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C.H.CUENTER
Gefährliche Reise
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
Im März des Jahres 1929 flog ein weißer Stor...
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C.H.CUENTER
Gefährliche Reise
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
Im März des Jahres 1929 flog ein weißer Storch von Afrika, wo erden Winter verbracht hatte, nach Norden. Über dem Schweizer Hochgebirge geriet er in starke Gegenwinde. Um sich auszuruhen, ging er auf einem mit Neuschnee bedeckten Berghang nieder. Durch die Berührung seiner Beine trat der Storch eine Lawine los. Sie donnerte zu Tal, verschüttete den in diesem Augenblick vorbeifahrenden Expreß Zürich-Mailand, und riß ihn in die Tiefe. Alle Fahrgäste wurden getötet. Darunter auch eine hochschwangere Amerikanerin. Sterbend schenkte sie einem Sohn das Leben. Das wimmernde Baby wurde gerettet. Es bekam den Namen Roy Randolf Hackett. Vierzig Jahre später versetzte er die Welt in Angst und Schrecken. Von da ab nannten sie ihn Nero.
1. Auf dem Schreibtisch des Kommissars läutete das Telefon. Durch seinen scheppernden Ton gab es zu erkennen, daß es dreißig Jahre alt war. Der SûretéBeamte brachte das Gerät, Baujahr 1950, durch Abheben in Funktion. »Wir haben ihn«, meldete der Anrufer. Der Tag hatte so friedlich begonnen, mit Sommersonne am blauen Himmel, mit Aussicht auf ein erholsames Wochenende, und nun das. 3
»Bist du sicher?« vergewisserte sich Manson. Der Anrufer lachte nur. »Wie lange bin ich auf ihn angesetzt, Kommissar? Von allen Kollegen in Europa und Übersee bin ich am längsten hinter ihm her. Diesmal gehört er uns. Diesmal geht er mir in die Falle. Und er weiß nichts von einer Falle.« »Noch nicht«, bemerkte der Kommissar. »Nur du und ich wissen davon. Wer sollte es ihm stecken.« »Sein siebter Sinn.« »Inzwischen ist er fünfzig. Da läßt die Sensibilität nach.« Der Kommissar räusperte sich. »Du bist auch fünfzig«, antwortete er seinem Kollegen. »Also sieh zu, daß du ihn nicht verlierst.« Wieder lachte der andere. Über sein Lachen hinweg vernahm man Geräusche, wie sie nur auf einem internationalen Flughafen entstanden. Es war ein bestimmter Lärmpegel mit Lautsprecherdurchsagen, in denen oft die Worte ›Fluggäste‹ und ›Flugsteig‹ vorkamen. »Er ist noch gar nicht da. Er kommt mit der Concorde aus Rio.« »Du weißt, was du zu tun hast«, sagte der Kommissar. »Dranbleiben, bis du ganz sicher bist. Dann besorge ich den Haftbefehl. Also, halte mich auf dem laufenden. Ich bin im Büro.« »D’accord!« rief der Beamte draußen am DeGaulle-Airport. Der Kommissar legte auf, trat ans Fenster und 4
blickte vom Quai des Orfèvres über die Seine. Es war, als verdunkle eine Wolke schlagartig ganz Paris. * Einer der achtzig Passagiere, die den Überschall-Jet aus Südamerika verließen, war groß, grauhaarig, mit grauschwarzem Bart um Mund und Kinn. Er kleidete sich wie ein Globetrotter, der nichts anderes tat, als um die Welt zu reisen und Abenteuer zu suchen, dies aber mit einer Spur von Eleganz. Sein hellbeiger Leinenanzug verriet mehr die Hand eines Maßschneiders als die des Zuschneiders einer Kleiderfabrik. Seine Schuhe waren gut eingelaufene Treter jenes Modells, das man ›Budapester Blatt‹ nannte, nicht altmodisch, auch nicht modern wie College-Slipper, aber zweifellos haltbarer, wenn es darum ging, sie Strapazen auszusetzen. Ein Mann, der nur ein paar Schuhe auf Weltreisen mitnahm, hätte sich kaum für ungeschnürte Schlüpfer entschieden. Der Ankömmling aus Rio trug ferner einen sportlichen Popelinehut, einen mittelgrünen BurberryRegenmantel, in den noch das Winterfutter geknöpft war, und eine umfangreiche Tasche aus Sattelleder. Wer seinen Reisebedarf richtig auswählte, brachte in dieser Tasche alles, was er für Monate brauchte, unter. Zweifellos kam er dann etwas angestaubt zurück, aber auf keinen Fall hob er sich an schweren Koffern diverse Brüche. 5
Diesen Mann nun, der mit weltmännischer Lässigkeit durch den Zoll kam, hielt der SûretéInspektor Lasalle für den meistgejagten Verbrecher dieses Jahrzehnts. Er folgte ihm unauffällig. Erst schlenderte er zur Cafeteria und nahm dort einen Weißwein. Zwischendurch telefonierte er. Dann verließ er das Flughafengebäude und winkte einem Taxi. Der Verfolger hatte Glück. Bis zur Autobahn hatte er das Taxi wieder eingeholt. Während er ihm nach Paris hinein dicht auf den Fersen blieb, fragte er sich ein ums andere Mal, ob er etwa träume. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit, daß sich dieser Mann zum Gare St. Lazare bringen ließ. Als er dort auch noch den Zug nach Le Havre nahm, war der Inspektor ein wenig ratlos. Bis zur Abfahrt des Zuges an die Kanalküste hatte er noch sechs Minuten Zeit. Rasch rief er sein Büro an. »Du glaubst es nicht«, meldete er dem Kommissar, »er benutzt die Eisenbahn.« »Warum nicht, wenn er der ist, für den du ihn hältst, dann ist er überall zu Hause und auf alle Transportmittel, vom Amazonasdampfer bis zum Jet, eingespielt. Möglicherweise fährt er gern mit der Eisenbahn. Schließlich wurde er auch im Alpenexpress geboren.« »Gerade das stinkt doch nach einer Finte,« »Vielleicht irrst du dich und er ist es gar nicht. Zugegeben, die Eisenbahn ist wirklich verdammt kleinbürgerlich.« 6
»Ich werde ihm folgen.« »Meine Erlaubnis hast du. Sieh zu, daß er dir nicht entwischt.« »Keine Bange. Ich sehe ihn von hier aus im vierten Wagen sitzen. Würdest du bitte Degrelle in Le Havre unterrichten. Ich brauche dort einen Wagen.« »Wird erledigt.« »Und wie steht es mit dem Haftbefehl?« »Ist in Arbeit.« »Ich melde mich.« »D’accord«, sagte der Kommissar. * Kommissar Manson betrat das Büro des Staatsanwaltes. »Der Maître ist schon weg«, hieß es. »Eine Konferenz in Châlon.« Da wußte der Kommissar sofort Bescheid. Die Konferenz fand nicht in Châlon statt, sondern in Ecury auf der anderen Marneseite. Sie fand ferner nicht in einem Büro, sondern mitten im Wald statt, denn es handelte sich gar nicht um eine Konferenz, sondern um einen Jagdausflug. Der Staatsanwalt hatte dort Besitz und galt als leidenschaftlicher Jäger. »Und sein Stellvertreter?« erkundigte sich Manson. Der Kommissar wurde vorgelassen. Der Stallwächter, wie der Staatsanwalt vom Wochenenddienst allgemein hieß, war ein junger Assessor, der jedem Problem aus dem Wege ging. Wahrscheinlich 7
stand seine Beförderung vor der Tür. Er fragte umständlich: »Und wer ist dieser…«, er schaute auf das Blatt mit dem schriftlichen Antrag, »… wer ist dieser Roy Hackett?« »Man nennt ihn Nero, Monsieur.« »Amerikaner?« »Er steht weltweit in allen Fahndungslisten obenan.« »Woher wissen Sie, daß er nach Frankreich kommt?« »Wir bekamen einen Tip. Erst aus Melbourne, dann, aus Rio.« »Warum faßte man ihn dann nicht in Rio, in New York oder in Melbourne, wenn er so viel umherreist.« »Weil man bisher nicht ganz sicher war, Monsieur.« Der junge Assessor warnte den erfahrenen Kommissar mit einer Zeigefingerbewegung. »Sehen Sie, Manson, diese Leute sind vorsichtiger. Haben wir Beweise, daß er der Gesuchte ist?« »Es gibt zentnerschwere Akten, Herr Staatsanwalt.« »Ich frage nicht nach Akten, sondern nach Beweisen.« Jetzt zögerte der Kommissar. »Mein Inspektor klebt an ihm. Nero wird sich gewiß eine Bloße geben.« »Eine Blöße, heute, wo er auf der Höhe seines Könnens ist, wie ich vermute?« 8
»Wir nehmen an, daß er irgendwo an der Küste ein Haus mietete oder besitzt. Dort muß es Unterlagen geben. Es ist unmöglich, ein derart abgeschottetes Doppelleben zu führen, ohne von einem Leben in das andere wenigstens winzige Spuren mit hinüberzunehmen.« »Dann besorgen Sie entsprechende Unterlagen, Kommissar.« »Dazu brauchen wir den Haftbefehl.« »Geht es nicht mit einer Durchsuchungsgenehmigung?« Manson schluckte. Er war enttäuscht. »Ich will es versuchen.« Aber schon zögerte der Reservestaatsanwalt, als sei er weiter gegangen als er riskieren durfte. »Eh bien, bringen Sie mir irgend etwas das beweist, daß dieser Mann der Gesuchte ist. Dann unterschreibe ich, was Sie wollen. Übrigens, was wirft man ihm denn vor?« »Nero?« fragte Manson erstaunt, als gebe es außer diesem Assessor keinen Menschen bei Polizei und Justiz, für den Nero nicht eine Horrorgestalt darstellte. Aber Ahnungslosigkeit war das typische Merkmal dieser Disco-Generation. Manson versuchte es in ein paar Sätze zu fassen. Um die nötige Wirkung zu erzielen modelte er Verdachtsmomente in Fakten um. »Wer glauben Sie, Monsieur«, fragte er, »hat in Wirklichkeit Männer wie Lumumba, Che Guevara, Kennedy, Luther King und den Grafen Bernadotte umgebracht?« 9
Der Staatsanwalt hob die Brauen. »Und wer, bitte, war es?« »Nicht die Fanatiker, die man allgemein damit in Zusammenhang brachte. Es waren Killer mit Waffen, mit Bomben, mit Gehirnen, die sich diese Coups ausdachten, und mit geschulten Händen, die die Waffen auslösten. – Und natürlich mit Auftraggebern im Hintergrund.« Der Assessor klopfte mit dem Kugelschreiberende auf die Tischplatte. »Kommt Ihr Monsieur Nero dafür in Betracht?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Monsieur.« »Wie viele Fingerbreiten fehlen auf einen Meter?« Der Kommissar zuckte mit der Schulter. »Dann«, fuhr der Jurist fort, »könnten Sie ebensogut auch behaupten, Nero habe Hitler umgebracht.« »Daß er an einem Attentat auf ihn beteiligt war, ist gar nicht so abwegig, Monsieur.« Der Staatsanwalt steckte sich eine Gitanes an. »Aber zwei Fingerbreit von der Wahrheit entfernt, das werden Sie einräumen müssen, Manson, ist noch nicht die reine Wahrheit.« »Wir suchen sie ja. Wir suchen sie händeringend«, entgegnete der Kriminalbeamte verzweifelt. »Aber Sie bekommen sie nicht durch Manipulation unserer Rechtsvorschriften«, zischte der Assessor. Kommissar Manson stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch des Reservestaatsanwaltes und bekniete ihn schier. 10
»Monsieur«, sagte er, »dieser Mann ist nach Interpol-Ermittlungen in den letzten Wochen überaktiv geworden. Nach meiner Erfahrung mit solchen Verbrechern steht sein nächster Schlag unmittelbar bevor. Angenommen, er ermordet den Staatspräsidenten oder eine führende Persönlichkeit im Osten, was dann?« Die Augen des blassen Staatsanwaltes verengten sich sichtbar. Dann schloß er die Lippen und öffnete sie rasch wieder. »Kommen Sie am Montag noch einmal.« »Dann kann es zu spät sein, Monsieur.« »Bleiben Sie am Mann, beobachten Sie ihn, bringen Sie mir ein wenig mehr als das, was Sie heute brachten. Ich bin für Sie Tag und Nacht erreichbar, aber ohne handfeste Fakten kein Haftbefehl.« Manson versuchte es erneut. Doch der Staatsanwalt schnitt ihm das Wort ab. »Au revoir, Kommissar Manson!« Im Hinausgehen dachte sich Manson böse Beschimpfungen für den Staatsanwalt aus. Im Lift war seine Wut verraucht und kalter Professionalitat gewichen. Diesen jungen Spunden, denen sollte man es gleich im Anfang richtig zeigen. Er würde sich an eine höhere Instanz wenden, vor der sie alle Manschetten hatten, an eine Instanz, die direkten Draht zum Innenminister hatte. Der Minister würde diesen Scheiß Juristen antreten und kurz mal strammstehen lassen. Kommissar Manson beschloß, seinen Kontaktmann beim SDECE beim französischen Geheimdienst anzurufen. 11
In Rouen, halbwegs zwischen Paris und Le Havre, verköstigte sich Inspektor Lasalle mit einem Schinkenbrötchen und einem Bier. Das Brötchen war gummiartig, das Bier zu kalt. Als er wieder einstieg, war der Mann aus Rio verschwunden. Lasalle suchte die Abteile ab, die Toiletten und den nachfolgenden Waggon. Bevor der Zug anruckte, sprang er ab und eilte zum Bahnhofsvorplatz. Nichts von Nero zu sehen. Am Boulevard Gambetta schnappte er sich das erstbeste Taxi. Er setzte sich neben den Fahrer und zeigte seine Polizeimarke. »Wie viele Wagen standen vor Ihnen als der Schnellzug aus Paris einfuhr?« »Zwei, Monsieur.« »Ist ein Mann…«, Lasalle gab die Beschreibung, »eingestiegen?« »Mit Sicherheit nicht, Monsieur. Nur eine junge Frau und ein älteres Ehepaar mit ’ner Masse Koffer.« »Sind Sie sicher?« »Ich bin insofern ganz sicher«, erklärte der Taxifahrer, »weil der Mann, den Sie beschrieben, einsachtzig, graues Haar, Bart, Trenchcoat und dunkelbraune Reisetasche hier vorbeikam.« »Und das sagen Sie jetzt erst. Sie haben Nerven! Wohin ging er?« Der Fahrer deutete Richtung Innenstadt. »Los, hinterher!« Der Fahrer schaltete geruhsam erst die Uhr, dann glühte er den Diesel vor, ließ an und setzte seinen 504 endlich in Bewegung. 12
Sie fuhren bis zum Erzbischöflichen Palais und dort durch die Gassen. Immer wieder ließ der Inspektor anhalten, warf einen Blick in die Bistros, kam heraus und fluchte jedesmal. »Er hat sich verdammt nochmal verdünnisiert. Jetzt zum Justizpalast!« Als sie dort ankamen, mußte der Taxifahrer warten. Wenige Minuten später verließen mehrere Polizeifahrzeuge die Einfahrt des Präsidiums. Bald kam auch Inspektor Lasalle wieder. »Zum Bahnhof!« rief er. Der Taxifahrer gähnte. »Aber beeilen Sie sich. Ich möchte den siebzehn Uhr fünfunddreißig nach Paris noch kriegen,« »Ist er Ihnen entwischt?« fragte der Taxifahrer überflüssigerweise, was Lasalles Stimmung eher noch verschlechterte. »Man riegelt die Ausfallstraßen ab. Die nach Honfleur, nach Le Havre, Beauvais und Abbeville. Per Anhalter geht nichts, nichts per Taxi und nichts per Mietwagen.« Daraufhin grinste der Taxifahrer verschmitzt. »Eines haben Sie vergessen, Monsieur.« »Rouen besitzt keinen Flughafen, wenn ich recht im Bilde bin.« »Richtig, Monsieur, aber einen Flußhafen.« Nun fluchte Lasalle ausgiebiger als je zuvor. Eine ganze Kolonne von Flüchen stieß er heraus. »Teufel, das haben wir übersehen. Und ein lausiger algerischer Taxifahrer muß uns darauf stoßen. Los, zum Hafen!« 13
»Dann versäumen Sie aber den Siebzehnfünfunddreißig«, erwiderte der kaffeebraune Fahrer voll stiller Genugtuung. »Meine Sache, oder?« Der Fahrer wendete schulterzuckend. »Für die Polizei tue ich alles«, sagte er. »Sie hat mich in diesem Jahr nur viermal wegen überhöhter Geschwindigkeit angezeigt. Ist doch hochanständig, oder?« Unten am Flußhafen beobachtete der Taxifahrer die hektische Geschäftigkeit seines Fahrgastes. Er stand dabei, wie der Inspektor mit den Leuten am Fluß sprach, mit den Anglern und Schiffern, wie sie ihn von Pontius zu Pilatus hetzten, bis er endlich erfuhr, was er wissen wollte. Nämlich, daß er zu spät kam. Laut Aussagen der Leute am Fluß hatte der Mann, auf den die Beschreibung paßte, ein Motorboot bestiegen. Er hatte es nicht gemietet, nein, es hatte dagelegen, als warte es auf ihn. Dann war er mit dem Boot losgefahren. Nein, nicht flußabwärts, sondern flußaufwärts – oder vielleicht doch flußabwärts? Der Taxifahrer drehte sich eine Zigarette und verfolgte voller Schadenfreude, wie sich der Inspektor aus Paris abstrampelte und wie die Einheimischen ihn immer wieder auflaufen ließen.
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In der Nacht rief Inspektor Lasalle in Paris an. »Ich habe ihn«, meldete er voll Stolz. »Hattest du ihn nicht schon vor achtzehn Stunden?« erwiderte Kommissar Manson. »Jetzt wird er eingekreist. Er stieg in Rouen auf ein Motorboot um. Es ist auf einen gewissen Louis Ricard registriert. Dieser Ricard ist aber im Januar verstorben. Man nimmt an, daß die Erben seinen Besitz, zu dem auch das Motorboot gehört, verkauften. Das Haus liegt am Seinebogen bei St. Nicolas.« »Was habt ihr vor?« »Die Kollegen aus Le Havre stehen Gewehr bei Fuß. Kommissar Degrelle stellt drei Wagen ab und will sich von Westen her dem Landgut nähern. Die Gruppe aus Rouen kommt über die Brücke von Gaudebec her.« »So ein Aufgebot? Muß das denn sein?« »Das Anwesen ist vierzig Hektar groß. Landwärts ist es von Wald umgeben und nur zum Fluß hin offen. Mittendrin steht eine ältere Villa aus Holz. So wurde mir Ricards Landgut vom Bürgermeister in St. Nicolas beschrieben. Nur eine Privatstraße führt durch den Wald. Vom Fluß her ist jede Bewegung erkennbar.« Kommissar Manson befand die Maßnahmen seines Inspektors für gut und in Ordnung. »Und wann schlagt ihr zu?« »Nun«, antwortete Lasalle ausweichend, »das ist noch das Problem. Keiner nimmt das allein auf seine Kappe. Ohne Haftbefehl oder Durchsuchungsbefehl, gültig für den Distrikt Normandie, läuft gar nichts.« 15
»Immer dasselbe«, stöhnte Manson. »Ohne ausreichenden Haftgrund kriege ich keine Vollmacht und ohne Vollmacht keinen ausreichenden Haftgrund.« »Der erste Staatsanwalt ist doch ein scharfer Hund und Argumenten zugänglich.« »Aber er jagt in Châlon Kaninchen. Und sein Stellvertreter ist ein Arm…«, der Kommissar beherrschte sich, »… ein armes Würstchen ohne Mumm. Der traut sich einfach nicht. Er hat Schiß.« »Könntest du nicht rüberkommen?« fragte der Mann der Sûreté in der Normandie. »Wozu?« »Soll ich mich allein an das Haus heranschleichen und mir die Nächte um die Ohren schlagen, bis endlich ein Haftbefehl vorliegt?« Der Kommissar dachte nach. »Ich versuche morgen noch einmal das Papier zu kriegen«, versprach er. »Nero dürfte ziemlich ahnungslos sein. Du beziehst ein Hotel in St. Nicolas und hältst die Augen offen. Wir sehen uns spätestens bis Montagmittag.« »D’accord!« antwortete Lasalle schicksalsergeben. »Und keine Eigenmächtigkeiten! Verstanden?« »Allein gegen Nero, ich bin weder wahnsinnig noch lebensmüde. Ich habe eine Frau und zwei Kinder.« »Die ich von Papa grüßen werde«, versprach Kommissar Manson.
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2. Roy Hackett erhitzte Öl in der eisernen Pfanne bis es spritzte, dann warf er das gesenfte Lendenstück hinein und briet es auf beiden Seiten kurz an. Er liebte sein Steak außen kroß und innen blutig. Diesmal wurde das Steak ganz durch. Ein Telefonanruf lenkte den Koch für zwei Minuten ab. Normalerweise hätte Roy Hackett den Anrufer mit einer scharfen Bemerkung abfahren lassen, denn die Essenszeit war ihm heilig. Aber der Anruf kam aus Brasilien. Ein guter Freund hatte ihn schon mehrmals zu erreichen versucht. »Die Sache in Santos trug deutlich deine Handschrift, Amigo«, berichtete er. »Heute sind alle Handschriften gleich«, erwiderte Roy, »es ist wie bei den Flugzeugen. Die technisch optimale Form bewirkt, daß eines wie das andere aussieht.« »Aber es gibt Flugzeuge, die sind noch einen Dreh besser. So wie deine Arbeit. Alles was du tust, trägt dein Autogramm. Es mag Nachahmungen geben, aber der Fachmann erkennt das Original. Und diese Burschen von der Mordkommission in Rio sind verdammt clever.« »Was haben sie unternommen?« wollte Hackett wissen. »Ich hörte, daß sie den Verdacht äußerten, du seist mit der Concorde Richtung Dakar-Paris abgezwitschert.« »Die Concorde ist schnell, aber ein Telex läuft 17
noch schneller«, bemerkte Hackett. »Die Information kann in Paris gewesen sein, ehe ich landete. Ich wurde jedoch nicht behelligt wie du siehst.« »Vielleicht aber beschattet.« »Das ist immer möglich.« »Hast du etwas bemerkt?« Hackett überlegte. »Ja, nein, nein ja, vielleicht. Ein paarmal sah ich das Gesicht einer grauen Maus. In Rouen habe ich sie bestimmt abgehängt.« »Bist du ganz sicher, Amigo?« »Mach dir keine Sorgen.« »Ich mache mir Sorgen«, gestand der Anrufer aus Rio. »Wir haben noch große Dinge miteinander vor. Jetzt, wo das neue Projekt anläuft…« »… und ich ein paar Tage ausspannen wollte«, pflichtete ihm Hackett bei. »Vamos, ich werde jetzt essen und dann einen Pirschgang unternehmen. Wenn dein Verdacht Hände und Füße hat, dann ist es mit diesem schönen Unterschlupf auch vorbei.« »Was wirst du dann tun?« »Ich weiß schon was ich dann zu tun habe«, erklärte Hackett, »nämlich alle Spuren tilgen.« »Ein Landgut kann man nicht austilgen.« »Überlaß das mir.« »Salutas!« wünschte der Mann aus Rio. »Vaia con dios!« Das Steak war völlig durchgebraten. Hackett kaute lustlos darauf herum. Vielleicht zügelte auch die Entwicklung ein wenig seinen Appetit. Für gewöhnlich erschütterten ihn Hemmnisse dieser Art nicht allzusehr. 18
Nachdem er von seinem nächtlichen Spähtrupp durch den Wald zurückgekehrt war, ergriff Hackett mehrere Sofortmaßnahmen. Er holte den Rancho aus der Garage, fuhr die zwei Kilometer durch den Wald bis zur Distriktstraße, dann nach St. Nicolas hinüber. Vor dem einzigen Hotel des Ortes sah er denselben R-4 stehen, der vor einer Stunde am Waldrand geparkt hatte. In der Gaststube des Restaurants saß die graue Maus und löffelte Suppe. Es war der Mann, den Hacketts Blicke für den Bruchteil einer Sekunde in Paris und im Schnellzug nach Rouen erfaßt hatten. Es mußte auch der Mann gewesen sein, der sich im Wald herumgetrieben hatte und dann mit dem Renault-Mietwagen zurück nach St. Nicolas gefahren war. Kein Zweifel, er war Kripobeamter. Er verstand es, sich bei Dunkelheit so leise und sicher in einem Gehölz zu bewegen, wie man es auf der Polizeischule lernte, wenn auch nicht so gut wie ein Indianer. In Wandrelle auf der anderen Flußseite war ein Baggerbetrieb. Hackett erinnerte sich, vorbeigefahren zu sein, als er das Landgut zum ersten Mal besichtigt hatte. Im vergangenen Herbst war das gewesen. Er benutzt die neue Brücke. Da er im Wohnhaus neben dem Bauhof Licht sah, läutete er und bat, den Patron sprechen zu dürfen. Sie wurden sich rasch einig. Wer genügend bezahlte, bekam immer, was er brauchte und auch zu der Stunde, zu der er es benötigte. »Also morgen früh«, wiederholte Hackett, »sechs 19
Uhr. Ich möchte das Gerümpel gerne weghaben. Ordnung muß sein.« »Ist zwar Sonnabend…« bemerkte der Franzose, ohne den Satz zu beenden. »War ich mit Ihrem Preis einverstanden oder nicht?« »Ich bringe das Gerät mit dem Tieflader. Bis Mittag ist alles über die Bühne gegangen, Monsieur.« Hackett beschrieb ihm noch einmal den Weg. Der Bauunternehmer begleitete ihn hinaus. Dabei schnupperte er die Nachtluft. »Wird Nebel geben.« »Um so besser. Dann staubt es weniger.« »Sie haben Humor«, meinte der Franzose. Plötzlich zerriß ein Donner, ein atemberaubender harter Doppelschlag die Stille. »Düsenjäger«, fluchte der Bauunternehmer, »verdammte!« »Auch bei Nacht?« »Die scheuen vor nichts zurück.« »Kommt das oft vor?« »Der Flugplatz liegt ganz in der Nähe. Nördlich von Fauville.« »Sauerei«, schimpfte Hackett, »die Menschen so zu erschrecken.« »Aber gut für’s Geschäft«, erwiderte der Bauunternehmer. »Ich kenne kein Haus in der Gegend, das nicht schon Risse aufweist. Bon soir, Monsieur.« Roy Hackett fuhr wieder über den Fluß, bog in St. Nicolas nach Westen ab und war gegen 22 Uhr zu Hause. 20
Maßnahme Nummer drei war, daß er einen Aluminiumkoffer, den er in einem Versteck in der Klärgrube hatte, seines Inhalts beraubte. Je ein Kilo Plastiksprengstoff klebte er an alle tragenden Balken des Wohnhauses, an die Dachstuhlpfosten, an den Firstbalken, an die Verandastützen und an die Außenwand der Garage. In die knetgummiartige Masse steckte er kugelschreibergroße Zünder und verband die Drähte, die er wiederum über einen Timer mit der Batterie zusammenschaltete. Sodann sprühte er mit dem Gartenschlauch ausreichend Wasser um die Sprengzonen. Beim Verlassen des Hauses nahm er lediglich das Gepäck aus Rio und den Inhalt des kleinen Safes mit. Dabei handelte es sich um eine Notreserve an Bargeld und Goldmünzen, die er überall dort anlegte, wo er eine Wohnung oder ein Versteck besaß. Nachdem er dem Timer einen Vorlauf von etwa zehn Minuten gegeben hatte, fuhr er mit dem Rancho zum Fluß hinunter, wendete ihn in Richtung Haus, öffnete die drei Türen, kurbelte die Fenster ab und steckte sich eine Zigarre an. Dann schaute er auf die Uhr. Um 23 Uhr 55 detonierte die Sprengladung. Hakkett war kein ausgebildeter Sprengmeister, aber er verstand das Geschäft, als hätte er es studiert. Das Haus hob sich im Augenblick der Zündung um etwa einen halben Meter von seinem Backsteinfundament. Dabei schien es bersten zu wollen, fiel aber merkwürdigerweise in sich zusammen. 21
Dies alles ging, ohne daß etwas zu brennen anfing, vor sich. Ein kurzer Blitz und ein Knall, als habe ein Abfangjäger die Schallmauer durchbrochen, waren allerdings nicht zu umgehen. Doch darauf achtete in St. Nicolas und Umgebung längst keiner mehr. * Pünktlich bei Sonnenaufgang kam die Zugmaschine mit dem Tieflader angefahren. Man hörte ihr Dröhnen in Wald lange, bevor man die Lichter sah. Auf der Wiese, etwa fünfzig Meter vor dem Haus, stoppte der Bauunternehmer, stieg auf seine Planierraupe um, startete und rollte sie vom Tieflader. Der Nebel schien herunterzugehen. Alles troff vor Nässe. »Wird schönes Wetter geben«, rief der Mann auf der Raupe und ließ sein gelbes Ungeheuer auf den Schutthaufen, der vor wenigen Stunden noch eine Art Jagdschloß gewesen war, zurattern. Bevor er die Schaufel ansetzte, stellte er den Diesel noch einmal ab. »Und wohin soll der Schrott?« fragte er. Hacket deutete zur Waldspitze. »Dort in die Mulde.« »Wird erledigt, Monsieur.« Drei Stunden arbeitete der Mann mit seiner schweren Planierraupe, ohne abzusetzen. Um neun Uhr, noch immer wehten Nebelfetzen über den Fluß, 22
waren die Trümmer des Hauses komplett in die Mulde geräumt. Sogar das gemauerte Fundament hatte die Raupe abrasiert und alles dem Erdboden gleichgemacht. Zum ersten Mal stellte der Raupenführer seinen Diesel ab. »Zigarettenpause«, sagte er. »Ist es recht so, Monsieur?« »Und jetzt bitte noch Erde darüber.« »Über was?« »Über den Schutt in der Mulde und über die Stelle, an der das Haus stand.« »Sie haben verdammt schlechte Erinnerungen daran, he?« »Kann man wohl sagen«, deutete Hackett an. Die Raupe setzte sich wieder in Fahrt. Erst mahlte sie den Trümmerschutt, die Balken, die Bretter, die Ziegel, die Möbel, die Installationen in der Mulde zu einem groben Brei, dann stemmte sich die Schaufel ins Erdreich, schob Kubikmeter um Kubikmeter Humus darüber und walzte am Ende alles glatt. Gegen Mittag gab es nichts mehr zu tun. »Wenn Sie noch weitere Wünsche haben«, schrie der Raupenfahrer, »muß ich nachtanken, Monsieur.« Hackett reichte ihm eine entkorkte Rotweinflasche. »Nehmen Sie einen Schluck. Wir sind fertig.« Die Raupe kam auf den Tieflader. Hackett bezahlte für die Arbeit fünftausend Franc, was etwa dem Doppelten des Tarifs entsprach. Als das Mittagläuten von St. Nicolas herüberscholl, befand sich die Raupe auf dem Rückweg. 23
Roy Hackett beseitigte mit Schaufel und Rechen die Abdrücke der Raupenketten im Erdreich, glättete letzte Unebenheiten und warf das Arbeitsgerät in die Seine. Auf einem schmalen Uferweg, am Fluß entlang, verließ er sein Landgut, nahm ab Borneville die Autobahn und legte in Paris einen kurzen Halt ein. Bei einem Gebrauchtwagenhändler, der keine langen Fragen stellte, tauschte er den neuwertigen Rancho gegen einen leicht angerosteten CX. »Wie weit komme ich mit dem?« fragte er den Händler. »Bis Afrika, Monsieur.« »Amsterdam genügt schon« Der Händler hatte ebenfalls noch eine Frage. »Der Rancho, ist er heiß?« »Nicht geklaut, wenn Sie das meinen. Die Papiere stecken in der Türtasche.« Der Händler grinste und machte mit dem Daumen ein Zeichen nach oben, Es konnte vieles bedeuten. Alles klar, kommen Sie gut durch. Das hatte Roy R. Hackett auch vor. Natürlich fuhr er nicht nach Holland. Amsterdam hatte er nur erwähnt, um mögliche Verfolger in die Irre zu führen. Sicherlich waren sie wie Bluthunde hinter ihm her. Sein nächstes Ziel war Lyon. Burgund bot immer etwas. Im Beruf wie im Privatleben.
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3. Gegen Abend landete ein zweimotoriges Reiseflugzeug vom Typ Beechcraft Duchesse auf einem Sportflugplatz nahe Trier. Als einzigen Passagier brachte der Pilot sich selbst mit. Und ein kleines Motorrad. Durch Hochklappen von Sattel und Lenker machte er es benutzbar. Immerhin war er einsdreiundachtzig groß. Nach einem Blick in den Himmel holte er noch seinen Trenchcoat aus der Kabine, rollte ihn zusammen und klemmte ihn hinten auf den Gepäckträger. Dann trat er den Kickstarter und fuhr Richtung Westen auf die Grenze zu. Bei Wasserbillig passierte er den Luxemburger Schlagbaum. Mißtrauisch beäugten die Zollbeamten den gutaussehenden Burschen in Maßkleidung auf dem winzigen Motorrad. Da sein Paß in Ordnung war, er lautete auf Dr. Emil Jakob, Tierarzt in Traunstein/Obb., mußten sie ihn durchlassen. Zunächst fuhr Dr. Jakob auf Nebenstraßen Richtung Mompach, um bald darauf in ein ausgedehntes Waldgebiet abzubiegen. Nachdem er sich anhand einer Generalstabskarte genau orientiert hatte, fand er wenig später im Unterholz einen Sportwagen in Metallic-Braun. Es handelte sich um einen Jaguar mit Londoner Kennzeichen. Kaum hatte Dr. Jakob seinen knatternden Zweitakter abgestellt, vernahm er eine Stimme, ohne jedoch den Sprecher sehen zu können. 25
»Das Leben ist ein Schattenspiel.« »Einer knipst das Licht aus«, antwortete der Traunsteiner Tierarzt, »und alles ist vorbei.« Die Zweige eines Haselnußstrauches bewegten sich. Ein Mann trat ins Freie. Sein Äußeres wirkte elegant und gepflegt, sein Gesicht ebenmäßig bis zur Belanglosigkeit. »Dann bist du Robert Urban.« Der deutsche BND-Agent ging auf den Engländer zu. »Und du Tim Ascott.« Der Engländer warf die angerauchte Zigarette weg, trat sie aus und betrachtete das rote Kindermotorrad. »Bist du auf diesem Spielzeug tausend Kilometer geritten?« »Mein Flugzeug steht auf der anderen Moselseite.« Nun schaute der Engländer auf die Uhr. »Dachte, es handelt sich um eine Dreierkonferenz. Wo er nur bleibt.« »Hier«, vernahmen sie plötzlich einen Laut. Er kam aus etwa zwanzig Meter Entfernung. Über die Lichtung näherte sich eine Gestalt, Schlank, graziös mit wehendem blonden Haar. Zweifellos eine Frau und nicht einmal unattraktiv. »Sie sind Agent Miles?« fragte Urban verblüfft. »Wenn es erlaubt ist, Molly Miles. Klingt ein bißchen wie Western-Saloon, aber ich kann nichts dafür. Wir wählen unsere Decknamen nicht selbst aus. Sie werden uns verpaßt.« 26
Der Engländer wollte seinen Dienstausweis zeigen, der ihn als Mitglied des britischen Auslandsgeheimdienstes MI-6 identifizierte, aber die Amerikanerin winkte ab. »Ich weiß, wer Sie sind, Tim.« »Woher?« »Ich hörte Sie aus Ihrem Wagen telefonieren. So wie Sie sprechen nur ehemalige Oxfordabsolventen, wenn sie ihrer Dienststelle eine Meldung durchgeben.« Offenbar, um zu zeigen, daß sie auch über Urban Bescheid wußte, fuhr die amerikanische CIAAgentin fort: »Ich bin keine Akademikerin wie Sie, Gentlemen, aber ausgestattet mit gesundem Menschenverstand.« »Und freundlich und hübsch«, fügte Urban hinzu, »und Mitte Zwanzig, schätze ich.« Die Amerikanerin liebte diesen lockeren Ton offenbar nicht. »Ersparen wir uns die Komplimente«, schlug das Mädchen aus Washington vor, »für jetzt und in Zukunft. Im Moment bin ich auf nichts mehr versessen, als auf das, was unseren Job betrifft.« Daraufhin bat sie der Engländer, in seinem Jaguar Platz zu nehmen. Der luxuriös ausgerüstete XJ verfügte selbstverständlich über eine Bar. Urban nahm Bourbon, der Engländer Scotch, die Amerikanerin lehnte Alkohol ab und verlangte eine Cola. Woraufhin den Engländer ein sichtbares Schaudern überkam. »Sorry, aber so was führe ich nicht an Bord«, bedauerte er. 27
Die Heftigkeit, mit der die Amerikanerin zum Thema kam, wirkte ein wenig hineingepfriemt. Sie hatte es entweder eilig oder die Anweisung, die Sache aus dem Stand heraus voll zu beschleunigen. »Nero wird wieder aktiv«, erwähnte sie. Der Engländer hob die Schultern, als zweifle er daran. »Ist eben eine schwere Zeit.« »Alle Zeiten sind schwer«, bemerkte Urban, »und ob Nero wieder zuschlägt, ist reine Vermutung.« »Die sich erheblich konkretisiert haben muß. Warum hätte man sonst eine Dreier-Schwadron aus uns gebildet und dies so geheim, daß es fast schon lächerlich wirkt. Nun, hierzulande verfährt man eben ein bißchen europäisch-mittelalterlich. Bei uns drüben packt man solche Dinge anders an.« Urban biß sich auf die Lippen. »Und warum«, fragte er, »hat man Nero drüben nicht längst schon gepackt? Aus den Akten zu schließen, war er in den USA bedeutend aktiver als im mittelalterlichen Europa.« Diese Bemerkung mißfiel der forschen Amerikanerin. »Sie meinen also, wer am meisten betroffen ist, solle auch am meisten gegen das Übel tun?« »So wird es bei uns in Europa seit tausend Jahren gehandhabt«, mischte sich Tim Ascott ein. »Aber woher sollten Sie das wissen, verehrte Kollegin, Ihre geschichtlich historischen Erfahrungen sind ja gerade erst zweihundert Jahre alt. Aber Sie werden das schon noch begreifen lernen. Allright, kommen wir zur Sache.« 28
Molly Miles hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, wollte aber nicht schon am Anfang Spannungen schaffen. Sie sollten zusammenarbeiten und nicht gegeneinander. Disharmonie hatte noch nie zum Erfolg geführt. »Fest steht«, sagte sie, »daß Nero einer der gefährlichsten Menschen auf seinem Sektor ist und daß er sein Betätigungsfeld nach Europa verlegte. Wie man hört, hatten ihn die Kollegen von der Sûreté so gut wie. Im letzten Moment sprang er ihnen von der Schippe.« »Wie stets bisher.« »Aber nicht mehr lange«, erklärte die Amerikanerin, als sei jetzt, wo sie in den Fall eingestiegen war, alles anders geworden. Molly Miles behielt weiterhin das Wort. »Es geht um folgendes: wo ist Nero und was hat er vor?« »Und das ist eigentlich schon alles«, antwortete Urban, »ganz einfach im Grunde.« »Wir nahmen umfangreiche Analysen seiner bisherigen Tätigkeit vor. Wir brachten alle seine Verbrechen der letzten dreißig Jahre in ein System.« »Der Verbrechen, die man ihm zuschreibt«, schränkte Urban ein. »Da diese Erkenntnisse nicht ausreichend untermauert sind«, fügte Ascott hinzu, »stellt sich Ihre Analyse auf Grund unsicherer Fakten natürlich von selbst in Frage, Miß Miles.« Unbeirrt machte die Amerikanerin weiter. »Ergebnis: Nero wird, vermutlich finanziert von 29
äußerst kapitalkräftigen Hintermännern, zu einem überaus schmerzhaften Schlag in Europa ausholen.« »Dazu brauchten Sie einen Computer, meine Teure?« fragte Urban. »Nero wurde immer von mächtigen Auftraggebern finanziert. Nero arbeitet immer dort, wo er sich gerade aufhielt, und kleine Sachen, solche die man unter ferner liefen einordnen kann, übernahm er nie.« »Säßen wir sonst hier zusammen?« bemerkte der Engländer und goß Scotch nach. »Aber mit einem Stumpfsinn ohnegleichen haben die Behörden das bis heute hingenommen«, brauste Molly Miles auf. »Die Polizeiorganisationen der einzelnen Staaten erwiesen sich als absolut unfähig. Scotland Yard, Sûreté, Bundeskriminalamt, nicht zu vergessen auch Interpol.« »Und nicht zu vergessen auch das FBI«, fügte Urban hinzu. »Damit ist Schluß! Jetzt schneiden wir Schrauben mit Schlitzen. Ich habe alle Vollmachten.« »Haben Sie auch die Mittel?« fragte Ascott, was ihm einen bösen Blick der übereifrigen CIA-Dame eintrug. Nun erging sie sich in allgemeinen Ausführungen, wie sie sich die Zusammenarbeit und die Einkreisung Neros vorstelle. Der Engländer schien vor sich hinzuträumen und Urban sagte auch nichts. Schließlich wandte sich die Miles an Urban, den sie wohl doch für ein wenig kompetent hielt. »Und Ihre Meinung dazu, Bob?« 30
Urban leerte sein Glas. »Fragen Sie mich lieber nicht, Molly, sonst sage ich Ihnen die Wahrheit.« Urban hielt überhaupt nichts von dieser Sonderkommission, die zu gründen den Geheimdienstbossen aus Mangel an Phantasie eingefallen war. Urban hatte stets schlechte Erfahrungen mit internationalem Teamwork gemacht. Gewiß lag es auch daran, daß er ein Einzelkämpfer war. * Es wurde recht schattig im Wald von Mompach. Die arbeitswütige Amerikanerin kam zur Rollenverteilung. »Sie Tim, kümmern sich um die erloschene französische Spur.« Der Engländer grinste. »Gern, aber vorher muß ich Französisch lernen und mein Diplom als Fährtenhund machen.« Die Amerikanerin überging es. »Ihnen Bob, geht der Ruf eines Casanovas voraus. Sie fassen bei Neros Damenwelt, die er in den letzten zehn Jahren beglückte, nach.« »Das sind heute doch schon Großmütter.« »Und Sie, Gnädigste«, fragte Ascott, »was geruhen Sie zu übernehmen?« »Ich lege meinen Finger auf Neros Finanzen. Wo es Aufträge gibt, muß es Honorare geben. In Millionenhöhe. Und diese Beträge müssen irgendwie abgeflossen und angelegt worden sein.« 31
Der Engländer starrte durch die Tür des Jaguar hinaus in den dunkler werdenden Himmel. »Sie sagten, daß Sie keine Akademikerin seien, Molly«, erklärte er, »jedoch einen gesunden Menschenverstand besäßen. Okay, wissen Sie zufällig, was ich studiert habe? Ich bin diplomierter Nationalökonom und Volkswirtschaftler. Außerdem habe ich eine abgeschlossene Ausbildung als Bankkaufmann hinter mir. Ich kenne mich also aus in diesem Geschäft und verfüge in Europa über Verbindungen, die Sie erst mühsam knüpfen müssen, falls Ihnen das überhaupt möglich ist. Niemand auf der Welt ist zugeknöpfter als ein Banker einem Laien gegenüber. Dagegen sind Nonnen noch die reinsten StripteaseDamen. Deshalb werde ich die Fahndung nach Neros Finanzgeschäften übernehmen. Verstanden?« Überraschenderweise steckte die Amerikanerin sofort zurück. Vielleicht war auch alles nur ein Trick, um die Kollegen in Schwung zu bringen. »Was mich betrifft«, sagte Urban, »so bin ich in Frankreich so gut zu Hause wie in Niederbayern. Von Spurenlesen verstehe ich auch einiges. Deshalb werde ich mich um den Verbleib des von der Sûreté beschriebenen Fahrzeuges kümmern.« Urban wartete gar nicht erst ab, bis Molly sich einverstanden erklärte. Sie hatte endlich zu begreifen, daß sie hier auf gleichberechtigter Basis operierten. »Dann bleiben mir nur diese von Nero abgelegten Plinsen.«
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»Na und. Sie sind doch auch eine Frau. Mit Frauen können es Frauen immer am besten.« »Das ist reichlich unverschämt«, zischte sie. »Aber die Erde dreht sich weiter.« Der Engländer machte seinen Scotch jetzt endgültig leer. »Sie kommen mir vor wie zwei Oberregierungsräte«, erwiderte die Amerikanerin. »Haben Sie etwas gegen Beamte?« »Die gehen immer nach Schema F vor.« »Und die Amerikaner verteilen ihre Jobs mit der Gießkanne«, bemerkte Urban. »Da ist mir die Methode Oberregierungsrat noch lieber.« »Dieser Nero«, erklärte Molly überflüssigerweise, »war bisher in allen Unternehmungen erfolgreich. Er landet kurze, harte Schläge, alles profihaft organisiert und wie von einem Superexperten durchgeführt.« »Ich bin auch nicht auf der Wassersuppe dahergeschwommen«, wandte Ascott ein. »Bleibt es nun dabei? Ich bitte um Abstimmung.« »Unsinn!« protestierte Molly Miles. Bei zwei gegen einen bin ich immer unterlegen.« »Schön, dann bleibt’s dabei«, entschied Urban. Sie verabredeten, wie sie Kontakt halten wollten. Die Amerikanerin verließ den Jaguar, blickte ihre zwei Kollegen verächtlich von oben bis unten an und verschwand im Grau der Dämmerung. »Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist unbeabsichtigt«, spottete der Engländer. »Wie kam sie eigentlich hierher? Ist sie gejoggt oder den Fluß runtergeschwommen?« 33
Seine Neugier wurde Minuten später, als sie eine Turbine hochsingen, dann einen Hubschrauberrotor flattern hörten, befriedigt. »Die Amis steigen ja voll ein«, meinte Ascott. »Hubschrauber! Gibt’s was Proletenhafteres?« Tim Ascott mochte recht haben. Vor wenigen Jahren hatten Helikopter noch als das Feinste gegolten, heute wirkten sie, im Vergleich zu einem lederduftenden Jaguar, schon wieder ordinär.
4. Am Abend kochte der Missionar etwas Hirsebrei in einem aufgeschnittenen Benzinkanister. Das mußte reichen. Für 35 Menschen. Aber mehr hatte er nicht. Sie lagen um seine Kirche herum und waren schon zu schwach, um sich ihren Löffel voll zu holen. Er mußte sie füttern. Kaum, daß sie die Lippen öffnen konnten. Am Morgen, als der Missionar zu seiner Kirche hinüberging, waren die meisten von ihnen tot. Er lud sie auf einen Traktorkarren und beerdigte sie. Dann kam die Trockenheit. Die Brunnen gaben kein Wasser mehr, die Ernte verbrannte unter der glühenden Äquatorsonne. Und Vorräte hatte man in diesem von Rebellen und Diktatoren zugrunde gerichteten Land nicht angelegt. 34
Also schloß sich der Missionar dem Strom der Flüchtlinge, der aus Äthiopien kam, an. Da es schon lange kein Benzin mehr gab, mußte er bald den Traktor abhängen und seine letzten Ochsen vor den Karren spannen. Zwei Tage später stießen sie auf marodierende Truppen. Die nahmen ihnen alles weg. Das Vieh, die letzte Hirse, den letzten Brotfladen. Zum Durst kam jetzt noch der Hunger. Der Zug der Flüchtlinge wälzte sich durch verlassene Dörfer der Ogaden-Steppe. Kinder und Halbwüchsige lagen apathisch herum. Wer noch Kraft dazu hatte, der suchte nach Abfällen oder nach Wurzeln. Abends wankten sie in ihre Hütten. Dann streckten ihnen die Alten, die Kranken und die Mütter mit den Babys die Hände entgegen. Ein paar Körner, die Wurzeln und Blätter wurden mit eßbaren Insekten und Würmern zu einem Brei gestampft. Zum Leben zuwenig, zum Sterben zuviel. * Sie tranken das Blut aus den Adern ihrer Ziegen. Das Wasser mußten sie oft meilenweit herholen. Die Notdurft verrichteten sie draußen auf offenem Feld. Aber dann gab es noch Restaurants in den Städten mit Klimaanlage und wassergespülten Toiletten. Vor der Tür stand: Flüchtlinge unerwünscht! In den Restaurants waren die Tische weißgedeckt mit Servietten und Silberbesteck. Es gab französische 35
Weine, italienisches Mineralwasser, eisgekühlt, und zu essen, was das Herz begehrte. Geflügel, Steaks, feine Gemüse und Salate, weißes Brot, Erdbeeren und Eiscreme. Aber alles mußte mit Flugzeugen eingeflogen werden. Das war nur gegen harte Devisen möglich. Am liebsten wurden Dollars genommen. Noch begehrter war Gold. Ein Abendessen für zwei Personen kostete in einer Oase inmitten des grauenvollen Hungergebietes vierhundert Dollar. Leisten konnten sich das nur wenige. Die paar Weißen, die ausgehalten hatten, und die von der schwarzen Oberschicht. Hier herrschte Luxus, dort das Elend. Die meisten Menschen in diesem Land hatten pro Jahr nie mehr als fünfzig Dollar verdient. Soviel kostete in einem der Restaurants die Vorspeise. Draußen in den Flüchtlingslagern schrien die Kinder. Die Neugeborenen, große verzweifelte Augen in den schwarzen Gesichtern, saugten an den leeren Brüsten der Mütter. Am Abend waren sie vielleicht schon tot. * Der Missionar erschrak. Im Dunkel bewegte sich etwas auf der Erde. Beinah wäre er darauf getreten. Es waren zwei kleine Gestalten, die keinen Laut von sich gaben. Der Missionar beugte sich hinunter. Nackt und verlassen lagen die Neugeborenen in der Kälte. Von den Müttern war nirgendwo etwas zu 36
sehen. Er nahm sie auf und trug sie in eine der letzten Hütten. Dort legte er sie auf eine Matte. Der Hüttenvorhang, ein Sackfetzen, bewegte sich. Ein Mann in gefleckter Kampfuniform, ein Weißer, stand da. »Hast du das gesehen?« fragte der Missionar. »Im Freien krepieren sie doch.« »Sie krepieren auch im Zelt.« »Wo sind die Mütter?« »Was schreist du nach den Müttern? Sie krepieren ebenso in den Armen ihrer Mütter. Sie haben Hunger. Aber vertrocknete Brüste geben keine Milch.« »Muß man sie denn in der Nacht sterben lassen«, wandte der Missionar ein. »Muß man Hunderttausende von Tonnen Trokkenmilch, Hirse, Weizen und Fleisch in den Lagerhäusern in Europa und in den USA zurückhalten?« »Die Lebensmittelschiffe der UNICO sind unterwegs«, sagte der Missionar. Der andere schüttelte den Kopf. »Sie werden niemals ankommen.« »Das ist kommunistische Propaganda«, ereiferte sich der Missionar. »Woher willst du das wissen.« »Weil die Schiffe nicht einmal beladen wurden.« »Man hat uns Hilfe versprochen…« »Keine Kiste Trockenmilch, kein Sack Weizen geht ohne Bezahlung an Bord. Und die UNICO hat kein Geld.« »Die weltweiten Sammlungen brachten doch Millionen ein.« 37
»Kein Geld«, wiederholte der Mann in der Kampfuniform. »Alles verschoben, unterschlagen, einfach verschwunden. Glaub mir, das ist nicht Scharfmacherei, sondern die Wahrheit.« Kein Laut kam mehr aus den ausgetrockneten Kehlen der Neugeborenen. Bald hörten auch die Bewegungen ihrer Arme und Beine auf. Am Morgen vergruben sie sie in der Savanne. * In dem sandfarbenen Militärzelt saß eine Runde rauchender Männer. Sie trugen Tarnuniformen. Jeder hatte seine Waffe griffbereit. »Du kennst die Grenze nach Somalia«, sagten sie zu dem Missionar, »wo liegen die Depots ihrer Armee?« »Was wollt ihr dort?« Die Männer lachten. »Was wohl. Hirse und Konserven, dazu Lastwagen und Benzin, um alles wegzuschaffen.« »Und Waffen«, ergänzte der Missionar angewidert. »Es geht uns nur um die Flüchtlinge.« »Hilfe ist zugesagt.« »Mag sein«, sagte der Sprecher der Soldaten. »Mal drei Tonnen vom Roten Kreuz, mal zwei Tonnen von irgendwelchen Samaritern oder von der Kirche. Aber was ist das? Bis es hier ankommt, ist es nur noch die Hälfte.«
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»So gut wie nichts für hunderttausend Hungernde.« »Weil sich andere in Callafa die Bäuche mästen.« »Das solltet ihr verhindern«, forderte der Missionar. »Aber das wollt ihr ja gar nicht. Die Menschen müssen in Massen krepieren, damit es um die Welt geht, daß die UNICO machtlos ist. Nur so kann Moskau die Versorgung und damit wieder ein Stück vom tropischen Afrika übernehmen.« Sie lachten wieder, aber einer lachte nicht. »Aus der Politik halte dich raus, Priester! Verstanden?« Seine Stimme klang drohend. »Hier ist die Karte, wo liegen die Depots der Somalis?« Der Priester weigerte sich zunächst, aber dann fielen sie über ihn her. Ihren Brutalitäten war sein ausgemergelter Körper nicht lange gewachsen. »Aber das bedeutet Krieg«, warnte er und wischte sich das Blut von den Lippen. »Es ist nur Mundraub.« »Egal womit es anfängt. Ich sehe das Ende.« »Entweder du gehst mit uns, Missionar«, drohten sie, »oder wir sehen auch dein baldiges Ende.« Drei Tage später überfielen sie die Grenzgarnison drüben in Somalia. Sie beluden drei Lastwagen mit Waffen, Munition, Benzin und Lebensmitteln. Aber sie benutzten die Lebensmittel ausschließlich für sich. Den Missionar erschossen sie, als er versuchte, einen der Lastwagen zu, entführen und ins Lager der Flüchtlinge zu bringen. Sie ließen ihn einfach in der Savanne liegen. 39
5. Am Mittwoch, wenige Minuten vor Dienstschluß, kam in der Telefonvermittlung der UNICO-Zentrale in Genf noch ein Anruf an. »Bitte, Mister Garry Collins.« »Der Finanzpräsident ist nicht im Hause«, hieß es. Der Anrufer ließ sich nicht abwimmeln. »Er ist noch im Hause, er will nur vor Dienstschluß nicht mehr gestört werden.« »Wenn Sie das so genau wissen«, erwiderte die Telefonistin patzig, »dann kennen Sie auch seine Durchwahl.« »Ich habe mein Notizbuch zufällig nicht bei mir.« »Ich darf Ihnen die Nummer nicht geben. Sie ist geheim.« »Schön, dann verbinden Sie mich eben.« Die Telefonistin wollte offenbar auch Schluß machen und ihre Anlage auf Automatic schalten. »Wen darf ich melden?« »Alkibiades Narchos aus Athen.« »Einen Moment, Mister Narchos.« Es ging überraschend schnell. Der Anrufer erkannte sofort das krächzende Organ des Finanzpräsidenten, dessen Stimmbänder in vielen Konferenzen überbeansprucht worden waren. »Was gibt’s, Alki?« »Muß dich sprechen. Sofort.« »Ausgerechnet heute. In zwei Stunden beginnt die Party beim Botschafter von Mexiko.« 40
»Die Mexikaner haben Öl. Sie sind reich. Du kannst sie später auch noch anzapfen.« »Du siehst«, wich der Präsident aus, »daß ich keine Zeit habe.« Plötzlich änderte der Anrufer seinen Tonfall grundlegend. »Du wirst Zeit haben«, forderte er. »Du weißt, um was es geht. Oder liebst du vielleicht deine Frau und deine Kinder nicht mehr?« Das wirkte. Der Präsident lenkte ein. »Um neunzehn Uhr auf meiner Yacht.« »Sei pünktlich!« riet ihm der Anrufer. * Die Segelyacht, eine schwedische Nordström mit Alurumpf und feinstem Innenausbau aus Teak und Mahagoni, entsprach nicht ganz den Verhältnissen von Garry Collins. Ebensowenig der Rolls Royce, den er fuhr. Beides, Yacht und Automobil, überstiegen bei weitem seine Einkommensverhältnisse. Ganz abgesehen von dem Aufwand, den er sonst noch trieb. Vom Finanzdirektor der Hilfsorganisation UNICO, im Range eines Vizepräsidenten, erwartete man ein wenig mehr Bescheidenheit. Um seinen Lebensstil zu rechtfertigen, setzte Collins das Gerücht in die Welt, er habe geerbt und auch seine Ehefrau Marylou stamme aus vermögendem Hause. Beides traf nicht zu. Collins Vater hatte als Inhaber einer veralteten Eisengießerei in Wales pleitegemacht und Marylous 41
Eltern hatten Kredite aufnehmen müssen, um die Aussteuer ihrer Tochter zu finanzieren. Trotzdem ging es den beiden nicht schlecht. Sie bewohnten eine Dienstvilla am See und hatten erhebliche Nebeneinkünfte. Über seine Finanzen machte sich Garry Collins jedenfalls keine Sorgen, als er im Smoking zum Yachthafen fuhr, dort den Rolls parkte und wenig später auf das Deck seiner Yacht sprang. Kaum hatte er den Salon betreten, ging die Schiebetür zur Pantry auf. Ein hochgewachsener Mann mit ebenmäßigen Zügen aber ungeheuer kalten Augen lehnte sich gegen den Türrahmen. »Warum«, fragte der Präsident, »nanntest du dich Alkibiades Narchos?« »Um dir klar zu machen, um was es geht. Nämlich, daß jetzt der Countdown lauft.« »Ich kenne doch deine Stimme, Hackett.« »Ich hoffe«, betonte der Amerikaner. »Dann laß uns zur Sache kommen. Du siehst, ich bin schon in Gala.« Sie nahmen Platz. Als Zeichen, daß er rasch zu einem Ergebnis kommen wollte, bot Collins nichts zu trinken an. »Wie läuft das griechische Spiel?« fragte Hackett. »Erfolgreich soweit.« »Was werdet ihr herausholen?« »Genug.« »Genug, um deine Unterschlagungen abzudekken?« »Ich denke…«, der Präsident verbesserte sich, 42
»ich erwarte, daß soviel übrigbleibt, daß man meine Initiative loben wird. Beim Einsatz einer halben Million Dollar müßte der hundertfache Gewinn als Erfolg angesehen werden. Oder nicht?« »Und wieviel landet am Ende in den Kassen der UNICO?« »Eine runde gutaussehende Summe.« »Man wird fragen, wie du das Geschäft finanziert hast.« »Ich werde es ihnen nicht verhehlen«, erwiderte Collins. »Wenn du erst gesiegt hast, fragt keiner nach der Methode.« »Daß du öfter etwas abgezweigt hast, mal auf dieses Konto, mal auf jenes?« »Ich habe Vollmachten.« »Aber du unterstehst dem Kontrollrat.« »Der tritt nur einmal im Jahr zusammen.« Hackett hob sein Kinn. »Um so besser«, sagte er. »Ich bin in der KlemmeBrauche eine Überbrückung. Sagen wir zweimal hunderttausend.« Collins erblaßte. »Unmöglich.« »Bis morgen.« Collins sprang auf. »Das geht nicht, Hackett. Dann kommt alles auf.« »Wenn du nicht zahlst«, deutete Hackett an, »dann kommt auch alles auf. Dann wirst du ziemlich nackt dastehen. Du wirst nichts mehr haben. Nicht einmal mehr deine schöne Frau und deine lieben Kinder.« 43
»Du bist ein Lump!« zischte der Vizepräsident. »Ich bin ein Tier«, korrigierte ihn Hackett. »Früher war ich nur ein Esel, aber jetzt bin ich ein Wolf. Das Leben hat mich so gemacht. Und wer sich mit Wölfen einläßt, Garry Collins, der muß im Rudel mitziehen, oder…« Der Engländer tupfte sich mit einem parfümierten Taschentuch die Stirn ab. »Ich frage mich immer wieder«, keuchte er, »wie du bloß darauf gekommen bist.« »Es war leicht«, gestand Hackett. »Deine Einkommen minus deinen Lebensaufwand, da mußte ein Sollsaldo bleiben.« »Das wußten nur die Banken. Wo bleibt das Bankgeheimnis.« »Es gilt nicht für Leute wie mich.« Hackett verschwieg, daß er die Informationennicht selbst beschafft, sondern daß er sie von seinem Auftraggeber bekommen hatte. Auch Collins war nur ein Stein im großen Mosaik. Hackett schaute auf die Uhr. »Bis morgen, gleiche Zeit, gleicher Ort. Zweimal hunderttausend. Gebrauchte Scheine.« Garry Collins wankte zur Bar, goß sich aus der nächstbesten Flasche ein und schluckte die braune cognacartige Flüssigkeit. »Ich weiß schon nicht mehr, wie ich die Hilfslieferungen nach Äthiopien bezahlen soll.« »Deine Sache.« »Die Schiffe können nicht beladen werden. Da unten sterben sie zu Tausenden.« 44
»Das hättest du dir früher überlegen müssen. Die Schiffsladungen mit Hilfsgütern, die heute fehlen, die trägt Madame Collins in Form von Brillanten, Smaragden und Rubinen um den Hals. Stimmt’s? Und das geht schon seit Jahren so.« »Aber nun ist es kritisch geworden«, gestand Collins. »Gib mir eine Frist, Roy, gib mir Zeit. Ich treibe das Geld auf. Die griechische Sache läuft perfekt. Ein paar Wochen noch und wir schwimmen in Geld.« »Zunächst werden wir nur in Diamanten schwimmen«, entgegnete Hackett. »Sie müssen erst zu Geld gemacht werden. Was nicht problemlos ist, angesichts des perfekt organisierten Edelsteinmarktes.« »Es sollen die größten und schönsten Steine sein, die man je fand« Hackett hatte für das Gejammer seines Partners nur ein Lächeän. Er nahm seinen von Tropensonne und Regen verfärbten Popelinehut, setzte ihn auf, strich das Haar unter den Rand hinter’s Ohr und machte ein Zugeständnis. »Also dann plus vierundzwanzig Stunden. Bis Freitag liegt das Geld hier auf dem Tisch oder… nun, du weißt, ich bin nicht nur ein Mann drohender Worte.« Beim Hinausgehen duckte er sich. Collins hörte seine Schritte über die Gangway federn. Er dachte an Flucht.
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Sie kamen immer unerwartet. Diesmal waren es drei drahtige junge Herren mit Intelligenzlerbrillen und dem forschen Auftreten von Steuerfahndern. Jeder von ihnen betrat eines der Sekretariate, die sich um das Büro des Finanzdirektors gruppierten. »Meine Damen, meine Herren«, riefen sie, »bitte legen Sie die Bleistifte weg, ebenso die Papiere, die Sie in Händen haben. Alle Schlüssel zu Aktenschranken, Schreibtischen und Safes sind sofort abzugeben. Es handelt sich um eine Revision.« Revisionen waren gefürchtet. Auch bei korrektester Geschäftsführung entdeckten die Fahnder stets etwas. Meistens sickerte es vorher durch, wenn eine Revision stattfand, diese jedoch kam wie der Blitz aus heiterem Himmel. Die Herren zeigten ihre Ausweise und ihre schriftlichen Aufträge. Dann baten sie den Finanzdirektor sprechen zu dürfen. »Der Vizepräsident weilt auf Geschäftsreise«, hieß es. »Wann kommt er zurück?« Sein Büroleiter flüsterte mit der Sekretärin, bis sie scharf unterbrochen wurden. »Bitte, sprechen Sie lauter, Herrschaften!« »Er kommt vor dem Weekend noch einmal vorbei.« Die Spürhunde von der Revision machten sich ans Werk. Die Chefsekretärin, die Mister Garry Collins vergötterte, verließ unter einem Vorwand das Büro. Vom Apparat im Casino rief sie den Autotelefonanschluß des Vizepräsidenten. Collins befand sich 46
gerade auf dem Weg von Montreux nach Lausanne. »Wir haben Besuch, Mister Collins. Revision.« Collins Stimme war der Schock anzumerken. »Ausgerechnet am Freitag?« »Sie suchen sich immer das Wochenende aus.« »Und bis zum Montag machen sie einen fertig.« »Sie haben nichts zu befürchten, Mister Collins.« »Ich danke Ihnen, Amanda«, sagte der Vizepräsident. »Heute komme ich natürlich nicht mehr vorbei. Ich lasse mich am Montag von vollendeten Tatsachen überraschen.« Als die Sekretärin einhängte, stand hinter ihr einer der Revisoren. »Mit wem haben Sie telefoniert?« »Nur eine Verabredung für das Weekend.« »Mit Collins.« »Wie kommen Sie darauf? Ich habe einen Freund in Bern.« »Es klang aber verdammt ähnlich wie Collins«, sagte der Revisor und nahm die Chefsekretärin beim Arm. Es sah aus, als führe er sie ab. * Nachdem sich Garry Collins mehrmals die Frage gestellt hatte, wer die Revision veranlaßt haben mochte, ohne daß er darauf eine Antwort fand, beschloß er zu handeln. Es gibt Situationen, mein Junge, hatte sein Vater auf dem Weg zum Konkursrichter gesagt, da mußt du die Hosen runterlassen. Da hilft nur noch die 47
Wahrheit und nichts anderes. Collins beschloß, sich dem Geheimdienst anzuvertrauen. Nur so war eine Entwicklung, die in die Katastrophe münden mußte, noch abzuwenden. Hinter Vevey verließ der Vizepräsident die Küstenstraße und fuhr Richtung Autobahn. Bald aber verließ er den Zubringer und bog auf die schmale Straße nach Chatel-St.-Denis ab. Er kannte die Gegend. Dort oben lag das Haus eines Freundes. Wieder nahm er eine Seitenstraße, diesmal eine noch schmälere. Sie führte durch einen Birkenwald in die Weinberge hinaus. Niemand war zu sehen. Nur der Wind bewegte zwischen den Rebstöcken silberglitzernde Vogelscheuchen. Dem Notizbuch entnahm Garry Collins eine Nummer, die er mit dem Privatcode W, das bedeutete CIA Washington, gekennzeichnet hatte. Sodann hob er das Autotelefon aus und bat das Amt um Vermittlung einer Züricher Nummer. Es wurde mehrmals versucht, doch unter der Nummer meldete sich niemand. Kein Wunder. Fünfzehn Uhr an einem Freitag, da gingen auch Geheimdienstmenschen ins Weekend, falls nicht gerade eine Krise in der Luft lag. Collins rauchte eine Davidoff, eine von den Dünnen mit Havannafüllung. Dann versuchte er es abermals. Diesmal hatte er halben Erfolg. Die Bürokraft der CIA-Niederlassung meldete sich. Was sie zu sagen hatte, klang weniger gut. 48
»Die Herren kommen erst am Montag wieder.« Collins legte auf, nahm einen Schluck Cognac aus der Autobar und beschloß, nach Hause zu fahren. Gegen 16 Uhr 45 kam er in Genf an. Vorsichtshalber telefonierte er noch mit Marylou. Er kannte ihre Stimme. Sie klang heute sehr erregt. Seine schöne Marylou, die gewöhnlich nichts aus der Ruhe brachte, schien völlig aus der Fasson geraten zu sein. »Polizei ist im Haus«, flüsterte sie. Collins nahm an, daß Marylou jeden Augenblick der Hörer aus der Hand gewunden werden würde. »Nimm den Hund, geh im Park spazieren«, sagte er. »Sobald es dunkel ist. Wir müssen weg.« Die Kinder waren im Pensionat, sein Vermögen auf verschiedene Konten verteilt. Er vergaß den Rat seines Vaters und dachte daran zu fliehen, sich abzusetzen. Es gab Staaten in Südamerika, die lieferten nicht aus. Garry Collins wartete bis es dunkel wurde. Dann fuhr er langsam stadteinwärts und parkte den Rolls zwischen der Place Neuve und der Universität an der Promenade des Bastions. Die Lampen gingen an. Die Autos fuhren schon mit Lichtern. Der Wind wehte vom See her und bewegte die Blätter. Einsetzender Regen vertrieb die letzten Fußgänger. Garry Collins war gerade im Begriff auszusteigen und sich die Füße zu vertreten, als er brutal in den Rolls zurückgeboxt wurde. »Du willst abhauen, du Schwein!« zischte jemand. 49
Collins spürte die feuchte Wärme seines Atems und auch den Schalldämpfer der Waffe unterm Kinn. »Wer hat die Revision veranlaßt?« keuchte er. »Frag den Kontrollausschuß. Wo ist das Geld?« »Im Kofferraum.« »Dann mach ihn auf!« »Der Knopf dort.« Doch Roy Hackett zog nicht den Knopf. Er drückte den Abzug seines 38er Smith & Wesson. Nachdem er den Schalldämpfer entfernt hatte, drückte er dem Leichnam die Waffe so in die Hand, als habe Collins Selbstmord begangen.
6. Die Nachrichten von Molly Miles klangen schlecht. Sie rief Urban in seinem Pariser Hotel an und sagte: »Neros letzte bekannte Freundin ist Tschechin. Bevor sie in den Westen floh, hat sie am Ufer der Moldau noch Kühe gemolken. Ganz hübsche Person, aber völlig unwichtig. Im übrigen halte ich sie für eine törichte Gans. Wenn du ihr sagst, Chicago liegt am Fuße des Mont Blanc, dann glaubt sie es. So blöd ist sie.« »Oder so höflich«, wandte Urban ein. »Überlaß die Beurteilung einer Frau hinsichtlich Dummheit oder Cleverness gefälligst mir«, entgegnete Molly Miles scharf. »Wir Frauen können das besser.« 50
»Das ist mir neu«, entgegnete Urban. »Was hast du von ihr über Nero erfahren?« »Sie hat ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Inzwischen ist sie verheiratet und hat ein Kind.« »Wie lange war sie mit Nero befreundet?« »Seit Anfang der Siebziger.« »Also zehn Jahre. In zehn Jahren erfährt man viel von einem Mann.« »Wenn man mit ihm zusammenlebt«, schränkte Molly ein. »Aber nicht, wenn man lediglich auf Abruf für ihn bereitsteht. Nero hielt sie zwar aus, er kaufte ihr ein Appartement in Nizza, ließ sich aber selten sehen. Manchmal kam er nur alle drei Monate auf einen Sprung zu ihr, wenn ihn seine Reisen um die Welt zufällig vorbeiführten. Das war der Dame auf die Dauer zu wenig.« »Froh hätte sie sein sollen«, knurrte Urban. »Dann hat sie den Tankstellenbesitzer um die Ekke geheiratet. Mehr ist aus ihr beim besten Willen nicht herauszuholen.« »Gibt es denn keine Fotos?« »Die hat sie alle weggeschmissen.« »Wohin? Auf den Dachboden? Dann schau gefälligst am Dachboden nach.« »He!« rief Molly und geriet wieder einmal in Rage, »bearbeiten wir den Fall gleichberechtigt, oder ist das eine Art Befehlsausgabe?« »Verzeihung«, lenkte Urban ein, »aber ich bin überrascht, daß ich einer erfahrenen Kollegin wie dir erklären muß, was sie zu tun hat.« »Okay«, sagte Molly. 51
Weil Urban nicht wußte, wie es gemeint war, fügte er hinzu: »Niemals aufgeben, das ist der Trick.« Wenig später verließ er das Hotel und schlenderte den Boulevard Haussmann hinunter. * Im Wagen seines SDECE-Kollegen Gil Quatembre, den Urban um Hilfe gebeten hatte, fuhren sie ins 20. Arrondissement. In der Rue Surmelin parkte der konfirmandengesichtige Gil neben einem Bretterzaun. Mit dem Daumen deutete er auf die andere Straßenseite. »Das wäre dann Nummer sieben.« »Vorstrafen?« fragte Urban. »Er saß nicht oft im Zuchthaus«, las Gil von seiner Autohändlerliste, »eigentlich nur zweimal. Aber fast die Hälfte seines Lebens.« Obwohl Urban drängte, blieb Gil sitzen. »Die halten doch zusammen wie Pech und Schwefel. Aus denen kriegst du nichts heraus. Wir können nicht jedem die Daumenschrauben anlegen.« Das war Urban nichts Neues. Er steckte sich eine MC an und rauchte durch das halboffene Fenster. »Nach Sûreté-Ermittlungen war auf den Vorbesitzer von Neros Landgut bei St. Nicolas ein TalbotRancho zugelassen.« »Komisches Landgut, auf dem von einem Tag zum anderen Haus und Garage verschwinden.« »Wie immer und warum immer Nero das veran52
laßte, wissen wir bis jetzt nicht«, erklärte Urban, »aber daß er den hübschen Rancho mit unterbuttern ließ, so gefühllos kann nicht mal ein Superkiller sein.« »Du glaubst also, daß selbst bei einem Meisterkiller Autoliebe über Nächstenliebe geht.« »Nicht nur bei Killern«, bemerkte Urban. »Den ehrenwerten Kaufmann da drüben nehmen wir uns noch vor. Den und die nächsten drei.« Gils d’accord klang wie ein Seufzen. Sie schlenderten zu dem Grundstück hinüber, auf dem etwa dreißig Wagen standen, hauptsächlich Limousinen der gängigen Marken, ein paar Lieferautos und reichlich Schrott. Vor einem ramponierten Wohnwagen saß ein Typ, von dem man nicht einmal eine Tüte Popcorn erworben hätte, ohne sich betrogen zu fühlen. Aber als er aufstand und sein Verkaufslächeln aufsetzte, da fand Urban wieder einmal bestätigt, daß man den gewinnendsten Charme bei Ganoven antraf. Der Wind pfiff durch ein Loch der Markise und ließ sie flattern. Der Händler streichelte seinen Bart. Seine Augen waren wie kleine schwarze Linsen, die die Kunden scharf erfaßten. »Polizei?« fragte er blinzelnd. »Darf es etwas mehr sein?« erwiderte Ott. »Bei mir ist alles legal, Messieurs.« »Das wissen wir.« »Womit kann ich dienen? Für Sie mache ich natürlich Höchstpreise.« Urban sagte es geradeheraus. 53
»Talbot Rancho, Baujahr neunundsiebzig, sandfarben.« Der Autohändler zuckte ganz minimal mit dem rechten Lid. »Die sind gesucht. Da kriegen wir nichts rein.« »Aber Sie hatten einen.« »Klar hatte ich schon mal einen da. Aber die marschieren weg wie warme Croissants.« »Sie hatten erst kürzlich einen. Noch keine drei Wochen her.« »Mit Sicherheit nicht, Messieurs«, beteuerte der Ganove. »Dann möchte ich Ihre Bücher sehn«, forderte Gil. »Und ich möchte Ihre richterliche Vollmacht sehen«, versteifte sich der Händler. Während Gil mit dem Burschen herumstritt, schaute sich Urban die Wagen an. Hinten, wo der Schrott lag, fand er ein schwarzes Scheinwerfergitter, wie es bei Geländewagen gegen Steinschlag verwendet wurde. Er hielt es hoch und rief: »Das stammt von dem Rancho.« »Nein, das ist von einem Jeep«, antwortete der Händler fix. »Erzählen Sie mir nichts!« Urban bluffte jetzt. »Vom Rancho kenne ich jede Schraube mit der Seriennummer.« Doch es half ihm wenig. Der Händler blieb dabei, den gesuchten Rancho nicht gekauft zu haben. Sie drohten und sagten, sie würden ihm die Steuerfahndung auf den Hals hetzen. Aber der Bursche 54
war abgebrüht. »Wenn das so weitergeht«, jammerte er, »dann bleibt einem wirklich nur noch das Auswandern.« »Wir werden es Ihnen beweisen«, versprach Gil. »Dann werde ich das Gegenteil beschwören. Und mein Gehilfe wird es ebenfalls beschwören. Wir beschwören Ihnen alles. Wie viele Eide wollen Sie haben? Zwanzig, fünfzig?« Urban und sein SDECE-Kollege blickten sich an und gingen wortlos. »Warum spielt er den Helden?« fragte Gil. »Wenn er den Rancho gekauft hat, was ist dabei?« »Von Nero kauft man kein gebrauchtes Automobil«, erwiderte Urban, »ohne daß man damit Kopf und Kragen riskiert.« »Dann war er also hier«, kombinierte Quatembre. »Irgendwann vor zwei oder drei Wochen«, fügte Urban hinzu. »Weißt du, wie groß der Vorsprung allein in achtundvierzig Stunden sein kann?« »Unendlich«, schätzte Gil. Um die Mißerfolge hinunterzuspülen, fuhren sie einen trinken. Aus einem Glas wurden mehrere. Urban war nicht in bester Stimmung. Da hatte er nun Molly Vorhaltungen gemacht und kam selbst nicht weiter. »Du schaffst schon die Kurve«, meinte Gil. »Ich kenne dich. Ich bin dein Freund.« »Ja, du bist mein Freund«, bestätigte Urban. So gut wie jeder Mensch, der Urban kennenlernte, bildete Gil sich ein, der einzige wahre Freund von ihm zu sein. Von diesen einzigen wahren Freunden 55
gab es vielleicht sechzig Stück. Ohne Urbans Zutun glaubte jeder, er sei der einzige. Aber Gil zählte wirklich zum engen Kreis. Deshalb konnte ihm Gil auch unangenehme Dinge sagen. »Das war alles, was ich für dich tun konnte«, sagte er. Urban goß aus der Flasche nach. * Am nächsten Tag kam es hageldicht. Tim Ascott von MI-6 tauchte in Paris auf. Noch ehe er sich bei Urban gemeldet hatte, erfuhr Urban über diverse Kanäle, daß Ascott Gespräche mit den Direktoren mehrerer Großbanken geführt hatte. Am Abend trafen sie sich in der CommodoreBar. »Ich habe leider wenig Zeit«, bedauerte der Engländer. »Die Lage stellt sich wie folgt dar: In Genf beging Garry Collins Selbstmord.« »Der Finanzdirektor der UNICO?« »Der Kinder- und Flüchtlingshilfsorganisation des Westens. Als Vizepräsident war Collins für die Beschaffung und Verwendung der Spendengelder verantwortlich. In letzter Zeit kam nicht mehr viel herein. Die Hilfslieferungen in die Hungergebiete Afrikas und Ostasiens wurden immer geringer. Man schob es auf mangelndes Interesse der Öffentlichkeit und plante eine große PR-Aktion mit Weltstars und so. Dann stellte sich aber heraus, daß Collins Unterschlagungen allergrößten Stils begangen hatte.« 56
»Wie großen Stils?« »Zig Millionen.« Urban pfiff leise durch die Zähne. »Nach dem Grundsatz, wenn du schon hinlangst, dann lange auch voll hin.« »Eine unerwartete Revision brachte es an den Tag. Collins wurde gewarnt und sah wohl keinen Ausweg mehr. Vor der Genfer Universität schoß er sich ein Explosionsgeschoß vom Kinn quer durch den Kopf. In seinem nagelneuen Rolls Royce.« »Und warum bist du hier?« erkundigte sich Urban bei Ascott. »Ein Teil von Collins Transaktionen lief über eine bestimmte Bank in Paris. Sie ist auch die Hausbank eines Strohmannes, hinter dem sich Nero verstecken könnte.« »Ergebnisse?« »Keines bis jetzt.« Urban war sich im klaren darüber, daß der Engländer sein eigenes Süppchen kochte. Das war ihm nicht zu verdenken. Besser, man war der strahlende Gesamtsieger eines Falles als nur der Zuträger. »Und wie kommst du voran?« erkundigte sich Ascott. »Bei einem Autohändler im Pariser Osten ist die Spur endgültig tot.« »Spuren sind nie tot, solange es noch lebende Zeugen gibt!« »Soll ich ihn an den Füßen aufhängen?« Der Engländer leerte seinen Scotch und hatte es eilig. 57
»Bin verabredet. Bis morgen, alter Junge!« »Um die gleiche Zeit wieder hier«, schlug Urban vor. Kaum war Ascott außer Sicht, wurde Urban aktiv. In der frühen Dämmerung flog er mit der Beechcraft nach Genf, arbeitete dort den ganzen Tag hart und kehrte gegen Abend wieder nach Paris zurück. Als er die Bar des Hotels Commodore betrat, saß Ascott schon auf dem Hocker. »Diese verdammten Banker rücken nichts heraus, und wenn es eine Information über die Konten von Weltfeind Nummer eins wäre«, fluchte der Engländer. Urban schwenkte sein Glas in der Hand und ließ den Eisbrocken im Bourbon klingeln. »Der UNICO-Vize beging nicht Selbstmord«, berichtete er. Tim Ascott schien aus allen Wolken zu fallen. »Ich sprach mit seiner Frau«, erwähnte Urban, als habe er soeben mit der Dame telefoniert. »Garry rief sie vor seinem Tod noch an. Dies zu einem Zeitpunkt, als die Kripo schon in Haus war. Marylou sollte den Hund ausführen und sich mit Collins in irgendeinem Park treffen. Sie wollten gemeinsam fliehen. Ein Mann, der so etwas plant, erschießt sich nicht in letzter Sekunde.« »Warum nicht?« fragte Ascott. »Gewiß hatte er einen lichten Moment und sah die Nutzlosigkeit allen Tuns ein. Kurzentschlossen drückte er ab.« »Ohne sich von seiner Frau zu verabschieden? Er hat Marylou geliebt.« 58
»Vielleicht tat er es deshalb spontan.« »Er besaß gar keine Waffe.« »Revolver kann man kaufen.« »An einem Freitagabend in Genf«, zweifelte Urban, »und dazu Explosiv-Munition?« Ascott mußte einräumen, daß etwas Wahres daran war. Doch Urban hatte noch mehr auf Lager. »Collins kam aus Richtung Montreux. Möglicherweise hob er dort von einer Bank eine größere Summe ab.« »Pure Annahme, reine Vermutung.« »Seine Sekretärin ist seine Vertraute. Sie kennt ihn durch und durch. Sie ist sicher, daß er Geld bei sich hatte. An solchen Tagen nahm er stets einen bestimmten Koffer mit. Einen Stadtkoffer mit Stahlblechfutter.« Nun betrachtete auch Ascott die Sache so, wie sie sich darbot, nämlich bitterernst. »Fand man das Geld im Rolls?« »Nein.« »Wer, verdammt, konnte von der Sache wissen? Einmal von der Revision, zweitens, daß Collins Geld abhob und…« »Der Junge, der ihn verfolgte.« »Und unter Druck setzte.« »Natürlich nicht mit der Revision, die wurde von anderer Seite her in Gang gesetzt.« Urban schien nachzudenken. »Ein perfekter Mord. Und wer arbeitet perfekt? Nero. Außerdem arbeitet er immer mit den neuesten Waffen. Ich sehe nur noch keinen Zu59
sammenhang. Ist es möglich, daß er Collins kannte?« Zunächst blieb Tim Ascott die Antwort darauf schuldig. Urban bohrte weiter: »Sagtest du nicht, es gebe eine Bank, die für Collins und für Nero gleichermaßen Transaktionen abwickelte?« »Ich bin erst dabei, die Fäden zu ziehen. Noch ist alles eine Vermutung. Noch halten die Fäden keiner Belastung stand.« Urban hatte noch immer keinen Schluck getrunken. Der kreiselnde Eisbrocken im Bourbon war schon recht klein geworden. »Legen wir die Karten auf den Tisch, Partner«, schlug Urban vor. »Du weißt mehr als du zugibst, und auch ich weiß einiges mehr. Nur Molly weiß nichts. Sie sitzt in Nizza und ist sauer.« »Schön, dann stell jetzt gezielte Fragen.« »Der UNICO-Vize hat seine Unterschlagungen schon seit vielen Jahren betrieben. Es fiel nicht auf, weil er ein netter Kerl war und alle Welt ihm glaubte, wie reich Marylou sei. Schließlich fand ihn einer doch nicht ganz so nett, faßte nach und brachte die Wahrheit heraus. Daraufhin zählte man nur noch zusammen. Jetzt geht es um die Wege, die Kanäle und Konten auf denen das UNICO-Geld verschwand. Darin bist du Experte. Du bringst ja auch das Kunststück fertig, in Neros geheime Nummernkonten hineinzuleuchten.« »Ich bin noch dabei, es zu versuchen.« Nun fragte Urban noch gezielter: »Aber du hast einen gewissen Überblick, auch in 60
Bezug auf Collins. Taucht im Zusammenhang mit Collins’ Finanztransaktionen vielleicht der Name Alkibiades Narchos auf?« Ohne mit einem Muskel zu zucken, hielt Ascott Urbans Blick stand. »Nie gelesen, nie gehört. Ich bin dem Namen nie begegnet« »Komisch«, bemerkte Urban. »Collins soll ihn mit einer halben Million Dollar finanziert haben.« »Was hat er ihm finanziert?« faßte Ascott nach. »Marylou weiß es nicht. Sie hörte nur soviel, daß dieser Narchos Grieche ist, und an einer Sache arbeitet, die das Hundertfache des investierten Kapitals einbringen wird. Zum Nutzen für die UNICO.« »Und für seinen Vizepräsidenten. Aber, zum Teufel, woher hast du diese Details?« »Ich war kurz mal in der Schweiz.« »Und das erfährt man jetzt erst«, brauste Ascott auf. Urban trank jetzt endlich seinen Bourbon. »Nun wird man wohl nach Athen reisen müssen.« »Aber sei vorsichtig«, riet ihm Ascott. »Sprich nicht mit jedem darüber.« »Bist du etwa jeder?« »Denk an Collins. Das hängt doch alles unterirdisch zusammen.« »Gefühlsmäßig ja«, sagte Urban. »Von der Logik her nein.« Sie trennten sich.
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Als Urban sein Zimmer betrat, klingelte das Telefon. Molly war dran. »Du bist ein unverschämter Antreiber, aber ich fand etwas.« »Bei der Madame vom Moldaustrand?« »In ihrem Keller.« »Keller oder Dachboden, was spielt das für eine Rolle?« »Ich sag’ es dir, wenn du nett bist.« »Wie nett?« wollte Urban wissen. »So nett, wie du kannst.« »Aber bitte nicht länger als dreiunddreißig Stunden, dreiunddreißig Minuten und dreiunddreißig Sekunden.« »Länger bringt dich keine Frau der Welt aus dem Konzept, stimmt’s?« »So ist es.« »Molly Miles vielleicht schon«, deutete die Amerikanerin an. »Ich fand nämlich ein Foto. Darauf drei Personen. Die Tschechin, Nero, wie er vor zwei Jahren aussah, und einen Einsteintyp. Den Hintergrund bildet eine Ausgrabungsstätte mit griechischen Tempelsäulen.« »Nicht schlecht«, lobte Urban. »Dann fahr flugs noch mal hin und frag die Lady, wie der Tempelausgräber heißt. Wenn er Alkibiades Narchos heißt, dann bist du ein wirklich braves Mädchen.« Molly hielt die Luft an. »Du hast also auch eine Spur.« »Eine winzige.« »Du verdirbst einem auch jede Freude.« 62
7. Durch das vegetationslose Tal donnerte ab und zu der Explosionsknall einer Sprengung. Was ihnen im Wege stand, nahmen sie mit TNT auseinander. Historische Funde erwarteten sie hier schon lange nicht mehr. Es ging ihnen um andere Dinge. Anfangs waren sie noch schulmäßig vorgegangen und hatten sich auf Schaufel und Pickel beschränkt. Doch auf diese Weise dauerte es zu lange. Bis sie sich durch alle Ablagerungen ins fünfte vorchristliche Jahrhundert hineingegraben hatten, lief die Genehmigung der türkischen Regierung aus, Kaum waren die Sprengstoff wölken verweht, ratterte ein Jeep heran. Ein Mann sprang heraus und vertrieb die türkischen Hilfskräfte von der Grabungsstelle. »Ihr habt jetzt Pause!« rief er. »Drüben in der Hütte kocht der Tee.« Die Türken kletterten an Leitern aus dem vierzig Meter tiefen, etwa fußballfeldgroßen Loch, während der Mann seinen Geländewagen über die Rampe hineinfuhr. Wie immer nach einer Sprengung kümmerte er sich persönlich um das Ergebnis. Mit einem kleinen Bagger hob er das abgesprengte Erdreich mitsamt den Steinen in den Trichter des Schüttelsichters und ließ den Elektromotor anlaufen. Über Walzen gelangte das Sprenggut zu sieben verschiedener Maschengrößen. Am Ende kamen 63
auch Scherben heraus, kleine Tongefäße und Bronzeschmuck, ganz zweifellos hethitischen Ursprungs. Doch darum kümmerte sich der weißhaarige Mann nicht. Das sollten ruhig die Türken behalten und ihre anatolischen Museen damit vollstopfen. Worauf es ihm ankam, war die Öffnung bei Lochsieb neun, wo ein scharfer Wasserstrahl kleine harte Steine blankwusch, damit man sofort sah, ob es sich vielleicht nur um Kiesel handelte. Der etwa fünfzigjährige Mann arbeitete trotz der Mittagshitze, bis das gesamte Sprenggut sortiert war. Dann stellte er die Maschinen ab und kümmerte sich um die Ausbeute. Der Leinensack bei Sieb Nr. 9 war nicht prall, aber immerhin gut gefüllt. Er schätzte den Inhalt auf neunhundert Gramm. Das entsprach dem Durchschnitt pro Sprengung. Sie sprengten zweimal pro Tag, an 5 Arbeitstagen in der Woche, und das seit zwei Monaten. Reichlich hundert Kilo Steine waren bisher angefallen. Eine halbe Million Karat. Oben am Rand der Grabungsstätte tauchte der Vorarbeiter auf. Alkibiades Narchos gab ihm das vereinbarte Zeichen. »Ruf deine Leute. Es geht weiter!«
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Der Grieche bewegte seinen Jeep durch das Flußtal meerwärts. Jetzt, im Sommer, führte der Fluß kaum Wasser. Nur hier und da stank ein Tümpel in der Hitze. Lange, bevor er seinen Wohnwagen erreicht hatte, sah er die Limousine stehen. Es handelte sich um ein älteres Opel-Modell. Im Schatten neben dem weißen Wagen lehnte ein Mann in Uniform. Sie begrüßten sich förmlich, »Ein Bier, eine Cola, Captain?« fragte der Grieche. »Muß ernsthaft mit Ihnen reden, Professor.« Narchos hob die Brauen. »Haben wir das nicht schon?« »Sie haben geredet und ich habe zugehört«, erwiderte der Captain der Distriktpolizei. »Nun, auf dieser Basis sind wir gut miteinander ausgekommen, denke ich.« Der Captain, ein untersetzter kräftiger Anatolier, dessen Uniform um jeden Muskel spannte, setzte sich und bat um Tee. Eisgekühlt, wenn möglich. Narchos holte die Kanne aus dem Petroleumkühlschrank. »Ich drücke ohnehin schon beide Augen zu«, kam der Türke zur Sache. »Sie meinen wegen der Grabungslizenz.« »Ja, deswegen.« Der Türke sprach aus, was der Grieche längst wußte, aber Türken waren nun einmal so. Wenn sie etwas auf dem Herzen hatten, dann fingen sie oben in Istanbul an und arbeiteten sich allmählich durch das Landesinnere vor bis zum Kaukasus. 65
»Als Grieche hätten Sie, auch wenn Sie ein noch so berühmter Archäologe sind, niemals die Schürfgenehmigung aus Ankara bekommen.« »Deswegen hat ein Freund von mir, ein Amerikaner, sie beantragt.« »Richtig. Aber Sie führen hier das Regiment. Ich weiß das und duldete es bislang. Haben Sie eine Ahnung, was ich riskiere?« Der Grieche riß eine Colabüchse auf und leerte sie halb. »Ich weiß aber auch, was zehntausend Dollars sind«, erwiderte er. »Nämlich soviel, wie Sie normalerweise in fünf Jahren verdienen, Captain.« Sichtlich erfreut, daß der Grieche vom Geld sprach, rückte der Türke noch näher an das Thema heran. »Mir ist etwas zu Ohren gekommen, Professor.« »Ihnen, als Polizeicaptain, muß täglich etwas zu Ohren kommen, oder Sie sollten vom Minarett das Gebet herabsingen.« »Und ich bin verpflichtet, den Hinweisen nachzugehen.« Narchos glaubte zu ahnen, worauf es hinauslief, aber er irrte sich. Der Türke wußte um sein wohlgehütetes Geheimnis. »Sie graben nicht nur Öllampen aus, Teller, Vasen, Amphoren und Bronzeschmuck.« »Nein, hier und da ist auch ein Goldstück dabei«, gab der Grieche zu. »Was selbstverständlich alles abgeliefert werden muß.« 66
Der Professor nickte. »Nach Ihrem Gesetz ist die Ausfuhr von antiken Gegenständen jeder Art bei Strafe verboten.« Der Captain betrachtete den Inhalt der Regale, die eine Wand des Trailers völlig ausfüllten. Plötzlich fuhr er herum. »Und Diamanten gehören nicht dazu, glauben Sie!« Narchos traf diese Vorhaltung nicht unvorbereitet. »Nein, Diamanten würden nicht dazu gehören. Aber wie kommen Sie auf Diamanten, Captain?« »Weil es Ihnen nur um Diamanten geht und um nichts anderes.« Alkibiades Narchos hatte seine bisherige Ausbeute an hochkarätigen Steinen so gut versteckt, daß der Captain sie niemals finden würde, nicht einmal, wenn er mit der Armee das ganze Gebirge absuchte, dessen war er sicher. »Ich suche keine Diamanten«, log der Grieche, »und fand auch keine. Ich bin Historiker und Archäologe.« Lässig griff der Captain in die Tasche und legte ein Klümpchen kantigen Glases matt und schmutzig, etwa kleinfingernagelgroß, auf den Klapptisch. »Und was ist das?« fragte er schief. Der Grieche nahm die Lupe. Dann prüfte er in einem besonderen Gerät die Härte. »Woher haben Sie das, Captain?« »Ist der Stein echt?« »Ja, zum Teufel. Woher haben Sie ihn?« 67
Narchos erlaubte sich, auf diese Weise zu reagieren, weil er es für ausgeschlossen hielt, daß dieser Stein aus seiner Grabungsstelle stammte. Der Türke wollte ihm nur eine Falle stellen. Der lächelte aber und steckte den Rohdiamanten wieder ein. »Von Ihrem Vorarbeiter habe ich ihn«, sagte er. »Er hat sich gewundert, daß Sie plötzlich mit Sprengstoff weitermachen.« »Das war geologisch notwendig«, wandte Narchos ein. »Sprengstoff macht doch alles kaputt, was einen Ausgräber interessiert.« »Oft kommt man nicht anders an führende Schichten.« »Ja, an diamantenführende Schichten.« »Aber Captain!« Der Grieche versuchte sich nun mit einem langen Vortrag herauszureden. Er räumte ein, daß es hier vielleicht Diamanten geben könne, aber er grabe nicht danach. Der Vorarbeiter müsse den Stein durch Zufall entdeckt haben. Daraufhin wurde der Captain böse. Er schrie: »Nur wegen der Diamanten kamen Sie hierher an die Schwarzmeerküste, um im alten Hethiterland nach dem sagenhaften Chalybia zu suchen, wo sie einst das Eisen erfanden. Die Hethiter bauten Erze ab und Kohle. Die Edelsteine ließen sie dabei achtlos liegen. Die waren ihnen damals nicht so wichtig. Deshalb enthält der Abraum heute ungewöhnlich viele Diamanten.« Alkibiades Narchos begriff, daß er ausgespielt 68
hatte, wenn er das Steuer nicht hart herumriß. Er öffnete den kleinen Safe im Wohnwagen und entnahm einem Lederbeutel mit den größten Steinen ein besonders hochkarätiges Exemplar. Dieses taubeneigroße Prachtstück legte er vor den Captain auf den Tisch. »Für Sie!« Der Captain faßte das Ding nicht an. »Dafür kann ich mir nicht mal einen Kaffee kaufen.« »In London ist er roh und ungeschliffen hunderttausend Dollar wert.« »Und in Ankara?« »Dort werden Sie kaum einen potenten Käufer finden.« Der Captain mißtraute dem Griechen immer mehr. »Ankara scheidet also aus, und nach London kann ich nicht reisen. Verhökern Sie ihn für mich.« »Das kostet Zeit.« »Das Devisenkonto Ihrer Expedition in Trabzon belauft sich auf etwas über achtzigtausend Dollar. Heben Sie die Summe bis morgen ab, Mister Narchos, oder ich werde Sie eigenhändig ins Gefängnis bringen. Kennen Sie übrigens unsere Gefängnisse? Sie genießen weltweit einen hervorragenden Ruf. Wer einmal drinsitzt, ist ein Todeskandidat.« »Dann werde ich auch gegen Sie auspacken«, drohte der Grieche. Den Captain ließ das kalt. »Niemand wird Ihnen glauben«, antwortete er. 69
»Ich werde behaupten, das Spiel nur mitgemacht zu haben, um Sie zu überführen. So ist das Leben, Professor Narchos.« * Der Grieche zahlte fünfzigtausend in bar. Der Rest würde Anfang der nächsten Woche kommen, vertröstete er den Polizeibeamten. »Erwarten Sie größere Beträge?« erkundigte sich der Captain. »So ist es.« »Aber Sie holen das Geld nicht selbst in Athen«, vergewisserte sich der Offizier. »Es würde mir außerordentlich leid tun, aber ich könnte Sie, wenn überhaupt, dann nur nach ausführlicher Gepäckkontrolle ausreisen lassen.« »Ich bleibe im Lande«, versprach Narchos. »Und verlassen die Provinz auch nicht?« »Ich fahre vielleicht ans Meer zum Schwimmen, wenn es erlaubt ist.« Dagegen hatte der Captain nichts einzuwenden. Bis zum Wochenende wurden noch acht Sprengungen durchgeführt. Alle liefen sie nach der gleichen Prozedur ab. Nachdem am Samstagmittag die letzten 50 Kilo TNT detoniert waren, fuhr Alkibiades Narchos mit der Ausbeute zu seinem Wohnwagen. Dort legte er sie in den Safe, um sie am kommenden Vormittag in das sichere Versteck zu bringen. Am Abend versuchte er in Trabzon mit Genf zu 70
telefonieren, doch die Nummer war auf automatischen Anrufbeantworter geschaltet. »Mister Garry Collins ist zur Zeit nicht erreichbar«, sprach das Band, »bitte rufen Sie sein Sekretariat…«, danach kam die Nummer. Deshalb meldete der Grieche ein weiteres Ferngespräch nach Frankreich an. Der Anschluß existiere nicht mehr, erklärte die Telefonistin in Rouen. Also probierte er es unter der letzten Nummer, die für besondere Notfälle vereinbart war. Die Unterhaltung war kurz. Die Männer nannten sich beim Vornamen. »Hier Alki. Ich fürchte, wir müssen hier Schluß machen.« »Warum jetzt, wo es so hervorragend läuft?« »Ausbeute bis jetzt hundertzwanzig Kilo Steine.« »Bis Ende der Lizenzzeit holen wir zweihundert Kilo raus.« »Aber ich traue diesem Polizisten nicht. Sie erpressen mich, werden immer unverschämter mit ihren Forderungen. Eines Tages schlagen sie dann voll zu.« »Die werden sich hüten.« »Vor dir vielleicht, Roy, nicht vor mir. Was soll ich tun?« »Warum hast du nicht bei Collins angerufen?« »Er ist nicht erreichbar.« Roy Hackett hütete sich, seinen Partner in dem Diamantengeschäft noch nervöser zu machen, indem er ihm von Collins Schicksal erzählte.
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»Weitermachen!« schlug er vor. »Die Sache bringt uns Tag für Tag drei Millionen Dollar in die Kasse.« »Wenn ganz große Steine dabei sind sogar noch mehr. Aber die Ausbeute läßt schon nach. Vielleicht sollte man doch lieber abhauen.« »Sie kontrollieren dich.« »Die Steine liegen im Versteck. Da kommt keiner ran. Sie kommen nicht einmal auf die Idee, wohin ich sie gebracht haben könnte.« Roy Hackett schien zu überlegen. Man spürte förmlich die Zweigleisigkeit, mit der er nachdachte. »Ich an deiner Stelle würde aushalten, Alki. Es ist die Chance deines, meines, unseres Lebens.« »Wir sind beide nicht arm, Roy.« »Auch nicht superreich, aber endlich läuft es darauf hinaus.« »Der Hauptanteil geht an die UNICO.« Nun machte Roy eine Andeutung, die der Grieche nicht sofort verstand. »Bist du sicher?« »Vertrag ist Vertrag«, bemerkte Narchos. »Die Griechen haben im Verlauf ihrer Geschichte im Wesentlichen nur Verträge gebrochen.« »Dann ist Collins erledigt.« Nach kurzem Zögern setzte Hackett seinen Partner ins Bild. »Alki«, sagte er, »ich wollte es verheimlichen, ich wollte dich nicht beunruhigen. Aber unser Freund Collins ist tot.« »Wie… wie ist das möglich«, keuchte der Grieche durch die viele tausend Kilometer lange Leitung von 72
der anatolischen Schwarzmeerküste bis nach Mitteleuropa. »Vermutlich Autounfall.« »Ich dachte, in einem Rolls stirbt man nicht.« »Es gibt Leute, die sterben, wenn eine Mücke sie sticht. Mein Ratschlag: Aushalten, Alki. Nur noch eine oder zwei Wochen.« »Und wenn sie mir das Handwerk legen und mich einbuchten?« »Dann buchte ich dich wieder aus«, versprach Hackett. »Ich vertraue dir«, sagte der Professor. »Ruf an, wenn es brennt. Dann bin ich zur Stelle.« Das Gespräch war beendet. Der Grieche ging einen Kaffee trinken. Die Nacht senkte sich herab. Düfte von Hammelbraten zogen durch die Gassen, dazu Klänge, erzeugt von Flöten, Mandolinen und Schlaginstrumenten, die nicht jedes Ohr erfreuten. Alkibiades Narchos kannte ein Hotel am Rande der Stadt, wo man als wohlhabender Mann alles fand, was das Herz begehrte. Er fuhr hinaus und daran vorbei. Heute begehrte sein Herz nur Ruhe. Dieser Hackett stellte sich alles viel zu einfach vor. Collins finanzierte das Geschäft, er holte unter Lebensgefahr den Schrott aus der Erde, und Hackett kassierte nur ab. Nein, so ging das nicht. Professor Narchos überlegte sich einen Weg, wie Hackett seiner Leistung entsprechend zu entlohnen sei. 73
Wer war er überhaupt, dieser Roy Hackett? * Am frühen Sonntagabend, als die Hitze nachließ, versteckte Narchos die Ausbeute der letzten drei Tage im bewährten Transportversteck. Dann fuhr er, Badehose, Flossen und Schnorchel im Matchsack, zum Schwimmen. Er schwamm gerne im Meer. Ausgerechnet der türkische Gendarmerie-Captain hatte ihm die Bucht gezeigt. Es gab keine unverhofften Strömungen dort, die einen aufs Meer hinauszogen und der Grund war sandig bis ins Tiefe. Ab und zu lagen ein paar mächtige Felsbrocken herum. Die Ebbe reichte aber nicht aus, um sie freizusetzen. Selbst bei stärkstem Niedrigwasser war noch reichlich Wasser über ihnen. Dorthin hatte der Professor den Aluminiumcontainer gebracht. In ihm befand sich die Beute aus dem Chalybia-Coup. Um nicht aufzufallen, man wußte nie, ob man beobachtet wurde, verhielt er sich am Strand stets auf dieselbe Weise. Narchos zog sich aus, streifte die Badehose über, dann die Flossen und setzte Schnorchel und Brille auf. Es handelte sich um eine völlig normale Taucherbrille. Die Flossen hingegen waren einige Nummern zu groß, Vor den Zehen befand sich genug Hohlraum für zwei Kilo Rohdiamanten. In breitfüßigem Entengang watschelte Narchos ins Wasser, wobei er die Erfrischung sichtlich genoß. 74
Die Eigenart dieses Küstenstreifens bestand darin, schon nach wenigen Metern steil abzufallen. Bald reichte dem Griechen das Wasser bis zu den Schultern. Schwimmend ging er auf Schnorcheltiefe. Mit kräftigen Zügen entfernte er sich etwa zweihundertvierzig Meter vom Strand. Zur Orientierung diente ihm unter anderem ein uraltes muschelbesetztes Dampferwrack. Sobald er es überquert hatte, atmete er mehrmals kräftig durch den Schnorchel. Links voraus sah er jetzt die drei klippenartigen Felsbrocken, die seinen Container schützend umgaben. Narchos Bewegungsrichtung war jetzt schräg abwärts. Mit dem Luftvorrat in der Lunge mußte er haushalten wie ein Perlentaucher. Es gab Tage, da nahm er das kleine Preßluftatemgerät mit. Aber für das, was er heute vorhatte, glaubte er, darauf verzichten zu können. Binnen zwanzig Sekunden war er bei den drei Felsen und schlüpfte wie ein Aal in die Öffnung, die sich nach oben hin bildete. Im Hohlraum unter den Steinen lief das x-mal geübte Programm ab. Narchos öffnete die Schnappverschlüsse des Koffers, riß die Flossen von den Füßen, zog die Leinensäcke heraus, staute sie zu den anderen Säcken im Koffer und schloß diesen wieder zu. Nachdem er sich vergewissert hatte, ob die Haken auch eingerastet waren, packte er die Flossen am Fersenteil. Das härteste Stück Arbeit war nun getan. Da die Luft jetzt wirklich knapp wurde, schlängelte er sich 75
aus der Öffnung und schoß nach oben. Dabei leitete er durch Ausatmen die Dekompression ein. Als er die Wasseroberfläche durchstoßen hatte, atmete er erst eine Weile ruhig, dann befestigte er die widerwillig gleitenden Gummiflossen an den Füßen und schwamm gemächlich zum Strand zurück. Der lag wie immer leer und verlassen. Die Sonne tauchte schon hinter die bewaldeten Hügel. Alkibiades Narchos streckte sich auf einer der Klippen aus und genoß die im Stein gespeicherte Wärme. Bis auf ein leichtes Rauschen der auf den Strand laufenden Wellen war es so still, daß sich Narchos von einem fremdartigen Geräusch plötzlich irritiert fühlte. Es hörte sich an, als versuche jemand Weizenmehl zusammenzupressen oder als gehe jemand in frischgefallenem Schnee, der zu tauen begann. Narchos öffnete die Augen. Aus seiner Perspektive wirkte der breitbeinig über ihm stehende Mensch riesig. »Du!« rief der Professor überrascht. »Hier?« »Man läßt seine Partner nicht im Stich.« »Mußt du aber gerannt sein. Das sind doch mindestens…« »Zweitausend Kilometer.« Aus einem Gefühl der Gefahr heraus wollte sich Narchos aufrichten. Da spürte er den Fuß des anderen auf seiner Kehle. Der Druck verstärkte sich und hinderte ihn an seiner Absicht. »Ruh dich aus«, sagte Roy Hackett, weniger besorgt als drohend. 76
»Bist du vom Himmel gesprungen«, keuchte der Grieche, »mit dem Fallschirm?« Noch versuchte er Hacketts Verhalten locker zu nehmen und sich auszureden, daß es abnormal sei. Doch der Druck auf seinem Kehlkopf verstärkte sich auf eine Weise, daß er ihm den Atem raubte. Roy Hackett bewegte sich zu Narchos herunter und erklärte: »Ich komme nicht vom Himmel. Im Gegenteil. Der Satan läßt dich grüßen.« Nun endlich begriff der Grieche, was die Stunde geschlagen hatte. Sein Partner hielt eine Waffe in der Hand, eine von der Sorte, die schon im Schrank so aussah, als habe sie Lust am Töten. Es gab Waffen, die waren Kunstwerke, und es gab Waffen, die flößten Furcht ein. Dieser Trommelrevolver hatte keinen Lauf. Dort wo bei anderen Schußwaffen der Lauf anfing, saß nur ein daumengliedgroßer Trichter. Den preßte ihm Hackett ins Weiche unter dem Kinn.
8. Das Haus des Professors lag in den Hügeln nördlich des Zubringers vom Flughafen nach Athen. Urban, der von Ellinikon hereinkam, mußte bergwärts tüchtig kurbeln. Der schwerfällige Chevrolet-Mietwagen nahm die Serpentinen höchst unwillig. Mindestens ebenso unwillig war Urbans Kollegin mitgekommen. 77
»Die feinen Sachen machst du«, schimpfte sie, »die miesen kriege ich zugeteilt. Nur wo es unentschieden ausgehen könnte, werde ich gnädigst eingeladen mitzukommen.« Urban ging nicht darauf ein. Diese Vorwürfe mußte er sich schon seit dem Abflug in Paris anhören. Deshalb achtete er gar nicht mehr darauf. »Von hier hast du einen Blick auf jeden startenden Jet.« »Wir haben abgemacht«, fuhr Molly Miles fort, und in ihrem Ärger war sie wirklich reizend, »daß Frauensachen Frauensachen sind. In diesem Fall übernehme ich prinzipiell alles, was mit Frauen zu tun hat. Ascott macht die Bank- und Finanzprobleme und du den Rest.« Der Chevi wimmerte wieder um eine enge Kehre. Meer und Küste lagen schon tief unten. Hier oben gab es Olivenhaine, wundervolle Piniengruppen, verschachtelte Villen mit flachen Dächern, meist waren die Villen weiß. »Bei gutem Wetter kannst du Cap Sunion sehen, und wenn es ganz klar ist, sogar den Apollotempel«, erwiderte Urban. »Verdammt, gib endlich Antwort auf meine Fragen.« »Es sind keine Fragen«, entgegnete er, »sondern Bemerkungen. Auf Bemerkungen antwortet man nicht.« »Du legst es dir aus, wie es dir paßt.« Das tat er. Von Anfang an hatte ihm diese Dreierformation nicht gepaßt. Vermutlich wäre er allein 78
ebensoweit wie mit Ascott und Molly gekommen. Aber die Bosse der NATO-Geheimdienste hatten darauf bestanden, daß es diesmal so und nicht anders zu handhaben sei. Ob es sich um eine Dreiteilung der Probleme, oder um eine Aufteilung des Knochens handelte, wollte er zu dieser Stunde noch nicht beurteilen. »Ja, wie es mir paßt«, bestätigte er. »Denn das, was du als mein Revier bezeichnest, nämlich den Rest, das hat sich in Nichts aufgelöst. Es gibt keine verfolgbare Autospur.« »Weil die Herren zu bequem waren.« »Wir taten das Notwendige.« »Auch das Menschenmögliche?« fragte sie anzüglich. Diese Fragen konnte er nicht beantworten. Was war das Menschenmögliche, wenn Momente in den Vordergrund traten, die sich nach Aufwand und Ergebnis orientierten? »Ich fand das Foto im Karton im Keller. Das war das Menschenmögliche«, fuhr Molly Miles fort. »Du befolgtest lediglich meine Anordnung.« »Du hast mir keine Anordnungen zu erteilen, okay?« »Dann folgtest du meinem Wunsche.« »Klar, ich las ihn dir von den Augen ab.« »Per Telefon«, spottete er. Sie waren fast oben am Berg. Jetzt kam noch ein Steilstück, das man vor fünfzig Jahren im Rückwärtsgang hätte nehmen müssen, aber der bullige Chevrolet schaffte es mühelos. 79
Urban bremste und deutete nach links auf die Hecke. »Das Haus dahinter muß es sein.« »Dann fahr in den Schatten und laß mich raus.« »Und wer hat die Adresse aufgetan?« erinnerte er. »Deine Computerabteilung.« »Also bin ich dran«, entschied er. »Von mir habt ihr den Tip.« »Den entscheidenden bekamen wir über Genf. Dadurch fanden wir erst die Querverbindung Narchos-Nero-UNICO.« Jetzt wurde Molly wütend, aber auf ganz leise Art, wie eine anschleichende Raubkatze. »Verdammt!« zischte sie, »dann ist der Fall für mich hiermit gestorben.« »Endlich wird einer vernünftig«, bemerkte Urban. Da sie nichts mit der Drohung ausgerichtet hatte, lenkte sie sofort wieder ein. »Das würde dir so passen, daß man in meine Personalakte hineinschreibt: M. M. ist unfähig, im Team zu arbeiten. So passen würde euch Mannsbildern das.« Urban seufzte. »Wie kann eine so hübsche intelligente Frau nur so unausstehlich sein.« Plötzlich war sie wie umgewandelt. Sie schlug die langen Beine übereinander, steckte sich eine Zigarette an und erteilte ihre Erlaubnis in Form einer gnädigen Handbewegung. 80
»Klopf du sie erst mal weich. Ich sahne dann ab.« * Trotz einer fiebrigen Sommergrippe saß Narchos Tochter auf der Terrasse und rauchte filterlose schwarze Zigaretten auf Lunge. Sie hatte Urban hereingelassen, weil er sich angemeldet hatte. Aber gut Kirschen essen war mit dieser Dame bestimmt nicht. Graziös wie ein Fischweib, das Haar ungepflegt strähnig, die Knie weit gespreizt, saß sie in einem verwaschenen Baumwollkittel, der so weit war, daß er nicht im geringsten auf das Vorhandensein eines weiblichen Körpers schließen ließ, da. »Sie wissen, warum ich komme«, begann Urban. »Sie sind von der UNICO in Genf.« »Wir haben lange nichts mehr von Ihrem Vater gehört.« »Ich auch nicht«, antwortete sie patzig. »Das beunruhigt uns.« »Mich nicht. Er rackert gerne still vor sich hin.« Urban hatte Mühe, die nächste Frage zu formulieren. Er wußte lediglich, daß es eine Verbindung Collins-Narchos gab, aber nicht, welcher Art sie war, ob diese Leute Geschäfte miteinander machten, und was Collins finanziert hatte. Ohne aufgefordert zu sein, nahm er Platz. Der Korbsessel hatte ein lockeres Bein. Urban verlagerte sein Gewicht auf die übrigen drei. »Sie können sich denken«, fuhr er fort, »daß etwas in der Luft liegt, wenn ich mich dieser Reise nach Athen unterzog.« 81
»Es liegt immer etwas in der Luft. Aber die Köpfe anderer Leute zerbreche ich mir niemals…« »Mister Collins hatte einen tödlichen Unfall.« »Ich las davon in der Zeitung.« »Er bearbeitete die Sache Alkibiades Narchos praktisch allein. Nun muß es ja einen Menschen geben, der das weiterführt. Aus den Unterlagen geht leider nichts hervor. Es existieren wohl auch keine Verträge.« »Es ging auf der Basis gegenseitigen Vertrauens«, erfuhr Urban. Kaum war er ein Stück weitergekommen, saß er schon wieder fest. Die Frage tat sich auf, ob ein UNICO-Abgeordneter wirklich so wenig unterrichtet sein konnte, wie er es war. Deshalb wurde Urban noch vorsichtiger, »Daß die Partnerschaft Ihres Vaters mit dem UNICO-Finanzchef auf einem Gebiet stattfand, auf dem Ihr Vater führend ist, das ist gerade noch ersichtlich. Gilt Ihr Vater«, Urban schwamm jetzt völlig, »als Experte auf dem Gebiet der Hethiter?« Das war wirklich alles, was man ihm in der Eile über Professor Narchos hatte mitgeben können. Urban haßte solche schlampig vorbereiteten, hastig durchgezogenen Einsätze. Andererseits hätte es zu lange Zeit erfordert, sich den nötigen Wissensstand zu verschaffen. Letztendlich ging es auch gar nicht um Narchos, sondern um den Mann im Hintergrund. Um Nero. Urban hatte gehofft, die Griechin sei ein wenig kooperationsbereit. Sie war es aber nicht. 82
»Hethiter, sechstes bis viertes Jahrhundert vor Christus«, antwortete sie knapp. »Und in diesen Abschnitt unserer Vergangenheit hat sich Ihr Vater derzeit begeben?« »Offensichtlich.« »Ins alte Hethiterland«, stieß er nach. »Wahrscheinlich »Reichte es nicht einst vom Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer, bis zum heutigen Libanon und Syrien?« »Um fünfhundert war es nur noch halb so groß.« Er stellte eine neue Frage, aber Helena Narchos hörte sie nicht. Sie bekam einen Hustenanfall. »Was sagen Sie?« fragte sie danach. »Sie waren gerade dabei, mir zu sagen, wo Ihr Vater weilt.« Sie stellte den Kopf schräg und nahm die Überheblichkeit einer Musterschüler in an. »Noch nie von Chalybia gehört?« »Eigentlich nein«, gestand Urban wahrheitsgemäß. Das löste eine unerwartete Reaktion aus, einen derart explosiven Ausbruch, daß er keine Zeit mehr hatte, nach der Ursache zu forschen. »Ich will es Ihnen sagen«, fuhr ihn die Griechin im Büßerhemd an, »warum Sie nichts von Chalybia hörten, weil Sie nämlich weder aus Genf noch von der UNICO kommen. Sie sind nichts anderes als ein ungebildeter Prolet, ein unverschämter Schnüffler, der es wagte, unter einem Vorwand in mein Haus einzudringen. Entweder Sie verlassen innerhalb 83
einer Minute dieses Anwesen, oder ich rufe die Polizei.« »Das stört mich nicht«, erwiderte Urban, »ich habe Freunde dort.« Er ging aber trotzdem. Auf dieser Basis kam keine fruchtbare Zusammenarbeit mehr zustande. Außer der erstklassigen Aussicht, ebenfalls von der griechischen Sommergrippe erfaßt zu werden, war hier nichts zu erben. Ziemlich belemmert verließ er die Terrasse, ging um das Haus herum und durch den Garten zum Tor. Um den Rahm fett zu machen, stach ihn auch noch so ein bösartiges Insekt, und zwar an einer Stelle, wo man nicht hinkam. Es mußte durch die Hemdmanschette im Ärmel hochgekrabbelt sein war dann irgendwie an seinen Rücken geraten, hatte sich dort bedrängt gefühlt, und in Todesangst zugestochen. Eine Biene, eine Wespe vielleicht. So ein Stich brachte einen Mann nicht um. Von Bienenstichen behauptete man sogar, daß sie das Leben verlängerten. Trotzdem wurde es Urban recht komisch im Kopf. Plötzlich sah er alles unscharf, dann wieder doppelt, als hätten seine Augen die Fähigkeit des Synchronisierens verloren. Er wußte, daß es nicht an den Augen liegen konnte. Solche Vorgänge steuerte das Gehirn. Also lag der Fehler dort. Seine Bewegungen kamen ihm zeitlupenhaft vor. Mit vier Händen öffnete er zwei Tore und taumelte auf vier Beinen zu zwei weißen Chevrolets hinüber in dem mehrere Blondinen saßen. Er versuchte zu 84
rufen, aber sein Mund blieb stumm. Endlich sahen ihn die Blondinen. Sie stiegen aus, kamen ihm entgegen und fingen ihn mit vier Armen auf. Dann fiel die Blende. Von irgendwoher leuchtete eine gedämpfte violette Sonne. Urban begann zu frieren. Schwere Schüttelfröste überfielen ihn. Gleichzeitig spürte er, wie an ihm herumgefummelt wurde. »Was machst du?« schnatterte er. »Ich zieh dich aus, du Klugscheißer.« »Und warum, Molly-Baby, ich bin doch kaputt wie ein geplatzter Luftballon.« »Dich hat wohl noch nie eine Narkosepatrone erwischt, he? Verdammt, wo steckt bloß das Ding!« Er fühlte sich wie einen Geist im Raum schweben, aber der Sprechfunk zur Umwelt arbeitete noch. »Rücken links. Höher. Schulterblatt.« Plötzlich erreichte ihn, der körperlos im Weltraum zu treiben glaubte, ein irdischer Schmerz. Die CIA-Agentin hatte ihm nicht nur das pfeilartige Giftgeschoß der Druckluftwaffe entfernt, sondern auch noch ins Fleisch gebissen, um es zum Ausbluten zu bringen. Die Beeinträchtigung durch das Gift war immerhin so stark, daß der Verdacht bestand, die Wirkung der Ladung könnte ihn umbringen. Unfähig, sich zu bewegen, mit gerade noch funktionierender Atmung und stark reduziertem Kreislauf, lag er auf dem Rücksitz. Ein Stich in die Gesäßmuskulatur drang bis zu ihm in den Weltraum. »Was war das?« 85
»Eine Injektion. Oder soll ich dich erst um Erlaubnis bitten?« »Du bist so besorgt um mich, Molly.« »Nur um meinen Partner.« »Nein, du bist echt nett zu mir.« »Merk dir eines, Bob Urban«, vernahm er sie nach Abgabe der Stabilisierungsspritze, »was mein Gefühl als Frau zu dir als Mann betrifft, so konnte ich dich glatt an die Leine hängen wie ein Stück Dörrfleisch. Außerdem fanden wir uns nicht zusammen, um lieb miteinander zu sein.« »Gib mir eine Zigarette«, bat er wenig später. »Sorry, keinerlei Service außer dem unbedingt notwendigen.« Sie ließ die Scheiben des Chevi hochfahren. »Damit sie dich nicht klauen.« »Geklaut oder erstickt werden, ist doch egal.« »Ein Spalt bleibt offen.« »Wo gehst du hin?« »Mir dieses Herzchen Helena Narchos vorknöpfen«, erklärte Molly Miles, stieg aus, schoß die Türen, sperrte sie zu und entfernte sich. Bob Urban war nicht sicher, wessen Lage er im Moment für die kritischere halten sollte. Seine oder die von Narchos’ Tochter. * Im Hotel kam Urban langsam auf Touren. Der Gleichgewichtssinn stellte sich wieder ein. Die Sehschärfe, die Kontrolle über Muskeln und Sehnen 86
kehrten zurück. Er lag auf dem Bett und starrte auf seine Füße. »Sie kommen mir wie Größe Sechzig vor.« »Auch das gibt sich«, versicherte Molly. »Wie hast du mich hierhergebracht?« »Wie einen betrunkenen Saufbold. War aber kein Problem. Ich stamme aus Wisconsin und kann das. Ich hatte zwei Brüder.« »Die brannten heimlich Schnaps im Walde«, murmelte Urban. Sie nickte verblüfft. »Woher weißt du das?« »Du hast außerdem noch eine Mutter.« »Stimmt. Sie ist jetzt Mitte Fünfzig und gelähmt. Ein mit Drogen vollgepumpter Schwarzer hat sie angefahren und ist geflüchtet. Die Versicherung hat behauptet, meine Mutter sei im Whiskyrausch mit dem Rücken auf die Borsteinkante gefallen.« »Das tut mir leid«, sagte Urban, »so genau wußte ich es nicht. Und das mit deinen Brüdern war frei erfunden. Davon steht nichts in dem Kurzdossier, das wir über dich führen.« »Und das du vor deinem Einsatz natürlich studiert hast.« »So wie du meines und das von Tim Ascott und wie Tim das von dir.« »Du und Tim, ihr betreibt wohl schon lange eure europäische Kumpanei.« »Da kennst du die Briten schlecht«, erklärte Urban. »Sie sind Insulaner, bestenfalls Randeuropaer. Mit einem Deutschen würden sie sich niemals ver87
brüdern. Trifft es wirklich zu, daß die Leute in Wisconsin soviel trinken wie man behauptet?« »Noch mehr«, schätzte Molly. Trotz der Hitze im Hotel begann Urban wieder zu frieren. Offenbar handelte es sich um die Gegenreaktion seines Kreislaufs auf das Narkosemittel. »Diese verdammten Giftnadelwaffen«, fluchte er. »Du kannst mitten in Athen schlimmer dran sein als am Amazonas bei den Blasrohrindianern.« »Ich kenne so ziemlich alle Hersteller von Betäubungsmunition dieser Art«, äußerte Molly. »Man ist heute in der Lage, flugstabilisierte Giftgeschosse vom Stecknadelkaliber bis zur daumendicken Dimension Marke Vorschlaghammer zu bauen und zu verfeuern. Wir experimentieren allerdings schon mit selbstauflösenden Kugelprojektilen.« »Damit schießen japanische Fischer ihre Wale und Delphine schon seit Jahrzehnten.« »Aber so ein Ding wie das da«, Molly hob den fast durchsichtigen glasfaserähnlichen Pfeil, »habe ich noch nicht gesehen. Muß sich um eine private Entwicklung handeln.« Urban bat darum, sie möge ihm das Ding für das BND-Labor überlassen. Molly behauptete, das CIALabor sei besser, deshalb behalte sie es. Auf seinen Einwand, in wessen Körper sich das Ding eigentlich befunden habe, antwortete sie, er möge sich gefälligst erinnern, wer es entfernt habe. Um neuen Streit zu vermeiden, sagte er; »Ich hätte eine Bitte an dich, aber nicht unter diesen Umständen.« 88
»Tu dir keinen Zwang an.« »Wie lange liege ich schon so herum?« wollte er wissen. »Nur zwei Stunden.« »Was gibt es Neues?« »Ascott meldete sich. Er hat eine Bank ausfindig gemacht, auf der Collins geheime Konten und Schließfächer unterhielt. Er versucht sein Bestes, um heranzukommen.« »In der Schweiz?« »Vermutlich.« »Ascott ist gelernter Banker, er kennt die Gesetze dort. Das schafft er nie. Es sei denn, es gelingt ihm, dieser Bank Verstöße nachzuweisen. Aber das wird schwer sein. Nun, das ist sein Problem.« »Er wird uns auf dem laufenden halten.« »Von wo rief er an?« »Aus Genf denke ich.« Das war auch eines der Probleme bei amerikanischen Kollegen. Eine für die USA normale Entfernung von Stadt zu Stadt entsprach in Europa dem Abstand ganzer Länder. Eine Reise von Boston nach Miami kam der von Hamburg nach Moskau gleich, aber der Unterschied war hier riesig. Zwischen Hamburg und Moskau lagen ganze Welten. Das vergaßen die Amerikaner gern. »Und wie klappte es bei dir?« erkundigte sich Urban. Diese Frage schien Molly wieder in Rage zu versetzen. Aber nicht Urbans wegen. »Beschissener«, schimpfte sie, »konnte es mit die89
ser Helena Narchos nicht laufen. Aus dieser fetten Wanze war kein Wort herauszuholen.« Im Zustand strahlender Gesundheit hätte Urban vielleicht Schadenfreude empfunden. In seiner gegenwärtigen Situation war er dazu nicht in der Lage. »Dann gute Nacht«, murmelte er und zog schlotternd die Decke zum Kinn. »Du hattest eine Bitte an mich«, vernahm er Molly’s Stimme. »Ich kann es selbst erledigen.« »Es hat also keine Eile?« »Es hat schon Eile, aber ich möchte, daß es in meinem Laden gemacht wird und nicht in deinem.« »Okay«, sagte sie, »wenn du es verlangst, dann werde ich es an dein Labor weiterleiten. Ich bin loyal, verstehst du, ich pflege meist Abkommen auszuhandeln, die man auch einhalten kann. Aber ich hasse es, wenn man mal so und mal anders manipuliert wird.« »Wer manipuliert dich?« fragte Urban erstaunt. Lächelnd wich sie seiner Frage aus. »Also, um was geht es?« »Ruf mein Hauptquartier an. Laß dich mit Professor Stralman oder seinem Vertreter verbinden, und gib ihm folgendes Stichwort: Chalybia.« Molly wiederholte. »BND-Zentrale München Pullach, Professor Stralman. Stichwort Chalybia. Was willst du darüber wissen?« »Alles, was zu erfahren ist. Von Ulm, in Ulm und um Ulm herum.« 90
»Wie lautet Letzteres bitte?« »Das darfst du vergessen«, sagte er. Während er weiter vor Kälte schlotterte, hörte er sie gehen. In der nächsten halben Stunde war Bob Urban sicher, daß seit Bestehen der Welt, im Sommer in Athen, noch nie ein Mann so gefroren hatte wie er. Als er wieder einmal die Augen öffnete, sah er Molly Miles neben dem Bett stehen. Sie zog gerade die Bluse aus. Der Anblick nackten Fleisches wärmte leider auch nicht. »Alles wunschgemäß erledigt«, berichtete die Amerikanerin und schlüpfte aus dem Rock. Jetzt hatte sie nur noch Slip und BH an. Ganz im Gegensatz zu ihrer stahlhart verstärkten Wesensart wirkte ihre Anatomie absolut weiblich. Nicht superweiblich, eher im Teenager-Endstadium. Alles war hübsch rund ausgeformt und dennoch schlank. Nun schnappte auch der weiße Spitzen-BH auf und wurde über eine Sessellehne gehängt. »Darf ich fragen«, setzte Urban an, »was du vorhast?« Ihre Antwort klang sachlicher als das was sie tat. »Ich habe mich umgesehen. Im ganzen Hotel gibt es keine Heizdecke, und keine Gummiwärmflasche. Möglicherweise würden noch ein paar irdene Bettsteine in einer Kammer lagern, man weiß aber nicht wo und man weiß auch nicht, wie man sie erhitzen soll. Da dachte ich mir…« »Das ist lieb von dir.« 91
»Das Wort lieb mag ich in diesem Zusammenhang gar nicht. Ich tue es rein aus Partnerschaft.« Als sie neben ihn unter die Decke kroch, äußerte sie einen Vorbehalt: »Ich hoffe, daß du das nicht auf schandbare Weise ausnützen wirst, Bob Urban.« »Du meinst, alles sei nur ein schmutziger Trick von mir.« »Ich habe dein Dossier gelesen. Selbst dieser Trick wäre noch lange nicht einer deiner schmutzigsten gewesen.« »Ich schwöre«, sagte er. »Was?« Er brauchte gar nicht zu schwören. Er war sicher, daß er sie nicht berühren würde.
9. Bei der Rückverfolgung der Spur war Dr. Tim Ascott auf die Adresse einer kleinen Privatbank in Aigle gestoßen. Anläßlich eines Gespräches, das am Vormittag in der Regierungshauptstadt stattfand, konnte Ascott Material auf den Tisch legen, das er für beweiskräftig hielt. Dem inoffiziell anwesenden Schweizer Geheimdienstbeamten hingegen genügte es nicht. Der Schweizer spielte seine Rolle recht gut. Ihm ging es um zwei Dinge. Er wollte grundlegend informiert sein und sich grundsätzlich aus allem heraushalten. Liebend gerne hätte er zudem die Tätig92
keit des Auslandsgeheimdienstes Ihrer britischen Majestät völlig unterbunden. Aber das hätte keine Macht der Welt jemals geschafft. Also versuchte er es gar nicht erst. Alles unter Kontrolle zu haben, ohne dabei in Erscheinung zu treten, das war für ihn das Maximum des Erreichbaren. »Und was, bitte, beweist das?« fragte er gerade so laut, daß es die Geräusche in der Hotelbar übertönte. »Daß der Kampf um das Flüchtlingssterben in der dritten Welt wieder einmal verlorengeht, wie so oft schon. Diesmal aber endgültig«, antwortete Ascott. »Durch die Schiebungen dieses Mister Collins?« »Er war Bevollmächtigter Finanzdirektor der UNICO.« Der Schweizer winkte ab. »Die UNICO sitzt mit ihrer europäischen Hauptverwaltung im Palais des Nations in Genf. Bei Organisationen wie UNO, UNICEF oder UNICO hört unser Einfluß auf. Da wird die Sache irrational.« »Wissen wir«, sagte der zweite, im Gegensatz zu Ascott eher wie ein Italiener aussehende Engländer. »UNICO, das ist ein Brei aus Politik, wirtschaftlichen Interessen, Menschenrechten und dem Unrecht, das anderen durch diejenigen zugefügt wird, die diese Rechte voll in Anspruch nehmen können, weil sie besser bewaffnet sind als ihre Nachbarn. Sind wir hier, um wie in der Vollversammlung zu reden, oder wollen wir ein Ergebnis?« Nun schaltete sich Tim Ascott ein. 93
»Folgende Blitzbilanz konnte ich ermitteln. Vor Jahren verfügte die UNICO über ein ZweihundertMillionen-Vermögen. Die Zuflüsse an Spenden entsprachen den Abflüssen für Hilfsgüter und Aufwand. Mit einem Mal verdoppelten sich aber die Abflüsse für Hilfsgüter, während sich das Volumen der Lieferungen halbierte. Wohin gingen die rund fünfzig Millionen Dollar? Ich fürchte, ich kenne zumindest einen Kanal, durch den sie versickerten. Er muß sofort gesperrt und trockengelegt werden, denn schon vergiften Gerüchte über eine chaotische Finanzschlamperei die Atmosphäre. Die Spendeneingänge sind praktisch auf Null abgesackt.« »Und Garry Collins hat das verschuldet?« fragte der Schweizer Beamte. »Offenbar.« »Man wird es allgemein kundtun müssen, also eine Art Offenbarungseid.« »Das allein bringt das Vertrauen nicht zurück.« »Sondern?« erkundigte sich der Schweizer. »Man wird die Summe wiederhaben wollen.« »Wer?« »Die Spender in der westlichen Welt, die Öffentlichkeit.« »Wenn das zu machen ist, warum nicht?« »Solange wir mit Schweizer Banken zu tun haben, scheint das aussichtslos.« »Unser Bankgesetz ist uns heilig.« »Dem internationalen Verbrechertum auch«, bemerkte Ascott bitter. Doch der Schweizer Beamte ließ sich nicht in die 94
Ecke drücken. »Das allein ist nicht der Grund, weshalb ich an Ihren Beweisen zweifle.« »Sondern?« »Ich will auch nicht unsere Ohnmacht den Banken gegenüber herunterspielen.« »Sondern?« bohrte Ascott erneut. »Weil«, antwortete der Schweizer, seine Gesprächspartner abwechselnd fixierend, »weil ich mir die Frage stelle, was ein einzelner Mann wie Garry Collins mit fünfzig Millionen Dollar anfangen willIhre Theorie würde zutreffend sein, wenn er sich drei oder auch zehn Millionen in die Tasche gesteckt hätte, aber bei dieser Größenordnung muß etwas anderes dahinterstecken.« Der zweite MI-6-Agent hakte sofort nach. »Und was ändert das?« »Es ist ein so großer Brocken, daß das ganze Problem nur UNICO-intern gelöst werden kann.« »Also international«, präzisierte Ascott, »über internationale diplomatische Kanäle.« »Richtig«, bestätigte der Beamte. »Das geht lautlos, und die Öffentlichkeit erfährt fast nichts davon.« »Was im Interesse der neutralen Schweiz, auch als Europas Goldtresor, wünschenswert wäre.« »Und vor allem«, fügte Ascotts Kollege hinzu, »es dauert eine oder mehrere Ewigkeiten lang. Bis dahin kann eine Menge unter den Teppich gekehrt werden.« »Was ich hoffe«, gestand der Schweizer. »Wir aber sehen eine Katastrophe auf uns zukommen.« 95
»Ich fürchte, hier übertreiben Sie maßlos, meine Herren.« Ascott leerte seinen Tee, verzichtete aber auf den Rest in der Kanne. »Also, keinerlei Hilfe von Berner Regierungsseite?« »Damit konnten Sie nicht ernsthaft rechnen, Gentlemen.« »Wir rechneten mit Hilfe in Form von Wegsehen«, erklärte Ascott. Der Schweizer legte den seinem Kassenbon entsprechenden Betrag aufs Tablett, abgezählt auf Franken und Rappen und hatte es eilig. »Ich muß Bericht erstatten.« »Wann?« fragte Ascott. »Heute Vormittag noch.« Ascott schaute auf die Uhr und rechnete. »Und wenn Ihnen heute vormittag aus irgendeinem Grund übel würde?« »Ich bin kerngesund«, versicherte der Schweizer. »Angenommen, Sie erschienen heute nicht mehr zum Dienst?« »Dann würde mein Bericht morgen fällig.« »Besteht denn gar keine Chance, daß Ihnen vielleicht doch etwas zustößt?« deutete Ascotts Kollege vorsichtig an. »Kaum. Ich bin ein überaus vorsichtiger und umsichtiger Mensch.« »Wir sind gerne bereit, etwas nachzuhelfen. Wie wär’s mit einem kleinen Unfall?«
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Der Schweizer hatte die beiden längst verstanden. »Und was nützen Ihnen die paar Stunden?« »Viel.« Der Schweizer Beamte nickte. »Sie haben recht«, sagte er. »Wenn ich Sie noch ein bißchen schärfer ansehe, dann wird mir wirklich schlecht.« * An der Autobahnverbindung Bern-Lausanne fehlten noch immer ein paar Kilometer. Vielleicht lag es an den Schweizer Gastarbeitergesetzen, daß sie nie damit fertig wurden. Ascott geriet in den üblichen Stau. Knapp eine Stunde konnte er die hervorragende Straßenlage und Motorleistung seines Jaguar kaum genießen. Dann lief es wieder einigermaßen flott, und er erreichte die kleine Stadt Aigle um 14 Uhr 30. Eine gute Zeit, um einen Bankdirektor zu sprechen. Um 14 Uhr 30 kam der Bankchef vom Essen, hatte wahrscheinlich ein Völlegefühl und machte sich Vorwürfe, wie immer zu üppig gespeist zu haben. Ein Ausgleich durch Arbeit war kaum mehr zu erreichen, da bei einer guten Schweizer Bank das Wichtigste bis zum Mittagsläuten erledigt zu sein hatte. Der Nachmittag war meist dem Empfang prominenter Kunden, Gesprächen mit Geldleuten, Finanziers. anderen Bankchefs zwecks dezenter Einleitung neuer ertragreicher Transaktionen vorbehal97
ten. Da sich Privatbanken mit gewissen Geschäften nicht befassen durften, verlegten sie sich auf die ihnen offenen um so stärker. Deshalb hatte der Direktor der Creditbank-Aigle auf Ascotts Anruf hin auch sofort einem Termin zugestimmt. Tim Ascott parkte seinen Luxus-Jaguar auf dem Parkplatz für Bankkunden und blieb noch für eine Zigarettenlänge sitzen. Während er sich die Fassade des Bankgebäudes ansah und ihr Äußeres mit dem abglich, was er über das Unternehmen erfahren hatte, schwor er, daß es hier besser klappen müsse als vor wenigen Stunden in Bern. Sein Schweizer Kollege hatte fast alles erreicht, was er wollte, und sie so gut wie nichts. Nicht einmal mit Hinweisen darauf, ob die Aigler-Creditbank schon in Gerichts- oder Aufsichtsverfahren verwikkelt worden war, wollte der Schweizer dienen. Er schob seinen Bericht um zwölf Stunden hinaus, das war aber auch alles. So mußte sich Ascott damit begnügen, was ihm die Zentrale von MI-6 London mit ihren hervorragenden Verbindungen zu allen Banken der Welt an die Hand gegeben hatte. Bei entsprechender Taktik sollte es ausreichen, um die Herren dort oben in der Chefetage gefügig zu machen. Um 14 Uhr 45 war Tim Ascott mit Monsieur Marcellier verabredet. Um 14 Uhr 44 stieg er aus. Im Begriff, seinen Mantel im Kofferraum des Ja98
gur zu deponieren, unterließ er dies, sperrte ab und setzte mit der Zentralverriegelung automatisch die Alarmanlage in Betrieb. Drei Minuten später befragte ihn Marcelliers Sekretärin. Sie wollte wissen in welcher Sprache er sich mit dem Direktor zu unterhalten wünsche. Das sei ihm egal, antwortete Ascott, er käme auch in Chinesisch einigermaßen zurecht, aber am Telefon hätten sie wohl französisch gesprochen. Um 14 Uhr 50 wurde er in das Chefbüro eingelassen. Es unterschied sich von dem Büro eines Züricher oder Luganer Bankdirektors nur in Kleinigkeiten. Marcellier hingegen wirkte auf Ascott völlig unschweizerisch. Er mochte Anfang Vierzig sein, war elegant und so braungebrannt, als lebe er nur auf Gipfelhöhen oder an der Riviera, ein echter Frauentyp. Mit dem wirst du fertig, dachte der MI-6 Agent. Der Schweizer ging freundlich auf ihn zu, als kenne man sich bereits aus dem Golfclub. * Es begann wie ein Gespräch unter Fachleuten. Im wesentlichen ging es um die ewige Suche nach der Henne, die goldene Eier legt, nach der Möglichkeit auf dem Euro-Markt Geld ohne Risiko anzulegen. Ein Thema, das einen echten Banker bis in die Träume verfolgte. »Den Idealfall gibt es eben nicht«, faßte der 99
Schweizer zusammen. »Gewinn hoch, Risiko niedrig, das ist sehr, sehr selten.« »Staatspapiere«, riet Ascott, »die Deutschen legen jetzt Zehnprozenter auf.« »Eine Anlage sicher wie Gold, aber wo bleibt die Rendite? Die Inflation in Europa liegt im Schnitt bei vierzehn Prozent.« »Die Italiener zahlen bis zu fünfundzwanzig Prozent Zinsen.« »Würden Sie da hoch einsteigen?« »Nicht in die Lira«, gestand Ascott. Ein wenig später fragte Marcellier: »Sie waren bei der Bank of England beschäftigt?« Jetzt schoß Ascott den ersten Torpedo ab: »Und später bei der Internationalen Bankenfahndung.« Der Schweizer lächelte. »Und jetzt? Ich meine heute?« »Bin ich anderswo tätig.« Das Lächeln des Schweizers versäuerte zusehends. Der anfangs so interessante Kunde verlor sein Interesse, je mehr Marcellier das Interesse seines Besuchers zu wecken schien. »Und womit kann ich dienen, Mister Ascott?« Der MI-6 Agent hatte diese Frage erwartet und war auf sie vorbereitet. Er entnahm seinem umfangreichen aber fast leeren Aktenkoffer einen roten Hefter. Darauf stand nur ein Wort. Selbst der Ungeübteste hätte die sieben Buchstaben auch in Spiegelschrift lesen können. »Es geht um Collins«, sagte Ascott. »Garry Col100
lins, Genf. Ihr Kunde seit…«, Ascott entnahm das Datum einer Notiz im Inneren des Hefters und nannte es. »Seit gut drei Jahren also.« Marcellier schnappte erwartungsgemäß zu. »Bedaure, über unsere Kunden geben wir keine Auskünfte.« »Das weiß ich«, erwiderte Ascott. »Mich interessieren ja auch nur Safes, Depots und Konten.« Es war dasselbe, als ginge er zu einem fremden Arzt und wollte die Krankheiten eines x-beliebigen Patienten in den letzten drei Jahren erfahren, obwohl der Arzt der Schweigepflicht unterlag. Selbstverständlich kannte Marcellier die Gesetze. Als er antwortete, schien er deren Schutz sichtlich zu genießen. »Von einem Monsieur Garry Collins weiß ich nichts.« »Sollten Sie nicht erst lieber in der Kartei blättern?« schlug Ascott vor. »Unnötig. Sonst noch etwas, Monsieur?« Das klang nach Rausschmiß. »Merkwürdig«, fuhr Ascott fort, »wir von der UNICO-Behörde in Genf wissen eine ziemliche Menge über die Collins-Konten bei Ihnen. Was glauben Sie, warum Collins ausgerechnet Ihr Geldinstitut für seine Transaktionen ausgesucht hat, doch nur, weil er seine unterschlagenen Millionen den Großbanken nicht anvertrauen wollte.« Direktor Marcellier erblaßte. »Da muß ich«, setzte er an, »da muß ich erst unseren Aufsichtsrat zusammenrufen.« 101
Ascott schlug die Beine übereinander, stützte das Kinn auf die Hand und erklärte: »Dann rufe ich die Polizei zusammen.« Solche Drohungen im Chefbüro einer als seriös geltenden Schweizer Bank waren im Grunde genommen eine Ungeheuerlichkeit. Sie verfehlte ihre Wirkung nicht. »Woher um Gottes willen«, stöhnte der jetzt nicht mehr so gletscherbraune Marcellier, »wissen Sie das?« Ascott gab ihm die Antwort: »Bankenfahndung!« »Machen wir ein Ende mit der Quälerei. Was wollen Sie?« Ascott wählte ein noch größeres Torpedokaliber. »Wer spricht von wollen. Ich fordere, Monsieur!« Der Engländer gab es Marcellier jetzt so dick wie er nur konnte. Immer, wenn er solchen Leuten gegenübersaß, mußte er daran denken mit welcher Unverschämtheit sie einmal Gesetzeshürden niedergerissen, wenn es um Geschäfte ging, und wie schnell sie die Gesetze wieder in Anspruch nahmen, um sich hinter ihnen zu verschanzen, »Und was fordern Sie?« erkundigte sich der Direktor. »Alle Einlagen auf Konten von Collins oder zugunsten von Collins sowie Öffnung der Wertpapierdepots und der Safes.« »Das kostet mich meine Stellung und unserer Bank ihren Ruf.« »In der Tat«, stimmte ihm Ascott zu. »Wenn man 102
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Aufhebens von der Sache macht. Aber wir sind bereit, alles so lautlos wie möglich abzuwickeln.« »Ich sehe da ungeheure juristische Probleme.« »Collins ist tot«, erwähnte Ascott. »Seine Erben leben.« »Seine Erben erheben keine Forderungen. Wir hingegen haben Forderungen an die Erben. Es handelt sich um die Mister Collins in seiner Eigenschaft als Finanzdirektor der UNICO anvertrauten Gelder, von denen er für private Zwecke hohe Beträge abzweigte. Außerdem kennen wir die Kontonummern. Wir, Monsieur Marcellier, sind also die legalen Erben. Außerdem sind wir allen Menschen gegenüber, die der Welthilfeorganisation ihre Spenden anvertrauten, verantwortlich.« Der Schweizer bekam eine feuchtglänzende Stirn. Seine Finger zitterten. Er versuchte es zu unterdrükken, indem er sie zu Fäusten ballte. Die Fäuste schienen ihm kurzfristig Kräfte zurückzugeben. »Nein, das geht nicht«, erwiderte er rauhstimmig aber fest. Noch einmal griff Tim Ascott in seinen Aktenkoffer. Diesmal entnahm er ihm einen zweiten Hefter, auf dem ein anderer Name stand. Es war der des Direktors. Er reichte die Akte Marcellier und bat mit folgenden Worten um Einsichtnahme: »Dies hier, Monsieur, geht aber auch nicht. Verbotene Transaktionen mit Devisen kurz vor der letzten Francaufwertung, Verkauf von Wertpapieren an Ausländer trotz Sperre, Handel mit Goldzertifikaten in unerlaubter Form…« 103
»Das ist Erpressung«, stöhnte Marcellier. »Sind Sie bereit, mit mir sofort die Collins-Safes zu öffnen und die Guthaben aller Collinskonten heute noch an die UNICO zu überweisen?« Der Schweizer stand auf und schwankte sichtlich. »Kommen Sie!« »Dann sichere ich Ihnen absolute Diskretion zu«, versprach der MI-6 Agent. * Der Inhalt der Schließfächer, bestehend aus Barrengold, Bargeld in Hartwährungen und einem Säckchen Smaragden, übernahm Tim Ascott im Keller der Credit-Bank. Für das Gold stellte man ihm einen Metallkoffer zur Verfügung. Den fünfundsechzig Kilogramm wäre sein eigener nicht gewachsen gewesen. In Marcelliers Privatbüro unterzeichnete Tim Ascott die Quittungen und nannte die Konten für die Überweisungen der etwa sieben Millionen Franken von Collins geheimen Einlagen. Rückfragen über Zentralcomputer ergaben, daß es sich um die Geschäftskonten der UNICO handelte. Marcellier war nicht zufrieden, aber erleichtert. Als er Ascott zum Lift brachte, sagte er: »Das alles war ein wenig illegal.« »Aber der einfachste Weg für uns alle.« »Übrigens, ein Tip von mir. Halten Sie das Gold möglichst lange fest. Soeben kam über Fernschreiber durch, daß London wieder sechshundert Dollar pro Unze notiert. Tendenz steigend.« 104
»Ich weiß«, sagte Ascott, »niemand würde jetzt Gold veräußern, aber wie sollte die UNICO einer Revision klarmachen, daß sie für über eine Million Dollar Gold herumliegen hat und in Ostafrika verhungern die Kinder? Wir werden das Gold auch zu einem weniger günstigen Kurs als in einem Monat zu erzielen sein wird verkaufen. Und Sie, Monsieur Marcellier, werden uns gewiß einen sehr guten Preis bieten. Sie hören von mir.« »Lieber nicht«, bat der Bankier. Ascott fuhr mit dem Lift hinunter und rangierte den Jaguar vom Parkplatz in den Innenhof der Bank. Dort stand, bewacht von einem Bankangestellten, eine Transportkarre mit dem Collins-Gold. Als Ascott schon den Schlüssel im Schloß des Kofferraumdeckels stecken hatte, überlegte er es sich anders. »Stellen Sie den Behälter rechts vor den Rücksitz wegen des besseren Gewichtsausgleichs.« »Wie Sie wünschen, Monsieur.« Den Behälter mit fünfundsechzig Kilobarren Feingold sowie Ascotts Handkoffer mit wenig Akten und viel Bargeld fand man niemals wieder. Was man schließlich fand, war sein Jaguar. Er lag in einer Schlucht der Grimselpass-Straße. Der Luxuswagen war so kaputt wie ein Wagen nur sein konnte, der in ein hundertfünfzig Meter tiefes Felsloch stürzte. Noch schlimmer war die Leiche zugerichtet. Man hatte sie offenbar vorher mit Benzin übergossen und angesteckt. Durch den Aufprall und das Feuer war 105
der Jaguartank schließlich explodiert und hatte den Rest besorgt.
10. Zehntausend Meter tief unter ihnen im Dunkel der Nacht lag der Persische Golf. Aber es gab Regionen, die schienen taghell beleuchtet zu sein. »Wir, die oft hier drüberfliegen«, sagte einer der DC-9 Passagiere, »nennen es das Land unter der Mitternachtssonne.« »Woher kommt das Licht?« »Milliarden von Kubikmetern Erdgas werden einfach abgefackelt.« »Nutzlos?« »Wenn man bedenkt, daß man daraus billigen Dünger gewinnen könnte, dann ist es fast schon ein Verbrechen.« »Dünger gibt es doch genug.« »Nur können die Armen in der dritten Welt ihn nicht mehr bezahlen.« »Wir können das Benzin für unsere Autos auch nicht mehr bezählen«, bemerkte ein Franzose. »Nur mit dem feinen Unterschied«, erklärte ein Herr im dunkelblauen Anzug, der seit Kairo kein Wort geäußert hatte, »daß man ohne Auto noch ganz gut, ohne Brot aber nicht sehr gut leben kann.« »Ich habe in meinem Leben noch keinen Menschen gesehen, der am Hunger starb«, erwiderte der Franzose. 106
»Dann kommen Sie doch mit uns«, schlug der Herr im dunklen Anzug vor, »nach Kambodscha.« * Ein Journalist, der die in Sachen Hunger reisenden UNICO-Delegierten befragte, war der Meinung, es gebe so viele unterschiedliche Angaben über die Ausmaße der weltweiten Hungerkatastrophe, daß er selbst schon nicht mehr daran glaube. »Einmal spricht man von zweihundert Millionen an Hunger leidenden Kindern, dann wieder von fünfhundert Millionen, was ist nun eigentlich gesichert?« wollte er wissen. »Das hängt davon ab, welche Kalorien man ihnen pro Tag zugesteht«, lautete die Antwort der Experten. »Sind Sie mit tausend Kalorien zufrieden?« »Nicht gerade, Sir. Das wäre eine Diät.« »Na sehen Sie. Eine halbe Milliarde Kinder bekommt noch weniger. Hungern diese Kinder nun, oder nicht?« »Und wie steht es mit den Kindern, die schon vom Hungertod bedroht sind? Sind es zehn oder fünfzig Millionen?« »Dies wiederum hängt davon ab«, erwiderte der andere Delegierte, ein Arzt aus Colorado, »ob man Hunger als direkte Todesursache versteht oder ob man auch relativ harmlose Kinderkrankheiten, die wegen Unterernährung tödlich verlaufen, hinzurechnet.« »In die Rubrik Hungertod?« 107
»Und einiges spricht dafür, daß dieses Jahr ein Rekordjahr der Kindersterblichkeit werden wird.« Der Reporter führte das Mikrofon näher heran. »Wieviel Geld brauchen Sie, Gentlemen?« »UNICO benötigte hundert Millionen, um allen Kindern und Flüchtlingen zu helfen. Diese Summen aufzubringen, scheint leider unmöglich. Immerhin betragen die weltweiten Ausgaben für Rüstung vierhundert Milliarden jährlich. Und Rüstung hat zweifellos Vorrang.« »Aus Gründen der Sicherheit«, wandte der Reporter ein. »Aber was, bitte, verstehen Sie unter Sicherheit, wenn dabei die Zukunft der Kinder der Welt übersehen wird? Für wen brauchen wir dann eines Tages noch Sicherheit?« Das Gespräch wurde beendet, weil der LandRover, mit dem die Delegierten das Notstandsgebiet bereisten, jetzt betankt war und weiterfuhr. * Nach Besuch eines kleinen Lagers speiste der Arzt gewisse Erkenntnisse in seinen Taschencomputer ein. »Die Sterblichkeit allein«, sagte er, »das ist es noch gar nicht. Eine Anzahl Menschen, die um ein Vielfaches größer ist, wird irreparable Schäden davontragen. Etwa zehn Millionen Kinder sind akut von Blindheit bedroht Das Wenige, was sie bekommen, enthält kein Vitamin-A. So wächst eine ganze 108
Generation heran, die von Geburt an verkrüppelt immer stärker in Abhängigkeit von fremder Hilfe gerät.« »Damit wäre der Todeskreis geschlossen«, ergänzte der zweite UNICO-Mann, »Armut hat mangelhafte Ernährung zur Folge. Ihre Folgeerscheinungen sind Krankheiten, verminderte Arbeitskraft und Apathie. Gemeinschaften zerfallen, daraus entsteht neue Armut, Hunger und Tod.« »Eines Tages«, murmelte der Arzt, »werden alle diese Hungergebiete nur noch Todesstreifen sein.« »Und keinem Eroberer mehr Widerstand entgegensetzen.« »Und wer wird der Eroberer sein?« »Ich weiß es«, sagte der andere UNICO-Experte. »Ich auch«, bestätigte der Arzt. Sie wurden mehrmals von Dschungelstreifen angehalten. Die Straße nach Norden führte einmal durch kambodschanisches, dann wieder durch Khmer-Gebiet. Aber sie besaßen internationale Ausweise, Sonderpermits in allen erforderlichen Sprachen mit den nötigen Stempeln und Unterschriften versehen. Trotzdem war ihre Reise lange vor Erreichen des großen Flüchtlingslagers beendet. Von hier ab lasse er sie nicht weiter, erklärte ein junger Offizier. Sie verlangten seinen Vorgesetzten zu sprechen. Der kam und befahl ihnen, den Landrover sofort zu wenden. Sie legten Protest ein, verwiesen auf ihre Papiere. 109
Nun erschien ein Major, der vor ihren Augen sämtliche Dokumente zerriß. Er hätte auch die Pässe zerfetzt, wenn ihm der Doktor nicht in den Arm gefallen wäre. Dann hoben, vielleicht 25 Soldaten, den schweren Geländekombi an, drehten ihn auf dem schmalen Dschungelpfad herum und setzten die Räder Richtung Süden wieder in die schlammige Spur. Als der Fahrer verängstigt starten wollte, schob ein gelbhäutiger Glatzkopf noch sein Gesicht herein. »Es ist besser für sie«, riet er ihnen, »in Sen-OginSchan lebt keiner mehr. Alles tot. Sie kommen zu spät, Gentlemen.« Der Fahrer gab Gas. »Wer war das?« fragte ihn der Arzt. »Das war der General, Sir«, sagte der Fahrer. »Noch einmal zu spät kommen«, äußerte der UNI-CO-Mann aus Colorado, »dürfen wir uns nicht erlauben. Oder es ist wirklich zu spät.« »An allen Fronten«, fügte der andere hinzu und zerschlug einen Moskito, der sich an seinem Blut sattgesaugt hatte.
11. Es klang wie schweres Stöhnen, hörte sich aber auch an wie ›Chalybia‹. »Wieder so ein Problemwort«, bemerkte Professor Stralman, »warum fragst du nie nach Gänseblümchen oder nach Vanillepudding.« 110
»Zu leicht«, sagte Urban, »schließlich will ich Sie nicht beleidigen.« »Nach Sachen zu forschen, die so weit zurückliegen, über die man so wenig weiß, ist auch nicht gerade ein Hochgenuß.« »Gab es Chalybia etwa gar nicht?« »Was wird man in zweitausend Jahren über Cap Canaveral wissen, oder über Los Almos?« »Mal langsam«, bat Urban. »Das waren Entstehungsorte neuer Technologien. Was hat das mit Chalybia zu tun?« »Soviel wie Kirche mit Glauben.« Urban kniff ein Auge schmal. »Soviel wie Fabrik mit Arbeit?« »Wie Universität mit Denken.« »Und soviel wie Wind mit Rad, wie Leverkusen mit Aspirin.« »Wie China mit Porzellan.« »Danke«, rief Urban, »genügt. Dann muß Chalybia ein Ort sein, an dem viel gearbeitet, wo aber auch durch Nachdenken und glückliche Umstände eine technische Revolution stattfand.« »Begann«, schränkte der BND-Wissenschaftler ein. »Was wohl der Anfang vom Ende dieses Ortes war.« Nun erfuhr Urban Einzelheiten. »Um sechshundert vor Christus etwa«, führte Stralman, den Zwicker am Kragenaufschlag des weißen Labormantels polierend, aus, »ging das große Hethiterreich zugrunde. Wie immer machten die Eroberer fette Beute. Und wie immer erbeuteten sie 111
auch geheime Waffen. Was ihnen in der Schwarzmeerstadt Chalybia in die Hände fiel ist nur damit zu vergleichen, was den Deutschen in die Hände gefallen wäre, wenn sie im Juli 1945 Los Alamos in New Mexiko erobert hätten. Zu diesem Zeitpunkt befand sich dort die revolutionärste Waffe der westlichen Welt, nämlich die erste Atombombe in Erprobung. Was die Eroberer in Chalybia entdeckten, war für die damalige Zeit eher noch wichtiger. Es war das sorgsam gehütete Geheimnis der Hethiter über die Eisengewinnung und Verarbeitung. Bis zu dieser Zeit war mit weichen Kupferschwertern und spröden Bronze-Dolchen gekämpft worden. Mit einem Schlag waren sie gegenüber den stählernen Klingen veraltet. Eine weltweite militärische Umrüstung begann. Die alten großen Lederschilde hielten den schweren Eisenwaffen nicht stand. Man versuchte sie durch eiserne Schilde zu ersetzen. Die aber waren so schwer, daß sie in der Größe beschränkt werden mußten. Dadurch schützen sie nun Beine und Arme nicht mehr. So erfand man die ersten Rüstungen, Beinschienen, Schuppenpanzer, Kettenhemden, Helme mit Visier und so weiter. Der Soldat bekam ein anderes Gesicht. Die Armeen sahen anders aus, ihre Taktik änderte sich und auch die Strategie. Die Welt sprang in eine neue Phase, in die Eisenzeit.« »Fabelhaft«, applaudierte Urban. »Aber was, zum Teufel, sucht Narchos in Chalybia? Das Geheimnis um die Herstellung von Eisen dürfte mittlerweile doch stark gelüftet sein.« Von nun an war Stralman auf Vermutungen an112
gewiesen. »Erfindungen werden nie durch Zufall gemacht. Ich nehme an, daß das alte Chalybia die besten Voraussetzungen dazu bot. Es gab in der Nähe Bodenschätze, Erze und Bergbau. Man schmolz dort schon seit Jahrtausenden Kupfer und Bronze. Gruben müssen in der Nähe gewesen sein. Wälder, die Holz lieferten. Vielleicht gab es sogar Kohle.« »Das läßt sich feststellen.« »Wo Bergbau nach Erzen und nach Kohle getrieben wurde kann man, quasi als Abfallprodukt, noch andere feine Dinge finden, auf die man seinerzeit weniger großen Wert legte, weil ihre Schönheit nicht sofort ins Auge fiel. Oder aber, weil man sie nicht zu bearbeiten verstand.« Urban wußte, woran Stralman dachte. »Diamanten etwa?« Der Professor bestätigte es durch Kopfnicken. »Im Gegensatz zu den damals beliebten Schmucksteinen wie Smaragden, Rubinen, Topasen und Aquamarinen, die ja den Perlen gleich meist in vollem Glanz gefunden werden, lagen die heute so geschätzten Diamanten wie dreckige Kiesel in der Erde. Man beachtete sie nicht, warf sie auf einen Haufen. Man ließ sie beim Abfall, der meines Wissens im Bergbau Abraum genannt wird.« Urban spitzte die Lippen, pfiff aber nicht. »Man braucht also nur nach den Abraumhalden der damaligen Gruben zu suchen, den Abraum zu sieben und hat möglicherweise Milliarden in der Hand.« 113
»Die Chancen dafür sind gut im alten Chalybia.« »Und Archäologen verstehen sich auf so etwas.« »Sie sind stets auch Historiker, können alte Schriften lesen, die meist verschlüsselten Angaben analysieren und die entsprechenden Orte ausfindig machen.« »Dann brauchen sie nur noch Geldgeber.« »Diamantenfunde fallen nicht unter die Gesetze, wie sie überall gegen die Ausfuhr von antiken Gegenständen erlassen wurden.« Urban steckte sich eine MC an, und Stralman holte eine Flasche Selbstgebrannten aus dem Chiemgauer Bauernschrank. »Da staunst du, Junge, was?« »Narchos hat den Coup entwickelt. Die Sache kam Nero zu Ohren. Der vermittelte den Finanzier, einen Mann, der in der Klemme steckte, weil er den Bestand der ihm anvertrauten Kasse angegriffen hatte. Mit einem Schlag hoffte Collins sich mit Narchos Hilfe zu sanieren. Der Geldgeber ist tot. Jetzt teilen sie nur noch durch zwei. Wie ich Partner Nero einschätze, teilt er aber niemals mit einem anderen. Also ist der Grieche Narchos gefährdet.« Stralman nickte. »Schön, aber was geht uns das an?« Urban erklärte es ihm. »Meine Aufgabe besteht darin, Nero zu fassen. Und wo kriege ich ihn am ehesten? In der Nähe von Alkibiades Narchos. Seine reizende Tochter sagte mir zwar nicht genau, wo ich ihn finde, aber jetzt weiß ich es.« 114
»Und nun bist du in Eile.« »Ziemlich«, gestand Urban. Er bedankte sich und wollte schon gehen, da fiel ihm noch etwas ein. »Übrigens, Professor, wer benutzt wespenstachelartige Narkosepatronen?« »Darf ich eine davon sehen?« »Bedaure, nein.« Urban konnte das Projektil nur beschreiben. Der Professor hörte aufmerksam zu. Er hatte eine Menge Dinge im Kopf, es gab kaum ein Thema von der Naturheilkunde bis zur Teilchenphysik, auf das man ihn nicht ansprechen konnte, im Zweifelsfall jedoch zog er einen Mitarbeiter zu Rate, In diesem Fall führte er zwei Telefongespräche. »Die Russen«, lautete seine Auskunft, »sind auf Biester dieser Art spezialisiert.« »Der KGB also«, ergänzte Urban. »Es erwischte mich, als ich Narchos Villa in Athen verließ.« »Dann muß es jemand gemacht haben, der Narchos Tochter unter Kontrolle hatte.« Nachdenklich ging Urban. Wer konnte Narchos Tochter im Griff haben? Molly Miles? Sofort wischte er diesen Gedanken beiseite. Molly war bestimmt sauber. Zumindest was das betraf. Außerdem konnte niemand von unten schießen und gleichzeitig oben im Auto sitzen. Und warum sollte sie sich so rührend um ihn sorgen, wenn sie ihm Minuten vorher eine tödliche Injektion verpaßt hatte? Das gab keinen Sinn. Andererseits war Molly Miles ebenfalls bei Hele115
na Narchos gewesen, geschossen hatte aber keiner auf sie. * Alles was recht ist, dachte Urban, du stempelst dich selbst zum Idioten, wenn du so weitermachst. In der Etage, wo die Operationsabteilung untergebracht war, stand Sebastian vor dem Lift. Wie der Dorfsheriff einen widerspenstigen Cowboy nahm er seinen Spezialagenten in Empfang. Er packte Urban beim Arm und führte ihn in einen kahlen, fast leeren Raum. »Ein paar Takte im stillen Kämmerlein«, erklärte der Alte. »Damit der Junge weiß, wo es langgeht«, erwiderte Urban grinsend. »Manchmal hat man den Eindruck, das hochgelobte Dreierteam Ascott-Miles-Urban ist für eine Kindertagesstätte tätig und nicht im Großeinsatz.« Vom Erfolg her gesehen hatte der Alte recht. Natürlich gab Urban das nicht zu. »Ein schwieriger Fall, Boss. Aber wir kommen voran.« »Wo ist denn dieser Ascott abgeblieben? Von dem hört man gar nichts mehr. London rief an, ob wir wissen wo er steckt. Hat sich wohl seitwärts in die Busche geschlagen, der Gentleman, und hält ein Nickerchen.« Urban wußte es nicht. Er wußte auch nicht, was Mol-ly gerade trieb. Er hatte genug zu tun, um seine 116
eigenen Niederlagen zu erklären. Doch der Alte gab ihm keine Gelegenheit dazu. Er deutete mit dem Daumen gegen die Decke. »Da oben ist gerade Sitzung. Der Präsident ist mächtig verärgert.« »Darüber kann man sich nicht freuen«, meinte Urban in merkwürdigem Ton, »wenn unser Präsident verärgert ist. Aber wie schnell ändert sich das.« »Wie wär’s mit einer Andeutung. Haben Sie den roten Faden schon?« »Vielleicht kriege ich Nero in Anatolien.« Urban setzte den Chef kurz ins Bild. »Und das halten Sie für Neros Maschengröße?« unterbrach ihn der Oberst. »Dieser Mann hat doch anderes Format. Ein Killer, dem man nachsagt, er habe Lumumba getötet, den Grafen Bernadotte als Sonderbeauftragten der UNO in Palästina ermordet, Che Guevara in Bolivien aufgespürt und möglicherweise sogar Kennedy auf dem Gewissen.« »Das Attentat auf Hitler nicht zu vergessen«, fügte Urban trocken hinzu. »Damals war Nero immerhin schon zwölf Jahre alt.« Sebastian ließ sich nicht aus dem Schwung bringen. »Dieser Nero bringt nicht griechische Archäologen um die Beute und rennt Ihnen mir nichts dir nichts in die Falle. Der hat größere Dinge im Visier.« »Und zwar?« Nun senkte der Alte die Stimme. »Es geht um Sabotage von Seiten der Sowjets. Nero soll ein Agent des KGB sein.« »Muß der KGB wirklich hinter allem stecken?« 117
»Darüber besteht hierorts kein Zweifel.« »Dann bitte ich Sie, mir mitzuteilen«, forderte Bob Urban, »Was Nero im Auftrag des KGB so großartig sabotieren soll oder wird.« »Ich will Ihnen etwas anderes sagen«, flüsterte der Alte. »Warum etwas anderes?« wandte Urban ein. »Also gut Nach unserer Sicht geht es um die UNICO. Sie ist ein loses Anhängsel der UNO und befindet sich durch Neros Machenschaften in einer Krise. Moskau nützt die Krise aus, indem es in den Hungergebieten kurzfristig für die ausbleibende Hilfe einspringt. Damit hofft man auf dem Weg über Milchpulver und Reis Einfluß zu gewinnen. Außerdem kommt hinzu, daß man der UNICO weltweit korruptes, ja sogar kriminelles Verhalten vorwerfen wird und dies auf die ganze UNO ausdehnt, der man ohnehin nicht wohlgesonnen ist. Auf diese Weise wird man die Weltorganisation kalt vom unteren Ende her aufrollen und ausschalten, was man schon lange genug vorhat. Sie werden ja wohl wissen, wie die UNO im Osten genannt wird, nämlich Quasselbude.« »Und das soll Nero bewerkstelligen?« zweifelte Urban. »Wenn er weiter so Erfolg hat wie bisher und wir so wenig Erfolg wie bisher, wird er das noch packen. Angenommen, er bringt ein Attentat auf den UNICO-Präsidenten zustande und würde es als Selbstmord tarnen, dann bricht doch der ganze Laden zusammen.« 118
»So mag sich der Fall auf strategischer Ebene darstellen. Aber so einfach geht das nicht. Institutionen wie die UNICO haben ein zähes Leben. Es gibt zu viele Beamte, die immer wieder Notbeatmungen veranlassen.« »Allein, daß die Hilfe für die Hungergebiete stockt, ist schon schlimm genug. Ein leerer Magen kann wie eine explodierende Faust sein.« Nach diesem Gespräch, mit dem er seinen Agenten neu motiviert zu haben glaubte, fragte der Alte: »Was haben Sie nun vor?« »Jede Chance wahrzunehmen. Wie bisher auch.« »Bringt uns Nero!« Sie verließen den Raum, der eher einer Besenkammer glich als einem Büro. »Tot oder lebend«, fügte der Alte hinzu, bevor er sich von Urban trennte. * In dem Augenblick, als Urban sein Büro betrat, hörte er das Telefon gehen. Beim Abheben war niemand dran. Gleich darauf schrillte es wieder. Diesmal der schwarze Hausapparat. Jemand aus dem BND-Bereich wollte ihn also sprechen. Sicher ist Stralman noch etwas zu Chalybia eingefallen, dachte Urban. Im Begriff, ihn anzurufen, funkte ihm die Zentrale dazwischen, »Ich habe ein Auslandsgespräch auf der Leitung. 119
Die Dame wartet schon eine ganze Weile. Ich konnte Sie aber nirgends erreichen.« »Stellen Sie durch!« »Athen«, sagte die Telefonistin noch, »kommt!« Urban hatte damit gerechnet, daß sich Molly melden würde, aber die Amerikanerin war nicht in Athen. Auf dem Rückweg hatten sie sich in Zürich getrennt. »Hier spricht Helena Narchos.« »Was kann ich für Sie tun, Madam?« fragte Urban erstaunt. »Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen.« »Wofür?« »Daß ich mich so wenig kooperativ zeigte, aber ich hatte Anweisungen, mit niemandem ein Wort darüber zu sprechen.« »Anweisungen von wem?« »Von meinem Vater.« »Und Anweisungen worüber?« »Über seine Ausgrabungen am Schwarzen Meer.« Urban hakte sofort ein. »Wollen Sie jetzt darüber sprechen, Helena?« »Ja, ich will.« Durch Tastendruck betätigte Urban den Recorder. Das Gespräch schien ihm wichtig genug, um es auf Band mitzuschneiden. »Aus Ihren Worten ging hervor«, fuhr Helena Narchos fort, »daß sich mein Vater in Gefahr befinden müsse. Sie hatten recht. Sie sind Geheimdienstmann, ich hätte Ihnen Glauben schenken müssen.« »Woher wissen Sie, daß ich Agent bin?« 120
»Ich sagte es Ihrer Kollegin, die mich wenig später besuchte, ins Gesicht. Sie leugnete nicht, von der CIA zu kommen, und auch nicht, daß sie ihr BNDPartner sind.« »Was ist mit Ihrem Vater, Helena?« Es klang, als beherrschte sich Helena nur mühsam. »Er machte Ausgrabungen im antiken Chalybia, wie Sie wohl wissen.« »Ja, er gräbt nach Abfallprodukten der damaligen Zeit. Nach Diamanten.« Urban vernahm ein Schluchzen. »Und das kostete ihn das Leben.« »Er ist tot?« »Ist das nicht fürchterlich?« »Ich wollte es verhindern«, erinnerte Urban. »Nun lassen Sie uns gemeinsam die Ursache klären. Wo starb Ihr Vater?« »Am Strand einer Meeresbucht nahe der Stadt Trabzon.« »Wie starb er?« »Durch ein Explosivgeschoß, behauptet die Polizei.« »Wann war das?« »Vor etwa einer Woche.« »Dann muß er, als ich bei Ihnen war, schon tot gewesen sein.« »Wer weiß.« »Machen Sie sich keine Vorwürfe, Helena. Es wäre gar nicht mehr zu verhindern gewesen.« »Wie«, fragte Narchos’ Tochter, »kann ich Ihnen nützen?« 121
»Indem Sie mir die Wahrheit sagen. Der zweite Partner Ihres Vaters ist ein Amerikaner namens Roy Hackett. Stimmt das?« »Das ist richtig.« »Wann haben Sie diesen Mann zuletzt gesehen?« »Im Winter auf Hydra. Er besuchte uns dort in unserem Haus.« »Um was ging es?« »Um das gemeinsame Unternehmen, das inzwischen vorfinanziert war, und das man im Sommer in Angriff nehmen wollte.« »Einzelheiten bitte.« »Die kenne ich nicht«, versicherte Helena glaubwürdig. »Sie sprachen nur darüber, wenn sie Spaziergänge unternahmen oder mit dem Boot hinausfuhren.« »Wie war die Stimmung?« »Sehr gut damals.« »Und der Grund dafür?« »Jeder, mein Vater und wohl auch Mister Hakkett, betrachteten diese Sache als Endpunkt und Abschluß ihres irdischen Strebens. Wenn sie zur Zufriedenheit aller ablaufen wurde, und mein Vater zweifelte aufgrund seiner Vorstudien nicht daran, dann wollten sie sich aus dem Geschäftsleben zurückziehen. Dasselbe galt wohl auch für Mister Collins. Jeder hoffte nach Abschluß der Grabungen bis an sein Lebensende genug zu haben. Bei solchen Aussichten konnte die Stimmung ja wohl nicht trübe gewesen sein. Oder?« Urbans weitere Fragen konzentrierten sich auf 122
Nero. Er wollte wissen, wie er jetzt aussah, wie er sich zu kleiden pflegte, welche Speisen er bevorzugte, wieviel er trank, wieviel er rauchte, ob er über Krankheiten klagte, welche Hobbies er genannt hatte. Helena sagte, was ihr dazu einfiel. »Was gab er als Beruf an?« »Finanzier«, glaubte sich Helena Narchos zu erinnern. »Ist Ihnen bekannt«, fragte Urban, »daß es sich bei dem lieben Onkel Hackett um einen der gefürchtetsten Killer dieses Jahrhunderts handelt?« »Ich bin erschüttert«, gestand die Griechin. »Ich wußte nicht mehr, was ich tun sollte, sonst hätte ich nicht ausgerechnet Sie angerufen.« »Nein, mich bestimmt nicht.« »Jeden anderen als Sie, Mister Urban«, betonte sie. »Und ich habe nur eine Bitte. Nehmen Sie die Rache, die zu üben mir leider verwehrt ist.« »Rache ist nicht mein Job, Madam.« »Okay, dann tun Sie wenigstens, was Ihre verdammte Pflicht verlangt.« »Das verspreche ich Ihnen«, sagte Bob Urban und legte auf. Aber der Hai braucht einen Köder, überlegte er.
12. Griechische Schwarzmeerküste – eine Woche vorher.
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Für einen Mann, dem es als neugeborenes Baby gelungen war, den lawinenverschütteten Alpenexpress Zürich-Mailand lebend zu verlassen, stellten 150 Kilogramm Rohdiamanten kein Problem dar. Roy Hackett borgte sich eine Tauchausrüstung, indem er die von Alkibiades Narchos benutzte. Beim letzten Licht schwamm er hinaus, fand das von Narchos beschriebene Wrack und auch die drei Felsen. Jeder normale Mensch hätte sich damit zufrieden gegeben und die Bergung des Koffers am Morgen vorgenommen. Dann wären allerdings zehn Stunden nutzlos verstrichen. Roy Hackett kannte aber den Wert von Zeit. Sie konnte so wertvoll werden, daß es nichts Wertvolleres gab als sie. Deshalb tauchte er ab, befestigte eine Leine am Koffer, zog ihn aus der Enge und hinter sich her. Da der Koffer keine Luftkammern hatte, wog er unter Wasser unwesentlich weniger als auf dem Trockenen. Einmal kam der Moment, in dem Hackett die Kräfte verließen. Er befestigte die Kofferleine an der Wrackreling, wo sie leicht zu finden war und schwamm an Land zurück. Dort sammelte er erst einmal neue Energie und dachte nach. In der Dunkelheit demontierte er das Ersatzrad vom Jeep des Griechen, pumpte den Schlauch wieder prall, schwamm damit hinaus und benutzte seinen Auftrieb als Transporthilfe. Nachdem er die Kofferleine vom Wrack gelöst 124
hatte, führte er sie durch den Autoreifenschlauch und holte sie so gut er konnte durch. Auf diese Weise ging es. Zwar langsam, aber es ging. Gegen Mitternacht stand der Millionenkoffer auf dem Trockenen. Sich nur auf sein Tastgefühl verlassend, prüfte Roy Hackett die Beute. Zufrieden schleppte er sie dann zu seinem Mietwagen Ehe er wegfuhr, setzte er die Leiche des Griechen in den Jeep, schaltete das Getriebe auf Allradantrieb, arretierte das Gasgestänge in Richtung geöffneter Drosselklappe und ließ an. Der Jeepmotor heulte auf. Hackett kuppelte und warf den zweiten Gang hinein. Der Jeep setzte sich aufs Wasser zu in Fahrt. Hackett sprang ab. Der Jeep rauschte hinein, versank und war nicht mehr zu sehen. Bald war auch Roy Hackett nicht mehr zu sehen. Er fuhr jedoch nicht nach Trabzon, sondern beorderte sein dort wartendes Charterflugzeug telefonisch ins Landesinnere nach Erzurum. Nach einer wilden Nachtfahrt, 180 Kilometer durch das Gebirge, verfrachtete er die Kiste in der Dämmerung in das Flugzeug und ließ es sofort starten. »Nehmen Sie Kurs Athen!« befahl er dem ihm vertrauten Piloten. Hackett mietete ihn und sein Flugzeug meist dann, wenn Linienmaschinen für seine Zwecke nicht in Frage kamen. »Dann muß ich vorher noch tanken, Sir.« »Das ist Ihre Sache«, sagte Hackett. 125
Hackett nahm den Piloten vom Athener Flugplatz mit hinein in die Stadt, »Kaufen Sie«, sagte er, »mindestens hundert Meter vom besten, ich meine vom zähesten Hanfstrick den Sie auftreiben können.« Sie kannten sich seit zehn Jahren. In dieser Zeit hatte der Pilot schon so merkwürdige Aufträge für den Amerikaner erledigt, daß er längst keine Fragen mehr stellte. Hackett hatte immer prompt bezahlt. Da seine Unternehmungen stets glücklich verliefen, legte er auf das vereinbarte Honorar meist eine saftige Erfolgsprämie oben drauf. Auch diesmal konnte der Pilot mit wenigstens tausend Dollar extra rechnen. »Hanfstricke«, wiederholte er, »besonders zäh. Welche Stärke?« Hackett hob den Daumen, zog ihn jedoch wieder ein und spreizte den kleinen Finger ab. »Zwei Zentimeter«, schätzte der Pilot. »Maximal zweikommafünf.« »Bringen Sie das Seil heraus zum Flugzeug.« »Und wenn der Zoll Fragen stellt?« »Sie brauchen es, um einen Spant zu flicken oder was weiß ich.« Der Pilot zeigte okay. Hackett ließ ihn am Kolonaki-Platz aus dem Taxi, fuhr in die Altstadt und ging dort in eine Bar, in der man ihn stets gut bedient hatte, ohne ihn mit Namen zu kennen. Zunächst führte er ein Telefongespräch mit einer Stadtnummer, dann noch eines. Das zweite verband ihn mit Helena Narchos. Sie sprachen englisch. 126
»Ich soll dich von deinem Vater grüßen«, bestellte er. »Wie geht es ihm?« »Heute morgen, als wir abflogen, fühlte er sich prächtig. Er freut sich, dich bald wiederzusehen, Helena.« »Und wann wird das sein?« »Er hofft, in zwei bis drei Wochen die Arbeit beenden zu können.« »Das schrieb er mir kürzlich. Er wünschte, daß ich ans Schwarze Meer komme, sobald er fertig ist. Er wollte mir die Türkei zeigen.« »Er wird sich bei dir melden.« »Warum ruft er so selten an?« »Nun«, meinte Hackett zögernd, »es gibt Probleme mit den türkischen Hilfskräften. Er kann sie nicht aus den Augen lassen. Abends ist er dann meist sehr erschöpft und bis zum nächsten Telefon hat er eine Autostunde Fahrt. Oft dauert es dann noch einen halben Tag, bis die Verbindung zustande kommt. Du möchtest das bitte verstehen, läßt er dir ausrichten.« »Bald ist es ja vorbei«, tröstete sich das Mädchen. »Er läßt fragen, ob es bei dir Probleme gibt.« »Ich las«, erwähnte Helena, »daß euer Partner Garry Collins tot ist. Gestern erhielt ich einen Anruf aus Genf. Ein paar Leute von der UNICO wollen mich besuchen.« Dies mißfiel Hackett äußerst. »Wann?« fragte er. »Morgen.« 127
»Du weißt, was du zu sagen hast, Helena?« »Nein.« »Nichts wirst du ihnen erzählen. Kein Wort! Verstanden! Es ist im Sinn deines Vaters. Jeder unnötige Hinweis würde uns allen nur schaden.« »Ich dachte, die Sache sei legal«, wandte Helena Narchos ein. »Was für uns drei Partner, für Collins, deinen Vater und mich gilt, braucht für andere nicht zu gelten. Es sind alles Schnüffler. Du weißt also nicht, wo dein Vater ist. Du nimmst an, daß er historische Forschungen im alten Hethiterland unternimmt. Und damit basta.« »Kenne ich Collins?« »Du hast ihn einmal gesehen.« »Kenne ich Sie, Mister Hackett?« »Sie werden nicht nach mir fragen.« »Und falls doch?« »Du erinnerst dich nicht, auch wenn man dir Fotos zeigen sollte. Du hast dich nie um die Geschäfte deines Vaters gekümmert.« Plötzlich schien Helena den Tränen nahe zu sein. »Ich habe Angst, Mister Hackett.« Er versuchte sie zu beruhigen. »Wann kommen sie?« »Morgen.« »Okay«, entschied er. »Du wirst mich nicht sehen, aber ich werde in der Nähe sein. Mach dir keine Sorgen. Für den Fall, daß sie penetrant werden sollten, würde ich auf irgendeine Weise eingreifen.« »Darauf kann ich mich verlassen?« 128
»Habe ich je etwas versprochen und dann nicht gehalten?« Diese Worte schienen dem Mädchen wieder Zuversicht zu schenken. »Ich bin froh«, gestand sie, »wenn Vater zurück ist und wenn alles vorbei ist.« »Dir kann gar nichts geschehen«, versicherte Roy Hackett, entschlossen, noch einen Tag in Athen zu bleiben. Gegen Abend fuhr er zum Flughafen hinaus und erklärte dem Piloten, was mit den Hanfstricken zu geschehen habe. »Umwickeln Sie den Koffer«, sagte er. »Einmal der Länge und einmal der Breite nach, in engen Lagen dicht bei dicht. Und die Enden gut verknoten.« »Dann sieht das Ganze aus wie ein Kanonenschlag für Silvester.« »Nur ein bißchen größer.« »Und was sagen wir dem Zoll in Rom oder in Paris?« »Wir gehen damit nicht durch den Zoll«, antwortete Hackett, »deshalb nehmen wir die Prozedur ja vor.« Anschließend fuhr Hackett wieder in die Stadt. Er übernachtete in einem kleinen Hotel. Dort traf er einen Mann, der ihm eine Waffe und einen Fotoapparat brachte. Am Morgen begab sich Hackett in das Villenviertel nördlich des Flugplatzzubringers. Nach längerem Suchen fand er einen Punkt mit hervorragendem Rundblick. Man sah das Haus von Alkibiades Nar129
chos, Piräus im Südwesten und Cap Sunion weit draußen im Dunst. * Drei Tage später war Roy Hackett in Amsterdam. Mit der Absicht, sie von Experten schätzen zu lassen, hatte er der türkischen Beute einige große sowie mehrere mittlere und kleine Steine entnommen. Er suchte einen Juden namens van der Green auf und legte ihm die Rohdiamanten vor. Green betrachtete sie erst unter der Lupe, machte dann den Härtetest und wog sie schließlich. »Über die Reinheit läßt sich wenig sagen«, meinte er, »auch nicht über die Farbe.« »Erzähl keine Märchen, Samuel«, erwiderte Hakkett, »ich kenne mich einigermaßen aus.« »Erst muß man eine grobe Politur vornehmen.« »Dann nimm sie vor!« »Danach läßt sich beurteilen wie man den Stein schneidet und auf welche Weise man ihn schleift.« Der Edelsteinhändler übergab je einen Stein aus dem Sortiment seinem Schleifer. Dieser entfernte binnen kurzem die matte Schicht, die sich im Laufe der Millionen Jahre, in denen der Stein in der Erde lag, gebildet hatte. Wieder nahm ihn der Jude unter die Vergrößerung. Dann blickte er auf. »First-class-Ware«, sagte er. »Blauweiß, lupenrein wie mir scheint. Hoher Karatpreis also.« 130
»Wie hoch?« »Wir richten uns nach De Beers Katalog.« Hackett nahm Kaffee und eine von Greens vorzüglichen Sumatra-Zigarren, »Wieviel hast du davon?« wollte der Jude wissen. »Soviel, daß ich den Markt äußerst vorsichtig bedienen muß.« »Woher stammt das Material?« »Ich habe eine Südafrikanische Mine überfallen«, scherzte Hackett. »Davon hätte ich gehört. Wir wären längst vom Syndikat gewarnt worden, solche Steine aufzukaufen.« »Selbst gebuddelt«, sagte Hackett, »du ahnst nicht, wo.« »In deinem Vorgarten«, spottete der Jude. »So ist es«, äußerte Hackett. »Die Ware ist bombensicher gelagert. Du kannst sie übernehmen, wenn du willst, und wenn du soviel Kapital auftreibst, Zug um Zug.« »Gern, aber nicht mehr als fünftausend Karat im Monat.« »Das sind rund ein Kilo.« »Mehr läßt sich unter den Augen des Syndikats nicht in den Markt schleusen. Ich kann das ohnehin nicht allein machen. Aber ich habe gute Verbindungen zu Schleifern, Händlern und Juwelieren. Sie gehören alle zum Clan.«* Sie wurden handelseinig. Hackett stand auf, um zu gehen. »Und die Steine da?« fragte Green. 131
»Was bietest du?« Der Jude fing zu handeln an. Bei siebzigtausend Dollar schlugen sie ein. Hackett nahm sie gleich bar mit. Eine Stunde lang ließ er sich mit dem Taxi durch die Stadt fahren, ehe er seinen eigenen Wagen bestieg. Er traute keinem. Auch Sam van der Green traute er nicht. Hackett ging immer auf Nummer sicher. Er hatte den Koffer voller Steine nicht mühsam ins Land geschmuggelt, um ihn jetzt, durch die Habgier der Händler oder durch Agenten des südafrikanischen Syndikats zu verlieren. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, den seilumwickelten Koffer im Tiefflug so auf seinem Grundstück zu plazieren, daß er ohne Fallschirm einigermaßen weich aufkam, daß er also nicht platzte und daß man ihn auch wiederfand. Nun, es hatte geklappt. Über Brüssel fuhr Roy Hackett nach Paris. Dort holte er bei einem Fotografen, der schon Jahre für ihn arbeitete, einen entwickelten Film ab. »Diesmal waren achtzig Prozent des Filmes leer«, sagte der Fotograf. »Auf die sieben belichteten Bilder kommt es an«, sagte Hackett. »Nun, die sind einigermaßen gut geworden, Monsieur.« Im Hotel betrachtete Hackett die Aufnahmen. Sie zeigten einen Mann und eine Frau. Der Mann mochte etwa einsachtzig groß sein, trug dunkle Hose und Glenschecksakko. Einmal hatte er ihn sogar 132
ohne Sonnenbrille erwischt. Seine Begleiterin saß in einer weißen Chevroletlimousine. Sie war blond, im amerikanischen Sinne hübsch und gut gewachsen. * Am nächsten Morgen sprach Roy Hackett mit der Creditbank in Aigle. Dort verhielt man sich außerordentlich zugeknöpft. Auf die Frage, ob er Direktor Marcellier sprechen könne, hieß es, Dr. Marcellier habe seinen Jahresurlaub angetreten. »Das war doch erst für den Herbst vorgesehen«, wandte Hackett ein. »Vorzeitig, Monsieur.« Nun fragte Hackett nach der Entwicklung der Collins-Konten und nannte ein Kennwort, das ihn berechtigte, Auskünfte entgegenzunehmen. »Die Konten stehen auf Null«, antwortete man ihm. »Augenblick bitte, Sir, ein Herr aus unserer Hauptverwaltung möchte Sie gerne sprechen.« Schon bei der zweiten Frage wußte Hackett, daß es sich nicht um jemand aus der Firmenleitung, sondern um einen Mann von der Revision handelte, vielleicht sogar von der Bankaufsicht oder von der Kripo. Wortlos legte er auf. Einigermaßen vergnügt ging er in ein Bistro, bestellte einen Café-Creme und trank ihn an einem der Marmortische am Fenster zur Rue Aunaille. Es dauerte nicht lange, da sah er, wie ein Mann in Jeans, Hemd und Pullover von der Rue Georges her den 133
Platz überquerte und das Bistro betrat. Der Gast schaute sich um, entdeckte Hackett und nahm neben ihm Platz. Bei einem Pastis kam er zur Sache. »Ihre Befürchtung, Monsieur, ist begründet.« »Er ist also der Mann.« »Der BND-Agent Robert Urban, genannt Mister Dynamit.« Hackett reagierte äußerlich gelassen. »Ich habe es vermutet«, sagte er, »und nicht befürchtet. Ich fürchte mich prinzipiell niemals. Weder vor Personen noch vor Dingen. Jetzt, wo ich es weiß, bin ich sogar ziemlich erleichtert.« »Es war mir ein Vergnügen Ihnen einen Dienst zu erweisen, Monsieur.« Ein Umschlag, dessen Inhalt diesen Dienst honorierte, wurde über den Tisch von Tablett zu Tablett geschoben. »Zweifel sind ausgeschlossen?« faßte Hackett nach. »Ich habe es mehrmals überprüft«, versicherte der junge Mann. »Einmal im Pressearchiv, dann über den französischen Geheimdienst, der mir durch freundliche Hilfe eines Bekannten zugänglich ist.« »Merci, Globol«, sagte Hackett, »gute Arbeit.« Der junge Mann hatte es eilig. Ein wenig geziert wie es Art der Schwulen ist, verabschiedete er sich und winkte draußen einem Taxi. Hackett blieb noch für eine Zigarettenlänge sitzen. Mister Dynamit also, überlegte er. Das bedeutete eine hohe Anerkennung für ihn. Immerhin hatten sie 134
nicht irgendeinen Agenten auf ihn gehetzt, sondern ihren besten Mann. Zweifellos den allerbesten. Aber er hatte immer gegen beste Leute gekämpft. Mit dem Ergebnis, daß alle der grüne Rasen deckte. Nun, er würde sich auch in Bezug auf Mister Dynamit etwas einfallen lassen. Er hatte sogar schon eine Idee. Hackett zahlte, schlenderte durch die Gassen zum Hotel und wurde in der Halle von einem Mann erwartet, der ähnlich einem bestimmten Insekt höchstens alle siebzehn Jahre einmal den Kopf aus der Deckung hob. In Frankreich nannte er sich mal so, mal anders. Sein echter Name lautete Panja Tachelinski. Erst in Hacketts Zimmer entspannten sich Panjas Züge. »Vorzügliche Leistung bis jetzt«, lobte der Russe. Hackett hörte sofort die Einschränkung heraus und schloß die Luken. »Was heißt bis jetzt? Wir sind am Ende, denke ich.« »Theoretisch wurde das Ziel erreicht«, räumte der Russe ein, »praktisch fehlt noch der letzte Kick.« »Verstehe ich nicht«, entgegnete Hackett, »gewisse Organisationen sollten in ihrer Funktion als typisch imperialistisch und kapitalistisch, das heißt machtgierig verfilzt, verkrustet, kriminell unterwandert und somit wirkungsunfähig dargestellt werden. Das wurde erreicht. In das aufgetretene Vakuum konnte mühelos hineingestoßen werden. Das angewandte Verfahren kam weitaus billiger als auch nur 135
ein Tag Krieg. Außerdem versetzte es der westlichen Moral einen nicht wieder gutzumachenden Stoß.« Der Russe nickte beifällig. »Theoretisch ja.« »Sie müssen das bisher Aufgedeckte nur weltweit ausschlachten, Panja.« »Wir sind dabei, es zu tun. Aber noch fehlt der Punkt auf dem I.« Hackett fragte dagegen: »Genügt die Affäre Collins denn nicht?« Der Russe starrte auf seine Schuhspitzen. Sie waren von tief schwarzem Glanz. »Wir hofften, es würde genügen. Aber der wahre Knalleffekt wird wohl erst erreicht, wenn wir den obersten Chef treffen.« »Den UNICO-Präsidenten?« »Parnell Gumbay. Er ist zugleich stellvertretender Generalsekretär der UNO.« »Sie dachten doch nicht etwa?« Der Russe blickte auf. »An einen Selbstmord, dachten wir. Damit hätten wir das Eingeständnis, daß die Fäulnis bis zu den Spitzen der Vereinten Nationen reicht, daß sie der Bazillus schon allesamt erfaßt hat.« Hackett goß Cognac ein. »Gumbay ist Schwarzer.« »Gerade deshalb«, fuhr der Russe fort. »Die größten Widerstände bei unseren Bemühungen um Einfluß auf die afrikanischen, asiatischen und indochinesischen Staaten gehen von der dortigen Intelligenz aus. Was ihnen die Weißen sagen, das glauben sie 136
schon lange nicht mehr, aber was ihnen ihre eigenen Leute vorlügen, das glauben sie noch. Wenn nun sogar die schwarzen Politiker in diese Unterschlagungen verwickelt sind, wird auch deren Integrität angekratzt. Deshalb muß Parnell Gumbay noch fallen.« Hackett, der schon gehofft hatte, daß alles ein Ende habe, mißfiel das sehr. »Und wenn ich aussteige?« Da erhob sich der Russe und trat hinter ihn. »Roy«, sagte er. »Wir sitzen doch in einem Boot. Unser Erfolg ist auch der Ihre.« »Ich will aufhören.« »Wie schön, eine Laufbahn, eine so ungewöhnliche, mit so einem Schlag zu beenden.« Hackett setzte das Glas ab und begann seine Finger zu massieren. In den Fingern fing es meistens an und setzte sich bis in die Operationszentrale unter seiner Schädeldecke fort. »Geben Sie mir achtundvierzig Stunden, Tachelinski.« »Gerne, wenn Gumbay nicht schon morgen nach Genf käme.« »Das Ding braucht Vorbereitung.« »Bei spontanen Aktionen waren Sie immer brillant.« Hackett sträubte sich lange. »Ich übernehme das ungern«, gestand er, »höchst ungern. Zumal es einen Mann gibt, der meine Spur aufgenommen hat.«
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»Ich weiß«, sagte der Russe. »Aber was ist er gegen Sie.« Hackett starrte zum Fenster hinaus in den Mittagsverkehr. »Wenn man nur wüßte«, murmelte er, »wie weit das Maß schon voll ist.« »Das Haus auf der Krim steht immer für Sie bereit«, erwähnte der Russe. »Ist das Maß voll«, sprach Hackett leise vor sich hin, »oder schon zum Überlaufen voll?« Nicht, daß er jemals Skrupel gehabt hätte, Männer zu töten, die ohne nachzudenken Tausende von Menschen getötet hatten oder zu töten im Begriffe waren. In diesem Punkt fühlte er sich als Werkzeug des Schicksals. Aber es fiel ihm nicht mehr so leicht. Er machte es nicht mehr so locker, rein technisch gesehen. Seine Nerven waren in Ordnung, darauf hatte er immer geachtet. Aber was sie jetzt von ihm verlangten, das war eine Spitzenleistung, die er obendrein in kürzester Zeit bringen sollte. Er überlegte, ob es einen Weg gab, diesen letzten Auftrag abzulehnen. Es gab nur eine Möglichkeit, nämlich zu behaupten, er fühlte sich krank. Um diesem Auftrag zu entgehen, wurde er sogar das tun. Doch als er soweit war, als er den Entschluß gefaßt hatte und sich umdrehte, um es dem Russen klipp und klar zu sagen, da hatte sich Panja Tachelinski grußlos empfohlen.
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13. Es hatte nur weniger Sätze bedurft, um Oberst Sebastian das Motiv für die geheime Reise klarzumachen. »Alkibiades Narchos«, hatte Urban erklärt, »ist tot. Die Beute aus den Grabungen hat Nero an sich gebracht. Also ist er in der Türkei nicht mehr zu fassen. Aber die ganze Aktion läuft auf eine Ruinierung des Ansehens der UNICO hinaus. Ihr Präsident ist nach Genf unterwegs, um zu retten was zu retten ist. Seinen Kopf brauchen sie noch, um das Chaos vollständig zu machen. Sie brauchen den Kopf von Parnell Gumbay. Und den werden sie sich jetzt mit Hilfe von Nero holen. Er ist derjenige, der ihnen Gumbays Selbstmord liefern kann. Wenn es je eine Logik gibt, dann ist dies logisch. Deshalb muß ich nach Genf.« »Um Parnell Gumbay zu retten?« »Noch besser, um Nero zu kriegen.11 »Gumbay erhält den bestmöglichen Schutz.« »Auch der hat Lücken.« »Halten Sie Nero für so gut, daß er diesen Coup jetzt noch wagen wird?« »Im Auge des Orkans herrscht Windstille«, hatte Urban erwidert. »Auch dürfen wir Tim Ascott und sein mysteriöses Ende am Simplon-Pass nicht vergessen. Tim Ascott war einer der cleversten Burschen, die je für einen Geheimdienst in den Ring traten.« Nach diesem Gespräch hatte Sebastian seinen Segen gegeben. Allerdings unter der Bedingung, daß 139
Urban die Affäre Collins, die sich allmählich schon zu setzten begann, nicht neu aufrührte. Hauptsache, er erwischte Nero, und man bekam die Beweise in die Hand, in wessen Auftrag er gearbeitet hatte. Jetzt stand Urban am Flugplatz von Genf und wartete auf die Landung des farbigen UNICOPräsidenten. Was er von seiner erhöhten Position, der Terrasse des Empfangsgebäudes sah, hätte ihn beruhigen können. Auf der Zufahrt zum Flughafen standen mehrere Polizeifahrzeuge. Zusätzlich hatte der Cadillac des Präsidenten, abgesehen von dem Begleitauto mit zivilen Kriminalbeamten, extra eine Polizeieskorte bekommen. Daß der gepanzerte Cadillac unversehrt die Rue de la Servette hinein, am Gare Cornavin vorbei und die Rue Montbrillant hinaus bis zum Palais des Nations kommen würde, daran zweifelte Urban eigentlich nicht. Gefahrenmomente waren immer das Ausund Einsteigen. Deshalb standen am Rollfeld auch zwei grüne Panzerspähwagen und Soldaten der Schweizer Armee in Tarnuniform mit Stahlhelm und Maschinenpistole. Von dem übrigen Aufgebot an Leibwächtern war nichts zu sehen. Sie hielten sich zurück und würden erst Körperschutz geben, wenn Parnell Gumbay die Gangway des Flugzeuges betrat. Urban hatte sich mit dem verantwortlichen Sicherheitschef in Verbindung gesetzt und tat es jetzt 140
wieder. Er nahm sein Sprechfunkgerät und meldete sich. »Wie sieht es aus, Lucio?« »Ich höre eben, daß die Sieben-drei-sieben Verspätung hat. Kam wohl nicht rechtzeitig in Paris weg.« »Wie lange kann es noch dauern?« »Plus vierzig Minuten, meint der Tower.« »Danke, verstanden. Ende!« Zeit genug also, um in der Cafeteria einen Bourbon zu nehmen. Urban übergab sein Fernglas einem Mann von der Schweizer Sicherheitsbehörde und wollte die zugige Terrasse verlassen, als plötzlich eine Blondine in der Tür stand. »Du hier, Molly?« rief er erstaunt. »Ich wähnte dich auf Neros Spuren.« »Bist du nicht auch auf Neros Spuren?« fragte sie. »Da es nur eine richtige Spur geben kann, muß sie hier durch Genf verlaufen. Auch die CIA macht sich Sorgen um das Leben von Parnell Gumbay. Wenn ihm etwas zustößt, heißt es gleich, er wurde weniger sorgfältig bewacht, weil er ein Farbiger ist. Ich bin auf besonderen Wunsch von Langley hier.« »Macht ja nichts. Gehen wir einen zischen.« Molly wirkte auffallend gelassen. Sie saß an der Bar, als sei sie im Begriff nach Süden in den Urlaub zu fliegen und genieße das Leben in vollen Zügen. Urban kannte sie jetzt ganz gut. Einmal musterte er sie unauffällig, dann wieder direkt. »He, was ist los mit dir?« erkundigte er sich. »Was soll schon los sein?« fragte sie zurück. 141
Von den vierzig Minuten Verspätung war fast ein Drittel um. Es wurde Zeit, er mußte seine Position wieder einnehmen. »Bleib ruhig hier«, sagte Molly, »es hat mehr Zeit als du glaubst.« »Gumbay landet gleich.« »Er landet nicht«, antwortete Molly. »Die CIA weiß wieder einmal alles besser.« »Sie weiß es deshalb besser, weil sie es veranlaßt hat«, erklärte Molly. »Was veranlaßt?« »Daß Gumbay von Paris aus einen NATOHelikopter benutzt, der ihn direkt hierherbringt, auf das Dach des Palais der Nationen.« Urban setzte sein Glas hart auf. »Und das sagst du jetzt erst?« »Ich wollte in Ruhe einen Schluck mit dir trinken.« Urban schaltete sein Walkie-Talkie ein. »Lucio!« rief er. »Bitte melden!« Der Schweizer Sicherheitschef kam. »Soeben erfahre ich, daß Parnell Gumbay mit dem Hubschrauber anflattert,« »Davon weiß ich nichts.« »Erkundige dich, sonst stehen wir uns noch Plattfüße an.« Urban, der sich große Mühe gegeben hatte, auch die letzte Lücke im Sicherheitskordon um den Präsidenten ausfindig zu machen und zu schließen, sah plötzlich, daß seine Anstrengungen vergebens gewesen waren. 142
»Zum Teufel, euch fällt doch immer wieder was Neues ein«, fluchte er. »Ist es so schlecht?« »Besser ist es auch nicht.« »Aber es kommt überraschend für euch. Wenn es für noch einen überraschend kommt, dann ist das Nero. Und falls er ein Attentat auf Gumbay plant, noch überraschender.« »Mag sein, daß du recht hast.« Urban steckte sich gerade eine MC an, als sich Lucio im Sprechfunk meldete. »Die Einsatzzentrale bestätigt ein Telex aus Paris. Gumbay nimmt den Hubschrauber. Wir bauen hier ab, Aktion Air-Port ist hiermit beendet.« »Bis später!« Urban leerte sein Glas und wandte sich an Molly. »Und jetzt?« »Der Hubschrauber ist nicht vor zwei Stunden hier«, rechnete die Amerikanerin. »Vom Landekreuz bis zum Sitzungssaal werden sie ihn wohl noch unbeschädigt bringen. Oder?« »Ich fahre ins Hotel«, entschied Urban. »Ich komme mit«, sagte Molly, »falls es dir nichts ausmacht. Ich wohne auch im Richmond.« »Das spart dir das Taxi.« Urbans Zustand schwankte zwischen nachlassender Spannung und wachsender neuer Unruhe.
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Das Zimmer der CIA-Agentin ging in den Park, das von Urban zum See hinaus. Angeblich, weil ihr Urbans Suite besser gefiel, blieb Molly bei ihm. Sie streifte die Schuhe ab, machte es sich im Sessel bequem und schwenkte die Füße auf einen Hokker. Dann rief sie den Room-Service und bestellte eine Flasche Champagner. »Alkohol schon vor Sonnenuntergang?« fragte Urban. »Und was war das in Cointrin? Etwa Apfelsaft?« »Nur zur Verdauung.« »Was gab es zu verdauen? Daß sich das Sicherheitsproblem Parnell Gumbay von selbst erledigte, ist eher ein Grund zur Freude.« »Nichts erledigt sich von selbst«, entgegnete Urban. »Solange er in Genf weilt, ist er gefährdet.« Der Kellner brachte eine Flasche im Kühler und zwei Gläser. Er öffnete die Flasche, schenkte ein und ging wieder. Molly trank, als käme sie von einem Wüstentrip zurück. Dann setzte sie die dunkle Brille auf, es war sehr hell im Zimmer, und hielt einen kurzen Vortrag. »Genaugenommen ist Gumbay überall gefährdet. In Paris, in Genf und wohin er von Genf aus reist. Wie ich Nero kenne, und ich glaube ihn mittlerweile ganz gut einordnen zu können, tut er uns nicht den Gefallen und ballert hier los, ausgerechnet in Genf.« »Es wäre zweifellos der propagandamäßig wirksamste Ort«, meinte Urban. »Er macht es anderswo.« 144
»Wo er nicht Gefahr läuft, in unsere Falle zu gehen.« »Das verschafft uns Zeit«, sagte Molly. »Du bist mir noch einen Gefallen schuldig, Bob.« »Welchen?« fragte Urban. Sie tranken. Der Champagner war recht süffig. Er machte Molly warm. Sie stand auf, um sich der ohnehin dünnen Bluse zu entledigen. Danach war ihr immer noch zu warm. Sie streifte auch den Rock ab. Nun gab es nicht mehr viel. Sie verschwand kurz im Badezimmer, kam völlig nackt wieder, trank hastig noch ein Glas und deckte das Bett auf. »In Athen warst du der Bedürftige. Jetzt bin ich es.« Urban mißfiel ihr Verhalten. Er fühlte, daß es nicht spontan, sondern geschäftsmäßig war. Er selbst hatte schon zu viele solcher Situationen, in der Hoffnung sie würden ihm weiterhelfen, herbeigeführt, als daß er nicht gespürt hätte, wenn ein anderer dasselbe im Sinn hatte. Er schaute auf die Uhr und hörte Mollys betörende Stimme. »Alles andere hat Zeit. Wenn es um so etwas Feines geht, dann gibt es nichts, was nicht Zeit hätte. Wenn ich auf einen Mann stehe, dann sollen sie umbringen, wen sie wollen, dann zählt nur das,« Urban streckte sich im Sessel und betrachtete sie kopfschüttelnd. Was für ein schönes und was für ein professionelles Weib. Zum Teufel, warum wünschte sie, ihn ausgerechnet jetzt ins Bett zu kriegen? Was steckte dahinter? 145
Er zog das Telefon heran, hob ab. Belegt. »Warum kommst du nicht?« flüsterte sie. »Zähneputzen vorher oder nachher?« fragte er. »Ich mag Löwengeruch.« Er ging trotzdem ins Bad. Im Bad stellte er die verspiegelte Schranktür schräg. So konnte er Molly beobachten, ohne von ihr gesehen zu werden. Sie lag im Bett, schaute auf die Uhr und schien zu rechnen. Plötzlich summte das Telefon. Blitzschnell war sie dran, hob ab und lauschte. »Merci!« sagte sie. »Was ist?« rief er. »Falsch verbunden.« Schon stand Urban neben ihr und preßte seine Hand auf ihre Hand, die noch den Hörer hielt. Für gewöhnlich zeigte der Körper einer Frau, die einen Mann erwartete, Spuren von Erregung. Nicht der von Molly Miles. Um es zu überspielen, zog sie ihn zu sich aufs Bett und knöpfte sein Hemd auf. »Ha, was ist los mit dir, Robert? In Athen warst du anders.« »Ziemlich kaputt.« »Und wenn du nicht kaputt gewesen wärst?« »Ja dann.« »Ich verstehe nicht allzuviel von Männern, aber soviel begreife ich, daß du das, was in Athen geschah, unter günstigeren Bedingungen gerne wiederholt hättest. Nun, die Bedingungen sind da.« »Oder nicht«, zischte er, machte sich los und hob das Telefon ab. »Zimmer vierzwoundzwanzig. Können Sie feststellen, wer soeben mit uns telefonierte?« 146
»Sekunde Monsieur.« Plötzlich fühlte Urban Molly hinter sich. »Du traust mir nicht«, fauchte sie ihn an. »Nein.« Die Telefonistin meldete sich wieder. »Der Anruf kam aus der Stadt, Monsieur.« »War falsch verbunden?« »Aber nein. Der Herr verlangte Madame Miles bei Mister Urban im Zimmer.« Urban legte kopfschüttelnd auf. »Du hast mich belogen, Darling.« Dann wählte er ein Amt und die Nummer des Schweizer Sicherheitsdienstes. »Colonel Lucio«, verlangte er. Eines glaubte er zu wissen. Die CIA hatte entweder mit Molly Miles, oder Molly Miles hatte ohne die CIA eine Manipulation vorgenommen. In der Sekunde, als sich Lucio meldete, entstand ein Geräusch, als zersäge jemand Stahldraht. Molly hatte kurzerhand die Telefonschnur aus der Dose gefetzt. Das ging zu weit. Urban hätte sie zweifellos übers Knie gelegt, wenn dem nicht etwas entgegengestanden hätte, nämlich ein 45er Smith & Wesson. Einer von den Dingern, die kurzen Prozess machten. »Du mußt verrückt geworden sein, Molly«, rief er. »Kann sein«, sagte sie. »Los, Hände nach vorn!« Er streckte beide Hände vor, lächelnd und schulterzuckend. Er dachte noch, er könne sie ablenken 147
und hätte sie in der nächsten Sekunde auf den Schulterblättern. Doch er irrte sich. Molly entnahm ihrer Handtasche eine Art Lasso. Aus sicherer Distanz warf sie ihm die vorbereitete Schlinge über die Handgelenke und. zog blitzschnell zu. Dann fesselte sie ihn mit der Behendigkeit eines Filmindianers. »Für wen, zum Teufel, arbeitest du?« wollte Urban wissen. »Nur Geduld«, bat sie. »Wie hast du das mit dem falschen Telex aus Paris gemacht?« »Es kam vom CIA-Büro und ich bin CIAAgentin.« »Das geht doch eindeutig gegen Parnell Gumbay.« »Nicht nur«, erklärte Molly, »es geht auch gegen dich. Und auch gegen mich. Aber wir alle haben keine Chance. Spar dir also die Worte.« Sie fesselte ihn äußerst kunstfertig an den Sessel und kleidete sich dann an. * Urban hatte nur halbe Kraft gegen Molly Miles angewendet. Sie war CIA-Agentin, warum sollte sie mit einem Mal gegen ihn sein? Nur deshalb hatte er sie geschont und nicht brutal angenommen wie einen Gegner, der ihm ans Leben wollte. Das hatte er nun zu büßen.
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»Wegen Parnell Gumbay hast du uns aufs Kreuz gelegt«, wiederholte er seine Frage. »Es ging nicht anders«, bedauerte sie. »Wo ist er?« »In Genf denke ich.« »Lebt er noch?« »Keine Ahnung«, sagte Molly. »Wenn er tot wäre, hätte man es sicher schon im Radio gehört. Aber die Reihenfolge wurde wohl geändert. Erst du, dann er.« »Nero?« Sie gab keine Antwort auf diese direkte Frage. Urban war beinah sprachlos. »Bist du eigentlich verrückt geworden, Molly?« »Sorry, ich mußte es tun.« Sie ließ sich auf keine Diskussion ein. Es dämmerte. Das Zimmermädchen klopfte, um das Bett zu richten. Molly schickte es weg. Rasch wurde es dunkel. Am Seeufer gingen die Laternen an. Es regnete leicht. Die Räder der Wagen hinterließen Spuren auf dem nassen Asphalt. Urban stand am Fenster, rauchte mit mühsamen Verrenkungen eine Zigarette. Hinter ihm öffnete Molly den Schrank und hängte ihm seinen Trenchcoat um. »Wir gehen«, entschied sie. »Wohin?« »Wir fahren mit dem Lift in die Tiefgarage. Bitte unternimm keinen Fluchtversuch. Ich müßte schießen. Sollten wir im Lift nicht allein sein, versuche keine Kontaktaufnahme. Du würdest nur das Leben Unschuldiger gefährden.« 149
»Bin ich nicht auch unschuldig?« erwiderte er. »Leute wie wir sind es nie.« Sie öffnete die Tür einen Spalt und lauschte. Rasch schob sie ihn hinaus. Sie gingen bis zum Treppenhaus. Molly holte den Lift. Ein Stubenmädchen mit Wäsche im Arm verließ ihn mit einem scheuen Blick. Sie stiegen ein, glitten abwärts. In der Tiefgarage mußten sie noch durch die Feuertür. Dahinter parkte ein CX. Die Tür auf der Beifahrerseite war unversperrt. Molly ließ Urban Platz nehmen. Sofort verband sie seine Fesseln mit dem Haltegriff an der Tür, kam dann herum, startete und fuhr los. »Alles prächtig organisiert«, spottete er. »Beängstigend gut für einen Einmannbetrieb.« Sie vermied es, sich über die Größe des Unternehmens, für das sie tätig war, zu äußern. »Vielleicht wirst du es verstehen«, sagte sie. »Ist das überhaupt nötig?« »Nein, es ist unnötig.« Molly fuhr ein Stück den Quai du Montblanc hinauf bis zum großen Casino, dann bog sie, dem Verlauf des Seeufers folgend, ab. Sie fuhr absolut korrekt, übergenau konnte man es nennen. »Bist du sicher«, fragte Urban, »daß du nicht unter Drogen stehst?« »Absolut.« »Und auch nicht unter psychischem Druck?« »Ich stehe unentwegt unter psychischem Druck«, gestand sie. »Du etwa nicht?« 150
Er hob die gefesselten Hände. »Wie sollte ich anders?« »Das liegt nicht bei mir.« »Bei wem dann?« »Du wirst es wissen. In wenigen Minuten.« Er kannte sich nicht mehr aus. Diese Frau mußte die Fronten gewechselt haben. Aber warum? Gab es ein Mittel, um eine hochtrainierte CIA-Agentin dermaßen zu manipulieren? Und ausgerechnet Molly, die er für die kälteste aller Hundeschnauzen gehalten hatte. Aber oft genug war es der Gegenseite gelungen, die besten Männer, denen alle Welt volles Vertrauen entgegenbrachte, als Spione auf ihre Seite zu ziehen. Frauen boten noch einige Angriffspunkte mehr als Männer. Molly fuhr immer am Lac Leman entlang Richtung Nyon. Das Gelände fiel zum See hin ab. Meistens lagen aber zwischen Straße und Seeufer große Grundstücke, bebaut mit Villen, Palästen und Landsitzen, umgeben von Zäunen, hohen Hecken oder Mauern. In eine dieser Grundstückseinfahrten riß Molly den CX so unvermittelt hinein, daß Urban annahm, sie habe sie erst im letzten Augenblick erkannt. Demnach war sie höchstens einmal hier gewesen. Sie ließ das Tor offen und rollte mit verringerter Geschwindigkeit über gewundenen Parkwegen auf ein graues Gemäuer zu. Der Park machte einen wenig gepflegten Eindruck. Das Haus nicht minder. Urban konnte eines der aufgestellten Schilder er151
kennen. Das Anwesen stand zum Verkauf. Vermutlich investierte der Besitzer nichts mehr. Die Villa, eine Kombination aus Holz und grauem Jurakalk wirkte heruntergekommen. Das Dach der Holzterrasse hing zwischen zwei Säulen durch. Die Regenrinne war abgerissen. Überallhin hatte der Wind Laub geweht. Molly stellte den CX seitlich ab, sie ließ Urban heraus ging mit ihm ins Haus und durch das muffig riechende Gebäude mit seinen klosterkühlen Räumen hinab in den Keller. Unten brannte eine schirmlose Lampe. Bei der Lampe beschrieb der Kellergang einen 90Grad-Winkel, um nach wenigen Metern bei einer massiven Holztür zu enden. Molly ließ Urban vorausgehen. Vor der Tür blieb er stehen und schaute sich nach ihr um. Sie nickte. »Man erwartet dich«, murmelte sie. »Du meinst, er erwartet uns.« »So ist es.« »Nero?« Ihr Blick kam wie aus gläsernen Augen. »Dein Komplice?« Es fiel ihr schwer die Worte zu formen. »Geh hinein, bitte.« Mit gefesselten Händen, hinter sich den schußbereiten 45er, öffnete Urban die Tür. Im Raum herrschte grelles Licht. Er war absolut leer. Die Wände, bis in Brusthöhe mit Ölfarbe gestrichen, hatte man oben einschließlich der Decke gekalkt. 152
Der Boden bestand aus Beton. Mitten auf dem Beton lag ein Mann. Molly schob Urban hinein. Er machte ein paar Schritte und trat zur Seite. Jetzt erst konnte Molly den Mann am Boden sehen. Sie stieß einen Laut aus, der wie ein Röcheln war und doch durchdringender als jeder Schrei. * Urban beugte sich über den Mann. Er war tot. Sein Kopf lag in einer Blutlache. Die Kugel hatte ihn mitten in die Stirn getroffen. »Verstehst du das?« keuchte Molly. »Roy Hackett«, sagte Urban, »genannt Nero, der größte Killer seiner Zeit« »Verstehst du das?« fragte Molly wieder und wieder. »Man hat von ihm erwartet, daß er in einer großen Stichflamme verzischen würde, und nun starb er fast bürgerlich. Das ist enttäuschend.« Urban richtete sich auf und hielt ihr seine Hände hin. Sie zog ein Messer, klappte es auf und zerschnitt ihm die Fesselung. Als die Stricke zu Boden gefallen waren, fragte er sie, wie es dazu gekommen sei. Aber Molly befand sich in einem schweren Schock. Jedes einzelne Wort machte ihr unsagbare Mühe. »Gestern abend war er plötzlich da. Noch zwei Dinge seien zu tun, sagte er, du und Parnell Gumbay. Die Reihenfolge spiele keine Rolle, aber du lagst 153
ihm wohl etwas mehr am Herzen. Von dir ging die große Gefahr aus.« »In diesem Punkt irrte er. Offenbar hatte er noch andere Gegner«, ergänzte Urban. »Ich sah keine Chance, ihn zu töten«, fuhr Molly wie in Trance fort. »Glaube mir, ich hätte keine Sekunde gezögert, dieses Schwein abzuknallen. Aber er zeigte mir ein Foto meiner Mutter im Rollstuhl.« Da begriff Urban schon fast alles. »Nero sagte, jetzt sei meine Mutter nur halbgelähmt, doch was wäre das für ein Leben, wenn ein gelähmter Mensch auch noch das Gehör verlöre oder sein Augenlicht. Es sei wirklich nur eine Kleinigkeit für ihn, das zu erledigen. Es koste ihn ein verlängertes Wochenende und ein wenig Säure. Was…«, ihre Stimme stockte, »was hättest du an meiner Stelle getan?« Urban wußte es nicht. Die Polizei verständigen, das sagte sich so leichthin. Wann jemals hatte die Polizei etwas gegen einen Mann wie Nero auszurichten vermocht? »Er verlangte, daß du mich in die Falle lockst«, kombinierte er. »Was hiermit geschah.« »Er hätte sowohl mich getötet als auch dich.« »Wahrscheinlich.« »Und deine Mutter, wie hätte sie ohne dich weitergelebt?« »Ich hoffte… ich dachte… vielleicht gelingt es uns beiden gemeinsam, wenn wir erst in seiner Nähe sind…« 154
Urban setzte das Verhör nicht fort. Was Molly gehofft hatte, war einem anderen geglückt. Mit einem glatten Kopfschuß hatte er Nero getötet. Was war das für ein Bursche? Er konnte nicht einfach hierher marschiert sein und ihn umgelegt haben. Er mußte ihn beobachtet haben, mußte ihm gefolgt sein, mußte ihn ausgetrickst und überlistet haben. Killer wie Nero waren wie Tiere. Der Mann, der ihn geschafft hatte, über wie hochentwickelte Instinkte mußte er verfügen. Es gab nicht viele Leute, die dazu die Voraussetzung mitbrachten. Deshalb hatte Urban eine Idee. Er untersuchte den Toten. Wie erwartet, fand er nichts außer Geld, Schecks, einem Paß und einer ganz normalen Waffe, einer 7,65 Beretta. Eine ziemlich lächerliche Bewaffnung für diesen Killer. Urban untersuchte Nero vom Scheitel bis zu den Schuhsohlen. In der Absatzkante seiner Maßtreter entdeckte er verkrusteten Dreck. Wenn man die Schuhe selbst putzte, beseitigte man solche Spuren. Im Hotel wurde einfach drübergecremt und drübergebürstet. Er kratzte den Belag ab. Er war trocken, zerfiel bröselig und war innen außerordentlich »Kreide«, vermutete weiß. Urban. Molly stand dabei und verfolgte fasziniert seine Tätigkeit. »Und nun?« fragte sie. »Zwei Fotos und weg wie der Wind.« »Du läßt ihn einfach liegen?« »Sollen wir ihm ein Staatsbegräbnis ausrichten, nur weil er Nero war?« 155
»Die Polizei könnte man verständigen.« »Das mache ich lieber von jenseits der Grenze. Aus Frankreich rufe ich Lucio an.« »Frankreich, was suchst du in Frankreich? Gibt es denn keine verdiente Pause?« »Noch wissen wir nichts über seinen Tod, über seinen Mörder, über seine Auftraggeber.« »Er arbeitete für die Russen.« »Sagte er dir das?« »Ich hörte ihn telefonieren und russisch sprechen.« »Das kann auch ein Balkandialekt gewesen sein. Dieser Nero ist ungeheuer viel herumgekommen. Er führte das abenteuerlichste Leben, das sich denken läßt. Weißt du wie er geboren wurde?« Molly nickte. »Wie kommt ein Mann zu so einem Gewerbe?« Urban lachte nur über diese Frage. »Wenn es Menschen gelingt«, sagte er, »eine Frau wie dich, ich meine eine in der Wolle gefärbte Agentin, mit ein paar Drohungen auf ihre Seite zu ziehen, wozu sind Menschen dann erst in der Lage, wenn sie jahrelang auf ein Kind einwirken.« »Du glaubst, diejenigen, die Nero erzogen haben, sind schuld?« »Die Erziehung, die Umwelt«, sagte Urban, »darauf läuft es immer hinaus.« Molly fragte, was mit ihr geschehen würde. »Warum mit dir?« Er schien sich zu erinnern und tröstete sie. »Babydarling, was glaubst du, was ich schon alles angestellt habe, um mein Leben zu ret156
ten? Meiner Überzeugung nach hast du das alles nur gespielt, um im richtigen Moment zu beweisen, wer du wirklich bist. Ich zweifle nicht daran, daß du dich noch besonnen hättest. Laß es uns vergessen. Das heißt, was mich betrifft, ich habe es schon vergessen. Wovon sprichst du überhaupt?« * Sie fuhren nach Genf hinein, gingen ins Hotel, tranken noch eine Flasche Champagner. Zwischendurch telefonierte Urban mit München. Nero sei tot, meldete er und er habe noch ein paar Tage in Frankreich zu tun. Als er aufgelegt hatte, fragte er Molly, ob sie mitkomme. »Wohin?« »Rhônetal«, zählte er auf, »Loire, Orleans, Seine, alte Städte, alte Schlösser, alte Kathedralen.« Bevor sie losfuhren, untersuchte Bob Urban seinen im Richmond-Hotel geparkten BMW-633 CSi aufs genaueste. Er fand nicht nur eine tödliche Sprengladung unter dem Sitz, die mit dem Kühlwasser-Thermostat gekuppelt war und ihn bei 70 Grad Wassertemperatur samt seinem Sportcoupé ins Jenseits befördert hätte, er fand auch noch einen Sprengsatz auf dem Differential. Diese Anordnung war neuerdings sehr beliebt. Sie ging hoch, wenn sich die Karrosse durch den Fahrtwind mit statischer Elektrizität auflud. Beim Einfedern bildeten sich dann Kontaktbrücken 157
und brachten den Plastiksprengstoff zur Explosion. Nach gut einer Stunde war der BMW sauber. Urban jedoch reif für die Badewanne. »Irgendwie ein Genie war er doch, dieser Nero«, bemerkte Molly, als sie den tödlichen Abfall in Urbans Händen sah. »Nero«, erwiderte Urban zweifelnd, »Nero hätte das anders gemacht.«
14. Es regnete pausenlos. Die Loire führte Hochwasser. Da auch die Marne Hochwasser führte, führte selbstverständlich auch die Seine Hochwasser. Urban hatte die Hauptstadt im Norden liegenlassen und die Route Orleans-Chartres genommen. Doch von den Loireschlössern und von den Kathedralen hatte Molly Miles wenig zu sehen bekommen. »Das holst du ein andermal nach«, hatte Urban gesagt. »Bist ja noch jung.« »Aber wir leben gefährlich. Weiß man denn, wie alt man wird?« »Ich weiß nur«, hatte Urban immer wieder geantwortet, »daß unsere Arbeit ohne Fakten, ohne Beweise, nichts wert ist.« »Nero ist tot.« »Du hast ihn nicht getötet, ich tötete ihn nicht. Es geht auf eines anderen Killers Konto.« »Aber wir haben das Ganze bewegt. Ohne uns wäre es nicht soweit gekommen.« 158
»Das erinnert mich an den trojanischen Krieg«, hatte Urban erwidert. »Paris gab der falschen Schönheit den Apfel und am Ende lag Troja in Schutt und Asche.« »Siegfried von Xanten heiratete die falsche Frau und am Ende waren alle Nibelungen tot.« »Stimmt. Und was bitte haben wir falsch gemacht?« »Keine Ahnung.« »Dem möchte ich abhelfen«, hatte er geäußert und war von Genf bis zum Seinebogen bei St. Nicolas durchgefahren. * Gegen Mittag standen sie auf einer kleinen Anhöhe. Urban reichte Molly Miles sein Zeissglas. Da es immer noch regnete, und der Wischer die Frontscheibe nur für wenige Sekunden klarbekam, stieg Molly aus und blickte in die Richtung, die ihr Urban beschrieben hatte. »Ich sehe nur Wald.« »Und eine Lichtung darin.« »Kein Haus, nichts.« »Aber einen hellen Fleck. Hellbraun. Darauf stand einst eine Art Jagdschlößchen. Nero hat es weggeputzt in einer einzigen Nacht.« »Muß schon lange her sein«, schätzte Molly. »Es wächst bereits Gras darüber, so grün, als hätte er es angesät.«
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»Bald wird noch mehr Gras darüberwuchern, wenn wir uns nicht sputen.« Urban fuhr nach St. Nicolas, ging in zwei Geschäfte, fand aber nicht, was er suchte. Also fuhr er über die neue Brücke und besorgte es sich in Caudeber. Nachdem er eine umfangreiche Packtasche im Kofferraum des BMW verstaut hatte, fragte Molly: »Und die Zigaretten?« Er warf ihr die Packung zu. »Übrigens, du stinkst nach Benzin, Partner.« »Kein Wunder. Ich ließ den Tank gleich füllen.« »Hast du ein Mokick gekauft oder einen Grasmäher?« »Ein Gummiboot mit Motor, Gnädigste.« »Wozu das?« Sie rauchte die schwarze Gitanes auf Lunge. »Für eine kleine Spazierfahrt auf der Seine.« »Was siehst du da, was du von Land her nicht auch sehen kannst?« »Man kann es auch vom Land aus finden, aber das dauert mir zu lange. Zu Neros Besitz gehört ein Kilometer Flußufer.« Molly war nur halb zufrieden. »Und was ist in den Pappschachteln?« »Anzüge.« »Badeanzüge etwa?« »Mit Ärmeln und Beinen aus Gummi für Herrschaften, die im Wasser frieren.« »Du glaubst doch nicht etwa?« »Daß du schwimmen kannst«, bemerkte er. »Ich 160
weiß, daß du eine vorzügliche Crawlerin bist. Doch du wirst es mir nicht beweisen müssen.« »Und mit wem hast du so lange telefoniert?« Vor dieser Frau ließ sich kaum etwas verbergen. »Mit dem Flußbauamt«, log Urban. »Und warum, zum Teufel, überlassen wir den Job nicht der Sûreté oder dem französischen Geheimdienst?« »Die Sûreté ist hier draußen nicht zuständig, und die Gendarmerie, die zuständig wäre, greift nur unter bestimmten Voraussetzungen, wie Mord, Totschlag, Brandstiftung, Raub, Landfriedensbruch et cetera ein.« »Und der SDECE?« »Wir arbeiten im NATO-Auftrag. Frankreich ist kein NATO-Vollmitglied mehr. Der SDECE übernimmt in diesem Fall nur eine beobachtende Rolle.« Diesmal benutzten sie zur Flußüberquerung die Autofähre. Sie brachte sie wieder an das Südufer. Nach längerem Suchen fand Urban einen Platz, der ihm geeignet schien. Im Regen bauten sie das Schlauchboot auf. Als es startbereit lag, waren sie so durchnäßt, daß ihnen die Tauchanzüge warm und mollig vorkamen. Urban trieb seine CIA-Kollegin an. »Du bist nicht müde«, sagte er, »du bist frisch und munter und voller Einsatzfreude. Laß uns die Sache in Angriff nehmen. Wenn wir Glück haben, liegen wir heute nacht in einem warmen französischen Bett.« »Und wenn wir Pech haben?« fragte die Amerikanerin. 161
Zweimal fuhren sie dicht am Ufer entlang. Anfang und Ende von Neros Grundbesitz waren deutlich markiert. Trotzdem gelang es ihnen nicht, in den verwilderten Buchten unter überhängendem Gestrüpp oder in den Uferbefestigungen das zu finden, was Urban suchte. Mühsam arbeitend brachte der schwache Außenborder das Boot gegen die Hochwasserströmung wieder zum Ausgangspunkt zurück. »Es geht dir um den Hauskanal«, vermutete Molly. »Es gibt so einen Kanal.« »Die Mündung wird unter Wasser liegen. Vergiß nicht den hohen Pegelstand,« »Das halte ich für unmöglich«, sagte Urban. »Der Besitzer riskierte auf keinen Fall, daß ihm bei Hochwasser der Keller vollief.« Urban holte die Reiseflasche aus dem BMW. Jeder von ihnen nahm einen tüchtigen Schluck Bourbon. Mit neuer Energie versuchten sie es noch einmal. Es begann zu dämmern. Wegen der tiefhängenden Regenwolken kam die Dunkelheit früh. Besonders sorgfältig suchte Urban den kleinen Hafen ab. Die Betonmauern waren im 100-GradWinkel geöffnet und führten schräg auf eine Bootshütte zu. Die Hütte hatte ein Fallgatter. Dahinter sah man ein Motorboot liegen. Seitlich führte ein schmaler Kanal an der Hütte vorbei zu einem Landesteg mit Treppe, angelegt zum leichteren Ein- und Ausladen von Gegenstän162
den. Ein alter Bootsdavit, zum Kran umgebaut, rostete vor sich hin. Urban dirigierte das Schlauchboot in den Kanal hinein, machte es fest, riß ein Stück Karton ab und warf ihn ins Wasser. Neugierig beobachtete er das Verhalten des Kartons. Er saugte sich voll, drohte zu versinken, bewegte sich dabei aber um etwa zwei Meter. »Der Sog der Strömung«, vermutete Molly. »Aber doch nicht landwärts.« Urban stieg ins Wasser, watete ein Stück und blickte unter die eiserne Treppe. Bald kam er wieder, holte ein Stemmeisen und verschwand erneut. Wenig später rief er Molly. Als sie ihn wiedersah, stand er gebückt in einem Betonrohr von etwa 140 cm Durchmesser. »Wo führt das hin?« fragte sie in die halb mit Wasser gefüllte algige und verschmutzte Röhre kletternd. »Hast du Angst vor Ratten?« fragte Urban mit hallender Stimme. »Ja«, gestand sie. * Sie mußten auf allen vieren kriechen. Nach zehn Metern war das Wasser noch kniehoch, nach zwanzig kaum knöcheltief. Dann wateten sie nur noch in Schlamm und Dreck. Die Röhre stieg, dem Gelände folgend, leicht an. Urban hatte die Taschenlampe zwischen den Zähnen. Mit einem Mal ging es nicht mehr weiter. 163
»Das kann noch nicht der Hauskeller sein«, äußerte Urban. »Führt dieses Rohr überhaupt dorthin?« »Es dient zur Entwässerung. Die Hügel hier sind waldreich und feucht. Das Wasser drückt Seinewärts.« In Flußnähe dürfte es kaum einen trockenen Keller geben.« Urban hämmerte gegen die Wand. Sie bestand aus rostigem Stahlblech. Die Schläge klangen hohl. Die Schieberklappe saß locker auf. Sie bildete eine Art Ventildeckel, der alles Wasser in den Fluß abließ. Kam aber Wasser vom Fluß herauf, dann wurde sie gegen ihren Rahmen gepreßt. Die Scharniere oben waren erstaunlich gut gewartet. Urban glaubte sogar, Molybdänfett daran zu sehen. Er hob die Klappe. Es ging weiter. Bald hörte die Röhre auf. Sie mündete in einen gemauerten Kanal. Man konnte jetzt, vorausgesetzt, man zog den Kopf etwas ein, aufrecht gehen. Der Lampenkegel erfaßte eine Treppe, sehr glitschig und mürbe. Sie endete nach sechzehn Stufen vor einer Stahltür. Auch diese Tür war offen. Sie traten in einen Kellerraum. Urban fand den Lichtschalter. Es gab sogar Strom. Links war eine Dusche. »Beinah komfortabel«, bemerkte er, als er die Dusche aufdrehte, sich darunterstellte um die Kloake abzuwaschen. »Warm?« fragte Molly. »Das wäre zuviel verlangt.« Urban wurde jetzt äußerst vorsichtig. 164
»Entweder ist jemand hier oder er war vor kurzem hier«, kombinierte er. »Gewiß kennt er sich recht gut aus.« »Er hat den gleichen Verdacht wie wir.« »Zumindest einen ähnlichen«, schränkte Urban ein. Über drei Stufen kamen Sie in einen Raum mit Weinregalen. Die Gestelle enthielten aber nicht eine einzige Flasche. Urban sah nur Büroordner, Aktenbündel, Stapel von Tonbändern, einen Safe. Der Safe hatte ein Kombinationsschloß. Es kostete ihn zwanzig Minuten, ein aufmerksames Ohr und feinfühlige Fingerspitzen. Dann ging die Safetür auf. Urban deutete hinein. Molly schätzte den Inhalt. »Eine Million.« »Ungefähr das Doppelte und etwas Gold.« »Das ist noch gar nichts«, rief sie und deutete auf den unscheinbaren Aluminiumkoffer, den sie inzwischen geöffnet hatte. Beim ersten Hinsehen enthielt er nur durchfeuchtete Leinensäckchen. Eines davon hatte Molly aufgeschnürt. Den Inhalt ließ sie auf die Hand rieseln. Urban unterdrückte seine Verblüffung. »Der Schatz der Hethiter«, murmelte er. »Gewicht?« »Reichlich hundert Kilo.« »Ohne Diamantenexperte zu sein, sind das eine halbe Million Karat.« »Wert?« »Summa summarum gut hundert Millionen. Da wird sich jemand aber mächtig freuen.« 165
Molly zog die Stirn in Falten. »Wer? Diese Giftnudel Helena Narchos etwa? Oder die türkische Regierung.« »Die UNICO.« Urban faßte zusammen, was sie gefunden hatten: »Einen nahezu atomsicheren Bunkerkeller. Über so einem Ding kann man jedes Haus sprengen, ohne daß er sich im mindesten rührt. Ferner Material, Bankauszüge, Dokumente, geführt mit der Akribie eines Buchhalters. Und einen großen Teil des in vielen Jahren zusammengerafften Vermögens. Wenn das nichts ist.« »Zufrieden?« fragte Molly. »Beinah«, gestand Urban. »Und warum nicht restlos?« Er deutete über sie hinweg in Richtung zum Kellerausgang. Molly fuhr herum. Sie war nicht besonders schreckhaft. Aber was sie sah, ging selbst einer CIAAgentin in die Knochen und reichte aus, beim nächstbesten Mann Schutz zu suchen. An der Tür stand ein Maskierter. Er hatte eine abgesägte Schrotflinte in der Hand, eine zweiläufige mit zolldicken Rohren. Außerdem hatte er mehrere Handgranaten bei sich und eine Preßluftpatrone, die wohl alles andere enthielt als reine Waldluft. Seine Maske schien vom letzten Karneval zu stammen. Sie zeigte die Grimasse eines Teufels. »Er war schon immer ein Scherzbold«, sagte Urban. »Sorry«, bedauerte Molly, »ich verstand seine Scherze nie.« 166
Der Mann nahm, ohne die Waffe auch nur um einen Zentimeter aus der Visierlinie zu bewegen, die Maske ab. »Die Toten steigen aus den Gräbern«, stellte Urban fest. »Ich war nie in einem Grabe«, erklärte Tim Ascott, »aber als es so aussah, als würde ich bei der Creditbank in Aigle Erfolg haben, sorgte ich für eine Leiche, die an meiner Stelle im Jaguar verbrannte.« »Was ist das schon für ein Opfer«, höhnte Urban, »ein Jaguar gegen soviel money.« »Daß ihr euch um mich Sorgen machen würdet«, fuhr Ascott fort, »schloß ich aus. Das ist branchenunüblich. Man nimmt kurz den Hut ab, kippt einen Doppelten runter und vergißt.« »Er war längst vergessen, der alte Ascott«, gestand Urban. »Aber was ich nicht verdaute, war die Art, wie er Abschied nahm. Das war zu fehlerlos, zu perfekt gemacht. Eben typisch Ascott.« »Ich hatte Neros Spur«, erzählte Ascott. »Dank der von euch stetig fließenden Informationen. Ich traute ihm den Diamanten-Deal zu und spitzte in London und Amsterdam ein paar Leute an. Prompt kreuzte Nero in Amsterdam auf, um die Steine schätzen zu lassen. Von da ab hätte niemand auf der Welt es vermocht, mich von dieser gottverdammten Spur abzubringen. Ich erfuhr, wo er sein Versteck hatte, nämlich unter diesem zusammengebügelten Jagdschloß. Dann brauchte ich ihn in Genf nur noch umzulegen. Womit ich unseren Auftrag erfüllte und hiermit meinen Totalausstieg erkläre.« 167
»Nur wir sind dir im Wege«, erwiderte Molly, die sich wieder gefaßt hatte. Ascott lächelte. »Im, Wege ja, aber mit der Präzision eines deutschen Intercityzuges, das wußte ich, würde Bob meine Schienen kreuzen, falls mein Feuerwerk im BMW nicht zünden sollte. Ein Mann wie er gibt sich nicht mit der Leiche des Gejagten zufrieden. Er will die Hintergrundmusik kennen. Er will Beweismaterial. Fakten.« Zum erstenmal machte Ascott mit dem Luparalauf eine Bewegung. »Hier ist alles gesammelt. Bedient euch, Freunde. Aber beeilt euch damit. Ich muß weg und kann euch, das werdet ihr verstehen, nicht lebend zurücklassen.« Urban interessierte sich mit einem Mal nicht mehr für das, was er gefunden hatte. »Noch eine Frage, Ascott«, sagte er. »Warum? Es ging dir doch gut.« Ascott richtete die Flinte wieder auf seinen ehemaligen Partner. »Es ging mir schlecht«, äußerte er. »Bei meinem Wissen um das internationale Bankwesen, bei meinen Kenntnissen, wie mühelos man Millionen macht, war mir angesichts eines Einkommens von dreitausend Pfund im Monat der Job auf die Dauer nicht reizvoll genug. Ich plante schon lange meinen Abschied. Aber ich sagte mir immer, es muß sich lohnen, Junge. Es lohnt sich nicht bei zehn oder zwanzig Millionen, da mußt du schon noch eine 168
Null dranhängen. Und ich hatte Glück. Ich bekam die Nullen und hatte außerdem mit zwei Nullen als Partnern zu tun.« »Schönen Dank«, zischte Molly. »Die Entwicklung beweist es«, spottete Ascott, »denn ich stehe hier und du stehst an der Wand. Ich bin oben und ihr seid bald unten. Ich meine an der Mündung des Flusses.« In diesem Moment begann Molly durchzudrehen. »Deckung!« schrie sie und hatte eine sehr winzige zweischüssige Pistole in der Hand. Sie sprang zur Seite und betätigte die Abzüge. Beide knackten, aber kein Schuß fiel. Dafür donnerte eines von Scotts Lupararohren mit dem satten Ton einer Kanone. Es haute einen fast um. Ganz abgesehen davon, daß man sekundenlang nichts mehr hörte. Ascott hatte in die linke Kellerecke gehalten. Dort hatte die Schrotladung in Neros Akten verheerende Arbeit geleistet. »Manche Patronen«, sagte Ascott ruhig, »mögen Wasser nicht. Schau dich um, Molly, so könntest du aussehen, wenn ich nicht ein Faible für dich hätte. Nein, so zurichten will ich dich wirklich nicht.« Dann wandte er sich an Urban. »Nimm ihr das lächerliche Ding ab. Sie kommt auf die Idee und wirft noch damit.« Urban entwand Molly den Derringer. Wußte der Teufel, was sie zu dieser Reaktion getrieben hatte. »Auf den Tisch!« befahl Ascott. Doch Urban hielt ihm die Damenpistole hin. 169
»Schau dir die wundervolle Arbeit an. Ich meine, wenn du für die Schönheit einer Frau zugänglich bist, muß dir diese Silberarbeit das Herz höher schlagen lassen.« Durch Urbans Worte ließ sich Ascott tatsächlich eine Sekunde ablenken. Urban reichte ihm den Derringer mit der linken Hand. Allein dies hätte ihn schon stutzig machen müssen. Aber auch ein Tim Ascott hatte nur Nerven. Als er die Augen auf den feinziselierten Derringergriff senkte, packte Urban blitzschnell den Lauf der Lupara und richtete ihn zur Decke. Der Schuß fiel. Putz hagelte herunter. Das Licht ging aus. Urban riß Ascott eine Handgranate weg und schlug mit dem gerippten Ei zu. Er traf ihn voll. Ascott leistete noch Widerstand. Er griff nach seinem Messer, zog es, stach damit zu. Urban entging der Klinge, denn zum Glück flammte in diesem Moment Mollys Taschenlampe auf. Jetzt sah er auch, daß mit Ascott nicht mehr viel los war. Beim Zurücktaumeln hatte er ihn am Kopf erwischt. Er lag am Boden, sein Genick nahm eine merkwürdig verkantete Stellung ein. »Was ist mit ihm?« »Beim Stürzen«, sagte Urban, »passierte es. In einem von hundert Fällen geht es manchmal schief.« Ascott bewegte die Lippen. Offenbar konnte er alles hören und auch sprechen. »Schätze«, sagte er, »daß es hier schon aus ist mit dem neuen Leben. Pech gehabt. Aber auch für euch 170
ging es schief. Das Schloß…« er setzte neu an »… das Schloß an der Stahltür zum Kanal, es hat Magnetschaltung mit hunderttausend Einstellungsmöglichkeiten. Ihr kamt herein, aber ohne meine Hilfe kommt ihr nie mehr hinaus.« Dann deutete er mit dem Daumen zur Decke. »Vier Meter Beton, dann noch eine Schicht Erde.« Urban nickte. »Mit Gras darauf. Wir wissen es.« Sekunden später atmete Ascott zum letzten Mal ein und aus. Urban zog ihn zur Seite, ging in den Flur und fand alles so, wie Ascott es geschildert hatte. Die Treppe endete vor einer U-Boot-Luke. Darüber lasteten Hunderte von Tonnen Erde und Schutt. Das Magnetschloß an der Stahltür war von neuester Konstruktion, aus Japan importiert. Man konnte es vor jedem Schließvorgang neu codieren. Die Sperriegel waren aus Stahl, daumendick, an jeder Seite zwei. Insgesamt also acht. »Es gibt wahrscheinlich eine Unmenge Möglichkeiten«, befürchtete Urban. Molly nickte, aber dann sah sie ihn an. »So genau weißt du das?« »Grob geschätzt.« »Dann fang an«, drängte sie. »Wie lange glaubst du, braucht man dazu, dieses verdammte Schloß zu knacken?« »Einen Monat.« »Und wie lange reicht die Luft hier unten?« »Zwanzig Stunden.« »Verdammt«, fluchte Molly, »warum fängst du nicht endlich an?« 171
Urban grinste. »Weil ich nicht total bescheuert bin, Madame«, antwortete er. »Ich werde mir doch die letzten Stunden des Lebens nicht damit vermiesen, daß ich auf einen Zufall warte. Was denkst du eigentlich von mir. Abgesehen davon arbeite ich selten ohne Netz.« »Netz, wo ist hier ein Netz, zum Teufel?« »Ich springe nicht ins Wasser, wenn ich darin Stacheldraht, spitze Eisenstäbe oder Minen vermute.« Sie geriet wieder einmal in Rage. »Und wie meinen der Herr das bitte?« »Du hast gute Augen, Molly, aber schlechte Ohren. Außerdem sollte eine Klasseagentin wie du in der Lage sein, vom Munde abzulesen. Dann hättest du nämlich bemerkt, daß ich in dem Spotgeschäft in Caudeber nicht mit dem Flußbauamt telefonierte, sonder mit Gil Quatembre vom SDECE und mit seinem Kollegen vom Quai des Orfevres.« Urban schaute auf die Uhr und rechnete. »Sie kennen die Farbe des Schlauchbootes und müssen jeden Augenblick hier sein.« * Er fuhr die Straße entlang und sah an der Bushaltestelle eine alte Frau, die sich mit einem schweren Koffer abmühte. Er hielt sein 100.000-Mark-Auto an und fragte: »Kommst du alleine klar, Mutterken?« »Nee«, sagte die Oma. Da nahm er den Koffer. Er wog mindestens einen 172
Zentner. Der Griff war einseitig gerissen und durch eine Gummischlauchkonstruktion verstärkt worden. »Wohin?« Sie deutete an der Fassade einer Mietskaserne hoch. »In den vierten.« Also schleppte er den Koffer hinauf. Droben bedankte sich das Mütterchen artig und öffnete das Portemonaie. »Nehmen Sie auch Trinkgeld?« »Aber immer«, sagte er. Sie wollte ihm einen Fünfer geben. Urban hielt zwei Mark für angemessen. Damit ging er in die Kneipe an der Ecke, um ein Bier zu zischen. Er nahm immer Trinkgeld. Warum nicht? Im Grunde lebte er davon. Das Dreiminutenhonorar der alten Dame war hochgerechnet ein fürstliches Gehalt gegen alles, was er beim BND je verdient hatte. Dafür hatte er als Kofferträger aber auch grundsolide Arbeit geleistet, was bei seinem letzten Fall nicht unbedingt zu behaupten war. ENDE
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