohl?« »Es geht mir gut, aber...« Teresa blickte sich nach allen Seiten um, sah jedoch niemanden, der ihnen bei ihrem Spaziergang durch den Garten folgte. Und doch, sie hatte so ein ungutes Gefühl in sich, als würde Unheil über sie und Albrecht kommen. »Aber?«, fragte er, als sie nicht weiter sprach. Sie sah zu ihm auf und fand sein Gesicht plötzlich gar nicht mehr so nichts sagend, sie sah den warmen Schimmer in seinen Augen und seinen hübschen Mund. Wenn sie dagegen an Ludwig Dörenkamp dachte, dann wurde ihr übel. »Es wäre mir lieb, wenn wir zu Eurer Frau Mutter ins Haus gehen würden«, erwiderte sie bedrückt. »Dort lässt es sich leichter reden.« »Gut, gehen wir hinein.« Albrecht bot ihr seinen Arm und ging mit ihr langsam weiter, bis sie die Haustür erreichten. Er war inzwischen auch besorgt und fragte sich, was seine sonst so energische Braut bekümmerte. Es musste etwas Schlimmes sein, denn Teresa klagte nicht über Kleinigkeiten. Deshalb führte er sie in sein Arbeitszimmer und sagte ohne Umschweife: »Nehmt Platz und berichtet mir dann, was Euch soviel Kummer macht. Ich bemerkte diesen gestern schon und will Euch gern helfen, wenn ich es kann.« Viel zu erregt, um auf ihrem Stuhl sitzen zu bleiben, sprang sie auf, eilte zu ihm, legte eine Hand auf seine Brust und sagte eindringlich: »Ich glaube, dass Ihr in großer Gefahr seid. Passt gut auf Euch auf.« Er nahm ihre Hand in die seine und fragte ungläubig: »Wer soll mir denn etwas antun wollen? Ich bin nicht so reich, dass sich derartiges lohnen würde.« »Und doch habt Ihr einen Schatz, den jemand anders gern besitzen würde. Und von dort kommt auch die Gefahr. Ich spüre sie.« »Dieser... Schatz seid Ihr, nicht wahr?« 52
»Ja«, antwortete sie leise, während sie seine Hand streichelte. »Onkel Rufus will, dass ich Euch aufgebe und statt dessen Ludwig Dörenkamp heirate. Er sagt es mir nicht offen, aber er hat diesen Mann schon zum Abendessen eingeladen... und... ich musste auch daran teilnehmen. Und dabei habe ich erkannt, was mein Onkel für Pläne hat. Er wird Euch aus dem Weg räumen wollen.« »Warum sollte er? Ihr braucht Euch doch nur von mir zu trennen, dann seid Ihr frei für den anderen.« Albrecht sagte das resigniert, aber ohne Bitterkeit. Er wandte sich von Teresa ab, ging unruhig ein paar Schritte hin und her und setzte dann kühl hinzu: »Ludwig Dörenkamp wird Euch viel mehr bieten können als ich, er ist sehr vermögend und...« »... und alt, fett und sicher auch gewalttätig, wenn ich mich seinem Willen nicht füge«, warf sie aufgebracht ein. »Ich will ihn nicht und außerdem muss ich dauernd an Martha denken. Wenn ich Ludwig Dörenkamps Gemahlin wäre, dann würde es mir vielleicht eines Tages auch so wie ihr ergehen.« »Ihr wollt also bei mir bleiben, auch wenn Ihr mich nicht liebt?« Sie errötete und stammelte: »Ja, ich will bei Euch bleiben, auch wenn ich Euch nicht liebe. Aber... ich mag Euch, weil Ihr jung seid... und gut gewachsen... und nicht so hinterhältig wie der Brauer. Ach, ich kann es Euch nicht so genau erklären.« »Das müsst Ihr auch nicht«, erwiderte er beruhigend. »Aber Ihr solltet Euch genau überlegen, was für Euch das Beste ist. Ich weiß, ich habe Euch damals keine andere Wahl gelassen, als meine Werbung anzunehmen. Inzwischen ist es jedoch so, dass der Grund für unsere Verbindung nicht mehr besteht. Heinrich und Martha sind glücklich gelandet.« »Gott sei Dank, aber woher wisst Ihr das?« »Ich habe gestern eine Nachricht von ihnen bekommen, sie sind allerdings nicht auf Kellenhoop, sondern inzwischen auf dem Weg nach Schweden, also weit fort von Nassenbach und dem Hexenwahn.« Albrecht musterte Teresa einige Augenblicke und fügte dann hinzu: »Wir könnten uns in aller Freundschaft trennen und alles ist wieder so, wie es vorher war.« 53
»Ist es nicht«, fauchte sie ihn an. »Und das wisst Ihr auch.« »Stimmt«, gab er zu und lächelte spöttisch. »Ihr müsst Euch ja noch den hässlichen und fetten Brauer vom Leibe halten, damit Ihr weiter, so wie die meisten Mädchen, von - einem wunderschönen Prinzen träumen könnt. Vielleicht habt Ihr Glück und findet so einen Mann. Darüber könnt Ihr allerdings alt und grau werden.« Sie schaute ihn daraufhin so zornig an, dass er lachend sagte: »Wenn Blicke töten könnten, dann wäre ich eben leblos zu Boden gesunken.« »Ihr seid gemein... genauso wie Onkel Rufus und Ludwig Dörenkamp, nein. Ihr seid noch schlimmer, ihr macht Euch über mich lustig.« Seine Augen wurden schmal, aber er antwortete nicht. Sein Arm schnellte nur vor, griff nach ihr und hielt sie eisern fest. »Lasst mich los!«, zischte sie, doch Albrecht Warin schüttelte den Kopf. »O nein, meine Liebe, wenn Ihr meint, dass ich auch weiterhin als Euer zukünftiger Gemahl gelten soll und obendrein noch in Gefahr bin, dann brauche ich eine Stärkung, dann will ich Euch spüren und küssen.« »Ihr seid ja...«, nicht ganz richtig im Kopf, wollte sie sagen, doch in diesem Moment wurde ihr Mund von einem anderen verschlossen. Sie zappelte und wehrte sich einige Sekunden, dann siegte etwas in ihr, dem sie keinen Namen geben konnte. Albrecht roch nicht nach Schweiß und Wein wie der Brauereibesitzer, sondern nach Pfefferminze und nach Mann und er küsste so gut, dass sie seine Küsse unbedingt erwidern musste. Und wenn er sie danach verhöhnte oder über sie lachte, dann war ihr das auch egal. Zu ihrer Überraschung tat er das nicht, als er sie endlich ein wenig freigab. Er lehnte seinen Kopf an ihren und murmelte: »Meine Liebste, ängstigt Euch nicht. Ich werde gut auf mich aufpassen.« Sie hatte Mühe, ihre Verwirrung abzustreifen. Das sollte er natürlich nicht merken. Deshalb entgegnete sie trotzig: »Macht doch, was Ihr wollt.« »Das werde ich auch tun«, erwiderte er lächelnd. »Ich werde Euch immer wieder küssen, so wie es unter Brautleuten üblich ist. 54
Doch jetzt ist es wohl besser, wenn ich Euch nach Hause geleite. Wir wollen doch den werten Herrn Papa nicht verärgern.« Er legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie so aus dem Haus. * Teresa wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Der sonst so gelassene und etwas zögerliche Albrecht hatte sie geküsst, sehr leidenschaftlich, wie ihr schien. Und seine Hände auf ihrem Körper waren überaus angenehm gewesen, so dass sie sich wünschte, viel öfter mit ihm zusammen zu sein. Von ihren Gefühlen überwältigt und noch immer ziemlich verwirrt saß sie in ihrer Kammer und dachte nach. Was war plötzlich nur mit ihr geschehen? Hatte sie sich etwa in Albrecht verliebt? In dieser Nacht schlief sie kaum, weil sie sich immer wieder fragte, ob er sie auch liebte. Gleichzeitig nahm ihre Angst um ihn zu, die am nächsten Morgen noch geschürt wurde. Ihr Vater und sie hatten eben ihr Morgenmahl eingenommen, als ein Bote gemeldet wurde, den Ludwig Dörenkamp geschickt hatte. Der Bursche brachte einen Korb mit taufrischen Rosen und ein Kästchen, in dem eine dicke goldene Kette lag. Max Hitschler war nicht überrascht und Teresa eigentlich auch nicht. Sie tat jedoch so und sagte entrüstet zu dem jungen Mann: »Nehmt das beides nur wieder mit. Euer Herr kann mich nicht meinen, denn ich werde in Kürze die Gemahlin von Albrecht Warin sein.« »Aber... Teresa, du kannst doch nicht...«, stotterte ihr Vater, nachdem der Bote mit den Blumen und dem Schmuck wieder abgezogen war. »Was wird nur Onkel Rufus sagen, wenn du seinen Freund so... brüskierst?« »Es ist mir völlig gleichgültig, was Onkel Rufus sagt. Und so solltet Ihr auch denken und handeln, Papa. Wir sind doch nicht seine Leibeigenen. Macht Euch endlich frei von seiner Vormundschaft.« So etwas hatte Max nie gelernt, er war immer nur ein guter Befehlsempfänger gewesen und fand das im Grunde genommen sehr 55
bequem. Dieses Verhalten entband ihn von jeder größeren Verantwortung, machte ihn aber auch zu einem Diener seines Bruders. »Dein Onkel meint es doch nur gut«, verteidigte er sich lahm, obwohl er ganz genau wusste, dass Rufus immer an sich zuerst dachte. Aber leider, leider war er von ihm abhängig, so wie die anderen auch. Er hatte überdies noch mit einem anderen Nachteil fertig zu werden, den Teresa jetzt offen aussprach. »Seitdem der Onkel in Großvaters Haus wohnt, sind wir vor ihm, seiner Sippschaft und seinen Spionen nicht mehr sicher. Sie tauchen alle naselang bei uns auf, sind lästig wie die Riegen und neugierig wie Waschweiber. Ich werde jedenfalls sehr froh sein, wenn ich mit Albrecht verheiratet bin und meinen eigenen Hausstand habe.« Nach dieser unverblümten Meinungsäußerung war Max so entgeistert, dass er sprachlos am Tisch sitzen blieb, während seine Tochter den Raum verließ. Er ahnte, wohin sie ging. * »Albrecht ist in der Werkstatt«, sagte Gunde Warin lächelnd, als Teresa nach ihrem Verlobten fragte. »Er hat einen Auftrag von einem Kaufmann aus Wismar bekommen, dessen Gemahlin sich mit einer Kette aus Gold und Edelsteinen und einem dazu passenden Armband schmücken möchte. Aber er hat sicher nichts dagegen, wenn du ein wenig zuschaust, meine Tochter.« »Danke sehr.« Teresa eilte leichtfüßig davon, zögerte aber, als sie unmittelbar vor der Werkstatt stand. Was wollte sie eigentlich hier? Sie konnte ihm doch nicht sagen, dass sie Sehnsucht hatte. In diesem Augenblick fielen ihr Ludwig Dörenkamps Geschenke wieder ein. Die waren auf alle Fälle Grund genug, um den Goldschmied bei der Arbeit zu stören. Entschlossen drückte sie die Klinke herunter. Albrecht arbeitete jedoch nicht an dem Schmuck, sondern stand hinter dem Ladentisch und war dabei, vergoldete Becher in ein Regal zu räumen. Als er Teresa bemerkte, schaute er erstaunt auf und fragte in jener ihr nun schon vertrauten Mischung aus gutmütigem Spott und 56
leiser Resignation: »Was führt Euch schon so früh am Tag zu mir, Liebste?« »Der Brauer hat mir Blumen und Schmuck geschickt«, platzte sie heraus, während sie auf ihn zuging. »Es ist nicht zu fassen.« »Ihr scheint Euch nicht zu freuen.« »Nein, bei Gott nicht. Ich habe das Zeug zurückgehen lassen, aber ich möchte, dass Ihr davon wisst.« »Warum?« »Weil es sich nicht gehört, einer bereits versprochenen Jungfrau Geschenke zu machen. Aber das ist es nicht allein, weshalb ich zu Euch gekommen bin. Der alte Dörenkamp würde so etwas nie tun, wenn er nicht den Segen von meinem Vater und vor allem von Onkel Rufus hätte. Sie führen etwas im Schilde. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich bitte Euch noch einmal inständig, Euch vorzusehen, besonders dann, wenn Ihr unterwegs seid. Nehmt einen zweiten Kutscher mit, aber einen, der auch mit einer Waffe umgehen kann.« Ihre Sorge rührte ihn, aber er erwiderte sachlich: »Ich kann mich auch selbst verteidigen, habe stets Dolch und Schwert bei mir.« »Was nützen die schon, wenn Ihr allein seid? Bitte versprecht mir...« »Alles, was Ihr wollt«, unterbrach er sie und nahm sie in die Arme. »Doch Ihr solltet auch auf Euch achten. Es ist schon so manche widerspenstige Jungfrau verschleppt worden.« »Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht«, bekannte sie verlegen und schmiegte sich für einen Moment an ihn. Und dann sagte sie noch: »Wir sollten bald heiraten, Albrecht.« »Ja?«, erkundigte er sich verschmitzt, wurde aber gleich wieder ernst und schimpfte: »Ich will es ja auch, aber Euer Vater behauptet, dass alle noch in tiefer Trauer um den Großvater wären und daher nicht feiern möchten.« »Papa heuchelt genauso wie die anderen«, rief Teresa empört. »Niemand trauert um den Großpapa. Er will nur unsere Hochzeit weit hinausschieben. Und das hat ihm Onkel Rufus eingeredet.« »Wahrscheinlich, dem genüge ich ja nicht als...« Albrecht sprach nicht weiter, denn er hörte Stimmen vor der Tür und gleich darauf 57
betrat ein älteres Ehepaar die Werkstatt. Für Teresa waren die beiden das Signal zum Aufbruch. Ihr angehender Ehemann sah ihr lächelnd nach und wandte sich dann seiner Kundschaft zu. * Zu Hause angekommen, schlich sich Teresa durch den Dienstboteneingang ins Haus. Von hier aus gelangte sie gleich in die Küche, wo sie der Köchin einige Aufträge gab. Dabei wurde ihr bewusst, wie sehr sie die Dienerschaft vermissen würde. Nun, vielleicht konnte sie wenigstens das Küchenmädchen mitnehmen. Und da Teresa nie etwas auf die lange Bank schob, beschloss sie, ihren Vater sofort darum zu bitten. Sie eilte zu seinem Kontor, fand ihn dort aber nicht. Er musste jedoch bald wiederkommen, weil er die Tür nicht verschlossen hatte, was immer der Fall war, wenn er auswärtige Geschäfte erledigte. Sie beschloss, auf ihn zu warten und ging in den Nebenraum, wo Bücher und wertvolle Schriften aufbewahrt wurden. Kurz danach hörte sie die Stimme des Hausherrn, sie war leise und beschwichtigend und Teresa konnte genau verstehen, wie er leise seufzend sagte: »Nun beruhige dich doch, Rufus. Teresa ist ein ehrbares Mädchen, sie ist offiziell dem Goldschmied versprochen und kann daher nicht die Aufmerksamkeiten eines anderen Mannes annehmen. Ludwig war ein wenig voreilig. Er sollte mehr Geduld haben.« »In unserem Alter hat man in dieser Hinsicht keine Geduld mehr«, blaffte Rufus Hitschler. Teresa konnte ihn und ihren Vater nicht sehen, nahm aber an, dass es jetzt zu einer längeren Auseinandersetzung zwischen den Brüdern kommen würde. Um nicht gesehen zu werden und zu lauschen, versteckte sie sich hastig hinter einer großen Truhe, gerade noch rechtzeitig, denn die nur angelehnte Tür wurde in diesem Moment aufgestoßen und nach einigen Sekunden wieder zugeworfen. Der Onkel hatte sich offenbar vergewissern wollen, ob der Raum auch leer war. Nun, davon war er ja jetzt überzeugt, da konnte sie ihr Versteck wohl verlassen und zur Tür schleichen. Und während sie dort verharrte, machte ihr Onkel seiner Verärgerung Luft. Er sagte ungehal58
ten: »Ja, Ludwig hat gehörig übertrieben. Das weiß ich auch. Doch du wirst verstehen, dass er nicht länger warten möchte. Du musst deiner Tochter nun endlich diesen armseligen Wicht ausreden.« »Das habe ich schon oft genug versucht«, erwiderte Max geknickt. »Das musst du mir glauben. Ich habe wie mit Engelszungen geredet, aber ohne jeglichen Erfolg. Was Teresa nicht will, das will sie eben nicht.« »Das hat sie von deiner Alten, die war auch so. Ich hätte diese Xanthippe nie genommen.« »Aber Rufus, wie kannst du nur so etwas sagen?«, versetzte Max beleidigt. »Du weißt doch, dass unser lieber Papa sie für mich ausgesucht hat.« »Da hat Papa einen argen Missgriff getan. Aber was sollen diese Klagen jetzt noch? Mache deiner Tochter endlich klar, dass sie zu gehorchen hat. Anderenfalls...« Rufus Hitschler schenkte sich den Rest seiner Drohung, aber Max wusste anscheinend, was er meinte und flüsterte kaum hörbar: »Das... kannst du doch nicht machen.« »Mach dir nicht ins Hemd! Ich werde gar nichts unternehmen, ich kann doch nichts dafür, wenn der junge Mann in die Hände von Räubern fällt. Danach wird Teresa vielleicht ein paar Tage weinen... und dann begreifen, dass sie mit Ludwig Dörenkamp einen guten Ehemann bekommt.« In diesem Fall hatte Max Oberwasser, er lachte und sagte ironisch: »Teresa geht lieber ins Kloster, aber den Dörenkamp nimmt sie nicht. Weißt du, was sie mir neulich erst gesagt hat?« »Nein, was denn?« »Sie will nicht, dass es ihr wie... Martha ergeht. Der Brauer ist immerhin schon an die sechzig und hat mehrere Kinder... genau wie unser seliger Papa. Sie befürchtet, dass man sie irgendwann um ihr Wittum bringt.« Teresa konnte den Onkel nicht sehen, aber sie war sich sicher, dass ihm jetzt der Mund sperrangelweit offen stand, zumal ihr Vater nun auch noch ironisch hinzufügte: »Und ganz so unrecht hat sie ja auch nicht, nicht wahr, Rufus?« 59
»Deine Tochter hat unrecht. Sie ist eine von uns... und Martha ist - eine Hexe«, schrie das Familienoberhaupt mit überschnappender Stimme. »Sie muss eine sein, denn sie hat übernatürliche Kräfte. Wie hätte sie sonst aus dem Keller gelangen können? Und warum hat man sie trotz eifriger Suche immer noch nicht gefunden? Nur der Teufel kann ihr geholfen haben.« Der Teufel sicher nicht, dachte Max, aber auch er hatte keine Erklärung für das spurlose Verschwinden seiner Stiefmutter, zumindest keine, von der er seinem Bruder erzählen würde. Nach längerem Überlegen war ihm klar geworden, dass es in der eigenen Familie einen Abtrünnigen geben musste. Und er hatte auch einen ganz bestimmten Verdacht, einen Verdacht, von dem Rufus niemals erfahren durfte. »Ja, es geschehen Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich kein Mensch erklären kann«, erwiderte er nun salbungsvoll. »Vielleicht gibt mir unser Herrgott auch bald ein Zeichen, wie ich Teresa überzeugen kann. Deshalb sollten wir alle die Ruhe bewahren.« »Sag das mal Ludwig Dörenkamp«, zischte Rufus. Dann war es still. Teresa hörte nur noch, wie die Tür zugeschlagen wurde. Ihr Vater und ihr Onkel hatten offenbar das Kontor verlassen. Sie waren sich nicht so recht einig geworden, vielleicht zum ersten Mal nicht. Doch das war nicht entscheidend. Wichtig war nur, dass sie fortan Tag und Nacht auf Albrecht aufpassen musste. Sie würde es sich nie verzeihen, wenn ihm etwas zustoßen würde. * Gottes Freund und aller Welt Feind zu sein, war nicht immer einfach, besonders dann nicht, wenn die Beute verteilt wurde. Die Königin forderte ihren Anteil, damit die Schatzkammern gefüllt wurden, denn Geld bedeutete Macht und Ansehen sowie die Möglichkeit, Kriege zu finanzieren. Goedecke war für strikte Gleichteilung, was soviel bedeutete wie: ein Viertel für das Königreich, zwei Viertel für Kapitän und Mannschaft und der Rest für die armen Hunde, wie er das gemeine Volk oft bezeichnete. 60
Es kostete Klaus Störtebeker viel Überredungskunst, um an diesem Verhältnis und zu Gunsten der Armen etwas zu ändern. Aber es gelang ihm oft, schließlich waren sie doch alle nur das Volk und konnten sich an die Zeiten des Hungers und des Elends noch gut erinnern. Und so hatte man auch Mitleid mit Martha und Heinrich und hatte nichts dagegen, dass man Kurs auf Schweden nahm und die Koggen der Pfeffersäcke ungeschoren ließ. Es würde ja sowieso nur für kurze Zeit sein. Einige Tage später lag die ›Maria Anna‹ in einer wenig bekannten Bucht vor Anker, während Klaus Störtebeker an der schlichten Trauung seines Bruders mit Martha Hitschler teilnahm und anschließend die jungen Eheleute mit einer Kutsche zur Burg des Prinzen von Thurkland brachte. Martha war blass und fragte eigentlich immer das Gleiche: »Wird der Prinz uns aufnehmen? Wird er uns ein Stück Land verpachten? Glaubt man hier auch an Hexen und Teufel? Wie werden wir uns hier nur verständigen? Die Leute sprechen doch eine ganz andere Sprache.« Es gelang den Männern kaum, sie zu besänftigen. Heinrich war selbst verzagt und misstrauisch und nur Klaus lachte und versicherte ihnen, dass nun endlich alles gut werden würde. Doch als sie in Livingholm angekommen waren und dem Prinzen vorgestellt wurden, wurde Martha wesentlich mutiger, so dass Klaus eine Woche später beruhigt zum Schiff zurückkehren konnte. Martha und Heinrich würden sich so nach und nach in diesem fremden Land zurechtfinden, es würde irgendwann ihre Heimat werden. Hier würden sie Ihr Haus bauen, ihren Acker bestellen und Vieh halten. Ihre Kinder würden hier aufwachsen und über die Wiesen laufen. Und wenn er, Klaus Störtebeker, das nächste Mal hier vor Anker ging, dann hoffte er, einen gut gefüllten Seesack mit sich zu führen. Bei dem Gedanken an das Geld von Rufus Hitschler lächelte er und freute sich schon jetzt über das entsetzte Gesicht, das jener machen würde, wenn er eines nachts dem - Teufel - begegnete. * 61
Die Kutsche war auf dem Weg nach Wismar. Albrecht Warin hatte es sich in einer Ecke bequem gemacht und döste vor sich hin. Den Schmuck für die Frau des Kaufmannes trug er in einem kleinen Ledersäckchen, das er unter seinem Hemd versteckt hatte. Offiziell führte er nur ein paar versilberte Becher mit sich. Wenn er überfallen werden sollte, mochten diese den Dieben als Beute genügen. Er glaubte zwar nicht daran, dass man es auf ihn abgesehen haben könnte, hatte aber vorsichtshalber, statt einem, zwei Kutscher mitgenommen. Beide waren kräftige Burschen, die Waffen bei sich trugen und gut mit ihren Fäusten umgehen konnten. Ein Geräusch im hinteren Teil des Wagens schreckte ihn jetzt auf. Erschrocken drehte er sich herum und blickte entgeistert auf Teresa, die eben die große Wagendecke beiseite schob. »Ihr?«, rief er fassungslos und bestürzt. »Wie kommt Ihr in meine Kutsche und wie seht Ihr aus?« »Das sind nur ein paar alte Sachen von meinem Bruder«, erwiderte sie verschmitzt, verließ ihr Versteck und setzte sich neben ihn. »Ich dachte, es wäre sehr angebracht, als Mann auf Reisen zu gehen. Sehe ich nicht gut aus? Freimuts Hosen stehen mir doch ganz ausgezeichnet, nicht wahr?« Albrecht musterte die Hosen und was darin steckte, dann räusperte er sich und murmelte: »O ja, ganz ausgezeichnet. Doch wozu diese Maskerade?« »Ich will Euch beschützen!« »Ihr wollt - mich - beschützen?« Er lachte ungläubig. »Wie wollt Ihr das denn machen?« »Ich kann sehr gut mit dem Messer umgehen.« »Sicher, um einen Braten aufzuschneiden und...« »Nicht nur«, unterbrach sie ihn temperamentvoll. »Ich kann damit auch gut werfen. Meine Brüder haben es mir beigebracht.« »Das mag sein, wie es will«, ordnete er streng an. »Ich will Euch hier jedoch nicht haben. Deshalb werden wir umkehren, damit Ihr recht bald wieder zu Hause seid und Euer Vater uns beiden nicht die Ohren lang zieht.« 62
»Wozu denn umkehren? Bis Wismar ist es doch gar nicht mehr so weit. Und wegen Papa braucht Ihr Euch nicht zu sorgen, der glaubt, ich bin im Kloster bei meiner Tante Cecilia. Die ist dort nämlich Äbtissin.« »Erzählt keinen Unsinn!«, fuhr er sie an. »Euer Vater würde Euch nie allein reisen lassen, auch nicht zu Eurer Tante.« »Selbstverständlich nicht. Meine Bewacher folgen uns zu Pferd und in einer anderen Kutsche.« »Aha! Ihr habt Eure Gefolgsleute also so lange beschwatzt, bis sie in diese Richtung gefahren sind?« »Ja«, gab sie freimütig zu. »Und als Ihr vorhin gehalten habt, bin ich in diesen Wagen geschlüpft. Es war ganz einfach, wenn man den Kutscher gut kennt.« »Ich verstehe«, antwortete Albrecht festen Tones, während er Teresa kurz an sich drückte. »Aber Ihr müsst mich auch verstehen. Ich mache mir Sorgen wegen Euch. Die Landstraße ist nämlich kein geeigneter Ort für ein ehrbares Fräulein. Wir werden jetzt anhalten und auf Eure Kutsche warten, damit Ihr umsteigen und nach Nassenbach zurückfahren könnt.« »Nein!«, protestierte sie energisch. »Doch«, beharrte er und beugte sich vor, um den Kutscher zu rufen. Doch dazu kam er nicht mehr. Mehrere bewaffnete Reiter blockierten die Straße, Pfeile flogen dicht an den Kutschern vorbei, trafen sie aber zum Glück nicht, weil Franz und Karl sich geistesgegenwärtig zur Seite geworfen hatten. Die Kutschpferde wieherten laut und stoben dann wie die wilde Jagd davon. Die beiden Männer konnten sie nur mit Mühe bändigen. Die vier Reiter, die ihre Hüte tief in die Stirn gezogen hatten, waren natürlich schneller als der behäbige Planwagen. Sie hatten ihn bald wieder erreicht und zwangen Albrecht Warins Kutscher zum Halten. Doch ehe sich einer der Räuber in das Innere des Wagens stürzen konnte, hatte Teresa ihr Messer geworfen und den ersten Mann in Augennähe getroffen. Mit einem lauten Schrei wich er zurück, worauf sein Pferd vor Schreck scheute. Er verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Seine Verletzung interessierte die anderen drei jedoch nicht, 63
die hatten es unterdessen auf die Kutscher abgesehen, aber offensichtlich nicht damit gerechnet, dass diese sich wehren könnten und der Goldschmied auch selbst sein Schwert schwingen würde. In diesem Augenblick waren auch Teresas Gefolgsleute herangekommen und griffen in den Kampf ein. Angesichts dieser Übermacht und der Verwundungen, die sie mittlerweile erlitten hatten, machten sich die Räuber schnellstens aus dem Staube. Sie warfen ihren verletzten Kameraden auf sein Pferd und waren dann genauso schnell verschwunden, wie sie gekommen waren. Teresa hatte sich nach dem Angriff auf einen der Räuber im Hintergrund gehalten, jedoch jederzeit bereit, ein weiteres Messer zu werfen. Jetzt trat sie zu den anderen, sah sich die Verletzungen der Männer an und meinte nur: »Ich werde Euch gleich verbinden.« Sie ging zu ihrer Kutsche und nahm auf dem Weg dorthin zum Erstaunen aller ihren Dolch, der noch im Gras lag, wieder an sich. Man hörte, wie sie halblaut sagte: »Ist nun mal mein bestes Küchenmesser. Das brauche ich noch.« Albrecht Warin grinste anerkennend. Seine Braut war mutig und ließ sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Sie wusste genau, was sie wollte. Und anscheinend wollte sie ihn, sonst wäre sie ihm jetzt nicht zur Hilfe gekommen. Bei diesen Überlegungen atmete er erleichtert auf. * Albrecht war unverletzt geblieben, die Kutscher waren jedoch nicht mit heiler Haut davongekommen. Einer war am Oberschenkel getroffen worden und hatte eine lange stark blutende Wunde. Teresa konnte die Blutung jedoch zum Stillstand bringen, dank des mitgebrachten Verbandsmaterials. Der andere Mann hatte nur eine Verletzung am linken Unterarm, im Grunde genommen nur einen Kratzer. Er konnte weiter seinen Dienst versehen, während sein Kamerad sich im Wagen hinlegen musste. Dort schlief er bald ein. Teresa war jetzt auch ein wenig erschöpft, war aber doch zu aufgeregt, um sich ausruhen zu können, sie zitterte sogar. 64
»Eure Ahnungen haben Euch nicht getrogen«, sagte Albrecht jetzt leise und hauchte einen Kuss auf ihre Hand. »Es war schon mehr als eine Ahnung«, erwiderte sie und seufzte leise. »Es war schon beinahe eine Gewissheit. Man wollte Euch aus dem Weg räumen lassen, weil ich nicht auf Euch verzichten will, weil ich keinen anderen Mann heiraten will, auch wenn dieser reicher ist, als Ihr.« »Wollt Ihr das wirklich nicht?« Sie strich über seine Wange. »Nein. Ich weiß doch gar nicht mehr, wie es ohne Euch ist. Ihr gehört doch schon zu meinem Leben. Und ich stelle mir vor, wie schön es wäre, mit Euch Kinder zu haben.« »Ich stelle mir das auch schön vor«, flüsterte er und zog sie ganz dicht heran. »Schon allein der Anfang ist so wundervoll.« Teresa wusste natürlich, was er meinte, aber sie errötete doch und ärgerte sich insgeheim über ihre mangelhaften Kenntnisse. Als Albrecht sie nun innig küsste, wieder und wieder, gelangte sie jedoch schnell zu der Ansicht, dass sie bestimmt noch alles lernen würde. Insgesamt hatte der Überfall viel Zeit gekostet, so dass es beinahe Abend war, als die beiden Kutschen in Wismar ankamen. Albrecht ließ sich sofort zum Haus des Kaufmannes fahren, Teresa und zwei Kutscher begleiteten ihn, während die übrigen Männer mit ihrem verletzten Kameraden eine Herberge aufsuchten, wo auch die Pferde untergebracht werden konnten. Nach Erledigung des geschäftlichen Teiles wurden der Goldschmied und sein ›junger Freund‹ von Hinrich Becker und seiner Gemahlin zum Abendessen eingeladen und man stellte ihnen auch eine Kammer für die Nacht in Aussicht. Das letzte Angebot gefiel Albrecht ganz besonders gut. Als sie sich zwei Stunden vor Mitternacht endlich zur Ruhe begeben konnten, hatte sich Teresa wieder vollkommen gefangen. Sicher, sie hatte einen der Räuber verletzt, vielleicht sogar schwer, aber sie hatte vermutlich Albrechts Leben gerettet, weil sie auf diesen Anschlag vorbereitet gewesen war. »Woran denkt Ihr?« Albrecht, der sich im Nebenraum gewaschen hatte, trat jetzt zu ihr und nahm sie in seine Arme. 65
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ob Hinrich Becker und seine Gemahlin gut schlafen würden, wenn sie wüssten, dass wir ein unvermähltes Paar sind?« »Sie wissen es ja nicht«, antwortete er heiser. »Ihr seid ja nur mein junger Freund, den ich jetzt gar zu gern von seiner Männerkleidung befreien möchte. Was meint Ihr dazu?« »Ich weiß es nicht«, versetzte sie zögernd. »Ich hatte mir manches ganz anders - gedacht, aber eigentlich bin ich unwissend wie ein... kleines Kind.« »Das wird bald anders werden, meine liebe Kleine.« Er begann, ihre Jacke aufzuknöpfen und zog anschließend das weiße Leinenhemd aus dem Hosenbund. Stiefel und Hosen folgten, bis Teresa nur noch ihr Unterzeug trug. »Und... nun?«, fragte sie mit zitternder Stimme. »Und nun werden wir uns ins Bett legen. Es ist breit genug für uns beide.« Albrecht nahm Teresa schwungvoll auf die Arme, trug sie zu dem Lager und ließ sie in die Kissen gleiten. Danach zog er sich selbst aus, löschte die Kerze und schlüpfte dann zu Teresa unter die Decke. Sie hatte unterdessen die Augen fest zugemacht und bebte jetzt noch mehr, als Stunden zuvor beim Kampf mit den gedungenen Räubern und Mördern. Albrecht bemerkte das und flüsterte ihr beruhigend zu: »Du musst dich nicht fürchten, ich habe dich doch lieb und werde dir nicht weh tun. Aber du hast trotzdem noch viel zuviel an.« Er lachte leise, befreite sie vom Rest ihrer Kleidung und begann anschließend, ihren Körper mit seinen langen schmalen Fingern zu erforschen. Teresa fand das anfangs etwas seltsam und dann wunderschön. »Ich liebe dich«, sagte er am nächsten Morgen zu ihr. »Ich habe dich schon geliebt, als du noch ein halbes Kind warst und mit deinen Freundinnen im Garten gespielt hast.« »Ja?«, staunte sie. »Warum hast du es mir dann nie gesagt? Warum hast du mich immer übersehen?« »Ich kam doch als Schwiegersohn für deinen Vater gar nicht in Betracht und außerdem dachte ich, du magst mich nicht. Als du dann aber mit Martha zu mir kamst und um meine Hilfe gebeten hast, da 66
habe ich Hoffnung geschöpft. Man wagt eine derartige Bitte doch nur bei einem Menschen, zu dem man Vertrauen hat.« »Es war wohl weniger das Vertrauen«, bekannte sie ehrlich, »als die Tatsache, dass du meinem Großvater und Onkel Rufus nicht zum Munde geredet hast, wie so viele andere Leute. So ein Mann, dachte ich damals, hat genug Mut, um einer zu Unrecht angeklagten Frau zu helfen. Du hast es getan und dafür danke ich dir. Dass ich mich mit der Zeit allerdings in dich... verlieben würde, hätte ich nie für möglich gehalten.« Er antwortete nicht, aber seine Augen leuchteten und er griff nach ihren Händen, um diese fest zu drücken. * Max Hitschler wanderte ziellos in seinem Kontor hin und her. Er war besorgt - sehr sogar. Teresa, die gestern nur die Schwester ihrer Mutter im nahe gelegenen Kloster hatte besuchen wollen, war über Nacht weggeblieben und immer noch nicht nach Hause zurückgekehrt. Die Mittagsstunde war schon längst vorbei und er dachte mehr denn je an Räuber und Wegelagerer, denen sie vielleicht in die Hände gefallen sein konnte. Er war schon drauf und dran, eine Suchmannschaft zusammenzustellen, als er von seinem Fenster aus sah, wie zwei Kutschen in den Hof fuhren und dort anhielten. Er erkannte seinen eigenen Wagen und das Gesinde sowie Albrecht Warin, der eben aus der anderen Kutsche gestiegen war. Was hatte der denn hier zu suchen? Und dann sah er Teresa. Er atmete erleichtert auf und wollte seiner Tochter entgegengehen. Sein Bruder hinderte ihn jedoch daran, indem er plötzlich hinter ihm stand und wütend zischte: »Ich habe gerade erfahren, dass deine liederliche Tochter die ganze Nacht nicht zu Hause war. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Und nun sehe ich zu meinem Entsetzen, dass Teresa ganz offensichtlich mit diesem... diesem rebellischen Hanswurst zusammen war. Wie kannst du so etwas dulden, Max? Das begreife ich nicht.« 67
Der jüngere Hitschler hatte sich herumgedreht, aber dachte nicht daran, seinen Bruder zu besänftigen, sondern widersprach resolut: »Du reimst dir etwas zusammen, was nicht der Wahrheit entspricht, Rufus. Teresa war bei ihrer Tante im Kloster und hat dort die Nacht verbracht. Ihren zukünftigen Gemahl wird sie wahrscheinlich unterwegs getroffen haben. Komm, hören wir uns an, was die beiden uns zu sagen haben.« Rufus folgte seinem Bruder. Es blieb ihm ja nichts anderes übrig. Er war jedoch in höchstem Maße verärgert, schließlich wusste er genau, dass der Goldschmied von seiner Reise nach Wismar nicht mehr lebend zurückkehren sollte. So hatte es ihm jedenfalls Ludwig Dörenkamp zugeflüstert. Man sollte ihn tot am Wegrand finden, überwältigt und ausgeraubt von einer Diebesbande. Aber offensichtlich war die Sache nicht nach Plan verlaufen. Einer der Kutscher schien zwar ein lahmes Bein zu haben, ein anderer trug einen Verband, Albrecht Warin war jedoch vollkommen unversehrt. Der Brauer musste total unfähige Männer angeheuert haben. Oder Warin war stärker bewaffnet gewesen, als angenommen. Inzwischen waren sie in der großen Diele angekommen, die Teresa und Albrecht eben auch betreten hatten. »Teresa, Kind!« Max beachtete die missbilligenden Blicke seines Bruders nicht. »Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht, weil du gar zu lange weggeblieben bist. Aber sag mir, warum trägst du ein Gewand deines Bruders?« »Ich habe befürchtet, dass eine alleinreisende Dame zu schnell den begehrlichen Blicken mancher Männer ausgesetzt ist und vielleicht sogar überfallen wird. Deshalb habe ich mich ein wenig verkleidet. Ich bin zum Glück nicht den Räubern in die Hände gefallen, aber Albrecht. Doch er und seine Männer konnten die Wegelagerer in die Flucht schlagen. Darüber bin ich sehr froh. Im übrigen haben wir die Nacht beieinander gelegen und wollen nun so schnell wie möglich getraut werden. Ihr versteht das doch, nicht wahr, Herr Vater?« Teresa lächelte spitzbübisch und ließ sich auch von der grimmigen Miene ihres Onkels nicht erschüttern. 68
In dieser Minute wuchs Max über sich hinaus. Er, der sonst immer ein williges Werkzeug seines Vaters und Bruders gewesen war, erklärte nun vor aller Ohren: »Dann soll es so sein, Tochter. Lasst uns das Aufgebot an das Kirchentor schlagen, damit du und Albrecht Warin so Gott will, in drei Wochen miteinander vermählt seid.« »So geht das nicht, Bruder.« Rufus versuchte zu retten, was zu retten war. »Du weißt doch, wir befinden uns noch in Trauer um unseren lieben Papa.« Max wischte diesen Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung fort. »Papa hätte sicher nichts dagegen. Du weißt, dass er immer für Zucht und Ordnung war. Und da die beiden ihre Ehe nun schon vollzogen haben, halte ich es für richtig, recht bald Gottes Segen für diese Verbindung zu erbitten.« »Ich aber nicht«, schrie Rufus unbeherrscht. »Ich bin das Oberhaupt der Familie und habe zu entscheiden, wen eine unserer Töchter heiratet. Du hattest kein Recht, Teresa diesem... grünen Jungen zu versprechen.« »Wo steht denn das geschrieben?«, fragte Max erbost zurück. »Es ist meines Wissens nur eine alte Gewohnheit, die man besser so schnell wie möglich abschafft. Und damit haben wir über diese Angelegenheit genug gesprochen. Gehen wir zu Tisch, Ihr seid dazu herzlich eingeladen, Albrecht Warin... und du selbstverständlich auch, Rufus.« »Danke, mir ist der Appetit vergangen«, fauchte das Familienoberhaupt und verließ dann mit schnellen Schritten das Haus seines Bruders - vor Wut ganz gelb im Gesicht. Die anderen lächelten sich zu und Teresa sagte leise: »Danke, Papa.« * Rufus Hitschler hatte nicht gewagt, dem ältlichen Freier von Teresas kurz bevorstehender Hochzeit mit Albrecht Warin zu berichten. Im stillen hoffte er, Ludwig Dörenkamp würde sich nach der Niederlage seiner Söldner gar nicht mehr bei ihm sehen lassen. Vielleicht hatte er inzwischen auch schon den Anschlag am Kirchentor gelesen und seine 69
Bemühungen um Teresa aufgegeben. Nun, das Ende der geschäftlichen Beziehungen mit dem Brauer konnte er verschmerzen, obwohl er eine einträgliche Geldquelle gewesen war. Die plötzliche Rebellion von Max konnte er jedoch nicht einfach so hinnehmen. Die verlangte nach Sühne und zwar bald. Sonst würde dessen Beispiel noch auf die anderen Familienmitglieder übertragen und zu einer Meuterei führen. Während Rufus noch über eine angemessene Bestrafung nachdachte, war er zu dem ehemaligen Kontor seines Vaters gegangen, das er nun schon seit Wochen selbst nutzte, so wie das ganze Haus auch. Seine Frau hatte in Küche und Keller die Oberaufsicht übernommen, trieb das Gesinde an und sparte, wo sie nur konnte. Seine Kinder, die alle schon erwachsen waren, kamen nur selten. Er vermisste sie nicht. Er würde es nur vermissen, wenn er nicht mindestens einmal in der Woche in aller Ruhe sein Geld zählen durfte. Dieser Lieblingsbeschäftigung wollte er auch an diesem Abend nachgehen, nachdem er sämtliche Haustüren und Fenster im Haus verschlossen hatte. Seine Gemahlin schlief schon, ebenso wie die Dienerschaft. Er war allein und wurde jetzt von niemandem mehr gestört. Nun konnte er sich stundenlang an seinen vollen Geldkisten, an Schmuck und Kleinodien erfreuen und berauschen. Er holte die Kisten hervor, stellte sie auf seinen Schreibtisch, öffnete sie und setzte sich. Dann ließ er die Münzen andächtig durch seine Finger gleiten, wieder und wieder. Dabei lächelte er, als würde er eine geliebte Frau streicheln. Eigentlich war es längst Zeit zum Schlafengehen, aber er konnte sich noch nicht von seinen Schätzen trennen. Ihr Anblick verschaffte ihm immer wieder ein Gefühl unumschränkter Macht und Genugtuung. Er war reich, sehr reich sogar und würde eines nicht zu fernen Tages zum Bürgermeister von Nassenbach aufsteigen und dann ständig mit dem Grafen von Brackmühlen zu tun haben und nach ihm der mächtigste Mann der ganzen Umgebung sein. Wenn man genug Geld hatte, dann standen einem jedes Tor und jede Tür offen. Er war so sehr in seine Zukunftsträume versunken, dass er nicht hörte, wie die Tür zu seinem Kontor jetzt langsam geöffnet wurde. Er starrte nur verdutzt auf die Kerze, die ein schwacher Luftzug eben zum 70
Flackern gebracht hatte. Erst danach sah er den großen, ganz schwarz gekleideten Mann, dessen Augen hinter einer Maske dämonisch glitzerten und dessen Haar wie Feuer leuchtete. In der einen Hand trug er ein großes Schwert, in der anderen einen Sack aus Leder. Wie gebannt saß Rufus da und war nicht in der Lage, sich zu bewegen und seine Schatzkisten zu schließen. »Wer... seid Ihr?«, krächzte er schließlich. »Du kennst mich doch«, antwortete der Besucher mit gefährlich leiser Stimme. »Du hast doch schon oft genug erzählt, dass es mich gibt... und nun bin ich da und will dich holen. Das Fegefeuer lodert schon.« »Fegefeuer...«, hauchte Rufus entsetzt, fasste sich dann aber mit letzter Kraft und rief schrill: »Erzählt mir nicht, dass Ihr der Teufel seid. An solche Geschichten glaube ich nicht.« »Nein? Tatsächlich nicht?« Der Mann zog sein Schwert und berührte damit den Hausherrn am Hals. »Ich erinnere mich aber ganz genau, wie du noch in diesem Frühjahr vor deiner Familie und vor der hiesigen Obrigkeit behauptet hast, deine Stiefmutter, die Martha, wäre mit mir im Bunde und demzufolge eine Hexe. Auf den Scheiterhaufen wolltest sie bringen. Wenn es mich nicht gibt, dann ist Martha auch keine Hexe. Wolltest du etwa eine Unschuldige den Qualen der Folter und des Feuers aussetzen?« Rufus versagte die Stimme - und er spürte das Schwert. Nur ein kleiner Stoß, dann war er jenseits von Gut und Böse. »Ja, nun fehlen dir die Worte«, sagte der vermeintliche Teufel nun höhnisch und nahm die Waffe wieder fort, was Rufus erleichtert aufatmen ließ. »Aber du fragst dich sicher, wie ich in dein ganz fest verschlossenes Haus gekommen bin«, fuhr der nächtliche Besucher unerbittlich fort. »Weißt du denn nicht, dass der Teufel alle Türen öffnen kann? Das hast du doch damals auch gesagt, als Martha nicht mehr im Weinkeller war. Und mit ihrer Flucht glaubst du nun, dein Ziel erreicht zu haben. Aber du irrst dich gewaltig.« Der Maskierte wies mit einer raschen Handbewegung auf die Kisten. »Du hast dir fast alles angeeignet, was dein Vater hinterlassen hat, hast deinen Geschwistern 71
kaum das Schwarze unter dem Nagel gegönnt und vor allem Martha um ihr Erbe und ihr Wittum betrogen. Ist das so?« Rufus stotterte einige unverständliche Sätze, er begriff gar nichts mehr, schrie nur gequält auf, als der angebliche Höllenfürst nun eine Kiste nach der anderen im seinem großen Sack verschwinden ließ. »Mein... Geld...«, stammelte er noch, dann schwanden ihm die Sinne. Er sah nicht mehr, wie der unerwünschte Gast zufrieden lächelte und dann den Raum verließ. Erst nach endlos erscheinenden Minuten kam er wieder zu sich. Er rieb sich die Augen und hoffte, das soeben Erlebte wäre nichts anderes als ein Alptraum. Doch dem war nicht so, sein ganzes Vermögen war einschließlich der kostbaren Truhen verschwunden. Aber er hatte jetzt immerhin soviel Kraft und Mut, sich zu erheben, aus dem Zimmer zu stürzen und nach dem Dieb zu suchen. Er weckte seine Frau und das Gesinde, fragte und schrie, doch niemand hatte einen fremden Mann im Haus gesehen. Und doch war er da gewesen, denn die Schatzkisten waren und blieben verschwunden. Völlig verwirrt und geistesabwesend sank Rufus Hitschler auf sein Bett. Auch seine Frau war fassungslos, aber sie fragte dennoch nach den Einzelheiten. Doch der Hausherr antwortete nur mit schwacher Stimme: »Es war der Teufel. Er hat mein Geld mit in die Hölle genommen.« Diese Worte wiederholte er noch viele Male in dieser Nacht, so dass Meta Hitschler allmählich an seinem Verstand zu zweifeln begann. * Klaus Störtebeker hatte das Haus durch eine Seitentür betreten, zu der er einen Schlüssel besaß. Er hatte diese Tür auch wieder verschlossen, war anschließend zum Nachbarhaus gegangen und saß nun mit Albrecht Warin in dem kleinen Kabinett, in dem seinerzeit Martha versteckt worden war. »Nehmt das hier«, sagte Klaus eben und reichte dem Juwelier eine Geldkiste. »Martha hat mich gebeten, Teresa und Euch auf diese Weise für ihre Rettung zu danken.« 72
Albrecht Warin öffnete den Deckel der Schatulle, sah die vielen Münzen und murmelte: »Das... ist doch viel zu... viel.« »Ich denke nicht«, erwiderte Klaus nachdrücklich. »Ihr werdet das Geld brauchen, wenn Ihr Frau und Kinder habt. Und wenn es Euch beliebt, einen Teil davon armen Leuten zu schenken, dann wird das Eurem Ansehen nur gut tun.« »Ja, das ist wahr. Ich könnte auch endlich einen Gesellen einstellen.« »Seht Ihr!« Klaus lächelte und erhob sich mit den Worten: »Ich will im Morgengrauen wieder auf dem Schiff sein. Habt Dank für Eure Unterstützung und die Bewirtung. Und grüßt Eure Frau Mutter und Eure zukünftige Gemahlin. Beide haben, genau wie Ihr auch, meinen größten Respekt.« Der Freibeuter legte den Schlüssel für das Haus von Rufus Hitschler auf den Tisch und wandte sich dann zur Tür. Albrecht Warin begleitete ihn noch bis zum Ende seines Anwesens. Dort blieb er stehen, reichte ihm schweigend die Hand und sah ihm in der morgendlichen Dämmerung nach, bis seine Silhouette langsam am Horizont verschwand. Klaus war gut zu Fuß und hatte den Strand bald erreicht. Dort warteten mehrere Männer auf ihn, die sofort ein Boot zu Wasser ließen und ihren stellvertretenden Kapitän damit zur ›Maria Anna‹ ruderten. Nach dem Inhalt des Seesackes fragte niemand. Schließlich hat jeder von ihnen sein ganz privates Geheimnis. Und so sollte es auch bleiben. Noch am gleichen Tag nahm das Schiff Kurs auf Schweden und Livingholm. * Teresa war damit beschäftigt, ihre ganz persönliche Habe in Truhen und Kisten zu verpacken, damit sie kurz vor der Hochzeit in das Haus ihres Gatten gebracht werden konnten. Inzwischen war der Heiratsvertrag endgültig ausgehandelt und die Höhe ihrer Mitgift festgelegt worden. Und bei diesen Verhandlungen hatte Onkel Rufus nichts, aber auch gar nichts, zu sagen gehabt. Die junge Frau lächelte schadenfroh bei dieser Erinnerung. 73
In diesem Moment klopfte jemand an ihre Tür. Sie öffnete und stand dann ihrem Verlobten gegenüber. »Ist etwas geschehen?«, fragte sie verwundert, weil Albrecht sie noch nie so früh am Tage besucht hatte. Er wählte stets die übliche Stunde am Nachmittag. »Nein. Ich wollte dir nur etwas schenken.« Er holte aus seiner Jackentasche ein kleines Kästchen hervor und gab es ihr. »Was ist das?« »Wenn du es aufmachst, dann weißt du es.« Teresa tat es und schaute dann begeistert auf einen goldenen Ring mit einem grünen Stein. »Der Ring ist ja... wunderschön«, flüsterte sie und fiel Albrecht vor Freude um den Hals. Danach ließ sie es zu, dass er ihr das Schmuckstück über den Finger streifte. »Dein Schlüssel hat uns gute Dienste geleistet«, sagte er dabei leise. »Wieso?«, fragte sie ebenso leise. »Das will ich dir gern erklären. Komm, lass uns in den Garten gehen.« Er legte einen Arm um ihre Schultern und verließ so mit ihr das Haus. Und als sie dann auf der Bank unter der alten Weide saßen, erzählte er ihr von seinem nächtlichen Gast und dessen Besuch bei Rufus Hitschler. »Ich weiß natürlich keine Einzelheiten«, schloss Albrecht seinen Bericht. »Aber ich nehme an, dass dein Onkel... nun ganz plötzlich... verarmt ist.« »Der doch nicht.« Teresa winkte ab und kicherte. »Der hat doch noch das Gut und die Metzgerei. Es schadet nichts, wenn ihn jemand ermuntert hat, etwas von seinem Reichtum herauszurücken. Und es freut mich für Martha, dass sie nun doch noch bekommt, was ihr zusteht.« »Mich auch. Und wir beide freuen uns auch über diesen unerwarteten Segen, nicht wahr?« »Aber sicher.« Teresa lachte und meinte dann noch: »Onkel Rufus wird ein paar Tage nicht zu genießen sein, aber den Verlust dieses Geldes bald verschmerzt haben. Er macht ja ständig irgendwelche Geschäfte und bekommt dann neues.« 74
Albrecht Warin war davon nicht so ganz überzeugt, aber in Gegenwart seiner hübschen Braut vergaß er deren Onkel und die übrige Familie sehr schnell. Und außerdem war bald Hochzeit. Da hatte er an etwas anderes zu denken, vor allem an seine zukünftige Gemahlin. * »Schmeckt dir mein Essen heute nicht, Rufus?« Meta Hitschler schaute ihren Mann ärgerlich an, als dieser den Teller mit Fischsuppe angewidert von sich schob. »Wie soll ich Hunger haben, wenn mein gesamtes Vermögen gestohlen wurde? Begreifst du das denn immer noch nicht?« »Es ist mehr als ärgerlich, das gebe ich zu«, antwortete sie ungerührt, denn für sie war dieses Geld ohne jeden Nutzen gewesen. Ihr Mann hatte trotz seines Reichtums weder ihr Haushaltsgeld erhöht noch den Kindern etwas geschenkt. Das verzieh sie ihm nicht und fügte daher schadenfroh hinzu: »Wenn du so dumm bist und die Türen offen lässt, dann musst du irgendwann auch damit rechnen, dass räuberisches Gesindel in das Haus eindringt. Wenn du wenigstens einen Hund an deiner Seite gehabt hättest. Der hätte den Dieb schon vertrieben.« »Schwatze nicht so töricht daher!«, fauchte er sie an. »Erstens waren alle Haustüren abgeschlossen, so wie an jedem Tag... und zweitens hätte ein Hund gegen diesen Riesen, diesen Satan in Menschengestalt, auch nichts ausgerichtet. Aber ich wundere mich über dich. Es stört dich wohl gar nicht, mit einem Mal arm wie eine Kirchenmaus zu sein?« »So arm können wir gar nicht sein«, widersprach sie gelassen. »Wir haben immer noch dieses Haus, das Gut und die Metzgerei. Ich habe mich sowieso schon oft gefragt, was du mit dem vielen Geld willst. Wenn du einmal stirbst, nützt es dir sowieso nichts. Du hättest lieber unseren Kindern etwas davon geben sollen. Doch davon wolltest du ja nie etwas wissen, hast lieber...« »Jetzt habe ich aber genug von deiner Tratscherei!« Der Hausherr schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Dabei schwappte die Fisch75
suppe über und hinterließ hässliche Flecken auf dem weißen Tischtuch. »Verschwinde endlich in deine Küche. Ich will dich hier jedenfalls vorläufig nicht mehr sehen.« »Das mache ich doch gern«, gab Meta giftig zurück und stand auf. »Dort kann ich wenigstens in Ruhe essen, ohne deinen Groll und deine Wut ertragen zu müssen.« Sie stellte Schüssel und Teller auf ein Tablett und ging damit hinaus. Sie hatte inzwischen genug von dem Gefasel ihres Mannes. Ihrer Meinung nach hätte er besser auf sein Geld aufpassen sollen. Und es war sicher eine Strafe Gottes, dass er es jetzt verloren hatte. Und während Meta in der Küche ihre Suppe verzehrte, eilte ihr Ehemann zum wiederholten Mal zu seinem Kontor, immer noch mit der leisen Hoffnung, die Geldkisten könnten auf ganz wunderbare Weise wieder aufgetaucht sein. Der Schreibtisch und die Schränke waren jedoch nach wie vor leer, genauso leer wie sein Kopf. Wie hatte dieser Mann, der in der letzten Nacht wie aus dem Nichts zu ihm gekommen war, nur so genau wissen können, was damals mit Martha passiert war? War er ein Spitzel des Grafen? Oder gehörte er zum Bischof? Oder gab es wirklich eine höhere Macht, der nichts verborgen blieb? Rufus drückte seinen Kopf in die Hände. Er seufzte laut und überhörte so das Klopfen an der Tür. Die laute Stimme des Brauereibesitzers konnte er allerdings nicht überhören. Die hallte durch den ganzen Raum und ließ ihm die Haare zu Berge stehen. »Ihr habt Euer Versprechen nicht gehalten«, schrie Ludwig Dörenkamp und bedachte ihn mit zornigen Blicken. »Am Kirchentor steht angeschlagen, dass Eure Nichte in Kürze den Goldschmied heiraten wird.« »Wenn Ihr ihn nicht aus dem Weg räumen könnt, dann kann ich auch nichts mehr unternehmen«, verteidigte Rufus sich. »Sie ist schließlich nicht meine Tochter. Außerdem haben die beiden schon das Lager miteinander geteilt. Deshalb habe ich angenommen, dass Ihr Teresa überhaupt nicht mehr wollt.« »Ach, so ist das«, rief der Brauer mit einer Stimme, die vor Wut heiser wurde. »Mir versprecht Ihr eine Jungfrau, lasst Euch diese im 76
voraus gut bezahlen und achtet nicht einmal auf die Tugend dieses Frauenzimmers. Nun will ich es tatsächlich nicht mehr. Damit ist unser Handel ungültig. Gebt mir sofort mein Geld zurück?« Das war nun wirklich das Allerletzte, was Rufus Hitschler tun würde. Er säuselte: »Ich habe kein Geld mehr. Man hat mich in der letzten Nacht beraubt. Seht selbst.« Er wies auf die leeren Schränke und Schubladen, was Dörenkamp nur noch etwas wütender machte. »Ihr seid ein falscher Hund und ein Betrüger!« Der kräftige Brauer zog den mageren Rufus von seinem Stuhl und schüttelte ihn wie ein Bündel Flicken hin und her. »Ihr wollt mich nur um mein Geld bringen. Ihr müsst es doch gewesen sein, der dem Goldschmied so viele Gefolgsleute mitgegeben hat, dass meine Männer machtlos waren. Einer hat sogar ein Auge eingebüßt.« »Ich kann doch nichts dafür. Ihr hättet Euch eben besser informieren sollen.« »Soso, hätte ich?«, fragte Dörenkamp zynisch. »Ihr habt mir doch selbst erzählt, dass Warin sich nur einen Kutscher halten kann. Aber er hatte mehrere Männer bei sich. Wie erklärt Ihr Euch denn das?« Der Brauer stieß seinen Partner jetzt mit voller Wucht gegen einen Schrank. »Ich weiß es doch... nicht.« »Na gut«, meinte der andere beinahe friedfertig und lockerte seinen Griff um Rufus' Schultern. »Ich will mir Eure Lügen nicht länger anhören. Gebt mir mein Geld zurück, danach sind wir geschiedene Leute.« »Ich sagte doch vorhin schon, dass ich nichts mehr habe«, keuchte Rufus und versuchte, einem weiteren tätlichen Angriff auszuweichen. »Hier vielleicht nicht, aber woanders. Los gehen wir! Ihr werdet ja wissen, wo Ihr Eure Schätze aufbewahrt.« Dem Oberhaupt der Familie Hitschler war jetzt alles egal, er griff nach der kleinen silbernen Glocke, die auf dem Schreibtisch stand und klingelte. Doch ehe ihm noch jemand von der Dienerschaft zur Hilfe eilen konnte, hatte Ludwig Dörenkamp dem Hausherrn eine schallende 77
Ohrfeige verpasst, die ihn zuerst taumeln und dann zu Boden sinken ließ. »Wir sprechen uns vor Gericht wieder, Rufus Hitschler«, kündigte Dörenkamp noch an, bevor er mit schnellen Schritten dem Kontor den Rücken kehrte. Er war sogar so schnell, dass er ungesehen das Haus verlassen konnte. Der inzwischen herbeigeeilte Diener fand seinen Herrn bewusstlos vor. Er schüttelte ihn und sprach ihn an, jedoch ohne Erfolg. Rufus rührte sich nicht und kam erst wieder halbwegs zu sich, als er in seinem Bett lag und ein Arzt ihn untersuchte. Er blickte diesen böse an und lallte: »Ihr seid... der Teufel! Ihr... habt mein Geld... gestohlen.« Trotz seiner körperlichen Schwäche gelang es ihm, sich aufzurichten und dem Heilkundigen mit beiden Händen die Luft abzudrücken. Nur mit Hilfe des Dieners konnte sich der Arzt retten und dem gewalttätigen Patienten ein Beruhigungsmittel einflößen. Danach schlief Rufus ein. In den nun folgenden Tagen besserte sich sein Zustand etwas, er konnte sich wieder richtig bewegen sowie essen und trinken, blieb aber geistig verwirrt, so dass sich die Familie gezwungen sah, ihn aufs Land zu bringen, wo er an der frischen Luft ganz gesund werden sollte. Teresa hatte befürchtet, dass ihr Vater nun die Hochzeit verschieben würde, wurde jedoch angenehm überrascht. Max Hitschler, der sich nun frei von jeder Bevormundung fühlte, erklärte kategorisch: »Wenn wir wegen der vermutlich langen Krankheit von Onkel Rufus deine Vermählung verschieben wollten, meine Tochter, dann kommst du wahrscheinlich schneller zu einem Kind als zu einem Eheversprechen.« So wurde die Hochzeit wie vorgesehen gefeiert. Teresa zog danach in das Haus ihres Mannes, ihr Vater stellte eine Wirtschafterin ein, Tante Konstanzia und Onkel Matthes machten es sich (mit dem Einverständnis der übrigen Familie) in Josef Hitschlers Haus bequem. Warum auch nicht? Es würde ja doch nur leer stehen, denn Rufus würde auch weiterhin auf dem Land leben müssen, wo er mehr 78
schlecht als recht von seiner Gemahlin und einigen Dienern gepflegt wurde. In Vertretung für seinen schwachsinnig gewordenen Bruder war Max Hitschler nun das Familienoberhaupt. Die Würde dieses Amtes bekam ihm gut und er fragte sich zuweilen beschämt, warum er die Anordnungen seines Vaters und seines Bruders stets so blindlings befolgt hatte. Erst seine jüngste Tochter hatte ihn aus diesem Teufelskreis gerissen. Sie war mutiger gewesen als er - und hatte Martha die Flucht ermöglicht. Dessen war er sich inzwischen gewiss. * Der Sommer neigte sich dem Ende zu. Es war schon merklich kühler geworden, die ersten Nebelschwaden zogen über das Land und verbreiteten einen Hauch von Winter. In Livingholm, einem kleinen Ort an der schwedischen Küste, bereitete man sich, genau wie anderswo, auf die kalte Jahreszeit vor. Martha und Heinrich waren nun schon seit Wochen ein Ehepaar und hatten endlich, nach all den Jahren, eine gemeinsame Zukunft. Sie hatten Anschluss bei den Bauern und Handwerkern gefunden, konnten sich bereits in der schwedischen Sprache verständigen und hatten sich mit Unterstützung der anderen Dorfbewohner ein Haus in bewährter Fachwerkkonstruktion gebaut. Sie hatten den Putz mit Kalktünche weiß gestrichen, während sie für die Balken rotbraunen Ocker verwendet hatten. Im Stall standen drei Pferde, sechs Kühe, grunzte eine gehörige Anzahl Schweine und flatterte jede Menge Federvieh herum. Ein Knecht und eine Magd sorgten für deren Wohl, während Heinrich auf dem Feld arbeitete und Martha im Haus und im Garten zu tun hatte. Den Prinzen von Thurkland, der ihnen Acker und Wiesen verpachtet hatte, sahen sie nur selten. Er besaß mehrere Schiffe und war viel unterwegs. Man erzählte sich viele Geschichten von ihm, eine lautete sogar, dass er seine seemännischen Kenntnisse auf einem Piratenschiff erworben hatte. 79
Martha und Heinrich glaubten nicht daran, aber sie glaubten an ein baldiges Wiedersehen mit Klaus. Jeden Tag führte sie ihr Weg zum Strand und dann standen sie dort den Blick auf das unermesslich weite Meer gerichtet und hofften, in der Ferne die Segel eines Schiffes zu erkennen. Doch es waren weder Martha, noch Heinrich oder einer der Fischer, sondern ein zwölfjähriger Junge namens Öle, der die ›Maria Anna‹ zuerst sah und vor Freude laut kreischend durch das Dorf lief. Jeder sollte wissen, dass die rauen Gesellen mit ihren Anführern in Kürze an Land gehen würden. »Klaus ist da!«, rief Heinrich freudestrahlend und nahm Marthas Hand. »Komm, wir wollen ihm entgegengehen.« Und dann rannten sie wie alle anderen zum Strand, lachten und winkten, bis die Schaluppe mit den ersten Seemännern das Ufer erreichte. Klaus war unter ihnen. Er hatte sich einen Seesack über die Schulter geworfen, gab den Matrosen Anweisungen bezüglich des Ausladens von diverser Beute und erklärte ihnen und seinem Freund Goedecke den Weg zur Herberge. Danach schüttelte er viele Hände und zerzauste den Kindern das Haar. Und schließlich stand er vor seinem Bruder, den er freundschaftlich umarmte. Anschließend drückte er Martha vorsichtig an sich. Sie war ja immer noch so ein schmales Mädchen, das der nächste Sturm glatt vor sich her treiben konnte. »Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte Störtebeker leise zu ihr und klopfte kurz auf den Seesack. »Was denn?« »Du wirst schon sehen.« Er winkte den Dorfbewohnern und seinen eigenen Leuten noch einmal zu und ging dann mit Martha und Heinrich zu deren Haus. Und dort, in der großen Stube, öffnete er den Sack und holte drei Kisten hervor. »Hier hast du dein Erbe, Martha«, erklärte er dem vorerst sprachlosen Ehepaar. »Da ich das Haus und sein Inventar nicht mitnehmen konnte, habe ich Rufus Hitschler um seine sorgsam gehüteten Schätze gebracht. Seht her!« 80
Er klappte die Deckel nach oben, worauf Martha angesichts der Münzen und des Schmuckes nur noch fassungslos murmelte: »Mein Gott...« Ihr zitterten die Knie. »Was... musstest du tun, damit... Rufus dir das da... gegeben hat?« »Oh, nicht allzu viel. Die Spitze meines Schwertes war sehr überzeugend.« Klaus lächelte bei dieser Erinnerung, bevor er weiter sprach: »Nun und dann war er viel zu überrascht von meinem plötzlichen Auftauchen, als dass er sich gegen mich hätte wehren können. Ich habe die Kisten genommen, habe später eine davon Teresa und ihrem Mann gegeben und nun bin ich hier.« »Was ist mit Rufus Hitschler? Ist er... tot?« »Aber nein, Heinrich.« Klaus lachte amüsiert. »Zumindest erfreute er sich guter Gesundheit, als ich ihn an jenem Abend verließ. Ich nehme allerdings an, dass ihn der Verlust seines Vermögens bis an sein Lebensende schmerzen wird.« »Das ist seine Strafe«, entgegnete Martha ernst. Doch dann lachte sie. »Und uns ist es eine Freude. Vielen Dank, Klaus. Doch nun wollen wir gemeinsam unser Mittagsmahl einnehmen.« »Aber zuerst müssen wir die Kisten verstecken«, meinte Heinrich. Er tat es zusammen mit seinem Bruder. Ein großer Wandschrank war dafür bestens geeignet. Und während Martha in der Küche den Tisch deckte, gingen Klaus und Heinrich vor die Tür und von dort auf eine kleine Anhöhe. Von hier aus konnte man das Meer sehen, man hörte es rauschen, als sänge es ein ewiges Lied. »Martha und ich sind hier sehr glücklich«, meinte Heinrich gerade. »Wir wünschen dir, dass du auch bald so glücklich bist und einen sicheren Hafen findest.« Klaus antwortete nicht sofort. Er blickte nachdenklich auf die See und sagte schließlich: »Das Schicksal ist unergründlich, aber vielleicht werde ich doch noch glücklich - irgendwann. Doch jetzt genügt es mir, wenn ich wieder einmal über Neid, Habgier und Verleumdung gesiegt habe und dass ich euch beiden zu Eurem Glück verholfen habe.« Ende 81