Geistertreffen über den Wolken Ein Flugzeug wird entführt - ins Jenseits! Roman von W. A. Hary »Cannon!« Der schaurige ...
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Geistertreffen über den Wolken Ein Flugzeug wird entführt - ins Jenseits! Roman von W. A. Hary »Cannon!« Der schaurige Ruf zerstörte die nächtliche Idylle der von silbrigem Mondschein übergossenen Hügel. »Cannon!« Er pflanzte sich fort, hallte unheimlich wider, übertönte das Brausen des Windes. »Cannon!« Er war dazu angetan, einem sterblichen Wesen das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Doch Cannon war kein sterbliches Wesen. Er war ein diffuser Schatten, der sich zwischen den gewellten und nur spärlich bewachsenen Hügeln erhob, nervös flatterte und sich dann in die Höhe schwang. »Cannon!« Er antwortete mit einem heiseren Krächzen, wehte einmal hierhin und einmal dahin, vibrierte nervös wie ein frierendes Insekt. »Halte dich bereit, Cannon, du Ausgeburt der Hölle! Alles ist vorbereitet, und der Gegner geht in die Falle.« Die unheimliche Stimme schallte von überallher und nirgendwo. Cannon beugte sich ihr, krächzte nicht einmal mehr. »Das Geistermeeting über den Wolken wird stattfinden, und deine Stunde wird kommen. Mark Tate und alle, die mit ihm reisen, erhalten die Einladung zur Hölle.« Johnny Sanders befand sich in den Hallen, in denen Privatflugzeuge und Werkstätten untergebracht waren. Viele Maschinen unterschiedlicher Fabrikate standen außerhalb auf dem weiten Feld. Es herrschte reger Betrieb. Niemand beachtete Johnny Sanders, der eigentlich hier nichts zu suchen hatte. Aufmerksam schaute er sich nach allen Seiten um. Ein Blick auf seine Armbanduhr trieb ihn zur Eile. Er betrat eine Halle, in der es verhältnismäßig ruhig war. Hinter einer Piper ging er in Deckung. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß ihn niemand überraschen konnte, legte er einen kleinen Koffer auf den Boden und ließ die Verschlüsse aufschnappen. Zum Vorschein kam ein signalfarbener Overall, wie er auf dem Flughafen von Caracas von den Männern des Bodenpersonals getragen wurde. Rasch zog ihn Johnny Sanders über seinen Anzug. Den gleichfarbigen Lärm-
schützer, der die Form eines Kopfhörers hatte, vergaß er nicht. Er behielt ihn allerdings vorerst in der Hand. Ein letztes Mal blickte er in die Runde. Dann schloß er den Koffer, ließ ihn einfach liegen und ging nach draußen. Mit ausgreifenden Schritten überquerte er den Platz und erreichte das Vorfeld. Er kannte sein Ziel und steuerte ohne Umwege darauf zu. Es fiel nicht auf, daß er es sehr eilig hatte, denn um diese Zeit hatten die Männer vom Bodenpersonal viel zu tun. Die Maschine der British Caledonien Airways, die um zwanzig Uhr Ortszeit starten sollte, stand bereit. Johnny Sanders betrachtete sie. Es handelte sich um eine Boeing 747, einen sogenannten Jumbo Jet. Normalerweise war für die Flugnummer BR 672, den Direktflug von Caracas nach London, eine Boeing 707 eingeplant. Aus ungewissen Gründen hatte man diesmal die wesentlich größere Maschine eingesetzt. Fast hatte Johnny Sanders in seiner Verkleidung die Maschine erreicht, als ihm einer der Sicherungsleute mit der MP zuwinkte. Sanders näherte sich ihm. Der dunkelhäutige Uniformierte rief etwas, aber die Worte wurden durch ein in der Nähe aufheulendes Düsenaggregat verschluckt. Johnny Sanders verzog mißmutig das Gesicht. Aber er wurde nicht nervös. Er war ein Vollprofi, und während der Arbeit kannte er im allgemeinen so etwas wie Nervosität nicht. Das hatte er sich längst abgewöhnt. Nicht umsonst war er so erfolgreich, und nicht umsonst hatte man ausgerechnet auf ihn zurückgegriffen. Doch seine Fähigkeiten in dieser Hinsicht waren nicht der einzige Grund gewesen! Einer aus der Bande, die sich in relativ kurzer Zeit zusammengefunden hatte, war anfangs recht skeptisch gewesen, was die Durchführbarkeit ihres Planes betraf, aber es wäre sinnlos gewesen, mehr Leute einzusetzen. Nur ein einzelner Mann konnte sich unauffällig genug bewegen. Als Sanders in unmittelbarer Nähe des Sicherheitsbeamten stand, hörte er ihn rufen: »Wo wollen Sie hin? Die Maschine startet doch bald.« Sanders brüllte zurück: »Sind denn die Passagiere schon an Bord?« »Weiß ich nicht. Die befinden sich wahrscheinlich gerade in der Fluggastbrücke. Warum?« »Verdammt! Haben denn die Idioten vergessen, daß die Brücke
einen Defekt hat?« »Defekt?« echote der Sicherheitsbeamte verständnislos und blickte an dem fast fünfzig Meter langen biegsamen Schlauch entlang. Der Uniformierte wußte natürlich nicht, daß ein Defekt praktisch unmöglich war. Er hatte von diesen technischen Dingen keine Ahnung. Er winkte ab. »Na, dann schauen Sie am besten nach, ehe was passiert.« Johnny Sanders atmete erleichtert auf, grüßte und sputete sich. Die geschlossene Gangway, durch die die Passagiere zu ihren Flugzeugen geleitet wurden, ruhte auf mehreren Fahrgestellen mit eingebauter Hebevorrichtung, damit man es jeder möglichen Einstieghöhe anpassen konnte. Außerhalb gab es eiserne Sprossen, die zu mehreren kleinen Luken führten, die sowohl von innen als auch von außen entriegelt werden konnten. Johnny Sanders kletterte an den Sprossen hoch und sah durch eines der Bullaugen. In diesem Moment wurden die Passagiere vorbeigeführt. Sie achteten nicht auf den Mann im signalfarbenen Overall, der jeden einzelnen von ihnen genau musterte. Irgend etwas hatte er im Sinn. * Das Herz von Gene Ford schlug ein paar Takte schneller. Gewaltsam unterdrückte er die Bedenken, die in ihm aufstiegen. Er dachte kurz an Johnny Sanders, richtete dann jedoch seine Aufmerksamkeit auf das, was vor ihm lag. Er mußte den Weg beschreiten, den andere für ihn vorgesehen hatten. Dabei war ihm stets bewußt, daß er im komplizierten Plan das eigentlich schwache Glied darstellte. Wenn er sich nicht bewährte, war alles vergebens gewesen. Sie würden ihre Wut an ihm auslassen. Und der geheimnisvolle Auftraggeber hatte es oft genug schon bewiesen, welche ungeheure Macht er besaß. Unauffällig schaute er sich um. Wie zufällig begegnete sein Blick dem eines hochaufgeschossenen, hageren Mannes. Der Fremde nickte Gene Ford kaum merklich zu. Eine eiskalte Hand schien nach Gene Fords Herz zu greifen. Er erwiderte das vereinbarte Zeichen und begab sich zum Abfertigungsschalter. Sein Gepäck hatte er schon tags zuvor aufgege-
ben. Die Hosteß konnte sich noch an ihn erinnern. Sie lächelte ihr einstudiertes Lächeln, gab ihm seine Bordkarte und wünschte einen guten Flug. Gene Ford schluckte schwer. Guter Flug? Den Teufel würde er haben! Er durchquerte die große Wartehalle und bog in einen der Verbindungsgänge. Nur noch eine Viertelstunde bis zum Start. Das sogenannte Borden hatte gewiß schon begonnen. Es war genau 19.45 Uhr. Noch war die Sonne nicht untergegangen. Doch sie begann schon, den Horizont rot zu übergießen. Gerade als Gene Ford den auf der Bordkarte verzeichneten Raum erreicht hatte, verließen die ersten Passagiere den Wartesaal, um die Fahrgastbrücke zu betreten. Gene Ford passierte ohne großen Aufenthalt die Zoll- und Sicherheitskontrollen und begab sich zu den anderen Passagieren, die alle zu seiner Maschine wollten. Eine Hosteß hatte die gläserne Tür geöffnet und sammelte gemeinsam mit einer Kollegin die Bordkarten ein, um später eine Übersicht zu haben, ob alle an Bord gegangen waren. Gene Ford hatte es jetzt nicht mehr eilig. Er hielt sich ganz am Ende. Direkt vor ihm stand ein distinguierter Herr. Als er an die Reihe kam, zeigte es sich, daß er kein Unbekannter war. »Oh, Mr. Goldmann, geht es wieder nach Deutland zurück?« Die Hosteß hatte ihn auf Englisch angesprochen. Er antwortete in derselben Sprache. Sein deutscher Akzent war unverkennbar. »Ja«, antwortete er lachend, »Dillingen wartet auf mich - besser gesagt, die Dillinger Stahlwerke!« »Wo liegt das eigentlich - Dillingen?« »Im schönen Saarland.« »Sagt mir leider nichts«, gab die Hosteß zu. »Warum kommen Sie nicht mal den Dillinger Stahlbau besichtigen? Unser Projekt hier in Caracas wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, und Sie können bestimmt verbilligt fliegen.« Jetzt lachte auch die Hosteß. Sie nahm Goldmann die Bordkarte ab und versicherte ihm, eines Tages auf das Angebot zurückzukommen. Winfried Goldmann ging weiter. Er achtete nicht auf den Mann, der ihm folgte. Mit seinen Gedanken war er woanders. Die beiden Hostessen blieben zurück. Erfahrungsgemäß warteten sie nach dem letzten Passagier, der sich an Bord begab, noch
einen Moment auf Nachzügler. Die kurze Zeitspanne mußte genügen… * Endlich entdeckte Johnny Sanders den Mann, auf den er gewartet hatte. Gene Ford. Er schnitt eine verächtliche Grimasse, denn Ford machte einen sehr nervösen Eindruck. Wenn die Sache schiefging, dann nur durch ihn. Ja, Ford war die einzige schwache Stelle im Plan. Plötzlich wünschte sich Johnny Sanders den Zeitpunkt herbei, wo endlich dieses Problem aus der Welt geschafft war. Er entriegelte die Luke und ließ sie nach innen aufschwingen. Gene Ford erschrak, obwohl er gewußt hatte, was kommen würde. Die anderen Passagiere achteten nicht auf den Vorfall. Sie waren bereits weitergegangen. Die Brücke war leicht angewinkelt. Diese Stelle hier war von den Enden aus nicht einsehbar. Das war mit ein Bestandteil des Planes. Johnny Sanders und Gene Ford waren jetzt allein. »Los!« zischte Sanders und riß den Reißverschluß seines Overalls auf. Mit der anderen Hand zog er sich den Lärmschützer vom Kopf. In diesem Augenblick kehrte Dr. Winfried Goldmann zurück. Ungeklärt blieb, warum er das tat. Vielleicht hatte er noch ein paar Worte mit der Hosteß wechseln wollen. Er stutzte, als er auf die Szene sah. Sein Blick wechselte zwischen den beiden Männern hin und her. Dabei erkannte er, daß einer dem anderen glich wie ein Ei dem anderen, oder wie ein Zwilling dem anderen. Johnny Sanders reagierte. Er zauberte einen großkalibrigen Revolver hervor. Ehe Winfried Goldmann sich besinnen konnte, zeigte die gähnende Mündung auf ihn. »Was - was geht hier vor?« stotterte er. »Hier!« knurrte Sanders seinen Doppelgänger Gene Ford an und übergab ihm den Enfield. Gene Ford starrte fassungslos auf die Waffe in seiner Hand. Er war der Situation absolut nicht gewachsen. Johnny Sanders streifte in fliegender Hast den Overall ab. Darunter kam ein Anzug zum Vorschein, der haargenau dem ähnlich
sah, den Ford anhatte. Allerdings war er an verschiedenen Stellen verdächtig ausgebeult. Dr. Goldmann wußte zwar immer noch nicht, was die beiden vorhatten, aber er sah seine Chance. Blitzschnell trat er vor und griff nach dem Revolver. Er war ein Waffennarr und würde damit umzugehen wissen. Gene Ford reagierte zu langsam. Der Lauf des Enfield schwang herum. Doch Johnny Sanders bewies, daß er mit allen Wassern gewaschen war. Er hatte ein Bein aus dem Overall. Es zuckte plötzlich hoch und traf Goldmanns Handgelenk. Die Waffe beschrieb einen hohen Bogen durch die Luft und wurde von Sanders aufgefangen. Wütend verabreichte er Ford eine Ohrfeige. Goldmann gab nicht so schnell auf. Er stellte sich zum Kampf. Aber sein Vorhaben wurde im Keim erstickt. Eine Faust bohrte sich in seinen Magen und ließ ihn stöhnend zu Boden gehen. »He, was ist denn da vorn los?« rief eine der Hostessen. Die Antwort blieb aus. Johnny Sanders warf Ford den Overall zu und stieß den immer noch stöhnenden Goldmann mit dem Fuß an. »Still!« zischte er. Gene Ford zitterte wie Espenlaub und begann, sich anzuziehen, während Goldmann endlich gehorchte und seinen Schmerz unterdrückte. Trotz seiner Nervosität war Gene Ford schnell. Er vergaß auch nicht den Lärmschützer. Sekunden später stieg er durch die Luke nach draußen. Noch einmal wandte er den Kopf. Mit dem Kinn deutete er auf Goldmann. »Was - was geschieht mit ihm? Es hieß, daß Gewalt…« »Es hängt ganz allein von ihm ab«, brummte Johnny Sanders und knallte die Luke von innen zu. Dann packte er Dr. Goldmann im Genick und zog ihn auf die Beine. Die Mündung des Revolvers drückte sich in Goldmanns Nacken. »Keinen Mucks, Freundchen! Sie haben mich nervös gemacht, und diese Nervosität hat sich leider auch auf meinen Zeigefinger übertragen.« Winfried Goldmann wußte, was die Stunde geschlagen hatte und fügte sich in sein Schicksal. Johnny Sanders bugsierte ihn die Röhre entlang. Die Stewardessen blickten ihnen erwartungsvoll entgegen. Sanders tat so,
als wäre nichts geschehen, und Goldmann verhielt sich friedlich. Er wußte den Revolver in seinem Rücken. Das war Motiv genug für ihn, sich ruhig zu verhalten und keine Dummheiten zu versuchen. Johnny Sanders grinste, als er sich gemeinsam mit Goldmann in der ersten Klasse niederließ. Er wußte, daß Mark Tate und seine Freunde an Bord waren. Alles klappte wie am Schnürchen. * Gene Ford ballte in ohnmächtiger Wut die Hände zu Fäusten. Er haßte Gewalt. Irgendwie war er in die Sache hineingeschlittert. Man hatte ihn mit Informationen nicht gerade überreichlich versorgt. Nur allzu gern hätte er jetzt die ganze Sache zum Platzen gebracht, aber dafür fehlte ihm einfach der Mut. Er mußte den einmal beschrittenen Weg konsequent bis zum Ende durchmachen. Er arretierte die Luke und kletterte hinunter. Kaum war er unter der Röhre hindurchgekrabbelt, als wie aus dem Boden gewachsen ein Uniformierter vor ihm stand. Dieser Anblick traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er sah die Maschinenpistole des Uniformierten, dessen mißtrauischen Gesichtsausdruck und dachte nur noch: Aus! * Ich fühlte mich unbehaglich und blickte mich immer wieder suchend um. May Harris, meine Freundin, erkannte meine Nervosität. Sie saß am Bullauge in der fünfzigsten Reihe neben mir und Don Cooper. Lord Frank Burgess, der vierte in unserer Runde, hatte mit einem Platz ganz vorn in der vierundzwanzigsten Reihe bei den Rauchern vorlieb nehmen müssen. Anders war es anscheinend nicht gegangen. »Was ist los, Mark?« erkundigte sich May. Ich zuckte die Achseln. »Nichts Bestimmtes. Aber da ist eine seltsame Ahnung in mir. Sie drängt mich geradezu, die Maschine wieder zu verlassen.« »Glaubst du, magische Kräfte hätte…?«
Abermals zuckte ich die Schultern. Ich tastete nach dem Schavall, der an einer Halskette unter meinem Hemd hing. Das Amulett hatte Ähnlichkeit mit einem Auge, und wenn es in den Bereich von Schwarzer Magie kam, begann es zu glühen, weshalb ich es oft auch Dämonenauge nannte. Sein Ursprung war verschleiert, doch wohnten in ihm enorme Kräfte, die ich allerdings nicht völlig zu beherrschen wußte. Im Moment hielt sich der Schavall neutral, was ein Zeichen dafür war, daß keine magische Gefahr drohte. Aber die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß auf das Amulett nicht unbedingt Verlaß war. Die Unruhe blieb in mir. »Vielleicht hast du Angst vor dem Fliegen?« vermutete Don Cooper spöttisch. Als ich ihm aber ins Gesicht blickte, erkannte ich, daß auch ihn Unruhe gepackt hatte, obwohl es keinerlei Grund dafür zu geben schien. War es auf unsere letzten Erlebnisse zurückzuführen? Uns hatte vor Tagen ein Hilferuf in London erreicht. Wir waren nach Manaus in Brasilien gereist und von dort aus tiefer in den Dschungel gedrungen. Schreckliche Geister hatten eine tote Stadt beherrscht. Die Verfluchten wollten ihre Herrschaft auf die Menschheit ausdehnen. Es war uns geglückt, die Gefahr abzuwenden. Es war Mittwoch. Um Punkt 2.00 Uhr Ortszeit waren wir vom Flughafen in Manaus gestartet. Flugnummer: RG 806, wobei RG für die brasilianische Fluggesellschaft Varig-Brazilian Airlines stand. Landung in Caracas war gegen 4.40 Uhr erfolgt. Den ganzen Tag über hatten wir diese herrliche Stadt besichtigt und hatten auch nicht den Besuch der riesigen Ölfelder versäumt. Jetzt würden wir bald mit der Boeing 747 in Richtung London starten, ich war froh, daß wir alles hinter uns hatten. Und doch war dieses unruhige Gefühl in mir. Später würde sich herausstellen, wie richtig ich mit meiner dumpfen Ahnung lag. Noch hatte der Höllentanz nicht begonnen, obwohl große Ereignisse bereits ihre Schatten vorausgeworfen hatten. * »Na, ist der Schaden behoben?« erkundigte sich der Sicher-
heitsbeamte und beäugte Gene Ford wachsam von Kopf bis Fuß. Der Mann hatte dabei ein argwöhnisches Gefühl, nur wußte er im Moment nichts damit anzufangen. Gene Ford überwand den unangenehmen Eindruck, im nächsten Augenblick in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen und brachte mühsam hervor: »Ja, alles ist in Ordnung.« Im stillen verwünschte er den kurzen Zwischenfall mit Goldmann, der verhindert hatte, daß ihn Sanders informierte. Es war klar, daß der Uniformierte glaubte, Johnny Sanders vor sich zu haben. »Na, dann bin ich ja beruhigt.« »Tut mir leid.« Gene Ford wunderte sich am meisten über die Tatsache, daß es ihm recht gut gelang, die Nerven zu behalten. Er zuckte die Achseln. »Ich muß jetzt wieder an meine alte Arbeit zurück.« Er schob sich an dem Uniformierten vorbei, der ihm nur zögernd Platz machte. Die Angst im Nacken, hastete Gene Ford, der nur wegen seiner Ähnlichkeit mit Sanders ausgesucht worden war, zu den Flugzeughangars, in denen Privatmaschinen abgestellt waren. Bis dahin hatte er eine Strecke zurückzulegen, die ihm wie die Entfernung zur Ewigkeit vorkam. Er wagte es nicht, auch nur einen einzigen Blick über die Schulter zu werfen. Der Sicherheitsbeamte kletterte unter die schlauchförmige Fluggastbrücke und inspizierte sie. Er konnte nichts Ungewöhnliches feststellen, weshalb er sich kopfschüttelnd abwandte und weiter seinen Dienst versah. Den Zwischenfall hatte er bald wieder vergessen. Er ahnte nicht, wie bedeutsam die Ereignisse waren, an deren Rand er zufällig Zeuge geworden war. Endlich erreichte Gene Ford die verabredete Stelle und fand den Koffer. Nach einem prüfenden Rundblick zog er den Overall aus und verstaute ihn nebst dem Lärmschützer. Wenig später verließ er das Flughafengelände. Bei der Sicherungskontrolle zeigte er den Paß, der ihn als Johnny Sanders auswies. Niemand fiel auf, daß er einen Koffer trug. Sanders hatte keinen bei sich gehabt. Er hatte ihn über den Zaun geworfen, um nicht das Risiko einer Überprüfung eingehen zu müssen, und hatte ihn später wieder aufgenommen. Aber die Kontrolle der Sicherheit hatte hier ohnehin ihren schwachen Punkt. Auch das
war wichtiger Bestandteil ihres Plans gewesen. Gene Ford ging ein Stück am Zaun entlang, der das gesamte Flughafengelände umgab, und erreichte den riesigen Parkplatz. Der hochaufgeschossene Mann, der ihm schon in der Wartehalle des Flughafens ein Zeichen gegeben hatte, erwartete ihn. Sie schüttelten sich die Hände und stiegen in einen Wagen. Augenblicke später verließen sie die Stadt. »Wohin geht es jetzt eigentlich?« erkundigte sich Gene Ford unterwegs. »Was soll werden? Bekomme ich nun die versprochene Restsumme?« Der Hagere erwiderte nichts. Gene Ford saß im Fond des Wagens. Er beugte sich vor und tippte dem Fahrer auf die Schulter. Jetzt wandte sich der andere um. Gene Ford blickte direkt in das grinsende Gesicht eines Totenschädels. Der freigelegte Kiefer klapperte schaurig. Aus der toten Brust drangen dumpf die Worte: »Lassen Sie sich doch einfach überraschen, Mr. Ford!« * Außer Dr. Winfried Goldmann und seinem Bewacher saßen noch vierzehn Passagiere in der ersten Klasse. Davon befanden sich nur vier auf der Raucherseite. Goldmann fragte sich, wie sich die Dinge weiter entwickeln würden. Es war ihm klar, daß die Leute hier einen besonders großen Coup starten wollten, obwohl ihm die Zusammenhänge noch nicht deutlich geworden waren. Die Stewardessen warteten auf die beiden Bodenhostessen. Gemeinsam zählten sie die Bordkarten durch. »Es sind alle an Bord«, konstatierte eine. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, wurde die Verbindung zur Economy-Klasse geöffnet. Eine weitere Stewardeß trat hinzu. Gemeinsam schlossen sie das schwere Schott. Kaum war das geschehen, als auch schon die Stimme des Captains über die Lautsprecheranlage kam, der die Passagiere an Bord begrüßte. Die vier Triebwerke unterhalb der Tragflächen liefen höher. Die Fluggastbrücke wurde entfernt. Goldmanns Herz hämmerte derart, daß er fast befürchtete, sein
Nebenmann müßte es hören. Er spürte den Druck des Revolvers in seiner Seite. »Na, wie fühlen Sie sich?« fragte Sanders grinsend. Vier andere Männer blickten herüber und grinsten ebenfalls. Winfried Goldmann fiel es wie Schuppen von den Augen. Jetzt wurde ihm klar, daß alle zusammengehörten. Hatte er sich von den Männern anfangs Hilfe erhofft, so sah er sich nun darin getäuscht. »Was ist das für einer?« fragte ein seriös aussehender Typ um die Vierzig und deutete auf Goldmann. Sanders zuckte die Achseln. »Noch weiß ich es nicht. Und ich glaube, es hat wenig Sinn, ihn zu fragen. Oder irre ich mich da?« Goldmann blieb die Antwort schuldig. Er musterte seine fünf Widersacher. Sie waren ihm unbekannt. Die Boeing 747 setzte sich in Bewegung. Die vier Düsenaggregate heulten um die Wette. Der Jet rumpelte über das Vorfeld und erreichte einen Taxiway. An der Einmündung zur Startbahn gab es einen kleinen Aufenthalt. Eine andere Maschine hatte zum Landen angesetzt. Kaum war der Jumbo eingebogen, als sich auch schon eine weitere Maschine vom Vorfeld näherte. Dann bekam der Pilot die Startfreigabe vom Tower. Die Triebwerke gingen auf Vollgas. Die Maschine wurde kurz durchgerüttelt, bis die Bremsen gelöst wurden. Sie ruckte sofort an und beschleunigte mit irrsinnigen Werten. Die Aggregate dröhnten. Die Landschaft raste draußen vorbei. Als der Jumbo abhob, war es genau 20.04 Uhr. Damit hatte er vier Minuten Verspätung. Eine Kleinigkeit, die sie während des langen Fluges über den großen Teich des Atlantiks spielend aufholen konnten. Ohne Schwierigkeiten konnten sie am nächsten Morgen um 4.00 Uhr Ortszeit auf dem Londoner Flughafen Gatwick landen. Doch das Schicksal und eine unbekannte Macht wollte es anders. Es gab nur fünf Männer an Bord, die darüber Näheres hätten sagen können. Diese aber hatten allen Grund, zunächst noch schweigsam zu bleiben. * Gene Ford erschrak schier zu Tode.
»Nein!« ächzte er. Sein Verstand weigerte sich, das Geschehene zu akzeptieren. Der Unheimliche wandte das Gesicht von ihm weg. Von hinten sah er ganz normal aus. Panik ließ Gene Ford unüberlegt handeln. Er wollte Hals über Kopf fliehen. Der Wagen befand sich zwar in voller Fahrt, aber das störte Gene Ford nicht. Er warf sich gegen die Tür, wollte sie aufreißen, wollte hinaus. Es ging nicht! Wie ein Besessener rüttelte er am Türgriff. So lange, bis er ihn abgerissen hatte. Der Unheimliche hinter dem Steuer lachte gellend auf. Wieder wandte er sich kurz Gene Ford zu. Der Anblick war dazu geeignet, Gene das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. »Geben Sie sich keine Mühe«, vernahm ihn Gene. Doch die Stimme war nicht an sein Ohr gedrungen. Sie schien direkt in seinem Inneren aufgeklungen zu sein. »Sie kommen hier nicht heraus - nicht, so lange ich etwas dagegen habe.« »Nein!« schrie Gene Ford. Er schlug mit den Fäusten gegen die Scheiben. Sie schienen gepanzert zu sein. Verdammt, jemand mußte doch sehen, was hier vor sich ging. Da waren Passanten. Einer schaute zufällig in seine Richtung. Gene Ford gab Zeichen. Ohne Erfolg. Er wurde gar nicht bemerkt, als gaukele der Unheimliche allen ein Trugbild vor. Ein neuer verzweifelter Gedanke durchzuckte Gene Ford. Er griff nach dem Unheimlichen, wollte ihn vom Steuer wegreißen. Normalerweise wäre der Wagen unweigerlich ausgebrochen, vielleicht an einer Hauswand gelandet. Normalerweise. Gene Ford hatte es nicht bedacht, aber seine Bemühungen waren ohnedies vergeblich. Sein Gegner war kein menschliches Wesen. Es war, als bestünde er mitsamt der Kleidung aus Granit und säße unverrückbar auf dem Sitz. Gene Ford ließ sich zurückfallen. Abermals dieses schauerliche Lachen, das ihm durch und durch ging. »Wo - wo fahren Sie mich hin?« »Ich sagte es schon einmal, Mr. Ford. Lassen Sie sich überraschen!« Damit war die Sache für den Fahrer erledigt. Fortan kümmerte
er sich um seinen Gefangenen nicht mehr. Noch einmal versuchte Gene durch die Beifahrertür zu fliehen, mußte aber erkennen, daß es eine unsichtbare Trennwand gab, die alle seine Versuche vereitelte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich friedlich zu verhalten. Das Grauen hatte ihn in seinen Fängen. Die Sonne hatte ihren tiefsten Punkt erreicht und tauchte hinter dem Horizont unter. Die ersten Lichter leuchteten auf. Die Dunkelheit fiel mit einer Schnelligkeit über das Land, wie in den Tropen üblich ist. Und mit ihr Wuchs die Macht des Jenseitigen, des Okkulten, der Schwarzen Magie. Gene barg das Gesicht in den Händen. Er weinte hemmungslos. * Längst war die Durchsage gekommen, daß die Passagiere ihre Sicherheitsgurte wieder lösten könnten. Auch hatte der Captain einige Angaben zur Höhe des Fluges etc. gemacht. Er hatte sich dabei der englischen und der spanischen Sprache bedient. Die Stewardessen reichten Erfrischungen - vorzugsweise in der ersten Klasse. Bisher hatte sich dort noch nichts von Bedeutung ereignet. Für Dr. Winfried Goldmann war und blieb die Situation aussichtslos. Dann wurden die fünf Gentlemen merklich nervöser. Sie schauten öfter auf ihre Uhren. Mußten sie einen Zeitplan einhalten? Goldmann hatte noch immer keine Ahnung, was sich abspielte. Er wußte nur, daß er nichts dagegen tun konnte. Der drohende Revolver, der schmerzhaft in seine Seite drückte, war Motiv genug zur Zurückhaltung. Als sie allein waren, gab Johnny Sanders einem seiner Verbündeten einen Wink. Dieser kam näher. Sanders übergab ihm eine kleine Waffe. Es handelte sich um einen VelodogTaschenrevolver. Er hatte das Kaliber 5,75 mm Velodog. Die fünf Patronen in der Trommel würden genügen. Auch 5,75 mm waren tödlich. »Hier, halte unseren Freund in Schach!« »Was ist das eigentlich für einer?« erkundigte sich der andere mißtrauisch. »Kam beim Tausch dazwischen - leider. Jetzt müssen wir uns
auf ihn konzentrieren.« »Am besten wäre, wir legten ihn um.« »Nichts da!« entschied Johnny Sanders scharf, während Goldmann weiß wie eine Wand wurde. »Es wird nicht notwendig sein.« »Na, hoffentlich!« Sanders machte eine energische Handbewegung. Damit war für ihn das Thema durch. Sie wechselten die Plätze. Goldmann blieb noch immer keine Chance. Wenn er ehrlich war, hatte er eine unbeschreibliche Angst. Er bangte um sein Leben. Solange er sich ruhig verhielt, würden sie ihm nichts antun. Das hatte er begriffen. Sanders saß nun vor ihm. »Hören Sie, Fremder«, zischte er. »Mein Kollege wird sofort abdrücken, wenn Sie nicht tun, was ich Ihnen befehle. Er gilt ab sofort als Ihr Freund - genauso wie ich. Kapiert? Ich will Ihnen auch gleich erklären, warum das so ist.« Zuerst jedoch verteilte er den Rest der Waffen, die er bei sich getragen hatte. »Geht mit der Munition sparsam um, wir haben sonst keine.« »Glaubst du, daß wir die Waffen einsetzen müssen?« wurde er gefragt. »Hoffen wir das Beste. Hier oben kann ein Schuß mitunter fatale Folgen haben. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir in einer Druckkabine sitzen. Jede Kugel durchschlägt die Wandung und läßt den Innendruck rapide sinken. Ihr wißt, was das bedeutet. Das Loch kann sich rasend schnell vergrößern, und der Luftzug kann uns nach draußen ziehen. Das nur zur Warnung.« Sanders wandte sich wieder Goldmann zu. »Offenbar sind Sie kein unbekannter Fluggast, Mister. Kennen Sie eine der Stewardessen?« Goldmann antwortete erst, als Sanders seine Enfield auf ihn zielte. Er kannte sich mit Waffen leidlich aus und wußte das Ding einzuordnen: Englischer Ordonnanzrevoler Enfield No. 2 Mark 1, Trommelrevolver mit sechs Schuß, Kaliber neun Millimeter. Das Ding war ausreichend, einen Ochsen zu fällen, ohne genau zu zielen. »Ja, ich kenne die Stewardessen flüchtig.« »Etwa alle?« fragte Sanders ungläubig. »Natürlich!« rechtfertigte sich Goldmann. »Ich bin sehr oft unterwegs und…« Er unterbrach sich.
Sanders wechselte mit den anderen Blicke. »Das kommt besser als erwartet.« »Der Meister hat es vorausgesehen. Er kann…« »Still!« zischte Sanders und gab dem Sprecher einen strafenden Blick. Er wandte sich wieder an Goldmann. »Sie werden nach einer der Stewardessen klingeln und sie fragen, ob Sie das Cockpit besichtigen dürfen.« »Es wird nicht gehen. Denken Sie an die Sicherheitsbestimmungen!« »Genau die sind der springende Punkt, mein Lieber. Ihnen wird man diese Bitte nicht abschlagen. Wenn Sie nicht tun, was ich Ihnen sage, sieht es schlecht für Sie aus. Wir werden dann mit Gewalt dort oben eindringen müssen.« Goldmann rieselte es heiß und kalt über den Rücken. Er war überzeugt davon, daß der Gangster die Wahrheit sagte. Er atmete ein paarmal tief durch, um die innere Spannung abzubauen. Es gelang ihm nicht. Dann tat er, wie ihm befohlen. Später tauchte eine der Stewardessen auf. Goldmann winkte sie heran. Sie lächelte, als sie ihn erkannte. »Ich bin Dr. Goldmann«, stellte sich der Deutsche vor. Sie nickte freundlich. »Ich weiß - Dr. Winfried Goldmann vom Dillinger Stahlbau. Es ist reiner Zufall, daß wir hier sind, und ich freue mich. Normalerweise fliegen wir mit dieser Maschine eine andere Route. Aber Sie sind wahrlich viel unterwegs.« »Es schmeichelt mir, daß Sie sich an mich erinnern.« Der Druck der Waffe wurde stärker. Goldmann beeilte sich, auf das Thema zu kommen. Er räusperte sich verlegen. Ob ihm die Stewardeß seine Nervosität anmerkte? »Sehen Sie, dies hier ist gewiß nicht mein erster Flug, aber…« Er hatte offensichtlich Mühe, weiterzusprechen. »Um was handelt es sich, Sir? Sind Sie mit irgend etwas nicht zufrieden?« »Nein!« Goldmann erschrak und winkte mit beiden Händen heftig ab. »Nein, das ist es nicht. Der Service ist ausgezeichnet - wie immer. - Ich möchte einmal gern ins Cockpit!« platzte er heraus. Die Stewardeß legte den Kopf schief und betrachtete den Mann verwundert. »Mißverstehen Sie mich nicht«, sagte Goldmann schnell, »aber
es ist ein alter Kindheitstraum von mir, einmal in einem Cockpit zu sitzen - während des Fluges, versteht sich. Wäre das möglich?« Die Stewardeß wiegte den Kopf. »Ich will sehen, was sich machen läßt, Mr. Goldmann.« Sie verließ die Kabine nach hinten und stieg die Wendeltreppe empor. Wenig später kehrte sie zurück, sie strahlte über das ganze Gesicht. »Du hast uns zu erwähnen vergessen!« zischelte der Gangster neben Goldmann. Goldmanns Magen verkrampfte sich, als er das hörte. Er verfluchte zum wiederholten Male seine Situation. »Captain Lee Butler rechnet es sich als Ehre an, Sie im Cockpit begrüßen zu dürfen. Ich habe ihm Ihre Bitte vorgetragen.« Goldmann sprang angeblich erfreut auf. Dann wurde er wieder verlegen. »Oh, da wäre noch etwas.« »Bitte?« Er machte eine umfassende Geste. »Wie wäre es mit meinen beiden Freunden hier. Dürften sie vielleicht auch…?« Die Stewardeß zögerte kurz. Dann nickte sie. »Der Captain wird nichts dagegen haben. Sie müssen mir nur versprechen, daß Sie nichts anfassen.« Sie lachte. »Na, das versteht sich von selbst.« Sie folgten der aparten jungen Dame. Unterwegs gingen die Gedanken Goldmanns im Kreis. Er wollte sich einen Plan zurechtlegen, um das Schlimmste zu verhindern. Es gelang ihm aber nicht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Ihm war klar, daß die Gangster das Flugzeug in ihre Gewalt bringen wollten. Was ihn dabei am meisten mitnahm, war die Tatsache, daß ausgerechnet er eine wichtige Stütze bei der verbrecherischen Aktion war! Über die Wendeltreppe erreichten sie die sogenannte OberdeckLounge, also die Bar. Sie stand nur den Fluggästen der ersten Klasse zur Verfügung. Bis zu acht Fluggäste konnte sie aufnehmen. Sitze in dieser Oberdeck-Lounge wurden nicht verkauft und durften daher auch bei der Abfertigung und Sitzwahl nicht vergeben werden. Da diese Sitze mit Anschnallgurten versehen waren,
durften sich auch bei Start und Landung bis zu acht Personen in der Lounge aufhalten. Von hier gab es einen Zugang zum Cockpit. Und dann standen sie in der offenen Tür! Die Lounge war um diese Zeit noch leer. Es gab keine Zeugen der Ereignisse. Drei Besatzungsmitglieder befanden sich im Cockpit - die beiden Piloten und der Bordingenieur. Der Copilot hatte eine große Karte auf dem Schoß. Er hieß Roland Douglas. Der Bordingenieur, der auch die Aufgabe des Hilfsnavigierens hatte, arbeitete gerade an den Instrumenten. Es war Lester Graff. Nur Captain Lee Butler blickte sofort auf - und direkt in die drohenden Mündungen. Erschrocken fuhr die Stewardeß Karin Ramus zurück. Das hatte sie nicht erwartet. Goldmann wirkte elend. Er bekam einen Stoß in den Rücken, der ihn nach vorn, aus der Schußrichtung, taumeln ließ. Der Captain machte eine schnelle Bewegung, die jedoch von Sanders' »Halt!« gestoppt wurde. »Ich wäre an Ihrer Stelle weniger leichtsinnig!« fügte Sanders hinzu. »Wir kennen keine Skrupel.« Die Automatik war eingeschaltet, und die Steuerknüppel bewegten sich wie von Geisterhand dirigiert. Sie befanden sich über dem offenen Meer. Hinten war der schmale dunkle Streifen des Festlandes am Horizont zu erkennen. Ein Dunstschleier behinderte die klare Sicht. Sanders trat vor und nahm die Karte an sich. Er stellte ein paar Berechnungen an, tat dies routiniert, verglich noch einmal die Uhrzeit. »Der richtige Zeitpunkt!« knurrte er. Die Besatzungsmitglieder und Goldmann wagten sich nicht zu rühren. Mit aufgerissenen Augen starrten sie auf das, was Sanders tat. Es schien, als habe Sanders durchaus klare Vorstellungen, wie er vorzugehen hatte. Er war kein Neuling in der Fliegerei, das war offensichtlich. Draußen waren Schritte zu vernehmen. Noch zwei der Gangster tauchten auf. Sie nahmen sich der Stewardeß Karin Ramus und Goldmanns an, bugsierten sie nach draußen. Sie mußten vorerst in der Lounge Platz nehmen, noch immer mit Waffen in Schach
gehalten. Roland Douglas gingen die Nerven durch. In seinem streckensbleichen Gesicht begann es zu zucken. Sanders reagierte und riß ihm den Kopfhörer vom Schädel. Douglas schlug die Hände vor das Gesicht, wimmerte los. Der stattliche Mann mit dem braungebrannten Gesicht verwandelte sich in eine ängstliche, hilflose Kreatur, die der Situation nicht gewachsen war. Sanders erfüllte das mit Wut. Er holte mit dem Revolver aus, um ihn dem Piloten über den Schädel zu schlagen. In diesem Augenblick zeigte sich, wie gut der Co. als Schauspieler war. Er explodierte förmlich, unterlief Sanders und holte seinerseits aus. Der zweite Gangster durfte es nicht wagen, abzudrücken, wollte er Sanders nicht in Gefahr bringen. Deshalb preßte er den Lauf seines kleinen Velodog in das Genick des Captains. »Genug!« schrie er. Als Lester Graff sah, daß sein Captain gefährdet war, hielt er sich zurück. Er hatte dem Co. helfen wollen. Aber auch Roland Douglas mußte einsehen, daß seine Aktion keinen Erfolg versprach. Er ließ von Sanders ab, der keuchend zur Tür taumelte. In seinem Blick stand der nackte Haß, doch er beherrschte sich eisern. »Das nächste Mal schieße ich Sie kaltblütig über den Haufen!« drohte er. Roland Douglas wandte das Gesicht zur Seite und tat, als wäre überhaupt nichts geschehen. Seine Miene war eine einzige starre Maske. »Was - was bezwecken Sie?« fragte Captain Butler. »Das ist schnell gesagt, Mister. Wir werden London nicht anfliegen!« »Wohin wollen Sie die Maschine entführen?« »Das gebe ich Ihnen zu gegebener Zeit bekannt. Zunächst einmal werden wir abstürzen!« Die drei Männer zuckten erschrocken zusammen. Sanders lächelte amüsiert. »Keine Angst, meine Herren. Es wird sich anders abspielen als befürchtet. Außerdem ist es für Sie ungefährlich.« Er winkte in die Lounge. Einer seiner Leute kam. »Alles klar?« fragte er. Sanders nickte und deutete auf das Funkgerät.
»Mach dich sofort an die Arbeit!« Der Angesprochene löste routiniert die Verkleidung und machte sich an dem Gerät zu schaffen. Sanders erteilte weitere Befehle. Ein zweiter Komplice mußte sich des Bordingenieurs annehmen. Lester Graff wurde nach draußen gebracht. Dann scheuchte Sanders den Copiloten von seinem Platz, um sich selbst an die Kontrollen setzen zu können. Damit zeigte sich, daß er einem Fliegerprofi in nichts nachstand. »Butler, hören Sie jetzt genau zu, was ich Ihnen zu sagen habe! Ich übernehme die Maschine, und Sie führen den Funkverkehr!« Der Pilot sah ihn nur an. Sanders griff blitzschnell an ihm vorbei und brachte eine Pistole zum Vorschein. »Danach haben Sie vorhin greifen wollen, oder? Na ja, es ist Ihr Glück, daß Sie nicht den Helden gespielt haben. Es hätte mir leid getan, auf Sie schießen zu müssen. Niemand an Bord soll sterben. Wir sind keine Mörder. Aber Sie werden in Kürze schon begreifen, daß dies keine leeren Worte sind. Wir sind unserem Auftraggeber verpflichtet.« Er erteilte dem Captain die angekündigten Instruktionen und gab dem Mann am Funkgerät Klarmeldung. »Lima-Tango ruft Tower Caracas«, rief Lee Butler ins Mikro. »Caracas Tower. Was ist?« Sanders hörte im Köpfhörer mit. »Unregelmäßigkeiten in allen vier Triebwerken!« Sanders mischte sich ein. »Mensch, das eine brennt!« Seine Stimme klang panikerfüllt. »Sabotage, das kann nur Sabotage sein. Verflucht, die vertrackte Selbstlöschanlage funktioniert ebenfalls fehlerhaft! Warum hat man das beim technischen Checking vor dem Start nicht bemerkt?« Der Captain sah ihn aus geweiteten Augen an. Eine Gänsehaut bildete sich auf seinem Rücken. Die Stimme von Sanders hatte sich total verändert. Sie klang haargenau wie die des Copiloten Roland Douglas! Deshalb hatte er sich leisten können, diesen wegführen zu lassen, weil Douglas natürlich ein ständiger Unsicherheitsfaktor war in seiner Hitzköpfigkeit. Der Mann am Funkgerät sorgte für statische Störungen. »Hallo, Lima-Tango, hier Caracas, Tower. Hören Sie uns noch? Wir haben Sie auf dem Radar, können aber nichts feststellen.« Ein gellender Schrei drang aus der Kehle von Sanders.
»Die Maschine!« kreischte er. »Sie schmiert ab! Lee, so tu doch etwas. Wir…« Die »statischen Störungen« verzerrten alle weiteren Worte zur Unkenntlichkeit. Der Mann am Funkgerät gab ein Zeichen. »Los!« befahl Sanders. Dem Captain blieb nichts anderes übrig, als den Jumbo gemeinsam mit ihm unter die Radarmarke zu steuern. Plötzlich war da ein kleineres Flugzeug. Es warf ein ganzes Bündel von Wasserbomben ab. Die Detonationen ließen eine gewaltige Wasserfontäne entstehen. Vom Flughafen in Caracas aus wurde das registriert. Das Urteil war damit gefällt. Offiziell galt der Jet als abgestürzt. In Wirklichkeit flog er nur unterhalb der Radarerfassung. Sanders ließ den Captain ebenfalls hinausführen. Als dieser in der Tür stand, rief er ihn doch noch einmal zurück. »Ich werde Sie später noch einmal brauchen. Halten Sie sich zur Verfügung. Es ist alles ganz einfach. Wir brauchen nur der kleineren Maschine zu folgen. Den Weg kenne ich selbst nicht. Aus Sicherheitsgründen wurde er geheimgehalten. Ihren Platz nimmt einer meiner Männer ein - vorerst jedenfalls. Für die Landung taugt sein Können nicht. Aus Sicherheitsgründen wurde uns verschwiegen, wo unser Ziel liegt. Falls es zum Scheitern gekommen wäre, hätten wir nichts verraten können.« Lee Butler schluckte schwer. »Ich begreife das alles nicht.« Sanders ging nicht darauf ein. Gerade kam eine Anfrage der Chefstewardeß. Die ganze Aktion war nicht unbemerkt geblieben. Gewiß hatte der gespielte Absturz einige der Passagiere in unangenehmer Weise an ihr Abendessen erinnern lassen. Sanders schaltete kurzerhand auf Rundsprech, um an alle Passagiere eine Ansprache zu halten. Er klärte die Menschen darüber auf, daß das Flugzeug in die Hände von Entführern gefallen sei. Man solle sich aber keine Gedanken machen. Nachdem die Maschine an einem unbekannten Ort landete, würden die Fluggäste in gebührender Höflichkeit empfangen werden. Sanders lud zu einem unfreiwilligen Urlaub ein, der wohl ein paar Tage in Anspruch nehmen würde, und begründete das einfach damit, daß es besser sei. Sonst müsse er die Maschine sprengen. Es war das einzige, was von der ganzen Ansprache im Gedächtnis der Leute haftenblieb.
Niemand machte sich Gedanken darüber, was das Motiv für den Überfall sein könnte. Und niemand ahnte, daß die Einladung von Sanders eine Einladung in die Hölle werden würde. Nicht einmal er selber wußte das. Es gab nur vier Menschen, die einen Verdacht hatten: Mark Tate und seine Freunde. Doch sie hüteten sich, etwas darüber verlauten zu lassen. Ihnen waren im Moment die Hände gebunden. Sie mußten sich abwartend verhalten. * Der farbige Sicherheitsbeamte, dem Gene Ford und Johnny Sanders auf dem Flughafen von Caracas über den Weg gelaufen waren, hieß Juan Rodriguez. Seine Schicht war kurz nach dem Start des Jumbos beendet. Ein Kollege löste ihn ab, nicht ohne ihn nach irgendwelchen Vorkommnissen zu fragen. Juan Rodriguez dachte an das seltsame Benehmen des Mannes vom Bodenpersonal, den er nicht erkannt hatte, entschied aber, daß dies nicht in die Reihe der besonderen Vorkommnisse einzureihen war, und behauptete, alles sei in Ordnung. Dann begab er sich in die Wachstube und zog sich um. Wenig später betrat er mit einer Aktentasche unter dem Arm und in Zivil den Parkplatz. Die Nachricht von der angeblich abgestürzten Maschine war aus Ungewissen Gründen noch nicht bis zu ihm durchgedrungen. Es hätte ihn nachdenklich werden lassen. Er hätte Kombinationen angestrengt und wäre vielleicht… Aber dazu ließ man ihm keine Chance. Das wurde spätestens dann klar, als zwei unbekannte Herren auf ihn zutraten, von denen einer eine kleine Pistole zückte. Juan Rodriguez überlegte schnell. Er war gerade im Begriff, in seinen Wagen zu steigen. Die Aktentasche steckte bereits hinter dem Fahrersitz. »Machen Sie kein Aufheben!« riet ihm der Fremde. »Steigen Sie ein und rücken Sie auf den Beifahrersitz! Ich übernehme für Sie das Steuer.« Bei Juan Rodriguez hakte etwas aus. Blitzartig handelte er. Seine Rechte zuckte vor und griff nach der drohenden Pistole. Aber
er erreichte sie nicht mehr. Im nächsten Augenblick befand sie sich außerhalb seiner Reichweite. Etwas bohrte sich schmerzhaft in seinen Rücken. Der Schmerz breitete sich wellenförmig in seinem Körper aus und drängte ein Stöhnen über die Lippen. »Warum sind Sie nicht vernünftig?« fragte der Typ hinter ihm tadelnd und drängte ihn in den Wagen. Der Sicherheitsbeamte hatte eingesehen, daß Gegenwehr zwecklos war. Er hatte es hier nicht mit Amateuren zu tun. »Was - was habt ihr mit mir vor?« erkundigte er sich mit krächzender Stimme. Dabei peilte er quer über den Parkplatz. Alles war hell erleuchtet. Sie waren nicht allein. Erst jetzt wurde ihm das bewußt. Doch warum blickte niemand herüber? Die Sache konnte doch nicht unbemerkt bleiben. Einer lachte hämisch. »Keine Angst, mein Junge, Ihnen geschieht nichts - im Moment wenigstens noch nicht«, versprach er und klemmte sich hinter das Lenkrad. Der andere umrundete mit drohender Pistole das Fahrzeug. »Öffnen Sie meinem Kollegen!« Rodriguez griff wunschgemäß hinter sich und löste die Verriegelung. Der Bewaffnete riß die Tür auf und schickte sich an, einzusteigen. Juan Rodriguez glaubte, einen weiteren Versuch starten zu können. Er stieß den Wagenschlag plötzlich auf und wollte hinausspringen. Die beiden Gentlemen ließen es geschehen. Schon triumphierte Juan Rodriguez und tat einen gewaltigen Satz. Mitten im Sprung wurde er von einer unsichtbaren Wand gestoppt. Er stieß sich schmerzhaft den Schädel und ging zu Boden. Benommen blickte er um sich. Der Mann auf dem Fahrersitz grinste über das ganze Gesicht. Er winkte mit der Waffe. »Kommen Sie herein, Freundchen! Es hat keinen Zweck für Sie. Der Meister hat Sie unter seine Fittiche genommen, und in seiner Hand sind Sie nur ein Spielzeug. Beeilung, denn wir haben noch eine weite Fahrt vor uns! Ein Leidensgenosse wartet bereits. Er wird Ihnen bekannt vorkommen.« Als Juan Rodriguez nicht reagierte, griff der Unbekannte nach ihm und zog ihn auf den Sitz zurück.
»Ich habe Ihnen vom Meister erzählt. Aber auch wir können ganz schön ungehobelt werden. Ich hätte gute Lust, Ihnen eine Lektion zu erteilen.« Inzwischen hatte der Begleiter im Fond Platz genommen und die Tür zugezogen. »Laß ihn doch! Wahrscheinlich kapiert er noch immer nicht, was hier gespielt wird.« Der Mann hinter dem Lenkrad stieß Juan Rodriguez von sich und steckte die Waffe weg. »Was wollen Sie eigentlich von mir?« fuhr Juan Rodriguez auf. Er betastete die Beule an seinem Schädel und fragte sich verzweifelt, was ihn dort draußen aufgehalten hatte. Was war das für ein Gefasel von einem Meister? Juan hatte abergläubische Vorfahren, aber er selber war in der modernen Welt aufgewachsen. »Was macht mich für Sie wo wichtig? Warum diese Umstände? Ich bin doch nur ein kleines Licht.« »Da muß ich Ihnen ausnahmsweise recht geben.« Der Mann ließ den Motor an. »Es ist ganz einfach zu erklären. Sie haben etwas gesehen, was uns nicht gefällt. Deshalb werden Sie aus dem Verkehr gezogen. Die nächsten beiden Tage haben Sie frei. Das trifft sich gut. Wir sind keine Mörder, das werden Sie noch merken. Allerdings soll das nicht bedeuten, daß mein Kollege nicht schießt, wenn es darauf ankommt. Also reißen Sie sich zusammen und bleiben Sie ein guter Junge! Von uns droht dann keine Gefahr, und was unser Auftraggeber mit Ihnen vorhat, geht uns nichts an. Kapiert?« Der Wagen ruckte an. »Sie Schwein!« knurrte Juan Rodriguez abfällig. Der Mann lachte nur und gab Gas. Der Parkwächter blickte kurz auf, als sie das Häuschen am Ausgang des Platzes erreichten. »Na los!« wurde Juan befohlen. »Worauf warten Sie noch? Winken Sie dem Mann zu!« Sie winkten alle drei. Dabei schienen sich die beiden Fremden köstlich zu amüsieren. Juan Rodriguez war alles andere als wohl zumute. Der Fahrer tat noch ein übriges und kurbelte die Scheibe herunter. »Ah, Feierabend, Senior Rodriguez?« fragte der Wächter, und der Fremde antwortete mit Juans Stimme: »Gottlob! Jetzt habe
ich erst einmal zwei Tage frei. Donnerstag und Freitag fahre ich wahrscheinlich weg.« »So, wohin denn?« »Wird nicht verraten«, antwortete der Mann grinsend und passierte das Häuschen. Juan hatte das Gefühl, einen bösen Traum zu erleben. Aber es war kein Traum, sondern bittere Wirklichkeit. Kaum waren sie auf die Straße gebogen, als in Juan Rodriguez erneut Panik aufkam. Er wollte sich aus dem Wagen fallen lassen. Wenn er schon sterben mußte, dann nicht, ohne daß er vorher alle Chancen genutzt hatte. Aber er scheiterte ebenso wie vordem Gene Ford. Ein unsichtbares Kraftfeld verhinderte den Sturz. Und dann schien etwas in seinem Schädel zu explodieren. Etwas drang in sein Bewußtsein ein und schleuderte es in einen finsteren Abgrund, vor dem er panische Angst hatte. Deshalb schrie er. Der Schrei verhallte lautlos. * Die Lage im Cockpit blieb unverändert. Die Sonne war im Westen zurückgeblieben. Ein praller Vollmond stand hoch am Himmel. Unzählige Sterne blinkten. Sie spendeten so viel Helligkeit, daß vom Jumbo Jet aus das tiefer fliegende kleinere Flugzeug zu erkennen war. Es wies den Weg. Johnny Sanders und Wilton Stuart flogen den Jumbo mit voller Konzentration. Sanders tat sich leichter als sein Komplice, der ein so großes Flugzeug nicht gewohnt war. Das war offensichtlich. Plötzlich geschah es. Aus der kleineren Maschine löste sich ein schwarzer Schatten. Wie ein breiter Fächer raste er heran, erwischte den Jumbo, umhüllte ihn sekundenlang. Sanders gingen die Augen über. Ihn überkam ein seltsames Gefühl. Er glaubte, von tausend feurigen Bücken durchbohrt zu werden. Den Passagieren erging es ähnlich. Etwas tastete brutal in ihren Gehirnen herum. Dann war der Spuk vorüber. Aber etwas hatte sich verändert. Sie erkannten es nicht sofort.
Dann erschraken sie. Damit hatten sie nicht gerechnet. Und bevor sie die neue Situation ganz begriffen hatten, eskalierte das Grauen. * Jemand schrie wie von Sinnen. Ich wandte den Blick vom Bullauge. Bisher hatten sich die Passagiere relativ ruhig verhalten. Man konnte zwar nicht behaupten, daß sie sich gefaßt hatten, aber das voranfliegende kleine Flugzeug, das man deutlich sehen konnte, weil es sich in geringerer Höhe bewegte, hatte für eine gewisse Ablenkung gesorgt. Und jetzt das! Das Schreien kam von weiter vorn. Tumult brach aus. Zwei der Stewardessen, die sich ständig um das Wohl der Fluggäste sorgten, eilten herbei. May Harris, Don Cooper und ich erhoben uns von unseren Sitzen. Wir konnten jedoch nichts sehen. Das Schreien brach ab. Die Unruhe steigerte sich. Die Gefahr einer Panik zeichnete sich ab. Eine Gänsehaut überzog meinen Rücken. Was ging da vor? Was bestürzte die Leute so sehr, daß sie die Nerven verloren? Wenn es nicht gelang, wieder Ruhe herzustellen, konnte das entsetzliche Folgen haben. Der Jumbo würde sich in ein Tollhaus verwandeln. Und dann formte sich der Schatten. May hatte zufällig aus dem Bullauge geschaut. »Achtung!« rief sie aus. Mein Kopf flog herum. Ich sah, wie sich das schwarze Gespinst von der kleinen Maschine löste, auf uns zuraste - sich in unseren Gehirnen festnistete. Ehe ich noch nach dem Schavall greifen konnte, hatte er sich bereits von der Halskette gelöst und sich aufgebläht. Fassungslos starrte ich ihm nach. Der Schavall war ein feuriger Ball, ein Riesenauge, das aggressiv in die Runde schaute. Der Schatten, der den Jumbo einen Lidschlag lang heimgesucht hatte, verschwand.
Schwerelos schwebte der Schavall in der Luft, bewegte sich langsam von mir weg. Die Panik weiter vorn schien jetzt nicht mehr aufzuhalten zu sein. Ich riskierte einen Blick. Ein grelles Leuchten entstand, das jedoch nicht blendete. Es war magischer Natur! Der Schavall hatte ein Ziel, das war nicht zu verkennen. Er flog über die Sitzreihen in den vorderen Teil. Das flimmernde Leuchten wuchs empor. Und jetzt erkannten wir es auch. Es erhob sich über die Köpfe der Menschen, nahm eine längliche Form an. Ein Mann zeichnete sich ab. Er war von einem gleißenden Strahlenkranz umgeben. Die Augen hielt er geschlossen. Das Gesicht war friedlich, als schliefe er. Ich und meine Freunde wußten sofort, wer es war. Wir wären unfähig, uns zu bewegen. Don Cooper sprach es aus. »Lord Frank Burgess!« ächzte er. Don hatte recht! Es war unser Freund, der durch einen dummen Zufall bei der Sitzplatzverteilung von uns getrennt worden war und seinen Platz in der vierundzwanzigsten Reihe gefunden hatte, während wir uns in der fünfzigsten Reihe befanden. Die Nennung des Namens durch Don Cooper löste den Bann in mir. Ich flankte kurzerhand über die Sitzlehnen vor mir hinweg und rannte über den Gang nach vorn. Dabei bahnte ich mir rücksichtslos meinen Weg. Fast hatte der Schavall Lord Burgess erreicht. Da öffnete dieser den Mund. Sein Gesicht verzerrte sich, der Strahlenkranz leuchtete intensiver. Fast konnte man den Lord nicht sehen. Er war zum Geist geworden, ein Nebelgebilde mit menschenähnlichen Konturen. Wie kam das Phänomen zustande? Ich wußte, welche enormen magischen Fähigkeiten Frank besaß. Hatten sie etwas damit zu tun? Aber was war sein Motiv? Frank schrie, und jetzt wurde deutlich, daß er auch vorhin die Schreie ausgestoßen hatte. Die Menschen wichen vor ihm zurück. Ihre Gesichter spiegelten das Grauen wider, das sie empfanden. Sie bemerkten den heranfliegenden Schavall. Alles geschah in Sekundenschnelle. Das Dämonenauge lenkte
die Leute ab, war aber in seiner Erscheinung nicht gerade dazu angetan, eine beruhigende Wirkung auszuüben. Gräßliche Laute entrangen sich Franks Kehle. Er öffnete die Augen, und sie glichen glühenden Rubinen, aus denen sich Funken lösten. Der Schavall blähte sich noch mehr auf, bis er die Größe eines Medizinballes erreicht hatte. Sobald er den Strahlenkranz um Frank berührte, gab es eine lautlose Detonation - eine Detonation ohne Druckwelle. In dieser unbeschreiblichen Lichterscheinung bildete Frank Burgess den Mittelpunkt. Sein Körper verlor Halt, er stürzte zu Boden. Der Schavall blieb über ihm in der Luft hängen. Ich hatte wirklich alles in mir aufgenommen, während ich nach vorn gestürzt war. Vorn angekommen, beugte ich mich über Frank. Er lag in seltsam verkrümmter Haltung am Boden - leblos. Das Schlimmste befürchtend, tastete ich nach seinem Puls. Nichts! Da bewegte er sich. Er wandte den Kopf und blickte mich an, doch dieser Blick ging durch mich hindurch. Sein Gesicht veränderte sich. Es bekam andere Züge. Frank Burgess wurde innerhalb von Sekunden äußerlich zu einem anderen Menschen. Der Prozeß stoppte nicht. Mehrere Persönlichkeiten entstanden vor mir, um sich sofort zu einer neuen zu verwandeln. Ich erinnerte mich daran, daß mir immer wieder aufgefallen war, daß sich der Lord unmerklich von Grund auf verändern konnte. Wahrscheinlich war das geschehen, ohne daß es ihm selber bewußt geworden war. Jetzt wurde mir eindringlich klar, daß ich mich nicht geirrt hatte. Es mußte mit zu den Fähigkeiten gehören, die Frank besaß. Das Dämonenauge, das immer noch unbeweglich in der Luft hing, war mit der Situation offenbar nicht ganz einverstanden. Es hatte schon immer ein Eigenleben besessen. Im Moment bestand keine Beziehung mehr zwischen mir und dem Schavall. Ich spürte es und bedauerte es. Das Dämonenauge richtete sich auf Frank und sank langsam auf ihn herab. Da löste sich ein Schatten aus dem Lord, flatterte wie ein Vogel hoch, bildete eine Hohlkugel um den Schavall, durch die er nur
undeutlich zu sehen war. Fassungslos wurde ich Zeuge der Ereignisse. Lord Frank Burgess hatte sich wieder in sein altes Selbst zurückverwandelt. Der Schavall verhielt sich ruhig. Doch war das nur die Ruhe vor dem Sturm? »Mark!« rief jemand panikerfüllt. Ich schaute mich um. Es war May Harris. Sie deutete nach draußen. Mein Blick folgte ihrem ausgestreckten Arm. Auch die anderen Passagiere Nickten gebannt in die Richtung. Da sahen wir es. Der Horizont hatte sich mit einem glitzernden Band versehen, ein Band, das immer breiter wurde und das gesamte Firmament zu umspannen drohte. Das Meer lag unter uns, es war schwarz wie die Hölle. Uns war, als befänden wir uns plötzlich in einer anderen Welt. Hatten wir die irdische Welt verlassen? Grollendes Lachen ertönte. Es stammte aus dem All. Das Brummen der Maschinen war nicht mehr zu hören! Eine Stimme! »Ich bin es, der euch einlädt - und es ist eine Einladung in eine satanische Welt. Die Vorbereitungen sind gestartet, und ich werde meinen Part übernehmen. Habt Geduld! Es wird nur noch wenige Minuten dauern, bis der Übergang vollbracht ist.« Ein schriller Ton entstand, als würde eine Kreissäge gegen Metall geführt. Das Geräusch marterte die Nerven der Menschen. Von Panik war jetzt nichts mehr zu spüren. Hatte man sich mit der Situation abgefunden, oder hatte man die Fähigkeit zum Denken verloren? Ich warf einen Blick in die Runde. Überall Fassungslosigkeit, bleiche Gesichter. Zwei Frauen brachen wimmernd zusammen. Ein Mann begann auf einen Sitz einzuschlagen. Er tat es wie ein Besessener. Das Schrillen schwang sich die Tonleiter empor, bis es eine Höhe erreicht hatte, die uns körperliche Schmerzen bereitete. Erst jetzt erkannte ich, was diesen Ton verursachte: Der Schavall! Aus dem gigantischen Schatten draußen löste sich ein Teil seiner selbst. Der Auswuchs kam direkt auf uns zu, fuhr schabend über die Außenwand. Die Zelle begann auf einmal zu knistern wie unter Stromspannung. Es war trotz des schrillen Tons zu vernehmen, und ich fürchtete, daß jeden Augenblick die Außenwand des
Jumbos reißen würde. Nichts dergleichen geschah. Der schattenhafte Wulst überwand das Hindernis, fuhr durch eine Fahrgastkabine herein. Hin und her zuckte es - diffus und ohne genau erkennbare Form. Es war weder fest noch nebelartig undefinierbar, ein lebendiger Schatten. Es schien, als suche es etwas ganz Bestimmtes. Und dann hatte es auch Erfolg. Ich erschrak, als es auf mich zuwuchs, und wich zur Seite. Doch nicht ich war das Ziel, sondern der Schavall. Die Schatten außen und innen verbanden sich. Das Schrillen brach schlagartig ab. Gleichzeitig damit verschwand der Schavall! Ich blickte mich um. War das Dämonenauge vernichtet? Es konnte nicht sein! Ich erwartete, daß es jeden Augenblick an anderer Stelle sich materialisierte. Dabei fragte ich mich verzweifelt, welchen Sinn das Ganze haben konnte. Was steckte dahinter, und wie sollte das Ergebnis aussehen? Etwas huschte über die Bullaugen. Die Passagiere rannten hin und blickten hinaus. Das Meer unter uns war verschwunden. Der Jumbo flog über dunkle Wolken. Grüne transparente Fratzen, aus dem Nichts entstanden, attackierten das Flugzeug. Entweder war es ihnen nicht möglich, einzudringen, oder sie wollten es gar nicht und führten Scheinangriffe durch. Und dann wurden meine Erwartungen endlich erfüllt: Der Schavall fing an, sich zu materialisieren. Der gigantische Schatten von vorhin war verschwunden. Er war den unheimlichen Fratzen gewichen. Mitten unter ihnen zeigte sich der Schavall. Er hatte sich mittlerweile so ausgedehnt, daß er die Größe des Jumbos erreicht hatte. Irres Kreischen ertönte, die Fratzen stießen es aus. Sie stoben in alle Richtungen davon und brachten sich in Sicherheit. Das Dämonenauge geriet aus meinem Blickfeld. Ich nahm an, daß es sich im Augenblick über dem Flugzeug befand. Der Himmel glich jetzt einem glitzernden Juwel. Noch immer flog die kleinere Maschine schräg vor uns her. Die starken Triebwerke des Jumbos waren wieder hörbar. Plötzlich begann das kleinere Flugzeug zu trudeln. Es verlor rasch an Höhe und löste sich von einer Sekunde zur anderen in
Nichts auf. Lange blieb es nicht verschwunden. Weiter entfernt entstand es wieder. Um erneut in einem Lichtblitz zu vergehen. Ich wandte den Blick. Und plötzlich wurde mir klar, daß. das kein schwarzes Wolkenmeer war, über dem wir flogen, sondern die Oberfläche einer anderen Welt! Wir hatten das Diesseits verlassen! Wo befanden wir uns? Es konnte nur eine Welt des Schreckens sein - der geisterhaften Wesen, die für den Vorgang verantwortlich zu machen waren. Sanders und Konsorten waren nur menschliche Handlanger gewesen. Es würde sich noch herausstellen, warum die Mächte des Bösen auf normale Gangster als Helfer zurückgegriffen hatten. Das Schlimmste für mich jedoch war, daß ich des Schavalls beraubt war - meiner ultimativen Waffe. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie es dem Gegner gelungen war, ihn an sich zu reißen. Auf jeden Fall war das Dämonenauge gegenüber den Vorgängen ziemlich schutzlos ohne ihn. Ich wandte mich Frank Burgess zu und fuhr erschrocken zusammen. * Die drei entstanden aus dem Nichts. Sanders stierte, als ob er den Verstand verlieren würde. Monster mit Glotzaugen starrten Sanders schweigend an. Der Bandenchef vergaß, daß er das Flugzeug steuern mußte. Er vergaß alles und empfand nur noch maßloses Grauen. »Wir sind die wahren Auftraggeber«, klang es in seinem Gehirn auf. »Vergiß den Meister, der sich mit dir in Verbindung gesetzt hat! Er ist nicht mehr als eine Marionette - ein Mensch, der sich einst uns verschrieben hat, uns seine Seele verkaufte.« »Wer - wer seid ihr?« brachte Sanders endlich mühsam hervor. Er war ein abgebrühter Bursche, aber dieser Anblick war fast zuviel für ihn. Eine Reaktion blieb aus. Sanders zwang sich dazu, den Blick von den Monstern abzu-
wenden und zur Seite zu schauen. Wilton Stuart tat so, als wäre nichts geschehen. Aber der Schein, trog. Seine Augen waren geweitet und blickten starr, als hätte jemand seinen Verstand abgeschaltet. Ebenso benahm sich der Gangster, der die Stelle des Bordingenieurs eingenommen hatte. Der Sprecher der drei Dämonen - und nur um solche konnte es sich handeln - gab Antwort: »Wir sind die Mächtigen aus dem Zwischenreich. Dort, wo wir herrschen, wird die Flugmaschine materialisieren, nachdem sie das Diesseits verlassen hat. Es gibt nur eine Macht, die den Vorgang verhindern könnte, und diese Macht heißt Schavall. Doch wir haben einen sehr genauen Plan entwickelt. Das Dämonenauge hat sich bereits von seinem Besitzer Mark Tate gelöst. Es wird abgelenkt, seine Kräfte dadurch neutralisiert. Es befindet sich im Widerstreit, da es die Wurzel des Übels, das den Jumbo heimsucht, nicht zu packen vermag. Dafür haben wir gesorgt.« Mit einem Schuppenarm deutete das Höllenwesen hinaus. Sanders folgte mit den Blicken. Er sah, wie sich das kleine Flugzeug in einem Lichtblitz auflöste. »Diese Maschine hat euch dorthin geführt, so der Übergang stattfinden konnte. Wir mußten die kosmischen Kräfte berücksichtigen, um Erfolg zu haben. Es ist nicht vernichtet, sondern blieb beim endgültigen Übergang lediglich zurück.« »Dann - dann befinden wir uns gar nicht mehr…« Sanders' Stimme versagte ihm den Dienst. »Ganz recht. Willkommen in der Hölle des Dämonenreiches!« Damit verschwanden die drei Dämonen so lautlos, wie sie entstanden waren. Wilton Stuart und sein Komplice erwachten wie aus einem Traum. Sanders knirschte mit den Zähnen. »Jetzt kennen wir die wahren Bosse. Damit hat sich nichts verändert. Es ist egal, für wen wir arbeiten.« Die beiden blickten ihn ausdruckslos an. Die Gedanken im Schädel des Gangsterbosses überschlugen sich. Er hatte nicht die Wahrheit gesagt. Egal war ihm das, was mit ihnen hier geschah, absolut nicht. Wenn er ehrlich war, hatte er Angst vor dem Kommenden. Aber sie hatten den Auftrag so weit ausgeführt. Ein Zurück gab es für sie nicht mehr. Sie waren genauso Opfer wie die anderen Passagiere des Jum-
bos, wenn man es recht betrachtete. Sanders ballte die Fäuste - eine hilflose Geste, mit der er den Mächtigen nicht imponieren konnte. »Cannon!« flüsterten tausend feine Stimmchen. Und Cannon, der Schatten, das Wesen aus dem Zwischenreich, erschien über den Hügeln des Grauens. »Cannon!« brandete der Ruf plötzlich zu ihm empor. Er zitterte nervös, flatterte hin und her, strich über die Hügel hinweg gleich einem Todeshauch. Dann gewann er wieder an Höhe, breitete sich aus wie der Schatten eines Rochens in der Hefe der Meere. Glühende Augen entstanden in der Schwärze. Beim dritten Mal klang der Ruf wie ein Seufzen und Stöhnen, und es kreuchte und fleuchte in den Tälern. Dämpfe stiegen empor, hüllten die Hügel ein. Aus dem spärlichen Bewuchs ragten knorrige Bäume empor, reckten ihre Äste Cannon entgegen. Cannon, dem Herrn über das Hügelreich, Cannon, dem Furchtbaren. Und die Äste bewegten sich knackend, als wollten sie imaginäre Opfer packen und zerquetschen. »Du hast deine Sache gut gemacht«, erscholl die Stimme aus dem Nichts. »Halte dich auch weiterhin bereit! Es ist nicht ganz so verlaufen wie beabsichtigt. Mark Tate und seine Freunde haben Verbündete, obwohl sie es selber noch nicht ahnen.« Cannon krächzte laut und häßlich. Cannon, der Mächtige, beugte sich der Stimme wie schon einmal. Er hatte in ihr seinen Meister gefunden und dachte gar nicht daran, sich gegen die Befehle zu stellen. Mark Tate und diese menschliche Brut hatten Verbündete? Welcher Art waren sie? * Lichtkaskaden entstanden vor ihm, rasten in sein Bewußtsein, verursachten Schmerzen. Er bewegte sich stöhnend, versuchte vergeblich, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Gedanken wirbelten durch seinen Schädel, wirre Gedanken, die keinen Sinn ergaben. Er widmete sich ihnen, wollte sie ordnen. Dann schälte sich ein Begriff heraus: Jumbo Jet!
Schlagartig erwachte er, blickte sich um. Der Raum, in dem er sich befand, war in diffuses Licht getaucht. Die Quelle des eigenartigen Scheins war unsichtbar. Stöhnend erhob sich der Mann. Aber nur halb, dann hatte er das Gefühl, jemand zöge ihm einen glühenden Draht durch die Wirbelsäule. Haltlos sank er zurück. Keuchend hielt er inne, bemüht, seine Kräfte neu zu mobilisieren. Und tatsächlich erholte er sich schnell. Während der unfreiwilligen Ruhephase starrte er zur Decke empor. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, daß er nackten Felsen über sich hatte. »Verdammt«, murmelte er vor sich hin. »Wohin bin ich geraten? Was suche ich hier?« Eine Fragte tauchte in ihm auf, beherrschte sein Denken: Wer bin ich überhaupt? Von irgendwo in seinem Schädel sickerte ein Name herauf, wurde greifbar: Juan Rodriguez! Mein Gott, das bin ja ich! stellte er bestürzt fest. Als er sich diesmal aufrichtete, gelang es ihm leichter. Er nahm die Beine von der schmalen Liege und ließ sie baumeln. Jetzt konnte er den Raum genauer überblicken. Ringsum Felsen. Der Raum war aus dem Felsen herausgehauen. Von wem? Eine Tür fehlte. An einer Seite verengte sich die Höhlung zu einem Durchlaß. Möbel gab es nicht - außer der Liege. Die Grundfläche der Höhle betrug schätzungsweise fünfzehn Quadratyards. Das war nicht viel. Juan, der farbige Sicherheitsbeamte des Flughafens von Caracas, untersuchte seinen Körper. Er betastete seine Glieder. Verletzungen stellte er nicht fest. Er hatte die Angelegenheit relativ gut überstanden. Nur in seinem Schädel herrschte noch das reinste Chaos. Er erinnerte sich, daß plötzlich eine unbekannte Macht sich seines Bewußtseins bemächtigt hatte. Er war ihm ausgeliefert gewesen. Jetzt war der Einfluß gewichen. Worauf war das zurückzuführen? War er auf einmal uninteressant geworden? Unzählige Fragen tauchten auf, auf die er keine Antwort hatte. Eine Frage war: Was beabsichtigte der Gegner zu tun? Eine andere: Welchem Zweck diente die Entführung seiner Person? Man hatte ihm zwar versichert, daß man durch ihn kein Risiko
eingehen wollte, aber welchen Sinn hatte es, ihn hier in einer Höhle aufwachen zu lassen, ihn sich selbst zu überlassen? Juan verließ die Liege. Er trug den Anzug, den er angehabt hatte, als man ihn entführte. Man hatte ihm nichts weggenommen. Zögernd durchquerte er den Raum, ging auf den Ausgang zu. Die Luft war rein. Ein frischer Wind wehte. Im Raum selbst war es gut temperiert, als wäre hier unten eine Klimaanlage installiert. Juan Rodriguez überlegte. Hatte man ihm gegenüber nicht die Andeutung gemacht, es gäbe einen zweiten Gefangenen? Wo befand er sich? Und dann - er zögerte, den Durchgang zu überschreiten. Mit einem Male wurde ihm bewußt, warum er diese unerklärliche Furcht vor dem Durchgang hatte. Man hatte ihm gezeigt, über welche Mittel der Gegner verfügte. Juan war ein Mischling. Das hieße, seine Eltern waren zwar beide Eingeborene, aber sein Großvater ein waschechter Spanier gewesen. Daher sein Name. Juan wußte, daß seine Vorfahren viel von Okkultismus und Magie gehalten hatten. Als Kind hatte er davon gehört. Leider war nur wenig davon hängengeblieben. Er selbst lebte in der modernen Zivilisation, hatte sich ihr angepaßt. Okkultismus und Magie hatten darin keinen Platz. Aber deutete nicht alles darauf hin, daß hier Kräfte des Jenseitigen ihre Klauen im Spiel hatten? Und beim Durchgang befand sich eine magische Falle - eine Angstfalle. Das Hindernis war unsichtbar, aber nicht minder wirksam. Er war ein Gefangener und würde es nach Lage der Dinge auch bleiben. Juan Rodriguez zog eine zerknüllte Zigarettenpackung hervor und steckte sich ein Stäbchen an. Der Rauch schwebte träge durch den Raum und verzog sich nach draußen. Sehnsüchtig blickte er ihm nach. Es war ihm unmöglich, zu folgen. Was würde ihn hier noch erwarten? * Lord Frank Burgess hatte abermals eine Verwandlung erfahren. Doch sie war furchtbarer als alles, was vorher mit ihm vorgegan-
gen war. Lord Frank Burgess zeigte sich als Skelett. Über den Totenschädel spannte sich eine pergamentene Haut. Spärlich und nur in kleinen Büscheln wuchsen die Haare daraus hervor. Ich befand mich im Widerstreit der Gefühle. War Frank, mein alter Freund, wirklich tot? Ich beugte mich zu ihm hinab, zwang mich dazu, ihn zu berühren. Er war glühend heiß, als läge er im hohen Fieber, und die Haut fühlte sich so trocken an, wie sie aussah. Ich fuhr mit den Fingerspitzen darüber. Es knisterte. Und als ich seinen Kopf berührte, fielen die Haare aus, und die gespannte Haut platzte auf. Da öffneten sich die Augen. Abermals sahen sie aus wie rotglühende Rubine. Ein zweites Antlitz schob sich durchsichtig darüber. Mir wurde ein leichter Stromschlag verabreicht, was mich dazu bewog, meine Hand zurückzuziehen. Das durchsichtige Antlitz gewann an Intensität. Aus den Augenwinkeln erkannte ich, daß May Harris und Don Cooper nähertraten. Sie waren genauso bestürzt wie ich. Die Passagiere verhielten sich recht unterschiedlich. Einige weinten. Andere saßen nur totenbleich herum. Wieder andere begannen mit ihren Nachbarn fröhlich zu plaudern, um so alles zu überspielen. Es gab auch einige, die sahen aus, als säßen sie auf einem Vulkan, der jeden Augenblick ausbrechen konnte. Die erwartete Panik blieb aus. Noch blieb sie aus. Das Entsetzen der letzten Minuten hatte zunächst eine umgekehrte Wirkung erzielt. Die Menschen weigerten sich, die Vorkommnisse als Tatsache hinzunehmen. Man konnte nicht all die Jahre in der Zivilisation gelebt haben, in der Okkultismus und Magie nicht bestanden, und plötzlich von einem Augenblick zum anderen das Geschehen als gegeben ansahen. Anders war es bei mir und meinen Freunden mit Geistern. Wir waren den Umgang gewöhnt. Das machte sie allerdings nicht ungefährlicher für uns. Das Antlitz manifestierte sich immer mehr. Und jetzt sahen wir, daß es das Gesicht des lebenden Lords war. Es war entspannt, als läge Frank im tiefen Schlummer. Oder als wäre er tot! Ich weigerte mich, daran zu glauben, wollte erst Gewißheit ha-
ben. Der Vorgang war abgeschlossen, von dem Skelett nichts mehr zu sehen. Zögernd streckte ich die Hand aus. Frank fühlte sich ganz normal an. Seine Brust hob und senkte sich in tiefen, regelmäßigen Atemzügen. Er lebte! Ja, er lebte! Ich hätte jubeln können. Langsam richtete ich mich auf. Mein Blick begegnete denen von May und Don. Ich sah ihre Erleichterung. »Stellt sich nunmehr die Frage, was ist mit Frank eigentlich vorgegangen?« wollte Don Cooper wissen. Ich zuckte die Achseln. »Wir warten, bis er zu sich kommt. Vielleicht weiß er eine Antwort?« »Am besten, ihr tragt ihn nach hinten, wo wir unsere Plätze haben«, schlug May vor. »Im Moment sitzt keiner auf seinem Platz. Die Sitzplatzordnung ist dahin.« »Hoffentlich bleibt es bei dieser Kleinigkeit«, erwiderte ich, erfüllt von einer dunklen Ahnung. Don und ich nahmen uns des Freundes an. Wir schleppten ihn durch den engen Gang zwischen den Sitzreihen. Niemand beachtete uns. Alle waren mit sich selbst beschäftigt, als würden sie sich auf einen neuen Geisterakt vorbereiten. Wir erreichten die fünfzigste Reihe, brachten einen Sitz in Ruhestellung. und betteten Frank darauf. Er schlief nach wie vor. War es eine Art Heilschlaf? »Es ist eigentlich verständlich, daß sich die furchtbaren Kräfte auf ihn konzentriert haben«, überlegte Don Cooper laut. »Er ist wahrscheinlich der einzige an Bord, der erhebliche magische Fähigkeiten besitzt. Wie von selbst setzte ein Kampf ein zwischen den konkurrierenden Kräften - ein Kampf, bei dem Frank unterliegen mußte. Wir haben ja selber gesehen, wozu der Gegner in der Lage ist. Da scheint ein ganzes Heer von Dämonen seine Hände im Spiel zu haben.« »Ich frage mich, wozu dieser Aufwand«, fuhr ich nervös auf. »Man hat mich des Schavalls beraubt und mich damit hilflos gemacht. Gut, das ist verständlich. Man will uns alle vernichten. Aber was nun? Was geschieht jetzt? Wir sind doch diesen Mächten hilflos ausgeliefert!« May beruhigte mich. »Du hast im Prinzip recht, Mark, aber du
kennst die bösen Mächte des Jenseitigen. Es gehört einfach zum grausamen Spiel. Man hält uns hin. Vielleicht ist die Zeit zur Opferung noch nicht reif?« Ich schüttelte den Kopf. »Ganz überzeugt mich das nicht. Ich bin eher der Meinung, daß wir überhaupt keine Zeit zu verlieren haben. Der Schavall ist und bleibt unberechenbar. Er ist verschwunden. Wir wissen nicht genau, ob er noch immer über dem Flugzeug schwebt oder ob er im Diesseits zurückgeblieben ist. Vielleicht gibt es noch eine ganz geringe Verbindung zwischen ihm und mir. Womöglich schwebt er ganz in der Nähe. Mich interessiert nur, wie lange es dem Gegner gelingt, ihn zu neutralisieren, denn eine Vernichtung des Schavalls ist auch für die Mächtigen des Zwischenreiches ausgeschlossen. Das wissen wir. Sie werden bemüht sein, mir so rasch wie möglich den Garaus zu machen. Nur so reißt die Verbindung endgültig. Man kann sich vom Schavall zurückziehen. Wenn er nicht direkt bedroht wird, verwandelt er sich in einen toten Schmuckgegenstand. Er wird ins Meer fallen, versinken und damit als Waffe gegen das Böse ausgeschaltet sein. Warum tut man es nicht? Warum zögert man?« Don Cooper und May Harris sahen sich an. Sie wußten keine Erwiderung. Wir tappten im dunkeln, was die Motive des Gegners betraf. Es blieb uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Auf das, was auf uns zukam, hatten wir keinen Einfluß. Das Ereignis ließ nicht lange auf sich warten. * Wenn man die Wendeltreppe von der ersten Klasse zur Lounge heraufkommt, fällt der Blick auf die Bar. Um das Cockpit zu erreichen, muß man um das Treppengeländer herumgehen. Ein kurzes Gangstrick verbindet Lounge und Pilotenstand. Die Sitze in der Lounge sind sorgfältig verteilt. Es gibt keinen toten Winkel. Trotzdem ist das Platzangebot relativ großzügig. Die vier Besatzungsmitglieder - Captain Lee Butler, Copilot Roland Douglas, Ingenieur Lester Graff und Stewardeß Karin Ramus hatten Platz nehmen müssen. Sie wurden von zwei der Gangster in Schach gehalten.
Drei der insgesamt sechs Gangster steuerten die Maschine. Einer von ihnen war unten geblieben und kontrollierte den Zugang zur Wendeltreppe. Er war mit einer zusammensetzbaren MP bewaffnet. Johnny Sanders hatte ein wahres Waffenarsenal mit sich herumgeschleppt und es an seine Kumpane verteilt. Die Sicherheitskontrollen in Caracas waren zur Zeit so streng, daß es niemand wagen konnte, eine Waffe mit sich zu tragen. Deshalb hatten sie zu dem Austauschtrick mit Gene Ford gegriffen. Das war ihnen am sichersten erschienen. Außerdem hatte ihnen der Meister versichert, daß alles klappen würde. Immerhin hatte er die Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken. Daß diese Fähigkeit zweifelhaft war, bewies die Tatsache, daß niemand mit einem Fluggast gerechnet hatte, der Mark Tate hieß und Verbündete besaß, von denen selbst Tate nichts geahnt hatte. Einer der beiden Gangster in der Lounge fuchtelte mit der Pistole. »Los!« befahl er Karin Ramus, der aparten Stewardeß deutscher Abstammung. Durch die Heirat mit einem Puertorikaner war sie zu dem klangvollen Nachnamen Ramus gekommen. Sie selbst war im deutschen Saarland geboren. »Mixen Sie uns ein paar Drinks!« Karin erhob sich widerstrebend. Sie schielte nach der Waffe, die Motiv genug war zu gehorchen. Langsam bewegte sich die Stewardeß auf die Bar zu. Sie trat dahinter. »Was darf es sein?« fragte sie sarkastisch. Die beiden Gangster äußerten ihre Wünsche. Die Aufmerksamkeit der Gangster war im Moment abgelenkt. Karin erkannte das sehr wohl, und sie sah eine Chance darin. Kurz wechselten sie einen Blick mit dem hitzköpfigen Roland Douglas. Er war der richtige Mann. Lee Butler neigte eher zur Vorsicht, während für Douglas ohnedies klar war, daß sie hier nicht mehr lebend herauskamen. Er wollte aber sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Und Karin Ramus nahm sich vor, ihn dabei zu unterstützen. Sie hatte es jetzt in der Hand. Sie nahm die Whiskyflasche und füllte zwei Longdrinkgläser zu einem Fünftel. Dann tat sie je zwei Eiswürfel hinzu und goß Cola
darüber. Die beiden Gangster ließen sie dabei nicht aus den Augen. Vielleicht rechneten sie mit der Möglichkeit, daß die Stewardeß etwas ihren Drinks beimischte, das für sie gefährlich hätte sein können. Karin drehte sich um, mit der Absicht, die Flaschen wegzustellen. Dabei stieß sie mit dem Ellenbogen gegen die vollen Gläser. Sie kippten vom Tresen, und die Flüssigkeit ergoß sich auf den Boden. Das Klirren und Scheppern ließ die Gangster zusammenfahren. Roland Douglas hatte nur darauf gewartet. Er hechtete aus dem Sitz empor, bekam die Hand des ihm nächststehenden Gangsters zu fassen, drehte sie blitzschnell auf den Rücken. Die Waffe entfiel den verkrampften Fingern. Roland fing sie geschickt auf und stieß den Gangster gegen seinen Komplicen. Er tat das so heftig, daß beide Männer zu Boden gingen. Im nächsten Augenblick stand Roland Douglas über den beiden, mit gezückter Pistole. Als der eine seine Waffe herumschwenken wollte, knurrte er: »Stop!« Der Mann gehorchte. Er wollte es nicht riskieren, über den Haufen geknallt zu werden. Karin Ramus atmete erleichtert auf. Der Trick hatte geklappt. Ein Wunder eigentlich angesichts der Tatsache, daß sie es hier mit Profis zu tun hatten. Aber die beiden hatten sich ohnedies relativ nervös gegeben, als verlaufe nicht alles nach Plan. Lester Graff sprang jetzt ebenfalls auf und entwaffnete den zweiten Gangster. Lester und Roland verstanden sich auch ohne Worte. Während der Bordingenieur die beiden Verbrecher in Schach hielt, bewegte sich Douglas auf den Durchgang zum Cockpit zu. Das Schott war nur angelehnt. Roland zögerte eine Sekunde, dann riß er es mit einem Ruck auf. Seine Augen weiteten sich. Auch Lester und die Stewardeß waren geschockt. Selbst die beiden Gangster waren fassungslos vor Schreck. * Der Deutsche Winfried Goldmann hatte wieder in der ersten
Klasse Platz genommen. Er war zu keiner Aktion fähig. Die Tatsache, daß er einen beträchtlichen Teil zur Übernahme des Flugzeuges beigesteuert hatte, war so schlimm für ihn, daß er an Leib und Seele gebrochen schien. Er schaute zu dem Gangster hinüber, der mit seiner MP die Wendeltreppe überwachte, dabei unaufhörlich seine Blicke kreisen ließ. Bisher hatte noch niemand den Versuch gemacht, ihn zu überwältigen. Es wäre auch höchst unvernünftig gewesen. Wäre es geglückt, ihn auszuschalten, hätte man damit noch nicht viel gewonnen. Es war unmöglich, bis zum Cockpit vorzudringen. Schließlich befanden sich dort oben noch immer fünf der Gangster - alle bewaffnet. Diese Männer waren in der Lage, die Maschine zum Absturz zu bringen, wenn es für sie keine andere Möglichkeit des Davonkommens mehr gab. Das waren die Gedanken, die Winfried Goldmann total beherrschten. Er sah keinen Ausweg aus dem Dilemma. An die Tatsache, daß sich der Jumbo mit all seinen Insassen überhaupt nicht mehr im Diesseits befand, sondern eine Flugreise durch das Zwischenreich der Dämonen angetreten hatte, dachte er überhaupt nicht mehr. Sie war für ihn von sekundärer Bedeutung. Und dann trat eine Wende ein. Zunächst nur für ihn persönlich. Ein anderer Passagier der ersten Klasse von der rechten Sitzreihe schlenderte heran. Der Gangster zollte ihm keine Aufmerksamkeit. Der Abstand zwischen ihnen beiden war zu groß. Der Passagier zwängte sich auf den Sitz neben Goldmann. Kaum war das geschehen, zog er die Hand aus der Tasche. Der Deutsche stierte auf das Taschenmesser, das auf der Handfläche des Mannes aufblitzte. »Was - was haben Sie vor?« stammelte er. Der Fremde betrachtete ihn. In seinen Augen flackerte ein unbestimmbares Feuer, die Gesichtszüge waren verkrampft. »Es ist eine Waffe - zwar ein Nichts gegenüber einer MP, aber nichtsdestoweniger eine Waffe«, sagte er hart. Goldmanns Gedanken wirbelten im Kreis. Er dachte an die Bedenken, die er noch vor Sekunden gehabt hatte, und warf sie alle über Bord. Nein, der Fremde hatte recht. Sie durften keine Möglichkeit außer acht lassen. Sie mußten alles versuchen, um wieder
Herr der Lage zu werden. Sie konnten nur gewinnen und nicht verlieren. Ein krasser Widerspruch zu dem, was vorher seine Meinung gewesen war. Aber das störte Winfried Goldmann nicht im geringsten. Plötzlich wurde er eiskalt. Er sah eine Möglichkeit, seine Fehler wiedergutzumachen, und diese Möglichkeit ergriff er, wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm greift. »Wie - wie…« Er schluckte den Kloß hinunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte. »Wie soll es geschehen?« Der Fremde öffnete das Taschenmesser. Die Klinge war zweieinhalb Zoll lang. Seine Faust schloß sich um den Griff: Die Knöchel traten weiß hervor. »Ich komme nicht so ohne weiteres an ihn heran. Das ist verständlich.« »Jemand muß ihn also ablenken.« »Sie begreifen schnell, Mister…« »Goldmann - Winfried Goldmann.« »Deutscher?« »Hm, ja!« »Ich bin Engländer, William Brown. Meine Eltern haben mit Ihren Landsleuten schlechte Erfahrungen gemacht im Krieg. Sie impften mir ein, alle Deutschen seien schlecht. Tun Sie etwas gegen diesen Ruf!« Goldmann lachte auf, kurz und ohne Humor. »Das habe ich auch vor!« Er warf einen kurzen Blick hinüber. Der Gangster achtete nicht auf sie. Er bekam nicht mit, was da gesprochen wurde. Dafür sorgten die Entfernung und die Tatsache, daß sie beide ihm den Rücken zuwandten. »Sie kennen die Gangster, wie ich bemerkt habe«, führte William Brown aus. »Wahrscheinlich erfolgte die Bekanntschaft mit ihnen unfreiwillig. Aber sie haben offensichtlich den Verbrechern geholfen, den Jumbo zu übernehmen. Es müßte eine Kleinigkeit für Sie sein, hinüberzugehen und den Gangster abzulenken. Ich werde mich blitzschnell anschleichen und…« Er schnalzte mit der Zunge und machte die Geste des Schneidens. Eine Gänsehaut lief über Goldmanns Rücken. Er riß sich gewaltsam zusammen. Seine Hände öffneten und schlossen sich. Sie waren schweißnaß. Er war weiß Gott kein Held. Das hatte er auch
nie zu sein brauchen. Er war hochgradiger Techniker und ein hervorragender Verhandlungsführer. Das waren die Eigenschaften, die seine Karriere beim Dillinger Stahlbau begründeten. Außerdem beherrschte er mehrere Sprachen. Er wischte sich über die Stirn, auf der dicke Tropfen perlten, und sprang entschlossen auf. Einen Moment lang stand er wankend da wie ein Schilfrohr im Wind. Seine Knie fühlten sich butterweich an. Doch er überwand sich selber und trat auf den Gang hinaus. Der Gangster drehte sich ihm zu. Die MP hatte er lässig am Tragegurt hängen. Die Mündung zeigte auf Goldmanns Bauch, der Zeigefinger lag auf dem Abzug. Der Gangster musterte Goldmann von Kopf bis Fuß. Der Deutsche kam auf ihn zu. Als er nur noch zwei Schritte entfernt war, knurrte der Bewaffnete: »Was ist los?« »Ich - ich möchte hinauf!« Er zog verwundert die Augenbraue hoch. »So? Mit welcher Begründung denn?« »Brauche ich eine?« Der Mann machte eine abweisende Handbewegung. »Hören Sie, ich will mich nicht auf ein Gespräch mit Ihnen einlassen. Sie haben Ihre Schuldigkeit getan und befinden sich jetzt auf dem Abstellgleis, kapiert? Seien Sie froh, daß wir nicht Ihr Leben ausgelöscht haben, damit Sie uns nicht gefährlich werden.« »Wie könnte ich gefährlich werden - ohne Waffe. Ich bin kein ausgebildeter Kämpfer. Meine Fähigkeiten liegen auf anderen Gebieten.« »Das mag sein, aber Sie wissen inzwischen eine ganze Menge über uns - gemessen an dem, was die anderen Passagiere wissen.« »Und das genügt, mich für euch gefährlich werden zu lassen?« Der Mann wurde ärgerlich. »Schluß jetzt! Was soll dieses sinnlose Plaudern? Setzen Sie sich wieder, oder ich schieße Sie über den Haufen!« »Also gut, wie Sie wollen. Ich möchte zu Mr. Sanders. Ich bin ein guter Ingenieur und…« Der Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Goldmann riß die Arme empor und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. In diesem Augenblick tauchte William Brown hinter dem Gangs-
ter auf der davon nichts bemerkte. Goldmann wich noch weiter zurück. Seine Furcht war echt. »Ich - ich wollte doch nur meine Hilfe anbieten«, stotterte er kläglich. Der Gangster lachte verächtlich. Browns Arm zuckte vor. Das Messer zielte nach der Kehle des Gangsters. Eine Bewegung. Blut schoß aus der Wunde. Aber William Brown hatte den Profi unterschätzt. Dieser drehte den Kopf zur Seite. Die freie Hand zuckte hoch, packte nach dem Handgelenk Browns. Die Wunde war nicht sonderlich tief. Mit einem Ruck bog der Gangster die Hand mit dem Messer von sich weg und drehte sich um sich selbst. Der Lauf der MP schob sich nach vorn. Die Schüsse knatterten dumpf. In das Gesicht von William Brown trat ein ungläubiger Ausdruck. Das Taschenmesser fiel zu Boden. Browns Hände krallten sich in die tödlichen Wunden. Der Gangster sprang zwei Schritte zurück. Winfried Goldmann war unfähig, sich zu rühren. Er starrte fassungslos auf die Szene. Sie erschien ihm wie eine Momentaufnahme, erstarrt. Die Zeit tropfte träge dahin, Sekunden schienen zu Minuten zu werden. Wie in Zeitlupe klappte William Brown zusammen. »Nein!« stöhnte Winfried Goldmann. Die MP schwenkte auf ihn zu. Er ließ sich geistesgegenwärtig zu Boden fallen. Damit traf er fast gleichzeitig mit Brown am Boden auf. Eine Garbe hämmerte über ihn hinweg, schlug in die Verkleidung des Innenraumes - gottlob, ohne die Wandung ganz zu durchschlagen. Der Gangster war außer sich. Er wollte noch einmal auf Winfried Goldmann schießen, der wimmernd dalag. Aber die Schüsse waren nicht unbemerkt geblieben. Ein paar Männer rannten herbei. Sie stießen den Vorhang beiseite, der die Economy-Klasse von der ersten Klasse trennte und starrten auf die Szene. William Brown lag verkrümmt am Boden. Eine Blutlache bildete sich um ihn herum. Der Engländer lebte noch! Die Männer waren über diesen Vorgang so entsetzt, daß sie gegen den Gangster Front bildeten. Diesem blieb nichts anderes
übrig, als von Dr. Goldmann abzulassen und sich gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen. Breitbeinig stand er da, die Waffe im Anschlag. Die Front stoppte. Feindselig wurde er gemustert. »Keinen Schritt weiter!« befahl der Gangster. »Ich habe noch genügend Munition im Magazin.« Von oben, aus der Lounge, ertönte ein schriller Schrei. Es war die Stimme von Karin Ramus. In der Bar spielte sich etwas ab, wovon man hier unten nichts wußte. Das war ausschlaggebend. Zwei der Männer verloren die Nerven. Sie sprangen wie ein Mann auf den Gangster zu. Die MP knatterte ihr tödliches Lied. Der Gangster schoß ohne mit der Wimper zu zucken und verursachte ein Blutbad. Sechs Menschen wälzten sich in ihrem Blut. Der Gangster sprang über sie hinweg und wandte sich der Wendeltreppe zu. Er nahm drei Stufen auf einmal, als er hinaufrannte. Er wollte wissen, was geschehen war. Noch mehr Menschen stürzten von hinten nach vorn. Sie sahen, was passiert war, und ergriffen die Flucht. Winfried Goldmann blieb allein zurück - allein mit den Toten und Sterbenden. »Meine Schuld ist unermeßlich geworden«, stammelte er immer wieder vor sich hin. Und er weinte dabei. Seine Nerven hatten versagt. Das, was geschehen war, war auch zu furchtbar. Aber es würde noch schlimmer kommen! * Ich blickte auf, als ich das Knattern der MP-Garben vernahm. Ein paar Flugpassagiere stürmten nach vorn. »Nicht!« schrie ich, aber mein Rufen blieb ohne Wirkung. Ich überließ Frank Burgess sich selbst, der noch immer tief und friedlich schlief, und rannte den Gang zwischen den Sitzreihen entlang. Es war recht weit bis zur ersten Klasse. Aber bis dahin kam ich gar nicht. Abermals Schüsse. Ein Gegenstrom von kopflosen Menschen hielt mich auf. Ich fand keinen Durchlaß. Plötzlich schwebte über meinem Kopf der Schavall. Ich er-
schrak. Das Dämonenauge erschien seltsam durchsichtig. Ich griff danach. Da verpuffte es wie eine Seifenblase. Gellendes Gelächter klang auf. Die Menschen blickten sich erschrocken um. Anstelle des Dämonenauges - es hatte sich wahrscheinlich nur um ein Trugbild gehandelt - erschien eine furchtbare Fratze. Sie starrte unverwandt auf mich herab. Ich warf einen Blick zurück. Don Cooper, May Harris und Frank Burgess standen zusammen. Ich hatte mich freiwillig von ihnen getrennt. Jetzt erwies sich das als gravierender Fehler. Der Gegner begann, sich auf mich zu konzentrieren. Die Fratze begann zu glühen. Aus den Augen züngelten Blitze. Eine Frau schrie schrill und hysterisch, daß es in meinen Ohren gellte. Ein Gegenstand fuhr durch die Luft, hatte die Fratze zum Ziel. Wenige Zoll davor prallte der Gegenstand gegen ein unsichtbares Hindernis. Abermals dieses schreckliche Gelächter, triumphierend, bösartig und grausam. »Du bist verloren!« flüsterte eine Stimme direkt an meinem Ohr. »Verloren!« wisperten mehrere Stimmen. Mit geweiteten Augen blickte ich in die Runde. Die Menschen wichen vor mir zurück, Grauen in den Gesichtern. Was erblickten sie? Warum starrten sie mich so an? Sie achteten gar nicht mehr auf die Fratze über mir. Aber nein, die war gar nicht mehr da. Ich spürte eine Berührung und wollte nach meinem Gesicht greifen. Auf halbem Wege hielt ich an. Ein drittes mal jenes Gelächter, das diesmal aus meinem Mund kam. Aus meinem Mund? Ich wußte sofort, was geschehen war. Verzweifelt schaute ich umher. Die Bullaugen verdunkelten sich. Weitere Fratzen gaukelten an ihnen vorbei. Glühende Augen starrten durch die Scheiben des Jumbos, der eine Reise durch die Welt des Grauens angetreten hatte. Ich griff mir an den Kopf. An meiner Stirn klebte etwas. Meine Hand zuckte zurück. Das Ding fühlte sich glühendheiß an. Ein Stromstoß ging durch meinen Körper, warf mich zu Boden.
Wie rasend schlug mein Herz. Ein Schwindel erfaßte mich, als ich mich wieder erheben wollte. Ich verlor abermals den Halt. Unsichtbare Fäuste traktierten mich. Plötzlich schien etwas in mir zu explodieren. Aber es hatte keine vernichtende Wirkung, sondern erfüllte mich mit ungeahnter Kraft. Die Fratze löste sich von mir, flog davon wie ein Vogel. Wehklagen klang ringsum auf. Es drang durch die Wände des Jumbos. Ich war auf einmal befreit. Der Eindruck der Macht verschwand aus mir. Wie gelähmt blieb ich am Boden liegen. Dann stand ich auf. Ich ging auf die Menschen zu, die sich im Kreis um mich gestellt hatten. Der Kreis öffnete sich. Man ließ mich hindurch. Ich lief bis in die hintere Reihe, wo meine Freunde auf mich warteten. Dort versagten meine Knie. Ich konnte mich gerade noch stützen und damit verhindern, daß ich einfach umkippte. * »Was hatte das zu bedeuten?« fragte May Harris. Ich fixierte sie. »Was habt ihr gesehen?« »Es lief alles sehr schnell ab«, berichtete Don Cooper. »Auf einmal war der Schavall über dir. Er löste sich auf in Nichts, machte dieser Fratze Platz, die auf einmal verschwand. Und du hast genauso ausgesehen wie diese Ausgeburt. Und nicht nur allein, daß dein Gesicht die Form der Fratze angenommen hatte, du hast auch ein furchtbares Gelächter ausgestoßen, um anschließend zu Boden zu sinken. Und dann verging der Spuk so schnell, wie er begonnen hatte.« Ich rieb mir nachdenklich den Nacken. »Ich habe einen Verdacht«, sagte ich, und dann berichtete ich von jener Kraft, die ich plötzlich in mir gespürt hatte. »Ich bin überzeugt davon, daß sie mir half, die Attacke zu überwinden. Und noch etwas nehme ich an. Der Angriff erfolgte nur, um herauszufinden, ob es wirklich eine Hilfe für mich gibt!« Don Cooper und May Harris machten große Augen. »Soll das heißen, du hast Verbündete?« Ich nickte.
»Genau das ist anzunehmen. Diese ominösen Verbündeten sind genau der Grund dafür, daß der Gegner so lange mit der Vernichtung zögert. Wahrscheinlich wären wir längst zu einem Ziel gekommen, hätten wir alles hinter uns, wenn es nicht jenen unbekannten Störfaktor gäbe. Der Gegner wollte unseren Verbündeten eine Falle stellen, wollte ihn aus der Reserve locken, indem er mir arg zusetzte. Das ist ihm auch letztlich gelungen. Ob es allerdings ein positives Ergebnis für die Dämonen des Zwischenkreises war, bleibt noch dahingestellt.« »Fragt sich nur, woher dieser Verbündete stammt«, sagte Don Cooper. »Wer verbirgt sich dahinter? Gibt es nur einen oder mehrere davon? Warum haben sie dir geholfen. Und dann noch eins: Wie stark sind ihre Mittel?« »Nicht unbegrenzt, wie ich annehme, sonst hätten sie längst unseren gegenwärtigen Zustand geändert. Vorn bei der Wendeltreppe hat es wahrscheinlich ein Blutbad gegeben, soweit wir das überblicken können. Warum haben die Verbündeten das nicht verhindert?« »Du hast recht. Sie müssen mit ihren Kräften haushalten und können nicht mehr als uns vier beschützen - wenigstens vorläufig. Vielleicht hat der Gegner noch einen wichtigen Triumph in der Hand, den wir erst herausfinden müssen?« »Das mag sein. Es gibt Wesen im Hintergrund, die uns gut gesonnen sind. Vielleicht sogar welche, die nach außen hin auf der Seite unseres Gegners stehen.« »Und was bleibt uns da noch zu tun?« »Ich fürchte, zuerst können wir nichts anderes tun, als die Hände in den Schoß legen. Doch mir ist eher danach zumute, etwas zu unternehmen.« * Roland Douglas wirbelte durch die Tür zum Cockpit - und erkannte zu spät, daß es ein Cockpit nicht mehr gab. Vor ihm befand sich ein gähnendes Nichts. Roland Douglas spürte keinen Fahrtwind, der für ihn entsetzliche Folgen gehabt hätte. Aber wenn es ihn gegeben hätte, hätte er die nur angelehnte Tür zur Lounge bereits längst aufgeblasen. Scheinbar bewegungslos schwebte der Jumbo über einer Alp-
traumlandschaft. Die Triebwerke waren widersinnigerweise noch in Betrieb. Ihr Brausen drang seltsam gedämpft an Rolands Ohr. Er selbst schwebte in einem unbekannten All. Er bemerkte noch, wie im Durchgang ein Mensch erschien, der zu ihm entsetzt herüberstarrte, Gesten vollführte und etwas rief. Roland Douglas verstand ihn aber nicht. Er bewegte sich immer wieder weg von dem Flugzeug. Der Abstand mochte bereits ungefähr dreißig Yards betragen. In diesem Augenblick stieß er gegen ein Hindernis. Er drehte sich um. Dieses Hindernis war fast unsichtbar - deshalb fast, weil es leicht fluoreszierte. Roland betastete es. Es fühlte sich weich und nachgiebig an und warm, als wäre es ein lebendes Wesen. Er schaute daran empor und sah den Ursprung. Über dem Flugzeug schwebte ein gigantisches Auge. Es war vom Flugzeuginnern nicht erkennbar. Das Auge glühte aggressiv. Eine Glocke bildete sich daraus, die das Flugzeug umhüllte. An einer Stelle wurde die Glocke unterbrochen. Ein schwarzes Etwas, das wie ein Tunnel anmutete, durchbohrte es und endete genau dort, wo das Cockpit gewesen war. Im Moment schloß sich der Durchbruch langsam. Gleichzeitig damit - Rolands Augen drohten aus ihren Höhlen zu fallen - wurden die Konturen des Cockpits sichtbar! Sie wurden immer deutlicher. Roland begriff, daß es für ihn keine Rückkehr ins Flugzeug gab, wenn es ihm nicht gelang, rechtzeitig hinüberzukommen. Er stieß sich an der Wand aus reiner magischer Energie ab und driftete auf die Schnauze des Jumbos zu. Das Donnern der Triebwerke wurde lauter. Roland glaubte auch, daß Fahrtwind aufgekommen wäre. Normalisierte sich der Zustand? Wurden die Naturgesetze aus dem Diesseits wirksam und ließen Roland Douglas abstürzen? Die Haare standen ihm zu Berge. Er schrie verzweifelt auf. Ein eiskalter Lufthauch wehte ihm ins Gesicht und ließ ihn frieren. Hilflos mit Armen und Beinen rudernd, flog er auf den Jumbo zu, der ihm seine stumpfe Schnauze entgegenreckte. Aber er hatte in der Nervosität und Angst nicht richtig gezielt und fürchtete, daß er das immer stärker materialisierenede Cockpit verfehlen würde. Daran vorbei würde er segeln. Der Jumbo würde sich hinter ihm
verlieren und - ja, was kam dann? Roland Douglas dachte an die Fallschirmspringer, die während des freien Falls ihre Richtung dirigierten. Er versuchte es, was alles jedoch nur verschlimmerte. Er war kein Fallschirmspringer, hatte den freien Fall nicht gelernt. Und dann spürte er den Sog der Triebwerke. Nein, der ungeheure Wind, der in dieser Höhe durch den schnellen Flug verursacht wurde, konnte nicht wirklich werden. Das Dämonenauge sorgte mit seinem energetischen Schirm dafür. Aber die Triebwerke liefen auf Hochtouren. Sie waren so groß, daß ein Mensch aufrecht darin gestehen konnte. Und ihre Kraft reichte aus, um Roland Douglas anzusaugen wie ein Staubkorn von einem Haushaltsstaubsauger. Und er konnte überhaupt nichts dagegen tun! Schon flog er am Cockpit vorbei. Zur gleichen Zeit erlosch der schwarze Tunnel. Das Flugzeug wirkte unbeschädigt. Roland Douglas sah durch die Scheibe ins Cockpit hinein. Etwas geschah darin, das konnte er erkennen, aber nicht was sich tat. Und dann war er aus dem Blickwinkel. Das Triebwerk direkt vor ihm wuchs scheinbar zur Riesengröße heran. Roland Douglas trieb völlig hilflos in dem All. Und sein Flug beschleunigte sich. Er sah sein furchtbares Ende bereits vor Augen. Die Bullaugen waren hell erleuchtet. Jemand hatte in der Fahrgastkabine das Licht eingeschaltet. Mit Recht, denn Dunkelheit war eingebrochen. Roland Douglas schloß die Augen und erwartete seinen Tod. * Sie hörten zwar die MP-Garben, ignorierten sie aber. Der Anblick hielt sie gefesselt. Roland Douglas, der ins Cockpit gesprungen war, landete im Nichts. Scheinbar schwerelos schwebte er davon, vor dem Flugzeug her. Die Naturgesetze wurden in dieser Welt auf den Kopf gestellt. Es herrschten andere Gewalten. Sie sahen seine hilflosen Bemühungen, und Captain Lee Butler rannte zum Durchgang. »Verdammt, was ist da passiert?« schrie einer der beiden über-
wältigten Gangster fassungslos. Er begriff genausowenig wie alle anderen. Ja, wo waren Johnny Sanders, Wilton Stuart und der dritte im Bunde abgeblieben? Welche Macht hatte das Cockpit vom Rumpf getrennt? »Roland!« rief Lee Butler. Der Captain ruderte mit den Armen, wollte sich Roland Douglas bemerkbar machen - vergebens. Karin Ramus kam näher heran, schaute an dem Captain vorbei, als diesen die Erkenntnis traf: »Da ist überhaut kein Fahrtwind«, stellte er verdattert fest. »Wir stürzen auch nicht ab. Der Flug ist stabil, als wäre nichts geschehen, als wäre das Cockpit noch da, wo es hingehört. Wie ist das zu begreifen?« »Überhaupt nicht«, murmelte Karin brüchig. »Hier ist nichts zu begreifen. Schau nur, dort drüben, dieser leuchtende Schutzschirm! Mein Gott, er scheint den Jumbo abzuschirmen. Kann es sein, daß Roland Douglas deshalb durch die Luft schwebt und das Flugzeug sich entgegen jeglicher Logik verhält?« Der Captain nickte. »Du magst recht haben. Wie aber können wir Roland helfen? Er ist verloren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er mit eigener Kraft zu uns zurückkehren wird.« Kaum hatte er das ausgesprochen, als die transparenten Konturen des Cockpits erschienen. Der Captain und die Stewardeß fuhren erschrocken zurück. Sie starrten auf die Szene. Sie erblickten Johnny Sanders und Wilton Stuart an den Kontrollen. Die Gangster versahen ihre Arbeit im Cockpit, als wäre nichts geschehen. Gespenstisch. Absolute Lautlosigkeit. Wie eine Geisterversammlung. Auch der Gangster, der die Rolle des Bordingenieurs übernommen hatte, benahm sich ganz so, als wären die Betrachter gar nicht vorhanden. Wilton Stuart sagte etwas. Lee Butler vermerkte nur, daß sich seine Lippen bewegten und hörte ein fernes Raunen. Mehr nicht. Aber dann wurden die Konturen immer deutlicher. Das Cockpit verlor an Transparenz, materialisierte mehr und mehr. Karin Ramus und Lee Butler wichen zurück. Sie waren unbewaffnet. Gegen die drei Gangster würden sie keine Chance haben. In diesem Augenblick kam jemand die Wendeltreppe heraufgesprungen. Lester Graff, der noch immer die beiden Gangster in Schach hielt, ließ den Lauf der Waffe herumschwenken und emp-
fing so den Mann, der die Lounge betrat. Ganz wie vom Donner gerührt blieb dieser stehen. Er dachte gar nicht mehr an seine MP, die er geschultert hatte. »Was - was geht hier vor?« stammelte er. »Das möchte ich allerdings auch wissen!« donnerte jemand hinter ihnen. Karin Ramus und Lee Butler fuhren herum. Sie erschraken. Sie waren abgelenkt gewesen und hatten nicht mehr auf das Cockpit geachtet, das aus dem Nichts neu entstanden war. Jetzt rächte sich das. Johnny Sanders stand im Durchgang, breitbeinig, seinen Revolver im Anschlag. Die Reaktion von Lester Graff, dem Bordingenieur, wäre auf jeden Fall zu spät gekommen. Er zögerte kurz. Dann ließ er seine Waffe sinken. Sanders nickte. »So gefällt mir das schon viel besser.« Er winkte die beiden Gangster, die noch immer am Boden kauerten, hoch. »Los, nehmt eure Waffen wieder an euch!« Suchend blickte er sich um. »Wo ist eigentlich der Copilot? Wo ist Roland Douglas?« Sie sahen ihn entgeistert an. »Es ist…«, begann einer der beiden, Gangster, hielt aber inne, weil ihm die Stimme den Dienst versagte. Erst jetzt schien ihm richtig zum Bewußtsein zu kommen, was überhaupt geschehen war. Eine steile Falte erschien auf Sanders Stirn. »Na los, heraus mit der Sprache!« knurrte er ärgerlich und fuchtelte mit dem Revolver herum. Lee Butlers Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Die Entführer waren überaus nervös. Sie litten im Grunde genommen mehr unter der Situation als ihre Opfer, denn die ganze Sache hatte für sie offenbar eine völlig unerwartete Wende genommen. Möglicherweise hatten sie von vornherein geahnt, mit wem sie sich eingelassen hatten. Dennoch war die Lage von ihnen falsch eingeschätzt worden. Es war und blieb ein alter Grundsatz, daß man immer Verlierer bleibt, wenn man sich mit den schwarzen Mächten des Jenseits einläßt. Daß daran kein Weg vorbeiführt, war eine Erfahrung, die die Gangster inzwischen hatten machen
müssen. »Das - das Cockpit war plötzlich verschwunden«, platzte der zweite der Gangster heraus. Ehe Sanders etwas entgegen konnte, fuhr er rasch fort: »Dieser Roland Douglas hat uns überlistet. Dann wollte er euch überfallen. Er riß die Tür auf und wirbelte hindurch. Aber da war nur noch das leere Nichts. Er - er flog einfach davon.« »Jetzt reichts aber!« bellte Johnny Sanders außer sich. »Du willst mich wohl auf dem Arm nehmen, wie?« Betretenes Schweigen. »Es hat sich die ganze Zeit über nichts geändert. Wir haben das Flugzeug gesteuert, daß heißt, wir brauchten lediglich die Kontrollen zu überwachen und dafür zu sorgen, daß der Jumbo nicht an Höhe verliert. Eine genaue Kursansage haben wir nicht. Das ist der Grund, warum wir immer geradeaus fliegen.« »Wenn ich es dir sage!« begehrte der Gangster auf. »Was weiß ich, wie das Phänomen zustande kam. Frage doch Noah Bates, der unten die Wendeltreppe bewachte. Hatte er Ronald Douglas vielleicht an ihm vorbeigelassen?« Sanders wurde jetzt doch nachdenklich. Er durchquerte die Lounge und riß die Tür zur Toilette auf. Sie war leer. »Wie dem auch sei«, murmelte er tonlos. »Ich möchte mich nicht weiter damit beschäftigen. Noah, was ist unten passiert? Warum bist du heraufgekommen?« Noah Bates, der Mann mit der MP, berichtete knapp. Lee Butler, Lester Graff und Karin Ramus gingen schier die Augen über, als sie von dem Blutbad erfuhren, von dem Noah Bates erzählte, als wäre so etwas ganz alltäglich. Was waren denn das für Menschen? Waren sie besser als die Dämonen, denen sie hier im Zwischenreich ausgeliefert waren? Nein! entschied Lester Graff für sich, denn Dämonen sind von Natur aus böse und folgen ihrer Bestimmung, während Menschen die Möglichkeit haben, sich dem Positiven zuzuwenden. »Du Narr!« wetterte Johnny Sanders, »ist dir nicht klar, was du damit angerichtet hast? Wir haben uns die ganze Zeit bemüht, möglichst wenig Gewalt einzusetzen. Sonst hätten wir Goldmann gleich umlegen können. Bisher haben die Passagiere nicht offen Front gegen uns gebildet, aber das wird in Zukunft anders sein. Sie werden begreifen, daß es für sie nichts mehr zu verlieren gibt.
Außerdem hatten wir den klaren Auftrag, die Menschen lebend ans Ziel zu bringen, wenn gleich wir immer noch nicht wissen, wo dieses Ziel sich befindet.« »Ich mußte es doch tun!« verteidigte sich der Mörder. »Außerdem werden die jetzt Respekt…« Weiter kam er nicht. Johnny Sanders war außer sich vor Zorn vorgesprungen, und hatte mit dem Revolver zugeschlagen. Er erwischte Noah Bates am Ohr, da dieser geistesgegenwärtig den Kopf zur Seite gedreht hatte. Durch die Wucht des Schlages ging er zu Boden. Haß loderte in seinem Blick, als er aufsah. Johnny Sanders trat nach ihm. Erst dann hatte er sich soweit beruhigt, daß er, von Bates abließ. Angriffslustig schaute er sich in der Runde um. »Ich bringe jeden um, der mir nicht gehorcht. Ist das klar?« Keiner gab Antwort. Niemand blickte ihn an - außer Bates. Lee Butler sah, daß Bates, der noch immer am Boden lag, die Fäuste ballte - in ohnmächtiger Wut. Wenn Johnny Sanders nicht aufpaßte, hatte er in dem Gangster einen gefährlichen Gegner. Noch saßen die sechs Gangster in einem Boot, und noch würde sich Bates nicht gegen seinen Boß wenden. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit. Lee Butler konnte nicht behaupten, daß er über diese Entwicklung glücklich war, obwohl er es hätte sein können, denn jede Uneinigkeit schwächte den Gegner. Aber war ihr wahrer Feind nicht außerhalb des Flugzeuges zu finden? Die Gangster waren nicht mehr als Marionetten in den Händen des Satans, der sie alle hierher in das Zwischenreich der Dämonen hatte entführen lassen. Gerade als Lee Butler sich das vor Augen führte, griff Schwärze nach dem Flugzeug. Bisher war von draußen diffuses Licht hereingekommen. Es hatte jeden Winkel ausgeleuchtet. Jetzt war diesem Licht Dunkelheit gefolgt. Diese Dunkelweit war unnatürlicher Art. Sie war wie ein Wesen, das sich anschickte den Jumbo zu beherrschen. Einer im Cockpit sorgte dafür, daß das Licht eingeschaltet wurde. Damit war wirklich noch nicht viel gewonnen. Die Schwärze war körperlich spürbar. Sie erzeugte eine Gänse-
haut, und plötzliche Kälte ging ihnen bis in die Knochen. Flüsternde Stimmen drangen auf sie ein. Auf einmal huschten undefinierbare Schatten über die Wände. Sekundenlang glaubte Lee Butler direkt in das bleiche Antlitz eines Toten zu blicken, dessen gebrochene Augen auf ihn gerichtet waren. Der Spuk verschwand. Er spürte eine flüchtige Berührung im Nacken. Ein eisiges Gefühl blieb zurück. Es war die Kälte des Todes, die sie alle heimsuchte. »Da!« schrie Wilton Stuart wie von Sinnen. Automatisch blickten sie zum Cockpit. Durch das Panoramafenster war es deutlich zu sehen. Am Horizont erhob sich ein Gigant. Seine Konturen waren noch verschwommen. Eine gewaltige Hand raste auf sie zu, umschloß den Jumbo. In den Wänden knackte es verdächtig. Sie mußten befürchten, daß das Flugzeug jeden Augenblick zerquetscht wurde. Das Geräusch der laufenden Triebwerke erstarb. Sämtliche Lichter erloschen wieder. Ein Ruck ging durch den mächtigen Rumpf des Jumbos. Sanders konnte sich gerade noch festhalten. Die anderen verloren den Boden unter den Füßen und stürzten auf den Boden. Es wurde noch schlimmer. Das mächtige Flugzeug wurde kopflastig. Ohrenbetäubendes Heulen und Brausen entstand. Lee Butler bildete sich ein, daß sich die Wände der Lounge nach innen ausbeulten. Dann schlug er mit dem Kopf irgendwo dagegen, und tausend Sterne tanzten vor seinen Augen. Das ist das Ende! dachte er. Dabei war er seltsamerweise ganz ruhig. * Kurz bevor die Schwärze kam und jemand das Licht im Flugzeug einschaltete, blickte ich zufällig durch das Bullauge nach draußen. Da sah ich den Mann, der wie ein welkes Blatt vorüberwirbelte, genau auf eines der Treibwerke zu. Erst später erfuhr ich, daß es sich um Roland Douglas handelte, wie ich überhaupt später erst alle Vorgänge jenseits meiner
Wahrnehmung rekonstruieren konnte. Das erst ermöglichte diesen lückenlosen Bericht, den ich hier niederschreibe. Auch May Harris hatte es jetzt erkannt. Es war der Zeitpunkt, an dem das Licht aufflammte, um die gespenstische Schwärze zu vertreiben - nur zum geringen Teil erfolgreich. Ich hätte alles dafür gegeben, im Besitz des Schavalls zu sein. Das war mir aber nicht vergönnt. Mit dem Dämonenauge wäre alles viel leichter gewesen. Ohne das Amulett war ich ein normaler Mensch mit relativ bescheidenen magischen Kenntnissen - bescheiden in Anbetracht dessen, wozu der Gegner in der Lage war. Wir sahen alle drei den Giganten, der am Horizont entstand und nach dem Jumbo Jet griff. Seine Faust umschloß des Großraumflugzeug. Es schien, als wollte der Gigant uns zum Absturz bringen. Geistesgegenwärtig schnallten wir Frank Burgess fest, der noch immer in einer Art Tiefschlaf lag, ohne daß es dafür eine Erklärung gab. War er so von den magischen Kräften attackiert worden, daß sich sein Geist nunmehr weigerte, an dem Geschehen länger teilzunehmen? Hatte sein Gehirn vielleicht Schaden erlitten, und er würde nie mehr erwachen? Es war im Grunde genommen müßig, darüber nachzudenken. Wir mußten warten, was uns die Zukunft brachte. Wir schnallten uns ebenfalls rasch an. Don Cooper hatte sich ganz jenseits des Ganges gesetzt, Frank Burgess befand sich zwischen mir und May Harris. Ich saß direkt am Bullauge und hatte so einen guten Blick hinaus. Der Sog der Triebwerke war unterbrochen. Sie waren ausgeschaltet, wie es schien. Das Flugzeug war somit vollends ein Spielball der dämonischen Kräfte geworden. Es wurde hin und her geschüttelt. Die Gurte hielten uns fest im Sitz. Ronald Douglas' Flug bekam eine andere Richtung. Er kippte nach oben weg. In Wirklichkeit war es das Flugzeug, das plötzlich an Höhe verlor. Fast sah es aus, als stürzten wir ab. Ich hatte das Gefühl, mein Magen wollte oben herauskommen.
Der Lord schlief weiter. Roland Douglas wurde wieder sichtbar. Meine Augen weiteten sich. Ronald Douglas war nicht allein. An seiner Seite schwebte der Schavall. Er war erheblich geschrumpft und hatte die Größe eines Fußballes angenommen. Im nächsten Augenblick löste sich aus ihm ein Blitz, der auf das Flugzeug zuraste. Knisternde Funken tanzten über die Außenwände. Das Knacken der Wände hörte auf, ebenso die Unruhigen Schlingerbewegungen. Ein weiterer Blitz. Ich schloß geblendet die Augen, denn die magische Energie war scheinbar genau auf mich gerichtet. Die Wände wurden durchschlagen. Ein Gluthauch ging durch die Fahrgastkabine. Ein paar Leute schrien schmerzerfüllt auf. Als ich die Augen wieder öffnete wälzte sich ein älterer Mann mit Schaum vor dem Mund am Boden. Es war nicht erkennbar, welche Ursache sein Zustand hatte. Waren nur seine Nerven durchgegangen? Flüchtete sich sein gemarterter Verstand in den Wahnsinn? Niemand konnte ihm helfen, denn jeder hatte überreichlich mit sich selbst zu tun. Ich schaute wieder hinaus. Der Schavall dehnte sich aus. Er schien das Flugzeug an sich heranzuziehen. Wie von unsichtbaren Fäden gehalten schwebte Roland Douglas neben ihm. Ich fragte mich, wieso er nicht abstürzte. Der Schavall setzte sich in Bewegung, raste über das Flugzeug hinweg, entschwand aus meinem Sichtfeld. Kaum war das geschehen, wurde der Jumbo von einem wahren Funkenregen übergossen. Heulen und Wehklagen entstand im Inneren. Schwarze Schatten verschiedener Größe huschten hin und her und lösten sich dann in grellen Lichtkaskaden auf. Danach kehrte Ruhe ein. Die Beleuchtung flammte wieder auf. Doch sie wurde nicht gebraucht. Es drang genug Helligkeit von draußen herein. Alles wäre wieder normal gewesen, bis auf die Triebwerke. Sie waren ausgeschaltet. Die Naturgesetze schienen ihre Wirkung zurückgewonnen zu
haben. Wenn die Schwarze Magie nichts dagegen tat, waren wir verloren. Mit anderen Worten: Der Jumbo Jet neigte seine Schnauze nach unten. Der Boden raste uns entgegen. Wir stürzten ab! Draußen orgelte die Luft vorbei, als wäre ein Sturm entfacht. Das Flugzeug begann sich zu drehen. Die Tragflächen wankten wie bei einem flügellahmen Vogel, der das Fliegen nie erlernen wollte. Alles krampfte sich in mir zusammen. Das Ende schien nunmehr unausweichlich. Und als ich nach draußen blickte, erkannte ich das schier Unmögliche: Roland Douglas begleitete uns bei unserem Sturzflug. Eine unsichtbare Macht verband ihn mit dem Flugzeug, das ihn mit hinabriß. Er ruderte mit Armen und Beinen. Die Kräfte des freien Falls und die gewaltigen Luftströme, deren Spielball er geworden war, verzerrte seinen Gesichtszüge, raubten ihm den Atem. Ich sah es sehr deutlich, denn nur einige Schritte trennten uns voneinander. Mein Blick richtete sich nach unten. Eine Alptraumlandschaft von gespenstischem Schein, übergroßen, hochragende Felsen, die wie Knochenhände wirkten, tiefe Schluchten. Vielerorts flammten aggressive Lichter auf, deren Ursprung nicht erkennbar war. Jede Sekunde. würde der Aufprall erfolgen. * Gene Ford hatte das Gefühl, einen halbe Ewigkeit sei vergangen, seit er seine hilflosen Befreiungsversuche in dem ihn entführenden Fahrzeug angestellt hatte. Er hatte sich solange gewehrt, bis er bewußtlos geworden war. Hier. war er erwacht, fühlte sich seltsam apathisch. Zu keiner Regung und zu keinem Gedanken fähig, war er hier liegen geblieben. Eine Macht war in ihm, die ihn lähmte. Wie eine Marionettenpuppe fühlte er sich, die der Puppenspieler an unsichtbaren Drähten dirigiert. Plötzlich war dieser Eindruck verschwunden. Gene Ford war wieder frei, und er bemühte sich, mit dieser neuerworbenen Frei-
heit auch zurechtzukommen. Mühsam setzte er sich auf. Das Blut zirkulierte stärker durch seine Adern. Überall in seinem Körper kribbelte es. Das taube Gefühl in seinen Gliedern wich einem fast unerträglichen Schmerz. Gene Ford biß die Zähne zusammen und wartetet tapfer, bis er den Schmerz einigermaßen überwunden hatte. Dann erst musterte er seine Umgebung. In einem Raum, hineingehauen in einen Felsen, war er erwacht. Die Hälfte des Raumes war von seltsamen Apparaten vollgestellt, deren Bestimmung er nicht einmal erahnen konnte. Wo befand er sich? Er verließ die Liege und erkannte, daß es sich um eine Art Seziertisch handelte. Die runde Lampe, die an einen Operationssaal erinnern ließ, war beweglich. Man konnte sie über den Tisch schwenken. Eine Gänsehaut überlief Gene Ford. Er hatte das Verlangen, diesem unheimlichen Ort so schnell wie möglich den Rücken zu kehren. Es gab aber noch mehr Tische dieser Art, Gene Ford, war nicht weltfremd, aber er war sicher, daß er Gerätschaften dieser Art, wie sie die große Felskammer beherrschten, noch nie zuvor gesehen hatte. Er ließ seinen Blick wandern und wurde auf den Schreibtisch in einer Ecke der Felsenhalle aufmerksam. Automatisch bewegte er sich darauf zu. Der Schreibtisch lag im Halbdunkel. Darauf stand eine Leselampe, die ausgeschaltet war. Überhaupt brannte in der Halle eine Art Notbeleuchtung. Kaum hatte er den Schreibtisch erreicht, vernahm er ein Geräusch hinter sich. Er fuhr herum. Es klickte und ratterte. Die Geräusche stammten von den Apparaturen. Ein Gerät entpuppte sich als eine Art Computer. Spulen drehten sich rasend schnell hin und her. Die Haare standen Gene Ford zu Berge. Er zwang sich dazu, den Blick von den Apparaten zu lösen und erneut den Schreibtisch zu inspizieren. Die Tischplatte war übersät mit Aufzeichnungen. Hinter dem Tisch befand sich ein hohes Bücherregal, das überladen war mit dicken Wälzern. Es waren Bücher darunter, die uralt erschienen, aber auch neuere Werke.
Gene Ford entdeckte Fachliteratur, die ausschließlich mit Technik zu tun hatte. Aber es waren auch Werke darunter, die sich mit Okkultismus und Schwarzer Magie beschäftigten. Die Frage tauchte in Gene auf: Wem gehört das alles? Wer hatte an diesem Schreibtisch gearbeitet? Er schaltete die Tischlampe ein. Ein ganz greller Lichtkegel entstand und erleuchtete eine Akte. Auf dem Deckel stand in riesig großen Lettern: Mark Tate. Gene Ford hatte diesen Namen noch nie zuvor gehört. Seine Komplicen hatten ihn nur sehr dürftig informiert. Mit dem großen Unbekannten gar, der aus dem Dunkeln heraus die Fäden zog, war er nie konfrontiert worden. Ein Verdacht stieg in ihm auf. War es gerade der große Unbekannte, von den Gangstern allgemein nur der Meister genannt, der hier unten sein Domizil hatte? Wo war er im Moment? Was hatte das alles zu bedeuten? War er, Gene Ford, Gefangener oder nur Gast? Warum kümmerte sich niemand um ihn? Gene Ford hoffte, eine Antwort zu finden, und deshalb nahm er die Akte zur Hand und schlug sie auf. Schon nach kurzem Lesen wußte er, was ihm da in die Hände gefallen war. Zentralfigur des Berichtes war Mark Tate. Die Akte enthielt stark geraffte Aufzeichnungen über sein Wirken. Gelegentliche Zeitungsnotizen, die zwar nicht den Namen Mark Tate nannten, aber mit ihm zu tun haben mußten, fehlten auch nicht. Alles in allem wurde deutlich, daß dieser Londoner Privatdetektiv ein erklärter Feind der dämonischen Kräfte war und diese bekämpfte, wo immer er sie auch antraf. Und es gab ein Geheimnis um Mark Tate. Eine Kostbarkeit befand sich in seinem Besitz, das er Schavall oder auch Dämonenauge nannte. Immer wieder stellte der Verfasser des Berichts die Frage, was es mit diesem Amulett auf sich hatte. Auch eine andere Bezeichnung tauchte auf, mit der der Verfasser anfangs nichts anzufangen wußte: Goriten. Erst zum Schluß, auf den letzten Seiten, wußte der Berichterstatter offenbar mehr Bescheid. Gene Ford las es unwillkürlich laut: »Ich habe ein Teilziel erreicht. Mir ist es gelungen, eine Verbindung mit dem Zwischenreich der Dämonen herzustellen. Ja, noch weiter geht es. Meine
Theorie hat sich bestätigt. Magier aller Zeiten mußten versagen, da sie nicht die heutigen Mittel zur Verfügung hatten. Mir ist es zum erstenmal in der Geschichte der Schwarzen Magie gelungen, Okkultes mit moderner Technik zu verbinden. Das ist ein wahrer Triumph. Diese Höhlen, einst von Schwarzen Priestern geschaffen und von mir wiederentdeckt, sind aufgeladen mit Schwarzer Energie, und ich habe mein technisches Wissen hinzugefügt, um daraus Nutzen zu schöpfen. Das macht mich zum Meister. Wozu andere Meister der Vergangenheit mehrere Leben gebraucht haben, um die Kenntnisse zu bekommen, die ich gesammelt habe, habe ich in der verhältnismäßig kurzen Zeit von zwanzig Jahren erreicht. Ich schaffte die Verbindung mit dem Zwischenreich des Grauens und rief mächtige Geister an. Sie waren nicht nur überrascht, sondern geradezu bestürzt, als sie feststellen mußten, daß sie meiner nicht habhaft werden konnten. Sie konnten nicht ausfindig machen, wo ich mich befand. Zugegeben, ich hatte überhaupt keinen Einfluß auf sie, aber genausowenig Einfluß hatten sie auch auf mich. Im Gespräch mit ihnen erfuhr ich mehr über die Goriten und den Schavall. Demnach waren die Goriten ein Stamm, zusammengesetzt aus Menschen aller Rassen. Eines hatten sie gemeinsam - magisches Wissen und den Willen, die Macht der Dämonen zu brechen. Niemand weiß genau, was damals geschehen ist, ja nicht einmal, zu welcher Zeit sich alles abspielte. Ist es dreitausend Jahre her? Zehntausend Jahre? Länger? Auf jeden Fall waren vordem die Dämonen die Herrscher über Leben und Tod. Die ungeheure Macht wurde ihnen genommen. Wahrscheinlich unterschätzten die Dämonen den Zusammenschluß weißer Priester und Magier, die sich von nun an Goriten nannten, und griffen nicht nachdrücklich genug ein. Möglich ist auch, daß die Dämonen untereinander nicht einig werden konnten, und so ausschließlich mit ihren Problemen beschäftigt waren, daß sie gar nicht die Gefahr gewahrten, die Ihnen entstand. Das rächte sich. Es gelang den Goriten, die Dämonen allesamt dorthin zu verbannen, wohin sie ihrer Meinung nach gehörten - ins grauenhafte Zwischenreich! Damit war die Menschheit von den satanistischen Kräften befreit. Nur gelegentlich gelang es den dämonischen Kräften,
Einfluß auf das Geschehen der Menschen zu nehmen. Die Macht der Goriten begann. Die blieben allerdings stets im Hintergrund in der Folgezeit, gaben sich den Menschen nicht zu erkennen und halfen ihnen, wo sie es als notwendig erachteten. Auf die Goriten sind viele Erfindungen aus dem technologischen Bereich zurückzuführen, die heute noch den Archäologen als unerklärlich erscheinen. Aber mit dem Verbannen des wahrhaft Bösen hatten sich die Goriten selbst das Grab geschaufelt. Der Gegner fehlte, sie verweichlichten. Der Stamm verfiel, ihr Wissen ging nach und nach verloren, bis die Goriten irgendwann verschwanden - spurlos, wie es heute scheint. Es gibt jedenfalls keinen konkreten Anhaltspunkt dafür, daß es anders sein könnte. Nur noch wenige Zeugnisse ihres Wirkens blieben erhalten. Eines davon ist der Schavall. Die Geister des Zwischenreiches behaupten, er sei von den Goriten geschaffen worden. Der Stein, der in der Metalleinfassung wie die Pupille eines Auges wirkt, besteht aus feiner magischer Energie. Darin ist ein mächtiger Dämon eingeschlossen, der einst Schavall genannt worden war und dem das Dämonenauge seinen Namen verdankt. Der Dämon wurde von den Goriten dazu verdammt, sich nunmehr auf die Seite des Guten zu stellen und die Grenzen zwischen Gut und Böse nur selten zu berühren. Auf diese Tatsache ist zurückzuführen, daß der Schavall immer wieder ein unbegreifliches Eigenleben zeigt. Der mächtige Geist wehrt sich natürlich gegen seine Gefangenschaft und seine Bestimmung, obwohl dieser Kampf für immer aussichtslos ist. Mit jedem Sieg über die Mächte der Schwarzen Magie wird der Schavall nicht nur mächtiger, sondern immer deutlicher ein Werkzeug der Weißen Magie. Das ist ein Naturgesetz. Deshalb habe ich meine anfängliche Hoffnung aufgegeben, den Schavall für eigene Zwecke einzuspannen. Er ist zu gefährlich für einen Menschen, der sich der Schwarzen Magie verschrieben hat. Sobald ich mit ihm in Berührung käme, würde er mich vernichten. Deshalb gibt es nur eins: er muß neutralisiert werden! Ich habe mich die ganzen Jahre hindurch mit der Person von Mark Tate beschäftigt. Er ist kein Supermann, sondern ein normaler Mensch, dessen unglaubliche Erfolge letztlich auf den Schavall zurückzuführen sind. Ich mußte von den Geistern des Zwischenreiches erfahren, daß
die Goriten für ihn selber ein Geheimnis geblieben sind, das er aber eines Tages zu lösen glaubt. Das jedenfalls ist sein größtes Anliegen. Mark Tate ist einer der größten Gegner der Dämonen. Als Besitzer des Schavalls ist er direkter Erbe der untergegangenen Goriten. Die Macht der Goriten ist gewichen, und dem zwanzigsten Jahrhundert bleibt es vorbehalten, den Weg für die Dämonen zu bereiten, damit sie ihre Herrschaft wieder erreichen können - ihre Grauenherrschaft über die Natur und das Menschengeschlecht. Mein Ehrgeiz ist es, dabei eine wichtige Rolle zu spielen. Ich bin davon überzeugt, daß mir das gelingen wird. Zunächst aber muß ich das Vertrauen der mächtigen Dämonen erwerben. Ich tue das, indem ich ihnen ein Geschenk offeriere Mark Tate! Er und seine Freunde sollen zum Opfer werden. Sie sollen entführt werden zu den Zügeln des Grauens, deren Herrscher Cannon ist - Cannon, der Dämon, der ein Mensch gewesen war. Der Tod von Mark Tate wird ein Ereignis sein. Deshalb ist mein Plan recht kompliziert. Ich will, wie auch die Dämonen es wollen, daß dieser Sieg in die Geschichte der Schwarzen Magie eingeht!« Gene Ford fühlte sich wie betäubt, als er die Akte sinken ließ. Seine Hände öffneten sich, als wäre das dicht beschriebene Papier plötzlich glühendheiß geworden. Jetzt wußte er, auf was er sich eingelassen hatte. Er war zum Schergen des Bösen geworden. Ihm graute vor sich selber. Warum hatte er das grausame Spiel mitgemacht? Konnte er die Entschuldigung gelten lassen, daß man ihn ansonsten dazu gezwungen hätte? Gene Ford war nie ein guter Mensch gewesen. Er war ein Egoist, der stets seinen Vorteil gesucht hatte. So wie diesmal auch. Er hatte so gehandelt, wie es seiner Natur entsprach. Aber das, was dabei herausgekommen war, hatte er nicht gewollt! Seine Gedanken ordneten sich allmählich wieder, machten kühlerer Überlegung Platz. Es war sinn- und zwecklos, sich in Selbstvorwürfen zu ergehen. Er mußte sehen, daß er etwas zur Rettung der Situation beitragen konnte.
Die alte Frage tauchte wieder auf: Wieso befand er sich hier allein? Und war seine Anwesenheit hier absichtlich gewesen? Jetzt, angereichert mit dem neuen Wissen, konnte er sich die Antwort selber geben: Nein! Offensichtlich war, daß nicht alles nach Plan verlaufen war. Etwas war dazwischengekommen, und aus diesem Grunde war der Magier nicht mehr hier am Ort, war Gene Ford aus seiner Betäubung erwacht. Er wandte sich vom Schreibtisch ab und den Gerätschaften zu. Gene Ford zögerte. Er wußte nicht, was er als nächstes tun sollte. Jeder Handgriff könnte falsch sein und für ihn schlimme Folgen haben. Ein anderer Gedanke kam ihm. Ehe er sich den Apparaten widmete, konnte er die unterirdischen Höhlen inspizieren. Er wollte mehr über seine Umgebung wissen. Das schien ihm wichtig. Mit diesem Gedanken begab er sich zum einzigen Ausgang dieses Raumes. Auf halbem Wege blieb er jedoch wieder stehen. Etwas hatte sich verändert. Er nahm ein Stöhnen und Keuchen hinter ihm. Die Nackenhaare sträubten sich ihm, als er es hörte. Er wagte nicht, sich umzudrehen. Dann tat er es doch. Drüben bei den Apparaten tummelten sich dunkle Schatten. Sie huschten hin und her und schienen miteinander zu kämpfen. Dabei gaben sie dumpfe Laute von sich. Gene Ford war unfähig, sich zu rühren. Das Grauen hielt ihn gepackt. Er sah, daß die Konturen von Schauergestalten deutlicher wurden. Diese schattenhaften Kreaturen bewegten sich genau auf ihn zu. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Er war nicht einmal in der Lage zu schreien. * Winfried Goldmann war eingeschlafen - trotz allem. Die Ereignisse überraschten ihn im Schlaf. Deshalb nahm er sie auf einer anderen Ebene wahr.
Die Einflüsse des Bösen erreichten sein Bewußtsein und erzeugten Alpträume. Er sah sich über eine Hügellandschaft wandern und wußte gleichzeitig, daß es die Hügel der tausend Schrecken waren. »Cannon«, flüsterte Winfried Goldmann im Traum. Der Dämon bewegte sich unruhig flatternd hin und her. »Cannon, wo bin ich?« »Du weißt es doch«, krächzte der Geist mit einer häßlichen Vogelstimme. Er war nicht allein. Im Hintergrund hielten sich drei Schauergestalten auf. Sie starrten auf die Szene herab. Plötzlich begriff Winfried Goldmann, daß er in Wirklichkeit schlief und träumte. Aber es war eine Art Wahrtraum. Er hätte einen solchen Vorgang niemals für möglich gehalten, und jetzt durchlebte er ihn. Dr. Goldmann nahm mehrere Bilder gleichzeitig wahr. Sie waren auf wundersame Weise miteinander verbunden. Auf der einen Seite die sanft gewellten Erhebungen mit dem spärlichen Bewuchs und ihrem Beherrscher Cannon. Dann die drei Oberdämonen, wie Goldmann sie unwillkürlich nannte. Sie starrten ihn schweigend an, was schlimmer war, als wenn sie ihn angegriffen hätten. Ein drittes Bild war das des fliegenden Jumbos. Eine Hölle von schwarzen Schatten umtobte ihn. Das Dämonenauge - Goldmann wußte unwillkürlich, was es damit auf sich hatte, glühte grausam. Blitze lösten sich daraus, zuckten nieder, ließen Funken über den Jumbo sprühen, der sich plötzlich mit der Schnauze nach unten neigte. Er verlor rasch an Höhe. Goldmann begriff: die Triebwerke waren ausgeschaltet. Die Katastrophe erschien unausweichlich. Aber das Flugzeug war höher geflogen als erwartet. Das verzögerte den Aufprall am Boden. Die drei Dämonen starrten. Sie befanden sich in höchster Konzentration, weil sie mit ihren magischen Kräften die Fäden zogen. Ihre Absicht war klar: sie wollten den Jumbo mit allen Insassen vernichten. Ihr eigentlicher Gegner hieß Mark Tate. Er würde umkommen ebenso wie seine Freunde. Gleichzeitig damit würde der Schavall den Kontakt mit dem Zwischenreich der Dämonen verlieren und in das Diesseits zurückkehren, weil er dann keinem Menschen
mehr gehörte. Wer würde das Amulett schon finden, wenn es auf dem tiefen Meeresgrund lag? Dr. Winfried Goldmann, dem all dies klar war, bäumte sich verzweifelt auf. Er wollte etwas dagegen tun. Allein er besaß nicht die Kraft, in das Geschehen einzugreifen. Da entstand ein viertes Bild. Es war das Gesicht eines Menschen, diffus, fast unkenntlich. War es ein Mann oder eine Frau? Eigenartige Strahlenbahnen gingen von ihm aus. Der Adapter! Es war notwendig für die Mächte des Bösen, an Bord des Flugzeuges einen Verbündeten zu haben, da der Schavall für eine Abschirmung sorgte. Durch die Verbindung wurde der magische Schutzschild immer wieder durchbrochen oder auch nur gestört wie beispielsweise bei scheinbarem Verschwinden des Cockpits mitsamt seiner Insassen. Ein Phänomen, das man auf den Wiederstreit konkurrierender Kräfte zurückführen konnte. Aber wer war dieser Verbündete? Vergeblich versuchte Dr. Goldmann, das Gesicht zu erkennen. Es gelang ihm trotz aller Konzentration nicht. Alles lief in wenigen Sekunden ab. Goldmanns schlafender Geist war zufällig in eine der magischen Brücken geraten, die von den Dämonen geschlagen worden war. Deshalb sickerten all die Erkenntnisse in sein Bewußtsein. Er gebrauchte seinen analytischen Verstand und ignorierte dabei völlig, daß er schließlich selber in dem abstürzenden Flugzeug hockte - dem Tod preisgegeben. Fasziniert beobachteter er, wie der Boden näherraste. Eine Alptraumlandschaft. Aber hier waren nicht die Hügel des Schreckens. Sie waren noch nicht erreicht. Die Dämonen hatten es nicht gewagt, den Jumbo das ursprüngliche Ziel anfliegen zu lassen, denn nicht nur sie hatten einen Verbündeten, sondern auch Mark Tate, obwohl diesem selber nicht bekannt war, um wen es sich dabei eigentlich handelte. Ein Rätsel für Menschen und Geister. Ein Rätsel, das für die plötzliche Wende sorgte! Ein grauenhafter Schrei klang auf. Er war nicht mit den Ohren zu hören, aber Goldmann vernahm ihn mit seinem schlafenden und träumenden Geist.
Der Schrei war furchtbarer als alles, was er je zu Ohren bekommen hatte, und er hatte seinen Ursprung im Flugzeug. Der letzte Beweis, daß Mark Tates Verbündeter oder Verbündete selber im Jumbo saßen. Für einen Moment sah Dr. Goldmann ein fünftes Bild: einen in allen Farben des Spektrums schillernde Gestalt ohne feste Konturen. Sie wankte hin und her, vollführte eigenartige Verrenkungen - und stieß erneut jenen Schrei auf geistiger Ebene aus. Er fand Resonanz beim Schavall! Gleißende Strahlenbahnen lösten sich aus dem Dämonauge. Jetzt erst erkannte Dr. Goldmann, daß es den Männern im Cockpit inzwischen längst gelungen war, die Triebwerke erneut zu starten. Aber das hätte die Katastrophe nicht mehr aufhalten können. Bei dem Versuch, die Maschine abzufangen, wären wahrscheinlich die Tragflächen gebrochen. Die Fallgeschwindigkeit war einfach schon zu groß. Die gleißenden Strahlen umschlossen den Jumbo wie mit einer Hand. Abermals knackten die Wände, und die Zelle drohte zu zersplittern. Aber die Kräfte der Schwarzen Magie verloren an Wirksamkeit. Der Boden war heran, doch öffnete sich auf wundersame Weise eine Lücke, hervorgerufen durch die gigantischen Machtmittel des Schavalls, den die Goriten einst als Waffe gegen Schwarze Magie geschaffen hatten. In der Lücke war strahlendblauer Himmel zu sehen, in den der Jumbo Jet mit donnernden Treibwerken stieß. Plötzlich war unter ihnen blaues Meer. Der Himmel war wolkenlos. Hellichter Tag herrschte. War denn schon so viel Zeit vergangen, seit sie gezwungen worden waren, in das Zwischenreich der Dämonen einzugehen? Dr. Winfried Goldmann war unfähig, darüber nachzudenken. Er widmete den drei Dämonen seine Aufmerksamkeit. Die unbeschreiblich aussehenden Schauerwesen begannen zu rasen. Sie mobilisierten alle Kräfte, um den Jumbo Jet wieder in ihre Gewalt zu zwingen. Zwischen den Hügeln unter Cannon kreuchte und fleuchte es. Unheimliche Wesen unterstützten die Dämonen in ihren Bemühungen. Und dann war es, als würde über dem sonnendurchfluteten,
strahlend blauen Meer ein Vorhang auseinandergezogen. Erst bildete sich nur ein feiner Strich, der zu einem Spalt klaffte, der sich ständig verbreiterte. Die Männer im Cockpit erschraken. Sie wollten den Jumbo Jet in einen andere Richtung lenken, aber bei einem solchen Flugzeug ging das nicht so einfach. Niemand konnte verhindern, daß der Jumbo Jet in jenen Spalt hineinflog, der sich sofort hinter ihm wieder schloß. Erneut waren sie Gefangene des dämonischen Zwischenreiches! Diesmal würden die Dämonen umsichtiger zu Werk gehen und keine zweite Chance lassen. Der Schavall hatte das Verhängnis letztlich nicht aufhalten können. Er wurde nur tätig, wenn sich die Kräfte direkt gegen ihn richteten. Das war der Trick bei der Sache. Natürlich wurde er durch das Wirken der Kräfte ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen, aber er vermochte sich nicht erfolgreich zu wehren, weil er die Wurzel allen Übels nicht zu fassen bekam. Die drei Oberdämonen hielten sich im Hintergrund. Nur Cannon hatte in ihrem Auftrag den Anstoß für alles gegeben. Es war ihm geglückt, das Dämonenauge auf Dauer zu neutralisieren, obwohl er dabei ständig auf der Hut sein mußte. Dies ist alles schoß es Dr. Goldmann durch den Kopf. Er sah noch einmal die Bilder - gleichzeitig. Und dann schienen die drei Dämonen endlich zu bemerken, daß sie einen unfreiwilligen Zaungast hatten. Eine Woge von Pein brannte durch den Körper von Goldmann und brachte sein Bewußtsein zum Erwachen. Er schlug die Augen auf. Da hörte er ein abgrundtiefes Knurren. Verständnislos blickte er sich um. Seine Augen weiteten sich. Nahm das Grauen kein Ende? Vor ihm stand der leibhaftige gewordene Tod. Winfrid Goldmann wollte fliehen, aber dafür war es zu spät. Er war zufällig Zeuge geworden, was sich abgespielt hatte, und die Dämonen befürchteten, daß er jetzt zuviel wußte. Deshalb mußte er sterben. Rettung war nicht in Sicht. Nur eines konnte Winfried Goldmann tun: schreien!
* Mosaik um Mosaik fügte sich zu einem klaren Bild zusammen, und so wußte ich plötzlich, wer der Adapter der unirdischen Energie war. Genauso wurde mir klar, wer sich mit mir verbündet hatte. Gewaltsam verdrängte ich die Gedanken daran. Es konnte sein, daß der Gegner sie las. Ich wollte mich nicht verraten. Ich blickte mich um. Und als ich Don Cooper ansah, erkannte ich die Erkenntnis in seinem Gesicht. In seinen Augen loderte es. Wir verstanden uns, ohne uns zu verabreden. Keiner von uns beiden würde es zulassen, daß die Gedanken an die Oberfläche drangen und dem Gegner mitgeteilt wurden. Alles war im Grunde genommen simpel, wenn man um die Zusammenhänge wußte. Die Dämonen waren nicht allwissend, das war deutlich geworden. Es gab uns eine winzige Chance, alles doch noch zum Guten zu wenden. Aber bis dahin mußten wir Geduld üben. Es war nicht möglich sofort einzugreifen. Der Jumbo Jet war für ein bestimmtes Ziel bestimmt. Er würde nicht ewig herumfliegen können. Irgendwann mußten sich die Dämonen entscheiden. Erst am Ziel würde alles einem Höhepunkt zustreben. Die Frage würde sein: Sieg oder Niederlage? Wir hofften, für den Endkampf gewappnet zu sein - gewappnet durch unser Wissen, mit dem wir den Dämonen eine Nasenlänge voraus waren. Die Zukunft würde erbringen, ob wir uns nicht überschätzten. * Gene Ford hatte keine Ahnung, wie das Phänomen zustandegekommen war. Hier gingen Dinge vor, die sich seinem Verstand hartnäckig entzogen. Die Schreckenskreaturen hatten ihn rasch eingeholt. Sie bewegten sich mit einer Schnelligkeit, die eine Flucht aussichtslos machte. Gene Ford erwartete den Tod. Ein eisiger Hauch ging über ihn hinweg. Er spürte die kalte Berührung.
Doch der Spuk war nicht von Dauer. Die Schauerwesen schenkten ihm kaum Beachtung. Sie bildeten ein quirliges Durcheinander, eine Woge des Grauens, die durch die Felsenhalle schwappte und sich wie bei beginnender Ebbe wieder zurückzog. Gene Ford verlor seine Furcht und beobachtete fasziniert. Er merkte sich genau, an welcher Stelle bei den Apparaten die Horrorgestalten verschwanden. Dann war er plötzlich wieder allein. Da war nur das Tackern und Klicken von Relais und das undefinierbare Summen von Apparaten zu vernehmen. Gene Ford wollte die Halle durchqueren und sich die Anordnung seltsamer Gerätschaften einmal genauer anschauen. Wenn er sich nach den Aufzeichnungen des Magiers richten wollte, mußte sich hier eine Verbindung zur Dämonenwelt befinden. Aber die Furcht und der Abscheu in ihm waren stärker. Es drängte ihn, dem Raum so schnell wie möglichst den Rücken zu kehren. Er fühlte sich von tausend Augen beobachtet und den Dingen ausgeliefert, die hier herrschten. Deshalb wandte er sich erneut dem Ausgang zu. Es war ein schmaler Höhlendurchlaß. Er fragte sich, wie es überhaupt möglich gewesen war, all die Gerätschaften durch diesen engen Zugang in die geräumige Felskammer zu bringen. Gene Ford vergaß bald die Frage. Seine Sinne waren auf etwas ganz anderes gerichtet - auf Flucht. Gespenstisches Licht herrschte in dem Gang, der sich vor ihm auftat. Gene Ford blieb vorsichtig. Er wußte nicht, was ihn erwartete, wußte nur, daß die ganze unterirdische Anlage einst von Schwarzen Priestern errichtet worden war, und daß er von ihnen unliebsame Überraschungen erleben könnte. Kaum hatte er den unterirdischen Gang betreten, als ein eigenartiges Gefühl in ihm entstand und ihn zwingen wollte, den Rückweg anzutreten. Handelte es sich um eine magische Falle? Wenn ja, war sie nicht stark genug, ihn wirklich zur Umkehr zu bringen. Er könnte sie überwinden, und deshalb ließ er sich nicht aufhalten. Nach wenigen Schritten kam Gene Ford an eine Biegung. Er blieb kurz davor stehen und lauschte.
Kein Laut drang an seine Ohren. Er schien sich allein in dem Höhlenlabyrinth zu befinden. Ein kurzer Blick zurück. Nicht einmal die Geräusche aus der Felsenhalle gelangten bis zu ihm hin. Als gäbe es eine unsichtbare Wand, die es verhinderte. Unwillkürlich zog sich seine Nackenhaut zusammen. Er ballte die schweißnassen Hände zu Fäusten und zwang sich weiterzugehen. Hinter der Biegung gabelte sich der Gang. Gene zögerte. Er mußte sich den Weg genau merken, um sich nicht zu verlaufen. Wenn er hier unten die Orientierung verlor, war er endgültig verloren. Er begann sich zu fragen, ob es richtig war, was er tat. Wäre es nicht besser für ihn gewesen, bei den Apparaten zu bleiben? Ihn schauderte, als er an sein Erlebnis dachte. Nein, da war es doch besser, die Ungewißheit vorzuziehen. Vielleicht hatte er Glück und fand einen Ausgang aus den Höhlen? Mit dieser vagen Hoffnung gestärkt, setzte er seinen Weg fort. Er wandte sich zunächst nach links. Kaum hatte er sich dazu entschlossen, als ein unterdrücktes Stöhnen an seine Ohren drang. Er erschrak, lauschte. Der Laut wiederholte sich nicht sofort. Er hatte geklungen, als wäre er direkt neben ihm erklungen, aber das konnte auch auf die hier unten herrschende Akustik zurückzuführen sein. Gerade, als er schon glaubte, sich geirrt zu haben, wiederholte er sich. Es klang dumpf, wie aus einem Grab kommend, verstärkte sich, wurde zu einem schrecklichen Wimmern und schließlich zu einem infernalischen Brüllen, das plötzlich abbrach. Andere Geräusche klangen auf. Scheppern, Schaben, Tappen. Gene Ford fühlte sich in der Klemme. Er war offensichtlich nicht allein. War es Freund oder Feind? Er kehrte zur Gabelung zurück und wandte sich diesmal nach rechts, weil er annahm, daß von dort die Töne gekommen waren. Dann lief er immer geradeaus. Unterwegs ging ihm auf, wie groß die Anlage in Wirklichkeit war. Wieviel Grauen hatten diese aus dem rohen Gestein gehauenen Wände schon gesehen? Er mochte gar nicht nur daran denken. »Hallo!« Der Ruf ließ ihn zusammenzucken. »Ist da jemand?«
Gene Ford verhielt im Schritt. »Verdammt, so melden Sie sich doch! Oder gehört das zur Zermürbungstaktik. Ich habe Sie deutlich gehört. Sie können mir nichts vormachen.« Für Gene Ford war das Beweis genug, daß es hier unten zumindest einen weiteren Gefangenen gab. Doch er blieb nach wie vor vorsichtig, wollte kein Risiko eingehen. Er schlich sich in die Richtung, aus der der Ruf erschollen war. Eine Kreuzung. Es war das erste Mal, daß sich Hinweise auf früheres Leben zeigten. Verschlüsselte Zeichen, die aus verzerrten Darstellungen höllischer Kreaturen bestand. Der Anblick war widerlich und erschreckend zugleich. Die eine Fratze schien zu leben. Gene Ford bildete sich ein, daß die stilisierten Augen ihn genau beobachten. Er hielt es nicht mehr länger aus. »Wo sind Sie?« rief er aus. Es klang fast hysterisch. Erleichtertes Aufatmen. »Ah, dann habe ich mich also nicht geirrt. Ich befinde mich in einer Felsenkammer. Nicht sehr groß. Es gibt keine Tür, aber eine Art magische Falle. Ich habe mehrmals versucht, sie zu überwinden und bin dabei fast wahnsinnig geworden.« Aha! dachte Gene Ford deshalb dieses Stöhnen, Wimmern und Schreien. »Reden Sie weiter«, forderte Gene den Unbekannten auf, »damit ich mich nach dem Schall richten kann. Ich stehe hier an einer Gangkreuzung.« »Okay, ich will Ihnen erzählen, wer ich bin. Mein Name ist Juan Rodriguez. Ich bin Sicherheitsbeamter aus dem Flughafen von Caracas.« »Wie bitte?« Gene Ford wollte es nicht glauben. Ein heiseres Lachen entrang sich seiner Kehle. »Freut mich, Sie persönlich kennenzulernen.« »Was soll das heißen?« »Täter werden zu Opfern und Opfer zu Verbündeten«, orakelte Gene Ford. Mehr sagte er nicht. Er war gespannt auf das Gesicht dieses Rodriguez. Aber dafür mußte er ihn erst finden, was sich nicht gerade als einfach erwies. Unschlüssig schaute er in die Runde, während der Sicherheits-
beamte weiterredete. Er erzählte von seiner Entführung und seinem anschließenden Erwachen. Rodriguez fühlte sich bei alledem elend und am Ende. Außerdem hatte er Hunger, weshalb er die wohl nicht ganz ernst gemeinte Bitte anschloß: »Und bringen Sie ein saftiges Steak mit, wenn Sie mich schon mit ihrem Besuch beehren wollen!« Gene Ford hatte sich entschieden. Die Stimme des Sicherheitsbeamten wurde immer deutlicher. Und dann stand Gene Ford vor einem schmalen Durchgang. Mühelos konnte ihn ein Mensch passieren. Trotzdem war Juan Rodriguez unfähig gewesen, da durchzukommen. Juans Augen weiteten sich ungläubig, als er den Ankömmling erkannte. »Gehören Sie nicht zum Bodenpersonal?« Im gleichen Moment fiel ihm auf, wie unsinnig seine Worte klangen. »Natürlich nicht«, verbesserte er sich rasch. »Sie sind ein Bestandteil eines großangelegten Planes.« Gene Ford nickte. »Womit Sie nicht Unrecht haben.« »Was war eigentlich das Motiv für alles? Man hat mich zwar entführt, weil man befürchtet, ich wüßte zuviel, aber ich habe noch immer keine Ahnung, was überhaupt gelaufen ist.« Gene Ford klärte ihn mit knappen Worten auf - soweit er selbst informiert war. Juan Rodriguez wurde einiges klar. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt. »Was werden Sie jetzt tun?« fragte er. »Sie sind Mitglied der Bande.« Gene Ford schüttelte den Kopf. »Irrtum, mein Lieber. Diesmal liegen Sie falsch. Ich bin genauso Gefangener wie Sie. Ich sagte schon vorhin: Tater werden zu Opfern und Opfer zu Verbündeten. Bevor ich zu Ihnen hineinkomme, muß ich sicher sein, daß Sie zur Zusammenarbeit bereit sind.« »Warum sollte ich nicht?« »Nun, immerhin habe ich kräftig mitgemischt und bin letztlich nicht ganz unschuldig an Ihrer gegenwärtigen Lage, obwohl ich diese Absicht nicht hatte.« Juan Rodriguez knirschte mit den Zähnen. »Ich bin nicht nachtragend, wissen Sie. Für mich ist es erst einmal wichtig, einen Ausweg aus dieser fatalen Situation zu fin-
den. Krampfhaft nach einem Schuldigen und dessen Bestrafung zu suchen, wäre im Augenblick unsinnig.« Gene Ford zwang sich zu lächeln. »Das finde ich vernünftig.« »Ob Sie es überhaupt schaffen, zu mir hereinzukommen?« »Das kommt auf einen Versuch an«, entgegnete Gene achselzuckend und tat den entschiedenen Schritt. Er spürte nichts. War die magische Falle für ihn nicht wirksam? Es war möglich, daß man sie speziell auf Juan Rodriguez abgestimmt hatte. Gene Ford betrat den Raum. Die beiden ungleichen Männer standen sich stumm gegenüber. »Vielleicht sind wir jetzt dazu verurteilt, beide hierzubleiben«, lachte der Sicherheitsbeamte, aber es klang pessimistisch. Gene Ford ging nicht darauf ein. Er schickte sich an, die Felsenkammer wieder zu verlassen. Auch diesmal spürte er keinen Widerstand. Alles erschien normal, als gäbe es überhaupt kein Hindernis. Juan Rodriguez beobachtete ihn ungläubig. Er versuchte, Gene Ford zu folgen, was ihm aber mißlang. Gene kehrte zurück und nahm Juan am Arm. Doch die magische Falle blieb für ihn wirksam. Gene Ford betrachtete den neuen Gefährten und sagte bedauernd: »Tut mir aufrichtig leid.« Ehe Juan Rodriguez reagieren konnte, hatte Gene zugeschlagen - kurz und trocken. Er traf mit der geballten Faust genau den Punkt. Ein plötzlicher Schmerz, als hätte Juan einen elektrischen Stromschlag erhalten, pflanzte sich vom Kinn aus kegelförmig fort und drang brutal in sein Gehirn ein. Es wurde ihm schwarz vor den Augen, und er bekam gar nicht mehr mit, daß Ford den erschlafften Körper auffing und ihn sich über die Schulter legte. Gene Ford war nicht sonderlich sportlich begabt, weshalb er redliche Mühe hatte, den Sicherheitsbeamten zu transportieren. Er wankte mit der schweren Last auf den Durchlaß zu, betrat ihn. Ein Zucken ging durch den leblosen Körper. Dann war es überstanden. Gene Ford bettete den Sicherheitsbeamten auf den kahlen, harten Felsboden und verabreichte ihm rechts und links Ohrfeigen. Die Augäpfel unter den geschlossenen Lidern rollten. Dann er-
wachte Juan Rodriguez langsam. An seinem Kinn bildete sich eine wunderschöne Beule, die bald in allen Farben des Spektrums zu schillern begann. Juan hatte redliche Schwierigkeiten, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Gene Ford begrüßte ihn lachend. »Wie gesagt, es tut mir leid, aber eine andere Möglichkeit fiel mir in der gebotenen Eile nicht ein.« Juan Rodriguez überging es einfach. Er kam taumelnd auf die Beine. Ein paar Sekunden mußte er sich noch an der Wand abstützen. Dann war ihm besser. Er betastete sein schmerzendes Kinn, wobei er das Gesicht verzog. »Wohin wenden wir uns?« »Jetzt, da ich einen Mitstreiter gefunden habe, erscheint es mir am besten, wenn wir in die Felsenhalle zurückkehren, in der ich erwachte.« »Was hat es damit auf sich?« Gene Ford klärte ihn kurz auf. »Ein Zugang zur Dämonenwelt?« echote Juan Rodriguez ungläubig. »Wenn man mir das noch vor einem Tag erzählt hätte…« Er unterbrach sich. »Und doch ist es so. Ich habe dir von den Aufzeichnungen des Magiers erzählt. Es ist an sich müßig, vielleicht auch gefährlich, blind nach einem Ausgang aus dem Labyrinth zu suchen. Besser ist es da schon, wenn wir uns diesen Apparaten widmen. Falls es überhaupt eine Möglichkeit für uns gibt, dem Grauen zu entrinnen, das unweigerlich über uns kommen wird, sobald sich die Lage wieder einigermaßen stabilisiert hat.« »Dann bist auch du der Meinung, daß unvorhergesehene Dinge geschehen sind, um den Gegner so ablenkten, daß er im Moment nicht in der Lage ist, sich uns zu widmen?« Sie duzten sich unwillkürlich. Zwei Männer, die aus unterschiedlichen Gründen hier unten waren, aber von der ihnen gemeinsam drohenden Gefahr ganz fest zusammengeschweißt wurden. »Ja!« antwortete Gene Ford nur. Dann machten sie sich auf den Weg. Gene Ford hatte ihn sich gut gemerkt.
* Johnny Sanders fuhr sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn. »Das war knapp«, sagte er rauh. Wilton Stuart knurrte etwas. »Was ist los?« fragte Sanders mißtrauisch. »Wäre dieses Dämonenauge nicht gewesen, gäbe es uns nicht mehr«, stellte Wilton Stuart leidenschaftslos fest. Sanders' Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Was soll das nun wieder heißen?« Stuart wagte es nicht, ihm in die Augen zu schauen. Er zögerte mit der Antwort. Dann: »Der Absturz wurde von unseren Auftraggebern verursacht. Auch wenn du dich gegen die Tatsachen wehrst, denen ist es egal, ob wir draufgehen oder nicht!« Sanders verschlug es für einen Moment die Sprache. So offene Worte und eine solche Kritik war er nicht gewohnt. »Sag das nie wieder!« zischte er. Jetzt mischte sich auch der dritte im Bunde ein, der GangsterBordingenieur. »Stuart hat recht«, begehrte er auf. »Wir sitzen mit den Leuten an Bord praktisch in einem Boot. Was haben wir noch zu verlieren? Solidarisieren wir uns!« Ehe Sanders antworten konnte, gab Stuart noch zu bedenken: »Dieser Noah Bates hat gewütet wie ein Wahnsinniger. Wir sollten ihn den Passagieren zum Geschenk machen. Er ist doch der einzige unter uns, der so gewalttätig in Erscheinung getreten ist. Wenn sie ihn für das bestrafen, was er getan hat, ist das eine Art Ventil für die Menschen. Wir kommen ungeschoren davon und bieten unsere Hilfe an.« Plötzlich hatte Johnny Sanders seine Waffe in der Faust. Er richtete sie auf Wilton Stuart, der erschreckt einhielt. Sanders' Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Der Hahn des Enfield spannte sich. Im nächsten Augenblick mußte sich der tödliche Schuß lösen. Der dritte Gangster wagte kaum zu atmen. Aber der erwartete Schuß kam nicht. Schweißperlen traten auf Sanders' Stirn. In seinen Augen loderte ein eigenartiges Feuer.
Er befand sich im Widerstreit der Gefühle, wußte nicht, was er tun sollte. Auf der einen Seite war das offener Aufruhr gegen ihn und seine Auftraggeber, was seine Leute taten. Auf der anderen Seite aber mußte er den beiden rechtgeben. In der Tat kannten die Auftraggeber kein Pardon. Sie wollten ihr Ziel erreichen, und auf dem Weg dahin waren die Flugzeugentführer nur irgendwelche Randfiguren, die aufgegeben wurden, sobald sie nicht mehr erforderlich waren. Sie hatten es letztlich den Mächten zu verdanken, gegen die sie selber kämpften, daß sie noch am Leben waren. Das gab auch Johnny Sanders zu denken, obwohl er sich gegen solcherlei Gedanken bisher hartnäckig gewehrt hatte. Im gewissen Sinne hatten ihm die beiden die Augen geöffnet. Sollte er sie deshalb bestrafen? Er ließ den Enfield wieder sinken und starrte blicklos darauf. »Ihr habt recht.« murmelte er brüchig. In diesem Augenblick machte er den Eindruck eines gebrochenen Mannes. »Wir haben einen Fehler begangen - einen vielleicht tödlichen Fehler -, als wir uns in die Sache einließen.« Er sah auf. Das alte Feuer glomm in seinen Augen. »Auf der anderen Seite gibt es kein Zurück mehr für uns. Ist euch das klar? Es bleibt uns nur zu hoffen übrig, daß wir überleben. Eine Garantie gibt es dafür nicht. Und wenn wir uns offen gegen unsere Auftraggeber wenden, haben wir nicht die geringste Chance. Unsere Auftraggeber haben gezeigt, wozu sie in der Lage sind. Was habe wir denn dagegenzusetzen?« Wilton Stuart schöpfte neue Hoffnung. Es war ein gutes Zeichen, daß Sanders Einsicht zeigte. Es schauderte ihn, wenn er daran dachte, wie knapp er dem Tode entronnen war. »Du magst recht haben, aber hat nicht der Gegner unserer Auftraggeber bewiesen, daß sie ebenfalls über gewaltige Mittel verfügen?« Sanders schüttelte den Kopf. »Wir dürfen uns nicht darauf verlassen. Noch immer haben unsere Auftraggeber den längeren Arm. Die Maschine befindet sich im furchtbaren Zwischenreich der Dämonen, und nach Lage der Dinge wird sie dort auch bleiben. Das erleichtert meinen Entschluß, weiterzumachen wie bisher!« Damit war das letzte Wort gesprochen - wenigstens vorläufig.
Wilton Stuart wandte sich den Kontrollen zu. Er sagte nichts mehr. Es wäre auch sinnlos, ja gefährlich gewesen. Er hatte die Geduld eines Johnny Sanders ohnehin recht stark strapaziert. Noch mehr konnte er sich in dieser Richtung nicht leisten. Doch er hoffte auf eine Wende. * Noch jemand hatte diesen Gedanken. Noch jemand dachte, daß sich das Blatt wenden konnte: das Komplott der drei Dämonen, das Komplott der Mächtigen. Sie beratschlagten. Ihre monströsen Erscheinungen waren instabil. Immer wieder veränderten sie ihr Äußeres - einmal furchtbarer als das andere. »Noch brauchen wir unsere menschlichen Verbündeten«, wisperte einer der Dämonen. »Es war ein Fehler, den Absturz der Maschine mitsamt ihren Insassen zu verursachen«, entgegnete ein anderer. Und der dritte meldete sich mit den Worten: »Es ist unsinnig, sich jetzt Vorwürfe zu machen. Wir hatten mit einem vollen Erfolg gerechnet. Dieser war nicht eingetreten. Also müssen wir den Blick nach vorn richten und nicht zurück.« »Aber die Diskussion im Cockpit hat uns gezeigt, daß es keine Zeit zu verlieren gilt. Wir müssen endlich handeln. Steuern wir die Maschine zu den Hügeln des Grauens! Cannon wartet ungeduldig - er und sein höllisches Heer. Die Maschine wird landen, und das Grauen hat endlich ungehindert Zugang.« »Du hast recht. Weiteres Zögern wäre nicht von Vorteil. Die Hügel des Grauens sind zwar eine wichtige Bastion unserer Macht, die wir hier im Zwischenreich ausüben, aber wir müssen es wagen. Wir müssen die Maschine landen lassen. Eine Panik zu verursachen, dürfte nicht so schwierig sein. Angefangen damit haben wir schon. Dr. Winfried Goldmann ist der erste, der damit konfrontiert wird. Die Menschen werden kopflos aus dem Flugzeug fliehen und damit geradewegs in ihren Tod rennen. Reiche Beute werden wir machen, und wir werden unsere Energien aufladen können. Viel haben wir verbraucht in der Vergangenheit, und der Schavall ist ein nicht zu unterschätzender Gegner. Durch die Verbündeten von Mark Tate gelingt es
einfach nicht, ihn vollends zu neutralisieren.« »Wer wohl dahintersteckt? Lassen wir von dieser Frage ab und wenden wir uns vielmehr unserem eigenen Verbündeten zu. Er ist der Empfänger unserer Energien, die erforderlich sind, um das Grauen an Bord zu schüren. In der Zwischenzeit müssen die Entführer die Maschine zu den Hügeln fliegen. Cannon und seine schrecklichen Heerscharen warten dort bereits.« * Es waren nur wenige Sekunden vergangen, seit sie diese Unterredung gehabt hatten. Johnny Sanders erschrak, als die drei Dämonen aus dem Nichts materialisierten. Ihre Konturen verschwammen ständig, als hätten sie Mühe hier zu verweilen. Etwas setzte ihnen zu, etwas, was den Jumbo bis zu einem gewissen Grad vor der Vernichtung geschützt hatte. War es das Dämonenauge? Es mußte noch etwas anderes eine Rolle spielen. Johnny Sanders bemühte sich, die ketzerischen Gedanken zu verdrängen. Sie waren gefährlich. Die Dämonen kannten kein Pardon. Sie würden jeden Abtrünnigen töten - wenn sie nicht noch Schlimmeres über ihn brachten. Mit wild hämmerndem Herzen sah Sanders den Schrecklichen erwartungsvoll entgegen. »Wir sind gekommen, um dir die neuen Kursdaten zu geben«, grollte der Sprecher der drei. »Bald werden wir das Ziel erreicht haben. Ihr müßt die Maschine landen. Die Stelle wird euch näher bezeichnet. Sie ist nicht zu übersehen.« »Jawohl, ich werde alles genauso tun, wie ihr es befehlt«, versicherte Sanders unterwürfig. Für ihn war es das Gebot der Stunde, absoluten Gehorsam zu zeigen. »Es sollte dir auch nichts anderes in den Sinn kommen!« Das war eine offene Drohung. Der Dämon fuhr fort. »Schicke wieder Noah Bates nach unten. Niemand darf versuchen, zum Cockpit zu gelangen. Alles muß reibungslos vonstatten gehen. Du bist uns dafür verantwortlich. Noah Bates erscheint uns als der geeignete Mann. Er kennt keine überflüssigen und störenden Skrupel. Rück-
sichtslos soll er von der Waffe Gebrauch machen, wenn sich jemand gegen ihn stellt.« Wieder bestätigte Johnny Sanders seinen Gehorsam. Dann aber konnte er sich eine Frage nicht verkneifen: »Was geschah eigentlich mit dem Meister, der sich damals mit mir in Verbindung gesetzt hat?« Der Dämon gab einen furchtbaren Laut von sich, der Sanders durch Mark und Bein fuhr. »Du wirst ihn bei den Hügeln des Schreckens treffen. Er ist nicht mehr dein Auftraggeber. Diesen Part haben wir übernommen. Er war der Planer, und wir führen durch.« Johnny Sanders begriff allmählich. Der Mann, der sich ihm damals genähert und ihn mit seinen beeindruckenden Fähigkeiten auf seine Seite gebracht hatte, war inzwischen ebenfalls überflüssig geworden - aber nur, was die Vorgänge hier betraf. Wahrscheinlich war er in anderer Richtung beschäftigt. Die Dämonen waren im gewissen Sinne auf ihn angewiesen. Vielleicht weil er die wichtige Verbindung zum Diesseits darstellte? Warum eigentlich diese eigenartige Reaktion, als Sanders auf die Person des Meisters zu sprechen gekommen war? Sanders war nicht dumm. Nicht umsonst hatte man ihn für seine Aufgabe ausgewählt. Er machte sich seine eigenen Gedanken, und kam schließlich zu dem Schluß, daß es eine wichtige Wechselbeziehung zwischen den Hügeln des Grauens und den Vorgängen an Bord gab. Die widerstreitenden Kräfte hier mußten dort ihre Auswirkungen gehabt haben, und diese waren negativ für die Dämonen. Vielleicht wirkte es sich auch negativ für den Magier aus. Es war möglich, daß man bei den Hügeln ein wenig die Kontrolle verloren hatte. Johnny Sanders wußte natürlich nicht, was inzwischen Gene Ford und sein neuer Mitstreiter Juan Rodriguez alles erlebt hatten. Es hätte das Bild abgerundet, die er sich von der ganzen Sache gemacht hatte. In der Tat waren die Vorgänge in den unterirdischen Höhlen eine direkte Folge davon, daß die Situation durch den Kampf der Kräfte an Boden des Jumbo Jets instabil geworden war. Was bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand wußte, war die Tatsache, daß der mächtige Magier ein Gefangener des Zwischenreiches geworden war. Das Tor zum Diesseits war für ihn zur Zeit geschlossen. Es würde sich erst wieder zur Rückkehr öffnen,
wenn der Kampf beendet war. Bis dahin hielt sich der Magier zurück. Nur Gene Ford und Juan Rodriguez hatten, die Möglichkeit, ihre Welt zu verlassen und zu den Hügel des Grauens zu gehen. Doch das wußten sie noch nicht. Im Augenblick waren sie dabei, sich mit den Apparaten in der Felsenhöhle vertraut zu machen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es ihnen gelang, sich die Anlage zunutze zu machen. Und es gab keinen Zweifel daran, daß sie den entscheidenden Schritt wagen würden. Zu verlieren hatten sie schließlich nichts. Wenn sie in den Höhlen blieben, gab das nur einen Aufschub für sie. Sie mußten alles wagen, wollten sie eine Chance zum Überleben haben. * Dr. Winfried Goldmann erschrak zu Tode. Das Wesen vor ihm war einem Alptraum entsprungen. Es handelte sich um einen der Toten, die mit der Maschinenpistole niedergemäht worden waren. Eine grauenhafte Macht hatte ihn zum Leben erweckt - zu einem unnatürlichen Leben. Er war zu einem Untoten geworden! Und dieser Untote trachtete nach Goldmanns Leben! Winfried Goldmann brüllte. Er schrie sich alles aus dem Leib, was er empfand. Den Untoten ließ das ungerührt. Seine eiskalten Hände griffen nach dem Deutschen. Die gebrochenen Augen waren ohne Regung. Da sah es ein anderer. Auch dieser schrie. Trotz des Grauens, das ihn beherrschte, wollte er Goldmann zu Hilfe eilen. Er packte den Untoten von hinten und riß ihn zurück. Die Aktion zeigte tatsächlich Erfolg, doch nur für einen kurzen Moment. Der Untote wandte sich dem neuen Gegner zu. Er bewegte sich ungelenk, plump, marionettenhaft. Das gab dem Fliehenden eine Chance. Er hetzte quer durch die erste Klasse zum Durchgang zur Economy-Klasse. Dabei mußte er an den anderen Toten vorbei.
Nur zwei waren noch am Leben. Man hatte sie notdürftig verarztet und auf Sitze gebettet. Doch sie waren dem Tode näher als dem Leben. Die anderen Toten begannen sich zu regen. Man hatte sie dort liegengelassen, wo sie in ihrem Blut zusammengebrochen waren. Sie bewegten sich ruckartig, wie Roboter, und hatten Schwierigkeiten, auf die Beine zu kommen. Aber sehr rasch wurden sie sicherer. Der Fliehende stieß einen Passagier zur Seite, der ihn aufhalten wollte, riß den Vorhang auf, der die Sicht in die Economy-Klasse behinderte, rannte an der Pantry und den Toiletten vorbei und befand sich im sogenannten Ruheraum, in dem sonst Filmvorführungen stattfanden. Jetzt erst wurden andere Passagiere auf die Vorgänge aufmerksam. Die Untoten formierten sich zu einer geschlossenen Front, die gegen die Lebenden anmarschierte. Winfried Goldmann hatte Glück gehabt, wie es schien. * Keiner der Schauerkreaturen achtete auf ihn. Er machte sich auf seinem Sitz ganz klein. Und dann war er mit dem wimmernden Verletzten allein. Er wagte einen kurzen Blick. Der Vorhang hatte sich geschlossen. Jenseits herrschte wilder Tumult. Die aufkeimende Panik an Bord war nicht mehr aufzuhalten, wie es schien. Der Copilot Roland Douglas befand sich noch immer außerhalb des Flugzeuges. Er hatte das Bewußtsein verloren, und als er jetzt erwachte, war es für ihn unbegreiflich, daß er noch am Leben war. Er schwebte nahe der Außenwand, im toten Winkel der brüllenden Triebwerke. Der zerrende Wind war für ihn kaum spürbar. Er begriff, daß alle an Bord des Flugzeuges eine verschworene Gemeinschaft bildeten. Es war für keinen möglich, sich von den anderen zu trennen, so lange sich die Kräfte derart im Widerstreit befanden. Diesem Umstand hatte Douglas letztlich sein Leben zu verdanken.
Er schwebte ganz hinüber und hielt sich fest. Es interessierte ihn, was inzwischen an Bord vorging. Deshalb schaute er durch eines der Bullaugen. Irgend etwas war vorgefallen. Menschen hasteten wild durcheinander. Roland Douglas bemerkte noch mehr. Auch außerhalb des Jumbo Jets hatte es sich verändert. Durch den strahlenden Schutzschirm, der vom Dämonenauge aufrechterhalten wurde, bohrte sich von außen schwarze Tunnel ähnlich dem, der das Cockpit zum Verschwinden gebracht hatte. Es war für Roland Douglas der Beweis, daß die Dämonen durchaus in der Lage gewesen wären, ihn von dem Flugzeug zu trennen. Aber er war als Einzelperson völlig unwichtig für die Jenseitigen. Sie widmeten sich anderen Dingen, die für die bedeutsamer waren. Roland Douglas konnte das im Moment nur recht sein. Aber was hatten sie jetzt vor? Was gedachten sie zu tun? Einer der dünnen Tunnels hatte den Jumbo erreicht. Sofort löste sich ein Teil der Außenwand auf. Roland Douglas wurde abgelenkt. Er gewahrte eine Bewegung. Ein Mann winkte ihm von innen zu. Er deutete auf einen der Notausstiege. Roland Douglas begriff. Der Ausstieg war nur zwei Yard entfernt. Der Fremde ging hin und schickte sich an, ihn zu öffnen. Noch einmal sah Roland Douglas auf die Tunnels, einen anderen Vergleich fand er nicht. Es wurden immer mehr, und im Moment konnte der Schavall nichts dagegen tun. Roland Douglas mußte die Menschen im Flugzeug warnen. In fliegender Hast bewegte er sich auf den Ausstieg zu. Dabei hätte er beinahe den Halt verloren und wäre davongeschwebt. Im letzten Moment konnte er sich festhalten. * Ich hörte den furchtbaren Schrei und wurde aufmerksam. Bei der ersten Klasse tat sich etwas. Abermals dieses Brüllen. Ich fuhr von meinem Sitz hoch. »Bleib bei Frank!« sagte ich zu Don Cooper und Mary Harris. Ich wollte nach dem Rechten sehen. Sofort drängte ich mich auf den
Gang hinaus und rannte nach vorn. Andere taten es mir gleich. Da teilte sich der Vorhang. Ein Mann kam hervorgerannt, völlig aufgelöst. Ich hatte selten einen Menschen gesehen, der so viel Furcht und Grauen zeigte. Ihm folgte jemand auf dem Fuß. Meine Augen weiteten sich, als ich den Untoten erkannte. Er war schrecklich zugerichtet. Eine ganze Garbe aus der Maschinenpistole hatte ihn getroffen gehabt. Aber die tödlichen Verletzungen hatten für ihn keine Bedeutung. Da war eine Macht in ihm, die wesentlich stärker war als der Tod. Ich konnte nicht mehr weiter. Alle, die sich vorn befanden, schickten sich an, die Flucht nach rückwärts zu ergreifen. Ich wäre beinahe gestürzt. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Die Menschen wurden kopflos, und sie hätten mich zu Tode getrampelt. So blieb mir nichts anderes übrig als mich in die mittlere Sitzreihe zu flüchten. Schreiend und herumfuchtelnd hasteten die Menschen an mir vorbei. Die Front der Untoten bekam Verstärkung. Immer mehr drängten von der ersten Klasse nach. Sie erschienen wie die Armee des Grauens, obwohl es in Wirklichkeit nur etwa sieben waren. Man hätte sie leicht überwältigen können, hätte es sich um normale Menschen gehandelt, aber Untote waren unverletzbar. Es sei denn, man besaß Kenntnisse von der Materie. Ich hatte sie. Deshalb griff ich endlich ein. Ich wartete, bis der letzte an mir vorbei war. Die Untoten kamen näher. Ich stand nächst ihnen. Deshalb widmeten sie sich zuerst mir. Sie gingen völlig unlogisch vor, ohne ein bestimmtes Ziel, wie es schien. Was sie wollten, war nur die Vernichtung allen Lebens. Und jeder neue Tote würde sich eingliedern in ihre Reihen. Eine Wahre Kettenreaktion würde entstehen, bis sich kein Lebender mehr an Bord befand. Ein furchtbarer Gedanke. Ich trat ihnen entgegen. Nach außen hin wirkte ich furchtlos, aber das war nur eine Folge meiner Beherrschung. In Wahrheit verspürte ich eine jämmerliche Angst. Ich hatte zwar meine magischen Kenntnisse, aber es blieb die Frage, ob ich sie in diesem
Fall überhaupt wirksam einsetzen konnte. Ich mußte es zumindest versuchen. Meine Hände schnellten hoch. Ich schlug ein Kreuz und murmelte lateinische Worte hinzu. Die Untoten waren einen Moment irritiert. Ich verfluchte es, daß ich den Schavall nicht mehr im Besitz hatte. Dann verfiel ich in Trance. Das jahrelange Training zahlte sich aus. Ich konnte auch in der extremen Situation innerhalb von Sekunden in tiefste Trance verfallen. Alle Empfindungen in mir wurden ausgeschaltet. Ich vergaß meine Umgebung. Eine Reihe von irrsinnig und sinnlos klingenden Formulierungen schossen mir durch den Kopf. In der Praxis waren sie alles andere als irrsinnig oder gar sinnlos. Sie hatten enorme magische Bedeutung - wenn auch nicht im Munde eines jeden. Man mußte wissen, wo und wann man sie einsetzen mußte. Vor allem das Wie war von entscheidender Bedeutung. Dank der Kenntnisse, die ich mir angeeignet hatte, entsprach ich den Voraussetzungen. Wie von allein flossen die Worte aus meinem Mund. Man hatte mir geschildert, wie ich in einem solchen Zustand aussah. Mein Gesicht war kreidebleich, der Ausdruck entrückt. Und die Formeln kamen monoton oder wirkten wie Peitschenhiebe. Manchmal glichen sie einem mörderischen Stakkato. Erst kamen lateinische Formeln, die zum Beschwören von bösen Geistern und Kräften des Jenseits eingesetzt werde konnten. Die Untoten zeigten sich davon nicht beeindruckt. Dann griff ich auf die untergegangene Sprache der sogenannten Goriten zurück. Da sie ein aus allen Völkern zusammengewürfelter Stamm von Magiern und Zauberpriestern gebildet hatten, waren sie gezwungen gewesen, eine gemeinsame Sprache zu schaffen. Aufgrund ihrer Bestimmung war diese Sprache von enormer magischer Kraft. Die Goriten hatten zu jener Zeit das Angenehme mit dem Nützlichen verquickt. Ihre Sprache diente nicht nur der gegenseitigen Verständigung, sondern war ein wichtiges Kampfmittel gegen die gegnerischen Mächte. Und in der Tat blieben die gutturalen Laute nicht ohne Wirkung. Die Front der Angreifer kam zum Stoppen. Die kopflosen Menschen sahen, daß die Untoten nicht unbesiegbar waren, und hielten ein in ihrer Furcht.
Doch die nächste Attacke ließ nicht lange auf sich warten. Die Dämonen des Zwischenreiches hatten damit gerechnet, daß die Untaten nicht ganz so erfolgreich sein würden wie gewünscht, und hatten für eine Überraschung gesorgt… * Sanders und seine beiden Komplicen im Cockpit blieben von alldem unberührt und unbetroffen. Sie merkten gar nichts davon. Nachdem sich die drei Dämonen wieder zurückgezogen hatten, hatte Sanders einen entsprechenden Befehl an Noah Bates gegeben. Er hatte dies nicht ohne Widerwillen getan. Liebend gern hätte er anders entschieden, doch er beugte sich der Macht der Dämonen, und auch Wilton Stuart wagte nichts mehr zu sagen. Unter ihnen war ein Meer aufgetaucht. Aber es war nicht vergleichbar mit den Gewässern des Diesseits, sonders schien viel mehr aus einer breiigen Masse zu bestehen, die brodelte und dampfte und wahrscheinlich auch fürchterlich stank. Alles krampfte sich in Sanders zusammen - allein durch den Anblick. Diese Welt war böse und nicht mit dem Diesseits zu vergleichen. Es war die Welt, in der die Dämonen hausten. Und dann tauchte weiter vor ihnen das Eiland auf, wild, zerklüftet und unheimlich. Die aufsteigenden Dämpfe ais der kochenden und brodelnden Brühe des Dämonenmeeres bildeten Nebelstreifen, die wie Geisterhände nach dem Eiland griffen. Sanders steuerte den Jumbo Jet direkt darauf zu. »Bald wird die Landung erfolgen«, teilte er dem Bordingenieur mit. »Sorge dafür, daß Lee Butler hier auftaucht. Er muß für den Landevorgang Stuart ablösen!« Der Bordingenieur nickte und ging hinaus. Wenig später kehrte er kreidebleich zurück. Die Maschinenpistole ratterte unten. Es war bis zum Cockpit zu hören. »Johnny, an Bord ist der Teufel los!« keuchte einer der Gangster. Johnny Sanders ging nicht darauf ein. »Wo ist dieser Lee Butler?« brüllte er außer sich. Der Bordingenieur trat zur Seite. Lee Butler schob sich an ihm vorbei. Auch er war weiß wie die Wand. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er war mit seinen Nerven am Ende, was offensicht-
lich war. Butler wurde gefolgt von einem anderen Gangster, der ihm mit der Waffe in Schach hielt. Schweigend stand Wilton Stuart auf und machte den Flugkapitän Platz. Lee Butler setzte sich. »Wo soll die Landung denn erfolgen?« murmelte er brüchig. Sanders deutete nach vorn. »Sie sehen die Insel. Hinter den Felsen erstreckt sich das Land der Hügel. Die Hügel des Grauens werden sie genannt, und ihr Beherrscher war einst ein Mensch und wurde zum furchtbaren Dämon.« Butler blickte ihn entgeistert an. »Sie sind gut informiert.« Sanders' Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. »Lassen wir das!« sagte er rauh. »Es wird einen Landeplatz geben. Wir werden ihn rechtzeitig erkennen.« »Nun gut.« Lee Butler wandte sich an die Kontrollen. »Hoffen wir das Beste. Vielleicht gibt es tatsächlich eine Wende für uns, wenn wir erst einmal unten sind.« Johnny Sanders entgegnete darauf nichts. Er weigerte sich hartnäckig, an die Vorgänge an Bord oder gar an die Zukunft zu denken. Er mußte das tun, wollte er nicht den Verstand verlieren. Johnny Sanders war ein wahrer Gangster, skrupellos und mit allen Wassern gewaschen. Aber dies hier war selbst für ihn zuviel. * Winfried Goldmanns Atempause dauerte nicht lange. Eisige Kälte griff plötzlich nach ihm. Sein Kopf ruckte herum. Die Augen wurden groß und starr. Neben ihm begann die Wand zu flimmern. Etwas schob sich von außen hindurch, ein schwarzes Ding, ohne besondere Form. Die Wand löste sich in Nichts auf. »Nein«, stöhnte Dr. Goldmann entsetzt. Er wollte aufspringen, fliehen, war jedoch zu keiner Regung fähig. Das Geschehen übte einen fesselnden Bann auf ihn aus. Und dann war es zur Flucht zu spät.
Ein großer Höllenschlund öffnete sich vor ihm. Das schwarze Grauen nistete in der Tiefe. Wie mit magischer Gewalt fühlte sich Goldmann angezogen. Das undefinierbare Ding leckte nach ihm, saugte, lockte. Es war nicht das Maul eines Monsters, sondern einfach nur die Finsternis der Hölle. Nur? Der Deutsche krallte sich mit aller Gewalt fest. Es hatte keinen Zweck. Das Saugen und Locken wurde stärker. Seine Hände öffneten sich. Er rutschte zur Seite, näher an das Ding heran. Es erfaßte ihn, verschlang ihn mit der Gier eines Raubtieres. Goldmann schrie wie von Sinnen. Doch seine Schreie wurde nicht mehr gehört. * Don Cooper vertraute auf die Fähigkeiten von Mark Tate. Etwas anderes blieb ihm kaum übrig. Er richtete seine Aufmerksamkeit nach draußen. Denn noch immer hing Roland Douglas vor dem Bullauge. Soeben war er zu sich gekommen. Don gelang es, Douglas auf sich aufmerksam zu machen. Dann öffnete er den Notausstieg. Normalerweise wäre das für ihn tödlich verlaufen - in einer solchen Höhe und während des Fluges. Aber hier herrschten andere Gesetze. Das zeigte allein die Tatsache, daß Douglas wie ein Gespenst neben dem Flugzeug herflog, jeglicher Logik zum Trotz. Roland Douglas, der Copilot, kam heran. Er war so erschöpft, daß er Don Cooper kraftlos in die Arme fiel. »Ich merke erst jetzt, wie fertig ich eigentlich bin«, stöhnte er. Don Cooper schloß den Notausstieg wieder und half Roland Douglas zum nächsten Sitz. Der Co wehrte sich schwach. »Nein, jetzt kann ich mir keine Ruhe gönnen«, protestierte er. »Die schwarzen Tunnels!« »Wie bitte?« fragte Don Cooper verwundert. Hatte der Co während seines Aufenthaltes draußen den Verstand verloren? »Die schwarzen Tunnels!« wiederholte Roland Douglas und deutete mit dem ausgestreckten Arm.
Don folgte mit den Blicken und erstarrte. Tatsächlich. Da schob sich etwas von außen durch die Wand. Es war undefinierbar. Es schien, als handelte es sich um überdimensionale schwarze Nadeln und als wäre der Jumbo Jet das Nadelkissen. Auch andere gewahrten die Gefahr. Die Untoten weiter vorn, von Mark Tat gebannt, fielen reihenweise um. Mark Tate hatte sie mit seinen Kräften nicht töten können, aber die Mächte, die sie beseelt hatten, verloren ihr Interesse daran. Sie hatten etwas Neues entdeckt, das ihren Einsatz erforderte. * Noah Bates sah die Rücken der Untoten, die gegen die Menschen vorrückten, und zweifelte an seinem Verstand. Er sah auch, daß die Wiedergänger scheiterten, sah, was noch alles geschah, und spürte in sich dem Impuls der Flucht. »Verdammt!« entfuhr es ihm. Oben erschien der Kopf eines seiner Komplicen. »Ist etwas?« Noah Bates klärte ihn auf. In ihrer Panik flüchteten sich einige der Passagiere in die erste Klasse. Die ganze Zeit über hatte sich keiner mehr hier aufgehalten. Erste Klasse und Economy-Klasse zählten nicht mehr. Man hatte die erste Klasse vermieden, allein schon wegen der Toten. Nur die beiden Verletzten lagen hier. Man hatte es nicht gewagt, sie zu transportieren, und zwei Sitze in Ruhestellung gebracht. Noah Bates achtete nicht auf die beiden. Er richtete sein Augenmerk auf die Leute, die hereindrängten. Sie waren kopflos und schreckten nicht einmal vor der MP zurück. Es war offensichtlich, daß sie ihr Heil oben in der Lounge suchen wollten, obwohl das der reine Wahnsinn war. »Halt!« schrie sie Noah Bates an. Sie achteten nicht auf ihn, wollten ihn überrennen. Noah Bates war nicht der Mann, der solches mit sich geschehen ließ. Er riß den Abzug durch.
Die Maschinenpistole knatterte los. Er schickte die Garben gnadenlos in die Reihen der Anrennenden. Diejenigen, die verschont wurden, kamen zu sich und drehten wieder ab. Erneut hatte Noah Bates ein Blutbad angerichtet. Gewissensbisse hatte er nicht. Noah Bates schaute angrifflustig umher. Gegen ihn würden sie keine Chance haben. Davon war er überzeugt. * Winfried Goldmann stieß sich schmerzhaft den Schädel. Verständnislos blickte er zurück. Hinter ihm war eine Nebelwand. Sie umgab ihn wie eine Glocke. Nur auf einer Seite war die Wand gebrochen. Goldmann tastete über das Bullauge. Alles schien hier normal. Er verstand endlich, was geschehen war. Der schwarze Höllenschlund hatte ihm nichts getan - abgesehen davon, daß jetzt sein Schädel schmerzte. Das Ganze diente lediglich zur Panikmache. Warum? Winfried Goldmann würde es bald wissen. * Ich erwachte schlagartig wieder aus der Trance, als meinen Bemühungen sinnlos geworden waren. Blitzschnell drehte ich mich um die eigene Achse, um die Lage zu sichten. Don Cooper winkte mir zu. Neben ihm stand Roland Douglas, der Copilot der Maschine. Don Cooper hatte ihn offenbar inzwischen hereingeholt. Ich lief hinüber. Die Untoten waren unterdessen wieder das geworden, was sie vorher gewesen waren: Tote. In seltsamen Verrenkungen lagen sie auf dem Boden. Sie hatten weniger angerichtet, als zu befürchten gewesen war. »Roland Douglas hier meint, die schwarzen Tunnels wären ungefährlich. Sie sollen wahrscheinlich nur die Angst schüren.«
Ich blickte den Co an, der rasch hinzufügte: »Sobald die Leute einmal merken, daß von den schwarzen Tunnels, wie ich sie nenne, keine direkte Gefahr ausgeht, müssen sich die Dämonen etwas Neues ausdenken.« Ich sah, daß ein paar Menschen von den Höllenmäulern verschlungen wurden. Aber nicht lange, dann tauchten sie wieder auf - völlig verstört. Ja, Douglas hatte recht. Die Dämonen ließen sich sehr schnell eine Teufelei einfallen. Sie taten es ohne große Phantasie, indem sie einfach die Toten wieder neu belebten. In diesem Augenblick kam die Aufforderung über Rundsprech, die Passagiere sollten sich anschnallen, da der Jumbo kurz vor der Landung stand. Der reinste Wahnwitz bei diesem Chaos. * Der einzige Platz, der geeignet erschien, war ein ausgedehntes Felsplateau. Es war spiegelglatt. Eine leuchtende Spur war angelegt worden. Der deutliche Hinweis, daß sie hier niedergehen sollten. Für den Flugkapitän war das Folgende Routinearbeit. Johnny Sanders konnte das nicht von sich behaupten. Gleich einem silbernen Riesenvogel mit ausgebreiteten Flügeln senkte sich das größte Passagierflugzeug der Welt zu Boden. Die Räder berührten die Piste. Johnny Sanders bremste ab und gab Gegenschub. Sie hatten alle drei vollauf zutun. Und dann stand der Riesenvogel. »Willkommen in der Hölle!« sagte Johnny Sanders rauh und schaute hinaus. Sie hatten einen guten Überblick über die Hügel des Grauens. Nebelartige Gebilde schwebten darüber. Sie schienen Eigenleben zu besitzen, denn sie begannen wie Vögel zu flattern und sich auf sie zu zubewegen. Über allem flog Cannon, der Herrscher der Schreckeninsel. Lee Butler und Johnny Sanders sahen sich an. In ihren Augen lag namenlose Furcht. Sie waren in dieser Sekunde keine Feinde
mehr - trotz allem, was passiert war, oder gerade deswegen. * »Zurück«, schrie ich, doch es hatte keinen Sinn. Die Panik ließ die Passagiere völlig unüberlegt handeln. Sie rissen sämtliche Notausstiege auf, um ins Freie zu kommen. Niemand würde sie aufhalten können. Wir waren am Ziel angelangt, und die Stunde der Entscheidung war gekommen. Ich durfte nicht länger zögern. Ich schaute den im Tiefschlaf befindlichen Lord Frank Burgess an. Es gab ein Geheimnis um ihn. Einst hatte er sich mit einer Voodoo-Hexe verbündet, sie aus den Fängen des Voodoos befreit und geheiratet. Das war beiden nicht bekommen. Nach ihrem gewaltsamen Tod hatte sich ihr Geist mit dem seinen vereint. Seitdem wohnten zwei Geister in Frank Burgess, und er hatte durch die Vereinung die unglaubliche Fähigkeit der Hexe mit übernommen. Frank selbst war ein normaler Mensch gewesen, wenn auch mit großer Willenskraft ausgestattet, sonst wäre ihm die Befreiung der Hexe damals sicher nicht gelungen. Als die dämonischen Kräfte einen Verbündeten an Bord gesucht hatten, war Frank ihnen am geeignetesten erschienen. Er war mit dem Schavall vertraut und hatte enorme magische Fähigkeiten. Sie mißbrauchten ihn deshalb, nichts ahnend von dem Geist der Hexe, die in solchen Fällen die Vereinigung lösen konnte. Sie war zwar an Franks Körper gebunden, entschied aber selbstständig und wurde so zu meiner Verbündeten. Jetzt waren wir in der Höhle des Löwen. Wir hatten warten müssen, um den Gegner auch wirklich zu treffen - ihn selbst und nicht nur seine Schergen. Die Passagiere gelangten über die Notrutschen ins Freie. Aber sie wurden schon erwartet - von zwei abgekämpft aussehenden Männern. Später würden sie mir erzählen, was sie erlebt hatten Gene Ford und Juan Rodriguez, die durch die Apparatur des Magiers hier gelandet, waren. Das höllische Heer hatte den Jumbo Jet erreicht und stürzte sich darauf. Auch Cannon, der schwarze Schatten des Bösen und die drei Dämonen. Da griff die Hexe ein, während ich den Schavall beschwor.
Der Hexe gelang es bei ihrem Überraschungsangriff, die höllischen Energien direkt gegen den Schavall zu richten. Ich suchte den körperlichen Kontakt mit dem Lord und sprach Beschwörungsformeln der Goriten, die ihr Echo in seinem Munde fanden. Der Schavall durchstieß die Decke des Flugzeuges, raste auf den Lord zu, vernichtete ihn aber nicht, was die Formeln verhinderten, sondern entmaterialisierte und folgte den Energien, die von den drei Dämonen gesendet wurden. Ehe diese überhaupt begriffen, was geschehen war, hatte der Schavall bereits die Oberhand. Er expandierte in Sekundenbruchteilen. Sein Gluten durchdrang alles und raubte uns das Bewußtsein, so daß wir das Ende der Höllenkreaturen nicht mehr mitbekamen. * Als ich zu mir kam, lag strahlender Sonnenschein über dem Meer. Wir befanden uns auf normaler Flughöhe, obwohl die Triebwerke ausgeschaltet waren. Jetzt wurden sie gestartet. Verständnislos blickte ich mich um. Da fiel mir ein, was passiert war: Der Schavall hatte gesiegt und das Flugzeug in die Wirklichkeit zurückgebracht. Alle Passagiere befanden sich an Bord. Kaum waren die Triebwerke auf Last, als der Schavall wieder neutral wurde. Er materialisierte an meiner Halskette. Es gab keinen Toten mehr und keinen Verletzten, denn alles, was die Schwarze Magie letztlich bewirkt hatte und was im schrecklichen Zwischenreich der Dämonen geschehen war, hatte das Dämonenauge neutralisiert. Es war wie am Anfang. Nur zwei Tatbestände blieben: Erstens schien das Flugzeug in der Hand von Entführern zu sein, und zweitens hatten wir plötzlich zwei Passagiere mehr an Bord: Gene Ford und Juan Rodriguez. Capitan Lee Butler meldete sich über Rundsprech: »Liebe Fluggäste, ich kann Ihnen die Mitteilung machen, daß die Entführer aufgegeben haben. Die Maschine ist wieder sicher in der Hand der Crew. Allerdings gibt es noch ein Problem. Wir haben soeben Funkkontakt aufgenommen und mußten die Feststellung machen,
daß inzwischen eine ganze Woche vergangen ist!« Ein Raunen ging durch die Reihen der Passagiere. Der Zeiteffekt war das einzige, was das Dämonenauge nicht hatte ausgleichen können, denn dazu hätte es eine Zeitreise veranlassen müssen, was nicht möglich gewesen war. Ich dachte nicht mehr länger darüber nach. Der Schavall war und blieb ein Geheimnis - ebenso wie seine Herkunft und die Dinge um den Stamm der Goriten. Ich dachte an Capitan Lee Butler. Er würde bei der Ankunft noch mehr Probleme als nur das Zeitproblem zu lösen haben“, denn wie sollte er die Anwesenheit der beiden zusätzlichen Passagiere begründen? Ich war froh, daß ich nicht in seiner Haut steckte und wandte mich Lord Frank Burgess zu. Er schlief, aber diesmal war der Schlaf natürlicher Art. Ich stand auf und ging zu Gene Ford und Juan Rodriguez hinüber, um mich nach ihren Erlebnissen zu erkundigen. Von Gene Ford hörte ich zum erstenmal mehr von dem Magier. Mir wurde schmerzlich bewußt, daß der Sieg doch nicht so endgültig war, denn der Meister hatte sich nicht an dem letzten Angriff auf den Jumbo beteiligt. Also mußte ich damit rechnen, daß er noch lebte! Mir graute vor dem Augenblick, da ich wieder mit ihm konfrontiert wurde, und hoffte im stillen, daß dieser Zeitpunkt sich möglichst lange hinauszögern ließe. Ob meine Hoffnung sich erfüllte? -ENDEMay Harris, die Lebensgefährtin von Mark Tate, hat noch ein sehr, sehr dunkles Geheimnis, von dem sie allerdings selber noch gar nichts ahnt - bis die Vergangenheit sie einholt, in Band 21 In den Klauen des Geisterkönigs Roman von W. A. Hary. Bei Ihrem Zeitschriftenhändler erhältlich!