Nguyen Dinh Thi
Front in den Wolken
Verlag Neues Leben Berlin
Aus dem Vietnamesischen von Franz Faber
Alle Rechte ...
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Nguyen Dinh Thi
Front in den Wolken
Verlag Neues Leben Berlin
Aus dem Vietnamesischen von Franz Faber
Alle Rechte für diese Ausgabe beim Verlag Neues Leben. Berlin 1968 Listen*. Nr. 303 (305,114,68) ES 9 A Umschlag und Illustrationen: Heinz Völkel Typograiie: Wolter Leipold Schritt: 8 p Primus Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin - 152»
Wie alle Tage warten Luong und seine Staffelkameraden auch in dieser frühen Morgenstunde an der „Autobushaltestelle". Sie ist in Wirklichkeit nur eine Straßenkreuzung, an der sich neben einem elektrischen Lichtmast ein paar Bänke befinden. Noch ist alles in Dunkelheit gehüllt. Nur in der Ferne sieht man ein einziges erleuchtetes Haus. Die offene Tür gibt den Blick auf einen Innenräum frei, wo im rötlichen Dunst geschäftige Schatten zu schwimmen scheinen. Es ist eine der Stadtküchen, in der man bereits die Arbeit - leise, aber behende - aufgenommen hat. Unter der Lampe stehen die Männer, erzählen. ,.Es regnet ja", sagt Kapitän Ban. Er streckt die Hand aus, um ein paar Regentropfen aufzufangen. „Beruhige dich", sagt lachend Sau. „Das sind nur Tropfen aus einer Wolke, die vorüberzieht." Mit gekrümmtem Rücken hockt er auf dem Rasen. Sein Gesicht ist gegen einen Himmel gerichtet, der sich immer mehr aufhellt. Die Tropfen fallen dichter. Aber da kommt bereits der Wagen. Es ist ein Transportfahrzeug, mit einer Segeltuchplane überzogen. Der Fahrer steckt seinen Kopf aus dem Kabinenfenster: „Los, steigt ein!" Die Piloten klettern auf die Pritsche. Für einen Augenblick hört man nur das Knirschen von Schuhen auf dem Kies und ein Poltern gegen die hintere Wagenwand. Plötzlich knattert ein Moped heran. Phuc, ein junger Offizier aus dem Stab, hat den Politoffizier geholt. Auf dem Wagen, der gerade abfahren will, werden die beiden mit Hallo begrüßt. „Ihr wollt wohl heute vor uns starten. Khai?" „He, Phuc, gib acht, daß unser ,Polit' nicht herunterfällt!" „Habt keine Angst", erwidert der Junge. ..Wenn ihn ein Stabsoffizier fährt, ist für seine Sicherheit gesorgt. Im übrigen seid ihr nach uns dran: das ist doch klar!" Das Moped macht einen Sprung nach vorn. Nur Khais Lachen bleibt zurück. Luong hat sich neben Toan gesetzt, den Jüngsten
der Kompanie, der in der gleichen Staffel Pilot ist. Toan nimmt eine Packung „Dien Bien" aus der Tasche. Beide zünden sich eine Zigarette an. während der Wagen auf die steinige Straße holpert. Der Himmel erhellt sich nach und nach. Die letzten Sterne scheinen in einem fahlen Licht. Hinter den Männern wechselt der Horizont vom Gelb zum Rosa, zum kräftigen Rot. Die graue Wolke hat sich aufgelöst. Wie zerfetzt sieht der Himmel aus. Der kurze Regen hat die Luft erfrischt. Ein leichter Wind weht durch die Reispflanzen am Straßenrand. Noch ist es früh, aber Luong sieht schon Leute auf den Feldern, die fleißig jäten und Wasser schöpfen. Es sind fast nur Frauen und Mädchen. In der Ferne, dort, wo der Bambus steht, ziehen Menschen, mit dem Tragebalken auf der Schulter, querfeldein, als wollten sie zum Markt gehen. Kien, der Staffelführer, zeigt auf sie. „Sie werden evakuiert", sagt er. Luong erinnert sich, auch heute bei Tagesanbruch — er war gerade wach geworden — die Stimme das Lautsprechers aus jenen Dörfern gehört zu haben. In den letzten Tagen war der Feind wiederholt gekommen, um die eiserne Brücke zu bombardieren, über die die Bahn fährt. Selbst bis in die Nähe des Flughafens wagt er sich seit kurzem. Gestern nachmittag erst tauchte eine Staffel F 105 in der Umgebung der Brücke auf. Die Bomben fielen aber fast einen Kilometer neben das Ziel, weil das starke Abwehrfeuer der Flak dem Feind keinen genauen Anflug ermöglichte. Die Lage ist hier angespannt. Dennoch gibt es viele, die sie bisher zu leicht genommen haben. Nun evakuieren jedoch die Dörfer, die dicht an der Strecke liegen, jeden Tag im Morgengrauen die Alten und die Kinder in mehrere Kilometer entfernte Orte. Abends holt man sie wieder nach Hause zurück. Das beste ist das auch nicht! Luong blickt schweigend der Reihe nach, die in der Ferne verschwindet.
Der Wagen hat das Gelände des Flughafens erreicht. Der Tag bricht an. Die wenigen elektrischen Lampen, die noch nicht ausgeschaltet sind, leuchten wie gelbe Perlen, irgendwo am roten Himmel. Die Männer springen auf die Betonpiste. Sie gehen an den Jagdmaschinen vorüber, die geradeausgerichtet in einer Reihe stehen. Luong sieht an seiner Maschine, die die Nummer 24 trägt, Ngo, den Leiter der Mechanikergruppe. Mit entblößtem Oberkörper steht er auf einer kleinen Eisenleiter, den Kopf zur Kabine geneigt. Irgend etwas scheint er zu betrachten. Als er sich wieder aufrichtet, bemerkt er Luong. Die beiden winken sich zu. Dann eilt Luong seinen Kameraden zum Sammelpunkt nach. Er sieht den Wagen des Regimentskommandeurs auf dem Rasen stehen, dicht an den Sanitätsräumen des Flughafens. — Thuan ist aber ein Frühaufsteher! Der Kommandeur hat seine Kombination angelegt und die Flughaube aufgesetzt. Seine Haut ist sonnverbrannt. Er hat dichte, breite Augenbrauen und ein viereckiges Kinn: ein wirklich militärisches Gesicht. Aber sein Mund lächelt immer. Es ist ein halbes Lachen, das ein wenig Schüchternheit zu verraten scheint. An die Männer der vierten Brigade richtet er nur zwei, drei kurze Sätze. „Heute morgen Exerzierausbildung nach dem bereits bekanntgegebenen Plan. Seien Sie während des Fluges wachsam und stets auf der Hut. Sie wissen, daß der Feind vier Flugzeugträger auf See zusammengezogen hat. Es ist möglich, daß er den Raum von Hanoi und Haiphong und auch unseren angreift." Auf Befehl des Staffelführers Kien gehen die Männer in den Bereitschaftssaal, ziehen die dicken, unförmigen Kombinationen an, die mit ihren Schläuchen und Gurten den Körper geradezu umklammern. Die erste Mig läßt ihr Aggregat mit betäubendem Lärm aufheulen und rollt langsam auf die große Piste. Luong setzt seine Leinenmütze auf und schaut durch das Fenster. Die Maschine
steht, Flügel und Heck vibrieren. Dann setzt sie wie ein Raubvogel zum Flug an, stürzt jäh nach vorn und hebt sich tosend vom Boden. „Wer sichert die Luftaufklärung?" Toan wendet sich an Luong. „Wenn du ein paar Bonbons übrig hast, gibt mir bitte welche. Ich glaube, heute kommt die uns befreundete Nachbareinheit zu einem größeren Kampf. Wir anderen werden nur Beifall spenden." „Wer weiß?" wirft Ban ein, der fertig angezogen aus einer Ecke des Raumes kommt. „Erinnerst du dich nicht an die Worte des Regimentskommandeurs? Vielleicht werden auch wir noch während der Ausbildungszeit Gelegenheit haben zu kämpfen." „Keine Angst", meint Sau. Er klopft Toan gutmütig auf die Schulter. „Wenn wir gut üben, werden sie uns schon in den Kampf lassen. — Du bist ungeduldig?" „Natürlich!" Politoffizier Khai antwortet für Toan. Und an den jungen Flieger gewandt, fährt er fort: „Sei unbesorgt! Heute wirst du als erster fliegen. Und wenn uns der Feind nicht stört, kommst du sogar noch zu einem zweiten Start. Ich habe noch einen Nachmittagsflug für dich eingetragen. Genügt dir das, um den gestrigen Tag wieder wettzumachen?" „Von vorgestern habe ich auch noch etwas gut!" Toan setzt sich in aller Eile die Lederkappe auf und zieht die Bänder fest. Seine Freunde wissen nur zu genau, daß er zwei Tage lang mit trauriger Miene herumgelaufen ist. Er sollte gerade starten, als plötzlich Alarm gegeben wurde, ein Alarm, der bis über das Ende der Unterrichtszeit hinausging. Wortkarg kehrte Toan gestern abend in seine Unterkunft zurück, und er brauchte ziemlich viel Zeit, um seine drei Schalen Reis zu leeren. Noch heute früh war er wegen seines Pechs bekümmert, hatte noch keine Vorstellung, wie es weitergehen sollte. „Das finde ich ausgezeichnet! Freust du dich nicht riesig, Toan?" Ban tritt neben den „Pechvogel", um ihn anzuweisen.
„Los, bereiten wir den Flug vor!" Beide wenden sich der Piste zu. Die Sonne ist über die roten Wolken am Horizont geklettert und wirft jetzt ihre leuchtenden Strahlen auf den Rasen, der sich dunkelbraun verfärbt. Die „Wetter-Mig" stößt aus der flockigen Decke, verliert an Höhe und zieht einen Kreis um den Platz. Im gleichen Augenblick erschüttert ein Donnern den Boden. Das Düsenaggregat eines silbrigen Flugzeuges zerreißt mit seinen Explosionen die Stille: Thuan, der Regimentskommandeur, geht an den Start. Die vier Flieger setzen sich an den Rand des Rasens. Die Maschine ähnelt einem länglichen Webschiffchen, das langsam ans Ende der Piste rollt, dort anhält und wartet, bis das andere Flugzeug sein Fahrgestell ausfährt, weich aufsetzt und in rasender Fahrt das ferne Ende der Rollbahn erreicht. Sogleich läßt der Kommandeur seine Maschine bis zur Mitte des Betonstreifens laufen. Das Aggregat donnert auf; der weiße Pfeil stürzt vor, erhebt sich tosend in die Luft. „Die Bewegungen Thuans sind ausgezeichnet", sagt Sau mit beifälliger Miene. Luong hebt den Kopf, um mit dem Blick der Flugbahn des Regimentskommandeurs zu folgen. Er ist erst kürzlich der Einheit zugewiesen worden, und obwohl er Thuan vorher nicht kannte, empfindet er Zuneigung für ihn. Luong weiß, daß Thuan während des Widerstandes gegen die französischen Kolonialisten ein Infanterie-Regiment geführt hat, daß er auf allen Schlachtfeldern des Nordens gekämpft hat, an der Straße Nr. 4 und am Klaren Fluß, im Delta und am Thao-Strom, im fernen Tay Bac — in Dien Bien Phu. Er mag jetzt ungefähr vierzig Jahre alt sein, und wenn er ihn betrachtet so wie Vy, den Politoffizier, muß Toan gewöhnlich an seinen Vater denken. Jene sind mit ihm Revolutionäre gewesen. Mögen sie auch zehn Jahre jünger sein als er, zwischen denen, die älter als Luong sind, und den jüngeren in der Einheit besteht die gleiche Span-
ne. Sicher ist die Vorliebe Luongs für den Kommandeur auch dadurch begründet, daß bei jenem Wort und Tat eins sind, daß Thuan gewohnt ist, mehr zu handeln als zu sprechen, keine langen Reden liebt. Der ehemalige Kommandeur eines Infanterie-Regiments Thuan wurde — weil es im Sinn von Partei und Revolution war — trotz seines vorgerückten Alters zur Luftwaffe kommandiert. Er sparte nicht mit seinen Kräften, lernte schnell, die verschiedensten Arten moderner Düsenkampfmaschinen zu führen. Vielleicht sind seine Bewegungen nicht mehr so schnell wie die der jungen Flieger, aber er lenkt noch immer mit großer Meisterschaft seine Maschine und verpaßt keine Gelegenheit, sich zu vervollkommnen. Man fühlt sich bei einem solchen Kommandeur in richtigen Händen. Ein Mann mit den Kampferfahrungen der Infanterie, mit dem Wissen eines guten Fliegers — wer könnte besser den Erfordernissen des Luftkampfes gewachsen sein! Thuan hat den Jagdbomber gewendet; die Maschine rast in die weiße Wolkendecke, das schrille Geräusch bricht plötzlich ab. Thuan drückt die Mig herunter und fliegt fast lautlos direkt auf die Mitte des Flughafens zu. Wie ein Pfeil schießt das Flugzeug über die Köpfe der Männer hinweg, mit einem Lärm, der fast das Trommelfell zerreißt. Luong hat deutlich im Cockpit Thuans Kopf mit der Lederkappe gesehen. Noch einmal zieht die Maschine hoch, neigt sich wieder und stößt, spiralenförmig weit ausholend, so dicht auf die Piste zu, daß sich unter den heißen Verbrennungsgasen die Gräser krümmen. Im Flug des Kommandeurs kann man in gewissem Maße seinen Charakter erkennen: rechtschaffen, maßvoll, exakt — und wenn es sein muß, auch hart. Alle ersten Piloten, die diese Düseneinheit auf die Beine gestellt haben, sind wie Thuan. Luong hat große Achtung vor diesen alten Infanteristen aus der Zeit des Widerstandes. Vor der Augustrevolution hüteten sie in ihren Dörfern die Büffel, gingen als Schuhputzer, lackierten Strohhüte, verkauften Eis
auf den Straßen oder trugen als Knirpse schon den Kohlenkorb auf ihrem Kopf in den Bergwerksstollen, Flußhäfen oder Bahnhofsdepots. Später wurden sie Partisanen, Milizionäre, Soldaten, kämpften gegen die Franzosen, bestanden tausend Prüfungen. Sie spitzten manchen Bambuspfahl an, waren hinter jeder ungenutzten Feindgranate her, gingen mit jedem Schuß Munition sparsam um. Nach dem Widerstand konnten sie gerade lesen und schreiben; vielleicht, daß die Besten das Bildungsniveau der 3. und 4. Klasse hatten. Heute fliegen sie die modernsten und kompliziertesten Maschinen, haben fast alle sieben bis zehn Luftkämpfe gegen den Feind bestanden und sind zu den besten Ausbildern unserer Luftwaffeneinheiten geworden. Mag jeder von den „Alten" seine Eigenart besitzen — sie alle sind reich an Erfahrungen, die den Männern der Generation Luongs hoch fehlen. Der junge Flieger sieht zu seinem Staffelkapitän Ban hinüber. Ban war früher ein Partisan der Straße 5, im Gebiet von Hai Duong. Wenn man sagen kann, daß jemand wie ein Schalk fliegt und wie ein Teufel kämpft, dann trifft das bestimmt auf ihn zu. Immer wieder erfüllt es Luong mit Bewunderung, reizt ihn andererseits zum Lachen. Ban ist kein Freund schulmeisterlicher Vorführungen. Wenn Luong mit ihm einen Einsatz fliegt, hat er stets den Eindruck, daß der Staffelkapitän ein guter Beobachter ist. Er versteht es ausgezeichnet, den Gegner einzuschätzen, die Lage in Sekundenschnelle zu beurteilen und das Mittel zu finden, das den anderen überrumpelt. Ban ist der alte Partisan geblieben, nur daß sich heute sein Arm in eine Düsenmaschine verlängert hat, die weitausholend dem Gegner einen Schlag versetzt, bevor er weiß, worum es geht. Sau, Luongs Co-Pilot, hat eine ganz andere Natur. Ihm vor allem gehört Luongs Zuneigung. Er stammt aus dem Nam Bo, aus Gia Dinh, nicht weit von Saigon-Cholon. Vor der Revolution hat er als Hilfsheizer auf einem Schiff gearbeitet, das die
Strecke My Tho—Pnom Penn befuhr. Während des antifranzösischen Widerstandes montierte er Waffen in einer Fabrik im Dschungel. Er ist ziemlich wortkarg, lächelt mehr als er spricht, bastelt leidenschaftlich gern in der Freizeit und hat dauernd etwas an seiner Maschine zu tun. Wie kein zweiter demonstriert er einen Start und eine Landung, die das Flugzeug schonen. Aber im Kampf verlangt Sau alles von ihm. Er weiß mit seiner Maschine den Feind zu stellen, schlägt wie ein Blitz zu, ohne dem Gegner auch nur einen Augenblick Zeit zu lassen. Erst kürzlich schoß er aus kleinster Entfernung auf eine F 105, so daß sie in der Luft explodierte. Wenige Tage später verfolgte er eine F 8 der Siebenten Flotte bis aufs offene Meer. Schon angeschossen, gelang es dem Amerikaner, noch eine letzte Rakete abzufeuern, die nur um Millimeter Saus Mig verfehlte. Um ein Haar wären beide ins Wasser gestürzt. Sau hatte jedoch im Bruchteil einer Sekunde seine Maschine hochgerissen und sich nach einem gewagten Looping hinter den Feind gesetzt. Er holte ihn dicht über der Oberfläche des Meeres ein und durchlöcherte ihn so, daß er jäh ins Wasser stürzte. Der Traum des Fliegers besteht darin, eines Tages mit seiner Mig bis in sein Geburtsland zu fliegen, dort die amerikanischen Flugzeuge anzugreifen. Jetzt hat er sich in den Kopf gesetzt, noch eine „Phantom" herunterzuholen. Dann ist seine Abschußserie neuester Typen der amerikanischen Luftwaffe vollständig. In dieser Staffel sind Luong und Toan die einzigen, die noch kein feindliches Flugzeug vernichtet haben. Luong hat schon einige Feindberührungen gehabt, während Toan noch in den Übungsflügen steckt. Doch sind alle in der Staffel der Meinung, daß der „Lehrling" bald zum verdienten Erfolg kommen wird. In der Luft fühlt sich Toan wie der Fisch im Wasser, und seine Kameraden haben scherzend gesagt, Toan und sein Flugzeug seien enger miteinander verbunden als der Musiker und sein Instrument. Eine kleine Anspielung auf den Flieger, den
man oft mit dem Akkordeon sieht, wenn er es auch nicht sehr gut beherrscht. Der Kommandeur ist gelandet und begibt sich zum Befehlsstand. Neben ihm steht Kompaniechef Kien. Paarweise starten die stählernen Vögel, wirbeln in die Wolken hinein, die jetzt den ganzen Himmel bedecken. An diesem Morgen sieht es tatsächlich so aus, als ob die 4. Kompanie ihren Übungsplan endlich unter Dach und Fach bringen könnte und nicht wieder — wie an den anderen Tagen — vom Feind gestört wird. „Jetzt sind wir an der Reihe!" Sau erhebt sich vom Rasen, staubt seine Hose ab und eilt mit Luong zu den Maschinen; Nr. 22 und 24 stehen nebeneinander. An diesen heißen Julitagen haben die Männer der 4. Kompanie im Wettbewerb mit anderen befreundeten Einheiten bereits den größten Teil des Ausbildungsplans verwirklicht. Am letzten Übungstag erzielten sie mit viel Energie und Schweiß Ergebnisse, die man sonst nur in drei oder vier Tage schafft. Die Älteren konnten Säst alle Tage Feindeinsätze für sich buchen. In Presse und Rundfunk wird davon kein großes Aufsehen gemacht; es werden höchstens einige informatorische Zeilen veröffentlicht. Im Gegensatz zum Gegner, der jedesmal lärmend prahlt, wenn er einer nordvietnamesischen Mig begegnet ist. Die fliegenden Einheiten erhalten jedoch über jede Feindberührung eine Meldung. Jeder siegreiche Kampf, aber auch jeder Verlust bereichert die Erfahrungen aller. In letzter Zeit streifen die Piraten nicht nur wie früher im weiten Bogen um den Flugplatz herum, sondern versuchen mit allen Mitteln, näher an die Piste heranzukommen. Es muß eine Elitestaffel des Feindes sein, eine jener Staffeln, die erst kürzlich in Asien eingetroffen sind. Die Flieger der 4. Kompanie haben sofort festgestellt, daß die Neuen eine hochentwickelte Flugtechnik besitzen. Sie nutzen alle Täler, Wasserläufe, alle Deckung gebenden Möglichkeiten aus, um überraschend zu gefährlichen Angriffen vorzugehen. Keine Kriegslist ist ihnen
fremd. Sie fliegen ihr Ziel mit mehreren Maschinen aus einer Richtung an, während eine andere Staffel aus der entgegengesetzten Richtung her bombardiert. Eines Mittags kreist eine Gruppe in der Nähe des Flughafens, um das Abwehrfeuer auf sich zu lenken. Plötzlich stürzt eine Düsenmaschine — sie kommt vom Westen her — aus größter Höhe auf die Piste herunter, daß sie fast den Beton berührt. Einige Kameraden ruhen sich gerade in den Unterkünften aus. Der erste, der auf den Hof hinausspringt, ist Sau. Er sieht der feindlichen Maschine nach und sagt lachend: „Sie wollen sich unbedingt mit uns einlassen." Toan steht noch auf der Türschwelle, verzieht das Gesicht zu einer Grimasse, weil ihn die Sonne blendet, und meint: „In der Tat, Sau, es wird Zeit, daß wir einige von ihnen auf unseren Platz herunterholen." Auch die anderen Flieger sind dieser Meinung. Es ist kein leichter Dienst, im „Normalfall" angespannt von der Frühe bis in die Nacht, Tag für Tag. Als die Männer eines Morgens wiederum an der „Autobushaltestelle" warten und das Moped von Phuc vor sich sehen, auf dem Sozius wie immer Khai, hält der junge Offizier unerwartet an. Khai zieht irgend etwas aus der Tasche und ruft: „Sau, ein Brief für dich!" Mit zwei Schritten ist Sau am Moped. Die Maschine fährt weg. In der sich auflösenden Auspuffwolke steht immer noch Sau, der aus dem Staunen nicht herauskommt. Endlich geht er langsam zum Mast der elektrischen Lampe, hebt den Brief gegen das Licht. Der Umschlag, kaum so groß wie die Hälfte einer Hand, ist ganz vergilbt. Die mit blauer Tinte geschriebenen Buchslaben sind verblichen. Wieviel Orte mag der Brief durchlaufen, wieviel Wege zurückgelegt haben, um Sau zu erreichen? Der Wagen kommt. Sau steckt den Brief in die Tasche und steigt mit den anderen auf. Er findet Platz bei Luong, der ein wenig zur Seite rückt. Jener zieht eine Taschenlampe aus seiner Ledermappe und reicht sie seinem Nachbarn. Sau reißt schwei-
gend den Umschlag auf, neigt sich nach vorn, eine Hand aufs Knie gestützt, mit der anderen die Lampe haltend. Mit dem Rütteln des Wagens springt der leuchtende Fleck über die Zeilen. Sau liest eine Seite, wendet den Brief. Dann erlischt das Licht. Der Flieger hebt den Kopf, starrt in das fahle Licht des anbrechenden Morgens hinaus. Wieder neigt er sich vor, leuchtet noch einmal mit der Lampe über den Brief. Er liest ihn ein zweites Mal und gibt die Lampe an Luong zurück. Sorgfältig steckt er den Umschlag in die Tasche seines Hemdes. „Gibt's was Neues?" „Meine Frau hat geschrieben — allerlei!" Luong meint, bei Sau ein Lächeln wahrgenommen zu haben. Die Geschichte der Familie seines Kameraden ist, wie die zahlreicher Südvietnamesen, nicht einfach. Sau spricht wenig über sein Privatleben. Luong weiß nur, daß Sau noch eine alte Mutter hat und in S. verheiratet ist. Seine Frau stammt aus dem gleichen Dorf wie er. Sie haben damals in aller Eile, nur wenige Tage vor der Umgruppierung von Saus Einheit nach dem Norden, die Ehe geschlossen. Zu jener Zeit hatte Sau sie nicht an sich binden wollen, aber seine Verlobte wollte um jeden Preis, daß sie richtig verheiratet seien. Sie hat ihn bis zu dem Augenblick begleitet, da er in das Landungsboot stieg, das ihn zu dem polnischen Seeschiff brachte. Er hat einige Zeit im Norden gelebt, ist dann ins Ausland gereist, um zu studieren. In diesen zehn Jahren hat Sau nicht die kleinste Nachricht von seiner Familie erhalten. Sein Dorf liegt ungefähr 30 Kilometer von Saigon entfernt. Man braucht nicht lange zu überlegen, um zu verstehen, daß es dort in dieser großen Zeitspanne — sowohl unter den Diemisten als auch unter ihren Nachfolgern — manches Blutvergießen gab. Im vergangenen Jahr hat Sau den ersten Brief von seiner Frau erhalten, auf diesem Flugplatz, mitten in einer Gefechtsbereitschaft. Seit der Zeit weiß er, daß seine Mutter und seine Frau noch leben, daß er einen Sohn hat. Aber fünf Familienmitglie-
der sind den Mördern zum Opfer gefallen. Eine seiner Schwestern wurde so mißhandelt, daß sie heute noch darunter leidet. Der Wagen hat den Flughafen erreicht. Die Männer steigen aus, einer nach dem anderen. Sau geht neben Luong, legt seine Hand auf dessen Schulter. „Meine Frau hat den Brief erhalten, den ich ihr im April vergangenen Jahres geschickt habe. Jetzt können wir uns regelmäßig schreiben." „Und wie geht es deiner Familie?" „Es geht so! Sie haben über unserem Dorf chemische Giftstoffe abgerieselt, wollen selbst die Kajeputt-Bäume entlauben. Tag und Nacht schießen die Amerikaner mit Schnellfeuerkanonen. Kaum hat man den Abschuß wahrgenommen, da explodiert bereits das Geschoß. Und dennoch gibt es bei uns Restaurants, Verkaufsstände, selbstverständlich alles unter der Erde. Unser Dorf hat erfolgreiche Tunnelkämpfe gegen die Amis und die australischen Truppen geführt, von den Siegen über die Marionetten ganz zu schweigen. Oft kommen sogar Partisanen anderer Gebiete zu uns, um sich in unseren Tunnels auf den antiamerikanischen Kampf vorzubereiten. Mein Kleiner lebt bei seiner Großmutter. Jetzt können sie ruhig über den Vater im Norden sprechen." Die vier Waffenbrüder beugen sich über eine Karte, um noch einmal die Flüge des Feindes in den letzten Tagen zu studieren. Gemeinsam beraten sie über verschiedene Kampfmöglichkeiten. Sau legt seine Stirn in Falten, blickt Toan an und sagt: „Man muß darauf achten, daß man nicht in einen zu großen Eifer gedrängt wird. Wo kommen wir hin, wenn wir jede verpaßte Gelegenheit bedauern. Im Kampf muß man alle beobachten und darf vor allen Dingen nicht seine Gefährten vergessen." Toan weiß nicht, warum er errötet, aber er nickt zustimmend. „Auf jeden Fall müssen wir immer auf der Hut sein", fügt Luong hinzu. „Mir scheint, daß sie nicht so viel Munition bei sich führen, um sich uns immer sofort stellen zu können. Den-
noch müssen wir beim Angriff wachsam sein. Sonst könnten sie auf Grund unserer Unachtsamkeit die Überlegenen sein!" Sau ergänzt: „Unser Oberkommando hat bekanntgegeben, daß der Gegner kürzlich Maschinen mit sechs Zweizenlimeterkanonen eingesetzt hat, eine große Feuerkraft für den Nahkampf. Allein auf seine Raketen verläßt sich also der Amerikaner nicht mehr. Er will uns unter allen Umständen überrumpeln." Sau macht eine Pause, um dann fortzufahren: „Ihr habt in der Vergangenheit gute Kämpfe ausgetragen. Aber vergeßt dabei nicht, euch auf andere, schwierigere und härtere vorzubereiten. Im übrigen gewöhnt man sich auch an solche Schlachten schnell." Sau wendet sich an einen neuen Kameraden der Staffel: „Vielleicht wird Doan bereits an einem Kampf dieser Art teilnehmen können," Doan lächelt: „Ich bin zwar ganz neu hier, scheine jedoch mehr Glück zu haben als die anderen." „Der nächste Einsatz bringt uns etwas ganz Neues", sagt Sau. „Wir arbeiten gemeinsam mit der Bodenabwehr." Er zeigt auf die Karte. Gerade will er etwas hinzufügen, als sich Toan erhebt: „Alarm!" Sie stürzen zu ihren Maschinen und sitzen einige Minuten später in ihrem Cockpit. Auf dem Flugplatz liegt Schweigen, alles erwartet den Befehl. Da wird in der Ferne eine grüne Fahne gehißt: Der Alarm ist zu Ende. Luong öffnet die Haube seines Sitzes und läßt sich langsam auf die Piste herunter. Ngo tritt an ihn heran. „Ich habe die Fußraste ein wenig höher gesetzt", sagt er, „ist das besser für dich?" „Ausgezeichnet! So ist es gerade richtig." Toan nähert sich den beiden. „Heute kommen sie aber spät, nicht wahr?" Ngo lächelt; in seinem bronzefarbenen Gesicht leuchten die Zähne: „Habt ihr heute morgen Radio gehört? In Quang Tri hat unse-
re Befreiungsarmee eine große Schlacht gewonnen. Die amerikanischen Marineeinheiten und die „fliegende Kavallerie" haben ein paar gehörige Schläge bekommen. Jetzt schicken sie ihre B 52, um den südlichen Teil der Demarkationslinie anzugreifen." „Eine Schweinerei!" „Sicher möchte Toan gegen die B 52 kämpfen, nicht wahr?" „Du hast meine Gedanken erraten!" Sie lächeln sich an. Dann gehen beide Piloten zur Staffel. Sau hat wieder seine Karte auf dem Rasen ausgebreitet. Vier Fliegerhauben beugen sich über sie. Es ist sehr sonnig. Luong hat den Eindruck, daß es heute bestimmt noch einen Kampf geben wird. Um 14 Uhr war bereits der dritte Alarm. Als der letzte Bereitschaftsbefehl kam, hatte sich Luong in den Schatten des Hecks seiner Maschine gesetzt. Jetzt wartet er immer noch auf das Startzeichen Bei Wartezeiten dieser Art liegt stets etwas in der Luft. Eine Leuchtrakete steigt in den Wolkenteppich. Es ist vollkommen still. Luong springt in die Maschine. Ngo, der bis jetzt auf der Leiter gehockt hat, beugt sich über die Kabine, um dem Flieger zu helfen, den Sicherheitsgurt anzulegen. „Vielleicht kommst du heute zum Kampf", meint er. „Auf die Kiste kannst du dich verlassen. Es ist alles in bester Ordnung!" Die Stille ist fast unerträglich. Unbeweglich sitzen die vier Piloten in den Kabinen ihrer weißglänzenden Maschinen. Schweiß durchtränkt die Hemden der Männer. Ngo hockt noch immer auf der Leiter. Er hält einen Schirm, um Luong vor der Sonne zu schützen. Sein schweißüberströmtes Gesicht erscheint noch dunkler. Luong hebt seinen Arm und ergreift das Handgelenk des Mechanikers, drückt es ein wenig zurück, daß der Schirm jetzt beide vor den sengenden Strahlen schützt. Sie sehen sich lächelnd an. Fünf Minuten, zehn Minuten vergehen. Ob der Start bald freigegeben wird? Im Befehlsstand beobachtet Regimentskommandeur Thuan
die blauen Farbstiftlinien, die ein junger Offizier auf einer großen Leuchtkarte einträgt. Weitere Mitarbeiter des Stabes errechnen an komplizierten Geräten mit größter Genauigkeit die jeweilige Feindlage. „Im Augenblick scheinen die Piraten über dem uns bekannten Küstenabschnitt zu pendeln." Der Kommandeur wischt sich die Tropfen von der Stirn. Vu, der hinter dem Politofflzier steht, sagt: „Nach meiner Ansicht ist das nur eine Taktik des Feindes, unsere Aufmerksamkeit abzulenken." „Richtig, nur das hat er im Auge!" Der „Polit" nickt zustimmend. Er stellt sich auf die Fußspitzen, um auf einen Punkt zu zeigen, den ein roter Kreis auf der Karte umgibt. In seiner Erinnerung taucht plötzlich wieder dieser Flußhafen auf, erheben sich die Hügel mit den Filao-Bäumen, fällt ihm der Name der Weiler wieder ein, die versteckt inmitten der Zuckerrohrfelder und der Maulbeerbaumplantaigen liegen, sieht er die Marktstraße ganz nahe am Fluß, der von Booten übersät ist, die Eisenbahnbrücke über dem grünen Wasserlauf. Wer könnte diese Gegend besser kennen als er? Als fünfzehnjähriger Junge hat er heimlich dem Büro des Parteikomitees geholfen. Da kam er öfter dort vorbei. „Das wird der Hauptpunkt des Angriffs sein!" Khai zeichnet mit einem Blaustift einen Pfeil ein, der vom Meer her direkt auf den roten Kreis führt. Der Kommandeur zieht mit seinem Rotstift eine Gegenlinie, die mit einer Schleife vor der Pfeilspitze abbricht: „Und hier werden wir fliegen. Was denkst du, Vu?" „Ich bin einverstanden." Der Regimentskommandeur beugt sich über das Mikrophon: „Startbefehl für Cuu Long!" Thuan wischt mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Eine Minute später: Der ohrenbetäubende Lärm des Düsenaggregats dröhnt über dem Befehlsstand. Einer der Leitoffiziere hat die roten Linien auf der Karte in Ziffern verwandelt.
Spruch an Cuu Long: „Flugrichtung 250, Höhe 2500." „Verstanden." „Cuu Long, Richtung 150, Höhe 4000." „Verstanden." „Cuu Long, Wendung nach rechts, Winkel 60." „Winkel 60, verstanden." Der Himmel ist klar, die Sicht gut. Heute wissen die Flieger, wenn sie zur Erde blicken, sofort, wo sie sind. An der Art, wie der Kommandeur den Einsatz vorbereitet, glaubt Luong, die Absicht des Stabes zu erkennen. Der Feind soll überrascht werden. Luong blickt hinter sich: Toans Maschine liegt ein wenig höher. Sau und Doan fliegen seitlich. Vier silbrige Migs rasen ihrem Ziel zu. Für einen Augenblick hat Luong das Gefühl, daß selbst die Maschinen wüßten, worum es geht, und drängten. Da sieht er in der Ferne zehn schwarze Punkte, einen hinter dem anderen, längs des kleinen, schillernden Wasserlaufes: der Feind. Sie werden zusehends größer, und nun kann Luong auch ihre Form ausmachen: Es sind „Phantoms" und „Crusaders" der 7. Flotte. Sie fliegen, als ob sie niemand stören könne, rechnen wohl nicht damit, daß jetzt schon Migs auftauchen könnten. „Staffel greift Spitzengruppe F 4 an! 35 unterstützt mich beim Anflug auf Spitzenmaschine! 24 und 31 vernichten 4!" Saus Worte sind ruhig wie bei einer Unterhaltung. Er klinkt die zusätzlichen Brennstoffbomben aus und stößt dann direkt auf den Feind zu, dicht gefolgt von Doan. Schmale Rauchspuren stehen hinter den stürzenden Maschinen. Erst in diesem Augenblick bemerkt sie der Gegner. Er versucht überstürzt, nach oben oder unten Raum zu gewinnen. Aber dafür ist es bereits zu spät. Luong und Toan fallen direkt auf die ersten beiden „Phantoms", reißen die Formation auseinander. Toans weißes Mündungsfeuer verlängert sich in helle
Streifen, die sich in das Heck der feindlichen Maschine bohren. Da ist schon die Stimme von Sau: „Noch dichter heran, wenn du schießt!" „24, tiefer gehen und das Feuer eröffnen!" „Feuer!" Wie ein Windstoß sind die vier Migs am Feind, der vergebens versucht, dem Feuer zu entgehen. „Brennt!" „Feuern, sofort weiterfeuern!" „Getroffen!" „22, eine F 8 ist hinter dir; schnell Höhe gewinnen!" In den Ohren Luongs klingen die Stimmen seiner Gefährten nach — Rufe, Beifall. Er selbst erinnert sich nicht mehr daran, was er geschrien hat. Er muß sich jetzt ganz auf die „Phantom" konzentrieren, deren Flügel seine Geschoßsalve getroffen hat. Sie springt hoch, torkelt von einer Seite auf die andere, stürzt über den rechten Flügel nach unten. Luong folgt ihr mit zusammengekniffenen Lippen. Er sieht noch gerade, wie Sau und Doan ihre Migs hochreißen. Rotes Mündungsfeuer liegt vor ihnen. Ein rotweißer Fallschirm treibt mit dem Wind. „Teufel, von dir mache ich noch eine Aufnahme." Luong hört Toans Lachen, der seine Miig dem Schirm zu lenkt. Plötzlich schreit Luong: „31, sofort linke F 8 abfangen!" Toan reißt blitzschnell sein Flugzeug herum und fällt fast auf eine Gruppe von vier F 8, die unvermutet aufgetaucht sind. Ein kurzer Feuerwechsel, aber Toan ist schneller. Der feindliche Verband ist auseinandergerissen. Die „Phantom" vor Luong versucht umsonst, ihrem Verfolger zu entkommen. Er bleibt dicht hinter ihr. Immer kürzer wird die Entfernung zwischen beiden Maschinen, immer näher schiebt sich die Spitze der Mig an den Gegner heran. Luong wartet auf den Augenblick, schießen zu können. Sein Finger liegt am Abzug, der ganze Körper ist gespannt, entschlossen zu
handeln. Ruhig konzentriert sich Luong auf das Schußfeld. Der leuchtende Ring scheint sich im wilden Flug auf die feindliche Maschine zu werfen. Jetzt zieht der Gegner die Maschine hoch, versucht, dem schrecklichen Kreis zu entkommen. Luong schießt, aber die Schüsse gehen am langgezogenen Führersitz der „Phantom" vorbei, bersten rechts von der Maschine. Verfehlt! Beide Flugzeuge erhöhen die Geschwindigkeit. Wieder neigt sich die „Phantom" seitwärts, jagt in die Tiefe. Zieht sie nicht jetzt einen Rauchstreifen hinter sich her? In der Tat: Das ist Brandrauch. Die Umrisse der Bäume, die spiegelnden Reisfelder nähern sich Luong wie wogendes Wasser. Luong läßt nicht vom Feind. Der scheint die Erde berühren zu wollen. „Du wirst mir nicht entkommen!" Immer näher rücken die Felder. Luong will gerade den Abzug bedienen, als der Gegner plötzlich die Geschwindigkeit verringert. Die Mig gleitet über die „Phantom" hinweg; Luong hat im letzten Augenblick das Steuer hochreißen können. Für eine Sekunde verfinstern sich seine Augen. Die Mig vibriert, dreht den Bauch nach oben. Verdammt, er will mir entweichen, denkt Luong. Nur gut, daß der Gegner nicht nach links ausgeschert ist. Seinem Verfolger wäre es nicht mehr gelungen, sich wieder rechtzeitig an die „Phantom" zu heften. Aber der Amerikaner scheint in diesen verwirrenden Augenblicken nicht sorgfältig kombiniert zu haben. Auch er wendet nach rechts, direkt unter dem Flügel von Luong. „Das ist ein Ziel!" Luong stößt über den rechten Flügel hinweg auf den Feind, schießt: Senkrecht stürzt der Gegner ab. Die Mig steigt wie ein Pfeil. Die „Phantoms" räumen das Schlachtfeld. In großer Höhe jedoch liegen Sau und Doan im erbitterten Kampf mit sechs oder sieben F 8. Wie ineinanderfallende Blitze sind die Feuergarben. Luong beobachtet im Steigen, wie auch die etwas abgesonderte Mig von Toan mit größter Schnelligkeit näherkommt. Immer mehr Höhe gewinnt seine Maschine. Jetzt hat er die „Crusaders", die seine beiden Waffenbrüder umringen, unter sich. Im Sturzflug geht er zum
Angriff über, nur um Bruchteile von Sekunden später von Toan gefolgt. Die beiden Migs reißen den Kreis der feindlichen Maschinen auseinander. Luong eröffnet unmittelbar das Feuer auf das ihm nächste Flugzeug; es verwandelt sich bereits nach dem ersten Stoß in eine rötliche Fackel. Er folgt dem getroffenen Feind und schießt ein zweites Mal, verfehlt jedoch sein Ziel. Die „Crusader" hat sich nach rechts fallen lassen. Im gleichen Augenblick bemerkt Luong, daß seine Mig stark erschüttert wird, fällt. Irgend etwas scheint nicht in Ordnung zu sein, denkt der Pilot. Er spielt mit dem Steuerknüppel: Die Mig reagiert normal. Vielleicht war er zu nahe an der feindlichen Maschine und ist, als jene schneller wurde, in ihren Sog geraten. Die „Crusader" ist inzwischen seinen Blicken entschwunden. „Truong Son ruft Cuu Long — Ernte des 10. Monats, Ernte des 10. Monats; Cuu Long, bitte kommen!" Das ist die Stimme der Bodenstation, die den Rückflug befiehlt. Nur Minuten hat die Schlacht gewütet. Freund und Feind sind in alle vier Himmelsrichtungen zerstreut. Mehrere gegnerische Maschinen haben in verbrecherischer Weise bestimmte Ziele bombardiert und ziehen jetzt in Richtung auf die offene See davon. Auch die „Crusaders", die von den Migs überrascht worden waren, gewinnen nacheinander das Chinesische Meer. Ein Gegner schwankt, zieht eine lange Rauchfahne hinter sich her. „22 ruft 35. Hören Sie?" Doan antwortet, scheinbar mühsam. „35 hat verstanden." „Ernte des 10. Monats — 35 erntet als erster den 10. Monat." „Verstanden." Luong sieht über einer Rauchwolke, die sich am Ufer des Flusses erhebt, eine weiße Mig. Sie fliegt direkt auf den Flugplatz zu. Ob das Sau ist, der so langsam längs des Flusses „kriecht"? Jenseits des Wasserlaufes, über den bewaldeten Höhen, stehen zwei lange Rauchsäulen: Die beiden „Phantoms"
brennen immer noch. „22 ruft 24 — Ernte des 10. Monats!" „24 hat verstanden." „Ernte des 10. Monats, sofort Ernte des 10. Monats!" „22, ich komme hinüber." „Nicht nötig, sofort 10. Monat ernten!" Dennoch fliegt Luong Sau entgegen. Toan folgt ihm. Mit Saus Mig stimmt etwas nicht. Zeitweise scheint er sie nicht in der Gewalt zu haben. „Truong Son ruft 22. — Geben Sie sofort Lagebericht!" Das ist die Stimme des Regimentskommandeurs. Dann hört man Vy: „Kann 22 den 10. Monat ernten?" „Vielleicht gibt es Schwierigkeiten." „22, springen Sie ab, wenn es notwendig ist." „Ich kann noch fliegen. Ich werde versuchen, auf der Straße zu landen." „Befehl! Wenn Sie die Maschine nicht mehr halten können, springen Sie mit dem Fallschirm ab!" „Im Augenblick kann ich meine Mig noch führen." Luong und Toan geleiten Sau. Sie haben das Gespräch zwischen dem Staffelführer und der Bodenstelle mitgehört. Saus Maschine verliert an Höhe. Die Gefahr wächst mit jeder Minute. Luong schreit: „Sau, du springst sofort mit dem Fallschirm ab!" Irgendein Teil am Heck der Maschine des Staffelführers löst sich. Sie gehorcht nicht mehr dem Kommando und stürzt in die Tiefe. Luong fühlt, wie sein Herz aussetzt. Er sieht der trudelnden Mig nach. Da steigt Sau aus: ein kleiner schwarzer Punkt, der sich in der Luft dreht, dann ein weißer Fallschirm, der sich öffnet, im Wind hin und her pendelt und langsam tiefer geht. Luong kreist über dem Schirm. Ob Sau verwundet ist? Allmählich entfernt sich der weiße Pilz. Luong würde gerne dichter heranfliegen, um mehr zu erfahren, aber er fürchtet, der
Luftsog der Mig könnte den Fallschirm an die Maschine reißen. So kreist er in einer für seinen Freund ungefährlichen Entfernung. Hoch über ihnen fliegt Toan, um sie zu schützen. Im Kopfhörer ertönt wieder eine Stimme der Bodenstation, die die Landung Doans leitet. Dann ruft Luong: „Meldung an Truong Son: 22 ist mit dem Fallschirm abgesprungen." In diesem Augenblick fällt der Schirm schneller, nähert sich der Erde. Er treibt auf einen Hügel zu. Für eine Sekunde hat der weiße Fleck seine Form verloren. Die Baumgruppen am Hang verstecken ihn. Luong zieht dicht an Sau vorbei, wippt mit den Flügeln, um seinen Gefährten auf der Erde zu begrüßen. Dann reißt er seine Maschine wieder hoch und fliegt Toan entgegen, der immer noch auf ihn wartet. Ein letztes Mal drehen sie eine Runde unter einem Himmel, der die Rauchstreifen des Kampfes noch nicht verloren hat. „Meldung an Truong Son: 22 ist sicher gelandet." „Truong Son hat verstanden. 24, 31 — Ernten Sie sofort 10. Monat — dringend." Luong wendet sich zurück, betrachtet noch einmal die Hügel hinter sich, als ob er sich von dieser Landschaft nicht trennen könne. Spät am Abend erfahren sie, daß Sau im Büro des Gebietsparteikomitees aufgenommen worden ist. Er hat eine Verwundung am Fuß und wartete dort, bis der Krankenwagen kam, der ihn ins Lazarett bringen sollte. Der Pirat der „Phantom", die Sau in der ersten Minute des Kampfes abgeschossen hatte, ist bei seiner Landung gefangengenommen worden. Die erste Person, der er in die Hände fiel, war ein Mädchen von neunzehn Jahren; sie hatte nur eine Tragestange aus Bambus bei sich. An diesem Sonntagmorgen herrscht ein buntes Treiben auf dem Flughafen. Auch die 4. Kompanie ist in ständiger Kampfbereitschaft. Luong hat den ersten Flug schon vor Sonnenaufgang gemacht. Das Wetter ist prächtig. Sicher wird es einen ereignisreichen Tag geben. Der Flieger hat seine Maschine
inzwischen wieder an den vorgeschriebenen Platz gebracht. Drüben auf dem Rasen sitzen seine Kameraden. Gerade will Luong dem Kompaniechef Meldung machen, als er sieht, daß Kien ihm ein Zeichen gibt. Erst jetzt sieht er Saus kleines Transistorgerät auf der Erde. „... kann nicht unseren festen Willen erschüttern, unsere Entschlossenheit, gegen die USA zu kämpfen, für das nationale Wohl unseres heldenhaften vietnamesischen Volkes. Je arroganter sie sind, desto schlimmer sind ihre Verbrechen ..." Luong erkennt sofort, daß der Präsident spricht. Seine Stimme ist ruhig, aber ungewöhnlich ernst Vorsichtig setzt der Flieger hinter seine Kameraden. Die Worte des „Onkels" sind klar, voller Wärme, legen die wichtigsten Aufgaben der Nation in dieser Stunde dar. „... der Krieg kann fünf, zehn, zwanzig Jahre oder noch länger dauern. Hanoi, Haiphong, viele Städte und Fabriken können verwüstet werden, das vietnamesische Volk wird sich dennoch nicht einschüchtern lassen. Nichts ist kostbarer als Unabhängigkeit und Freiheit..." Erregten Herzens nimmt Luong diese Worte in sich auf. „... für die Unabhängigkeit des Vaterlandes, für seine Verpflichtung gegenüber den Nationen im Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus sind unsere Armee und unser Volk eins, fürchten sie weder Opfer noch Entbehrungen, werden sie entschlossen bis zum vollständigen Sieg kämpfen ... Liebe Landsleute und Kämpfer ..." Luong ruft sich das Bild des „Onkels" ins Gedächtnis zurück, der eines Tages die Fliegereinheit besucht hat, mit seinen weißen, in die Stirn fallenden Haaren, seinen sanften fröhlichen Augen, dem flinken Gang, mit seinen einfachen, aus Autoreifen hergestellten Sandalen, im kastanienbraunen Anzug und der verblichenen Kihakijackc Die Rede des Präsidenten ist beendet. Es gibt für einen Kampfpiloten, der startbereit in seiner Ma-
schine sitzt, keinen heißeren Wunsch, als dem Feind entgegenzufliegen, ihn als erster zu erkennen und anzugreifen. Aber die Wirklichkeit nimmt nicht immer darauf Rücksicht. Jeder Kampf bringt tausend unvorhergesehene Dinge; keiner ähnelt dem anderen. Wie oft ist Luong an diesem Tag schon in seine Maschine gestiegen, um Minuten später wieder auf die Piste zu springen. Am Nachmittag erhält die Staffel einen neuen Startbefehl. Die Männer glauben, endlich die Gelegenheit zu haben, die Waffen sprechen zu lassen. Aber die Feinde entfliehen. Der Befehl lautet: Zurückkehren! Abends diskutieren die Männer der Vierten über neue Kampfmethoden. Es war ein unheilvoller Tag für die amerikanische Luftflotte. Raketenstationen, Flakeinheiten und Miliz haben sieben US-Flugzeuge über Nordvietnam abgeschossen. Im Süden ist ein amerikanisches Kriegsschiff von 10 000 t auf der Fahrt von Lach Tan nach Saigon auf eine Mine gelaufen und untergegangen. Die Siegesmeldungen, die der Rundfunk verbreitet, regen die Gespräche an und lassen die Zeit vergessen. Die Lampen sind gelöscht, Schweigen liegt über der Kaserne. Luong kann nicht schlafen. Ihm gehen die letzten Gespräche mit den Kameraden durch den Kopf. Manches zwingt zum Nachdenken. „Nichts ist kostbarer als Unabhängigkeit und Freiheit... Liebe Landsleute und Kämpfer ..." Luong weiß, daß diese Sätze unauslöschlich in sein Herz eingraviert sind. Der Kampf läßt die Erfahrungen eines jeden zum Gemeingut aller werden. Jeder trägt seinen Stein für den gemeinsamen Bau herbei. Und mit den Mauern wachsen auch die Menschen. Wer heute in diesen Kreis einbezogen wird, hat einen „höheren" Start als der, der gestern kam. Anders als Luong in vergangenen Jahren macht Toan in diesen Tagen seine Schritte. Und noch eins: Wer gegen den Feind kämpft, leistet einen wertvollen Beitrag, und mag er noch so klein sein, erfüllt den Auftrag von Partei und Armee. „Viele Winde gebären den
Sturm!" Wir kämpfen auf neue Art. Der Kleinere mißt sich mit dem Größeren, der Schwächere mit dem Stärkeren. Sein Mut, sein Scharfsinn, seine Geistesgegenwart, seine Gewissenhaftigkeit werden über den Angreifer, dessen Potential größer als das unsrige ist, triumphieren. Wir haben keinen anderen Weg; schon seit Jahrtausenden hat unsere Nation so um ihre Lebensrechte ringen müssen. Unser Kampf um Unabhängigkeit und Freiheit ist zum Lebensinhalt aller Vietnamesen geworden. Spät fällt Luong in den Schlaf. Mehrere feindliche Verbände fliegen den Südwesten von Hanoi an. Ein donnerähnliches Grollen erschüttert den Flughafen. Staffel auf Staffel zieht zum Start. Allen, die an der heutigen Einsatzbesprechung teilnehmen konnten, schlägt das Herz vor Freude höher. Luong und Toan stehen in ihrer Kombination neben der Piste und blicken den Freunden nach, die paarweise der Hauptstadt zustreben. Toan, der gerade zuschaut, wie die beiden letzten Maschinen, Schwalben gleich, hinter einer weißen Wolke verschwinden, meint: „Das ist heute ein Kampftag, wie er nicht besser sein könnte." „Ja, heute können die Kameraden der Raketenstationen, der Flak und der Selbstverteidigungseinheiten der Hauptstadt auf uns rechnen." Toan blickt auf seine Armbanduhr. „9 Uhr 20. Heute kommen sie früher." „In der Tat." „Hast du noch Bonbons, Luong? — Woran denkst du jetzt?" „Ach, an Hanoi." Er nimmt einige Bonbons aus der Tasche und reicht sie Toan. Den kleinen Gang sieht er vor sich, das Zimmer, das auf den Hof hinausgeht, das rosige Gesicht der jungen Vietnamesin, die mit umgehängtem Gewehr die Treppe hinuntereilt. Vielleicht ist in dieser Stunde der Lauf ihrer Waffe auf die Piratenflugzeuge gerichtet. Ach, er hat in den letzten Tagen nicht einmal
die Zeit gehabt, ein paar Zeilen an Tuyen zu schreiben. .. „Zweite Alarmstufe!" Luong und Toan erhalten den Befehl, zu einer Aufklärung im Luftraum des Flughafens zu starten. Minuten später schimmern ihre weißen Migs hoch über dem Platz. Luong kennt jede Straße auswendig, jede Baumgruppe, jeden Wasserlauf, jeden Hügel auf der Erde. Der Feind will nicht nur den Flughafen. Viele wichtige Objekte in seiner Umgebung locken ihn ebenso an. Der Luftraum ist weit, ohne Hindernis. Aber es fliegen zwei in großer Höhe, die es nicht zulassen, daß der Feind sich einschmuggelt, aus welcher Richtung er auch kommen, welche Tricks er auch anwenden mag. Wer einen solchen Auftrag zu erfüllen hat, merkt, daß das lange Studium an der Karte nicht umsonst war. Sie fliegen die für die Beobachtung vorteilhaftesten Bahnen. Luong braucht die Maschine nur ein wenig nach rechts oder links zu neigen, und unter seinen Augen breitet sich ein ihm wohlbekannter Abschnitt aus, der bis zur fernen Linie des Horizonts nichts verbirgt. Da ist die lange Spur der Hauptstraße, die Bahn mit der eisernen Brücke, der ruhig idahinfließende rötlichbraune Wasserlauf. Weiter im Hintergrund sieht man die Bogen der Betonbrücke, rote Dächer, die Leitungsmasten eines Bahnhofs und eine Maschinenfabrik, die erst vor einigen Jahren fertiggestellt wurde. Jetzt zieht Luong an der Bergkette vorbei, die in der Ferne bis in die Wolken hineinstößt. Die Berghänge sind in feuchte Schleier getaucht. Das sind die Verstecke und Schmuggelpfade der feindlichen Flieger. Luong und Toan prüfen sie sorgfältig. Eine flockige Wolke verbirgt die beiden weißen Flugzeuge. Toan liegt einmal rechts, dann wieder links hinter Luong, aber ihre Bewegungen sind ständig so, als würden sie in jeder Sekunde die Absichten des anderen erraten. Sie schicken sich an, zum Flughafen zurückzukehren. Noch einmal fällt Luongs Blick auf die schnurgeraden Hügel, eine dünngesäte Baumreihe, dann auf die spiegelnden Wasserläufe
des Deltas, die Kanäle und auf Hanoi im fernen Nebel... Jenseits des Da-FIusses versuchen Gruppen buntscheckiger F 105, die einen in den Wolken, die anderen in den breiten Tälern fliegend, den Flughafen der Migs zu erreichen. In der 4. Kompanie hatte man kürzlich bekanntgegeben, daß die USLuftflotte eine neue Elitestaffel eingesetzt habe. Den „Helden"chef dieser Staffel kennen alle amerikanischen Einheiten, die auf den Kampffeldern Vietnams eingesetzt sind. Es ist der General John Miller. Der betreßte Pilot, der drei Kriege mit viertausend Flugstunden hinter sich hat, den man den Mann mit dem „sechsten Sinn" nennt, soll in seinem Wortschatz den Begriff „Furcht" nicht kennen. Jedenfalls ging das aus einer Lobrede bedeutender Offiziere der amerikanischen Luftwaffe hervor. Dem alten Wolf ist der Himmel Südostasiens nicht fremd. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges lenkte er des öfteren seine „Fliegenden Festungen" gegen die von den Japanern besetzten Gebiete und kämpfte gegen ihre Flugzeuge von Lao Chai bis zum Golf von Tonking. Zwanzig Jahre danach kehrt John Miller noch einmal in den Luftraum Vietnams zurück. Jetzt ist er zum „Gott des Blitzstrahls" geworden. Täglich geleitet er von einem thailändischen Flughafen aus seine jungen Nachfolger gegen ein kleines Land, das fast keine Luftwaffe, keine nennenswerte Marine besitzt. Wie sein Präsident und sein Generalstab ist auch Miller der Ansicht, daß man dieses Land leicht zwingen kann, vor den „Thunderchiefs" und „Phantoms" zu kapitulieren. Inzwischen ist mehr als ein Jahr verflossen. John Miller hat längst feststellen müssen, daß die Piratenflüge in den nordvietnamesischen Himmel alles andere als Spaziergänge sind. Das Netz des Bodenfeuers wird immer dichter. Seine Piloten haben nicht nur Angst vor den Raketen und der Flak. Auch die Infanteriewaffen sorgten mehr als einmal für eine Gänsehaut. Wie oft überflogen sie schon Ortschaften, wo Tausende gut ver-
steckter Gewehre nur darauf warteten, das Feuer auf die amerikanischen „Heckenspringer" zu eröffnen. Auch die Begegnungen mit den Migs sind immer häufiger, und jeder Kampf mit ihnen mehrt die Furcht. Benachbarte Staffeln haben schon schwere Verluste gehabt. Viele Flugzeuge kehrten nicht mehr zurück; immer größer wird die Zahl der gefangen genommenen Piloten. Ein junger Pilot, einer von Johns Freunden, hatte hundert Einsätze hinter sich, seinen Militärdienst beendet und war in den USA seinem alten Beruf nachgegangen. Er heiratete. Aber sein Blut ließ ihm keine Ruhe. Die Vietnam-Prämie lockte. Er trat zum zweitenmal in den Dienst der amerikanischen Luftwaffe. Wenige Tage nach seiner Ankunft in Thailand stand er schon auf der Vermißtenliste. Seine Maschine wurde beim ersten Einsatz abgeschossen. Mitleid hat keiner seiner Kumpane mit ihm. Sie haben ihn alle für einen Idioten erklärt. Heute versteckt niemand mehr seine Ansichten. Nicht einer, der nicht offen zugibt, jeden Einsatzbefehl zu zählen, um möglichst schnell die Zahl 100 zu erreichen, die Flugkarte für die Heimkehr. Die Neueingetroffenen werden vom Gemütszustand der „Alten" angesteckt. Sie schimpfen bei jeder Gelegenheit, zu jeder Stunde. Es gibt Kommandeure, die ihren Fliegern raten, viel Bier zu trinken und Gitarre zu spielen. Das hebe die Moral. Und sie sind tatsächlich zu den Philippinen geflogen, um Bier und Instrumente zu kaufen. Nur John Miller hat diesen Unfug seiner Staffel nicht erlaubt. Er schärft seinen Piloten: eine Philosophie ein, die er aus seinen jahrzehntelangen Erfahrungen als Schlachtentümmler in den Wolken hergeleitet hat: Der Pilot, der angreift, überlebt! Er selbst nimmt den Steuerknüppel in die Hand, um seine Leute in die gefahrvollsten Kämpfe zu führen. Berühmt wurde seine Staffel nach mehreren Bombardements der Gebiete um Hanoi. Heute zählt Miller in seinen Kreisen fast zu den legendären Persönlichkeiten. Aber das alles befrie-
digt ihn nicht. Er will mehr. Überzeugt, daß es ihm an Kriegslist und brutaler Gewalt nicht fehlt — was Waffen und Technik anbetrifft —, hat er sich geschworen, dem Flughafen des Gegners einen fürchterlichen Schlag zu versetzen. Er will diese kleine, junge Luftwaffe zerschmettern, die es gewagt" hat. sich mit den „Piraten das Himmels", den ältesten und stärksten der Welt, zu messen. Das wird die Erinnerung sein, die er den Vietnamesen zurücklassen will, bevor er seinen Dienst endgültig beendet. Es soll die Krönung seines Kampflebens sein, Das allein ist der Grund, daß Miller an diesem Morgen — als sich die Maschinen der vietnamesischen Hauptstadt nähern — fünfzehn „Thunderchiefs" seiner Staffel gegen den Flughafen führt. Die Staffel hat den Befehl, das industrielle Zentrum in der Nähe der Migbasis zu bombardieren. Lediglich eine Gruppe, die nur Kugelbomben an Bord hat, soll den Flughafen direkt angreifen, seine Besatzung „hinwegfegen". Er selbst führt die Gruppe, die mit Raketen und Explosivgeschossen ausgerüstet ist. Sie wird den Migs einen harten Schlag versetzen. Einige Maschinen besitzen sogar sechs Zweizentimeterkanonen. Das wird ein Höllenfeuer geben. Die Bombergruppe soll die Migs zum Kampf herausfordern; er wird dann mit dem größeren Teil seiner Staffel aus dem Hinterhalt in das Gefecht eingreifen. Für diesen Streich hat Miller Piloten eingesetzt, die er besonders liebt: Kapitän Dean Allan, ein verschlossener Mann mit einem dichten Schnurrbart, kommt aus Westdeutschland. Und dann Leutnant Robert, sein „junger aufsteigender Stern", der lange Zeit in Japan war und den Kampf so heiß liebt wie das Hockeyspiel. „Kommandant John" — die Stimme von Dean dringt aus dem Empfänger —, „fliegen längs der Piste. Zwei Migs greifen an." „Gut — nehmen Sie Kampf auf!" „24, schwarze Wolke von links, 20 Kilometer." „Verstanden."
Luong hat gerade der Bodenstation geantwortet, als Toan ruft: „24, Feind am Ende der Piste!" Toan ist wirklich flink. Als Luong den linken Flügel neigt, bemerkt er über den Bergen vier graue F 105; sie liegen ein wenig höher als Toan und er. Der Gegner fliegt in zwei Gruppen. Während die eine — stets gleichen Abstand haltend — jetzt der Asphaltstraße folgt, die zu der kleinen Fabrik führt, wendet sich die andere zur Seite. Entweder wollen sie uns täuschen oder die eiserne Brücke angreifen. Im allgemeinen heißt es, fliegen die F 105 im gleichen Abstand, tragen sie auch Bomben. Kurz entschlossen befiehlt Luong: „Angriff auf die über der Straße fliegenden Maschinen." Luong wirft seine zusätzlichen Benzinbehälter ab und wendet sich scharf nach rechts. Er will auf alle Fälle die beiden Flugzeuge erreichen, die der Fabrik zustreben. Sekunden später liegt er am Feind — in Angriffsposition. Ein Druck auf den Abzug. Aber der Gegner hat die Maschine durchsacken lassen. Fast berührt sie die Erde. Die zweite F 105 läßt ihre Bomben fallen und entflieht. Aber das interessiert Luong jetzt nicht. Er bleibt an der ersten. „31. die beiden anderen Gegner abschneiden!'Zuerst sah es so aus, als ob sich dieser Gegner zur Eisenbahnbrücke wenden würde. Aber plötzlich ziehen beide Flugzeuge hoch, um den Rücken der Migs zu gewinnen. Toan, der bis jetzt neben Luong flog, ist schneller. Er reißt seine Maschine hoch; zwei weiße Rauchfahnen stehen hinter der Mig, als wolle sie sagen: „Ich bin da!" Geschoßbahnen glühen rot auf, Luong klammert sich an das feindliche Flugzeug, über Straßen, Hügeln, Reisfeldern. Ob der Verfolgte steigt oder fällt, Luong weicht keinen Zentimeter. Versucht jener abzuschmieren, versperrt ihm die Mig den Weg. Luong schießt einmal, zweimal. Der Gegner ist zu schnell. Die Geschosse gehen vorbei. Noch einmal! Eine rote Traube dringt in das Heck der feindlichen Maschine. Sie verliert das Gleichgewicht und stürzt
nach unten. Luong will hinter ihr her. „24, dringend abdrehen!" Das ist die Stimme Kiens: „Nach rechts, dringend nach rechts!" Ein Schrei ist die Stimme. Zum Denken hat Luong keine Zeit. Mit zusammengebissenen Zähnen zieht er den Steuerknüppel an sich. Ein grüner Blitz stürzt sich von hinten auf die Mig. Zwei weitere Feuerstöße. Eine Sekunde lang flattern die farbigen Leuchtstoalen des Armaturenbretts vor Luongs Augen, tanzen hin und her. Sein Blick faßt wieder die Navigationsgeräte und verliert sie von neuem. Doch die Mig steigt immer noch. Jetzt fühlt sich Luong in Sicherheit. Seine Maschine ist angriffsbereit. Nur der Druck hat zugenommen, wie eine Steinlast, die sich auf die Wirbelsäule legt und die Brust einengt. Sicher ist aus seinem Anzug Luft entwichen. „Ich habe zu stark an die Verfolgung gedacht und den Gegner hinter mir vergessen." Als er den Kopf wendet, bemerkt er ihn. Drei, vier F 105 — sie müssen soeben aufgekreuzt sein — verfolgen ihn. Mehrere Maschinen, links von Luong, stürzen sich auf Toans weiße Mig. Auf der anderen Seite des Flughafens nähert sich eine weitere Gruppe. Es sind drei Flugzeuge, die im Keilverband ständig ihre Höhe ändern, die Richtung jedoch beibehalten. „Ihr denkt, uns so anfliegen zu können, nicht wahr?" Haß und Unwille bemächtigen sich Luongs. Tief unten, hinter einem Hügel, werden kleine Rauchwölkchen sichtbar, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Punkte. Unsere Flak kämpft mit. Durch das Eigengeräusch der Maschine hat Luong die Abschüsse kaum wahrnehmen können. Nun bersten schwarze Trauben zwischen den Feinden, die ihn abfangen wollen. Das wird ja noch interessant werden! „24, Achtung, Verfolger!" Luong reißt den Steuerknüppel herum. Zwei Gegner stoßen an ihm vorbei. Die beiden anderen hängen wie Kletten an Luong, schießen. Tausende rote Punkte bewegen sich langsam auf die
Mig zu: Geschosse der sechs Zweizentimeterkanonen. Sie haben Munition im Übermaß. Daher drücken sie auf den Knopf, auch wenn sie noch weit von ihrem Ziel entfernt sind. Luong erhöht die Geschwindigkeit und steigt. Die roten Punkte haben sich in Strahlen verwandelt, ziehen wie leuchtende Streifen hinter Luong her, folgen dann einer gekrümmten Flugbahn und verlöschen. Noch eine Wendung, und Luong liegt jetzt fast hinter den beiden bisherigen Verfolgern. Vielleicht ahnen sie nichts Gutes. Sie entfernen sich schnell, rote Streifen hinter sich lassend. Luong steigt. Als er sich umblickt, sieht er, wie einige Maschinen ihn vergeblich anzugreifen versuchen. Sie sind in das Feuer der Flak geraten. „24, greifen Sie die beiden Flugzeuge an, die sich dem Heck von 31 nähern!" Das ist Toan, der gerade einen Feind verfolgt, aber zwei andere Gegner an den Fersen hat. „31, sofort hochziehen!" Luong kann im letzten Augenblick seinen Freund warnen. Schießend stürzt er sich auf die Verfolger. Die beiden F 105 schwenken nach links und rechts ab. Gerettet! Luong stößt auf Toan, der inzwischen auf gleicher Höhe ist. Er lacht vor Freude. Hintereinander fliegend, ziehen die beiden leuchtenden Migs hoch, um im gegenseitigen Schutz dem Flughafen zuzusteuern. Das Dutzend feindlicher Maschinen ist in alle Richtungen zerstreut, aber unter ihnen fliegen noch drei F 105, die anscheinend die Verfolgung bis zum Schluß fortsetzen wollen. Aus der Richtung des Flughafens jagen zwei weitere Gegner den beiden Migs entgegen. Sie schlängeln sich geschickt durch die Explosionswolken der Abwehr. Vor den Schutzräumen unweit der Piste stehen die Kameraden und richten ihre Augen auf den Himmel. Die dröhnenden Düsenaggregate und die betäubenden Explosionen der Flak erschüttern Himmel und Erde. Unaufhörlich bersten die Geschosse der Abwehr über ihren Köpfen. Selbst auf die Piste
fallen die Splitter wie ein Platzregen. Den Männern am Boden bleibt fast das Herz stehen, als sie sehen, daß Gruppe auf Gruppe, daß eine ganze feindliche Horde gekommen ist, um die beiden Migs zu verfolgen, als wollten sie sie lebendig auf dem Schlachtfeld verschlingen. Ngo sitzt mit seiner Mechanikergruppe auf dem Rand eines Schutzgrabens, ballt aufgeregt seine Fäuste. Er hält den Atem an, als er sieht, wie Luong jeder Rakete und jeder Salve auf sein Heck ausweicht — und kann selbst nicht helfen. Ngo möchte auf den Platz springen und schreien. Der Kampf will kein Ende nehmen. Jetzt fliegen die beiden Migs gemeinsam, können sich wenigstens gegenseitig ein wenig schützen. Der Feind stürzt von vorne und hinten auf sie. Selbst die Geflüchteten kehren zurück, um sich an der Einkreisung zu beteiligen. ,.Achtung, Achtung, hinten rechts zwei weitere Maschinen!" schreit Ngo. Als ob Luong und Toan ihn hören könnten! Ununterbrochen starrt der Mechaniker auf die beiden weißen Punkte, die, schnell und ständig die Höhe wechselnd, dem Flughafen entgegenjagen. Die Flak ist ein guter Gefechtspartner. Kaum sind die Migs aus ihrem Zielfeld heraus, kreisen schwarze Explosionen den Feind ein, schneiden seinen Weg ab, sprengen seinen Verband. Aus allen Gräben, von den Feldern her richten sich Infanteriewaffen auf die Tiefflieger. Einige Gegner haben in ihrer Verwirrung die Kugelbomben über den benachbarten Hügeln ausgelöst. Die erste Mig zieht über den Flughafen, gefolgt von einer F 105. Die zweite dreht in rasendem Flug ab, um drei weitere Maschinen abzufangen und sie zu den Flakstellungen hinter den Hügeln herüberzuziehen. Ngo sieht auf. Er weiß nicht, ob es Luong oder Toan ist, aber die Mig stößt noch immer auf die Piste zu, und immer noch ist der Feind hinter ihm, als wolle er auf diese Partie nicht verzichten. Noch 1000, 800, 500, 300 Meter! Wie ein Pfeil jagt die
Mig heran. Jetzt erkennt Ngo die Nummer der Maschine, ja, selbst den Piloten in der Kabine: Es ist Toan. Der Mechaniker ballt die Fäuste, daß sie schmerzen. Der Amerikaner wagt nicht mehr, der tollkühnen Mig zu folgen. Er reißt seine Maschine hoch. Toan hat fast die Köpfe der Männer berührt. Die Mig gleitet in geringer Höhe über die Piste. Heiße Luftströme brennen auf Ngos Gesicht. Fast senkrecht zieht jetzt Toan vom Beton hoch. Ngo möchte vor Freude aufspringen: Die Mig liegt jetzt hinter dem Gegner, der in Bruchteilen von Sekunden zum Gejagten wurde. Verwirrt sucht er sein Heil in der Flucht. Er kann nicht entkommen! „Es ist aus", jubeln unten die Mechaniker. Die Mig scheint fast auf der feindlichen Maschine zu liegen. Immer noch will diese nach links oder rechts Raum gewinnen, versucht zu fallen, zu steigen. Die Mig läßt nicht los. Unsicher wird der Flug des Gegners; er gerät in Panik. Da schießt Toan. Ein schwarzer Fetzen lest sich aus dem Rumpf der F 105. Weitere Teile, fünf, sechs, wirbeln durch die Luft, fallen entfernt auf die Piste. Die Männer auf dem Platz toben vor Begeisterung. Noch einmal versucht der Feind, sich von seinem Gegner zu lösen. Toan erlaubt keinen Meter. Wieder sprechen die Bordwaffen. Die F 105 fängt Feuer und stürzt wie eine Fackel in die Tiefe. Von einem Feld in der Ferne erhebt sich eine tiefschwarze Rauchfahne. Der amerikanische Kommandant kann seine Wut kaum zügeln. Diese Migteufel, diese verdammten Flakbatterien! Der Kampf hat gerade begonnen, da schreit Dean Allan schon: „Kommandant, ich bin getroffen!" Miller stürzt auf die Mig, die seinen Freund verfolgt, und gibt Befehl an Robert: „Maschine angreifen, die ich bisher verfolgte!" „Jawohl, Kommandant, wird heruntergeholt." In diesem Augenblick ist Miller noch der Ansicht, daß das Abschießen der Mig vor ihm ebenso einfach ist wie das Bedienen eines Fahrzeugs. Immer noch bedrängt sie Dean, ohne zu
wissen, daß der Tod sie von hinten belauert. Miller schießt zwei Stabraketen ab, obwohl die Entfernung noch ziemlich groß ist. Eine weitere Maschine seiner Staffel feuert ebenfalls. Blaue Streifen zucken wie Blitze der Mig entgegen. Aber da geschieht etwas für Miller Unbegreifliches: Die Mig hat überraschend gewendet; die tödlichen Geschosse jagen vorbei. Ach, das ist nur Zufall. Früher oder später ist es um sie geschehen! „Dean, wie geht es dir?" „Bin am Heck getroffen." „Kehr zurück, los, kehr zurück!" John Miller drückt weiter auf die Mig, befiehlt gleichzeitig der Staffel auf der anderen Seite des Flughafens, seinen hartnäckigen Gegner abzufangen. Die Mig weicht allen Schüssen aus. Nordvietnam scheint jetzt ganz qualifizierte Piloten zu haben, denkt Miller. Vielleicht ist das sogar ein „As". Das wäre wirklich verdienstvoll, einen solchen Gegner abzuschießen! Der amerikanische Kommandant will die Mig zerfetzen. Sie hat Robert getötet, ohne daß er etwas dagegen tun konnte. Daß diese elenden Batterien noch immer schießen! Sie bringen die ganzen Staffeln durcheinander! Wütend schreit John: „Dritte Staffel, greifen Sie endlich die Geschütze auf den Hügeln an!" Der Kommandant beißt die Zähne zusammen; sein Gesicht ist schweißüberströmt. Er liegt dicht an der Mig. Fünf- bis sechsmal hat er geschossen, aber immer vorbei. Er weiß jedoch aus Erfahrung, daß es bei solch wilden Verfolgungen immer einen Augenblick der Schwäche des Gegners gibt. Eine Sekunde nur, aber die genügt. Jetzt ist es soweit! Die Mig kippt über den linken Flügel ab, um einer Salve zu entgehen, gerät aber erneut in das Schußfeld des Verfolgers. Der Kommandant schreit vor Freude auf und drückt auf den Hebel: Sechs Feuenstrahlen stößt die Nase, seiner Maschine aus. Getroffen! Getroffen! Mit fast unvorstellbaren Flugbahnen kann sich Luong den Raketen und automatischen Waffen entziehen. Jeden Augen-
blick glaubte er, die feindlichen Geschosse würden seine Maschine treffen. Doch immer wieder huschte er am Tod vorbei. Der Gegner verliert allmählich die Lust. Jetzt verfolgt ihn ein ganz Starrköpfiger wie ein Blutsauger. Er scheint Luong der gefährlichste zu sein. Dabei hat er noch keinen Schuß abgegeben. Im Zickzackflug gelingt es Luong, seinen Gegner von den übrigen F 105 hinwegzuziehen. Warte nur ein wenig, denkt er. Bald wirst du es mit mir zu tun haben! Luong will wenden, aber eine Geschoßgarbe zwingt ihn, die Maschine zu drücken. Die Mig zittert, als hätte sie einen Schlag getroffen. Nun hat mich der Schurke doch getroffen, denkt Luong. Jetzt muß die Mig auseinander fliegen! Luong bewegt die Hand am Knüppel. Die Steuerung funktioniert. Mit größter Geschwindigkeit jagt er in die Tiefe. Die Maschine folgt jedem Kommando. Da reißt Luong sie erneut hoch. Fast auf dem Rücken liegend, stellt er fest, daß der Gegner ihm nicht folgen konnte. Warte, denkt er. Nun bist du an der Reihe! Schnell gewinnt die Mig an Höhe. Die F 105 liegt genau vor ihm. Ein Knopfdruck, die Bordkanonen bellen. Luong sieht, wie das Geschoß ein Loch, groß wie eine Mütze, in den Flügel der feindlichen Maschine reißt. Der Amerikaner versucht, sich im Sturzflug zu retten. Luong will ihm folgen, erkennt aber im letzten Augenblick, daß vier bis fünf weitere F 105 herbeistürzen, um der ersten zu helfen. Da zieht er hoch, um die Gruppe zu stellen. Die durchlöcherte F 105 gerät aus dem Gleichgewicht. Dem amerikanischen Kommandanten läuft der Schweiß über den Rücken. Nur zurück, denkt er. Vor ihm bersten Trauben von Flakgranaten. Die Haare sträuben sich ihm. Er hat das Gefühl, als rasten in seinem Kopf Pferde, zügellose Pferde. Schneller, schneller! Aus diesem Feuerkessel hinaus! Er versucht, die Geschwindigkeit zu beschleunigen, will höhergehen, aber es scheint, daß das Flugzeug erneut von einem Peitschenhieb getroffen wurde. Es wankt, neigt sich zur Seite. Da bricht Feuer in das Cockpit ein. Mit letzten Kräften gelingt es Miller, den
Schleudersitz auszulösen. Schwarzer, erstickender Rauch schließt ihn ein. Zu spät öffnet sich der dunkelgelbe Nylonfallschirm knisternd über ihm. Der vom Winde hin-und hergerissene Beutel kann sich nicht mehr entfalten. Wie ein Stein stürzt Miller auf die rissige Erde. Eine brennende Fackel bohrt sich zehn Kilometer weiter in ein Reisfeld. Die Bodenabwehr schießt ununterbrochen. Von seinem Sitz wirft Luong einen schnellen Blick nach unten, sieht inmitten der Felder, auf den Hügeln, längs des Wasserlaufes, überall das Aufblitzen der Abschüsse, dem Schein elektrischer Schweißgeräte ähnelnd. Unzählige Lichtpunkte steigen in den Himmel, verwandeln sich in schmale Streifen, die wie Schwerthiebe in die völlig verwirrten Einheiten der Feinde fallen. Aus dem Luftraum des Flughafens stößt Toan auf Luong zu, der einigen F 105 hinterher]agt. Sie wollen sich davonmachen, da hat Luong die erste erreicht. „Schieß nicht auf den, greif lieber rechts Nr. 4 an!" Luong folgt der Anweisung. Das war Toans Stimme. Der Freund deckt ihn. Jetzt liegt Luong genau über der feindlichen Maschine; er könnte die Nieten auf den Flügeln zählen. Ein Druck auf den Abzug — nichts! Noch einmal stemmt er seine Faust gegen den Auslöser. — Nichts! Er hat keine Munition mehr! Ist das ein Pech! Mit Vollgas macht sich die F 105 aus dem Staube. Der Kampf ist beendet. Fast ist der Himmel leergefegt. Die vier letzten Maschinen des Gegners ziehen sich in Richtung des Flusses zurück. Die beiden Migs wenden sich dem Flughafen zu, verringern ihre Höhe und fliegen die Piste entlang. Mit schaukelnden Flügeln begrüßt Luong die Erde. An seiner Seite scheint Tuon mit seiner Maschine tanzen zu wollen, so groß ist seine Freude. Unter ihnen aber eilen alle Männer des Flughafens auf den Beton, winken in einem wahren Taumel mit Händen, Taschentüchern und Hüten.
Hans Siebe
Der zweite Schuß
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Hauptwachtmeister Schmidt erzählt
Das war bisher mein seltsamster Fall. Oder finden Sie es nicht seltsam, wenn auf ein Flugzeug geschossen wird, das gerade Schädlingsbekämpfungsmittel streut? Ich jedenfalls konnte mir einfach nicht vorstellen, was der Täter bezweckt hatte. Wollte er den Piloten töten, sich für irgend etwas rächen? Es war eine ziemlich harte Nuß, die wir diesmal knacken mußten.
Unsichtbare Brücken Ein Vietnam-Bericht von Madeleine Riffaud Tausende von Wasserläufen durchziehen den Norden Vietnams, Tausende von Brücken sind nötig, um die Verbindung zwischen allen Teilen des Landes zu sichern. Brücken, Straßen und Schienenwege sind nach wie vor Hauptziele der US-Bomber über der Demokratischen Republik Vietnam. Aber ebenso wie Fabriken. Schulen und Krankenhäuser machen auch die Verbindungswege „so tan": Sie werden für den Feind unsichtbar, ohne daß der normale Verkehr seinen Ablauf unterbricht. Die bekannte französische Journalistin Madeleine Riffaud versucht in ihrem Bericht etwas von dem wiederzugeben, was dieses „vietnamesische Wunder" kennzeichnet: das Lächeln eines Greises, das Flötenspiel inmitten einer Bombennacht oder auch der ,,Reis der drei Monde", eine dritte, zusätzliche Ernte. Aus dem Französischen • Mit 32 Fotos " 312 Seiten Ganzleinen 7,80 M
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Darf ich mich vorstellen: Erwin Koberlink, Ingenieur im Chemiefaserwerk Ketschendorf. Das heißt, eigentlich bin ich nur Koberlinks Schatten. In Wahrheit heiße ich nämlich Axel Prüfer und arbeite als Vertreter in der Chemieklitsche meines Schwagers Paul, die in der Lüneburger Heide liegt. Weil ich dem echten Koberlink wie aus dem Gesicht geschnitten bin, soll ich für ihn in einem mecklenburgischen Dorf vierzehn Tage Ferien machen. Ich bin nicht sehr begeistert, aber schließlich bringt das krumme Geschäft für mich auch was ein. Hätte ich doch bloß geahnt, welche aufregenden Erlebnisse mich erwarten, daß wichtige Unterlagen verschwinden, Koberlinks Verlobte plötzlich auftaucht und ich mich in Inge verlieben würde ...
Hans Siebe
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